Alarich auf der Akropolis
[1]Zu der Burg Athens, der hehren, klimmen jauchzende Barbaren,
Alarich der Gothenkönig, führt die beutelust'gen Schaaren.
„Schwingt die Keulen!“ ruft er grimmig „und durchbrecht die Propyläen,
Daß wir jenes Griechenlandes stolzgepries'ne Wunder sehen!“
Wild zertrümmern sie die Thore, die Akropolis ist offen, —
Eine fremde Welt erschließt sich und der Haufe steht betroffen.
Sonnengluten scheinen wieder von den schimmernden Gebäuden,
In den Hallen weht ein Zauber längst verklung'ner sel'ger Freuden.
Hoch auf schlanken Säulenreihen mit der Schönheit heil'gem Stempel
Thront der Parthenon, Athenens weiter friesgeschmückter Tempel.
Doch auf freiem Sockel, drohend mit der Aegis und der Lanze
Ragt Athenens Riesenstandbild in gewalt'gem Götterglanze.
[2]Bang erfaßt von fremden Schauern stehn und schaun die nord'schen Recken,
Und der nie gekannte Anblick füllt mit Furcht sie und mit Schrecken.
„Rettet, rettet euch, ihr Krieger!“ laut ruft's Alarich, der wilde,
Und die unbesiegten Gothen fliehn vor Phidias' Götterbilde.
Semiramis
Im Euphratschilf tönt Unkensang, —
Grabhügel ziehn sich den Strom entlang.
Und aus den Gräbern steigen
Die Geister zum nächtigen Reigen.
In zahllos strahlender Lichter Pracht
Glänzt Babylon's Herrscherpalast durch die Nacht,
Die Geister flüstern und schauen's
Mit Blicken voll lüsternen Grauens:
„Schon wieder ein Fest und wieder ein Held,
Der ihrem höllischen Zauber verfällt,
Und wieder, vor Tages Helle,
Bei uns ein neuer Geselle!
Jetzt trinkt er das Glück, — und, ist es vorbei,
Wozu noch des Lebens Einerlei?
Er lag in Semiramis' Armen!
Wir kennen der Herrin Erbarmen.“
Starr blicken sie hin, — da regt sich das Thor,
Draus schreiten Sclaven mit Fackeln hervor.
Sie tragen ein Tuch von Linnen
Und einen Todten darinnen.
Sirenenlied
Komm, lenke den Kahn in die Felsbucht ein,
Verlaß die Fluten, die feuchten!
Schau, wie im buhlenden Vollmondschein
So schneeig die Schultern mir leuchten!
[3]Von Kälte durchfröstelt, vom Schaume durchnäßt,
Komm, birg dich in meinen Armen:
Wenn heiß du an's Herze dich drücken läßt,
Sollst schauernd vor Lust du erwarmen.
Was fliehst du, Betrogner? O kehre zurück!
Bald sind dir die Träume zerronnen!
Es gibt auf Erden kein himmlisches Glück, —
Es gibt nur irdische Wonnen!
So blaß ist das Leben, so öde die Brust,
Die Tage der Jugend verrauschen.
O wag' es, mit kurzer, bestrickender Lust
Dies schleppende Sein zu vertauschen!
Was graut dir? Ahnst du bei mir den Tod?
Den findest du allerwegen!
Er tritt dir, begleitet von Trübsal und Noth,
Im Kampf und im Siege entgegen!
Das Leben ist Trug, das Leben ist Schein,
Es wird dir im Traume zerfließen:
Ich bette dich weich und wiege dich ein, —
So kannst du noch sterbend genießen!
Bestimmung
Nun ist es Nacht: du aber sinnst
Allein im dunklen Schlafgemach
Gar manchem süßen Traumgespinnst
Und manchem stillen Räthsel nach.
Du seufzst, und dennoch duldest du,
Daß sie dir immer wieder nahn,
Daß sie zum Herzen ohne Ruh
Sich brechen unverhaltne Bahn.
Und über's blühnde Angesicht
Rollt eine schwere Thräne hin, —
Umsonst! du findest grübelnd nicht
Des eignen Lebens Zweck und Sinn.
[4]Du ahnst es nicht, daß, der dich schuf,
Der Gott mit seiner güt'gen Hand,
Dir gab den herrlichsten Beruf,
Den diese nicht'ge Welt gekannt:
Daß an dein süßes Leben sich
Festklammernd eine Seele hält,
Wenn ihr die eigne Kraft entwich,
Zu widerstehn dem Sturm der Welt.
Du ahnst nicht, daß im fernen Land
Dein Bild, von Liebe still gehegt,
Ein Knabe, den du kaum gekannt,
Als einzig Gut im Herzen trägt.
St. Cloud
Eine Erinnerung
Es war ein Tag zu jauchzen und zu blühen.
Zu Boden warf ich Sonden und Lanzetten
Nach nächtlich langem, blutigem Bemühen,
Um mich von grausen Sterb- und Jammerbetten,
Von todten Gliedern und zerschoss'nen Leibern
In frisch lebendige Natur zu retten.
Doch ach! als wär' ein Volk von wilden Räubern
Dahingesaust, so lagen die Gelände
In Schutt, von einer Meerflut kaum zu säubern.
Wo sonst der Hyacinthen duft'ge Spende
An's Licht sich wagte, fielen den Bebauern
Todbergende Granaten in die Hände.
Ich wandte mich zurück mit leisen Schauern;
Da ragten auf der sanften Hügelkette
Von Schloß und Stadt nur Trümmer mehr und Mauern —
St. Cloud, des welschen Kaisers Lieblingsstätte,
In Brand von seiner eig'nen Riesenschanze
Geschossen mit ohnmächt'gem Wuthgespötte.
Und aus dem Nebel wuchs im Morgenglanze
Vor mir die Seinestadt, das Goldjuwel
Des Invalidendom's im Mauerkranze,
So majestätisch und so farbenhell,
Als läg' sie hungernd nicht in Eisenschienen
Blauäugigen Barbaren zu Befehl.
Ein blödes Lächeln überflog die Mienen
Der Städtekönigin mit einem Male —
Doch furchtbar ist dies Lächeln mir erschienen.
[7]Sie schien in ihrer ries'gen Eisenfalle,
In ihrer Ohnmacht schwerverhalt'ner Wuth
Ein Löwe mir mit eingezog'ner Kralle,
Erstarrt im Blick auf das zerschoss'ne Cloud,
Zum Zeichen, was sie sinnt, wenn einst will glücken
Der Rache Tag: Brandfackeln, Mord und Blut.
Und was sie sann, erschien vor meinen Blicken
Schon gegenwärtig — als von strammen Tritten
Es lustig klang vom nahen Bergesrücken.
Und unsern greisen Kaiser sah ich mitten
Im Trümmermeer des Schlosses, wie er kam
Von der Terrasse Rest herabgeschritten.
Im Nu verflog der bange Traum und Gram,
Und fröhlich aus befreiter Seele schwirrte
Ein herzlich Lebehoch — nicht ohne Scham.
Der Kaiser lächelte. Ich salutirte.
In der Kirche
Ich sah dich betend knieen am Altar;
Ich sah in deinem Aug', auf deinen Wangen,
Wie Wonne dir im Herzen aufgegangen
Gleich einer Mondnacht still und sternenklar.
Du standest auf und sahst den Blick gesenkt
Den Finstern nicht, im Zweifeln stumm begraben,
Gleich einem Sterbenden sich lieblich laben
Am Frieden, den dein Glaube dir geschenkt.
Wohl dir! du sahst dann nicht die tiefe Nacht,
Die sternenlos schon lange sucht den Morgen,
Der ihm, was tief verschleiert, tief verborgen,
Ausschließt zur hellen, frohen Tagespracht.
Du magst bewahren dir das fromme Herz,
Ja, selbst will ich den Glauben treu dir hüten,
Daß seine schönen, wunderbaren Blüten
Dir Ruhe duften, Trost in jedem Schmerz.
[8]Doch mich laß nimmer ruhn, du meine Ruh'!
Laß mich nach Wahrheit ringen, laß mich siegen!
Und müßt' ich auch im Kampfe bald erliegen,
O weine nicht, mein frommer Engel du!
Am Strande
Die Sonne sank, ich war allein am Strande
Und blickte lange in des Himmnels Glut
Nach jenen Wolken, welche auf die Flut
Herniedersanken, blau mit goldnem Rande.
Sanft wallten die Gewässer auf und nieder
Und plätscherten mit weißem Flockenschaum,
Als spielten sie halb wachend, halb im Traum
Und summten leise süße Schlummerlieder.
[9]Dann blickte scheidend noch die schöne Sonne
Auf all die Pracht halb aus der Flut hervor,
Ein selig Flüstern schauerte durch's Rohr, —
Dann Alles eine stille, große Wonne.
Doch mich durchdrang ein tiefes, heißes Sehnen,
Gar wunderweh zu Muthe wurde mir,
Und meine Seele flog zu dir, zu dir,
Und meine Augen füllten sich mit Thränen.
So hab' ich still den schönen Strand verlassen;
Zu groß war all die Herrlichkeit und Lust
Für eine einz'ge arme Menschenbrust.
Und nur mit dir vereint könnt' ich sie fassen.
Im Colosseum
Schau des Gemäuers riesig Rund
Und drin den ungeheuren Krater,
Das ist ein blutgetränkter Grund,
Vespasians Amphitheater.
Doch heut', — wie still im Sonnenschein
Die goldig braunen Trümmer glühen;
Um jede Mauer, jeden Stein,
Welch' reiches Grünen rings und Blühen —
Und süßes Duften, — Vogelsang
Und wonnig Säuseln, Bienensummen,
Nun ferner Kirchenglockenklang,
Nun wieder plötzliches Verstummen. —
Und einst — Getös' und Waffenschall
Und Thiergebrüll und Todesstöhnen
Und Beifallssturm und Wiederhall,
Ein grausig wildes Meer von Tönen.
Ein wüst Gewirr, ein wild Gewühl,
Blutlachen und zerriss'ne Leiber,
Und ohne menschliches Gefühl
Schaugier'ge Männer rings und Weiber.
Und dennoch, — fluch ihm nimmer heut,
Willst du den stillen Ort besuchen,
Denn wo der Himmel Blumen streut,
Da darf ein Menschenkind nicht fluchen.
[11]Ein Mutterherz
Weihnachten war's, die schöne Wonnezeit
Wo Millionen Herzen freudig schlagen,
Sei es im Geben, sei es im Empfangen
Und Jubel rings und reinste Seligkeit.
Als nun der heil'ge Abend niedersank
Aus tiefer wunderklarer Himmelsbläue
Rings auf die stille schneebedeckte Erde,
Und als von allen Thürmen nah und fern
In mächtig hehrem Feierglockenklange
Des Himmels alte süße Liebeskunde
Die Luft durchzitterte, und als gemach
Manch' Fenster sich erhellte, als hinaus
Strahlende Kerzenpracht des Tannenbaums
Mit lustig lautem Kinderjubel drang:
Da saß ein Weib allein in nied'rem Stübchen
Bei trüber Lampe, eine Wittwe war es
Im schwarzen Kleide. Stumm die Hände faltend,
So saß sie da und starrte in die Flamme:
Und während fern die Glockenklänge tönten
[12]Die Lichter strahlten und die Kinder jauchzten
Blieb es in ihrem Herzen still und dunkel. —
Einst war auch ihre Seele hochbeglückt
Durch einen lieben schönen blonden Knaben,
Ihr Hoffen einst, ihr Stolz und ihre Freude —
Doch der war nun seit wenig Monden todt
Und lag an seines todten Vaters Seite.
Nun hat sie keinen Christbaum mehr zu schmücken,
Nun keiner Seele Freude zu bereiten,
Und dieses schönste Fest für's Mutterherz,
So reich an Wonnen einst, nun reißt es tausend
Kaum heile Wunden schmerzlich wieder auf.
So saß sie da und starrte in die Flamme,
In ihrer tiefsten Seele still und öde,
So saß sie da ganz einsam ohne Regung.
Da plötzlich kommt in's Herz ihr ein Gedanke:
Auf steht sie seltsam lächelnd, geht hinaus
Und kehrt nach einer halben Stunde wieder
Mit einem kleinen grünen Tannenbäumchen
Und Lichtern auch und Goldschaum es zu schmücken,
Dann hängt sie Nüsse dran und rothe Äpfel
Wie sonst sie pflegte, und als das vollbracht,
Holt eine Leuchte sie und zündet diese,
Geht dann mit ihrem Bäumchen wieder fort.
Sie eilet durch die hellen Straßen hin,
Dann weiter durch die ruhigen der Vorstadt
Und immer weiter bis zum stillen Friedhof.
Hoch oben funkelte das Heer der Sterne
Herab in tiefer träumerischer Bläue,
Ein selig Glänzen ging durch alle Ferne
Und eine hehre Feier war ringsum,
Als sollten wieder Wunder sich begeben
Und wieder Hosiannalieder klingen.
[13]Und wie so friedlich lag das heil'ge Feld
Mit seinen Kreuzen, seinen Todtenkränzen
Und Leichensteinen unterm Schneegewand,
Das Alles deckte still und weiß und rein.
Sie aber ging zu einem kleinen Hügel,
Dort kniete sie, dann in die harte Erde
Steckt mühsam sie den kleinen Baum und zündet
Die Lichter an; sie strahlten feierlich
Rings auf den kalten Schnee, auch nicht im kleinsten
Nachthauche bebend — solche Stille war's.
„Mein Kind, mein liebes, süßes, todtes Kind,
Sieh her, es hat dir deine arme Mutter
Den Weihnachtsbaum gebracht.“ Mehr sprach sie nicht.
Doch heftig laut aufweinend sinkt sie nieder
Und birgt das heiße thränenvolle Haupt
Tief in den kalten Schnee, ihr Herz zerwühlend
In wilder Lust mit selbstgeschaffner Qual. —
So fanden sie die Leute und sie schalten
Und nannten sie unsinnig, hirnverrückt,
Hinweg sie zerrend von des Kindes Grabe.
Denn Männer waren's. Keiner ja verstand
In solchen Wonnen und in solchen Qualen
In seiner ganzen Wunderherrlichkeit
Das Mutterherz, — das heil'ge Mutterherz. —
An mein altes Plaid
Daß du dahin bist altes treues Plaid,
Ich kann's nicht sagen, wie mir's nahe geht.
Warst meiner schönsten Wanderzeit Genoß,
Da dein Geweb mich freundlich noch umfloß.
Ich wandt in jeder Läge mich an dich,
Du ließest nie und nimmer mich im Stich.
[14]Umschauerte der Nord mich eisig kalt,
Als guter Mantel wärmtest du mich bald.
Lag Mittagsglut auf schattenlosem Feld,
Du breitetest dich über mir als Zelt.
Und wollt' ich ruhn, war rings der Boden naß,
Als Teppich decktest du das feuchte Gras.
Erschreckte mich ein klapperdürres Thier,
Du wurdest zum bequemen Sattel mir.
Sehnt ich in dritter Classe mich nach Ruh,
Zum weichen Schlummerkissen wurdest du.
Schien früh ins Kämmerlein der Tag so grell,
Als Vorhang decktest du das Fenster schnell.
Ja, wenn's im fremden Bett gefährlich war,
Ein Panzer warst du jeglicher Gefahr.
Du warst sogar, gab's lust'ge Mummerei
Als Toga oder Kutte gleich dabei.
Ich denk' an Alles das mein Leben lang,
Mein treues Plaid, hab Dank dafür, hab Dank.
Mit jedem Flecken drum und jedem Loch
Von Jahr zu Jahr wardst du mir theurer doch.
Indessen Nichts hinieden ewig währt,
Durchscheinend wardst auch du, — fast schon verklärt.
So löse in Atome still dich auf,
Das ist einmal der ird'schen Dinge Lauf.
Du sahst, daß selbst das Schönste sterben muß,
Du sahst Pompeji, Pästum, Syrakus.
Doch mehr als Jener Loos mir's nahe geht,
Daß du dahin bist, altes treues Plaid.
[15]Des Deutschen Vaterland
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Preußenland? Ist's Schwabenland?
Ist's, wo am Rhein die Rebe blüht?
[16]Ist's, wo am Belt die Möve zieht?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein!
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Baierland? Ist's Steierland?
Ist's, wo des Marsen Rind sich streckt?
Ist's, wo der Märter Eisen reckt?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein!
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Pommerland? Westphalenland?
Ist's, wo der Sand der Dünen weht?
Ist's, wo die Donau brausend geht?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein!
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist's Land der Schweizer? Ist's Tyrol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl!
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein!
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Gewiß ist es das Österreich,
An Ehren und an Siegen reich?!
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein!
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne endlich mir das Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt,
Das soll es sein,
Das, wack'rer Deutscher nenne dein.
[17]Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Eide schwört der Druck der Hand;
Wo Treue hell vom Auge blitzt,
Und Liebe warm im Herzen sitzt, —
Das soll es sein,
Das, wack'rer Deutscher nenne dein.
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand.
Wo jeder Franzmann heißet Feind,
Wo jeder Deutsche heißet Freund —
Das soll es sein,
Das ganze Deutschland soll es sein.
Das ganze Deutschland soll es sein,
O Gott vom Himmel, sieh' darein,
Und gib uns rechten deutschen Muth,
Daß wir es lieben treu und gut!
Das soll es sein,
Das ganze Deutschland soll es sein!
Vaterlandslied
Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte;
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
Dem Mann in seine Rechte;
Drum gab er ihm den kühnen Muth,
Den Zorn der freien Rede,
Daß er bestände bis auf's Blut,
Bis in den Tod die Fehde!
O Deutschland, heiliges Vaterland,
O deutsche Lieb' und Treue!
Du hohes Land, du schönes Land,
Dir schwören wir auf's Neue!
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Den speisen Kräh'n und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben!
[18]Laßt brausen, was nur brausen kann,
In hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutsche Alle, Mann für Mann,
Zum heil'gen Krieg zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan,
Und himmelan die Hände,
Und rufet Alle, Mann für Mann,
Die Knechtschaft hat ein Ende!
Laßt klingen, was nur klingen kann,
Die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann,
Mit Blut das Eisen röthen,
Feindesblut, Franzosenblut,
O süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
Das ist die große Sache!
Laßt wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut' uns, Mann für Mann,
Zum Heldentode mahnen,
Auf, fliege hohes Siegpanier,
Voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.
Otaheiti
Noch war es Nacht, der Silhouette gleich,
So lag vor uns ein zackig Inselreich.
Auf spiegelglatter Fläche zog das Schiff.
Ein fernes Brausen vom Corallenriff
Gebot uns Vorsicht. Stern an Stern verschwand
Am Firmament und vor uns war die Wand
Von mattem, weißem Zwielicht schon umgeben.
[21]Noch starr und farblos, ohne jedes Leben,
Hob sich der Berge Haupt gigantisch, riesengroß;
Doch mit dem Licht riß Fels und Kluft sich los,
Getrennt durch Schatten noch. Jetzt zuckt ein Strahl
Vom Tagsgestirn und vor uns zeigt das Thal
Vergoldet Grün in dunkelblauer Flut,
Der Brandung Gischt, des Äthers farb'ge Glut,
Des Eilands Spiegelbild in Wölkchen hundertfach.
Wer blieb noch kalt?
Aus jeder Brust ein Ach
Ertönt am Bord!
Wol sah den ersten Strahl
Des Sonnenlichts, im waldbegrenzten Thal,
Auf Bergeshöhen ich. Am fernen Wüstensaum,
Auf offnem Meer, auf unbegrenztem Raum
Sah den Coloß ich seinem Bett entsteigen,
Doch nie wie heut'.
Es muß die Lippe schweigen. —
Taheiti du! O! wär' die Lyra mein,
Die in des edlen Franken Hand erklungen,
Der einst, wie ich, von deinem Reiz bezwungen,
Dich sah, wie heut', beim ersten Tagesschein,
Wie anders würde heut' mein Lied verkünden,
Daß in der Welt kein Eiland sei zu finden,
An Pracht und Schönheit deinen Reizen gleich,
Du Perle du, du schönes Inselreich! —
Laut donnernd über Riffe schäumt das Meer,
Die eine Mauer bilden rings umher,
Und eng das kleine Eiland schließen ein,
Als sollten sie der Insel Feste sein,
Dem freien Volk ein sichres Unterpfand,
Daß nie des Eigennutzes schnöde Hand,
Voll roher Gier, nach dem Besitz bewegt,
Den Völkermord nach diesem Eden trägt.
Doch ach, umsonst war Riff und salz'ge Flut,
In Strömen floß der Männer bestes Blut,
[22]Als sich der Franken wohlbewehrtes Schiff
Einst nächtlich stahl durch den Corallenriff.
Nicht feige, um der Knechtschaft schnöden Lohn,
Ergab sich Otaheiti's edler Sohn.
Manch' Jahr verging, das tödtliche Geschoß,
Dem Franken war's ein siegender Genoß.
Wie färbte sich das Grün der Rasen roth,
Die Männerschaar, sie starb den Heldentod,
Den schönen Tod fürs Vaterland. Nun weh'n
Der Franken Fahnen von der Insel Höh'n.
Rings an den Saum des Meers im Halbmondkreis,
Nicht weit, wo man Point Venus nennt die Spitze,
Da leben still, im traulichen Besitze
Der kleinen Häuschen, die in schlichter Weis'
Geschaffen man aus Bambus und aus Brettern,
Vor Sonnenglut ein Schutz und jähen Wettern,
Der Franke und Neuenglands Sohn vereint.
Friedfertigen Sinns, so sucht der einstige Feind
Des Wilden Freundschaft, gibt ihm Schmuck und Tand
Und was die Schiffe aus dem Heimatland,
Zur Lust und Zier des Otaheitiers, bringen.
Wol hängt sein Herz, dem unsern gleich, an Dingen
Von äußerm Glanz. Er kennt die Sorge nicht
Um Leibesnahrung. Jegliches Gericht,
Nach dem der Inselsohn nur trägt Verlangen,
Beut ihm sein Land. An hohen Palmen hangen
Die süßen Nüsse, die gefüllt mit Saft;
Der Brodfruchtbaum gibt ihm des Körpers Kraft,
Bananen wachsen wild auf leichten Höh'n.
An Fischen reich sind Flüsse hier und See'n.
Papäiti wird die Colonie genannt.
Ein Kreis von schatt'gen Gärten rahmt sie ein.
Wo weiterhin gedrängt am Meeresstrand
Die Bambushütten stehen, zieht ein Hain
Von Cocuspalmen sich zur Höh' hinauf,
Von der herab manch' kühler Bach den Lauf
Zum Meere nimmt. Dicht an der Bucht
Wächst der Guavabusch mt säftereicher Frucht;
[23]Der Kaffeebaum und die Orange dort,
Die edle Frucht, der schönen Insel Hort,
So goldig gelb, so voller Wohlgeschmack.
Bis zu den Hügeln hin, steht gelblicher Tabak,
Der grüne Bambus und die Ananas,
Kakteen, Schlinggewächs und Alles, was
Nur Raum gewinnen kann. Bis zu den höchsten Höh'n
Zieht sich das Grün, ein Chaos, doch wie schön,
Ein Schmuck von seltner, auserles'ner Pracht,
Mit dem Natur die Tropenwelt bedacht.
Von allen Wundern, die Natur zum Zoll
Dem Eiland bringt, von dem das Herz noch voll
In der Erinnerung schwelgt nach manchem Jahr',
Gedenk' ich dein, Taheitis Mädchenschaar!
Der Schönen, die an Wuchs den Palmen gleich,
Im Blumenschmucke wie aus Flora's Reich!
Der dunklen Augen Glut, verheißend süße Lust!
Der schwarzen Lockenzier, der sanftgeschwellten Brust!
Der Formen, die sich durch Gewänder schmiegen,
Die faltenreich die schlanken Glieder decken
Der Lippen, die so holde Sehnsucht wecken,
Zum Kusse süß geschwellt und so verschwiegen!
Unstät zog mich des Wandertriebes Macht,
Zu schaun des Eilands Paradieses-Pracht,
Am Meeresstrand und durch der Wälder Grün.
Nach Allem, was nur sehenswerth mir schien.
Lenkt' ich den Fuß. Auf hohen Bergeshöh'n
Hab' ich geruht, wie an den blauen See'n.
Ich sah den Fluß im Regenbogenstrahl
Sich stürzen in das wiesenreiche Thal.
Dort von den Höh'n, die noch kein Fuß betrat,
Brach jäh der Sturzbach sich den wilden Pfad.
Ich stand an Tinauwairas Höllenschlund.
Die Geisterhöhl', so nennt des Volkes Mund
Die weite Kluft, das kühle Höhlengrab,
In das der Blick taucht in die Nacht hinab.
[24]Bis dort, wo sich ein schmaler Isthmus findet,
Der Otaheiti's Inselpaar verbindet,
Bis zu dem Paß lenkt' rüstig ich die Schritte,
Trotz Tropenglut. Da ist Taheiti's Mitte.
Dann aber zog's mich zu den Freunden wieder.
Schon sank im Flutenbett die Sonne nieder,
Als an bekannter Stätte ich mich fand.
Bald schien die Hügelkette mir bekannt.
Die weite Bucht, micht konnt' das Aug' sich trügen,
Die Schiffe dort, sah ich Papaiti liegen,
Die Häuschen all', die gastlich mich geschützt.
Dort wo Eimeo liegt, ein Strahl noch blitzt
Und läßt des Tobreonus Haupt erglänzen
Im Abendschein.
Schon hört mein Ohr Gesang
Von Mädchenmund. Bei einer Geige Klang
Dreht sich die Schaar in leichten, üpp'gen Tänzen.
Und näher nun am Ziel bekannte Weise hallt
Zu meinem Ohr. Viel' Schiffer sah ich bald,
Gebräunte, aber fröhliche Gesellen.
Ein Wallfischfänger, dem Magnet die Quellen
Der schönen Insel und das lust'ge Leben,
Hat heut' im Hafen sich zur Rast begeben,
Nach langer Fahrt. Nach schönerem Asyl
Trieb nie den Schiffer laun'ger Winde Spiel,
Wo ihm an eines braunen Mädchens Brust,
Für seines Standes Mühsal süße Lust
Gewährt das lauschige, verschwieg'ne Grün.
Des schönen Tages letzte Strahlen fliehn.
Die kurze Dämmerung schwindet und die Nacht
Senkt nieder sich mit ihrer ganzen Pracht.
Das Sternenheer auf Meer und Insel breitet
Sein Silberlicht. Von allen Schiffen läutet
Der Abendglocke Klang.
Bald Stille ringsumher.
[25]Ein fernes Brausen nur tönt durch die Nacht vom Meer,
Dort, wo des Wassers ungestüme Wellen,
Im steten Kampf an dem Gestein zerschellen.
So schlummere denn, mein Otaheiti du!
Ein milder Himmel wacht ob deiner Ruh',
Hell scheint das Sternenkreuz durch deine Nacht.
Doch jeder Reiz von deiner Tropenpracht
Soll sich als Bild durch meine Träume winden;
Im Geiste seh' ich dich, ob auch die Jahre schwinden.
Ich denk' an dich, wie an verfloss'ne Zeiten,
Die sonnig schön der Seel' vorüber gleiten,
Wie an der Jugendliebe sel'ge Stunden,
Wo höchstes Glück das Herz zuerst empfunden.
Wie schön bist du, welch' Eiland ist dir gleich
Im weiten Meer, du lieblich Inselreich! —
Elisabeths Rosen
Sie stieg herab, wie ein Engelbild,
Die heil'ge Elisabeth, fromm und mild,
Die Gaben spendende, hohe Frau
Vom Wartburg-Schloß auf die grüne Au.
Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt,
Mit milden Gaben ist's vollgefüllt.
Schon harren die Armen am Bergesfuß
Auf der Herrin freundlichen Liebesgruß.
So geht sie ruhig — doch Argwohn stahl
Durch Verräthers Mund sich zu dem Gemahl,
Und plötzlich tritt Ludwig ihr zürnend nah,
Und fragt die Erschrockne: „Was trägst du da?“
[26]„Herr, Blumen!“ bebt's von den Lippen ihr.
„Ich will sie sehen! Zeige sie mir!“ —
Wie des Grafen Hand das Körbchen enthüllt,
Mit duftenden Rosen ist's gefüllt.
Da wird das zürnende Wort gelähmt,
Vor der edlen Herrin steht er beschämt;
Vergebung erflehet von ihr sein Blick,
Vergebung lächelt sie sanft zurück.
Er geht, und es fliegt ihres Auges Strahl
Fromm dankbar empor zu dem Himmelssaal.
Dann hat sie zum Thal sich herabgewandt,
Und die Armen gespeiset mit milder Hand.
Knecht und Magd
Es lüstete nicht den Verwaisten, den Ball in die Lüfte zu schlagen,
Ach, war er doch selber ein Ball, vom Sturme des Schicksals getragen;
[27]Er fing die Vögelein nicht, die sorgend im Laube nisten,
Er spähte, wie sie, nach Körnern umher, sein Leben zu fristen.
Er schleppte die Stufen hinauf die Körbe, mit Scheiten belastet,
Den Eimer mit Wasser gefüllt, und hat erst am Abend gerastet,
Hat frierend den müßigen Hund um's bergende Lager beneidet,
Das spinnende Kätzlein, das Gott mit wärmendem Felle bekleidet.
Er reifte heran, es ward sein Geschick, sich im Dienste zu plagen,
Im farbigen Kleid ein farbiges Elend im Leben zu tragen;
Zu lächeln im Leid, zu füttern den Hund, zu satteln den Schecken,
Ein Blümlein der Sünde zu Nacht an die Brust des Gebieters zu stecken.
Er dachte mit redlichem Sinn, sein wonniges Liebchen zu heuern,
Sie hatte nicht Hände wie Sammt, sie hatte die Dielen zu scheuern,
Es floß statt des würzigen Öls der Rauch in die wallenden Locken,
Die zarte Sohle, wie schien sie so plump in den bauschigen Socken.
Ihr Bildniß sandte sie nicht, noch Briefe mit goldenem Rändchen,
Er schenkte kein Ringlein ihr und brachte kein girrendes Ständchen;
Sie sahen sich spärlich, sie blieben getrennt in der Jugend Tagen,
Im rauschenden Lenz, wann die Lerchen der Brust am lautesten schlagen.
Sie alterten rasch, doch jugendlich blieb ihr gläubig Vertrauen,
Ihr Hoffen, es war wie die Blümchen im Korn, die schönen, die blauen;
[28]Und hast du tagüber gepflückt — du schaust am künftigen Morgen
Ein eheletztes, ein letztes, ein allerletztes verborgen.
Ach! nur im Traume schien's den gottgefälligen Seelen,
Als müßten sie dienen nicht mehr, als dürften sie selber befehlen;
Ihm war's, ob ein Bürger vor ihm den Hut in Demuth gerücket,
Und freundlich Herr ihn genannt und tief vor ihm sich gebücket.
Und als sie gespart und zusammengescharrt die Kreuzer und Gulden,
Und als sie der Priester getraut nach jahrelangem Gedulden,
Da kauft sie die Spindel, den Flachs, um schneeiges Linnen zu spinnen,
Da kauft er die Hütte, mit Röhricht gedeckt und sie wohnen darinnen.
Sie starrten in's züngelnde Licht, die Alten, die endlich Vereinten;
Es war nicht die Wonne der Liebe, daß sie nun lachten und weinten:
Das war ja vorüber, sie waren getrennt in der Jugend Tagen,
Im rauschenden Lenz, wann die Lerchen der Brust am lautesten schlagen.
Sich küssen? sie thäten es schämig! Sich necken? sie thäten es leise!
Ach, Blumen waren es wol, doch waren es Blumen im Eise;
Ein Tanz auf Krücken, o Gott! ein armer, verspäteter Falter,
Der halb ein blühendes Kind und halb ein verwelkender Alter.
Es ist nicht Wonne der Liebe, daß sie nun jauchzen und beben,
Nein! nur daß am eigenen Herd die eigenen Pfühle sich heben;
Nur Gott ist ihr Herr, der die Sterne beruft, zu leuchten, wenn's nachtet,
Den Knecht, der die Kette zerbricht, mit seligem Auge betrachtet.
[29]2. Willst du nach Brod in fremde Thäler ziehen?
Einem Armen
Willst du nach Brod in fremde Thäler ziehen?
In deines Herzensangst die Heimat fliehen?
Mit Weib und Kind fort auf der falschen See?
Auswandern, ach, es ist das herbste Weh!
Wol längst befrachtet steht der Leiterwagen,
Wol steht geschirrt der Klepper vor dem Haus,
Doch können sie dein Hüttlein weiter tragen?
Und gibt das Grab die Theuern dir heraus?
Erinnerung an deinen Jugendtraum
Umgaukelt dich, ein heller Sommerfaden,
Und hängt sich hier an deinen liebsten Baum,
Und dort an deinen besten Kameraden.
Wenn gar zuletzt dein quellend Auge schaut
Das Nest im Thurm, vom Klapperstorch gebaut,
Der scheiden muß im Herbst, ja scheiden,
Doch stets mit überstürztem Flügelschlag
Gezogen kommt am ersten milden Tag,
In treuer Brust des Heimweh's holde Leiden:
Dann geht wie Kirchensang und Orgelton
Durch dein Gebein ein tiefes Selbsterbarmen,
Und wieder hält den halbverlornen Sohn
Und doppelt fest die Heimat in den Armen.
Heimweh
O sieh die Schwalbe, Knabe mein!
Sie sitzt am Simse, tief bekümmert,
Indeß dein schadenfroher Stein
Das Nest, das traute, ihr zertrümmert.
[30]Du wirfst, mit ungetrübter Lust,
Den Stein in die geweihten Hallen;
Sie schaut, mit Gram in junger Brust,
Die theuren, letzten Trümmer fallen.
Sie flattert fort, sie fliegt umher
Vereinsamt, auf den weiten Auen:
Du weißt es nicht, es ist so schwer,
Die neue Heimat sich zu bauen.
Du ruhest längst und schlummerst fest,
Wenn noch die Schwalbe schweift und irret,
Ach, und um ihr zerstörtes Nest
Mit heimatlosem Flügel schwirret;
Wenn ich in düst'rer Mitternacht
Vereinsamt schweife vor den Thoren,
Und an das Vaterhaus gedacht,
Das ich verlassen und verloren.
Dein Begräbniß
Nicht durft' ich weinen, als man dich begraben,
Du warst ja eines andern Mannes Weib,
Und viele Fremde deinen Sarg umgaben,
Worin so fahl in Blumen lag dein Leib.
Sie zählten kühl die Fackeln und die Kerzen,
Die Thränen, die um dich geflossen sind,
Und beugten vornehm sich herab zu scherzen
Mit deinem blassen frühverwaisten Kind.
Die arme Kleine drückte scheu und bange
Ans schwarze Bahrtuch ihr gelocktes Haupt;
Sie ahnte kaum beim düstern Grabgesange,
Was ihr der Tod für immerdar geraubt.
Ich mußte ferne stehn und ruhig scheinen,
Als Letzter hinter deinem Sarge gehn;
Sie durften, da erzwungen war ihr Weinen,
In meinem Aug' nicht ächte Thränen sehn.
Dein Angedenken hätten sie gesteinigt,
Verlästert dich bei deinem eignen Kind,
Wär' ich — ob auch bewegt und schmerzgepeinigt —
Nicht kalt erschienen, wie es Fremde sind.
Und doch war unser Lieben und Entsagen
So keusch und rein wie jene Sternennacht,
Die, bis am Friedhof es begann zu tagen,
Ich weinend auf dem frischen Grab durchwacht.
[34]Mutter und Kind
„Sprich' Mutter, wo ist doch der Vater mein?
Ich hab' ihn lang' nicht gesehen!“
„Der Erbfeind wollte erobern den Rhein,
Da mußt' er zum Kampfe gehen.“
„Mein Vater gehört nicht zum Kriegerstand,
Was hat er im Felde zu schaffen?“
„Nicht Söldner kämpfen für's Vaterland,
Es streitet ein Volk in Waffen!“
„Wann kehrt denn der Vater zurück aus dem Krieg,
Daß Kränze zum Willkomm ich mache?“
„Dein Vater bezahlte mit Blut den Sieg;
Er starb der heiligen Sache!“
„Mein Vater gefallen? — O Jammer und Noth!
Und du kannst so ruhig erscheinen?“
„Ihm wurde als Held der herrlichste Tod,
Und Gott wird uns wieder vereinen.“
„So komm', laß uns schmücken den Leichenstein
Mit frischen Blumengebinden.“
„Sie scharrten mit seinen Genossen ihn ein,
Die Stelle ist nicht mehr zu finden!“
[37]„Kein Grab in geweihtem Boden er fand?“
„Und doch ist er selig gestorben:
Denn wer gefallen für's Vaterland,
Der hat sich den Himmel erworben!“
Schneckenlied
Kinderlieder
Schneck, Schneck, Mäuschen,
Kriech vor aus deinem Häuschen!
Hier steht ein kleiner Käferherr
Und fragt wie theu'r die Miethe wär'.
Schneck, Schneck, Schlecker,
Schmeckt dir der Klee noch lecker?
Hier ist ein Bischen Krautsalat;
So komm doch her und friß dich satt!
Schneck, Schneck, Schneider,
Du hast ja keine Kleider!
Komm mit, wir fahren nach Berlin,
Da kauf' ich dir was anzuziehn.
Schneck, Schneck, Tröpfchen,
Was hast du da für Knöpfchen,
Was hast du da für Körnerchen
Auf deinen vier fünf Hörnerchen?
Schneck, Schneck, Liebchen,
Kriech wieder in dein Stübchen
Und such' dir da dein Schlüsselein;
Es kann ja jeder Dieb hinein!
[41]Mir träumte einst ein schöner Traum —
Mir träumte einst ein schöner Traum:
Mich liebte eine blonde Maid;
Es war im grünen Waldesraum,
Es war zur warmen Frühlingszeit:
Die Knospe sprang, der Waldbach schwoll,
Fern aus dem Dorfe scholl Geläut
Wir waren ganzer Wonne voll,
Versunken ganz in Seligkeit.
Und schöner noch, als einst im Traum,
Begab es sich in Wirklichkeit;
Es war im grünen Waldesraum,
Es war zur warmen Frühlingszeit:
Der Waldbach schwoll, die Knospe sprang,
Geläut erscholl vom Dorfe her —
Ich hielt dich fest, ich hielt dich lang —
Und lasse dich nun nimmermehr!
O, frühlingsgrüner Waldesraum!
Du lebst in mir durch alle Zeit —
Dort ward die Wirklichkeit zum Traum,
Dort ward der Traum zur Wirklichkeit!
Schein und Wesen
Morgenländisch
Der Lehrer sprach zum Schüler: Sieh',
Mein Sohn, den Schatten dort vom Zelt, —
Er gleicht dem Dasein dieser Welt,
Ist ganz so wesenlos wie sie.
Beachte, wie ich meine Hand
Jetzt auf zum Licht der Sonne hebe
Und unter uns dem Wüstensand
Selbst mit den Fingern Schatten gebe:
[43]Er scheint dir greifbar und bezirklich,
Allein du siehst, er ist nicht wirklich,
Denn alles Wirkliche besteht,
Derweil der Schatten schnell vergeht,
Zieh' ich die ausgestreckte Hand
Zurück in's hüllende Gewand.
Und wie der Schatten wesenlos
Ist Alles, Täuschung unsrer Sinne,
Vorstellung des Gehirnes blos,
Und Nichts zu bleibendem Gewinne.
Selbst jener Glutenborn am Himmel
Und Nachts die leuchtenden Gestirne,
Das ganze athmende Gewimmel
Des Weltalls lebt blos im Gehirne,
Im Schau'n des inneren Gesichts;
Wird dies vernichtet, so bleibt Nichts.
So sprach und ging der Lehrer weiter
Mit seinem grübelnden Begleiter,
Der, durch die Lehren ganz verwirrt,
Vom rechten Weg sich bald verirrt
Im endlos dürren Wüstenraum,
Wo keine Quelle und kein Baum
Im Sonnenbrande Kühlung bot.
Da fernher tauchte bräunlichroth
Ein Felsblock auf, der schmal und scharf
Gerade so viel Schatten warf,
Den Schüler vor der Glut zu schützen.
Dem Lehrer konnt' er nichts mehr nützen,
Er kam zu spät, doch flieh't er kläglich:
Mach Platz, die Glut ist unerträglich!
Ich kann nicht weiter vor Ermatten,
Sei menschlich, theil' mit mir den Schatten!
Darauf der Schüler: Du verkehrst
Die eigene Lehre: — eben erst
Sprachst du, der Schatten sei nur scheinbar,
Nur eine Vorstellung, ein Nichts,
Ein Bild des inneren Gesichts;
Dein Wunsch ist nicht damit vereinbar;
[44]Dir sitzt der Schatten im Gehirne,
Mir kühlt er meine glüh'nde Stirne,
Ich find' ihn wesentlich und wirklich,
Sehr fühlbar und genau bezirklich,
Für mich ist er ein wahrer Schatz.
Doch räum' ich dir sogleich den Platz,
Wenn du gestehst, daß du geirrt
Und deine Lehre nur verwirrt.
Nein — rief mit zornigem Gesicht
Der Lehrer — nein, das thu' ich nicht!
Was meine höh're Einsicht fand,
Weicht nicht dem platten Volkverstand.
Der Schüler sprach: Ich warne dich,
Leicht wirst du deines Irrwahn's Beute! —
Der Lehrer starb am Sonnenstich,
Der munt're Schüler lebt noch heute.
Traumgesicht
Mir träumt', es verrauschte blitzgeschwind
Eine Mandel von Jahrmillionen:
Da stand ich, das letzte Menschenkind
Aus allen den Völkern und Zonen.
Die Erde durchsauste noch immer das All
Und versäumte nicht zwei Secunden;
Nur war sie jetzt an den Sonnenball
Mit einem Faden gebunden.
Doch als den Faden ich näher beschaut,
Verging mir fast Sehen und Hören:
Es war eine Gitterbrücke, gebaut
Von den himmlischen Ingenieuren.
Ich trat darauf. Erst bebte das Herz,
Bald fühlt' ich den Muth mir wachsen;
Bald lag der Erdball hinterwärts
Mit winzigen Parallaxen.
Jetzt bin ich dem Monde näher schon.
Wer guckt da um die Ecke?
Das ist Galilei; die Libration
Mißt er am geeigneten Flecke.
Nun steig' ich auf der Venus aus.
Da sitzen vier große Lichter:
Der Kepler, der Newton, der Bessel, der Gauß,
Und schneiden gelehrte Gesichter.
Puhu! das heult und braust. Jetzt geht
Wol Alles drunter und drüber! —
Ei, fuhr da nicht Zöllner auf einem Komet
Vorbei und nickte herüber?
[48]Es stehn auf dem sonnennahen Merkur
Beim Spectrum drei liebe Gesellen;
Die dunkeln Streifen sucht Fraunhofer nur,
Und Bunsen mit Kirchhoff die hellen.
Schon ward es unerträglich warm;
Da rief der Kirchhoff: „Sie reisen
Am besten per Meteorenschwarm
Nach den äußern Planetenkreisen.“
Dann gab er ein Buch, mit Gold gepreßt,
Mir noch und sprach unter Lachen:
„Darf ich des Laplace Mécanique céleste
Zu Ihrem Baedeker machen?“
Heidi! wie fuhr sich's lustig da!
Ich jauchzte im Weltenraume:
„Na da woll'n wir doch einmal,
Woll'n wir doch einmal,
Heirassassa —!“
Und singend erwacht' ich vom Traume.
Der Senn
Ein Schweizer — das bin ich, ein fröhlicher Hirt,
Für Freiheit und Alpen geboren,
Den Fels da, wo einsam die Gemse nur irrt,
Den hab' ich zur Heimat erkoren;
Ich habe zur äußersten Marke der Welt
Hoch über die Wolken mein Hüttlein gestellt.
Da seh' ich tief unten in schauriger Kluft
Den Adler im Fluge sich wiegen,
Die Thäler verloren in bläulichen Duft,
Die Dörfer, die Städte dort liegen;
Ich seh' es und blicke mit freudigem Sinn
Hoch über die Sorgen der Sterblichen hin.
[49]In Wolken verhüllt sich dort unten das Thal,
Dumpf toset der Wind in den Klüften,
Wild rollet der Donner, es schmettert der Strahl
Verderben auf Dörfer und Tristen;
Doch hier ist der Himmel so freundlich, so blau,
Ich wandle hier ruhig auf blumiger Au.
Dort unten ist Habsucht und Ehrgeiz und List
Des Jammers nie rastende Quelle,
Das waffnet den Menschen zu blutigem Zwist,
Das macht ihm die Erde zur Hölle.
Drum bin ich hier oben so gerne allein,
Will gerne der friedlichen Heerde mich freu'n.
Ich schaue durch Wolken hinab auf das Land,
Gleich klein ist der Bettler, der König;
Drum kümmert auch Reichthum und Adel und Stand
Den Hirten der Berge gar wenig.
Er kennt nur den Adel der Menschennatur,
Die Weisheit, die Tugend verehret er nur.
Drum beugt er sich nicht in der Sterblichen Joch,
Drum denkt er zu groß, um zu dienen;
Da stehen die Alpen frei, herrlich und hoch,
Frei lebt auch der Schweizer auf ihnen.
Und ob auch der Erde die Freiheit entflieh',
Den Alpen, den Hirten entweicht sie doch nie.
2. Maienglöckchen, Maienglöckchen
Auf dem Kirchhofe
Maienglöckchen, Maienglöckchen,
Auf vergess'nen Gräbern dort,
Sagt, warum seid ihr erblühet
An so düster-stillem Ort?
„Drunten ruht so manches Herze,
Dem der Lenz war hold und lieb,
Ach, und dem von dessen Wonnen
Auch nicht eine übrig blieb.
Wir nur läuten leise, leise
Frühlingsbotschaft all hinab,
Und es dringet Gruß und Weise
In das allertiefste Grab.
Lenzesträume nahn den Stillen,
Und es weht im weiten Grund
Solch Gebet voll Gottvertrauen
Durch der Schläfer ernste Rund':
Hört der Maienglöckchen Klingen!
Gott verkündet milde heut:
Wieder bringt ein Lenz uns näher
Ferner Auferstehungszeit.“
Ein schwerer Zug
„Ihr kennt mich!“ sprach er, strich den Vollbart sich,
Und leert' sein Glas mit einem Zuge:
„Wo's gilt, da steh' ja meinen Mann auch ich,
Den schwersten Weg ich fuhr ihn sicherlich —
Und manchen schon fast wie im Fluge.“
„Doch einmal, laßt es offen mich gesteh'n,
Da fühlt' das Herz ich stärker klopfen —
Die Heere standen auf den Spichern Höh'n,
Hatt' hundert Axen, da ist's mir gescheh'n,
Daß ich den Schweiß fühlt' niedertropfen.“
„Mein ganzer Zug in Munition bestand,
Wo die Cigarre darf nicht glühen;
Der Blick oft prüfend wird hinausgesandt,
Am Regulator fester liegt die Hand,
Das Dampfroß nicht darf Funken sprühen.“
„Die Nacht war prächtig! Durch den grünen Wald
Die Bahn sich zog am Abhang nieder;
Die Sterne glühten hellauf, mannigfalt,
Und weiter, weiter ging's ohn Aufenthalt,
Ich dacht' des Kampf's, der Waffenbrüder.“
„Da hob der Wind sich durch die Wipfel sacht,
Im Wald begann ein Sausen — Wogen.
Telegraphendrath erklang zur Nacht;
Ein Sturm begann! Der Himmel eh' man's dacht',
Gewitterschwer war rings umzogen.“
„Die Blitze zuckten. — Die Maschine ging,
Laut donnernd wo die Felsen ragen;
Wo sich das Echo hundertfach verfing,
Wo jeder Blitz, der zuckend niederging,
Schien zündend in den Zug zu schlagen.“
[54]„Und ist's — ihr wißt's — bei Nacht und Sturm schon schwer,
Den Zug sicher dahin zu lenken,
Erwägt: ringsum ein Flammenmeer —
Dann Pulver, an die hundert Axen schwer —
Das Andre mögt ihr selbst euch denken!“
„Kämpft der Soldat siegreich für's Vaterland,
Ich werd' den Muth gering nicht halten —
Doch als ich einlief, die Maschine stand,
Ich hab' nach Oben doch den Blick gesandt, —
Mußt', wie ein Kind, die Hände falten.“
Er sprach's — dann er zum Regulator griff —
Noch einen Blick entlang dem Zuge.
Ein stummer Gruß, dann der Maschine Pfiff,
Und rascher drauf der Steueraxe Griff —
Der Zug verschwindet wie im Fluge!
Ein tiefer Schmerz
Am Fenster lehnend starr' ich in die Nacht,
Ringsum erhellt vom Heer zahlloser Sterne;
Bang geb' auf jeden leisen Laut ich acht,
Der etwa anklingt aus der stillen Ferne.
Kein größ'rer Schmerz, als sich in trüber Zeit
An Glück erinnern, das für uns vergangen,
Das wie ein Bahrtuch, wie ein Todtenkleid,
Um unsers Lebens Stunden sich gehangen.
Ihr habt getragen eures Tages Last,
Ihr geht nach Haus, es schmerzen euch die Glieder;
Da nah'n die Kinder sich in stürm'scher Hast —
Und euer Auge leuchtet freudig wieder.
Vergessen ist die Arbeit, ist die Müh',
Vergessen daß ihr war't des Grames Beute;
Der Knab' springt jubelnd, stolz auf euer Knie,
Die Tochter lehnt verschämt an eurer Seite.
[55]Nun wird erzählt — das Kleinste — Freud' und Leid,
Bis ihr voll Hoffnung bringt zur Ruh' die Müden.
Ihr wißt es nicht, wie überreich ihr seid.
Erhalt' euch Gott, das Glück, das euch beschieden.
Und fiel euch selbst die schönste Blüte ab,
Will täglich sich der Schmerz in euch erneuen —
Ihr könnt doch gehn zu eures Kindes Grab,
Und Rosen auf den Hügel niederstreuen.
Mein Haar ist grau! Ich starre in die Nacht
Zur Fern' den Blick gewandt — den kummervollen,
Vergebens hab' auf jeden Laut ich acht —
Mein einzig Kind, mein Sohn, er bleibt verschollen!
Die wilde Jagd
Wenn Sturm die Waldung rüttelt,
Daß sie erbraust uud kracht,
Wenn Holle Flocken schüttelt
In düstrer Winternacht,
Da zieht vom Hörselberge
Der wilde Jäger aus,
Und mit ihm Riesen, Zwerge,
Viel Spuk und Höllengraus.
Da schwanken Schreckgestalten
Mit Schwertern und Geschoß,
Durch Zweig und Felsenspalten,
Zu Fuß und hoch zu Roß.
Hier grinsen Wuthgesichter,
Dort droht ein langer Arm,
Hier formenlos Gelichter,
Dort Wolf- und Bärenschwarm.
[56]Horch! wie in allen Klüften
Das Jagdhorn widerhallt,
Hallo! Hallo! in Lüften
Und in den Tiefen schallt;
Wie wild es tobt und brauset
Und furchtbar knallt und gellt,
Wie dumpf es heult und sauset
Und gräßlich brüllt und bellt.
Doch sieh! voran dem Zuge
Geht ruhig-ernst ein Greis,
Sein Kleid von grauem Tuche,
Sein Scheitel silberweiß.
Von Kinn und Lippe fließet
Ein langer Bart herab
Und seine Hand umschließet
Dürr einen weißen Stab.
Und wenn ein Hirt, ein Jäger
Dem Greis entgegensteht,
Heran des Holzes Schläger
Mit Axt und Säge geht,
Dann winkt er mit dem Stecken,
Daß jener schnell entflieht,
Eh' ihn ergreift der Schrecken,
Der wogend näher zieht.
Und Eckart, der Getreue,
Der alte Wundermann,
Warnt also stets aufs Neue,
Wenn flugs er warnen kann,
Bis, wenn der Hahn geschrieen,
Beim ersten Morgenschein,
Die tollen Geister ziehen
Zum Hörselberg hinein.
Wenn so der Hölle Schrecken
In grauser Nacht euch naht,
Habt Acht auf Eckarts Stecken
Der zeiget sichern Pfad;
[57]Boch wer sich nicht läßt warnen,
Dem ist es nimmer gut,
Den wird der Spuk umgarnen,
Daß ihm erstarrt das Blut.
Mondnacht im Gebirge
Ich schritt hinunter vom bemoosten Gipfel
Auf jähem Pfade zwischen schlanken Tannen,
Die Sonne schien noch auf die höchsten Wipfel,
Als tief im Thal schon Nacht und Nebel spannen.
Bald wogten düst're Schleier mir entgegen
Und schlugen über meinem Haupt zusammen.
Schwer wollte Angst sich auf das Herz mir legen,
Wie Strauch und Baum in Finsterniß verschwammen,
Da trat ich aus des Waldes tiefstem Dunkel
Und sah den Vollmond hinter breiten Matten.
Schräg ging zur Seite mir im Thaugefunkel
Auf freier Ebne mein gedehnter Schatten.
Sennhütten hier und dort in schönen Gruppen
Und rings um sie, gelagert auf den Almen,
Viel kräft'ge Rinder in gedrängten Truppen,
Das Haupt erhebend aus den hohen Halmen.
Die tiefste Ruhe drüber ausgegossen,
Kein Menschenlaut und keines Hundes Bellen:
Der mondumhellte Lagerplatz umschlossen
Von schwarzem Wald auf sanften Hügelwellen.
Dahinter Gletscherrücken, prächtig flimmernd,
Und Bächlein über Felsenschultern fallend,
Wie schmale Silberfäden magisch schimmernd,
Melodisch in die Thäler niederwallend.
Ein süßer Zauber war auf mich gekommen,
Ich wußte nicht, wie meiner Brust geschehen.
Was ich geheim im Mondenlicht vernommen,
Das wird mir ewig durch die Seele gehen.
[58]Auf einer Wanderung im Norden
Hier schwarzer Moor, dort schneebedeckte Räume
Und zugefrorner Seeen öde Felder,
Verlassen traurig-kahle Birkenbäume,
Am Horizonte düstre Tannenwälder!
Kein Mensch, kein Haus, so weit die Blicke schweifen,
Kein Vogel auf dem Schnee und in den Lüften;
Nah meinem Scheitel graue Wolkenstreifen,
Und bleich der Mond, wie Lampenschein in Grüften.
Rings tiefe Stille, die Natur erstorben,
Allüberall des Todes kalte Schauer:
Mein Geist, der stets um Leben nur geworben,
Vor solchem Bild versenkt in tiefe Trauer.
Da plötzlich Glockenhall aus ferner Weite,
Ernst, feierlich in langgedehntem Schwingen!
Und, hin mich wendend nach des Klanges Seite,
Laß ich ihn mir in Herz und Seele dringen.
Er schallt wie eines Priesters fromme Rede,
Wie eine Stimme Gottes aus der Höhe.
Zum weiten Tempel wandelt sich die Öde,
Und zum Gebete wird des Herzens Wehe.
Und tiefer, unzertrennlich fest verbinden
Der Seele sich des Glaubens Kraft und Milde.
Wer Gott den Herrn recht innig will empfinden,
Der such' ihn auf in Nordlands Schneegefilde.
Der Wagen fuhr durch die düstere Nacht
Der Wagen fuhr durch die düstere Nacht,
Schweigend saßen wir lange,
Draußen rauschte der Regen sacht,
Wir lehnten Wange an Wange.
Und als sich mit deinen Lippen mein Mund
Zu glühendem Kusse verschlungen,
Da ist dir tief aus Herzensgrund
Ein schmerzliches Schluchzen gedrungen.
Mir war's, als ob an dein klagendes Aug'
Die Lippen ich pressen müßt';
Ich habe in dieser Thränenflut
Deine weinende Seele geküßt.
Wol fallen mein Lieb mir in jedes Glück
Tief-ernste, düstere Schatten,
Weil ich weiß, wie Öde der Sehnsucht folgt
Und dem Genuß das Ermatten.
Doch blüht aus beiden ein anderes Glück,
Ich weiß es aus deinen Zähren:
Aus deiner Seele muß sich uns
Ein sonniger Frühling gebären.
Es hat sich Herz zu Herzen gepaart,
Nicht Sinn zu Sinnengelüst;
— Ich hab' in den Thränen, die ich gewahrt,
Deine weinende Seele geküßt.
Die Verlassene
Wie lange ich auf seinen Gruß geharrt,
Wie er so fremd mir ins Gesicht gestarrt,
Wie mir sein Auge in die Seele brannte!
Nun weiß ich's wohl, daß er mich nicht erkannte.
[73]O wie die Zeiten schnell vorübergehn,
Wol Jahre sind's, daß er mich nicht gesehn!
Wie lang ist's her, daß letzter Hoffnungsschimmer
Mich trügerisch verließ? — ich weiß es nimmer!
Ich weiß es nicht, denn vor mir stand er ja
Die langen Jahre unverändert da,
Und in den langen, einsam-bangen Stunden
War meinem Aug' sein Bild ja nie entschwunden.
Ob er in all der Zeit wol mein gedacht?
Ob wol einmal in einsam-stiller Nacht,
Wenn er sein Haupt zu süßem Schlummer neigte,
Ein treuer Traum mein Angesicht ihm zeigte?
Ich glaub' es nicht, sonst hätt' er mich erkannt,
Wie auch mein Aug' der Thränen salz'ger Brand
Geröthet haben mag, wie blaß die Wangen,
Wie matt die Glieder, die er einst umfangen.
Und doch um ihn ward diese Wange fahl,
Und doch um ihn die jahrelange Qual,
Das Auge trüb und bleich mein Angesicht
— O Gott, und doch erkannte er mich nicht!
Die Meereskönigin
Bist du wirklich todt, Venedig, ist die holde Marmorbleiche
Deines Angesichts die Blässe einer schöngeschmückten Leiche,
Oder bist du, wie die märchenhafte Königsmaid im Norden,
In der Schönheit vollem Prangen tief in Schlaf verzaubert worden?
Tief in Schlaf, bis einst vom rechten Ritter wird der Bann gebrochen,
Bis zur rechten Zauberstunde wird das rechte Wort gesprochen?
Ja ich sah dich Schönheit-prangend, reich und stolz und hold und jung,
Denn ich fand das wunderkräft'ge Zauberwort: Erinnerung.
[74]Flüstert nicht Erinn'rung um uns in der seidenweichen Luft,
Webt sie nicht in Marmormauern, in der Kerker Moderduft?
Lebt sie nicht auch auf den Lippen jener alten Gondolieri,
Die euch trauervoll erzählen von Marino Falieri?
Die vom Glanz der Vorzeit singen, von Venedigs alten Sagen,
Die euch stolz die Schlachten künden, die die Republik geschlagen! ...
Wenn die kühle, mondgetränkte Sommernacht herniedersank,
Märchenleis der Wellen Rauschen an den Bord der Gondel klang.
Wenn gleich Träumen durch die Seele, durch die Wogen glitt das Boot,
Lebte das Vergang'ne wieder meinem kühnen Machtgebot.
Klang der Festtrommeten Schmettern, hört' ich die Guitarre tönen
In den Händen eines Jünglings vor dem Fenster einer Schönen.
Sah ich helle Fackeln glänzen, sah ich schöne Augen glühn,
Gold'ge Gondeln bunt bewimpelt still durch die Canäle ziehn.
Sah der gothischen Paläste Mauerblumen träum'risch blühn,
Sah sie mondessilbern glänzen, sah im Morgengold sie glühn.
Wach' ich, träum' ich, hör' ich dort nicht in der Halle am Canal
Lauten Sang, seh' ich auf Wellen nicht der Fackeln Wiederstrahl?
Führt man dorten etwa eine holde Braut zum Traualtare?
„Näher Gondolier!“ was seh' ich: — — einen Todten auf der Bahre,
Einen Todten, grell beleuchtet von der Fackeln hellen Flammen;
Mit der Priester Klagelieder hallt die Welle dumpf zusammen
— — — — — — — — — — — — — — — —
[75]Weg mit solchen Todessängen, denn mir lebt Venedig ja.
Mir ist sie die holde hohe Königin Venetia.
Mir enthüllt sie ihrer Reize volle königliche Pracht
In den stillen Zauberstunden träumerischer Mondesnacht. —
Wenn die nächt'ge, kühle Sonne durch die Bogenfenster strahlte
Und auf Tizians Gestalten zitternde Reflexe malte;
Wenn gespenst'ge Mondesschatten durch die weiten Säle glitten,
Bin ich einsam durch die prächt'gen, stillen Hallen oft geschritten.
Wo auf Tizians Bild Grimani vor dem Christenglauben kniet,
Wo der Frankenkönig, Gastrecht suchend, gen Venedig zieht,
Wo Venetia auf dem Löwen mit Europa auf dem Stier
Kühnen Kampf ficht, keck vertrauend auf ihr muthig Wappenthier —
Treten mir aus jenen Schatten wieder jene stolzen Zehn,
Deren Lächeln Glück bedeutet, deren Grollen: Untergehn.
Und ich seh' in diesem Saale, wie das Schicksal einer Welt
Kühn erfassend, kühl berathend man in starken Händen hält;
Doch ich schau' auch unersättlich starr'n den Rachen jenes Leun,
Draus dem Bürger grimmes Unheil, Kerker, Tod entgegendräu'n.
Und ich seh' auch jene Stufen, die vom prächt'gen Saal der Zehn
Zu geheimnißvollen, düstern Kerkermauern niedergehn.
Stein die Mauer, Stein das Lager, dumpfe Finsterniß umher,
Vom Canale tief und schaurig klingt der Wellen Flüstern her.
Lebt in diesen Moderdüften nicht der Geist von viele Thränen?
Haftet an diesen Mauern noch ein letztes Freiheitssehnen?
Hat auf diesem Stein Falieri nicht sein Haupt zum letzten Mal
Hart gebettet, eh' ihn traf des tiesvermummten Henkers Stahl?
[76]Fackeln leuchten, Priester murmeln; Henker übe deine Pflicht!
Zitterst du, an einem Dogen zu vollziehn das Blutgericht?
Drauß' am Thore harrt die Gondel schon auf deines Opfers Leiche.
Schwing' das Freischwert frisch und muthig, hole aus zum letzten Streiche.
Eh' die Sonn' dem Meer entsteiget, eh' der Morgen niederschaut,
Ruht der Doge in den Armen seiner stillen Meeresbraut.
— — — — — — — — — — — — — — — —
Also lebte mir Venedig schön und grausam, stolz und jung,
Lebte mir in meinen Träumen in der nächt'gen Dämmerung.
Doch ich sah es auch am Tage, kühl und einsam, todtenstille,
Denn Vergang'nes ruft in's Leben nur ein kühner Dichterwille.
Dann — vereinsamt ist der Hafen, öde sind die Prachtpaläste,
Nicht mehr klingt die Piazetta vom Geräusche froher Feste.
Nur das Meer, das ewig treue, liegt ihm heute noch zu Füßen,
Leise an die Marmorschwellen plätschernd tönt sein stilles Grüßen.
Nur die Glut der Abendsonne und des Frühlings Diadem
Krönt die marmornen Paläste heute noch wie ehedem.
Glänzend, lockend, unabsehbar ausgebreitet liegt sie da —
Trauernd schaut der Marcuslöwe auf die blaue Adria.
1. Hier auf der Kanone will ich ruhn
Lieder eines kosmopolotischen Nachtwächters
1840
Hier auf der Kanone will ich ruhn,
Auf den eisenbeschlagenen Rädern;
Ist freilich kein Lager von Eiderdun',
Mit Matratzen und stählernen Federn.
[77]Doch schlief vielleicht schon mancher Held
Vor der Schlacht in der nämlichen Weisen
Und später noch tiefer — im blutigen Feld,
Auf dem Leib, statt drunter dein Eisen.
Erzähle mir nun, du eherner Mund,
Von deinen glorreichen Tagen,
Wie du einst zu schwerer Schlachtenstund'
Die Reveille munter geschlagen.
Bei Jena oder bei Austerlitz,
Gen Moskau oder gen Kassel,
Wo flammte zuletzt dein tödtlicher Blitz,
Wo rollte dein letztes Gerassel?
Oder bist du gar dem alten Fritz
Schon gefolgt zu rühmlicher Frohne?
Nein, hier am Zündloch, wo ich sitz',
Steht ein N. mit Lorbeer und Krone.
Den Namen, den Lorbeer kenn' ich wohl,
Die Zeugen deiner Blüte;
Nicht wahr, da brummtest und summtest du hohl,
Da glühte dein Leib und sprühte?
Es flog das Rad auf bezwungener Erd'
Über Lebende und über Leichen,
Zusammen stürzte die bange Heerd'
Unter deinen gewaltigen Streichen.
Du gabst den Takt zu dem Waffentanz,
Hoch hüpfte dein Herz, das beherzte,
Und schön zu der Panzer, der Schwerter Glanz
Stund dein Antlitz, das pulvergeschwärzte.
Jetzt bist du blank, jetzt bist du zahm,
Und lahm ist deine Lafette,
Dein Kupfergesicht hoch roth vor Scham
Und feist, als ob's gealtert hätte.
[78]Nun, schäme dich nicht, du elektrischer Aal,
Hast ja noch einen wackeren Posten,
Wenn auch da drüben im Arsenal
Dein Futter, die Kugeln, rosten.
Ertönst du nicht vom Walle herab
In die bebenden Niederungen,
Wenn ein armer Sclave aus seinem Grab,
Aus seinen Ketten entsprungen?
Wenn ein Krämerhaus in Flammen geräth,
Zur Friedenrevue vor den Thoren,
Zum Namenstag Seiner Majestät,
Und so oft ein Prinzeßchen geboren?
Geduld! Vielleicht kanst du wiederum, —
Und bald! — in die Feinde hageln;
Bis dahin, mein Veteran, sei stumm,
Daß sie dir das Maul nicht vernageln!
2. Guten Abend, Mutter Marie!
Lieder eines kosmopolotischen Nachtwächters
1840
Guten Abend, Mutter Marie!
In deinem kleinen Schrein,
Den todten Sohn auf weißem Knie,
Wie sitzest du mild und lieblich drein!
Ein Lichtchen haben sie angesteckt,
Von frommen Gelübden gezollt,
Und dich mit köstlichen Lappen bedeckt,
Mit Kronen von Flittergold.
Dich kümmert der Putz nicht und der Schein,
Dein wächsern Gesicht ist blaß,
Du siehst nur auf dein Jesulein,
Wangen und Augen ewig naß.
Hab' niemals eine Mutter gekannt,
Niemals ein Kindlein geherzt,
Habe auch für kein Weib gebrannt
Und mit keiner Schwester gescherzt.
[79]Nun mein' ich, daß es nichts Rechtes wär'
Mit der Familien-Klerisei;
Komm' ich aber des Weges her,
An der Jungfrau Bild vorbei,
Dann thut's mir wohl, dann thut's mir weh,
Weiß selber nicht, wo und wie?
Und ich flüstere, weil ich von dannen geh':
Guten Abend, Mutter Marie!
Auf einem Kirchhof in der Fremde
Über fremde Gräber und Leichensteine
Schreit' ich allein im Abendscheine.
Hab' ich die Schläfer drunten gestört?
Haben sie mein fragend Wort gehört?
Mir ist, als könnt' ich in süßem Grauen
Durch Schollen und Särge hinunterschauen,
Mitten hinein in die stille Stadt,
Wo alles Reisen ein Ende hat.
Wie vieles Leid, wie viele Trauer
Innerhalb jener engen Mauer!
