1086. An Grete Meyer
1086. An Grete Meyer
Wiedensahl 8. Oct. 1896.
Liebe Grete!
Sollte in der Rumpelkiste auf der Böhne noch irgend eine farbige Schose übergeblieben sein, die Dir nicht zu schlecht ist, so steht sie selbstverständlich zu deiner Verfügung. Selbst kann ich das Zeugs nicht empfehlen. Und jetzt kommt der alte Pedant zum Vorschein: Bilder, meine Tochter, nennt man nur solche Malereien, die beanspruchen fertig zu sein; von den übrigen sagt man, es seien Studien, Skizzen, oder G'schmier, wo nicht viel Ehre mit einzulegen ist, was man demnach vor den Augen der Leute gern zu verbergen sucht.
Daß Bruder Oskar nicht Sladot zu werden braucht, ist ja, da er sich sonst munter wie 'n Ohrwurm fühlt, recht erfreulich. Aber anderseits, wie schön wär es gewesen, wenn ihr mal für ein Jahr lang solch 'n schmucken, buntgekleideten Anverwandten im Haus gehabt hättet, der pünktlich und gut verpflegt sein will. Da wärst du dann natürlich jeden Morgen mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn gesprungen und hättest den Tag um so länger genießen können. Na, wenn's nicht anders geht, muß man sich auch mal ein Vergnügen versagen können.
Bei nicht ungünstigem Wetter verweilt ich letzthin ein paar Tage in Celle. Seit ich zurück bin, hat's wieder geweht und geregnet; doch heut früh ist Sonnenschein, der Frau Nickels ihrem Grummet mal wohl thun wird. Wär's doch nur gestern in Leer auch so gewesen!
Hoffentlich ist das Barometer, das dein Vater sich erworben hat, eins von der zuverläßig prophetischen Sorte. Vor unserem haben wir schon lange keinen Respekt mehr, denn es sagt eigentlich nichts, was wir nicht schon selber merken. Nur Sturm wittert es eher als wir.
Also die "Phantasie", stell ich mir vor, ist fix und seelenvoll zum Vortrag gekommen. Aber, aber! daß nur ja ja die Suppe nicht anbrennt!
Leb wohl, liebe Grete! Und sei herzlich gegrüßt, und schreib denn auch mal wieder an deinen alten
Onkel Wilhelm.