1819, 24. April.
Gesellschaft bei Goethe
Heute war große Abendgesellschaft bei Goethe, die Gräfin Henckel, Line (v. Egloffstein), Adele (Schopenhauer), Coudray und Tieck waren anwesend. Goethe sprach über die Eigenthümlichkeit der deutschen Sprüchwörter bei den verschiedenen Nationen; die griechischen [8] gingen alle aus unmittelbarster, speciellster Anschauung hervor, z.B. der Storch im Hanfe; die deutschen seien stets derb, tüchtig, sittlich, bezeichnend.
Dann sprach er über die Kunst zu sehen. »Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht. Oft sieht man lange Jahre nicht, was reifere Kenntniß und Bildung an dem täglich vor uns liegenden Gegenstande erst gewähren läßt. Nur eine papierne Scheidewand trennt uns öfters von unsern wichtigsten Zielen, wir dürften sie keck einstoßen und es wäre geschehen. Die Erziehung ist nichts anders als die Kunst zu lehren, wie man über eingebildete oder doch leicht besiegbare Schwierigkeiten hinauskommt.«
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