Hinter der eisernen Gitterthür'
Wie manche Gebete, Gelübd' und Schwür'!
Ach! der menschlichen Liebe ist nirgends so viele,
Als hier am letzten Wanderziele;
Ihre Rosen und Dornen streuet sie mild
Über das thränenreiche Gefild.
Nur nicht ohne Liebe allein verderben,
Nur nicht in der Fremde siechen und sterben,
Von Miethlingshand gehegt und gepflegt,
Mit offenem Aug' in den Sarg gelegt.
Und soll't ich sie lebend nicht wiedersehen,
Die Heimat, so möcht' ich drin sterben gehen
Und ruhen bei meinem Mütterlein, —
Nur nicht in der Fremde, nur nicht allein!
[80]Dreimaliges Wiedersehen
Als ich das erste Mal dich sah,
Da kamst du hüpfend hergesprungen,
Bald warst du hier, bald warst du da,
Hast wie ein Reh dich flink geschwungen:
Du spieltest scheltend mit der Puppe,
Du zupftest neckend mich am Bart,
Du liebtest Kuchen mehr als Suppe
Ein Plaudertäschchen liebster Art!
Und als ich kam zum zweiten Mal,
O welch' ein Bild, welch Frühlingsprangen!
Die schönste Ros' im ganzen Thal
War voll und lieblich aufgegangen:
Wie duftete dein ganzes Wesen
So morgenfrisch, so seelenrein,
In Red' und Haltung auserlesen,
So ungesucht und doch so fein!
Und als ich kam zum dritten Mal
Fand ich dich singend an der Wiege,
Du wehrtest Flieg' und Sonnenstrahl,
Daß wohl und lind das Bübchen liege
Im Widerscheine der Gardine,
Wie mild, wie selig, wie geweiht;
Ein Lächeln lag auf deiner Miene
Voll seelentiefer Innigkeit.
Und früg' man mich: die Hand auf's Herz,
Wen kröntest du von diesen dreien, —
Vielleicht erwidert' ich im Scherz:
Die volle Ros im blüh'nden Maien;
Doch stellten holde Zaubermächte
Mir alle drei auf einmal dar,
Den Myrthenkranz legt' meine Rechte
Der jungen Mutter in das Haar.
[82]Waldleben
Spätherbst. — Wir schritten langsam durch den Wald
Zur Dämm'rungszeit, ermüdet und verdrossen,
Da sprach ich zu dem wackern Jagdgenossen:
„Freund, laß uns hier ein Weilchen ruhn“ — und bald
Erstarben uns die Worte auf den Lippen;
Im Busche hörten wir den Nachtwind säuseln,
Das tode Laub zu unsern Füßen kräuseln,
Und alte Birken sahn wir, gleich Gerippen,
Im schwarzen Moorgrund, — Schatten, riesenhaft,
Umflogen uns und huschten rasch vorüber, —
Des Tages Nachglanz wurde bleicher, trüber,
Unheimlich war es in der Nachbarschaft. —
Ein sonderbares Regen in den Zweigen,
Sonst alles tiefes Schweigen. —
Ich schlief nicht, träumte nicht; ein Schleier lag
Auf mir, doch blieb ich meiner Sinne mächtig —
Und da — in meiner Nähe — übernächtig,
Erschien mir plötzlich, blendend wie der Tag
Ein Bild, das schmerzliche Erinn'rung weckte.
Du warst es, stolze Lady Margaret,
Du, deren Liebe ich umsonst erfleht,
Du, deren Sarg mit Kränzen ich bedeckte. — —
O langbeweinte, herrliche Gestalt,
Du saßest wieder auf dem weißen Pferde,
Wie einstmals — ließ der Liebe Allgewalt
Dir keine Rast in halb erstarrter Erde?
Ich sah dich auf den Hals des Zelters klopfen,
Aus deinen Augen fielen schwere Tropfen
Auf deine holde, oft geküßte Hand.
Vorbei, vorbei! — Ein Winken mit dem Tuche,
O theures Antlitz, das ich ewig suche,
Ein letzter Blick — und die Erscheinung schwand.
Und sprachlos starrend in des Waldes Düster,
Vernahm ich jetzt ein Rauschen, ein Geflüster —
[83]Mir drang es in die Brust wie Grabeshauch;
Lebendig aber wurden Baum und Strauch,
Und warfen mir, der Geisterwelt Erwachen
Begrüßend, leise diese Worte zu:
Gestorben, ja gestorben bist auch du — —
Und in der Ferne dann ein hohles Lachen.
War's eitel Täuschung? Fragt den Dichter nicht;
An meiner Seite fand ich den Gefährten,
Den treuen Freund, den starken, vielbewährten;
Ein blasser Mondstrahl fiel auf sein Gesicht,
Erschüttert, wie ich nimmer ihn gesehn,
Doch die gespannte Flinte unter'm Arme,
Ergriff er meine Hand, die fieberwarme,
Und sagte: „Freund, wir müssen weiter gehn.“
Perdita
„Das Mitleid ist die letzte Weihe der Liebe, vielleicht die Liebe selbst.“ Heine
Ja, mein Herd ist auch der deine,
Armes, heimatloses Kind!
Denn du liebst mich nicht zum Scheine,
Denn du liebst mich treu und blind.
Ach, die Welt war ohne Gnade,
Ohne Mitleid und Verstand;
Doch durch dornenlose Pfade
Führ' ich dich an meiner Hand.
Was du wolltest, ist geschehen;
That ich mehr als Menschenpflicht?
Bitten konnt' ich widerstehen,
Aber deinen Thränen nicht.
Bilder aus vergangnen Tagen
Thun mir in der Seele weh,
Und nur zitternd kann ich's sagen:
Bleibe hier, mein wildes Reh!
[84]Ruh' dich aus auf grüner Weide,
Denke, schaue nicht zurück,
Du gehörst zu meinem Leide,
Du gehörst zu meinem Glück.
Daß wir gut zusammentaugen,
Daß das Rechte wir erwählt,
Haben deiner braunen Augen
Schwere Perlen mir erzählt,
O, wie flogst du mir entgegen,
Und wie kindlich war dein Ruf,
Wenn du Nachts durch Wind und Regen
Hörtest meines Rosses Huf.
Und wie kann ich's je beschreiben,
Was mein Herz für dich gefühlt,
Während an den Fensterscheiben
Du die heiße Stirn gekühlt.
Lachen mag die Welt, die schlimme,
Über den gezähmten Leu;
Gerne folgt er deiner Stimme,
Denn du liebst ihn blind und treu.
Und bei ihm bist du geborgen,
Gastlich ist sein Haus, und still.
Für sein armes Kind zu sorgen,
Das ist Alles, was er will.
Ein Jahr
Vorüber ging ich an einem Haus,
Draus sah ein schönes Mädchen heraus;
Da trat aus dem Thor ein Jüngling vor,
Der grüßte und winkte so glühend empor;
[85]Sein Mund schwieg, doch sein Auge sprach,
Sie aber grüßte und winkte ihm lange nach
Mit banger Sehnsucht, als wollte ihr Blick
Den Scheidenden wieder bringen zurück,
Und auf ihrem blühenden Antlitz, da lag's
Wie das Abendroth eines seligen Tags.
Da schritt ich sinnend und still und bewegt,
Das Herz von tausend Gefühlen erregt,
Und schlug in leisem Gedankenverlauf
Das Buch meiner lieben Erinn'rungen auf,
Und seufzte wehmüthig und sann:
Wie nur die Liebe beglücken kann!
Und ein Jahr später im neuen Mai,
Da ging ich an demselben Haus vorbei.
Am Balkon stand das Mädchen wie eh',
Doch nicht mehr blühend, blaß wie Schnee;
Das Aug' erloschen in Gram und Schmerz,
Die Wange gebleicht, gebrochen das Herz.
Und wie derselbe Jüngling mit scheuem Tritt
Hinschleichend um die ferne Ecke schritt,
Da sieht sie ihn bebend, sie starrt ihm nach,
Und endlich ein Schrei, ein gellendes Ach!
Sie sinkt zusammen bleich und still,
Wie eine Blume, die sterben will.
Sie sank, vielleicht nie wieder aufzustehn,
In ihrem Jammer reizend noch zu sehn,
Und auf ihrem blassen Antlitz, da lag's
Wie die Ruhe eines Feiertags. —
Still stand ich da, und seufzte und sann:
Wie tief die Liebe betrüben kann!
Gute Nacht
Gute Nacht, du süßes Kind,
Mögen Engel dich behüten,
Und der Schlummer leis und lind
Streue dir die schönsten Blüten.
[86]Gute Nacht, und träume mild
Von den Schwesterlein, den Rosen,
Die, dein schönes Ebenbild,
Frühlingswinden kosen.
Gute Nacht, und denke mein
Mindestens in holden Träumen,
Mochtest so im Tagesschein
Meiner zu gedenken säumen.
Gute Nacht, und bleib mir gut,
Lächle gütig mir entgegen:
Deiner Blicke Zauber ruht.
Auf mir wie ein milder Segen.
Gute Nacht, die Äuglein zu,
Schließ die holden Blicke gerne:
Schöner, selbst in Schlafesruh,
Sind sie doch als alle Sterne.
Der Knabe im Moor
Haidebilder
O schaurig ist's über's Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's über's Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
[88]Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind —
Was raschelt drüben am Haage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll' es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth:
„Ho ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär'n nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mälig gründet der Boden sich,
Und drüben! neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
[89]Tief athmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Haide!
Das Haus in der Haide
Haidebilder
Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt,
Die strohgedeckte Hütte,
— Recht wie im Nest der Vogel duckt,
Aus dunkler Föhren Mitte.
Am Fensterloche streckt das Haupt
Die weißgestirnte Stärke,
Bläst in den Abendduft und schnaubt
Und stößt aus Holzgewerke.
Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,
Mit reinlichem Gelände,
Wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,
Aufrecht die Sonnenwende.
Und drinnen kniet ein stilles Kind,
Das scheint den Grund zu jäten,
Nun pflückt sie eine Lilie lind
Und wandelt längs den Beeten.
Am Horizonte Hirten, die
Im Haidekraut sich strecken,
Und mit des Ave's Melodie
Träumende Lüfte wecken.
Und von der Tenne ab und an
Schallt es wie Hammerschläge,
Der Hobel rauscht, es fällt der Span,
Und langsam knarrt die Säge.
Da hebt der Abendstern gemach
Sich aus den Föhrenzweigen,
Und grade ob der Hütte Dach
Scheint er sich mild zu neigen.
[90]Es ist ein Bild, wie still und heiß
Es alte Meister hegten,
Kunstvolle Mönche, die mit Fleiß
Es auf den Goldgrund legten.
Der Zimmermann — die Hirten gleich
Mit ihrem frommen Liede —
Die Jungfrau mit dem Lilienzweig —
Und rings der Gottesfriede.
Des Sternes wunderlich Geleucht
Aus zarten Wolkenfloren —
Ist etwa hier im Stall vielleicht
Christkindlein heut geboren?
Im Moose
Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmrung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Haiderose.
Und flimmern sah ich durch der Linde Raum
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt'gen Glühwurm schien zu tragen.
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht,
Doch wußte ich, es war der Heimat Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.
Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach! so Manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
[91]Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da stand die Welle, wie an Ufers Borden.
Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich sah mich selber, gar gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staub'ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben sah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langsam herab die karge Thräne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen, die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und — horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch —
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und schüttelte mich dann,
Wie Einer, der dem Scheintod erst entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Haage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sei wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.
Die junge Mutter
Im grün verhangnen duftigen Gemach,
Auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
Wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach
Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
Den nackten Jungen reicht: „mein armes Thier,“
So flüstert sie, „und bist du auch gefangen,
Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,
So hast du deine Kleinen doch bei dir.“
[92]Den Vorhang hebt die graue Wärterin,
Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
Die Kranke dreht das schwere Auge hin,
Gefällig will sie von dem Tranke nippen;
Er mundet schon, und ihre bleiche Hand
Faßt fester den Krystall, — o milde Labe! —
„Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?“
„Er schläft,“ versetzt die Alte abgewandt.
Wie mag er zierlich liegen! — Kleines Ding! —
Und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
Ob man den Schleier um die Wiege hing,
Den Schleier, der am Erntefest zerrissen?
Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,
Daß alle Frauen höchlich es gepriesen,
Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
„Was läutet man im Dom, Elisabeth?“
„Madame, wir haben heut Mariatag.“
So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. —
Wie war es nur? — doch ihr Gehirn ist schwach,
Und leise suchend zieht sie aus den Linnen
Ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich
Läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
So ganz verborgen will sie es bereiten,
Und leise, leise zieht sie Stich um Stich.
Da öffnet knarrend sich die Kammerthür,
Vorsicht'ge Schritte über'n Teppich schleichen,
„Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?“
Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände;
„Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.“
„Du dufstest Weihrauch, Mann.“ — „Ich war im Dom;
Schlaf', Kind;“ und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
Spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. —
[93]Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au',
Siehst über einem kleinen Hügel schwanken
Den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
Dann tröste Gott dich, arme junge Frau!
Die Unbesungenen
'S gibt Gräber, wo die Klage schweigt,
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimper steigt,
Und doch die Lava drinnen flutet;
'S gibt Gräber, die wie Wetternacht
An unserm Horizonte stehn
Und alles Leben niederhalten,
Und doch, wenn Abendroth erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn
Wie milde Seraphimgestalten.
Zu heilig sind sie für das Lied,
Und mächt'ge Redner doch vor Allen,
Sie nennen dir, was nimmer schied,
Was nie und nimmer kann zerfallen;
O, wenn dich Zweifel drückt herab,
Und möchtest athmen Ätherluft,
Und möchtest schauen Seraphsflügel,
Dann tritt an deines Vaters Grab!
Dann tritt an deines Bruders Gruft!
Dann tritt an deines Kindes Hügel.
Einmal im Jahre
Auf der Küste von Orissa
Pranget, wundervoll gebaut,
Brahma's Tempel Jagarnaut,
Der mit goldner Kuppeln Scheine
Leuchtend rings die weiten Haine
Ries'ger Palmen überschaut.
Zu dem hohen Heiligthume
Pilgert fromm in jedem Jahr
Gläub'ger Hindu große Schaar;
Jeder Stand und jedes Alter
Bringt dem Schöpfer und Erhalter
Dort Gebet' und Opfer dar.
Nach dem Range, den im Reiche
Jedem die Geburt verlieh,
In vier Zügen wandern sie;
Streng getrennt ist jede Kaste,
Ob sie steh', ob geh', ob raste,
Eine kommt zur andern nie.
[95]Weh' dem Sudrah, der dem Baisy
Kecken Muthes wollte nahn!
Wagt' ein Vaisy in die Bahn
Eines Chatry sich zu drängen,
Wär' verfallen er dem strengen
Strafgesetz von Hindostan.
Hätte wol gar ein Paria
Einen, dem ein Rang gebührt,
Mit dem Finger nur berührt,
Nimmer säh' er die Pagode,
Gnadlos würde gleich zum Tode
Solch Verworfener geführt.
Aber, noch so scharf geschieden,
Steigt zuletzt doch Hauf an Hauf
In das Heiligthum hinauf.
Und der Höchste nimmt die Seinen,
So die Großen wie die Kleinen,
In des Tempels Räumen auf.
Und von diesem Augenblicke,
Wo hier All' zusammen stehn,
Muß, was irdisch ist, vergehn;
Kaste, Rang und Vorrecht fallen,
Denn es will in seinen Hallen
Gott nur gleiche Menschen sehn.
Nächst dem edelsten Brahminen
Kniet, der sonst für unrein gilt;
Er, vor dem sonst scheuerfüllt
Sich die Andern alle wenden,
Darf jetzt fassen mit den Händen,
Ihnen gleich, das Wunderbild.
In des Tempelbaus Bezirke
Könnt ihr sehn, vereint beim Mahl,
Alle Kasten ohne Wahl;
Sonder Ordnung im Gemische
Sitzend an demselben Tische,
Speist der Pilger bunte Zahl.
[96]Schöne Sitte! kehrt auch Scheidung
Wieder, wenn die Fahrt vollbracht,
Kannst du doch aus deiner Acht
Jetzt dich, armer Sclav', erheben,
Hat dir doch in deinem Leben
Einmal Freiheit hold gelacht.
Einmal doch in einem Jahre
Fühltest du, der Andern Knecht,
Daß auch würdig dein Geschlecht,
Und es bleibt dir unvergessen,
Daß du konntst am freiern messen
Dein verkümmert Menschenrecht.
Einmal dulden doch im Jahre
Mußtest du's, erhabner Mann,
Daß, erlöst aus seinem Bann,
Dir der Niedre näher rückte,
Sahest, daß auch der Gedrückte
Einmal auf sich richten kann.
Einmal mindestens im Jahre
Thut es dir, du Stolzer, noth,
Daß auf Gottes Machtgebot
Du verlassen deine Wolke,
Sein und leben mit dem Volke,
Essen mußt mit ihm dein Brod.
Einmal doch in einem Jahre
Sollst du in des Tempels Raum
Lernen, was du glaubtest kaum:
Daß auch Geist lebt unter Kitteln,
Daß dir's ziemet abzuschütteln
Deinen goldnen Hochmuthstraum.
Einmal auch in einem Jahre
Kommt für Hindostan die Zeit,
Wo so laut das Unrecht schreit,
Daß auch außer heil'gen Hallen
Eure Schranken plötzlich fallen,
Brahma all sein Volk befreit.
[97]Pilgert nur in jedem Jahre,
Macht euch mehr und mehr vertraut
Mit dem Morgen, der da graut;
Wenn einher das Schicksal schreitet,
Schon dazu euch vorbereitet
Hat der Tempel Jagarnaut.
Des Kaisers Herz
Der Kaiser lag bereit zum Tod,
Da sprach er flüsternd dies Gebot:
„Holt mir das Goldgefäß herbei,
Darin mein Herz verschlossen sei.“
Die goldne Kapsel wird gebracht,
Der Kaiser prüft sie mit Bedacht,
Befühlt sie außen und am Rand,
Und innen mit der kühlen Hand.
Dann schüittelt er das Haupt und spricht:
„Mein Herz begriff der Künstler nicht,
Ein Kaiserherz hat hier nicht Raum,
Für das des Bürgers reicht' er kaum.
Ich aber trug in meiner Brust
Ein Herz, das schlug für Aller Lust,
Für Alle hat's gesorgt, geschafft,
Für Alle hegt' es Liebeskraft.
Für Millionen hat es oft
Gezagt, gezittert und gehofft,
Für Völker litt es Schmerz und Pein; —
Kann solch ein Herz ein kleines sein?“
Er sprach's. Sein Herz brach bald darauf,
Und sieh, die Kapsel nahm es auf;
Da lag es ohne Lust und Schmerz,
Das kleine todte Menschenherz.
[98]Doch durch die Erde ging der Ruf,
Wie Großes dieses Herz erschuf,
Und später Zukunft wurd' es Saat,
Was es gewirkt in edler That.
Die Lilie und der Mondstrahl
Der Mond hängt in die düstre Nacht
Recht silberklar herein,
Und sendet seiner Strahlen Pracht
Dem Strome und dem Hain.
Und flugs in die erschloss'ne Brust
Schwingt sich der leichte Strahl,
Und schmiegt sich an in sel'ger Lust,
Und küßt sie tausendmal.
Da richtet sich aus süßem Traum
Die Lilie still empor,
Und öffnet ihres Kelches Raum,
Und läßt den Duft hervor.
Sie aber schließt erfreut sich schnell,
Und hält den Buhlen fest,
Der, in der hellen zwiefach hell,
Von ihr sich wiegen läßt.
Und morgens, wenn die Schäferin
Die thau'ge Lilie pflückt,
Und sie mit frommem Kindersinn
An ihren Busen drückt:
Da wird, wenn sich der Kelch erschließt,
Ihr wunderbar zu Muth,
Und unbekannte Sehnsucht fließt
Durch ihr erglühtes Blut.
Und seufzend wallt sie durch das Thal
In jeder lauen Nacht —
Sagt, hat das wol der Mondenstrahl
Im Lilienkelch gemacht?
[99]Das Märchen vom Glück
Sie sind allein, denn die Mutter kehrt
Zu Nacht erst vom Felde zurück ...
Durchs Fenster rauschet die Linde,
Und die Alte erzählet dem Kinde
Das sonnige Märchen vom Glück.
[101]Sie erzählt vom verwunschenen Königssohn,
Und der boshaft grollenden Fee;
Vom Schloß am Felsenstrande,
Vom wilden Wogengebrande
Und der Fischerhütte am See.
Und der Prinz vertrauerte Jahr um Jahr
Als Schlange im dumpfigen Grund ...
Er wand sich in güldenen Ketten;
Ein Kuß nur konnte ihn retten,
Ein Kuß von rosigem Mund.
Des Fischers liebliches Töchterlein
Trug hohen, herrlichen Sinn;
Sie sprengte die Ketten von Golde;
Er aber machte die Holde
Zu seiner Königin!
Großmutter schweigt, und das Spinnrad schnurrt,
Und das Mägdlein sitzt wie gebannt;
Und es faltet die Hände im Schooße,
Und heftet das Auge, das große,
Starr träumend an die Wand.
Großmutter, wie schön, o wie einzig schön!
Großmutter, o wäre das wahr!
Großmutter, mir würde nicht bange, —
Wie gerne umarmt' ich die Schlange
Trotz Schauer und Todesgefahr!
Warum nur hat man das Alles erdacht,
Wenn's nie sich auf Erden begab ...?
Mir wird in der Seele so wehe,
Wie in des Kirchhofs Nähe,
Wie vor des Vaters Grab!
Sei stark, du zitterndes Kinderherz,
Und dränge die Thränen zurück!
Uns Alle hat es belogen,
Uns Alle hat es betrogen,
Das sonnige Märchen vom Glück!
[102]Der letzte Gruß
Ich kam vom Walde hernieder,
Da stand noch das alte Haus,
Mein Liebchen, sie schaute wieder,
Wie sonst, zum Fenster hinaus.
Sie hat einen Andern genommen,
Ich war draußen in Schlacht und Sieg,
Nun ist Alles anders gekommen,
Ich wollt', 's wär' wieder erst Krieg!
[105]Am Wege da spielte ihr Kindlein,
Das glich ihr recht auf ein Haar,
Ich küßt's auf sein rothes Mündlein:
„Gott segne dich immerdar! —“
Sie aber schaute erschrocken
Noch lange Zeit nach mir hin,
Und schüttelte sinnend die Locken
Und wußte nicht, wer ich bin. —
Da droben hoch stand ich am Baume,
Da rauschten die Wälder so sacht';
Mein Waldhorn, das klang wie im Traume
Hinüber die ganze Nacht.
Und als die Vögelein sangen
Frühmorgens, sie weinte so sehr,
Ich aber war weit schon gegangen,
Nun sieht sie mich nimmermehr.
Wandernder Dichter
Ich weiß nicht, was das sagen will!
Kaum tret' ich von der Schwelle still,
Gleich schwingt sich eine Lerche auf
Und jubilirt durch's Blau vorauf.
Das Gras ringsum, die Blumen gar
Stehn mit Juwelen und Perl'n im Haar;
Die schlanken Pappeln, Busch und Saat
Verneigen sich im größten Staat.
Als Bot' voraus das Bächlein eilt,
Und wo der Wind die Wipfel theilt,
Die Au' verstohlen nach mir schaut,
Als wär' sie meine liebe Braut.
Ja, komm' ich müd' ins Nachtquartier,
Die Nachtigall noch vor der Thür
Mir Ständchen bringt, Glühwürmchen bald
Illuminiren rings den Wald.
[106]Umsonst, das ist nun einmal so,
Kein Dichter reist incognito,
Der lust'ge Frühling merkt es gleich,
Der König ist in seinem Reich.
Sehnsucht
Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land;
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte,
In der prächtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen in Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wenn der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.
[109]Winzerin
Die Feuer leuchten durch die laue Nacht,
Zum Himmel sprüht und steigt die Funkenpracht.
Der Jubeldonner kracht von Berg zu Berg,
Gesang und Tanz, Musik und Feuerwerk!
Dort unten aber bei den schwarzen Hütten
Die Kelter dröhnt in stummer Winzer Mitten.
Und von der schweren, heißen Arbeit müd',
Ein Mädchen steht, sie seufzet auf und glüht.
Ein guter Wein! ihn bauten meine Eltern —
O weh, da strömt er aus den fremden Keltern!
Ein edler Wein! ha, laßt Raketen steigen!
Vor keiner wird sich seine Blume neigen!
Bei allen Festen wird er reichlich fließen,
In alte Glieder neubelebend schießen.
Bei Hochzeitmahlen wird er feurig kreisen,
Und aller Orten werden sie ihn preisen.
Ich aber bin ein armes krankes Kind,
Ich werde weinen, wenn sie fröhlich sind.
Ich aber werde niemals Hochzeit haben,
Und unser Wein, mich wird er niemals laben!
[111]Sturm-Hymnus
Es schweift durch die Weiten der Erde so frei,
Es ruft wie aus tausend Kehlen;
Bald tönt es wie klagender Hilfeschrei
Von armen verlorenen Seelen,
Bald schaurig und ächzend, bald trotzig und wild,
Wie die Kriegsdrommete den Schlachtruf brüllt.
O du Sturmeswehn,
O lehr' mich dein uraltes Lied verstehn!
„Ich singe den ewigen Todtengesang
Jahrtausendlang!
Wenn der Herbst, der rauhe Geselle, dreist
Der Erde die Blüten vom Busen reißt,
Wenn die Blättchen, gepflückt von den Zweigen,
Hinfliehend im Taumel verworren sich drehn,
Dann führ' ich den traurigen Reigen,
Dann sing' ich das Lied vom Verblühn und Vergehn!
Ich flieh' über's Meer, hoch brauset die Flut
Und öffnet den gähnenden Rachen;
Auf schleudert das Schifflein der Wogen Wuth,
Die Planken erbeben und krachen,
Der Nothschuß dröhnet, es splittert der Mast,
Und Schifflein und Mannschaft verschlinget in Hast
Die klaffende Gruft,
Und drüberhin brauset mein Lied durch die Luft.
[115]Hin trägt mich durch endlose Wüsten bald
Des Fluges Gewalt!
Es wirbelt der Sand zu den Wolken hinauf,
Es decket ein Grab unabsehbar sich auf;
Du schaudernde Karawane,
Ihr zitternden Pilger, entflieht, entflieht!
Schon tönet im nahen Orkane
Euch allen, euch allen ein Sterbelied.
Ums verlore Eden erbrauste mein Sang,
Trieb schwarzes Gewölk zusammen,
Die Tiefen erbebten, der Donner erklang,
Aus dem Himmel zuckten die Flammen;
Des Engels Richtschwert, es loderte nackt,
Und das Menschenpaar, von Verzweiflung gepackt,
Es floh entsetzt,
In die tosende Windsbraut hinausgehetzt.
Seitdem, was hienieden auch stolz sich erhob,
Verging und zerstob;
Hin sank die heilige Ilios
Und Hellas' Größe in Nichts zerfloß.
Gleich Abends hinsterbenden Faltern,
So Völker um Völker die Nacht verschlang;
Schon seh' ich die Erde altern,
Bald sing' ich ihr selber den letzten Sang.
Wenn die Stunde schlägt, die gewaltige Stund',
Da die Völker den Grüften entsteigen,
Da die Sonnen erbleichen am Himmelsrund,
Und zerstiebt der Gestirne Reigen,
Dann wild um den Erdball mein Brausen erschallt,
Dann reiß' ich ihn fort mit Titanengewalt,
Ins ewige Nichts,
Beim Posaunengeschmetter des Weltgerichts.“
[116]Großmutter's Weihnachtsabend
Großmutter lauscht dem Klang der Weihnachtsglocken,
Und hat gedankenvoll ihr Haupt gebeugt,
Es fallen auf die Hand die greisen Locken,
In stiller Rührung wird die Wimper feucht.
Und horch, daneben tönt ein munt'res Lärmen,
Es stürmen ihre Enkel in den Raum,
Und drängen jubelnd sich, in frohen Schwärmen,
Rings um den buntgeputzten Weihnachtsbaum.
In diesen Kindern sprießet frisches Leben,
Und reift entgegen einer neuen Zeit,
Hier keimet Kraft, die einst ihr ganzes Streben
Der Menschheit ew'gem Fortschrittskampfe weiht;
Für alles Große, Herrliche hinieden,
Wie streiten einst die Knaben stark und kühn, —
Und Herzensreinheit, Sitte, Liebe, Frieden,
Wird einst in diesen Mädchen weiter blühn.
Großmutter denkt der eignen Kinderzeiten,
Sie sieht im Elternhaus den Weihnachtsbaum,
Und bunte Bilder ihres Lebens gleiten
An ihrem Geist vorbei in wachem Traum:
Sie sieht sich glücklich an des Gatten Seite,
Im süßen Heim, das ihr die Lieb' erbaut,
Und fröhlich spielen ihre Knaben beide
Am Weihnachtstisch mit hellem Jubellaut.
Die Eltern hin — der Gatte längst begraben,—
Die Söhne todt, mit ihnen todt ihr Glück; —
Doch nein, hier reifen ihrer Söhne Knaben,
Welch reiches Leben ließen sie zurück:
„Mich beugt darnieder schon der Jahre Winter,
Euch blüht empor die goldne Frühlingszeit,
Für euch die Zukunft, ihr geliebten Kinder,
Doch mein, doch mein ist die Vergangenheit!“
[117]Großmutter lauscht dem Weihnachtsglockenklange,
Ein seltsam Lächeln spielt um ihr Gesicht,
Sie ahnet wol, es währet nicht mehr lange,
Bis daß das letzte Glöcklein zu ihr spricht;
Es färbt ein leises Roth die welke Wange,
Die Hände betend sie gefaltet hält:
Großmutter hat im Weihnachtsglockenklange
Wol einen Gruß gehört aus jener Welt!
Maßliebchen
„Er liebt mich!“ — Ach, und wie so lange,
Lang' eh ein Wort der Lipp' entflohn,
Ich hört' es an der Stimme Klange,
An seiner Worte weichem Ton.
Mit freudig bangem Herzenspochen
In's theure Auge blickte ich,
Das sprach, noch eh der Mund gesprochen,
So innig traut „ich liebe dich!“
„Von Herzen!“ Ja! — Es kamen Tage,
Von ew'gem Duft und Licht getränkt!
O Liebesglück, du gold'ne Sage,
Du Maienmorgen gottgeschenkt!
Wer könnte all die Blüten zählen,
Die du erschließest wonniglich?
Im Kusse tauschten wir die Seelen,
Von ganzem Herzen liebt er mich.
„Mit Schmerzen!“ Ach es kamen Stunden,
Die seine Liebe schwer erprobt,
Da Lenz und Sonne hingeschwunden,
Von Nacht bedroht, von Sturm umtobt:
Die Leidensfluten uns umspülten, —
Er stand, da Alles wankt' und wich,
Ob tausend Schmerzen in ihm wühlten.
Mit tausend Schmerzen liebt' er mich!
[118]„Er liebt mich über alle Maßen!“
Ich bin ihm Licht und Lust und Zier,
Und muß die ganze Welt er lassen,
Ihm bleibt die ganze Welt in mir.
Die Lieb' erstand bei Lust und Scherzen,
Bewährt in Kampf und Sturme sich:
So liebt er mich von ganzem Herzen,
Mit Schmerzen maßlos liebt er mich!
Noch jung
Mich zieht hinaus des Frühlings Weben,
Hinaus der Sonne warme Glut,
In meinem Busen fühl' ich's beben
Wie kühnen Jugendübermuth;
Ich kann noch träumen, sehnen, hoffen,
Noch trägt mich hoch des Geistes Schwung,
Noch steht die weite Welt mir offen
Im Vollgefühl: ich bin noch jung!
Die Kraft der Jugend in mir waltet
So ungebrochen, unbedroht,
Das heil'ge Feuer, nicht erkaltet,
In hellen Flammen aufwärts loht.
Die Pulse schlagen voll und schnelle,
Die Brust erfüllt Begeisterung;
Schwill an, du schwanke Lebenswelle,
Heb' mich empor — ich bin noch jung!
Und träte just in solcher Stunde
Der bleiche Sensenmann herein,
Ich grüßte ihn mit heiterm Munde:
„Sieh da, was führt dich her, Freund Hein?“
Mich suchst du? — nun, kein lang' Bedenken,
Nur her mit Lethe's kühlem Trunk!
Laß zum Ade mich's Hütchen schwenken,
Ich scheide leicht, ich bin noch jung!
[119]An den Sturm
Wieder nahest wirbelnd du,
Hab' dich wohl vernommen,
Pfeif' und brause immerzu,
Heißa, gottwillkommen!
Lustig fegst du hin geschwind
Über Wall und Schanze,
Just zur rechten Stunde, Wind,
Spielst du auf zum Tanze.
Bruder, hättest du geglaubt,
Daß vor dir mir grauset?
Oft schon über meinem Haupt
Bist du hingesauset.
Muthig stets begrüßt' ich dich,
Wann ich dich erkannte —
Sic vivamus, du und ich,
Wir sind Stammverwandte!
Die Fanfare bläst du hell,
Ich zieh' dir entgegen,
Waghals du und Kriegsgesell,
Ich auch kühn verwegen;
Hoch empor zum Ätherlicht
Willst du immer schweben,
Mich auch hält der Boden nicht,
Aufwärts muß ich streben!
Deine Freiheit drückt kein Joch,
Meine keins dergleichen,
Und in keinem Kampfe noch
Sah man scheu uns weichen:
Heißa, pfeif' auch heut um mich,
Alles muß sich geben —
Sic vivamus, du und ich,
Wir verstehn zu leben!
[120]Frühlingsmorgen
Küßt das Licht den jungen Morgen,
Fällt der Thau auf Blüt' und Blatt,
Hei, wie wandert sich's da lustig
Durch die grüne Waldesstatt!
Tönt so hell der Quelle Rauschen,
Lacht das Grün so zauberisch,
Pocht das Herz in trunkner Wonne,
Klingt das Liedel jung und frisch!
Küßt das Licht den jungen Morgen,
Fällt der Thau auf Blüt' und Blatt,
Traun, da mag ich's nimmer glauben,
Daß das Leben Schmerzen hat.
Lacht mir so die weite Erde
In des Lenzes Blumenflor,
Kommt mir Herzeleid und Trübsinn
Wie ein böses Märchen vor.
Tausend Blüten seh' ich sprossen,
Und da denk' ich so dabei,
Ob die Blume meines Glückes
Denn nicht auch zu finden sei.
Die auch muß so frei erblühen
Unter Sturm und Sonnenschein,
Darf kein mattes Topfgewächse,
Keine Treibhauspflanze sein.
Was doch so die Menschenseele
Wunderliche Träume hat,
Küßt das Licht den jungen Morgen,
Fällt der Thau auf Blüt' und Blatt!
[121]Wenn kalt ein Herz sich von dir wendet
Wenn kalt ein Herz sich von dir wendet,
Das innig du und wahr geliebt,
Und Trost, wie ihn das Mitleid spendet,
Nicht Frieden deiner Seele gibt:
Dann pflanz' ein Kreuzlein an der Stätte,
Die einst in Lieb' euch glücklich sah,
Da weile oft in deinem Leide,
Und der Verlor'ne ist dir nah!
Du siehst, wie einst in frohen Stunden
Sein Auge klar, sein Auge licht,
Und lauschest, wie verständnißinnig,
Wie edel, lieberfüllt er spricht;
Und sieh', das Glück, das dich verlassen,
Um das du bitterlich geweint,
Es lebt' aufs Neu' in deinem Herzen,
Es hält aufs Neue euch vereint!
Doch triffst du auf des Lebens Straße
Ein kaltes, fremdes Angesicht,
Und trüg' es des Verlor'nen Züge,
O glaube mir, er ist es nicht!
[122]Er starb dem Aug'; in deinem Herzen,
Lebt er als Friedensengel fort
Und treu wird er dich stets geleiten,
Ein starker Schirm, ein starker Hort! —
Zu spät
Ich schau dir traurig in's Gesicht —
Dir in des Herzens Grund!
Ich seh — ich fühl's, du liebest mich,
Verschweigt es auch dein Mund;
Auch ich war dir einst hold und gut —
Da hast du mich verschmäht —
Und nun —! — Was soll mir deine Glut
Die späte? — Ach — zu spät.
O wie dir einst entgegenschwoll
So heiß und treu mein Herz!
Wie manche Nacht ich thränenvoll
Verwacht in bittrem Schmerz:
Gott weiß es, den ich oft um dich
Mit Inbrunst angefleht,
In jener Zeit, die trüb entwich ...
Nun ist's zu spät — zu spät!
Begraben sei die bittre Zeit
In ew'ger Finsterniß,
Da ich aus einer Brust voll Leid
Zu dir die Liebe riß,
Da mir Verzweifelndem die Welt,
So finster ward und öd' —
O hättest du sie mir erhellt! —
Doch nun ist es zu spät.
[124]Die Rose glüht und zittert still
In sonnenschwüler Luft:
„Ist keiner, der mich brechen will?
Mich sprengt mein heißer Duft.“
In milber Abendzeit heran
Trittst du ans Gartenbeet —
Da schaut sie matt und welk dich an —
Zu spät ist es — zu spät ...
Und dir in's Herz, in das Gesicht,
Schau ich mit trübem Blick:
O könntest du's — doch zwingst du nicht,
Entfloh'ne Lieb zurück.
Wo ist die schon erloschne Glut,
Der Wind, der schon verweht?
Laß ruhn, was bei den Todten ruht,
Denn, — ach! — es ist zu spät.
Jugendliebe
Als ich ein glücklicher Knabe noch war
Mit rothen Wangen, mit lockigem Haar,
Da zog es aus der Gespielen Reih'n
Mich oft in ein stilles Kämmerlein.
Die Bilder an der Wand sie sahn
Dort so vertraut mich und heimlich an,
Und jede Knospe war mir bekannt
An der Rose, die vor'm Fenster stand.
Im kleinen Stübchen stand morsch und alt
Ein Sopha von längst verscholl'ner Gestalt;
Dort saß ein Mädchen mit gold'nem Haar,
Die mir das Liebste auf Erden war.
[125]Und neben ihr ruht' ich still beglückt,
Stumm in die eine Ecke gedrückt;
Sie schmiegte sich an die andre dicht,
Und ihr zu nahen wagt' ich nicht.
Dort träumt' ich trunken im engsten Raum
Oft Welt und Himmel umfassenden Traum;
Sie senkte das Auge in banger Lust,
Mit glühenden Wangen, mit wogender Brust. —
Auf schwellendem Polster saß ich heut,
Und dachte an jene alte Zeit.
Sie saß mir zur Seite, ein schönes Weib,
Und schwatzte und schwatzte zum Zeitvertreib.
Mit halbem Ohr nur hört' ich zu,
Mir ließen die alten Träume nicht Ruh';
Im Busen klang mir ein altes Lied
Von einem Frühling, der längst verblüht.
Auch sie verstummte, ich schwieg schon lang',
Mir war so gepreßt, zum Weinen bang',
Mit trübem Blick sah ich sie an,
Sie wandte sich ab und seufzte dann.
Einst
Wir standen vor einem Grabe,
Umweht von Fliederduft;
Still mit den Gräsern des Hügels
Spielte die Abendluft.
Da sprach sie bang' und leise:
Wenn von der Welt ich schied,
Und kaum mein Angedenken
Noch lebt in deinem Lied;
Wenn du auf weiter Erde
Verlassen und einsam bist,
Und nur im Traum der Nächte
Mein Geist dich leise küßt:
[126]Dann komm zu meinem Grabe,
Von Flieder und Rosen umlaubt,
Und neig' auf die kühlen Gräser
Das heiße, müde Haupt.
Ein Sträußchen duftiger Blumen
Bringst du wie sonst mir mit;
Mich weckt aus tiefem Schlummer
Dein lieber bekannter Schritt.
Dann will ich mit dir flüstern
So heimlich und vertraut,
Wie damals, wo wir innig
In's Aug' uns noch geschaut.
Und wer vorübergehet,
Der denkt: es ist der Wind,
Der durch die Blüten des Flieders
Hinsäuselt leis und lind.
Und wie du lebst, das Kleinste
Berichten sollst du mir,
Und ich will dir erzählen,
Was ich geträumt von dir.
Wenn dann der Abend gekommen
Und Stern an Stern erwacht,
Dann wünschen wir uns leise
Und heimlich: gute Nacht.
Du gehst getröstet nach Hause
Im Abenddämmerschein,
Und unter meinen Blumen
Schlaf' still ich wieder ein.
[127]Um die dritte Stunde
Die dritte Stunde Nachmittags
Das ist die müde Stunde,
Es geht das Zittern ihres Schlags
Wie Lähmung in die Runde.
Da liegt sie stumm, die heiße Welt,
Verschmachtet und begraben;
Der Glutengott alleine hält
Die Fackel noch erhaben.
Wie Wüstenodem tödtlich drückt
Sein schwüles Reich die Matten,
Und von des Thurmes Kuppel bückt
Sich welk der müde Schatten.
Verlechzend ist auf dürrem Moos
Das Flurgeräusch entschlafen,
Die Welle schlürft gedankenlos
Um's träge Schiff im Hafen.
Wie ein erschlagner Riese schweigt
Die glühe Felsenflanke;
Im Menschenhaupt hat sich geneigt
Zum Schlummer der Gedanke.
[129]Kein Laut ergeht, kein Hauch, kein Lied
Gibt noch von Leben Kunde,
Als ob der Erdengeist verschied
Um diese dürre Stunde,
Die von des Mittags stolzen Höhn
So fern ist abgefallen,
Wie von des Abends lindem Wehn
Und seinen Nachtigallen.
Erinnerung
In dem Nachen saßen wir und schwammen
Weit hinaus auf's purpurblaue Meer,
Und die Wolken, rosenfarb'ne Flammen,
Flatterten am Himmel drüber her.
Unser Herz in süßen Liedern träumte,
Uns're Lippe schwelgte hoch im Kuß,
Und aus uns'ren Bechern sprüht' und schäumte
Dionysos' goldner Überfluß.
Aber allgemach versinkt im Westen
Farbenglut und Sonnenstrahlenpracht,
Und aus schwarzen, wolkigen Palästen
Weht hervor die regnerische Nacht.
Und nun seufzet ihr in bitt'rer Klage
Sehnsuchtsvoll nach dem getrübten Glück;
Und begierig fordert ihr die Tage
Der vergang'nen Freuden euch zurück?
Heget Scham ob eurer Sehnsucht Schmerzen,
Ihr, die einmal doch ein Glück umfing,
Das an tausend durst'gen Menschenherzen
Hast'gen Schrittes karg vorüberging.
Der sterbende Greis
Das Auge schon gebrochen halb,
Die Wangen bleich, die Lippen falb —
So liegt der müde Greis im Sterben;
[133]Doch ungetrübte Heiterkeit
Scheint wie im Herbst zur Dämmerzeit
Sein Bild vergeistigend zu färben.
Und ihn umdrängt der Seinen Schaar,
Der Kirche Tröstung beut ihm dar
Der Priester mit geweihtem Brode.
Der Greis doch deutet auf ein Kind,
Das lächelnd unter dem Gesind'
Unschuldvoll stand — ein Himmelsbote.
„Mit dieses Auges reinem Strahl
O labt mich noch ein einzig Mal!
Hier steht das Wort des Herrn geschrieben.
Hier les' ich Wahrheit, hier allein,
Von jedem Menschenwahne rein:
Kein Hassen noch und noch kein Lieben!
Hier seh' ich mich, so wie ich war
Der Sehnsucht, der Erinn'rung bar —
So hoff' ich, daß ich wieder werde!
Nun ist's genug! den Himmel sah
Ich in des Kindes Aug' mir nah —
Nun nimm mich auf, du Mutter Erde!“
Er weiß es besser
Die Tannen ragen schlank und morgenduftig,
Grüngolden spielt das Licht in ihren Ästen,
Ringsum Gesang von leicht beschwingten Gästen;
In Walde weht und rauscht der Frühling lustig.
Ein Jäger geht in Thau und Schatten drinnen,
Das Feuerrohr gesenkt auf seinem Rücken;
Heut wird er's nicht dem Wild ins Leben drücken,
Er scheint auf eine andre Jagd zu sinnen.
Prüft manchen Baum vom Grund bis zu den Kronen,
Und rüttelt auch an manchem scharf und mächtig.
Thautropfen blitzen diamantenprächtig
Auf ihn herab, den Händedruck zu lohnen.
Er aber schneidet ein mit scharfem Messer
Ein Kreuz als Zeichen, ihn im Herbst zu fällen,
Und denkt vom stolz aufragenden Gesellen:
„Träum' du von Lenzen noch, ich weiß es besser!“
So schreitet er, ein Tod, durch Frühlingsräume,
In manche Rinde kerbt er noch das Zeichen,
Und mit den scharfgeschnitt'nen Kreuzen gleichen
Bald einem Friedhof in dem Wald die Bäume.
Im Menschenwald, ein unsichtbarer Jäger
Geht lauernd auch umher und kerbt in Herzen
Die Zeichen ein, oft ohne daß sie schmerzen,
So sanft, so weich — doch ist er ein Erleger.
Gewiß, er war mir nahe schon als Kummer,
Als Glück wol auch, als Sorge schon im Traume;
Die Lippen küßt' er mir im Becherschaume,
Und war die Nacht, die hingig ohne Schlummer.
[136]Er schnitt ins Leben mir mit seinem Messer,
Oft merkt' ich's kaum, ein leises, leises Zeichen;
Ich meine manchen Lenz noch zu erreichen,
Noch manche That zu thun — Er weiß es besser.
In der Sommernacht
Ich träumt' von dir — bin jäh' erwacht
Und schau' nun bange in die Nacht —
Der Mond scheint blaß, in der schwülen Luft
Schwimmt süßer, schwerer Blumenduft —
Durch's offne Fenster dringt er ein ...
Hat mich geweckt der Mondenschein
Oder dies Düften, süß und schwer,
Als ob's dein Athem, Geliebte, wär'? ...
Hast du auch träumend mein gedacht
Und bist voll süßer Glut erwacht?
Schwimmt in den Lüften dein wilder Kuß,
Deiner dürstenden Liebe Gruß?
Ich seh' dich ... du lehnst auf dem weißen Pfühl,
Deine Stirne glüht, doch die Hand ist kühl —
Du fieberst — nach mir ... blickst bebend zur Seit',
Als grüßte dich dort aus der Dunkelheit
Wie in schöneren Nächten, so heute auch
Mein leuchtend Aug' und mein Lispelhauch ...
Du Wilde, du Schöne, wie gern, wie gern
Wär' ich bei dir und bin so fern!
Mich macht die Unrast krank und matt,
Mein Lager wird zur Marterstatt —
Das heiße Kissen drück' ich an mich,
Als wärest du's — als hätt' ich dich! ...
[139]Vor deinem Fenster mit süßem Schall
Singt weich und schmachtend die Nachtigall —
Dazwischen tönt über Wald und Kluft
Wie der wilde Falk nach Beute ruft —
Lausch' diesen Beiden, lausch' ihnen gut
So, Liebste, ist jetzt mir zu Muth ...
Löwenritt
Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen,
Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen.
Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;
Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore.
[141]Abends, wenn die hellen Feuer glühn im Hottentottenkraale,
Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale
Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karroo,
Wenn im Busch die Antilope schlummert, und am Strom das Gnu:
Sieh', da schreiet majestätisch durch die Wüste die Giraffe,
Daß mit der Lagune trüben Fluten sie die heiße, schlaffe
Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken,
Knieend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken.
Plötzlich regt es sich im Rohre, mit Gebrüll auf ihren Nacken
Springt der Löwe; welch' ein Reitpferd! sah man reichere Schabracken
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?
In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt;
Sieh, wie Schnelle des Kameeles es mit Pardelhaut vereinigt.
Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen!
Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen
An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,
Und das Herz des flücht'gen Thieres hört die stille Wüste klopfen.
Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Jemen
Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luft'ger Schemen,
Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sand'gem Meer,
Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her.
[142]Ihrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte;
Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte;
Folgt der Panther, der des Caplands Hürden räuberisch verheerte;
Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.
Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen,
Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen.
Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muß ihn die Giraffe tragen;
Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen.
Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise.
Todt, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Roß des Reiters Speise.
Über Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; —
So durchsprengt der Thiere König nächtlich seines Reiches Grenzen.
Die Auswanderer
Sommer 1832
Ich kann den Blick nicht von euch wenden,
Ich muß euch ansehn immerdar.
Wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen
Dem Schiffer eure Habe dar!
Ihr Männer, die ihr von dem Nacken
Die Körbe langt, mit Brod beschwert,
Das ihr aus deutschem Korn gebacken,
Geröstet habt auf deutschem Herd;
Und ihr im Schmuck der langen Zöpfe,
Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank;
Wie sorgsam stellt ihr Krüg' und Töpfe
Auf der Schaluppe grüne Bank!
Das sind dieselben Töpf' und Krüge,
Oft an der Heimat Born gefüllt;
Wenn am Missouri Alles schwiege,
Sie malten euch der Heimat Bild;
Des Dorfes steingefaßte Ouelle,
Zu der ihr schöpfend euch gebückt,
Des Herdes traute Feuerstelle,
Das Wandgesims, das sie geschmückt,
Bald zieren sie im fernen Westen
Des leichten Bretterhauses Wand;
Bald reicht sie müden braunen Gästen,
Voll frischen Trunkes, eure Hand.
Es trinkt daraus der Tscherokese,
Ermattet, von der Jagd bestaubt;
Nicht mehr von deutscher Rebenlese
Tragt ihr sie heim mit Grün belaubt.
[146]O sprecht, warum zogt ihr von dannen?
Das Neckarthal hat Wein und Korn;
Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
Im Spessart klingt des Älplers Horn.
Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimatberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
Nach seinen Rebenhügeln ziehn!
Wie wird das Bild der alten Tage
Durch eure Träume glänzend wehn,
Gleich einer stillen frommen Sage
Wird es euch vor der Seele stehn.
Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden!
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis!
Sei Freude eurer Brust beschieden,
Und euren Feldern Reis und Mais!
Wär' ich im Bann von Mekka's Thoren
Wär' ich im Bann von Mekka's Thoren
Wär' ich auf Jemens glüh'ndem Sand,
Wär' ich am Sinai geboren,
Dann führt' ein Schwert wol diese Hand;
Dann zög' ich wol mit flücht'gen Pferden
Durch Jethro's flammendes Gebiet;
Dann hielt' ich wol mit meinen Heerden
Rast bei dem Busche, der geglüht;
Dann Abends wol vor meinem Stamme,
In eines Zeltes luft'gem Haus,
Strömt' ich der Dichtung innre Flamme
In lodernden Gesängen aus;
Dann wol an meinen Lippen hinge
Ein ganzes Volk, ein ganzes Land;
Gleichwie mit Salomonis Ringe
Herrscht' ich, ein Zauberer, im Sand.
[147]Nomaden sind ja meine Hörer,
Zu deren Geist die Wildniß spricht;
Die vor dem Samum, dem Zerstörer,
Sich werfen auf das Angesicht;
Die allzeit auf den Rossen hängen,
Absitzend nur am Wüstenbronn:
Die mit verhängten Zügeln sprengen
Von Aden bis zum Libanon;
Die Nachts, als nimmermüde Späher,
Bei ihrem Vieh ruhn auf der Trift,
Und, wie vor Zeiten die Chaldäer,
Anschaun des Himmels goldne Schrift;
Die oft ein Murmeln noch vernehmen
Von Sina's glutgeborstnen Höhn;
Die oft des Wüstengeistes Schemen
In Säulen Rauches wandeln sehn;
Die durch den Riß oft des Gesteines
Erschaun das Flammen seiner Stirn —
Kurz, Männer, denen glüh'nd, wie meines,
In heißen Schädeln brennt das Hirn.
O Land der Zelte, der Geschosse!
O Volk der Wüste, kühn und schlicht!
Beduin, du selbst auf deinem Rosse
Bist ein phantastisches Gedicht! —
Ich irr' auf mitternächt'ger Küste;
Der Norden, ach! ist kalt und klug.
Ich wollt', ich säng' im Sand der Wüste,
Gelehnt an eines Hengstes Bug.
Der Blumen Rache
Auf des Lagers weichem Kissen
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen,
Tiefgesenkt die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen.
[148]Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reich geschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duft'ge, bunte, frischgepflückte.
Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch das Kämmerlein ergossen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.
Stille rings und tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern:
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.
Aus den Blütenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde;
Ihre Kleider zarte Nebel,
Kronen tragen sie und Schilde.
Aus dem Purpurschooß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau;
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin, wie Thau.
Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Muthes;
Schwert erglänzt und Pickelhaube.
Auf der Haube nickt die Feder
Von dem silbergrauen Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen;
Dünn, wie Spinnweb', ist ihr Schleier.
Aus dem Kelch des Türkenbundes
Kommt ein Neger stolz gezogen;
Licht auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds goldner Bogen.
[149]Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Scepterträger;
Aus der blauen Iris folgen
Schwertbewaffnet seine Jäger.
Aus den Blättern der Narzisse
Schwebt ein Knab' mit düstern Blicken,
Tritt an's Bett, um heiße Küsse
Auf des Mädchens Mund zu drücken.
Doch um's Lager drehn und schwingen
Sich die Geister wild im Kreise;
Drehn und schwingen sich, und singen
Der Entschlafnen diese Weise:
„Mädchen, Mädchen! von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Daß wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!
O wie ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
Sonnenstrahlen heiß uns küßten;
Wo uns Lenzeslüfte kühlten,
Unsre schwanken Stengel beugend;
Wo wir Nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.
Hell umfloß uns Thau und Regen:
Jetzt umfließt uns trübe Lache;
Wir verblühn, doch eh' wir sterben,
Mädchen, trifft dich unsre Rache!“
Der Gesang verstummt; sie neigen
Sich zu der Entschlafnen nieder.
Mit dem alten, dumpfen Schweigen
Kehrt das leise Flüstern wieder.
[150]Welch ein Rauschen, welch ein Raunen!
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Geister es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen! —
Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach; die Schemen weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die lieblichste der Leichen.
Eine welke Blume selber,
Noch die Wange sanft geröthet,
Ruht sie bei den welken Schwestern; —
Blumenduft hat sie getödtet!
Ruhe in der Geliebten
So laß mich sitzen ohne Ende,
So laß mich sitzen für und für!
Leg' deine beiden frommen Hände
Auf die erhitzte Stirne mir!
Auf meinen Knien, zu deinen Füßen,
Da laß mich ruhn in trunkner Lust;
Laß mich das Auge selig schließen
In deinem Arm, an deiner Brust!
Laß es mich öffnen nur dem Schimmer,
Der deines wunderbar erhellt;
In dem ich raste nun für immer,
O du, mein Leben, meine Welt!
Laß es mich öffnen nur der Thräne,
Die brennend heiß sich ihm entringt;
Die hell und lustig, eh' ich's wähne,
Durch die geschloss'ne Wimper springt!
So bin ich fromm, so bin ich stille,
So bin ich sanft, so bin ich gut!
Ich habe dich, das ist die Fülle!
Ich habe dich, mein Wünschen ruht!
[151]Dein Arm ist meiner Unrast Wiege,
Vom Mohn der Liebe süß umglüht;
Und jeder deiner Athemzüge
Haucht mir ins Herz ein Schlummerlied!
Und jeder ist für mich ein Leben!
Ha, so zu rasten Tag für Tag!
Zu lauschen so mit sel'gem Beben
Auf unsrer Herzen Wechselschlag!
In unsrer Liebe Nacht versunken,
Sind wir entflohn aus Welt und Zeit:
Wir ruhn und träumen, wir sind trunken
In seliger Verschollenheit.
Der Liebe Dauer
O lieb', so lang' du lieben kannst,
O lieb', so lang' du lieben magst,
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
So lang' ihm noch ein andres Herz
In Liebe warm entgegenschlägt.
Und wer dir seine Brust erschließt,
O thu' ihm, was du kannst zu lieb,
Und mach' ihm jede Stunde froh,
Und mach' ihm keine Stunde trüb.
Und hüte deine Zunge wol,
Bald ist ein böses Wort gesagt;
O Gott, es war nicht bös gemeint, —
Der Andre aber geht und klagt.
O lieb', so lang' du lieben kannst,
O lieb', so lang' du lieben magst,
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
[152]Dann kniest du nieder an der Gruft —
Und birgst die Augen trüb' und naß
— Sie sehn den Andern nimmermehr —
In's lange feuchte Kirchhofsgras.
Und sprichst: O schau' auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint:
Vergib, daß ich gekränkt dich hab',
O Gott, es war nicht bös' gemeint!
Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh empfängst:
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst.
Er that's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Thräne fiel
Um dich und um dein herbes Wort —
Doch still — er ruht, er ist am Ziel.
O lieb', so lang' du lieben kannst,
O lieb', so lang' du lieben magst,
Die Stunde kommt, die Stunde komnmt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Die Trompete von Gravelotte
Sie haben Tod und Verderben gespien:
Wir haben es nicht gelitten,
Zwei Kolonnen Fußwerk, zwei Batterien,
Wir haben sie niedergeritten.
Die Säbel geschwungen, die Zäume verhängt,
Tief die Lanzen und hoch die Fahnen,
So haben wir sie zusammengesprengt,
Kürassiere wir und Ulanen.
Doch ein Blutritt war es, ein Todesritt;
Wol wichen sie unsern Hieben,
Doch von zwei Regimentern, was ritt und was stritt,
Unser zweiter Mann ist geblieben,
[153]Die Brust durchschossen, die Stirn zerklafft,
So lagen sie bleich auf dem Rasen,
In der Kraft, in der Jugend dahingerafft;
Nun Trompeter, zum Sammeln geblasen!
Und er nahm die Trompet', und er hauchte hinein,
Da, — die muthig mit schmetterndem Grimme
Uns geführt in den herrlichen Kampf hinein, —
Der Trompete versagte die Stimme!
Nur klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz
Entquoll dem metallenen Munde;
Eine Kugel hatte durchlöchert ihr Erz —
Um die Todten klagte die wunde!
Um die Tapfern, die Treuen, die Wacht am Rhein,
Um die Brüder, die heut' gefallen, —
Um sie alle, es ging uns durch Mark und Bein,
Erhob sie gebrochenes Lallen.
Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann;
Rundum die Wachtfeuer lohten;
Die Rosse schnoben, der Regen rann —
Und wir dachten der Todte, der Todten!
Das Lied vom Zorn
Kein Minnelied, kein Heldensang
Von meiner Harfe heute tönt,
Es ist ein andrer, wilder Klang,
Von Fürstengnade nicht gekrönt,
Es ist ein Lied, das ewig fließt
Aus der Verjüngung heißem Born,
Das glühend sich durchs Herz ergießt,
Ein Donnerlied, das Lied vom Zorn!
Kein farbenreiches Märchenbild,
Kein prunkend gold'ner Königsthron,
Kein Papst, in Seide eingehüllt,
Gleicht ihm an Zauber, Kraft und Hohn;
Sein Schwert ist der Vernichtung Kind,
Sein Stachel ist der Rache Sporn,
Drum braust es auch wie Wüstenwind,
Ein Donnerlied, das Lied vom Zorn!
Kein geiler Spott ihm Vater war,
Nicht Ammenmilch hat es genährt,
Aus düstern Wolken leuchtet's klar,
Ein Blitz, der flammend niederfährt;
Und ob ihr auch verschließt das Ohr
Vor seiner Rede scharfem Dorn,
Es scheucht euch dennoch jach empor,
Ein Donnerlied, das Lied vom Zorn!
[157]Kein Heil'ger schuf's, kein Götze bleich,
Es ist — ein Weckruf der Natur,
Nicht trägen Schlummerklängen gleich,
Verschwimmt es ohne Lebensspur.
Sein Odem ist kein todter Wahn!
Es weckt der Freiheit Samenkorn,
Und strebt begeistert himmelan,
Ein Donnerlied, das Lied vom Zorn!
Rühret nicht daran!
Wo still ein Herz von Liebe glüht,
O rühret, rühret nicht daran;
Den Gottesfunken löscht nicht aus —
Fürwahr, es ist nicht wohlgethan.
Wenn's irgend auf dem Erdenrund
Ein unentweihtes Plätzchen gibt,
So ist's ein junges Menschenherz,
Das fromm zum ersten Male liebt.
O gönnet ihm den Frühlingstraum,
In dem's voll ros'ger Blüten steht;
Ihr wißt nicht, welch ein Paradies
Mit diesem Traum verloren geht.
[159]Es brach schon manch ein starkes Herz,
Da man sein Lieben ihm entriß,
Und manches duldend wandte sich
Und ward voll Haß und Finsterniß;
Und manches, das sich blutend schloß,
Schrie laut nach Lust in seiner Noth
Und warf sich in den Staub der Welt;
Der schöne Gott in ihm war todt.
Dann weint ihr wol, und klagt euch an,
Doch keine Thräne heißer Reu'
Macht eine welke Rose blühn,
Erweckt ein todtes Herz auf's Neu'.
Wie es geht
Sie redeten ihr zu: Er liebt dich nicht,
Er spielt mit dir — da neigte sie das Haupt,
Und Thränen perlten ihr vom Angesicht
Wie Thau von Rosen; o, daß sie's geglaubt!
Denn als er kam und zweifelnd fand die Braut,
Ward er voll Trotz; nicht trübe wollt' er scheinen,
Er sang und spielte, trank und lachte laut,
Um dann die Nacht hindurch zu weinen.
Wol pocht' ein guter Engel an ihr Herz:
„Er ist doch treu, gib ihm die Hand, o gib!“
Wol fühlt' auch er durch Bitterkeit und Schmerz:
„Sie liebt dich doch, sie ist ja doch dein Lieb.
Ein freundlich Wort nur sprich, ein Wort vernimm,
So ist der Zauber, der euch trennt, gebrochen.“ —
Sie gingen — sahn sich — o, der Stolz ist schlimm —
Das Eine Wort blieb ungesprochen.
Da schieden sie. Und wie im Münsterchor
Verglimmt der Altarlampe rother Glanz —
Erst wird er matt, dann flackert er empor
Noch einmal hell, und dann verlischt er ganz —
So starb die Lieb' in ihnen, erst beweint,
Dann heiß zurückersehnt, und dann — vergessen,
Bis sie zuletzt, es sei ein Wahn, gemeint,
Daß sie sich je dereinst besessen.
Nur manchmal fuhren sie im Mondenlicht
Vom Kissen auf — von Thränen war es naß,
Und naß von Thränen war noch ihr Gesicht;
Geträumet hatten sie — ich weiß nicht was.
[161]Dann dachten sie der alten schönen Zeit,
Und an ihr nichtig Zweifeln, an ihr Scheiden,
Und wie sie nun so weit, so ewig weit.
O Gott, vergib, vergib den Beiden!
Zigeunerleben
Im Schatten des Waldes, im Buchengezweig,
Da regt sich's und raschelt's und flüstert's zugleich;
Es flackern die Flammen, es gaukelt der Schein
Um bunte Gestalten, um Laub und Gestein.
Das ist der Zigeuner bewegliche Schaar,
Mit blitzendem Aug' und mit wallendem Haar,
Gesäugt an des Niles geheiligter Flut,
Gebräunt von Hispaniens südlicher Glut.
Um's lodernde Feuer im schwellenden Grün,
Da lagern die Männer, verwildert und kühn,
Da kauern die Weiber und rüsten das Mahl
Und füllen geschäftig den alten Pokal.
Und Sagen und Lieder ertönen im Rund,
Wie Spaniens Gärten, so blühend und bunt,
Und magische Sprüche für Noth und Gefahr
Verkündet die Alte der horchenden Schaar.
Schwarzäugige Mädchen beginnen den Tanz,
Da sprühen die Fackeln in röthlichem Glanz,
Heiß lockt die Guitarre, die Cymbel erklingt,
Wie wilder und wilder der Reigen sich schlingt.
Dann ruhn sie, ermüdet vom nächtlichen Reihn,
Es rauschen die Buchen in Schlummer sie ein,
Und die aus der glücklichen Heimat verbannt,
Sie schauen im Traume das südliche Land.
Doch wie nun im Osten der Morgen erwacht,
Verlöschen die schönen Gebilde der Nacht;
Laut scharret das Maulthier beim Tagesbeginn,
Fort ziehn die Gestalten. — Wer sagt dir, wohin?
[162]Ich fuhr von St. Goar
Ich fuhr von Sanct Goar
Den grünen Rhein zu Berge;
Ein Greis im Silberhaar
War meines Nachens Ferge.
Wir plauderten nicht viel;
Die Felsen sah ich gleiten
Dahin im Wellenspiel,
Und dachte vor'ger Zeiten.
Und als wir an der Pfalz
Bei Caub vorüber waren,
Kam hellen Liederschalls
Ein Schiff zu Thal gefahren.
Ins weiße Segel schien
Der Abend, daß es glühte;
Studenten saßen drin,
Mit Laub umkränzt die Hüte.
Da ging von Hand zu Hand
Der Kelch von grünem Glaste;
Das schönste Mägdlein stand
In goldnem Haar am Maste;
Sie streute Rosen roth
Hinunter in die Wogen,
Und grüßte, wie im Boot
Wir sacht vorüberzogen.
Und horch, nun unterschied
Das Singen ich der Andern:
Da war's mein eigen Lied,
Ich sang es einst vom Wandern;
Ich sang's vor manchem Jahr,
Berauscht vom Maienscheine,
Da ich gleich jenen war
Student zu Bonn am Rheine.
[163]Wie seltsam traf's das Ohr
Mir jetzt aus fremdem Munde!
Ein Heimweh zuckt empor
In meines Herzens Grunde.
Ich lauschte, bis der Klang
Zerfloß in Windesweben;
Doch sah ich drauf noch lang
Das Schifflein glänzend schweben.
Es zog dahin, dahin —
Still saß ich, rückwärts lugend;
Mir war's, als führe drin
Von dannen meine Jugend.
Der Bildhauer des Hadrian
So steht nun schlank emporgehoben
Der Tempelhalle Säulenrund;
Getäfelt prangt die Kuppel droben,
Von buntem Steinwerk glänzt der Grund.
Und hoch aus Marmor hebt sich dorten
Das Bild des Donnrers, das ich schuf;
Du rühmst es, Herr, und deinen Worten
Folgt tausendstimm'ger Beifallsruf.
Und doch, wie hier vor meinen Blicken
Das eigne Werk sich neu enthüllt,
Mich selber will es nicht erquicken,
Und fast wie Scham ist, was mich füllt.
Ob nichts am hohen Gleichmaß fehle,
Ob jedem Sinn genug gethan:
Kein Schauer quillt in meine Seele,
Kein Unnennbares rührt mich an.
O Fluch, dem diese Zeit verfallen,
Daß sie kein großer Puls durchbebt,
Kein Sehnen, das, getheilt von allen,
Im Künstler nach Gestaltung strebt,
[164]Das ihm nicht Rast gönnt, bis er's endlich
Bewältigt in den Marmor flößt,
Und so in Schönheit allverständlich
Das Räthsel seiner Tage löst!
Wol bänd'gen wir den Stein, und küren,
Bewußt berechnend, jede Zier,
Doch, wie wir glatt den Meißel führen,
Nur vom Vergangnen zehren wir.
O trostlos kluges Auserlesen,
Dabei kein Blitz die Brust durchzückt!
Was schön wird ist schon dagewesen,
Und nachgeahmt ist was uns glückt.
Der Kreis der Formen liegt beschlossen,
Die einst der Griechen Geist beseelt;
Umsonst durchtasten wir verdrossen
Ein Leben, dem der Inhalt fehlt.
Wo lodert noch ein Opferfunken?
