In der deutschen Kunstausstellung zu München
September 1858
[8]Wer nicht an Deutschland will verzagen,
Der trete ein in diesen Saal,
Verstummen müssen seine Klagen,
Im Auge glänzt ein Hoffnungsstrahl:
Wo solche Kräfte sprudelnd quellen,
Da ist kein Siechthum, ist kein Tod;
Mit tausend frischen Lebenswellen
Begrüßt ihn rings ein Morgenroth.
Auf! Labe dich am Hochgefühle,
Daß unser Volk ein großes sei;
Und ward dir draußen eng und schwüle,
Hier athme leicht, hier athme frei!
[9]Nicht abwärts führen solche Bahnen,
Des Schaffens Born ist nicht versiegt;
Er läßt uns eine Zukunft ahnen,
Die groß und herrlich vor uns liegt.
Blick' hin! Du kennst den theuern Namen,
Es reiht sich leuchtend Stern an Stern;
Sie streuten einst den goldnen Samen,
Zu ihren Werken kehrst du gern;
Vom Schein ins Wesen sich zu retten,
Durchbrachen sie verjährten Zwang;
Gelöst durch sie von ihren Ketten,
Begann die Kunst den Siegesgang.
Hier spricht die Macht der innern Wahrheit,
Sie hält, wenn vieles sank, noch Stand;
Sie wirkt mit ungetrübter Klarheit
Auch da, wo irre ging die Hand;
Sie labt dich wie ein Maienregen,
Sie weht dich an wie Bergesluft;
Du hörst auf kühnbetretnen Wegen
Der Führer Stimme, die dich ruft.
[10]Und weiter nach dem ersten Ringen
Verfolgst du jetzt der Künste Bahn,
Du siehst sie rastlos vorwärts dringen,
Viel ward gestaltet und gethan;
Dies ist die echte Kraft des Lebens,
Daß neues Leben ihm entquillt
Und mit dem Drang des gleichen Strebens
Den spätgebornen Enkel füllt.
Und siehst du den und jenen schwanken,
Der Menge Beifall zugekehrt,
Die unempfindlich dem Gedanken
Gemeine Wirklichkeit begehrt,
Nimmt der und jener falsch die Richte,
Du beuge nimmer doch den Muth;
Nichts geht im Haushalt der Geschichte
Verloren, was ein dauernd Gut.
Drum sei getrost! Nicht darf dir bangen,
Siehst du im Streit Geist und Natur;
Vom selben Ursprung ausgegangen,
Nie lassen sie von seiner Spur;
[11]Sinkt auch die eine Schale nieder,
Bald ist's die andre, die ihr gleicht;
Das Ebenmaß, es kehret wieder,
Das der Vollendung Palme reicht.
Ja selbst die Krittler, jene kleinen,
Die in den Staub das Große ziehn,
Sie mögen schmähen und verneinen,
Ihr Wort wird hin im Winde fliehn;
Du aber freue dich des Schönen,
Dein Vaterland bekenne laut,
Und danke seinen edlen Söhnen,
Die solch ein Denkmal ihm gebaut!
Husarenlied
[12]So prächtig loht auf der Haide die Glut,
Verklärt die Gewaffen mit ihrem Strahle,
Es lagern die Reiter wohlgemuth
Um dampfende Kessel beim Abendmahle:
„Hei! schönes, erbeutetes Öchselein,
Nun bist du hinüber, wir segnen dich ein,
Nun fährt zur Grube dein Fleisch und Bein,
Teremtette!
Wonnig, wonnig ist der Schmaus,
Wahr das ruhmgekrönte Wort:
— Von den Vätern stammt es ab,
Und der Enkel pflanzt es fort —
[13]Wahr bei jedem Bissen Brot,
Wahr im Glück und in der Noth:
Extra Hungariam non est vita,
Et si est vita, non est ita!“
„Ein Wörtchen mit dir, geliebtes Faß!
Du sprichst ja so klug wie die sieben Weisen.
O schöpft, ihr Brüder, das goldene Naß,
O laßt uns die Rebe von Menes preisen!
Ihr Leib ist vom heiligen Geist geweiht,
Die Frucht des Leibes gebenedeit
In aller, in aller Ewigkeit.
Teremtette!
Wonnig, wonnig ist der Trank,
Wahr das ruhmgekrönte Wort:
— Von den Vätern geht es aus,
Mit den Enkeln geht es fort —
Wahr bei jedem Tropfen Wein,
Bruder, den du schlürfest ein:
Extra Hungariam non est vita,
Et si est vita, non est ita!“
[14]„Schön, Marketenderin, schön bist du!
Bist roth und weiß wie die Apfelblüte.
Ein Küßchen! Wir drücken die Augen zu,
Und flehen, daß gnädig uns Gott behüte!
Kein Kuß ist so duftig, so süß und lind,
Und keiner auf Erden berauscht so geschwind —
O küsse nur, feuriges Ungarkind!
Teremtette!
Wonnig, wonnig ist das Weib,
Wahr das ruhmgekrönte Wort:
— Von den Vätern kommt es her,
In den Enkeln lebt es fort —
Wahr bei jedem Herzensschlag,
Wahr bis an den jüngsten Tag:
Extra Hungariam non est vita,
Et si est vita, non est ita!“
„Du Brauner, in unsern Kreis herein;
Frisch! Klänge der Heimat, wundertönig!
Ei, erbtest du nicht dein Geigelein
Von Bihary, dem Zigeunerkönig?
[15]Und horcht, ihr Brüder, das reizt und rührt,
Das herrscht und bittet, das löscht und schürt —
Ein Leu, an seidenem Band geführt —
Teremtette!
Wonnig, wonnig ist das Lied,
Wahr das ruhmgekrönte Wort:
— Von den Väter stammt es ab,
Und der Enkel pflanzt es fort —
Wahr bei jedem Bogenstrich,
Ob er bang, ob freudiglich:
Extra Hungariam non est vita,
Et si est vita, non est ita!“
„Du gabst uns soviel, du bestes Land,
Nun gönnt uns ein Gott die Seligkeiten,
O Mutter! mit voller, mit schneller Hand
Dir beizustehen, in schweren Zeiten.
Was groß, hat der Feinde groß und klein,
Wir setzen für dich das Leben ein,
Nimm unser Blut, nimm unser Gebein' —
Teremtette!
