Rings nun habt Ihr durchstreift Kephallonias herrliches Eiland
Freund, den Zauber des Süds nordischem Nebel entführt;
Berg nun kennt Ihr und Thal, Weingärten, Olivengefilde,
[224]Saht altgriechischer Kunst manchen zerfallenden Rest;
Fürder zieht es Euch nun zur Burg der athenischen Pallas,
Aber zur Fülle der Lust fehlet, o Bester, noch eins:
Kommt zum Gestade hinab! Seht an: zu entzückender Strandfahrt
— Blauend in lichtestem Glanz — laden uns Himmel und Meer.
Wohl! Der Kahn ist bereit, steigt ein! Nun greifet zum Ruder!
Seht, schon schweben wir leicht über die Fläche dahin.
Hinter uns, goldig umstrahlt, versinkt Akarnaniens Küste,
Ithakas Felsengeklipp ragt in den Äther empor.
Vor uns steigt aus der Flut, der lichten, das liebliche Zante,
Während zur Seite uns rechts grüßt Kephallonias Strand.
Ferner und ferner entweicht, dem jüngst wir entfuhren, sein Hafen,
Rasch mit beflügeltem Bug steuert nach Süden der Kahn.
Seht: da türmt er sich auf, der Berg, der erhabene Ainos,
An des Gewaltigen Fuß schmiegt sich ein Inselchen an.
Als Kephallonias Kap, als äußerstes, ragt es im Süden,
Geister verwichener Zeit hausen im öden Gestein.
Fragend seht Ihr mich an; wohlan. so wollet vernehmen
Seltsame Kunde, die hier geht von Geschlecht zu Geschlecht:
Einst — Jahrhunderte längst entschwanden, ob griechischen Fluren,
Brünstig in Tempeln verehrt, herrschten noch Zeus und Apoll —
Seht: da segelte hier, von schäumenden Wellen geschaukelt,
Rings von Klippen bedroht, keuchend ein schwankendes Schiff.
Enokles hatt' es gebaut, der reichste der cyprischen Kaufherrn,
Fracht unschätzbaren Werts führt' es zu Sybaris' Bucht.
Selber stand er am Bug und sah in die tosenden Fluten,
Welche mit gähnendem Tod Menschen bedrohten und Schiff.
Da, in der drängendsten Not, zur heimischen cyprischen Göttin,
Die einst dem Meere entstieg, hob er anbetend die Hand:
„Göttliche, die wir daheim in Amathus' Tempeln verehren,
Scheuche die grause Gefahr, zwinge das rasende Meer!
Wenn du mein Flehen erhörst, mich selbst und die Ladung mir rettest,
[225]An Kephallonias Strand bau' ich ein Heiligtum dir!“
Kaum noch sprach er das Wort und gelobt' es mit stygischem Eidschwur,
Da — o Wunder — vom Land nahte ein Vogel dem Mast,
Ja, sie war es — o Lust — die heilige Taube der Venus,
Und wie durch Zaubergewalt ruhte das Tosen der Flut.
Rasch am Felsengeklipp anlandete sicher der Kaufherr,
Rasch im Myrtengebüsch baute die Taube ihr Nest.
Traun, und zur Seite dem Nest, wie's Enokles flehend gelobte,
Über dem felsigen Grund hob sich ein Tempelchen bald.
Weithin schaut' es aufs Meer mit ragender offener Halle,
Leuchtender Farben Gemisch schmückte Gesimse und Wand.
Aber von Myrten umblüht, von Bläue des Himmels umflossen,
Ragte inmitten des Raums Cyprias steinernes Bild.
Fern aus der lärmenden Stadt dem einsamen Tempelbezirke
Einmal stetig im Mond nahte die Priesterin sich,
Blumen brachte sie dar und Dank für die gnädige Rettung,
Spendete Nahrung zugleich Tauben im Myrtengebüsch.
Würdig, zu walten des Amts, galt einzig das schönste der Mädchen,
Neigte das Jahr sich zum Schluß, wurde sie ledig der Pflicht;
Hatte sie treu sich bewährt, ward Lohn ihr, reicher, zu eigen,
Fülle erfreulichen Guts brachte dem Gatten sie zu.
Also hatt' es bestimmt der Herr des geretteten Schiffes,
Also blieb es im Schwang viele Jahrhunderte lang.
Trüb schon nahte die Zeit, als wankend auf himmlischen Thronen
Sich der Olympier Schar bange des Endes versah,
Doch in Romas Bezirk noch flammten die Weihrauchaltäre,
An Kephallonias Strand flehte die Priesterin noch.
