Wenn die Bestimmung des Menschen und das höchste Ziel seiner Wünsche, wahre und dauerhafte Glückseligkeit, nicht auf dieses Erdenleben eingeschränkt ist; –156 wenn er, als ein vernünftiges Wesen, dieses Ziel anders nicht erreichen kan157, als durch Weisheit und Tugend; –158 wenn 159 Religion beide160 lehrt, unterhält,161 und dazu die kräftigste Ermunterung giebt, ja ohne sie,162 Weisheit, nicht wahre Weisheit, Tugend, nicht beständige Tugend seyn kan: – 163 so giebt es für den edlen165 Geist des Menschen keine würdigere Beschäftigung, als das Bestreben, 166 Religion aufs überzeugendste kennen zu lernen167 und aufs willigste auszuüben168.
Man kan bey der169 Religion 170, wie bey171 allen andern Gegenständen, einen Unterschied zwischen einer gemeinen und einer philosophischen Kennt[2]niß 172 machen. Letztere findet nur alsdann173 statt, wenn ich174 eine Sache im 175 Zusammenhange mit einer176 andern, d. i.das ist so erkenne,177 wie sie der Grund oder,178 die Folge von der andern179 ist, oder, mit andern Worten, wenn ich180 sie mit meiner Vernunft erkenne; und sie181 ist in dem Grade vollkommner182, je mit meh[2]rern Dingen ich183 sie so verbunden denke184 und je mehrere solche185 Verbindungen ich186 zwischen denselben einsehe187.
Eine solche eigentlich zusammenhängende oder philosophische Kenntniß irgend einer Art von Gegenständen, macht eben den Kunstverständiger Kunstverständigen in weiterer Bedeutung aus, so fernsofern er von dem bloß gemeinen Kenner, dem Studierten im weitesten Sinne (homme de lettres,)lettres), dem bloß mechanisch Handelnden oder Arbeitenden unterschieden wird, und sodann jener Name eben sowohl den Gelehrten Gelehrten als den wahrhaftigen Künstler Künstler bezeichnet. Denn eigentliche Kunst (Τεχνην oder Artem) legt man doch nur dem beybei, der seine Kenntnisse in irgend einer Art von Dingen nicht bloß Andern abgelernt oder nur aus Beobachtung geschöpft, sondern auch darüber selbst gedacht, ihren Gründen und Folgen oder möglichen Anwendung nachgeforscht, sich eben sowohl feste und sichere RegelnRegeln, und überhaupt allgemeine Kenntnisse, als deutliche Begriffe von der Art seiner Beschäftigungen,Beschäftigungen erworben hat. FreylichFreilich muß er historische und philosophische Kenntnisse davon zugleich besitzen. Historische, oder einen ansehnlichen Vorrath und Stoff, den er hernach verarbeiten kankann, oder dessen er zur Verarbeitung seiner Kenntnisse bedarf, das heißt: er muß Vieles und davon Viel wissen (multa et multum). Aber eben so nothwendig ist, daß er, was er weiß, gut wisse, und besonders im ZusammenhangZusammenhange oder philosophisch einsehe, weil davon selbst die immer mehrere Vollständigkeit der Kenntniß einer Sache, und noch mehr die Sicherheit und rechte Anwendung derselben, abhängt. – Nicht minder unterscheidet man selbst unter den KunstverständigeKunstverständigen den eigentlichen Gelehrten von dem Nichtgelehrten; und dieser Unterschied scheint sich auf den verschiednenverschiedenen nächsten Zweck zu gründen, wonach man beybei Erwerbung einer gewissen Art von Kenntnissen trachtet. Dieser Zweck besteht immer in der Befriedigung gewisser Bedürfnisse oder des Gefühls von dem Werth gewisser Kenntnisse,Kenntnisse; und diese Bedürfnisse können entweder sinnliche oder geistige seyn, d. i.das ist d. i., entweder den Körper und äusserlicheäußerliche Verhältnisse betreffen, in welchen wir gegen irgend Etwas stehen, was ausseraußer uns ist, und auf unsre GlückseligkeitGlückseligkeit ein Einfluß haben kann, als Gesundheit, Nahrung, Sicherheit, Hülfe von Andern, Vergnügung der Sinne u. d. g.und dergleichen u. dergl.und dergleichen , oder die Vollkommenheit des Geistes, Kenntniß des Wahren, Nützlichen, Guten und Schönen, nebst der Bildung des ganzen Charakters, unsrerunserer Denk- und Handlungsart, befördern. Dienen nun zusammenhängende Kenntnisse einer gewissen Art von Gegenständen,Gegenständen zunächst zur Befriedigung geistiger Bedürfnisse:Bedürfnisse, so macht der Inbegriff solcher Kenntnisse eine Wissenschaft aus. Zielenaus; zielen sie aber zunächst auf Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse ab:ab, so würde der Inbegriff solcher Kenntnisse eine Kunst heissenheißen müssen. Will man also den eigentlichen Gelehrten von dem Nichtgelehrten unterscheiden:unterscheiden, so würde derjenige verdienen ein Gelehrter genannt zu werden, der vorzügliche zusammenhängende Kenntnisse in irgend einer Wissenschaft besitzt, d. i.das ist dergleichen Kenntnisse von solchen Gegenständen, die zunächst geistige Bedürfnisse befriedigen sollen; und Gelehrsamkeit wäre dann vorzüglichegründliche Bekanntschaft mit Gegenständen der so eben beschriebenen Art; da hingegen alle diejenigen müßten zu den Nichtgelehrten gerechnet werden müßten, denen es an Kenntnissen gewisser Arten von SachenArt ganz fehlt, oder die davon keine vorzügliche, oder keine zusammenhängende Kenntnisse (in dem vorhin angegebenen Sinne des Wortes) haben, oder deren Kenntnisse Gegenstände betreffen, welche zunächst nur sinnliche Bedürfnisse betreffen und befriedigen.198
Daß die gelehrte266 Erkenntniß der Religion an sich einen großen267 Vorzug vor der gemeinen268 habe, wird niemand leugnen269, wer nicht glaubt, Unwissenheit sey270 besser als Kenntniß, mangelhafte Kenntniß besser als vollkommnere. Aber die, welche die gelehrtere Erkenntniß in der Religion für unnöthig oder gar für gefährlich halten –271 wenn [4] sie dies nicht aus Trägheit oder Eigendünkel behauptenbehaupteten –272 haben entweder nie den Nutzen und gewissermassen274 die Unentbehrlichkeit einer solchen Kenntniß recht überdacht, oder stehen in dem [7] Wahn, daß bey275 solchem Streben nach weiterer Aufklärung, die Religion selbst, sowohl die Kenntniß und der Glaube an sie, als die gottselige Gesinnung, leiden möchte276. Gegen jene müßte also der NutzenNutzen277, gegen diese,278 die Unschuld279 der Gelehrsamkeit,280 gezeigt werden.
Wie nützlich und selbst wie unentbehrlich unter gewissen Umständen gelehrte Erkenntniß der Religion sey299, läßt sich am besten bey300 den einzelnen301 zur Bildung eines angehenden Theologen dienlichen Wissenschaften zeigen. Dies302 ist die Ursach, warum es in dieser Anleitung bis dahin verschoben wird. Hier sey303 es genug304 im Allgemeinen zu bemerken:305 daß es bey306 jeder rechten Kenntniß einer Wahrheit, also auch jeder Lehre in der Religion, auf drey307 Stücke ankomme: daß man sie – recht verstehe – recht beurtheile und – recht anwende. Das dritte setzt das zweyte308, so wie das zweyte309 das erste voraus. Wo es an einem dieser drey310 Stücke fehlt, kann311 die Erkenntniß dieser Lehre nie das seyn, was sie seyn soll, Mittel312 zur WahrheitWahrheit313, und,314 durch diese,315 zur Glückseligkeit zu gelangen. Bey316 Angabe des Nutzens einzelner317 Theile der Gelehrsamkeit in der Religion, müßte also stets ihr Einfluß auf diese drey318 Stücke in Anschlag genommen werden.
Wenn denn aber nun319 Gelehrsamkeit für die Religion gefährlich wäre?320 Das ist sie gewiß nicht; und wer dies gleichwohl meint, macht sich entweder von Gelehrsamkeit, oder Religion, oder von dem, was gefährlich ist, falsche Begriffe. Ohne Wegräumung dieses dreyfachendreifachen Mißverstandes wird man321 wider und für die Unschuld der Gelehrsamkeit mit gleichem Glück streiten323 und die Sache 324 unverglichen bleiben 325.
Echte Gelehrsamkeit Gelehrsamkeit – reicht sowohltheils den nöthigen Stoff Stoff zur Erkenntniß und Beurtheilung einer Sache,Sache dar, alstheils lehrt sie die Regeln Regeln , wonach dieser beurtheilt, gewürdigt und richtig angewendet werden mußmuß. (§. 3.). 3.) Sie kankann also, ihreihrer Natur nach, dem Wahren und Guten nicht nachtheilig seyn; und wenn sie es wird:wird, so liegt der Grund davon entweder in unvollständigen oder unrichtigen Kenntnissen und RegelnGrundsätzen, wonach man verfährt, oder in dem Gelehrten selbst, so fernsofern er von richtigen Kenntnissen und RegelnRegeln keinen genugsamen und rechten Gebrauch macht. In beydenbeiden Fällen kankann der entstehende Schade nicht der Gelehrsamkeit beygemessenbeigemessen werden, sondern im erstern,ersteren dem Mangel der Gelehrsamkeit, im letzternletzteren aber entweder dem Vorurtheil, nach welchem der Gelehrte von der Gelehrsamkeit Alles erwartet, da sie doch nur den Verstand aufklären und leiten kankann, um dadurch den Weg zur BesserungBesserung des Herzens zu bahnen, oder der Gleichgültigkeit gegen das Gute, die zum Theil selbst aus jenem Vorurtheile, zum Theil aus der Macht sinnlicher Neigungen und Leidenschaften entspringt. *) 326
*) Vertraute Briefe Briefe, die Religion betreffend betreffend, (von Spalding, Johann Joachim J. J. Spalding ), vornehmlich im 4ten und 7ten Briefe. 347Was ist Religion? – Sind es wahre, gegründete, die strengste Prüfung aushaltende, Gott [10] und das Verhältniß zwischen ihm350 und den Menschen betreffende Sätze? – Oder sind es bloße351 Meinungen und menschliche Einfälle, [11] Zusätze zur Religion, an welchen wir mit352 Zuversicht und Ergebenheit hängen;353 weil sie uns entweder354 von Jugend auf geläufig worden, wir aber das Gegentheil als wahr zu denken ungewohnt355 sind, oder es356 nur als wahr zu vermuthen und zu prüfen, uns nicht einmahl in den Sinn kommt; oder357 weil das Ansehen frommer oder in der Welt vielgeltender Lehrer uns für ihre Richtigkeit Gewähr zu leisten scheint; oder weil wir sie [7] behaglich finden, es sey358, daß sie uns eigne359 Untersuchung und Mühe ersparen, oder wir dabey360 keine nachtheilige, oft361 wohl gar gute,362 Folgen für unsre363 Frömmigkeit und Gemüthsruhe bemerken? – Oder betreffen sie364 ihrer Natur nach, Gott und das Verhältniß zwischen ihm und uns eigentlich, weder mittel- noch unmittelbar, gar nicht; scheinen sie uns vielmehr nur dahin zu gehören, weil wir sie in ehrwürdigen Büchern neben und mit Religionswahrheiten gefunden haben, oder unsre Einbildungskraft sie mit diesen Sätzen der Religion einmal365 so verknüpft hat, daß wir befürchten, eins366 müsse mit dem andern367 stehen oder fallen? – Im ersten Fall kan368 Gelehrsamkeit der Religion nicht nachtheilig seyn; sie bewährt sie eben,369 und hilft jene wahren Lehren von den erdichteten und falschen absondern. Hilft sie im zweyten 370 Fall unächte371 Zusätze zerstören, so ist sie für die wahre Religion wohlthätig und vertilgt das Unkraut, unter dem wahre Religion ersticken würde. Im dritten 372 raubt sie dem Menschen we[11]nigstens nichts von Religion; aber sie macht auch den Gebrauch solcher fremden Lehren, wenn sie ja noch Wahrheit enthalten, für die Religion unschädlich, und zieht den Fleiß der Menschen von entbehrlichern373 Beschäftigungen ab,374 und 375 auf solche, die wichtig und heilsam sind376.
Was ist gefährlich für Religion? Sicherlich nicht, was jene eben erwähnte unächte377 oder fremde378 Zusätze zerstört oder absondert, hingegen,379 wahre Religionslehren als wahre380 darstellt, bestätigt, [8] ausser381 Zweifel setzt, und nützlicher anwenden lehrt. Zwar kan382 Gelehrsamkeit, wie zugestanden wurde (§. 7 383), durch Zufall und Mißbrauch gefährlich und eine Quelle neuer Uebel werden. Aber – was giebts384 irgend 385, das nicht dergleichen werden kan 386? Empfindlichkeit, selbst Vernunft, der edlere Theil des387 Menschen, selbst Gottseligkeit, machen uns eben so fähig und aufgelegt zu388 Mißvergnügen, Sorgen und Kummer,389 wovon die Thiere und 390 leichtsinnige Menschen nichts oder wenig empfinden,391 als sie auf der andern Seite Quelle392 des höhern und reinern Vergnügens, nothwendiges393 Mittel zur VollkommenheitVollkommenheit394 sind, die das Thier und der Leichtsinnige oder Gleichgültige weder begreift noch erreicht; und395 wer mag mit diesen tauschen? wer lieber hungern als essen, aus Furcht396 seine Gesundheit zu verderben? – Unwissenheit, eingeschränkte Einsichten, Mangel des reifern Ueberlegens sind ihrer Natur nach schädlich,397 wahre Gelehrsamkeit nie. Nur durch zufällige [12] Umstände können jene unschädlich, diese nachtheilig werden. Aber nicht der Zufall, nur die Natur ist der rechte Maaßstab, den Werth der Dinge zu bestimmen. – Endlich läßt sich doch 398 Mißbrauch, laßen399 sich neue400 Uebel, so viel an uns ist,401 verhüten, wenn wir uns402 feste und sichere403 Regeln machen, wonach wir untersuchen; wenn wir in Bestimmung dessen, was wahr und falsch, nützlich oder schädlich ist, nicht weiter gehn,404 als der Stoff (die data)405, den wir zu verarbeiten, oder wonach wir zu urtheilen haben,406 [13] und unsre407 Kräfte reichen; wenn wir unsere Urtheile von dem Maaß408 unserer Kräfte und von dem Werth409 der Dinge in eben [9] dem Verhältnisse berichtigen und verbessern, in welchem sich unsere Einsichten erweitern. *) Aber um alles dieses zu können, müssen wir Vieles410 wissen und viel geprüft haben;411 wir werden also in dem Grade gegen Mißbrauch gesichert seyn, in welchem wir gesucht haben412 immer gelehrter zu werden. 68Thue das Deine und überlaß das Uebrige Gott, der auch unsre413 Fehltritte zum Besten zu lenken weiß!
69„Aber das WissenWissen blähet auf.419“ – Freylich420, wenn Wissen (γνωσις)421, wie es der Apostel nimmt (
so viel ist, als die Meinung, daß man woran recht thue, verbunden mit der Meinung, daß man es alsdann423 auch thun dürfe, ohne Rüksicht424 auf unsern unaufgeklärterunaufgeklärtern425 Nächsten, den [13] wir durch unser unvorsichtiges426 Beyspiel427 verleiten, etwas uns nachzuthun, was er nicht für recht428 erkennt; und überhaupt als unreife oder übel angewendete Wissenschaft. Nicht so, wahre Gelehrsamkeit 429, die, weil sie uns unsre Schwächen, Lücken der430 Erkenntniß, 431 Verschiedenheit der Ueberzeugung bey432 verschiedenen Menschen, und Schwierigkeiten bey433 Untersuchungen fühlbar macht, eben sowohl Bescheidenheit als Schonung des Nächsten befördert.
„Viel Wissen, oder Trachten danach, zer[10]streut; wir vergessen die Anwendung aufs Herz; was bloß Mittel seyn [14] sollte, wird zum Zweck gemacht.434“ – Müßiggang, oder nicht genugsame oder unnütze BeschäftigungBeschäftigung, 435 zerstreut auch und läßt Verstand und Herz leer437 (
Eingeschränkte Kenntniß, wonach man doch immer urtheilen und handeln muß, macht verlegen und verursacht entweder Zeitverlust und unnöthige Zerstreuung über dem Suchen desjenigen, was man nicht zu finden weiß, oder gebiert Leichtsinn und Gewissenlosigkeit. Wo nicht Vieles439 im Kopf440 ist, läßt sich auch nicht Vieles441, wenigstens nicht recht, anwenden. Bloß Vielesviel wissen442 ist nicht Gelehrsamkeit444 (§. 3). Bildet445 das Wissen zu dem aus, was wahre Gelehrsamkeit ist (§. 2 446 und 7 447), und der Vorwurf fällt von selbst weg. Je mehr man in wahrer Gelehrsamkeit fortrückt, desto mehr lernt man sich sammlen, verhütet Zerstreuung, und lernt 448 besser anwenden.
„Aber man glaubt449 um so weniger, je mehr man weiß450; und Gelehrsamkeit ist eine reiche Quelle von Zweifeln.451“ – Aber wer viel glaubt, wird auch viel betrogen; dagegen sichert demnach nichts besser, als daß man Vieles452 und daß man es gut wisse453; also setzt uns wieder Gelehrsamkeit in den Stand454 zu wissen, wo man glauben dürfe oder nicht? –455 Der Gelehrte zweifelt 456 mehr wie der Ungelehrte. Aber Zweifel sind nicht immer schädlich; sie sind ein kräftiger Antrieb zur Untersuchung, wobey457 man immer gewinnt; sie sind sogar das einzige natürliche Mittel, von Vorurtheilen und [11] Irrthümern zurückzukommen. –458 Und in dem Maaß459, wie man in der Gelehrsamkeit wächst, nehmen auch die Kenntnisse zu, um den Ungrund schädlicher Zweifel einzusehen, und es wächst die Fertigkeit, sie aufzu[15]lösen; denn Zweifel entstehen aus Unwissenheit,460 und werden nur schädlich, wenn man mit ihnen nicht umzugehen weiß.
„Gleichwohl lehrt Erfahrung und Geschichte, daß es eben Gelehrte waren, die Irrthümer aufbrachten, die die Religion von ihrer Einfalt zurückführten, die sie ihrer Geheimnisse zu berauben suchten.461“ – Wenn dies Gelehrte gethan haben sollten:462 so müßte erst, ehe man sie verdammen wollte, das ausgemacht werden, was oben §. 8 463 erinnert ist. Aber gewiß sind jene vorgeworfene464 Verderbnisse der Religion mehr465 Folgen der Un[15]wissenheit, des Mißverstandes, der Schwärmerey466 oder des 70aftergelehrten Dünkels, welchen467 eben die468 Gelehrsamkeit entgegen arbeitet469.
„Indessen erschweret470 doch die Gelehrsamkeit,471 und die davon abhängende eingeführte SchulspracheSchulsprache,472 die Kenntniß der Religion.473“ – Wenn sie sonst nöthig oder nützlich ist:474 so müssen uns die Schwierigkeiten nicht abschrecken, sie in unsere475 Gewalt zu bekommen. Kann sie aber jemand ohne Nachtheil der Wahrheit und Gründlichkeit, oder muß er sie, nach seinen Umständen, entbehren:476 so überlaße477 er, ohne Verachtung oder Verun[12]glimpfung, das, was er478 entbehren kann, dem479, der dessen fähig und bedürftig ist.
Denn so sehr es allgemeine Pflicht eines jeden Menschen ist, sich um Religion zu bekümmern, und nach Gottseligkeit zu trachten; so nöthig es ist, nicht nur zu lernen, sondern auch das, was man von der Religion weiß, zu er[16]halten, fester zu gründen480, zu vermehren, zu berichtigen, lebhafter und eindrücklicher zu machen, und von Zeit zu Zeit zu erwecken und anzufrischen: so fehlts481 doch dem größten Theil der Menschen an Fähigkeit, Hülfsmitteln, Muße482, und daher auch mit an Uebung in der Erkenntniß und Gottseligkeit. Um so geläufiger und wirksamer sind bey483 den meisten Unwissenheit oder seichte Kenntnisse in der Religion, [16] Vorurtheile und grobe oder nach jedes Leidenschaften gebildete Vorstellungen von Gott und unsichtbaren Dingen überhaupt, wodurch ihnen alles Ungewohnte befremdlich, jeder aufsteigende oder gehörte Zweifel aber eine neue Nahrung des Leichtsinns oder der Aengstlichkeit wird. Wie sehr darunter erleuchtete Gewissenhaftigkeit und davon abhängende gute Gesinnung und Betragen eines Menschen sowohl als seine wahre Gemüthsruhe leiden müsse, ist leicht zu begreifen.
Es wäre also großes484 und seliges485 Verdienst, wenn, wie in allen andern menschlichen Angelegenheiten, die, so mehr vermögen, den Schwächern [13] oder Zerstreutern, auch hierin zu Hülfe kämen. Und wenn sie durch ihre Umstände in den Stand gesetzt würden, sich ganz diesem Geschäfte zu widmen; wenn sie durch ihre vorzüglichern Kenntnisse, durch die sorgfältigste Anschmiegung an Anderer Bedürfnisse, durch die zärtlichste Sorge für deren Gewissen und Gemüthsruhe, durch Klugheit, durch tugendhaftes und gottseliges Beyspiel486 und durch das auf dieses487 alles gegründete innerliche Ansehen, Weisheit, Tugend und Religion,488 nicht nur lehrten, sondern auch empfählen489; wenn sie dadurch Lehrer, Leiter und Muster für das Gewissen der [17] übrigen Menschen würden: was und490 wie wirksam könnten sie 491 für menschliche Glückseligkeit seyn?492
Wenn nun in der menschlichen Gesellschaft die, welche es einsehen, daß sie selbst den Fleiß nicht auf Religion und Bildung ihres Verstandes und Herzens danach wenden können, den sie sollten493 und wünschten (§. 15 494), diese Angelegenheit und die ganze Sorge für ihre geistliche Wohlfahrt oder ein495 Theil dieser Sorge, andern496 übertrügen, welchen sie am meisten die vorerwähnte497 Eigenschaften (§. 16 498) zutrauten: so entstünden dadurch in der Gesellschaft die, welche man in Beziehung auf den Unterricht in der Religion,499 Prediger, in Rücksicht auf die Anwendung derselben nach jedes besondern Gemüthsbedürfnissen,500 Seelsorger, und überhaupt Lehrer der Religion zu nennen pflegt. Ein höchst nützlicher und respectabler501 Stand, der nur dem verächtlich oder gleichgültig scheinen kann502, wer503 [14] ihn entweder nicht aus diesem Gesichtspunkt504 betrachtet, oder wem505 Tugend, Gewissen und Religion, so weit es nicht in seine eigennützige506 Absichten schlägt, nichts ist507.
Selbst dem StaatStaat508, wenn er seine Pflichten, Vortheile und Rechte kennt, kan509 dieser Stand, man mag ihn den geistlichen 510 oder wie man will511 nennen, so wenig gleichgültig seyn, als die Sorge512, wie er besetzt wird. – Die Rechte der Menschheit, und unter diesen sind die Rechte des Gewissens die höchsten, können durch keine Art von Verbindungen und Gesetzen aufgehoben werden:513 [18] und wer die Regierung eines Staats übernimmt, der übernimmt [18] auch, ausdrücklich oder stillschweigend, die Pflicht, die Tugend und Religion seiner Unterthanen nicht nur nicht zu kränken, sondern sie auch, so viel er kan514, zu befördern *).515 – Je mehr und je allgemeiner wahre Religion erkannt, je 516 für wohlthätiger517 und unentbehrlicher sie518 zur Glückseligkeit gehalten, je angelegentlicher und genauer sie befolgt wird: desto weniger geschieht den Gesetzen und guten Anstalten, ohne welche keine Gesellschaft bestehen kan519, öffentlicher oder heimlicher Abbruch; desto williger thut jeder, auch ungesehen und unerinnert, Gutes,520 und wirkt desto eifriger zum gemeinen Besten; desto mehr ersetzt sich das, was der Tugend an bürgerlicher Ermunterung abgeht, durch Zufriedenheit des Gewissens, und noch weit mehr durch die Vorstellung des Wohlgefallens Gottes [15] und seiner, selbst über die Gränzen dieses Lebens reichenden, Belohnung.
(Spalding, Johann Joachim J. J. Spalding) über die Nutzbarkeit des Predigtamts und deren Beförderung, zweyte Auflage, Berlin 1773. 8. im ersten Abschnitt, sonderlich S.Seite 33.33 folgg.folgende 521Unmöglich kan524 die Religion ihrer Natur nach schädlich seyn. Sie wird es bloß durch Mißverstand, Schwärmerey525 und ausschweifende Leidenschaften. Dieses zu verhüten und den unentbehrlichen seligen526 Einfluß der Religion auf die ge[19]meine und besondere Wohlfahrt zu befördern, sind in dem Staat527 Anstalten nöthig, wodurch immer richtigere Begriffe von Sittlichkeit und Religion sowohl528 als wirksamster Antrieb529 sie auszuüben, oder tugendhafte und gottselige Gesinnung530, allgemeiner gemacht werden. Weil aber die, welche fähig seyn möchten, Tugend und Religion richtigst531 und nachdrücklichst532 zu lehren und zu empfehlen, schwerlich dieses Geschäfte533 angelegentlich genug treiben werden, wenn sie sich ihm nicht ganz und unzerstreut widmen können; andere534 hingegen, die genug Eifer haben möchten, nicht immer die dazu erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse besitzen, und in diesem Fall der Religion und dem Staat535 mehr schädlich als nützlich werden: [16] so macht dies nicht nur, wie zu andern öffentlichen Angelegenheiten, einen besondern Stand nöthig, dergleichen man auch bey536 allen nur einigermassen537 gesitteten Völkern findet,538 sondern der Staat hat auch die Pflicht und das Recht, für dessen würdigste Besetzung und für Einrichtungen zu sorgen, wodurch das innerliche Ansehen der dazu bestimmten Personen (§. 16. 539) durch äusserliches540 verstärkt,541 und jeder542 derselben in den Stand gesetzt werde, mit gehöriger Angelegenheit543 und aufs wirksamste die ihm obliegende544 Pflichten zu erfüllen.
Diese einmaleinmahl würdig zu leisten551 und die wichtigen Absichten zu erfüllen553, wozu der geistliche Stand da ist, 554 dazu gehört die gewissenhafteste Prüfung, ob man 555 dazu fähig und fest entschlossen sey, und556 ein ununterbrochenes Bestreben, immer dazu557 fähiger und geneigter558 zu werden. Eine solche Vorbereitung erfordert, daß man wisse: –559 welche Arten von Kenntnissen560 nützlich oder unentbehrlich sind, um sich zu einem561 künftigen Lehrer der Religion zu bilden –562 welche Fähigkeiten563 nöthig sind, um diese zu erlangen und auf das nützlichste zu Anderer Besten anzuwenden – und564 welche Hülfsmittel und Uebungen dazu dienen.
Alles, was ein künftiger Lehrer der Religion in Absicht auf Kenntnisse565 zu thun hätte, vereiniget566 sich in drey HauptbeschäftigungenHauptbeschäftigungen, – daß und wie er567 sie zu sammlen –568 anzuordnen,569 oder zusammen zu stellen –570 und für andre571 anzuwenden habe. –572 Um sich den nöthigen Vorrath zu einer eignen573 wohlgegründeten Kenntniß und Ueberzeugung von der Religion zu verschaffen, würde574 er sich575 vor allen Dingen um576 Kenntniß der Natur überhaupt 577, und besondersbesonders, nach578 seiner Bestimmung zum Lehrer der Religion, um die Kenntniß der Natur Gottes580 und der geistigen581 Natur des Menschen 582 zu bekümmern haben583, weil ohne diese Kenntniß, welche die Philosophie darreicht, weder eine recht überzeugende Erkenntniß von dem Verhältniß [21] zwischen Gott und den Men[21]schen, womit sich die Religion beschäftigt, erhalten, noch ein richtiger Gebrauch der Vernunft bey584 solchen Untersuchungen gemacht werden könnte585.
Und weil586 das Christenthum sich587 auf die nähere Offenbarung Gottes in der heiligen Schrift gründet; diese aber in der hebräischen oder chaldäischen und griechischen Sprache zu uns gekommen ist; und erstre588 wenigstens ohne Bekanntschaft mit den verwandten Dialekten nicht gründlich verstanden werden kan; ausserdem589 auch die heilige Schrift theils sich590 auf viele historische Umstände bezieht, theils manche historische Kenntnisse zur591 Beurtheilung [18] der Glaubwürdigkeit der heiligen Bücher überhaupt oder in einzelnen Stellen erfordert werden: so würd'592 er nach ausgebreiteter und593 genauer Kenntniß der hebräischen und griechischen, auch594 der mit jener verwandten Sprachen, nach einiger Kenntniß595 der alten Geschichte und anderer596 historischen Hülfswissenschaften trachten, auch sich durch sichere597, auf Vernunft und Beobachtung der Natur gedachter Sprachen, wie sie in der heil.598 Schrift gebraucht sind, gegründete Regeln und fleißige Uebung in Erklärung alter Schriften zu einem gründlichen Ausleger bilden müssen.
So würde auch eine pragmatische Kenntniß der Geschichte überhaupt, und besonders der [22] Veränderungen, die mit der Religion und der darauf gegründeten Kirche vorgegangen sind, ausser599 dem schon erwähnten Nutzen, einen mächtigen Eindruck von dem so weisen600 Gang601 der göttlichen Fürsehung geben, der zur Erweckung der Aufmerksamkeit [22] auf die Religion und ihren unaussprechlichen Werth sowohl,602 als auf die ganze gute603 Gesinnung gegen Gott so unentbehrlich ist. Sie würde den großen604 Einfluß der gebrauchten oder vernachläßigten605 Vorerkenntnisse bey606 der Religion und dem Christenthum, die seligen Folgen einer durch bescheidnen607 und regelmäßigen Gebrauch der Vernunft und der heiligen Schrift aufgeklärten Religion und ihrer gewissenhaften Befolgung, so wie die traurigen Folgen des Gegentheils lehren608, einleuchtend machen,609 und da[19]durch eindrücklich610 zu jenem ermuntern611 und für612 diesem warnen. Sie würde auch zeigen, wie weit man in der gründlichen und heilsamen Erkenntniß der Religion vor- oder rückwärts gekommen sey613, und dadurch zu erkennen geben, was man von Vorarbeiten in der614 Religion benutzen oder wegräumen und615 verbessern 616 müsse.
Um die dazu nöthigen Hülfsmittel sicherer gebrauchen zu können, würde617 nicht nur zum Theil618 die Kenntniß der vorhinerwähnten Sprachen,619 sondern auch die 620 der lateinischen sehr nöthig, vielleicht621 auch die622 einiger andern 623 nützlich seyn; wenigstens in so fern624 als jene,625 die unter Gelehrten am meisten zum Vortrag gelehrter Sachen ge[23]brauchte ist626, in diesen aber 627 erhebliche Aufklärungen über manche Theile der Theologie mitgetheilt sind628. Daß eine genaue Bekanntschaft und besondre629 Fertigkeit in der Muttersprache aus eben diesem Grunde und noch weit mehr zur nutzbarsten630 Mittheilung der Religionskenntnisse an Andre631, unentbehrlich sey632, scheint so wenig einer Erinnerung zu bedürfen, als daß zur Erlangung aller bisher erwähnten [23] Kenntnisse,633 und überhaupt zur Benutzung dessen, was uns von andern634 vorgearbeitet worden, Kenntniß der besten Bücher, sonderlich der in allen Theilen der Theologie geschriebenen, nöthig sey635.
Bey636 dem Studium der Sprachen, Lesung [20] und Auslegung alter Schriften, Beurtheilung der Quellen, woraus man Religions- und andre637 Kenntnisse schöpfen soll, und überhaupt zu der,638 auch bey639 der Religion,640 so nöthigen Unterscheidung des Aechten641 und Unächten, würde642 die Kenntniß und Fertigkeit in der Kritik Kritik, nichts weniger als entbehrlich seyn643. Eben dieses gilt von den schönen Wissenschaften, die sich mit Bildung des guten644 Geschmacks beschäftigen, der auf die Unterscheidung des Schicklichen und Unschicklichen, auf das nützliche645 Studium alter Schriften und der646 Sprachen, auf die gleich weite Entfernung von Schwärmerey647 und Spitzfindigkeit, und auf das Empfehlende des Vortrags, ja selbst des Betragens, einen sehr wichtigen648 Einfluß hat.
Mit alle dem wäre dies649 eigentlich nur Vorbereitung650 auf das Studium der Theologie,651 und durch Hülfe jener Kenntnisse und Uebungen müßte652 sich erst eine wohl zusammenhängende gründliche Kenntniß der theoretischen und praktischen Religionslehren bilden. Sollte653 diese auf eigner654 gewissenhaftesten Ueberzeugung beruhen:655 so würde656 man selbst die einzeln erlangten Kenntnisse mit einander verglichen, durch einander geläutert, bestimmt und bestätigt haben müssen. Immer würden aber auch Anderer abgehende657 Vorstellungen davon658 sowohl,659 als die Erklärung der Gesellschaft660, zu der man sich, [24] nach vorhergegangener Ueberzeugung,661 daß sie unter allen andern der Vernunft und heiligen Schrift am nächsten komme, bekennt, mit in [21] Anschlag zu nehmen662 seyn. Auf diese Art entstünde663 die Nothwendigkeit der Kenntniß von thetischer Theologie, theologischen 664 Moral, Polemik und Symbolik.
Und nun die fruchtbarste665 Mittheilung und Empfehlung der erlangten Religionskenntnisse an Andre666 durch Unterricht und BeyspielBeyspiel; das gesammte667 Betragen eines Religionslehrers gegen die,668 so669 sich seiner Leitung anvertrauen. Hiezu bedürfte670 es der Kenntniß, wie der Vortrag aufs lehrreichste und eindrücklichste einzurichten wäre671, sowohl der an einander hängende in Predigten, als der mehr zerstückte in Gesprächen über die Religion, kurz,672 [25] Kenntniß der Homiletik und Katechetik. Ferner, der Kenntniß des ganzen vorsichtigenfürsichtigen, weisen673 und erbaulichen Verhaltens675 eines Lehrers und Seelsorgers, oder der sogenannten Pastoral-Theologie. Und endlich676 der Kenntniß geistlicher Rechte und Kirchengesetze, oder der geistlichen Rechtsgelahrtheit.
Schon die Menge und der grosse677 Umfang gedachter Wissenschaften eröffnen678 dem angehende Theologen ein unermeßliches679 Feld,680 und erfordern keine gemeine Fähigkeiten, Uebungen und Hülfsmittel, wenn man es darin zu einiger Vollkommenheit bringen will. Ueberdies681 wird jede dieser Wissenschaften von Zeit zu Zeit reicher und weitläufiger. Und noch ist nicht einmal682 in Anschlag [22] gebracht worden, daß man auch aus diesem Stande gemeiniglich die Lehrer in Schulen [25] nimmt,683 und die Forderungen an sie bis zum Ungebührlichen684 häuft; daß auch noch andre685 Wissenschaften sehr nützlich und nothwendig sind, die entweder nicht, wie die vorhin berührten, einen unmittelbaren Einfluß in das Studium der Theologie haben, oder von dem Lehrer der Religion, nicht als von einem solchen, verstanden zu werden brauchen; und daß es eben so schwer, wo nicht noch schwerer ist, das Falsche und Ueberflüßige686 in diesen Wissenschaften zu entdecken und zu vergessen, als das Wahre und Nützliche zu lernen.
Aeusserst schädlich und vergeblich687 würde es 688 seyn, wenn man es darauf anlegen wollte, alle diese Wissenschaften, die den angehendeangehenden 689 Theologen bilden können, wenigstens mit gleichem690 eigenen Fleisse691, zu studieren;692 ein Unternehmen, wozu man bey693 dem Gefühl vorzüglicher Kräfte und bey694 herrschender Liebe zu den Wissenschaften, oft auch aus Eitelkeit, leicht versucht werden kan695. Denn –696 nur wenige Menschen besitzen ausserordentliche697 Fähigkeiten, und auch diese haben sie nur vorzüglich zu gewissen Arten von Kenntnissen und Wissenschaften. –698 Nur wenige werden durch günstige Umstände der Muße699 und hinlänglicher Hülfsmittel unterstützt, um jenen Vorsatz, wenns700 ihnen auch nicht an Kräften und rastlosen701 Fleiß fehlte, einigermassen702 durchsetzen zu können. –703 Niemals704 kan705 auch eine solche ins Unbestimmte gehende Wißbe[23]gierde und einiger glückliche706 Fortgang derselben anders,707 als auf Unkosten der Gründlichkeit und Reife der Einsichten –708 anderer oft noch theurer Pflichten – und709 der Leibes- und Gemüthskräfte geschehen; überhaupt710 aber niemand711 sich eine solche Absicht beygehen712 lassen, es in vielerley713 Wis[26]senschaften zur Vollkommenheit zu bringen, wer714 den Umfang der Wissenschaften715, die Größe716 und Schwierigkeiten der dabey717 nöthigen Beschäftigungen, und das eingeschränkte oder sehr erschöpfliche Maaß der menschlichen Kräfte kennt.
Doch unendlich seltner ist dieser Fehler des [27] zu vielen718, als der entgegenstehende Hang und das Vorurtheil, daß man, die Pflichten eines würdigen Lehrers der Religion zu erfüllen, nur wenig brauche;719 ein Vorurtheil, das, ausser720 unrichtigen Begriffen von dem Umfang und Zusammenhang der Gelehrsamkeit und ihrem Einfluß auf gründliche und lebendige Religionskenntnisse, *) durch flüchtiges und seichtes Studieren721 auf Schulen, durch Liebe zur Gemächlichkeit, durch das Studieren722 um guter Tage willen, manchmahl auch durch natürliche Muthlosigkeit, und noch mehr durch üble723 aber mit Ansehen und Reichthümern belohnte Beyspiele Andrer724, sehr unterstützt wird.
Allein, so736 verschieden die Absichten sind, wozu737 ein angehender Geistlicher bestimmt werden [28] kan;738 so verschieden daher 739 der Grad der Vollkommenheit ist, der, nach jener besondern Bestimmung, von ihm gefordert werden mag;740 und so billig ein Unterschied zwischen einem Prediger und einem eigentlichen Theologen gemacht wird, von welchen jener741 Ungelehrte belehren und leiten, dieser,742 Lehrer selbst743 bilden soll: so ist es – zuvörderst744 wenigstens,745 nicht immer gewiß, wozu man einmahl746 bestimmt werden wird; und es747 ist 748 nicht nur für die Gelehrsamkeit,749 sondern auch für die Religion selbst sehr nachtheilig, wenn die, so sich ein sehr kleines Ziel setzten, und deswegen wenig lernten, hernach750 751 zu ansehnlichern752 Stellen befördert werden753, wo sie künftige Lehrer bilden754 oder befördern sollen. Die Folge davon ist alsdann, daß sie, als Schul- oder akademische Lehrer,Lehrer Andern755 nicht mittheilen können, was sie selbst nicht haben; daß sie das als entbehrlich757 oder verächtlich vorstellen, was sie eigentlich und vornehmlich lehren solltensollen; daß sie durch beydesBeides gelehrte Anstalten,Anstalten in blossebloße Volksschulen oder Anstalten für den künftigen Handwerker oder Geschäftsmann verwandeln, und sie, wie die Gelehrsamkeit selbst, immer mehr vernichten helfen. Sind sie aber als Obere anderer LehrerLehrer angestellt, so sehen sie sich, als selbst Versäumte,758 ungern 763 von denen764, die in der bürgerlichen oder kirchlichen765 Gesellschaft unter ihnen stehen, übertroffen; fordern766 daher auch 767 von ihnen das nicht, was sie selbst nicht besitzen; können nicht mit Weisheit768, oder wollen nicht769 mit Gerechtigkeit,770 jedem seine Bestimmung, nach dem Maaß seiner mehrern [28] oder mindern VollkommenheitVollkommenheit anweisen; werden oft verleitetverleitet, ihre Gewalt zu mißbrauchen, um die, welche ihnen an Kenntnissen überlegen sind, zu unterdrücken oder nieder zu halten;halten: und so sind sie, selbst ihres höhern Postens unwürdig, oft Werkzeuge, fähigere Männer an Ausführung guter Absichten zu hindern, und gute Anstalten, über deren Erhaltung und immer steigenden Flor sie wachen sollten, zu Grunde zu richten771.
Hiernächst ist der Vollkommenheit, wonach jeder, wonach besonders der ringen sollte774, wer andre775 leiten,776 und für sie Muster seyn will, nichts so nachtheilig, als wenn man sich das Ziel so [25] kurz steckt, nach welchem man laufen will. Es verräth schon wenig Trieb, wenig Gefühl seiner Kräfte,777 und wenig Entschlossenheit, folglich auch wenig BerufBeruf,778 sich vor andern779 auszuzeichnen, wenn man sehr eingeschränkte Absichten hat. Je kürzeres780 und 781 leichter zu erreichendes782 Ziel, desto weniger Anstrengung.783 Natürliche Trägheit und aufstoßende784 Hindernisse ziehen ohnehin viel785 vom Fleiß ab. – Und warum bestimmen wir, was und wie viel jemand lernen soll, nur nach Beschaffenheit des Amts, nicht auch eben so sehr nach jedes Fähigkeit Fähigkeit und786 darauf gegründete Neigung 787? Dieses giebt doch eigentlich den wahren göttlichen Beruf zu einer Beschäftigung, worin wir es am weitesten bringen,788 und womit wir gerade am nützlichsten werden können. Wenn denn auch äusserliche789 Umstände uns auf einen andern Posten stellen:790 [30] so hört doch die Verbindlichkeit nicht auf, jene mit und neben unsern äusserlichen791 Beruf zu treiben, es sey792, uns auf [29] einen andern Stand, der unsern Fähigkeiten und Neigungen angemeßner793 ist, vorzubereiten, oder, weil doch die eigentliche Theologie von mehrern794 Wissenschaften Licht und Unterstützung erhalten kan, die 795 Wissenschaften dazu zu benutzen, wodurch wir ihr die meiste Aufklärung und den meisten Eingang verschaffen können.
Unausprechlichen Schaden thun hiebey796 besonders übelverstandne797 Begriffe von Gemeinnützigkeit, die wenigstens so oft zur Decke der Unwissen[26]heit, der Trägheit, der Verachtung unerreichbarer Kenntnisse,798 und des eingeschränkten Eigendünkels dienen müssen. – Gemeinnützig soll doch wohl das heißen,799 was für Jedermann, was also selbst für den großen800 Haufen,801 nutzbar ist,802 oder doch nutzbar gemacht werden kan803; und804 wenn man darauf dringt, der Lehrer der Religion solle nur das Gemeinnützige lehren,805 und darauf studieren806: so will man ohne Zweifel, er solle theils weiter nichts807 von der Religion vortragen, als was Jeder fassen,808 und wovon Jeder Nutzen haben könne, theils darauf bedacht seyn,809 es so810 zu lehren, daß es auch Leuten von den gemeinsten Fähigkeiten einleuchte und nutzbar werde; brauche denn auch weiter nichts zu lernen,811 als jene Jedem faßliche und nützliche Wahrheiten,812 und die Kunst,813 sie für814 Jedem nutzbar zu machen; wonach man seinen Fleiß ohngefähr815 [31] auf die nothdürftigsten Kenntnisse der Glaubens- und Sittenlehre und auf Homiletik und Katechetik einzuschränken pflegt.
816Daß man dieses schlechterdings treiben817 müsse, 818 daß auch der geringste Lehrer der Religion diese Kenntnisse und Geschicklichkeit nicht entbehren könne, wenn er auch nun einigermaßen ein würdiger Lehrer seyn wolle,819 wer mag das leugnen? und wer820 nicht zugeben, daß das übrige821 nicht in den Vortrag vor dem großen822 Haufen gehöre? Daß der Lehrer aber weiter nichts 823 brauche; daß er seinen wichtigen Pflichten ein Genüge thue, wenn er nur 824 in dem angegebenen Ver[31]stande gemeinnützig [27] zu werden suche; daß er selbst für den gemeinen Mann damit hinlänglich 825 sorge; daß, um dieses gewissenhaft leisten zu können, wenige 826 Kenntnisse erfordert werden,827 und eigentliche Gelehrsamkeit entbehrlich sey828 – wer dies behaupten kan829, möchte wohl über seine Pflichten,830 und über die Mittel sie zu erfüllen, wenig nachgedacht haben,831 oder wenig832 davon zu urtheilen,833 im Stande seyn.
Denn 1)834 ist 835 doch unleugbar836, daß die Religion unsäglichen Schaden leide,837 und wenigstens bey weiten838 den heilsamen Eindruck nicht mache839, den sie machen könnte –840 wenn der geistliche Stand,841 oder wenn Lehrer der Religion verachtet sind,842 und der wird mit aller Arbeit wenig oder nichts fruch[32]ten, der nicht seinem Stande Ehre zu machen,843 und diesen selbst in Achtung zu erhalten weiß. So lange die, welche von ihm Belehrung844 oder Erinnerungen annehmen sollen, denken, es sey845 nichts leichter846 als ein Prediger zu werden – ein Vorurtheil, das sehr leicht entsteht,847 und sich bestärkt, wenn sie sehen, wie viel848 Unwürdige, die nichts gelernetgelernt haben,849 und sich selbst nicht einmahl851 zu regieren vermögen, die es auch wohl selbst nicht verheelen852, wie bald sie mit ihrer sogenannten Vorbereitung und 853 Amtsverrichtungen fertig werden können, ins Amt kommen;854 – so lange sie sich einbilden, das alles855, was sie von ihm lernen sollten856, wüßten sie schon – und das werden sie destomehr857 glauben, wenn der Lehrer weiter nichts als das [28] Gemeine weiß; –858 so lange sie ihm vorwerfen859 können, er spreche bloß860 wie er von andern861 gelernt habe, und es mit Unwillen glauben862, [32] daß er bey Andrer sauren Arbeiten863, für wenige Stunden Unterricht und einige Krankenbesuche864, in Gemächlichkeit das 82 Fett des Landes genieße865: so lange bleibt er, und mit ihm sein Stand und seine Beschäftigung, verachtet. Es ist nicht abzusehen, was ihn, ausser866 dem Bestreben,867 sich andern868 nützlich zu machen, gegen dieses Vorurtheil schützen,869 oder dieses von ihm ablehnen könne, als vorzügliche Einsichten, wodurch andre870 von seiner Ueberlegenheit gewiß werden. In so fern ist ihm Gelehrsamkeit nöthig, verächtlichen Vorurtheilen zu entgehen, sich das so nöthige Vertrauen zu verschaffen,871 und selbst im Stande zu seyn,872 sein Ansehen wirklich geltend zu machen.
Und schränkt sich denn 2)873 seine ganze Pflicht bloß auf den allgemeinen Unterricht874 ein? Ist nicht die Sorge für das geistliche Beste einzelner875 Menschen, die ihm anvertraut sind, eine eben so wichtige, wo nicht wichtigere, wenigstens noch mühsamere Pflicht? Wenn er nun gelehrtere,876 oder, wie sehr zu wünschen ist, nachdenkende Zuhörer hat; wenn diese auf dunkle Stellen oder Zweifel in der Religion stossen877 – ein Fall,878 der sich bey879 einigem Nachdenken880 bey881 Anwendung des Gelernten auf unsern882 Gemüthszustand, bey883 der immer gemeiner werdenden Aufklärung und Lectüre,884 den ReligionsstreitigkeitenReligionsstreitigkeiten885, in die sich selbst der gemeine Mann mehr,886 wie sonst,887 mischt, [29] und der überhand nehmenden Irreligion, gar nicht selten ereignet –; wenn sie888 ihm dergleichen Zweifel oder Gewissensfälle vorlegen889, es sey890, ihn auf die Probe zu stellen,891 oder wirklich Belehrung und Gewissensruhe zu [33] erhalten: –892 wird er, ich sage nicht bloß, sein Ansehen erhalten, sondern auch für ihre Seele wirklich sorgen können, wenn ihm nicht Gelehrsamkeit, selbst in Sprachen, in Philosophie, in893 Geschichte, zu Hülfe kommt, und er 894 genöthigt ist,895 sie mit allgemeiner Versicherung seines Mißfallens, mit Warnungen für896 Vernunft und897 Nachstellungen des bösen Feindes,898 und mit Forderung eines blinden Glaubens mehr abzuweisen,899 und900 sich verächtlich, die Religion selbst aber verdächtig901 zu machen,902 als ihnen die Zweifel zu benehmen, und ihr Gewissen zu leiten,903 oder zu beruhigen? Oder gehört nicht schon Gelehrsamkeit dazu, um ihnen [34] nur begreiflich zu machen, warum sich keine nähere Belehrung geben lasse, oder daß die wahre und praktische Religion dabey904 nichts einbüße905, wenn die Zweifel gar nicht, oder doch den Fragenden nicht,906 benommen werden können?
907Warum soll denn auch 3)908 das Gemeinnützige den Maaßstab hergeben, wornach909 man den Werth eines Mannes oder einer Kenntniß schätzen, und worauf man am meisten sehen müsse, wenn man sich einer besonderen Beschäftigung widmen wolle? Gott hat die Gaben und Neigungen sehr [34] mannigfaltig ausgetheilt, ohne Zweifel in der weisen Ab[30]sicht, daß, weil nicht jeder alles kan,910 einer mit seinen besondern Gaben,911 dem, der dergleichen wozu nicht912 hat, in die Hände arbeiten solle. Und es zeigt sich die Weisheit dieser Einrichtung dadurch, daß, wenn alle Einerley913 darum trieben, weil es das Gemeinnützigste wäre, nicht nur unendlich viel Nützliches entbehrt, sondern auch viel Gemeinnütziges gar nicht,914 oder nur sehr unvollkommen erhalten werden würde, wenn nicht das minder Nützliche zu dem Wichtigern mitwürkte915, ja sogar das Gemeinnützige, der Ackerbau (z. B.)zum Beispiel, ungemein viel von seinem Werth bey andern916 verlieren müßte917, wenn sich alle918 darauf verstünden,919 oder alle920 damit beschäftigten. Man muß daher den Werth einer Beschäftigung nicht nach ihren921 ausgebreitetern oder auffallendern unmittelbaren Nutzen, sondern nach den größern922 Fähigkeiten und der Mühe, die sie kostet, [35] und man muß 923 den Werth eines Mannes nicht nach dem beurtheilen, womit 925 er sich beschäftigt, sondern nach dem Fleiß Fleiß,926 den er darauf verwendet hat, um es darin zur möglichsten Vollkommenheit zu bringen. Es ist eine unverantwortliche Empörung gegen Gottes weise OrdnungOrdnung –927 die wir doch überall zum Muster nehmen sollten –928 mit Verachtung auf das herabzusehen, was nicht so gemeinnützig als etwas Andres scheint – zumahl929 wenn das Gemeinnützige anders nichts ist,930 als was zur unmittelbaren Befriedigung körperlicher oder zeitlicher Bedürfnisse dient; –931 dadurch den mannigfaltigen Fleiß zu ersticken, und gerade gegen das am ungerechtesten zu werden, was die seltensten Talente voraussetzt, die größeste932 Anstrengung und Ge[31]nauigkeit erfordert, und meistens die wenigste Ermunterung oder Belohnung findet.
Sorgt man aber auch 4)933 in der That selbst für den gemeinen Mann hinlänglich, wenn man sich bloß auf das vermeinte Gemeinnützige in der Religion einschränkt? – Nicht zu gedenken, daß es einen großen Unterschied unter dem sogenannten934 gemeinen Mann935 , und noch mehr unter denen936 giebt, die keine Gelehrte von Profession sind,937 und daß938 mancher darunter mehr Fähigkeit und natürlichen Wahrheitssinn (sensus communis) hat, als sich der Lehrer einbildet: sollen wir nur immer seine gegenwärtigen Bedürfnisse befriedigen? uns nur immer an seine jetzige939 Fähigkeiten anschmiegen? [36] ihn nie weiter940 heben? nie941 schlafende Fähigkeiten erwecken? und,942 wenn wir vorhersehen können, daß er, durch unsre Belehrung erweckt943, bald mehr bedürfen werde, 944 nicht schon zum945 voraus dafür sorgen, daß Bedenklichkeiten, die gegen das Vorgetragene entstehen könnten, mehr schon durch den Unterricht abgeschnitten, als veranlaßt,946 und dann947 erst mit Mühe gehoben werden; und daß, wenn er einmahl948 weiter gerückt seyn werde, und unsre Belehrung nicht mehr haben könne, ihm doch gleichwohl schon fürs Künftige geholfen sey949?
Wenn man nun vollends 5)950 gar nicht einmahl951 im Stande wäre, das Gemeinnützige Andern gemeinnützig mitzutheilen 952, ohne vorher recht Vieles953, selbst was man gar nicht vorzutragen hat, und [32] ohne es recht gut gelernt zu haben? – Zuerst muß der Lehrer doch für sich, und er muß gewissenhaft lernen, so daß er von dem,954 was er Andre lehren,lehren 955 und ihnen empfehlen will, selbst wahrhaftig [36] überzeugt,957 und dafür eingenommen sey958, wie wird er sonst zu Andrer959 Ueberzeugung und mit Wärme reden können? Aber dazu gehören viele Kenntnisse, aus welchen, zusammengenommen,960 Ueberzeugung entsteht, viele eigne961 Erfahrungen und viele962 UebungUebung,963 alles964, auch das Entferntere, auf das Herz und zur Bildung seiner eignen965 guten Gesinnung anzuwenden. Und ein Lehrer muß Vieles966 sich bekannt machen, was gar nicht für seine Zuhörer gehört,967 oder, nach der gewöhnlichen Sprache, nicht [37] gemeinnützig ist, um vor968 sich 969 gewiß zu seyn, daß, was er auch ihnen, wegen ihrer Unfähigkeit, nicht beweisen kann oder darf,970 (z. B.)zum Beispiel gewisse Erklärungen von Stellen der heiligen Schrift, er ihnen gleichwohl sicher und auf sein bloßes Ansehen vortragen könne. Es ist auch ganz etwas anders, mit eignen971 Augen sehen, als bloß auf Andrer Credit972 annehmen; und, wenn gleich der gemeine Christ das letztre973 thun darf und muß (§. 15): 15), 974 so ists doch dem Lehrer, der Andern976 vordenken soll, wenn er sich durch sich selbst wovon977 überzeugen kan978, nicht zu verzeihen979, daß er sich nur mit dem begnügt,980 was Andre981 ihm vorgedacht haben. Ja, selbst wenn er auch Anderer Vorarbeit benutzen will:982 so muß er's doch gewissenhaft thun, also, bey983 der so grossen984 Verschiedenheit der Meinungen, beurtheilen können, was das Richtigste sey; und985 wie kan986 er das987 ohne 988 viele dazu gehörige,989 (z. B.)zum Beispiel philologische und historische Kenntnisse 990?
Soll er ferner nur das Gemeinnützige lehren:991 so muß er die gehörige Wahl992 zwischen dem zu treffen wissen, [37] was er zu sagen hat oder nicht. Diese Wahl erfordert, daß er mehr wisse993 als er zu sagen braucht, sonst läst994 sich nicht wählen,995 und daß er den Werth desjenigen, was er vortragen könnte, zu würdigen verstehe, sonst kann996 er nicht das Gemeinnützige ausheben. Er wird vielmehr entweder aus Armuth an Sachen, was er weiß, ohne Unterschied vortragen,997 und dadurch die Gemeinnützig[38]keit aufgeben, oder das Alltägliche vortragen müssen,998 und dadurch die Zuhörer ermüden,999 oder dem Vortrag1000 nicht das Unterhaltende geben können. – Endlich ist das Schwerste, gemeinnützige Sachen auch gemeinnützig,1001 d. i.das ist 1002 so zu sagen, daß es auch Unverständigern1003, Trägen, Eingenommenen und Gleichgültigen einleuchtend, wichtig und rührend werde. Dazu gehört wieder nicht nur viele, selbst feine, Kenntniß des menschlichen Herzens, um zu wissen, wo und wie man jeder Art Zuhörer1004 am besten beykomme1005, sondern auch die GeschicklichkeitGeschicklichkeit,1006 alles auf mehrern1007 Seiten anzusehn,1008 eine Sache, die sich wieder ohne Mannigfaltigkeit und Reichthum der Erkenntniß nicht erreichen läßt.
Anmerk.Anmerkung Anmerk. 1. Schon das ist sehr übereilt, und, wenn man es besser weiß oder besser wissen könnte, ungerecht, daß man immer das Gemeinnützige Gemeinnützige sogenannten Speculationen Speculationen und gelehrten Kenntnissen gelehrten Kenntnissen oder Untersuchungen entgegen setztentgegensetzt, und beydesBeides für einander hinderlich und unvertragbar ausgiebt. Dieser Wahn setzt schon das voraus, was eben erst untersucht werden müßte, daß gelehrte und speculative Kenntnisse nicht gemeinnützig seyn oder werden könnten; er verwechselt zum Theil das Gemeinbekannte oder Jedermann erkennbarereErkennbarere mit dem Gemeinnützigen; er schlägt den Werth des äusserlichen Wohl's äußerlichen Wohls , mit Vernachlässigung der eigentlichen Geistes-CulturGeistes-CulturGeisteskultur, zu hoch an, oder bringt es allein in Anschlag; er hält sich nur, oder zu sehr, an das, was unmittelbar nützlichnützlich ist, und übersieht was mittelbar, was auf eine entferntere und weniger in die Augen fallende fallenlendefallende Art wirkt, aber oft sehr weit reichende Wirkungen hervorbringt. Haben nicht sehr oft Bemerkungen und Versuche, die anfangs SpielereySpielerei oder SpitzfündigkeitenSpitzfindigkeiten zu seyn schienen, z. B.zum Beispiel in der Naturwissenschaft und Mathematik, auf sehr wichtige und äusserstäußerst gemeinnützig gewordene Entdeckungen geführt? Und was anders, alsHaben nicht oft gelehrte und spitzfündigspitzfindig scheinende UntersuchungenUntersuchungen, willkührlich angenommneangenommene Sätze, die sich bloß durch ihren Nutzen empfahlen, berichtigt, genauer bestimmt, bestätigt, und aus unzuverlässigen in sichresichere und feste verwandelt? 10091049Zwischen beyden1050 bisher erwähnten Abwegen des zu vielen oder zu wenigen Lernens (§. 29–40) gehet1051 die rechte Straße1052 mitten durch; und die würde man halten können –1053 wenn man sich den Zweck, Inhalt, Umfang1054 und Einfluß einer jeden Wissenschaft oder Art von Kenntnissen auf andre1055, vorläufig recht bekannt machte; –1056 wenn man danach1057 und nach unparteyischunparteyischer1058 Prüfung seiner Fähigkeiten und Umstände, genau untersuchte, [35] worauf man sich hauptsächlich zu legen hätte; –1059 wenn man alsdann1060 von den übrigen Wissenschaften so viel lernte,1061 als zur gründlichen Kenntniß dessen, was man vorzüglich treiben will, unentbehrlich ist; –1062 wenn man sich um die besten Hülfsmittel in jeder Wissenschaft bekümmerte, um diejenigen Wissenschaften, welche man bey1063 Seite laßen1064 müssen, nachholen, und die, welche man bereits getrieben, noch vollständiger lernen zu können; –1065 wenn man endlich, um sich Zeit zu sparen,1066 und alles1067 aufs vortheilhafteste zu treiben, die [41] beste Art kennen zu lernen suchte, wie man, mit Beyseitsetzung1068 des Unnöthigen oder Mindernöthigen, alles1069 aufs kürzeste und sicherste lernte.
Hiezu würde1070 eine allgemeinere Anleitung, wie sich ein angehender Theologe oder künftige1071 Lehrer der Religion zu bilden hätte1072 sehr dienlich seyn, und diese müßte danndenn 1073 von den Kenntnissen handeln, die er erlangen, von den Fähigkeiten,1075 die er haben, und von den Hülfsmitteln1076 und 1077 Uebungen,1078 die er brauchen müßte (§. 20.). 20.) 1079
Eine solche Anleitung ist weder mit einer theologischen Encyclopädie Encyclopädie Enkyklopädie noch Methodologie zu verwechseln. Erstre giebt mehr einen kurzen Auszug aus allen Theilen der Theologie,Theologie und dient zur allgemeinern Uebersicht des Inhalts einer jeden Wissenschaft. S.Seite Quintilian (Quinctilian) inst. I, 10 Quinctiliani Institut. orator. lib.liber I. c.caputcapitulum 10. und Wowern, Johann von Jo. Wowerii tractation. de Polymathia, 1665. in 8. Cap.CaputCapitulum cap.caputcapitulum 2. Letztre zeigt mehr die Art,Art wie sie und ihre einzle Theile am besten getrieben werden können, und ist in so fernefern ein Theil der hier gemeinten Anleitung. 1081Eine solche Anleitung müßte –1087 in Absicht auf Kenntnisse oder Wissenschaften, gleichsam wie eine Landcharte,1088 zeigen, welche Wissenschaften zur Theologie in1089 sich oder als nothwendige Hülfswissenschaften gehören; welchen Umfang, welchen [42] Nutzen oder Einfluß eine jede auf die andere hat; wie weit eine jede bisher bebaut ist; wo und welche Lücken in ihr sind; wie sie könnten ergänzt,ergänzt 1090 und wie überhaupt jede, oder wodurch,1092 noch vollkommner1093 werden 1094. – Bey den nöthigen1095 Fähigkeiten müßten1096 ihre Nothwendigkeit, ihre Kennzeichen,1097 und die beste Art,1098 sie möglichst zu ersetzen und zu verbessern, angegeben, und1099 – bey1100 den Hülfsmitteln und Uebungen Uebungen,1101 die besten Bücher, die sichersten Regeln,1102 jede Wissenschaft zu studieren1103, und die vortheilhafteste Art der Uebung vorgestellt werden1104.
Sonach würde dergleichen Anleitung einen großengrossen NutzenNutzen haben, der zugleich zu erkennen gäbegiebt, nach welchem GesichtspunctGesichtspunct man die Theologie oder einzelneeinzle Theile derselben studierenstudiren müsse. In so fern1130 sie zeigte1135, was und wie viel zu einem würdigen Lehrer der Religion gehörte, würde1136 sie uns1137 in den Stand setzen, uns1138 gewissenhaft zu prüfen,1139 ob wir1140 dazu fähig seyn möchten1141 oder nicht. Diese Prüfung kan1142 nie sorgfältig genug seyn. Wie kan man1143 immer mit wahrer Zufriedenheit auf seine getroffne1144 Wahl zurück sehen, – wenn man1145 nicht überzeugt ist, daß uns1146 Gott zu den1147 gewählten Stand1148 berufen hat, daß wir uns1149 seines Wohlgefallens und Segens dabey1150 getrösten können1151, daß wir uns1152 nicht dem StandStand1153 entzogen haben1154, den er uns1155 durch das Maaß der geschenkten Kräfte und der darauf gegründeten Neigungen angewiesen hatte? –1156 wenn man [38] sieht, wie unnütz man ist, [42] wenigstens wie bey weiten1157 nicht so nützlich man 1158 für die Welt seyn kan in dem gewählten Stande,Stande 1159 als in einem andern,1161 und wie lästig man denen fallen muß, die durch uns gezüchtigt werden,1162 und uns äusserlicher1163 Umstände wegen behalten müssen,1164 wie hinderlich zugleich1165 für Andre1166, mit welchen ihnen weit besser gerathen wäre? –1167 wenn man hinterher gewahr wird, daß man nicht nur oft selbst seinem zeitlichen GlückGlücke1168 im Lichte gestan[44]den, sondern – welches1169 noch schlimmer ist – daß uns1170 die Beschäftigungen dieses Berufs schwer und verdrießlich werden,1171 daß man, statt Zutrauen zu haben, verachtet wird,1172 daß man auch wohl oft, wegen gebrauchter schlechten1173 Mittel,1174 sich äusserlich1175 fortzubringen,1176 oder wegen bloß zeitlicher Absichten bey1177 der Wahl seines Berufs, mit Abscheu an sich selbst denken muß?
Wie nun eine solche Anleitung hiedurch1178 den, der keinen Beruf zu einem Lehrer der Religion hätte, noch zu rechter Zeit erinnern könnte, sich einer andern Beschäftigung zu widmen, der er mehr gewachsen wäre,1179 und wodurch er, nach Gottes Absichten, Andern nützlicher werden würde: so könnte sie hingegen den, der sich wirklich aufgelegt dazu fühlte,1180 und seiner ganzen Pflicht, als ein solcher Lehrer, Genüge thun wollte, den Umfang dieser Pflichten und die beste Art sie zu erfüllen, lehren. Die Vorstellung dieses großen1181 Umfangs würde1182 ihn nicht niederschlagen. Denn, wo ihm Schwie[39]rigkeiten aufstießen1183, kämen1184 sie ihm nicht unerwartet; er kennte1185 denn auch schon durch diese Anleitung1186 die Mittel,1187 sie zu überwinden;1188 und dies würde1189 ihn, nebst dem erkannten Nutzen und Einfluß einer Wissenschaft und Beschäftigung auf die andre1190, sogar1191 zu desto mehrern1192 Fleiß ermuntern.
Da indessen Niemand alles1193 mit gleichem Fleiß und gleich glücklichem Erfolg treiben kann: so würde sie1194 jedem die Beschäftigungen anweisen1195, welche nach seinen Fähigkeiten und Neigungen eigentlich für ihn 1196 gehörten, um sich nicht zu sehr zu zerstreuen, und, indem er seinen Fleiß theilte1197, in keinem Theil der Theologie etwas einigermaßen1198 Vollkommnes1199 zu leisten. Sie würde ihn demnach dennochdemnach , da er1200 keinen Theil der Theologie zu seiner Hauptbeschäftigung ganz entbehren kan,1202 auch 1203 lehren 1204, wie viel er daraus zu seinem Hauptzweck bedürfte1205; wie und wodurch er sich am besten darin forthelfen, und, wenn er etwas hätte bey1206 Seite laßen1207 müssen, das er hinterher noch brauchte, wie er es1208, nach seinen Bedürfnissen, nachholen könnte1209.
Endlich würde1210 sie ihm Zeit, Mühe und Kosten ersparen helfen. Denn man hat schon viel gewonnen, wenn man weiß,1211 was für uns nothwendig und1212 entbehrlich oder minder wichtig ist1213; was uns1214 schon gut vorgearbeitet,1215 oder was1216 zu ergänzen und zu verbessern ist; in welcher Ordnung [40] man jedes aufs Beste vornehmen kan1217; welche Hülfsmittel zu jeder Zeit, beym1218 Anfang oder Fortgang, die dienlichsten sind. Und über dieses alles soll uns eine solche Anleitung unterrichten.
Noch einleuchtender wird ihre Nothwendigkeit, wenn man einen Blick auf die jetzige Verfassung oder vielmehr den Verfall unsrer1219 Schulen und Universitäten wirft. – Unstreitig eilt man [46] jetzt viel früher als sonst, und im Gan[44]zen genommen,1220 viel unbereiteter, von jenen auf diese. Mag's seyn, daß man durch die neuerliche Einrichtung unsrer Schulen mehr auch für den Ungelehrten, für die Bildung des guten Bürgers, für Abschneidung vieler Umwege bey1221 dem Studieren1222, gesorgt hat;1223 für die, welche sich den eigentlichen Wissenschaften widmen sollen, hat man gewiß, im gleichen Maaß1224, nicht gesorgt. Wer dieses Urtheil einer Unbilligkeit zeihen will, den kan1225 man auffordern –1226 wenn er unsre meisten Schulen kennt,1227 und weiß, was zur gründlichen Kenntniß der Wissenschaften gehört – unparteyischunparteyischunpartheyisch 1228 die Fragen zu beantworten: –1230 96Treibt man nicht jetzt zu Vielerley 1231 auf Schulen? – zu1232 viele sinnliche Beschäftigungen,1233 und zu wenig solche, die zur eigentlichen Bildung des Geistes dienen? – unter1234 den Wissenschaften1235 diejenigen zu wenig, welche zur Vorbereitung auf die übrigen nöthig sind, Sprachen1236 (z. B.)zum Beispiel, und die hingegen, welche schon mehr andre1237 Kenntnisse voraussetzen, und den höhern1238 Schulen vorbehalten [41] werden sollten, zu früh oder zu viel? –1239 Sieht man eben so sehr darauf, daß etwas recht gut und gründlich, als daß Vieles1240 gelernt werde,1241 und ists1242 besser, weniger und gut, oder Vieles1243 und obenhin, zu lernen? –1244 Wird die Jugend auch genug geübt, und zu eignem 1245 Nachdenken und 1246 Arbeiten, auch wenn sie beschwerlich sind, angehalten? – Wird sie genug gegen Zerstreuung, Flüchtigkeit und Dünkel1247 verwahrt?
Wenn in Schulen nicht genug auf1248 Universitäten vorbereitet wird:1249 so kan1250 vieles auf diesen gar nicht von den Lernenden verstanden, ja es kankann 1251 ihnen nicht einmahl1253 die [45] Nothwendigkeit mancher Kenntnisse,1254 und wie viel zur Gründlichkeit des Wissens gehört, recht einleuchtend gemacht werden. Selten verstattet dies, nebst dem Mangel des Geschmacks an Wissenschaften und ihrer gründlichen Kenntniß, dem Mangel der Zeit, und der Menge dessen,1255 was sie erst, oder was sie besser,1256 lernen sollen, das Versäumte nachzuholen; zumal1257 wenn sie nicht gewöhnt worden sind, sich selbst zu treiben. Eilen sie dann1258, wie gewöhnlich, zu schnell wieder von Universitäten weg; finden, bey1259 einer übelverstandnen Freyheit1260, mehr Geschmack an Vergnügungen als an1261 Studieren1262; und kommt die Einbildung dazu, daß sie vieles nicht erst zu lernen bedürften1263, oder gar der Kitzel, sich bald hören zu laßen,1264 und sich dann1265 für reif genug zum Amte zu halten: – was wäre da 1266 auszurichten?
Die einzige Hülfe – wo sie noch möglich ist,1277 – könnte für die, welche Theologie studieren1278 wollen, von einem Unterrichte1279 über den Umfang der Wissenschaften, die Erfordernisse und Hülfsmittel bey1280 der Theologie, erwartet werden. Er kan1281 doch die so nöthige Selbstkenntniß bey1282 denen, die noch nicht, oder nicht ganz, verdorben sind, und die Kenntniß befördern, wie viel dazu gehöre, um mit Würde den Beruf eines Lehrers der Religion zu führen. Und, –1283 wenn Universitäten die eigentlichen Pflanzschulen künftiger Lehrer sind; –1284 wenn man da am sichersten und vollständigsten1285 erfahren kan1286, wie weit bis jetzt das Feld der Theologie bebaut ist; –1287 wenn so viel davon abhängt, daß [43] man gleich im Anfang seine akademischen1288 Studien gut einrichte;1289 daß man sich nicht durch Mode oder durch1290 selbst noch Rathsbedürfige oder aus Leidenschaften Rathende, sondern durch Verständigere und der Sachen Kundige leiten lasse; daß man frühzeitig lerne, was? warum?1291 und wie?1292 man auf Universitäten hören müsse:1293 – so wird eine solche Anweisung immer nicht nur eine gute Vorbereitung1294 auf das übrige Studieren1295, sondern auch eine große Beyhülfe1296 auf das künftige weitere Fortschreiten nach vollendeten Universitätsjahren1297 seyn.
Alles, was man in einer solchen Anleitung mit Recht erwarten kan, betrift1341 entweder die Kenntnisse, die ein angehender Lehrer der Religion zu erlangen suchen, oder die Fähigkeiten, die er [45] besitzen, oder die Uebungen, die er anstellen muß (§. 42)1342. Und weil alle zu seiner Bildung, als eines Religionslehrers1343, nöthige Kenntnisse oder Wissenschaften entweder Vorbereitungs- und Hülfswissenschaften sind, oder die eigentliche Theologie,1344 (d. i.)das ist die Lehren der Religion und die richtigen Vorstellungen davon selbst, nebst den dazu nöthigen Beylagen1345, enthalten, oder die Mittheilung derselben an Andre,1346 und die ganze weise und nutzbare Führung des Lehramts betreffen: so wird die folgende Anleitung vier Theile begreifen:
Alle Wissenschaften hängen nicht nur gewissermassen zusammen,gewissermaßen zusammen und so fernefern wäre1364 es für den, der Theologie studiert, nützlich 1367, in keiner derselben ganz Fremdling zu seyn1368, zumahl wenn er manche 1369 unter seinen besondern1370 Umständen, beybei Schulstellen z. B.zum Beispiel,1371 auch abgesehen von der Theologie, nöthiger hätte1373 als andre; sondern manche haben1374 auch einen nähern1375 Einfluß in1376 das gründliche Studium der Theologie,1377 und einige unter diesen sind dazu schlechterdings unentbehrlich. – Wie die1378 Absicht dieses Buchs 1379 sich nur auf die einschränken muß1380, welche in einer solchen nähern Verbindung mit der Theologie stehen: so kan man diese1381 Vorbereitungswissenschaften eintheilen1382 1) in solche, welche 1383 die Quellen der Theologie enthalten, 1384 ohne die sich wenigstens nie sicher aus diesen Quellen schöpfen läßt, die daher auch zur gründlichen Einsicht der Theologie die allerunentbehrlichsten sind;1385 Philologie, meine ich, nebst der mit ihr [54] verbundnen Kritik, und Philosophie; 2) in solche, die zur allgemeineren1386 Uebersicht der Theologie und der vortheilhaftesten Art gehören, wie man sie studieren müsse1387, wohin eine solche Anleitung, wie [47] wir hier versuchen, allenfalls auch eine eigentliche Encyklopädie (§. 42. Anmerk.Anmerkung),1388 zu rechnen wäre1389; und 3) in solche,1390 die mehr HülfswissenschaftenHülfswissenschaften,1391 (d. i.)das ist zur rechten Kenntniß der ganzen Theologie zwar nicht zum voraus, aber doch dabey,1392 und entweder zur Vergründlichung1393 derselben überhaupt,1394 oder bey1395 einem Theil derselben,1396 nothwendig sind. Von dieser letzten Art wäre1397 die Geschichte überhaupt,1398 und besonders 1399 Geschichte der theologischen Wissenschaften 1400 mit der Kenntniß der besten theologischen Bücher, nebst den so genannten1401 schönen Wissenschaften.
Einige allgemeinere nützliche Kenntnisse von den meisten dieser Wissenschaften, nebst heilsamen Räthen und1416 Vorschlägen 1417 über die beste Art,1418 diese Wissenschaften1419 zu treiben, enthalten vorzüglich
Philologie begreift –1444 in dem Sinn, wie1445 man das Wort jetzt nimmt –1446 alle Kenntniß der Sprachen und der dabey1447 erforderlichen Hülfsmittel. Sie lehrt also den Ausdruck in einer Sprache verstehen und anwenden;1448 lehrt den Gebrauch des Ausdrucks, 1449 in Absicht sowohl1450 auf die damit verbundenen Begriffe, oder den sogenannten Sprachgebrauch, als auch in Absicht auf die Veränderungen der Wörter und ihre Verbindung, oder die Sprachregeln. In so fern1451 sie das letztere1452 thut, nennt man sie auch Grammatik im engsten Verstande.
Es würde kaum nöthig seyn,1479 zu sagen1480, wie unumgänglich nothwendig die gründliche Bekanntschaft mit Sprachen 1481 sey1482, wenn der Ueberzeugung davon nicht weit mehr, als vielleicht irgend einer andern Wissenschaft, sehr gangbare und herrschende Vorurtheile entgegen stündenentgegenstünden. *) 1483 – Weil der Anfang des Unterrichts bey1485 der Erziehung gemeiniglich mit Sprachen gemacht wird, so mag dies die Ursach seyn, warum vielen1486 dieses Studium bloß für Anfänger zu gehören scheint; so gar anders1487 auch die Art ist, mit der der Verständigere und der Anfänger die nemliche1488 Sache [59] behandeln kan1489, und so sehr auch in jener gewöhnlichen Ordnung bey1490 dem Unterricht, das sehr richtige Geständniß liegt, daß Kenntniß der Sprachen die Grundage von allen andern Kenntnissen sey1491.
*) Man weiß, wie sehr über die Nothwendigkeit des Studiums der Sprachen, namentlich der alten, und der ganzen alten Literatur, wenigstens der frühzeitigen und allgemeinen Beschäftigung damit auf Schulen, noch neuerlich, seit den lebhaften Versuchen, eine gänzliche pädagogische Revolution hervor zu bringenhervorzubringen, gestritten worden ist. Das, theils Scheinbarste, theils Wichtigste, wider diese Nothwendigkeit ist in den beydenbeiden Trapp, Ernst Christian Trappischen Aufsätzen: über„Ueber das Studium der alten classischen Schriftsteller und ihre Sprachen,Sprachen,“ und: über„über den Unterricht in Sprachen,Sprachen,“ zusammengefaßt, wovon jene in der Allgemeinen Revi sion des gesammten Schul- und Erziehungswesens, von einer Gesellschaft praktischer Erzieher, herausgegeben von Campe, Joachim Heinrich J. H. Campe , im 7ten Theil S.Seite 309 f.folgend steht, und diese den 11ten Theil des gedachten Werks einnimmt. So sehr der Streit hiedurchhierdurch und durch die der erstern Abhandlung beygefügtenbeigefügten Anmerkungen einiger gelehrten Männer sowohl, als durch die treflichentrefflichen Rehberg, August Wilhelm Rehbergschen Aufsätze in der Berlinischen Monatsschrift, im Februar 17881788. S.Seite 105 f.folgend, im März S.Seite 253 f.folgend und im Januar 17891789. S.Seite 20 f.folgend f., desgl.desgleichen Heyne, Christian Gottlob Heynens Vorrede zu Hermann, Martin Gottfried Hermans Mythologie, der unpartheyischenunparteiischen Entscheidung näher gebracht ist; so sehr ich auch von dem NutzenNutzen und der Nothwendigkeit einer Läuterung oder wenigstens Darlegung beyderseitigerbeiderseitiger Urtheile und ihrer Gründe überzeugt bin: so erlauben doch die Gränzen dieses Buchs schlechterdings diese nicht. Ich hoffe, daß durch die folgenden kurzen Bemerkungen, und durch die, welche weiter unten §. 106 106. f.folgend vorkommen, vielen Mißverständnissen und Einwürfen schon ehedem vorgebautvorgebaut, und mancher GesichtspunctGesichtspunkt angewiesen seysei, der beybei Beurtheilung dieses Streits nicht sollte übersehen werden; auch scheinen sie mir mit den erst in dieser Ausgabe hinzugefügten hinreichend, nachtheilige Eindrücke zu verhüten oder zu schwächen, die durch jene Bestreitung könnten veranlaßt werden, wenn anders ein Leser unbefangen urtheilen kankann, und sich Mühe geben will, den oft bloß gegebnengegebenen Winken weiter nachzudenken. Ganz habe ich mich indessen auf jene Abhandlungen weder einlassen können noch dürfen, da sie in pädagogischer Hinsicht geschrieben sind, dieses Buch hingegen nur die Bildung angehender Theologen betriftbetrifft. Nur über die Streitfrage, so fernsofern sie hieher gehört, sey folgendes, vornemlichsei Folgendes, vornehmlich in Rücksicht auf jene Aufsätze, hinzugefügt. Wer die Nothwendigkeit des Studiums der Sprachen behauptet, redet ja 1) nicht bloß oder hauptsächlich von Sprachregeln Sprachregeln oder überhaupt vom Bau der Sprachen; noch weniger giebt er das Studium dieses Sprachenbaues für wichtiger aus als den Sprachgebrauch Sprachgebrauch ihren Gebrauch selbst. 2) Eben so wenig sondert er beybei dem Sprachgebrauch Worte und ihren Sinn, d. i.das ist die mit den Worten verknüpften Begriffe, oder, wie es Andre ausdrucken, den Körper und den Geist der Sprache, so, daßals ob er die bloße Beschäftigung mit Worten empfehlen wollte, und die Kenntniß der bloßen Worte für wichtiger ausgeben, als die Kenntniß der damit verbundenen Ideen Ideen. 3) Er schließt nicht einmal die Kenntniß der Sachen aus, so fernesofern ohne sie kein Begrif statt findetBegriff stattfindet, und so fernesofern eine Schrift, durch deren Lesung er hauptsächlich die Sprache gelernt wissen will, ohne sie gar nicht verstanden werden kankann. Er billigt 4) indem er das Sprachenstudium vertheidigt, keinesweges verkehrte Methoden,Methoden sie zu studieren, deren üble Folgen ohne Ungerechtigkeit nicht dem SprachenstudiumSprachenstudium selbst können zur Last gelegt werden können. Wer ihm also irgend etwas von dem bisher erwähntenErwähnten Schuld giebt, läßt ihm nicht Gerechtigkeit wiederfahrenwiderfahren, und ficht entweder mit einem bloßen Schatten, oder glaubt fälschlich fäschlichfälschlich den Werth des Studiums der Sprachen vernichtet zu haben, indem er bloß Mißbräuche beybei diesem Studium gerügt hat. Endlich 5) wer dieses Studium empfiehlt, will damit nicht gleich das Studieren der Sprachen Sprachen , oder gar das Studieren der Alten, Alten allgemein, in alle, selbst die niedrigsten, Schulen eingeführt, oder in Schulen vollendet, oder eigentliche Kinder mit den feinern Theilen und Veränderungen der Sprachen beschäftigt wissen. Sondern 6)wissen (man sehe Gesner, Johann Matthias J. M. Geßner verm. kleine Schulschriften, S.Seite 356 f.folgend); sondern darin stimmen wohlnur 6) alle wahre Kenner des wahren Werthes der Sprachen überein:überein, daß 1) die fleißige und frühzeitige Beschäftigung mit Sprachen, in dem Umfang, wie sie §. 55 55. erklärt wurde, 2) allen Allen , die nach einer feinernfeineren Geistesbildung streben, oder dazu bereitet werden sollen, sehr nützlich, und besonders denen, die sich den Wissenschaften, namentlich der Theologie, widmen wollen, unentbehrlich sey. –sei. Wenn damit anzufangen seysei? wie weit? und wie sie zu diesem Zweck zu treiben sey?sei, läßt sich nicht im Allgemeinen beantworten. Das Nöthige, in Absicht auf die, welchen dieses Buch bestimmt ist, wird unten in diesem Abschnitt angegeben werden. {Man vergl.vergleiche Niethammer, Friedrich Immanuel Niethammers Streit des Humanismus und Philanthropismus. Jena, 1808.} 1492Wer es der Beschäftigung mit Sprachen zum Vorwurf macht, daß sie so sehr bey Kleinigkeiten verweile;1546 der überlegt nicht, daß man anders nie zur Vollkommenheit aufsteige, als durch den Fortschritt vom Kleinern zum Größern,1547 und daß [51] die Vollkommenheit jeder Erkenntniß, wie jeder Kunst, von dem Fleiß abhänge, mit der man selbst die kleinsten Theile bearbeitet. – Wer sie für unfruchtbare, von allem Vergnügen entblößte 1548 Beschäftigung hält, beurtheilt die Sache zu sehr nach seinem besondern Geschmack, und verräth eine gewisse Kurzsicht1549, die es ihm unmöglich macht, mehr zu sehen, als was gleich vor seinen Augen liegt. Jede Beschäftigung, wäre sie auch nur Uebung unserer1550 Kräfte, führt ihr eigenes1551 Vergnügen mit sich; wer würde sie denn sonst1552 verfolgen, wenn sie nicht ihren besondern Reitz1553 hätte? Der große1554 Nutzen der1555 gründlichen Sprachkenntniß zeigt sich freylich1556 erst späterhin; aber eben der1557 später erkannte Nutzen und die Erinnerung an die Mühe, die es uns,1558 bis dahin zu kommen,1559 gekostet, gewährt ein 1560 so größeres1561 Vergnügen, je unerwarteter der Nutzen1562, und je mühsamer er errungen worden ist1563.
Und gerade deswegen, weil diese Beschäftigung viele, selbst ins Kleine gehende, Mühe und Fleiß erfordert, an der sich dieser, wie an einem Wetzstein, schärfen kan1564; ge[57]rade darum, weil man da, auf Hoffnung erst mit der Zeit zu erreichender Vortheile, arbeiten lernen muß; und Anfänger nicht genug zum unverdroßnen1565 Fleiß in Ueberwindung vieler Schwierigkeiten1566, zur ausharrenden GeduldGeduld,1567 und zur Hinsicht auf das gewöhnt werden können, was nicht gleich vor Augen ist: sollte man bey1568 diesen Lust zu dieser Beschäftigung zu erwecken suchen, eben um sie an Schwierigkeiten, Zweifel und Verlegenheit, die sich ihnen künftig in ihrem Leben überall darstellen werden, zu gewöhnen, und ihnen dadurch eben sowohl guten Muth zu machen, um sich von dergleichen nie schrecken zu laßenlassen, als sie durch Uebungen zum voraus schon in den Stand zu setzen, alles solcheanfangs Abschreckende glücklicher zu überwinden. Und sieSie 1569 selbst 1573 sollten mehr [52] dem Rath1574 derer folgen, die der Sache kundig sind, als ihrer eigenen Scheu für alles1575, was mühsam ist, oder nicht unmittelbaren Nutzen oder Vergnügungen1576 verspricht, und den Vorspiegelungen dererjenigen1577, die weder Geschmack daran, noch Kenntniß davon haben; zumal weil nichts mehr hinreißt, als herrschende Vorurtheile, und diese Beschäftigung um so schwerer und abschreckender wird, je länger man sie aufgeschoben hat.
Wie groß der Einfluß der Sprache auf die Bildung der menschlichen Seele, sowohl auf VerstandVerstand,1578 als Herz, sowohl für sich,1579 als durch gegenseitige Mittheilung der Gedanken und Gesinnungen,1580 sey1581, muß einem jeden einleuchten, der selbst zu denken gewohnt ist, und der es darauf anlegt, sich Andern1582 auf eine wirksame Art mitzutheilen. Und1583 noch einleuchtender macht es der auffallende Unterschied1584 zwischen sprachfähigen Menschen und sprachlosen Thieren, zwischen [58] taub- oder stummgebornen1585 und hörenden oder redenden Menschen, zwischen der Cultur solcher Nationen, die eine reiche, und solcher1586, die eine arme Sprache haben, nebst dem gleichmäßigen Fortschritt der Geistesbildung bey1587 Kindern, mit dem schnellern oder langsamern Fortgang in der Sprache. Wer also eine Sprache genau und gründlich kennt,1588 und sie in seiner Gewalt hat, kan1589 in dem nemlichen1590 Grade ein vernünftigerer1591 und besserer Mensch1592 seyn, andre1593 mehr aufklären und bessern, und mehr Nutzen von Andrer1594 Unterricht ziehen, als wem1595 es 1596 daran fehlt; und1597 die verabsäumte1598 genaue Kenntniß und Fertigkeit einer Sprache1599 ist eine Hauptursache1600, warum man theils selbst zurückbleibt, und auf unrichtige Begriffe und Irrthümer fällt, theils andern1601 nicht fort-1602 oder ihren falschen Vorstellungen und üblen Gesinnungen nicht abhelfen kan1603.
Schon erstlichZuerst schon in Rücksicht auf unsern eignen eigenen Vortheil – können wir durch1604 Hülfe der Sprache 1608 [65] die Begriffe festhalten, welche wir durch den Eindruck der Dinge empfangen haben, und uns dadurch nicht nur ihrer wieder erinnern, sondern auch allgemeine Begriffe bilden, verworrene aus einander setzen1609, und eine stete Verbindung unsrer Vorstellungen bewirken. – Die Sprachen leiten sogar auf neue Begriffe und Entdeckungen, legen wenigstens den Grund zu allgemeinen Begriffen und Sätzen, die zu weitern1610 Betrachtungen ermuntern, und eine fruchtbare1611 Quelle neuer Entdeckungen werden können. –1612 Sie befördern den leichtern Uebergang von einem Begriff1613 zum andern, und stellen ihren Zusammenhang besser dar *). – Und wer1614 der Sprache mächtig ist, mehrere Begriffe in Ein Wort, oder mehrere Gedanken in wenige Worte zusammen zu drängen1615 versteht, kan1616 nicht nur schneller im Denken [59] fortrücken, und mehr in der Geschwindigkeit übersehen, sondern auch selbst seine Begriffe anschauender, und ihre Wahrheit einleuchtender machen **).1617
Auf der andern Seite sind 1651 die Sprachen, durch die wir unsere Begriffe bekommen,1652 und sie uns geläufig machen, eine ergiebige Quelle von mangelhastenmangelhaften 1653, verworrenen, irrigen Begriffen und UrtheileUrtheilen. Denn1654 wir müssen eine jede Sprache nehmen,1655 wie sie ist, und, weil diese sich nach den Begriffen dererjenigen1656 gebildet hat, welche sie nach und nach erfanden, ihre mangelhaften, ungeläuterten, unentwickelten, und oft ganz falschen Begriffe in Wörter einkleideten, wenig von der Kunst [55] verstanden, die Sachen durch angemessene Ausdrücke zu bezeichnen, und, um nicht die Wörter zu sehr zu vervielfältigen, sehr oft Einen Ausdruck zur Bezeichnung mehrerer Begriffe brauchten, oft auch, um gewisse Sachen mehr verständlich und anschauend, als bestimmt darzustellen, neuerfundne1657 Ausdrücke den rohern Begriffen des großen1658 Haufens anschmiegen mußten: so theilten sich alle dabey1659 zum Grunde liegende Fehler oder Unbequemlichkeiten der Sprache mit, und wurden durch sie so gangbar, daß es eben so viel Mühe kostet, diese Fehler zu entdecken, als sie durch allerley1660 Gegenanstalten zu heben.
Die1665 Schwierigkeiten vermehren sich zuvörderst 1666 durch die Menge sehr verschiedner1667 Sprachen;1668 und weil bey1669 den Ausdrücken der einen Sprache nicht gerade die Vorstellungen zum Grunde liegen, [56] welche zu den Ausdrücken in der andern Gelegenheit gaben: so ist es oft unmöglich, oft wenigstens schwer, den Ausdrücken in der einen,1670 vollkommen angemessene Ausdrücke in der andern unterzulegen, oder zu verhüten, daß sich der Mißverstand aus einer nicht in die andere fortpflanze.
Ausser dem Ausserdem giebts1700 in mehrern1702 Sprachen wieder besondere Gattungen, die entweder durch besondere1703 Gegenstände der Erkenntniß, welche in der gemeinen Sprache nicht bezeichnet waren, oder [70] dadurch nothwendig worden1704 sind, daß man das Mangel-1705 und 1706 Fehlerhafte der gemeinen Sprache verbessern wollte. Solche Gattungen sind die Kirchen- und Gelehrten-Sprache; ja gewissermaßen1707 hat jeder in seiner Art originelle Schriftsteller seine eigene Sprache. Hiedurch1708 wird eine Sprache noch weitläuftiger, folglich noch schwerer, und selbst der Mißverstand kan1709 dadurch zunehmen. Denn, weil dadurch die Bedeutungen Eines Ausdrucks vervielfältigt, und die Begriffe in der besondern Sprache von denen in der gemeinen Sprache verschieden werden:1710 so wird auch die Verwechselung leichter. Ja selbst die Bestimmung, welche man in der besondern Sprache einem Ausdruck gegeben hat, ist oft dem Sprachgebrauch in der gemeinen, oder in einer andern besondern Sprache [63] nicht gemäß, und bringt dadurch Mißverstand aus jener in diese.
Wenn nun die Bildung unseres eigenen Verstandes, und1727 die Lücken, Vorurtheile und falschen Wendungen unserer1728 Erkenntniß so sehr von unserer1729 Sprache abhängen:1730 so muß ungemein viel daran liegen, –1731 daß man die Sprache, worin man zu denken gewohnt ist, sorgfältig studiert habe, um dem Mißverstand1732, der daraus entstehen kan1733, auf die Spur zu kommen, und alle Vortheile zu geniessen1734, die eine Sprache giebt; –1735 daß man selbst, wenn man es kan1736, mehrere Sprachen so studiere, nicht nur um das brauchen zu können, was in solchen gesagt oder geschrieben wird, sondern auch um durch die eine die andre1737 mehr aufzuklären, und durch Hülfe der einen das Fehlerhafte oder Unvollständige1738 der andern zu entdecken,1739 und daraus möglichst zu verbessern *);verbessern; *) –1740 daß man endlich den Fehlern sei[64]ner eigenthümlichen Sprache so viel abhelfe, als es ihre Natur und Verständlichkeit für die, welche sie ebenfalls brauchen, erlaubt. 1742
Anmerk.Anmerkung Anmerk. 1. Es ergiebt sich zugleich aus allem bisher gesagtenGesagten: 1) daß das Studium der Sprachen schon an sich, als Sprachenstudium, auch abgesehen (nicht von den damit verknüpften Begriffen, sondern) von den Sachen, die man durch Hülfe der Sprachen, als Zeichen von Vorstellungen, lernt, einen unglaublichen Nutzen habe. 2) Daß – vorausgesetzt: man treibt es mit jungen Leuten zu den vorhin angegebnenangegebenen Absichten, und lenkt immer darauf ihre Aufmerksamkeit – es die beste Vorbereitung zur Bildung des Geistes für künftige Gelehrte, und überhaupt für solche seysei, die sich einmal vorzüglich mit Geistesarbeiten beschäftigen sollen. (Vergl.Vergleiche Rehberg, August Wilhelm Rehberg in der Berlinischen Monatsschrift 1788, Februar, S.Seite 125 f.folgend und 1789, Januar, S.Seite 53 f.folgend Niemeyer, August Hermann Niemeyer's Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts, 6te Ausgabe, 2ter Theil, S.Seite 35 f.folgend 84. 85 f.folgend ) Dadurch wird das GedächtnißGedächtniß geübt, gerade zu der Zeit, wo es die meiste Empfänglichkeit für aufgefaßte Eindrücke hat, und wo diese Gedächtnißübungen noch nicht durch die reitzendern Uebungen des bloßen Verstandes verdrängt oder verleidet sind. Es wird zugleich frühzeitig auf unsinnliche Dinge und solche Zeichen gerichtet, welche die Dinge nicht sinnlich darstellen, wodurch verhindert wird, daß man sich in frühernfrüheren Jahren nicht zu sehr an das gewöhne, was bloß vor die Sinne gebracht werden kankann. Durch die Bereicherung des Gedächtnisses bekommt man früh einen ansehnlichen Reichthum von Ideen, ohne welchemwelchen Stoff zum Denken, Genie und Verstand nichts vermag,vermag; und eben der Reichthum von Wörtern befestigt die Ideen und setzt den jungen Geist in den Stand, die dadurch ausgedruckten Begriffe zu behalten, sie sich geläufig zu machen, und Andern wieder mitzutheilen. Seiner natürlichen Flüchtigkeit wird dadurch gesteuretgesteuert, daß beybei dem Sprachstudium die Aufmerksamkeit auch mit auf Kleinigkeiten gelenkt, und die Seele gewöhnetgewöhnt wird, diese überall mit in Anschlag nehmen zu lernen, und sich nicht bloß mit dem Auffallenden oder sich leicht Darstellenden zu begnügen. Ich wiederhole hier die übrigen Vortheile nicht, die das SprachenstudiumSprachenstudium gewähren kankann, welche sich beybei einer noch unverstimmten und feinerer Eindrücke empfänglichern empfängchernempfänglichern jugendlichen Seele wohl eher,eher als beybei andern möchten erreichen laßenlassen. Anmerk.Anmerkung Anmerk. 2. *) Wer jene Vortheile von dem Studium der Sprachen recht beziehen will, muß wenigstens zweyzwei oder dreydrei Sprachen eigentlich studieren, studieren und mit einander vergleichen lernen, solche Sprachen, die, wegen ihres gemeinschaftlichen Ursprungs oder Abstammung von einander, kurz, wegen ihrer Verwandtschaft, viel Eigenes gemein haben, wie die griechische und lateinische, und wieder andreandere, die ganz in ihrer Bildungsart verschieden sind, wie jene und die morgenländischen Sprachen. Mag es seyn, daß Dinge, die sich überall auf einerleyeinerlei Art den Sinnen zeigen, oder daß reine VerstandesbegriffeVerstandesbegriffe, von allen Menschen und Nationen überhaupt auf einerleyeinerlei Art empfunden oder gedacht, also auch durch WörterWörter, die dem Ton oder der Schrift nach ganz verschieden sind, doch so ausgedruckt werden, daß alle, die das Wort verstehen, sich eben dieselbe Sache dabeydabei vorstellen: so gerathen doch manche Nationen oder einzelne aufmerksame, schnell oder fein empfindende oderund denkende Köpfe unter ihnen,ihnen auf Vieles, woran andereAndere gar nicht denken. SeltenereSeltnere, oder unter verschiedenen Gestalten an verschiednenverschiedenen Orten oder in verschiednenverschiedenen Köpfen erschienene oder gedachte Gegenstände,Gegenstände erwecken beybei Verschiedenen auch sehr verschiedene Begriffe. Und selbst gemeine oder alltägliche Gegenstände bekommen in veschiednenverschiedenen Köpfen durch die verschiednenverschiedenen Umstände, unter welchen sie sich ihnen darstellen, und durch die verschiedene besondere Vorstellungskraft oder Art, Dinge zu bezeichnen, gleichsam eine ganz eigenthümliche FarbeFarbe, werden mit mehrernmehreren oder wenigernwenigeren Nebenbegriffen, mit feinernfeineren Bestimmungen, sinnlicher oder unsinnlicher gedacht, zumal je nachdem sich die Einbildungskraft mehr oder weniger einmischt, und der Reichthum von Begriffen größer oder geringer ist. Hieraus ist offenbar, daß durch das Studium mehrerer Sprachen, und selbst origineller SchriftstellerSchriftsteller, ganz neue Ideen erzeugt werden, oder doch schon bekannte Begriffe unter ganz neueneuen Gestalten erscheinen können, worauf wir erst durch die fremde Sprache sind aufmerksam gemacht worden; und je mehr diesdieß, was Einer Sprache eigen ist, in die andere übergetragen wird, und durch unsere Art zu denken und uns auszudruckenauszudrücken, wieder eine etwas veränderte Gestalt bekommt: jedesto mehr muß der Reichthum, und zum Theil die Bestimmtheit und Fruchtbarkeit, unsrerFruchtbarkeit unserer Begriffe und Gedanken zunehmen. Es kankann also dieses Studium eine vortreflichevortreffliche Uebung dem Verstande gewähren, der dadurch geschmeidiger, und für Vieles empfänglicher wird;wird: ein GewinnGewinn, der schwerlich durch etwas Anderes erlangt werden kankann, und augenscheinlich beweiset, wie vortheilhaft das SprachenstudiumSprachenstudium schon an sich seysei. – Was in der oben beybei §. 56. angeführten allgemeinen Revision etc. et cetera Theil 7. S.Seite 420 f.folgend und Theil 11. S.Seite 224 f.folgend dagegen gesagt ist, beruhet theils darauf, daß immer Studium der Sprache als ganz abgesondert von der Erlernung der dadurch mitgetheilten Begriffe Begriffe von Sachen angenommen wird, theils auf dem Wahn, als wenn sich Sprachkenntnisse nicht ließen unterhaltend machen ließen, theils auf einer anderen Einbildung, als wenn Kinder allesAlles unerträglich fänden, und nicht leicht fassen könnten, was ihnen Zeichen darstellt, ohne zugleich die Sache selbst darzustellen, wovon doch Musik und Mathematik und die tägliche Erfahrung selbst in Schulen, wo nur der Sprachunterricht recht lebendig getrieben wird, das Gegentheil beweiset. Anmerk.Anmerkung Anmerk. 3. Daß übrigens ein solches Sprachenstudium nichts weniger als bloßes GeschäfteGeschäft des Gedächtnisses, daß es sehr schwer seysei, und keine gemeine Fähigkeiten und Uebungen, besonders eine sorgfältige Aufmerksamkeit selbst auf Kleinigkeiten, ein feines Gefühl, Geduld und anhaltenden Fleiß,Fleiß erfordere, also auch sein großer NutzenNutzen, Leuten, die bloß auf sinnliche und unmittelbare Vortheile ausgehen, und den Werth der GeistesnahrungGeistesnahrung wenig oder gar nicht zu schätzen wissen, nicht einleuchtend könne gemacht werden könne, bedarf wohl kaum einer Erinnerung. 1743Und weil unsre1804 Neigungen ganz durch unsre1805 Vorstellungen gestimmt werden, diese Vorstellun[59]gen aber inniglich1806 mit der Sprache verbunden sind: so muß die Sprache selbst über das Herz große1807 Gewalt haben. Je edler ein Ausdruck ist, je anschauender er die Sachen darstellt, je fruchtbarer er ist, das heißt, je mehr Begriffe er erregt, die [76] Licht, Anmuth und Interesse in die Vorstellung bringen, je passender, bestimmter und schöner er ist: desto mehr wirkt er1808 aufs Herz; so wie hingegen unedle, verworrene, kraftlose, unschikliche1809 Ausdrücke das Herz entweder kalt laßen1810, oder gar gegen die beste Sache einnehmen.
1811Alle Vortheile und Unbequemlichkeiten der Sprache ergießen1812 sich auch 2) (§. 60)1813 in den Vortrag und die Mittheilung Mit theilung der Gedanken an Andere 1814. – Wie viele Irrthümer, unnöthige und verworrene1815 Untersuchungen, selbst wie viele Erbitterung und Argwohn, entstehen aus bloßem Mißverstand, der in den Wörtern liegt?liegt! 1816 der eben sowohl durch unbequeme Ausdrücke erregt,1818 als von Andern aus ihnen geschöpft, und hinwiederum1819 durch schicklichere Wörter oder bestimmtere Erklärungen verhütet oder gehoben werden kan1820. – Wie viel helfen deutliche und unzweydeutige1821 oder von falschen Nebenbegriffen freye1822 Wörter, bestimmte Erklärungen und ClassificationClassification1823 der Dinge, die nur durch Wörter geschehen kan1824, den Begriff1825 deutlich, und Sachen kenntlich zu machen, oder zu vergegenwärtigen? – Wie viel besser drucken1826 sich die Sachen durch bestimmte Wörter, durch bildliche Ausdrücke, durch körnigte1827 Sentenzen, dem Gedächtniß und der Einbildungskraft ein?1828 – Wenn der dunkle, ver[60]wirrte, matte und weitschweifige Vortrag, der immer mit von Armuth und Ohnmacht der Sprache herrührt, den Leser oder Zuhörer1829 ermüdet, ihnen1830 das Denken erschwert, und selbst die vorgetragene1831 Sachen verleidet: so unterhält die Deutlichkeit, die Fülle der Wörter und die gedrängte Kürze, die Aufmerksamkeit, und giebt den Sachen einen gewissen Reitz1832, der die Theilnehmung befördert. – Und wie sehr erweckt der klare, bestimmte und1833 einleuchtende und gleichsam theilnehmende Ausdruck des Redenden,1834 auch das Vertrauen, daß er seine Sache verstehe, von ihrer Wahrheit überzeugt, und von ihrem Werthe durchdrungen sey1835, ein Vertrauen, das1836 für die Wahrheit und TreflichkeitTreflichkeit1837 des Gesagten den Zuhörer sehr einnehmen muß. – Wenn auch kein Andrer1838 so viel Ursache hätte, darnach zu trachten, daß er seiner Sprache mächtig würde: so sollte es der, der Lehrer der [69] Religion seyn will. Wäre auch der Schade so groß nicht, den der Lehrer sonst gegen seinen Willen stiften kan:1839 so thut er zur Empfehlung der Religion bey weiten1840 nicht so viel, als er könnte, wenn er mehr Kraft der Sprache in seiner Gewalt hätte.
Sofern endlich 3) (§. 66.)1841 Sprachen der CanalCanal1842 sind, durch den uns alle Kenntnisse zugeführet1843 werden, die wir von Andern1844 empfangen, sofern theilt sich uns, [61] je nachdem wir solche Sprachen genau oder obenhin verstehen, alles Gute und Nachtheilige mit, was diese Sprachen bey1845 sich führen. Denn, da dasjenige, was in der mittheilenden Sprache liegt, in unsre1846 eigene übergetragen wird, oder die [78] Begriffe, welche der Andere mit seinen Wörtern verknüpft, in unsre eignen1847, immer an Sprache gebundne,1848 Begriffe verwandelt werden müssen: so entgehet1849 uns nicht nur, falls wir jener Sprache nicht recht kundig sind, das, was uns durch sie mitgetheilet werden könnte, und das Fehlerhafte jener Sprache schleicht sich mit in unsre1850 Sprache, und so mit in unsre1851 Erkenntniß, selbst oft in unser Herz; sondern wir selbst vermischen auch dieses Mitgetheilte, wenn es nicht schon vor1852 sich trübe ist, mit so viel1853 fremden Theilen aus unsern1854 Vorstellungen, daß es unmöglich rein zu uns kommen kan.1855 – Soll nun insbesondere ein Lehrer der Religion und des Christenthums seine Kenntnisse vornemlich1856 aus der heiligen Schrift schöpfen; soll er die kirchliche Theologie und die verschiedenen Meinungen über gewisse Lehren verstehen, und selbst das, was von seinen Vorstellungen abweicht, richtig beurtheilen; soll er in der Geschichte und sonst die Quel[70]len der Wahrheit gehörig benutzen: so muß er nothwendig theils die Sprache Andrer1857 so studiert haben, daß er ihr Gutes und Fehlerhaftes genau kenne, theils seiner eignen1858 Sprache so kundig seyn, daß er wisse, ob und wie weit sie mit jener übereinkomme, oder davon abgehe. Sonst ist Mißverstand durchaus unvermeidlich. Man bauet auf Ausdrücke der heiligen Schrift Meinungen und Theorien, an welche [62] die heiligen Schriftsteller nie gedacht haben, und giebt menschliche Irrthümer für göttliche Wahrheit aus, sieht alles1859 aus einem falschen Gesichtspunct1860 an, verwickelt sich in Wortstreit, und bestreitet oft, was man dulden,1861 oder fährt zurück vor dem, was man 1862 mit Dank annehmen sollte. Man erdichtet Begebenheiten und Meinungen, die nie gewesen sind.
1863Die MittelstraßeMittelstraße1926 würde also auch hier wohl die beste seyn:1927 wenn man erst die nothwendigsten Regeln einer besondern1928 Sprache sich bekannt machte, sich alsdann1929 gleich zur Lesung leichter Schriften [65] [82] wendete, und bey1930 dieser theils auf die Anwendung jener Regeln sähe, theils das Uebrige von den zurückgelaßenen1931 Regeln gelegentlich nachholte. Zu diesem nothwendigsten 1932 könnte man das eigentliche Lesen und die gewöhnlichsten Beugungen und Verbindungen der Wörter, sonderlich die gewöhnlichen Abänderungen der Nenn- und Zeitwörter und die allerersten Regeln des SyntaxSyntax1933 rechnen. Nur müßte man die Regeln sich mit mehrerernmehreren 1934 Beyspielen1935, wodurch jene anschaulich würden, eindrücken, oder vielmehr sie aus solchen BeyspieleBeyspielen1936 abziehen, und, wenn man in einer solchen Sprache Anderer Unterricht genießen1937 könnte, sich in ähnlichen Formen nach solchen Regeln üben.
1938Hätte1939 man die nothwendigsten Sprachgesetze in seiner Gewalt:1940 so wäre1941 es Zeit, 2) (§. 68 68. )1942 gleich zur Lesung der Schriften in einer solchen Sprache fortzuschreiten 1944, wodurch man das Meiste, auch in Absicht auf die Sprache, und es1945 aufs beste, lernen kan1946. Das Meiste;1947 weil man, ausser1948 den Sachen, Wörtern1949 mit ihren verschiednen1950 Bedeutungen, Einschränkungen und jedesmaligen schicklichsten1951 Gebrauch, *) weise Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, Regeln einer Sprache, ihre Anwendung und ihre Ausnahmen, das Eigenthümliche einer Sprache mit ihrem Unterschied von andern, und die verschiedentlichen1952 Falten und Entwickelungen des menschlichen Geistes und Herzens, welche auf den Ausdruck wirken,1953 und durch ihn veranlaßet1954 [83] werden, zugleich kennen lernt. Aufs beste;1955 [66] weil BeyspieleBeyspiele1956 immer deutlicher, unterhaltender und eindrücklicher sind, und der Umgang mit verständigen, rechtschaffenen und gesitteten Menschen, folglich auch die Beschäftigung mit den Werken ihres Geistes,1957 mehr zur Bildung beyträgt1958, als allgemeine Regeln und Kenntnisse; weil erst durch das fleißige Lesen Sprachkenntniß etwas Ganzes wird; und weil selbst Regeln, so wie einzelne1959 Wörter und Redensarten, erst durch die Verbindung in Schriften recht deutlich werden,1960 und die nöthige Bestimmung und Abänderung bekommen.
Die Frage: Wie soll man Schriften aufs nutzbarste lesen? kommt hier 1964 nur so weit in Anschlag, als durch die[75]ses Lesen unsre1965 Sprachkenntniß gebildet, das heißt, die Geschicklichkeit erlangt werden soll, eine Sprache wohl zu verstehen,1966 und sich darin auszudrucken1967. In dieser Absicht muß man zuerst auf gutgeschriebene, (d. i.)das ist solche Schriften sehen, worin eben so viel Fleiß auf den Ausdruck als auf die Sachen gewendet worden ist, die daher in ihrer Art musterhaft oder classisch classisch heissen1968 können; hernach von den leichtern1969 zu den schwerern1970, (d. i.)das ist zu solchen,1971 fortgehen, die schon mehrere und reifere Kenntniß der Sprache erfordern, in der sie geschrieben sind.
Wenn sich unsre Sprache nach musterhaften Schriftstellern und Schriften1985 bilden soll:1986 so muß man nicht nur wissen, welche,1987 und wie ferne1988 sie, in Absicht auf Sprache, diesen Namen verdienen?1989 sondern man muß auch, falls sie dafür bekannt sind, bey1990 dem Gebrauch solcher1991 Schriften zu dieser Absicht, voraussetzen können, daß diese und daß die darin gebrauchten Ausdrücke durchaus von dergleichen SchriftstellerSchriftstellern1992 herrühren. Hier liegt die Nothwendigkeit der Kritik (im engsten Verstande), die einen Theil der Philologie [76] ausmacht. Kritik ist überhaupt die Geschicklichkeit zu urtheilen, oder1993 das Aechte1994 vom Unächten1995, dasjenige, was wirklich das ist,1996 wofür es gehalten oder ausgegeben wird, und was nur so scheint, zu unterscheiden; oder, als Wissenschaft betrachtet, der [85] Inbegriff1997 der Grundsätze und Regeln, wonach sich unser Urtheil richten muß. In diesem allgemeinen Verstande 1998 erstreckt sie sich auf alles Wahre, Gute, Schöne, Schickliche u. d. gl.und dergleichen 1999 und bekommt besondre 2000 Namen, oder einen eingeschränktern eingeschränkten Verstand 2001, nach den verschiednen2003 Gegenständen, womit sie sich beschäftigt. Daher ensteht eine logische, morali [68] sche, ästhetische, historische, philologische Kritik; wiewohl diese verschiedne2004 Gattungen oft in einander fließen2005, so fern2006 die Gründe der Beurtheilung aus verschiednen2007 Wissenschaften entlehnt werden müssen; und alsdann bekommt2008 sie gemeiniglich den Namen2009 von der Wissenschaft, die das meiste dabey2010 thut.
Anm.Anmerkung Anmerk. Anmerkung 1. Philologische KritikKritik müßte sich eigentlich nur auf Sprache Sprache erstrecken, also nur beurtheilen, ob der Ausdruck in der Sprache, in dem SchriftstellerSchriftsteller, in der Schrift und in der Stelle derselben, wovon die Frage ist, ächt sey?echt sei; müßte dann auch die Regeln begreifen, wonach dieses alles zu bestimmen wäre. Und werWer daher den Namen eines philosophischen Kritikers verdienen sollte, müßte nicht nur diese Regeln kennen, sondern auch die Kenntniß der Sprache, wovon die Frage wäre, die Geschichte ihrer von Zeit zu Zeit erfolgten Veränderungen, und des Schriftstellers, nebst der gehörigen Fertigkeit besitzen, diese sämtlichensämmtlichen Kenntnisse auf einen vorliegenden Fall richtig anzuwenden, folglich auch zu entdecken, ob der Ausdruck in einer Stelle von Abschreibern oder angeblichen Verbesserern verdorben, und wie er wieder herzustellen seysei? Hingegen, ob eine Schrift selbst ächt seyecht sei, die dem vermeinten VerfasserVerfasser, oder der Zeit, worein man sie setzt, in der That zukomme? diesdieß zu entscheiden, gehörtewürde mehr vor demden Richterstuhl der historischen, oder, wenn man will, literarischen KritikKritik gehören. Allein, weil man diese letztere Frage, wenn eigentliche entscheidende Zeugnisse abgehen, oder zweifelhaft sind, nach innern Umständen einer inneren, aus der Schrift selbst geschöpften Gründen beurtheilen muß, und zu diesen Umständenwozu allerdings auch die Sprache gehört, die oft den Verfasser oder die Zeit verräth: so rechnet man diese Kritik über eine Schrift ebenfalls mit zum Gebiete der philologischen Kritik. Anm.Anmerkung Anmerk. Anmerkung 2. Man sieht hieraus:hieraus, daß, weil sich dieser letztreletztere Theil der philologischen Kritik auf den ersternersteren gründet, Niemandniemand recht über die Aechtheit jenerEchtheit einer Schrift urtheilen könne, wer der Kritik des Ausdrucks, oder der eigentlichen SprachkritikSprachkritik, nicht mächtig ist. Anm.Anmerkung Anmerk. Anmerkung 3. Manche nennen die Kritik der Schriften, Schriften den allgemeinen, und die KritikKritik ihres Textes, Textes den besondern besonderen Theil der philologischen Kritik, jene auch die höhere, diese die niedere, oder gar die Wort-Kritik. – Bey Wortkritik. – Bei jener Abtheilung und ihrer Erklärung aber vergissetvergißt man die Kritik der Sprache überhaupt, die ich im Anfang der ersten Anmerkung erwähnte, ohne welche man weder von AechtheitEchtheit der Schriften noch ihres Textes urtheilen kankann. – Die Kritik des Textes ist auch keine bloße Kritik der Worte; denn es können ja eben sowohl unrichtige Sachen, Sachen als Worte,Worte verrathen, daß der Text verfälscht seysei. – Und den Unterschied der niedern niederen und höhern höheren Kritik scheinen wieder Andere für einerleyeinerlei mit dem bloß relativen Unterschiede der gemeinen nndund und feinern der feineren Kritik zu nehmen, sie mag AechtheitEchtheit der Schriften, oder ihres Textes, oder der Sprache überhaupt,überhaupt betreffen. Wenn man die AechtheitEchtheit nach vorliegenden, zumahl sehr bekannten oder leicht erkennbaren,erkennbaren Umstände Umständen, z. B.zum Beispiel beybei einer Schrift nur nach Zeugnissen gleichzeitiger Schriftsteller, auffallenden historischen oder Sprach-FehlerSprach-FehlernSprachfehlern, Spuren des Fehlers oder Mißverstandes in den Zügen oder Abtheilungen der Wörter, ParallellstellenParallellstellen u. d. gl.und dergleichen Parallelstellen u. dergl.und dergleichen zu entdecken vermöchte:vermöchte, so würde diesdieß gemeinere Kritik seyn; feinere aber, wo Spuren des UnächtenUnechten verborgen liegen, und das AechteEchte oder UnächteUnechte nur durch sehr feine Beobachtung und eine Zusammenstellung mannigfaltiger kleinenkleiner Umstände entdeckt werden könnte. So möchte diese feinere Kritik mit sogenannter Conjecturalkritik, wenn sie nicht bloß räth und willkürlich verfährtwillkührlich einem Errathen gleicht, ziemlich einerleyeinerlei seyn. 2011Kritik im allgemeinern 2063 Verstande ist bey unsern2064 eigenen2065 Vorstellungen und Neigungen sowohl, als bey2066 denenjenigen, die Andre2067 uns mittheilen, folglich auch bey2068 dem Gebrauch ihrer Schriften, schlechterdings nothwendig, wenn wir nicht betrogen werden, Schatten für Wahrheit ergreifen, und zu Irrthümern, Fehlern und Ausschweifungen verleitet seyn wollen. Hänget2069 etwas vom Ansehen des Schriftstellers ab, – und dies [88] ist der Fall, wenn wir uns müssen2070 auf seine Einsicht und Recht[69]schaffenheit verlaßenverlassen,2071 ihn für2073 Kenner, Gesetzgeber und Muster annehmen können: –können –: 2074 so müssen wir vor allen Dingen gewiß seyn, daß eine Schrift, und daß namentlich der Theil derselben, an den wir uns halten sollen, wirklich von ihm komme. – Alsdann2076 ist auch philologische 2077 Kritik 2078 schlechthin unentbehrlich, weil die in seiner angeblichen Schrift gebrauchten Ausdrücke eben dasjenige sind, wodurch wir von ihm lernen; und es ungereimt seyn würde, eine Schrift erklären erklären, oder gar etwas daraus beweisen beweisen zu wollen, ehe man nicht wüßte, daß etwas wirklich ein Theil einer solchen Schrift, und nicht untergeschoben seysei 2079.
Anmerk.Anmerkung Anmerk. Wie nöthig die Kritik beybei dem Gebrauch der heil.heiligen Schrift seysei, wird sich unten beybei der exegetischen Theologie besser zeigen laßenlassen. 2081Aber deswegen ist es nicht nöthig2088 gleich anfangs, bey2089 dem Lesen einer Schrift um der Sprache willen, uns mit dieser Untersuchung zu beschäftigen. – Ausser demAußer dem, 2090 daß dieses die wirkliche Benutzung einer Schrift ungemein aufhalten und verzögern würde; – 2092 ist es doch keine unwahrscheinliche Voraussetzung2094, daß eine Schrift, die das Zeugniß ihrer Zeitgenossen oder andreranderer Kenner vorfür sich hat,2095 und daß deren einzelne2098 Stellen und Ausdrücke ächt seynsind 2099, weil der Fälle weit mehr sind,2101 wo ein so angegebnerangegebener 2102 Verfasser es auch wirklich ist, [89] als wo er es nicht ist, und weil eine Schrift selten so sehr unter Andrer2104 Händen leidet, 2105 daß nicht das Meiste übrig bleiben sollte. –2106 Sehr oft beruht auch ihr Werth in Absicht auf Sprache nicht auf dem Ansehen ihres Verfassers, sondern auf ihrem Gehalt und ihrer Uebereinstimmung mit andern2107 der besten Schriften in einer solchen Sprache. – Ueber diesUeberdies 2108 erfordert diese Beurtheilung schon große2110 Kenntniß einer Sprache, und wird daher besser bis auf die Uebungen in derselben aufgeschoben, die erst alsdann2111 glücklich unternommen werden können, wenn man sich schon durch das fleißige Lesen der Schriften [70] gebildet hat. Man setze also diese kritischen Untersuchungen lieber aus, begnüge sich mit andrer2112 Kenner Nachrichten,2113 und mit den reinesten2114 Ausgaben von einer Schrift, und wende sich gleich zum Lesen 2115.
2116Das nächste2117, worauf man beybei diesem Lesen Lesen 2118 zu sehen hätte, wäre: den Ausdruck verstehen zu lernen. Denn ohne dieses könnte man weder zur Kenntniß der in einer Schrift enthaltenen Sachen gelangen, die uns nur durch den Ausdruck mitgetheilt werden können2120, noch würde man durch das Lesen einer Schrift in den Stand gesetzt werden, eine andre2121 in eben derselben Sprache verstehen zu lernen, oder jemals eine solche2122 Sprache in seine Gewalt2123 zu bekommen2124. Aber der gute Schriftsteller bedient sich nicht bloß einer Sprache,2125 er will auch das, was er darin sagt, gut, (d. i.)das ist so [90] ausdrucken2126, daß es sich dem Leser als wahr2127, als gut, als gefällig darstelle, wenigstens daß es sich ihm auf2128 einer dieser Seiten empfehle; und, wie die Sprache Ausdruck der Seele ist, so ergießt sich seine gebildete Empfindung, Verstand und Gesinnung in den Vortrag, der davon seine ganze Farbe bekommt. Man muß daher gutgeschriebenen Schriften, selbst wenn man sie wegen der Sprache lieset, einleuchtende Vorstellung der Wahrheit, Empfehlung guter Gesinnungen, Annehmlichkeit des Vortrags, abzulernen, kurz, dadurch seinen Verstand, sein Herz und seinen Geschmack zu bilden bilden 2129 suchen. Dies nennt man das kritische, so wie jenes, das auf den Verstand des Gelesenen [71] abzielt, das philologische oder grammatische Lesen einer Schrift.
Bey2144 der Absicht, eine Schrift verstehen zu lernen, möchte alles2145 auf folgende Regeln ankommen.2146 1) Man bemühe sich zuerst, die bestimmte Bedeutung einzelner2147 Wörter und Redensarten recht einzusehen, nach ihrem Umfang, auch Nebenbegriffen, Einschränkung und Unterschied von andern2148, die eben dasselbe zu bedeuten scheinen. Giebt der Schriftsteller die Bedeutung nicht selbst durch Erklärung, Gegensatz, gleichbedeutende Wörter, Beyspiele2149 oder Verbindung an, und kennen wir keine andre2150 ähnliche Stellen desselben, die ein Licht auf das, was wir suchen, werfen könnten:2151 *) so müßte man entweder, zumal wenn die Sprache noch lebendig ist, sich bey2152 denen erkundigen, die feine Kenner einer solchen Sprache sind, oder man müßte gute Wörterbücher, Claves, Wörterregister und Ausleger zu Hülfe nehmen, bey2153 ihrer Wahl aber,2154 [72] und um sie mit Sicherheit brauchen zu können, wohl darauf acht2155 geben, ob sie die Bedeutung be[82]stimmt angeben, und die Richtigkeit derselben, wo sie zweifelhaft seyn kan2156, mit angemessenen deutlichen Stellen oder Beweisen belegen.
Man müßte 2) wohl auf die Verbindung und Ordnung der Wörter Acht2179 geben, als worauf vornemlich2180 das Eigenthümliche einer Sprache beruht, und sowohl die wahre Bedeutung einzelner2181 Formeln bemerken, als in wieferne2182 eine gewisse Verbindung oder Stellung der Wörter und Redensarten, des Sinnes wegen, oder nur den Ausdruck deutlicher oder angenehmer zu machen, gebraucht sey2183. Gute SprachlehrenSprachlehren2184 und andre2185 Bücher, wel[73]che die Idiotismen einer [83] Sprache erklären, oder die Gründe der Sprachregeln untersuchen, können dabey2186 große2187 Dienste thun.
Es würde2188 ferner 3) nöthig seyn, stets dahin zu sehen, daß man nicht bloß den Wörtern und [93] Redensarten, die man verstehen lernen wollte, andre2189 Wörter unterlegte2190, sondern sich auch wirklich Begriffe von dem machte2191, was jene ausdrucken2192. Leicht wäre2193 dieses, wenn wir einen solchen Ausdruck in einen uns geläufigern2194, der ihm völlig entspräche2195, verwandeln, und so den uns schon gewohnten Begriff, der damit verbunden ist, erneuern könnten2196. Wäre dies2197 aber nicht, und bekäme ein Ausdruck eine der Sprache oder dem Schriftsteller eigene2198 Bedeutung daher2199, weil er sich auf besondre2200 Meinungen,2201 Gewohnheiten, Begebenheiten u. d. gl.und dergleichen 2202 bezöge: so müßte man sich vorher diese bekannt machen, oder diejenigen zu Rathe ziehen, welche dergleichen Umstände und darnach gebildete Ausdrücke aufgeklärt hätten2203.
Weil man aber sehr wohl einzelne2219 Wörter verstehen kan2220, ohne deswegen den ganzen Satz zu [94] verstehen, der aus ihnen zusammengesetzt ist *);2221 auch viele Wörter **),2222 ja ganze Sätze ***), ***) 2223 neue bestimmte Bedeutungen in einer Stelle durch die Verbindung mit andern zu einem ganzen Satz bekommen;2225 und sehr oft Ein Wort nicht geradezu mit Einem Wort aus einer andern2226 Sprache vertauscht werden kan2227, sondern nur der Sinn im Ganzen ausgedruckt2228 werden muß †);2229 so wie bisweilen – und das ist der Fall der Allegorie – anstatt einer Sache, die eigentlich ausgedruckt2230 werden sollte, eine ihr ähnliche gesetzt wird ††),2231 folglich die gemeinte Aehnlichkeit aufgesucht werden muß; so muß man sich auch 4) bemühen, den Sinn des ganzen Satzes, oder mehrere in Eins verbundne2232 Sätze im Ganzen, und das in der Allegorie liegende Eigentliche, zu denken. Gute, freye2233, aber genaue2234 Uebersetzungen und eben dergleichen Umschreibungen sind hier für den, der es noch selbst nicht vermag, die besten Hülfsmittel.
Beynahe2269 das Schwerste würde2270 5) die Vergleichung der Sprache seyn,seyn; 2271 woraus, und der, worein2273 wir übersetzen. Denn2274 bey2275 den vorigen Beschäftigungen, eine Schrift verstehen zu lernen, wär'2276 es allenfalls genug, den richtigen Sinn unterzulegen,2277 oft müßte2278 man damit auch zufrieden seyn; hier aber müßte2279 man eine Sprache der andern aufs möglichste2280 anschmiegen, welches bey2281 Idiotismen selten möglich, vornemlich2282 aber bey2283 [96] Schriftstellern, die recht eigentlich in ihrer Sprache und sie rein schreiben2284, oder gar eine eigenthümliche Art des Ausdrucks haben, sehr schwer auszudruckenauszudrücken ist. Ohnehin2285 muß man der Sprache, in die man übertragen will, und aller ihrer Feinheit und Beugsamkeit, der2287 sie fähig ist, sehr kundig und mächtig seyn. Der vornehmste Nutzen einer so genauen Uebertragung bestünde2288 denn wohl in der Ueberzeugung, daß man das, was jene Sprache ausdruckt2289, genau aufgefaßt hätte2290, und in der Bereicherung oder [86] VervollkommnungVervollkommnung unserer2291 Sprache durch jene. Weil es uns indessen bey2292 dem Verstehenlernen zunächst nur um den Sinn zu thun ist:2293 so könnte2294 dieser schwerere Versuch wohl besser2295 über das Lesen guter Schriften 2296 hinaus verschoben werden.
Hätte2297 man nun einen guten Schriftsteller verstanden (§. 76.) 76.), 2298 so müßte2300 man ihm auch den guten Ausdruck und Vortrag abzulernen suchen;suchen (§. 76), und dies2301 muß 2303 die Absicht seyn, wenn2304 man wohl geschriebene2305 Schriften zur Bildung des Verstandes, des Geschmacks und des Herzens lieset. Zur Bildung des Verstandes geschieht dieses, – wenn man die Wahrheit dessen, was er sagt, es sey bey2306 allgemeinen Sätzen oder bey2307 Erzählungen, prüft, und bemerkt, worin die Stärke oder die Fehler dessen, was er zur Unterstützung einer Sache sagt, bestehn2308; – wenn man Acht2309 giebt auf alles2310, was zur Kenntniß der Menschen und der [97] Welt, und2311 zur Kenntniß des Ganges dient2312, den die göttliche VorsehungVorsehung2313 und den die Menschen bey2314 ihren Handlungen nehmen, um gewisse Absichten zu erreichen:2315 – wenn man, um jene Ueberzeugung von Wahrheit zu erlangen, auf Ursachen und Mittel, Folgen und Absichten der vorgefallenen Sachen studiert; –2316 wenn man alles dieses, durch Anwendung und Folgerungen, zur Aufklärung der Wahrheit, zur vernünftigen Beruhigung und zur Beförderung eines klugen Betragens gebraucht. Ohne diese Rücksichten und Uebungen kan2317 das Lesen auch der besten Bücher wenig helfen;2318 es unterhält allenfalls auf eine kurze Zeit, bereichert das Gedächtniß, verleitet zur blinden Nachahmung,2319 den Verstand 2320 bildet es nicht.
Auch das, was in der mehmahlsmehrmahls mehrmals angeführten Allgemeinen Revision, Theil 11. S.Seite 84 f.folgend wider die Geistesbildung durch das Sprachstudium überhaupt, und S.Seite 196 f.folgend wider die Geistesbildung zu einem Gelehrten insbesondere, gesagt wird, kankann dem hier Gesagten nicht entgegengesetzt werden. AusserAußer dem schon oft gerügten Irrthum, als wenn Vergleichung Einereiner Sprache mit der Andernandern weiter nichts seysei, als Umtauschung verschiedener Töne oder Schriftzeichen gegen andere, die gerade eben dasselbe ausdrückten, ist hier nicht die Rede vom Studium des bloßen Sprachbaues und Sprachgebrauch Sprachgebrauchs, sondern von dem Nutzen, den die Lectüre guter Schriftsteller gewährt, in so fernesofern diese Sachen gut vortragen. 2321So fern2329 indessen das Lesen zur Bildung des [77] Ausdrucks nach guten Schriftstellern unternommen werden sollte, müßte2330 vornehmlich darauf die Aufmerksamkeit gerichtet werden2331, wie ein solcher Schriftsteller das, was er gesagt, dargestellt und eingekleidet, d. i.das ist 2332 in welches Licht er es gesetzt hätte2333, um den Leser zu überzeugen,2334 wie 2335 es angelegt, um ihn dafür einzunehmen; in jener 2336 Absicht also, wie er (z. B.)zum Beispiel seine Sätze bestimmt, durch Beweisgründe unterstützt, durch angegebene und hervorgezogene Umstände glaublich gemacht, in dieser aber, wie er, was er empfehlen will, eindrücklich zu machen, wovon er aber abziehen will, abschrecklich2337 vorzustellen, oder zu verbergen, oder zu mildern gesucht habe. Alles dies kan2338 der Schriftsteller durch deutliche oder sinnliche Vorstellung zu erreichen suchen. Das erste2339 gehört zum Gebiete des Verstandes, daßdas letztre2340 mehr zum Gebiete des Geschmacks.
Wer durch Lesung guter Schriftsteller seinen Geschmack bilden wollte, müßte 1),1) 2347 um keine [99] Schönheit in der Darstellung zu übersehn2349, und sich durch das, was leichter zu übersehen ist, an das zu gewöhnen, was schon feinere Empfindung und mehrere [78] Fassungskraft erfordert, mit dem Einfachern anfangen, und zum Zusammengesetztern fortgehen, erst einzelne2350 Stellen in dieser Rücksicht studieren, und alsdann2351 immer weiter schreiten, bis er das Ganze, sowohl nach der schönen Anlage der Theile, woraus es zusammengesetzt ist, als nach der Schönheit, die ein Theil dem andern mittheilt, übersehen könnte2352. Er müßte2353 2) ein jedes, kleinere oder größere,grössre Ganze,2354 von aller Form entkleiden 2356, um den Hauptgedanken zu finden, und zu2357 entdecken, durch welche Einschränkungen, Erläuterungen, Beyspiele2358, Bilder, Gegensätze u. d. gl.und dergleichen 2359 und wie er dadurch einleuchtend2360, interessant und gefällig dargestellet2361 worden sey.2362 3) Nächstdem2363 stets darauf Acht2364 2365 geben, wie der Schriftsteller auf die Gedanken gekommen, und woher2366 er das geleitet2367 habe, was er zur Ausbildung der Hauptsache gethan; wie er die gefundenen Sachen ausgedruckt2368; und wie er alles2369 so gestellt habe, daß jene Absichten aufs beste erreicht werden konnten2370. Man müßte2371 4) den Gründen nachspüren, warum gerade die Ausführung, der Ausdruck und die Stellung beobachtet wäre2372, und was dieses alles für Wirkung auf das Ganze thäte. Man müßte2373 endlich 5),2374 um den großen2375 Unterschied des Schönern [89] und Schlechtern zu begreifen, und die Mannigfaltigkeit oder die vielerley2376 Arten, wie man die Darstellung einer Sache abändern kan2377, kennen zu lernen, ähnliche Stellen oder Schriften eines sol[100]chen Verfassers oder Andrer2378 zusammenhalten, und bemerken, was jede nach ihrer besondern Absicht Vorzügliches in der Darstellung vor der andern gleiches Hauptinhalts habe, und worin der Grund dieses Vorzüglichen liege.
Zur Verbesserung des Herzens und unserer ganzen GesinnungGesinnung2379 wird das Lesen guter Schriftsteller vieles beytragen2380, wenn man 1) nicht nur dasjenige bemerkt, was sie unmittelbar zu dieser Absicht alsdann2381 sagen, wenn sie von Sachen reden, die Gott, Religion und Tugend betreffen,2382 wenn sie den Werth und die guten Folgen der letztern, nebst Ehrfurcht und Liebe gegen Gott, es sey2383 durch Gründe oder Erfahrungen oder Beyspiele2384, empfehlen, sondern auch 2) das, was in ihrem Vortrag2385 liegt, und daraus gezogen werden kan2386, zur Kenntniß und Ueberzeugung von Gottes Vorsehung2387, zur Kenntniß des menschlichen Herzens und menschlicher Leidenschaften, der Mittel, diese zu lenken und jenes zu verbessern, zur Ermunterung zu allem Guten, braucht, und 3) –, welches2388 hier bey2389 der Sprache besonders in Anschlag kommt – wenn man auf den Ausdruck acht2390 giebt, und den ihnen abzulernen sucht, wodurch edle und gute Empfindungen können bezeichnet, und so in uns befestigt oder erweckt oder eindrücklich gemacht, und gute Nebenbegriffe erregt werden, die das Gute, vermittelst der Einbildungskraft, auch unserm Herzen empfehlen2391 (§. 60 2392 und 65.).2393
Freylich2394 erfordert ein so 2395 ausführliches Lesen guter Schriften viele ZeitZeit, die2396 so sehr ins Kleine gehende Aufmerksamkeit wird von dem Ganzen abgezogen, und dem, der noch nicht weit in einer Sprache gekommen ist, muß es schwer, oft un[80]möglich werden, so tief in das Schöne des Ausdrucks einzudringen. Aber, – ausseraußer dem2397, daß der Schriftsteller nur wenige2399 sind, die in Absicht auf Ausdruck und Sprache musterhaft heissen2400 können, und daß anhaltende Uebung uns mit der Zeit in den Stand setzt, den guten Ausdruck schneller zu bemerken, auch Unterricht und Leitung von einem in solcher Lectüre Geübtern,2401 die Aufmerksamkeit und das Fortschreiten hierin unendlich erleichtern kan2402: – so hilft wiederholtes sowohl als cursorisches Lesen eines guten Schriftstellers diesen Unbequemlichkeiten sehr ab, und befördert nicht nur die Uebersicht des Ganzen, sondern gewöhnt uns auch mehr an den ganzen Ton des Schriftstellers, und macht uns mit dem, was ihm eigen ist, macht uns mit Stellen desselben bekannt, die über Sachen und Wörter Licht ausbreiten können. *) 2403
Auf das Lesen guter Schriftsteller in einer Sprache müssen 3) (§. 68 68. und 71.)2411 die Uebungen Uebun gen 2413 in der Sprache folgen, wobey2414 man immer wieder vom Leichtern zum Schwerern fortgehen müßte. Diese Uebungen bestehen im Uebersetzen, Schreiben 2415 und allenfalls Reden 2416, [91] womit noch die Beschäftigung mit den feinern feineren Sprachregeln 2417 und mit der Kritik Kritik im engsten Verstande 2419 (§. 74.) könnte 2420 verbunden werden 2422. Das Uebersetzen ist unstreitig das Leichteste, weil man [81] durch das Lesen guter Schriften schon zubereitet, und seiner Sprache, in die man übersetzt, mächtiger ist als einer fremden, also leichter fremden Wörtern seine, als seinen die Wörter einer fremden Sprache unterlegen kan2423, die uns2424 weniger als die unsere unsere geläufig2425 ist. Bey2427 einer solchen Uebersetzung müßte2428, noch mehr als bey2429 dem Lesen, darauf gesehen werden2430, das, was in der fremden Sprache geschrieben ist, nicht nur aufs genaueste auszudrucken2431, sondern auch, so weit es die Natur unsrer2432 Sprache erlaubt,2433 und nicht2434 auf Unkosten ihrer Deutlichkeit oder ihrer Vorzüge vor einer fremden, unsre2435 der fremden anzuschmiegen.
2436Viel sichrer2437 ist es auch, sich eher im Schreiben als Reden zu üben, weil man mehr Zeit hat bey2438 dem Schreiben bedächtig auszufeilen, und, wenn man zumal vorher übersetzt,2439 und das Uebersetzte eine Zeitlang2440 weggelegt hat, die Wörter und Wendungen der fremden Sprache uns leichter beyfallen2441. –2442 Zwar ist die Uebung im Schreiben nicht bey2443 jeder fremden Sprache nöthig, wenn wir sie nur [103] verstehen lernen wollen. Aber nützlich kan2444 sie doch immer seyn, theils,2445 um bey2446 der Kritik besser beurtheilen zu können, ob ein Schriftsteller wohl so oder so könne geschrieben haben, wie man es in seinem Text findet, theils,2447 um das Eigenthümliche einer jeden Sprache und den Unterschied von der unsrigen besser einzusehen. 2448 – Findet man nöthig, auch eine Sprache sprechen zu lernen, so unter[82]nehme man es nur nicht eher, als bis man eine Fertigkeit hat,2449 sie gut zu schreiben, weil man sich sonst zu leicht Nachläßigkeit2450 im Ausdruck angewöhnt, und das, was unsrer Sprache eigen ist, in die fremde überträgt; wenigstens müßte man nur mit solchen sprechen, die eine genugsame2451 feine Kenntniß der fremden Sprache besitzen, um unsre Fehler verbessern zu können. Je früher man zu sprechen anfängt, ohne durch das Lesen guter Schriftsteller genug gebildet zu seyn, je mehr werden uns die Fehler im Sprechen anhängen,2452 und je schwerer werden sie sich ausrotten laßen2453.
2454Bey2455 allen diesen Uebungen versteht sichs2456, daß man immer vom Leichtern2457 zum Schwerern2458 fortgehen, sonach auch im Lesen, Uebersetzen, Schreiben und Reden2459 anfänglich nur auf das Gewöhnlichere und auf die Reinigkeit der Sprache, nach und nach erst auf ihre Feinheit und Zierlichkeit, auf [93] die verborgnere2460 Güte des Ausdrucks, und auf die Schönheit,2461 die sich durch das Ganze ergießt, Acht geben müsse. Sind in einer Sprache Schriften vorhan[104]den, welche die besondere Feinheit einer Sprache entwickeln, oder feine Kritiken über das Schöne musterhafter Schriftsteller enthalten: so kan2462 das fleißige Studieren2463 solcher Schriften, noch mehr aber der musterhaften Schriften in einer Sprache selbst, und die sorgfältige Vergleichung solcher Stellen, wo diese oder andre2464 die nemlichen2465 Gedanken verschiedentlich ausdrucken2466, nebst dem Nachdenken, warum und worin eine Art [83] des Ausdrucks die andre2467 übertreffe, uns in Entdeckung des Feinern2468 in einer Sprache sehr weit bringen.
Und nun erst könnte2469 man sich an die KritikKritik2470 im engsten Verstande wagen, wenn man den Beruf dazu hat. Diesen giebt nur – ein feines GefühlGefühl –Gefühl, eine weitumfassende genaue und geläufige Kenntniß der Sprache –Sprache, und ein reicher Vorrath von historischen Kenntnissen, welche den Verfasser, oder seine Schrift, oder die darin vorkommenden Hindeutungen auf Geschichte, Verfassung und Umstände seiner Zeit und Nation,Nation und der erwähnten Personen und Sachen, betreffen. Hierzu muß aber nothwendig noch kommen: – Bekanntschaft mit alten HandschriftenHandschriften, mit ihrer Schrift,Schrift und den mannichfaltigenmannigfaltigen Ursachen der Verdorbenheit eines Textes, die darin sowohl, als in den Umständen und Absichten der Abscheiber oder Correctoren liegen; – lange und fleissigefleißige Uebung, theils im UmgangUmgange mit guten Kritikern und Beobachtung ihrer Verfahrungsart, theils durch eigene Versuche beybei einem solchen Schriftsteller oder Texte, wo Fehler und die Art sie zu verbessernverbessern, leicht aufzufinden sind, theils in Auffassung sichrersicherer Regeln der Kritik, aus beyderleybeiderlei eben erwähnter Uebung; – endlich vertraute Bekanntschaft mit der Schrift, beybei der man die KritikKritik üben will, und anhaltendes ins Feine gehendegehendes Studium einer solchen Schrift und andreranderer eben desselben Verfassers, mit dem was ihnen eigenthümlich ist.2471
Sprachen zu lernen ist nöthig, entweder weil wir sie bey2535 unserm eignen2536 Denken und den Fortschritten darin nicht entbehren können, oder Andern2537 unsre Gedanken und Gesinnungen mitzutheilen, oder vermittelst der Sprachen uns Anderer2538 Kenntnisse und Leitungen2539 zu Nutz zu machen [107] (§. 59 f.folgend).2540 Dieser dreyfache2541 Nutzen der Sprachen und der mehrere2542 oder mindere2543 Einfluß einer Sprache auf die Beförderung unsrer2544 Haupt- oder Nebenabsichten bey2545 dem Beruf, dem wir uns widmen, muß uns stets leiten,2546 wenn die Frage ist: welche Sprachen wir lernen, und auf welche wir uns vorzüglich legen [85] müßenmüssen? –2547 Hiernach, und vorausgesetzt, theils,2549 daß hier eigentlich auf die Bildung zu einem künftigen Lehrer der Religion und zu einem Gelehrten zu sehen sey, theils, theils 2550 daß die christliche Religionskenntniß aus der richtig verstandnen2552 heiligen Schrift geschöpft werden müsse, theils,2553 daß eine Sprache um so vorzüglicher zu treiben sey2554, je zu mehreren der drey2555 erwähnten Absichten sie nöthig ist:2556 würden –2557 die Deutsche, –2558 die Lateinische, –2559 die Griechische, –2560 die Hebräische, –2561 und,2562 um der letztern2563 willen,2564 die mit ihr verwandten Mundarten – sonst aber die Französische,Französische – Englische –2565 und allenfalls die ItaliänischeItalienische, bey2567 dem, der sich der Theologie widmet, in Anschlag kommen müssen.
Der deutschen, so wie der Muttersprache überhaupt, sollte der vorzüglichste Fleiß gewidmet [108] werden. –2574 Es ist schon unnatürlich,2575 mit seiner Muttersprache, oder mit der, die,2576 unsern Umständen nach,2577 ihre Stelle vertritt, (d. i.)das ist in der wir gemeiniglich2578 denken, weniger bekannt zu seyn,2579 und es ist2580 Undank gegen die göttliche VorsehungVorsehung2581, die uns gerade mit der Nation, wozu wir gehören, in die nächste Verbindung gesetzt, uns, vornemlichvornehmlich 2582 zu ihrem Besten [86] zu arbeiten,2584 bestimmt hat. –2585 Hängt die Bildung unsrer Seele von der Sprache ab:2586 so erfordert unstreitig die Sprache unsre meiste Aufmerksamkeit, in der wir gewöhnlich und am meisten denken –2587 und die wir auch bey2588 denen, mit welchen wir am häufigsten umgehn,2589 oder welchen wir in der Religion weiter forthelfen müssen, am meisten brauchen. –2590 Sind wir in dieser Sprache, die für uns die unentbehrlichste ist, zurück;2591 wer kan2592 sich da des Verdachts erwehren2593, daß wir es in minder nothwendigen Kenntnissen noch mehr seyn werden? wenigstens, daß wir die Wahl zwischen dem Nöthigern2594 und Entbehrlichern2595 nicht zu treffen wissen?
Es ist auch nicht genug, daß wir unsre Muttersprache durch Uebung nothdürftig lernen,2625 sie verdient selbst studiert 2626 zu werden. Schon deswegen, weil sie, wie oben gezeigt worden ist, einen so großen2627 Einfluß, selbst durch Kleinigkeiten, [110] auf unsre Erkenntniß und Gesinnung, auf [98] unsern Vortrag und auf die Benutzung Andrer2628 hat. Und was man bloß durch Uebung lernt, das lernt man auch mit seinen Fehlern, und gewöhnt sich eine Nachlässigkeit2629 an, die um so schwerer abgelegt, selbst um so weniger nur bemerkt werden kan2630, je mehr sie durch den steten Gebrauch zur andern Natur worden2631 ist.
Die Einwendungen gegen dieses Studium der Muttersprache in der Allgemeinen Revision S.Seite 30.30 f.folgend gründen sich auf die Absonderung des Sprachbaues von dem Sprachgebrauch Sprachgebrauch, oder, wie es da heißt, der Wörter und der Worte. Auch ist hier nicht die Rede von dem, was man zu BegriffeBegriffen nothdürftig braucht, sondern was zur höhern Bildung des Geistes dient. 2632Man müßte2668 sich 3) rein ausdrucken ausdrücken lernen2669, (d. i.)das ist so deutsch und frey2671 von ausländischen oder nur einer besondern Mundart eignen2672 Wörtern, Redensarten oder ihren Verbindungen, als es immer die Deutlichkeit und die Nothwendigkeit leidet, das, was man sagen will, vollständig und genau darzu[89] [112]stellen 2673; auch in Wörtern und Redensarten, ihren Bedeutungen, Beugungen und Verbindungen, dem gemäß 2674, was der Sprachgebrauch der obern Classen2675 in den, auch in Absicht auf deutsche Sprache, ausgebildetsten Provinzen2676 mit sich bringt.
Hierzu sind gute Sprachlehren, Wörterbücher und feinere Beobachtungen über deutsche Sprache von großem2685 Nu[100]tzen; – schon deswegen, weil es nirgends nöthiger ist erinnert,erinnert 2686 und auf unerkannte Fehler aufmerksam gemacht zu werden, als in einer bloß durch Uebung erlernten Sprache, wo man so unvermerkt Fehler annimmt und beybehält2688, zumal wenn sie Ansehen für sich haben, und durch Provinzial-Eigensinn verstärkt werden. Noch mehr aber, weil dazu2689 sonderlich wenn man mehr als rein, wenn man auch gut, im ganzen Umfang des Wortes, sich ausdrücken will, nicht nur viel feine Empfindung desjenigen, was schicklich2690 und gut2691 überhaupt ist, sondern auch Bekanntschaft mit dem erfordert wird, was dergleichen nach den conventionellen Begriffen der Nation und derjenigen Provinz ist, deren Ausdruck in die [113] Schriftsprache übergegangen ist. Selbst dazu ist genaue Bekanntschaft [90] mit classischen2692 Schriftstellern der Nation,2693 oder vielmehr kritisches Studium ihrer Schriften, Kenntniß der Abkunft der Wörter und Redensarten, und der Geschichte des Sprachgebrauchs, vornemlich2694 des veredelten, und Philosophie über Sprache überhaupt, wie2695 besonders über das Eigne2696 der deutschen Sprache, nöthig. Wäre2697 das nicht mit Dank anzunehmen, was hierin von Männern, die dieses in ihrer Gewalt hatten, wenigstens theilweise,2698 geleistet worden ist?
Wie fern man sich jemandes Leitung hierin anvertrauen könne, dies2699 muß die Prüfung lehren, ob und in welchem Maaß er die erwähnten Eigenschaften besitze. Denn, weil es vielen2700, die sich dieses Verdienst zu erwerben gesucht haben, mehr oder weniger,2701 an dieser oder jener Eigenschaft fehlt, ihre Grundsätze oft sehr verschieden sind, manche2702 zu früh und zu allgemein entschieden, andre2703 zu viel bloß vorge[101]schlagen, und zu wenig nach Gründen festgesetzt haben, auch bey vielen2704 der Hang zum Sonderbaren viel Gutes verdorben,2705 oder unverständlich gemacht hat:2706 so ist vorsichtige2707 Auswahl sehr nöthig.
Ausser2782 dem reinen Ausdruck müßte man sich auch 4) gut ausdrucken2783 lernen, d. i.das ist –2784 mit unter[116]haltender Klarheit, die sich von unverständlicher Kürze und ermüdender oder doch entbehrlicher Weitläufigkeit gleich weit entfernt hielte –2785 in einer natürlichen2786 und dem Eindruck, den man machen will, angemessensten Ordnung –2787 mit möglichster Bestimmtheit, die eben so sehr der ganzen Fülle der Gedanken entspräche,2788 als die Gelegenheit zum Mißverstande abschnitteabschneide –2789 in steter Hinsicht auf das,2791 was schicklich,2792 und sowohl der Sache, über die man sich ausdrückt, als dem Zweck, worauf man arbeitet, angemessen ist –2793 und, so weit2794 es diese Sache und dieser Zweck erlaubt, so einleuchtend für den Verstand, so gefällig für den Geschmack, [93] und so eindrücklich für das HerzHerz,2795 als es unserer gebildeten Denkungsart natürlich ist.
Sehr viel und das meiste2796 trägt hiezu der UmgangUmgang2797 mit solchen Personen,2798 und das Lesen,2799 oder vielmehr das, auch in Absicht auf Ausdruck, sorgfältige Studieren2800 solcher deutschen Schriftsteller bey2801, welche die vorhin (§. 94–101. 2802) [104] erwähnte2803 Tugenden in Absicht auf guten deutschen Ausdruck vorzüglich in ihrer Gewalt haben. Denn eben durch sie lernt man die ausgebildetste Mundart; sie läutern die Sprache, heben das Bewährteste aus,2804 und bringen es am meisten in Umlauf; sie theilen auch der Sprache etwas von ihrem Genie, wär'2805 es auch nur durch neue Wendungen, mit, das, wenn es auch nicht üblich wäre, doch werth seyn kan,2806 üblich zu werden,2807 und es durch ihr Ansehen auch wird; sie [117] bilden also in so fern2808 die Sprache allerdings aus *) 2809. Nur haben sie kein Recht, es willkührlich zu thun, und, um ihnen nicht blindlings oder übereilt zu folgen, ist wohl zu untersuchen, ob die, welche Neuerungen wagen, genugsame Sprachkenntniß und geläuterten Geschmack haben?2810 ob ihre Versuche den Regeln und2811 der Analogie der guten deutschen Sprache gemäß sind?2812 ob sie nicht, besonders aus Nachahmung der Ausländer, den Geist der deutschen Sprache umschaffen, und ihr Kraft, Deutlichkeit und Bestimmtheit entziehen?2813 ob sie gute Neuerungen am rechten Ort angebracht,2814 und (z. B.)zum Beispiel nicht Prose2815 und Poesie, komische und ernsthafte [94] Schreibart, verwechselt haben?2816 Eben diesen Unterschied müßte man bey2817 der Nachahmung wohl vor Augen behalten.
*) Hiernach möchte das zu beurtheilen seyn, was in dem Adelung, Johann Christoph Adelungischen Adelungschen Magazin Jahrgang 1,1. Stück 3,3. Aufsatz 4,4 behauptet wird. 2818Daß man sich auch, um des guten Ausdrucks in seiner Muttersprache mächtig zu werden, in schriftlichen Aufsätzen üben, dabey2823 auf alles bisher Gesagte2824 mit sorgfältigem Fleiß, selbst in Kleinigkeiten, sehen, ja nicht eher an das Schönschreiben denken müsse, ehe man nicht Reinigkeit und die übrigen wesentlichen Tugenden einer guten Schreibart in seiner Gewalt hat; –2825 daß man eben so sorgfältig sich im [105] Sprechen den guten Ausdruck angewöhnen; –2826 sich von Kennern und [118] strengen Beobachtern des guten deutschen Ausdrucks beurtheilen, zurecht weisen laßen,2827 und ihnen mehr als dem Kitzel eines aufwallenden Genies, regellosen Beyspielen,2828 oder der bloßen Mode, folgen müsse;2829 – dieses2830 sollte kaum einer Erinnerung bedürfen.
2831Unter den übrigen lebendigen2832 Sprachen ist die französische, englische,2833 und allenfalls die italiänische 2834 dem, der sich der Theologie widmet, am nützlichsten. Denn –2835 diese Nationen sind unstreitig, neben der deutschen2836, auch in Absicht auf [95] Sprache, am meisten gebildet; –2837 ihre Sprache ist die Sprache der feinern2838 Welt geworden,2839 und bekommt dadurch selbst den meisten, guten und nachtheiligen,2840 Einfluß auf feinere deutsche Sprache und Sitten; die FranzösischFranzösische insbesondre2841 hat sich auch in Deutschland unter allen,2842 die gebildet heissen2843 wollen, so sehr ausgebreitet, daß es fast Schande ist, es wenigstens nicht zu verstehen; –2844 auch sind diese Sprachen, vor andern ausländischen, die, in welchen die besten Schriften, zur Theologie selbst, vorhanden sind. –2845 Daß nur weder der deutsche Geist, noch das Gute der deutschen Sprache, darunter leide!
2846Man kan2847 gewissermaßen zu den lebenden Sprachen2848 noch die lateinische rechnen, weil doch noch lateinisch gesprochen und geschrieben wird, und so fern ist es um vieles nothwendiger, sie, als andre2849 [119] alte und ausgestorbne2850 Sprachen, zu verstehen. Unter diesen behaupten die griechische, und die nach ihr gebildete lateinische, große Vorzüge, welche verursacht haben, daß man beyden,2851 und allen,2852 aus Lesung der alten Schriften2853 in beyden2854 Sprachen geschöpften, Kenntnissen2855 vorzüglich den Namen2856 der (alten2857) Literatur und Humanität gegeben hat.
2870Freylich2871 wird derjenige schwerlich diesen Namen2872 gerecht finden, der in der Einbildung steht, –2873 daß sie höchstens eine Beschäftigung künftiger Schullehrer seyn müsse, und,2874 seit der 238neuesten versuchten Reformation der Schulen, selbst diesen2875 ziemlich entbehrlich sey –2876 daß ihre Kenntniß allenfalls dem Gelehrten zur Zierde gereiche –2877 [120] daß man, weil grie[107]chische und römische Werke einmüthig für die besten Quellen des guten Geschmacks gehalten werden, Schande halber mit ihnen nicht ganz unbekannt seyn dürfe –2878 daß wir alles2879 jetzt weit besser wüßten, als es die Alten konnten2880. Wer so denkt, den wird man so wenig von den Vorzügen dieser alten Literatur überzeugen können, als,2881 von dem Werth der Gelehrsamkeit und der Bildung des Geistes,2882 den, dessen erste Frage immer ist: ob eine Sache etwas, und ob sie vieles einbringe? Wer sie aber auf die Art studiert2883, die oben (§. 76–85 2884) angegeben wurde:2885 der wird bald gewahr werden, daß sie die hohe Achtung, wonach man sie besonders in Schulen zur Bildung künftiger Gelehrten braucht2886, mit großem2887 Recht verdiene.
Denn – nicht zu gedenken, daß der künftige Gelehrte, sie, zumal die lateinische Sprache, nach der jetzigen Verfassung der Gelehrsamkeit, nicht entbehren kan2888; und daß durch Unkunde dieser Sprachen ein großer2889 Schatz von Begriffen, der in unsre Wissenschaften durch die aus beydenbeiden 2890 Sprachen entlehnten Kunstwörter übergegangen ist, verlohren2892 geht,2893 oder doch unbrauchbarer wird –2894 so ist schon die Kenntniß dieser Sprachen, als Sprachen betrachtet, ein ungemein großer2895 Gewinn (§. 64. Anm.Anmerkung 1. und 22.)2896, wenn man das voraussetzt, was oben (§. 59 (f.)folgend) von dem großen2898 Einfluß der Sprachen auf die Bildung der Seele gesagt worden ist, und dazu nimmt, daß beyde2899 hier in Unter[121]suchung kommende Sprachen unter die vorzüglich ausgebildeten gehören. Daher ist der Wahn, als wenn man griechische und lateinische2900 Schriftsteller vornemlich,2901 oder nur,2902 um der Sachen willen [108] lesen müsse, und dazu eine nothdürftige Kenntniß dieser Sprachen zureichend sey2903, ein sicherer2904 Beweis, daß man entweder jenen Einfluß oder die Natur beyder2905 Sprachen nicht genugsam kenne.
Dieser große2906 Vortheil wird bey weiten2907 nicht durch Uebersetzungen Uebersetzungen 2908 der alten klassischen2909 Schriftsteller erhalten. Mögen sie immerhin gut genug für die seyn, die der alten Sprachen selbst unkundig, doch den Inhalt Inhalt alter Schriften oder die in ihnen vorgetragnenvorgetragenen Sachen lernen und benutzen wollen; immerhin dazu helfen, einen alten Schriftsteller etwas verstehen zu lernen, und, wenn sie sehr gut sind, uns auf manche unerkannte Schönheit des Originals aufmerksamer zu machen; mögen sie selbst unsere Sprache aus den alten bereichern helfen: so machen sie uns doch das alte OriginalOriginal selbst durchaus nicht entbehrlich.2910 Denn – ausserdem2913 daß es überaus wenige Uebersetzungen giebt, die recht eigentlich genau und mit solchem Fleiß ausgefeilt wären, daß sie das Original wirklich nachgezeichnet dar[98]stellten, und, in Absicht auf den Ausdruck wenigstens, vielleicht gar keine,2914 die man für das Original2915 nehmen könnte –2916 so kankann man nicht einmal den Inhalt selbst ganz ohne eigene feinere Kenntniß der Sprache des Originals verstehen. Denn selbst der Inhalt ist so voll Anspielungen auf Meinungen, Sitten und Verfassungen, setzt wenigstens so viele Kenntnisse dieser Dinge voraus, ohne die man sich in die DenkartDenkart und Lage des Schriftstellers nicht hinein denken kanhineindenken kann, daß es unmöglich ist, ihn recht zu verstehen, ohne unsre eigneunsere eigene Vorstellungen ihm unter zu schiebenunterzuschieben. Und wenn auch einigen dieser Schwierigkeiten durch Anmerkungen kankann abgeholfen werden:werden, so haben sich doch die Ausdrücke eines alten Schriftstellers so sehr nach der besondern Beschaffenheit seiner Nation und Zeit, und selbst nach seinen individuellen Geistes- und äusserlichenäußerlichen Umständen gebildet,gebildet: und dieses alles ist so in seine Sprache übergegangen, daß sie schlechterdings nur in dieser Sprache können ausgedruckt und empfunden werden. – Ueberhaupt2917 bleibt das Eigenthümliche dieser Schriftsteller, zumal im Ausdruck, immer unübersetzbar; bey2926 alten Schriftstellern, die auf den Ausdruck Fleiß gewendet haben, (z. B.)zum Beispiel bey2927 den Briefen des Cicero, kan2928 man sich leicht durch Proben überzeugen. Ist die Uebersetzung eines solchen Schriftstellers auch im Ausdruck, auch in den Wendungen,2929 recht genau:2930 so ist sie gewiß jedem, der einigen Geschmack hat, wegen des Undeutschen und der so ganz fremden Gestalt, unerträglich. Läßt sie sich aber wie ein deutsch2931 Original lesen, oder folgt man der ungereimten Regel, die Alten so reden zu laßen2932, wie sie geschrieben haben würden, wenn sie Deutsche gewesen wären:2933 so müssen nothwendig gerade die eigenthümlichen Züge des Originals verwischt2934 seyn. *) 2935 [123] An Beybehaltung2936 des Reitzes, der sich durch das Ganze ergießt, der vielsagenden Kürze, des harmonischen Baues der Rede, des Numerus, der besondern Uebergänge von Einem aufs Andere, die oft nur in der Sprache liegen, u. dgl.und dergleichen liegen u. dergl.und dergleichen, welches alles2937 so sehr gefällt,2939 und unsre2940 Seele zum Gefühl einer gewissen Schönheit stimmt, die sich in unsrer2941 Sprache nicht gerade eben so ausdrucken2942 läßt, aber doch die Seele zu ähnlichen Ergießungen2943 gewöhnt, ist bey2944 Uebersetzungen gar nicht zu gedenken.
*) S.Siehe (Hottinger, Johann Jakob J. H. Hottingers J. H. Hottinger's ) Etwas über die neuesten Uebersetzerfabriken der Griechen und Römer in Deutschland, 1782 1782. in 8, vornemlich8., vornehmlich S.Seite 81 f.folgend 2945„Es ist aber doch schon vieles aus diesen alten Sprachen in manche neuere übergetragen,2950 es haben auch diese neuere2951 viel eigenthümliche Vollkommenheit, darin sie die Alten übertreffen,2952 und [99] dadurch scheint das Studium der Alten entbehrlich gemacht zu werden.“ – Entbehrlich nun wohl nicht, wenn auch an dem Gesagten mehr wäre,2953 als nicht2954 ist. – Man ist schon weniger aufmerksam auf das,2955 was uns bekannter, unsrer2956 Denkungsart, Sitten und Ausdruck gleichförmiger, als was fremd oder ungewohnter ist; schwerlich sind wir geneigt, jenes so, bis auf die feinsten Züge der Schönheit, zu studieren2957, als dieses. – Neuere Sprachen haben, eben deswegen,2958 weil sie im Gange sind,2959 und immer an ihrer Bildung gearbeitet wird, weniger bestimmte Schönheit, als die nun keiner [124] schönen2960 Veränderung mehr unterworfnen alten2961 Sprachen 2962. – Je mehr die Schriftsteller, wie dieses der Fall bey2963 den alten ist, in ganz andern Umständen waren, empfanden, dachten, handelten und redeten, als die Unsrigen; je2964 mehr lernen wir, durch den Umgang mit ihnen, die so schwere Kunst, uns in fremde Umstände versetzen, welches unentbehrlich ist,ist um sie recht zu verstehen,2965 zu beurtheilen,2967 und williger von ihnen zu lernen;2968 eine Geschmeidigkeit, die,2969 zumal für einen Lehrer des Christenthums, sehr vortheilhaft ist, der seine Weisheit aus den alten Büchern der heiligen Schrift schöpfen, unverwandt nach Wahrheit und Liebe trachten, und 241 allen2970 Alles werden soll.
Ist denn aber auch schon so viel aus den alten griechischen und lateinischen Schriftstellern auf die Neuern2975 übergetragen worden? Lassen sie sich, bey2976 so vielerley2977 Rücksichten, in welchen man sie studieren2978 kan2979, wirklich ausstudieren 2980? Und2981 sinds nur einzelne2982 Schönheiten, ists nicht eben ihr ganzer Geist, den wir uns aufs möglichste zu eigen machen sollten, und der eben noch so wenig auf uns ruht,2983 und so wenig ins Allgemeine wirkt?
Wenn wir auch bloß auf die Sachen Sachen sehen,2984 wie viel ist die alte Geschichte werth, die wir beynahe2985 bloß aus ihnen schöpfen können? so viele feine Philosophie? wenigstens die Kenntniß des Fortgangs und2986 der Entwickelung der Seelenkräfte unter den gebildetsten Völkern des Alterthums? so viel Menschen-2987 und Weltkenntniß? so viel trefliche2988 Sittenlehre und Klugheit? Mögen wir es in manchen Künsten, in Kenntniß der körperlichen Natur und ihrer Kräfte, in dem,2989 was zum äusserlichen2990 Fortkommen und Nahrung gehört, und in guten bürgerlichen Verfassungen,2991 weiter gebracht haben als sie;2992 in dem Uebrigen, in dem, was den Geist bildet – abgezogen was wir von ihnen2993 mittel- oder unmittelbar gelernt haben – wie weit übertreffen wir sie denn? und wie viel haben wir ihnen noch lange nicht abgelernt?
Am meisten2994 kommt es hiebey2995 nicht so sehr auf die Sache2996 selbst, als auf die Art an, wie sie sie2997 dachten und ausdruckten2998. In Absicht auf den Geschmack Geschmack,2999 sind sie von allen Kennern allgemein als Muster anerkannt; und sie sind es wirklich, in der weitesten Bedeutung,3000 die man dem Wort3001 Geschmack geben kan3002. – Sie schöpften ihre Kenntnisse aus der ersten Quelle, aus der zwar noch nicht so entwickelten,3003 aber auch noch nicht so verstellten Natur, und bildeten sich durch Beobachtung. Bey3004 uns gießt man den Geist von Kindheit an in [126] Formen,3005 überall regiert die Mode Mode,3006 wir bilden uns durch Bücher, und verderben uns frühzeitig durch die Schwelgerey3007 der Lectüre. –3008 Sie, als gleich theilnehmende Glieder Einer zu einerley 3009 Absicht arbeitenden Gesellschaft, lernten durch Handeln,3010 und durch Umgang mit allerley 3011 Arten von Menschen. Dies3012 schärfte den Wahrheitssinn, leitete aufs Gemeinnützige, machte ihre Erkenntniß praktisch; diesdieß erhielt und schärfte das Gefühl der menschlichen Würde und der natürlichen Rechte des Menschen;3013 ihre Philosophie war Philosophie des Lebens, ihre Geschichte eigentlich pragmatisch, (d. i.)das ist auf Bildung zu Geschäften und zu der dazu nöthigen Klugheit angelegt. Bey3015 uns ist diese enge Verbindung der bürgerlichen Gesellschaft beynahe verschwunden;3016 wir haben Staaten, aber wir haben, im bürgerlichen Verstande, kaum ein Vaterland. Wir3017 handeln nach eingeflößten Grundsätzen; gewöhnen uns an hergebrachte Gewohnheiten und Formen, an druckendedrückende Einrichtungen, die oft mehr Gewalt und List, als Weisheit, welche für jeden sorgte, eingeführt, und die bloße Länge der Zeit in angebliche Rechte verwandelt hat; wir vergessen darüber unsere Kräfte, unsern MenschenwerthMenschenwerth, unsere angebohrnenangeborenen Rechte. Unsre3018 Erziehung ist meist in den Händen solcher Leute,3021 die durch nichts weniger als durch gereifte Erfahrung gebildet sind; unsre Gelehrte3022, die fast einzigen,3023 die noch an der wahren [102] Bildung des Geistes arbeiten, sind3024 zu sehr ausgeschlossen von der Welt und dem Umgang mit Geschäftleuten3025, auch zu wenig für die Welt, wenigstens mehr auf [127] Speculation als auf das praktische Leben bedacht; unter ihren Händen gewinnt Philosophie und Geschichte an Wahrheit und Gewißheit, selten wird sie Schule der Weisheit,3026 gemeiniglich zieht sie, weil es ihr an Geschmack und Weltkenntniß fehlt, nicht einmal die Ungelehrten zum Lesen an. – In unsrer Welt ist Bildung des Geistes oft kaum etwas anders,3027 als ausgeartete CulturCultur3028, die nach Ueberfluß und Vergnügungen hascht; Höfe und glänzende Gesellschaften geben den Ton an, theilen die Begierde zu glänzen, den nach Convention geformten Geschmack, Weichlichkeit und Frivolität, allen denen mit, die den Schimpf nicht haben wollen,3029 daß sie nicht zu leben wüßten; Schriftsteller, die nichts mehr wünschen,3030 als von der feinen Welt gelesen zu werden, stimmen ihre Schriften nach diesem Ton,3031 und machen die Seuche allgemeiner. Diese Abgeneigtheit von ernsthaftern,3032 nützlichen Beschäftigungen, der Eckel3033 an nüchternen Untersuchungen,3034 und die leidige Geniesucht vertilgt vollends die wahre Bildung des Geistes zur Weisheit und Tugend. So entsteht eine Philosophie, die von einiger Weltkenntniß oben abgeschöpft,3035 aber durch genaue Untersuchung nicht geläutert ist, bey3036 welcher Witz für Beweis gilt, die sich entweder dadurch empfiehlt,3037 daß sie den Leidenschaften der Menschen schmeichelt, oder dadurch,3038 daß sie natürlich scheint, weil sie alles,3039 was moralisch ist, nicht nach der Natur, sondern nach ihren Ausartungen [103] [114] in der wirklichen Welt, vorstellt; und die Geschichte hört in sofern auf, die Stelle der Erfahrung zu vertreten,3040 und wahre [128] Weisheit zu lehren, als darin nicht Wahrheit, sondern nur Unterhaltung und Belustigung gesucht wird. Wären nicht selbst deswegen die classischen3041 Schriften der Griechen und Römer,3042 – die sich so sehr durch männlichen Geschmack und bewährte Weltkenntniß auszeichnen, deren Geschichtschreiber insbesondre3043 nicht bloß für den Gelehrten, den Staatsmann, den bloß neugierigen3044 und Zeitvertreib suchenden Leser, sondern Weise und Rechtschaffne3045 zu bilden, geschrieben haben – wären die nicht werth,3046 fleißig studiert zu werden, um unserm3047 Geschmack wieder Festigkeit, unsrer Menschen- und Weltkenntniß gesunde Nahrung, und der Weisheit und Tugend wieder Kraft und Ermunterung zu geben?
Anm. Anmerkung 1. S.Siehe ausseraußer den §. 76 76. erwähnten Schriften: Casaubon, Isaak Is. Casauboni Causoboni Zuschrift seines Polybius Polybius an K.König Henri IV. Heinrich 4. (im(in dritten Theil der von Ernesti, Johann August Ernesti Ernesti besorgten Wiener AusgabeAusgabe, 1763 in 8.)8.) – Ernesti, Johann August Ernesti Opuscula Oratoriaoratoria, pag.pagina 3. 20. 184. 197 seq.sequens seq. – Vermischte Beyträge zuzur Beiträge zur Philosophie und den schönen WissenschaftenWissenschaften, Band 2, Stück 2, Aufs.Aufsatz 1. über die Wissenschaft der LiteraturLiteratur, und das Wolf, Friedrich August Wolfsche Museum der Alterthumswissenschaft, Berlin 1810. 30483063Dem, der sich der Theologie Theologie 3064 widmet, wird, ausser3065 den bisher erwähnten großen Vortheilen,3066 welche ihm die fleißige Lesung der alten griechischen und lateinischen3067 Schriftsteller gewährt, die Kennt[129]niß [104] beyder3068 Sprachen auch dadurch unentbehrlich, daß ohne sie weder der Verstand der heiligen [115] Schrift, auf der doch unsre ReligionReligion beruht,3069 noch andre3070 Theile der Theologie überzeugend erkannt werden können. – Es ist eitler und schädlicher Wahn, daß man, um die heilige Schrift zu verstehen, beyde3071 Sprachen deswegen nicht genau zu verstehen brauche, weil 3072 eine große3073 Menge guter Ausleger uns schon genug vorgearbeitet habe3074. – Die guten Ausleger laßen3075 sich wohl zählen; und wie mag der, welcher sich durch jene Sprachen selbst nicht zum Ausleger gebildet hat, es wagen, über den Werth des einen vor dem andern zu entscheiden, oder sich der Empfehlung von andern3076 blindlings anzuvertrauen? – wie alsdann3077 zu entscheiden, wenn auch gute Ausleger in ihren Erklärungen uneins sind? – wie,3078 ohne große3079 Gefahr zu irren, alsdann entscheiden zu wollen,3080 wenn sie gerade den Sinn für den richtigen ausgeben, der unsern Wünschen und Erwartungen gemäß ist? – Und3081 ist schon alles3082 erschöpft, der wahre Sinn nirgends mehr verborgen, nichts mehr zu läutern, nichts Neues mehr zur Bestätigung des wahren Verstandes zu sagen? Soll3083 man überall, nur bey3084 der heiligen Schrift nicht, mit eignen3085 Augen sehen?
Wie soll denn sonst eine gewissenhafte Ueberzeugung entstehen, daß die heilige Schrift wirklich etwas gesagt habe, und wie verhütet werden, daß man nicht auf schwärmerische Einbildungen von [130] dem Verstande einzelner3086 Aussprüche der (heil.)heilig Schrift ver[105]falle, oder ihr seine eigne3087 Gedanken unterschiebe, oder auf bloßes3088 Gerathewohl einen Sinn annehme, als dadurch, daß wir gewiß wissen, der Sprachgebrauch bringe diesen und keinen andern Sinn mit sich? welches ohne genaue Kenntniß solcher Sprachen schlechterdings unmöglich ist.
Diese erlangt man so wenig durch flüchtiges Lesen der in solchen Sprachen geschriebnen Bücher3089 als durch Wörterbücher allein. –3090 Jenes mag uns zur nothdürftigen Kenntniß einer Sprache verhelfen; zur genauern, zumal bey3091 schweren3092 Stellen, hilft es gewiß nicht, wie man leicht begreifen wird, wenn man das oben (§. 77. (f.)folgend) gesagte, versteht,versteht 3093 und in genauere Erwegung3095 ziehen will. –3096 Unter den Wörterbüchern sind die meisten ohne genugsame Kenntniß der Sprachen und ohne bestimmte Genauigkeit zusammengetragen;3097 auch die bessern bedürfen noch so mancher Berichtigung, so häufiger Ergänzung von Wörtern oder Redensarten und deren Bedeutungen, sonderlich in einem bestimmten Zusammenhang, so vieler Erklärung der Begriffe selbst,3098 die an einem Worte hängen, daß man sich geradezu nicht auf sie verlassen kan3099. Haben sie auch, –3100 wie dieses zur Ueberzeugung,3101 daß sie alles3102 richtig angäben, nöthig wäre, –3103 ihre Angabe mit Beweisen belegt: wie will man die prüfen, wenn es uns noch an genauer Kenntniß einer Sprache fehlt,3104 und man sich durch sorg[131]fältiges Studieren3105 guter Schriftsteller [106] noch nicht die Fertigkeit erworben hat, selbst den Sinn in einer fremden Sprache zu finden?
Ueberhaupt wird der sehr gewinnen, der sich nicht eher an Erklärung der heiligen Schriften wagt, bis er vorher durch Lesung alter griechischer und lateinischer Schriftsteller wohl geübt ist. –3125 [132] Denn 1) wie es der Anfang aller exegetischen Weisheit ist, nur erst zu fühlen,3126 ob man etwas verstehe oder nicht?3127 so ist schon dies3128 sehr schwer für den, der nicht aus jener Schule zur heiligen Schrift kommt, weil uns die Stellen heiliger Schrift, die wir in [107] der Jugend gemeiniglich ohne Verstand gelesen haben, den Wörtern nach geläufig, ihre Lehren, oder was man dafür zu halten gelernt hat, bekannt sind, und man gemeiniglich mit einem Sinn3129 zufrieden ist,3130 der keinen offenbaren Unverstand enthält, zumal3131 wenn er sich durch Erbaulichkeit empfiehlt. Alles dieses hindert,3132 daß es uns oft nicht einmal3133 in den Sinn kommt,3134 nur zu zweifeln, ob wir auf dem rechten Wege sind. Hingegen bey3135 andern Schriftstellern sind wir weder schon so mit ihren Begriffen bekannt, noch dafür schon so eingenommen, fürchten auch weniger 3136 Vorwürfe von uns oder andern3137, wenn wir von hergebrachten Erklärungen abgehen,3138 oder gestehen,3139 daß wir etwas nicht verstünden.
Ist man 2) nur mit den Umständen, Sitten und dem Sprachgebrauch neuerer Zeiten und Sprachen bekannt:3140 so findet man in alten Schriften Schwierigkeiten,3141 wo keine sind,3142 man sucht sie zu heben, verwickelt sich eben durch diese Bemühung in noch mehrere Schwierigkeiten, fällt auf harte und gekünstelte Erklärungen, wodurch man auf einer Seite den Gegnern der heiligen Schrift Blößen giebt, auf der andern sich gegen [133] natürlichere Erklärungen abhärtet,3143 theils,3144 weil man das für das Natürlichste3145 hält, was unsrer Art zu denken, zu reden und zu handeln am gemäßesten ist,3146 theils,3147 weil man das ungern aufopfert,3148 was uns Mühe gekostet hat, zumal3149 wenn man durch einen vermeintlich gefundnen3150 Sinn der heiligen Schrift neue Bestätigung seines [108] LehrbegriffLehrbegriffs gefunden,3151 oder mehr Zusammenhang in seine Vorstellungen gebracht zu haben glaubt. Wer hingegen schon mit andern alten Schriften ausser3152 der Bibel vertraute Bekanntschaft,3153 und gelernt hat,3154 sich in die Lage alter Schriftsteller zu versetzen, fällt entweder auf solche eingebildete Schwierigkeiten gar nicht,3155 oder er weiß sie leichter aus den Meinungen und Redensarten3156 der Alten zu erklären, schiebt der heiligen Schrift weniger neuere Begriffe unter, und ist demnach fähiger3157 von ihr zu lernen.
3) Den SprachgebrauchSprachgebrauch3158 in todten Sprachen kan3159 man anders nicht zuverläßig lernen,lernen 3160 als aus den Schriften, die in einer solchen Sprache abgefaßt sind, und, wo es der[119]gleichen nicht giebt,3162 oder wo sie nicht zureichen, aus der Analogie andrer3163 mit ihr verwandten Sprachen,3164 oder aus den ErklärungenErklärungen,3165 die der Schriftsteller selbst in einer Stelle oder in ähnlichen Stellen giebt. –3166 Selten ist dieses letzte3167 möglich, weil es seyn kan3168, daß er nur Einmal3169 von einer Sache redet,3170 oder nur Einmal3171 ein Wort und eine Redensart braucht3172. So ein trefliches3173 Hülfsmittel also zur Einsicht des Verstan[134]des ähnliche Stellen sind, so helfen sie doch nicht überall; sicherlich wird auch der3174 die in der heiligen Schrift den meisten3175 unmerkbare feinere Aehnlichkeit leichter empfinden, der dergleichen zu bemerken durch achtsames Lesen alter Schriftsteller sich gewöhnt hat; und überall folgt ein Schriftsteller, wo er nicht sehr dringende Ursachen hat, demjenigen SprachgebraucheSprachgebrauch,3176 der in der Sprache, worin er schreibt, herrscht,3178 wenigstens bildet er, auch da, wo er eigne3179 Ausdrücke wählt, seinen besondern Sprachgebrauch aufs möglichste nach dem allgemeinen. Und dieser, woraus ist der3180 anders zu erkennen,3181 als aus den andern Schriften in eben der Sprache? bey3182 dem neuen Testament also, woher anders, als aus andern alten griechischen Schriftstellern,3183 und zum Theil aus den griechischen Uebersetzern des alten Testaments?
Und wie 4) falsche und nach Schulformen gekünstelte Zergliederungen der Bücher 3223 heil.heilig 3224 Schrift sehr oft den wahren GesichtspunctGesichtspunct3225 verrücken, woraus man die Absichten eines Schriftstellers ansehen sollte, und selbst zu erdichteten Erklärungen seiner Ausdrücke Gelegenheit geben: so ist kein besseres Mittel3226 sich gegen diese willkührliche3227 Spielwerke zu verwahren, als wenn man aus Lesung alter Schriftsteller die gar nicht schulgerechte,3228 sondern natürliche Stellung ihrer Gedanken, ihre oft unscheinbare3229 Verbindungen durch Partikeln, Participial-Constructionen u. dgl.und dergleichen u. d. gl.und dergleichen 3230 und die ganze Einkleidung bemerkt3232, die von unserer3233 oft 3234 sehr abgeht3235.
Auch ist 5) diese sorgfältige Beschäftigung mit alten Schriftstellern ein gutes Verwahrungsmittel gegen die Ver[121]besserungssucht des Textes der heiligen Schrift, sowohl3236 als gegen die unzeitige Aengstlichkeit bey verschiednen3237 Lesearten. Wer jene auch kritisch studiert3238 hat, wird sich durch noch so viele Lesearten, mit welchen gleichwohl die unverfälschte Aechtheit3239 des Textes bestehen kan3240, nicht nur nicht irre machen laßen,3241 er wird auch allein im Stande [111] seyn3242 den Werth derselben abzuwägen. Hat man sich bey3243 jenen Alten3244 an die Beobachtung des feinern3245 Parallelismus gewöhnt;3246 Versuche gesehen,3247 und selbst gemacht,3248 dunkle Stellen zu erklären,3249 und solche, die einander oder andern Schriftstellern zu widersprechen scheinen, mit einander zu vereinigen; und hat nach und nach das Ungegründete und Gezwungne3250 mancher gewagten Veränderungen des Textes, wie die Quellen dieses Fehlers und die verschiedne3251 Arten eingesehen,3252 wie verschiedne3253 Lesearten entstehen können: so wird gewiß dadurch Bescheidenheit so sehr als geschickte Beurtheilung befördert werden. Wenigstens ist es immer sicherer,3254 sich erst in jener Kritik zu üben, wo der Schade bey3255 Fehltritten so beträchtlich nicht ist, als bey3256 der heiligen Schrift, beybei der3257 ohnehin die Vorstellung von ihrer Göttlichkeit leichter verleitet,3259 vor genauerer3260 Untersuchung ParteyParthey 3261 zu nehmen.
Zur gründlichen Einsicht in andre Theile der Theologie (§. 113 113. )3280 ist die genaue Kenntniß der griechischen3282 und lateinischen Sprache3283 eben so nothwendig. –3284 Die allermeisten Quellen der KirchengeschichteKirchengeschichte3285 sind in einer von beyden3286 Sprachen abgefaßt,abgefaßt und,3287 da selbst der Sprachgebrauch zu verschiednen3289 Zeiten und in verschiednen3290 Gegenden so vieler Verschiedenheit und Veränderung unterworfen war:3291 so ist 3292 um so begreiflicher, wie unzuverläßig3293 die Kirchengeschichte seyn müsse, wenn sich ihre Kenntniß nicht auf die Kenntniß dieser Sprachen gründet. –3294 Alles, was in der Theologie auf Geschichte beruht;3295 die Kenntniß der Kirchentheologie oder der verschiednen3296 Vorstellun[138]gen von den Lehren der Religion,3297 und der Ursachen dieser Verschiedenheit; der Kunstwörter, die aus beyden3298 Sprachen genommen,3299 oder doch darnach3300 gebildet worden 3301, und selbst ein symbolisches Ansehen erlangt haben;3302 des Ursprungs der Irrthümer aus unbequemen Ausdrücken,3303 oder des Mißverstandes derselben, wodurch man ihrer Unrichtigkeit auf die Spur kommen kan3304; der Folgen,3305 die daraus für die Theologie entstanden sind – vornemlich3306 wenn man die Richtigkeit dieser Kirchentheologie gehörig beurtheilen will, – kan3307 dieser Sprachkenntniß nicht entbehren.
Würde nicht auch unsre Katechetik3308 und Homiletik3309 eine bessre3310 Gestalt bekommen, und würde man [113] sich nicht besser zum Unterricht in der Religion bilden, wenn man den Alten, sonderlich der Sokratischen Schule und ihren guten Nachfolgern, ihre Methode in Gesprächen, und den [123] griechischen und römischen Rednern die Kunst3311 Eindruck zu machen3312 und, was man vorstellen oder empfehlen will, von der wirksamsten Seite zu zeigen, so weit ablernte, als es die Natur der Sachen, die Absicht,3313 bleibende Eindrücke hervorzubringen, und unsere Umstände erlaubten.3314
3315Was oben (§. 68 3316 (f.)folgend) von der besten Erlernung der Sprachen überhaupt gesagt worden ist, gilt bey3317 der lateinischen und griechischen Spra[139]che insbesondre3318, und von ihnen vorzüglich, weil sie unter allen alten Sprachen am meisten gebildet sind. Nur scheinen hier noch einige besondre3319 Anmerkungen darüber nicht unnöthig zu seyn. – Die lateinische Sprache hat das eigne3320 Glück gehabt, die allgemeine Sprache der Gelehrten (in Europa) zu werden;3321 daher sind die meisten gelehrten Schriften in ihr geschrieben,3322 ihre Kenntniß ist für den Gelehrten, nächst der Kenntniß der Muttersprache, die unentbehrlichste, und sie verdient, als allgemeine Gelehrten-SpracheGelehrten-Sprache3323 erhalten zu werden.
3324Zuerst eben deswegen, weil die meisten gelehrten Schriften lateinischlateinisch3325 abgefaßt sind. Je [114] mehr also der Eifer3326 diese Sprache zu erlernen und ihrer mächtig zu werden, [124] erkaltet, und je mehr sie daher ausser3327 Gang kommt: je3328 mehr verlieren wir die oben erwähnte3329 Vortheile, die aus dem fleissigen3330 Gebrauch der alten klassischen3331 lateinischen Schriftsteller entstehen, verlieren den Zugang zu den meisten Quellen der Geschichte, und, weil uns nichts anzieht3332 was wir nicht verstehen, sogar die Lust daraus zu3333 schöpfen, verlieren einen unschätzbaren Vorrath von Kenntnissen und Vorarbeiten in Untersuchungen 3334.
Anm. Anmerkung 1. Was hier und in dem Nächstfolgenden vorkommt, ist zugleich hinreichend zur Beurtheilung der Einwendungen gegen die Nothwendigkeit der Kenntniß dieser Sprache in der allgemeinen Revision etc. et cetera des Erziehungswesens etc. Theil II. p.pagina 2. S.Seite 234–257, die ohnehin sehr ärmliche Begriffe vom Verstehen des Lateinischen zum Grunde haben. Anm.Anmerkung Anm. 1. Aber man hat ja Aber, sagt man, ist denn nicht schon das GegründetereBeste und NutzbarereNutzbarste aus lateinischen Schriften in deutsche und anderedie neuern Sprachen übergetragen? – – Gewiß kaum mehr als das Nothdürftigste und was man für das Gemeinnützigste hielt, welches gegen die Menge des Uebrigenübrigen für Nichts zu rechnen ist. – Am meisten ists noch in der Geschichte Geschichte geschehen; wie weiß man aber, daß es vollständig, richtig und aufrichtig genug geschehen seysei, wenn man nicht zu den Quellen zurückgehen kankann, ohne welche noch weniger Sicherheit ist, als beybei allen scharfsinnigen Untersuchungen, die nicht auf die ersten Grundsätze der menschlichen Erkenntniß zurückgeführt werden.werden? Eben die gelehrtern und genauern Untersuchungen, wodurch man neuerlich, selbst in deutschen Schriften, die Geschichte ungemein berichtigt, vervollständigt,vervollständigt und ihr eine ganz andere Gestalt gegeben hat, beweisen, wie viel noch Gelegenheit in den Quellen zu sehr schätzbaren schätzrenschätzbaren Entdeckungen übrig seysei. – Je mehr das Ansehen der lateinischen Sprache sinktsinkt, und je fürfür je entbehrlicher man ihre Kenntniß hält:hält; jehält, desto weniger wird sie, höchstens nur als Nebensache, getrieben werden. Aber eine seichte Kenntniß derselben ist gewiß dem Gebrauch der QuellenQuellen und der daraus zu schöpfenden Wahrheit noch nachtheiliger, als wenn man gar nicht daraus schöpft, weil man doch in dem letztern Fall weiß, daß man nur mit fremden Augen, in jenem Fall aber glaubt, daß man mit eigneneigenen Augen gesehen habe. 3335Zweytens 3377 : Die Gelehrsamkeit verliert viel, und die Entdeckungen und Verbesserungen in derselben gehen oft gänzlich verloren;3378 breiten sich wenigstens viel langsamer und nicht allgemein genug aus, wenn man unter den Gelehrten nicht [116] eine allgemeine Sprache hat, wodurch man sich das Neue und Bessere mittheilen kan. –3379 Wenn [142] man sagt: „so dürften die Gelehrten nur mehrere Sprachen lernen, und [126] allenfalls ersetzte auch dieses die Dienstfertigkeit der Uebersetzer:“ so hat man wohl nicht genug bedacht:3380 daß beydes3381 ein mühsamer Umweg ist, der völlig ersparet3382 werden könte3383, wenn eine allgemeine Gelehrten-Sprache gebraucht würde;3384 ein Umstand, den die, welche die Nothwendigkeit einer solchen, namentlich der lateinischen, Sprache bestreiten, vornehmlich beherzigen sollten, da sie eben Zeit und Mühe gespart,3385 und auf nützlichere Dinge verwendet wissen wollen. Man hat nicht bedacht:3386 daß Uebersetzungen großentheils3387 unzuverläßig3388 sind, und daß sie ungemein viel weniger die Vorstellungen eines Schriftstellers anschaulich darstellen, als er selbst, auch sogar in einer fremden Sprache, wenn er sie nur in seiner Gewalt hat, und in der fremden Sprache nicht bloß schreibt, sondern auch denkt. Man nimmt gegen alle Erfahrung an, daß Ausländer, um unsre Entdeckungen zu benutzen, unsre Werke, in ihre Sprache übersetzt, begierig lesen oder gar deutsch lernen würden. *) 3389
Ist nun aber eine allgemeine Sprache3408 für die Gelehrsamkeit, deren Erhaltung und weitre oder allgemeinere Ausbreitung,3409 sehr nöthig: so müßte3410 man 3411 entweder die, welche es bisher gewesen, nehmlich3412 die lateinische, beybehalten3413, oder eine der neuern Sprachen dazu wählen, oder 269eine ganz neue zu diesem Zweck erfinden. –3414 Dieses letzte3415 würde, wie so viele verunglückte Versuche beweisen, große3416 Schwierigkeiten haben; schwerlich würde man ihr, zumahl allgemeinen3417 Eingang verschaffen können; und wozu eine neue erfinden, da wir schon eine unter den Gelehrten überall angenommne3418 haben? – Diese lateinische ist nicht nur einmahl3419 im Besitz, und, wenn es eben sowohl Pflicht ist, gute Gelehrte als gute Bürger zu ziehen,3420 wenn es uns wahrer Ernst ist, Aufklärung, mithin auch Gelehrsamkeit, möglichst weit auszubreiten:3421 so müssen wir diese Sprache zu erhalten,3422 und ihre Kenntniß bey3423 allen, die Gelehrte seyn wollen, [118] zu befördern suchen, weil sie gerade die bekannteste bey3424 allen Nationen ist, wo eigentliche Gelehrsamkeit blüht. Sie ist auch, eben durch den langen Gebrauch, den bereits erfolgten Erweiterungen und Aufklärungen in den Wissenschaften, mehr als eine andre3425, wenigstens ältere Sprache, und,3426 umgekehrt, es sind diese aufgeklärtern Begriffe dieser Sprache so angeschmieget worden,3427 sie hat auch so sehr alle eigentliche Wissenschaften, namentlich die gelehrten Vorstellungen in der Religion, so durchdrungen,3428 und in allen Wissenschaften ist der Sprachgebrauch so an sie gebunden, daß [128] wir ihre Kenntniß, ohne eine gänzliche Umschmelzung der Wissenschaften, nicht einbüßen3429 können. –3430 Sollte sie auch, wie nicht zu leugnen3431 ist, von manchen neuern Sprachen übertroffen werden: so würde es nicht nur schwer, ja, nach der jetzigen Verfassung der Welt,3432 unmöglich seyn, einer neuern Sprache eben die ausgebreitete Herrschaft zu verschaffen;3433 es würde sogar eben darum nicht rathsam seyn, weil und so lange sie eine lebende Sprache ist. Denn eine solche ist beständigen Veränderungen unterworfen, und nach einiger Zeit, wo nicht3434 den meisten unverständlich, doch wenigstens nicht mehr so reitzend; es gehen zu viele Mängel,3435 einer auch vom gemeinen3436 Volk3437 gebrauchten Sprache, Nebenbegriffe, die den Wörtern anhängen u. d. gl.und dergleichen 3438 in die Wissenschaften über, daß diese darüber ihre Bestimmtheit verlieren; oder man muß diesem Schaden immer so durch [145] neue Bestimmungen entgegenarbeiten, daß die gelehrte Sprache bald wieder eine von der Volkssprache ganz verschiedne3439 wird. [119] Eine todte Sprache hingegen, die noch dazu schon für unsre Wissenschaften bearbeitet ist, hat ihre völlig festgesetzte Gestalt, und es bedarf, bey neuentstandnen3440 Begriffen, weiter nichts, als diese, auf eine der Natur dieser Sprache gemäße3441 Art, zu bezeichnen, wie man das Beyspiel3442 davon an der Naturlehre, der Botanick3443 (u. s. f.)und so ferner hat.
Drittens (§. 125 3472) wäre es allerdings für die Wissenschaften und für die Menschen selbst sehr heilsam, wenn für eigentlich gelehrte Sachen eine den Gelehrten eigenthümliche Sprache, dergleichen die bisher in dieser Absicht aufgenommne3473 lateinische ist, gebraucht würde. – Für die Wissenschaften;3474 zuerst schon deswegen, weil in einer der Gelehrsamkeit besonders gewidmeten Sprache die Wörter bestimmter, folglich zur genauern Kenntniß brauchbarer sind,3475 als in einer solchen, die eben sowohl vom Volk3476 gebraucht wird, wo daher Mißverstand und Uebergang schwankender Begriffe in die Sprache viel leichter ist. Noch [130] mehr aber, weil für die eigentlichen Wissenschaften nichts nachtheiliger ist, als die Verwirrung, die durch Halbkenner angerichtet wird, welche auch [147] mitsprechen wollen, ohne die dazu unentbehrlichen Vorerkenntnisse3477, die nöthige Einsicht in die Beschaffenheit und den Werth scharfsinniger Bestimmungen oder Einschränkungen, und die erforderliche Uebung in gelehrten und ihnen nicht geläufigen Untersuchungen zu haben; wozu sie um so eher versucht werden, je mehr sie sich einbilden3478 die Sache zu verstehen, weil ihnen die Sprache bekannt ist, in der diese ausgedruckt3479 sind.
Eben so nützlich wäre es für solche Menschen selbst, welche gelehrte Untersuchungen nichts angehen, wenn ihnen der Zugang dazu durch den Gebrauch einer gelehrten Sprache erschwert würde. So erführen sie vieles nicht einmal, was ihre Neugier reitzt, sie zu unnöthigen SpeculationenSpeculationen3480 verleitet, von nützlichern Untersuchungen oder Beschäftigungen abzieht, und sie in schädliche Zweifel oder Irrthürmer stürzt, welchen sie aus den vorhin genannten Ursachen nicht gewachsen sind. Wie viel Zeitverderb3481 und Verwirrung des Volks würde verhütet werden, wenn Gelehrte gleichsam hinter dem VorhangVorhang3482 einer nur ihnen verständlichen Sprache, ohne vom VolkVolk3483 gehört oder gelesen zu werden, erst unter sich, nach reifer Untersuchung ausmachen könnten, was wahr und was gemein zu machen heilsam wäre, und alsdenn3484 nur das Ausgesuchte, Sichere und Gemeinnützige zur Kenntniß der Ungelehrten brächten.3485
Aus diesen Büchern kan3753 man auch einigermaßen3754 die besten Ausgaben solcher alten Schriften3755 kennen lernen. Der wahre Werth dieser Ausgaben hängt,3756 entweder von der Lauterkeit und Richtigkeit des Textes, oder von der Zweckmäßigkeit der Anmerkungen, (d. i.)das ist davon ab, ob sie gerade so viel enthalten, als nöthig ist, den Autor durchaus zu verstehen. Denn,3757 wer die Absicht hat3758 einen alten Schriftsteller zu lesen:3759 der muß ihn, und er muß3760 [156] ihn verstehen verstehen 3761 lernen wollen; er muß also wünschen3762 durch den, der ihn dabey3763 leiten will, zur Erreichung seiner Absicht, unterhalten,3764 und nicht zerstreuet zu werden; er wird selbst deswegen wünschen, so viel selbst zu thun, als er ohne Anderer Hülfe thun kan3765. Folglich sind, zu seiner Absicht, alle Erläuterungen von Wörtern und Sachen unnütz, unzulänglich,3766 oder gar hinderlich, die seinen [129] Schriftsteller3767 oder die Stellen, die er lieset, nicht angehen; die 3768 der Zweck 3769 der Herausgeber sind, so wie3770 der alte Schriftsteller 3771 nur 3772 Mittel,3773 jene gelegentlich und mit mehrern3774 Anstand unter die Leute zu bringen; die wenigstens die Aufmerksamkeit zu lange auf andere Sachen, als auf den Sinn des Schriftstellers, ziehen; die gemeinbekannte Sachen enthalten, welche der, wer3775 einen gewissen Autor [141] lieset, schon weiß,3776 oder billig wissen muß; die nur einige Schwierigkeiten auflösen3777, welche3778 gerade der Commentator wegzuräumen vermochte; und die, anstatt bloß Winke zu geben, um dem Leser auf die Spur zu helfen, durch Anmerkungen zu Bildung des Verstandes, des Geschmacks und Herzens, den Autor selbst dem Leser aus dem Gesicht rücken. Mögen alle solche Commentare in andrer 3779 Absicht noch so nützlich seyn:3780 so scheinen zu der hier gemeinten3781 diejenigen Handausgaben die besten, welche einen genau geläuterten Text und so viele, auch nur so weit ausgeführte, Anmerkungen enthalten, als die Aufklärung des Sinnes, in Absicht auf Wörter und Sachen, nothwendig erfordert, ohngefähr3782 so,3783 wie wir sie, mehr oder minder, 3784 von einigen neuern Deutschen3785, [157] einem 314 Gesner, 315 Ernesti, 316 Fischer, 317 Heyne, 318 Morus , Wolf, Friedrich August Wolf 3786 und einigen wenigen Andern 3787 haben.