Wonnig, wonnig ist der Tod
Für das theure Vaterland:
[16]Aus den Gräbern strecken wir
Schwörend auf die weiße Hand —
Wahr ist unser stolzes Wort,
Enkel, sprich es fort und fort:
Extra Hungarium non est vita,
Et si est vita, non est ita!“
Der Rautenkranz
[30]Umwölbt von grünen Hallen,
Im duftigen Bosket,
Hielt unter den Vasallen
Der Kaiser das Banket.
Kernvolle Sprüche flossen
Begeisternd wie der Wein;
Der Reichstag war geschlossen
Zu Würzburg an dem Main.
Wie Flagg' an Flagg' im Hafen
Ein Siegerschiff umweht,
Umreihten Herr'n und Grafen
Des Rothbarts Majestät.
[31]Vertauscht ward Erz und Leder
Mit Seid' und goldnem Glanz,
Es ziert statt Helm und Feder
Ihr Haupt ein leichter Kranz.
Dem Kreis der hohen Ritter
Blieb nur der Welfe fern,
Der Leuchtthurm im Gewitter,
Braunschweigs gewalt'ger Stern.
Zu bändigen sein Wachsen
Hat kaiserliche Macht
Heinrich den Leu'n von Sachsen
Erklärt in Reichesacht.
Es blickte scheu indessen
Das weiße Roß umher;
Das einst der Leu besessen
Erfaßte gern der Bär!
Was Anhalts Graf ersehnte,
Heut' krönt es seinen Ruhm,
Da Friedrich ihn belehnte
Mit Sachsens Herzogthum.
[32]Im Schatten der Kastanien
Kann nun des Mahls sich freun
Der Bernhard von Askanien,
Der Erbe von dem Leu'n!
Doch theilt er nicht das Scherzen,
Er sitzt gedankenschwer,
Als hätt' er auf dem Herzen
Ein Wünschlein oder mehr.
Der Kaiser ruft von drüben
Ihm endlich lachend zu:
„Was will Euch just betrüben,
Herzog, wo drückt der Schuh?“
Der schweigt, und von den Zweigen
Nimmt seinen Schild er dann,
Sich nahend ihm mit Neigen,
Spricht er den Kaiser an:
„Du gabst mir, Herr, voll Gnaden
Der Sachsen Herzogshut,
Nun mach' auch noch den Schaden
In meinem Wappen gut;
[33]Ein Roß und viele Knappen,
Viel Brüder und ein Schild,
Gieb, Herr, ein neues Wappen
Dem neuen Stamm als Bild!“
Der Kaiser, der, voll Schwüle
Von manchem derben Zug,
Ein Kränzlein frisch und kühle
Um seine Schläfe trug,
Nahm's rasch von seinen Locken
Und warf es gnädigmild
Dem Herzog, süß erschrocken,
Quer übers Eisenschild:
„Getrost! Will nicht mehr klappen
Des weißen Rosses Huf?
Der sorgt auch für ein Wappen,
Der dich zum Herzog schuf.
Dein Stamm mag blühn und wachsen
In immergrünem Glanz:
Im Schilde trag' von Sachsen
Des Kaisers Rautenkranz.“
Der Tag von Hemmingstedt
Das ist der Tag von Hemmingstedt,
Wo Siebentausend abgemäht!
Schläft Ditmar's Vater unter'm Sand,
Ist Ditmar's Sohn noch bei der Hand.
[67]Und über Johann von Dänemark kam seine finstere Stunde,
Er murmelt: „Es brennt im Herzen mir die alte Ditmarsen-Wunde! —
Beim Himmel, es soll nicht Messer, nicht Scheer mir Bart noch Haupthaar stutzen,
Bis daß ich wieder ins Joch gebeugt dies bauernstolze Trutzen.“
[68]Und Boten sendet er in die Marsch, die künden allerwegen:
„Drei Schlösser will unser König und Herr in eure Lande legen,
Nach Maeldorf eins, an den Elbstrom eins und das dritt' an die Lundener Fähre“;
Es brachte da Zornes viel ins Land die königliche Märe.
Und von den Bauern Wolf Isebrand, der sprach: „Er mag nur kommen!
Wir haben aus keines Königs Hand dies Land zu Lehn genommen;
Wir sind zudem vom Aufrechtgehn versteift in unsern Hälsen,
Und wer seine Schlösser auf Marschland baut, der baut sie nicht auf Felsen.“
„Dies Land ist unser! Wir haben's im Kampf der Sturmflut abgerungen, —
Wir bangen vor keines Königs Zorn, wir, die wir das Meer bezwungen;
[69]Unser altes Recht, unser alter Muth, — so werden wir nicht zu Schanden;
Noch lebt der Gott, der bei Bornhövd an unserer Seite gestanden!“
Da gingen die Boten. Bei Rendsburg war's, wo sie den König trafen,
Der lagerte da, drei Nächte schon, sammt seinen Fürsten und Grafen;
Es stieß dazu viel kriegerisch Volk von Jütland und von Fühnen,
All' wollten sie brechen den Bauernstolz, und die Schmach des Königs sühnen.
Von Deutschland auch viel edele Herr'n nieder ins Lager kamen:
Zwei junge Grafen von Oldenburg, Adolph und Otto mit Namen,
Manch altes Geschlecht von Holstein auch um den Danebrog sich scharte,
Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn Wackerbarte.
[70]Und Söldner auch; — Gesindel war's aus Rheinland, Franken und Sachsen,
All' hatten sich längst, durch Mord und Brand, in die Schlinge hineingewachsen,
„Die sächsische Garde“ hieß man sie, wol auch „die schwarze Bande“,
Verheerend wie der schwarze Tod zogen sie durch die Lande.
Ihr Führer aber war Junker Slenz, der maß sechs rheinische Schuhe,
Heut' brach er am Wege die Schlösser ab, und morgen an der Truhe,
In Flechten hing sein flachsenes Haar wie Stricke herab zum Würgen,
Er hatte zwei Feuerräder im Kopf und hieß — der lange Jürgen.
Und Jürgen Slenz, an der Seite Johann's, vorauf die gepanzerten Glieder,
So führte er heut', unter schmetterndem Klang, das Heer in die Marsch hernieder,
[71]Zwölftausend sind's; schon dringen sie vor auf dem schlammig-schlüpfrigen Damme;
Um Hülfe schreit in die Nacht hinein brennender Dörfer Flamme.