Wo blüht ein Fest noch, das nicht hohl?
Der Glaub' ist, ach, dahin gesunken,
Und todter Schmuck ward sein Symbol.
Sieh her, noch braun sind diese Haare,
Und nicht das Alter schuf mich blaß;
Doch geb' ich alle meine Jahre
Für Einen Tag des Phidias;
Nicht weil des Volks verstummend Gaffen,
Der Welt Bewundrung ihm gelohnt;
Nein, weil der Zeus, den er geschaffen,
Ihm selbst ein Gott im Sinn gethront.
Das war sein Stern, das war sein Segen,
Daß ihn mit ungebrochnem Flug
Der höchsten Urgestalt entgegen
Der Andacht heil'ger Fittig trug.
Er durft' im Reigen der Erkornen
Voll Glanz noch den Olympos sehn,
Indeß wir armen Nachgebornen
In götterloser Wüste stehn.
[165]Da uns der Himmel ward entrissen,
Schwand auch des Schaffens himmlisch Glück;
Wol wissen wir's, doch alles Wissen
Bringt das Verlorne nie zurück.
Und keine neue Kunst mag werden,
Bis über dieser Zeiten Gruft
Ein neuer Gott erscheint auf Erden,
Und seine Priesterin beruft.
Ich sehne mich nach einem jungen Herzen
Spielmannsweisen
Ich sehne mich nach einem jungen Herzen,
An dem dereinst mein Herz sich neu belebt,
Das frisch noch pocht, wann meins vor tiefsten Schmerzen
Nur noch in qualvoll matten Schlägen bebt;
Nach einem Haupt, umwallt von Jugendlocken,
In dem ich mich verjüngt darf wiedersehn,
Wann früh gebleichten Haares weiße Flocken
Um meine denkensmüde Stirne wehn;
Nach einer Hand, die jugendstark und leise
Mich führe zu dem vorgesteckten Ziel,
Wann mir vielleicht auf meiner Pilgerreise
Der auch zum Kampf gebrauchte Stab entfiel.
O süßer Traum, daß einst, wann längst verglühte
Für mich des Herbstes letzter Sonnenschein,
Noch eines Kindes holde Frühlingsblüte
In meines Lebens Winter ragt hinein!
Und daß dereinst, wann meine Augen brechen,
Mich liebevoll umkränze Kindeshand,
Daß Dornen nicht die Stirn im Tod noch stechen,
Die lebend manchen Dornenstich empfand.
O hohes Glück, das mir zu Theil geworden!
Spielmannsweisen
O hohes Glück, das mir zu Theil geworden!
Jauchz' auf, mein Herz, und rausche, Cither mein,
In deinen hellsten, wonnigsten Accorden
Von meinem neugebornen Töchterlein.
Doch ach! nicht darf ich an der Wiege stehen
Bei dir, mein theures, heiß geliebtes Kind,
Darf nicht in deine lieben Augen sehen,
Ob sie wol meinen Augen ähnlich sind.
[171]Kann träumen nur von fernen, lichten Tagen,
Da endlich du, vor allen Menschen mein,
Darfst frei und stolz des Mannes Namen tragen,
Von dessen Sein du selbst das schönste Sein.
Kann flehen nur aus tiefstem Herzensgrunde
Von Gott für dich, mein Kind, ein Loos herab,
So wonnevoll, so selig wie die Stunde,
Da meine Liebe dir das Leben gab.
Kann flehen nur, daß dir der Himmel reiche
Die Gabe reinster Frauenzierde dar,
Damit die Tochter einst an Schönheit gleiche
Der schönen Mutter, welche sie gebar.
Kann flehen nur, da einzig Mannesliebe
Dem Weib das wahre Glück des Lebens gibt,
Daß dich dereinst ein Mann so innig liebe,
Wie deine schöne Mutter ich geliebt.
Des Kranken Liebe
Da kommt sie, die holdselige Gestalt,
Da kommt mein rosig Wunderkind gegangen,
Daß mir in süßem Schreck das Herze wallt,
Und fiebrisch glühen meine bleichen Wangen.
Da geht sie hin im frischen Jugendreiz,
In ihrer Schönheit unbewußtem Adel,
Vom schlanken Nacken bis zum Saum des Kleids
Ein Strahl der Unschuld ohne Fehl und Tadel.
O selig, wer zuerst im Kusse sprengt
Die Rosenknospe dieser keuschen Lippen,
Wem diese reine Jugend unvermengt
Den Thau der ersten Liebe gibt zu nippen!
[172]Wem diese Rehesaugen, feucht und braun,
Im Trotz der Jugend jetzt noch scheu und schüchtern,
Voll frommer Treu' dereinst ins Antlitz schaun,
Mildleuchtend in der Liebe goldnen Lichtern!
Wem — still mein Herz, mein thöricht Herz, was ist
In kranker Brust dies für ein wildes Lodern?
Weißt du nicht mehr, daß du in kurzer Frist
Mußt, heißes Herz, in kühler Erde modern?
Es neigt der Schönheit holde Majestät
Ihr Scepter nur den Glücklichen, Gesunden,
Der Freudenrausch der Liebe kommt zu spät
In dieser Brust, der kranken, todeswunden.
Wol hofft' ich einst, — es war ein schöner Traum —
Mich könnte dieser Engel noch erlösen,
Nur zu berühren ihres Kleides Saum,
Und plötzlich müßt' ich alles Wehs genesen.
Nein, süßes Kind, ich habe dich zu lieb,
Nicht will ich deiner Jugend Rosen pflücken,
Um mir damit, ein niedrig frecher Dieb,
Ein Stündchen die zerlumpte Brust zu schmücken.
Nein, geh' du hin im goldnen Sonnenduft,
Den deine eigne Huld um dich verbreitet;
Ich find' allein den Weg zu meiner Gruft,
Wo mir mein einsam Bette steht bereitet.
Nur bis verathmet diese kranke Brust,
Vergönne, daß an deiner Schönbeit weide
Mein sterbend Auge sich mit stiller Lust,
Du meiner Seele letzte Erdenfreude.
Und hörst du einst, daß dieses Herze brach,
So soll sich drum dein schönes Aug' nicht feuchten,
Nur lächelnd, in Gedanken, sende nach
Mir einen Seufzer, einen leisen, leichten.
[173]Dann geh' in Frieden, — und all' Glück und Heil,
Nach dem dies düstre Herz geseufzt vergebens,
Blüh' dir zu Kränzen, du mein bess'res Theil,
Du lichter Leitstern meines dunkeln Lebens!
Die Rose im Staub
Liegst am Boden, arme Rose,
Eines losen Buben Raub,
Blühtest ach! zu bess'rem Loose,
Als zu welken hier im Staub!
Doch der Knabe sah dich prangen
Als des Gartens Königin,
Und er fühlt' ein frech' Verlangen,
Brach dich ab — und warf dich hin.
Hätt' er treu dich heimgetragen,
Sorgsam dich ins Glas gesetzt,
Hätt'st du noch von Tag zu Tagen
Dich erquickt und ihn ergötzt.
Hätt' ein Frühlingssturm die Blätter
Dir zerstreut erbarmungslos:
Sterben unter Blitz und Wetter
Ist ein schönes Blumenloos.
Aber hat die holde Sonne
Darum deinen Kelch enthüllt,
Gott und Menschen ihn zur Wonne
Mit dem süßen Duft gefüllt,
Daß du sollst zur Beute werden
Eines Buben kurzer Lust,
Daß du schnöd' im Staub der Erden
Dich zertreten lassen mußt? —
Kommt ein Kind dich aufzulesen,
Doch die Mutter wehrt und spricht:
„Laß, wer weiß wem sie gewesen?“
Und das Kind begehrt dich nicht. —
[174]Gestern hätt'st du noch mit Ehren
Einer Fürstin Brust geschmückt;
Ach! und heute muß man wehren,
Daß ein Kind sich nach dir bückt!
— Und warum bei deinem Loose
Mir das Herz vor Wehmuth bricht:
Du in Staub getret'ne Rose,
Ach! du bist die einz'ge nicht!
Kindergottesdienst
Matth. 21, 16
Aus dem Munde der Unmündigen hast du dir ein Lob zugerichtet.
Es läuten zur Kirche die Glocken,
Die Eltern, sie gingen schon aus,
Drei Kindlein in goldenen Locken
Die sitzen noch unter dem Haus.
Die muntern unmüßigen Gäste
Sind noch für die Kirche zu klein,
Doch wollen am heiligen Feste
Sie fromm wie die alten schon sein.
Hat jedes ein Buch sich genommen
Und hält es verkehrt auf dem Schooß,
Draus singen die Schelme, die frommen,
Mit schallender Stimme drauf los.
Weiß selber noch keins, was es singet,
Singt jedes in anderem Ton;
Singt immer, ihr Kindlein, es dringet
Auch so zu dem himmlischen Thron.
Dort stehn eure Engel, die reinen,
Und singen dem Vater der Welt,
Der stets aus dem Munde der Kleinen
Am liebsten sein Lob sich bestellt.
[175]Singt immer; da drüben im Garten,
Da singt's in die Wette mit euch;
Die Vögelein sind es, die zarten,
Die zwitschern im jungen Gesträuch.
Singt immer; ihr singet im Glauben,
Das ist ja dem Heiland genug,
Ein Herz ohne Falsch wie die Tauben
Nimmt frühe gen Himmel den Flug.
Singt immer; wir singen, die Alten,
Und lesen die Schrift mit Verstand,
Und doch ach! wie hundertmal halten
Das Buch wir verkehrt in der Hand!
Singt immer; wir singen die Lieder
Nach Noten, so wie sich's gehört,
Und doch — vom Gezänke der Brüder
Wie oft wird der Einklang gestört!
Singt immer; aus irdischen Hallen
Der hehrste und herrlichste Chor,
Was ist er? ein kindisches Lallen,
Ein Hauch in des Ewigen Ohr!
Ich möchte heim
Hebr. 13, 14
Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Ich möchte heim, mich zieht's dem Vaterhause,
Dem Vaterherzen zu;
Fort aus der Welt verworrenem Gebrause
Zur stillen, tiefen Ruh;
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen,
Heim kehr' ich mit bescheidenem Verlangen,
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim?
Ich möchte heim.
Ich möchte heim, bin müd' von deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von deiner Freude,
Glückzu, wem sie gefällt
[176]Weil Gott es will, will ich mein Kreuz noch tragen,
Will ritterlich durch diese Welt mich schlagen,
Doch tief im Busen seufz' ich insgeheim:
Ich möchte heim.
Ich möchte heim; ich sah in sel'gen Träumen
Ein bess'res Vaterland,
Dort ist mein Theil in ewig lichten Räumen,
Hier hab' ich keinen Stand:
Der Lenz ist hin, die Schwalbe schwingt die Flügel
Der Heimat zu, weit über Thal und Hügel,
Sie hält kein Jägergarn, kein Vogelleim, —
Ich möchte heim.
Ich möchte heim; trug man als kleines Kindlein
Mich einst zu Spiel und Schmaus,
Ich freute mich ein leichtes kurzes Stündlein,
Dann war der Jubel aus;
Wenn sternhell noch der Brüder Auge blitzte,
In Spiel und Lust sich erst ihr Herz erhitzte,
Trotz Purpuräpfeln, goldnem Honigseim:
Ich wollte heim.
Ich möchte heim; das Schifflein sucht den Hasen,
Das Bächlein läuft ins Meer,
Das Kindlein legt im Mutterarm sich schlafen,
Und ich will auch nicht mehr;
Manch Lied hab' ich in Lust und Leid gesungen,
Wie ein Geschwätz ist Lust und Leid verklungen,
Im Herzen blieb mir noch der letzte Reim:
Ich möchte heim.
Die Ruinen
„Ach, wie ungemein poetisch
Die Ruinen auf den Höh'n!“
Fräulein, sie sind sehr ästhetisch;
Ja, Ruinen, die sind schön.
Und das Fräulein — drob geschmeichelt —
Fährt in der Extase fort
Während sie den Bulldog streichelt —
„Wie poetisch ist es dort!“
„Grüner Wald, das ew'ge Leben,
Immer sprossend, immer jung,
Und der greise Stein daneben:
Träumende Erinnerung!“
„Epheu schlingt sich um die Blöße,
Will sie grün erhalten noch;
O du Bild zerfall'ner Größe,
Wie poetisch bist du doch!“
Fräulein, Sie sind sehr ästhetisch;
Sie empfinden schön und wahr,
Und Sie sagen's so pathetisch,
Daß es selber mir wird klar.
Ja, ich sehe: auf den Höhen
Sind nur noch Ruinen da!
Wo die alten Zwinger stehen
Rauscht der Wald Hallelujah!
In die Burgen der Tyrannen
Drang der Geist zerstörend ein,
Trieb die Räuberbrut von dannen,
Warf hinunter Stein auf Stein.
Heil'ger Geist, du ein'ge Dreiheit,
Gott im Menschen, habe Dank!
Auf den Bergen schon ist Freiheit,
Herrscht im Thal auch noch der Zwang!
[183]Heiser schreien dort die Raben
Um den Schutt der Tyrannei:
Ihre Knochen sind begraben,
Und der Geist, der Geist ist frei!
Ja, mein Fräulein, gottvertrauend
Schau ich auf die stolzen Höh'n!
Hochpoetisch, herzerbauend
Sind Ruinen, wunderschön!
Wunderschön die düst'ren Mienen
Durch das grüne Laubgewind'!
Doch das Schönste an Ruinen
Ist, daß sie Ruinen sind!
Der Knabe aus Tyrol
Du kamst so frisch und fröhlich noch
Dort aus den Bergen her;
Was machte dir so balde doch
Dein armes Herz so schwer?
Fahr wohl, fahr wohl, fahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
Ich bin so gern an deinem Grab,
Ich war dir immer gut;
Und wenn ich dir's verheimlicht hab',
Mir fehlte nur der Muth,
Fahr wohl, fahr wohl, fahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
[192]Wo gern die Seele dir sich schwang
Ins ferne Heimathaus,
Da sinn' ich ganze Tage lang
Und sinn' es doch nicht aus.
Fahr wohl, fahr wohl, fahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
Erblickt' ich nicht den Hügel dein
Durch's schwarze Gitterthor,
Du könntest nicht so ferne sein,
Kommt mir's bisweilen vor.
Fahr wohl, fahr wohl, fahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
Ein Vöglein aus dem Zillerthal
Das flog uns gestern zu;
Das frägt vom Baum viel tausendmal:
„Was macht der Hirtenbu?“
Fahr wohl, fahr wohl, jahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
Ich sehe hin und könnte sehn
Bis in die Nacht hinein;
Könnt' ich für dich hinuntergehn
Und todt statt deiner sein! —
Fahr wohl, fahr wohl, fahr ewig wohl,
Du schöner Knabe aus Tyrol!
Stätte der Erinnerung
Ich sah an einem stillen Ort
Das Gras sich sacht erfrischen;
Ich sah ergrünen, was verdorrt,
Ich dacht' wol an ein Liebeswort;
Der Winter lag dazwischen.
Mein Herz, was wird dir gar so bang?
Die Blumen blühn aufs Neue
Und wieder tönt der Vogelsang;
Dir schien der Winter ja so lang;
Was quält dich Lieb' und Treue?
[196]Du siehst doch an der Sonne Licht
Den Wald sich schnell belauben;
Und sagt dir ein Vergißmeinnicht:
Ich lieb' dich, bis mein Auge bricht,
Du brauchst es nicht zu glauben.
Die Linde blüht am Waldessaum
Und deckt mit kühlem Schatten
Das stille Plätzchen unter'm Baum.
Wol kenn' ich's noch, es war ein Traum,
Den wir zusammen hatten.
Die Spuren such' ich vor dem Wald,
Wo wir im Gras gelegen.
Die Blätter sind herabgewallt;
Jetzt blühen Blümlein mannichfalt
Und lachen mir entgegen.
Grott grüß' dich, lieb' Blauveigelein!
Dir nebenan so gelbe,
Das muß ein Schlüsselblümchen sein.
Und bist du's nicht auch, Vögelein?
Ei doch, du bist dasselbe.
Ich sehe wol, die weite Welt
Ist ganz die alte blieben.
Ein Kuckuk Fastenpredigt hält:
Wenn dir das Scheiden nicht gefällt,
Was brauchst du dann zu lieben?
Des Kindes Scheiden
Über des Bettes Haupt flog säuselnden Fluges ein Engel,
Und des Unsterblichen Blick fiel auf das schlafende Kind.
Wie sein eigenes Bild im Spiegel silberner Wellen
Lächelt freundlich und hold an ihn die süße Gestalt.
Leise sinkt er herab, sich freuend der lieblichen Täuschung,
Und tritt lustigen Schritts neben das schlafende hin.
Ach! es schlummert so süß, und Unschuld und himmlischer Friede
Säuseln im Athem des Munds, ruhn auf der silbernen Stirn,
Kräuseln zum Heiligenschein des Hauptes goldene Locken,
Ruhn, wie ein Lilienzweig, in der gefalteten Hand.
Freundlich lächelt der Engel; doch bald umwölkt sich sein Antlitz,
[199]Trüb, mit brütendem Ernst, wendet er seufzend sich ab.
Er überschauet im Geist den Sturm der kommenden Tage,
Dem die Eiche nur steht, welcher die Blume zerknickt;
Rauschen hört er des Unglücks seelenmordende Pfeile,
Wider die Unschuld und Recht nur ein zerbrechlicher Schild;
Thränend sieht er das Aug', das weich die Wimper bedecket,
Und zerschlagen die Brust, die jetzt athmend sich hebt.
Banges Mitleid erfaßt die Seele des himmlischen Boten,
Fragend sieht er empor, und — der Allmächtige nickt.
Da umfängt er den Nacken, und küßt die zuckenden Lippen;
Spricht: „Sei glücklich, o Kind!“ — und — die Kleine war todt.
Am Hügel
O Hügel! sanft von Steinen aufgeschichtet,
Die saftig Gras und Alpenmoos umzieht,
Von deinem Haupt ein Baum emporgerichtet,
An dem die Vogelbeere glüht;
Indeß am Fuß in buntgemischter Reihe
Der Schwarzbeer' dunkle Frucht und helles Kraut
Hoch überragt von Weidrichs Veilchenbläue,
Dir einen Thron, sich eine Freistatt baut.
Wie schön blickst du herab von deiner Höhe,
Wie würdig stellst du dich dem Auge dar!
Der Wandrer steht entzückt in deiner Nähe,
Und sucht beinah nach Weihort und Altar.
Gewiß auch, rollten noch die alten Zeiten,
Da unentzweit der Gott und die Natur,
Ein Schutzgott würde hier sich Sitz bereiten,
Wo Gräser jetzt, hilflose Blumen nur.
Doch da ich solches kaum gewagt zu denken,
Straft Lügen mich ein schauerndes Gefühl; —
Ich fühle Geister sich herniedersenken
Und mich umlispeln in der Winde Spiel.
Erinn'rung kommt, der stillvertraute Zeuge.
Von dem, was einst das Glück mir hier verlieh,
Und, wie geschloßnen Augs ich mich hinüberbeuge,
An ihrer Hand die Poesie.
[200]An Helene
Wenn ein Herz verrathen worden,
Das mit erster Glut geliebt,
Kann es nimmer ganz gesunden,
Bleibt bis in den Tod betrübt.
Denn das Bild der Ungetreuen
Schwindet nie aus unsrer Brust:
Ob wir auch zu hassen wähnen,
Lieben wir doch unbewußt!
Magst du auch dem Wesen fluchen,
Das den Schwur der Treue brach,
Der Erinnerung Schmerzenstöne
Klingen stets von Neuem nach.
Und gar Manches, das uns früher
Lieblos und verwerflich schien,
Sehen wir in milderm Lichte,
Wenn die Leidenschaft dahin. —
Also ging es mir auch heute
Und nicht zürnend dacht' ich dein,
Dir vergebend und dich segnend,
Schlief ich unter Thränen ein.
[202]Abgelebt
Der Friedhof nimmt zu gleicher Zeit
Zwei neue Gäste auf;
Zwei Bursche sind's: wie schlossen die
So schnell den Lebenslauf!
Den Einen bringen Hunderte
In eine Gruft von Stein;
Den Andern scharrt man theilnahmslos
Mit andern Bettlern ein.
Und wie der Prunk vorüber war,
Die Menge sich verlor,
Wankt durch den dunklen Laubengang
Ein bleicher Bursche vor —
[203]Der lehnt sein Haupt so leidend, matt
An einen Leichenstein,
Starrt über beide Gräber hin
Und brummt in sich hinein:
„Und ob verschwärmt, ob abgehärmt —
Es geht auf Eins hinaus;
Ein Jeder ging den schnellsten Weg
Ins allerletzte Haus.
Der Eine dort, des Glückes Kind,
Starb in der Lüste Arm;
Der Andre, arme Teufel, hier,
Erlag der Noth, dem Harm.
Euch Beiden ward das gleiche Loos
Und gleiches Loos wird mir:
Ich bin entlaubt in Frühlingszeit,
Hab' ausgelebt wie ihr,
Ich bin verschwärmt und abgehärmt —
Es geht auf Eins hinaus —
Heut' oder morgen ruh' auch ich
Bei euch, im letzten Haus!“
An der Riviera di Levante
Das ist der Mond, der seine bleichen Feuer
Ob meinem Haupte einst zum Nil entsandte,
Er winkt und blinkt mir nun, ein ewig neuer,
Des Nachts an der Riviera di Levante.
Das sind dieselben silberhellen Sterne,
Die mich berauscht mit ihrem Zauberscheine,
Als ich im Frankenland, der Heimat ferne,
Tiefsinnend stand am Grab des Heinrich Heine.
[204]Das ist dieselbe Nacht, die mich umfangen,
Als mich die Reben grüßten in Madeira,
Dieselbe Nacht, die mir gekühlt die Wangen
Am Bosporus, im Frankenviertel Pera.
Es sind dieselben ewigen Gewalten,
Die stets den Sinn des Sterblichen berücken,
Und nie und nirgends schwinden, nie veralten —
Ein immerwährend, unfaßbar Beglücken! ...
In allen Landen und in allen Stunden
Bestrickt die nämliche Gewalt, die hehre,
Und nur der Mensch, der ihre Macht empfunden,
Vergeht, ein Tropfen in dem großen Meere.
Verschollenes Glück
Ich weiß ein Märchen, daß ein Wandrer kam
Zum Waldesgrund, da läutet' es wie Glocken,
Und eine Blume fand er wundersam
Und schmückte traumvoll seine braunen Locken.
Als er zurück zu Menschen kam voll Gram,
Bestaunten ihn die Leute fast erschrocken.
Die Welt war älter schon um hundert Jahre,
Und Keiner kannt' ihn mit dem Kranz im Haare.
So bist du meine Zauberblume auch,
Und von des Traumes Bann bin ich umfangen,
Ich weiß nicht mehr, was bei den Menschen Brauch,
Mir ist, als wären hundert Jahr' vergangen.
Ein Fremdling bin ich worden, denn ein Hauch
Des Alters weht in dieser Welt, der bangen.
Nur ich bin jung und fremd im blütenvollen
Lenzschmuck des Glücks wie vor der Welt verschollen.
[207]Drum kehr' ich nun auf immer heim zu dir,
Ein Einsiedler des Glücks im Waldesgrunde.
Vergessen will ich sein. Mir sprudelt hier
Des Lebens Quell und Heil für jede Wunde.
Dein Auge feuchten Strahles über mir,
Ein Flüstern weggeküßt von deinem Munde.
So mögen mir Jahrtausende verschwinden,
Zur Welt den Rückweg will ich nimmer finden.
Neuer Frühling
Und wieder kommt der Frühling reich und golden,
Und doch wie anders unter Blütendolden.
Gedenkst du noch der fremden Jahre, da
Ich täglich dich von ferne sah.
Da alles Glück nichts mehr als schüchtern Hoffen —
Ein Traum, ein Bangen, stets vom Schreck betroffen.
Nun halt' ich dich am Herzen warm und weich,
Wie fremd ward mir die Welt so schön und reich.
Mag brausen Wald und Flut in Wolkenstürmen,
Mir läutet's wie Festglockenklang von Thürmen.
Mag komme Winter und der Wälder Tod,
Mir leuchtet jeder Morgen frühlingsroth. —
Einst waren jene Stürme mir Gefährten,
Die einzigen Freunde, die in Leid bewährten
Vertraute, die mich jugendfrisch geheilt
Und meine stillen Freuden einst getheilt;
Was sind mir Stürme nun und Mondesnächte
Als fremde Öden, blinde Riesenmächte,
Die unverstanden walten. Du allein
Bist mir der Frühling, Sturm und Mondenschein,
Du bist die Welt mir, strahlenhell voll Frieden,
Bist mir ein Jenseit, erdenabgeschieden,
Selbst dunkle Schattenwelten will ich kühn
Mit dir durchwandern, und sie werden blühn.
Je älter du —
Je älter du, je voller wird dein Herz,
Doch wie ein Kirchhof nur, der voll von Todten,
Die ausgelitten ihren Erdenschmerz. —
Einst war es eine Au', von rosenrothen
Maiwolken überstrahlt, ein lust'ger Hain,
Wo dunkle Wipfel holden Schatten boten. —
Von Märchenblumen leuchtete der Rain,
In tiefer Waldnacht hundert Brunnen rauschten,
Auf Marmorgöttern blitzte Mondenschein. —
Das war dein junges Herz. Verstohlen lauschten
Gedanken, Phantasieen, welche kühn
Mit Gleichgesinnten reiche Rede tauschten.
Nun stehn Denkmale rings voll Immergrün —
Denkmale rings — begrabener Gedanken,
Begrabner Träume, die im Sturm verglühn.
Verscholl'ner Tage Pläne hier versanken,
Verscholl'ner Freude Namen stehn auf Stein,
Bedeckt von Moos und blumenreichen Ranken.
Zum Kirchhof ward des Herzens Jugendhain.
Beisammen liegt, was sündig war und wacker,
Je älter du, je voller wird er sein —
Das Menschenherz auch ist ein Gottesacker!
[209]Mannesthräne
Mädchen, sahst du jüngst mich weinen? —
Sieh, des Weibes Thräne dünkt
Mir der klare Thau des Himmels,
Der in Blumenkelchen blinkt.
Ob die trübe Nacht ihn weinet,
Ob der Morgen lächelnd bringt,
Stets doch labt der Thau die Blume
Und ihr Haupt hebt sie verjüngt.
[211]Doch es gleicht des Mannes Thräne
Edlem Harz aus Ostens Flur,
Tief in's Herz des Baums verschlossen,
Quillt's freiwillig selten nur.
Schneiden mußt du in die Rinde
Bis zum Kern des Marks hinein,
Und das klare Naß entträufelt
Dann so golden, hell und rein.
Bald zwar mag der Born versiegen,
Und der Baum grünt fort und treibt,
Und er grüßt noch manchen Frühling,
Doch der Schnitt, die Wunde — bleibt.
Mädchen, denk' des wunden Baumes
Auf des Ostens fernen Höh'n;
Denke, Mädchen, auch des Mannes,
Den du weinen hast gesehn.
Knospen
Sonnenglanz und Rosenduft,
Nachtigallgeschmetter!
Doch verirrt in Frühlingsluft
Flattern dürre Blätter.
Haben an den Zweigen lieb
Noch vom Herbst gehalten,
Doch der jungen Knospen Trieb
Drängt vom Platz die alten.
Junges Volk bei Tanz und Spiel
Jauchzt in grünen Hagen,
Doch ich seh' auch ihrer viel
Trauerflöre tragen.
Denn wie hier in Frühlingsluft
Welke Blätter stieben,
Sah ihr eig'ner Lenz zur Gruft
Welken theure Lieben.
Knospen find sie selber auch;
Ohn' es selbst zu ahnen,
Drängen sie nach Knospenbrauch,
Welkes aus den Bahnen.
Daß ihr eig'ner Lebensmai
Oben sich entfalte,
Daß er blüh' und klinge frei,
Muß hinab das Alte.
[213]Und wie dürren Laubes dringt
Mir durch's Mark ein Knistern,
Zu der Seele Tiefen ringt
Sein unheimlich Flüstern.
Rings von Knospen weich und sacht
Fühl' ich leises Drängen,
„Lebewohl!“ und „Raum gemacht!“
Tönt's aus Lenzgesängen.
Sonnenglanz und Rosenduft!
Nachtigallgeschmetter!
Und in solcher Frühlingsluft
Irren dürre Blätter!
Ja, mein Loos ist ihrem gleich,
Da wir erdwärts sinken,
Während ringsum freudenreich
Neue Lenze winken.
Sei ihr Trost der meine auch,
Daß im Niederwallen
Wir gewiegt vom Frühlingshauch
Nur in Blüten fallen!
Ein Begräbniß
Es weicht die Nacht und über'm Hügel
Glimmt rother Schein am Himmelssaum,
Noch birgt der Vogel unter'm Flügel
Sein träumend Haupt in weichem Flaum.
Nur leise schallen helle Stimmen,
Die bald verhallen über'm See,
Im Kloster sah ich Kerzen glimmen,
Und Nonnen gehn durch zarten Schnee.
Ein stiller Zug von wenig Schwestern;
Es stirbt das Nonnenkloster aus;
Davon verschied die jüngste gestern,
Man senkt sie in des Grabes Haus.
Darauf ein still Gebet der Frauen,
Doch keine heiße Thräne rinnt,
Kein Schluchzen tönt, und ist zu schauen
Kein trostberaubter Mann, kein Kind.
Es fallen leichte Flocken nieder,
Und nichts ist von dem Grab zu sehn,
Und weit und breit ist Stille wieder,
Und Tag wird's als ob nichts geschehn.
Vor einer Genziane
Die schönste der Genzianen fand ich
Einsam erblüht tief unten in kühler Waldschlucht.
O wie sie durchs Föhrengestrüpp
Heraufschimmerte mit den blauen, prächtigen Glocken!
Gewohnten Waldespfad
Komm' ich nun Tag um Tag
Gewandelt und steige hinab in die Schlucht
Und blicke der schönen Blume tief ins Aug' ...
Schöne Blume, was schwankst du doch
Vor mir in unbewegten Lüften so scheu,
So ängstlich?
Ist denn ein Menschenaug' nicht werth
Zu blicken in ein Blumenantlitz?
Trübt Menschenmundes Hauch
Den heiligen Gottesfrieden dir,
In dem du athmest?
Ach, immer wol drückt Schuld, drückt nagende Selbstanklage
Die sterbliche Brust und du, Blume, du wiegst
In himmlischer Lebensunschuld
Die wunderbaren Kronen:
Doch blicke nicht allzu vorwurfsvoll mich an!
Sieh, hab' ich doch Eines voraus vor dir:
Ich habe gelebt:
Ich habe gestrebt, ich habe gerungen,
Ich habe geweint,
Ich habe geliebt, ich habe gehaßt,
[220]Ich habe gehofft, ich habe geschaudert,
Der Stachel der Qual, des Entzückens hat
In meinem Fleische gewühlt,
Alle Schauer des Lebens und des Todes sind
Durch meine Sinne geflutet,
Ich habe mit Engelchören gespielt, ich habe
Gerungen mit Dämonen.
Du ruhst, ein träumendes Kind,
Am Mantelsaum des Höchsten; ich aber,
Ich habe mich emporgekämpft
Zu seinem Herzen,
Ich habe gezerrt an seinen Schleiern,
Ich hab' ihn beim Namen gerufen,
Emporgeklettert
Bin ich auf einer Leiter von Seufzern,
Und hab' ihm ins Ohr gerufen: „Erbarmung!“
O Blume, heilig bist du,
Selig und rein;
Doch heiligt, was er berührt, nicht auch
Der zündende Schicksalsblitz?
O blicke nicht allzu vorwurfsvoll mich an,
Du stille Träumerin;
Ich habe gelebt, ich habe gelitten!
O trockne diese Thräne nicht
O trockne diese Thräne nicht,
Die dir im Auge schimmert,
Der Perle gleich, die rein und licht
Im Kelch der Rose flimmert!
Die Liebe war's, die sie gebar,
Der sel'ge Schmerz der Liebe;
D'rum schimmert sie so wunderbar —
Ach, daß sie ewig bliebe!
Sie glänzt so rein, sie glänzt so hell,
Mich rührt ihr flüchtig Leben;
Ach, daß, was aus so heil'gem Quell
Geflossen, muß verschweben,
[221]Daß, was der reinsten Seele Schacht
Entblühte, schmerzumwittert,
Mit seines Glanzes Wunderpracht
Verschwindet und verzittert!
Sie glänzt so rein, sie glänzt so klar,
In deinem Aug', dem blauen,
Und immer lockt mich's wunderbar,
In ihren Glanz zu schauen!
Du schonst der Perle sonst, die licht
Im Kelch der Rose flimmert —
O trockne diese Thräne nicht,
Die dir im Auge schimmert!
Böhmische Elegie
Dreimal unselig Volk, dein Leid
Bewegt kein Herz mehr, daß es weine,
Es ist ein Leid aus alter Zeit
Und gleicht bemoostem Leichensteine.
Beweint wird Polens junges Weh,
Weil es in Warschau's Schutt noch glutet;
Du bist im Wald ein todtes Reh,
Das längst und langsam sich verblutet.
O Gott, die Weißenberger Schlacht
Erreicht wol Ostrolenka's Trauer,
Und die darauf gefolgt, die Nacht
Hat trüb're als Sibiriens Schauer.
[225]Ruhmlos zieht durch die Welt dein Gram —
Kein Dichter wagt es laut zu trauern,
Er fühlet seiner Knechtschaft Scham —
Die Harfe hängt an öden Mauern.
Musik, Musik, das Mägdlein mild,
Sie blieb allein noch deinen Söhnen,
Sie zieht ins weiteste Gefild
Und bettelt um des Mitleids Thränen.
Sie machet über Belt und Sund
Und zum Ohio Bettlerreisen,
Und singt und klagt die Herzen wund
Mit den geheimnißvollen Weisen.
Und wenn beim Klang der Normann weint,
Die Wilden sich der Thränen schämen,
Sie wissen nicht, daß sie, vereint,
Nur dich beklagen, armes Böhmen! —
An die Mutter
Nach der Krankheit der Mutter
Krank warst du, krank! — Und siegergroß
Stand schon der Tod an deinem Bette,
Indeß im warmen Lebensschooß
Ich mich gewiegt an ferner Stätte.
Ich schwelgte in der Sternenpracht,
Die heilungsvoll mein Herz durchzückte:
Es war dieselbe Mitternacht,
Die dich mit Leiden fast erdrückte.
O nimmermehr vergeb' ich's mir,
Daß ich in Ahnung nicht erkrankte,
Und daß ich nicht dem Tod mit dir,
Wenn auch entfernt, entgegen schwankte.
Und Sünde scheint mir, daß ich nicht
Mit dir geduldet in der Ferne,
Und daß mir nicht wie Grabeslicht
Geleuchtet damals alle Sterne.
[226]Und daß es mir nicht vorwurfsvoll
Herabgeweht von Busch und Bäumen,
Auf daß ich weinen, weinen soll —
Daß ich nicht starb in hundert Träumen.
Nicht eher ist die Schuld gesühnt,
Bis daß ich lieg' in deinen Armen,
Bis daß ich wieder unverdient
Am Mutterherzen darf erwarmen.
Gewisse Worte
O Worte gibt's, die nie verhallen!
Sie sind wie Steinchen, die gefallen
In einen Brunnen schwarz und tief,
Und die von Kant' zu Kante springen
Und stets von Neuem aufwärts klingen,
Wenn scheinbar längst ihr Ton entschlief.
Es sind die Worte, die sich senken
In unsers Herzens tiefen Schacht:
Aus der Vergessenheiten Nacht
Klingt ewig neu ihr Angedenken.
Ich kehrte heim nach langen Jahren;
Des Lebens Wucht hatt' ich erfahren,
Gekostet auch des Lebens Freude:
Mir meiner Jugend zahlt' ich beide.
Die Mutter hielt mich lang' umfangen,
Und als die erste Lust gestillt,
Sprach sie mit Tönen traurig-mild:
O Gott, wie blaß sind deine Wangen!
O Gott, wie blaß sind deine Wangen!
Es glückt mir nicht, aus meinem Herzen
Die Mutterworte auszumerzen,
Ob Jahre drüber hingegangen.
[227]Ob nun in Freude, ob in Leide
Der Wangen Frühling von mir scheide:
Die Worte sind mein treu Geleite.
Ich höre stets an meiner Seite
In Tönen, traurigen und bangen:
O Gott, wie blaß sind deine Wangen!
Und sitz' ich Nachts allein und schaue
Mit falt'ger Stirne düstrer Braue
Tief zu des Bechers goldnem Grunde,
Ist mir, als ob aus treuem Munde
Heraus die Klageworte klangen:
O Gott, wie blaß sind deine Wangen!
Fürwahr, ich glaube, wenn ich liege
Einst auf der schwarzen Todtenwiege,
Wo mich kein Menschenlaut mag stören: —
Ich werde noch die stillen, bangen
Und vorwurfsvollen Worte hören:
O Gott, wie blaß sind deine Wangen!
Seit sie gestorben
Seit sie gestorben, ist mir Eins gewiß:
Daß es ein Ewiges muß geben!
Denn über meines Herzens Riß
Fühl' ich ein ew'ges Leben schweben,
Seit sie gestorben.
Seit sie gestorben, bin ich stolz und kühn: —
Ich weiß es nun, was Herzen tragen!
Was sind mir fürder alle Müh'n?
Was gibt es ferner noch zu tragen,
Seit sie gestorben?
Seit sie gestorben, lebt im Herzen mir
Ein Bild der seligsten Verklärung,
Bin ich ein Baum, den für und für
Die Heil'ge schützet vor Zerstörung,
Seit sie gestorben.
[228]Seit sie gestorben, ist ein fester Wall
Der Einsamkeit um mich gezogen;
Vergebens ist der Überfall
Der Freude, die mich rings umwogen,
Seit sie gestorben.
Seit sie gestorben hat die tiefste Ruh'
Sich heimisch in mein Herz gesenket,
Die Seele schließt die Augen zu
Und ahnt und träumt mehr, als sie denket
Seit sie gestorben.
Im Kämmerlein
Ich sitze still im Kämmerlein — —
Ein wundersamer Schauer
Erfaßt mein Herz — die alte Lieb'
Naht mit der alten Trauer.
[229]Ich blicke auf im Dämmerlicht,
Dort hängt am kleinen Spiegel
Ein welker Kranz, den einst sie flocht
Auf unsrer Heimat Hügel.
Im Büchlein auf dem alten Tisch,
Dort liegt von ihrem Haare
Die Locke, die sie mir geschenkt,
Daß ich ihr Treu' bewahre.
Nun wende ich den Blick hinweg
Zur andern Wand daneben,
Dort hängt ihr Bild und es beginnt
Sogleich sich zu beleben.
Und mit ihm leben in mir auf
Gar wunderbare Lieder,
Es klingen leis' die Melodien
In meiner Seele wieder.
Und immer ist's der alte Ton,
Es sind die alten Weisen;
Und immer lauter bricht's hervor,
Mein treulos Lieb' zu preisen.
Das ist ein Klingen überall,
Es tönet auf und nieder — — —
O, hätte ich gesungen doch
Das letzte meiner Lieder.
Der Haß
Du armer Mann, der du so heiß geliebt
Dein theures Weib, das niemals dich betrübt,
Es starb dahin vor Elend und vor Noth;
Dein Sohn fand in der blut'gen Schlacht den Tod,
Du selbst bist hungernd, bist so krank, so blaß —
Was ist geblieben dir? — Es blieb der Haß.
[230]Das ist der Fluch, der auf der Arbeit ruht,
Das Zeichen Kains in blutig-rother Glut,
Das dem Enterbten auf der Stirne flammt,
Zu Siechthum ihn, zu Leid und Tod verdammt. —
Du kennest diesen Fluch, ohn' Unterlaß
Auf diesem Fluche ruht dein ganzer Haß.
Und die sich freuen über solchen Fluch,
Der die Enterbten bis in's Leichentuch
Verfolgt und hetzt in namenloser Pein —
Sie preisen ihn beim vollen Glase Wein,
Weil er für sie die Scheuer füllt, das Faß —
Auf diesen Jubel wirf du deinen Haß.
Wie schön ist doch die Erde, o wie schön!
Noch blickt man sehnsuchtsvoll nach Himmelshöh'n;
Doch hier auf Erden ist das Paradies
Vom Augenblick, da uns der Fluch verließ —
Wir wollen bannen diesen Fluch, auf daß
Zur heil'gen Liebe werde unser Haß.
Der Südwind
Wie melancholisch stöhnt der Wind,
Der heiß von Süd herüberstürmt:
Er kommt wol aus der falben Wüste
Von Lybiens, von Egyptens Küste,
Wo sich der stolze Atlas thürmt.
Er schwellte wol den gelben Nil,
Durchwühlt die Königsgruft, die alte,
Und selbst die Sphinx, die ewig kalte,
Erglüht bei seinem wilden Spiel.
Er kränzt das Mittelmeer mit Schaum,
Er treibt die aufgebäumte Welle
Weit über die Tyrrhener Schwelle,
Er reißt die goldne Frucht vom Baum.
Fort geht es dann im vollen Lauf
Den finstern Alpenpaß hinauf;
Da schmilzt an den vereisten Hörnern
Der Schnee, geballt zu starren Körnern;
Germaniens Flur durcheilt er schnell,
Und siehe, selbst der Rhein, der hehre,
Beschleunigt seinen Schritt zum Meere.
Ruh' aus, du Wüstensohn, in unsern Lauben,
Küss' dich an diesen Rosen satt! ...
Schon wird er still, er haucht nur matt,
Sein letzter Odem reifte diese Purpurtrauben!
Doch nein, jetzt stöhnt er bang und hohl,
Er rafft sich auf, er eilt, er flieht!
Willst du hinan zum fernen Pol,
Wo hell des Nordlichts Krone glüht,
Wo sich das Meer, wie Silber weiß,
Ein endlos Chaos dehnt von Eis?
[232]Da starrt dein Flügel, feucht vom Thau,
Es stockt dein Athem, duftig lau,
Er wird zu Tropfen kalt und schwer —
Die Schwingen rührst du nimmermehr.
Wie melancholisch ächzt der Wind,
Er kommt aus Lybiens sand'ger Öde,
Kommt von Egyptens gelber Rhede,
Ein ruheloses Wüstenkind!
Ballade
Der Knabe träumt, man schicke ihn fort,
Mit dreißig Thalern zum Haideort,
Er ward drum erschlagen am Wege,
Und war doch nicht langsam und träge.
Noch liegt er im Angstschweiß, da rüttelt ihn
Sein Meister und heißt ihm, sich anzuziehn,
Und legt ihm das Geld auf die Decke
Und fragt ihn, warum er erschrecke.
„Ach Meister, mein Meister, sie schlagen mich todt,
Die Sonne, sie ist ja wie Blut so roth!“
„Sie ist es für dich nicht alleine,
Drum schnell, sonst mach' ich dir Beine!“
„Ach Meister, mein Meister, so sprachst du schon,
Das war das Gesicht, der Blick, der Ton,
Gleich greifst du“ — zum Stock, will er sagen,
Er sagt's nicht, er wird schon geschlagen.
„Ach Meister, mein Meister, ich geh, ich geh,
Bring' meiner Mutter das letzte Ade!
Und sucht sie nach allen vier Winden,
Am Weidenbaum bin ich zu finden!“
[233]Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,
Die Haide, nebelnd, gespenstiglich!
Die Winde darüber sausend:
„Ach, wär' hier Ein Schritt, wie tausend!“
Und Alles so still, und Alles so stumm,
Man sieht sich umsonst nach Lebend'gem um,
Nur hungrige Vögel schießen
Ans Wolken, um Würmer zu spießen.
Er kommt ans einsame Hirtenhaus,
Der alte Hirt schaut eben heraus,
Des Knaben Angst ist gestiegen,
Am Wege bleibt er noch liegen.
„Ach Hirte, du bist ja von frommer Art,
Vier gute Groschen hab' ich erspart,
Gib deinen Knecht mir zur Seite,
Daß er bis zum Dorf mich begleite.
Ich will sie ihm geben, er trinke dafür
Am nächsten Sonntag ein gutes Bier;
Dies Geld hier, ich trag' es mit Beben,
Man nahm mir im Traum drum das Leben!“
Der Hirt, der winkte dem langen Knecht,
Er schnitt sich eben den Stecken zurecht,
Jetzt trat er hervor — wie graute
Dem Knaben, als er ihn schaute!
„Ach Meister Hirte, ach nein, ach nein,
Es ist doch besser, ich geh' allein!“
Der Lange spricht grinsend zum Alten:
„Er will die vier Groschen behalten.“
„Da sind die vier Groschen!“ Er wirft sie hin
Und eilt hinweg mit verstörtem Sinn.
Schon kann er die Weide erblicken,
Da klopft ihn der Knecht in den Rücken.
[234]„Du hältst es nicht aus, du gehst zu geschwind,
Ei, Eile mit Weile, du bist ja noch Kind,
Auch muß das Geld dich beschweren,
Wer kann dir das Ausruhn verwehren!
Komm, setz' dich unter den Weidenbaum,
Und dort erzähl' mir den häßlichen Traum,
Ich träumte — Gott soll mich verdammen,
Trifft's nicht mit deinem zusammen!“
Er faßt den Knaben wol bei der Hand,
Der leistet auch nimmermehr Widerstand,
Die Blätter flüstern so schaurig,
Das Wässerlein rieselt so traurig!
Nun sprich, du träumtest — „Es kam ein Mann“ —
War ich das? Sieh mich doch näher an,
Ich denke, du hast mich gesehen!
Nun weiter, wie ist es geschehen?
„Er zog ein Messer!“ — War das, wie dies? —
„Ach ja, ach ja!“ — Er zog's — „Und stieß“ —
Er stieß dir's wol so durch die Kehle?
Was hilft es auch, daß ich dich quäle!
Und fragt ihr, wie's weiter gekommen sei?
So fragt zwei Vögel, sie saßen dabei,
Der Rabe verweilte gar heiter,
Die Taube konnte nicht weiter!
Der Rabe erzählt, was der Böse noch that,
Und auch, wie's der Henker gerochen hat;
Die Taube erzählt, wie der Knabe
Geweint und gebetet habe.
Das Kind am Brunnen
Frau Anne, Frau Anne, das Kind ist erwacht!
Doch die legt ruhig im Schlafe.
Die Vögel zwitschern, die Sonne lacht,
Am Hügel weiden die Schafe.
[235]Frau Anne, Frau Anne, das Kind steht auf,
Es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
Da stehen Blumen und Kräuter.
Frau Anne, Frau Anne, der Brunnen ist tief!
Sie schläft, als läge sie drinnen!
Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
Die Blumen locken's von hinnen.
Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
Nun pflückt es die Blumen sich munter;
Doch bald ermüdet das reizende Spiel,
Da schaut's in die Tiefe hinunter.
Und unten erblickt es ein holdes Gesicht,
Mit Augen so hell und so süße.
Es ist sein eignes, das weiß es noch nicht,
Viel stumme, freundliche Grüße!
Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
Winkt aus der Tiefe ihm wieder.
Herauf! herauf! so meint's das Kind,
Der Schatten: hernieder! hernieder!
Schon beugt es sich über den Brunnenrand.
Frau Anne, du schläfst noch immer!
Da fallen die Blumen ihm aus der Hand
Und trüben den lockenden Schimmer.
Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
Verschluckt von der hüpfenden Welle.
Das Kind durchschauert's fremd und kalt,
Und schnell enteilt es der Stelle.
Auf ein altes Mädchen
Dein Auge glüht nicht mehr, wie einst,
Und deine Wang' ist nicht mehr roth,
Und wenn du jetzt vor Sehnsucht weinst,
So gilt es keinem, als dem Tod.
[236]Nichts bist du, als ein Monument,
Das, halb verwittert und gering,
Nur kaum noch einen Namen nennt,
Mit dem ein Leben unterging.
Doch, wie hervor die Todten gehn
Aus ihrer Gruft in mancher Nacht,
Darfst du zuweilen auferstehn
Zu altem Glanz und alter Pracht,
Wenn tief dich ein Gefühl ergreift,
Wie es vielleicht dich einst bewegt,
Und dir den Schnee vom Herzen streift,
Der längst sich schon darauf gelegt.
Dann bist du wieder wie zuvor,
Und was die Mutter einst entzückt,
Wodurch du der Gespielen Chor
Einst anspruchslos und still beglückt,
Das Alles ist noch einmal dein,
Von einem Wunderstrahl erhellt,
Gleichwie vom späten Mondenschein
Die rings in Schlaf begrab'ne Welt.
Mir aber wird es trüb zu Muth,
Mir sagt ein unbekannter Schmerz,
Daß tief in dir verschlossen ruht,
Was Gott bestimmt hat für mein Herz,
Und will's dann hin zu dir mich ziehn,
Ach, mit allmächtiger Gewalt,
So muß ich stumm und blutend fliehn,
Denn du bist wieder todt und kalt.
Die Mutter lag im Todtenschrein
Die Mutter lag im Todtenschrein,
Zum letzten Mal geschmückt;
Da spielt das kleine Kind herein,
Das staunend sie erblickt.
[237]Die Blumenkron' im blonden Haar
Gefällt dem Kindlein sehr,
Die Busenblumen, bunt und klar,
Zum Strauß geweiht, noch mehr.
Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
Du liebe Mutter, gib
Mir eine Blum' aus deinem Strauß,
Ich hab' dich auch so lieb!
Und als die Mutter es nicht thut,
Da denkt das Kind für sich:
Sie schläft, doch wenn sie ausgeruht,
So thut sie's sicherlich.
Schleicht fort, so leis' es immer kann,
Und schließt die Thüre sacht,
Und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
Ob Mutter noch nicht wacht.
Fragen
Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer,
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voll Wehmuth, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:
„O löst mir das Räthsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Räthsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter —
Sagt mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?“
Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.
An die Engel
Das ist der böse Thanatos,
Er kommt auf einem fahlen Roß;
Ich hör' den Hufschlag, hör' den Trab,
Der dunkle Reiter holt mich ab —
Er reißt mich fort, Mathilden soll ich lassen,
O, den Gedanken kann mein Herz nicht fassen!
Sie war mir Weib und Kind zugleich,
Und geh' ich in das Schattenreich,
Wird Wittwe sie und Waise sein!
Ich lass' in dieser Welt allein
Das Weib, das Kind, das, trauend meinem Muthe,
Sorglos und treu an meinem Herzen ruhte.
[245]Ihr Engel in den Himmelshöhn,
Vernehmt mein Schluchzen und mein Flehn;
Beschützt, wenn ich im öden Grab,
Das Weib, das ich geliebet hab';
Seid Schild und Vögte eurem Ebenbilde,
Beschützt, beschirmt mein armes Kind, Mathilde.
Bei allen Thränen, die ihr je
Geweint um unser Menschenweh,
Beim Wort, das nur der Priester kennt
Und niemals ohne Schauder nennt,
Bei eurer eignen Schönheit, Huld und Milde,
Beschwör' ich euch, ihr Engel, schützt Mathilde.
Wildniß
Aus Schauern der Vergangenheit,
Mahnt ernst hier das Naturgebot,
Daß mit Jahrtausenden die Zeit,
Und mit dem Leben ringt der Tod.
Und wenn ein Sonnenstrahl die Spur
Sich bricht in dieses Dickichts Nacht,
Dann ist's, als ob in der Natur
Ein geistig Leben neu erwacht.
Und liegt der Bach auch wellenlos,
Gleich wie ein Herz im Weh erstarrt,
Scheint thränenschwer das dunkle Moos,
Als ob's der Auferstehung harrt.
So lebt's doch heimlich rings umher,
Ans Wurzeln gräbt sich Leben vor,
In Wipfeln rauscht's und athmet schwer,
An Stämmen grünt's und blüht's empor.
Die Schatten schweben still vorbei,
Gedanken gleich aus ferner Zeit.
Nur hie und da ein Vogelschrei,
Wie Lebensruf der Einsamkeit.
[249]Wenn die Schwalben heimwärts ziehn —
Wenn die Schwalben heimwärts ziehn
Und die Rosen nicht mehr blühn,
Wenn der Nachtigall Gesang
Mit der Nachtigall verklang,
Fragt das Herz in bangem Schmerz:
Ob ich dich auch wieder seh'?
Scheiden, ach, Scheiden thut weh!
Wenn die Schwäne südlich ziehn,
Dorthin, wo Citronen blühn,
Wenn das Abendroth versinkt,
Durch die grünen Wälder blinkt,
Fragt das Herz in bangem Schmerz:
Ob ich dich auch wieder seh'?
Scheiden, ach, Scheiden thut weh!
[250]Armes Herz, was klagest du?
O, auch du gehst einst zur Ruh'.
Was auf Erden muß vergehn! —
Gibt es wol ein Wiedersehn?
Fragt das Herz in bangem Schmerz.
Glaub', daß ich dich wieder seh',
Thut auch heut' das Scheiden so weh!
Adam
Wie oft durchmaß ich doch mit müdem Schritt
Das Paradies bis hin zu seinen Schranken,
Jedwedem Ding erzählten was ich litt
In meinem Mund die klingenden Gedanken!
Die stolze Sonne wußte keinen Rath,
Und Mond und Sterne gingen ihre Wege,
Die Wolke schwamm davon auf blauem Pfad,
Der Wind entschwand im Hain auf grünem Stege.
An den Gewässern hab' ich oft geruht,
Und wenn die Wellen mir vorüberrannen,
Sucht' ich mein Bildniß in der klaren Flut,
Daß ich mich selbst mir deute, festzubannen.
Und wieder hab' die Blumen ich geküßt,
Ich sprach: Habt ihr von mir nicht eure Namen?
Sagt, bunte Lippen, wie mein Name ist,
Wie der sich nennt, von dem die euren kamen!
Kein Mund ward aufgethan. Ich schlich mich fort,
Und unter Bäumen lauscht' ich den Gesängen
Der Nachtigall, ob das geheime Wort
Verborgen sei in ihren süßen Klängen.
[251]Doch sinnlos schien gar bald der holde Laut,
Sinnlos, was mir des Waldes Thiere sagten,
Verwundert haben sie mich angeschaut
Und ahnten nicht, was mich für Schmerzen plagten.
Da warf ich traurig mich zur Erde hin:
„Jegliches Ding nannt' ich nach feiner Weise —
Ich aber, ach! ich weiß nicht, wer ich bin,
Ich aber, ach! ich weiß nicht, wie ich heiße!“
Und als ich weinend lag in solcher Noth,
Umschattete mich plötzlich tiefer Schlummer,
Und eines Traumes Wonnezauber bot
Ein endlich Labsal meinem herben Kummer.
Wie lang' ich da geschlafen, weiß ich nicht!
Mein Aug' erschrack, als ich vom Schlaf erwachte,
Als aus den Lüften mir ein Angesicht,
Des meinen Spiegelbild, entgegenlachte. —
Nur lieblicher und freundlicher zu sehn,
Von einem ew'gen Morgenroth umflogen
Das Wangenpaar, die Lippen rosenschön,
Der Athem hob zwei lilienweiße Wogen.
Und ich umfing und nannte diesen Leib —
Da, Wunder! durft' ich endlich dich erleben,
In meiner eignen Sprache hat das Weib
Die heißgewünschte Antwort mir gegeben!
Gestillt ward meiner Seele durst'ger Harm,
Und ich vergaß die einsam langen Stunden;
Umschlungen liebend von des Weibes Arm
Hat seinen Namen auch der Mann gefunden.
[252]Der Gang um Mitternacht
Ich schreite mit dem Geist der Mitternacht
Die weiten stillen Straßen auf und nieder —
Wie hastig ward geweint hier und gelacht
Vor einer Stunde noch! ... Nun träumt man wieder.
Die Lust ist, einer Blume gleich, verdorrt,
Die tollsten Becher hörten auf zu schäumen,
Es zog der Kummer mit der Sonne fort,
Die Welt ist müde — laßt sie, laßt sie träumen!
Wie all mein Haß und Groll in Scherben bricht,
Wenn ausgerungen eines Tages Wetter,
Der Mond ergießet sein versöhnend Licht,
Und wär's auch über welke Rosenblätter!
Leicht wie ein Ton, unhörbar wie ein Stern,
Fliegt meine Seele um in diesen Räumen;
Wie in sich selbst, versenkte sie sich gern
In aller Menschen tiefgeheimstes Träumen!
Mein Schatten schleicht mir nach wie ein Spion,
Ich stehe still vor eines Kerkers Gitter.
Vaterland, dein zu getreuer Sohn,
Er büßte seine Liebe bitter, bitter!
Er schläft — und fühlt er, was man ihm geraubt?
Träumt er vielleicht von seinen Eichenbäumen?
Träumt er sich einen Siegeskranz um's Haupt? —
O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!
Gigantisch thürmt sich vor mir ein Palast,
Ich schaue durch die purpurnen Gardinen,
Wie man im Schlaf nach einem Schwerte faßt,
Mit sündigen, mit angstverwirrten Mienen.
Gelb, wie die Krone, ist sein Angesicht,
Er läßt zur Flucht sich tausend Rosse zäumen,
Er stürzt zur Erde, und die Erde bricht —
O Gott der Rache, laß ihn weiter träumen!
[253]Das Häuschen dort am Bach — ein schmaler Raum!
Unschuld und Hunger theilen drin das Bette.
Doch gab der Herr dem Landmann seinen Traum,
Daß ihn der Traum aus wachen Ängsten rette;
Mit jedem Korn, das Morpheus' Hand entfällt,
Sieht er ein Saatenland sich golden säumen,
Die enge Hütte weitet sich zur Welt —
O Gott der Armuth, laß die Armen träumen!
Beim letzten Hause auf der Bank von Stein
Will segenflehend ich noch kurz verweilen;
Treu lieb' ich dich, mein Kind, doch nicht allein,
Du wirst mich ewig mit der Freiheit theilen.
Dich wiegt in goldner Luft ein Taubenpaar,
Ich sehe wilde Rosse nur sich bäumen;
Du träumst von Schmetterlingen, ich vom Aar —
O Gott der Liebe, laß mein Mädchen träumen!
Du Stern, der, wie das Glück, aus Wolken bricht!
Du Nacht, mit deinem tiefen stillen Blauen,
Laß der erwachten Welt zu frühe nicht
Mich in das gramentstellte Antlitz schauen!
Auf Thränen fällt der erste Sonnenstrahl,
Die Freiheit muß das Feld dem Tage räumen,
Die Tyrannei schleift wieder dann den Stahl —
O Gott der Träume, laß uns alle träumen!
Der Gefangene
1839—1840
Zehn Jahre! seit den letzten Vogel ich
Im Blütenwald sein Liedchen schlagen hörte;
Zehn Jahre! seit der blaue Himmel sich
Zum letzten Male meinem Blick bescheerte:
Zehn Jahre! was ist weiter dein Begehr?
Kann meine Wange sich noch blässer färben?
Sieh, diese Hand bricht keine Kronen mehr;
Laß, König, laß mich in der Freiheit sterben!
[254]Zehn Jahre! meine Sehnen sind erschlafft,
Mein Auge kann die Kette nicht mehr sehen;
O zittre nicht! Kaum hab' ich noch die Kraft,
Zwei Schritte bis zum Grabe hinzugehen.
Ein Herr der Welt, und dein ein zahllos Heer! —
Und ich ein kranker Mann, ein Bau in Scherben —
Nein! diese Hand bricht keine Kronen mehr;
Laß, König, laß mich in der Freiheit sterben!
Zehn Jahre hat in dieser Kerkergruft
Mein Herz so treu dem Tode zugeschlagen;
Zehn Jahre! jetzt, o jetzt nur soviel Luft,
Gen Himmel eine Seele hinzutragen!
Ein wenig Luft! ei fällt dir das so schwer?
Willst du schon wieder neue Söldner werben?
Sieh, diese Hand bricht keine Ketten mehr;
Laß, König, laß mich in der Freiheit sterben!
Zehn Jahre haben meinen Muth geknickt
Und meines Lebens Blüte mir genommen,
Man hat das Lied mir in der Brust erstickt,
Der letzte Funken ist schon längst verglommen.
Und noch nicht? Sprich, was weiter dein Begehr?
Kann meine Wange sich noch blässer färben?
Sieh, diese Hand bricht keine Kronen mehr;
Laß, König, laß mich in der Freiheit sterben!
Ich möchte hingehn wie das Abendroth
Ich möchte hingehn wie das Abendroth,
Und wie der Tag mit seinen letzten Gluten —
O leichter, sanfter, ungefühlter Tod! —
Mich in den Schooß des Ewigen verbluten.
Ich möchte hingehn wie der heitre Stern,
Im vollsten Glanz, in ungeschwächtem Blinken;
So stille und so schmerzlos möchte gern
Ich in des Himmels blaue Tiefen sinken.
[255]Ich möchte hingehn wie der Blume Duft,
Der freudig sich dem schönen Kelch entringet
Und auf dem Fittig blütenschwangrer Luft
Als Weihrauch auf des Herren Altar schwinget.
Ich möchte hingehn wie der Thau im Thal,
Wenn durstig ihn des Morgens Feuer winken;
O wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,
Auch meine lebensmüde Seele trinken!
Ich möchte hingehn wie der bange Ton,
Der aus den Saiten einer Harfe dringet
Und, kaum dem irdischen Metall entflohn,
Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.
Du wirst nicht hingehn wie das Abendroth,
Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,
Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,
Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.
Wol wirst du hingehn, hingehn ohne Spur,
Doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen;
Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,
Das arme Menschenherz muß stückweis brechen.
Lied von Sorrent
Wie die Tage so golden verfliegen,
Wie die Nacht sich so selig verträumt,
Wo am Felsen mit Wogen und Wiegen
Die gelandete Welle verschäumt,
Wo sich Blumen und Früchte gesellen,
Daß das Herz dir in Staunen entbrennt;
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Und die Nacht, wenn so süß Luisella
Ihre lachenden Lieder uns singt,
Und der Taumel der Lust, Tarantella,
Wie ein Flämmchen im Sturme sich schwingt;
An der Bucht sich die Gärten erhellen
Unterm leuchtenden Nachtfirmament —
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Hier entrinnst du der Sorgen Getriebe
Und es trägt dich auf Händen die Lust,
Und sogar das Gedächtniß der Liebe —
Hier beschleicht es gelinder die Brust.
Und du tauchst in die heilenden Ouellen,
In des heiligen Meers Element —
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Auch der tobenden Stürme Getümmel,
Hier belebt es nur Blüten zu Hauf,
Und es lösen die Wetter am Himmel
In ein fruchtbar Geriesel sich auf.
Wenn die Früchte, die herbstlichen, schwellen,
Ach wie weit, ach wie bin ich getrennt!
Dann ade, o du Blüte der Wellen,
Dann ade, du mein schönes Sorrent!
[258]Verschließ' dich nur, du seltsam Kind
Verschließ' dich nur, du seltsam Kind,
Sei spröd' und stumm zu jeder Frist!
Deine Augen, die so glänzend sind,
Verrathen doch, wie reich du bist.
Seh' ich dich an, kommt mir zu Sinn
Das Märlein von der alten Stadt:
Ein tiefer Brunnen lag darin,
Draus Keiner noch getrunken hatt'.
Er war so tief, so wundertief,
Ließ man ein Becherlein hinab,
Der Faden viele Stunden lief,
Und reichte doch den Grund nicht ab.
Da kam des Wegs ein Musikant,
Der sah den Brunn und trat herzu,
Und nahm sein Geigenspiel zur Hand,
Und spielt' ein Stück und sang dazu.
Und horch! da rauscht' es wundervoll
Und wogt herauf und sprudelt frisch,
Und lieblich kühl Gewässer schwoll
Klar über den Rand verschwenderisch.
Der Spielmann trank in hoher Lust
Und lud auch all' die Andern ein.
O wer die Flut zu lösen wußt',
Wie überselig mußt' er sein!
[259]I. Eleonore von Poitou
Vaganten-Lieder
Lässest mir fürder keine Ruh'
Leonore von Poitou,
Angliae regina!
Schönste du in nah und fern,
Von Paris bis nach Palern,
Von Mailand bis Messina.
Die du trägst die Königskron',
Ach, wie süßen Liebeslohn
Gibst du deinen Treuen!
Stand ich vor Westminsters Thür,
Als du Stolze schrittst herfür,
Lust für Pfaffen und Laien!
Beugten sich die stolzen Herrn
Vor dem lichten, hohen Stern
Ihrer Königinne.
Armer, fahrender Scholar,
Sog ich aus deinem Augenpaar
Glühenden Trank der Minne.
Und dem Kämmrer winktest du,
Leonore von Poitou,
Nicht lange durft' ich warten.
Dunkel war die Sommernacht,
Nur des Mondes bleiche Pracht
Schien im blühenden Garten.
Fragtest mich, was besser sei
Denn ein Kuß; da sprach ich: zwei!
Vivat haec doctrina!
Deutlich sagte dir mein Kuß:
Nulla mulier placet plus
Angliae regina.
[260]Heimliche Minne, die ist gut —
Königinne, sei auf der Hut
Vor der Kläffer Neide!
Ach, es tagte, — du flohest schnell;
„Nun Ade, mein Trautgesell',
Liebe wird zu Leide.“
Das einst grün — gelb ward das Blatt!
Herbstwind pfeift ein Pereat
Ratio et doctrina!
Lässest mir fürder keine Ruh',
Leonore von Poitou,
Angliae Regina!
Wär' die Welt alle mein,
Von dem Meer bis an den Rhein,
Ich wollt' sie drum geben und darben:
So, die mir das Herz entwand,
Die Königin von Engelland,
Läge in meinen Armen!
II. Die junge Nonne
Vaganten-Lieder
An des Altares Stufen
Höre zu dir mich rufen,
Sieh mich knieen hier:
Mater Salvatoris,
Pie fons amoris,
Neige dein Ohr zu mir!
Krank und zerschlagen ist mein Sinn,
Seit ich von ihm geschieden bin;
Die Locken, die er küßte so gern,
Sie schnitten sie ab zum Lobe des Herrn.
Klag' ich's Sanct Marien?
Soll mein Leib verblühen
Bei dem frommen Brauch?
Mater Salvatoris,
Pie fons amoris,
Liebtest du nicht auch?
[261]Der meiner jungen Minne genoß,
Der Vagant sich tief in mein Herze schloß:
Verloren ist, ach! das Schlüsselein,
Nun muß er immer darinnen sein!
Rinnen meine Thränen,
Wer stillt mir das Sehnen?
Trauter, du bist fern!
Mater Salvatoris,
Pie fons amoris,
Tröste, heller Stern!
Es maiet draußen, der Frühling ist da,
Weiß kaum, o mein Herze, wie mir geschah!
Die Nachtigall locket mit süßem Ton,
Frau Nachtigall, stille, ich komme ja schon.
Weh! Ich bin gefangen,
Fruchtlos mein Verlangen,
Vöglein höhnet mich!
Mater Salvatoris,
Pie fons amoris,
Neig' dich gnädiglich!
Ich breche das Gitter, ich schwing' mich hinab:
Drauß' harret mein schöner, mein blühender Knab'!
Ade nun ihr Mauern, im Arm er mich hält:
Auf feurigem Rosse geht's weit in die Welt!
III. Die blaue Blume
Vaganten-Lieder
Aus fernen Landen kehr' ich heim:
Gruß Gott, ihr Blumen, du Sonnenschein!
Im Dunkel war ich lange.
Nun lacht mein Aug', stolz ist mein Gang:
Ihr Buben stark, ihr Mädchen schlank,
Ich grüß' euch mit Gesange!
ja Sange!