Hätte3978 man sich durch die bisher (§. 135 (f.)folgend) erwähnte3979 Kenntnisse zum Lesen griechischer und [136] lateinischer Schriftstel[148]ler vorbereitet:3980 so möchten3981 ferner folgende Vorschläge bey3982 dem Lesen nicht undienlich seyn. 1) Weil der, welcher diese Schriftsteller vor3983 sich lesen will, gemeiniglich schon vorher einen Unterricht in alten Sprachen und, nach unsern Einrichtungen, weit mehr in der lateinischen als in der griechischen, in letzterer oft so viel als gar nicht, bekommen hat; und weil man bey3984 Lesung der römischen Schriftsteller gemeiniglich auch mit die Absicht hat, sich eine Fertigkeit im lateinischen Ausdruck zu erwerben; ja, weil selbst die Hülfsmittel zur Erlernung des Griechischen und die erklärende3985 Anmerkungen in den Ausgaben griechischer Schriftsteller fast durchgehends in lateinischer Sprache abgefaßt sind: so ist es rathsam, lateinische3986 Schriftsteller eher als griechische3987 zu lesen. Wäre man nicht in diesen Fällen:3988 so wäre es viel nützlicher und vernünftiger, mit den griechischen anzufangen. Denn die römischen Schriftsteller haben die griechischen nachgeahmt und copirt, können also weit besser verstanden werden, wenn man diese schon voraus kennt; und man würde auf diese Art die fortschreitende CulturCultur3989 des menschlichen Verstandes und Herzens, auch der davon abhängenden Begriffe, Grundsätze und Sitten, weit besser wahrnehmen.
3990So nützlich 2) Chrestomathien3991 oder Excerpte [165] aus mehrern alten Schriftstellern,3992 für den seyn mögen, der keine ganze3993 SchrifstellerSchriftsteller 3994 3995 haben kan3996, [137] oder für den Anfänger, der vorerst den nothdürftigsten Sprachgebrauch lernen,3997 oder einen allgemeinen Vorschmack von mehrern3998 Schriftstellern und ihrem3999 Unterschied4000 erlangen will: so viel besser ist es doch4001, ganze Schriftsteller in eins fort zu lesen, ehe man zu andern fortschreitet. Denn – ausserdem4002 daß es unnatürlich ist und zur Unbeständigkeit gewöhnt, etwas aufzugeben4003 was man angefangen,4004 und was uns gefallen hat –4005 wird man durch das anhaltende Lesen eines guten Schriftstellers besser mit seinen Sachen4006, so wie mit seiner eigenthümlichen Denk- und Schreibart, bekannt, lernt ihn daher,4007 und wenn man einmal im Gange ist, besser verstehen, und gewöhnt sich leichter, wenn man gar die Absicht hat4008 seinen Ausdruck nach einem4009 solchen Schriftsteller zu bilden, an eine gewisse Gleichheit und Reinigkeit des Ausdrucks.
Wollte man – wie hier immer vorausgesetzt wird – alle4010 Schriftsteller vor4011 sich lesen,4012 und wäre im Griechischen oder Lateinischen noch sehr zurück:4013 so wäre 3) zu rathen, daß man – da ein Anfänger zunächst erst des Sprachgebrauchs mächtig werden muß – ganz leichte Schriftsteller läse,4014 und sich dabey4015 solcher Ausgaben bediente, wo in Anmerkungen oder Registern die Bedeutungen der Wörter und Redensarten, auch wohl schwerere Formen, erklärt werden, z. B.zum Beispiel die Aesop Fabulas Aesopicas nach Heusinger, Johann Michael Joh. Mich. Heusingers Ausgabe, vermehrt Eisenach 1771. 8.; Paeonius (Paeanius) Paeanii Metaphras. in Eutropius Eutropium, nach Kaltwasser, Johann Friedrich Salomon F. S. Kaltwassers , Gotha 1780. 8.; Palaephatus Palaephatum de incredibilibus, nach Fischer, Johann Friedrich Joh. Fridr. Frid. Fischers Ausgabe, Leipzig 1761. 8.4016 Ist man etwas weiter:4018 so sind solche Glossarien, wo nur das schwere4019 und dem Schriftsteller eigenthümliche4020 mit we[150]nig Worten erkläret4021 wird, wie die Ernesti, Johann August Ernestischen bey Xenophon Xenophons memorabil. Sokrates Socratis und bey dem Polybius Polybius 4022, zu dieser Absicht,4023 vollkommen zureichend.
Und weil es vernünftig ist, vom Leichtern zum Schwerern fort zu gehen:4024 so ist es 4) auch rathsamer, eher prosaische Schriftsteller, wenigstens leichtere, als DichterDichter4025 zu lesen; selbst deswegen, weil der Geschmack leichter durch die Lesung der letztern verwöhnt,4026 und zu sehr an das Hervorstechende gewöhnt wird; zumahl4027 wenn man durch Lesung der Alten selbst seine Denk- und Schreibart bilden will. – Aus eben diesem Hauptgrunde würde man auf Schriften, welche gemeinbekannte Sachen enthalten, erst Geschichtschreiber, und auf diese erst philosophische Werke folgen laßenlassen müssen;4028 wenn nicht der schwerere Vortrag eines Schriftstellers in jenen erfordert, sie bis nach diesen zu verschieben; im4030 Griechischen würde man auch wohl thun, Schriftsteller von einerley4031 Dialekt zusammen zu nehmen, wenn hier jene angegebene4032 Ursachen nicht wieder eine Ausnahme erforderten.
Bey4090 einer solchesolchen 4091 Menge von griechischen und römischen Schriftstellern versteht sichs von selbst, 5) daß viele, zumahl4092 [152] wenn man sich nicht ganz eigen diesem Studium widmet, nur cursorisch gelesen werden müssen. Je leichter ein Schriftsteller,4093 und vornehmlich je weniger er classischclassisch4094 ist (§. 72), je4095 weniger braucht man sich bey4096 ihm aufzuhalten. – Endlich müßte4097 man sich 6) 4098 hüten, daß der Aufhalt4099 nicht durch Vergleichung gelehrter4100 Commentatoren noch verlängert würde4101. Billig sollte man sie nur da befragen, wo man nicht selbst fortkommen könnte4102. Verlieren sie sich zumahl4103 in weitläufige und gelehrte Erläuterungen, die nicht bloß den zu erläuternden Autor angehen:4104 so ist es weit besser, eine andre4105 Zeit auszusetzen, um diese zu [169] studieren4106, als sich zu sehr von dem Autor selbst ablenken zu lassen.
Uebungen im guten Ausdruck brauchen4107 sich bey4108 den bisher erwähnten zwey4109 Sprachen eigentlich nur auf die lateinische einzuschränken. – Wenn das Studium der alten Griechen und Römer einen [141] großen4110 Werth hat (§. 107 f.folgend),4111 und wenn4112 der sie weit besser versteht, wer4113 sogar seinen Ausdruck in ihrer Sprache mit Fleiß nach ihnen gebildet hat; wenn,4114 nach den oben (§. 123 (f.)folgend) angeführten Gründen,4115 die lateinische Sprache, als allgemeine gelehrte Sprache, unter den Gelehrten erhalten zu werden verdient *);4116 wenn dieses vornehmlich durch Beyspiele4117 dererjenigen geschehen muß, die junge Gelehrte bilden oder sie prüfen sollen, und die durch ihr Beyspiel4118 und Ansehen hauptsächlich dem Strom einreissender4119 der Gelehrsamkeit nachtheiligen4120 Gewohnheiten entgegen arbeiten müssen: so sollten wenigstens alle, die gelehrte Schriftsteller seyn, (d. i.)das ist über Sachen, die zur eigentlichen Gelehrsamkeit gehören, schreiben wollten, und es sollten vorzüglich4121 Lehrer auf Schulen und Universitäten,4122 nebst solchen,4123 die auch Schullehrer zu prüfen und zu leiten haben, eine Fertigkeit besitzen, sich, wo nicht eigentlich schön, doch wenigstens rein und verständlich in der lateinischen Sprache, es sey4124 im Reden oder Schreiben, ausdrücken zu können, und diese Fertigkeit nicht immer mehr aussterben laßen4125.
Wer nach4140 einer solchen Fertigkeit4141 sich lateinisch auszudruckenauszudrücken trachtete, würde ausser4142 den §. 76 4144 und 129 4145 angeführten Schellerischen Büchern, Scheller, Immanuel Johann Gerhard J. J. 4146 G. Schelleri praecepta stili bene latini, nach der zweytenzweiten vermehrten Ausgabe,4147 Lips. 1784 in 2 Tomis in4149 (gr.)groß 8. mit großem4150 Nutzen brauchen können, um feste Regeln zu haben,4151 woran er sich zu halten hätte4152, und seine Aufmerksamkeit bey4153 wirklicher Lesung der Alten auch in dieser Absicht zu leiten. Denn dieses Lesen und die genaue Aufmerksamkeit auf ihren Ausdruck und das Eigenthümliche ihrer Sprache in seinem ganzen Umfange,Umfange 4154 ist freylich4156 die beste und sicherste Uebung. *) 4157 Ausserdem würde4158 es sehr vortheilhaft seyn, solche neuere Schriftsteller fleißig zu lesen, die den guten lateinischen Ausdruck in ihrer Gewalt haben, und zum Theil Muster seyn können, als, unter theologischen Schriftstellern, Erasmus, Desiderius Erasmus, Melanchthon, Philipp Phil. Melanchthon, Camerarius, Joachim Joach. Camerarius, Calvin, Jean Joh. Calvin, Sturm, Johannes Joh. Sturm, Cano, Melchior Melch. Canus, Osorius, Hieronymus Hier. Osorius, Sadoletus, Jacobus Jak. Sadoletus, Hyperius, Andreas Andr. Hyperius, Ernesti, Johann August Joh. Aug. Ernesti, Morus, Samuel Friedrich Nathanael S. F. N. Morus, Morus 4159 und einige wenige Andre4161; weil man sich dadurch mehr gewöhnt4162 den guten lateinischen Ausdruck unserer Art zu denken, unsern Kenntnissen und Bedürfnissen anzuschmiegen.
*) Ja es Anm. Anmerkung *) Viel lesen ist auch der einzige Weg, wie man eigentliches,eigentliches altes, römisches Latein, und überhaupt wirklich in einer fremden Sprache, kankann schreiben lernen. Denn dazu gehört, daß man in derselben Sprache denken könne; und in jeder Sprache denkt man anders. Wer diesdieß nicht kankann, mag wohl aus einer Sprache in die andere übersetzen, und in der fremden Sprache sich so ausdrucken können, daß man sieht, was er sagen wolle,wolle; aber mit der Sprache, z. B.zum Beispiel rein, ächtecht Lateinisch, wird er nicht zu schreiben vermögen. Andere Vorschläge und Regeln sind schon oben §. 87–89. 87–89 87.–89. berührt worden. 4163Ausser4173 den bisher erwähnten Sprachen ist für den, der sich der Theologie widmet, die Kenntniß [143] der hebräischen Sprache 4174 am nothwendigsten,4175 nicht nur wegen der Bücher des alten Testaments, 405die meistens in dieser Sprache abgefaßt sind, sondern weil auch in den Büchern des neuen 4176 der Vortrag fast durchaus nach der 406hebräischen Denk- und Sprachart gebildet ist, und sie nicht richtig verstanden werden können, wenn man jene nicht aus dem alten Testament4177 kennen gelernt hat.
So leicht die hebräische Sprache zu seyn scheint, weil nur Ein Werk in ihr geschrieben ist, und so viele Erleichterungs[155]mittel es auch giebt, wodurch man sie dem bald beybringen kan4178, der sich unter den morgenländischen Sprachen nur auf sie einschränken4179 will,4180 und mit der nothwendigsten4181 Kenntniß derselben zufrieden ist: so große4182 Schwierigkeiten hat sie, wenn man sie wirklich verstehen, und eine sichere und gründliche Kenntniß derselben erlangen will, man mag auf die SprachregelnSprachregeln4183 oder auf den noch weit schwerer zu bestimmenden Sprachgebrauch sehen. Ein Beweis davon sind schon die ehemaligen ungereimten Methoden, die Richtigkeit von jenen und diesem zu entdecken,4184 und es bleibt bey4185 dieser ausgestorbnen4186 Sprache, die noch dazu nur in Einem Werke übrig ist, kein andres sichres4187 Mittel übrig, sie gründlich und mit eigner Ueberzeugung zu lernen, als die Kenntniß der mit ihr zunächst verwandten Sprachen, besonders der chaldäischen, syrischen und arabischen.
Es wäre daher4195 allerdings rathsam, eher4196 das in Absicht auf Grammatik und Sprachgebrauch leichtere Syrische4197 als das HebräischHebräische4198 zu lernen, alsdann4199 sich das ChaldäischChaldäische4200 bekannt zu machen, welches mit dem Syrischen fast einerley4201 Sprache, und in wenigeren, auch nicht einmal orginellen, Schriften vorhanden ist, hierauf das Hebräische folgen zu laßen4202, und zuletzt das wegen seiner [156] Weitläufigkeit und seines Reichthums schwerere Arabische zu treiben.4203 So würde die Beschäftigung mit der einen die mit der andern erleichtern und unterstützen. Lernte man hiebey4204 auf den Unterschied und die Uebereinstimmung dieser Sprachen unter einander, in Sprachregeln und Bedeutungen der Wörter, merken: so würde der Mißbrauch der Erläuterung einer aus der andern auch leicht verhütet werden können.
Hätte4212 man 4213 keine Gelegenheit gehabt4214 diesen Weg in Erlernung des HebräischHebräischen4215 zu betreten, [174] und dieses letztere4216 schon nothdürftig gelernt:4217 so wäre4218 doch, wenn man anders im Hebräischen4219 selbst sehen lernen wollte4220, rathsam, jene Sprachen, in der angegebenen Ordnung, nachzuholen, oder sie mit jenem zu verbinden. Wem es aber4221 dazu an Neigung, Fähigkeit, Muße oder Hülfsmitteln fehlen sollte:4222 dem bleibt weiter nichts übrig, als bloß Andern zu folgen,4223 und sich mit dem zu behelfen, was Andre4224 entweder in den auf gedachte verwandte Sprachen gebaueten Sprachlehren, oder in Erläuterungen des Alten Testaments mit Hülfe dieser morgenländischen Sprachen, vorgearbeitet haben.
Auf diese Art müßte4288 hernach die Erlernung des Chaldäischen sehr leicht werden, wenn man [176] sich zuvörderst aus Alting, Jacob Jac. Altingii Synopsi Institutionum Chaldaearum et Aramaearum (Tom.Tomus V. s.sein Opp.Opera Amst. 1687) und noch mehr aus Michaelis, Johann David J. D. Michaelis Grammatica chaldaica, Götting. 1771. 8.4289 die Uebereinstimmung und den Unterschied des Chaldäischen und Syrischen bekannt machte4290, und darauf mit Hülfe mancher hebräischen4291 Wörterbücher, die auch auf das Chaldäische gehen,4292 oder Buxtorf, Johann, d. Ä. Joh. Buxtorfii Lexici Chaldaici etc.et cetera Basil. 1640 fol.folio 4293 die chaldäischen4294 [147] Paraphrasen läse4295, die in der Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern4296 Bücher in der Theologie §. 49.4297 genennt worden4298 sind.
4299Bey allen diesen4324 finden sich theils prosaische, theils poetische arabische AnthologienAnthologien4325, die, und vornehmlich Hirt, Johann Friedrich J. F. Hirtii Anthologia arabica, Jenae 1774. 8.4326 so lange zur [160] Uebung im Lesen arabischer Schriften dienen können, bis man Gelegenheit und Fertigkeit genug bekommt, den Koran, die arabischen Uebersetzungen des alten4327 und neuen4328 Test.4329 und andre4330, ganz oder stückweise von 425 Erpenius, 426 Edw. Pocock, 427 Joh. Gagnier, 428 Albert und Heinr. Alb. Schultens, 429 Joh. Jac. Reiske, 430 J. D. Michaelis, 431 Eberh. Scheid, 432 Joh. Bernh. Köhler , Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob H. C. G. Paulus H. C. G. Paulus, Wilken, Friedrich F. Wilken 4331 und andern herausgegebne4333 arabische Schriftsteller zu lesen.
4334Freylich4449 hängt man hierbey4450 nur von den Kenntnissen und Sagen Andrer ab,4451 und wer recht [183] gewiß seyn will, ob und 4452 wie fern sie den Sprachgebrauch richtig angegeben haben,haben; 4453 noch mehr, wer selbst die Gränzen dieser Kenntnisse erweitern helfen will, der muß nothwendig aus jenen Quellen selbst, muß aus den verwandten Sprachen und den alten Uebersetzungen des alten Testaments schöpfen,4455 und sie daher genau kennen gelernt haben. Diese letztern, sonderlich die griechischen in den 469Hexaplen des [153] Origenes, und namentlich die Alexandrinische, nebst den darnach gemachten4456, sind nicht nur für die Kritik des Textes, sondern auch für die [165] Entdeckung des wahren hebräischen4457 Sprachgebrauchs, folglich nicht bloß zum Verstande des alten Testaments, sondern auch selbst des 470neuen, dessen Griechisches durchaus hebräischartig4458 ist, ungemein wichtig *),4459 und dieser Nutzen wird durch die Concordanzen oder Wörterbücher über diese griechische4460 Uebersetzungen keinesweges entbehrlich gemacht, weil sie alle voll4461 Fehler sind, so sehr sonst dergleichen Werke auch den Gebrauch derselben, und ihre Anwendung auf den Verstand des A.4462 und N.4463 Testaments erleichtern.
Wegen des zuletzt berührten Nutzens wäre sogar4466 aus den §. 116 (f.)folgend angegebnen4467 ähnlichen Ursachen,4468 zu rathen, daß man erst die alten griechischen UebersetzungenUebersetzungen4469 des A. Test.4470, wenigstens die [184] 473 Alexandrinische4471, selbst die sogenannten 474 apokryphischen4472 Bücher des A. Test.T. 4473 studierte, ehe man das neue Testament verstehen lernen wollte. – Aber diese Uebersetzungen wirklich zu den gemeldeten Absichten sicher zu benutzen, muß man sie gehörig zu studieren und anzuwenden wissen. Man muß die Geschichte und Beschaffenheit ihres sehr verdorbnen4475 Textes, –4476 den verschiednen4477 Werth einzelner4478 Uebersetzungen, –4479 selbst von einzelnen4480 Büchern, –4481 und die besondre4482 [154] Uebersetzungsart, der sie folgen, genau kennen; –4483 man muß sie nicht hie und da bloß nachschlagen, sondern sie im Zusammenhang4484 lesen, auf die Art, wie sie einzelne4485 Wörter und Redensarten geben, merken, und sich diese aus oder bey4486 den Concordanzen und Wörterbüchern über diese Uebersetzungen zum künftigen Gebrauch beyzeichnen; –4487 man muß sie nicht aus den oft schlechten [166] neuern Uebersetzungen verstehen lernen wollen, sondern vorher schon der griechischen Sprache4488 und der verwandten morgenländischen kundig seyn, um zu wissen,4489 wie sie zu mancher sonderbar scheinenden Uebersetzung gekommen sind, und ob man sich auf die Richtigkeit des griechischen Textes verlaßen4490 könne.
Zwar beweisen diese Erfordernisse, daß ein solch nützliches Studium dieser Uebersetzungen nicht die Sache des Anfängers sey; aber sie beweisen doch auch nur, daß man für den Anfang, seinen Absichten dabey,4496 nicht diesen ganzen Umfang geben, sondern sie auf das Leichtere einschränken müsse. Vorausgesetzt also, daß jemand die Alexandrinische Uebersetzung vor4497 sich lesen wollte oder müßte:4498 so [155] müßte er es 1) nicht eher thun, als bis er sich aus den so eben angezeigten Büchern die Beschaffenheit und Uebersetzungsart dieser alten Uebersetzungen im Allgemeinen bekannt gemacht, und 2) wenigstens leichtere,4499 griechische Schriftsteller, im HebräischHebräischen4500 aber diejenigen Bücher schon fleißig gelesen und gut verstehen gelernt hätte, die er nun in der Uebersetzung lesen will. 3) Er müßte mit solchen Büchern anfangen, die als vorzüglich treu und gut übersetzt bekannt sind, vornehmlich mit dem Pentatevchus4501. 4) Wo ihm irgend etwas, das ihm nicht ganz leicht wäre, in Wörtern aufstieße4502, müßte er gleich im hebräischen4503 Text nachsehen, worauf es sich bezöge, ob und was es für eine hebräische4504 Bedeutung hätte; und 5) wüßte er es damit nicht zu reimen, so könnten4505 [167] ihm vielleicht 475 Jo. 4506 Christ. Biel novus thesaurus philologicus, Hag. Com. 17794507 und 1780 4508 in drey4509 (gr.)groß Octavbänden, oder die 476 Kircherschen4510 und Trommischen Concordanzen4511 Auskunft geben, für welches hebräische4512 Wort oder Redensart sonst dieses nehmliche4513 griechische,4514 oder welches hebräische4515 anstatt des nehmlichen4516 griechischen gebraucht würde, und er4517 könnte4518 daraus entweder auf eine falsche Leseart4519 oder darauf schließen4520, daß das Griechische hier nur am unrechten Ort gebraucht wäre. Zeigte sich dieses nicht bald:4521 so müßte dieses Schwierige überschlagen,4522 und auf zukünftige weitere Untersuchung ausgesetzt werden. – Eben so könnte man hernach die 477Hexapla durchgehen;4523 wenn man vorher, so bald4524 man an das Hebräisch-griechische4525 gewöhnt wäre, die apokryphischen Bücher des A. T.4526 gelesen hätte. – Wäre [156] man indessen mit dem N. Test.4527 näher bekannt worden:4528 so würde man sich bald an manche bey4529 Lesung jener Bücher und Uebersetzungen gelernte HebraismenHebraismen4530 erinnern, und bey4531 einer zweyten4532 fleißigern Durchsicht würde man4533 Gelegenheit genug finden,4534 sich noch mehrere auszuheben.
Mit der 479 AccentuationAccentuation4535 der hebräischen4536 Bibel braucht man sich nicht lange aufzuhalten, da es ein erweislich späteres Kunststück ist, das bey4537 dem Verstande der Bibel nur wenige Vortheile gewährt, und4538 oft der richtigen Auslegung hinderlich fällt. Joh. Dav. 4539 Michaelis Anfangsgründe der hebräischen Accentuation, Halle 1741. 8.4540 und eine kleine Uebung, können in sehr kurzer Zeit alles Brauchbare lehren, was man davon zu wissen nöthig hat.
4541Man kan4543 über alles4544 philosophiren, wovon sich erkennen läßt, wie es mit etwas anderm4545 zusammenhängt (§. 2.), es mag die Frage das woher? 4546 oder wozu? 4547 Ursachen oder Mittel, Wirkungen oder Absichten, betreffen; und in so fern4548 eine Disciplin innerlich zusammenhängt, findet Philosophie bey4549 derselben statt; es kankann 4550 eine Philosophie der Sprachen, der Geschichte, der Theologie und anderer Wissenschaften geben. Wenn aber Philosophie eine besondere Wissenschaft seyn soll:4552 so muß sie einen gewissen bestimmten Gegenstand haben, wodurch sie sich von andern Wissenschaften unterscheidet; und eben darüber, oder vielmehr über die Gränzen, die man ihr stecken soll, sind4553 die Meinungen so sehr4554 getheilt.
Natürlich. Denn man4560 hatte längst und viel philosophirt,4561 ehe man an eine besondere Wissenschaft dieses Namens dachte. Man hatte allmählich4562 durch Beobachtung und Nachdenken über das menschliche4563 Leben und Handlungen *), bey4564 den sich stets aufdringenden Fragen: [169] woher und wozu? das Allgemeine und Beständige, was sich bey4565 mehreren einzelnen4566 Dingen und ihren steten Veränderungen wahrnehmen läßt, bemerkt,4567 und von andern Kenntnissen abgesondert, und war, nach dieser Absonderung, auf die Natur der Dinge gekommen, aus der sich allein Rechenschaft geben ließ, wie eines mit dem andern zusammenhänge. So entstand nach und nach eine besondere Wissenschaft, die nur allgemeine und nothwendige Wahrheiten zum Gegenstand hatte, welche man hauptsächlich in Rücksicht auf den Menschen und auf alles4568 betrachtete, was in seine Beschaffenheit und Veränderungen einen Einfluß hatte, so wie diese ganze Wissenschaft aus der Betrachtung des Menschen und der gedachten Dinge geschöpft worden war. Wie sich indessen die Menge der gemachten Entdeckungen über die Natur der Dinge vervielfältigte, und man also für nöthig fand, selbst allgemeine und nothwendige Wahrheiten verschiedener Art von einander abzusondern,4569 und sie in besondere Wissenschaften zu vertheilen; wie man bemerkte, daß es unter diesen allgemeinen und nothwendigen Wahrheiten einige gäbe, welche die Beschaffenheit, andere, welche das Maaß oder [189] die Quantität der [159] Dinge beträfen:4570 so sonderte man, nach diesem Unterschied, diese allgemeine4571 Wahrheiten von einander ab, überließ das, was die Quantität anging, der Mathematik, und4572 behielt 4573 der Philosophie bloß die allgemeine Beschaffenheit der Dinge vor. **) 4574
**) Freylich Anm. Anmerkung 2. Freilich ist der Kant, Immanuel Kantische Begriff (in der Kritik der reinen Vernunft S.Seite 724 f.folgend nach der zweytenzweiten Aufl.Auflage ) noch genauer, wonach, wegen der ganz verschiedenen Art, wie beydebeide Wissenschaften ihre Gegenstände behandeln, die Philosophie eine VernunftwissenschaftVernunftwissenschaft aus Begriffe Begriffen, und die Mathematik eine Vernunftwissenschaft aus Construction der Begriffe ist, oder die den Begriff entsprechende Anschauung a priori, d. i.das ist so darstellt, daß diese allgemeingültig für alle mögliche Anschauungen ist, die unter denselben Begriff gehören. Aber, weil sich doch nur der Begriff von Größen construiren, oder a priori in der Anschauung darstellen läßt;läßt, so kankann auch nur die Quantität ein Gegenstand der Mathematik seyn; und so fern kankann gar wohl Philosophie und MathematikMathematik, auch nach Verschiedenheit der Gegenstände, die sie behaltenbehandeln, unterschieden werden. 4577Und auch so schien noch immer der Umfang der Philosophie zu groß;4586 so wie man auf einer andern Seite fand, daß er sich noch mehr erwei[190]terte, je nachdem man den Menschen, der doch eigentlich zu aller Philosophie Gelegenheit gegeben hatte, in verschiedenem Zusammenhange und 4587 allgemeinern Beziehungen betrachtete. Man bemerkte, daß er seinem4588 einem Theil 4589 nach, in die ClasseClasse4590 der Körper, dem andern nach aber, in die Classe4591 der vorstellungsfähigen und verständigen4592 Wesen gehörte4593; daß beyde4594 Arten der Dinge, Körper und vorstellungsfähigvorstellungsfähige Wesen oder4595 Geister, zu eingeschränkten4596 Wesen gehörten, die man zusammen Welt nennte4597; daß es auch ein uneingeschränktes4598 Wesen, eine Gottheit, geben könnte,4599 und sich ohne dieses4600 das Daseyn der eingeschränkten4601 und zufälligen Wesen nicht begreifen ließe; daß man bey4602 der Seele des Menschen Vorstellungen und Neigungen unterscheiden könnte4603, wovon jene das Wahre oder Falsche, diese das Gute oder Böse zum Gegenstand hätten; daß man eben sowohl die [171] Natur von beyden4604 untersuchen, als darnach Regeln 4605 be[160]stimmen könnte4606, das Wahre und Gute 4607 zu finden und auszuüben; daß man den Menschen vor sich und4608 in natürlicher Verbindung mit verschiednen4609 Arten von Gesellschaften betrachten könnte.4610 Je nachdem man dieses alles von einander unterschied, und jeder Art solcher allgemeinen Wahrheiten eine besondre Wissenschaft4611 widmete: je nachdem mußten verschiedne Theile der Philosophie, und es mußte, weil4612 man schon4613 einmal gewisse Arten von allgemeinen Wahrheiten von eigentlicher Philosophie ausgeschlossen hatte, die Frage entstehen4614, ob 4615 nicht noch mehrere dergleichen Wahrheiten ganz von der Philosophie könnten abgesondert,könten abgesondert und4616 der Name der Philosophie 4618 nur auf einige Arten4619, und auf welche? eingeschränkt4620 werden 4621?
Diese Verschiedenheit der Meinungen über den Begriff der Philosophie4622 wird dadurch noch mehr befördert, daß einige nichts darin aufgenommen wissen wollen, als sogenannte reine Vernunfterkenntniß, oder nur diejenigen allgemeinen Begriffe, die4623 die menschliche Seele aus sich selbst, aus der Betrachtung ihrer Eigenschaften und Veränderungen schöpfen kan4624, und was sich nach diesen Begriffen streng beweisen läßt. Hiedurch4625 würde das Gebiet der Philosophie sehr beschränkt werden, und man müßte alsdann, – weil man doch Ursach hat, überall, wo sich nur Zusammenhang denken läßt, zu philosophiren, und weil die meisten so nützlichen4626 Kenntnisse der Natur keine solche Evidenz [161] und strenge Herleitung allgemeiner Wahrheiten zulaßen4627 – wieder neue besondere Wissenschaften einführen, die dann4628 doch größtentheils nur in der Methode von der eigentlichen Philosophie unterschieden wären4629.
Da nun der Sprachgebrauch über den Begriff der Philosophie nicht entscheidend ist, und in dem gegenwärtigen Buche4630 die meiste Rücksicht auf die Gestalt der Wissenschaften genommen werden muß4631, wie sie unter uns und bey4632 den4633 akademischen [192] Studien genommen werden:4634 so scheint es das sicherste4635, die Philosophie nach dem Umfang und 4636 Gränzen zu nehmen, die4637 man ihr seit dem Ursprung der wolfischen4638 Philosophie angewiesen hat; und sonach möchte die Erklärung,4639 oder, wenn man will, Beschreibung der Philosophie durch – die4640 Wissenschaft der Natur oder der allgemeinen Eigenschaften der Dinge überhaupt, und der geistigen, hauptsächlich der menschlichen, insbesondere,4641 – alle dazu gerechneten4642 Theile und ihre allgemeine Absicht am bestimmtesten in sich fassen.
Der Nutzen 4646 der Philosophie ist augenscheinlich. Denn da sie uns über die Natur aller Dinge belehrt;4647 da sie den rechten Gebrauch aller unsrer4648 Kräfte zeigt;4649 da sich endlich alle Fragen, über die sich etwas Entscheidendes4650 sagen läßt, in die allgemeinen Begriffe und [173] Grundsätze auflösen, die sie enthält: so ist sie der Grund aller andern Wissenschaften, in welchen ohne sie keine deutliche Gewißheit, so wie in Gesinnungen und Handlungen, die ja von Erkenntniß abhängen, keine rechte VollkommenheitVollkommenheit,4651 statt findet. Mit Recht heißt sie daher die Königin aller Wissenschaften; und sie verachten, heißt, alle Vernunft und Sicherheit im Denken und Handeln verachten. Ihr vielfältiger Nutzen wird sich noch mehr bey4652 ihren einzelnen4653 Theilen angeben laßen4654.
Unter dem 4987 Namen der eigentlich sogenannten MetaphysikMetaphysik (§. 183 183. Anmerk.Anmerkung 11.)4988 begreift man,4991 seitdem 4992 Wolf sie4993 bearbeitet hat, die Ontologie, Kosmologie, Psychologie und 4994 natürliche Theologie Theologie; und wie diese Wissenschaften zusammenkommen, desgleichen wie sie von einander verschieden sind, läßt sich auf folgende Art fassen. Die Metaphysik beschäftigt sich entweder mit Begriffen von Dingen überhaupt, oder mit Begriffen von besondern Dingen. Jenem TheilTheile oder Wissenschaft hat man deswegen den Namen der Ontologie Ontologie, auch der Transscendentalphilosophie, zugeeignet; hingegen diesen Theil, der die dreydrei letztgenannten Wissenschaften unter einem gemeinschaftlichen Namen zusammenfassen könnte, nennt Kant, Immanuel Kant rationale Physiologie.4995
Weil in der Philosophie über unsreunsere SeeleSeele und über GottGott Vieles5113 nicht recht deutlich erklärt werden kan5115, wenn nicht der Begriff von der Welt, (d. i.)das ist 5116 dem Inbegriff5117 aller zu einem Ganzen vereinigten endlichen Dinge, die wirklich sind oder seyn könten5118, vorher entwickelt ist, und ihre Eigenschaften und Gesetze bestimmt sind: so fand Wolf für gut, dieses in eine besondere Wissenschaft zu ziehen, die daher den Namen5119 der allgemeinen Kosmologie bekam, weil sie das, was allen Welten gemein seyn muß, und nicht5120 wie die besondere Kosmologie, nur das, was wir aus Beobachtung der wirklichen Welt erkennen, enthalten sollte. Ihr Nutzen ergiebt sich aus ihrem Verhältniß gegen die eben genannten beyden5121 Theile [219] der Metaphysik von Gott5122 und der Seele des Menschen5123.
Einen viel weit reichendern5125 Nutzen würde die Seelenlehre (Psychologie) selbst haben, da sich5126 kein Theil der theoretischen Philosophie 5127 unsern Bedürfnissen näher andringt5128 als sie 5129. Zu ihrer Kenntniß kan5130 man auf zwey5131 Wegen gelangen. Man kan5132 zuerst die verschiedenen Veränderungen in der Seele beobachten, diese Beobachtungen sammlen5133, mit [198] einander vergleichen, dadurch deutliche Begriffe davon gewinnen, ihre Kräfte, oder vielmehr die verschiednen5134 Arten, wie5135 sich die einzige Kraft der Seele äussert5136, und die allgemeinen Gesetze zu entdecken suchen, nach welchen unsre5137 Seele bey5138 jeder Art ihrer Wirkungen verfährt. So entstünde eine Naturgeschichte der Seele, welche man die empyrische empirische 5139 Seelenlehre nennt, weil sie aus der Erfahrung 5140 geschöpft worden ist. Hätte man jene Kräfte und Gesetze entdeckt, und gefunden, daß sich alle wahrgenommene verschiedene Kräfte derselben auf die einzige Vorstellungskraft zurückbringen laßen5141: so könnte man hernach wieder aus diesem Begriff und den entdeckten Gesetzen, nach welchen sie verfährt, neue Entdeckungen über die Seele herleiten,5142 und daraus eine Wissenschaft bilden, welche den Namen5143 der wissenschaftlichen oder erklärenden Seelenlehre (Psychologiae5144 rationalis) bekommt.
Unsre Anm. Anmerkung Unsere Seele, die Vollkommenheit ihrer Kräfte,Kräfte und ihre Veränderungen hängen, nach allen unsern Wahrnehmungen, so sehr von unserm Körper ab, daß ohne Kenntniß dieses Letztern keine rechte und zuverläßigezuverlässige Erklärung dessen, was in unsrerunserer Seele vorgeht, möglich ist. Verbände man daher diese Kenntniß des Körpers, so weit sie zur Aufklärung der Erscheinungen in unsrerunserer Seele dient, mit der Psychologie, so würde daraus eine Wissenschaft entstehen können, die den Namen einer philosophischen (theoretischen) Anthropologie eher verdiente, als die empyrische empirische empirische Psychologie, welche einigeEinige mit diesem Namen belegen. Ein treflichertrefflicher Versuch davon ist Platner, Ernst Ernst Platners Platner's Neue Anthropologie für Aerzte und Weltweise, wovon leider nur der erste BandBand, Leipzig 1790 in1790. gr.groß 8. erschienen ist. {Außerdem verdienen verglichen zu werden: Ith, Johannes Samuel J. Ith's Versuch einer Anthropologie oder Philosophie des Menschen nach seinen körperlichen Anlagen, 2 Theile. Bern 1794. Kant, Immanuel I. Kant's Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Königsberg 1800. Bernoulli, Christoph Bernoulli Grundriß der Naturlehre des erwachsenen Menschen, nach den neuern Ansichten, 2 Theile. Halle 1804. Wezel, Johann Carl J. K. Wetzel Versuch über die Kenntniß des Menschen, 2 Theile. Leipzig 1784–1785. Cabanis, Pierre Jean Georges J. G. Cabanis über die Verbindung des Physischen und Moralischen im Menschen. Aus dem Französischen von Jakob, Ludwig Heinrich von Jakob, 2 Theile. Halle 1804.} 5145Die Glückseligkeit des Menschen beruht auf der Kenntniß seiner selbst, seiner Kräfte, des Verhält[175]nisses andrer5161 Dinge gegen ihn, und der nützlichen oder schädlichen Wirkungen, welche aus dem verschiednen5162 Gebrauch seiner Kräfte und dem Einfluß andrer5163 Dinge auf ihn5164 entstehen. Diese Kenntniß belehrt ihn über das, was er zu seinem Besten vermag oder nicht; über seine Mängel und Fehler; über seine Fähigkeiten und Vorzüge; und5165 die Mittel jenen vorzubauen, sie zu heben, zu vermindern oder ihnen doch die unschädlichste und vortheilhafteste Richtung zu geben, seine Fähigkeiten hingegen zu verstärken, wirksamer zu machen, und sie zur Erreichung seiner höchst möglichsten Vollkommenheit zu lenken; über den [221] WerthWerth5166 aller Dinge für ihn, der anders nicht als nach ihrem mehrern oder mindern Einfluß auf seine Glückseligkeit bestimmt werden kan5167; endlich über die Mittel, alles ausser5168 sich zu seinem Besten zu verwenden. –5169 Alle unsre5170 Kenntniß der Wahrheit und der wirklichen Beschaffenheit der Dinge sowohl, als die Verschiedenheit des [200] Grades von Deutlichkeit, Gewißheit und Wirksamkeit gewisser Begriffe und Sätze, gründet sich auf die besondre5171 Beschaffenheit unsrer5172 Seele, auf die Gesetze unsers5173 Denkens und Wollens, und auf die größere5174 oder geringere Fähigkeit, nach demselben5175 unsre5176 Seelenkräfte zu gebrauchen. In so fern5177 hängen alle theoretische und praktische Wissenschaften von nichts so sehr ab, als von der rechten Bekanntschaft mit unsrer5178 Seele; diejenigen am meisten, die sich mit dem Menschen und dessen Regierung, mit Beförderung seiner Gemüthsruhe und seiner Besserung beschäftigen. –5179 Für den Lehrer der Religion insbesondre5180, der eben durch die Religion Andre5181, [176] ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen nach, aufs weiseste leiten soll, ist sie ganz vorzüglich nöthig, wenn er diese wohlthätige Absicht, wozu er arbeiten muß, erreichen will.
Um so mehr muß man stets darnach trachten, die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich bey5183 Erforschung der menschlichen Seele in den Weg legen, und eben deswegen sie auch kennen zu lernen suchen; zumal5184 –5185 da der Mensch gemeiniglich in dem Wahn steht, nichts besser als sich selbst zu [222] kennen, –5186 da die Einbildung, ein Menschenkenner zu seyn, immer weiter,5187 und am meisten bey5188 denen um sich greift, die sichs bewußt sind,5189 daß sie wenig Kenntniß der Dinge ausser5190 den Menschen besitzen, –5191 und da5192 die, welche am ersten Gelegenheit und Aufforderung hätten, Menschen kennen zu lernen, (d. i.)das ist die, welche sich mit dem praktischen Leben und mit gleich anwendbaren Untersuchungen beschäftigen, mehrentheils nicht die Geduld haben, erst die Erfahrungen zu zergliedern oder zu läutern, und zu sehr gewohnt sind, Alles5193, was sie beobachtet haben, gleich anzuwenden, als daß sie [201] sich nicht mit oben abgeschöpften, einseitigen und halbwahren Beobachtungen begnügen sollten.
Diese Schwierigkeiten zeigen sich entweder bey5195 der Beobachtung selbst, oder bey5196 ihrer Ent[177]wickelung und Anwendung. Zu jener Art gehört unter andern: –5197 daß entweder gewisse Veränderungen unsrer5198 Seele zu selten und zu unerwartet sind, als daß man sie anhaltend und wiederholt beobachten könnte, zumal da sie eben wegen des Ausserordentlichen5199 mehr betäuben, als ein stilles und bedächtiges Anschauen erlauben, oder zu gewöhnlich, als daß sie unsre5200 Aufmerksamkeit genug reitzten; –5201 daß viele Veränderungen und Zustände unsrer5202 Seele sich kaum beobachten laßen5203, weil es uns entweder zu der Zeit, wo sie vorgehen und da sind, am Bewußtseyn, wenigstens am deutlichen Bewußtseyn, fehlt,5204 oder weil sie so [223] schnell auf einander folgen, vorübergehn5205, und unter einander abwechseln, daß man sie nicht genug festfassen kan5206, oder weil selbst durch die angestrengte Aufmerksamkeit ihr Zusammenhang oder doch die Bemerkung desselben unterbrochen wird; –5207 daß insbesondre5208 die dunkeln Vorstellungen der Seele, und alle dadurch bestimmte Neigungen und Abweichungen, sowohl als ihr Zusammenhang mit dem Körper, so ganz oder zum Theil im Dunkeln liegen, und eine so unsichtbare Gewalt über andere Vorstellungen ausüben, daß sich weder sie selbst, noch ihr Zusammenfluß, noch ihre wechselseitig mitgetheilte Stärke, noch die Gesetze, wonach die Seele dabey5209 wirkt, entdecken laßenlassen; –5210 daß endlich bey5212 den Veränderungen der Seele so viele und oft ganz kleine und unmerkbare Ursachen zusammen kommen und in einander fließen5213, die sich unserm Blick entziehen, und die keine Scheidungskunst völlig sondern kan5214.
Ließe5216 sich aber auch dieses aufs Reine bringen, und man hätte allen Stoff von Wahrnehmungen beysammen5217, der nur noch verarbeitet, und denn5218 gebraucht werden dürfte: so würden wieder bey5219 dieser Behandlung des Gesammleten5220 neue Schwierigkeiten entstehen. –5221 Sind uns 5222 alle bey5223 einer Veränderung der Seele zusammenstoßende Umstände, wenn wir sie auch kennen gelernt hätten, bey5224 der einzelnen5225 Betrachtung und bey5226 der nachmaligen Wiederzusammensetzung gleich gegenwärtig?5227 selbst nach ihrem Unterschied, nach ih[224]rem wechselseitigen Einfluß, nach ihrem eingeschränkten Beytrag5228 zur Hervorbringung einer bestimmten Wirkung? und laßenlassen 5229 sich die einzelnen5231 verschlungenen Fäden so aus einander wickeln, daß nicht dadurch das Ganze zerrissen, oder die Einsicht in die Totalwirkung vertilgt wird? –5232 Läßt sich 5233 da, wo alles5234 nach mechanischen Gesetzen zu erfolgen scheint, und nichts von der eignen5235 Mitwirkung der Seele bemerkt wird, auch die Thätigkeit der Seele dabey leugnen? –5236 Läßt sich 5237 auch bey5238 einer Menge von gleichscheinenden Fällen abnehmen, was bey5239 den Ursachen und Wirkungen einer Veränderung wesentlich, und was bloß zufällig sey? –5240 wie weit man allgemeine5241 Schlüsse daraus ziehen könne?
Mit alle dem müssen uns5243 diese Schwierigkeiten 5244 nicht muthlos machen; es ist doch ein großer5245 Gewinnst5246, wonach wir ringen, und schon der bisherige, [179] selbst die Erwartung bey5247 so großen5248 Schwierigkeiten übersteigende,5249 glückliche Fortgang solcher Untersuchungen5250 muß uns ermuntern. Je mehr man der5251 Natur auflauren5252, und ihr bey verschiednen5253 Menschen, in sehr verschiednen5254 Lagen, besonders in noch [203] ungebildeten Kinderseelen, nachspüren wird; je mehr der Reichthum, die Bestimmtheit und die wirklich philosophische Behandlung der Wissenschaften überhaupt, besonders der PhysiologiePhysiologie5255, der VernunftlehreVernunftlehre5256, und, was hier am meisten übersehen wird, der Sprachen5257 und ihrer allmähligen Bildung, zunehmen wird; je [225] mehr die, welche sich mit Menschenkenntniß abgeben wollen, sich zur anhaltenden Aufmerksamkeit, zur langsamen, bedächtigen und geduldigen Untersuchung sowohl, als zur Vorsichtigkeit5258 und Bescheidenheit gewöhnen; und je mehrere5259 auf diese Art an der Erweiterung der Seelenlehre arbeiten: je ein5260 weiteres Feld wird sie gewinnen, und je5261 sicherer ihr Eigenthum werden.
Ein guter Theil der Mängel und Schwierigkeiten in der Seelenlehre kan5263 durch die Art der Behandlung gehoben werden, die in der erklärenden Psychologie (§. 190 5264) herrscht, und diese dadurch von der empyrischenempirischen 5265 unterscheidet. Denn da sie die Veränderungen der Seele aus dem mit Hülfe ontologischer Grundsätze entdeckten Begriff5266 der Seele und den Gesetzen der Vorstellungskraft erklärt:5267 so ersetzt sie nicht nur die Kenntnisse, die sich nicht aus der Erfahrung ableiten laßen,5268 (z. B.)zum Beispiel [180] die, welche ihr künftiges Schicksal betreffen: sondern sie setzt auch das, was die Beobachtung entdeckt, mehr ausser5269 Zweifel, bestimmt die Allgemeinheit desselben, und bringt5270 dadurch die Seelenlehre einer eigentlichen5271 Wissenschaft näher5272. Freylich5273 ist selbst der Begriff5274 der Seele erst aus Beobachtungen abgeleitet, und es läßt sich nichts bearbeiten, wo kein Stoff dazu vorhanden ist, den die Beobachtung giebt; es läßt sich auch nicht leugnen5275, daß man diese letztre5276, zumal ehedem, zu wenig [204] brauchte, und daß man leicht in Versuchung kommen kan5277, das, was an bewährten [226] Grundsätzen abgeht, durch Hypothesen zu ersetzen, oder die große5278 Kluft zwischen den höhern Grundsätzen und einzelnen5279 Veränderungen der Seele zu überspringen. Aber diese Fehler sind doch vermeidlich, die wohlthätige Einschränkung und Leitung der Phantasie durch jene höhere Grundsätze doch unleugbar5280, und die Verbindung der Beobachtung mit deren Läuterung durch allgemeine Grundsätze kan5281 nicht anders als beyden5282 sehr vortheilhaft seyn.
An der Wichtigkeit dieser Wissenschaft5467 zweifeln, wäre eben so viel5468, als zweifeln, 5469 ob der Mensch und ein jedes vernünftiges Wesen, immer vernünftig handeln müsse. – Keine Fähigkeiten und keine Umstände haben eigentlichen Werth und machen glücklich, als so fernsofern sie recht gebraucht werden; nur der gute WilleWille ist ohne Einschränkung gut, und kankann mit Recht das höchste Gut genannt werden *).werden. *) – Es ist auch so offenbar, daß wahre, ungetrübte, dauerhafte GlückseligkeitGlückseligkeit nur davon, nur von stetem vernünftigen HandelnHandeln und der NeigungNeigung dazu abhängt, daß man entweder gegen seine höchst möglichste Glückseligkeit gleichgültig seyn, oder glauben müßte, sie ohne vernünftigen Gebrauch seiner Kräfte oder Umstände erreichen zu können, wenn es uns gleich vielgleichviel wäre, ob unser Wille gut seysei oder nicht, oder wenn wir um alle Kenntniß der Beschaffenheit eines wahrhaftig guten Willens, und der Mittel ihn zu erlangen, unbekümmert blieben.5470
*) S.Siehe Kant, Immanuel Kant's Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S.Seite 1 flg.folgend fg.folgend 54765545 Wenn man sich den Menschen im Stande der NaturNatur denkt, das heißt,5546 als bloßen5547 Menschen, vorfür sich oder im Verhältniß gegen Andre, als bloßeandere, in eben diesem Naturstande gedachte Menschen, und in einem Zustande, wo er noch keine andreandere Verbindungen mit ihnen, ausseraußer denen, die die Natur selbst gemacht hat, eingegangen ist: so darf er, nach dem Zweck seines Daseyns,5548 seine Kräfte bestmöglichst brauchengebrauchen, und allesAlles, was er dadurch hervorbringt oder erlangt, ist als das Seinige anzusehen; nur mit der Einschränkung, daß, weil ein jeder andrer Mensch eben dieses darf, kein andrer an dem ebenmäßigen Gebrauch seiner Kräfte und dem Genuß desjenigen, was er dadurch bewirkt oder erworben hat, gehindert werden muß. Jeder Mensch hat also zu dem gedachten Gebrauch und Genuß5553 ein Recht 5556, und in dieser Rücksicht entsteht5557 für jeden Andern 5558 die Pflicht, ihn in dem, was sein5559 ist, [243] das heißt,5560 in dem Gebrauch seiner Kräfte, des dadurch Erworbenen,5561 und der Güter, ohne welche er jene nicht brauchen, dieses nicht genießen könnte5562, nicht zu beeinträchtigen. Dergleichen natürliche Rechte und Pflichten nennt man5563 vollkommene Rechte und Pflichten, weil und sofern sie die Natur mit sich bringt, ohne daß es erst der Einwilligung eines Andern bedarf5564; auch heissen5565 sie erzwingliche Rechte und Zwangs [291[!]] pflichten, weil der, so diese Rechte5566 hat, sie5567 dadurch behaupten5568 darf, daß er den Andern zwinget5569, sie5570 unbeeinträchtigt zu laßen5571. Alle andre5572 Rechte und Pflichten heissen unvollkommne 5573 oder unerzwingliche, auch bloße5574 Gewissenspflichten. Jene Zwangsrechte und Pflichten machen das Naturrecht, diese Gewissenspflichten die Moral oder Sittenlehre im engern Verstande aus. Beyde gehören zu der oben (§. 204 und 5) erwähnten praktischen Anthropologie.5575
Es hat allerdings seinen großen5591 Vortheil für die weise Bestimmung und Handhabung der bürgerlichen Gerechtigkeit, wenn die gedachten vollkommnen5592 und unvollkommnen5593 Pflichten von einander unterschieden werden; und da5594 alle positive Rechte um so gegründeter5595 sind, je mehr sie mit dem Naturrecht übereinstimmen, sie auch eigentlich durch dieses letztere ihre Festigkeit bekommen: so bleibt das Recht der Natur5596 immer eine sehr wichtige Wissenschaft, auch für den, der sich der Theologie widmet; zumal wenn damit, wie von Manchen5597, zugleich im [192] Vortrag die allgemeine praktische Philosophie verbunden wird. Allein da 5598 sich das Naturrecht5599 nur auf Pflichten gegen Andre5600, und noch dazu nur auf ZwangspflichtenZwangspflichten5601 einschränkt, folglich nur Beleidigungen abwehren5602, und äusserliche5603 Sicherheit, also einen zwar sehr schätzbaren, aber doch nur sehr kleinen Theil der mensch[223]lichen, und nur der äusserlichen5604, Glückseligkeit, befördern soll; auch in der eigentlichen5605 Moral eben dieselben Pflichten, nur nicht mit so besondrer5606 Anwendung auf die in der menschlichen Gesellschaft sich ereignenden Umstände, vorgetragen werden;5607 und in der eigentlichen Moral5608 noch dazu mehr auf Liebe und Achtung gegen Andre5609 gearbeitet wird, ohne welche die wahre Gerechtigkeit sehr oft nicht erkannt oder nicht ausgeübt werden möchte: so scheint es für den künftigen Lehrer der Religion räthlicher, beyde5610 Wissenschaften (§. 206 206. )5611 in der Erlernung5613 nicht zu trennen.
Anm.Anmerkung Anm. Wenn man sich statt einzelnereinzler Menschen ganze Völker, und diese als moralische Personen gegen einander, denkt: so entsteht aus dem Begriff eines solchen Volks, auf welches der Inhalt des Naturgesetzes angewendet wird, das sogenannte Völkerrecht Völkerrecht; das aber hier zu unsrer Absicht nicht gehört. 5614Die philosophische Moral also, wenn sie 5618 von der allgemeinen praktischen und von der reinen praktischen5619 Philosophie (§. 204 204. Anm.Anmerkung), aber nicht von dem NaturrechtNaturrecht (§. 206 206. 5620) unterschieden wird, faßt den ganzen Umfang aller besondern Pflichten des Menschen in sich, sofern sie aus der Natur erkennbar sind, und schränkt sich bey5623 Vorstellung der Gründe, womit [293[!]] sie sie empfiehlt, so wie der Mittel, [224] die sie zur Beförderung guter Gesinnungen und Handlungen vorschlägt, auf keine besondre5624 Arten derselben, wie das Naturrecht, ein, wenn nur jene Gründe und diese Mittel aus der Natur erkannt werden können. Sie dehnt sich auch über die Pflichten der Gerechtigkeit aus,5625 – dies hat sie mit dem Recht der Natur gemein –; aber sie begnügt sich nicht mit äusserlicher5626 Gerechtigkeit, sie dringt auch auf innerliche; sie fügt noch die Pflichten des Wohlthuns hinzu, und alle Pflichten, die wir Gott und uns selbst schuldig sind, oder die 5627 irgend aus allen diesen Verhältnissen entstehen. Sie bearbeitet alle diese Pflichten zugleich und eigentlich5628 als Gewissenspflichten, und begnügt sich nicht mit guten Handlun [246] gen, sondern arbeitet auch und vornemlich5629 auf gute Gesinnungen. Kurz, sie bildet den Menschen nicht bloß zum unschädlichen und ehrlichen Mann, sondern sucht ihn auch nützlich oder wohlthätig, redlich und religiös 5630 zu machen. –5631 Da sie so den Menschen eigentlich veredelt,5632 und zu seiner wahren Bestimmung führt:5633 so muß jedem die Nothwendigkeit einleuchten, sie ganz vorzüglich zu treiben. Am meisten müßte der künftige Lehrer der Religion sie sich zu eigen zu machen suchen, da er ganz eigentlich dazu bestimmt ist, Andrer5634 Gewissen zu leiten.
EsWas übrigens die Methode des philosophischen Studiums betrifft, so läßt sich auchüberall nicht philosophiren, wenn man nicht den nöthigen Stoff Stoff hat, den man läutern und verarbeiten will. Daher wäre es sehr gut, wennsollten 5721 junge Studierende frühzeitig, besonders auf Schulen,5726 auf Beobachtung der physischen und [207] moralischen Natur, auf den Menschen,5727 und die Vorfälle in der Welt, auf Ursachen und Folgen der Dinge5728 aufmerksam gemacht, zur Reflexion gewöhnt 5729, und dazu besonders beybei dem5730 Lesen classischer5732 Schriftsteller und dem5733 Studium der Geschichte geleitet würdenwerden 5734. Hätten5736 sie so sich geübt5737, und einen guten Vorrath von Kenntnissen [251] gesammlet, alsdenn müßten5738 sie zu den Regeln des Denkens angeführt, und durch bedächtiges Fortschreiten von dem Einfachern zum Zusammengesetztern, zu deutlicher Untersuchung gewöhnt werden. HätteHat man ihnen nachher5739 zugleich eine gute5741 zusammenhängende allgemeine5742 Uebersicht der wissenschaftlichen Philosophie beygebracht5743, so wüßten5744 sie nicht nur5745 was die gründlichsten Forscher ausgekörnt,ausgekörnt und5746 bewährt [230] befunden hätten,5748 sondern sie würden5749 auch, was sie selbst nachgehends5750 durch Nachdenken oder bey5751 den besten Schriftstellern untersucht gefunden, gehörig anreihen,5752 mit mehrerer Sicherheit prüfen, und bestimmter ausdrucken5753 lernen.
Uebrigens möchtenDemnach sind die Haupterfordernisse zu einem wahrhaftig nützlichen5777 Studium der Philosophie wohl folgende seyn.zu sehen hat. –5779 Hinlänglicher Vorrath von Kenntnissen der Sache, die man untersuchen will. – Stetes Trachten allein nach WahrheitWahrheit, ohne Rücksicht auf Neues, Berühmtes, Gangbares, oder was unsern Leidenschaften schmeichelt. –5781 Beständiges Streben nach deutlichen und bestimmten Begriffen. – Nicht schnell zum Ziele einer Untersuchung eilen, und bald nach Resultaten haschen.haschen; – Vielmehrvielmehr nicht5782 eher weiter gehen, 5785 bis man von dem deut[209]lich überzeugt ist, was bey5786 der weitern Untersuchung zum Grunde liegen muß. – Im Untersuchen stete5787 Verbindung der wirkenden und Endursachen. – Stete Rücksicht auf Anwendung zum Handeln und zu Aufklärung anderer5788 Wissenschaften, vornemlich5789 derer, denen wir uns vorzüglich widmen. – Bescheidenheit, da stehen zu bleiben, wo wir wegen der Natur der Sache,5790 wegen unsrer eingeschränkten Erkenntniß, und wegen Mangel vonan Vorerkenntnissen,5791 nicht weiter können; ohne weder das zu verwerfen, was wir, jetzt wenigstens, nicht durchzuschauen5793 vermögen, noch schlechthin an deren Aufklärung zu verzweifeln. – Zufriedenheit mit moralischer Gewißheit, wo es uns an höherer Evidenz fehlt, und, wo uns auch nicht einmal5794 jene zu erhalten 5795 möglich ist, in praktischen Sachen, mit Wahrscheinlichkeit, und überhaupt mit möglichster Annäherung an Gewißheit. – Treue Benutzung aller Winke von Andern, zu weiterer Untersuchung.
5796Philosophie 5872, so wie alle menschliche Kenntnisse, gründet sich5873 auf Wahrnehmung dessen, was wirklich ist, und, bey5874 den steten Abwechslungen der Dinge, auf die Beobachtung der verschiednen5875 Ereignisse. Wenn diese Kenntniß uns nutzbar,5876 und 5877 das Allgemeine abgezogen werden soll, um uns weiser und dadurch glücklicher zu machen:5878 so müssen wir einzelne5879 Ereignisse mit andern vergleichen, die zugleich5880 oder vor- oder nachher erfolgten, kurz, sie im Zusammenhang übersehen, um zu entdecken: was war die UrsachUrsach5881 und was die Folge eines Ereignisses? und, wenn es Veränderungen5882 waren, die von vernünftigen Wesen bewirkt wurden,5883 was war die Absicht? Jedes Geschehene, wenn es mit den begleitenden und auf einander folgenden Ereignissen erkannt wird, ist eine Geschichte; und eben diesen Namen legt man einer Wissenschaft bey5884, die uns von den Veränderungen in der Welt im Zusammenhange benachrichtigt.
Aber nicht alles5886, was geschiehet5887, ist wissenswürdig, und der ungeheure Umfang der Verän[214]derungen in der Welt macht ohnehin eine Auswahl des Merkwürdigern nothwendig, welches entweder nach dem bestimmt werden muß, was größere5888 und weitgreifendere Veränderungen hervorgebracht hat, oder nach dem, was denjenigen, der sich mit Aufsuchung dieser Ereignisse beschäftigt, nach seinen besondern Absichten, wozu er diese Kenntniß brauchen will, am meisten interessirt5889. Daher hat man angefangen, die verschiednen5890 Arten der Ereignisse in der Welt von einander abzusondern,5891 und daraus5892 entstehen so viele verschiedne5893 Theile der Geschichte. Schränkt sich diese auf solche5894 Thaten und Veränderungen der Menschen ein, die in das Glück und Unglück der menschlichen Gesellschaft einen Einfluß haben, so heißt sie im eigentlichen Verstande Geschichte oder Historie.
Jedermann, wer die Geschichte kennt, muß zugestehen, daß sie eine sehr unterhaltende und höchst nützliche Wissenschaft seyn könne, und sie wird es in dem Grade wirklich seyn, in welchem sie, nebst der deutlichen und treuesten Darstellung der Begebenheiten, dem vorhin angegebnen5897 [259] Zweck entspricht, das heißt, zusammenhängend,5898 und auf die Vorstellung des Einflusses derselben auf die menschliche Wohlfahrt und deren Gegentheil ge[215]richtet ist. Sie vertritt 1) die Stelle der eignen5899 Erfahrung, und erweitert die Kennt[237]niß der Welt und der Menschen ungemein. So fern5900 giebt sie die brauchbarsten Materialien5901, welche die Philosophie verarbeiten kan5902; sie macht aufmerksam auf Umstände, die dem spekulativen5903 Kopf, der immer nach dem Allgemeinen hinsieht, gar zu leicht entwischen5904, und somit die Vollständigkeit der Induction, wie die Sicherheit der Analogie, verhindern; sie beugt dadurch der Unfruchtbarkeit allgemeiner Untersuchungen5905 über die Welt und den Menschen, nebst den zu einseitigen Vorstellungen vor; sie ist eine herrliche Uebung im Untersuchen und Vergleichen; ein reiches Magazin für Philosophie der Welt und des Lebens.
Doch nicht bloßes5907 MagazinMagazin –5908 sondern 2) auch SchuleSchule – der Weisheit und Klugheit5909, die nur bey5910 zufälligen oder veränderlichen Dingen statt finden5911, und immer auf5912 Verbindung geschickter Mittel zu5913 guten Absichten sehen5914. Die Geschichte lehrt uns, was gewisse Absichten, die sich Menschen vorsetzten, wenn sie sie auch erreichten, für gute und üble Folgen, also was für Einfluß sie auf wahre menschliche Glückseligkeit hatten; sie zeigt, wodurch gewisse Absichten bewirkt worden sind, und wie viel Grund zu diesem glücklichen [260] Ausschlag oder zu dem Gegentheile, entweder in den Umständen oder in dem Benehmen der Menschen dabey5915, lag. Sie macht uns mit Menschen von sehr verschiedner5916 [216] Art und unter sehr verschiednen5917 Lagen bekannt, zeigt uns die Triebfedern ihrer Handlungen, und die Mittel,5918 Andre5919 am besten zu gewissen Absichten zu lenken. Kurz, sie versieht uns nicht nur mit einem großen5920 Reichthum nützlicher Kenntnisse, und macht uns die Umstände in der Welt und ihren Einfluß auf einander anschaulich,5921 sie schärft auch den praktischen Verstand, [238] ohne welche drey5922 Stücke keine Weisheit und Klugheit möglich ist. Durch den Fleiß, den man auf die Geschichte wendet, gewöhnet5923 man sich zur Aufmerksamkeit auch auf die kleinste5924 Umstände, und selbst ihren unmerklichern Einfluß, zu einer schnellen Uebersicht derselben,5925 und einen festen und sichern Blick auf das, was man jedesmal zu thun habe; man wird mit so vielen sonderbaren Ereignissen bekannt, daß uns 5926 unerwartete5927 Umstände weit weniger5928 befremden, und bey5929 vorkommenden Fällen weniger ausser5930 Fassung setzen; und eben hiedurch5931 gewöhnen wir uns, vermittelst der Geschichte, uns wirklich klug zu betragen. Es mag seyn, daß man auch ohne sie, in gewissen Arten von Geschäften, zu welchen man vorzüglich aufgelegt ist, und mit welchen man am meisten, oder beynahe5932 allein, umgeht, Klugheit genug erlangen könne; aber zur Klugheit für jede Art zu handlen5933, zumal für die Geschäfte, wobey5934 uns schon viel und lange vorgearbeitet ist, kan5935 man schwerlich, ohne Bekanntschaft mit der Ge[261]schichte, gelangen, wenigstens wird die Weisheit und Klugheit, die man sich durch das Studium der Geschichte erwirbt, weiter reichen, sichrer seyn, und [217] mit weit weniger eignen5936 Schaden erworben werden, als ohne Kenntniß der Geschichte5937.
Wie sich aber die Geschichte hauptsächlich mit den Handlungen der Menschen, mit den zu ihrer Ausführung genommnen5939 Maaßregeln,5940 und mit deren Erfolge sowohl,5941 als mit den Folgen des Betragens der Menschen beschäftigt: so kann5942 sie 5943 3) sehr viel beytragen, TugendTugend zu befördern,5944 und von5945 Ausschweifungen zurückzuziehen5946. Denn sie zeigt die unausbleiblichen Folgen von beyden5947, sie [239] macht unsre5948 Pflichten durch so viele Beyspiele5949 einleuchtender und eindrücklicher, als es alle Regeln und Beweise vermögen, und erhebet5950 dadurch den Menschen zu edlen5951 Empfindungen. Indem sie aber zugleich 4) den Gang der göttlichen Regierung der Welt5952 vor Augen legt, und gleichsam die Jahrbücher derselben eröffnet,5953 indem sie die Eitelkeit der menschlichen Anschläge, den steten Wechsel der Dinge und die wundersame Art zeigt, wie Gott überall seine weisesten Absichten durchgeführt hat, giebt sie nicht nur den Menschen Muth, Gutes zu thun, und selbst bey5954 den größesten5955 Hindernissen und anscheinendem5956 mißlichen Ausgang,5957 nie müde zu werden,5958 sondern sie macht auch bey5959 dem, der diesem GangGange 5960 der göttlichen VorsehungVorsehung5962 nachspüren will, einen tiefen Eindruck und Ueberzeugung5963 von Gottes höchster Macht, Weisheit und Güte, worin der Grund zur wahren Beruhigung des Gemüths und Zufriedenheit mit allem5964 liegt, was uns [218] begegnet. Sofern daher alle wahre Glückseligkeit des Menschen theils auf stetem Bestreben nach Tugend, theils auf gegründeter Zufriedenheit des Gemüths beruht, und diese eigentlich von wahrer Weisheit abhängt:5965 ist ihr ganzer Einfluß auf unsre wahre Glückseligkeit unverkennbar.
Ueberhaupt aber ist 5967 5) Kenntniß der GeschichteGeschichte bey jeder Wissenschaft unentbehrlich, so fern5968 man entweder das benutzen muß,5969 was schon vor uns in einer Wissenschaft entdeckt worden ist, oder so fern5970 eine Wissenschaft den zu verarbeitenden Stoff, wenigstens Erläuterungen, aus der Geschichte entlehnen muß. Jenes muß man aus der Geschichte der Wissenschaften schöpfen, und wenn gleich das Studium dieser Geschichte entbehrlich scheinen möchte, weil die Ent[240]deckungen, wovon uns die Geschichte benachrichtigt, nach und nach schon in den5971 Wissenschaften selbst aufgenommen worden sind, und man das Entdeckte benutzen kan5972, ohne gerade zu wissen, wie alt es sey5973, oder woher es komme: so kan5974 doch auch die Geschichte der Entdeckungen vieles Licht auf die Entdeckungen5975 selbst werfen, so fern5976 sie uns zeigt, wie man auf die5977 Entdeckungen gekommen sey5978, unter welchen Einschränkungen man sie gemacht, wie mit andern Lehrsätzen verbunden habe u. d. gl.und dergleichen 5979 [263] In einigen Wissenschaften, als der Philologie, zumal bey5980 Lesung alter Schriftsteller, der Theologie, der Rechtsgelahrtheit, Staatswissenschaft u. s. f.und so ferner 5981 kurz, wo sich der Inhalt, zum Theil wenigstens, auf5982 nicht nothwendige Dinge, sondern auf menschliche Vorstellungen und willkührliche Anstalten gründet, leuchtet der Nutzen, ja bisweilen die Unentbehrlichkeit von selbst ein; und je mehr überall die Geschichte zu Hülfe genommen wird, je anschaulicher können auch die Lehrsätze 5983, und je näher kan5984 ihre Verbindung mit dem gemeinen Leben gemacht werden.
Soll die Geschichte wirklich die angezeigten Vortheile verschaffen:5986 so muß sie 1) der strengsten5987 Wahrheit, so weit sich diese entdecken läßt, nachgehen,5988 mithin auf geprüfter Aechtheit5989 und Lauterkeit der Quellen, woraus man schöpft, und auf geprüfter Glaubwürdigkeit der Schriften oder Denkmahle5990 über gewisse Ereignisse, (d. i.)das ist darauf beruhen, ob ihre Verfasser hinlängliche Fähigkeiten und guten Willen, die gemeldeten Sachen kennen zu lernen, und sie Andern wieder 5991 mitzutheilen, besessen haben; mit einem5992 Wort, sie muß kritisch seyn. Fehlt es an solchen Quellen, oder sind sie bey5993 einzelnen5994 Begebenheiten mangel[241]haft, oder läßt sich ihre Aechtheit5995, Unverdorbenheit und Glaubwürdigkeit nicht darthun:5996 so hat der Geschichtforscher5997 das Recht, durch Vergleichung der Natur der Sachen5998 oder durch Zusam[264]menhaltung glaubwürdiger historischen5999 Anzeigen, Vermuthungen zu wagen, die, bey6000 gebrauchter Vorsicht, und wenn er nicht weiter geht, als die[220]se zwey6001 Hülfsmittel ihn leiten, den Zeugnissen an6002 Werth nichts nachgeben, ja öfters auf die Entdeckung des Unrichtigen oder doch UnsicherenUnsichern 6003 in ausdrücklichen Nachrichten führen.
Eine zweyte2te Eigenschaft6009 der guten historischen Erzählung würde6011 die Deutlichkeit seyn6012. Sie wäre6013 aber alsdann6014 deutlich, wenn die Begebenheiten mit ihren besondenbesondern 6015 Umständen vorgestellet würden6016 – wenn nichts erwähneterwehnet würde6017 wovon der Leser nicht einen klaren Begriff hätte6019, oder ihn aus der Erzählung selbst bekommen könnte6020 – und wenn selbst durch die Darstellung die Wahrheit des Erzählten begreiflich würde6021.
Sehr viel kömmt6031 auch 3) bey6032 der Geschichte darauf an, daß alle Ereignisse und deren Umstände im Zusammenhange, (d. i.)das ist so vorgestellt werden, daß man die Ursachen und Folgen derselben einsehen kan6033. Dieses setzt nicht nur den Leser in den Stand, die Sachen besser zu behalten – eine Schwierigkeit, über die so oft bey6034 [266] der Geschichte geklagt wird –;6035 es befördert selbst die DeutlichkeitDeutlichkeit;6036 die Prüfung des Wahren, Falschen und Verdächtigen; es6037 macht die Geschichte unterhaltend, und zur6038 Nahrung und Uebung des Geistes.
Hiedurch wird zugleich die vierte4te Tugend6040 der Geschichte befördert, die in dem Pragmatischen besteht. Pragmatisch ist sie, in so fern6042 sie zur Weisheit und Klugheit bilden kan. Dies kan6043 sie aber, wenn der Geschichtschreiber immer das Interesse der Gesellschaft, deren Geschichte er liefert, (d. i.)das ist dasjenige, wozu sie sich vereinigt hat, theils vor [243] Augen behält, theils alles6044 in Beziehung auf dasselbe vorträgt, und die Mittel bemerken läßt, wodurch sie der Vollkommenheit, wonach sie streben soll, immer näher, oder davon weiter abgebracht worden 6045. Da sich indessen6046 der Gebrauch dieser Mittel nach der verschiedenen Lage der Gesellschaft und nach6047 den nicht von ihr abhängenden Veränderungen richten, und eben danach der Werth dieser Mittel beurtheilt werden muß: so müßte6048 sie diese Veränderungen vorzüglich nach allen ihren Umständen darlegen; zeigen, wie man dieselben abzuwenden oder zu befördern, und wie zum Besten oder Schaden der Gesellschaft zu lenken gesucht?6049 wie sich dabey6050 die Gesellschaft durch Gesetze oder andre6051 Anstalten, durch deren strenge oder fehlerhafte Beobachtung,6052 oder auch Abänderung genommen?6053 und was sie dabey6054 für Absicht gehabt?6055 wie, wie weit und wodurch sich [267] der Geist und Charakter der Gesellschaft gezeigt?6056 was einzelne6057 Personen dabey6058 für nachahmungs-6059 oder vermeidungswürdige Beyspiele gegeben?6060 und was alles dieses6061 und wie weit es auf die Wohlfahrt oder die Verschlimmerung [223] der Gesellschaft überhaupt oder einzelner6062 Theile derselben,6063 gewirkt habe?6064
Anm.Anmerkung Anm. 1. Ich bin in Bestimmung des Pragmatischen dem Begriffe der AltenAlten, besonders des Polybius Polybius , gefolgt, und habe ihn nur etwas erweitert, um ihn nicht bloß der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen, sondern auch auf andreandere Gesellschaften, auf die Menschheit, auf die Kirche u. s. f.und so ferner auszudehnen. S.Siehe Casaubon, Isaak Isaaci Casauboni Commentar. in Polybius PolybiumPolybium, Tom.Tomus I. p.pagina 742 seq.sequens und 721 sqq.sequentes seq.sequens Was hier von der Geschichte der Gesellschaft gesagt ist, gilt auch in seiner Art von der Geschichte der Religion und der Wissenschaften. Uebrigens versteht sichs, daß der Geschichtschreiber nicht über Weisheit und Klugheit und die damit verbundne übrige Tugend müsse vorerklären wollenverbundenen übrigen Tugenden weitläuftig raisonnirt, sondern die Begebenheiten so zu stellen weiß, daß vielmehr der Leser sie selbst daraus schöpfen lerne. Höchstens darf er durch schicklicheschicklich angebrachte Sentenzen – die Sentenzen, welche der Würde der Geschichte um so angemessener sind, je weniger sie ins Gemeine fallen –fallen, oder durch Winke Winke , welche oft, wie beybesonders bei dem Tacitus Tacitus zum Beyspiel Tacitus , in einzelneneinzlen Worten liegen können, oder, –oder wenn die bloßeblosse Erzählung der Begebenheiten nicht deutlich genug die Uebersicht des Ganzen befördern, oder zu sehr durch allgemeinere AnwendungenAnwendungen unterbrochen werden würde, – durch besondrebesondere ausführliche Abschweifungen (Digressionen(Digreßionen(Digressionen, Excurse), des Lesers Aufmerksamkeit auf das lenken, was zu dieser Absicht dienetdient. Anm.Anmerkung 2. Was einige Neuere Philosophie der Geschichte nennen, scheint im Grunde nichts Anderes als dieses Pragmatische zu seyn; undund, was man historische Kunst Kenntniß Kunst nennt, ist eben die Geschicklichkeit, die bisher angeführten Tugenden oder Haupteigenschaften, wenigstens die dreydrei letztern, einer Geschichte zu geben. Die erste Tugend, Wahrheit, ist mehr der Gegenstand der Geschichtsforschung Geschichtsforschung. 6065Die Geschichte hat einen ungeheuren6096 Umfang. Wollte man nicht auf ihre einzelne6097 Theile einen ganz besondern Fleiß wenden:6098 so würde immer ein sehr dürftiges Ganze herauskommen; man könnte vieles nicht deutlich machen, noch das Merkwürdigste ausheben, wo man nicht das Auslesen hätte, und also vieles und vielerley6099 von der Geschichte wüßte; und wenn6100 vollends die Geschichte zusammenhängend und pragmatisch vorgestellt werden soll:6101 so gehört 6102 nothwendig eine ausführliche6103 und selbst ins Kleine gehende Erkenntniß dazu6104. Aber aus den Theilen muß man doch auch ein wohl concentrirtes Ganze bilden können, um sich eine allgemeine Uebersicht der Weltveränderungen zu verschaffen, um die Geschichte der menschlichen Gesellschaft überhaupt zu verstehen, um einen allgemeinen Faden zu ha[245]ben, daran [269] man die besondere Geschichte knüpft. Dieses alles hat Gelegenheit zu gewissen Abtheilungen der Geschichte6105 gegeben.
Man kan6107 diese theils nach den besondern Arten der Veränderungen machen, deren Geschichte man sucht, theils 6108 nach dem weitern oder engern Umfang6109 der Geschichte. In jener Rücksicht ist die [225] Abtheilung in bürgerliche, Religions- und 6110 Kirchengeschichte, und in Literärgeschichte entstanden, je nachdem man dabey6111 auf die Veränderungen der bürgerlichen Gesellschaft, oder der Religion,6112 und der zur Aufklärung und Uebung derselben zusammengetretenen Gesellschaften, oder der Wissenschaften,6113 seine Absicht gerichtet hat. Alle drey laßenlassen 6114 sich wieder nach gewissen Hauptperioden, (z. B.)zum Beispiel die uns bekannte Geschichte in die ältere,6116 (bis auf den Anfang des 9ten Jahrhunderts nach Christi Geburt, oder besser,6117 bis auf die große Völkerwanderung6118 im 4ten 6119 Jahrhundert), in die mittlere 6120 (bis auf den Anfang des 16ten Jahrhunderts)6121 und in die neuere,6122 theilen. Nach dem weitern oder engern Umfang aber6123 pflegt man, wenigstens bey6124 der bürgerlichen Geschichte, die allgemeine Weltgeschichte (Universalhistorie) und die besondre 6125 zu unterscheiden, welche letztre freylich6126, nach den6127 verschiedenen Umfang6128 der Zeit oder der Gesellschaft und Wissenschaft, wieder sehr viele Abtheilungen leidet.
Wenn es dem, der Theologie studieren will, andre6130 Beschäftigungen, die seinen Fleiß fordern, nicht erlaubten6131, sich in das so gar weite Feld der Geschichte zu wagen:6132 so sollte er doch, als cultivirter Mensch, als Christ und Reli[246]gionslehrer, als Gelehrter und Bürger, in der allgemeinen Weltgeschichte6133, der Religions- Menschen-6134 und Literärhistorie6135 und in der Geschichte6136 seines Vaterlandes6137, kein Fremdling seyn; zumal wenn, wie billig scheint, jeder, der Anspruch auf CulturCultur6138 macht, wenigstens überhaupt und in dem Theil der Geschichte, die ihn am nächsten angeht, nicht ganz unwissend seyn darf, und gemeiniglich der Unterricht darin denen anvertrauet wird, die sich dem Studium der Theologie gewidmet haben.
Wie6154 man die Geschichte und deren angegebne6155 Theile am vortheilhaftesten studieren solle? – das heißt entweder,6156 auf welche6157 Eigenschaften der [227] Geschichte man sehen6158, zu welchem Zweck6159 man sie studieren müsse?6160 oder wodurch6161 man sich dieses Studium erleichtern könne? – In jenem 6162 Fall muß6163 die Absicht nicht bloß auf die 6164 Befriedigung der Neugier, der Eitelkeit und des Triebes nach Vielwissen6166, oder auf6167 angenehme Zeitkürzung6168 und Unterhaltung der Einbildungskraft gehen, 6169 sondern auf Erreichung des höhern Nutzens, der §. 218 6170 (f.)folgend angegeben ist; und alsdenn6171 wird man aus dem, was gesagt worden ist, leicht abnehmen können, aus welchem GesichtspunctGesichtspunct man sie studieren6172 müsse.
Hat aber die Frage den andern Sinn: so betrift sie mehr die Methode und die Hülfsmittel, und dabey möchten folgende Vorschläge nicht undienlich seyn.6190
Anm.Anmerkung Anm. 1. Man sieht aber wohl, daß dieses nicht eine Anweisung für Geschichtsforscher GeschichtschreiberGeschichtsforscher , oder für solche seyn solle, die sich mit vorzüglichem Fleiß dem Studium der Geschichte widmen, und, wie alsdannalsdenn nöthig ist, aus den Quellen schöpfen wollen; sondern für die, welche entweder den ersten Grund hierin legen müssen, oder sich mit der Geschichte mehr als einem Nebenwerke, oder nur so weit beschäftigen, als zur bessern Kenntniß der übrigen, namentlich der theologischen Wissenschaften, nöthig ist. Anm.Anmerkung Anm. 2. Die Religions- und Kirchengeschichte wird hier ganz übergangen; weil ihr unten in einem andern Abschnitt ein besondrerbesonderer Platz bestimmt ist. Anm.Anmerkung Anm. 3. Ueberhaupt muß derjenige, der sich mehr auf die Geschichte einlaßeneinlassen kan und will, zuerst diejenigen Schriftsteller zu Rathe ziehen, welche ein Verzeichniß der dahin gehörigen allgemeinen und besondern Werke und Schriften geliefert haben. Hat er dadurch die besten Geschichtschreiber in den verschiedenen Arten der Geschichte kennen gelernet, so muß er sich, wenn er weiter gehen will, an diejenigen halten, die von diesen als gebrauchte QuellenQuellen oder HülfsmittelHülfsmittel sind angegeben worden. Für Geschichte überhaupt, oder eigentlich für bürgerliche Geschichte, ist das vollständigste Werk die Bibliotheca historica, instructa a Struve, Burkhard Gotthelf Burc. Gotthelf Struvio , aucta a Buder, Christian Gottlieb Christ. Gottlieb Budero , nunc vero a Meusel, Johann Georg Jo. Georg. Meuselio - - amplificata, wovon bis jetzt 5 Volumina, jedes von 2 Theilen, Lipsiae 1782 bis 1791 Vol.Volumen I. Pars I. Lipsiae 1782. P.Pars II. 1784. u.und Vol.Volumen II. P.Pars I. 1785. in gr.groß 8. erschienen sindist. Die Buder, Christian Gottlieb Budersche Ausgabe des ganzen Werks war Jenae 1740 1740. in 2 Bänden in groß Oktav gr.groß 8. herausgekommen. 6191Vor allen Dingen müßte man sich zu orientiren suchen, d. i.das ist sich bekannt machen wo? und wenn die Veränderungen, welche die Geschichte lehren soll, vorgegangen wären, also zuvörderst den Schauplatz kennen lernen. Ohne6204 vorläufige Kenntniß der Geographie Geographie sollte man nie wollen6205 Geschichte studieren. Diese6206 vorläufige Arbeit brauchte nur6207 auf das Allgemeinere zu gehen;6208 weil sonst die Menge der Sachen zerstreuen, oder unnöthig aufhalten, vieles6209 auch nicht einmal verständlich, oder dessen Nutzbarkeit begreiflich seyn würde, was erst durch die Geschichte aufgeklärt werden muß. Vorzüglich müßten unter den wichtigsten Oertern6210 die natürlichen6211 Abtheilungen der Erde durch Meere, Flüsse und Gebürge6212 bemerkt werden, als welche die beständigsten sind, woran [274] sich auch größtentheils die Abtheilungen der Völker und die wichtigsten Städte geschlossen haben, von wo aus selbst die Verbindungen und die Ausbreitung der Völker gegangen sind. 6213 Weil die neuere Beschaffenheit der Länder uns näher angeht, und man von ihr mehr wissen kan6214 als von der vorhergehenden: so würde6215 man 6216 von der neuern6217 Geographie6218 anfangen6219, und 6220 so zur mitlern6221 und ältern fortgehen.6222 Es versteht sich, daß man stets die6223 besten Landcharten, die man bekommen kan, vor sich haben müsse6224.
Bey der neuern Geographie könnte man der vollständigern Kürze wegen Fabri, Johann Ernst J. E. Fabri Handbuch der neuesten Geographie, dritte umgearbeitete Aufl.Auflage Halle 1790 1784. gr.groß 8. und zur Erweiterung in Absicht auf Europa und einen Theil von Asien, Büsching, Anton Friedrich A. F. Büschings Auszug aus seiner Erdbeschreibung, 5te vermehrte Auflage, Hamburg 1780 in 2 Theilen in 8. und 6ste Aufl.Auflage des ersten Theils, 1785,1785. zum Grunde legen; noch mehr aber, wenn die Geographie vorzüglich zum Behuf der Völkergeschichte studiert werden soll, Gatterer, Johann Christoph J. C. Gatterers kurzen Begriff der Geographie, Göttingen 1789 in 2 Oktavbänden, weil er sich neben der Land- auch auf Völkerkenntniß erstreckt, und sie mit großer Sorgfalt classificirt. – In der mittlern mitlern Geographie haben wir eigentlich noch gar nichts Allgemeines, das einigermaßen, nebst Richtigkeit, vollständig heißen könnte. Anville, Jean Baptiste Bourguignon d' D'Anville zugleich richtigeres und vollständigeres als d'Anville Handbuch der mittlernmitlern Erdbeschreibung - - nebst einer Landcharte von der mittlernmitlern Geographie, Nürnberg 1782 1782. in gr.groß 8. ist bis jetzt das einzige zuverläßige, um sich in den für die Geschichte wichtigsten europäischen Staaten, seit der großen Völkerwanderung, überhaupt orientiren zu lernen, ob es gleich kaum über das achte Jahrhundert hinausgehtdie doch nur einige europäische Staaten betrifft. – In der ältern Geographie kankönnen für den Anfang das §. 140 erwähnte Handbuch zum Gebrauch der 140. erwehnte Handbuch nach Anleitung der Anville, Jean Baptiste Bourguignon d' d'Anvillischen Landcharten Landcharten, dienen, womit man stets den vortreflichenwovon der erste Band, über Europa, Nürnberg 1785. in gr.groß 8. vollendet ist, von dem zweyten aber bis jetzt einige Theile von Asien und Aegypten, erschienen sind. Der vortrefliche Atlas antiquus Anville, Jean Baptiste Bourguignon d' Danvillianus verbinden muß Danvillanus , welcher, mit Inbegriff der Tabulae medii aevi, 12 Charten in sich faßtfaßt, ist daselbst 1784. nachgestochen. – Von dieser vorläufigen geographischen Kenntniß muß freylich vieles erst hinterher durch die Geschichte vollständiger und deutlicher, und der Abgang solcher LandchartenLandcharten, welche die Länder nach gewissen besondern Zeiten vorstellen, durch die ersetzt werden, die sich bey manchen genauern Abhandlungen über die Geschichte einzelnereinzler Reiche zu gewissen Zeiten befinden,befinden und hier nicht können besonders angegeben werden können. 6225Nach dieser vorläufig erlangten Kenntniß müßte6249 der Anfang von Erlernung der Geschichte selbst mit einer allgemeinen Uebersicht derselben, also mit der allgemeinen WeltgeschichteWeltgeschichte6250 (§. 227 6251) gemacht werden, wenn man einen Unterricht finden kan, der dieses Namens würdig ist6252. Liegt bey6253 dem Studium der Geschichte keine solche allgemeine Geschichte zum Grunde:6254 so kan6255 man sich in Absicht auf Zeit (§. 231 234 ), wohin6256 jedes ge[231]hört, nicht wohl finden, ja selbst oft nicht einmal [276] in Absicht auf die Länder, wo etwas vorgefallen ist, weil diese, nach verschiedenen Veränderungen in der Geschichte, auch andre6258 Namen, einen andern Umfang, andre6259 Cultur (u. s. f.)und so ferner bekommen haben. Ueberdies6260 greift jede besondre6261 Geschichte in andre6262, ohne deren Kenntniß auch jene nicht deutlich ist, zumal wenn man die Ursachen von besondern Veränderungen in Einem StaatStaat6263 wissen will, die Ursachen mögen vorhergehende oder mitwirkende seyn. Denn dazu ist Kenntniß vorhergehender oder gleichzeitiger Staaten nöthig, und, da man die Geschichte dieser einzelnen6264 Staaten doch nicht auf einmal6265 lernen kan6266: so ist keine andre6267 Hülfe als von der allgemeinen Weltgeschichte6268 zu erwarten. Auch muß man sich gleich Anfangs6269 an Bemerkung des Zusammenhangs in der Geschichte gewöhnen (§. 224 227 ), und lernen6270 das Wichtigere von dem Unwichtigern zu6272 unterscheiden 6273, um über dieses nicht jenes zu vernachläßigen; aber eben6274 diesen Zusammenhang lehrt jene allgemeine Geschichte, und sie6275 macht uns auf das Gewicht und den Einfluß eines Staats und [251] dessen Veränderungen6276 auf gleichzeitige und spätere Veränderungen aufmerksam. Selbst der Blick erweitert sich durch dieses eröffnete6277 weite Feld, und6278 macht einen größern6279 Eindruck von 6280 der Wichtigkeit der Geschichte6281 überhaupt, welches die Lust, sie6282 zu studieren, sehr6283 befördert.
Es müßte aber eine6296 Geschichte, die6297 diese Absichten erfüllen sollte, a) bey6298 allem Reichthum der Sachen, 6300 zweckmäßig kurz seyn, (d. i.)das ist nichts enthalten, was nicht entweder zur Kenntniß eines ganzen Theils, Volks oder Staates und dessen merkwürdigerer6301 Veränderungen, oder zur Kenntniß des Einflusses desselben auf andre6302 ganze Theile, Völker oder Staaten, diente6303, und b)6304 doch hinlänglich zur allgemeinen Kenntniß dieser zwey6305 Stücke. Sie müßte6306 sich c)6307 leicht im Zusammenhange übersehen, und d)6308 zum zukünftigen beständigen Gebrauch bey6309 der SpezialgeschichteSpezialgeschichte, sowohl6310 als zur Festhaltung des Totaleindrucks, leicht behalten laßen6311.
Unmöglich ist es, das Ganze deutlich zu übersehen, ehe man nicht vorher dessen einzelne6313 Haupt[233] [278]theile kennen gelernt6314 hat. Also sind gewisse Gränzen oder Abschnitte nöthig, und diese werden bey6315 der Geschichte entweder durch die Zeit oder durch die Gegenstände, (z. B.)zum Beispiel durch die verschiednen6316 Völker, bestimmt, mit welchen sich die Geschichte beschäftigt. Jenes würde die chronologische, dieses die synthetische Anordnung seyn. Bey6317 der erstern kan6318 man die Weltveränderungen in die Länge oder Breite, (d. i.)das ist entweder so stellen, wie sie nach einander,6319 oder wie sie neben einander erfolgten; im erstern Fall würden6320 sie eigentlich chronologisch, im zweyten6321 synchronistisch geordnet. Bey6322 der andern aber käme6323 es auf das6324 an, was man zum Hauptgegenstand6325 machen will, ob das Schicksal der CulturCultur,Cultur und was dazu gehört6326, oder der Länder, oder der Völker6328. Alle diese Methoden laßen6329 sich verbinden. In einer allgemeinen Weltgeschichte, wo es am meisten auf leichte Uebersicht und ZusamhangZusammenhang 6330 ankommt, ists ohne Zweifel am besten, gewisse Hauptveränderungen6331 in der Welt 6332 als Epochen oder Ruhepuncte6333 anzunehmen, und darnach verschiedene PeriodenPerioden6334 zu machen,6335 (die man nachher, wenn sie zu lang, und zu voll von merkwürdigen Revolutionen sind, wieder, nach eben dem Fuß,6336 abtheilen kan6337), in jeder aber die wichtigsten Völker (im politischen Verstande,6338 oder in Einem Staatskörper vereint) und ihre Geschichte,6339 besonders, und daneben den Fortgang der Cultur überhaupt,6340 oder bey6341 jedem insbesondre,6342 aufzustellen.
Weltgeschichte von Schlözer, August Ludwig von A. L. Schlözer , Erster Theil, Göttingen 1785. 8, in der Einleitung, sonderlich S.Seite 79–119. 6343Nun würde6626 es darauf ankommen, welche Theile der übrigen, sonderlich ältern Geschichte, [290] der, welcher sich6627 nicht mit besondern Fleiß auf die6628 Geschichte legen kan6629, zu seinem [262] Zweck und eigentlicheneigentlichem Studium6630 am nothwendigsten fände. Die ältere Geschichte, wenigstens einzelne6632 Theile dersel[242]ben, können für manchen6633 weit nützlicher und unentbehrlicher, als die meisten Theile der neuern seyn; und sie haben selbst das Glück gehabt, weit pragmatischer bearbeitet zu werden, als manche der neuern6634, welche, bey6635 allem Nutzen für den bloß Wißbegierigen, den Staatsmann und Rechtsgelehrten, für andre6636 Leser oft6637 sehr wenig Wissenswürdiges oder Lehrreiches enthalten. Für den, welcher das Studium der Theologie und ihrer einzelnen6638 Theile zu seiner Hauptbeschäftigung macht, kan6639 daher die jüdischjüdische6640 und die damit in Verbindung stehende Geschichte andrer6641 Völker, nebst der griechischen6642 und römischen6643, vorzüglichen Fleiß erfordern. In dieser Rücksicht, selbst wegen des guten Vortrags, verdienen die Elementa historiae antiquae, auctore Baumgarten-Crusius, Gottlob August Gottlob Aug. Baumgarten Crusio , Lips. 1775 1775. 8. wovon nur noch die Fortsetzung fehlt, sehr empfohlen zu werden. Einige die griechische und römische Geschichte betreffende Schriften sind schon oben (§. 138) erwähnterwehnt worden, und wer diese Geschichte, zum bessern VerständnißVerhältniß alter Schriftsteller, noch ausführlicher zu lernen wünschte, könnte sich dazu der Histoire ancienne - - par Rollin, Charles Rollin , die Halle 1756. 57 57. in 4 Voll.Volumina und Ebendesselben noch beßre Histoire Romaine, die ebendaselbst 1753–55 1753–55. in 5 Voll.Volumina in gr.groß 8. nachgedruckt worden ist, und der Histoire des Empereurs, nebst deren Fortsetzung in der Histoire des Empereurs Romains - - jusqu'ajusqu' à Konstantin d. Gr. Constantin, par Crevier, Jean Baptiste Louis J. B. L. Crevier , nachgedruckt Amst. 1750 f.folgend in 12 Bänden gr.groß 12. bedienen. Will man übrigens aus Einem Werk die Spezialgeschichte aller bekannten und merkwürdigern, ältern und neuern, Völker und Staaten genauer kennen lernen, ohne sich in eine sehr ausführliche Untersuchung derselben einzulaßen:einzulassen, so möchte, im Ganzen genommen, kein Werk dazu dienlicher seyn als die Allgemeine Weltgeschichte, von der Schöpfung an bis auf gegenwärtige Zeit, von Guthrie, William Wilh. Guthrie, Gray, John Joh. Gray und andern - - übersetzt - -übersetzt - berichtigt, und mit Anmerkungen versehen, (in einzelneneinzeln Theilen auch durchaus um- oder ganz neu ausgearbeitet, Leipz. 1765 flgg.folgende),1765. flgg.) das sich seiner Vollendung nähert, und bis jetzt aus 4133 Bänden in gr.groß 8. besteht, Th.Theil 1–4. Th.Theil 5,5 Band 1–4.1–4, Th.Theil 6,6 B.Band 1 u.und 2. Th.Theil 7,7 B.Band 1 u.und 2,2. Th.Theil 8. Th.Theil 9, B.Band 1. 2 3. (noch unvollendet)8 u.und 9. Th.Theil 10,10 B.Band 1 u.und 2. Th.Theil 11 u.und 12. Th.Theil 13,13 B.Band 1 u.und 2. Th.Theil 14, 1–3te Abth.Abtheilung Th.Theil 15, 1–4te Abth.Abtheilung Th.Theil 16, 1–9te1–6ste Abth.Abtheilung Th.Theil 17, 1–3te Abth.Abtheilung (auch noch nicht beendigt); wovon einige Theile selbst dem Geschichtsforscher wichtig seyn werden.6644
6666Ein für den Gelehrten besonders unentbehrlicher Theil der Geschichte ist die gelehrte oder Literargeschichte, welche die Schicksale der Wissenschaften und der dazu dienlichen Hülfsmittel [292] vorstellen soll. Fortschritte in einzelnen6668 Wissenschaften, erforderten Fortschritte in der CulturCultur6669 überhaupt, und in der Art der Cultur insbesondre6670, welche unter dem Namen der Gelehrsamkeit (§. 3 6671) begriffen wird. Diese Fortschritte laßen6672 sich aber nicht deutlich angeben, wenn man nicht diejenigen kennt, welche die meisten oder wichtigsten Fortschritte6673 [244] darin gethan, und 6674 dadurch sie bey andern6675 befördert haben. In so fern6676 daher die Literargeschichte das Schick[263]sal der Wissenschaften darstellen sollte, müßte6677 sie – die Geschichte der Cultur, wenigstens der der Wissenschaften überhaupt, – die Geschichte der einzelnen 6678 Wissenschaften, – und die Geschichte der merkwürdigern Gelehrten enthalten.
Anm.Anmerkung Anm. 1. Anm. CulturCultur (Ausbildung(Ausbildung, AufklärungAufklärung) im weitern Verstande, heißt jede VervollkommnungVervollkommnung der Seelenkräfte, sie mag in Erweiterung der Kenntnisse und Neigungen,Neigungen oder in Verbesserung der SeelenkräfteSeelenkräfte,Seelenkräfte durch Berichtigung und Verdeutlichung der Begriffe sowohl,sowohl als durch Bestimmung der Neigungen nach deutlicher Erkenntniß, bestehen. Wird diese erlangte Vollkommenheit der Seelenkräfte zur Beförderung derder, innerlichen oder äusserlichenäusserlichen,äußerlichen GlückseligkeitGlückseligkeit angewendet:angewendet, so entsteht Cultur im engern Verstande, die also nichts anders ist, als Fertigkeit, unsre Seelenkräfte zur menschlichen (innern oder äussernäußern, wahren oder vermeinten,vermeinten) Glückseligkeit anzuwenden. Anm.Anmerkung Anm. 2. Eine Wissenschaft Wissenschaft (objective(obiective genommen) ist ein zusammenhängender InbegriffInbegrif deutlicher Kenntnisse von Gegenständen einer gewissen Art – und, will man sie noch von einer Kunst Kunst unterscheiden, so möchte es, beybei aller Unbestimmtheit dieses Worts, doch wohl dem gewöhnlichengewöhnlichsten Sprachgebrauch am gemässestengemäßesten seyn, diesen Unterschied der Wissenschaften und Künste darnach zu bestimmen, daß diese sich zunächst mit Befriedigung sämmtlicher BedürfnisseGegenständen beschäftigen, jenerdie den Sinnen dargestellt werden können, jenejene aber zunächst mit Befriedigung dermit geistigen (§. 3 3. ), wenigstens solchen Dingendurch solche Dinge, deren Kenntniß nicht auf bloßerblosser Empfindung beruht. – Wissenschaft liche Cultur ist also eine Art der Cultur in weiterm Verstande, und von Cultur der Sitten sowohl als von Volks- oder gewöhnlicher Cultur noch sehr verschieden, ob sie gleich in beydeauf beide einen ungemeinen Einfluß haben kankann. 6679Zu den Hülfsmitteln, welche zur Kenntniß der Wissenschaften, Künste, und überhaupt nützlicher Sachen, sowohl6709 als zur mehrern Ausbreitung derselben dienlich sind, gehören theils alle schriftliche DenkmahleDenkmahle6710, vorzüglich Bücher, theils alle Anstalten, welche die bessere Entdeckung und Ausbildung nützlicher Kenntnisse6711 oder die Erhaltung desjenigen befördern, was bereits entdeckt und ausgebildet worden ist. Der Theil der Literargeschichte, welcher jene Denkmahle6712 bekannt macht, heißt die Bücherkenntniß Bücherkenntniß 6713. Zu den erwähnten6714 Anstalten aber gehören6715 Schulen, Universitäten, Akademien6716, Bibliotheken, gelehrte Jour[294]nale und dergleichen; man6717 könnte diesen Theil Geschichte der literarischen Anstalten nennen.
Die6719 Vortheile, welche 1) der Geschichte überhaupt können6720 zugeschrieben werden 6721 (§. 218 bis 221 221–24 ), kan6722 die Literargeschichte insbesondre6724 in ihrer6725 Art ebenfalls6726 stiften. Sie ist selbst dem Gelehrten, als Gelehrten, weit nützlicher6727, als die meisten übrigen Theile der Historie, namentlich als die bürgerliche Geschichte; weil sie die Art seiner ei[246]genthümlichen Beschäftigungen angeht, ihn mit den ihm nöthigsten Kenntnissen und Hülfsmitteln bekannt macht, ihm die nützlichsten Beyspiele6728 darstellt, nach welchen er sich bilden, durch die er ermuntert oder gewarnet6729 werden kan6730. 2) Es wäre ungereimt für den, der nach immer mehrerer Vollkommenheit strebt, ungerecht gegen Andrer6731 Verdienste, und undankbar gegen die göttliche VorsehungVorsehung6732, wenn man das nicht benutzen wollte, was schon Andre6733 uns [265] vorgearbeitet haben,6734 am ungereimtesten da, wo bloße6735 Beobachtung, Nachdenken oder Genie uns nicht helfen können, (d. i.)das ist in allem6736 was historisch ist. Dieses Vorgearbeitete ist doch in Büchern enthalten, welche uns die Literargeschichte kennen lehrt,6737 und ohne diese Kenntniß weiß man 6738 nicht, woran man sich halten soll, wenn man über eine Wissenschaft oder gewisse Gegenstände derselben unterrichtet seyn will. Mündlichen Unterricht in den Wissenschaften kan6739 man wenigstens nicht immer haben, man [295] kan6740 ihn wenigstens,6741 und6742 man kan6743 selbst erlangte Kenntnisse immer mehr aus Büchern vermehren. Literargeschichte, und besonders Bücherkenntniß, ist das Repertorium für die ganze Gelehrsamkeit; ohne sie bleibt man in Kenntnissen unglaublich zurück.
Die Bekanntschaft mit ihr lehrt uns auch 3),6745 den ganzen Umfang der Wissenschaften, wovon immer eine der andern die Hand bietet; sie bringt [247] uns also einen allgemeinen Geschmack und wenigstens Achtung gegen alle Wissenschaften bey6746, verhindert dadurch nicht nur die so schädliche Pedanterey und KleinkreisigkeitKleinkreisigkeit,6747 sie vermindert auch, indem sie uns mit dem Gehalt und Einfluß der Wissenschaften in einander bekannt macht, die für die Wissenschaften so schädliche Trägheit, welche aus Unwissenheit oder Gleichgültigkeit gegen alles6748 entsteht, was uns nicht unmittelbar nützlich ist, nebst der unedlen6749 Einschränkung bloß auf die6750 Studien, wovon man seinen Lebensunterhalt zu ziehen hofft. Und wenn dann6751 auch nur 4) die Kenntniß der Literargeschichte das Studieren erleichterte:6752 so wäre dies6753 schon Gewinnst genug. Es ist doch immer schon lehrreich, auf Andrer6754 Fehltritte und Abwege in den Wissenschaften aufmerksam gemacht zu [266] werden, und sich neue oder vergebliche Arbeit zu ersparen, Andern gute Methoden, gebrauchte Hülfsmittel, und Zeit und Mühe verkürzende Handgriffe abzulernen,6755 zu sehen, was in einer Wissenschaft bereits geleistet worden, oder noch [296] zurück ist,6756 Zeit zu gewinnen, die man über das Lesen schlechter oder doch nicht der besten Bücher einer Art und über unnöthige Arbeit verliert, und seine Kräfte auf das zu verwenden, worin von Andern noch Nichts6757 oder doch das Geschehene6758 nicht gut genug geleistet worden ist.
Wenn über dies6760 5) einem jeden Gelehrten daran liegen muß, sich nicht selbst verächtlich zu [248] machen, sondern vielmehr Andrer6761 Vertrauen zu gewinnen und zu erhalten, um mit seinen Kenntnissen desto mehr Nutzen zu stiften: so begreift man leicht, wie sehr es unsrer6762 Achtung bey6763 Andern schade, wenn man oft nicht einmal die bekanntesten Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, oder die besten Schriften einer Art,6764 kennt, längst von Andern gemachte Entdeckungen als etwas Neues anstaunt, oder sich ihrer als neuer Erfindungen rühmt,6765 Fehler, die man ohne Kenntniß der Literargeschichte nicht vermeiden kan6766; wie sehr es hingegen Andrer6767 Vertrauen erwerbe und vermehre, wenn man sich gleich zu helfen, und das, woran es uns noch fehlt, gleich durch Hülfe dessen, was Andre6768 in einer Wissenschaft vorgearbeitet haben, zu ersetzen, oder Rechenschaft zu geben wisse, woran es liegt, und warum es nicht möglich ist, gewisse Lücken in der Erkenntniß auszufüllen. 6) Selbst auf den moralischen Charakter und das Betragen eines Gelehrten ist diese literarische Kenntniß nicht ohne Einfluß. Der allgenugsame Dünkel eingebildeter Selbstdenker und Erfinder, welcher we[267]nigstens [297] mit darauf beruht, daß man den Umfang menschlicher Kenntnisse, die mannichfaltigen Schwierigkeiten und verunglückten Versuche in gewissen Untersuchungen, und die Verdienste Andrer6769 zu wenig kennt; die Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen alles6770, was man nicht selbst versteht; der ParteygeistParteygeist6771, der Haß oder Verdacht gegen alle6772, die von uns verschieden denken, zumal das schädliche Vorurtheil gegen alles6773, was man für Neuerung hält: alles dieses kan6774 schwerlich bey6775 dem aufkommen,6776 oder [249] sich lange erhalten, der genugsame Kenntnisse der Literargeschichte hat;6777 die hingegen Bescheidenheit und Billigkeit, vernünftige FreiheitFreiheit6778 im Denken, gesetzten Muth und Zufriedenheit bey6779 unsern verkannten Verdiensten oder guten Absichten6780 und Aufmunterung durch gute Beyspiele6781 und durch die wohlthätigen Leitungen der göttlichen VorsehungVorsehung6782, befördern können.
Aber Geschichte der Gelehrsamkeit ist nicht Gelehrsamkeit selbst! – Freylich6784 nicht, und wer weiter nichts als jene kennt, der versteht von dieser nicht mehr, als jemand von einem Buch aus dem bloßen6785 Register oder der allgemeinen Anzeige des Inhalts; er kan6786 selbst Vieles6787 in jener nicht recht verstehen oder schätzen, wenn er nicht auch diese kennt. Aber durch diese Anzeige lernt er doch, was er in dem Buch6788 suchen darf, und wenn sie lehrreich genug abgefaßt ist, kan6789 selbst die Uebersicht des Plans und Zusammenhangs für den6790, der ihn gehörig zu brauchen6791 weiß, sehr unterhal[298]tend und nutzbar werden, zumal wenn er der in dem Buch6792 vorgetragenen Sachen6793 schon kundig ist. – Zu dem6794 ist die Literargeschichte kein bloßes6795 Register; sie kan6796 so gut, wie jede andere6797 Art der Geschichte, philosophisch und pragma[268]tisch behandelt, und zum Rang einer Wissenschaft erhoben werden; auch ist nicht abzusehen, warum es mehr Tadel verdienen sollte, wenn jemand ihr vorzüglich seinen Fleiß widmete, als wenn er sich irgend auf [250] eine andere Wissenschaft, auf Sprachen, auf Geschichte, auf Metaphysik (u. s. f.)und so ferner vornemlich6798 legt, falls er dazu vorzügliche Fähigkeit, Neigung und Hülfsmittel hat.
Ueberhaupt wird dieser Vorwurf immer mehr von seiner Scheinbarkeit verlieren, je mehr man dahin arbeiten wird, auch diesem Theil der Geschichte diejenigen Eigenschaften zu geben, die oben (§. 222–225 6821) von einer wahrhaftig6822 nutzbaren Geschichte erfordert wurden. Die Natur der Literargeschichte erlaubt es eben sowohl; einzelne6823 gemachte Versuche über besondre6824 Stücke derselben beweisen, wie ausführbar es sey6825; und, wenn es bey6826 manchen besondern Theilen derselben nicht möglich scheint:6827 so liegt die Ursach gewiß in den6828 Mangel hinlänglicher Nachrichten; eine6829 Schwierigkeit, welche die andern Arten der Geschichte nicht minder drückt, ohne daß man deswegen an der philosophischen und pragmatischen Behandlung derselben verzweifelt hätte.
Auch die Literargeschichte6831 läßt sich in die allgemeine und besondre eintheilen; beyde6832 können entweder synthetisch oder analytisch und chronologisch abgehandelt, beyde6833 Methoden auch gewissermassen6834 vereinigt werden (§. 227. 234 234. 6835). Die Haupttheile der besondern gelehrten Geschichte sind vorhin (§. 245. 246 246. ) erwähnt6837 worden. Die Geschichte der Gelehrten läßt sich, wenn sie im Allgemeinen vorgestellt werden soll, am besten mit der [252] Geschichte der besondern Wissenschaften, so wie die Geschichte der gelehrten Anstalten 6839 mit der Geschichte der Wissenschaften überhaupt, verbinden. Die Bücherkenntniß könnte zwar auch mit der Geschichte einzelner6840 Wissenschaften, [270] wohinein6841 die Bücher schlagen, verbunden werden, so fern6842 es darauf ankommt, die fortschreitende Ausbildung einer Wissenschaft durch gewisse Bücher anzugeben. Da aber bey6843 der nützlichen Bücherkenntniß weniger auf diesen Gesichtspunct6844 als darauf zu sehen ist, welche Schriften, und wie weit sie, und6845 noch jetzt, zur Erlernung einer Wissenschaft vorzüglich6846 brauchbar sind: so ist es besser, sie besonders, getrennt von der Geschichte der Wissenschaften, zu betrachten und zu erwerben.
Es ist sehr zu bedauren6877, daß wir bey6878 einem so wichtigen Theile der Historie, wie die Literargeschichte ist, noch kein einziges allgemeines Werk [302] haben, das man dem, der den ersten Grund zu ihrer Kenntniß legen will, empfehlen könnte; da alles6879, was man hieher gehöriges6880 hat, entweder fast bloßes6881 Skelet ist, oder diese Geschichte nicht in ihrem ganzen Umfang6882 begreift, oder gar nicht zur guten Absicht6883 geordnet, oder voll Fehler und unzuverläßig6884, wenigstens nicht auf genugsame Untersuchung gegründet ist. Bey6885 diesen Um[254]ständen scheint Folgendesfolgendes 6886 noch das Räthlichsteräthlichste 6888 zu seyn.
Hier, in diesem Buch, wo Anm. Anmerkung In einem Buche, worin dieses nur angegeben werden darf, wie die Wissenschaften, die in den hiesigenseinen Plan gehören, und wie weit die Hülfsmittel, mit ihnen bekannt zu werden, unter uns vorhanden sind, ist der Ort nicht, Vorschläge über die beste Einrichtung der Handbücher für solche Wissenschaften zu thun. Eher können wir auch keine solche guten Handbücher über die Literargeschichte bekommen, ehe nicht alle einzelne Theile dieser Geschichte vorfür sich gut bearbeitet sind, weil sich unmöglich eine genaue allgemeine Uebersicht des Ganzen geben läßt, wo einzelne Theile noch so sehr im Dunkeln liegen, oder nicht durch die Hände wahrer Kenner der Literatur dieser Theile gegangen sind. Man laße sichs daher nicht befremden, daß die folgenden Vorschläge bloße Nothhelfer Nothhelfer für solche sind, die sich zuerst mit Literargeschichte bekannt machen wollen. 6890Nach diesem6923 gelegten Grunde scheint es 3) rathsamer, die besondern Theile der Literargeschichte etwas ausführlicher und genauer zu studieren, ehe man etwas größre6924 allgemeinere Werke zu Rathe zieht. Denn diese letztern, wie wir sie jetzt [255] haben6925, sind zu sehr compilirt, zu wenig genau, sich in einzelnen Theilen sich so ungleich,6926 und enthalten so6929 viel Unnützes oder Unausgeführtes, als daß nicht zu besorgen wäre, sie würden auch einen geduldigen und wißbegierigen Leser oft zu sehr ermüden, und ihn hinterher nöthigen, das zu berichtigen, oder mit Mühe wieder zu verlernen, was er daraus geschöpft hat. Man könnte sich also 4) zuvörderst aus dem Versuch einer Geschichte der CulturCultur des menschlichen Geschlechts, von dem Verfasser des BegriffsBegrifs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, (Adelung, Johann Christoph Joh. Christoph. Adelung ,) LeipzigKenntnisse ( Joh. Christoph Adelung ), Leipz. 1783. 8.6930 eine allgemeine Uebersicht des Fortgangs der Cultur, besonders der Wissenschaften, erwerben, und sich zugleich etwas an die pragmatische Behandlung dieses Theils der Geschichte gewöhnen. Hernach6933 sich 5) eine ähnliche Uebersicht der Geschichte einzelner6934 Wissenschaften zu verschaffen suchen, je nachdem jeder, zu seinem besondern Behuf, sich mit dieser oder jener Wissenschaft mehr bekannt machen will6935. Nur ist hier wieder zu bedauren, daß wir – ausser einigen guten Schriften, welche die Geschichte dieser und jener besondern Wissenschaft Wissenschaft enthalten, und die nach der hiesigen Absicht nicht angeführt werden können – nichts einigermaßeneinigermassen Allgemeines haben, als Stolle, Gottlieb Gottlieb Stolle's (sehr unvollständige und seichte) Anleitung zur Historie der Gelahrheit - - zum drittenmal verbessert und - - vermehrt, Jena 1727 in Quart,1727. 4. nebst den ganz neuen Zusätzen, ebendas.ebendaselbst 1736 in Quart1736. 4., von dem auch eine Anleitung zur Historie der medicinischen, juristischen und theologischen Gelahrheit, letzte Jena 1739 in Quart1739. 4., herausgegeben ist, die mehr compilirte Bücherkenntniß als Geschichte der Wissenschaft liefert.6936
6942Die übrigen hieher gehörigen Kenntnisse, besonders den steten Zuwachs, welchen die Literargeschichte,7059 und was dahin einschlägt, von Zeit zu Zeit erhalten, muß 8) ein jeder selbst aus einzelnen7060 gelehrten Zeit- und andern Schriften, durch fleißigen Besuch und Durchforschung der Büchersäle und Buchläden, und durch den Umgang mit gelehrten Männern zu ergänzen, zu berichtigen und zu [260] vervollständigen suchen. Diese Mühe würde sehr erleichtert, und die vollständigere Uebersicht befördert werden, wenn man von allen Wissenschaften und über die Schriften aus mehrern Zeiten solche Sammlungen hätte, wie die literarischen Annalen der Gottesgelehrsamkeit - - von Eyring, Jeremias Nicolaus J. N. Eyring sind, wovon aber nurerst der Erste Zeitraum von 1778–80, Nürnberg 1782 1782. in 8. herausgekommen ist7061.
Unter dem Namen theologischer Kenntnisse begreift man alle die, welche die Religion betreffen; erst der7 Unterschied, den man 8 unter diesen Kenntnissen machte, gab9 der Theologie, als Wissenschaft, als Inbegriff gewisser Sätze von einerley10 Art betrachtet, einen eingeschränkterneingeschränkten Sinn. Dieser Unterschied11 zeigt sich in Rücksicht13 entweder 14 auf den Umfang von Kenntnissen, die man in einer Wis[290]senschaft zusammenfassen will, oder auf die Art, wie oder woraus man solche Sätze, welche die Religion angehen, erkennt. Diese letztere 15 Rücksicht hat den Unterschied zwischen natürlicher16 und geoffenbartgeoffenbarter Theologie17 und [4] zwischen Religion18 und eigentlicher Theologie19 erzeugt ( Th.Theil 1.20 §. 3. (Anm.)Anmerkung 221), der in die hiesige UnsuchungUntersuchung Untersuchung 22 nicht gehört, ausser24 daß, bey25 Bildung eines angehenden Theologen26, nur die Frage von gelehrter27 Kenntniß der Religion seyn kan28. Bestimmt man aber den Begriff der Theologie nach dem weitern oder engern Umfange29 von Sätzen, die man unter diesem Namen begreift:30 so sollte31 sie im eigentlichsten und engsten Verstande nur der zusammenhängende Inbegriff gelehrter32 Kenntnisse von der Religion selbst seyn, 33 nur Sätze in sich fassen, die Gott und das Verhältniß zwischen ihn34 und uns betreffen.
Aber eine gelehrte Kenntniß der Religion kan36 ohne gelehrte Kenntniß mancher andrer Sachen37 nicht Statt finden ( Th.Theil 1.38 §. 21 f.folgend),39 und diese Kenntnisse laßen40 sich nicht wohl unter die im ersten Theil erwähnten41 Vorbereitungswissenschaften bringen. Wenigstens42 steht ein Theil der Philosophie, Philologie und Geschichtskunde mit der eigentlichen Theologie in weit näherer Verbindung,43 als die übrigen Theile dieser Wissenschaften,44 und es muß in solchen Theilen auf den ganzen Umfang der Religion eine nähere Rücksicht genommen werden;45 ja diese macht es, wegen des ohnehin [291] schon großen46 Umfangs der gedachten Vorbereitungswissenschaften, räthlich, besondre47 Wissenschaften daraus zu machen48, die man, wegen jener Rücksicht auf die Religion selbst, zur Theolo[5]gie rechnen kan49. Daher fasset Theologie in etwas weiterm Verstande, nicht nur die ReligionslehrenReligionslehren50 selbst, sondern auch solche Kenntnisse in sich, auf die sich zunächst die Erweislichkeit51 dieser Religionslehren gründet.
Zu der Geschicklichkeit71 und den72 Kenntnissen eines künftigen Lehrers der Religion73 erfordert man auch eine regelmäßige Fertigkeit, die Religion zu Andrer Besten74 anzuwenden, sowohl im Vortrag als in dem ganzen Betragen. Deswegen werden die im ersten TheilTheile 75 §. 27 77 genannten Wissenschaften auch als Theile der Theologie betrachtet, und sonach begriffe 78 die Theologie im weitesten Verstande nicht nur alle Wissenschaften, welche die Religionslehren selbst enthalten, sondern auch die, welche zunächst Anweisung geben, wie man eine gelehrte Kenntniß dieser Religionslehren und eine regelmäßige Fertigkeit, sie für Andre79 anzuwenden, erlangen solle.
In dem gegenwärtigen Theile von81 den eigentlichen theologischen Wissenschaften,82 wird Theologie in der zweyten83 oder weitern Bedeutung genommen84 (§. 2.).85 Es würden86 also hier, ausser87 der exegetischen und historischen Theologie, diejenigen Wissenschaften in Anschlag kommen, worin die Religionslehren selbst im Zusammenhang88 vorgetragen werden, welche Wissenschaften man daher unter dem allgemeinen Namen der systematischen, oder, wenn man will, der [293] Lehr-Theologie begreifen kan. Hieher würde89 [7] auch der besondre90 Unterricht gehören91, den man mit dem Namen der Symbolik Symbolik,92 oder der symbolischen Theologie,93 belegt hat, von der es zweifelhaft ist, ob sie94 zur historischen oder95 systematischen Theologie zu rechnen sey96. Wirklich ist sie beydes,97 und daher ist es am rathsamsten, sie als eine besondre98 Wissenschaft zu betrachten. –99 Alle diese Wissenschaften werden am besten in der Ordnung gestellt100, wie eine die andre voraussetzt; und da101 die systematische Theologie, ausserdem102, daß sie Philosophie zum Grunde legt, sich auf exegetische und historische Theologie, die historische Theologie aber sich103 zum Theil auf die exegetische, so wie die symbolische sich104 auf alle drey105 106 Arten, gründet: so wird im Folgenden 1. von der exegetischen, 2. von der historischen, 3. von der systematischen, und 4. von der symbolischen Theologie 107 gehandelt werden.
Es ist für den künftigen Lehrer der Religion nichts weniger als überflüßig119, sich zu überzeugen, wie nothwendig es sey120, die Bibel mit dem angestrengtesten Fleisse121 zu studieren, und bey122 der Erforschung ihres Verstandes, und alles dessen, was dazu erfordert wird, mit eignen123 Augen zu sehen. Wenn es noch, selbst unter denen, die Lehrer seyn wollen, so viele giebt, die sie gar nicht einmal, als in einzelnen124 Fällen Amts wegen, lesen; die ihre Theologie lieber aus den Cisternen oder den trüben Wassern der Compendien und Systeme, als aus der Quelle selbst schöpfen wollen; die zufrieden sind, hergebrachte Texte der Bibel, worüber sie die Religion vortragen sollen, nothdürftig zu verstehen, ohne sich um den übrigen Inhalt der heil.125 Schrift zu bekümmern, oft auch mit noch wenigerm, mit jedem guten Gedanken, sich begnügen, der ihnen bey einen126 solchen Text beyfällt127, ohne sich zu fragen, ob dies gerade das sey128, was in dem Text129 liege; die, wenn sie ja auch das Uebrige in der Bibel lesen, statt eignen Fleisses130, auf den bloßen Uebersetzun[296]gen oder Commentarien Andrer131 ausruhen; die ihre Zuhörer lieber mit ihren eignen132 [10] Einfällen, als mit dem Inhalt der Bibel unterhalten; die selbst gegen die zügellosesten Mißhandlungen der Bibel gleichgültig,133 [9] selbst in134 die unredlichsten Vorstellungen ihres Inhalts verliebt sind135, wenn diese nur ihrer Einbildungskraft ein angenehmes Spiel geben: so dürfte doch wohl jene Ueberzeugung von der Pflicht, die heilige Schrift, und zwar mit eignem Fleisse,136 zu studieren, selten genug, es dürften doch wohl der Vorurtheile nicht wenig seyn, welche die Lust zu dieser Beschäftigung ersticken, und denen man jene Ueberzeugung entgegen zu setzen137 nöthig finden möchte.
Wenn die Bibel auch nur als ein bloß menschliches Werk betrachtet wird:139 so muß sie doch jedem, der unbefangen den Werth eines Buchs zu schätzen weiß, höchst respectabel140 seyn. Ein Werk, das, so häufig, wie kein andres141 in der Welt, gelesen worden ist; das142 mehr als irgend ein andres143 gewirkt, 144 Jahrtausende hindurch ganze Nationen, und gerade die aufgeklärtesten und gesittetsten, gebildet hat; das in einigen Theilen eine Geschichte enthält, dergleichen es in Absicht auf Alterthum, Nachrichten von sonst ganz unbekannten Theilen, zumal der ältesten Geschichte des menschlichen Geschlechts, und zugleich 145 Glaubwürdigkeit, sonst gar nicht giebt; das in andern seiner Bücher zu erst146 Aufschlüsse von Reli[297]gion und Sittenlehre ertheilt, wie sie vor diesen Büchern nirgends waren,147 Aufschlüsse, die, bey alle148 dem, was sie von dem Gepräge der Zeit und der Nation, in der sie zuerst gegeben wurden, tragen,149 doch so sehr alle Merkmale der reinsten Gotteswürdigen150 Lauterkeit haben, und mit einer unübertreffbaren Einfalt, Faßlichkeit, Fruchtbarkeit und Würde ausgedruckt151 sind – sollte nicht die größte Aufmerksamkeit, sollte nicht vor allen andern studiert zu werden verdienen? – Ist nun die Bibel gerade das Werkzeug, dessen sich die göttliche [10] VorsehungVorsehung152 bedienet153 hat, jene reine154 Religionsbegriffe auszubreiten, und dadurch erweislich zuerst die allgemein herrschende und unüberwindlich scheinende Macht des Aberglaubens und Götzendienstes zu stürzen; kan155 man also die so besondre156 Fürsorge Gottes bey157 ihrer Veranstaltung und Erhaltung nicht leugnen158; bekennen wir uns für überzeugt, daß das Christenthum von Gott, daß es der zuverläßigste159 Weg sey160, der zu ihm und zur wahren Seligkeit führt; und ist die Bibel das einzige Werk, woraus wir, was Christenthum sey161, allein mit Sicherheit lernen können: so ist unbegreiflich, wie einem verständigen und ehrlichen Mann162, der dieses alles163 glaubt, wie zumal einem Lehrer des Christenthums,164 das Studium der Bibel gleichgültig, oder unwichtiger als irgend etwas anders,165 seyn könne; man mag diese Sache in Absicht auf die Erkenntniß ansehen, die er vor sich haben166, oder die er Andern 167 mittheilen soll.
Ist die Bibel die Quelle, woraus die christliche Lehre allein sicher geschöpft werden kan169, und enthält sie die Anzeige, wie und wodurch Gott selbst die Menschen nach und nach zu reinern Religionskenntnissen und göttlichen Gesinnungen erzogen hat;170 so müßte schon deswegen jeder, der auch nur vorerst wissen wollte, ob er sich für oder wider das Christenthum zu erklären habe, und bey171 dieser Frage ehrlich verfahren wollte, selbst die Bibel studieren. Weit mehr müßte er es also noch, wenn er sie für das Archiv hält, darin Gott seine Belehrungen der Menschen über die wahre Religion niedergelegt hat,172 und noch mehr, wenn er ein Lehrer dieser Religion seyn will, auf dessen Untersuchungen und173 Treue sich Andre174 sollen verlaßen175 können. (
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Zwar könnte er sich auf Andre verlaßenverlassen 177, die bereits diesen Unterricht und 179 Lehre aus der heiligen Schrift gezogen, oder den Sinn der Bibel sorgfältig untersucht haben. Aber180 doch nur alsdann181, wenn er selbst keine Fähigkeit beydes182 zu thun, oder wichtigere Beschäftigungen, als diese, hätte, und wenn er völlig sicher seyn könnte, daß diese Andern nichts übersehen, keine Fehler dabey183 begangen hätten. Mit jenen184 kan185 er sich nicht entschuldigen; denn was kan186 für ihn wich[299] [13]tiger seyn, als vorerst Gottes Willen aus den reinsten, ächtesten187 Urkunden seines Willens zu schöpfen? und188 wer nicht einmal die Kenntnisse erwerben kan189 oder will, die zur überzeugenden Einsicht des wahren Verstandes dieser Urkunden nöthig sind, mit welchem Recht will der sich Andern zum Wegweiser anbieten? Sicher, ohne eigne190 Untersuchung, kan191 er eben so wenig seyn, daß die, denen er folgen will, ihn vollständig und richtig von dem Christenthum belehrt haben. Denn jeder, der, bey192 dem Gebrauch der dazu dienlichen Hülfsmittel, selbst forscht, findet gewiß Manches in der Bibel, was Andre193 nicht gesehen haben;194 findet, wo nicht neue Aussichten über ihren richtigern Verstand und die darin enthaltenen Sachen, doch neue Beweise, neue Beziehungen der Lehren, neue Arten195 sie faßlicher und eindrücklicher zu machen. Und wäre auch alles dies nicht:196 so kan197 er sich doch Andern, die ihm vorgearbeitet haben, eher nicht sicher anvertrauen, als bis er geprüft hat, ob sie mit hinlänglicher Einsicht und UnpartheylichkeitUnpartheylichkeit dabey198 verfuhren. Dies kan199 er bey200 Menschen, die fehlen, Manches nicht wissen, Manches übersehen können, schlechterdings nicht mit Gewißheit annehmen, wenn er die Kenntnisse nicht selbst mit allem Fleiß zu erlangen [12] sucht, oder nicht aufs gewissenhafteste braucht201, die zur202 Bestimmung des Verstandes der heiligen Schrift und zur203 Prüfung der verschiedenen Meinungen darüber nöthig sind; kan204 am allerwenigsten dann entscheiden, wenn die Ausleger der Bibel über den Verstand gewisser [300] [14] Stellen oder über gewisse Puncte205, welche die Bibel angehn206, unter sich uneins sind.
Dieser eigne223 Fleiß in Forschung der heiligen Schrift ist zwar zunächst und vornemlich224 wegen der darin enthaltenen Lehren nöthig, aber nicht minder wegen der darin enthaltenen Geschichte und der historischen Kenntnisse, welche zur Einsicht in den Verstand der Bibel nothwendig sind, aber oft deswegen, wie die biblische Geschichte selbst, verachtet, oder für entbehrlich gehalten werden, weil sie keinen Theil des Christenthums selbst ausmachten, und die Geschichte mehr zur zufälligen Einkleidung, als zum Wesen des biblischen Unterrichts gehöre; weil, durch die fleißige Beschäftigung damit, die Aufmerksamkeit von dem Wichtigern, von der Lehre selbst, abgelenkt, oder diese historischen Umstände wichtiger, als die Lehre selbst, gemacht würden; weil der größte Theil dieser Geschichte die Christen, wenigstens die jetzigen, gar nichts angehe; weil endlich der Lehrer des Christenthums das Volk nur in den Lehren, nicht in den beyläufig225 erzählten Geschichten, zu unterrichten habe. – Allein, von auswärtigen historischen Kenntnissen, (d. i.)das ist von solchen, welche zur Kritik, zur Sprach- und Geschichtkunde226 gehören, welche zum voraus da seyn müssen, ehe man sich an die Erklärung der Bibel wagen kan,227 von diesen ist hier die Rede noch nicht; davon wird sich hernach bey228 den [16] einzelnen229 Kenntnissen, die ein Ausleger der Bibel mitbringen muß, besser reden laßen230. Diese gehören zwar in den Unterricht des Volks nicht; [302] aber sie gehören zum Unterricht und 231 Ueberzeugung des Lehrers selbst; ohne sie kan232 er weder den Verstand der heiligen Schrift, noch die Aechtheit233 und Göttlichkeit der Bibel,234 mit eigner235 Ueberzeugung einsehen.
Aber die historischen Stellen selbst, die einen großen237 Theil des Inhalts der biblischen Bücher ausmachen, verdienen eben auch, und zum Theil eben so sehr, Aufmerksamkeit und Untersuchung des Lehrers, als die eigentlichen Lehrstellen. Wahr ists, die einzelnen238 Theile der biblischen Geschichte sind weder im gleichen239 Grade beglaubt noch wichtig; die Geschichte ist um der Lehren willen aufgezeichnet, und diese also der wichtigste Theil der Bibel; bey240 dieser ganzen Geschichte muß man sich mehr an den Geist als an den Buchstaben halten, (d. i.)das ist mehr an Handlungen als an Ereignisse, mehr an Gottes Absichten bey241 dem Geschehenen als an das Geschehene selbst, mehr an das Allgemeine, was für uns darin liegt, als an einzelne242 Umstände der Begebenheiten. Schon dadurch fallen die meisten Vorurtheile wider diese Geschichte (§. 9.)243 weg, und der Mißbrauch wird, wenn man dieses immer vor Augen hat, verhütet. Noch mehr, wenn man Folgendes erwegt244, was den großen245 Werth der biblischen Ge[17]schichte und die Nothwendigkeit begreiflich machen kan246, sie mit aller Sorgfalt zu studieren.
Einmal müssen wir doch 1) die Bibel so nehmen, wie sie ist, und in der Gestalt, wie sie uns Gott hat zukommen laßen248. Gesetzt, die Geschichte in derselben hinge mit den Lehren darin gar nicht zusammen, welches freylich249 von einigen Begebenheiten nicht zu leugnen250 ist: so nimmt sie doch einen beträchtlichen Theil der Bibel ein, ist entweder aus eben der Feder, wie das Uebrige251, geflossen, oder, so weit unsre252 Kenntniß von der Geschichte einzelner253 Bücher, oder dieser ganzen Sammlung reicht, durch einerley254 KanalKanal255 [15] zu uns gekommen. Und256, da es, wie bey257 einer jeden sehr alten Schrift oder Text, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer fällt, die Gränzlinie zwischen dem mehr oder minder AvthentischesAvthentischen258 zu ziehen, oder sie Andern fühlbar zu machen: so kan259 man in Absicht auf die allermeisten, auch unter nachdenkenden Lesern der Bibel, annehmen, daß sie dieselbe als ein Ganzes ansehen werden, welches in dem Maaß ihnen verdächtig und zweifelhaft wird, in welchem man Schwierigkeiten und Einwürfe gegen einzelne260 Theile nicht zu ihrer Befriedigung auflösen kan261. Selbst die Geschichte der feindseligen Angriffe auf die Bibel lehrt es zur Genüge, daß, wenn man ihre Lehre umzustoßen262 verzweifeln mußte263, man es für das wirksamste264 hielt, seine Angriffe auf ihre Geschichte zu richten, in der [18] Absicht, indem man diese verdächtigte265, um jene, und überhaupt das Ansehen der Bibel,266 zu stürzen, oder wenigstens verdächtig zu machen; der267 Er[304]folg hat auch gezeigt, daß man diese Wirkung nicht übel berechnet habe. Wenn also Fälle genug vorkommen, wo der Lehrer des Christenthums über historische Schwierigkeiten in der Bibel268 entweder von nachdenkenden, redlichen und mit Zweifeln kämpfenden Lesern, die Ruhe und Ueberzeugung suchen, befragt wird, oder sich in die Nothwendigkeit versetzt sieht, feindselige Einwürfe dagegen zu beantworten: wäre es denn da und deswegen nicht Pflicht, auch diese Geschichte genau zu studieren, um selbst das Ansehen der Bibel und der darauf sich gründenden Lehre zu retten?
Und verdient denn 2) diese Geschichte nicht den darauf verwendeten Fleiß, da sie zum Theil in die älteste270 Zeiten [16] hinein reicht, wo uns alle andre271 Denkmale und Urkunden entgehen, und sich alle andre272 Nachrichten in ein undurchdringliches Dunkel verlieren, oder in die abgeschmacktesten Fabeln übergehen? Verdient nicht wenigstens die Geschichte der Religion und der göttlichen VorsehungVorsehung273 in der nach und nach veranstalteten Entwickelung wahrer Religionsbegriffe, verdienen nicht wenigstens die so unverkennbar wahren Züge der Sitten und Begriffe aus Zeiten, wo selbst CulturCultur274 noch wenig verdorben hatte, die Achtung und den Fleiß des Freundes der Menschen- und [19] Religionskenntniß? Mags275 doch seyn, daß diese Geschichte, daß selbst der Vortrag der Lehren,276 die Farbe roher jüdischer Begriffe trage: so [305] wäre doch diese so oft verachtete Geschichte schon darum der Untersuchung werth, damit man sichre277 Spuren finden könnte, um dieses Nationelle von dem allgemein Wahren und Brauchbaren absondern, um einsehen zu lernen, ob sich der Vortrag der Lehren bloß nach diesen jüdischen Begriffen und Bedürfnissen gerichtet habe, oder ob sich bey278 diesem, zwar in vieler Absicht rohen, aber gewiß in Absicht der Religion weit mehr, als andre279 gleichzeitige, aufgeklärtem280 Volke, Religionsbegriffe fänden, die werth wären, ihm abgelernt zu werden?
Halten wir uns 3) an die Lehrart, welche fast durchaus in der Bibel bey282 dem Vortrage283 der Lehre herrscht, und trauen es der Weisheit Gottes zu, daß er diese als die beste bey284 dieser einzigen Ertheilung seiner nähern Aufschlüsse befunden habe: so ist augenscheinlich, daß im alten und neuen Testament, bey285 Mose, David, den Propheten und Aposteln, Lehre an Geschichte geknüpft, daß sogar die eigentliche christliche Lehre durchaus und so auf die Geschichte [17] Jesu gebaut ist, daß die Apostel behaupten, es werde jene und die Ueberzeugung davon wanken, wenn diese verkannt würde, 1286 Kor. 15, 1 (f.)folgend Joh. 20, 30. 31. Apostelg. 4, 9 (f.)folgend 18–20 (etc.)et cetera (etc.)et cetera Und wirklich ist 4) die Geschichte in der Bibel Beleg zu den [20] Lehren. Beruht das, was wir christliche Lehre nennen, darauf, daß Jesus Christus [306] dies287 und nichts anderes, als Gottes Gesandter, gesagt hat, daß nach ihm seine vertrauten Schüler eben dies288 und noch mehr gesagt haben: woher wissen wir dieses anders zuverläßig289, woher, daß sie, indem sie diese Lehre für göttlich ausgeben, glaubwürdig, dieser Lehre kundig, in Ueberlieferung derselben aufrichtig waren, als eben aus der biblischen Geschichte? Und290 was erweckt ein gegründeteres Vorurtheil, daß die Bücher, die wir unter ihrem291 Namen haben, ächt292 sind, als eben die Uebereinstimmung des Inhalts ihrer Bücher293 mit dem, was wir aus andern Büchern294 der Bibel von ihrer und ihrer Zeitgenossen Geschichte wissen?
Ist denn nicht auch 5) Geschichte gerade das, was bey296 dem Menschen die meiste Aufmerksamkeit erregt und unterhält, allgemeine Wahrheiten, vornehmlich moralische, am deutlichsten macht, und aufs anschaulichste darstellt? Allgemeine moralische Sätze wirken nicht nur an sich bey weiten297 so stark nicht als Erfahrungen und BeyspieleBeyspiele, sie298 wirken eigentlich gar nicht auf Herz und Leben, als so fern299 wir das, was sie ausdrucken, mit dessen seligen oder unseligen Folgen, an uns oder andern300, als wirklich vorhanden, als jetzt, oder vorhin, oder künftig vorhanden, denken. 815Geschichte ist Moral in Wirklichkeit verwandelt; von wirklichen, nicht von möglichen,301 [21] Dingen hängt unser körperliches und [18] geistiges Le[307]ben ab. Darum spricht Gott in der Natur zu uns durch Thaten, dadurch302 hält er uns gleich weit von Grübeley303 und Empfindeley304, vom Unglauben und von Schwärmerey, ab; darum305 sprachen Jesus und seine Schüler, nachdem heidnische und jüdische Weisen lange genug dogmatisirt, und damit so wenig zur wirklichen Besserung und vernünftigen Gemüthsruhe gewirkt hatten, so viel sie konnten, durch Beyspiele306; sie predigten aufs wirksamste Besserung, indem sie nach ihren Grundsätzen handelten, Gemüthsruhe und fröliche307 Aussicht in die Zukunft, indem sie für den Glauben und die Hoffnung ihrer Lehre mit Ruhe und Freudigkeit litten. Und dies308 ihr Betragen, die Geschichte der Folgen ihrer Lehre, sollte weniger Aufmerksamkeit verdienen, als ihre Lehre selbst? ihre vortrefliche309 Art, durch Geschichte zu lehren, sollte nicht Muster für uns, nicht eben so werth seyn, studiert310 und nachgeahmt zu werden?
Endlich ist ja doch 6) die in der (heil.)heilig Schrift vorgetragne312 Lehre immer von Jesu, den Propheten und Aposteln, unter dem Charakter göttlicher Gesandten, vorgetragen; fast nie, höchstens nur bey313 ungelehrigen Zuhörern oder hartnäckigen Widersprechern, führen sie Beweise; sie rechtfertigen ihren Charakter nur durch Thaten, und sonach verlangen sie Glauben. Beruhet also der Glaube, den sie fordern, auf dem Ansehen des[22]jenigen, und auf dem Vertrauen zu dem, dem [308] man glauben soll:314 so ist die Geschichte derselben, die uns die heil.315 Schrift liefert, von großer316 Wichtigkeit, da sie nur uns lehren kan317, ob und wie viel Glauben sie verdienen, wie überschwenglich viel sie, namentlich und vornehmlich Jesus, der Stifter des Christenthums, [19] zum Besten der Menschen gethan und gelitten, wie viel sie Liebe und Nachahmung verdienen; und es ist daher sehr zu fürchten, daß sie in dem Maaß aufhören, uns werth und unser Muster zu seyn, in welchem wir gleichgültig gegen ihre Geschichte sind.
Vergl.Vergleiche auch Doederlein, Johann Christoph Joh. Anm. Anmerkung Man vergl.vergleiche Ioh. A. Christoph. Döderlein 4Vier Abhandl.Abhandlungen de historiae Christus, s. Jesus ChristusJesus Christus JesuIesu tenendae tradendaeque necessitate in dessen Opusculis theologicis, Jenae 1789 inIenae 1789. gr.groß 8. S.Seite 1 folgg.folgende folgg.; desgleichen die Hess, Johann Jakob Hessischen Schriften über die biblische Geschichte. 318Eben so sehr, als um sein selbst willen, sollte der Lehrer des Christenthums die Bibel um seiner Zuhörer willen,325 (§. 6 326) mit ganz eignem Fleiß, studieren327. 1) Ueberzeugen könnte er sie von den Lehren auch wohl durch andre328 Gründe, als durch das Ansehn329 der Bibel,330 und freylich331 ist jede Wahrheit Gottes Wort, sie stehe in der Bibel, und werde aus ihr genommen, oder nicht. Aber, wenn wir als Christen glauben, daß die heilige Schrift gewiß Gottes Wort enthalte, so haben wir es nicht weit zu suchen, und wir brauchen dabey332 weniger besorgt zu seyn, daß wir unsere eignen333 Einfälle, die nicht gleich Gottes Gedanken sind, [23] statt dieser unterschieben möchten; es bedarf weiter nichts, als uns vorher durch Fleiß und gebrauchte rechte Hülfsmittel zu überzeugen, daß wir den rechten Sinn der Stellen, woraus wir schöpfen, getroffen haben, und ihnen hernach diesen so faß[309]lich und einleuchtend zu machen, als es die Kenntnisse, die sie haben, oder, ohne Gelehrsamkeit, bekommen können, erlauben. – Und da Zweifel der Zuhörer an diesem richtigen Sinn diese ihre Ueberzeu[20]gung aus der Bibel hindern, also die Pflicht des Lehrers seyn würde, diesen, wo er sie fürchten muß, zuvor zu kommen334, oder, wenn sie sie ihm entdecken, zu heben: so versteht sich von selbst, daß er deswegen fleißig und mit eignem335 Nachforschen die Bibel gelesen haben müsse.
Soll er zugleich 2) die göttlichen Lehren zu ihrer Besserung und Beruhigung anwenden:337 so hat es auch da seine großen338 Vortheile, die Bibel zu diesem Zweck zu benutzen. Ansehen wirkt bey339 den meisten Menschen aufs kürzeste und kräftigste,340 und hat einmal jemand die Ueberzeugung, daß Gott in der Bibel redet, daß sie die Lehren Jesu Christi enthält:341 so wirkt dieses: Gott, Christus hats342 gesagt, es wirkt die Liebe, das Vertrauen, zu dem, der so viel für uns gethan hat, der Wunsch, ihm ähnlich zu werden, gewiß stärker als alle andre343 Gründe. Solche kurze, kräftige, fruchtbare Aussprüche, wie die Bibel enthält, behalten sich leicht, bleiben der Seele ge[24]genwärtiger, fallen uns wieder leicht da ein, wo wir sie brauchen, erinnern leicht wieder an das Gute, was man darüber gehört, an die seligen Erfahrungen, die man darnach gemacht hat. Durch öftere, mannigfaltigere344 Anwendungen die[310]ser Aussprüche auf das Beste der Zuhörer, bekommt die Bibel für sie einen großen345 Werth, weil sie immer darin die Geschichte ihres Herzens lesen, ihren Bedürfnissen gerathen, immer346 Belehrung, Ermunterung und Trost über die347 Angelegenheiten ihres Herzens348 finden. Was könnte man doch, da die wenigsten Menschen über unsichtbare Dinge selbst zu denken, und Weisheit aus sich selbst zu schöpfen,349 verstehen, und auch die, welche dieses können, Veranlaßung350 zum Nach[21]denken, Hülfe da brauchen, wo sie oft nicht zu Gedanken kommen, sie sich nicht interessant und eindrücklich machen können,351 was könnte man da ihnen für ein besseres352 immer offen liegendes Handbuch empfehlen, als die Bibel? – Daß der Lehrer, ihnen dazu353 die Bibel nutzbar zu machen, 354 mit ihr sehr bekannt seyn müsse, um, nach jedes355 Bedürfnissen, mit ihnen356 zu rechter Zeit zu reden, das Allgemeine in der Bibel auf die besondern Umstände der Zuhörer anzuwenden, und das Besondre357 in ihr ins Allgemeine, mit Weisheit, zu verwandeln, bedarf keiner Erinnerung.
Und sollte denn der Lehrer 3) nicht Jesu und den übrigen Lehrern in der Bibel Herablas[25]sung, Klugheit, Herzlichkeit bey359 seinem Vortrage ablernen können, worin diese so große360 Muster sind? Wo herrscht selbst eine einfältigere, würdigere, so ganz den Lehren und seligen Eindrücken von Gott angemessnereangemeßnere SpracheSprache, mehr361 [311] als in der Bibel,363 und wie viel trägt ein solcher Ausdruck zur Erregung wahrhaftig göttlicher Empfindungen bey? Freylich364 nur, wenn man ihn versteht. Aber eben darum müßte365 der Lehrer ihren Sprachgebrauch studieren366; darum lernen, ihn, wo er dunkel oder zweydeutig367 ist, gegen deutlichere Ausdrücke, die sich diesem so sehr als möglich nähern, zu vertauschen; gelegentlich den Zuhörern dieses Dunkle im biblischen Ausdruck erklären;368 und so könnte369 er, ohne Unsinn oder Mißverstand zu besorgen, alsdann370 selbst diese biblischen Arten zu reden behalten, die darum beybehalten371 zu werden verdienten, weil 372 die Idee des durch die Bibel geheiligten Gebrauchs daran hängt, 373 solche zu diesen religiösen Vorstellungen ganz eigen gewidmete und sonst nicht von gleichgültigen oder gar schlech[22]ten Dingen gebrauchten Ausdrücke mehr Würde behalten, und374 leichter wieder375 die guten Gedanken und Empfindungen 376 erwecken, die man ehedem bey377 dem Gebrauch der biblischen Aussprüche gehabt hat.
Die Nothwendigkeit der fleissigen383 Beschäftigung mit der Bibel, einer gründlichen Kennt[312]niß der Hülfmittel zur Entdeckung ihres wahren Verstandes, und eines treuen Gebrauchs derselben, wie zu diesem Zweck, so zur Herleitung der Religionslehren aus ihr, wird durch die Geschichte bestätigt, welche augenscheinlich zeigt, daß die Lauterkeit der christlichen Lehre immer mit diesem gelehrten und gewissenhaften Fleiß gleichen Schritt gehalten, daß384 Steigen und Fallen dieses Fleisses385 immer den Fort-386 oder Rückgang des wahren Christenthums nach sich gezogen habe. Unkunde des wahren biblischen Sprachgebrauchs; Vorliebe zu einer schwärmenden Philosophie; einreissende387 Gewohnheit, die christliche Wahrheit mehr nach dem Herkommen und den Meinungen angesehener Gemeinen388 und Lehrer, als nach der Bibel, und wenn man ja die letztere brauchte, den Werth ihrer Erklärung mehr nach der Uebereinkunft eines zufälligen Sinnes mit gewissen herrschenden Lieblingsideen,389 oder nach dem Ansehen einer Erklärung,390 zu entscheiden, gab dem menschlichen Ansehen391, in Sachen des Christenthums, das erste Uebergewicht über die Bibel, und die Entscheidung [23] der angesehensten Bischöfe und Concilien befestigte dieses. Mehr bekannt mit der Sprache des neuen Testaments,392 waren die ältern griechischen Ausleger bis ins 5te Jahrhundert den lateinischen unleugbar393 in der Erklärung überlegen; das Gute der letzteren394, wenige ausge[27]nommen, war entweder errathen, oder von jenen entlehnt. Selbst da man seitdem in der griechischen Kirche sich mit Sammlungen ältrer395 Erklärungen behalf, blieb immer durch die CatenenCatenen396 ei[313]ne bessere397 Erklärungsart herrschender als in der lateinischen, die, eben wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, von jeher fruchtbarer an neuen Dogmen war, welche die übrige Kirche weder kannte noch billigte. So lange diese noch nicht in die Erklärung eingemischt wurden, so lange man nur noch die Bibel erklärte ohne zu allegorisiren, und noch einiges Gute der ältern Ausleger benutzen konnte, blieb in den Abendländern die Auslegung noch erträglich; so bald398 aber jene Gewohnheiten die Oberhand gewonnen, 821 Augustins Ansehen die andern399 verdunkelte, und die 822Glossa ordinaria des 9ten Jahrhunderts alles andre400 verschlang, so war sie so gut als verlohren401. Jetzt trat menschliches Ansehn402 und angebliche Tradition ganz an die Stelle der Bibel; von Rom aus entschied man statt der heiligen Schrift, man sprach sogar gegen sie, und diese Aussprüche schlugen die nieder, welche nach der Bibel entscheiden wollten. Die 823 Scholastiker, mehr darauf bedacht, Kirchenmeinungen zu befestigen,403 und sie durch Philosophie aufzuklären, verlohren404 die Bibel fast ganz aus dem Gesichte; die Mystiker suchten Licht in sich, statt es in der Bibel zu suchen; immer zwangen die 824Paulizianer, 825Katharer, 826Waldenser und ähnliche, mehr einfältig die Bibel, als [24] die Kirche, befragende ParteyenParteyen405, selbst ihren Gegnern das Bekenntniß ab, daß sie, bey406 allen Irr[28]thümern, reicher am thätigen Christenthum wären. Mit der 827 Auferstehung407 der Wissenschaften seit dem 15ten Jahrhundert, und noch mehr mit der Reformation in dem folgenden, wachte die [314] Liebe zur Bibel,408 und der Fleiß sie zu forschen,409 wieder auf, und das menschliche Ansehen fing an zu sinken; letzteres erhob sich unter den 828gereinigtern Kirchen wieder, so wie410 gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts Kenntniß der Sprachen und Nachfragen411 in der Bibel ab-, menschliche Grübeley zunahm; sank wieder,412 als 829einige trefliche413 Sprachkundige, gegen die Mitte des 17ten, die richtige Art der BibelerklärungBibelerklärung,414 und, 830gegen das Ende desselben, die hallische Theologen415 mit ihren Schülern, Liebe zur Bibel durch ihr Beyspiel416 empfahlen. Der 831Eifer, die Bibel zu forschen, und die exegetische Theologie nach allen ihren Theilen zu bearbeiten, stieg sichtbar seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts; neben ihm417 eine gründlichere Kenntniß der Kritik, der Grundsprachen, der alten Geschichte und der Morgenländer418; zugleich mehr Geschmack und Drang, die biblische Auslegung von hineingetragnen419 Begriffen zu reinigen, sicherlich auch, – bey420 allem Verfall auf Extremen421, wovon keine Zeit frey422 ist – die Reinigkeit der christlichen Lehre mit einer vernünftigern423 und fruchtbarern424 Anwendung.
Der bisher empfohlne448 angelegentliche und eigne449 Fleiß ist um so nöthiger, je mannichfaltiger die Kenntnisse und Beschäftigungen sind, 450 die heilige Schrift recht verstehen und brauchen451 zu lernen, und je mit452 mehrern Schwierigkeiten man dabey453 zu kämpfen hat. – Bey454 allen den Wissenschaften, wo es auf vielerley455 und ausgebreitete Kenntnisse ankommt, wo der Fleiß sehr ins Kleine gehen muß, und wo Vieles456 auf einem sichern Gefühl beruht, das erst durch lange Uebung erworben oder befestigt wird, ist es gar nicht zu verwundern, daß der Unwissende oder Anfänger sie sich leichter vorstellt, als sie sind,457 und als er sie hinterher findet. Wenn man auch weiß, daß zu einer Wissenschaft viel gehöre, daß man dies458 eben nur lernen, nicht selbst erfinden, oder nur alsdann459 erfinden könne, wo man erst Vieles460 vorher 461 Andern abgelernt und gesammlet462 hat – wie dieses der Fall bey463 allen historischen Wissenschaften ist –:464 verläßt man sich gar zu leicht auf Andrer465 Vorarbeit, forscht nicht selbst nach, und beruhigt sich ohne Prüfung bey466 dem, was man vorfindet. [316] Dieses sind wohl einige Hauptursachen, die das Vorurtheil erzeugen, als wenn bey467 dem exegetischen Studium wenig von uns selbst zu thun, oder alles468 leicht zu er[26]lernen sey469, so wie man sich auf der andern Seite die Schwierigkeiten oft zu groß vorstellt, wenn und weil man so viele auswärtige nöthige470 Kenntnisse bey471 sich vermißt, oder nicht weiß, wo man sie hernehmen soll.
Bey473 der heiligen Schrift kommen noch manche besondre474 Umstände dazu, welche das Vorurtheil verstärken, daß, sie zu verstehen, so gar schwer nicht seyn könne. Man hat sie von Jugend auf gelesen,475 und erläutern gehört, und glaubt, weil uns ihre Geschichte476 und Lehren, den Worten und Sachen nach, geläufig sind, so wäre sie uns auch verständlich genug. Man hat selbst gehört, daß unsre477 Theologen gegen die römische Kirche die 832 DeutlichkeitDeutlichkeit478 der heiligen Schrift, als eine Unterscheidungslehre, vertheidigen und beweisen. Wie sollten auch, denkt man, Bücher schwer zu verstehn479, die Aechtheit480 derselben nicht ausgemacht seyn, worin Gott seinen Willen für jedermann, selbst deutlicher als durch die Natur, geoffenbart [31] hat? 833 Man481 dürfe sich nur an den ersten einfältigsten Sinn halten, der sich uns darin darstellt, mit Einfalt und Lernbegierde lesen, und Gott um Erleuchtung bitten. Wenn man denn auch in einzelnen482 Stellen nicht gerade den eigentlichen Sinn treffe:483 so stoße484 man doch gewiß auf Wahrheiten, die zu unsrer485 Er[317]bauung dienten. Und wo uns irgend Schwierigkeiten aufstießen486 über welches Buch in der Welt sey487 mehr geschrieben, mehr gedacht, mehr Nutzbares schon ausgezogen,488 und ausser489 Zweifel gesetzt worden? Nach so vielen und zum Theil vortreflichen490 Arbeiten könne schwerlich noch etwas unserm eignen491 Fleiß überlaßen492 seyn.
Geräth aber, auf der andern Seite, jemand über die verschiedenen Folgen und Lehren, die aus der heiligen Schrift gezogen seyn sollen, und welche bey494 verschiedenen Parteyen495 und Menschen einander so sehr widersprechen; merkt er die Abweichungen der Ausleger von einander, und wird verlegen, was er unter so verschiedenen Erklärungen als das Wahre wählen soll; befriedigen sie oder ihre Gründe ihn nicht; fällt er selbst auf einen Sinn, der ihm einleuchtend scheint, den er aber zu beweisen nicht genug Kenntnisse hat; oder ist er zu ängstlich, um seinen eigenen Einsichten zu trauen, um einen Sinn annehmlich zu finden, der von herrschenden Erklärungen abgeht, oder gegen Meinungen anzustoßen496 scheint, die er für wahre Religionslehren hält; oder zu gewissenhaft in [32] göttlichen Dingen, als daß er mit einem Sinn, der sich hören läßt, ohne überzeugende Beweise zufrieden seyn sollte; oder hat jemand auf Schulen durch eine schlechte und ihm durch manche Nebenumstände verleidete Erklärungsart der Bibel oder alter Schriftsteller, einen Widerwillen gegen [318] alle Auslegung gefaßt,497 oder er ist498 zu sehr versäumt, als daß er hoffen499 sollte, das viele Versäumte noch nachholen zu können,500 und hat er nach und nach mehr Geschmack an sogenannten Realkenntnissen bekommen, und sich an solche gewöhnt; oder hält er die501 für weit wichtiger, als daß er die darauf zu verwendende Zeit noch sogenannten Wortkenntnissen und Beschäftigungen des Gedächtnisses aufopfern sollte; und wird 502 vollends in seinem Eckel503 dagegen und in dem Wahn von ihrer Entbehrlichkeit durch Andre504 bestärkt, die ihm Sprache505, Bibel und die Geschichte in derselben verächtlich machen, seinen Stolz auf die Fähigkeit506 selbst zu denken507 nähren, oder ihn bereden, [28] daß das Wesentliche der Bibel in sehr Wenigem bestehe,508 und schon ganz aufs Reine gebracht sey509: so ist 510 sehr begreiflich, wie leicht er dadurch und durch das Gefühl der mancherley Schwierigkeiten,511 dahin gebracht werden könne, das Studium der Bibel selbst, oder doch eignen512, ausharrenden Fleiß, ganz aufzugeben.
Beyden514 Vorurtheilen entgegen zu arbeiten, und auf der einen Seite die Trägheit, auf der anderen515 Muthlosigkeit zu verhüten, ist es sehr noth[33]wendig, sich frühzeitig theils den großen516 Umfang und die Nutzbarkeit der bey dem517 Studium der Bibel nöthigen Kenntnisse, theils die Mittel bekannt zu machen, wie man die Schwierigkeiten dabeydabei 518 heben, erleichtern, und sich eine Fertigkeit erwerben könne, die heilige [319] Schrift und ihren Sinn gründlich zu erforschen. Den Werth der Bibel vorausgesetzt, kan520 man sie anders nicht benutzen, als wenn und sofern man überzeugt ist, daß, was man daraus zieht, wirklich darin enthalten sey521. Diese Ueberzeugung erfordert, wie bey522 jedem Gesetz oder 523 Urkunde, daraus man etwas lernen will, zweyerley524: erstlich, daß man mit Ueberzeugung wisse, was man zur heiligen Schrift rechne, sey525 wirklich, wenigstens im Wesentlichen, dasselbe, was die Verfasser niedergeschrieben haben; hernach, daß man den Sinn gefunden, und Grund angeben könne, daß und warum der Sinn, den wir gefunden haben, der einzige wahre, oder doch wahrscheinlichste sey526. Der Inbegriff527 der Kenntnisse, die528 die Aechtheit529 der biblischen Bücher und des biblischen Textes betreffen, ist die biblische Kritik (Critica sacra), so wie der Inbegriff530 dererjenigen, welche die Auslegung desselben angehn531, die eigentliche Exegetik.
So sehr diese540 Kritik von jeher541 der Verachtung und noch mehr der Verleumdung der [320] Unwissenden ausgesetzt gewesen ist, die solche542 kritische Versuche selbst oft543 für Anfälle auf Gottes Wort angesehen haben, ohne zu bedenken, daß 544 Kritik nur eine Revision des auf uns gekommnen geschriebnen545 oder gedruckten Textes 546 der Bibel, nicht der Bibel selbst,547 ist: so ist sie doch nicht nur eine unschuldige548, sondern 549 auch nothwendige Wissenschaft. Soll 1) eine Lehre oder Begebenheit aus einem Zeugniß der heiligen550 Schrift dargethan, oder eine Redensart als schriftmäßig gerechtfertigt werden,551 (wie bey552
oder
bey553
und bey554
): so muß bewiesen werden können, daß das Buch, die Stelle und der Ausdruck ächt sey555, die man als ein Zeugniß anführt ( Th.Theil 1.556 §. 74),557 und so bodenlos sonst der Beweis seyn würde, so vergeblich wäre die Erklärung einer Stelle oder eines Ausdrucks, um einen Schluß daraus zu ziehen, ehe noch ausgemacht wäre, daß sie von den heiligen Schriftstellern 558 herrührten, und sich daraus etwas, als von ihnen gesagt, ziehen ließe559.
Sehr oft werden 2) gewisse Bücher, Stellen und Lesearten der Bibel bestritten, und müssen, wenn sie können, [30] gerechtfertiget werden; es561 ist auch unwidersprechlich, daß von jeher562 an der Aechtheit563 einiger Bücher gezweifelt worden, und [35] der Text in verschiednen564 Handschriften, Uebersetzungen und Anführungen, mit vieler Verschiedenheit durch Nachläßigkeit565 oder willkührliche566 Aen[321]derungen, zu uns gekommen ist. Anders als nach sichern Regeln und Gründen kan567 doch jene Rechtfertigung nicht geführet, willkührliche568 Aenderung 569 anders nicht entdeckt und abgelehnt, und überhaupt keine Fehler in diesem Text anders klar gemacht werden. Und ist es eben so unverantwortlich, etwas zu der (heil.)heilig Schrift hinzu, als davon zu thun, etwas Unächtes570 gelten zu laßen571, als etwas Aechtes572 zu verwerfen: so bleibt573 schlechterdings kein anderes Mittel574 sich gegen diese zwey575 Abwege zu verwahren, als kritische Untersuchung.
Selbst 3) von den Vorwürfen der erlittnen583 Verfälschung, die man so oft der heiligen Schrift gemacht, und dadurch ihr Ansehen zu schwächen gesucht hat, kan584 sie auf keine andere Art befreyet585 werden. Wer der wahren Kritik kundig ist, erschrickt für586 allen solchen Beschuldigungen nicht. Er findet sie, nach angestellter Untersuchung, entweder gegründet oder nicht; verlangt, in jenem Fall, [36] das nicht zu vertheidigen, was nicht zu den heiligen Büchern gehört, und schneidet so die Ge[322]legenheit ab, das Ansehn587 der Bibel zu [31] erschüttern; weiß hingegen, in dem andern Fall588, zu zeigen, wie sehr dergleichen Angriffe auf Unwissenheit oder falschen Schlüssen beruhen. Wer aber bey589 diesen Vorwürfen von Verfälschung ängstlich thut, und seine Furcht für590 Gefahr verräth, die der Bibel bevorstehe, bestätigt die Gegner in ihrem Verdacht; er591 könnte es ja sonst nur der ruhigen Untersuchung überlaßen592.
Zu besorgen ist auch nicht, daß 4) durch kritische Untersuchungen die Bibel ungewiß und zweifelhaft gemacht werde, und manches trefliche594 Zeugniß aus derselben wegfalle. So lange nichts untersucht wird, kan595 Zweifel und Verdacht nie gehoben werden; die bloße596 Entdeckung der Verschiedenheit aber,597 macht so wenig die Bücher und ihren Text zweifelhaft, als die Verschiedenheit der Erklärungen einer Stelle den Sinn ungewiß macht; Gründe müssen in beyden598 Fällen zeigen, auf welcher Seite die Wahrheit sey599. Wenn diese die Aechtheit600 eines Buchs, einer Stelle oder Leseart darthun, so bleibt ihr Zeugniß erhalten; beweisen sie hingegen, sie sey untergeschoben:601 so verlieren wir weiter nichts als einen falschen Beweis, durch den die Wahrheit nie gewinnt, sondern unwiderleglichen Angriffen ausgesetzt wird;602 und darüber sich beschweren, was wäre das anders, als mit Gott rechten, daß er uns nicht [37] mehr Bücher und Beweise für eine Wahrheit gegeben habe? – [323] Kurz, alle Klagen und Besorgnisse bey603 der Kritik selbst – nicht bey604 ihrem Mißbrauch, den eben sichre605 Regeln und Gründe verhüten müssen – beruhen entweder auf Unwissenheit, wenn man Verschiedenheit in den Meinungen und Zeugnissen, die Bücher und den Text der Bibel betreffend, ableugnet606, oder [32] keine kritischen Grundsätze und Entdeckungen gelten laßen607 will, oder,608 bei609 aller Einbildung von Liebe und Eifer für die Bibel, auf Gleichgültigkeit gegen sie; wodurch man nicht nur selbst die ihr schuldige Untersuchung vernachlässigt610, sondern auch die Arbeiten andrer611, die mehr Kenntnisse und besseren612 Willen haben, unbenutzt läßt, oder sie gar abschreckt, sie an unsrer613 Stelle zu unternehmen.
Und diesen Fleiß in der biblischen Kritik sollte man um so weniger schwächen624, da diese Kri[324]tik [38] ein überaus schweres Studium ist, und nur äusserst625 Wenige626 wahren Beruf dazu haben. Zuerst hält es schon sehr schwer, die beyden627 Abwege hiebey628, Aengstlichkeit und Verwegenheit, zu vermeiden; der629 Kranke befindet sich gleich übel dabey630, wenn der Arzt alles631, und wenn er nichts wagt, nach gar keinen festen Grundsätzen verfährt, oder auch nicht einmal nach solchen etwas unternimmt. Auch der aufgeklärteste Mann, wenn er gewissenhaft ist, rührt das ungern an, was einmal das,632 gegründete oder ungegründete,633 Vorurtheil des Göttlichen 634 vor [33] sich hat; und wer einmal einzureissen635 anfängt, reißt, wenn er im Reissen ist,636 oft auch das Gute und Haltbare mit ab, und braucht, verleitet vom Gefühl seiner Kraft, nur zu oft gewaltsame und verzweifelte Mittel. Wahrer Muth und wahre Bescheidenheit sind gleich selten.
Wenn aber auch jemand hiebey638 mit der größesten639 Vorsicht und Entschlossenheit, also mit wahrer Gewissenhaftigkeit, verführe: so640 wird er641 doch bey642 der Unternehmung selbst643 ausnehmende Schwierigkeiten finden, sowohl in Wegräumung der Hindernisse, welche die644 Unwissenheit, Vorurtheile und Irrthümer in diesem Fach gelegt haben645, als in Aufführung des Bessern. Denn erstlich müßte646 man sichre 647 Regeln haben648, wonach man verführe – und649 diese 650 setzen sichre KenntnisseKenntnisse 651 von den Büchern und deren Text sowohl,652 als von [325] den Hülfsmitteln, voraus, die man653 zur Berich[39]tigung des Streitigen nöthig hat654. – Wäre beydes655 denn auch sichrer656 als es meistens nicht657 ist, so würden sich in der Anwendung der Grundsätze noch immer neue Schwierigkeiten zeigen.
Wie viel einigermaßeneinigermassen 659 Sicheres wissen wir 1) von den vorläufigen Kenntnissen? von661 der Geschichte der biblischen Bücher, der Sammlung ihrer Theile,662 ( (z. B.)zum Beispiel der Psalmen, der einzelnen663 Weissagungen in den Propheten (etc.)et cetera (etc.)et cetera) und der Sammlung dieser Bücher in ein Ganzes? von der Geschichte ihres Textes, und der oft so unerklärlichen Art, wie die Verschiedenheit des Textes in den Quellen entstanden ist? von der Geschichte der Handschriften und der al[34]ten Uebersetzungen, des Textes in beyden664 und dessen Veränderungen? von der Fähigkeit, den Hülfsmitteln und der Treue, welche diejenigen hatten oder bewiesen, die uns Stücke dieses Textes in ihren Büchern aufbehalten haben? selbst von der Geschichte der Ausgaben, und der Art des Verfahrens dabey665? Wie vieler feinen historischen, literarischen666 und philologischen Kenntnisse und Bemerkungen bedarf es, um nur erst einiges Land zu gewinnen,667 und wie wenig ist das, was wir hier mit einiger Sicherheit kennen, gegen das, was wir noch erst entdecken sollten668, um die hiebey vorkommende669 Lücken auszufüllen, und alle Schwierigkeiten befriedigend zu beantworten.670
Anm. Anmerkung Was hier und in dem Folgenden gesagt ist, fühlt schwerlich jemand, werder nicht beybei Untersuchungen dieser Art hergekommen ist, und selbst Versuche gemacht hat. Die wunderbaren Erscheinungen in der alexandrinischen Uebersetzung des A. Test.Altes Testament und in griechisch-lateinischen Handschriften des neuen, können hier zu einigen Beyspielen dienen,Beispielen dienen; und wer die kritische Literatur kennt, wie sie sich ohngefehrungefähr seit den nächsten dreyßigzwanzig letzten dreißig Jahren gebildet hat, kan einigermaßeneinigermassen kann einigermaaßen sehen, wie viel sich in diesem noch so unbekannten Lande, durch Aufsuchung bisher verborgen gewesener Hülfsmittel und durch regelmäßigen Fleiß,Fleiß entdecken laßelasse, und noch zu entdecken übrig seysei. Traurig ists nur immer, daß, wenn man einigen SchuttSchutt weggeräumt hat, um diese verborgnenverborgenen Schätze zu entdecken, so manche unberufneunberufene Arbeiter wieder neuen Schutt aufhäufen, und, unter Vorspiegelung einer höhern Kritik, die guten Gänge zuwerfen, um andreandere zu graben, die statt des Erzes nur KolenKohlen enthalten. {Was würde der selige Verfasser erst gesagt haben, wenn er erlebt hätte, wie wenig zuletzt diese sogenannte höhere KritikKritik noch als echt an den biblischen, besonders den Schriften des neuen Testaments, möchte gelten lassen! A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 671Nach diesen großentheils690 noch so unvollständigen Kenntnissen691 können 2) schwerlich Grundsätze entworfen werden, die allgemein692 und sicher genug wären693. Wenn es nicht schon gewissermaßen694 die meisten bisherigen Versuche solcher Regeln bewiesen, die entweder auf ganz falsche Einbildungen gegründet sind *),695 oder sich durch ihre Unbestimmtheit selbst zerstören **):696 so müßte es die Natur der Sache selbst lehren. Manche [41] Regeln sind noch viel zu früh; weil uns die Geschichte der Quellen oder Zeugen fehlt, wonach [327] man erst ihr Ansehn697 beurtheilen könnte, und weil das Ansehen dieser Zeugen meistens erst durch fleißige Untersuchung der Art ihres Textes, und durch sorgfältige Zusammenhaltung desselben mit dem Text anderer Handschriften, Uebersetzungen (u. s. w.)und so weiter erkannt werden kan †).698 Wo man es aber auch so weit gebracht hat, daß man den Werth gewisser Handschriften (u. s. w.)und so weiter kennt: so können ja die Regeln, theils, wenn sie allgemeine Regeln seyn sollen, nur erst nach Vergleichung mehrerer solchen699 Handschriften (etc.)et cetera (etc.)et cetera unter einander und mit andern Quellen gemacht, mit einem700 Wort, nur aus mehrern uns gleich gut bekannten Quellen zusammen, abgezogen werden, ††) 701 theils, zeigen sich dabey702 so viele einander entgegenlaufende Erscheinungen, die für und wider einen angenommenen Grundsatz streiten, daß sich etwas ganz703 Allgemeines, ohne viele feinere Bestimmungen, nicht festsetzen läßt. †††) 704
Die Hauptsache kommt also 3) immer auf den selbst an, der das Aechte732 von dem Unächten733 unterscheiden will,734 und selbst die sichersten Regeln helfen nichts, wo es an der geschickten und vorsichtigen Anwendung fehlt. Fleissiges735 Nachforschen auch nach Kleinigkeiten, welche die Geschichte und den Charakter der Quellen aufklären können, viele736 feine Sprachkenntniß der Grundsprachen überhaupt und des Charakters eines biblischen Schriftstellers insbesondre737; Vorsichtigkeit in der Vergleichung und Anwendung aller solcher Kenntnisse; und ein feines Gefühl oder kritisches Genie, das erst durch lange Uebung reif und sicher wird, müssen beysammen738 seyn. Denn es kommen hiebey739 so unendlich viele Collisionen gemachter Bemerkungen und abgezogner740 Regeln vor, und diese Collisionen werden nicht einmal bemerkt, vielweniger mitbenutzt741, wo nicht sehr viele feine Beobachtungen vorhergegangen sind, daß von der Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit des Kritikers selbst zuletzt alles742 abhängen muß. Selbst da, wo in allen jetzt bekannten Quellen ein sehr alter Feh[44]ler allgemein ist – ein sehr möglicher und glaublicher Fall – könnte nur das feinere Gefühl ihn entdecken, ob es gleich, um nicht nach bloßemblossem Willkühr743 zu ver[330]fahren, durch irgend einige Spur in den bekannten Quellen geleitet werden müßte.
Diese großen758 Schwierigkeiten, welche mit der biblischen Kritik verknüpft sind, beweisen, daß es nicht jedem, der sich auf das gelehrte Studium der Bibel legt, zur Pflicht gemacht werden könne, sich selbst auf diese Kritik einzulaßen759; welches aber keinesweges die Pflicht ausschließt, sich mit den nothwendigsten Kenntnissen, die dazu gehören, bekannt zu machen, und das zu benutzen, was uns Kenner darin vorgearbeitet haben. Denn wer 1) gar keine Kenntniß davon hat, kan760 ja nicht beurtheilen, wie weit sie und die Uebungen in dergleichen Arbeiten ihm doch nöthig seyn möch[45]ten, und wie weit er Fähigkeit dazu habe,761 oder erlangen könne? als woraus er erst abnehmen kan762, ob und wie weit es für ihm763 [331] Pflicht sey764, sich damit zu beschäftigen. Er kan765 2) sonst gewisse oft sehr herrschende und scheinbare Vorurtheile nicht vermeiden, die ihm in der rechten Auslegung sowohl als in dem Gebrauch, den er von der Bibel macht, ungemein hinderlich fallen, und auf Irrthümer führen; wovon die 850bekannte Streitigkeit über das Alterthum und die Avthentie766 der Puncte767 und Accente im hebräischen Texte des alten Testaments, und die oben (§. 24 768) angeführten Stellen der Bibel769 zum Beyspiel770 dienen können. Er kan771 3) viele Schwierigkeiten bey772 der (heil.)heilig Schrift nicht 773 [39] auflösen, und viele Angriffe auf dieselbe nicht widerlegen, die aus der fälschlich angenommnen Aechtheit774 gewisser Bücher, oder deren Stellen und Lesearten, entstehen, oder hergenommen werden, noch das, was ächt775 ist, gegen ungegründete Vorwürfe oder Eingriffe vertheidigen. Und 4) selbst in die Erklärung des Sinnes der (heil.)heilig Schrift hat diese Kritik so vielen Einfluß, daß oft weder der rechte, noch auch einmal ein erträglicher Sinn gefunden werden kan776, wenn man der Kritik ganz unkundig ist. Es ist doch ein großes777 Glück, wenn wir bey eignem778 Unvermögen uns auf Kenner und ihre Untersuchungen verlaßenverlassen können. Nur779 die unverzeihlichste Gleichgültigkeit kan781 solche Vorarbeiten unbenutzt laßen782, und nur der einfältigste Stolz kan783 sich den Trotz auf Dinge zu gut halten, die man nie gründlich untersucht hat, oder auch nur untersuchen kan784, oder [46] das verachten, was über unsre785 Fähigkeiten und Begriffe ist.
Es sollte daher jeder, der, als Gelehrter, die heilige Schrift studieren will, wenigstens 1) bey787 solchen biblischen Untersuchungen eine Ausgabe des Grundtextes zum Grunde legen, die einen mit kritischem Fleiß und Gewissenhaftigkeit behandelten Text enthält, zumal wenn die, wenigstens erheblichen788, Lesearten mit ihren Zeugnissen beygefügt789 sind, wovon wir 852im neuen Testamente790 ein vortrefliches791 Muster an der Griesbachischen 792 Ausgabe haben; 793 2) sich die besten Bücher bekannt machen, welche theils historische Kenntnisse sowohl von der Geschichte der biblischen Bücher als von den allgemeinern Ver[40]änderungen ihres Textes und von den Quellen, woraus ihre Kenntniß geschöpft werden kan794, theils bewährte Regeln der biblischen Kritik, oder doch geprüfte Vorschläge von dem rechten und vorsichtigen Verfahren bey795 Beurtheilung des biblischen Textes, enthalten. Noch fehlt es uns freylich zum Theil an solchen, die für den Anfänger oder den brauchbar wären, der sich auf keine tiefere Untersuchungen einlaßeneinlassen kan, worin auch nur das alles gesammlet und wohl geordnet wäre, was man bis jetzt in diesem Felde entdeckt hat. Bey dem alten Testament könnte man die Eichhorn, Johann Gottfried Eichhornische Einleitung ins alte Testament,Testament verglichen mit der Carpzov, Johann Gottlob Carpzovschen Introductione und Critica S. V. T., bey dem neuen die Michaelis, Johann David Michaelische Einleitung, nach der 4ten 3ten Auflage, als die bis jetzt besten Handbücher, brauchen, so weit man die Angaben darin bewiesen findet. Die übrigen (in der Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern Bücher in der Theologie Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinen Bücher in der Theologie §. 26 und 27. 30–32. 34 flgg.folgende 60–64 erwähntenerwehnten) Schriften sind mehr zum Theil schätzbare Beyträge zur Beförderung dieser Kritik. Was man in den genannten Handbüchern, zumal in Absicht auf verschiedne Lesearten des biblischen Textes, sonderlich im alten Testament, nicht findet, das müßte man von den gelehrten und vorsichtigsten Auslegern lernen, die bey Erklärung biblischer Bücher auch die wichtigsten Lesearten mit erwähnterwehnt und geprüft haben.796
803Fände805 man nun bey806 dem 807 Studium der Bibel selbst Geschmack an kritischen808 Untersuchungen; fühlte809 sich dazu vorzüglich aufgelegt – welches man daraus abnehmen könnte810, wenn man, bey811 angestellten eignen812 Versuchen in der Kritik sähe813, daß unser814 Urtheil über Lesearten, und die Art, wie wir dabey verfahren815, mit dem Urtheil und Verfahren der besten Kenner übereinträfe; – hätte816 man Gelegenheit,817 die hier nothwendigen Hülfsmittel818 und Sammlungen, (die in gedachten Stellen der eben §. 34. 321. genannten Anweisung etc.et cetera etc. angeführt sind), bey dem alten Testament wenigstens die beyden Hauptsammlungen von Kennicott, Benjamin Kennicott und De Rossi, Giovanni Bernardo de Roßi , bey dem neuen die Mill, John Millischen, Wettstein, Johann Jakob Wetsteinischen Wettsteinischen , Griesbach, Johann Jakob Griesbachischen , auch des Letzternletztern Symbolas criticas (Tom.Tomus prior. Halae 1785. 8.), nebst den alten Uebersetzungen des A.Alt und N.Neu T.Testament Test.Testament mit genugsamer Kenntniß ihrer Sprache,819 zu brauchen825; und würde826 man durch dergleichen Untersuchungen nicht von wichtigern, weit näher zu unserm827 Beruf gehörigen,828 Beschäftigungen abgehalten: so könnte829 man sich schon auf nähere Untersuchungen in diesem Fach legen, und man wird, wo alle genannte Voraussetzungen da sind, aus der bisherigen Aufmerksamkeit auf die besten Kritiker dieser Art und aus eigner Beobachtung hinlänglich finden, was bey diesem weitern Fleiß zu thun sey.830
843Unentbehrlicher als die Kritik845 ist freylich846 die biblische Exegetik, oder der Inbegriff847 der zur Ein[49]sicht in den Verstand der heiligen Schrift nöthigen Kenntnisse, und alles desjenigen, was dazu [335] dient, eine Fertigkeit in Anwendung dieser Kenntnisse auf die Erklärung der heiligen Schrift zu erlangen848 (§. 23).849 Eine jede Schrift, welche nicht bloß allgemeine Sätze, sondern auch Geschichte enthält, oder welche jene in Rücksicht auf die Denkungsart, Kenntnisse, Bedürfnisse und besondern Umstände gewisser Leser vorträgt – und dies850 ist augenscheinlich der Fall bey851 den biblischen Büchern –:852 erfordert nicht nur, wenn sie [42] recht verstanden werden soll, Kenntniß der Sprache, worin sie abgefaßt ist, sondern auch historische Kenntnisse, und, wie jede Beschäftigung, wovon man sich oder Andern Rechenschaft geben soll, Regeln, wonach man in ihrer Anwendung verfährt, um den Sinn zu finden, und ihn Andern überzeugend mitzutheilen, so wie fleissige853 Uebung, nach diesen Regeln zu verfahren, um die nöthige Fertigkeit in der Erklärung zu erlangen.
Wie nothwendig es sey855, gute Kenntnisse in Sprachen mitzubringen, ehe man zur Erklärung der heiligen Schrift schreiten will, und856 in welchen Sprachen? dies857 ist schon oben gezeigt worden858 ( Th.Theil 1.859 §. 113–120. §. 150 flgg.folgende).860 Wer sie nicht schon, wenigstens nothdürftig861, mitbringt862, wenn er sich auch der Anweisung eines Andern in wirklicher Erklärung der heiligen863 Schrift bedient, der wird ihm wohl nachsprechen lernen, wird al[50]lenfalls die GündeGründe 864 fassen, womit jener die Er[336]klärung unterstützt; aber selbst ein865 Ausleger wird er nie werden, er866 wird ohnehin alles867, wozu nicht bloßes868 Nachdenken zureicht, bloß auf CreditCredit869 seines Vorgängers annehmen müssen; es sey870 denn, daß er nun noch erst anfange, sich auf die bisher versäumten Sprachen mit einem Fleiß871 zu legen, der kaum zu erwarten ist, wenn man so lange dieses Sprachstudium 872 anstehen laßen873, und der Geschmack an andern unterhaltenderen Kenntnissen,874 den Geschmack an jenem kaum noch aufkommen läßt. Setzt sein Lehrer ohnehin billig jene Kenntnisse und einige Fertigkeit in solchen Sprachen voraus, als etwas, das man schon auf Schulen sollte erworben haben, und hält sich nur bey875 dem Schwerern, sonderlich in Absicht [43] der in der Bibel vorkommenden Sachen, auf: so muß ein solcher versäumter Zuhörer vollends zurückbleiben, und das Studium der Bibel wird ihm eben dadurch verleidet werden, weil er, wegen Unwissenheit des Bekannten, nirgends fortkommen kan876. – Worauf übrigens zu sehen sey877, wenn man die (heil.)heilig Schrift so fern verstehen lernen will, als sie durch Sprachkenntniß aufgeklärt wird, ist auch oben (Theil 1.878 §. 77.–81 879) bemerkt worden; das übrige880 muß eine gute HermenevtikHermenevtik881 der (heil.)heilig Schrift lehren.
Ein Schriftsteller, der, wie die biblischen, zunächst für seine Zeitgenossen und 887 Nation schreibt, kan bey888 Erzählungen und einem nach dieser Leser889 Umständen 890 eingerichteten Lehrvortrag, vieles als ihnen bekannt voraussetzen, das891 er bloß zu berühren braucht, oder worauf er anspielt, was sich aber mit der Zeit ändert, oder vergessen wird, oder den892 Lesern späterer893 Zeiten und Ausländern894 unbekannt ist. Die heiligen Schriftsteller beziehen sich, wie vorhin schon gesagt worden ist, sehr oft auf dergleichen zufällige Umstände, und der Ausleger kan895 sie daher gar nicht ganz verstehen, oder sich in diese Umstände hinein denken, wenn er sich nicht eine möglichst genaue Kenntniß dieser historischen Umstände erworben hat.
Zu diesen historischen Kenntnissen gehört 1) die Kenntniß der alten Geographie, so weit sie [338] in der heiligen Schrift vorkommende Sachen betrifft905. Diese müßte906 sich 1) auf die Lage, die Beschaffenheit, die Abtheilung und das natürliche oder durch Revolutionen der Völker entstandne907 Verhältniß der Oerter und Länder gegen einander erstrecken, und zwar nach verschiedenen Zeiten, wohinein908 die biblischen Nachrichten gehören, welche Zeiten oft nicht genug pflegen909 unterschieden zu werden 910. Sie müßte911 zugleich auch Kenntniß der natürlichen Producte dieser Oerter, nach den verschiedenen Naturreichen,912 und der aus der natürlichen Beschaffenheit dieser Oerter913 entstehenden Zufälle, als der Witterung, der Krankheiten (u. d. gl.)und dergleichen seyn914. Eine solche Kenntniß würde915 2) sehr ins Kleine gehn916 müssen, und viele feine Bemerkungen erfordern, weil sich die heilige Schrift auf dergleichen sehr besondre917 und kleine Umstände bezieht. Eben daher ist dieses Studium 3) mit großen918 Schwierigkeiten verknüpft, weil es sehr ausgebreitete und genaue Kenntnisse erfordert, weil es sich, wegen Ungewißheit der Sprache, und besonders der bestimmten Bedeutung der Namen und Wörter, [45] wegen Entfernung der Zeiten und Oerter und Mangel der Nachrichten, sonderlich in Absicht auf Topographie, in große919 Dunkelheit verliert, und weil man selbst erst durch eine fleißige Beschäftigung mit der Bibel lernen muß, was hier einer Untersuchung bedarf oder nicht.
920Noch wichtiger wären922 2) die Kenntnisse derjenigen Sachen, die923 man gemeiniglich unter dem [339] Namen der AlterthümerAlterthümer924 begreift, wohin man alles925 rechnen kan926, was die Verfassung der Völker und ihrer verschiednen927 Stände, nebst dem auf Convention beruhendem Verhältniß derselben gegen einander angeht, als Religions-928 bürgerliche und militärische Verfassung, häusliches Leben, Handel und Gewerbe, Abhängigkeit und Bündnisse von und mit einander, und die bey929 allem diesen eingeführte930 Gewohnheiten. Ein wieder sehr weitläufiges und schweres Studium, weil es so mannichfaltige in der Bibel erwehnte931 Völker, aus sehr verschiedenen Zeiten, umfassen muß, deren Einrichtungen und Gewohnheiten, eben weil sie auf Willkühr932 beruheten, und sich darum auch leicht veränderten, zumal aus den ältern Zeiten, schwerer zu entdecken sind, als natürliche Einrichtungen, die in jedem Lande sich weit seltner ändern, und sich meistens bis auf unsre Zeit erhalten haben. Eben da[46]durch wird das Eindringen in den Geist solcher Verfassungen und in die Ursachen derselben, die in dem Klima und den daraus entstehenden Bedürfnissen, in gewissen politischen Revolutionen, oft auch in der Begierde nachzuahmen, oder gar in einem bloßen933 Zufall, liegen können, erschwert, oder gar unmöglich gemacht, wenn auch derer mehr wären, als sie nicht934 sind, die mit so vielfältiger Gelehrsamkeit und philosophischem Blick jene Ursachen und Ab[54]sichten untersuchen, als 889 Spencer, 890 Goguet, Michaelis, Johann David Michaelis und Gatterer, Johann Christoph Gatterer , bey935 den Einrichtungen der Israeliten und einiger andern Völker versucht haben. Und doch hat diese philosophi[340]sche Behandlung solcher Verfassungen und Einrichtungen ihren unentbehrlichen Nutzen, selbst bey936 Erklärung der heiligen Schrift. Sie macht diese Einrichtungen begreiflich, hebt das Befremdliche derselben, und befestigt dadurch die Glaubwürdigkeit der Bibel. Sie zeigt die Weisheit Gottes und seiner VorsehungVorsehung937 in Einführung gewisser Anstalten unter seinem Volk, die sich auf jene Verfassung und Gewohnheiten gründete, oder diese einführte, um dadurch wahre Religion, nach den Bedürfnissen solcher Menschen, zu befördern. Sie beschämt dadurch viele Vorwürfe gegen die heilige Schrift, und falsche Vorstellungen von ihrem Inhalt, die auf Unbekanntschaft mit diesen Einrichtungen, auf Unkunde ihrer Ursachen und Absichten, und auf einer übel angebrachten Philosophie, beruhen, welche, unerleuchtet durch das Licht der Geschichte, sich über den Kreis unsrer 938 Sitten und Verfassungen nicht hinausdenken kan939.
940Dieses Eigene942 der Völker und Personen, die in der heil.943 Schrift erwähnt944 werden, an welche die biblischen Bücher gerichtet, oder von welchen sie verfertigt sind, richtete sich ohne Zweifel 3) nach ihrer Denkungsart, 945 Kenntnissen und Meinungen, nach ihrem Charakter und 946 Sit [55] ten, und hatte umgekehrt wieder in diese einen nothwendigen Einfluß. Danach947 bildeten sich auch ihre Künste und Wissenschaften, die wieder jene bildeten, ihnen ihre Richtung gaben, Einrichtungen und Gewohnheiten veranlaßten. Ganz [341] vorzüglich nothwendig ist also auch diese Art von Kenntnissen, sowohl zu richtiger Erklärung der heiligen Schrift, als zur richtigern948 Beurtheilung der darin vorkommenden Sachen, und des Werthes der Bibel selbst. Zu beyden949 Absichten ist es unumgänglich nothwendig, sich in jene Art zu denken, in jene Meinungen, Sitten (u. d. gl.)und dergleichen zu versetzen;950 sonst muß man offenbar den rechten GesichtspunctGesichtspunct951 verfehlen, so gewiß wie man den Sinn verfehlt, wenn man ihn nach unserm, nicht nach dem biblischen Gebrauch, bestimmen will. Denn jeder Schriftsteller schreibt zunächst und eigentlich für seine Zeit, nach den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Meinungen derer, an die er schreibt, nach seiner Denkungsart, 952 Begriffen und 953 Charakter; kan954 dann auch955, wenn er wahr erzählen will, seine Personen anders nicht aufführen, als sie wirklich waren.
Es ist fast957 unglaublich, was die an sich sehr wahre Vorstellung von der Bibel, als einer Sammlung göttlicher Bücher, durch Mißverstand und eine höchst verkehrte Anwendung, für Schaden gestiftet hat; wie sehr man sich dadurch um den Nutzen, den man daraus schöpfen könnte, gebracht; wie sehr sie 958 der Verachtung und [56] Spöttereyen959 ausgesetzt hat. Als göttliche Bücher sollen sie, sagt man, nicht wie irgend ein vernünftiges menschliches Buch, verstanden und gebraucht werden; Gott soll sie durchaus für alle Zeiten und Menschen, nicht zum Theil allein für [342] die ersten Leser, haben aufzeichnen laßen960; sie sollen aufhören961 allgemein nützlich zu seyn, und sollen zu Irrthümern verleiten, wenn man annähme, daß sich darin Sätze und Wörter befänden, welche auf damalige Meinungen oder gar Vorurtheile und Irrthümer gingen. – Alle diese Einbildungen entspringen 1) aus der üblen962 Gewohnheit, nicht Gott aus seinen Werken abzulernen, was gewiß das Beste gewesen seyn muß, sondern aus einer vorausgesetzten Idee, den Plan auszuspinnen, den Gott nach unsrer Meinung habe befolgen müssen, wenn er es hätte recht machen wollen;963 eine Thorheit, von der und von deren Schaden uns schon die Wahrnehmung des wirklich Bösen in der Welt überzeugen könnte, das, nach unsrer964 Voraussetzung, auch nicht in der Welt seyn sollte, und das wir so schwer mit Gottes allgemeiner Weisheit und Güte zu reimen wissen. 2) Man spanne denn bey965 der Bibel den Begriff von einem göttlichen Buch966 so hoch als man will – ihn hier zu bestimmen967 ist der Ort nicht –: so muß er doch nicht den Augenschein gegen sich haben. Denn968 gegen diesen kan969 keine Theorie bestehn970, und man treibt sonst Andre971 noth[49]wendig dahin, daß sie, zu Folge unsrer972 falschen Begriffe von den Erfordernissen eines göttlichen Werks, der Bibel diese Ehre absprechen [57] müssen, wenn sie gleichwohl darin das wahrnehmen, was man mit einem göttlichen Werke unverträglich hält. Der Augenschein zeigt es aber, daß Jesus und die heiligen Schriftsteller,973 in unzählichen Stellen,974 Redensarten und Sätze brau[343]chen, die sich auf menschliche, selbst irrige, Vorstellungen und Gewohnheiten dererjenigen gründen, mit welchen sie zu thun hatten, wie (z. B.)zum Beispiel Hiob 1, 6 flgg.folgende 975 Matth. 12, 43–45. (vergl.)vergleicheverglichen mit Tob. 8, 3. Gal. 4, 24 f.folgend 976 und die sie selbst in vielen Fällen brauchen mußten, wenn sie allgemeiner, aber, vor der Hand wenigstens, unschädlicher Volksglaube waren, wollten sie anders verstanden werden, ihre Glaubwürdigkeit nicht verdächtig machen, ihre Zuhörer oder Leser, nach deren Fähigkeiten und Bedürfnissen, überzeugen, oder ihnen etwas anschaulich darstellen. – Mindestens muß da, wo sie erzählen, oder, wie
und
den Meinungen andrer979 widersprechen, auch der eingenommenste Leser Anspielungen auf besondere menschliche Meinungen anerkennen, die denn doch von dem Ausleger verständlich gemacht werden müssen.
Und warum soll denn 3) alles981, was in den biblischen Büchern vorkommt, für alle Leser geschrieben, warum schlechterdings allgemeinnützlich seyn? Kan 982 es je ein Buch geben, das diese Eigenschaft hätte, ohne alsdann983 manchen Lesern entbehrlich, oder nicht unterhaltend genug zu seyn984? Ists [58] denn nicht oft wohlthätiger gegen Alle, Mannichfaltigkeit hinein zu bringen, und einen Theil des Inhalts für [50] Alle oder Manche985, einen andern 986 nur für Einige oder Andre987 zu bestimmen, um Allen, nach ihrem Bedürfniß, Alles988 zu wer[344]den? Ists nicht in den heiligen Büchern wirklich so? Könnten WeissagungenWeissagungen989 wohl für die ersten Leser, die jüdischen Geschlechtregister990 für uns, bestimmt seyn,991 die mosaischen Gesetze Andre unter den992 Christen, als993 die Gelehrten interessiren994? Wenn aber 4) in der heiligen Schrift nicht 903Allen Alles995 gleich nützlich und verständlich seyn mußte:996 so war es schon natürlicher, mehr für die ersten, als für die spätern Leser zu sorgen, sich also nach deren997, auch noch 998 rohen und selbst irrigen,999 Begriffen 1000 zu richten. Eben dieses giebt einem Buch1001 den Charakter der Zeit, woher1002 es ist, des Schriftstellers, der es geschrieben hat, der nächsten Bestimmung, wozu es aufgesetzt wurde; auf1003 diesen unverkennbaren Merkmalen beruht die Ueberzeugung, daß es avthentisch1004 und glaubwürdig sey;1005 und auf diese Ueberzeugung gründet sich alles andre, die1006 also bey Gott1007 ein wichtigerer Zweck seyn mußte1008, als die Befriedigung unsrer1009 eigensüchtigen Forderungen.
Mit alle dem können 5) Bücher, die zunächst und hauptsächlich für die ersten Leser geschrieben sind, es kankann 1011 selbst das, was in denselben auf besondre1013 Zeit- und Volksmeinungen geht, 1014 immer auch uns, in unsrer1015 Art, nützlich werden, so daß, wegen jenes nächsten eingeschränkten ZweckZwecks,1016 die Bücher selbst oder diese Theile derselben keineswegs1017 unsre1018 Geringschätzung oder Gleichgültigkeit verdienen1019. Es ist doch wenigstens schätzbarer Beytrag1020 zur Ge[345]schichte des menschlichen Geistes und der Religion. Je mehr wir diese besondre1021 Vorstellungen studieren, die zu der Zeit herrschten, [51] wo die biblische1022 Bücher geschrieben wurden, oder wo die darin enthaltnen1023 Begebenheiten und Reden vorfielen, und uns auch um anderweitige Spuren derselben bekümmern:1024 je1025 mehr wächst die Ueberzeugung von ihrem Alter, Aechtheit1026 und Glaubwürdigkeit. Man lernt alsdann1027 auch tiefer in die weisen Anstalten Gottes zur 904 Erziehung des menschlichen Geschlechtes1028 eindringen; öfnet1029 sich neue Quellen der Zufriedenheit mit den Wegen Gottes, der für jeden nach seinen Bedürfnissen sorgt, das Unvollkommne1030 allmählich reifen läßt, und auch das Schlechtere zu seinen guten Absichten zu wenden1031 weiß; man lernt das Glück mehr schätzen, in aufgeklärtern Zeiten zu leben, und weitere, nähere Aufschlüsse zu haben, die ehemaligen Zeiten versagt, oder durch Vorurtheile und1032 Irrthümer erschwert waren. Und liegt denn, bey1033 allem Eignen1034 gewisser Beyspiele1035 in der heiligen Schrift, in allen,1036 nach den Umständen jener Zeiten und Völker,1037 eingekleideten Lehren,1038 nichts allgemein Lehrreiches für uns, das nur bey1039 jenen Menschen durch ihre Umstände eine nähere Bestimmung für sie bekam? das der Verständigere wie Gold aus den Schlacken zu schmelzen weiß? woraus er, wie aus allen Beobachtungen in der Welt, das Allgemeine herausziehen, [60] und sich für seine besondre1040 Umstände nutzbar machen kan1041? 905Es sey1042 Paulus, oder Kephas, oder Apollos, oder die Welt – alles 1043 ist unser!
. – Aber 6) scheiden müssen wir es lernen, [346] und eben darum das näher kennen lernen, was zu jenen Ort- und Zeitkenntnissen gehört, was Hülle und nicht Wesen ist, was Gott in der Bibel nach bloßer HerablaßungHerablaßungHerablassung 1044, und was er nach strengster Wahrheit hat sagen laßen1046. Dafür muß es sowohl Regeln geben als für das Aechte1047 oder Unächte1048 in Lesearten, für den wahren oder falschen Sinn der heiligen Schrift; und alsdann1049 wird [52] auch die Besorgniß wegfallen, daß man durch solche eingemischte Vorstellungen nothwendig1050 müßte auf Irrthümer geleitet werden.1051
Wenn man diese aus bloßem1053 Mißverstande herrührende Vorurtheile von dem Nutzen der Bibel, der vermindert werden, und von dem Schaden, der ihrem richtigen Verstand und Anwendung drohen würde, bey1054 Seite setzt: so wird man sich bald überzeugen können, wie unumgänglich nothwendig es sey1055, sich, so viel man immer kan1056, ganz in die Lage hinein zu denken1057, welche die Bibel vorausetztvoraussetzt 1058, und sich dazu die §. 41. erwähnten1059 Kenntnisse mit möglichstem Fleisse1060 zu erwerben. Nur dadurch werden wir verhüten, – daß wir nicht nach dem Maaßstab unsrer, oder überhaupt späterer, Kenntnisse und Meinungen,1061 die in der heiligen Schrift liegenden,1062 abmessen, und dadurch [61] uns den GesichtspunctGesichtspunct1063 verrücken, wonach wir alles1064 nehmen müssen, wenn wir von ihr lernen wollen –1065 nicht die darin liegenden Begriffe, wider die Wahrheit, ausdehnen oder einschrän[347]ken, –1066 nicht Dinge darin suchen und finden, an welche die heiligen Schriftsteller oder die darin aufgeführten Personen nie haben denken können –1067 nicht ihre Beweise falsch beurtheilen –1068 oder eine Ordnung, oder einen Zusammenhang, oder Künste erdichten, wonach sie sollten verfahren haben,1069 –1070 kurz, nicht den wahren Sinn derselben verfehlen.