Seht: da einstens geschah's, daß Zeus von hehrem Triumphfest,
Des er in Rom sich erfreut, heim zum Olympe sich hob.
Rasch mit ehernem Huf durchs Luftmeer stürmten die Rosse,
Goldige Mähne umflog stolz den ambrosischen Hals.
Aber gar weit war die Fahrt zum fernen Thessalierlande,
[226]Sommerlich hoch im Zenith flammte des Helios Glut.
Süßes Ermatten bezwang die Glieder des höchsten der Götter,
Siehe: da stieg vor dem Blick lockend der Ainos herauf.
Rasch drauf hemmt' er die Fahrt, und hoch auf dem Gipfel des Berges,
Schützend von Wolken umhüllt, gab er dem Schlummer sich hin.
Stunde um Stunde verstrich, schon dämmerte mählich der Abend,
Hell in Purpur erglomm rings das ionische Meer,
Da erst scheuchte den Schlaf der Gott und schaute zu Thale:
Ach, welch himmlisches Bild sah er mit staunendem Blick!
Schön wie Io nicht war, auch Semele nicht und Europa,
Schön wie die Himmlische selbst, der sie zum Dienste geweiht,
Lehnte die Priesterin dort an Aphroditens Altare,
Blickte mit träumendem Sinn über die schäumende Flut.
Erstmals hatte sie heut des göttlichen Amtes gewaltet,
Harrte nun rastend des Kahns, der sie entführte zur Stadt.
Sehnsucht, zehrende, schlich ins Herz des alternden Gottes,
Liebe, die letzte, bezwang bannend des Schauenden Herz.
Wenden nicht konnt' er den Blick von der Lieblichen drunten, der Jungfrau,
Gern ihr wär' er sofort liebend zu Füßen gestürzt.
Aber nicht frommt' es, zu nahn der Zarten in göttlicher Hoheit,
Ach und der süße Betrug, des er vordem sich befliß
— Wandelnd Form und Gestalt — er wollte nicht fürder verfangen;
Klug ward der Menschen Geschlecht und es zu täuschen nicht leicht.
Lang' nachsann er, der Gott; doch eh' er noch Mittel und Weg fand,
Trug hernahend der Kahn, die ihn bestrickte, hinweg.
Selbst auch zog er darauf von dannen zum hohen Olympos,
Aber nicht Ruhe fortan labte sein pochendes Herz.
Rasch herrief er zu sich Merkur, den Boten der Götter,
Hieß ihn enteilen im Flug nach Kephallonias Strand,
[227]Klug dort sollt' er erspähn der Jungfrau Leben und Wesen,
Und wie am füglichsten Zeus stillte des Herzens Begehr.
Hermes eilte hinweg und Botschaft bracht' er bald rückwärts:
Doris sei sie genannt, wackeren Fischern entstammt,
Liebend glühe ihr Herz dem schönsten der Fischer des Eilands,
Gönne ihm Seele und Hand, wenn sie des Priestertums frei,
Aber noch elfmal zuvor betrete sie opfernd die Insel,
Bis sich in rollendem Lauf schließe das wechselnde Jahr.
Zeus aufatmete froh, nun war er dem Zweifel enthoben,
O wie harrt' er des Tags, der sie zum Opfer berief!
Endlich zog er heran; zuvor am Abend — des Morgens
Früh im Dämmerungsgraun galt es das Opfer zu weihn —
Rings mit Blumen bekränzt, geschaukelt von silbernen Fluten,
Nahte, der Jupiters Glück trug, der gesegnete Kahn.
Langsam fuhr er zurück, doch sie, die entzückende Jungfrau,
Wieder am Marmoraltar lehnte sie träumend wie einst;
Freundlich vom Tempel umschmiegt, sich hüllend in fromme Gedanken,
Fern dem Getriebe der Welt, harrte sie schweigend der Nacht.
Seltsam-üppiger Duft enthauchte dem Myrtengebüsche,
Über die Wogen erklang's gleichwie Sirenengesang,
Zaubrisch strahlte wie nie im Lichte des Abends die Göttin,
Feucht erglänzte der Blick, Lächeln umspielte den Mund.
Seltsam stieg es herauf und wogte im Busen der Jungfrau,
Da, noch eh' sie's gedacht — täuschte sie Auge und Ohr? —
Ja, da stand er vor ihr, wie Tiefen der Erde entstiegen,
Er, dem liebenden Sinns sich ihre Seele ergab.
Ach wie strahlte so lieb im Schimmer der Jugend der Jüngling,
Glanzreich-dunkles Gelock fiel von der Stirne herab,
Augen wie Sterne der Nacht! Es lachte der Mund apollinisch,
Anmutszauber umfloß rings den geschmeidigen Leib.
