272. Beschreibung des Bechtles, welches in Saulgau als Schülerfest mehr als hundert Jahre gefeiert wurde am Dienstag vor der Faßnacht.
Alle Schüler und Schülerinnen in allen drei Klassen freuten sich schon sechs Wochen vorher auf dasBechtle, und wetteiferten in allen Lehrfächern, insbesondere im Schönschreiben, [277] aufeinander. Zwei Tage vor dem Bechtle wurden die sog.Bechtlesschriften geschrieben. Der oder die Schülerin, welcher oder welche die schönste Schrift dem Lehrer übergab, wurde Erste, die zweitschönste Zweite, die drittschönste der oder die Dritte, und so ging die Reihenfolge abwärts bis auf den lezten Schüler in jeder Klasse.
Am Vortage des Bechtles wurde gestochen, d.h. der Lehrer liest die Schüler nach der Schönheit ihrer Schriften herab und sagt z.B.: Joseph Fetscher ist der Erste, oder Johanna Kleist ist die Erste, und so wurden alle Schüler und Schülerinnen vom Lehrer abgelesen, was für die Vordersten Freuden, für die Lezten Trauer, ja sogar Weinen hervorbrachte, da die Leztern von allen andern Schülern ausgelacht und dieselben mit dem Namen Sau, Sau, oder Huitz, Huitz betitelt wurden. Dieses Stechen war bei dem Umzug des Bechtles die Locationsbestimmung, wo jeder Schüler zu laufen hat. Am Tage vorher hat jeder Schüler für die Musik beim Umzug des Bechtles 1 kr. dem Lehrer in die Schule zu bringen, einige brachten 3, 6, 12-24 kr., je nachdem die Vermögensumstände der Eltern es gestatteten. Am Tage des Bechtles mußten sich alle Schüler in ihren Schulen um 71/2 Uhr versammeln, und jeder Lehrer zog mit seiner Klasse um 8 Uhr in der Reihenfolge, wie sie nach ihren Schriften locirt waren, in die Kirche, in welcher ein Amt gehalten wurde. Nach der Kirche gingen die Kinder nach Hause. Mittags 111/2 Uhr versammelten sie sich wieder in ihren Schulen; die Knaben erschienen mit Säbel und Patrontaschen. Am Säbelgriff waren die schönsten Bänder, die man aufbringen konnte, angebracht. Die Mädchen erschienen in ihren Feiertagskleidern. Schlag 12 Uhr wurde der Zug von jeder Schule mit Musik in Bewegung gesezt, [278] und es versammelten sich alle Schulen mit ihren Lehrern im Oberamtshof. In diesem Hof wurden sie aufgestellt, und zwar: erste Klasse zuerst, dann die zweite und zulezt die dritte. Vor der ersten Klasse an der Spitze des Zuges war die Musik mit einem Tambour und einem Schwebelpfeifer. Nach diesen folgte die Instrumentalmusik, welche abwechselnd spilten. Um halb 1 Uhr wurde der Zug vom Oberlehrer zum Abmarsch und zum Auszug der Säbel, welche die Knaben hatten, commandirt, und der Zug marschirte so, daß der erste Schüler vor der Front mit einem Offizierssäbel voranlief, dann folgte der Fähndrich, welcher der Zweite beim Stechen wurde, welcher vom Dritten und Vierten umgeben ist. Nach den Knaben folgten die Mädchen; die drei Ersten trugen einen Schild, die Erste in der Mitte, die Zweite rechts und die Dritte links an der Seite der Ersten. Der Schild der Mädchen war auch mit den schönsten Bändern geziert und in der Mitte ein Sittenspruch mit großen Lettern angebracht, z.B.:
So ist es mit allen Klassen, nur haben die Knaben in jeder Klasse in der zweiten Abtheilung einen Fähndrich, und die Mädchen in dieser Abtheilung auch einen Schild. Der Umzug ging vom Oberamteihof in Bewegung, und jeder Lehrer war von seiner Klasse der Zugführer. Der Zug reihte an der Mauer des Oberamteigartens hinauf, dann tritt er am Bache in der Unterstadt auf die Hauptstraße. Sofort ging er bis zum Franziskanerkloster, jezt Spital. Wie man den Klosterhof erreichte, so wurde das Gartenthor des Klostergartens bei der Post geöffnet, und der Zug ging um das Kloster herum und bei dem obern Thore des Gartens wieder [279] hinaus, und so zog man wieder die Hauptstraße zurück und ging in die Wirtshäuser, die dazu bestellt wurden, und zwar Knaben alle in eines, wo ihnen Trommelschläger und Schwebelpfeifer zur Tanzmusik bestimmt waren. Auch die Mädchen sind in ein besonderes Wirtshaus beordert worden, wo sie mit Geigen und Klarinett Musik zu ihrem Tanze hatten. In diesen Wirtshäusern war die Freude der Schüler wie der Eltern, welche zu ihren Kindern in die Wirtshäuser kamen, ungemein groß. Sie tranken Bier und Wein, aßen Bratwürste, Brates, Käs, und die Vermöglichen ließen sich zum Weine Confekt auftragen, dann wurde getanzt, und so ging es mit Essen, Trinken und Tanzen fort bis Abends 6 oder halb 7 Uhr. Dann befiehlt der Lehrer den Schülern, daß sie jezt nach Hause zu gehen haben; und Kinder und Eltern folgten pünktlich, und das Bechtle ist aus. Für's Ordnunghalten mußte der Wirt die Lehrer unentgeltlich gastiren, welches schon von Alters her gebräuchlich war. Die Gastirung bestand in Wein und Brates und Salat. Dies ist das Ende vom Bechtle.