Wißt ihr, was das für Fremde war,
Die ich durchwandert manches Jahr,
Und nimmer konnt' ergründen?
[262]Aus Pergament und Todtenbein,
So lehrte mich der Meister mein
Den Stein der Weisen finden!
ja finden!
War thöricht ich, jetzt bin ich klug,
Des Staubes ist es schier genug,
Laßt kühlen Trunk mir reichen!
Kling' an den Becher, so ist's Brauch,
Du stolze Maid mit hellem Aug', —
Kein Demant thut dem gleichen,
ja gleichen!
Herr Mai, so kränze mir das Haar!
Ich fand die blaue Blume fürwahr,
Küß mich, du Maid vom Lande!
Schön Elsemut setz' auf den Kranz,
Beim Govenanz und Ridewanz,
Schlag' mich in feste Bande,
ja Bande!
Weit in die Lande möcht' ich ziehn,
Die Vögel singen, die Blumen blühn,
Es duften süß die Linden.
Das Lied, es klingt mir immerdar:
Ich fand die blaue Blume fürwahr,
So will ich's laut verkünden,
ja künden!
IV. Der Vagant auf der Kreuzfahrt
Vaganten-Lieder
Ich ritt durch glutgedörrten Sand,
Auf meinem Roß die schönste Beute;
Jerusalem in uns'rer Hand,
Und Saladin stob in die Weite.
Heiß war der Pfad durch Wüstenei'n,
Durch Thäler, Städte, Palmenhaine.
Gold nahm ich nicht, von Blut ist rein
Die Hand mir — doch du bist die Meine!
[263]Du, die du lehnst im Sattel mir,
Die ich mit meinem Arm umschlinge,
Du schöne Tochter Juda's — hier
Sei sicher, dich schirmt meine Klinge.
Dich rettet' ich aus wildem Schwarm,
Der deiner Mädchenblüte drohte;
Besorge nichts, leg' in den Arm
Die Wange mir, die glühend rothe.
Vorwärts, mein Roß, durch Wald und Flur!
Schon winken uns Antiochiens Zinnen;
Der Abend dämmert, die Natur
Will ruhn, laß uns die Stadt gewinnen! —
Du schaust mich fragend an, warum
Ich dich der schnöden Schmach entrissen?
Weil schön du bist — doch nein, darum
War's wahrlich nicht; du sollst es wissen ...
In Deutschland war's, im fernen Land,
Wo Eichen stehn, wie hier Cypressen,
Da wandert' ich, ein junger Fant,
Durch's Land — ich werd' es nie vergessen! —
Mein Lied ertönte weit und breit,
Gern sahen mich die muntern Dirnen,
Die Burschen waren ohne Neid —
Wer mochte dem Vaganten zürnen?
Und doch — es war ein wilder Tag,
Ich hatt' mein Blut mir heiß gesungen,
Als Nachts in meinen Armen lag
Ein Weib, das mein Gesang bezwungen;
Schwarzäugig, dunkel war ihr Blick,
In üpp'ger Fülle blüh'nder Glieder;
O warme Nacht! O stilles Glück!
Kein Schlaf kam da auf meine Lider.
Jüdin war sie, von deinem Stamm;
Sie küßte heiß wie eure Sonne —
Als plötzlich jäh ein greiser Mann
Zornfunkelnd störte uns're Wonne.
[264]Er fluchte mir — es war sein Kind,
Sein Kleinod, das er treu behütet;
Er fluchte mir; doch leis und lind
Sprach er zu ihr, der mir gewüthet.
Sie floh mit ihrem Vater schnell
Und wandt' den Blick, den thränenschweren;
Ich armer fahrender Gesell,
Wann wird ihr Blick mir wiederkehren?
Als wir auf Salems Mauer heut'
Mit süßer Beute uns beluden,
Da dacht' ich an das Herzeleid,
Das ich gethan dem greisen Juden.
Sei heiter, Mädchen schau' mich an,
Du weißt, warum ich dich gerettet,
Warum ich ruhn nicht will fortan,
Bis ich dich sicher hab' gebettet.
Das du zerfetzt hier siehst, dies Tuch,
Es gab mir einst des Ostens Rose.
Gesühnt ist nun des Juden Fluch,
Glück auf! Ich spreng' in's Kriegsgetose!
Das Lied der Deutschen
Deutschland, Deutschland über Alles,
Über Alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze,
Brüderlich zusammenhält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt —
Deutschland, Deutschland über Alles,
Über Alles in der Welt!
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang —
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach laßt uns Alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand;
Blüh' im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!
[266]Kaiserlied
„Ein deutscher Kaiser und ein deutsches Reich,
Ein Volk, den mächtigsten an Ehre gleich!“
Das war in sechzig langen, schweren Jahren
Der Väter Ringen, ihrer Jugend Schmerz.
Sie sind zu Tausend in die Gruft gefahren,
Im Elend brach manch' treues deutsches Herz
In Kampf und Sehnen —
Blut und Thränen —
Hoffnungslos das Auge himmelwärts.
Vorbei, vorbei die kaiserlose Zeit!
Empor, empor des Reiches Herrlichkeit!
Des deutschen Vaterlandes Sonnenwende
Erlöste uns aus alter Zwietracht Bann.
Des deutschen Volkes Trübsal ging zu Ende
Im Feindes-Prunkpalast, wo sie begann.
Mit Siegesfahnen —
Glückesahnen
Bricht des Reiches neuer Morgen an.
Der Kaiser hoch! Den Kranz auf's greise Haupt,
Das uns die deutsche Eiche frisch belaubt!
Geheiligt sei der Schwur, den Du geschworen,
Als Du jahrhundertalte Schmach gerächt:
Durch deutschen Muth und deutsche Treu' erkoren,
Sei Haupt um Haupt Dein kaiserlich Geschlecht
Der Marken Wehrer,
Allzeit Mehrer
Unsers Reich's in Freiheit, Licht und Recht!
[269]Karl Barth und Pius VII.
In Rom die Via di San Croce schleudert
Entlang ein Künstlertrüppchen, — deutsches Blut,
An dem der andre Himmel nichts geändert;
Kernbursche sind es, strebend, frisch und gut.
Im deutschen Rock, mit sammtenem Barette,
Und Arm in Arm, so wirft umher die Schaar
Rings scharfe Blick' und Worte um die Wette,
Denn tausend Ziele stellten ihr sich dar.
Da plötzlich schweigt der grelle Lärm der Menge,
Der Kärner hält, der Reiter steigt vom Roß.
Ein stiller Pfad in dichtesten Gedränge,
Das kaum erst schäumend durcheinanderfloß?
Sieh, Papa Pius naht aus San Marie
Maggiore, Segen spendend fern und nah,
Und alles Volk sinkt betend auf die Knie;
Aufrecht nur steht das Künstlertrüpplein da.
Rasch weicht, von Scheu und heitrem Trotz gelenket,
Seitwärts die Schaar dem Werk der Demuth aus,
Bis auf den Einen, der nicht seitwärts schwenket;
Der steht, als wär's vor seines Vaters Haus,
Drückt das Barett fest auf die dunklen Locken,
Erhebt das schöne Haupt voll Zorn und spricht:
Ei, thut doch vor dem Papste so erschrocken!
Ich gehe meines Wegs und knie nicht.
Er schreitet, zwischen Murrenden, entgegen
Dem Pius, der in Kleinem war so klein,
Doch groß und fest, nie wich von seinen Wegen,
Brach noch so schwer die Nacht auf sie herein.
Als der den jungen Trotzkopf dort gesehen,
Der vor ihm wagt, was Keiner noch begann,
Da bleibt der Papst im Segenszuge stehen,
Betrachtet lange ihn und spricht alsdann:
[270]„Mein Sohn, folgst du auch andern Glaubenspfaden,
Als wo des Papstes Segen auswärts trägt,
So wird doch nie die Segenshand dir schaden,
Die auf das Haupt ein alter Mann dir legt.“ —
Und niederstürzt der Jüngling auf die Kniee,
Und Thränen strömen bitterlich und heiß
Dem Greis zu Füßen, nicht dem Papst, und siehe,
Der Papst nicht, nein, da segnet ihn der Greis.
Beim Auszug
Bald packen sie das Letzte auf.
Da sagt mir nun der volle Wagen,
Was für des Lebens kurzen Lauf
Wir all für Ballast mit uns tragen.
Da stehn und liegen Bett und Schrank
Und Stuhl und Spiegel, Töpf' und Pfannen,
Und Stiefelknecht und Tisch und Bank —
Es zieht ja Alles mit von dannen.
Ein wüstes Bild! Was seinen Ort
Gehabt in Kammer, Küch' und Zimmer,
Wild liegt es durcheinander dort,
Als fänd's die alte Ordnung nimmer.
Da schaut hervor manch trautes Stück,
Das mich gemahnt an theure Stunden:
Das todte Holz, durch Harm und Glück.
Wird mit dem Herzen es verbunden.
Noch einmal schreit' ich auf und ab
Die Räume, die ich lieb gewonnen,
Wo das Geschick mir Manches gab
Und Manches ich mit Lust begonnen,
Wo manchen kühnen Hoffnungstraum
Ich sah erfüllen und verschweben.
Es hängt ja fest an diesem Raum
Ein Stück von unserm eignen Leben.
[271]Das Letzte, das zur Wanderfracht
Bereit ist, macht das Scheiden linder:
Der Bilder Schmuck, der Blumen Pracht
Und all das Spielzeug meiner Kinder,
Ich war doch hier — wie fühl' ich's heut! —
Recht oft zu reinem Glück erkoren:
Viel Schönes hat mein Herz erfreut,
Nichts Liebes hab' ich hier verloren.
Noch einmal grüß' ich jede Wand:
Euch wird nun neuer Schmuck bekleiden.
So wend' ich endlich mich zum Scheiden.
O möge freudiges Gedeih'n
Als unser Dank das Haus belohnen,
Und mögen Alle glücklich sein,
Die nach uns diesen Raum bewohnen!
Worte hat der Mensch allein
Ach, wenn die Blumen singen könnten
Mit ihrem kleinen Rosenmund,
Sie thäten allen Elementen
Des Frühlings Wonnen singend kund;
Durch Hain und Fluren würd' erglühen
Ein Feuermeer der Melodie! —
Die Blumen können nichts als blühen,
Und singen muß der Mensch für sie.
So sing, o Mensch! Denn horch, es singen
Die frohen Vöglein lieb und laut!
Der Erde soll's zum Herzen dringen,
Sie sei des blauen Himmels Braut!
Im grünen Kleide prangt die Schöne,
Gesang mag ihr Entzücken weihn —
Doch Vögel haben nichts als Töne,
Und Worte hat der Mensch allein.
[272]Wenn Wort und Töne froh sich finden,
Wie eines mit dem andern zieht,
Da werden sie sich gern verbinden,
Da bilden sie vereint das Lied.
Der Vogel preis' in Schall und Klange
Den Lenz, die Blum' in Duftes Lust,
Der Mensch begrüß' ihn im Gesange
Des Wortes aus der Menschenbrust!
Die Blume bleibt am Boden hangen,
Der Vogel schwingt sich flatternd auf,
Und beide streben und verlangen
Mild ahnend nach dem Licht hinauf.
Der arme Mensch steht zwischen beiden,
Wie Licht ihn lockt, wie Erd' ihn hält,
Doch Menschenfreuden, Menschenleiden
Verkündet er im Wort der Welt.
Ruinen
Ich hatte Lieb' und Lust begraben; mein Blick verlor sich in Ruinen,
Die standen kalt an tiefem Strome vom bleichen Abendschein beschienen.
Gebroch'ne Marmorsäulen klagten von alter Pracht und gold'nen Tagen;
Verstümmelt standen sie, die Knäufe und Capitäler weggeschlagen.
Noch sah ich eines Domes Spitze hoch, einsam in die Wolken ragen;
Noch sah ich feste Mauerpfeiler bunt tapezirte Säle tragen.
Der Dom war öd', die Säle offen. Wie träumend flatterten die Eulen.
Durch weite Fensterhöhlen tobte der Winterstürme banges Heulen.
Im wüsten Schutt schlich sich der Epheu lebendig durch die todten Gänge.
Auf grauen, mürben Steinen hallten die Tritte hohl wie Grabgesänge.
Zerschlag'ne Hermen in den Höfen; kopflos lag eine Sphinx im Garten;
Sie schienen eines Ostertages in tiefen Schlaf gewiegt zu warten.
Umsonst! — Am leeren Marmorbecken im Sand stand einsam eine Palme.
Ein Rohrbusch dürstete nach Wasser. — Trüb strich der Nachthauch durch die Halme.
Ich wankte durch die düstern Hallen; mein Aug' versenkte sich in's Schauen;
Da ward mir kalt, es überfiel mich ein räthselhaft, unheimlich Grauen,
Mir schienen Sphinx und Dom und Hermen im Mond gespensterhaft zu flimmern,
Ich weinte still; ich schaute — glaub' ich — die Welt in meiner Brust in Trümmern.
[274]1. Wenn unverwandt an deinem Aug' ich hänge
Lieder
Wenn unverwandt an deinem Aug' ich hänge,
In heil'gem Ahnen streife dein Gewand,
Dein Ohr mit leisem Schmeichelwort bedränge,
Nicht lassen will aus meiner deine Hand:
Dann sage nicht, daß ich in frühern Tagen
Vor dir geliebt so manch ein schönes Kind,
So manch ein Herz bethört mit gleichen Klagen,
Die nun doch alle längst vergessen sind.
Wol ist es wahr, ein keck verbraustes Leben
Gährt hinter mir, auf seinem raschen Fluß
Seh' ich's wie halbverlorne Märchen schweben,
Die mahnen mich an manchen letzten Kuß.
Was ich gesucht bei Jenen und gefunden,
Der ersten Neigung blöde Schwärmerei,
Den tollen Rausch waldflücht'ger Schäferstunden,
Das mußte kommen und es ging vorbei.
[275]Befiehl, so sing' ich von gefallnen Sternen,
Von Blumen, die nur eine Nacht geblüht;
Doch dann versprich, du willst es glauben lernen,
Nur einer hat mein Herz, nur dir geglüht.
Du bist das Morgenroth in meinen Nächten,
Der Hort, den lang vergebens ich gesucht;
Den Brautkrauz in dein braunes Haar zu flechten,
Sei meiner Mühen segensreiche Frucht.
Besinne dich, was wirst du dann mir sagen,
Wenn ich einst komme mir ein Weib zu frei'n,
Und deine Hände fasse, dich zu fragen:
Willst du auf ewig nun die meine sein?
2. Du sinnest träumerisch und schweigest
Lieder
Du sinnest träumerisch und schweigest,
Den Blick zur Erde hingewandt,
Du sinnest träumerisch und neigest
Das Haupt in deine liebe Hand.
Wie ein erbleichend Frühroth flieget
Ein Lächeln über dein Gesicht —
In Traumes Dämmrung eingewieget
Wie bist du schön und weißt es nicht!
An den verschloss'nen Busen legen
Möcht ich mein eifersüchtig Ohr,
Ablauschen deines Herzens Schlägen,
Was sein Geheimniß sich erkor.
Ich seh' dich an, es flieht die Stunde,
Wie find' ich deines Sinnens Spur?
Kein Wörtlein geht aus deinem Munde
Du neigst das Haupt und lächelst nur.
So steht vor funkelnden Palästen,
Still fröstelnd in der Winternacht,
Ein Armer, wenn zu stolzen Festen
Sich Herrlichkeit vereint mit Macht.
Von droben aus des Reigens Klängen
Fällt selten nur ein irrer Laut,
Ihm aber will's die Brust zersprengen
Um Wunder, die er nie geschaut.
[276]3. Dieweil du mich verlassen hast
Lieder
Dieweil du mich verlassen hast,
Verließ mich auch der Schlummer,
Unrast ward mein beständiger Gast,
Mein Bettgenoß der Kummer.
Ich glaub', auch du häst viel geweint,
Dein Auge sah ich glänzen;
Nun bist du ruhig, wie es scheint,
Und fährst zu Spiel und Tänzen.
Da stellt' ich mich ans Treppenhaus
Ins gaffende Gedränge;
Ein Wagen hielt, du stiegst heraus,
Und Lob ging durch die Menge.
Wie schien dein Putz zum Hohn mir gar!
Anstatt der Myrthenkrone,
Die einst ich träumt', umfing dein Haar
Ein Kranz von rothem Mohne.
Die Blumen der Vergessenheit
Trugst du mit Lachen und Scherzen,
Da dacht' ich der vergangnen Zeit
Und sprach zum klopfenden Herzen:
Heut' macht sie Glück, denn leicht und bunt
Trägt sie im Haargeflechte
Als Schmuck für eine lustige Stund'
Den Schlummer meiner Nächte.
4. Zuweilen dünkt es mich als hört'
Lieder
Zuweilen dünkt es mich als hört'
Ich eures Hofhunds heiseres Gebelle,
Den ich so oft des Nachts aus seinem Schlaf gestört,
Wenn ich durch's thauige Gras zur wohlbekannten Stelle
Mich schlich, vom süßen Wahn bethört.
Wie trieb im Pappelbaum der Wind sein Spiel,
Das Blatt um Blatt gespenstisch rauschte,
Wenn ich empor zu deinem Fenster lauschte,
Aus dem das Lispelwort der Liebe fiel!
[277]Wir lachten, seufzten, lachten wieder;
Ein Blumenstrauß, den du am Tag gepflückt,
Ein Handschuh, drauf du einen Kuß gedrückt,
Flog unversehens in den Kies hernieder.
Nach Oben schaut' ich unverrückt,
Und doch, ich sah dich nicht, undeutlich nur
Hob sich das weiße Nachtkleid aus dem Dunkeln,
Derweil hoch überm Dach durch der Augustnacht Funkeln
Ein Wetterleuchten um das andre fuhr —
Just wie geheimstes Sehnen sich verräth,
Aufblitzt und schweigt und wiederkommt und geht.
Wer bringt uns nun in ferner Einsamkeit
Ein Stündlein nur zurück aus jener schönen Zeit?
Mir ist es just, als seist auch du erwacht
Und sähst hinab zum Garten in die Nacht.
Der Hofhund bellt; warum? es regt sich nichts —
Nur über's lange Gras im Glanz des Mondenlichts
Schwebt elfenhaft vom Säuselwind getragen
Ein Traum von Lieb' und Glück aus halbverschollnen Tagen.
Vagabunden
In der Schenke des Morgens fruh
Geht's wahrhaftig schon lehrreich zu.
Drinnen schafft das dralle Gesinde,
Draußen schwankt im Frühlingswinde
Hoch in der Straßen ein Bündel Stroh
Und die Fuhrleut', Hoiahoh!
Grüßen den Weiser schon aus der Ferne.
Ei, wie trinkt sich so gut und so gerne
Irgend ein Schöpplein in aller Ruh'
In der Schenke des Morgens fruh!
In der Schenke des Morgens fruh
Horch' ich dem bunten Gerede zu.
Handwerksburschen mit gähnenden Taschen,
Fahrende Schüler in feinen Kamaschen,
Brauner Zigeuner verschüchterte Brut,
Kecke Rekruten, den Strauß auf dem Hut,
[278]Etliche wandernde Komödianten,
Dann von der Kirchweih' die Musikanten —
Also wechselt's in einem Nu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Trank ich mit Manchem auf Du und Du,
Den ich des Nachts, die Faust am Kragen,
Unter den eichenen Tisch geschlagen.
Mancher zog in die Welt hindann,
Den ich hier inniglich lieb gewann.
Manchen ließ ich, er konnte nicht zahlen,
Mir in die eigene Rechnung malen —
Täglich nimmt die Erfahrung zu
In der Schenke des Morgens fruh.
In die Schenke des Morgens fruh
Kam ein Paar auf zergangenem Schuh,
Alle beide geflickt und zerrissen.
Sie trug ein Kindlein in ärmlichen Kissen;
Und noch eh' ich die Hand ihr bot,
Ward sie schon über und über roth.
Suchten sich Beide vor mir zu verstecken —
Mir, mir wollte kein Tropfen mehr schmecken,
Aber die Fuhrleut' sangen dazu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Sangen sie laut und mit Herz-Atout
Stachen sie Gras und Eichel und Schelle.
Und ich stahl mich hinaus vor die Schwelle,
Über die Straße sah ich ihr nach,
Bis mir ein Thränlein im Auge zerbrach.
Schau, es war dein eigener Wille!
Sprach ich zu ihr in des Herzens Stille,
Dann sah ich wieder dem Karteln zu
In der Schenke des Morgens fruh.
[279]Zu spät
Sie werden kommen, die blauen Tage,
So freudenarm ist keine Brust,
Daß nie ein Strahl sie froh durchdränge,
Kein Aug' so trüb, kein Mund so strenge,
Daß er nicht einmal lacht vor Lust.
Sie werden kommen, die blauen Tage
Mit ruhig heit'rem Sonnenschein,
Wenn drauß' im Felde stehn die Garben
Und mit des Spätherbsts bunten Farben
Sich Birke schmückt und Buchenhain.
[280]Sie werden kommen, die blauen Tage,
Doch, ach, nicht mehr die Sommernacht,
Die Nachtigall, im Busch verborgen,
Das satte Grün der frischen Morgen
Nach tobender Gewitterschlacht.
Das Glück, die Jugend sind Geschwister,
Kein Machtspruch trennt das holde Paar;
Was auch der schönste Herbst beschieden,
Das Herz wird nüchtern, kühler Frieden
Nur weht um das bereifte Haar.
Herbstsonne
Die Sonne liegt heiß noch in flimmernder Pracht
Auf den Blättern und Zweigen,
Darunter goldschimmernd herüber es lacht:
[282]Da sitzen und schweigen
Meine Liebsten allebeid', auf Rufweite vom Haus
Und schaun in den Herbst, in den braunen, hinaus.
Meine Frau und mein Kindchen, zusammengeschmiegt
Die rosigen Wangen:
Auf den Astern ein letzter Falter sich wiegt,
An den Ästen hangen
Vollgelbe Früchte, harrend der pflückenden Hand,
Und ein Wehen, leis kühlend, kommt vom Stoppelrand.
Als ob dem Kinde der zitternde Strahl
Bunte Märchen erzähle,
Als zög' ein Träumen zum ersten Mal
Durch die junge Seele,
So mit Augen groß und blau hinaus blickt das Kind,
Dem Blatte folgend, das vom Wipfel löset der Wind.
Und über ihm, voll von sonnigem Glück,
Von heimlichem Sinnen,
Da träumen die Augen der Mutter zurück —
Sie wandern von hinnen,
Weit hinaus — dann umfahn sie, aus herbstlicher Welt
Heimkehrend, lächelnd den Lenz, den im Arm sie hält.
Sei mitleidsvoll
Sei mitleidsvoll, o Mensch! Zerdrücke
Dem Käfer nicht die goldne Brust
Und gönne selbst der kleinen Mücke
Den Sonnentanz, die kurze Lust.
Ein langes mütterliches Bilden
Hat rührend in der Larve Nacht
Gerieft an diesen Flügelschilden
Den Schmelz von grün metallner Pracht.
[283]Er muß nach einem Sommer sterben,
Wo du dich siebzig Jahre sonn'st;
O laß ihn laufen, fliegen, werben,
Er sei so prachtvoll nicht umsonst.
Ein Wasserwürmchen lag im Moore,
Vom Himmel träumend, fußlos, blind.
Da wächst ihm Fuß und Aug'; am Rohre
Ersteigt es Lüfte warm und lind.
Von Sommerglut getrocknet springen
Die Gliederschalen; blaue Höhn
Erstrebt's auf zart gewobnen Schwingen
Und summt: Wie schön, wie wunderschön!
Nun ist's in seinen Himmelreichen;
Sein höchstes Glück — ein Tag umspannt's.
So gönn' ihm nun mit seinesgleichen
Den Elfenchor im Abendglanz.
Sei mitleidsvoll! Was wir erfuhren,
Das schläft im Stein, das webt im Baum,
Das zuckt in allen Creaturen
Als Dämmerlicht, als Fragetraum.
Sei mitleidsvoll! Du bist gewesen
Was todesbang vor dir entrinnt.
Sei mitleidsvoll! Du wirst verwesen
Und wieder werden, was sie sind.
Sei mitleidsvoll, o Mensch! Zerdrücke
Dem Käfer nicht die goldne Brust
Und gönne selbst der kleinen Mücke
Den Sonnentanz, die kurze Lust!
[284]Vorüber!
Von Ferne zuckt ein falber Sonnenschein,
Und landwärts ruft es mit gedämpften Stimmen,
Doch hüllt der graue Nebel Alles ein,
Kaum seh' ich, wo wir auf den Wassern schwimmen.
Da drüben wohnt das Weib, so falsch wie schön,
Um die den Tag ich immer noch verträume;
Am Abhang jener waldbekränzten Höhn,
Da liegt ihr Haus im Schatten hoher Bäume!
Am Fenster steht sie einsam wol und lauscht
Und läßt hinaus die dunkeln Blicke schweifen, ...
Sie hört nur, wie die Brandung tonlos rauscht,
Und fühlt den Wind in ihre Haare greifen.
In diesen Locken wühlte meine Hand.
Dem Zauber dieser Augen hingegeben
Hielt ich den wonnevollen Leib umspannt,
Und trank in heißen Küssen Tod und Leben.
Nun deckt der graue Nebel Alles zu,
Der Himmel senkt sich trüber nur und trüber;
Rings auf den Fluten waltet Grabesruh', —
Und lautlos gleiten wir dem Strand vorüber.
[286]Das Brunnen-Gespenst zu Elsei
Bei Rhe vom Richtplatz schreitet sacht
Ein Mägdlein noch um Mitternacht.
Sie nimmt gen Elsei ihren Gang,
Die Haide und das Feld entlang.
Die Todten schreiten leise.
Ihr Kleid ist weiß, ihr Antlitz bleich.
„Du kommst wol aus dem Todtenreich,
Du bleiches Bild, steh' Rede mir,
Was treibt dich aus dem Grab herfür?“
Die Todten reden leise.
[288]Zum Stiftsplatz lenkt sie ihren Schritt
Und schwingt sich auf den Brunnentritt.
„Was schaffst du hier zur nächt'gen Stund',
Ist's Böses nicht, so gib es kund?“
Die Todten reden leise.
Nach Kett' und Krücke greift sie drauf,
Der Eimer sinkt und kommt herauf.
„Was suchst du auf des Eimers Grund?
Im Namen Gottes sprich jetzund!“
Die Todten reden leise.
Sie starrt hinab zum finstern Grund,
Sie starrt hinauf zum Himmelsrund.
„So helf dir Gott, im Brunnen ruht,
Wol gar dein eigen Fleisch und Blut!“
Die Todten reden leise.
Da kräht der Hahn, die Nacht ist um,
Das Mägdlein schleicht von dannen stumm.
Sie nimmt zum Richtplatz ihren Gang,
Das Feld und dann die Haid' entlang.
Die Todten schreiten leise.
Verrath
Die Wasserlilie kichert leis:
„Ich muß euch ein Ding verrathen,
Ich muß euch verrathen, was gestern Nachts
Zwei junge Verliebte thaten.
Die kamen mit Vetter- und Basenschaft
Den Strom hinunter geglitten,
Die saßen, weil Lauscher im Boot, ganz still,
Mit auferbaulichen Sitten.
Sie tauchte die Hand in's Wogenblau,
Den klopfenden Puls zu kühlen,
Er wollte zur selben Zeit einmal
Nach der Wärme des Wassers fühlen.
Und unter dem Wasser begegnen sich
Verstohlen die beiden Hände,
Und fliehen sich und fangen sich
Es nimmt das Spiel kein Ende.
Die Basen haben nichts gemerkt
Von der glücklichen Liebesstunde,
Ich aber hab' es wol gesehn
Tiefher aus dem lauschenden Grunde.“
Nacht
Nun bin ich untreu worden
Dem hellen Sonnenschein;
Die Nacht, die Nacht soll Dame
Nun meines Herzens sein.
Sie ist von düstrer Schönheit,
Hat bleiches Nonnengesicht,
Reichfunkelnde Sternenkrone
Ihr dunkles Haar umflicht.
Heut' ist sie so beklommen,
Unruhig und voller Pein;
Sie denkt wol an ihre Jugend —
Das muß ein Gedächtniß sein!
[291]Es streicht durch alle Thäler
Ein Stöhnen so klagend und bang;
Wie Thränenbäche rieseln
Die Quellen vom Bergeshang.
Die schwarzen Fichten sausen
Und wiegen sich her und hin,
Und über die feuchte Haide
Verlorene Lichter fliehn.
Den Sternchen bringt ein Ständchen
Das dumpfaufbrausende Meer,
Und über mir zieht ein Gewitter
Mit klingendem Spiele daher.
Es will sich vielleicht betäuben
Die Nacht den uralten Schmerz?
Es denkt an uralte Sünden
Vielleicht ihr reuiges Herz?
Ich möchte gern mit ihr plaudern,
Wie man mit dem Liebchen spricht:
Umsonst! in ihrem Grame
Sie siehet und hört mich nicht.
Ich möchte sie gern befragen,
Und werde doch immer gestört,
Ob sie vor meiner Geburt schon
Wol — meinen Namen gehört?
Sie ist eine alte Sibylle
Und kennt sich selber kaum;
Sie und der Tod und wir Alle
Sind Träume von einem Traum.
Ich will mich schlafen legen.
Ein Morgenwind schon zieht;
Ihr Trauerweiden am Kirchhof,
Summt mir ein Wiegenlied.
[292]Es wallt das Korn —
Es wallt das Korn weit in die Runde
Und wie ein Meer dehnt es sich aus;
Doch liegt auf seinem stillen Grunde
Nicht Seegewürm, noch andrer Graus:
Da träumen Blumen nur von Kränzen
Und trinken der Gestirne Schein.
O gold'nes Meer, dein friedlich Glänzen
Saugt meine Seele gierig ein!
In meiner Heimat grünen Thalen,
Da herrscht ein alter schöner Brauch;
Wann hell die Sommersterne strahlen,
Der Glühwurm schimmert durch den Strauch:
Dann geht ein Flüstern und ein Winken,
Das sich dem Ährenfelde naht,
Da geht ein nächtlich Silberblinken
Von Sicheln durch die goldne Saat.
Das sind die Bursche, jung und wacker,
Die sammeln sich im Feld zu Hauf
Und suchen den gereiften Acker
Der Wittwe oder Waise auf,
Die keines Vaters, keiner Brüder
Und keines Knechtes Hilfe weiß —
Ihr schneiden sie den Segen nieder,
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß.
Schon sind die Garben fest gebunden
Und schön in einen Kranz gebracht;
Wie lieblich floh'n die stillen Stunden,
Es war ein Spiel in kühler Nacht!
Nun wird geschwärmt und hell gesungen
Im Garbenkreis, bis Morgenduft
Die nimmermüden, braunen Jungen
Zur eig'nen schweren Arbeit ruft.
[293]Abschied
Geh' ich einsam durch die schwarzen Gassen,
Schweigt die Stadt, als wär' sie unbewohnt;
Aus der Ferne rauschen nur die Wasser,
Und am Himmel zieht der bleiche Mond.
Bleib' ich lang' vor jenem Hause stehen,
Drin das liebe, liebe Liebchen wohnt,
Weiß nicht, daß sein Treuer ferne ziehet,
Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.
Breit' ich lange sehnend meine Arme
Nach dem lieben, lieben Liebchen aus,
Und nun sprech' ich: Lebet wohl, ihr Gassen!
Lebe wohl, du stilles, stilles Haus!
Und du Kämmerlein im Haus dort oben,
Nach dem oft das warme Herze schwoll,
Und du Fensterlein, draus Liebchen schaute,
Und die Thüre, draus sie ging, leb wohl!
Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,
Schauend rückwärts noch mit nassem Blick,
Schließt der Wächter hinter mir die Thore,
Weiß nicht, daß mein Herze noch zurück.
Abendstille
Nun hat am klaren Frühlingstage
Das Leben reich sich ausgeblüht;
Gleich einer ausgeklungnen Sage
Im West das Abendroth verglüht.
Des Vogels Haupt ruht unterm Flügel,
Kein Rauschen tönt, kein Klang und Wort;
Der Landmann führt das Roß am Zügel,
Und Alles ruht an seinem Ort.
Nur fern im Strome noch Bewegung,
Der weit durch's Thal die Fluten rollt:
Es quillt vom Grunde leise Regung,
Und Silber säumt sein flüssig Gold.
Dort auf dem Strom noch ziehen leise
Die Schiffe zum bekannten Port,
Geführt vom Fluß im sichern Gleise —
Sie kommen auch an ihren Ort!
Hoch oben aber eine Wolke
Von Wandervögeln rauscht dahin;
Ein Führer streicht voran dem Volke
Mit Kraft und landeskund'gem Sinn.
[299]Sie kehren aus dem schönen Süden
Mit junger Lust zum heim'schen Nord,
Nichts mag den sichern Flug ermüden,
Sie kommen auch an ihren Ort!
Und du, mein Herz! In Abendstille
Dem Kahn bist du, dem Vogel gleich,
Es treibt auch dich ein starker Wille,
An Sehnsuchtsschmerzen bist du reich.
Sei's mit des Kahnes stillem Zuge,
Zum Ziel doch geht es immer fort;
Sei's mit des Kranichs raschem Fluge —
Auch du, Herz, kommst an deinen Ort!
Gruß an mein Weib
22. Mai 1843
Und sieh, nun ist es doch gekommen,
Was uns die Welt so schwer gemacht!
Nach all dem Kampf ist doch erglommen
Der Stern der stillen Hochzeitnacht.
Nun komm, tritt ein in meine Klause,
Sei mir vereint mit Seel' und Leib,
Und laß dir's heimisch sein im Hause,
Darin du nun gebeutst als Weib.
Ein Jüngling nicht, im Jubelrausche,
Jauchzt dir die wilden Schwüre zu;
Nicht wie die Braut im Wonnetausche
Trittst über meine Schwelle du.
Auf meiner Stirn die frühen Falten,
Auf deinen Wangen liegt der Gram,
Weil ja in tausend Truggestalten
Der Haß dich mir zu rauben kam.
Doch ungeschwächt durch alle Plage
Ging mit uns diese heil'ge Glut;
In unsres Herzens vollem Schlage
Pulst noch ein heißes Jugendblut.
[300]Sei froh und stolz! mit festem Sinne
Erwiesen wir's der feigen Welt,
Daß einer todesstarken Minne
Kein Hemmniß in den Weg sich stellt.
Verzeih's Gott denen, die uns hassen,
Dir beut die Hand ein armer Mann,
Du magst mit einem Blick umfassen
Das Gut, das ich dir bieten kann. —
Ja lebte noch das Recht auf Erden,
Ging Alles ehrlich, wie es soll,
Dir müßte ja zu eigen werden
Ein Haus an Schätzen übervoll!
Doch blieb aus meiner Eltern Habe
Ein traulich Lager für uns zwei,
Und daß uns Brod und Becher labe,
Stellst du den eignen Tisch herbei.
Der Frühling sendet seine Düfte
Vom Garten her in reichem Schwall,
Und durch der Lenznacht feuchte Lüfte
Ruft: komm, o komm! die Nachtigall.
Und staunst du morgen, froh erwachend,
Bricht mächt'ger Sonnenglanz herein,
Durch's hohe Fenster grüßt dich lachend
Das wunderbare Land am Rhein.
Wir schreiten mit verjüngter Stärke
An unser Schaffen ohne Rast,
Und nach vollbrachtem Tagewerke
Bin ich am eignen Herd dein Gast.
Das Lied vom Leide
Laßt Andre in die Saiten greifen,
Laßt sie in schwellendem Accord
Ihr Lied der Lust entgegenreifen,
Zum Jubel schwingen Klang und Wort!
Ich seh' es blühn, ich hör' es schallen —
Doch von den Jubelworten allen
Stimmt mir zu meiner Weise keins.
Mein Lied neigt wie die Trauerweide,
Entfernt vom Jubelchor des Hains,
Zum dunklen Spiegel alles Seins,
Mein Lied, es ist das Lied vom Leide.
Weiß nicht, wie es in mir entstanden,
Wie ein verborgnes Saitenspiel
Vernehm' in nah'n und fernen Landen
Ich's auf dem Wege und am Ziel.
Dies Lied, es strömt nicht aus der Kehle,
Es lebt mir in der tiefsten Seele
Und, blick' ich stumm zum Freund empor,
Mir ist, als sängen wir dann Beide,
Dringt auch kein einz'ger Laut ans Ohr,
In ungehörtem, stillem Chor
Das alte, ew'ge Lied vom Leide.
Wenn ich an festlich stillem Morgen
Den Wald durchschreite und die Flur,
Tönt mir, was ich in mir geborgen,
Zurück in tausend Sprachen nur.
[303]Ich seh' Vergehen im Entfalten,
Ich seh' Zerstören im Gestalten —
Mir ist, als ob sich jeder Keim
Mit Schmerz vom Mutterboden scheide,
Als suchte Jegliches sein Heim,
Als wär' Natur auf Einen Reim
Gestimmt — ein einz'ges Lied vom Leide.
Ich hab's im Kindeslaut vernommen,
Der angstvoll in die Welt sich wagt,
Im Mädchenseufzer, der beklommen
Im Hauch ein stilles Sehnen klagt,
Ich sah es schweben auf den Lippen,
Die lächelnd vom Genusse nippen
Und von des Mannes Stirne klang,
Ob er gethront im Herrscherkleide,
Ob er, gebeugt sein Leben lang,
Nach Luft und Licht und Freiheit rang,
Entgegen mir das Lied vom Leide.
Es war ein schmerzlich wildes Rauschen,
Da ich's zum ersten Mal gehört,
Dann liebt' ich, still es zu erlauschen,
Es hat mich Lust am Leid gelehrt.
Mir ward's Genuß, im Kreis der Wesen
Die einz'ge große Schrift zu lesen,
Die ew'ge Gleichheit mir verhieß —
Glaub' nicht, daß wer mich drum beneide —
Mir klingt es hold, mir klingt es süß,
Gäb' nicht um allen Jubel dies
Erlösend sanfte Lied vom Leide.
[304]Unerkannte Schätze
„Hast du ein Gut, so halt es fest
Und gib es nicht von Händen;
Eh' noch entflieht der Stunde Rest,
Kann dein Geschick sich wenden.
Worauf dein Sinn kaum Werth gelegt,
Was kaum du weißt zu nennen,
Wenn man's zum dunkeln Grabe trägt
Lehrt's dich dein Schmerz erkennen. —“
[306]Es war einst ein Knabe, ein munteres Blut,
Der hörte, daß auf der Erde,
Die Treue sei ein seltnes Gut
Und daß stets seltner sie werde.
Er lachte dazu und glaubte es nicht
So klug auch die Leute sprachen,
Undenkbar schien's, daß die heiligste Pflicht,
Die Treue, die Menschen oft brachen!
Da treibt es den Knaben hinaus mit Gewalt,
In der Welt will die Treue er finden,
Dem finstern Mißtraun will selber alsbald
Sein haltlos Wort er verkünden.
Lieb Mütterlein das weinte und bat:
„Bleib' hier, mein Kind!“ mit Thränen;
Er sieht nicht die Thränen, er hört nicht den Rath —
Ach zu mächtig, zu heiß ist sein Sehnen.
Und fort, über Land und Meere fort
Durchstreift er alle Zonen,
Von Ost nach West, von Süd nach Nord,
Wo immer nur Menschen wohnen. —
Zwar ging im Anfang das Wandern gut,
So von einem Orte zum andern;
Doch nach und nach, ach da sank ihm der Muth —
Er mußte so lange auch wandern!
Wol fand er hier und da einen Freund,
Der schwor mit biedern Mienen,
Er sei, in steter Treu' ihm vereint,
Bereit in der Noth ihm zu dienen;
Doch als die Noth dann wirklich kam
Mit ihren finstern Stunden,
Und als den Freund er beim Worte nahm,
Da war die Treue verschwunden.
Wol sprach manch blondgelocktes Kind
Ihm viel von süßer Liebe,
Wie sie ihm ewig holdgesinnt
Im Tode treu noch bliebe —
[307]Da kam ein Andrer schlank und zart,
Hat schnell ihr Herz gewonnen,
Und war die Liebe auch heißer Art,
Die Treue — die war zerronnen.
So war der Knabe zum Manne gereift —
Da ward ihm das Glück ergeben,
Mit Schätzen hat's ihn überhäuft,
Mit Reichthum vergoldet sein Leben.
Was half's? Er fühlte sich dennoch allein,
Dem Reichthum fehlte die Weihe,
Den Schätzen der herrlichste Edelstein,
Noch fand er eins nicht — die Treue.
Und fort noch immer von Ort zu Ort
Durchstreifte er alle Zonen,
Von Ost nach West, von Süd nach Nord,
Wo immer nur Menschen wohnen. —
So reiste er einst im Morgenland
Mit ungestilltem Hoffen,
Da hat an der Oase Rand
Einen Derwisch er angetroffen.
Und als er diesen nach Sitte und Brauch
Beschenkt mit freundlicher Gabe,
Sprach er: „Sag', Derwisch, ist's Wahrheit auch,
Was oft vernommen ich habe,
Daß Ihr der Menschen weiseste seid?
Ist's wahr, so sag' mir geschwinde,
Und preisen muß dich fortan selbst der Neid,
Sag', wo die Treue ich finde.“
„Die Treue,“ entgegnet der Derwisch mild,
„Wahr ist's, du findest sie selten;
Doch glaube, auch sie ist kein Schattenbild,
Auch sie schuf der Gründer der Welten;
Er gab ihr sogar ein festes Haus,
Da wohnt sie in Freude und Schmerzen,
Kein grollendes Schicksal treibt heraus
Die Treu' aus dem Mutterherzen.“
[308]Und wie der Derwisch das gesagt,
Da ward's dem Frager helle,
Er wandte sein Roß, ist heimwärts gejagt,
Wie mit des Windes Schnelle.
„Ich Thor, der ich den Schatz verkannt,
Den Gott mir zugemessen!
Was sucht' ich denn im fremden Land,
Was ich daheim besessen?“
„Heil dir, o Derwisch, Segen und Heil!
Ich habe die Treue gefunden —
Nun heimwärts, mein Roß, mit Windeseil',
Mach' zu Minuten die Stunden,
Die Mutter trauert, sie klagt um den Sohn,
Den ewig verloren sie glaubte.
Still, Mütterchen, still, er nahet schon,
Er kommt, der sich selbst dir raubte.“
„Ob jetzt sie wol an der Pforte steht,
Und um den Verschollnen sich sorget?
Gewiß bei jedem Lüftchen, das weht,
Auf des Sohnes Tritte sie horchet;
Und merkt sie, daß es ein Lüftchen allein,
Dann rollt die Thrän' von den Wangen —
Geduld, Geduld, lieb Mütterlein,
Bald sollst du den Sohn umfangen.“
„Wie will ich pflegen und lieben dich
In deinen alten Tagen!
Ach jede Last macht glücklich mich,
Kann ich für dich sie tragen;
Vergolten soll jede Thräne sein,
Die deinem Kind du geweinet.
Geduld, Geduld, lieb Mütterlein,
Bald bist du dem Sohne vereinet!“
Und sieh, die letzte Meile, sie flieht,
Die noch vom Dörfchen ihn trennet,
Der Kirchthurm ist's, der im Abendschein glüht,
Den deutlich er schon erkennet;
[309]Die Linden sind's, die jetzt er schaut,
Die grünen in Dorfes Mitte,
Und dort, ach sein Jubel verkündet es laut —
Dort steht ja lieb Mütterchens Hütte.
Doch horch! was ist das für Geläut',
Das dumpf vom Thurme tönet?
Nicht Sonntagsfeier ist es heut' —
Und wie so klagend es stöhnet!
Und siehe, dort wandert ein ernster Zug,
Zur Friedhofspforte er schreitet —
War's nicht ein Sarg, den vorn man trug,
Wer wird denn zu Grabe geleitet?
Wie bebte der Reiter, wie treibt er das Roß,
Durchfröstelt von Ahnungsgrauen —
Vorüber dem Walde, wie Pfeilesgeschoß,
Querhin durch die Äcker, die Auen,
Jetzt über die hölzerne Brücke im Flug,
Nun hat er des Kirchhofs Mauer —
Jetzt hat er erreicht den Leichenzug —
„Halt an, du Zug der Trauer!“
Und das Roß, es stürzt, und er springt in den Kreis
Und steht wie festgebannt —
Und wie sie ihn sehen, da flüstern sie leis,
Sie haben ihn bebend erkannt.
„So sprecht doch, wen birgt der dunkle Schrein?
Wen soll die Erde haben?“ —
„Verlorner Sohn, dein Mütterlein
Ist's, das wir hier begraben.“
Und alle weinen rings umher;
Er nur hat keine Thränen,
Für ihn gibt's auf Erden kein Wünschen mehr,
Für ihn kein Hoffen, kein Sehnen.
Die Treue, die Treu', die er nirgends fand,
Den Schatz, den er sehnend begehrte,
Und den er besessen — unerkannt,
Sie senken ihn jetzt in die Erde. —
[310]... Hast du ein Gut, so halt' es fest,
Und gib es nicht von Händen;
Eh' noch entflieht der Stunde Rest,
Kann dein Geschick sich wenden.
Worauf dein Sinn kaum Werth gelegt,
Was kaum du weißt zu nennen,
Wenn man's zum dunkeln Grabe trägt,
Lehrt's dich dein Schmerz erkennen. ...
Gewiß
Gewiß! Es gibt, ob die Gewitterwolke
Die Heimat dir umdüst're noch so dicht,
Doch irgendwo, bei irgend einem Volke
Ein blaues Firmament voll Sonnenlicht!
Gewiß! Es gibt, ob grausam wilde Schmerzen
Mit scharfem Dorn durchwühlen deine Brust,
Doch irgendwo, in irgend einem Herzen
Die reichste Freude und die höchste Lust!
Gewiß! Es gibt trotz schalem Weltgetriebe
Den Genius! Die Kunst! Die Weih'! Die Kraft!
Es gibt die Freundschaft und es gibt die Liebe,
Die Heiligkeit, die stille Wunder schafft!
Es brennt stets irgendwo auf einem Herde,
Wenn Alles friert, die munt're Feuerglut —
Was wär' das Leben sonst, was wär' die Erde,
Wenn irgendwo nicht ein geheimes Gut?
Wenn unaufhörlich, unsichtbar, verborgen
Nicht wirksam bliebe eine gute Macht —
Wenn irgendwo nicht dämmerte der Morgen,
Um Tag zu bringen nach jedweder Nacht!
[311]Amaranthe
Am Abend geht ein Schnitter durch das Feld,
Du, Erde, kennst den stummen Kränzewinder,
Der Mutter raubt er gern die schönsten Kinder,
Die Liebsten, die sie fest umklammert hält.
Das Veilchen schmiegt sich bang in ihren Schooß,
Die Rose bändigt ihre stolzen Flammen,
Und legt die Blätter zum Gebet zusammen,
Die Furcht durchzittert alle, klein und groß.
Die Nachtviole nur im Aschenkleid,
Die Braut des Abendsterns, die kalte Nonne,
Die sich entzieht dem Feuerkuß der Sonne,
Die öffnet sich, daß sie ihm Weihrauch streut.
Er aber geht vorbei. Ihn lockt und zieht
Das Purpurroth der kleinen Blumenkerze,
Die wie ein liebebrennend frommes Herze
Dort zwischen Dorn und Nessel einsam blüht.
Er naht und legt die Sichel aus der Hand,
Dann bückt er sich hinab, ein schöner Engel,
Und löst die Blüte sanft von ihrem Stengel
Und tragt sie lächelnd in ihr Vaterland.
Der große Krebs im Mohriner See
Die Stadt Mohrin hat immer Acht,
Kukt in der See bei Tag und Nacht,
Kein gutes Christenkind erleb's,
Daß los sich reiß' der große Krebs!
Er ist im See mit Ketten geschlossen unten an,
Weil er dem ganzen Lande Verderben bringen kann.
[312]Man sagt: er ist viel Meilen groß
Und wend't sich oft, und kommt er los,
So währt's nicht lang: er kommt an's Land;
Ihm leistet keiner Widerstand.
Und weil das Rückwärtsgehen bei Krebsen alter Brauch,
So muß dann alles mit ihm zurücke gehen auch.
Das wird ein Rückwärtsgehen sein!
Steckt Einer was in's Maul hinein,
So kehrt der Bissen vor dem Kopf,
Zurück zum Teller und zum Topf.
Das Brod wird wieder zu Mehle, das Mehl wird wieder Korn,
Und alles hat beim Gehen den Rücken dann nach vorn.
Der Balken löst sich aus dem Haus
Und rauscht als Baum zum Wald hinaus,
Der Baum kriecht wieder in den Keim,
Der Ziegelstein wird wieder Lehm.
Der Ochse wird zum Kalbe, das Kalb geht nach der Kuh,
Die Kuh wird auch zum Kalbe, so geht es immerzu!
Zur Blume kehrt zurück das Wachs,
Das Hemd am Leibe wird zu Flachs,
Der Flachs wird wieder blauer Lein
Und kriecht dann in den Acker ein.
Man sagt, beim Bürgermeister zuerst die Noth beginnt;
Der wird vor allen Leuten zuerst ein Päppelkind.
Dann muß der edle Rath daran,
Der wohlgewitzte Schreiber dann;
Die erbgesess'ne Bürgerschaft
Verliert gemach die Bürgerkraft.
Der Rector in der Schule wird wie ein Schülerlein,
Kurz eines nach dem andern wird Kind und dumm und klein.
Und alles kehrt im Erdenschooß
Zurück zu Adams Erdenkloß.
Am längsten hält was Flügel hat,
Doch wird zuletzt auch dieses matt,
Die Henne wird zum Küchlein, das Küchlein kriecht in's Ei,
Das schlägt der große Krebs dann mit seinem Schwanz entzwei.
[313]Zum Glücke kommt's wol nie so weit!
Noch blüht die Welt in Fröhlichkeit!
Die Obrigkeit hat wacker Acht,
Daß sich der Krebs nicht locker macht.
Auch für dies arme Liedchen wär' das ein schlechtes Glück.
Es lief vom Mund der Leute in's Tintenfaß zurück.
Der Lenz geht um
Ich sag' euch was: der Lenz geht um;
Nehmt euch in Acht, ihr Leute!
Er ist so heimlich, still und stumm,
Als ging er aus auf Beute.
Seid nur behutsam, wo ihr steht,
Und blickt umher ein Weilchen;
Denn plötzlich, eh' ihr euch's verseht,
Schießt auf ein keckes Veilchen!
O traut jetzt keinem alten Baum,
Weit eher noch den jungen,
Denn eine Knospe, wenn ihr's kaum
Noch ahnt, ist aufgesprungen.
Wer träumend wandelt durch ein Thal,
Der möge sich besinnen;
Die Lerche kann mit einem Mal
Ihr schmetternd Lied beginnen!
Mit Vorsicht und Behutsamkeit
Ins Aug' der Mädchen schaue!
Gefährlich ist in dieser Zeit
Das schwarze wie das blaue!
Ich sag' euch was: die Lieb' geht um;
Nehmt euch in Acht, ihr Leute!
Sie ist so heimlich, still und stumm
Und sie geht aus auf Beute!
[315]Verfängliche Fragen
Gestern kam zu mir ein holdes Mädchen,
Sprach: weil du ein Dichter bist, so kündest
Du gewiß mir, Lieber, was vergeblich
Tag um Tag ich zu ergrübeln suche:
Leuchtend über meines Vaters Garten
Steht jedwede Nacht ein Stern jetzt, röthlich
Strahlt sein Schimmer und die Wölkchen ordnen
Goldgesäumt sich um ihn her im Kreise.
Nie sah so noch einen Stern ich funkeln!
Was er funkelt möcht' ich gerne wissen.
Und vor unserm Haus im dunklen Taxus
Jeden Abend singt ein kleiner Vogel;
Braun ist sein Gefieder, aber reizend
Fließt der Ton ihm aus der lieben Kehle.
Niemals sang mir noch so süß ein Vogel!
Was er singt, das möcht' ich gerne wissen.
Doch das Wunderbarste sag' ich billig
Dir zuletzt: in meinem eignen Fenster
Ist seit dreien Tagen eine Blume
Aufgeblüht, die Niemand kennt im Hause.
Herrlich prangen ihre weißen Blätter,
Goldne Fäden hängen aus dem Kelche,
Und des Dufts balsamische Wellen zittern
Wie Gedanken durch mein stilles Zimmer,
Nie noch sah ich eine solche Blume!
Was sie duftet, möcht' ich gerne wissen.
Und ich sprach zu ihr: du liebes Mädchen,
Heute Morgen in der achten Stunde,
Da die Sommersonne dir zu Häupten
Lange zögernd auf dem Kissen spielte —
[316]Doch du schliefst noch fort, bis weiter rückend
Endlich dir der Strahl die Augen küßte —
Was du da geträumt, das singt der Vogel,
Strahlt der rothe Stern am nächt'gen Himmel
Und das Gleiche duftet auch die Blume.
Neige mir dein Köpfchen, daß ich leise
Dir in's Ohr es sage, und es Keiner
Weiter hört.
Da fuhr sie auf erschrocken
Und umfing mein Haupt mit beiden Armen,
Mit den Händen mir den Mund verschließend:
Pfui! Was seid ihr Dichter doch für lose
Leute! rief sie aus — Um Gottes willen
Schweige still und sag' es nicht der Mutter.
Das alte Glück
Einst, als ich selbst noch lief und sprang
Durch Garten und Gehäg',
Wie däuchte mir der Tag so lang,
Wie floß die Zeit so träg'!
Und wär' ich nur erst groß und klug!
So sprach ich oft als Kind —
Groß wird man eben schnell genug,
Doch klug — nicht so geschwind.
Und da ich Jüngling ward, verrann
Die Zeit so langsam noch:
O, wär' ich nur schon einmal Mann,
Viel schöner wär' es doch! —
Und wechselnd kommt und wechselnd flieht
Frühling und Wintereis:
Und wie man in den Spiegel sieht,
Ist alt man schon und Greis.
Nun, weil die Füße langsam gehn,
Wie schnell entrauscht der Tag;
Wie dünkt nuns doppelt lieb und schön,
Was man nicht halten mag!
[317]Da gehn die Wünsche oft zurück,
Die vorwärts erst gestrebt,
Und träumen von dem alten Glück,
Das man so rasch verlebt.
Der Auswanderer
Es steht mit rollenden Thränen
Ein Mann am Meeresstrand
Und streckt die Arme mit Sehnen
Nach seiner Väter Land.
Die Brust will ihm zerspringen,
Das Herz ihm brechen entzwei;
Vom deutschen Rhein her singen
Hört er die Lorelei.
Er hört sie singen, — und rauschen
Dazwischen den heimischen Rhein,
Kann nicht genug horchen und lauschen,
Die Wangen fallen ihm ein.
[320]Sie fallen ihm ein und erbleichen,
Sein Auge wird fahl und matt;
Er neidet daheim den Leichen
Die trauliche Ruhestatt.
Er aber mit stolzer Geberde
Hat noch im Scheiden vom Fuß
Den Staub der Heimaterde
Geschüttelt im Überdruß.
Er ist im Grolle gegangen,
Nun kommt die Liebe zu spät,
Zu spät das heiße Verlangen;
Verschmäht wird, wer verschmäht.
Ein Weltmeer trennt ihn brausend
Vom theuren Vaterland;
Bald liegt er bei manchem Tausend
Vergessen im fernen Sand.
Sylvesternacht
Das erste Glas in dieser Nacht,
Es sei mit ernstem Sinn gebracht
Dem todten guten Mütterlein
Und seiner Liebe treu und rein.
Entgegenschaun aus kleinem Bild
Mir ihre Augen klar und mild,
Und horch! — die Lippe leise spricht:
„Ich bin für dich gestorben nicht.“
„Was Edles lebt in deinem Sein,
Das pflanzte ich in's Herz hinein,
Und wenn es blühend sich erhebt,
Darin der Geist der Mutter lebt.“
„Sei fest, wenn dich das Leid bekriegt,
Der Stolze nur im Leben siegt;
Bewahre rein das eigne Ich,
Dann wird mein Geist umschweben dich.“
[323]O, wie das Wort in's Herz mir quillt!
Ich küsse still das kleine Bild.
Das erste Glas in dieser Nacht,
Der todten Mutter sei's gebracht!
Die Haideschenke
Ich zog durch's weite Ungarland;
Mein Herz fand seine Freude,
Als Dorf und Busch und Baum verschwand
Auf einer stillen Haide.
Die Haide war so still, so leer;
Am Abendhimmel zogen
Die Wolken hin, gewitterschwer,
Und leise Blitze flogen.
Da hört' ich in der Ferne was,
In dunkler, meilenweiter;
Ich legte 's Ohr ans knappe Gras,
Mir war, als kämen Reiter.
Und als sie kamen näherwärts,
Begann der Grund zu zittern,
Stets bänger, wie ein zages Herz
Bei nahenden Gewittern.
Hertobte nun ein Pferdehauf,
Von Hirten angetrieben
Zu rastlos wildem Sturmeslauf
Mit lauten Geiselhieben.
Der Rappe peitscht den Grund geschwind
Zurück mit starken Hufen,
Wirft aus dem Wege sich den Wind,
Hört nicht sein scheltend Rufen.
Gezwungen ist in strenge Haft
Des Wildfangs tolles Jagen,
Denn klammernd herrscht des Reiters Kraft,
Um seinen Bauch geschlagen.
[325]Sie flogen hin, woher mit Macht
Das Wetter kam gedrungen,
Verschwanden — ob die Wolkennacht
Mit einmal sie verschlungen.
Doch meint' ich nun und immer noch
Zu hören und zu sehen
Der Hufe donnerndes Gepoch,
Der Mähnen schwarzes Wehen.
Die Wolken schienen Rosse mir,
Die eilend sich vermengten,
Des Himmels hallendes Revier
Im Donnerlauf durchsprengten;
Der Sturm, ein wackrer Rosseknecht,
Sein muntres Liedel singend,
Daß sich die Heerde tummle recht,
Des Blitzes Geisel schwingend.
Schon rannten sich die Rosse heiß,
Matt ward der Hufe Klopfen,
Und auf die Haide sank ihr Schweiß
In schweren Regentropfen.
Die Dämmerung brach nun herein;
Mir winkt' von fernen Hügeln
Herüber weißer Wände Schein,
Die Schritte zu beflügeln.
Es schwieg der Sturm, das Wetter schwand;
Froh, daß es fortgezogen,
Sprang über's ganze Haideland
Der junge Regenbogen.
Die Hügel nahten allgemach;
Die Sonne wies im Sinken
Mir noch von Rohr das braune Dach,
Lies hell die Fenster blinken.
[326]Am Giebel tänzte, wie berauscht,
Des Weines grüner Zeiger;
Und als ich freudig hingelauscht,
Hört' ich Gesang und Geiger.
Bald kehrt' ich ein und setzte mich
Allein mit meinem Kruge;
An mir vorüber drehte sich
Der Tanz in raschem Fluge.
Die Dirnen waren frisch und jung
Und hatten schlanke Leiber,
Gar flink im Drehen, leicht im Sprung;
Die Bursche — waren Räuber.
Die Hände klatschten, und im Takt
Hell klirrt des Spornes Eisen;
Das Lied frohlocket und es klagt
Schwermüthig kühne Weisen.
Ein Räuber singt: „Wir sind so frei,
So selig, meine Brüder!“
Am Jubeln seines Munds vorbei
Schleicht eine Thräne nieder.
Der Hauptmann sitzt, auf seinen Arm
Das braune Antlitz senkend;
Er scheint entrückt dem lauten Schwarm,
Wie an sein Schicksal denkend.
Das Feuer seiner Augen bricht
Hindurch die finstern Brauen,
Wie Nachts im Wald der Flamme Licht
Durch Büsche ist zu schauen.
Wächst aber Sang und Sporngeklirr
Nun kühner den Genossen,
Seh' ich das leere Weingeschirr
Ihn kräftig niederstoßen.
[327]Ein Mädel sitzt an seiner Seit',
Scheint ihn als Kind zu ehren,
Und gerne hier der Fröhlichkeit
Des Tanzes zu entbehren.
Auf ihren Reizen ruht sein Blick
Mit innigem Behagen,
Zugleich auf seines Kinds Geschick
Mit heimlichem Beklagen. —
Stets wilder in die Seelen geigt
Nun die Zigeunerbande;
Der Freude süßes Rasen steigt
Laut auf zum höchsten Brande.
Und selbst des Hauptmanns Angesicht
Hat Freude überkommen; —
Da dacht' ich an das Hochgericht,
Und ging hinaus, beklommen.
Die Haide war so still, so leer,
Am Himmel nur war Leben;
Ich sah der Sterne strahlend Heer,
Des Mondes Völle schweben.
Der Hauptmann auch entschlich dem Haus;
Mit wachsamer Geberde
Rings horcht er in die Nacht hinaus,
Dann horcht er in die Erde,
Ob er nicht höre schon den Tritt
Ereilender Gefahren,
Ob leise nicht der Grund verrieth'
Ansprengende Husaren.
Er hörte nichts; da blieb er stehn,
Um in die hellen Sterne,
Um in den hellen Mond zu sehn,
Als möcht' er sagen gerne:
[328]„O Mond im weißen Unschuldskleid!
Ihr Sterne dort, unzählig!
In eurer stillen Sicherheit
Wie wandert ihr so selig!“
Er lauschte wieder — und er sprang
Und rief hinein zum Hause,
Und seiner Stimme Macht verschlang
Urplötzlich das Gebrause.
Und eh', das Herz mir dreimal schlug,
So saßen sie zu Pferde,
Und auf und davon im schnellsten Flug,
Daß rings erbebte die Erde.
Doch die Zigeuner blieben hier,
Die feurigen Gesellen,
Und spielten alte Lieder mir
Rakoczy's, des Rebellen.
In der Schenke
Am Jahrestag der unglücklichen Polenrevolution
Uns're Gläser klingen hell,
Freundlich tönen unsre Lieder;
Draußen schlägt der Nachtgesell
Sturm sein brausendes Gefieder,
Draußen hat die rauhe Zeit
Unsrer Schenke Thür verschneit.
Haut die Gläser an den Tisch!
Bruder, mit den rohen Sohlen
Tanzt nun auch der Winter frisch
Auf den Gräbern edler Polen,
Wo verscharrt in Eis und Frost
Liegt der Freiheit letzter Trost.
Um die Heldenleichen dort
Rauft der Schnee sich mit den Raben,
Will vom Tageslichte fort
[329]Tief die Schmach der Welt begraben;
Wol die Leichen hüllt der Schnee,
Nicht das ungeheure Weh.
Wenn die Lerche wieder singt
Im verwaisten Trauerthale;
Wenn der Rose Knospe springt,
Aufgeküßt vom Sonnenstrahle:
Reißt der Lenz das Leichentuch
Auch vom eingescharrten Fluch.
Rasch aus Schnee und Eis hervor
Werden dann die Gräber tauchen;
Aus den Gräbern wird empor
Himmelwärts die Schande rauchen,
Und dem schwarzen Rauch der Schmach
Sprüht der Rache Flamme nach.
Die drei Zigeuner
Drei Zigeuner fand ich einmal
Liegen an einer Weide,
Als mein Fuhrwerk mit müder Qual
Schlich durch sandige Haide.
Hielt der Eine für sich allein
In den Händen die Fiedel,
Spielte, umglüht vom Abendschein,
Sich ein feuriges Liedel.
Hielt der Zweite die Pfeif' im Mund,
Blickte nach seinem Rauche,
Froh, als ob er vom Erdenrund
Nichts zum Glücke mehr brauche.
Und der Dritte behaglich schlief,
Und sein Cymbal am Baum hing,
Über die Saiten der Windhauch lief,
Über sein Herz ein Traum ging.
[330]An den Kleidern trugen die Drei
Löcher und bunte Flicken,
Aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.
Dreifach haben sie mir gezeigt,
Wenn das Leben uns nachtet,
Wie man's verraucht, verschläft, vergeigt,
Und es dreimal verachtet.
Nach den Zigeunern lang noch schaun
Mußt ich im Weiterfahren,
Nach den Gesichtern dunkelbraun,
Den schwarzlockigen Haaren.
Der offene Schrank
Mein liebes Mütterlein war verreist,
Und kehrte nicht heim, und lag in der Grube;
Da war ich allein und recht verwaist,
Und traurig trat ich in ihre Stube.
Ihr Schrank stand offen, ich fand ihn noch heut,
Wie sie, abreisend, ihn eilig gelassen,
Wie Alles man durcheinanderstreut,
Wenn vor der Thür die Pferde schon passen.
Ein aufgeschlagnes Gebetbuch lag
Bei mancher Rechnung, von ihr geschrieben;
Von ihrem Frühstück am Scheidetag
War noch ein Stücklein Kuchen geblieben.
Ich las das aufgeschlagne Gebet,
Es war: wie eine Mutter um Segen
Für ihre Kinder zum Himmel fleht;
Mir pochte das Herz in bangen Schlägen.
Ich las ihre Schrift, und ich verbiß
Nicht länger meine gerechten Schmerzen,
Ich las die Zahlen, und ich zerriß
Die Freudenrechnung in meinem Herzen.
Zusammen sucht' ich den Speiserest,
Das kleinste Krümlein, den letzten Splitter,
Und hatt' es mir auch den Hals gepreßt,
Ich aß vom Kuchen und weinte bitter.
Die Drei
Drei Reiter, nach verlorner Schlacht,
Wie reiten sie so sacht, so sacht!
[332]Aus tiefen Wunden quillt das Blut,
Es spürt das Roß die warme Flut.
Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum,
Und spült hinunter Staub und Schaum.
Die Rosse schreiten sanft und weich,
Sonst flöss' das Blut zu rasch, zu reich.
Die Reiter reiten dicht gesellt,
Und einer sich am andern hält.
Sie sehn sich traurig ins Gesicht,
Und einer um den andern spricht:
„Mir blüht daheim die schönste Maid,
Drum thut mein früher Tod mir leid.“
„Hab Haus und Hof und grünen Wald,
Und sterben muß ich hier so bald!“
„Den Blick hab' ich in Gottes Welt,
Sonst nichts, doch schwer mir's Sterben fällt.“
Und kauernd auf den Todesritt
Ziehn durch die Luft drei Geier mit.
Sie theilen kreischend unter sich:
„Den speisest du, den du, den ich.“
Das dürre Blatt
Durch's Fenster kommt ein dürres Blatt,
Vom Wind hereingetrieben;
Dies leichte, offne Brieflein hat
Der Tod an mich geschrieben.
Das dürre Blatt bewahr' ich mir,
Will's in die Blätter breiten,
Dich ich empfangen einst von Ihr;
Es waren schöne Zeiten!
Da draußen steht der Baum so leer;
Wie er sein Blatt im Fluge,
Kennt sie vielleicht ihr Blatt nicht mehr,
Trotz ihrem Namenszuge.
Der todten Liebe Worte flehn,
Daß ich auch sie vernichte;
Wie festgehaltne Lügner stehn
Sie mir im Angesichte.
Doch will ich nicht dem holden Wahn
Den Wurf ins Feuer gönnen;
Die Worte sehn mich traurig an,
Daß sie nicht sterben können.
Ich halte fest zu bittrer Lust,
Was all mein Glück gewesen,
In meinen schmerzlichen Verlust
Will ich zurück mich lesen.
Das dürre Blatt leg' ich dazu,
Des Todes milde Kunde,
Daß jedes Leiden findet Ruh,
Und Heilung jede Wunde.