Die Bauern aber, kaum tausend Mann, zogen sich rasch zurücke,
Bis daß sie kamen um Mitternacht an die Hemmingstedter Brücke;
Sie fanden da Wall und Graben noch aus der Zeit der alten Sassen,
Und es sprach Wolf Isebrand: „Hier sei's, hier wollen wir auf sie passen!“
Man hielt. Nur einer murmelte barsch: „Das mög' unser Heiland nicht wollen,
Wir sind am Tausendteufelswall, wo die Moorelfen tanzen und tollen
Mit den Flammenbüscheln, dem Irrlichtvolk, es haust hier unter dem Rasen,
Und bei Vollmond kommt das Feuerpferd, um die Büschel wegzugrasen.“
[72]Da stutzten die Andern; Wolf aber rief: „Was Spuk von Irrlichtelfen!
Wenn droben der Himmel mit uns ist, muß auch die Hölle helfen.
Die Nacht ist schwarz, wir brauchen Licht, laßt's nur da unten flimmern,
Wir wollen ein christlich Bollwerk hier trotzdem zusammenzimmern.“
Da griffen sie freudig nach Spaten und Axt, vorbei war Murren und Stutzen,
Sie schleppten das Brückengebälk herbei, als Pfahlwerk es zu nutzen;
Sie füllten und stopften mit Moor und Schlamm des alten Erdwalls Lücken,
Und warfen zuletzt ihm Rasen und Sand drei Fuß hoch auf den Rücken.
So kam der Tag, und mit ihm kam goldblinkend die sächsische Garde;
Hell spiegelte sich der Morgenstrahl auf Harnisch und Hellebarde, —
[73]Die trotzige Schar, rasch rückte sie vor, gegliedert und dicht geschlossen,
Nicht kümmerte sie der Hagelgruß von Steinen und Wurfgeschossen.
Jetzt war sie heran, zwischen ihr und dem Wall war nur noch des Grabens Quere,
Da schnürten die Vordersten schnell in eins je zwölf ihrer kantigen Speere,
Sie warfen wie Balken querüber dann die Bündel aus Speer und Lanze,
Und über die fliegende Brücke hinweg wollten sie gegen die Schanze.
Umsonst; man stieß sie rücklings hinab, — es fehlte das Brückengelände, —
Da nahmen die Folgenden, springstockgleich, ihren Speerschaft in die Hände,
Sie setzten ihn auf, und war es misglückt, im Sturmschritt vorzudringen,
So sollte nun Sprung- und Hebelkraft im Flug sie hinüberschwingen.
[74]Umsonst auch das, sie sprangen zu kurz; wer dennoch das Ufer erklettert,
Der ward, unter wildem Rachegeschrei, von den Bauern zu Boden geschmettert;
Dumpf dröhnte die Axt — bis plötzlich jetzt die Freudenrufe verklangen,
In das bange Gemurmel starben sie hin: „Hilf Gott, wir sind umgangen!“
So war's; heran im Rücken schon wogte der Feinde Gewimmel, —
Da trat eine Bauernjungfrau vor, die hob ihre Hand gen Himmel,
Zur Mutter Gottes rief sie aus: „O leih' uns Sieg zum Streite,
Und ewige Keuschheit gelob' ich dir, Maria Gebenedeite!“
Und sieh, als wäre die Heilige selbst mildlächelnd ihr erschienen,
Wie Siegesbürgschaft sprach es jetzt aus ihren leuchtenden Mienen,
[75]Sie rief: „Mir nach!“ Und flatternden Haars voran mit dem Christusbilde,
Jauchzte sie jetzt in den Feind hinein: „Hilf, Maria, du Milde!“
Die Bauern ihr nach, bunt angethan mit allerlei Waffen und Wehren;
Manch alter vergessener Morgenstern bracht' es da wieder zu Ehren;
Die Schwerter und Äxte des Tags von Bornhövd, seit lange von Rost ergriffen,
Heut' wurden an Feindes Panzer und Helm sie wieder blank geschliffen.
Lang' stund der Kampf; doch mehr und mehr anwuchs die Woge der Dränger,
Da trat Gott selbst für den Schwachen ein, und rief: „Ich will es nicht länger!“
Und er schickte die Flut, die stieg am Strand, bis hoch an die Schleusenpforte,
Und rüttelte dran und rief: „Macht auf, da drinnen bin ich am Orte!“
[76]Die Wächter am Strande zögerten noch, da sieh, unter Schäumen und Krachen
— Die Hülfe Gottes kam mit Gewalt! — wurde die Schleuse zerbrochen,
Schon über die Felder von Hemmingstedt brauste die Woge, die wilde,
Und die Bauern jubelten, wie zum Sieg: „Hilf, Maria, du Milde!“
Sie nahmen jetzt wieder festen Stand hinter'm Tausendteufelswalle,
Da waren sie sicher vor der Flut und behielten den Feind in der Falle;
Der wandte sich rechts, der wandte sich links, doch der Tod war immer zur Stelle,
Den einen faßte die Marsenfaust, den andern faßte die Welle.
Nur Jürgen Slenz, der ritt an den Wall, als wäre noch nichts verloren,
Einstieß er tief, zum Sprunge bergan, seinem friesischen Hengste die Sporen:
[77]Jetzt war er hinauf, — er schaute sich um, wie wol in besseren Tagen,
Und rief: „Wer ein Herz im Leibe hat, der mag es mit mir wagen!“
Das hörte der Reimer von Wimerstedt, der hatte da Lust zum Streite,
Er sprang heran, und schlug mit der Axt den Speer des Junkers zur Seite,
Er holte dann aus, einen vollen Hieb auf die stählerne Brust zu führen,
Und — fest im Panzer stak die Axt, thät sich nicht rücken, nicht rühren.
Der Hieb war gut; doch unversehrt waren des Jürgen Glieder,
Da riß der Reimer und wuchtete traun am Axtstiel ihn hernieder,
Er trat ihm dann, fünf Finger breit, das Eisen zwischen die Rippen —
Es kam kein Laut, kein Seufzer mehr über des Junkers Lippen.
[78]Das war das Ende von Jürgen Slenz; mit ihm zu Tode kamen
— Die Knechte und Söldner ungezählt — viel hundert tapfere Namen,
Zumal auch was von Holstein her um den Danebrog sich scharte:
Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn Wackerbarte.