Nur dadurch würde1072 zugleich der falschen Beurtheilung und Anwendung der heiligen Schrift vorgebeugt, oder beydes1073 berichtigt werden. Denn nur durch die Kenntniß desjenigen, was in ihr jeder erwähnten1074 Zeit, jedem Ort [53] und jedes1075 Umständen gemäß ist, ergiebt sich die hohe Glaubwürdigkeit, das Alterthum und die Aechtheit1076 ihrer Bücher. – Nur dadurch entsteht wahre Ueberzeugung von der göttlichen Weisheit des darin gebrauchten Vortrags und der gemachten Anstalten, wenn beydes1077 gerade den jedesmaligen Umständen angemessen ist. Nur dann wird man den CharacterCharacter1078 und die Handlungen der darin aufgestellten Personen richtig würdigen, ungegründete Kritiken darüber ablehnen, und unrichtige Nachahmung derselben verhindern können, wenn man sie nach der Lage kennt und nimmt, worin sie handelten,1079 und verfahren konnten. AlsdannAlsdenn 1080 auch [62] nur im Stande seyn, das, was von der Zeit und Lage herrührte, mit einem1082 Wort, das ZufälligesZufällige,1083 von dem Wesentlichen, und bey1084 dem Vortrage [348] der Bibel,1085 die den Zeitumständen und Bedürfnissen entsprechende Einkleidung von den Lehren selbst, bey1086 den aufgeführten Beyspielen1087 das ihnen Eigenthümliche von dem auch 1088 uns Lehrreichen,1089 abzusondern, und sie so wirklich unsern Bedürfnissen gemäß zu brauchen1090.
Da die verschiednen1092 Veränderungen der in der heiligen Schrift erwähnten1093 Völker, oder vorzüglich merkwürdiger Personen unter ihnen, sehr viele Veränderungen1094 nicht nur der Länder selbst, sondern noch mehr der Denkungsart, der Sitten, der Verfassung und Einrichtungen unter ihnen und andern1095 nach sich gezogen haben: so ist schon deswegen 9074) die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um diese letztre1096 Veränderungen, nebst ihren Ursachen und Absichten, einzusehen. Sie würde es schon an sich seyn, in so fern1097 ein großer1098 Theil der Bibel theils diese wirkliche Geschichte, theils Anspielungen darauf, theils Weissagungen1099 enthält, [54] die sonst schlechterdings das nöthige Licht nicht bekommen können. Für den Ausleger der Bibel gehört freylich1100 nur diese Kenntniß so weit, als sie zur Erklärung der Bibel nöthig ist,1101 aber eben dazu wird auch eine sehr oft in kleine und dunkle Umstände eindringende Kenntniß erfordert.
1102Viel trägt dazu 5) die Kenntniß der biblischen Zeitrechnung bey1104, die doch auch wieder das unentbehrliche Licht aus der Geschichte erhält. Sie hat hier nicht nur den Nutzen, wie in der Geschichte überhaupt, daß sie ihr Ordnung mittheilt, ihre Wahrheit befestigt, und den Geschichtsforscher auf den Zusammenhang der Begebenheiten, also zur kritischen und pragmatischen Behandlung der Geschichte, führt. Sie ist auch unentbehrlich, um den scheinbaren Widerspruch mancher Stellen der heiligen Schrift gegen einander und gegen die Zeitrechnung der auswärtigen Geschichte zu heben, der so oft zu Vorwürfen gegen sie gedient hat; um auf wahre oder vorgebliche Fehler in einigen Stellen des biblischen Textes und deren richtige Beurtheilung zu leiten; und selbst, um falsche Erklärungen zu verhüten,1105 oder zu entdecken, die sich auf eine unrichtig angenommene Zeitrechnung gründen, und durch Hülfe einer richtiger bestimmten Chronologie neues Licht über manche Schriftstellen auszubreiten.
Zur Erwerbung aller bisher erwähnten1124 historischen Kenntnisse gehörte freylich1125, wenn sie von eignemeigenem 1126 Fleiß abhängen sollte, ein sehr sorgfältiges Studium sowohl der heiligen Schrift selbst, wo oft gering scheinende und kaum bemerkte Spuren zu wichtigen Entdeckungen führen können, als auch anderer alten1128 Schriftsteller und Denkmahle, die uns irgend etwas davon aufbehalten haben. Und weil1129 auch in spätern morgenländischen Schriftstellern viele Ueberbleibsel dieser Art übrig sind, überhaupt aber sich alte Meinungen und Sitten, selbst aus den ältesten Zeiten, nirgends so lange und unverändert, als in den Morgenländern, erhalten haben: so ist das Nachforschen in solchen morgenländischen Schriftstellern und in genauen und von wirklichen Kennern herrührenden Reisebeschreibungen in jene Gegenden, von ungemeinem Nutzen. Viel ist auch bereits hierin von einigen [65] gelehrten Männern, theils in besondern [351] Werken über gewisse Arten dieser historischen Kenntnisse, theils bey1130 Erklärung der heiligen Schrift, geleistet worden, woran man sich, [56] in Ermanglung1131 der nöthigen Hülfsmittel und Fähigkeiten, halten muß, von ihnen wenigstens schon vieles Vorgearbeitete, die dabey1132 brauchbaren Quellen, und die rechte Art1133 sie zu benutzen, ablernen kan1134.
Aber,1140 wenn man sich nicht bloß auf die Benutzung des Vorgearbeiteten einschränken, höchstens, in Absicht der Quellen, bloß an Reisebeschreibungen halten will, deren Werth, zumal bey1141 einzelnen1142 Nachrichten, nicht einmal gründlich beurtheilt, vielweniger vorsichtig und reichlich genug benutzt werden kan1143, ohne gründliche Kenntniß alter Sprachen und mehrerer Theile der alten und morgenländischen Geschichte: so hat dieses eigne Studium so viele Schwierigkeiten, und erfordert so viele zum Theil seltne Hülfsmittel, Kenntnisse, Geduld, Scharfsichtigkeit und Gabe, sich in fremde Lagen recht hinein zu denken1144, und aus einer Menge von Kleinigkeiten ein Ganzes zusammen zu setzen1145, daß nur wenige1146 etwas Beträchtliches in diesem Fache leisten können. Ein Anfänger zumal muß sich mit den Vorarbeiten Andrer1147 begnügen; kan1148, aus Mangel der Zeit und der Hülfsmittel, auch dies1149 nicht einmal; [352] [66] würde sich wenigstens glücklich zu schätzen haben, wenn er auch nur das Nothwendigste in ein Handbuch zusammengetragen fände, was ihm zu einem allgemeinen Wegweiser bey1150 Erlangung dieser Kenntnisse vorläufig dienen könnte.
Ohne Zweifel ist dieses einigermaßen1152 die Absicht bey1153 solchen Büchern oder Vorlesungen gewesen, die man1154 unter dem Namen der Einleitung Einleitung 1155 in das alte und neue Testament und der sogenannten Kirchengeschichte des alten Testaments, oder (der ältern) jüdischen Geschichte hat, wenn1156 sie 1157 allezeit und genugsam dieser Absicht entsprächen.1158 Allein bis jetzt schränken sich jene Einleitungen fast bloß auf die Geschichte der biblischen Bücher selbst und ihres Textes ein, und fügen allenfalls Einiges über die Verfassung einiger in der heiligen1159 Schrift erwähnten1160 Völker hinzu; wonach1161 solche Bücher, wenn sie nicht durch besondre1162 neue Entdeckungen, und dieses doch mehr für den Gelehrten1163 als für den Anfänger, wichtig werden, mehr nicht leisten, als was Ausleger ohnehin zur Einleitung bey1164 Erklärung einzelner1165 biblischen Bücher, oder andre1166 schon in Anweisungen zur Erklärung der heiligen1167 Schrift, 919 Ernesti (z. B.)zum Beispiel in der Institut. interpretis N. T., oder die Verfasser der sogenannten hebräischen und christlichen Alterthümer, oder der Bücher über die biblische Kritik, gethan haben. 920Noch haben wir kein in seiner Art vollständiges1168 [67] Handbuch, [353] wodurch man eine kurze, aber in ihrer Art zweckmäßig-vollständige, Uebersicht zugleich1169 von der biblischen Geographie und Chronologie, der im Zusammenhang1170 mit der auswärtigen gebrachten1171 Geschichte in der BibelBibel1172, und vornehmlich von der Denkungsart, den Kenntnissen, Meinungen, Sitten und 1173 Verfassung der Völker oder Gesellschaften, die in der heil.1174 Schrift vorkommen,1175 oder zum Grunde liegen, auch des ganzen Tons bekäme, der in der heil.1176 Schrift herrscht; gesetzt1177 daß man auch nur das bisher darüber Entdeckte zusammentrüge, gut auswählte, [58] und in eine gute Ordnung brächte. *) 1178 So lange dieses nicht geschieht, muß sich der Anfänger an den Ausleger halten, dem er sich anvertraut, oder an diejenigen Hauptbücher, welche am besten einzelne1179 hier in Anschlag kommende Stücke aufgeklärt haben. S.Siehe §. 49 49. in der Anmerkung.1180
Anm. Anmerkung *) Einen Anfang eines solchen Handbuchs haben wir an dem Handbuch der biblischen Literatur, von Bellermann, Johann Joachim Joh. Joach. Bellermann , das, einst vollendet, für den Anfänger eine gute Encyclopädie dieser Art von Kenntnissen seyn wird. Bis jetzt sind erst zweyvier Theile, Erfurt 1787 und 90 in1787–1790. 8. erschienen. Man sehe auch die oben bei §. 40. angeführten Schriften. 1182Die sogenannte Kirchengeschichte des alten Testaments, die mit einer kritischen Geschichte der Bibel selbst nicht verwechselt werden muß, ist gewöhnlich die in einigen Zusammenhang gebrachte, und zum Theil mit der benach[68]barten Völkergeschichte verbundene Geschichte der [354] Juden und ihrer Vorfahren, bis auf Christi Geburt, und verdient mehr den Namen eines erläuterten Auszugs aus der Geschichte des alten Testamentes1188, ist mehr Sammlung von Erläuterungen schwerer historischen1189 Stellen des A. T.1190 die sich nur zu oft auf unnütze und in eine Volksgeschichte gar nicht gehörige Untersuchungen (über die 924redende Schlange in dem Paradies1191, über Dudaim und Kikajon, das Begräbniß Mose u. d. gl.und dergleichen 1192) erstrecken, als eine Handleitung zu dieser Geschichte selbst, wodurch diese, mit den Weissagungen1193 auch auswärtige Völker betreffend, aufgeklärt, pragmatisch gemacht, und das andern Stellen der Bibel oder der Profangeschichte Widersprechende gehoben werden könnte. In der That verdiente sie eine solche Be[59]arbeitung, und würde sehr nützlich erweitert werden können, wenn sie zugleich als Geschichte der stufenweise erfolgten nähern göttlichen Offenbarung und des Volks Gottes, (d. i.)das ist derjenigen Menschen, eingerichtet würde, welchen sie, bis zu ihrer letzten Vollendung, mitgetheilet1194 worden ist. Auf diese Art könnte sie die ganze biblische Geschichte A.1195 und N. T.1196 in sich fassen, und eine nützliche Vorbereitung auf die Lesung der heiligen Schrift selbst werden.
1197Um die bisher erwähnten1199 philologischen und historischen Kenntnisse bey1200 Erklärung der heiligen [69] Schrift recht zu brauchen, sind sowohl1201 gewisse [355] Regeln Regeln,1202 als1203 eine Uebung nöthig, um nach diesen Regeln jene Kenntnisse zur Entdeckung und Mittheilung1204 des Sinnes der heiligen Schrift wohl anzuwenden1205 (§. 36).1206 Der zusammenhängende Inbegriff jener Regeln, oder die Wissenschaft, welche eine Anweisung zur gründlichen Einsicht und Darstellung dieses Sinnes giebet1207, ist die biblische Hermenevtik Hermenevtik 1208.
In Würdigung dieser Wissenschaft muß man sich 1210 hüten, ihren Werth so wenig herunter zu setzen 1211 als zu übertreiben 1212. Regeln muß man einmal haben, wenn man bey1213 der heil.1214 Schrift mit eignen1215 Augen sehen, nicht [60] willkürlich handeln, und sich in ähnlichen Fällen gleich bleiben will. Auch wenn man von dem besten Ausleger geleitet wird, der seine Erklärungen durch Gründe unterstützt, kan1216 man nicht einmal beurtheilen, mit welchem Recht er nach solchen Gründen verfahre1217, wenn man nicht vorher feste Regeln kennt, wonach man sein Verfahren beurtheilt; und wer sich sogleich1218 einen Wegweiser, den Sinn der heiligen Schrift zu finden, wählt, findet gemeiniglich diese Vorarbeit so bequem, daß er sich um das eigne1219 Aufsuchen und die dazu nöthigen Regeln wenig bekümmert. Indessen könnte 1220 ein guter Kopf, dem es so wenig an obigen Kenntnissen als an Beobachtungsgeist fehlte, sich durch fleissiges1221 Studium der heiligen Schrift,1222 selbst diese [70] Regeln abziehn1223, und, wenn er sich an Philosophie [356] gewöhnt hätte, selbst seine Beobachtungen verdeutlichen, und 1224 in allgemeine, bestimmte, und mit andern Grundsätzen zusammenhängende Sätze verwandeln. Auch versteht sichs von selbst1225, daß Regeln allein, ohne Genie, Sprach- und historische Kenntnisse und Uebung, keinen Ausleger bilden. Aber dieses alles mit vorausgesetzt1226, ist es, zumal für den Anfänger, sehr nützlich, einen wissenschaftlichen Unterricht über richtige Grundsätze zur Auslegung der heiligen Schrift zu erhalten.
Denn 1) jene vorausgesetzte1228 Eigenschaften kan1229 man bey1230 den wenigsten1231 annehmen, die den Sinn der heiligen Schrift selbst finden wollen. Man1232 müßte schon vorher eine1233 sehr gute Anweisung und Uebung in recht genauer Erklärung alter Schriftsteller gehabt haben, die allerdings die treflichste1234 Vorbereitung zur Auslegung der Bibel 1235, aber doch allein nicht zureichend,zureichend ist, weil beybei dem Eigenthümlichen des Ausdrucks und der Denkart, die in diesen ganz morgenländischen Schriften der Bibel herrscht,1236 noch zugleich andreandere 1239 Grundsätze erfordert werden1241, welche aus der Natur des biblischen Sprachgebrauchs und der eigenthümlichen Art ihres Vortrages müssen1242 abgezogen werden 1243. 2) Auch alsdann1244, wenn sich jemand mit jenen Eigenschaften dem Studium der heiligen Schrift näherte, würde vieles1245 von den Grundsätzen oder Vorurtheilen abhän[71]gen, die er mitbrächte. Sind diese falsch, so werden alle seine Beobachtungen eine falsche Richtung nehmen, eher zur Bestärkung seiner Irrthümer, als zu ihrer Berichtigung angewendet werden; sind sie aber auch wahr, nur nicht auf [357] deutliche Gründe gebauet, so ist die ganze Art, wie er bey1246 der Auslegung verfährt, sehr unzuverläßig1247. Um beydes1248 zu verhüten, müßte er doch schon vorher, ehe er sich sichre1249 Regeln abziehen wollte1250, feste Grundsätze haben, die ihn bey1251 diesem Geschäfte leiteten. Eben diese soll die HermenevtikHermenevtik1252 geben und klar machen, die uns schon dadurch große1253 Dienste leisten kan1254, daß1255 sie uns für1256 schädlichen Vorurtheilen bey1257 der Auslegung bewahrt, oder sie ausrottet, ehe sie zu feste Wurzeln schlagen. 3)1258 Und wenn nun vollends Andre1259 uns unsre Regeln oder deren1260 Gültigkeit ableugnen:1261 so bleibt doch kein andrer1262 Weg übrig, sie zu überzeugen, als der, wo man die bestrittnen Regeln und1263 Grundsätze auf solche zurückführt, die auch der Gegner nicht ableugnen kan1264, die sich also auf deutliche Begriffe von der Natur der Auslegung, der Sprachen überhaupt, und derjenigen1265 Sprachen insbesondre1266, gründen, in welchen die heilige Schrift abgefaßt ist.1267 ( (z. B.)zum Beispiel ob und wiefern1268 man die eigentliche Bedeutung der Wörter verlassen dürfe? ob und wiefern die hebräische [62] Bedeutung der gutgriechischen vorzuziehen sey1269? wie die bestimmte Bedeutung derselben zu finden sey1270?) 4) Auf Manches wird man gar nicht einmal aufmerksam werden, um sich daraus Regeln zu ziehen, wenn man nicht vorher durch guten [72] Unterricht daran1271 erinnert worden ist, oft (z. B.)zum Beispiel nicht einmal an die Möglichkeit einer Erklärung denken, die gerade die richtigste seyn kan1272, oft an der Bedeutung der Wörter hängen bleiben, und sich daraus einen Sinn zusammensetzen, aber dar[358]über den wahren Sinn ganzer Sätze verlieren. Ueberhaupt aber 5) ist1273 das eigne1274 Auffinden richtiger und fester RegelnRegeln1275 eine so mühsame Beschäftigung, und die dazu nöthigen Eigenschaften (§. 54 1276) sind so selten beysammen1277, und erfordern so viele Kenntnisse, Scharfsinn und Fleiß in unendlich kleinen Dingen, daß der gewiß Dank und Aufmerksamkeit verdient, wer1278 uns diese Beschäftigung durch Mittheilung erprobter Regeln erleichtert, und uns für Ab-1279 und Nebenwege1280 bewahrt, wobey1281 wir spät oder gar nicht zum Ziel kommen würden.
Wie schwer es überhaupt, und wie unmöglich es für den Anfänger sey1283, ohne diese Anweisung bey1284 der Bibel sicher fortzukommen, lehret1285 schon die Erwegung1286 der Kenntnisse, die bey1287 sichern Grundsätzen und Regeln zum Grunde liegen müssen. Denn die biblischen Bücher sind –1288 vernünftige Schriften, und in einer verständlichen Sprache abgefaßt – welche aber, wie jede Sprache, ihr Eignes1289 hat – und die heiligen Schriftsteller hatten eben so ihre eigenthümliche Denkart, Begriffe, und Art sich auszudrucken, wie sie sich in allen diesen auch nach ihren Lesern [73] richten mußten. Daher beruhen die 1290 Grundsätze und [63] Regeln bey1291 Erklärung der Bibel 1) auf der Natur des vernünftigen Denkens und der Sprache überhaupt, worüber die Logik Aufschluß geben muß 1292, und in so fern ist die bibli[359]sche HermenevtikHermenevtik1293 von der allgemeinen nicht verschieden; 2) auf der Natur der in der heiligen Schrift gebrauchten Grundsprachen;1294 und 3) auf der Kenntniß desjenigen, was die heiligen Schriftsteller und die Leser, für die sie zunächst schrieben, Eignes1295 hatten. Wenn auch das Erste leicht sollte zu erkennen seyn: so erfordert doch das Zweyte1296 und Dritte, wie bisher gezeigt worden, sehr ausgebreitete und feine Kenntnisse, die um so schw rerschwerer 1297 zu erwerben, um so schwerer mit Ueberzeugung zu fassen sind, je größre1298 Vorurtheile von der ganz eignen1299 Art göttlicher1300 Bücher sich hier in den Weg legen1301 (§. 42–44.).1302
Zu der Bekanntschaft mit den Grundsätzen und Regeln der Auslegung heiliger Schrift1360 muß nothwendig noch Uebung in dieser Erklärung selbst kommen1361 (§. 36 36. und 53). 53.) 1362 Denn 1) ohne diese sind die Regeln bald vergessen;1365 durch sie wird erst ihr Nutzen mehr klar, und die Ueberzeugung von ihrer Wahrheit anschaulich;1366 oder, wenn uns falsche oder unnütze Regeln sollten beygebracht1367 seyn, so kan1368 uns die versuchte Anwendung der[76]selben bey1369 der Erklärung selbst, bald belehren, ob jene unbrauchbar oder unrichtig, oder einer Einschränkung, und welcher? sie bedürftig sind. 2) Bey1370 dieser Uebung können wir immer mehrere Regeln entdecken, entweder so, daß wir selbst durch fleissiges1371 Studieren der Bibel darauf stoßen1372, oder daß wir sie guten Auslegern, bey1373 Wahrnehmung der Art, wie sie verfahren, ablernen, und dadurch den hermenevtischen1374 Unterricht vervollständigen. 3) Nur erst durch die Uebung machen wir uns diese Grundsätze zu eigen, lernen selbst, aus eigner1375 Ueberzeugung, [362] die heilige Schrift verstehen, und gewöhnen uns zum exegetischen Gefühl, das einem Ausleger so nöthig ist. Es kan1376 auch alsdann 4) bey1377 anhaltendem Fleiß nicht fehlen, daß wir nicht, indem wir die Schrift mit sich selbst und allen unsern anderweitigen Sprach- und historischen Kenntnissen vergleichen, Manches in derselben sollten besser, oder [66] doch überzeugender verstehen lernen, was der Fleiß Andrer zurückgelaßenzurückgelassen 1378 oder verfehlet1380 hat.
Zu diesen Uebungen gehören: –1382 der Gebrauch guter Vorlesungen über die heil.1383 Schrift, wenn man Gelegenheit dazu hat –1384 guter Ausleger, die sie in Schriften erklärt haben –1385 und 1386 eigene Versuche. Man thut wohl, wenn es seyn kan1387, sich erst richtige Grundsätze und Regeln der Auslegung bekannt zu machen (§. 55 1388), und alsdann1389 sogleich zu den Uebungen fortzuschreiten, [77] oder letztere gleich mit dem Unterricht in der HermenevtikHermenevtik1390 zu verbinden1391 (§. 57).1392 Es ist auch rathsam, die gedachten Uebungen in der angegebenen Ordnung vorzunehmen.
Denn,1394 eben so,1395 wie die HermenevtikHermenevtik1396 eine sehr nützliche Vorbereitung zum Studium der heiligen Schrift ist, so ist es viel besser, erst andre1397 gute Ausleger zu hören oder zu lesen, als schon1398 selbst Versuche in der Auslegung anstellen zu wol[363]len. Jenes ist unstreitig leichter. – Bey1399 andern guten Auslegern kan1400 man eher mehr Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln der Auslegung und den Entdeckungen Andrer1401, so wie mehr Uebung und Fertigkeit voraussetzen, als bey1402 dem Anfänger. – Dieser übersieht zu viel, ist entweder auf Manches nicht aufmerksam, oder bildet sich ein, Manches zu verstehen1403, was er wirklich nicht versteht; durch Vergleichung der Ausleger lernt er erst, daß Manches ganz anders erklärt werden könne1404, Manches nicht so sicher sey1405, als er glaubte, und daß er auf Vieles Acht geben müsse1406, woran er nicht dachte.
Eben so ist es besser, wenn man es haben kan, VorlesungenVorlesungen1424 guter Ausleger zu benutzen, als gleich anfangs sich an Schriften1425 der Ausleger, zumal an mehrere zugleich, zu halten. Denn, ausser demausserdem 1426 daß der größte Theil der sogenannten Commentarien schlecht, oder unsern jetzigen Bedürfnissen und den1428 eines Anfängers nicht angemessen ist, und1429 dieser 1430 nicht immer die Ausleger kennt, welche für ihn die besten sind, oder sie nicht immer haben kan1431: so befördert schon der mündliche Vortrag mehr die Aufmerksamkeit; man kan1432 eher bey1433 dem Docenten weitern Unterricht über das einziehn1434, was man nicht verstanden, oder was uns nicht überzeugt hat; man erspart sich mehr Zeit und Mühe, und wird durch die Abweichungen der Ausleger von einander weniger verwirrt; der1435 mündliche Lehrer kan1436 seinen Vortrag mehr für das besondre1437 Bedürfniß der Zuhörer einrichten, die er vor sich hat; und, wenn der Docent Geschicklichkeit, Fleiß und Untersuchungsgeist genug hat, kan1438 man von ihm eher erwarten, daß er das Beste, und selbst das Neueste, was über die Bibel geleistet wor[68]den, benutzt, und [79] selbst maches Gute entdeckt haben werde, was man in den Commentarien nicht antrift1439.
Vorlesungen und schriftliche Arbeiten über die heilige Schrift1441 sind entweder kürzer, und halten sich bloß bey1442 Vorstellung des Wortverstandes auf, oder sie sind weitläufiger, und zeigen entweder durch die Erklärung näher die Art, wie man die Bibel auslegen müsse, oder sie weisen1443 die Anwendung des gefundenen Verstandes zur Bestimmung desjenigen, was wir nach der heili[365]gen Schrift zu glauben, oder zu thun, oder zu vermeiden haben. Die erstern nennt man cursorische Vorlesungen, oder Scholien; die letztern exegetische Vorlesungen, oder Commentarien.
In jenen müßte1445 der Verstand der heiligen Schrift deutlich dargestellt, durch eine möglichst genaue und treue Uebersetzung, und, wo diese nicht möglich, oder nicht zureichend ist, durch dergleichen Umschreibung ausgedruckt1446; derselbe aus dem Sprachgebrauch der Bibel, und, wo mehrere Erklärungen möglich sind, aus andern Gründen zugleich einleuchtend gemacht;1447 es müßten1448 die historischen ErläuterungeuErläuterungen 1449, wo sie nöthig sind, beygebracht1450, die anscheinende1451 Widersprüche oder andre1452 Schwierigkeiten des Verstandes gehoben; merkwürdigere Lesearten, zumal wo sie den [80] Sinn ändern, erwähnt1453, geprüft, und die gewählte kurz gerechtfertigt; und, wo die Wahl unter mehrern Auslegungen schwerer ist, oder gewisse falsche Erklärungen sehr herrschend sind, und diese nicht schon durch richtige Vor[69]legung des Sprachgebrauchs wegfallen, sie gegen einander gehalten,1454 und abgezogen werden, um den Vorzug des wahrscheinlichsten Sinnes zu zeigen. Auch könnten1455 noch einige Winke über die Anwendung wichtiger Stellen1456 und über den großen1457 Werth der Bibel und ihrer Belehrungen hinzukommen. – So eingerichtet sind solche Erläuterun[366]gen sehr nützlich, und haben – nach ihrem Zweck, den Sinn der heiligen Schrift aufzuklären – einen weit größern1458 Nutzen, als weitläufigere Commentarien. Man erspart sich dadurch mehr Zeit, meist1459 unnütze Weitläufigkeit und Zerstreuung, der man in den letztern so sehr ausgesetzt ist. Man1460 wird, bey1461 dem langsamen Eilen, mehr mit dem Ton, Inhalt und Geist der heiligen Schrift bekannt. Man1462 bekommt eine schnellere und mehr dem Geiste1463 gegenwärtige bessere Uebersicht des Ganzen, zumal wenn man die ganze Bibel so durchgehen kan1464; dadurch zugleich eine trefliche1465 Grundlage der ganzen Theologie; und hat, weil die meisten und besten Ausleger der Bibel in dieser Art der Erklärung1466 gearbeitet haben, den Kern des Besten beysammen1467, was zur Erläuterung derselben gesagt worden ist.
Wenn bey1499 den gemeiniglich sogenannten exegetisch exegetischen 1500 Vorlesungen und weitläufigern Commentarien (§. 61 1501) die Absicht wäre1502, die rechte Anwendung der hermenevtischhermenevtischen1503 Grundsätze und Regeln zu zeigen;1504 so müßte1505 diese deutlich genug gemacht werden, besonders durch Prüfung und [82] Gegeneinanderhaltung verschiedner1506 Erklärungen. Nützlich genug würde dieses, zumal für den seyn, der sich nicht selbst zu helfen wüßte; aber doch sehr aufhalten,1507 und bald ermüden; man könnte sich daher mit1508 Proben bey1509 einigen kürzern Büchern oder schwerern Stellen verschiedner1510 Arten begnügen. – Wollte1511 man aber, ohne doch die Untersuchung des Wortverstandes zu vernachläßigen1512, zum rechten Gebrauch der heiligen Schrift Anweisung geben;1513 so müßte1514 gezeigt werden, wie1515 die Beweise für Grundsätze des Glaubens und Lebens ungezwungen aus der vorgetragnen1516 Erklärung flössen1517, und diese müßten1518 mit andern klaren biblischen Lehren verglichen werden, um den Grund zu einer wahrhaftig biblischen Theologie zu legen. Es könnten1519 auch die in der heiligen Schrift entdeckten Sachen angewendet werden, falsche Vorstellungen zu beurtheilen, wenn1520 sie in das Praktische einen Einfluß hätten1521, oder herrschend, und dadurch verführerisch wären1522. Vornehmlich müßte1523 man1524 an [71] Beyspielen1525 zeigen1526, wie man die aus der Bibel geschöpften Kenntnisse recht praktisch, und zur eigentlichen Erbauung für uns anwendbar,1527 zu machen hätte1528; und 1529 wie fruchtbar und lehrreich sowohl die 948historischen als die Lehrbücher der heiligen Schrift sind, um, bey1530 dem rechten Nachdenken darüber und bey1531 sorgfältiger Zusammenhaltung der biblischen Belehrungen mit unsern Bedürfnissen, uns hinlänglich zur Gottseligkeit zu unterrichten. Dies1532 könnte zugleich eine recht gute Anweisung zu 949analytischen Predigten werden.
Nach den bisher angegebenen Eigenschaften biblischer Vorlesungen und ErläuterungsschriftenErläuterungsschriften kan1538 man beurtheilen, ob und wie weit man sich einem solchen Führer anvertrauen könne. Je mehr er sich zur eigentlichen Untersuchung des Verstand Verstandes 1539 hält, ohne sich bey1540 dem aufzuhalten, was keiner Erklärung bedarf, den Sinn nichts angeht, und zu dessen Aufklärung nichts thut; – je mehr [369] [72] er sich des biblischen Sprachgebrauchs1541 kundig zeigt, und diesen, durch Hülfe genauer Kenntnisse der Grundsprachen und des feinern Parallelismus der Bibel, deutlich zu machen, und ihn bestimmt anzugeben weiß; – je mehr er sich, mit Hülfe wirklich historischer Kenntnisse1542, in die wahre Lage derer hinein zu denken versteht, mit und von welchen die heiligen Schriftsteller reden; – je mehr er selbst denkt1543 und untersucht – und nichts zurückläßt, um seinen Lesern oder Zuhörern klare Begriffe von dem Verstande der Bibel, sonderlich bey1544 Erklärung uneigentlicher und der heili[84]gen Schrift eigenthümlicher Ausdrücke,1545 zu geben; – je bescheidner1546 er sich zeigt, vornemlich1547 in Rücksicht auf den verschiednen1548 Grad der Gewißheit des Sinnes: desto sichrer kan1549 man ihn, obgleich mit steter Prüfung der von ihm angegebnen1550 Gründe, so weit sie uns möglich ist, folgen. – Und alles dieses Gute, die rechte Art der Schrifterklärung, ihm abzulernen, dies1551 muß eigentlich und weit mehr unser Bestreben seyn, als den jedesmaligen Sinn der einzelnen1552 Stellen zu lernen;1553 weil wir uns ohne dieses Ablernen nie selbst zu guten Auslegern bilden.
Wenn man durch Hören1555 oder Lesen guter AuslegerAusleger1556 so weit gekommen ist, daß man theils die heilige Schrift, und deren Sprachgebrauch sowohl, als die nöthigsten historischen Kenntnisse zur Einsicht ihres Sinnes, überhaupt versteht, [703[!]] theils solchen Auslegern die rechte Art1557 sie zu erklären, abgelernt hat: so schreite man zur eignen 1558 Uebung fort, um sich selbst zur Entdeckung oder Anwendung des Sinnes der Bibel zu gewöhnen. Man kan1559 diese [73] Uebungen vor1560 sich allein, oder, wenn man es haben kan1561, in Gesellschaft mit andern,1562 vornehmen. Letzteres ist sehr zu rathen, – weil es zum anhaltenden Fleiß und Wetteiferung1563 ermuntert – weil man durch andrer1564 Erinnerungen und Beyspiele1565 mehr von der Einbildung, etwas zu verstehen1566, was man nicht versteht, von Uebereilungen, seichten und ungegründeten Erklärungen und andern Fehlern,1567 zurückgebracht [85] wird – und weil Andere uns auf Manches, den Sinn und dessen Bestätigung betreffend, helfen, woran wir nicht gedacht hatten. Am sichersten und nützlichsten wird man es unter Aufsicht eines guten Auslegers thun, der Abschweifungen von dem Zweck dieser Uebungen, und andre1568 diese Absicht zerstörende oder verhindernde Vorfälle,1569 verhüten, uns auf Vieles aufmerksam machen, auch Manches noch gelegentlich mittheilen kan1570.
Studiert man die Bibel, um immer mehr ihren wahren Verstand zu entdecken: so ist 1) vor allen Dingen nöthig, mit dem Schriftsteller recht vertraut zu werden, dessen Schrift man erklären will, und man thut daher sehr wohl, ehe man sich auf eine nähere Untersuchung des Sinnes eines Buchs einläßt, dieses hinter einan[371]der durchzulesen, so ununterbrochen als man kan1572, und ohne sich mit einzelnen1573 schweren Stellen oder Ausdrücken aufzuhalten, die man fürs Künftige anzeichnen mag; damit uns die ganze Absicht, der ganze Ton des Buchs, und die dem Schriftsteller1574 eigne1575 Art des Ausdrucks, geläufig werde, und aus frischer Lectüre1576 recht gegenwärtig bleibe. Aus dem, was man darüber ehedem mit Aufmerksamkeit gehört oder gelesen hat, wird man schon so viel behalten haben, daß uns das, was [74] zur allgemeinern Einsicht des Verstandes nothwendig ist, schwerlich entgehen wird. 2) Man zeichne sich dabey1577 gleich bey1578 jeder Stelle die Stellen1579 (etwa am Rande seines Exemplars) 1580 an, die, in Gedanken oder Worten, jener ähnlich sind. 3) Wenn man bey1581 dem Lesen, wenigstens der eigentlich zusammenhängenden Bücher, wie die Briefe des neuen Testamentes sind, gefunden hat, was zusammen zu Einem Hauptgedanken gehört: so mache man sich einen kurzen Entwurf der Haupttheile des ganzen Buchs, um das Ganze hernach besser übersehen, und bey1582 Erklärungen einzelner1583 Stellen wissen zu können, wohin sie gehören, und nach welcher Absicht man sie erklären müsse.
Kommt man1601 nach allgemeiner Durchlesung eines biblischen Buchs,1602 4) auf einzelne1603 Stellen:1604 so suche man sich ja vornehmlich zu überzeugen, ob man wirklich die Stelle verstehe? Denn1605 dies1606 bildet man sich gar zu leicht ein, – wenn man einen Ausdruck, oft bloß nach der Etymologie, eine Redensart nach ihren einzelnen1607 Wörtern, übersetzen kan1608, – wenn uns gewisse Wörter und Formeln sonst geläufig sind; [373] – oder1609 wenn ein aufgefaßter Sinn möglich und denkbar scheint, und man nicht weiß, daß und was für andre1610 Bedeutungen eben derselbe Ausdruck hat,1611 – oder wenn man den eignen1612 Sprachgebrauch eines Schriftstellers nicht genau kennt.
Um zu verhüten1631 daß uns diese so schädliche falsche Einbildung nicht, ohne daß wir es selbst denken, verführe, muß man sich immer fragen: erstlich, kan1632 ich etwas deutlicheres1633, es sey1634 durch Uebersetzung, oder Paraphrase, oder Beschreibung, an dessen Stelle setzen? Kan1635 ich dieses nicht, so verstehe ich es gewiß nicht: kan1636 ich es [374] aber, so folgt noch nicht, daß ich es verstehe; ich kan1637 wenigstens nicht gewiß seyn,1638 daß ich den Sinn getroffen habe; weil Mancher viel über eine Sache sagen kan1639, was gar 1640 zur Sache nicht1641 gehört;1642 weil es höchstens beweiset, daß jemand etwas bey1643 einem Ausdruck denkt, ohne daß er das dabey1644 denkt, was der Schriftsteller damit sagen wollte; und weil ich den Sinn kan1645 errathen haben, ohne daß ich ihn mir oder Andern begreiflich machen kan1646. Ich muß also hernach Grund angeben können, warum ich es so verste[89]hen müsse, (d. i.)das ist zeigen, es schicke sich kein andrer1647 Sinn, oder doch keiner besser hieher1648, als der, den ich annehme,1649 und diesen muß ich zugleich schlechterdings aus der Sprache rechtfertigen können. Denn ein Sinn kan1650 zwar schicklich, aber nach der Sprache unmöglich, also gewiß nicht der seyn, den der Schriftsteller ausdrucken1651 wollte; auch wird der Sinn weit gewisser, wenn er die Sprache vor sich hat, †) 1652 bleibt hingegen immer etwas zweifelhaft, wenn er nach der Sprache unbegreiflich ist ††) ††) . Nicht1653 zu gedenken, daß eine solche Aufklärung aus der Sprache noch den Vortheil gewährt, daß dadurch zugleich ähnliche dunkle1655 Ausdrücke aufgeklärt werden können †††). †††) . 1656
Anm.Anmerkung Anm. †) Anm. 1. So sehe ich zwar, daß ἐκένωσε Phil. 2, 7. durch ἐταπείνωσε V.Vers 8. erklärt wird, und daß Gal. 4, 13.3. die στοιχεῖα τοῦ Κόσμου κόσμου das Judenthum oder das Mose mosaische Gesetz seyn müssen, vergl.vergleicheverglichen V.Vers 9. mit Ebr. 9, 9 . Aber nun muß ich noch jenes aus der Sprache rechtfertigen, indem die Ebräer leer leer (κενὸν) statt arm setzen, Luc. 1, 53. Richt. 11, 3;3. und dieses στοιχεῖα eben so, daßindem ich klar mache, στοιχ. bedeute Bilder, und Κόσμος sey κόσμος sei Gegensatz gegen das Christenthum, vergl.vergleicheverglichen K.Kol. 2, 20 . So sollte man auch 1 Kor. 1, 18. σωζομένους von Christen und ἀπολλυμένους von Ungläubigen verstehen, weil jene V.Vers 21. πιστεύοντες heissenheißen; aber man müßte auch σωζ. als das consequens pro antecedente aus Jes. 10, 21. 22. erläutern, wo σώζεσθαι σωζεσθαι , ἀναστρέφειν und πεποιθέναι ἐπὶ τὸν Θεὸν für einerleyeinerlei gebraucht werden;wird, und ἀπολλ. daraus, daß es 2 Kor. 4, 3. mit ἀπίστοις V.Vers 4. vertauscht wird, und 1 Kor. 8, 11. jeden bedeutet, der ohne Gewissen handelt. ††) Anm. Anmerkung 2. So δυνάμεις τοῦ μέλλοντος αἰώνος Ebr. 6, 6.5. man verstehe eses, wie man wolle. Sollte es nicht die christlichen Lehren bedeuten, und mit dem καλ. τοῦ Θεοῦ ῥήματι ῥῆματι , vielleicht auch mit der δωρεᾷ δωρεᾶ ἐπουρανίῳ und dem πνεύματι ἁγίῳ einerleyeinerlei seyn? in soferninsofern αἰὼν ὁ μέλλων, nach jüdischenjüdischem Sprachgebrauch, das Christenthum ist,ist (vergl.vergleicheverglichen bei Kap.Kapitel 2, 5. und da die Ausleger) und δύναμις wie Röm. 1, 16. eine kräftige Lehre heissen kanheißen kann. †††) Anm. Anmerkung 3. So werde ich, wenn ich Kol. 3, 5. τὰ μέλη, nach Paulus Pauli eigner Erklärung, von sinnlichen Neigungen verstehe, und es aus dem jüdischen Sprachgebrauch Matth. 5, 29. 30. aufkläre, alsdannalsdenn auch das σῶμα τ. ἁμαρτίας ἀμαρτίας ἁμαρτίας Röm. 6, 6. und das θνητὸν σῶμα V.Vers 12. daselbst oder Kap.Kapitel 8, 11. nicht von dem Leibe, sondern von sinnlichen NeiguugenNeigungen Neigungen verstehnverstehen, die uns ins Verderben (θάνατον) stürzen. {Ich lasse die Beispiele des Verfassers unverändert, wiewohl mich die Erklärung nicht überall überzeugt hat.} 1658Hiedurch kan1692 man sich sehr deutlich von der Nichtigkeit mancher allgemeinen sehr scheinbaren1693 Vorur[78]theile überzeugen, für die man nicht genug warnen kan, und wogegen sich1694 5) der angehende Ausleger der heiligen Schrift gleich Anfangsanfangs 1695 wohl verwahren muß. Es ist erstlich ein sehr thörichter Wahn, daß man die Bibel ohne alle Gelehrsamkeit verstehen, und ihren Sinn gleichsam aus ihr selbst entziffern könne †).1697 Legt man dabey1698 nicht einmal den Grundtext, sondern eine bloße1699 Uebersetzung, zum Grunde: so ist vor1700 sich klar, wie ungegründet diese Hoffnung sey1701, weil ja in der Uebersetzung der Sinn verfehlt seyn [91] kan1702; oder in ihr Ausdrücke vorkommen können, die zweydeutig1703 sind, und zu falschen Nebenbegriffen verführen, welche im Original nicht liegen; manches1704 sich auch in einer bloßen1705 Uebersetzung gar nicht ausdrucken1706 läßt; und alle Dunkelheit des Originals, die nicht bloß in den Idiotismen der Grundsprachen liegt, (als welche freylich1707 manchmal durch eine freye1708 Uebersetzung kan1709 gehoben werden,)1710 mit in die Uebersetzung übergeht. Hält man sich aber, wie billig, an den Grundtext: so ists ja eben so unmöglich, diesen in fremden und ausgestorbenen Sprachen aufgesetzten Text ohne gelehrte Hülfsmittel zu verstehen, als ohne diese die historischen Kenntnisse zu erlangen, die, wie oben gesagt ist1711, überall darin zum Grunde liegen; zumal, da diese Sprachen, selbst die griechische des neuen Testaments, so wie die Sprache fast eines jeden biblischen Schriftstellers, wieder ihr Eigenes haben, und sich1712 die ganze Sprache1713 der Bibel 1714 so sehr auf morgenländische und jüdische Begriffe, selbst auf Begriffe sehr roher Völker, bezieht, die nothwen[377]dig von unsern ungleich weiter1715 aufgeklärten Begriffen sehr verschieden seyn müssen, und daher ein sehr sorgfältiges, sehr ins Kleine gehende1716 Studium der Geschichte erfordern.
Eben so falsch und unbestimmt ist daher zweytens 1726 die Einbildung: man brauche sich nur immer an den Buchstaben zu halten, 972weil der leichteste Sinn, der sich gleich bey1727 dem Lesen darstellt, sicherlich der beste sey †).1728 Man gesteht doch a)1729 selbst zu, daß sehr oft der sich zuerst darstellende Sinn ungereimt sey,1730 (wie (z. B.)zum Beispiel in den Stellen, die Gott scheinen zur Ursach des Bösen zu machen,) man1731 bekennt dadurch1732, daß die Regel trüglich sey;1733 ist also1734 nicht die Gefahr, durch diese Regel verführt zu werden, noch leichter, wenn der Sinn nicht ungereimt, aber doch1735 falsch, von den heiligen Schriftstellern erweislich nicht gemeint ist? Man kan1736 b)1737 nicht leugnen1738, daß die heiligen Schriftsteller, für uns wenigstens, sich hätten deutlicher ausdrucken1739 können; also ist die Einfalt und Leichtigkeit des gefundnen1740 Sinnes kein Kennzeichen, daß er der wahre sey1741. Und wenn c)1742 in jeder Sprache etwas Charakteristisches liegt, weil jedes Volk seine Sprache nach seinen besondern Begriffen formt: so kan1743 unmöglich der wahre bestimmte Begriff, der mit solchen Aus[378]drücken verknüpft ist, uns, die wir in unsrer1744 Sprache an andre1745 Begriffe gewöhnt sind, der leichteste oder gleich zuerst zu treffende seyn1746. Er muß also erst durch Kunst, (d. i.)das ist durch den regelmäßigen Gebrauch [80] mancher erst zu erwerbenden1747 Hülfsmittel, gefunden werden, daher er, weil diese Einsicht kunstmäßig erworben ist, von Unwissenden für gekünstelt 1748 gezwungen, oder weit hergeholt [93] gehalten, und deswegen verworfen wird, ohne zu bemerken, daß, je ungelehrter und unbekannter jemand mit dem Eignen1749 der Sprachen, der fremden Sitten, Denkungsart (u. d. gl.)und dergleichen ist, je1750 ungewöhnlicher ihm auch der richtigste Sinn scheinen müsse.
Eben dieses Eigene, das den Ungelehrten so sehr befremdet, recht kennen zu lernen, ist 6) – ausser1755 dem, was schon oben gesagt worden ist (§. 36 1756) – nichts unentbehrlicher, als die Bibel mit sich selbst zu vergleichen, um zu sehen, ob und wie die heiligen Schriftsteller sich selbst, entweder ausdrücklich, oder so erklären, daß man aus fleißiger Vergleichung einer Stelle mit andern, ihren Sinn abnehmen kan1757. Wo dieses ist, da geht man freylich1758 am sichersten, nur daß man nicht die philologischen und historischen Hülfsmittel vernachläßige1759 (§. 67–70).1760 Ei[379]nige Erinnerungen hierüber und Beyspiele1761 sind schon oben Theil 1.1762 §. 77–80 1763 gegeben worden, und die HermenevtikHermenevtik1764 muß das Mehrere1765 lehren.
Weil aber die christliche Religion, wie sie Jesus und seine Apostel vorgetragen haben, auf die jüdische gegründet, und1767 den damaligen Be[94]griffen meist jüdischer oder aus dem Judenthum kommenden Leser, auch1768 angeschmiegt ist, 1769 die Ausdrücke aus dem alten Testamente entlehnt sind, und dadurch der Vortrag 974 hebräisch-griechisch1770 worden1771 ist: so ist 7) nöthig, auch das alte Testament, dessen Uebersetzungen, besonders die 975 alexandrinische1772, fleißig zu studieren, und sich sowohl das Eigne1773 des Ausdrucks, als die Begriffe bekannt zu machen, die in dem alten Testament1774 liegen, und ins neue übergegangen, nachgeahmt, oder nach der Lehre des Christenthums umgekleidet worden sind. (S.)Siehe Theil 1.1775 §. 162–,64. 162–64. 1776
Ueberhaupt aber – um,1778 auf einer Seite,1779 sich für1780 allem Gekünstelten zu hüten, und,1781 auf der andern, die in der Bibel wirklich da liegenden Ideen, in der mehrern oder mindern Bestimmtheit zu finden, die ihnen die heiligen Schriftsteller gegeben haben, – lese man sie 8) mit dem einfältigen, unbefangnen1782 Kindersinn, der nur lernen will, was sich uns bey1783 aller angewendeten Aufmerksamkeit darstellen wird. Man [380] gewöhne sich immer mehr –1784 976alle unzeitig angebrachte Gelehrsamkeit, (d. i.)das ist die nicht zur AufklärungAufklärung der1785 Dunkelheit des Textes und zur nothwendigen1786 Ueberzeugung von ihrem wahren Sinn erfordert wird1787, – alles Hinschielen auf theologische Theorie, auf geheimnißvolle Mystik, auf philosophische Hypothesen, – alle Verschönerung der Bibel nach alter und neuer Aesthetik und DialetikDialektik 1788 – alle [95] Sichtung und romanhafte Umkleidung der wirklich da1789 erzählten Geschichte, zu entfernen. Man nehme alles1790 für das, was es ist, und lese es als Briefe, als planlose, einfältige Erzählungen1791, als Fragmente von übriggebliebnen1792 gelegentlichen Reden der göttlichen Gesandten, als fromme Ausbrüche des von Gotteswahrheit vollen Her[82]zens, und reinige diese AntiquenAntiquen1793 nicht von dem Rost, der sie eben zu so ehrwürdigen Antiquen1794 macht, glätte nicht das Rauhe, das sie als Denkmale1795 ihrer Zeit und ihres Volks tragen, oder vernichte nicht die natürliche Schönheit und die edle Einfalt, die dem unverdorbnen1796 Gefühl so sehr gefällt. Wer für alles Wahre, Gute und Schöne offen ist, es sey1797 von welcher Art es wolle, wird es gern annehmen, wo und wie er es findet.
Mit eben diesem Vorsatz, nur zu suchen, was man finden wird, und das Gefundne1799 so anzunehmen, wie man es gefunden hat, müßten auch die eignen1800 Uebungen (§. 58 58. )1801 unternommen werden, wodurch man eine Fertigkeit erlangen will, [381] die heilige Schrift zur Erbauung anzuwenden, (d. i.)das ist ihren Inhalt sich und Andern recht nützlich zu machen. Besondere Regeln darüber zu geben1803 ist hier der Ort so wenig, als zu besondern Regeln der Auslegung, die der HermenevtikHermenevtik müssen überlaßenüberlassen 1804 werden 1806. Vielleicht laßen1807 sich darüber gar nicht einmal bestimmte Regeln geben, weil hiebey1808 so vieles auf das besondre1809 Be[96]dürfniß eines jeden ankommt, nach dem die Anwendung sehr verschieden ausfallen muß; wenigstens sind der guten Muster dieser Anwendung, nach wirklich festen und wohlüberdachten Grundsätzen,1810 noch so wenig vorhanden, und eine eigentliche Theorie dieser Anwendung noch gar nicht, so höchst nutzbar sie auch zur Bildung eines christlichen Religionslehrers seyn würde. Hier also nur einige allgemeinere Erinnerungen über diese Sache1811.
Wer sich 1813 in dieser rechten1814 Anwendung 1815 üben wollte – und dieses wird auch hier am vortheilhaftesten auf die §. 65 65. erwähnte1816 Art geschehen können – der müßte 1) sich schlechterdings nicht hiebey1818 durch seinen bloßenblossen guten Willen, Willkühr1819 und Phantasie leiten laßen1821, sondern stets auf eine richtige Auslegung der heiligen Schrift bauen, und daher auf die Grundsätze, die oben berührt worden sind; sonst lernt er nicht würklich1822 aus der heiligen Schrift, und ist in Gefahr, Gedanken, die durch Lesen der Bibel allenfalls veranlaßt worden sind, mit [382] den Belehrungen aus der Bibel selbst, zu verwechseln. 2) Er müßte daher nicht über seine besondre 1823 Angelegenheiten die Bibel gleichsam als ein Orakel befragen, und finden wollen was er wünschte;1824 denn, 977was das Herz wünscht, glaubt der Verstand leicht auch gefunden zu haben, glaubt Manches zu sehen, woran die heiligen Schriftsteller nicht gedacht haben;1825 sondern er müßte, in Rücksicht auf sein [97] Bedürfniß überhaupt, (d. i.)das ist auf Belehrung zu seinem Trost und zu seiner Besserung, die heilige Schrift und deren Theile studieren, in festem Vetrauen auf Gott, er werde ihm, bey1826 wahrer Begierde,1827 sich belehren zu laßen1828, und bey angewendeten1829 gewissenhaften Gebrauch der rechten Hülfsmittel, gewiß das, und so viel aufstoßen laßen1830, was und wie er es zu seinem Bedürfniß jedesmal1831 braucht1832 und tragen kan1833. Eben dieses gefühlte Bedürfniß macht gerade bey1834 Lesung eines Buchs auf das am aufmerksamsten, was man 1835 am meisten braucht1836.
Eben deswegen müßte er 3) sich, wenn er diese Absicht hat, weder bey1838 den Stellen aufhalten, die er nicht ver[84]steht, noch bey1839 irgend einer Sache, die nicht zu der eben genannten allgemeinern Erbauung dient, sondern bloß Neugier oder vielmehr Vorwitz befriedigt; 1840 4) stets den großen1841 Unterschied vor Augen behalten, zwischen seinen oder den Umständen derer, die er aus der heiligen Schrift erbauen will, und zwi[383]schen den Umständen dererjenigen, an welche, oder für deren Bedürfniß,1842 zunächst die biblischen Bücher geschrieben sind, oder die in der heiligen Schrift als redend oder handelnd aufgeführt werden;1843 so wie den Unterschied der so sehr stufenweise1844 in der Bibel bekannt gemachten Offenbarung Gottes;Gottes, und hienach müßte er1845 die Anwendung mit DiscretionDiscretion1847 machen; auch deswegen 5) die Bücher der heiligen Schrift und die Theile derselben am [98] meisten studieren, welche das Allgemeine, für jedermann Nutzbare, enthalten, oder für ihn und Andre1848, die er aus der Bibel belehren will, die deutlichsten, lehrreichsten und eindrücklichsten sind, ohne deswegen die andern ganz bey1849 Seite zu legen, aus welchen man, wie (z. B.)zum Beispiel aus den historischen oder nach der Denkungsart damaliger Leser eingerichteten Stellen, nach der Analogie Lehrreiches genug herausziehen kan1850, oder worin der Gelehrtere Manches noch Lehrreichere für sich zu finden weiß, als in andern allgemeiner erbauenden Büchern und deren Stellen1851. Aus eben dieser Ursach müßte er sich 6) nicht an jedes Wort, Bild oder 1852 Gedanken in der Bibel halten – den Fall ausgenommen, wo dergleichen keine besondre1853 Beziehung auf damalige Leser und deren besondre1854 Umstände verräth, und wo es etwas für uns besonders Lehrreiches und Eindrückliches enthält – noch weniger ganze1855 allgemeine Lehrsätze oder Theorie1856 darauf bauen; sondern mehr auf die Hauptvorstellung, welche in einer Stelle liegt, und auf das Verhältniß, in welchem dieses [85] Einzelne1857 mit [384] dem ganzen göttlichen Unterricht in der Bibel steht; und 7) nach dem, worauf ihn der Unterricht der Bibel aufmerksam gemacht hat, sich und alle Veränderungen, die er in der Welt wahrnimmt, fleißig beobachten, um einen Schatz von Erfahrungen zu sammlen1858, wodurch die Ueberzeugung von der Wahrheit und Nutzbarkeit der biblischen Belehrungen befestigt, und dieser biblische Unterricht immer mehr erweitert,1859 und fühlbarer gemacht werden kan1860.
In Absicht auf die Herleitung des christlichen Lehrbegriff Lehrbegriffs 1862 aus der heiligen Schrift1863 müßte man nicht nur auf das sehen, was zur Erweiterung unsrer1864 Kenntnisse davon, und zu mehrerer Berichtigung, Bestätigung und näherer Bestimmung unsrer1865 Begriffe von demselben dienlich ist, sondern auch stets darüber nachdenken, wie fern er zu unsrer1866 wahren Beruhigung,1867 sowohl als zur Ueberzeugung von unsern Pflichten, und der rechten Art, sie auszuüben, auch zur kräftigsten Ermunterung dazu, irgend etwas beytragen kan. – Bey1868 allen Uebungen aber, sie mögen die Entdeckung des Sinnes der heiligen Schrift oder ihre Anwendung betreffen, müssen wir stets gegen1869 immer weitere und bessere Belehrung offen, und sie anzunehmen willig bleiben, und daher auch Andrer1870 Bemühungen zu beyderley1871 Zweck aufs möglichste und unparteyischteunpartheyischte 1872 zu benutzen suchen.
Es ist eine überaus lehrreiche Beschäftigung, dem verschiedenen Gang1877 nachzuforschen, den1878 die Religion in der Welt, bey1879 so verschiedenen Fähigkeiten, Aufmerksamkeit,1880 Hülfsmitteln, Neigungen, Sitten und Verbindungen der Menschen unter einander, genommen hat, man mag die Religion1881 als Erkenntniß Gottes und des Verhältnisses zwischen ihm und den Menschen, oder als Dienst desselben, (d. i.)das ist als Betragen ansehn, das1882 auf Religion gegründet ist1883. Eine allgemeine GeschichteGeschichte der Religion müßte –1884 in 1885 Rücksicht auf die Erkenntniß Erkenntniß Gottes,1886 lehren, [89] was nach und nach,1887 hie und da, unter den Menschen, in Absicht auf diesen Gegenstand, für Wahrheiten oder Irrthümer, Ueberzeugungen, Vorurtheile und Zweifel?1888 aus was für Quellen, oder durch welche Veranlassung,1889 sie entsprungen1890 und wodurch1891 befördert,1892 oder vermindert?1893 1894 was für merkwürdige Veränderungen dadurch in der Denkungsart, dem Charakter, den Sitten der Menschen und ganzer Völker, selbst in ihren äusserlichen1895 Einrichtungen und Schicksalen, 1896 hervorgebracht worden sind?1897 – in Rücksicht aber auf den Dienst und Verehrung1898 [101] Gottes, oder den Ausbruch1899 dieser Begriffe von Gott und die daraus entstandnen Empfindungen:1900 wie sich diese Begriffe und1901 Empfindungen geäussert?1902 durch was für Anstalten und Mittel das Wachsthum oder die Abnahme religiöser Gesinnungen und Handlungen, auch des äusserlichen1903 Gottesdienstes, befördert worden? welche Begriffe und Empfindungen,1904 und wie sie auf diesen Gottesdienst,1905 umgekehrt auch1906, welche gottesdienstliche1907 Handlungen auf die Verändrung1908 der Erkenntniß Gottes, wie und auf welche Theile derselben,1909 sie Einfluß gehabt haben.1910
Alle Kenntnisse, welche diese Geschichte der Religion betreffen, rechnet man zur historischen Theologie, nach dem weitern Begriff, den man dem Namen der Theologie untergelegt hat (§. 2 2. und 3); 3.): 1912 und so würde dieser Theil der Theologie, als eine Wissenschaft betrachtet, nichts anders seyn, als Geschichte der Religion in ihrem ganzen Umfange 1915, die alle merkwürdigere Veränderungen der Erkenntniß und des Dienstes Gottes aller Zeiten1916 und Völker1917 begreifen müßte. Weil aber diese Wissenschaft von einem unübersehlichen Umfang seyn würde, wenn sie [90] nur einigermaßen1918 das leisten sollte, was der Name einer solchen allgemeinen Geschichte verspricht;1919 und uns von den meisten, [387] wenigstens allen barbarischen,1920 Völkern, Jahrtausende hindurch,1921 die Nachrichten dieser Art entweder ganz fehlen, oder so mangelhaft und [102] unsicher sind, daß sich keine eigentliche zusammenhängende Geschichte davon liefern läßt: so schränkt man sich gemeiniglich nur auf die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Religion und der darauf gegründeten Gesellschaften, (d. i.)das ist auf die Kirchengeschichte, ein; zumal da es gewöhnlich ist, das Wort Theologie vornehmlich und eigentlich von der biblischen zu verstehen.
Die Geschichte der verschiednen1945 Religionen unter den Menschen1946 verdient es sehr1947, daß man sie mit aller Sorgfalt studiere. Denn sie ist einer der wichtigsten Theile der Geschichte der MenschheitMenschheit1948, und überall zeiget1949 sich der mächtige Einfluß der Religion auf die übrigen Arten der menschlichen CulturCultur1950. Ueberall, wo man das Christenthum zuerst predigte1951, schmiegte man entweder diesen Unterricht den vorhandnen1952 Religionen an, oder es ging natürlich vieles1953 aus diesen in das Christenthum über, das sich nach diesen1954 in solchen Gegenden bildete; in so fern kan1955 selbst die christliche Kirchengeschichte dieser Kenntniß andrer1956 Religionen nicht entbehren. – Ausser1957 den Frag[104]menten von dieser allgemeinern Religionsgeschichte, die sich in der bekannten Völkergeschich[389]te finden, sind zuverläßige1958 Reisebeschreibungen, so fern1959 sie sich auch auf Sitten und Verfassungen der Völ[92]ker eingelaßen1960 haben, eine unentbehrliche Quelle solcher Kenntnisse.
Aus diesen Quellen müßte1969 man sich nach und nach einzelne1970 Nachrichten sammlen1971, und sie entweder nach den verschiednen1972 Ländern und Völkern 1973 ordnen, oder nach den merkwürdigsten Lehren, Einrichtungen und Gewohnheiten, die nach den besondern Religionsbegriffen getroffen, oder angenommen worden.1974 Bey1975 der ersten1976 Methode könnte1977 man etwa die 988 anderwärts schon erwähnte1978 Gattererische 1979 Weltgeschichte, oder die ohngefähr1980 da gemachte Anlage, bey1981 der andern 989den eben genannten Abriß von Meiners zum Grunde legen. Man müßte hernach1982, sowohl nach der auffallenden Aehnlichkeit der Religionen verschiedner1983 Völker mit einander, als nach den Nachrichten der Geschichte über den Ursprung eines Volks aus dem andern, und über1984 den Einfluß des einen aus dem andern, zu entdecken suchen, welche Völker, auch in Absicht auf Religion originell sind, oder welche sich nach andern gebildet haben, und bey1985 [105] dem, was jedes Volk in seiner Religion Eignes hat, nach den natürlichen und sittlichen Ursachen,1986 forschen, aus welchen sich dieses Eigene, der Geschichte gemäß, erklären läßt. Bey1987 Befolgung dieser Regel würden1988 auch einzelne1989 Untersuchungen gelehrter Männer über diese Religionsgeschichte mit Nutzen gebraucht1990 werden können.
Unter allen Theilen der Religionsgeschichte ist die Geschichte der christlichen Kirche Kirche 1995 am bekanntesten, und am meisten bearbeitet. Das Wort Kirche (Ἐκκλησία), welches in der gewöhnlichen Bedeutung nur erst unter Christen aufgekommen ist, und bey1996 diesen nur von solchen gesagt wird, die der in der heiligen Schrift liegenden, oder überhaupt von einer wahren nähern göttlichen Offenbarung abhängenden Lehre folgen, bezeichnet vornehmlich die Christen zusammengenommen, oder den ganzen Inbegrif dererjenigen1997, welche die von Christo und seinen Aposteln bekannt gemachte Religion für wahr annehmen, und, so fern1998 man es von einer äusserlichen1999 Gesellschaft nimmt, alle die zusammengenommen, welche sich zu dieser Religion, durch Theilnehmung an den [106] darauf gegründeten äusserlichen2000 Gottesdienst, bekennen. Kirchengeschichte, oder,2001 be[391]stimmter zu reden, christliche Kirchengeschichte, heißt daher die Erzählung der merkwürdigern Veränderungen dieser Gesellschaft,2002 im Zusammenhang.
Es versteht sich von selbst, daß diese Geschichte nicht bloß auf die christliche Gesellschaft und deren Schicksale eingeschränkt werden müsse. Denn, – 2004 da sich diese Gesellschaft auf besondere Religionsbegriffe gründet, und dadurch sowohl als durch den GottesdienstGottesdienst,2006 von andern unterscheidet; –2007 da diese Begriffe und die darauf beruhenden Gesinnungen durch Sprachen und äusserliche2008 Handlungen ausgedruckt2009, diese [94] durch jene Begriffe und Gesinnungen gestimmt werden, und hinwiederum Sprachen und Gebräuche, bey2010 ihrer besondern Modification, einen grossen2011 Einfluß in die Bestimmung und Richtung 2012 religiösen2013 Vorstellungen und Gesinnungen äussern2014 (Theil 1.2015 §. 60–67); –2016 da endlich einzelne2017 merkwürdigere Personen,2018 und ihre Schriften, oder besondre2019 Gesellschaften, durch ihr erlangtes Ansehen, Gelegenheit zu großen2020 Veränderungen in LehrvorstellungenLehrvorstellungen2021, in deren Ausdruck und in gemachten Einrichtungen unter den Christen gegeben2022 haben: so muß die christliche Kirchengeschichte nicht bloß die Veränderungen der Kirche, als Gesellschaft betrachtet, sondern auch die Beschaffenheit und Geschichte der Lehre und des Gottesdienstes, der [107] Ausdrücke, der Einrichtungen und Gebräuche, der [392] merkwürdigern Personen, Schriften und besondern Gesellschaften,2023 erzählen, welche jene Veränderungen bewirkt haben.
Alles, was im ersten Theil dieses Buchs2043 von dem großen2044 Nutzen der Geschichte überhaupt ge[108]sagt wurde, gilt auch von der Religions- und Kirchengeschichte insbesondre2045, und macht dem, der ein [393] würdiger Lehrer der Religion und des Christenthums seyn will, das Studium dieses Theils der Geschichte zur ganz besondern Pflicht 2046: man mag entweder auf die Bildung seines Charakters, als eines solchen sehen, der die Religion lehren und empfehlen soll, auf welche Bildung dieses Studium einen so großen2047 Einfluß hat, oder auf die einzelnen2048 Theile der Theologie, womit er sich, nach dem ganzen Umfang seines Berufs, beschäftigen muß.
Der große2064 Einfluß einer rechten Kenntniß der KirchengeschichteKirchengeschichte2065 auf die gründliche Erlernung der theologischen Wissenschaften, zeigt sich in allen2066 Theilen der Theologie. In der exegetischen 1) ganz eigentlich: bey2067 Erklärung dererjenigen2068 Stellen neues2069 Testaments, welche historische Umstände zur Zeit der Apostel enthalten, um in dieselbe mehr Licht zu bringen, oder falsches Licht davon zu entfernen; zur Kenntniß der Geschichte der neutestamentlichen Bücher; und zur Kenntniß mancher merkwürdigen Bücher der ältesten Zeiten, die, wenn sie gleich 1012apokryphisch genennt2070 werden, doch, wegen der darin liegenden Vorstellungen vieler unter den ältesten Christen oder Juden, auch wegen mancher Fragmente der historischen Tradition, noch einen reichen Schaz2071 von historischen Erläuterungen des neuen Testaments,2072 enthalten, und dazu gebraucht werden können, so bald2073 erst durch Hülfe der genauern Kirchengeschichte die wahre Zeit, wohin sie gehören, und andere historische Umstände derselben bestimmt sind. 2) Bey2074 der Kritik des neuen Testaments, wo ohne genaue Kenntniß der Kirchengeschichte nicht einmal die Geschichte des heiligen Textes klar ist, so wenig als das Alterthum und der Werth gewisser Lesearten, ohne diese Kenntniß beurtheilt werden kan. *) 2075 [110] 3) Um sich gegen manche sehr schädliche Vorurtheile in der eigentlichen Theologie zu verwahren, und2076 ihren Ungrund aufzudecken. Denn viele Irrthü[395]mer in der Theologie, so wie viele Beweise auch richtiger Lehren, beruhen auf bloßem Mißverstande2077 der heiligen Schrift, oder gar [97] ihrer Uebersetzungen, hinter den man ohne diese Kenntniß nicht wohl kommen kan, **) 2078 oder sie gar für apostolische Tradition hält; so wie man sich oft nicht gegen gewisse richtigere Erklärungen der heiligen Schrift sträuben würde, wenn man ihr Alterthum und den neuern Ursprung falscher herrschenden2079 Erklärungen kennete. ***) 2080 Ueberhaupt würde man bald hierin von Irrthümern zurückkommen, wenn man die Genealogie und die2081 Chronologie einiger berühmten Erklärungen, die von Hand in Hand gegangen sind, fleißiger aus der Kirchengeschichte aufsuchte, und sich aus dieser überzeugte, daß die angebliche exegetische Tradition und fortgepflanzte sogenannte Erklärung der Kirche oft anders nichts ist, als Privaterklärung eines, oft ohne sein Verdienst, berühmt gewordnen2082 alten Auslegers, die durch zufällige Umstände gangbar wurde, oder in häufig gelesene Commentarien überging, und hernach, ohne weitre2083 Untersuchung, als ausgemachte Wahrheit, von Kirche zu Kirche, und Jahrhundert zu Jahrhundert,2084 nachgesagt wurde, zumal wenn sie gewissen herrschenden Meinungen in der Theologie günstig war. ****) 2085
Die Kirchengeschichte giebt 4) erst die recht anschauliche Ueberzeugung, wie sehr die ganze Theologie an ihrer Lauterkeit und wahrhaften praktischen Brauchbarkeit gewonnen oder gelitten habe, je nachdem man die wahren Hülfsmittel zur Einsicht des Sinnes der heiligen Schrift recht kannte, schätzte und brauchte2100, oder nicht (§. 19 19. 2101); und, indem sie uns so deutlich zeigt, welchen unsäglichen Schaden die Herrschaft des menschlichen Ansehens in der Kirche gestiftet habe:2103 so macht sie uns die göttlichen Schriften 2104 desto werther. Und2105, weil auch die Menschen2106 über den Sinn dieser göttlichen Belehrungen wieder 2107 so verschieden urtheilen, diese Verschiedenheit und Uneinigkeit aber immer größer2108 und unvereinbarer wird, wenn man nicht hierin mit Gewalt und offenbaren2109 Ge[397]wissenszwang eine äußerliche2110 Einigkeit befördern will: so lehrt sie uns sehr einleuchtend die Nothwendigkeit fester exegetischer Grundsätze, und des Fleißes, den man auf die deutliche eigne2111 Ueberzeugung von dem wahren Sinn der heiligen Schrift und die klare Darlegung desselben wenden muß. Und wenn denn auch nur 5) die Kirchengeschichte, wie sie es wirklich thut, uns mit der so sehr2112 verschiednen2113 Denkungsart, 2114 Fähigkeiten, vorzüglichen Hülfsmitteln und Sitten, und den dadurch geleiteten mannichfaltigen Vorstellungen und Neigungen der Menschen in so verschiednen2115 Zeiten und so besondern Lagen, bekannt machte: so könnte sie uns wenigstens mehr gewöhnen, uns [99] in fremde Zeiten und Umstände hinein zu denken, welches so sehr viel2116 zur Bildung des wahren Auslegers beyträgt2117.
Noch ausgebreiteter ist der Nutzen dieses Studiums in der eigentlich sogenannten TheologieTheologie 2119. – In der dogmatischen und 1017 elenchtischen, so fern 1) diese doppelte Wissenschaft nicht bloß die Religionslehren selbst, sondern auch die verschiednen2120 Vorstellungen davon vorlegen soll, ist ja die Geschichte dieser Lehren und der verschiednen2121 Begriffe davon, ein Haupttheil der Kirchen[113]geschichte, der uns die Veranlaßung2122 der verschiednen2123 Vorstellungen, das Interesse dabey2124, und den Zusammenhang mit andern Lehren und Vorstellungen, zum Theil die zu ihrer Unterstützung gebrauchten Gründe, und die eingetretenen Umstände lehret2125, welche gewissen Meinungen An[398]sehen verschafft, oder Widerspruch gegen sie veranlaßt haben. 2) Indem sie dieses thut, unterrichtet sie uns von dem wahren Sinn dererjenigen2126, die über gewisse Lehren der Religion, über gewisse Vorstellungen davon, oder über gewisse davon gebrauchte Ausdrücke verschiedner2127 Meinung waren. Dadurch wird vielfältiger Mißverstand gehoben, viel unnützer Streit und Untersuchung2128 abgeschnitten, und unnöthige, parteyische2129, oder gar gehäßige2130 Beurtheilung verhütet.
Sie legt 3) zugleich den unsäglichen Schaden vor Augen, den die Vermischung dieser Meinungen über Religionslehren mit diesen letztern selbst, der gleiche Werth, den man auf jene, wie auf diese gelegt hat, das Bestreben, durch alle, auch unerlaubte Mittel, jene eben so wie diese geltend zu machen, gestiftet hat;2132 und befördert dadurch [100] nicht nur die Billigkeit in Beurtheilung verschiedner2133 Vorstellungen, sondern auch die Vorsichtigkeit, um nicht durch Zweydeutigkeit2134, Unbestimmtheit, Vermengung der Hauptsache mit Nebensachen, und unzeitigen Eifer für unsre2135 Meinungen, Gelegenheit zu Zwistigkeiten zu geben, und [114] der Hauptsache selbst dadurch zu schaden. Sie allein zeigt 4) wie manche Lehren oder Meinungen davon eher gar2136 nicht 2137 in Gang gekommen, oder Aufsehen und Widerspruch erregt, als bis gewisse äusserliche2138 Umstände, (z. B.)zum Beispiel Eifersucht oder Herrschsucht angesehener Kirchen und Bischöfe, [399] ausserordentliche2139 Achtung gegen einen berühmten Mann (u. d. gl.)und dergleichen dazu gekommen, und diese zufälligen Umstände erst die Sache wichtig, oder der weit um sich gegriffne2140 Streit sie zu einer Quelle großer2141 Revolutionen gemacht habe,2142 (wovon die Geschichte der 1018pelagianischen, 1019nestorianischen, monophysitischen und Sacramentstreitigkeiten (u. d. gl.)und dergleichen traurige Beyspiele2143 liefert); wie daher die Wichtigkeit einer solchen Lehre, Meinung oder 2144 Ausdrucks gar nicht, oder lange nicht so sehr in der Natur der Sache selbst, und ihrem Zusammenhang2145 mit den Lehren des eigentlichen Christenthums, und mit praktischen Folgen,2146 liege, als vielmehr in gewissen Zufällen2147, welche die Religion gar nicht2148 angingen.
Wenn2150 denn die Kirchengeschichte einem jeden Unbefangnen so augenscheinlich zeigt, – 2151 wie es so gar keine völlige Einigkeit jemals2153 in Meinungen gegeben habe, und alle äusserliche völlige Einstimmung2154 weder durch öffentliche Religionsgespräche, noch Friedens- oder Glaubensformeln, sondern nur durch Zwang oder durch blinden Glauben bewirkt worden; – 2155 daß der Triumph gewisser [115] [101] Meinungen über andre, so2157 selten durch Ueberzeugung, und gemeiniglich nur durch Anschmiegen an Vorurtheile des großen2158 Haufens, oder an eingeführte Gewohnheiten, und noch öfterer2159 durch mehrere2160 Macht und Kühnheit ihrer Vertheidiger, durch Ansehn2161 großer2162 Männer2163, oder berühmterer [400] Kirchen, durch geschlossene Verbindungen der Bischöfe, durch Beystand2164 der Fürsten, erfochten worden; –2165 daß zu Einer Zeit und in Einem Lande das wieder verdammt worden, was zu einer andern Zeit und anderwärts als Lehre und Befehl der Kirche, aus angeblicher Eingebung des heiligen Geistes, festgesetzt worden war; –2166 daß Bischöfe, Päbste2167 und Concilien einander selbst widersprochen, und ihre vorige2168 Aussprüche wieder zerstört haben; – 2169 daß die vorgegebne2171 bessere Einsicht oft bloß durch Einfluß der Höfe und mächtigerer ParteyenParteyen2172 gestimmt worden sey; – 2173 daß die sogenannte KircheKirche2175 sich 2176 oft herausgenommen habe, über das Gewissen und die Seligkeit, selbst über und wider2177 Christi und seiner Apostel eigne2178 Lehren und Verordnungen, zu entscheiden; – und2179 daß 2181, wenn sich die unterdrückte Partey2182 nur entschließen2183 können2184, um des Gewissens willen zu leiden, oder zu schweigen, und2185 in der Stille zu wirken, keine Macht je im Stande gewesen sey2186, den Fortgang der Wahrheit zu verhindern: – 2187 so wirkt sie 5) die innigste Ueberzeugung, daß überall kein menschliches Ansehen und kein Ansehen der sogenannten Kirche und Tradition eine den Verstand und das Gewissen verpflichtende Kraft habe, sondern höchstens ein Vorurtheil errege, das uns zur nähern [116] Untersuchung der Sachen auffordert; das2189 schlechterdings eigne2190 Untersuchung in der Religion nothwendig sey2191, und eigner2192 Glaube frey2193 bleibe; und daß man nur Glauben an Gott2194 und Muth, die Wahrheit zu untersuchen, [102] und mit Weisheit zu bekennen, erhalten2195 dürfe, um gewiß [401] zu seyn, bey2196 veränderten Umständen, die in Gottes Hand sind, werde die Wahrheit doch durchdringen, und die Ehre des Gewissens gerettet werden. Eine Ueberzeugung, die auch bey2197 gewissenhafter Untersuchung der Religionslehren und der verschiednen2198 Meinungen darüber, unumgänglich nöthig ist2199, und 2200 die Auffindung der Wahrheit ungemein befördert2201.
Und wodurch laßenlassen 2203 sich 2205 6) Meinungen, die man fälschlich für christliche Lehren ausgiebt, und die keine andere Gründe für2206 sich haben, als Ansehn2207 der Kirche, überzeugender widerlegen, als wenn man aus der KirchengeschichteKirchengeschichte2208 darthun kan2209, wie spät ihr Ursprung, und wie wenig die Kirche aller Zeiten darüber einig gewesen sey2210? Gegen solche Gemeinen2211, die ihre Unterscheidungslehren auf das Ansehen der ältern christl.christlich Kirche2212 gründen, giebts2213 kein wirksameres Mittel zur Widerlegung, als die Kirchengeschichte2214; und die 1020 Casaubon, Isaak Casaubon's, Saumaise, Claude Saumaisen, Blondel, David Blondel's, Daillé, Jean Daillés, Richer, Edmond Richer's 2215 und andre2216 gründliche Kenner dieser Geschichte2217 haben allezeit mehr ausgerichtet, als die ganze Polemik bloß scholastischer Theologen. Wem das Studium der Kirchengeschichte, selbst für den [117] Volkslehrer, gleichgültig scheint, der muß entweder den immer regen, auch in Geheim wirkenden,2218 BekehrunsgeistBekehrungsgeist 2219 der römisch-katholischen Kirche und die daher unserer GewissensfreyheitGewissensfreyheit2220 drohende Gefahr, oder die wirksame Macht religiöser Vorurtheile [402] und des menschlichen Ansehens auf die Gemüther nicht kennen. Eben von beyden2221 giebt die Kirchengeschichte die überzeugendsten Beweise.
Mitten in einer solchen Fluth menschlicher Meinungen, unter allen Verderbnissen des Christenthums2223, und den mannichfaltigen Versuchen, es2224 nach menschlicher Willkühr2225 abzuändern, oder gar zu verdrängen:2226 hat sich denn doch 7) das eigentliche ChristenthumChristenthum selbst2227 immer erhalten,2228 und bewährt befunden2229. Alle, nicht bey2230 Uebelunterrichteten, Leichtsinnigen und Leichtgläubigen, sondern bey2231 wahrhaftig aufgeklärten und gründlich untersuchenden Köpfen, wirksame2232 und siegende2233 Angriffe auf das sogenannte2234 Christenthum 2235 haben nie das Christenthum2236 selbst, sondern nur die falschen Zusätze und Vorstellungen zernichtet. Selbst in den verderbtesten Zeiten und Kirchen hat sich das Ansehn2237 der (heil.)heilig Schrift und Jesu Christi, hat sich das wahrhaftig allgemein Trostreiche und wahrhaftig Bessernde im Christenthum2238 überhaupt erhalten. Diese Ueberzeugung macht das Christenthum2239 und seinen 2240 Werth sehr respectabel2241, und dergleichendiese historische UeberzeugungUeberzeugung gewährt2242 das fleißige Studium der christlichen Kirchengeschichte, welches auch2244 8) zur rechten [118] eignen2245 Ueberzeugung von der wahren Beschaffenheit, Aechtheit2246, Glaubwürdigkeit und wesentlichen2247 Unverdorbenheit der biblischen Bücher 2248, worauf die Ueberzeugung von der Wahrheit und [403] Verbindlichkeit der daraus geschöpften Lehren mit beruht, 2249 sowohl erfordert wird2250, als zur Beschämung der Vorwürfe gegen das Christenthum2251 und dessen2252 wohlthätige Wirkungen. Denn alle Scheinbarkeit dieser Vorwürfe gründet sich lediglich darauf, daß man entweder nur das Gehässige2253 oder die nachtheilige Seite hervorzieht, auf der sich das sogenannte Christenthum leider oft genug gezeigt hat, und daß man2254 nicht mit eben dem ehrlichen Fleiß dem Guten nachspürt, welches das [104] wahre Christenthum2255, selbst bey2256 so mancherley2257 Verderbnissen, gestiftet hat; oder daß man das Christenthum selbst nicht von den ihm aufgehängten Zusätzen und Vorstellungen darüber unterscheidet; oder daß man das auf die Rechnung des Christenthums2258 setzt, was 2259 bloßer2260 Ausbruch der LeidenschaftLeidenschaft2261 war, die überall, nicht verbunden2262 mit dem Christenthum allein2263, die menschliche Glückseligkeit zerstört2264. Eben dieser2265 Unterschied, der so traurigen und ungerechten Mißverstand veranlaßt, und eben jene unleugbar2266 heilsamen Einflüsse des Christenthums auf die Glückseligkeit der Welt, kan2267 nur der rechte Fleiß in der Kirchengeschichte klar machen.
Wenn die 1025 Geschichte überhaupt die beste Schule der Weisheit und Tugend werden kan2269, [119] wo man die Menschen sieht2270, wie sie wirklich sind, und wie sie wirklich2271 werden können,2272 wo man sie unter und nach ihren jedesmaligen besondern Umständen [404] handeln sieht, wo man sich von dem Werth und Einfluß ihrer moralischen Grundsätze und Gesinnungen in das Verhalten2273 und in die Glückseligkeit der Gesellschaft überzeugen kan2274: so gewährt die Kirchengeschichte 2275 vorzüglich 2276 diesen Nutzen, theils 2277, weil sie, ihrer Natur nach, mehr Auftritte2278 enthält, wo2279 sich die Menschen in ihrem eigentlich sittlichen 2280 Verhalten zeigen, theils 2281, weil sich 2282 da die besondern Wirkungen wahrer und falscher Vorstellungen VorstellungtnVorstellungen 2283 in der Religion und des rechten und unrechten Gebrauchs offenbaren, den man von ihr bey2284 dem sittlichen Betragen macht. Sie2285 stellt 2286 uns Beyspiele2287 von religöserreligiöser 2288 Schwärmerey2289 und Aberglauben, von Leidenschaften unter der Masque2290 der Religion, von Irreligiosität und höchstem Sittenverderbniß auf einer, und2291 auf der andern Seite,andern, nicht weniger Beispiele 2292 von erleuchteter, reiner Frömmigkeit, von der Macht der Religion über die Schwäche des Herzens, und über die Stärke der Leidenschaften, in mancherley2294 Lagen und Gestalten vor;2295 und einem aufmerksamen Beobachter, der zugleich das von den wirklichen Handlungen und ihren durchschimmernden Triebfedern zu scheiden versteht, was Parteylichkeit2296 Gutes oder Böses hinzu gedichtet2297 hat, einem solchen kan2298 es selten schwer fallen, zu entdecken, woraus beyderley2299 Arten von Handlungen entsprungen sind, wodurch sie Nahrung bekommen, was für wohlthätige oder schädliche Wirkungen sie hervorgebracht haben. Wie viel Gewinn kan2300 also die [120] christliche Sittenlehre aus der Kirchengeschichte ziehn2301, da diese Geschichte so viele Belege enthält, die den Inhalt dieser Sittenlehre bewähren, an[405]schaulich darstellen, und eine so reiche Quelle feiner Beobachtungen über das menschliche Herz oder genauerer Bestimmungen der Sittenlehre eröffnen!
Die sogenannte symbolische Theologie, wenn sie ihrem Namen treu bleibet2303, und nicht in das Gebiet der Dogmatik und Polemik schweift, ist selbst nichts anders als ein Theil der Kirchengeschichte, man mag auf die Geschichte2304 der SymbolenSymbolen2305 und symbolischen Bücher2306, oder auf die Geschichte der2307 darin vorkommenden Lehren und Vorstellungen2308 davon2309 sehen, die sowohl selbst, als die Nothwendigkeit, sie zu behaupten, zu vertheidigen oder zu widerlegen, schlechterdings ohne christliche Kirchengeschichte nicht verstanden werden kan2310.
Diejenigen2312 Wissenschaften, die nun eigentlich2313 die Amtsführung des Predigers , und was dazu gehört,2314 betreffen, scheinen zwar2315 die Kenntniß der Kirchengeschichte in dem Grade, wie die2316 bisher erwähnten2317 Wissenschaften, nicht2318 zu erfordern. Denn – die Kenntniß der geistlichen Rechte abgerechnet, wobey freylich2319 diese Geschichte unentbehrlich bleibt, die aber zur Theologie eigentlich nicht gehört – so nützlich es seyn würde2320, auch [121] in Predigten und Katechisationen den Vortrag durch wohlgewählte BeyspieleBeyspiele2321 aus der christlichen Geschichte anschaulicher und eindrücklicher zu ma[406]chen, und so sehr auch2322 zu wünschen wäre, daß selbst dem gemeinen Christen und den Kindern recht frühzeitig möchte2323 ein Begrif2324 von dem für sie lehrreichen Inhalt der Kirchen-2325 sonderlich der Reformations- und übrigen Geschichte ihrer Kirche, beygebracht werden: so2326 sind doch2327 jene Beyspiele2328 nur unzusammenhängende Bruchstücke, die man, auch ohne eigentliches Studieren der Kirchengeschichte, sich bekannt machen könnte;könnte, und es gehörte2329 viel Vorsichtigkeit2331 und weise Wahl dazu, um nicht den Vortrag, der für die Religion bestimmt ist, mit Nebensachen, oder gar solchen Dingen anzufüllen, die für solche2332 Zuhörer unnütz, vielleicht selbst, wegen des zu leichten Mißverstandes, schädlich werden könnten; und das2333 wirklich für sie Nützliche könnte ihnen 2334 anderwärts wohl bequemer und vollständiger, als bey2335 dem Gottesdienst selbst, beygebracht2336 werden. –2337 Allein der eigentlichste und wesentliche2338 Nutzen, den2339 der Prediger aus der Kirchengeschichte ziehen müßte, wäre2340 die so unentbehrliche Klugheit bey2341 Mittheilung der Religion und bey2342 seinem ganzen Betragen, ja überhaupt die Bildung seines ganzen Character Characters 2343 dadurch, die doch überall das Wichtigste ist, wornach er zu trachten hat, und die so [107] sehr durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte geschehen kankann. – Dies2344 führt uns auf den zweyten2346 höchst wichtigen Vortheil, den2347 der auf diese Wissenschaft2348 gewendete Fleiß giebtgiebt. (§. 84.). 371.) 2349
Man muß sich sehr wenig auf die rechte Schätzung des Werths der Dinge verstehen, wenn man sich einbilden kan2353, die Hauptsache, oder gar Alles, komme bey2354 dem Lehrer der Religion auf das an, was er Andern wieder vortrage; dies müsse er eigentlich und vornehmlich, und nächstdem die Kunst lernen, es deutlich und lebhaft vorzutragen. Dieser Vortrag2355 ist doch nur ein Theil seines Berufs; dazu2356 bedürfte es nicht einmal gelernter 2357 Prediger; es bedürfte nur einiger äusserlichen2358 Gaben, eines mittelmäßigen2359 schlichten Menschenverstandes, eines guten Gedächtnisses, des fleißigen Lesens guter, der Classe2360 der Zuhörer, vor welcher man reden soll, angemessener Predigten, oder einer kleinen2361 Aufmerksamkeit auf die Manier beliebter Prediger im Vortrage:2362 so wäre2363 ein solcher Prediger fertig2364. Wenn aber das übrige schlechte, oder wenigstens gleichgültige oder unvorsichtige Betragen des Predigers das Gute, so etwa durch Predigten gestiftet werden könnte, verhindert, oder wieder zerstört, oder doch schwächt; wenn die Kraft des ganzen BeyspielBeyspiels2365 weit mehr wirkt als alles Predigen, und diesem erst den rechten Nachdruck giebt; wenn der Prediger durch sein ganzes Benehmen zum Guten wirksam, wahrer Vater und Seelsorger der ihm Anvertraueten seyn soll; wenn er so nicht reden und handeln [108] kan2366, ohne eigne2367 innige Ueberzeugung von dem, was er empfehlen, ohne eigne2368 herzliche Gesinnung und Liebe, die er dagegen einflößen2369 will, ohne [408] [123] wahrhaftige Weisheit in der Wahl und in der Art2370 wie er redet und handelt: so möchte doch wohl auf seine eigne2371 Bildung Bildung 2372 weit mehr ankommen, als auf seinen Vortrag 2373, der ohnehin nach2374 jener gestimmt werden wird2375.
Eben diese eigne BildungBildung2377 ists, die durch das rechte Studieren der KirchengeschichteKirchengeschichte, mehr als durch irgend etwas Anderes,2378 so sehr2379 befördert werden kan2380. Denn sie zeigt eigentlich2381 das Schicksal und die Wirkungen der Religion, nach den verschiednen2382 Umständen der Menschen und dem verschiednen2383 Gebrauch, den sie davon machten; und, wenn2384 man gleich diese Wirkungen auch aus Beobachtungen seiner selbst und Anderer, mit denen wir leben, lernen kan2385: so zeigt uns doch die Kirchengeschichte eine viel größere2386 Verschiedenheit der Menschen, ein2387 viel mannichfaltigeres moralisches Verhalten2388 derselben, viel mehr verschiedne2389 Umstände, in die sie, in Absicht auf die Religion, kommen können, und 1026ersetzt das durch ihren Reichthum, was unserer sehr eingeschränkten Erfahrung abgeht. – Sie bildet und befestigt 1) unsre eigne Ueberzeugung Ueberzeugung 2390 vom Christenthum –2391 durch die Vorstellung des Fortgangs, der wunderbaren Erhaltung und Entwickelung der wahren Religion unter so mancherley2392 Hindernissen und Angriffen, und ihrer für einzelne2393 Menschen und die ganze Gesellschaft so heilsamen Wirkungen; –2394 durch die ausgezeichnetsten Spuren der göttlichen VorsehungVorsehung2395, [409] [124] die so sehr für die2396 Erkenntniß Gottes2397 und für2398 wahre Gottseligkeit einnehmen, [109] so sehr das Vertrauen auf ihn auch unter den mißlichsten Umständen, nebst dem 1027Muth, Gutes zu thun, und nicht müde zu werden, stärken; –2399 durch die so deutlichen Anzeigen des Unterschieds zwischen dem ächten2400 und daher unveränderlich bleibenden Christenthum, und zwischen den falschen Zusätzen oder nicht allgemein2401 nothwendigen Vorstellungen davon; –2402 durch die ganz besondere Fürsorge Gottes für die besondere Lehre und die besondere Kirche, zu der wir uns bekennen, durch die, im Ganzen genommen, geringre2403 Mängel derselben, oder durch mehrere GewissensfreyheitGewissensfreyheit2404, sichrere2405 Grundsätze und Glückseligkeit überhaupt, die sie uns gewährt.
Durch diese einleuchtende Darstellung der wunderbaren und allezeit herrlichen Wege Gottes sowohl, als durch so viele gute2407 und böse2408 Beyspiele,2409 und des ganzen Ganges, den das verschiedne2410 Betragen der Menschen genommen hat, kan2411 sie 2) sehr die ganze gute Gesinnung des Religionslehrers bilden. Welche Achtung gegen Wahrheit und Gewissen, welche Zufriedenheit mit Gott bey2412 so mannichfaltigen verschiednen2413 Vorstellungen vom Christenthum, die auf so verschiednen2414 Wegen doch alle zu Einem2415 Hauptzweck führen, und bey2416 oft so sehr gegen einander laufenden Mitteln, die doch alle zu Beförderung der Absichten Gottes mitwirken müssen; welche Werthschätzung der [410] [125] Vernunft, der heiligen Schrift, der eignen Untersuchung, nützlicher Wissenschaften und guter Anstalten; welche Ueberzeugung von dem großen2417 Umfang von Kenntnissen und Eigenschaften und ihrer Nothwendigkeit, um ganz dem Beruf eines Lehrers der Religion, nach den Bedürfnissen seiner Zeit und seiner Zuhörer,2418 ein Genüge zu thun,2419 und welchen regen Trieb darnach;2420 welche Standhaftigkeit gegen diejenigen, die dieses Gute stören wollen, und welche Geduld, Mitleiden, Billigkeit gegen Irrende, oder die so von uns verschieden denken; welche Achtung und Liebe gegen unsern eignen2421 so weit und mannichfaltig2422 zum Besten der Menschen wirkenden Beruf; wie viel Selbsterkenntniß und Ermunterung zu allen Tugenden kan2423 dieses Studium wirken, wenn man, durch fleißige Beobachtung dieser Vorgänge in der Kirchengeschichte und ihrer Ursachen und Folgen, sie sich zu einer lehrreichen Schule der Bildung unsers eignen Herzens macht!
Wie viel dieses Studium 3) zur Beförderung der wahren Klugheit eines Lehrers der Religion beytrage2425, können (z. B.)zum Beispiel folgende Bemerkungen lehren. – Der vernachläßigte2426 Unterschied zwischen Christenthum und Theologie bey2427 dem Unterricht des Volks thut unsäglichen Schaden; die einleuchtendsten Beweise davon stellt die Kirchengeschichte fast bey2428 allen (1034arianischen, nestorianischen, monophysitischen und andern) [411] [126] Streitigkeiten auf, an welchen selbst das Volk Theil nahm,2429 und sie zeigt auch, welche Lehren von jeher unter den Christen und unbestritten gewesen, welche hingegen erst nach und nach entstanden, oder nie auf einstimmige Art von allen behauptet worden sind. – Nichts ist dem immer mehrern Wachsthum des Guten in der Kirche nachtheiliger, als die zu hohen Begriffe von gewissen Heiligen, angesehenen Lehrern, Anstalten, und der Untrüglichkeit der Kirche, so wie die Furcht vor der Gefahr, die aus allem2430, was neu2431 scheint, entsteht; dies2432 verhindert alle weitere und eigne [111] Untersuchung, und giebt selbst Mängeln und Ausschweifungen ein unverletzliches Ansehn. Nichts ist, auf der andern Seite,2433 der Erhaltung des wahrhaftig Guten, der Festigkeit der Grundsätze, und der gemeinschaftlichen Liebe gefährlicher, als das unzeitige und unvorsichtige Reformiren; nichts empört so sehr auch gegen gute neue Anstalten und Untersuchungen, als die unterlaßne2434 Schonung, die man dem Gewissen, der Freyheit2435 der Menschen, und nützlichen, wenigstens unschädlichen, Vorurtheilen oder Dingen schuldig ist, an welche ein Theil von Menschen einmal seine Ueberzeugung von wichtigen Wahrheiten, seine Gemüthsruhe, oder seine Andacht und die Ausübung seiner Pflichten geknüpft hat. – Die Einigkeit in Meinungen über Religionssachen, in wie fern, und durch welche Mittel und unter welchen Umständen sie könne hervorgebracht werden, oder nicht, und was aus solchen Versuchen für Folgen entstehn2436? was kan2437 [412] alle diese Fragen besser [127] beantworten, als die Geschichte der Conföderationen, der öffentlichen Religionsgespräche, der Glaubens- und Vereinigungsformeln? *) 2438 was mehr die nöthige Vorsichtigkeit, auch in Einführung und Aendrung2439 bloß äusserlicher2440 Anstalten und der Nebendinge in der Religion, lehren? **) 2441 was aufmerksamer auf Erhaltung der Freyheit2442, selbst in gleichgültigen Dingen? ***) 2443 was billiger in Beurtheilung hartnäckig- oder zu nachgiebigscheinender2444 Dissentienten? †) 2445 was geneigter in Schätzung jedes Guten in seiner Art ††) 2446 machen u. d. gl.und dergleichen 2447 als die Geschichte solcher Personen oder Unternehmungen? – Kurz, es giebt keine lehrreichere Schule zur Bildung kluger und bescheidner2448 Lehrer der Religion, als die Kirchengeschichte, und immer haben sich in dieser Absicht diejenigen durch wahre [112] Klugheit, und in dem Maaß ausgezeichnet, welche und in welchem Maaß sie mit Fleiß und unbefangnem2449 Gemüth diese Geschichte studiert hatten.
Es ist vor sich klar2475, daß dieser so2476 große2477 2478 Nutzen der christlichen2479 Kirchengeschichte nur alsdann2480 erreicht werden könne, wenn sie die im ersten Theil erwähnten2481 Eigenschaften einer guten Geschichte2482 hat, und wenn man sie so studiert, daß man beständig diese vor Augen behält2483, und mit möglichstem Fleisse2484 sie zu erreichen sucht. Dadurch fällt der einfältige2485 Vorwurf 2486 von selbst weg, daß sie ein bloßes2487 Gedächtnißwerk, mit unnützen und unfruchtbaren Kleinigkeiten (wie wohl jede andre Wissenschaft)2488 überhäuft, und zur Zubereitung eines künftigen Lehrers der Religion sehr entbehrlich sey2489. Eine flüchtige und oberflächige2490 Bekanntschaft mit derselben ist so viel wie gar keine, und schwerlich giebts irgend eine Art von akademischen Vorlesungen für einen künftigen Theologen, die er, wenn er Gelegenheit hätte, sie ausführlich und auf die angezeigte Art zu hören, weniger versäumen, und öftrer2491 hören sollte, als solche historische. Denn zuerst ist den meisten2492 darin alles2493 ganz neu und fremd; vieles2494 unverständlich, weil so manche andre Kenntnisse dabey2495 vorausgesetzt, oder mit beygebracht2496 werden müssen, die schlechterdings sich in der Kürze nicht abfertigen laßen2497, sondern umständliche Auseinandersetzung erfordern; und Vieles muß, wenn dem Zuhörer fast alles2498 noch unbekannt ist, seiner Aufmerksamkeit entwischen2499. Hiernächst kan2500 er kaum den Abgang dieser versäumten Gelegenheit durch eignen Fleiß ersetzen, weil es ein gar zu weitläufiges Studium ist, das sehr viele Hülfsmittel erfordert, die selten jemand haben kan2501, so wenig wie hernach Geduld und Muße2502 genug, um in seinem künftigen Beruf dieses nachzuholen; [130] zumal2503 da es so sehr an guten Handbüchern fehlt, [415] woraus man sich selbst helfen könnte. Denn alle diese sind entweder viel2504 zu unvollständig, oder sehr unzuverläßig2505, selten aus den rechten Quellen geschöpft, und gar nicht so bearbeitet, daß sie sich durch die vorhin gedachten Eigenschaften empfehlen2506; oder sie enthalten trefliche2507 Materialien, die aber nicht genug geordnet, nicht lehr[115]reich und überzeugend genug zusammengestellt2508 sind, und für den Anfänger noch zu viel Dunkles und Unerläutertes enthalten; oder sie sind – und das trift selbst die besten Handbücher, –2509 nicht vollendet, nicht auf die neuesten Zeiten fortgeführt. Ausführlichere Werke aber sind zu kostbar, und keines faßt den ganzen Umfang der Kirchengeschichte in sich.
Gemeiniglich stellt sich der Anfänger die Schwierigkeiten bey2526 diesem Studium größer2527 und unüberwindlicher vor, als sie sind, nicht nur wegen der Menge und Mannichfaltigkeit der Sachen, sondern auch2528 weil man sich in der Geschichte und in allen Wissenschaften, wo nicht der Verstand das Meiste thun muß, weniger selbst helfen kan2529, sondern von Andern lernen muß; weil fast alles2530 in dieser Geschichte dem Anfänger ganz fremd ist;2531 und weil wenige Arten von den einem Studierenden nöthigen Kenntnissen so sehr auf Schulen versäumt werden, als die Kenntniß der Geschichte. Indessen laßen2532 sie sich durch die Beobachtung folgender Vorschläge gar wohl überwinden, die zugleich auch zeigen, wie man dergleichen Vorlesungen über die Kirchengeschichte mit dem2533 meisten Nutzen hören könne.
Weil Wahrheit2535 die Seele der Geschichte, Zuverläßigkeit2536 der Erzählung der Grund aller andern aus der Geschichte zu ziehenden Vortheile ist, und der Anfänger sich hier vornehmlich muß2537 auf die Kenntniß, Genauigkeit und Deutlichkeit des [132] Docenten sowohl, als auf seine gute Wahl des Nützlichsten, und auf die lehrreichste Behandlung der Geschichte von ihm, verlaßen2538 können: so [401[!]] müßte2539 man 1) vor allen Dingen, wenn man die Wahl unter mehrern Docenten haben kan2540, in dieser Wahl sehr vorsichtig seyn2541, und 2542 sie nach dem beurtheilen2543, was unten darüber gesagt werden soll. Man müßte2544 2) nie Kirchengeschichte studieren wollen, ehe man sich nicht die Universalgeschichte seit Christi Geburt, und 3) die ältere und neuere Geographie wenigstens nothdürftig, und2545 so weit bekannt gemacht hätte, daß man2546 sich mit Hülfe guter Landcharten in vorkommenden Fällen helfen könnte; weil man sich ohne beyderley2547 Vorerkenntnisse gar nicht2548 zurecht finden kan2549.
Dem Gedächtniß, wegen der vielen Namen und Jahrzahlen, zu Hülfe zu kommen, sich überall mehr zu orientiren, und immer einen Faden zu haben, woran man die Kenntnisse reihe, die man in der Kirchengeschichte erlangt hat2576, müßte2577 man sich 4) an ein gutes Handbuch 2578 gewöhnen, worin, nebst einer verhältnißmäßigen allgemeinen Vollständigkeit, eine gleichförmige Ordnung herrschteherrscht †),2579 5) sich gewisse Epochen und Hauptbegebenheiten genau und [118] fest mit ihren Umständen eindrücken ††),2581 und 6) sich2582 entweder selbst synchronistische Tabellen machen2583, oder dergleichen immer vor Augen haben †††);2584 überall aber 7) nicht bloß das Gedächtniß 2585 beschäftigen, sondern stets auf eine solche Kenntniß der Kirchengeschichte bedacht 2586 seyn, welche die schon im ersten Theil angegebenen2587 Eigenschaften einer guten Geschichte2588 hat. 2589
†) Anm. Anmerkung 1) In dieser Absicht scheint die Methode, die Kirchengeschichte nach den Jahrhunderten abzuhandeln, und beybei jedem allesAlles unter einerleyeinerlei Hauptrubriken zu bringen, so manche Unvollkommenheit sie auch sonst mit sich führt, für den Anfänger die zuträglichste zu seyn; zumahlzumal da er sich beybei längern Perioden zu leicht aus einer Zeit in die andreandere verirrt, und den Synchronismus aus den Augen verliert, anch eimalauch einmal auch einmal das Rechnen nach Jahrhunderten üblich ist, und die synchronistischen Tabellen darnach eingerichtet sind. Mosheim, Johann Lorenz von Mosheims Mosheim's Institutiones Hist. Eccles. verdienen deswegen, beybei allen etwanigen Mängeln, noch immer Empfehlung, selbst auch mit darum, weil der Anfänger an zweyzwei vermehrten deutschen UebersetzungenUebersetzungen, von Schlegel, Johann Rudolph Schlegel und von Einem, Johann August Christoph von Einem , einen kleinen Commentar über das Buch haben kankann. Unter den Handbüchern, die, ohne sich an einzelne Jahrhunderte zu binden, die Zeitfolge zum Grunde legen, ist die allgemeine Allgemeine Geschichte der christl. Kirche, von Henke, Heinrich Philipp Conrad H. P. C. Henke , wovon bis jetzt zu Braunschweig 1788–91 drey Theile erschienen sind1800–1806., 1ster bis 6ter Theil, 4te Auflage, deren Beendigung von Vater, Johann Severin Vater erwartet wird, unstreitig das beßte. beste und reichhaltigste. {Kürzer zwar, aber von mehrern Seiten nicht minder empfehlungswerth, ist Stäudlin, Karl Friedrich C. F. Stäudlin's Universalgeschichte der christlichen Kirche. Bremen 1816., 2te Ausg.Ausgabe in einem Bande.} {Der selige Nösselt, Johann August Nößelt blieb der Methode nach Jahrhunderten getreu, welche seit den Magdeburgischen CenturiatorenCenturiatoren, die Hauptschriftsteller, wie Spanheim, Friedrich Spanheim, Le Nain de Tillemont, Sébastien Tillemont, Alexander, Natalis Natalis Alexander, Weismann, Christian Eberhard Weisman, Pfaff, Christoph Matthäus Pfaff, Mosheim, Johann Lorenz von Mosheim, Baumgarten, Siegmund Jacob Baumgarten, Walch, Christian Wilhelm Franz W. E. Walch u. a. befolgt hatten. Indeß ist man doch vorzüglich jetzt ganz einverstanden, daß die Eintheilung in größere PeriodenPerioden vorzuziehen sei, wenn diese nur nicht zu ungleich werden, sich stets mit einer besonders wichtigen und universellen Begebenheit eröffnen, auch die Zahl derselben nicht zu sehr vermehrt wird. Man vergleiche Planck, Gottlieb Jakob Plank's Einleitung in die theologischen Wissenschaften, Theil 2. S. 223 fg.folgend A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 2590Wenn man sich auf die gedachte Art entweder durch gute Vorlesungen, oder durch den Gebrauch eines guten [120] Handbuchs der Kirchengeschichte eine allgemeinere Kenntniß derselben erworben hätte2631, und man wollte2632 dieses Studium, wegen seines großen2633 Nutzens, weiter fortsetzen †),2634 [404[!]] und sie selbst untersuchen:2635 so würden2636, in Beziehung auf die oben im ersten Theil2637 angegebnen2638 nothwendigen Eigenschaften einer wahren und nützlichen Geschichtskunde, folgende Regeln nie müssen2639 aus der2640 Acht gelaßen2641 werden. 1) Weil bey2642 Geschichte alles2643 auf Nachrichten und Zeugnisse ankommt, und es, bey2644 der ungeheuren Menge von Nachrichten2645, die oft in Denkmahlen2646 und Schriften, wo man sie gar nicht sucht, nur beyläufig2647 vorkommen, unmöglich ist, daß auch der fleissigste2648 Mann alles2649 wissen kan2650, was hier einiges Licht ausbreiten2651 möchte,2652 so muß man sich vor allen Dingen sowohl um die Quellen aller Art, [136] als um die, welche sie schon benutzt, und darnach irgend einen Theil der Kirchengeschichte untersucht haben, bekümmern.
Weil aber angebliche QuellenQuellen2721 diesen Namen nicht immer verdienen, und nicht aus der Zeit, noch von den Verfassern sind, welchen sie zugeschrieben werden: so muß man 2),2722 ehe man sie braucht2723, von ihrer AechtheitAechtheit2724 überzeugt seyn, oder wissen, wie fern sie Quellen seyn können. Diese Kritik ist vielleicht nirgends nöthiger, als bey diesen2725 Quellen der Kirchengeschichte, weil bey2726 der früh entstandnen2727 Einbildung von Rechtmäßigkeit des sogenannten frommen Betrugs, bey2728 der so bald unter Christen eingerissenen Gewohnheit, nach menschlichem Ansehn2729 und Tradition Wahrheit und Pflicht zu bestimmen, und dem daher entstandenen Interesse, die Aechtheit2730 gewisser berühmten Denkmahle zu behaupten2731, endlich bey2732 dem bis gegen die Zeiten der2733 Reformation fast gänzlichen Mangel der hiebey2734 gebrauchten Kritik und den2735 blinden Glauben an, zumahl herrschende,2736 Sagen, so viele unächte2737 Schriften und Denkmahle einen2738 sehr unverdienten Credit2739 erlangt haben.
Eben diese Kritik müßte2778 3) bey2779 einzelnen2780 Stellen und deren Lesearten angewendet werden, wo, nach den Quellen, die zur richtigen Darstellung eines Textes dienen, oder nach andern wahrscheinlichen Spuren, Verdacht des Unächten2781 entstehen kan2782, auch hernach 4) bey2783 Bestimmung des richtigen Sinnes, wozu die Kenntniß des, besonders kirchlichen, Sprachgebrauchs, der in verschiedenen Gegenden und Zeiten sehr verschieden ist, unumgänglich erfordert wird, zumahl2784 da er, durch Vernachläßigung2785 dieses Unterschieds, durch Un[124]wissenheit und Vorurtheile, die durch 2786 Interesse geleitet wurden, sehr verdunkelt worden ist.
Wenn man von dem wahren Sinn in einer ächten2795 Stelle eines solchen Denkmahls oder Schriftstellers überzeugt ist, bleibt noch 5) die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses übrig. Es ist hier der Ort nicht, zu zeigen, wie diese Prüfung, und nach welchen Regeln, sie anzustellen sey †);2796 aber Vorsichtigkeit kan bey2797 dieser Geschichte, die durch Unwissenheit, Parteygeist2798 und Hang zum Ausserordentlichen2799 so sehr verdorben ist, nicht genug empfohlen, der angehende Geschichtschreiber nicht oft genug erinnert werden, eher nicht zu urtheilen, als bis und so weit er sich das Zeugniß geben kan2800, eben die Eigenschaften bey2801 dieser Prüfung mitzubringen, die bey2802 dem Zeugen seyn müssen, den man prüfen soll, nehmlich:2803 in Absicht auf die Eigenschaften unsrer Erkenntniß, hinlängliche Bekanntschaft mit der Geographie, Chronologie, der bürgerlichen und Völker-2804 der Literar-2805 auch der übrigen gleichzeitigen Kirchengeschichte, Philosophie, Kritik und genaue Sprachkenntniß, alles dieses verbunden mit gesundem Verstande, treuem Gedächtniß, feiner Menschen- und Weltkenntniß, scharfsinnigem Beobachtungsgeist2806 und Fähigkeit, selbst kleine Umstände, nach [125] den Spuren, die uns die Geschichte weiset2807, geschickt zu verbinden; und in Absicht auf den guten Willen, theils strenge UnparteylichkeitUnparteylichkeit2808, die sich weder durch Liebe gegen das, wofür wir eingenommen sind, es sey2809 Religion, oder Partey2810, [410[!]] oder eigne Entdeckung und [142] Einfall, es sey2811 Neues, das wir sagen, oder Altes, was wir vertheidigen wollen, noch durch Abneigung von Personen, Gesellschaften oder Sachen, verführen läßt, theils unermüdeten Fleiß, dem selbst anscheinende Kleinigkeiten nicht zu gering sind, weil und wenn sie auf die Spur der so oft2812 versteckten Wahrheit leiten können. ††) 2813
Der große2830 Einfluß, den2831 die einzelnen2832 Theile der Geschichte, und besonders der Kirchengeschichte, auf einander haben, macht es uns 6) besonders zur Pflicht, so sehr wir unsre Ursachen haben können, und so sehr uns der ungemein große2833 [411[!]] Umfang der Geschichte nöthigen kan2834, uns auf die [143] Untersuchung gewisser Theile einzuschränken, –2835 keinen [126] gering zu achten, oder ganz zu vernachläßigen2836. Die geringfügigsten Umstände haben oft die größesten2837 Revolutionen hervorgebracht; oft ist nicht die Sache, aber2838 die Art wichtig, wie man sich dabey2839 benommen hat; und oft findet sich über die Ursachen merkwürdiger Veränderungen in gewissen Theilen der Geschichte allein2840 oder 2841 mehr Aufschluß als in dem, welchen man bearbeitet.
Die Wahrheit einer bezeugten Begebenheit ist nicht bloß nach Zeugnissen, sie ist auch nach der Natur der Sache und nach dem ganzen Umfang ihrer Umstände zu beurtheilen, und wenn die Nachrichten über diese von einander abweichen,2853 oder einander widersprechen:2854 so müssen sie mit einander verglichen, und in den wahrscheinlichsten Zusammenhang gebracht werden. Deswegen ists 7) nicht genug, viele Thatsachen oder Ereignisse2855 zu sammlen,2856 man muß alle Umstände derselben zusammennehmen, sie ordnen, oder2857 sehen, was [412[!]] bey2858 der Vergleichung übrig bleibt. Dies2859 giebt [144] der Geschichte und unsren2860 Begriffen davon mehr Deutlichkeit, und verhütet zugleich, daß man die Thatsachen nicht gleich verwirft, weil man sie verschieden oder widersprechend angegeben findet,2861 nicht einen Zusammenhang oder Vorfälle und Absichten erdichtet, die nie gewesen sind, und dadurch die Wahrheit der Geschichte verdirbt, indem man sie reini[127]gen oder unterhaltend machen will. Wiefern man sich hier Vermuthungen erlauben dürfe, ist schon im ersten Theil, beybei der Geschichte überhaupt,2862 gesagt worden.
Dies2865 giebt auch 8) den Stoff zum wahren Pragmatischen, ohne welches die Geschichte bloß ein Gegenstand der Neugier und ein Spiel der Einbildungskraft, wenigstens nicht nutzbar zur Bildung des Verstandes und2866 Herzens, wird. Nur muß man wirklich aus der Geschichte durch fleissige2867 Beobachtung lernen, nicht bloß unsre Meinungen2868 oder Vorurtheile bestätigen zu2869 wollen; man muß die gute und schlechte Seite der Dinge mit gleicher Sorgfalt beobachten. So wird sie uns ein lehrreicher Schauplatz der göttlichen VorsehungVorsehung2870, die auch das Schlecht- und Bösescheinende zu ihren Absichten braucht, eine Schule, wo man eben sowohl aus2871 Andrer Fehlern als ihrem guten Betragen lernen kan2872.
Wer sich mit recht eigentlichem Fleiß auf die Kirchengeschichte legen wollte, müßte sich nicht 2891 auf die Kirchengeschichte2892 [128] im Ganzen und deren2893 allgemeine Uebersicht einschränken, sondern auch die einzelnen2894 Theile derselben2895 besonders studieren. Denn die Kirchengeschichte2896 ist von einem so gar weitläufigen Umfang, daß man überaus viel Wichtiges gar nicht kennen lernt, wenn man sich bloß an die Universalkirchengeschichte hält, ja daß man diese nicht einmal recht gründlich, deutlich und pragmatisch machen kan2897, ohne 2898 eine genauere Kenntniß jener einzelnen2899 Theile 2900. Daher werden in der allgemeinen Kirchengeschichte viele sehr wichtige Sachen,2901 ( (z. B.)zum Beispiel Geschichte der Leh[414[!]]ren und des mannichfaltigen Aberglaubens, Ge[146]schichte des sich nach und nach gebildeten2902 Jesuitismus 2903 und seines geheimen Einflusses u. d. gl.und dergleichen 2904) ganz und gar nicht, oder nur sehr wenig berührt, oder nicht richtig und vollständig genug aufgeklärt; ja von manchen wichtigen Umständen weiß man die Zeit nicht genau, oder man betrachtet gewisse Erscheinungen2905 nur nach ihrem Ausbruch, nicht nach den lange versteckten Vorarbeiten dazu †);2906 oder die Geschichte merkwürdiger Veränderungen,2907 wird bey2908 der Abtheilung in gewisse Perioden so sehr zerstückelt, daß man sie wenigstens nicht so gut übersehen kan2909, als wenn man die Geschichte der einzelnen2910 Lehren oder Parteien2911 besonders untersuchte.
Zu diesen besondern Haupttheilen der christlichen Kirchengeschichte gehört zuerst die 2930 Geschichte der Schicksale des (wahren oder vermeintlichen) Christenthum Christenthums 2931, und, mit derselben, der christlichen Kirche in der Welt2932, (d. i.)das ist der Ausbreitung und Einschränkung, des Verfalls, oder gar des Aussterbens beyder2933 in gewissen Ländern. Bey2934 dieser Geschichte müßte wohl2935 untersucht werden: von woher die Werkzeuge dieser Ausbreitung gekommen?2936 unter welchem Einfluß sie gestanden?2937 was für ein2938 Christenthum sie2939 ausgebreitet haben? was für eine Art der Religion sie in solchen Ländern vorgefunden?2940 wie weit sie sie ausgerottet, oder geschwächt, oder mit ihrem Christenthum verschmelzt2941 haben? wie weit sich in solchen Gegenden diese Fortpflanzung erstrekt?2942 ob über eine ganze Nation oder nicht? und über welchen Theil derselben? ob sie das Christenthum mit2943 Gewalt oder auf welchem gelindern Wege ausgebreitet2944, und von welchen Ursachen der größere2945 oder geringere [130] Fortgang abgehan[148]gen? welche Wirkungen diese fortgepflanzte Erkenntniß auf die CulturCultur2946 solcher Länder gehabt, [416[!]] oder2947 wie weit sie 2948 sie gehemmt und vermindert habe2949? welche Veränderungen daraus in der ganzen Verfassung solcher Völker entstanden? besonders wie und wonach die Verfassung einer neuentstandenen Kirche gebildet worden sey2950, und in welchem Verhältnisse sie in der Folge gegen die Staats- und übrige Verfassung gestanden habe? Auf eben diese Fragen müßte ohngefähr2951 auch bey2952 dem äusserlichen2953 Verfall und Untergang des Christenthums in gewissen Gegenden gesehen werden. – Hiezu2954 gehört eine sehr genaue Kenntniß der Völker- und Ländergeschichte und Verfassung zu verschiedenen Zeiten; diese würde2955 aber, wegen des großen2956 Einflusses der Religion, eben so sehr durch jene Untersuchungen aufgeklärt werden, als die Geschichte der innern Veränderungen der christlichen Kirche Licht aus diesen äusserlichen2957 Umständen bekommen würde2958, in welchem unstreitig der Grund von vielen besondern Veränderungen und Einrichtungen gewisser Kirchen oder des Fortgangs und der Hindernisse derselben, gelegen hat †).2959
Ein andrer 2969, aber2970 auch wohl der wichtigste, obgleich2971 schwerste, und am wenigsten mit rechter Genauigkeit bear[131]beitete Theil der Kirchengeschichte †), †) 2972 ist die Geschichte der christlichen Lehre, und überhaupt der Vorstellungen in der Religion. Diese Geschichte müßte 2974 1) sich2975 nicht bloß auf die in der heiligen Schrift bekannt gemachten Lehren, sondern auf alle Meinungen erstrecken, die wenigstens bey2976 einem Theil der Christen geherrscht haben, sofern sie in die Religion schlagen, oder dahin gezogen worden sind, sie mögen zur natürlichen oder geoffenbarten Kenntniß der Religion gehören, es mögen davon vermeintliche Spuren in der Bibel aufgefunden, oder sie anderwärts her genommen seyn. ††) 2977 2) Sie müßte nicht nur das Schicksal der Lehren der heiligen Schrift selbst, unter den Christen2978, sondern auch der verschiednen2979 Vorstellungen enthalten2980, die man sich unter 2981 Christen davon gemacht hat, und die Schicksale dieser Vorstellungen. †††) 2982
Und, da3005 die verschiednen3006 Vorstellungen von einer Lehre entweder aus verschiednen3007 Erklärungen der heiligen Schrift, oder aus verschiednen3008 Grundsätzen der Philosophie und deren verschiednen3009 Anwendung, oder aus verschieden angenommner3010 Tradition, oder nach verschiednem3011 innern Gefühl, entstanden sind: so würden 3)3012 ferner 3013 die verschiednen3014 Meinungen über die Gültigkeit, den Werth und die rechte Anwendung dieser Quellen, und die Schicksale, welche diese Meinungen gehabt haben, mit in Anschlag kommen müssen; auch 4) die verschiednen3015 Vorstellungen von dem Werth gewisser Bestimmungen einer Lehre, ihrem3016 Einfluß in andre3017 Lehren, und der Nothwendigkeit, sie von einem Christen zu fordern;3018 mithin zugleich 5) der Ursprung und das Schicksal vorher unbekannter und ungewöhnlicher Meinungen, auf die man erst gefallen ist, um andre3019 Lehren oder [133] Vorstellungen zu vertheidigen;3020 6) die neuen Erklärungen gewisser Schriftstellen und neue versuchte Beweise für gewisse Meinungen, so wie umgekehrt der Verfall und die Verdächtigung andrer3021 Erklärungen darüber;3022 7) die eingeführte Terminologie und der verschiedne3023 oder veränderte3024 Sprachgebrauch in der Theologie, und 3025 8) alle Umstände3026, die zu solchen Vorstellungen, ihren Abwechselungen, 3027 behaupteten Nothwendigkeit, 3028 Beweisen (u. d. gl.)und dergleichen Gelegenheit gegeben haben.
Schon der große3094 Umfang dieser Geschichte macht die Untersuchung derselben sehr schwer, und vielleicht ist bey3095 keinem Theil der Kirchenhistorie, ausser3096 den andern oben angegebnen3097 Wissenschaften (§. 104 391 flg.folgend 3098) eine ausgebreitete Kenntniß der historischen Denkmahle und der Religionsschriften aller christlichen Völker und Zeiten, eine genaue Bekanntschaft mit dem mannichfaltigen kirchlichen Sprachgebrauch und der Geschichte der Philosophie,3100 nöthiger, fast bey3101 keinem ist auch strenge UnparteylichkeitUnparteylichkeit3102 zu beobachten schwerer, als bey3103 diesem. Aber es belohnt sich auch der darauf gewandte Fleiß genug durch große3104 Vortheile, die [155] schon oben bey3105 dem Nutzen der Kirchengeschichte angegeben sind, und die3106 vorzüglich können3107 aus dieser Lehrgeschichte gezogen werden. Unsre3108 Einsichten in die3109 Religion bleiben immer sehr eingeschränkt, wenn man die verschiednen3110 Gestalten und Seiten nicht kennt, in und auf welchen sich eine Sache dem menschlichen Verstande darstellt. Man bleibt um so mehr auf seinen Meinungen ersessen, und taub gegen alle bessre3111 Einsichten, je weniger Seiten einer Sache, und je weniger man die Gründe kennt, die Andre3112, an[136]ders zu urtheilen, oder sich auszudrucken3113, bewogen haben. Nur alsdann kan3114 man dem Mißverstand und 3115 Wortstreitigkeiten vorbeugen, die so ganz alle richtige Entscheidung verhindern, Irrthümern und Zweydeutigkeiten3116 auf den Grund kommen, richtiger und billiger [423] von Andrer3117 Meinungen und ihrer Unschuld oder ihrem Werth urtheilen, und selbst bestimmter denken und sich ausdrucken3118 lernen, wenn man hinlänglich mit der Geschichte dieser Lehren und der verschiednen3119 Vorstellungen davon bekannt ist.
Anm. Anmerkung Der Eifer, mit dem Nestorius von Konstantinopel Nestorius Nestorius und die Morgenländer sich dem Ausdruck Mutter Gottes (Θεοτόκος (Θεοτοκος ) widersetztenwiedersetzten, hingegen auf stete Unterscheidung der beydenbeiden Naturen in Christus, s. Jesus ChristusJesus Christus Christo drangen, und umgekehrt des Cyrill von Alexandrien Cyrillus Cyrillus Eifer für jenen und wider diese, gründete sich beybei jenen auf die Furcht für den Apollinarismusvor dem Apollinarismus , der in Syrien, und beybei diesem auf den Eifer gegen den Arianismus Arianismus , der in Aegypten mehr herrschte. Dieses BeyspielBeispiel, so wie Jovinian Jovinians Jovinian's Satz: omnia peccata paria esse;esse, der dem Johannes Philoponus Johannes Philoponus Johannes Philoponus Schuld gegebnegegebene Tritheismus;Tritheismus, Agricola, Johannes Joh. Agricola Joh. Agricola und der Antinomer Antinomer Eifer wider das Gesetz;Gesetz, der Streit über den Satz: ob gute Werke zur Seligkeit nöthig sind? und tausend andre Beyspieleandere Beispiele, erläutern das hier Gesagte. Vergl.Vergleiche Ernesti, Johann August J. A. Ernesti Opuscula theologica, 13te Abhandl.Abhandlung und Walch, Christian Wilhelm Franz J. C. W. F. Walch Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre, zweytezweite Ausgabe, Göttingen 1764. 8. 3120Unter den Quellen der christlichen LehrgeschichteLehrgeschichte3146 haben die Schriften dererjenigen den ausgebreitetsten Nutzen, welche über christliche Lehren geschrieben haben, es sey3147 daß sie ihre eigne3148 Gedanken darüber äusserten3149, oder verschiedne3150 Meinungen darüber, oder wenigstens eine Er[137]klärung und einen bestimmten Sinn einer christlichen Lehre erwähnten3151. Durch sie wird [424] man nicht nur mit mehrern Vorstellungen über einen LehrpunctLehrpunct3152, man wird auch zum Theil mit den Gründen bekannt, wodurch man jene unterstützt hat, oder mit den Meinungen, die auf jene geführt, oder ihr ein gewisses Ansehn3153 verschafft haben; welchen Nutzen andre3154 Denkmahle3155, selbst öffentliche Bekenntnißschriften, nicht leisten, wenn sie nicht zugleich Schutz- und Vertheidigungsschriften sind. Diejenigen christlichen Schriftsteller, welche bey3156 der in gewissen christlichen Ländern herrschenden LehrparteyLehrpartey3157 ein vorzügliches Ansehn3158 erlangt haben, [157] entweder als Zeugen und treue Fortpflanzer derjenigen Vorstellung von einer Lehre, die dergleichen Partey3159 für die richtigste hält, oder als solche, welche die richtige Vorstellung getroffen haben, sind in so fern die wichtigsten, als ihr Ansehen bey3160 solchen Parteyen3161 die Kraft eines Beweises erlangt hat, und man aus ihrer Geschichte sieht, wie und warum sie, wenigstens in gewisser Absicht, dieses Ansehen erhalten haben. In diesem Ansehen stehen die sogenannten Kirchenväter (Patres) bey3162 allen den ParteyenPartheyen 3163, welche eine historische Lehrtradition3165 als verbindlich zum Glauben ansehen, bey andern3166 aber als Zeugen der Vorstellungen, die in den herrschenden Kirchen für die richtigsten gehalten worden sind, oder wenigstens jetzt gehalten werden.
Nach dem Namen der KirchenväterKirchenväter3231 (Patrum) nennt man die Erklärungen derselben über die christlichen Lehren zusammengenommen, oder den Inbegrif3232 ihrer Vorstellungen von dem, was zur christlichen Lehre gerechnet wird, Patristik im engern Verstande, oder besser patristische Theologie , auch wohl historische Theologie im engsten Sinn3233. Im weitern Verstande aber begreift man unter Patristik nicht nur dieses, sondern auch zugleich mit alle Kenntnisse, die zur Verständlichkeit und zum Gebrauch ihrer Schriften nöthig sind. Nun ist3234 der Begrif3235, der mit dem Namen der Kirchenväter verbunden wird, vieldeutig (§. 115 3236 (Anm.)Anmerkung 2), und3237 Protestanten 3239 erkennen kein dogmatisches3240, sondern bloß historisches Ansehen3241 derselben, welches die Kirchenväter mit jedem christlichen Schriftsteller gemein haben. Daher könnte man Patristik, wie patri[428]stische Theo[161]logie, auch in dem weitesten Verstande, von der Bekanntschaft mit den Umständen und dem LehrbegrifLehrbegrif3242 christlicher Schriftsteller nehmen. Wenigstens gilt das, was im Folgenden davon gesagt wird, von allen Schriftstellern über christliche Lehre, obwohl insbesondre3243 von denen, deren entscheidendes dogmatisches Ansehn in denenjenigen3244 Kirchen anerkannt wird, welche sich an eine gewisse dogmatische Tradition, als Erkenntnißgrund der rechten christlichen3245 Lehre, halten.
Wer diese Kenntnisse besitzen will, der muß nicht nur die Schriftsteller selbst, wenigstens die merkwürdigern, kennen, die sich über die christliche Lehre entweder selbst erklärt, oder Erklärung Anderer darüber erwähnt3248 haben; er muß auch wissen, was sie darüber für Schriften bekannt gemacht haben3249? ob diese Schriften und die dahin gehörigen Stellen und Lesearten wirklich ihnen, oder wem sie sonst angehören? und welchen Werth oder wenigstens Ansehen sie und ihre Schriften erlangt, besonders was 3250 für Veränderungen sie3251 dadurch in der Kirche hervorgebracht haben?
Die Mühe, welche man auf das Studium der Schriften der eigentlichen Kirchenväter (im [429] [162] gewöhnlichsten und engsten Verstande) wendet, belohnt sich zwar sehr wenig durch wirkliche Aufklärung der christlichen Erkenntniß3253 oder durch wahre Erbauung, weil es den Meisten unter ihnen an gründlicher Kenntniß des Sprachgebrauchs der heiligen Schrift und an gesunder Philosophie fehlte, sie sich unglaublich viel willkührliche3254 Einfälle zu gute hielten, und sie meistens,3255 – die wenigstens, welche eben das meiste Ansehen der Rechtgläubigkeit erlangt haben,3256 – die hergebrachte3257 Lehrvorstellung fortpflanzten, oder derselben ihre Erklärungen anpaßten. Auch waren sie so wenig unfehlbar, als 3258 der ältern Vorstellungen von den christlichen Lehren unter Christen3259 und des wahren Sinnes derselben hinlänglich kundig, noch3260 uneingenommen genug für und wider die Wahrheit dieser Vorstellungen, als daß sie nicht hätten,3261 mehr nach dem Herkommen, als nach reinen Gründen, Wahrheit und Aechtheit3262 der Tradition entscheiden sollen. Sie können daher für [142] uns, die wir diese Fehler an ihnen erkennen, und den Widerspruch sehen, in welchen sie theils oft mit sich selbst, theils mit andern eben so angesehenen, wenigstens eben so achtungswürdigen, Kirchenvätern stehn3263, keine Quelle der Erkenntniß wahrer christlichen Lehre seyn.
Dennoch3271 hat auch dieses Studium, und überhaupt die Bekanntschaft mit denen, welche über die christliche Lehre geschrieben haben, sonderlich wenn sie im Ruf der vorzüglichen Richtigkeit christlicher Erkenntniß stehn,3272 seinen großen3273 Nutzen. 1) Je weniger entfernt diese Kirchenväter von den Zeiten der Apostel waren, 3274 oder je mehr sie in ihrem Vortrag einzelne3275 Ausdrücke und Redensarten der heiligen Schrift in einem deutlichern Zusammenhang brauchen, oder statt derselben deutlichere setzen, oder je mehr sie Volksmeinungen erwähnen3276, auf welche auch in der heiligen Schrift angespielt wird: je3277 brauchbarer sind sie zur Kenntniß des eigentlichen Sprachgebrauchs und Sinnes der Bibel; so wie sie 2) dadurch, daß sie uns so viele Stellen der heiligen Schrift aufbehalten haben, zur Kritik des Textes des neuen Testaments unentbehrlich bleiben. 3) Sind es wirklich selbst denkende, und wenigstens da, wo sie nicht durch hergebrachte kirchliche Vorstellungen oder Meinungen ihrer besondern Philosophie gehindert wurden, untersuchende Männer: so führen sie uns auf manche nützliche Aussichten und Entdeckungen, auf die wir selbst, bey3278 einem gewissen gewohnten Gesichtskreis3279, nicht gerathen seyn würden, und tragen in so fern viel wenigstens zur Erweiterung unsrer3280 Erkenntniß der christlichen [143] Lehre bey;3281 verhindern wenigstens, daß wir nicht so leicht in die gewöhnlichen Fehler dererjenigen3282, die nur vor3283 sich untersuchen, (d. i.)das ist auf ein[431]seitige [164] Vorstellungen und auf die Einbildung, daß unsre Zeiten allein aufgeklärt sind, verfallen. Hauptsächlich aber sind sie 4) die vornehmsten Quellen bey3284 allen Theilen der Kirchengeschichte, vornehmlich bey3285 Geschichte der christlichen Lehre, aus welchen wir nicht nur die Kenntniß der Veränderungen in der Kirche und Lehre, nebst deren Ursachen und Folgen, sondern auch die Kenntniß der kirchlichen Sprache schöpfen können; und so fern3286 gewähren sie auch 5) den Nutzen, der oben der Kirchengeschichte in Absicht auf die systematische Theologie beygelegt3287 wurde. Finden sich 6) in ihnen Aeusserungen3288, die von den jetzt herrschenden Vorstellungen in der Kirche abgehn3289, so dienen deren Kenntnisse uns alsdann3290 wenigstens zur Schutzwehr gegen unglimpfliche Beurtheilungen oder Verketzerungen, und machen doch eher harte Richter in Glaubenssachen geneigt, Meinungen, die von den hergebrachten abgehen, mit mehrerer Mäßigung anzusehn3291, oder erst zu untersuchen.
3292Zunächst mit der Geschichte der Lehre ist die Geschichte der theologischen Wissenschaften verbunden, die man, auch wie jene, Historiam doctrinae (der Gelehrsamkeit) genannt hat; denn von der Versäumniß oder der Aufklärung gewisser Arten der Kenntnisse3320, der Sprachkunde, Kritik, Philosophie, Geschichte und der schönen Wissenschaften, mußte freylich3321 die Gestalt der theologischen Wissenschaften3322 und somit auch der Vorstellungen von christlichen Lehren3323 abhängen. Doch kan3324 diese Geschichte eben sowohl für einen Theil der Literar- als der Kirchengeschichte angesehen werden. Sie müßte zeigen: wie die theologischen und die dazu diensamen Wissenschaften, oder doch Kenntnisse, von Zeit zu Zeit und in verschiedenen Gegenden, unter den Christen beschaffen gewesen, und wodurch sie zu- oder abgenommen?3325 wer3326, wie weit3327 und wodurch,3328 auf diesen Fortgang oder Verfall Einfluß gehabt habe?3329 Dadurch würden alle Theile der Kirchengeschichte gewinnen, und man würde auf manche oft verkannte oder nicht genug erkannte Hindernisse und Hülfsmittel derselben aufmerksam gemacht werden.
Wenn die Verschiedenheit der Vorstellungen über gewisse Lehren3341 oder der daher entstandenen Einrichtungen und Gebräuche3342 für so wichtig angesehen wurde, daß man, wenigstens von der Einen3343 Seite †),3344 glaubte, nicht mehr mit den hier anders Denkenden oder Handelnden äusserliche3345 Kirchengemeinschaft unterhalten zu dürfen: so entstanden besondre3346 Gesellschaften oder Religionsparteyen Religionsparteyen 3347, in welchen, durch eine entstandne3348 eben so beurtheilte Verschiedenheit, wieder neue erzeugt wurden. Aller Nutzen, den die Geschichte der Lehre haben kan3349, findet auch bey3350 der Geschichte der Religionsparteyen Religionspartheyen statt,3351 ja der Nutzen dieser letztern ist gewissermassen3353 noch größer3354, und diese Geschichte unterhaltender und lehrreicher, weil sie großegrosse Revolutionen, die3355 in der Kirche durch solche Trennung entstanden sind3357, und keine bloße3358 Gegenstände der Speculation, sondern Handlungen3359 mit ihren Ursachen und Folgen,3360 darstellt.
In einer solchen Geschichte müßte3382 der Ursprung und Fortgang einer solchen ParteyPartey3383; ihr eigentlicher Unterschied von der Partey3384, von der sie getrennt worden, und von Andern, sowohl in Lehren und Lehrvorstellungen, als auch in äusserlichen3385 Einrichtungen; besonders müßten3386 die genauern Bestimmungen in der Lehre, die sie entweder eingeführt, wenigstens mehr und als erheblicher hervorgezogen, oder nicht hatte zulaßenzulassen, noch3387 jedermann aufgedrungen wissen wollen, sowohl nach den Erklärungen, die sie selbst, als [169] die ihnen ihre Gegner gegeben, nebst der Wich[436]tigkeit, die beyde3389 auf den Unterschied gelegt hätten3390; desgleichen ihre Bekenntnißschriften und deren genau bestimmte Absicht, und weiter oder enger ausgedehnte Verbindlichkeit; die wieder in dieser ParteyParthey entstandnen verschiednen3391 Erklärungen eben derselben gemeinschaftlichen Lehre;3393 die dadurch erzeugten Zwistigkeiten, oder gar Trennungen;3394 und, auf eben die gedachte Art, die Geschichte, die Lehrvorstellungen und Einrichtungen dieser neuen Abtheilungen der Partey3395; endlich die Annäherung an andre Parteyen3396, oder Zusammenschmelzung mit denselben, wenigstens die zu einer solchen Vereinigung gemachten Versuche, deutlich aus einander gesetzt3397, und alles3398 so zusammenhängend vorgelegt werden, daß man die Mittel3399 sich auszubreiten oder zu erhalten, die3400 Ursachen und Folgen aller ihrer Meinungen, Unternehmungen und Einrichtungen einsehen könnte3401.
Vorzüglich3403 verdient diese Geschichte 3404 eine recht genaue Bearbeitung; sie ist aber auch sehr3405 schwer, –3406 weil sie eine ungemein ausgebreitete Kenntniß, selbst von der politischen und Literargeschichte, selbst von vielen kleinen, an Oertern3407, wo man sie nicht sucht, zerstreuten Nachrichten erfordert; –3408 weil, zumahl3409 von unterdruckten3410 oder ausgestorbnen ParteyenParteyenPartheyen 3411, entweder wenig Nachrichten bekannt, oder diese unterdruckt3413 worden, oder diese Parteyen3414 sich nicht deutlich er[170]klärt, oder ihre Gegner die Vorstellungen sol[437]cher Parteyen3415 zu sehr nach ihren eignen Vorstellungen genommen haben; –3416 nirgends aber der ParteygeistParteygeist3417 mehr als hier die Sachen verstellt hat, entweder eigne Fehler zu bedecken3418 und unsichtbar zu machen, oder die Fehler der Andern in einem gehässigem3419 Lichte vorzustellen. –3420 Auf ein genaues und unparteyisches3421 Zeugenverhör, das den Werth und die Beschaffenheit der Nachrichten bis auf seine kleinsten Falten entwickelt, kommt hier das Meiste an; aber oft fehlt es an Zeugen, oder sie widersprechen einander, oder sind sonst verdächtig; und daher3422 ist die Aufspürung3423 und wahrscheinliche Zusammensetzung kleiner Spuren, dergleichenverglichen mit3424 der Denkungs-3426 und Handlungsart der Menschen überhaupt, noch mehr aber der dabey3427 Interessirten3428, durch Spuren in3429 ihren 3430 sonst bekannten Umständen3431, oder doch3432 aus den Sitten der Zeit, des Landes und der Gesellschaft 3433, eben so nothwendig.
3434Man kan3454 nicht sagen, daß man eine Gesellschaft kenne, wenn man nicht die Absicht kennt3455 wozu sie zusammengetreten ist, oder vereinigt bleibt, und wenn man der Einrichtungen unkundig ist, die zur Beförderung und Erhaltung dieser Absicht gemacht worden sind; ja selbst darum ist die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um solche Absichten und die deswegen eingeführten AnstaltenAnstalten3456 nebst deren Abänderungen zu begreifen. Diese Anstalten und Einrichtungen zusammengenommen3457 nennt man die Verfassung einer solchen Gesellschaft, dergleichen auch bey3458 der christlichen Kirche, als einer Gesellschaft betrachtet, statt finden3459 muß; und so fällt in die Augen, daß ihre Kenntniß eben so nothwendig sey3460 als die Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte, wiewohl sie auf einander ein wohlthätiges Licht werfen. Billig sollte man also diese Kenntniß der christlichen Kirchenverfassung von der christlichen Kirchengeschichte selbst absondern, ohngefähr3461 so, wie man [150] die Statistik von der Staatengeschichte getrennt hat. Weil aber dieses noch nicht, wenigstens nicht nach dem ganzen Umfang dieser3462 Verfassung, geschehen ist, und doch die Kenntniß der einen von der andern abhängt: so nehmen3463 wir sie hier als einen Theil der christlichen Kirchengeschichte.
In ihrem ganzen Umfang müßte diese Geschichte vorstellen: 1) den äusserlichen3465 Unterschied der Christen, (d. i.)das ist anfänglich nur zwischen Unterrichtenden und Zuhörern, mit gleichen Rechten bey3466 öffentlichen Angelegenheiten;3467 hernach in schon geordneten Gemeinen, bey3468 zunehmenden Vorzügen der an eine Gemeine3469 gebundenen Lehrer, zwischen Klerikern und Laikern, so wie unter jenen, zwischen Bischöfen, Aeltesten, Diakonen und den niedrigern Kirchendienern, nebst allen erst nach und nach entstandnen3470 Abtheilungen dieser Arten, unter diesen aber zwischen 1276Katechumenen, Gläubigen und 1277 Gefallnen3471, mit Einschluß der Mönche und Orden, als einer Mittelgattung, seit dem 4ten Jahrhundert –3472 den Unterschied zwischen einzelnen3473 Gemeinen3474 und nach und nach entstandnen3475 engern und weitern Diökesen –3476 die eingeführte Kirchenzucht und nachwärts3477 aufgekommene, sehr mannichfaltig3478 abgeänderte, Gerichtsbarkeit –3479 die verschiednen3480 Arten von bloßen3481 Lehranstalten, Synoden oder Concilien von sehr verschiednem3482 Umfang und Ansehn3483, Kirchengesetze und Kirchenordnungen, als Mittel, den Wohlstand der Gemeinen3484, und nachher die Gerichtsbarkeit, zu erhalten –3485 die bey3486 dem Gottesdienst [173] und kirchlichen Handlungen eingeführten Gebräuche, und darüber gemachte Ordnungen in Liturgien3487, 1278Pönitentialbüchern u. d. gl.und dergleichen 3488 2) Alles [151] dieses in seiner ganzen Verschiedenheit in verschiednen3489 Kirchen und Ländern sowohl als Zeiten, [440] und 3) bey entstandnen verschiednen3490, keine Kirchengemeinschaft mehr mit den andern unterhaltenden, KirchenparteyenKirchenparteyen3491; 4) das hienach3492 sehr verschiedne3493 Verhältniß der Kirchen gegen nicht christliche,3494 und hernach gegen christliche Obrigkeiten, der Gemeinen3495 und Diökesen gegen einander, und eben so der verschiednen KirchenparteyenKirchenpartheyen 3496 gegen einander ( (z. B.)zum Beispiel in Absicht auf Wiedertaufe der Uebergetretnen3498); endlich 5) die jedesmaligen Ursachen und Folgen des Aufkommens oder der verschiednen3499 Einrichtungen aller solcher Anstalten, besonders in Absicht auf die mannichfaltige Gestalt und den dadurch sehr verschieden gebildeten Character3500 der Christen.
Hier ist ein in der That noch sehr unbebautes Feld, das Wenige3502 ausgenommen, was hierüber in den Kirchengeschichten sehr im Allgemeinen gesagt wird, oder in Absicht auf besondre3503 Theile dieser Verfassung in einigen gelehrten Werken geschehen ist. Zwar hat man daraus unter dem Namen der christlichen Alterthümer eine besondere Wissenschaft zu machen gesucht,3504 ( (s.)siehe die 1279 Anweisung zur theol. Bücherkenntniß3505 §. 435 f.folgend)3506 aber in den meisten allgemeinern Werken dieser [174] Art, dem 1280 Bingham (z. B.)zum Beispiel und seinen Ausschreibern, wird man fast durchaus die so sehr verschiednen3507 Zeiten und Kirchen in verschiednen3508 Gegenden unter einander geworfen, und Einrichtungen der ältern christlichen Kirche beygelegt3509 finden, [441] die nur hie3510 und da oder dann und wann üblich waren; sie3511 gehen bey3512 weitem nicht über die ganze Kirche, zumahl3513 der neuern Zeiten, 3514 gemeiniglich nicht über das vierte und sechste3515 Jahrhundert hinaus; [152] zeigen meistens nur gewisse vorhandne3516 Einrichtungen an, ohne ihren Ursprung, Absicht und Fortgang zu untersuchen,3517 und erstrecken sich nur auf Einrichtungen der herrschenden Kirche, unbekümmert um die Einrichtung der verschiedenen Parteyen3518.
Gleichwohl ist die Kenntniß dieser Verfassung theils unentbehrlich, theils wenigstens sehr nützlich, 1) weil weder die Denkmahle3520, noch die Schriften, worauf sich die Kenntniß der Kirchengeschichte gründet, noch irgend ein Theil der Kirchengeschichte selbst, ohne diese Kenntniß verstanden werden kan3521. – Denn, so wie falsche Meinungen oder Mißverstand richtiger Lehren Gelegenheit zu gewissen Kircheneinrichtungen gegeben haben3522: so, umgekehrt, wurden diese wieder eine Veranlassung zu Irrthümern †). Aeusserliche3523 Einrichtungen gaben eben sowohl Gelegenheit zu Spaltungen und besondern Parteyen3524, als der Unterschied in Lehren und Vorstellungen. *) 3525 – Ausbreitung des Christenthums wurde immer [175] mehr Ausbreitung der Kirche, und der kirchlichen mehr3526 als der christlichen Lehren ††).3527 – Und überhaupt läßt sich schlechterdings nicht erklären, wie gewisse Lehren, Vorstellungen oder Ge[442]wohnheit herrschend worden3528 sind, und mit den wesentlichen Lehren des Christenthums einerley3529 Rang oder gar Vorrang bekommen haben; wie das 1285sanfte und leichte Joch Christi in das eiserne Joch der Kirche verwandelt, das innere Christenthum durch das äusserliche3530 verdrängt worden, der Geist des Christenthums, der nur durch Ueberzeugung und Liebe wirken soll, in Zwang und Unterdrückung ausgeartet, aus einer Gesellschaft, wo wir alle Brüder, und nur Einer, Christus, unser Herr seyn soll, ein geist[153]licher Staat entstanden sey3531, als aus der nach und nach entsprungenen und umgebildeten Verfassung der KircheKirche. †††).3532
Und sonach kan3554 ohne diese Kenntniß 2) kein Lehrsatz, der, ausser3555 den klaren Sätzen der Vernunft und den ausdrücklichen Aussprüchen der heiligen Schrift, in die Theo[154]logie aufgenommen worden, gründlich, und für die, welche kirchliche Tradition als Quelle der christlichen Wahrheit annehmen, überzeugend beurtheilt, noch die Unverbindlichkeit besondrer3556 Vorstellungen von einer christlichen Lehre für jeden Christen, deutlich dargethan, noch 3),3557 zur Aufrechterhaltung der christlichen FreyheitFreyheit,3558 hinlänglich gezeigt werden, daß gewisse positive Kirchenrechte uns gar nicht verbinden †).3559 Sehr nützlich ist endlich diese Kenntniß3560 4) um den Ursprung und die Absichten solcher Einrichtungen kennen zu lernen, die wir noch in unsern Kirchen haben, wohin sie aus dem frühern oder spätern Alterthum ge[444]kommen sind, und danach ihren wahren Werth oder Verbindlichkeit zu beurtheilen ††).3561
Die3594 Ursachen sowohl der Einführung als der Veränderungen solcher besondern Einrichtungen in gewissen Kirchen zu entdecken, ist, ausser3595 den andern allgemeinern Hülfsmitteln und Kenntnissen bey3596 der Kirchengeschichte, vorzüglich nöthig, die bürgerlichen Verfassungen zu der Zeit und an dem Ort, wo sie entstanden, die Beschaffenheit des Klima3597, die Volksmeinungen sowohl, als die unter den Gelehrtern herrschende3598 philosophischen Hypo[179]thesen, auch Kirchentheologie, und überhaupt die Meinungen, Gebräuche und andre3599 Einrichtungen, die unter Juden und Heiden, da, wo Kirchen gepflanzt worden, üblich gewesen, und wonach man sich bey3600 den Einrichtungen der Kirchen sehr gerichtet hat, nebst den Verbindungen zu kennen, in welchen solche Kirchen mit andern gestanden, und was in diesen für Einrichtungen getroffen worden.
Einige Theile dieser Verfassung, oder die Geschichte besondrer3602 Arten von kirchlichen Einrichtungen, sind schon einzeln bearbeitet worden, als: die Hierarchie, die religiösen Orden, die Kirchengesetze allerley3603 Art, die Kirchenversammlungen, und was zur Liturgie gehört,3604 wenigstens fehlt es nicht an Hülfsmitteln dazu †),3605 in welchen noch große3606 Schätze unbearbeitet liegen. Es wäre, nach dem, was bisher schon gesagt worden, überflüssig3607, den Nutzen des Studiums dieser besondern Theile, oder die Art, wie sie studiert werden müßten3608, anzugeben. Ob jemand diese Theile? welche? und in welcher Rücksicht? er sie besonders zu treiben habe, muß jeden sein eignes3609 Bedürfniß lehren. Für den künftigen Lehrer der Religion unter uns3610 möchte das besondre3611 Studium der Geschichte der Hierarchie überhaupt, und besonders der Päbste3612 und des Pabstthums ††),3613 so wie unsrer evangelisch-lutherischen Kircheneinrichtungen, sie mögen erst durch die Reformation eingeführt, oder aus der Kirche vor der Refor[180]mation genommen seyn, die meiste Wichtigkeit haben.
Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, der3622 sie sich dabey bedienten:3623 so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht fehlen. Denn3624 sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volke3625, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk-3626 Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte,3627 das konnte man bey3628 diesen Lehrern selbst, man konnte es bey3629 ihren Schü[449] [182]lern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und bey allen3630, die sie einmal willig hören wollten, [158] auf die Beruhigung und Besserung, als die ohnfehlbaren3631 Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren bey3632 jedem rechtfertigte, der diesen Lehren folgte3633 (
Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Laster3635 oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdann3636 bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte.3637 – Uebrigens suchten sie nur3638 richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen,3639 und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlaßen3640, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund:3641 denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerley3642 Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommner3643 zu werden, schliessen3644, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (
(Kap.)Kapitel 25, 14 flgg.folgende 3645 1 Kor. 3, 11 flgg.folgende 3646 Eph. 4, 12 (f.)folgend Ebr. 5, 11 (f.)folgend (etc.)et cetera)
Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen große3648 Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und [159] seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltnen3649 Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.
Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schüler3651 traten immer weniger Juden3652 zum Christenthum über;über, 3653 die meisten3655 neuen Christen3656 waren3657 bisherige Heiden, und3658 des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs unkundig. Die3659 Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; und3660 nachfragen konnte man bey3661 den ersten Lehrern nicht mehr. Die3662 griechische Sprache litte3663, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele Abänderungen. Die3664 Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn hineintrug. Selbst3665 die [451] Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Be[184]griffe in andere3666 Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte,3667 die heilige Schrift zu verstehen,3668 schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten gelegentlichen und populären Vortrags3669 trug das Ihrige dazu bey3670. Der populäre Vortrag ist fasslicher3671 und eindrücklicher,3672 als der gelehrte, und beydes3673 zu [160] werden3674 war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen ZuhörerZuhörer. Waren3675 diese, oder die Absicht bey3676 ihrer Belehrung, verschieden, so erklärten3677 sich auch jene erste christliche3678 Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andre3679 anders zu heben suchte, wobey3680 dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger schien †).3681 So konnte es an einer großen3682 Verschiedenheit der Vorstellungen von dem Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.
Die Gewißheit der christl.3693 Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschied3694 Christi und seiner nächsten Schüler3695 konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freylich3696 ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber,3697 daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht wären, dies3698 forderte, wenn es zuverläßig3699 seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das [161] Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Aechtheit Aechtheit 3700 ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eigne3701 und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammlen;3702 alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen;3703 die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen [453] in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern [186] erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Andrer3704 willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.
Selbst bey3706 der Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andre3707 mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiedne3708 Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes ( (z. B.)zum Beispiel Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 (etc.)et cetera) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie ferne3709? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch ( z. E.zum Exempel 3710
) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerley3711 Absicht wahr seyn ( (s.)siehe die (Anmerk.)Anmerkung zu §. 134 3712), wie fern ist jeder wahr? wie laßen3713 sie sich mit einander ver[162]einigen? oder, wenn zwey3714 Gebote nicht zugleich können gehalten werden ( (z. B.)zum Beispiel Matth. 7, 6. und (Kap.)Kapitel 10, 273715), welches geht vor? oder, wie weit kan3716 man beydes3717 beobachten? – Erweiterten 3718 sich nun3719 vollends, mit fortgehender Zeit, allerley3720 Arten der mensch[454]lichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen [187] schienen; fing man an3721 mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, nachzudenken – und dies3722 machte selbst der Widerspruch gegen manche, nebst den verschiednen3723 Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, nothwendig, wenn3724 diese Aussprüche nicht3725 schon vor3726 sich einer solchen weitern Aufklärung werth gewesen wären3727, die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen konnte –: so3728 mußten sich 3729 auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumahl3730 angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr wissenschaftliche Form3731 christlicher Kenntnisse.
Hier haben wir den3733 Ursprung der systematischen Theologie, oder der Theologie, im Unterschiede von der ReligionReligion3734 (Theil 1.3735 §. 3 3736 (Anm.)Anmerkung 2),3737 im eigentlichsten und engsten Verstande ( Th.Theil 22. 3738 [188] §. 1 3740), (d. i.)das ist des zusammenhängenden InbegrifInbegrifs3741 gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegrif3742 der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen ordentlichen3743 Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.
Man darf nur auf die bisher beschriebne3756 Art Acht geben, wie systematische Theologie ent[456]standen ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es sey3757, daß man die christlichen Lehren in ein solches [189] System gebracht habe. Wer sich einer christ[164]lichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt;3758 oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kan3759: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zwey3760 biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr sey3761, und mit dem andern bestehen könne. †) 3762 Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweydeutigen3763 Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen Zusammenhang zu finden, leitet mich3764 oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er mich3765 aufmerksam macht, anderweitigen Beyspielen3766 von dem Sprachgebrauch nachzuforschen, bey3767 dem [457] ich3768 allein den3769 Satz 3770 denkbar finde ††).3771 Oft finde ich3772 auch bey3773 dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und kan3774 daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis ich3775 ihn [190] erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstelle3776, und dadurch von meinem3777 Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, mich3778 nach einen3779 richtigern Sinn umzusehen. Schon dies3780 ist also ein großer3781 Vortheil, den mir dieses3782 Zusammenstellen und der Versuch, [165] die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß ich3783 dadurch den wahren3784 Sinn dieser Sätze entdecken kan3785, ohne welchen alle meine3786 Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.
††)2) Wie beybei gedachter Stelle 1 Joh. 3. und beybei solchen, wo es scheint, daß Gott für die Ursach des Bösen ausgegeben werde; welcher in die Augen fallende Mißverstand gänzlich gehoben wird, wenn ichman aus ähnlichen Redensarten Apostelgesch. 13, 2929. und Kap.Kapitel 1, 1818. gelernt habehat, daß die Ebräer von jeder entfernten, selbst mit Mißfallen verknüpften Veranlassung einer Handlung, alsgerade wie von einer Ursach derselben reden. {Ob freilich die strenge Bestimmtheit und Consequenz bei so populären und selbst im Schreiben ungeübten Schriftstellern, ἰδιώταις λόγου, wie die V. des neuen Testaments waren, überall angenommen und vorausgesetzt werden dürfe, ist eine andere Frage. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 3822Zur Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Sätze3833 müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließen3834, [167] oder diese ohne jene nicht bestehen können †).3835 Indem ich3836 sie ferner mit andern Sätzen zusammenhalte3837, so sehe ich3838 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, füge3839 also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhüte3840 dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt wird ††).3841
Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andre3863, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder dergleichen3864 Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kan3865 sehr viel beytragen3866 zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen auch3867 in den gemeinen Unterricht, oder nur3868 für GelehrtereGelehrtere3869 gehören; 3870 zur Beruhigung unsrer selbst3871, wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; 3872 zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Lehren3873 anders denken als wir; 3874 zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen. †) 3875 Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und ZusammenstellungZusammenstellung?3876 die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen können.können! Denn3877 wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander? ††) 3879
Alle diese Vortheile kan3903 die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. Denn3904 6) schon3905 für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und in3906 reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großer3907 Vortheil, wenn ihm Andre3908 darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfunden3909 worden, mit eigner3910 Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes BeyspielBeyspiel3911 die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch für3912 Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseits3913 für3914 Trägheit bey3915 dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kan3916. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes [197] System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, bey3917 der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende [464] zu dem Nachfolgenden zubereitenzubereitet 3918. Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und [171] mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großes3919 Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so im3920 Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich dessen3921 eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.
Freylich3923 führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselben3924 nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Andrer3925 Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eigner3926 Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an [198] dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachläßigt3927; man be[465]gnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßen3928 will, das recht unbefangne3929 Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerley3930 Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beyzulegen,3931 und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche [172] menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabey3932 die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsre3933 Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, je3934 mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelne3935 Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Un[199]nützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände [466] und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so verstellt3936, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich worden3937, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.
Alles dieses ist wahr;3939 ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großen3940 Vortheile dieser Lehrart nicht zu verleugnen3941, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die syste[173]matische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen beytragen kan3942, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert werde †). Ja3943 diese Forderung ist bey3944 einzelnen3945 Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studieren3946, mit [200] welchen man sie in dem System behauptet ††); ††), 3947 als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, [467] eine weit größere3949 Biegsamkeit der Seele, um sich in Andrer3950 Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen. †††) 3951
Zuerst müßte man überall bey4015 einem christlichen System 4016 die heilige Schrift zum Grunde 4017 legen. Es kommt aber dabey4018 so viel auf die Art an, wie dieses geschieht, und es werden dabey4019 so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen rechten Gebrauch der heiligen Schrift,4020 zu dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. Hier müßte4021 1) znvörderstzuvörderst 4022 ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unsrer4023 gedruckten Bi[204]beln falsch oder unsicher, und eine Stelle unächt4024 ist, daß man darauf auch im System nichts bauen dürfe †) 4025 (§. 24).4026 b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt sey4027, was in der heiligen Schrift als Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man erwegterwägt: –4028 daß Gott seine in der heiligen Schrift enthaltnen4030 nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweise4031 deutlicher bekannt gemacht habe; –4032 daß Jesus und seine [471] Apostel selbst4033 theils von den Offenbarungen im alten Testament4034 als von einem noch unvollkommnen UnterichtUnterricht 4035 sprechen, theils ganz andre GesinungenGesinnungen 4037 von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (
(K.)Kapitel 4, 9 (f.)folgend Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besondres4039 Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet istsey ††);4040 –4042 daß hingegen die eigentliche Belehrung für Christi Schü[177]ler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kan4043 der große4044 Unterschied zwischen den Büchern 4045 neuen und alten Testamentes, als einer Quelle4046 und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geleugnet4047 werden.
Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche 4055 wissen wir allein4056, [472] welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandten4057, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht haben; und in4058 dieser zwiefachen Kirche hat es unleugbar verschiedne4059 Meinungen über das göttliche Ansehen einzelner4060 Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehre4061 schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andre4062 dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumahl4063 da nie ein göttliches4064 Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen,4065 und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sichs4066 doch von andern, zumahl4067 1353historischen, bewei[178]sen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in [206] einzelnen4068 Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben sind4069, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücher4070 oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondre4071 Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, [473] Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur den4072 Inhalt nach, auch für andre4073 Arten von Lesern, hingegen, der Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließen4074, daß weder alle Bücher der heiligen Schrift, noch alle Stellen derselben, noch vielweniger4075 alle Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt. 4076
4077Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §. 145 432 angegebnen4083 Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die 2te4085 Hauptfrage (§. 145 4086) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen sey? Dies4087 gründet sich auf die richtige Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kan4088 daher das früh[474]zeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kan4089, gewisse Lehren in der Bibel zu suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel anzunehmen, wie man sie darin findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben bey4090 der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabey4091 gar zu oft übersehene Fehler.
Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckt4115, so wäre I)4116 vor allen Dingen zu untersuchen, ob die Wörter4117 und Redensarten4118, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen wärensind. Denn4119 wäre4121 das Letztre4122, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beylegen4123, die gar nicht darin behauptet wären, und wäre das Erstere,4124 Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich dies4125 gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht zuläßt †),4126 oder durch beystehende4127 Anzeigen ††) 4128 oder Anspielungen †††) 4129 zu [181] erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint sey4130. Giebt aber beyderley4131 Bedeutung einen denkbaren Sinn:4132 so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden [476] werden, nach der eignen4133 Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem Zusammenhang *),4134 oder in offenbar ähnlichen Stellen **),4135 oder nach dem Zweck eines Ausspruchs ***),4136 oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem bey4137 den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller. ****) 4138
Und4217 nun den 4218 Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke.4219 Dieser ist oft schon mitgefunden, [212] wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen sey4220, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztre4221 aus den eignen4222 Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer auf4223 die eignen4224 Erklärungen der heiligen Schriftsteller †), und,4225 wo die nicht gleich dabey4226, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche Stellen ††) 4227 Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solche4228 uneigentliche Ausdrücke verschiedne4229 Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben. †††) 4230 Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt:4231 so kan4232 man da[479]nach ähnliche *),4233 und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.
Hiernächst (§. 148. 4321) müßten4322 wir uns II)4323 sowohl bey4324 diesen uneigentlichen als überhaupt bey4325 allen Begriffen und Sätzen der heiligen Schrift dies4326 zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er sey4327 an sich so wahr, oder unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff sey4328 wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder 4329 Redensart [215] geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kan4330 etwas wahr, und doch von jemand4331 nicht ge[186]meint; es kan4332 eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kan4333 etwas nach unsrer4334 Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kan4335 ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kan4336 er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift lernen sollen:4337 so müssen wir auch nur sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu unsrer 4338 Art zu reden und zu unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das Biblische auf, da fangen unsre 4339 Zusätze an. So ungereimt es [482] ist, so gewöhnlich ists doch, dies Beydes4340 zu verwechseln: dieses steht in der Bibel, und es steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letztere4341, worauf es doch hier allein ankommt.
Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man hinter4374 den4375 Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt komme,4376 (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie ich4377 den bestimmten Sprachgebrauch, vornemlich4378 in Rücksicht auf [484] Lehrbegriffe, (d. i.)das ist wie ich4379 finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerley4380 Umfang nehmen ( (z. B.)zum Beispiel πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen GesichtspunctGesichtspunct4381 erwähnen4382, woraus man sie ansehen kan4383, [218] daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden (u. s. f.)und so ferner Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnen4384 Stellen untersucht, hernach diese einzelne4385 Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beyden4386 Fällen würde man sowohl auf die einzelnen4387 Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müßen4388, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.
Worauf hätte man also III)4390 (§. 150. 4391) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundne4392 Begriffe in einzelnen 4393 Stellen genommen werden? Hier müßen4394 wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache, [189] der sie sich bedienten, besonders in der 1381 ebräischgriechischenebräisch-griechischen †)?4395 2) Bekommen sie in einzelnen4397 Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft brauchen4398 sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen BedeutungBedeutung ††); ††), 4399 sie legen ihnen gereinigtere Begriffe unter †††); †††), 4401 sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken verbundeneverbundne Begriffe *); *), 4403 sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch näher **).4406 Wie dieses alles in eine4407 Stelle sey4408, das müßen4409 die [219] schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.
Eben darauf muß man 3) bey4473 ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von wem4474 reden sie allein4475 in einer Stelle? †) 4476 wie weit legen sie ihnen etwas bey4477, oder fordern es von ihnen? ††) 4478 4) Haben sie [221] aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben:4479 so muß es nach dem verstanden werden, was sie bey4480 ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen [191] bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen konnten *).4481 Indessen müßte man sich dabey4482 bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel bey4483 denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdann4484, was wir dabey4485 denken müssen, nur wahrscheinlich sey4486, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.
Weil es nun aber IV)4526 zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehn4527, [223] die darüber einiges Licht geben können (§. 152 4528): so müßte man 1) alle Stellen sammlen4529, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden,4530 wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen kan †).4531 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft:4532 so müßte man auch den4533 durchaus daran binden ††).binden. 2) Wären4534 aber 3) diese Begriffe in verschiednen4536 Stellen verschieden angegeben:4537 so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der GesichtspunctGesichtspunct4538 aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald die4539, bald eine andre4540 Bestimmung bekommt †††);4541 doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiedne4542 Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen ließenlassen *);4543 und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen,4545 das, was von ihnen gesagt wird, erklären und bestimmen **);4546 6) nirgends [193] aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebne4547 Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen laßen4548, mit [490] welchen und nach deren Bedürfnissen sie reden ***) . ***). 4549
Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Ge[227]sagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßes4639 BildBild †),4640 oder aus Herablaßung4641 zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist ††) 4642 – denn dieses beydes4643 gehört doch [493] offenbar nur zur Einkleidung der Lehre –;4644 wenn man 2) das bey4645 Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt hat †††); †††), 4646 und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerley4648 Begriff und Sache, und welche sie? bezeichnen *):4649 so gelangen wir theils zu gewissen Hauptbegriffe Hauptbegriffen **),4650 theils zu gewissen Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen bestehn ***) 4651 welche das ganze in der heiligen Schrift angegebne4652 Verhältniß zwischen Gott und uns, (d. i.)das ist unser Elend und4653 Verderben, 4654 die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsre4655 daraus entstehende4656 Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen. 4657 Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen,4658 und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner [196] Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Andrer4659 abgehen mögen ****);4660 und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andre4661 beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden muß *****).4662
Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kan4727 man hernach 4728 (§. 145 4729) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren philosophirenphilosophiren *).philosophiren. *) Und4730 wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Chri[230]stenthum gebracht:4732 der hat zwar Beyspiele4733 genug für4734 sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es bey4735 keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt;4736 aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn –4737 nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kan4738 entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles [198] vernünftigen Denkens, oder so fern4739 sie unwidersprechliche Vernunftsätze4740 [496] enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst bey4741 Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und bey4742 dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der PrüfsteinPrüfstein4743 aller Wahrheit,4744 als nichts wahr seyn kan4745, was sich nicht mit ihnen verträgt. Wer beyde4746 nicht 4747 für das will4748 gelten laßen4749, was uns bey4750 aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könne4751, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könne4752, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müsse4753, es müssen GrundsätzeGrundsätze4754 überall vorausgehen, die mir4755 zeigen, wie und wonach ich4756 Wahrheit, auch bey4757 Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung 4758 ihres Sinnes, finde4759.
Haben wir nun eine Menge theils 4764 von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift 4765 geschöpft sind4766, theils von vernünftigen Regeln und Sä[497]tzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das erste bey4767 Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirk[199]lich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt:4768 so muß entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich wahr †),4769 oder der biblische Satz muß unrecht verstanden ††),4770 oder unrecht bestimmt seyn, (d. i.)das ist man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen haben †††).4771 Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kan4772 man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.
Ausser 4863 dem (§. 157 4864) bleibt noch übrig, die Begriffe durch ErklärungenErklärungen4865 oder Beschreibungen4866 deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen [235] zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kan4867. – Wie weit man hierin gehen müsse, dies4868 müssen4869 die [202] Absicht solcher Untersuchungen, das Maaß unsrer4870 Kräfte und Kenntnisse, und unsre eignen4871 oder dererjenigen Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.
Denn die Absicht dabey kan4873 entweder VerbesserungVerbesserung4874 der Erkenntniß, oder des Willens4875 seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher [501] Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beyträgt4876, ist keiner Untersuchung werth;4877 es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm brauchen4878 könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kan4879, ist keines von beyden4880 möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.
Indessen kan4882 nicht jeder alles4883 oder beydes4884 gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobey4885 man nicht mit eben der Anstrengung das andre4886 eben so Nützliche treiben kan4887. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachläßigen4888, aber doch vorzügliche Beschäftigungen4889 damit denen überlaßen4890, die dazu geschickter sind, und mehr [203] durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.
Vornemlich4900 ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, [237] was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was ich geniessen will,4901 daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist,4902 daß also Anwendung meiner4903 Erkenntniß zu meinem4904 oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und ich kan4905 entweder gar nicht, oder nicht ohne größern4906 Schaden, genießen4907 oder anwenden, wenn ich4908 das, was ich brauchen4909 will, noch nicht erlangt habe4910, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob mir4911 es gut ist, ob ich4912 nicht über dem Genuß das mir4913, dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kan4914 hier, wenn die Frage von dem ist, was ich4915 jedesmal [503] vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11);4916 und wenn meine4917 Besserung und Beruhigung BeruhignngBeruhigung 4918 auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueber[204]zeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, mir,4919 unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger 4920 seyn mag.
Dieses mein größres4922 Bedürfniß 4923, und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch [238] die Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit ihr Gutes und ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 f.folgend).f.) Was4924 diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirt4926 uns auch mehr, und setzt unsre4927 Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unsrer4928 Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§. 132 4929 (f.)folgend) – Jede Zeit hat ihre eigne4930 Angelegen[504]heiten, die am meisten zur Untersuchung anziehn4931, und so allgemein bey allen4932, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sind4933 zu verschiednen4934 Zeiten4935 die Beschäftigungen mit den einzelnen4936 Sachen, die dazu4937 als Mittel4938 etwas beytragen4939 können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Andern4940, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichen4941 allezeit weisen VorsehungVorsehung4942, jede Zeit für die folgende, und diese letztere4943 [205] sollte nicht das Vorbereitete benützen4944, und 4945 für die wieder4946 folgende arbeiten?
Selbst die glücklichen und4948 mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu [239] stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die FreyheitFreyheit4949 der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kühlblütigern4950 Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Re[505]ligion, gebildet ist; wenn selbst die größere4951 Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beyzulegen4952, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kan4953, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdann4954 ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu brauchen4955, und das von uns oder Andern Gefundne4956 mit Weisheit auszubreiten.
Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommne4958 Wendung, [240] Gelegenheit zu mancherley4959 Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der [506] nach Wahrheit und gegründeter Ruhe durstenden4960 des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: – alsdann4961 wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verrätherey4962 gegen die göttliche Wahrheit, offenbare4963 Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großem4964 Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.
Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Muße4996 hätte, wenigstens jeder LehrerLehrer4997, sein christliches System bilden; und alsdann4998 wäre es Zeit, auch Ande [208] rer Vorstellungen zu hören. Denn –4999 der bloße5000 Selbstfor[508]scher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspuncten5001, wohin er alles5002 allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß AufspürungAufspürung5003 des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben:5004 warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzen5005, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsre5006 Aufmerksamkeit auf Vieles5007 lenken, was ihr entwischt5008 ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir 5009 vollends als Lehrer5010 Anderer5011 auftreten:5012 so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die [243] Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten laßen5013 können. Es erforderts auch die Weisheit und5014 Gerechtigkeit gegen Andre, unsre5015 Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzuschmiegen;5016 ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen;5017 und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeit5018 ein Mißtrauen oder 5019 Abneigung zu erregen, das5020 einen Lehrer der Religion so sehr hindert, bey5021 Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Andrer5022 Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.
5023Diese Vorstellungen Andrer sind5025 entweder solche, welche5026 in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigem5027 Ansehen erlangt haben5028, oder 5029 Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnen5030 gelehrten Männern angestellt sind. Die erstern verdienen unsre5031 Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie das Vorurtheil vor5032 sich haben, daß sie nach öftrer5033 Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehr5034 wegen der so eben (§. 165 165. ) erwähnten5035 GründeGründe für einen5037 öffentlichen LehrerLehrer5038. Die letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse [244] über Religion und Christenthum zu versprechen, zumahl5039 wenn sie den Beyfall5040 der gelehrtesten und untersuchendsten5041 Männer für5042 sich haben. Denn bey5043 solchen besondern Untersuchungen einzelner5044 Lehrsätze kan5045 man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kan5046 erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter LehrfreyheitLehrfreyheit5047 zurückgehalten worden, freye5048 Untersuchungen anzustellen; der [210] Beyfall5049, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt sey5050; und, wenn solche Untersuchungen von Männern5051 herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung [510] der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen5052 nicht absprechen kan5053: so kann5054 man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraße5055 folgen.
Indessen ist eigen eigne 5057 Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? dies5058 ist doch eigentlich die Hauptsache, davon muß man wollen5059 im System unterrichtet seyn 5060; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt hat, diesdas 5061 zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von [245] gar keinem5063 Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlaßen5064 werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter allem5065, was bisher worüber5066 gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte? 5067 – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntem5068 Verfahren5069 von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.
5070Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und es ist übel gesprochen5072, wenn man sagt, daß 5073 Wahrheit leiden, 5074 Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kan5075. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so laßen5076 sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht bessere5077 Erklärung einzelner5078 Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natür[246]lich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kan5079 die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.
So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß da[512]durch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn [212] die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses bey5081 der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unsrer5082 Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, (d. i.)das ist auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsre5083 Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornemlich5084 klar machen, und diesen recht darstellen,5085 das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.
Zu diesem5124 guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisser5125 dem System eigenthümlichen5126 Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der Schulsprache 5127 belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber biblische5128, zum Theil auch mystische5129, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Le[214]bens, eingeführt wissen †).5130 Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweydeutig5131 [249] sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernt5132, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man bey5133 einem5134 Vortrag5135 nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst bey5136 undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die 5137 Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kan5138, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen kan ††; ††); 5139 wahr ists5141 endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstellet5142, so wird [515] die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herz5143 weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffe5144 wie andre5145 Arten der Sprache *),5146 und, was beynahe5147 das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so inniglich5148 mit den 5149 Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt. **) 5150
Dieses alles5184 beweiset aber nur:5185 daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überall5186 nöthig, oft, und in den5187 gemeinen VortragVortrag insbesondre5188, [251] unschicklich sey5189; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sey;5190 lauter5191 Vorwürfe, die man den andern Arten der Sprache, welche5192 man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst,5193 mit eben dem Recht und Unrecht machen kan,5194 wie dieser 5195. Hingegen beweiset [216] alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortrag5196, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig sey5197. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr große5198 Vortheile, die ganz verlohren5199 gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja [517] gerade in den gründlichsten,5200 theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kan5201. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können bey5202 Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben [252] dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebnen5203 Schriften ein großer5204 Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen 5205 würde verlohren gehen5206; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens 5207 theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.
Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn 2)5209 lassen sich 5210 manche [217] Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdrucken5211, als durch Hülfe dieser Sprache †); †) 5212 und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächt[518]niß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großen5214 Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe,5215 wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die ZweydeutigkeitZweydeutigkeit5216 der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist;5217 und wenn alles dies5218 durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus kan5219 verhütet werden 5220, wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? aus5221 wie vielerley5222 Verwirrung hilft sie, welche die [253] Quelle aller Ungewißheit ist? *) 4)5223 Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen. **) 5224
Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, [521] rührten freylich5279 wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden möchte; ob man gleich5280 [256] von der Billigkeit dieser Gegner erwarten kan5281, daß sie würden5282 milder geurtheilt haben 5283, wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie,5284 und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr,5285 aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbin[220]dung unter einander, die großen5286 Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jeder5287 Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl bey5288 Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben,5289 und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unsrer5290 Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags bey5291 dem Christenthum einzusehen.
Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten 1445 scholastisch scholastischen,5303 1446 akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder 1447 katechetischen Theologie hervorgebracht, wel[221]cher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. –5304 Jene ist für den Gelehrtern5305 bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in inin 5306 einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. –5307 Diese hingegen, [523] weil sie für den Ungelehrtern5308 bestimmt ist, übergeht alles5309, was ohne gelehrte Kenntniß nicht be[258]greiflich gemacht werden kan;5310 schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen,5311 sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kan5312, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kan5313, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist FasslichkeitFasslichkeit,5314 und kan5315 sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht fasslichfaßlich machen:5316 so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrtern5318 Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und [222] Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kan5319. Kurz, beyde5320 Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.
Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kan5361, der den wahren Zweck beyder5362 Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessener5363 ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zuträglicher5364; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulaßen5365; es muß dem noch schwerer werden, der sich bey5366 Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltne5367 Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.
Auf der andern Seite ist die scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§. 174 5369), in ihrer Art eben so nothwendig,5370 erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige [224] Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel be[526]waffnet, oder davon befreyet5371 werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloße5372 Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben; hernach 5373, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist. †) 5374
Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumahl5422 durch gelehrte Lectüre5423 gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. gemeldeten5424) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrte[528]ren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andre5425 Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für andre5426 denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertrauet5427 sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kan5428 er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder [226] können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kan5429, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommnere5430 Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen bey5431 ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kan5432 er sich aber dieses bey5433 Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? –5434 Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht:5435 so hätte5436 er sie zu seiner eigen eignen 5437 Ueberzeu[264]gung nöthig, wozu er viel mehreres und es5438 viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßen5439 Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und sich5440 durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, [529] oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von ganz gemeinen5441 Fähigkeiten zu thun haben, 5442 daß er sie nicht5443 zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen;5444 auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, ausser bey5445 bloß einfältigen und alles5446 mit blinden5447 Glauben annehmenden Zuhörern, und nur dann5448, wo5449 keine geschicktere5450 Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.
Die von einigen5472 immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere TheologieTheologie5473 sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§. 142 5474 (f.)folgend und §. 171 5475 (f.)folgend), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt brauchen5476, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verra[266]then, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Art5477 sie zu behandeln5478 [228] nicht erkennte5479 oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind entweder bloß zufällig, oder es sind keine Fehler. –5480 Man hat jene in unsrer5481 Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelaßen5482, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, aufgenommen. Man5483 hat durch bessere5484 Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen,5485 eine große5486 Menge von Zweifeln und Streitigkeiten abgeschnitten. Man5487 erinnert bey5488 dem, was zur hi[531]storischen Kenntniß verschiedner5489 Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu diesen 5490 Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden verdiene. Man5491 bestimmt bey5492 dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eignen5493 Ueberzeugung und zur5494 Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen seysei. Man5495 bedienet5497 sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähnten5498 Umständen (§. 172 5499) nützlich oder gar nothwendig ist; man hat sogar5500 angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, ausser5501 der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesen5502 noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt [267] noch mehr thun werde. Was5503 bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallende,5504 Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.
Aber die Gegner5506 der gelehrtern TheologieTheologie5507 übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht da für Letztre5508, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie dann5509 gebildet, oder soll gar nur5510 in der Religion 5511 für den [532] großen5512 Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, bey5513 Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht braucht5514, zu sorgen? bey5515 der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen kan? bey5516 Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eignen5517 [268] Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eignen5518 Art zu denken umändern, vor seine eigne5519 Ueberzeugung bringen, in seine eigne5520 Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kan,5521 der ist zum Lehrer Andrer5522 verdorben, und5523 wird alles5524, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden: [230] so gewöhne er sich nur, alles5525, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Andrer5526 Beru[533]higung und Besserung, zu betrachten; alsdann5527 wird er bald selbst finden, was dazu etwas beytrage5528 oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kan5529; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und laßelasse sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdann5530 hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung,5532 vorsagen zu laßen5533, in der er sie vortragen soll.
Man hat die gelehrte oder vielmehr5535 scholastische Theologie auch noch durch eine andere [269] Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische entgegen gestellt5536 hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen:5537 so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen5538, darin überein, daß sie die Theologie lediglich wollen5539 aus der Bibel hergeleitet wissen 5540, und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßer5541 Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, fließen. Sie5542 scheinen also unter scholastischer Theologie5543 (oder, wie sie [534] es bisweilen nennen, unter dem System System)5544 einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, so fern5545 er nicht bloß auf die heilige5546 Schrift, sondern auch auf natürlich be[231]kannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heilige5547 Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe;5548 daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachläßigt;5549 daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heilige5550 Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen alles5551, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beygetragen5552 haben.
Es wird also bey5554 Beurtheilung des Streites über den Vorzug der biblischbiblischen5555 vor der scholastischscholastischen5556 Theologie auf zwey5557 Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig sey5558, in der Religion, wenigstens bey5559 dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähnte5560 biblische Theologie jener vorzuziehen sey5561? Die erste Frage ist für die Unschuld, [535] den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenige5562 hinlänglich entschieden, was darüber §.5563 138–144. 176 und 177 177. ) 5564 gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und dies kan5566 zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist. 5567 Die zweyte 5568 Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiednen5569 Vorschläge hört, wie eine [232] solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.
Alle diese Vorschläge scheinen auf zwey hinaus zu laufenhinauszulaufen 5571. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem frey5573 bleibe, sich [271] das dabey5574 zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn scheine. Oder 5575 man schlägt vor: bey5576 jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehn5577, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten,5578 hingegen alle Sä[536]tze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kan5579, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließen5580.
Der erstere Vorschlag mag bey5582 Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteyen5583, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. Aber, ausser demausserdem 5584 daß eine solche Sammlung ein bloßes5586 Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kan5587 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem [233] 1455 Catechismus5588 der Quäcker, einigen Aufsätzen der 1456Socinianer (u. a.)und andere weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kan5589 [272] es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. Ueber dieses kan5590 man 2) durch eine solche bloße5591 Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andre5592 ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu5593 gedenken, daß 3) [537] wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, (z. B.)zum Beispiel der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließen5594 als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beybehielten5595, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden,5596 daß alsdann5597 sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehn5598, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das viele5599 vorgeben, eine sehr zweydeutige5600 Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, andern5601 Staub in die Augen gestreuet worden sey5602, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beyspiele5603 bedarf.
Die zweyte 5605 Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§. 145 5606 (f.)folgend) be[273]schriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur [234] eine besondre5607 Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegensetzt5608, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit den5609 aus der Bi[538]bel gezognen5610 verbindet. *) 5611 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen;5612 die scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdann5613 erst die Beweise aus der Bibel;5614 ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt war. Beywar; bey beyderley Methode5615 hat man die Lehren auf einerley5617 Art gefunden,5618 sie werden nur denen5619 Lesern oder Zuhörern in verschiedner5620 Ordnung vorgelegt. Beyderley5621 Methoden haben ihre Vorzüge5622. Die sogenannte biblische,5623 nicht sowohl darin, daß man dabey5624 viel mehr auf die heilige Schrift sieht, aus ihr lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu suchen – (denn5625 man kan5626 ja auch schon bey ErklärungErklärung5627 der heiligen Schrift auf die Sätze schielen5628, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene erklären –),5629 als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die [274] Lehren nur aus einzelnen5630 Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen,5631 und, indem man sich an solche einzelne5632 Stellen hält, vergisst5633 man die Aufschlüsse, die uns [235] die Bibel nicht [539] sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt ( (s.)siehe §. 154. 5634 (Anm.)Anmerkung †,5635 und §. 153. 5636 (Anm.)Anmerkung *)5637 Auch führt diese Methode b) zu gar zu großer5638 Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger überlaßenüberlassen könnte †),5639 und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nehmlichen5641 Sätze wiederholt5642; und, da bey5643 einzelnen5644 Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.
Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern auch ohne sie5662 bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnt5663, oder nur berührt, nicht ausgeführt;5664 weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrem5665 Vortrag5666 nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung andrer5667 eben so wichtigen5668 Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die über[237]haupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehr5669 eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin [276] bekannt waren, oder ohne besondern Unterricht von Christus, s. Jesus ChristusJesus Christus Jesu den Seinen5670 bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedem5671 vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? – warum5672 nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammlet 5673 und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar znzu 5674 machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 175675); hat er dabey5676 offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (
und anderwärts); haben dies5677 seine Apostel mit dem christl.5678 Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? –5679 Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 215680): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedruckte5681 [277] Pflichten, und wie 5682 sie für uns allgemeine5683 werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtun[238]gen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.
S.Siehe Prüfung der philosophischen Predigten, (von Hess, Felix Felix Heß ,) 1767. in 8. 5684Eine andre5687 Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondre5688 Wissenschaften zerfället hat, ist nach5689 den verschiednen Arten5690 der Lehren gemacht5691, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jener5692 Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, und einen solchen5693 Inbegriff dieser5694, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man bey beyden5695 die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kan5696: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die positiv positive oder5697 didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.
Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Art 5730 die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedene5731 Theile derselben keiner Weitläuftigkeit;5732 und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnen5733 Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrem5734 Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.
Wenn also die dogmatische Theologie oder christliche Glaubenslehre †) 5736 noch von den gedachten beyden5737 andern Wissenschaften unterschieden wird:5738 so müßte5739 sie, sollte5740 sie ihrem Zweck (§. 186 5741) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) alles5742 enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unsrer5743 Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, 5744 aus der heiligen Schrift oder aus unleugbaren5745 Sätzen der Vernunft [241] erkennbar seyn; 5746 2) die verschiednen5747, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit müßte5748 nach einer doppelten Rücksicht bestimmt werden5749: erstlich nach [281] ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der Menschen ††); sodann ††), sodenn 5750 auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beyfall5752 gefunden hat, zumahl5753 wenn sie Unterscheidungslehre ganzer KirchenparteyenKirchenparteyenKirchenpartheyen worden5754 ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da bey5756 der christlichen Erkenntniß alles5757 auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so [546] müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt werden *).5758
Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man bey5782 Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hätte5783. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, (d. i.)das ist von seiner und unsrer5784 Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, unsrer5785 erforderlichen Gemüthsbeschaffenheit5786 wenn seine Absichten mit uns [283] erreicht werden sollen, unsren5787 daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden [243] muß, – zur Moral, denn unsre5788 Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man bey5789 Andern befördern, oder [548] welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unsrer5790 Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unsrer5791 Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer vorhandnen äusserlichen5792 Kirche5793 zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beytreten5794 müssen?5795 und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiednen5796 Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großen5797 Nutzen hat.
Bey5811 dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie würde5812 es hauptsächlich darauf ankommen5813, daß man sich 1) daraus5814 sowohl die LehrenLehren5815 als die VorstellungenVorstellungen davon5816, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerkte5817; 2) genau auf die Beweise Acht gäbe5818, womit beyde5819 unterstützt werden, und [285] wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heil.5820 Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lernte5821; 4) die Beweise für beyde5822 sorgfältig prüfte5823, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, (d. i.)das ist ihren Einfluß auf andre5824 Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen zu lernen5825, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen suchte5826 (§. 169. 5827 Anm.Anmerkung).5828 Je vorsichtiger man hier bey5829 jedem Schritt ist; je mit5830 unbefangnerm Gemüthe man alles5831 prüft, bereit, die Wahrheit, sie sey5832 alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich [550] findet; je mehr man sich für5833 Gleichgültigkeit auf einer, und für5834 Vorwitz, (d. i.)das ist Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es uns5835 um wahre Besserung und Beruhigung [245] durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: je sichrer, glücklicher5836 und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.
Anm. Anmerkung Die hieherhierher gehörigen allgemeinernallgemeinen Bücher s.siehe in der Anweisung etc. et cetera §. 233 flg.folgend folg.folgend, und von der Beurtheilung ihres Werthes ebendaselbst §. 225 und 227. Für diejenigen Leser, denen zunächst das gegenwärtige Buch bestimmt ist, d. i.das ist für solche, die, beybei vorausgesetzten übrigen nothwendigen VorerkenntnisseVorerkenntnissen, nach einer gründlichern und gelehrtern Kenntniß dieser Wissenschaft trachten, und sie vorfür sich selbst studieren wollen, würde ich unter den ältern Lehrbüchern Buddeus, Johann Franz Jo. Io. Franc. Buddei Institutiones Theologiae Dogmaticaedogmaticae, Lips. 1723 in1723. 4.; doch noch mehr, theils an sich, theils nach den Bedürfnissen unsrerunserer Zeit, Doederlein, Johann Christoph Jo. Io. Christoph. Döderlein Institutio Theologi Christiani, Edit.Editio 2.6. Norimb. 1782 in 2 Bänden in gr.groß 8.1797. ; und die Epitome Theologiae Christianae von Morus, Samuel Friedrich Nathanael S. F. N. Morus , Lips. 1789 in 8.1799, Ed.Editio 4., vor allen Büchern dieser Art empfehlen. {Eine recht gute Uebersicht des historischen, dogmatischen und polemischen Theils der Dogmatik giebt Seiler, Georg Friedrich G. F. Seiler Theologia dogmaitico-polemica cum compendio historiae dogmatum. Erlang. 1789. Den streng kirchlichen Lehrbegriff stellt auf Storr, Gottlob Christian C. C. Storr doctrinae christ. pars theoretica. Edit.Editio 2. Stuttg. 1801., und deutsch von Flatt, Carl Christian Flatt , 1803. Unter den neuesten von demselben auf sehr verschiedenen Wegen abweichenden Systemen, sind die Lehrbücher von Henke, Heinrich Philipp Conrad Henke, Ammon, Christoph Friedrich von Ammon, De Wette, Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Wegscheider, Julius August Ludwig Wegscheider und andern bemerkenswerth. Letzteres stellt am anschaulichsten die rationalistische Ansicht des christlichen Religionssystems auf. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 5837Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die PolemikPolemik5855 und MoralMoral5856 getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§. 189 5857). Mit ihr könnte das, was man der Polemik 5858 angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§. 186 5859 (Anm.)Anmerkung 3); so wie diese auch ei[246]gentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhang5860 vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik. †) 5861 Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §. 186 5862 gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiedner5863 Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf unternommene5864 Untersuchung, übereinstim[551] [287]men, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen GesichtspunctGesichtspunct5865 anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie einerley Gesichtspunct genommen5866 hätten5867 oder nicht. Ist das Letztere5868, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in so fern5869 ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste bey5870 solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kan5871. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen ParteyPartey5872 ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat;5873 damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefasst5874 und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andre5875 Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdann5876 4) die Gründe der Gegner wider unsre5877 und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vor[247]legen, und zeigen, daß sie entweder unsre5878 Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.
Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt;5885 so läßt sich der große5886 Nutzen, den sie haben kan5887, nicht verkennen. Schon dies5888 wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiednen5889 Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lernte5890. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß unsre eigne 5891 Vorstellung gar nicht die einzige mögliche sey5892, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsre5893 [289] Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges nöthige,5894 die Lehre selbst aufzugeben 5895. [553] Man lernte, dasdaß Vieles5896, was verschrieen ist, so gefährlich nicht sey5898, daß wir uns dafür5899 entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müssten5900. [248] Man stieße5901 selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte;5902 und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter worden5903, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits für5904 Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern aber5905 für5906 Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.
Selbst 2) unsre5908 Ueberzeugung von der Wahrheit, und die5909 Standhaftigkeit bey ihr,5910 würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, bey5911 jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdann5912 nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädlich5913 Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, [290] und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteyische5914 Untersuchung hindert. Wir lernen [554] durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne,5915 und so leidet unsre5916 Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unsrer5917 Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sey,5918 und so befreyt5919 sie uns von einem Irrthum.
In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen andre5921 lernen, die durch diesen [249] Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum sey5922 geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mitentkräften5923 müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsre5924 Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsre5925 Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigsten5926 Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was [291] zur gründlichen Beurtheilung [555] derselben erfordert wird; da die Wenigsten5927 Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kan5928 die Polemik große5929 Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kan5930 selbst für ihn eine vortrefliche5931 Schule zu solchen Uebungen werden.
Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größesten5933 Vortheile, den die Polemik stiften kan5934. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und bey5935 der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kan5936 oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der [250] Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie erst5937 auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößen5938 zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlaßen5939; discret zu werden, um nicht mit dem verworfnen5940 Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kan5941, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfne5942 [292] Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den [556] Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelaßnen5943 Irrthum gegen uns zu brauchen5944. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobey5945 man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.
Bey5963 so großen5964 Vortheilen, die dieses Studium gewährt, müßte5965 es beynahe5966 unbegreiflich seyn5967, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welche5968 Anstrengung, Mühe und bedächtige Untersuchungen scheuen,5969 daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder bey5970 Ueberraschung Andrer5971 mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden,5972 daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber bey5973 Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll [294] unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der bösartigsten Zänkereyen5974 und Leidenschaften gewesen sey5975. Je lebhafter man [558] sich die Verletzung der Billigkeit und5976 des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andre5977 Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und [252] der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äusserliche5978 Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar NützlichesNützliche,5979 wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Je5980 mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten laße5981, und nicht genug auf seiner Hut sey5982 gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.
Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbnen5984 Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine ParteyPartey5985 wie die andre5986 höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §. 191, 191. 159 5987 (f.)folgend und [295] 169 5989 (Anm.)Anmerkung angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so [559] fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten,5990 und sie wird alsdann5991 ein sehr heilsames Mittel, wahren FriedeFrieden,5992 ohne Nachtheil der Wahrheit,5993 zu befördern.
Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern bey5995 Führung theologischer Streitigkeiten, und bey5996 dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kan5997 man [253] von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studieret5998, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochnen5999 Nutzen daraus zu ziehn. –6000 Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach verschiednen Religionsparteyen Religionsparteyen Religionspartheyen 6001. Der Hauptzweck müßte6003 doch bey6004 polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiednen6005 Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. Dies kan6006 aber am besten geschehen, wenn wir bey6007 Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich [296] auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach die[560]ser Methode bey6008 jeder Lehre sogleich die verschiednen6009 Meinungen darüber mit Einem MahleMale 6010, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den verschiednen ParteyenPartheyen 6012 aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nehmlichen6014 Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, bey6015 Prüfung einer ParteyPartey6016 zu wiederholen braucht, wenn man sie schon bey6017 einer6018 andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeiten6019 erspart. Auch werden 4) bey6020 Untersuchung der Meinungen einer Partey6021 nur solche Puncte6022 erörtert, die zwischen Parteyen 6023 streitig sind,6024 und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztre6025 oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteyen6026 ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelner6027 gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nähret6028 auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteyen6029 mehr den SectenhaßSectenhaß6030, erschwert die [254] unparteyischere6031 Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beyzubehalten6032, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßere6033, könnten aufgenommen werden.
Die christl. 6061 Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freyen6062 Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kan6063 nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heil.6064 Schrift davon enthält, sondern muß auch alles6065 mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heil.6066 Schrift diesen Theil [298] des [255] Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehren6067 ( (S.)Siehe §. 185 6068 und 156. 6069) Ihr Unterschied von der philosophischen Moral6070 besteht daher nicht darin, daß diese, na[562]türlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nemlich6071, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließen6072 – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßen6073 Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommne6074, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber bey6075 der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äussern6076, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, alles6077 auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral theils sowohl und vorzüglich auf Beförderung6078 einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelner6079 Pflichten arbeiten, theils beydes6080 beständig, wenigstens mit6081 auf Gott6082 zurückführen.
Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll:6093 so muß sie dreyerley6094 leisten. Sie muß 1) alles6095, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnen6096 Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfang6097 vorzustellen, müssen nicht nur –6098 die gesammten Pflichten selbst angegeben –6099 es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und [300] Pflichten auszuschließen6100, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichten6101 nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andre6102 eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen [564] müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu laßen6103 habe.
Nächstdem müßte6114 die christliche Moral 2) überall dazu eingerichtet seyn, uns würklich gottselig zu machen, d. i.das ist es müßte uns alles6115 so [301] einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm gemacht werden6116, daß bey uns –6117 wahrhafte UeberzeugungUeberzeugung:6118 so müssen6119 wir 6120 seyn und handeln 6121, wenn es uns wohl gehen soll –6122 wahrhafte Neigung, so zu werden und zu verfahren –6123 und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen könnte, die6124 in wirkliche That überginge6125. Dieses kan6126 geschehen durch deutliche und lebhafte Dar[565]stellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, bey6127 der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, (d. i.)das ist als einer durchgängigen Lust an allem6128, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; hernach 6129 – aller einzelnen6130 Pflichten im Zusammenhang, (d. i.)das ist als solcher, die Gott ohnfehlbar6131 von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue [258] Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott bey6132 allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.
Weil aber UeberzeugungUeberzeugung von einer PflichtPflicht,6137 Ueberzeugung von ihrer Möglichkeit6138 voraussetzt, [566] und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kan6139, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Art6140 zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus den Weg6141 räumen, oder doch vermindern können.
Ob dieses6143 Studium der christlichen Moral nützlich sey? – dies6144 sollte bey6145 vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar nicht einmal bezweifelt werden6146, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch seine PflichtPflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob er6147 nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? [259] ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und ohne6148 seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und leben[303]dige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art,6149 sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördre6150, oder hindre6151? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich gehalten, und6152 sind 6153 in ihren Vorurtheilen dagegen [567] durch übertriebne6154 Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beyderley6155 ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem mehrern6156 oder mindern6157 Einfluß auf denselben, und von dem Werth andrer6158 Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht,6159 und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine Wissenschaft6160 gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit ihrem6161 verglichen werden könne.
Wie diese edle Wissenschaft mit wahren6168 Nutzen studieret6169 werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bis[260]her §. 200–202 6170 über die Erfordernisse bey dieser Wissenschaft6171, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §. 188 6172 gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offne6173 und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der [568] (heil.)heilig Schrift und der Vernunft6174 zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §. 145 6175 (f.)folgend und 156 6176 (f.)folgend sehr dienlich seyn.
Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was manche6184 unter dem Na[305]men der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik Casuistik,6185 oder casuistischen Theologie, könnte6186 man sich6187 eine Anweisung denken, wie6188 die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelne6189 Fälle mit Vorsichtigkeit müßten angewendet werden6190. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiedne6191 Umstände bey6192 einzelnen6193 Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie bey6194 der wirklichen Anwendung [569] viel zu unzureichend sind. Und dieses wenige6195, (z. B.)zum Beispiel über die Collision der Pflichten, kan6196 ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen AnwendungAnwendung6197 liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes bey6198 besondern Gesetzen 6199, und in genau bestimmten Gründen, die uns wozu6200 verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwegung6201 der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung 6202 nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, 6203 und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freylich6204 nicht häufige) Beyspiele6205 von weisen Entscheidungen solcher einzelnen6206 Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr [306] nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach ge[263]dachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen,6207 verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstrakten6208 Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelner6209 Fälle danach, mehr schädlich als nützlich worden6210 sind.
