6/1631.

An Carl Ludwig von Knebel

Ich bedaure sehr deinen Zustand, es ist gar Übel ganz allein zu seyn, und selbst die Gegenwart deiner guten Schwester macht dich noch einsamer. Wie traurig ist's seine Freunde so zu sehen, da fühlt man erst wie ohnmächtig man ist.

Seit einiger Zeit lebe ich sehr glücklich. Ich komme [95] fast nicht aus dem Hause, versehe meine Arbeiten und schreibe in guten Stunden die Mährgen auf die ich mir selbst zu erzählen von ieher gewohnt bin. Du sollst bald die drey ersten Bücher der Theatralischen Sendung haben. Sie werden abgeschrieben.

Meinen Werther hab ich durchgegangen und lasse ihn wieder ins Manuscript schreiben, er kehrt in seiner Mutter Leib zurück du sollst ihn nach seiner Wiedergeburt sehen. Da ich sehr gesammelt bin, so fühle ich mich zu so einer delikaten und gefährlichen Arbeit geschickt.

Alle Briefe an mich seit 72, und viele Papiere iener Zeiten, lagen bey mir in Päcken ziemlich ordentlich gebunden, ich sondre sie ab und lasse sie heften. Welch ein Anblick! mir wirds doch manchmal heis dabey. Aber ich lasse nicht ab, ich will diese zehn Jahre vor mir liegen sehen wie ein langes durchwandertes Thal vom Hügel gesehn wird.

Meine iezige Stimmung macht diese Operation erträglich und möglich. Ich seh es als einen Winck des Schicksaals an. Auf alle Weise machts Epoche in mir.

Ich sehe fast niemand, ausser wer mich in Geschäfften zu sprechen hat, ich habe mein politisches und gesellschafftliches Leben ganz von meinem moralischen und poetischen getrennt (äusserlich versteht sich) und so befinde ich mich am besten. Alle Woche gebe ich einen grosen Thee wovon niemand [96] ausgeschlossen ist, und entleidige mich dadurch meiner Pflichten gegen die Sozietät auf's wohlfeilste. Meine vielen Arbeiten von denen ich dem Publiko noch einen gröseren Begriff erlaube, entschuldigen mich daß ich zu niemand komme. Abends bin ich bey der Stein und habe nichts verborgnes vor ihr. Die Herzoginn Mutter seh ich manchmal u.s.w.

Der Herzog hat seine Existenz im Hezen und Jagen. Der Schlendrian der Geschäffte geht ordentlich, er nimmt einen willigen und leidlichen Theil dran, und läßt sich hie und da ein Gutes angelegen seyn, pflanzt und reißt aus pp. Die Herzoginn ist stille lebt das Hofleben beyde seh ich selten.

Und so fange ich an mir selber wieder zu leben, und mich wieder zu erkennen. Der Wahn, die schönen Körner die in meinem und meiner Freunde daseyn reifen, müssten auf diesen Boden gesät, und iene himmlische Juwelen könnten in die irdischen Kronen dieser Fürsten gefaßt werden, hat mich ganz verlassen und ich finde mein iugendliches Glück wiederhergestellt. Wie ich mir in meinem Väterlichen Hause nicht einfallen lies die Erscheinungen der Geister und die iuristische Praxin zu verbinden eben so getrennt laß ich iezt den Geheimderath und mein andres selbst, ohne das ein Geh. R. sehr gut bestehen kann. Nur im innersten meiner Plane und Vorsäze, und unternehmungen bleib ich mir geheimnißvoll selbst getreu und knüpfe so wieder mein gesellschafftliches, politisches, [97] moralisches und poetisches Leben in einen verborgenen Knoten zusammen. Sapienti sat.

Ich sage dir viel von mir, weil du mich liebst, und es magst und um dich zum gleichen einzuladen.

Die Cosmogonie und die neusten Entdeckungen darüber, die Mineralogie, und neustens der Beruf mich der Oekonomie zu nähern, die ganze Naturgeschichte, umgiebt mich wie Bakons groses Salomonisches Haus, worüber sich Herder und Nikolai streiten. Lebe wohl. Oeser war hier. Ich lerne ihn erst recht kennen. Ein Mann voll Geschmack und Geist und stiller Künstler und Weltmanns Klugheit.

Wenn der grose Stein in seinem Glanze steht und seine Bestimmung offenbaar ist sollst du eine Zeichnung davon haben.

Lebe wohl. Wenn du nicht eher wiederkommen willst, biß Harmonie im Ganzen ist, und du eine Uniform nicht für Harmonie nehmen kannst; so werd ich dich ewig entbehren müssen. Adieu, Guter.

d. 21. Nov. 82.

G.

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