Der König aber floh zu Schiff bis in seine Stadt am Sunde,
Er trug zu der alten Narbe heim eine neue brennende Wunde,
Die neue Wunde, — bis in den Tod wollt' ihm die nie verharschen; —
Das war der Tag von Hemmingstedt, der Brauttag von Ditmarschen.
Nach Johanna Kinkel's Begräbniss
20. November 1858
[88]Zur Winterzeit in Engelland,
Versprengte Männer, haben
Wir schweigend in den fremden Sand
Die deutsche Frau begraben.
Der Rauchfrost hing am Heidekraut,
Doch sonnig lag die Stätte,
Und sanften Zugs hat ihr geblaut
Der Surreyhügel Kette.
Am Ginster und Wachholderstrauch
Schwang zirpend sich die Meise, —
Da wurde dunkel manches Aug',
Und mancher schluchzte leise;
Und leise zitterte die Hand
Des Freundes, die bewegte,
Die auf den Sarg das rothe Band,
Den grünen Lorber legte.
[89]Die muthig leben sie gelehrt
Und muth'ge Liederweisen,
Am offnen Grabe stand verstört
Das Häuflein ihrer Waisen;
Und fast, ob auch wie quellend Blut
Der wunden Brust entrungen,
Ist über der verlassnen Brut
Des Vaters Wort erklungen.
So ruh' denn aus in Luft und Licht!
Und laß uns das nicht klagen,
Daß Drachenfels und Ölberg nicht
Ob deinem Hügel ragen!
Daß er nicht glänzt im Morgenthau,
Noch glüht im Abendscheine,
Wo durch Geländ und Wiesenau
Die Sieg entrollt zum Rheine!
Wir senken in die Gruft dich ein
Wie einen Kampfgenossen;
Du liegst auf diesem fremden Rain
Wie jäh' vor'm Feind erschossen;
[90]Ein Schlachtfeld auch ist das Exil,
Auf dem bist du gefallen,
Im festen Aug' das Eine Ziel,
Das Eine mit uns allen!
Drum hier ist deine Ehrenstatt,
In Englands wilden Blüten;
Kein Grund, der besser Anrecht hat,
Im Sarge dich zu hüten!
Ruh' aus, wo dich der Tod gefällt!
Ruh' aus, wo du gestritten!
Für dich kein stolzer Leichenfeld
Als hier im Land der Britten!
Die Luft, so dieses Kraut durchwühlt
Und diese Graseswellen,
Sie hat mit Milton's Haar gespielt,
Des Dichters und Rebellen;
Sie hat geweht mit frischem Hauch
In Cromwell's Schlachtstandarten;
Und dieses ist ein Boden auch,
Drauf seine Rosse scharrten!
[91]Und auf von hier zum selben Bronn
Des goldnen Lichtes droben
Hat Sidney, jener Algernon,
Sein brechend Aug' erhoben;
Und oft wol an den Hügeln dort
Ihr Aug' ließ Rahel hangen, —
Sie, Russell's Weib, wie du der Hort
Des Gatten, der gefangen!
Die sind's vor allen, diese Vier!
Dies Land, es ist das ihre!
Und sie beim Scheiden stellen wir
Als Wacht an deine Thüre!
Die deinem Leben stets den Halt
Gegeben und die Richtung, —
Hier stehn sie, wo dein Hügel wallt:
Freiheit, und Lieb', und Dichtung!
Fahr' wohl! Und daß an muth'gem Klang
Es deinem Grab nicht fehle,
So überschütt' es mit Gesang
Die frühste Lerchenkehle!
[92]Und Meerhauch, der dem Freien frommt,
Soll flüsternd es umspielen,
Und jedem, der hier pilgernd kommt,
Das heiße Auge kühlen!
Der Tod des Tiberius
[95]Bei Cap Misenum winkt ein prächtig Haus
Aus Lorberwipfeln zu des Meeres Küsten,
Geschmückt mit Säulen, Mosaiken, Büsten
Und jedem Prunkgeräth zu Fest und Schmaus;
Denn oft sah's nächtlicher Gelage Glanz,
Wo lock'ge Knaben, Epheu um die Stirnen,
Mit Bechern flogen, silberfüß'ge Dirnen
Den Thyrsus schwangen in berauschtem Tanz,
Und Jauchzenschall, Gelächter, Saitenspiel,
Bis auf die Gärten rings der Frühthau fiel.
Doch heut wie stumm das Haus! Nur hier und dort
Ein Fenster hell — und wo die Säulen düstern,
Wogt am Portal der Sklaven Schwarm mit Flüstern;
Es kommen Sänften, Boten jagen fort,
[96]Und jedesmal dann zuckt umher im Kreise
Ein Fragen, das nur scheu um Antwort wirbt:
„Was sagt der Arzt? Wie steht es?“ — Leise, leise!
Zu Ende geht's, der greise Tiger stirbt.
Bei matter Ampeln Zwielicht droben lag
Der kranke Cäsar auf dem Purpurkissen,
Sein fahl Gesicht, von Schwären wild zerrissen,
Erschien noch grauser heut', wie sonst es pflag.
Hohl glomm das Auge; durch die Schläfe wallte
Des Fiebers Glut, daß jede Ader schlug;
Niemand war bei ihm, als der Arzt, der Alte,
Und Macro, der des Hauses Schlüssel trug.
Und jetzt mit halbersticktem Schreckensruf
Aus seinen Decken fuhr empor der Sieche,
Hoch auf sich bäumend:„Schaff' mir Kühlung, Grieche,
Eis! Eis! Im Busen trag ich den Vesuv.
O wie das brennt! Doch grimmer brennt das Denken
Im Haupt mir, ich verfluch' es tausend mal,
[97]Und kann's doch lassen nicht zu meiner Qual!
O gib mir Lethe, Lethe, mich zu tränken!
Umsonst! Dort wälzt sich's wieder schon heran
Wie Rauchgewölk und ballt sich zu Gestalten —
Sieh, von den Wunden heben sie die Falten,
Und starren mich gebrochnen Auges an,
Germanicus, und Drusus, und Sejan —
Wer rief euch her? Kann euch das Grab nicht halten?
Was saugt ihr mit dem Leichenblick, dem stieren,
An meinem Blut, und dörrt mir das Gebein?