[334]Der frühe Mond
Noch ist die Nacht nicht eingeläutet,
Noch kehrt vom Feld der Schnitter nicht,
Und auf den Bergen ausgebreitet
Ist noch des Himmels Sonnenlicht;
Und doch ist schon der Mond zur Stelle,
Blickt bleich hernieder in den Tag,
Daß ihn des Baches Spiegelhelle
Kaum flüchtig wiederstrahlen mag.
[335]Du bist zu zeitig heut' gekommen,
Du lieber Mond, und d'rum so bleich!
Du hast im Lauf dich übernommen
Und denkst, die Sterne kämen gleich?
O sieh der Wälder stolzes Prangen,
Des Himmels Blau, die Wiesenflur,
Die Blumen mit den vollen Wangen, —
Sie spotten deiner Blässe nur.
Doch laß dich nicht den Spott verdrießen,
Denn wenn die Blumen schlummern ein,
Die stolzen Wälder schlafen müssen,
Dann schwillt und wächst dein Silberschein.
Die Welle, die mit Widerstreben
Jetzt wiederstrahlt dein bleiches Bild,
Wird dir mit Lust entgegenbeben,
Wenn sich vor ihr dein Glanz enthüllt.
Der schwarze Tod
Erzitt're Welt, ich bin die Pest,
Ich komm' in alle Lande,
Und richte mir ein großes Fest,
Mein Blick ist Fieber, feuerfest
Und schwarz ist mein Gewande.
Ich komme von Egyptenland
In rothen Nebelschleiern,
Am Nilusstrand im gelben Sand
Entsog' ich Gift dem Wüstenbrand
Und Gift aus Dracheneiern.
[340]Thal ein und aus, bergauf und ab,
Ich mäh' zur öden Haide
Die Welt mit meinem Wanderstab,
Ich setz' vor jedes Haus ein Grab
Und eine Trauerweide.
Ich bin der große Völkertod,
Ich bin das große Sterben,
Es geht vor mir die Wassersnoth,
Ich bringe mit das theure Brod,
Den Krieg hab' ich zum Erben.
Es hilft euch nichts, wie weit ihr floht,
Mein sausend Roß geht weiter,
Ich bin der schnelle schwarze Tod,
Ich überhol' das schnelle Boot
Und auch den schnellsten Reiter.
Dem Kaufmann trägt man mich ins Haus
Zugleich mit seiner Waare;
Er freut sich hoch, er lacht beim Schmaus,
Ich steig' aus seinem Schatz heraus
Und streck' ihn auf die Bahre.
Mir ist auf hohem Felsvorsprung
Kein Schloß zu hoch, ich komme;
Mir ist kein junges Blut zu jung,
Kein Leib ist mir gesund genung,
Mir ist kein Herz zu fromme.
Wem ich nur schau ins Aug' hinein,
Der mag kein Licht mehr sehen;
Wem ich gesegnet Brod und Wein,
Den hungert nur nach Staub allein,
Den durstet's, heimzugehen.
Im Osten starb der große Chan,
Auf Indiens Zimmet-Inseln
Starb Negerfürst und Muselmann,
Man hört' auch Nachts in Ispahan
Beim Aas die Hunde winseln.
[341]Byzanz war eine schöne Stadt
Und blühend lag Venedig,
Nun liegt das Volk wie welkes Blatt,
Und wer das Laub zu sammeln hat,
Wird auch der Mühe ledig.
An Nordlands letztem Felsenriff,
In einen kleinen Hafen
Warf ich ein ausgestorbnes Schiff,
Und Alles, was mein Hauch ergriff,
Das mußte schlafen, schlafen.
Sie liegen in der Stadt umher,
Ob Tag und Monde schwinden;
Es zählt kein Mensch die Stunden mehr,
Nach Jahren wird man öd und leer
Die Stadt der Todten finden.
Erwartung des Weltgerichtes
Wo bleiben nur die Schnitter, wer keltert all den Wein?
Die Ähren auf den Feldern verglühn im Sonnenschein,
Die Trauben in den Gärten, die Birnen in dem Laub,
Man pflückt sie nicht, sie fallen von selber in den Staub.
Wo sind die Menschen alle? Durch Thal und Wälder irrt
Das Hausthier mit dem Wilde, die Heerde führt kein Hirt,
Der Aar umkreist die Dörfer, an Flucht denkt nicht das Reh,
Das Netz verfault im Weiher, der Nachen fault im See.
Doch überall in Städten da wogt der Menschenstrom,
Man drängt durch Markt und Gassen zum Kirchhof und zum Dom,
Mit wundgerungnen Händen, mit Blicken angsterfüllt;
Die Falten aller Herzen sind offen und enthüllt.
Da bringt der Geiz voll Reue des Wuchers Sündensold:
„Ich nahm der Armuth Pfennig, ich wog und zählte Gold.
O hätt' ich doch geborget der Ewigkeit dafür,
Anstatt daß ich den Bettler verstieß von meiner Thür.“
[342]Ihr langes Goldhaar opfert die bleiche Buhlerin:
„Mein Haar in langen Flechten, ich hab' es nicht Gewinn.
Mein Hals war bloß und prächtig mein Schhmuck und mein Geschmeid'.
Erhör' mein Fleh'n, o Himmel, gib mir ein weißes Kleid!“
Zu Boden werfen Räuber die Messer roth von Blut,
Und geben selbst den Gräbern das einst geraubte Gut.
Wir trieben Spott mit Heil'gem und mit den Qualen Spott,
Wir hatten Lust am Bösen, jetzt fliehen wir zu Gott.
Verzweifelt stürzen Viele von Thürmen sich herab
Und finden so wahnsinnig aus Seelenpein ihr Grab,
Und wieder Andre stürzen in ihres Herzens Noth
Zum Altar und entreißen von dort das heil'ge Brod.
Allstündlich rufen Glocken und ruft der Bußgesang:
Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!
Es sagen alle Bücher und unsre Sünden klar:
Es nahn die letzten Tage, der Erde letztes Jahr ...
Die Glut wird sie zerstören, der Sturm wird sie verwehn;
Ihr Schiffer auf den Meeren die Zeichen sind geschehn!
Gewaltthat nur noch waltet und übermüthig Erz,
Das Volk ist ohne Richter, und ohne Furcht das Herz.
Saht ihr es, wie der Blitzstrahl die Wolkennacht zerriß?
Der Antichrist ist nahe, sein Reich die Finsterniß.
Er blendet aller Augen, er rühret Aller Mund;
Die Hölle wird ihn krönen und dienen seinem Bund.
Und stündlich rufen Glocken und ruft der Bußgesang:
Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!
Der Kaiser und die Fürsten umknie'n den Altarschrein,
Den Purpur von den Schultern, die Kronen auf dem Stein. —
Durch Nacht und Dunkel reitet gen Ost von Niedergang
Das Kreuz auf seinem Panzer ein Ritter ohne Bang,
Er denkt: Die Welt wird stehen, bis wir das Grab befreit;
Es leuchtet schon im Osten, bald weicht die Dunkelheit.
[343]Vom hohen Berge blicket ein Weiser himmelan,
Er sinnet vor sich nieder und mißt der Sterne Bahn:
Die ewigen Gesetze, Allmächtiger, leuchten klar
Aus deinem Buch am Himmel, erneuernd Jahr um Jahr.
Und wie sie dort erstrahlen, so leuchten wieder hier
Der Frühling und die Menschen, Erbarmender, vor dir,
Und wiederblühn wird Hoffnung dem menschlichen Geschlecht,
Und werden grünen Saaten und walten im Land das Recht.
Auf Blumen eingeschlafen in eines Thales Hain
Ruhn engelgleich zwei Kinder in Gottes Schutz allein,
Auf ihrer Unschuld Wangen blüht zart das Himmelslicht —
Vorüber rollt der Donner, vorüber das Weltgericht.
Die Krähen
Feldein nach einem dürren Baum
Fliegt eine Schaar von Krähen,
Die langsam wie im düstern Traum
Die schwarzen Flügel blähen.
Sie sind hinausgesandt vom Tod,
Und wie den Sturm die Möven,
Verkünden sie, wenn Unheil droht,
Der Haide stillen Höfen.
[344]Wo sie sich nahen, rasselt wach
Der Hofhund an der Kette,
Und wälzen sich mit Angst und Ach
Die Kranken auf dem Bette.
Sie bauen am Kamin ihr Nest,
Dann stirbt der Herr des Hauses,
Sie laden schreiend sich zum Fest,
Zum Rest des Leichenschmauses.
Es jagt ein dunkler Erdengeist
In ihren finstern Seelen,
Sie fliegen, wo sein Finger weist,
Dahin aus ihren Höhlen.
Dort fliegen sie, je vier und vier,
Wohin wol heut' beschieden?
O mögen gute Geister mir
Mein Heimathaus umfrieden!
Verwandlung
Ich sah dich noch ein lieblich Kind,
Umflattert von der Unschuld Träumen,
Wie Knospen die am Aufblühn sind,
Und schüchtern, aufzublühn noch säumen;
Schon waren alle Reize dein,
Dich ahnungsvoll vorauszuschmücken,
Und wer dich sah, sprach mit Entzücken:
Wie schön wird einst dies Mädchen sein!
Ich sah dich wieder — Jahr und Tag
War unterdeß dahingegangen,
Anstatt der Jugendrosen lag
Ein stiller Gram auf deinen Wangen.
Doch welche Hoheit war noch dein!
In deinen Blicken welche Sonne!
Ich sprach zu mir mit Schmerz und Wonne:
Wie schön muß sie gewesen sein! —
[345]Ich sprach dich, welche Milde floß
Und welche Anmuth dir vom Munde,
Wie stand'st du da, wie rein und groß,
Verhüllend deines Herzens Wunde;
Dein edles Herz, dies blieb ja dein,
Das wird dich stets am meisten schmücken,
Ich fühl's mit innigem Entzücken;
So schön, so wirst du immer sein!
Sonntag im Meere
Aus der See
Sonntag ist's, der Tag des Herrn,
Der uns ladet zum Gebet,
Alles wandelt still zum Dome,
Am Altar' der Priester steht.
Segen spendet er der Menge,
Die in tiefer Andacht kniet,
Und ihr Halleluja singet
Und das schönste Kirchenlied.
Alles tauchet fromm die Hände
In geweihtes Wasser ein,
Will gereinigt von der Sünde,
Will vom Herrn gesegnet sein. —
Tausend Meilen weit vom Lande,
Fern im stillen Ocean,
Treibt ein Schiff am Sonntagsmorgen
Auf der großen Weltenbahn;
[347]Ringsumher die Wasserwüste, —
Kein Altar! Kein Weihrauchduft!
Keine Kirche, keine Glocke,
Die zur Sonntags-Andacht ruft!
Doch als Dom der blaue Himmel,
Der auf uns hernieder sieht,
Im Ornat als hoher Priester
Glänzt die Sonne im Zenith;
Durch die Taue und die Tafel,
Säuselt es wie Orgelklang,
Und die Wellen plätschern lieblich
Einen frommen Chorgesang.
Und ich tauche meine Hände
In die gottgeweihte Flut,
Und bekreuze meine Stirne
Wie man's in der Kirche thut;
Solche Andacht auf den Wellen
Billigt man wol auch in Rom:
Mit Choral, geweihtem Wasser,
Und in Gottes eig'nem Dom.
Der Christbaum
Aus der See
Bist wieder du gekommen, du holde Weihnachtszeit,
In der mir Elternliebe den Christbaum sonst geweiht!
Heut bist du kalt und frostig im weiten Sturmesmeer,
Nur die Erinn'rung zaubert dich geistig zu mir her!
Sie malet freundlich wieder, was ich mit Schmerz entbehrt,
So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum bescheert.
Einst war es dieser Abend, der viel des Schönen bot,
Des Herzens Freude malte dem Kind' die Backen roth;
Heut' peitscht der Nord, der eis'ge, in's Angesicht die Flut,
Und färbet meine Wange wie einst mit Purpurglut.
[348]Einst winkte mir die Tanne, mit Gaben reich geschmückt,
Nach deren dunklen Zweigen ich sehnsuchtsvoll geblickt;
Heut' stehen die drei Masten als Weihnachtsbäume da,
Und Silberstangen Eises verzieren jede Raa.
Mein Auge schaut zur Höhe so starr und unverrückt,
Wie es in meiner Jugend den Christbaum angeblickt.
So habe ich es wieder, was ich mit Schmerz entbehrt,
So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum bescheert.
An meine Mutter
Und ob auch Hunderte mich hassen,
Viel einst'ge Freunde mich verlassen,
Und ob ich gar verhöhnet bin,
Vom Marktgewühl im bunten Flimmer:
Ein einzig Lob aus deinem Munde,
Nur eine einzige frohe Stunde
In deiner Nähe läßt vergessen
Die ganze bitterernste Schmach.
Und ob auch Tausende mich preisen
In immer neuen, höhern Weisen,
Und ob mein Name golden glänzt
Auf Ruhmestafeln der Geschichte:
[350]Ein ein'ger Rath aus deinem Munde,
Nur eine einzige traute Stunde
In deiner Nähe macht mich glücklich,
Wie nimmer Ehre das vermag.
Und ob ich unablässig strebte,
Im Sturm der Seelenkämpfe bebte,
Und ob seit Jahren jeder Morgen
Mir neue, größre Sorgen brachte:
Ein einz'ger Trost aus deinem Munde,
Nur eine einzige Friedensstunde
In deiner Nähe spendet Ruhe
Nach wilderregtem, wirrem Tag.
Künstlerstolz
Des Augenblickes Sclaven, feile Seelen,
Erlabt euch immer an des Ruhmes Schein, —
Es kommt die Nacht, da euch die Freunde fehlen;
Da wird euch angst um eure Ehren sein.
Gebt acht, gebt acht: wenn erst der Rausch verflogen,
So läßt der Narrenschwarm euch seitwärts stehn,
Zeigt flugs der neu'ren Mode sich gewogen:
Um eure Ruhmeskränze ist's geschehn!
Dir aber, edler Künstler, ob verborgen,
Ob leer an Freuden, fern dem Festessaal,
Strahlt siegesfroh, durch alle Zweifelssorgen,
Im Sonnenglanz dein hehres Ideal.
Das bleibt dir treu, auch wenn die Nacht gekommen,
Und streckt sich machtvoll über Raum und Zeit,
Und wirkt, wenn längst dein Lebenslicht verglommen,
Und leuchtet fort in alle Ewigkeit.
[351]Nach hundert Jahren
An eine Frau
Ein Jahrhundert wird vorübergehn,
Unsre Gräber wird man nicht mehr sehn,
Unsre Namen, was wir thun und wollen,
Alles ist vergessen und verschollen.
Menschen, deren Zorn wir feig gebebt,
Daß wir lieber ihrem Wahn gelebt,
Als im Glanz der Wahrheit hinzuwallen,
Sind in Staub gleich unserm Staub zerfallen.
Für den Traum, der nie ein Hoffen fand,
Für das Glück, das ungenossen schwand,
Wird die Welt, der wir's zum Opfer gaben,
Keinen Dank und kein Erinnern haben.
Nichts mehr lebt für uns, selbst nicht der Hohn,
Der da früge, was des Opfers Lohn!
Doch im Reich der Seelen tönt ein Klagen
Um so sündhaft Leiden und Entsagen.
Seelen, die der gleiche Ruf erfaßt,
Wie zwei Blüten auf dem gleichen Ast,
Eine Frucht zu werden der Vollendung,
Trennten sich und logen ihrer Sendung.
Ein Jahrhundert wird vorübergehn,
Was wir opfern, ist umsonst geschehn,
Doch die Geister höh'rer Welten richten
Strafend unser frevelhaft Verzichten.
Von den Engeln
Nun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wie schön die guten Engel sind!
Sie sind so hell von Angesicht,
Als Erd' und Himmel im Frühlingslicht;
Sie haben Augen gar blau und klar
Und ewige Blumen im goldigen Haar,
Und ihre raschen Flügelein
Die sind von silbernem Mondenschein.
Bei Tag und Nacht
Schweben die Engel in solcher Pracht.
Nun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wie die Englein fliegen leis und lind!
So leis als der Schnee vom Himmel fällt,
So leis als der Mond zieht über die Welt,
So leis als der Keim aus der Erde sprießt,
So leis als der Duft durch die Lüfte fließt,
So leis als vom Baume weht ein Blatt,
So leis als das Licht über Land und Stadt —
So leis und lind
Fliegen die Englein, mein liebes Kind!
Nun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wozu die guten Engel sind!
Wo ein Armer betet in seiner Noth,
Da bringen sie in das Haus ihm Brod,
Wo beim kranken Kinde die Mutter wacht,
Da nehmen des Kindleins sie in Acht,
[356]Und wo in Gefahren ein Guter schwebt,
Wo Jemand weinet, Jemand bebt,
Dahin geschwind
Gehen die Englein, mein liebes Kind.
Und willst du, mein Kind, die Englein sehn —
Das kann auf der Erde wol nicht geschehn;
Doch wenn du hier lebest fromm und rein,
Wird stets ein Engel um dich sein.
Und wenn sich dereinst dein Auge bricht,
Du nicht mehr erwachst zum Tageslicht,
Dann wirst du ihn schaun: er winkt dir still,
Dann folg' ihm, wohin er dich führen will.
Im Himmelsschein
Wirst du dann selber ein Engel sein!
Die Steine werden zeugen
Der Ostermorgen lächelt,
Ein Bräut'gam, in die Welt,
Vom Frühlingsduft gefächelt
Steigt er aus seinem Zelt.
Und rings herum das Schweigen!
Der Wald, er steht so still;
Kein Blümlein sich verneigen,
Kein Blättchen rauschen will.
Im fernen Kirchlein singet
Die fromme Christenschaar;
Da von den Steinen klinget
Das Echo wunderbar.
Als wenn aus Berges-Tiefen
Das Singen kläng' hervor;
Als wenn die Felsen riefen:
„Er lebt! er lebt!“ im Chor.
[357]„Er lebt! er lebt!“ da lauschen
Die Blümlein, neigen sich,
Da bücket sich mit Rauschen
Der Wald so feierlich.
Und mächt'ger immer wieder:
„Er lebt! er lebt!“ vom Stein, —
Mir läuft ein Schauer nieder
Im tiefsten Mark und Bein;
Und denk' — und muß mich beugen —
Was dort geschrieben ist:
Die Steine werden zeugen,
Wenn mich der Mensch vergißt.
Letzter Gruß
Sie rauschten hoch auf, die brausenden Wogen
Und meine gescheiterte Seele rang
Vor deinem Blicke ... Du konntest nicht retten,
Du konntest nicht helfen! Dir graute, Unseliger,
Vor meinen dumpfen, verzehrenden Qualen.
Aus deinem Auge brach nur ein Strahl
Des menschlichen Mitleids, der männlichen Milde,
Und dieser Strahl hat jäh mir erleuchtet
Den gähnenden Abgrund, in den versunken
Mein einst so stolzes, zerstörtes ... Ich ...
— — — — — — — — — — — — — —
Ich hab' mich aufgerafft ... ich floh hinaus
Und schritt vereinsamt all' die öden Wege,
Die ich in alten Tagen oft gewandelt.
Mir däucht', ich müßte blutige Spuren finden
Aus einer längstverklungenen, harten Zeit.
Wie damals suchte Ruhe ich und Frieden
[358]Auf einem schneebedeckten, kahlen Grab! ...
Tief unten in der frosterstarrten Erde
Da liegt ein großes, regungsloses Herz,
Das fieberhaft einstmals für mich geschlagen,
Das einzige, das jemals mich geliebt ...
Jedweden Irrthum, alle Schuld und Fehler,
Jedwedes Leid und jegliches Gebet,
Ich trag' es hin zu diesem weißen Hügel,
Ich leg' es tief zu einem todten Mann.
Wenn ich vor diesem hehren Altar knie,
Dann weicht die Welt zurück mit ihrem Weh,
Und wieder find' ich meine Kraft, die herbe,
Die mein entsagend Herz erfüllen muß ...
Ich, lange lag ich auf der kalten Erde
Und leise fiel im Wirbeltanz der Schnee,
Bis er das Grab und mich schier ganz verhüllte.
Den vollen Lebensjammer klagte ich
Die Todessehnsucht — ihm, dem Todten ...
Die Todessehnsucht, die mich überkam
Gewaltiger denn je — seit ich dich liebe ...
Ich weiß nur, daß allmählich stiller wurde
Der schamerfüllte Schmerz in meiner Brust,
Und daß — wie oft barmherz'ge Menschenhände
Von müden Schultern eine schwere Last
Mit liebevoller Sorge leise nehmen, —
Mir gleichsam unsichtbare Finger sacht
Die Leidensbürde von dem Nacken hoben,
Den tiefgebeugt ich gestern noch vor dir.
Und durch den Friedhof, durch den dämmergrauen
Zog geisterhaft und doch vernehmlich klar
Ein tiefes Liebeswort, ein Liebessegen.
— — — — — — — — — — — — — — — —
Ich sitze wieder jetzt an dieser Stelle,
Wo gestern ich noch deine Blicke mied,
Wo hilflos vor dir lag die nackte Seele
Und du so mild, so ernst und trauervoll
In meine Lebenswirrniß niederschautest ...
Es ist vorbei ... für immer überwunden.
Und wenn ich gestern stumm vor dir gefleht:
[359]„Ich möchte nur in deiner Nähe athmen“,
So sag' ich heute: „Sende mich hinaus!“ ...
Nicht Demuth ist es, feige, weiblich-schwache,
Die solches Wort auf meine Lippe drängt, —
Liebloser Trotz nicht, weder trotz'ge Liebe,
Nicht Gram, Verzweiflung, rückgedämmter Schmerz ...
Es ist mir nur, als wären alle Fäden,
Die Leib und Seele binden, losgelöst, —
Als bliebe sie bei dir, die freie Seele.
Magst du der Hülle schweigend auch gebieten,
Daß sie dich meiden soll für alle Zeit! ...
Die Stunden kommen, wo du einsam bist,
Wo du dich wirst an meine Seele schmiegen
Und wo dein schönheitsattes, kühles Herz
Des steten Harmonienwohlklangs müde,
Sich sehnet nach des Adlerweibes Schrei,
Der jählings durch dein stilles Leben gellte —
Und nun verklingt in diesem letzten Gruß ...
Das Posthaus von Aussee
Steierische Volkssage
Im Posthaus von Aussee
Da gibt es firmen Wein,
Forellen, Hirsch und Reh
Und holder Augen Schein.
Die goldne Sonntagsfrühe
Sie lacht ins grüne Steierland,
Und dorten steht die glühe,
Des Losers schroffe Wand.
[361]Der Morgensegen scholl
Hinauf zum Himmelsdom,
Aus allen Häusern quoll
Der Kirchengänger Strom.
Doch in den Schall der Glocken
Ein lustig Posthorn schmettert drein, —
Wie mochte da erschrocken
Postmeisters Ännchen sein!
Des Wagens Viergespann
Es kommt mit Sturmesbraus,
Da springt der beste Mann
Der Steiermark heraus.
Es nickt die Spielhahnfeder
Von seinem grünen Jägerhut,
Und Vivat schallt, denn Jeder
War unserm Prinzen gut.
Er tauscht mit Kunz und Hinz
Leutsel'gen Händedruck,
Johann, der Kaiserprinz,
Im Jägerrock so schmuck.
Doch, wie man gern verweile,
Wo Frohsinn jedes Aug' verklärt,
So hat wol manchmal Eile,
Wer mit vier Rossen fährt.
Er trank sein Gläschen aus,
Von solcher Lieb' erfreut;
Dann rief er in das Haus:
„Grüß' Gott euch, brave Leut'!“
Da sprach des Zufalls Tücke
Dem reichen Posthaus bösen Hohn,
Denn Pferde gab's zum Glücke, —
Doch keinen Postillon!
Die waren alle fort
Thalaufwärts und thalab,
Der letzte fern dem Ort.
Und was sich jetzt begab,
[362]Das Märlein wird gesungen,
So lang' es hier noch Berge gibt,
So lang' den schmucken Jungen
Ein Steirermädel liebt!
Da klirrt mit blankem Sporn
Und Peitsch', im Galarock
Ein Schwager mit dem Horn,
Und schwingt sich auf den Bock.
Den Arm in gelber Binde,
Das rothe Röcklein saß ihm gut, —
Wie flatterte im Winde
Der Federbusch vom Hut!
Hinaus zum Markte rollt
Des Prinzen Zweigespann,
Er lenkt es wie er sollt',
Vom Bock der junge Mann.
Die letzten Häuser schwanden, —
O wunderholde Reiselust,
Erlösest aus den Banden,
Die müde Menschenbrust!
Und wie im duft' gen Hauch
Die Tannenwälder flohn,
Da faßt der Prinz ins Aug'
Den schmucken Postillon.
Und spricht, wie der im Schwunge
Die Zügel hebt und wieder senkt:
„Bei Gott, das ist kein Junge,
Der mir den Wagen lenkt!“
Des schwarzen Auges Glut,
Der Wangen Rosenflor,
Da lugen unterm Hut
Zwei Zöpfe gar hervor.
Wie blickt mit scheuer Bitte
Der schmucke Junge bleich und bang,
Als schon um seine Mitte
Der Fürst die Arme schlang.
[363]O Traum der Seligkeit,
Als ihm verwirrt, verzagt,
Der Post Verlegenheit
Die schöne Maid geklagt!
Wie tief ist sie erglommen, —
Doch was er sprach zu Ännchen traut,
Nun Gott, du hast's vernommen,
Und gönntest ihm die Braut!
Der Wind er trägt es fort
Und jubelnd schon der Bach,
Das kleine, süße Wort,
Das er zum Mädchen sprach.
Die Finken, die dort schlugen
Um's grünversteckte Jägerhaus,
Die Lerchen alle trugen
Es in die Welt hinaus.
Ob in der Wienerburg
Der Kaiser Franz ihm grollt,
Er brach die Schranken durch,
Und that was er gesollt!
Schon stand im weißen Kleide
Sie mit dem Prinzen am Altar,
Dem sie in Glück und Leide
Die holde Freundin war.
Wol preis't sie manches Lied!
Glücksel'ge Jahre floh'n,
Und als der Gatte schied,
Da stützte sie der Sohn.
Es denkt in Lieb und Treuen
Die grüne Steiermark noch Sein,
Wenn Ernten sich erneuen,
Und gut gerieth der Wein.
Da schickt manch reichen Kranz
Der Seinen Liebe wol
Im Thauesperlenglanz
Zur Gruft ins Land Tirol.
[364]Es denkt zu allen Stunden
Bei ihrer holden Enkel Nah'n
Der Tage längst entschwunden
Die Gräfin von Meran.
Die Schnitterin
Ich kam in lauer Sommernacht,
Den Feldrain dort gezogen,
Es liefen vor dem Winde sacht
Des Kornes hohe Wogen.
Ich sah des Mondes Silberhorn
Durch dunkle Tannen blinken,
Was will in's Korn, in's gelbe Korn,
So geisterhaft mich winken?
Wie rings auf allen Weihern dicht
Die weißen Nebel qualmen,
Da schimmert's wie ein Angesicht,
Da regt sich's in den Halmen.
Still Wachtelschlag und Grillensang, —
Da fährt es auf erschrocken,
Mein Herz gepreßt und sehnsuchtsbang,
Die Pulse fühl' ich stocken.
Die Jüngste und die Schmuckste war
Noch da vom Schnittervolke,
Den feuerrothen Mohn im Haar,
Kraus wie die Wetterwolke.
Um ihren Nacken voll und weiß
Das knappe, dunkle Mieder,
Ein Schauer kalt und wieder heiß
Durchrieselt' mir die Glieder.
„Ei, schaffst du dir die Äuglein blind,
Daß sich ein Stein erbarme?“
Die Garbe rauscht', da sank das Kind
furchtsam in die Arme.
[365]Und dunkler zog's am Himmel auf,
Da loderten die Wangen,
Da ward der Küsse Feuertauf'
Gegeben und empfangen.
Und setzte unser Liebesbund
Die ganze Welt in Flammen,
Nur heißer preßt sich Mund an Mund,
Als stürben wir zusammen.
Da krächzt' ein Rabe durchs Gefild,
Bei wonnigem Umfassen,
Ich sah dich jäh, des Kummers Bild,
Erbeben und erblassen! ...
Wo bist du, holde Schnittermaid,
In welcher Länderferne?
Dahin der Jugend Lust und Leid,
Erloschen ihre Sterne!
Doch Nachts, wenn fern Gewitter droh'n,
Und Strom und Tannen rauschen,
Da seh ich dich, bekränzt mit Mohn,
Aus hohem Korne lauschen.
Das letzte Sacrament
Die Mutter stirbt: — der Abend schaut herein,
Und goldne Lichter spielen um den Schrein,
Als sei der Engel nahe, der den Gram
Aus ihren Zügen still zu löschen kam.
Den Gram? O nein! Sie lächelt sanftbeglückt,
Als hätte man zur Feier sie geschmückt.
Der Priester mit dem Sacrament, — um ihn
Des Hauses Kinder alle auf den Knie'n.
Es ist der Sohn, an dem ihr Auge hängt,
Aus dessen Hand die Hostie sie empfängt.
[366]„Er ist so gut, so kindlich fromm und rein,
Herr, deiner Huld lass' ihn befohlen sein!“
Dem Jüngling rollt die Thräne aus dem Aug',
Doch treu und fest übt er der Kirche Brauch.
Und salbt mit heil'gem Öl der Mutter Mund,
Der ihn geküßt seit seiner ersten Stund',
Die Hände, die ihn liebend zart gepflegt,
Zu weichem Schlummer sorgsam hingelegt, —
Die Augen, die zeitlebens ihn bewacht,
Und die er schließen soll zu ew'ger Nacht! —
Gebet und Schluchzen rings im Schwesternkreis,
Ein Engel wandelt durch das Zimmer leis.
Mit deines Sohnes Antlitz fromm und mild
Der Bote ist es aus dem Lichtgefild!
Was nur dem Mutterherzen Glück gewährt,
Das hat sich dir zum Heiligsten verklärt.
Es leitet dich durch aller Sel'gen Chor
Die Kindeslieb' zu Gottes Thron empor.
Was du nicht wissen sollst
Erfahre nie, wie hold du bist,
Wie liebreich und wie gut,
Wenn im Gemüth zu jeder Frist
Dir nur ein Engel ruht,
Der, träumend noch von Edens Lust,
Dein junges Herz erfüllt,
Den uns, — dir selber unbewußt,
Dein Blick und Wort enthüllt!
Die hohe Sonne selbst nicht ahnt,
Daß sie die Welt beglückt,
Die Rose nicht in deiner Hand,
Daß sie die Flur geschmückt.
[367]Der Demant ist sich selber blind,
Er ahnt sein Feuer kaum, —
So bleib' die eigne Schönheit, Kind,
Dir Ahnung nur und Traum!
Genug, wenn jener helle Glanz,
Der dir von oben stammt,
Dein Mädchenhaupt im goldnen Kranz
Als Glorie umflammt;
Der innern Schönheit Wiederschein
Nur deine Wange küßt,
Und aus den Augen, kindlich rein,
Uns stets — der Engel grüßt!
Spatz und Spätzin
Auf dem Dache sitzt der Spatz,
Und die Spätzin sitzt daneben,
Und er spricht zu seinem Schatz:
„Küsse mich, mein holdes Leben!
Bald nun wird der Kirschbaum blühn,
Frühlingszeit ist so vergnüglich;
Ach, wie lieb' ich junges Grün
Und die Erbsen ganz vorzüglich!“
Spricht die Spätzin: „Theurer Mann,
Denken wir der neuen Pflichten,
Fangen wir noch heute an,
Uns ein Nestchen einzurichten!“
[369]Spricht der Spatz: „Das Nesterbau'n,
Eier brüten, Junge füttern
Und dem Mann den Kopf zu krau'n —
Liegt den Weibern ob und Müttern.“
Spricht die Spätzin: „Du Barbar!
Soll ich bei der Arbeit schwitzen,
Und du willst nur immerdar
Zwitschern und herumstipitzen?“
Spricht der Spatz: „Ich will dich hier
Mit zwei Worten kurz berichten:
Für den Spatz ist das Plaisir,
Für die Spätzin sind die Pflichten!“
Der Sänger
Ich bin kein froher, heit'rer Knabe,
Ich bin ein sinnender Ascet,
Der liederreich, bei karger Habe
Begnügsam durch das Leben geht.
Kein Ort, an dem ich heimisch bliebe,
Hab' unterm Pfühle stets mein Schwert —
Ein wenig Wein, ein wenig Liebe
Ist Alles, was mein Herz begehrt.
[370]Ich lieb's im Sonnenschein zu stehen
Auf hohem Schiffe am Verdeck,
Die Wogen ziehn, die Winde wehen,
Ums Haupt die Locken wallen keck.
Zur Ferne lockt das Flutgetriebe —
Kein Blick, der da zurücke kehrt —
Ein wenig Wein, ein wenig Liebe
Ist Alles, was mein Herz begehrt.
Und seh' ich Lorbeer, blütenreichen,
Um andrer Sänger Schläfen blühn,
Mir g'nügt vom Fels der Freiheit Zeichen,
Der wilde Epheu frisch und grün.
Mir sind die schmucklos grünen Triebe
Fast mehr als Ros' und Lorbeer werth,
Dabei ein wenig Wein und Liebe
Ist Alles, was mein Herz begehrt.
Zum mind'sten brauch' ich nicht zu zagen,
Daß je mein Lied des Amts vergißt,
Den Mächtigen ein Wort zu sagen
Der Wahrheit, wie's des Sängers ist.
Zum Leben braucht solch' mäß'ger Zecher
Nicht Pöbelgunst, nicht Fürstengnad',
Ein wenig Lieb' und einen Becher
Trifft wandernd man auf jedem Pfad.
Die Jüdin
Es hallen dumpf die Todtenlieder,
Der alte Jud' zerreißt sein Kleid,
Doch senkt er keine Todte nieder,
Die man begräbt, die lebt in Freud' —
Das Grab, das wartet.
So ist der Juden Brauch zu Lande
Schon aus uralter Zeit herab;
Wer sich von seinem Glauben wandte,
Der heißet todt, man gräbt sein Grab —
Ein Grab, das wartet.
[371]Der Trauerbaum, die Schrift am Steine
Thun Kunde, wann die sünd'ge Seel'
Gestorben ist für die Gemeine,
Für's treue Volk von Israel —
Das Grab, das wartet. — —
Fern zu Venedig, licht und helle
Zieht eine Gondel durch die Flut,
Drin sitzt der blonde Kriegsgeselle,
An seiner Brust die Jüdin ruht —
Ihr Grab, das wartet.
Er küßt ihr Haar, küßt ihre Wangen,
Er nennt sie seine süße Braut;
Sie spielt mit seinen goldnen Spangen,
Streicht ihm den Bart und jubelt laut —
Ihr Grab, das wartet.
Dann Nachts im Saal bei Duft und Glanze
Schlägt sie die Zither beim Banket,
Bis sie der schöne Christ vom Tanze
Heimführet in sein seidnes Bett —
Ihr Grab, das wartet.
Doch einst, erwacht nach holdem Kosen,
Trifft sie zur Seit' das Lager leer;
Fern trägt das Schiff den Treuelosen
Mit vollen Segeln übers Meer —
Das Grab, das wartet.
Die Jüdin rauft ihr Haar von Seiden,
Sie irrt am Strand umher und sucht;
Zum ersten Mal mit tausend Leiden
Denkt sie des Worts: Du bist verflucht —
Dein Grab, das wartet!
Ein bettelnd Weib auf Alpenwegen
Zieht heimwärts sie durch Nacht und Wind,
Am Abgrund, ohne Thrän' und Segen
Hat sie verscharrt ihr todtes Kind —
Ihr Grab, das wartet.
[372]Daheim so stumm die Gräber trauern —
Wer ist's, der ihren Frieden bricht?
Ein Schatten an den Kirchhofsmauern,
Die Jüdin sucht im Mondenlicht
Ihr Grab, das wartet.
Mit letzter Kraft der kranken Glieder
Rollt sie vom Grab' den breiten Stein,
Spricht das Gebet der Väter wieder,
Legt sich dann selbst ins Grab hinein —
Es hat gewartet.
In der Gebirgswüste
Du wildes Gebirg, so schroff und gezackt,
Urwüste der Welt wie am ersten Tag,
Als der Himmel öd' und die Erde nackt
Und kein klopfendes Herz an der Erde lag, —
Urstille der Welt! Nimm mild gesinnt
In deine Arme dein zagendes Kind.
Verlassen hab' ich im tiefen Thal
Der Menschheit Kampf und der Menschheit Müh'n,
Das ärmliche Glück und die kleinliche Qual,
Doch auch die Rosen, das Saatengrün,
Die Fischerhütte im stillen Ried,
Das Heerdengeläut und das Hirtenlied.
Wo der braune Falk um die Klippen schreit,
Durch der Klüfte Schnee, durch der Felsen Bann,
Durch alle Schauer der Einsamkeit
Zog ich mit klopfender Brust hinan.
In der Hütte dort, wo die Wüste beginnt,
Dort segnete ich das letzte Kind.
Den Bach, der über die Felsen schlug,
Ich hört' ihn singen, so laut und wild:
Hier duldet Natur, sich selbst genug,
Kein Menschenwerk und kein Gottesbild,
Und ein Kreuz das der Glaube hoch aufgestellt,
Er warf's in die Tiefe in Trümmer zerschellt.
[373]Das Bild der leidenden Creatur,
Das Bild von des Geistes Kampf und Noth,
Was sollt' es hier in der großen Natur,
Hier wo kein Leben und auch kein Tod?
Prometheus selbst auf diesem Gestein,
Des Kaukasus Dulder, wie wär' er so klein!
Du aber, die zu trotzen gewagt,
Du Seele, die dies Gebirg durchstreift,
Dein Schmerz hat Gott und Menschen verklagt,
Was ist das Gefühl, das dich hier ergreift?
Du rufst in schwindelnder Todeslust
All', alle Felsen an deine Brust!
Sieh dort das Lamm, das der Aar zerfleischt,
Sieh den Falken dort ohne Rast und Ruh,
Sieh dort das Rohr, das im Winde kreischt,
Sie leiden alle — was klagest du?
Hier lerne, wie klein eines Menschen Wehn,
Hier lerne jauchzen und untergehn!
Maria
Die Nacht ist schwül und duftig,
Der Wind pocht an der Thür —
Und daß ich schön und arm war,
Was kann ich denn dafür?
Du Rose hast Alles verschuldet,
Die meiner Hand entglitt,
Als er durch unsre Gasse,
Der schöne Fremdling, ritt.
Er merkte sich das Fenster
Und kam beim Dämmerschein;
Ach, meine eigne Mutter,
Die Mutter ließ ihn ein.
Wie die Kastanien blühten
In rosenfarb'ner Pracht!
Wie süß er sprach von Liebe
In der klarer Maiennacht!
[374]O Lügner, schöner Lügner!
Verlassen, welches Weh!
Die Nachbarinnen zischeln,
Wo ich vorübergeh'.
Am Brunnen, hinten im Garten,
Graut mir vorüberzugehn —
Eine kleine, kleine Leiche
Glaub' ich dort immer zu sehn ...
Halt aus, nicht lang' mehr dauert's,
Dann durch die Kirchhofsthür —
Ach, daß ich schön und arm war,
Was kann ich denn dafür?
Im Gebirg
Als ich jüngst vom Pfad verirrt war,
Wo kein Jäger und kein Hirt war,
Führt ein Licht aus dunkelm Tann
Mich an eines Hüttleins Schwelle,
Drin bei matter Lampenhelle
Eine greise Parze spann.
Draußen schlug der Wind die Schwingen,
Und die Bergesströme singen
Hört' ich ihren dunkeln Sang ...
Und ich sah den Faden schweben,
Und der Faden schien ein Leben, —
Meines? dacht' ich zauberbang.
Wage, Mensch, die höchsten Flüge,
Deiner Parze starre Züge
Sehen längst das nahe Ziel!
Tummle dich, ein kühner Ringer:
Ihre hagern, harten Finger
Enden bald das edle Spiel.
Weiter spann die Unbewegte ...
Ist es Täuschung oder regte
Sich im Aug' ihr nasser Glanz?
Eine Thräne seh' ich schimmern ...
An der Wand mit Silberflimmern
Hangt ein dürrer Todtenkranz ...
Was ich leise bebend schaue,
Ist die Parze nicht, die graue,
Die ein Menschenleben spinnt —
In der Alpenhütte Kammer
Spinnt ein Weib den alten Jammer
Um das früh verlorne Kind.
[377]Was ist Liebe?
Wie oft du geweilt bei der Süßen, Schönen,
Stets klopfenden Herzens zu ihr sich sehnen;
Wie oft dein Aug' an ihr gehangen,
Stets glühend wieder nach ihr verlangen;
Wie oft du sie küssend durftest umwinden,
Stets tiefere Leidenschaft empfinden;
Wenn dir's versagt ist, sie zu sehen,
In innigem Herzeleid vergehen;
Und jede Secunde verloren achten,
Wo ihre Augen dir nicht lachten;
Im Glücke selbst ein Sehnen fühlen,
Durch keine holde Gunst zu kühlen,
Und Herz an Herz im höchsten Entzücken,
In ihr noch ein fernes Gut erblicken,
Ein Ideal, der Sonne vergleichbar,
Stets unerreicht, und unerreichbar,
Das, das ist Liebe, die Krone des Strebens,
Die höchste Wonne des Erdenlebens.
[378]Errungenschaft
Du lässest matt die schlaffen Arme sinken,
Du kämpfst nicht mehr und rufst in bitterm Grolle:
Mich locken nicht die Schätze, die mir winken,
Und jeden Flug empor bezwingt die Scholle!
Zu früh! Du hast kein Recht noch, so zu sprechen.
Nur fort durch Nacht und Sturm auf deinen Wegen!
Und lasse Stück um Stück das Herz dir brechen,
Getroffen von des Schicksals mächt'gen Schlägen.
Noch fließt es nicht aus innerstem Erkennen,
Das Wort, das du so rasch geführt im Munde;
Und müßtest du von Allem rings dich trennen,
Du griffest doch danach in letzter Stunde.
[380]Willst du als deines Ringens Preis nur Kronen?
Soll dich's zum Gipfel süßen Glückes tragen?
Nein, nein! Es mag dich reichlich schon belohnen,
Lernst du gefaßt aus tiefster Seel' entsagen.
Harr' aus, harr' aus! Ob dir die Brust zerrissen,
Harr' aus, harr' aus, trotz jeglicher Beschwerden!
Und wär's auch nur: am Grabesrand zu wissen,
Daß dieses Sein nicht werth, gelebt zu werden!
Hofers Tod
Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt' ihn der Feinde Schaar;
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach! in Schmach und Schmerz,
Mit ihm das Land Tyrol.
Die Hände auf dem Rücken,
Der Sandwirth Hofer ging
Mit ruhig festen Schritten,
Ihm schien der Tod gering;
[384]Der Tod, den er so manchesmal
Vom Iselberg geschickt ins Thal,
Im heil'gen Land Tyrol.
Doch als aus Kerkergittern
Im festen Mantua
Die treuen Waffenbrüder
Die Händ' er strecken sah,
Da rief er laut: „Gott sei mit euch,
Mit dem verrathnen deutschen Reich
Und mit dem Land Tyrol!“
Dem Tambour will der Wirbel
Nicht unterm Schlägel vor,
Als nun Andreas Hofer
Schritt durch das finstre Thor;
Andreas, noch in Banden frei,
Dort stand er fest auf der Bastei,
Der Mann vom Land Tyrol.
Dort soll er niederknien!
Er sprach: „Das thu' ich nit!
Will sterben wie ich stehe,
Will sterben wie ich stritt,
So wie ich steh' auf dieser Schanz';
Es leb' mein guter Kaiser Franz,
Mit ihm sein Land Tyrol!
Und von der Hand die Binde
Nimmt ihm der Corporal,
Andreas Hofer betet
Allhier zum letzten Mal,
Dann ruft er: „Nun, so trefft mich recht!
Gebt Feuer! — Ach, wie schießt ihr schlecht!
Ade, mein Land Tyrol!“
Die letzten Zehn vom vierten Regiment
In Warschau schwuren Tausend auf den Knieen:
Kein Schuß im heil'gen Kampfe sei gethan!
Tambour, schlag' an! Zum Blachfeld laß uns ziehen!
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
[385]Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment!
Und als wir dort bei Praga blutig rangen,
Kein Kamerad hat einen Schuß gethan;
Und als wir dort den argen Todfeind zwangen,
Mit Bajonetten ging es drauf und dran!
Fragt Praga, das die treuen Polen kennt!
Wir waren dort das vierte Regiment!
Drang auch der Feind mit tausend Feuerschlünden
Bei Ostrolenka grimmig auf uns an,
Doch wußten wir sein tückisch Herz zu finden,
Mit Bajonetten brachen wir die Bahn!
Fragt Ostrolenka, das uns blutend nennt!
Wir waren dort das vierte Regiment!
Und ob viel wackre Männerherzen brachen,
Doch griffen wir mit Bajonetten an;
Und ob wir auch dem Schicksal unterlagen,
Doch hatte Keiner einen Schuß gethan!
Wo blutigroth zum Meer die Weichsel rennt,
Dort blutete das vierte Regiment!
O weh! das heil'ge Vaterland verloren!
Ach, fraget nicht: wer uns dies Leid gethan?
Weh Allen, die in Polenland geboren!
Die Wunden fangen frisch zu bluten an; —
Doch fragt ihr: wo die tiefste Wunde brennt?
Ach, Polen kennt sein viertes Regiment!
Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
An unsrer Seite dort wir stürzen sahn!
Wir leben noch, die Wunden stehen offen,
Und um die Heimat ewig ist's gethan;
Herr Gott im Himmel, schenk' ein gnädig End'
Uns letzten noch vom vierten Regiment! —
[386]Von Polen her im Nebelgrauen rücken
Zehn Grenadiere in das Preußenland
Mit düsterm Schweigen, gramumwölkten Blicken.
Ein „Wer da?“ schallt; sie stehen festgebannt,
Und Einer spricht: „Vom Vaterland getrennt,
Die letzten Zehn vom vierten Regiment!“
An die untergehende Sonne
Die du auf feurigen Cherubsflügeln
Flatterst über den dunkelnden Hügeln,
Sonne, Mutter des Lebens und Lichts!
Laß mich mit dir versinken, verschweben!
Denn von dem Lichte und von dem Leben
Ließ mir dein himmlischer Schöpfer — Nichts.
Wo in des Lebens unendlichem Strome,
Aufgelöst in die ew'gen Atome,
Die verklärte Geliebte kreist,
Dahin führe die schmachtende Seele,
Daß sie wieder sich ihr vermähle
Im unsterblichen ewigen Geist!
Wol, was die Erde so himmlisch geboren,
Wird nicht vernichtet und ist nicht verloren,
Wenn auch die Erde es wieder begehrt.
Aus der Asche, in die es versunken,
Sprüht es in tausend leuchtenden Funken,
Strahlt es zu tausend Sternen verklärt.
[388]Aber ich, dem das liebliche Ganze
Strahlte in seinem beglückenden Glanze,
Hebe vergebens den schmachtenden Blick,
Hebe die sehnenden Arme vergebens;
Denn die Quelle des Lichts und des Lebens
Wallet vorwärts — und nie Zurück!
Das Meteor
Mit dir vereint im Abendscheine
Hinschreit' ich durch die grüne Flur,
Da leuchtet durch die Luft, die reine,
Aufflammend feur'gen Lichtes Spur.
„Sieh dort das Meteor sich neigen!“
So spricht dein wundersüßer Mund,
Ein Blitz, ein Knall! dann senkt mit Schweigen
Der Stein sich in der Erde Grund.
Ich seh' es stumm mit ernstem Blicke,
Der Stein verräth — wol weiß ich's klar —
Daß gähnend einer Welt Geschicke
Das Nichts verschlang für immerdar.
[389]Denn täglich neu entstehen Welten
Und andre sinken hin im All,
Und Trümmer neigen der zerschellten
Sich niederwärts zum Erdenball.
Der Ball, der jetzt aus Himmelszonen
Verschwindend sich im Nichts verlor,
Vielleicht hat er durch Jahrmillionen
Den Raum durchsaust im Sternenchor.
Vielleicht, an Seufzern reich und Sorgen,
Trug er ein kämpfendes Geschlecht,
Dem, gleich wie uns, von heut auf morgen
Natur verlieh des Daseins Recht.
Vielleicht rang Sehnsucht hehrer Geister
Nach Wahrheit sich die Seele wund,
Doch Tod blieb stets des Lebens Meister,
Die Sehnsucht starb im Grabesgrund.
Vielleicht allein im Kampfgedränge
Schuf Liebe süße Seligkeit,
Ruhlos durch Thaten und Gesänge
Rang Ehrgeiz nach Unsterblichkeit —
Nun schwand, zu ew'ger Nacht erlesen,
Ihr Ringen, Schaffen, Schmerz und Lust,
So todt, als wär' es nie gewesen,
Von keinem Geist bewahrt, gewußt.
Und also herbgefügtes Ende
Es mahnt mich an der Erde Loos,
Die einst, wann naht der Zeiten Wende,
Hinsinkt in der Vernichtung Schooß.
Wie hold sie grünt, im Weltenraume
Ist sie ein winziges Atom,
Der Mensch gleicht eines Schattens Traume,
Und Alles tilgt der Zeitenstrom —
[390]So denk' ich, und in hellern Gluten
Aufflammt mein Herz, dich press' ich fest
Und schwelg' in sel'gen Glücksminuten,
Die das Geschick mich schauen läßt.
Die Tamariske der Semiramis
Des Euphrat's Flut rinnt sanften Fall's zu Thal,
Grau ragt empor der morsche Thurm des Baal.
Wo Babel stand, die Königin der Welt,
Thürmt sich jetzt wirr ein ödes Trümmerfeld.
Chaotisch wüst liegt modernd Stein bei Stein,
Der Wüste Thiere ziehn dort aus und ein.
Doch sichtbar rings im weitgedehnten Raum
Ragt aus dem Wust ein Tamariskenbaum.
Der Baum — so thut uns kund der Sage Mund —
Er blüte schon, eh' Babel sank zu Grund.
Er hat geschaut Nebucadnezars Glanz,
Aufstieg um ihn der Riesentempel Kranz.
An Babels Wassern, stumm, in bitterm Harm
Sah er einst ruhn gefangner Juden Schwarm.
Er sah, wie zitternd vor des Kyros Macht
Belsazar starb in grauser Schreckensnacht.
Der Kyrosenkel letzten sah er fliehn,
Sah Philipps Sohn in Babels Mauern ziehn.
Jahrhundert um Jahrhundert schwand in Hast,
Der Baum blieb jung, trieb grünend Ast um Ast.
Des Völkerlebens Flut wogt auf und ab,
Er blickt wie eh' auf einer Weltstadt Grab.
[391]Noch rauscht, wenn müd' sie nah'n des Baumes Fuß,
Sein Haupt arab'schen Wandrern sanften Gruß.
Und wenn sie kühlt des Laubdachs Schattenrund,
Geht uralt-eigne Mär von Mund zu Mund:
Der grünend ragt ob Schutt und Finsterniß,
Den Baum hat einst gepflanzt Semiramis.
Er hat verschönt der „hängenden Gärten“ Pracht
Und blüht, bis einst die Welt versinkt in Nacht.
Einem Geologen
Du sprichst mit Spott vom ersten Menschenpaare:
„Viel älter ist des Menschen Spur,“
— So lehrst du mich — „schon Millionen Jahre
Schuf ihn Natur.“
Ich hör' es an, und will dem Zweifel wehren,
Ich glaube dir, es mag so sein;
Doch du blickst freudig-stolz bei solchen Lehren,
Ich fühle Pein.
Mein Herz prüft ernst die Menschheit unsrer Tage
Und sieht, von Mitleid tief erweicht,
Wie wenig sie trotz ungemess'ner Plage
Bis jetzt erreicht.
Noch stets, entfacht von schnöder Selbstsucht Triebe,
Ras't schonungslos ringsum der Streit;
Das lichte Reich der Schönheit, Wahrheit, Liebe
Ist fern und weit.
Noch immer wälzt sich, fremd der Tugend Horte,
Die Menschheit träg' im Lastersumpf;
Des Geistes hehrste Offenbarungsworte
Vernimmt sie stumpf.
[393]Wär' sie noch jung, würd' ich die Hoffnung wahren
Und rüstig ringend strebt' ich mit;
Doch sie ist alt und macht in tausend Jahren
Kaum einen Schritt.
Und wenn sie jetzt, die ärmste, nach Äonen
Noch fern dem Ziel im Dunkeln schleicht,
Wie lange noch muß sie auf Erden wohnen,
Bis sie's erreicht?
In der Klosterruine
Das Kloster ragt einsam im blühenden Feld,
Das Dach ist gesunken, die Mauer zerfällt.
An den Wänden verblaßt das jüngste Gericht,
Winden und Epheu umspinnen es dicht.
Der Himmel schaut blau in den Kreuzgang herab ...
Im Kreuzgang, gesunken, liegt Grab bei Grab.
Nonne und Mönch, seit der Tod sie traf,
Schlafen hier modernd den ewigen Schlaf.
Fremde Gestalten, gehau'n in Stein,
Ruh'n auf den Gräbern im Sonnenschein.
Und über den Gräbern wuchern empor
Gräser und Kräuter in üppigem Flor.
In Gräsern und Kräutern, versinkend fast,
Weiden die Schafe in träger Rast.
Der Hirte, gebräunt von der Sonne Glut,
Lehnet am Stabe mit frohem Muth.
Auf der Schalmei bläst hauchend sein Mund,
An seine Kniee schmiegt sich der Hund.
Nun schweigt er und lächelt, sein Auge schweift weit,
Schon naht ihm des Dorfs holdseligste Maid.
[394]Sie beflügelt den Schritt, und mit jauchzendem Ton
Ruht sie dem Starken am Herzen schon.
Und ob der Jahrhunderte Moderrest
Feiert die Liebe ihr seliges Fest.
Ungeduld
Ich schnitt es gern in alle Rinden ein,
Ich grüb' es gern in jeden Kieselstein,
Ich möcht' es sä'n auf jedes frische Beet
Mit Kressensamen, der es schnell verräth,
Auf jeden weißen Zettel möcht' ichs schreiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben.
Ich möcht' mir ziehen einen jungen Staar,
Bis daß er spräch' die Worte rein und klar,
Bis er sie spräch' mit meines Mundes Klang,
Mit meines Herzens vollem, heißem Drang;
Dann säng' er hell durch ihre Fensterscheiben:
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
Den Morgenwinden möcht' ich's hauchen ein,
Ich möcht' es säuseln durch den regen Hain;
O leuchtet' es aus jedem Blumenstern,
Trüg' es der Duft zu ihr von nah und fern!
Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben?
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
Ich meint', es müßt in meinen Augen stehn,
Auf meinen Wangen müßt' man's brennen sehn,
Zu lesen wär's auf meinem stummen Mund,
Ein jeder Athemzug gäb's laut ihr kund;
Und sie merkt nichts von all' dem bangen Treiben;
Dein ist mein Herz, und soll es ewig bleiben.
Der Mönch von Heisterbach
Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach
Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort;
Der Ewigkeit sinnt still und tief er nach,
Und forscht dabei in Gottes heil'gem Wort.
Er liest, was Petrus, der Apostel, sprach:
„Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr',
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag,“ —
Doch wie er sinnt, es wird ihm nimmer klar.
Und er verliert sich zweifelnd in den Wald;
Was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht; —
Erst wie die fromme Vesperglocke schallt,
Gemahnt es ihn der ernsten Klosterpflicht.
Im Lauf erreichet er den Garten schnell;
Ein Unbekannter öffnet ihm das Thor.
Er stutzt, — doch sieh, schon glänzt die Kirche hell;
Und draus ertönt der Brüder heil'ger Chor.
Nach seinem Stuhle eilend tritt er ein, —
Doch wunderbar — ein Andrer sitzet dort;
Er überblickt der Mönche lange Reih'n,
Nur Unbekannte findet er am Ort.
[398]Der Staunende wird angestaunt ringsum,
Man fragt nach Namen, fragt nach dem Begehr;
Er sagt's — dann murmelt man durch's Heiligthum:
„Dreihundert Jahre hieß so Niemand mehr.“
Der letzte dieses Namens, tönt es dann,
Er war ein Zweifler und verschwand im Wald;
Man gab den Namen Keinem mehr fortan!
Er hört das Wort, es überläuft ihn kalt.
Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr;
Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand;
Da wird ein großes Gotteswunder klar:
Er ist's, der drei Jahrhunderte verschwand.
Ha, welche Lösung! Plötzlich graut sein Haar,
Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht,
Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schaar:
„Gott ist erhaben über Ort und Zeit!
Was er verhüllt, macht nur ein Wunder klar!
Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach!
Ich weiß: ihm ist ein Tag wie tausend Jahr,
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag!“
Die Wunderblume
Der Knabe lehnt sich an der Mutter Schooß,
Um ihre Märchen treulich einzusaugen,
Es blitzen seine Augen tief und groß,
Er hat der Mutter wundervolle Augen.
Und sie erzählt: Durch's Waldgebirge weit
Ging einst ein Wandrer mit bequemen Tritten.
Hoch stand der Tag: die Mittagszauberzeit
Kam leis geheimnißreich durch's Grün geschritten.
Kein Vogellied, kein Blätterrauschen scholl,
Dorfglocken tönten fernher in das Schweigen,
Grüngoldne Lichter zuckten räthselvoll
An blanken Stämmen und auf schwanken Zweigen.
[399]Dem Wandrer ward so märchenhaft zu Muth,
Als sollt' ein seltsam Wunder jäh ihm kommen,
Und sieh — inmitten von weißheller Glut
Steht er geblendet, schwindelnd und beklommen.
Die Welt verschwindet seinen Blicken ganz,
Und eine Blume, herrlich, groß und prächtig
Erblüht vor ihm in stolzem Farbenglanz,
Duftströme fließen draus berauschend mächtig.
Nie sah er solch Gebild in Feld und Wald,
Nie sah er es in Garten, Wies' und Haide,
Zu brechen sie, drängt es ihn mit Gewalt —
Hoch schwingt die Hand sie — welche Augenweide!
Im selbigen Moment erdröhnt ein Schlag,
Als ob ein Wetter dumpf am Himmel stünde —
O reiche Pracht, die plötzlich vor ihm lag!
Aufdonnernd öffnen sich des Berges Gründe.
Und mit der Blume wandelt er hinein,
Es häufen thürmend unten sich die Schätze:
Rothfunkelnd Gold, hellblitzendes Gestein,
Kaum sieht im Traum man solche Wunderplätze.
Und eine Geisterstimme ruft ihm laut:
Du Glückskind, greife zu und nimm das Beste!
Der Wandrer schaut und wählt und wählt und schaut
Ach, unentschlossen durch des Berges Feste.
Und wie er nach Geschmeid' und Demant faßt,
Legt achtlos er beiseit die Zauberblüte
Und stürmt hinaus mit seiner eiteln Last,
Daß er daheim sie in den Kisten hüte.
Wol war er reich an manchem schönen Stück,
Doch trieb die Gier aufs Neu ihn zu den Forsten,
Er wähnte neu sich, ach, das falsche Glück,
Er glaubte noch den tiefen Berg geborsten.
[400]Wol war's im Waldgebirg zur Mittagszeit,
Wol war's des hohen Tages Zauberstunde,
Wol war's der Ort — tiefstille Einsamkeit —
Doch nichts gab vom verborgnen Schatze Kunde.
Nun rief dieselbe Stimme silbern-klar:
„Du Thor, wodurch bist du hinabgestiegen?
Sie blüht nur einmal alle hundert Jahr!
Was ließest du die Zauberblume liegen!“ —
So sprach die Mutter, doch der Knabe ruft:
„Ich geh' ins Waldgebirg, ich such' die Blume,
Ich finde sie, aufgeht des Berges Kluft —
Doch wahr' ich sie gleich einem Heiligthume.“
Die Mutter lächelt ob dem schönen Kind
Und schaut ihm innig in die mächt'gen Blicke,
Die voll von dichtungsreichem Feuer sind,
Sie wünscht dem Knaben günstige Geschicke.
Und als er Jüngling ward, da zog er frisch
Ins bunte Leben schöne, grüne Pfade,
An Leib und Seele ging er zauberisch,
Er war ein Glückskind, recht von Gottes Gnade.
Und als er in die Waldgebirge stieg,
Da fand er unbewußt die Zauberstelle,
Die Blume wuchs, — er nahm sie, — stolzer Sieg! —
Sie öffnet immer ihm aufs Neu die Schwelle.
Es war der Wald der deutschen Poesie,
Wo er sie fand. — O holde Morgenröthe —
Die Blume ward des Dichters Phantasie —
Es hieß der schöne Wandrer: Wolfgang Goethe.
[401]Wie kommt es, sprich —
Wie kommt es, sprich — Du hast an mich gedacht:
— Als ob's von Herz zu Herzen zitternd flute,
Urplötzlich wie berührt von dunkler Macht
Denk' ich an dich zur selbigen Minute.
Und sieh, geschwunden ist uns Zeit und Raum,
Gefüllt der Trennung ungeheure Lücke.
Es schlägt von dir zu mir ein Doppeltraum,
Von dir zu mir sich eine Zauberbrücke.
[402]Nenn's dunkle unergründliche Magie,
Nenn's zweier Seelen mächt'ge Sympathinee,
Nenn's Töne, die zu einer Melodie
Verklingen, Freund, im Strom der Harmonieen:
Von deinem Odem fühl' ich mich umweht —
Laß d'ran die Weisen dieser Erde klügeln:
Ich weiß es doch — als wie ein Glutgebet,
So zieht's von dir zu mir auf Geisterflügeln.
Und du empfängst so viel als wie du gibst,
Zum Herzen spricht das Herz in stummen Liedern;
Das Echo deiner Brust, wenn du mich liebst,
Muß meinen Schmerz und meine Lust erwiedern.
Der alte Spielplatz
Soll's wie Luft vom Himmel dich umwehn,
Nach der Kindheit Spielplatz mußt du gehn,
Früh im Merzen, wenn mit lautem Schlag
Grüßt der Fink den ersten milden Tag,
Wenn die Veilchen es verstohlen schaun,
Wie die weißen Berge wieder blaun,
Und das erste Grün im Sonnenschein
Lacht und funkelt in die Welt hinein.
[404]Um die Abendstunde geh' von Haus,
Wenn die Glocke rief: Die Schul' ist aus!
Ganz allein, daß nur von fern ans Ohr
Dir der Jubel schallt beim alten Thor.
Durchs Gestrüpp dann brich dir flugs die Bahn,
Zu der Mauerscharte klimm' hinan,
Reiß' den Epheu weg und das Gesprieß:
Sieh! da liegt, da liegt dein Paradies!
Und als wie geschreckt aus ihrer Ruh'
Wehn die Erlen ihren Gruß dir zu,
Und als hätt' er dich erkannt, so jach
Blitzt in hellem Schimmer auf der Bach,
Und das Häuschen, das noch stehen blieb,
O wie strahlt's und hat wie einst dich lieb! — —
Kommst du heim dann, sag's den Kindern traut,
Wie du heut' ins Paradies geschaut!
Dein Grab ist mir die weite Welt
Dein Grab ist mir die weite Welt:
Jedwedes Blatt, das niederfällt,
Jedwede Blume, die verblüht,
Ein jeder Stern, der rasch verglüht,
Wo ich auch bin, mahnt mich an dich,
Als stünd' an deinem Hügel ich.
Dein Grab ist mir die weite Welt:
Ist noch so freundlich auch erhellt
[406]Vom schönsten Frühlingslicht die Flur,
Nie schwindet ganz der Wolken Spur.
Der hellste Ton, der froh'ste Klang,
Mir klingt er wie ein Grabgesang.
Dein Grab ist mir die weite Welt:
Dort oben erst im Himmelszelt,
Wo keine Blume mehr verblüht,
Kein Strahl des Lichtes mehr verglüht,
Wird auch der längste Schmerzeston
Zum Lobgesang vor Gottes Thron.
Dem Freunde
Ob ein Räthsel dir mein Schmerz,
Den du nicht vermagst zu heilen,
Willst du ihn doch mit mir theilen,
Du so vielgetreues Herz!
Nicht gefragt hat mich dein Mund,
Antwort hab' ich nicht gegeben,
Doch aus meiner Lippen Beben
Ward dir, daß ich leide, kund.
Und das dünkte dir genug!
Nie hat mich ein Weh getroffen,
Das dir nicht gestört ein Hoffen,
Dir nicht eine Wunde schlug.
Du so mild, die Welt so arg!
Will ich in die Zukunft spähen,
Seh' ich dich allein nur stehen
Zwischen mir und meinem Sarg. —
[407]Nun die Hoffnung mir entglitt,
Meine Seele gramesbitter,
Nahst du wie ein Johanniter,
Der an's Krankenlager tritt!
Der, von höherm Licht umtagt,
Um ein wundes Herz zu pflegen
Allem ird'schen Freudensegen
Ernst und milde hat entjagt!
Wenn der Himmel nicht von Erz,
O dann muß der Herr der Welten
Deine Großmuth dir vergelten,
Du so vielgetreues Herz!
Den Utilitariern
Was schmäht ihr uns, die wir der Welt nicht achten
Und unberührt von ihrem Thun und Trachten
In unserm Herzen unsre Welt erbaun?
Was soll der Hohn, die feindliche Geberde?
Wir überlassen neidlos euch die Erde, —
O lasset uns nach Höh'rem schaun!
Ihr müht euch ab im drangvollen Geschäfte,
An Kampf und Arbeit übt ihr eure Kräfte, —
Uns ward ein andrer, schönerer Beruf!
Euch winkt als Lohn nur Gold in dunkeln Schachten,
Indessen Gott für unsrer Seele Schmachten
Die Sterne und die Blumen schuf!
Nein! glaubt nicht, daß ihr sie gleich uns genießet!
Denn für den stillen Träumer nur erschließet
Sich ihres Reizes Zauberfülle ganz!
Er, dessen Hand vertheilt die Menschenloose,
Gab euch die reife Frucht und uns die Rose,
Die Ernte euch und uns den Kranz.
[408]Gestaltet denn nach euerm Sinn das Leben!
Wir wollen uns der Herrschaft gern begeben,
So lang uns Licht umglänzt und Duft umhaucht!
Wogt ruhlos fort im eiligen Gewimmel!
Allein vergeßt nicht: Herzen braucht der Himmel,
So wie die Erde Hände braucht.
An diesem Einen mögt ihr es erkennen:
Als er, den wir der Liebe Meister nennen,
Im Hause seines Freundes Lazarus
Zu kurzer Rast die Schritte angehalten,
Da galt ihm Martha's eifrig, rührig Walten
Geringer als Maria's Seelengruß.
Eines Morgens
Ans Fenster rückt' ich meinen Tisch
Und wollte weise Dinge schreiben,
Doch, eh ich's dachte, sah ich frisch
Mein Blatt im Morgenwinde treiben.
Was liegt an einem Blatt Papier?
Leicht ist's, ein zweites zu bereiten!
Nun aber ließ die Sonne mir
Streiflichter blendend drüber gleitet.
[410]Wie flogen sie so lustig hell,
Die Pfeile von dem goldnen Bogen!
Gleich einem Schilde ließ ich schnell
Den grünen Vorhang niederwogen.
Jetzt, meint' ich, jetzt wird Ruhe sein!
