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An Carl Cäsar von Leonhard

Es war mir sehr angenehm, daß mein Aufsatz zur rechten Zeit ankam, und ich danke, daß Sie ihm einen so guten Platz anweisen wollten. Unter Ihrer Anleitung tritt jene kleine Schrift nunmehr vor ein anders Publicum, vor das wissenschaftliche, da sie früher nur bestimmt war, ein allgemeines Interesse zu erregen und gewisse Gegenstände vor den Augen der Kenner und Nichtkenner in einer bequemeren Ordnung aufzuführen, als sie bisher, mehr oder weniger bekannt, betrachtet wurden. Vielleicht könnte man, da ich mich in einem neuen Fach mit dem Publicum zu unterhalten anfange, nach meiner Legitimation [432] fragen; doch giebt vieljährige Neigung und Beobachtung wohl einiges Recht, in einer Sphäre mitzuwirken, wo ein Jeder auch mit dem geringsten Beytrag willkommen ist.

Um manches Mißverständniß zu vermeiden , sollte ich freylich vor allen Dingen erkälten, daß meine Art, die Gegenstände der Natur anzusehen und zu behandeln, von dem Ganzen zu dem Einzelnen, vom Total-Eindruck zur Beobachtung der Theile fortschreitet, und daß ich mir dabey recht wohl bewußt bin, wie diese Art der Naturforschung, so gut als die entgegengesetzte, gewissen Eigenheiten, ja wohl gar gewissen Vorurtheilen unterworfen sey.

So gestehe ich gern, daß ich da noch oft simultane Wirkungen erblicke, wo andere schon eine successive sehen; daß ich in manchem Gestein, das andere für ein Conglomerat, für ein aus Trümmern Zusammengeführtes und Zusammengebackenes halten, ein auf Porphyrweise und Getrenntes und sodann durch Consolidation Festgehaltenes zu schauen glaube. Hieraus folgt, daß meine Erklärungsart sich mehr zur chemischen, als zur mechanischen hinneigt.

Gewiß würde man, nach meiner Überzeugungen, über Gegenstände des Wissens, ihre Ableitung und Erklärung viel weniger streiten, wenn jeder vor allen Dingen sich selbst kenne und wüßte, zu welcher [433] Parthie er gehöre, was für eine Denkweise seiner Natur am angemessensten sey. Wir würden alsdann die Maximen, die uns beherrschen, ganz unbewunden aussprechen und unsere Erfahrungen und Urtheile diesem gemäß ruhig mittheilen, ohne uns in irgend eine Streit einzulassen: denn bey allen Streitigkeiten kommt am Ende doch nichts weiter heraus, als daß sich zwey entgegengesetzte, nicht zu vereinigende Vorstellungsarten recht deutlich aussprechen, und Jeder auf der seinigen nur desto fester und strenger beharrt. Sollte man also mit meinen geologischen Äußerungen sich durchaus nicht vereinigen können, so wird man den Punct in Betracht ziehen, von dem ich ausgehe und zu dem ich ausgehe und zu dem ich wieder zurückkehre.

Was ich noch zu sagen wünsche, will ich in Briefform verfassen, damit Sie es zum Schlusse bringen können. Haben Sie die Güte, mir den letzten Termin zu bestimmen, wenn Sie das Manuscript brauchen, damit ich mich, bey mannigfaltigen anderen Arbeiten, einrichten kann.

Mögen Sie mir von den erwähnten Mineralien einiges zusenden, so werde es mit Dank empfangen und zu Ihrem Andenken bewahren. Könnte ich die von Ihnen angezeigte Fortsetzung der Bemerkungen des Herrn Legationsrath von Struve im Manuscripte sehen, so wäre es mir angenehm. Ich würde sie sogleich wieder zurücksenden. Ich habe auch diesmal das Vergnügen gehabt, mit diesem Naturfreund in[434] Carlsbad zusammenzutreffen, so wie mit unserem mit unserem mit unserem mittheilenden und belehrenden Werner.

Mich bestens empfehlend

Weimar, 1. October 1807.

Goethe. [435]

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