Ascetik 6212, als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande [570] von der Anweisung verstanden, tugendhaft6213 zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur TugendTugend6214 handelt, und bey6215 den einzelnen6216 Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§. 202 6217), macht sie eine besondre6218 Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich ist; sie legen auch gemeiniglich6219 auf zufällige Dinge zu großen6220 Werth 6221, und mischen so so 6222 manches Willkürliche und Irrige mit ein6224, daß man sich nicht sicher auf sie verlaßen kanverlassen kann 6225, ja oft, bey6227 der besten Meinung, zu Ausschweifungen ver[307]leitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch moralische und ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugend6228 und unsrer6229 Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beydes6230 sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Un[264]terrichts seyn könnte, als das Andre6231. – Manchmal nennt man auch 1519 3)6232 moralische Schriften,6233 die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die [571] Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beyderley6234 Vortrag kan6235 nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§. 175–177 6236), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch bey6237 jedem das nicht aus der Acht laßen6238, was oben (§. 174 6239) gesagt worden ist. – Wollte man aber6240 4) Ascetik eine Anweisung zu einen6241 Vortrag von der letztern Art nennen:6242 so würde Ascetik von der Anweisung zum populären Vortrag6243 nicht verschieden seyn.
Bey6245 den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort Mystik oder mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriff6246 sucht, daß sich diese verschiedne6247 Begriffe auf drey6248 zurückführen laßen.6249 1) Eine Anweisung, Gott ähnlichähnlich zu werden6250. Alsdann6251 ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, ausser6252 daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf Gott betrachten kan6253, und daß gewisse Pflichten, (z. B.)zum Beispiel Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. 6254 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wo[265]durch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen kan. Alsdenn6255 wäre sie mit der Ascetik [572] im ersten Verstande (§. 206 493 ) einerley6256, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eigner6258 Kräfte oder äusserlicher6259 Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hiebey6260 würde dann6261 unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der (heil.)heilig Schrift beruhen,6262 wenigstens würde, was diese beyde6263 uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unsrer6264 innern Empfindungen unterworfen werden; welches6265 der nächste Weg zur SchwärmereySchwärmerey ist6266. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasien6267 mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir ausser6268 dem Gebrauch der Vernunft und der (heil.)heilig Schrift schlechterdings kein Mittel haben, [309] Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kan,6269 aber trüglich bleibt sie vor6270 sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, 6271 den Namen einer Wissenschaft nicht6272.
Anm. Anmerkung S.Siehe noch die Anweisung zur Kenntniß der theologischen BücherBücher, §. 280 f.folgend {Mehr über diesen Gegenstand, namentlich die Mystik unserer Zeit, im 3ten Theil bei der praktischen Theologie. D. H.Der Herausgeber} 6273Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehn6278 der heiligen Schrift und der darin enthaltnen6279 Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der (heil.)heilig Schrift gezogne6280 Sätze nicht können6281 als sicher angenommen und aufgeklärt werden 6282. Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der (heil.)heilig Schrift, sondern schon anderwärtsher6283 bekannt und erweislich seyn;6284 und dahin gehört 1) alles6285, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließenden6286 Verhältniß zwischen ihm und uns aus der Natur6287 bekannt seyn kan.6288 2) Alles6289 was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragnen6290 Lehre angeht, deren gött[310]liches Ansehn6291 mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der (heil.)heilig Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehn6292, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztre6293 meistens und allein recht zuverläßig6294 aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehn6295 dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kan6296: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kan6297 erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, wonach sich6298 darthun laße6299, daß die in den biblischen Büchern vorkommende6300 Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.
Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie 6302 enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichte6303 findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§. 25. 34 34. 6304 und 51 6306); auch pflegt man die nothwendigsten hieher6307 gehörigen Kenntnisse vorläufig bey6308 Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. –6309 Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht [311] auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es laßen6310 sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebne6311 Offenbarung erkannt werden kan6312, aber keine unleugbare6313 Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wäre6314. Ueberdies kan6315 man diese, jedem6316 Menschen nothwendige6317, Kenntnisse von Gott6318 nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern,6319 und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unleugbar6320 herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig 6321, die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besondres6322 Studium erfordern. –6323 In den sogenannten Einleitungen in die (heil.)heilig Schrift6324 oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur [575] auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sichere6325 Ueberzeugung gründen kan6326. –6327 Endlich, wenn man [268] auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte:6328 so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großem6329 Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kan6330, als welche weit mehr die wahre Ueber[312]zeugung von ihrem großen6331 Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangnem6332 Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehn6333: so rechtfertigt sich nachher6334 ihr göttlicher Werth von selbst. –6335 Aus allen diesen Ursachen sind besondere6336 Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu empfehlen; zumahl6337 wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andre6338 über besondre6339 angebliche Lehren des Christenthums.
Wenn ganze Gesellschaften sich über Lehren der Religion von anders Denkenden getrennt, und diese Lehren, darin sie von andern abgehn6344, oder die Vorstellungen, welche sie für die richtigsten über gewisse Lehren halten, in öffentlichen und feyerlichen6345 Aufsätzen vorgetragen haben: so nennt man diese Aufsätze Symbolen Symbolen 6346 oder Bekenntnißschriften, auch wohl, wenn sie ausführlich sind, symbolische Bücher, die also nichts anders sind6347 als Erklärungen einer besondern ReligionsparteyReligionspartey6348 über das, was sie in der Religion für wahr hält, vornemlich6349 im Widerspruch gegen andre6350 von ihr verschiedne ParteyenPartheyen 6351.
Symbolische Theologie wird entweder mehr im dogmatischen oder mehr im historischen Ver[577]stande genommen. Im erstern Fall würde sie im weitern Verstande eine Vorstellung der christlichen Lehre nach den verschiednen6365 Vorstellungen aller christlichen Parteyen6366 seyn, wenigstens sofern sie diese Vorstellungen in ihren Bekenntnißschriften geäussert6367 haben. Dies6368 wäre immer nützlich, ihren Unterschied kennen und danach wählen zu lernen, zu welcher man sich, nach seiner Ueberzeugung, zu halten hätte; wiewohl man diesen Unterschied, nur nicht zu so bequemer Uebersicht, auch in polemischen Büchern findet. Im engern Verstande aber wäre sie eine Vorstellung der christlichen Lehre nach den symbolischen Schriften einer gewissen Kirche; und würde sie ausgeführt, (d. i.)das ist der darin gegründete Lehrbegriff einer Kirche weiter aus einander6369 gesetzt, und, besonders nach den in solchen symbolischen Schriften selbst vorgetragnen6370 Beweisen, bestätigt: so würde dergleichen Theologie nichts anders seyn, als theologisches System einer solchen Kirche; nur mit dem Unterschied, daß es kein vollständiges System wäre, weil nicht alle Lehren einer Kirche in symbolischen Büchern vorgetragen werden. (§. 210 6371 (Anm.)Anmerkung) – Aber gemeiniglich nimmt man symbolische Theologie in einem mehr historischen Sinn6372 von dem Inbegriff der historischen und Lehrkenntnisse, die [315] zum richtigen Verstande der symbolischen Schriften einer gewissen Kirche erfordert werden. – Im engsten und gewöhnlichsten Sinn heißt sie bey6373 uns, in der evangelischen Kirche augspurgischer6374 Confession6375, der Inbegriff aller solcher Kenntnisse, die zur Einsicht in den richtigen Verstand des sogenannten 1529 Concordienbuchs, wenigstens der fünf ersten Stücke derselben,6376 (der 1530 augspurgischen Confeßion6377, 1531ihrer Apologie, [271] der 1532 schmalcaldischen6378 Artikel und des 1533 größern6379 und kleinern6380 Catechismi Luther, Martin Luthers,)6381 gehören. Auf diese Bedeutung6382 schränken wir uns hier ein.
In dieser symbolischen Theologie müßte6384 theils die Geschichte solcher symbolischen Bücher selbst genau vorgetragen, theils ein hinlänglicher und richtiger Commentar über ihren Text gegeben werden. – Jene müßte6385 1) von der Veranlaßung6386, dem Verfasser und [578] den Zeitumständen, unter welchen ein solches Buch abgefaßt ist, eine richtige Vorstellung machen; denn ohne diese muß6387 vieles in dergleichen6388 Buche unverständlich bleiben, oder falsch erklärt werden, weil es sich auf damalige Zeitumstände, Bedürfnisse, Begriffe, Meinungen und Gewohnheiten bezieht. – Danach schränkt sich auch der Zweck eines solchen6389 Buchs ein, dessen Inhalt und einzelne6390 Aeusserungen6391 nur, nach ihrem Zwecke, gewissen damaligen Irrthümern und Sätzen widersprechen, oder den Verdacht derselben ablehnen sollten, folglich auch nur in dem Sinn zu nehmen sind, in welchem sie von denenjenigen6392 genommen wurden, welchen6393 man wi[316]dersprechen, oder gegen die man sich rechtfertigen wollte. ( z. B.zum Beispiel Augsp.6394 Conf. (Art.)Artikel 17, und (Art.)Artikel 7. (Abus.)Abusus (p.)pagina 42 (seq.)sequens) – Ist der Verfasser eines solchen Buchs oder sind aus der Geschichte Aufsätze bekannt, woraus 6395 hernach ein solches Buch6396 entstanden ist, oder wodurch es hat sollen authentisch6397 erklärt werden: so giebt dieses den besten Aufschluß nicht nur über den Zweck einzelner6398 Theile des geäusserten6399 Lehrbegriffs, sondern auch über den wahren Sinn einzelner6400 Sätze und Ausdrücke, wenn man sie nach solchen Aufsätzen und des Verfassers sonst bekannten Begriffen und Sprachgebrauch nimmt;6401 wofern nicht durch eine andre6402 authentische6403 Erklärung dererjenigen6404, die ein solches [272] Buch zu einem öffentlichen gesetzmäßigen Bekenntniß zu machen das Recht hatten, oder durch den ganzen Geist der Lehre einer solchen ParteyPartey6405, deren Bekenntnißbuch es ist, der Sinn anders bestimmt wird. – Ausser dem6406 zeigt auch diese Geschichte, ob und wie weit ein solches Buch6407 irgendwo ein symbolisches und verpflichtendes Ansehn6408 bekommen habe oder nicht.
Auch sollte6445 der Ausleger symbolischer Bücher 2) der ganzen Kritik derselben wohl kundig seyn, die in unserm Zeitalter durch genauere Untersuchungen eine ganz andre6446 Gestalt gewonnen hat *) †) ,6447 weil ein so großer6449 und mannigfaltiger Un[273]terschied zwischen den Originalen unsrer symbolischen Bücher und ihren Uebersetzungen, und zwischen den verschiednen6450 Recensionen der lateinischen und deutschen Ausgaben ist. Denn, obgleich durch die Aufnahme eines gewissen Textes in das 1550 Concordienbuch, wenigstens durch die jetzige stete Beybehaltung6451 dieses Textes in den Ausgaben dieser Sammlung, dieser Text sein bestimmtes Ansehn6452 erhalten hat: so bleibt doch immer –6453 der Unterschied des Originals und der davon oft sehr verschiednen6454 Uebersetzungen, die eben sowohl ins Concordienbuch aufgenommen sind; und selbst das Concordienbuch hat nicht in allen unsern Kirchen ein verbindliches Ansehen. –6455 Hauptsächlich aber ist diese kritische Kenntniß nützlich, –6456 um den Sinn aus andern gleichsinnigen Lesearten zu erklärenerklären; –6457 um sich nicht unnöthige Mühe mit Vertheidigung oder Vereinigung auffallender Stellen zu geben, wenn diesem Anstößigen durch eine andre6458 richtigere Leseart kan6459 abgeholfen werden; –6460 und um eben sowohl den Neckereyen6461 der Gegner dieser Bücher, die auf den vorgeworfnen6462 Veränderungen derselben beruhen, zu begegnen,6463 als –6464 die Vorurtheile von dogmatischer Unrichtigkeit der sogenannten6465 1551veränderten augspurgischen Confeßion ††) †) 6466 abzulegen, oder sie sowohl als unnütze WortklaubereyWortklauberey6468 und Verunglimpfung derer zu verhüten, die nicht jeden Ausdruck und jeden Satz darin billigen.
†) Anm. Anmerkung 1) Vornehmlich durch die Kritische Geschichte der augsp. Confeßionaugsb. Confession aus archivalischen Nachrichten etc. herausgegeben von Weber, Georg Gottlieb Georg Gottlieb Weber , Frankf.Frankfurt am MaynMain 1783 und 84 in84., 2 Theilen inTheile, gr.groß 88., und die dadurch veranlaßten Streitschriften, die man meistens in der allgemeinenAllgemeinen deutschen Bibliothek BandBibliothek, Bd. 60. S.Seite 60 f.folgend angezeigt findet. 6469Der Commentar über die symbolischen Bücher (§. 212 6484) müßte eigentlich nur historisch seyn, weil die Absicht eines Auslegers derselben nur seyn kan6485, [319] nicht die dogmatische Wahrheit, sondern den Sinn dieser Bücher darzustellen; höchstens kan6486 das erstre6487 nur Nebenzweck seyn. Wer der Kirchengeschichte, der öffentlichen und Privatlehren in der römischen Kirche und ihrer Verfassung, vor der Reformation, besonders aber der Geschichte unsrer Kirche und ihrer Streitigkeiten, vornehmlich mit der römischen Kirche, in dem 16ten Jahrhundert, selbst der Sprachart der damaligen Römischgesinnten und unsrer Theologen jener Zeit, genau kundig, und gewohnt ist, alles6488 nach den damaligen, nicht nach spätern,6489 Zeitumständen zu erklären: der wird allein im Stande seyn, diese Bücher richtig und verständlich zu erklären.
Anm. Anmerkung Noch immer fehlt es an einem Buche, das diesen Forderungen ein hinlängliches Genüge leistete, worin auf alles dasjenige wirklich Rücksicht genommen wäre, was aus der GeschichteGeschichte der christl.christlich Kirche und Lehre, besonders aus der Geschichte, Verfassung und Lehre der römischen Kirche, vornehmlich wie sie beybei dem Ursprung der Protestanten war, und aus der Geschichte der evangelischen Kirche selbst, ein historisches Licht auf die symbolischen Bücher der augsp. Confeßions-Verwandtenaugsb. Confessions-Verwandten überhaupt, nndund und einzelne Stellen insbesondere, werfen könnte. Wenn man auch den Verfassern solcher Erläuterungsschriften den Mangel eignereigener Untersuchung in diesem Stück nachsieht: so ist, selbst in den neuesten Schriften dieser Art, nicht einmal das schon Vorgearbeitete benutzt worden. BeyBei diesem Mangel muß man sich mit dem behelfen, was da ist, und wir haben noch nichts Besseres, als, unter den kleinern Schriften, Walch, Christian Wilhelm Franz C. G. F. Walchii Breviarium theolog. symbol. Eccles. Lutheranae, nach der vermehrtern Aufl.Auflage Göttingen 1781 in 81781. 8., wie unter den größern Carpzov, Johann Benedict Jo. Io. Bened. Carpzovii Isagoge in librr. Ecclesiar. Lutheran. symbolicos, Edit.Editio 3. Lips. 1699 in1699. 4. und Walch, Johann Georg Jo. Io. Ge. Walchii Introductio in librr. Eccl. Luth. symbolic. Jenae 1732 in1732. 4. Das Uebrige muß man sich nach und nach selbst dazu sammlensammeln. {Hiermit vergleiche man Planck, Gottlieb Jakob C. J. Plank's Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme, Göttingen 1804., und Marheineke, Philipp Konrad P. K. Marheinecke christliche Symbolik, Heidelberg 1810., und Weber, Michael M. Weber libri symbolici eccles. ev. luther., Wittenb. 1809.} 6490Da es übrigens die Pflicht eines jeden Gliedes einer Kirche, so weit es die Fähigkeit, hierin selbst zu urtheilen, hat, vorzüglich die Pflicht eines öffentlichen Lehrers in derselben ist, diejenigen Lehren oder Vorstellungen zu kennen, wodurch sich diese Kirche von andern unterscheidet, um von denselben und der Ursach, warum er sich zu dieser Kirche bekennt, Rechenschaft geben zu können; – überdies6506 in den meisten Kirchen öffentliche Lehrer auf diese Bücher verpflichtet werden, und sie ohne Gewissenlosigkeit diese Verpflichtung nicht übernehmen können, wenn sie dieser Bücher oder ihres Verstandes nicht kundig sind; – und6507 es eben so zu den Pflichten derselben gehört, die Rechte im Lehrvortrag nicht von Andern unbefugter Weise einschränken, oder sich Lehren auflegen zu laßen6508, die in diesen Büchern nicht bestimmt sind: so bedarf es keiner Weitläufigkeit, zu zeigen, daß und warum, wenigstens für einen Lehrer unsrer Kirche, das Studium dieser Bücher und der symbolischen Theologie nöthig sey6509.
Wenn wir den Absichten Gottes in der Welt und unsrer6 Pflicht kein Genüge thun, ohne die höchst-möglichste7 Anwendung unsrer8 Kenntnisse und Kräfte zu Andrer Besten;Besten, 9 und wenn es ganz eigentlich die Absicht desjenigen11 Standes ist, dem sich ein Lehrer der Religion widmet, Menschen durch die wirksamste [582] Empfehlung der Religion glücklich zu machen (Theil 1.12 §. 16 (f.)folgend): so muß es einem solchen Lehrer eben so theure Pflicht seyn, sich die Geschicklichkeit zu erwerben, bey13 Andern richtige und überzeugende Kenntnisse der Religion, und eine dieser gemäße14 Gesinnung hrevorzubringenhervorzubringen 15, als es seine Pflicht war, selbst nach solchen Kenntnissen und Gesinnungen zu streben.
Wahr ists, er kan17, ohne erst so für sich gesorgt zu haben, nicht für Andre18 sorgen, nichts [4] mittheilen, was er [4] nicht selbst besitzt, wenigstens es nicht so angelegentlich thun, als er sollte; und eben dadurch 19, daß Er sich selbst rechte Kenntnisse in der Religion erwarb, und sich nach diesen bildete, lernte er auch diese Sachen ausdruckenausdrücken, und sonach20 Andern vortragen;22 lernte er dadurch 23 das Brauchbarere von dem Unbrauchbarern, das Unentbehrliche von dem unterscheiden, was bloß nützlich, und nur für gewisse Fälle nöthig ist;25 ward ihm auch dadurch 26 27 Religion 28 wichtig und eigentliche Angelegenheit des Herzens †). Allein,29 er muß doch immer, wenn er damit30 Andern nutzbarnutzbar werden will,31 sich nach ihren Bedürfnissen richten, und, da diese von den seinigen sehr verschieden sind, sich wissen32 auch in seinem VortragVortrag33 und in seinem ganzen Betragen zu ihnen herabzulaßenherabzulassen,34 seine Art zu denken, zu reden und zu handeln, nach Ihrer36 zu bilden. Eben bey37 diesem Bestreben, seine Ueberzeugung und Gesinnung Andern [583] wirksam mitzutheilen, bemerkt38 er, wie oft er seine Absicht bey39 ihnen verfehle, und wie viel40 die Schuld davon an seiner Vorstellung oder Vortrag41 liege; er lernt nun oft erst, daß Er selbst Manches bisher nicht 42 verstanden, nicht deutlich gedacht, nicht überzeugend genug erkannt, nicht angelegentlich genug getrieben habe. Er kommt selbst hiebey43, indem er sich Andern im Vortrag44 oder Umgang45 mittheilt, auf Manches, woran er vorhin nicht dachte, lernt Manches besser verstehen und mehr berichtigen, überzeugt sich mehr von dem Nutzen mancher Religionslehren, und wird mehr für sie eingenommen, lernt sie [5] auch nutzbarer für Andre46 machen. So gewinnt Er47 durch diese Mittheilung selbst, indem er zugleich Andern nützlich wird.
Wer Andre69 über die Religion so belehren will, daß sie dafür eingenommen70, (d. i.)das ist von deren71 [6] Wahrheit und 72 Einfluß auf ihr wahres Bestes überzeugt, und dadurch geneigt gemacht werden sollen, sich darnach zu richten: der muß nicht nur die nöthigen Kenntnisse desjenigen, was er ihnen mittheilen will, haben73, er muß nicht nur selbst dafür eingenommen seyn,74 er muß auch, weil er es hier mit Andern, und mit mancherley75 Zuhörern von verschiedenen Fähigkeiten, Neigungen und Bedürfnissen,76 zu thun hat, Klugheit besitzen, und anzuwenden wissen. –77 Er besitzt sie, wenn er die Fähigkeiten hat78 zu beurtheilen, was gedachten79 Umständen derselben80 am angemessensten ist. [6] Bey81 dem Lehrer der Religion also gehört dazu: Kenntniß der Religion, für welche, und Kenntniß desjenigen, wodurch er sie82 dafür einnehmen will –83 Menschenkenntniß –84 und Beurtheilungskraft, um das schicklichste Verhältniß jener Kenntnisse gegen diese85 zu finden. – Er Er 86 weiß sie in vorkommenden Fällen anzuwenden, wenn er alsdann88 fähig ist, –89 die Umstände, so wie sie gegenwärtig sind, aufzufassen, –90 sich die gedachten Kenntnisse, so weit er sie für diesen Fall braucht, recht zu vergegenwärtigen, –91 und darnach zu beurtheilen, [585] was er seinem Zweck und diesen Umständen gemäß zu thun habe.
So unumgänglich nothwendig es also ist, um die Stelle eines Lehrers der Religion mit Würde zu bekleiden, daß man vorher Theologie93 und die übrigen oben erwähnten94 Wissenschaften studiere,95 [7] um zu wissen, was und wie man überhaupt Andere über Religion belehren, und sie ihnen empfehlen solle: so ist doch dieses allein nicht zureichend, um ein recht nützlicher Lehrer zu werden. – Dieses96 Studium erschwert selbst gewissermaßengewissermassen die Erlangung98 und Anwendung der100 Klugheit 101. Denn indem es102 sich 103 größtentheils mit unsichtbaren Dingen beschäftigt:104 so entwöhnt es den105 Blick vom Gegenwärtigen, vom Handlen,Handlen und vom106 gesellschaftlichen Leben überhaupt, welches das eigentliche Feld der108 Klugheit ist. Und, indem109 man bey diesem110 Studieren 111 mehr darauf bedacht ist, sich vorerst die nöthigen Kenntnisse zu erwerben, als sie112 Andern mittheilen zu lernen; indem man 113 sich 114 [7] gründlich zu überzeugen sucht, nach deutlichen Begriffen strebt, und daher die Untersuchung sehr ins Umständliche und Kleine gehen115 muß: so gewöhnt man sich weniger an lebhafte und anschauliche Erkenntniß, übt über den Beschäftigungen des Verstandes die Einbildungskraft zu wenig; gewöhnt sich116 mehr langsam und bedächtig zu denken, als schnell 117 aufzufassen und zu übersehen118; wird daher mehr unentschlüßig119 und [586] verlegen, als schneller Entschließungen120 fähig; zerstreut sich zu sehr durch kleine Umstände, als daß man das Ganze überschauen lernte; welches121 alles der Klugheit122 nicht zuträglich ist123, die oft schnelle Empfindung, allgemeineres Ueberschauen und124 geschwinde Entschließung125 126 erfordert.
128 Klugheit eines Lehrers der Religion kan ohne129 gewisse Fähigkeiten130 und Kenntnisse131 nicht seyn. – 132 Zu jenen gehört die Gabe134 recht zu beobachten und recht zu urtheilen, in Absicht auf die Umstände, unter welchen man zu 135 handeln hat, (d. i.)das ist praktischer Beobachtungsgeist und praktischer Verstand. –136 Die Kenntnisse aber müssen sich auf die mitzutheilende137 Lehren der Religion 138, auf die Art, Andern etwas aufs Wirksamste mitzutheilen, auf Fähigkeiten, Neigungen, Denk- und Handelsart, auch verschiedne139 Umstände der Menschen überhaupt, und derer, mit welchen man jedesmal zu thun hat, insbesondre140 erstrecken. Jene Fähigkeiten und Kenntnisse recht zu gebrauchen, würde fleißige Uebung in ihrem Gebrauch [8] nöthig seyn. –141 Zwar kan142 sich niemand diese Fähigkeiten selbst geben;143 kan144 sich nicht selbst eine solche günstige Lage verschaffen, die ihn zu der hier dienlichen Menschenkenntniß führte;145 kan146 auch selten zum voraus, eh' er ein öffentliches Lehramt erhält, beträchtliche Uebungen dieser Art haben. Aber147 er kan148 doch mittelmäßige Fähigkeiten durch Fleiß und Uebung verstärken; in seinem, obgleich [587] kleinen, Kreise überhaupt Menschen, und die Art sie zu lenken, beobachten und beurtheilen lernen. Selbst bey149 seinen bisherigen Studien, wenn er sie auf die oben vorgeschlagene Weise treibt, wird es ihm weder an Gelegenheit zur Menschenkenntniß, noch an Uebung im Beobachten und Urtheilen, in Absicht auf die Bearbeitung der Menschen, fehlen; besonders wird ihm das Studium der Psychologie, der Moral, der Historie, vornemlich150 der Kirchengeschichte, [9] der schönen Wissenschaften, selbst der Sprachen, große151 Dienste thun können.
152Was ihm dann154 noch an eigner155 Fähigkeit, Gelegenheit und Uebung abgeht, wird er, wie bey156 allen Arten von Kenntnissen, durch Andrer157 Erfahrungen und der158 Belehrung von ihnen,159 ersetzen müssen, die ihm theils auf die verschiednen160 Umstände, in die er, als Lehrer der Religion, kommen kan161, aufmerksam machen, theils ihn anweisen können, wie er sich darin mit Klugheit zu betragen habe. Man hat dergleichen Anweisung in eine Art von Wissenschaft gebracht, und sie mit dem Namen der Pastoraltheologie im weitern Verstande, der Anweisung zur Pastoralklugheit, 162 und andern ähnlichen, belegt; und sie muß ohne Zweifel die Grundlage seines ganzen künftigen Betragens, als eines Lehrers der Religion, (Theil 1.163 §. 17. 164) seyn.
Die ganze Fürsorge eines solchen Lehrers für die, so sich ihm anvertrauen, besteht entweder in BelehrungBelehrung202, im weitesten Umfange genommen, oder in HandlungenHandlungen; beyden203, sofern sie die Re[589]ligion betreffen. – Die Belehrung ist entweder eine allgemeinere oder eine besondre204, welche durch die besondern Umstände einzler205 Personen, bey206 Religionszweifeln, Krankheiten u. d. gl.und dergleichen 207, nothwendig gemacht wird. Nun giebts208 zwar unter denenjenigen209, die sich der Belehrung und der Gewissenspflege eines Seelsorgers bedienen, [11] manche sehr Denkende und Aufgeklärte; aber diese machen doch nur den kleinsten Theil aus, und sind, gegen die übrigen gerechnet, so selten, daß sie verdienen, als eine ganz besondre210 Klasse von Zuhörern behandelt zu werden; der größte Theil, der auch des Unterrichts und der Leitung am meisten bedarf, kan211 doch nur einen populären Vortrag der Religion benutzen. Es muß also der öffentliche Vortrag vor einem vermischten Haufen – wenn die Zahl der wirklich (nicht in der Einbildung) [11] AufgeklärtereAufgeklärtern212 nicht größer213 als der Uebrigen ist – billig populär, und dieses um so mehr seyn, weil die Absicht des Vortrags eines Volkslehrers eigentlich seyn muß, die Religion praktisch und in Anwendung auf das Herz vorzustellen, auch nicht sowohl erst zu unterrichten – denn dieses ist, nach unsrer214 Einrichtung, schon vorher in Schulen oder bey215 der Zubereitung zur sogenannten Confirmation geschehen – als vielmehr das wieder aufzufrischen, was die Zuhörer schon wissen, und es immer eindringlicher und anwendbarer zu machen.
Man hat deswegen für gut befunden, die ganze Anweisung zur rechten Führung des christlichen LehramtLehramts in zwey Hauptwissenschaften217 zu theilen. Die eine betrift218 die Belehrung des Volks, und soll den Prediger bilden;219 die andre 220 aber die kluge Einrichtung der Handlungen eines Lehrers nach den verschiednen221 Theilen seines Amtes,222 und 223 soll ihn als Seelsorger unterrichten. In so fern bey224 diesen Handlungen auch Vortrag der Religion225 nöthig ist, muß sich dieser226 nach den besondern Umständen der einzelnen227 PflegebefohlenePflegebefohlnen228 richten, mit welchen der Seelsorger zu thun hat. Er229 muß also zwar alle Eigenschaften des guten VortragVortrags230 haben, aber die besondre231 Einrichtung für die einzelnen232 Fälle nach jenen233 besondern Umständen234 bekommen; und, weil diese erst können235 in der letztern erwähntenerwehnten 236 Wissenschaft berührt werden:238 so gehört die Anweisung zum guten ReligionsvortragReligionsvortrag239 überhaupt in die erstre 240, hingegen die Unterweisung, wie dieser Vortrag241 in einzelnen242 Fällen, [12] und in dem Umgang243 mit einzelnen244 Personen, nach ihren besondern Fähigkeiten und Bedürfnissen einzurichten sey245, in die letztre 246 Wissenschaft. Der Kürze wegen wollen wir diese letztre247 Art des Vortrags den Privatvortrag Privatvortrag, und248 die erstre249, weil der Vortrag mehrern250 zusammen ertheilt wird, den öffentlichen Religionsvortrag nennen.
Dieser letztre läuft252 entweder 253 in Eins fort, und ist bloßerblosser Vortrag des Predigers, ist254 eine eigentliche Rede oder Predigt; oder er ist256 unterbrochen durch das, was die Zuhörer 257 antworten, in Beziehung auf das, was der Prediger gefragt hat;hat, er ist258 also eine 260 Unterredung des Predigers mit den Zuhörern. Jene261 Rede nennt man eine Homilie Homilie,262 und daher Homiletik Homiletik 263 die [13] Anweisung zu dem öffentlichen in Eins fortlaufenden ReligionsvortragReligionsvortrag264. Sie ist also, weil dabey265 eine vermischte Versammlung, meistentheils von Ungelehrten, vorausgesetzt wird (§. 7. 266), und die Eigenschaften des Religionsvortrags für jedermann, ohne Rücksicht auf die besondersten Umstände einzelner267 Zuhörer, darin sollen268 vorgelegt werden 269 (§. 8. 270), eine Anweisung zum gemeinnützigen oder populärpopulären, und zwar an einander hängenden öffentlichen Religionsvortrag271.
Eine Unterredung des Predigers mit seinen Zuhörern273, wodurch er ihre Antworten auf seine Fragen über die Religion erfahren274 will, nennt man eine Katechisation, oder, in Absicht auf den Prediger, einen katechetischen Vortrag; und, Vortrag, und da dieser275 die Absicht hat, zu erforschen, was sie für Begriffe von der Religion haben, oder sie selbst auf wichtige277 Begriffe davon zu leiten, dieses aber nicht sowohl bey aufgeklärteraufgeklärtern278 und zum [592] eignen279 Nachdenken schon gewöhnten280, als vielmehr bey281 solchen Zuhörern282 nöthig ist, die noch in der Erkenntniß zurück sind: so versteht sichs von selbst, daß dieser Vortrag283 vorzüglich populär seyn müsse. Die Anweisung zu einem284 solchen katechetischen Vortrag285 heißt die Katechetik, welche man nicht, wie wohl geschieht, mit der katechetischen Theologie (Theil 2.286 §. 174. Anm.Anmerkung 2.287) verwechseln muß.
288Alles andre290, was nicht eigentlich den Vortrag291 des Predigers, sondern seine 292 Handlungen betrift293, so fern sie unmittelbar oder mittelbar seine Amtsführung angehn294 (§. 8 295), gehört in eine andre296 Anweisung, der man den Namen der Pastoraltheologie im engern Verstande (§. 6. 297) gegeben hat. Das Amt eines Lehrers, der für das Beste der ihm Anvertrauten sorgen soll, bringt es mit sich, den äussern Gottesdienst, und was dazu gehört, nicht bloß durch seinen Vortrag, sondern auch in den übrigen Theilen, zu besorgen; dem Gewissen seiner Pflegebefohlnen298 unter allerley299 Umständen treulich zu [14] rathen;300 und überhaupt die Kenntniß der Religion, nebst der Liebe zu ihr und Anwendung der Kenntniß zur Besserung und Beruhigung derselben, zu befördern; sich deswegen überall, auch um des Lehramtes willen, als ein Muster eines wahren Christen zu betragen; endlich, wenn die Sorge für äusserliche301 Angelegenheiten nicht von denen, die ihn zum Lehrer angenommen ha[593]ben, Andern übertragen ist, auch für den Unterricht und die Erziehung der Jugend, für die Verpflegung der Armen und für die Aufrechthaltung der Rechte der ihm anvertrauten Gemeine302, und der Rechte seines Standes und Amtes, Sorge zu tragen, und sich daher diese Rechte und desjenigen, worauf sie sich gründen, wohl bekannt zu machen.
Die Kenntniß dieser Rechte, oder des Kirchenrechts, verdient, ob sie gleich mehr zur Rechtsgelehrsamkeit342 als zur Theologie gehört, einen besondern Fleiß, und ist einem Lehrer der Religion sehr nützlich, in gewissen Fällen unentbehrlich. Von dem Studium desselben, wenigstens so weit es einem protestantischen Lehrer nöthig ist, kan343 in dieser Anweisung nirgends bequemer als bey344 diesem Theil gehandelt werden. Es wird daher dieser Theil zwey345 Abschnitte in sich fassen:
Nach dem Leichtsinn oder der Gleichgültigkeit zu urtheilen, mit der ein großer353 Theil wirklicher oder künftiger Prediger den Vortrag der Religion behandelt, scheint es, daß man das sogenannte Predigen354, und die Erreichung seiner Absicht, für etwas sehr leichtes355, oder den Fleiß, der auf den guten Vortrag gewendet werden soll, für sehr entbehrlich halte. Liegt nicht dabey356 Verachtung der Religion selbst, Gleichgültigkeit gegen das wahre Wohl andrer357 Menschen, oder Mangel der Ueberzeugung von dem großen358 Einfluß der Religion auf das Beste der Menschen, zum Grunde: so ist nicht abzusehen, wie es ohne jene Einbildung möglich wäre, daß man sich für reif zu einem solchen Vortrage,359 oder für berechtigt halten könntekönnte, –360 wenn man kaum mehr wie die ersten Schritte zur deutlichen Kenntniß und Ueberzeugung in der Religion gethan hat;362 noch eben so arm an Kenntniß des menschlichen Herzens als an mannichfaltigen Kenntnissen zu Befriedigung so vieler Bedürfnisse des Verstandes und Herzens andrer363 Menschen ist;364 noch so wenig [597] sich selbst durch eigne365 Erfahrung und Uebung in der wahren Gottseligkeit gebildet [19] hat –366 alsdann367 schon auf den Lehrstuhl zu eilen, und sich zum Lehrer Andrer368, gewiß oft an Kenntnissen und Erfahrungen reicherer Zuhörer, auf[18]zuwerfen. Es wäre unbegreiflich, wie viele Prediger diese Beschäftigung als bloßes369 370 Tagewerk, ohne wahrhaftige Theilnehmung oder gar mit Verdruß treiben, alles371, was und wie sie es sagen, für gut genug für ihre Zuhörer halten, sich mit der Vorstellung einwiegen könnten, daß Gottes Wort schon an sich kräftig genug sey372 Gutes zu wirken, ohne daß es einer sorgfältigen Auswahl der Sachen, eines eignen Fleisses373 im Ausdrucke bedürfte, oder daß diese Wahl und dieser Fleiß Mißtrauen gegen die göttlichen Lehren selbst voraussetzte, und gar dem Eindruck derselben hinderlich wäre. Es bliebe,374 ohne dies,375 eben so unerklärlich, wie manche Andre,376 unbekümmert um das, was sie lehren und einschärfen, fast den einzigen oder größesten377 Werth auf Einkleidung und auf das Aeusserliche378 des Vortrags setzen, anstatt Verstand und Herz reden zu laßen379, nach allerley380 Künsten, den Vortrag auszuschmücken, haschen, und sich einbilden könnten, mit einem, ihrer Meinung nach, schönen und lebhaften Vortrag alles381 gethan zu haben, was man von dem Prediger erwarten dürfe.
Sicherlich würde man nie auf diese Einbildungen und Ausschweifungen verfallen, oder sich [598] leichter von ihnen loswinden können, wenn man sich von der Wahrheit folgender Betrachtungen [20] recht lebhaft überzeugte, und sie stets gegenwärtig zu erhalten suchte, Betrachtungen, die der ernsthaftesten Untersuchung, zumal383 eines jeden, der sich dem Beruf eines Lehrers der Religion weyhen384 will, höchst würdig sind. Zuförderst385 1) beruht alle wahre wesentliche Glückseligkeit, so fern sie in unsrer386 Gewalt ist, auf Tugend, und, so fern sie nicht in unsern Händen387 steht, auf Zufrieden [19] heit. Diese Glückseligkeit kan388 nur alsdann389 vollkommen seyn, wenigstens nähern wir uns dieser Vollkommenheit 390 in dem Grade, a)391 je weiter Tugend und Zufriedenheit reichen, b)392 je mehr sie Ermunterung und Unterstützung haben, und c)393 je dauerhafter sie sind. Aber es läßt sich kein Mittel denken, das in dieser dreyfachen394 Absicht so weit reichte, als die Religion395.
Sie giebt a)397 der Tugend und Zufriedenheit den weitesten Umfang. Wer an einen Gott glaubt, der der Vater aller Geschöpfe ist;398 wer alle Geschöpfe, und die Menschen insonderheit, als 1570Glieder Eines großen399 Körpers ansieht; wer eine allweise und gütige Regierung des Ganzen erkennt, wo Alles als Mittel zu Einem400 gemeinsamen Zweck, zur Glückseligkeit Aller mitwirkt;401 wer also auch glaubt, daß kein Fleiß in dem Trachten nach dem, was wahr ist, ganz vergebens seyn könne, daß dies vielmehr die Ursach des [599] weitern Fortrückens in jeder Vollkommenheit seyn müsse,402 daß endlich uns schlechterdings nichts begegnen könne ohne Gottes Willen, der immer das [21] erfolgen läßt, was für uns das Beste ist: wie sollte dem, der dieses mit Ueberzeugung und von Herzen glaubt, der sich über das Sichtbare zum Unsichtbaren erheben kan403, irgend etwas gleichgültig, von seiner Liebe und seinem Bestreben, Andrer404 Bestes zu befördern, ausgeschlossen, irgend etwas, das ihm begegnet, niederschlagend, und nicht vielmehr Ermunterung zur Dankbarkeit seyn? – b)B) Alsdann405 sind ihm alle Gesetze, als so viele Anzeigen der Quellen seines Glücks, wahre Wohlthaten, an welchen er um so mehr Antheil hat, je mehr er Gutes thut. Ihm sind alle seine Kräfte [20] 407 so viele Mittel glücklich zu werden; alle Erkenntniß des wahren408 und alle Ausübung des Guten so viele Belohnungen; und von der unerschöpflichen Macht, Weisheit und Liebe Gottes kan409 er, selbst bey410 gefühlter Ohnmacht, bey411 fehlgeschlagenen bestimmten Hoffnungen, sogar bey412 Vergehungen, Unterstützung, Ersatz, Nachsicht und Lenkung dessen, was versehen ist, oder vergeblich scheint, zum Besten, erwarten. Wie dieses stete Ermunterung ist, 1571 Gutes zu thun, und nie müde zu werden, weil der Gedanke, Gott ist Zeuge und Vergelter meiner Handlungen und Gesinnungen, überall und auch dahin reicht, wo es an andern Beweggründen fehlt, oder diese nicht wirksam genug sind: so ist es auch kräftiger Antrieb, seine Begierden zu mäßigen, und Verwahrungsmittel wider Eigennutz, Miß[600]muth und Neid. – Und da c)413 weder die seligen Folgen der Tugend, ihrer Natur nach, ausbleiben können, diejenige414 wenigstens nie, welche in [22] dem Wohlgefallen Gottes daran besteht, noch Gott sich in seinen erwähnten415 Eigenschaften verleugnen kan416: so steht Tugend und Zufriedenheit auf einem unerschütterlichem417 Grunde, so lange die Ueberzeugung von der Wahrheit und dem WerthWerth418 der Religion bleibt, und wir uns immer an dieselbe halten. – Die Religion müßte also die wichtigste Angelegenheit des Menschen seyn419.
Diese große421 Angelegenheit für die Menschen zu der zu machen, die sie seyn soll, ist 2) (§. 14 14. )422 der sogenannte geistliche StandStand424 ganz eigentlich errichtet. Man erwartet von denen, die sich ihm widmen, daß sie für Andere, welche zur Untersuchung der Religion nicht Fähigkeit, oder [21] Hülfsmittel, oder Muße425 genug haben, untersuchen426, ihnen, nach ihren 427 verschiedenen Fähigkeiten und Bedürfnissen428, Ueberzeugung von den Lehren der Religion und deren großem429 Werth beybringen430, ihnen diese durch Vorstellungen und Beyspiele431 eindringlich machen, Zweifel benehmen, in Gewissensangelegenheiten rathen, sie mit Trost unterstützen, kurz, sie durch Religion leiten und beruhigen sollen. Man hat ihnen, um diesen Pflichten besser und ungestörter obliegen zu können, in der bürgerlichen Gesellschaft gewisse kleine Gesellschaften oder GemeinenGemeinen432 angewiesen, auf die sie zu[601]nächst ihre Beschäftigungen einschränken sollen; man hat sie von manchen bürgerlichen Plichten und Lasten befreyet433; man hat sogar deswegen für ihren bequemen Unterhalt gesorgt. Man rechnet434 um so mehr auf ihre435 Geschicklichkeit, Fleiß und RedlichkeltRedlichkeit 436, da sie eigentlich den einzigen Stand ausmachen, dem die Aufrechterhaltung und Beförderung der Religion selbst anvertraut ist. Wie verabscheuungswürdig muß derjenige seyn, der, in einer Sache von der Wichtigkeit, einen Beruf übernimmt, von dem er nicht weiß,437 ob er ihn würdig und nach den billigen Erwartungen der Gesellschaft erfüllen kan438, oder, wenn er ihn übernommen hat, der nicht, alles dies erfüllen zu wollen, willig, oder fleißig, oder redlich genug ist.
Nun hat zwar 3) der, wer440 den Unterricht und die Seelsorge für Andre441 übernimmt, in dem PrivatumgangPrivatumgang442 mit ihnen,443 Gelegenheit genug, sich mit ihnen über die Religion zu unterhalten, und nach jedesmaligem Befinden der Umstände ihre rechte Anwendung und ihren großen444 Einfluß auf Besserung und Beruhigung der Menschen zu zeigen. [22] Er kan445 selbst da recht eigentlich für jeden insbesondre446 mit Weisheit und mit dem glücklichsten Erfolg447 arbeiten, gerade auf die Art, wie dieser es am meisten braucht, und wie Religion am ersten bey448 ihm Eingang findet; und wird er sonderlich selbst dazu aufgefordert durch einen solchen, [602] der in besondern Umständen, (z. B.)zum Beispiel Krankheiten, fühlt, wie unentbehrlich ihm die Religion und die Aufklärung darüber und über seinen Gemüthszustand sey:449 so kan450 er sie mit desto mehrerer Wirksamkeit empfehlen. Aber es giebt derer451 nicht viel452, [24] die den Umgang des Predigers deswegen suchen, oder gern sehen, um sich mit ihm über dergleichen geistige Angelegenheiten zu unterhalten: selbst die, welchen Religion unter bedrängten Umständen Bedürfniß wird, oder werden sollte, werden durch Sicherheit, Dünkel, Schüchternheit oder abergläubische Furcht abgehalten, den Prediger zu Rathe zu ziehen;453 kennen sich selbst, ihre Verderbnisse und deren Quelle zu wenig, oder verhehlen454 sie sich und ihm;455 oder sind, zumahl bey456 Krankheiten, so wenig zum Nachdenken fähig, aufgelegt und geneigt, als daß da die Unterredung des Predigers mit ihnen wirksam genug werden könnte. Und wäre dieses alles auch nicht: so ist selten viel auszurichten, wenn nicht schon vorher bey457 solchen der Grund zu einer rechten Erkenntniß der Religion und zum Geschmack daran gelegt worden ist; wenigstens kan458 der Prediger durch öffentlichen Vortrag weit Mehrern nutzbar werden, als durch den Privatumgang. Jener bleibt also doch immer die wichtigste Beschäftigung, von der bey459 den meisten der ihm Anvertrauten, die selten andre460 Quellen des Religionsunterrichts haben, und nutzen können, sowohl ihre ganze Bildung durch die Religion, als ihre Neigung [23] abhängt, sich auch in besondern Angelegenheiten seiner Leitung zu bedienen.
Aber hier kommt 4) überaus viel auf die Art an, wie dieser Vortrag eingerichtet ist,462 und die gute Wirkung desselben, so weit sie von dem [25] Prediger selbst abhängt, beruht immer entweder auf dem Vertrauen, das er bey463 den Zuhörern hat, oder auf der guten Einrichtung seines Vortrags. Jenes Vertrauen kan freylich464 auch aus seiner anerkannten Geschicklichkeit, aus seiner Liebe gegen die Zuhörer, und der thätigen Theilnehmung an ihrem Besten, aus seinem ganzen exemplarischen und anziehenden Betragen, entspringen. Aber, so lange man ihn nach diesen Eigenschaften noch nicht kennt, muß er sich doch dieses Vertrauen erst durch den guten Vortrag erwerben; seinen Werth als 465 Lehrer kan466 und pflegt man doch erst nach diesen zu schätzen; und das Vertrauen selbst ist nichts anders, als nur Mittel, nur Vorbereitung, das ihm den Weg bahnt, um gern gehört, und so erst durch den Vortrag den Zuhörern nutzbar zu werden.
Der Vortrag hat doch ganz andre468 Wirkungen, wenn er die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesselt, wenn er ihnen die vorgetragnen469 Sachen deutlich und einleuchtend macht, wenn er sie dafür einnimmt, und daher ihren Fähigkeiten und Neigungen, wenigstens ihren Bedürfnissen angemessen ist, als wenn es ihm an diesen oder einer [[6]04] dieser Eigenschaften fehlt, oder wenn entweder gewisse Fehler desselben den Zuhörern die Sachen verleiden, oder der Vortrag, indem er ihren Leidenschaften oder ihrer Einbildungskraft [24] schmeichelt, ganz sie von dem Zweck abführt, sie von der Religion zu überzeugen, und sie zur Befolgung [26] derselben willig zu machen. – Selbst dieser Zweck und die Natur der Religion hat, wenigstens für die meisten Menschen, nichts Anziehendes. Es gehört schon manche Cultur470 der Seele, mindestens ein Gefühl, wie wenig uns sichtbare Dinge befriedigen, und eine gewisse Verlegenheit über unsern Gemüthszustand, dazu, wenn der Mensch nur erst Geschmack an Beschäftigung mit unsichtbaren Dingen finden soll; und die stete Beschäftigung mit sichtbaren Dingen, das Vergnügen, das aus ihrem Genuß entsteht, und die Gewöhntheit daran, nebst der Kunst, den Ueberdruß dieser Vergnügungen durch mannichfaltige Abwechselung zu verdrängen, läßt vollends jenen Geschmack selten aufkommen. Soll dann471 auch das, was zur Religion gehört, den Menschen nicht bloß unterhalten, sondern wirklich bessernbessern:472 so muß er sich sehr bittre473 Wahrheiten gefallen laßen474, ihnen gegen sich selbst und seine Eigenliebe recht475 geben, seinen Neigungen Gewalt anthun, gewohnte und fast unentbehrlich gewordne476 Vergnügungen aufopfern, beschwerliche Uebungen übernehmen;477 lauter Dinge, von welchen der Mensch nicht gern hören mag. Und wenn auch schon die Zuhörer, durch sonst erlangte Kenntniß der Religion, durch einigen Geschmack [605] daran, durch manche Erfahrungen, wie übel sie bey478 dem Leichtsinn und 479 Ausschweifungen gefahren sind, vorbereitet scheinen mögen, das, was ihnen die Religion vorhält, williger anzunehmen: wie ganz etwas anders ist es, etwas gern zu hören, und es willig zu thun? welch ein großer480 [27] Unterschied ist zwischen vorübergehenden Bewegungen und zwischen einem dauerhaften Eindruck, der in religiöse Gesinnung übergeht? also, wie unumgänglich nöthig, wenn [25] die selige Absicht der Religion erreicht werden soll, sie nicht nur vorzutragen, sondern es so zu thun, daß wahrhaftige Willigkeit, sich nach ihr zu bilden, und bleibender Eindruck entstehe.
Aber zu einen511 guten VortragVortrag512 der Religion gehört 5) überaus viel, gewiß mehr, als sich Mancher513 nur –514 vorzustellen vermögend ist. Gut nenne ich dergleichen Vortrag, wenn er durchaus der Absicht gemäß ist, die bey denenjenigen, bey515 welchen man ihn braucht, erreicht werden soll. Diese muß seyn, ihnen wahrhaftig516 die Religion und ihren Werth einleuchtend, und sie willig zu machen, ganz ihre Gesinnungen und Handlungen danach517 einzurichten. Denn, daß der Vortrag, wo es der Prediger bloß darauf anlegt, daß Er [607] selbst gefallen will, wo es ihm nur darum zu thun ist, seine Zuhörer zu unterhalten, und wo nicht das herzliche Verlangen zum Grunde liegt, [29] die Zuhörer wirklich zu bessern, oder wo es ihm gar genügt, sein Tagewerk mechanisch gethan zu haben, daß der Vortrag jenen Namen nicht verdiene, und dem großen518 Zweck519, worauf der Prediger durch Religion arbeiten soll, bey520 weitem nicht entspreche, bedarf doch wohl keines Beweises. Aber 521 eben jener522 des Namens wahrhaftig würdige Vortrag, daß der sehr schwer523 zu erreichen sey524, davon kan525 man sich einigermaßen526 überzeugen, wenn man folgende Schwierigkeiten wohl überlegt, die –527 in der Natur der Sache selbst528 und den daraus entstehenden großen529 Erfordernissen auf Seiten des Predigers selbst §. 21–25 – 21–25., in dem Mangel derselben beybei dem Prediger oder530 in der Beschaffenheit der Zuhörer §. 26–28 – 26–28., 533 und zum Theil in unsrer535 ganzen Erziehungsart und Verfassung §. 29. 30, 30. 536 liegen.
Zuerst in der Natur der Sache selbst, oder539 eines solchen Vortrags, der durch Nichts die abgezweckte Wirkung verhindern oder stören, sondern durchaus durch alle jedesmal mögliche Mittel sie befördern soll. Nothwendig muß der Prediger oder Katechet wissen, 1) woher er theils die vorgetragenen Sachen nehmen, theils wie er sie empfehlen soll. Zu jenem gehört ein gewisser Reichthum von recht praktischen Kenntnissen des ganzen Umfangs der [608] Religion; zu diesem ein ansehnlicher Vorrath selbst von praktischen Kenntnissen aus der Philosophie, vornemlich540 der Psychologie und Logik, und aus den schö[30]nen Wissenschaften, hauptsächlich aus der Rhetorik. Beyderley541 Kenntnisse, jene, die den Stoff, diese, welche die Form dem Vortrage geben, muß eigner 542 Fleiß und Uebung erlangt und verarbeitet haben. Die Sache verdient eine etwas deutlichere Erläuterung.
Erstlich sollte jede Erkenntniß, und vorzüglich unsre544 Kenntniß der Religion, in dem oben (Theil 22. 545 §. 169 456 ) angegebenem547 Verstande, praktisch seyn, daß wir nie bloß auf ihre Wahrheit sähen549, sondern eben so sehr auf ihren Werth 550, (d. i.)das ist ihren Nutzen und Einfluß in die menschliche Glückseligkeit, es mag dieser Einfluß mittelbar oder unmittelbar seyn ( (ebendas.)ebendaselbst (Anmerk.)Anmerkung). Wozu weiß oder lernt man sonst? vornemlich551, wie kan552 der die Absicht der Religion und seines Berufs erfüllen, wer auch die richtigsten Sätze derselben nicht zu Andrer553 Besten anzuwenden weiß.554 – Aber es giebt ausser dem555 noch eine weit mehr verkannte praktische Erkenntniß, die darum so heissen556 könnte, weil die Art, wie man sie erlangt hat und [28] wieder anwendet, praktisch ist. Wer als ein vernünftiger, wirklich freyer557 Mensch, gewissenhaft lernen, und so wieder mittheilen will, der muß nicht bloß von Andern Sachen, Beweise und deren Anwendung lernen, oder dies ihnen [609] nachsagen; er muß nicht bloß wiedergeben was er empfangen hat, und es von Hand in Hand fortpflanzen. Er558 muß vielmehr – in Absicht auf Erkenntniß – eigenthümliche Begriffe und [31] Ueberzeugung davon erlangt, (d. i.)das ist sich es nach seiner Art vorgestellt,559 und klar gemacht, mit seinen übrigen Begriffen vereinigt haben;560 er muß, so viel er kan561, durch eigne 562 Beobachtung und eignes 563 Nachdenken versuchen, sie deutlich und einleuchtend zu machen, vornehmlich564, was er erkennt, in so vielen Beziehungen auf menschliche Glückseligkeit zu denken;565 und fleißig insbesondre566 auf den Einfluß Acht geben, den dies auf seine Gewißheit, auf seine Gesinnung und auf alle Handlungen hat, daß ihm einzelne567 Lehren der Religion zu seiner und Anderer Besserung und Beruhigung immer brauchbarer werden. Und, in eben dem Maaß568, wie diese seine Erkenntniß wächset, muß er – in Absicht auf Anwendung derselben – immer mehr eignen 569 Antheil daran nehmen, sich wirklich dabey570 beruhigen, wirklich darnach handeln, sich immer mehr darüber freuen lernen, und den Trieb unterhalten, Andern auf eben die Spur zu helfen, bey571 ihnen die nemliche572 Ueberzeugung, Gesinnung, Freude und Art zu handeln, zu befördern. – Sonach muß er Anderer mündlichen oder schriftlichen Vortrag mehr als VeranlaßungVeranlaßung573 zum eignen574 Denken, mehr als Winke, als Eröfnung weitrer575 Aussichten brauchen, die ihm576 aufmerksam machen, ihm zu eignen577 Gedanken helfen sollen, ihnen mehr die Art, selbst Erfahrungen anzustellen, darüber nachzu[610]denken, und sie nutzbar zu machen, ablernen, [29] als die Kenntnisse selbst von ihnen annehmen. – Durch diesen eignen 578 Fleiß, eigne 579 Beobachtungen oder benutzte Erfahrungen, eignes 580 Nach[32]denken, eigne 581 Anwendung, wird seine Erkenntniß, Gesinnung und Handlungsart ihm eigenthümlich und wahrhaftig gewissenhaft.
Es ist kein Zweifel, daß, wer so die Religion erkennt, daß der auch mehr dadurch selbst gebildet werde, sie klärer und anschauender erkenne, mehr von ihrer Wahrheit und Werth594 überzeugt, mehr dafür eingenommen sey595; daß er weit kräftigern Antrieb habe, sie Andern mitzutheilen; mit mehr Deutlichkeit, und, so zu sagen, Herzlichkeit davon spreche; mehr aus eigner596 Erfahrung wisse, sie Andern wirksam beyzubringen597; folglich [611] auch auf Andre598 weit kräftiger wirke;599 daß dies also, dieses Praktische der Erkenntniß in der Religion, in beyderley600 Sinn (§. 22 601) genommen, [33] die Hauptsache sey602, wenn ein Lehrer der Religion wahrhaftig sie Andern recht nutzbar machen will. Sehr schwer ist es immer, zu dieser praktischen Erkenntiß zu gelangen, und angestellte Versuche werden es jeden lehren, der es im Ernst darauf [30] anlegt. Beständige Aufmerksamkeit, viel und einviel, 603 eben so ruhiger als 605 geschäftiger Beobachtungsgeist,606 Gewohnheit, eine Sache auf mehrern Seiten anzusehen, und über den Einfluß eines Satzes607 auf Andre608 sowohl als auf den Verstand und das Herz des Menschen nachzudenken,609 Kenntniß dessen, worauf man bey610 einer solchen Untersuchung Acht zu geben, woraus man die Kenntnisse zu schöpfen hat,611 gute Hülfsmittel, fleissige612 Uebung, selbst hinlängliche Zeit dazu – dieses613 alles erfordert viele Fähigkeiten, Kenntnisse, Geschmack an solchen Betrachtungen, Fleiß und glückliche Umstände. – Gemeiniglich schöpft der angehende Prediger oder Katechet seine Kenntnisse aus dem Unterricht auf Schulen und Universitäten, und aus Büchern. Daraus zu lernen, macht ihn, wie schon gesagt, allein nicht zu seinen BerufBeruf614 tüchtig. Gesetzt auch, daß er in der Wahl oder bey615 dem Zufall, der ihn auf diese Anweisung führte, nicht unglücklich gewesen, durch diesen genossenen Unterricht nicht verstimmt worden sey616, also nicht erst noch zu lernen habe, wie viel er gar nicht, wie viel er vergebens gelernt habe, wie viel er also erst wieder verlernen müsse; gesetzt daß er auch [612] selbst den besten, zu seinem künftigen besondern Beruf,617 zweckmäßigsten Unterricht erhalten, daß er ihn mit der gehörigen Aufmerksamkeit benützt618 [34] habe – Fälle, die äusserst619 selten sind –:620 so kan621 ihm zwar dieser Unterricht sehr nützlich, ja in so fern unentbehrlich seyn, daß er alles622 kürzer, bestimmter, zu einer allgemein zusammenhängenden Uebersicht der Religion brauchbarer, lernt,623 daß er auf das aufmerksam gemacht wird, was und wie er es lernen, untersuchen, anwenden, auch wohl wie er das Gelernte praktisch machen soll. Aber es ist doch alles dieses mehr ein Faden, woran er seine eignen624 erworbenen Kenntnisse an[31]reihen, eine Grundlage, worauf er erst selbst weiter fortbauen, ein angewiesenes Fachwerk, worin er erst noch viel zusammentragen und ordnen soll. Und wenn er selbst dem Lehrer die gute Methode abgelernt hat, selbst von ihm in praktischer Behandlung des Gelernten geübt worden ist: so sind dieses doch nur Muster in wenigen Beyspielen625, so wie der allgemeinere Unterricht nur Entwurf im Ganzen, den er selbst, nach den künftigen besondern Umständen und Bedürfnissen seiner eignen626 Zuhörer, erst ausführen muß. Kurz, er wird nur mit vorläufigen allgemeinen Kenntnissen, mit einer allgemeinen Instruction, wie er sich zu benehmen habe, mit einigen Handgriffen und Uebungen ausgerüstet, in die Welt geschickt, und es wird ihm nun, da er unmöglich auf Alles vorbereitet werden kan627, was er für sich und Andre628 nöthig haben wird, ihm nun selbst überlaßen629, sich weiter zu bilden, seine Kenntnisse zu vermehren, und immer neue Anwendung zu machen.
Was bisher eigentlich nur darüber643 gesagt worden ist, woher man die vorzutragenden Sachen nehmen soll, gilt auch in seiner Art von dem, wodurch man sie Andern empfehlen soll644 (§. 21).645 Man hat schon Vieles646 gewonnen, wenn man seine eigne 647 Kenntniß der Religion praktisch gemacht hat. Sie für Andere eben so 648 zu machen, die gemeiniglich weniger Fähigkeiten, weniger Geschmack an Religion, weniger Kenntniß derselben, und weniger Uebung in praktischer Kennt[36]niß der Religion haben, ist nicht [614] nur nöthig, aus den oben (§. 21 649) angegebenen Wissenschaften und aus eigner650 fleißigen Beobachtung und Nachdenken die beste Art zu lernen, wie man jemandem651 Sachen interessant, deutlich und eindrücklich machen könne, sondern auch fleißig mit Anderen652, zumal Leuten von geringeren Fähigkeiten, in der Absicht umzugehen, um ihre Fähigkeiten, Kenntnisse, Gesinnungen und Bedürfnisse auszustudieren653, und 654 die wirksamste Art ausfündig655 zu machen656, wie man ihnen am besten beykommen657 könne658. Daß dieses keine leichte Sache sey659, braucht kaum erinnert zu werden.
Ausser661 dem Auffinden desjenigen, was und wie man es am wirksamsten in dem Vortrage der Religion vorstellen soll, trägt 2) (§. 21 662) die Ordnung, in welcher die Gedanken gestellt werden, der Ausdruck, worein man sie kleidet, und das Aeusserliche bey663 Ablegung des Vortrags (die Action) ungemein viel zur Wirksamkeit des [33] Vortrags bey664. – Wenn die Unordnung in Stellung der Gedanken auch nicht so groß ist, daß sie Undeutlichkeit der Begriffe und Verwirrung in665 Vorstellungen hervorbringt, den Vortrag widerlich, und das Gesagte zu behalten unmöglich macht,666 oder erschwert: so unterhält doch lichtvolle Ordnung und natürliche Folge der Gedanken die Aufmerksamkeit; jeder Gedanke giebt dem andern Licht und Stärke, und667 bereitet den Zuhörer auf das Folgende; der natür[615]liche Zusammenhang giebt [37] eine angenehmere Unterhaltung, eine zusammenhängendere Uebersicht des Ganzen, und macht die Eindrücke dauerhafter, weil der Vortrag behältlicher668 ist, indem eine Idee die andre669, wegen ihres Zusammenhangs, leichter wieder ins Gemüth bringt. – 670 Wie viel der gute Ausdruck, der den Sachen und ihrer Würde angemessen ist, zur Empfehlung der Sache selbst thue, ist schon oben671 im ersten Theile672 673 berührt worden 674. – Und daß 675 der den Sachen selbst entsprechende, und nach ihrer Verschiedenheit abgeänderte Ton der Stimme, die ganze natürliche Gebärdensprache, der ganze äusserliche676 Anstand, mit einem Wort,677 das ganze äusserliche678 Benehmen, in welchem sich die anschauliche Ueberzeugung von den vorgetragenen Sachen und ihrem Werth679, die wahrhaftige Theilnehmung daran und an dem Wohl der Zuhörer, abdrückt, großen680 Einfluß auf diese habe, weiß ein jeder, der einiges Gefühl hat. – Aber daß dieses alles, was den Vortrag so sehr empfiehlt, zu erlangen, die rechte MittelstraßeMittelstraße681 zwischen der ungebildeten Natur und der Kunst dabey682 zu treffen, den Einfluß der oft unbemerkten Naturfehler und üblen683 Gewohnheiten auf einer, und der Ziererey684 oder der unnatürlichen Nachahmung auf der andern, abzuwehren, auch sehr schwer sey685, lehren die seltenen Beyspiele686 genug, wenn man auch nicht wüßte, wie viel dabey687 [34] natürliche Talente, ein688 durch viele Uebung aufgeräumter Kopf, genaue Bekanntschaft mit den Sachen, ein für alles Gute warmes und wohlwollendes [616] Herz, Reichthum der Sprache und Gewalt über [38] sie, ein feines Gefühl des Schicklichen,689 und ein sehr gebildeter GeschmackGeschmack,690 vermögen.
Zu diesen Schwierigkeiten, die in der Natur des Vortrags und dessen Theilen liegen (§. 21 21. ), kommen noch mehrere andere692, die mehr von gewissen Mängeln des Predigers selbst und den Bedürfnissen der Zuhörer abhängen, denen er 694 nicht gewachsen ist (§. 20 522 ). –695 Jeder hat nicht nur seine eigne Grundsätze,697 er hat auch seine eigne Art, Begriffe und Sätze zu verbinden, zu ordnen, zu bestätigen und auszudrucken;698 deswegen ist das, was uns verständlich, deutlich, überzeugend und eindrücklich ist, nicht Andern eben so. Es ist schon nichts Leichtes, zu empfinden, daß man sich oft selbst nicht recht verstehe, selbst nicht deutlich denke, sich mehr überedet als überzeuget699 habe; wie käm'700 es sonst, daß man seine Ausdrücke, zumal wenn man in Bildern und Tropen spricht, nicht in deutlichere einkleiden, seine Gedanken nicht weiter auseinander setzen701 oder zusammenziehen kan702, seine Ueberzeugung oder Rührung oft zerstört sieht, wenn man die Ordnung oder Einkleidung der Gedanken geändert hat? Wie viel schwerer muß es seyn, sich in Anderer Lage nur vorerst hinein zu denken, um zu erkennen, was ihnen verständlich, überzeugend und anziehend seyn möchte, um deswegen den Grad ihrer Fas[617]sungskraft, ihre Vorurtheile und vermuthlichen Kenntnisse, ihre Neigungen, [39] ihre Bedürfnisse, an welches alles703 man den weitern704 Unterricht und dessen [35] Anordnung anschließen705 soll, und die beste Art zu kennen, wie man ihrem Verstande und Herzen beykommen kan706? Wie noch viel schwerer, sich in Anderer Lage hinein zu versetzen, (d. i.)das ist seine eigne707 Art zu denken, sich in Bewegung zu setzen, und sich auszudrucken708, in diejenige709 gleichsam umzuschmelzen, die ihnen eigen ist? Wie viele710 feine Menschenkenntniß gehört dazu? wie viel Beugsamkeit des Verstandes und Herzens? welche Mannichfaltigkeit und 711 Reichthum von Gedanken, Worten und Wendungen?
Anm. Anmerkung Wahr ists, es giebt gewisse Begriffe, die alle Menschen für wahr halten,halten; gewisse Neigungen, wodurch alle gelenkt werden können; jenekönnen. Jene sind das, was man unter dem gemeinen WahrheitssinnWahrheitssinn, diese, was man, wenn sie auf freyefreie Handlungen gehngehen, unter moralischem Gefühle, beydes Gefühl, Beides zusammen vielleicht, was man unter Gemeinsinn Gemeinsinn (sensus communis) zu begreifen pflegt. Dem, sagt man, dürfe man nur allesAlles anschließenanschliessen, so könne man mit dem Menschen machen was man wolle. – Aber 1) eben dieses Anschließen Anschliessen und das so lange fortgesetzte Herumwenden aller Begriffe, bis sie sich jedesJedes Begriffen und Neigungen anschließen, diesanschliessen, das ist ebeneben ists, was so schwer, ohne die am Ende unsers Textes erwehntedes vorstehenden §. erwähnten Eigenschaften, und ohne lange Uebung unerreichbar ist. 2) Vieles, dasjenige wenigstens, wobeywobei irgend historische Kenntnisse, wie beybei Erklärung der heil.heiligen Schrift und beybei der in ihr vorkommenden Geschichte, oder eine genauere Kenntniß der Natur der Dinge, zum Grunde gelegt werden müssenmuß, wie beybei manchen zwar oft gemeinen, aber sehr verwickelten Zweifeln und sehr gewöhnlichem Mißverstande, läßt sich durch diesen Gemeinsinn allein, nicht zur Ueberzeugung oder EntschließungEntschliessung bringen. Und wenn vollends 3) vieles zu diesem Gemeinsinn gezogen würde, was dahin nicht gehörte, oder dieser durch Vorurtheile und SchwärmereySchwärmerei verdorben wäre; kostete es da nicht viel Mühe, den so VerdorbnenVerdorbenen zu überzeugen, daß er sich täuschte, daß sein Sinn zerrüttet wäre? und könnte man ihn wohl eben durch diesen Sinn dahin bringen, daß er empfände, er habe keine Empfindung, oder empfände nicht recht? Wie diese Ueberzeugung durch ganz etwas Andersanders, als durch den bloßenblossen Gemeinsinn, bewirkt werden muß: so hat 4) jeder Mensch, ausseraußer dem, worin seine Begriffe und Neigungen mit Andrer ihrendenen anderer MeschnenMenschen übereinstimmen, noch viele besondrebesondere Vorstellungen, die beybei ihm Ueberzeugung wirken, noch sein eignes eigenes Interesse, National- und Zeitvorurtheile,Zeitvorurtheile z. B.zum Beispiel die aus seinem besondern Temperament, seiner Lebensart, seiner besondern Art zu denken, zu schließenschliessen, zu erklären u. s. f.und so ferner entspringen; und gerade das wirkt auf ihn am meisten, was sich daran schließt. Ists denn also weniger nöthig, oder weniger schwer, daran sich zu halten, wenn man ihn wofürfür oder wowiderwider etwas einnehmen will? – Man hat Christus, s. Jesus ChristusJesus Christus Jesum als einzum Muster des populärpopulären und eindringlichen Vortrags dargestellt, und man hat es mit dem größestengrössesten Recht gethan. Aber eben seine ganze so vollkommen weise Lehrart zeigt, daß er sich beybei denen, die er bekehren oder bessern wollte, keineswegs bloß an den Gemeinsinn hieltehielt, sondern gewiß auch das andereAndere, was hier berührt worden ist, vornehmlichvornämlich das zuletzt genannte Eigne seiner Zuhörer, zu Hülfe nahm. Man vergleiche Hauff, Karl Viktor Hauff Bemerkungen über die Lehrart Christus, s. Jesus ChristusJesus Christus Jesu, mit Rücksicht auf jüdische Sprache und Denkart. Offenbach 1798. 712Und gerade der natürlich natüelichnatürlich schöne755 Vortrag, der allen Arten von Zuhörern gefällt, weil er für Alle757 nicht nur verständlich, sondern auch unterhaltend ist, der eben so wenig künstlich als kunstlos ist, ob er gleich das Letztre758 zu seyn scheint; der so einnimmt, daß jeder sagen muß: so stellen sich die Sachen in ihrer natürlichen Einfalt dar; von dem jeder glauben kan759, der koste die wenigste Anstren[37]gung – gerade der ist am allerschweresten760 zu erreichen, weit schwerer als der, wobey761 man die Anstrengung des Verstandes oder der Einbildungskraft, oder gar das ängstliche Bestreben, etwas Schönes und Auffallendes zu sagen, wahrnimmt. Woher käm' es sonst, daß wir so äusserst762 wenige Muster desselben fänden? woher sonst so große763 Schwierigkeiten, wenn man, was man selbst gedacht, sich es selbst ganz deutlich gemacht, sich es ganz zu seiner eigenen Zufriedenheit ausgedruckt764 hat, in eine ganz andre765 Form für anders Denkende gießen766 soll? woher, bey767 einer nicht geringen Anzahl recht guter Prediger, so ungleich weniger recht gute Katecheten? Es ist wahr, ein solcher Vortrag gelingt nur in solchen Stunden, wo die [42] Seele ruhig, (d. i.)das ist von keinem andern Gegenstande gestört, wo sie ganz heiter, ganz von dem Gegenstande eingenommen, voll von ihm, aber nicht überladen ist. Allein768 er wird da nur geboren oder empfangen,769 und lange gebildet ist er schon vorher; oder, um ohne Bilder zu reden, [620] er könnte da nicht gelingen, wenn nicht ein reicher Schatz von praktischen Kenntnissen in der Seele läge, die sich gerade zu rechter Zeit darstellten, um dieser Sache Licht und Wärme zu geben; wenn er770 nicht von vielen feinen Kenntnissen der Menschen und ihrer hier in Anschlag kommenden Umstände unterstützt würde; wenn die Seele771 nicht viele Regeln kennte, die man zur Gewinnung des menschlichen Verstandes und Herzens befolgen muß; wenn sie sich nicht durch viele Uebung die Fertigkeit erworben hätte, Sachen von vielen Seiten zu denken, mannichfaltig auszudrucken772, und sich gleichsam in mancherley773 Formen zu gießen774; nur daß zu der Zeit zwar die Vorstellung von den Sachen lebhaft in der Seele ist, aber die Art sie zu sagen, nicht ganz deutlich gedacht wird, [38] sondern mehr im Verborgnen wirkt, und jene Kenntnisse von Menschen, jene Regeln und FertigkeiteuFertigkeiten 775 sich mehr unvermerkt in den Vortrag ergießen776. Es muß jedem einleuchten, wie viel mehr dazu der ehemalige Erwerb aller jener Kenntnisse und Fertigkeiten, als die Stimmung der Seele in einer solchen Stunde selbst, beytrage777, und wie schwer es sey778, sich erst jenes zu erwerben, wenn man sich Hoffnung machen solle, daß ein solcher Vortrag gelingen werde.
Wenn der Prediger immer eine Versammlung von Zuhörern vor sich hätte, die wahres [621] Interesse für die Religion, und für ihre wahre geistige Wohlfahrt, einen reichen Vorrath von praktischen Kenntnissen der Religion, und heisse780 Lernbegierde mitbrächten, 781 die zum Denken über ernsthafte und unsichtbare Dinge, zur gewissenhaften Anwendung des Erlernten gewöhnt wären;782 die sich nicht bloß führen ließen783, sondern, an der Hand des Lehrers, über das Vorgetragene selbst dächten, und es auf ihren besondern Zustand anwendeten:784 so würde 785 sich der Prediger bey seinen786 Vortrag sehr erleichtert, und dieser sicherlich mehr Eingang finden. So sind und handeln aber die wenigsten Zuhörer; selbst der aufgeklärtere und der frömmere Theil denkt gemeiniglich, jener zu wenig an die Anwendung, dieser zu wenig an die Läuterung und feste Gründung der ReligionserkenntnißReligionserkenntniß787. Noch dazu ist fast immer die Versammlung ein vermischter Haufe; wo, was dem Einen verständlich, dem Andern schaal und wässerig, und was diesen788 unterhält, jenem undeutlich und zu hoch ist; wo die Fähigkeiten, Kenntnisse, Geschmack und Interesse so verschieden789 sind, daß es sehr schwer wird, sich ganz zu dem einen Theil herabzulassen, und ihn zu sich hinaufzuheben, dem790 andern hinlängliche Unterhaltung zu geben, [39] durchaus aber 1580Allen Alles zu werden. – Dies791 und das Unvermögen des Predigers, sich in die UmständeUmstände der Zuhörer zu schicken,792 ist also793 die zweyte Hauptursach794 (§. 20 795) der großen796 Schwierigkeiten bey797 einem798 guten VortragVortrage 799.
Indessen würden sie sehr vermindert werden, und der Prediger PrdigerPrediger 802 oder Katechet würde sie weit leichter überwinden können, wenn ihm – welches das dritte 803 war (§. 20 804 und 26 805) – nicht manche Einrichtungen unter uns im Wege stünden, und 806 Anstalten dazu mehr angelegt wären, worin Christen807 und worin vornehmlich Lehrer der Religion sollen gebildet werden. – Es versteht sich von selbst808, und die Geschichte bestätigt es, daß, wenn Wißbegierde, Aufklärung in der Religion, Interesse für sie und für geistige Angelegenheiten, allgemeiner würde, ein großer809 Theil der Schwierigkeiten wegfallen müßte, welcher von Beschaffenheit des Predigers selbst und810 der Zuhörer herrührt.811 Und, wenn gleich alsdann812 immer noch eine große813 Verschiedenheit der Lehrer und814 Zuhörer bliebe: so würde doch auch die den Vortrag weniger erschweren, wenn, wenigstens öfters, besondre815 Vorträge für die verschiednen816 Arten der Zuhörer, bloß für Kinder, 817 für Landleute, für Gelehrtere (u. s. w.)und so weiter gehalten würden, und wenn man in Besetzung der Lehrstellen mit mehr Weisheit und Gewissenhaftigkeit verführe, um jeden Lehrer an den Ort, unter die Art von Zuhörern zu versetzen, 818 ihm die Art des Vortrags anzuweisen, die seinen Fähigkeiten am angemessensten wäre.
819Eigentlich aber ziele ich hier auf die Anstalten zur Bildung unsrer821 Christen und ihrer [623] Lehrer. Diese sind entweder SchulenSchulen822 oder UniversitätenUniversitäten823, und, wenn man will, besondere Pflanzschulen für die Lehrer. –824 In Schulen825 wird gemeiniglich die Jugend fast bloß zu Gelehrten, oder bloß zum gemeinen Leben und den Nahrungsstand erzogen, bey826 jenen die Bildung zu recht praktischen Kenntnissen in den Wissenschaften, und besonders in der Religion, bey827 diesen die Kenntniß und das Nachdenken über unsichtbare Dinge, bey beyden828 moralische Bildung und Gewöhnung zu eignem829 Fleiß zu sehr vernachläßigt830. –831 Auf Universitäten832, wo der künftige Lehrer nothwendig muß833 zu gelehrten Kenntnissen angeführet834 werden 835, führt die Natur der Wissenschaften, worin 836 vorzüglich 837 Bestimmtheit und Gründlichkeit herrschen muß838, und der Vortrag, wodurch nicht das Volk, sondern Lehrer sollen839 gebildet werden 840, auf eine gewisse einförmige und gelehrte Art zu denken, worüber gemeiniglich die praktische Art, die Religion zu behandeln, versäumet841 wird, und der künftige Lehrer eine Art zu denken und sich auszudrucken842 annimmt, die es ihm hernach sehr schwer macht, sich zu Ungelehrten herabzulaßen843, und mit ihnen nach ihren Bedürfnissen zu reden. –844 Ueberhaupt aber werden in beyderley845 Anstalten zu sehr die Uebungen im guten, besonders praktischen und populärpopulären, Vortrag vernachläßigt,vernachlässigt 846 und immer seltner,848 Uebungen, zu welchen man frühzeitig, vorzüglich auf Schu[46]len, sollte angehalten werden. Denn da ist nicht nur die meiste Zeit [41] dazu; da 849 könnte auch die Leitung und Kritik eines [624] verständigen Lehrers die Aufmerksamkeit des jungen Lehrlings gerade auf das richten, was eigentlich850 zum guten Vortrag851 gehört, ihm die Quellen, woraus er schöpfen sollte, anweisen, oder ihm selbst zu den nöthigen Gedanken helfen, und alles852 durch nöthige Erinnerungen verbessern;853 da 854 kan855 man noch an Achtsamkeit auf klein scheinende856 Umstände, die auf den Vortrag so großen857 Einfluß haben, gewöhnt werden, weil das Gemüth noch nicht durch die Aufmerksamkeit auf nöthigere Dinge abgelenkt, und der Geschmack noch nicht durch sogenannte reelle Kenntnisse verwöhnt ist; da 858 läßt sich auch noch die Flüchtigkeit des jungen Kopfs durch stete Uebung und einen heilsamen Zwang einschränken. – Sind aber diese Uebungen versäumt worden;859 ist der Geschmack nicht frühzeitig zum Gefühl der wahren natürlichen Schönheit des Vortrags gebildet;860 kommt noch eine unvorsichtige Lectüre dazu, und der Trieb, mehr sein Vergnügen dadurch zu befriedigen, oder höchstens Kenntnisse einzusammlen861, als den zweckmäßigen Vortrag der Religion zu bilden: so muß es, wie auch die Erfahrung lehret862, unbeschreiblich schwer werden, hinterher erst einen solchen Vortrag, wie er bisher beschrieben ist, in seine Gewalt zu bekommen.
Worauf käme es nun eigentlich an, wenn der Vortrag der Religion, – er sey864 aneinan[625] [47]derhangend, oder mehr Unterredung mit Anderen,865 – so seyn sollte, daß die Absicht, Andere durch Religion glücklich zu machen, erreicht werden könnte? – WilligkeitWilligkeit866 sie anzunehmen und zu befolgen, kan868 anders nicht, als durch erweckte Vorstellungen entstehen, die uns das, was zur Religion gehört, als wahr und als [42] gut zeigen. Wenn also der Vortrag jene Absicht befördern soll:869 so muß er: – bey870 den Zuhörern Vorstellungen erwecken erwecken –871 die von ihnen als wahr, (d. i.)das ist als der Sache selbst, oder dem Grunde, worauf sie beruhen, gemäß erkannt werden –872 und deren Werth ihnen in Rücksicht auf ihr Bestes einleuchtet. In der ersten Absicht ist der Vortrag belehrend (unterrichtend); in der zweyten873 überzeugend; in der dritten rührend (im weitern874 Verstande; s.siehe unten §. 43. 875) †) 877. Diese drey878 Eigenschaften kan879 man unter dem Namen der Erbaulichkeit zusammenfassen, und der Vortrag ist erbaulich, wenn er so eingerichtet ist, daß er –880 die Erkenntniß881 –882 der göttlichen Wahrheit –883 zur Gottseligkeit –884 befördern kan885; wiewohl er auch von Manchen schon so genannt wird, wenn er auch nur Eine886 dieser Eigenschaften, vornehmlich wenn er die dritte,887 hat. 888
Anm.Anmerkung Anm. 2. Das Folgende2) Wenn wir diese Haupttendenz öffentlicher Vorträge etwas weiter verfolgen, so soll dies doch weder eine Anweisung zum Predigen Anweisung zum Predigen , noch zum Katechisiren Katechisiren seyn. Es soll nur auf die Hauptsache beybei dem erbaulichen Vortrage erbaulichen Vortrage aufmerksam machen, und zeigen, wie viel dazu gehöre, wenn ein solcher Vortrag seiner wahren Absicht entsprechen soll. Einzelne Regeln lassen sich hernach leicht daraus ableiten. {Die Bedeutung des Erbaulichen wird oft sehr einseitig aufgefaßt, wie es meistentheils tropisch tropischen Ausdrücken geht. Die Hauptidee, welche auch den Stellen des neuen Testaments, woraus er genommen ist ( Apostelgesch. 20, 32. Eph. 21, 22. 23. Jud. 20. , 1 Kor. 14, 5. 26. u. s. w.und so weiter) zum Grunde liegt, ist das Emporsteigen eines Baues auf einem gelegten Grunde; eigentlich also ein Zunehmen, Besser- und Vollkommnerwerden, wie denn Luther, Martin Luther selbst in mehreren Stellen οἰκοδομη durch Besserung übersetzt hat ( 1. Kor. 14, 3. 26. ). Dieß wird eben sowohl auf Wachsthum an Erkenntniß als an Heiligung bezogen; und Alles, was das Eine oder das Andere, sei es durch AufklärungAufklärung der Vorstellungen, sei es durch Erweckung sittlicher und frommer Gefühle, sei es durch Belebung des Eifers in allen Tugenden befördert, ist erbaulich. Häufig aber hat man das Erste davon ausgeschlossen, und nicht nur Vorträge, die mehr den Zweck hatten zu erleuchten, als zu erwärmen, unerbaulich genannt. Allerdings sind Erbauungsbücher, Erbauungsstunden, erbauliche Predigten nicht bloße Verstandesbeschäftigungen, oder Belehrungen über Dinge, und Materieen, die keinen Einfluß auf die ganze Besserung des Menschen haben, wie schon früherhin so viele streng dogmatische und gar polemische Predigten enthielten; aber es giebt auch heilsame Erkenntnisse und eine Berichtigung der Begriffe, die von großer Wichtigkeit für die Tugend des Menschen ist. Außer Koppe, Johann Benjamin J. B. Koppe genauere Bestimmung des Erbaulichen in Predigten, Göttingen 1778, vergleiche man Spalding, Johann Joachim Spalding's Predigt von dem was erbaulich ist, Berlin 1781, und die lehrreiche Abhandlung in Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus neuem theologischen Journal 1797, N.Numero 6. über den Begriff des Erbaulichen, und in meinen Briefen an christliche Religionslehrer, 3te Sammlung. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 894Belehrung, wodurch die Kenntniß des Zuhörers immer mehr erweitert, und er zum Besinnen und Denken ge[44]bracht wird, ist die erste 904 unentbehrliche Eigenschaft eines guten VortragVortrags,905 und 906 in dem Grade kan907 dieser nützlich seyn, in welchem er diese Eigenschaft hat. – Denn wie kan908 man etwas für wahr und909 gut halten, was man nicht kennt? woher anders, als daraus, können Gründe genommen werden, wodurch man sich überzeugt, und wonach man etwas begehrt oder verabscheut? oder wie kan910 der Beyfall911, den man einem Satz912 giebt, und die Willigkeit, mit der man ihn befolgt, gewissenhaft seyn, d. i.das ist 913 wie kan914 man sich selbst Rechenschaft geben, daß man etwas für wahr annehmen und wollen müsse, ohne durch die Kenntniß, die man von einer solchen Sache hat? Immer rührt auch alle Gleichgültigkeit gegen das, was wahr und gut ist, und alle Verwerfung desselben da[49]her, daß man es entweder nicht kennt, oder zu der Zeit nicht daran denkt, oder sichs nicht lebhaft genug vorstellt; und diesem allen kan915 [627] nur rechte Belehrung abhelfen. – Das Bekannte verliert, weil man dessen gewohnt wird, nach und nach den Eindruck, und kan916 nur dadurch aufgefrischt werden, daß man immer Mehreres hinzu lernt, wodurch das Bekannte in uns in neuen Verbindungen erscheint, und uns neue Aussichten eröfnet917 werden, welche die Beschäftigung mit bekannten Sachen unterhaltender machen. – Was nicht wirklich belehrt, wobey918 man nichts Bestimmtes denkt, was bloß die Phantasie in Bewegung, und das Gemüth in Affekt setzt, das geht wie ein Rausch vorüber, und kan919 keine dauerhafte920 Eindrücke hinterlaßen921. Je mehreres man hingegen von einer Sache weiß; je922 mehr erzeugt Eines das Andere, weckt Eins das Andre923 wieder auf, wirkt Eins wenn das Andre924 unwirksam schläft, verstärkt das Eine die Wirkungen des Andern. – Wenn nun vollends der Re[45]ligionsunterricht in den früheren Jahren, es sey925 aus Schuld des Lehrers oder der Unfähigkeit und Flüchtigkeit des Alters, bloß auf das Gedächtniß gewirkt hat; wenn aus der Denkungsart und aus anderweitigen angenommnen926 Vorurtheilen eines Menschen sich Vorstellungen in seine Religionskenntnisse eingeschlichen haben, die, so denkbar sie sonst seyn mögen, in der Religion undenkbar sind; wenn sein Gemüth durch angefangne927 Zweifel oder verführerische, zumal den Leidenschaften des Men[50]schen schmeichelnde, Gedanken verwirrt, oder von der Achtung und Liebe zur Religion abgezogen worden ist; wenn ohnehin mit den Jah[628]ren der Unmündigkeit der jugendliche Religionsunterricht aufhört; wenn die sich nun selbst Ueberlaßenen928 keines aneinanderhängenden förmlichen Unterrichts in derselben mehr genießen929, und sich entweder gar nicht mehr um Unterricht in der Religion und dessen Erweiterung bekümmern, oder sich selbst nach mangelhaften und willkührlichen930 Begriffen eine Religion bilden: was bleibt dann, diesem Uebel abzuhelfen, noch übrig, als daß durch öffentliche Vorträge der Religion diese Belehrung entweder erst ertheilt, oder unbestimmten, halbwahren und unrecht angewendeten Vorstellungen eine andre931 Richtung gegeben werde.932
Soll der Vortrag belehrend seyn: so muß er nicht nur Dinge bekannt machen, die der Zuhörer vorhin nicht wußte, oder an die er nicht dachte; er muß auch bey934 ihm wirklich Begriffe, und zwar bestimmte Begriffe935 davon hervorbringen können. – Er muß ihm 1) etwas zu denken geben, sowohl in Absicht auf Sachen als auf Worte. – – Auf Sachen.936 Und hier sollte aus dem Vortrage [46] alles937 entfernt werden, was entweder an sich undenkbar ist, oder doch, so fern es von Gott und in der Religion gebraucht wird, sich nicht denken läßt, oder, weil die ganze Religion praktisch seyn muß (Theil 2. §. 169 456 )938, was überhaupt oder bey denenjenigen941 Zuhörern, mit welchen man zu thun hat, weder zu ihrer [629] Besserung, noch zu ihrer Beruhigung brauchbar vorgetragen werden kann942. †) 943 Was sich hingegen denkbar und praktisch machen läßt, müßte man so sehr an die Begriffe, die man bey944 den Zuhörern voraussetzen kan945, anknüpfen, durch Gegensätze, durch Erfahrungen, Beyspiele946 und Beschreibungen so erläutern, und, wenn man Stellen der heiligen Schrift braucht, diese durch faßlichere Gedanken und Umschreibungen so klar und anschauend machen, daß aller nachtheilige Mißverstand verhütet, und der Gedanke ihnen so anschaulich,947 als möglich gemacht würde. – In Absicht auf Worte aber müßte man sich aller Ausdrücke enthalten, die den Zuhörern unverständlich sind, sie mögen übrigens sonst so gut, und durch den Gebrauch so gangbar gemacht und geheiligt seyn, als sie wollen; man948 müßte wenigstens949 nichts unerklärt laßenlassen, wobey950 man wüßte952, daß sie nichts oder leicht etwas Falsches zu denken gewohnt wären953; und alles müßte954 in so faßliche, darstellende und edle Ausdrücke eingekleidet werden, als man irgend,955 der Natur der Sachen angemessen956 finden könnte.
Doch dieses allein würde zur rechten Belehrung nicht dienen, wenn der Vortrag nicht auch so eingerichtet wäre, daß er 2) bestimmte Begriffe erwecken könnte. Wer diese Eigenschaft seinen Vortrag972 mittheilen, und verhindern wollte, daß dieser nicht entweder Irrthümer erzeugte, welchen doch die Belehrung eben mit vorbeugen will, oder daß der Vortrag den Zweck nicht erreichte, den er doch haben soll, Belehrung zu geben: der müßte sich durchaus solcher Ausdrücke bedienen, wobey973 er voraussehen könnte974, der Zuhörer werde, nach dem ihm bekannten Sprachgebrauch, gerade das denken, was der Lehrer ihm dadurch sagen will. Er975 müßte sich aller zweydeutigen976 und schwankenden Ausdrücke enthalten, die nach dem Sprachgebrauch entweder mehr oder weniger Vorstellungen, als der Lehrer wirklich mittheilen will, oder gar fremde Vorstellungen, erregen könnten. Wäre977 dieses aber zu besorgen, [53] und wären entweder keine Ausdrücke in der Sprache vorhanden, die diese Fehler nicht hätten, oder gäbe es zwar bestimmtere, aber denen978 Zuhörern, vor denen man redete, nicht verständliche Ausdrü[631]cke, so müßte durch deutliche und faßliche Erklärungen und Erläuterungen, auf die im vorigen979 §. erwähnte980 Art, diesem Mißverstande abgeholfen werden.
Durch die Belehrung lernt der Zuhörer die Sachen recht kennen; soll er aber dabey1000 nicht [632] gleichgültig bleiben, sondern sie zu seinem Besten benutzen;1001 so muß er einsehen lernen, daß dasjenige, was er gehört hat, wahr sey1002, (d. i.)das ist er muß es, so fern es seine Kenntniß angeht, glauben, und, so fern es seinen Willen betrifft, für seine Pflicht ansehen, und sich, es zu thun oder zu laßen1003, für verbunden achten. Ein Vortrag, der dies bewirken kan1004, ist überzeugend; welches die zweyte1005 Eigenschaft war1006 (§. 31).1007 Die Einsicht der Wahrheit beruht auf Gründen, die den [49] Zuhörer nöthigen, eine Lehre für wahr zu halten; er wird aber diesen keine hinlängliche Aufmerksamkeit schenken, wenn er die Lehre nicht in Beziehung auf sein Bestes ansieht, (d. i.)das ist wenn sie nichts Anziehendes für ihn hat, wenn sie ihm nicht interessant ist;1008 und dies kan1009 sie für ihn, wenn sie praktisch ist, nicht seyn, falls er nicht einsieht, daß sie in der Anwendung möglich sey1010, und1011 daß er ihr gemäß handeln könne. Hieraus entstehen drey1012 Eigenschaften des überzeugenden Vortrags. Er muß darauf eingerichtet seyn, daß die Zuhörer,1013 die Lehren –1014 für gegründet, –1015 für interessant und –1016 für ausführbar erkennen.
Um den ersten Zweck zu erreichen, ist 1)1018 die bloße Wärme 1019 oder 1020 Eifer 1021 im Vortrag nicht hinlänglich; sie1022 beweiset nur, daß der Lehrer für das, was er sagt, eingenommen sey1023. Der AffektAffekt1024 läßt sich nicht immer den Zuhörern mittheilen. Er1025 wirkt nur da, wo der Zuhörer schon durch seine Denkungsart, durch seine Grundsätze, durch seine Neigungen,1026 dazu gestimmt ist, aber nicht da, wo1027 er eben am nöthigsten wäre; ich meine1028, wo gerade alles dieses nach den Lehren, und durch sie, sollte verbessert werden. Es1029 wird so garsogar der AffektAffect da 1030, wo die Zuhörer nicht blindlings zu folgen gewohnt sind – und dies1033 sollte der Lehrer nicht einmal wünschen, wenn ihm Gewissenhaftigkeit der Zuhörer lieb wäre1034 – er wird bey1035 nüchternen, selbstdenkenden, gewissenhaften, oder gegen eine Lehre eingenommnen1036 Zuhörern vielmehr das Vorurtheil einer übeln Sache, oder doch wenigstens der Unfähigkeit des Lehrers, Andre1037 zu überzeugen, hervorbringen; weil jeder glauben muß, daß der Lehrer den einzigen Weg zur wahren Ueberzeugung, die nur durch GründeGründe bewirkt wird, gehen würde, wenn er wirkliche Gründe hätte, und nicht den Abgang der Gründe durch sinnliche Betäubung der Zuhörer ersetzen wollte. – 2) Scharfsinnige 1038 und gelehrte BeweiseBeweise 1039 wirken eben so wenig, weil sie die Wenigsten fassen können, und die Meisten ohnehin gelehrte Angaben auf das bloße Wort des Lehrers annehmen müssen. – Man führe hingegen alles1040, [56] wovon man überzeugen will, so viel man immer kan1041, auf den gemeinen Menschenverstand und auf das moralische GefühlGefühl;1042 auf Sätze, die man bey1043 den Zuhörern, als wahr erkannt, gewiß voraussetzen kan;1044 auf bekannte Erfahrungen, deutliche Gleichnisse1045, einleuchtende Beyspiele1046, auf Vergleichung mit offenbar ähnlichen unbezweifelten Sätzen und Fällen;1047 auf ganz klare oder leicht klar zu machende Stellen der heiligen Schrift zurück. Man nehme bey1048 moralischen Sätzen die natürliche Billigkeit und die augenscheinlichen oder leicht abzusehenden Folgen der Handlungen zu Hülfe. [634] Man mache, zumal wenn uns die bisher erwähnten Mittel abgehen, die Lehren praktisch, und zeige, wie viel besser man, in Absicht auf Beförderung des Guten und unsre1049 Beruhigung, als bey1050 dem Gegentheil, fahre. Man hüte sich insbesondere für1051 unbestimmten Behauptungen, die man nicht ganz wahr machen, und wobey1052 der Zuhörer leicht Ausflüchte finden kan1053, und für übertriebnen1054 Sätzen und Forderungen, welchen er leicht gegenseitige Erfahrungen oder die Unmöglichkeit entgegensetzen könnte. Man1055 zeige vielmehr, wie weit jemand, der anders denken möchte, recht1056 habe, und laße1057 selbst der Schwachheit und den Fehlern Gerechtigkeit wiederfahren1058. Man hüte sich endlich, keine Zweifel zu erwähnen, oder zu bestreiten, wenn sie nicht jedem von selbst aufzustoßen schei[51]nen, oder als sehr gangbar bekannt sind; man richte vielmehr den Vortrag so behutsam, bestimmt und discret ein, daß dadurch selbst die Zweifel verhindert werden, oder der ir[57]gend nachdenkende Zuhörer schon in dem Vorgetragnen1059 selbst hinlängliche Auflösung der etwa entstehenden Zweifel finde.
Wenn wir uns eine Sache – es sey1061 ein allgemeiner Satz oder ein besondrer1062 Fall – in Beziehung auf uns vorstellen, und ihren1063 vortheilhaften Einfluß 1064 auf uns bemerken,1065 oder ahnden, so ist sie anziehend für uns, oder in teressant,1066 (sie nimmt uns ein, wir nehmen daran Theil, bleiben dagegen nicht gleichgültig) †);1067 und ein Vortrag ist anziehend, wenn er diese Wirkung hervorbringt. Diese zweyte 1068 Eigenschaft (§. 35) kan 35.) kann 1069 entweder in den Sachen selbst liegen, die man vorträgt, oder in der Art, wie sie vorgetragen werden, wodurch das einen Reiz bekommen kan1071, was für uns sonst gar keinen, oder, weil es uns schon geläufig war, nicht mehr den starken Reiz, wie vorhin, hatte. – Ein solcher Vortrag erregt und fesselt unsre1072 Aufmerksamkeit. Er überzeugt, (d. i.)das ist er macht, daß wir etwas für wahr und gegründet erkennen, weil wir es, in solcher Beziehung, mit unserm1073 Zustand, unserer Denkungsart oder sonstigen Kenntnissen und Neigungen, übereinstimmend finden; er verstärkt wenigstens unsre1074 Ueberzeugung, oder vertritt doch ihre Stelle, wenn wir einsehen, daß wir, ohne dieses als wahr vorauszusetzen, uns gewisse für wahr erkannte Dinge nicht erklären, oder ein gefühltes Bedürfniß nicht befriedigen [58] können. Und überhaupt kan1075 ein Vortrag [52] nicht den geringsten Eindruck auf uns machen, und also auch nicht erbauen (§. 31 1076), wenn er für uns gar nichts Anziehendes hat.
Nach dem bisher erläuterten Begriff wird es überhaupt auf zwey1089 Stücke ankommen, wenn der Vortrag anziehend werden soll. – Zuerst, –1090 weil die Zuhörer das, was gesagt wird, auf sich ziehen, für ihre Angelegenheit erkennen sollen, –1091 daß man alles1092 vermeide, was sie auf den Gedanken bringen könnte, als redete der Lehrer bloß Amts halben1093, hörte sich selbst gern, suchte seine Talente oder Kenntnisse zu zeigen, wollte über [59] das Gewissen der Zuhörer herrschen, oder sie durch Vorwürfe kränken, kurz, seinetwegen reden; hingegen den Vortrag so einrichte, daß die Zuhörer merken können, er sage alles bloß ihretwegen, und mache ihre Angelegenheit zu der seinigen. – Hernach,1094 –1095 weil nur das interessirt, was einen Einfluß [53] auf unser Bestes hat, –1096 daß der Vortrag nichts enthalte, als was praktisch ist (Theil 2.1097 §. 169 1098), und so dargestellt werden kan1099.
Dieses doppelte Interesse kan1101 man dem Vortrag1102 1) durch die Sachen selbst geben (§. 37 1103). Es giebt gewisse Sachen, die jeden Menschen, der nicht ganz unempfindlich ist, andre1104, die gewisse Classen1105 von Menschen, oder die sie unter gewissen Umständen vorzüglich interessiren, weil sie mit ihrer besondern Denkungsart, Beschäftigungen, Bedürfnissen und Wünschen zusammenhängen. Davon hören sie gern sprechen, darüber wünschen sie weitere Belehrung, an deren Gewißheit liegt ihnen, und dagegen sind ihnen Zweifel, oder Verlegenheit darüber, peinlich; was da hinein schlägt1106, ihnen darüber Licht, Gewißheit und Auskunft giebt, findet allezeit willig Gehör; und wer selbst solche1107 Sachen, die ihnen gleichgültig sind, daran zu knüpfen versteht, wird sogar1108, durch jener Hülfe, auch für diese einnehmen. Man mache ihnen also nur, was man sagt, durch ihre eignen1109 erlangten oder leicht zu erlangenden Erfahrungen begreiflich;1110 zeige ihnen über[60]all, wozu und wie sie das Gesagte brauchen, wie sie Gottes nie entbehren, aber bey1111 ihm immer Rath und Hülfe finden können, wie die Gottseligkeit zu allen Dingen und in allen und allerley1112 Angelegenheiten nütze sey1113, und was alle Arten des Bösen für schädliche Folgen haben; man bleibe nie bloß bey1114 dem Allgemeinen stehen, wovon sie die Beziehung auf sich nicht absehen, oder sich einbilden möchten, es gehe sie nicht an †); †), 1115 sondern man1117 gehe mehr ins Einzelne, [638] und laße1118 sich zu den besondern Angelegenheiten der Zuhörer herab:1119 so wird man [54] sie gewiß anziehen, so weit es durch die Natur der Sache selbst möglich ist.
Denn es kann1129 der Vortrag 2) auch durch die Art anziehend gemacht werden, wie man die Sachen darstellt. Je natürlich schöner und dem guten Geschmacke1130 gemäßer1131 der Vortrag ist; je mehr er Erguß des von dem Werth der Sachen und von Liebe zu den Zuhörern vollen Herzens ist; je mehr er den Reiz1132 des Neuen hat, [639] (d. i.)das ist nicht des Paradoxen oder überhaupt Auffallenden, sondern so, daß der Zuhörer auf das bisher Unbemerkte, oder, wenn es gefunden ist, sich durch seine Einfalt und Werth so leicht Empfehlende aufmerksam gemacht wird; je natürlicher Eines sich aus dem Andern ergiebt; je leichter man es dem Zuhörer macht, selbst Entdeckungen zu machen, und das Ge[55]sagte selbst anzuwenden; je vertraulicher und herablaßender1133 der Lehrer mit ihnen spricht; je natürlicher selbst der Ton seiner Stimme und der ganzen Aktion1134 ist: je mehr Wirkung kan1135 er thun. – Wie nöthig es zu allem bisher Erwähnten sey:1136 seine Zuhörer,1137 nach ihren Fähigkeiten, Beschäftigungen, allgemeinen und besondern Bedürfnissen, herrschenden Vorurtheilen, Meinungen und Sitten zu kennen; eine recht ausgebreitete praktische Kenntniß der Religion, besonders nach ihren1138 Werth und Einfluß aufs Herz und Glückseligkeit der Menschen; viele Uebung, diese Lehren [62] darauf anzuwenden; viele vertraute Bekanntschaft mit dem menschlichen Herzen, denen darin liegenden Hindernissen des Guten, der mannichfaltigen besten Art ihm beyzukommen1139, der Geschichte und dem gemeinen Leben, endlich der schönen Wissenschaften, zu haben – das bedarf kaum einer Erinnerung.
Und eben dieses ist nöthig, um das Gesagte drittens (§. 35 1141) ausführbar darzustellen. Denn, [640] wenn der Zuhörer in der Einbildung steht, daß das, was ihm empfohlen wird, unmöglich, oder über seine Kräfte sey1142, oder wenigstens nicht weiß, wie er es anfangen solle: so kan1143 es bey1144 ihm keine Frucht schaffen. Ihm1145 jene Einbildung zu benehmen, zu zeigen wie er der werde, der er seyn soll, wie er das Empfohlne1146 in Ausübung bringen, wie er die vorgeschlagnen1147 Mittel wirklich anwenden könne, dies kan1148 ohne jene eigne1149 Kenntnisse des Lehrers nicht geschehen. †) 1150 Bloße1151 Vermahnungen und Gewissensrügen, oder bloße1152 Verweisungen auf Gott, ohne Aufmunterung zu eignem1153 Fleiß, helfen nicht. Der Lehrer gewinnt schon viel, [56] wenn er den Zuhörern die Vorurtheile benehmen kan1154, worauf jene Einbildungen beruhen. Er verhindert oder schwächt die Ausflüchte, wenn er seine Forderungen nicht überspannt, wenn er nichts Unmögliches und das Schwere nicht auf einmal1155 fordert. Noch mehr, wen er an ähnlichen Fällen des menschlichen Lebens die Möglichkeit der Ausführung und die Art zeigt, wie es [63] anzufangen sey1156. –1157 Je mehr er die Selbstliebe der Zuhörer in Bewegung zu setzen, und es ihnen einleuchtend zu machen weiß, was für selige Folgen der Fleiß habe, das Gute auszuüben, und wenigstens öftere Versuche zu machen, und wie unglücklich der Mensch werde oder bleibe, wenn er es nicht nichtnicht 1158 thue: je mehr wird er ihre Trägheit besiegen, welche die größeste1159, oft die einzige, Ursache ist, warum sie den Lehren nicht folgen, und sich von ihrer Wahrheit oder Werth oft nicht einmahl1160 überzeugen laßen1161.
Der dritte Zweck des erbaulichen Vortrags (§. 31 31. und 35 35. 1183) muß auf das Herz und die Neigungen der Zuhörer gerichtet seyn, und dahin gehen, die Erkenntniß lebendig zu machen, oder bey1186 ihnen wirksame EntschließungenEntschließungen1187 hervorzubringen, dem zu folgen, was man als wahr und gut erkannt hat. Ein Vortrag, der so eingerichtet ist, daß er diese Wirkung hervorbringen kan1188, ist ein rührender Vortrag (§. 31 1189) – Ohne diese Eigenschaft desselben würde alle noch so verbesserte Kenntniß das Beste [642] des Menschen nicht wirklich befördern;1190 ohne zugleich mit auf das Herz zu arbeiten, würde nicht einmal1191 die Aufmerksamkeit des Zuhörers an das, was zu seiner Belehrung gesagt wird, genug gefesselt, noch die Ueberzeugung vollendet werden, wenn sich Neigungen und Gewohnheiten gegen die Ueberzeugung streubten1192.
Nun hängt alle wahre Glückseligkeit der Menschen davon ab, daß sie theils, in Absicht auf diejenige, die in ihrer Gewalt steht, und von ihrem Willen abhängt, immer recht handeln, und daher stets mit sich zufrieden seyn können; theils, in Absicht auf die, welche nicht in ihren Händen ist, aber ihnen von der stets weisesten und gütigsten Regierung Gottes zugetheilet1194 wird, immer das für ihr wahres Beste halten, was diese über sie fügt, und sich dabey1195, zufrieden mit [65] Gott, beruhigen.1196 Folglich entspricht ein Vortrag der Religion nur alsdann1197 seinem wirklichen Zweck,1198 [58] die Menschen glücklich zu machen, wenn er so eingerichtet ist, daß er die Menschen wirklich –1199 bessern –1200 und beruhigen kan1201. In jener Absicht,1202 könnte man ihn rührend rührend,1203 oder bessernd, im engern Verstande, in dieser,1204 ihn beruhigend nennen.
Wenn nun durch den rührenden Vortrag nicht bloß Wohlgefallen am Guten und Mißfallen am Bösen soll hervorgebracht werden, sondern auch Willigkeit, jenes zu thun,1245 und dieses zu laßen1246, oder eigentlich Gewohnheit, [60] immer so zu handeln: so muß ein solcher Vortrag so eingerichtet seyn, daß 1) der Zuhörer durch die gemachten Vorstellungen genöthigt werde, das Erkannte, welches für ihn anziehend ist (ihn interessirt), auf sich ziehe, zu seiner Angelegenheit mache, (d. i.)das ist einsehe, so [645] müsse er werden, und das Gegentheil ablegen, jenes sich an-1247 und dieses sich abgewöhnen, jenes thun und befördern, dieses laßen1248 und verhüten. Dies1249 würde sogleich, nach der Natur der menschlichen Seele, von selbst erfolgen, so bald1250 nur der Vortrag ihn, auf die oben beschriebene Art, überzeugte, interessirte, und ihm die Möglichkeit1251 es auszuführen1252 einleuchtend machte, wenn nicht in dem Menschen selbst Hindernisse lägen, welche diese Entschließung1253 zurückhielten. Diese liegen unstreitig in der Gewohnheit, Böses, und in der Ungewohnheit, Gutes zu thun, (d. i.)das ist weil ihm die Vorstellungen von dem mit dem Bösen [68] vermischten Nutzen oder Vergnügen, und von den mit Ausübung des Guten verknüpften Uebeln oder Mißvergnügen geläufig, hingegen die Vorstellungen des aus dem Bösen für ihn entspringenden Schadens,1254 und der mit Ausübung des Guten verbundenen Seligkeit,1255 ihm nicht geläufig sind, folglich die dadurch geleiteten Neigungen ihn vom Guten ab-1256 und zum Bösen hinziehen;1257 kurz, es liegt die Schuld an dem Geschmack und Hang 1258 zum Bösen, und an dem Mangel des Geschmacks1259 und Hanges zum Guten. Soll also der Vortrag rühren, (d. i.)das ist wirklich Besserung hervorbringen:1260 so müssen 2) bey1261 den Zuhörern a) die reitzenden Einbildungen von dem Bösen und die davon abhängende Lust dazu geschwächt; hingegen die Vorstellungen von dessen traurigen Folgen mit der daraus entstehenden Unlust gestärkt; und eben so b) in Absicht auf das Gute, die bessern Vorstellungen von dessen [61] seli[646]gen Folgen, nebst der dadurch gewirkten Neigung dazu, immer mehr erweckt und vermehrt, im Gegentheil die Einbildungen oder übertriebnen1262 Vorstellungen von dem1263 mit dem Guten1264 verknüpften Uebeln und Schwierigkeiten, nebst der daher entstehenden Abneigung vom Guten1265 geschwächt werden.
Erstlich in Absicht auf das Böse, woran der Mensch hängt, und wobey1276 er seine Rechnung zu finden glaubt, würde ihm zu zeigen seyn:1277 1) wie falsch die Vorstellungen seyen1278, die er sich theils von seinem Glücke dabey1279, theils von seiner vermeinten guten Gemüthsbeschaffenheit und Verhalten macht; – wie nichtig also, wie unbefriedigend und verbittert, wie vergänglich das sey1280, was er für sein Glück halte; – und wenn es auch wahre Güter sind, wonach er trachtet, [647] wie wenig gleichwohl es immer von ihm abhänge, dieses Glück zu erlangen, wie viele1281 unverantwortliche Handlungen er sich dieserwegen erlauben müsse; wie und1282 wodurch er sich selbst den Zugang zu solchem Glück verschließe1283, oder sich wieder darum bringe; wie sehr er sich durch seine Gesinnung und Betragen ausser1284 Stand setze, es recht zu genießen1285, und damit zufrieden zu seyn; wie gar keine, oder armselige, oder unbeständige Tugenden das seyn1286, worauf er sich verläßt, oder wie so ohne Grund er sich wirkliche Tugenden einbilde. – 2) Wie traurig die Folgen [70] seyen1287, die er sich durch seine Gemüthsbeschaffenheit und Verhalten zugezogen habe, oder zuziehen müsse, (d. i.)das ist – wie und wodurch er sich, es sey1288 aus Unachtsamkeit, oder falschen Vorstellungen, oder Trägheit, oder Leidenschaften,1289 oder üblen1290 Gewohnheiten, selbst unglücklich mache, und wie groß das daraus entstehende Elend sey1291; – wie er eben dadurch, auch wenn sein Unglück unverschuldet sey1292, es vermehre, oder sich ausser1293 Stand setze1294 es zu ertragen, oder zu seinem Besten anzuwenden; und, wenn er auch auf einer Seite einsehe, in welches Unglück er sich stürze, und er das Böse gerne laßenlassen 1295 möchte, um diesem zu entgehen, auf der andern aber, wie wohl ihm seyn würde, wenn1297 er besser wäre und handelte, und,1298 wenn er es deswegen auch gern möchte, wie ohnmächtig er gleichwohl und wie stark sein Hang zum Bösen und die Macht der Gewohnheit sey1299.
Eben so müßten ihm, in Absicht auf das Gute, 1) die seligen und weitreichenden Folgen deutlich gemacht werden, welche aus wahrer Tugend und Gottseligkeit entspringen; – wie recht man alsdann erst alles Gute, was uns begegnet, schätzen und genießen1301, es weit herzlicher und dankbarer empfinden, und zu seinem wahren Besten anwenden lerne; – wie sehr selbst unverschuldete Leiden uns dadurch erträglich, wie diese1302 die beste Schule, im Guten zu [63] wachsen, eine Quelle von vielem erst hinterher sich zeigenden Glück, [71] eine nähere Vorbereitung auf die Glückseligkeit einer bessern Welt, werden; – wie sehr wir uns dadurch die Herrschaft über unsre1303 Neigungen, wie viele Verdienste um Andere, wie viel Vertrauen und Liebe von andern Menschen erwerben, wie zufrieden und dankbar gegen Gott, und ihm immer ähnlicher werden. 2) Allein1304 die meisten Menschen haben1305 sehr falsche Begriffe von Besserung und Tugend. Sie machen1306 sich entweder die Tugend zu1307 leicht 1308, und ziehen1309 sie sehr ins Kleine zusammen. Sie setzen sie1310 in bloße1311 fromme Empfindung oder äusserliche1312, zumal gottesdienstliche, Handlungen, oder bloße1313 Ehrbarkeit, Gerechtigkeit, Menschenliebe, bürgerliche und gesellschaftliche Tugenden. Oder sie stellen1314 sie sich als einen unnatürlichen Zwang und lästige Einschränkung vor1315, die den Geist seiner Heiterkeit, das Leben seiner Freuden beraube, und den Menschen zur menschlichen Gesellschaft, und Beobachtug seiner natürlichen und [649] bürgerlichen Pflichten unfähig mache. Oder sie sind1316 aus überspannten Begriffen, Gefühl ihrer Ohnmacht, und Erinnerung oft mißlungener Versuche der Besserung, muthlos. Daher1317 muß zwar jenen falschen Begriffen, die nur auf eine oberflächige1318 Besserung zielen, beständig entgegen gearbeitet1319, es muß1320 ihnen keine Schwierigkeit verheelt1321 oder verkleinert, und der große1322 Umfang wahrer Tugend, die durchaus auf alles 1323 Gute gehen, und in wahrhaftiger Besserung der Gesinnung bestehen müsse, einleuchtend dargestellt werden. Aber1324 man muß ihnen auch eben so sehr die trübseligen Begriffe von Frömmigkeit be[72]nehmen, und ihnen eines Theils 1325 den großen1326 Werth der Gottseligkeit in aller Absicht, und des Zeugnisses eines guten Gewissens, immer fühlbarer, andern Theils 1327 ihnen, durch Vorstellung, [64] wie Vieles thätiger, ausharrender Fleiß, fortgesetzte Uebung und gewissenhafte Treue, unter Gottes uns nie entstehendem Beystande1328, vermöge, immer guten Muth machen.
Bey1330 dem VortragVortrag1331 dieser Sachen, wenn er wirklich für die Zuhörer rührend werden soll, kommt es hauptsächlich darauf an: 1) sie auf ihren Gemüthszustand, besonders auf ihre eigenthümlichen und am meisten eingewurzelten,1332 oder durch ihr Temperament und ihre besondern Umstände am meisten begünstigten Fehler aufmerksam zu machen; weil, ohne dieses zu erkennen, keine Reue und wahre Besserung mög[650]lich ist, und gerade diese von einem jeden am meisten übersehen, oder am wenigsten als Fehler erkannt werden; 2) nicht nur das daraus entstehende Elend, sondern auch das ihnen begreiflich zu machen, daß und wie sie selbst daran Schuld sind, und wie viel auf sie selbst ankomme, um besser und glücklicher zu werden; und 3) daß und wie ihnen nur durch Besserung und durch die Religion könne geholfen werden. – Es giebt keinen Menschen, der nicht die Eitelkeit und das Leere sündlicher Vergnügungen, die üblen1333 Folgen der Ausschweifungen, und selbst die wohlthätigen [73] Wirkungen der Tugend, wenigstens dann und wann,1334 sollte erfahren haben. Auch der schlechteste Mensch hat doch manchmal etwas Gutes gethan, und weiß, wie wohl ihm dabey1335 gewesen ist, wenn er nach seinem Gewissen gehandelt, zumal sich selbst überwunden hat; er sieht doch, wie heiter und zufrieden rechtschaffne1336 Menschen, auch bey1337 traurigen Umständen, sind, und wie bald sie sich zu finden wissen, wenn sie nur recht und mit Ueberlegung verfahren wollen; er weiß, wie gut es ihm thut, wenn [65] jemand sich gegen ihn rechtschaffen beträgt, und ist leicht zu überzeugen, welche Hölle aus der menschlichen Gesellschaft werden würde, wenn sich alle Menschen erlaubten, schlecht, oder, ohne sich einzuschränken, nur nach ihren Lüsten zu handeln. Er fühlt dies1338 am meisten, wenn er die Folgen seines Leichtsinns und seiner Ausschweifungen erlebt; fühlt, was er ohne gutes Gewissen und Religion ist, wenn er in Gefahr oder Verlegenheit kommt; wird doch durch besondere Wohlthaten, die ihm [651] wiederfahren1339, manchmal gerührt, und zu der Zeit geschmeidiger gemacht. Zu solchen Zeiten ihn anfassen, ihn an seinen erwähnten Erfahrungen fest halten1340, und dann ihm den großen1341 Werth der Tugend und Religion lebhaft vorstellen, dies kankann 1342 doch schwerlich ohne alle gute Eindrücke bleiben, die ihn zu rechter Zeit verfolgen werden. – Nur arbeite man nicht bloß auf seine SinnlichkeitSinnlichkeit,1344 und wenn man es thut, welches sehr1345 nützlich werden kan1346, und oft unentbehrlich ist, so geschehe es mehr, um gute Eindrücke zu verstärken, als hervorzubringen.
Bey1363 allen denjenigen1364 Veränderungen des menschlichen Lebens, die wir nicht nach Belieben und Ueberlegung hervorbringen, oder verhindern,1365 oder lenken können, und bey1366 dem Gefühl alles [75] desjenigen, was wir ohne unser Zuthun sind, bleibt uns nichts weiter übrig, als uns zu unterwerfen;1367 und – da das Gefühl der Leiden sich mit den Vorstellungen unsrer1368 doch möglichen Glückseligkeit nicht verträgt, und wir in so ferne1369 unglücklich sind, auch der Mensch zu selbstthätig ist, als daß er selbst dann, wenn er sich nur leidentlich verhalten zu können scheint, nicht wenigstens Etwas sollte zu seinem Besten thun können – unsre1370 Vorstellungen von unserm Zustand1371 zu berichtigen, oder unangenehmere durch andre1372 angenehmere zu verdrängen, oder das unangenehme Gefühl dieses Zustandes zu mildern, mit einem1373 Wort: uns vernünftig zu beruhigen beruhigen 1374 (§. 43).1375 Alle Unruhe, Gram und Sorgen scheinen nur in den drey1376 Fällen zu entstehen: 1) wenn wir zu bemerken glauben, daß wir glücklicher seyn würden, wenn wir frey1377 von einem Uebel oder dessen Gefühle1378, oder im Besitz und Genusse eines gewissen Gutes wären;1379 2) wenn wir uns gewisser [67] Vergehungen bewußt sind, deren Andenken wir nicht vertilgen können, und deren Folgen [653] wir nicht abwenden zu können glauben; und 3) wenn wir, bey1380 allem Wunsch und Vorsatz uns zu bessern, unsre1381 Ohnmacht und die unüberwindliche Gewalt der bösen Gewohnheit fühlen. Uns vernünftig zu beruhigen,1382 ist daher zu unsrer1383 Glückseligkeit eben so unentbehrlich nothwendig, als, uns1384 zu bessern. Darauf in dem Vortrage der Religion zu arbeiten, ist also eine unumgängliche Pflicht,1385 und wer das wollte, müßte suchen, jenen drey1386 Ursachen der Gemüthsunruhe entgegen zu arbeiten.
Der ersten Ursach.1388 – Wenn wir unglücklich, oder nicht glücklich genug zu seyn glauben, und der Grund beyder1389 Uebel liegt a)1390 in unserm eignen freyen 1391 Verhalten, das wir abändern können:1392 so ist uns ohne wahrhafte Besserung unsers Herzens und Lebens schlechterdings nicht zu helfen. Was der Lehrer in Absicht auf die Beruhigung solcher Zuhörer thun müsse, und um diese Ursach ihres Mißvergnügens zu heben, das zeigen die obigen Regeln, wonach an der Besserung der Menschen zu arbeiten ist1393 (§. 44 1394 bis 47).1395 – Rührt aber das Elend, das wir empfinden, und das versagte Glück, das wir mit Schmerzen entbehren, b)1396 gar nicht1397, so viel wir wenigstens zu sehen vermögen, gar nicht 1398 von unsrer 1399 Schuld her; läßt sich wenigstens auch durch unsre1400 Besserung jenes nicht verhüten oder wegschaffen, und dieses nicht erwerben: so steht [654] es doch unter der höchst weisen und gütigen Aufsicht der Regierung Gottes, der es über uns nie anders, [68] als wie ein höchst wohlthätiges und unentbehrliches Mittel zu unserm Besten, verhängt hat;1401 und dies1402 wird es in der Hand seiner Vorsehung gewiß, wenn wir uns unter diese demüthigen, und Ihn allein walten laßen;1403 ohne diese wohlthätige1404 Wirkungen durch unsre1405 Beschwerden und ängstliche Sorgen zu stören, und uns dadurch um unser von ihm dabey1406 bezieltes Glück, wenigstens um die ruhige Heiterkeit der Seele,1407 zu bringen, die aus dem stillen Zusehen, wie sich [77] nach und nach alles1408 so schön, so zu unsrer1409 Beruhigung, entwickelt und aufklärt, und aus der schon vorläufig dankbaren Erwartung des besten Ausgangs, entspringen würde.
Ein Lehrer, der diese Gesinnung und deswegen richtigere und eindrücklichere Vorstellungen von der wahren Beschaffenheit der Uebel und ihrem Verhältniß gegen unser Bestes, unter der väterlichen Regierung Gottes, befördern wollte, müßte folgende und ähnliche Betrachtungen, durch öftere, mannichfaltige und einleuchtende Darstellung aus der ähnlichen, eigenen, wirklichen, oder leicht zu erhaltenden,1411 Erfahrung der Zuhörer, mit steter Rücksicht auf ihre besondre1412 Umstände und Bedürfnisse, anschaulich zu machen suchen. – Wie sehr sorgt Gott überall, sowohl durch die Mannichfaltigkeit der Dinge und ihrer [655] Eigenschaften, als durch das in uns gelegte Gefühl für ihre Reitze, nicht bloß für unsre1413 Nothdurft, sondern auch für unsre1414 Bequemlichkeit, Vergnügen und Ueberfluß? –1415 Wie viel hat jeder Mensch insbesondre1416 vor unzählichen Andern voraus, und, wo ihm Etwas abgeht, durch wie viel andres1417, gerade für ihn zuträglicheres, Gute wird dies1418 ersetzt? –1419 [69] Wie viele ganz unerwartete, uns ohne unser Zuthun wiederfahrne1420, oder, wenn auch dieses mitwirken muß, durch die schon zum voraus gemachte1421 Anlagen unsers Geistes und unsrer1422 Umstände, in welchen der Keim unsrer1423 künfti[78]gen Glückseligkeit und der Grund seiner Entwicklung1424 liegt, veranstaltete und erleichterte, oder ganz1425 wider den sichtbaren Gang der Dinge ausgefallne1426, so sehr unverdiente Wohlthaten, erzeigt er uns? hilft uns aus so vieler Gefahr und Verlegenheit? –1427 Wie unendlich viele unerkannte1428 Wohlthaten wiederfahren1429 uns durch Abwendung unsers möglichen Unglücks, oder solcher Umstände, die es uns unvermeidlich bereiten würden, an welche zu denken und sie bey1430 Würdigung unsrer1431 Glückseligkeit mit in Anschlag zu bringen, uns, wegen Gottes verborgner1432 Wirkungen, nicht einmal in den Sinn kommt, und deren dereinstige Entdeckung uns überaus angenehm unterhalten, das Gefühl der wirklich genossenen Wohlthaten unendlich erheben, uns bis zur innigsten Rührung beschämen, und unsre1433 Dankbarkeit gegen Ihn erhöhen wird? –1434 Wie viele und große1435 Uebel sind mit vorzüglichen Fähigkeiten, Glücksumständen, Ansehen, weitläuftigen Verhältnissen (u. s. f.)und so ferner verbunden, deren wir [656] überhoben sind, wenn uns nur ein eingeschränktes Glück zu Theil worden ist? –1436 Und überhaupt1437 leiden wir wirklich Mangel oder Verlust, wenn uns Etwas versagt ist oder entrissen wird? hatt' es den Werth, den wir darauf legten? würd' es den Werth für uns behalten haben? würd' es uns nicht an einem andern größern1438 Glück1439 hinderlich worden1440 seyn?
Und das Unglück, ist es nicht eine Quelle eines sonst nicht erhaltenen Glücks? –1442 Diente es [79] nicht, unserm Glück [70] beygemischt1443, die angenehme Empfindung dieses letztern zu erhöhen? –1444 Ists, bey1445 aller seiner Bitterkeit, nicht herzstärkende Arzeney1446, wahre Schule der Genügsamkeit, der Vorsichtigkeit, der Klugheit, des gänzlichen Anschließens1447 an 1606Gott, ohne und ausser1448 dem doch alles1449 eitel ist, und aller Tugenden, wozu es uns sonst an Veranlaßung1450 und Uebung fehlt; ohne welches wir nie eifrig genug vorwärts zur wahren Vollkommenheit streben würden? –1451 Bey1452 mißlungener Ausführung unsrer1453 guten Absichten, bey1454 mißrathenen Mitteln, bey1455 unerwarteter Richtung, die unsre1456 gutgemeinten Anstalten nehmen,1457 und selbst Uebel erzeugen, die wir nicht vorhersehen, oder denen wir entgegenarbeiten, von welchen wir gerade das Gegentheil befördern wollten, – ist da durchaus Alles verloren? Haben1458 wir, wenn gleich nicht Alles1459, doch Etwas1460, wenn gleich nicht Dieses1461, doch etwas Andres1462 Gute, wenn gleich nicht vor der Hand, doch auf die Zu[657]kunft, wenn gleich nicht bey1463 Andern, doch bey1464 uns und durch eigne1465 Uebung im Guten, gestiftet? 1607Was kan1466 dieser ausgestreute, verlohren scheinende,1467 Saame, unter Gottes Pflege und Segen, hie und da, früh oder spät, für eine reiche und selige Aerndte1468 geben, von der uns jetzt noch gar nichts träumet1469. –1470 Und, bey1471 dem, ausser1472 jenem mißlungnen1473 Guten, für jeden guten Menschen,1474 gerade schmerzhaftesten Unglück, das wir empfinden, wenn unsre1475 guten Absichten verkannt, nachtheilig gedeutet, oder wir durch ungerechte Bedrückungen gemißhandelt werden: sind wir denn [80] Gott nicht auch Opfer, aus Dankbarkeit auch grosse1476 Aufopferungen, ihm auch darin Nachahmung schuldig, daß wir Versündigungen Anderer gegen uns dulden? –1477 Ist es nicht gegen Gott Dankes werth, wenn er uns dadurch von der Eitelkeit, Selbstsucht und 1478 Anhängen1479 von Meinungen [71] und Willen der Menschen,1480 abzieht, und uns aus Pflicht, um Seinetwillen, zu handeln gewöhnt? Erhebt nicht eben diese Gesinnung und Art zu handeln, wobey1481 es uns nur darum zu thun ist, recht zu handeln, und unser höchster Wunsch, Ihm werth zu seyn, unsre1482 Seele recht eigentlich zu der höchsten Würde des Menschen? –1483 Können wir nicht eben darum auf desto größre Vergeltung und darauf desto gewisser rechnen, je weniger wir durch irgend etwas Vergängliches belohnt waren; und muß sie uns nicht desto angenehmer fallen1484, da sie nicht bloßer1485 Zufall, sondern Belohnung, Belohnung von dem ist, der allein höchst gerecht richtet?
Wird jemand durch das Andenken seiner Vergehungen, auch wohl wissentlicher und grö[82]berer Verbrechen, oder der selbst unvertilgbar scheinenden Folgen derselben bey1510 sich oder Andern, beunruhigt – welches das zweyte 1511 war (§. 48):1512 – so müßte ihm der Lehrer 1)1513 den eigentlichen Inhalt des Evangeliums, das ganz eigentlich zur Absicht hat, diese Bekümmernisse zu heben, fleißig und einleuchtend vorstellen; vorzüglich, wie Gott seine Gnade auch dem Unwürdigsten (dem, der es sogar1514 nicht verdient,1515) zugedacht, 1609wie unser Heiland sich nicht für einen Arzt der Gesunden, sondern der Kranken erklärt habe, nicht nur keinen hinausstossen1516 wolle wer zu ihm kommt, sondern auch gekommen sey, aufzusuchen,1517 was sich verlohren1518 habe, u. d. gl.und dergleichen 1519 2) Und wenn ein solcher zweifelte, ob jene göttliche Verheissungen1520 ihm zukämen:1521 so müßte er ihm diese Besorgniß dadurch benehmen, daß er ihm1522 darauf führte: – schon dies sey1523 ein Zeichen, wie ihn Gott nicht verlaßen1524 habe, daß er nicht fühllos sey1525 gegen das Andenken seiner Vergehungen, noch gleichgültig gegen Gottes Gesinnungen gegen [73] ihn:1526 – er würde bis zu dieser Unruhe des Gewissens nicht einmal gekommen seyn, ohne besondre1527 Umstände, die dieses Gewissen aufweckten, und die ja alle unter der väterlichen Regierung Gottes [660] standen; –1528 und Gott veranstaltete1529 keine Mittel wozu, wenn er nicht auch die Absicht wolle, worauf diese abzielen. Er müßte ihm 3) zeigen, wie sehr Gott bey1530 allen solchen Hülflosen auf den Glauben dringe, und wie dies1531 – gerade wie bey1532 dem Verhältniß des Arztes und des Kranken, des Vaters und des Kindes,1533 – das Bil[83]ligste sey1534, was Gott fordern, und das Leichteste1535 was ein Hülfloser leisten könne, sich an den Gott zu halten, und dem ganz zu überlaßen1536, der unerschöpflich, wie an Güte, so an Mitteln ist, dem Menschen zu helfen, und von dem er ja ohne diesdieß 1537 in aller möglichen Rücksicht abhänge; daß es auch 4) der erste Schritt zur wahren Besserung sey1539, dadurch gerecht zu seyn gegen Gott und gegen sich selbst, daß man geduldig die natürlichen Folgen trage, die man sich selbst zugezogen habe, und es Gott zutraue, daß er uns auch dadurch wolle zur Besserung leiten. Er müßte endlich 5), so viel es immer die Fähigkeiten und Kenntnisse der1540 Bekümmerten erlauben, ihnen, besonders durch ihre eigne1541 Erfahrungen, begreiflich machen:1542 wie sehr es Gott in seiner Gewalt habe, selbst1543 schädliche Folgen böser Handlungen durch die unter seiner Regierung stehenden dazwischenkommenden Umstände abzuwenden; auch das, was auf unsrer1544 Seite unrecht ist, zu Mitteln zu machen, die viel Gutes stiften, welches ohne jenes nicht würde erfolgt seyn; auch dadurch, –1545 daß er uns diese Wendung, die unsre1546 Vergehungen nehmen, dereinst wird erkennen laßen1547, und durch unsere auf unsre1548 wahre Besserung und an[661]gestrengtern Fleiß zum Guten erfolgte größere1549 [74] Glückseligkeit und deren lebhafte Empfindung, – das schmerzhafte Andenken an unsre1550 Vergehungen und deren Folgen zu schwächen, oder ganz auszulöschen, oder dadurch die Empfindung unsrer1551 Seligkeit zu erhöhen, so daß wir begreifen, wie wir dahin nicht würden gekommen seyn, [84] wenn Gott nicht, indem er uns tief fallen ließ, unsern Fleiß und Eifer im Guten erhoben hätte.
Endlich in dem dritten Fall (§. 48 1553), wenn jemand durch das Gefühl seiner Ohnmacht, der Macht böser Gewohnheiten, nicht merklicher Fortschritte im Guten, oder durch Wahrnehmung so oft gescheiterter und nicht ausgeführter guten Vorsätze,1554 niedergeschlagen würde:1555 müßte der Lehrer 1) allen Fleiß anwenden, um, mit der möglichsten Sanftmuth, Theilnehmung und Schonung seiner Schwachheit, ihm die Vorurtheile zu benehmen, die hauptsächlich1556 dergleichen1557 Muthlosigkeit hervorbringen1558 oder 1559 unterhalten †). –pflegen. *) Und1560 wenn er weiß oder merkt, daß diese zu tief eingewurzelt, und so mit den guten Kenntnissen und Gesinnungen desselben verschlungen sind, daß zu besorgen ist, diese möchten darunter leiden, wenn man jene angriffe, oder der Versuch, jene auszurotten, möchte ihn gegen den Lehrer einnehmen: – so mache er ihn aufmerksam darauf, wie oft die besten Gedanken und Grundsätze uns zu weit führen können, und wie nöthig er habe, [662] auf seiner Hut zu seyn, um nicht durch gänzliche Unthätigkeit sicher, durch unterlaßenen1562 Gebrauch auch geringer Kräfte, die ihm Gott giebt, und ermunternder Umstände, untreu und undankbar gegen ihn zu werden, oder Gott durch zu weit getriebene Forde[75]rungen und Erwartungen zu versuchen. –1563 Er suche ihn wenigstens dahin zu brin[85]gen, die Gelegenheit, immer mehr sich selbst und Gottes Willen erkennen zu lernen, jede Aufmunterung zum Guten, besonders zum Fleiß und zum Vertrauen auf Gott, und den Umgang mit redlichen, heitern und solchen Christen zu benutzen, die sich aus ihren Erfahrungen einen Schatz von wahrer Klugheit gesammlet1564 haben, und die Fähigkeit besitzen, sich theils zu Anderer Bedürfnissen und Schwächen herabzulaßen1565, theils vernünftige Rechenschaft von ihrem Rath und Belehrung zu geben. 2) Er suche ihm besonders durch sehr klare Grundsätze, vornemlich1566 aus der Bibel, durch Beyspiele Andrer1567, die mit ihm in gleichen Umständen waren, und durch die nemliche1568 Erfahrungen, die er selbst müsse gehabt haben, einleuchtend zu machen: wie herablaßend1569 und billig Gott sey1570, der mehr nicht fordert1571 als der Mensch vermag, nicht ärndten will wo er nicht gesäet, oder den Saamen dazu gegeben hat;1572 wie Gott1573 so oft durch 1574 Umwege und anhaltende Prüfungen den Menschen zum Ziel führe,1575 und recht reif zum Guten mache; wie die wahre Besserung nie anders als allmählig, nach vielem Fallen und Wiederaufstehn,1576 erfolge, und in dem Grade fortrücke, gründlicher und merkbarer wer[663]de, in welchem der Mensch auch mit wenigen Kräften treu umgeht; und wie durch jedes1577 auch geringe1578 Fortrücken in der Besserung, was uns schwer oder unmöglich schien, immer leichter werde. 3) Er stelle das, was der Mensch an seinem Theile thun muß, immer mehr auf der angenehmen Seite und nach den großen1579 Vortheilen [86] vor, die jeden redlichen Fleiß gewiß belohnen, je nachdem er weiß, daß die Vorstellung dieses oder jenes1580 Vortheils bey1581 dem Bekümmerten den meisten Eindruck mache. 4) Er begnüge sich endlich nicht mit bloßen1582 Ver[76]mahnungen und Aufmunterungen, sondern zeige dem Unentschlossenen1583 und Muthlosen, wie er seine Pflichten ausüben, oder sich deren Ausübung erleichtern könne.
Alle auf die bisher beschriebene Art gemachten guten Eindrücke würden doch dem großen1599 Zweck1600 des erbaulichen Vortrags nicht völlig entsprechen, wenn sie nicht dauerhaft würden, und in feste Grundsätze und Gesinnungen übergingen. Dieses zu bewirken, möchten folgende Mittel am dienlichsten seyn. Zuerst, daß aller Vortrag so eingerichtet werde, daß1601 ihn die Zuhörer leicht übersehen, und sich dessen wieder erinnern können. Hiezu1602 würde 1) schon vieles thun, wenn der Vortrag nicht zu lang, nicht verwirrt wäre, nicht zu viele Abtheilungen, und nicht zu vielerley1603 Sachen enthielte, hingegen wohl zusammenhinge, 1604 so daß ein Gedanke leicht und natürlich auf den andern führte, auch die Hauptsachen umständlich aus einandergesetzt, und auf mannichfaltige Art erläutert und eindringlich gemacht würden †).1605 2) wenn1606 der Prediger die Kunst verstünde, die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch eine gewisse wirklich nutzbare Neuig[665]keit der Sachen und des Vortrags zu fesseln; weil eben das Neue besonders die Aufmerksamkeit reitzt, und man es gern wiederholt, es sich [88] einzudrucken1607, geläufig zu machen,1608 und anzuwenden sucht. 1616 ††)1609 3) wenn1610 er sich vornemlich1611 an einige kurze Kernsprüche hielte, die den Zuhörern bekannt oder leicht zu behalten wären, und sie, nicht bloß durch öftere Wiederholung, sondern vornemlich1612 durch die möglichste Verdeutlichung, und Zurückführung oder Anwendung auf besondere Fälle, anschaulich und interessant zu machen suchte; und 4) auch darin das1613 Beyspiel1614 des größestengrössesten Musters1615, Jesu, nachahmte, daß er alles1617, was er den Zuhörern nützlich oder nöthig findet, mehr gelegentlich, (d. i.)das ist bey1618 einzelnen1619 vorkommenden Fällen, wo die Umstände des (z. B.)zum Beispiel [78] kranken, niedergeschlagnen1620 (etc.)et cetera Zuhörers es veranlaßen 1621, und was oder wie es den Zeitumständen und Bedürfnissen des Zuhörers am gemäßesten1622 ist, vortrüge.
Sehr viel tragen1727 zur Befestigung guter Eindrücke auch 2) (§. 54 556 ) die dem Vortrag eingedruckteneingedrückten Spuren der eignen UeberzeugungUeberzeugung des LehrerLehrers1728 von der vorgetragenenen Wahrheit und ihrem Werthe 1731, und seines1732 Interesse für das Wohl der Zuhörer, bey1733. Theilnehmung wirket1734 wieder Theilnehmung, und wenn wir merken, daß jemand angelegentlich zu unserm Besten arbeitet, so giebt unser eignes1735 Interesse, und die Vorstellung von dem Lehrer, als unserm Freunde, einen mächtigen Reitz, seine Gedanken weiter zu verfolgen;1736 zumal, wenn uns die Sache ohnehin schon anzieht, und die durch den Vortrag durchscheinende Ueberzeugung des Lehrers unsre1737 Meinung von der Wahrheit und Wichtigkeit des Gehörten bestätigt. Selbst die Wärme und noch vielmehr die ruhige Heiterkeit des Geistes, die den Verdacht des Gesuchten und Künstlichen ausschließt, [83] fesselt die Aufmerksamkeit, und macht [671] uns geneigt, den ersten angenehmen Eindruck zu wiederholen, und darüber weiter nachzudenken. Wer es dahin bey1738 dem Zuhörer bringen will, muß selbst von dem, was er sagt, und vornemlich1739 von dessen Werth, lebendig überzeugt seyn, die Sache wohl und praktisch durchdacht haben, und in dem Augenblick, wo er sie vorträgt, ganz dabey1740, und von ihr eingenommen seyn. Dies1741 und ein wohlwollendes Herz sind die Haupterfordernisse dabey1742; lebhafte Einbildungskraft und Reichthum der Sprache, den er in seine1743 Gewalt [95] hat, unterstützen es. Das Aeussere1744 giebt sich alsdann von selbst. Etwas kan1745 auch dazu beytragen1746, wenn man das Gemüth vorher in die gehörige Ruhe setzt, und durch Lesung körniger1747 Stellen aus der heiligen Schrift, oder ähnlicher Schriften, seinem Geiste Nahrung giebt.
Anm. Anmerkung Die hier beschriebnebeschriebene Eigenschaft des Vortrages ist ohngefehrungefähr das, was die Franzosen mit dem mystischen Namen der Salbung Salbung belegen. Die Kraft, welche dauerhafte Eindrücke hervorbringen soll, liegt in der vorgetragenen Sache selbst, und muß von dem Lehrer hervorgezogen oder entwickelt werden. Ist jenes nicht, und geschieht diesesdieses, nicht; wirkt der Vortrag bloß auf die Sinne,Sinne oder Einbildungskraft der Zuhörer: so mag er betäuben und hinreissen,hinreißen; dauerhaft dauerhafte Eindrücke wird er nie machen. {Der Ausdruck Salbung (χρισμα und χριειν) ist aus 1 Joh. 2, 20. 27. Apostelg. 10, 38. 2 Kor. 1, 21. entlehnt, wo er in der tropischen Bedeutung die Einweihung in eine Lehre oder ein Lehrgeschäft bezeichnet, folglich überhaupt den den Menschen gewordenen Unterricht in der Religion bezeichnet. Erst späterhin hat man in der homiletischen Sprache darunter eine besondere Eigenschaft des Vortrags verstanden. Wenn er nämlich nicht bloß den Verstand beschäftigt, sondern Geist und Gemüth zugleich ergreift, durch die Stimmung des Redenden seine sichtbare Theilnahme an der Sache unterstützt, und damit eine gewisse Feierlichkeit, wie sie dem hohen Gegenstande angemessen ist, verbindet, so pflegt man dem Redenden, Salbung zuzuschreiben. Die beiden Hauptzwecke des Begriffs scheinen demnach Herzlichkeit und Würde zu seyn. So gebrauchen auch besonders französische Schriftsteller das Wort onction. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 1748Auch der lebhafteste Eindruck verliert in1758 die Länge seine Kraft, und wird durch andre1759 neue und lebhaftere Vorstellungen geschwächt oder ver[672]drängt. Man kan1760 ihn nur dadurch befestigen, daß man ihn gleich, wenn das Gemüth noch ganz davon eingenommen ist, in Ausübung bringt;1761 daß man, wenn dies1762 nicht gleich geschehen kan1763, ihn mit seinen Gedanken verfolgt, ihn sich dadurch geläufig macht, und ihn in Empfindung vewandeltverwandelt 1764; daß man ihn endlich öfters,1765 durch alles1766, was die Andacht unterhält, wieder auffrischt. Alles dieses zu befördern, wäre also das 3te1767 (§. 54. 55 55. 1768), was der Lehrer zur Erhal[96]tung des guten Eindrucks thun müßte. Er bewege den Zuhörer, gute Vorsätze ( (z. B.)zum Beispiel sich mit seinen Feinden auszusöhnen, Almosen zu geben, seine Angelegenheiten Gott zu empfehlen),1770 ohne Aufschub zu vollziehen. Er suche durch 1771 Gebet, durch wohlgewählten Gesang, durch den Genuß des heiligen AbendsmahlsAbendmahls u. d. gl.und dergleichen 1772 die guten Eindrücke bey1774 den Zuhörern zu befestigen. Er empfehle ihnen durch sein Beyspiel1775 religiöse Uebungen, Lesung der heiligen und anderer, ihren Fähigkeiten angemeßnen1776, Schriften, Besuchung des öffentlichen Gottesdienstes, frommen Umgang, Nachdenken über alles Gehörte oder Gelesene, in beständiger Beziehung auf sie [85] und die Bedürfnisse ihres Geistes und Herzens; erbiete sich gegen sie zu weiterer Belehrung;1777 und nehme Gelegenheit, bey1778 schicklichen Veranlaßungen1779 sich mit ihnen über das, was ihre besondre1780 geistliche Wohlfahrt betrift1781, näher zu unterhalten.
Wer die Pflichten eines guten christlichen Volkslehrers, nach dem bisher Gesagten,1783 erfüllen wollte, müßte – ein Mann von gesundem Verstande; – von gutem Geschmacke,Geschmacke 1784 oder richtigem1786 Gefühl des Schicklichen und Unschicklichen;1787 – selbst klarer Begriffe fähig, und gewohnt seyn, klar und ordentlich zu denken; – eine ausgebreitete, richtige, bestimmte, anschauende und praktische Erkenntniß der ReligionReligion;1788 – vornemlich1789 Interesse für Wahrheit, besonders [97] in der Religion, und für alles Gute;1790 – die Gabe1791 sich gut auszudrucken1792, und daher auch hinlänglichen Reichthum der Sprache,1793 besitzen; – selbst von Herzen fromm seyn, und die eigentliche Absicht haben, auch andre1794 Menschen dahin zu bringen; – endlich, so viel als möglich, die Fähigkeiten und Bedürfnisse seiner Zuhörer kennen, – und nach diesen seinen Vortrag einzurichten verstehen. – Alsdann1795 könnte er allenfalls eines besondern Unterrichts der Homiletik und Katechetik, so wie guter Beyspiele Beyspiele 1796 im Vortrage, entbehren, und eigne1797 Uebung würde diesen Abgang ersetzen können;können, ohne welchedie 1798 und ohne jene Eigenschaften,1801 bloße1802 Anweisung1803 und Beyspiele ihn1804 nicht zum guten Lehrer des Volks machen können. Aber,1805 – wenn auch jene Eigenschaften nicht so selten, und nicht noch seltner beysammenbeysammen, wären:1806 – so bedürfen sie doch einer mehrern Ausbildung durch den Unterricht, Rath und Beyspiel1808 [86] Anderer, die mehr Geschicklichkeit, Kenntniß und Erfahrung haben; – und ein besondrer1809 [674] Unterricht über die Einrichtung des guten Vortrags kan1810, wie bey1811 allen Wissenschaften, das Studium desjenigen, was dazu erfordert wird, sehr erleichtern. – Selbst, wenn ein junger Mann sich bloß nach guten Beyspielen 1812 bilden wollte, müßte er,1813 – um nicht in seiner Wahl zu irren, und1814 gute Eigenschaften der Predigten, oder ihre Fehler,1815 zu übersehen, jene zu vernachläßigen1816 und diese anzunehmen,1817 –1818 doch erst auf beyde1819 überhaupt aufmerksam gemacht worden seyn. – Vornemlich1820 giebt es so viele Vorurtheile darüber, [98] die auf Unwissenheit, verdorbnen1821 Geschmack, und der so allgewaltig wirkenden Mode beruhen, daß es schon deswegen nöthig ist, frühzeitig sich um gesunde und feste Grundsätze1822 von der wahren Vollkommenheit des Religionsvortrages zu bewerben.
Anm. Anmerkung Gut eingerichtete Vorlesungen über die HomiletikHomiletik, von einem Lehrer, der ein eben so guter Theoretiker als Praktiker wäre, der nicht bloß zur Wohlredenheit, sondern zu wahrer nützlicher Beredtsamkeit, oder vielmehr zu rechter Einrichtung des erbaulich erbaulichen, zusammenhängenden oder Gesprächsvortrags der Religion, Anweisung gäbe, der nicht sowohl Kunst als Befolgung der Natur, auch in diesem Stücke, lehrte;lehrte, und gute Grundsätze durch wohlgewählte BeyspieleBeispiele deutlich und anschaulich machte;machte, auch, wenn es seyn könntekan, die nöthigen Uebungen der Zuhörer unter seiner Aufsicht, damit verbände – nebst dem UmgangUmgange mit erfahrnen und in dieser Art bewährten Predigern – würden hier am diensamsten seyn. Gute Anweisungen dazu findet man vorzüglich in den Grundsätzen Unter den älteren Anweisungen enthalten auch für die jetzige Zeit noch sehr viel Brauchbares: Dr. Erasmus, Desiderius Erasmi Ecclesiastes s. de ratione concionandi, L. IV. 1554., und Hyperius, Andreas And. Hyperius de formandis concionibus sacris, 1553. denuo edidit Wagnitz, Heinrich Balthasar H. B. Wagnitus , Halae 1781. Unter den neueren: Grundsätze zur Bildung künftiger Volkslehrer, Prediger, Katecheten und Pädagogen, von Seiler, Georg Friedrich Georg Frie drich Seiler , 2te(2te Auflage, Erlangen,Ausgabe, Erlangen 1786. gr.groß 8.;8.) und in8. Niemeyer, August Hermann Aug. Herm. Niemeyers Niemeyer's Handbuch für christliche Religionslehrer, zweyter Theil,zweiter Theil (auch unter dem Titel: Homiletik, Pastoralanweisung und Liturgik,) Liturgik), 5te Ausgabe, Halle 1790 in1807. 8. Entwurf der wesentlichen Pflichten christlicher Lehrer, (Halle, 1786. in gr.groß 8.) { Schmid, Johann Wilhelm J. W. Schmidt's Anleitung zum populären Kanzelvortrag, 1ster bis 3ter Theil. Jena 1787 f.folgend Schott, Heinrich August H. A. Schott Theorie der Beredtsamkeit, mit besonderer Anwendung auf die geistliche. Leipzig 1781.; und Dessen kurzgefasster Entwurf der Theorie der Beredtsamkeit. 1815. Ammon, Christoph Friedrich von C. F. Ammon Handbuch, oder Anleitung zur Kanzelberedtsamkeit. Marburg 1812. Unter den rhetorischen VorlesungenLehrbüchern, die wenigstens zur feinern feineren Bildung des Predigers dienen, verdienen Blair, Hugh Hugo Blair's Vorlesungen über Rhetorik und schöne Wissenschaften, Wissenschaften (aus dem Englischen übersetzt von Schreiter, Carl Gottfried K. G. Schreiter , Liegnitz,Liegnitz 1785 bis 1788 in1788., 3 TheilenTheile, gr.groß 8.) vornemlich studieretvornehmlich studiert zu werden. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 1823Eben so großen1853 und vielleicht noch mehrern1854 Nutzen, als Anweisungen zum erbaulichen Vortrag, haben gute Muster von Predigten und Katechisationen Katechisationen;1855 weil es dem Anfänger schwerer fällt, gute Grundsätze und Regeln wohl anzuwenden, als sie zu verstehen,1856 oder überzeugend einzusehen; weil es den meisten1857 leichter wird, sich nach Beyspielen1858 als nach Grundsätzen zu bilden; und weil gute Beyspiele1859 mehr Lust zur Nachahmung machen, und den Fleiß in ähnlichen Versuchen ermuntern. Manches, (z. B.)zum Beispiel [88] die Kunst, den Vortrag concret zu machen, (d. i.)das ist allgemeine Sätze auf besondere Umstände und Bedürfnisse der Zuhörer zurück zu führen, läßt sich auch nicht durch Regeln, wohl aber aus Beyspielen1860 lernen. Man müßte nur bey1861 dem Gebrauch derselben 1) in der Wahl vorsichtig seyn. – Es giebt Predigten, die eher gelehrte oder scharfsinnige Untersuchungen, eher Meisterstücke der Kunst, als Predigten sind, die also, [676] wenn es uns um eigne 1862 Belehrung, Ueberzeugung und Erbauung überhaupt, oder um Fortschritte in den schönen Wissenschaften,1863 zu thun wäre, für uns unterhaltender und nützlicher seyn mögen;1864 die es aber deswegen nicht sind, sofern wir unsern Vortrag zu Anderer Erbauung darnach bilden wollen. Oft täuscht auch der berühmte [100] Name; denn selbst die musterhaftesten Prediger sind es nur in gewisser Absicht;1865 sie sind es auch nicht in allen ihren Arbeiten, und ihre früheren Versuche kommen selten ihren spätern und reifern Früchten bey1866. Und sehr oft verursacht die Mode und herrschende Gewohnheit, welche auf manche gute Eigenschaften einer Predigt einen zu großen1867 Werth legt, nebst der Neigung zu dem, was uns leichter wird, oder mehr nach unserm Geschmack und 1868 Fähigkeiten ist, daß man sich nur an Eine Art,1869 (populärer Predigten1870 (z. B.)zum Beispiel die oft sehr arm an Sachen, richtigen und bestimmten Gedanken, und um so reicher an Worten sind),1871 hält, und andre1872, aus welchen man mehr lernen könnte und sollte, vernachläßigt1873. Man müßte also, wenn es uns wirklich Ernst wäre, in aller Absicht, 1874 auch als Prediger,1875 vollkommen1876 zu werden, mehrere 1877 Arten von nachahmungswürdigen Predigten oder Katechisationen, nach den oben beschriebenen Eigenschaften, studieren, vornemlich1878 die, welche nach unserm besondern Beruf, und der Art der Zuhö[89]rer, mit welchen wir zu thun haben, uns am nöthigsten sind, und die sich durch solche Eigenschaften auszeichnen, an welchen es uns noch mehr als 1879 andern fehlt.
Aber man müßte sie 2) nicht eigentlich 1881 nachahmen, d. i.das ist 1882 seine Art zu denken, zu empfinden, und sich auszudrucken1883, nicht nach Andern stimmen, nicht Natur mit Kunst vertauschen wollen. Denn – ausser dem1884, daß eine solche [101] Begierde nachzuahmen, gemeiniglich auf das Eigenthümliche 1885 eines Predigers fällt, welches sich ohne unnatürlichen Zwang nicht nachahmen läßt, und Vieles1886, was selbst fehlerhaft ist, den kleidet, dem es natürlich ist, bey1887 Andern aber lächerlich wird, wenn man ihnen die Mühe ansieht, die sie sich geben, unnatürlich zu handeln: – so hemmt es die Freyheit1888 des Geistes, und verhindert das Gute zu stiften, das jeder nach seiner Art gerade am meisten stiften könnte. Der Vortrag verliert das natürlich Schöne1889, und, wenn ich so reden darf, das Herzliche, welches eben daraus entsteht, daß, was man sagt, aus eigner 1890 Ueberzeugung und Empfindung, aus wahrer Theilnehmung an der Sache, wie sie sich uns darstellt, fließt, daß es natürlicher Ausbruch des von ihr ganz eingenommnen1891, durch keine fremden Rücksichten zerstreuten, Verstandes und Herzens ist, und, weil es vom Herzen kommt, auch wieder zu Herzen geht. – Vielmehr müßte man 3) erst, nach eigner1892 Empfindung des Nützlichen und nach bewährten Grundsätzen einer vernünftigen Homiletik, wohl untersuchen, was an gewissen Mustern wirklich nachahmungswürdig sey1893? und, wenn [678] man bemerkte, daß man es selbst noch nicht, oder nicht genug, in seiner Gewalt hätte, [90] 4) alsdann, ob man danach trachten könnte? (d. i.)das ist die Fähigkeit hätte, zwar durch Fleiß und Uebung, aber nicht mit Zwang, eben dieses zu erreichen; welches zu entdecken nicht gar schwer werden kan1894, wenn man nur aufrichtig sein Gefühl,1895 und, um weniger zu irren, die Urtheile [102] anderer Verständigern befragt. Hernach 5) ob man es auch dürfe? d. i.das ist 1896 ob unser Beruf, nebst den Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen unsrer 1897 Zuhörer, diese Eigenschaften des Vortrags ertragen, oder gar fordern. Wäre man von allem diesen überzeugt:1898 so müßte man 6) wahre Muster sorgfältig in ihre Theile zerlegen, um zu sehen, wie der Andere seine Hauptgedanken erklärt, ausgeführt, sie und ihre Erläuterungen geordnet und ausgedruckt1899, auch untersuchen, warum er es lieber so, als anders, dargestellt, und was er für Mittel dazu gebraucht hätte?
Anm.Anmerkung Anm. 2.2) Vorzügliche hieherhierher gehörige Predigten und Katechisationen sind in der Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern Bücher in der Theologie, §. 561 f.folgend genannt, deren Verzeichniß sich aus der neuesten Zeit noch vermehren läßt. Als Katechisationen verdienen zum Theil die Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde (von Salzmann, Christian Gotthilf C. G. Salzmann ,) Leipzig, 1778 folgg.folgende in 98 Bändchen in 8; das Handbuch für Kinder und Kinderlehrer über den Katechismus Luther, Martin Lutheri , von Beyer, Johann Rudolph Gottlieb J. R. G. Beyer , Leipzig, 1785−1787. 1784−1787. in 7 Bändchen in 8; Katechetisches Magazin, herausgegeben von Lang, Georg Heinrich G. H. Lang , Nördlingen, 1781–1784 1781−1784. in drey3, und dessen FortsetzungFortsetzungen, oder Neues katechetisches Magazin, Erlangen, 1785−1789 1785−1788. bisher in drey3 Bänden und einem Stück des 4ten in 8. vor andern studiert zu werden. {Unter den Lehrbüchern für Katechetik sind zu vergleichen vorzüglich: Seiler, Georg Friedrich G. F. Seiler's katechetisches Methodenbuch. Erlangen 1789. Graeffe, Johann Friedrich Christoph J. F. C. Gräff's vollständiges Lehrbuch der allgemeinen Katechetik (ganz nach Kant, Immanuel Kantischen Grundsätzen), 3 Bände, Göttingen 1795 f.folgend, nebst des Verfassers Grundriß der Katechetik. Wolfrath, Friedrich Wilhelm F. W. Wolfarth's Versuch eines Lehrbuchs der religiös-moralischen Katechetik und Didaktik, Lemgo 1808. Katechetische Magazine haben Lang, Georg Heinrich Lang und Graeffe, Johann Friedrich Christoph Gräff herausgegeben. Das Wahre, so wie die vorzüglichsten Proben von Katechisationen s. m.siehe man in Niemeyer, David Gottlieb Niemeyer's und Wagnitz, Heinrich Balthasar Wagnitz Predigerbibliothek, 3ter und 4ter Theil. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 1914Zu allem diesen muß noch eigne1928 Uebung in beyderley1929 Vortrag kommen, ohne welche man sich weder das Andern abgelernte Gute zu eigen machen, noch jemals eine Fertigkeit im guten Vortrage erhalten kan1930. Sie dient1931 auch zur eignen Demüthigung und Gründung der so nöthigen BescheidenheitBescheidenheit1932, wenn man, bey1933 angestellten eignen1934 Versuchen, sieht, – das Ideal vorausgesetzt, das wir oben entworfen haben, – wie so schwer es sey1935, ein recht guter Prediger oder [680] Katechet zu werden. Mangel 1936 dieser Tugend,1937 – der immer voraussetzt1938, daß man entweder für die Wichtigkeit der Sache kein Gefühl habe, oder nicht wisse, wie viel zum guten Vortrag1939 gehöre, oder sich selbst nicht kenne,1940 – macht blind gegen [104] eigne1941 Fehler, halsstarrig gegen Andrer1942 Erinnerungen, und verhindert, wie den Wachsthum in der Vollkommenheit, so besonders die Biegsamkeit der Seele, die so nöthig ist, um sich nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Zuhörer zu richten. [92] Auf der andern Seite hilft die Uebung wieder der Blödigkeit auf, und macht guten Muth, weil man seine Kräfte und ihren Wachsthum fühlen lernt.
Bey1944 diesen eignen1945 Uebungen kan1946 man 1) nicht oft und dringend genug dem1947 Prediger an den Zweck erinnern, wozu er predigen soll. Du redest – in Gottes Namen; sollst, als sein Werkzeug, seinen Willen und seine Gesinnung verkündigen; bist eigentlich dazu da, die wichtigste Angelegenheit der Menschen zu besorgen, sie durch Religion zu wahren, ihre Würde fühlenden, und ihr gemäß handelnden, wahrhaftig glücklichen Menschen zu machen, ihr Lehrer, ihr Rathgeber, ihr Erinnerer, ihr Tröster, bey1948 allen Angelegenheiten zu seyn, die ihr Gewissen und ihre Gemüthsruhe betreffen. Aber du bist kein Orakel; und, wenn auch Gott unmittelbar durch dich redete, so kannst du ihnen doch weder Glauben, noch Gehorsam, noch Zufrie[681]denheit abzwingen; sie dürfen nicht nur, sie müssen auch prüfen, ob Gott durch dich redet, und dann erst dir folgen. Du mußt also als Mensch mit vernünftigen Menschen reden, die anders nicht gewonnen werden können, als durch [105] Vorstellungen, welche es ihnen, nach ihren Fähigkeiten, Begriffen und Bedürfnissen, klar machen, daß, was du sagest, wahr und gut, und ihnen nothwendig sey1949, und welchen der Zugang zu eben der Quelle, aus der du schöpfest, zur Vernunft, zur heiligen Schrift und zur Erfahrung, eben so wie dir, offen steht. – Wer diese Zwecke nicht stets vor Augen behält, und nicht alles Ernstes darauf arbeiten will, dessen Vortrag mag übri[93]gens vortreflich seyn;1950 erbaulicher Vortrag, gute Predigt, gute Katechisation,1951 ist er nicht.
Schon dies kan1953 1954 2) vor1955 einer Menge höchst verderblicher Fehler bewahren, die sich hier nicht alle nennen laßen1956. – Wer immer bedächte, daß er in Gottes Namen die Menschen zur Seligkeit weisen sollte, wie könnte der sichs erlauben, fremdartige Dinge, die nicht Religion zum Gegenstande haben, oder sich nicht durch Religionsgründe unterstützen laßen1957, in den gottesdienstlichen Vortrag zu bringen? †) 1958 wie der 1959 predigen, 1960 um sich bloß1961 hören zu laßen1962, und seiner Eitelkeit ein Opfer zu bringen? sich bloß im Predigen, oder gar in Declamation,1963 zu üben ††)?1964 glänzen, oder sich überhaupt empfehlen zu1965 wollen? oder auf der andern Seite, sei[682]ner Würde vergessen, und sich unanständige Aeusserungen1966, niedrige oder pöbelhafte Ausdrücke, 1647Action eines Comödianten, oder ähnliche Ausschweifungen,1967 zu gute halten, oder gar affectiren? wie der 1968, die Zuhörer nur1969 angenehm 1970 unterhalten, oder den gelehrten [106] und tiefdenkenden Untersucher spielen, oder den Abgang kräftiger Gedanken, heilsamer Vermahnungen und guter Gesinnungen1971 durch schöne Redensarten und Bilder ersetzen wollen? – Wie wird1972 der, wer da1973 weiß, wie Menschen müssen1974 vernünftig behandelt und gewissenhaft geleitet werden, wie wird der 1975 jeden Vortrag gut genug für seine Zuhörer halten?1976 anstatt die Bedürfnisse derselben zu studieren und zu befriedigen, das predigen, was ihm das Leichteste wird, oder ihm das Wichtigste scheint, oder zur Unzeit und ohne Schonung aufklären wollen? oder, statt der Gründe dreistedreuste Versicherungen, Betheurungen oder Wehklagen brauchen?1977 oder 1979 auf die Sinne und Ein[94]bildungskraft arbeiten, und den Verstand der Zuhörer unbeschäftigt, ihr Herz leer und kalt laßenlassen?1980 mehr die Kunst1982, als seine praktischen Einsichten und sein Herz1983 um Rath fragen?
Anm.Anmerkung Anm. 1. †) Anm. 1) Was diese Gewohnheit, die seit einiger Zeit Mode zu werden anfängt, für erhebliche Bedenklichkeiten gegen sich habe, würde hier aus einander zu setzen,setzen zu weitläufig fallen. Die Frage kankann nicht seyn:seyn, ob nicht die Religion müsse auch auf das gemeine Leben und auf die besondern Umstände der Zuhörer angewendet, die Zuhörer also,also auch durch Predigten,Predigten gewöhnt werden müssen, sie überall anzuwenden? (Dies(Dieß sollte ja ein HauptzweckHauptzweck aller Predigten und Katechisationen seyn).seyn.) Es leidet auch keinen vernünftigen Zweifel:Zweifel, ob nicht die sichtbare Schöpfung und deren weise Einrichtungen, falls sie den Zuhörern können deutlich gemacht,gemacht und mit Anständigkeit gebraucht werden kann, und ob nicht die besondern Erfahrungen und irdische Beschäftigungen der Zuhörer mit zu Hülfe dürfen genommen werden dürfen, um Lehren der Religion faßlich, einleuchtend und anschaulich zu machen? Sondern die Frage ist: ob Sachen, die entweder nicht zur Religion oder zur Erweckung und Unterhaltung rechtschaffnerrechtschaffener Gesinnungen gehören, oder wenigstens nicht durch Gründe aus der Religion dargethan und empfohlen werden können, ob z. B.zum Beispiel Verbesserungen im bürgerlichen und häuslichen Leben, ökonomische, medizinische, polizeiliche Rathschläge zum Zweck der PredigtenPredigten oder KatechisationenKatechisationen gemacht werden dürfen? Versteht sich der Prediger darauf, und findet er es zuträglich;zuträglich, so breite er Belehrungen oder Empfehlungen solcher Sachen im Umgange oder in besondern dazu ausgesetzten Stunden, ausseraußer dem Gottesdienste, aus. {Auch von dieser Meinung scheint man immer mehr zurückzukommen, die eine Folge der sogenannten AufklärungsperiodeAufklärungsperiode war, wo man von manchen KanzelnKanzeln Alles eher als das Evangelium predigen hörte, und wo statt dessen die Zuhörer mit dem Neuesten aus der Landwirtschaft, Naturlehre, Heilkunde, Pädagogik unterhalten wurden. – Dieß ist in seiner Zweckwidrigkeit eingesehen. Nur in politische Gegenstände hat sich unser Zeitalter wieder zu sehr in Predigten eingelassen.} 1984Ueberhaupt sollte es 3) niemand wagen, predigen zu wollen, wer sich nicht nach der strengsten und gewissenhaftesten Selbstprüfung diese zwey sich2018 vorgelegte Fragen befriedigend beantworten könnte: – Bist du mit der Sache wirklich bekannt, wovon du reden willst, so bekannt, wie es der Zweck erfordert, zu dem du reden sollst? und – wie steht es um dein Herz und deine Gesinnung gegen diese Sache? – Was kan2019 aus einer Predigt werden, die nicht aus diesen 2020 Quellen fließt? Wer noch gar keinen nur etwas reichen Vorrath von Kenntnissen der Sache, der [96] praktischen Kenntniß derselben, (d. i.)das ist ihrer verschiedentlichen Beziehung auf Wohl und Weh des Menschen, auf Besserung und Gemüthsruhe, hat;2021 wer sie nicht wenigstens unmittelbar vorher wohl durchdacht, und auf mehreren Seiten angesehen,2022 wer, wenn er sie auch erst von Andern lernen muß, nicht wenigstens sie selbst gedacht, sie zu seinem wirklichen Eigenthum gemacht, sie sich nach seiner Art und von seinem Eignen 2023 viel dazu gedacht hat: was kan2024 dessen Predigt anders seyn, als bloßer Wiederhall,2025 oder [685] schale, unfrucht[109]bare Rede, die dem Zuhörer weder zu Verstand noch zu Herzen dringt? wofür Er sich selbst nicht interessirt, wobey2026 es ihm gleichgültig ist, ob sich die Zuhörer dafür interessiren, wenn Er nur sein Tagewerk gethan hat, allenfalls Sie nur mit Ihm zufrieden sind, mag die Wirkung der Predigt so gering oder schlecht seyn als sie wolle. – Und wie kan2027 er daran Theil nehmen, wenn er selbst noch nie, oder nicht mit allem Ernst, daran gedacht hat, der zu werden, wozu er seine Zuhörer machen will, noch nie selbst die wohlthätigen dauerhaften Wirkungen dieser Lehren erfahren hat?
Dies2041 vorausgesetzt, wäre es bey eignen2042 Uebungen 4) immer rathsam, wenn man es [686] haben2043 könnte, eher2044 sie nicht 2045 zu unternehmen, als [110] bis man die Grundsätze und Regeln des guten Vortrags sich wohl bekannt gemacht hätte, und den Anfang der Uebungen mit genauer Zergliederung musterhafter Predigten von Andern zu machen. Man lernt dadurch erst recht einsehen, was und wie viel zu einer guten Predigt und der Ausführung einer Lehre gehört; man gewöhnt sich an Ordnung, die Seele alles guten Vortrags, an Verdeutlichung der Sache, an gehörige Darstellung derselben, an bedächtigere Ueberlegung. †) 2046 – 5) Wegen des Ausdruck Ausdrucks – so2047 wird sich zwar der2048 meistens von selbst bilden, wenn nur das Beyde2049 da ist, was nach dem vorigen §. voraus zu setzen war. Ausdruck und Vorstellungen hängen so innig zusammen, daß, wer sich ordentlich, deutlich und bestimmt zu denken gewöhnt, sich gewiß auch so ausdrucken2050, und selbst eindrücklich sprechen wird, wenn er nur spricht, wie es ihm ums Herz ist. Auch selbst Fehler im Ausdruck, falls sie nur nicht zu auffallend sind, mißfallen nicht, wenigstens nicht lange, wenn sie nur dem Redenden eigenthümlich sind; Fehler der Natur sind erträglicher als Schönheit und Kunst, der man den Zwang und die Mühe ansieht. Aber freylich2051 gehört auch Gewandtheit in der Sprache dazu, ohne welche man selbst nicht recht gut denken wird,2052 und deswegen ist fleißige frühzeitige Uebung im guten Ausdruck in derjenigen Sprache nöthig, worinn2053 der Prediger dereinst reden soll. Nun giebts in jeder gebildetern Sprache verschiedne2054 Arten des Ausdrucks: eine gemeinere und 2055 feinere, letztere mit mehr oder weniger Ge[687]schmack gebildet, natürlich schön2056 oder geziert. Selbst der Sprachgebrauch hat ge[98]wisse Ausdrücke nur gewissen Gegenständen gewidmet, nur in gewissen Arten des Vortrags gebilligt, so daß sie deswegen, anderswo gebraucht, für unnatürlich gehalten werden. Der Hauptcharakter der religiösen Sprache ist Würde. Diese Sprache leidet daher gewisse feyerliche 2057 Ausdrücke, die in der gewöhnlichen, selbst feinern, Sprache nicht üblich, oder abgekommen sind; von gemeinen Ausdrücken verträgt sie nur die, welche nicht bloß der gemeinen Sprache eigen sind; und aus der feinern Sprache nur die, welche sich durch Würde empfehlen, und nicht bloß in der Büchersprache gewöhnlich sind. ††) 2058 Doch leidet auch die religiöse Sprache von Zeit zu Zeit Veränderungen. Sie ist selbst in verschiednen2059 Gegenden und verschiednen Classen2060 von Lesern verschieden, die oft dergestalt ihre Vorstellungen und Empfindungen in der Religion an sie binden, daß durch andre2061 Arten des Ausdrucks ihre Andacht gestört, wenigstens nicht so, wie durch die ihnen geläufige Religionssprache, befördert und unterhalten, ja selbst die Sache ihnen verleidet, und der Lehrer, der sich nicht nach ihrer religiösen Sprache richtet, anstößig wird. †††) 2062 Man sollte also mehr den Charakter der religiösen Sprache studieren, sich für2063 aller Verderbung derselben sowohl2064 aus der gemeinen, als aus der2065 feinern Sprache hüten, und sich die besonders bekannt machen, an welche die besondere Art der Zuhörer gewöhnt ist, mit der man zu thun hat, und auch darinn2066 sich nach ihren Bedürfnissen bequemen.
Vorzüglich sollte man sich 6) in Predigten über historische Texte und Parabeln der Bibel, und überhaupt in HomilienHomilien, üben. Denn2138 sie sind dem, der es versucht, schwerer, als eigentliche Lehrvorträge. Bey2139 diesen glaubt man sich, ohne viel gelernt zu haben, mit seinem Nachdenken und mit dem genossenen allgemeinern Unterricht in der Religion helfen zu können; bey2140 jenen wird mehr eigner Fleiß, mehr Bekanntschaft mit dem Sinn der heiligen Schrift, mit dem Herzen und Leben der Menschen, mehr praktischer Verstand, mehr Biegsamkeit und Gewandtheit der Seele,2141 erfordert; und gute Muster hat man in dieser [116] Art weniger, als bey2142 dem Lehrvortrag. Sie sind auch für den Zuhörer faßlicher, anziehender und praktischer.
Anm. Anmerkung S.Siehe oben §. 54 556. 54. in der 2ten Anmerkung, und einige schöne Erinnerungen darüber in (Herders (Herder's ) Briefen, das Studium der Religion betreffend, 4ter Theil, im 40sten und den folgenden Briefen. {Hülfsmittel und Muster sind von verschiedenen Seiten Chrysostomus Chrysostomus, Luther, Martin Luther , unter den Neuern Teller, Wilhelm Abraham Teller, Sonntag, Karl Gottlob Sontag, Lange, Gottlieb Lange, Nebe, Johann August Nebe und Fischer, Gottlob Eusebius Fischer . Die doppelte Seite der Homilien ist von Ammon, Christoph Friedrich von Ammon , im Handbuch für Kanzelberedtsamkeit S.Seite 101, sehr gut ins Licht gesetzt. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 2143Anfänglich ist es 7) zu rathen, daß man seine Aufsätze ganz ausarbeite,2150 und wörtlich niederschreibe2151; denn da ist strenge Aufmerksamkeit auf den ganzen VortragVortrag,2152 und Genauigkeit nöthig. BeyBei 2153 zugenommener Fertigkeit, und wenn erst die guten Eigenschaften des Vortrags uns geläufig worden2155 sind, kan2156 man, ausserordentliche2157 [103] Fälle ausgenommen, oder wenn man ausgesuch[692]tere Zuhörer vor sich hat, sich mit einen guten Entwurf begnügen, wenn man ihn nur ganz durchdenkt. – Aber man hüte sich ja für2158 dem Ablesen bey2159 dem Vortrag selbst. Gut ablesen,2160 können ohnehin nur Wenige.2161 Die Lebhaftigkeit des Vortrags leidet bey2162 dem Ablesen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer wird weit mehr durch den eigentlichen Vortrag unterhalten. Bey2163 diesem fällt dem Prediger viel Gutes und Dringendes erst ein, und wird durch die Umstände oder durch den Eindruck, den man bey2164 den Zuhörern gemacht zu haben glaubt, veranlaßt. Und wer öfters und bisweilen ohne viele Vorbereitung predigen muß, würde oft in große2165, selbst dem Vor[117]trage nachtheilige,2166 Verlegenheit kommen. Man gewöhne sich also frühzeitig, ganz aufgeschriebene Vorträge nicht wörtlich, sondern durch wiederholtes bedächtiges Durchlesen,2167 sich einzudrucken2168, immer aber, nach dem gemachten Entwurfe, das, was man darüber sagen will, ausführlich und deutlich durchzudenken. – 8) Eine besondre2169 Uebung im sogenannten DeclamirenDeclamiren2170 ist meistens sehr entbehrlich, wenn man nicht Fehler der Natur und der Gewohnheit durch Uebung zu überwinden hat. Prediger sollen ja keine eigentliche2171 Redner, 1668noch weniger Schauspieler seyn. Wer voll von der Sache ist, die er empfehlen will,2172 wer aus wahrer Ueberzeugung, und mit dem ernsten Willen, seine Zuhörer zu bessern, spricht,2173 wer gegenwärtiges Geistes ist, und wer sich nicht an wörtliches Auswendiglernen gewöhnt hat,2174 dem wird es nicht schwer werden, auch äusserlich2175 gut vorzutragen. Aber die frühzeitige Uebung, gut zu lesen oder auszusprechen, (d. i.)das ist die Stimme so abzuändern, wie es die Natur der Sache erfordert, oder dem Ausdruck der Begriffe, auf die man am meisten aufmerksam machen [104] will, dem Affect, der Verhütung des Mißverstandes u. d. gl.und dergleichen 2176 angemessen ist – kan2177 man nie genug empfehlen †) 2178.
†) S.Siehe Gesammlete Schulschriften von Gedike, Friedrich Friedrich Gedike S.Seite 368 f.folgend 2179Hierbey2181 und bey2182 aller dieser eignen UebungUebung,2183 muß man sich aber 9) nie auf sein Urtheil allein [118] verlaßen2184, sondern das Urtheil der Verständigeren zu Rathe ziehen;2185 weil oft Gewohnheit unsre2186 Fehler schön macht; ein Anfänger, wenn er auch die guten Eigenschaften und Fehler des erbaulichen Vortrags kennte, doch noch nicht schon auf alles dieses aufmerksam ist; und es bey2187 dem Vortrage nicht in Anschlag kommt, was uns, sondern was Andern gut oder fehlerhaft scheint, bey Ihnen2188, nicht bey2189 uns, gewisse Wirkungen hervorbringt. – Am besten arbeitet man unter der Aufsicht, wenigstens unter der Kritik, eines Kenners. Kan2190 man diese nicht haben:2191 so gebe man auf die Urtheile acht2192, die man etwa von den Zuhörern2193 über den abgelegten Vortrag fällen hört, oder auf die Wirkungen, die unser Vortrag bey2194 den Zuhörern, in Absicht auf Erkenntniß und Besserung, gethan hat; vorausgesetzt, daß man versichert seyn kan2195, die Ursache, warum und wie fern er gefallen oder mißgefallen hat, liege nicht in gewis[694]sen zufälligen Umständen, die, anstatt des Vortrags selbst, die Urtheile gestimmt, oder die und die Wirkungen verursacht haben, – [105] und arbeite danach immer mehr an der Besserung des Vortrags2196.
Die Absicht, wozu man unter uns besondre2217 Religionslehrer bestellt, ist keinesweges, daß sie bloß in der Religion unterrichten, und öffentlich lehren sollen. Man weiset denen, die nicht solche Lehrer selbst bilden oder regieren, oder die sich nicht nur auf Unterricht und Erziehung der Jugend einschränken sollen, also den eigentlichen sogenannten Geistlichen und Pastoren, besondre GemeinenGemeinen2218 an, die sie, in Absicht auf alles2219, was zum Gottesdienst und zu dem nach den Vorschriften der Religion einzurichtenden Verhalten,2220 gehört, regieren, also dahin arbeiten sollen, daß sie denenjenigen2221, welche ihnen in dieser Absicht anvertraut sind, nicht nur die Religion bekannt machen, und dringend empfehlen, sondern ihnen auch bey2222 allen solchen Angelegenheiten zu Hülfe kommen, und die Ausübung jener Vorschriften befördern. Sie sollen keine bloßeblosse Prädicanten2223, sie sollen auch, wenn man sie so nennen darf, Vormünder, Erzieher, Rathgeber2225 und Aufseher ihrer Anvertrauten in allen solchen geistlichen Angelegenheiten seyn.
Ohne dieses würde auch der Zweck, den man bey2227 Einführung eines besondern Standes, zur Aufrechterhaltung und Beförderung der Religion gehabt hat, nicht hinlänglich, es würde selbst nicht einmal der Zweck des Predigen Predigens,2228 erreicht werden. – Der Mensch vergißt nur gar zu leicht, seine gute Erkenntniß anzuwenden, und dann ist sie für ihn unnütz; sie ist sogar alsdann, je ausgebreiteter sie ist, auch um so schädlicher, weil, was der Mensch nicht geflissentlich zum Guten anwendet, unvermerkt ein Werkzeug wird, seinen Eigennutz und 2229 Leidenschaften noch mehr zu befriedigen, wenigstens sich zu gewöhnen, gleichgültig auch bey2230 der besten Erkenntniß zu bleiben, und unempfindlich gegen ihre Eindrücke zu werden. Und wenn er sie auch anwenden will, so macht doch die Verlegenheit, in der er sich über die Art befindet, wie er sie bey2231 vorkommenden Fällen anwenden soll, oder die Collision zwischen seinen verschiednen2232 Pflichten und der Kampf zwischen seinen guten Grundsätzen und seinen Leidenschaften, daß er sie nicht wirklich anwendet, weil er sie nach Beschaffenheit der vorliegenden Umstände nicht2233 zu wählen oder2234 anzuwenden versteht. Wenn sich nun die wenigsten2235 Menschen in geistigen Angelegenheiten recht gut zu benehmen wissen2236, zumal wenn sie2238 durch ihre Le[697]bensart und Beschäftigungen gewöhnt sind, weniger an unsichtbare als sichtbare Dinge zu denken, und sich mehr durch äussere2239 Vortheile als durch2240 Grundsätze des Gewissens [122] leiten zu laßenlassen; wenn2241 sie 2243 an ihre Pflicht und an die Lehren der Religion, die sie über andre2244 Beschäftigungen oder Zerstreuungen vergessen, oft wieder müssen2245 erinnert werden; und wenn sie bey2246 zweifelhaften Gewissensfällen sich weder selbst helfen können2247, noch von ihres gleichen berathen werden: so2248 bedürfen sie nur gar zu sehr eines besondern Füh[109]rers, der sie gewissenhaft und mit Klugheit leite, oder zu dem sie, als zu einem, der in solchen Angelegenheiten erfahrner2249 und gewandter ist, ihre Zuflucht nehmen können.
Hiezu2251, und um selbst die eigentlichen Predigten ganz nach den Kenntnissen und Bedürfnissen der besondern Zuhörer einzurichten, ist ja2252 dem Lehrer ein näherer Umgang mit diesen nöthig, ohne welche er jene nicht zuverläßig kan2253 kennen lernen. Da 2254 erst lernt2255 er ihre Vorurtheile, ihre Mißverständnisse, ihre Gesinnung2256 gegen das Gute, ihre2257 Leidenschaften, die2258 ihnen eignen2259 Hindernisse des Guten, die2260 besondern Quellen der UnordnungenUnordnungen, überhaupt2261 woran es ihnen fehle, wie ihnen am besten beyzukommen sey2262, und wie er sie nach ihren besondern Umständen behandeln müsse. Er kan2263 auch da am besten ihre Entschuldigungen oder Gegenvorstellungen hören, [698] mehr mit ihnen im Ton einer freundschaftlichen Unterredung als in dem auf der CanzelCanzel2264 üblichen Lehrton2265 reden, mehr sich auf das Besondre einlaßen2266, die Gemüther besser gewinnen, und sie selbst zu öffentlichen heilsamen Anstalten und Ver[123]besserungen zubereiten,2267 und williger machen. Bey2268 dem größesten2269 Theil der Menschen wirkt Ansehen und Vertrauen, das jemand bey2270 ihnen hat, wirken gute Beyspiele2271 mehr, als die bündigsten Vorstellungen und Gründe. –2272 Wie soll sich der Prediger jenes erwerben, wenn sein ganzes Betragen nicht eben so für ihn spricht2273 als seine Geschicklichkeit im Vortrage; wenn er seine Bemühungen um das Beste seiner Zuhörer auf die wenigen Stücken2274 einschränkt, die zum eigentlichen öffentlichen Gottesdienste bestimmt sind, und nicht eben den geflissentlichen Eifer für [110] ihr Wohl überall, wie auf der Canzel2275, zeigt; wenn sie ihn nur als einen Mann kennen lernen, der in feyerlichen2276 Fällen sein Amt verrichtet, aber nicht im2277 nähern vertraulichen Umgange sich ihrer eben so, und noch eigentlicher, annimmt,2278 der 1673mehr der Mann der Gemeine Gemeine 2279 als aller einzelnen Glieder ist,2280 der nur erbeten sie besucht, nicht um selbst nach ihren Angelegenheiten zu sehen, der durch sein eignes Beyspiel2281 das leidige Vorurtheil bestätigt, daß das Christenthum nur in die Kirche und nicht ins ganze Leben gehöre? Was kan2282 die beste Predigt fruchten, wenn er selbst nicht mit freyem2283 Gewissen reden kan;2284 selbst das Vorurtheil gegen sich erregt hat, daß er das nicht glaube, oder ernstlich meine, was er öffentlich sagt; wenn er durch einen [699] schlechten oder unvorsichtigen Wandel gute Eindrücke des Vortrags wieder zerstört, im Umgange gar nicht, oder mit Gleichgültigkeit, von Religions- und Gewissenssachen spricht, oder durch Unbesonnenheit und Mangel der Klugheit [124] das Vertrauen wieder verscherzt, was er sich durch Eifer für die Religion erworben hatte? Wie mächtig hingegen wird er auf seine Anvertrauten wirken, wenn durchaus sein ganzes Betragen, seine Uneigennützigkeit, sein Fleiß, seine Gutthätigkeit und Behäglichkeit2285, seine Gewissenhaftigkeit, seine Klugheit, seine Ordnung, sein, auch unter dem Druck und Leiden, immer guter Muth u. d. gl.und dergleichen 2286 beweiset, daß er der Mann ist, der er seyn soll oder scheinen will, der durch sen BeyspielBeyspiel2287 zeigt, was die Kraft der Religion vermag, wenn man sich ihr von ganzem Herzen weyht2288, und der eben diese Tugenden so durch sein ganzes Beyspiel2289 empfiehlt?
Noch sind zwey2291 ganz einander entgegenstehende Dinge, die jedes in seiner Art den großen2292 Nutzen verhindern, den ein rechtschaffner2293 Geistlicher für die Religion stiften könnte. – Verachtung –2294 und Achtung Achtung, die2295 auf Anderer2296 falschen Begriffen von Religion und von seinem2297 Amte beruht. – Wer überzeugt ist, daß die Religion mit keiner magischen Kraft, sondern durch Vorstellungen,2298 wirkt, und daß jede vermeinte Besserung oder Beruhigung, die nicht auf diese Art entsteht, bloße2299 Täuschung und Selbstbetrug ist: [700] dem muß es wehe thun, wenn auch Menschen, die keine Verächter der Religion sind, ihm in Religionssachen blind2300 glauben, oder seinen, besonders gottesdienstlichen, Handlungen, Gebet, Absolution, Segensprechen u. d. gl.und dergleichen 2301 oder von ihm [125] geweyheten2302 Sachen, eine Kraft beylegen2303, die ihnen alles2304, was auf ihrer Seite nöthig wäre, erspart, oder höchstens eine sinnliche Andacht für den Augenblick erfordert; weil diese Art zu denken, falsche Religionsbegriffe, Sicherheit und Trägheit,2305 nährt, wahre Besserung verhindert, und, statt Gewissenhaftigkeit, Gewissenlosigkeit verursacht. Bloßes2306 Predigen dagegen wird wenig helfen, weil solche Einbildungen dem Menschen gar zu bequem sind, und sich bey2307 der größesten2308 unaufgeklärten Classe2309 der Menschen durch gewisse dunkle oder undeutliche Vorstellungen von dem Göttlichern und Wundervolleren, das in unmittelbaren (ohne ihre Mitwirkung erfolgenden) Wirkungen Gottes liege, empfehlen und erhalten. Aber fleißiger, erbaulicher Umgang des Predigers kan2310 desto mehr thun;2311 weil er da mehr die oft sonderbaren Ursachen ihrer Einbildungen erfahren, und diesen entgegen ar[112]beiten kan2312; weil sie ihn da als einen Menschen gleich wie sich kennen lernen, der keine mehrere2313 Kraft, Menschen selig zu machen, und Unglück von ihnen abzuwenden hat, als sie, in ihrer Art, wenn sie wollen, auch erlangen können; und vornemlich2314, weil er sie da immer mehr gewöhnen kan2315, nur in Gottes Wort, (d. i.)das ist nur in Betrachtung der göttlichen Wahrheit und deren Anwendung aufs gan[701]ze Leben, Trost zu suchen, und dieses als das alleinige und unentbehrliche Mittel zu ihrer immer mehrern2316 Besserung überall zu gebrauchen.
Doch zu unserer Zeit mag Verachtung Verachtung 2318 den Stand eines Geistlichen wohl mehr drücken, und das Gute, was er stiften könnte, erschweren. Gewissermassen2319 liegt die Ursache in der immer wachsenden, und sich weiter ausbreitenden Aufklärung und Verfeinerung der Sitten. – Jene verursacht:verursacht, 2320 daß bloßes2322 Ansehen der Person oder des Standes weniger wirkt als ehedem2323, und man mit Recht Klarheit der Sache und Gründe verlangt, wo Ueberzeugung und Folgsamkeit entstehen soll; daß der Lehrer der Religion, wenn er vorzüglich gehört seyn, und Andre2324 leiten will, auch vorzügliche Kenntnisse, wenigstens in der Religion, und, wenn man ihm auch diese erläßt, wenigstens vorzügliche Geschicklichkeit und Fertigkeit haben muß, Religionskenntnisse in einzelnen2325 Fällen nützlich zu machen; daß man,2326 bey2327 der Vervielfältigung der wissenswürdigen Gegenstände, von ihm Kenntnisse und Geschicklichkeit auch in vielen andern Sachen, als bloß in der Religion, fordert. –2328 Die Verfeinerung der Sitten will selbst2329 jetzt mehr, daß er umgänglich, gesellig, unterhaltend, ein Mann [113] von gutem Ton seyn soll, als sonst, wo man 2330 mit Schlecht und Recht zufrieden war, auch wohl dem Mangel guter oder feiner Lebensart nachsahe, wenn er durch [702] exemplarisches Betragen ersetzt wurde. Mag diese Forderung übertrieben, mag wenigstens die allgemeine Forderung nicht bloß anständiger, sondern auch feiner Lebensart, ungerecht seyn: so [127] gehört doch Bequemung nach Sitten, die auf bloß willkührlichen2331 Begriffen vom Wohlstand beruhen mögen, wenn sie nichts Sündliches fordern2332, und Erwerbung solcher Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die nicht zu unserm eigentlichen Beruf gehören – falls wir beydes,2333 ohne Versäumung näherer und höherer Pflichten erlangen können, – zu der großen2334 Pflicht, 1675Allen Alles zu werden, ohne die man Viele nicht für die Religion gewinnen kan2335. Die andern erwähnten Folgen der Aufklärung aber sind so wünschenswürdig, und die darauf gegründeten Forderungen so gerecht, daß jene allen Geistlichen, die mehr Christi Ehre als ihre eigne2336 suchen, lieb, diese aber, kräftige Ermunterung zu mehrerm Fleisse,2337 seyn, und sie wie Paulus denken sollten2338
Wollte Gott, es gäbe keine andre2347 Ursachen dieser VerachtungVerachtung! Freylich2348 ist ein sehr großer2349 [703] Theil der Geistlichen selbst2350 durch ihr Verhalten, in Absicht2351 auf Lehre, Methode und Sitten, eben sowohl Schuld daran, als durch [114] ihr Eindringen in einen Stand, wozu sie keinen innern Beruf [128] haben, oder sich doch nicht dessen durch gewissenhaften Fleiß und redliche unermüdete Treue immer würdiger machen;2352 ein Vorwurf, der eben so wahr, als bey2353 der Anwendung gegen den Stand selbst höchst ungerecht ist, und, wenn er so oft geflissentlich hervorgezogen, und so unbestimmt gebraucht wird, bey2354 aller Protestation gegen gehäßige2355 Absichten, ganz andre2356 Ursachen verräth, als bloßen2357 Unmuth über viele 2358 unwürdige Mitglieder dieses Standes2359. Falsche und unedle Würdigung dieses Standes nach dem geringern Verhältniß, in dem er gegen Beförderung sichtbarer und unmittelbarer Vortheile der bürgerlichen Gesellschaft und des Nahrungsstandes steht; Mißgunst gegen billige Entschädigung des Verlustes der Zeit, der Kräfte, und anderweitiger Arten der Erwerbungsmittel, die gehöriger Fleiß, auf Geistesbeschäftigungen gewendet, nicht erlaubt; Mißvergnügen über einen Stand, der, selbst durch Erhaltung und Empfehlung der Religion, Tugend und Gewissenhaftigkeit, der Zügellosigkeit im Denken und in den Sitten entgegen, einem gewissenlosen zeitlichen Interesse im Wege steht, und Ausbrüche des letztern, wo nicht verhindert, doch erschwert, auf diese aufmerksam, und sie verabscheuungswürdig macht; und – worauf aller2360 dieser Haß zuletzt beruht,2361 – Gleichgültigkeit oder gar Verachtung gegen Religion [704] und Tugend selbst, – sind unstreitig die vornehmsten Ursachen dieser bezeigten2362 Verachtung eines Standes, den seine Absicht und sein unleugbar2363 möglicher Einfluß auf die menschliche [129] Wohlfahrt verehrungswürdig machen sollten. Jenen Haß durch ein würdiges Verhalten, durch vorzüglichen Fleiß, Treue, Klugheit, Unsträflichkeit, Gemeinnützigkeit, selbst durch HerablaßungHerablaßung2364 zu menschlichen [115] Schwachheiten, und vorsichtige Bequemung zu unschuldigen Gewohnheiten, zu entwaffnen,2365 auch dies machts2366, daß die rechtschaffne2367 Führung des geistlichen Amts weit mehr erfordert, als Geschicklichkeit im Vortrage, wenn man die ganze Absicht desselben erfüllen, und den so weit reichenden Nutzen stiften will, den es wirklich stiften kan2368.
Etwas Näheres nun über die ganze Art zu sagen, wie sich der Prediger, als wirklicher [131] Seelsorger, bey2400 allen Theilen seines Berufs zu benehmen habe, würde hier am unrechten Orte [706] stehen. Das Allgemeinere, was hier Platz finden könnte, ist schon bisher bey2401 Gelegenheit des Vortrags und dessen Einrichtung erwähnt, und das Uebrige §. 3 2402 und 11. –2403 Wie erlangt man aber die Kenntnisse, die zur gewissenhaften und klugen Führung dieses Amtes nöthig sind?
Manches ist zwar jeden Ortes2405 durch Kirchenordnungen bestimmt, und es ist vor2406 sich klar, daß, wer in einem besondern Amte angestellt ist, sie sich eben so, wie jeder gute Bürger die Landesgesetze, bekannt machen müsse. Allein2407 sie betreffen doch eigentlich nur die PolizeyPolizey2408 der Kirche, das Aeusserliche2409, das man ohne Verantwortung und Ahndung der Obrigkeit nicht unterlaßen2410 darf, nur erzwingliche Pflicht2411; aber nicht die viel wichtigere Pflicht2412, sich gerade so zu betragen, daß der heil[117]same Zweck des Amtes, die geistige Wohlfahrt der uns2413 Anvertrauten, aufs beste erreicht werde, und nichts geschehe, was auf irgend einige Art den Nutzen hindern könne, den der Prediger stiften kan2414. – Eigene nach und nach erlangte Erfahrung thut freylich2415 auch viel, und ohne sie würde sich der Geistliche nicht selbst bilden;2416 zumal, da er nicht alles2417, was er zu seinem rechtmäßigen Betragen wissen muß, durch allgemeinern Unterricht lernen kan2418; da die kluge Anwendung des Allgemeinern auf besondere Fäl[132]le eigene Geschicklichkeit erfordert; da die besondern Umstände, in die er kommt, vieles erst [707] lehren, und ihm zeigen müssen, wie er sich eben hier, nach den besondern Bedürfnissen derer, mit welchen er zu thun hat, zu verhalten habe;2419 und da es überhaupt sehr mißlich ist, bey eignen Erfahrungen,2420 erst durch Schaden klug zu werden, der oft sich nicht ganz wieder gut machen läßt, oder unangenehme Folgen mit sich führt, deren Eindrücke sich nicht immer ganz wieder auslöschen laßen2421. – Nützlicher, wenigstens nicht so Gefahrvoll2422, sind zwar die Belehrungen, die man von andern erfahrnern2423 und verständigern2424 Geistlichen einziehen kan2425. Allein es giebt dieser2426 Geistlichen nicht viel2427, die diese Eigenschaften wirklich besitzen, und deren Erfahrungen oder Pastoralkenntnisse sich weiter, als über das Herkommen oder über das Gewöhnliche, erstrecken. Sie können uns wohl zeigen, was sie gethan haben; aber nicht, ob sie, selbst wenn es glückte, recht und wohl daran thaten? ob es im Grunde nicht mehr geschadet2428 als genutzt habe2429? und, wenn auch alles dies2430 nicht wäre2431, ob wir es in unsern Umständen nachahmen dürfen? Der geringste Umstand kan2432 die Sache und die Pflicht verändern. Und wer hat in dringenden Fällen, wo man sich auf der Stelle entschließen2433 muß, den [118] Mann immer bey2434 der Hand, der ihn an das Nöthige erinnerte?
Indessen ist der Umgang mit solchen, die einerley2436 Geschäfte mit uns treiben, allerdings die [133] beste Schule, wo wir dies2437 lernen können, wenn [708] die Männer darnach sind, und wenn wir ihre Belehrung zu benutzen verstehen. Denn wie kan2438 sich der praktische Verstand und Beobachtungsgeist besser, als in den Geschäften selbst, bilden, und, wenn man noch wenig eigene Gelegenheit dazu gehabt hat, oder sich für2439 Uebereilung oder Unentschlossenheit fürchtet, wie besser, als durch den Umgang mit solchen, deren Grundsätze, Erfahrungen und Beyspiele2440 musterhaft sind, in dem besondern Kreise vornemlich, worinn2441 wir auch zu handeln haben? Aber es müßten Männer seyn, die, bey2442 wahrer Gewissenhaftigkeit und thätigem2443 Eifer für ihren Beruf, praktisch praktischen BeobachtungsgeistBeobachtungsgeist und praktische BeurtheilungskraftBeurtheilungskraft 2444 besäßen2445, und willig genug wären, den Unerfahrneren2446 auf das rechte Betragen in einzelnen vorkommenden Fällen aufmerksam und selbstthätig zu machen.