Des Fleißes ernste Zeit beginne!
So dacht' ich still vergnügt, allein
Bald ward ich meines Irrthums inne.
Denn schmeichelnd und verlockend klang
Durch Blättergrün und grünen Schleier
Der Vögel Lied wie Festgesang,
Wie eine freud'ge Liebesfeier.
Was half es mir, daß ich mein Ohr
Vom Lauschen suchte zu entwöhnen?
Im Geiste hörte ich den Chor
Der süßen Stimmen doch ertönen.
Vergeblich sorgt' ich, daß sich nicht
Der Sonne Schimmer zu mir stehle;
Das ich von mir gebannt, das Licht,
Ich schaut' es doch in meiner Seele!
Da warf ich meine Feder hin, —
Nicht länger konnt' ich widerstreben!
Gefangen war mir Herz und Sinn,
Ich mußte mich dem Lenz ergeben.
Aus meinem Hause trieb mich's fort,
Auf waldbekränzte Bergeshöhen,
Wo wie ein mildes Segenswort
Die ahnungsvollen Lüfte wehen.
Den heil'gen Stimmen lauschend, saß
Ich dort bis spät zum Abendlichte
Und meine trunkne Seele las
In Gottes herrlichem Gedichte!
[411]Woher? — Wohin?
Es ward im Schlaf, von unbekannter Macht,
Ein Mensch nach einem Riff im Meer gebracht
Und mitleidslos sich selber überlassen.
Er kennt, wie angstvoll er auch danach spürt,
Die Wege nicht, die ihn hieher geführt, —
Was er hier soll, er weiß es nicht zu fassen.
Abgründe rings, wohin sein Auge schaut
Und keine Hand, die liebevoll und traut
Ihm einen Pfad der Rettung möchte zeigen.
Das Meer, den Äther, blauend drüber hin,
Die Sterne, fragt er: „Sagt mir, wo ich bin?“
Umsonst! die Höhe und die Tiefe schweigen.
Und stets muß er gewärtig sein der Nacht,
In der dieselbe tief verhüllte Macht,
Die ihn einst auf geheimnißwollen Bahnen
Hieher gebracht, wo er nun bangend irrt,
Von hinnen wieder ihn entführen wird; —
Wohin? Sein Geist vermag es nicht zu ahnen. —
Du fragst: „Wer ward so bitterm Loos geweiht?
Wen hat zu solchem schauerlichen Leid
Aus Tausenden des Schicksals Haß erkoren?
Unglückselge ohne Rast und Ruh,
Wer ist er? Sprich!“ Du selber bist es, du
Und ich und Alle, die vom Weib geboren!
[413]Die Flagellanten
Faßt der Wahnsinn jene Leute,
Daß sie aus des Südens Ländern
Ziehn daher in dichten Schaaren,
Angethan mit Bußgewändern?
Ihrem düstern Zuge folgen
Weiber selbst und schwache Greise,
Wie ein Grabgesang tönt schaurig
Ihre dumpfe Büßerweise.
Und sie tragen tausend Kerzen,
Lassen schweben tausend Fahnen,
Schwarze Stoffe, Todtenköpfe,
An das Ende zu gemahnen.
Scharf gezackte Geißeln schwingen
Leise betend Priester, Laien,
Um als Strafe für die Sünden,
Sich den Körper zu kasteien.
Ihre Schmerzenslaute dringen
Durch die Luft zu Gottes Ehre,
Und dazwischen Lauda Sion
Feierlich und Miserere.
Denn mit Büßerwerken wollen
Sie den Himmel sich erkaufen,
Ziehn darum im frommen Wahnsinn
Durch das Land in hellen Haufen.
Und wer Theil nimmt an der Wallfahrt
Volle drei und dreißig Tage,
Hat die Seligkeit gewonnen,
Also geht die tolle Sage.
[415]Leiser klingen ihre Lieder,
Fern entschwindet das Gewimmel,
Und darüber wie voll Mitleid
Lacht der unbewölkte Himmel.
Wie es den Sorgen erging
Einst wollt' ich hinaus in den grünen Wald,
Da zogen die Sorgen mit;
Vergebens gebot ich wol zehnmal Halt,
Sie folgten mir Schritt für Schritt.
Doch als wir kamen wol in den Busch,
Begann ein Geflüster sogleich;
Die Vöglein riefen: Ihr Sorgen, husch,
Hinaus aus dem grünen Bereich!
Das Gras erhob sich und hielt sie auf,
Ein Windstoß hauchte sie fort,
Die Bäume rauschten und schlugen drauf,
Sie flohen von Ort zu Ort.
Und rannten und stießen die Köpfe sich ein
Am Felsen, riesig und rauh,
Verschmolzen im lachenden Sonnenschein,
Ertranken im duftigen Thau.
Da habt ihr's! rief ich, von ihrer Noth
Befreit, in die Lüfte hinaus;
Da seht ihr, was euch im Walde droht:
Ein andernmal bleibt ihr zu Haus!
Der Wirthshaustisch
Unlängst auf einem Wirthshaustisch
Sah ich der Namen bunt Gemisch
Vom Rande bis zur Mitten
Ins Eichenholz geschnitten.
Nachdenklich saß ich auf der Bank
Und trank und las, und las und trank,
Und viel Gedanken kamen
Mir bei den vielen Namen.
Der Eine hatte breit und stolz
Recht derb geschnitten in das Holz;
Der mochte auch im Leben
Sich auszudehnen streben.
Ein Andrer von bescheidner Art
Schloß seinen Namen, rein und zart,
Mit schön gezackten Kränzen
In zierlich enge Grenzen.
Der Eine grad, der Andre krumm,
Der Dritte wol im Kreis herum, —
Und Manchem fremde Namen
Gar grob dazwischen kamen.
Mit deinem Namen, alter Tisch,
Gemahnst du mich ans Weltgemisch,
Wo auch die bunte Menge
Sich umtreibt im Gedränge.
Ja würde jeder Nam' ein Mann,
Die Nachbarn könnten leichtlich dann,
Die jetzt sich still bequemen,
Beim Kopf einander nehmen.
[419]Von ihres Haders Strom erfaßt,
Fürwahr, es wäre keinem Gast
Sein Gläschen Wein im Frieden
Zu trinken mehr beschieden.
Drum bleibet ruhig wie ihr seid!
Vertragt euch ohne Haß und Neid
Es soll zu Mord und Schrecken
Euch nie ein Kadmus wecken.
So lang ein leeres Eckchen bleibt
An diesem Tisch: so lange schreibt
Ein Jeder auf das Plätzchen
Sich und vielleicht ein Schätzchen.
Und Mancher liest's und denkt dabei,
Wo dieser jetzt, wo jener sei?
Doch kommt der Meister Schreiner,
So bleibt von allen keiner.
Denn glatt gehobelt wird das Holz;
Und Kränze, Zahlen, Kunst und Stolz
Sind in zwei kurzen Stunden
Von Tisch und Welt verschwunden.
Am blanken Tische wieder zecht
Vergnügt ein jüngeres Geschlecht;
Die Ahnen sind vergessen.
Die einst daran gesessen.
Luca Signorelli
Die Abendstille kam herbei,
Der Meister folgt dem allgemeinen Triebe;
Verlassend seine Staffelei,
Blickt er das Bild noch einmal an mit Liebe.
[420]Da pocht es voll Tumult am Haus,
Und ehe Luca fähig ist zu fragen,
Ruft einer seiner Schüler aus:
„Dein einz'ger Sohn, o Meister, ist erschlagen!
In holder Blüte sank dahin
Der schönste Jüngling, den die Welt erblickte:
Es war die Schönheit sein Ruin,
Die oft in Liebeshändel ihn verstrickte.
Vor eines Nebenbuhlers Kraft
Sank er zu Boden, fast in uns'rer Mitte;
Ihn trägt bereits die Brüderschaft
Zur Todtenkirche, wie es heischt die Sitte.“
Und Luca spricht: „O mein Geschick!
So lebt' ich denn, so strebt' ich denn vergebens?
Zu nichte macht ein Augenblick
Die ganze Folge meines reichen Lebens!
Was half es, daß in Farb' und Licht
Als Meister ich Cortona's Volk entzückte,
Mit meinem jüngsten Weltgericht
Orvietos hohe Tempelhallen schmückte?
Nicht Ruhm und nicht der Menschen Gunst
Beschützte mich, und nicht des Geistes Feuer:
Nun ruf' ich erst, geliebte Kunst,
Nun ruf' ich dich, du warst mir nie so theuer!“
Er spricht's, und seinen Schmerz verräth
Kein andres Wort, rasch eilt er zur Kapelle,
Indem er noch das Mahlgeräth
Den Schülern reicht, und diese folgen schnelle.
Zur Kirche tritt der Greis hinein,
Wo seine Bilder ihm entgegentreten,
Und bei der ew'gen Lampe Schein
Sieht er den Sohn, um den die Mönche beten.
[421]Nicht klagt er oder stöhnt und schreit,
Kein Seufzer wird zum leeren Spiel des Windes,
Er setzt sich hin und conterfeit
Den schönen Leib des vielgeliebten Kindes.
Und als er ihn so Zug für Zug
Gebildet, spricht er gegen seine Knaben:
„Der Morgen graut, es ist genug,
Die Priester mögen meinen Sohn begraben.“
Das Grab im Busento
Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder!
Und den Fluß hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapfrer Gothen,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.
[422]Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung auf dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten Male ward der Fluß herbeigezogen;
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Heldenehren;
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab versehren!“
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gothenheere;
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
Reue
Wie rafft' ich mich auf in der Nacht, in der Nacht,
Und fühlte mich fürder gezogen!
Die Gassen verließ ich, vom Wächter bewacht,
Durchwandelte sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Das Thor mit dem gothischen Bogen.
Der Mühlbach rauschte durch felsigen Schacht,
Ich lehnte mich über die Brücke;
Tief unter mir nahm ich der Wogen in Acht,
Die wallten so sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Doch wallte nicht eine zurücke.
[423]Es drehte sich oben, unzählig entfacht,
Melodischer Wandel der Sterne,
Mit ihnen der Mond in beruhigter Pracht,
Sie funkelten sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Durch täuschend entlegene Ferne.
Ich blickte hinauf in der Nacht, in der Nacht,
Ich blickte hinunter auf's Neue:
O wehe, wie hast du die Tage verbracht,
Nun stille du sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Im pochenden Herzen die Reue!
Der sterbende Schiffer
Aus der Hütte engen Wänden
Tragt mich in den Kahn hinaus!
Auf dem Meere will ich enden,
Nicht im dumpfen Erdenhaus.
Meine bange Fieberhitze
Kühl' der frische Hauch der See,
Und die weiße Woge spritze
Mir ins Angesicht den Schnee!
[424]Oftmals mit der Flut gerungen
Hab' ich in dem Segelkahn,
Hab' mit lautem Ton gesungen
In dem brausenden Orkan.
Oftmals blieb ich drinnen liegen
In der hellen Mondennacht,
Ließ mich von den Wogen wiegen,
Sah empor zur Sternenpracht.
Solche Nacht ist unvergeßlich!
Schöner als am hellsten Tag
Glatter Meerflut unermeßlich
Grüner Spiegel vor mir lag.
Oft dann wünscht' ich mir die Ruhe
In der freien Wogen Gruft,
Nicht in enger Kirchhofstruhe,
Eingesenkt in Moderduft.
Nicht vom Trauerzug geleitet
Und der Glocken dumpfem Schall,
Nein, den Himmel ausgebreitet
Über blauem Wogenschwall.
Nicht von Brettern eingeschlossen
Und gedeckt mit Erde schwer —
Nein von Hügeln leicht umflossen,
Wie sie spielend wölbt das Meer.
Meine Stunde hat geschlagen!
Kahn, spann deine Segel aus!
Sollst als off'ner Sarg mich tragen
In mein herrlich Grab hinaus!
Löst die Seele sich vom Leibe,
Dann vom Ufer löst den Kahn,
Daß er mit dem Todten treibe
In den Weltenocean.
[425]Ländliche Toilette
Ein Festtag ist's, ein sonnigheller Morgen
Strahlt durch die kleinen Scheiben ins Gemach,
Großmütterchen hat ihre süßen Sorgen, —
Die kleine Vroni wurde früh schon wach,
Und kaum entsprungen ihrem warmen Bette
Drängt ungeduldig sie zur Toilette:
„Großmutter, zieh' mir an das rote Mieder
Mit Silberkettchen hin und her geschnürt
Und gib mir auch das schwarze Röckchen wieder,
Ringsum mit bunten Streifen schön geziert.“
„Gemach“ sagt Großmama, „her mit dem Köpfchen,
Erst flecht' ich dir zwei hübsche Sonntagszöpfchen.“
Die Kleine sitzt; — mit innigem Behagen
Fährt durch des Haares Gold der Alten Hand;
Veronika darf jetzt kein Wörtchen sagen,
Still muss sie sitzen, steif und unverwandt,
Bei Leibe darf sie nicht das Köpfchen wenden,
Großmutter hat das Zittern in den Händen. —
Da tönet plötzlich mit gewalt'gen Schlägen
Der Kirchenglocken heller Weiheklang,
Die Alte fasst ein sonderbar Bewegen,
Es falten sich die Hände wie zum Dank, —
Dieselben Glocken gaben oft ihr Kunde
Von schmerzerfüllter und beglückter Stunde:
Sie denkt zurück an längst erlittne Schmerzen,
Wie sie den jungen Gatten einst verlor,
Wie dann ihr einz'ger Sohn mit frischem Herzen
Veroni's Mutter sich zum Weib erkor,
Und wie sie selbst als Braut zur Trau' gegangen,
Wie wundersam ihr da die Glocken klangen. —
Und weiter rückwärts schweifen die Gedanken,
Wie sie als rasche Jungfrau sich gefühlt,
Sorglos und fröhlich schaffend, ohne Wanken; —
Wie sie als kleines Mädchen hier gespielt,
[426]Und ihre Ahne glättete ihr Köpfchen,
Und flocht ihr, just wie sie jetzt, schöne Zöpfchen.
Da hebt Veronika ihr blondes Köpfchen,
Und ihr Gesicht der Alten zugewandt,
Spricht sie: „Sieh' doch, mir fielen warme Tröpfchen
Herab von oben eben auf die Hand!“
Die Alte brummt: „Das hat nichts zu bedeuten;
Hör' nur, wie schön die Kirchenglocken läuten!“
Entschuldigung
Kann ich dafür, daß ihn sein Herz ihm raubte,
Als mein Gesang zur Laute ihn entzückt?
Kann ich dafür, daß er geliebt sich glaubte,
Als ihn mein Auge freundlich angeblickt?
Kann ich dafür, wenn meine sanften Mienen
Ihm sagten: meine Seufzer gelten dir,
Und ihm Gewährung zu verheißen schienen,
Kann ich dafür?!
Und wenn ich einst in trauter Mondnachtstunde,
An seiner Schulter warm mein Köpfchen hielt,
Kann ich dafür, wenn ich auf meinem Munde,
Geschloss'nen Auges, einen Kuß gefühlt?
Und daß ich schwieg, als mich sein Arm umschlungen,
Wie deute ich nur dieses Räthsel mir?
— Just hat die Nachtigall so süß gesungen —
Kann ich dafür?!
Kann ich dafür, daß du, der so vermessen,
Für Längstentschwund'nes noch Erinn'rung hast?
Kann ich dafür, daß ich schon längst vergesssen,
Was mir so fremd klingt, wie ein Märchen fast?
Und wenn ein And'rer besser mir gefallen
Und es berauscht mich, schwört er Liebe mir
Und küßt mich beim Gesang der Nachtigallen,
Kann ich dafür?!
[427]Bretagne. 1793
An den Ufern der Bretagne, horch! welch nächtlich Wiederhallen!
Aus den Wellen, aus den Wogen hör' ich es wie Lieder schallen,
Und ein Glöcklein tönt herüber, leise wundersamen Klang;
Doch, das ist nicht Schiffsgeläute, das ist nicht Matrosensang.
An den Ufern der Bretagne wohnt ein Volk von alter Sitte,
Kreuz und Krone, Gott und König gelten hoch in seiner Mitte;
[428]Doch der König ist gerichtet, und den heiligen Altar
Hält mit blankem Schwert umlagert eine mordgewohnte Schaar.
„Unsern König, den geliebten, wol! ihr konntet ihn uns nehmen;
Doch des Glaubens heil'ge Flamme sollt ihr nimmer uns bezähmen!
Ist doch Gott an allen Orten, in den Tiefen, auf den Höh'n,
Und an allen, allen Orten hört er seine Kinder flehn.“ —
Leis, o leis! der Abend dämmert! Süße Nacht, o sei willkommen,
O du Balsam den Geschlagnen, o du Schützerin den Frommen!
Leis, o leise, löst den Nachen, nehmet Angel und Geräth,
Täuscht die Späher, täuscht die Wächter: in die Wogen zum Gebet! —
Flinke Ruder hör' ich rauschen: Alle kommen, Kinder, Greise,
Weib und Mann, dem Herrn zu dienen nach der Väter frommer Weise,
Neugeborene zu taufen, einzusegnen Ehebund,
Friedenswort und Trost zu hören aus geweihten Priesters Mund.
In der Mitte schwamm der Priester, Kreuz und Hostie in den Händen,
Fischerbuben ihm zur Seite, süßen Weihrauch auszuspenden:
Durch der Wellen dumpfes Murren schallte fröhlich der Choral,
Klang das Glöckchen, tönten Seufzer und Gebete sonder Zahl.
Sprach der Alte durch die Wogen über Alle seinen Segen,
Und sie kreuzten sich und neigten seinen Worten sich entgegen:
Durch der Wogen wildes Brausen schallte fröhlich der Choral,
Pfiff der Sturmwind, schlug der Regen, zuckten Blitze sonder Zahl.
[429]„Herr! du bist ja aller Orten, auf den Wassern, wie auf Erden:
Laß das Meer, das arg empörte, eine sich're Kirche werden!“
So durch des Gewitters Donnern tönte flehend der Choral,
Krachen Bord und Mast und Ruder, pfeifen Kugeln sonder Zahl.
Umgeschaut! Wachtfeuer glänzen, widerspiegelnd in den Wogen,
Und der Feinde Kugeln kommen von dem Strande rasch geflogen.
Aufgeschaut! der weite Himmel glüht, ein einzig Flammenmeer. —
Tod im Wasser, Tod am Ufer — keine Rettung rings umher!
„Herr! Du bist ja aller Orten, auf den Wassern wie auf Erden:
Auch die in dem Meer gestorben, Herr! sie sollen selig werden!“
Also durch der Wogen Wüthen, so durch Kugeln sonder Zahl,
Durch der Feinde Hohngelächter klingt, verklinget der Choral.
— Fahret wohl, ihr frommen Beter! — Keiner kam an's Ufer wieder,
Die Gemeinde mit dem Priester schlang die falsche Welle nieder;
Nur am Morgen unter Trümmern, zwischen Klippen und Gestein,
Schwamm das Kreuz, das wundersel'ge, in des Frühroths goldnem Schnitt.
Die Oceaniden
Wir Meereswogen sonder Rast und Ruh',
Wir brausen fort und brausen immerzu:
[430]Das klingt und singt und dringt aus allen Gründen,
Ton muß zu Ton sich und Accorden finden,
An ödem Strand, in nie befahrnem Meer,
Ein einzig Lied allüberall umher.
Wir singen laut vom ersten Schöpfungstag,
Da noch in uns der Keim der Erde lag,
Von Ewigkeit und ungemeßner Ferne,
Von Sonnenaufgang, Silberglanz der Sterne,
Von manchem Helden, der am Felsenstrand
Im Meeresgrund sein einsam Bette fand.
Und was wir singen in gewalt'gem Chor,
Belauschte nimmer noch ein menschlich Ohr;
Zwar mancher Schiffer kommt herangeschwommen,
Doch keiner hat's begriffen und vernommen,
Der Fischerbube hört's mit stillem Graun,
Ihn locken, denkt er, falsche Meeresfraun.
Doch kommt uns Antwort hoch vom Himmel her:
Die ew'gen Sterne sprechen mit dem Meer,
Melodisch tönt in unser wildes Sausen
Der Klang der Sphären und der Donner Brausen;
Von fernen Inseln aus der Wälder Ruh'
Weht uns das Rauschen heil'ger Wipfel zu.
Da wird's lebendig auf der weiten See,
Da jauchzen wir und hüpfen in die Höh';
Delphine kommen langsam angezogen
Und horchen still dem Zaubersang der Wogen,
Die alte Windesbraut redet auch darein,
Will auch im Chor der ew'gen Sänger sein.
— Die kleine Welt der Menschen treibt ihr Spiel,
Rennt auf und ab und macht des Lärmens viel:
Da kommt die Nacht und hemmt das muntre Streben,
Da kommt der Tod und löscht das junge Leben:
Wir aber brausen fort und immerzu,
Wir Meereswogen sonder Rast und Ruh'.
[431]Reue
Ich weiß es wohl, ich hab' dich oft gekränkt,
Wenn rascher Zorn mein heißes Blut verführte;
Mit Thränen oft hast du vor mir gesenkt
Den süßen Blick, der jeden andern rührte;
Demüthig oft, mit mädchenhaftem Zagen
Hast du die Händchen auf die Brust gelegt,
Oft hat ein Hauch von Bitten, nicht von Klagen
Die lieben Lippen flüsternd dir bewegt.
Ich aber stand verblendet und bethört,
Vom Flug der Furien wie Orest umflogen,
Und riesenhoch, von wildem Sturm empört,
Schwoll mir das Herz in ungestümen Wogen.
Ich sah dich weinen, sinken und erblassen,
Und stand und sah's und wandte das Gesicht.
Nach meiner Hand sah ich dich flehend fassen,
Und stand und sah's und reichte sie dir nicht!
Jetzt ist's vorbei! — Nur Nachts durch meinen Traum
Seh' ich ein liebes, bleiches Bildniß schreiten,
So ernst, so still — o Gott, ich kenn' es kaum,
Und doch gemahnt mich's an vergangne Zeiten!
Ich fahr' empor, ich möchte niederknieen,
Um Gnade nur das holde Bild zu flehn —
Es winkt, es neigt sich, mich emporzuziehen —
Vorbei, vorbei! Ich soll dich nie mehr sehn!
So willst du noch einmal ...
So willst du noch einmal, verlockender Hauch
Des Lebens, das Herz mir bethören?
Balsamische Düfte entwallen dem Strauch,
Der Blütenstaub fliegt von den Föhren;
[432]Im Blättergeflüster, im Wipfelgebraus
Erklingt es: Hinaus
In die grüne, die goldene Freiheit!
In Saaten und Feldern, auf Wiese und Au'
Welch' schwellendes Wiegen und Wogen!
Hoch über die Berge im schimmernden Blau
Die Wolken — sie kommen gezogen
Vom Süden fernher im beflügelten Lauf,
Und lösen sich auf
In der Laue des Äthers voll Sehnsucht.
O, dürft' ich zerfließen wie sie, wie der Schnee
Auf Kuppen, in Schluchten und Klüften,
Am schäumenden Wildbach, am träumenden See
Die Schwingen der Seele mir lüften!
Auf ragendem Gipfel der Alpe vergehn
Im heiligen Wehn
Deines ewigen Athems, o Weltgeist!
An den Wildbach
Wie lange sah ich dich nicht wieder,
Freund meiner Jugend, schaumgekrönt!
Wie lange haben deine Lieder
Mir nimmer in das Ohr getönt!
Noch braust in ihnen unbezwungen
Derselbe Sturm, derselbe Drang,
Wie einstens er hervorgeklungen
Aus meinem eigenen Gesang.
Noch nicht in sanften Mollaccorden,
Gebroch'nen Muthes ziehst du fort.
Träumst noch nicht, matt und zahm geworden,
Von einem stillen Ruheport!
Ich aber, den indeß das Leben
Herangereift in bitter'n Weh'n,
Ich kann dein leidenschaftlich Streben,
Dein wildes Jagen nicht verstehn.
[433]Und wenn bei deinen Melodieen
Sehnsüchtig einst das Herz mir schwoll —
Erinnerungen nur durchziehen
Jetzt meine Seele wehmuthsvoll.
An meine Wanduhr
Schon über zwei Jahrhunderte vererbt
Vom Ahnherrn auf die folgenden Geschlechter,
Hast du die Zeit in rhythmisch regelrechter
Und schwindend kleiner Gliederung gekerbt;
Und die Secunden all zusammen sahn
Besitzer schwinden und Besitzer nahn.
Wie oft hat wol nach dir das Aug' geschaut
In freudiger Erwartung und im Bangen,
Wie oft mit Ungeduld an dir gehangen,
Wie oft dem Ohr vor deinem Schlag gegraut?
Du aber, wie mit dem Geschick im Pact,
Schlugst herz- und fühllos fort im Pendeltact.
Du, stummer Zeuge mancher Angst und Noth
Und manchen Glückes, riefst mit deinem Schlage
Die Freude wach, sowie die Trauerklage
Und sprachst die Stunde bei Geburt und Tod;
Du kündetest mit lautem Ruf den Morgen
Und schlugst in Schlummerfesseln Tagessorgen.
Wüßt' ich das Zauberwort, mit dem der Bann
Der Schweigsamkeit von dir zu lösen wäre,
Du solltest mir, so wie ich es begehre,
Vom Zeitenstrome, der bis jetzt verrann,
Und von den Ahnen vielerlei erzählen
Und, was ich wissen will, mir nicht verhehlen. —
Da schlug die Uhr und tönte in mir nach:
Laß schweigend meinen Gang mich weiter gehen;
Nicht sollst du bangend in die Zukunft sehen,
Noch rufe das Vergangne wieder wach!
Ich bin bestimmt, die Zeit dir anzudeuten,
Du sollst zur Ewigkeit dich vorbereiten.
[435]Sommernacht
Der laute Tag ist fortgezogen,
Es kommt die stille Nacht herauf,
Und an dem weiten Himmelsbogen
Da gehen tausend Sterne auf;
Und wo sich Erd' und Himmel einen
In einem lichten Nebelband,
Beginnt der helle Mond zu scheinen
Mit mildem Glanz ins dunkle Land.
Da geht durch alle Welt ein Grüßen!
Und schwindet hin von Land zu Land;
Das ist ein leises Liebesküssen,
Das Herz dem Herzen zugesandt,
Das im Gebete aufwärts steiget,
Wie gute Engel, leicht beschwingt,
Das sich zum fernen Liebsten neiget
Und süße Schlummerlieder singt.
Und wie es durch die Lande dringet,
Da möchte Alles Bote sein;
Ein Vogel es dem andern singet,
Und alle Bäume rauschen drein;
Und durch den Himmel geht ein Winken,
Und auf der Erde nah' und fern,
Die Ströme heben an zu blinken,
Und Stern verkündet es dem Stern.
O Nacht, wo solche Geister wallen
Im Mondenschein, auf lauer Luft!
O Nacht, wo solche Stimmen schallen
Durch lauter reinen Blütenduft!
O Sommernacht, so reich an Frieden,
So reich an stiller Himmelsruh':
Wie weit zwei Herzen auch geschieden,
Du führest sie einander zu!
[436]Des Mädchens Geständnis
„Der Abend war so wunderschön,
Da gingen beide wir durch's Feld;
Die Sonne wollte untergehn
Und schien noch freundlich in die Welt;
Die Vögel sangen im Gesträuch,
Im Korn und in der blauen Luft;
Die Blumen blühten voll und reich,
Und um uns her war lauter Duft.
Mir war gar feierlich zu Muth'
Und doch dabei ohnmaßen froh;
Ich war der ganzen Welt so gut,
Gott weiß, mir war noch niemals so.
Da sprachen wir denn allerlei,
Wovon, das weiß ich selbst nicht mehr,
Und er war auch so gut dabei
Und ging so stille nebenher.
Doch als ich einmal mich gewandt,
Ich weiß nicht mehr aus welchem Grund,
Da drückt' er zärtlich meine Hand
Und küßt' mich leise auf den Mund;
Und ich, ich konnt' nicht widerstehn,
Ich habe wieder ihn geküßt,
Und kann noch immer nicht verstehn,
Wie's mir nur eingefallen ist.
Doch bin ich wirklich mir bewußt,
Daß dieser Kuß nichts Böses war;
War's doch nachher in meiner Brust
So rein, wie es gewesen war.
Ich hätt's auch Jedem gern gethan,
Der irgend mir begegnet wär'.
Und doch — wär' es ein andrer Mann —
Je nun — das fragt sich doch noch sehr.“
[437]Curiose Geschichte
Ich bin einmal etwas hinausspaziert,
Da ist mir ein närrisches Ding passirt:
Ich sah einen Jäger am Waldeshang,
Ritt auf und nieder den See entlang,
Viel Hirsche sprangen am Wege dicht;
Was that der Jäger? — Er schoß sie nicht,
Er blies ein Lied in den Wald hinein —
Nun sagt mir, ihr Leut', was soll das sein?
Und als ich weiter bin fortspaziert,
Ist wieder ein närrisch Ding mir passirt:
Im kleinen Kahn eine Fischerin
Fuhr stets am Waldeshange dahin;
Rings sprangen die Fischlein im Abendlicht;
Was that das Mädchen? — Sie fing sie nicht,
Sie sang ein Lied in den Wald hinein —
Nun sagt mir, ihr Leut', was soll das sein?
Und als ich wieder zurückspaziert,
Da ist mir das närrischste Ding passirt:
Ein leeres Pferd mir entgegenkam,
Im See ein leerer Nachen schwamm;
Und als ich ging an den Erlen vorbei,
Was hört' ich drinnen? Da flüsterten Zwei,
Und 's war schon spät und Mondenschein —
Nun sagt mir, ihr Leut', was soll das sein?
Selig sind die Sanftmüthigen
Milde des Herzens, in früher Jugend
Sei sie gehütet, sei sie gepflegt!
Sei durch der Mütter zärtliche Sorge
Tief in die Menschenbrust gelegt!
[438]All' dein Wissen, all' dein Können,
All' dein Streben und deine Kunst,
Geht der sanfte Sinn verloren,
Schelt' ich es Alles eitlen Dunst.
Magst in der Wissenschaft heil'gen Tempel
Du mit forschendem Geiste fliehn,
Mögen der Schönheit Göttergebilde
Leuchtend durch deine Seele ziehn,
Mag die Menge dich bewundern,
Mag dein Name gepriesen sein,
Deinem Ruhm die schönere Weihe
Kann nur Milde des Herzens leihn.
Stolz und Hochmuth bleibe den Thoren!
Echte Tugend zeigt sich schlicht,
Der am ersten sei verloren,
Der den Stab des Andern bricht.
Siehst du deinen Bruder fehlen,
An dich selber denke dann:
Laß das Richten nur dem Richter,
Der die Berge versetzen kann!
In einsamer Nacht
Was will denn deine Stille nur erlauschen,
O blaue, träumerische Sommernacht? ...
Es kommt nicht mehr vom Kiesweg her das Rauschen,
Der langen Seidenschleppe scheu und sacht.
Ihr Linden, bleich vom Mondenglanz durchgittert,
Was stehet ihr so still und unbewegt? ...
Ihr schlanker Leib nicht mehr erschrocken zittert,
Wenn geisterhaft sich's im Gezweige regt.
Was blinkt so spähend ihr und hell hernieder,
Ihr fernen Sterne mit dem blassen Licht? ...
Sie stehet nicht mehr kichernd an dem Flieder
Und hält verschämt die Händchen vor's Gesicht.
Was soll der Thau, der schimmernd groß befeuchtet
Dein Purpurauge, o mein wilder Mohn? ...
Im Mondenlicht vom Waldweg einsam leuchtet
Ein Christusbildniß mit der Dornenkron'.
Draus starren gramvoll meine eignen Züge —
Dies Bild, ich hab's gemalt in bittrem Spott
Vor ihr einst auf der breiten Marmorstiege ...
Nun leid' ich wie am Kreuzbild jener Gott.
Sturmlied
Es treibt der Sturm die Wellen,
Die Wellen im blauen Meer,
Sie jauchzen auf zum Himmel
Und schluchzen grabesschwer.
Ein Chaos im wilden Zorne
Umschaukelt den kleinen Kahn,
Es reißt das straffe Segel
Das Schiff in die schäumende Bahn.
[442]O könnt' ich so durch's Leben
Hinfahren in wilder Lust!
Dann würde ich jauchzen und singen
Ein Lied aus voller Brust:
Ein Lied von der Lust des Lebens,
Vom tollen Übermuth,
Der ohne Furcht sich tummelt
In wildbewegter Flut.
Bisweilen schurrt es am Kiele:
Eine Klippe ... Schnell vorbei ...
Dort wieder eine! ... Gib Achtung! ...
Gottlob, wir sind schon frei! ...
Doch droht dereinst die Klippe,
Drauf grinsend sitzt der Tod,
Nur zu, es rollen die Wellen,
Das Sterben hat keine Noth:
In diesem gewaltigen Grabe
Da muß es sich selig ruhn,
Das Sterbelied singen die Wogen,
Den Segen spricht Neptun.
Und wenn am Abend die Sterne
Hell leuchten über die See,
Dann ist der Sturm vorüber ...
Vorüber Sorge und Weh!
Gebet
Nicht fleh' ich um den Segen ew'gen Glückes,
Nicht fleh' ich um ein flüchtig Erdengut;
Gib, Ew'ger, nur in Stürmen des Geschickes
Dem Geiste Kraft und meinem Herzen Muth!
Den Pfad des Rechtes laß mich ruhig schreiten,
Ob still die Luft, ob wild die Stürme wehn,
Und eines gib mir, Gott, zu allen Zeiten:
O, die ich liebe, laß mich glücklich sehn!
[444]Nur Der ist arm, der einsam zieht die Pfade,
Von dem hinweg der Liebe Engel fliehn.
Dir, Schicksal, Danke! Du hast in deiner Gnade
Der Lieb' und Freundschaft Segen mir verliehn.
O Alle, die mir Liebe je gespendet,
Auf Blumenauen laß sie ewig gehn,
Daß nie ihr Glück und ihre Wonne endet!
O, die ich liebe, laß mich glücklich sehn!
Sieh, ihre Freuden will ich jubelnd theilen!
Mich soll bewegen, was ihr Herz bewegt.
Ich weiß es, meine Wunden werden heilen,
So lang sie mild die Hand der Liebe pflegt!
An ihrer Freude soll mein Herz sich sonnen,
Wenn welkend meines Glückes Blumen stehn,
Und ihre Wonnen seien meine Wonnen. —
O, die ich liebe, laß mich glücklich sehn!
Die Sonntagspuppe
Es war an einem Sonntagmorgen —
Ob hell, ob düster, weiß ich nicht,
Ich weiß nur das — ich war in Sorgen,
Und finster war mein Angesicht.
Mir war die Welt voll Gram und Grauen,
Die Luft der Jugend schuf mir Pein. —
Nur helle Menschenaugen schauen
In Gottes Welt den Sonnenschein!
Ich hatte einen Freund gefunden,
Der heil'ge Treu' mir einst gelobt. —
Nun kamen ernste, schwere Stunden,
Nun ward des Mannes Wort erprobt!
Jetzt hing mein Schiff an schlimmen Riffen!
War nicht der Freund als Retter nah?
Ich hätte gern die Hand ergriffen, —
Die Freundeshand, sie war nicht da!
[445]Mein Aug' ist schlecht geschickt zur Thräne;
Nicht stand ich muthlos und erschlafft,
Doch brummt' ich knirschend in die Zähne:
„Nun wohl! Mit Gott und eigner Kraft!“
Und in den Zügen stand geschrieben,
Wie mich geschmerzt der eitle Trug,
Daß einen Namen, einen lieben,
Ich ausstrich aus des Herzens Buch. —
Mit seiner Sonntagspuppe spielend,
Mein Töchterlein im Zimmer saß;
Oft sah das Kind, zur Seite schielend,
Wie ich nur fast zum Scheine las,
Wie achtlos durch die Blätter schweifend
Ich doch in schwarzen Träumen blieb,
Und wie ich sinnend, leise pfeifend,
Gedankenvoll die Stirne rieb.
Ein närrisch Ding, mein kleines Ännchen!
Wie ist das Fräulein sonst empört,
Wenn's in dem Spiel mit Kaffeekännchen
Und Puppen je der Vater stört!
„Gib einen Kuß mir!“ — „Nein, ich danke!
So laß mich doch in Ruh, Papa!“
Doch heute von dem Puppenschranke
So oft zu mir die Kleine sah.
Und plötzlich kam mein Kind gegangen.
Und leise sprach es drauf zu mir:
„Die Sonntagspupp' mit rothen Wangen,
Papa, ich leih' die Puppe dir!
Mit ihren allerschönsten Sachen
Hab' ich für dich sie angethan.
Papa, nun mußt du wieder lachen!
Nun sieh auch Anna freundlich an!“
Und als mir in das Auge schaute
Mein Kind wie sonn'ger Maientag,
Da fühlt' ich, wie im Herzen thaute
Das Eis, das auf der Seele lag,
[446]Da ward mir wieder froh zu Sinne,
Da wurde meine Stirne klar,
Und tief beschämet ward ich inne,
Wie unaussprechlich reich ich war!
Aus den Zuleika-Liedern
Die Wellen murmeln leis im Flusse,
Durch Wolken bricht der Sterne Pracht
Und, trunken von dem Sonnenkusse,
Träumt die Natur im Arm der Nacht.
[447]Von ihren Schleiern lind umfangen
Ist rings das Thal, der Hügel Knauf. —
Mein süßes Kind, was willst du bangen?
Die wilden Rosen blühen auf!
Du wendest seitwärts Mund und Wange?
Horch, was im Wogenlispeln spricht!
Es küssen sacht am Uferhange
Die Wellen die Vergißmeinnicht.
Und lausche, wie es rauscht verstohlen
Dort in des Waldes laub'gem Dach —
Das ist des Zephyrs Athemholen!
Er küßt die wilden Rosen wach!
Still! Hörst du's nicht vom Busche schallen?
Die Brust durchzuckt's wie Flammenguß.
Das sind des Frühlings Nachtigallen,
Das ist des Mai's gesung'ner Kuß!
Fühlst du nicht Wonne unermessen
Aus dieses Liedes Klängen sprühn?
Komm'! Lass' uns Lipp' auf Lippe pressen,
Mein Lieb! die wilden Rosen blühn!
Sie blühn! Versteckt im Kelche kosen
Die Falter und die Käferlein.
Komm', holdes Kind! Bei wilden Rosen,
Da laß uns liebend selig sein!
O, rede nicht! Ich will sie schließen,
Die Lippen mit dem Kusse zu!
Laß uns die Rosenzeit genießen,
Du, meine wilde Rose du! —
[447]Zu Hilfe!
7. Juli 1866
Es geht durch's Land der Schrei der Not; er will an jeden Busen klopfen
Für heiße Wunden, purpurrot — o, gebt der Liebe Balsamtropfen!
[448]Für arme Kinder, blass und krank — o, füllt die kleinen Kinderhände!
Dem Weib, dem der Ernährer sank — o, reicht des Goldes Segensspende!
Zum Himmel hallt ein Jammerschrei von Herzen, die in Schlachten brechen. — —
Nun schweigt die Stimme der Partei, nun hat das Herz ein Recht zu sprechen!
Im Land des Ziska, Land des Huß, am Fuß der Wartburg, an der Elbe
Kanonendonner, Flintenschuss, Schwarzweiße wider Schwarz und Gelbe!
Gewehr im Arm, der Krieger steht am Mainstrom und im Land der Czechen,
Und hört ihn leise ein Gebet die mitternächt'ge Stunde sprechen,
Dann ist's kein Flehn ums eig'ne Ich und keines Feiglings heimlich Weinen,
Er spricht: „Der Himmel schütze dich, mein liebes Weib, und unsre Kleinen!“
Dann seufzt der Mann in sich hinein: „Was frag' ich nach des Feindes Schüssen!
Doch weh', wenn Weib und Kinder mein daheim am Herde darben müssen!“ —
O seht, in hellen Tränen schwimmt ein Männeraug'! Herbei, ihr Reichen!
Das Gold, zu eigner Lust bestimmt, o, gebt's den Blassen, Kummerbleichen!
Hierher, die ihr beim Becher Wein noch fröhlich seid, dass euch's erbarme!
Kein Becher Wein für euch allein, ein Tröpflein immer auch für Arme! —
Der Lärm der Schlacht hat ausgegrollt. Zerstampft, verwüstet rings die Stätte!
Die Flur, die Garben tragen sollt', sie ward des Kriegers Sterbebette!
[449]Es steht im schwarzen Kleide nicht die Witwe bei des Gatten Grabe;
Kein stammelnd' Vaterunser spricht das Mädglein und der kleine Knabe.
Kein Kranz, kein Totendiadem! Kein Weihspruch, keine Trauerlieder! —
Aufs Haupt der nasse, gelbe Lehm und auf den Lehm der Rasen wieder!
Und Reih' an Reih' verwundet liegt — im Lazarett ein Weinen, Ächzen.
Wie wild der Puls im Fieber fliegt! Nach Labung rings die Lippen lechzen.
Sie reden irr' in grimmer Qual; sie träumen noch vom Waffengange. —
Hier funkelt auch der blanke Stahl — die Säge und die Kugelzange!
Sie ruhn, verwundet und zerfleischt, die kühn gekämpft in wilden Schlachten. —
Die Lippe, die nach Labung heischt, o, lasst sie nicht vergebens schmachten!
Ja, also ist's und härter noch! — Noch weilen wir bei Weib und Kindern!
Doch wir, wir können Eines doch, das Eine: Not und Leiden lindern!
Du Jungfrau mit der ros'gen Wand, was frommt es, dass die Perlen gleißen?
Was soll die reiche, güld'ne Spang' dem Arm, dem runden, schwanenweißen?
Und du, o Weib, das Kinder herzt, o, denk' an deine eignen Kleinen,
Denk', wie der bittre Hunger schmerzt — und lass' kein Aug' vergebens weinen!
Zu Hilfe! Hier ist Hilfe noth! — Die Herzen und die Säckel offen!
Die Wunden brennen blutig rot — lasst nicht umsonst auf Balsam hoffen!
[450]Für arme Kinder, blass und krank — o, füllt die kleinen Kinderhände!
Dem Weib, dem der Ernährer sank, — o, reicht des Goldes Segensspende!
Das Elend klagt, es weint der Schmerz. Zum Himmel dringen Jammertöne! —
Den Säckel auf und auf das Herz für eure Brüder, eure Söhne!
1. Hier war's ...
Herbst auf Helgoland
Hier war's, wo mir vor manchen Jahren
Zuerst geleuchtet hat das Meer;
O, viel hab' ich seitdem erfahren,
Doch wieder zog es mich hierher.
Und sieh — das sind dieselben Gluten
Der Sonne, die dort niedertaucht;
Es ist das Blau derselben Fluten,
Von Purpurnebel überhaucht.
Und horch — es sind dieselben Klänge
Vom Strande, wo die Woge rauscht;
Desselben Sturmes Nachtgesänge,
Wie sie der Jüngling schon belauscht.
Und wie sie kommen, wie sie scheiden,
Wird mir so wundersam, als sei
Von meiner Jugend Glück und Leiden
Ein Ton in dieser Melodei.
Wohin, wohin? Dumpf an der Küste
Bricht sich der Welle müder Lauf —
Der goldne Tag, er ging zur Rüste,
Die Sterne kommen still herauf.
Und dort, wo licht und rosig eben
Noch meiner Jugend Bild geprangt,
Da steigen Schatten nun und schweben,
Der Sehnsucht gleich, die heimverlangt.
3. Wolken am Meere
Herbst auf Helgoland
Noch schweben die Wolken zerrissen,
Noch hangen sie tief und schwer;
Mit den brütenden Finsternissen
Kämpft des Lichtes goldener Speer.
Und wo er sie trifft mit Funkeln,
Wie stäubt da die wilde Jagd!
Da strahlen die Wellen, die dunkeln,
Da blitzt es wie Gold und Smaragd.
Mit Staunen folgt und mit Freude
Der Blick dem verworrenen Hauf';
Phantastische Wolkengebäude
Steigen am Himmel herauf.
Schimmernde Seepaläste,
Wiesen von grünem Schein;
Die Sonne, der Wind als Gäste,
Die wandeln dort aus und ein.
Nun aber stürzt Thurm und Mauer,
Und Alles wird öd' und fahl;
Ein eisiger Regenschauer
Löscht aus den letzten Strahl.
[453]Es ballt sich zu finstrer Masse
Das Grau, das den Himmel verhüllt,
Bis plötzlich sich jene blasse
Wolke mit Glut erfüllt.
In lieblichem Lächeln schreitet
Die Sonne durch's offene Thor,
Und über die Ferne breitet
Auf's Neu' sie den rosigen Flor.
Ein herrlicher Regenbogen
Spannt weit sich von Meer zu Meer,
Und es fahren auf leuchtenden Wogen
Die Schiffe darunter her.
4. Seemannsregel
Herbst auf Helgoland
Da fahr ich hinaus in die tosende See,
Hinaus in das Donnern und Grollen!
Es tobt der Wind und gepeitscht zu Schnee
Die Wogen stoßen und rollen.
Die Planke bebt und mir bebt das Herz
Vor dem Aufruhr, der uns erfaßte;
Doch meine sechs Leute — sechs Männer von Erz —
Befest'gen das Segel am Maste.
Sie binden es fest — mag die salzige Flut
Auch waschen ihre Theerjacken —
Mag der Wind auch zerren — den ledernen Hut
Sie tragen ihn tief im Nacken.
Der Eine von ihnen hat fest und schwer
Den Steuerbord bestiegen;
Die Andern liegen im Boot umher
Und lassen es fliegen, fliegen!
Sie finden das Wetter nach ihrem Geschmack,
Mag das Wasser auch schäumen und toben:
Sie liegen im Boot und kauen Taback
Und halten den Kopf hübsch oben.
[454]Und wie nun ringsum ein Brausen schallt,
Wie von jauchzenden Stimmen und Chören:
Da mein' ich bald näher und ferner bald
Einen ernsten Gesang zu hören.
Fasse Muth! und will dich voll wilden Schrecks
Umringen der Stürme Wüthen:
So denk' an die See! So denk' an die Sechs,
Die Sechs mit den Lederhüten!
Du hast schon erlebt manch' bösen Tag
Und hast dich wieder erhoben;
Darum laß wettern, was wettern mag,
Und halte den Kopf hübsch oben.
Und ob es bläst aus West, aus Ost:
Setz' nur zurecht dein Segel,
Halte fest das Steuer und fahre getrost —
So lautet die Seemannsregel!
Abschied
Nun ist die beste Zeit vorbei,
Nun ist mir Alles einerlei,
Wohin ich wandern soll.
Verlassen muß ich meine Lust,
Mein ganzes Herz ist in der Brust
Von Thränen, von Thränen voll!
Durch die alten Gassen hab' ich zuletzt
Heut' Nacht meinen Wanderstab gesetzt,
Mit manchem Gesellen gut.
Sie drückten mir Alle die Bruderhand:
Und denk' an uns im fremden Land,
Halt' uns in treuer Hut!
[457]Noch einmal von der Neckarbrück'
Schau' ich ins weite Thal zurück,
Die Wasser rauschten daher;
Sie rauschten stets, ich merkt' es kaum,
Sie rauschen und singen mir alten Traum,
Und machen das Herz mir schwer.
Ich sah nach jedem Giebeldach,
Mir war's, als riefen sie mir nach:
Fahr' wohl, Gesell, fahr' wohl!
Und mit den Abschied war's vorbei,
Nun ist mir Alles einerlei
Wohin ich wandern soll!
Die Tage der Rosen
Noch ist die blühende, goldene Zeit,
O du schöne Welt, wie bist du so weit!
Und so weit ist mein Herz und so klar wie der Tag,
Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag!
Ihr Fröhlichen, singt, weil das Leben noch mait:
Noch ist die schöne, die blühende Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!
Frei ist das Herz, und frei ist das Lied,
Und frei ist der Bursch', der die Welt durchzieht,
Und ein rosiger Kuß ist nicht minder frei,
So spröd' und verschämt auch die Lippe sei,
Wo ein Lied erklingt, wo ein Kuß sich beut,
Da heißt's: Noch ist blühende, goldene Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!
Ja, im Herzen tief innen ist Alles daheim,
Der Freude Saaten, der Schmerzen Keim.
Drum frisch sei das Herz, und lebendig der Sinn,
Dann brauset, ihr Stürme, daher und dahin!
Wir aber sind allzeit zu singen bereit:
Noch ist die blühende, goldene Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!
[458]Joriede
Sie lachte so hell, und der Troß war weit,
Jung Diethelm ritt an der Herzogin Seit'.
Holde Rast hier am Waldesrande:
Er hob sie vom Zelter: „O Herrin mein,
So halt' ich dich, laß mich begnadet sein!
Joriede, du Schönste im Lande.“
Sie lacht: Jung Diethelm, ich seh' Euch gern,
Doch bieten mir Kronen viel edle Herrn,
Was seid Ihr zu bieten im Stande?
„Ich biete mein Herz und mein junges Blut!
Meinen Lebensdurst, meinen Todesmuth,
Joriede, du schönste im Lande!“
Jung Diethelm, Ihr hegt viel kecken Muth,
Ihr werbt' wie ein Knab' um der Minne Gut,
Sie will gar verschwiegene Bande!
„O Herrin, ich schweige bis an das Grab,
Wenn ich alle Seligkeit funden hab,
Joriede, du Schönste im Lande!“
Sie lacht und sie neckt mit verwirrendem Spiel,
Aufstieg der Mond, und die Dämm'rung fiel,
Und die Rosse scharrten im Sande.
[460]„O Herrin, du lachst mir mit Augen und Mund,
Mein mußt du werden zu dieser Stund',
Joriede, du Schönste im Lande!“
Zu Roß! Horch, horch, des Jagdhorns Ton!
Laß ab, du schaffest dir bittern Lohn,
Und schaffest mir Zorn und Schande!
„Ich laß dich nicht! Wenn ich denn sterben muß,
So sei es jauchzend in deinem Kuß,
Joriede, du Schönste im Lande!“
Herbrauset der Zug, und ein Schrei wird laut,
Blank zuckt ein Schwert vom Blute bethaut,
Und ein Odem erstirbt auf dem Sande.
Und als sie heimwärts ritten die Straß',
Hoch saß sie zu Roß wie der Tod so blaß,
Joriede, die Schönste im Lande.
Letzter Wunsch
Was wäre doch mein letzter Wunsch,
Wenn ich dereinst zur Grube fahr'?
Ein Gräblein tief geborgen wol
Auf einsam stiller Bergeshöh';
Auf jener Höh', wo ich als Kind
Den ersten Schmetterling gesehn,
Dem ersten Lerchensang gelauscht
An einem lichten Frühlingstag.
Doch jenes Zeichen fluchbeschwert,
Das wie ein Alp die Welt umarmt,
Weil sie ans Kreuz den Besten schlug,
— O, pflanzt es nicht auf meinen Staub!
Mir pflanzet einen jungen Baum,
Auf daß er wachse und gedeih';
[461]Vielleicht kommt einst ein Zimmermann,
Der ihn zu einer Wiege fällt.
— Vielleicht kommt eine Mutter, die
Ein Kindlein in die Wiege legt,
Das noch einmal die Welt erlöst
Und nicht dafür gekreuzigt wird.
Chidher
Chidher, der ewig junge, sprach:
Ich fuhr an einer Stadt vorbei,
Ein Mann im Garten Früchte brach;
Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei?
Er sprach und pflückte die Früchte fort:
„Die Stadt steht ewig an diesem Ort,
Und wird so stehen ewig fort.“
Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich keine Spur der Stadt;
Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei,
Die Heerde weidete Laub und Blatt;
Ich fragte, wie lange die Stadt vorbei?
[462]Er sprach, und blies auf dem Rohre fort:
„Das Eine wächst, wenn das Andre dorrt;
Das ist mein ewiger Weideort.“
Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
Ein Fischer warf die Netze frei;
Und als er ruhte vom schweren Zug,
Da fragt' ich, seit wann das Meer hier sei?
Er sprach, und lachte meinem Wort:
„So lang, als schäumen die Wellen dort,
Fischt man und fischt in diesem Port.“
Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich einen waldigen Raum,
Und einen Mann in der Siedelei,
Er fällte mit der Axt den Baum;
Ich fragte, wie alt der Wald hier sei.
Er sprach: „Der Wald ist ein ewiger Hort!
Schon ewig wohn' ich an diesem Ort,
Und ewig wachsen die Bäume fort.“
Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
Da fand ich eine Stadt, und laut
Erschallte der Markt vom Volksgeschrei.
Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut,
Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?
Sie schrien und hörten nicht mein Wort:
„So ging es ewig an diesem Ort,
Und wird so gehen ewig fort.“
Und aber nach fünfhundert Jahren
Will ich desselbigen Weges fahren.
Die sterbende Blume
Hoffe! du erlebst es noch,
Daß der Frühling wiederkehrt.
[463]Hoffen alle Bäume doch,
Die des Herbstes Wind verheert,
Hoffen mit der stillen Kraft
Ihrer Knospen winterlang,
Bis sich wieder regt der Saft,
Und ein neues Grün entsprang. —
„Ach, ich bin kein starker Baum,
Der ein Sommertausend lebt,
Nach verträumtem Wintertraum
Neue Lenzgedichte webt.
Ach, ich bin die Blume nur,
Die des Maies Kuß geweckt,
Und von der nicht bleibt die Spur,
Wie das weiße Grab sie deckt.“ —
Wenn du denn die Blume bist,
O bescheidenes Gemüth,
Tröste dich, beschieden ist
Samen Allem, was da blüht.
Laß den Sturm des Todes doch
Deinen Lebensstaub verstreun,
Aus dem Staube wirst du noch
Hundertmal dich selbst erneun. —
„Ja, es werde nach mir blühn
Andre, die mir ähnlich sind;
Ewig ist das ganze Grün,
Nur das Einzle welkt geschwind.
Aber, sind sie, was ich war,
Bin ich selber es nicht mehr;
Jetzt nur bin ich ganz und gar,
Nicht zuvor und nicht nachher.
Wenn einst sie der Sonne Blick
Wärmt, der jetzt noch mich durchflammt,
Lindert das nicht mein Geschick,
Das mich nun zur Nacht verdammt.
[464]Sonne, ja du äugelst schon
Ihnen in die Fernen zu;
Warum noch mit frost'gem Hohn
Mir aus Wolken lächelst du?
Weh' mir, daß ich dir vertraut,
Als mich wach geküßt dein Strahl;
Daß in's Aug' ich dir geschaut,
Bis es mir das Leben stahl!
Dieses Lebens armen Rest
Deinem Mitleid zu entziehn,
Schließen will ich krankhaft fest
Mich in mich, und dir entfliehn.
Doch du schmelzest meines Grimms
Starres Eis in Thränen auf;
Nimm mein fliehend Leben, nimm's,
Ewige, zu dir hinauf!
Ja du sonnest noch den Gram
Aus der Seele mir zuletzt;
Alles, was von dir mir kam,
Sterbend dank' ich dir es jetzt:
Aller Lüfte Morgenzug,
Dem ich sommerlang gebebt,
Aller Schmetterlinge Flug,
Die um mich im Tanz geschwebt;
Augen, die mein Glanz erfrischt,
Herzen, die mein Duft erfreut, —
Wie aus Duft und Glanz gemischt
Du mich schuf'st, dir dank' ich's heut.
Eine Zierde deiner Welt,
Wenn auch eine kleine nur,
Ließest du mich blühn im Feld
Wie die Stern' auf höhrer Flur.
Einen Odem hauch' ich noch,
Und er soll kein Seufzer sein,
Einen Blick zum Himmel hoch
Und zur schönen Welt hinein.
[465]Ew'ges Flammenherz der Welt,
Laß verglimmen mich an dir!
Himmel, spann' dein blaues Zelt,
Mein vergrüntes sinket hier!
Heil, o Frühling, deinem Schein!
Morgenluft, Heil deinem Wehn!
Ohne Kummer schlaf' ich ein,
Ohne Hoffnung aufzustehn!“
Abendlied
Ich stand auf Berges Halde,
Als heim die Sonne ging,
Und sah, wie über'm Walde
Des Abends Goldnetz hing.
Des Himmels Wolken thauten
Der Erde Frieden zu,
Bei Abendglockenlauten
Ging die Natur zu Ruh'.
Ich sprach: O Herz, empfinde
Der Schöpfung Stille nun,
Und schick' mit jedem Kinde
Der Flur dich auch, zu ruhn.
Die Blumen alle schließen
Die Augen allgemach,
Und alle Wellen fließen
Besänftiget im Bach.
Nun hat der müde Sylphe
Sich unter's Blatt gesetzt,
Und die Libell' am Schilfe
Entschlummert thaubenetzt.
Es ward dem goldnen Käfer
Zur Wieg' ein Rosenblatt;
Die Heerde mit dem Schäfer
Sucht ihre Lagerstatt.
[466]Die Lerche sucht aus Lüften
Ihr feuchtes Nest im Klee,
Und in des Waldes Schlüften
Ihr Lager Hirsch und Reh.
Wer sein ein Hüttchen nennet,
Ruht nun darin sich aus;
Und wen die Fremde trennet,
Den trägt ein Traum nach Haus.
Mich fasset ein Verlangen,
Daß ich zu dieser Frist
Hinauf nicht kann gelangen,
Wo meine Heimat ist.
Ich sehe, wie in einem Spiegel
Liebesfrühling
Ich sehe, wie in einem Spiegel,
In der Geliebten Auge mich;
Gelöst vor mir ist jedes Siegel,
Das mir verbarg mein eignes Ich.
Durch deinen Blick ist mir durchsichtig
Mein Herz geworden und die Welt;
Was in ihr wirklich und was nichtig,
Ist vor mir ewig aufgehellt.
So wie durch meinen Busen gehet
Hier deines Herzens stiller Schlag,
So fühl' ich, was die Schöpfung drehet
Vom ersten bis zum jüngsten Tag.
Die Welten drehn sich all' um Liebe,
Lieb' ist ihr Leben, Lieb' ihr Tod;
Und in mir wogt ein Weltgetriebe
Von Liebeslust und Liebesnoth.
Der Schöpfung Seel' ist ew'ger Frieden,
Ihr Lebensgeist ein steter Krieg.
Und so ist Friede mir beschieden,
Sieg über Tod und Leben, Sieg.
Ich spreche still zur Lieb' im Herzen,
Wie Blume zu der Sonne Schein;
Du gib mir Lust, du gib mir Schmerzen!
Dein leb' ich und ich sterbe dein.
Mahnung
Wenn dir ein gold'ner Traum zerrann
Und rauh die Wirklichkeit dein Herz zerspaltet,
Nicht mit dem Schicksal had're dann,
Das nur in deinem Innern lebt und waltet.
Wie sehr man dir auch weh gethan,
Was du auch alles von der Welt erduldet —
Vielleicht, siehst du es ruhig an,
Erweist sich doch, daß du es selbst verschuldet.
[472]Und klage nicht mit lautem Groll,
Daß du allein nur ungeliebt auf Erden,
Erwäge stumm und demuthsvoll,
Ob du auch würdig bist, geliebt zu werden.
So lernst du still und allgemach
Dein Wesen bis zur Wurzel klar erkennen,
Und was man auch an dir verbrach:
Erlebt und nicht erlitten wirst du's nennen.
Die Zähre, die im Aug' dir ruht,
Gleich einer Freudenthräne wird sie fließen,
Und angehaucht von hehrem Muth
Wird selbst die tiefste Wunde leis sich schließen.
Rosa thea
Nie vergess' ich die Stunde —
Im hell erleuchteten Gartensaal war's
Und draußen schlug die Nachtigall —
Wo du, des hochgestalteten Leibes Pracht
Umwogt und umrauscht von schwarzer Seide,
Unter die harrenden Gäste tratest,
Holdseliges Lächeln im dunklen Aug'
Und um den jugendlich rothen Mund —
Während im leicht schon besilberten Haar
Und vor der Brust dir schwankten
Blüten und Knospen der rosa thea.
Und wie du zwischen den Gruppen dann
Liebliche Worte sprachst,
Hierhin dich neigend und dorthin:
Fühlte Jeder würzigen Hauch
Und wußte nicht, war es dein Odem
Oder das Duften der Rosen. —
Und als du späterhin
Mit der plaudernden Schaar
Hinaustratst in die Nacht, um die Wangen zu kühlen,
Da fiel von der Brust dir nieder,
Abgeknickt, der vollste Kelch.
[473]Ich aber
Hob ihn auf
Und drückte die weiche
Kühle Blätterfülle
An die zwiefach berauschte Stirn
Und an die brennenden Lippen. — —
Seit jener Nacht
Nenn' ich die Erste der Frauen dich,
Wie ich der Blumen Königin nenne:
Die reich und lose geblätterte,
In sanfter Farbe Doppelschmelz leuchtende,
Von hold fremdem Glutarom
Leise durchsprühte
Rosa thea!
Bei Empfang einer Ananas
Schon verräth mir der Duft, was ein liebender Sinn aus der Ferne,
Mich zu erfreuen, gesandt, sorglich und zierlich verpackt.
Hastig behutsam entfern' ich die Hülle — da blinkt mir entgegen,
Leis' umknistert vom Schmuck zackiger Blätter die Frucht.
Stachlig gekerbt; doch golden und Düfte verhauchend, wie keine
Gold'ner und süßer'n Aroms fern am Äquator gereift.
Wohin stell' ich sie nur? Ans Fenster — wie gleißet und schimmert
Dort das tropische Kind, schlichten Reseden gesellt!
Ei, schon wagt sich ein Spatz neugierig auf das Gesimse.
Während das fremde Gewächs längst mir die Fliege benascht. —
Und nun trägt mich mein Geist in das Land, wo es üppig und zahllos,
Leuchtender Blumen Genoß, Kolben an Kolben sich drängt.
Kreischend läßt sich herab und bunten Gefieders der Aras,
An den schwebenden Arm einer Liane gekrallt.
Also hangt er verkehrt, und sich schaukelnd, hackt er des Schnabels
Spitzige Krümmung mit Gier tief in die schwellendste Frucht.
[474]Und wo diese, zerfleischt, ihr Leben vertrieft, dort nippet
Einen Tropfen sodann, flatternd, der Colibri weg,
Während von Faltern ein Schwarm, breitflüglig, azuren und purpurn,
Lüstern die Wunde umkreist, die ihn mit Düften betrügt!
Wie einen Stern —
Wie einen Stern, der im Versinken,
Seh' ich im Auge, gramumflort,
Nur matt noch deine Seele blinken,
Vom scharfen Todespfeil durchbohrt.
Ich kenn' ihn, ach! den Schmerz, den herben,
Wenn in dem Winterfrost der Welt
Das Herz erstarrt, und vor dem Sterben
Das Leben schon in Trümmer fällt.
Und wie einst vor den Tempelmauern,
Den Säulen, die auf Sunium
Um die verlor'nen Götter trauern,
Steh' ich vor dir oft wehmuthstumm.
Doch eine Macht ist, Weib, o glaub' es,
Die aus Verzweiflungsqual den Geist,
Aus Tod und aus der Nacht des Staubes
Empor in alle Himmel reißt.
Durch Liebe steigt aus den Ruinen
Das Leben, das in Trümmern lag,
Und leuchtet, morgenglanzbeschienen,
Entgegen einem neuen Tag.
Im Orient
Was fliegt das Schiff, was lenkt das Steuer
Den Kiel durch dunkelblaue See?
Ach! zu der Einen, die mir theuer,
Trägt mich der Wellen keine je!
Klar, aus des Ostens Purpurquelle,
Strömt auf das Meer des Frühroths Glut;
Und jubelnd in der goldnen Helle
Berauscht sich die beschäumte Flut.
[478]Und Inseln, duft'ge Küsten schwimmen
An mir vorbei im Morgenwehn,
Und zwischen Palmenhainen glimmen
Die goldnen Kuppeln von Moscheen.
Doch ob sich mir mit lichten Thoren
Der Orient erschließen mag:
Zu ihr zurück, die ich verloren,
Blick' ich in den gesunk'nen Tag.
Fern dort bei Sturm und Blättertreiben
Blinkt weiß ein Grabstein durch die Nacht;
Da schläft sie unter dunklen Eiben
Den Schlaf, aus dem sie nie erwacht.
Die Noth
Ich bin die Noth. Der Himmel dunkelt,
Im Sturmgewölk' bin ich genaht.
Die Luft erbebt, es blitzt und funkelt.
Hört ihr es prasseln in die Saat?
Die Ähren schlag' ich von den Halmen,
Zertreten hab' ich Wein und Brod.
Schwer tritt mein Fuß, er muß zermalmen,
Was er berührt. — Ich bin die Noth.
Da nah' ich auch im Glutgewande,
Und Flammen folgen meiner Spur;
Aus meiner Locken schwülem Brande
Schütt' ich Verderben auf die Flur.
Die Quellen hören auf zu schäumen,
Die meines Kleides Saum gestreift.
Die Fluren dörren, und den Bäumen
Entsinkt die Frucht, noch ungereift.
[479]Ich setze mich zu eurem Mahle,
Unsichtbar bin ich zwischen euch,
Ich brech' das Brod, ich füll' die Schaale,
Ich färb' euch Haar und Wangen bleich.
Im Stalle stürzen Schaf und Rinder,
Der Brand löscht unter'm Kessel aus.
Ihr Mütter, rettet eure Kinder:
Mein Athem trägt euch Gift in's Haus!
Wo Menschen bauen ihre Hütte,
Im engsten Thal, im fernsten Land,
Folg' ich den Spuren ihrer Schritte
Durch Schnee und Well' und Wüstensand.
Glaubt jauchzend ihr das Glück zu halten,
So seht ihr mein bekannt Gesicht;
Ab werf' ich meines Schleiers Falten —
Mein Bruder, du entfliehst mir nicht!
Ich bin der Menschheit Angebinde,
Seit sie verscherzt die Seligkeit;
Geboren ward ich mit der Sünde
Und bin unsterblich wie die Zeit.
Der Herr war es in seinem Grimme,
Der mich erschuf an Edens Thor,
Da, folgend der Versuchung Stimme,
Der Mensch sein Paradies verlor.
Seht ihr das Volk mit hohlen Wangen
An eures Haufes Schwelle stehn
Und mit des Hungerblicks Verlangen,
Brosamen eures Mahls erflehn?
Verlorne hinter Kerkergittern?
Die Armuth, die sich müht und plagt,
Die kecke unter Schmink' und Flittern
Und die verschämte, die nicht klagt?
Sie tragen All' mein Sclavenzeichen.
Ihr, die das Glück umschlungen hält,
Mein mächt'ger Arm kann euch erreichen:
Ich bin die Königin der Welt.
[480]Ich schlüpfe über Marmorsteine
Und durch zerfall'ner Hütten Spalt,
Stets neu und immer nur die Eine,
Vertausch' ich Namen und Gestalt.
Ich dringe durch des Purpurs Falten;
Kein Riegel bannt mich, kein Verschluß.
Ich bin des Schicksals dunkles Walten,
Ich bin der Anfang und der Schluß.
Ich bin das Heute wie das Gestern,
Ich bin Geburt und bin der Tod,
Die treuste bin ich deiner Schwestern,
Und stets dir nah. — Ich bin die Noth!
Geh fleißig um —
Geh' fleißig um mit deinen Kindern! Habe
Sie Tag und Nacht um dich, und liebe sie
Und laß dich lieben einzig schöne Jahre;
Denn nur den engen Traum der Kindheit sind
Sie dein, nicht länger! Mit der Jugend schon
Durchschleicht sie Vieles bald — was du nicht bist,
Und lockt sie Mancherlei — was du nicht hast,
Erfahren sie von einer alten Welt,
Die ihren Geist erfüllt; die Zukunft schwebt
Nun ihnen vor. So geht die Gegenwart
Verloren. Mit dem Wandertäschchen dann
Voll Nöthigkeiten zieht der Knabe fort.