Ach und wie sank er zu Füßen ihr hin, der zärtlich Geliebte,
Flehte und bat und beschwor, daß sie verzeihe sein Nahn.
Wer doch hätt' es vollbracht, so stürmischem Drängen zu zürnen?
[228]Grollend verzog sie den Mund, aber sie grollte nicht lang'.
Huldreich wich sie zur Seit' auf schimmernden Stufen des Tempels,
Gönnt' ihm voll Liebe die Hand, maß ihn mit schmachtendem Blick,
Zärtlicher wurde das Wort, stets kühler wehte der Nachthauch,
Leicht erschauernd gemach lehnte da Brust sich an Brust.
Leuchtend den Wogen entstieg Selenes silbernes Antlitz,
Ungestümer im Laub tönte der Taube Gegirr,
Mund sank nieder zu Mund, die Worte erstarben in Stammeln,
Glücklich war Doris' Gemahl, glücklich — der liebende Gott.
Mählich dämmerte auf der Eos rosiges Leuchten,
Ruf der Lerche im Blau trennte die Liebenden erst,
Er zog scheidend hinweg, der Gott, zu den Höhn des Olympos,
Sie an der Göttin Altar pflegte des heiligen Amts,
Drauf die Stunden des Tags erfüllte des Glückes Erinnrung,
Bis sie am Abend der Kahn wieder entführte zur Stadt.
Einsam schwanden und grau die Tage dem höchsten der Götter,
Sehnend harrt' er aufs neu, daß sich vollende der Mond.
Drauf als nahte der Tag, der brachte des Glückes Erneuung,
Ehe noch Doris erschien, harrt' er als Fischer am Strand.
O wie weilte sie lang'! Da sieh, was naht auf den Fluten?
Das ist nicht Doris' Gestalt, Himmel! welch seltsames Bild!
Vorn am Buge des Schiffs, mit Furchen im hageren Antlitz,
Bleich, langwallend der Bart, stand eines Greisen Gestalt,
Hoch mit zitternder Hand aufreckt' er das Zeichen des Kreuzes
Gleichwie zum Schutze und Schirm wider verderblichen Spuk.
Also landeten sie am Ufer des seligen Eilands,
Zogen mit düsterm Gesang hin vor der Göttin Altar,
Stürzten ihr leuchtendes Bild, aufschäumend begrub es die Meerflut,
Und des Gekreuzigten Bild ragte am Ufer dafür.
Doch der Olympier, weh, im Schreck ob der argen Enttäuschung
War ihm entfallen das Wort, das ihn aus Menschengestalt
[229]Wieder erhöhte zum Gott, und schnöde im Garne gefangen
Haust er verborgen seitdem ewig im Felsengeklipp.
Einmal im Monat allein, am Tage, der einst ihn beglückt sah,
Statt prometheischer Qual winken ihm Stunden der Lust.
Früh dann findet sein Blick am Ufer die schaukelnde Barke,
Die ihn als Fischer einst trug an Kephallonias Strand,
Rasch besteigt er den Kahn und segelt auf wonniger Meerflut,
Mustert aufs neue die Welt, die einst zu eigen ihm war;
Oft auch fährt er um Lohn, frachtführend, zu andern Gestaden,
Rasend mit Windesgewalt eilt er von Strande zu Strand;
Jeglicher sah ihn bereits und meidet den fliegenden Schiffer,
Wenn er im schwanken Gefährt gähnende Fernen durchmißt.
Oft auch über die Flut hinrudert er Fremde aus Norden,
Weist dem bewundernden Blick Reize von Meer und von Land.
Also fuhr er zuletzt — so raunt man im Volke die Kunde —
Steuernd den britischen Lord, der Kephallonias Strand
Heiß vor andern geliebt und lang in Metaxata hauste,
In Missolunghi zuletzt schleichendem Tode erlag.
Doch wie er steuert und schweift, der Gott in des Fischers Erscheinung,
Heim stets zwingt ihn sein Los, ehe der Abend sich neigt.
Weilt er noch fern auf der Flut, wenn Schatten des Abends sich senken,
Bleibt er zwölf Monde dafür tief ins Geklüfte gebannt —
Also vernahm ich die Mär schon oft aus dem Munde des Volkes,
Stets von der früheren Zeit erbt sie das Enkelgeschlecht.
Aber der Abend bricht ein, ums Berghaupt türmen sich Wolken,
Drum zum Hafen zurück sei nun gewendet der Kahn.
Freundlich winkt uns daheim das Mahl der harrenden Gattin,
Und der Moscato wird Glut gießen ins fröstelnde Herz.
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