Unstreitig muß der, dem man Klugheit ablernen soll, selbst die nothwendigen Eigenschaften wahrer Klugheit besitzen. Er muß 1) die Welt und das menschliche Herz wohl kennen, also fähig zu genauen Beobachtungen dieser Art, und aufmerksam darauf seyn, wie verschieden die Menschen in ihrer Denkungsart und 2448 Charakter sind, in wie mancherley2449 Lagen sie kommen können, welchen Eindruck die Umstände auf sie, nach ihrer besondern Gemüthsbeschaffenheit2450, machen, wie sich dadurch ihre Vorstellungen und [709] [134] Neigungen verändern laßen2451, oder eine andre2452 Richtung bekommen, was für Hindernisse und was für Beförderungsmittel in diesem allen liegen, wenn man auf ihr Gemüth wirken will. Dies2453 giebt den Stoff zur Klugheit, der in einzelnen2454 Erfahrungen besteht. Aber er muß auch 2) diese einzelnen2455 Beobachtungen wohl benutzen, und daraus das Allgemeine, wenigstens das, was gewöhnlich geschieht oder zu erwarten ist, abziehen, um sichre2456 Regeln zu haben, die ihn in ähnlichen Fällen leiten können, wenn er die Menschen und die Umstände richtig beurtheilen, oder gewisse Veränderungen in ihnen hervorbringen will. Wer einen solchen Schatz von allgemeinen praktischen Regeln oder Maximen besitzt, die er aus einzelnen2457 Beobachtungen abgezogen, und sich dadurch von ihrer Wahrheit und Brauchbarkeit überzeugt hat, nur der verdient den Namen eines erfahren erfahrnen 2458 Mannes. Einen Verstand, der dieses vermöchte, könnte man den praktischen Verstand nennen. – Beyde2459 Stücke, ich meine: viele Beobachtungen und der praktische Verstand, müssen bey2460 wahrer Klugheit zum Grunde liegen, und man wird so viel fähiger zur Klugheit, je mehr Gelegenheit man hat, Beobachtungen dieser Art anzustellen, je stärker unsre2461 Aufmerksamkeit darauf ist, und je mehr Geistesfähigkeiten man besitzt, zu vergleichen, und daraus bestimmte allgemeine praktische Regeln zu ziehen. – Kommt nun dazu die fleißige Uebung in Anwendung dieser erlangten Erfahrungen auf vorkommende Fälle, wo man selbst handeln,2462 und auf [710] [135] Andre2463 wirken soll:2464 so bildet sich nach und nach die Fertigkeit, theils die Umstände, unter welchen man handeln, und die Menschen, die man leiten soll, so weit wenigstens, durchzuschauen2465, als [120] man es zu seiner Absicht braucht, theils gleich hienach2466 das Rathsamste und Thulichste2467 in einzelnen2468 Vorfällen zu erkennen. Jenes ist der praktische Beobachtungsgeist, dieses die praktische Beurtheilungskraft 1680 (Th.Theil 1. §. …)2469, welche eigentlich die Bestandtheile der Klugheit ausmachen.
Diese Eigenschaften sind zur Bildung des klugen Mannes unentbehrlich; aber unzureichend, den klugen SeelsorgerSeelsorger,2495 und durch diesen Andere,2496 zu eben demselben Beruf zu bilden, wenn nicht noch zwey2497 andere Eigenschaften hinzukommen. Die erste, daß er gewissenhaft und voll thätigen Eifers für seinen Beruf sey2498; nicht zufrieden, sein Amt ohngefähr2499 und im Aeussern2500 zu thun; [137] nicht gleichgültig gegen kleinscheinende Mängel, Fehler oder Versäumnisse; überhaupt,2501 nicht gleichgültig gegen immer weitere Fortschritte in der Erkenntniß, in eigner2502 Besserung, im Wohlwollen gegen Andere; sondern seinem Beruf ganz gewidmet; gleich aufmerksam und sorgfältig [712] in Absicht auf alle Theile desselben; überall bedacht auf dessen Zweck, auf die Besserung der Menschen in ihrem ganzen Umfange; durchaus eifrig, alle Mittel zu finden,2503 und mit Weisheit zu gebrauchen, die sie befördern können. Die zweyte 2504, daß er willig 2505 sey2506, sich Andern 2507, die er zu gleichem Zweck bilden könnte, mitzutheilen 2508, sie auf alle in Anschlag kommende Umstände und auf das diesen angemessenste Betragen aufmerksam zu machen, sie zur Selbstthätigkeit zu ermuntern.
Anm. Anmerkung Wenn CandidatenCandidatenKandidaten frühzeitig zu verständigen und in ihrem Beruf eifrigen GeistlichenGeistlichen, oder in besondere Pflanzschulen gethan würden, wo sie sich, unter gehöriger Aufsicht, in der Seelsorge üben lernten; und wenn von Zeit zu Zeit in jeder Diöces eine Art von Synoden zu diesem Zweck gehalten würden, wo jeder die ihm vorgekommenen Vorfälle und Angelegenheiten dieser Art vortragen, und jeder freundschaftlich seine Gedanken von dem besten Verhalten dabeydabei mittheilen könnte: so lernte nicht nur jeder diejenigen in seinem Bezirk kennen, welchen sich diese Klugheit am besten ablernen ließeliesse, sondern er würde auch auf Vielesvieles aufmerksam gemacht, woran er sonst schwerlich gedacht hätte, und lernte immer mehr durch Anderer Klugheit sich selbst dazu bilden. Wo keine solche Anstalten sind, oder wo man wenig Geistliche findet, die dafür Interesse oder dazu Fähigkeit haben, ist die öftere Zusammenkunft gleichgesinnter Prediger PredigernPrediger zu diesem Zweck, Zweck das Mittel, welches niemand versäumen sollte. S.Siehe Ueber praktische Vorbereitungsanstalten zum Predigtamt, von Sextro, Heinrich Philipp Heinrich Phil. Sextroh , Göttingen,Göttingen 1783. 8. 2509Zur Erhaltung des einem Geistlichen so nöthigen Ansehens gehört auch die Erhaltung seiner Rechte, und, da er in seinem Beruf keines Andern Rechte, besonders in geistlichen und kirchlichen Dingen – die hier eigentlich nur in Anschlag kommen – kränken, zugleich auch die Rechte seines Standes, seines Amtes, seiner Kirche und seiner Gemeine2559 insbesondere, aufrecht erhalten muß: so kan2560 er eine Kenntniß dieser Rechte, ihrer Gränzen, wie weit ihre Erhaltung ihm anvertraut sey2561, und wie er sie handhaben und erhalten solle, nicht entbehren.
Jeder Mensch hat, wie die Pflicht, so das Recht, alles2563 zu thun, was zu seinem Besten dient, also auch nach [124] Kenntniß alles dessen zu [140] trachten, was sein Verhältniß gegen Gott betrift2564, dieser Erkenntniß gemäß zu handeln, und alles2565 zu thun, was jene Kenntniß und die Befolgung derselben, mit einem2566 Wort, was seine Religion befördern kan2567. Wollte man den Inbegriff aller dieser Rechte in Absicht auf Religion des Menschen unter Einem2568 Namen zusammenfassen: so könnte man ihn das geistliche oder religiöse Recht nennen. Vereinigen sich mehrere Menschen in Eine Gesellschaft, um ihre durch die [715] Religion zu erhaltende, (d. i.)das ist geistliche, Wohlfahrt besser zu befördern:2569 so entsteht eine gottesdienstliche Gesellschaft, und, wie man gar wohl sagen könnte, eine Kirche – obgleich dieser Name nur von und unter Christen gebräuchlich ist2570 – und tritt sie zusammen, um jene gemeinschaftliche Wohlfahrt durch die christliche Religion zu befördern, so entsteht der Begriff einer christlichen Kirche. Die Gesetze und ihre Folgen, (d. i.)das ist die Pflichten und Rechte einer Kirche, müßten sich auf die Natur der Sittlichkeit, der Religion, und einer Gesellschaft, die der christlichen Kirche aber, zugleich auf die Lehren des Christenthums, gründen; und niemand hätte das Recht, ihre Rechte und deren Ausübung einzuschränken, oder ihr Gesetze vorzuschreiben, als sie sich selbst. Sogar alsdann, wenn in ihr eine Verschiedenheit der Meinungen über den Umfang des Zwecks, wozu sie sich vereinigt hat, oder über das Verhältniß gewisser Mittel dazu, entsteht, behält jedes einzelne2571 Glied der Kirche das Recht, entweder sich mit den andern durch einen Vertrag zu [141] vergleichen, oder an gewissen Anstalten nicht Theil zu nehmen, oder sich von dieser Gesellschaft selbst zu trennen. Wenn sie nun einander durch irgend einen Vortrag2572 [125] nachgäben, der alsdann die Kraft eines Gesetzes bekommt, oder ihre vermeinten Rechte kämen in Widerspruch mit den Rechten andrer2573 Personen oder Gesellschaften, deren Rechte, in Absicht auf den zweifelhaften Punct2574, sie anerkenneten, oder diesen Widerspruch durch eine Uebereinkunft ausglichen: so entstünden mensch[716]liche Kirchengesetze und Rechte, die, sofern sie unter verglichenen Bedingungen gemeinschaftlich angenommen sind, eben so unverbrüchlich als die göttlichen Gesetze, und so lange zu halten wären, als diese Bedingungen durch die Umstände keine Veränderungen litten.
Diejenigen, natürlichen oder positiven, göttlichen oder menschlichen,2576 Gesetze, welche Religion und deren Ausübung betreffen, nebst den daraus entspringenden Rechten, so fern beyde2577 aus Quellen fließen2578, die allgemein von allen Christen als Quellen anerkannt werden, machen das allgemeine (christliche) Kirchenrecht aus; die aber, welche2579 in gedachter Rücksicht, nur ein Theil der Christen anerkennt, oder wenigstens genehm hält, das besondre 2580 Kirchenrecht, welches2581 so verschieden ist, so viele besondre2582 kirchliche Gesellschaften es giebt, die sich nach diesen Gesetzen als Eine gottesdienstliche Gesellschaft zusammenhalten. Eine Art dieses besondern Kirchenrechts ist das [142] sogenannte kanonische Recht (im engern Verstande), welches auf kirchlichen Verordnungen (canonibus ecclesiasticis) beruht, die in der römischen Kirche und den mit ihr verbundenen für verbindlich gehalten werden, von welchem noch manche das päbstliche 2583 Recht (ius pontificium) unterscheiden, das nur von den Theilen der römischkatholischen2584 Kirche anerkannt [126] wird, die alle Verordnungen der römischen Päbste2585, um des an sich verbindlichen Ansehens der Päbste2586 willen, als gesetzmäßig annehmen.
Das deutsche protestantische Kirchenrecht ist eine andre2588 Art des besondern Kirchenrechts, und wird in ein öffentliches und Privat-Kirchenrecht getheilt. Jenes, das man auch das deutsche Kirchen-Staatsrecht, nemlich2589 der Protestanten, nennt, ist allen deutschen evangelischen Kirchen gemein, und seine vornehmste Grundlage ist der 1693 Augspurger2590 Religionsfriede von 15552591, und der 1694westphälische von 1648. Das protestantische Privat-Kirchenrecht ist nach den verschiedenen evangelischen Landeskirchen sehr verschieden, und beruhet2592 auf den Kirchenordnungen, Recessen, Verordnungen der Landesobrigkeit, und der sogenannten wohl hergebrachten Observanz. Es setzt das öffentliche protestantische, und dieses wieder das allgemeine Kirchenrecht, als verbindlich voraus, wo es nicht durch besondre2593 Landesverordnungen oder Einrichtungen eine Einschränkung bekommen hat.
Warum, und wie ferne2595 ist das Studium dieser RechteRechte,2596 einem Lehrer der Religion insbesondre2597 nothwendig? – Schon deswegen, weil er seine eigenen Rechte in Absicht auf Religion, als Mensch und als Lehrer, kennen muß. Pflichten und Rechte hängen unzertrennlich zusammen. Jede Pflicht, von der ich mich2598 überzeugen oder die ich2599 ausüben soll, giebt mir2600 auch ein Recht, [718] die dazu nöthigen Mittel zu brauchen2601; und wenn ich mich2602 gleich meines2603 [127] Rechts nur bedienen darf, nicht immer muß:2604 so muß ich2605 doch nach gewissen Gesetzen bestimmen2606, ob ich mich2607 dessen bedienen soll oder nicht,2608 und nach diesen Gesetzen, die eben meine Pflicht2609 bestimmen, kan ich2610 pflichtmäßig oder pflichtwidrig handeln, wenn ich2611 von dem Rechte Gebrauch mache2612 oder nicht. Wir können also nicht einmal immer recht handeln, und unsre2613 Pflicht beobachten, wenn wir nicht unsre2614 Rechte kennen, und wissen, wo wir sie üben müssen, und wo es uns frey2615 steht,2616 sie zu veräussern2617, oder ihren Gebrauch zu unterlaßen2618. Wie viele und große2619 Sünden entstehen (z. B.)zum Beispiel aus der unterlaßenenunterlassenen eignen2620 Untersuchung in der Religion und Mittheilung meiner mir2622 richtiger und nützlicher scheinenden Entdeckungen darin an Andere, oder aus dem schrankenlosen2623 Gebrauch des Rechts zu beyden2624?
Eben so wenig darf ich2626 Anderer Rechte beeinträchtigen. Dies2627 würde ich2628 thun, wenn ich2629 [144] ihnen ihre Rechte, in Absicht auf Religion, Gottesdienst, und was zu dessen Beförderung dient, absprechen, oder einschränken, oder durch den Gebrauch der meinigen2630 sie an der Ausübung der ihrigen hindern, oder sie auch nur bereden wollte, diese, ohne ihre, selbst oft wider ihre,2631 Ueberzeugung, zu veräusseren2632, und mir nachzugeben2633, oder sie hindern, ihre veräusserten2634, aber ihrer Natur nach unveräusserlichen,2635 Rechte wieder an [719] sich zu bringen. Noch mehr, wenn ich2636 die Rechte Anderer, deren Untersuchung, Erhaltung und Ausübung mir2637 anvertraut ist, vernachläßigte2638 oder veruntreuete. –2639 Nun sind viele solche dem Lehrer der Religion anvertrauet, vornemlich2640 so fern er einer besondern kirchlichen Gesellschaft vorge[128]setzt ist; und, wenn er sie auch allein weder bestimmen noch handhaben darf:2641 so hat er doch das Recht und die Pflicht, Acht zu geben, wo sie vernachläßigt2642 oder beeinträchtigt werden, um den Obern davon Anzeige zu thun, und Vorstellungen zu machen. Daher muß er in aller Absicht2643 diese Rechte, wenn er nicht seine Pflichten, zum großen2644 Schaden Anderer, vernachläßigen2645, oder überhaupt Anderer Rechten zu nahe treten will, sorgfältig suchen kennen zu lernen.
Zu diesen Rechten gehören nicht nur die, welche aus der Natur des Menschen, der Gesellschaft, der Religion und des Gottesdienstes nothwendig fließen2655, sondern auch die, so auf einer willkührlichen2656 Uebereinkunft, oder auf den Verordnungen und Veranstaltungen dererjenigen2657 beruhen, die das Recht hatten, das, was aus jenen Quellen nicht nothwendig floß, oder dadurch unbestimmt war, um der guten Ordnung willen, zu bestimmen, welches2658 hiedurch2659 also von ih[129]nen, die in solchen Sachen eine gesetzgebende Befugniß hatten, auch eine gesetzmäßige, oder, durch das unwidersprochne2660 Herkommen, eine ähnliche Kraft 2661 bekam. Da solche Verfügungen, die sich auf bloß menschliches Ansehen gründen, in verschiednen2662 gottesdienstlichen Gesellschaften sehr verschieden sind (§. 82 u. 83):2663 so ist es Pflicht eines in einer solchen besondern Gesellschaft angestellten [146] rersLehrers 2664, sich auch diese positiven kirchlichen Gesetze und Anstalten, und die daraus fließenden2665 Rechte und Pflichten bekannt zu machen, um keine zu vernachläßigen2666, zu verletzen, oder sich dadurch Verantwortung zuzuziehen, um dieselben aufrecht zu erhalten, und andern2667, die darüber belehrt seyn wollen, Unterricht und Rath zu ertheilen;2668 welches ja, so fern2669 solche äussere2670 Anstalten auch eine innerliche Verbindlichkeit, sie zu beobachten, mit sich führen, einen Theil der ihm anvertrauten Seelsorge ausmacht. Man sieht von selbst, daß, in dieser Rücksicht,2671 ein protestantischer Lehrer verbunden [721] sey2672, vorzüglich sich2673 das protestantische allgemeinere 2674, und, als ein Glied und Vorsteher einer besondern protestantischen Landeskirche, auch das ihn und seine gottesdienstliche Gesellschaft angehende besondre 2675 Kirchenrecht zu studieren.
Minder nothwendig könnte einem protestantischen Geistlichen das Studium des kanonischen Recht Rechtes 2687 scheinen, und ist es auch für die meisten. Aber, – nicht zu gedenken, daß es zu besserer Einsicht der Kirchengeschichte dienen kan2688, und manche Veränderungen der Kirche ohne die Kenntniß der in ihr angenommnen2689 Gesetze und [722] Rechte nicht recht verständlich oder begreiflich sind;2690 – so enthält das protestantische Kirchenrecht zum Theil noch viele Ueberbleibsel aus dem kanonischen;2691 und die Protestanten in Deutschland haben selbst durch Verträge sich zur Beybehaltung2692 mancher auf das kanonische Recht gegründeten Einrichtungen verstanden. Um diese zu verstehen, ist die Kenntniß des kanonischen nicht zu entbehren. – Ueber dies2693 leben viele protestantische Geistliche an solchen Orten, wo die Römischkatholischen2694 entweder die herrschende Kirche ausmachen, oder neben den Protestanten leben;2695 wo sie also auf einer Seite nie die Rechte derselben kränken, noch zu Gegeneingriffen Gelegenheit geben, auf der andern aber wachen müssen, daß ihre eignen2696 Rechte nicht durch die Ansprüche jener beeinträchtigt werden, und daß, wenn man diese letztern oder die daher entstehende2697 Bedrückungen [148] auf gewisse Rechte gründet, alsdann die gute Sache der Protestanten nach den von den Gegnern selbst durch Friedensschlüsse und Verträge zu[131]gestandenen protestantischen, oder selbst nach kanonischen,2698 Rechten vertheidigt werde. – Ueberhaupt aber ist schon die Kenntniß des kanonischen Rechts sehr nützlich2699 zu besserer2700 Einsicht und Beurtheilung der zwischen unsrer2701 und der römischkatholischen2702 Kirche obwaltenden Streitigkeiten, die größtentheils ihren Grund in dem kanonischen Rechte haben; so wie dieses manches Zeugniß der Wahrheit gegen jene Kirche enthält, und die Unschuld oder Nothwendigkeit des Abgangs der Protestanten von jener Kirche rechtfertigt. – Endlich [723] wird die Kenntniß dieses Rechts protestantische Lehrer vorsichtig machen, aus falschen Begriffen von Toleranz oder aus Unkunde desjenigen, was die2703 in der römischkatholischen2704 Kirche für Recht halten2705, keine Schritte zu thun, wodurch man ihnen Blößen2706 giebt, oder etwas einräumt, wonach sie glauben können, in den Besitz gewisser Rechte gesetzt zu seyn, und sich nicht eine mögliche Vereinigung mit dieser Kirche zu erträumen, die allezeit auf Kosten der Protestanten gehen würde.
Aus dem bisher Gesagten erhellet schon, daß das Studium der geistlichen Rechte nicht jedem gleich nothwendig, wem es am unentbehrlichsten, und welche Arten derselben für einen Geistlichen unsrer2708 Kirche die nothwendigsten seyen2709; und da zugleich oben angegeben ist, worauf sich diese [149] verschiedene2710 Arten gründen:2711 so sind –2712 eben damit auch die Quellen angezeigt, woraus jede dieser Wissenschaften zu schöpfen ist. Vernunft und die heil.2713 Schrift, so weit sie uns auf christliche Kirchenrechte führt, sind jedem zugängliche Quellen;2714 und je fleißiger und unbefangner2715 man beyde2716, mit den gehörigen Kenntnissen und Hülfsmitteln ver[132]sehen, studiert:studiert, je2717 mehr werden alte Vorurtheile in der geistlichen Rechtsgelehrsamkeit2719 verschwinden, und neue Aufschlüsse, wenigstens eine gründliche Ueberzeugung von den wahren geistlichen Rechten, entstehen. Noch ist hier nach jenen zwey2720 Quellen, und zumal der ersteren, [724] Vieles2721 aufzuräumen; es fehlt auch wirklich noch an einem recht geläuterten und gründlichen allgemeinen Kirchenrecht. – Zur Kenntniß dessen, was in dem geistlichen Rechte positiv ist, und auf einer von Menschen beliebten Ordnung beruht, ist genauere Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte und Bekanntschaft mit solchen Sammlungen nöthig, welche die Gesetze und gesetzmäßige Einverständnisse enthalten.
Wem es, diese zu brauchen,2723 oder zu verstehn2724, an Fähigkeit, Gelegenheit oder Muße2725 fehlt, oder wer doch gern das Vornehmste dieser Rechtswissenschaft2726 mehr im Ganzen übersehen will, dem möchten vorzüglich folgende Bücher zu empfehlen seyn2727, die selbst in Rücksicht auf Geistliche unter den Protestanten und auf mehrere Verständlichkeit für sie 2728 die brauchbarsten zu seyn scheinen:2729
Anm. Anmerkung Für den Anfang Anfang , in Absicht auf das protestantische deutsche und das damit verbundene allgemeine Kirchenrecht gehören dahin: Wiesenhauern, Just Karl Just Carl Wiesenhavers Karl Wiesenhaver's Grundsätze des allgemeinen und besondern Kirchen-Staatsrechts der Protestanten in Deutschland. Neue Aufl.Auflage Frankf.Deutschland, neue Aufl., Frankfurt und Leipz.Leipzig 1764. in 8. Mosheim, Johann Lorenz von Johann Lorenz von Mosheim allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, mit Anmerkungen von Windheim, Christian Ernst von C. E. von Windheim , HelmstädtHelmstädt, 1760. in gr.groß 8. undund: 8., besonders nach der neuen trefflichen Bearbeitung von Günther, Christian August G. A. Günther , Leipzig 1800. gr.groß 8. Deutsches geistliches Staatsrecht, von Majer, Johann Christian Johann Christian Majer , Lemgo 1773. in 2 Theilen inTheile, 8. Schnaubert, Andreas Joseph A. J. Schnaubert's Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten in Deutschland, zweite Auflage, Jena 1795. gr.groß 8. (Es macht eine Abtheilung der Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten und Katholiken in Deutschland, von Schnaubert, Andreas Joseph Schnaubert , dritte Auflage, Jena 1805., aus.) Wiese, Georg Walter Vincent von G. W. V. Wiese Grundsätze des gemeinen in Deutschland üblichen Kirchenrechts, dritte Auflage, Göttingen 1805. 8., wozu als Commentar dessen Handbuch des gemeinen etc.et cetera, 3 Theile, Leipzig 1799–1804. gr.groß 8. gehört. Schon der Titel zeigt, daß er das katholische Kirchenrecht nicht übersehen habe. – Zur ausführlichern Kenntniß tiefern und vollständigern Kenntniß aber: Böhmer, Justus Henning Justi Henningii Böhmeri Jus Ecclesiasticum ProtestantiumIus ecclesiasticum protestantium, Edit.Editio 3.5. HalaeHalae, 1730. in1789., 5 Tomis in 4.Tomi, 4., und dessen JusIus parochiale, Edit.Editio 4.6. HalaeHalae, 1730. in1760. 4. Pfaff, Christoph Matthäus Christoph Matthäi Pfaffen akademische RedenErläuterungen über das sowohl allgemeine als auch deutscheteutsche protestantische Kirchenrecht, Frankf. 1747. in 4. und:Frankfurt 1753. 4., und Dasdas geistliche Recht der evangelisch-lutherischen Landesherren und ihrer Unterthanen in DeutschlandTeutschland, praktisch entworfen von Lange, Heinrich Arnold Heinrich Arnold Lang , CulmbachCulmbach, 1786. in 2 Theilen inTheile, gr.groß 8. Das gedachte böhmerische Böhmersche Kirchenrecht dient zugleich zur Kenntniß des kanonischen, so fern man es will mit dem protestantischen zu vergleichen lernenwünscht, wozu auch Schnaubert, Andreas Joseph Schnaubert und Wiese, Georg Walter Vincent von Wiese sehr dienlich sind. – Zur nähern Erkenntniß des kanonischen wäre rathsam, erstlich sich die Geschichte derselben aus Spittler, Ludwig Timotheus von Spitlers und Pertsch, Johann Georg Pertschens Geschichte (s.siehe Anweis. zur Kenntniß theol. Bücher, §. 424.) Spittler, Ludwig Timotheus von L. T. Spitler's Geschichte des kanonischen Rechts bis auf die Zeiten des falschen Pseudo-Isidor Isidorus. Halle 1778. Dr.Doctor Pertsch, Johann Georg E. G. Pertsch kurze Historie des kanonischen und Kirchenrechts. Leipzig 1783., und Planck, Gottlieb Jakob G. J. Plank's Grundriß einer Geschichte der kirchlichen Verfassung etc.et cetera Göttingen 1791. 8. bekannt zu machen,machen; alsdann ein gutes Handbuch, etwa Riegger, Paul Josef von Paulli Josephi a Riegger Institutio Jurisprudentiae EcclesiasticaeIurisprudentiae ecclesiasticae, Edit. nov.Editio nova Vindob. 1774. in1780., 4 Theilen inTheile, 8. zum Grunde zu legen, oder Böhmer, Georg Ludwig G. F. Böhmeri principia iuris canonici, speciatim iuris ecclesiastici publici et privati, quod per Germaniam obtinet. Edit.Editio 7. curavit Schoenemann, Karl Traugott Gottlob C. I. G. Schönemann . Gotting. 1802. gr.groß 8. zu lesen, und dann das Corpus JurisIuris canonici selbst, nach der böhmerschen Böhmerischen Ausgabe, HalaeHalae, 1747. gr.groß 4. zu studieren. studieren, womit Hinsichts der neuesten Zeit zu vergleichen wäre: Corpus iuris ecclesiastici Catholicorum novioris per Gemaniam. Collegit Gärtner, Corbinian C. Gaertner. Salisb. 1797. 2730Bey2819 allen Schritten, die ein Mensch mit Ueberlegung thut, und vorzüglich bey2820 der Wahl eines Berufs oder einer Beschäftigung, der er ganz eigentlich seine ersten Kräfte widmen will, wird er sich allezeit zwey2821 Fragen vorlegen, wenigstens eher nicht wählen, als bis er von diesen zwey PunctenPunkten 2822 gewiß ist. Erstlich: Wenn ich2824 eine gewisse Absicht habe2825, was wird erfordert, wenn sie erreicht werden soll? Hernach: Bin ich2826 der, der dies2827 leisten kan2828? oder wie werde ich2829 es 2830? – Wir haben bisher von dem Zweck der Religion und des zu ihrer Förderung bestimmten Lehrstandes sowohl, als von den dazu nöthigen Wissenschaften, und der zu jenem Zweck diensamen Anwendung derselben,2831 geredet, und dadurch den, [728] der sich diesem [154] Berufe widmen will, in den Stand zu setzen gesucht, das2832 überzeugend einzusehn2833, was zur würdigen Bekleidung desselben erfordert werde. Noch ist also nur die zweyte2834 Frage übrig, die eine sehr ernstliche Untersuchung verdient.
Denn,2836 gesetzt, ich2837 hätte die Fähigkeiten nicht, die zur Erfüllung meiner2838 Pflichten, als eines Lehrers der Religion, erforderlich sind; ich2839 hätte auch keine gegründete Hoffnung2840 sie durch gehörige Uebung meiner2841 Kräfte zu erlangen; oder ich2842 nähme mir2843 nicht einmal die Mühe, reiflich zu überlegen, ob ich2844 sie hätte oder erlangen könnte:2845 was würden die Folgen davon seyn? – In Absicht auf mich 2846, – und wenn ich2847 selbst keinen Geschmack an diesen Beschäftigungen fände, – daß ich2848 dann die Pflicht meines2849 Berufs entweder gar nicht, oder mit Widerwillen oder Gleichgültigkeit, erfüllete2850, und mir alles2851, was mir2852 das Vornehmste und Liebste seyn sollte, eine stete Quaal und elende Sclavenarbeit2853 würde; – wenn ich2854 aber doch noch diese Beschäftigungen liebte – daß ich2855 dann auf die größtentheils vergeblich verwendete Mühe und Zeit, die ich2856 hätte nützlicher und nutzbarer brauchen können, mit Reue zurück, so wie mit Gram in die Zukunft hinsehen müßte. –2857 In Absicht auf Andre 2858 aber, wie muß mir2859 zu Muthe seyn, wenn ich bedenke:2860 daß ich2861 die Erwartung derer, die mich2862 zu diesem Stande berufen, mir2863 ihre wichtigste Angelegenheit, die [729] Sorge für die Religion, für ihr Gewissen, für [155] ihre Gemüthsruhe, anvertraut haben, die mich2864 selbst deswegen von ihrem Vermögen erhalten, und mich2865 von andern bürgerlichen Beschäftigungen lossprechen, wenn ich2866 also diese und meine2867 Hauptabsicht nicht, wenigstens nicht mit gebührenden2868 Fleiß, erfüllte noch erfüllen könnte; wenn ich2869 ihnen zur großen2870 Last fiele;2871 und Andern [140] hinderlich gewesen wäre, die weit würdiger diesen Beruf würden bekleidet haben? Wie2872 sehr müßte dieses alles mein2873 Leben verbittern, mir2874 selbst noch im Tode die angenehme Rücksicht auf ein bestmöglichst angewendetes Leben, und die süße2875 Aussicht auf die Zukunft rauben?2876
Unumgänglich nothwendig also, ehe man sich dem BerufBeruf2878 eines Lehrers der Religion widmet, ist: einmal, zu wissen: ob man diesem Stande und den darinn2879 zu erfüllenden Pflichten gewachsen sey;2880 folglich wohl zu untersuchen:2881 welche Fähigkeiten dieser Beruf und dessen ganzer Umfang erfordert? und woraus man es abnehmen könne, daß man sie besitze oder nicht? damit man im Stande sey2882, sich vernünftig und gewissenhaft zu prüfen. Hernach 2883 , zu untersuchen: durch welche Mittel oder Uebungen man diese Fähigkeiten, nebst den bey diesendiesem 2884 Beruf nöthigen Kenntnissen, erlangen und vermehren, und wie man diese Mittel aufs vortheilhafteste dazu anwenden könne.
Wir nehmen hier diese Fähigkeiten in weiterm2917 Verstande, und rechnen dahin: – die natürlichen Kräfte zu diesem Beruf – die zu dessen würdiger Führung nöthigen2918 Kenntnisse – und die Gemüthsfassung, welche erfordert wird, die dahin gehörige2919 Beschäftigungen gern und mit gewissenhaftem Fleisse2920 zu treiben. Von dem zweyten2921 Stück ist schon bisher geredet worden; von den beyden2922 übrigen also hier das Weitere.
Die natürlichen Kräfte, welche hier in Anschlag kommen, sind: – Kräfte der Seele – [160] (oder, wie es einige2954 nennen, der gute Kopf Kopf,2955 oder das Genie, im Gegensatz gegen Fleiß) – Kräfte des Körpers – und, weil es hier auf Bildung eines Lehrers ankommt – die Kraft oder Gabe2956 sich wohl auszudrucken 2957.
Wir empfinden, innerlich oder äusserlich2981, was wir uns als gegenwärtig vorstellen, oder was einen Eindruck auf uns macht, dessen wir uns bewußt sind; es sey2982, daß wir es selbst wahrnehmen, oder daß es uns von Andern mitgetheilt werde, in so fern wir es bloß auffassen, und zu unsrer eignen2983 Vorstellung machen. Das Vermögen zu empfinden2984 verschafft uns alle Vorstellun[735]gen, die hernach erst die Seele vergleichen, bearbeiten und anwenden kan2985, und seine gute Beschaffenheit hat also einen Einfluß auf die Vollkommenheit desjenigen, was unsre2986 übrigen Seelenkräfte hervorbringen. – Die Vollkommenheit dieser Kraft2987 läßt sich daraus abnehmen: –2988 wenn jemand viel Wißbegierde hat; wenn ihm also alle Gelegenheit willkommen ist, wo er etwas lernen, und je[145]der Vorfall, Umgang, jedes Buch u. d. gl.und dergleichen 2989 um so weniger für ihn anziehend, je weniger er daraus etwas Neues2990 oder das Bisherige besser lernen kan; –2991 wenn ihm die Art der Sache, und ob sie gut oder schlecht, brauchbar oder nicht sey2992, nicht gleichgültig ist, sondern seine Wißbegierde desto mehr erregt und unterhalten wird, je mehr er den Werth einer solchen Sache wahrnimmt; welches beweiset, daß ihn nicht Eitelkeit oder nur Liebe zu Veränderungen, sondern vernünftige Wißbegierde leite; –2993 wenn er nicht unter vielerley2994 Dingen herumirrt, und alles2995 ergreift, was sich ihm darstellt, sondern bey2996 besondern Eindrücken gern stehen bleibt, die Auf[162]merksamkeit fest daran heftet, sie genau aufzufassen sucht; weil dieses ein Zeichen der Thätigkeit und des Interesse für eine Sache ist; –2997 wenn er weniger Vergnügen an übersinnlichen als an sinnlichen Vorstellungen hat, bey2998 den ersten wenigstens immer geschäftig ist, sie sich durch Bilder und Beyspiele2999 zu versinnlichen; ein Beweis, wie thätig die Empfindungskraft sey3000, und wie wenig sich die Seele selbst Genüge thue, wenn sie nicht empfinden kan; –3001 eben deswe[736]gen, wenn3002 jemand sich nicht mit Worten begnügt, ohne dabey3003 etwas Bestimmtes zu denken, und wenigstens die Einbildungskraft arbeitet, um den Abgang der Empfindung oder deutliche Begriffe zu ersetzen; –3004 wenn man sich desjenigen, was man ehedem empfunden hat, leicht genau wieder erinnern kan3005; ein Zeichen, daß man die Sache gut aufgefaßt habe; –3006 wenn die Begierden, die aus gewissen Empfindungen entspringen, lebhaft, und noch mehr, wenn sie dauerhaft sind, und durch die Erinnerung des Empfundenen die Leidenschaft leicht wieder erregt wird; jenes, ein Zeichen von einer lebhaften, dies3007 ein Zeichen von3008 einer tiefen Empfindung; – endlich, 3009 wenn [146] es uns leicht wird, uns in Anderer Lage zu versetzen, die uns gewisse Vorstellungen mittheilen, oder deren Ereignisse oder Handlungen uns erzählt werden; obgleich dabey3010 auch andere Seelenkräfte, so wie gute Kenntniß der Sprache, worinn3011 uns etwas vorgestellt wird, mit wirken; denn3012 es beweiset,3013 die Fähigkeit3014 leicht mit zu empfinden.
Das Gedächtniß, oder die Kraft der Seele, wodurch das Wahrgenommene erhalten wird, und wodurch wir uns der Vorstellungen eben so, wie ehedem, wieder bewußt werden, stellt entweder die Sachen wieder dar, ohne daß wir uns anzustrengen oder zu besinnen brauchen, oder es erfordert Anstrengung, um durch eine erweckte Vorstellung andere damit verbundene zu erwecken. Jenes könnte man das mechanische, dieses das intellectuelle nennen. – Ob man jenes habe, kan3030 man daraus wissen, wenn wir leicht, selbst wörtlich, etwas auswendig lernen können, selbst das, wobey3031 wir wenig oder nichts [164] denken, oder was wenig [147] oder nicht zusammenhängt, wenigstens mit dem, dessen wir uns zugleich erinnern, in keinem natürlichen Zusammenhange steht; auch zum Theil, wenn wir uns überhaupt aufgelegter und geneigter zum Lernen,3032 als zum NachdenkenNachdenken,3033 finden. –3034 Das Letztere 3035 aber, wenn es uns leicht wird, natürlich zusammenhängende Dinge zu behalten, und durch diesen Zusammenhang Vorstellungen wieder zu erwecken. – Da eigentlich das Gedächtniß die sonst gehabten Vorstellungen, wenigstens für die Erkenntniß, dauerhaft, und sie für die Zu[738]kunft brauchbar macht; da kein Fortschritt und Wachsthum in der Erkenntniß möglich ist, ohne wenn das in unsrer3036 Erkenntniß bleibt, was wir schon wissen, und wo wir etwas hinzu lernen; da die Schnelligkeit und zum Theil die Zuverläßigkeit3037 im Denken davon abhängt, daß uns das Gedächtniß alles3038, was und wenn wir es brauchen, wiedergiebt: so sieht man die Unentbehrlichkeit des guten Gedächtnisses.
Was man empfunden und was das Gedächtniß aufbehalten hat, das verarbeitet unsere Seele auf mehr als Eine Art. Zuvörderst durch Zusammenstellung solcher Dinge, die sie ehedem einzeln empfunden hat, oder deren Eindrücke, ohne daß sie sichs selbst bewußt ist, so zusammenfließen3054, daß sie dadurch neue Vorstellungen von vorher noch nicht erkannten Dingen bekommt, die Empfindungen zu seyn scheinen, weil und so ferne3055 sie sich die Art nicht angeben kan3056, wie sie dieselben zusammengesetzt hat. Man nennt diese Kraft der Seele, Einbildungskraft (Imagination). Sie [166] ist also eine Kraft, theils Empfindungen zu erneuern, und dadurch tritt sie in die Stelle des Vermögens zu empfinden, theils sich neue Empfindungen zu verschaffen, die nicht, wie bey3057 der Empfindungskraft, durch bloße3058 einzelne Eindrücke, sondern durch deren Zusammenhang entstehen. Je richtiger sie jene wiedergiebt, und je [149] richtiger, (d. i.)das ist je mit einander verträglicher, sie die ehemals empfundenen Sachen zusammenstellt.zusammenstellt, 3059 desto zuverläßiger 3060 ist sie. Je3061 mehr sie solche Verbindungen machen, oder je mehr sie Aehnlichkeiten und mit einander beysammen3062 mögliche Dinge wahrnehmen kan3063, desto fruchtbarer 3064 ist sie. Je3065 mehr sich den wiederholten EmpfinduugenEmpfindungen 3066 besondre3067 Umstände derselben3068 oder Wahrnehmungen des Nutzens von dem Empfundenen, beymischen3069, desto lebhafter 3070 ist sie.
Sie ist nicht nur eine sehr ergiebige und unerschöpfliche Quelle neuer Entdeckungen, sondern sie verstärkt auch die ehemaligen Empfindungen selbst; sie ist daher ein unschätzbares Mittel, die menschliche Erkenntniß vollkommner zu machen, und ihren Einfluß auf das Herz zu befördern. Sie bildet in allen Wissenschaften die Erfinder, sie bildet den klugen Mann und den Redner, oder jeden, der im Umgang oder durch seinen Vortrag3072 auf Andre3073 wirken soll. Wenn man diese Kraft oder deren größre3074 Vollkommenheit glaubte in der Theologie entbehren zu können, weil man wähnte, daß die Natur der (geoffenbarten, oder [167] durch kirchlichen Willkühr3075 einmal festgesetzten) Theologie keine neuen Aussichten erlaubte: so sollte man doch ihre Nothwendigkeit bey3076 dem erbaulichen oder wirklich eindrücklichen Vortrage und der ganzen Amtsführung eines Geistlichen anerkennen. Selbst die so leichten, ungeheuren, und für die ganze Religion gefährlichen Ausschweifungen der Einbildungskraft, machen es zur großen3077 Pflicht, an der steten Verbesserung dieser unter allen Seelenkräften am meisten zu Ausschweifungen geneigten Kraft3078 zu arbeiten.
Kennzeichen, daß es jemanden3080 an EinbildungskraftEinbildungskraft3081 nicht fehle, sind schon zum Theil die Eigenschaften, welche oben (§. 96 598 ) bey3082 dem Vermögen zu empfinden angegeben sind, weil und so fern die Einbildungskraft ehemaliger3084 Empfindungen wieder erneuert; (z. B.)zum Beispiel Abgeneigtheit von trocknen3085, übersinnlichen, und Streben nach bildlichen Vorstellungen. So fern sich aber diese Kraft im Zusammenhang3086 zeigt, dient Folgendes, diese Fähigkeit bey3087 sich zu entdecken. –3088 Schon der starke Reitz, den das Neue für uns hat, wenn nemlich3089 dieses Neue nicht in bisher uns ganz unbekannten Dingen, sondern in der Gestalt und Darstellung3090 auch des sonst Bekannten,3091 (nicht in der Materie, sondern in der Form,) liegt. –3092 Vergnügen an Aufsätzen, die sich durch schöne Darstellung und durch das Unterhaltende des Vortrags empfehlen. –3093 Theilnehmung an allem3094, was Leidenschaften erregt und unterhält, und über[168]haupt an dem, was auf das Herz wirkt. – Oeftre3095 Wahrnehmung solcher Gemüthsbewegungen bey3096 sich, die sich aus unsern gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären laßen3097. – Die Gabe, Andern wahre oder erdichtete Begebenheiten gut und darstellend zu erzählen, oder Personen auf diese Art zu charakterisiren. –3098 Die Hinlänglichkeit eines bloßen3099 Winks, oder einer bloßen3100 Andeutung und Veranlaßung3101, um auf eine detaillirte Vorstellung einer Sache und ihres Ganges gebracht zu werden,3102 und die an uns gemachte Bemerkung der Gabe, in [742] den Wissenschaften bisweilen durch glückliche Sprünge auf Entdeckungen zu kommen, oder auch sonst aus einer Menge von erkannten Umständen augenblicklich den Erfolg abzunehmen, ohne sich in beyden3103 Fällen [151] seines Schlusses bewußt zu seyn; überhaupt die Gabe, eine ganze Reihe von Vorstellungen mit einem3104 Blick zu übersehen.
Die Richtigkeit oder Regelmäßigkeit unsrer3106 Einbildungskraft können wir 3107 danach erproben: –3108 wenn wir bey3109 dem in einzelnen3110 Fällen von ihr genommenen Gange3111 das Wahrscheinliche von dem Unwahrscheinlichen, das Schickliche von dem Unschicklichen, das mit einander Verträgliche von dem Unzusammenhängenden wohl und schnell zu unterscheiden wissen; –3112 wenn wir 3113 etwas mit seinen Umständen so gut zu erzählen verstehen, daß Andere es, auf diese Art erzählt, wahrscheinlich und begreiflich finden, oder wenn Andere durch [169] unsere gemachte Beschreibung von gewissen Personen oder Handlungen3114 beyde3115 völlig als dieselben wieder erkennen; –3116 wenn 3117 das, was wir nach gewissen vorausgesetzten Umständen vorhersehen, genau eintrift3118, oder wir doch, bey3119 genauerer Prüfung, einsehen, daß es so würde eingetroffen seyn, wenn nicht manche veränderte besondere Umstände dem Lauf3120 der Sache eine andere Richtung gegeben hätten;3121 und überhaupt, – 3122 wenn das, was ein Werk unserer3124 Imagination ist, in deutliche Begriffe aufgelöset3125, denkbar erscheinet3126, und dessen [743] Theile, mit einander verglichen, wohl zusammenhängend gefunden werden.
Diese Beurtheilung ist ein Werk des Verstandes, oder des Vermögens zu deutlichen Vorstellungen, dem also die Scheidung der empfundenen Dinge und ihrer Theile zukommt, so wie der Einbildungskraft ihre Zusammensetzung; [152] der auch, indem er verschiedene Dinge vergleicht, das Aehnliche und Verschiedene derselben entdeckt, und das, was sie mit einander gemein haben, von dem, wodurch sie sich von einander unterscheiden, absondern, und dieses Gemeinschaftliche in einen allgemeinen Begriff vereinigen kan, wobey3128 also ganz von den Dingen selbst abgesehen wird, und nur die ihnen gemeinsamen Eigenschaften als Eins betrachtet werden. Freylich3129 nimmt auch die Einbildungskraft, welche einzelne Empfindungen zusammensetzt, dieses Aehnliche und Verschiedene einzelner3130 Dinge wahr, aber nur undeutlich, [170] und so, das3131 sie das Aehnliche oder das Gemeinschaftliche anders nicht, als mit den Dingen zugleich und in denselben, vorstellt. Daher hat man dieses Vermögen der Seele, sich dieses Gemeinschaftliche undeutlich und unabgesondert von den Dingen vorzustellen, den praktischen Verstand genennetgenannt (§. 77 77. 3132), in so fern sie eben das, nemlich3135 die Wahrnehmungen3136 dessen, was mehrere Dinge gemein haben, durch die Einbildungskraft, in Absicht auf undeutliche Vorstellungen, [744] verrichtet3137, was sie durch den Verstand, vermittelst deutlicher Vorstellungen, vermag; hingegen hat man das Vermögen der Seele, sich dieses deutlich vorzustellen, mit den3138 Namen des theoretischen oder speculativen Verstandes belegt.
Wenn die Seele nicht bloß einzelne Dinge, sondern ihre Uebereinstimmung oder das Gegen[171]theil, kurz, ihre Verhältnisse, folglich auch nicht bloß das Einzelne, sondern auch das Gemeinschaftliche und Allgemeinere,3144 wahrnehmen kan3145: so könnte man dieses Vermögen Verstand nennen; er möchte es deutlich oder undeutlich wahrnehmen, abgesondert von den Dingen selbst, oder mit ihnen, und so ist, wie gesagt, abzusehen, warum man diese Wahrnehmung, die, so fern sie undeutlich ist, der Einbildungskraft zukommt, praktischen Verstand genannt hat. – Ein Kennzeichen des [745] Verstandes überhaupt – im Unterschiede von dem Vermögen zu empfinden,3146 oder wieder zu empfinden, oder bloß zusammen zu setzen, ohne auf das Allgemeine zu merken,3147 – ist es: wenn man bey3148 sich Trieb und Fähigkeit findet, nicht bloß Kenntnisse zu empfangen, oder Andern nachzuempfinden, nachzuglauben und nachzusprechen, sondern zu prüfen, ob sie wahr und gut sind, und warum sie es sind; selbst zu untersuchen, und ausfündig3149 zu machen; sich nicht mit Kenntnissen einzelner Dinge zu begnügen, sondern sie im ZusammenhangZusammenhang3150 zu betrachten,3151 und darein zu bringen; nicht bey3152 dem Einzelnen3153 stehen zu bleiben, sondern das Allgemeine abzuziehen, und wieder in ähnlichen Fällen anzuwenden. Wer nur Wißbegierde, und nicht auch Wahrheitsliebe besitzt; wer leicht glaubt, und eigne3154 Untersuchung scheut; wer in Sprachen, in der Geschichte, in den schönen, und überhaupt in Wissenschaften, mit historischen Kenntnissen zufrieden ist, oder sich mit dem Mechanischen [154] begnügt, ohne Alles ins Allgemeine zu führen, sich Grundsätze, Regeln oder [172] Maximen aus den Beobachtungen abzuziehen, und ihre Anwendung in ähnlichen Fällen zu denken: der kan3155 auf Verstand gewiß wenig oder gar keinen Anspruch machen.
Da der praktische Verstand eigentlich eine Art der Einbildungskraft ist (§. 102):3157 so sind die Merkmahle, woraus man diese abnehmen [746] kan3158 (§. 100 3159), auch Merkmahle von jenem, doch nur alsdann, wenn zugleich die Merkmahle des Verstandes überhaupt (§. 103 3160) damit verbunden sind. Man kan3161 ihn am besten in Geschäften, wo es auf das Schickliche, auf Wahrscheinlichkeit, Klugheit, Wohlstand und Unterhaltung ankommt, wo auf besondre3162 Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wo es einer schnellen Uebersicht vieler, auch kleinen Umstände, und einer schnellen Entschließung3163 bedarf, und in solchen Wissenschaften, bemerken, die dergleichen nicht im strengsten Verstande 3164 sind, und mehr besondre3165 als allgemeine Dinge zum Gegenstande3166 haben, – da kan3167 man ihn eigentlich kennen lernen, und auch da ist er am unentbehrlichsten.
Hingegen zeigt sich der eigentliche oder theoretische Verstand (§. 102 102. )3169, der vornemlich bey3171 Wissenschaften nothwendig ist, –3172 an dem Trieb und Bestreben, alles3173 sich zu verdeutlichen; nicht nach dem Ob? nicht sowohl nach dem Wie? als nach dem Warum? zu fragen; die Gedan[173]ken nicht nach einer oder mehrern Seiten zu betrachten, sondern alle Seiten aufzusuchen und zu erwegen3174; die Gründe [155] für Alles bedächtig und langsam abzuwägen; überall gemessene Ordnung, Methode zu beobachten und zu classificiren3175; an der Liebe, mehr zur bestimmten und gründlichen, als lebhaften Erkenntniß; und an der Fähigkeit, allgemei[747]ne Dinge und Sätze als abgesonderte Gegenstände der Betrachtung, oder sie ohne Bilder und Beyspiele3176, zu denken und zu behandeln.
Anm. Anmerkung Es wäre überflüßigüberflüssig, die vorzügliche Nothwendigkeit des Verstandes beybei dem Studium und der Anwendung der Theologie darzuthun, oder diejenigediejenigen Theile derselben, wo er besonders sich zeigen muß, anzugeben. – Es scheint eben so überflüßigüberflüssig, von dem Witz, Scharfsinn, Geschmack und Genie, oder der Nothwendigkeit dieser Fähigkeiten, besonders zu reden. Denn Witz Witz (im weitern Verstande) oder das Vermögen, die Aehnlichkeit Aehnlichkeit , und Scharfsinn Scharfsinn, oder das Vermögen, die Verschiedenheit Verschiedenheit der Dinge, sinnlich oder deutlich,deutlich zu erkennen, erfordert eben sowohl Einbildungskraft als Verstand,Verstand; der Witz mehr jene, der Scharfsinn mehr diese. HienachHiernach und durch Vergleichung dessen, was bisher von den Kennzeichen der Einbildungskraft und des Verstandes gesagt worden, kankann man bald von selbst finden, ob und wie weit uns gedachte Fähigkeiten zu Theil wordengeworden sind. – Eben diesdieß gilt in seiner Art von dem Geschmack Geschmack und dem Genie Genie im engern Verstande (Theil 1. §.)(§. 270). Das Letztereletztere bildet den eigentlichen Erfinder. Weil aber unter mehrern Fähigkeiten doch beybei jedem, der sie besitzt, eine am meisten hervorsticht, und diese von den übrigen nur unterstützt wird, auch jeder, unter den verschiednenverschiedenen Gegenständen der Wissenschaften, zu Einem mehr aufgelegt und geneigt ist,ist sich damit zu beschäftigen, als mit einem Andern:andern:Andern; so entstehen daher verschiedneverschiedene Arten des Genie's, Genie's: ein exegetisches z. B.zum Beispiel dichterisches z. B., ein historisches, ein speculatives, praktisches u. d. gl.und dergleichen u. dgl.und dergleichen , die ein jeder, wer Genie hat, bald an sich erkennen, und sehen wird, welche Arten von Wissenschaften er vorzüglich treiben sollte. – S.Siehe mit mehrern den Versuch über den Geschmack, von Alexander Gerard, Alexander Gerard , (übersetzt) Gerard (übersetzt), Breslau 1766. in 8., und Ebendesselben Versuch über das Genie, (übers.) Leipz. Genie (übersetzt), Leipzig 1766. in 8. {Die neuen Psychologen weichen zwar in dem Audruck, und selbst den Erklärungen mehrerer in den nächst vorhergehenden §§. erörterten Begriffe von den Seelenvermögen ab; indeß harmoniren sie doch in der Hauptsache, und eine Vergleichung der Ansichten würde theils zu weit führen, theils außer dem Plan dieser Schrift liegen, die vielleicht hier schon selbst zu sehr in ein fremdes Feld übergegangen ist. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 3177Es ist schon oben gesagt (§. 95 597. Anm.Anmerkung):3207 daß von denen, die sich der Theologie widmen, nicht gleich Vieles3209 könne gefordert werden; der besondere Beruf, den man hiebey3210 wählen oder ergreifen will, muß es entscheiden, was vorzüglich von solchen Fähigkeiten nöthig sey3211, und ob der innre3212 Beruf, auf den es am meisten ankommt, dem äussern3213 entspreche. – Ist jemand zum bloßen3214 Volkslehrer bestimmt: so ist3215 – ausser3216 den hernach anzugebenden Eigenschaften des Charakters – genug, wenn er mittelmäßige Fähigkeiten besitzt, falls er nur zugleich das Gefühl einer ihm unerreichbaren Vollkommenheit hat, um nicht mit verschnittnen3217 Flügeln nach der Sonne fliegen zu [175] wollen, und sich aus dem Kreise zu entfernen, den ihm die Natur und sein äusserlicher3218 Beruf vorgezeichnet hat. Es ist genug, wenn er guten schlichten Menschenverstand 3219 hat, der das Schickliche von dem Ungereimten zu unterscheiden weiß; wenn er leicht in den Sinn desjenigen, was er hört, liest3220 und sieht, eindringen kan3221; wenn er ein treues oder durch die Uebung leicht zu schärfendes Gedächtniß besitzt; wenn es [157] ihm an der Gabe des populären Vortrags, und an Klugheit nicht fehlt, um seine Kenntnisse nach [749] den wirklichen Bedürfnissen Andrer3222 wohl anzuwenden. Mag es ihm an eigentlicher Gelehrsamkeit3223 fehlen; wenn er nur das eigentlich Praktische in der Religion versteht, und die zu seiner eignen3224 Ueberzeugung und gewissenhaften Führung seines Berufs nothwendigen Kenntnisse derselben und der menschlichen Angelegenheiten hat, besonders der Angelegenheiten seiner Zeit, der Bedürfnisse derer, die ihm empfohlen sind, und desjenigen, was ihn3225, diese zu beurtheilen und ihnen gewachsen zu seyn, in den3226 Stand setzt; endlich die Kenntniß der nöthigen Hülfsmittel, wodurch er sich bey3227 vorkommenden ausserordentlichen3228 Fällen zu helfen weiß. Daß zu allen diesem noch eine fleißige Uebung kommen, und er nie glauben müsse, völlig genug gelernt zu haben, sondern sich zu seinem Beruf immer reifer machen, wird ohnehin vorausgesetzt.
Anm. Anmerkung Hat er mehr Fähigkeiten oder Kenntnisse, als er gerade in seinem engern Kreise braucht:gebraucht, so nutze er sie so gut als er kan,kann; nur nicht mit VernachläßigungVernachlässigung und zum Nachtheil der Pflichten seines besondern Berufs. Er vergesse insbesondreinsbesondere nie, sich mit den Hülfsmitteln und besonders Schriften bekannt zu machen, wodurch er, wenn er in einen weitumfassendern Kreis versetzt wird, das nachholen könne, was ihm, diesen würdig zu bestreiten, nöthig seyn möchte. {Die Zweifel, ob man nicht von dem praktischen Religionslehrer viel zu viel fordere, fällt weg, sobald man ihn nur in seiner doppelten Qualität betrachtet, 1) als Volkslehrer, wozu er in der That weit weniger nöthig hat, als er auf Universitäten lernt und treibt, und 2) als Mitglied des Gelehrtenstandes. Als solchem liegen ihm doch die theologischen und angränzenden Kenntnisse am nächsten, und er gewinnt an Achtung in dem geselligen Kreise, und, was noch viel wichtiger ist, er gewinnt an Selbstgenuß, wenn er ein viel ausgebreiteteres Wissen hat, als er gerade für das Amt nöthig hätte. Dasselbe ist ja auch der Fall bei andern Geschäftsmännern, die für das bloße Geschäft mit sehr Wenigem ausreichen könnten, aber die man um so höher achtet, je mehr sie über das Nothwendige hinaus wissen, und nicht bloß handwerksmäßige Routiniers sind. A. d. H.Anmerkung des Herausgebers} 3229Ist er hingegen zum Lehrer der Theologie oder der damit verbundenen Wissenschaften, [750] überhaupt zu Bildung künftiger Lehrer, oder zur Regierung und Aufsicht der Volkslehrer, oder an einer Gemeine3238 angestellt, die aus gelehrtern3239 oder doch gebildetern Zuhörern besteht: so muß er freylich3240 höhere Fähigkeiten haben, und in den für sein Fach bestimmten Wissenschaften ausgebreitetere, feinere und gründlichere Kenntnisse besitzen. Alsdann bedarf er auch weniger einer näheren Anweisung, und was er dann können und verstehen, wenigstens wornach er trachten müsse,3241 dazu möchten die bisher in diesem Buche3242 geschehenen Vorschläge nicht undienlich seyn, da es besonders auch in Rücksicht auf diediese Classe3243 künftiger Religionslehrer abgefaßt ist.
Daß bey3246 der Ergreiffung3247 des theologischen Studiums auch die Kräfte des Körpers (§. 95 3248) mit in Anschlag kommen müssen, bedarf kaum einer Erinnerung; da die natürliche Beschaffenheit und die Veränderungen des Körpers3249 einen so [177] großen3250 Einfluß in die Beschaffenheit und den Gebrauch der Seelenkräfte haben; Anstrengung des Geistes, [159] eine sitzende Lebensart, und andere Umstände bey3251 Studierenden die Gesundheit merklich zerrütten; und bey3252 dem Lehrer in äusserlichem3253 Vortrage so viel von der Stimme, von der freyen3254 Brust, selbst vom körperlichen Ansehen und Bildung, so wie, bey3255 der ganzen Führung seines Amts, von einer dauerhaften Gesundheit, Abhärtung des Körpers,3256 und ähnlichen Umständen,3257 ab[751]hängt. Was uns hier möglich sey3258 oder abgehe, ist noch viel leichter, als die Beschaffenheit unsrer3259 Seelenkräfte,3260 zu erkennen.
Von der Nothwendigkeit der Gabe sich wohl auszudrucken 3282 (§. 95 3283), ist schon oben, bey3284 der Abhandlung von den Sprachen (Theil 1.3285 §. 59 flgg.folgende 3286) und im ersten Abschnitt des dritten Theils geredet worden. Da die Sprache der Abdruck unsrer3287 Ideen ist, und jeder Verständige so gute Mittel braucht3288, um sein Ziel zu erreichen, [178] als in seiner Gewalt sind:3289 so kan3290 man sicher schließen3291: wie der natürliche Vortrag eines Menschen ist, so sind seine Begriffe und Ueberzeugung von den Sachen selbst. Kan3292 man sicher seyn, daß jemand nicht eitel sey3293, um nur sich selbst gern zu hören oder zu lesen, oder Andern bloß zu gefallen, [160] und daß er nicht so arm an Verstande und Menschenkenntniß sey3294, um zu glauben, wenn nur das gut sey3295, was er sagt, so sey3296 es gleichviel, wie er es sage: so kan3297 man selbst schließen:3298 wie sorgfältig er in seinem [752] Vortrag ist, so viel hat er Interesse für die Sachen, die er vorträgt, und so viel Eifer, mit seinen Kenntnissen bey3299 Andern Gutes zu stiften. – Um sich über die Gabe des Vortrags zu prüfen, gebe man nur acht3300, ob und warum uns wohl geschriebene3301 Schriften, oder warum uns Vorträge, die auch im Ausdruck vorzüglich sind, gefallen? ob uns beyde3302 um so mehr anziehen, je faßlicher, deutlicher, ordentlicher, zusammenhängender, bestimmter (u. s. f.)und so ferner sie sind? oder ob uns alle, oder einige, und welche, Eigenschaften des Vortrags, uns gleichgültig sind? Man mache selbst Versuche, anfänglich eines Andern guten mündlichen oder schriftlichen Vortrag über eine Sache, nachher3303 was man überhaupt von Andern ausgeführt gelesen hat, im Zusammenhange frey3304, nach seiner eignen3305 Art, zu wiederholen, (d. i.)das ist fremde Gedanken in seine eigne3306 umzukleiden, und bemerke, wie weit es uns gelinge, unsern Mustern nachzukommen. Man mache zuletzt öfters Versuche, was man selbst gedacht und untersucht hat, über eine Sache or[179]dentlich aufzuschreiben, oder Andern mündlich, genau vorbereitet oder nicht, vorzutragen. Man laße3307 sich von Kennern beurtheilen, und genau nach der strengsten Kritik sagen, worin3308 unser Vortrag gut oder fehlerhaft sey3309, und gewisse Vollkommenheiten uns, nach vielen Versuchen, erreichbar seyn3310 oder nicht? – Alsdann3311 wird man wohl finden, welche Art des Vortrags uns möglich, wenigstens durch fleißige anhaltende Uebung zu erlangen sey3312.
Wenn alle bisher erwähnte Fähigkeiten wohl angewendet, selbst, wenn sie gehörig gebildet werden sollen:3314 so erfordern sie eine gewisse Gemüthsfassung Gemüthsfassung 3315 oder gewisse Eigenschaft des Charakter Charakters 3316 (§. 94 3317), über die man sich wohl prüfen sollte, ehe man sich zur Wahl des theologischen Studiums entschlösse. Auf folgende Tugenden möchte es hier vornemlich3318 ankommen. – Zuerst, auf Liebe zur Wahrheit, wo man diese auch immer finden sollte. Veränderungen in der Seele eines Andern kan3319 man nur durch Vorstellungen hervorbringen, wenn diese der von ihnen erkannten Natur der Sache3320 oder andern schon für wahr erkannten Vorstellungen gemäß sind; und dies3321 setzt voraus, daß man sie selbst als wahr erkannt habe. Wem also Wahrheit gleichgültig ist, dem liegt entweder nichts daran, Andere zu belehren und zu bewegen, oder er kan3322 nicht sicher darauf rechnen, daß er seinen Zweck erreichen werde; vielweniger wird er sich selbst bemühen, hinter die rechte Wahr[180]heit zu kommen. Je inniger bey jemanden3323 die Liebe zur genauesten Wahrheit ist, um so mehr wird er selbst die Wahrheit finden können, so weit sie ihm erreichbar ist; um so mehr wird er dafür und für ihren Werth eingenommen seyn; um so mehr auf Andre3324 wohlthätig wirken, wenigstens mehr sich darum bemühen, und es mit mehr Hoffnung eines glücklichern Erfolgs unternehmen. –3325 Der allgemeine Prüfstein dieser unparteyischunparteyischen3326 Wahrheitsliebe ist: wenn wir es uns bewußt sind, oder es bey3327 der strengsten Prüfung finden, daß unsre3328 Neigungen [754] und Abneigungen keinen Einfluß in die Annehmung oder Prüfung3329 einer Sache haben. Wäre dir3330 eine Sache auch noch so theuer, schiene sie dir3331 unzertrennlich von deinem3332 Wohl, und entbehrtest du3333 sie höchst ungern, läge sie dir3334 selbst, als deine 3335 Erfindung, sehr am Herzen: würdest du3336 gleichwohl, auch bey3337 dem geringsten Anlaß zum Zweifel, dich3338 nicht scheuen, sie aufs neue zu prüfen, sie dennoch aufopfern, wenn du3339 sie bey3340 der Prüfung ungegründet fändest? Bist du3341 geneigter, die Wahrheit nach den dir3342 schädlich oder nützlich scheinenden Folgen derselben, oder unabhängig von dieser Rücksicht, zu beurtheilen? Kommt bey dir3343, wenn du3344 für oder wider einer Sache entscheidest, dies3345 in Anschlag, ob die, so du liebest3346 oder achtest3347, oder die, so du hassest3348 und verachtest3349, eben das behaupten? KanstKannst du3350 Widerspruch vertragen, wenn er mit Gründen geschieht, siehst du3352 ihn selbst gern, und forderst3353 Andere dazu auf, als ein Mittel, dich3354 zum weitern Nachdenken zu bringen? Wenn3355 du3356 auch die[181]sen Widerspruch für ungegründet erkennst, benutzest du3357 gleichwohl alsdann3359 doch auch das wenige Wahre, was darinn3360 liegt, deine3361 Erkenntniß immer mehr zu berichtigen, und durch kleine3362 Bestimmungen zu mehrerer Genauigkeit zu bringen? Ist dir's3363 gleichgültig, auch unbekannt zu bleiben, wenn nur das, was du3364 gesagt, oder gar erfunden hast3365, für wahr erkannt wird? Siehst du3366 es gern, wenn Andre3367 auf dein3368 Ansehen oder dir3369 zu Gefallen, etwas für wahr annehmen, legst du3370 es wohl gar darauf an, bloß durch dein3371 Ansehen [755] zu wirken? Dies3372 sind die Merkmahle, woran du sehen kanstkannst 3373, ob du3375 wirklich Liebe zur Wahrheit hast3376 , oder nicht3377.
3378Eine andre3380 Tugend ist die Bescheidenheit. – Je weniger man selbst weiß, oder es recht und mit Ueberzeugung versteht; je weniger man den großen3381 Umfang desjenigen kennt, was zur rechten Wissenschaft einer Sache und zur wahren Ueberzeugung gehört; je weniger man die Schwierigkeiten bey3382 einer jeden Untersuchung, die Schranken der menschlichen Erkenntniß überhaupt, und die großen3383 Lücken seiner eigenen Erkenntniß, nebst dem eingeschränkten Maaß seiner Fähigkeiten, insbesondre3384, wahrnimmt: desto eingenommener ist man von sich selbst, und desto mehr verachtet man Andre3385. Dieser Dünkel hält uns selbst von Einsicht dieser Fehler, und von weitern Fortschritten in der Erkenntniß und der wahren Besserung überhaupt zurück; macht uns [182] ungeschickt, von Andern zu lernen; erstickt den eignen3386 Fleiß, der von dem mehrern oder mindern Gefühl dieses Bedürfnisses abhängt, und macht uns abgeneigt, die Wahrheit überall, wo wir sie finden, anzunehmen. – Demnach sind alle Kennzeichen der Wahrheitsliebe (§. 110 3387) auch Kennzeichen der Bescheidenheit. Wenn du3388 lieber schlecht als vortheilhaft von Andern denkst3389, und Andrer3390 Erklärungen oder Entschuldigungen nicht gern hörst,3391 oder gelten läßestlässest; wenn du3392 nicht von Andern Erinnerungen über dich annimmst; wenn du dich schämst3394, gegen Andere unrecht zu haben; wenn du3395, ohne anhaltende bedächtige Prüfung, gleich zu entscheiden geneigt bist; wenn du3396, anstatt Andern Gründe vorzulegen, dir3397 Machtsprüche, oder Spöttereyen3398, oder Hohn, erlaubst; wenn du3399 schon Sachen zu verstehen,3400 und durchzuschauen glaubst3401, und Andre3402 zu belehren suchst3403, ehe du3404 noch im Stande bist3405, sie Andern deutlich und mit Gründen vorzutragen; wenn du3406 nicht noch lieber lernest3407 als lehrest;3408 und wenn du3409 von einem lehrreichen,3410 zumal mit gründlichen Untersuchungen beschäftigtem,3411 Umgange, oder von dergleichen Buche, zurückkommst3412, ohne dich3413 an deine3414 Brust zu schlagen, und das Bekenntniß tief zu fühlen: O wie viel ists, was ich noch nicht weiß: – so bist du3415 von der Bescheidenheit3416 noch weit entfernt.
Fleiß ist eine dritte Tugend, und besteht in einer angestrengten Wirksamkeit, die verschiedent[183]lich betrachtet werden kan3418, daher auch die verschiedenen3419 Bedeutungen des Wortes entstanden sind, die selbst durch besondre3420 Namen bezeichnet werden. Wird diese Wirksamkeit mehr in Rücksicht auf die Menge der Beschäftigungen, –3421 oder auf dabey3422 beobachtete Genauigkeit und Sorgfalt, –3423 oder auf die anhaltende, selbst durch die Schwierigkeiten oder den langsamen Fortgang nicht ermüdete,3424 Anstrengung genommen: so ist der Fleiß im ersten Fall Arbeitsamkeit; –3425 im [757] zweyten3426, Fleiß im engern Verstande,3427 (man sagt (z. B.)zum Beispiel ein Kunstwerk sey3428 mit Fleiß gemacht,)3429 oder genauer Fleiß oder Indüstrie Indüstrie 3430 (wiewohl dieses letztre3431 gemeiniglich anders, als das lateinische Industria, für Betriebsamkeit oder immer auf Erweiterung einer Kunst gerichtete Beschäftigung genommen wird); –3432 im dritten Falle aber Unverdrossenheit Unverdrossenheit. Oder3433 kürzer, die erste 3434 scheint mehr extensive, die zweyte 3435 mehr intensive, die dritte mehr3436 protensive Geschäftigkeit zu seyn.
Es ist ein sehr leidiges Vorurtheil, daß sich FleißFleiß3438 mit GenieGenie3439 nicht vertrage. Wahr ist es, Leute von Genie, und, noch mehr, Leute, die sich Genie zu haben einbilden, sind selten eigentlich fleißig, weil sie sich zu sehr auf ihre Kräfte verlaßen3440, und zu ungeduldig sind, lange bey3441 einer Sache zu beharren. Wahr ists auch, daß dem Genie alles3442 leichter wird, und daß ohne dasselbe durch bloßen3443 Fleiß keine Werke von vorzüglicher Vollkommenheit entstehen. Aber, Fleiß kan3444 doch [184] den Abgang des Genies einigermaßen3445 ersetzen, so wie die Kunst, die immer Fleiß erfordert, der Natur nachhelfen, und sie verbessern kan3446. Alle Fähigkeiten des Geistes bleiben unbrauchbar, oder werden nicht in dem Grade nützlich, als sie es könnten, wenn nicht theils mannichfaltige und genaue Kenntnisse hinzukommen, ohne welche das Genie nichts hat, was es verarbeiten kan3447, theils viele, genaue und anhaltende Uebungen in einer [758] Sache angestellt werden, wodurch erst Fertigkeiten entstehen. Und so sehr auch dem bloßen3448 Genie oft ein vollkommenes3449 Werk gelingt:3450 so können doch weder Ausschweifungen desselben verhütet, noch dessen Erfindungen gehörig geprüft, berichtigt, und in dem Grade vollkommen werden, als wenn noch anhaltender und bedächtiger Fleiß dazu kommt. – Es ist beynahe3451 unnöthig, Kennzeichen des Fleißes3452 anzugeben. Man darf sich nur aufrichtig prüfen,3453 ob uns nichts gleichgültig sey3454, was uns irgend der Vollkommenheit näher bringen kan3455, – ob es uns genug sey3456, daß etwas gemacht werde, unbekümmert wie es geschehe; – ob wir sehr die Veränderungen lieben, und uns durch Schwierigkeiten abschrecken laßen3457: so werden wir bald davon urtheilen können.
Zu diesem Fleiß muß sich Liebe zur Ordnung gesellen. – Unordnung in dem Gange unsrer3459 Gedanken und Geschäfte3460 verräth und erzeugt Verwirrungen,3461 und Mangel des Zusam[185]menhangs in Begriffen; erschwert auch das Denken, die Untersuchung und die Ausführung der Sachen. – Wenn man bey3462 sich bemerkt, – daß man leicht von Einem auf das Andere falle, wenn Beschwerlichkeiten uns von einem angefangenen Werk leicht abschrecken, und erwartete Vergnügungen oder Erleichterungen uns leicht zu andern Unternehmungen hinziehen; – wenn man [759] ungewohnt ist, sich bey3463 dem, was man nach einander vornimmt, Grund anzugeben, warum man so und nicht anders handle, das Eine früher und das Andre3464 später thue; – und wenn man Sachen zu unternehmen pflegt, ohne sich vorher um das zu bekümmern, was dabey muß3465 vorausgesetzt werden 3466: so kann man mit Recht fürchten, daß es uns an dieser Liebe zur Ordnung fehle.
Wer an einer gewissen Art von Beschäftigung keinen solchen Geschmack findet, daß ihm diese mehr Vergnügen macht, und ihn mehr anzieht als 3468 andre3469 Arten von Beschäftigungen: der wird es weder darinn3470 jemals zu einer rechten Vollkommenheit bringen, noch auch nur den schuldigen Fleiß darauf wenden, wenn er sich ihr vorzüglich zu widmen beschlossen hat; er wird noch weniger sich Mühe geben, Andern damit aufs möglichste nutzbar zu werden. Man kan3471 daher von dem, der das Studium und die Empfehlung der Religion zu seinen3472 eigenthümlichen Beruf machen will, mit Recht fordern, daß er sich wohl [186] prüfe, ob [169] bey3473 ihm der Geschmack an dieser Wissenschaft und den damit verbundenen Beschäftigungen über alles Andre3474 gehe; um so mehr, da diese überwiegende Neigung ein sicheres Kennzeichen ist, daß er dazu die meiste natürliche verhältnißmäßige Fähigkeit habe,3475 ( (d. i.)das ist die meiste Fähigkeit wenigstens zu den Theilen der Beschäftigung, die ihn eigentlich interessiren3476). – Die[760]sen vorzüglichen Geschmack kan3477 man sich leicht abmerken. Beschäftige ich mich3478 wirklich am liebsten damit? Ist mir alles3479 interssant, was dahin einschlägt? Beziehe ich alles3480, was ich ausser3481 dieser Wissenschaft lese, oder sonst vorfinde, darauf, um es zur Verbesserung meiner Erkenntniß, zur Nahrung meiner Gesinnung, in Absicht auf die Religion, zu benutzen? Ist mir kein Schicksal der Religion, und überhaupt nichts gleichgültig, was sie und ihren Eindruck bey3482 Andern fördern oder hindern kan3483? Würd' ich auch bereit seyn, wenn es nicht anders seyn könnte, ansehnlichere Einkünfte, größeres3484 Ansehen, und andere äusserliche3485 Vortheile zu entbehren, oder aufzuopfern, wenn ich, falls ich diese erhalten wollte, mich weniger mit der Religion und dem zu ihrer Anwendung bey3486 Andern nöthigen Geschäfte3487 abgeben müßte? Finde ich einen unüberwindlichen Trieb bey3488 mir, Andern meine verbesserten Einsichten in der Religion und meine darüber gemachten Bemerkungen mitzutheilen, ihnen ihre Zweifel darinn3489 zu benehmen, 3490 ihnen die Religion3491 werth zu machen, sie bey3492 allen Angelegenheiten Anderer aufs weiseste und nützlichste anzuwenden? Dies3493 wären [187] ohngefähr3494 die sichersten Kennzeichen eines solchen überwiegenden Geschmacks daran.
Endlich ist3496 Liebe zur Tugend überhaupt und wahre Frömmigkeit eine nothwendige3497 Eigenschaft desjenigen, der sich ganz und vorzüglich zum Lehrer der Religion bilden will.3498 –3499 Die Religion ist durchaus praktischpraktisch3500, und hat ja eben ganz unmittelbar die Absicht, die Menschen durch Tugend glücklich zu machen, sie ganz an Gott zu binden, durch die Vorstellung Gottes und seines Willens Tugend und wahre Beruhigung zu befördern. Wie3501 könnte uns die Beschäftigung damit, die uns immer an unsre3502 Pflichten, an unsre3503 Fehler und Vergehungen, und an deren unausbleibliche Folgen erinnert, wie könnte die uns wahrhaftig werth seyn, wenn es uns gleichgültig wäre, dahin zu streben, daß wir ihr immer gleichgesinnter würden und gleichförmiger lebten? Wie,3504 könnten wir sie zu unsrer3505 vornehmsten Beschäftigung machen, ohne uns selbst, wegen unsrer3506 Unredlichkeit, Vorwürfe zu erregen, oder uns auf eine unnatürliche Art dagegen zu betäuben? Wie könnten wir, wenn wir dieses unentbehrliche Mittel zu unserm eignen3507 Besten nicht anwendeten, geneigt seyn, für Andere dadurch zu sorgen? Wie3508 sie Andern mit angestrengtem Fleiß, Wärme und eigner3509 Freudigkeit empfehlen, wenn sie uns selbst nicht an Herzen läge? Wie3510, so gar3511 nicht fürchten, durch unsern Wandel das wieder zu zerstören, was wir mit Mühe durch Unterricht gebauet hät[188]ten, oder, wie sie mit Ernst empfehlen, ohne es zugleich durch das noch viel stärker, als alle bloße3512 Vorstellungen, wirkende eigne3513 gute Beyspiel3514, und durch die auf uns selbst so wirksame Kraft der Religion zu thun? Wie3515, nicht der so starken Versuchung un[171]terliegen, selbst die Religion zum Mittel sträflicher Absichten und Leidenschaften zu mißbrau[762]chen? –3516 Auch hängen alle zur treuen und gewissenhaften Führung unsers Amts nöthigen Tugenden so sehr von dem Einfluß der Frömmigkeit und von dem Gedanken ab: Es ist Gottes Sache, die wir bey3517 den Menschen befördern sollen; wir sind Schuld, daß Seine Ehre unter ihnen leidet, wenn wir Ihn nicht auch durch unsre3518 ganze Gesinnung und Wandel ehren; unsre3519 Rechenschaft ist desto schwerer, je Mehreres und je etwas Wichtigeres uns anvertrauet ist3520 – von diesen uns stets vorschwebenden Gedanken hängen alle andere Tugenden so sehr ab, und werden dadurch so sehr ermuntert und verstärkt, daß wir ohne wahre Frömmigkeit uns nie eines solchen Berufs würdig betragen können. – Es ist nicht schwer zu erkennen, ob wir wahrhaftig diese Liebe zur Tugend und Frömmigkeit haben, wenn wir nur wissen, was diese ist, und die im vorigen §en3521 angegebenen Kennzeichen auch hier, in ihrer Art, anwenden. Je früher wir nach dieser wahren Frömmigkeit getrachtet haben, desto leichter und unverdächtiger wird uns diese Beurtheilung werden.
3522In den Schulen wird zwar der erste Grund zu den Wissenschaften, also gleich3527 zur Bildung des künftigen Lehrers der Religion gelegt. Aber, wenn auch unsre3528 meisten Schulen nicht einen vermischten Haufen von Lehrlingen enthielten, wovon nur ein Theil sich künftig mit den Wissenschaften beschäftigen soll, sie also dann die Anstalten nicht seyn können, worinn3529 Jünglinge zu künftigen Gelehrten, oder überhaupt zu brauchbaren Männern in höhern Ständen, sollen3530 erzogen werden 3531: so würde es doch sehr nöthig seyn, noch andre3532 Anstalten zu haben, wodurch, wie in Schulen, Kinder zu reifern Jünglingen, so diese zu Männern gebildet würden, die in so verschiednen3533 Ständen und Aemtern die Absicht eines besondern Berufs erfüllen könnten. Denn ließen3534 sich gleich die Schulanstalten so erweitern, daß auch da diese weitere Bildung möglich würde: [764] [190] so unterscheiden sich doch Schulen, wo der erste Anfang dieser Bildung gemacht wird, von höhern Anstalten in zwey3535 wesentlichen Stücken; erstlich darinn3536, daß der Jüngling nun zu einem [174] besondern Stande erzogen und vorbereitet werde, dem er sich für sein ganzes Leben allein oder vorzüglich widmen soll; hernach3537, daß er sich nun noch gewöhne, sich nicht mehr bloß von Andern leiten zu lassen, sondern selbst 3538 nach Ueberlegung Ueberlegung,3539 das zu wählen, was ihm3540 zu diesem besondern Stande brauchbar machen kan3541. Man hat also mit Recht den Zweck der Schulen nur auf diejenigen Wissenschaften eingeschränkt, die allen und jeden, wenigstens den Studierenden allerley3542 Art, nützlich sind, und zu einer Vorbereitung auf alle höhere Stände und Aemter dienen können.
Zu den höhern3544 oder solchen Anstalten, in welchen die nähere Vorbereitung zu einem besondern Beruf geschehen soll, gehören, wenigstens nach unsrer3545 jetzigen Verfassung, die Universitäten Universitäten,3546 und alle Arten von Seminarien Seminarien 3547 für eine besondre Classe3548 solcher Personen, die zu einem künftigen öffentlichen Amte bestimmt sind. Diese letztern Pflanzschulen scheinen doch, wenn wir die Sache nehmen, wie sie ist, nicht wie sie seyn könnte, mehr in der Absicht angelegt zu seyn, um nie einen Mangel an guten Lehrern zu haben, oder den Seminaristen, nach vollendetem akademischen Studium, die künftige Beförderung zu sichern, [765] als überhaupt für die Bildung aller sol[191]cher Lehrer in einem Lande zu sorgen; es sind ihrer auch nur Wenigere, die so zum künftigen Berufe näher vorbereitet werden, und alsdann sind besondere3549 Gesetze vorgeschrieben, nach welchen sie sich bilden müssen. Hingegen sind Univeristäten für alle künftige Religionslehrer errichtet und eingerichtet, und es ist gewöhnlich ihrer eignen3550 Wahl überlaßen3551, wie sie sich da[175]selbst aufs künftige zubereiten wollen. Auf diese sollen sich daher die hiesigen Anmerkungen allein einschränken,3552
So sehr man aus mancherley3570 Ursachen, zumal in den neuesten Zeiten, die Nutzbarkeit der höhern Schulen oder Universitäten herunter zu se[192]tzen gesucht hat; so sehr mancher sich oder Andre3571 zu bereden sucht, –3572 gute Köpfe könnten sich selbst genug helfen, –3573 schon auf Schulen könnte man alles3574 das lernen, was bisher nur ein Eigenthum der Universitäten schien, –3575 allenfalls könne der Unterricht und Umgang eines einzelnen3576 Mannes, der in seinem Fache Meister sey3577, den, der sich eben diesem besondern Berufe widmen [176] wolle, hinlänglich zur wirklichen guten Bestreitung dieses Berufs, wenigstens eben so gut und noch besser,3578 zubereiten, als es auf Universitäten möglich sey3579: so läßt sich doch der große3580 Werth und Vorzug der Universitäten von keinem unbefangnen3581 Richter verkennen. Vorausgesetzt, wenn3582 Universitäten wirklich so eingerichtet sind, daß sie das leisten, was sie ihrer Natur nach, und bey3583 einer guten Einrichtung,3584 können und sollen, und daß, wenn Eine3585 Universität nicht ganz so eingerichtet ist, 3586 die andre doch3587 diesen Abgang ersetzen könne; und vorausgesetzt3588, daß man den Zweck der Universitäten nicht verkenne, und mehr nicht fordre3589, als dieser Zweck mit sich bringt, der nicht dahin gehen soll, alles irgend Wissenswürdige zu lehren, sondern nur das, wozu Gelehrsamkeit Gelehrsamkeit 3590 erfordert wird, und sofern diese dazu hinlänglich ist.
Wenn auch große KöpfeKöpfe 3602, die sich selbst forthelfen können, nicht so selten wären, als sie sind, und man nicht zu den so mancherley3603 öffentlichen Geschäften noch mehr mittelmäßige brauchte, als jene; wenn sie auch nicht so viele ihnen eigne3604 Fehler hätten, namentlich eine gewisse einsei[177]tige Art zu denken, und einen,3605 daher sowohl, als aus dem Gefühl ihrer überlegnen3606 Kräfte, entstehenden Dünkel, Eigensinn, Ungelehrigkeit und Ungeduld, bey3607 dem, was beschwerlich ist, zumal wenn es ins Kleine geht, zu verweilen: so bedürfen sie doch des Stoffs, den sie verarbeiten sollen, 3608 einer großen3609 Menge KenntnisseKenntnisse, auch3610 um ihn richtig zu beurtheilen, und zu wissen, wie sie ihn anwenden sollen; sie bedürfen allgemeinerer richtigen3611 Grundsätze, die, wenn sie richtig und allgemein seyn sollen, sich nicht bloß aus eigner3612 Erfahrung abziehen, oder ohne tiefes Studium und ausgebreitete3613 von Andern entlehnte Kenntnisse sicher genug annehmen und anwenden laßenlassen. Und3614, wenn sie auch dergleichen Kenntnisse von Andern entlehnen wollten, so ist dies3616 doch ganz etwas Anders3617, als wenn sie unser Eigenthum sind, uns zu aller Zeit zu Dienste stehen, und aus den Gesichtspuncten3618 angesehen werden, wo wir sie nöthig haben. – Auch von einem einzelnen einzelnen, in seinem Fach Fache noch so bewandertem Manne laßen bewanderten Manne, lassen 3619 sich gründliche3623 Kenntnisse von mehrerley3624 Arten, die sich doch einander mehr oder [768] weniger die Hand bieten müssen, nicht lernen, weil er meistentheils3625 entweder ganz nur für sein Fach,3626 und für das, was ganz zunächst dahinein schlägt3627, vollkommen,3628 oder ein seichter Vielwisser seyn wird.
Anm. Anmerkung Die Erinnerungen in diesem bis zu dendem 124sten §. beziehen sich auf die §. 119. erwähnten angeblichen Ersetzungsmittel des AbgangsMittel welche man statt der Universitäten vorgeschlagen hat. 3629Eben so wenig können dies die eigentlichen Schulen Schulen 3635 leisten. Denn man hat sich da so sehr mit noch ganz ungebildeten Zöglingen zu beschäftigen, die noch so wenig selbst [178] sich helfen können, und denen dieselben Sachen so oft wiederholt werden müssen, um die ersten nothwendigsten Kenntnisse, welche die Grundlage von Andern sind, recht tief einzuprägen, und ihnen recht geläufig zu machen. Es3636 bleibt da3637 so wenig Zeit, Vielerley3638 zu treiben. Es3639 ist selbst so wenig nützlich, sogenannte höhere Wissenschaften ohne viele Vorerkenntnisse deutlich, oder auch nur ihren Nutzen eigentlich begreiflich zu machen, und dem jugendlichen3640 Alter Geschmack daran beyzubringen3641, daß, wo auf Schulen vielerley3642 Wissenschaften, und wo besonders höhere Wissenschaften getrieben werden, [195] nothwendig eine höchst oberflächige3643 und seichte Erkenntniß derselben entstehen muß, die auf das ganze Studium solcher Wissenschaften einen sehr nachtheiligen Einfluß hat. Noch3644 dazu giebt die Beschäftigung mit sogenannten höhern Wissenschaften auf Schulen,3645 Gelegenheit 3646, die Vorbereitungswissenschaften, die eigentlich der Bestimmung der niedern Schulen gemäß sind, zu versäumen, oder sie nicht brauchbar genug für die künftigen Wissenschaften zu lernen, oder gar, wenn man wirklich Geschmack an hö[769]hern Wissenschaften und den Geschäften des Lebens findet, auch selbst den Geschmack an den Vorbereitungswissenschaften zu verderben, und den darauf zu verwendenden Fleiß zu vermindern. Die Erfahrung bestätigt dies nur gar zu sehr, und ein solcher un-3647 oder frühzeitiger3648 Unterricht verhindert es sogar, daß man jenes Versäumte nicht einmal auf Universiäten oder anderwärts nachholen kan3649 und mag. Denn da ist die Seele nicht mehr so beugsam und empfänglich für das, was, wie (z. B.)zum Beispiel die Sprachen, sehr viel Mechanisches und ein leicht auffangendes3650 Gedächniß erfordert. Der3651 Geschmack ist schon so durch Gegenstände des eigentlichen Verstandes3652 oder des geschäftigen Lebens verwöhnt; [179] und der Dünkel, was man noch nachholen könnte, habe man schon auf Schulen vergessen, und brauche es nicht erst zu lernen, verhindert, nebst einer falschen Schaam, so sehr die nun erst rechte Erlernung, daß an einen solchen Ersatz des gar nicht oder schlecht Gelernten schwerlich zu denken ist.
Selbst Bücher Bücher 3654 können nicht ganz den Abgang des akademischen Unterrichts3655 ersetzen, oder das so gut leisten, was der mündliche Vortrag auf Universitäten vermag. – Schon der mündliche 3656 Vortrag hat seine eignen3657 Vortheile. Er wirkt auf mehrere Sinne zugleich. Der abwechselnde Ton der Stimme, der die Hauptbegriffe, den Unterschied der Ideen, und das, worauf [770] die Gedanken des Zuhörers sich vorzüglich heften sollen, merkbarer macht; die den Vortrag begleitende Geberdensprache; zum Theil auch der AffectAffect3658, womit man spricht; und die Idee von der wenigern Kunst, die da weniger als in einer ausgearbeiteten Schrift erwartet wird,3659 und eine leichtre3660, sich im Reden gleichsam von selbst ergebende,3661 Ueberzeugung vorauszusetzen scheint, giebt dem Vortrage eine eigne3662 Kraft, die sich durch keine todte3663 Zeichen oder Buchstaben so mittheilen läßt. Und selbst die Gewohnheit, im menschlichen Leben den Unterricht durchs Gehör mitgetheilt zu bekommen, macht uns das leichter, was uns so, als was uns durch Schriftzeichen gesagt wird. Alles dieses giebt dem mündlichen Vortrage ein gewisses Leben, das uns immer weit3664 mehr als das Todte und Leblose anzieht. Er3665 befördert also die Aufmerksamkeit, die Verständlichkeit, die anschaulichere Erkenntniß, und den Eindruck des Gesagten weit mehr, als was wir bloß lesen. DesDeß 3666 [180] nicht zu gedenken, daß man bey3668 dem Reden sich mehr Wiederholungen, selbst mit andern Worten, erlaubt, welche verursachen, daß das, [197] was der Zuhörer überhört, oder nicht recht verstanden hat, ihm dadurch faßlicher wird, sich ihm durch die Abänderung der Worte in eben derselben Sache bisweilen auf mehreren Seiten darstellt, wenigstens durch die Mannichfaltigkeit des Ausdrucks sich mehr empfiehlt.
Hat denn auch der Zuhörer Manches nicht oder nicht genug und zu seiner völligen Befriedigung verstanden, so kan3670 er den Lehrer näher befragen, und die Schwierigkeiten oder Zweifel, die ihm übrig bleiben, von ihm aufgelöset bekommen. – Ist der Lehrer, wie man doch bey3671 den Meisten voraussetzen kan3672, ein selbstdenkender und untersuchender Mann:3673 so wird er viele Entdeckungen in dem mündlichen Vortrage mittheilen, die man in Anderer Schriften nicht findet; und ist er Schriftsteller, so wird man Vieles in diesen Schriften erst dann recht verstehen, wenn man ihn über die nemlichen3674 Sachen reden, oder das entwickeln hört, was vielleicht in seinen Schriften nur als bloßes3675 Resultat vorhin angesteller Untersuchungen liegt. Oft muß er auch Bedenken tragen, Etwas in Schriften zu äussern3676, was er entweder noch nicht öffentlich schreiben mag, weil es ihm noch nicht reif genug scheint, und was doch für den3677 Zuhörer Winke und Veranlassungen zu wichtigen Entdeckungen geben kan3678, oder was er dem Publicum3679, welches aus sehr vermischten Lesern besteht, wegen besorglicher Mißdeutung und Mißbrauch3680, nicht wohl sagen [198] kan3681, das er hingegen seinen Zuhörern, die er näher kennt, für sehr zuträglich hält. – Und wie oft macht er erst während [181] des Vortrags gewisse Entdeckungen, an die er vorher nie dachte, oder ist so glücklich, eine leichtere Wendung, einen deutlichern und bestimmtern Ausdruck zu finden; [772] welches alles ihm vielleicht nie wieder einfällt, und für ihn, wie für jeden andern, ausser3682 denen, die ihn gehört haben, verloren ist? – Wie viel giebt es auch Dinge, die sich durch keine Schrift, selbst wenn sie von Kupferstichen begleitet ist, deutlich, wenigstens anschaulichanschaulich3683 machen lassen, bey3684 Sprachen (z. B.)zum Beispiel, in der Botanik, bey3685 Alterthümern, Kunstwerken, bey3686 der Declamation (u. s. f.)und so ferner? Wie nothwendig ist es dem Lernenden, nicht nur Theorien3687 zu hören, oder zu lesen, sondern auch Handgriffe zu sehen, ohne die er oft nicht weiß, wie er die Theorie anwenden soll?
Ließe3689 sich denn auch aus BücherBüchern3690 alles das lernen, was man aus dem Vortrage auf Universitäten schöpfen kan3691: wie Viele haben Kenntniß der wirklich besten Bücher in jedem Fache, und derer, die gerade ihren Bedürfnissen angemessen sind? und wie viele Gelegenheit, sie würklich3692 zu bekommen? Wie viele Nebendinge, wie viel noch Unverständliches, oder wie viel noch zu schwere Kenntnisse und Untersuchungen,3693 enthalten diese, die den Anfänger zerstreuen, oder unnöthig aufhalten? wie Vieles, was ihm unerheblich und unbrauchbar, oder was ihm wichtig scheinen kan3694, [199] und beyderley3695, für ihn wenigstens, nicht ist? zumal da er noch so wenig mit dem Innern der Wissenschaften, mit den wahren Fortschritten der Zeit, mit dem Werth3696 gewisser Kenntnisse und Untersuchungen bekannt ist, als daß er sich durch [773] diese Bücher allein sollte selbst forthelfen können. –3697 Akademische Lehrer hingegen müssen sich, ihrem [182] ganz eignen Beruf3698 nach, ganz den Wissenschaften widmen; ihre wirklichen Fortschritte besser kennen; das Wahre, das Brauchbare, das gerade der Classe3699 von Studierenden, mit der sie zu thun haben, deren künftigen Bestimmung und gewöhnlichen Vorbereitung nach, mit der sie auf Universitäten kommen, angemessene, und durch die Zeitbedürfnisse erforderte, gefunden haben; gerade also für diese das Wesentlichste, was ihnen nöthig ist, ausheben, und ihnen auf die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten gemässeste3700 Art vortragen können. Sie3701 haben auch dazu gemeiniglich bessere Gelegenheit und Hülfsmittel, als irgend ein Anderer. Selbst3702 ihr eignes3703 Interesse erfordert es, um ihr Ansehen znzu 3704 erhalten, auf alles dieses bedacht zu seyn, und ihren Vortrag durch die beste Wahl, Ordnung, Deutlichkeit und Fruchtbarkeit zu empfehlen.
Ueberhaupt haben UniversitätenUniversitäten, ausser3706 dem schon Gesagten, ganz eigne3707 Vortheile für die Wissenschaften und für den daraus entspringenden NutzenNutzen,3708 in Absicht auf das Publikum überhaupt,überhaupt 3709 und die Studierenden insbesondre3711. – Nach unsrer3712 [200] jetzigen Verfassung sind Universitäten diejenigen Anstalten, worinn3713 fast alle diejenigen gebildet werden, die sich den Wissenschaften widmen, von welchen die Erziehung der Jugend abhängt, und [774] mit welchen öffentliche Aemter besetzt werden, die irgend einen Einfluß in die CulturCultur3714 der Länder haben. Universitäten haben also einen ungemeinen Einfluß auf die Wissenschaften und auf die davon abhängende Cultur3715; durch sie werden wissenschaftliche Kenntnisse am allgemeinsten ausgebreitet; und wenn dieses gleich auch durch Schriftsteller geschieht, so sind doch nicht nur die [183] meisten wissenschaftlichen Schriftsteller auf Universitäten;3716 sondern die Schriftsteller haben auch die allgemeinsten Kenntnisse auf Universitäten erlangt; was sie hinzu erfinden, wird von akademischen Lehrern geprüft, benutzt, verarbeitet;3717 und so entsteht ein beständiger Umtausch und eine gegenseitige Mittheilung, die immer in dem Publicum3718 einen gewissen Umlauf von wissenschaftlichen und nützlichen Kenntnissen erhält. – Hierzu kommt, daß, wenn auch, zur Aufnahme besondrer3719 Wissenschaften, besondre3720 Anstalten mit großen3721 Vortheil können angelegt werden (Bergakademien3722 (z. B.)zum Beispiel), doch die Universitäten dazu bestimmt sind, den Unterricht in allen eigentlichen Wissenschaften zu befördern. Da stoßen3723 also Männer zusammen, die einander, ein jeder mit seinen vorzüglichen Kenntnissen in einer besondern Wissenschaft, in die Hände arbeiten können, und wo ein jeder bey3724 dem, was er zu mehrerer Vervollkommnung seiner Wissenschaft aus einer andern [201] zu entlehnen hat, sich des Raths, der Unterstützung und der Vorarbeit des Andern bedienen kan3725. Da wird dann auch mancher Studierende, der sich sonst nur auf seine Wissenschaft und die [775] damit unmittelbar zusammenhängenden würde eingeschränkt haben, gereitzt, sich zugleich mit andern Wissenschaften wenigstens so weit bekannt zu machen, als zu einer allgemeinen Kenntniß nöthig ist;3726 weil er eben die Gelegenheit findet, sie zu lernen.
Sind über dies3728 Universitäten gemeine3729 Sammelplätze, wo die, welche zu Wissenschaften und öffentlichen Aemtern sollen gebraucht werden, in großer3730 Anzahl, selbst oft aus sehr verschiedenen Gegenden und Ländern, zusammenfließen3731: so wird durch sie nicht nur die Ausbreitung und Circulation [184] wissenschaftlicher Kenntnisse sehr befördert, sondern das Beyspiel3732 und die Wetteiferung reitzt und ermuntert auch den Fleiß weit mehr, als bey3733 den Privatstudien und kleinen Schulanstalten. Es werden Bekanntschaften, besonders literarische, gestiftet, die, selbst noch nach dem Verlauf der Universitätsjahre, auf mehrere nützliche Verbindungen zu öffentlichen Verdiensten und auf das gemeinschaftliche Bestreben zur Ausbreitung und Aufklärung der Wissenschaften großen3734 Einfluß haben. Und junge Studierende3735 haben die sonst nirgends so vorhandne3736 Gelegenheit, die verschiednen3737 Charaktere der Menschen, in Absicht auf Geschäfte ihres Standes, kennen zu lernen, [202] und mit der so sehr verschiednen3738 Denkungsart und Sitten der Menschen bekannter zu werden; welches ihnen einen gewissen offnern Sinn giebt, [776] eine gewisse mehrere Theilnehmung an öffentlichen Angelegenheiten (public Spirit) wirkt, und die eingeschränkte einseitige Dekungsart, die engherzige Gesinnung, die ausschließende3739 unduldsame Einschränkung der Bemühungen auf Privatvortheil, wo nicht verhindert, doch einigermaßen3740 schwächt.
Endlich kommen noch bey3742 Universitäten mehrere Umstände zusammen, die sie, vor allen andern Anstalten, bequem machen, studierende Jünglinge, durch Unterricht in den Wissenschaften, auf künftige Stände vorzubereiten, und sie in den Wissenschaften weiter, als sonst, zu bringen. –3743 Sicherlich erleichtern sie doch auf einer Seite den compendiarischen Unterricht, ersparen ihnen Mühe, vergebliche Arbeit, Zeit und Kosten, und liefern ihnen den Kern desjenigen, was in jeder Wissenschaft bisher erfunden und erprobt worden ist, also die Grundlage, auf die3744 sie nachher [185] immer weiter fortbauen, und die nachher erlangten einzelnen Erweiterungen, ohne Verwirrung, gleich in Ordnung bringen, und als an einen Faden anknüpfen können. –3745 Auf der andern Seite geben sie ihnen Gelegenheit, wenn sie nur selbst wollen, weitere Aufschlüsse, feinere Bemerkungen, wenigstens die heilsamsten Räthe in Absicht auf den [203] Fortgang in Wissenschaften, von solchen Lehrern zu bekommen, die die Obrigkeit, als die vorzüglichsten Gelehrten in ihrem Fach, und als die [777] Geschicktesten in Mittheilung ihrer Kenntnisse an Andere, irgends finden konnte; die, ihrem Beruf3746 nach, sich ganz einer besondern Wissenschaft widmen, und es daher, in ihr, natürlich weiter bringen können, als nicht leicht irgend jemand, der eine andre3747 Hauptbeschäftigung hat; die durch die beständige Gelegenheit, gleich ihre bessern erlangten Kenntnisse und gemachten Entdeckungen Andern wieder mittheilen zu können, und durch den Fleiß oder 3748 Wißbegierde der Zuhörer ermuntert, durch deren Fragen und Zweifel, durch die Wetteiferung mit andern Lehrern, und durch die Verschiedenheit der Meinungen und Methoden unter mehrern ihres gleichen3749, gedrungen werden, immer weiter vorwärts zu gehen. –3750 Auch giebt es fast überall, wo Universitäten sind, so ansehnliche öffentliche und Privat-Bibliotheken, Buchhandlungen, wenigstens Gelegenheit3751 leichter, als an den meisten andern Orten, die neuesten Bücher zu bekommen;3752 und die meisten akademischen Gelehrten stehen mit auswärtigen Gelehrten in solchen Verbindungen und Briefwechsel, daß es auf Universitäten weniger, als meistens anderwärts, an den besten Hülfsmitteln zu den Wissenschaften und Gelegenheit zu weitern eignen3753 Fortschritten in denselben, fehlen kan. Wozu3754 noch [186] der Vortheil kommt3755, daß Studierende von ihren Lehrern die besondern Schriften und Hülfsmittel überhaupt erfragen können, die für sie, oder um sich [204] über besondre3756 Gegenstände einer Wissenschaft näher zu unterrichten, die zuträglichsten sind, ohne daß sie in der Verlegenheit sind,3757 sich von einem Ohngefähr oder öffentlichen Vorurtheile leiten laßenlassen zu müssen3758.
3760Die bisherigen Anmerkungen über den Werth und die Vortheile der UniversitätenUniversitäten3762 hatten vornemlich3763 die Absicht, Studierende, die auf ihnen sollen gebildet werden, zu mehrern3764 Fleiß und Wahrnehmung dieser treflichen3765 Gelegenheit zu ermuntern, die nie wiederkommt, und durch nichts ganz ersetzt werden kan3766. Es ist noch übrig, einiges3767 von ihrer rechten Benutzung Benutzung 3768 zu sagen. – Zuerst 3769 muß der, wer eine Universität bezieht, und da mit wirklichen3770 Nutzen studieren will, einige Vorerkenntnisse mitbringen, ohne die er schlechterdings den Docenten nicht gehörig verstehen kan3771, weil dieser, eingedenk des Zwecks der Universitäten, die zu höhern Wissenschaften und zu weitern Fortschritten in allen Wissenschaften führen sollen, sie voraussetzt, und darauf baut, auch wegen der wenigern Unwissenden nicht den bessern Theil seiner Zuhörer mit Sachen aufhalten darf, die ihnen schon bekannt und geläufig sind. Wem es daran fehlt, der muß nothwendig zurückbleiben; er wird nicht ein[187]mal die Lust zu lernen behalten, weil das, was er nicht versteht, ihn auch nicht interessiren3772 kan;3773 eine Hauptursache3774, warum die, welche den Schulen zu früh entlaufen sind,3775 oder überhaupt ganz3776 oder in gewissen Wissenschaften [205] versäumt auf die Universität kommen, selten etwas Rechtes lernen, und selbst aus langer Weile sich dem MüßigangMüßiggang 3777 und Unordnungen ergeben. Oder er muß nur erst das Versäumte nachholen;3778 wozu nicht immer Gelegenheit, wenigstens nicht [779] ohne große3779 Kosten, ist, wozu die meisten zu stolz sind, wodurch man die ohnehin so kurz auf Universitäten zugeschnittne3780 Zeit den eigentlichen Wissenschaften entzieht, und, wenn man nicht ausserordentliche3781 Fähigkeiten und Fleiß besitzt, doch wenig vor sich bringen wird. – Zu den unentbehrlichsten Vorerkenntnissen für die, welche Theologie studieren wollen, gehört, – ausser3782 der Bekanntschaft mit der Muttersprache, wie sie in Büchern herrscht, – so viele Kenntniß der lateinischen, daß man ein nicht zu schweres lateinisches Buch,3783 ohne fremde Beyhülfe,3784 verstehen, und sich in dieser Sprache wenigstens nothdürftig ausdrücken könne; die ersten Anfangsgründe der griechischen Sprache, und wenigstens einiger Anfang, leichte griechische Bücher zu verstehen; ein wenigstens allgemeiner Begriff von der Geschichte und Geographie, und die nothdürftigsten Kenntnisse von der Vernunftlehre. Nicht viel entbehrlicher ist wenigstens:3785 eben so viele Kenntniß der ebräischen wie der griechischen Sprache, eine allgemeine Bekanntschaft mit den Wissenschaften überhaupt, oder eine literarische EncyclopädieEncyclopädie3786, und die nothdürftigste Kenntniß von den besten Büchern in solchen Wissenschaften, die schon auf Schulen getrieben werden, oder auf die man3787 sich ins künftige3788 legen will.
Diese Kenntnisse wenigstens vorausgesetzt, ist das nächste 3800: kluge Wahl der Vorlesungen, die man hören soll. Etwas Allgemeines läßt sich hier zwar weder über die Wahl der Wissenschaften, auf die man sich legen, noch über die Ordnung sagen, in der man sie nach einander hören sollte. Denn, nach den verschiednen3801 Absichten derer, die Theologie studieren wollen, ist eine oder die andre3802 Wissenschaft, zumal Hülfs- oder Nebenwissenschaft,3803 (siehe den ersten Theil,)3804 mehr oder minder nothwendig. Die3805 gemeiniglich kurze Dauer des akademischen Lebens erlaubt nicht, alle, die man wohl könnte, zu treiben. Und3806 es ist weit nachtheiliger, viel und vielerley3807 Wissenschaften mit einander, als wenige, aber mit rechtem Fleiße3808, zu hören. †) 3809 Auch die Wahl ihrer Folge steht nicht immer in unsrer3810 Gewalt, weil manche Vorlesungen eben nicht, wenn man es wünschte, oder nicht von solchen gehalten werden, denen man, sich darinn3811 anvertrauen zu dürfen, glauben [207] könnte, oder weil die Stunden, wo sie gelesen werden, mit andern nothwendigen Arbeiten besetzt sind.
Indessen sey3827 immer dies das erste3828, daß man theils das gleich Anfangs auf Universitäten [782] nachhole, was man schon mitbringen sollte, aber es versäumt hat, theils, die Hülfswissenschaften voraus höre, ohne die man in der Theologie oder ihren Theilen nicht fortkommen kan (z. B. zum Beyspiel/Beispiel (z. B. Metaphysik),3829 theils, daß man sich vor allen Dingen orientire, (d. i.)das ist wenn man es haben kan3831, sich eine An[190]weisung zur rechten Kenntniß und zum3832 Studium aller Theile der Theologie und der damit zunächst verbundenen Wissenschaften geben, und eine eigentliche Encyklopädie derselben (1765 Theil 1.3833 §. 24 3834 (Anm.)Anmerkung) votragen laße3835. – Auch bleibe immer die allgemeine Regel: von einer Wissenschaft zur andern fortzugehen, so wie die eine zur Kenntniß der andern erfordert wird. †) 3836 Ist aber die eine nicht schlechterdings zur Verständlichkeit und Ueberzeugung in der andern nothwendig; nimmt die eine Manches aus der andern, und diese wieder aus jener; oder werfen beyde3837 gegenseitiges Licht auf einander,3838 (wie (z. B.)zum Beispiel Dogmatik auf Kirchengeschichte, HermenevtikHermenevtik3839 auf Auslegung, und umgekehrt): so kan3840 es ziemlich gleichgültig seyn, welche man früher oder später höre.
Ist jemandes akademische Zeit sehr eingeschränkt,3848 so thut er besser, nur die für ihn nothwendigsten, und solche Vorlesungen zu hören, worinn3849 er sich selbst künftig am wenigsten durch gute Bücher forthelfen kan †),3850 als zu vielerley3851 auf einmal, oder besondre3852 Theile der Wissenschaften, [191] oder einzelne3853 Wissenschaften zu wiederholten malen3854 zu hören. – Freylich3855 ist es für die gründliche Erlernung der Wissenschaften höchst nachtheilig, wenn man sie so sehr ins Enge zieht; denn man lernt sie alsdann, genau genommen, eigentlich gar nicht, zumal wenn dem Zuhörer darinn beynahe alles3856 ganz fremd, und er alle Augenblicke in Verlegenheit ist, wie er sich orientiren solle; oder die erlangte Erkenntniß ist kaum werth, daß man sich damit abgegeben hat, und eines verständigen Studierenden unwürdig. *) 3857 Wenn aber jemand durch äusserliche3858 Umstände genöthigt ist, die Zeit, welche man auf Universitäten zubringt, abzukürzen, oder er hat so wenig Fähigkeiten, [210] oder so eingeschränkte Absichten bey3859 der Erlernung der Theologie, daß er nicht über die unterste Classe3860 der Geistlichen hinausgehen kan3861 und will, und also nur nach den nothdürftigsten Kenntnissen trachtet: so ist es wohl zu entschuldigen, wenn er gelehrtere Disciplinen nur kurz hört, oder sicht mit einem bloßen3862 Cursus ( (z. B.)zum Beispiel in der Philosophie) begnügt, um desto mehr Zeit auf eigent[784]lich praktische Studien verwenden zu können. – Hat man Zeit genug, um über eine Wissenschaft mehr als einmal3863 zu hören:3864 so würde dies von großem3865 Nutzen seyn, weil doch auch der fleißigste Zuhörer viel überhört, oder nicht recht fasset3866, oder den Werth einzelner3867 Bemerkungen und der Darstellung der Sachen noch nicht so einsieht, als wenn er erst noch mehrere andre3868 Wissenschaften gehört hat, die ihn bey3869 abermaliger Hörung einer Disciplin auf viele Sachen darinn3870, und deren Wichtigkeit, erst aufmerksam machen werden. **) 3871
Bey3903 der Wahl der Lehrer, deren Unterricht man sich anvertrauen will, – wenn sie anders in unsrer3904 Gewalt steht – ist mehr Vorsichtigkeit nöthig, als man gemeiniglich denkt, weil davon der wirklich größeste3905 Nutzen abhängt, den man von dem Aufenthalt auf Universitäten zu erwarten hat. Es ist eben so nachtheilig, sich darinn3906 bloß auf Andrer3907 Rath, als auf sein eignes3908 Urtheil zu verlaßen3909. – Nicht bloß auf jenen. Denn, – ausser dem3910 daß die, so oft am besten rathen könnten, nicht immer rathen wollen, um sich nicht jemanden3911 aufzudringen, oder nicht für parteyisch3912 gehalten zu werden, oder Feindschaft und Verdacht von Abneigung gegen Andere zu verhüten, oder weil sie merken, daß der Stolz der Fragenden möchte beleidigt werden, und diese [213] sonach gerade das Gegentheil thun, – so kennen sie die besondern Bedürfnisse der Fragenden nicht genug, weil sie weder mit ihren Fähigkeiten, noch mit ihren Vorerkenntnissen und besondern Absichten bey3913 ihrem Studieren bekannt sind; oder sie kennen die Lehrer nicht hinlänglich in Absicht auf ihren mündlichen Vortrag und ihre Fähigkeit, Anfängern gewisse Kenntnisse beyzubringen3914; oder [194] haben unrichtige, oft sehr seltsame, Begriffe und Vorurtheile von dem Werthe eines Lehrers; oder handeln gar nach Leidenschaften und äusserlichen3915 Rücksichten. – Auf der andern Seite fehlt es dem Anfänger selbst gemeiniglich an eben diesen Kenntnissen, und er versteht noch zu wenig von [787] dem, was eigentlich zu seinem künftigen Studium gehört, von der besten Art sie zu treiben, und den besten Hülfsmitteln und Vortheilen dabey3916, als daß er sich selbst hinlänglich rathen könnte.
Will man Andere zu Rathe ziehn:3918 so muß man solche Lehrer, oder Mitstudierende, oder überhaupt Menschen-3919 Zeit- und SachkundigeSachkundige dazu wählen, von3920 denen man es gewiß weiß, oder3921 es ihnen3922 zutrauen kan: –3923 daß sie wissen, was zur Gelehrsamkeit und zu deren Zweigen und Hülfsmitteln, zu deren Gestalt und Bedürfniß, in der Zeit3924 wo wir leben, und zu der besten Art gehört, überhaupt und einzelne Wissenschaften zu studieren; –3925 daß sie unsre3926 Bedürfnisse kennen, die man, falls dies nicht seyn könnte, ihnen aufrichtig entdecken muß; –3927 und daß sie einen guten [214] Charakter haben, zumal in Absicht auf Bescheidenheit, Uneigennützigkeit, Menschenliebe, Schonung Anderer, gewissenhafte Gefälligkeit und Aufrichtigkeit. – Will man sich selbst zugleich mit rathen – denn, was auch Andere noch so gut zu rathen scheinen, müssen wir doch nie ohne gewissenhafte Prüfung annehmen: – so muß man sich selbst dieser Tugenden und Kenntnisse bewußt seyn, oder doch vorher sich von den letztern, durch Nachfragen bey3928 solchen, die obige Eigenschaften haben3929, und aus einer guten Anleitung zur Kenntniß der Wissenschaften und zur besten Art sie,3930 [195] nach den Bedürfnissen unsrer Zeit,3931 zu treiben, [788] unterrichtet haben; überall aber auf seine eignen3932 besondern Bedürfnisse sehen,3933 und den Werth eines Lehrers nach richtigen Gründen beurtheilen.
Diese Gründe oder diese Eigenschaften eines Lehrers, die hier in Anschlag kommen, sind,3935 nicht das gemeine Gerüchte und3936 Celebrität eines Lehrers, überhaupt, oder an dem Orte, wo er lehrt, sondern: – 1) ob er mit der Wissenschaft, die ich3937 durch seinen Unterricht will kennen lernen, vorzüglich bekannt, vielleicht gar Meister in derselben sey3938; 2) ob er einen deutlichen Vortrag habe. Dies3939 schließt zweyerley3940 in sich;3941 zuerst, daß der Vortrag den Zuhörern wirklich Begriffe von den Sachen beybringe3942, die sie bisher nicht gekannt, oder nicht so gekannt haben, wie sie sie nun durch diesen Vortrag kennen lernen; hernach, daß er auch Ueberzeugung von der Wahrheit des Vorge[215]tragenen wirke. – Zu dem ersten Stück gehört Faßlichkeit und Bestimmtheit. Faßlich ist der Vortrag, wenn der Zuhörer durch die nothwenigsten Vorerkenntnisse3943, die er auf die Universität mitbringen muß (§. 128 3944), oder durch das, was der Lehrer sagt, in den Stand gesetzt wird, etwas bey3945 dem, was gesagt wird, zu denken. Bestimmt ist er, wenn durch die gegebne3946 Erklärung aller Mißverstand abgeschnitten, und der Zuhörer so belehret3947 wird, daß er die vorgetragne3948 Sache von allen andern unterscheiden und einsehen lernt, in wie fern etwas3949 so beschaffen,3950 [789] und wahr ist. – Das zweyte 3951 Stück, oder das Ueberzeugende des Vortrags, setzt jene beyden3952 Eigenschaften voraus, und erfordert noch, ausseraußer diesen,3953 Gründlichkeit, d. i.das ist 3955 daß der Leh[196]rer nie etwas, wenn es sich nicht von selbst versteht, sage, ohne das beyzufügen3956, woraus der Zuhörer erkennen kan3957, warum es wahr sey. – Beyde3958 Stücke werden durch die Ordnung befördert, (d. i.)das ist durch eine solche Stellung der Sachen und Worte, welche der Natur der Sachen und der Sprache und dem natürlichen Gange gemäß ist, den die menschliche Seele nimmt, wenn sie von dem Bekannten zum Auffinden oder Verstehen des Unbekannten fortgeht.
Wenn über dies3994 3) gleich das Interessante des Vortrags (§. 37 3995) nicht nothwendig zum guten Lehrvortrage, der eigentlich3996 Belehrung zum Zweck haben muß, erfordert wird, sondern es schon genug ist, wenn nur der Lehrer das Interessante der Sachen hervor zu ziehen weiß: so befördert doch das Interesse, welches er bey3997 den Zuhöhrern den Sachen durch den Vortrag zu geben versteht, die Aufmerksamkeit derselben, und die Lust, sich damit zu beschäftigen, ja selbst die Faßlichkeit des Vortrags; und diese Eigenschaft verdient daher,3998 nicht übersehen zu werden. Ob sie der Lehrer in seiner Gewalt habe, ist nach dem, was davon oben gesagt ist, zu beurtheilen. – Fast noch nöthiger ist es, 4) Acht zu geben, ob der Lehrer eine gute Wahl zwischen dem Nöthigen [792] und Unnöthigen in seinem Vortrage halte. Wer für die erkannte Wahrheit und den Werth desjenigen, was er vortragen soll, eingenommen, auf das Beste seiner Zuhörer bedacht ist, den Zweck, warum er lehret3999, immer vor Augen hat, und mit Besonnenheit und Ueberlegung handelt, wird sich nicht nur lustige Ausschweifungen, Ausfälle auf Andere, u. d. gl.und dergleichen 4000 nicht erlauben; er wird selbst das Nützliche von dem Unfruchtbaren, das [219] überhaupt Nützliche von dem, was denen, die ihn hören, zuträglich ist, absondern, also auch zu tief geschöpfte, aus dem Innersten der Wissenschaften hervorgezogne4001, mehr zur vollkommnern Erkenntniß und für schon Eingeweyhete4002, als zur allgemeinern Kenntniß einer Wissenschaft,4003 und für Anfänger,4004 gehörende feinere Bemerkungen und Untersuchungen übergehen; er wird sich hingegen die Mühe nicht verdrießen laßenlassen 4005, auch sehr bekannte, und ihm selbst kaum noch interessirende,4007 Sachen vorzutragen, wenn sie zur voll[199]ständigen, deutlichen und gründlichen Einsicht in die vorzutragende Wissenschaft gehören.
Bey4009 einem Lehrer, von den4010 man wirklich, zumal nach den Zeitbedürfnissen, Nutzen ziehen will, kommt 5) sehr viel darauf an, ob er in der Erkenntniß der Wissenschaft, die er lehrt, und in Verbesserung seines Vortrags,4011 immer fortschreite. Freylich kan4012 er nicht lauter Neues sagen, darf es auch wegen seiner Zuhörer nicht. Er muß [793] nicht nach dem Neuen und Ausserordentlichen4013 haschen, noch4014 über dem Neuen, 4015 oft nicht der Rede werthen4016, bewährte alte Wahrheit4017 vergessen, oder 4018 übergehen – zwey4019 Fehler, die gemeiniglich aus Eitelkeit,4020 und bloßer4021 Begierde zu gefallen, herrühren. Er hat nicht nöthig, es immer zu sagen, daß Etwas neu sey4022, oder daß er Etwas in Rücksicht auf gangbare Streitigkeiten berühre – ein Fehler, der die Zuhörer leicht verwöhnt, und ihnen alles4023, was nicht ausserordentlich4024 ist, unin[220]teressant macht;4025 – er kan4026 oft besser das Neue oder Ungewöhnliche verstecken, im Vertrauen auf die verständigen Zuhörer, die das Gesagte auch auf Zeitbedürfnisse wohl anwenden werden. Auch können gewisse Theile einer Wissenschaft von ihm so gut durchdacht, mit so guten Bestimmungen und Gründen unterstützt, durch treffende Beyspiele4027 so gut aufgeklärt seyn, daß Abänderung desjenigen, was er sonst darüber gesagt hat, unnöthig, oder selbst schädlich seyn würde. Allein in den Wissenschaften gehen die Verbesserungen, wenigstens Abwechselungen, und zu gewissen Zeiten gehen sie mit sehr schnellen Schritten,4028 fort. Es muß also ein akademischer Lehrer, der wirklich Interesse für die Wahrheit und für die Vollkommenheit einer Wissenschaft4029 hat, der selbst vornemlich4030 dazu bestellt ist, den Fortgang und die Erweiterung der Wissenschaften zu befördern, alle solche Veränderungen sich nicht nur wohl bekannt machen; er muß sie auch prüfen, sichten, und das würklich4031 Gegründete und Nützliche nicht unbenutzt laßen4032; und dies4033 um so [794] mehr, da sonst seine wißbegierigen Zuhörer bald glauben werden ihn zu übersehen, und, was für die Wahrheit selbst noch schlimmer ist, das Neue, was sie hören oder lesen, ungeprüft annehmen, oder in ihrer Ueberzeugung irre, oder doch von ihm gegen Mißverstand und Zweifel nicht genug gedeckt werden. Wie viele Verbesserungen leidet nicht auch selbst der gute Vortrag, und wie viele Gelegenheit findet nicht der aufmerksame Lehrer, selbst das Alte und Bekannte durch neue Zusätze [221] zu erweitern, verständlicher4034 und einleuchtender zu machen, genauer zu bestimmen, besser auszudrucken, interessanter darzustellen, und fruchtbarer anzuwenden?
Noch giebt es 6) ein sehr gegründetes Vorurtheil gegen einen4039 Lehrer, wenn man weiß, daß er seine Vorträ[201]ge ohne gehörige Vorbereitung halte. [795] Denn, wenn er auch die größesten4040 Fähigkeiten, Kenntnisse und Gabe zu sprechen besäße4041; so ists doch unmöglich, daß ihm, zumal wenn er an Einem Tage vielerley4042 Beschäftigungen hat, alles das bey4043 einer Vorlesung gleich beyfiele4044, alle Sachen und Worte sich in der Ordnung, mit der Präcision, mit der Lebhaftigkeit darstellen4045, wie es würde geschehen seyn, wenn er das vorher wohl durchdacht hätte, was er sagen wollte. Es4046 ist [222] vielmehr ohne diese Zubereitung4047 nothwendig, daß er oft verlegen seyn, in Verwirrung gerathen, das erste beste4048 ergreifen, seine Zuhörer mit Nebendingen unterhalten, wenigstens das Zweckmäßigste versäumen oder vernachläßigen4049 müsse. Der Mangel deutlicher Auseinandersetzung und des ordentlichen Zusammenhangs, nebst der Beymischung4050 ganz fremdartiger, oder der ermüdenden Ausdehnung bekannter Sachen, verräth diesen Fehler bald; und wer viele Geschäfte hat, und doch dabey4051 täglich viele Vorlesungen hält, hat die höchst wahrscheinliche Vermuthung gegen sich, daß er sich dieser Nachläßigkeit4052, unvorbereitet zu lesen, schuldig mache, selbst deswegen, weil ihm eben diese Menge der Arbeiten nicht Zeit genug läßt, vor4053 sich seine Kenntnisse zu erweitern, alles etwa Eingesammlete4054 zu prüfen und zu sichten, die nöthige Wahl dessen, was er weiß, für seine Zuhörer zu machen, und die Heiterkeit des Geistes zu behalten, die zum guten Vortrag4055 so nöthig, und, weil man zu einer gesetzten Zeit ihn halten muß, oft so schwer zu erhalten ist.
Hat man sich, nach den bisher beschriebenen Regeln der Vorsichtigkeit, zum Unterricht in einer Wissenschaft denjenigen Lehrer gewählt, der unter allen, die man haben kan4102, dem angegebenen Muster am nächsten kommt:4103 so [204] muß man ihm, auf einer Seite alles vernünftige Vertrauen schenken, auf der andern sich für4104 aller blinden Anhänglichkeit an ihm hüten. – Je weniger man selbst Fähigkeiten, vornemlich4105 je weniger man Verstand hat, je träger und unthätiger, je mehr man in Kenntnissen, besonders in einer Wissenschaft, noch zurück ist, je weniger man andere Lehrer in eben dem Fache kennt, und je mehr man Stolz besitzt, der, wenn er in sich selbst nichts findet4106 was ihm4107 stützen könnte, sich gern auf Andere lehnt, und durch erborgtes Licht zu glänzen sucht: desto mehr ist man in Versuchung, sich bloß an das Ansehen seines Lehrers zu hängen, ihm ungeprüft zu folgen, und ihn über alle andre4108 zu setzen; desto unfähiger auch, künftig selbst ein [226] Lehrer zu werden. Oft ist der Lehrer selbst Schuld [799] daran; und, um sich von dieser Seite gegen blinde Achtung4109 desselben4110 zu verwahren, würde sehr dienlich seyn, in dem FallFalle, daß4111 jener, anstatt bedächtig und bescheiden zu untersuchen, gern ruhmredig von sich und seinen Kenntnissen oder Erfindungen spricht, und sich wegwerfende oder verachtende Machtsprüche erlaubt, desto mehr gegen ihn auf seiner Hut zu seyn; auch, wenn man es kan4113, mehrere Lehrer, und, wo möglich, auf mehrern Universitäten, zu hören, welches auch noch den Vortheil hat, daß man viel Mehreres lernt, und sich nicht so sehr an einseitige Beurtheilung gewöhnt.
Hinwiederum entspringt das zu wenige Vertrauen auf den gewählten Lehrer und die herabsetzende Kritik, die man sich gegen ihn zu Gute hält, aus eben denselben Quellen, nur daß sie mit etwas mehrerem4115 Dünkel versetzt ist, der durch Disputirgeist, durch Gewohnheit4116 schnell abzuurtheln,4117 [205] und vor bedächtiger Untersuchung zu entscheiden, so wie durch dem Umgang mit gleich rasch urtheilenden Leuten, oder mit Gelehrten, deren Urtheile man gern auffängt, und sich mit ihnen, als mit seinen eignen4118 Federn schmückt, erzeugt und genährt wird. Je mehr man den großen4119 Werth der zumal einen Jüngling so wohl kleidenden Bescheidenheit (§. 111. 4120) erkennt, und diese Tugend annimmt; je mehr man sich selbst und seine Schwächen studiert; je mehr man sich zu überzeugen [227] sucht, daß Verstand nicht vor den Jahren [800] reif werde4121, und daß Männer, die schon viel studiert, gedacht, und sich in Untersuchungen geübt haben, natürlich weiter müssen gekommen seyn, als der Anfänger, auch bey4122 dem besten Kopf; je mehr man endlich bedenkt, wie sehr man sich bey4123 Verständigern und Kennern durch dieses jähe Absprechen verächtlich, und durch Undankbarkeit verhaßt mache: je mehr wird man sich gegen diese Unbescheidenheit verwahren. – Allerdings muß aber das Vertrauen auf seinen Lehrer vernünftig seyn. Einiges, was der Lehrer vorträgt, kan freylich4124 der Zuhörer auch schon wissen und beurtheilen, Vieles aber auch nicht. Was der Lehrer anders nicht als bloß versichern (§. 134. 4125 (Anm.)Anmerkung 1.), nicht,4126 den Beweis davon4127 führen, oder ihn begreiflich machen kan, darinn4128 muß man ihm glauben, bis man anderwärtsher von dem Gegentheil überzeugt wird, oder man muß auf alles Lernen von Andern Verzicht thun. Was die Wahl der vorzutragenden Sachen und die Methode betrift4129: so muß man es ihm, als den4130 Verständigern und Geübtern, zutrauen, daß er am besten wissen werde, was das Zuträglichste sey4131. Wenn man aber glaubt, etwas schon besser zu wissen oder beurtheilen zu können:4132 so ists doch [206] vernünftig, sein Urtheil aufzuschieben, bis man Gründe und Gegengründe richtig gegen einander abgewogen, und dem Lehrer selbst seine Zweifel vorgelegt hat, überhaupt aber sich zu bescheiden, daß man, wegen Mangel an Kenntnissen, Erfahrung und Uebung, leichter irren und einseitig urtheilen könne, als Andre4133, die, nach allen Regeln der Wahrschein[801]lichkeit, es in Kenntnissen und Fertigkeiten4134 schon weiter gebracht haben.
Will man den gewählten Lehrer so gut benutzen, als man immer kan:4136 so kan dies4137 eben sowohl durch den Umgang als durch Unterricht geschehen. – Bey4138 Benutzung seines Unterrichts 4139 hängt sehr viel davon ab, daß man sowohl auf die mannigfaltige4140 Art sehe, wie man ihn zu seinem Vortheil brauchen könne, als auf die dazu nöthige Gemüthsfassung. Von der Letztern4141 ist schon oben geredet worden (§. 110 flgg.folgende); f.folgend), 4142 und ich darf nur noch insbesondre4144 an den ununterbrochenen Fleiß bey4145 Besuchung der Vorlesungen erinnern, dessen einmalige Unterbrechung öftere nach sich zieht, und bald zur bösen Gewohnheit, allemal aber deswegen nachtheilig wird, weil jede Lücke Dunkelheit zurückläßt, den Zusammenhang zerreißt, und der Docent im Folgenden auf dasjenige bauet, was er, als aus dem Vorhergehenden bekannt, voraussetzt. – Also hier nur noch Etwas über die Art, den akademischen Unterricht zu benutzen.
Die nächste Absicht bey4147 Errichtung der Universitäten und dem daselbst eingeführten Un[229]terricht, war: angehenden [207] Studierenden, nach genugsamer Vorbereitung auf Schulen, Belehrung über diejenigen Wissenschaften zu verschaffen, [802] die sie bey4148 der besondern Art ihres künftigen öffentlichen Berufs nöthig hätten, so fern4149 dieser Beruf4150 gelehrter Kenntnisse bedarf, und zwar eine solche Belehrung, die sie mit dem Hauptinhalte jeder Wissenschaften im Zusammenhange bekannt machen, und zur Grundlage bey4151 dem eignen4152 weitern Fortbaue darinn4153 dienen könnte. Man setzte also Jünglinge voraus, die auch hierinn4154 wollten Männer werden, sich nicht mit dem akademischen Unterricht, nicht einmal mit der bloßen4155 Anwendung desselben,4156 begnügen, sondern wirklich weiter fortbauen. Wie könnt' er auch sonst Vorbereitung auf die künftige verständige und weise Führung eines öffentlichen Amtes werden? Daraus folgt, daß der4157, wer auf Universitäten studiert, keineswegs seine Pflicht erfülle, wenn er bloß Unterricht empfängt und einsammlet 4158; welches allein ohnehin der Selbstthätigkeit eines vernünftigen Menschen unwürdig ist; sondern daß er nur dann jene Absicht erreiche: –4159 wenn er sich das Gelernte zu eigen macht,4160 –4161 wenn er es als Gelegenheit zum weitern Nachdenken und Anwendung braucht, –4162 und wenn er dem Lehrer die Art ablernt, wie man bey4163 Auffindung, Untersuchung und Mittheilung der Wahrheit verfahren müsse.
Die Gedanken eines Andern werden alsdann die meinigen 4165, wenn ich4166 nicht nur eben das bey4167 seinen Worten oder Zeichen denke4168, was er dadurch wollte zu verstehen geben, sondern auch [803] noch vielmehr, wenn ich4169 sie, wie er, für wahr und gut erkenne4170. Dadurch gehen sie in meine4171 Vor[208]stellungen, in meine4172 Ueberzeugung und in meine4173 Neigungen über; und so lange sie nicht auf diese Art mein4174 Eigenthum worden4175 sind, kan ich4176 sie weder für mich4177 noch für Andre4178 brauchbar machen, weil sie mit meinen4179 übrigen Gedanken und Neigungen nicht zusammenfließen4180. Wenn ich4181 das, was ich4182 von Andern gehört oder gelesen habe4183, nicht wörtlich wiederhole4184, sondern in meine eignen4185 Worte einzukleiden,4186 und mir4187 aus der Sprache und aus der Absicht desjenigen, von dem ich4188 sie habe, bey4189 dem Gebrauch derselben, Grund anzugeben weiß4190, warum ich4191 es so verstehe4192; wenn ich mir4193 eben so Rechenschaft geben kan4194, warum ich4195 es für wahr halte4196, zumal wenn ich4197 es durch eigne4198 Gedanken zu verbessern oder zu vermehren weiß4199; wenn ich erkenne4200, wozu ich4201 es brauchen kan4202, und es in irgend ein Verhältniß mit meinen4203 Bedürfnissen zu setzen verstehe4204: dann kan ich4205 gewiß wissen, daß ich4206 es in mein Eigenthum verwandelt habe4207.
Ich kan4209 aber noch weiter gehen, und es [231] auch als mein4210 Eigenthum verarbeiten, um mir4211 gleichsam als mit meinem eignen Capital4212 Zinsen zu erwerben, welches dadurch geschieht, wenn ich4213 es als Gelegenheit benutze 4214, weiter darüber nachzudenken, 4215 und es anwenden anzuwenden 4216 (§. 141). 643.). Dies4217 führt mich4219 auf eigne 4220 Entdeckungen, wodurch [804] meine4221 Kenntnisse mit neuen bereichert werden, und selbst das von Andern Gelernte mehr berichtigt, bestätigt, und nutzbar gemacht wird. Wer dies4222 nicht thut und auf diese Art mit seinen Kenntnissen wuchert,4223 wird zwar ein nützlicher und treuer Lehrer werden können, aber immer nur mittelmäßig bleiben, ohne die Gränzen seiner Wissenschaft zu erweitern.
Nächst dem4225 läßt sich aus dem Vortrag4226 des Lehrers noch mehr Nutzen ziehen, wenn ich4227 nicht bloß von ihm, obgleich mit eignem4228 Fleiß, lerne 4229, nicht bloß von dem Gelernten Anlaß zu eignen4230 Entdeckungen nehme4231, sondern auch ihm ablerne 4232, wie ich4233 es anzustellen habe, um Etwas zu finden, zu prüfen, und Andern mitzutheilen (§. 141 643 ). Denn4234 sonst bleibt mein4236 Lernen immer noch zu mechanisch, und mehr, obgleich eigne,4237 Wiederholung desjenigen, was er gesagt hat;4238 und, wenn mich4239 auch mein eigner4240 Kopf auf weitere Entdeckungen führt, so werde ich mir4241 doch diese sehr erleichtern4242 und vervielfältigen4243, wenn ich4244 auf die Quellen, woraus4245 er4246 schöpft, Acht gebe4247, um sie [232] selbst zu benutzen, und mir4248 aus der Wahrnehmung des Verfahrens, das er beobachtet, allgemeine Regeln abziehe4249, die mich bey4250 ähnlichen Fällen leiten können4251. Gesetzt dann4252 auch, daß ich4253 Vieles von dem, was der Lehrer gesagt hat, nicht lerne,4254 oder wieder vergesse:4255 so werde ich4256 doch durch dieses Absehen der Regeln und der Art, nach ihnen zu verfahren, eine Menge von [805] Grundsätzen gewinnen, die immer, wenn gleich in ganz andern Fällen, mir große4257 Dienste thun werden, so wie dadurch und durch mein eignes4259 Nachdenken (§. 143) mich4260 so gut üben, daß ich4261 eine Fertigkeit erhalten werdewird, selbst4262 Vieles, was ich4264 in dem Vortrag4265 des Lehrers überhört habe4266, und 4267 noch Mehreres 4268 zu finden.
Doch auf den recht nützlichen Gebrauch der akademischen Vorlesungen insbesondere zu kommen, so ist es sehr nützlich, vor Anhörung der einzelnen Stunden, in dem [210] Buche, worüber gelesen wird, das bedächtig durchzugehen, was in dieser Stunde möchte erklärt werden, und sich das zu bemerken, was man nicht versteht, oder worüber man vorzüglich Erklärung wünscht. Denn dies erspart nicht nur unnöthiges Nachschreiben, sondern es befördert auch die Aufmerksamkeit, und, wenn diese auch in der Stunde erschlaffte, so wird man doch dasjenige wenigstens vorzüglich bemerken, was uns am meisten intereßirt4270, oder uns sonst bey4271 dem Studium der Wissenschaften am meisten aufhalten möchte.
Bey 4273 dem Anhören des Vortrags selbst4274 läßt sich zwar das dreyfache4275 Verhalten (§. 142–144 4276) nicht ganz zugleich und mit genugsamer Anstrengung beobachten. Es ist genug, wenn man vor [806] der Hand nur auf das erste (§. 142 4277) bedacht ist, und alle Aufmerksamkeit auf den Vortrag mitbringt, um durchaus demselben mit seinen4278 Gedanken zu folgen, und das Gesagte nicht bloß mit dem Gedächtnisse,4279 sondern auch mit dem Verstande aufzufassen; sichs also bewußt ist, ob und was man dabey4280 denke, ob es uns einleuchte oder zweifelhaft bleibe, nutzbar scheine oder nicht. Wer zu Wissenschaften wirklich aufgelegt ist, bey4281 dem wird, selbst unbemerkt, die Kraft und der Trieb nachzudenken, anzuwenden, und sich allgemeine Regeln des Verfahrens abzuziehen, doch schon wirksam seyn; und diese Kraft weiter bey4282 dem Gehörten zu brauchen, bleibt der Zeit der Wiederholung,4283 und überhaupt der künftigen Zeit,4284 ohnehin vorbehalten.
Sehr rathsam ist es, bey4286 Anhörung des Vortrags sich Einiges von dem, was man hört, mit vernünftiger Wahl [211] aufzeichnenaufzuzeichnen. Denn4287 [234] dies befördert die Aufmerksamkeit, weil man auch den uns oft störenden Augen und Händen eine Beschäftigung giebt. Es druckt die Sachen4288 dem Gedächtniß besser ein, und ist bey4289 solchen Sachen, die uns4290 meist oder durchaus unbekannt sind, beynahe4291 unentbehrlich. Was man hintennach wieder vergessen hat, ist denn doch nicht verloren, und das Aufgeschriebne4292 erinnert uns4293 wieder an das, was dem Gedächtniß entwischt4294 war. Man gewöhnt sich auch dadurch, einen ausführlichen [807] Vortrag zu concentriren, und auf die Hauptsachen zusammen zu ziehen, welches uns4295 hernach bey4296 dem Lesen der Bücher und bey4297 dem eignen Denken große4298 Dienste thut. – Aber nur Einiges4299, und mit vernünftiger Wahl4300, müßte man aufschreiben. Sonst4302 fällt der letzterwähnte Nutzen weg; selbst die eigentliche Aufmerksamkeit leidet darunter, weil das Anhören bloß mechanisch geschiehet4303; und man ist dabey4304 ganz ausser Stande, sichs bewußt zu seyn, ob man es auch verstehe, und, noch vielmehr,4305 nachzudenken.
Soll dieses NachschreibenNachschreiben4315 nicht seinem Zweck4316 mehr hinderlich als förderlich seyn:4317 so muß es erstlich in mög[212]lichster Kürze und Geschwindigkeit geschehen, um weder zu ermüden, noch über dem Nachschreiben etwas, vielleicht Wichtigeres, vom [808] Vortrage zu überhören. Und dies wird sehr erleichtert, wenn man, mit Bemerkung dessen, was eigentlich die Sachen angeht, alles4318 wegläßt, was im Vortrage fremdartig oder bloße4319 Einkleidung ist; wenn man sich vor der Stunde den Text, worüber gelesen wird, wohl bekannt macht (§. 145 4320); und wenn man sich gewöhnt, nicht sowohl mit Abkürzungszeichen zu schreiben, als vielmehr mit Zahlen und Zeichen, die auf den Text verweisen, und bloß mit einzelnen4321 Wörtern die Hauptgedanken, und so viel anzumerken, als hinreichend ist, uns4322 an das Uebrige leicht wieder zu erinnern. – Nächst dem muß man mit weiser Wahl aufzeichnen, aus eben den und andern §. 147 649. angegebnen4323 Ursachen; also – mit gänzlicher Uebergehung alles dessen, was schon im Text4325 steht, was man sonst schon weiß, oder von selbst finden, oder wessen man sich durch Hülfe des Andern leicht wieder erinnern kan4326, – die Hauptge[236]danken mit den angegebenen Bestimmungen, zumal wenn sie uns noch gar nicht bekannt sind, und wir sie nicht durch Nachdenken ergänzen können; die Gründe und treffende Beyspiele4327, womit die Bemerkungen unterstützt oder erläutert werden; was der Lehrer zu reiferer Untersuchung, oder was er besonders der Aufmerksamkeit empfiehlt; und was uns selbst, während des Vortrags, zur Aufklärung, Bestätigung oder Bezweifelung einfällt. – Angestrengte Aufmerksamkeit, Verstand und Uebung gehört freylich4328 dazu:4329 aber wer jenes beydes4330 besitzt, dem wird die Uebung, und dadurch auch eine zweckmäßig vollständige Aufzeichnung des Gehörten bald geläufig werden; vornemlich4331, wenn er bey4332 der Wiederholung wahrnimmt, was ihm von dem Gehör[213]ten entgangen ist, und er das Aufgezeichnete, nebst dem, was ihm dadurch erinnerlich wird, mit dem vergleicht, was Verständigere oder Geübtere ihm einzuhelfen wissen.
4333Nach vollendeter Vorlesung ist nicht das weitere Abschreiben des Gehörten oder4335 das Nachlesen gewisser Schriften über eben die Sachen, die man gehört hat, nöthig. Beydes nimmt4336 viel Zeit weg, die man besser anwenden kankann. Jenes4337 befördert auch die Trägheit und das schädliche Vertrauen auf seine HefteHefte4339 (§. 147). 147.) Für4340 das weitre Nachlesen4342 ist die Zeit auf Universitäten [237] nicht bestimmt, wo man nur4343 hören und darüber denken4344 soll. Es4345 verwirrt auch den Zuhörer, weil in Schriften oft 4346 ganz was Andres4347 über die Sache gesagt, oder das Nemliche4349 anders vorgetragen wird;4350 oder es stehet4351 oft das Gelesene mit dem Gehörten in4352 Widerspruch, und setzt in unzeitige Verlegenheit, wenn man beydes4353 nicht mit einander vereinigen, oder beurtheilen kan4354, welches von beyden4355 das Bessere sey4356. – Vielmehr wiederhole man bloß das Gehörte, ohngefehr so:4357 daß man sich, allenfalls mit Hülfe des erklärten Textes, doch noch besser ohne denselben, wieder das zu vergegenwärtigen suche4358, was man gehört hat, und es sich gleichsam selbst vortrage4359; oder, wenn wir ja so selbst nicht alles wieder finden, daß man dann das erläuterte Buch oder das NachgeschriebenesNachgeschriebene4360 zu Rathe ziehe4361; daß man [810] darüber nachdenke,4362 und sich das, was uns dagegen oder darüber beyfällt4363, wenn man es nicht gleich auflösen oder genug beurtheilen kan4364, aufzeichne, um es ein andermal bey4365 mehrerer Muße und weiter erlangten Aufschlüssen genauer zu untersuchen, oder darüber, zumal wenn man etwas nicht recht verstanden oder gefaßt hat, Andere, die weiter sind, oder noch lieber den Docenten selbst, zu befragen. – Kan man das Gehörte in Gesellschaft Andrer wiederholen, so gewinnt man noch mehr dabey. Doch davon nachher.4366
4367Ausser4369 dem akademischen Vortrage 4370 sollte man ja nicht unterlaßen4371, auch aus dem Umgange mit seinen Lehrern den möglichsten Nutzen zu ziehn4372. – Es gehört, dünkt mich,4373 schon zur Dankbarkeit gegen sie, die jeder gutgeartete Jüngling für eine seiner theuersten und angenehmsten Pflichten halten wird, ihnen Beweise seines Vertrauens nicht vorzuenthalten, als wodurch allein das engere, für Beyde4374 so wohlthätige,4375 Band der Freundschaft geknüpft werden kan4376. Ein edeldenkender Lehrer, dem es mehr um das Verdienst, als um den Verdienst zu thun ist, wünscht gewiß, seinem Zuhörer so nützlich als möglich zu werden, nicht nur um ihn zu Aemtern4377 oder Wohlthaten zu verhelfen, wenn es in seiner Gewalt steht, sondern, was weit wichtiger ist, so viel, als er kan4378, zu seiner Bildung beyzutragen4379. Um jenes, nach den wahren Be[811]dürfnissen desselben und mit gutem Gewissen zu thun, muß er ihn, nach seinen Fähigkeiten, Fleiß und Charakter kennen;4380 und dazu hat er ausser4381 dem nähern Umgang keine Gelegenheit. Um, mehr als nur im Allgemei[215]nen an seiner Bildung zu arbeiten, ihm mehr als nur durch Verbesserung seiner Erkenntniß zu nützen, muß er mehr Gelegenheit haben4382 als den bloßen4383 öffentlichen Vortrag. Und den Lehrer, unter so manchen drückenden Umständen, bey4384 guten Willen zu erhalten, ihn zu jener vielumfassenden Wohl[239]thätigkeit zu ermuntern,4385 was kan4386 erheiternder seyn, als wenn er unter so vielen, die zu dem Stand4387, dem sie sich äusserlich4388 widmen, wenig oder gar keinen innern Beruf haben, die wenigen Auserwählten, die wahre Blüthe der Jugend, auf der so sehr die Hoffnung der allgemeinern Glückseligkeit der Welt beruht, wenn er die kennen lernt, wenn er sich, an diesen wenigstens, nicht vergebens gearbeitet zu haben, freuen, mit diesen in engere Verbindung treten kan4389, um mit angestrengterem und vorzüglicherm4390 Fleisse an ihnen, und, durch sie, an dem allgemeinen Besten zu arbeiten?
Wirklich hat dieser Umgang auch für den studierenden Jüngling ganz eigne4392 Vortheile. Er kan4393, durch nähere Befragung des Lehrers, das, was er nicht verstanden hat, besser verstehen lernen, seine Zweifel in seinen Schooß ausschüt[812]ten, umständlichere und genauere Belehrung einziehen. Er kan4394 da von ihm Vieles4395 lernen, was der Lehrer im öffentlichen Vortrage nicht berührte, es sey4396 daß es ihm nicht beyfiel4397, oder die Gränzen der Zeit, es zu sagen und auszuführen, nicht erlaubten, oder daß er Bedenken fand4398 vor einem vermischten Haufen zu sagen, was er gern in dem freyern4399 vertraulichen Umgang4400 denen mittheilt, die es tragen können, die dessen bedürfiger4401 [240] sind, für die es auch, weil es durch ihre eignen4402 Fragen oder Gedanken veranlaßt wird, [216] mehr Interesse hat. Der Lehrer kan4403 da weit mehr mit Rücksicht auf die besondern Bedürfnisse und Fähigkeiten des Zuhörers sprechen, als in dem Vortrag4404 vor sehr verschiednen4405 Zuhörern. Er kan4406 ihm, so zu reden, mehr Handgriffe zeigen, ihn auf den Werth der Sachen und ihrer Bestimmungen aufmerksamer machen, ihm die nützliche Anwendung derselben auf besondre4407 Fälle einleuchtender zeigen. Dem Zuhörer werden dann auch die Vorlesungen werther; weil sie ihm durch das im Privatumgang Gehörte verständlicher werden; weil er nun glauben kan4408, was der Lehrer da öffentlich sagt, das sage er mit veranlaßt durch seine Fragen, und er habe dadurch Gelegenheit zu öffentlicher Belehrung Mehrerer gegeben; dies4409 wird seinen Fleiß noch mehr, es wird ihn selbst ermuntern, sich durch seinem4410 Fleiß dem Lehrer noch beliebter zu machen. Und wie viele Gelegenheit bekommt dieser nun, auch den Charakter und das Herz seines Zuhörers mehr zu bilden, ihn mit der vollen Vertraulichkeit eines [813] Vaters oder Freundes4411 zu vermahnen, ihm zu rathen, ihm alles Gute zu erleichtern? Für4412 wie vielem Unfleiß und wie vielen4413 Ausschweifungen wird dieser sich hüten, wie viele Fehler abzulegen suchen, um sein Vertrauen nicht zu verlieren, und sich seines nähern wohlthätigen Umgangs nicht unwürdig zu machen? Welche vertraulichere Freundschaft wird durch dies4414 alles zwischen beyden4415 ent[241]stehen, deren Folgen sich auch auf die Zukunft, weit über die Zeit des kurzen akademischen Lebens, erstrecken werden?
Das Studieren auf Universitäten und die gute Gelegenheit, sich da, in Vorlesungen und durch den Umgang mit seinen Lehrern, zum Gelehrten oder zum Geschäftsmann zu bilden, so fern dieser auch gelehrte Kenntnisse nöthig hat, [244] ist doch immer nur Vorbereitung auf einen künftigen Stand, zu welchen4448 sich immer fähiger zu machen, eigner 4449 Fleiß eben so nothwendig ist, als zu der wirklichen Benutzung des akademischen Unterrichts und Umgangs. Dieser Fleiß beruht auf einer gehörigen Vertheilung seiner Zeit, und schließt, so fern er Privatfleiß, oder von dem verschieden ist, der sich bloß mit Anhörung und bloßer4450 Wiederholung der Vorlesungen beschäftigt, dreyerley4451 Uebungen in sich: – eignes4452 Nachdenken und Nachforschen in den Wissenschaften, nebst den Versuchen, etwas Zusammenhängendes auszuarbeiten; –4453 gelehrte Uebungen in Anderer Gesellschaft;4454 – und4455 das Lesen gelehrter Schriften, mit Anwendung des Gefundenen auf die Erweiterung unserer4456 gelehrten Kenntnisse.
Wer seine Zeit wohl einzutheilen weiß, findet allezeit gleich etwas, womit er sich nützlich beschäf[816]tigen kan4463, ohne lange Weile zu haben, oder die Zeit mit der Ueberlegung zu verderben, was er jetzt wohl am besten thun könnte? Er findet auch zu allem4464, was er sich zu thun vorgesetzt hat, seine Zeit;4465 weil er nichts unternimmt, wozu er nicht schon zum voraus sich eine bestimmte Zeit angewiesen hat, und weil er diese gerade zu dem bestimmten Zweck anwendet. Er gewöhnt sich auch dadurch zur Ordnung (§. 114 4466), und, wenn er sich an seine einmal festgesetzte Zeit genau hält, ohne sich durch Laune oder andre4467 zufällige Umstände zu Ausnahmen verleiten zu laßen4468, gewöhnt er sich auch zu der unschätzbaren Fertigkeit, selbst das, was ihm beschwerlich oder nicht gemüthlich ist, aus Pflicht zu thun. – Diese Vortheile zu erhalten4469 mache man sich, wenigstens auf eine gewisse bestimmte Zeit, einen wohl überlegten Entwurf, wie man seine Arbeiten und etwa vorkommende Geschäfte täglich vertheilen wolle; man überdenke, zu welcher Zeit sich schwerere oder leichtere Arbeiten am besten verrichten laßen4470, wie eine die andere erleichtern oder vorbereiten könne, wie und wenn4471 man das gleich ersetzen wolle, wovon man zu der festgesetzten Zeit durch [246] unvermeidliche Umstände gehindert worden ist; und halte streng über diesen4472 Entwurf. Dies4473 wird uns4474 zugleich zu der edlen4475 Zeitsparkunst gewöhnen, und den so schädlichen Vorsatz verhüten, alles4476 lernen zu wollen, was man als nützlich erkennt, über welchem [220] man, bey4477 dem ungeheuren Umfang4478 des Wissenswürdigen, und dem eingeschränkten Maaß menschlicher Kräfte, sich vor der Zeit schwächt, seinen Fleiß zerstreut, und bey4479 allen dem Vielen, was [817] man lernt, es in Keinem zur rechten Vollkommenheit bringt.
4480Von dem eignen 4482 Nachdenken, als der ersten Art von Uebungen (§. 152 4483), ist schon oben geredet worden4484 (§. 143).4485 Das eigne4486 Nachforschen (§. 152 4487) begreift noch mehr; es schließt auch das Sammlen4488 und Aufzeichnen desjenigen in sich, was uns selbst gelegentlich bey4489 dem Lesen, Hören oder Denken über Wissenschaften beyfällt4490, oder was wir von Andern mitgetheilt bekommen, aber noch bis auf weitere Prüfung und Sichtung zurücklegen müssen, weil es entweder bloße4491 Fragmente und unvoll[247]ständige Kenntnisse sind, oder wir es noch nicht genug beurtheilen können, [221] oder weil wir darüber würden den Gang bestimmter Beschäftigungen unterbrechen müssen. – So viel, als4492 hier von eignen4493 Aufsätzen und deren Ausarbeitung zu sagen wäre, kan4494 man aus dem abnehmen, was oben Theil 1.4495 §. 88. 89 4496 und am Ende des zweyten4497 Abschnitts im dritten Theil gesagt ist. Hier mögen nur noch folgende Anmerkungen stehen. – Man thut wohl, wenn man frühzeitig sich seine Gedanken, seine Gründe für4498 und seine Zweifel wider eine Sache, auch so viel, als man zu deren Beurtheilung beyzubringen4499 vermag, aufschreibt, und sich eher dadurch übt, als man Aufsätze auszuarbeiten unternimmt. – Will man sich in eignen4500 Aufsätzen üben, so ist es viel leichter und von 4501 mannichfaltigerm4502 Nutzen, wenn man Anderer Meinungen und Aufsätze worüber4503 prüft, als wenn man [818] selbst seine Gedanken ausführen will. Denn4504 Fehler zu entdecken ist leichter, als selbst etwas besser zu machen. Der Vorrath von Kenntnissen ist bey4505 Anfängern noch nicht sehr reich,4506 und der Uebungen sind sehr viele nöthig, ehe man etwas Eignes4507 nicht gar zu Gemeines liefern kan. Bey4508 der Prüfung fremder Aufsätze hat man immer etwas, woran man sich halten kan4509, was selbst eine Quelle oder Veranlaßung4510 zu Gedanken wird. Man gewöhnt sich auch dadurch den Sinn Anderer [248] besser aufzufassen, strenger in Beurtheilung der Gründe zu werden, nothwendige Bestimmungen oder Einschränkungen aufzufinden,4511 kurz,4512 eine Sache auf mehrern Seiten zu betrachten. – Die meisten dieser Vortheile zu erreichen4513 wäre auch der Vorschlag nicht undienlich, sich aus gelehrten und zusammenhängend geschriebenen Büchern bisweilen eine Art von gedrängtem Auszug zu machen, wodurch der wesentlichste Inhalt im Zusammenhange dargestellt,4514 oder in einer Art von [222] genauen Tabelle aufgeführt würde. Man gewöhnt sich dadurch, allesAlles,4515 was ein Andrer, und sonach auch was man selbst,4517 über einen Gegenstand ordentlich gedacht hat, wohl zu concentriren, das Wesentliche vom Zufälligen abzusondern, und einem4518 Aufsatz nebst dem Verhältniß seiner Theile gegen einander besser und geschwinder zu übersehen; man gewöhnt sich zur Ordnung und zum zusammenhängenden Denken, welches uns bey4519 unseren eignen4520 Aufsätzen hernach sehr zu Statten kommt. – Daß man übrigens, wenn man etwas selbst ausarbeiten will, immer nur [819] das, dem man gewachsen ist,4521 und was man wohl durchgedacht hat, wählen, es in der Absicht, sich im ordentlichen Vortrage zu üben, unternehmen, der Anwandelung4522, ein Schriftsteller zu werden, nicht bald nachgeben, und eher etwas drucken zu laßen4523 sich nie entschließen4524 müsse, als bis man sich lange geübt, [249] viel Kritik darüber von Verständigern gehört hat, und etwas Neues oder auch das Bekannte4525 neu zu sagen weiß – dies4526 sollte sich wohl von selbst verstehen.
Gelehrte Uebungen in Gesellschaft mit ihres Gleichen,4528 (§. 152 654. ) kan4529 man jungen Studierenden nicht genug empfehlen; sie mögen in gemeinschaftlicher Wiederholung4531 der Vorlesungen, 4532 oder in verfertigten Aufsätzen,4533 die man von Andern4534 streng, nach Sachen und Ausdruck, beurtheilen läßt, oder im Disputiren4535, zumal über dazu entworfene Ausarbeitungen, bestehen. – Solche Uebungen, vornehmlich das DisputirenDisputiren4536, ist ein sehr gutes Mittel,4537 zu erfahren, ob man das Gehörte recht gefaßt und verstanden, ob man dar[223]über wirklich nachgedacht habe, ob man davon und von seiner vermeinten Ueberzeugung Rechenschaft geben,4538 und eines Andern Gedanken in seine eigne4539 umkleiden könne? Mehrere sehen weiter als Einer, und leiten uns durch ihre Zweifel oder Erinnerungen auf Dinge, woran wir vielleicht nie gedacht hätten,4540 sie [250] veranlaßen4541 wenigstens weitere Untersuchung einer Sache. Man ge[820]wöhnt sich zugleich dadurch4542 eine Sache auf mehreren Seiten anzusehen, das, was man gedacht hat, so zu bestimmen,4543 daß es gegen Einwendungen gedeckt werde, und seine eignen4544 Arbeiten, gegen die man oft zu viele Vorliebe hat, genauer zu prüfen. Man erlangt eine Fertigkeit4545 wohl zu denken und sich wohl auszudrucken4546. Man gewöhnt sich,4547 vorzüglich im Disputiren, zu einer gewissen Gegenwart des Geistes, zum schnellen Durchschauen und Beurtheilen der Gedanken Anderer; selbst, wenn man auf die Art Acht giebt,4548 wie sich der Andere, ohne Sophisterey4549, heraushilft, oder wie oft man, ohne es zu denken, geirrt hat, zur billigern Beurtheilung. Und wie ungemein viel thut die Wetteiferung mit Andern, den Untersuchungsgeist und die Lust an gelehrten Uebungen zu befördern? 4550
4551Endlich gehört noch das eigne4568 Lesen gelehrter Schriften hieher4569, mit Anwendung des Gefundenen zur Erweiterung, und überhaupt zur Verbesserung,4570 unserer Kenntnisse4571 (§. 152).4572 Gelehrter Schriften, sage ich, und deren Anwendung. Denn4573 von andern [252] hier zu reden, von erbaulichen oder bloß oder mehr nur vergnügenden Schriften, ist mein Zweck nicht; wiewohl eine Warnung,4574 oder, wenn man will, ein Rath wegen der Vorsichtigkeit in der Wahl und in dem Gebrauch der letztern hier nicht am unrechten Orte steht. Denn, so sehr wir auch zur Erholung und Aufheiterung des Gemüths, sowohl als zur Bildung des Geschmacks, solcher Schriften bedürfen:4575 so ist [225] doch die Anzahl der so genannten Lesebücher allerley4576 Art, zu unsrer4577 Zeit,4578 so groß,4579 sie werden von den Meisten so ganz ohne Unterschied, so häufig mehr als die zu den Wissenschaften gehörigen, gelesen, daß im Ganzen der daraus entstehende Schade weit größer4580 als der Nutzen ist. Wenn auch ein großer4581 Theil derselben nicht so offenbar die Sitten verdürbe, die Religion verächtlich,4582 oder gegen sie gleichgültig machte, und wenig oder gar nichts zur Bildung des guten Geschmacks beytrüge4583, wo nicht gar ihm schadete: so ist eine unvorsichtige oder gar4584 zu häufige Lesung der[822]selben besonders den Studirenden darum sehr nachtheilig:4585 weil das Gemüth zu sehr zerstreut,4586 und vom Fleiß, der mit Beschwerlichkeit zu kämpfen hat, abgezogen; der Geschmack zu sehr an sinnliches Vergnügen und vom Ernsthaften abgewöhnt; und der Hang zu einer bloß auf Streifereyen4587 erhaschten, nicht mit Rücksicht auf einen fest [253] ins Auge genommenen Hauptzweck des Studirens gesuchten, vielmehr fragmentarischen und unzusammenhängenden Erkenntniß, genährt, dadurch also die wahre und durch ernstliche Anstrengung zu bewürkende4588 Bildung des Verstandes und Herzens sehr verhindert wird.
Ueberhaupt sollte man – weil der Zweck, warum man Universitäten bezieht, nicht Lectüre4590 ist, die4591 ja zu Hause eben sowohl4592 geschehen kan4593, sondern die4594 Bildung zu Wissenschaften4595 durch mündlichen Unterricht und gelehrten oder lehrreichen Umgang – so lange man da lebt, nur sehr wenige Schriften lesen;4596 nicht einmal eigentlich die, welche eben die Gegenstände betreffen, worüber man Vorlesungen hört (§. 149 651. ). Sondern4597 nur: 4599 gelehrte Zeitschriften,4600 [226] um mit den Hülfsmitteln der Gelehrsamkeit und den Fortschritten derselben bekannt zu werden; auserlesene Hauptschriften über die Wissenschaften,Wissenschaften die4601 man 4603 treibt, nur (wegen der im gedachten §. angegebnen4604 Ursachen) nicht bey4605 der Wiederholung der Lectionen über eben diese Wissenschaften, sondern, [254] wenn man Zeit genug von den akademischen Arbeiten übrig behält, späterhin,4606 und [823] mehr zur weitern Ausbildung in solchen Wissenschaften,4607 die man nicht wiederholt hören kan4608, oder wo uns der Docent nicht scheint Genüge gethan zu haben; und, in eben der Absicht, vorzügliche Schriften über gewisse uns besonders wichtige besondre Puncte4609; allenfalls solche, die man, nach Verlauf der Universitätsjahre,4610 wieder zu bekommen4611 keine Gelegenheit hoffen kan. Wiewohl4612 die Zeit auf Universitäten, wenn man sie gehörig abwarten4613 und benutzen will, 4614 so kurz und besetzt ist4615, daß man 4616 wenig Zeit zu der Lectüre eigentlicher Bücher4617 übrig behalten wird.
Soll aber4619 diese Lesung der BücherBücher4620 auf Universitäten, oder noch vielmehr in der Zukunft, recht nützlich werden:4621 so muß sie nach eben den Regeln geschehen, die oben bey4622 der nutzbaren Anhörung der Vorlesungen angegeben sind (§. 146 4623), und so, daß man sich vornehmlich über ihren Inhalt, und was uns4624 besonders [255] merkwürdig oder zweifelhaft oder unverständlich schien, in dem gelehrten Umgang4625 mit Andern, sonderlich mit seinen Lehrern, bespreche, auch sich daraus das Merkwürdigste aushebe, und als Zusätze zu den Wissenschaften, die man treibt, sammle. Dadurch kan4626 man zu einen4627 großen4628 Schatz von nützlichen Kenntnissen gelangen, der uns auf die Zukunft trefliche4629 [227] Dienste thun wird, wenn man sie mit gehöriger Wahl, mit Verstande4630, und so sammlet4631, daß man alles4632 bald wieder findenwiederfinden kan4633. Unter den verschiedenen Vorschlägen,4635 sich solche Excerpte zu machen, [824] möchte doch immer folgende Art die diensamste seyn. Man laße4636 sich das Buch, worüber man eine besondere Wissenschaft auf Universitäten vortragen hört, 1787 durchschießen4637, oder, lieber noch, ein Buch machen4638, dessen Seiten sich auf die Seiten des erwähnten4639 Handbuchs beziehen, an welches man sich, bey4640 der Grundlegung zu einer Wissenschaft, gewöhnen will. In dieses trage man ein, was man nicht schon weiß, und so, daß, wenn man selbst das Buch, woraus man excerpirt, besitzt,4641 oder leicht wieder bekommen kan4642, man nur mit wenig Worten die Sachen und dabey4643 dasjenige Buch und dessen Seiten bemerke, wo über diese eine weitere Erläuterung zu finden ist. Kan4644 man aber nicht hoffen, daß man es werde bey4645 der Hand haben 4646, wenn man es wieder nachschlagen will:4647 so zeichne man sich zugleich ganz kurz die Erläute[256]rung der Sachen, die dazu gefundnen4648 Gründe,4649 und dasjenige auf, was uns4650 selbst etwa dabey4651 von Zweifel oder Bestätigung und Erklärung beyfiel4652, oder was wir4653 darüber bey weitrer4654 Untersuchung oder bey4655 Besprechung mit Andern, gefunden haben4656.
4657Querverweise innerhalb der Anweisung werden mit römischer Bandzahl und Paragraphennummer angegeben und richten sich grundsätzlich nach der Leitauflage. Bei Verweisen in die erste oder dritte Auflage wird die jeweilige Auflage nachgestellt (‚a‘ oder ‚c‘). Bisweilen wird in den Erläuterungen auf die Bibliotheca Nösseltiana (1810), einen nach Nösselts Tod zur Veräußerung seiner umfangreichen Privatbibliothek gedruckten Auktionskatalog, verwiesen. Dieser Katalog wird mit ‚Bibl. Nöss.‘ abgekürzt.
Das Bibelstellenregister enthält alle im Original nachgewiesenen Bibelstellen. Das Personenregister gibt die Namen in Anlehnung an die Gemeinsame Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek wieder, auch wenn sie im Original abweichend notiert wurden. Das Register der antiken Autoren gibt die Namen nach dem heutigen deutschen Sprachgebrauch wieder und orientiert sich im Wesentlichen an der lateinischen Schreibweise. Es verzeichnet zudem die im Textkorpus erwähnten Belegstellen. Das Sachregister folgt dem graphematischen Bestand des Textkorpus und erfordert eine assoziative Nutzung unter Berücksichtigung orthographischer Varianz. Ergänzend zum Sachregister ist die kritische Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses zu konsultieren.
Nach dem Tod des halleschen Verlegers und Druckers Johann Jakob Curt (Curtius) im Jahre 1781 übernahm seine Witwe die Verlagsgeschäfte, ab 1793/1794 die Erben.
Vgl. I § 188 c; II Vorrede Hg. c IIIf.; III Vorrede Hg. c IV. Zu den kleineren Anmerkungen des Herausgebers Niemeyer vgl. I Vorrede Hg. c Xf.
Vgl. Allgemeine Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Litteratur 7 (1786), 57–70 und aaO 8 (1787), 140–154; Journal für Prediger 19 (1787) (1. St.), 83–88; Würzburger gelehrte Anzeigen 1 (1786) (St. LXVIII), 663–667. Zur zweiten Auflage vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 359 (1790), 577–580; Allgemeine deutsche Bibliothek 74 (1787) (1. St.), 82–86 und aaO (Anhang zu Bd. 53–86) (1791), 235f. und aaO 103 (1791) (2. St.), 366–375; Eichhorns Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur 8 (1799) (5. St.), 887f.; Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 183 (1804), 209–216 und aaO 184 (1804), 217f.
Das umgebende Zitat findet sich in der Allgemeine[n] Literatur-Zeitung 359 (1790), 577–580, 577f. und wird auch in Niemeyers Nösselt-Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) I, 243f. wiedergegeben.
Dieses Programm (vgl. I § 3) ist laut Niemeyers Nösselt-Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) I, 248 anläßlich der Promotion Johann Peter Millers (1725–1789) 1767 in Halle erschienen.
Gemeint ist Gottlieb Jakob Plancks (1751–1833) zweiteilige Einleitung in die Theologische Wissenschaften (1794/1795).
In dieser Ausgabe durch ‚{ }‘ ersetzt (s. Editorische Hinweise und Siglen).
Dieses zweibändige Werk stammt von August Hermann Niemeyer selbst.
Vgl. Mt 22,14.
Der später geadelte Universalgelehrte Christian Wolff (1679–1754) darf als bedeutendster deutscher Philosoph zwischen Leibniz und Kant gelten und hat in großem Stile schulbildend gewirkt (Wolffianismus). Nach dem Studium in Jena und der Habilitation im Jahre 1702 wirkte Wolff zunächst in Leipzig, ehe er 1706 als Professor für Philosophie und Mathematik nach Halle berufen wurde. 1723 der Stadt verwiesen, wechselte Wolff nach Marburg, wurde jedoch 1740 von Friedrich II. (1712–1786) nach Halle zurückberufen. Als rationalistischer Philosoph vertrat Wolff das Zusammenwirken von Vernunft und Offenbarung und war zudem einer der bedeutendsten Vertreter des Naturrechts (vgl. I § 207 c). Sein Werk zeichnet sich durch eine streng systematisierende und mathematische Lehrart aus. Mit den „neuesten Vorschlägen“ ist die philosophische Wende in Gestalt Immanuel Kants gemeint (vgl. Vorrede b XIVf.).
Vgl. Gal 6,6–10 (vgl. III § 15).
Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) ist einer der einflussreichsten Denker der abendländischen Tradition und die maßgebliche Gestalt der deutschen philosophischen Aufklärung. Die angesprochenen Erschütterungen, die die Kantische Philosophie zwischen der ersten und zweiten Auflage der Anweisung hervorgebracht hat, hängen mit dem Erscheinen der drei Kritiken zusammen: der gegenüber der Erstauflage (1781) in Teilen stark überarbeitete Zweitauflage der Kritik der reinen Vernunft (1787), die Kritik der praktischen Vernunft (1788) und die Kritik der Urteilskraft (1790). Zu Nösselts Sicht auf Kant bemerkt Wilhelm Dilthey, dass Nösselt Kant zwar respektiert, jedoch keine Sympathie für ihn gehegt habe (vgl. Leben Schleiermachers I, in 3. Aufl. hrsg. v. M. Radecker, Teilbd. 2, Berlin 1970 [= Ges. Schr. XIII/2], 108).
Vgl. I § 186.
D.i. September.
In der dritten Auflage der Anweisung fehlt I § 271 (vgl. c I § 272) (s. Editorische Hinweise und Siglen).
Mit dieser Korrektur wird klargestellt, dass dieser Begriff auf das griechische εμπειρία (Erfahrung) und nicht etwa auf ἔμπυρος (brennend) zurückgeht (vgl. I § 190 c).
Vgl. I § 48.
In den von Johann Christian Friedrich Heinzelmann (1762–1830) und Christian Daniel Voss (1761–1821) herausgegebenen Philosophische[n] Blicke[n] auf Wissenschaften und Menschenleben für reifende Jünglinge I (1789), 1–22 findet sich der von Nösselt verfasste Beitrag Ueber den wahren Begriff der Gelehrsamkeit. Als eine Vorbereitung zur Untersuchung des Wahns dass sie nicht gemeinnützig sey.
In der als Brief an Brutus verfassten Abhandlung Orator entwirft Cicero das Bild des idealen Redners. In Cic. orat. I 1 [4] heißt es: „Doch ist es billig, daß alle diejenigen alle Versuche unternehmen, welche große und erstrebenswerte Ziele anstreben. […] Wer den ersten Rang anstrebt, der darf in Ehren auch beim zweiten oder dritten innehalten (sed par est omnes omnia experiri, qui res magnas et magno opere expetendas concupiverunt. […] prima enim sequentem honestum est in secundis tertiisque consistere)“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Kytzler], Düsseldorf/Zürich 41998, 6.7.8.9).
Dieses Zitat stammt aus Samuel Friedrich Nathanael Morus' Epitome theologiae christianae (z.B. 21791, 11).
Dieses Zitat stammt aus Franz Volkmar Reinhards Vorlesungen über die Dogmatik (z.B. 41818, 20).
Das erste Stück des ersten Bandes von Johann Gottlieb Töllners (1724–1774) zweibändigen Theologische[n] Untersuchungen ist 1772 erschienen.
Diese Schrift ist 1798 erschienen.
D.i. das barocke Gelehrsamkeitsideal der Polymathie bzw. Polyhistorie (vgl. I § 7.11).
Diese Formulierung findet sich erstmals in den Reden des Cicero (vgl. Cic. S. Rosc. 30 [84]. 31 [86]; Mil. 12 [32]; Phil. II 35; dazu Sen. Med. 500f.).
Vgl. Joh 1,46; 11,34 (Sg.); 1,39; 4,29 (Pl.); dazu 2Kön 6,13; 10,16. – Zu bemerken ist, dass der textus receptus bis in das 18. Jh. hinein in Offb 6,1.3.5.7 ἔρχου καὶ βλέπε liest, Griesbachs NT-Edition (z. B. 21796/1806) bietet (mit Ausnahme von Offb 6,3 ἔρχου) wie in Joh 1,46; 11,34 die Lesart ἔρχου καὶ ἴδε.
Johann Joachim Spaldings Vertraute Briefe, die Religion betreffend liegen in drei Auflagen vor (11784; 21785; 31788; vgl. Spalding Kritische Ausgabe [SpKA] I/4). Da die Erstauflage nur sechs Briefe enthält, kann es sich an dieser Stelle nur um einen Verweis auf eine der beiden folgenden Auflagen handeln.
Derartige Formulierungen (vgl. Vorrede a [XVI]) finden sich in der Aufklärungszeit häufig. In seinen Sontags-Evangelia (vgl. BdN IV) legt etwa Gottfried Leß (1736–1797) Lk 21,18.34–36 exakt in diesem Sinne aus (vgl. aaO 11776, 374). Bereits die klassische Antike kannte ähnliche Vorstellungen (vgl. Hor. carm. I, 9,9 permitte divis cetera), und auch Sir 11,20–23 fordert zu einem solchen Gottvertrauen auf. Im 16. Jh. formuliert Martin Luther in seiner Genesisvorlesung (1535–1545) Fac tuum officium, et eventum Deo permitte (WA 44 [1915], 78) (vgl. Erasmus v. Rotterdam, Supputationes errorum in censuris Bedae [1527], 111 [fehlerhafte Paginierung]).
Vgl. 1Kor 8,1. – Die Herkunft der den folgenden Paragraphen in Anführungszeichen vorangestellten Leitsätze (I § 11–14; vgl. I § 125.126) ist nicht eindeutig nachzuweisen. Vielmehr werden Sprichwörter und Allgemeinplätze aufgegriffen, die in dieser oder ähnlicher Form weit verbreitet waren. Bemerkt sei, dass die in den betreffenden Paragraphen angestellten Überlegungen ohne explizite Nennung Nösselts nahezu wortwörtlich in der einflussreichen fünfbändigen Pastoral-Anweisung nach den Bedürfnissen unsers Zeitalters (1805–1808) des österreichischen katholischen Pastoraltheologen und Kirchenmannes Andreas (Andre) Reichenberger (1770–1854) wiedergegeben werden (vgl. aaO I/1, 71–73).
After ist eine veraltete deutsche Präposition, die bereits zu Nösselts Zeiten nur noch in Komposita Verwendung fand und in etwa dem Präfix pseudo- entspricht. Unter aftergelehrt ist demnach eine falsche oder Scheingelehrsamkeit zu verstehen.
Friedrich Germanus Lüdkes (1730–1792) Gespräche über die Abschaffung des geistlichen Standes stammen aus dem Jahr 1784.
Der fünfte Aufsatz titelt Gedanken über die gewöhnliche Erziehung junger Geistlichen (aaO 93–153), der sechste Wahre Geschichte meiner Bemühungen ein Polyhistor, ein Vielwisser zu werden (aaO 153–188) und der siebente Bescheidene Beantwortung einiger Zweifel wider die vorhergehende Geschichte und wider meine Gedanken von der Erziehung junger Geistlichen (aaO 189–213).
Die anonym erschienenen Briefe über die Jacobischen Gedanken stammen von dem v.a. als Büchersammler hervorgetretenen Philologen und Schulmann Johann Nicolaus Niclas (1733–1808).
Der Titel des zweiten Aufsatzes lautet Eine zweckmäßigere Vorbereitung derer, welche bestimmt sind, Landprediger zu werden (aaO 26–84). Im Rahmen der umfangreichen Besprechung in der Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek 84 (1789), 581–602 werden aaO 592–594 insgesamt zehn Schriften aufgelistet, die, wie auch der im Journal für Prediger 19 (1787), 129–196 abgedruckte Beitrag Ueber die Bildung und Bestimmung des Landpredigers, unmittelbar auf Campes Fragmente reagieren.
Der von orthodoxen Kreisen angefeindete Theologe und Reformpädagoge Johann Bernhard Basedow (1724–1790) wurde nach seiner Entlassung aus dänischen Diensten 1771 nach Dessau berufen und gründete dort im Jahre 1774 das Philanthropinum, eine Lehranstalt, in der seine konsequent aufgeklärte, auf Nützlichkeit und Lebenspraxis zielende Pädagogik über Stände und Konfessionen hinweg verwirklicht werden sollte. Zwar wurde das Philanthropinum aufgrund innerer Probleme bereits 1793 wieder geschlossen, doch wirkten Basedows Ideen durch Weggefährten wie Joachim Heinrich Campe (1746–1818), Ernst Christian Trapp (1745–1818) und Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) sowie durch die Gründung weiterer Philanthropine nach.
Gemeint ist die in insgesamt 16 Teilen von Joachim Heinrich Campe (1746–1818) herausgegebene Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher (1785–1792). Der von Ernst Christian Trapp (1745–1818) verantwortete elfte Band aus dem Jahr 1788 trägt den Untertitel Ueber den Unterricht in Sprachen und wird in der Anweisung immer wieder angeführt.
Vgl. Gen 45,18 (vgl. Ps 81,17; 147,14).
Bei der Institutio oratoria des in der zweiten Hälfte des 1. Jh.s wirkenden römischen Rhetorikers Quintil[l]ianus (seltener Quinctil[l]ianus) handelt es sich um eines der maßgeblichen Lehrbücher der antiken Redekunst. Die Grundlegung der Rhetorik bei den Griechen (Demosthenes, Isokrates u.a.) wird in vollem Umfang gewürdigt, der Schwerpunkt liegt jedoch bei den Römern, überragende Bedeutung wird v.a. Cicero beigemessen. Neben der Rhetorik wird in der Institutio zudem eine allgemeine erzieherische Absicht deutlich. Von den Humanisten geschätzt, gehörte Quintilians Lehrbuch auch zum Bildungsgut der darauffolgenden Jahrhunderte. In inst. I 10 geht Quintilian von den grammatischen u.ä. (vgl. I § 55) zu den weiteren Grundlagen des Rhetorikunterrichts (d.i. Musik, Geometrie und Astronomie) über, „um den Kreis derjenigen Fächer zu vollenden, den die Griechen Enzyklopädie nennen“ (Quint. inst. I 10,1 ut efficiatur orbis ille doctrinae, quem Graeci ἐγκύκλικος παιδεία vocant). Bei dieser Stelle handelt es sich um eine der prominentesten Überführungen des griechischen Enzyklopädiebegriffs in den lateinischen Sprach- und Bildungszusammenhang.
Hier handelt es sich um die posthum in Leipzig erschienene zweite Auflage von Johann von Wowerns (1574–1612) De polymathia tractatio. Die Erstauflage erschien bereits 1603 in Basel.
Nösselts sog. Bücherkenntniß (vgl. Vorrede a [X]) war, wie auch Niemeyer in seiner Nösselt-Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) I, 164.242f. herausstellt, bei Zeitgenossen ein hochgeschätztes Werk. Aus dem Rauchschen Auktionskatalog und dem Hauptbuch Reimer (vgl. Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe [KGA] I/15, 781 [Nr. 1384]) sowie aus einem Brief an Joachim Christian Gaß vom 06.09.1805 (vgl. Fr. Schleiermacher's Briefwechsel mit J. Chr. Gaß [1852], 29) geht hervor, dass auch Friedrich Schleiermacher (1768–1834) diese Ausgabe besessen hat. Über die Auflagen der Anweisung hinweg wird jeweils auf die aktuellste Ausgabe der Bücherkenntniß verwiesen. Die in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragene vierte Auflage der Bücherkenntniß stammt aus dem Jahr 1800. Unter dem Titel Literatur der Theologie hauptsächlich des neunzehnten Jahrhunderts ist 1813 eine von Christian Friedrich Liebegott Simon (geb. 1774) besorgte Fortsetzung der Bücherkenntniß erschienen. Zum Verhältnis von „gelehrte[r] oder Literargeschichte“ und Bücherkenntnis vgl. I § 245ff.
Die auf Grundlage von Nösselts Bücherkenntniß entstandene Predigerbibliothek. Oder beschreibendes Verzeichnis der brauchbarsten Schriften für Prediger und künftige Geistliche I–III (1782–1784) David Gottlieb Niemeyers (1745–1788) ist wenig später von seinem jüngeren Bruder August Hermann Niemeyer und Heinrich Balthasar Wagnitz (1755–1838) unter dem Titel Bibliothek für Prediger und Freunde der theologischen Literatur (1796–1812) neu bearbeitet und um einen vierten Teil ergänzt herausgegeben worden.
Als Anhang zu Wilhelm David Fuhrmanns (1764–1838) Anleitung zur Kenntniß der den Theologie studirenden, den Candidaten des Predigtamts und den Religionslehrern in den Städten und auf dem Lande wesentlich nothwendigen und geprüft nützlichsten Bücher (1801) erschien 1802 die Handbibliothek für junge Theologen und Religionslehrer. Beide Bände sind später zum Handbuch der theologischen Literatur (1818/1819.1821) (vgl. III § 79 c) bzw. dem Handbuch der neuesten theologischen Literatur (1836) umgearbeitet worden. Nösselt und Niemeyer zählen zu Fuhrmanns Lehrern.
In den von Niemeyer im Rahmen seiner Nösselt-Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) II, 3–46 herausgegebenen Fragmenten einer Selbstbiographie beschreibt Nösselt den Unterricht in der Bauerschen Privatschule in Halle. Nach dem Grundsatz Non multa, sed multum! habe er hier nicht viel, den Stoff jedoch umso genauer gelernt (vgl. aaO II, 21). Zu dem für den Gelehrten geltenden Grundsatz multa et multum vgl. I § 3.
Zitiert wird aus dem Satyricon des römischen Senators und Romanautors Titus Petronius Arbiter (1. Jh.). Unter Kenntlichmachung der Unterschiede zur modernen Textgestalt heißt es in Petron. 4,1–4: „Die Eltern sind es, die Vorwürfe verdienen, weil sie nicht wollen, daß ihre Kinder in strenger Zucht weiterkommen. Denn erstens legen sie, wie überhaupt alles, auch ihre persönlichen Aussichten dem Ehrgeiz zu Füßen. Wenn sie sodann in Eilmärschen auf das gewünschte Ziel zustreben, hetzen sie die noch unfertigen Talente auf das Forum (in forum impellunt anstelle von in publicum propellunt) und ziehen den Talar der Eloquenz, den sie für das Allerhöchste ausgeben, Buben an, die noch in der Entwicklung stehen. Wenn sie sich aber damit abfänden, daß man stufenweise arbeitet, damit den jungen Leuten im Studium mit strenger Lektüre der Boden gedüngt wird (irrigarentur anstelle von mitigarentur), damit sie nach den Vorschriften der Philosophie ihr Wesen bilden, damit sie mit attisch (Attico anstelle von atroci) geschultem Griffel Worte aufkritzeln, damit sie lange hören, was sie nachahmen wollen, wenn jene sich also klarmachten, nichts habe wahre Größe, was Buben gefalle (si persuaderent sibi nihil esse magnificum quod pueris placeret anstelle von sibi nihil esset magnificum quod pueris placeret) – dann brächte jene ‚bedeutende‘ Rede ihre Hoheit zu voller Wirkung. Jetzt treiben die Buben in den Hörsälen nur Possen, die jungen Leute machen sich auf dem Forum lächerlich, und was schlimmer ist als beides: wer etwas falsch gelernt hat (didicit anstelle von discit), will es, so alt er wird, nicht zugestehen“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Müller/Ehlers], Darmstadt 1995, 12.13). Durch dem Petronius-Text in Klammern beigefügte Zusätze wendet Nösselt dieses Zitat auf die theologische Ausbildung an.
Dieses dem Untertitel nach in Briefen an einen angehenden Theologen verfasste Werk wird entweder Erdmann Kolb (1762–1827), ab 1802 Pastor in Suhl, oder dem Königsberger Theologen und Orientalisten Johann Gottfried Hasse (1759–1806) zugeschrieben (vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen Jg. 5, 1827 [1829], 251 bzw. Doering, Heinrich, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert I [1831], 639).
Johann Gottfried Herders (1744–1803) Sämmtliche Werke I/9 (Tübingen 1808) besteht aus den ersten drei Teilen der Briefe, das Studium der Theologie betreffend (nach der zweiten Ausgabe 1785), der Band I/10 (ebd.) trägt den Titel Vom Studium der Theologie und dem Christlichen Predigtamt und enthält den vierten Teil der Briefe.
Bei dem Auszug handelt es sich um Gottlieb Jakob Plancks (1751–1833) Grundriß der theologischen Encyklopädie zum Gebrauche bey seinen Vorlesungen (1813), der heute nicht mehr nur als bloßes Exzerpt der Einleitung – neben Nösselts Anweisung die zweite große neologische Enzyklopädie – betrachtet wird.
Johann Ernst Christian Schmidts (1772–1831) Lehrbuch ist zwar angekündigt worden (vgl. Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung Nr. 31 [1810], 243), doch ist sein Erscheinen nicht nachweisbar. Ein Jahr später ist in demselben Gießener Verlag, der das Lehrbuch angekündigt hatte, jedoch Schmidts Theologische Encyclopädie. Für seine Vorlesungen (1811) herausgekommen.
Die Vorstellung des Primats der Theologie geht auf Aristoteles' Metaphysik zurück (vgl. Aristot. metaph. E 1026a) und findet sich besonders prägnant in der Petrus Damiani (um 1006–1072) zugeschriebenen Formel philosophia ancilla theologiae.
Der Autor ist Charles Rollin (1661–1741), die vier Bände sind 1751/1752 erschienen.
Die ersten beiden dieses aus insgesamt drei Teilen (1796–1819) bestehenden Werkes sind 1796/1797 erschienen, der dritte Band zerfällt in zehn Hefte (1812–1819). Der vollständige Name des Autors lautet Wilhelm Traugott Krug (1770–1842).
Carl Christian Erhard Schmids (1761–1812) Allgemeine Encyklopädie ist bereits 1810 in Jena erschienen.
Gemeint ist v.a. Alexander Gottlieb Baumgarten (vgl. I § 177).
Im ersten und zweiten Buch seiner Institutio oratoria behandelt Quintilian die Grundlagen des Rhetorikunterrichts, d.h. das Verhältnis der Rhetorik zu angrenzenden Disziplinen (v.a. zur Grammatik), und inwieweit diese als Voraussetzung für den Rhetorikunterricht anzusehen sind.
Vgl. I § 106.
Der in der Allgemeine[n] Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens 7 (1787), 309–553 abgedruckte Aufsatz von Ernst Christian Trapp (1745–1818) trägt den Titel Ueber das Studium der alten classischen Schriftsteller und ihre Sprachen, in pädagogischer Hinsicht; zum elften Band der Allgemeine[n] Revision vgl. I § 33 c.
Gemeint sind August Wilhelm Rehbergs (1757–1836) in zwei Teilen abgedruckter Aufsatz Sollen die alten Sprachen dem allgemeinen Unterricht der Jugend in den höhern Ständen zum Grunde gelegt, oder den eigentlichen Gelehrten allein überlassen werden?, in: Berlinische Monatsschrift 11 (1788), 105–131 bzw. 253–275 sowie dessen Verfolg der Untersuchung über die Allgemeinheit des Unterrichts in den alten Sprachen, in: aaO 13 (1789), 20–56 (vgl. I § 64).
Gemeint ist Christian Gottlob Heynes Vorrede zu dem dreibändigen Handbuch der Mythologie (1787–1795) seines sonst nicht weiter hervorgetretenen Schülers Martin Gottfried Herrmann (1754–1822) (vgl. I § 141).
Hier handelt es sich um Johann Matthias Gesners Kleine Deutsche Schriften (1756). In den Bedenken wie ein Gymnasium in einer Fürstlichen Residenzstatt einzurichten (aaO 352–372) wird die Jugend in drei Gruppen eingeteilt, die zunächst gleich unterrichtet werden sollen. Während dieser Zeit spielt die lateinische Sprache nur eine untergeordnete Rolle (vgl. aaO 356–359).
Der genaue Titel von Friedrich Immanuel Niethammers (1766–1848) Schrift lautet Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit.
Hier handelt es sich um eine Übersetzung von Johann David Michaelis' Preisschrift Beantwortung der Frage von dem Einfluß der Meinungen in die Sprache und der Sprache in die Meinungen; welche den, von der Königlichen Academie der Wissenschaften für das Jahr 1759, gesetzten Preis erhalten hat (1760).
Johann Georg Sulzers (1720–1779) Vermischte philosophische Schriften bestehen aus zwei Bänden (1773/1781). Verwiesen wird auf die im ersten Band befindlichen Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft (aaO 166–198).
Der hier angeführte Wiederabdruck von Gottfried Benedikt Funks (1734–1814) in fünf Programmen vorgetragenen Gedanken von dem Nutzen richtig getriebener Philologie in den Schulen (1774–1777) findet sich in Berlinsches Magazin der Wissenschaften und Künste 2 (1784), 113–145. Funk und seine Gedanken wurden von Autoritäten wie Friedrich August Wolf hoch geschätzt.
Der aus Athen stammende Historiker Thukydides (geb. ca. 460 v. Chr.) ist der Verfasser einer acht Bücher umfassenden, im Jahr 411 v. Chr. abbrechenden Geschichte des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.), an dem er selbst bis zu seiner Verbannung als Stratege teilgenommen hat. Auch wenn Thukydides in der Antike nicht so breit rezipiert wurde wie Herodot, blieb er durch die Jahrhunderte immer präsent und erlebte seit der Renaissance einen beachtenswerten Aufschwung (Thukydidismus).
Der Politiker, Redner und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der römischen Antike, von keinem nicht-christlichen lateinischen Autor ist mehr überliefert. Eine besondere Bedeutung besteht darin, dass seine Sprache bereits in der Antike (besonders einflussreich von Quintilian) als stilbildend betrachtet (Ciceronianismus) und in dieser Eigenschaft auch von Nösselt hoch geschätzt wurde (vgl. Vorrede Hg. c X). Ciceros Werk wird gemeinhin in Reden, philosophische Schriften, rhetorische Schriften (vgl. I § 284) und Briefe untergliedert (vgl. die Einteilung in I § 146).
Das ab etwa 98 entstandene und v.a. auf Moralität abhebende Werk (Agricola, Germania, Dialogus de oratoribus, Historiae, Annales) des römischen Senators und Geschichtsschreibers (Publius) Cornelius Tacitus (ca. 55–120) wurde bereits in der Antike und nach seiner Wiederentdeckung in der Renaissance auch im 16. und 17. Jh. stark rezipiert (Tacitismus).
Paulus von Tarsus (gest. um 64) zählt zu den mit Abstand bedeutendsten Gestalten des Christentums. Nach seiner Bekehrung (vgl. Apg 9,1–18) war er missionarisch tätig (Missionsreisen). Heute wird er vielfach als der eigentliche Gründer des Christentums betrachtet.
Angespielt ist auf die oft als zu juridisch kritisierte Satisfaktionslehre (vgl. II § 83) Anselms von Canterbury (ca. 1033–1109). In Cur Deus homo entfaltet Anselm die Vorstellung, der Mensch habe durch die Beleidigung der Ehre Gottes eine unendliche Sündenlast auf sich geladen, die er selbst nicht tilgen könne, da die Genugtuung entsprechend der Sündenlast ebenfalls unendlich sein müsse. Daher müsse Gott selbst im Gekreuzigten für Genugtuung sorgen. Dieses Verständnis hat sich unter dem Begriff stellvertretende Genugtuung sowohl in der katholischen als auch in der protestantischen Theologie weitgehend durchgesetzt. Die altprotestantische Orthodoxie entwickelte im Anschluss an Luther eine am Strafleiden Christi orientierte Satisfaktionslehre. Christus erbringt am Kreuz nicht alleine eine Ausgleichsleistung, sondern trägt stellvertretend die den Menschen zugedachte Strafe.
D.i. τοῦ.
Zum trinitätstheologischen bzw. christologischen Hintergrund vgl. II § 83. Die schon in der Scholastik gebräuchliche Definition der trinitarischen Person als suppositum intellegens findet sich etwa bei Hollaz, Buddeus und Siegmund Jacob Baumgarten.
Aufgezählt sind die großen christologischen Auseinandersetzungen der Alten Kirche (vgl. auch II § 83). Der auf Arius von Alexandrien (gest. ca. 336) zurückgehende Arianismus lehrte, dass Vater und Sohn nicht wesensgleich (ὁμοούσιος), sondern nur wesensähnlich (ὁμοιούσιος) seien, und kann als radikaler Subordinatianismus verstanden werden. Diese Auffassung wurde auf dem Konzil von Nicäa 325 zugunsten der Zwei-Naturen-Lehre verworfen, zudem wurde hier die von Arius abgelehnte Lehre von der Präexistenz Christi bestätigt, nach der der Sohn vom Vater gezeugt und nicht geschaffen ist. Beigelegt wurde der arianische Streit jedoch erst auf dem Konzil von Konstantinopel 381. Der nach Nestorius von Konstantinopel (gest. ca. 451) benannte Nestorianismus vertrat zwar eine Zwei-Naturen-Lehre, lehrte jedoch, dass die göttliche und die menschliche Natur in Jesus Christus geteilt und unvermischt seien. Daher könne Maria zwar als Christusgebärerin, nicht aber als Gottesgebärerin (Θεοτόκος) bezeichnet werden (vgl. II § 114). Diese Position wurde auf dem Konzil von Ephesus (431) verworfen. Der Monophysitismus vertrat schließlich eine Christologie, nach der der inkarnierte Christus nur eine einzige, nämlich göttliche Natur (φύσις) besitzt (vgl. II § 113), und stand damit der bereits in Nicäa bestätigten Zwei-Naturen-Lehre entgegen. Auf dem Konzil von Chalcedon (451) wurden die Positionen der Monophysiten, aber auch die der Arianer und Nestorianer verworfen und eine Zwei-Naturen-Lehre, nach der göttliche und menschliche Natur Christi (wahrer Mensch und wahrer Gott) unvermischt und ungetrennt nebeneinander stehen, angenommen.
Vgl. I § 56.
Vgl. I § 56.
Niemeyers Grundsätze sind bereits zuvor nach der sechsten Auflage (1810) angeführt worden (vgl. I § 64 c). Hier ist jedoch § 86 im siebenten Kapitel des dritten, die Didaktik beinhaltenden Hauptabschnitts des zweiten Teils gemeint. Das siebente Kapitel (vgl. aaO 496–547) behandelt den fremdsprachlichen Unterricht, der betreffende Paragraph trägt den Titel Erlernen der Sprachen entweder durch Gebrauch oder nach Regeln (vgl. aaO 499–502).
Gemeint ist die methodisch aufschlussreiche Zuschrift (Dedicatio) an den Leipziger Bürgermeister Christian Ludwig Stieglitz (1677–1758), die Johann August Ernestis Cicero-Ausgabe (Leipzig 1737–1739; 21756/1757; 31774–1777) vorangestellt ist. Auf Empfehlung Johann Matthias Gesners wurde Ernesti Hauslehrer bei Stieglitz, der ihm als Vorstand der Thomasschule zum Konrektorat und nach Gesners Abgang nach Göttingen 1734 auch zum Rektorat verhalf.
Der Titel lautet Gedanken über die beste Art die claßische Schriften der Alten mit der Jugend zu lesen (vgl. auch die Vermischte[n] Schriften II (1781), 215–237).
Die erste Auflage von Johann Adam Bergks (1769–1834) Die Kunst, Bücher zu lesen. Nebst Bemerkungen über Schriften und Schriftsteller ist 1799 in Jena erschienen (vgl. III § 159 c), 1802 folgte in Leipzig Die Kunst zu denken. Ein Seitenstück zur Kunst, Bücher zu lesen.
Gemeint ist Karl Gottlob Schelles (geb. 1777) zweibändiges Werk Welche alte klassische Autoren, wie, in welcher Folge und Verbindung mit andern Studien soll man sie auf Schulen lesen? aus dem Jahr 1804.
Röm 8,33 liest τὸν.
In dem ersten, an Prokonsul P. Lentulus gerichteten Brief der Epistulae ad familiares (= Epistulae ad diversos) heißt es Cic. fam. I 1: „Der Senat verschanzt sich hinter dem Kniff mit den religiösen Bedenken, nicht aus religiösen Bedenken, sondern aus Übelwollen und Empörung über die königliche Freigebigkeit (senatus religionis calumniam non religione, sed malevolentia et illius regiae largitionis invidia comprobat)“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Kasten], München/Zürich 41989, 6.7). Bei der calumnia religionis handelt es sich um eine vermutlich erfundene sibyllinische Weissagung, die vor dem Senat gegen Lentulus vorgebracht wurde.
Die betreffenden Programme finden sich im ersten Band der Dissertationes theologicae et philologicae (1787), 61–98 (II.) bzw. 370–393 (XII.).
Lk 21,19 liest τὰς.
Vgl. I § 33 c.
Johann Matthias Gesners zwanzigseitige Praefatio ist dem ersten von insgesamt drei Bänden (1735) unpaginiert vorangestellt.
Johann August Ernestis Vorrede (Lectori bonarum litterarum studioso) findet sich im ersten Band der von Johann Friedrich Fischer besorgten Opera Omnia (1758), III–XXVIII.
D.i. Martin Luthers (1483–1546) Sendbrief vom Dolmetschen aus dem Jahr 1530 (vgl. WA XXX,2 [1909], [627] 632–646).
Dieser Vergleich ist nach dem Erscheinen der dritten Auflage der Anweisung durchaus verbreitet, die genaue Herkunft dieser Wendung lässt sich jedoch nicht ermitteln. Im Hintergrund dürfte die zeitgenössische kunsttheoretische Debatte um das Portrait stehen, wie sie in der Kritik Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768) oder Johann Heinrich Füßlis (1741–1825) an Balthasar Denner (1685–1749) zum Ausdruck kommt, dessen mikroskopisch-naturalistische Portraits alter Menschen als Porendenner bezeichnet wurden.
Dieses Zitat stammt aus Ciceros De oratore, einem bedeutenden, in Dialogform verfassten Referenzwerk der antiken Rhetorik. Gemäß moderner Textgestalt heißt es in Cic. de orat. I 150 (33): „Die Hauptsache aber ist, was wir, um die Wahrheit zu sagen, am wenigsten tun – es macht nämlich große Mühe und diese scheuen wir größtenteils – so viel wie möglich zu schreiben (Caput autem est, quod, ut vere dicam, minime facimus – est enim magni laboris, quem plerique fugimus – quam plurimum scribere)“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Nüßlein], Düsseldorf 2007, 68.69).