's ist wahr, ich tödtet' euch; doch mußt es sein —
Wer hieß im Würfelspiel euch auch verlieren?
Hinweg! — Weh mir! Wann endet diese Pein!“
Der Arzt bot ihm den Kelch; er sog ihn leer,
Und sank zurück in tödtlichem Ermatten.
Dann aus den Kissen blickt er scheu umher
Und frug zerstört:„Nicht wahr? Du siehst nichts mehr?
Fort sind sie, fort, die fürchterlichen Schatten.
Vielleicht auch war's nur Dunst. Doch glaube mir,
Sie kommen oft schon Nachts, und wie sie quälen,
Das weiß nur ich — doch still. Komm, setz' dich hier
Nah, nah; von Anderm will ich dir erzählen.
[98]Auch ich war jung einst, traut' auf meinen Stern
Und glaubt an Menschen. Doch der Wahn der Jugend
Zerstob zu bald nur, und ins Innre lugend
Verfault erfand ich alles Wesens Kern.
Da war kein Ding so hoch und bar der Rüge,
Der Wurm saß drin; aus jeder Großthat sahn
Der Selbstsucht Züge mich versteinernd an;
Lieb', Ehre, Tugend, Alles Schein und Lüge!
Wo war ein Freund, der nicht den Freund verrieth,
Ein Bruder, der nicht Brudermord gestiftet,
Ein Weib, das lächelnd nicht den Mann vergiftet!
Nichtswürdig Alle — stets dasselbe Lied.
Da ward ich auch wie sie, und weil nur Schrecken
Sie zähmte, lernt' ich Schrecken zu erwecken.
Und Krieg mit ihnen führt' ich; zum Genuß
Ward ihre Qual mir, ihr verendend Röcheln;
Ich schritt ins Blut hinein bis zu den Knöcheln.
Doch auch das Grausen wird zum Überdruß;
Und jetzt nur noch gequält vom Strahl des Lichts,
Matt, trostlos, reulos, starr' ich in das Nichts.“
Sein Wort ging tonlos aus; er keuchte leis
Im Krampf, von seinen Schläfen floß der Schweiß,
[99]Und craß verstellt, wie eine Larve sah
Sein blutlos Antlitz. Zu des Lagers Stufen
Trat Macro da: „Soll ich den Cajus rufen,
Herr, deinen Enkel, den Caligula?
Du bist sehr krank —“
Doch jener: „Schlange, falle
Mein Fluch auf dich! Was geht dich Cajus an?!
Noch leb' ich, Mensch, und Cajus ist wie Alle,
Ein Narr, ein Schurk, ein Lügner, nur kein Mann.
Und wär' er's, frommt es nicht; kein Held verjüngt
Rom und die Welt, wie er mit Blut sie düngt.
Wenn's Götter gäb', aus diesem Berg der Scherben
Vermöcht' ein Gott selbst nicht mehr Frucht zu ziehn,
Und nun der blöde Knab'! — Nein, nein, nicht ihn,
Die Rachegeister, welche mich verderben,
Die Furien, die der Abgrund ausgespien,
Sie und das Chaos setz' ich ein zu Erben,
Für sie dies Scepter!“ —
Und im Schlafgewand
Jach sprang er auf, und wie die Glieder flogen
Im Todesschweiß, riß er vom Fensterbogen
Den Vorhang fort, und warf mit irrer Hand
Hinaus den Stab der Herrschaft in die Nacht.
Dann schlug er sinnlos hin.
[100]Im Hofe stand
In sich vertieft ein Kriegsknecht auf der Wacht,
Blondbärtig, hoch. Zu dessen Füßen rollte
Des Scepters rundes Elfenbein, und sprang
Vom glatten Marmorgrund mit hellem Klang
An ihm empor, als ob's ihn grüßen wollte.
Er nahm es auf, unwissend was es sei,
Und sank zurück in seine Träumerei.
Er dacht' an seinen Wald im Lippethal,
Die düstern Wipfelkronen sah er ragen,
Er sah am Runenstein die Brüder tagen,
Blank jedes Wort, wie ihrer Streitaxt Stahl,
Und treu die Hand zum Sühnen wie zum Schlagen.
Und an sein liebes Weib gedacht er dann,
Und sah sie sitzen an des Hüttleins Schwelle,
Im langen gelben Haar, wie sie mit Schnelle
Die Spindel wirbelnd in die Ferne sann,
Wol her zu ihm. Und vor ihr spielt am Rain
Sein Knabe, der den ersten Speer sich schnitzte,
Und dem so kühn das Auge blitzte,
Als spräch's: Ein Schwert nur, und die Welt ist mein.
Und plötzlich floß dann — wie, verstand er kaum —
Ein andres Bild in seinen Heimatstraum:
[101]Vor seine Seele drängt es sich mit Macht,
Wie er dereinst in heißen Morgenlanden
Als Wacht an eines Mannes Kreuz gestanden,
Bei dessen Tod die Sonn' erlosch in Nacht.
Wol war seitdem entflohn manch heißer Tag,
Doch konnt' er nie des Dulders Blick vergessen,
Darin ein Leidensabgrund, unermessen,
Und dennoch alles Segens Fülle lag.
Und nun — wie kam's nur? — schien ihm aus den Eichen
Zu ragen jenes Kreuz als Siegeszeichen,
Und seines Volks Geschlechter sah er ziehn
Unzählig, stromgleich; über den Gefilden
Von Waffen wogt es, und auf ihren Schilden
Stand jener Mann, und Glorie strahlt' um ihn.
Da fuhr er auf, aus des Palastes Hallen
Kam dumpf Geräusch: der Herr der Welt war todt.
Er aber schaute kühn ins Morgenroth,
Und sah's wie einer Zukunft Vorhang wallen.
Die Erde
[102]Wol hast du einst mit hoher Wonne
Mein junges Herz getränkt, Natur,
Wenn mich der Glanz der Frühlingssonne
Zur Ferne zog durch Wald und Flur;
Vertieft in mich mit halbem Lauschen,
An deinen Wundern streift' ich hin,
Und wob in all dem Blühn und Rauschen
Der eignen Brust geheimsten Sinn.
