Auf seinen Heereszügen kam Iskender
Zu einem Flusse im Araberlande,
Deß Wogen, herrlich rauschend durch die Ufer,
Urwälder mächt'ger Palmen spiegelnd trugen.
Seltsame, buntgefärbte Vögel schwirrten,
Beschwingte Edelsteine durch die Lüfte,
Wenn Sonnenstrahlen auf sie niederfielen,
Die durch den wolkenlosen Äther bebend,
Versengend heiß zur Erde niederbrannten.
Verschmachtend kam das Heer durch rote Wüsten,
Jetzt aus den Wogen tranken Roß und Reiter.
Der König stieg allein hinab zum Bade.
Und wie die Wellen seine Brust umkühlten,
Es strömte süßer Wohlduft ihm entgegen,
Die Glieder lösend wonnevoller Hauch.
„Gewiß, es kommt der Fluß vom Garten Eden!“
Und solches sinnend stieg er aus dem Bade
Und ging dem Strom entgegen, der die Wellen
Vom Sonnenaufgang her zur Erde wälzte,
Fern seinem Heereszuge, traumverloren,
Einsam versenkt in sinnende Betrachtung,
Bis ein Gebirge sich vor seinen Blicken
Erhebt, des Himmels Wölbung scheint's zu tragen.
Es funkeln große Lichter um das Haupt ihm
Ein Stralendiadem von hellen Sternen;
Ein Wasserfall stürzt vor aus seiner Brust,
Es scheinen Silberrosen seine Wellen,
Die Duft verbreiten, leisen Falls zerfließend,
So süßen Hauch, als alle Erdenlenze
Hervor nicht brachten seit der Urwelt Zeiten.
Und selig athmend spricht vor sich der König:
„Mich weht beglückend an der Garten Eden!
Mir aber leiht kein Adler seine Schwingen,
Und in die Höhe rudert mich kein Kahn —
Wer öffnet mir das Thor vom Garten Eden?“
Er ruft es laut, und überm Wasserfalle
Erscheint die mächtige Gestalt des Hüters,
Deß Haupt zum Himmel ragt wie eines Berges,
Es sind zwei dunkle Wolken seine Flügel
Und seine Augen brennende Kometen,
Und von dem Schwert, das er zum Himmel schwingt,
Schießt Blitz um Blitz auf, rote Stralenbündel.
Des Wasserfalles Brausen übertönend
Ruft er hinab: „Wer bist du kühner Fremdling?“
„Thu' auf, ich bin des Morgenlandes König.
Die Sehnsucht füllt mein Herz, nur eine Nacht
Der sel'ge Gast zu sein vom Garten Eden!“
Und ihm erwiedert der gewaltge Hüter:
„Das Thor ist Gottes. Einziehn nur die Frommen.“
Iskender ruft dem Hüter stolz entgegen:
„Ein König bin ich, Frommen gleich zu achten!“
Der Hüter aber auf die stolze Rede
Gab strenge Antwort ihm: „Gut ist kein König,
Es haftet an des Besten Händen Blut.“
Und schloß nicht auf das goldne Thor von Eden.
„So gieb ein Zeichen mir für meine Krieger,
Daß ich bis zu den Pforten vorgedrungen
Vom Garten Eden,“ ruft empor der König.
Da, weißen Bogens aus der Höhe nieder,
Als hätte losgerissen sich ein Stern,
Sinkt es herunter vor des Königs Füße,
[414]Blinkt ihm entgegen eine Silberkapsel,
Unscheinbar klein und funkelnd wie ein Auge.
Der König hebt das Kleinod von der Erde,
Und in der Brust verwahrend trägt er's sinnend
Auf seiner Wanderung zurück zum Heere.
Und wie er weiter schreitet, wird das Kleinod
Auf seiner Brust ihm schwer und schwerer immer,
Fast beugt's den Nacken ihm, doch mächtig athmend
Trägt er es schweigend bis zu seinem Zelte,
Wo ihres Königs bang die Feldherrn harren.
Er hört erstaunt, ihm schienen es nur Stunden,
Daß er der Tage drei und drei der Nächte
Dem Heere fern gewesen und den Seinen.
Und er erzählt von seinem Gang nach Eden,
Vom Kleinod, das der Hüter ihm gegeben,
Das also klein, doch schwer wiegt wie ein Felsen —
Zu prüfen sein Gewicht heißt eine Wage
Der König bringen, in die eine Schale
Das Kleinod legen, legen in die andre
Lastender Schätze viele, Schwerter, Kronen,
Doch schnellen sie empor wie Nebelflaum,
Und bleiern bleibt das winzge Kleinod liegen.
Der König sieht erstaunt es, und die Feldherrn
Und seine Zeichendeuter heißt er kommen,
Das wunderbare Räthsel zu erklären.
Und Einer spricht von ihnen vor dem König:
„Was Dir der Hüter gab vom Garten Eden,
Es ist ein Menschenaug' im Silbersarg.
So tief ist das Gewölbe nicht des Himmels
Und alle Meere nicht um es zu fassen,
Was unersättlich dieser kleine Spiegel
An Pracht und Macht verschlingt der ganzen Schöpfung.“
„Und welche Kraft bezwingt?“ fragt ihn der König,
„Die durst'ge Habsucht eines Menschenherzens,
Der Sehnsucht und der Hoffnungen Dämonen,
Den Geier, der in eine prometheisch
Gestimmte Seele hackt die wilden Klauen?“
Und Antwort giebt der Magier dem König:
„Ein Grab lass' öffnen und daraus den Staub,
In den ein Menschenherz zerfallen, nehmen,
Und das Gewicht von allen Diademen
Der Erde, aller Weltbeherrscher Raub,
Des Leibes Wonnen und des Geistes Klage
Schnellt auf das Menschenauge auf der Wage.“
Den Kriegern rings im Kreise schlägt die Rede
Wie Schwertstoß an die stahlbewehrte Brust;
Des Königs Sele aber ist voll Demut,
Und von der Wage nimmt er auf das Kleinod,
Erst zentnerschwer, jetzt wieder leicht wie Flaum,
Umhing er es an einem Purpurbande
Und trug's an seinem Herzen bis zum Tode.