Nach dem häuslichen Unterricht bei seinem Vater Daniel Heinsius – ebenfalls ein berühmter niederländischer Philologe und Gelehrter – unternahm Nicolaas Heinsius (1620–1681) zunächst ausgedehnte Bibliotheksreisen, eine ihm in Italien angetragene Professur in Bologna lehnte er ab. 1650 trat er in die Dienste der schwedischen Königin Christina (1626–1689). Diese Stellung brachte ihn letztlich in große finanzielle Schwierigkeiten und holte ihn in Gestalt einer Vaterschafts- und Eheklage auch auf der nach seiner Rückkehr in die Heimat angetretenen Stelle als Stadtschreiber in Amsterdam ein. 1661 kam er als niederländischer Gesandter erneut nach Schweden, wo er mit Unterbrechungen bis 1671 blieb. Seinen Lebensabend verbrachte er zurückgezogen, von Prozessen und körperlichen Leiden geplagt, in den Niederlanden. Ein unehelicher Sohn gleichen Namens wurde Arzt und Schriftsteller. Trotz seines unruhigen Lebens ist Heinsius als hervorragender Latinist und Textkritiker sowie als neulateinischer Dichter (sospitator poetarum latinorum) hervorgetreten.
Nach dem Studium, einer Hauslehrerstelle und einer umfangreichen Reisetätigkeit erwarb Johann Friedrich Gronovius (1611–1671) 1640 den juristischen Doktorgrad, 1643 wurde er zunächst Professor für Geschichte und Eloquenz am Gymnasium Illustre in Deventer und 1658 schließlich Professor für Griechisch an der Universität Leiden. Hier bekleidete er mehrfach das Amt des Rektors und wurde 1665 zudem Bibliothekar. Rufe nach Heidelberg (1661) und Amsterdam (1669) lehnte er ab. Gronov zählt zu den namhaftesten Latinisten des 17. Jh.s, besonders bedeutend sind seine zahlreichen kommentierten Textausgaben (v.a. Livius).
Richard Bentley (1662–1742) gehört zu den bedeutendsten klassischen Philologen überhaupt, sein Einfluss auf Zeitgenossen und nachfolgende Generationen ist immens. Nach dem Studium am St John's College (Cambridge) und einer Anstellung als Schulrektor kam Bentley 1689 als Hauslehrer nach Oxford. Hier entstand seine berühmte Epistola ad Millium, die Bentleys Ruf als außerordentlicher Textkritiker begründete. 1690 zum Diakon geweiht wurde Bentley kurz darauf Boyle-Lecturer, Prebendary von Worcester, königlicher Bibliothekar und Kaplan, Mitglied der Royal Society und erhielt 1696 den Grad eines Doctor of Divinity (D.D.). In diese Zeit fällt auch die berühmte Auseinandersetzung mit Charles Boyle über die Echtheit der Briefe des Phalaris. 1700 wurde Bentley schließlich Master of Trinity College (Cambridge), ein Amt, das er trotz andauernder massiver Streitigkeiten mit den Fellows (1718–1724 wurde Bentley gar abgesetzt) über vier Jahrzehnte innehatte, 1717 wurde Bentley zudem Regius Professor of Divinity. Neben zahlreichen maßgeblichen Arbeiten zu klassischen Autoren nahm er mit Unterstützung Johann Jakob Wettsteins auch eine Edition des Neuen Testaments in Angriff (vgl. II § 35).
Der niederländische Philologe Tiberius Hemsterhuis (1685–1766) wurde nach Studien in seiner Heimatstadt Groningen und Leiden im Dezember 1704 zunächst Professor für Philosophie und Mathematik am Amsterdamer Athenaeum Illustre (den Magistergrad erwarb er einen Monat später an der Universität Harderwijk), 1717 wurde er auf eine Griechischprofessur in Franeker berufen, trat diese jedoch erst 1720 an. Nachdem er hier auch Professor für niederländische Geschichte und mehrfach Rektor geworden war, wechselte er 1740 auf die Griechischprofessur in Leiden. Hier wirkte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1765. Hemsterhuis gilt als hervorragendster Gräzist seit Scaliger und Casaubon und ist der Begründer einer bedeutenden Philologenschule, aus der als wichtigste Schüler Valckenaer und Ruhnken hervorgegangen sind.
Lodewijk Caspar Valckenaer (1715–1785) studierte ab 1731 Theologie im friesischen Franeker und wandte sich unter dem zu dieser Zeit noch dort lehrenden Tiberius Hemsterhuis v.a. den klassischen Sprachen zu. Ab 1737 setzte er seine Studien in Leiden (v.a. bei Schultens) fort, kehrte dann nach Friesland zurück und wurde 1740 Konrektor der Lateinschule in Kampen. Bereits ein Jahr später folgte Valckenaer dem nach Leiden abgewanderten Hemsterhuis auf der Griechischprofessur in Franeker nach und übernahm 1765 auch dessen Lehrstuhl in Leiden. Gemeinsam mit dem ebenfalls in Leiden lehrenden Ruhnken ist Valckenaer der bedeutendste Schüler Hemsterhuis' und zählt zu den hervorragendsten Gräzisten nicht nur des 18. Jh.s.
Nach dem 1717 abgeschlossenen Studium am Peterhouse (Cambridge) wurde Jeremiah Markland (1693–1776) ebenda Fellow, eine geistliche Laufbahn traute er sich ebenso wie die ihm gleich zweimal angetragene Griechischprofessur aus gesundheitlichen Gründen nicht zu. 1728 verließ er Cambridge als Privatlehrer, bereiste in dieser Eigenschaft Frankreich und die Niederlande und unterrichtete ab 1744 auch den Sohn seines ehemaligen Schülers. Schließlich zog er sich nach Milton Court (Surrey) zurück, wo er, zunehmend gesundheitlich angegriffen, bis zu seinem Tod lebte. Neben einer Reihe vielbeachteter eigener Veröffentlichungen hat Markland auch zu den Arbeiten anderer Gelehrter beigetragen. Im Urteil Friedrich August Wolfs kommen seine philologischen Fähigkeiten an die Bentleys heran.
David Ruhnken (1723–1798) stammte ursprünglich aus Hinterpommern und besuchte zunächst das Collegium Fridericianum in Königsberg. Da sich die deutsche Gräzistik in dieser Zeit auf vergleichsweise niedrigem Niveau befand und zumeist nur in theologischer Absicht betrieben wurde, wechselte Ruhnken nach zwei Studienjahren von Wittenberg nach Leiden, um seine Griechischkenntnisse unter Tiberius Hemsterhuis (s.o.) weiter zu vertiefen. Als Assistent des alternden Hemsterhuis hielt Ruhnken ab 1757 Griechischvorlesungen und wurde 1761 als Nachfolger Frans van Oudendorps (1696–1761) ordentlicher Professor für Latein, später auch Universitätsbibliothekar und -rektor. Neben Valckenaer ist der von Friedrich August Wolf als princeps criticorum bezeichnete Ruhnken der wichtigste Vertreter der von Hemsterhuis' begründeten Philologenschule und auch über das 18. Jh. hinaus einer der bedeutendsten klassischen Philologen.
Der im fränkischen Windsheim geborene Pfarrerssohn Friedrich Wolfgang Reiz (1733–1790) studierte ab 1753 in Leipzig (u.a. bei Ernesti) v.a. klassische Philologie. Nach dem Magisterexamen war Reiz zunächst als Hauslehrer sowie als Korrektor für den Breitkopf-Verlag tätig, bevor er nach der 1766 erfolgten Habilitation 1772 außerordentlicher Professor in Leipzig wurde. 1782 übernahm Reiz als Nachfolger Morus' das Ordinariat für Latein und Griechisch und wenige Jahre später als Nachfolger Clodius' die Professur für Dichtkunst und Beredsamkeit. Daneben war er lange Jahre als Universitätsbibliothekar tätig. Auch wenn Reiz nur vergleichsweise wenige Arbeiten veröffentlicht hat (v.a. zu Grammatik, Metrik und Textkritik), gehört er im Urteil von Zeitgenossen wie Wolf doch zu den gelehrtesten Philologen seiner Zeit.
Friedrich August Wolf (1759–1824) trat nach dem Studium in Göttingen (Immatrikulation als studiosus philologiae, ohne dass ein solcher Studiengang vorhanden gewesen wäre) auf Empfehlung Heynes zunächst in den Schuldienst ein, wurde 1783 Professor der Philosophie und Pädagogik, ab 1784 auch der Eloquenz in Halle und gründete 1787 das dortige philologische Seminar, wodurch die Trennung von Altphilologie und Theologie an der Fridericiana offiziell vollzogen war. Nach der Schließung der Universität durch Napoleon siedelte Wolf nach Berlin über, wurde 1807 Mitglied (1812 Ehrenmitglied) der Akademie der Wissenschaften und 1810 Professor für klassische Philologie. Wolf, dessen Hauptinteresse Homer galt, hat ein umfangreiches Werk hinterlassen (vgl. I § 136) und den Altertumswissenschaften insgesamt zu neuer Blüte verholfen. Oft wird er aufgrund seiner systematischen Darlegung des griechisch-römischen Altertums (vgl. I § 105 c) als eigentlicher Neubegründer besagter Wissenschaften angesprochen. Es fällt auf, dass Nösselt seinen Universitätskollegen Wolf in der zweiten Auflage der Anweisung bereits früh in eine Reihe mit Größen wie Bentley u.a. stellt.
Gemeint ist Jan Gruters (1560–1627) Lampas, sive fax artium liberalium (7 Bde. Frankfurt/M. 1602–1623 bzw. 4 Bde. Florenz 1737–1751 [Bd. 1+2]; Lucca 1747 [Bd. 3]; Neapel 1751 [Bd. 4]). Dieses Werk wird im Untertitel auch als Thesaurus criticus bezeichnet.
Gemeint sind die von Friedrich Heinrich Starcke (1760–1833) herausgegebenen Opuscula critica I (21780) + II (11781) des englischen Geistlichen und Philologen Jonathan Toup (1713–1785). Diese umfassen die zuvor einzeln erschienenen Emendationes in Suidam I–III (1760–1766), die Curae novissimae sive Appendicula notarum et emendationum in Suidam (1775) sowie die an William Warburton (1698–1779) gerichtete Epistola critica (1767) und wurden später erneut und vermehrt herausgegeben (1790).
Gemeint ist die u.a. von Daniel Albert Wyttenbach (1746–1820) in zwölf Teilen herausgegebene und in Amsterdam erschienene Bibliotheca critica (1777–1808), als Fortsetzung ist die von Wyttenbach allein in drei Teilen herausgegebene Φιλομαθία sive miscellanea doctrina (1809–1817) anzusehen. Später erschien eine von den Leidener Philologen John Bake (1787–1864), Petrus Hofman Peerlkamp (1786–1865) u.a. besorgte fünfteilige Bibliotheca critica nova (1825–1831).
Die ersten drei Bände wurden von Johann Christoph Adelung (1734–1806) übersetzt, als Übersetzer der restlichen Bände lässt sich Anton Rudolph (1712–1791) ermitteln.
Man kan2596 sich von dieser vorzüglichen Nothwendigkeit auch2597 noch mehr überzeugen, wenn man die deutsche Sprache gegen fremde überhaupt,2598 und besonders gegen alte und 2599 ausgestorbene Sprachen2600 hält.
[97] 1.2601 Durch die Muttersprache erhalten wir unsre2602 ersten Begriffe, welche dadurch,2603 und durch den häufigen Gebrauch,2604 sich nicht nur am geschwindesten in der Seele darstellen,2605 und die Schnelligkeit im Denken befördern, sondern auch anschaulicher und lebendiger werden, als durch Wörter2606 einer fremden Spra[109]che, die erst, vermittelst der Wörter in der Muttersprache, Begriffe erregen können. Und immer können wir AufklärungAufklärung,2607 und was davon abhängt, allgemeiner machen, wenn wir uns der Muttersprache bedienen, die allgemeiner verständlich ist. ( Eberhard, Johann August Eberhards 2608 Vorlesung über die Zeichen der Aufklärung einer Nation, Halle 1783.textgrid:251s0 8. (S.)Seite 24.2609 (f.)folgend)
2.2610 In ausgestorbenen 2611 Sprachen (die lateinische ausgenommen, welche, als gelehrte Sprache betrachtet, noch lebt,2612) denkt und spricht man fast gar nicht; es gehen ihnen also zwey2613 große2614 Vortheile ab, um derer Willen2615 [87] die Erlernung einer Sprache nöthig ist. Ueberdies ists überhaupt,2616 oder doch ohne Weitschweifigkeit,2617 oder ohne Gefahr eine alte Sprache zu verstellen, unmöglich, die so häufigen neuen Begriffe darin auszudrucken2618. Und lebendige Sprachen, vorzüglich die deutsche, können vieles, sonderlich die Begriffe selbst, viel deutlicher darstellen,2619 als es die alten, bey2620 mehr dunkeln Begriffen, konnten. ( Adelung, Johann Christoph Adelungs 2621 Magazin für die deutsche Sprache,textgrid:252r4 erster Jahrgang, zweytes2622 Stück,2623 (S.)Seite 3 (f.)folgend) Auch in sofern gewinnt unsre eigne und Andrer Cultur2624 durch den auf unsre Muttersprache gewendeten Fleiß.
In Johann Christoph Adelungs (1734–1806) Magazin für die Deutsche Sprache 1,2 (1782), 3–28 findet sich der Beweis der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes aus der Vergleichung der ältern Sprachen mit den neuern.
Gemeint ist erneut der elfte Band der Allgemeine[n] Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens (vgl. I § 33 c). Der Bandverantwortliche Ernst Christian Trapp (1745–1818) formuliert hier: „Aber ist zur Bildung des Geistes das Studium der Muttersprache so nöthig, als ihre Erlernung? Ist das Studium ihrer Wörter so unentbehrlich, als das Studium ihrer Worte, der in ihr und durch sie dargestellten Gedanken und Empfindungen? Ich zweifle. Den Sinn für das Gute, Wahre und Schöne bekommt man wol nicht durch die Grammatik“ (aaO 30).
Friedrich Gedikes (1754–1803) Einige Gedanken über die Uebung im Lesen finden sich in dessen Gesammlete[n] Schulschriften I (1789), 368–380. Ursprünglich ist diese Schrift 1785 als Einladung zur öffentlichen Prüfung am Friedrichswerderschen und Friedrichsstädtischen Gymnasium am 19. April desselben Jahres in Berlin erschienen.
Gemeint sind die Beiträge Grundgesetz der Deutschen Orthographie bzw. Von der Orthographie fremder Nahmen und Wörter in dem von Johann Christoph Adelung (1734–1806) verantworteten Magazin für die Deutsche Sprache 1,1 (1782), 59–83 bzw. aaO 1,3 (1782), 3–17.
In Johann Christoph Adelungs (1734–1806) Magazin für die Deutsche Sprache sind folgende Beiträge gemeint: Was ist Hochdeutsch?, in: aaO 1,1 (1782), 1–31 (Aufs. 1); Von der Nieder-Hochdeutschen Mundart, und von Obersächsischen Sprachfehlern, in: aaO 1,1 (1782), 32–40 (Aufs. 2); Zusatz zur ersten und fünften Abhandlung des vorigen Stückes, in: aaO 1,2 (1782), 104–108 (Aufs. 7); Über die Frage: Was ist Hochdeutsch? Gegen den Deutschen Merkur, in: aaO 1,4 (1783), 79–111 (Aufs. 4); Über die schöne Litteratur der Deutschen; auch gegen den Deutschen Merkur, in: aaO 1,4 (1783), 112–126 (Aufs. 5); Noch etwas über Deutsche Sprache und Litteratur, auf Veranlassung der Berlinischen Monathsschrift, in: aaO 1,4 (1783), 134–159 (Aufs. 7); Der Sprachgebrauch gilt mehr, als Analogie und Regeln, in: aaO 1,2 (1782), 83–103 (Aufs. 6).
{Daß gleichwohl Adelung bei seinem großen Verdienst um die Sprache, so wie früherhin der von dieser Seite nicht zu vergessende Gottsched, auch oft vorsätzlich nur einem gewissen Dialect den Vorzug gab, und namentlich gegen den oberdeutschen, so wie gegen die Bereicherung der Sprache durch so viele klassische Prosaisten und Dichter, ungerecht war, ist itzt wohl eben so allgemein anerkannt.
Daher sind mit Adelung noch zu verbinden:
Beide Bände sind 1782 erschienen.
Alle drei Teile der ersten Auflage sind 1785 in zwei Bänden erschienen, die beiden Bände der dritten Auflage 1789 und 1790.
Hier handelt es sich um Theodor Heinsius' (1770–1849) fünfteiliges Teut oder theoretisch-praktisches Lehrbuch des gesammten Deutschen Sprachunterrichts (1807–1812), dessen erste vier Teile 1807–1811 erschienen sind. Als sechster Teil dieses mehrfach aufgelegten Werkes fungiert das vorab erschienene Lehrbuch des deutschen Geschäftstyls (1806).
Johann Friedrich Heynatz (1744–1809) wurde 1775 Rektor des Lyzeums zu Frankfurt/Oder und 1791 gleichzeitig auch außerordentlicher Professor der Beredsamkeit und der schönen Wissenschaften an der dortigen Universität. Aus seinem umfangreichen Werk zur deutschen Sprache sei an dieser Stelle auf die Deutsche Sprachlehre zum Gebrauche der Schulen (1770; 51803), die Anweisung zur Deutschen Sprache. Zum Gebrauch beim Unterricht der ersten Anfänger (1785), die in sechs Heften erschienenen Briefe, die deutsche Sprache betreffend (1771–1775) mit einer dazugehörigen Beilage (1775–1776) sowie den Versuch eines Deutschen Antibarbarus (1796–97) in zwei Bänden verwiesen.
Der vergleichsweise unbekannte Johann Ernst Stutz (1733–1795) war Pastor in Bone bei Zerbst und hat sich gegen Ende seines Lebens v.a. um die deutsche Sprache verdient gemacht. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang sein Kleiner Beitrag zur Beförderung Deutscher Sprachrichtigkeit (1789), die Deutsche Sprachlehre (1790) sowie die Kleinere deutsche Sprachlehre zum Schulgebrauche (1793). Nach dem Tod von Karl Philipp Moritz (1756–1793) hat Stutz zudem den zweiten Band des Grammatische[n] Wörterbuch[es] der deutschen Sprache (1794) vollendet.
Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772–1838), 1794 Privatdozent in Leipzig, 1795 Professor für Moral und Geschichte an der Dresdner Ritterakademie und 1803 außerordentlicher Professor für Philosophie in Leipzig, übernahm ein Jahr später eine Professur für Natur- und Völkerrecht in Wittenberg, bevor er 1815 als Professor für sächsische Geschichte und Statistik nach Leipzig zurückkehrte und 1820 auf den Lehrstuhl für Staatswissenschaften wechselte. Aus seinem vielseitigen Werk ist im Hinblick auf die deutsche Sprache v.a. der vierteilige Versuch eines Systems des teutschen Styls (1800/1801) sowie die Allgemeine teutsche Sprachkunde (1804) zu nennen.
Bei dem Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart handelt es sich um die erste Auflage von Johann Christoph Adelungs (1734–1806) bedeutendem vierbändigen Grammatisch-kritische[n] Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (21793–1801), 1818 erschien der erste Teil eines Supplementbandes. Der fünfteilige Versuch erschien zwischen 1774 und 1786.
Parallel zum Grammatisch-kritische[n] Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (21793–1801) erschien Johann Christoph Adelungs (1734–1806) Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart (1793–1802).
Joachim Heinrich Campes (1746–1818) fünfbändiges Wörterbuch der deutschen Sprache erschien zwischen 1807 und 1811.
Gemeint ist der dreibändige Versuch eines hochdeutschen Handwörterbuches für die Aussprache, Orthographie, Biegung, Ableitung, Bedeutung und Verbindung (1793–1795) von Traugott Gotthold Voigtel (1766–1843).
Samuel Johann Ernst Stoschs (1714–1796) Versuch in richtiger Bestimmung erschien zuerst in drei Teilen (1770–1773) in Frankfurt/Oder, der erste Teil wurde 1777 ebenda erneut aufgelegt. Als vierter Teil wurden Stoschs Kritische Anmerkungen über die Gleichbedeutenden Wörter der Deutschen Sprache (1775) gezählt. 1780 erschien in Berlin eine neue vierbändige Auflage, wenige Jahre später in Wien eine dreibändige Ausgabe (1785–1786). Eine Edition mit den in der dritten Auflage der Anweisung angeführten Erscheinungsjahren ist nicht zu ermitteln.
Der sechste Teil von Johann August Eberhards Versuch einer allgemeinen deutschen Synonymik stammt aus dem Jahr 1802, sein Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache ist 1806 in zweiter Auflage erschienen.
Das vierte und letzte Stück des zweiten Bandes erschien 1784.
Gemeint ist die Abhandlung Sind es Schriftsteller, welche die Sprachen bilden und ausbilden? in dem von Johann Christoph Adelung (1734–1806) verantworteten Magazin für die Deutsche Sprache 1,3 (1782), 45–57.
In Noctes Atticae XIII 17 (16) bemerkt Aulus Gellius (2. Jh.), dass der Begriff humanitas nicht, wie allgemein angenommen, das griechische φιλανθρωπία (Menschenfreundlichkeit) wiedergebe. Vielmehr meine humanitas in seiner ursprünglichen Bedeutung „ohngefähr das, was die Griechen durch παιδεία (Erziehung) ausdrücken, wir also Unterrichtung (Anweisung) und Einführung in Kunst und Wissenschaft nennen“ (Übers. nach Aulus Gellius, Die Attischen Nächte [Ed. Weiss], Bd. II (IX.−XX. Buch) Darmstadt 1992 [= Leipzig 1876], 193).
Statt regendis heißt es im Titel regundis, grammatisch sind beide Formen korrekt.
Im ersten Band (1807) (vgl. I § 112) der von Friedrich August Wolf und Philipp Karl Buttmann (1764–1829) herausgegebenen Zeitschrift Museum der Alterthums-Wissenschaft findet sich eine Darstellung der Alterthums-Wissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth (aaO [1–9] 10–145), in der die Altertumswissenschaft in 24 Teilbereiche zergliedert wird (vgl. aaO 143–145). Am Beginn dieser berühmten Konzeption geht Wolf in einer längeren Anmerkung u.a. auf die Begriffe Humanität und Humaniora ein (vgl. aaO 11–13).
Hier dürfte die durch Johann Bernhard Basedow und die Gründung des Dessauer Philanthropinums angestoßene Reformbewegung (vgl. I § 33 c) gemeint sein (vgl. auch I § 56).
Vgl. 1Kor 9,22.
Diese an der Wende zum 19. Jh. vielzitierte Wendung stammt aus Ovids (43 v.–17 n. Chr.) während seiner Verbannung am Schwarzen Meer verfassten Epistulae ex Ponto. In Ov. Pont. II 9,47f. heißt es: „mit redlichem Sinne die edleren Künste erlernen sänftigt die Sitten und nimmt ihnen das Grausame weg (ingenuas didicisse fideliter artes emollit mores nec sinit esse feros)“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Willige/Luck], Stuttgart/Zürich 1963, 404.405).
Gemeint ist Isaak Casaubons Dedicatio an den französischen König Heinrich IV. (1553–1610) in der von Johann August Ernesti veranstalteten dreibändigen Ausgabe Polybii Historiarum quae supersunt III,2 (1763), 603–665. Diese Ausgabe (vgl. I § 225) hat sich nachweislich in Nösselts Besitz befunden (vgl. Bibl. Nöss. 398 Nr. 203–205).
Bis zur ersten Auflage der Anweisung sind Johann August Ernestis Opuscula oratoria in zwei Auflagen erschienen (1762 bzw. 21767). Gemeint sind die folgenden Beiträge in der zweiten Auflage: Oratio professionis humaniorum literarum extraordinariae adeundae causa recitata (aaO 3–19); Oratio professionis rhetoricae adeundae causa dicta (aaO 20–37); Prolusio III. Formula indicendae petitionis honorum philosophicorum Vice Cancellarii (aaO 184–188); Prolusio V. De philosophia vitae (aaO 197–207).
Gemeint ist der Versuch über die Wissenschaft der Litteratur in den Vermischte[n] Beyträge[n] zur Philosophie und den schönen Wissenschaften 2,2 (1764), 194–275. Es handelt sich um eine Übersetzung einer ursprünglich französischsprachigen, jedoch von einem englischen Autor verfassten und 1762 in London erschienenen Abhandlung, hinter der sich Edward Gibbons (1737–1794) Essai sur l'étude de la littérature verbirgt. Der Übersetzer ist Samuel Benjamin Klose (1730–1798).
Die von Friedrich August Wolf und Philipp Karl Buttmann (1764–1829) in Berlin herausgegebene Zeitschrift Museum der Alterthums-Wissenschaft ist in zwei Bänden (1807 bzw. 1808/1810) erschienen (vgl. I § 105 c). Aufgrund des Inhalts ist jedoch zu fragen, ob an dieser Stelle tatsächlich nur auf den zweiten Band oder auf die Zeitschrift als Ganzes verwiesen sein soll.
1Kor 4,9 liest ἐγενήθημεν.
1Kor 4,9 liest καὶ.
1Kor 4,9 liest καὶ.
Gemeint ist der Drucker und Verleger Paolo Manuzio (Paulus Manutius) (1512–1574), der als Nachfolger seines Vaters Aldo Pio Manuzio (Aldus Manutius) (ca. 1450–1515) in der familieneigenen venezianischen Offizin, Leiter der Druckerei der neu gegründeten Academia Veneta und später auch der päpstlichen Buchdruckerei im Vatikan zu den führenden Typographen und Gelehrten seiner Zeit gehörte und sich v.a. durch seine kommentierten Cicero-Ausgaben bleibenden Ruhm erworben hat.
Im Blick ist die in beiden in Frage kommenden Auflagen der Opuscula oratoria (vgl. I § 112) seitenkonkordante Oratio de institutis criticorum in studiis Theologiae imitandis dicta professionis Theologicae adeundae causa (aaO 38–56).
Die in Johann August Ernestis Opuscula philologica critica. Multis locis emendata et aucta (Leiden 1764) abgedruckten Abhandlungen tragen die Titel De difficultatibus Novi Testamenti recte interpretandi (aaO 198–218 [XIV.]), Pro grammatica interpretatione librorum inprimis sacrorum (aaO 219–232 [XV.]), De vanitate philosophantium in interpretatione librorum SS. (aaO 233–251 [XVI.]) und De difficultate interpretationis grammaticae Novi Testamenti (aaO 252–287 [XVII.]). In der ersten Auflage der Anweisung sind für den späteren Nachtrag der Seitenzahl(en) Spatien eingefügt worden (vgl. III § 77; III § 105).
Vgl. II § 174.
Hier ist nicht, wie auch in der dritten Auflage der Anweisung angenommen, auf den zweiten, sondern erneut auf den elften Band der Allgemeine[n] Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens (vgl. I § 33 c) verwiesen. Der zweite Abschnitt dieses Bandes handelt von dem Zweck, dem Nutzen und Schaden des Lernens fremder Sprachen überhaupt (aaO 215–257), auf den in der Anweisung angeführten Seiten 234–257 (vgl. [525f.]) wird speziell das Lateinische abgehandelt.
Zu denken ist hier etwa an George Dalgarnos (1626–1687) Ars signorum (1661) oder John Wilkins' (1614–1672) Essay towards a Real Character, and a Philosophical Language (1668), an die Polygraphia nova et universalis (1663) des Jesuiten und Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602–1680) sowie Gottfried Wilhelm Leibniz' seit der Dissertatio de arte combinatoria (1666) immer wieder angestellten Überlegungen zu einer lingua universalis.
Als direktes Zitat sind beide Sätze nicht nachzuweisen, vielmehr werden auch hier (vgl. I § 11–14.125) weit verbreitete Allgemeinplätze aufgegriffen.
D.i. in einer benannten, d.h. bestimmten, Sprache (vgl. III § 67).
{Gegen das, was in dem vorstehenden Abschnitt über die Wünschenswürdigkeit einer allgemeinen Beibehaltung der lateinischen Sprache gesagt ist, dürften sich allerdings manche erhebliche Einwürfe machen lassen. Der Hauptvortheil des Lateinschreibens bleibt unstreitig die dadurch beförderte Verbreitung gewisser Ideen und Kenntnisse in fremden Ländern. Wir Deutschen werden immer davon den geringsten Vortheil ziehen, da wir fleißig und gutmüthig genug sind, fast alle Sprachen zu lernen, so daß uns schwerlich irgend etwas Bedeutendes, was im Auslande geschrieben wird, fremd bleibt, indem theils Uebersetzungen, theils literarische Journale dafür sorgen, es uns mitzutheilen. So machen wir in allen Ländern Europens wissenschaftliche Eroberungen, und erfahren oft gleichzeitig, was in ihnen Neues entdeckt oder geschrieben ist.
Daß aber die Kultur und allgemeine Aufklärung einer Nation in eben dem Grade gewinnt, in welchem ihre eigne Sprache ausgebildet, und eben sowohl auf wissenschaftliche als auf andere Gegenstände angewendet wird, ist durch die Geschichte aller Nationen bewiesen. Darum ehren wir ja auch Männer, die, so fähig sie waren, Latein zu schreiben, und es auch wirklich häufig thaten, dennoch, wie 275 Thomasius und 276 Wolf, auch über wissenschafliche Gegenstände deutsch schrieben, und dadurch der Sprache einen so großen Dienst leisteten.
Der Nachtheil, der aus dem Popularisiren gewisser Untersuchungen, welche mit den heiligsten Angelegenheiten der (heil.)heilig Schrift zusammenhängen, entstehen kann, ist wohl schwerlich darauf zu schieben, daß man weniger lateinisch schrieb, sondern mehr auf den Ton, worin man es schreibt. Noch weit mehr aber, weil so vielen die Gewandtheit oder die Schonung fehlt, zu überlegen, ob die freiern Untersuchungen, die sie – gleichviel ob in deutschen, oder lateinischen, oder [133] französischen Büchern gelesen haben, jedermann, auch den Laien und Ungelehrten, ohne alle Vorbereitung mitgetheilt werden sollten.
Endlich dürfte auch nicht zu übersehen seyn, daß bei dem großen Fortschritt in den Wissenschaften, die lateinische, als eine todte Sprache, nicht mehr genügt, um Alles in ihr zu sagen, wenn man recht verstanden seyn will; daß dagegen unsre Sprache auf einer Höhe steht, die mit dem, was sie war, als die Gelehrten fast noch alle Latein schrieben, nicht zu vergleichen ist; daß endlich manche vortreffliche Schriftsteller, selbst große Humanisten – wie 277 Voß (u. A.)und Andere – gerade dieser Fertigkeit entbehren.
Hiermit soll jedoch keineswegs gesagt werden, daß man nachlassen solle, wo möglich alle Studierende zu üben und anzutreiben, sich auch durch Fertigkeit nicht bloß im Lateinlesen, sondern auch im lateinischen Styl zu empfehlen, da diese Uebungen an sich schon mit der Sprache selbst vertrauter machen, wenn auch in späteren Jahren von ihnen selbst gar kein Gebrauch gemacht werden sollte. (A. d. H.)Anmerkung des Herausgebers [}]
Der zunächst in Leipzig und nach einem Vorlesungs- und Veröffentlichungsverbot ab 1690 im preußischen Halle wirkende Christian Thomasius (1655–1728) gehört als Philosoph und Doktor beider Rechte zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Frühaufklärung, bleibenden Verdienst hat er sich v.a. durch sein Eintreten für die Abschaffung von Hexenprozessen und der Folter erworben. Unter den mehr als 300 hinterlassenen Werken fällt die große Zahl deutschsprachiger Veröffentlichungen auf. Hervorgehoben seien an dieser Stelle etwa das Lehrbuch des Naturrechtes (1687), die Einleitung zur Hoff-Philosophie (1688), die Außübung der Vernunfft-Lehre (1691), der Versuch von Wesen des Geistes (1699) sowie die Monats-Gespräche (1688–1690). Daneben hat Thomasius als einer der ersten akademischen Lehrer auch deutschsprachige Vorlesungen angeboten. Durch die Abkehr von der lateinischen und die Hinwendung zur deutschen Sprache – in Leipzig neben anderen Begebenheiten noch als massive Provokation empfunden – gehört Thomasius zu den Wegbereitern der National- als Wissenschaftssprachen.
Auch Christian Wolffs Werk zeichnet sich durch die vergleichsweise große Zahl der deutschsprachigen Veröffentlichungen aus. Hervorgehoben seien neben den Anfangs-Gründe[n] Aller Mathematischen Wissenschafften (1710) v.a. die unterschiedlichen Vernünfftige[n] Gedancken. Die Natürliche Gottesgelahrheit nach beweisender Lehrart abgefasset (vgl. I § 201 c) wie auch die Grundsätze des Natur- und Völckerrechts (1754) stammen in ihrer deutschen Fassung dagegen nicht von Wolff.
Gemeint ist der bedeutende niederländische Humanist und Theologe Gerardus Joannes Vossius (1577–1649), der nach dem Studium in Leiden zunächst Rektor an der Dordrechter Lateinschule wurde. Ab 1615 leitete er auf Empfehlung seines Freundes Hugo Grotius das sog. Staatencollegium, eine Bildungsanstalt für zukünftige Theologen, musste, als Remonstrant verdächtigt, im Zuge der Synode von Dordrecht jedoch zurücktreten. Den kurz darauf erfolgten Abendmahlsausschluss konnte er 1624 durch ein offizielles Bekenntnis zu den Dordrechter Beschlüssen rückgängig machen, theologische Ämter blieben ihm weiterhin versagt. Bereits 1622 hatte Vossius jedoch eine Professur für Eloquenz und Geschichte in Leiden erhalten und später auch den Griechisch-Lehrstuhl übernommen, 1632 wurde er schließlich Professor für Geschichte am Amsterdamer Athenaeum. Zu Vossius' zahlreichen Veröffentlichungen zählen auch Werke zur griechischen und lateinischen Grammatik, die nicht nur in den Niederlanden als Schulbücher Verwendung fanden.
Gemeint ist die ursprünglich von Helfrich Bernhard Wenck (1739–1803) verfasste zweibändige Lateinische Sprachlehre oder Grammatik für Schulen (1791), die in der siebenten Auflage (1814/1816) von Georg Friedrich Grotefend (1775–1853), dem Entzifferer der Keilschrift, umgearbeitet wurde.
Christian Gottlob Bröder (1745–1819) ist der Verfasser zweier häufig aufgelegter lateinischer Schulgrammatiken, die in der ersten Hälfte des 19. Jh.s weit verbreitet waren. Welches Werk hier gemeint sein könnte, ist nicht eindeutig zu klären. Da Bröder keine Große oder Größere Grammatik verfasst hat, kommen entweder die neunte Auflage (1813) der zuvor genannten Practische[n] Grammatik, die sich im Umfang jedoch nur unwesentlich von der siebenten Auflage unterscheidet, oder aber, mit dem Erscheinungsjahr, aber gegen den Titel, die zehnte Auflage der Kleine[n] lateinische[n] Grammatik mit leichten Lectionen für Anfänger (1812) in Frage. Dass ein größeres Format gemeint sein könnte, ist unwahrscheinlich.
Die sog. Wellerische Grammatik geht auf den Wittenberger Professor für orientalische Sprachen und späteren sächsischen Oberhofprediger Jakob Weller von Molsdorf (1602–1664) zurück und ist seit ihrem ersten Erscheinen als Grammatica graeca nova (1635) immer wieder bearbeitet worden. Die von Johann Friedrich Fischer besorgte Ausgabe (1756; 21781) wurde durch den Libellus animadversionum (1750–1752) vorbereitet (vgl. I § 131). Im Hinblick auf die als Gemeinschaftswerk Berliner Schulmänner herausgegebene, ebenfalls mehrfach aufgelegte Vollständigere Griechische Grammatik. Nach der Lehr-Ordnung der Lateinischen Märkischen Grammatik eingerichtet (1730), kurz Märkische Grammatik genannt und auch in der zweiten Auflage 1737 von Johann Leonhard Frisch (1666–1743) besorgt, wird in der dritten Auflage der Anweisung gesondert auf die von August Ferdinand Bernhardi (1769–1820) veranstaltete Bearbeitung Neue Märkische Griechische Grammatik (1797) verwiesen. Diese hat Heinrich Christoph Friedrich Hülsemann (1771–1835) mit seiner Vollständige[n] griechische[n] Sprachlehre (1802) kurz darauf berichtigt und vermehrt.
Für Philipp Karl Buttmanns (1764–1829) im deutschen (und durch Übersetzung auch im englischen) Sprachraum weit verbreitetes grammatisches Standardwerk lassen sich folgende Entwicklungsstufen festhalten: Die zunächst auf Wunsch der Myliusschen Buchhandlung als Begleitung zu Gedikes Griechische[m] Lesebuch erarbeitete, jedoch unabhängig edierte Kurzgefaßte griechische Grammatik (1792) ist ab der zweiten Auflage vermehrt und umgearbeitet unter dem Titel Griechische Grammatik (1799) erschienen. Aus dieser entwickelte sich dann Buttmanns später als mittlere Grammatik bezeichnete griechische Stammgrammatik, die insgesamt 22 Auflagen erlebte. Auf Grundlage der sechsten Auflage der Stammgrammatik (1811) erschien als Auszug die Griechische Schul-Grammatik (1812), die ihrerseits insgesamt 17 Auflagen erlebte. Buttmanns grammatische Arbeit gipfelte schließlich in der zweibändigen Ausführliche[n] griechische[n] Sprachlehre (1819/1825.1827; 21830/1839), die die Stamm- zur mittleren Grammatik werden lässt. In der dritten Auflage der Anweisung dürfte die Stammgrammatik jedoch noch als größere und ihr Vorläufer als kleinere Grammatik betrachtet worden sein, allerdings lag als Auszug der Stammgrammatik auch die Schul-Grammatik bis zum Erscheinen der dritten Auflage der Anweisung bereits in vier Auflagen vor.
Hier dürfte es sich um fehlerhafte Jahreszahlen handeln. In der Vorrede seiner Griechische[n] Grammatik zum Schulgebrauch (1808) bezeichnet August Matthiae (1769–1835) diese als Auszug aus seiner ein Jahr zuvor erschienenen Ausführliche[n] griechische[n] Grammatik (1807). In der Vorrede hatte Matthiae hier einen Auszug für den Schulgebrauch angekündigt.
Der Name des Autors lautet Gottfried Hermann (1772–1848).
Der Name des Autors lautet Johann Friedrich Facius (1751–1825).
Immanuel Johann Gerhard Schellers (1735–1803) Ausführliches und möglichst vollständiges lateinisch-deutsches Lexicon umfasst in der dritten Auflage (1804) nur fünf Bände.
Gemeint ist Charles du Fresne du Canges (1610–1688) dreibändiges Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis (1678) (später nur noch Glossarium mediae et infimae latinitatis), das in ständiger Erweiterung als Standardnachschlagewerk noch heute unentbehrlich ist. Von diesem Werk besorgte der später säkularisierte Benediktiner Pierre Carpentier (1697–1767) gemeinsam mit anderen Gelehrten seines Ordens eine sechsbändige Neuausgabe (1733–1736), der er mit dem Glossarium novum (1766) vier Supplementbände folgen ließ. Erwähnt sei, dass du Cange zudem auch das zweibändige Glossarium ad scriptores mediae et infimae graecitatis (1688) verfasst hat (vgl. I § 134).
Wie in der ersten Auflage der Anweisung richtig bibliographiert, ist der erste Band 1772 erschienen.
Gemeint ist die vierte Auflage des von dem Mediziner und Bibliothekar Georg Matthiae (1708–1773) besorgten Novum locupletissimum manuale Lexicon Latino-Germanicum et Germanico-Latinum (1775).
Gemeint ist Immanuel Johann Gerhard Schellers (1735–1803) zweiteiliges Lateinisch-deutsches und deutsch-lateinisches Handlexicon vornehmlich für Schulen, das in der hier bibliographierten vierten und nach neuer Zählung ersten Auflage (1807) von Georg Heinrich Lünemann (1780–1830) bearbeitet wurde. Da der erste Teil in zwei Bände zerfällt, wird hier von insgesamt drei Bänden gesprochen.
Bei dem Autor dieses Werks handelt es sich um den Ernesti-Schüler Karl (Carl) Ludwig Bauer (1730–1799). Die nach Bauers Tod erschienene dritte Auflage dieses lange Zeit unübertroffenen Lexikons ist ein unveränderter Abdruck der zweiten Auflage (1798).
Der Bearbeiter und Übersetzer von Jean-Baptiste Gardin du Mesnils (1720–1802) mehrfach aufgelegtem Standardwerk Synonymes latins (1777) ist Johann Christian Gottlieb Ernesti (1756–1802).
Gemeint ist die gegenüber dem vierbändigen Original erweiterte editio nova auctior et emendatior (London 1816–1828). Aufgrund von elementaren Mängeln wurde der Thesaurus graecae linguae kurz darauf jedoch in Frankreich erneut aufgelegt (Paris 1831–1865).
Die erste Auflage von Johann Gottlob Schneiders (1750–1822) bedeutendem zweibändigen Wörterbuch trägt den Titel Kritisches griechisch-deutsches Handwörterbuch (1797/1798), die zweite Auflage ist unter dem Titel Kritisches griechisch-deutsches Wörterbuch (1805/1806) erschienen.
Es handelt sich hier um die zweite, neu bearbeitete und sehr vermehrte Auflage des zweibändigen Kleine[n] Griechisch-Deutsche[n] Hand-Wörterbuch[es]. Zum Besten der Anfänger ausgearbeitet (1815/1816) von Friedrich Wilhelm Riemer (1774–1845), das als Auszug aus dem zuvor genannten Kritische[n] Wörterbuch Johann Gottlob Schneiders abgefasst ist.
Dem in zwei Bände (1801/1802) zerfallenden griechisch-deutschen Teil seines Allgemeine[n] Griechisch-Deutsche[n] und Deutsch-Griechische[n] Handwörterbuch[es] zum Schulgebrauche ließ Johann Friedrich Jacob Reichenbach (1760–1839) erst 1818 einen deutsch-griechischen Teil folgen.
Hier handelt es sich um den ansonsten nicht weiter hervorgetretenen Carl Christian Wendler (1741–1804), der sich als Ernesti-Schüler insbesondere auf die klassische Philologie verlegte. Nach dem Studium war er als Mitarbeiter des beliebten Leipziger Geistlichen Johann Adolph Scharf (1724–1791) und als Hauslehrer tätig. Obwohl Wendler nie ein öffentliches Amt bekleidete, genoss er unter Gelehrten hohes Ansehen und war als Bearbeiter des Graecum Lexicon Manuale durchaus bekannt.
Gemeint ist die von dem französischen Juristen Denis Godefroy (Dionysius Gothofredus) (1549–1622) besorgte, mehrfach aufgelegte Sammlung Auctores Latinae Linguae in unum redacti corpus (1585), in der mit Varro, Marcus Verrius Flaccus, seinem Bearbeiter Sextus Pompeius Festus u.a. für die lateinische Sprache bedeutende Grammatiker zusammengestellt sind. Von vergleichbarer Anlage, aber um einiges reicher sind die Grammaticae Latinae auctores antiqui (1605) des früh verstorbenen Scaliger-Schülers Helias Putschen (1580–1606).
Hinter diesem Namen verbirgt sich das (noch vor der Suda) umfangreichste erhaltene Lexikon der byzantinischen Zeit. Sein spätantiker Verfasser Hesychius von Alexandrien betont, er habe auf bereits vorliegendes Material (v.a. die Περιεργοπένητες des Diogenianos) zurückgegriffen und dieses um eigene Beiträge ergänzt. Das Lexikon besteht überwiegend aus knappen Glossen, die gelegentlich mit Zitaten aus antiken Autoren, der Bibel und den Kirchenvätern angereichert sind, auffällig ist der vergleichsweise hohe Grad an alphabetischer Ordnung.
Der auch unter seinem lateinischen Namen Julius Pollux bekannte, aus dem ägyptischen Naukratis stammende Julios Polydeukes (2./3. Jh.) ist der Verfasser des sog. Onomastikons. Dieses nach Sachgruppen gegliederte Werk wird, da es neben der Philologie im engeren Sinne auch weitreichende kulturgeschichtliche Informationen bereithält, als Mischlexikon sui generis bezeichnet.
Unter diesem erst im 15. Jh. auftretenden Namen ist das bekannteste Synonymenlexikon der byzantinischen Zeit, Περὶ ὁμοίων καὶ διαφόρων λέξεων (De adfinium vocabulorum differentia), überliefert. Enthalten sind über 500, nach den ersten beiden Buchstaben alphabetisierte Bedeutungsunterscheidungen gleich oder ähnlich klingender Wörter, die in großer Zahl auch literarisch, aber nicht rein attisch belegt werden (v.a. Homer). Die vormals angenommene Identifizierung seines Autors mit dem als Lehrer des Kirchenhistorikers Sokrates bekannten Grammatiker Ammonius (4. Jh.) wird heute abgelehnt, der Ursprung des Werkes auf den ebenfalls als Verfasser eines Synonymenlexikons hervorgetretenen Grammatiker Herennios Philon (1./2. Jh.) zurückgeführt.
Mit dem Namen des alexandrinischen Grammatikers Valerius Harpokration (wohl 2. Jh.) verbindet sich (neben der nicht erhaltenen Sammlung „blühender“ Ausdrücke [Ἀνθηρῶν συναγωγή]) das in zwei Bearbeitungen überlieferte Lexikon zu den zehn Rednern (Λέξεις τῶν δέκα ῥητόρων), das in vergleichsweise strenger alphabetischer Ordnung die Glossen der zehn attischen Redner nebst ausführlichen Erklärungen und Belegen aus anderen Autoren bietet. Erwähnt sei, dass die Antike zudem einen platonischen Philosophen mit Namen Harpokration kennt, der als Platon-Kommentator und Verfasser eines Platon-Lexikons hervorgetreten ist. Ein weiterer, mit Astrologie, Magie u.Ä. befasster Autor desselben Namens ist an dieser Stelle auszuschließen.
Der den Beinamen der Sophist tragende Timaeus ist der biographisch kaum greifbare Verfasser eines in nur einer Handschrift überlieferten, stark interpolierten Speziallexikons zu Platon (Datierung zwischen dem 1. und 4. Jh.), das von späteren Scholiasten benutzt und in verschiedenen byzantinischen Lexika verarbeitet wurde. Die erste vollständige Ausgabe (Leiden 1754; 21789) dieses lange verschollen geglaubten Lexikons stammt von dem berühmten Leidener Philologen David Ruhnken.
Der aus Thessalonike stammende, auch unter seinem Mönchsnamen Theodulos bekannte Thomas Magister (ca. 1275–1350) gehört zu den bedeutendsten Philologen der Palaiologenzeit. Hier ist an sein Hauptwerk, die Ἐκλογὴ ὀνομάτων καὶ ῥημάτων ἀττικῶν, gedacht. In der Ausarbeitung dieses von nachfolgenden byzantinischen Gelehrtengenerationen vielbenutzten, nach dem ersten Buchstaben alphabetisierten attizistischen Lexikons greift Thomas häufig auf philologisch-lexikographische Vorarbeiten zurück, hinzu kommen jedoch auch zahlreiche Glossen aus eigener Klassikerlektüre.
Das über 900 Glossen umfassende, alphabetisch geordnete Lexikon des griechischen Grammatikers und Lexikographen Moeris (Moiris) (2./3. Jh.) diente vornehmlich als Hilfsmittel für den korrekten Gebrauch des Attischen. Auch wenn dieses Schema nicht völlig durchgehalten wird, sind hier attische Begriffe (v.a. aus Platon, Thukydides, Xenophon, Aristophanes und den zehn Rednern) nichtattischen Begriffen (v.a. aus Phrynichos, Pausanias und Ailios Dionysios) gegenübergestellt.
Der dreiteilige bzw. siebenbändige, infolge des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) unvollendet gebliebene Catalogus Bibliothecae Bunavianae (1750–1756) ist die Hauptleistung Johann Michael Franckes (1717–1775), der ab 1740 die Privatbibliothek Heinrich Graf von Bünaus (1697–1762) leitete und erfasste. Dabei wurden die Fakultätswissenschaften kleinstteilig untergliedert und auch in Zeitschriften und Sammelwerken veröffentlichte Aufsätze aufgenommen, anonyme und pseudonyme Verfasser ermittelt, auf Übersetzungen und Kommentare verwiesen und anzuschaffende Titel vermerkt. Aufgrund der Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der Angaben galt Franckes Katalog, wie auch die Bünau'sche Bibliothek selbst, als musterhaft. Nachdem die 42.000 Bände umfassende Sammlung 1764 für die kurfürstliche Bibliothek in Dresden angekauft worden war, legte Francke sie hier mit anderen Bibliotheksbeständen zusammen und machte Dresden zu einem der bedeutendsten Bibliotheksstandorte Europas. Die hier angegebenen Seiten befinden sich im dritten Band des ersten Teils (1752).
Bei der in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragenen Ausgabe (1792–1795) handelt es sich um die zweite Auflage (editio altera emendatior et auctior).
Der Philologe, Pädagoge und Bibliothekar Johann Matthias Gesner (1691–1761) übernahm nach dem Studium in Jena (v.a. bei Buddeus) und Anstellungen im Schuldienst in Weimar, Ansbach und schließlich als Rektor der Thomasschule in Leipzig im Rahmen der Universitätsgründung 1734 eine Professur für Poesie und Rhetorik in Göttingen und wurde zugleich Direktor der dortigen Universitätsbibliothek. Ein besonderes Anliegen Gesners bestand in der Verbesserung des altsprachlichen Unterrichts, das etwa in der Gründung des philologischen Seminars, nicht zuletzt aber auch in den von ihm besorgten Textausgaben zum Ausdruck kam. Im Hinblick auf die an dieser Stelle anvisierten Handausgaben sind v.a. die Scriptores rei rusticae (1735), Quintilian (1738), Plinius d. J. (1739) und Claudian (1759) zu nennen, bei der bereits zuvor angeführten Ausgabe des Livius (1735) (vgl. I § 86) handelt es sich um einen Abdruck der Ausgabe Le Clercs.
Der in Leipzig wie Gesner zunächst als Rektor der Thomasschule wirkende Johann August Ernesti (1707–1781) gehört zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Aufklärungstheologie und hat ein umfangreiches theologisches (vgl. v.a. II § 51) und philologisches (v.a. Klassikereditionen) Gesamtwerk hinterlassen. Unter den Lateinern sind v.a. Cicero (1737–1739) mit dem dazugehörigen Clavis Ciceroniana (1739) sowie Sueton (1748) und Tacitus (1752) und unter den Griechen Xenophon (1737), Aristophanes (1753), Homer (1759–1764), Kallimachus (1761) und Polybius (1764) (vgl. I § 145) zu nennen. Zudem hat Johann August Ernesti auch Vorreden zu Textausgaben (vgl. etwa I § 86) verfasst. Nicht auszuschließen sind an dieser Stelle jedoch zwei weitere Personen: 1.) Johann Christian Gottlieb Ernesti (1756–1802), seit 1782 außerordentlicher Professor in Leipzig und wenige Monate vor seinem Tod ebenda auf eine ordentliche Professur für Eloquenz berufen, ist nach dem Studium bei seinem berühmten Onkel Johann August Ernesti vor allem als Philologe hervorgetreten und hat u.a. Aesop (1781) sowie nach dem Erscheinen der Erstauflage der Anweisung auch Silius Italicus (1791/1792) herausgegeben. Es folgte eine Übersetzung ausgewählter Briefe Ciceros mit Anmerkungen, sein eigentliches Interesse galt jedoch der griechischen Lexikographie und v.a. der antiken Rhetorik. Daneben ist 2.) August Wilhelm Ernesti (1733–1801), ebenfalls ein Neffe Johann August Ernestis und dessen Nachfolger sowie Vorgänger Johann Christian Gottlieb Ernestis als Professor der Eloquenz in Leipzig, zu nennen. Dieser hat neben den Historikern Livius (1769) und Ammianus Marcellinus (1773) auch einen nach Johann Matthias Gesners Handexemplar verbesserten Plinius d. J. (1770) herausgegeben.
Johann Friedrich Fischer (1726–1799) wurde nach dem Studium in Leipzig ebenda Universitätsdozent, 1751 Konrektor der Thomasschule und ab 1762 außerordentlicher Universitätsprofessor für alte Literatur. Zuvor bei der Besetzung dieser Stelle übergangen, wurde Fischer 1767 schließlich Rektor der Thomasschule. Neben seinem Wirken als Lehrer ist Fischer v.a. als Philologe hervorgetreten, auch wenn das Urteil über seine hinterlassenen Arbeiten nicht ungeteilt positiv ausfällt. Unter den Griechen sind neben unterschiedlichen Platon-Texten (1759 u.a.m.) Aeschines von Sphettos (1753), Anakreon (1754), Moeris (1756), Palaephatus (1761) sowie Theophrast (1763) und unter den Lateinern v.a. Ovid (1758) (vgl. I § 86) zu nennen, weitere Ausgaben wie etwa Cornelius Nepos (1759) sind von geringem philologischen Wert.
Christian Gottlob Heyne (1729–1812) war nach dem Studium in Leipzig zunächst als Hauslehrer in Wittenberg und als Kopist in Dresden tätig, bevor er 1763 auf Empfehlung David Ruhnkens und als Nachfolger Johann Matthias Gesners eine Rhetorik-Professur an der Universität Göttingen antrat, die er bis zu seinem Tod innehatte. Gleichzeitig wirkte er u.a. als äußerst effizienter Universitätsbibliothekar und produktiver Rezensent für die von ihm als Sekretär der Königlichen Societät der Wissenschaften herausgegebenen Göttingische[n] Gelehrte[n] Anzeigen. Nach und nach etablierte sich Heyne als Gelehrter von europäischem Rang, dem etwa 1789 die Reform des gesamten dänischen Bildungswesens angetragen wurde, und muss neben Winckelmann und Wolf als herausragender Wegbereiter der neueren Altertumswissenschaft gelten. Noch aus Dresdner Zeit stammen Tibull (1755) und Epiktet (1756), später folgten Vergil (1767–1775), Pindar (1773) und Apollodor (1782/1787) sowie die gegenüber der Ausgabe Wolfs abfallende mehrbändige Ausgabe der Ilias (1802), die 1804 als zweibändige Handausgabe erschienen ist.
Samuel Friedrich Nathanael Morus (1736–1792) war zunächst Extraordinarius für Philosophie, dann Ordinarius für Latein und Griechisch in Leipzig, bevor er 1782 ebenda als Nachfolger seines Lehrers Ernesti auf einen theologischen Lehrstuhl berufen wurde. Morus vertrat einen biblischen Supranaturalismus und galt als so orthodox, dass seine immerhin wesentliche Teile der Christologie in den Anhang verweisende Dogmatik dennoch von Johann Christoph von Woellner (1732–1800) empfohlen werden konnte. Unter seinen theologischen Werken sind die Hermeneutik (vgl. II § 56 c) und die Epitome Theologiae Christianae (vgl. II § 190) zu nennen, hervorgetreten ist Morus jedoch v.a. als Philologe. Zu den von Morus besorgten Ausgaben zählen Isokrates' Panegyricus (1766), (Pseudo-)Longinus' De sublimitate (1769) mit einem zusätzlichen Anmerkungsband (1773), Mark Aurel (1775), Xenophons Kyropädie (1774), Anabasis (1775) und Hellenika (1778) sowie Julius Caesar (1780). Begonnen hat Morus zudem eine Ausgabe des Euripides (1778), für den Schulgebrauch hat er einzelne Texte von Lukian (1764), Sophokles (1781) und Philo von Alexandrien (1781) abdrucken lassen.
Gemeint ist der in der ersten Auflage der Anweisung noch nicht genannte Friedrich August Wolf. Bis zum Erscheinen der zweiten Auflage der Anweisung lagen Platons Symposion (1782), Hesiods Theogonie (1783), Homers Odyssee (1784) und Ilias (1785) sowie die Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes umfassende Tetralogia dramatum Graecorum (1787) vor, später folgten Ausgaben von Ciceros Reden (1801 bzw. 1802) und den Opera Suetons (1802).
Temple Stanyans (1675–1752) The Grecian History (1707/1739) besteht aus zwei Bänden: Der erste Band endet mit dem Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.), der zweite reicht bis zum Tod Philipps II. von Makedonien (ca. 382–336), des Vaters Alexanders des Großen (356–323).
Der Autor ist Christian Gottlieb Traphage (1769–1793).
Die ersten beiden Bände der Geschichte von Altgriechenland sind 1787 erschienen, die in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragenen letzten beiden Bände stammen aus dem Jahr 1797. Die Übersetzung stammt von Christian Friedrich von Blankenburg (1744–1796) und wurde nach nach dessen Tod von Ludwig Gotthard Kosegarten (1758-1818) vollendet.
Nachzuweisen ist lediglich die von Johann August Ernesti besorgte Leipziger Ausgabe aus dem Jahr 1754, in der Sekundärliteratur wird gelegentlich auch auf eine Ausgabe Ernestis aus dem Jahr 1753 verwiesen, doch geht dies vermutlich auf die Datierung der Praefatio zurück.
Der Name des Autors lautet Conyers Middleton (1683–1750), die Namensvariante Conyer findet sich jedoch auf dem Titelblatt der dreibändigen deutschen Übersetzung (1757–1759). Aus dem Jahr 1767 stammt die achte Auflage.
Obgleich sich in der Sekundärliteratur auch das Erscheinungsjahr 1781 (vgl. das Datum der praefatio) findet, lässt sich dieses Werk erst für 1782 nachweisen.
Gemeint ist die lateinische Übersetzung Compendium geographiae antiquae mappis Danvillianis XI. maioribus accomodatum ex optimis fontibus elaboratum (1785).
Der Name des Autors lautet Paul Friedrich Achat Nitsch (1754–1794), der Herausgeber ist Konrad (bzw. Conrad) Mannert (1756–1834).
Das Handbuch der alten Erdbeschreibung stammt von Hermann Schlichthorst (1766–1820), der in der dritten Auflage der Anweisung vermutlich mit dem v.a. für seine umfangreichen Sammlungen von Nekrologen bekannten Friedrich Schlichtegroll (1765–1822) verwechselt wurde.
Dieses Werk hat zwei Herausgeber: Benjamin Friedrich Schmieder (1736–1813) und dessen Sohn Friedrich Gotthelf Benjamin Schmieder (1770–1838).
Dieses Werk ist ohne Jahresangabe erschienen, dürfte jedoch um 1720 zu datieren sein. Neben Christoph Weigel d. Ä. (1654–1725) wirkte auch dessen Bruder Johann Christoph Weigel d. J. (1661–1726) als Kupferstecher und Verleger in Nürnberg.
Die in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragene sechste Auflage von Christian Tobias Damms (1699–1778) Einleitung in die Götter-Lehre und Fabel-Geschichte ist posthum im Jahre 1783 erschienen. Bei den folgenden Auflagen handelt es sich um Umarbeitungen von Friedrich Schulz (1762–1798) bzw. Konrad Levezow (1770–1835).
Die Einleitung ist in der zweiten Auflage bereits 1783 erschienen.
Von diesem Werk ist nur der erste Teil (Leipzig 1805) erschienen. Aus dem hier genannten Jahr stammt Johann Arnold Kannes (1773–1824) zweibändiges Werk Erste Urkunden der Geschichte oder allgemeine Mythologie (Bayreuth 1808).
Gemeint sind Christian Gottlob Heynes (1729–1812) in § 312 der Bücherkenntniß (31790) genannte Abhandlungen De caussis fabularum seu mythorum veterum physicis (1764), in: Opuscula academica I (1785), 184–206 (VII.); De origine et caussis fabularum Homericarum, in: Novi commentarii Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis VIII (1778), 34–58 (Commentationes historicae et philologicae classis); De theogonia ab Hesiodo condita. Ad Herodoti Lib. II. c. 52. commentatio, in: Commentationes Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis II (1780), 125–154 (Commentationes historicae et philologicae); Ad Apollodori Atheniensis bibliothecam notae I–III (1783), v.a. der dem dritten Teil vorangestellte Beitrag De Apollodori Bibliotheca novaque eius recensione simulque universe de litteratura mythica (aaO III 903–972); Temporum mythicorum memoria a corruptelis nonnullis vindicata, in: Commentationes Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis recentiores VIII (1787), 3–19 (Commentationes antiquiores) sowie das mit einer Vorrede Heynes versehene Handbuch der Mythologie aus Homer und Hesiod, als Grundlage zu einer richtigern Fabellehre des Alterthums mit erläuternden Anmerkungen begleitet von Martin Gottfried Hermann (1787) (Bd. 2 [1790] enthaltend die Mythen aus den Lyrischen Dichtern der Griechen; Bd. 3 [1795] enthaltend die astronomischen Mythen der Griechen) (vgl. I § 56 c).
Der Autor ist Paul Friedrich Achat Nitsch (1754–1794), die Fortsetzung wurde von Johann Georg Christian Höpfner (1765–1827) und Georg Gustav Samuel Köpke (1773–1837) besorgt.
Als ursprünglicher Autor dieses Werkes wird Willem Hendrik (lat. Guilelmus Henricus) Nieupoort (1674–1730) geführt.
Für Johann Friedrich Gruners (1723–1778) Introductio in antiquitates Romanas ist einzig das Erscheinungsjahr 1746 nachzuweisen.
Der Name des Autors lautet Christoph Meiners (1747–1810).
Der Autor ist erneut Paul Friedrich Achat Nitsch (1754–1794). Der erste Band ist bereits 1788 erschienen.
Gemeint sind Johann August Ernestis mehrfach aufgelegte Xenophontis memorabilium Socratis dictorum libri IV (1737; 51772) sowie dessen dreibändiger, mit Anmerkungen versehener Polybius (1763/64).
Der in augusteischer Zeit freigelassene Sklave Phaedrus (gest. Mitte 1. Jh. n. Chr.) zählt trotz einer komplizierten Überlieferungslage bis heute zu den wichtigsten Fabeldichtern (v.a. Tierfabeln).
Der mit Cicero befreundete Cornelius Nepos (1. Jh. v. Chr.) ist v.a. durch sein Hauptwerk De viris illustribus bekannt.
Publius Terentius Afer (2. Jh. v. Chr.) ist einer der berühmtesten Komödiendichter der lateinischen Antike. Für Herder war Terenz aufgrund des engeren Anschlusses an die griechischen Vorbilder sogar wichtiger als Plautus.
Literarisch ist Gaius Julius Caesar (100–44 v. Chr.), eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Antike und 39/38 v. Chr. offiziell unter die Staatsgötter erhoben, v.a. mit seinen commentarii zum gallischen Krieg (De bello Gallico) und zum Bürgerkrieg (De bello civili) verbunden.
Aus dem Werk des römischen Politikers und Geschichtsschreibers Gaius Sallustius Crispus (1. Jh. v. Chr.) sind v.a. die Darstellung der catilinarischen Verschwörung (De coniuratione Catilinae oder auch Bellum Catilinae) und die Beschreibung des Krieges gegen Jugurtha (Bellum Iugurthinum) von Bedeutung.
Aus dem umfangreichen und vielschichtigen Werk Ciceros (vgl. I § 60) hebt Nösselt Laelius de amicitia, ein in Dialogform verfasstes Werk über die Freundschaft, und Cato maior de senectute hervor, in dem Cicero den greisen Cato d. Ä. über das Alter nachdenken lässt.
In seiner Institutio oratoria betrachtet Quintilian Cicero als den bedeutendsten lateinischen Redner überhaupt. Hier liegt einer der Hauptgründe für Ciceros herausragende Stellung innerhalb der lateinischen Rhetorik.
Titus Livius (59 v.–17 n. Chr.) ist der Verfasser eines bis in das erste vorchristliche Jahrzehnt reichenden Geschichtswerkes (Ab urbe condita) in 142 Büchern, von denen jedoch nur 35 erhalten sind. Allerdings lässt sich der Inhalt der verlorenen Bücher über Auszüge, v.a. die sog. Periochae, erschließen.
Der sprachlich Quintilian verpflichtete römische Biograph und Antiquar Gaius Suetonius Tranquillus (geb. um 70 n. Chr.) ist v.a. durch seine zwölf (Caesar bis Domitian) Kaiserviten (De vita Caesarum) bekannt.
Besonders aufgrund seiner sprachschöpferischen Fähigkeiten und seines Wortwitzes gilt Titus Maccius Plautus (geb. um 250 v. Chr.) als der bedeutendste römische Komödiendichter. Zusammen mit Terenz hat er auch die neuzeitliche Komödie maßgeblich beeinflusst.
Aus dem umfangreichen und bis weit in die Neuzeit hinein von höchstem Einfluss gebliebenen literarischen Werk des von Augustus exilierten Dichters Publius Ovidius Naso (43 v.–17 n. Chr.) können neben Liebeselegien und dem Lehrgedicht Ars amatoria die Metamorphosen und der Festkalender (Fasti) als Hauptwerke gelten. Zudem hat Ovid mit den Tristia und den Epistulae ex Ponto auch seine Exilierung literarisch verarbeitet.
Mit seiner laut Statius „göttlichen“ Aeneis, aber auch den Eclogae (Bucolica) und Georgica war Publius Vergilius Maro (70–19 v. Chr.) – für Quintilian der größte Dichter nach Homer, im 16. Jh. etwa von Scaliger über Homer gestellt – bis weit in die Neuzeit hinein einer der einflussreichsten antiken Autoren überhaupt. Die Namensvariante Virgilius ist erst seit dem 5. Jh. belegt.
Der wie Vergil zum Maecenas-Kreis gehörende Dichter Quintus Horatius Flaccus (63–8 v. Chr.) ist als Autor von Satiren, Oden, Epoden und Episteln (v.a. der auch als Ars Poetica bekannten Ep. II 3) und des als Auftragsarbeit verfassten Carmen Saeculare bereits in der Antike zum Schulautor avanciert.
Gemeint ist die 14 Bücher umfassende, auch als Bunte Geschichten bekannte Ποικίλη ἱστορία (Varia historia) des Claudius Aelianus (2./3. Jh. n. Chr.), die bis in das dritte Buch vollständig und danach in Exzerpten erhalten ist. Daneben hat Aelian die sog. Tiergeschichten (De natura animalium) verfasst, die Autorschaft der Bauernbriefe ist heute umstritten.
Der einflussreiche stoische Philosoph Epiktet (50–125 n. Chr.) hat selbst keine Schriften hinterlassen, doch ist seine Lehre durch die als Lehrgespräche (Διατριβαί) veröffentlichte Mitschrift des Historikers Flavius Arrianus (geb. zwischen 85–90 n. Chr.) erhalten. Das Enchiridion (Ἐγχειρίδιον), von Nösselt Epiktet zugeschrieben, ist ein Exzerpt dieser Lehrgespräche. Zudem hat Arrian historische Werke verfasst (s.u.).
Der bedeutende Geschichtsschreiber Xenophon (ca. 430–354 v. Chr.) wurde auch als einer der wichtigsten Vertreter des attischen Griechisch durch die Jahrhunderte hindurch als Schulautor geschätzt. Neben den Geschichtswerken Anabasis und Hellenika wird Nösselt hier jedoch auch politisch-didaktische (etwa die Kyropädie) sowie philosophische Schriften (v.a. die Memorabilia Socratis) im Blick gehabt haben.
In der bis in das 19. Jh. hinein maßgeblichen Stephanus-Ausgabe (Genf 1578), nach deren Paginierung bis heute zitiert wird, werden für den athenischen Philosophen Platon (428/27–348/47 v. Chr.) neben der Apologie des Sokrates und einer Sammlung von 13 Briefen über 30 Dialoge (am bekanntesten wohl der Staat [Πολιτεία]) überliefert. Heute besteht im Wesentlichen Konsens darüber, dass die meisten Briefe und manche Dialoge nicht auf Platon zurückgehen.
Insgesamt hat der Sokrates-Schüler Aeschines von Sphettos (gest. nach 376/75 v. Chr.) sieben Dialoge verfasst, die alle verloren sind, jedoch teilweise rekonstruiert werden können. Das 18. Jh. kennt Aeschines-Ausgaben, in denen zumindest drei Dialoge geboten werden.
Neben zwei bedeutenden botanischen Abhandlungen zählen die Charaktere (Ἠθικοὶ χαρακτῆρες) zu den wichtigsten Werken des Peripatetikers und Aristoteles-Schülers Theophrast (371/70–287/86 v. Chr.). Im 17. Jh. wurden die Charaktere Vorbild für die literarische Gattung der Charakterstudie.
Der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) gehört, wie sein Lehrer Platon, zu den einflussreichsten Denkern der abendländischen Tradition (Aristotelismus) und hat, auch wenn nur ein Teil seiner Schriften erhalten ist, ein umfangreiches Werk hinterlassen. Die drei Bücher umfassende Rhetorica beschreibt zunächst die unterschiedlichen Redearten, ihre Gegenstände sowie die damit zusammenhängenden Emotionen, das dritte Buch befasst sich mit Stilfragen.
Isokrates (436–338 v. Chr.) gilt neben dem in der Reiskischen Sammlung (s.u.) enthaltenen Demosthenes als größter Redner der griechischen Antike. Waren im ersten vorchristlichen Jahrhundert 60 Reden unter dem Namen des Isokrates bekannt, von denen jedoch bereits damals nur etwa die Hälfte für echt gehalten wurde, umfasst sein Werk nach heutigem Stand und an nur wenigen Stellen unter Zweifeln 21 Reden und neun Briefe.
Gemeint sind Johann Jacob Reiskes zwölfbändige Oratores Graeci (1770–1775).
Der von Cicero als pater historiae bezeichnete, mit Blick auf die antike Historiographie höchst einflussreiche Herodot von Halikarnass (5. Jh. v. Chr.) hat ein neun Bücher umfassendes, vollständig erhaltenes Geschichtswerk (Historien) hinterlassen, in dem eine Vielzahl von unterschiedlichen (z.B. geographischen und ethnographischen) Materialien verarbeitet ist. Dieser große inhaltliche Reichtum spiegelt sich auch in seiner bereits in der Antike wegen ihrer großen Buntheit gerühmten Sprache wider.
Die Historien, das Hauptwerk des griechischen Geschichtsschreibers Polybius (gest. um 120 v. Chr.), sind eine bis in die Mitte des 2. Jh.s v. Chr. reichende Geschichte der Expansion Roms in 40 Büchern (erhalten ist etwa ein Drittel), deren besondere Bedeutung nicht zuletzt in ihrem methodischen Konzept, der sog. pragmatischen Geschichtsschreibung (vgl. I § 225), liegt. Obwohl das antike Urteil über Polybius' Stil eher negativ ausfällt, wurde er früh ausgiebig rezipiert und stieg nach seiner Wiederentdeckung im 15. Jh. bis zum Ende des 18. Jh.s v.a. in politischer Perspektive (Verfassungsfragen) zu einem der einflussreichsten antiken Historiker auf.
Das umfangreiche Werk (die Antike kannte rund 260 Schriften) des römischen Schriftstellers Plutarch von Chaironeia (gest. vor 125 n. Chr.) zerfällt grob in philosophische und historisch-biographische Schriften. Obwohl auch die philosophischen Moralia (vgl. I § 208 c) mit Gewinn zu lesen wären, geht es Nösselt an dieser Stelle v.a. um die Cäsarenviten und die Parallelbiographien (paarweise Gegenüberstellungen großer Griechen und Römer, die bis auf wenige Ausnahmen mit einem vergleichenden Epilog enden). Als wichtigster Vertreter des Mittelplatonismus (mit eigener Akademie in Chaironeia) und des Attizismus war Plutarch von beträchtlichem Einfluss und wurde auch in christlichem Kontext sehr geschätzt.
Der jüdisch-hellenistische Historiker Flavius Josephus (1. Jh. n. Chr.) hat neben einer Autobiographie (Vita Iosephi) und der apologetischen Schrift Contra Apionem zwei Geschichtswerke verfasst: den bis zur Belagerung Massadas (73/74 n. Chr.) reichenden Jüdischen Krieg (Bellum Iudaicum) und die von der Weltschöpfung bis zum jüdischen Krieg reichenden Jüdischen Altertümer (Antiquitates Iudaicae). Im Judentum ist Josephus kaum rezipiert worden, für Eusebius von Caesarea (260–339 n. Chr.) ist er der wichtigste Gewährsmann für die Zeit Jesu.
Zu den historischen Schriften Arrians (zur Epiktet-Überlieferung s.o.) zählen der Alexanderzug (Ἀλεξάνδρου Ἀνάβασις) und eine Schrift über Indien (Ἰνδική), fragmentarisch erhalten sind eine Diadochen- und eine Parthergeschichte (zu den philosophischen Schriften s.o.). Weitere Schriften sind ein vollständig überlieferter Periplus des Schwarzen Meeres und eine Abhandlung über die Jagd (Κυνηγετικός) sowie mehrere kleinere, ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Werke.
Der ursprünglich aus Alexandrien stammende, später jedoch nach Rom übergesiedelte Historiker Appian (gest. 160 n. Chr.) ist der Verfasser einer teils verlorenen, teils nur fragmentarisch erhaltenen Römischen Geschichte (Ῥωμαϊκά) mit ethnographischem Gliederungsschema. Von besonderer Bedeutung ist die insgesamt fünf Bücher umfassende Beschreibung der Bürgerkriege (Ἐμφύλια).
Der Historiker Herodian (geb. 178/180 n. Chr.) ist der Autor eines in griechischer Sprache und in acht Bänden verfassten, bis zum Herrschaftsbeginn Gordians III. im Jahr 238 n. Chr. reichenden Geschichtswerkes (Ab excessu divi Marci) und nicht mit dem zeitgleich lebenden griechischen Grammatiker Aelius Herodianus zu verwechseln.
Mit dem Namen Homers verbinden sich die beiden großen Epen Ilias und Odyssee, die wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. stammen und mit ihren insgesamt rund 28.000 Versen den Beginn der europäischen Dichtung markieren. Bereits in der Antike wurden Homer weitere Werke (etwa die Homerischen Hymnen) zugeschrieben, doch gelten nur die Ilias und die Odyssee als echt. Seit jeher wird diskutiert, ob Homer überhaupt existiert hat oder sein Name eine Kollektivbezeichnung für mehrere Autoren darstellt (Homerische Frage).
Neben Homer stellen die Werke seines Zeitgenossen Hesiod die frühesten Zeugen der griechischen Literatur dar und sind wichtiger Orientierungspunkt für die gesamte antike Dichtung. Zu nennen sind v.a. die für das Wissen um die griechische Mythologie bedeutende Theogonie sowie das in weiten Teilen auch das Alltagsleben (v.a. die Landarbeit) thematisierende Lehrgedicht Werke und Tage (Ἔργα καὶ ἡμέραι).
Hauptthemen der wenigen, nur fragmentarisch erhaltenen Gedichte des griechischen Lyrikers Anakreon d. Ä. (geb. ca. 575 v. Chr.) sind der Wein, die (erotische) Liebe und der Tod, die in teils deutlichen Bildern bearbeitet werden. Im Gegensatz dazu schlägt die unter dem Titel Anacreontea bekannte Sammlung von 60 anonymen, Anakreon nachahmenden Gedichten aus verschiedenen Epochen der Antike einen weit milderen Ton an. Diese erstmals 1554 von Stephanus herausgegebene und in der Folge in mehrere Sprachen übersetzte Sammlung war gerade im ausgehenden 18. Jh. von erheblichem Einfluss (Anakreontik).
Bei Theokrit (3. Jh. v. Chr.), Moschus (wohl 2. Jh. v. Chr.) und Bion (Lebensdaten unbek.) handelt es sich um die bedeutendsten Vertreter der griechischen Bukolik („Hirtendichtung“), die dann die lateinische (v.a. Vergil) und ab dem 4. Jh. auch die christliche Bukolik geprägt hat. Seit byzantinischer Zeit (Suda) scheinen diese drei Autoren als feste Trias zusammenzugehören.
Aus dem Werk des Chorlyrikers Pindar (geb. vermutl. 522 oder 518 v. Chr.) sind nur die Epinikia oder Siegeslieder (Oden auf Sieger der olympischen, pythischen, nemëischen und isthmischen Spiele) erhalten. Als dichterisches Vorbild war Pindar bereits in der Antike (Horaz) und später auch in der deutschen Romantik hoch geschätzt.
Das Werk des von Quintilian als elegiae princeps bezeichneten, äußerst produktiven Dichters und Grammatikers Kallimachus von Kyrene (geb. zwischen 320 und 303 v. Chr.) ist größtenteils verloren. Nösselt hat hier die komplett erhaltenen Hymnen sowie die etwas mehr als 60 Epigramme im Blick. Fragmentarisch erhalten (durch neuere Funde jedoch vergleichsweise gut rekonstruierbar) sind die Ursprünge (Αἴτια), die Jamben und das Gedicht Hekale.
Das erste der ursprünglich zwei Bücher umfassenden Poetik des Aristoteles behandelt v.a. die Tragödie (das nicht erhaltene zweite Buch die Komödie) und hat diese (Regeldrama, doctrine classique) sowie die Theorie der Dichtkunst (Scaliger, Opitz, Gottsched) seit seiner Wiederentdeckung in der Renaissance nachhaltig geprägt.
Friedrich Gedikes (1754–1803) Vertheidigung des Lateinschreibens und der Schulübungen darin findet sich in dessen zweibändigen Gesammlete[n] Schulschriften I (1789), 289–321. Bei den in der von Gedike und Johann Erich Biester (1749–1816) herausgegebenen Berlinische[n] Monatsschrift 2 (1783) abgedruckten Einwendungen handelt es sich um Johann Stuves (1752–1793) Wider das Lateinschreiben. An den Herrn Direktor Gedike (aaO 338–357). Im elften Band der Allgemeine[n] Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens (vgl. I § 33 c) findet sich die Abwägung der Gründe für und wider das Lateinschreiben, als eine allgemeine Uebung für alle und jede Studirende (aaO 258–337).
Gedikes Vertheidigung des Lateinschreibens findet sich im Berlinsche[n] Magazin der Wissenschaften und Künste 1 (1783), 4. St., 30–55.
Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466/1469–1536), der wohl bedeutendste Humanist seiner Zeit („Humanistenfürst“), hat eine umfangreiche literarische Tätigkeit (inkl. Korrespondenz) entfaltet. In theologischer Perspektive ist v.a. seine Edition des Neuen Testaments (Anfänge des textus receptus) sowie seine Auseinandersetzung mit Martin Luther und sein Einfluss auf die Reformation zu nennen. Sein Werk umfasst in der Ausgabe Jean Le Clercs (Leiden 1703–1706) zehn Foliobände.
Philipp Melanchthon (eigentl. Schwartzerdt) (1497–1560) gehört als Weggefährte Martin Luthers zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Reformation und wurde aufgrund seiner pädagogischen Verdienste auch als praeceptor Germaniae bezeichnet. Als Humanist war Melanchthon vielseitig interessiert und hat ein umfangreiches Werk hinterlassen. Hervorgehoben seien die Loci communes (1521) und die unter maßgeblichem Einfluss Melanchthons entstandene Confessio Augustana invariata (1530) bzw. variata (1540).
Der Humanist Joachim Camerarius (Kammermeister) d. Ä. (1500–1574) studierte in Leipzig, Erfurt und Wittenberg und war zuletzt Professor in Leipzig. Neben einer umfangreichen philologischen und editorischen Tätigkeit ist der eng mit Melanchthon befreundete Camerarius auch kirchenpolitisch (u.a. Teilnahme an verschiedenen Religionsgesprächen) hervorgetreten.
Der in Genf wirkende Theologe Johannes (Jean) Calvin (1509–1564) ist die wichtigste Gründungspersönlichkeit des reformierten Christentums und mit seinem Hauptwerk, der 1559 (im selben Jahr gründete Calvin die von Theodor Beza geleitete Genfer Akademie) in endgültiger lateinischer Fassung vorliegenden Institutio Christianae religionis, einer der bedeutendsten Reformatoren überhaupt (Calvinismus). Sein Werk umfasst weit über 100 Schriften, die erhaltene Korrespondenz mehrere tausend Briefe.
Der humanistisch gebildete Johannes Sturm (1507–1589) lehrte ab 1537 in Straßburg und wirkte hier v.a. als Gründer und ständiger Rektor des Gymnasiums, das 1566 in den Rang einer Akademie erhoben wurde. Neben seinem Melanchthon verpflichteten pädagogischen Wirken trat der tendenziell reformierter Theologie (Calvin, Bucer) zuneigende Sturm als Vermittler zwischen den Konfessionen hervor, wurde jedoch selbst in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit der Straßburger Kirchenführung und der Akademie um die eigene theologische Position aufgerieben.
Der antireformatorische Dominikaner Melchior Cano (1509–1560) war als bedeutender Vertreter der Schule von Salamanca Berater Karls V. sowie dessen Sohnes Philipp II. und ein Verfechter der Inquisition. Zugleich gilt er aufgrund seines posthum veröffentlichten Hauptwerkes De locis theologicis (1563), das bis 1890 mehr als 30 Auflagen erlebte und zum Standardwerk der katholischen Erkenntnis- und Methodenlehre avancierte, als Begründer der Fundamentaltheologie.
Der portugiesische Humanist und Bischof Hieronymus Osorius (Jerónimo Osório) (1506–1580) galt aufgrund seiner theologischen und historiographischen Schriften als Gelehrter von europäischem Rang und wurde wegen seines stilvollendeten Lateins als Cicero Lusitanus bezeichnet (zeitweise wurde Osorius sogar verdächtigt, für seine Abhandlung De gloria Ciceros verlorenes Werk gleichen Namens verwendet und unterschlagen zu haben).
Der als Reformer aufgetretene italienische Kardinal und Humanist Jacobus Sadoletus (Jacopo Sadoleto) (1477–1547) gehört zu den Vorbereitern des Trienter Konzils (1545–1563) und hat in mehreren Schriften (an Melanchthon, die Genfer und gegen Johannes Sturm) versucht, für die Einheit der römisch-katholischen Kirche zu wirken. Als Hauptwerk gilt sein bisweilen auch von altgläubiger Seite als semipelagianisch kritisierter Römerbrief-Kommentar (1535). Wegen seines ciceronianischen Stils galt er als einer der besten Latinisten seiner Zeit.
Der durch Johannes Sturm zum Humanismus und zur reformatorischen Theologie (v.a. Calvin und Bucer) gekommene Andreas Gerhard gen. Hyperius (von Ypern) (1511–1564) bekleidete ab 1542 eine theologische Professur in Marburg und hat sich, mit großem Einfluss auf die lutherische Orthodoxie, v.a. um die Predigtlehre verdient gemacht.
In der dritten Auflage der Anweisung ist die Aufzählung um den bedeutenden Leidener Philologen und princeps criticorum David Ruhnken und dessen Schüler, Nachfolger und Biographen Daniel Albert Wyttenbach (1746–1820) erweitert. Die Zusammenstellung mit Ruhnken lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass an dieser Stelle Wyttenbachs Vater, der Marburger Theologieprofessor David Samuel Daniel Wyttenbach (1706–1779), gemeint ist.
Wegen seines hervorragenden lateinischen Stils wurde Johann August Ernesti auch als Germanorum Cicero bzw. in den Worten David Ruhnkens als Ciceronis sospitator bezeichnet.
Neben hebräischen enthält das Alte Testament auch aramäische Passagen (v.a. Dan 2,4–7,28 und Esr 4,8–6,18; 7,12–26).
Vgl. I § 162.
Albert Schultens' Clavis dialectorum findet sich aaO 185–374.
Johann David Michaelis' Grammatica Syriaca ist bereits 1784 in Halle erschienen.
Da für den hervorragenden und in seinem Werk äußerst vielseitigen Sprachforscher Johann Severin Vater (1771–1826), der ab 1799 eine ordentliche Professur der Theologie und orientalischen Sprachen in Halle innehatte, 1809 aufgrund der unsicheren politischen Verhältnisse jedoch nach Königsberg wechselte, keine eigenständige Grammatik des Syrischen ermittelt werden kann, wird hier der betreffende Abschnitt im Handbuch der Hebräischen, Syrischen, Chaldäischen und Arabischen Grammatik (1802; 21817) gemeint sein (vgl. I § 155 c; I § 156 c).
Bei der der zweiten Auflage der Abhandlung beigebundenen Syrische[n] Chrestomathie. Erster Theil handelt es sich um die zweite Auflage aus dem Jahr 1783, der ersten Auflage der Abhandlung ist die Erstauflage der Chrestomathie aus dem Jahr 1768 angehängt.
Laut Titelblatt wurde das Novum Domini Nostri Jesu Christi Testamentum Syriacum (1709) von Karl Schaaf (1646–1729) und dem berühmten Utrechter Theologen und Hebraisten Johannes Leusden (1624–1699) besorgt.
Der fünfte und letzte Band der von Balthasar Bekker (1634–1698) verantworteten Opera omnia Jakob Altings (1618–1679) beinhaltet unterschiedliche theologische und philologische Arbeiten, die jeweils eigene Seitenzählungen aufweisen. Die 32 Seiten umfassende Synopsis institutionum Chaldaearum et Aramaearum ist als letztes Stück des Bandes eingebunden.
Das Lexicon Chaldaicum, Talmudicum et Rabbinicum kann als Hauptwerk des berühmten Basler Theologen Johann Buxtorf d. Ä. (1564–1629) bezeichnet werden. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Johann Buxtorf d. J. (1599–1664) die Fertigstellung (1639 bzw. der hier angeführte Nachdruck 1640).
Der Name des Autors lautet Wilhelm Friedrich Hezel (1754–1824).
Entsprechend zum Syrischen und Arabischen (vgl. I § 154 c bzw. I § 156 c) dürfte in diesem Paragraphen der Abschnitt zum Chaldäischen in Johann Severin Vaters (1771–1826) Handbuch der Hebräischen, Syrischen, Chaldäischen und Arabischen Grammatik (1802; 21817) gemeint sein. Allerdings ist in § 159 der dritten Auflage der Anweisung nicht auf dieses Handbuch, sondern auf Vaters hebräische Sprachlehren verwiesen.
Gemeint ist Albert Schultens' Ausgabe der zuvor in der Bearbeitung des Jacobus Golius (1596–1667) genannten Grammatica Arabica des Thomas Erpenius. In dieser finden sich die Fabeln des sagenumwobenen arabischen Weisen Luqmān (Lôkman), die ebenfalls Bestandteil der von Golius besorgten Ausgabe waren. Bei der Hamasa (arab. Tapferkeit) handelt es sich um eine von Abū-Tammām Ḥabīb Ibn-Aus aṭ-Ṭāʾī (ca. 806–846) zusammengestellte Anthologie arabischer Gedichte in zehn Büchern.
Johann David Michaelis hat seiner Bearbeitung der Arabische[n] Grammatik des Thomas Erpenius nebst einem aus Albert Schultens' Bearbeitung (s.o.) entnommenen Anfang einer arabischen Chrestomathie (1771) eine zweite Auflage folgen lassen (1781), die laut Vorrede derart umgearbeitet ist, dass Michaelis nun von „seiner“ Grammatik spricht. Eine Ausgabe aus dem Jahr 1783 lässt sich nicht nachweisen.
Da für Johann Severin Vater (1771–1826) ebenfalls keine eigenständige Grammatik des Arabischen ermittelt werden kann, wird auch hier der betreffende Abschnitt im Handbuch der Hebräischen, Syrischen, Chaldäischen und Arabischen Grammatik (1802; 21817) gemeint sein (vgl. I § 154 c; I § 155 c).
Der bedeutende Arabist Thomas Erpenius (1584–1624) studierte zunächst Philosophie, erlangte 1608 den Doktorgrad und verlegte sich dann durch den Einfluss Scaligers sowie aus religionspolitischen Gründen nicht wie geplant auf die Theologie, sondern wandte sich den orientalischen Sprachen zu. Nach einer Bibliotheksreise wurde er Professor für orientalische Sprachen (später auch für Hebräisch) in Leiden, richtete hier eine auf orientalische Sprachen spezialisierte Druckerei ein und fungierte überdies auch als Dolmetscher für die Vereinigten Niederlande. In der Anweisung bereits erwähnt sind Golius', Schultens' und Michaelis' Bearbeitungen (vgl. I § 156) seiner mehrfach nachgedruckten Grammatica Arabica (1613) sowie die ebenfalls mehrfach aufgelegten Rudimenta Linguae Arabicae (1620) (vgl. I § 152), neben zahlreichen anderen philologischen Werken sind außerdem die von Scaliger angefangenen Proverbia Arabica (1614), die Locmani Sapientis Fabulae (1615), das Novum D. N. Jesu Christi Testamentum Arabice (1616), der Pentateuchus Mosis Arabice (1622) und die Historia Saracenica (1625) hervorzuheben.
Der Theologe und Orientalist Edward Pococke (1604–1691), nach dem Studium in Oxford zunächst Kaplan in Aleppo, wurde 1636 auf die erste Professur für Arabisch (Laudian Professor of Arabic) an seiner alten Alma Mater berufen. Kurz darauf reiste er für einige Jahre nach Konstantinopel, übernahm nach seiner Rückkehr eine Pfarrstelle und gegen Ende des Bürgerkrieges 1648 eine Professur für Hebräisch. Pococke übersetzte 1660 Grotius' De veritate religionis Christianae sowie 1674 das Book of Common Prayer zu Missionszwecken ins Arabische und war zudem Mitarbeiter an der sog. Londoner Polyglotte. Aus seinem arabistischen Werk, dessen Bedeutung nicht zuletzt auf die zahlreichen im Orient gesammelten Handschriften zurückzuführen ist, sind v.a. das aufgrund seiner umfangreichen Anmerkungen bedeutende Specimen historiae Arabum (1650) zu nennen, hinzu kommen die zweibändige Contextio Gemmarum, sive Eutychii Patriarchae Alexandrini Annales (1654/1656) und die dreibändige Historia compendiosa dynastiarum (1663), seine Maimonides-Übersetzung Porta Mosis (1655) bietet arabischen Text in hebräischen Buchstaben. Ob hier nicht auch sein ebenfalls als Orientalist hervorgetretener Sohn Edward Pococke (1648–1727) gemeint sein könnte, muss offen bleiben. Dieser hatte unter dem Titel Philosophus Autodidactus sive Epistola Abi Jaafar, Ebn Tophail de Hai Ebn Yokdhan (1671) eine arabisch-lateinische Ausgabe des Inselromans Ḥayy ibn Yaqẓān (Der Lebendige, Sohn des Wachenden) des im 12. Jh. lebenden islamischen Gelehrten Ibn Tufail besorgt, zu der der ältere Pococke ein Vorwort verfasst hat. Dieser Roman erlangte v.a. durch die von Pococke besorgte Ausgabe einige Bekanntheit und soll später Defoes Robinson Crusoe beeinflusst haben.
Jean Gagnier (ca. 1670–1740) war nach dem v.a. den orientalischen Sprachen gewidmeten Studium am Pariser Collège de Navarre zunächst Kanoniker der Abtei St Geneviève du Mont, siedelte dann jedoch nach England über und wurde Geistlicher der anglikanischen Kirche (vgl. das wütende Werk L'Eglise Romaine Convaincue de Dépravation, d'Idolatrie et d'Antichristianisme aus dem Jahr 1706). Nachdem ihm auf königliche Anordnung 1703 der Magistergrad in Cambridge verliehen wurde, kam er durch die Vermittlung von Bischof William Lloyd (1627–1717), der ihn außerdem zu seinem persönlichen Kaplan bestellte, nach Oxford. Hier unterrichtete Gagnier ab 1709 Hebräisch, ab 1715 als Vertreter von Regius Professor Robert Clavering, später in Vertretung für Laudian Professor John Wallis auch Arabisch. 1724 übertrug ihm die Universität Oxford schließlich die Lord Almoner's Professorship für Arabisch. Aus Gagniers arabistischem Werk ist v.a. De vita et rebus gestis Mohamedis (1723), eine arabisch-lateinische Ausgabe der Mohammed-Biographie Abu-'l-Fidās (1273–1331), hervorzuheben, die zur Grundlage seiner eigenen zwei- (1732) bzw. dreibändigen (1748) französischsprachigen Mohammed-Biographie La Vie de Mahomet wurde. Diese zeichnet sich v.a. durch ihre neutrale Darstellung aus und wurde später auch ins Deutsche übersetzt (1802–1804). Bereits zuvor war Gagniers aus dem Griechischen ins Arabische übersetztes Liber dictus Petra Scandali (1721) publiziert worden, eine unvollendet gebliebene Übersetzung von Abu Al-Fidas Arabischer Geographie, von der 1727 ein Specimen veröffentlicht wurde, erschien in Gagniers Todesjahr unter dem Titel Descriptio peninsulae Arabum.
Gemeint sind Albert Schultens (1686–1750) und sein Enkel Henrik Albert Schultens (1749–1793), die beide – wie auch Albert Schultens' Sohn und Henrik Albert Schultens' Vater Jan Jacob Schultens (1716–1778) – als Orientalisten an der Universität Leiden hervorgetreten sind. Albert Schultens wurde nach dem u.a. in Leiden absolvierten Studium 1709 in Groningen zum Doktor der Theologie promoviert, begab sich dann wieder nach Leiden und folgte 1713 einem Ruf als Hebräischprofessor nach Franecker. 1729 wechselte er an das Leidener Staatenkolleg und wurde hier 1732 zudem Professor für orientalische Sprachen sowie 1740 für hebräische Altertümer. Schultens gehört zu den bedeutendsten niederländischen Orientalisten des 18. Jh.s, wirkte schuldbildend und hat sich, wie die Abhandlung De utilitate linguae Arabicae in interpretantia Sacra Scriptura (1706) zeigt, bereits früh auch dem Arabischen zugewandt. V.a. in seinen zweibändigen Origines Hebraeae (vgl. I § 151) hat er die Verwandtschaft mit der hebräischen Sprache hervorgehoben, die nach orthodoxer Überzeugung als göttliche Ursprache mit keiner anderen Sprache verwandt sein könne. Arabistisch bedeutsam ist Schultens' Bearbeitung von Erpenius' Grammatica Arabica (1748) (vgl. I § 156) sowie von dessen Rudimenta Linguae Arabicae (1733) (s. o.), zudem hat Schultens die arabisch-lateinische Vita et res gestae Sultani Saladini (1733), die Monumenta vetustiora Arabiae (1740) und die ersten sechs Consessus des Hariri (1731 bzw. zusammen mit den Monumenta 1740) besorgt. Henrik Albert Schultens unternahm nach dem Studium in Leiden und Haderwijk 1772 eine Bibliotheksreise nach England, bearbeitete in Oxford den Nachlass Edward Pocockes und erhielt ein Jahr später ebenda ehrenhalber einen philosophischen Magistertitel. Noch im selben Jahr wurde er Professor für orientalische Sprachen und jüdische Altertümer am Amsterdamer Athenaeum Illustre, 1778 übernahm er den Lehrstuhl seines Vaters in Leiden. Zu nennen sind an dieser Stelle Henrik Albert Schultens' Anthologia Sententiarum Arabicarum (1772), das Specimen proverbiorum Meidani e versione Pocockiana (1773) und Pars versionis Arabicae libri Colailah wa Dimnah, sive fabularum Bidpai, Philosophi Indi (1786).
Nach dem Besuch des Gymnasiums der Franckeschen Stiftungen in Halle immatrikulierte sich Johann Jacob Reiske (1716–1774) 1733 für ein Theologiestudium in Leipzig und beschäftigte sich daneben als Autodidakt mit dem Arabischen. 1738 kam er durch die Vermittlung Albert Schultens' nach Leiden. Hier hörte er u.a. Tiberius Hemsterhuis, der Reiskes Interesse für die griechische Literatur weckte. 1746 wurde er aufgrund von Differenzen mit den Leidener Philologen zum Doktor der Medizin promoviert und kehrte im selben Jahr nach Leipzig zurück. Hier übernahm Reiske v.a. philologische Gelegenheitsarbeiten und wurde 1748 zum außerordentlichen Professor für Arabisch ernannt. Auf Universitätsebene verhinderten einflussreiche Gegenspieler wie Ernesti und Michaelis ein weiteres Vorankommen, doch wurde Reiske 1758 Rektor der Leipziger Nikolaischule. 1771 besuchte er auf Wunsch Lessings Wolfenbüttel und ordnete hier die orientalischen Handschriften. Heute gilt Reiske als Begründer der arabischen Philologie (inkl. Numismatik und Epigraphik), von besonderer Bedeutung ist seine posthum von Jacob Georg Christian Adler (1756–1834) herausgegebene Textausgabe und Übersetzung des Geschichtswerks Abu-'l-Fidās (1789–1795). Daneben ist die auf Grundlage des arabischen Philologen Maidānī entstandene Sammlung einiger arabischen Sprüchwörter die von den Stecken oder Stäben hergenommen sind (1758) zu nennen, außerdem hat Reiske im Rahmen seiner Edition des Zeremonienbuches des byzantinischen Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogennetos, De ceremoniis aulae Byzantinae (1751–1754), zur Kommentierung auch arabische Quellen herangezogen.
Als Theologe und Orientalist gehört Johann David Michaelis (1717–1791) zu den einflussreichsten Gelehrten des 18. Jh.s. Nach dem Schulbesuch in den Franckeschen Stiftungen und dem u.a. bei seinem Vater Christian Benedikt Michaelis (1680–1764) und Siegmund Jacob Baumgarten absolvierten Studium der Theologie und orientalischen Sprachen in Halle wurde Michaelis 1739 mit einer hebraistischen Arbeit promoviert. Nach seiner Rückkehr von einer Studienreise wurde er 1745 nach Göttingen berufen und ein Jahr später außerordentlicher Professor. 1750 auf eine ordentliche Professur befördert, wirkte er bei der Gründung der Göttingischen Akademie der Wissenschaften mit und wurde später auch deren Direktor. Zu Michaelis' arabistischen Arbeiten zählt neben der Bearbeitung von Erpenius' arabischer Grammatik (vgl. I § 156) auch die Vorarbeit Vom arabischen Geschmack (1771; 21781), die im Vorwort der Grammatik referiert wird. Einen besonderen Aspekt der orientalistischen Bemühungen Michaelis' stellt die von ihm initiierte Arabienreise dar, die als erste wissenschaftliche Expedition in den nahöstlichen Raum Antworten auf einen zuvor interdisziplinär ausgearbeiteten Fragebogen liefern sollte. Von dieser 1761 von Kopenhagen aus gestarteten Expedition kehrte sechs Jahre später einzig der Mathematiker und Kartograph Carsten Niebuhr (1733–1815) zurück, der unter dem Titel Beschreibung von Arabien. Aus eigenen Beobachtungen und im Lande selbst gesammleten Nachrichten abgefasset (1772) einen ersten Bericht veröffentlichte und wenig später die dreibändige Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern (1774/1778 bzw. posthum 1837) folgen ließ.
Everard Scheid (1742–1794) wurde nach dem Theologiestudium in Groningen und Leiden 1765 promoviert und ein Jahr später als außerordentlicher Professor für orientalische Sprachen an die Universität Harderwijk berufen. Ein weiteres Jahr später auf eine ordentliche Professur aufgerückt, übernahm Scheid 1769 das Universitätsrektorat und zugleich den Lehrstuhl für Altes Testament. Später kam die Professur für Neues Testament und als Interim auch die für Griechisch hinzu. Nach dem Tod Henrik Albert Schultens' (s.o.) wechselte Scheid 1793 schließlich als dessen Nachfolger an die Universität Leiden. Aus seinem bedeutenden arabistischen Werk seien Abu Nasri Ismaëlis Ebn Hammad Al-Gieuharii Farabiensis purioris sermonis Arabici Thesaurus sive Lexicon Arabicum (1774–1776), Selecta quaedam ex sententiis proverbiisque Arabicis a viro summo Thoma Erpenio olim editis (1775), Primae lineae institutionum ad fundamenta dialecti Arabicae (1779) sowie Abu Becri Muhammedis Ebn Hoseini Ebn Doreidi Azdiensis Katsijda 'L Mektsoura sive Idyllium Arabicum (1786), dessen arabischen Text Scheid bereits 1768 besorgt hatte, genannt.
Johann Bernhard Koehler (1742–1802), Doktor der Philosophie und der Rechte, war ab 1766 außerordentlicher Professor für orientalische Sprachen in Kiel und ab 1770 ordentlicher Professor in Göttingen. 1773 legte er die Professur jedoch nieder und kehrte als Privatgelehrter in seine Heimatstadt Lübeck zurück. 1781 übernahm er eine Professur für Griechisch und morgenländische Sprachen in Königsberg, von der er sich 1786 abermals nach Lübeck zurückzog und schließlich in Basel als Korrektor für orientalische Sprachen beim Verlagshaus Thurneysen starb. An dieser Stelle ist v.a. die mit Unterstützung von seinem Lehrer Reiske veranstaltete arabisch-lateinische Ausgabe Abulfedae Tabula Syriae (1766; 21786) zu nennen, von der auf Koehlers Wunsch eine vollständigere und verbesserte Auflage in Oxford erscheinen sollte. Allerdings ist dieses Vorhaben nicht über ein Handexemplar hinausgekommen.
Der stark an Kant orientierte Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851) zählt zu den führenden theologischen Rationalisten und entwickelte bereits während des Studiums im Tübinger Stift (nicht zuletzt in Absetzung von seinem pietistischen, Geisterseherei betreibenden Vater) Grundzüge einer „vernünftigen“ Exegese. 1789 wurde Paulus als Nachfolger Johann Gottfried Eichhorns (1752–1827) zunächst ordentlicher Professor für orientalische Sprachen in Jena, 1793 wechselte er als Nachfolger Johann Christoph Doederleins auf den Lehrstuhl für Dogmatik und Exegese. Versuche, ihn aufgrund seiner kritischen Bibelauslegung, v.a. seiner Wundererklärung, zu entfernen, scheiterten. 1803 folgte Paulus einem Ruf nach Würzburg (von hier aus weiteres Wirken als Schulreformer in Franken), 1811 wechselte er schließlich nach Heidelberg. Paulus hat ein äußerst umfangreiches und vielfältiges theologisches Werk hinterlassen, sich jedoch auch zu aktuellen politischen Themen geäußert. Für seine Beschäftigung mit dem Arabischen ist v.a. das Compendium grammaticae Arabicae (1790) zu nennen, darüber hinaus findet sich ein arabistischer Einschlag auch in den alttestamentlich-exegetischen Arbeiten sowie dem von Paulus herausgegebenen Neue[n] Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur I–III (1790–1791).
Während des Studiums in Göttingen von Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) in die orientalischen Sprachen eingeführt, hatte Friedrich Wilken (1777–1840) von 1805 bis 1817 zunächst eine außerordentliche, dann eine ordentliche Professur für Geschichte in Heidelberg (auch erwarb er sich hier durch die Wiederbeschaffung bedeutender Teile des nach der Eroberung Heidelbergs durch Tilly abhandengekommenen Bibliotheksbestandes bleibende Verdienste), danach für Geschichte und Orientalistik in Berlin inne. Sein mit Abstand wichtigstes Werk ist die sieben Teile in acht Büchern umfassende Geschichte der Kreuzzüge nach morgenländischen und abendländischen Berichten (1807–1832), für die er als erster deutscher Historiker auch orientalische Quellen in Originalsprache heranzog. Hier finden sich einzelne arabische Stücke (vgl. aaO II Beilage I), zudem hat Wilken auch andernorts arabische bzw. persische Texte abgedruckt (vgl. Institutiones ad fundamenta linguae persicae cum Chrestomathia [1805]).
Die Anthologia arabica ist, wie von der ersten und zweiten Auflage korrekt bibliographiert, erst 1774 erschienen.
Gemeint ist der Orientalist Ernst Friedrich Karl (Carl) Rosenmüller (1768–1835), dem ein Jahr vor dem Erscheinen der dritten Auflage der Anweisung die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Halle verliehen worden war.
Gemeint ist Johann Jahns Lexicon arabico-latinum chrestomathiae arabicae (1802).
Samuel Friedrich Günther Wahls (1760–1834) Neue arabische Anthologie ist 1791 erschienen.
Bei dem Lexicon Arabico-Persico-Turcicum (1780) handelt es sich um die Überarbeitung des bedeutenden vierbändigen Thesaurus linguarum orientalium Turcicae, Arabicae, Persicae (1680), zu dem sein Autor Franciszek a Mesgnien Meniński (1628–1698) mit dem Complementum Thesauri linguarum orientalium, seu Onomasticum Latino-Turcico-Arabico-Persicum (1687) einige Jahre später einen weiteren Band folgen ließ.
Heinrich Ernst Güte (1754–1805) kann zu Nösselts Schülern gerechnet werden und war später bei diesem Hauslehrer. Nach einer Stellung als Lehrer an der Domschule zu Halberstadt kehrte Güte als Diakon (1778) und Archidiakon (1779) nach Halle zurück. Hier erwarb er 1780 die Magisterwürde und unterrichtete ab 1791 als außerplanmäßiger Professor v.a. alttestamentliche Exegese und Hebräisch.
In Hallische Gelehrte Zeitungen 13 (1778), 282–285 findet sich eine Rezension zu Wilhelm Friedrich Hezels in Halle erschienener Ausführliche[r] Hebräische[r] Sprachlehre, jedoch ohne dass ein Erscheinungsjahr genannt ist. Dieses Werk stammt, wie in der dritten Auflage der Anweisung richtiggestellt, aus dem Jahr 1777.
Hier handelt es sich um den ersten Band der von Johann Gottfried Hasse (1759–1806) besorgten Reihe Praktischer Unterricht über die gesammten orientalischen Sprachen I–IV (1786–1793). Die ersten beiden Bände behandeln das Hebräische, der dritte das Aramäische oder Syrisch-Chaldäisch-Samaritanische und der vierte das Arabische und Äthiopische.
Gemeint ist Johann David Michaelis' Hebräische Grammatik nebst einem Anhange von gründlicher Erkentniß derselben (1745; 21768; 31778).
Bei der größeren Sprachlehre Johann Severin Vaters (1771–1826) handelt es sich um die Hebräische Sprachlehre. Nebst einer Kritik der Danzischen und Meinerischen Methode in der Vorrede (1797; 21814), bei der kleineren um die Kleinere Hebräische Sprachlehre. Ein Auszug aus dem größeren Werke (1798). Als kleinste Sprachlehre dürfte die zweite Auflage der Grammatik der Hebräischen Sprache für den ersten Anfang ihrer Erlernung (1801; 21807; 31816) angesprochen sein.
Die Erstauflage von Wilhelm Gesenius' (1786–1842) Grammatik stammt aus dem Jahr 1813 und avancierte schnell zu einem häufig aufgelegten Standardwerk, das in Neubearbeitung noch heute verwendet wird. Die hier bibliographierte dritte Auflage datiert aus dem Jahr 1818.
Gemeint ist Johann Andreas Danz (1654–1727), der als ausgezeichneter Kenner und Professor der orientalischen Sprachen in Jena v.a. durch seine Arbeiten zur Grammatik des Hebräischen hervorgetreten ist. Genannt sei das in zweiter Auflage unter dem Titel מדקדק sive Literator Ebraeo-Chaldaeus (1696) erschienene Nucifrangibulum (1686). Seinem Versuch, das Hebräische schulgerecht zu systematisieren, eignet ein teilweise übertriebener Schematismus, doch war Danz besonders in Deutschland von großem Einfluss.
Gemeint sein dürften Friedrich Wilhelm Schwabes (1743–1825) Kleine Hebräische Bibel. Mit einer neuen deutschen Uebersetzung und grammatischen Erläuterung für Anfänger (1787) sowie Carl Christian Ferdinand Weckherlins (1764–1836) Hebräisches Lesebuch für Anfänger (1797; 21806; 31818).
Bei dem Hebräische[n] Lesebuch (21817) handelt es sich um den zweiten Teil des Hebräische[n] Elementarbuch[es], der erste Teil besteht aus Gesenius' berühmter Hebräische[r] Grammatik (21816).
Der vierte Band des Handbuch[s] zur kursorischen Lektüre der Bibel A. B. [d.i. Alten Bundes] für Anfänger auf Schulen und Universitäten zerfällt in zwei Teilbände. Der zweite Teilband ist 1791 erschienen.
Dieses Werk stammt von Johann Heinrich Meisner (1755–1813), der hier wohl mit Christoph Meiners (1747–1810) verwechselt wurde.
Heinrich Eberhard Gottlob Paulus' Philologischer Clavis über das Alte Testament für Schulen und Akademien ist in zwei Bänden erschienen. Der erste, hier bibliographierte Band behandelt die Psalmen (1791; 21815), der zweite den Propheten Jesaja (1793).
Gemeint ist das Lexicon et Commentarius sermonis Hebraici et Chaldaici Veteris Testamenti (1669) des in den Niederlanden wirkenden Föderaltheologen Johannes Coccejus (1603–1669), das später von Johann Heinrich May d. Ä. (1653–1719) bzw. in der in der Anweisung zuvor genannten Bearbeitung von Johann Christoph Friedrich Schulz (1747–1806) neu aufgelegt wurde.
Hier handelt es sich um eine Neuausgabe des noch in der ersten Auflage der Anweisung angeführten hebräischen Parts von Edmund Castells (1606–1685) Lexicon Heptaglotton Hebraicum, Chaldaicum, Syriacum, Samaritanum, Aethiopicum, Arabicum, et Persicum (1669), die von dem sonst unbekannten Johann Friedrich Ludolf Trier herausgegeben wurde. Der zweite Teil ist 1792 in Helmstedt erschienen.
Der zweite Band stammt aus dem Jahr 1812.
Die Adnotationes oder Scholia des französischen Hebraisten Franciscus Vatablus (1493–1547), der selbst keine eigenständigen Arbeiten veröffentlicht hat, haben über Vorlesungsnachschriften Eingang in die lateinische Bibelausgabe des Robert Stephanus (Paris 1545) gefunden. Unklar ist, inwieweit Stephanus fremdes Material hinzugefügt hat (in späteren Ausgaben und dann auch in den Critici Sacri sind diese Anmerkungen in jedem Fall massiv interpoliert). Aufgrund angeblich lutherischer Tendenzen kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen Stephanus und Theologen der Sorbonne, in der Letztere eine Unterdrückung der Anmerkungen forderten.
Salomon Glaß' (1593–1656) bedeutende fünfbändige Philologia sacra (I+II [1623] Philologia; III+IV [1634] Grammatica; V [1636] Rhetorica) ist, von Johann Gottfried Olearius (1635–1711) um eine aus Glaß' Handschriften erarbeitete Logica sacra ergänzt, mehrfach aufgelegt worden. Die letzte Ausgabe ist die hier angeführte Philologia sacra his temporibus accomodata (1776–1797) von Johann August Dathe und Georg Lorenz Bauer. Bauer hatte nach Dathes Tod die weitere Edition übernommen und zu eigenständigen Werken umgearbeitet (vgl. II § 35 c; II § 56 c).
Vgl. I § 43.
Johann Christoph Friedrich Schulz' (1747–1806) Scholia in Vetus Testamentum sind in insgesamt zehn Bänden (1783–1797) erschienen und ab dem vierten Band von Georg Lorenz Bauer fortgesetzt worden.
Hier dürften Ernst Friedrich Karl (Carl) Rosenmüllers (1768–1835) berühmte Scholia in Vetus Testamentum (1788–1835) gemeint sein, die später auch in gekürzter Fassung erschienen sind. Ernst Friedrich Karl Rosenmüller hat ab dem zweiten Band auch die sechste Auflage (1815–1831) der Scholia in Novum Testamentum (1777–1782) seines Vaters Johann Georg Rosenmüller (1736–1815) (vgl. II § 62) herausgegeben, die in einer früheren Auflage an dieser Stelle ebenfalls nicht auszuschließen sind.
Die Hexapla („Sechsfache“) ist eine um 240 von Origenes besorgte sechsspaltige Synopse des Alten Testaments, in der der hebräische Konsonantentext, eine griechische Umschrift, die griechische Übersetzungen Aquilas und Symmachus', Origenes' eigene LXX-Rezension (auch Origenische oder Hexaplarische Rezension) und schließlich die griechische Übersetzung des Theodotion nebeneinandergestellt sind.
Diese Auffassung wird in der Anweisung mehrfach vertreten. Im Hintergrund steht die Auseinandersetzung um den Stil des neutestamentlichen Griechisch zwischen den sog. Puristen und den Hebraisten. V.a. Sebastian Pfochen (1608–1635) hatte in seiner Diatribe de linguae graecae Novi Testamenti puritate (1629) die Meinung vertreten, die Sprache des Neuen Testaments sei nicht nach dem Hebräischen gebildet, sondern klassisches Griechisch, und damit eine Vielzahl von Gegenschriften, v.a. Thomas Gatakers (1574–1654) Dissertatio de stylo Novi Testamenti (1648), provoziert und eine Jahrzehnte andauernde philologische Debatte ausgelöst.
Vgl. I § 43.
D.i. die Septuaginta (LXX). Diese ist der im sog. Aristeasbrief überlieferten Legende nach eine von sechs Gelehrten aus jedem der zwölf Stämme Israels innerhalb von 72 Tagen in Alexandrien angefertigte Übersetzung der Tora ins Griechische. Später wurde der Begriff auf alle griechischen Versionen des Alten Testaments angewendet und umfasst die Schriften der hebräischen Bibel sowie apokryphe bzw. deuterokanonische Texte.
Apokryphen sind Schriften, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, wobei jedoch konfessionelle Unterschiede festzustellen sind. Im Hinblick auf das Alte Testament gelten nach reformatorischer Tradition solche Schriften als apokryph, die zwar in der Septuaginta, nicht aber in der hebräischen Bibel, enthalten und mit Martin Luther dennoch gut und nützlich zu lesen sind (Jud, Weish, Tob, Sir, Bar, 1Makk, 2 Makk, ZusEst, ZusDan, GebMan). Mit Ausnahme von GebMan gelten diese Schriften nach katholischer Tradition dagegen als kanonisch bzw. deuterokanonisch, andere, zwar in der Septuaginta, nicht aber in der Vulgata (vgl. II § 83) enthaltene Bücher werden auch hier als apokryph eingestuft (GebMan, 3Makk, 4Makk u.a.).
Johann Christian Biels (1687–1745) Novus Thesaurus Philologicus sive Lexicon in LXX et Alios Interpretes et Scriptores Apocryphos Veteris Testamenti wurde nach seinem Tod von Esdras Heinrich Mutzenbecher (1744–1801) herausgegeben.
Gemeint ist der biographisch schwer zu fassende Conrad Kircher (geb. Ende d. 16. Jh.s) und sein zweibändiges Hauptwerk Concordantiae Veteris Testamenti Graecae, Ebraeis vocibus respondentes (1607) sowie Abraham Tromms (1633–1719) ebenfalls zweibändiger Nachfolger Concordantiae Graecae versionis vulgo dictae LXX interpretum (1718). Anders als Kircher, der sein Material nach dem Hebräischen angeordnet hatte, hat Tromm das Griechische zugrunde gelegt und Kircher an vielen Stellen korrigiert. Obgleich Tromm v.a. von Jean Gagnier (vgl. I § 157) in seinen Vindiciae Kircherianae (1718) heftig kritisiert wurde und sich zur Epistola apologetica ad Gagnerium (1718) herausgefordert sah, wirkte er etwa auf den zuvor genannten Johann Christian Biel durchaus befruchtend.
Vgl. I § 162.
Für den ursprünglich unvokalisierten hebräischen Text des Alten Testaments hatte sich etwa um das Jahr 70 ein autoritativer Konsonantentext etabliert, der erst in den folgenden Jahrhunderten mit diakritischen Zeichen (Vokal- und Betonungszeichen) versehen wurde. Abgeschlossen war diese von den sog. Masoreten (v.a. Ben Ascher) durchgeführte „Accentuation“ (tiberische Vokalisation) erst im 10. Jh. Der älteste, vollständig erhaltene masoretische Text (Codex Leningradensis) datiert aus dem Jahr 1008. Noch im 17. Jh. – etwa zwischen Louis Cappel (1585–1658) und Johann Buxtorf d. J. (1599–1664) – hatte die Frage nach dem Alter der Vokalisation zu Auseinandersetzungen geführt (vgl. II § 33).
Mit Wider die Logiker ist das Werk Adversus Mathematicos bzw. Πρὸς μαθηματικούς des skeptischen (pyrrhonischen) Philosophen und Arztes Sextus Empiricus (2. Jh.) gemeint, dessen letzte Bücher (7–11) unter dem Titel Gegen die Dogmatiker (Πρὸς δογματικούς) auch als eigenständiges Werk behandelt werden. In den nachweislich (vgl. Bibl. Nöss. 389 [Nr. 34]) von Nösselt besessenen, von Johann Albert Fabricius (1668–1736) besorgten zweisprachigen Opera (1718) des Sextus Empiricus tragen die Bücher 7 und 8 den Titel Περι φιλοσοφιας (De philosophia) (vgl. aaO 370 bzw. 458; dazu 213), so dass es sich an dieser Stelle in beiden Fällen um denselben Verweis handelt. Dargestellt und kritisiert werden unterschiedliche philosophische Schulen.
Der Name des Autors lautet Johann Ernst Parow (1771–1836).
Hier handelt es sich um die berühmte und bereits in der Antike weit verbreitete Anekdote in Ciceros Tusculanae disputationes. In Cic. Tusc. V 8–9 wird Herakleides von Pontos referiert, nach dessen Bericht sich Pythagoras gegenüber dem Tyrannen Leon von Phleius als erster Denker überhaupt als Philosoph bezeichnet habe. Auf die Rückfrage, was unter einem Philosophen zu verstehen sei, habe Pythagoras dem Tyrannen geantwortet, es gebe Menschen, die nicht an Ruhm oder Reichtum interessiert seien, sondern „die Natur der Dinge aufmerksam betrachteten. Diese nennten sich Liebhaber der Weisheit, eben Philosophen“ (rerum naturam studiose intuerentur; hos se appellare sapientiae studiosos [id est enim philosophos]) (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Gigon], München/Zürich 61992, 322.323). Die Angabe Tusculanae disputationes V, 3 lässt sich anhand der Zählung der von Jakob Gronov (1645–1716) besorgten und nachweislich in Nösselts Besitz (vgl. Bibl. Nöss. 392 [Nr. 92]) befindlichen Opera omnia (1692) ebenfalls verifizieren (vgl. aaO VIII, 3570f.).
(Anm.)Anmerkung 2. Folgende Eintheilung des ganzen Gebiets der Philosophie dürfte zur verständigen Uebersicht ihrer einzelnen Theile nicht undienlich seyn. In der Hauptsache trifft sie mit den Ansichten des Verfassers des Werks zusammen.
Uebrigens stellt fast jede Schule eine andere Classification auf. Der akademische Unterricht bleibt jedoch in der Regel bei den, besonders seit Wolf's Zeiten, beliebten Abtheilungen, und bringt das Ganze unter die Haupttitel: Logik, empirische Psychologie, Metaphysik, Naturrecht, Ethik oder Moral, Aesthetik. (A. d. H.)Anmerkung des Herausgebers
Gemeint ist die zweite Auflage aus dem Jahr 1787 (vgl. I § 167; I § 176).
Als Zögling des Franckeschen Waisenhauses zu Halle studierte Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) ebenda Theologie, Philosophie und Schöne Wissenschaften und war nach dem Magisterexamen zunächst als Dozent am Waisenhaus tätig. Ab 1737 lehrte er in Halle Philosophie und wurde 1740 Professor der Weltweisheit und Schönen Wissenschaften in Frankfurt/Oder. Die von Baumgarten hier gehaltenen Vorlesungen zur Ästhetik sind die ersten ihrer Art. Bereits mit seiner Magisterarbeit Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (1735), v.a. aber durch die aus seinen Vorlesungen hervorgegangene, jedoch unvollendet gebliebene zweibändige Aesthetica (1750/1758) ist Baumgarten zum Begründer der Ästhetik als eigenständiger philosophischer Disziplin geworden (vgl. I § 263) und wirkte, indem er das untere Erkenntnisvermögen der Sinne gegenüber Wolff aufwertete und Dichtung als wahre und sinnlich vollkommene Rede verstand, etwa auf Herder oder Schiller.
Der Autor des Versuch[s] einer an der menschlichen Sprache abgebildeten Vernunftlehre (1781) ist Johann Werner Meiner (1723–1789).
Gemeint ist die zweibändige Sprachlehre (1801/1803) von August Ferdinand Bernhardi (1769–1820).
Gemeint ist Johann Severin Vaters (1771–1826) Lehrbuch der allgemeinen Grammatik besonders für höhere Schul-Classen, mit Vergleichung älterer und neuerer Sprachen (1805), das laut Vorrede gerade kein Auszug aus dem Versuch einer allgemeinen Sprachlehre (1801) sein will, sondern eine Neubearbeitung eines bestimmten Teils desselben als Lehrbuch für Gymnasien.
Gemeint ist die zweite Auflage (vgl. I § 167; I § 176).
D.i. Kritik der reinen Vernunft (vgl. I § 183; I § 199), gemeint ist die zweite Auflage aus dem Jahr 1787 (vgl. I § 167; I § 176).
Hier dürfte es sich um Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen (1800) handeln, das Gottlob Benjamin Jäsche (1762–1842) im Auftrage Kants zum Druck befördert und herausgegeben hat und das daher nicht selten auch als „Jäsche-Logik“ bezeichnet wird.
Der erste Band von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetters (1766–1819) Grundriß einer allgemeinen Logik nach Kantischen Grundsätzen ist 1802 in dritter, der zweite Band 1806 in zweiter Auflage erschienen.
Gemeint ist Johann Gebhard Ehrenreich Maaß' (1766–1823) Grundriß der Logik. Zum Gebrauche bei Vorlesungen (1793; 21802; 31806). August Hermann Niemeyer hielt die Leichenpredigt auf Maaß.
D.i. die Kritik der reinen Vernunft (vgl. I § 178; I § 199), gemeint ist die zweite Auflage (vgl. I § 167; I § 176).
Der Titel lautet Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.
Obgleich die Metaphysik passenderweise nach den hinter den Dingen liegenden, allgemeinsten Seinsprinzipien fragt, geht der Begriff sehr wahrscheinlich auf den Umstand zurück, dass der Aristoteles-Herausgeber Andronikos von Rhodos (1. Jh. v. Chr.) die 14 heute als Metaphysik bekannten Bücher hinter (μετά) die acht Bücher der Physik eingliederte. Aristoteles selbst kennt den Begriff nicht.
Vgl. Vorrede b [XIVf.].
Gemeint ist die zweite Auflage aus dem Jahr 1787 (vgl. I § 167; I § 176).
Die Vorlesungen des jüdischen Philosophen und Mathematikers Lazarus Bendavid (1762–1832) sind 1798 erschienen.
Dieses Werk stammt von Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775–1854).
Vgl. I Vorrede c Hg. [IVf.].
Der zweite Teil stammt aus dem Jahr 1795, der erste Teil ist 1803 in Winterthur in zweiter Auflage erschienen.
Gemeint ist Christoph Bernoullis (1782–1863) zweiteiliges Werk Versuch einer physischen Anthropologie oder Darstellung des physischen Menschen nach den neuern Ansichten (1804). Der erste Teil trägt den Untertitel Physiologie oder Naturlehre des erwachsenen Menschen, der zweite Entwickelungsgeschichte und Naturgeschichte des Menschen.
Dieses Werk stammt von Pierre Jean Georges Cabanis (1757–1808) und wurde von Ludwig Heinrich von Jakob (1759–1827) übersetzt.
Der studierte Jurist Henry Fielding (1707–1754) zählt zu den berühmtesten englischsprachigen Autoren seiner Zeit. Als langjähriger Theaterdirektor hat er zahlreiche Bühnenstücke verfasst, ehe er sich dem Roman zuwandte und die Entwicklung dieses Genres entscheidend mitprägte. Zudem war Fielding zeitweise auch journalistisch tätig. Sein mit Abstand bekanntestes Werk ist The History of Tom Jones, a Foundling aus dem Jahre 1749, das noch heute zu den bedeutendsten britischen Romanen gezählt wird und gleich mehrfach verfilmt wurde, daneben hat Fielding etwa mit Shamela (1741) auch Parodien auf Werke seines in der Anweisung nächstgenannten Antipoden Samuel Richardson verfasst.
Mit seinen drei Briefromanen, dem immer wieder überarbeiteten Werk Pamela or, Virtue Rewarded (1740), dem später von Johann David Michaelis ins Deutsche übersetzten Werk Clarissa or, The History of a Young Lady (1748) und The History of Sir Charles Grandison (1753/1754), gilt der englische Schriftsteller und gelernte Drucker Samuel Richardson (1689–1761) als Erfinder des empfindsamen Romans und war in dieser Eigenschaft literaturgeschichtlich von enormem Einfluss (Goethes Werther, Lessings Miss Sara Sampson, Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse u.a.) und europaweit hoch geschätzt (Diderot u.a.). Die seinen Romanen eigene Art der Empfindsamkeit und Moralität zog jedoch immer wieder auch Hohn und Spott – v.a. durch den zuvor genannten Henry Fielding – auf sich.
William Shakespeare (1564–1616) darf zu den hervorragendsten Gestalten der Literaturgeschichte gerechnet werden und ist v.a. für seine dramatischen Werke bekannt, die sich in Historiendramen, Komödien und Tragödien unterscheiden.
Mit seinem umfangreichen und überaus vielfältigen Werk zählt Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) bis heute zu den mit Abstand bedeutendsten deutschsprachigen Autoren. Er ist der Verfasser von mehr als zwanzig Dramen. Daneben lässt bekanntermaßen auch der Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (vgl. I § 283) tief in, wie es an dieser Stelle in der Anweisung heißt, „das menschliche Herz in allen seinen Gestaltungen“ blicken.
Der wenige Jahre vor seinem Tod geadelte Dichter, Philosoph und Historiker (vgl. I § 229) Friedrich Schiller (1759–1805) gehört mit seinem umfangreichen, breit angelegten Werk und nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants zu den einflussreichsten Denkern der deutschen Aufklärung. Literaturhistorisch zunächst ein bedeutender Vertreter des Sturm und Drang verkörperte er später gemeinsam mit Goethe, Herder und Wieland die sog. Weimarer Klassik.
Hier handelt es sich um den besser unter dem Namen Jean Paul bekannten Schriftsteller Johann Paul Friedrich Richter (1763–1825). Die literarische Qualität seines zwischen der Klassik und der Romantik stehenden Werkes war zu Lebzeiten nicht unumstritten, doch war der in vielerlei Hinsicht als Sonderling geltende Jean Paul mit Hesperus oder 45 Hundsposttage. Eine Biographie aus dem Jahr 1795 ähnlich erfolgreich wie Goethe und sein Werther. Die nach 1800 erschienenen Romane Titan und Flegeljahre können als bekannteste Werke gelten. Seine zerfasert und bisweilen skurril wirkenden Texte offenbaren eine ganz eigene, nicht selten biographisch begründete Weltsicht, die nicht ohne Humor und Witz bleibt.
Der Name des Autors lautet Carl (Karl) Christian Erhard Schmid (1761–1812), verwiesen wird hier auf die zweite Auflage.
Der Grundriß der Erfahrungs-Seelenlehre stammt von Ludwig Heinrich von Jakob (1759–1827), angeführt wird hier die vierte Auflage.
Die Nachgelassene[n] Werke des Leipziger Philosophen und Psychologen Friedrich August Carus (1770–1807) wurden zwischen 1808 und 1810 von Ferdinand Gotthelf Hand (1786–1851), einem klassischen Philologen und Schüler Carus', in sieben Teilen herausgegeben. Die ersten beiden Teile (1808) umfassen laut Nebentitel die Psychologie, der dritte Teil beinhaltet die Geschichte der Psychologie (1808).
Das Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit, durch das Johann Samuel Ersch (1766–1828) u.a. zum Begründer der neueren deutschen Bibliographie geworden ist, ist in erster Auflage in acht Bänden (1,1–2,4) erschienen (1812–1814). Innerhalb der ersten Abteilung des ersten Bandes umfasst der zweite Abschnitt die Philosophie (aaO 179–262), auf den hier angegebenen Seiten findet sich Literatur zur empirischen Psychologie und Anthropologie (aaO 207–219).
Der Herrnhuter und nachmalige Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries (1773–1843) wurde 1805 Professor für Philosophie und elementare Mathematik (später auch für Physik) in Heidelberg. 1816 nach Jena berufen und drei Jahre später zwangsemeritiert, hielt er ab 1824 wieder mathematische und physikalische und ab 1838 auch wieder philosophische Vorlesungen. Das Interesse an Fries' philosophischem Werk hat sich bis in die Gegenwart hinein gehalten, besonders hervorzuheben ist der zum philosophischen Prinzip erhobene, an Friedrich Schleiermacher (1768–1834) erinnernde Begriff der Ahndung (des Ewigen im Endlichen). Der an dieser Stelle im Hintergrund stehende Titel ist das in der zugehörigen Vorrede als „der exoterische Theil“ seiner Philosophie bezeichnete Werk Wissen, Glaube, Ahndung (1805).
Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780–1849) zählt zu den literarisch produktivsten Theologen des 19. Jh.s und gilt als einer der letzten theologischen Universalgelehrten. Daneben ist er auch als Prediger und religiöser Schriftsteller hervorgetreten. Nach dem Schulbesuch in Weimar absolvierte De Wette Studium und Promotion in Jena und wurde 1807 zunächst Professor für Altes und Neues Testament in Heidelberg. Ab 1810 bekleidete er als Kollege Friedrich Schleiermachers (1768–1834) einen Lehrstuhl in Berlin, kehrte nach seiner Entlassung im Jahre 1819 – De Wette hatte einen Trostbrief an die Mutter des hingerichteten Mörders August von Kotzebues (1761–1819) verfasst – als Privatgelehrter nach Weimar zurück und nahm 1822 schließlich einen Ruf als Professor für Ethik und Praktische Theologie in Basel an. Bereits in Jena, dann aber auch in Heidelberg empfing De Wette wichtige Impulse von dem zuvor genannten Jakob Friedrich Fries, dessen Trias Wissen, Glaube und Ahndung entscheidenden Einfluss auf sein dogmatisches System hatte.
D.i. die Kritik der reinen Vernunft (vgl. I § 178; I § 183), gemeint ist die zweite Auflage (vgl. I § 167; I § 176).
Gemeint ist Johann Jakob Schwabes (1714–1784) Überarbeitung von William Derhams (1657–1735) Physico-Theologie oder Naturleitung zu Gott (1764), die ursprünglich von Christian Ludwig Wiener (geb. 1692) übersetzt und von Johann Albert Fabricius (1668–1736) zum Druck befördert wurde. Das häufig aufgelegte Original Physico-Theology, or, A Demonstration of the Being and Attributes of God from his Works of Creation (1713; 131768) galt als Standardwerk der theologia naturalis und ist in mehrere Sprachen übersetzt worden.
Gemeint ist die einflussreiche, von Johann Andreas Segner (1704–1777) übersetzte Schrift Rechter Gebrauch Der Welt-Betrachtung. Zur Erkentnis Der Macht, Weisheit und Güte Gottes, Auch Ueberzeugung Der Atheisten und Ungläubigen (1747) des niederländischen Philosophen und Mathematikers Bernard Nieuwentijt (1654–1718). Das Original Het regt gebruik der werelt beschouwingen, ter overtuiginge van ongodisten en ongelovigen aangetoont (1715) wurde auch ins Englische und Französische übersetzt und jeweils mehrfach aufgelegt.
Charles Bonnets (1720–1793) zweibändiges Werk Contemplation de la nature (1764) ist in mehreren Sprachen erschienen und wurde von Johann Daniel Tietz (Titius) (1729–1796) ins Deutsche übersetzt. Die Betrachtung über die Natur ist 1783 nicht in fünfter, sondern in vierter Auflage erschienen.
Heinrich Sanders (1754–1782) Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur ist in unterschiedlichen Auflagen in Karlsruhe bzw. Frankfurt/Leipzig erschienen. Zürich ist als Verlagsort nicht nachzuweisen. Wahrscheinlich ist hier die in Karlsruhe erschienene Zweitauflage aus dem Jahr 1780 gemeint, bisweilen wird in der Sekundärliteratur jedoch auch auf eine Ausgabe aus dem Jahr 1790 verwiesen. Außerdem dürfte Ueber das Grosse und Schöne in der Natur in zwei Bänden (Leipzig 1781/1782) gemeint sein. Dieses Werk ist 1784 in zweiter Auflage erschienen.
Die Erstauflage der Anleitung zur Kenntniß des großen Weltbaues für Frauenzimmer in freundschaftlichen Briefen des Theologen und Physikers Johann Heinrich Helmuth (1732–1813) stammt aus dem Jahr 1791, die Zweitauflage aus dem Jahr 1794.
Gemeint ist wohl Hebr 11,6.
Dieser Abschnitt trägt den Titel Von der Evidenz in den Anfangsgründen der natürlichen Gottesgelahrtheit (aaO 32–51).
(Anm.)Anmerkung Hülfsmittel sind alle Schriften über natürliche Theologie überhaupt, und einzelne Materien derselben (Daseyn Gottes, Vorsehung, Unsterblichkeit), insonderheit. Mit Uebergehung der letztern, welche man [215] in den vollständigen literarischen Werken, (z. B.)zum Beispiel 558 Ersch Handbuch,textgrid:253rq (Th.)Theil 1. (S.)Seite 255 (f.)folgend, desgleichen der 559Bibliothek für Prediger,textgrid:271fd (Th.)Theil 1. (S.)Seite 325 und (Th.)Theil 4. (S.)Seite 184 nachgewiesen findet, bemerken wir unter den allgemeinen, außer C. W. Wolf Theologia naturali methodo scientifica pertractata, (P.)Pars I. II. Francf. et Lips. 1736–1737.textgrid:253wv 4. 560Deutsch: Wolf's natürliche Gottesgelahrtheit, [übersetzt von] H. E. H., 5 Bände. Berlin 1742–45.textgrid:253wx
Auch von 564 Jerusalem's Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion, enthält der 1ste Theil bloß die Grundlehren der natürlichen Theologie.
Vgl. 1Kor 9,22.
Zu Johann Samuel Erschs (1766–1828) Handbuch vgl. I § 196 c. Innerhalb des Abschnitts Philosophie (aaO 179–262) finden sich im ersten Band unter dem Unterpunkt Praktische Philosophie u.a. Schriften zur Religionsphilosophie und Moraltheologie (aaO 253–262). AaO 255 beginnen die Allgemeine[n] und vermischte[n] Schriften ohne diejenigen Wolffs und anderer älterer Autoren, es folgen Titel zu den Themen Daseyn und Wesen Gottes (aaO 258–260) sowie Unsterblichkeit der Seele (aaO 260–262).
Zur Bibliothek für Prediger und Freunde der theologischen Literatur vgl. I § 43 c. Im ersten Teil (1796) finden sich an der betreffenden Stelle Specielle Schriften und Abhandlungen über einzelne Lehren der natürlichen Theologie (aaO 325–354), im vierten Teil (1812) Specielle Schriften und Abhandlungen über einzelne Theile der natürlichen Religion (aaO 184–193).
Bei Christian Wolffs fünfbändigem Werk Natürliche Gottesgelahrheit nach beweisender Lehrart abgefasset handelt es sich um die von Gottlieb Friedrich Hagen (1710–1769) besorgte Übersetzung der Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata.
Der genaue Titel lautet Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion. Die sechste Auflage wurde wie schon die fünfte (1781) von Reimarus' Sohn Johann Albert Heinrich Reimarus (1729–1814) besorgt.
Gemeint ist die von Johann Joachim Spalding vorgenommene Übersetzung von James Fosters (1697–1753) zweibändigem Werk Discourses on all the principal branches of natural religion and social virtue (1749/1752). Diese ist unter dem Titel Betrachtungen über die vornehmsten Stücke der natürlichen Religion und der gesellschaftlichen Tugend in zwei Bänden (1751/1753) erschienen.
Der Name des Autors lautet Peter Villaume (1746–1825).
Bei den Betrachtungen (1768–1779) handelt es sich um Johann Friedrich Wilhelm Jerusalems unvollendetes Hauptwerk, das mehrfach neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
Gemeint ist die Erstauflage aus dem Jahr 1785 (vgl. I § 183).
Dieses insgesamt dreibändige Werk ist zuerst 1783 in Breslau erschienen (vgl. II § 203) und erlebte in schneller Folge mehrere Auflagen (21784; 31787/1788; 41792). Im ersten, die Anmerkungen zu dem Ersten Buche enthaltenden Band wird aaO 28ff. auseinandergesetzt, dass das Wesen der Tugend mehr im Charakter des Menschen als in seinen veränderlichen Handlungen zu suchen sei.
Gemeint ist die Erstauflage aus dem Jahr 1785 (vgl. I § 183).
Zu nennen sind die dreiteilige Propaedevtick der Moralphilosophie nach Grundsätzen der reinen Vernunft (1794) des Leipziger Philosophen Karl Heinrich Heydenreich (1764–1801) sowie die Vorlesungen über die Critik der practischen Vernunft (1796) des jüdischen Aufklärers und Kantianers Lazarus Bendavid (1762–1832).
Friedrich Schleiermachers (1768–1834) Schrift trägt den Titel Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803).
Gemeint ist der erste Band (vgl. I § 60) mit dem Versuch einen festen Grundsatz zu finden, um die Pflichten der Sittenlehre und des Naturrechts zu unterscheiden (aaO 389–398).
Im ersten Abschnitt von Moses Mendelssohns (1729–1786) Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783) finden sich Gedanken über das als sittliches Vermögen verstandene Recht und die als sittliche Notwendigkeit verstandene Pflicht (vgl. aaO 29ff.).
Der v.a. als bedeutender Vertreter der Naturrechtslehre hervorgetretene Hugo Grotius (1583–1645) nahm bereits als Elfjähriger das Studium an der Universität Leiden (u.a. bei Scaliger) und nur fünf Jahre später, inzwischen im Besitz eines juristischen Doktorgrades der Universität Orléans, die Anwaltstätigkeit auf. 1601 wurde er Historiograph der niederländischen Generalstaaten, wirkte jedoch v.a. als Jurist und Politiker sowie als Botschafter und Diplomat in schwedischen Diensten. Zudem ist Grotius auch in theologischer und philologischer Perspektive hervorgetreten. 1609 erschien Grotius' berühmte Schrift Mare liberum, in der der Gedanke eines allen zugänglichen Meeres vertreten und naturrechtlich begründet wurde. Im Zuge der niederländischen Religionsstreitigkeiten als Anhänger des Leidener Theologen Jakob Arminius (1560–1609) 1618 zu lebenslanger Haft verurteilt, gelang ihm 1621 die Flucht, kurz darauf – Grotius hatte sich in Paris niedergelassen – erschien sein weit über 100 Auflagen erlebendes theologisches Hauptwerk De veritate religionis christianae (1622). Sein juristisches Hauptwerk De jure belli ac pacis libri tres erschien 1625. Mit seinen Annotationes in Novum Testamentum (1641) und in Vetus Testamentum (1644) avancierte Grotius zum Begründer der konfessionsübergreifenden historisch-philologischen Methode, doch ist es insbesondere sein Enfluss auf die moderne Rechts- und Staatstheorie, die seinen bleibenden Ruhm begründet.
Nach dem Besuch der Fürstenschule in Grimma studierte der in seinem Todesjahr zum Freiherrn erhobene Samuel von Pufendorf (1632–1694) zunächst Theologie, wechselte dann jedoch zu einem breit angelegten Studium der Rechtswissenschaften. Nach einer Anstellung als Hauslehrer bei dem schwedischen Diplomaten Peter Julius Coyet (1618–1667) wurde Pufendorf 1661 auf die erste deutsche Professur für Natur- und Völkerrecht nach Heidelberg berufen. 1668 wechselte er an die Universität Lund, 1677 als Hofhistoriograph und Staatssekretär nach Stockholm und 1688 als Hofhistoriograph und Geheimrat nach Berlin. In Aufnahme der Ideen Hugo Grotius' und Thomas Hobbes' (1588–1679) gehört Pufendorf zu den einflussreichsten Vordenkern der Naturrechtslehre, unter seinen diesbezüglichen Arbeiten ist v.a. das 1711 in deutscher Übersetzung erschienene Hauptwerk De iure natura et gentium libri octo (1672) sowie die bis in die zweite Hälfte des 18. Jh.s in über sechzig Auflagen vorliegende, mehrfach übersetzte Zusammenfassung De officio hominis et civis iuxta legem naturalem libri duo (1673) hervorzuheben.
Gemeint ist Ludwig Julius Friedrich Höpfners (1743–1797) Standardwerk Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, das 1806 als neue Auflage ohne Verlagsort erschienen ist. Da die sechste Auflage (Gießen 1795) 1801 ebenfalls ohne Ortsangabe als Nachdruck erschienen ist, dürfte es sich bei der hier bibliographierten siebenten Ausgabe wiederum um einen Nachdruck handeln.
Gemeint sind Immanuel Kant und seine als erster Teil der Metaphysik der Sitten erschienenen Metaphysische[n] Anfangsgründe der Rechtslehre (1797) (vgl. I § 208 c); Johann Heinrich Abicht (1762–1816) und sein Neues System eines aus der Menschheit entwikelten Naturrechts (1792) sowie die Kurze Darstellung des Natur- und Völkerrechts zum Gebrauch bey Vorlesungen (1795); Ludwig Heinrich von Jakob (1759–1827) und seine Philosophische Rechtslehre (1795) nebst dem für den Vorlesungsgebrauch verfertigten Auszug aus dem Naturrechte (1796); Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) und seine Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796/1797) (die 1812 gehaltene Vorlesung Das System der Rechtslehre wurde erst später gedruckt); der vergleichsweise unbekannte Ferdinand Christoph Weise (1765–1839) und seine Grundwissenschaft des Rechts. Nebst einer Darstellung und Prüfung aller durch die kritische Philosophie veranlaßten Philosopheme über den Ursprung und das Wesen des Rechts (1797); Johann Gebhard Ehrenreich Maaß (1766–1823) und sein Grundriß des Naturrechts (1808); Wilhelm Traugott Krug (1770–1842), Kants Nachfolger in Königsberg, mit seinen Aphorismen zur Philosophie des Rechts (1800), den Naturrechtliche[n] Abhandlungen oder Beiträge[n] zur natürlichen Rechtswissenschaft (1811) und der als erster Teil des System[s] der praktischen Philosophie erschienenen Dikäologie oder philosophische[n] Rechtslehre (1817); der Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries und seine Philosophische Rechtslehre und Kritik aller positiven Gesetzgebung mit Beleuchtung der gewöhnlichen Fehler in der Bearbeitung des Naturrechts (1803); und schließlich Johann Christian Friedrich Meister (1758–1828) und sein Lehrbuch des Natur-Rechtes (1809).
Dem Helmstedter Theologen Georg Calixt (1586–1656), einem der Protagonisten des synkretistischen Streites (vgl. II § 122), kommt das Verdienst zu, die Moral unter dem Begriff theologia moralis erstmals als eigenständige Disziplin neben der Dogmatik bearbeitet zu haben (vgl. Epitome theologiae moralis [1634]) (vgl. II § 186).
Die beiden Teile (vgl. I § 207 c) von Immanuel Kants Metaphysik der Sitten (1797) sind nacheinander in zweiter Auflage erschienen: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (21798) und Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (21803). Hier dürfte der zweite Teil gemeint sein. Jedoch lässt sich auch eine Königsberger Ausgabe der Metaphysik der Sitten aus dem Jahr 1803 nachweisen, in der die Rechtslehre und die Tugendlehre zusammengefasst sind.
Gemeint sind hier v.a. die Dialoge (vgl. I § 146), in denen Platon seine moralphilosophischen Grundannahmen entfaltet: Grundlage aller Tugend ist für Platon das Wissen um und die Einsicht in die Idee des Guten, das zum Handlungsprinzip erhoben wird. Als die vier Kardinaltugenden gelten Besonnenheit (σωφροσύνη), Tapferkeit (ἀνδρεία) und Weisheit (σοφία) (ursprünglich Frömmigkeit [εὐσέβεια]), die alle in der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) zusammenkommen.
Innerhalb des umfangreichen Werkes Plutarchs stellen die philosophischen Schriften die zweite große Gruppe dar (vgl. I § 146). An dieser Stelle ist auf die sog. Moralia abgehoben, eine Sammlung von insgesamt 78 (darunter einige unechte) Schriften überwiegend ethischen Inhalts. Zusammenfassend läuft Plutarchs Ethik auf die Beherrschung der Affekte durch die Vernunft hinaus. Hierin liegt die eigentliche Tugend (ἀρετή), die nach innen zur Glückseligkeit (εὐδαιμονία) und nach außen zur Menschenfreundlichkeit (ϕιλανθρωπία) führt.
Über das Leben des aus Kilikien stammenden neuplatonischen Philosophen Simplicius (ca. 490–560) ist wenig bekannt. Als Schüler des Ammonios von Alexandrien und des in Athen lehrenden Damaskios, beide Neuplatoniker und Anhänger der alten griechischen Religion, ist Simplicius vor allem als Verfasser von neuplatonisch interpretierenden Kommentaren, u.a. zu Epiktets' Enchiridion, hervorgetreten. Aus diesem Grund wird Simplicius an dieser Stelle in einer Reihe mit Epiktet und Arrian (vgl. I § 146) genannt.
Der römische Kaiser und Philosoph Marcus Aurelius (121–180) folgte im Jahre 161 dem von Hadrian adoptierten Antoninus Pius als letzter Adoptivkaiser nach. Als v.a. von Epiktet beeinflusster Philosophenkaiser sticht Mark Aurel aus der Reihe römischer Herrscher heraus, seine in griechischer Sprache verfassten und bis in die Gegenwart hinein bekannten Selbstbetrachtungen (Τὰ εἰς ἑαυτόν) gelten als das letzte große Werk der jüngeren Stoa. Berichtet wird, dass der junge Mark Aurel bereits mit zwölf Jahren den bescheidenen und entbehrungsreichen Lebensstil eines Philosophen annahm.
Die meisten Schriften aus dem umfangreichen Werk Ciceros (vgl. I § 60) sind mehr oder weniger von moralphilosophischen Inhalten durchsetzt, eigens hervorzuheben sind jedoch v.a. De officiis (vgl. I § 200 a; II § 205), die Tusculanae disputationes sowie De finibus bonorum et malorum. Neben den beiden in der Anweisung explizit genannten Schriften Laelius und Cato maior (vgl. I § 146) sei auch der nur fragmentarisch erhaltene Dialog Hortensius sive de philosophia erwähnt, dessen Lektüre in der Entwicklung Augustins (vgl. II § 19) eine besondere Rolle gespielt hat (vgl. Aug. conf. III 4).
Der der Stoa nahestehende Philosoph und Nero-Erzieher Lucius Annaeus Seneca d. J. (1. Jh.) hat ein weitgespanntes Werk hinterlassen, aus dem die philosophischen Schriften und aus diesen die 124 Briefe umfassenden Epistulae morales ad Lucilium hervorragen. Darüber hinaus sind auch die Dialoge moralphilosophisch zu lesen. Als Ethiker wurde Seneca auch in christlichen Kreisen (Tertullian, Laktanz, Augustin) geschätzt.
Der in Irland geborene Philosoph Francis Hutcheson (1694–1747), nach dem Studium in Glasgow zunächst Prediger und Leiter einer Privatakademie in Dublin, dann Professor für Moralphilosophie in Glasgow, ist ein Vertreter der schottischen Aufklärung, sein Hauptinteresse galt der Ökonomie und der Ethik. Hutcheson zählt in vielerlei Hinsicht zu den Wegbereitern des englischen Utilitarismus und wurde u.a. von Kant kritisch rezipiert. Zu seinen moralischen Schriften zählen Inquiry into the Origin of Our Ideas of Beauty and Virtue (1725) mit dem berühmten handlungsleitenden Prinzip the greatest Happiness for the greatest Numbers, und An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with Illustrations upon the Moral Sense (1728). Sein Hauptwerk ist das posthum erschienene und von Lessing ins Deutsche übersetzte System of Moral Philosophy (1755). Hutcheson zufolge kommt dem sittlichen Gefühl (moral sense) besondere Bedeutung zu, da nur durch dieses Gefühl Tugend und eine Bewertung derselben ermöglicht wird.
Der in seiner Jugend von John Locke (1632–1704) nach den Grundsätzen der englischen Aufklärung erzogene Anthony Ashley Cooper (1671–1713), ab 1699 dritter Earl of Shaftesbury, ist als englischer Politiker und europaweit äußerst einflussreicher Moralphilosoph hervorgetreten. Wie nach ihm Hutcheson rechnet auch Shaftesbury mit einem ethisch belastbaren moral sense und wendet sich mit seiner auf die Harmonie zwischen dem Menschen als Individuum und sozialem Wesen zielenden Lehre gegen den psychologischen Egoismus eines Thomas Hobbes (1588–1679). Als moralphilosophisches Frühwerk ist das ohne seine Einwilligung von John Toland (1670–1722) veröffentlichte An Inquiry concerning Virtue and Merit (1699) zu nennen, aufschlussreich sind daneben auch Sensus Communis (1709) und The Moralists (1709) sowie Soliloquy (1710).
Der während des Studiums in Glasgow von Hutcheson beeinflusste Adam Smith (1723–1790) übernahm bereits in jungen Jahren ebenda eine Professur für Logik und kurz darauf in Nachfolge Hutchesons auch für Moralphilosophie. 1763 legte er seine Professur zugunsten einer lukrativeren Stelle als Privatlehrer nieder und begleitete seinen adligen Schützling auf einer mehrjährigen Bildungsreise durch Europa. Nach seiner Rückkehr verbrachte er etwas über zehn Jahre in seiner Heimatstadt Kirkcaldy, bevor er 1778 zum Zollkommissar von Schottland ernannt wurde. Bekannt ist Smith v.a. für An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), bis heute ein wirtschaftswissenschaftliches Grundlagenwerk, in moralphilosophischer Hinsicht ist v.a. The Theory of Moral Sentiments (1759) zu nennen, in der der Sympathie oder dem Mitgefühl eine konstitutive Rolle innerhalb der Moraltheorie zugewiesen wird.
Nach dem Studium in Saint Andrews war der Historiker und Philosoph Adam Ferguson (1723–1816) zunächst als Militärpfarrer tätig und wurde nach kürzeren Anstellungen als Bibliothekar und Privatlehrer im Jahre 1759 Professor für Naturphilosophie in Edinburgh, fünf Jahre später erfolgte der Wechsel auf die Professur für pneumatics and moral philosophy. Diese legte er 1785 nieder und widmete sich v.a. der Überarbeitung seiner Vorlesungen. Neben der dreibändigen History of the Progress and Termination of the Roman Republic (1783) fand v.a. Fergusons Essay on the History of Civil Society (1767) große Beachtung. Mit Blick auf die Moralphilosophie sind die auch an deutschen Universitäten als Lehrbuch verwendeten Institutes of Moral Philosophy (1769) sowie das aus seinen Vorlesungen hervorgegangene Werk Principles of Moral and Political Science (1792) zu nennen, das schnell auch in deutscher Übersetzung (1796) vorlag.
Akademisch ist der Philosoph, Theologe und anglikanische Geistliche William Paley (1743–1805), Student und später auch Dozent am Christ College (Cambridge), als dem teleologischen Gottesbeweis (Uhrmacher-Analogie) verpflichteter Vertreter der theologia naturalis und Apologet hervorgetreten. Mit den aus seinen Vorlesungen zu John Locke (1632–1704) u.a. hervorgegangenen Principles of Moral and Political Philosophy (1785), einem der einflussreichsten philosophischen Werke der englischen Aufklärung, zählt Paley auch zu den bedeutendsten Moralphilosophen seiner Zeit. Dieses Werk erlebte zu Paleys Lebzeiten 15 Auflagen und wurde 1787 von Christian Garve ins Deutsche übersetzt.
Diese Untersuchung Johann Gottlieb Töllners (1724–1774) zerfällt in zwei Teile (1764/1766). Der zweite Teil trägt den Titel Beweis, daß Gott die Menschen bereits durch seine Offenbarung in der Natur zur Seligkeit führt.
Gemeint sind optische Hilfsmittel (Mikroskope, Ferngläser u.Ä.), die im Zuge ihrer Entwicklung im 17. und 18. Jh. zu einer massiven Erweiterung des Spektrums sinnlicher Erfahrungen und so zu einer veränderten Wahrnehmung der Welt führten.
D.i. ein Chemiker.
Der von Joseph Addison (1672–1719) und Richard Steele (1672–1729) herausgegebene Spectator war eine zwischen 1711 und 1712 täglich erscheinende Zeitschrift (insgesamt 555 Nummern zusammengefasst in sieben Bänden), die sich an das moralphilosophisch interessierte Bildungsbürgertum richtete. 1714 wurde der Spectator von Addison wiederbelebt und erschien nun über einen Zeitraum von sechs Monaten dreimal pro Woche (zusammengefasst in acht Bänden). Unter den hunderten, meist kurzlebigen moralischen Wochenschriften des 18. Jh.s nimmt The Spectator – zusammen mit dem Vorläufer The Tatler (1709–1711) und dem Nachfolger The Guardian (1713) – als Prototyp eine herausgehobene Stellung ein. Zwischen 1739 und 1744 erschien die von Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762) besorgte deutsche Übersetzung Der Zuschauer.
Die Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes (1785) sind mitsamt den Anmerkungen und Zusätzen in nur einem Band erschienen. In Fortsetzung der vorangegangenen Vorlesung finden sich in Vorlesung VII. (aaO 114–132) der Streit des Idealisten mit dem Dualisten sowie Überlegungen zum Zusammenhang von Wahrheitstrieb und Billigungstrieb. In den Anmerkungen und Zusätzen, XX–XXXVI finden sich umfangreiche Erörterungen zu der auf S. 118 als unzulässig klassifizierten Frage nach dem Urbild aller sinnlichen Eigenschaften.
Vgl. I § 275.
Als mehrfach aufgelegte und weit verbreitete Lehrbücher des nicht zuletzt durch seine Auseinandersetzung mit Kant bekannten Philosophen Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821) sind der Grundriß der Philosophischen Wissenschaften nebst der nöthigen Geschichte (1767), die Logik und Metaphysik (1769), das später unter dem Titel Institutiones Logicae et Metaphysicae (1777) ins Lateinische übersetzt wurde, sowie das Lehrbuch der praktischen Philosophie (1770) zu nennen.
Note:Gemeint sind die zweiteiligen Philosophische[n] Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte (1776/1782; 31793/1800) des Mediziners und Philosophen Ernst Platner (1744–1818), der als Leibnizianer durch seine Kritik an Kant, aber auch als Mitbegründer der modernen Anthropologie (vgl. I § 190) hervorgetreten ist. Mit dem Lehrbuch der Logik und Metaphysik (1795) lieferte Platner auch einen nachgearbeiteten Auszug der betreffenden Teile der Aphorismen.
Note:Gemeint sind die in drei Bänden erschienene Göttingische Philosophische Bibliothek (Hannover 1749–1750), die ihr Herausgeber Christian Ernst von Windheim (1722–1766) unter dem Titel Philosophische Bibliothek (Nürnberg bzw. Hannover 1751–1757) in sechs weiteren Bänden fortführte; die von Johann Ernst Faber (1745–1774) und nach dessen frühem Tod von Justus Christian Hennings (1731–1815) fortgeführte zweibändige Neue Philosophische Bibliothek (Leipzig 1774–1776); Johann Christian Lossius' (1743–1813) Neueste Philosophische Litteratur (Halle 1778–1782) in sieben Bänden sowie als Fortsetzung dessen dreibändige Übersicht der neuesten Philosophischen Litteratur (Gera 1784–1785); Karl Adolf Caesars (1744–1810) sechsbändige Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt (Leipzig 1785–1788) und dessen in nur zwei zweiteiligen Bänden erschienenen Philosophische[n] Annalen (Nürnberg 1787–1793); das von Johann August Eberhard herausgegebene vierbändige Philosophische Magazin (Halle 1788–1792) zusammen mit dessen zweibändigem Philosophische[n] Archiv (Halle 1792–1795); die vierbändige Philosophische Bibliothek (Göttingen 1788–1791) des kurz zuvor genannten (s.o.) Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821) und Christoph Meiners (1747–1810). Nicht wenige dieser gegenüber der ersten Auflage der Anweisung erweiterten Liste von philosophischen Periodika stehen der Philosophie Kants kritisch gegenüber. Als weitere philosophische Bibliotheken und Magazine können Johann Jakob Hottingers Bibliothek der neuesten theologischen, philosophischen und schönen Litteratur (Zürich 1784–1786), Joachim Georg Darjes' Jenaische philosophische Bibliothek (Jena 1759–1760), die Philosophische Bibliothek von Friedrich Just Riedel (Halle 1768–1769) bzw. Johann Tobias Sattler (Leipzig 1771–1772) oder Rudolf Wilhelm Zobels Bibliothek der Philosophie und Litteratur (Frankfurt/Oder 1774–1775) genannt werden.
Gemeint sind das von Johann Heinrich Abicht (1762–1816) gemeinsam mit Friedrich Gottlob Born (1743–1807) besorgte Neue philosophische Magazin. Erläuterungen und Anwendungen des Kantischen Systems bestimmt (Leipzig 1789/1790–1790/1791) in zwei Bänden und das dem Untertitel nach in Gesellschaft mit mehreren Gelehrten herausgegebene dreibändige Philosophische Journal (Erlangen 1794–1795); Karl Ludwig Wilhelm von Grolmans (1775–1829) in nur zwei Heften erschienenes Magazin für die Philosophie des Rechts und der Gesetzgebung (Gießen 1798–1799), das dann in zwei Bänden unter dem Titel Magazin für die Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetzgebung (Gießen/Darmstadt 1800–1807) bzw. gemeinsam mit Egid Valentin von Löhr (1784–1851) als (Neues) Magazin für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung (Gießen 1820–1844) fortgesetzt wurde, sowie die beiden gemeinsam mit Johann Ernst Christian Schmidt (1772–1813) und Friedrich Wilhelm Daniel Snell (1761–1827) herausgegebenen, aber Rudiment gebliebenen Zeitschriften Allgemeine Bibliothek der neuesten philosophischen Literatur (Gießen 1799) und Journal zur Aufklärung über die Rechte und Pflichten des Menschen und Bürgers (Herborn/Hadamar 1799/1800); das 1795 von Friedrich Immanuel Niethammer (1766–1848) gegründete und ab 1797 zusammen mit Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) herausgegebene Philosophische Journal einer Gesellschaft teutscher Gelehrten (Neustrelitz bzw. Jena/Leipzig 1795–1800) in zehn Bänden; das von Johann Gottlieb Buhle (1763–1821) und Friedrich Bouterwek (1766–1828) herausgegebene zweibändige Göttingische philosophische Museum (Göttingen 1798–1799) und als dessen Nachfolger das von Bouterwek allein besorgte Neue Museum der Philosophie und Litteratur (Leipzig 1803–1805).
Im Gegensatz zu den ersten drei Bänden dieses Lexikons ist der vierte Band ohne Jahresangabe erschienen. Er datiert vermutlich bereits aus dem Jahr 1806.
Der erste Band ist 1806 erschienen.
Der siebente Teil ist 1736 erschienen. Zudem folgten 1737 die Neue[n] Zusätze Verschiedener Vermehrungen, Erläuterungen und Verbesserungen Zu den Kurtzen Fragen Aus der Philosophischen Historie.
Der erste Teil ist 1772 erschienen.
Dieses Werk ist bis zu Wilhelm Gottlieb Tennemanns (1761–1819) Tod in insgesamt elf Bänden erschienen (Leipzig 1798–1819). Der achte Band zerfällt in zwei Teile (1810/1811).
Der Name des Autors lautet Dieterich Tiedemann (1748–1803).
Gemeint ist Johann August Eberhards in Halle erschienenes Werk Der Geist des Urchristenthums. Ein Handbuch der Geschichte der philosophischen Cultur für gebildete Leser aus allen Ständen in Abendgesprächen (1807–1808).
Der Grund, aus dem an dieser Stelle auf Isaak Casaubons Polybius-Kommentar verwiesen wird, liegt darin, dass der griechische Historiker Polybius als Vater der sog. pragmatischen Geschichtsschreibung (πραγματική ἱστορία) gilt. Diese zielt v.a. auf den Erkenntnisgewinn des politisch Handelnden, indem sie (anders als eine an Genealogie oder Koloniegründung orientierte Geschichtsschreibung) Taten und Schicksale in den Mittelpunkt stellt und Ursachen offenlegt, aus denen für die Zukunft gelernt werden soll (vgl. II § 14; II § 92). Die Seitenzahlen p. 742 seq. bzw. 721 sqq. beziehen sich auf Bd. I,2 (1764) der von Johann August Ernesti veranstalteten Polybius-Ausgabe (vgl. I § 112). In seinem dort abgedruckten Kommentar (vgl. aaO 719–854) äußert sich Casaubon an den angegebenen Stellen zur pragmatischen Geschichtsschreibung.
Gemeint ist der Diplomat und Historiker Johannes Sleidanus (1506–1556), dessen Hauptwerk De statu religionis et rei publicae Carolo V. Caesare commentarii (1555) aufgrund der intensiven Quellenarbeit und seiner neutralen Darstellung bis in die Gegenwart hinein ein Standardwerk der Reformationsgeschichte darstellt. Die seit ihrem Erscheinen immer wieder neu aufgelegten Commentarii waren in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s in der dreibändigen Ausgabe (1785–1786) Christian Karl am Endes (1730–1799) und in der von Johann Salomo Semler besorgten deutschen Übersetzung in vier Bänden (1771–1773) greifbar. Als Gegenstück zu den Commentarii erschienen kurz darauf Sleidans De quatuor summis imperiis libri tres (1556), eine an der biblischen Vier-Reiche-Lehre orientierte Weltgeschichte. Beide Darstellungen können als Grundlagenwerke der modernen Geschichtsschreibung gelten.
Jacques Auguste de Thou (Thuanus) (1553–1617) zählt zu den bedeutendsten Historikern der französischen Renaissance. Sein in hervorragendem Latein verfasstes und nach unparteiischer Darstellung strebendes Hauptwerk, die in Paris erschienenen Historiae sui temporis I–IV (1604–1608), eine annalistische Geschichtserzählung der Jahre 1546–1584. Sie umfasst alle europäischen Staaten und das Osmanische Reich, ist jedoch v.a. eine Geschichte Frankreichs. Das auf 138 Bücher angelegte Werk zeichnet sich durch eine komplizierte Editionsgeschichte (bis 1630 erschienen unterschiedliche Ausgaben) aus, blieb zu de Thous Lebzeiten unvollendet, wurde jedoch in London unter Berücksichtigung seiner Manuskripte ein Jahrhundert später in sieben Bänden (1733) vollständig herausgegeben. Diese Ausgabe diente als Grundlage einer französischen Übersetzung (1734).
Der französische Philosoph Voltaire (François-Marie Arouet) (1694–1778) hat mehrere Hundert Werke ganz unterschiedlicher Genres hinterlassen und gehört zu den einflussreichsten Autoren der europäischen Aufklärung. Unter den historischen Schriften können das epochale Werk Le siècle de Louis XIV (1751) und der siebenbändige Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations depuis Charle-magne jusqu' à nos jours (1756) hervorgehoben werden, in denen Voltaire einen neuen, soziale und kulturelle Momente berücksichtigenden und von übernatürlichen Erklärungsmustern abweichenden Typus von Geschichtsschreibung entfaltet. Zudem prägte Voltaire mit La philosophie de l'histoire (1765) den Begriff der Geschichtsphilosophie und verfasste den Artikel Histoire in der Encyclopédie.
Der Philosoph David Hume (1711–1776) gehört mit A Treatise of Human Nature (1739–1740), Enquiry Concerning Human Understanding (Erstveröffentlichung 1748 noch unter abweichendem Titel), Enquiry Concerning the Principles of Morals (1751) sowie den posthum veröffentlichen Dialogues Concerning Natural Religion (1779) zu den wichtigsten Gestalten der schottischen Aufklärung. Zudem ist Hume auch als Ökonom und Historiker hervorgetreten. Als historische Werke sind die sechsbändige History of England bzw. Great Britain (1754–1762) sowie die zweibändige History of Great Britain, under the house of Stuart (1759) zu nennen. Hinzu kommt die die deistische Annahme einer ursprünglichen monotheistischen Vernunftreligion entkräftende Abhandlung The Natural History of Religion (1757).
Der Geistliche und Historiker William Robertson (1721–1793), 1762 Rektor der Universität Edinburgh und 1763 nach einer Vakanz von über fünfzig Jahren der erste Historiographer Royal Schottlands, zählt zu den führenden Figuren der schottischen Aufklärung. Zu seinen wichtigsten Werken zählen die zweibändige History of Scotland (1759), die von Zeitgenossen wie Voltaire und Edward Gibbon hochgelobte dreibändige History of the Reign of the Emperor Charles V (1769), in der Robertson die betreffenden Jahrzehnte als Ausgangspunkt für die politische Neuformierung Europas beschreibt, und die zweibändige History of America (1777). In der ersten Auflage der Anweisung ist auf die Übersetzung von Robertsons History of Ancient Greece (2 1778) verwiesen (vgl. I § 138 a).
Der zeitweise auch als Politiker tätige Historiker Edward Gibbon (1737–1794) zählt aufgrund seines Hauptwerkes The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776–1788) neben David Hume und William Robertson zu den bedeutendsten Geschichtsschreibern der englischsprachigen Aufklärung. Um Objektivität bemüht und unter großflächiger Heranziehung von Primärquellen beschreibt Gibbon den Niedergang Roms vom 2. Jh. bis zum Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und macht dabei auch das Christentum mitverantwortlich. Bisweilen gilt Gibbon als erster moderner Historiker des antiken Rom, von besonderer Bedeutung ist seine Erschließung der Spätantike.
Bekannt wurde der als Jesuit erzogene Guillaume Thomas François Raynal (Abbé Raynal) (1713–1796) vor allem durch die vielgelesene vierbändige Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes (1770), zu der auch Denis Diderot (1713–1784) beigetragen hat. Nachdem dieses u.a. sklavereikritische Werk über die beiden Indien verboten wurde, veröffentlichte Raynal es nach Amsterdam ein zweites Mal in Den Haag (1774), doch wurde auch diese Ausgabe indiziert. Nach der erneuten Veröffentlichung in Genf (1780) musste Raynal Frankreich verlassen und fand schließlich bei Friedrich dem Großen (1712–1786) eine Freistatt. 1784 kehrte er nach Frankreich und 1791 vorübergehend auch nach Paris zurück. Hier folgte seiner Kritik an den absolutistischen Strukturen im vorrevolutionären Frankreich die Kritik an der revolutionären Praxis, die jedoch kein Gehör fand.
Einer breiten Leserschaft ist der Numismatiker, Sprach- und Altertumswissenschaftler Jean Jacques Barthélemy (1716–1795) vor allem durch sein vierbändiges Werk Voyage du jeune Anarcharsis en Grèce (1788) (vgl. I § 138) bekannt geworden, dessen Ausarbeitung drei Jahrzehnte in Anspruch genommen hat. Im Stil einer Reisebeschreibung – Hauptfigur ist ein junger Skythe auf Bildungsreise, der im Alter seine Eindrücke niederschreibt – entwirft Barthélemy hier ein Bild vom gesellschaftlichen und kulturellen Leben Griechenlands vor Alexander und vereinigt so unterhaltsame Lektüre und Historizität.
Der in Schaffhausen geborene Diplomat, Bibliothekar und Historiker Johannes von Müller (1752–1809) war einer der wichtigsten Schweizer Intellektuellen seiner Zeit und stand – davon zeugt der umfangreiche briefliche Nachlass – mit führenden Gelehrten in Kontakt. Aus seinen historischen Werken sind das von seinem Lehrer August Ludwig von Schlözer (1735–1809) als epochemachend rezensierte Werk Bellum Cimbricum (1772), Die Geschichte der Schweizer (1780), die nach Müllers Tod fortgesetzte Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft I–V/1 (1780–1808) und die unvollendeten, zuerst von seinem Bruder Johann Georg Müller (1759–1819) im Rahmen der Sämmtlichen Werke I–XXVII (1810–1819; 21831–1835) herausgegebenen Vierundzwanzig Bücher allgemeiner Geschichte, besonders der europäischen Menschheit (vgl. I § 235 c) hervorzuheben.
Zunächst als Stiftsrepentent in Tübingen tätig, wurde Ludwig Timotheus von Spittler (1752–1810) 1778 auf Vermittlung Christian Gottlob Heynes Professor an der Göttinger Philosophischen Fakultät und verzichtete später zugunsten Gottlieb Jakob Plancks (1751–1833), der Spittler nach dessen Tod eine eigene Schrift widmen sollte (1811), auf einen Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät. Bereits zu Tübinger Zeiten hatte Spittler seine Geschichte des Kanonischen Rechts bis auf die Zeiten des falschen Isidorus (1778) veröffentlicht (vgl. III § 89), als theologisch bedeutsamstes Werk darf der mehrfach aufgelegte Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (1782) gelten. Nach dem Verzicht auf die theologische Professur verlegte sich Spittler v.a. auf die politische bzw. Landesgeschichte. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Geschichte Wirtembergs unter der Regierung der Grafen und Herzoge (1783), die zweibändige Geschichte des Fürstenthums Hannover seit den Zeiten der Reformation bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts (1786) und der zweibändige Entwurf der Geschichte der Europäischen Staaten (1793/1794) zu nennen.
Als im engeren Sinne historische Arbeiten Friedrich Schillers, auf Initiative Goethes ab 1789 Professor in Jena, sind v.a. die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung (1788), von der nur der erste von sechs angedachten Bänden erschienen ist, sowie die im Historische[n] Calender für Damen (1791–1793) abgedruckte Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs zu nennen. Hinzugenommen werden kann etwa noch der kurze Aufsatz über die Jesuitenregierung in Paraguai, in: Der Teutsche Merkur 1788 (Okt.), 3–8. In seiner begeistert aufgenommenen Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? vom 26. Mai 1789 macht Schiller seine Vorstellung von Geschichtsschreibung deutlich.
Der Autor des geschichtsmethodisch innovativen Entwurfs ist der später v.a. durch nationalistische und antisemitische Überzeugungen aufgefallene Historiker (Christian) Friedrich Rühs (1781–1820).
Gemeint ist die zwei Einzelwerke zusammenfassende, später auch ins Deutsche (1709) übersetzte Geographia antiqua iuxta et nova (1687) (die Geographia medii aevi blieb unvollendet) und die häufig aufgelegte Notitia orbis antiqui (1701–1706) (vgl. I § 140) des halleschen Philologen, Historikers und Geographen Christoph Cellarius (1638–1707); mit Anton Friedrich Büsching (1724–1793) verbindet sich die berühmte, insgesamt dreizehnteilige Neue Erdbeschreibung (1754–1803), die er selbst bis in den elften Teil (1754–1792) hinein (Europa und den Anfang von Asien) bearbeitete und für die er zudem einen mehrfach aufgelegten Auszug besorgte (vgl. I § 231), sowie die bis 1802 in sechs Auflagen, zahlreichen Nachdrucken und Übersetzungen erschienene Vorbereitung zur gründlichen und nützlichen Kenntnis der geographischen Beschaffenheit und Staatsverfassung der europäischen Reiche und Republiken (1758); der Rostocker Statistiker und Geograph Gerhard Philipp Heinrich Norrmann (1753–1837) ist der Verfasser des Geographische[n] und Historische[n] Handbuch[s] der Länder-, Völker- und Staatenkunde (1785–1798) und zudem als Bearbeiter von Büschings Vorbereitung (61802) hervorgetreten.
Die hier angeführte dritte Auflage ist 1817 in drei Bänden erschienen.
Gemeint ist die achte Auflage.
Niemeyers Grundsätze sind bereits zuvor nach der sechsten Auflage (1810) angeführt worden (vgl. I § 64 c). Gemeint ist wohl das fünfte Kapitel im dritten, die Didaktik beinhaltenden Hauptabschnitt des zweiten Teils, in dem der Unterricht in Geographie und Geschichte behandelt wird (vgl. aaO 437–472), doch wird im siebenten Kapitel (vgl. I § 70 c) explizit auf das fünfte Kapitel verwiesen (vgl. aaO 543).
In August Ludwig von Schlözers (1735–1809) zweibändiger WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange (1785/1789) finden sich auf den angegebenen Seiten der Einleitung Überlegungen zum Begriff der Weltgeschichte und ihren unterschiedlichen (chronologisch, synchronistisch, geographisch, technographisch, ethnographisch) Darstellungsmöglichkeiten (aaO 79–91 [Abschnitt V]) sowie die Entscheidung für eine doppelte, d.h. eine synchronistische und synthetische, Abteilung der Weltgeschichte (aaO 92–119 [Abschnitt IV]).
D.h. die äußere Ordnung.
Gemeint ist der makedonische König Alexander III., der Große (356–323 v. Chr.), der das persische Großreich der Achämeniden nach der Ermordung Dareios' III. im Jahre 330 v. Chr. endgültig eroberte.
Gemeint ist der persische König Kyros II., der Große (gest. 530 v. Chr.).
Der erste Teil ist, wie in der dritten Auflage der Anweisung korrigiert, 1787 erschienen, der vierte Teil stammt aus dem Jahr 1807.
Der dritte Teil ist 1784 erschienen.
Bei dem Autor handelt es sich um den v.a. im Zusammenhang der biblischen Einleitungswissenschaften (vgl. II § 34) bedeutenden Historiker, Orientalisten und Philologen Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827), ein dritter Vorname ist nicht bekannt. Die zwei Teile der hier angeführten zweiten Auflage seiner Weltgeschichte sind bis 1814 in insgesamt fünf Bänden erschienen. Der erste Teil umfasst in einem Band die Geschichte der alten, der zweite Teil in vier Bänden die Geschichte der neuen Welt.
Hier handelt es sich um Karl Heinrich Ludwig Pölitz' dreiteiliges Werk Die Weltgeschichte. Ein Lehr- und Lesebuch für gebildete Stände, Gymnasien und Schulen (1805–1806), das unter leicht verändertem Titel mehrfach aufgelegt und auch als Handbuch der Weltgeschichte bezeichnet wurde.
Aus dem Jahr 1781 stammt die fünfte Auflage, eine sechste Auflage ist nicht zu ermitteln.
John Blairs (gest. 1782) The Chronology and History of the World, from the Creation to the Year of Christ, 1753, illustrated in LVI tables ist zuerst 1754 in London erschienen und 1756 nachgedruckt worden. Weitere Ausgaben folgten.
Gemeint ist Leopold II. (1747–1792), ab 1790 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.
Der Name des Autors lautet Daniel Gotthold Joseph Hübler (1734–1805), zugrunde liegt Johann Christoph Gatterers Versuch einer allgemeinen Weltgeschichte bis zur Entdeckung Amerikens (1792).
Der Name des Autors lautet Johann Christoph Gatterer.
Gemeint ist der erste Teil von Traugott Gotthold Voigtels (1766–1843) Genealogische[n] Tabellen zur Erläuterung der Europäischen Staatengeschichte, der zweite Teil erschien erst 1829.
Claude François Xavier Millots (1726–1785) Werk Eléméns D'Histoire Générale ist in zwei Partien in Paris erschienen. Die vier Bände der première partie stammen aus dem Jahr 1772 und umfassen die histoire ancienne, die fünf Bände der seconde partie umfassen die histoire moderne und stammen aus dem Jahr 1773. 1775 sind beide Partien in Lausanne und auch in Neuchâtel (édition augmentée) erschienen, eine Berner Ausgabe ist nicht nachzuweisen.
Die von Wilhelm Ernst Christiani (1731–1793) verfassten Teile 10 bis 12 sind auch unter dem Titel Geschichte der neuesten Weltbegebenheiten 1–3 erschienen, der zwölfte Teil datiert aus Christianis Todesjahr.
Gemeint ist Julius August Remer (1738–1803).
Der Name des Autors lautet Christoph Wilhelm Koch (1737–1813), bei dem Übersetzer handelt es sich um Johann Daniel Sander (1759–1825). Die ersten beiden Teile sind 1807 erschienen, der dritte Teil folgte 1809.
Ab dem sechsten Teil (1785) erschien die Geschichte der Deutschen bei neuer Zählung auch unter dem Titel Neuere Geschichte der Deutschen. Nach dem Tod Michael Ignaz Schmidts (1736–1794) wurde das Werk ab dem zwölften Teil (1797) von Joseph Milbiller (1753–1816), ab dem 23. Teil (1824) unter dem Titel Geschichte Deutschlands seit der Stiftung des Rheinbundes von Leonhard von Dresch (1786–1836) fortgesetzt. Aufgrund seiner patriotischen Betrachtungsweise und seines weitgehend überkonfessionellen Standpunktes entfaltete dieses Hauptwerk der aufgeklärten katholischen Geschichtsschreibung eine große Breitenwirkung und ist bis 1830 in insgesamt 27 Teilen erschienen. Der Hinweis auf die verbesserte Auflage des ersten Teils muss sich nicht unbedingt nur auf den ersten Band der in Ulm erschienenen zweiten Auflage beziehen (1785), sondern könnte auch die ersten fünf Bände (1785–1788) meinen.
Zwischen 1816 und 1817 sind drei Teile erschienen.
Innerhalb der ursprünglich von William Guthrie (1708–1770) und John Gray (Geburts- und Sterbejahr unbekannt) besorgten und u.a. von Christian Gottlob Heyne ins Deutsche übersetzten Allgemeine[n] Weltgeschichte von der Schöpfung an bis auf gegenwärtige Zeit (1765–1808) (vgl. I § 244) fungiert Christoph Gottlob Heinrichs (1748–1810) Teutsche Reichsgeschichte I–IX (1787–1805) als neunter Band. Der dritte Band der Reichsgeschichte reicht bis zum Tod Karls IV. (1316–1378). Da der fünfte Band aus dem Jahr 1793 datiert, dürften entweder die Band- oder die Jahreszahl fehlerhaft aus der zweiten in die dritte Auflage der Anweisung übernommen worden sein.
Dieses Werk ist bis 1790 in insgesamt 27 Bänden erschienen, von Franz Dominicus Häberlin (1720–1787) stammen nur die ersten zwölf Bände.
D.i. die Allgemeine Welthistorie.
Der Name des Autors lautet Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756–1804). Der erste Teil trägt den Untertitel Allgemeine Beschreibung des Teutschen Reichs, weitere Teile sind nicht erschienen.
Für Johann Albrecht Hermann Heldmann (1734–1810) ist auch die Namensvariante Johann Albert Hermann Heldmann belegt.
Der Name des Autors lautet Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756–1804). Die beiden Bände des unvollendet gebliebenen Historisch-statistische[n] Handbuch[s] von Teutschland sind 1801 bzw. 1804 in Göttingen erschienen.
Gemeint ist die in Göttingen erschienene dritte Auflage (1798–1799), die wie die früheren drei Bände umfasst. Der den Zeitraum von 1740 bis 1786 abhandelnde dritte Band aus dem Jahr 1799 ist hier nicht berücksichtigt.
Hier wird auf den ersten Teil der siebenten (1790) und den zweiten Teil der sechsten Auflage (1785) verwiesen. Der in der ersten Auflage der Anweisung angeführte erste Teil der sechsten Auflage ist 1781 erschienen, bei dem in der dritten Auflage der Anweisung gebotenen Verweis auf eine vierte Auflage aus dem Jahr 1790 handelt es sich um einen Fehler. Nach Gottfried Achenwalls (1719–1772) Tod hatte zunächst August Ludwig von Schlözer (1735–1809), danach dessen Schüler Matthias Christian Sprengel (1746–1803) die Betreuung dieses Werkes übernommen. Der zweite Teil der von Sprengel besorgten siebenten Auflage ist unvollendet geblieben, es erschien lediglich eine Rußland, Dänemark und Schweden umfassende erste Abteilung (1798).
Der Name des Autors ist Eobald (Ewald) Toze (1715–1789), der auf dem Titelblatt befindliche Buchstabe M. ist als Initiale nicht aufzulösen, sondern dürfte für Tozes in Göttingen erworbenen Magistertitel zu nehmen sein. Der zweite Band der von Valentin August Heinze (1758–1801) bearbeiteten vierten Auflage erschien erst Jahre später (1799).
Bei der in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragenen Ausgabe aus dem Jahr 1800 handelt es sich um die vierte Auflage. Diese trägt, anders als die früheren Auflagen, den Titel Anleitung zur Kenntniß der Europäischen Staatengeschichte.
Der Name des Autors lautet Ludwig Timotheus von Spittler, die Fortsetzung besorgte sein Schüler Georg Sartorius (1765–1828).
Charles Rollins (1661–1741) Histoire ancienne des Egyptiens, des Carthaginois, des Assyriens, des Babyloniens, des Mèdes et des Perses, des Macédoniens, des Grecs ist in insgesamt fünf Bänden (1756–1758) in Halle erschienen. Dass der fünfte Band aus dem Jahr 1758 hier nicht genannt ist, könnte damit zusammenhängen, dass er der Geschichte der Philosophie und der Mathematik gewidmet ist. Ursprünglich war dieses Werk in 13 Teilen in Paris erschienen (1730–1738) und lag vor der in der Anweisung bibliographierten französischen Ausgabe als Historie alter Zeiten und Völcker (1738–1749) in deutscher Übersetzung vor.
Diese Ausgabe besteht aus sechs Bänden (Halle 1753–1755).
Bei der Histoire des Empereurs ist zuerst an Louis Sébastien Le Nain de Tillemonts (1637–1698) Standardwerk Histoire des empereurs et des autres princes qui ont regné durant les six premiers siècles de l'eglise (1690–1738; 21707–1739) zu denken, doch ist Jean Baptiste Louis Creviers (1693–1765) Histoire des Empereurs Romains laut Vorwort als Fortsetzung der zuvor genannten Histoire Romaine seines Lehrers Charles Rollins (1661–1741), die laut Untertitel bis zum Ende der Republik reicht und von Crevier vollendet wurde, konzipiert. Zudem umfasst Le Nain de Tillemonts Kaisergeschichte die ersten sechs Jahrhunderte und bedarf kaum einer Fortsetzung. Entweder hat Nösselt den Zusammenhang der Werke Rollins und Creviers durcheinandergebracht oder der Einschub „und der Histoire des Empereurs“ ist im Text schlicht zu tilgen.
Vgl. I § 241.
1785 erschien ein zweiter Teil, 1788 eine verbesserte und erweiterte zweite Ausgabe (denuo recognita).
Nach dem Tod Christoph August Heumanns (1681–1764) hat Jeremias Nicolaus Eyring (1739–1803) die in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragene achte Auflage besorgt. Deren Material war derart angewachsen, dass sie in zwei jeweils knapp 500 Seiten starken Teilen erscheinen musste. Der erste Teil stammt aus dem Jahr 1791, der zweite aus dem Jahr 1797.
Zwei Jahre später hat Samuel Gottlieb Wald (1762–1828), ein Schüler Nösselts, Zusätze und Verbesserungen (1786) zu seinem Werk folgen lassen.
Dem Handbuch zum Gebrauch bey Vorlesungen über die Geschichte der Literatur und der Kunst liegen Johann Gottfried Eichhorns (1752–1827) in Jena gehaltene Vorlesungen über die Literaturgeschichte zugrunde, die Johann Georg Dahler (1760–1832) mitgeschrieben und mit Eichhorns Erlaubnis herausgegeben hat. In der dritten Auflage der Anweisung ist dann Eichhorns berühmte eigene Geschichte der Litteratur nachgetragen.
Der genaue Titel lautet Versuch einer allgemeinen Geschichte der Litteratur für studirende Jünglinge und Freunde der Gelehrsamkeit und dürfte mit Wachlers Handbuch der allgemeinen Geschichte der literärischen Cultur (vgl. I § 256) vermengt worden sein.
Die Geschichte der Litteratur von ihrem Anfang bis auf die neuesten Zeiten des vielseitig interessierten Historikers, Orientalisten und Philologen Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) ist in insgesamt sechs Bänden erschienen. Der erste Band stammt aus dem Jahr 1805, der fünfte aus dem Jahr 1807. Die dazwischenliegenden Bände sind jedoch zwischen 1805 und 1812 erschienen. Von Eichhorn stammen nur die ersten fünf Bände, die beiden Abteilungen des sechsten Bandes (1810/1811) beinhalten Karl Friedrich Stäudlins (1761–1826) Geschichte der theologischen Wissenschaften seit der Verbreitung der alten Litteratur.
Dieses Werk stammt aus dem Jahr 1782 und ist ohne Angabe des Autors erschienen. Über den im Untertitel befindlichen Hinweis, es stamme von dem Verfasser des vierteiligen Kurze[n] Begriff[s] menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse (1778–1781), kann jedoch Johann Christoph Adelung (1734–1806) als Verfasser ermittelt werden.
Gottlieb Stolles (1673–1744) Gantz neue Zusätze und Ausbesserungen Der Historie Der Philosophischen Gelahrheit sind 1736 als eigenständige Publikation in Jena erschienen, bei selbständiger Seitenzählung jedoch auch der vierten Auflage der Anleitung Zur Historie der Gelahrheit (1736) beigegeben.
Gemeint sind Gottlieb Stolles (1673–1744) Anleitung Zur Historie Der Medicinischen Gelahrheit (1731), Anleitung zur Historie der Theologischen Gelahrheit (1739) sowie die von Christian Gottlieb Buder (1693–1763) mit einer Vorrede versehene und von Stolles Söhnen besorgte Anleitung zur Historie der Juristischen Gelahrheit. Nebst einer Ausführlichen Nachricht, von des seel. Verfassers Leben und Schrifften (1745).
Der Name des Autors lautet Johann Christoph Adelung (1734–1806).
Dieses Werk ist in drei Bänden (1799–1800) erschienen.
Der Name des Autors lautet Johann Friedrich Ludwig Wachler (1767–1838). Dieser wird auf den Titelblättern beider Bände zwar als D. Ludwig Wachler bezeichnet, doch handelt es sich hier nicht, wie in der dritten Auflage der Anweisung fehlerhaft bibliographiert, um eine Initiale, sondern um die Abkürzung für den 1788 erworbenen Doktorgrad. Der zweite Band ist 1805 erschienen.
Die erste Auflage von Michael Denis' (1729–1800) Einleitung besteht, wie auch die in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragene zweite Auflage, aus zwei Teilen (1777/1778) (vgl. I § 258). Die Bibliographie enthält nur der erste Teil, der zweite bietet dagegen laut Untertitel die Literargeschicht.
Der Jesuit Michael Denis (1729–1800) wirkte nach der Aufhebung seines Ordens durch Papst Clemens XIV. (1769–1774) im Jahr 1773 bis zu seinem Tod als Bibliothekar und hat in dieser Eigenschaft auch öffentliche Vorlesungen gehalten. Eine wie hier angeführte Ausgabe seiner Vorlesungen ist jedoch nicht nachzuweisen.
Später folgte mit den Supplementa et emendationes ad Bibliothecam Litterariam Struvio-Iuglerianam (1785) ein weiterer, von Hermann Friedrich Koecher (1747–1787) herausgegebener Band.
Vgl. I § 257.
Zu Johann Samuel Erschs (1766–1828) Handbuch vgl. I § 196 c. Die vierte Abteilung des zweiten Bandes (1814) ist zugleich die achte Abteilung des ganzen Werkes.
Der erste Band stammt aus dem Jahr 1766.
Der siebente Band stammt aus dem Jahr 1790, 1803 ist zudem ein achter Band erschienen.
Wie in der ersten Auflage der Anweisung korrekt angegeben, stammt der erste Band aus dem Jahr 1783. Die beiden übrigen Bände sind fortlaufend nummeriert und ohne Jahresangabe erschienen.
Der erste der beiden von Johann Christoph Adelung (1734–1806) besorgten Ergänzungsbände zu Christian Gottlieb Jöchers (1694–1758) ursprünglich vierbändigem Allgemeine[n] Gelehrten-Lexikon (1750–1751) ist, wie in der ersten Auflage der Anweisung richtig bibliographiert, im Jahre 1784 erschienen.
Nach Johann Christoph Adelung (1734–1806) übernahm ab dem dritten Band (1810) Heinrich Wilhelm Rotermund (1761–1848), der daneben auch durch eigene Gelehrtenlexika zu Bremen (1818) sowie zu Hannover (1823) hervorgetreten ist, die Fortsetzungen und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers (1694–1758) Gelehrten-Lexikon.
Gemeint ist Pierre Bayles (1647–1706) häufig aufgelegtes zweibändiges Dictionnaire historique et critique (1697), das nach der Auflage von 1740 von Johann Christoph Gottsched (1700–1766) unter dem Titel Herrn Peter Baylens [...] Historisches und Critisches Wörterbuch I–IV (1741–1744) mit Anmerkungen unterschiedlicher Gelehrter versehen und ins Deutsche übersetzt worden ist.
Gemeint sind Jacques Georges de Chauffepiés (1702–1786) vierbändiges Nouveau dictionnaire historique et critique, pour servir de supplément ou de continuation au Dictionnaire historique et critique de MR. Pierre Bayle (1750–1756) und das posthum herausgegebene zweibändige Dictionaire historique, ou Mémoires critiques et littéraires concernant la vie et les ouvrages de divers personnages distingués, particulièrement dans la République des Lettres (1758/1759) des französischen Buchhändlers Prosper Marchand (1678–1756).
Die ersten beiden Bände sind 1752 erschienen, der dritte Band 1754.
Carl Joseph Bouginés (1735–1797) Handbuch der allgemeinen Litterargeschichte wird in § 255 genannt.
Vgl. I § 259.
Der Originaltitel dieses dreibändigen Werkes lautet De l'origine des loix, des arts, et des sciences; et de leurs progrès chez les anciens peuples (1758), die Übersetzung stammt von Georg Christoph Hamberger (1726–1773).
D.i. die Kunst des Komponisten, nicht die des Töpfers.
Vgl. I § 177.
Gemeint ist I § 261 c.
Gemeint ist I § 261 c Anm. 2.
Das erste Hauptstück trägt den Titel Von dem Gedicht überhaupt. Der Autor Johann Jakob Engel wird auf dem Titelblatt nicht genannt (vgl. I § 256). In der dritten Auflage der Anweisung werden die Anfangsgründe unter dem Titel Poetik erneut angeführt (vgl. I § 279 c).
Gemeint ist I § 269–274 c. I § 271 fehlt in der dritten Auflage der Anweisung (s.u.).
In der dritten Auflage der Anweisung fehlt I § 271. Auf I § 270 folgt I § 272.
Gemeint ist I § 261.262 c.
Hier ist auf die Begriffe firmitas (Festigkeit), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Schönheit) angespielt (vgl. I § 211), die seit Vitruvs (1. Jh. v. Chr.) De architectura libri decem als Grundprinzipien der Architektur gelten (vgl. Vitr. I 3,2).
Vgl. III § 66.
(Anm.)Anmerkung Für die Redekunst gehören dahin:
Ganz vorzüglich
Für die Dichtkunst
[298] Als Beispielsammlung würde aber
D.i. Theorie.
Bei dem Autor handelt es sich um den Enzyklopädisten Edmé-François Mallet (Abbé Mallet) (1713–1755), alle drei Bände dieses Werkes stammen aus dem Jahr 1753. Hier könnte ein Nachdruck genannt sein.
Johann Joachim Eschenburgs (1743–1820) Beispielsammlung zur Theorie und Literatur der schönen Wissenschaften ist in insgesamt acht Bänden (1788–1795) erschienen.
Den Titel Vorlesungen über Redekunst und Kritik trägt Joseph Priestleys (1733–1804) A course of lectures on oratory and criticism (1777) in der 1779 in Leipzig erschienenen Übersetzung Johann Joachim Eschenburgs (1743–1820). August Joseph Ludwig von Wackerbarths (1770–1850) Übersetzung ist dagegen als Vorlesungen über schriftlichen und mündlichen Vortrag (1793) erschienen und 1797 erneut aufgelegt worden.
Bei dem Übersetzer handelt es sich um den Leipziger Philosophieprofessor Carl Gottfried Schreiter (1756–1809), die vier Teile sind zwischen 1785 und 1789 in Leipzig und Liegnitz erschienen (vgl. III § 57).
Hier handelt es sich im Wesentlichen um Johann Jakob Engels bereits zuvor (vgl. § 264) angeführte, unvollendet gebliebene Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten (1783), die unter dem Titel Poetik als elfter Band (1806) seiner Schriften erneut herausgegeben wurden.
Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755) wurde nach dem Studium in Kiel 1723 Professor in Helmstedt, zunächst für Kontroverstheologie, später für Kirchengeschichte, 1747 wechselte er an die noch junge Universität Göttingen. Wissenschaftlich ist Mosheim v.a. als Kirchenhistoriker, aber auch im Bereich der Homiletik hervorgetreten (vgl. auch II § 204 c) und wird aufgrund seines pragmatisch-anthropozentrischen Kirchengeschichtsverständnisses nicht selten als Vater der neueren Kirchengeschichtsschreibung angesprochen. Daneben bekleidete er zahlreiche kirchen- und hochschulorganisatorische Ämter und war ein bedeutender Prediger. Insgesamt zählt Mosheim zu den prägenden Theologen in der ersten Hälfte des 18. Jh.s.
Nach dem Theologiestudium in Leipzig und Wittenberg sowie einem zweijährigen Bildungsaufenthalt in Holland übernahm Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789) 1734 die Stelle eines Hofmeisters in Göttingen. Hier als Professor vorgesehen, unternahm er zunächst eine auf fast drei Jahre ausgedehnte Englandreise. Zurückgekehrt entschied er sich jedoch gegen eine Professur und für eine Stelle als Hofprediger und Erzieher des jungen Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand (1735–1806) am Braunschweiger Hof, den er entscheidend mitprägte (z.B. Gründung des Collegium Carolinum). 1749 wurde er Abt von Marienthal und 1752 von Riddagshausen. Jerusalem, 1748 in Helmstedt zum Dr. theol. und 1787 in Göttingen honoris causa promoviert, war ein führender Aufklärungstheologe, als Hauptwerk sind die unvollendeten, mehrfach aufgelegten und übersetzten Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (1768) zu nennen. Erwähnt sei, dass der Selbstmord seines Sohnes Karl Wilhelm (1747–1772) als Vorlage für Goethes Werther (1774) diente.
Johann Joachim Spalding (1714–1804) gehört zu den bedeutendsten Gestalten der deutschen Aufklärungstheologie, sein Werk Die Bestimmung des Menschen (1748) markiert den Beginn der Neologie, er selbst ist ihre große Kulminationsgestalt. Aus dem kirchlichen Dienst heraus – Spalding hat (trotz zweifachen Rufes nach Greifswald) nie eine Professur bekleidet, sondern war nach der Erlangung des philosophischen Doktorgrades im Jahre 1736 zunächst Hilfsprediger in seiner Heimatstadt Tribsees, später Pastor in Lassan und Barth und schließlich Oberkonsistorialrat und Propst an der Berliner Nikolai-Kirche – konnte er neben seinen Schriften v.a. als Prediger eine große Breitenwirkung entfalten und so maßgeblich zur Überführung des protestantischen Christentums in die Moderne beitragen. Seine Schriften und Predigten liegen mittlerweile in kritischer Edition vor (SpKA). Nicht zufällig spielt die Anweisung gleich im ersten Satz auf Spaldings epochemachende Bestimmung aus dem Jahr 1748 an (vgl. I § 1).
Nach dem Studium in seiner Heimatstadt Leipzig wurde Wilhelm Abraham Teller (1734–1804) 1761 zunächst Professor in Helmstedt. Seine v.a. im Lehrbuch des christlichen Glaubens (1764) vertretenen neologischen Positionen führten hier jedoch zu heftigen Reaktionen seitens der Orthodoxie, so dass Teller 1767 als Propst und Oberkonsistorialrat nach Berlin übersiedelte. Dass auch das Woellnersche Religionsedikt (1788) nichts an Tellers aufklärerischen Standpunkten änderte, zeigt sein positives Votum über den als „Zopfschulz“ bekannt gewordenen Johann Heinrich Schulz (1739–1823), auf das hin Teller im Erscheinungsjahr seines Spätwerks Die Religion der Vollkommnern (1792) ohne Gehalt für drei Monate suspendiert wurde. Neben zahlreichen gedruckten Predigten (vgl. III § 65 c) ist sein bis 1805 mehrfach aufgelegtes Wörterbuch des Neuen Testaments (1772) hervorzuheben (vgl. II § 147), das im Rahmen der Bibliothek der Neologie ediert wird (BdN IX).