Doch heilig ernster ist die Feier,
Damit du jetzt mein Herz umschwebst,
Wenn du den falt'gen Isisschleier
Vom hohen Antlitz lüftend hebst;
Wenn du vom Reiz der bunten Schale
Mein Auge still zur Tiefe lenkst,
Und aus des heutigen Tages Strahle
Ins Dämmerlicht der Urzeit senkst.
Da offenbart im Schwung der Auen
In schwarzer Grotten Säulenschos
Sich mir der Welle leises Bauen
Des Feuers jachen Zornesstoß;
[103]Da singt der Gurt zerborstner Schichten
Ein heilig Lied mir vom Entstehn,
Und läßt in wandelnden Gesichten
Die Schöpfung mir vorübergehn.
Und wieder schau ich's, wie mit Toben,
Vom unterird'schen Durst gedrängt,
Der flüss'ge Kern des Erdballs droben
Die meergebornen Krusten sprengt;
Wie er ein Strom von zähen Gluten,
Bis in die Wolken rauchend stürmt,
Und über Thälern dann und Fluten
Zergipfelt zum Gebirg sich thürmt.
O Riesenkampf der Urgewalten,
Drin eine Welt sich gährend rührt,
Der durch den Kreislauf der Gestalten
Mich auf ein letzt Geheimniß führt!
Denn wie ich rastlos rückwärts dringe
Von Form zu Form, erlischt die Spur;
Ich steh' am Abgrund, draus die Dinge
Der erste Lebenspuls durchfuhr.
[104]Da fällt ins zagende Gemüthe
Ein Glanz aus tiefsten Tiefen mir:
„Im Anfang war die ew'ge Güte,
Und tausend Engel dienen ihr.“
Und wie sie licht in Flammen wallen,
In Fluten brausen allerorts,
Empfind' ich schauernd über allen
Den Hauch des unerschaffnen Worts.
Ballade
Herr Walther lag im Zauberthurm
In der Waldfrau schneeweißem Arm —
Frau Mechthild klagte bei tiefer Nacht
Ihres Herzens bittern Harm.
Sie saß auf ihrem verwitweten Bett
Und weinte Thränen wie Blut,
Zwei Monde war's, daß ihr Gemahl
Ihr nicht am Herzen geruht.
[105]Und als der Morgen ins Fenster sah
Vom Lager sprang sie empor,
Und als man im Münster die Frühmette sang,
Sie pocht an des Bischofs Thor:
„Ach, heiliger Bischof, nun rath' und hilf,
Groß Unheil sag' ich dir an:
Die Waldfrau hat meines Gatten Herz
Verzaubert mit Spruch und mit Bann.
Wol lebten wir Monden drei und vier,
Und die Zeit ward nimmer uns lang,
Tags klang aus dem Walde herüber sein Horn
Und es hüpfte mein Herz bei dem Klang.
Und bei Nacht, wie blühte so roth sein Mund
Und er küßte mich tausendmal!
Nun hält ihn gefangen das teuflische Weib,
Und einsam verzehrt mich die Qual.
Ach, Bischof, heil'ger Vater, mein,
Und weißt du ein Sprüchlein nicht,
Das stark ist wider höllische Kunst,
Und solchen Zauber zerbricht?“
[106]Den weißen Bart der Bischof strich,
Er griff in den Busen hinein:
„Da nimm die Kapsel von rothem Gold
Mit des Märtyrers heil'gem Gebein.
Und hältst du sie hoch in Sonn' und Wind,
Wenn von ferne die Glocken erschallen,
Und rufst dreimal seinen Namen dazu,
Der Zauber wird von ihm fallen.“
Frau Mechthild schürzt ihr langes Gewand,
Sie schritt in den Wald hinaus;
Und als auf den Wipfeln der Mittag lag,
Sie stand vor des Waldweibs Haus.
Da kam es geweht durch die stille Luft,
Die Glocken klangen so tief;
Sie hielt die Kapsel in Sonn' und Wind,
Herrn Walther's Namen sie rief.
Sie rief ihn zum zweiten und dritten mal,
Vor Thränen vermochte sie's kaum;
Herr Walther lag in der Waldfrau Schos,
Er hob die Stirn wie im Traum.
[107]„Nun sage mir an, mein schneeweiß Lieb,
Sag' an, was soll es bedeuten?
Mir ist, als zöge mich was von hier,
Und Glocken hört' ich läuten.
Mir ist, ich müßt' mich besinnen auf was,
Was süß und theuer mir war —“
Da sah sie mit funkelnden Augen ihn an,
Und löst ihr wallendes Haar.
„Sieh hin, sie her, was willst du mehr?
Meine Locken sind güldene Schlangen,
Mein Leib ist weiß und mein Mund ist heiß,
Du bist und bleibst gefangen.“
Und sie küßt ihn wild auf den lechzenden Mund,
Da vergingen die Sinne ihm all,
Und als er zurück in den Schos ihr sank,
Sie lachte mit lautem Schall.
Frau Mechthild hörte das Lachen wohl,
Ihr schnitt's wie ein Messer durchs Herz,
Unter dem Lindenbaum sank sie dahin
Aufs Moos in tödtlichem Schmerz.
[108]Sie wollte rufen und konnt' es nicht,
Ihr war die Brust so beklommen;
Sie rang und wand sich in stummer Qual,
Es war ihr Stündlein gekommen.
Und als die Sonne zu sinken kam,
Ein Knäblein lag ihr im Schos,
Das schaute sie an mit Walther's Blick,
Aus Augen blau und groß.
„O Kind, mein Kind, nun erbarme sich dein
Der Vater droben im Licht!
Mit Thränen wirst du getaufet sein,
Einen Vater hast du nicht.
Durch Wald und Wind, mein Waisenkind,
Komm, komm, nun trag' ich dich fort!“
Da that der Knab' einen hellen Schrei,
Als wollt er nimmer vom Ort.
Herr Walther lag in der Waldfrau Schos,
Er hörte des Kindleins Schrei —
Da war's, als spräng' ihm in tiefster Brust
Ein tönend Glas entzwei;
[109]Und rings zerging's wie ein weißer Dampf,
Und leicht ward Seel' und Leib:
„Laß los, Verfluchte, laß mich los,
Ich muß zu meinem Weib!
Zu meinem Weib, das ich vergaß,
Zu meinem Fleisch und Blut —
O Gott im Himmel sei Preis und Dank,
Nun wird noch Alles gut!“
Den Teppich zerriß er und sprang hinab
Die Stufen zu vier und vier:
„Vergib, vergib mein treu, treu Lieb,
Nun scheid' ich nimmer von dir.