Du siehst ihm weinend nach, bis er verschwindet,
Und nimmer wird er wieder dein! Er kehrt
Zurück, er liebt, er wählt der Jungfrau'n eine,
Er lebt! Sie leben, Andre leben auf
Aus ihm — du hast nun einen Mann an ihm,
Hast einen Menschen — aber mehr kein Kind!
[481]Die Tochter bringt vermählt dir ihre Kinder
Aus Freude gern noch manchmal in dein Haus!
Du hast die Mutter, aber mehr kein Kind!
Geh' fleißig um mit deinen Kindern! Habe
Sie Tag und Nacht um dich, und liebe sie,
Und laß dich lieben einzig schöne Jahre!
Mein Himmel
Mein Himmel ist so wunderlicht,
So herrlich, blau und prächtig,
Und wende ich mein Angesicht
Ihm zu, durchzuckt mich's mächtig;
Im möchte mich versenken ganz
Mit Seel' und Herz hinein
In diesen goldig klaren Glanz,
In diesen Himmelsschein.
[487]Und Frieden bringt er, Ruh' und Glück,
Darob er prangt, den Landen,
Wie oft bin ich mit sel'gem Blick,
Ihn schauend, still gestanden
Und fühlte mich so stolz und frei;
Und war geraubt mein Muth,
Ich wußte, daß es besser sei
Wol unter seiner Hut.
Mein Himmel, bis zur tiefen Nacht
Strahlt er in meine Seele,
Hat jedesmal mir Trost gebracht,
Wenn ich mich sehnend quäle.
Und keine böse Wolke steigt
Am Horizont empor,
An meinem Himmel nie sich zeigt
Des schweren Nebels Flor.
Stets ist er licht, stes ist er klar;
Die daran prangt, die Leuchte,
Ist meine Seele wunderbar —
Der Himmel das Aug', das feuchte!
Das süße Aug', das blau und licht
Mein Lied mir wendet zu
Mit seinem holden Angesicht,
Das bringt mir Glück und Ruh'.
Erlebt!
So seid ihr alle wieder da,
Geliebte Frühlingsboten?
Ihr Blüten alle, fern und nah,
So schön, als ich euch jemals sah,
Ihr weißen und ihr rothen?
[488]Ja, ja, ich fühl's am linden Weh'n
Die Höhen auf und nieder:
Das Frühlingswunder ist geschehn,
Was schlafend war, will auferstehn,
Denn Morgen ist es wieder!
Wie wunderbar der Himmel blaut,
Wie's grünt an allen Enden!
Der Wald sein Laubgewölbe baut,
Daraus beginnt den süßen Laut
Die Amsel schon zu senden.
Frohlocke, wem die Brust noch hebt
Des Athems frohe Gabe,
Denn mancher hat es nie erlebt,
Und dichter Rasen schon sich webt
Auf manchem Freundesgrabe.
Und keinem kam es wol zu Sinn
Beim letzten Frühlingswalten,
Daß seine Zeit so bald dahin,
Daß schon der nächste über ihn
Wird seinen Einzug halten ...
So will ich ihn für sie erneu'n
Mit dieser Wehmuthszähre:
Auf ihr Gedächtniß Blüten streun
... Und selber mich des Frühlings freun,
Als ob's der letzte wäre.
Begräbniß
Den Tod nicht scheu' ich, aber das Begraben,
Mir ekelt, fällt mir die Verwesung ein:
Ich möchte nicht den Geiern und den Raben,
Doch auch den Würmern nicht zum Fraße sein.
Wär' ich nur reich, ich wollt' es mir erkaufen,
Denn feil ist Manches heutzutag um Geld;
Nach Römer-Art, auf einem Scheiterhaufen
Ging' ich in Flammen festlich aus der Welt!
[489]Ich weiß voraus, als einen Apostaten
Verscharrt man einst in einer Ecke mich,
Dem Armen gleich, der, weil sein Glück mißrathen,
Die Mörderhand gewendet gegen sich:
Doch wenn sie den Entsühnten auch begrüben
Mit aller Weihe, allem Sang und Klang,
Womit sie klug in's unbekannte Drüben
Verklären den geheimnißvollen Gang,
Doch lieber als durch lange dunkle Gährung
Ging ich in einem festlichen Moment
Durch Luft und Flammen-Klarheit zur Verklärung,
Zur Reinheit durch das reine Element!
Ich hoffte wol die Freundeshand zu finden,
Die mir den letzten Liebesdienst erweist,
Mir auf dem Holzstoß Alles zu verbinden,
Was ich des Schönen hier geliebt zumeist ...
Wenn dann die Flammen schwach und schwächer werden,
Schweb' ich empor, zu neuem Sein erneu't,
Indeß der Wind das letzte Häuflein Erden
Befruchtend auf der Heimat Fluren streut.
Fritz Reuter todt!
Juli 1874
Wo zieht ihr hin, ihr Vögelein?
Was treibt euch fort aus Sommers Pracht?
Soll schon verstummen Flur und Hain,
Da noch die Sonne goldig lacht?
„Wir wandern — wandern allzumal
Fernhin in das Thüringerland,
Zu stimmen ein in den Choral
An eines Sängergrabes Rand.“ —
[490]Ihr Veilchen blau, ihr Röslein roth
Senkt matt die Köpfchen alle schon? —
Wohin, da noch kein Herbststurm droht,
Ist euer Duft und Glanz entflohn?
„Hin sandten unser Blühen wir,
All' unsern Schmelz und unsern Duft,
Daß sie vereinen sich zur Zier
Für eines deutschen Dichters Gruft.“ —
Nun ahn' ich wol, wohin ihr zieht
Und wem ihr gebt das Grabgeleit;
O, nehmt mit euch dies schlichte Lied,
Ein treues Herz hat es geweiht;
Und legt es an des Hügels Fuß,
Und diese Thränen leg dazu:
Dem wackern Meister letzten Gruß,
Der drunten schläft in süßer Ruh'! —
Dann aber kehrt mit Sang und Duft
Zur alten Heimat wieder ein,
Und glaubt: um dieses Sängers Gruft
Wird dennoch ew'ger Frühling sein;
Wie Reuters Name fort und fort
In deutschen Herzen bleibet jung,
Webt stets um seines Hügels Port
Der Frühling der Erinnerung!
Fürbitte
bei einigen allzuernsten Dichtergrößen und Kritik-Heroen für einen ewig Heitern eingelegt.
Ihr Herrn mit der gestrengen Miene
Und dem sokratischen Gesicht,
Ich bitte, zürnet d'rob mir nicht,
Daß ich mich freventlich erkühne,
Zu treten heut' vor eure Vehme,
Daß ich als Anwalt kräftig nehme
Das Wort für einen armen Wicht;
[491]Für einen lustigen Gesellen,
Dem gleich des Waldes Sänger-Chor
Aus vollster, tiefster Brust hervor
Des freien Liedes Bronnen quellen;
Deß Heimat nicht in dunkler Klause,
Der in der weiten Welt zu Hause
Allüberall: — für den Humor!
Sagt an, ihr Herren, stolz und edel,
Ihr besten Stammes beste Zier:
Was that euch, den ihr machtet schier
Zum literarischen Aschenbrödel?
Den ihr so wundergern beschimpfet,
Beachselzuckt, benaserümpfet —?
Und der unsterblich doch wie ihr!
Nicht lob' ich ihn, euch zu versöhnen;
Doch saget selbst, hat nicht sein Mund
Von tausend Augen zährenwund,
Sein lächelnder, geküßt die Thränen?!
Und macht nicht abertausend Herzen,
Schwer krankend an des Lebens Schmerzen,
Der Balsam seines Hauchs gesund?!
Wenn blinder Wahn und Dummheit woben
Den dichten Schleier ihrer Nacht
Um weite Reiche: treue Wacht
Hielt er am Geisteshimmel droben,
Und kündet gleich dem Morgensterne
Der bangen Welt, daß nimmer ferne
Der Aufgang eurer Sonnenpracht!
Ballt' dräuend sich die Wetterwolke
Des Pfaffenthumes: gleich dem Blitz
Hell leuchtend flammte auf der Witz
Und zeigte Weg und Steg dem Volke,
Bis klärend durch die Mißgewalten
Des Ernstes Donnerschläge hallten
Herab von eurem Göttersitz!
[492]Wenn ihr zu heil'gem Freiheitskriege
Auszoget gen Tyrannen-Wuth,
Flog Er in trotzig-keckem Muth
Heran, ein Herold eurer Siege;
Oft brach er Bresche eurem Heere
Und badete der Schergen Speere,
Ein Winkelried, in seinem Blut! —
Und ach! er huldigt nicht verwegnen
Gelüsten; ihr erfüllt sie leicht.
Daß ihr nicht scheu zur Seite weicht,
Wenn eure Pfade sich begegnen:
Alles, was er wünscht und bittet;
Daß ihr in eurem Kreis ihn littet
Und ihm die Hand zum Gruße reicht!
Wolan, ihr Großen, deren Namen
Der Ruhm zu Sternen trägt empor,
Leiht bill'gen Wünschen willig Ohr,
Ob sie aus schlichtem Mund gleich kamen;
Brecht eures Vorurtheiles Schranken
Und gönnt im Staate der Gedanken
Sein Bürgerrecht auch dem Humor! —
Ein neues Märlein vom Champagnerwein
Kennt Alt wol und Jung, und Groß und Klein
Die Mär von den durstigen Teufeln,
Die einstmals lüstern nach gutem Wein.
Unter Kork und Draht nun verzweifeln:
Vom Champagnerwein die lustige Mär',
Der ein infernalischer Strafwein wär',
Nur ein höllisches Thränen-Träufeln.
Ich aber will melden ein ander Wort
Vom Schaumtrank, der Weine Meister,
Und wie er entstand und an welchem Ort! —
Es haben's die duftigen Geister
Des Rebensaftes mir selber entdeckt;
Und da doch im Weine die Wahrheit steckt,
Glaubt es nur fester und dreister!
[493]Einst zog auf die Brautschau der Gott des Weins,
Von prächtigem Heerbann umgeben:
Voran zu Roß die Ritter des Rheins
In güldener Rüstung; daneben
Vom Moselstrande die Junkerschaar,
Der duftig das blonde, wallende Haar
Waldmeisterleins Kränze durchweben.
Hispanische Granden trabten einher
Im Helme, dem silberblanken,
Mit stolzen Wappen im Schilde schwer;
Drauf folgten die zierlichen, schlanken
Hofherrn, die Brecher von Sorg und Noth,
In Wämsern, so leuchtend, so purpurroth —
Die fröhlich gemutheten Franken.
Hier brausten Magnaten aus Ungarland —
Gleich dunkelschäumigen Wellen, —
Die zeigten in Zügen, braun und verbrannt,
Asiatischen Ursprungs Quellen;
Aus Böhmens Gauen dort Helden, stark
Und füllig, da Edle aus Steyermark,
Breitschultrige, derbe Gesellen.
Und Mauren vom Cap, die schwarzes Blut
In den schwellenden Adern hegen,
Und im Menschenherzen flüssige Glut,
Unauslöschlich-flammende, regen;
Dort Griechen aus Chios, und Pagen da
Aus dem Wunderlande Italia —
Von Falernum und allerwegen! —
Um den Weingott gar manche Schöne minnt,
Doch will sich die Rechte nicht zeigen;
An manchem Hofe manch Fürstenkind
Thät huldreich sich zu ihm neigen
Bei Tanz und Spiel, Bankett und Turnei:
Des Unsterblichen Herz blieb kühl und frei,
Und der Liebe Stimmen sie schweigen.
[494]Einst zieht er spät noch durch Fluren und Hain;
Schon tönen der Nachtigall Klagen,
Schon leuchtet des Mondes silberner Schein,
Da sieht auf der Haide er ragen
Ein Rosengelände, der Blüten voll,
Und das ihn der Duft erquicken soll,
Entsteigt er dem goldenen Wagen.
Und sieh: gebettet auf blumigem Grund,
Ruht drunt eine Jungfrau in Ehren;
Da kniet der Herrscher, er küßt ihren Mund,
Er wirbt sie in heißem Begehren,
Und ob ihrer Schönheit heil'ger Gewalt
Entströmen seinem Auge alsbald
Crystallhelle Freudenzähren!
Im Kreise der Ritter jubelt es laut:
Die Rechte, die Rechte ist funden!
Gefunden ist endlich die holde Braut
Und geschlossen der Sehnsucht Wunden.
„Heil, König Wein! Dir werde noch heut',
Die du erkoren, die liebliche Maid
Dir ewig in Treuen verbunden!“
Und also geschah es gewiß und wahr,
Und so blieb es für alle Zeiten:
Daß die Poesie und der Weingott ein Paar,
Nur die Thoren mögen's bestreiten!
Und daß der Kuß, mit dem er geküßt
Ihre süßen Lippen, das Trinklied ist:
Ein Weiser wird anders es deuten.
Das aber hat Niemand noch gewußt,
Nicht lebende Forscher noch todte:
Daß die Tropfen, geflossen in Liebeslust
Über weiße Rosen und rothe, —
Daß die Freudenzähren, so klar und rein,
Des Rebengottes: Champagnerwein
Und worden nach seinem Gebote!
[495]Des Oceans Perlen gelten zumal
Als Zähren; der Muschel, der schönen,
Sind sie erpreßt durch die Trennungs-Qual,
Durch das schmerzlichste Heimat-Sehnen;
Des Champagners Perlen bis diesen Tag
Sie bedeuten beim frohen Festgelag
Des Weingottes Freudenthränen!
Und was ich soeben hier machte kund,
Mir thäten's die lustigen, schlauen —
Des Schaumes Elfen auf Kelches Grund
Als tiefes Geheimniß vertrauen;
Drum, daß das Geheimniß bleib' unverletzt,
Erzähl' ich es dem nur, der's nicht verschwätzt,
Vor Allen — den lieblichen Frauen.
Giraffen-Trinklied
Nun reicht mir ein Weltmeer mit kühlendem Naß,
Und spitzet das Ohr zum Hören:
Hier sitz' auf der Weisheit Stuhl ich baß,
Das Trinken euch zu lehren!
Das Trinken ist gar eine schwere Kunst!
Vou Tausenden übt sie kaum Einer.
Der trinkt zu schnell — zu langsam mit Gunst
Der Andere; logisch trinkt Keiner!
Es nippt der Mensch, es schleckt der Bär,
Es saufen Philister und Pferde;
Doch wissenschaftlich zu trinken, wer
Vermag's rationell auf der Erde?
Denn nicht wie viel, nein! wie man trinkt,
Ist des Genusses Seele:
Dem Trinker nur volles Genügen winkt,
Der besitzt gleich mir eine Kehle!
Ein Schlauch ist, wer die Gottesgab'
In ungewehrter Welle
Läßt rauschen zum finstern Orkus hinab
Mit Niagara-Schnelle!
[496]Nur der spürt des Trinkens Seligkeit,
Nur der schöpft aus den Vollen,
Der den labenden Trunk fühlt lang und weit,
Und immer weiter rollen.
Führ' Einen Tropfen ich nur zum Mund
Und lasse ihn gleiten zum Schlunde:
Bis er erreicht des Magens Grund,
Kühlt er mich Stund' um Stunde!
So kann ich schwelgen ohn' Unterlaß
In flüssigen Accorden:
Eh' in der Tiefe das liebliche Naß,
Ist der Gaum wieder trocken geworden! —
Dies aber ist mein Ungemach,
Der Trost meiner Neider und Hasser,
Daß ich — ein Katheder-Trinker, ach! —
Nichts anders genieße als — Wasser!
Wärst du meine Heimat, fröhliche Pfalz,
Das wär' den Schlemmern ein Ärger:
Wie schmiegt' ich wonniglich den Hals
Ans Faß — ans Heidelberger!
Ich tränk' unter'n Tisch zu Boden schier
Den ausgepichtesten Pfaffen —
In der ganzen Schöpfung das seligste Thier,
Kauft' ich mir den ersten — Giraffen!
Nach drei Monden
Kaum sind drei Monde drüber hingegangen:
Der Herbstwind jagt die Blätter noch umher,
Die damals grünten ... Todtes Sommerprangen,
Kaum starbst du, und doch wein' ich schon nicht mehr.
[497]Nicht daß mir's in Vergessenheit zerstoben,
Das weiße Häuschen im Gebüsch am See,
Wo sich mein Herzschlag einmal noch erhoben,
Im Hoffnungsrausch zu grenzenlosem Weh;
Nein, täglich schleicht im Geist noch meine Trauer
An jedem Strauche jenes Wegs vorbei,
Wo mich geschüttelt jeder Wonneschauer
Vom Freudenlächeln bis zum Jammerschrei.
O jener Abend, wo an meiner Seite
Sie hingewandelt unter meiner Hut,
Ins tiefste Herz mir, wie ein blanker Degen,
Bohrt sich sein Glanz und trinkt mein fiebernd Blut.
Verhallend hinter uns das hohle Summen
Der aufgeputzten steifgeschnürten Welt —
Ringsum der Fluren friedliches Verstummen
Vom Scheidekuß des müden Tags erhellt;
Und vor uns, rosig wie die Stirne freier,
Glücksel'ger Wesen aus dem Morgenland,
Wogt aus der Tiefe fernem Nebelschleier
Dort hinterm See der Berge Felsenwand.
Und aus den Wellen rauschen weiche Klänge
Wie Liebeslieder schmeichelnd an mein Ohr,
Wie schmerzverklärte flehende Gesänge
Der Jugend, die ihr erstes Glück verlor.
Und flutend schmolz mir's in der Brust zusammen
In mitleidselig drängend banger Lust —
Ein Überwallen und ein Aufwärtsflammen ...
Und deine Hand ergriff ich unbewußt. —
Ohn' aufzuschaun, in athemlosem Schweigen,
Verzaubert wandelten wir Hand in Hand:
Du fühltest zitternd, daß ich ganz dein eigen;
Ich fühlte jubelnd, daß du mich erkannt.
[498]Und es empfand das Herz des einsam Kranken,
Sein rastlos Herz, was es noch nie empfand —
Ein heimatselig ruhgewiegtes Danken:
Geborgen fühlte sich's in deiner Hand. —
O Mädchenliebe, gold'ne Eintagsblüte,
Weh', daß dein Auferblühn zugleich dein Tod,
Daß, die am Abend schauernd noch erglühte,
Schon frostig starrt beim nächsten Morgenroth!
Eh' man des Räthsels Schleier noch zerrissen,
Entschwindet schon das ganze Truggesicht:
Warum sie liebte? Niemand kann es wissen;
Warum sie nicht mehr liebt? Man weiß es nicht.
Und von dem kurzen Glück aus solchen Tagen
Von all' der gläubig süßen Seligkeit
Bleibt nichts als ein verschüchtert rathlos Fragen,
Ein bitt'rer Zweifel und ein tiefes Leid.
Der aber, dessen reinstes Fühlen immer
Für's Sterben nur gelockt ward in das Sein,
Dem schwindet nach und nach zu mattem Schimmer
Der Jugendfrische glühnder Sonnenschein.
Er sucht nicht mehr was nie er durft' erreichen,
Und dennoch schläft sein Herz zur Ruh' nicht ein;
Er weint nicht mehr auf seines Liebens Leichen,
Und dennoch stöhnt tiefinnerst seine Pein.
Mit trock'nem Blick und dennoch nicht genesen,
Beschaut er regungslos sein todtes Glück: —
So blick' auch ich, du räthseldunkles Wesen,
Auf unsern kurzen Liebestraum zurück.
Kaum find drei Monde drüber hingegangen:
Der Herbstwind jagt die Blätter noch umher,
Die damals grünten ... Todtes Sommerprangen,
Ich denke dein, und weine doch nicht mehr.
[499]Die verlassene Mühle
Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
Es rauscht im Wald so kühle,
Wie mag ich wol gekommen sein
Vor die verlaßne Mühle?
Die Räder stille, morsch, bemoost,
Die sonst so fröhlich herumgetost,
Dach, Gäng' und Fenster alle
Im drohenden Verfalle.
Allein bei Sonnenuntergang
Da knisterten die Äste,
Da schlichen sich den Bach entlang
Gar sonderbare Gäste,
Viel Männlein grau, von Zwergenart,
Mit dickem Kopf und langem Bart,
Sie schleppten Müllersäcke
Daher aus Busch und Hecke.
Und alsobald im Müllerhaus
Beginnt ein reges Leben,
Die Räder drehen sich im Saus,
Das Glöcklein schellt daneben;
Die Männlein laufen ein und aus,
Mit Sack hinein und Sack heraus,
Und jeder von den Kleinen
Scheint nur ein Sack mit Beinen.
Und immer toller schwärmten sie
Wie Bienen um die Zellen,
Und immer toller lärmten sie
Durch das Getos der Wellen;
Mit wilder Hast das Glöcklein scholl,
Bis alle Säcke waren voll,
Und klar am Himmel oben
Der Vollmond sich erhoben.
[500]Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
Ein schönes bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondesglanze
Und ruft vernehmlich durch's Gebraus
Mit süßer Stimme Klang hinaus:
„Nun habt ihr doch, ihr Leute,
Genug des Mehls für heute!“
Da neigt das ganze Lumpenpack
Sich vor dem holden Bildniß
Und Jeder sitzt auf seinem Sack,
Und reitet in die Wildniß;
Schön Müllerin schließt's Fenster zu,
Und Alles liegt in alter Ruh',
Des Morgens Nebel haben
Die Mühle ganz begraben.
Und als ich kam am andern Tag
In trüber Ahnung Schauern,
Die Mühle ganz zerfallen lag
Bis auf die letzten Mauern;
Das Wasser rauschet neben mir hin,
Es weiß wol was ich fühle,
Und nimmermehr will aus dem Sinn
Mir die zerfallne Mühle.
Vom Mummelsee
Im Schwarzwald
Im Mummelsee, im dunkeln See
Da blühn der Lilien viele,
Sie wiegen sich, sie biegen sich,
Dem losen Wind zum Spiele;
Doch wenn die Nacht herniedersinkt,
Der volle Mond am Himmel blinkt,
Entsteigen sie dem Bade
Als Jungfern an's Gestade.
[501]Es braust der Wind, es saust das Rohr
Die Melodie zum Tanze;
Die Liliennmädchen schlingen sich
Von selbst zu einem Kranze;
Und schweben leis umher im Kreis,
Gesichter weiß, Gewänder weiß,
Bis ihre bleichen Wangen
Mit zarter Röthe prangen.
Es braust der Sturm, es saust das Rohr,
Es pfeift im Tannenwalde,
Die Wolken ziehn am Monde hin,
Die Schatten auf der Halde;
Und auf und ab durch's nasse Gras
Dreht sich der Reigen ohne Maß
Und immer lauter schwellen
An's Ufer an die Wellen.
Da hebt ein Arm sich aus der Flut,
Die Riesenfaust geballet,
Ein triefend Haupt dann, schilfbekränzt,
Vom langen Bart umwallet,
Und eine Donnerstimme schallt,
Daß in Gebirg es wiederhallt:
„Zurück in eure Wogen,
Ihr Lilien ungezogen!“
Da stockt der Tanz — die Mädchen schrein
Und werden immer blässer.
„Der Vater ruft: puh! Morgenluft!
Zurück in das Gewässer!“
Die Nebel steigen aus dem Thal,
Es dämmert schön der Morgenstrahl,
Und Lilien schwanken wieder
Im Wasser auf und nieder.
[502]Das Gewitter
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
In dumpfer Stube beisammen sind,
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl —
Wie wehen die Lüfte so schwül!
Das Kind spricht: „Morgen ist's Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
[503]Wie will ich springen durch Thal und Höh'n,
Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!“ —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Die Mutter spricht: „Morgen ist's Feiertag,
Da halten wir Alle fröhlich Gelag,
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid:
Das Leben, es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!“ —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Großmutter spricht: „Morgen ist's Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
Wohl dem, der that, was er sollt!“ —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Urahne spricht: „Morgen ist's Feiertag,
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was thu' ich noch auf der Welt?“ —
Seht ihr wie der Blitz dort fällt?
Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
Es flammt die Stube wie lauter Licht;
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Vier Leben endet ein Schlag —
Und Morgen ist's Feiertag.
Der Reiter und der Bodensee
Der Reiter reitet durch's helle Thal,
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
Er will noch heut' an den Bodensee.
[504]Noch heut' mit dem Pferd in den sichern Kahn,
Will drüben landen vor Nacht noch an;
Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
Er braust auf flüchtigem Roß feldein.
Aus den Bergen heraus in's ebene Land,
Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.
In weiter Fläche kein Licht, kein Haus:
Die Bäume gingen, die Felsen aus;
So flieget er hin eine Meil', und zwei,
Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei!
Es flattert das Wasserhuhn empor,
Nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;
Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
Der ihm den rechten Weg vertraut.
Fort geht's wie auf Sammt auf dem weichen Schnee.
Wann rauscht das Wasser? wann glänzt der See?
Da bricht der Abend, der frühe, herein,
Von Lichtern blinket ein ferner Schein,
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
Und Hügel schließen den weiten Raum,
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.
Und Hunde bellen empor am Pferd,
Und es winket im Dorf ihm der warme Herd.
„Willkommen am Fenster, Mägdelein!
An den See, an den See, wie weit mag's sein?“
Die Maid, sie staunet den Reiter an:
Der See liegt hinter dir und der Kahn;
Und deckt' ihn die Rinde von Eis nicht zu,
Ich spräch': „Aus dem Nachen stiegest du.“
Der Femde schaudert, er athmet schwer:
„Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!“
Da recket die Magd die Arm' in die Höh':
„Herr Gott! so rittest du über den See;
An den Schlund, an die Tiefe bodenlos
Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß.
Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
[505]Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?
Und du ward'st nicht die Speise der stummen Brut,
Der hungrigen Hecht' in der kalten Flut?“
Sie rufet das Dorf herbei zu der Mähr',
Es stellen die Knaben sich um ihn her;
Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
„Glückseliger Mann, ja segne du dich!
Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
Brich mit uns vom Brod und iß vom Fisch!“
Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,
Er hat nur das erste Wort gehört,
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr;
Es siehet sein Blick nur den gräßlichen Schlund,
Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.
Im Ohr ihm donnert's, wie krachend Eis,
Wie die Well' umrieselt ihn kalter Schweiß.
Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,
Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.
Lied eines abziehenden Burschen
Bemooster Bursche zieh' ich aus,
Behüt' dich Gott, Philisters Haus!
Zur alten Heimat geh' ich ein,
Muß selber nun Philister sein.
Fahrt wohl, ihr Straßen grad' und krumm,
Ich zieh' nicht mehr in euch herum,
Durchtön' euch nicht mehr mit Gesang,
Mit Lärm nicht mehr und Sporenklang.
Was wollt ihr Kneipen all' von mir?
Mein Bleiben ist nicht mehr allhier,
Winkt nicht mit eurem langen Arm,
Macht mir mein durstig Herz nicht warm.
Ei grüß' euch Gott, Collegia!
Wie steht ihr in Parade da.
Ihr dumpfen Säle groß und klein,
Jetzt kriegt ihr mich nicht mehr herein.
[506]Auch du von deinem Giebeldach
Siehst mir umsonst, o Carcer, nach.
Für schlechte Herberg', Tag und Nacht,
Sei dir ein Pereat gebracht!
Du aber blüh' und schalle noch,
Leb', alter Waffenboden, hoch!
Es stärkt den Geist die Wissenschaft,
So stärke du des Armes Kraft.
Da komm' ich, ach, an Liebchens Haus:
O Kind, schau noch einmal heraus!
Heraus mit deinen Äuglein klar,
Mit deinem dunkeln Lockenhaar!
Und hast du mich vergessen schon,
So wünsch' ich dir nicht bösen Lohn;
Such' dir nur einen Buhlen neu,
Doch sei er flott, gleich mir und treu!
Und weiter, weiter geht mein Lauf,
Thut euch, ihr alten Thore, auf!
Leicht ist mein Sinn, und frei mein Pfad,
Gehab dich wohl, du Musenstadt!
Ihr Freunde, drängt euch um mich her,
Macht mir mein leichtes Herz nicht schwer,
Auf frischem Roß, mit frohem Sang
Geleitet mich den Weg entlang.
Im nächsten Dorfe kehret ein,
Trinkt noch mit mir von Einem Wein. —
Und nun denn, Brüder, sei's, weil's muß,
Das letzte Glas, den letzten Kuß!
Nachruf
Nur eine laß von deinen Gaben,
Verschwund'ne Liebe, mir zurück!
Nicht deine Freuden will ich haben,
Nicht dein beseligendes Glück.
[507]O schenke nur den Schmerz mir wieder,
Der so gewaltig mich durchdrang,
Den tiefen Sturm der Klagelieder,
Der aus der wunden Brust sich schwang!
Ich will ja nicht ein fröhlich Zeichen,
Auch keinen Blick, kein freundlich Wort;
Nur nicht so stille laß mich schleichen,
Aus dieser Ruhe treib' mich fort!
Laß deine Wehmuth mich erfüllen,
Flieh' weit, doch zieh' mein Herz dir nach!
Gib mir den Durst, der nie zu stillen,
Gib mir dein Leiden, deine Schmach!
Dein Seufzen, deine Last, dein Sehnen,
Was And're nur an dir verschmähn —
O gib mir Alles, bis mir Thränen
In den erstorb'nen Augen stehn!
Ein trüber Gedanke
Die Lockungen der Freude dringen
Von allen Seiten auf mich ein,
Mir aber will es nicht gelingen,
So recht vom Herzen froh zu sein.
Wie Geisterstimmen hör' ich's beben
Durch jede heitre Melodie:
Hier Tanz und Spiel und Lust und Leben,
Und — anderswo verhungern sie!
[509]Und zähl' ich meine kargen Schätze,
Und dank' ich meinem Gott im Geist,
Daß ich getrost zum Tisch mich setze,
An dem mein Fleiß mich sattsam speist,
So will mein Brod nicht recht mir munden,
Das gnädig mir der Herr verlieh:
Ich hab' es ohne Schweiß gefunden,
Und — anderswo verhungern sie!
Und schling' ich liebend meine Arme
Um Weib und Kind, um meine Welt,
So thu' ich's doch nicht sonder Harme,
Ich fühle, daß mir etwas fehlt;
Ich kann sie schützen vor Entbehren,
Sie darben und sie frieren nie:
Welch Glück, sein Weib, sein Kind zu nähren,
Und — anderswo verhungern sie!
Ich gönne Jedem seine Wonnen,
Ich lasse Jedem seinen Brauch,
Ich habe meinen Platz zum Sonnen,
Und wünsch' ihn jedem Andern auch.
Ich denke nie mir: „Wär' ich reicher!“
Doch wär' ich's, oh! ich wüßte, wie?
Ich dächte: „Du hast volle Speicher,
Und — anderswo verhungern sie!“
Mir ist die Kunst ein Gast vom Himmel,
Der Rosen uns auf's Leben streut,
Nur bangt mir vor dem Kunstgetümmel:
Es übertäubt den Ernst der Zeit;
Es ist mehr Trunkenheit als Segen,
Ich such' umsonst die Harmonie:
Hier Blumenhagel, Demantregen,
Und — anderswo verhungern sie!
Sie faseln viel von Menschenliebe,
Sie streiten über Mein und Dein,
Sie greifen in das Weltgetriebe
Mit Schülerhänden meistens ein;
[510]Sie streuen goldne Zukunftsaaten,
Sie rühmen prahlend, was gedieh,
Sie sprechen, schreiben und berathen,
Und — anderswo verhungern sie!
Das eben scheucht mir von der Stirne
Die echte, rechte Fröhlichkeit;
Was schläft in einem Dichterhirne
Zum Troste für die Noth der Zeit?
Was halfen je noch Reim und Lieder
Dort, wo um Brod der Jammer schrie?
Aus jeder Zeile tönt mir's wieder:
„Ach, anderswo verhungern sie!“
Brunnengeplätscher
Die Nacht, die verschwiegene, breitet sich aus,
Und löschet die Lichter von Haus zu Haus,
Und hüllt sie in duftigen Schleier;
Da lehn' ich am Fenster, der Mond ist so klar,
Mir streichen die kühligen Weste durch's Haar,
Die Seele zerfließt mir in Feier.
Kein Laut und kein Lispel, kein leises Geschrill,
Rings alles so einsam und alles so still,
Und alles in Schweigen versunken;
Nur mir gegenüber der Brunnen ist wach
Und sprudelt den Strahl noch lebendig und jach
In's Becken voll glänzender Funken.
Sein Rieseln und Rauschen allein unterbricht
Die lautlose Stille, doch störet es nicht,
Es lockt nur den zögernden Schlummer; —
Wolan denn zur Ruhe! Du glückliche Rast,
O kämst du doch auch, ein willkommener Gast,
Zum wachenden, weinenden Kummer!
Denn hört' ich sie alle die Thränen vereint,
Die, still nun zur nächtlichen Stunde geweint,
[511]Das Polster, das glühende, nässen:
So rieselt' und rauscht' es wol lauter, als hier
Der rieselnde, rauschende Brunnen vor mir, —
Es wär', um des Schlafs zu vergessen!
Der todte Soldat
Auf ferner, fremder Aue
Da liegt ein todter Soldat,
Ein ungezählter, vergess'ner,
Wie brav er gekämpft auch hat.
Es reiten viel Generale
Mit Kreuzen an ihm vorbei;
Denkt keiner, daß, der da lieget,
Auch werth eines Kreuzleins sei.
Es ist um manchen Gefall'nen
Viel Frag' und Jammer dort,
Doch für den armen Soldaten
Gibt's weder Thräne noch Wort.
Doch ferne, wo er zu Hause,
Da sitzt, beim Abendroth,
Ein Vater voll banger Ahnung,
Und sagt: „Gewiß, er ist todt!“
Da sitzt eine weinende Mutter
Und schluchzet laut: „Gott helf'!
Er hat sich angemeldet:
Die Uhr blieb stehn um Elf!“
Da starrt ein blasses Mädchen
Hinaus ins Dämmerlicht:
„Und ist er dahin und gestorben,
Meinem Herzen stirbt er nicht!“ —
Drei Augenpaare schicken,
So heiß es ein Herz nur kann,
Für den armen, todten Soldaten
Ihre Thränen zum Himmel hinan.
[512]Und der Himmel nimmt die Thränen
In einem Wölkchen auf,
Und trägt es zur fernen Aue
Hinüber in raschem Lauf;
Und gießt aus der Wolke die Thränen
Aufs Haupt des Todten als Thau,
Daß er unbeweint nicht liege
Auf ferner, fremder Au'.
Die zweite Frau
„Er hat geweint! Er hat geklagt!
Unheilbar schien sein tiefer Schmerz!“
„So haben sie zu mir gesagt. —
O Gott! wie ist mir weh um's Herz!
Weiß selbst und kann's vergessen nimmer —
Ich sah die Thräne ja genau,
Als er mich führte in sein Zimmer
Und vor das Bild der ersten Frau.“ -
Das Nähgeräth — es ruht schon lang,
Fiel unbemerkt zur Erde hin.
Sie stiert es an und seufzet bang:
„Und doch könnt' nie ich lassen ihn!“
[515]Dann mild sich ihre Blicke heben:
„Du thöricht Herz! warum so trüb!
Mög' er dein Zweifeln dir vergeben —
Ich weiß! ich weiß! er hat dich lieb!“
„Still! hört' ich nichts!?“ Sie schaut umher, —
Halb offen ist des Zimmers Thür. —
„Es war sein Schritt! Wo bleibet er?
Sonst kam er immer gleich zu mir,
Sank an das Herz mir liebetrunken!“ —
Sie stehet auf. Zur Thüre schau!
Ihn sieht sie, wie er still versunken
Steht vor dem Bild der ersten Frau.
Er sieht sie nicht; er merkt sie nicht.
Ihr Auge starrt. Ihr Herz ist schwer,
Und leichenblaß ihr Angesicht.
Stumm zu dem Bilde blicket er.
Sie schleicht zurück. Sie setzt sich nieder:
„O Gott! er liebt sie mehr als dich!
Zu ihr hin treibt's ihn immer wieder!
Unglücklich er! Unglücklich ich!“
Sie schreckt empor. Die Diele kracht.
Sie stiert ihn an, so kalt, so hohl. —
„Was hat dich denn so bleich gemacht,
Mein liebes Weib? Dir ist nicht wohl!
Mein liebes Kind, was macht dir Schmerzen?“
Sie schaut ihn stumm und fragend an,
Ruht schluchzend dann an seinem Herzen:
„O du mein einz'ger, einz'ger Mann!“
Heimatklänge
Aus der „Neuen Odyssee“
Was blickt mein Auge zwischen Meer und Dünen
Auf schwankem, sturmbewegten Element?
Was hebt die Brust mir, was erhebt den kühnen,
Den frohbewegten Blick zum Firmament?
Was rauscht es um mich wie Prophetenflügel,
Was schimmert in der Sterne hellem Glanz,
Was trägt so fern mich über Thal und Hügel?
— Die Ahnung meines trauten Heimatlands.
Was klingt so hold in frohbewegter Brust?
Des Wiedersehens hohe Götterlust!
Seh' ich sie einmal noch, bevor ich sterbe,
Das heißgeliebte, holde Eh'gemahl?
Ruft mir willkommen meines Stammes Erbe
Nach herber Trennung sehnsuchtsvoller Qual?
Sing' ich ihm wieder Sagen und Legenden
Von der Olympier wunderthät'gen Schaar,
Darf Freudenopfer ich mit ihnen spenden
An der Penaten heiligem Altar?
Was klingt so hold in frohbewegter Brust?
Des Wiedersehens hohe Götterlust!
Es singt von frohen, sonnenhellen Tagen,
Es duftet nach der Heimat Blütenspur,
Ich sehe meines Hauses Zinnen ragen,
Ich ahne meine kornbewachs'ne Flur.
Schon winken des Getreides volle Halme
Der lenzgesäten, hoffnungsreichen Saat,
Schon breitet schattig sich die Friedenspalme
Entgegen meinem dornenvollen Pfad ...
Was klingt so hold in frohbewegter Brust?
Des Wiedersehens hohe Götterlust!
[518]Die neue Loreley
Aus der „Neuen Odyssee“
Nun weiß ich, was soll es bedeuten,
Das Lied von der Loreley:
Das Märchen aus alten Zeiten —
Uns wurde es wieder neu!
Die deutscheste Jungfrau sitzet
Auf hohem, felsigem Stein,
Ihr leuchtender Harnisch blitzet,
— So hält sie die Wacht am Rhein!
Es kamen zum Rhein die Franzosen,
Ein kampfesmuthiger Troß,
Mit übermüthigem Tosen,
Mit Sturm- und Donnergeschoß!
Da klang die goldene Leier,
Da sang die Loreley:
Da stürmte Armin, der Befreier,
Mit Deutschlands Helden herbei.
Sie scheuten keine Gefahren;
Der Sieg, er wurde ihr Lohn;
Auf Loreley's goldigen Haaren
Glänzt goldig die Kaiserkron'!
Des Rheines Wellen verschlingen
Die übermüthig ihm nah'n:
Auch das hat mit ihrem Singen
Die Loreley gethan!
Heilung
In einer schlichten Hütte kehrt' ich ein,
Großmütterchen, es stand am Herde
Und tröstete das kleine Enkelein,
Das aufschrie mit gar schmerzlicher Geberde!
[519]Das arme Kind, es hat die kleine Hand
Den Flammen allzunah geführet
Und sich ein zartes Fingerlein verbrannt,
Die Alte war so tief gerührtet!
Die Liebe gab ihr rastlos Wort um Wort,
Es drang vom Herzen zu dem Munde;
Dann führte sachte sie das Kindlein fort,
Hinaus zum kühlen Gartengrunde!
Dort grub ein Grübchen sie, hob Erde leis',
Und sprach mit wissender Geberde:
Ob eine Wunde noch so tief und heiß,
Sie heilt ein Bischen kühler Erde! —
Die Hütte schwand, ich sah' die Welt so weit,
Das Kind erwuchs, die Jahre gingen —
Ich aber konnt nunmehr für alle Zeit
Das Bild nicht aus der Seele bringen!
Ich sah die Alte bei des Grübchens Kreis,
Und hört' bei jeglicher Beschwerde:
Ob eine Wunde noch so tief und heiß,
Sie heilt ein Bischen kühler Erde!
Die Eichensaat
Wie waren die Mönche zu Dünwald so klug!
Sie suchten in den Briefen und fanden genug;
In alter Pergamente gebräunter Schrift
Sahen sie von mancher blökenden Trift.
Sie zeigten auch dem Junker zu Schlebusch eins,
Im krausen Style guten Klosterlateins:
Des Klosters seien, wie da geschrieben stand,
Wol hundert Morgen von des Junkers Land.
Das begriff der schlichte, biedre Junker schwer:
Was er besessen von Urvätern her,
Worauf er geerntet so lang und so viel,
Wie der Acker plötzlich dem Kloster verfiel.
Der Prior brachte den Handel vor Gericht:
Da wußten sich die Schöffen zu rathen nicht.
Der Schultheiß dingte so manche Tagefahrt:
Der Verwicklung wurde kein Ende gewahrt.
[522]Zuletzt der Junker üblen Muth gewann,
Als ihm die Mönche drohten mit Acht und Bann,
Man schürt ihm vor der Kanzel die Hölle so heiß;
Er dacht': „Ich will bezahlen das Lügengeschmeiß.“
„Wolan, ich biete die Hand zum Frieden dar,
Ihr sollt besitzen, was niemals euer war,
Und weil ich ungezwungen euch Abstand that,
Sei mir bewilligt noch eine letzte Saat.“
Da schmunzelten die Brüder und schlugen ein:
Den Vergleich verbrieften die Schöffen fein,
Ihn bestärkten beide mit heil'gem Schwur;
Jedweder zufrieden dann nach Hause fuhr.
Das währte von Weihnachten bis Hagelzeit:
Da pflegen die Gläubigen noch jetzt weit und breit
Mit Kreuz und Fahne die Felder zu umgehn,
Den Himmel um Gedeihen der Saaten zu flehn.
Als sie nun kamen an das streitige Feld,
Das im Herbst der Junker zuletzt bestellt,
Wol haben die Mönche neugierig hingeschaut,
Was doch auf ihrem Acker für Frucht sei gebaut.
„Zartgrüne Blättchen, buchtig ausgeschweift:
Was ist's, das der Ernte hier entgegenreift!
Es ist nicht Korn noch Weizen — o Schmach in der That! —
Wir sind betrogen — es ist Eichelsaat.
Uns wird kein Zahn mehr schmerzen, wenn man mäht:
Ein Fuchs ist der Junker, das sehn wir jetzt zu spät.
Was hilft uns, zu verschreien den häßlichen Streich?
Zu deutlich redet der unsel'ge Vergleich.“
Aber lustig wuchsen die Eichen empor,
Bald knallte dort im Grünen des Junkers Rohr,
Noch sah er zur Lohe schälen manchen Schaft,
Er trank sich noch Stärkung aus braunem Eichelsaft.
[523]Als aber weiter stürmte die Zeit im Saus,
Die Wipfel schauten über das Klosterhaus,
Da sahn sie grüne Gräber, wo längst in Ruh
Abt und Prior schliefen und die Mönche dazu.
Und höher hob sich der stolze Eichenforst,
Und als die grüne Rinde verkrustend borst,
Da schüttelten die Kronen ihr herbstlich Laub
Auf des Klosters Mauern in Schutt und Staub.
Warnung vor dem Rhein
An den Rhein, an den Rhein, zieh' nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rathe dir gut:
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Muth.
Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei,
Als wär' es ein adlig Geschlecht:
Gleich bist du mit glühender Seele dabei,
So dünkt es dich billig und recht.
Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön
Und die Stadt mit dem ewigen Dom!
In den Bergen, wie klimmst du zu schwindelnden Höhn
Und blickest hinab in den Strom!
Und im Strome, da tauchet die Nix' aus dem Grund,
Und hast du ihr Lächeln gesehn,
Und grüßt dich die Lurlei mit bleichem Mund,
Mein Sohn, so ist es geschehn.
Dich bezaubert der Laut, dich bethört der Schein,
Entzücken faßt dich und Graus:
Nun singst du nur immer: Am Rhein, am Rhein,
Und kehrst nicht wieder nach Haus.
[524]Mutterliebe
Ein blühend Weib kniet an des Altars Stufen
Im Trauerkleid und mit verweinten Blick,
Der Priester ihr zur Seit' sucht wach zu rufen
Den Glauben an die Wiederkehr zum Glück —
Sie aber beugt der Kummer tief zur Erde
Und sie spricht sanft mit bittender Geberde:
„Es starb mein Mann, ein Kind ist mir geblieben,
Das kummervoll ich unter'm Herzen trag',
Denn meine Eltern wollen es nicht lieben,
Verstoßen es, wie ich auch flehen mag,
Weil einst mein Herz es wagte zu entbrennen
Für ihn, den grollend ihren Feind sie nennen.
Das Vaterhaus bleibt nur der Wittwe offen,
Verschlossen ist es für mein armes Kind,
Drum ist die Kirche nun mein einz'ges Hoffen,
Sie schützt und liebt, wenn andre fühllos sind,
Wenn wahrer Liebe seligstes Gewehren
Sich für mein Kind zum Fluche will verkehren.
[527]Drum schirm' o Herr! mein Liebstes, wenn's geboren,
Ich muß mich trennen, sei's denn rasch vollbracht,
Ist gleich der Mutter alles Glück verloren
Das diese Welt für sie zum Himmel macht,
Ich will's mit Thränen, aber schweigend tragen,
Darf ich nur für mein Höchstes nicht mehr zagen!“
So spricht das Weib zum Priester leis' mit Beben,
Er hört's mit tiefem Ernst und sieht zum Grund —
„Du zitterst, Weib!“ ruft er, „für's eig'ne Leben,
Und Feigheit ist, was Oper nennt dein Mund,
Ein starkes Herz theilt seines Kindes Leiden,
Kauft eig'nes Glück nicht durch des Engels Scheiden!
Doch wie du willst, so sei's nur sollst du küssen
Dreimal dein Kind, sobald es liegt vor dir,
Schwör', daß es dreimal deine Lippen grüßen,
Hast du's gethan und fühlst wie jetzt — gib's mir!“
„Ich schwör's: ich küss' es dreimal!“ spricht die Arme,
Der Priester fleht: „Herr, ihrer dich erbarme!“
Die Stunde naht, das Kind begrüßt das Leben,
Es zu entfernen, ist man rasch zur Hand,
Doch wagt die Mutter dem zu widerstreben,
Umschlingt das Kind, das man ihr fast entwand:
Sie denkt des Priesters und was sie geschworen,
Umschlingt das Kind, das sie in Schmerz geboren.
Sie küßt's zum erstenmal und Himmelswonnen
Durchströmen sie mit nie geahnter Lust,
Sie küßt's zum zweitenmal und heil'ge Bronnen
Der Mutterlieb' erschließt des Weibes Brust,
Sie küßt's zum drittenmal und wie zwei Flammen
So schlagen beide Herzen heiß zusammen.
Und wie der Priester naht, das Kind zu nehmen,
Und spricht: „Du hast's geküßt, nun ist es mein!“
Da glüht des Weibes Wang' in holdem Schämen,
Sie schließt das Kind in ihre Arme ein,
[528]Preßt's an die Brust, und will mit ihm eh' sterben,
Mit ihm nun theilen Glück Noth und Verderben.
„Im Kuß erwacht“, spricht sie, „ist das Erkennen:
Eins sind für immer Mutter und ihr Kind!
Dem Weibe Schmach, das sich von ihm kann trennen,
Das schwankend wie das Rohr, gebeugt vom Wind,
Nicht Muth hat, all sein Glück, sein Leben
Für seines Daseins Blüte hinzugeben!“
Laßt mir mein Kind, Glück lag in Eurer Lehre,
Ich zieh' mit ihm jetzt in die Welt hinaus,
Das Elternhaus und was ich sonst entbehre,
Es füllt's mein Mutterglück mir reichlich aus,
Und wenn ihr einsam steht in Eurer Zelle
Denkt an uns zwei auf sturmbewegter Welle!“
Verstoßen mit dem Kind daheim von Allen
Und doch so froh das Weib zur Fremde zieht;
Der Priester aber in des Klosters Hallen
Spricht wehmuthsvoll, da er sie scheiden sieht:
„Der reinsten Liebe holde Engel schweben
Um Weib und Kind beim ersten Kuß im Leben.“
Fragen
Hat sich je das große Ganze
Meines Theiles angenommen?
Ist mir aus des Lebens Tanze
Je ein Freudenstrahl erglommen?
Hat die Menschheit hold und sinnig
Mich in ihren Kranz gewunden?
Gab's ein Herz, das warm und innig
Meine Seele durchempfunden?
[529]Wenn ich strebte, wenn ich wagte,
Mochte mich die Welt belohnen?
Wenn ich trauerte, verzagte,
Mich ermuntern oder schonen?
Starrten, die mir That empfohlen,
Nicht zur That hinauf wie Laffen?
Die mich schmähten unverhohlen,
Haben sie gewirkt, geschaffen?
Wenn ich zu verschmachten meinte,
Lud' ein Prasser mich zu Tische?
Wenn ich vor Altären weinte,
Sprang ein Engel aus der Nische?
Wenn ich drum entfremdet wandle
Zwischen Schatten, unter Trümmern,
Und dem Teufel mich verhandle,
Hat sich Jemand drum zu kümmern?
Fieberträume
Wie einsam ist ein Krankenbett!
An's Fenster fliegen dichte Flocken,
Die Mutter sitzt bei mir und strickt,
Und draußen hallen dumpf die Glocken.
[531]S'ist Dämmerzeit und in der Brust
Da pocht das heiße heiße Fieber,
An den geschloss'nen Augen ziehn
Die Bilder wirbelnd mir vorüber.
Da plötzlich stand ein Bild vor mir:
Das war ein trautes warmes Stübchen,
Und lachend saß am Fenstersims
Bei ihrem Schatz mein schönes Liebchen.
Zwei Röslein standen auf dem Tisch
Im hellen Glas mit duft'gem Prangen,
Mir war zu Muth als wären es
Die Rosen meiner bleichen Wangen.
Ich sah ihr fröhlich Minnespiel,
Wie Dornen stach's mir ins Gemüthe,
Und tiefer in den heißen Pfühl
Preßt' ich die Stirn, die zornerglühte.
Die Mutter aber horcht und rückt
Die Decke sacht, die buntgesäumte,
Und küßt die nassen Augen mir,
Als wüßte sie — von wem ich träumte!
Das Grab zu Würzburg
Im Lorenzgarten liegt ein Stein
An einer kühlen Stelle,
Da schwirren die Vöglein aus und ein
Und pfeifen und singen helle.
Es ist ein alter Leichenstein,
Von Trauerweiden beschattet,
Darunter liegt im engen Schrein
Ein Sängerherz bestattet.
Die Vöglein waren seine Lust,
Es hörte gern ihr Singen,
Und hüpfte selber in der Brust,
Wie muntre Vöglein springen.
Der Sänger lauschte mit Genuß,
Der Lerche Ton zu lernen;
Auch schallt sein Lied wie Morgengruß
Aus himmelblauen Fernen.
Er lernte von der Nachtigall
Das innigliche Kosen,
Drum singt er oft mit süßem Schall
Von Minnelust und Rosen.
Auch liebt' er wie die Vögelein
Ein Wanderleben zu führen,
Und Gärten und Felder aus und ein
Die Flügel frisch zu rühren.
So streift' er über den Wiesengrund
Und über den Bergesgipfel,
Bis er ein warmes Nestchen fund
Auf einem stolzen Wipfel.
An Vögel mahnt des Sängers Nam',
Ein Vöglein saß im Schilde,
Und als er nun zu sterben kam,
Bedacht' er sie gar milde.
[534]„Vier Löchlein höhlt in meinen Stein
Und senkt darein vier Tröglein
Und schüttet Wasser und Körner ein
Für meine lieben Vöglein!“
Und was er bat im letzten Drang,
Willfahret ward ihm eilig;
Die Klosterbrüder hielten lang'
Des Sängers Willen heilig:
Herr Walther von der Vogelweid'
Ist unser Meister geheißen;
Noch fliegen die Vögel aus Wald und Haid'
Und singen ihm frische Weisen.
Eine Handvoll Staub
Vom Staube, den der Wind zuhauf
Mir wirft zu Füßen mit Verachten,
Heb' ich mir eine Handvoll auf,
Die Körnlein sinnend zu betrachten.
Ihr Stäubchen, die der Wind verweht,
Als wäret ihr zu nichts entstanden,
Ich weiß, so lang die Schöpfung steht,
Seid ihr in ihrem Reich vorhanden.
Wie vielmal seit Jahrtausenden
Habt ihr wol die Gestalt vertauschet!
Ihr wart wol einst von brausenden
Weltmeereswogen überrauschet? ...
Vielleicht erglänztet ihr einmal
An einem frischen Blütenlaube,
Und als erlosch sein Farbenstrahl,
Da wurdet ihr zu dürrem Staube ...
Vielleicht einmal entschwebtet ihr
Auf eines Vögeleins Gefieder,
Und als verging der Flügel Zier,
Zerfielet ihr in Asche wieder ...
[535]Euch trug vor grauer Zeit vielleicht
Ein Held in seiner starken Hüfte,
Und als sein stolzes Haupt erbleicht,
Zerstäubtet ihr im Schooß der Grüfte ...
Vielleicht auch einem holden Weib
Einst schwelltet ihr die blüh'nden Glieder,
Bis hingewelkt der zarte Leib
Und ihr zur Erde kehrtet wieder ...
Ihr Stäubchen, die der Wind verweht,
Wer ahnt es, wie ihr euch entfaltet?
Und, seit die alte Schöpfung steht,
Vieltausendmal euch umgestaltet?
Und ach, du selber meine Hand,
Die jetzt den Staub hinstreut zur Erden,
Wirst, eh' ein halb Jahrhundert schwand,
Zu einer Handvoll Asche werden.
Doch sei's! So lang der Seele Kraft
Dich noch durchflammet und durchzücket,
Sollst du dich regen unerschlafft
Und schaffen, was die Welt beglücket.
Muttergebet
Der reinste Ton, der durch das Weltall klingt,
Der reinste Strahl, der zu dem Himmel dringt,
Die heiligste der Blumen, die da blüht,
Die heiligste der Flammen, die da glüht,
Ihr findet sie allein, wo, fromm gesinnt,
Still eine Mutter betet für ihr Kind.
Der Thränen werden viele hier geweint,
So lange uns des Lebens Sonne scheint,
Und mancher Engel, er ist auserwählt,
Auf daß er unsre stillen Thränen zählt;
Doch aller Thränen heiligste, sie rinnt,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.
O schaut das Hüttchen dorten, still und klein,
Nur matt erhellt von einer Lampe Schein!
Es sieht so trüb', so arm, so öde aus,
Und gleichwol ist's ein kleines Gotteshaus;
Denn drinnen betet, fromm und treu gesinnt,
Still eine Mutter für ihr einzig Kind.
O nennt getrost es einen schönen Wahn,
Weil nimmer es des Leibes Augen sahn,
Ich lasse mir die Botschaft rauben nicht,
Die Himmelsbotschaft, welche zu uns spricht:
Daß Engel Gottes stets versammelt sind,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.
[537]Abseits
Es ist so still; die Haide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenrother Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Haideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
Laufkäfer hasten durch's Gesträuch
In ihren gold'nen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelhaide Glöckchen;
Die Vögel schwirren aus dem Kraut —
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
Ein halbverfallen' niedrig' Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Käthner lehnt zur Thür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
Kaum zittert durch die Mittagsruh'
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigerndten.
— Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
Nach Hause
Der Bruder zog ins Weite fort,
Die Eltern ruhten an dem Ziele,
Da sucht' ich einen stillen Ort
Mit meinen Büchern, meinem Kiele.
In stetem Fleiße manches Jahr
Lebt' ich versteckt in enger Klause;
Ach, wie es einsam traulich war
In meinem lieben Gartenhause.
Doch wer, mit jungem, frischem Leib,
Ertrüg' es lang', allein zu weilen?
So nahm ich mir ein schönes Weib,
Des Lebens Lust und Last zu theilen.
Sie war mir gut, ich war es ihr,
Und doch — o grausames Verhängniß!
In krankem Wahne macht sie mir
Das Haus zum traurigsten Gefängniß.
[545]In Freiheit hab' ich mich gesetzt,
Zur Knechtschaft bin ich nicht geboren.
Doch hab' ich mit dem Weibe jetzt
Heimat und Haus zugleich verloren.
Da ruft es nun: nach Hause! mir,
Komm heim! in wohlbekannten Tönen:
Grausame! wie doch möget ihr
Den Heimatlosen so verhöhnen?
Die Kinder dort, das eigne Blut,
Soll ich als Gäste bei mir sehen;
An deren Busen ich geruht,
Sie soll ich fremd vorübergehen.
Der Durstige soll am vollen Fluß
Entsagend stehn mit trocknem Munde;
Ach! und verlockt ihn der Genuß,
So geht er siebenfach zu Grunde!
Credo
O bleibt mir fern mit euren Spöttermienen,
Die ihr zu freveln wagt am heil'gen Geist!
Euch ist er nie im Zukunftsglanz erschienen,
Die Wahn und Blendwerk ihr sein Wandeln heißt.
Mag euch der Zweifel dumpfe Last beschweren:
Ich schwinge sein Panier mit freud'gem Muth —
Es kann das Herz des Glaubens nicht entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut.
Die Götter haben den Olymp verlassen,
Des Parsen Feuer sind verlöscht und kalt;
Verstummt ist Davids Sang in Zions Gassen,
Und selbst das Wort von Golgatha verhallt.
Will Keiner knien an heiligen Altären?
O, wer entzündet neu der Flammen Glut? —
Es kann das Herz des Glaubens nicht entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut.
Der Webstuhl saust, es donnern fort die Räder,
Das schnaubt und keucht, das rasselt, schnurrt und grollt!
Das Wort ist Gift, zum Dolche wird die Feder,
Zum Knecht der Geist in todter Kräfte Sold.
Wird denn kein Schimmer diese Nacht verklären?
Ach, euren Schatten mangelt Fleisch und Blut —
Es kann das Herz des Glaubens nicht entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut.
[550]Verzweiflung sitzt auf euren Königsthronen,
Und sendet finster ihre Schergen aus.
Ihr schweift um Glück bis in die fernsten Zonen,
Und bringt den Frieden nimmer doch nach Haus.
O, fühlt ihr nicht: im All, dem götterleeren,
Fehlt euch der Compaß auf der wilden Flut —
Es kann das Herz des Glaubens nicht entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut.
Zu dir, o Freiheit! send' ich mein Verlangen,
Die mir der Zukunft dunkle Pfade weist.
Laß einen Strahl mich deines Lichts empfangen,
Ström' auf mich nieder deinen heil'gen Geist!
Gib, daß unwandelbar auf deinen hehren,
Geweihten Stern mein trunknes Auge ruht —
Und laß des Glaubens nimmer mich entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut!
Rast auf dem Marsche
Schloß Boursault, den 11. September 1870
Die Schlacht von Sedan war geschlagen,
Ein Kaiserthron in Staub zerkracht.
Doch weiter stob mit Roß und Wagen
Einher das tolle Kriegesjagen,
Wie Stürme sausen durch die Nacht.
Im Rücken blieben die Ardennen
Und Reims mit seinem Wunderdom.
Der Gaumen lechzt, die Sohlen brennen —
Nicht Ruh', nicht Rast im Vorwärtsrennen,
Es hemmt uns weder Berg noch Strom.
Hinan die steilen Felsenwände,
Durch schattenlose Rebenreihn!
Da — an der Tageswandrung Ende —
Welch paradiesisches Gelände
Enthüllt sich uns im Abendschein?
[551]Ein Grafenschloß mit stolzen Zinnen
Schaut von der Bergwaldshöh' ins Land.
Aus Grotten Schaumkaskaden rinnen,
Und mondbestrahlte Wellen spinnen
Der Marne glitzernd Silberband.
O hartes Loos, das uns beschieden,
Zu stören solche Götterflur!
O hehre Stille, weltgemieden!
Wie Liebesmahnung zog dein Frieden
Ins Herz uns, heilige Natur!
Gelagert an des Waldes Säumen,
Wo sich der Mensch ein Eden schuf,
Umrauscht von hohen Ulmenbäumen,
Vergaßen wir in holdem Träumen
Des Kriegers schrecklichen Beruf.
Es ging wie eine leise Klage
Ein Sehnsuchtshauch durch unsre Schaar;
Auf allen Lippen lag die Frage:
Wann endlich wird die schöne Sage
Von einem Menschheitsfrühling wahr?
Wann werden die bethörten Massen
Sich auf dem weiten Erdenrund
Nicht mehr durch Ruhmsucht, Neid und Hassen
Zu Krieg und Mord verhetzen lassen,
Ein freier, starker Völkerbund?
Wann endlich? ... Ach, dies Bild der Wonne,
Das uns ein Zaubereiland wies,
Erbleicht im Licht der Morgensonne!
Zum Marsch formirt sich die Colonne —
„Vorwärts! Gen Westen! Nach Paris!“
Hymnus der Zeit
O stolze Erinnrung! o herrliches Jahr, da aus bleierner Todesnacht
Des dreißigjährigen Schlummers wir zum Freiheitsmorgen erwacht!
[552]Von Westen flammte der erste Strahl, und das Licht flog über die Welt,
Und es blinkten die Firnen, es glänzte das Thal, von Rosenschimmer erhellt.
Die Throne bebten, aufstand das Volk, das geknechtete, groß und frei,
Und grüßend von Lande zu Lande scholl ein stürmischer Jubelschrei.
Aufsprangen die Kerker, die Fessel brach, und das heilige Schwarz-Roth-Gold,
Das lange verfehmte, flatterte kühn, vor des Tage Antlitz entrollt.
Wir rieben uns aus den Augen den Schlaf, und den Blicken glaubten wir kaum:
O Wunder! was je wir ersehnt und geträumt, es war uns geschenkt wie im Traum!
Wir nannten uns Brüder und frei und gleich, wir sanken uns Brust an Brust,
Und schwelgten, trunken vom Feuerwein, im Taumelbecher der Lust.
Doch über Nacht, eh' wir's gedacht, ein giftiger Mehlthau fiel,
Hinwelkte die Blüte der Traumessaat, tückischen Winden zum Spiel.
Die bittere Hefe blieb am Grund des Kelches, den wir geleert,
Und dem tölpischen Riesen wieder stahl der listige Zwerg das Schwert.
Es seufzten die Völker im alten Joch, man gab uns Steine statt Brod,
Und in Strömen färbte das edle Blut der Freien die Erde roth;
Zu Malmö brach der feige Verrath den Schild unsrer Ehre entzwei,
Und das Todesröcheln des Männerzorns erstickten Pulver und Blei.
Unheimlich von der Brigittenau hertönt' ein höhnischer Knall,
Wild lachte der höllischen Geister Chor bei Baden und Ungarns Fall.
[553]Und der Kronengaukler von Straßburg schwang im Westen den Zauberstab,
Und von Osten winkte der Russen-Zar, und Stille ward's wie im Grab.
O traurige Zeit! o schaurige Zeit, da jegliche Hoffnung erstarb,
Da Völkerstumpfsinn und Fürstentrug der Freiheit Knospe verdarb;
Da der deutsche Name ein Spottbild ward für fremder Rüden Gebell,
Und die Schmach von Olmütz als Sühne galt für die Possenschlacht von Bronzell!
Was nicht beugen mochte sein trotzig Haupt, floh fernhin über das Meer,
Denn über Europa hing das Gewölk der Knechtschaft finster und schwer.
Es ballten die Besten die Faust im Sack, und klagten, die Zeit sei schlecht,
Erloschen für immer der Freiheit Stern, und hingemeuchelt das Recht,
Zur Wüste noch wandle mit Feuer und Schwert die Erde Baschkir und Kroat,
Denn es fehle den Völkern an Muth und Kraft zur erlösenden That. —
Da, horch! im Osten ein dumpfer Fall! Der faule Frieden zerstob;
Die thönernen Füße wies der Koloß, der so dräuend die Pranken erhob.
Zu Boden stürzte das Ungethüm, und der arme leibeigene Knecht,
An die Scholle gekettet jahrtausendlang, erwachte zu Leben und Recht.
Wie Klang gebrochener Fesseln ging es flüsternd von Strand zu Strand,
Wo beim Schwirren der Peitsche der Negersclav' die Garbe im Reisfeld band,
Und es raunt' ihm in's Ohr, und jagt' ihn empor zu mördrischem Bruderkampf,
Und die Dörfer flammten, es rauchte der Grund von Blut und von Pulverdampf,
[554]Bis der Siegessonne versöhnender Strahl das Leichengefild überfloß,
Und Abraham Lincolns Märtyrertod die Befreiungstragödie schloß.
O völkerweckender Frühlingssturm, von des Weltgeists Odem geschwellt,
Wie Gerichte des Himmels fährst du einher, und brausest von Welt zu Welt!
Erst barst auf Welschlands Fluren das Eis, in den Bergen hat es gekracht,
Und dröhend erscholl, wie Donnergeroll, von Solferino die Schlacht.
Der den Büttel Europa's gemacht, er trieb die fremden Schergen hinaus,
Arglistig lächelnd: „Jegliches Volk sei Herr im eigenen Haus!
Frei bis zur Adria!“ — Weiter schießt, der ins Rollen kam, der Ball,
Er wälzt sich hinunter mit wilder Macht, ihn hemmt nicht Mauer noch Wall.
Schon schiffen „die Tausend“ sich ein, schon nimmt Marsalas Ufer sie auf,
Und des Bombenkönigs blutigen Thron zerschmettert ihr Siegeslauf.
Was Aspromonte? Mentana was? Fortrauscht der Geschichte Strom:
Italiens einiges Banner krönt schon heut die Zinnen von Rom.
Und höher und höher steigt die Flut, die Wehr und Dämme zerspleißt;
Kein Bannspruch zwängt in die Flasche zurück der Zeit entfesselten Geist!
Vergangenes Unrecht wird gesühnt, und verjährter Frevel gerächt;
Auf den Trümmern des Alten baut den Palast der Zukunft ein junges Geschlecht.
Gen Norden fliegt erztönenden Flugs Germaniens Doppelaar,
In der Mutter Arme trägt er zurück das verlassene Brüderpaar.
[555]Dann zerreißt er in Süden mit scharfer Klau' der verbündeten Jäger Netz,
Und wäscht die Schande von Olmütz ab im Blute von Königgrätz.
Es schaaren sich Deutschlands Söhne all' um ihn her mit blitzender Wehr,
Und mächtig brauset ihr Jubelschall hernieder von Fels zum Meer.
Da schleudert den Brand ins friedliche Land des Franken Tücke hinein,
Die Trommel rasselt, das Horn ergellt — nun wahre dich, Wacht am Rhein!
Aus der Scheide fährt dein funkelndes Schwert, es glüht dein Auge von Zorn,
Die Lanze schwirrt, und im Bügel klirrt beim rasenden Jagen der Sporn.
Die Tigerkatze, der Turko, springt dich an mit fletschendem Zahn,
Ein Stoß — er verröchelt, und weiter brichst du dir über Leichen die Bahn.