Johann August Eberhard (1739–1809) wurde nach dem Studium in Halle zunächst Lehrer und Prediger in Halberstadt, wechselte 1774 als Prediger nach Charlottenburg und kam hier mit der Berliner Aufklärung in Kontakt. 1778 kehrte er als Professor für Philosophie nach Halle zurück, erhielt den philosophischen Doktorgrad und hat als wichtiger Vertreter der halleschen Schulphilosophie Leibniz-Wolff'scher Prägung und Kritiker Kants u.a. auf den Studenten Friedrich Schleiermacher (1768–1834) gewirkt. Sein umfangreiches, in der Anweisung breit rezipiertes Werk ließ ihn 1786 zum auswärtigen Mitglied in die Berliner Akademie der Wissenschaften, 1805 zum Geheimrat und 1808 auch zum Doktor der Theologie werden. Hervorzuheben sind die Neue Apologie des Sokrates (1772), der später ein zweiter Band folgte (vgl. I § 18), die Allgemeine Geschichte der Philosophie (1788) und Der Geist des Urchristenthums (1807–1808) (vgl. I § 214 c), zudem war Eberhard auch Herausgeber kantkritischer philosophischer Magazine (vgl. I § 213). Zu seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten vgl. I § 100 c.
Der als „Melanchthon seiner Zeit“ bezeichnete Johann Christoph Doederlein (1746–1792), nach dem Studium zunächst Hauslehrer und Diakon, ab 1772 Professor in Altdorf, ab 1783 in Jena, ist v.a. durch alttestamentlich-exegetische, aber auch durch dogmatische und moralphilosophische Arbeiten hervorgetreten. Mit den Fragemente[n] und Antifragmente[n] (1778/1779) hat er sich in den sog. Fragmentenstreit eingeschaltet, bedeutend ist seine mehrfach aufgelegte Institutio Theologi Christiani (1780/1781), der nach der dritten Auflage der Christliche Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit folgte (vgl. II § 174). Zudem gab Doederlein die Auserlesene Theologische Bibliothek (Leipzig 1780–1792) heraus. Die in nur einem Stück erschienenen Materialien zum Kanzelvortrag (1774) setzen sich äußerst kritisch mit Spaldings Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes (1772) und der auch von Johann Gottfried Herder (1744–1803) kritisierten Forderung nach einer dogmenfreien Predigt auseinander, empfehlen aber doch Spaldings Predigtstil. Nicht gemeint ist der Pietist Christian Albrecht Döderlein (1714–1789).
Als Urenkel August Hermann Franckes (1663–1727) besuchte August Hermann Niemeyer (1754–1828) das Pädagogium in Halle, studierte anschließend ebenda Theologie und wurde nach der 1777 erfolgten Promotion zunächst Privatdozent und 1784 schließlich ordentlicher Professor. Zusätzlich übernahm Niemeyer, in Verbindung mit weiteren Ämtern, die Leitung der Franckeschen Stiftungen und des theologischen Seminars und richtete außerdem ein pädagogisches Seminar ein. Im Zuge der Eroberung Halles durch Napoleon (1806) nach Frankreich verschleppt, wurde er nach seiner Rückkehr Kanzler und rector perpetuus der Universität. Hervorgetreten ist Niemeyer v.a. als bedeutender Pädagoge, sein Ansatz wird im Handbuch für christliche Religionslehrer (1795/96; 71829) und besonders in den über mehrere Auflagen teils massiv umgearbeiteten Grundsätze[n] der Erziehung und des Unterrichts (1796) ansichtig, die ihren Autor zum Mitbegründer der akademischen Erziehungswissenschaft werden ließen (vgl. BdN V). Als ergebener Schüler Nösselts hat Niemeyer zudem nicht nur die dritte Auflage der Anweisung besorgt, sondern auch eine umfassende Biographie seines Lehrers und väterlichen Freundes verfasst (vgl. Vorrede Hg. c XIf.). Aufgrund seiner Predigerbibliothek (Halle 1782–1784), die später u.a. von August Hermann Niemeyer bearbeitet wurde (vgl. I § 43 c), könnte an dieser Stelle auch an dessen älteren Bruder David Gottlieb Niemeyer (1745–1788) gedacht sein.
Der im schweizerischen St. Gallen geborene Georg Joachim Zollikofer (1730–1788) übernahm nach dem zuletzt in Utrecht absolvierten Studium ab 1754 kirchliche Anstellungen in Murten, Monheim und Neu-Isenburg, bevor er 1758 eine Stelle als Pfarrer der reformierten Gemeinde in Leipzig antrat, die er bis zu seinem Tod versah. Hier anvancierte Zollikofer, der mit zahlreichen Gelehrten seiner Zeit in Briefkontakt stand, zu einem über Stadt und Gemeinde hinaus gefeierten Prediger (die nach seinem Tod herausgegebenen Sämmtliche[n] Predigten [1789–1804] umfassen 15 Bände) und trug v.a auf diesem Wege zur Verbreitung einer aufgeklärten Theologie bei. Daneben ist Zollikofer auch als Kirchenlieddichter und Gesangbuchherausgeber (Leipzig 1766; 81786) sowie als Übersetzer englischer und französischer Schriften hervorgetreten.
Gemeinsam mit dem Theologen Felix Hess (1742–1768) und dem Maler Johann Heinrich Füssli (1741–1825) unternahm Johann Caspar Lavater (1741–1801) 1763 nach dem Studium am Zürcher Collegium Carolinum und der Ordination eine Bildungsreise nach Norddeutschland, auf der er bedeutende Zeitgenossen, allen voran Johann Joachim Spalding, kennenlernte. Nach seiner Rückkehr nach Zürich war Lavater zunächst literarisch tätig und versah ab 1769 unterschiedliche kirchliche Ämter. Dem neuen aufklärerischen Gedankengut gegenüber durchaus kritisch eingestellt, vollzog er bereits 1768 eine tiefgreifende theologische Umorientierung, durch die Christus als Vermittler eines völlig transzendenten Gottes in den Mittelpunkt seines Denkens rückte und die Lavater v.a. aufgrund seiner Wundergläubigkeit zunehmend den Vorwurf der Irrationalität einbrachte. Lavater hat ein umfangreiches Gesamtwerk hinterlassen, besondere, europaweite Bekanntheit erlangte er durch das vierteilige Werk Aussichten in die Ewigkeit (1768–1778), das ohne sein Wissen veröffentlichte Geheime Tagebuch (1771/1773) und die ebenfalls vierteiligen Physiognomische[n] Fragmente (1775–1778).
Nach dem Studium in Wittenberg stieg Franz Volkmar Reinhard (1753–1812) nach der 1777 ebenda erfolgten Habilitation für Philosophie und Philologie zum Professor der Theologie und 1790/1791 auch zum Universitätsrektor auf. 1792 wurde er zum Oberhofprediger in Dresden berufen und als Vizepräsident des Oberkonsistoriums 1810 mit der Visitation und Revision der sächsischen Universitäten und Fürstenschulen beauftragt. Mit sonntäglich bis zu viertausend Zuhörern gilt Reinhard als einer der erfolgreichsten Prediger der späten Aufklärung und blieb im deutschsprachigen Raum über seinen Tod hinaus stilbildend. Seine Predigten (einige auch ins Französische, Niederländische, Dänische, Schwedische und Englische übersetzt) sind in insgesamt 42 Bänden (1815–1821) veröffentlicht, aus seinen übrigen Werken sei v.a. das mehrfach aufgelegte und weitverbreitete System der christlichen Moral (vgl. II § 204 c) hervorgehoben. Eigens erwähnt sei Reinhards Aufmerksamkeit erregende Reformationspredigt des Jahres 1800, in der er den Abfall der Kirche von Luther und seiner Rechtfertigungslehre beklagte und damit wesentliche Fragen nach dem Kern des protestantischen Christentums aufwarf.
Der Pfarrerssohn Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) studierte Theologie und Philosophie in Leipzig und war, nachdem er sich vergeblich als Prediger versucht hatte, zunächst als Privatlehrer tätig. Nach Erlangung des Magistergrads im Jahr 1743 und einer mit der Habilitation 1744 verbundenen Vorlesungstätigkeit an der Leipziger Universität wurde Gellert 1751 ebenda Extraordinarius für Dichtkunst und Beredsamkeit. Eine freigewordene ordentliche Professur für Philosophie wie auch Rufe nach Hamburg und Halle lehnte er ab. Aus dem umfangreichen Werk des bereits zu Lebzeiten hochverehrten Dichters sind v.a. seine Fabeln, aber auch seine Kirchenlieder hervorzuheben. Zudem ist Gellert auch als Moralphilosoph hervorgetreten. Insgesamt gehört Gellert zu den meistgelesenen und bildungsgeschichtlich bedeutsamsten Autoren seiner Zeit.
Nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg ließ sich Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zunächst in Berlin nieder, war später als Sekretär in Breslau und als Dramaturg am Nationaltheater in Hamburg tätig und wurde im Jahre 1770 schließlich Bibliothekar an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. In diese Zeit fallen so berühmte Werke wie Emilia Galotti (1772) oder Nathan der Weise (1779). In der Anweisung wird auf die gemeinsam mit den Berliner Freunden Friedrich Nicolai (1733–1811) und Moses Mendelssohn herausgegebenen Briefe, die Neueste Litteratur betreffend verwiesen (vgl. I § 285), zudem ist auf Lessings berühmte Erziehung des Menschengeschlechts angespielt (vgl. II § 44).
Der Philosoph Moses Mendelssohn (1729–1786) gilt als der bedeutendste Vertreter der jüdischen Aufklärung (Haskala). Nach erster sorgfältiger Ausbildung in seiner Heimatstadt Dessau folgte der hochbegabte Mendelssohn seinem Lehrer David Fränkel (1707–1762), der als Oberrabbiner nach Berlin berufen worden war, im Jahre 1742 nach. Hier wurde er nach dem Studium zunächst Privatlehrer im Haushalt eines Seidenhändlers, in dessen Fabrik er sich bis zum Teilhaber emporarbeitete. Daneben führte seine Freundschaft mit Lessing (auch Johann Wilhelm Ludwig Gleim [1719–1803] gehörte zu seinen engen Freunden) zur Mitarbeit an Friedrich Nicolais Briefe, die Neueste Litteratur betreffend (vgl. I § 285), so dass Mendelssohn überdies zu einem einflussreichen Literaturkritiker avancierte. Bekannt ist die Auseinandersetzung mit Johann Caspar Lavater, der ihn aufforderte, entweder das Christentum zu widerlegen oder zu konvertieren. Mendelssohn war Ehrenmitglied der Mittwochsgesellschaft und soll auch dem Montagsclub angehört haben, die Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften scheiterte.
Der von Zeit- und Fachgenossen hochgeschätze (teilweise aber auch als zu seicht empfundene) Aufklärungsphilosoph Christian Garve (1742–1798) kehrte nach dem Studium in Frankfurt/Oder und Halle (v.a. bei Semler und Nösselt) 1767 zunächst in seine Heimatstadt Breslau zu seiner ihm äußerst eng verbundenen Mutter zurück. Kurz darauf übernahm er eine außerordentliche Professur für Philosophie in Leipzig, doch zog es ihn bereits 1772 erneut nach Breslau, wo der seit seiner Jugend kränkelnde Garve, mittlerweile Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, über zwei Jahrzehnte später starb. Hinterlassen hat Garve ein v.a. moralphilosophisches, essayistisch angelegtes (vgl. III § 95) Werk, zudem ist er als Kommentator und Übersetzer etwa von Cicero (vgl. I § 200 a; II § 204) und Alexander Gerard (1728–1795) (vgl. III § 105) hervorgetreten. Bekannt ist Garves Auseinandersetzung mit Kant, die mit seiner von Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821) (vgl. I § 213) abgeänderten Rezension der Kritik der reinen Vernunft (1781) begann.
Gemeint ist der Philosoph und Schriftsteller Johann Jakob Engel (1741–1802), der nach der Verleihung des philosophischen Doktorgrades in Bützow in Leipzig ein Theologiestudium aufnahm, sich jedoch schnell philologischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Studien zuwandte und erste Bühnenstücke veröffentlichte. 1776 übernahm er eine Professur für Philosophie und die Schönen Wissenschaften am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin und war gleichzeitig als Privatlehrer – als prominenteste Schüler dürfen der spätere Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und Wilhelm von Humboldt (1767–1835) gelten – tätig. Daneben verfasste er weiter erfolgreich Bühnenstücke und wurde unter Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) schließlich Direktor des Berliner Nationaltheaters. Engel gilt als repräsentativer Vertreter der Berliner Aufklärung und Verfechter einer moralisierenden, popularphilosophisch durchsetzten Schriftstellerei, aus den theoretischen Arbeiten sind die zweibändigen Ideen zu einer Mimik (1785/86) und seine unvollendet gebliebenen Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten (1783) (vgl. I § 264; I § 279 c) hervorzuheben.
Der Name des Autors lautet Karl August Schaller (gest. 1819), der Titel des ersten, die poetische Literatur enthaltenden Bandes lautet Handbuch der neuern deutschen klassischen Literatur von Lessing bis auf gegenwärtige Zeit (1811), der des zweiten, die philosophische Literatur umfassenden Bandes Handbuch der klassischen Literatur der Deutschen von Lessing bis auf gegenwärtige Zeit (1816). Von dem zweiten Band ist nur die erste, die spekulativ-philosophische Literatur enthaltende Abteilung erschienen.
Gemeint ist I § 262 c.
Zu den rhetorischen Werken des Aristoteles und des hier in der gängigen Schreibweise genannten Quintilian vgl. I § 146 bzw. I § 42. Die rhetorischen Schriften Ciceros stellen einen gewichtigen Teil seines Gesamtwerkes dar (vgl. I § 60). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang v.a. das Frühwerk De inventione, De oratore, der Orator, die Partitiones oratoriae, die kurze Schrift De optimo genere oratorum sowie der Brutus. Ein besonderer Fall ist die bereits in der Antike Cicero zugeschriebene Rhetorica ad Herennium. Während man die Autorschaft Ciceros heute nahezu ausschließt, wird die Rhetorica im 18. Jh. noch immer Cicero zugerechnet (vgl. Bibl. Nöss. 400 Nr. 272).
Ob die erste (1803–1805) oder die zweite Auflage (1807–1820) gemeint ist, ist nicht zu entscheiden. Der zweite Band der zweiten Auflage stammt aus dem Jahr 1809.
Die beiden Bände der Erstauflage sind 1806 erschienen, zudem findet sich eine in Göttingen erschienene, berichtigte und völlig umgearbeitete zweite Ausgabe aus dem Jahr 1815.
Aloys Wilhelm Schreibers (1763–1841) Lehrbuch ist in Heidelberg erschienen.
Die Briefe, die Neueste Litteratur betreffend 1 (1759)–23/24 (1765/1766) stammen von Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai (1733–1811).
Die zwölfbändige Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (Leipzig 1757–1765) wurde von Friedrich Nicolai (1733–1811) und Moses Mendelssohn, ab dem fünften Band von Christian Felix Weiße (1726–1804) herausgegeben. Wohl bis zu Bd. 35 (1788) verantwortete Weiße als Nachfolgeorgan auch die Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 1 (1765/66) – 72 (1806), die der Leipziger Verleger Johann Gottfried Dyck (1750–1815) danach allein fortführte.
Gemeint sind etwa die Allgemeine Literatur-Zeitung (Jena/Leipzig bzw. Halle 1785–1849), von der sich die im Vergleich zu ihrem halleschen Pendant bald bedeutendere Jenaische Allgemeine Literaturzeitung (Jena 1804–1841) abspaltete, die 1739 als Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen gegründeten und bis heute erscheinenden Göttingische[n] Gelehrte[n] Anzeigen oder die zum Zeitpunkt des Erscheinens der dritten Auflage der Anweisung bereits eingestellte Allgemeine deutsche Bibliothek (Berlin/Stettin 1765–1806) (ab 1793 unter dem Titel Neue allgemeine deutsche Bibliothek).
August Hermann Niemeyers Briefe an christliche Religionslehrer sind in zwei Auflagen erschienen. Die drei Bände der ersten Auflage (1796–1799) sind als Sammlungen erschienen, die zwei Bände der zweiten Auflage (1803) als Theile, wobei der zweite Teil die dritte Sammlung enthält. Hier kann nur die zweite Auflage gemeint sein, da die Erstauflage der dritten Sammlung mit dem 22. Brief endet.
Vgl. I Vorrede Hg. c IVf.
Die griffige Formel, Geschichte sei in Wirklichkeit verwandelte Moral, lässt sich nicht nachweisen, erinnert aber an die sog. pragmatische Geschichtsschreibung (vgl. I § 225).
Im Inhaltsverzeichnis ist De historiae Iesu tenendae tradendaeque necessitate ac modo (aaO 1–58) näher als Scripta IV. programmatibus in Festo Nativitatis Christi, Ienae annis 1783–1786 bestimmt. Dieser Text zerfällt in zwei Teile: De necessitate tenendae historiae Christi et tradendae (aaO 6–21) und De modo historiae Iesu tenendae et tradendae (aaO 22–58). Eine Initiale A. ist für den Autor nicht nachzuweisen.
Gemeint sind die Schriften des Zürcher Theologen Johann Jakob Hess (1741–1828). Zu nennen ist v.a. die Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu (1768–1773 aus Angst vor Zensur ohne Angabe des Verfassers und des Druckortes erschienen), die später, um die 1773 veröffentlichte Jugendgeschichte Jesu ergänzt, zur mehrfach aufgelegten, nachgedruckten und übersetzten Lebensgeschichte Jesu in drei Bänden (81822–1823) ausgearbeitet wurde. Die aus dem göttlichen Geschichtsplan abzuleitenden Konsequenzen für die Dogmatik sind etwa in Von dem Reiche Gottes. Ein Versuch über den Plan der göttlichen Anstalten und Offenbarungen (1774), das unter dem Titel Kern der Lehre vom Reiche Gottes. Nach Anleitung des biblischen Geschichtinhalts (1819) in kürzerer Überarbeitung erschien, sowie in der Bibliothek der heiligen Geschichte. Beyträge zur Beföderung des biblischen Geschichtstudiums, mit Hinsicht auf die Apologie des Christenthums (1791/1792) dargestellt.
Der aus dem nordafrikanischen Thagaste stammende spätere Bischof Augustin von Hippo (354–430) gehört, an der Schwelle zum Mittelalter stehend, zu den bedeutendsten Theologen und Philosophen der Alten Kirche sowie der christlich-abendländischen Tradition überhaupt (Augustinismus) und hat die christliche Theologie (v.a. im Hinblick auf die Trinitäts-, Prädestinations-, Erbsünden- und Gnadenlehre) über das Mittelalter hinaus entscheidend geprägt (vgl. II § 115).
Unter Glossa ordinaria versteht man Glossen (der Zusatz ordinaria ist nicht vor dem 14. Jh. belegt) zur Vulgata, die den Kirchenvätern und späteren Autoren entnommen waren, zusätzlich aber auch Bemerkungen der Glossatoren selbst enthielten. Längere Glossen waren an den Rand (glossa marginalis), kürzere zwischen die Zeilen (glossa interlinearis) des biblischen Textes geschrieben. Die Glosse wurde so zum normativen Bestandteil des Schriftstudiums, Bibeltext und Glosse bildeten graphisch wie sachlich eine Einheit und wurden grundsätzlich zusammen betrachtet. Neben der Theologie spielten Glossen auch in den Rechtswissenschaften (hier zum Corpus Iuris Civilis) eine bedeutende Rolle, die Rechtsgeschichte bezeichnet das 12. und 13 Jh. gar als Glossatorenzeit. In theologiegeschichtlicher Perspektive ist v.a. Anselm von Laon (ca. 1050–1117) zu nennen, dessen Glossa ordinaria gemeinhin als erstes Werk dieser Art angesehen werden, rechtsgeschichtlich sei auf die Glossa ordinaria des italienischen Rechtsgelehrten Accursius (1185–1263) mit ihren knapp 100.000 Glossen verwiesen. Die Entstehungsgeschichte der Glossa ordinaria ist zwar noch nicht abschließend rekonstruiert, doch finden sich voneinander durchaus abweichend glossierte Handschriften einzelner biblischer Bücher bereits in der Karolingerzeit.
Unter Scholastik (Schulwissenschaft) wird vielfach lediglich die Theologie und Philosophie des Mittelalters verstanden, streng genommen meint sie jedoch eher eine Denkform, die im Mittelalter jedwede Wissenschaft umfasst und sich als solche auch später (s.u.) findet. Als Grund für die Herausbildung der mittelalterlichen Scholastik ist der immense Rationalitätsschub im 12. Jh. anzuführen (vgl. II § 115). Wie die Sentenzenwerke, insbesondere das des Petrus Lombardus (vgl. II § 115), zeigen, nahm die lehrbuchartige Aufbereitung theologischer Themen zu. Die Tendenz, über die Bibel hinaus autoritative philosophische Texte (Augustin, Aristoteles etc.) für die ausholende Klärung von theologischen Sachfragen heranzuziehen, schlägt sich in spezifischen literarischen Formen wie Kommentaren oder Summen, am bekanntesten die des Thomas von Aquin (vgl. II § 115), nieder. Insgesamt ist die Scholastik, deren wichtigste Phase zwischen 1250 und 1350 anzusetzen ist, in sehr hohem Maße von formalen Betrachtungsweisen geprägt und aus diesem Grund später nicht selten negativ konnotiert.
Die erstmals im 7. Jh. im armenischen Raum auftretenden und bald über ganz Kleinasien verbreiteten Paulizianer (Paulikianer) waren eine dualistische Glaubensgemeinschaft, die immer wieder mit der Gnosis, dem Manichäismus (vgl. II § 113) oder Marcion von Sinope (gest. vor 160) in Verbindung gebracht wurde. Im Neuen Testament bezogen sie sich v.a. auf Paulus (im 18. Jh. wurde aus der Hochschätzung des Apostels auch der Name abgeleitet); das Alte Testament wurde, wie etwa auch die Bilder- und Kreuzesverehrung und die bestehende kirchliche Hierarchie, abgelehnt. Während der Zeit des Ikonoklasmus im byzantinischen Reich (vgl. II § 83) wohl noch toleriert, wanderten am Ende des 9. Jh.s zahlreiche Paulizianer nach Syrien, Süditalien und auf den Balkan aus. Vor ihrem Verschwinden ab dem 11. Jh. scheinen sie auf dem Balkan die Bogomilen und über diese die Katharer beeinflusst zu haben.
Die Katharer oder auch die Reinen (griech. καθαρός) sind eine ab dem 11. Jh. nachzuweisende, v.a. in Südfrankreich (vgl. II § 113), dann aber auch in Italien und Deutschland verbreitete dualistische Glaubensgemeinschaft mit eigener Kirchenorganisation, die ebenfalls mit der Gnosis und dem Manichäismus (vgl. II § 113) in Verbindung gebracht wurde und wie die Waldenser im Kontext der Laien- und Armutsbewegung zu sehen ist. Äußeres Kennzeichen war eine zumindest in Teilen (die sog. perfecti bzw. perfectae) streng asketische Lebensführung und ein durch das Gebet bestimmter Tagesablauf. Nach dem in mehreren Phasen geführten Albingenserkreuzzug (1209–1229) waren die Katharer zwar grundsätzlich militärisch besiegt, verschwanden jedoch erst im 14. Jh. endgültig.
Die auf den zu einem Leben in Armut bekehrten Lyoner Kaufmann (Petrus) Valdes (gest. vor 1218) zurückgehenden und bis heute existierenden Waldenser (das 18. Jh. kennt jedoch über zwanzig weitere Bezeichnungen) wurden auf dem Konzil von Verona (1184) erstmals als Häretiker verurteilt und seitdem immer wieder teils massiv verfolgt. Nach ihrer Vertreibung aus Lyon breiteten sich die auch als Arme von Lyon bekannten Anhänger Valdes', die ein asketisches Leben anstrebten und im Gegensatz zu den Katharern an den Lehren der römischen Kirche festhielten, sich dann jedoch zunehmend von allem distanzierten, was ihrer Meinung nach nicht im Evangelium begründet war, von Südfrankreich u.a. nach Norditalien aus. Dort wurden sie auch als Lombardische Arme bezeichnet. Die weitere Ausbreitung in Europa (u.a. in den deutschsprachigen Raum) verlief regional unterschiedlich, und auch die Anschauungen der einzelnen Gruppen konnten durchaus voneinander abweichen. Gemeinsames Kennzeichen blieb jedoch ein intensiver biblizistischer Schriftbezug.
Gemeint ist der die Antike wiederbelebende Renaissance-Humanismus im Allgemeinen und der Bibelhumanismus – zu nennen sind etwa Melanchthon und Erasmus von Rotterdam, aber auch Hebraisten wie Johannes Reuchlin (1455–1522) – im Besonderen.
Nachdem die Lehre der gereinigteren, d.h. reformatorischen, Kirchen festgelegt war und im Vergleich zu den mittelalterlichen Summen dem Umfang nach massiv reduziert werden konnte (vgl. v.a. Melanchthons Loci Communes [1521]), ging man in der Orthodoxie des ausgehenden 16. Jh.s dazu über, diese Lehre methodisch und systematisch zu entfalten. Die Darstellungen führender orthodoxer lutherischer Theologen wie Johann Gerhards (1582–1637) neunbändige Loci theologici (1610–1622) und Abraham Calovs (1612–1686) unvollständiges zwölfbändiges Systema locorum theologicorum (1655–1677) wurden so wieder kleinteiliger und nahmen dem Umfang nach zu. Bisweilen wird dieses Phänomen als protestantische Scholastik (s.o.) bezeichnet.
Zu den Vorreitern einer freieren Exegese, die die biblische Überlieferung im 17. Jh. philologisch und historisch, d.h. im Wesentlichen wie jede antike Quelle, erschlossen, gehören der reformierte Theologe Hugo Grotius (vgl. I § 207 c) sowie der Katholik Richard Simon (1638–1712). Während die freiere Bibelauslegung im protestantischen Bereich nach und nach zur Durchsetzung kam (Clericus, Turrettini, Wettstein u.a.), fand der mit Richard Simon im katholischen Bereich auf den Weg gebrachte historisch-kritische Ansatz keine Verbreitung. V.a. in Gestalt Marie-Joseph Lagranges (1855–1938) änderte sich dies erst gegen Ende des 19. Jh.s, Theologen wie etwa Johann Leonhard Hug (vgl. II § 34 c) waren zuvor eher die Ausnahme geblieben.
Gemeint ist die Behandlung der Bibel innerhalb des maßgeblich von August Hermann Francke (1663–1727) geprägten halleschen Pietismus (vgl. II § 98) und seiner auf Philipp Jakob Spener zurückgehenden Collegia biblica (vgl. II § 63 c). Durch die Beschränkung auf Halle bleibt eine Autorität wie Johann Albrecht Bengel an dieser Stelle unberücksichtigt (vgl. II § 35 c).
Am Ende des in diesem Paragraphen gebotenen exegesegeschichtlichen Abrisses stehen Theologen wie Johann Salomo Semler (vgl. II § 104), Johann David Michaelis (vgl. I § 157), Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) (vgl. II § 34 bzw. II § 34 c) oder Johann August Ernesti (vgl. I § 136), die allesamt zu den Bahnbrechern einer kritischen Exegese und bedeutendsten Vertretern der Aufklärungstheologie zu rechnen sind und mit ihren Arbeiten in der Anweisung immer wieder angeführt werden.
Im Hintergrund steht die von Luther in De servo arbitrio (1525) formulierte Grundannahme von der claritas (externa bzw. interna) scripturae (vgl. WA 18 [1908], [551] 600–787, 606–609). Diese wurde in der Folgezeit ausgebaut und gehört als Lehre von der Klarheit (claritas bzw. perspicuitas) der Schrift im Rahmen der sog. affectiones scripturae primariae zum festen Bestand der altprotestantischen Dogmatik. Dagegen bleibt die Schrift nach katholischer Auffassung ohne kirchliches Lehramt dunkel und für Laien unverständlich.
Vgl. II § 70; II § 143.
Richard Bentleys (unter dem Pseudonym Phileleutherus Lipsiensis veröffentlichte) Remarks upon a late Discourse of Free-Thinking (1713) wurden mehrfach aufgelegt (81743) und übersetzt. Die deutsche Übersetzung Richard Bentleys […] Anmerckungen über das Buch Freyheit zu dencken (1745) besorgte der hallesche Theologe Friedrich Eberhard Rambach (1708–1775). Die hier angeführte zwey und dreißigste Anmerckung (aaO 200–263) behandelt John Mills Ausgabe des Neuen Testaments (vgl. II § 35) und verteidigt trotz der in dieser Edition festgestellten etwa 30.000 Textvarianten die prinzipielle Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Überlieferung.
Der während des Studiums in Halle u.a. von Semler und Nösselt und in Leipzig von Ernesti beeinflusste Johann Jakob Griesbach (1745–1812) wurde 1773 außerordentlicher Professor der Theologie in Halle, wechselte dann jedoch als Ordinarius nach Jena und prägte die dortige Universität maßgeblich. Griesbach zählt zu den führenden Textkritikern des 18. Jh.s und ist für seine Ausgabe des Neuen Testaments (vgl. II § 34) bekannt. Nach ihm benannt ist die Griesbach-Hypothese, nach der das Lukas- vom Matthäusevangelium abhängig ist und das Markusevangelium eine Kurzfassung beider darstellt. Ein bedeutendes neologisches Werk (vgl. BdN III) ist seine Anleitung zum Studium der populären Dogmatik (1779; 41789).
In seiner Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) betont Niemeyer, dass Nösselt nicht zuletzt aufgrund seiner exegetischen Arbeiten zu den führenden Theologen seiner Zeit gezählt werde (aaO I 252), dass auf dem Gebiet der Exegese nichts Großes oder Kleines geschehen sei, was Nösselts Aufmerksamkeit entgangen wäre (vgl. aaO I 156), und weiß von Nösselts Plan, eine eigene Ausgabe des Neuen Testaments zu besorgen (vgl. aaO I 157). Dass die exegetische Theologie zu Nösselts Interessenschwerpunkten gehörte, wird auch an der relativen Häufigkeit seiner diesbezüglichen Vorlesungen deutlich.
Der hier angeführte Band beinhaltet Reden des niederländischen Philologen Tiberius Hemsterhuis und seines Schülers Lodewijk Caspar Valckenaer (vgl. I § 90). Den Reden Valckenaers sind die Schediasma, specimen exhibens Adnotationum Criticarum in loca quaedam Librorum Sacrorum Novi Foederis (aaO 324–412) angehängt. Hier findet sich seine in der Anweisung nachfolgend wiedergegebene Auseinandersetzung der unterschiedlichen Lesarten in Lk 19,38; 2,14; Offb 16,18 (vgl. aaO 365f.).
D.i. erneut εἰρήνη.
Vgl. I § 165.
Nach den Ausgaben Mills, Bengels und Wettsteins (vgl. II § 35) stellt Johann Jakob Griesbachs Novum Testamentum Graece (1775/1777; 21796/1806; 31803/1807) den Höhepunkt der wissenschaftlichen Editionen des Neuen Testaments im 18. Jh. dar. Auch wenn der bis auf Erasmus von Rotterdam zurückgehende textus receptus bereits zuvor immer wieder in Frage gestellt wurde, gilt Griesbach als der erste, der diesen an gleich mehreren hundert Stellen abänderte. Seine Edition wurde zum Vorbild nachfolgender Ausgaben, sein Text fand im 19. Jh. weite Verbreitung und wurde letztlich erst durch die Ausgabe (1898) Eberhard Nestles (1851–1913) abgelöst. In der dritten Auflage der Anweisung ist zusätzlich das Novum Testamentum Graece (1797; 31824) Georg Christian Knapps (1753–1825) angeführt, der als Sohn des Pietisten und Direktors der Franckeschen Stiftungen Johann Georg Knapp (1705–1771) in Halle studiert und nach einer Stelle als Lehrer an der Waisenhausschule und einer Studienreise seit 1782 ebenda eine ordentliche theologische Professur innehatte. Zudem wurde er wenig später Kondirektor der Franckeschen Stiftungen. Gemeinsam mit Nösselt und Niemeyer gehörte Knapp – häufig als letzter Repräsentant des halleschen Pietismus bezeichnet – zu den prägenden Gestalten des theologischen Seminars. Knapps griechischer Text des Neuen Testaments war so geschätzt, dass Johann Severin Vater (1771–1826) 1824, in demselben Jahr, in dem auch die dritte Auflage der Knappschen Ausgabe erschien, auf Grundlage Griesbachs und Knapps eine eigene Handausgabe besorgte.
Gemeint ist die ursprünglich von Christian Reineccius (1667–1752) (vgl. I § 160) besorgte und von Johann Christoph Doederlein und Johann Heinrich Meisner (1755–1813) durch die Berücksichtigung der Varianten Kennicotts und de Rossis (vgl. II § 35) verbessert herausgegebene Biblia hebraica Veteris Testamenti (1793).
Aufgrund seiner dreibändigen Einleitung ins Alte Testament (1780–1783), die Johann David Michaelis' unvollendet gebliebene Einleitung in die göttlichen Schriften des Alten Bundes (1787) überragte und die in der vierten Auflage (1823–1824) auf fünf Bände angewachsen war, wird der bedeutende, theologisch der Neologie zuzurechnende Historiker, Orientalist und Philologe Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) nicht selten als Begründer der kritischen Einleitungswissenschaft angesprochen. In diesem Zusammenhang sei auch Eichhorns Einleitung in die apokryphischen Schriften des Alten Testaments (1795) erwähnt.
Gemeint sind die dreiteilige Introductio in libros canonicos bibliorum Veteris Testamenti omnes (1714–1721; 41757) und die ebenfalls dreiteilige Critica sacra Veteris Testamenti (1728; 21748) des Leipziger Extraordinarius und späteren Lübecker Superintendenten Johann Gottlob Carpzov (1679–1767), der als Vertreter der lutherischen Orthodoxie die zunehmend in Frage gestellte Verbalinspiration des Alten Testaments verteidigte.
Beide Bände der vierten und letzten von Johann David Michaelis besorgten Auflage der Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes stammen aus dem Jahr 1788, die in der ersten Auflage der Anweisung angeführte dritte Auflage aus dem Jahr 1777. Als Zusätze und Veränderungen der vierten Ausgabe sind die gegenüber der dritten Auflage vorgenommenen Neuerungen 1788 auch separat erschienen. Aufgrund seiner richtungsweisenden Einleitung zählt Michaelis wie sein Göttinger Nachfolger Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) (s.o.) zu den Begründern der biblischen Einleitungswissenschaft.
Vgl. I § 43.
Anders als die mehrbändige Einleitung Eichhorns (s.o.) ist der für seine Vorlesungen konzipierte Entwurf einer Einleitung in die Schriften des alten Testaments (1794; 31806) Georg Lorenz Bauers in nur einem Band erschienen. In der Vorrede zur ersten Auflage stellt Bauer die Bedeutung der Eichhornschen Einleitung nicht nur für seinen eigenen Entwurf heraus, wehrt sich jedoch dagegen, dass man ihn für einen bloßen Epitomator halte. Exegesegeschichtlich wird Bauer immer wieder eine Eigenständigkeit gegenüber Eichhorn attestiert.
Die vierte Auflage von Michaelis' Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes (s.o.) ist von dem späteren Bischof Herbert Marsh (1757–1839), der u.a. bei Michaelis studiert hatte, ins Englische übersetzt und mit umfangreichen Anmerkungen versehen worden (1793). Diese vielbeachteten Anmerkungen sind von Ernst Friedrich Karl Rosenmüller (1768–1835), 1817 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Halle bedacht, unter dem Titel Herbert Marsh's Anmerkungen und Zusätze zu Joh. David Michaelis Einleitung in die Göttlichen Schriften des Neuen Bundes (1795/1803) ins Deutsche übersetzt und mit Michaelis' Korrekturen aus dessen eigenem Handexemplar angereichert worden.
Heinrich Karl Alexander Hänlein (1762–1829) hat sich mit seinem Handbuch der Einleitung in die Schriften des neuen Testaments (1794; 21801–1809) an Michaelis' maßgeblicher Einleitung (s.o.) abgearbeitet und diese formal und inhaltlich modifiziert, so dass dem Handbuch – ähnlich wie bei Bauer und Eichhorn (s.o.) – nicht selten eine grundsätzliche Eigenständigkeit zugesprochen wird. 1802 ist zudem Hänleins auf dem Handbuch fußendes Lehrbuch der Einleitung in die Schriften des neuen Testamentes für Akademien und Gymnasien erschienen.
Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) hat neben seiner bahnbrechenden Einleitung ins Alte Testament (s.o.) auch eine fünfbändige Einleitung in das Neue Testament (1804–1827) verfasst, in der etwa die bereits zuvor in Aufsatzform vertretene Urevangeliumshypothese, nach der die drei synoptischen Evangelien auf eine griechische Übersetzung eines aramäischen Urevangeliums zurückgehen, ausgeführt und begründet wird.
Die Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments (1808; 41847) des katholischen Theologen und Orientalisten Johann Leonhard Hug (1765–1846), in Freiburg zunächst Professor für orientalische Sprachen und Altes Testament, später auch für das Neue Testament, zeichnet sich durch konsequente Anwendung der historisch-kritischen Methode aus, wie sie in der katholischen Exegese durch Richard Simon (1638–1712) auf den Weg gebracht wurde (vgl. II § 19).
Gemeint ist die eigentümlich angeordnete und nicht selten als umständlich empfundene sechsteilige Historischkritische Einleitung in sämmtliche kanonische und apokryphische Schriften des alten und neuen Testaments (1812–1819) des Erlanger Theologen Leonhard Bertholdt (1774–1822) sowie Wilhelm Martin Leberecht De Wettes Lehrbuch der historisch kritischen Einleitung in die Bibel Alten und Neuen Testaments. Der erste Teil (Altes Testament) ist 1817 (81869) erschienen, der zweite Teil (Neues Testament) erst 1826 (61860).
Der Geistliche und Hebraist Benjamin Kennicott (1718–1783) hat mit seinem Vetus Testamentum hebraicum cum variis lectionibus (1776–1780) die bis dahin umfassendste Kollation hebräischer Manuskripte geliefert (unter Mithilfe zahlreicher Gelehrter wurden insgesamt 615 hebräische Manuskripte, 16 Handschriften des samaritanischen Pentateuch sowie 52 Editionen verglichen). Trotz einiger Mängel ist diese Sammlung noch immer als Meilenstein in der Geschichte der Textüberlieferung des Alten Testaments anzusprechen. Der in Parma lehrende Hebraist Giovanni Bernardo de Rossi (1742–1831) führte Kennicotts Arbeit mit den vierbändigen Varia lectiones Veteris Testamenti (1784–1788) und einem dazugehörigen Supplementband (1798) weiter und erhöhte die Gesamtzahl der kollationierten Manuskripte auf etwa 1500. Beide Werke finden bis heute Beachtung, ihr Wert für die Textkritik des Alten Testaments war und ist jedoch umstritten.
In chronologischer Reihenfolge werden maßgebliche NT‐Editionen des 18. Jh.s aufgezählt: John Mills (1645–1707) in Oxford erschienenes Novum Testamentum Graecum (1707), das später von Ludolf Küster neu besorgt wurde (Rotterdam 1710; Leipzig 1723; Amsterdam 1746) (vgl. II § 27), dann das sowohl aufgrund des textkritischen (s.u.) als auch aufgrund des Annotationenapparates berühmte Novum Testamentum Graecum (1751/1752) Johann Jakob Wettsteins und schließlich die bahnbrechende Ausgabe Johann Jakob Griesbachs (vgl. II § 34). Griesbachs zweibändige Symbolae criticae (1785/1793), die eine Nachlese des v.a. von Wettstein zusammengetragenen textkritischen Materials nebst eigenen Vergleichen darstellen, sind zwar nach der Erstauflage seines Novum Testamentum Graece (1775/1777) erschienen, können jedoch als Vorarbeit zu dieser Ausgabe verstanden werden.
Die 1697 in zwei Bänden erschienene und 1700 um einen dritten Band erweiterte Ars Critica des aus Genf stammenden und nach seinem Übertritt zum Arminianismus am Amsterdamer Remonstrantenseminar lehrenden Jean Le Clerc (Clericus) (1657–1736) war als Standardwerk der Textkritik bis weit in das 18. Jh. hinein in Gebrauch.
Nach dem Studium in Altdorf war Georg Lorenz Bauer (1755–1806) zunächst zehn Jahre als Frühprediger an der Nürnberger Schloßkapelle tätig. 1786 wurde er ebenda Lehrer und ein Jahr später Konrektor an der Schule bei St. Sebald, 1789 als Nachfolger seines Altdorfer Lehrers Johann Andreas Michael Nagel (1710–1788) Professor für Beredsamkeit, morgenländische Sprachen und Moral, bevor er ein Jahr vor seinem Tod eine Professur für morgenländische Literatur und biblische Exegese in Heidelberg übernahm. Bauer gilt innerhalb der Aufklärungstheologie als bedeutender Vertreter einer streng historisch verfahrenden theologia biblica, im Titel seiner Einleitung in das Alte Testament (1794) hat er den Begriff historisch-kritisch erstmals programmatisch verwendet. Hervorzuheben ist zudem seine Arbeit zu Mythos und Mythologie. An dieser Stelle ist Bauers Critica sacra Veteris Testamenti (1795) im Blick, die aus der Bearbeitung der Philologia Sacra des Salomon Glaß (vgl. I § 161) hervorgegangen ist.
Der in Basel geborene und nach massiven Auseinandersetzungen in seiner Heimatstadt (Wettsteinhandel) als Nachfolger Le Clercs am Seminar der Remonstranten in Amsterdam lehrende Johann Jakob Wettstein (1693–1754) gehört zu den bedeutendsten Textkritikern nicht nur des 18. Jh.s. Die seiner zweibändigen Ausgabe des Neuen Testaments (s.o.) beigegebenen Prolegomena ad Novi Testamenti Graeci editionem accuratissima waren anonym bereits 1730 erschienen und können als bis dahin gründlichste Studie zur neutestamentlichen Textkritik gelten, der textkritische Apparat seiner Ausgabe übertraf alles bisher Dagewesene. Dass die variae lectiones zu Wettsteins wissenschaftlichem Lebensthema werden würden, deutete sich bereits mit der in der Disputatio (1713) vertretenen These integritatem scripturae per lectionum diversitatem non labefactari an, mit der Wettstein sein Studium in Basel abschloss. Wettsteins Prolegomena wurden später von Semler erneut herausgegeben (s.u.).
Theoretische Äußerungen zur Textkritik finden sich in den Vorreden zu Griesbachs (vgl. II § 27) Ausgaben des Neuen Testaments (vgl. II § 34).
Seit seiner Magisterdisputation 1750 hat sich Johann Salomo Semler immer wieder eingehend mit textkritischen Fragen beschäftigt. Besonders hervorzuheben ist seine Neuausgabe (1764) der Prolegomena Johann Jakob Wettsteins (s.o.). Ursprünglich finden sich innerhalb der Prolegomena auch die Animadversiones et cautiones ad examen variarum lectionum N.T. necessariae, die in Wettsteins NT-Edition (s.o.) in den Anhang gewandert sind. In Semlers Ausgabe der Prolegomena finden sich die Animadversiones nicht, stattdessen hat er sie gemeinsam mit dem ebenfalls im Anhang der NT-Edition abgedruckten Stück De interpretatione libri Apocalypseos unter dem Titel Libelli ad crisin atque interpretationem Novi Testamenti (1766) erneut herausgegeben.
Nach dem Studium an der Universität Tübingen wurde Johann Albrecht Bengel (1687–1752) zunächst Stiftsrepetent und Vikar und nach einer Studienreise mit dem Hauptziel Halle im Jahre 1713 Lehrer an der neugegründeten Klosterschule Denkendorf. In dieser Position prägte Bengel als große Gestalt des württembergischen Pietismus (vgl. II § 98) wenigstens zwei Generationen von Schülern und damit nachhaltig die gesamte Landeskirche. Da die erhoffte universitäre Karriere ausblieb, wurde er 1741 Prälat von Herbrechtingen, ab 1747 Mitglied des Landtages und 1749 Abt von Alpirsbach mit Sitz in Stuttgart, ein Jahr vor seinem Tod verlieh ihm die Tübinger Universität ehrenhalber den theologischen Doktortitel. Bengel hat ein umfangreiches Werk und eine reichhaltige Korrespondenz hinterlassen und gehört mit seiner (mit Ausnahme der Johannesapokalypse) den textus receptus bietenden und mit einem umfangreichen textkritischen Apparat versehenen Ausgabe des Neuen Testaments (1734) zu den maßgeblichen Wegbereitern der neutestamentlichen Textkritik. Es fällt auf, dass Bengel in der Ausgabenabfolge der ersten beiden Auflagen der Anweisung fehlt (vgl. II § 19).
Gemeint ist Christian Friedrich von Matthäi (1744–1811), der sich nach dem Studium der klassischen Philologie in Leipzig 1770 ebenda habilitierte. Auf Empfehlung Ernestis wurde Matthäi 1772 zunächst Gymnasialdirektor in Moskau, wenige Jahre später außerordentlicher und schließlich ordentlicher Professor der klassischen Philologie an der dortigen Universität. 1782 wurde er zudem zum Kollegienrat ernannt. Nachdem ihn seine Gesundheit während eines Heimaturlaubes an der Rückreise nach Russland gehindert hatte, übernahm Matthäi 1785 das Rektorat der Meißener Fürstenschule und 1789 eine Professur für Griechisch in Wittenberg. Neben den Klassikern galt sein Interesse dem Neuen Testament, das er zuvor in griechisch-lateinischer Ausgabe (1782–1788) besorgt hatte. In Wittenberg erschien dann u.a. auf Grundlage Moskauer Handschriften sein heute kaum noch bekanntes zweibändiges Novum Testamentum Graece (1803/1804). Kurz darauf kehrte Matthäi nach Moskau zurück, wo er, inzwischen zum Kaiserlich-russischen Hofrat ernannt, starb.
Vgl. I § 43.
Der ab 1810 als Professor in Halle wirkende Wilhelm Gesenius (1786–1842) zählt bis heute zu den bedeutendsten Hebraisten, sein zweibändiges Hebräisch-deutsches Handwörterbuch über die Schriften des Alten Testaments (1810/1812) ist nach mehreren Überarbeitungen und einer Vielzahl von Auflagen (zuletzt 182013) noch immer ein bibelwissenschaftliches Standardwerk. In der dritten Auflage der Anweisung sind darüber hinaus weitere hebraistische Arbeiten Gesenius' berücksichtigt.
Nach dem Studium in seiner Heimatstadt Leipzig wurde Johann Friedrich Schleusner (1759–1831) Professor in Göttingen und wechselte 1794 nach Wittenberg. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit stand das hellenistische Griechisch, im Blick ist hier sein Novum lexicon Graeco-latinum in Novum Testamentum (1792; 41819).
Vgl. II § 34 c.
Der reformierte Theologe Samuel Bochart (1599–1667) wurde nach dem Studium in Frankreich, England und den Niederlanden 1625 zunächst Pfarrer in Caen. Daneben festigte sich jedoch auch sein Ruf als versierter Kenner der orientalischen Sprachen, so dass er 1652 zum Studium arabischer Handschriften von Königin Christina von Schweden (1626–1689) nach Stockholm eingeladen wurde. Durch das Hierozoicon (1663) ist Bochart im Zusammenhang der biblischen Tierkunde hervorgetreten, daneben zählt die biblische Geographie zu seinen Hauptarbeitsgebieten. Seine zweiteilige Geographia sacra (1646) ist mehrfach aufgelegt worden und hat in Johann David Michaelis' Spicilegium geographiae Hebraeorum exterae post Bochartum (1769/1780) ein Nachfolgewerk.
Der niederländische Geistliche und Geograph Willem Albert Bachiene (1712–1783) war nach dem Theologiestudium in Utrecht als Prediger, zuletzt in Maastricht, tätig. 1764 wurde Bachiene, der die Geographie seit frühester Jugend in seiner Freizeit betrieben hatte, ebenda Professor für Astronomie und Geographie am reformierten Gymnasium Illustre, dessen Lehrkörper v.a. aus ansässigen Geistlichen bestand. Zu Bachienes wichtigsten Werken zählt die Historische und Geographische Beschreibung von Palästina, nach seinem ehemaligen und gegenwärtigen Zustande (1766–1775). Die Übersetzung des Originals Heilige Geographie of aardrykskundige Beschryving van alle de Landen, enz. in de H. S. voorkommende (1758–1768) stammt von dem Gymnasialkonrektor Gottfried Arnold Maas (ca. 1734–1810), mehr als zehn Jahre nach Bachienes Tod ist unter dem Titel De Geographie der Heilige Schrift (1796) ein weiterer, von Samuel van Emdre (1746–1816) besorgter Teil erschienen.
Nach dem Studium in seiner Heimatstadt Utrecht übernahm Ijsbrand van Hamelsveld (1743–1812) zunächst unterschiedliche Predigtstellen, privatisierte jedoch 1779 aufgrund von Konflikten mit einem Amtskollegen und wandte sich in Utrecht eigenen Studien zu. Dort wurde er 1784 zum Professor der Theologie berufen, jedoch wenige Jahre später aus politischen Gründen des Amtes enthoben. Daraufhin immatrikulierte er sich 1789 in Leiden. Als ihm nach Gründung der Batavischen Republik erneut eine Professur in Utrecht angeboten wurde, lehnte van Hamelsveld ab und war stattdessen als Mitglied der Nationalversammlung politisch tätig. Im Zuge der Gegenrevolution wurde van Hamelsveld schließlich gefangengesetzt und zog sich nach seiner Entlassung bis zu seinem Tod von allen Ämtern zurück. Wissenschaftlich ist van Hamelsveld insbesondere auf dem Gebiet der Kirchengeschichtsschreibung der Niederlande hervorgetreten, im europäischen Ausland war er v.a. durch die von dem Hamburger Pastor Rudolph Jänisch (1750–1826) ins Deutsche übersetzte dreiteilige Biblische Geographie (1793–1796) bekannt.
Ernst Friedrich Karl Rosenmüllers (1768–1835) Das alte und neue Morgenland; oder Erläuterungen der heiligen Schrift aus der natürlichen Beschaffenheit, den Sagen, Sitten und Gebräuchen des Morgenlandes ist in insgesamt sechs Bänden (1818–1820) erschienen.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 43 c.
Der englische Theologe John Spencer (1630–1693) erwarb nach dem Studium am Corpus Christi College in Cambridge 1665 den theologischen Doktorgrad und war zunächst als Universitätsprediger tätig. Nach weiteren Stellen in Gemeinde und Schule wurde Spencer 1667 zum Master seines Colleges gewählt, im akademischen Jahr 1673/1674 war er Vizekanzler der Universität. 1667 wurde er zum Archdeacon in Sudbury und zehn Jahre später zum Dean an der Kathedrale von Ely bestellt. Bekannt ist Spencer v.a. für sein bedeutendes Werk De legibus Hebraeorum ritualibus et earum rationibus (1685), das in mehreren Auflagen u.a. auch in Deutschland erschien. Entgegen der Annahme, das Judentum sei die älteste Religion der Menschheitsgeschichte, stellt Spencer hier die Bedeutung des alten Ägypten für die Entwicklung des Judentums heraus und zählt damit zu den frühen Vertretern eines dezidiert religionsgeschichtlichen Ansatzes.
Der französische Historiker Antoine-Yves Goguet (1716–1758) war nach dem Studium der Rechte als Parlamentsrat in seiner Heimatstadt Paris tätig, sein eigentliches Interesse galt jedoch der Altertumskunde. Goguets Untersuchungen von dem Ursprung der Gesezze, Künste und Wissenschaften werden in der ersten Auflage der Anweisung noch explizit angeführt (vgl. I § 262 a), Jahrzehnte später hat der Nürnberger Gymnasialprofessor Johann Paul Sattler (1747–1804) einen Auszuge nach dem Französischen des Herrn Goguet, zum gemeinnüzigen Gebrauch für studierende Jünglinge und andere Leser (1796) besorgt.
Angespielt ist auf Johann David Michaelis' berühmtes sechsteiliges Mosaisches Recht (1770–1775; 21775–1803), in dem die Gesetze des Pentateuch vor dem Hintergrund der geschichtlichen Bedingungen ihrer Entstehungszeit und nicht in ihrer Bedeutung für die christliche Dogmatik interpretiert werden und für das Carsten Niebuhrs (1733–1815) Arabien-Berichte (vgl. I § 157) umfangreiches Vergleichsmaterial lieferten, sowie auch auf die zuvor in zwei Auflagen erschienene Abhandlung von den Ehe-Gesetzen Mosis (1755; 21768).
Der bedeutende Historiker Johann Christoph Gatterer (1727–1799) übernahm nach dem Studium in Altdorf und Tätigkeiten als Gymnasiallehrer in Nürnberg und Professor am dortigen Aegidianum 1759 einen Lehrstuhl für Geschichte in Göttingen und prägte die deutsche Geschichtswissenschaft über die Grenzen seiner Universität hinaus. Besondere Verdienste erwarb sich Gatterer im Bereich der historischen Hilfswissenschaften (v.a. der Genealogie und der Diplomatik) sowie der Universalgeschichte. Darüber hinaus ist die Gründung des Königliche[n] Historische[n] Institut[s] und die in diesem Zusammenhang entstandene Allgemeine historische Bibliothek (1767–1771) hervorzuheben. An dieser Stelle sind die aus Gatterers Lehrtätigkeit hervorgegangenen universalhistorischen Werke, v.a. der erste, bis zum Jahr 500 reichende Band des Handbuch[s] der Universal-Historie (1761; 21765), der Abriß der Universalhistorie (vgl. I § 235) sowie die Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfange (vgl. I § 235), gemeint.
Arnold Hermann Ludwig Heeren (1760–1842) wurde nach dem Studium in Göttingen und anschließender Studienreise 1787 ebenda außerordentlicher, 1794 ordentlicher Professor der Philosophie und 1801 ordentlicher Professor der Geschichte. Gemeinsam mit Friedrich August Ukert (1780–1851) gab Heeren die ab 1828 erscheinende Reihe Geschichte der europäischen Staaten heraus und übernahm nach dem Tode Eichhorns im Jahre 1827 die Redaktion der Göttingische[n] Gelehrte[n] Anzeigen. Gedacht ist hier an Heerens Hauptwerk Ideen über Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der Alten Welt (1793/1796), in dem sich sein Interesse an den konkreten Lebensbedingungen der Antike dokumentiert, sowie das Handbuch der Geschichte der Staaten des Altertums (1799). Beide Werke erlebten weitere Auflagen und wurden in mehrere europäische Sprachen übersetzt.
Hier ist nicht Anthologie, sondern Archäologie gemeint. Darauf deuten nicht zuletzt auch die Titel der Darstellungen Jahns oder De Wettes (s.u.) sowie John Potters Griechische Archäologie oder Alterthümer Griechenlandes (vgl. I § 142) hin.
Nach dem Studium in Göttingen wurde Heinrich Ehrenfried Warnekros (1752–1807) 1776 in Greifswald promoviert, war danach als Rektor des städtischen Gymnasiums tätig, setzte jedoch gleichzeitig seine Vorlesungstätigkeit an der Universität fort. Neben einer Arbeit zu Shakespeare ist Warnekros v.a. durch den Entwurf der hebräischen Alterthümer (1782) hervorgetreten, der 1794 in zweiter, verbesserter und vermehrter Auflage erschien.
Der katholische Theologe Johann Jahn (1750–1816) studierte Philosophie in Olmütz und Theologie am Prämonstratenserstift Bruck, 1774 folgte das Ordensgelübde. Nach der Erlangung des theologischen Doktorgrades wurde Jahn zunächst Professor in Olmütz, ehe er 1789 als Professor für orientalische Sprachen, biblische Archäologie und Dogmatik nach Wien berufen wurde. Aufgrund seiner Lehrpositionen kam es hier zu massiven Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Obrigkeit, in wissenschaftlichem Kontext fand Jahn, dessen philologische Werke auch in der Anweisung mehrfach angeführt werden, dagegen zunehmend Anerkennung. An dieser Stelle ist seine fünfbändige Biblische Archäologie (1797–1805) zu nennen, die auch in zweiter Auflage (1807–1815) und in Form der Archaeologia biblica in compendium redacta (1805) erschien.
Gedacht ist an Georg Lorenz Bauers Kurzes Lehrbuch der hebräischen Alterthümer des Alten und Neuen Testaments (1797) sowie die zweibändige Beschreibung der gottesdienstlichen Verfassung der alten Hebräer (1805/1806), die dem Untertitel nach als erläuternder Commentar über den dritten Abschnitt der hebräischen Archäologie (d.i. das Kurze Lehrbuch) dienen soll. In Frage kommt auch das Handbuch der Geschichte der hebräischen Nation (1800/1804).
Aus dem umfangreichen Werk Wilhelm Martin Leberecht De Wettes ist an dieser Stelle auf das Lehrbuch der Hebräisch-Jüdischen Archäologie nebst einem Grundriss der Hebräisch-Jüdischen Geschichte (1814; 31842) angespielt.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 43 c.
Der Theologe und Orientalist Wilhelm Friedrich Hezel (1754–1824), ab 1786 Professor in Gießen, ab 1801 in Dorpat, ist als Verfasser unterschiedlicher exegetischer und grammatischer Arbeiten hervorgetreten, auf die auch in der Anweisung mehrfach verwiesen wird. Sein dreibändiges Biblisches Real-Lexicon (1783–1785) ist ab dem zweiten Band fast vollständig von Hermann Friedrich Köcher (1747–1792) ausgearbeitet worden.
Die vierbändige Biblische Encyklopädie oder exegetisches Realwörterbuch über die sämmtlichen Hülfswissenschaften des Auslegers, nach den Bedürfnissen jetziger Zeit (1793–1798) geht laut Titelblatt auf eine Gesellschaft von Gelehrten zurück. Hinter dieser verbirgt sich jedoch der Gießener Theologe Johann Georg Friedrich Leun (1757–1823). Er stand in freundschaftlichem Verhältnis zu dem zuvor genannten Wilhelm Friedrich Hezel, der für Leuns Handbuch zur kursorischen Lektüre der Bibel A. B. (vgl. I § 160) eine Vorrede verfasste.
Vgl. 1Kor 9,22.
Hier greift Nösselt den Titel von Lessings Erziehung des Menschengeschlechts (1777/80) auf.
Hier handelt es sich um eine freie und verkürzte Wiedergabe von 1Kor 3,22, die Reihenfolge der Namen lautet eigentlich Paulus, Apollos, Kephas (vgl. 1Kor 1,12). Apollos ist ein im Neuen Testament erwähnter Mitstreiter des Paulus (vgl. Apg 18,24–19,1; 1Kor 3,4–22; 16,12); Kephas ist der Apostel Petrus, dessen aus dem Griechischen stammender Name (vgl. Mk 3,16) wie der aus dem Aramäischen stammende Name Kephas Stein bzw. Fels (vgl. Mt 16,18) bedeutet.
Hier schließt Nösselt an II § 41 an.
Der akademisch am Gonville and Caius College (Cambridge) beheimatete Geistliche Samuel Shuckford (1693–1754) erwarb 1720 den Magister-, später auch den Doktorgrad (Lambeth) und hatte danach verschiedene kirchliche Ämter inne. Ab 1732 diente er wohl als persönlicher Chaplain Georges II., sein Grab befindet sich in der Canterbury Cathedral. Wissenschaftlich ist Shuckford auf dem Gebiet der Altertumskunde hervorgetreten, sein Hauptwerk ist die zweibändige Sacred and Profane History of the World Connected. From the Creation of the World to the Dissolution of the Assyrian Empire at the Death of Sardanapalus, And to the Declension of the Kingdom of Judah and Israel Under the Reigns of Ahaz and Pekah (1728), die mehrfach neu aufgelegt und 1731 auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Nach dem Studium in Christ Church (Oxford) hatte Humphrey Prideaux (1648–1724) eine Vielzahl von kirchlichen Ämtern inne, wurde 1679 Hebräischprofessor in Christ Church und erhielt 1686 den theologischen Doktorgrad. Nach dem Tode Edwards Pocockes war er als dessen Nachfolger vorgesehen, lehnte jedoch ab. In den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens zunehmend gesundheitlich angegriffen, starb Prideaux als Dean von Norwich und wurde in der dortigen Kathedrale beigesetzt. Hier ist an das mehrfach aufgelegte und auch ins Französische übersetzte Werk The Old and New Testament Connected in the History of the Jews and Neighbouring Nations (1715–1718) zu denken. Mit A Connection of Sacred and Profane History. From the Death of Joshua to the Decline of the Kingdoms of Israel and Judah (1827) legte Michael Russell (1781–1848), der spätere erste Bischof von Glasgow und Galloway, ein Werk vor, das dem Untertitel nach die Darstellungen Shuckfords und Prideauxs vervollständigen sollte.
Die Geschichte der Israeliten vor den Zeiten Jesu (1776–1788) des Schweizer Theologen Johann Jakob Hess (1741–1828) ist in insgesamt zwölf Bänden erschienen.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 43 c.
Nösselts Abhandlung De tempore quo scripta fuerit Epistola Paulli ad Ebraeos deque Ebraeis quibus scripserit nebst corollarium findet sich in Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus I (21785), 269–328 (X.), die Coniecturae ad historiam catholicae Iacobi Epistolae sind in Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus II (1787), 297–332 (XII.) abgedruckt.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 43 c.
Johann August Ernesti kann als spiritus rector neologischer Exegese und Hermeneutik angesprochen werden, seine mehrfach aufgelegte Institutio interpretis Novi Testamenti (1761) (vgl. BdN II), in der ein ausschließlich grammatisch-historisches Verständnis des Neuen Testaments vertreten wird, als das epochemachende Werk neutestamentlicher Hermeneutik (vgl. II § 56).
In nuce leistet dies der Annotationenapparat der von Johann Jakob Wettstein besorgten Ausgabe des Neuen Testaments. Allerdings wird Wettstein in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s ausschließlich im Zusammenhang der Textkritik wahrgenommen (vgl. II § 35); Rezensionen zeigen, dass die im Annotationenapparat geleistete Arbeit als Ausdruck barocker Polymathie (vgl. I § 4) verstanden und eher negativ aufgenommen wurde.
In den mehrfach aufgelegten und 1787 ins Englische übersetzten Praelectiones de sacra Poesi Hebraeorum (1753) des anglikanischen Bischofs, Philologen und Exegeten Robert Lowth (1710–1787) wird die Betrachtung alttestamentlicher Texte als Poesie grundgelegt. Johann David Michaelis, während eines Aufenthaltes in Oxford von Lowth beeindruckt, hat diesem Werk notas et epimetra beigegeben (Göttingen 1758/1761; Oxford 1763; Göttingen 21770).
Von Johann Joachim Bellermanns (1754–1842) Handbuch sind lediglich vier Bände (1787–1799) erschienen. Diese umfassen mit der biblischen Archäologie und Geographie nur zwei der insgesamt zehn angedachten Abteilungen, hinzukommen sollten Chronologie, Genealogie, Geschichte, Naturlehre und Naturgeschichte, Mythologie und Götzengeschichte, Altertümer, Kunstgeschichte sowie Nachrichten von den biblischen Schriftstellern. In der dritten Auflage der Anweisung wird noch mit weiteren Bänden gerechnet, das Erscheinungsjahr des vierten Bandes ist fehlerhaft angegeben.
Zur Schlange im Paradies vgl. Gen 3,1ff.; die in Gen 30,14–16 (vgl. Hld 7,14) erwähnten Dudaim (דודאים) sind die Früchte der Alraune, denen in alttestamentlicher Zeit aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wurde (Liebesäpfel), bei dem von Luther mit Kürbis übersetzten Gewächs Kikajon (קיקיון) (vgl. Jona 4,6) dürfte es sich eher um die Rizinusstaude handeln; zu Tod und Begräbnis des Mose vgl. Gen 34.
Gemeint ist Georg Lorenz Bauers aus der Bearbeitung der Philologia Sacra des Salomon Glaß (vgl. I § 161) hervorgegangene Hermeneutica sacra Veteris Testamenti (1797). Zu nennen wäre auch Bauers Entwurf einer Hermeneutik des Alten und Neuen Testaments (1799).
Hier handelt es sich um den zweibändigen Versuch einer Hermeneutik des Alten Testaments (1799/1800) von Gottlob Wilhelm Meyer (1768–1816), anführen ließe sich auch dessen Grundriß einer Hermeneutik des Alten und Neuen Testamentes (1801).
Besorgt wurden Samuel Friedrich Nathanael Morus' zweibändige, die Institutio seines Lehrers Ernesti (vgl. II § 51) kommentierende Super hermeneutica Novi Testamenti acroases academicae (1797/1802) von Heinrich Carl Abraham Eichstaedt (1772–1848), einem Schüler Morus' und bedeutenden Philologen. Gewidmet ist dieses Werk u.a. Nösselt.
Karl August Gottlieb Keil (1754–1818), ein Schüler Morus', ist mit seinem Lehrbuch der Hermeneutik des neuen Testamentes nach Grundsätzen der grammatisch-historischen Interpretation (1810), 1811 unter dem Titel Elementa hermeneutices Novi Testamenti auch auf Latein erschienen, ebenfalls im Zusammenhang der neutestamentlichen Hermeneutik hervorgetreten.
Vgl. I § 43.
Im Hintergrund steht die im Kern auf Origenes zurückgehende Lehre vom vierfachen Schriftsinn (Literal- oder historischer Sinn, allegorischer Sinn, tropologischer Sinn, anagogischer Sinn), wie sie bündig in dem berühmten mittelalterlichen Merkvers Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia (Der Buchstabe lehrt, was geschehen ist; die Allegorie, was zu glauben ist; der moralische Sinn, was zu tun ist; der anagogische Sinn, was zu hoffen ist) zusammengefasst ist. Luther und nach ihm die grammatisch-historische Auslegung der Aufklärungstheologie erhebt dagegen den Literalsinn (sensus litteralis bzw. historicus) als einfachen oder wörtlichen Sinn zum Grundsinn der Schrift.
Vgl. I § 43.
Hier sind Johann Georg Rosenmüllers (1736–1815) Scholia in Novum Testamentum gemeint (vgl. I § 161 c), die in der ersten Auflage der Anweisung angeführte zweite Auflage ist zwischen 1785 und 1788 erschienen.
Nach seinem 1548 im Zuge einer persönlichen Krise erfolgten Übertritt zur reformierten Kirche und der damit verbundenen Ausweisung aus Frankreich war Theodor Beza (de Bèze) (1519–1605) zunächst als Griechischlehrer an der Akademie in Lausanne tätig und avancierte in dieser Zeit zu einem bedeutenden Mitstreiter Calvins. Nach Auseinandersetzungen mit dem Berner Magistrat siedelte er 1558 nach Genf über und wurde für Jahrzehnte eine der prägenden Gestalten der Stadt. Neben fünf kleineren Ausgaben mit kurzen annotationes minores dogmatischen Inhalts hat Beza zwischen 1557 und 1598 fünf Folioausgaben des Neuen Testaments publiziert, denen umfangreiche, immer wieder überarbeitete exegetisch-philologische annotationes maiores beigegeben waren. Diese wurden als Annotationes maiores in Novum Dn. Nostri Iesu Christi Testamentum (1594) auch separat gedruckt und zur Grundlage der reformierten Dogmatik des 17. Jh.s.
Vgl. I § 207 c.
Das grammatisch-historisch ausgerichtete Novum Testamentum graecum perpetua annotatione illustratum ist zwischen 1778 und 1821 in insgesamt zehn Bänden erschienen. Der Göttinger Professor, Universitätsprediger und Direktor des Predigerseminars (vgl. III § 31 [c]) Johann Benjamin Koppe (1750–1791), später als Generalsuperintendent u.a. von Hoya-Diepholz und erster Hofprediger in Hannover im kirchlichen Dienst, hat mit der Kommentierung des Corpus Paulinum begonnen, nach seinem Tod wurde sein Hauptwerk, wie in der dritten Auflage der Anweisung bemerkt, u.a. von Johann Heinrich Heinrichs (1765–1850) und David Julius Pott (1760–1838) vollendet.
Bei Erasmus von Rotterdams sich durch eine komplizierte Publikationsgeschichte auszeichnenden Paraphrases (1517–1524) handelt es sich um philologisch und erbaulich kommentierende Nacherzählungen des Neuen Testaments mit Ausnahme der Johannesapokalypse. Zu der von Johann Friedrich Sigismund Augustin (1739–1818) besorgten dreibändigen Ausgabe der Paraphrasen (1777–1780) hat Nösselt als Vorrede eine Historia Paraphraseon beigesteuert (vgl. aaO III, III–XLIV). Augustin hatte zuvor unter Nösselts Vorsitz De Catenis Patrum Graecorum in novum Testamentum observationes (1762) verteidigt.
Vgl. I § 161.
Vgl. I § 161.
Vgl. I § 161 c.
Johann August Dathe (1731–1791), 1762 außerordentlicher, dann ordentlicher Professor der morgenländischen Sprachen in Leipzig, ist nicht nur als Bearbeiter der Philologia Sacra des Salomon Glaß (vgl. I § 161), sondern auch durch seine sechsbändige lateinische Übersetzung des Alten Testaments einschließlich philologisch-historischer Anmerkungen bekannt. Es erschienen der Pentateuchus ex recensione textus hebraici et versionum antiquarum latine versus notisque philologicis et criticis illustratus (1781), die Libri historici (1784), Jobus, Proverbia Salomonis Ecclesiastes et Canticum Canticorum (1789), die Psalmi (1787), die Prophetae maiores (1779) und die Prophetae minores (1773). Einige Teile wurden erneut aufgelegt.
Gemeint ist Johann David Michaelis' [D]eutsche Uebersetzung des Alten Testaments, mit Anmerkungen für Ungelehrte (1769–1783). Bemerkt sei, dass 1778 zudem auch eine Übersetzung des ersten Makkabäerbuchs erschien und dass Michaelis ein vergleichbares Werk zum Neuen Testament (1790–1792) folgen ließ.
Vgl. I § 43 c.
Der Kanon des Alten und Neuen Testaments wird gemeinhin in drei Teile untergliedert: Als historische Bücher werden im Alten Testament die fünf Bücher Mose (Tora) sowie die Bücher von Josua bis Ester und im Neuen Testament die Evangelien und die Apostelgeschichte bezeichnet, als Lehrbücher werden im Alten Testament die Bücher von Hiob bis zum Hohelied Salomos und im Neuen Testament sämtliche Briefe angesprochen, und als prophetische Bücher gelten im Alten Testament die Bücher von Jesaja bis Maleachi und im Neuen Testament die Offenbarung des Johannes. Die alttestamentlichen Apokryphen (vgl. I § 163) lassen sich diesen drei Teilen zuordnen. Die fünf Bücher Mose können jedoch auch gesondert als Gesetzesbücher zusammengefasst werden, für die alttestamentlichen Lehrbücher findet sich auch die Bezeichnung poetische Bücher.
Vgl. III § 54.
Der lutherische Theologe Philipp Jakob Spener (1635–1705) erwarb nach dem Studium in Straßburg 1653 den Magistergrad und wurde nach Stellungen am Straßburger Münster, in Frankfurt am Main und in Dresden 1691 Propst und Konsistorialrat an St. Nikolai zu Berlin. Kurz darauf wirkte er an der Gründung der Universität Halle mit. Durch sein Hauptwerk Pia desideria (1675) gilt Spener als Gründungsfigur des lutherischen Pietismus (vgl. II § 98), zu seinen wichtigsten Schülern und Mitstreitern zählt August Hermann Niemeyers Urgroßvater August Hermann Francke (1663–1727). Zu den Besonderheiten der von Spener initiierten Frömmigkeitspraxis zählen die als collegia pietatis bezeichneten Konventikel oder Hauskreise, die als Erbauungsversammlung neben dem Gottesdienst erstmals 1670 abgehalten wurden und sich, wenn auch nicht unter diesem Namen, auch in dem in den Pia desideria grundgelegten Kirchenreformprogramm wiederfinden. Im Mittelpunkt stand in gut reformatorischer Tradition die vertiefte Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift. Daneben sollte auf akademischer Ebene in sog. collegia biblica die urtextliche Exegese gefördert werden. In diesen Zusammenhang gehören das 1686 von Francke und Paul Anton (1661–1730) in Leipzig gegründete collegium philobiblicum sowie die exegetisch-erbaulichen Kollegs eines Johann Kaspar Schade (1666–1698). Nach der ersten persönlichen Begegnung mit Spener und seinem Erweckungserlebnis hielt Francke ab 1689 in Leipzig mit großem Erfolg collegia biblica in deutscher Sprache ab, an denen auch Laien teilnahmen. Diese Kollegien sorgten jedoch bald für Unwillen und wurden bereits kurz darauf wieder verboten.
Vgl. II § 63.
Phil 2,12 liest καὶ (vgl. II § 152).
Gemeint ist wohl Joh 5,19.
Gemeint ist Gal 4,3 (vgl. die erste Auflage der Anweisung).
D.i. erneut στοιχεῖα.
Wie kurz zuvor ist der Akkusativ σωζομένους zu lesen.
Wie kurz zuvor ist der Akkusativ ἀπολλυμένους zu lesen.
Gemeint ist Hebr 6,5 (vgl. die erste Auflage der Anweisung).
Mit Hebr 6,5 (s.o.) und hier im Dativ ist καλῷ zu lesen.
Röm 6,6 liest τῆς.
Die Philosophische[n] Vorlesungen sind in insgesamt sechs Bänden (1785–1789) erschienen, zugeschrieben wird dieses Werk dem reformierten Theologen Johann Konrad Pfenninger (1747–1792), einem Vertrauten Johann Caspar Lavaters (1741–1801).
Vgl. II § 21; II § 143.
Die Abhandlungen bestehen aus insgesamt vier Teilen (1773–1778). Wie in der ersten Auflage der Anweisung korrekt bibliographiert, stammt der erste Teil aus dem Jahr 1773, eine zweite Auflage ist 1776 erschienen.
Vgl. I § 162.
Vgl. I § 163.
Die besonders auf Jean-Alphonse Turretini (1671–1737) zurückgehende, mit den Begriffen leerer Kopf, tabula rasa und vacuum pectus zum Ausdruck gebrachte methodische Forderung einer von theologischen und philosophischen Vorannahmen befreiten Bibellektüre, die die neutestamentliche Überlieferung einzig vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit verstanden wissen will, ist in der nachfolgenden Generation von Johann Jakob Wettstein aufgegriffen worden. Großen Anteil an der Durchsetzung dieser hermeneutischen Grundannahme hatten als Wettstein-Herausgeber (vgl. II § 35 c) Johann Salomo Semler sowie Wilhelm Abraham Teller mit seinem Joh. Alph. Turretini de Sacrae Scripturae interpretatione tractatus bipartitus (1776), einer Neuausgabe von Turretinis Methodenbuch aus dem Jahr 1728.
Georg Friedrich Meier (1718–1777), einer der akademischen Lehrer Nösselts in Halle, formuliert in den Beyträge[n] zu der Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts (1766), 54: „Was das Herz wünscht, glaubt der Verstand, aber aus Uebereilung“ (vgl. ders., Philosophische Sittenlehre IV [1758], 382). In der antiken Literatur findet sich mit quae volumus et credimus libenter (Caes. civ. II 27,2) eine vergleichbare Formel.
Gemeint sind die in Nösselts Exercitationes ad Sacrarum Scripturarum interpretationem (1803), 275–320 (X.) abgedruckten Animadversiones in sensum Librorum Sacrorum moralem.
Dem griechischen Titel nach handelt es sich bei De audiendis poetis um eine Anweisung, wie ein junger Mensch Dichtung lesen soll. Dichtung ist für Plutarch unvollkommene Philosophie, die zwar leicht zu lesen, jedoch mit Fabelhaftem vermischt sei. Bei richtiger Herangehensweise könne man jedoch trotzdem einen philosophischen Gewinn aus den Dichtern ziehen (vgl. Plut. mor. 2,15F). Konkret geht es v.a. um das Problem, dass die göttlichen oder menschlichen Akteure oftmals nicht als moralische Vorbilder dargestellt würden, ihre Handlungen mithin zur Nachahmung ungeeignet seien. Mittels moralischer Allegorese könne das Anstößige jedoch zum Ausgleich gebracht werden.
Die für die Schriftauslegung geforderte Geistesverwandtschaft (Kongenialität) mit den biblischen Autoren wurde gegen den aufkommenden Primat der historisch-grammatischen Auslegung in Anschlag gebracht und erinnert an die theologia regenitorum früherer Jahrzehnte. Auch die Hermeneutik Schleiermachers rechnet mit der Kongenialität des Auslegers (divinatorische Methode).
Vgl. I § 43.
Gemeint ist August Hermann Niemeyers häufig aufgelegtes Lehrbuch für die oberen Religionsclassen gelehrter Schulen (1801; 181843). In der ersten Abteilung findet sich die historische Behandlung der Religion, die in eine Einleitung in die biblischen oder Religionsschriften und die Religionsgeschichte zerfällt.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 235.
Vgl. II § 80 bzw. II § 79.
D.i. die wesenhafte (d.h. nicht akzidentielle, sondern substantielle) und dauerhafte Umwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi während der Eucharistie. Die katholische Lehre von der Transsubstantiation (vgl. II § 113) wurde zwar von den Reformatoren einvernehmlich abgelehnt, doch kam es zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli (1484–1531) auch zu innerreformatorischen Auseinandersetzungen. Im sog. ersten Abendmahlsstreit der Reformationszeit (vgl. II § 113) hielt Luther an der Realpräsenz Christi im Abendmahl fest, während Zwingli die Auffassung eines geistlich-symbolhaften Erinnerungsmahls vertrat; in dem in den 1550er Jahren entbrennenden sog. zweiten Abendmahlsstreit wurde die Realpräsenz dann mithilfe der Lehre von der Ubiquität Christi (vgl. II § 113) begründet. Später wurden Realpräsenz und Ubiquität Christi in der Konkordienformel (s.u.) gegen das katholische und das auf Zwingli (und Calvin) zurückgehende reformierte Abendmahlsverständnis festgestellt (Art. 7). Zur Geschichte der Abendmahlslehre vgl. insbesondere auch II § 113.
D.i. die Anbetung von Heiligenbildern, insbesondere der Jungfrau Maria. Da den Heiligen nach katholischer Vorstellung eine vermittelnde Funktion zwischen Gott und Mensch zukommt, können diese als Fürsprecher vor Gott angerufen werden. In diesem Zusammenhang steht auch das Reliquienwesen. Sowohl der Bilderdienst als auch der Reliquienkult wurden von den Reformatoren abgelehnt, auf katholischer Seite jedoch durch das Tridentinum (vgl. II § 98) bestätigt. Ähnlich dem auf protestantischer Seite ausbrechenden Bildersturm der Reformationszeit hatte die Frage nach dem rechten Umgang mit Ikonen bereits im sog. byzantinischen Bilderstreit (8./9. Jh.) zu ikonoklastischen Unruhen geführt (vgl. II § 113). Theologisch besonders bedeutsam ist die auch in der Anweisung dargelegte Verbindung des Bilderdienstes mit dem Abendmahl (vgl. II § 113).
Die seit der Alten Kirche (vgl. II § 85) weit verbreitete Praxis der Kindertaufe ist im 16. Jh. von radikal-reformatorischen Gruppen abgelehnt worden (Täuferbewegung). Trotz ihrer Verurteilung auf dem Reichstag zu Speyer (1529) und teils massiven Verfolgungen haben sich täuferische Glaubensgemeinschaften (z.B. die Mennoniten) bis heute gehalten. Die Frage nach der Kindertaufe wird in protestantischer Tradition bis in die Gegenwart hinein diskutiert und ist in freikirchlichem Kontext nicht selten zugunsten der Gläubigen- oder Erwachsenentaufe entschieden.
Vor dem Hintergrund der scholastischen (vgl. II § 19) Vorstellung von der Konkomitanz (vgl. II § 113) hat sich in der katholischen Kirche eine Eucharistiepraxis entwickelt, in der der Priester beim Abendmahl Brot und Wein, die Gemeinde jedoch nur das Brot erhält. Laien wird der Kelch vorenthalten, das Abendmahl demnach nur unter einerlei Gestalt (communio sub una specie) dargereicht. Die Position des Jan Hus (s.u.), der das Abendmahl unter beiderlei Gestalt (communio sub utraque specie), d.h. den Kelch auch für Laien, gefordert hatte, wurde auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) ausdrücklich verboten. Später wurde das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zum Kennzeichen der reformatorischen Bewegung, das Verbot seitens der katholischen Kirche trotz anfänglicher Zugeständnisse auf dem Konzil von Trient (1545–1563) erneuert (vgl. § 98). Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) ist die Kelchkommunion jedoch auch in der katholischen Kirche wieder erlaubt und sogar angeraten.
Das allgemeine Zurücktreten des Griechischen zugunsten des Lateinischen als römische Verkehrssprache verstärkte sich im Westen durch die Teilung des Römischen Reiches nach dem Tod Theodosius' I. im Jahre 395 in besonderer Weise. Während im oströmischen Teil das Griechische beherrschend blieb, wuchsen im weströmischen Teil romanitas und latinitas immer mehr zusammen. Durch die Vetus Latina und dann v.a. die Vulgata (s.u.) erhielt die biblische Überlieferung eine lateinische Gestalt, Latein wurde zur Sprache des Gottesdienstes, der Theologie, des Kirchenrechts, der Bildung und nicht zuletzt auch der Mission und blieb es – auch wenn das philologiegeschichtliche Urteil teilweise äußerst hart ausfällt – nach der als karolingische Renaissance bezeichneten Bildungsreform Karls des Großen (747–814) das gesamte Mittelalter hindurch (Scholastik). Während etwa mit Jan Hus (s.u.) und dann v.a. mit der Reformation die Bedeutung der Nationalsprachen für Gottesdienst und Kirche zunehmend aufgewertet wurde, blieb das Lateinische im Zuge des Renaissance-Humanismus Gelehrten- und damit auch Theologensprache (vgl. I § 123–128). In der römisch-katholischen, lateinischen Kirche spielt das Lateinische bis heute eine zentrale Rolle und ist (vgl. Sacrosanctum Concilium Art. 36) noch immer Sprache der Messe und Amtssprache des Vatikanstaats.
Im Hintergrund stehen die bereits zuvor festgestellten Probleme die Sprache betreffend (vgl. I § 61–63). Die dogmatischen Schlüsselbegriffe ὁμοούσιος, ὑπόστασις und φύσις (vgl. auch I § 63) sind der vorchristlichen Philosophie entliehen und wurden im Rahmen der komplexen, Jahrhunderte dauernden Beschreibung christologischer bzw. trinitätstheologischer Zusammenhänge in altkirchlicher Zeit uneinheitlich verwendet und ins Lateinische übersetzt. Der Begriff ὁμοούσιος beschreibt die Wesensgleichheit der drei Personen der Trinität (Vater, Sohn, Heiliger Geist), die ihrerseits mit dem christlich umgeprägten Begriff ὑπόστασις bezeichnet werden. Die sich herausbildende christologische Grundformel lautet im griechischen Osten μία οὐσία, τρεῖς ὑποστάσεις und im lateinischen Westen (Tertullian u.a.) una substantia, tres personae. Allerdings wurde οὐσία, lange Zeit gleichbedeutend mit ὑπόστασις, auch mit essentia, ὑπόστασις in wörtlicher Entsprechung mit substantia und persona mit πρόσωπον übersetzt. Die damit einhergehenden definitorischen Probleme sind in der Dogmatik des 18. Jh.s wohlbekannt. Der Begriff φύσις (Natur), zunächst auch synonym für ὑπόστασις gebraucht, bezeichnet die göttliche und die menschliche Natur Christi (Zwei-Naturen-Lehre). Glaube (fides) und gute Werke (bona opera) sind Zentralbegriffe der lutherischen Rechtfertigungslehre, nach der der Mensch vor Gott nicht durch gute Werke, sondern allein durch den als Gnadengeschenk verstandenen Glauben gerecht wird (sola gratia bzw. sola fide). Diese gegen die Vorstellung einer Werkgerechtigkeit gerichtete Bestimmung der Rechtfertigung gehört zu den zentralen Theologumena des reformatorischen Christentums. Zum Begriff der Genugtuung (satisfactio) vgl. I § 61.
In Coena Domini ist eine seit dem ausgehenden Mittelalter mehrfach erschienene und ergänzte Bannbulle gegen unterschiedliche Häresien und Verstöße gegen die Kirche. Die endgültige Form dieser Sammlung fällt in das Pontifikat Urbans VIII. (1623–1644), Clemens XIV. (1769–1774) hob die Bulle 1770 auf. Martin Luther, der in In Coena Domini 1521 namentlich als Ketzer aufgeführt wurde, übermittelte unter dem Titel Bulla coena domini, das ist, die Bulla vom Abendfressen des allerheiligsten Herrn, des Papstes zum Jahreswechsel 1521/1522 eine Übersetzung nebst Vorrede und Anmerkungen nach Rom (vgl. WA VIII [1889], [688] 691–720). Unigenitus Dei filius, kurz Unigenitus, bezeichnet eine 1713 auf Wunsch des französischen Königs von Papst Clemens XI. (1700–1721) verfasste Bulle, die sich besonders gegen die Réflexions morales sur le Nouveau Testament (1671) Pasquier Quesnels (1634–1719) und den erstarkenden Jansenismus (vgl. II § 98) richtete. Wohl nicht gemeint ist die Bulle Unigenitus Dei filius aus dem Jahr 1343, in der Papst Clemens VI. (1342–1352) den Sündenablass regelte und die insofern eine wichtige Grundlage für den von den Reformatoren bekämpften Ablasshandel darstellt.
Hier ist v.a. der sog. Azymenstreit zu nennen, der ein Grund für das Große Schisma von 1054 zwischen der römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen war. Während sich im Westen ab dem 9. Jh. der Übergang zu ungesäuertem Brot (griech. ἄζυμα) vollzog, wird im byzantinischen Ritus bis heute gesäuertes Brot verwendet. Im Hintergrund steht die Frage, ob das Abendmahl Jesu als Pessachmahl zu verstehen ist. Mit dem auch Fest der ungesäuerten Brote (Matzen) genannten Pessachfest (vgl. Ex 12) wird im Judentum an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert.
Über das Leben des Kirchenvaters und Heiligen Athanasius von Alexandrien (gest. 373), auch der Große genannt, ist vergleichsweise wenig bekannt. Nach koptischer Tradition wurde Athanasius im Alter von 33 Jahren als Nachfolger Alexanders von Alexandrien (gest. 328), den er als Diakon auf die Synode von Nicäa (325) begleitet hatte, Bischof. Sein Geburtsjahr ist danach mit 295 anzugeben. Als Bischof und einer der Protagonisten des das 4. Jh. dominierenden arianischen Streites (vgl. I § 63) setzte er den Kurs von Nicäa fort und musste in theologisch wie politisch unruhigen Zeiten mehrfach ins Exil fliehen. Neben seinen antiarianischen Schriften (u.a. die Orationes contra Arianos) seien die Lebensbeschreibung des Wüstenvaters Antonius (Vita Antonii), das apologetische Doppelwerk Contra gentes / De incarnatione Verbi sowie der 39. Festbrief mit der erstmaligen Aufzählung der 27 kanonischen Schriften des Neuen Testaments hervorgehoben. Neben Gregor von Nazianz (II § 102), Johannes Chrysostomus (vgl. II § 104) und Basilius (vgl. II § 115) zählt er zu den vier griechischen Kirchenlehrern.
Der aus einer begüterten Familie stammende Sophronius Eusebius Hieronymus (ca. 347–420) verbrachte die ersten Lebensjahrzehnte in unterschiedlichen Zentren des Reiches und bekehrte sich bereits früh zum monastischen Leben. Dass er in der chalkidischen Wüste in Syrien für einige Jahre in einer Mönchsgemeinschaft gelebt habe und später päpstlicher Sekretär Damasus' I. (305–384) gewesen sei, wird heute angezweifelt, dass er in Rom spiritus rector eines asketischen Kreises adliger Frauen (Marcella, Paula u.a.) war, gilt hingegen als gesichert. Nach Auseinandersetzungen um die Nachfolge Damasus' I. verließ Hieronymus gemeinsam mit Paula und deren Tochter Eustochium Rom, gründete im Jahre 386 ein Frauen- und ein Männerkloster in Bethlehem und stand diesen bis zu seinem Tod vor. In diese Zeit fällt ein großer Teil seiner umfangreichen literarischen Tätigkeit. Hieronymus schrieb ein hervorragendes Latein, neben asketischen Schriften hatte besonders seine v.a. an Origenes orientierte, spiritualistische Bibelauslegung einen beträchtlichen Einfluss auf die mittelalterliche Theologie des Westens (vgl. II § 115). Von substantieller Bedeutung sind Hieronymus' der Vulgata (s.u.) zugrundeliegende Übersetzungen bzw. Revisionen des Alten (unter Rückgriff auf den hebräischen Urtext) und Teilen des Neuen Testaments. Nicht selten wird Hieronymus als der eigentliche Urheber der Vulgata (s.u.) angesprochen.
Jan Hus (ca. 1370–1415) studierte nach dem Besuch der Artistenfakultät in Prag ebenda Theologie und empfing im Jahr 1400 die Priesterweihe. Seit 1402 ebenda Professor wurde er in unruhigen Zeiten (Wyclifstreit) 1409–1410 Rektor der Prager Universität. Als der Prager Erzbischof zunehmend gegen Anhänger des Oxforder Theologen und Kirchenreformers John Wyclif (1326–1384) vorging, für dessen Lehren sich neben Hus etwa auch Hieronymus von Prag (1379–1416) begeistert hatte, verschärfte sich Hus' Kritik an der verweltlichten Kirche. Seine Exkommunikation 1411 erfolgte, nachdem er einer Vorladung der Kurie nicht nachgekommen war. Da sich Hus auf dem 1414 eröffneten Konzil von Konstanz weigerte, seine Lehren zu widerrufen, wurde er hier 1415 als Ketzer verbrannt. Von Wyclif übernahm Hus etwa die Lehre von der doppelten Prädestination, bestimmend in den Auseinandersetzungen mit dem Hussitismus (vgl. II § 98) blieb jedoch insbesondere auch die Frage nach der Eucharistie und dem Laienkelch (s.o.). Zudem ist Hus als Verfechter des Gebrauchs des Tschechischen im Gottesdienst (s.o.) hervorgetreten.
Dionysius Areopagita ist das Pseudonym (Pseudo-Dionysius) eines um 500 lebenden Autors mehrerer theologischer Werke sowie von zehn Briefen, der vorgibt, der in Apg 17,34 genannte Dionysius zu sein, der wiederum laut Eusebius von Caesarea (vor 264/265–339/340) erster Bischof von Athen wurde. Bischof Gregor von Tours (538–594) kennt dagegen einen Missionsbischof, der in Paris das Martyrium erlitten haben soll und später mit dem Dionysius der Apostelgeschichte gleichgesetzt wurde. Hilduin (gest. Mitte des 9. Jh.s) identifizierte diesen Märtyrerbischof schließlich mit dem Verfasser der oben genannten Schriften. Bereits in der Spätantike und im Mittelalter (Abaelard) kamen Zweifel an der Apostelnähe des Autors auf, die dann von den Humanisten Lorenzo Valla (1407–1457) und Erasmus von Rotterdam erneut formuliert wurden. Die Schriften des Pseudo-Dionysius wurden mehrfach ins Lateinische übersetzt und kommentiert (u.a. von Thomas von Aquin) und haben die christliche Theologie und Philosophie des Mittelalters stark beeinflusst.
Mit dem Namen Vulgata wird die lateinische Übersetzung der Bibel bezeichnet, die sich in der Spätantike gegenüber älteren Übersetzungen (Vetus Latina) durchsetzen konnte und zur bestimmenden Bibelgestalt des Mittelalters wurde. Als Urheber der Vulgata gilt Hieronymus (s.o.).
Unter dem Namen eines sonst unbekannten Bischofs Isidorus Mercator ist eine Sammlung von ca. 100 Papstbriefen überliefert, die – vielleicht auch unter Inanspruchnahme der Autorität Isidors von Sevilla (vgl. II § 115) – zusammen mit weiteren Sammlungen kirchenrechtlicher Dokumente, die ebenfalls unter dem Namen Isidors firmieren, in der ersten Hälfte des 17. Jh.s durch David Blondel (vgl. II § 90) als Fälschung erkannt wurde (Pseudo-Isidor). Die aus dem 9. Jh. stammenden Dokumente imponieren durch einen hohen Grad an Belesenheit und tatsächlicher Quellenkenntnis und fanden insbesondere ab dem 11. Jh. Verbreitung. Neuerdings wird vermutet, dass es sich bei dem Autor um Radbert von Corbie (ca. 790–859) (vgl. II § 110) handelt.
Joachim von Fiore (ca. 1132–1202) war auf Wunsch der Eltern zunächst als Jurist tätig, wandte sich vermutlich nach einem Bekehrungserlebnis jedoch einem mönchischen Leben zu und wurde zum Priester geweiht. Nach seinem Eintritt in das Benediktinerkloster Corazzo wurde er hier Prior, dann Abt. In den 1190er Jahren gründete Joachim im kalabrischen Sila-Gebirge den Florenser-Orden sowie das Kloster San Giovanni di Fiore. In diese Zeit fallen Visionen und der Abschluss seiner drei exegetisch-prophetischen Hauptschriften. Aufgrund seiner Prophezeiungen genoss Joachim bei Päpsten und weltlichen Herrschern (z.B. Richard I. von England) großes Ansehen, bedeutsam ist dabei sein allegorisches Verständnis der Schrift und das in drei trinitarisch ausgedeutete status gegliederte Geschichtsbild: die alttestamentlich-synagogale Zeit des Vaters, die nach eigener Vorhersage bis zur Mitte des 13. Jh.s reichende neutestamentlich-klerikale Zeit des Sohnes und die sich anschließende mönchische Zeit des Heiligen Geistes, die nach vorausgehenden endzeitlichen Kämpfen von der intelligentia spiritualis durchdrungen sein und ohne die Papstkirche auskommen sollte. Joachimitische Vorstellungen fanden schnell Verbreitung (etwa bei den franziskanischen Spiritualen) und wirkten bis in die Aufklärung (Lessing) und darüber hinaus.
Die 1577 auf Deutsch erschienene und erst später ins Lateinische übersetzte Konkordienformel ist die letzte der im Konkordienbuch (vgl. II § 211) festgehaltenen lutherischen Bekenntnisschriften und sollte die innerreformatorischen Auseinandersetzungen zwischen den gemäßigteren Philippisten bzw. Kryptocalvinisten (vgl. II § 98) und den streng lutherischen Gnesiolutheranern beilegen. Gegen das katholische und das auf Zwingli (und Calvin) zurückgehende reformierte Abendmahlsverständnis wurden Realpräsenz und Ubiquität Christi festgestellt (Art. 7). Insgesamt verstehen sich die zwölf Artikel der Konkordienformel nicht als neues Bekenntnis, sondern wiederholen und erklären verschiedene Artikel der Confessio Augustana (vgl. II § 211). Neben die ausführliche Darlegung (Solida Declaratio) trat eine Kurzfassung (Epitome).
Vgl. I § 163.
Der bedeutende und literarisch äußerst produktive Theologe Origenes (ca. 185–254) war zunächst als Grammatiklehrer in seiner Heimatstadt Alexandrien tätig. Ob er wie auch Plotin (ca. 205–270) ein Schüler des Platonikers Ammonios Sakkas war, wird heute ebenso bezweifelt wie seine Selbstentmannung. Bischof Demetrius von Alexandrien (gest. 232), der ihn um 217 als Leiter einer Katechetenschule eingesetzt hatte, strengte um 230 zwei Synoden gegen den mittlerweile in Caesarea zum Presbyter ordinierten Origenes an und schloss ihn aus der Gemeinde aus. Origenes siedelte daraufhin nach Caesarea über und sammelte auch hier Schüler um sich. Origenes starb an den Folgen der im Zusammenhang der decischen Verfolgung erlittenen Folter. Aus seinem Werk seien neben der Hexapla (vgl. I § 162) das Werk De principiis und die Streitschrift Contra Celsum hervorgehoben. Auf den bereits zu Lebzeiten theologisch umstrittenen Origenes (vgl. II § 98) geht die Lehre vom mehrfachen (bei ihm noch dreifachen) Schriftsinn zurück (vgl. II § 56), trinitätstheologisch sprach er bereits von einem Wesen und drei Hypostasen, vertrat jedoch einen dynamischen Subordinatianismus (vgl. I § 63).
Ambrosiaster ist ein Paulus-Kommentator aus der zweiten Hälfte des 4. Jh., dessen Schriften seit dem Frühmittelalter unter dem Namen des Ambrosius von Mailand überliefert sind und weit verbreitet waren. Ob der Name Ambrosiaster auf die Mauriner (vgl. II § 104) oder Erasmus von Rotterdam zurückgeht, der die falsche Zuordnung dieser Schriften nachgewiesen hat, ist nicht eindeutig zu klären. Neben seinen Kommentaren zum Corpus Paulinum werden Ambrosiaster auch die pseudo-augustinischen Quaestiones Veteris et Novi Testamenti zugeschrieben, die Zuweisung weiterer Schriften wird heute abgelehnt. Auffällig ist die theologische und exegetische Eigenständigkeit seines Werkes, dessen Kenntnis etwa bei Augustin, Pelagius und Hieronymus nachzuweisen ist. Hervorzuheben ist, dass Ambrosiasters Werk ein lateinischer Bibeltext zugrunde liegt, der vor der Vulgata anzusetzen ist. Der als radikaler Luciferianer in die Kirchengeschichte eingegangene Hilarius Diaconus (4. Jh.) begleitete Bischof Lucifer von Calaris (gest. 371) als Diakon zur Synode von Mailand (355) und ist als unerbittlicher Verfechter des nicänischen Glaubens und Anhänger des Athanasius gemeinsam mit Lucifer exiliert worden. Laut Hieronymus forderte Hilarius in einer heute verlorenen Schrift die erneute Taufe für reuige Arianer, die er als Ketzer für ungültig getauft hielt. Heute ist die nicht nur im 18. Jh. weit verbreitete Identifizierung von Ambrosiaster und Hilarius Diaconus nicht mehr haltbar.
Vgl. II § 19. Mit der ersten Auflage der Anweisung müsste es an dieser Stelle ordinariam heißen.
In den bereits zuvor (vgl. I § 120) angeführten Opuscula philologica critica (Leiden 1764) geht Johann August Ernesti in der Abhandlung De Origene, interpretationis librorum SS. grammaticae auctore (aaO 288–323) an benannter Stelle auf den großen Einfluss des Origenes ein.
Elenchtisch wird in der Anweisung als Synonym für polemisch (vgl. II § 93) verwendet (vgl. II § 186).
Im Mittelpunkt des auf den wohl aus Britannien stammenden Laienchristen Pelagius (ca. 350–420) und seinen Anhänger Caelestius zurückgehenden pelagianischen Streites stehen deren Ablehnung der Erbsündenlehre, nach der Adam lediglich ein schlechtes Beispiel gewesen und seine Sünde nicht auf seine Nachkommen übergegangen sei, und damit verbunden die die Prädestinations- und Gnadenlehre tangierende Möglichkeit des Menschen, kraft seines freien Willens selbst für sein Heil zu sorgen. Konkret wurden diese Lehrauffassungen etwa im Hinblick auf die Bedeutung der Sakramente und der Kindertaufe (vgl. II § 83). Die im Verlauf der Auseinandersetzung dann v.a. von Julian von Aeclanum (ca. 385–450) gewandt vertretenen pelagianischen Positionen standen der Theologie Augustins von Hippo (vgl. II § 113) entgegen, der über Jahrzehnte literarisch und kirchenpolitisch gegen den Pelagianismus vorging und schließlich auf dem Konzil von Ephesus (431) dessen endgültige Verurteilung erreichte. Die Lehren Augustins sollten die Kirchengeschichte von nun an maßgeblich prägen, doch kamen v.a. mit Cassian (vgl. II § 115) im 5. und 6. Jh. nochmals pelagianisierende Ideen auf (Semipelagianismus).
Zum nestorianischen und monophysitischen Streit vgl. I (§ 63). Im weiteren Sinne haben sich viele Auseinandersetzungen innerhalb der Geschichte der Kirche auch auf das Verständnis der Sakramente und ihre Ausgestaltung ausgewirkt (vgl. etwa den pelagianischen [s.o.] oder den Azymenstreit [vgl. II § 83]), im engeren Sinne dürften jedoch v.a. die mit den Begriffen Transsubstantiation und Kelchsverweigerung (vgl. II § 83) verbundenen Auseinandersetzungen um das Sakrament des Abendmahls in der Reformationszeit und ihre Vorgeschichte (vgl. II § 113) gemeint sein.
Isaak Casaubon (1559–1614) war ein bedeutender protestantischer Humanist und Schüler Bezas, der neben einer Kommentierung des NT (1587) v.a. durch die Edition und Annotierung antiker Autoren hervorgetreten ist. In kirchenhistorischer Perspektive ist besonders der unter dem Titel Exercitium ad Appendicem Annalium Baronii XVIII (1614) erschienene kritische Kommentar zu den zwölfbändigen Annales ecclesiastici a Christo nato ad annum 1189 (1588–1607) des katholischen Theologen und späteren Kardinals Cesare Baronio (Baronius) (1538–1607) hervorzuheben. Daneben könnte Nösselt hier auch Casaubons in Genf geborenen Sohn Florence Estienne Méric Casaubon (1599–1671) im Blick gehabt haben, der früh zu seinem Vater nach England übergesiedelt und ebenfalls als Gelehrter aufgefallen war.
Claude de Saumaise (Claudius Salmasius) (1588–1653) gehört wie Isaak Casaubon zu den bedeutendsten und vielseitigsten Gelehrten seiner Zeit. Auch er beschäftigte sich v.a. mit klassischen Autoren und wurde nach dem Studium an der Sorbonne und in Heidelberg, wo er sich zum Protestanismus bekannte, und nachdem er Stellen in Italien und England ausgeschlagen hatte, 1632 schließlich Nachfolger Scaligers in Leiden. Aus seinem umfangreichen und vielseitigen Gesamtwerk sei an dieser Stelle die Schrift De primatu Papae (1645) hervorgehoben, in der er den Primat des Papstes bestritt.
David Blondel (1591–1655) zählt zu den wichtigsten reformierten Kontroverstheologen und Kirchenhistorikern des 17. Jh.s. Nach dem Studium in Sedan und Genf war er zunächst als Prediger in Frankreich tätig und trat bereits in dieser Zeit durch akademische Arbeiten hervor. 1631 wurde er für eine theologische Professur in Saumur vorgeschlagen, doch wurde er seitens der Gemeinde und der Nationalsynode nicht freigestellt. Zur Erleichterung seiner Studien gestattete man ihm 1644 jedoch, nach Paris überzusiedeln, und verlieh ihm ein Jahr später den Titel eines Honorarprofessors, wodurch er sich nun voll auf die akademische Arbeit konzentrieren konnte. 1650 folgte er Gerhard Johannes Voss als Professor für Geschichte am Amsterdamer Athenaeum Illustre nach. Zu seinen wichtigsten Werken zählen die Modeste déclaration de la sincérité et vérité des églises réformées de France, contre les invectives de l'évêque de Luçon et autres (1619), in der die reformierte Lehre gegen den Bischof von Luçon, den späteren Kardinal Richelieu, verteidigt wird, sowie der die Suprematie des Papstes bestreitende Traité historique de la Primauté en l'Eglise (1641) (vgl. II § 129). Zudem hat Blondel, wie auch Casaubon, Baronios Annalen kritisch kommentiert (1675 bzw. 1679). Bedeutsam ist schließlich auch die Schrift Pseudo-Isidorus et Turrianus vapulantes (1628), in der Blondel die unter dem Namen Isidor firmierenden Dekretalen als mittelalterliche Fälschung (falscher oder Pseudo-Isidor) überführt hat (vgl. II § 83).
Der reformierte Theologe Jean Daillé (Dallaeus) (1594–1670) war zunächst Hauslehrer der Enkel des Gouverneurs Duplessis-Mornay, später dessen Schlossprediger. Danach übernahm er Predigtstellen in Saumur und Charenton bei Paris und wurde schließlich Präsident der letzten reformierten Nationalsynode in Loudun (1659). Zudem verfasste er zahlreiche Schriften, v.a. zur Alten Kirche. Sein wohl bedeutendstes Werk Traité de l'employ des saints Pères pour le jugement des différends qui sont aujourd'hui en la religion (1632) wurde ins Englische (1651; 1675) und ins Lateinische (1655 u.a.) übersetzt. Daillé wendet sich hier gegen die Autorität der Kirchenväter, deren Texte häufig korrupt und deren Denkweisen inkonsistent seien.
Der Theologe Edmond Richer (1559–1631) ist v.a. als herausragender Vertreter des Gallikanismus hervorgetreten. Zunächst Hausdiener am Collège du Cardinal Lemoine, fiel Richer durch eine hohe Begabung auf und konnte über ein Stipendium an der Sorbonne Theologie studieren. Nach dem Erwerb des Doktorgrades 1592 wirkte er als hochgeschätzter Prediger in Paris. In den Wirren des letzten Hugenottenkrieges legte der zunächst der Liga und den Jesuiten zuneigende Richer 1594 jedoch sein Predigtamt nieder und schwenkte auf die Seite Heinrichs IV. über. Wenige Jahre später trat er als Reformer des akademischen Lehrbetriebs am Collège du Cardinal Lemoine und ab 1601 an der Sorbonne hervor, wo er als Höhepunkt seiner Universitätslaufbahn schließlich zum Syndikus der Theologischen Fakultät gewählt wurde (1608). In der nach der Ermordung Heinrichs IV. 1610 entbrennenden Auseinandersetzung gab Richer dem radikalen Gallikanismus mit dem Libellus de ecclesiastica et politica potestate (1611), in Übersetzung De la Puissance ecclesiastique et politique (1612), eine Programmschrift, in der er die Emanzipation des französischen Königs vertrat und im Zuge dessen den Episkopat und den niederen Klerus aufwertete. Auf Betreiben papsttreuer Kreise (der Libellus wurde 1613 indiziert) wurde Richer daraufhin ins Abseits gestellt, bis er 1629 widerrief. Nach seinem Tod wurden Richers Ideen jedoch immer wieder aufgegriffen (Jansenismus; Richerismus). Unter den zu seinen Lebzeiten erschienenen Schriften sind neben dem Libellus auch die Demonstratio libelli de ecclesiastica et politica potestate (1622) und die Apologia pro Joanne Gersonio (1606) hervorzuheben.
Wie etwa die Beyspiele der Weisheit und Tugend aus der Geschichte (1777/1780) Jakob Friedrich Feddersens (1736–1788) zeigen, ist die pragmatische (vgl. I § 225) Auffassung, Geschichte sei eine Schule der Weisheit und Tugend, durchaus gängig und hat zu einschlägigen Sammlungen geführt. In seinem über die Auflagen hinweg auch unter anderen Titeln erschienenen Ausführliche[n] Lehrgebäude der Religion (1787) bezeichnet Carl Friedrich Bahrdt die Erfahrung als Schule der Weisheit und Tugend, die jedoch immer auch mit der Geschichte zu verbinden sei (vgl. aaO 323f.). Diese Behauptung einer solchen Verbindung findet sich auch in der Anweisung (vgl. II § 96).
Vgl. II § 92.
Vgl. Gal 6,9.
Vgl. I § 63.
Die christologische Position der Homousianer, nach der Vater und Sohn wesensgleich (ὁμοούσιος) sind, wurde gegen den Arianismus auf dem Konzil von Nicäa (325) fixiert (Nicänum) und auf den Konzilien von Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) bestätigt (Nicäno-Constantinopolitanum bzw. Chalcedonense) (vgl. I § 63).
Der zu Arius (vgl. I § 63) tendierende Bischof Eusebius von Nikomedien (gest. 341), später Bischof von Konstantinopel, wurde nach dem Konzil von Nicäa (325) nach Gallien exiliert, aber bereits 328 wieder in sein Bistum eingesetzt. Eusebius, der gute Verbindungen zu Kaiser Konstantin und seiner Familie hatte und diesen 337 kurz vor seinem Tod taufte, konnte erwirken, dass auch Arius zurückgerufen, dessen entschiedener Gegner Eustathius von Antiochien (gest. Mitte d. 4. Jh.s) abgesetzt und Athanasius von Alexandrien gleich zweimal ins Exil gezwungen wurde. Im nach dem Tod Konstantins und der gescheiterten Synode von Serdica (342) religionspolitisch weiter aufgeladenen 4. Jh. vertraten Eusebius und seine Anhänger einen gemäßigten Arianismus, der sich v.a. im Osten des Reiches ausbreiten konnte und die in Nicäa fixierte Wesensgleichheit der göttlichen Personen bestritt. Laut der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) verdankt sich der Name der Eusebianer jedoch auch Eusebius von Caesarea (ca. 260–339).
Anders als die arianischen Homöusianer (vgl. I § 63) vertraten die gelegentlich auch als radikale Arianer bezeichneten Anhomöer christologisch die Auffassung, der Sohn sei dem Vater in allem unähnlich (ἀνόμοιος). Bisweilen wurden die Anhomöer nach ihren führenden Persönlichkeiten Aetius von Antiochien (gest. ca. 367), seinem Schüler Eunomius (gest. ca. 395) oder Acacius von Caesarea (gest. 365) auch Aetianer, Eunomianer oder Acacianer genannt, wobei Letztere nach der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) gemäßigtere Positionen vertraten und aufgrund ihrer Zugeständnisse an homöische Auffassungen auch als arianische Mittelpartei bezeichnet wurden.
Gegen die Monophysiten wurde auf dem Konzil von Chalcedon (451) endgültig die Zwei-Naturen-Lehre fixiert (vgl. I § 63) und zugleich die Position der Homousianer bestätigt (s.o.).
Obgleich einige der Lehren Origenes' bereits zu Lebzeiten umstritten waren, werden als origenistische Streitigkeiten im engeren Sinne die im 4. Jh. unter ägyptischen Mönchen entstandenen Auseinandersetzungen zwischen Origenisten (Subordinatianismus) und den sog. Anthropomorphiten verstanden, die einen Gott in menschlicher Gestalt und mit materiellem Körper annahmen. Zu nennen sind Epiphanius von Salamis (ca. 315–403) und dessen Widersacher Johannes von Jerusalem (gest. 417). Im weiteren Verlauf schlug sich Bischof Theophilus von Alexandrien (gest. 412), der zunächst eine vermittelnde Position einnahm, aus politischen Gründen auf die Seite der Anthropomorphiten und bedrohte die Origenisten mit dem Bann. Im Zuge einer dadurch ausgelösten Verfolgungswelle flohen einige origenistische Mönche nach Konstantinopel. Als ihnen der bedeutende Bischof Johannes Chrysostomus hier Asyl gewährte, wurde auch er angeklagt und nach langwierigen Auseinandersetzungen verbannt. Allerdings scheinen diese Vorgänge die allgemeinen Sympathien für den Origenismus verstärkt zu haben, der fortan geduldet wurde. Im 6. Jh. reagierte Kaiser Justinian (482–565) auf erneut auftretende Auseinandersetzungen um Origenes, indem er auf dem Zweiten Konzil von Konstantinopel (553), das ursprünglich wegen des Drei-Kapitel-Streites (s.u.) einberufen worden war, mehrere als unorthodox eingestufte Lehrsätze des Origenes verurteilen ließ und die Zustimmung aller Bischöfe des Reiches erhielt.
Die auf dem Konzil von Chalcedon (451) als orthodox fixierte Zwei-Naturen-Lehre hatte eine Integration des Monophysitismus aussichtslos werden lassen (vgl. I § 63). In seinem Bemühen um die Wiederherstellung der Kircheneinheit versuchte Kaiser Justinian (482–565), die auf dem Konzil von Ephesus (431) übereinstimmend abgelehnten Nestorianer (vgl. I § 63) als gemeinsamen Gegner in Stellung zu bringen. Per Edikt verurteilte Justinian Schriften des Ibas von Edessa (gest. 457), des Theodoret von Cyrus (gest. ca. 466) und v.a. des Theodor von Mopsuestia (ca. 350–428), die als die drei Kapitel bezeichnet werden, als nestorianisierend. Während die Bischöfe im Osten widerwillig zustimmten, erhob sich auf Seiten des Westens Widerstand, der sich zu einem jahrelangen Machtkampf zwischen Justinian und Papst Vigilius (gest. 555) ausweitete. Auf dem zur Klärung einberufenen Zweiten Konzil von Konstantinopel (553), auf dem aus aktuellem Anlass auch die noch immer anhaltenden origenistischen Streitigkeiten verhandelt wurden (s.o.), konnte sich Justinian schließlich durchsetzen und eine offizielle Verurteilung der drei Kapitel erreichen. Im Westen folgte man diesem Beschluss teils widerwillig, teils gar nicht (Schisma von Aquileia), die kirchliche Einheit mit den Monophysiten kam nicht mehr zustande.
Aus den den reformatorischen Loslösungs- und Konsolidierungsprozess begleitenden Religionsgesprächen zwischen Katholiken und Protestanten im 16. Jh. seien das Nürnberger Religionsgespräch (1525), die Abfolge der Hagenauer (1540), Wormser (1540/41) und Regensburger (1541) Religionsgespräche, die erneuten Religionsgespräche zu Regensburg (1546) und Worms (1557) sowie im 17. Jh. das Thorner Religionsgespräch (1645) hervorgehoben. Zu den in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennenden Disputationen zählen insbesondere die Heidelberger (1518) und die Leipziger (1519) Disputation sowie im Schweizer Raum die Zürcher Disputationen (1523–1524) und die Disputationen zu Bern (1528) und Genf (1535). Innerprotestantisch ist z.B. das auch in der Anweisung genannte Marburger Religionsgespräch (vgl. II § 113) zu nennen, zudem sind etwa auch die Wittenberger Konkordie (s.u.) oder der Consensus Sandomiriensis (s.u.) das Ergebnis von Religionsgesprächen.
Die v.a. durch das Engagement des Straßburger Reformators Martin Bucer (1491–1551) zustande gekommene und in ihrer Textgestalt im Wesentlichen auf Melanchthon zurückgehende Wittenberger Konkordie (Formula Concordiae Lutheri et Buceri) des Jahres 1536 ist das Ergebnis einer Verständigung der oberdeutschen und Wittenberger Theologen v.a. in der Abendmahlsfrage (vgl. II § 83). Im Zuge der Konsensverhandlungen änderte Melanchthon den betreffenden Artikel der Confessio Augustana (vgl. II § 212). Dass man ihr in Basel, Zürich und Bern letztlich nicht zustimmen wollte, beförderte in der Folge die Verselbständigung der deutschen und der schweizerischen Reformation (vgl. II § 212).
Der sog. kryptocalvinistische Streit ist eine in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s entstandene Auseinandersetzung um das lutherische Abendmahlsverständnis. Lutheraner, die wie Melanchthon der Position Zwinglis zuneigten (vgl. II § 83), wurden als Kryptocalvinisten angefeindet, der kursächsische (vgl. II § 113) Kanzler Nikolaus Krell (1550–1601) später sogar hingerichtet. Mit der Konkordienformel sollte der Streit zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern beigelegt werden (vgl. II § 83).
Der auch als sendimirischer Vergleich bezeichnete Consensus Sandomiriensis oder auch Sendomir(i)ensis ist ein 1570 im südpolnischen Sandomir (Sandomierz) zwischen den polnischen Lutheranern, Reformierten und dem sich Mitte des 16. Jh.s verselbständigenden polnischen Zweig der Böhmischen Brüder (s.u.) formuliertes Übereinkommen, mit dem sich die teilnehmenden Parteien gegenseitig ihrer Eigenständigkeit und Rechtgläubigkeit sowie der gemeinsamen Abwehr gegenreformatorischer Angriffe versicherten. Im Zentrum des Consensus standen die Ablehnung antitrinitarischer Positionen und die Erörterung der Abendmahlslehre.
Vgl. II § 83.
Der auf Cornelius Jansens (1585–1638) posthum veröffentlichte Abhandlung Augustinus (1640) zurückgehende Jansenismus lehrte unter Berufung auf die Gnadenlehre des Kirchenvaters, dass die Erlösung ausschließlich von der göttlichen Gnade abhängig und der Mensch ohne eigene Einflussmöglichkeit sei. In Frankreich, ihrem Hauptverbreitungsgebiet, wurden die Jansenisten schnell zu einer kirchlichen Erneuerungsbewegung (Kloster Port-Royal), die auch die gebildete Oberschicht (z.B. Blaise Pascal) anzusprechen vermochte. Aufgrund ihrer Gnadenlehre gerieten die Jansenisten in Konflikt mit dem Jesuitenorden (Molinismus). Die römisch-katholische Kirche reagierte bis ins 18. Jh. hinein in mehreren Bullen, und auch der französische Staat setzte den bereits unter Kardinal Richelieu (1585–1642) begonnenen antijansenistischen Kurs grundsätzlich fort (Abriss des Klosters Port-Royal im Jahre 1713). V.a. infolge der Bulle Unigenitus Dei filius (vgl. II § 83), die auf jansenistischer, aber auch auf gallikanischer Seite als unzulässige Einmischung des Papstes in französische Angelegenheiten verstanden wurde, wurde der Jansenismus zunehmend zum Politikum, eine Entwicklung, die nicht zuletzt in die Aufhebung des Jesuitenordens (1773) mündete.
Gemeint ist das Verhältnis von Abendmahl und Pessachfest (vgl. II § 83), aber auch die Frage nach dem Ostertermin, die etwa in der Auseinandersetzung mit den Quartodezimanern (vgl. II § 128) von Bedeutung war.
Das Trishagion (d.h. dreimal heilig) gehört zu den ältesten christlichen Hymnen (vgl. Jes 6,3; Offb 4,8) und ist ein zentraler Bestandteil der orthodoxen Liturgie. In der katholischen Kirche zählt es zu den Improperien am Karfreitag und ist auch in evangelischen Gesangbüchern zu finden. Das Schluss‐Sigma (kein Stigma) in der Wortmitte erklärt sich aus der Zusammensetzung des Begriffs aus τρίς und ἅγιον. Verwiesen werden kann in diesem Zusammenhang auf die unter Siegmund Jacob Baumgarten in Halle gehaltenene Disputation Historia Trisagii (1744).
Vgl. II § 83.
Vgl. II § 83.
Gemeint ist zunächst der in den päpstlichen Reservatrechten (reservationes papales) u.a. zum Ausdruck kommende Primat oder Supremat des Papstes über die Bischöfe (Papalismus), der innerhalb der Kirchengeschichte immer wieder in Frage gestellt wurde (Episkopalismus bzw. Konziliarismus) und erst mit dem im Ersten Vatikanischen Konzil (1870) festgestellten Lehr- und Jurisdiktionsprimat des Papstes zur vollumfänglichen Durchsetzung kam. Neben den innerkatholischen Entwicklungen ist die Frage nach der päpstlichen Obergewalt zudem im Hinblick auf die Geschichte der Kirchentrennungen (Großes Schisma, Reformation, Altkatholiken [vgl. II § 122]) relevant und betrifft nicht zuletzt auch das Verhältnis des Papsttums zur weltlichen Herrschaft (vgl. Investiturstreit, Suprematsakte und -eid u.Ä.).
Gemeint sind das Heilige Römische Reich und die römisch-deutschen Kaiser. Die Krönung der Kaiser durch die Päpste geht auf Karl den Großen (747–814) zurück, der im Jahr 800 von Papst Leo III. (795–816) in Rom zum römischen Kaiser gekrönt wurde (translatio imperii). Als letzter römisch-deutscher Kaiser wurde Karl V. (1500–1558) im Jahre 1530 von Papst Clemens VII. (1523–1534) in Bologna gekrönt.
Gemeint ist etwa der sog. falsche oder Pseudo-Isidor (vgl. II § 83).
Zu den bischöflichen Rechten zählen neben allgemeinen Standes- und Ehrenrechten (Tragen bischöflicher Insignien, Kleidung etc.) auch die geistliche Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit innerhalb der Diözese sowie dem Bischof qua Rang zukommende Vollmachten. Zu diesen zählen die Priesterweihe, der Bau von Kirchen und Klöstern, die Kirchweihe, aber etwa auch die Salbung von Königen, die Vergabe von Kirchenämtern und Pfründen und das Einfordern von Abgaben.
Die klassischen Bettel- oder Mendikantenorden (ordines mendicantium) der Dominikaner, Franziskaner, Karmeliten und Augustiner-Eremiten entstanden im Zusammenhang der Armutsbewegung des 13. Jh.s und unterschieden sich neben dem Verzicht auf Besitz auch durch das Fehlen der Organisation in Klöstern (stabilitas loci) von älteren monastischen Formen. Aufgrund ihrer Lebenweise, aber auch durch die im Wesentlichen in Predigt, Seelsorge und v.a. bei den Dominikanern im Vorgehen gegen Häresien bestehenden Ziele ließen sich die Mitglieder von Bettelorden v.a. in Städten nieder und wirkten hier auch an den entstehenden Universitäten. Aus den kirchlichen Strukturen vor Ort herausgenommen (exemtio) und mit zahlreichen Sonderrechten ausgestattet kam es, wie es besonders eindrücklich der Pariser Bettelorden- oder Mendikantenstreit (1252–1272) zeigt, schnell zu Konkurrenzproblemen mit dem ansässigen Klerus bzw. weltgeistlichen Professoren. Der Bettelordenstreit hatte sich v.a. an der Frage nach den Beicht- und Seelsorge-, aber auch Lehrprivilegien entzündet, darüber hinaus genossen die Bettelorden umfangreiche steuerliche Privilegien.
Auf dem auch als Konzil von Costnitz bezeichneten Konstanzer Konzil (1414–1418), auf dem durch das seit 1378 andauernde sog. Abendländische Schisma mit Johannes XXIII. (Pisa), Benedikt XIII. (Avignon) und Gregor XII. (Rom) gleich drei gewählte Päpste um das höchste kirchliche Amt konkurrierten, wurden 1415 Jan Hus und im folgenden Jahr auch sein Mitstreiter Hieronymus von Prag verurteilt und verbrannt (vgl. II § 83). Das von Papst Martin V. (1417–1431) einberufene, nach dessen Tod jedoch unter Eugen IV. (1431–1447) eröffnete Basler Konzil (1431–1449) sollte wie schon das Konzil zu Konstanz zu einem bedeutenden Beispiel für den Konziliarismus werden. Die in unterschiedliche Lager zerfallenen Hussiten, die unter dem Eindruck der von Martin V. erlassenen Kreuzzugsbulle (1420) und den sich anschließenden Hussitenkriegen zunehmend auch militärischen Widerstand leisteten, hatten mit den Prager Artikeln (1420) zentrale Anliegen formuliert, die zur Grundlage der Verhandlungen auf dem Basler Konzil wurden und ihren Abschluss in den Prager Kompaktaten (1433) fanden. Auch wenn die Forderungen der Prager Artikel nicht durchgesetzt werden konnten, wurde unter der Voraussetzung, dass die Kommunikanten über die vollständige Präsenz Christi sowohl im Brot als auch im Wein belehrt werden, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt (vgl. II § 83) zugestanden. Päpstlicherseits wurden die Kompaktaten nicht anerkannt.
Das vor dem Hintergrund reformatorischer Kritik zur umfassenden Erneuerung der Kirche einberufene Konzil von Trient (1545–1563) (nach dem lateinischen Tridentum auch Tridentinum), zu dem auch protestantische Vertreter eingeladen waren, fand in drei Tagungsperioden (1545–1547, 1551–1552, 1562–1563) statt, die in das Pontifikat Pauls III. (1534–1549), Julius' III. (1550–1555) und Pius' IV. (1559–1565) fielen. Festgehalten wurde, bei maßvoller und nicht auf Gewinn zielender Handhabung, etwa am Ablasshandel, an dem sich die Kritik der Reformatoren entzündet hatte, sowie an der Verehrung von Heiligen, Heiligenbildern und Reliquien (vgl. II § 83), der Siebenzahl der Sakramente und der Realpräsenz Christi im Abendmahl (vgl. II § 83). Die Entscheidung der Frage nach der Kelchkommunion wurde zunächst dem Papst überlassen, später wurde das Verbot jedoch erneuert (vgl. II § 83). Bereits in einer frühen Phase des Konzils wurde die Vulgata zur weiterhin verbindlichen Gestalt der Bibel erklärt (vgl. II § 83) und die kirchliche Tradition als Autorität neben der Heiligen Schrift bekräftigt. Aufgrund der deutlich zutage tretenden Lehrunterschiede hat das Tridentinum die konfessionelle Spaltung eher befördert als verhindert, die weitreichende Bedeutung der in Trient gefassten Beschlüsse zur Konsolidierung der römisch-katholischen Lehre steht außer Frage.
Der 1534 von Ignatius von Loyola (1491–1556) u.a. gegründete und 1540 durch Papst Paul III. (1534–1549) anerkannten Jesuitenorden (Societas Jesu) war früh in ganz Europa, aber auch in Übersee tätig und gehörte, obgleich ursprünglich ohne antireformatorische Stoßrichtung, im Zuge des durch das Konzil von Trient (s.o.) eingeleiteten Konsolidierungsprozesses innerhalb der römisch-katholischen Kirche schnell zu den treibenden Kräften der sog. Gegenreformation und der Rekatholisierung. Erklärtes Anliegen der Jesuiten war es, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des seit dem Augsburger Religionsfrieden (vgl. III § 83) geltenden Grundsatzes cuius regio, eius religio v.a. auch auf politische Entscheidungsträger (z.B. Maximilian I. von Bayern [1573–1651]) einzuwirken, um den Einfluss und die Ausbreitung des als Häresie verstandenen Protestantismus zu unterbinden und die Position der römisch-katholischen Kirche zu stärken. Durch ihre Funktion als Berater, Seelsorger und Beichtväter u.Ä., aber auch über das jesuitische Bildungswesen gelang es dem Orden bis ins 18. Jh. hinein, zahlreiche protestantische Fürsten, Adlige und Bürger zur Konversion zu bewegen. Prominente Beispiele sind etwa Christina von Schweden (1626–1689), die nach dem Tod ihres immerhin als Retter des Protestantismus gefeierten Vaters Gustav II. Adolf (1594–1632) Königin von Schweden wurde, jedoch bereits 1654 abdankte und zum Katholizismus übertrat, sowie die Konversion mehrerer Kinder Friedrichs V. (1596–1632), pfälzischer Kurfürst, kurzzeitig böhmischer König („Winterkönig“) und führender Vertreter der protestantischen Union.
Vgl. II § 88.
Gemeint ist das Augsburger Interim (1548), das zwischen dem Reichstag von Augsburg 1547/1548 und dem Abschluss des Konzils von Trient (1545–1563) in 26 Artikeln drängende Religionsfragen regeln sollte, letztlich jedoch ein Sondergesetz für die evangelischen Reichsstände darstellte, das kaum zur Durchsetzung kam. Die Duldung der Priesterehe und des Laienkelchs (vgl. II § 83), wo beides bereits eingeführt war, als wichtigste Zugeständnisse fanden auf katholischer Seite keine Zustimmung, doch kam es im Zuge der Verhandlungen auch auf protestantischer Seite zu Auseinandersetzungen (adiaphoristischer Streit). Das Interim als letzter kaiserlicher Vergleichsversuch zwischen Katholiken und Protestanten wurde durch den Passauer Vertrag (1552) und schließlich den Augsburger Religionsfrieden (vgl. III § 83) aufgehoben und muss insgesamt als Misserfolg gewertet werden. Zu bemerken ist, dass (in polemischer Weise) auch die den sächsischen Sonderweg repräsentierenden Leipziger Artikel (1548) als Leipziger Interim bezeichnet wurden.
Über diese auf den spanischen Bischof Priscillianus von Avila (ca. 340–385) zurückgehende Bewegung ist wenig bekannt, hinzu kommt, dass die meisten Quellen antipriscillianisch sind. Zudem wird heute darauf hingewiesen, dass nur schwer zwischen den Ansichten Priscillians und denen seiner Anhänger unterschieden werden könne. Augustin und Sulpicius Severus (ca. 363–420) sehen v.a. gnostische und manichäische (vgl. II § 113) Anleihen, Hieronymus äußert sich zunächst abwägend, später jedoch ebenfalls verurteilend. Der als Spiritualist zu bezeichnende Priscillian forderte eine absolute Treue zu den Taufgelübden, einen der Gottessuche gewidmeten Lebensstil und begründete eine radikal asketische Bewegung, die sich aus Welt und Kirche zurückzog, aber durchaus mit kirchenreformerischem Anspruch auftrat. Nachdem Priscillian in Trier – auf einer zuvor einberufenen Synode in Bordeaux (384) hatte er an den kaiserlichen Hof des weströmischen Usurpators Maximus (ca. 335–388) appelliert – wegen seiner Lehre (aber auch wegen Zauberei und diversen Ausschweifungen) als Ketzer hingerichtet worden war, kam es in Spanien und Gallien, dem Hauptverbreitungsgebiet der Priscillianer, zu Spaltungen und weiteren Verurteilungen. V.a. im Nordwesten Spaniens hat sich der Priscillianismus mindestens bis zum Ende des 6. Jh.s gehalten.
Vgl. II § 19.
Die He(i)nricianer waren Anhänger des im 12. Jh. lebenden Heinrich von Lausanne (die Verbindung mit dieser Stadt ist jedoch ein Produkt des 18. Jh.s und nicht mehr haltbar), der im Gefolge des dem Armutsideal verpflichteten und die Mittlerrolle der Kirche bestreitenden Wanderpredigers Petrus von Bruis (gest. ca. 1132/1133) nach 1130 v.a. durch die Ablehnung der Kindertaufe und der Erbsündenlehre aufgefallen war. Laut der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) geht die Bezeichnung Heinricianer auf den in Lausanne wirkenden Henricus Eremita Tolosanus zurück, doch werde bisweilen auch ein Bruder des Petrus von Bruis namens Heinrich angeführt. In jedem Fall ist die Bezeichnung Heinricianer für Baumgarten (vgl. II § 124 c) eines der Synonyme für die Waldenser (vgl. II § 19).
Vgl. II § 19.
Die Gemeinschaft der Böhmischen Brüder (auch fratres unitatis bzw. unitas fratrum) ist Mitte des 15. Jh.s in Böhmen und Mähren aus unterschiedlichen Gruppierungen der Hussiten (vgl. II § 83) entstanden und hat v.a. taboritische (eine klare Abgrenzung von den Utraquisten oder Calixtinern erfolgte durch die Wahl eigener Priester auf der Brüderversammlung zu Lhotka 1467), aber auch waldensische (vgl. II § 19) Traditionen fortgeführt. Nach ihrer Konsolidierung als neben dem Utraquismus und dem Katholizismus dritte Glaubensrichtung in Böhmen wurden die Brüder im 16. Jh. in konfessionspolitische Auseinandersetzungen hineingezogen, im Zusammenhang mit der Confessio Bohemica (1575) und ihrer offiziellen Billigung durch den Majestätsbrief Rudolfs II. im Jahre 1609 wurden sie in Böhmen erstmals gesetzlich anerkannt, während des Dreißigjährigen Krieges jedoch nahezu vollständig vernichtet. Ein eigener Zweig der Brüder entwickelte sich in Polen-Litauen (s.o.), der nach und nach in den Reformierten aufgehen sollte. Ein Nachleben erfuhren die Böhmischen Brüder etwa in der Herrnhuter Brüdergemeine und durch das Werk ihres bedeutenden letzten Seniors (d.i. Bischofs) Johann Amos Comenius (1592–1670). Nach der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) wurden die Böhmischen Brüder von ihren Gegnern auch als Waldenser und Hussiten bezeichnet, sie selbst haben diese Bezeichnung jedoch vehement abgelehnt.
Der Pietismus ist eine in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s entstehende protestantische Frömmigkeits- und Reformbewegung, als deren Gründungsgestalt der lutherische Theologe Philipp Jakob Spener (vgl. II § 63 c) gelten kann, im reformierten Kontext ist Theodor Undereyck (1635–1693) zu nennen. Im Zentrum stehen ein intensiver Bibelbezug sowie die Individualisierung und Verinnerlichung religiösen Lebens, äußere Merkmale sind etwa das Konventikelwesen (Collegia pietatis) und eine ausgeprägte soziale und missionarische Tätigkeit. Als bedeutendste Zentren des Pietismus sind Halle (v.a. August Hermann Francke [1663–1727]) und Württemberg (v.a. Johann Albrecht Bengel; Friedrich Christoph Oetinger [1702–1782], Johann Michael Hahn [1758–1819]) zu nennen, die jeweils ein durchaus eigenständiges Gepräge aufweisen. Zeitlich lässt sich der Pietismus in eine Früh- (1670–1690), eine Haupt- (1690–1740) und eine Spätphase (1740–1780) gliedern, das Verhältnis zu Orthodoxie und Kirche, aber auch zur Aufklärung (Vertreibung Christian Wolffs aus Halle) war von Konflikten geprägt (vgl. II § 122). Eigens zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der sog. separatistische oder radikale Pietismus, in dem die dem Pietismus inhärenten spiritualistischen Tendenzen besondere, teils ausgefallene Formen annahmen. Durch Auswanderung konnte der Pietismus u.a. auch in Nordamerika Fuß fassen.
Das dreibändige Werk Oriens Christianus. In quatuor Patriarchatus digestus des französischen Dominikaners und Bibliothekars Michel Lequien (1661–1733) ist posthum 1740 in Paris erschienen und enthält mehrere Karten des bedeutenden Kartographen Jean Baptiste Bourguignon d'Anville (1697–1782).
Die den von Louis Ellies Du Pin (1657–1719) unter dem Titel Sancti Optati Afri Milevitani Episcopi De schismate donatistarum libri septem (1700) mehrfach herausgegebenen Schriften des nordafrikanischen Bischofs Optatus von Mileve (4. Jh.) beigegebene Faltkarte stammt von Guillaume de L'Isle (1675–1726).
Die Introductio ad Geographiam Sacram (1679) des jüngeren Friedrich Spanheim (1632–1701) ist 1698 als Geographia Sacra et Ecclesiastica erneut erschienen und unter diesem Titel auch im ersten Band seiner Opera omnia (1701) enthalten.
Die in der ersten Auflage der Anweisung ohne Jahresangabe genannte Geographia Sacra des auch unter dem Namen Carolus a Sancto Paulo bekannten französischen Bischofs Charles Vialart (1592–1644) ist erstmals 1641 erschienen.
Vgl. I § 140; I § 231.
Dieses Werk ist in Tübingen erschienen.
Johann Lorenz von Mosheims Hauptwerk erschien zunächst als Institutiones historiae ecclesiasticae Novi Testamenti (1726), dann in zwei überarbeiteten Teilen als Institutiones historicae Christianae antiquioris (1737) bzw. Institutiones historicae Christianae recentioris (1741) und schließlich als Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris libri quatuor (1755). Dieses Werk wurde posthum und unverändert erneut aufgelegt (1764) und von Johann August Christoph von Einem (1730–1810) in neun (1769–1778) und von Johann Rudolph Schlegel (1729–1790) in sieben Bänden (1770–1796) ins Deutsche übersetzt, vermehrt und fortgesetzt. Daneben finden sich Übersetzungen ins Englische und Italienische, zudem hat Mosheims Schüler Johann Peter Miller (1725–1789) ein Compendium (1761) besorgt.
Dieses Werk ist zunächst in sechs Teilen erschienen (1788–1804). Wie in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragen, hat Johann Severin Vater (1771–1826) einen siebenten bis neunten Teil (1818–1823) folgen lassen.
Karl Friedrich Stäudlins (1761–1826) Universalgeschichte ist in Hannover erschienen.
Die in Jahrhunderte (centuriae) unterteilten und nach theologisch-inhaltlichen Stichworten (loci communes) geordneten Magdeburger Centurien (1559–1574) gelten als das erste universal angelegte protestantische Kirchengeschichtswerk. In konfessionspolemischer Abzweckung stellt es die Lehre Luthers als Wiederherstellung des wahren urchristlichen Glaubens dar. Als Centuriatoren sind der Initiator Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) und Johannes Wigand (1523–1587) zu nennen, die sich auf die Zuarbeit anderer Gelehrter stützen konnten, als katholische Anwort auf die Centurien gelten die von Isaak Casaubon kritisch kommentierten (vgl. II § 90) und von Antoine Pagi bearbeiteten (vgl. II § 104) Annales ecclesiastici des Cesare Baronio (Baronius) (1538–1607).
Gemeint ist Friedrich Spanheim d. J. (1632–1701), der nach Studium und Promotion in Leiden 1656 einem Ruf an die Universität Heidelberg folgte, hier v.a. Kontrovers- und Moraltheologie sowie später auch Neues Testament las und schließlich Rektor wurde. Als Nachfolger des Johannes Coccejus kehrte Spanheim 1670 als Professor der Theologie und der an der Philosophischen Fakultät angesiedelten Kirchengeschichte nach Leiden zurück. Hier hat er sich zudem als Bibliothekar und Rektor verdient gemacht und war ab 1684 als professor primarius von seinen Vorlesungsverpflichtungen entbunden. Spanheim hat ein umfangreiches Werk hinterlassen (vgl. II § 101), ist jedoch v.a. als Kirchenhistoriker hervorgetreten. Insbesondere seine in Epochen bzw. Jahrhunderte eingeteilte Brevis introductio ad historiam Sacram utriusque Testamenti ac praecipue Christianam ad Annum MDXVIII. inchoata jam reformatione (1694) war hoch gelobt und als akademisches Lehrbuch weit verbreitet.
Vgl. II § 104.
Vgl. II § 103.
Der Theologe Christian Eberhard Weismann (1677–1747) wurde nach dem bereits 1693 erlangten Magisterabschluss in Tübingen ebenda Repetent, dann Diakon in Calw, 1705 Hofkaplan in Stuttgart und zwei Jahre später Gymnasialprofessor für Kirchengeschichte und Philosophie sowie Mittwochsprediger an der dortigen Stiftskirche. 1721 kehrte Weismann als außerordentlicher Professor an die Theologische Fakultät Tübingen zurück und wurde hier zugleich auch Stadtpfarrer. Ein Jahr später erwarb er den theologischen Doktorgrad und wurde 1726 Ordinarius. Weismann ist v.a. als Kirchenhistoriker hervorgetreten, sein Hauptwerk ist die zweibändige, zwischen Kompendium und ausführlicher Kirchengeschichtsdarstellung anzusiedelnde Introductio in Memorabilia ecclesiastica historiae sacrae Novi Testamenti, maxime vero saeculorum primorum et novissimorum (1718/1719; 21745). Im Unterschied zu den Magdeburger Centurien (s.o.) oder der pietistischen Geschichtsschreibung eines Gottfried Arnold (1666–1714) ging es Weismann, der zur unmittelbaren Vorgeschichte der modernen Kirchenhistoriographie in Gestalt Johann Lorenz von Mosheims gehört, um eine weitgehend objektive Darstellung von Geschichte.
Christoph Matthäus Pfaff (1686–1760) war nach dem Studium in Tübingen zunächst Vikar, dann Stiftsrepetent, begab sich von 1706 bis 1709 auf eine Bildungsreise, die ihn neben Zielen in Deutschland auch nach Dänemark, in die Niederlande und nach England führte, und begleitete anschließend bis 1716 den württembergischen Erbprinzen Friedrich Ludwig (1698–1731) auf einer Reise durch Europa. 1717 wurde er (nicht zuletzt aufgrund der Edition angeblicher Irenäus-Fragmente, die gleich nach ihrem Erscheinen in ihrer Echtheit angezweifelt und später von Adolf von Harnack als Fälschungen Pfaffs identifiziert wurden) Professor in Tübingen, später Primarius der Theologischen Fakultät, Kanzler sowie Propst der Stiftskirche, 1724 kaiserlicher Hofpfalzgraf, 1727 Abt des Klosters Lorch und 1731 Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Nach einer fehlgeschlagenen Berufung nach Göttingen wechselte Pfaff 1756 nach Gießen und war hier neben seiner theologischen Professur auch als Universitätskanzler und Generalsuperintendent tätig. U.a. durch sein Lehrbuch Institutiones historiae ecclesiasticae (1721) ist Pfaff als Kirchenhistoriker hervorgetreten, hat sich aber insbesondere im Bereich des Kirchenrechts und durch seine Unionsbemühungen verdient gemacht.
S.o.
Als Kirchenhistoriker ist Siegmund Jacob Baumgarten durch den vierbändigen, in Jahrhunderte gegliederten Auszug der Kirchengeschichte, von der Geburt Jesu an (1743–1762) sowie den Abris einer Geschichte der Religionsparteien (vgl. II § 124 c) hervorgetreten.
Gemeint ist Christian Wilhelm Franz Walch (1726–1784), der nach dem Studium und der philosophischen Promotion in Jena sowie einer gemeinsam mit seinem Bruder Johann Ernst Immanuel Walch (1725–1778) absolvierten Studienreise 1750 ebenda außerordentlicher Professor für Philosophie wurde. 1753 als ordentlicher Professor für Philosophie (Geschichte) nach Göttingen berufen, erhielt er hier im darauffolgenden Jahr den theologischen Doktorgrad sowie zu seiner philosophischen eine außerordentliche theologische Professur. Seit 1757 Ordinarius an der Theologischen Fakultät wurde er hier 1766 Primarius, 1772 großbritannischer Konsistorialrat und 1779 Direktor der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Besonders bedeutend sind seine kirchenhistorischen Arbeiten, sein Hauptwerk ist der elfbändige, unvollendet gebliebene Entwurf einer vollständigen Historie der Kezereien, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation (1762–1785), der, wie andere seiner Werke auch, einer Einteilung in Jahrhunderte folgt.
Vgl. Vorrede Hg. c [VIII].
Der Autor ist Ludwig Timotheus von Spittler.
D.i. das von Theodosius I. (347–395) einberufene Erste Konzil von Konstantinopel (381), auf dem v.a. die seit dem Konzil von Nicäa (325) bestehenden christologischen Streitigkeiten (vgl. I § 63) geklärt werden sollten.
Vgl. I § 63.
Die nach Makedonius I. von Konstantinopel (gest. ca. 360) benannten Makedonianer erkannten, anders als die Arianer, die in Nicäa (325) festgelegte Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater (vgl. I § 63) an, bestritten jedoch, wie die Arianer, die Wesensgleichheit des Heiligen Geistes. Aus diesem Grund wurden die binitarischen Makedonianer auch als Pneumatomachen (d.h. Geistbekämpfer) bezeichnet und auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel (381) verurteilt.
Mit Bischof Apollinaris von Laodicea (ca. 310–390) verbindet sich eine monophysitische Christologie (vgl. I § 63) eigenen Gepräges, die das Inkarnationsgeschehen philosophisch zu durchdringen sucht und nur eine einzige fleischgewordene Natur (μία ϕύσις σεσαρκωμένη) des göttlichen Logos annimmt. Laut der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) eignet Christus laut Apollinaris zwar menschliche Sinnlichkeit, jedoch keine menschliche Seele (πνεῦμα). Aus diesem Grund fehle ihm menschlicher Verstand und Wille. Auch diese Position wurde auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel (381) verurteilt.
Die kirchliche Bedeutung Byzantions, von Kaiser Konstantin (ca. 275–337) als neue Hauptstadt bestimmt, im Jahre 330 als Neues Rom eingeweiht und bald als Konstantinopel bekannt, blieb als Suffraganbistum des thrakischen Herakleia zunächst gering. Dies änderte sich mit der Inthronisation Gregors von Nazianz (s.u.) im Jahre 380 und dem von Theodosius I. (s.u.) ein Jahr später einberufenen Ersten Konzil von Konstantinopel (s.o.). Für Konstantinopel wurde hier in antialexandrinischer Stoßrichtung und mit der ausschließlich politischen Begründung, man sei das Neue Rom, der zweite Ehrenrang nach Rom beansprucht (Kanon 3), auf dem Konzil von Chalcedon (451) sprach man der Stadt schließlich gleiche Vorrechte (ἴσα πρεσβεῖα) wie der älteren Kaiserstadt Rom und ihrem Bischof umfangreiche Weihegewalt für weitreichende Gebiete zu (Kanon 28).
Nach dem Tode Valens' (328–378) und militärischen Erfolgen gegen die Goten wurde Theodosius I., der Große (347–395), im Jahre 379 durch den weströmischen Kaiser Gratian (359–383) zum Augustus erhoben. In den Folgejahren v.a. mit der Konsolidierung seines oströmischen Herrschaftsbereiches (u.a. durch den sog. Gotenvertrag des Jahres 382) beschäftigt, sah sich Theodosius später gezwungen, militärisch gegen die weströmischen Usurpatoren Maximus und Eugenius vorzugehen, und wurde so für die letzten Monate seines Lebens zum Alleinherrscher des Imperiums. Durch das gemeinsam mit Gratian und dessen Mitkaiser Valentinian II. (371–392) verabschiedete Edikt Cunctos populos (380) und das Erste Konzil von Konstantinopel (s.o.) verbindet sich mit Theodosius religionspolitisch v.a. die Durchsetzung des Christentums nizänischer Prägung (vgl. I § 63). Daneben ist jedoch auch sein Vorgehen gegen die alten Kulte sowie die Auseinandersetzung mit Ambrosius von Mailand zu nennen, dessen bischöfliche Autorität den 380 getauften Kaiser durchaus zu Zugeständnissen bewegen konnte. Immer wieder angeführt werden Ambrosius' Veto gegen den Wiederaufbau einer Synagoge im syrischen Callinicum sowie der dem Kaiser abgeforderte Bußakt nach einer außer Kontrolle geratenen Strafaktion in Thessaloniki.
Nach dem Studium in unterschiedlichen Metropolen des Ostens neigte Gregor von Nazianz (ca. 329–390) einem monastisch-asketischen Lebensstil zu. Basilius d. Gr., Bischof von Caesarea, berief seinen Studienfreund 372 zum Bischof von Sasima, doch trat Gregor diese Stelle, wie auch die Nachfolge seines Vaters, des Bischofs von Nazianz, nicht an. Stattdessen wurde er nach dem Herrschaftsantritt des nizänisch gesinnten Theodosius (s.o.) 379 als Leiter einer nizänischen Gemeinde in das mehrheitlich arianische (vgl. I § 63) Konstantinopel berufen und war hier nicht zuletzt aufgrund seiner hervorragenden rhetorischen Fähigkeiten derart erfolgreich, dass er ein Jahr später von Theodosius zum Bischof bestellt wurde und als Nachfolger des Meletius von Antiochien das wiederum ein Jahr später an seinen Amtssitz einberufene Konzil leitete. Bereits nach wenigen Wochen scheiterte er jedoch an der Lösung des sog. meletianischen (antiochenischen) Schismas (vgl. II § 128) und zog sich, nach einem Zwischenspiel in Nazianz, 383 auf sein in der Nähe gelegenes Landgut zurück. Das Werk des musterhaften Rhetors besteht neben Reden aus zahlreichen Gedichten und Briefen, Gregor selbst zählt mit Gregor von Nyssa (gest. vor 400) und Basilius (vgl. II § 115) zu den drei Kappadoziern und mit Basilius, Johannes Chrysostomus (vgl. II § 104) und Athanasius (vgl. II § 83) zu den vier griechischen Kirchenlehrern.
Georg Friedrich Seilers (1733–1807) Kurzer Inbegriff ist in siebenter Auflage 1793 erschienen und enthält als Anhang die von Johann Georg Rosenmüller (1736–1815) besorgte Kirchengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts in V. Tabellen.
Dieses Werk ist 1819 erschienen.
Jacques Bénigne Bossuets (1627–1704) Discours sur l'histoire universelle (1681) wurde von dem Kieler Theologen Johann Andreas Cramer (1723–1788) unter dem Titel Einleitung in die allgemeine Geschichte der Welt, bis auf Kaiser Carln den Großen (1748) ins Deutsche übertragen, mit einem Anhang historisch-kritischer Abhandlungen versehen und bis 1786 als Einleitung in die allgemeine Geschichte der Welt und der Religion in sieben weiteren Teilen fortgesetzt.
Gemeint sind Johann Salomo Semlers Historiae ecclesiasticae selecta capita. Cum epitome canonum excerptis dogmaticis et tabulis chronologicis I–III (1767–1769) sowie dessen Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte I–III (1773–1778). Der erste, bis in das Jahr 900 reichende Teil seines Versuch[s] christlicher Jahrbücher, oder ausführlicher Tabellen über die Kirchenhistorie stammt aus dem Jahr 1783.
Johann Matthias Schroeckhs (1733–1808) großes, bis in das 18. Jh. reichendes Kirchengeschichtswerk besteht aus insgesamt 45 Bänden. Die Christliche Kirchengeschichte (1768–1803) umfasst 35 Bände und reicht bis zur Reformation, danach schließt sich die Christliche Kirchengeschichte seit der Reformation (1804–1808) in acht Bänden an. Die das Werk beschließenden letzten beiden Bände (1810/1812) stammen bereits von Heinrich Gottlieb Tzschirner (1778–1828). Dass in der dritten Auflage der Anweisung 34 bzw. neun Teile gezählt werden, erklärt sich dadurch, dass es sich bei Bd. 35 der Christliche[n] Kirchengeschichte um einen Registerband handelt und der zehnte Band der Christliche[n] Kirchengeschichte seit der Reformation eine von Tzschirner verfasste Biographie Schroeckhs sowie ein Register der vorangegangenen neun Teile enthält.
Gemeint ist die bedeutende zwanzigbändige Histoire ecclésiastique (1691–1720) des katholischen Kirchenhistorikers Claude Fleury (1640–1723). Dieses ursprünglich bis in das Jahr 1414 reichende Werk wurde später von Jean Claude Fabre (1668–1753) in 16 und Alexander a Sancto Johanne de Cruce (1719–1794) in weiteren sechs Bänden bis 1778 fortgesetzt. Friedrich der Große (1712–1786) besorgte 1766 einen Auszug. 1840 erschien eine Neuausgabe des Werks mit einer handschriftlich hinterlassenen Fortsetzung Fleurys bis in das Jahr 1517.
Die zunächst 23, dann 26 Bände umfassenden Selecta historiae ecclesiasticae capita (1676–1686 bzw. 1688–1689) des Dominikaners und bedeutenden Kirchenhistorikers Noël Alexandre (Natalis Alexander) (1639–1724) reichen bis zum Ende des Trienter Konzils (1545–1563), wurden zwischenzeitlich indiziert und wie die später veröffentlichte achtbändige Historia ecclesiastica Veteris Novique Testamenti ab orbe condito ad annum post Christum natum 1600 (1699) häufig neu aufgelegt. Gemeint ist wohl der letztgenannte Titel.
Vgl. I § 43.
Wie die dritte Auflage der Anweisung deutlich macht, ist hier die Bücherkenntniß gemeint (vgl. I § 43). Statt § 386 (enthält Literatur zur äthiopischen bzw. abessinischen Kirchengeschichte) ist jedoch, wie in der ersten Auflage der Anweisung korrekt angegeben, § 336 einzusehen.
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 134. Die hier angegebenen Seiten 597ff. befinden sich gemäß der zweiten und dritten Auflage der Anweisung im zweiten Band des dritten Teils (1756).
Vgl. Vorrede Hg. c [VIII].
Gemeint ist Johann Salomo Semlers Versuch den Gebrauch der Quellen in der Staats- und Kirchengeschichte der mitlern Zeiten zu erleichtern.
Vgl. I § 43.
Die Mönche der von 1618 bis 1792 bestehenden benediktinischen Reformkongregation von Saint-Maur mit ihrem Hauptsitz im Kloster Saint-Germain-des-Prés in Paris erarbeiteten u.a. grundlegende Textausgaben griechischer und lateinischer Kirchenväter. Hervorgehoben seien neben einer fünfbändigen Bibliotheca Patrum ascetica (1661–1664) und den Schriften frühchristlicher Apologeten (1720) unter den Griechen die Ausgabe des Athanasius in drei (1698), des Origenes in vier (1733–1759) und des Chrysostomus in 13 Bänden (1718–1738) sowie unter den Lateinern die Ausgabe des Ambrosius (1686–1690), des Hieronymus (1693–1706) und v.a. Augustins (1681–1700).
Der Jesuit Jacques Sirmond (1559–1651) war zwischen 1581 und 1590 als Lehrer am Collège de Clermont in Paris tätig und wurde dann bis 1608 persönlicher Sekretär seines Ordensoberen Claudio Acquaviva (1543–1615) in Rom. Später hatte er das Rektorat am Collège de Clermont inne und war zudem mehrere Jahre Beichtvater Ludwigs XIII. (1601–1643). Bedeutend für die französische Kirchengeschichte sind seine Concilia antiqua Galliae (1629), doch ist Sirmond v.a. durch seine zahlreichen, aus heute teilweise verlorenen Handschriften erstellten Textausgaben wie denen des Sidonius Apollinaris (1614), Radbert (1617), Theodoret von Cyrus (1642), Eusebius von Caesarea (1643), Avitus von Vienne (1643), Hinkmar von Reims (1645) und Theodulph von Orléans (1646) hervorgetreten. Daneben hat Sirmond mit der in der Dissertatio in qua Dionysii Parisiensis et Dionysii Areopagitae discrimen ostenditur (1641) vorgetragenen Bestreitung der Identität von Dionysius von Paris und Dionysius Areopagita eine Kontroverse ausgelöst (vgl. II § 83).
Nach dem Philosophie- und Theologiestudium am Collège de Navarre in Paris erhielt Jean de Launoy (1603–1678) im Jahre 1636 die Doktorwürde und noch im selben Jahr die Priesterweihe. Als bedeutender Gelehrter, Gallikaner und zumindest Sympathisant des Jansenismus (II § 98) hat der auch dénicheur de saints genannte de Launoy eine Vielzahl kritischer Schriften (zu christlichen Märtyrerlegenden, der unbefleckten Empfängnis oder der Aufnahme Marias in den Himmel) veröffentlicht und sich v.a. um die kirchliche Verfassungsgeschichte verdient gemacht. Zudem schaltete er sich in die von Sirmond ausgelöste Dionysius-Kontroverse (s.o.) ein.
Vgl. II § 90.
Der auf einer Jesuitenschule erzogene Antoine Pagi (1624–1699) trat auf Betreiben seines Onkels in den Franziskanerorden ein, legte 1641 die Profess ab und wurde später mehrfach zum Provinzial gewählt. Er studierte Philosophie und Theologie und hatte vorübergehend ein Predigtamt inne, ist aber v.a. als gewissenhafter und umsichtiger Berichtiger des bedeutenden Kirchenhistorikers Cesare Baronio (Baronius) (1538–1607) hervorgetreten. Pagis Critica historico-chronologica in universos annales ecclesiasticos Eminentissimi et Reverendissimi Caesaris Cardinalis Baronii (1689–1705) wurden mehrfach aufgelegt und im Rahmen späterer Baronius-Ausgaben berücksichtigt.
Der aus adliger Familie stammende Historiker Louis Sébastien Le Nain de Tillemont (1637–1698) erhielt nach dem v.a. (kirchen-)historisch ausgerichteten Studium 1676 die Priesterweihe und trat noch im selben Jahr in die Abtei Port-Royal ein (vgl. II § 98). Aufgrund der Verfolgung des Jansenismus zog er sich 1679 bis zu seinem Tod auf das familieneigene Landgut Tillemont bei Montreuil zurück. Berühmt sind neben der sechsbändigen Histoire des empereurs (vgl. I § 244) v.a. seine Mémoires pour servir à l'histoire ecclésiastique des six premiers siècles (1693–1712) in 16 Bänden, durch die Tillemont zu den bedeutendsten Historikern nicht nur des 17. Jh.s zu zählen ist. Sein Werk wurde etwa von Edward Gibbon (I § 229) hoch geschätzt.
Mit dem Namen des in Halle lehrenden Baumgarten-Schülers, Mitbegründers der historisch-kritischen Bibelwissenschaft und herausragenden Neologen Johann Salomo Semler (1725–1791) verbinden sich theologiegeschichtlich v.a. die weitreichenden Unterscheidungen von Theologie und Religion sowie von Wort Gottes und Heiliger Schrift, zudem wandte er sich gegen Verbalinspiration und die Vorstellung von einem göttlichen Ursprung der biblischen Überlieferung und ließ das Alte Testament nicht mehr als Quelle christlicher Glaubensvorstellungen gelten. Aus dem umfangreichen und vielfältigen Werk (bis zur Veröffentlichung der ersten Auflage der Anweisung bereits über 200 Titel) ist besonders Semlers Hauptwerk, die vierbändige Abhandlung von freier Untersuchung des Canon (1771–1775), für die Kirchengeschichte im Speziellen die bereits erwähnten Selecta Capita und der Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte (1773–1778) (vgl. II § 103) zu nennen. Im Hinblick auf Nösselt sei bemerkt sei, dass Semler Baumgartens Auslegung der beiden Briefe St. Pauli an die Corinthier mit Anmerkungen und einer Paraphrasi M. Johann August Nösselts öffentlichen Lehrers der heiligen Gottesgelersamkeit (1761) mit einer Vorrede herausgegeben hat.
Gemeint ist Ludwig Timotheus von Spittler (vgl. I § 229 c). Neben der Geschichte des canonischen Rechts (vgl. III § 89) und dem Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche (vgl. II § 102) sind auch die Kritische Untersuchung des sechzigsten Laodicenischen Canons (1777), De usu versionis Alexandrinae apud Josephum prolusio (1779) und die Historia critica chronici Eusebiani (1784) zu nennen.
Die Definition und Eingrenzung der neutestamentlichen Apokryphen (zu den alttestamentlichen vgl. I § 163) gestaltet sich bis heute nicht zuletzt durch neue Textfunde (im 20. Jh. v.a. die Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi) als schwierig. Der gegen Ende des 17. Jh.s einsetzende Aufschwung der Apokryphensammlung und -forschung verbindet sich v.a. mit Jean-Baptist Cotelier (1629–1686), als für das 18. Jh. und darüber hinaus maßgebliche Ausgabe ist Johann Albert Fabricius' (1668–1736) dreibändiger Codex apocryphus Novi Testamenti (21719) zu nennen. Am Beginn des 19. Jh.s steht The Apocryphal New Testament (1820) des englischen Verlegers William Hone (1780–1842). Die für Nösselt respektive Niemeyer als Referenzwerk anzunehmende Sammlung des Fabricius enthält im ersten Band Kindheitsevangelien, Nikodemusevangelium und Pilatusbriefe, den Lentulusbrief sowie Fragmente apokrypher Evangelien, im zweiten Band Acta, Epistolae, Apocalypses aliaque scripta Apostolis falso inscripta und im dritten Band neben Nachträgen Liturgien unter apostolischen Namen sowie den Hirt des Hermas.
Unter dem Namen des Bischofs Ignatius von Antiochien, der laut Eusebius von Caesarea (ca. 260–339) am Beginn des 2. Jh.s unter Trajan (53–117) in Rom das Martyrium erlitten haben soll, sind in einer kürzeren Rezension sieben, bereits bei Eusebius genannte Briefe überliefert, eine längere Rezension umfasst sechs weitere Briefe. Seit Auffindung des Corpus Ignatianum und der Edition der recensio longior im 15. bzw. 16. Jh. existieren Zweifel an der Echtheit der Briefe, eine Frage, die die Ignatiusforschung bis heute maßgeblich bestimmt. Hält man die Briefe, die zu den den neutestamentlichen Apokryphen (s.o.) nahestehenden Apostolischen Vätern zählen, für authentisch, eröffnen sie bedeutsame Einblicke in die Geschichte des Christentums am Beginn des 2. Jh.s.
Die insgesamt 85 apostolischen Canones (Canones Apostolorum) bilden den Schluss der apostolischen Konstitutionen (Constitutiones Apostolorum), wurden aber bald auch unabhängig überliefert und anders als die apostolischen Konstitutionen von der Zweiten Trullanischen Synode Ende des 7. Jh.s nicht als häretisch verworfen. Aufgrund des vergleichsweise allgemein gehaltenen Abbildes der Gemeindeverhältnisse lassen sich konkrete Adressaten kaum ermitteln, durch die (wenngleich fiktive) apostolische Verfasserschaft wurden sie im Osten wie im Westen hoch geschätzt. Bei den im 16. Jh. wiederentdeckten und 1563 edierten apostolischen Konstitutionen handelt es sich um die umfangreichste Kirchenordnung der ersten Jahrhunderte, die ihr vorgeblicher Verfasser Clemens von Rom (1. Jh.), der wie Ignatius von Antiochien (s.o.) zu den Apostolischen Vätern gezählt wird, auf dem Jerusalemer Apostelkonzil (vgl. Apg 15,1–29; Gal 2,1–10) niedergeschrieben haben soll. Wurden die Konstitutionen zunächst für echt gehalten, erwiesen sie sich später als im ausgehenden 4. Jh. entstandene Kompilation bereits vorliegender Kirchenordnungen, deren Bearbeiter u.U. auch für die Interpolationen der längeren Rezension der Ignatius-Briefe (s.o.) verantwortlich ist.
Die Recognitiones Clementis gehören wie die sog. Homilien u.a. zu der unter dem Namen Clemens' von Rom (1. Jh.) kursierenden pseudoclementinischen Literatur. Sowohl die nur in lateinischer und teilweise auch syrischer Übersetzung erhaltenen Recognitiones (Wiedererkennungen) als auch die griechisch verfassten Homilien wurden bereits von Eusebius von Caesarea (ca. 260–339) als pseudonym erkannt. Der neueren Forschung zufolge handelt es sich bei beiden Schriften um zwei unabhängig voneinander entstandene und aufgrund der christologischen Aussagen in das 4. Jh. zu datierende Rezensionen einer gemeinsamen Grundschrift aus dem 3. Jh., die sich als pseudoclementinischer Roman (die erste Hälfte lässt sich als Entwicklungs-, die zweite als Familien- bzw. Wiedererkennungsroman verstehen) darstellt.
Der umfassend ausgebildete Johannes Chrysostomus (d.h. Goldmund) (ca. 349–407) wurde unter dem Einfluss des Bischofs Meletius (360–381) im Jahre 368 getauft, zog sich einige Jahre später als Asket in die syrischen Berge zurück, musste diesen Lebensstil aus gesundheitlichen Gründen jedoch nach sechs Jahren wieder aufgeben. In seiner Heimatstadt Antiochia wurde Chrysostomus erst zum Diakon, dann zum Presbyter geweiht und erlangte v.a. aufgund seiner Fähigkeiten als Prediger in den folgenden Jahren hohes Ansehen. 397 zum Erzbischof von Konstantinopel ernannt, stieß er auf Einfachheit und caritas zielende Reformen an, die beim Klerus und in Teilen der Gemeinde zu Protesten und im Gemenge der Auseinandersetzungen um Origenes (vgl. II § 98) zu seiner ersten Verbannung führten. Von seiner zweiten Verbannung kehrte Chrysostomus nicht mehr zurück. Unter seinem Namen wurden 17 Abhandlungen, vier Bibelkommentare, 241 Briefe und mehr als 700 Predigten (vgl. II § 65 c) überliefert, so viele wie von keinem anderen griechischen Kirchenvater. Zu den unechten Schriften zählen v.a. zwei als Pseudo-Chrysostomus bzw. Chrysostomus Latinus bekannte Sammlungen lateinischer sermones. Neben Gregor von Nazianz (vgl. II § 102), Basilius (vgl. II § 115) und Athanasius (vgl. II § 83) zählt er zu den vier griechischen Kirchenlehrern.
Der in Trier geborene, sorgfältig ausgebildete und insbesondere durch seine für den römischen Westen überdurchschnittlich guten Griechischkenntnisse auffallende Ambrosius von Mailand (ca. 339–397) schwenkte zunächst in eine Beamtenlaufbahn ein, an deren Ende er Anfang der 370er Jahre Provinzstatthalter der Aemilia Liguria mit Sitz in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand wurde. Im Jahre 374 eher zufällig und wohl noch als Katechumene (vgl. II § 126) zum Bischof gewählt, vertrat Ambrosius im mehrheitlich homöischen Mailand schnell einen neunizänischen Kurs (vgl. I § 63), der von allergrößter Bedeutung für die Durchsetzung der neunizänischen Interpretation des Nicänums (325) im Abendland insgesamt zu werten ist und ihn zu einem der vier lateinischen Kirchenlehrer (vgl. II § 115) werden ließ. Zu bemerken ist zudem seine Auseinandersetzung mit Theodosius I. (vgl. I § 102). Etwa die Hälfte seines umfangreichen Werkes ist exegetischen Inhalts, besonderen Aufschluss über Ambrosius' Wirken gibt das in zehn Bücher eingeteilte Briefkorpus. Mit Blick auf die unechten Schriften des Ambrosius ist v.a. Ambrosiaster zu nennen (vgl. II § 85).
Dass sich immer wieder auch Schriften finden, die irrtümlich oder absichtlich (vgl. die sermones ad fratres in eremo) unter dem Namen und der Autorität Augustins (vgl. II § 19) überliefert sind, zeigt erneut Ambrosiaster (vgl. II § 85). Da Augustin in seinen Retractationes (vgl. auch das Indiculum) selbst über seine Werke Auskunft gibt, Predigten und Briefe jedoch nicht einzeln, sondern summarisch auflistet, finden sich unechte Werke gerade auch in diesen Textgattungen. Heute sind mehr pseudo-augustinische als augustinische Predigten bekannt. Als pseudo-augustinisch gelten etwa auch die bis in die Frühe Neuzeit hinein als authentisch aufgefassten Schriften De oratione et elemosina, De sobrietate et castitate, De incarnatione et deitate Christi ad Ianuarium und der Dialogus quaestionum, darüber hinaus existieren Dubia.
Vgl. I § 43.
Johann August Ernestis erneut in seinen Opuscula theologica (1773), 1–134 abgedruckte Schrift Anti Muratorius sive confutatio Muratorianae disputationis de rebus liturgicis ad Salomonem Deylingium (1755) richtete sich gegen die katholische Abendmahlslehre und wurde indiziert.
Vgl. II § 120.
Gemeint sind Johann August Ernestis bereits zuvor (vgl. I § 120) angeführten Opuscula philologica critica (1764), die genannte Abhandlung findet sich aaO 64–101.
Vgl. II § 104.
Vgl. I § 283; II § 102.
Gemeint ist die noch immer bedeutende Histoire Critique de Manichée et du Manichéisme (1734/1739) des reformierten Theologen Isaac de Beausobre (1659–1738).
Vgl. II § 104.
Vgl. II § 102 c.
Die sechsbändige Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel (1781–1800) stammt von Gottlieb Jakob Planck (1751–1833) und ist dessen wohl bedeutendstes Werk. Die ersten drei Bände erschienen 1791–1798 in zweiter Auflage, als Fortsetzung folgte die Geschichte der protestantischen Theologie von der Konkordienformel an bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (1831).
Vgl. II § 98.
Vgl. I § 63.
Vgl. II § 113.
Vgl. II § 98.
Vgl. II § 102 c.
Vgl. II § 103.
Hier handelt es sich um den französischen Geistlichen und Historiker Bonaventure Racine (1708–1755). Im avertissement zum ersten Band seines auch ins Deutsche übersetzten Überblickswerkes Abrégé de l'histoire ecclésiastique (1748–1756) stellt Racine heraus, dass er für die Erarbeitung v.a. Fleury herangezogen habe. Gerade die gemeinsame Nennung mit Fleury lässt den Mauriner (vgl. II § 104) Robert-Florimond Racine (1700–1777) an dieser Stelle ausscheiden.
Vgl. II § 102.
Gemeint ist Johann Christoph Krause (1749–1799), ab 1787 außerordentlicher, ein Jahr später ordentlicher Professor für Philosophie in Halle, und sein über den ersten Band nicht hinausgekommenes Handbuch der christlichen, besonders teutschen, politischen Kirchengeschichte (1785).
Hier handelt es sich um Johann Ernst Christian Schmidts (1772–1831) unvollendetes sechsbändiges Handbuch der Kirchengeschichte (1801–1820), dem Friedrich Wilhelm Rettberg (1805–1849) einen siebenten Band (1834) folgen ließ.
Vgl. II § 103.
Vgl. II § 103.
Betrachtet man das umfangreiche Gesamtwerk Johann Salomo Semlers, so dürfte an dieser Stelle kaum um ein deutschsprachiger Titel gemeint sein. Unter den lateinischen Werken kommen die Commentarii historici de antiquo christianorum statu. Tomus primus (1771) bzw. Tomi secundi pars prima (1772) in Frage. Vergleicht man jedoch II § 103 (Anm. 1), fällt auf, dass Semler dort wie auch hier mit Bossuet bzw. Cramer und Schroeckh zusammengestellt ist, so dass mit den semlerischen Anmerkungen vermutlich die Selecta capita (vgl. II § 103) gemeint sind.
Gemeint ist die zweite Anmerkung in II § 393 a.
Mit dem später heilig gesprochenen Benediktiner Radbert (ca. 790–859), der dem Kloster von Corbie ab ca. 844 für mehrere Jahre als Abt vorstand, verbindet sich v.a. die gelegentlich auch als erster Abendmahlsstreit (vgl. II § 83) bezeichnete Auseinandersetzung um das Abendmahlsverständnis. In seinem Hauptwerk De corpore et sanguine Domini vertrat er die Transsubstantiationslehre und die tatsächliche Gegenwart Christi im Abendmahl (Realpräsenz) und stand damit in Opposition zu Ratramnus von Corbie (gest. ca. 870), der in einer Schrift gleichen Namens ausführte, die Wandlung von Brot und Wein sei nicht körperlich (corporaliter), sondern rein geistig (spiritualiter) vorzustellen und daher nur bildhaft (figuraliter). Das Sakrament bleibe als Mysterium immer unter dieser figura verborgen, eine Identifikation des historischen Passionsleibes Christi mit dem sakramentalen Abendmahlsleib sei daher abzulehnen. Im Abendmahlsstreit um Berengar von Tours (ca. 1000–1088) brach dieser Konflikt erneut auf (vgl. II § 113).
Die in Deutschland gelegentlich im reformatorischen und täuferischen Kontext vertretene antitrinitarische Lehre von der Einheit der göttlichen Person geht v.a. auf den Spanier Michael Servetus (1511–1553) und seine De trinitatis erroribus libri septem (1531) zurück, verbindet sich dem Namen nach jedoch insbesondere mit Lelio (1525–1562) und seinem Neffen Fausto Sozzini (1539–1604), dessen posthum veröffentlichter Rakower Katechismus (poln. 1605; dt. 1608; lat. 1609) als wohl wichtigste antitrinitarische Lehrschrift gelten kann. Die nach ihnen benannten Sozinianer konnten v.a. in Osteuropa (Polen, Siebenbürgen u.a.) ein beachtliches Kirchenwesen etablieren (daher die ebenfalls verbreitete Bezeichnung Polnische Brüder) und wirkten später etwa auf die niederländischen Arminianer oder die englischen Deisten (vgl. II § 189) und Unitarier. Mit der Sammelbezeichnung Antitrinitarier wurden seit dem 17. Jh. jedoch alle Theologen und ihre Anhänger bezeichnet, die die Kritik am altkirchlichen Trinitätsdogma zur Hauptlehre erklärten.
Joseph Priestleys (1733–1804) zweibändige History of the corruptions of Christianity (1782) ist unter dem Titel Geschichte der Verfälschungen des Christenthums (1785) von dem Kieler Theologen Jakob Christoph Rudolf Eckermann (1754–1837) übersetzt worden.
Der Marburger Theologe Wilhelm Münscher (1766–1814) ist v.a. durch sein in Teilen mehrfach neu aufgelegtes und weit verbreitetes vierbändiges Handbuch der christlichen Dogmengeschichte (1797–1809) hervorgetreten, das jedoch nur die patristische Zeit abdeckt. Daneben ist das ebenfalls weit verbreitete und nach Münschers Tod bis zur dritten Auflage weitergeführte Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte (1811) zu nennen.
Vgl. I § 63.
Vgl. II § 88.
Vgl. I § 43.
Unter Emanation versteht man das Ausfließen (emanatio) des Vielen aus dem Einen, ohne dass sich das Eine dabei vermindert oder verändert. Die ursprünglich der vorsokratischen Philosophie entstammende (Licht, Wärme, Düfte etc.), seit Platon jedoch nur noch latent vorhandene Vorstellung der Emanation erlebte zur Erklärung des Verhältnisses von göttlicher Transzendenz und Immanenz dann v.a. in gnostischen Systemen einen erneuten Aufschwung. Dogmatisch haben Emanationslehren im Rahmen der Schöpfungs-, aber auch der Trinitätslehre Bedeutung erlangt, wurden in diesen Zusammenhängen jedoch bereits in altkirchlicher Zeit scharf kritisiert.
Hier dürfte v.a. Balthasar Bekkers (1634–1698) De Betoverde Weereld (1691–1693) im Hintergrund stehen. Die drei Bände wurden unter dem Titel D. Balthasar Bekkers reformirten Predigers in Amsterdam bezauberte Welt (1781–1782) von Johann Moritz Schwager (1738–1804) ins Deutsche übersetzt und von dessen Lehrer Johann Salomo Semler durchgesehen und vermehrt. Während des Studiums in Halle zählte neben Semler auch Nösselt zu Schwagers Lehrern.
Vgl. I § 61; II § 83.
Gemeint sind v.a. die Auseinandersetzungen um das Abendmahl im 9. (vgl. II 110) und 11. Jh. sowie die der Reformationszeit (vgl. II § 83).
Mit dem auf den im Perserreich wirkenden Religionsstifter Mani (216–276/277) zurückgehenden Manichäismus war dem Christentum im römischen Reich des 3. Jh.s ein ernsthafter Konkurrent erwachsen, der sich auch weit nach Asien ausbreiten und nicht zuletzt aufgrund seiner synkretistischen Anlage zu einer Weltreligion avancieren konnte. Manis streng hierarchischer (u.a. Unterscheidung von electi und auditores) Kirche, der zeitweise auch Augustin (vgl. II § 19) zuneigte, lag ein komplexer Mythos zugrunde, nach dem sich die ursprünglich voneinander getrennten Reiche der Finsternis bzw. Materie und des Lichts bzw. Gottes im Kampf vermischen, um sich am Ende der Welt wieder und endgültig voneinander zu trennen. Seine ethische Dimension entfaltet dieser Mythos im Hinblick auf die Befreiung des in der Materie gefangenen Lichts, der in diesem Zusammenhang als Mittler auftretende Christus hat dabei nach manichäischer Vorstellung nur zum Schein eine materielle Gestalt angenommen (Doketismus) und daher auch nur scheinbar den Tod erlitten. V.a. der strenge Dualismus findet sich später auch bei den Bogomilen (II § 128), Paulizianern und Katharern (vgl. II § 19) sowie den Priscillianisten (vgl. II § 98). Da die Bezeichnung Manichäismus christlicherseits großzügig zur Etikettierung von Häretikern (im 16. Jh. etwa auch Luther u.a.) verwendet wurde, bleibt der tatsächliche Einfluss der Manichäer jedoch nicht selten umstritten. Als bis heute bedeutendes Grundlagenwerk gilt noch immer Isaac de Beausobres Histoire Critique (vgl. II § 106).
Unter Aphthartodoketen (nach Julian von Halikarnassos und Gaianus, kurzzeitig Bischof von Alexandrien, auch als Julianisten bzw. Gaianisten bezeichnet) versteht man eine monophysitische Glaubensrichtung der Spätantike, die die Auffassung vertrat, der Leib Christi sei bereits vor der Auferstehung unsterblich und unvergänglich (ἄφθαρτος), d.h., Christi Leiden und Tod seien nur scheinbar gewesen.
Die Beschlüsse des Zweiten Konzils von Nicäa (s.u.) stießen am fränkischen Hof, der auf dieser Synode nicht vertreten war, auf massiven Widerstand, so dass Karl der Große (747–814) 792 mit dem Capitulare adversus synodum Auszüge der besonders zu beanstandenden Passagen zur Richtigstellung an Papst Hadrian I. (gest. 795) übersandte und zudem mit dem als Libri Carolini bekannten Werk De impio imaginum cultu (1731 von Christoph August Heumann besorgt) eine ausführliche Widerlegung der Konzilsbeschlüsse verfassen ließ. Im Schulterschluss mit Byzanz wies Hadrian die fränkische Position jedoch kategorisch zurück. Als die Beschlüsse von Nicäa auf der Synode von Frankfurt (794) nochmals thematisiert wurden, lehnte der fränkische Klerus wider Rom und Byzanz die Bilderverehrung offiziell ab. Im Hintergrund dürfte jedoch v.a. ein Übersetzungsproblem stehen, denn während in den griechischen Konzilsbeschlüssen von Nicäa zwischen Verehrung (προσκύνησις) und der allein Gott zukommenden Anbetung (λατρεία) unterschieden wurde, wurden in der lateinischen Übersetzung beide Begriffe mit adoratio (Anbetung) wiedergegeben. Nicht gemeint ist die von Bischof Jonas von Orléans (ca. 760–843) gegen den radikalen Ikonoklasten Claudius von Turin (gest. ca. 827) gerichtete Schrift De cultu imaginum.
Das im Rahmen des byzantinischen Bilderstreites (vgl. II § 83) unter römisch-katholischer, nicht aber unter fränkischer (s.o.) Beteiligung abgehaltene Zweite Konzil von Nicäa (787) hob die bilderfeindlichen Beschlüsse des vorangegangenen Konzils von Hiereia (754) auf und entschied, dass Bilder zu verehren, aber nicht anzubeten seien. Hatte die ikonoklastische Politik der Kaiser Leo III. (ca. 680–741) und Konstantin V. (718–775) in Hiereia noch zur Exkommunikation des Johannes von Damaskus (vgl. II § 115) geführt, wurde er auf dem von der für ihren minderjährigen Sohn Konstantin VI. (ca. 771–797) regierenden bilderfreundlichen Kaiserwitwe Irene (ca. 752–803) einberufenen Konzil von Nicäa rehabilitiert.
Im Abendmahlsstreit des 11. Jh.s vertrat Berengar von Tours (ca. 1000–1088) im Anschluss an Radberts (ca. 790–859) Gegenspieler Ratramnus von Corbie (gest. ca. 870) eine Position, die der Lehre von der Transsubstantiation und der Realpräsenz, wie sie sich seit den radbertschen Streitigkeiten des 9. Jh.s etabliert hatte (vgl. II § 110), zuwider lief. Berengar, dessen symbolistische Abendmahlslehre v.a. von Lanfranc von Pavia (auch Bec) (ca. 1010–1089), dem späteren Erzbischof von Canterbury, zurückgewiesen wurde, wurde ab 1050 mehrfach, u.a. in Tours (s.u.), verurteilt und gezwungen, sich zur orthodoxen Lehre zu bekennen. Seine endgültige Unterwerfung geschah auf der Fastensynode in Rom (1079) und dem Konzil von Bordeaux (1080), doch hielt sich Berengar nicht an das gegen ihn ergangene Lehrverbot.
Der v.a. im Zusammenhang des Investiturstreits und durch die nach ihm benannten Gregorianischen Reformen bekannte Gregor VII. (1073–1085) war vor seiner Wahl zum Papst unter dem Namen Hildebrand zwischen 1054 und 1058 als päpstlicher Legat in Frankreich tätig. In dieser Eigenschaft leitete er die Synode von Tours (1054), auf der die Auseinandersetzung um die Abendmahlslehre des Berengar (s.o.) beigelegt werden sollte, und wirkte darauf hin, dass Berengar nach Rom reisen und seinen Fall dort klären lassen sollte. Da jedoch alle Klärungsversuche scheiterten, sah sich Hildebrand nach seiner Papstweihe gezwungen, dieses Verfahren erneut aufzunehmen. Als er Berengar 1078 nach Rom berief, ließ er ihn, anfangs noch um einen Ausgleich bemüht, ein offen und unverfänglich formuliertes Bekenntnis ablegen. Neben den Kirchenvätern soll Gregor zusätzlich eine himmlische Offenbarung angeführt haben, in der ihm Berengars Rechtgläubigkeit bestätigt wurde. Berengars Verurteilung im darauffolgenden Jahr konnte jedoch nicht verhindert werden.
Gemeint ist Gotthold Ephraim Lessings Berengarius Turonensis oder Ankündigung eines wichtigen Werkes desselben, wovon in der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel ein Manuscript befindlich, welches bisher völlig unerkannt geblieben (Braunschweig 1770). Lessings Bericht über die von ihm während seiner Zeit als Bibliothekar in Wolfenbüttel entdeckte Handschrift führte zu einer Korrektur des überkommenen Berengarbildes.
Im vierten des von den Maurinern (vgl. II § 104) Edmond Martène (1654–1739) und Ursin Durand (1682–1771) erarbeiteten (vgl. II § 129) fünfbändigen Thesaurus novus anecdotorum (1717) findet sich an der angebenen Stelle das Juramentum Berengarii Turonici clerici factum Romae in ecclesia Lateranensi de Eucharistia tempore Gregorii Septimi Papae (aaO 103–114).
Der Name Albigenser bezeichnet ursprünglich die in der südfranzösischen Stadt Albi aufgetretenen Katharer (vgl. II § 19). Insbesondere seit dem ab 1209 geführten Albigenserkreuzzug wurden beide Bezeichnungen synonym verwendet.
Auf der von Innozenz III. (1198–1216) einberufenen Vierten Lateransynode (1215) wurde u.a. die Lehre von der Transsubstantiation (vgl. II § 83) fixiert (Kanon 1). Gleichzeitig wurden umfassende Ketzereibestimmungen erlassen, die jeden Widerspruch gegen die Lehren des Konzils mit Bann und Exkommunikation bedrohten (Kanon 3).
Gemeint sind der Sermon von dem neuen Testament, das ist von der heiligen Messe (WA 6 [1888], [349] 353–380) aus dem Jahr 1520, in dem sich die Vorstellung von der Konsubstantiation, jedoch noch keine explizite Kritik an der Transsubstantiationslehre (vgl. II § 83) findet, sowie der zu den reformatorischen Hauptschriften zählende lateinische Traktat De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (WA 6 [1888], [484] 497–573), in dem Kelchentzug (vgl. II 83), der Missbrauch der Messe und die Transsubstantiation als Grund für die Gegenwart Christi im Abendmahl angeprangert werden und zum ersten Mal die Siebenzahl der Sakramente bestritten wird.
Gemeint ist der Mitte der 1520er Jahre aufbrechende erste Abendmahlsstreit der Reformationszeit, der eine massive theologische Auseinandersetzung nach sich zog (vgl. II § 83). V.a. durch die Beschlüsse des Reichstags zu Speyer (1529) spitzte sich die politische Lage der nach ihrer dortigen Protestation benannten Protestanten gleichzeitig soweit zu, dass Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567) auf ein militärisches Bündnis gegen Kaiser und Papst drängte und im Hinblick auf konfessionelle Geschlossenheit zum Marburger Religionsgespräch (s.u.) einlud.
Das auf Initiative des um die Einheit aller protestantischen Kräfte (s.o.) bemühten Landgrafen Philipp von Hessen (1504–1567) zustande gekommene Marburger Religionsgespräch (1529) sollte eine Klärung der wichtigsten theologischen Differenzen zwischen Luther und den Schweizern um Zwingli bringen. Wie die Marburger Artikel, die kurze Zeit später gemeinsam mit den Schwabacher Artikeln (vgl. II § 212) zur Grundlage der Lehrartikel der Confessio Augustana (vgl. II § 211) werden sollten, zeigen, ist dies in einigen Punkten durchaus gelungen, doch konnte in der seit Jahren (s.o.) ausgetragenen Frage nach dem Abendmahlsverständnis (vgl. II § 83) keine Einigung erzielt werden.
Vgl. II § 98.
Diese Ausgabe erschien auf Betreiben Heinrich Bullingers (1504–1575), der nach dem Tod Zwinglis im Jahre 1531 zu dessen Nachfolger gewählt worden war.
Bei dem von dem Zürcher Heinrich Bullinger (1504–1575) und dem Genfer Calvin erzielten Consensus Tigurinus (1549) handelt es sich um eine 26 Artikel umfassende Einigung der Schweizer Reformierten in der Sakramenten- und hier v.a. in der Abendmahlslehre. Verworfen wurden die katholischen Lehren von der Transsubstantiation (vgl. II § 83) sowie das mit der Realpräsenz und Ubiquität Christi (s.u.) rechnende und später in der Konkordienformel fixierte lutherische Abendmahlsverständnis (vgl. II § 83). Während der Consensus Tigurinus maßgeblich zur Annäherung der reformierten Positionen beitrug, vergrößerte er gleichzeitig den Abstand zu den Lutheranern.
Vgl. II § 83.
Vgl. II § 98.
Durch die Lehre von der Ubiquität (Allgegenwart) wird in der lutherischen Theologie seit dem 16. Jh. die Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl begründet. Anders als in der katholischen Transsubstantiationslehre (vgl. II § 83) kann Christus deswegen leiblich im Abendmahl anwesend sein, weil er nicht nur seiner göttlichen Natur nach an der göttlichen Allgegenwart partizipiere, sondern auch seiner menschlichen Natur nach, da beide Naturen Christi nicht von einander zu trennen seien und sich wechselseitig durchdringen (Communicatio idiomatum) (vgl. I § 63). Die später in die Konkordienformel (vgl. II § 83) aufgenommene Ubiquitätslehre wurde von katholischer, aber auch auf reformierter Seite, etwa im Consensus Tigurinus (s.o.), verworfen.
Die subordinatianistisch anmutende und insbesondere für den arianischen Streit (vgl. I § 63) einschlägige Feststellung, der Vater sei größer als der Sohn (Joh 14,28), hat bereits in der Zeit der Alten Kirche unterschiedliche Deutungen nach sich gezogen. Mithilfe der Vorstellung, dass allein der Vater ungezeugt, d.h. ohne Ursache (ἀγεννησία/innascibilitas), sei und der Sohn und der Heilige Geist aus dem Vater (vgl. jedoch das Filioque) hervorgehen (γέννησις/generatio bzw. ἐκπόρευσις/processio), kann der Vater zwar im Hinblick auf diese trinitätsinternen Relationen als größer verstanden werden, nicht aber im Hinblick auf die οὐσία (vgl. II § 83).
Ausgehend von der Idee der Erbsünde, d.h. der Vorstellung von der Übertragung der Sünde Adams auf seine Nachkommen, vertrat der Kirchenvater Augustin höchst einflussreich eine Prädestinationslehre, nach der der Mensch im Hinblick auf sein Heil allein von der Gnade Gottes abhängt (vgl. II § 83), der die einen zum Heil und die anderen zur Verdammnis vorherbestimmt hat (doppelte Prädestination bzw. doppelter Ausgang) (vgl. II § 212). Anders als in der Konzeption des Pelagius (vgl. II § 88) hat der Mensch keinen Einfluss auf sein Heil.
Vgl. I § 63.
Bereits im Zusammenhang des in lateinischer Sprache verfassten und für den Schulunterricht bestimmten Wittenberger Katechismus (1571) war es v.a. deswegen zu massiver Kritik gekommen, weil Apg 3,21 ὃν δεῖ οὐρανὸν μὲν δέξασθαι im Anschluss an Theodor Beza passivisch übersetzt worden war. Luther hatte das Relativpronomen ὅν an dieser Stelle als Subjekt aufgefasst und aktivisch übersetzt, Christus müsse den Himmel einnehmen, die passivische Übersetzung fasst ὅν dagegen als Objekt auf und übersetzt, Christus müsse in den Himmel aufgenommen werden bzw. dort gefangen sein. Da die passivische Übersetzung nahelegt, Christus sei nach der Himmelfahrt seiner menschlichen Natur nach ausschließlich im Himmel gegenwärtig, so dass in der Folge die durch die Ubiquitätslehre (s.o.) begründete leibliche Anwesenheit Christi im Abendmahl auch seiner menschlichen Natur nach unmöglich sei, wurde sie auf lutherischer Seite abgelehnt.
Vgl. I § 63.
Zu den Begriffen ὑπόστασις und φύσις vgl. II § 83, zur Einheit beider Naturen Christi (φυσικὴ ἕνωσις), ihrer Vermischung (σύγκρασις) und zum vergänglichen (φθαρτόν) Leib (s.o.) Christi vgl. I § 63.
Zum nestorianischen Streit vgl. I § 63.
Als der große Gegenspieler des Nestorius von Konstantinopel (s.o.) sah Bischof Kyrill von Alexandrien (gest. 444) in der nestorianischen Lehre, Christi göttliche und menschliche Natur sei geteilt und unvermischt, einen Angriff auf die Trinität, im Hinblick auf Maria war er ein Verfechter der Bezeichnung Gottesgebärerin (Θεοτόκος). Vor dem Hintergrund des Machtkampfes zwischen Rom und Konstantinopel konnte Kyrill Papst Caelestinus I. (422–432) von seiner Position überzeugen, so dass Nestorius auf dem Konzil von Ephesus (431), einem Zentrum der Marienverehrung, verurteilt wurde.
Vgl. II § 102.
Vgl. I § 63.
Der im Jahre 390 als Häretiker verurteilte und v.a. aus der Darstellung des Hieronymus (Adversus Iovinianum) bekannte Mönch Jovinianus (gest. vor 406) vertrat eine antiasketische Lehre, nach der Ehe und Ehelosigkeit, Fasten und Genuß, freiwillige Armut und Reichtum u.Ä. für alle, die die Taufe bewahren, den gleichen himmlischen Verdienst nach sich ziehen. Der in diesem Zusammenhang von Augustin referierte Grundsatz Jovinians, alle Sünden seien gleich (omnia peccata paria esse), ist stoischer Herkunft.
Als Philosoph ist der neuplatonisch geschulte Johannes Philoponus (gest. nach 575) insbesondere als Kritiker des Neuplatonismus sowie als Aristoteles-Kommentator hervorgetreten, in seinen später verfassten theologischen Werken optierte er u.a. für den Monophysitismus (vgl. I § 63) und hob gleichzeitig die Unterschiedenheit der drei trinitarischen Personen hervor, die er als drei Substanzen betrachtete (vgl. II § 83). Auch wenn Johannes aus diesem Grund auf dem Dritten Konzil von Konstantinopel (680/681) als Tritheist verurteilt wurde, gehört er zu den wichtigsten Gelehrten des 6. Jh.s und hat die byzantinische und arabische Philosophie wie auch das naturphilosophische Denken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit beeinflusst.
Die guten Beziehungen des Reformators Johannes Agricola (1492/1494–1566) zu Luther und Melanchthon wurden ab 1525 in seiner Zeit als Rektor und Prediger in Eisleben und auch nach seiner 1536 erfolgten Rückkehr nach Wittenberg von Differenzen im Hinblick auf die Bedeutung des Gesetzes überschattet, die Agricola 1540 fluchtartig an den brandenburgischen Kurfürstenhof wechseln ließen. Gegen die lutherische Auffassung, das Gesetz lege das vollkommene Angewiesensein des sündigen Menschen auf die Gnade Gottes offen (usus elenchticus), vertrat Agricola die Position, dass das Gesetz keine Bedeutung für das Heil besitze, sondern der Glaube allein zureiche. Dieser erste antinomistische Streit flammte im Zusammenhang des sog. majoristischen Streites zwischen Gnesiolutheranern und Philippisten wenige Jahre später als zweiter antinomistischer Streit erneut auf. Eine Entscheidung brachte die Konkordienformel (II § 83).
Vgl. II § 83.
Die dreizehnte Abhandlung in Johann August Ernestis Opuscula theologica (1773) trägt den Titel De theologiae historicae et dogmaticae coniungendae necessitate et modo universo (aaO 565–590).
Die Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre stammen, wie in der Erstauflage der Anweisung korrekt bibliographiert, von Christian Wilhelm Franz Walch.
Theodor von Mopsuestia (ca. 350–428) ist während seines sich über vier Jahrzehnte erstreckenden Episkopats als bedeutender theologischer Schriftsteller hervorgetreten. Sein dogmatisches Schrifttum wurde im Zuge des Drei-Kapitel-Streites (vgl. II § 98) zwar nahezu vollständig vernichtet, war jedoch zuvor längst ins Syrische übersetzt worden, große Teile seiner Exegetica sind im griechischen Original oder in lateinischer Übersetzung überliefert. Zwar galt Theodor zu Lebzeiten als orthodox, doch wurde er im Rahmen der nestorianischen Auseinandersetzungen (vgl. I § 63) von Kyrill von Alexandrien (s.u.; vgl. II § 114) als Häretiker desavouiert. Tatsächlich erreichte die Zwei-Naturen-Lehre mit Theodor, neben seinem Schüler Nestorius der bedeutendste Theologe der chaldäischen, d.h. nestorianischen, Kirche (ostsyrisches Christentum), einen vorläufigen Höhepunkt.
Der als Gegner des Nestorianismus bekannte Kyrill von Alexandrien (vgl. II § 114) vertrat eine monophysitische Christologie (vgl. I § 63), die sich nach dem Konzil von Ephesus (431) rasch durchsetzen konnte und die Anhänger einer antiochenischen Christologie, wie sie von etwa Theodor von Mopsuestia (s.o.) vertreten wurde, nach Osten bis in das Sassanidenreich abdrängte. Die nach dem Bischof und Kirchenorganisator Jakob Baradäus (gest. 578) benannte jakobitische Kirche ist eine Fremdbezeichnung für die sich auf Kyrill berufende syrisch-orthodoxe Kirche (westsyrisches Christentum), wird von dieser jedoch abgelehnt. Von einem syrisch-orthodoxen Monophysitismus zu sprechen, ist insofern problematisch, als die Christologie eines Eutyches (gest. nach 454) verworfen wurde. Im Hinblick auf das syrische Christentum insgesamt werden die aus häresiologischem Kontext stammenden Bezeichnungen Monophysiten und Nestorianer (s.o.) heute vermieden.
Ambrosius (vgl. II § 104), Hieronymus (vgl. II § 83), Augustin (vgl. II § 19) und Papst Gregor I. d. Gr. (vgl. II § 121) werden als die vier großen Kirchenlehrer des lateinischen Westens zusammengefasst (im 19. Jh. ergänzt durch Johannes von Damaskus [s.u.]) und als Heilige verehrt. Papst Leo III. hatte Karl d. Gr. zum Kaiser gekrönt (vgl. II § 98).
Vgl. II § 113.
Im Zusammenhang der zuvor genannten Prädestinationslehre Augustins (s.o.) ist hier sicher zuerst an die pelagianischen (vgl. II § 88), dann aber auch an die jansenistischen Streitigkeiten (vgl. II § 98) zu denken; zum Verhältnis von Glaube (fides) und guten Werken (bona opera) vgl. II § 83.
Vgl. II § 83.
Vgl. II § 83.
Wenige Jahre nach seiner Taufe wurde der aus vornehmer nicht-christlicher Familie stammende Hilarius (Pictaviensis) (ca. 315–367) Bischof von Poitiers und im Rahmen des arianischen Streites einer der bedeutendsten Verteidiger des nizänischen Glaubens (vgl. II § 63). Da er die Verurteilung des Athanasius von Alexandrien (II § 83) verweigerte und im Verbund mit anderen Bischöfen Saturninus von Arles (gest. nach 361) – Arianer und führender Vertreter der kaiserlichen Religionspolitik in Gallien – exkommunizierte, wurde er von Constantius II. (317–361) 356 nach Phrygien exiliert. Hier mit der Theologie des Ostens in Kontakt gekommen, hielt er Verbindung zu seinen gallischen Mitbischöfen und setzte seinen Kampf gegen den Arianismus auch nach seiner Rückkehr 361 fort. Ein kurz darauf unter seiner Leitung in Paris abgehaltenes Konzil erneuerte die Exkommunikation des Saturninus; der Versuch, den homöischen Bischof Auxentius von Mailand abzusetzen, scheiterte. 1851 schließlich zum Kirchenlehrer erhoben, ist Hilarius als Exeget und Hymnendichter hervorgetreten, sein dogmatisches Hauptwerk De trinitate ist auch unter dem programmatischen Alternativtitel Contra Arianos bekannt. Dass Hilarius im Hinblick auf die Erbsündenlehre eine andere Position als Augustin (vgl. II § 113) erkennen lässt und von daher als pelagianisierend (vgl. II § 88) bezeichnet werden kann, ist im 18. Jh. opinio communis.
