616) Das Weingartenloch. 1

Unweit Osterhagen und dem Forsthause Nixei liegt das Weingärtnerloch oder Weingartenloch. Einige sagen, es heiße so, weil einmal ein fremder Weingärtner, der hier nach Schätzen gesucht, darin umgekommen sei, Andere aber erzählen, hier habe früher ein Garten gestanden und die Eigenthümerin habe darin ihren Kindern Weintrauben gepflückt, sie sei aber, weil Besuch gekommen, in's Haus gerufen worden, und als sie zurückgekehrt, habe sie den Garten versunken gefunden und an seiner Stelle habe sich ein großes mit Wasser gefülltes Loch befunden.

Einst hat der Hirt von Osterhagen hinter einem Eichenbusch gelegen, da sind aus dem Weingartenloch zwei Männer gekommen, die haben sich auf einen Stein gesetzt und mit einander getrunken. Dabei haben sie ihm gewinkt, und er hat mit ihnen getrunken. Darauf hat er sich wieder hinter den Eichenbusch gelegt und ist eingeschlafen. Als er nach einiger Zeit aufwacht, liegt er in einer prachtvollen Kammer und in einem kostbaren Bette, [575] davor auf einem Stuhle hat auch Zeug gelegen, aber nicht seine Hirtenkleidung, sondern schmucke vornehme Gewänder. Er kleidet sich an, aber weil er nicht weiß, was das Alles zu bedeuten hat, so zieht er endlich auch einen Glockenzug, der dort hängt, und darauf erscheint eine Dienerin. Sie führt ihn von seiner Kammer hinunter und so wird er gewahr, daß er sich in einem großen Kaufmannshause befinde; da haben unten die beiden Männer, mit denen er getrunken, als Ladendiener hinter dem Kaufmannstische gesessen. Sie haben auch jetzt nichts gesagt, doch ist der Eine von ihnen mitgegangen und hat ihn in der Stadt umhergeführt, in der das Haus gelegen hat. So hat er ihn dreimal im ganzen Hause herumgeführt, da hat er endlich zu reden angefangen und den Hirten gefragt, ob er Lust hätte, nach seiner Heimath zurückzukehren. Als er darauf mit Ja geantwortet, hat der Kaufmannsdiener gesagt, er solle sich wünschen, was er aus dem großen Kaufmannshause mitnehmen wolle, ihm auch gerathen, er solle sich entweder einen goldenen Hirsch oder einen goldenen Hasen wünschen. Darauf hat der Hirt scherzend geantwortet, so wolle er sich einen goldenen Hasen wünschen, der könne doch wohl am Besten laufen. Darnach hat der Hirt sich wieder in das kostbare Bett legen müssen, und als er aufgewacht ist, hat er wieder hinter dem Eichenbusch am Weingarten gelegen. Auch hat er sein Hirtenzeug angehabt wie gewöhnlich, neben ihm aber hat ein goldener Hase gelegen. Ueberdies hat noch ein Stein neben ihm gelegen und von dem hat ihm der Kaufmannsdiener, ehe er sich wieder in das kostbare Bett gelegt hat, gesagt: Wenn er mit dem Steine vor das Weingartenloch käme, würde sich dieses vor ihm aufthun. Seine Kühe sind indeß verschwunden gewesen und als der Hirt nach Osterhagen zurückgekommen ist, hat er vernommen, daß die Leute ihr Vieh an jenem Tage in der ganzen Gegend haben zusammensuchen müssen. Für den goldnen Hasen hat dem Kuhhirten nachher ein Jude zweitausend Thaler ausgezahlt. Den Stein aber hat er später einmal auseinander geschlagen und die eine Hälfte davon einem treuen Kameraden gegeben und ihn aufgefordert, mit ihm in das Weingartenloch zu steigen. Als sie nun Beide darin gewesen, sind sie auseinander gekommen, und da hat sein Kamerad die Hälfte des Steins, die er in den Händen gehabt hat, weggeworfen und deshalb hat er sich nicht wieder zu ihm finden können. Der Kuhhirt aber, der die Hälfte des Steins in der Hand behalten hat, ist glücklich wieder ans Tageslicht gekommen und hat große Schätze an edlem Erz aus dem Weingartenloch getragen. 2

Das Weingartenloch schließt die reichsten Schätze, ganze Berge von Gold und Silber in sich, aber es ist schwer hinein zu gelangen, weil der Durchgang so schmal und gefährlich ist; auch ist selten einer, der es versucht hat, wieder lebendig herausgekommen. Alte Leute wußten zu erzählen, wenn man nur muthig durch den ersten Eingang sich durchgewunden, so komme man alsbald an einen weiten Raum, wo der Teufel schon harre und die Ankommenden ganz freundlich in einen großen, von tausend Kerzen herrlich erleuchteten Saal führe. In der Mitte des Saales stehe ein Tisch, worauf ein großes Buch aufgeschlagen liege. Habe man nun eine Zeitlang dort gerastet,[576] so werde man durch die prächtigsten Zimmer geführt, wo ganze Berge von Gold und Silber lägen. Wer sich dem Teufel verschreibe und zu dem Ende seinen Namen in das große Buch eintrage, der könne von den Schätzen so viel nehmen wie er wolle und ungefährdet wieder auf die Oberwelt zurückkehren. Eine Magd stieg hinab, aber weil ihr Geleuchte zu Ende ging, wußte sie den Ausgang nicht wiederzufinden und kam um. Einen Jäger fand man todt am Eingange der Höhle. 3

Fußnoten

1 S. Pröhle S. 203 etc.

2 Eine Beschreibung dieser Höhle steht in der Neuen Sammlung merkwürdiger Geschichten von unterirdischen Schätzen. Breslau 1756. S. 254 etc.

3 S. Harrys, Volkssagen aus Niedersachsen. Bd. II. S. 79.

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