Und grüß dich Gott, mein Knab', mein Kind,
Und segne dich tausendfach,
Und segne dir auch dein Stimmlein hell,
Das all den Zauber zerbrach!“
Der Terek
[112]Du Sohn des fels'gen Daghestan,
Du trägst des Kaisers Epaulette!
Weit offen liegt des Ruhmes Bahn,
Dem Zaren nur gehört die Welt;
Den Himmel stützen, wenn er fällt,
Die Millionen Bajonnette!
So naht er sich dem Vaterland
Auf einer kaiserlichen Sendung.
Die Kuppen glühn im Abendbrand,
Licht wallt der Wolken Festtalar;
Ein neues Bild der Riesenschar
Zeigt ihm der Weg bei jeder Wendung.
[113]Was ist's, daß ihm zu Herzen quillt?
Die Felsen drohn ihn zu zerschmettern,
Es zürnt der Wasserfall und schilt;
Sein Haupt neigt grollend der Tschinar
Und wie ein Richter schwebt der Aar
Mit breiten Schwingen aus den Wettern.
„Nur sacht, mein Rößlein, eile nicht!
O laß den Reiter Athem schöpfen!“
Glut überströmt sein Angesicht —
O fremd Gefühl von Lust und Schmerz!
Ihm preßt des Kaisers Rock das Herz,
Und angstvoll reißt er an den Knöpfen.
„O Petersburg, du Stadt des Herrn,
Du starrst mich an so übernächtig,
Im kalten Nord ein müder Stern.
Auch an der Newa fernem Strand,
Da dacht' ich nicht ans Vaterland —
Wie ist es schön, wie ist es mächtig!“
Doch sieh! Wie braust durchs Felsgestein,
Wo Reben sich um Ulmen ranken,
Ein goldner Fluß im Abendschein!
[114]Wie kommt er von den Bergen frisch!
Wie rauscht und stürmt er kriegerisch
Voll welterobernder Gedanken!
Doch weiterhin — wie grüßt er mild
Des Ufers wuchernde Gelände!
Wie trägt er liebend jedes Bild,
Das ihm geschenkt die grüne Flur,
Und seiner Mutter, der Natur,
Küßt er mit zartem Dank die Hände.
Der Terek ist's! Sein Rauschen weckt
Im Busen längst verklungne Lieder,
Und was im Herzen tief versteckt,
Der Kindheit Lust, der Jugend Glück,
Es kommt hervor, es kehrt zurück,
Es grüßt der Heimat Sonne wieder.
Der Geist des Flusses greift herauf
Aus seinen träumerischen Tiefen,
Er hemmt das Roß in seinem Lauf,
Er macht den Reiter starr und stumm;
Es wogt und braust um ihn herum,
Als ob ihn tausend Stimmen riefen.
[115]Die Sonne sinkt, der Nebel dampft
Und Geister traten aus den Spalten;
Er hält die Mähne bang' umkrampft —
Dumpf dröhnt des Terek Donnerwort,
Mit tausend Armen reißt's ihn fort
Mit fremden, drohenden Gewalten.
Horch, der verlassnen Braut Gesang
Hallt aus den fernen Aulen wieder
Durch Wogensturz und Donnerklang!
Ihr Diadem glänzt stolz und licht,
Doch todtenbleich ihr Angesicht,
Und trauernd weinen ihre Lieder.
„Fluch oder Segen!“ tönt's ihm zu
Auf unsichtbarer Stimmen Flügel:
„Du hast die Wahl, nun wähle du!
Dort des Verräthers Glanz und Ruhm,
Hier deiner Heimat Heiligthum!“
Und weinend steigt er aus dem Bügel.
Er kniet! Da quillt ein russisch Glück
Mit jeder Thrän' aus seinem Herzen,
Vom Zarenreich fällt Stück auf Stück,
[116]Und die er ach! so lang' verloren,
Die theure Heimat neugeboren
Ersteht aus dieser Saat der Schmerzen!
Da hat er rasch sich aufgerafft:
„Fort mit des Kaisers Epauletten!“
Er reißt in wilder Leidenschaft
Den Rock ab, der das Herz ihm preßt,
Und schnallt ihn an den Sattel fest
Mit Säbel, Gurt und Ordensketten.
„Mein theures Rößlein, kehr' zurück,
Gehorche deines Zars Befehlen!
Ich suche jetzt ein andres Glück,
Trag' heim, was mir beschieden war,
Trag's heim zu unsrer Reiterschar —
Ich will den Kaiser nicht bestehlen!“
Und muthig stürzt er in den Fluß
Mit alter Kraft, ein Flutbesieger.
Der winkt ihm schäumend seinen Gruß
Und trägt ihn jauchzend an den Strand —
„Gott segne dich, mein Vaterland,
Und segne du den neuen Krieger!“
Klagegesang der Kinder Juda in Rom
[117]Bitter waren wol die Leiden
Unsrer Väter, die gefangen
Ihre Harfen aufgehangen
An des Euphrat Trauerweiden;
Aber wir am Tiberstrom,
Eingezwängt in dumpfe Gitter,
Hingen auf die Klagezither,
Kinder Juda wir in Rom.
Enkel jener, die vom Lande
Kanaan die Römer führten,
Die ob Juda triumphirten
Und verließen sie in Schande;
[118]Waisen Salem's bauen wir
Endlos fort von Glied zu Gliede
Unsres Jammers Pyramide
Auf dem Römerschutte hier.
Schon zweitausend Jahre trauern
Wir am Fluß, deß gelbe Wellen
Wild und wüst vorüberschwellen
An den öden Ghettomauern;
Mit der Väter Klagemuth
Weinen wir was jene weinten,
Leiden die zu Leid geeinten,
Ewig in dieselbe Flut.
Volk um Völker sind gefallen;
Doch wir klammern wie die grünen
Eupheuranken um Ruinen
An Octavia's Trümmerhallen,
An den Zeugen unsrer Schmach,
Wo des Vaterlands Verheerer,
Wo Jerusalems Zerstörer
Einst den Stab ob Juda brach.