Der Festung Thore zerschellt wie Glas der Bombe feurig Geschoß —
Der Kaiser gefangen, gestürzt sein Thron, und zerstoben sein Söldnertroß!
Aufging, die er säte, die Drachensaat — ihre blutigen Früchte wies
Der Commune ruchlose That der Welt im Flammermeer von Paris.
Ha, grausiges Würgen! — Doch sieh, der lang, verzaubert im Bergesschacht,
Von Raben umflattert, am Steintisch schlief, der alte Rothbart erwacht!
Im Siegespurpur gründet er neu sein strahlendes Kaiserthum,
Und es klingt durch die Lande von Pol zu Pol die Sage von Deutschlands Ruhm.
[456]Wol umkreist den Berg noch die schwarze Schaar der gierigen Rabenbrut,
Die in Trümmern nistet und faulem Schutt, und die Sonn' ankrächzet voll Wuth;
Doch Rabengekrächz und Dohlengeächz verlöschen nimmer das Licht,
Und wie der Baalspfaff zetert und flucht: nach Canossa gehen wir nicht!
Vor der Wahrheit Zeichen zu Schanden wird der Lüge Geifer und Spott,
Und jegliches Götzenbild zerschlägt der Freiheit ewiger Gott.
O große Zeit, o herrliche Zeit! o blutiger Völkertag,
Da die Stickluftschwüle der Welt gereint der Geschichte Wetterschlag!
Nicht sinkt im Traume die goldne Frucht dem feigen Wicht in den Schooß,
Nur die Hand des Tapferen bricht sie kühn vom Baume der Zukunft los.
So brause denn, Sturm, daß, was morsch und welk zu Staub und Moder zerfällt,
Und die jungen Knospen der Frühlingshauch zu prächtiger Blüte schwellt!
Wir spüren sein Wehn, ob die Trommeln gehn, ob er Kronen vom Haupte reißt,
Ob mit Eisen und Blut er den störrigen Muth des Volkes zusammenschweißt.
Er schafft den Sclaven zum Helden um in des Kampfes ehernem Spiel
Und gebeut uns zu ringen mit Todeslust um das letzte heilige Ziel;
Nicht rasten kann er und kann nicht ruhn, bis seine Sendung vollbracht,
Bis er glücklich die Menschheit, und frei die Welt, und neu die Erde gemacht.
[557]Frühlingsgespenster
Ich saß noch spät in meinem Zimmer
Studirend bei der Lampe Schimmer,
Und ob mein Auge müd und matt,
Wandt' ich doch emsig Blatt um Blatt.
[558]Da klopft es plötzlich an mein Fenster,
Ich glaube zwar nicht an Gespenster,
Doch, weil gar hoch mein Fenster war,
Schien mir das Klopfen wunderbar.
Ich spähte in die nächtgen Räume,
Der Mond schien freundlich durch die Bäume,
Tief unten schlug die Nachtigall,
Sonst tiefes Schweigen überall.
Doch kaum saß ich zu lesen nieder,
So klopft es auch vernehmlich wieder;
Weit macht' ich nun das Fenster auf
Und ließ den Klopfern freien Lauf.
Und plötzlich schwärmten durch das Fenster
Zwei braune surrende Gespenster; —
Maikäfer warens, die's verdroß,
Daß ich im Zimmer mich verschloß;
Daß ich mich über Büchern härmte,
Genießend nicht wie sie durchschwärmte
Die linde, weiche Maiennacht
Voll Blütenduft und Sternenpracht.
Die Ernte
Beatus ille —
Horat., Epod. Lib II, 1
O wie glücklich ist der Mann,
Der — wenn voll die Halme schwanken
Und der Schnitt beginnen kann
Keinem Menschen braucht zu danken!
Von dem Himmel ganz allein
Kam, als ein Geschenk der Segen:
Floß der warme Sonnenschein,
Troff herab der milde Regen.
Kräfte, die von Ewigkeit
Wirkten, walteten und schufen,
Waren auch für ihn bereit,
Ohne daß er sie gerufen.
Licht und Luft und Wasser war
Immer da, die Frucht zu nähren;
Und nun rauscht es wunderbar
Durch den Reichthum seiner Ähren!
[560]Was der Mensch vom Menschen nur
Mag in bittrem Kampf erlangen:
Lächelnd reicht es ihm die Flur,
Beut es ihm der Wiese Prangen.
Sie verlangte nur den Schweiß
Seiner Stirn ihm zu erwiedern:
Doch um seiner Mühe Preis
Braucht er sich nicht zu erniedern.
Aufrecht sammelt er und stolz,
Er, der Freie, Weltentfernte,
Was der Fluch des andern Gold's
Nie berührt: das Gold der Ernte!
Auf ihre Hand
Du treue Hand, die ohne Beben
Einst meiner Hand so fest vertraut,
Hast mit mir ein zerfall'nes Leben
Zu neuer Schönheit aufgebaut.
Du weiche Hand, in trüben Tagen
Hast du so freundlich mich gepflegt,
Liebreich gesorgt für mein Behagen
Und mir den Pfühl zurecht gelegt.
Du kluge Hand, die Melodien,
Die mir die blühnde Lippe singt,
Begleitest du mit Harmonien,
Daß voll das Lied zum Herzen dringt.
Du fromme Hand, in heil'gen Stunden
Hast du die meine sanft gedrückt,
Wenn uns die heiligste der Kunden,
Das theure Gotteswort erquickt.
[562]Du fleiß'ge Hand, die nur zum Dienen
Von früh bis Abend froh bereit,
In dir ist mir das Bild erschienen
Der echten deutschen Weiblichkeit.
Drum schwärmt auch rastlos mein Gedanke,
Mein Lieb, um deine schöne Hand,
Ein Falter, den die Blütenranke
In ihren Zauberkreis gebannt.
Leuchtend aus dem Lindengrün —
Leuchtend aus dem Lindengrün,
Wo die Nachtigallen schlagen,
Wieder seh' ich nun das Kreuz
Meiner alten Kirche ragen,
Und gedenke feuchten Blicks:
Ach, es ist schon lange Jahre,
Daß auch ich, ein gläubig Kind,
Dort gebetet am Altare.
Jeden Sonntag bin ich dort
Meinem Jugendlieb begegnet,
Und der gute Priester hat
Uns zusammen eingesegnet.
Lang' ist's her! Ich hab seitdem
Weisheit dieser Welt erworben,
Längst in meinem klugen Kopf
Ist der liebe Gott gestorben.
Wir sind selbst uns Gott genug,
Lassen keinen andern gelten,
Denn wir sind der Geist des Alls,
Denn wir sind das Herz der Welten.
In das enge Haus von Stein
Wird uns keine Predigt locken,
Aber deiner, frommes Lieb,
Denk' ich doch beim Klang der Glocken.
Und mein Blick umfloret sich,
Seh' ich, wie in Jugendtagen,
Friedlich aus dem Lindengrün
Unsre alte Kirche ragen.
Arthur Schopenhauer
Friedberger Kirchhof! Mein vergnügtes Wandern
Durch's rosige Sein ward hier zur Pilgerfahrt:
Hier ruht ein Mann! er war nicht wie die andern,
Und eine Thräne rinnt mir in den Bart.
[566]Vom Lindenbaum verdorrte Blätter sanken,
Doch durch der Wolken sturmgepeitschtes Grau
Erglänzten klar, wie seines Geist's Gedanken
Die Sterne her vom dunkeln Himmelsblau.
Er hob empor der Dinge Majaschleier,
Den Nebelflor des Weltenzauberrings,
Kühn trat er hin, der Wahrheit ernster Freier,
Mit neuer Antwort vor die alte Sphinx.
Das Licht, das selbst Natur sich angezündet.
In diesem Hirn, sie blies es thöricht aus,
Das ew'ge Weltenauge ist erblindet
Und modert nun im morschen Bretterhaus.
Ein schwarzer Marmor! Schnee und Regenschauer
Verlöschten fast der Lettern gold'nen Glanz,
Den stolzen Namen: Arthur Schopenhauer —
Zu Häupten lag ein welker Lorbeerkranz.
Doch Immergrün mit lotosblauer Blume
Schmückt hold lebendig ihm den Leichenstein,
Laßt denn auch mich an diesem Heiligthume
Dies Blatt als Kranz von Immortellen weihn!
Ich kannte nur, leichtsinniger Geselle,
Des Epikuros Lust und Seligkeit,
Doch du hast mir gepredigt unsre Hölle
Und unsern Himmel, Buddha dieser Zeit!
Nacht
Im Windsgeräusch, in stiller Nacht
Geht dort ein Wandersmann,
Er seufzt und weint und schleicht so sacht,
Und ruft die Sterne an:
„Mein Busen pocht, mein Herz ist schwer,
In stiller Einsamkeit,
Mir unbekannt, wohin, woher,
Durchwandl' ich Freud und Leid;
Ihr kleinen goldnen Sterne,
Ihr bleibt mir ewig ferne,
Ferne, ferne,
Und ach, ich vertraut' euch so gerne!“
Da klingt es plötzlich um ihn her,
Und heller wird die Nacht.
Schon fühlt er nicht sein Herz so schwer,
Er dünkt sich neu erwacht:
„O Mensch, du bist uns fern und nah,
Doch einsam bist du nicht,
Vertrau' uns nur, dein Auge sah
Oft unser stilles Licht.
Wir kleinen goldnen Sterne
Sind dir nicht ewig ferne;
Gerne, gerne,
Gedenken ja deiner die Sterne.“
[574]Dämmerstunde
Wenn sich der Sonne letzter Schimmer
Sacht fortstahl über's Nachbardach,
Bin einsam ich in meinem Zimmer,
Und stille Träume werden wach.
Die führen mich von meinem Sitze
In's ferne wohlbekannte Haus,
Dort von des Tages Last und Hitze
Ruht eine alte Frau jetzt aus.
[575]Die Stirn gefurcht, gefurcht die Wangen,
Die Lippen welk, das Haupt bereift,
Sie läßt es matt herniederhangen,
Indeß der Blick in's Weite schweift;
Der Blick, aus dem mit Jugendfeuer
Ein voller Strahl der Liebe bricht,
Nichts ist so schön mir und so theuer,
Als dieses treue Angesicht.
Sonst that des Tages letzter Schatten
Noch keinen Einhalt ihrer Kraft,
Nun aber fühlt sie sich ermatten,
Seit nicht mehr für den Sohn sie schafft.
Der Sohn — sie hat das Haupt erhoben,
Es klopft das Herz, die Lippe bebt,
Dabei gefaltet sie nach oben
Die frommen Hände zitternd hebt.
Da fühl' ich, wie der gleiche Schauer
Durch meine tiefste Seele geht,
Und alles Sehnen, alle Trauer
Sich friedlich lösen im Gebet.
Gesegnet, heil'ge Dämmerstunde:
Die lang und weit geschieden sind,
Du einst in stiller Andacht Bunde
Die Mutter wieder und ihr Kind.
Wenn uns're Mutter schlafen geht
Ob Herbstesduft bereits das Haar
Mit weißem Schimmer uns bezogen,
Schon flügge von der eig'nen Schaar
Manch schmucker Nestling ausgeflogen,
Daß wie vor kühlem Abendwinde
Ein flücht'ger Schauer uns durchweht,
Noch einmal werden wir zum Kinde,
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
[576]Ein altes Märchen noch im Sinn,
So liegen wir im Bettchen wieder,
Da schleicht sich's leise zu uns hin
Und beugt sich küssend auf uns nieder,
Wir sehen mild zwei Augen funkeln,
Wir hören halb ein fromm Gebet,
Und plötzlich bleiben wir im Dunkeln —
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
Der Kindheit holdes Paradies,
Wir fanden's wieder ohne Mühen,
Ihr sanftes Wort, ihr Anblick ließ
Uns das versunk'ne neu erblühen;
Gebrochen ist die schwanke Brücke,
Verschlossen nun die Pforte steht,
Wir scheiden von dem reinsten Glücke,
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
Und hat ein gütiges Geschick
Mit Schätzen uns bedacht und Ehren,
Nichts sind sie da dem feuchten Blick,
Ihn drängt es, rückwärts sich zu kehren:
Kann keiner Schuld sie dich verklagen,
Die ohne Sühne fortbesteht,
Das ist des Herzens einzig Fragen,
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
Ich habe treu sie stets geehrt,
War folgsam ihr in allen Stücken —
Ein ganzes Leben ist es werth,
Ihr so die Augen zuzudrücken;
Doch müßten reuevoll wir leben —
Eh' um Verzeihung wir gefleht,
Hat sie uns Alles längst vergeben,
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
Und ihre Liebe dauert fort
Und bleibt zurück mit ihrem Segen,
Sie ging voran, ein gutes Wort
Bei'm Vater für uns einzulegen,
[577]So wird auch unser Schmerz gelinder,
Und heil'ge Tröstung uns umweht,
Wir fühlen uns als Gottes Kinder,
Wenn uns're Mutter schlafen geht.
Wie durch die stille Mondesnacht
Noch ruhst du ganz in meinem Arm,
Der fest und innig dich umfängt,
Noch fühl' ich, wie sich voll und warm
Dein Leben mir entgegen drängt,
Und schon regt sich im Herzen sacht
Ein Weh, das schlimme Weise singt —
Wie durch die stille Mondesnacht
Ein fern verhallend Posthorn klingt.
Dein Auge blitzt an mir empor
Und senkt sich wieder abgewandt,
Ein feuchter Schimmer quillt hervor,
Und schmerzlich drückst du mir die Hand,
Auch du hast jäh daran gedacht,
Was uns die nächste Stunde bringt —
Wie durch die stille Mondesnacht
Ein fern verhallend Posthorn klingt.
Und bist du diesmal mir entflohn,
Nie kehrst du mehr zum alten Ort,
Es zittert dann ein einz'ger Ton
Durch mein verlor'nes Leben fort,
Der wenn zur Ruhe ich gebracht,
Noch in den letzten Schlummer dringt —
Wie durch die stille Mondesnacht,
Ein fern verhallend Posthorn klingt.
Bertran de Born
Droben auf dem schroffen Steine
Raucht in Trümmern Autafort,
Und der Burgherr steht gefesselt
Vor des Königs Zelte dort:
„Kamst du, der mit Schwert und Liedern
Aufruhr trug von Ort zu Ort,
Und die Kinder aufgewiegelt
Gegen ihres Vaters Wort!
Steht vor mir, der sich gerühmet
In vermess'ner Prahlerei,
Daß ihm nie mehr als die Hälfte
Seines Geistes nöthig sei?
Nun der halbe dich nicht rettet,
Ruf den ganzen doch herbei,
Daß er neu dein Schloß dir baue,
Deine Ketten brech' entzwei!“
Wie du sagst, mein Herr und König!
Steht vor dir Bertran de Born,
Der mit einem Lied entflammet
Perigord und Bentadorn,
Der dem mächtigen Gebieter
Stets im Auge war ein Dorn,
Dem zu Liebe Königskinder
Trugen ihres Vaters Zorn.
[580]Deine Tochter saß im Saale,
Festlich, eines Herzogs Braut,
Und da sang vor ihr mein Bote,
Dem ein Lied ich anvertraut,
Sang, was einst ihr Stolz gewesen,
Ihres Dichters Sehnsuchtslaut,
Bis ihr leuchtend Brautgeschmeide
Ganz von Thränen war bethaut.
Aus des Ölbaums Schlummerschatten
Fuhr dein bester Sohn empor,
Als mit zorn'gen Schlachtgesängen
Ich bestürmen ließ sein Ohr.
Schnell war ihm das Roß gegürtet
Und ich trug das Banner vor,
Jenem Todespfeil entgegen,
Der ihn traf vor Montforts Thor.
Blutend lag er mir im Arme,
Nicht der scharfe kalte Stahl, — —
Daß er starb in deinem Fluche,
Das war seines Todes Qual.
Strecken wollt' er dir die Rechte
Über Meer, Gebirg' und Thal,
Als er deine nicht erreichte,
Drückt' er meine noch einmal.
Da, wie Autafort dort oben,
Ward gebrochen meine Kraft;
Nicht die ganze, nicht die halbe
Blieb mir, Saite nicht, noch Schaft.
Leicht hast du den Arm gebunden,
Seit der Geist mir liegt in Haft;
Nur zu einem Trauerliede
Hat er noch sich aufgerafft. —
Und der König senkt die Stirne:
„Meinen Sohn hast du verführt,
Hast der Tochter Herz verzaubert,
Hast auch meines nun gerührt.
[581]Nimm die Hand, du Freund des Todten!
Die verzeihend ihm gebührt.
Weg die Fesseln! Deines Geistes
Hab' ich einen Hauch verspürt.“
Des Sängers Fluch
Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.
Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wuth,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der Ein' in goldnen Locken, der Andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.
Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton,
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut', zu rühren des Königs steinern Herz.“
Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
Der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.
Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll,
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit,
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
[582]Die Höflingsschaar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,
Die Königin, zerflossen in Wehmuth und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
„Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“
Der König schreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib,
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,
Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hoch aufspringt.
Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.
Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
„Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sclavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Todten entstelltes Angesicht,
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,
Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.
Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängerthums!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms,
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!“
Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
[583]Und rings, statt duft'ger Gärten, ein ödes Haideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch.
Freie Kunst
Singe, wem Gesang gegeben,
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen schallt.
Nicht an wenig stolze Namen
Ist die Liederkunst gebannt;
Ausgestreuet ist der Samen
Über alles deutsche Land.
Deines vollen Herzens Triebe,
Gib sie keck im Klange frei!
Säuselnd wandle deine Liebe,
Donnernd uns dein Zorn vorbei!
Singst du nicht dein ganzes Leben,
Sing' doch in der Jugend Drang!
Nur im Blütenmond erheben
Nachtigallen ihren Sang.
[585]Kann man's nicht in Bücher binden,
Was die Stunden dir verleihn:
Gib' ein fliegend Blatt den Winden,
Muntre Jugend hascht es ein.
Fahret wohl, geheime Kunden,
Nekromantik, Alchemie!
Formel hält uns nicht gebunden,
Unsre Kunst heißt Poesie.
Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist uns die Kunst.
Nicht in kalten Marmorsteinen,
Nicht in Tempeln, dumpf und todt:
In den frischen Eichenhainen
Webt und rauscht der deutsche Gott.
Befreit
Auf meinen stolzen Nacken drückten
Sie gern die knechtisch grobe Faust,
Von meinem Kranze gerne pflückten
Sie Blatt um Blatt bis er zerzaust —
Der Kranz! die käuflich leichte Waare,
Verunziert längst ein edles Haupt;
Laßt mich nur hingehn bis zur Bahre
Mit freier Stirne, unbelaubt!
Schmückt eure Götzen, eure Phrynen,
Ich suche nicht so feilen Lohn. —
Den bessern Götter will ich dienen,
Gekrönt an einem höhern Thron.
Ihr könnt die Herrschaft meinen Händen,
Den Purpur meinem Leib entziehn,
Doch die Gedanken mir entwenden,
Die über alle Himmel fliehn:
Das könnt' ihr nicht! — Bleib' ich doch immer
Was vordem ich gewesen war;
Euch gönn' ich lächelnd leeren Schimmer
Und flieg' empor ein freier Aar. —
Das Erkennen
Ein Wanderbursch', mit dem Stab in der Hand,
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt;
Von wem wird der Bursch' wol zuerst erkannt?
So tritt er ins Städtchen, durch's alte Thor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft hatte der Becher die beiden vereint.
Doch sieh, — Freund Zollmann erkennt ihn nicht,
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter wandert nach kurzem Gruß
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.
Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromm:
„Du blühende Jungfrau, vielschönen Willkomm!“
Doch sieh, — auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
[593]Und weiter geht er die Straß' entlang,
Ein Thränlein hängt ihm an der braunen Wang'!
Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her,
„Gott grüß Euch!“ so spricht er und sonst nichts mehr.
Doch sieh, — das Mütterchen schluchzet voll Lust:
„Mein Sohn“ — und sinkt an des Burschen Brust.
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug' hat ihn doch gleich erkannt.
Ein Friedhofsbesuch
Beim Todtengräber pocht es an:
„Mach' auf, mach' auf, du greiser Mann!
Thu' auf die Thür' und nimm den Stab,
Mußt zeigen mir ein theures Grab.“
Ein Fremder spricht's mit strupp'gem Bart,
Verbrannt und rauh nach Kriegerart.
„Wie heißt der Theure, der Euch starb
Und sich ein Pfühl bei mir erwarb?“
„Die Mutter ist es, kennt Ihr nicht
Der Martha Sohn mehr am Gesicht?“
„Hilf Gott, wie groß! wie braun gebrannt!
Hätt' nun und nimmer Euch erkannt.
Doch kommt und seht, hier ist der Ort,
Nach dem gefragt mich Euer Wort.
Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein,
Nun Euer todtes Mütterlein.“
Da steht der Krieger lang und schweigt,
Das Haupt hinab zur Brust geneigt.
Er steht und starrt zum theuren Grab
Mit thränenfeuchtem Blick hinab.
Dann schüttelt er sein Haupt und spricht:
„Ihr irrt, hier wohnt die Todte nicht!
Wie schlöss' ein Raum, so eng und klein,
Die Liebe einer Mutter ein!“
[594]Der verreisten Hausfrau
Komm zurück! Seit du von hinnen,
Ist es todt in unserm Hause,
Todt wie dort im Märchenschlosse,
Da die junge Königstochter
War in Zauberschlaf gesunken.
Gleich mit ihr entschliefen alle
Herrn und Knechte, Fraun und Zofen.
Auch die Pferd' im Stall entschliefen
Sammt dem Hündlein vor der Stallthür.
Auf dem Herde selbst das Feuer,
Plötzlich kroch's in sich zusammen,
Während auch der Brunn im Hofe
Sich auf einen Zug verschluckte.
An der Wand sogar die Fliege,
Die sich just das Köpfchen putzte,
Plötzlich schlief ihr ein das Beinchen.
Auf dem Dach die weiße Taube,
Setzte sich zurecht zum Schlafen,
Und das Schwälbchen unter'm Giebel
Schlummert ein im schönsten Lied.
[595]Und so lagen, saßen, stunden,
Und so schliefen, schnarchten, träumten
Rings um ihre Königstochter
Herrn und Knechte, Fraun und Zofen,
Thier' und Vögel, Feu'r und Wasser
Viele hundert Jahre lang.
Komm zurück! und gleich ergeht es,
Wie's im Schlosse dort ergangen,
Als verwegen, unaufhaltsam
Durch die Dornen all, die ringsum
Thurm und Mauer überwachsen,
Als verwegen eingedrungen
Auf den Mund die Königstochter
Hat geküßt der Königssohn.
Komm zurück! und bei dem ersten
Kuß auf deine süßen Lippen,
Bei dem ersten, manch Jahrhundert
Schon entbehrten, süßen Kusse,
Wird die Magd aus trägem Schlummer
Neu erwacht zum Herde treten;
Wird das Feuer auf dem Herde
Wieder braten, kochen, sieden;
Wird der Brunnen wieder rauschen,
Topf und Kessel uns zu füllen;
Wird im wieder warmen Zimmer
Auch die Fliege wieder summen,
Gern gehegt den Winter über,
Und verhaßt allein des Sommers.
Kammerherrn und Kammerfrauen
Sammt den Pferden auch im Stalle,
Diese mögen unsertwegen
Noch ein paar Jahrhundert schlafen:
Dafür heimlich überm Dache
Kreiset neu die Friedenstaube,
Und das Schwälblein unterm Giebel
Singt gar aus sein halbes Lied.
[596]Umsonst gelebt
Es lag die Welt vor ihm mit hundert Wegen,
Merkur wies ihm fein rothes Gold von fern,
Der stolze Vater Ordensstern und Degen,
Die fromme Mutter pries den Dienst des Herrn.
Ihm aber war's, als säh' er leuchtend schweben
Ein hohes Weib in märchenhaftem Glanz,
Und glückverheißend zu den Wolken heben
Ein Saitenspiel und einen Lorbeerkranz.
Und schnell entschlossen wandte er den Rücken
Dem Ruhm, der Kirche und Fortunens Gunst,
Brach hinter sich entzwei die letzten Brücken,
„Dein bin ich,“ rief er, „vielgeliebte Kunst!“ — —
[597]Und nun nach Jahren, — kennst du noch ihn wieder
Den Mann, der ernst und traurig vor dir steht?
Ihn schmückt kein Kranz, verklungen sind die Lieder,
Die einst er sang, verschollener Poet!
Was frommt es ihm, daß er gefolgt den Spuren
Des Traumbilds und gelebt dem Ideal,
Ein Fremdling blieb er auf der Erde Fluren
Und war zu Haus nicht in der Götter Saal.
Wol war ihm hie und da ein Lied gelungen,
Doch was in tiefster Seele jauchzt und klagt,
Zu künden so, daß jedes Herz bezwungen,
Blieb unerreichbar, ewig ihm versagt.
Nun ist er alt und krank, es ras't das Fieber
In seinem Blut, die bleiche Wange glüht.
Und vor des Kranken inn'rem Aug' vorüber
Sein langes, trostlos langes Leben zieht.
Da sieht er plötzlich wieder fernher schweben
Das hohe Weib, gehüllt in Trauerflor,
Ihr Blick ist ernst und ihre Hände heben
Statt Lorbeer heut' den Todtenkranz empor.
„Fluch dir,“ so ruft er, „die auf falsche Bahnen,
Ein täuschend Irrlicht, meine Seele zog,
Die mich erfüllt mit trügerischem Ahnen
Und märchenhaft mein thöricht Herz belog.
Als Hoffnung locktest du durch Schmeichellieder
Den Knaben einst und sangst von Ruhm und Glanz,
Doch als Erfüllung kehrst zum Mann du wieder
Und bringst ihm nichts — als einen Todtenkranz.
O Dämon, Trugbild, all mein Thun und Ringen,
Vergebens war's, durch dich verführt, verlockt;
Verfehlt mein Dasein, Dichten, Träumen, Singen,
Ich hab' umsonst gelebt!“ — — sein Athem stockt.
[598]Schon rührt der Tod ihn an, vom blassen Munde
Der Lebenshauch mit seinem Geist entschwebt;
Und spottend ruft das Echo in der Runde
Sein letztes Wort ihm nach: „Umsonst gelebt!“
Ein verlorner Sohn
Wess' ist das Licht, das durch die trübe,
Sternlose Nacht so tröstend blinkt?
Das Lämpchen ist's der Mutterliebe,
Das heimwärts dem Verlornen winkt.
Ein armes Weib in enger Klause
Wohnt dort, ihr Haupt ist altersschwer;
Vor Jahren zog vom Elternhause
Der einz'ge Sohn, fern über's Meer.
An ihres Fensters kleine Scheibe
Sie nächtlich d'rum die Lampe stellt,
Daß, wenn zurück ihn Sehnsucht treibe,
Der düstre Pfad ihm sei erhellt.
„Denn heute muß er wiederkehren!“
Entfachend jener Lampe Schein,
Spricht täglich sie mit bittren Zähren,
Eh sie des Abends schlummert ein.
Und wenn sie früh die müden Glieder
Vom Lager hebt, beim Morgenroth,
Ruft betend sie: „Heut' kehrt er wieder!“ — —
Sie weiß es nicht, daß längst er todt ...
Die Nachbarin, die sonst so gerne
Das Neuste in dem Dorf erzählt,
Hat einen Sohn auch fern im Westen,
Der drüben blieb und sich vermählt.
Der hat es ihr schon längst geschrieben,
Daß todt der Sohn der Alten sei;
Jedoch der armen Frau zu Liebe
Bewahrt sie das Geheimniß treu.
[599]Und wenn sie Sonntags in der Kirche
Die Alte fragt: nun kehrt er bald?
Spricht lächelnd sie „geb's Gott,“ die Thränen
Im Aug' rückdrängend mit Gewalt.
Im Zorne war er einst geschieden
Fort über's Meer zum fernen West,
Doch sie kann sterben nicht in Frieden,
Eh' sie ihr Kind ans Herz gepreßt.
Siech ist ihr Leib, grau sind die Haare,
Und ihre Hände zittern schon,
Doch spinnt und darbt sie, daß sie spare,
Wenn heim er kehrt, für ihren Sohn.
O Mutterliebe! Quell der Schmerzen,
Von Gottes ew'gem Angesicht
Abglanz im sünd'gen Menschenherzen,
Du harrst, du hoffst und zweifelst nicht!
Laß trostreich deine Leuchte blinken,
In dunkler Nacht den hellsten Stern,
Der Tag, wo du den Sohn wirst finden,
Harr' aus und hoff', ist nicht mehr fern!
Sonntagsruh
Es steht ein Crucifix am Wege,
Der über schroffen Felsen hängt,
Wo aus verschlung'nem Waldgehege
Die Straße in das Thal sich senkt.
Der Heiland hat versöhnungsmilde
Am Kreuz die Arme ausgespannt,
Es ist als ging von diesem Bilde
Ein stiller Frieden in das Land.
Ein Sonntag war's, ich kam geschritten
Vom Gletscher mit beeistem Haar,
Da stand das Crucifix in Mitten
Der Landschaft hell und morgenklar.
[600]Und unter mir lag still und eben
Der See im hellsten Sonnenschein,
Das Dorf im Schmuck der grünen Reben,
Die Kirche mit dem Kreuz von Stein.
Die Glocke rief, Landleute zogen
Zum Haus des Herrn im Festagskleid.
Sonst war es still, nur Lerchen flogen
Empor in Gottes Herrlichkeit.
Weiß nicht was mir dir Hände leise
Zusammenfügte, unbewußt,
Daß ich nach frommer Gläub'gen Weise
Am Kreuze beten hier gemußt.
Doch als ich thalwärts drauf gelenket
Dem stillen Dorf die Schritte zu,
Da fühlt' ich, wie sich tief gesenket
In meine Seele Sonntagsruh.
Ein Wiedersehen
Nach langen Jahren sah ich dich
Im bunten Festschwarm wieder
Und reichte dir versöhnt die Hand —
Du schlugst die Augen nieder!
Du standest vor mir früh verwelkt,
Bleich, wie dein eig'ner Schatten;
War's späte Reue, Gram und Schmerz,
Die so entstellt dich hatten?
Der Schönheit Rose fiel schon längst
Erblaßt von deinen Wangen,
Und deine Augen blickten trüb'
Und wolkenüberhangen.
Voll Gram in deinem Herzen nur
Konnt' ich wie eh'mals lesen,
Doch fand ich nichts als Gräber drin,
Von dem was du gewesen.
[601]Du tratst wie einst zum Flügel hin,
Es rauschten laut die Saiten;
An meinem Ohr hört' ich vorbei
Die alten Lieder gleiten.
Doch war's der Klang nicht mehr, der oft
In Fesseln mich geschlagen,
Nein, ein verlor'ner Wiederhall,
Aus halb vergess'nen Tagen.
Du, die vor meinem Aug' geschwebt,
Mild, wie des Frühlings Segnen,
Was mußtest du zerstört und fremd,
Nach Jahren mir begegnen;
Was mußtest du zertrümmern mir,
Aus sonnenhellen Tagen,
Das Bild, das ich in meiner Brust,
Bis jetzt von dir getragen!
Trutzlied
Wenn in blühender Maienlust
Höher die Herzen schlagen,
Schwillt begeistert die junge Brust
Kühn zu wetten, zu wagen;
Was unmöglich weiland erschien,
Will bedünken erreichbar;
Siegesträume den Geist durchziehn.
Rosigen Wolken vergleichbar.
Kinderbegeisterung, Kindermuth,
Niemand möge sie schelten;
Wem sie nimmer entzündet das Blut,
Soll uns als Mann nicht gelten.
Aber wenn ihm die Blüten nicht
Dauernde Früchte getragen,
Schwindet schnell mit des Frühlings Licht
All sein Hoffen und Wagen.
Wenn sich Novembernebel kalt,
Grau auf die Fluren senken;
Wenn wir es merken, daß Geistgewalt
Nicht die Natur kann lenken,
Daß in dem Ding, dem brutalen Sein,
Nur die Gemeinheit königt,
Welche die Lüge mit heuchelndem Schein
Als Gottweisheit beschönigt —
[603]Kinderbegeisterung, Kindermuth,
Hoffnung auf baldige Siege,
Wärmen da nimmer das frierende Blut,
Stärken da nimmer zum Kriege.
Nein, da gilt nur der männliche Sinn,
Welcher mit Ernst es lernte,
Ohne Belohnung und ohne Gewinn
Schaffen für künftige Ernte.
Welcher, wenn ihm die Kraft zerbricht,
So sich zu trösten erdreistet:
Habe mir selbst bemessen die Pflicht,
Habe mein Wollen geleistet,
Beugte mich vor der siegenden Macht
Weder auf Drohen noch Bitten,
Habe des Erdenlebens Nacht
Stark und stolz durchschritten!
Der Entsagende
Fahrwohl! Fahrwohl! Und ohne Klage
Reich' ich zum Abschied dir die Hand.
Kein Wort und keine Miene sage,
Was tief für dich mein Herz empfand.
Hinausziehn will ich in die Ferne
Und suchen, wo ein stilles Thal
Verschwiegen schauen läßt die Sterne
Herab auf meiner Liebe Qual.
Da will ich einsam ruhn und sinnen
Der Zeiten, da ich selig war,
Und wenn vom Aug' die Thränen rinnen,
Dich segnen, segnen immerdar ...
[604]Vergessen mag ich sein, verschollen,
Und wenn du strahlst im hellen Glück,
Ruf' nichts den ewig Kummervollen
In dein Gedächtniß dir zurück.
Ja, wenn ich niedersink' zu sterben,
Und Todesschweiß die Stirne thaut:
Nie wird für mich um Mitleid werben
Der Sterbeglocke trüber Laut.
Und nie erhältst du eine Kunde,
Wo man des Lebens müd' und matt
Den armen Dulder in dem Grunde
Des stillen Grabs versenket hat.
Ein Stillleben
In meiner Jugend schönen Tagen
Wie war mein Herz, mein Herz so voll,
So voll von Jauchzen, voll von Klagen,
Von Liebe, Lust und Leid und Groll!
Jetzt ist verrauscht das laute Wogen,
Mein Herz ist einsam, still und leer,
Schon lang' ist daraus fortgezogen
Der bunten Gäste wildes Heer.
Allein nur sitzt in bangem Sinnen
Erinn'rung drin, die alte Frau:
Sie nicket mit dem Kopf beim Spinnen
Und zieht den Faden nicht genau.
Sie lächelt manchmal vor sich nieder,
Und manchmal murmelt sie ein Wort,
Ein Reim ist's alter schöner Lieder,
Die Lieder, ach, sind alle fort!
Erschauernd sinket sie zusammen,
Ihr ist, sie weiß es selbst nicht wie,
Wo einst gebrannt die lichten Flammen,
Glimmt Asche jetzt der Poesie.
[605]Sie schürt sie mit der Ofenzange,
Sie gähnt und fröstelt und sie spricht:
Die Zeit ist um und mir wird bange,
Kommt mir die Ruhe denn noch nicht?
Aus dem Ursumpf
Überm Sumpf der frommen Frösche und der list'gen alten Kröten
Schwebt die düstre Nebelwolke und sie fangen an zu beten,
Schrein im Chor zu ihrem Gotte, daß zum Ursumpf wieder werde
Mit dem dicksten Urweltnebel rings die schaffensfrohe Erde.
Und es schütteln sich die moos'gen, altersschwachen Eichenbäume,
Ach, sie wollen schlafen, schlafen, träumen alte Ammenträume.
Aus dem trüben Weiher wehen alte, düstre Litaneien:
„Miserere, Miserere, mög' der Himnel uns verzeihen!“
„Mög' der Himmel uns verzeihen, daß wir Sonnenstrahlen tranken,
Daß wir lieber nicht voll Andacht in dem Röhricht untersanken!
Ach, die bösen Sonnenstrahlen ließen all' den Sumpf verschwinden,
Und der liebe Urweltsnebel ward entführt von kecken Winden.“
[606]„Aber Gloria in excelsis deo! In den Bergesschluchten
Hängt er noch gleich Kirchenfahnen, ein Entsetzen den Verfluchten,
Den Verfluchten, die am Nektar, dem verbotenen sich laben,
Kirchenräuberisch zum Tempel sich die Welt geschaffen haben.“
Miserere, Miserere! tönt es fort im Jammerchore,
Und der Ältste aller Frösche grimmig sitzt im alten Rohre.
Quakend ruft er, daß nur Christen, die im alten Sumpf verschlammt sind,
Und daß alle andern Leute Frevler, Heiden und verdammt sind.
Hagens Pürschgang
Herr Hagen kommt von der Jagd nach Haus,
Das Haar zerzaust, die Stirne kraus;
[607]Es dröhnt sein Schritt in der Halle schwer,
Hell klirrend fällt auf den Estrich die Wehr'.
Er schlägt auf den Tisch mit wuchtiger Faust
Und furchtbar seine Stimme erbraust:
„Rasch einen Humpen, von Glühwein voll,
Den größten von allen, — sonst macht's mich toll!
Im Weine vergess' ich vielleicht den Graus,
Im Rausche schlaf' ich mein Fieber aus!“
Die Diener hören's und fliegen dahin,
Des Recken wüstes Gebot zu vollziehn;
Und wie sie bringen den riesigen Krug,
Da leert er ihn gierig auf einen Zug.
Dann stützt er das Haupt in die schwielige Hand
Und spricht, den Blick ins Leere gebannt:
„Wie war das nur? Wie kam das nur?
Ich hatte eines Hirschen Spur:
Ein Sechzehnender! Ein prächtiges Stück!
Das ist gar selt'nes Waidmannsglück!
Und wie er jäh aus dem Dickicht brach,
Warf ich den Speer ihm blitzschnell nach.
Ich traf ihn gut! Fest saß das Geschoß,
Und bald auch Blut aus der Wunde floß!
Doch nicht gefällt noch war das Thier, —
Es hatte ein doppeltes Leben schier!
So flog's durch Gestrüpp, durch Wald und Flur, —
Ich rastlos nach der schweißigen Spur;
Und weiter und weiter in rasender Hast
Vom Taumel der tollsten Jagdlust erfaßt.
Doch endlich will mir der Odem vergehn
Und zu verschnaufen bleib' ich stehn. —
[608]Es war eine Wiese, mit Blumen bunt,
Umschlossen von alten Eichen im Rund;
Und seitwärts links an gar schattiger Stell',
Da sprudelte lockend ein silberner Quell!
Ich los und drauf, vom Durst geplagt,
Dem steten Gast bei heißer Jagd.
Doch wie ich mich beuge zum Wasser hinab,
Da tönt es empor wie aus schaurigem Grab:
'Herr Hagen! Herr Hagen! Bedenkt, was Ihr thut!
Trinkt nicht von der Quelle, —'s ist Blut! — 's ist Blut!'
Ich höre die Mahnung und blicke umher,
Ob nicht ein Schalk in der Nähe wär'?
Doch Niemand zu sehen! — Rings alles wie todt, —
Und silbern die Quelle; — Blut aber ist roth!
Da beug' ich mich zornig zum zweiten Mal,
Denn groß schon ist meines Durstes Qual.
Bevor ich aber die Lippe noch feucht',
Die Stimme wieder angstvoll keucht:
'Herr Hagen! Herr Hagen! Ich mein' Euch's gut!
Trinkt nicht von der Quelle, — 's ist Blut!— 's ist Blut!'
Da packt's mich wie Angst, — ich halte ein
Und stiere — mit Grausen ins Wasser hinein.
Das färbt sich roth, — so roth wie Blut,
Und blutig springt aus der Erde die Flut!
Nun sträubt sich mein Haar zu Berge schier,
Und fliehn will ich das gespenst'ge Revier.
Doch — fliehen ich? Das ist nicht mein Brauch:
'So sei's denn Blut! Ich trink' es auch!'
Ich ruf' es laut und beuge mich schnell
Noch einmal nieder zum purpurnen Quell.
[609]Da tönt es von unten wie Angstgekreisch:
,Herr Hagen! Herr Hagen! O thut, was ich heisch'!
Trinkt nicht von dem Blute, und flieht diesen Ort,
Denn hier geschah ein gräßlicher Mord!'
Und rings aus dem Walde heult es und gellt:
'Held Siegfried, Held Siegfried, hier ward er gefällt!'
Da reißt's mich auf wie mit eherner Faust,
Es flieht der Fuß den Ort, wo ihm graust,
Und fliegt so jach über blumigen Grund,
Hin zu der Eichen mächtigem Rund.
Doch wie ich nun dränge hinein in den Wald,
Gebieten mir starrende Äste ein Halt!
Wie Arme strecken sie drohend sich
Mit tauseud Fingern gegen mich.
Sie wollen mich greifen, — ich seh' es genau, —
Und Blut fließt rings, wie ich sie zerhau';
Und immer höher steigt wie ein Meer
Das Blut der Bäume um mich her. — —
Nun seh' ich vor mir mit Schauder und Qual
Des kläglichsten Todes gedoppelte Wahl:
Nach oben erstick' ich im wirren Geäst,
Das mich umklammernd würgt und preßt; —
Nach unten ertrink' ich in grausiger Flut, —
Und 's ist nicht einmal Feindesblut!
Da raff' ich mich auf zum letzten Kampf.
Dem Eber gleich im Todeskrampf —
Und strecke mich hoch, und ring' mich empor,
Und kappe die Äste, und dränge mich vor, —
Und sehe schon winken den grünenden Strand,
Der lockend dort auftaucht am Waldesrand:
[610]Da steiget die grausige Flut mir zum Mund,
Da drückt's mich von oben hinab auf den Grund, —
Da schwinden die Kräfte, es brechen die Knie',
Die Sinne vergehen, — ich weiß nicht wie? ...
... Und wie ich erwache, lieg' ich zur Seit'
Dem röchelnden Hirsche in blutigem Kleid,
Und röchle wohl selbst unter Alpesdruck,
Und weiß nicht, war's Traum, war's Koboldspuk?“
Herr Hagen spricht's und noch einmal
Ergreift er den dampfenden vollen Pokal.
Und stürzt ihn hinunter in gieriger Hast,
Und sinkt auf den harten Estrich zur Rast,
Im Weine vielleicht vergißt er den Graus,
Im Rausche schläft er sein Fieber aus! — —
Die Diener aber flüstern scheu
Von bösem Gewissen und nagender Reu' ...
Prometheus
Festgeschmiedet an den Felsen,
Müd' der tausendjähr'gen Qual,
Liegt in tiefem Schlaf Prometheus,
Der das Licht vom Himmel stahl.
Ja, Prometheus schläft! — Ein Lächeln
Spielt um den entschloss'nen Mund,
Und das gibt des Traumes Wonne
Den erstaunten Göttern kund; —
Fels und Fessel sind gebrochen,
Todt der nimmersatte Aar,
Und geheilt die tiefe Wunde,
Die geblutet tausend Jahr'!:
[611]„Endlich langersehnte Freiheit!
Götter! Ahnt ihr diese Lust?
Nein! Denn fremd ist euch der Wechsel, —
Ebb' und Flut der Menschenbrust!
Im Olympe thront ihr ewig. —
Ew'ger Tag und ewge Pracht, —
Doch das Licht ist fremd dem Auge,
Denn dies kennt ja nicht die — Nacht!
Ewig schwelgend im Genusse,
Des Genießens nie bewußt, —
Arme Götter! Wer euch böte
Ebb' und Flut der Menschenbrust!
Arme Götter! Lieber träumen
Von der Freiheit eine Nacht,
Als, stets frei, nicht einmal ahnen,
Wie die Freiheit selig macht!“ —
Also ruft im Traum Prometheus,
Götter fordernd, selbstbewußt; —
Horch! ... da klirrt's ... den Adler hungert: ...
— Ebb' und Flut der Menschenbrust!
Dithyrambe
Laß uns toll durch's Leben jagen
Nicht entbehren, nicht entsagen,
Nicht nur nippen
Mit den Lippen
Aus der Freude kargem Becher,
Nein, laß uns wie durst'ge Zecher
Schlürfen rasch in ganzen Zügen
Aus der Wonne vollen Krügen!
Nur dem Heute, nie dem Morgen
Gelte unser ganzes Sorgen!
Und der Wonnen,
Die verronnen,
[612]Hold Gedächtniß soll uns lehren,
Daß für unser Lustbegehren
Immer neue Blumen sprießen,
Immer neue Quellen fließen!
Laß uns niemals bang erwägen,
Daß im Maaß allein der Segen,
Nie durch denken
Uns beschränken,
Sondern in bacchant'schen Freuden
Uns're junge Kraft vergeuden,
Küssen, bis die Lippen bluten,
Untergehn in Liebesgluten!
So, in Meteorenweise,
Wollen uns're Flammengleise
Wir durch's Leben
Leuchtend weben,
Und der Tod mit seinen Schrecken
Soll uns keine Furcht erwecken:
Lustvereint im letzten Kusse
Winken wir ihm selbst zum Gruße!
Feuerlilien im Walde
Müde von des Tages Lärmen,
Steifen Zwangs und Brauches satt,
Sehnt' ich mich umherzuschwärmen,
Wo nur flüstert Blatt mit Blatt.
Freiaufathmend zu entrinnen
Dem Getrieb' der bunten Welt,
Floh ich mit betäubten Sinnen
Nach des Waldes Blätterzelt.
Sah, durch Feld und Auen schweifend,
Blüt' und Halm im Abendthau
Und in stolze Höhen greifend
Hochgebirg' am Ätherblau.
Ruhig schwebend zog der Geier
Seine Kreise über mir
Und es hob die Brust sich freier,
Stiller schlug das Herz in ihr.
Hier ist Alles klar und munter,
Nur der Freiheit Stimme ruft,
Und die Seele fliegt, ein bunter
Falter, selber durch die Luft!
Doch wie staunt' ich! — Hier, wo wild nur
Ungepflegt die Blume sprießt
Und der blaue Himmel mild nur
Sie erwärmt und sie begießt,
Wo, von keiner Hand gezogen,
Die nach ihrem Wunsch sie zwingt,
Frei der Hopfenranke Bogen,
Sich von Baum zu Baume schlingt,
[614]Wo in schneeigweißen Dolden
Die Hollunderbüsche blühn,
Sah ich leuchtend, hoch und golden,
Eine Feuerlilie glühn.
Stolzer Fremdling, laß dich fragen:
Ging's dir etwa so wie mir?
Bat'st den Windhauch, dich zu tragen
Auf dies stille Plätzchen hier?
Hat die Reue dich durchzittert,
Daß du, der Natur entflohn,
Standst, im Garten eingegittert,
Ihr und auch dir selbst zum Hohn?
Sieh! wir beide kehren wieder
Sehnsuchtsvoll zu ihr zurück,
Und in Segensstrahlen nieder
Strömt auf uns ihr stilles Glück.
Verbunden
Zwei der Stämme, zweierlei
Wuchs und Rinde, Blatt und Gipfel,
Doch verbunden sind die Zwei
Von der Wurzel bis zum Wipfel.
Um das dunkle Tannenreis
Legt die leichtgebognen Äste
Eine Birke silberweiß,
Leise zitternd in dem Weste.
Wie der Sturm die Bäume lenkt,
Weicht vom Andern dennoch Keiner
Unzertrennlich fest verschränkt,
Sind die Beiden nur mehr Einer.
Durch der Nadeln spitze Schaar
Ist das Birkenlaub gedrungen,
Halten wol seid manchem Jahr,
Wie mit Armen sich umschlungen!
[615]Und der Vogel, der sein Nest
Ihren Zweigen anvertrauet,
Weiß nicht, welchem das Geäst
Angehört, auf dem er bauet.
Ja so fest sind Schaft und Schaft
Ineinander eingedrechselt,
Daß herüber stets der Saft
Und hinüber wieder wechselt.
Krank zusammen und gesund, —
Ob die weiße Birke kranke,
Ob in ihres Wesens Grund
Krank die Tanne sei, die schlanke;
Eins beim heitern Morgenroth,
Eines auch in Sturmesnöthen
Und der Blitz der Einem droht,
Muß mit Einem beide tödten.
Und ich fühl' es fast wie Neid
Tief im Herzen mir erschauern:
Keiner wird in herbem Leid
Je den Andern überdauern!
Werden
Aus seines eignen Wesens drang
Entsprießt der Keim der Erde,
Ihn treibt des Lebens innrer Zwang,
Daß er zur Knospe werde.
Die Knospe hebt das stille Haupt,
Das sonnenangeglühte,
Und aus sich selber, reich belaubt,
Entfaltet sich die Blüte.
Der Vogel, der dem Neste kaum
Mit banger Furcht entflogen,
Hebt seine Schwingen durch den Raum
Und fliegt zum Himmelsbogen.
[616]Aus hartem Felsen ringt sich los
Mit wildem Drang die Quelle,
Und fort stürzt in des Meeres Schooß
Sich wachsend Well' auf Welle.
Und was da keimt und sproßt und webt
Im Himnmel und auf Erden,
Es wird, aus innerm Drang belebt,
Es wird, denn es muß werden!
Nur was das Menschenherz verschließt,
Das schleppt sich schwer und träge!
Du hemmst ja, Herz, was in dir sprießt,
Durch deine eig'nen Schläge.
Und nur allein dein Schicksal ist:
Durch Mühsal und Beschwerden,
Was du in deinem Wesen bist,
Mit Schmerzen erst zu werden!
Der Sieg des Lebens
Auf dunkeln Wassern unterm Nachtgezelt
Schwamm Noah's Schiff; gestorben war die Welt,
Am Steuer saß der Patriarch allein
Und starrte traurig in die Flut hinein.
[618]Es schäumten um den Kiel die trüben Wogen,
Die alles Lebende hinabgezogen.
In Noah's Brust entbrannte heil'ge Glut.
Er sprach: „Wozu ist dieses Leben gut?
Die Brüder all' verschlang das nasse Grab,
Weshalb steig' ich zu ihnen nicht hinab?
Es ekelt mich, allein zu überleben
Und über Leichen wie ein Gott zu schweben.
Ich bin ein Mensch. Ging unter mein Geschlecht,
So hab' auch ich ans Todtenreich ein Recht,
Was brauchen neue Sterbliche zu blühn
Und sich im Daseinskampfe zu bemühn?
Die Qual zukünft'ger Zeiten kann ich wenden,
Bevor sie noch begann, im Keim sie enden!“
Und rasch entschlossen fasset seine Hand
Das Beil und will zertrümmern schon die Wand,
Den Bretterbau, der einer Menschheit Rest
Behütet und der Flut nicht Zutritt läßt.
Vom ersten Schlag erdröhnen dumpf die Planken,
Es kracht der Kiel, das Schiff beginnt zu schwanken.
Da legt um Noah's Nacken sich ein Arm,
Weich, glänzend weiß und voll und lebenswarm,
Die Tochter ist ihm unbemerkt genaht;
Sie hemmt — und ahnt doch nichts — des Vaters That.
Er schaut sein Kind, den Wunderbau der Glieder,
Des Auges Strahl, — da sinkt die Waffe nieder.
Und fest an sich zieht er das Mädchen jetzt,
Streicht sanft ihr Haar, das feuchter Nachtthau netzt,
Horcht auf den Athem, der den Busen schwellt
Und murmelt leis': „Du rettest eine Welt.“
Das Kind blickt auf. Die großen Augen fragen.
Der Vater schweigt; im Osten sieht er's tagen.
[619]Das Vaterhaus
Umrankt von Rosen auf der Höhe steht
Mein Vaterhaus, hoch über'm breiten Strome;
Darüberhin der Westwind brausend weht
Und graue Wolken ziehn am Himmelsdome.
Weit über Wiesengrün und Wogenbraus
Und Hügelketten schweift der Blick hinaus
Und zieht mit Segeln, welche fröhlich schwellen,
In ferne Länder über blaue Wellen.
Als Knabe saß ich hier und sah sie ziehn,
Die stolzen Schiffe mit den schlanken Masten,
Und mich umwallten bunte Phantasien,
Die wunderbar die junge Seele faßten:
Ein Sehnen wogte wild in meiner Brust,
Und heiß und heißer regte sich die Lust,
Der trauten Heimatstille zu entfliehen
Und mit in alle Welt hinauszuziehen.
Heut' sitz' ich wieder vor dem Vaterhaus
Und schau' hinab, wie damals auf die Elbe;
Dieselben Schiffe ziehn im Wellenbraus,
Doch mein Empfinden ist nicht mehr dasselbe;
Ich war ja draußen, wie mein Herz begehrt —
Und wandermüde bin ich heimgekehrt;
Ich sah die Pracht in all den fernen Reichen —
Und liebe doppelt nun die deutschen Eichen!
[624]Im Louvre
Paris 1869
Welch Heiligthum! die Götter aller Sonnen
Und aller Zeiten unter einem Dach:
Murillo's, Rubens', Rafaels Madonnen
Mit den antiken Göttinnen der Wonnen
Vereinigt in demselben Prunkgemach.
O welche Fülle herrlicher Gestalten
In diesem Saale, hellsten Marmors voll,
Wie göttlich hebt aus des Gewandes Falten
Die schönste Venus sich, die uns erhalten!
Und hier! wie fein! Sauroktono's Apoll!
Doch hier! welch buntes Licht in diesem Saale
Nimmt dämmerhell gefangen meinen Sinn!
Die Wunder Christi auf dem Hochzeitsmahle,
Die Jungfrau, schwebend auf dem Himmelsstrahle!
Und die gepries'ne „schöne Gärtnerin!“
O seht, (die Pfaffen sehn's mit bangem Staunen)
Was hier des Zufalls Ironie erfand!
Hier hängten spöttisch feine Schicksalslaunen
Den jungen Jupiter bei seinem Faunen
Mit einem Christkind an dieselbe Wand!
Ihr Heil'genbilder auf dem bunten Linnen,
Schaut auf die Heidengötter nicht so stolz!
Sie hatten Priester auch und Priesterinnen,
Und Ströme Christenblutes mußten rinnen,
Bis ihre Welt in frommer Demuth schmolz.
Und dann kam eure Welt, ihr Recht zu fodern,
Und furchtbar übte sie das Rächeramt:
Die Schwerter pfeifen, Scheiterhaufen lodern,
Und in den feuchten Kerkergruften modern
Die Opfer, die ihr ungehört verdammt.
[625]Die Wahrheit wechselt, mildre Zeiten kommen,
Es kommt ein menschlich-denkendes Geschlecht:
Den Christen-Frommen wie den Heiden-Frommen
Ist nun ihr Feuer und ihr Schwert genommen,
Die Freiheit der Gewissen wird zum Recht.
Die Wahrheit wechselt. In demselben Falle
Gefallen nun ist macher Götter Heer;
Hier stehn die Götter aller Zeiten alle
Beisammen friedlich in derselben Halle
Und haben keine Donnerkeile mehr.
Doch Eins, ihr Bilder, Eins ist euch geblieben:
Die reine Menschenschönheit, die euch schmückt,
Dieselbe Schönheit, nur ein andres Lieben,
Ist diesem Heilgenantlitz eingeschrieben
Und dieser Venusstirne aufgedrückt.
Die Wahrheit wechselt. Aber unvergänglich
Und ewig bricht die Schönheit durch die Nacht.
Und tausend Pilger, für das Licht empfänglich,
Verehren hier und fühlen überschwänglich
Die frommen Freuden ihrer heil'gen Macht!
Die Fahne der Einundsechziger
Vor Dijon war's; — doch eh' ich's euch erzähle,
Knüpf' Einer doch die Binde mir zurecht,
Mich schmerzt der Arm, sie sitzt wol schlecht;
So! — so! — nun euer Herz sich stähle:
Vor Dijon war's; die Pässe der Vogesen
Bedrohte Garibaldi's bunte Schaar,
Bourbaki kam von der Loire,
Das hart bedrängte Belfort zu erlösen.
[626]Gefahr war im Verzug; drei bange Tage
Hielt Werder gegen Übermacht schon Stand
Bei Mömpelgard, und in der Hand
Des Kriegsgotts schwankte schier die Waage.
Wir Pommern hatten vor Paris gelegen
Und waren schon im Marsch, das zweite Corps
Und auch das siebente ging vor
Von Orleans auf hartgefrornen Wegen.
In Dijon wußten wir den alten Recken
Und griffen ihn, zwei Regimenter, an
Mit seinen fünfzigtausend Mann,
Den Flankenmarsch der Corps zu decken.
Der Alte von Caprera ließ sich blenden,
Hielt die Brigade für die ganze Macht,
Und Nachmittags begann die Schlacht,
Die ach! für uns so taurig sollte enden.
Die Einundzwanz'ger auf dem rechten Flügel
Des ersten Treffens hatten schwer Gefecht,
Wir also vor! und grade recht,
Mit Hurrah! nahmen wir die Hügel;
Dem Feinde auf der Ferse ging's verwegen
Bis in die Vorstadt Dijons jetzt hinein,
Hier aber aus der Häuser Reih'n
Kam mörderisches Feuer uns entgegen.
Im Steinbruch, mit dem Bajonett genommen,
Da fanden wir vor eines Ausfalls Wucht,
Zum Sammeln durch die steile Schlucht
Gedeckt, nothdürftig Unterkommen.
Doch die Fabrik dort in der rechten Flanke
Wie eine Festung auf uns Feuer spie,
„Vorwärts! die fünfte Compagnie
Zum Sturm auf die Fabrik, und Keiner wanke!“
Der Tambour schlägt, es geht wie zur Parade,
Die Fahne fliegt uns hoch und stolz voran,
Doch klopft das Herz manch treuem Mann
Beim raschen Schritt auf diesem Pfade.
[627]Wie Salven rollt und pfeift es in die Glieder,
Es ras't der Schnitter Tod und fällt und mäht,
Und wie er seine Reihen sät,
Da sinkt die Fahne und ihr Träger nieder.
Aus dem Gedräng' ein Offizier sie rettet,
„Mir nach!“ so ruft er und stürmt kühn voraus,
Doch aus dem unglücksel'gen Haus
Grüßt ihn der Tod, der eilig bettet.
Selbst blutend springt der Adjutant vom Pferde,
Erfaßt die Fahne, schwingt sie hoch empor, —
Da deckt sein Auge dunkler Flor,
Und sterbend küßt sein bleicher Mund die Erde.
Was fällt, das fällt! vorwärts! durch Tod und Flammen!
Zwei brave Musketiere greifen zu,
Der Eine stürzt: „Versuch' es du!“
Doch auch der Andre bricht zusammen.
Nun fällt der Führer auch, wir müssen weichen,
Ein Häuflein war der Rest, vom Feind umringt,
Das schlägt sich durch, und es gelingt,
Den Steinbruch endlich wieder zu erreichen.
Da dachte keiner seiner eignen Wunde,
Wer jetzt noch aufrecht stand in Nacht und Graus,
„Die Fahne fehlt! holt sie heraus!“
So scholl es laut von Mund zu Munde.
Ein Halbzug wird zum Suchen ausgesendet
Und — kommt nicht wieder, alle blieben todt,
Uns bebt das Herz, Allmächt'ger Gott!
Hast du dich zürnend gegen uns gewendet?
„Freiwill'ge vor!“ — Da blieb nicht Einer stehen,
Der noch sein heiß Gewehr in Händen hielt,
Und sechs, die um das Loos gespielt,
Sehn in die Nacht hinaus wir gehen. —
Zurück, vom Feind verfolgt, ein Einz'ger kehrte,
Der blutete, verhüllte sein Gesicht
Und schwieg, — die Fahne bracht' er nicht,
Und Keiner, Keiner seinen Thränen wehrte. —
[628]Am andern Tag, so ließ Ricciotti melden,
Fand man die Fahne fest in starrer Hand,
Zerfetzt, zerschossen, halb verbrannt
Und unter Haufen todter Helden. — —
Wenn wir nun ohne Fahne wiederkommen,
Ihr Brüder allesammt, gebt uns Pardon!
Verloren haben wir sie schon,
Doch keinem Lebenden ward sie genommen.
Wilhelm Tell
„Sprich, Vater, warum wir die dunkle Nacht
Im Walde, tief in den Tannen durchwacht?“
„Mein Kind, wer sich rüstet zu guter Jagd,
Muß zu Holze ziehn, bevor es tagt.“
„Dort, Vater, ein Reh aus dem Busche bricht!
Du siehst es, und du erlegst es nicht?“
„Ein Reh ist eine geringe Beut';
Wol edler Wild erjag' ich heut!“
„Dort stürzt aus dem Dickicht der Hirsch in Hast; —
Vater, frisch deinen Pfeil gefaßt!“
„Laß ziehen den Hirsch, ihm geschieht kein Leid;
Wol edler Wild erjag' ich heut'!“
„Mein Vater, ob unserm Haupte schwer
Zieht drohend ein Gewitter her! —
Mir wird so bang — laß heim uns gehn!“
„Mein Sohn, lern' im Gewitter stehn!“
„Sieh dort, herjagend auf stolzem Roß,
Den Landvogt reiten, noch fern sein Troß!“
„Still, Knab'! so Gott dir helfen mag! —
Landvogt, dies war dein letzter Tag!“
[629]„Um Gott, mein Vater! was hast du gethan?
Du hast erschlagen den vornehmen Mann!“
„Wer ein Mann ist, vertheidigt sein gutes Recht,
Der Feige nur ist der Tyrannen Knecht!“
Die nächtliche Heerschau
Nachts um die zwölfte Stunde
Verläßt der Tambour sein Grab,
Macht mit der Trommel die Runde,
Geht emsig auf und ab.
Mit seinen entfleischten Armen
Rührt er die Schlägel zugleich,
Schlägt manchen guten Wirbel,
Reveill' und Zapfenstreich.
Die Trommel klinget seltsam,
Hat gar einen starken Ton;
Die alten todten Soldaten
Erwachen im Grabe davon.
Und die im tiefen Norden
Erstarrt in Schnee und Eis,
Und die in Welschland liegen,
Wo ihnen die Erde zu heiß,
Und die der Nilschlamm decket,
Und der arabische Sand,
Sie steigen aus ihren Gräbern,
Und nehmen's Gewehr zur Hand. —
Und um die zwölfte Stunde
Verläßt der Trompeter sein Grab,
Und schmettert in die Trompete,
Und reitet auf und ab.
Da kommen auf luftigen Pferden
Die todten Reiter herbei,
Die blutigen alten Schwadronen
In Waffen mancherlei.
[630]Es grinsen die weißen Schädel
Wol unter dem Helm hervor,
Es halten die Knochenhände
Die langen Schwerter empor. —
Und um die zwölfte Stunde
Verläßt der Feldherr sein Grab,
Kommt langsam hergeritten,
Umgeben von seinem Stab.
Er trägt ein kleines Hütchen,
Er trägt ein einfach Kleid,
Und einen kleinen Degen
Trägt er an seiner Seit'.
Der Mond mit gelbem Lichte
Erhellt den weiten Plan,
Der Mann im kleinen Hütchen
Sieht sich die Truppen an.
Die Reihen präsentiren
Und schultern das Gewehr,
Dann zieht mit klingendem Spiele
Vorüber das ganze Heer.
Die Marschäll' und Generäle
Schließen um ihn einen Kreis;
Der Feldherr sagt dem Nächsten
In's Ohr ein Wörtlein leis.
Das Wort geht in die Runde,
Klingt wieder fern und nah:
„Frankreich!“ ist die Parole,
Die Losung: „Sanct Helena!“
Das ist die große Parade
Im elisäischen Feld,
Die um die zwölte Stunde
Der todte Cäsar hält.
[631]Waldfrieden
Mich lockt der Wald mit grünen Zweigen
Aus dumpfer Stadt und trüber Luft;
Er lockt mit seiner Sänger Reigen,
Mit seinem feierlichen Schweigen
Und seiner Blüten mildem Duft.
Es wölbt sich stolz der Buchen Krone,
Und über Kiesel rollt der Bach;
Die Drossel pfeift auf grauem Throne,
Es spielt der Wind mit Orgeltone
Im dichtverschlung'nen Blätterdach.
Und welch ein Reichthum in den Weisen,
Die in dem kühlen Waldeszelt
Bald in Accorden, milden, leisen,
Und dann in vollern mächtig preisen
Die reiche, wunderbare Welt!
Am fernen Abhang stehn die Föhren,
Dort ruht der Hirsch im kühlen Tann;
Sie stimmen auch in vollen Chören,
Um nicht die Harmonie zu stören,
Ein feierliches Loblied an.
Es fliegt ein Falke durch's Gehege,
Mit lautem und mit heiserm Schrei;
Den starken Fittig schlägt er träge,
Hoch über ihm zieht seiner Wege
Ein stolzer königlicher Weih'.
Und Stille, wie in Kirchenhallen,
Senkt sich auf Waldung, Thal und Flur;
Des Abends dunkle Schleier fallen,
Im trauten Zwielicht hörst du schallen
Den lauten Ruf des Uhu's nur.
[632]Dann steigt der Mond mit gold'nem Scheine
Am blauen Himmelsdom empor,
Und streut sein Gold rings auf die Haine,
Auf Feld und Flur, auf grüne Raine
Und auf das düstre, stille Moor.
Die Ruhe, die das All' umschlungen,
Zieht auch in deine Seele ein;
Der inn're Zwiespalt ist verklungen,
Du hast den Frieden dir errungen,
Des Herzens Saiten tönen rein.
Auf dem Castrum von Pfünz bei Eichstätt
Wo der Wacheschritt des Veteranen
Einst auf rauhem Stein verhallte,
Wo den stolzen Glanz der Römerfahnen
Wild die deutsche Lust umwallte,
Wo der Altmühl träge Fluten
Spielten mit dem düstern Schein,
Den das Licht der Lagergluten
In den Schooß ihr warf hinein!
Hier im alten Mauerringe,
Wo der römische Präfect
Seines Adlers goldne Schwinge
So zu Schutz wie Kampf geweckt.
Wo die Spuren trotzger Quadermauer
Unter Gras und Ginster liegen,
Lenkt die Pflugschar jetzt der Ackerbauer
Und es weiden einsam Ziegen;
Wo die Tuba schmetternd weckte
Ehedem die Lagerreihn,
Bläst der in das Moos gestreckte
Hirte klagende Schalmein.
[633]Zittergras und Herbstzeitlosen
Blühn um einen Weihestein,
Und ein Kranz von wilden Rosen
Rahmt der Inschrift Zeichen ein.
Sinnend lehn' ich mich an eine Föhre,
Schaue trüben Blicks zu Thale,
Wo der Rabenvögel dunkle Chöre
Kreischend ziehn im Abendstrahle;
Und es faßt mich jener Schauer
Irdischer Vergänglichkeit:
Über Schanze, Wall und Mauer
Hört mein Ohr den Schritt der Zeit ...
Von Jedem, der dir durch das Leben schritt —
Von Jedem, der dir durch das Leben schritt,
Bleibt eine Spur in deiner Seele hangen;
So bringst du am Gewand ein Stäubchen mit
Von jedem Wege, den du bist gegangen.
Die eine Spur ist warme Sonnenpracht,
Die and're glänzend kalt, wie Nordlichtsflammen,
Noch eine düster, wie Gewitternacht,
Wenn du auch längst vergaßt, woher sie stammen.
Da ist kein Ton, der ganz und gar entschwebt,
Zu seiner Zeit wird er durch's Herz dir klingen,
So wie das Staubatom sich wieder hebt,
Wenn Sonnenstrahlen dein Gemach durchdringen.
So hüte dich, daß jemals deine Hand,
Dein Wort dir möge schlimmen Dienst verrichten,
Es könnte sein, ein Pfeil von dir entsandt,
Kehrt' lang nachher zurück, dich zu vernichten.
Laß lichte Spur dir folgen, wie dem Schwan,
Streu' edles Korn auf allen deinen Wegen:
Kommst später du auf selber Stelle an,
So lachen gold'ne Saaten dir entgegen.
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