Nach seinem Klostereintritt in Bethlehem und einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt bei den Mönchen Palästinas und Ägyptens (Evagrius Ponticus), zog Johannes Cassianus (ca. 360–435) im Zuge der origenistischen Streitigkeiten (vgl. II § 98) 399 nach Konstantinopel, nach der Verbannung des Johannes Chrysostomus (II § 104) zu dessen Verteidung nach Rom und schließlich in das südliche Gallien, wo er 415 in Marseille ein Frauen- (St. Salvator) und ein Männerkloster (St. Victor) gründete. Seine die monastischen Verhältnisse im Osten widerspiegelnden Institutiones und Conlationes machen Cassian zum frühesten Lehrautor des lateinischen Mönchtums, bei De incarnatione contra Nestorium handelt es sich um den einzigen Widerlegungsversuch des Nestorius aus dem lateinischen Westen. Im Hinblick auf die Erbsünden- und Prädestinationslehre Augustins (vgl. II § 113) geht auch Cassian von der Unmöglichkeit der Sündenfreiheit aus, betont jedoch die zusammen mit der Gnade Gottes wirkende Freiheit des menschlichen Willens. Dieser pelagianisierende (vgl. II § 88) Mittelweg wird seit dem 16. Jh. mit dem Begriff Semipelagianismus belegt, der jedoch wie auch der Begriff Pelagianismus weniger auf die historische Kontroverse um Pelagius abgestellt ist, sondern im Wesentlichen der dogmatischen (polemischen) Beschreibung des Verhältnisses von göttlicher Gnade und der Möglichkeit menschlichen Zutuns dient.
Der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (ca. 1090–1153) gehört zu den bedeutendsten Theologen nicht nur des Mittelalters. Aus seinem unermüdlichen weltlichen und kirchlichen Wirken seien die Parteinahme für Papst Innozenz II. (1130–1143) gegen Anaklet II. (1130–1138), die Auseinandersetzung mit Abaelard (vgl. II § 186), sein Wirken gegen die Katharer (vgl. II § 19) sowie seine Predigtinitiative für den letztlich erfolglosen Zweiten Kreuzzug (1147–1149) hervorgehoben. Theologisch ist Bernhard einer der Hauptvertreter der mittelalterlichen Christusmystik (v.a. Passionsmystik) und Marienverehrung (doctor marianus), sein hervorragender sprachlicher Stil brachte ihm den Titel doctor mellifluus (vgl. die gleichnamige Enzyklika des Jahres 1953) ein. Bereits 1174 heilig gesprochen, wurde der bisweilen als letzter Kirchenvater geltende Bernhard 1830 offiziell zum Kirchenlehrer erhoben.
Der zu den bedeutendsten Denkern des Abendlandes gehörende Dominikaner und Scholastiker (vgl. II § 19) Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) ist philosophisch, v.a. vermittelt über seinen Lehrer Albertus Magnus (gest. 1280), Aristoteles verpflichtet, der nach seiner Wiederentdeckung nicht nur Thomas (sondern etwa auch den von ihm bekämpften Averroisten) als entscheidende Autorität einer außerchristlichen Vernunft galt. Theologisches Grundanliegen ist die Vermittlung von natürlicher Vernunfteinsicht und geoffenbarter Wahrheit. Ausweis seiner als exzessiv zu bezeichnenden wissenschaftlichen Arbeit ist ein monumentales Werk, aus dem die Summa contra gentiles, v.a. aber die Summa Theologiae als systematische Hauptschriften hervorragen. Kirchlicherseits wurde Thomas' philosophisches und theologisches Werk zunächst zögernd (Verurteilung des Aristotelismus einschließlich einiger Lehren des Aquinaten im 13. Jh.), nach seiner Heiligsprechung 1323 jedoch umso stärker rezipiert. 1567 zum Kirchenlehrer erhoben, ist sein Einfluss bis in die Gegenwart hinein beachtlich (Neuthomismus bzw. Neuscholastik).
Über (Titus Flavius) Clemens von Alexandrien (gest. ca. 220) ist wenig bekannt und manches umstritten. In der Mitte des 2. Jh.s vielleicht in Athen geboren, unternahm er ausgedehnte Studienreisen und schloss sich in Alexandrien schließlich Pantaenus (2. Jh.) und seiner Katechetenschule an. Nachdem er seinem verehrten Lehrer als Schulleiter nachgefolgt war, verließ er Alexandrien im Jahre 202. Dies dürfte nicht so sehr mit der Verfolgung unter Septimius Severus (146–211), sondern vielmehr mit Bischof Demetrius (gest. 232) in Zusammenhang gestanden haben, der auch mit Origenes in Konflikt geraten sollte (vgl. II § 85). Clemens' Hauptwerk, die sieben Bücher umfassenden Teppiche (Στρωματεῖς), stellen kein dogmatisches System dar, sondern sind der antiken Buntschriftstellerei zuzuordnen. Im Mittelpunkt steht die nicht im häretischen Sinne gnostische Erkenntnis der christlichen Offenbarung. Insgesamt lässt sich sein Werk als Versuch einer Synthese von biblischem Glauben und griechischem Denken verstehen, exegetisch ist ein Rückgriff auf Philo (gest. ca. 45) und dessen allegorische Schriftauslegung erkennbar. Clemens' Einfluss etwa auf den größeren Alexandriner Origenes ist unverkennbar, sein Ansehen wohl auch mit den Streitigkeiten um dessen Lehre (vgl. II § 98) verknüpft.
Johannes von Damaskus (ca. 675–754) entstammte einer christlichen Familie der griechischen Oberschicht, die hervorragende Beziehungen zum Hof unterhielt. Um 700 zog sich Johannes aus dem Dienst des Kalifen in das Kloster Mar Saba bei Jerusalem zurück, entfaltete als Priester und Berater des Patriarchen eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit und schuf mit seinem dreiteiligen Hauptwerk Quelle der Erkenntnis (Πηγὴ γνώσεως) eine systematische Summe christlicher Dogmatik, die sich als prägnante Zusammenfassung der altkirchlichen Lehrtradition darstellt und auf die mittelalterliche Scholastik (vgl. II § 19) gewirkt hat. Der letzte Teil wurde als Expositio fidei ins Lateinische übersetzt, in Anlehnung an die Sentenzen des Petrus Lombardus (s.u.) in vier Abteilungen untergliedert und vielfach auch als Sententiae Damasceni bezeichnet. Überdies verfasste Johannes Abhandlungen gegen Häretiker, bezog im byzantinischen Bilderstreit gegen die Ikonoklasten Position (vgl. II § 113) und ist als Autor von Hymnen und dichterischen Werken (die Zuschreibung des Mönchsromans Barlaam und Josaphat ist nicht mehr zu halten) hervorgetreten. Durch sein handschriftlich breit überliefertes und in viele Sprachen übersetztes Werk avancierte er in der griechischen Orthodoxie zum Normtheologen und gilt nach seiner Rezeption im lateinischen Abendland ab dem 12. Jh. als letzter gemeinsamer Kirchenlehrer des Ostens und des Westens (s.o.).
Basilius d. Gr. (ca. 329–378) entstammt einer begüterten und christlichen Familie und war nach Studienaufenthalten in Konstantinopel und Athen 355/356 kurzzeitig als Rhetoriklehrer in seiner Heimatstadt Caesarea tätig. Nach einer entschiedenen Hinwendung zum christlichen Glauben begann Basilius, wohl dem Beispiel seiner Schwester Makrina folgend, ein monastisches Leben mit intensivem Bibelstudium, wandte sich als Teilnehmer von Synoden und Unterstützer seines weniger talentierten Bischofs Eusebius zunehmend jedoch auch kirchenpolitischen Aufgaben zu. Im Jahre 370 zum Bischof von Caesarea ernannt, sah er sich mit unterschiedlichen Auseinandersetzungen konfrontiert, als Hauptlinien seines Wirkens können jedoch die Konsolidierung des nizänischen Christentums (vgl. I § 63) und die Annäherung an den Westen hervorgehoben werden. Zwar blieben seine Bemühungen um eine Union mit Rom erfolglos, doch gelangen ihm und seinen Mitstreitern die Befestigung der neunizänischen Orthodoxie in Kleinasien. Sein umfang- und facettenreiches Werk macht Basilius zu einem der bedeutendsten Theologen der Antike. Basilius, sein jüngerer Bruder Gregor von Nyssa (gest. vor 400) und sein Freund Gregor von Nazianz (vgl. II § 102) werden als die drei Kappadozier bezeichnet, neben Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus (vgl. II § 104) und Athanasius (vgl. II § 83) zählt er zu den vier griechischen Kirchenlehrern.
Unter Verweis etwa auf Berengar von Tours (vgl. II § 113) oder Anselm von Canterbury (gest. 1109) wird der Ursprung der Scholastik (vgl. II § 19) Ende des 18. Jh.s eingedenk aller damit verbundenen Unwägbarkeiten immer wieder im 11. Jh. verortet. Noch vor der Gründung von Universitäten sind dabei bischöfliche oder Klosterschulen von besonderer Bedeutung.
Der aus der Lombardei stammende Scholastiker (vgl. II § 19) Petrus Lombardus (ca. 1095–1160) kam ca. 1135 nach Paris und zählte hier zu den bedeutendsten Lehrern an der Domschule zu Notre-Dame. 1159 wurde er zum Bischof geweiht. Neben biblischen Glossen (vgl. II § 19) ist sein Name insbesondere mit den aus seiner Lehrtätigkeit hervorgegangenen vierbändigen Sententiae verbunden (magister sententiarum), einer Zusammenstellung von Kirchenväter- bzw. Kirchenlehrerzitaten. Dieses Werk wurde in der Folge immer wieder kommentiert (u.a. von Thomas von Aquin, Albertus Magnus und Bonaventura) und blieb, insbesondere nachdem die hier vertretene Trinititätslehre auf der Vierten Lateransynode (1215) gegen Joachim von Fiore (vgl. II § 83) gebilligt worden war, trotz mancher Kritik bis in das 16. Jh. hinein (im römisch-katholischen Kontext bisweilen deutlich länger) das allgemeine und wichtigste theologische Lehrbuch. Angeordnet sind die Sentenzen nach heilsgeschichtlichem Schema (I. Gotteslehre, II. Schöpfungs- und Sündenlehre, III. Christologie und Tugendlehre, IV. Sakramentenlehre und Eschatologie), eine ausgearbeitete Ekklesiologie fehlt, die Gnadenlehre wird im Zusammenhang mit dem Urstand (vgl. II.) formuliert.
Der einer hispano-römischen Familie entstammende Isidor von Sevilla (ca. 560–636) erhielt vermutlich an der bischöflichen Schule von Sevilla, wo sein älterer Bruder Leander (geb. vor 549) ab 584 das Bischofsamt versah, eine umfassende Ausbildung und folgte seinem Bruder ab 601 im Amte nach. Nach der Einigung Spaniens unter dem westgotischen König Leovigild (gest. 586) und der Bekehrung der arianischen (vgl. I § 63) Westgoten zum Katholizismus auf dem Dritten Konzil von Toledo (589) bestand Isidors Aufgabe insbesondere in der Reorganisation der Kirche und des Bildungswesens, die er in Zusammenarbeit mit König Sisebut (gest. 621) und dessen Nachfolger Suinthila (gest. 631) vornahm. Aus Isidors didaktischen, exegetischen, dogmatischen und kirchenrechtlichen Schriften ragen die 20 Bücher umfassenden Etymologiae oder Origines als Hauptwerk hervor, das erst von seinem Schüler Braulio von Saragossa (gest. 651) in seine endgültige Form gebracht wurde und durch seinen enzyklopädischen Charakter einen großen Teil des antiken Bildungsgutes an das Mittelalter überliefert hat. Im Blick sind hier jedoch auch die v.a. auf Augustin und Gregor d. Gr. (vgl. II § 121) fußenden Sententiae, ein dogmatisches und ethisches Lehrbuch für die westgotische Gesellschaft. Zu bemerken ist, dass Isidors Autorität Anlass zu Fälschungen gegeben hat (vgl. II § 83).
Die nach dem Kuppelbau (trullum) des Versammlungsorts, der konstantinopolitaner Kaiserresidenz, benannte zweite trullanische Synode (692) wurde 691 von Kaiser Justinian II. (ca. 668–711) einberufen und sollte der Klärung von Angelegenheiten dienen, die im Rahmen des Zweiten bzw. Dritten Konzils von Konstantinopel (553 bzw. 680/681) offen geblieben waren. Da v.a. Fragen der kirchlichen Praxis (Fastengebote, Simonieverbot, Verbot von Wahrsagerei und antiken Bräuchen, Zölibat, Ehe u.a.m.) entschieden wurden, die der Westen bisweilen anders handhabte, verweigerte Papst Sergius I. (gest. 701) zunächst die Zustimmung. Nachträglich und insofern der römischen Lehre nicht entgegenstehend wurden die insgesamt 102 in trullo verabschiedeten Kanones jedoch auch im Westen akzeptiert. Als Abschluss der vorangegangenen konstantinopolitaner Konzilien hat die zweite trullanische Synode die kirchliche Praxis des orthodoxen Christentums entscheidend geprägt und der Auseinanderentwicklung von griechischer und lateinischer Kirche Vorschub geleistet.
Die im byzantinischen Bilderstreit (vgl. II § 113) präludierte Loslösung des Papsttums von Byzanz und die heute als Zweikaiserproblem diskutierte Entwicklung eines östlichen (Konstantinopel) und eines westlichen Kaisertums (Frankenreich) sind eng miteinander verbunden. Nach dem Untergang Westroms sah sich das oströmische Reich als alleiniger Nachfolger des römischen Imperiums, verschiedene Versuche, das Kaisertum im Westen zu erneuern, scheiterten. Im Jahre 754 schloss dann der von den Langobarden bedrängte Papst Stephan II. (752–757) in Abwendung von Byzanz ein Bündnis mit dem fränkischen König Pippin d. J. (714–768), der dem Papst gegen die Langobarden beistehen sollte. Im Gegenzug wurde Pippin zum Schutzherrn Roms (patricius Romanorum) ernannt, zudem sollte seine und auch die Herrschaft seiner Söhne Karl und Karlmann durch päpstliche Salbung bestätigt und dynastisch abgesichert werden. Nach Pippins Sieg über die Langobarden gingen umfangreiche langobardische Hoheitsbereiche, aber auch byzantinisches Territorium in Mittelitalien an den Papst (Pippinsche Schenkung). Diese Gebiete stehen am Beginn des Kirchenstaates, der in Gestalt des Vatikans bis heute existiert. Ihren Höhepunkt fand die Verbindung zwischen Papst und fränkischem Königshaus dann in der Krönung Karls d. Gr. durch Papst Leo III. (vgl. II § 98).
Gemeint ist wohl das in die Vorgeschichte des Großen Schismas von 1054 gehörende Photios-Schisma, das 858 mit der Verbannung des Ignatios (ca. 798–877) und der Einsetzung des Photios (ca. 810–894) als Patriarch von Konstantinopel begann. Nachdem Papst Nikolaus I. (858–867) Photios exkommuniziert und das Patriarchat des Ignatios bestätigt hatte, erklärte Photios Papst Nikolaus für abgesetzt, so dass es zu einem kurzzeitigen Schisma zwischen der Ost- und der Westkirche kam, in dessen Zusammenhang bereits bekannte, sich später jedoch kirchentrennend auswirkende Grundsatzfragen (v.a. nach dem Filioque) aufgeworfen wurden. Mit der Machtübernahme Basileios' I. (ca. 812–886) wurde der auch von dem neuen Papst Hadrian II. (867–872) gestützte Ignatios im Jahre 867 wieder als Patriarch eingesetzt, doch gelang Photios nach Ignatios' Tod die Rückkehr ins Amt. Nach seiner Bestätigung durch Synodalbeschluss wies er den Primatsanspruch Roms erneut zurück und unterstrich die Gleichrangigkeit beider Patriarchate (vgl. II § 102).
Vgl. II § 98.
D.i. Thomas von Aquin (s.o.).
Johannes (Jean) Gerson (1363–1429), Theologe und Kanzler der Sorbonne, wandte sich ab der Jahrhundertwende verstärkt Studierenden und Laien zu. Vor diesem Hintergrund entwarf er ein Reformprogramm für die Pariser Fakultät und verfasste volkssprachliche Schriften, die später auch ins Lateinische übersetzt wurden. Zudem machte er in Vorlesungen die mystische Gotteserkenntnis gegenüber der Wissenschaft stark. Als Teilnehmer am Konzil von Konstanz (1414–1418) sprach er sich als Gutachter für die der devotio moderna verpflichteten Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben aus. In der Sache des Pariser Juristen und Theologen Jean Petit (ca. 1364–1411), der die brutale Ermordung des Herzogs von Orléans 1407 als Tyrannenmord gerechtfertigt hatte und deswegen bereits posthum 1413/1414 in Paris verurteilt worden war, setzte er sich für eine erneute Verurteilung ein und musste nach dem Konzil vor dem Herzog von Burgund, der diesen Mord veranlasst hatte, ins Exil nach Rattenberg am Inn und ins Kloster Melk fliehen. Seine letzten zehn Lebensjahre verbrachte er schriftstellerisch in Lyon. Gerson gilt als einer der prägenden Theologen des 15. Jh.s und wird, auch wenn er in Konstanz die Verurteilung des Jan Hus u.a. (vgl. II § 83; II § 98) mitverantwortet hat, bisweilen in die Vorgeschichte der Reformation eingeordnet.
Vgl. I § 43.
Vgl. II § 104.
Zusammengestellt und erarbeitet hat dieses Werk Christian Friedrich Rösler (1736–1821).
Vgl. I § 43.
Im Rahmen der in der Aufklärungszeit verbreiteten und nicht mehr allein auf Schrift beschränkten Beschäftigung mit der Hieroglyphik (Warburton, Diderot, Herder u.a.) wurde angenommen, dass die gesamte, also auch religiöse Denkart der ältesten Völker (v.a. der Ägypter) hieroglyphisch, d.h. bildsprachlich bzw. sinnbildlich, verfasst gewesen sei und dass sich dies u.a. auch in den Vorstellungen des frühen Christentums niedergeschlagen habe.
Gemeint sind v.a. die christologischen Auseinandersetzungen des 4. Jh.s und die mit ihnen verbundenen, die Lehre der Kirche feststellenden Konzilsentscheidungen (vgl. I § 63).
Gemeint ist die Mönchsmoral (vgl. II § 199), von der Nösselt auch als Mönchsmaximen (vgl. II § 186) spricht.
Vgl. II § 85.
Vgl. II § 104.
Vgl. II § 19; II § 113.
Der aus einer römischen Senatorenfamilie stammende, auch als auch Gregor der Große bekannte spätere Papst Gregor I. (590–604) schlug zunächst eine Verwaltungslaufbahn ein und hatte 572/573 als praefectus urbi die höchste Position der römischen Zivilverwaltung inne. Nur wenige Jahre später legte er dieses Amt jedoch nieder und wandte sich einem monastischen Leben zu, 590 folgte er schließlich Papst Pelagius II. (579–590) nach, für den er zuvor als Berater tätig war. Sein Pontifikat gestaltete sich äußerst schwierig (Glaubensspaltungen, Hungersnöte, Missstände im Klerus etc.), doch konnte der in seiner Grabinschrift als consul Dei bezeichnete Gregor aufgrund seiner administrativen Fähigkeiten angemessen reagieren und zudem auch die Mission vorantreiben (vgl. II § 128). Seine große Bedeutung (vgl. II § 115) beruhte jedoch nicht nur auf seinem Wirken als Reformpapst, sondern nicht zuletzt auch auf seinen Bibelkommentaren und Homilien.
Vgl. II § 19.
Vgl. II § 98.
Der in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragene Methodismus (aufgrund des strukturierten Lebensstils eine ursprünglich abwertende Bezeichnung) entstand in den 1730er Jahren als geistliche Erneuerungsbewegung innerhalb der anglikanischen Kirche und war in seiner Frühphase durch puritanische, pietistische und brüder-unitäre (herrnhutische) Einflüsse geprägt. Verbunden ist diese Zeit v.a. mit den Namen George Whitefield (1714–1770) sowie John (1703–1791) und Charles Wesley (1707–1788). Kennzeichnend für den frühen Methodismus waren eine intensive Predigttätigkeit, die Organisation in kleinen Gruppen außerhalb der Amtskirche sowie ein grundlegend spirituelles Gepräge. Die Gnadenlehre rechnet mit einem freien Willen, das Erlösungswerk Christi gilt anders als bei Augustin (vgl. II § 113) oder Calvin allen Menschen, die alle die Möglichkeit der christlichen Vollkommenheit besitzen. In der Folgezeit breitete sich der Methodismus zu einer weltweiten Religionsgemeinschaft aus, spaltete sich jedoch in eine Reihe methodistischer Kirchen auf.
Vgl. I § 43.
Vgl. II § 88.
Vgl. II § 98.
Hier handelt es sich um die Altkatholiken, die nach dem Tode des Petrus Codde (1648–1710), der als Apostolischer Vikar mit Sitz in Utrecht den niederländischen Katholiken vorstand, aufgrund seiner vorgeblichen Nähe zum Jansenismus (vgl. II § 98) jedoch suspendiert wurde. Unter Berufung auf das dem Utrechter Bistum im Hochmittelalter verliehene Recht der Bischofswahl wurde im Jahre 1723 Cornelius Steenoven (gest. 1725) zum Erzbischof von Utrecht gewählt. Geweiht wurde Steenoven durch den ebenfalls aufgrund seiner vorgeblichen Nähe zum Jansenismus suspendierten französischen Missionsbischof Dominique-Marie Varlet (1678–1742). Nach der umgehend erfolgten Exkommunikation Steenovens und seiner Anhänger bildete sich in Utrecht mit Unterstützung der niederländischen Regierung die altkatholische Kirche heraus, die von Beginn an immer wieder um eine Verständigung mit Rom bemüht war und mehrfach, da Katholizität nach altkatholischem Verständnis nicht notwendigerweise mit der Anerkennung des römischen Primates verbunden ist (vgl. II § 98), an ein allgemeines Konzil appelliert hatte. Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) gründete sich 1889 die Utrechter Union, in der heute mehrere altkatholische Kirchen zusammengeschlossen sind.
Unter dem synkretistischen Streit versteht man eine in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s geführte Auseinandersetzung zwischen der lutherischen Hochorthodoxie und der Universität Helmstedt um Georg Calixt (1586–1656). Zunächst mit antikatholischer Zielrichtung hatte dieser die Vorstellung von der Lehrübereinstimmung innerhalb der ersten fünf Jahrhunderte entwickelt (consensus antiquitatis bzw. quinquesaecularis), die dann zur Grundlage der von Calixt anvisierten Kircheneinheit wurde. Diese sollte letztlich in einer Universalkirche aus Orthodoxen, Katholiken, Lutheranern und Reformierten bestehen. Derartige Unionsbestrebungen wurden als Synkretismus und Verrat an der reformatorischen Lehre auf lutherischer Seite abgelehnt, Calixt im Rahmen des Thorner Religionsgesprächs (1645) v.a. auf Betreiben Abraham Calovs (1612–1686) nicht als ihr Vertreter anerkannt. Als kurz darauf Anhänger Calixts nach Königsberg berufen wurden und Cölestin Myslenta (1588–1653), bedeutender Vertreter der ostpreußischen Orthodoxie, entfernt wurde, löste dies eine Welle von Streitschriften aus. Nach Calixts Tod nahmen die Auseinandersetzungen ab, lebten im Zusammenhang der Religionsgespräche von Kassel (1661) und Berlin (1662–1663) unter der Führung des Helmstedters Friedrich Ulrich Calixt (1622–1701) auf der einen und des Wittenbergers Calov auf der anderen Seite jedoch erneut auf und kamen erst mit dem Tod Calovs zu einem Ende.
Vgl. II § 98.
Unter Taufgesinnten (niederl. Doopsgezinde) sind die aus der deutschen, schweizerischen und niederländischen Täuferbewegung der Reformationszeit hervorgegangenen Religionsgemeinschaften zu verstehen, die sich laut der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) grob in die nach Menno Simons (1496–1561) benannten Mennoniten und die englischen Baptisten gliedern. Im Hinblick auf die Lehre zeichnen sich die Taufgesinnten v.a. durch die Verwerfung der Kindertaufe sowie eine besondere Bibeltreue und Kirchenzucht aus, daneben spielt die Ablehnung von Waffengewalt und ein begrifflich unverstelltes Verständnis des Trinitätsdogmas eine besondere Rolle. Seit der Reformation haben sich die Taufgesinnten immer wieder gespalten (im niederländischen Raum etwa in die Waterländer, die Sonnisten und Lammisten u.a.), sich an bestehende Glaubensgemeinschaften (z. B. Arminianer, Remonstranten) angenähert und mit den Amish und den Hutterern besondere Formen der religiösen Vergemeinschaftung hervorgebracht.
Der erste Band (Teil 1/2) von Gottfried Arnolds (1666–1714) Unparteyische[r] Kirchen- und Ketzer-Historie. Von Anfang des Neuen Testaments biß auff das Jahr Christi 1688 stammt aus dem Jahr 1699, der zweite Band (Teil 3/4) aus dem Jahr 1700 enthält die Fortsetzung und Erläuterung. Allerdings ist der erste Band 1700, diesmal mit herrschaftlichen privilegiis, erneut erschienen. Nösselt selbst hat die Ausgabe aus dem Jahr 1729 besessen (vgl. Bibl. Nöss. 148 Nr. 56.57).
Vgl. I § 43.
Siegmund Jacob Baumgartens Abris einer Geschichte der Religionsparteien, oder gottesdienstlichen Geselschaften, und derselben Streitigkeiten so wol als Spaltungen, ausser und in der Christenheit (1755) ist 1766 als Geschichte der Religionspartheyen von Johann Salomo Semler erneut herausgegeben worden. Es fällt auf, dass Nösselt dieses Werk seines Lehrers Baumgarten in den ersten beiden Auflagen der Anweisung nicht nennt.
D.h. Taufanwärter (vgl. III § 10 c).
Die Frage, wie mit den vom Glauben Abgefallenen (Apostaten) umzugehen sei, durchzieht das frühe Christentum, wurde jedoch im Zuge der decischen Verfolgung besonders dringend. Als Decius (ca. 190–251) als Loyalitätsbeweis ein Opfer für die Götter forderte, kamen einige Christen, die daraufhin als Gefallene (lapsi) bezeichnet wurden, dieser Aufforderung nach (sacrificati) oder konnten zumindest eine betreffende Bescheinigung (libellum) vorweisen (libellatici), andere bekannten sich zu ihrem Glauben und erlitten das Martyrium (confessores bzw. martyres). Die Frage nach den lapsi führte schließlich zum sog. Ketzertaufstreit, an dem u.a. Cyprian von Karthago (vgl. II § 129) maßgeblich beteiligt war.
Die seit dem frühen Mittelalter der Regelung der Buße dienenden libri poenitentiales bzw. poenitentialia listen Sünden und die dazugehörigen Bußleistungen auf.
Vgl. I § 43.
Joseph Bingham (1668–1723) war zunächst Fellow am University College in Oxford, musste sich nach Häresievorwürfen jedoch nach Hampshire in den kirchlichen Dienst zurückziehen. Hier entstanden seine zehnbändigen Origines Ecclesiasticae, or, The Antiquities of the Christian Church (1708–1722), die sich v.a. durch die umfangreiche Benutzung von Primärquellen und die Ordnung des Materials auszeichnen. Später entstanden eine lateinische und eine niederländische Übersetzung sowie eine kürzere Fassung in deutscher Sprache.
Vgl. Mt 11,29f. bzw. Jer 28,13f.
Vgl. II § 83.
Zum Abendmahl sub una specie vgl. II § 83.
Vgl. II § 83.
Die Informationen über die Montanisten, die sich selbst Neue Prophetie nannten, von ihren Gegnern als phrygische oder kataphrygische Häresie bezeichnet wurden und erst ab dem 4. Jh. den Namen ihrer Gründungsfigur trugen, sind vergleichsweise vage. Gemeinsam mit den Prophetinnen Priscilla (Prisca) und Maximilla trat Montanus in der Mitte des 2. Jh.s in Phrygien auf und scheint zum Zeitpunkt des Todes der Maximilla um 179 bereits gestorben zu sein. Neben ekstatischen Prophetien zeichnet sich der Montanismus durch Naherwartung, schroffe Askese und Martyriumsfreude aus und konnte sich trotz großkirchlicher Widerstände bis zum Ende des 2. Jh.s. bis nach Rom sowie nach Nordafrika und Gallien verbreiten. Auch wenn sich besonders prominent bei Tertullian (vgl. II § 129) montanistische Einflüsse feststellen lassen, hat der Montanismus nie größere Bedeutung erlangt. Zwar sind montanistische Gemeinden noch im 4. Jh. belegt, doch war ihre Ausgrenzung aus der Großkirche bereits im 3. Jh. vollzogen, später waren sie Verfolgungen ausgesetzt, die zu ihrem Niedergang führten.
Der hochgebildete und in Rom nicht zuletzt wegen seines Hauptwerks De trinitate geschätzte Novatian (ca. 200–258) übernahm nach dem Tod Fabians (gest. 250) während der decischen Verfolgung und der damit verbundenen Sedisvakanz die führende Rolle in der römischen Gemeinde und trat in dieser Eigenschaft mit Cyprian (vgl. II § 129) über die Frage nach den lapsi (vgl. II § 126) in Kontakt. Als ein Jahr später der in der Bußfrage gemäßigtere Cornelius (gest. 253) zum Nachfolger Fabians gewählt wurde, ließ sich Novatian ebenfalls zum Bischof weihen, und es kam zum Schisma. Nachdem Novatian und seine Anhänger durch eine Synode von 60 Bischöfen aus der Kirche ausgeschlossen worden waren, begann er mit der Organisation einer eigenen Kirche der Reinen (griech. καϑαροί) und lehrte, dass allein Gott und nicht die Kirche den Abgefallenen vergeben könne. Nach dem vermutlich während der valerianischen Verfolgung erlittenen Märtyrertod ihres Gründers vertrat die novatianische Kirche im 4. Jh. christologisch eine orthodoxe Position, wurde später jedoch gewaltsam unterdrückt. Einzelne Gemeinden konnten sich bis in das 7. Jh. halten.
Wie die Novatianer forderten auch die auf Meletius von Lykopolis (gest. nach 325) zurückgehenden Meletianer einen rigorosen Umgang mit den lapsi (vgl. II § 126). Während der diokletianischen Verfolgung hatte Meletius das durch die Inhaftierung anderer ägyptischer Bischöfe und die Flucht Petrus' I. von Alexandrien (gest. 311) entstandene Machtvakuum gegen den Widerstand der abwesenden Kirchenführer für seine kirchenpolitischen Zwecke ausgenutzt und den ägyptischen Klerus nach seinen Vorstellungen umgestaltet. Durch Verhaftung und Zwangsarbeit zum confessor geworden, vertrat Meletius nach der Rückkehr des Petrus eine unnachgiebige Haltung gegenüber den lapsi, wurde des Bischofsamtes enthoben, konnte jedoch eine Kirche der Märtyrer gründen, die dann in die Auseinandersetzung um den Arianismus (vgl. I § 63) hineingezogen wurde. Während Meletius selbst gegen Arius auftrat, stieß dieser bei den Meletianern grundsätzlich auf große Zustimmung, so dass das Konzil von Nicäa (325) das meletianische Schisma ausdrücklich verurteilte, Meletius als Bischof und die von ihm Geweihten jedoch unter Auflagen bestätigt wurden. Erst im 5. Jh. verloren die Meletianer an Bedeutung, können jedoch bis in das 8. Jh. nachgewiesen werden. Wohl nicht gemeint ist hier das von Lucifer von Calaris (s.u.) verursachte und nach Meletius von Antiochien (gest. 381) teils antiochenisch, teils meletianisch genannte Schisma.
Mit dem Sammelbegriff Quartodezimaner wurden Christen bezeichnet, die das Osterfest nach der jüdischen Berechnung des Pessachfestes am 14. Tag des Monats Nisan feierten und so nach der Chronologie des Johannesevangeliums den Kreuzestod Christi im Zentrum des Ostergeschehens sahen. Gegen diese christologische Ausdeutung des Pessachfestes (die wohl als älteste Form des Osterfestes gelten kann) stand die Praxis, das Osterfest nach dem Auferstehungsgeschehen auszurichten und es immer an einem Sonntag zu begehen. Zu den Schwierigkeiten, die sich dann auch im Zusammenhang mit der Fastenzeit ergaben, kam, dass dem quartodezimanischen Ostertermin bisweilen auch die Chronologie der synoptischen Evangelien zugrundegelegt wurde, nach der die Kreuzigung am 15. Nisan stattfand. Nachdem auf dem Konzil von Nicäa (325) der Sonntagstermin durchgesetzt und die Verbindung zum jüdischen Pessachfest damit endgültig durchtrennt worden war, verlor die quartodezimanische Osterpraxis schnell an Verbreitung. In der von Semler herausgegebenen Darstellung Siegmund Jacob Baumgartens (vgl. II § 124 c) wird bemerkt, dass es später zu Auseinandersetzungen um die Deutung der Bestimmungen von Nicäa gekommen sei und man die von Rom abweichenden Kirchen in Gallien und Britannien ebenfalls als Quartodezimaner bezeichnet habe.
Der ältnizänische, radikal antiarianische Bischof Lucifer von Calaris (Cagliari) auf Sardinien (gest. 370), der 355 verbannt worden war, weil er der Absetzung des Athanasius nicht zustimmen wollte, weihte nach seiner 362 erfolgten Rehabilitierung den Presbyter und Eustathianer Paulinus (gest. 388) zum Bischof von Antiochien. Da Lucifer den dem Arianer Eudoxius (gest. 370) im Jahre 360 nachgefolgten Meletius von Antiochien (gest. 381), der eine führende Rolle unter den Jungnizänern einnehmen und als Vorgänger Gregors von Nazianz (vgl. II § 102) das Erste Konzil von Konstantinopel (381) leiten sollte, nicht als rechtgläubig anerkannte, trug er maßgeblich zur Verlängerung des antiochenischen Schismas bei, das erst im 5. Jh. beigelegt werden konnte. Gelegentlich wird diese Verlängerung auch als meletianisches Schisma (s.o.) bezeichnet. Hinzu kommt, dass die Weihe des Paulinus zum Bischof auf der Synode von Alexandrien (362) keine Billigung fand und Lucifer den hier von Athanasius für Antiochien unternommenen Vermittlungsversuch (Tomus ad Antiochenos) als zu nachgiebig empfand. Das so herbeigeführte luciferianische Schisma verbreitete sich v.a. auf Sardinien und in Spanien, war jedoch nicht von langer Dauer. Nach Lucifers Tod übernahm Gregor von Elvira (gest. 392) eine führende Rolle.
Gemeint sind v.a. die auf dem Konzil von Chalcedon (451) verworfenen Monophysiten, Nestorianer und Arianer (vgl. I § 63).
Vgl. II § 115.
Bei den auf den zur Zeit des bulgarischen Zaren Petăr I. (gest. 969) lebenden, jedoch weitgehend unbekannten Priester Bogomil (d.h. Gottlieb) zurückgehenden Bogomilen handelt es sich um eine bedeutende Ketzerbewegung, die vom 10. bis zum 15. Jh. in Südosteuropa verbreitet war, aber auch nach Westen wirkte und etwa die Katharer (vgl. II § 19) beeinflusste. Im 18. Jh. leitete man den Namen von der von den Bogomilen häufig verwendeten Formel Bogomilui (Gott erbarme dich) her und nahm als ihren Anführer einen Mönch namens Basilius an, der wegen seiner Lehransichten in Konstantinopel verbrannt wurde. Wie die Paulizianer (vgl. II § 19) u.a. zeichnen sich auch die Bogomilen durch ein dualistisches Weltbild aus, das durch die eigene Ungerechtigkeitserfahrung noch verstärkt worden sein dürfte und nach dem nicht Gott, sondern der abgefallene Satanael die Welt geschaffen habe. In der Suche nach dem fernen, wahren Gott, die in teils schroffer Askese gipfelte, verwarfen sie kirchliche Hierarchien, Liturgie und Sakramente, Gotteshäuser samt Kreuz und Ikonen sowie die Heiligung des Sonntags, zudem lehnten sie das Alte Testament ab.
Vgl. II § 83; II § 98.
Obgleich zeitgleich von Irland aus in Schottland und Nordengland missioniert wurde, verbindet sich die Christianisierung der Angelsachsen mit Papst Gregor dem Großen (vgl. II § 121), in dessen Auftrag der römische Missionar Augustin von Canterbury (gest. ca. 604) im Jahre 597 nach Kent kam, König Aethelberht (560–616) zum Christentum bekehren und die angelsächsische Mission als erster Bischof von Canterbury anschließend weiter vorantreiben konnte. Auf der Synode von Whitby (664) konnten die Vertreter des römischen Katholizismus ihre iroschottische Konkurrenz entscheidend schwächen, die endgültige Konsolidierung des römischen Christentums und seiner Strukturen vollzog sich dann unter Erzbischof Theodor von Tarsus bzw. Canterbury (668–690). Als bedeutendste Quelle dieser Zusammenhänge ist die 731 fertiggestellte Historia ecclesiastica gentis Anglorum des Beda Venerabilis (ca. 672–735) zu nennen.
Nachdem der bei Exeter geborene Wynfrith bzw. Winfried (ca. 675–754) im Alter von etwa 40 Jahren als Missionar nach Kontinentaleuropa kam, ließ er sich nach einem gescheiterten Missionsversuch unter der Friesen von Papst Gregor II. (715–731) eine Vollmacht erteilen, erhielt den Namen Bonifatius und wurde nach weiteren Missionsreisen 722 im Rom zum Missionsbischof geweiht. Auf Bitten des Papstes erhielt Bonifatius zudem einen Schutzbrief von Karl Martell (ca. 688–741), der seine Missionsbemühungen darüber hinaus jedoch kaum unterstützte. Bekannt ist die in der Vita Sancti Bonifatii berichtete Fällung der Donareiche im hessischen Geismar. Im Jahre 732 zum Erzbischof erhoben, konnte Bonifatius die Errichtung kirchlicher Hierarchien im fränkischen Missionsgebiet nicht wie geplant umsetzen, und auch die 742 auf dem von Karl Martells Sohn Karlmann (ca. 708–754) einberufenen Concilium Germanicum gefassten Beschlüsse fanden Gegner in Adel und Geistlichkeit, so dass sich Bonifatius, nachdem Karlmann 747 zugunsten Pippins d. J. (714–768) abgetreten war, ebenfalls zurückzog. Als er später abermals unter den Friesen missionierte, wurde Bonifatius erschlagen und in dem von ihm gegründeten Kloster Fulda bestattet. Die der auch auf dem Kontinent aktiven iroschottischen Mission entgegenstehende Romverbundenheit (s.o.) des sog. Apostels der Deutschen hatte einigen Einfluss auf die Allianz der Karolinger mit Rom. Diese kam nicht zuletzt im Zusammenhang der von Karl d. Gr. (747–814) geführten Kriege gegen die Sachsen zum Ausdruck, die nach der Taufe des dux Saxonum Widukind im Jahre 785 und der Errichtung von Bistümern auf sächsischem Gebiet (Münster u.a.) christianisiert wurden. Ein weiterer bedeutender Missionar ist etwa der auch als Apostel der Friesen bekannte Angelsachse Willibrord (ca. 658–739).
Die im Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen der griechischen von der lateinischen Kirche (s.o.) stehende Bekehrung der Bulgaren im 9. Jh. erfolgte, nachdem der bulgarische Zar Boris I. (gest. 907) 864/865 das Christentum byzantinischer Prägung und den Taufnamen Michael annahm, sich nach Erhalt der Responsa Nicolai papae ad consulta Bulgarorum Nikolaus' I. (858–867) im Jahre 866 jedoch Rom unterstellte. Als die daraufhin erfolgte Latinisierung des bulgarischen Christentums (v.a. die Annahme des Filioque) auf den Unwillen des Patriarchen Photios (ca. 810–894) stieß und Boris 869/870 das bulgarische Christentum erneut an Konstantinopel anschloss, stieß dies wiederum auf den Unwillen Roms. Nach 885 nahm Boris von lateinischen und fränkischen Bischöfen vertriebene Schüler der bedeutenden Slawenmissionare Kyrill (gest. 869) und Method (gest. 885) auf (v.a. Kliment von Ochrid), die für die Ausbreitung des auf Kyrill und Method zurückgehenden Kirchenslawischen und eine eigenständige bulgarisch-orthodoxe Identität sorgten. Das erste bulgarische Patriarchat entstand im sog. Goldenen Zeitalter unter Simeon I. (864–927), verlor seine Eigenständigkeit nach der Eroberung durch den als Bulgarentöter bekannten byzantinischen Herrscher Basileios II. (976–1025) im Jahre 1018 jedoch vorläufig wieder.
Vgl. II § 90.
Vgl. I § 43.
Caecilius Cyprianus (ca. 200–258) entstammte einer wohlhabenden, nicht-christlichen Familie aus der Oberschicht Karthagos, erhielt eine Rednerausbildung und war zunächst als Rhetoriklehrer tätig. Unter dem Einfluss des Presbyters Caecilianus wandte er sich ab 240 dem Christentum zu und stieg nach seiner Taufe bis 248/249 schnell zum Bischof von Karthago auf. Cyprian, der während der decischen Verfolgung selbst aus Karthago geflohen war, griff als wichtigster nordafrikanischer Bischof in die insbesondere mit Novatian (vgl. II § 128) geführten Auseinandersetzungen um die lapsi und den Ketzertaufstreit ein (vgl. II § 126). Ein unter seiner Leitung herbeigeführter Synodalbeschluss im Jahre 253 regelte die Wiederaufnahme aller reuigen lapsi, im Rahmen des Ketzertaufstreites hielt Cyprian im Gegensatz zu Stephanus I. von Rom (gest. 257) die von Ketzern und Schismatikern gespendeten Sakramente für ungültig, wodurch es zu einem zwischenzeitlichen Bruch zwischen der nordafrikanischen Kirche, den sie unterstützenden kleinasiatischen Bischöfen und Rom kam. Auskunft über die Positionen Cyprians, der im Zuge der 257 einsetzenden valerianischen Verfolgungen hingerichtet wurde, geben erhaltene Briefe und Traktate, die insgesamt einen bedeutenden Einblick in das Kirchen- und Gemeindeleben der vorkonstantinischen lateinischen Kirche bieten und den Einfluss des zweiten großen nordafrikanischen Lateiners, Tertullian (s.u.), erkennen lassen.
Die häufig aufgelegten Opera (1726) Cyprians wurden durch den französischen Historiker Etienne Baluze (1630–1718) vorbereitet und von den Maurinern (vgl. II § 104) ediert.
Über das Leben des in Karthago wirkenden, ersten lateinischen (aber zweisprachigen) christlichen Autors Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 150–220) ist wenig bekannt. Wie Cyprian (s.o.) ist er in einem nicht-christlichen Umfeld aufgewachsen und erhielt eine umfassende Bildung. Vor 197 wurde er getauft. In seinen Schriften, die in Abwehr nicht-christlicher und häretischer Positionen (Adversus Marcionem, Adversus Praxean u.a.) vorwiegend apologetisch motiviert sind, vertritt er großkirchliche Positionen, später wird ein zunehmend montanistischer Einfluss erkennbar. Insgesamt sind 31 Werke erhalten, als das bedeutendste kann das Apologeticum gelten. Sein Latein muss als eigenwillig bezeichnet werden, besonders richtungsweisend ist Tertullian im Hinblick auf die Terminologie der westlichen Trinitätstheologie (vgl. II § 83). Immer wieder festzustellende juristische Kenntnisse haben dazu geführt, dass er bisweilen mit einem Juristen gleichen Namens identifiziert wurde.
Christoph Matthäus Pfaffs Dissertatio de consecratione Eucharistiae in primitiva ecclesia usitata findet sich in den Syntagma dissertationum theologicarum (1720), 395–540, die auf der hier angegebenen Seite beginnende Erörterung altkirchlicher Positionen fängt mit Cyprian an.
Vgl. II § 105.
Im fünften und letzten Band des von den Maurinern (vgl. II § 104) Edmond Martène (1654–1739) und Ursin Durand (1682–1771) erarbeiteten Thesaurus novus anecdotorum (1717) (vgl. II § 113) findet sich der Antiquum Calendarium Sanctae Romanae Ecclesiae (aaO 63–84), dem eine admonitio (aaO 63f.) vorangestellt ist.
Zur Apologia Confessionis Augustanae vgl. II § 211.
Christoph Hartknochs (1644–1687) Preussische Kirchen-Historia (1686) bietet als Beleg dafür, dass es sich bei dem in der Anweisung angeführten Beispiel des Taufformelzusatzes ursprünglich nur um eine auf die Erwachsenentaufe zielende Marginalie handelt, die nicht in Kraft gesetzte Deutsche Kirchenordnung des Jahres 1558.
Vgl. I § 43.
D.i. Paulus.
Vgl. 2Kor 11,6.
D.i. Verfasser.
Der 1786 von Wilhelm Abraham Teller besorgten Ausgabe des mehrfach aufgelegten Werkes De fide et officiis Christianorum (1722) des englischen Theologen Thomas Burnet (1635–1715) sind drei Exkurse angehängt. Der dritte Exkurs trägt den Titel De usu argumentorum veritatis Christianismi ex miraculis et vaticiniis in ecclesia adulta (aaO 282–296), auf den angegebenen Seiten bespricht Teller das Verhältnis von πίστις und γνῶσις.
Zum Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlichem Zutun vgl. II § 115.
Vgl. I § 61; II § 170.
Zu den reformatorischen Grundsätzen sola fide und sola gratia vgl. II § 83 (vgl. Eph 2,8 u.a.).
Im Blick ist das reformatorische solus Christus (vgl. Apg 15,11; 1Tim 2,5f. u.a.).
Im Zusammenhang der Glaubensartikel (articuli fidei) kennt das 18. Jh. folgende Einteilung: Hinsichtlich des Erkenntnisgrundes wird in reine, d.h. allein aus dem biblischen Zeugnis erkannte, Artikel (articuli puri) und vermischte, d.h. aus der Bibel und der Vernunft erkannte, Artikel (articuli mixti) unterschieden. Hinsichtlich der Wichtigkeit oder Entbehrlichkeit für die biblisch geoffenbarte Heilsordnung wird mit Grund- (arcticuli fundamentales) und Nebenartikeln (articuli non fundamentales) gerechnet. Zu den Nebenartikeln gehört z.B. die Höllenfahrt Christi, die Grundartikel werden weiter in Artikel erster und zweiter Ordnung (articuli fundamentales primi bzw. secundi ordinis) aufgeteilt. Während die auch als articuli constituentes oder consecutivi bezeichneten Artikel erster Ordnung von wesentlicher Bedeutung für die Heilsordnung sind (z.B. die Lehre von Gott, von Christus, von der Gnadenwahl), hängen die auch als articuli conservatorii bzw. conservativi bezeichneten Artikel zweiter Ordnung notwendig mit denen der ersten zusammen und beschreiben entweder als articuli antecedentes deren Voraussetzungen (z.B. die Lehre von der Schöpfung, vom Fall) oder als articuli consequentes deren Folgen (z. B. die Lehre von der Kirche, von der letzten Dingen). Im Gegensatz zu den nicht heilsnotwendigen Nebenartikeln (qui salva salute et ignorari et negari possunt), ist die Kenntnis und die Zustimmung zu den Grundartikeln erster Ordnung unbedingt heilsnotwendig (qui salva salute nec ignorari nec negari possunt), die Kenntnis um die Grundartikel zweiter Ordnung ist zwar nicht unbedingt heilsnotwendig, doch dürfen diese auch nicht abgelehnt werden (qui salva salute ignorari, sed non negari possunt).
Gemeint ist Johann Gottlieb Töllners (1724–1774) Werk Die göttliche Eingebung der heiligen Schrift (1772), in dem, nach einem historischen Abriss, unterschiedliche Grade der Eingebung bestimmt werden. Töllner zufolge ist durchaus mit einer göttlichen Eingebung zu rechnen, jedoch sei diese nicht wortwörtlich geschehen.
Vgl. II § 21.
Vgl. II § 21; II § 70.
Zu den reformatorischen Grundsätzen sola fide und sola gratia vgl. II § 83.
Zu den bona opera vgl. II § 83.
Vgl. II § 139.
Der Grundsatz omnes virtutes paganorum splendida vitia sunt (Alle Tugenden der Heiden sind glänzende Sünden) war im 18. Jh. als Zitat des Kirchenvaters Augustin verbreitet, doch hat er ihn in dieser Form nie gebraucht (vgl. Aug. civ. XIX 25).
Der bereits in jungen Jahren durch besondere philosophische, mathematische und juristische Begabung aufgefallene und später als lebendige Enzyklopädie bezeichnete Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) gehört zu den prägendsten Denkern des deutschen Barock, verfügte durch seine Reisetätigkeit und als Mitglied der bedeutendsten wissenschaftlichen Gesellschaften über gute Kontakte zu den namhaftesten europäischen Gelehrten seiner Zeit (Spinoza, Huygens, Malebranche, Bayle u.a.) und war zudem auch als Wissenschaftsorganisator, Bibliothekar und Diplomat tätig. Im Hinblick auf sein vielschichtiges Werk, zu dem u.a. auch die Erfindung einer Rechenmaschine gehört, sei hier auf die in seiner Theodizee (1710) vorgetragene Sichtweise, trotz allen Übels habe der gute, weise und allmächtige Gott die beste aller möglichen Welten erschaffen, sowie auf die posthum 1720 erschienene Monadologie verwiesen.
Vgl. 1Kor 13,9f.
D.i. erneut ἐν ὑμῖν.
Vgl. II § 63.
D.i. Rechtfertigung (δικαίωσις) (vgl. Röm 4,25; 5,18) (vgl. II § 83).
Vgl. II § 51.
Kurz nach seinem Wechsel an die Theologische Fakultät in Leipzig gründete Johann August Ernesti eine Rezensionszeitschrift, die zunächst als Neue theologische Bibliothek (1760–1769) in zehn und später als Neueste theologische Bibliothek (1771–1777) in vier Bänden erschien. Viele der ohne Verfasserangabe veröffentlichten Beiträge stammen laut der Mitteilung von Zeitgenossen von ihm selbst.
Wilhelm Abraham Tellers Wörterbuch (vgl. I § 283) sah sich unterschiedlicher Kritik ausgesetzt, die bis hin zu lexikalischen Gegenentwürfen reichte. So ist Friedrich Christoph Oetingers (1702–1782) Biblisches und emblematisches Wörterbuch (1776) dem Untertitel nach dem Tellerischen Wörterbuch und Anderer falschen Schrifterklärungen entgegen gesezt, außerdem hat Tellers Bruder Johann Friedrich Teller (1739–1816) ein zweibändiges, dem lutherisch-orthodoxen Lehrbegriff verpflichtetes Wörterbuch des Neuen Testaments (1775) vorgelegt, das sich nicht zuletzt auch gegen das Wörterbuch seines Bruders richtete. In der dritten Auflage der Anweisung ist dann nicht mehr von Autoren die Rede, die gegen, sondern schlicht über Tellers Wörterbuch geschrieben haben. Zu diesen zählt der u.a. durch sein Wörterbuch der deutschen Sprache (vgl. I § 99 c) hervorgetretene Joachim Heinrich Campe (1746–1818), der sich als Student in Helmstedt öffentlich zu seinem Lehrer Teller bekannt und daraufhin sein Stipendium verloren hatte. Eine eigene Schrift hat Campe Tellers Wörterbuch nicht gewidmet, doch bezeichnet er es in seiner 1793 erschienenen, u.a. im Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke (21813) erneut abgedruckten Berliner Preisschrift Grundsätze, Regeln und Grenzen der Verdeutschung als vortrefflich (aaO 43).
Da Samuel Friedrich Nathanael Morus' zweibändige Hermeneutik erst um die Jahrhundertwende erschienen ist (vgl. II § 56 c) und bereits die erste Auflage der Anweisung den Hinweis auf seine Bedeutung für die Formulierung hermeneutischer Regeln enthält, dürften diese den bis 1786 erschienenen Schriften zu entnehmen und im Wesentlichen an der Hermeneutik seines Lehrers Ernesti orientiert sein.
Der zwischen Rationalismus und Supranaturalismus einzuordnende Johann August Heinrich Tittmann (1773–1831) rückte nach außerordentlichen Professuren der Philosophie und Theologie bis 1818 bis zur ersten theologischen Professur in Leipzig auf, übernahm daneben weitere Ämter (Frühprediger an der Leipziger Universitätskirche, Domherr in Meißen, Vorsitz des Leipziger Missionshilfsvereins, der Bibelgesellschaft und des Taubstummeninstituts) und war zudem auch politisch tätig (Verhandlungen mit Napoleon, Teilnahme am Wiener Kongress u.a.). In Vorlesungen und Veröffentlichungen hat Tittmann nahezu alle theologischen Disziplinen in den Blick genommen, an dieser Stelle sind jedoch insbesondere die Programme De causis praecipuis contortarum interpretationum Novi Testamenti (1800) und De scriptorum Novi Testamenti diligentia grammatica recte aestimanda (1813) zu nennen. Bemerkt sei, dass als Ausweis seiner oft gerühmten rhetorischen Fähigkeiten auch im Lateinischen immer wieder auf Tittmanns Rede anlässlich des fünfzigjährigen akademischen Jubiläums August Hermann Niemeyers im Jahre 1827 verwiesen wird.
Nösselts De vera vi nominis filiorum Dei disputatio ist in Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus II (1787), 333–350 (XIII.) abgedruckt.
In Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus II (1787), 25–62 (II.) findet sich Nösselts Interpretatio grammatica capitis XV et XVI. Evangelii Ioannis.
Vgl. II § 72.
Phil 2,12 liest καὶ (vgl. II § 67).
In Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus I (21785), 1–28 (I.) bzw. 139–212 (VI.) abgedruckt sind die 1770 von Gotthelf Wilhelm Waltsgott (Breslau) verteidigte Ad orationem Christi Matthaei XVIII, 6sqq. de offendendo contemnendoque nullo minimorum qui credunt in eum disputatio sowie die 1761 von Wilhelm Gottlieb Jütting (Leer) verteidigte Interpretatio grammatica capitis VIIII epistolae D. Paulli ad Romanos. In beiden Fällen hatte Nösselt den Vorsitz, beide Respondenten sind darüber hinaus nicht weiter hervorgetreten.
Gemeint ist 2Tim 3,16.
D.i. erneut πᾶσα (hier mit Artikel in prädikativer Stellung).
Hier ist der Nominativ θεόπνευστος zu lesen.
D.i. Paulus.
In der von Friedrich Nicolai (1733–1811) herausgegebenen Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek 12 (St. 2) (1770), 136–156 (XIII.) findet sich eine Rezension zu Siegmund Jacob Baumgartens Ausführliche[m] Vortrag der Theologischen Moral mit einer Vorrede Herrn D. Joh. Salomo Semlers (1767), die nach dem von Nicolais Enkel Gustav Parthey (1798–1872) besorgten Mitarbeiterverzeichnis (1842) von Friedrich Gabriel Resewitz (1729–1806) verfasst wurde. Resewitz geht an der hier benannten Stelle auf die Lehrart Jesu und der Apostel ein, die sich immer nach dem bei den Menschen Vorfindlichen gerichtet habe.
Gemeint ist die 1773 unter dem Vorsitz Nösselts von Johann Heinrich Sigismund Koblanck (1751–1834) verteidigte Dissertatio theologica de Christo homine regnante in qua de ea re dicta in Sacris Scripturis et explicantur et inter se conciliantur. Erneut in den Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus II (1787), 351–384 (XIV.) abgedruckt, bezeichnet sie Nösselt ab der zweiten Auflage der Anweisung als sein Werk. Nachdem Koblanck Halle verlassen hatte, wurde er zunächst als Nachfolger Campes Lehrer im Hause von Humboldt und später Prediger in Berlin.
S.o.
Hier handelt es sich um die Disputatio ΠΕΡΙ ΤΟΥ ΦΩΤΙΣΜΟΥ ΤΗΣ ΓΝΩΣΕΩΣ ΤΟΥ ΘΕΟΥ ΕΝ ΠΡΩΣΩΠΩΙ ΙΗΣΟΥ ΧΡΙΣΤΟΥ ad locum 2 Corinth. IV, 6. in Opusculorum ad interpretationem Sacrarum Scripturarum fasciculus II (1787), 157–182 (VII.).
Sowohl De notionibus universis in theologia als auch De utilitate notionum universarum in theologia sind 1782 erschienen. Mit De notionibus hat Morus den theologischen Doktorgrad erworben, bei De utilitate handelt es sich um Morus' Antrittsvorlesung als ordentlicher Professor der Theologie in Leipzig. Der Überschrift nach findet sich De notionibus im ersten Band der Dissertationes theologicae et philologicae (1787), 239–307 (VIII.), ab 284ff. ist jedoch fortlaufend der Text von De utilitate angefügt worden. Im Journal für Prediger 24 (1791), 275–334 bzw. 417–445 und dem ersten Band von Morus' Kleine[n] Schriften theologischen und philologischen Inhalts (1794), 193–282 ist eine deutsche Übersetzung abgedruckt.
D.i. erneut ἡμῖν.
Laut Christian Wolff ist eine notio directrix ein zur Richtschnur dienender oder Leitbegriff.
Das zweite Stück des ersten Bandes von Johann Gottlieb Töllners (1724–1774) zweibändigen Theologische[n] Untersuchungen (1772–1774) ist 1773 erschienen.
Joh 6,29 liest τοῦ.
In Übereinstimmung mit der ersten Auflage der Anweisung ist Mt 13,29 gemeint.
Wiedergegeben wird Johann Gottlieb Fichtes (1762–1814) System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre (1798), 472.
Hier dürfte die zweite Auflage (1803) gemeint sein (vgl. I § 285 c).
Über den Zusatz von dem Verfasser der Schrift: Was für einen Werth kann man – den schnellen Bekehrungen – zueignen, u.s.w. lässt sich Gotthilf Samuel Steinbart (1738–1809), dessen System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums (11778–41794) im Rahmen der Bibliothek der Neologie ediert wird (BdN VIII), als Autor ermitteln. Steinbarts Gründe haben Johann Leonhard Frisch (1737–1795), der 1781 auch als Opponent der Glückseligkeitslehre hervorgetreten ist, sowie August Friedrich Brackmann (1753–1830) zu Gegenschriften herausgefordert (1775 bzw. 1778).
Vgl. II § 83.
Gemeint ist die Kenosis (κένωσις) Christi, wie sie im Philipperhymnus (Phil 2,5–11) grundgelegt ist (Phil 2,7 ἑαυτὸν ἐκένωσεν). Vor dem Hintergrund der Lehre von der communicatio idiomatum kam es in diesem Punkt Anfang des 17. Jh.s zum sog. Kenosis-Krypsis-Streit zwischen den Fakultäten Gießen und Tübingen. Während man in Gießen (wie zuvor Martin Chemnitz) der Meinung war, Jesus habe sich der mit seiner göttlichen Natur einhergehenden Eigenschaften entäußert (Kenosis), vertrat man in Tübingen (wie zuvor Johannes Brenz) die Auffassung, Jesus habe diese Eigenschaften weiterhin besessen, jedoch (mit Ausnahme der Fähigkeit, Wunder zu bewirken) verhüllt (Krypsis). Unter veränderten Vorzeichen erlebte diese Frage im 19. Jh. eine Neuauflage („Kenotiker“).
D.h. im Sinne von satisfactio (vgl. I § 61).
Im Hintergrund steht die in der Anweisung immer wieder aufgegriffene Lehre von der Zurechnung der Sünde Adams. Insbesondere nach dem pelagianischen Streit (vgl. II § 88) und im Anschluss an die Prädestinationslehre Augustins (vgl. II § 113) gilt Adam als Repräsentant der gesamten Menschheit. In imputationstheologischer Perspektive hat Gott die Schuld des Sündenfalls (vgl. Gen 3) mitsamt der Strafe seinen Nachkommen zugerechnet, da der Mensch der Möglichkeit nach bzw. als Same in Adam bereits existiert habe. In föderaltheologischer Perspektive hat Gott den Bund stellvertretend mit Adam geschlossen, so dass der Bundesbruch auch dessen Nachkommen betrifft (vgl. II § 150).
Gemeint ist die dogmatische Unterscheidung zwischen der voluntas absoluta Dei und der voluntas conditionata bzw. ordinata Dei. Unter der voluntas absoluta ist der Wille Gottes zu verstehen, insofern er nicht an außer ihm liegende Bedingungen geknüpft ist (Schöpfung, Wunder); die voluntas conditionata bzw. ordinata meint dagegen den Willen Gottes, der von bestimmten äußeren Bedingungen abhängt (sub certa conditione) oder in Absicht auf eine bestimmte Ordnung (certum ordinem) geschieht. Während sich der Mensch der ersten voluntas nicht entziehen kann, ist dies im Falle der zweiten voluntas durchaus möglich (vgl. z.B. Mt 23,37). Bedeutsam wurde diese Unterscheidung insbesondere in der reformatorischen Auseinandersetzung um die Prädestination, da sich der Mensch nach der calvinistischen Lehre von der doppelten Prädestination (vgl. II § 113) der unbedingten Gnadenwahl als Akt der göttlichen voluntas absoluta nicht widersetzen kann, wohingegen er die Gnadenwahl nach lutherischer Vorstellung als Akt der voluntas conditionata oder ordinata Gottes im Glauben annehmen muss.
D.i. die auf Augustin zurückgehende Unterscheidung zwischen der fides qua creditur, d.h. dem Glauben, durch den geglaubt wird (Glaubensakt), und der fides quae creditur, d.h. dem Glauben, der geglaubt wird (Glaubensinhalt).
Nach der Lehre der drei Ämter (munus triplex) hat Christus das prophetische (munus propheticum), das priesterliche (munus sacerdotale) und das königliche Amt (munus regium) inne.
Vgl. II § 19.
D.i. nur zum Hören bestimmt (griech. ἀκροαματικός), ein Austausch zwischen Lehrer und Schüler ist bei dieser Lehrart nicht vorgesehen. Wie am Ende der zweiten Anmerkung erwähnt, bezeichnet dieser Begriff die aus Vorträgen entstandenen philosophischen Schriften des Aristoteles.
Einen Gegensatz zur akroamatischen Methode (s.o.) bildet die erotematische oder dialogische Lehrweise. Hier besteht der Unterricht in gezielten Fragen des Lehrers (griech. ἐρωτηματικός) und den betreffenden Antworten des Schülers (vgl. III § 10). Bisweilen wird dieses Vorgehen auch als sokratische (mäeutische) bzw. im religiösen Zusammenhang auch als katechetische Methode bezeichnet (vgl. I § 122 c).
Vgl. I § 43.
Dieses Werk entstand als Bearbeitung der mehrfach aufgelegten Institutio theologi christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata (1780/1781). Die ersten fünf Teile wurden von Doederlein selbst besorgt (1785–1791), nach seinem Tod im Jahre 1792 ließ Christian Gottfried Junge (1748–1814) sieben weitere Teile folgen (1796–1803).
Bei der Populäre[n] und praktische[n] Theologie oder Methodik und Materialien des christlichen Volksunterrichts handelt es sich um den ersten Teil von Niemeyers mehrfach aufgelegtem Handbuch für christliche Religionslehrer (1790/1792). Die drei Sammlungen der ersten Auflage der Briefe an christliche Religionslehrer tragen zwar den verwandten Untertitel Ueber populäre und praktische Theologie, doch dürfte, da hier von Teilen die Rede ist, die zweite Auflage gemeint sein (vgl. I § 285 c).
In Noctes Atticae XX 5 berichtet Aulus Gellius (2. Jh.), Aristoteles habe sich zwei unterschiedlicher Unterrichtsmethoden bedient: einer allgemein fasslichen und an alle Hörer gerichteten für die äußeren (ἐξωτερικά) Lehrgegenstände (rhetorische Übungen, Logik etc.) und einer für den nur ausgewählten Zuhörern vorbehaltenen (ἀκροατικά oder ἐσωτερικά) höheren Unterricht (v.a. vertiefte Kenntnis der Philosophie). Entsprechend habe Aristoteles auch seine den Unterrichtsstoff beinhaltenden Schriften in exoterische auf der einen und akroatische oder esoterische Werke auf der anderen Seite eingeteilt.
Gemeint ist Johann Jakob Griesbachs in erster Auflage unter dem Titel Anleitung zur gelehrten Kenntnis der populären Dogmatik (1779) erschienene und bereits zuvor (vgl. II § 174) genannte Anleitung zum Studium der populären Dogmatik (BdN III). Über den besonders als Kirchenhistoriker (vgl. II § 102) hervorgetretenen Heinrich Philipp Conrad Henke (1752–1809) ist bekannt, dass er Vorlesungen über populäre Theologie nach Johann Samuel Diterichs (1721–1797) Auszug der Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu (21781) gehalten hat.
Die während des englischen Bürgerkrieges (1642–1660) entstandene und unter dem Spottnamen Quäker (Zitterer) bekannte Religious Society of Friends ist in ihrer Anfangszeit v.a. mit George Fox (1624–1691) verbunden. Fox wollte den der Staatskirche abhandengekommenen Geist des Urchristentums wiederherstellen und konnte eine große Zahl von Anhängern um sich sammeln (Seekers, Dissenters etc.). Man verzichtete auf die Rituale der Church of England und überließ sich bei den Zusammenkünften in Privathäusern oder unter freiem Himmel der unmittelbaren Führung durch den Heiligen Geist. Überdies verweigerten Fox' Anhänger den Kirchenzehnten, Eide oder den Waffendienst und lehnten äußerlich sichtbare Sakramente, aber auch die als unbiblisch deklarierte kirchliche Trinitätslehre ab. Die unvermeidlichen Konflikte führten im Zusammenspiel mit den innenpolitischen Entwicklungen in England schließlich zum Verbot der Quäker. Nachdem sie mit dem Toleration Act (1689) das Recht auf freie Religionsausübung erhalten hatten, entwickelten sich die Quäker zu einer respektierten Religionsgruppe, die sich früh auch in Nordamerika etablieren konnte (vgl. das heilige Experiment von Pennsylvania). Als Katechismus der Quäker ist der mehrfach nachgedruckte, übersetzte und bis in die Gegenwart hinein bedeutende Catechism and Confession of Faith (1673) des Schotten Robert Barclay (1648–1690) gemeint, der neben Fox, dessen Widerpart James Nayler (1618–1660), William Penn (1644–1718) und Margaret Fell (1624–1702) eine der bedeutendsten Personen des frühen Quäkertums war.
Vgl. II § 110.
Vgl. I § 43.
Der Autor ist Wilhelm Friedrich Hufnagel (1754–1830), die erste Abteilung des unvollendet gebliebenen zweiten Bandes ist 1789 erschienen.
Zu Hufnagel s.o. Weiter handelt es sich um den nach seinem Magisterabschluss in Halle bis 1755 ebenda auch als Dozent tätigen Gotthilf Traugott Zachariae (1729–1777) und seine vierteilige Biblische Theologie oder Untersuchung des biblischen Grundes der vornehmsten theologischen Lehren (1771–1775), zu deren dritter Auflage (1786) Johann Karl Volborth (1748–1796) einen fünften Band ausgearbeitet hat, sowie um den von Friedrich Schleiermacher (1768–1834) angegriffenen Christoph Friedrich von Ammon (1766–1850) und seinen Entwurf einer reinen biblischen Theologie (1792) in zwei Hälften, der in zweiter Auflage als Biblische Theologie in drei Bänden erschienen ist (1801).
Der genaue Titel lautet Prüfung der philosophischen und moralischen Predigten (1767), der als Autor ermittelte Felix Hess (1742–1768) war mit Johann Caspar Lavater bekannt (vgl. I § 283 c).
Nachdem der durch die berühmte Liebesbeziehung zu seiner Schülerin Heloisa (ca. 1101–1164) bekannte Petrus Abaelardus (1079–1142) nach seiner Verurteilung auf der Synode von Soissons (1121) aus der Haft entlassen worden war, gründete er bei Quincey ein Oratorium (Paracletus), wurde 1127 zum Abt von St. Gildas im bretonischen Rhuys gewählt, war jedoch knapp zehn Jahre später wieder als Lehrer in Paris tätig. V.a. Bernhard von Clairvaux (vgl. II § 115) betrieb seine erneute Verurteilung auf der Synode von Sens 1140. Zuflucht fand Abaelard bei Petrus Venerabilis (ca. 1092–1156) in Cluny, der eine Versöhnung mit Bernhard und die Aufhebung des päpstlich bestätigten Urteils erreichte. Von großem Einfluss war Abaelards synonym immer wieder auch als Logik bezeichnete Dialektik, die sich v.a. mit der für die Entwicklung der Scholastik (vgl. II § 19) bedeutenden Sic-et-non-Methode verbindet. Besonders hervorzuheben ist Abaelards Einfluss auf Petrus Lombardus (vgl. II § 115).
Nach dem vermutlich nach 1103 in Paris absolvierten Studium lehrte der als Kritiker Abaelards (s.o.) bekannte Robertus Pullus (Pulleyn) (ca. 1080–1146) zunächst in Oxford. Etwa im Jahre 1134 wurde er Archidiakon von Rochester, 1142 Nachfolger des zum Bischof seiner Heimatstadt ernannten Gilbert von Poitiers (ca. 1080–1154) in Paris und erhielt schließlich 1144 als erster Engländer die Kardinalswürde. Mit seinem durch eine hohe systematische Geschlossenheit auffallenden Sentenzenwerk zählt Robertus Pullus zu den Vorläufern des Petrus Lombardus (vgl. II § 115).
Vgl. II § 115.
Vgl. II § 19.
D.i. Theologiae (vgl. Samuel Friedrich Nathanael Morus' in der dritten Auflage der Anweisung wörtlich zitierten [vgl. I § 3 c] Epitome Theologiae Christianae [vgl. II § 190] sowie Christian Wilhelm Franz Walchs Breviarium theologiae symbolicae ecclesiae Lutheranae [vgl. II § 214]) oder, je nach Bezugswort, auch Theologicum bzw. Theologica.
Die Disputationes de controversiis Christianae fidei adversus huius temporis haereticos (1586–1593) des jesuitischen Kontroverstheologen und später zum Kardinal erhobenen Roberto Bellarmino (1542–1621) sind in drei Bänden erschienen, fanden europaweite Verbreitung und blieben über Jahrhunderte das apologetische Standardwerk des römischen Katholizismus. In den ersten hundert Jahren nach Erscheinen zogen die sog. Controversiae auf protestantischer Seite etwa 200 Gegenschriften nach sich.
Wie in der dritten Auflage der Anweisung erwähnt, verbindet sich die Trennung von Dogmatik und Moraltheologie mit Georg Calixt (vgl. I § 208 c).
Gemeint ist die Mönchsmoral (vgl. II § 199), die Nösselt auch als Mönchsgeist (vgl. II § 121) bezeichnet.
D.i. der zweite Teil der Summa Theologiae (vgl. II § 115).
Vgl. I § 43.
Der zweite Band ist 1783 erschienen.
Vgl. I § 3 c.
D.i. die dritte verbesserte Auflage.
Gottlob Christian Storrs (1746–1805) Doctrinae Christianae pars theoretica e Sacris Literis repetita (1793) avancierte in Württemberg zum dogmatischen Standardwerk und ist 1807 in zweiter Auflage erschienen. Storrs Schüler Carl Christian Flatt (1772–1843) hat dieses Werk unter dem Titel Lehrbuch der Christlichen Dogmatik (1803) ins Deutsche übersetzt und mit Erläuterungen und Zusätzen versehen.
Gemeint sind Heinrich Philipp Conrad Henkes (1752–1809) Lineamenta institutionum fidei Christianae historico-criticarum (1793; 21795), die unter dem Titel Grundriß einer historisch-kritischen Unterweisung der christlichen Glaubenslehre (1802) ins Deutsche übersetzt wurden, dann die als Inbegriff der evangelischen Glaubenslehre (1805) ebenfalls ins Deutsche übersetzte Summa theologiae Christianae (1803; 41830) Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850), Wilhelm Martin Leberecht De Wettes zweibändiges Lehrbuch der christlichen Dogmatik (1813/1816; 31831/1840) und schließlich die mehrfach aufgelegten Institutiones theologiae Christianae dogmaticae (1815) des Henke-Schülers Julius August Ludwig Wegscheider (1771–1849).
Unter Deismus versteht man eine (religions-)philosophische Strömung, die im 17. Jh. zunehmend an Bedeutung gewann und sich insbesondere von England aus über Europa und Nordamerika ausbreitete. Auch wenn der Deismus keine einheitliche oder organisierte Schulrichtung darstellt, lässt sich grundsätzlich festhalten, dass er jedweder christlichen Offenbarung überaus skeptisch gegenüberstand und auch in religiösen Fragen allein die Vernunft als Autorität gelten ließ. Die gegenüber der geoffenbarten Religion auf diese Weise aufgewertete natürliche Religion entspreche der vollkommenen Natur Gottes und reiche zum ewigen Heil aus. Im Umkehrschluss sei das christliche Lehrgebäude, insofern es sich auf vermeintlich göttliche Offenbarung gründe, abzulehnen, da es sich um das Ergebnis einer Korrumpierung der ursprünglich einfachen Lehre Jesu handele. Auch sei nicht mit einem Eingreifen Gottes in die Geschichte zu rechnen, da ein solches als Korrektur einer fehlerhaften Vorsehung anzusehen wäre. Zu den einflussreichsten Werken zählt Matthew Tindals (1657–1733) Christianity as Old as the Creation (London 1730), als deutscher Hauptvertreter ist insbesondere Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) zu nennen. Aufgrund seiner grundsätzlichen Bibel- und Dogmenkritik wurde der Deismus nicht selten als Bedrohung empfunden und die Bezeichnung Deist als Schimpfwort verwendet.
Dieses Werk stammt von dem Königsberger Theologen, Historiker und Bibliothekar Friedrich Samuel Bock (1716–1786).
Vgl. II § 124 c.
Hier greift Nösselt die Maxime gratia non tollit naturam, sed perficit des Thomas von Aquin auf (Summa Theologiae I, 1, 8 ad 2; vgl. II-II 26,13 s. c.).
Die mittelalterliche Mönchsmoral mit ihren Hauptelementen Ehelosigkeit, Gehorsam und Armut ist in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s ein gängiges Lehrstück der christlichen Sittenlehre und wird durchaus kritisch gesehen. Nösselt spricht auch vom Mönchsgeist (vgl. II § 121) und von Mönchsmaximen (vgl. II § 186).
Die zweite Auflage stammt aus dem Jahr 1783.
August Christian Bartels (1749–1826) Werk Ueber den Werth und die Wirkungen der Sittenlehre Jesu besteht aus zwei Teilen (1788/1789).
Vgl. I § 43.
Vgl. I § 200 a.
Vor seinem Wechsel nach Jena im Jahre 1705 bekleidete Johann Franz Buddeus (1667–1729) ab 1693 eine Professur für Moralphilosophie und ab 1704 für Theologie in Halle. Neben Crusius (s.u.) zählt er zu den bedeutendsten Gegnern der Philosophie Christian Wolffs, der sich seinerseits gegen die Umsturz- und Atheismusvorwürfe robust zur Wehr setzte. Mit Blick auf die Sittenlehre sind die 1719 ins Deutsche übersetzten und 1721 von Johann Anton Strubberg (1696–1731) in Tabellenform gebrachten Institutiones theologiae moralis (1711) zu nennen.
Durch sein umfangreiches Werk und als Schulhaupt (Semler, Nösselt u.a.) gehört Siegmund Jacob Baumgarten (1706–1757) zu den prägendsten Gestalten der bereits als Student bezogenen Universität Halle. Von hier aus hat er die theologische Entwicklung nicht nur des 18. Jh.s entscheidend beinflusst, Voltaire sah in ihm gar die Krone deutscher Gelehrsamkeit. Die christliche Sittenlehre hat Baumgarten, der nach der Vertreibung Wolffs aus Halle dessen Lehre zu behaupten suchte, insbesondere in seinem Unterricht vom rechtmäßigen Verhalten eines Christen oder Theologische Moral zum academischen Vortrag ausgefertiget (1738; 41750) bearbeitet. Dass Alexander Gottlieb Baumgarten und seine Ethica philosophica (1740) gemeint sein könnten, erscheint unwahrscheinlich.
Mehr noch als Baumgarten zeichnet der Tübinger Israel Gottlieb Canz (1689–1753), zunächst Professor für Beredsamkeit und Dichtkunst, dann für Logik und Metaphysik und ab 1747 Professor der Theologie, für die Anwendung der Wolffschen Philosophie auf die Theologie verantwortlich, auch wenn dieser v.a. in Philosophiae Leibnitianae et Wolffianae usus in theologia (1728) vorgetragene Ansatz (1732 und 1737 folgten zwei weitere Bände) massive Angriffe seitens der Theologischen Fakultät und der Kirche bis hin zur Zensur nach sich zog. Räumlich unmittelbar auf Württemberg beschränkt, wird Canz gleichwohl eine besondere Rolle innerhalb der theologiegeschichtlichen Entwicklung hin zur Neologie zugesprochen. Die christliche Sittenlehre ist im Unterricht von den Pflichten der Christen, oder theologische Moral, zum academischen und allgemeinen Gebrauch ausgefertigt (1749) abgehandelt.
Der von der Orthodoxie respektierte, in neologischen Kreisen dagegen verspottete Christian August Crusius (1715–1775) wirkte ab 1744 als außerordentlicher Professor der Philosophie und ab 1750 als Professor der Theologie in Leipzig (als entschiedener Gegner Ernestis) dem Wolffianismus entgegen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auch auf seinen Einfluss auf Kant hingewiesen. Theologisch war Crusius' von Johannes Coccejus (1603–1669) und den apokalyptischen Vorstellungen Johann Albrecht Bengels beeinflusst. In seiner Konzeption der Sittenlehre, wie sie v.a. in der zweibändigen Darstellung Kurzer Begriff der Moraltheologie oder nähere Erklärung der praktischen Lehren des Christenthums (1772/1773) niedergelegt ist, wird der Gehorsam gegen den Willen Gottes zum obersten Prinzip erhoben, Moral also theonom begründet.
Im Hinblick auf die christliche Moral verbindet sich der Name Johann Lorenz von Mosheims insbesondere mit der fünfbändigen Sitten-Lehre der Heiligen Schrift (1735–1753), die von Johann Peter Miller (1725–1789), einem Schüler und Vertrauten Mosheims, um vier Bände erweitert wurde (1762–1770). Nicht zuletzt aufgrund der immer wieder gerügten Weitschweifigkeit besorgte Miller zudem einen Auszug (1765).
Gemeint ist der auch als Moralschmid bekannte Johann Wilhelm Schmid (1744–1798), der den zunächst in kleineren Schriften vertretenen Einklang von philosophischer und theologischer bzw. kantischer und christlicher Moral in seiner Theologische[n] (1793) und der Christliche[n] Moral (1797–1804), deren zweiter und dritter Band von Carl Christian Erhard Schmid (1761–1812) besorgt wurden, ausgeführt hat. Kompendiösen Charakter haben sein Kurzer Abriß der Religions- und Sittenlehre für die christliche Jugend (1791) sowie das Lehrbuch der theologischen Moral für Vorlesungen (1794). Ebenfalls unter dem Einfluss Kants stehen Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850) Die christliche Sittenlehre nach einem wissenschaftlichen Grundrisse zunächst für seine Vorlesungen (1795) sowie Johann Peter Ludwig Snells (1764–1817) Critik der Volksmoral für Prediger nach Kantischen Grundsätzen bearbeitet (1793).
Für Paul Joachim Siegmund Vogel (1753–1834) ist das aus dem Lehrbuch der christlichen Moral zu akademischen Vorlesungen (1803) hervorgegangene Compendium der christlichen Moral zu akademischen Vorlesungen (1805) zu nennen, aus den unterschiedlichen Arbeiten Karl Friedrich Stäudlins (1761–1826) zur Moral kommen der die Tugendlehre enthaltende erste Teil der Grundrisse der Tugend- und Religionslehre zu akademischen Vorlesungen für zukünftige Lehrer in der christlichen Kirche (1798), die Grundsäze der Moral zu akademischen Vorlesungen für zukünftige Lehrer in der christlichen Kirche (1800) sowie dessen Neues Lehrbuch der Moral für Theologen nebst Anleitungen zur Geschichte der Moral und der moralischen Dogmen (1813) in Frage.
Indem Franz Volkmar Reinhard in seiner Moralkonzeption zum einen auf Begründungen aus der Wolffianischen Tradition zurückgreift, zum anderen aber auch die Lektüre Kants erkennen lässt, markiert sein zweibändiges System der christlichen Moral (1788), in späteren Auflagen auf fünf Bände erweitert, einen Übergang. Aufgrund seines Verhaftetseins im Wolffianismus wird Reinhard bisweilen auch als konservativer Aufklärer bezeichnet.
Christian Garves Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten (1798) reicht bis Kant. Zeitnah erschienen auch Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Uebersicht der verschiednen Moralsysteme (1798).
S.o.
Den Plan einer christlichen Sittenlehre auf biblischer Grundlage hat Niemeyer nicht mehr umgesetzt.
In der ersten Auflage der Anweisung fehlt die Aufzählungszahl „3)“, auf „2)“ folgt „4)“.
Vgl. I § 43.
Im dritten Teil der Anweisung kommen einzig die Ausführungen zum Begriff der Salbung in Frage (vgl. III § 55).
Vgl. I § 43.
Zur Konkordienformel vgl. II § 83. Die Seitenzahlen beziehen sich vermutlich auf eine Ausgabe des Konkordienbuches (vgl. II § 212).
Die von Matthias Hoë von Hoënegg (1580–1645) in kurfürstlichem Auftrag verfasste Nohtwendige Vertheidigung Des heiligen Römischen Reichs Evangelischer Chur-Fürsten und Stände AugApffels. Nemlich der wahren reinen ungeänderten Kayser Carln dem fünfften Höchstlöblichster Gedächtniß Anno 1530 ubergebenen Augspurgischen Confession, und des auff dieselbe gerichteten hochverpoenten ReligionFrieds (1628) zog eine Reihe von Streitschriften nach sich, so dass eine Nochmahlige unvermeidenliche und gründliche Haupt-Vertheidigung Des […] Aug-Apffels (1630) notwendig erschien. Das Bild des Augapfels geht auf Spr 7,2 zurück und wird in den Titeln der Streitschriften in kreativer Weise aufgegriffen (Brillenputzer, Starenstecher u.Ä.).
Das 1584 auch auf Latein erschienene Konkordienbuch (1580) wurde unter dem Titel Concordia. Christliche, wiederholete, einmütige Bekenntnüs nachbenannter Churfürsten, Fürsten und Stände Augsburgischer Confession und derselben Theologen Lehre und Glaubens am 50. Jahrestag der Verlesung des Augsburger Bekenntnisses (25.6.1530) veröffentlicht und enthält neben den im Folgenden genannten Texten zudem die drei altkirchlichen Hauptbekenntnisse (Apostolicum, Nicäno-Konstantinopolitanum, Athanasianum), als Ergänzung zur Confessio Augustana (s.u.) Melanchthons De potestate et primatu papae tractatus, die Konkordienformel (vgl. II § 83) sowie eine Zusammenstellung altkirchlicher Zeugnisse für die lutherische Christologie (Catalogus Testimoniorum). Obgleich das Konkordienbuch in einigen Gebieten nicht angenommen und in anderen später wieder für unverbindlich erklärt wurde, stellt es dennoch die verbreitetste Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften dar.
Bei dem im Wesentlichen auf Melanchthon zurückgehenden Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana [CA]) handelt es sich um die wichtigste Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche. Als Karl V. (1500–1558) Anfang 1530 einen Reichstag nach Augsburg einberief, erhofften sich die protestantischen Stände nicht zuletzt vor dem Hintergrund der drohenden Türkengefahr Zugeständnisse des Kaisers. Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen (1468–1532) ließ eine theologische Rechtfertigungsschrift für sein religionspolitisches Vorgehen ausarbeiten, die während der Reise nach Augsburg und auch nach der Ankunft weiter umgearbeitet und erweitert wurde. Als Grundlage dienten dabei bereits bestehende Lehrartikel (vgl. II § 212). Da Karl V. jedoch wider Erwarten nicht zu den erhofften Zugeständnissen bereit war, wurde der ursprünglich kursächsische Text auch mit Blick auf die übrigen protestantischen Reichsstände angepasst, so dass es sich nunmehr um ein umfassendes evangelisches Bekenntnis handelte. Der deutsche Text wurde am 25.6.1530 vor dem Kaiser verlesen und anschließend zusammen mit einer lateinischen Fassung übergeben. Das Bekenntnis selbst zerfällt in zwei Hauptteile: die Hauptartikel des protestantischen Glaubens (CA 1–21) und solche Artikel, in denen die von den Protestanten angeprangerten kirchlichen Missbräuche aufgezählt werden (articuli, in quibus recensentur abusus mutati) (CA 22–28). Da Melanchthon das Bekenntnis immer wieder redigiert hat, wird zwischen der Confessio Augustana invariata (1530) und einer bis in die 1660er Jahre (vgl. II § 212) deutlich breiter rezipierten, den theologischen und konfessionspolitischen Entwicklungen angepassteren Confessio Augustana variata (1540) unterschieden, doch fand nicht die variata, sondern die invariata Aufnahme in die Konkordienformel (vgl. II § 83) und damit auch in das Konkordienbuch (s.o.).
Da die altgläubige Widerlegung des Augsburger Bekenntnisses (s.o.), die sog. Confutatio, am 3.8.1530 zwar verlesen, den Protestanten jedoch nicht ausgehändigt wurde, waren Melanchthon u.a. bei der Ausarbeitung der Apologie (Apologia Confessionis Augustanae) zunächst auf Mitschriften angewiesen. Nachdem Karl V. (1500–1558) die Annahme der Apologie verweigert hatte, kam Melanchthon unversehens doch in den Besitz der Confutatio und gestaltete den Text der Apologie grundlegend um. Ein im Frühjahr 1531 erschienener lateinischer Drucktext (Quarttext) wurde von Melanchthon bis zum September 1531 überarbeitet (Oktavtext), ein kurz darauf von Justus Jonas verfasster deutscher Text der Apologie wurde 1533 von Melanchthon revidiert. Obgleich der Oktavtext in der Reformationszeit größere Bedeutung hatte, bot die lateinische Übersetzung des Konkordienbuches (1584) (s.o.) wieder den Quarttext. Ihrem Entstehungszusammenhang gemäß ist die dem Aufbau der Confessio Augustana folgende Apologie stark von dem gescheiterten Reichstag zu Augsburg geprägt und reagiert mit aller Schärfe auf die in der Confutatio, aber auch auf die in den Augsburger Gesprächen vertretenen altgläubigen Positionen.
Die Ende 1536 auf Bitte des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich I. (1503–1554) von Luther verfassten Schmalkaldischen Artikel sollten ursprünglich in Sinne eines theologischen Testaments die nach dem Ableben des lebensbedrohlich erkrankten Reformators zu erwartenden innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten verhindern. Dringlich wurde die Frage nach einem lutherischen Lehrbekenntnis kurz darauf zusätzlich auch durch die Einberufung eines allgemeinen Konzils in Mantua durch Papst Paul III. (1534–1549), so dass Johann Friedrich I. nun auch Melanchthon, Agricola u.a.m. hinzuzog. Die Anfang 1537 von Luther übersandten und von Melanchthon nur unter Vorbehalt mitgetragenen Artikel wurden dem Schmalkaldischen Bund zur Annahme vorgelegt, jedoch abgelehnt. Melanchthon verfasste daraufhin seinen De potestate et primatu papae tractatus, der von der Bundesversammlung angenommen wurde. Verschärft und mit neuem Vorwort veröffentlichte Luther die Schmalkaldischen Artikel nun als Privatschrift, die wie Melanchthons Traktat später ins Konkordienbuch (s.o.) aufgenommen wurde. Sie enthält deutliche Aussagen über die Opfermesse und das Papsttum, die als Verfehlungen gegen das Amt und die Ehre Christi und daher als Werke des Antichristen dargestellt werden.
Der zunächst auf Niederdeutsch, dann auf Hochdeutsch erschienene Kleine Katechismus (1529) lag bis zu Luthers Tod in über 60 Ausgaben vor und wurde schnell auch in andere europäische Sprachen übersetzt. Neben der religiösen Kurzunterweisung diente der Kleine Katechismus vielfach auch als Lehrbuch für den ersten Lese- und Schreibunterricht. Der umfangreichere, zuerst als Deudsch Catechismus erschienene Große Katechismus (1529) wird auch als Ersatz für die von Luther nicht in einem eigenen Werk abgehandelte Dogmatik verstanden, Luther selbst hielt ihn neben De servo arbitrio für sein gelungenstes Buch. Die inhaltlich v.a. auf Predigten zurückgehenden Katechismen stehen im Zusammenhang der ab 1528 durchgeführten kursächsischen Visitationen und richten sich an Pfarrer und Prediger, aber auch an Hausväter, die Luther, der die Katechismen als Laienbibel verstand, im Hinblick auf die religiöse Erziehung in besonderem Maße in der Pflicht sah. Im Zuge der Bekenntnisbildung und der Aufnahme in das Konkordienbuch (s.o.) wurden die katechetisch-seelsorgerlich angelegten Katechismen zu Bekenntnisschriften und damit zur verbindlichen Lehrnorm. Erklärt werden die Zehn Gebote, das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser sowie Taufe, Beichte und Abendmahl, der Kleine Katechismus bietet zusätzlich den Morgen- und Abendsegen, Tischgebete (Benedicite und Gratias), die Haustafel sowie das Trau- und das Taufbüchlein.
Zum Augsburger Bekenntnis (CA) vgl. II § 211. In Annahme der Lehre vom doppelten Ausgang (vgl. II § 113) verwirft CA 17 die Auffassung der Wiedertäufer, nach der auch den Gottlosen und Teufeln keine ewige Höllenstrafe zuteil werde, sowie jüdische Vorstellungen von der Vertilgung der Gottlosen und der Errichtung eines chiliastischen irdischen Reiches der Frommen noch vor der Auferstehung der Toten. Art. 7 des zweiten, die kirchlichen Missbräuche (abusus) aufzählenden Teils (= CA 28) behandelt die Gewalt der Bischöfe (De potestate ecclesiastica). Die Seitenzahlen beziehen sich auch hier vermutlich auf eine Ausgabe des Konkordienbuches (vgl. II § 210).
Vgl. II § 211.
Im vierten und letzten Teil der Litterarische[n] Abhandlungen (1781–1783) des halleschen Bibliothekars Joachim Christoph Bertram (1730–1802) ist der Aufsatz Von catholischen Confutationen der Augspurgischen Confeßion (aaO 116–158 [V.]) abgedruckt. Dieser Beitrag war zuvor über mehrere Nummern in den Wöchentliche[n] Hallische[n] Anzeigen (Jg. 1770) erschienen und hat von hier aus Eingang in die zweite Auflage von Christian Wilhelm Franz Walchs Breviarium (vgl. II § 214) gefunden.
Im dritten Teil (1782) der Litterarische[n] Abhandlungen (s.o.) findet sich die Untersuchung Von der Apologie der Augspurgischen Confeßion, und ihren verschiedenen Abfassungen (aaO 37–190 [II.]). Diese wird im vierten Teil (1783) fortgesetzt (vgl. aaO 1–76 [I.]). Auch diese Ausarbeitung war zunächst über mehrere Nummern in den Wöchentliche[n] Hallische[n] Anzeigen (Jg. 1769) erschienen.
Wenige Tage nachdem die Ausschreibung zum Augsburger Reichstag ergangen war, forderte Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen (1468–1532) Luther, Melanchthon u.a. auf, ein Gutachten über die Differenzen zwischen Protestanten und Altgläubigen zu erstellen. Über die im Zuge dessen zusammengestellten, v.a. auf Melanchthon zurückgehenden Artikel wurde am 27.3.1530 vor dem Kurfürsten in Torgau beraten, Textgeschichte und -gestalt der ursprünglichen Torgauer Artikel konnten bisher jedoch nicht abschließend rekonstruiert werden. Gegen den Wunsch des Kurfürsten gingen die Artikel allein auf die Kirchenbräuche ein, im Hinblick auf die Lehre schienen den Verfassern die ein Jahr zuvor ausgearbeiteten Schwabacher Artikel (s.u.) ausreichend zu sein. Die Torgauer Artikel finden sich daher v.a. im zweiten Hauptteil des Augsburger Bekenntnisses (vgl. II § 211).
Die Torgauer Artikel sind im ersten der vier Bände von Georg Coelestins (1525–1579) Historia comitiorum anno 1530 Augustae celebratorum (1577; 21597), 25–28 abgedruckt.
Die bereits im Sommer 1529 verfassten und den Marburger Artikeln (s.u.) zugrunde liegenden Schwabacher Artikel (1529) gehören wie die Torgauer Artikel (s.o.) in die direkte Vorgeschichte des Augsburger Bekenntnisses (vgl. II § 211). Die von den Wittenberger Theologen verfassten 17 Schwabacher Artikel sollten auf dem kurz nach dem Marburger Religionsgespräch (1529) stattfindenden Schwabacher Konvent (1529) als dogmatische Grundlage für eine Verständigung der unterschiedlichen protestantischen Positionen dienen, wurden jedoch von Straßburg und Ulm abgelehnt. Als es die Situation in Augsburg für Melanchthon erforderlich machte, die für den Reichstag vorbereitete kursächsische Rechtfertigungsschrift durch Lehrartikel zu ergänzen, zog er zu deren Ausarbeitung die Schwabacher, aber auch die Marburger Artikel heran. Diese finden sich v.a. im ersten der beiden Hauptteile des Augsburger Bekenntnisses wieder.
Die in insgesamt 24 Bänden erschienene Ausgabe D. Martin Luther's Sämtliche Schriften (1740–1750) wird nach ihrem Erscheinungsort als Hallische Ausgabe bezeichnet, ist nach ihrem in Jena wirkenden Herausgeber Johann Georg Walch (1693–1775) jedoch v.a. als Walchsche Ausgabe bekannt geworden. Die Schwabacher Artikel finden sich im Sechzehente[n] Theil, Welcher Die zur Reformationshistorie gehörige Documenten von 1525. bis 1537. enthält, nebst einem Vorbericht von dem Ursprung und Fortgang der Reformation (1745), 681–686.
Vgl. II § 113.
In Übereinstimmung mit der ersten Auflage der Anweisung finden sich die Marburger Artikel in den von Melanchthons Schüler Christoph Pezel (1539–1604) besorgten Philippi Melanchthonis Consilia sive Iudicia theologica (1600), 82–86.
Im ersten Band von Johann Bartholomäus Riederers (1720–1771) vierbändigen Nachrichten zur Kirchen- Gelehrten- und Bücher-Geschichte (1764–1768) findet sich der Beitrag Anmerkung von dem Orte und der Zeit, wo und wenn die sogenannten schwabachischen Artickel aufgesetzt und verfertiget worden (aaO 48–66 [V.]). Riederer identifiziert die Schwabacher mit den Torgauer Artikeln und argumentiert, dass diese wie die Artikel des Marburger Vergleichs (s.o.) in Marburg verfasst worden sein müssen (vgl. aaO 57–60).
Zur Confessio Augustana variata (1540) bzw. invariata (1530) vgl. II § 211.
Auf dem Naumburger Fürstentag (1561) unterzeichneten und bekräftigten die nicht zuletzt vor dem Hintergrund der erneuten Einberufung des Trienter Konzils (vgl. II § 98) um Einheit bemühten evangelischen Stände Augsburger Konfession (vgl. II § 211) die Confessio Augustana invariata (1530), genauer die dritte lateinische Oktavausgabe aus dem Jahr 1531. Gleichzeitig erkannten sie die variata (1540) mit dem von Melanchthon im Zuge der Konsensverhandlungen der Wittenberger Konkordie (vgl. II § 98) offener formulierten Abendmahlsartikel (CA 10) ausdrücklich als Interpretation der invariata an. Johann Friedrich II. von Sachsen (1529–1595), genannt der Mittlere, sowie zahlreiche andere Fürsten verweigerten jedoch die Unterschrift, da sie diese Verständigung als eine Verschleierung der Lehrunterschiede auffassten. Das Zitat gibt die Vorrede des Naumburger Fürstentagsabschieds wieder.
Vgl. II § 211.
Zur Confessio Augustana variata vgl. II § 211.
In der Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek 60 (1785), 60–66 findet sich eine Rezension von Georg Gottlieb Webers (1744–1801) Textausgabe Augspurgische Confession nach der Urschrift im Reichsarchive. Nebst einer Ehrenrettung Melanchthons (1781). Diese habe einigen Zweifel erregt und eine literarische Auseinandersetzung ausgelöst (vgl. aaO 66), die im Folgenden über die Besprechung der betreffenden Schriften nachgezeichnet wird (vgl. aaO 66–92). Zu diesen Schriften gehören z.B. Webers zuvor genannte zweibändige Kritische Geschichte (1783/1784) sowie eine Replik (1783) Johann Melchior Goezes (1717–1786) auf die in der nachfolgenden Anmerkung genannte Apologie Melanchthons (s.u.).
In Georg Theodor Strobels (1736–1794) Apologie Melanchthons wider einige neuere Vorwürfe des Herrn Hauptpastor Götzen zu Hamburg (1783), 85–122 findet sich das Kapitel Von Veränderung der Augspurgischen Confession.
Der Name des Autors lautet Gottlieb Jakob Planck (1751–1833). Außerdem handelt es sich um die zweite Auflage.
1810 sind die ersten beiden Bände dieses Werkes erschienen, 1813 folgte ein dritter Band.
Im zweiten Band von Niemeyers Nösselt-Biographie (vgl. Vorrede Hg. c XIf.) finden sich Nösselts Ansichten der Bestimmung und der Würde der Universitäten (aaO II, 117–140 [VI.]), die beispielhaft aus dessen Vorstellung des akademischen Senats an S. K. Maj. die Befreyung der Universität von der Aufsicht des Oberschulcollegiums betreffend (aaO II, 117–134) sowie einem Auszug aus einem zweyten Bericht vom Jahre 1801 (aaO II, 134–140) hervorgehen sollen.
Vgl. Vorrede Hg. c IVf.
Gemeint ist II § 325–329.
Vgl. II § 126.
Vgl. 1Kor 12,12–27.
Vgl. Gal 6,9.
So berichtet etwa die Apostelgeschichte, dass im Anschluss an die sog. Areopagrede des Paulus (Apg 17,22–31) einige Personen gläubig wurden (vgl. Apg 17,34).
Vgl. 1Kor 9,22.
Bei Karl Viktor Hauffs (1753–1832) Bemerkungen über die Lehrart Jesu mit Rücksicht auf jüdische Sprach- und Denkungsart. Ein Beitrag zur richtigen Beurtheilung dessen, was Lehre Jesu ist (1798) handelt es sich um die zweite Auflage. Die Erstauflage stammt aus dem Jahr 1788.
Vgl. 1Kor 9,22.
Im Journal für Prediger 17 (1785), 125–139 findet sich August Hermann Niemeyers Vorschlag zur besondern Bearbeitung einzelner Classen von Mitgliedern christlicher Gemeinen.
Gemeint ist Eph 2,20–22.
D.i. Johann Benjamin Koppe (1750–1791) und seine Genauere Bestimmung des Erbaulichen im Predigen (1778).
Es handelt sich um Johann Joachim Spalding (vgl. SpKA II/3, 52–72).
In dem seit 1795 von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus herausgegebenen Neue[n] theologische[n] Journal 9 (6. St.) (1797), 521–546 findet sich eine anonym erschienene Rezension zu Georg Wilhelm Rullmanns (1757–1804) Anweisung zu einem erbaulichen und populären Canzelvortrag nach den Bedürfnissen unserer Zeiten (1796). Eingeschaltet ist ein Exkurs über den für die Homiletik wichtigen Begriff der Erbauung (vgl. aaO 535–542), der im Inhaltsverzeichnis unter dem Titel Was ist Erbauung? als eigenständiger Beitrag verzeichnet ist.
Gemeint ist wohl die zweite Auflage (vgl. I § 285 c; II § 174 c).
Vgl. II § 170.
Laut Inhaltsverzeichnis der aus dem Jahr 1783 (vgl. II § 203) stammenden zweiten Auflage gibt Nösselt auf den betreffenden Seiten eine Beyläufige Erklärung was Geschmack am Bösen und Hang dazu sey? (aaO 74–78).
Vgl. Lk 15,11–32.
Vgl. v.a. Mk 14,26–31.66–72 parr.
Vgl. v.a. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13.
Vgl. Koh 1,2.14 u.ö.
Vgl. Mk 4,1–9.13–20 parr. sowie Mk 4,26–29.
D.h. hypochondrischen.
Vgl. Mk 2,13–17 parr.
Vgl. II § 63 c.
In der ersten und zweiten Auflage der Anweisung hat das Zeichen „††)“ keine Entsprechung in den Anmerkungen. Die dritte Auflage der Anweisung lässt jedoch vermuten, dass es sich auf Anm. 3. bezieht.
Im Gegensatz zur synthetischen Predigt, in der der Predigttext unter einem bestimmten Hauptthema behandelt wird, legt die auch als Homilie bezeichnete (vgl. III § 65 c) analytische Predigt den Predigttext Schritt für Schritt (aber nicht unbedingt Vers für Vers) und ohne Berücksichtigung eines bestimmenden Hauptthemas aus. Eine derart durchgeführte Textauslegung bindet nicht selten aus der wissenschaftlichen Exegese stammende philologische, antiquarische u.a. Beobachtungen ein und bewegt sich so auf einem durchaus hohen Bildungsniveau.
Vgl. I § 283 c.
Zur Klärung des Begriffs Salbung vgl. den Nachtrag in der dritten Auflage der Anweisung.
In allen drei Auflagen der Anweisung ist der Titel der ersten Auflage genannt. Der Titel der zweiten Auflage lautet jedoch Grundsätze zur Bildung künftiger Volks und Jugendlehrer oder der Homiletik, Katechetik, Pädagogik (1786).
Gemeint sind Erasmus' von Rotterdam Ecclesiastae sive de ratione concionandi libri IIII (1554).
Der Nebentitel der fünften Auflage lautet Homiletik, Pastoralwissenschaft und Liturgik.
Die drei Teile sind zwischen 1787 und 1789 erschienen.
Heinrich August Schotts (1780–1835) dreiteilige Theorie der Beredsamkeit ist in erster Auflage zwischen 1815 und 1828 in Leipzig erschienen.
Es handelt sich um die zweite umgearbeitete Auflage des Kurze[n] Entwurf[s] einer Theorie der Beredsamkeit.
Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850) Handbuch der Anleitung zur Kanzelberedsamkeit für christliche Religionslehrer ist 1812 in zweiter Auflage in Nürnberg erschienen.
Vgl. I § 279 c.
Vgl. I § 43.
Wie in der ersten Auflage der Anweisung angegeben, ist dieses Werk nur in acht Bänden (1778–1787) erschienen.
Wie in der ersten Auflage der Anweisung angegeben, stammt der erste Band aus dem Jahr 1784. 1787 ist eine zweite Ausgabe in zwei Bänden erschienen. Diese enthält den Text der ersten sechs Bände der Erstausgabe (1784–1786), deren siebter Band (1787) gleichzeitig als Anhang zu den beiden Bänden der zweiten Ausgabe fungiert.
Bisweilen wird der Erscheinungszeitraum aller vier Bände mit 1785–1791 angegeben, doch dürfte das Neue katechetische Magazin mit dem Erscheinen der ersten Abteilung des vierten Bandes (1789) eingestellt worden sein.
Der Verfasser des dreibändigen Lehrbuchs (1795–1799) ist Johann Friedrich Christoph Graeffe (1754–1816).
D.i. Johann Friedrich Christoph Graeffes (1754–1816) Grundriß der allgemeinen Katechetik nach Kantischen Grundsätzen nebst einem kurzen Abrisse der Geschichte der Katechetik von dem entferntesten Alterthume bis auf unsere Zeiten (1796).
Gemeint ist Friedrich Wilhelm Wolfrath (1757–1812).
Georg Heinrich Langs (1740–1805) Katechetisches und Neues Katechetisches Magazin sind in diesem Paragraphen in den ersten beiden Auflagen der Anweisung ausführlich bibliographiert. Johann Friedrich Christoph Graeffes (1754–1816) Neuestes katechetisches Magazin zur Beförderung des katechetischen Studiums (1789–1801) ist in vier Bänden erschienen, von denen der erste Band eine zweite (1793) und der zweite eine dritte Auflage (1798) erlebt hat, sein Katechetisches Journal (1793) hat Graeffe auch als Neues Journal der Katechetik und Pädagogik (1795–1801) veröffentlicht und insgesamt sieben Jahrgänge herausgegeben.
Vgl. I § 43 c.
Vgl. III § 66.
Die Vorstellung einer gegenüber der Prosa ursprünglicheren Poesie wird von Johann Georg Hamann (1730–1788) in seiner erstmals 1760 veröffentlichten Aesthetica in nuce vertreten und findet sich dann auch bei Herder und Hegel.
Der Titel lautet korrekt Briefe, das Studium der Theologie betreffend (vgl. I § 51).
Aus dem überaus umfangreichen Predigtwerk des Johannes Chrysostomus entfallen allein 90 Homilien auf Mt, 88 auf Joh, 74 auf 1Kor und 2Kor, 67 auf Gen, 55 auf Apg, 32 auf Röm usw. Charakteristisch für die Homilien des Chrysostomus ist, dass sie nicht allein Schrifterklärung bieten, sondern nahezu immer mit einer paränetischen Stellungnahme zur christlichen Lebenspraxis schließen.
Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850) Handbuch (s.u.) lässt erkennen, dass bei der grundsätzlich obligat erscheinenden Aufnahme Martin Luthers in die Liste der Musterprediger an konkrete bibliographische Angaben gedacht ist. Ammon verweist auf den elften Teil (1742) der Hallischen Ausgabe (vgl. II § 212), welcher den Ersten Theil von der Kirchenpostill, nemlich die Auslegungen derer Evangelien auf alle Sonn- Fest- und Aposteltage enthält, sowie auf Luthers Hauspostille in der zweiteiligen Ausgabe (1794/1795) des sächsischen Pfarrers und Kirchenlieddichters Christian Gottlieb Frohberger (1742–1827).
Unter den Werken Wilhelm Abraham Tellers nehmen Predigten einen großen Raum ein. Gedruckt sind etwa einzelne Gedächtnispredigten (z.B. auf Spalding) und Predigtsammlungen (z.B. Sonn- u. Festtagspredigten, Predigten zur häuslichen Frömmigkeit), besonders hervorgehoben seien an dieser Stelle die zweiteiligen Predigten und Reden bey besondern Veranlaßungen gehalten nebst einigen sogenannten Homilien (1787). Berichtet wird von Tellers undeutlicher Aussprache, die dazu geführt habe, dass man seine Predigten lieber gelesen als gehört hat. In diesem Zusammenhang ist auch das von Teller herausgegebene Neue Magazin für Prediger (1792–1802) und als Hilfsmittel nicht zuletzt auch sein Wörterbuch (BdN IX) zu nennen.
Nach dem Studium in Leipzig wurde Karl Gottlob Sonntag (1765–1827) auf Empfehlung Morus' 1788 zunächst Rektor der Domschule in Riga und ein Jahr später Rektor des Kaiserlichen Lyzeums. Gleichzeitig wurde er Diakon, später Oberpastor an der St. Jakobi-Kirche. Seit 1799 im Livländischen Oberkonsistorium tätig, wurde er 1803 dessen Präsident, zudem Generalsuperintendent und erhielt 1805 die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Dorpat. Vielseitig engagiert, hat Sonntag ein umfangreiches Werk hinterlassen. Aus seiner Zeit als Diakon bzw. Oberpastor stammen Einige Predigten (1789; 21790) sowie Ueber Menschenleben Christenthum und Umgang. Eine Sammlung Predigten aufs ganze Jahr für gebildetere Leser (1794–1802) in vier Teilbänden, daneben finden sich auch einzeln gedruckte Predigten.
Hier handelt es sich um den vergleichsweise unbekannten, zuletzt in Pötewitz bei Zeitz wirkenden Prediger Gottlieb Lange (1769–1837), der u.a. durch seine zweibändigen Biblische[n] Religionsvorträge oder Homilien über einige historische Stellen des neuen Testaments (1797/1801) mitsamt einer knapp 100 Seiten umfassenden Abhandlung über die Homilie hervorgetreten ist, auf die wegen ihrer Musterhaftigkeit auch in Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850) Handbuch (s.u.) verwiesen wird (vgl. aaO § 44 u.ö.).
Johann August Nebe (1775–1854) wurde als Sohn eines Predigers und Waisenhausinspektors in Halle geboren und stand hier besonders unter dem Einfluss Niemeyers, mit dem er mütterlicherseits verwandt war. Nach dem in Halle absolvierten Studium übernahm er nach der üblichen, im Jahre 1800 angetretenen Wissenschaftsreise zunächst eine Inspektorenstelle am halleschen Waisenhaus, 1802 eine Pastorenstelle bei Merseburg und 1814 die Superintendentur in Frauenprießnitz. 1816 wurde Nebe als Oberpfarrer, Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat nach Eisenach berufen und trat hier bis 1853 insbesondere in Schulangelegenheiten hervor. Bereits 1817 verlieh ihm die Theologische Fakultät in Halle die Ehrendoktorwürde. Zu Nebes bedeutendsten Schriften zählen seine pädagogischen Werke, doch sind mit Das Gebet Jesu Christi. Homilieen für christliche Leser aller Confessionen (1802) und den Homilien für Landgemeinen, größtentheils bei Trauerfällen und bei der Feier des Abendmahls (1799) auch Predigten gedruckt, daneben ist Nebes Ueber die Gefahr, sich auszupredigen. Ideen, Winke und Vorschläge für jetzige und künftige Prediger (1805) zu nennen.
Gemeint ist wohl Gottlob Eusebius Fischer (1769–1847), ab 1797 Diakon in Zschaitz bei Döbeln, 1801 Archidiakon in Wurzen, 1810 Pfarrer im thüringischen Ranis und ab 1819 Superintendent und Oberpfarrer in Sangerhausen. Von ihm stammt der Band Homilien. Ein Erbauungsbuch für Christen (1796). Nicht auszuschließen ist jedoch auch der Königsberger Pfarrer Karl Gottlieb Fischer (1745–1801), der eine dreiteilige Sammlung seiner Homilien über merkwürdige Erzälungen aus der Geschichte Jesu (1799) herausgegeben hat.
In Christoph Friedrich von Ammons (1766–1850) Handbuch (vgl. III § 57), in dem alle an dieser Stelle genannten Prediger als Musterbeispiele aufgelistet sind (vgl. aaO § 50), findet sich im Anschluss an die Unterscheidung von synthetischer und analytischer Predigt (vgl. III § 54) die Behandlung der auch als Homilien zu bezeichnenden analytischen Predigten (vgl. aaO § 44.45–50). Ihre doppelte Seite besteht laut Ammon darin, dass sie zum einen die Kenntnis der biblischen Überlieferung befördern, zum anderen jedoch den freien Gedankengang des Predigers und die Konzentration auf ein einzelnes Thema behindern (vgl. aaO § 51).
Hier richtet sich Nösselt (vgl. auch I § 277; III § 62) gegen das enfant terrible der Aufklärungstheologie, Carl Friedrich Bahrdt (1741–1792), der seine Homiletik (1773) mit der Forderung beschlossen hatte, Kandidaten der Theologie sollten sowohl in Deklamation als auch in Aktion von Schauspielern unterrichtet werden (vgl. aaO 56 [§ 142]). Die nur wenige Sätze umfassende Rezension in der Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek 20 [1773], 496 geht allein auf diesen Punkt ein und äußert die Befürchtung, die Kandidaten könnten zu theatralisch werden und so einen besonders abstoßenden Fehler auf der Kanzel begehen. Zudem seien die meisten deutschen Schauspieler miserabel, so dass es ratsamer sei, diesen Unterricht einem geschickten Prediger zu überlassen. Der Idee, angehende Pfarrer von Schauspielern unterrichten zu lassen, hat auch Johann Gottfried Herder (1744–1803) in An Prediger (1774) vehement widersprochen. Bemerkt sei, dass diese Debatte Eingang in Goethes Faust gefunden hat (vgl. Faust I, 522–529) und bereits im in der ersten Hälfte der 1770er Jahre entstandenen Urfaust vorkommt.
Gemeint ist der Beitrag Einige Gedanken über die Uebung im Lesen in Friedrich Gedikes (1754–1803) Gesammlete[n] Schulschriften I (1789), 368–380 (IX.).
Vgl. III § 29.
Gemeint ist wohl die zweite Auflage (vgl. I § 285 c).
Vgl. 1Kor 12,12–27.
Vgl. 1Kor 9,22.
D.i. 2Kor 13,7.
Für den späteren Nachtrag ist die Paragraphenzahl offengeblieben (vgl. I § 120 a; III § 105).
Vgl. I § 43.
Das letzte Stück datiert aus dem Jahr 1783.
Die Reihe Ueber Predigerbeschäftigung und Predigerbetragen ist in insgesamt neun Heften (1783–1794) erschienen.
Die Briefe zur Bildung des Landpredigers stammen von Johann Georg Gottfried Kiesling (1748–1819).
Ein Supplementband ist 1793 erschienen, doch können auch Christian Wilhelm Oemlers (1728–1802) Vermischte und letzte Beyträge zur Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger (1801) als Supplement gelten.
Gemeint sind Johann Wilhelm Loy (1752–1805) und sein zweiteiliger Zweckmäßiger Auszug aus Ch. W. Oemlers Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger (1805/1806).
Vgl. I § 43 c.
D.i. Wilhelm David Fuhrmanns (1764–1838) Handbuch der theologischen Literatur oder Anleitung zur theologischen Bücherkenntniß für Studirende, Candidaten des Predigtamts und für Stadt- und Landprediger in der protestantischen Kirche (1818/1819.1821) (vgl. I § 43 c).
In dem zwischen Ferdinand I. (1503–1564), ab 1531 römisch-deutscher König, den protestantischen und den römisch-katholischen Reichsständen geschlossenen Augsburger Religionsfrieden vom 25.9.1555 wurde eine paritätische Reichskirchenverfassung und die obrigkeitliche Territorialkirchenherrschaft vereinbart. Dies bedeutete eine gleichberechtigte Koexistenz zwischen Altgläubigen und den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses (vgl. II § 211) und gleichzeitig den Verlust der mittelalterlichen Einheit der Kirche bzw. von Kirche und Reich. Insofern gilt der Augsburger Religionsfriede als das wichtigste Fundamentalgesetz des Reichs im Konfessionellen Zeitalter, dessen Folgen bis in die Gegenwart hinein spürbar sind.
Der den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) beendende Westfälische Friede von Münster und Osnabrück (1648) bestätigte und aktualisierte die Vereinbarungen des Augsburger Religionsfriedens (s.o.) und garantierte überdies auch den Reformierten den gleichen reichsrechtlichen Status.
Vgl. 2Kor 3,9; 11,12–15 (vgl. Röm 6,13.18).
Aus dem Titelblatt von Just Karl Wiesenhauerns (1719–1759) Grundsätze[n] des allgemeinen und besondern Kirchen-Staats-Rechts der Protestirenden in Teutschland (1764) geht nicht hervor, dass es sich um eine neue Auflage handelt. Die erste Ausgabe stammt aus dem Jahr 1749.
Wie in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragen, wurde diese Ausgabe posthum von Christian Ernst von Windheim (1722–1766) besorgt und mit Anmerkungen versehen.
Bearbeitung und Fortsetzung stammen von Christian August Günther (1758–1839).
Andreas Joseph Schnauberts (1750–1825) Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten und Katholiken in Deutschland (3. bzw. 2. Auflage 1805/1806) bestehen aus der dritten Auflage der Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten in Deutschland (1805) als erster und der zweiten Auflage der Besondere[n] Grundsätze des Kirchenrechts der Katholicken in Deutschland (1806) als zweiter Abteilung.
Die fünf Bände der dritten Auflage sind zwischen 1730 und 1763 erschienen, die vier Bände der in der dritten Auflage der Anweisung nachgetragenen fünften Auflage zwischen 1756 und 1789. Der fünfte Band der dritten Auflage (1763) enthält die Indices und wird bisweilen auch als fünfter Band der fünften Auflage gezählt.
Dieses Werk stammt von Heinrich Arnold Lange (1724–1783) und wurde posthum von Johann Jakob Lang (1731–1801) herausgegeben.
Wie in der dritten Auflage der Anweisung aufgelöst, handelt es sich um Ludwig Timotheus von Spittlers Geschichte des kanonischen Rechts bis auf die Zeiten des falschen Isidorus (1778) sowie Johann Georg Pertschs (1694–1754) Kurze Historie des Canonischen und Kirchen-Rechts, die jedoch, wie an der angegebenen Stelle in der sog. Bücherkenntniß (vgl. I § 43) aufgeführt, im Jahre 1753 erschienen ist (s.u.).
Dieses Werk stammt von Johann Georg Pertsch (1694–1754) und ist 1753 erschienen (s.o.).
Gottlieb Jakob Plancks Grundriß einer Geschichte der kirchlichen Verfassung ist 1790 erschienen.
Paul Joseph von Rieggers (1705–1775) vierbändige Institutiones iurisprudentiae ecclesiasticae sind sowohl im Jahre 1774 als auch im Jahre 1780 als editio nova et emendata in Wien erschienen.
Gemeint sind Georg Ludwig Böhmer (1715–1797) und Karl Traugott Gottlob Schoenemann (1765–1802).
D.i. das Corpus juris canonici (1747) des an der Universität Halle wirkenden Juristen Justus Henning Böhmer (1674–1749), der bereits zuvor mit zwei Werken genannt ist (s.o.).
Das Corpus juris ecclesiastici Catholicorum novioris, quod per Germaniam obtinet besteht aus zwei Bänden (1797/1799).
Der zweite Teil ist 1738 erschienen.
Gemeint ist Volckmar Daniel Spoerls (1733–1807) Vollständige Pastoral-Theologie aus den fürnehmsten Kirchen- und Landes-Ordnungen der, des H. Röm. Reichs Churfürsten, Fürsten und Stände (1764).
Wilhelm Heinrich Beckhers (1694–1768) Preußische[r] Kirchenregistratur, oder: Kurze[m] Auszug Königlich-Preußischer Edicten und Verordnungen, welche in Kirchen- und Schulsachen in dem Königreich Preußen publiciret worden (21769) ist, wie den weiteren Titelangaben zu entnehmen, eine von Friedrich Samuel Bock (1716–1786) verfasste Vita Beckhers vorangestellt. Ludwig Ernst von Borowski (1740–1831) hat die Fortsetzung nebst einer Betrachtung, über die gegenseitige Verhältniße der Obrigkeit und des Predigers (1773) herausgegeben.
Gemeint ist wohl Ludwig Ernst von Borowskis (1740–1831) Neue Preußische Kirchenregistratur, die neuern Verordnungen und Einrichtungen in Kirchen- und Schulsachen im Königreiche Preußen enthaltend (1788), die als Nachtrag zu Beckher (s.o.) zu verstehen ist.
Der vollständige Titel lautet Allgemeines Preußisches Kirchenrecht, ein systematisch-geordneter Auszug desjenigen, was in dem allgemeinen Landrechte, und in der Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten darauf Bezug hat, vorzüglich für Prediger, Candidaten und Kirchencollegia (1798), als Herausgeber ist Franz Gotthilf Heinrich Baedeker (1752–1825) ermittelt.
Der Titel von Salomon Deylings (1677–1755) Hauptwerk lautet Institutiones prudentiae pastoralis.
Dieses Werk ist in insgesamt fünf Bänden erschienen (1801–1806).
Das Handbuch des Meklenburgischen Kirchen- und Pastoralrechts stammt von dem zumindest auf dem Titelblatt ungenannten Schweriner Kanzleirat Friedrich Wilhelm Christoph Siggelkow (1745–1807).
Die Grundzüge zur evangelisch-protestantischen Kirchenverfassung und zum evangelischen Kirchenrechte (1817) wurden durch den Ronneburger Oberpfarrer und Superintendenten Johann Georg Jonathan Schuderoff (1766–1843) zum Reformationsjubiläum herausgegeben, in dessen Rahmen er von der Theologischen Fakultät der Universität Jena den Doktorgrad erhielt. Für diesen dürfte das D. zu nehmen sein.
Heinrich Stephanis (1761–1850) Über die absolute Einheit der Kirche und des Staates ist 1802 in Würzburg erschienen, die zweite Auflage 1839 in Erlangen.
Gemeint ist wohl der zweiteilige Versuch, eine zweckmäßige Verfassung für den protestantischen Prediger- und Schullehrerstand zu entwerfen, mit Rücksicht auf das Herzogthum Berg (1807), sein Verfasser ist Johann Abraham Küpper (1779–1850), ab 1801 Pfarrer in Mettmann, ab 1817 u.a. als Schul- und Konsistorialrat in Trier (hier taufte und unterrichtete er Karl Marx) und zuletzt ab 1846 Generalsuperintendent der Rheinprovinz. Neben Küpper (vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen 28 [1839], 405) wurde der anonym erschienene Versuch jedoch auch Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766–1837) zugeschrieben (vgl. aaO 15 [1839], 405).
Johann Christoph Greilings (1765–1840) Ueber die Urverfassung der Apostolischen Christengemeinen oder Biblische Winke für die Evangelischen Synoden ist 1819 in Halberstadt erschienen.
Die im Sommer 1818 als Zirkularschreiben ergangene Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung stammt von Friedrich Ehrenberg (1776–1852), der im Jahr zuvor von Friedrich Wilhelm III. (1770/1797–1840) als Nachfolger von Friedrich Samuel Gottfried Sack (1738–1817) in das neu eingerichtete Kultusministerium berufen worden war und bereits den Entwurf einer Synodalordnung (1817) erarbeitet hatte. Vor dem Hintergrund der Unionsbestrebungen Friedrich Wilhelms, der Neuorganisation des preußischen Kirchenwesens und dem ausbrechenden Agendenstreit waren Kreis- und Provinzialsynoden aufgerufen, sowohl über den Entwurf als auch über die von Schleiermacher in einem Brief an Gaß vom 31.8.1818 als erzhölzern (vgl. Fr. Schleiermacher's Briefwechsel mit J. Chr. Gaß [1852], 154) bezeichnete Anleitung zu beraten, die in sechs Abschnitten (Von der Gemeine und dem Presbyterio; Von dem Prediger und dessen Amte; Von dem öffentlichen Gottesdienste und den heiligen Handlungen; Von der Pfarr-Schule und ihren Lehrern; Von den untern Kirchen-Bedienten; Von der Kirchenzucht) und 113 Paragraphen einen umfangreichen Aufriss bot und einzelne Fragen zur Diskussion stellte.
Vgl. I § 253; I § 255 a.
[734] 2958 Ueber die Geisteskräfte und deren Prüfung, siehe den treflichen2959 1730Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten in der Sammlung einiger Abhandlungen von Christian Garve Garve , Leipzig2960 1779, in Octav,2962 (S.)Seite 8 flgg.folgende 2963
[144] Es versteht sich von selbst, daß – da der Umkreis von Beschäftigungen, der einem Lehrer der Religion in seinem besondern Beruf2964 angewiesen ist, größer2965 und kleiner, einfacher und zusammengesetzter2966 seyn kan2967, zu so verschiednen2968 Aemtern nicht immer ausserordentliche Menschen2969 erfordert werden, und2970 selbst große2971 Fähigkeiten in einem kleinen und einfachen2972 Kreise das Interesse an gewissen Beschäftigungen schwächen, und leicht verleiten, über das Ziel hinauszulaufen – daß, sag' ich, theils diese Fähigkeiten nicht bey2973 allen im hohen2974 Grade brauchen vorhanden zu seyn, theils ein jeder sich, nach der besondern Art von Fähigkeit wozu2975, derjenigen2976 besondern Art von Beschäftigungen widmen müsse, die jenen am angemessensten sind2977, und hinwiederum nach seinem vorzüglichen Geschmack an gewissen Beschäftigungen des Lehramts sich prüfen, ob und wie weit er dazu die ihnen entsprechende2978 Fähigkeiten habe,2979 oder erlangen könne.
Der Aufsatz Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten findet sich in Christian Garves Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften (1779), 8–115.
Im ersten Band der dritten Auflage der Anweisung (1818) sind Niemeyers Grundsätze noch in der sechsten Auflage (1810) angeführt worden (vgl. I § 64 c), hier ist dagegen der erste Teil der siebenten Auflage (1818/1819) gemeint. Der Titel der fünften Beilage des ersten Teils (1818) lautet Ueber die Uebung der Gedächtnißkraft, mit Rücksicht auf die neuesten Bearbeitungen der Mnemonik (aaO 489–515).
Für den späteren Nachtrag ist die Paragraphenzahl offengelassen (vgl. I § 120 a; III § 77). Da in der ersten Auflage der Anweisung an dieser Stelle auf § 270 verwiesen wird, dürfte in der zweiten Auflage § 268 gemeint sein. Zudem wird in der dortigen Anmerkung auf III § 105 verwiesen.
Die Übersetzung von Alexander Gerards (1728–1795) An Essay on Taste (1759) stammt von Karl Friedrich Flögel (1729–1788), der nach dem Studium in Halle zunächst in den Schuldienst in seiner Heimatstadt Breslau eintrat und schließlich als Professor für Philosophie an die nahegelegene Liegnitzer Ritterakademie berufen wurde. Neben Flögels Übersetzung enthält der in Breslau und Leipzig erschienene Band zudem Zwo Abhandlungen über eben die Materie vom Herrn von Voltaire, und Hrn. v. Alembert.
Die von Christian Garve besorgte Übersetzung von Gerards An Essay on Genius (1774) ist 1776 erschienen.
Die aus dem Jahr 1768 stammende Zürcher Übersetzung von Samuel Tissots (1728–1797) ursprünglich auf Latein (1766) publiziertem Traktat De la Santé des Gens de Lettres (1768) wurde von Johann Rudolph Füssli (1709–1793) besorgt. Die Leipziger Übersetzung desselben Jahres ist anonym erschienen.
Der Auszug aus Samuel Tissots (1728–1797) Von der Gesundheit der Gelehrten findet sich als Von der Gesundheit der Gelehrten und kränklicher Personen in dessen von Christian Friedrich Held (1740–1788) herausgegebenem Medicinische[n], praktische[n] Handbuch I (1785), 437–512.
Der Artzt des Gottesgelehrten welcher Vorschriften giebt wie sich Prediger in Ansehung ihrer Gesundheit bey Führung ihres Amtes zu verhalten haben des Leipziger Mediziners Johann Georg Friedrich Franz (1737–1789) ist auch in der ersten Auflage (1769) anonym erschienen.
Das zweibändige Werk Über die menschliche Natur und die Mittel ein hohes Alter zu erreichen. Zur frühen Beherzigung junger Studierenden auf Schulen und Universitäten, und für Personen die sich einer sitzenden Lebensart widmen (1797) stammt von Johann Heinrich Jördens (1764–1813).
(Anm.)Anmerkung Eine kurze aber treffliche Betrachtung von 1749 Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse an Wahrheit, findet man in den Horen textgrid:255kg. Nachdem er den Begriff selbst tief begründet und klar dargestellt, schließt er mit folgenden Worten, die hier wohl eine Stelle ver[163]dienen, da der Aufsatz nicht so leicht bei der Hand seyn möchte, und die Sache vorzüglich auch für den Religionslehrer, dessen ganzes Leben ein Forschen nach Wahrheit seyn soll, von so hoher Wichtigkeit ist.
„Mit dieser sichern Ueberzeugung, stets einig mit sich selbst zu seyn, geht der entschiedene Freund der Wahrheit auf dem Wege der Untersuchung ruhig fort; er geht muthig Allem entgegen, was ihm auf demselben aufstoßen möchte. Es ist für denjenigen, der mit sich selbst noch nicht recht Eins geworden ist, was er denn eigentlich suche und wolle, äußerst beängstigend, wenn er auf seinem Wege auf Sätze stößt, die allen seinen bisherigen Meinungen und den Meinungen seiner Zeitgenossen und der Vorwelt widersprechen: und gewiß ist diese Aengstlichkeit eine der Hauptursachen, warum die Menschheit auf dem Wege zur Wahrheit so langsame Fortschritte gemacht hat. Von ihr ist derjenige, der die Wahrheit um ihrer selbst willen sucht, völlig frei. Er blickt jeder noch so befremdenden Folgerung kühn in das Gesicht. Ob sie ein befremdendes, oder bekanntes Aussehen habe, ob sie seiner und aller bisherigen Meinung widerspreche, oder nicht, davon war nicht die Frage. Die Frage war: ob sie, seinem besten Wissen nach, mit den Gesetzen des Denkens übereinstimme, oder nicht, und das wird er untersuchen. Wird sich finden, daß sie damit übereinstimme, so wird er sie als heilige ehrwürdige Wahrheit aufnehmen; wird sie nicht damit übereinstimmen, so wird er sie als Irrthum verwerfen, nicht weil sie der gemeinen Meinung, sondern weil sie, seinem besten Wissen nach, den Gesetzen des Denkens widerspricht. Bis dahin ist er völlig gleichgültig gegen sie; über ihren Inhalt hat er die Frage nicht erhoben; derselbe ist ihm bekannt; ihre Form hat er noch zu untersuchen.“
„Mit dieser kalten Ruhe und festen Entschlossenheit, blickt er hinein in das Gewühl der menschlichen Meinungen überhaupt und seiner eigenen Einfälle und Zweifel. Es wirbelt und stürmt um ihn herum, aber nicht in ihm; er selbst sieht aus seiner unerreichbaren Burg ru[164]hig dem Sturme zu. Er wird ihm zu seiner Zeit gebieten, und eine Welle nach der andern wird sich legen. – Er will nur Harmonie mit sich selbst, und er bringt sie hervor, so weit er bis jetzt gekommen ist. Dort ist noch Verwirrung in seinen Meinungen; das ist nicht seine Schuld, denn bis dahin hat er noch nicht kommen können. Er wird auch dahin kommen, und dann wird jene Unordnung in die schönste Ordnung sich auflösen.“
„Was wäre denn wohl endlich das Härteste, was ihm begegnen könnte? Gesetzt er fände, entweder weil die Schranken der endlichen Vernunft überhaupt, welches unmöglich ist, oder weil die Schranken seines Individuums solches mit sich bringen, als letztes Resultat seines Strebens nach Wahrheit, daß es überhaupt gar keine Wahrheit und keine Gewißheit gebe. Er würde auch diesem Schicksale, dem härtesten, das ihn treffen könnte, sich unterwerfen; denn er ist zwar unglücklich, aber schuldlos; er ist seines redlichen Forschens sich bewußt, und das ist statt alles Glücks, dessen er nun noch theilhaftig werden kann.“
„Eben so ruhig – wenn dieser Umstand der Erwähnung werth ist – bleibt der entschiedene Freund der Wahrheit darüber, was Andere zunächst zu seinen Ueberzeugungen sagen werden, wenn er in der Lage seyn sollte, sie mittheilen zu müssen; und der Gelehrte ist immer in dieser Lage, da er nicht bloß für sich selbst, sondern zugleich für Andere forscht. Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit Andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das Letztere, so können wir des Erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bei allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Uebereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie Andere denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von außen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie Andere denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch Andere. – Mit denen übereinzustim[165]mend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?“ (A. d. H.)Anmerkung des Herausgebers
Johann Gottlieb Fichtes (1762–1814) Aufsatz Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit ist anonym in der von Friedrich Schiller herausgegebenen Monatsschrift Die Horen I,1 (1795), 79–93 (IV.) erschienen. Das in der dritten Auflage der Anweisung auf den folgenden Seiten wiedergegebene Zitat findet sich aaO 88–91.
Georg Joachim Zollikofers Predigt mit dem Titel Das christliche Lehramt über Eph 4,11 ist im Anhang des zweiten Bandes der Neuauflage seiner Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden (1784), 459–492 abgedruckt. Die bei der bibliographischen Angabe wiedergegebene Passage findet sich aaO 474f.
Hier handelt es sich um Christoph Meiners' (1747–1810) Kurze Darstellung der Entwickelung der hohen Schulen des Protestantischen Deutschlandes, besonders der hohen Schule zu Göttingen (1808).
Christian Gottlob Heynes Iudiciorum de universitatibus litterariis recognitio findet sich in dessen Opuscula academica collecta et animadversionibus locupletata IV (1796), 302–317 unter der laufenden Nummer XVIII.
D.i. Handelsakademien.
Gemeint sind Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768–1834) Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende (1808).
Die Vorlesungen Ueber die Idee der Universitäten des Schleiermacher nahestehenden und ab 1804 in Halle wirkenden Henrik Steffens (1773–1845) stammen aus dem Jahr 1809.
Wie in der ersten Auflage der Anweisung ist auch hier I § 42 Anm. gemeint. In der dritten Auflage der Anweisung hat dieser Paragraph keine Anmerkung.
Vgl. 1. Kor 13,9f.
Das erste Zitat stammt aus Horaz' knapp gehaltener Schrift De arte poetica, das zweite aus dessen Satiren. In Hor. Art. Poet. 351f. heißt es: „Zeigt das Gedicht aber insgesamt Klarheit, stören mich kaum noch einzelne Flecken (verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis)“ (Text und Übers. nach Tusculum [Ed. Herrmann/Fink], Düsseldorf/Zürich 2000, 270.271). In Hor. Sat. I 3,68f. stellt Horaz fest: „Ohne Mängel kommt keiner zur Welt, und gut ist noch der dran, den die Wenigsten plagen (nam vitiis nemo sine nascitur; optimus ille est, qui minimis urgetur)“ (Text und Übers. aaO 28.29).
(Anm.)Anmerkung Wenn Collegienhefte gleich so eingerichtet werden, daß sie entweder einen breiten Rand haben, oder durchschossen sind, so sind sie unstreitig am besten geeignet, um Alles, was man aus der Lectüre, oder gelehrten Gesprächen über irgend einen Gegenstand sammelt, darin anzumerken, und sie dadurch recht eigentlich zu Revertorien für das ganze Leben zu machen. Bei der Exegese (z. B.)zum Beispiel würde man Alles, was man über die Erklärung in dunkeln Stellen gefunden, nachträglich bei der Stelle selbst anmerken. So bei der einzelnen [228] Materie, der Dogmatik, Moral, Kirchengeschichte. Auch die hinzukommende Literatur wird weit zweckmäßiger da supplirt, als in ein Collektaneenbuch getragen, wo sich das Einzelne in der Menge so leicht verliert. – Durch gute Register, die jedes nachgeschriebene Collegium haben sollte, wird auch der Gebrauch erleichtert. (A. d. H.)Anmerkung des Herausgebers
Unter den Schriften, welche über die in diesem letzten Abschnitt abgehandelten Materien nachgelesen und benutzt zu werden verdienen, gehören noch folgende:
Eigenthümliche Ansichten enthalten:
D.h. zwischen zwei bedruckten Seiten eines Buches eine Leerseite einfügen. Nösselt selbst ist auf diese Weise vorgegangen (vgl. Bibl. Nöss. 413 Nr. 137–139).
Georg Niklas Brehms (1753–1811) Einleitung ist bereits 1809 erschienen.
Dieses Werk ist 1808 erschienen.
Hier handelt es sich um die zweite Auflage, die Erstauflage stammt aus dem Jahr 1786.
Johann Georg Müllers (1759–1819) Briefe sind, wie auch die zweite Auflage aus dem Jahr 1817, laut Titelblatt in Zürich erschienen, als ältere Bezeichnung ist Zürch jedoch ebenfalls geläufig.
Diese Schrift des von Halle nach Jena gewechselten Kantianers und Gründers der Allgemeine[n] Literatur-Zeitung Christian Gottfried Schütz (1747–1832) wird in der zeitgenössischen Literatur immer wieder angeführt, lässt sich bibliothekarisch jedoch nicht nachweisen. Soweit zu sehen ist, handelt es sich um ein Programm im Rahmen der Wahl zum Prorektor, auf das anscheinend auch unter dem Titel Ueber die Einrichtung des häuslichen Studirens auf Universitäten verwiesen wurde.
Bei dem Autor handelt es sich um Christoph Meiners (1747–1810), dessen Anweisungen für Jünglinge zum eigenen Arbeiten besonders zum Lesen, Excerpiren, und Schreiben 1791 in zweiter Auflage in Hannover erschienen sind. Die Erstauflage erschien 1789 ebenfalls in Hannover.
Vgl. I § 76 c.
Gemeint sind Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings (1775–1854) Vorlesungen über die Methode des academischen Studium (1803).
Es darf in einer Zeit, wo die unendliche Menge neuer Schriften so leicht die älteren in Vergessenheit bringt, zu den erfreulichen Erscheinungen gerechnet werden, daß, nachdem sieben und zwanzig Jahre seit der letzten Ausgabe der vorliegenden Schrift verflossen sind, der Verfasser selbst aber bereits elf Jahre durch den Tod in einen höhern Kreis des Wirkens versetzt ist, die Verlagshandlung sich, wegen fortdauernder Nachfrage, aufs neue veranlaßt gefunden hat, einen nochmaligen Abdruck zu veranstalten. Indem sie mir dieß mittheilte, forderte sie mich zugleich auf, die Durchsicht der Druckbogen zu übernehmen, und wo es rathsam scheinen möchte, zugleich das Nöthige abzuändern und nachzutragen, was sich nach dem jetzigen Stande der theologischen [IV] Haupt- und Hülfswissenschaften, und ihrer Literatur dazu eignete.
Wie hätte ich eine solche Gelegenheit unbenutzt lassen können, um noch einmal meine Verehrung und Dankbarkeit gegen meinen unvergeßlichen Lehrer und väterlichen Freund auszusprechen, und sie durch die sorgsame Pflege des schönen Erzeugnisses seines Geistes thätig werden zu lassen?
Was ich zu diesem Zweck übernommen und auf welche Art ich es zu leisten mich bemüht, davon bin ich bei der neuen Erscheinung dieser Schrift den Lesern Rechenschaft schuldig.
36Es war keinesweges von einer Umarbeitung die Rede. Die Verlagshandlung war mit mir einig, daß das Nösseltsche Werk in der Hauptsache, eben so, wie es von dem Verfasser selbst herkam und bei der zweiten Ausgabe sorgfältig durchgesehen und bedeutend vermehrt ward, auch zum drittenmal erscheinen sollte. Die Zeit hatte manche Nachträge und Zusätze nöthig machen, aber in dem wesentlichen Inhalt und seiner Tendenz nichts verändern können. Sind auch die Ansichten eines späteren Herausgebers hie und da von denen des Verfassers verschieden, so soll doch, was fortwährend den Na[V]men des Urhebers trägt, auch seinen Geist und seine Ideen, nicht die eines Anderen liefern. Durch den Auftrag, es herauszugeben, wird es kein Eigenthum dessen, der es herausgiebt, und die Achtung gegen den Todten legt ihm die heilige Pflicht auf, nicht Altes und Neues, Eignes und Fremdes so zu mischen, daß zuletzt schwer zu entscheiden ist, wem ein jedes angehört.
Die 37kritischen Blätter und Journale, welche des Werkes in seinen früheren Ausgaben erwähnt haben, und sämmtlich von mir verglichen sind, haben nur wenige Beiträge zu Berichtigungen oder Verbesserungen geliefert. Sie stimmen in dem Ausdruck der Achtung gegen das Verdienst des Verfassers, um die Bildung nicht nur angehender, sondern auch schon gereifter Theologen überein. „Man würde – so urtheilt der 38Recensent in der Allgemeinen Literaturzeitung (1790.textgrid:250d2 (No.)Numero 359.) – den Werth dieser trefflichen Anleitung viel zu gering anschlagen, wenn man sie nach der bescheidenen Anzeige des Titels, daß sie angehenden Theologen gewidmet seyn soll, beurtheilen wollte. Sie verdient auch von denen, welche bereits in Aemtern stehen, studiert zu werden. Denn wer das in der Kürze und doch vollständig überhaupt zu kennen [VI] wünscht, was ein Lehrer der Religion wissen und [leisten] muß, wenn er seinen hohen Beruf ganz zu erfüllen im Stande seyn soll; wer Lust hat sich zu prüfen, ob er alles das besitzt und versteht, was zur fruchtbaren Erfüllung des Lehramts erforderlich [ist]; wer das Ziel, wonach er bei dem Einsammeln und Mittheilen theologischer Kenntnisse streben muß, gern im Auge behalten, den so sehr verschiedenen Werth der einzelnen theologischen Wissenschaften vernünftig schätzen und sein Benehmen darnach einrichten will; wer endlich den Wunsch fühlt, eine Menge heilsamer Rathschläge zusammen zu finden, die ihn bei seinen Bemühungen leiten können: der bediene sich dieses Buches. Etwas Vollständigeres, Reiferes und Gründlicheres wüßten wir in diesem Fach nicht vorzuschlagen.“ – Eben so drücken sich andere Beurtheiler aus. Das Einzige, was man hie und da fürchtete, war, daß die Ansprüche an den, welcher sich dem Studium der Theologie widmet, so hoch gespannt wären, daß das Werk vielmehr das Ideal eines vollendeten Theologen aufstellte, als eine Anleitung für angehende Theologen genannt werden könnte. Es mag dieses Urtheil zum Theil aus der eine Zeitlang ganz unverkennba[VII]ren Ueberschätzung des Praktischen auf Unkosten des Gelehrten und Wissenschaftlichen hervorgegangen seyn. Denn gerade die Wahrnehmung dieses Uebels, welches sehr nachtheilige Einflüsse auf die Universitäten und manche Theile des Studiums ganz bei Seite gedrängt hatte, bestimmte den gelehrten und selbst so wissenschaftlichen Mann, desto ernster darauf zu dringen, der theologischen Gelehrsamkeit wieder einen höheren Werth zuzugestehen. Daß er nicht forderte, daß jeder Religionslehrer alle Kenntnisse eines akademischen Theologen in sich vereinigen sollte, das hat er selbst in dieser Schrift bei mehreren Gelegenheiten ausdrücklich geäußert; und 39sein Programm de diversitate studiorum, quibus Theologum decet ceteris ecclesiae doctoribus praestare, erörtert dieß noch ausführlicher. Dennoch ist vielleicht der Vorwurf, daß man stellenweise mehr eine gelehrte Einleitung oder Encyklopädie einzelner Fächer des vielumfassenden Studiums, als eine Methodologie für angehende Theologen zu lesen glaubt, wohl nicht ganz ungegründet. Es begegnet Männern, die ganz in ihrer Wissenschaft zu Hause sind, und für die gerade die höhern und feinern Untersuchungen den meisten Reiz haben, [VIII] so leicht, daß sie selbst den Anfängern schon einen Vorgeschmack davon geben, oder, wenn sie einmal auf gewisse Materien kommen, nicht zu kurz seyn möchten, um nicht ungründlich zu erscheinen. Am häufigsten scheint mir dieß dem (sel.)selig Nösselt hinsichts der Literatur begegnet zu seyn. Sie ist zwar nicht in dem Grade überhäuft, den wir in der 40 Plankschen Einleitung finden, welche etwas später als die Nösseltsche erschien; doch will es mich bedünken, daß hie und da so große, sogar seltne Werke genannt sind, welche man eher in einer Anleitung zur theologischen Bücherkenntniß als in einer akademischen Methodologie zu erwarten haben würde. Literatoren – zu denen der Verfasser so sehr gehört – wird es aber immer schwer, etwas zu unterdrücken, was auf der Stufe, wo sie stehen, allerdings einen großen Werth hat.
Doch selbst von dieser Seite habe ich mir nicht erlauben wollen, mehr zu thun, als der verdiente Urheber dieses Werkes gutgeheißen haben würde. Was ich verantworten zu können, und was ich selbst für Pflicht halten zu müssen geglaubt habe, besteht in Folgendem.
Zuvörderst ist überall die Literatur theils durch die Anzeige neuer, seit 1791 erschienener Ausgaben [IX] oder Fortsetzungen der angeführten Schriften, berichtigt worden. Weggeblieben sind solche, die ganz entschieden durch bessere ersetzt, oder die dem Verfasser entgangen und offenbar den genannten vorzuziehen waren. Es hat mich selbst überrascht, wie viel in den letzten drei Decennien gearbeitet, wie manche Lücke ausgefüllt ist, auf welche der Verfasser zu seiner Zeit aufmerksam gemacht hatte; aber es hat mich auch dabei häufig die Sehnsucht ergriffen, den theuren Todten noch unter uns zu sehen, damit er sich dessen, was der Fleiß vaterländischer Gelehrten in allen Fächern geleistet und zu Tage gefördert hat, und selbst die Erfüllung manches seiner Wünsche für den Anbau dieser und jener vernachlässigten Felder, mit uns freuen könnte! in manchen Abschnitten war die Sparsamkeit der Literatur fast eben so befremdend, als die Fülle in andern. Ich habe gesucht, mehr Gleichheit in das Ganze zu bringen, und so haben besonders einzelne Abschnitte in den Kapiteln von den philologischen und historischen Hülfswissenschaften sehr bedeutende literarische Zusätze erhalten müssen.
Die Schriften selbst waren in den frühern Ausgaben bald in den Paragraphen, bald unter [X] den Paragraphen angeführt. Es war natürlicher, auch darin eine gewisse Gleichheit zu beobachten, und die Anmerkungen schienen der bequemste Ort, um in ihnen alles Literarische zur Uebersicht zu bringen. Ich gestehe übrigens, daß ich in einem eignen Lehrbuch der theologischen Encyklopädie und Methodologie, viele der angeführten Schriften nicht würde aufgenommen, sondern für den ausführlichen Vortrag der Wissenschaften oder selbst einzelner Materien derselben verspart haben. Aber als Herausgeber konnte ich nur im Sinn des Verfassers fortarbeiten.
Außerdem sind hie und da kurze Anmerkungen hinzugekommen, welche der gegenwärtige Stand der Wissenschaften nöthig machte; meist nur Winke und Andeutungen, seltner abweichende Ansichten. Zu dem allen wird jedoch der zweite und dritte Theil noch ungleich mehr Gelegenheit geben.
In Stil und Vortrag ist nichts Wesentliches geändert, auch durchaus die – vielleicht nicht immer bequemste – Folge und Abtheilung der Paragraphen beibehalten. Nur wo die dem Verfasser nicht ungewöhnliche Länge und Verschränktheit der Perioden – [vielleicht] eine Folge seiner häufigen Lesung des Cicero [XI] – den Sinn für den Ungeübten dunkel machte, habe ich mir, gewiß eher zu selten als zu oft, Abkürzungen und Einschaltungen erlaubt.
Alles was übrigens in diesen neuen Zusätzen und Anmerkungen von einiger Bedeutung ist, findet man durch die Buchstaben (A. d. H.)Anmerkung des Herausgebers oder 41durch das Zeichen [ ] von dem Text des Verfassers unterschieden.
Je öfter mich übrigens diese Arbeit an die großen Verdienste, welche mein vollendeter Lehrer sich auch um mich und meine eigne Bildung erworben hat, erinnerte, desto lebhafter ist mein Wunsch, daß es meinen geringen Bemühungen gelingen möge, dem Werke aufs neue recht viele Leser zu verschaffen. Die beiden folgenden Theile, welche noch im Laufe dieses Jahres erscheinen, und die eigentliche Theologie enthalten, werden mir Anlaß geben, jene zu verdoppeln. Die künftigen Vorreden sollen davon Rechenschaft geben. Eine Darstellung des Lebens und Verdienstes des unvergeßlichen Mannes würde, wenn sie nicht zu dürftig ausfallen sollte, mehr Raum als mir vergönnt ist, erfordern. Ich darf also wohl die besondere, diesem Gegenstande gewidmete Schrift hier ins Andenken bringen, welche bereits [XII] ein Jahr nach seinem Tode (1809textgrid:2505v) unter dem Titel: 42 Leben, Charakter und Verdienste J. A. Nösselt's, nebst einer Sammlung seiner zum Theil ungedruckten Aufsätze, Briefe und Fragmente, erschienen ist.
Halle den 15ten März 1818.
Der Herausgeber.
[XIV] Den zweyten Theil dieses Buchs, der die eigentlichen theologischen Wissenschaften, nebst der übrigen Anweisung zur Bildung angehender Theologen, enthalten, und ohngefehr eben so stark als der erste werden soll, hoffe ich mit göttlicher Hülfe in einem halben Jahre zu liefern.
(a)Seite 3. (Z.)Zeile 21 lies der statt er. (S.)Seite 6. (Z.)Zeile 13 für die (st.)statt für der. (S.)Seite 10. (Z.)Zeile 3 setze nach Müßiggang, oder nicht genugsame Beschäftigung. (S.)Seite 39. (Z.)Zeile 14 demnach für dennoch. (S.)Seite 53. (Z.)Zeile 17. fruchtbare (st.)statt sichtbare. (S.)Seite 54. (Z.)Zeile 6 von unten: Urtheilen. Denn (etc.)et cetera (S.)Seite 126. (Z.)Zeile 8 von unten: Jonicum. (S.)Seite 223. (Z.)Zeile 3 von unten: historische Kunst. (S.)Seite 227. (Z.)Zeile 1 von unten: Geschichtsforscher.
Man kann die Philosophie entweder nach den verschiedenen Gegenständen betrachten, mit welchen sie sich beschäftigt, oder nach der Art, wie darinn die Untersuchung derselben geschieht. – In jener (objectiven) Rücksicht theilt man sie in die theoretische oder, wie andere sagen, speculative, und in die praktische Philosophie. Denn, weil unsre Absicht bey aller Untersuchung und bey allem Gebrauche der Vernunft, Beförderung der menschlichen Glückseligkeit seyn muß, und die Philosophie eigentlich nur auf geistige Glückseligkeit abzielt, [163] wozu die Kenntniß der Natur und besonders des Menschen gebraucht werden soll: so muß sie sowohl die Entdeckungen über die allgemeine natürliche Beschaffenheit der Dinge enthalten, als auch die Anwendung zur geistigen Glückseligkeit der Menschen zeigen; sie muß uns die Natur der Dinge kennen lehren und uns anweisen, wie wir der Natur folgen müssen.
Beyderley Philosophie muß unzertrennlich verbunden werden. Die praktische Philosophie ist ohne die theoretische unsicher und ungründlich; die theoretische ohne jene, kein Mittel zur menschlichen Glückseligkeit, und befriedigt bloß die Wißbegierde, die nicht einmal genugsamen Reitz hat, wenn sie nicht durch den zu hoffenden Einfluß des Gefundenen auf unsre Glückseligkeit immer zur Untersuchung ermuntert wird.
Gemeiniglich pflegt man jetzt zu der theoretischen Philosophie die Logik, (Vernunftlehre, Philosophiam rationalem) und die unter dem unbequemen Namen der Metaphysik zusammengefaßten Wissenschaften zu rechnen, auch beyderley Wissenschaften mit dem Namen der Philosophiae primae zu belegen, weil sie bey den praktischen Wissenschaften zum Grunde liegen. Die erstre heißt auch, aus dem §. 172. (Anm.)Anmerkung 1. angegebnen Grunde, die Instrumentalphilosophie.
Die Logik ist eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauch der Vernunft. Weil dieser aber richtige Empfindungen und deren rechten Gebrauch voraussetzt, und er sich, eben sowohl in Ueberzeugung Andrer von erkannter Wahrheit, als in Auffindung der Wahrheit selbst, äussert: so bekommt sie dadurch einen weitern Umfang, als es nach jenem Begriff scheinen möchte. Sie sollte demnach zeigen: wie wir zu verschiednen Arten von Begriffen gelangen, daraus Urtheile bilden, und daraus Schlüsse herleiten; wie wir Wahrheit finden, und sie von dem, was falsch ist, oder nur wahr scheint, unterscheiden; wie wir überhaupt das Erkannte richtig ausdrücken, und auch Andern die erkannte Wahrheit so mittheilen sollten, daß sie davon überzeugt, und von falschen oder blendenden Vorstellungen zurückgebracht würden. Sie sollte also auch die [166] verschiednen Arten der menschlichen Erkenntniß, ihre guten Eigenschaften und Fehler vorstellen, die Ursachen von beyden entdecken und die Mittel angeben, wie jene erhalten und befördert, diese verhütet, gehoben, oder doch vermindert werden können.
Man sollte 2), zumal wenn man noch kaum selbst zu denken angefangen hat, sich sehr hüten, nichts als unnütz oder als leere Spitzfindigkeit zu verachten, ehe man nicht, durch lange Uebung und Aufmerksamkeit in genauer Untersuchung, den rechten Werth aller Bestimmungen und Regeln, die diese Wissenschaft giebt, schätzen gelernt hätte. Man würde ohnehin, bey mehrerer Bekanntschaft mit verschiedenen Schriftstellern, welche diese Wissenschaft bearbeitet haben, bald finden, daß manches nur durch die Bedürfnisse gewisser Zeiten nothwendig gemacht würde, und daß Vorwürfe überflüßiger Spitzfindigkeiten jene Schriftsteller nicht so treffen, wie andre sonst grosse Köpfe, die in der ersten Dämmerung dieser Wissenschaft eben bey zu angestrengten Blicken manchen Dunst für etwas Wirkliches ansahen, den ihre Nachfolger hätten für das ausgeben sollen, was es war, und es zum Theil auch wirklich gethan haben.
Zur Decke armseliger Kenntnisse wird 3) niemand diese Wissenschaft brauchen, wer sie nur für das nimmt, wofür sie jeder Vernünftiger ausgiebt, für Werkzeug oder vielmehr für eine Wegweiserin auf dem dornichten Wege gründlicher Untersuchungen. Je mehr man seine Kenntnisse zu erweitern sucht, und je mehr man dadurch überzeugt wird, daß sich kein Werkzeug brauchen läßt, wo es an genugsamen Stoff fehlt, den man be[168]arbeiten kan, und daß selbst eine lange achtsame Uebung dazu gehöre, um zu lernen, wo man gewisse Werkzeuge anwenden kan oder nicht: je weniger wird man in Versuchung seyn, diese schätzbare Wissenschaft am unrechten Orte oder gar als Spiel der Eitelkeit zu gebrauchen.
Und wenn es gleich wahr ist, daß Kunst ohne Natur nichts vermag: so ist es doch 4) eben so wahr, daß Natur durch Kunst unterstützt, weiter kommen und sichrer gehen kan, als wenn sie dieser Unterstützung entbehren muß. Die Vernunftlehre als Kunst betrachtet, folgt keinen andern Regeln als die natürliche Logik. Aber diese verhält sich zu jener fast wie blosse Empfindung zu bedächtigem Nachdenken. Das letztere macht uns erst auf vieles aufmerksam, was wir sonst übersehen hätten; es berichtigt die Empfindung, die zu leicht in Gefahr ist Schein für Wirklichkeit zu nehmen; es führt mehr zu allgemeinen Sätzen, die untentbehrlich sind, wo man in ähnlichen Fällen ähnlich verfahren soll; es erspart uns also auch Umwege, und macht unsre Tritte sicherer.
Auch muß man wenig mit dieser Wissenschaft und den Werth bestimmter Begriffe und Ausdrücke bekannt seyn, wenn man sie für nicht viel mehr als ein Wörterbuch hält und deswegen geringschätzt. Dies ist sie nicht, denn sie enthält auch die allgemeinsten Grundsätze der menschlichen Erkenntniß. [173] Und, da sie eben die Begriffe aufklären muß, worin sich endlich alle andre auflösen lassen, hierauf aber die Deutlichkeit und Sicherheit der menschlichen Erkenntniß beruht: so ist ihr Verdienst um diese, eben durch diese sorgfältige Erklärung der Begriffe, unstreitig, und sie deswegen so wenig verächtlich, als diese Haupttugenden der Erkenntniß selbst; behagt aber denenjenigen nicht, die weder diese wichtigern Eigenschaften schätzen, noch sich über das Sinnliche erheben können. Wie wohl würde es um die menschliche Erkenntniß stehen, wenn sie sich immer auf so bestimmte Begriffe gründete, und man der Ontologie die Genauigkeit auch in dem Gebrauch der Wörter ablernte!
Unausprechlich wichtig ist der letzte Theil der Metaphysik, der unter dem Namen der natürlichen Theologie bekannt ist, und, im weitern Verstande genommen, alles in sich faßt, was von Gott oder dem allervollkommensten Wesen aus der Natur erkannt werden kan. – Giebt es einen solchen Gott, so hängt alles, so hängt auch alle unsre Glückseligkeit von ihm ab, sie mag auch mit zum Theil von unsern freyen Entschliessungen und Handlungen oder von seinem Willen, ohne Dazwischenkunft unsers Willens, abhängen. Im letztern Fall gründet sich unsre Gewißheit von unserm höchst möglichen Glück und die daraus fliessende wahre Gemüthsruhe lediglich darauf, daß ein solches Wesen vorhanden sey, welches alle unsre Bedürfnisse, alle Arten des Glücks und Elendes, alle Mittel, jenes zu bewirken und dieses abzuwenden, kenne, alles zu bewirken vermöge, und nur das Beste und für uns Heilsamste bewirken wolle. Im erstern Fall aber, darauf, daß die Entschliessung und das Betragen, welches in unsrer Gewalt steht, Gottes Willen allezeit entspreche, daß wir also auch dieses göttlichen Willens kundig seyn, nicht nur in sofern, als er an uns befolgt werden soll, sondern auch, sofern wir die seligsten Folgen davon, oder das uns vortheilhafteste Verhalten Gottes gegen uns ohnfehlbar erwarten können; 553wer Gott dienen will, der muß glauben, daß er sey, und daß er denen, die sich nach ihm richten, ein Vergelter seyn werde, Ebr. 11, 11. – Wenn denn auch [182] das, was wir von Gott wissen können, nicht bloß aus der Natur erkennbar wäre, sondern auf einer nähern Offenbarung beruhen sollte: so müßte doch erst zuverläßig bekannt seyn, daß, was wir für die letztere halten, wirklich von Gott geoffenbart, nicht nur dem, was wir aus der Natur von Gott wissen, nicht widerspreche, sondern dem auch gemäß sey. Wer also die natürliche Erkenntniß Gottes heruntersetzt und verdächtig macht, oder dagegen gleichgültig ist: der untergräbt ohne sein Denken selbst die Zuverläßigkeit der Offenbarung, oder beraubt sich oder Andre, wenigstens da, wo es zweifelhaft wird, ob etwas eine göttliche Offenbarung sey, oder ob sie eine gewisse Entscheidung enthalte, der so nöthigen Gewißheit von der Erkenntniß Gottes.
Diese Gewißheit ist von zweyerley Art, und danach kan man auch eine zwiefache Art der natürlichen Theologie annehmen. Die eine beruht bloß auf übersinnlichen Begriffen, auf nothwendig wahren Sätzen. Diese ist die natürliche Theologie im engsten Verstande, und gehört ganz eigentlich, als ein Theil, zur Metaphysik. Sie entwickelt den Begriff von Gott aus dem Begriff eines Wesens (Dinges) und Geistes, und setzt ihn aus allen Realitäten, die ihn in beyderley Absicht zukommen, zusammen: schließt alsdenn aus diesem Begriff der höchsten Vollkommenheit, oder aus der Zufälligkeit jedes andern Dinges, wenigstens aus unsrer eignen [183] Wirklichkeit, daß ein allervollkommenstes Wesen nothwendig wirklich seyn müsse; und leitet daraus die einzlen Eigenschaften Gottes, und alles andre von Gott, her, was aus denselben nothwendig gefolgert werden kan.
Zwar ist diese Wissenschaft so wenig für jeden zur Ueberzeugung von Gott nothwendig, so wenig jeder fähig ist, sich zu so reinen Begriffen zu erheben; sie wird auch nur Wenigen eine praktische Ueberzeugung gewähren, die doch zu einer solchen Erkenntniß, wie die von Gott ist, welche auch zu unserm rechten Betragen gegen Gott kräftig und wirksam seyn muß, erfordert wird. Aber sie ist allein einer eigentlichen Evidenz fähig, und daher für den nöthig, der seine Ueberzeugung von Gott aufs unerschütterlichste sichern will, oder der mit feinen und verwickelten Zweifeln zu kämpfen hat; und so schätzbar, ja in ihrer Art vorzüglich, andere nicht so demonstrative Beweisarten für Gottes Wirklichkeit und Eigenschaften sind: so unentbehrlich ist doch diese, wo Wirklichkeit eines allervollkommensten Wesens und die unumschränktesten Eigenschaften desselben ausser Zweifel gesetzt werden sollen.
Wie die bisher erwehnte theoretische Philosophie uns die Natur kennen lehrt: so zeigt uns die praktische, wie wir der Natur folgen, oder davon den besten Gebrauch zur höchstmöglichsten Glückseligkeit des Menschen machen müssen (§. 172.); und weil sich die eigentliche Philosophie nur auf die geistigen Eigenschaften der Dinge einschränket (§. 170.): so kan die praktische Philosophie auch nur eine Anweisung zur höchstmöglichsten Verbesserung und Ge[187]brauch unsrer Geisteskräfte enthalten. Diese sind entweder Vorstellungen oder Neigungen. Man hat aber diejenigen Theile der Philosophie, welche die beste Bildung und Anwendung unsrer Vorstellungen betreffen, bereits zur theoretischen Philosophie geschlagen (§. 172. (Anm.)Anmerkung 1. und §. 174.); also muß sich auch die praktische Philosophie nur auf Bildung und Lenkung unserer Neigungen oder unsers Willens, nur auf die moralischen Wissenschaften, einschränken.
Unter diesen moralischen Wissenschaften läßt sich zuförderst eine denken, welche bey den übrigen eben so zum Grunde läge, wie die Ontologie bey den Theilen der theoretischen Philosophie. Man könnte sie die allgemeine praktische Philosophie nennen. Sie müßte die Natur der Sittlichkeit deutlich bestimmen, den in der Natur gegründeten Unterschied von Recht oder Unrecht, Guten oder Bösen, klar machen, die allgemeinsten moralischen Begriffe und Grundsätze entwickeln und ausser Zweifel setzen, die gute Gesinnung und den moralischen Charakter bilden, die allgemeinsten Mittel angeben und empfehlen, wodurch der Mensch zum Guten gelenkt werden kan.
Ohne sie giebts keine recht deutliche Gewißheit von Pflichten und Tugenden, die um so unentbehrlicher ist, je mehr die Anzahl leichtsinniger oder halbkluger Sophisten und Schwärmer überhand nimmt, welche mit der natürlichen Sittlichkeit die Glückseligkeit der Menschen untergraben, oder sie auf so schwankende Begriffe gründen, daß wichtige Pflichten verkannt und verdrängt, oder ein Spiel des Gutdünkens und höchstens des äusserlichen Wohlstandes werden. – Ueberdies sind alle gut heissende Handlungen, ohne gute Gesinnung, daraus sie fliessen, bloß mechanisch, und ein wahres Puppenspiel; der Selbstbetrug aber ist um so gefährlicher, je mehr er Thaten und Verdienste vor [190] sich zu haben scheint. Wo also nicht durch diese allgemeinere Wissenschaft das Herz und der Charakter gebildet, und der Grund zu einer wahren und beständigen Tugend gelegt wird, da kan höchstens nichts als eine bloß äusserliche und sehr unzuverläßige Glückseligkeit begründet werden.
So wie man die Philosophie nach den verschiedenen Sachen abgetheilet hat, die man darin untersucht: so auch nach der verschiednen Art der Untersuchung (§. 172). Es läßt sich eine Wissenschaft der allgemeinen Eigenschaften der Dinge denken, die lauter nothwendig wahre Sätze enthält, wo also die Beweise nur aus Begriffen geführt, und diese so lange entwickelt werden müssen, bis man auf Sätze kommt, deren Gegentheil undenkbar ist. Dies ist, was man wissenschaftliche oder scientifische, systematische oder auch speculative Philosophie nennt, die den Namen einer Wissenschaft im strengsten Verstande verdient, und deren eigentlicher Zweck völlige Gewißheit ist. [195] Eine jede andre Philosphie würde mehr oder weniger gemeine oder populäre Philosophie seyn, je nachdem sie sich mehr oder weniger mit sinnlichen Dingen beschäftigte, mehr oder weniger sich der Induction oder der Analogie bediente, mehr oder weniger die Begriffe entwickelte.
Man sollte gegen keine dieser Arten der Philosophie und gegen den unstreitigen Nutzen ungerecht seyn, welchen die eine wie die andere leisten kan. Man hat 1) Ursach, das Studium der Philosophie immer allgemeiner zu machen, und den Gebrauch des Nachdenkens bey jedermann zu befördern. Nachdenken kan jeder lernen, aber zur eigentlichen Speculation sind nur wenige fähig und aufgelegt. 2) Auch giebt es nur wenig Sätze, die streng demonstrirt werden können; der allergrösseste Theil unserer Kenntnisse beruhet auf Vermuthung, Wahrscheinlichkeit, höchstens auf morali[196]scher Gewißheit, und wir bedürfen dieser weit häufiger als der ganz eigentlich allgemeinen Wahrheiten; wenigstens vertritt bey den nothwendigsten allgemeinen Sätzen der Wahrheitssinn hinlänglich die Stelle der reinen Vernunft. 3) Je abgezogner ein Satz ist: je weniger lassen sich aus ihm besondre Erfindungen erklären, und je mehr man sich an Speculation und Vereinfachung der Begriffe gewöhnt: je schwerer hält es, aus dieser höhern Gegend sich wieder zu den gemeinen menschlichen Angelegenheiten herabzulassen, sich an die Entdeckung der Mit- und Zwischenursachen zu gewöhnen, und überhaupt seine Kenntnisse anwendbar zu machen: je leichter verfällt man auch auf die Einbildung, Dinge erklären zu können, die man nicht erklären kan, und bekümmert sich zu wenig um das Besondere oder Eigenthümliche einer Sache, ohne dessen Kenntniß keine wirkliche Erklärung derselben möglich ist.
Wenn sich denn nun auch 4) viele Sätze nicht bis zur vollkommnen Evidenz oder zur reinen Vernunftkenntniß erheben liessen: so verdienen sie deswegen nicht aus dem Gebiete der Philosophie verbannt zu werden. Man hat Beyspiele genug, daß manche unevidente Sätze mit der Zeit bis zur Evidenz gebracht worden sind. Man gönne ihnen also einen kleinen Platz in der Philosophie, bemerke es nur, daß sie mit evidenten Sätzen nicht gleichen Rang haben, und hebe sie für künftige Untersuchung auf, wodurch sie vielleicht in der Zukunft klärer werden können. 5) Bedarf es denn auch überall der demonstrativen Gewißheit? In den meisten Fällen kommen wir mit Wahrscheinlichkeit aus, in den wichtigsten Angelegenheiten fehlt es an moralischer Gewißheit dem nicht, wer sie mit Fleiß sucht, und bey dieser und jener ist für unsre Glückseligkeit so gut, wie durch den gemeinen Wahrheitssinn, gesorgt, der, wo uns reine Vernunft abgeht, ihre Stelle vertritt, und uns selten irre führt. Bey Dingen, wo es auf moralisches Verhalten ankommt, ist moralische Gewißheit und Gefühl der Wahrheit immer zureichend. Moralische Uebungen erfordern sogar unevidente Kenntnisse. *) Laßt uns endlich nicht vergessen, daß wir hier im Stande der Kindheit leben, und als gute Kinder des besten Vaters, mit unsern Umständen zufrieden seyn, nicht klagen, wenn er uns unsre unzeitige Fragen nicht beantwortet, so weit gehen, als wir kommen können, und, wo wir nicht [198] weiter können, uns an das halten, was wir wissen, mit aller Treue auch seinen blossen Winken folgen, versichert, daß, wenn er unsern Fleiß jetzt nicht durch Erfüllung [unsrer] Wünsche belohnte, unser Wünschen thöricht [war], und es unser Unglück gewesen seyn würde, wenn er sie uns jetzt gewährt hätte.
So schätzbar übrigens auch Gewißheit ist, eben so unentbehrlich ist zu unserer Glückseligkeit 6) der Eindruck, den unsre Erkenntniß macht, oder die Wirksamkeit der Erkenntniß. Dazu ist keine vollkommene Evidenz nöthig, bey der ohnehin das Herz sehr kalt bleiben kan, sondern anschauende, also sinnliche Erkenntniß. Weil nun populäre Philosophie sich weit weniger vom Sinnlichen entfernt, und mehr auf Empfindung und Einbildungskraft wirkt, als speculative, die sich mit Bearbeitung des Verstandes und übersinnlicher Erkenntniß beschäftigt: so befördert jene weit mehr, oder sie eigentlich allein, das Leben und die Thätigkeit der Erkenntniß. – Dieses gilt besonders 7) bey Geschäften des menschlichen Lebens, wo Weisheit und Klugheit mehr werth ist, als eigentliche Wissenschaft. Jene erfordern praktischen Beobachtungsgeist, (d. i.)das ist Fähigkeit oder Fertigkeit, die Umstände, unter welchen man zu handeln, [199] und die Menschen, die man zu lenken hat, durchzuschauen, und praktische Beurtheilungskraft (d. i.)das ist Fähigkeit oder Fertigkeit, in den einzlen Vorfällen das Rathsamste gleich zu erkennen und anzuwenden. Diesen ist speculative Philosophie nicht günstig. Denn sie beschäftigt sich mehr mit dem Möglichen als Wirklichen, und zieht den Blick zu sehr vom Gegenwärtigen und der wirklichen Lage der Sachen, und von der so mannichfaltigen individuellen Menschenkenntniß ab; sie sucht Einen Gegenstand, oft nur Eine Seite desselben, zu ergründen, anstatt mehrere Sachen auf einmal, und sie zugleich von mehrern Seiten anzuschauen; gewöhnt zu sehr an Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Gegenstand der Betrachtung, als daß sie lebhafte Vorstellung des Künftigen, welches die Weisheit und Klugheit immer mit in Anschlag nehmen muß, befördern sollte; gewöhnt zu langsamen Entwickeln und Zergliedern, und hindert also den schnellen Blick und die augenblickliche Entschliessung, macht verlegen und unentschlüßig.
Die bisher erwehnten grossen Vorzüge der populären Philosophie, nebst der Anwendung der wissenschaftlichen Philosophie da, wohin sie nicht gehörte, ihrem Mißbrauch zur Bestreitung mancher dem Menschen theuern Grundsätze, und die Allgenügsamkeit metaphysischer Pedanten, haben der populären Philosophie, vornemlich zu unsrer Zeit, grosse Achtung erworben, und der wissenschaftlichen eine zu schnöde Verachtung zugezogen. Unsere Zeitumstände tragen das Ihrige dazu bey. Man wird sich darüber nicht wundern, wenn man weiß, wie sehr sich zu unsrer Zeit der Fleiß in Untersuchung der sichtbaren Natur und die Vorliebe zu diesem Studium ausgebreitet habe; wie allgemeiner, auch unter Unstudierten, Begierde nach Aufklärung und Leserey worden sey, und wie sehr, bey dieser Menge derer, die auch mitreden wollen, bey der Seltenheit spe[201]culativer Köpfe, und bey dem Gefühl der mehrern Leichtigkeit und des grössern Bedürfniß des Raisonnements über vorkommende Dinge, als tiefsinniger Untersuchung, der Geschmack an dem habe zunehmen müssen, was gemeinnützig scheint, und unmittelbaren Nutzen zeigt; wie sehr endlich der französische Geschmack und Literatur auf unsre Nation gewirkt habe. – Alles dieses muß die Besorgniß erregen, ob nicht diese an sich sehr gerechte Liebe zur populären Philosophie in Gleichgültigkeit gegen Wahrheit und Gewißheit menschlicher Erkenntniß, gegen das Unsichtbare überhaupt, und somit gegen das, was nicht unmittelbar Nutzen zeigt, ausarten möchte.
Und doch verdient die wissenschaftliche Philosophie eine solche Gleichgültigkeit, oder gar Verachtug, gewiß nicht. 1) Schon das, was den Menschen über die Thiere erhebt, was ihn allein für den Mangel mancher feinen Empfindung entschädigt, darin ihn viele Thiere übertreffen, und ihn gegen die Gefahr sichert, der ihn seine sinnliche Vorstellungen und Begierden aussetzen, nemlich das Vermögen, seine Vorstellungen zu verdeutlichen, und in ihre feinere Bestandtheile ausfzulösen, auch seine Wahl bis nach deutlicher Untersuchung aufzuschieben, zeigt, daß seine Erkenntniß der Natur um so vollkommner sey, je deutlich entwickelter sie ist, und empiehlt eine Wissenschaft, die ganz eigentlich ihn dahin führen soll. 2) So [202] fern man in der Philosophie allgemeine Grundsätze aufsucht, die wir hernach in einzlen Fällen mit Sicherheit anwenden können, giebt die populäre Philosophie keine durchgängige Sicherheit. Völlige Allgemeinheit kan nur aus Begriffen erkannt werden, Induction und Analogie zeigt nicht das ganz Allgemeine; gleichwohl nimmt die populäre Philosophie diesen letztren Weg, so wie die wissenschaftliche sich stets an Begriffe hält, und darauf die Allgemeinheit ihrer Sätze gründet. Ueberdies, da jeder, der auf jene Art philosophiret, seine Beobachtungen aus dem Kreise herausnimmt, der ihn am meisten anzieht, und mit dem er am meisten bekannt ist, und da die Absicht bey dieser Art von Philosophie Gemeinnützigkeit ist: so gewöhnt man sich, die Dinge zu einseitig oder nur nach besondern Verhältnissen, insbesondre den Menschen nur, oder doch am meisten nach der Lage, in der wir ihn sehen, oder die uns eigentlich intereßirt, zu betrachten, und daher vieles zu übersehen oder gar zu verachten, was doch zur allgemein richtigen Beurtheilung erfordert wird.
Wenn denn nun gleich diese wissenschaftliche Philosophie nicht alles ins Reine bringen und beantworten kan, was man von ihr völlig aufgeklärt wünschen möchte: so hat sie doch auch, wenn man sie gehörig treibt, 4) einen grossen Einfluß auf die Bildung unsrer Denkungsart und Characters. Sie gewöhnt zur bedächtigen und reifen Ueberlegung, auch der Kleinigkeiten, die ins Ganze sehr wichtig werden können, und ist in so fern ein Zaum der so gern ins Wilde gehenden Imagination und der Flüchtigkeit im Denken, sie kan selbst den Geschäftmann (τον πραγματικον ἀνδρα) zur Genauigkeit im Denken (justesse d'Esprit), und zu nüchterner Untersuchung bilden. Sie gewöhnt an Beschäftigung mit unsichtbaren Dingen, mit Religion, Tugend, innerer Kenntniß des Menschen, und hemmt den Hang zur Sinnlichkeit. Sie befördert, indem sie an bedächtige Untersuchung und Verdeutlichung der Begriffe gewöhnet, eine gewisse Ruhe des Geistes. Und, wenn man ihr vorwirft, sie führe auf unnütze, unentscheidbare Fragen, und zuletzt auf leere Wörter, so vergißt man dabey, daß dieses Urtheil nur denn erst wahr gemacht werden kan, wenn man sich an Verdeutlichung der Begriffe gewöhnt hat, und daß eben sie durch Auflösung der Fragen in ihre einfachsten Theile zeige, [ob [206]] eine Frage unstatthaft und unbeantwortlich sey. *)
(a); ; 637 638 (c)
(a); ; 649 (c)
Bey der Ausgabe des ersten Theils dieses Buchs hoffte ich, alles, was ich darin über die beste Art, Theologie zu studieren, sagen wollte, in diesen zweyten Theil zusammen zu drängen. Aber bey der Ausführung selbst sahe ich bald die Unmöglichkeit ein, wenn anders dieses Buch alles in sich fassen sollte, wovon ich glaube, daß es jeder wissen und beherzigen müsse, wer sich zu einen würdigen Lehrer der Religion, nach unsern Zeitbedürfnissen, bilden will. Nach diesen Bedürfnissen schien es nöthig, manchen Vorurtheilen und Mißverständnissen, die jetzt vielleicht mehr, wie jemals, erneuert und scheinbar gemacht werden, entgegen zu arbeiten, den wahren nur zu häufig verkannten Werth mancher Studien und Uebungen, besonders durch deutli[IV]che Beyspiele, einleuchtender zu machen, auch Manches hervorzuziehen, was zu sehr bey dem Studieren der Theologie übersehen wird. Und wenn ich auch nicht darauf Bedacht genommen hätte, dieses Buch selbst für diejenigen nutzbar zu machen, die es vor sich, ohne meine Vorlesungen darüber zu hören, lesen wollen, so mußte ich doch wünschen, daß meine Zuhörer das Buch vorher selbst studierten, um es mit mehrern Nutzen erklären zu hören. Für beyderley Leser war es nöthig, alles mit den nöthigen Gründen und Beyspielen zu unterstützen. Vielleicht wird auch Mancher, der meiner Erinnerungen und Räthe selbst nicht bedarf, wenn er in diesem Buche auf manche Versuche, einige Lehren der Theologie oder ihre Beweise mehr aufzuklären, stößt, mir es um so eher übersehen, wenn ich, um sie nicht zu unterdrücken, mich entschliessen mußte, noch einen dritten, hoffentlich nicht einmal so starken Theil, aufs eheste nachfolgen zu lassen.
Bei der Besorgung dieses zweiten Theils sind eben die Grundsätze von mir befolgt worden, von welchen ich in der Vorrede zum ersten Theil bereits Rechenschaft gegeben habe.
810Die Leser erhalten das Werk seines Verfassers, nicht minder nach dem mir gegebenen Auftrage, als was ich mir selbst zum Gesetz gemacht, durchaus unverändert. Ich gestehe, daß gerade in diesem Theil ich hie und da in Versuchung kam, abzukürzen, wo das Interesse der Materie den davon erfüllten Mann vielleicht zu weit über die Gränzen einer Anweisung zur Bildung angehender Theologen geführt hatte, zumal selbst Manches, was erst durch das Studium klar wird, leicht dunkel bleiben dürfte. Indeß enthielt ich mich dessen dennoch überall, weil damit zugleich die Umarbeitung oder doch Umstellung mancher kleineren Abschnitte unvermeidlich verbunden gewesen seyn, und also immer etwas Fremdartiges sich eingemischt haben würde.
[IV] Nur hie und da habe ich in den hinzugefügten Anmerkungen auf Einiges, was sich auf den neuern Stand der Theologie bezieht, hingedeutet, auch die Verschiedenheit meiner Ansichten nicht verschwiegen. Dieß betrifft indeß keine Hauptsachen[.] Wie liberal der (sel.)selig Nösselt über theologische Untersuchungen dachte, wie er einer jeden, sobald sie nur mit Ernst und Würde geführt, von allem Leichtsinn, Spott, und besonders aller absprechenden Anmaßung frei blieb, freiern Spielraum verstattet wissen wollte, das beurkunden mehrere Stellen dieses Theils, namentlich was §. 166–169. über dogmatische Forschungen, in einem vortrefflichen Geiste geschrieben ist.
Manches, worüber ich einige Zusätze und Winke für junge Theologen, die in der gegenwärtigen Zeit gebildet werden, hinzuzufügen für nothwendig hielt, (z. B.)zum Beispiel über die bereits bei §. 165. im Vorbeigehen erwähnte Lehrweisheit bei dem Streit der Meinungen, hängt mit dem Inhalte des dritten Theils zu genau zusammen, um nicht besser, nebst manchem Andern, bis zu diesem verspart zu werden. Es wird derselbe dem gegenwärtigen unverzüglich nachfolgen.
Halle, den 20. October 1818. Der Herausgeber.
Vielleicht erwarteten manche Leser, in diesem Abschnitt über die rechte Art und Weise der Schriftauslegung, um so mehr Einiges über die durch Kant vorgeschlagene, und von Vielen allzuschnell ergriffene, ja selbst häufig mißverstandene moralische Interpretation, da der selige 978 Nösselt sich selbt in einem eignen Programm bestimmt gegen sie erklärt hatte. Da er sie gleichwohl hier unberührt gelassen hat, so dürften folgende kurze Bemerkungen darüber nicht überflüssig seyn.
Kant – überall bemüht, sein System mit dem von ihm hochgeachteten christlichen System nicht nur der Moral, sondern auch der Dogmatik, in Harmonie zu bringen – versuchte in seiner „Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft“ unter andern auch, manche Aussprüche der heiligen Schrift auf eine solche Art zu deuten, daß dadurch eine wenigstens scheinbare Harmonie mit seinen philosophischen Begriffen und Lehren entstünde. Da es auch scheinen könnte, als ob Manches in der Bibel den Aussprüchen der Vernunft, und selbst einer strengern Moral widerspräche, so stellte er den Satz auf, über dem grammatischen Interpreten stehe der moralische Schriftausleger bei jedem Buch, das für eine göttliche Offenbarung gelten solle. Es lasse sich a priori annehmen, daß eine Offenbarung nichts enthalten könne, was der Vernunft oder der Moral zuwider sei. Dieß sei ein unumstößliches Postulat. Wenn also auch der Philologe in einer Schriftstelle einen Sinn, den dieser Vorwurf treffe, finden sollte, so könne dieß in einer heiligen Schrift nicht der wahre Sinn seyn, und unter zwei möglichen Erklärungen müsse stets die, welche am [87] meisten moralisch sei, vorgezogen werden. (
würden also die Worte: „so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ schon darum richtiger von der Beschämung des großmüthig Behandelten, oder von der Wärme der Liebe, als „von dem Herabziehen der göttlichen Strafen“ erklärt werden, weil jenes ein reineres Motiv und eine edlere Handlungsweise bezeichne.)
Man that Kanten Unrecht, wenn man ihn hiernach als einen Verächter der gelehrten Schriftauslegung betrachtete. Er drückte sich nur, nach seiner Weise, etwas paradox aus. Auch wollte er ja nur da so verfahren wissen, wo man die Bibel zu praktisch-religiösen Zwecken benutzte. Darin that er nichts anders, als was so viele Kirchenväter, und besonders alle allegorischen Schriftausleger gethan hatten. Wo ihnen der buchstäbliche Sinn nicht fruchtbar, wohl gar anstößig erschien, da legten sie einen andern Sinn den Worten unter, vergeistigten gleichsam das zu Sinnliche, und ahmten hierin die ältern Weltweisen nach, die auch die alten Dichter auf diesem Wege praktisch zu benutzen, und verständlich zu machen suchten. ( (M. s.)Man siehe viele Beispiele bei 979 Plutarch de audiendis poetis.)
Gleichwohl hat man eine solche moralische Schriftinterpretation eigentlich nicht nöthig. Sie führt doch nur zur Verwirrung, und kann nie ein festes Princip haben. Sie trägt in die Schriftstellen eigne Gedanken hinein. Sie ist höchstens erbauliche Anwendung, nicht Interpretation. Diese beruht allein auf Sprache, Logik und dem Historischen, sofern es den Sinn eines Autors erläutern kann.
980Was man neuerlich auch von einer hievon noch verschiedenen religiösen Auslegung geäußert hat, scheint nichts [88] anders, als den unbestrittenen Satz auszudrücken, daß, je mehr der Ausleger Geistesverwandter seines Schriftstellers sei, desto besser werde er ihn auch verstehen und fassen. – Wie eine dichterische Natur einen Dichter, so verstehe ein religiöses Gemüth einen religiösen Autor am besten. Soll etwas anders damit gesagt werden, so öffnet es aller Schwärmerei die Thür, und jeder Fanatiker kann sich dann – wie sie pflegen – anmaßen, am tiefsten in die Geheimnisse einer heiligen Schrift einzudringen, deren Sinn den Gelehrten verborgen sei. Vor einem solchen Princip wird uns der bessere Geist der Zeit bewahren, wie sehr auch das Zeitalter sich hier und da zur Geringschätzung der Vernunft hinneigen mag.
Die älteren wissenschaftlichen Lehrbücher der christlichen Moral, folgen doch fast sämmtlich dem Ideengange irgend eines philosophischen Systems, und zeichnen sich auch durch philosophischen Geist vor vielen Lehrbüchern der ältern Dogmatik aus. Dieß ist der Fall in den Systemen von 1508 Buddeus, 1509 Baumgarten, 1510 Canz, 1511 Crusius. 1512 Mosheim ging einen freiern Gang, ward aber auch eben daher oft mehr wortreich als gründlich.
Die Erscheinung der kritischen Philosophie hat auf die Wissenschaft einen sehr bedeutenden Einfluß gehabt. Ihr Stifter Kant hatte selbst behauptet, sein Moralsystem sei in seinen Hauptideen vollkommen mit den Grundsätzen des christlichen übereinstimmend. Sein Prinzip sei kein anderes, als was Christus seiner Lehre zum Grunde gelegt habe.
[261] Die große Sensation, welche diese Philosophie machte, der hohe und reine Geist, welcher sich besonders in dem praktischen oder moralischen Theil aussprach, das Anschließen desselben an die Aussprüche des neuen Testaments, bewog viele Theologen, nunmehr ihre theologischen Lehrbücher ganz nach den Kantischen Ideen zu bilden, dieselben Terminologieen zu gebrauchen, und allerdings wohl vieles in das neue Testament hineinzutragen, was in einer so populären Behandlung moralischer Wahrheiten kaum zu erwarten war. Die 1513Compendien von F. W. Schmid, Ammon, Snell, mit einigen Modificationen aber von 1514 Vogel, Stäudlin und Andern, liefern die Beweise. Andere, wie 1515 Reinhard, sträubten sich zwar Anfangs dagegen, nahmen aber doch unvermerkt immer mehr von den Kantischen Ideen auf, da sie sich von so vielen Seiten durch Würde und Consequenz empfahlen, wie dieß 1516 Garve in seiner Schrift über die Moralprincipien alter und neuer Schulen, mit großer Unparteilichkeit ins Licht gesetzt hat. Das 1517Moralsystem Reinhard's, wovon er den letzten Theil nicht vollenden konnte, bleibt übrigens ein Hauptbuch, mehr durch seine Anordnung, die Wiederholungen unvermeidlich machte, als durch den Schatz von Kenntniß, Gründlichkeit der Exposition vieler Materien, und die reiche und gewählte Literatur.
Fast könnte man übrigens fürchten, daß die beinahe ganz philosophische Gestalt, welche die christliche Sittenlehre erhalten, ihren eigenthümlichen Charakter zu sehr in Schatten gestellt, und daß sie wohl eigentlich, um sich von der philosophischen zu unterscheiden, mehr unmittelbar aus ihrer Urkunde hergeleitet werden müßte. 1518Eine solche Bearbeitung liegt, wenn Gott mein Leben fristet, in meinen Plänen für die Zukunft. (D. H.)Der Herausgeber
Hier liefere ich den Beschluß meiner Anweisung zur Bildung angehender Theologen, in der ich meine Beobachtungen, Begriffe und Vorschläge über das Studium der Theologie, die ich bey vieljähriger Erfahrung und öfterer Prüfung bewährt fand, so weit zusammengedrängt habe, als sie sich mir wieder unter dem Schreiben darstelleten, und wie ich sie für angehende Studierende, oder vielmehr überhaupt bey wahrhaftig nützlicher Beschäftigung mit den dahin gehörigen Wissenschaften zuträglich hielt. Denn, obgleich meine Absicht eigentlich auf diejenigen ging, die sich auf Universitäten diesen Wissenschaften widmen: so wünsche ich doch zugleich auch Andern nützlich zu werden, denen, wenn sie gleich schon in Aemtern stehen, Manches neu oder in ein neues Licht gestellet scheinen möchte, was ihnen hoffentlich auch noch jetzt erst willkommen seyn düfte, zumal wenn sie es in diesem Buche, nach dem Titel, nicht erwartet hätten. Nur, eben deswegen, weil vieles hier bloß beyläufig, oft kaum mit einem oder zwey Worten, gesagt ist, und weil ich fürchten muß, bisweilen, wegen der geflissentlichen Kürze, nicht gleich verstanden zu [IV] werden, eben deswegen wünsche ich mir zugleich aufmerksame und bedächtige Leser, denen die Mühe nicht dauret, auch bisweilen bey einzelnen Worten mit ihrem Nachdenken zu verweilen.
Vielleicht kommt Manchem das, was ich in diesem Theile über die grossen Schwierigkeiten bey guten und ihrer völligen Absicht entsprechenden Predigten, sowohl als über ihre diesem Zweck förderliche Einrichtung gesagt habe, überflüßig oder zu weitläuftig vor. Mir nicht; weil ich weiß, daß die Meisten gerade mit dem, was ihnen am bekanntesten seyn sollte, am wenigsten bekannt sind. Der Leser, dem diese Sache wichtig ist, und dem die grossen, seligen und traurigen, Folgen würdiger und unwürdiger Predigten lebhaft vor Augen schweben, mag selbst darüber richten. Ich werde mich für sehr reichlich belohnet halten, wenn ich irgend einige dadurch sollte auf eine Sache aufmerksamer gemacht haben, die keinem, dem Christenthum und Wohl der Menschen am Herzen liegt, gleichgültig seyn sollte. Halle, den 7ten des Mayes 1789.
Der dritte Theil dieser Schrift ist recht eigentlich für künftige Religionslehrer bestimmt. Aber auch die, welche schon im Amte sind, werden noch sehr vieles zu ihrer Belehrung und Ermunterung darin finden. Mehrere Abschnitte scheint der (sel.)selig Verfasser mit besonderer Vorliebe gearbeitet zu haben. Daraus erklärt sich die Ausführlichkeit, womit er manche Materien behandelt, welche man kaum in einer Schrift dieser Art erwarten konnte, namentlich was er über die Meditation und Abfassung der Predigten erinnert hat, ohne gleichwohl, wie er selbst äußert, die Absicht zu haben, [IV] homiletische Regeln geben zu wollen. Ganz vorzüglich aber spricht sich seine Gesinnung in dem aus, was er über die Bestimmung der Universitäten sagt, von welchen er eine sehr hohe Meinung hatte, und eben daher auch unter die warmen Vertheidiger ihrer Rechte und Freiheiten gehörte. Wenn man seine, bereits in der 1558 Vorrede zum ersten Theil von mir erwähnte, Lebensbeschreibung, und mehrere derselben beigefügte schriftliche Aufsätze über diesen Gegenstand, namentlich (Th.)Theil 2. (S.)Seite 117 und 134 vergleicht, so wird man darin die hier nur kurz berührten Ideen und Ueberzeugungen noch weit genauer und stärker ausgeführt finden.
1559Zu literarischen Berichtigungen und Zusätzen hat übrigens auch dieser Theil sehr häufig Veranlassung gegeben, wobei ich mich jedoch gehütet habe, so manches zu nennen, was höchstens einen temporären Werth gehabt hat. Einzelne Zusätze habe ich, häufiger als bei den vorigen Theilen, gleich dem Texte eingeschaltet, ohne sie besonders bemerklich zu machen. Nur längere Anmerkungen und Ergänzungen sind von den eigenen Worten des Verfassers unterschieden worden.
[V] Möge denn aufs neue diese Schrift, welche schon so viel Gutes gestiftet, und so manchen Studierenden auf den rechten Weg geleitet hat, ferner segenvoll wirken! Sie unterscheidet sich von ähnlichen encyklopädisch-methodologischen Werken, besonders durch den praktischen Geist, der sie in allen ihren Theilen durchdringt. Denn das gehörte zu dem Eigenthümlichen ihres Verfassers, daß er, bei der hohen Werthschätzung echter und gründlicher Gelehrsamkeit, und bei dem unablässigen Streben nach Erweiterung seiner eigenen so reichen Kenntnisse, nie die Hauptsache aller menschlichen Bildung aus dem Auge verlor, nie die Cultur des Gemüths von der Cultur des Verstandes getrennt wissen wollte. Ein wahrhaft religiöser Sinn war und blieb ihm doch immer die Haupteigenschaft des Theologen, und er übersah vieles an denen, oder wußte es wenigstens mild zu entschuldigen, bei welchen er nur den guten Willen und die reine Liebe zur Wahrheit nicht vermißte.
Oft habe ich bei der Revision seines Werks den vollendeten Mann mir nahe gewünscht; oft mich gefragt, wie er über den gegenwärtigen Zustand der [IV[!]] Kirche urtheilen, was er hoffen, was er fürchten würde. Doch er ist den Kämpfen entrückt, die nicht aufhören werden, so lange noch Gutes und Böses, Licht und Finsterniß neben einander steht. Er gehört einer höheren Gemeinde an, in welcher ihm wohl sehr vieles, was uns wichtig dünkt, und worüber wir uns bald selbst beunruhigen, bald leidenschaftlich mit Andern kämpfen, in einem ganz andern Lichte erscheinen mag.
Halle, den 25. April 1819.
Je länger ich unser kirchliches und namentlich unser Predigtwesen beobachte, desto mehr will sich meiner die Besorgniß bemächtigen, daß die Wirkungen davon geringer sind, als sich viele selbst von denen, die es mit ganzem Ernst treiben, vorstellen mögen. Es würde sehr ungerecht seyn, den Grund davon in den Lehrenden oder in der Be[106]schaffenheit der Vorträge allein zu suchen. Er liegt eben sowohl in der Beschaffenheit der Zuhörer und in dem Geiste der Zeit – der, wenn er nicht schlimmer als vordem, doch auf keinen Fall von dieser Seite besser geworden ist.
Indeß erfordert es doch wohl eine recht ernstliche Prüfung, ob, wenn man viele christliche Gemeinden nimmt wie sie sind, und die Stufe der Bildung, auf der sie stehen, in Anschlag bringt, nicht in der Art und Weise, wie von den meisten Predigern gepredigt wird, auch ein Grund der geringen Wirkung zu suchen sei. Die Predigt, als Kunstwerk nach rhetorischen Gesetzen und homiletischen Formen zugerichtet, überhaupt jeder lange zusammenhängende Vortrag, geht für die meisten Ungelehrten verloren, und es ist psychologisch unmöglich, daß er ihre Aufmerksamkeit zusammenhalte und ihre Theilnahme erwecke. Die Länge selbst schadet auch dem populärsten Vortrage; und regt sich erst der Wunsch und die Sehnsucht nach dem Ende, so rechnet man vergebens auf einen bleibenden Eindruck.
Man sollte daher auf die größte Mannichfaltigkeit in der Form der Mittheilung sinnen; Alles mehr abkürzen, aber desto kräftiger zum Herzen sprechen; viel mehr wenigstens in Gegenwart der Erwachsenen katechesiren; oder einer rührenden und würdigen Abendmahlsfeier nicht lange Vorträge vorhergehen lassen, und wo möglich öfter, Alter, Stände und Berufsarten 1671(wie schon oben bemerkt ist) von einander sondern.
In den Schriften, welche neuerlich über die Mittel, die gesunkene Religiösität wieder zu heben, erschienen sind, findet man auch hierüber viele beachtungswerthe Ideen und Vorschläge. Ich darf auch wohl an 1672meine Briefe an christliche Religionslehrer, besonders die 3te Sammlung, errinnern.
Daß auch nach der Reformation in dem protestantischen Kirchenwesen nicht Alles vollkommen, und noch fortdauernd viel zu verbessern übrig geblieben ist, haben die Unbefangenen zu allen Zeiten gefühlt; und es ist daher auch, wenigstens in manchen Ländern immerfort daran gearbeitet [136] worden, so manche Ueberreste aus der katholischen Zeit wegzuschaffen, und so manchen Einrichtungen eine bessere, den Fortschritten des menschlichen Geistes und dem Bedürfniß der Zeit angemeßnere Gestalt zu geben. Daher ist auch hierin ein Land dem andern, selbst eine Provinz der andern voraus, ja sogar manche Stadt desselben Landes der andern, wenn es thätigen und exergischen Männern oder Konsistorien gelungen ist, diese und jene Verbesserung früher zu Stande zu bringen. Es ist aber auch Manches, was früherhin allgemein anerkannt und befolgt ward, nach und nach von selbst eingeschlafen, wo nicht verschwunden, weil die Zeit überhaupt einen andern Charakter angenommen hat.
Die neueste Zeit ist, aufgeregt durch die großen Begebenheiten, die wir erlebt haben, und in welchen Religion und Kirche selbst wieder mehr ein Gegenstand des allgemeinen Gesprächs und Nachdenkens geworden ist, vorzüglich fruchtbar an Vorschlägen und Versuchen gewesen, Altes umzugestalten, oder das Wankende wieder zu befestigen. Ganz besonders hat in dem Preußischen Staate die Organisation der Synodalverfassung Anlaß gegeben, und wird ihn noch ferner geben, vieles, was auf Kirchenregiment, Kirchenordnung, Kirchenzucht und Kirchenvereinigung, und über die Mittel, den Kirchen und der Religion selbst wieder aufzuhelfen, Beziehung hat, zur Sprache zu bringen. Es sind auch schon vorläufig manche Vorschläge dazu erschienen, welche, nachdem sie mehr oder minder in einem hierarchischen oder in einem liberalen Geiste geschrieben waren, auch mehr oder minder Widerspruch gefunden haben. Besonders verdienen von der einen oder der andern Seite beachtet zu werden:
und ganz vorzüglich:
1725Die im Jahr 1818. den Synoden des (Preuß.)Preußisch Staats zur Prüfung übergebene Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung, wird unstreitig noch immer mehr Anlaß zu gründlichen Erörterungen dieser nicht leichten Aufgabe an die Hand geben.
§. 523. Zeile 1. (u.)und 2. muß es heissen: In der Natur der Sache selbst oder eines solchen Vortrags (u. s. w.)und so weiter