890. An Nanda Keßler
890. An Nanda Keßler
Wiedensahl 1. Oct. 92.
Liebe Nanda!
Ich dank Dir recht schön für die guten schriftlichen Momentaufnahmen aus deiner nächsten Umgebung. – Ob's Dräthchen wohl hält eine Weil? – Irgendwo, per Schirm in den Sand gezeichnet, sah ich eine Lebenslinie, die, wo mir recht erinnerlich, etwa so verlief. –
Will auch mein gutes Nellichen mal schreiben an den Onkel, so soll's eine Freud sein für ihn. Kinderbriefe, falls sie »echt« sind, laßen sich ja angenehm lesen und beantworten. Von den »souflirten« aber stehet geschrieben: einer beantwortet und dann nie keiner mehr. –
Und so seid ihr denn gesund und sitzt so recht unter dem Füllhorn des Herbstes. Auch uns hat er bedacht mit Zwetschenkuchen und Sonnenschein, ja mit Blitz und Donner sogar. Doch schon, dahin daher im Feld, gehen die Pflüge für's Winterkorn. Melancholischer bereits pfeifen die Hirtenbübchen; die Spinnen filegräniren in jedem Gezweig; ein Mal bereits hat's a bißel gereift über Nacht – ein etwas schärferer Kniff, und der Kastanienboom läßt rieselnd die Blätter fallen. –
Morgen gehen die Ferien zu End. Unsere liebe Else, unser hübsches gescheidts Gretchen, die beiden Neffen, gehen hin, wo sie hergekommen.
Sodann saust, wie's üblich ist, der Onkel nach Celle, Wolfenbüttel und Ebergötzen, um sich hernach einzudachseln für den Winter.
Leb wohl, liebe Nanda, und sei sammt den Prachtkindern recht herzlich gegrüßt vom
verständigen
Onkel Wilhelm.
N.B.
Frau Müller, auf Grund ihrer »vegetabilischen« Einsicht, hat die beschuldigten Regenwürmer wohl genügend gerechtfertigt inzwischen, und die heimische Palme, vielleicht erschlafft unter gar zu wohlwollender Behandlung bei veränderten Umständen, hält wieder die Blätter steif.