[119]Ach, in Kammern, sonnenlosen,
Die das Elend nicht umfassen,
Thürmte uns, in engen Gassen,
Pharao ein andres Gosen;
Und es kommen unsre Noth
Zu verhöhnen, zu begaffen
Finstre Mönche, stolze Pfaffen,
In den Blicken Haß und Tod.
Wie der Engel, der vorüber-
Wandelnd schreibt die Würgerzeichen
An die Häuser, wo erbleichen
Soll das Volk, wankt hier das Fieber,
Und der Plagen volle Zahl,
Angst und Frohn zu allen Stunden,
Und die Schande, die verbunden
Mit der hungerbleichen Qual.
Draußen lärmt das Festgepränge
In dem Corso dicht ergossen,
Und es rollen die Carossen
Durch der Masken bunt Gedränge;
[120]Festlich schmückt sich jedes Haus
Mit der golddurchwirkten Seide,
Von Balkonen streut die Freude
Volle Blumenlenze aus.
Dann der Rosen, ach! von Saron
Denken wir, wie sie verglühten,
Wie gefallen sind die Blüten
Von dem Mandelstab des Aaron!
Tochter Zion, schmuckberaubt,
Magd von Rom, wie mußt du neigen
In das thränenvolle Schweigen,
In die Asche nun dein Haupt!
Dann der preisgegebnen Töchter
Denken wir, und wie mit Hieben
Unsre Väter man getrieben
Durch des Volkes Hohngelächter;
Denken dann, wie Judas Blut
Rothgefärbt St. Petri Schwelle;
Und gedenken an die grelle,
Grause Scheiterhaufenglut.
[121]Und nun sitzen wir im Schweiße
Unsres Angesichts die Tage
Vor den Thüren, unsre Plage
Mehren wir mit sauerm Fleiße;
Fetz und Flicken, was zerfällt,
Sammeln wir an allen Enden:
Denn uns wirft mit ellen Händen
Nur den Abfall zu die Welt.
Ach, wir denken bei den Flicken
Salomo's: zu Fetzen werden
Muß die Herrlichkeit der Erden,
Wie die Lumpen hier zerstücken.
O wie sind, die dich geschmückt,
Tochter Zion, deine Spangen,
Und dein Feierkleid zergangen,
Und in Fetzen so zerstückt!
Und so seufzen wir und nähen
Auf dem Römerschutt die Flittern,
Und wir denken, so zersplittern
Mußte Rom auch und vergehen;
[122]Aber wir zu seinem Hohn
Klammern fest noch wie die grünen
Epheuranken an Ruinen —
Denn Ruinen sind sie schon.
Nicht mehr kränken uns am Bogen
Titus' dort die Marmorbilder,
Tempelleuchter, Tisch und Schilder,
Und des Jordan heil'ge Wogen;
Mußten doch in Wust und Graus
Deine Götter, Rom, erbleichen,
Doch Jehovah's heil'ge Zeichen
Löschte kein Jahrtausend aus.
Gras umweht die Trümmerreste
Dort von Jovis' Tempelhallen,
Und in Staub ist sie gefallen
Der Cäsaren hohe Feste;
Aber hier trotz Zeit und Tod
Dauern noch zu deiner Ehre
Ungebrochen die Altäre,
Herr der Zeiten, Zebaoth!
[123]An des Tiberstromes Welle
Bauten wir mit stillem Weinen
Ärmlich nur, aus rohen Steinen,
Deines Tempels eine Zelle,
Und mit Zeichen ihre Wand
Schmückten wir, daß wir gedenken,
Wenn wir drauf die Blicke lenken
Wie dein Haus so herrlich stand.
Und wir sammeln uns zum Bunde
Abraham's als treue Brüder
Vor der Bundeslade wieder,
In der sabbathstillen Stunde,
Und das siebenfache Licht
Auf der siebenfachen Leuchte
Stellen wir, das unerbleichte,
Vor Eloah's Angesicht.
Und dann singen wir mit Zungen
Unsrer Väter zu den Harfen,
In Accorden, jammerscharfen,
Psalmen David's unverklungen:
[124]Bis die Thräne nimmt den Lauf,
Und sich lösen uns vom Herzen
Die jahrtausendalten Schmerzen
In Messiashoffnung auf.
Erloschene Kohlen
[138]Gehe, liebe Tochter, hole Kohlen
Von der alten Nachbarin am Platze.
Tief schon sank die Dämmrung, und die Schatten
Schleichen riesenlang im stillen Haus um,
Und mich schauert's. Hüte fein die Kohlen
Vor dem Luftzug; ist die Sonn' hinunter,
Macht sich auf der Abendwind vom Meere.
Hüt' dich selber auch: denn bald nun bist du
In den Jahren, wo ein Lippenhauch schon
Flammen aufjagt in der stillen Seele.
Hab' ich es doch selbst an mir erfahren,
Wie auf Erden Höll' und Himmel brennen!
Einstmals war ich jung und reich gesegnet,
Wie nur je ein Weib. Du bist die jüngste;
Meine Kinder alle nahm ein Gott mir,
Weil zu schön sie waren für die Erde,
Weil zu stolz ich selbst auf sie gewesen.
Ja, gesehen hab' ich bessre Tage,
Als ich noch aus Silber trank und Golde,
Als noch Seide deckte meine Hüften,
Schmelz und Blumen meine Locken schmückten.
Jene Zeit des Glanzes und der Reue
[139]Kommt in stiller Nacht mir oft im Traume,
Furchtbar ernst wie ein Medusenantlitz,
Himmlisch süß wie Maientagesanbruch;
Da ich wandelte in Jugendschönheit,
Die zum Fluch und Elend mir geworden.
Denn die Männer wissen, daß wir schwach sind,
Wenn wir einen in das Herz geschlossen.
Meine erste Liebe war ein Fremdling,
Ein Barbar, doch aus berühmtem Hause,
Der in meinem Mund die stolze Sprache
Romas also schön fand, sie zu lernen.
Und die Sprache ward zu Amor's Köcher;
Rasch aus tausend todten stumpfen Worten
Wurden so viel tausend Liebespfeile,
Daß er Glut gewann, obgleich er kalt war.
Denn er kam aus jenem blassen Lande
Jenseit unsrer mitternächt'gen Berge,
Wo die Nebel ziehn an wilden Strömen
Und der Sturmwind peitscht gezackte Wolken.
So wie Nebel war auch seine Seele;
Aber unstet, stürmisch war sein Werben,
Und er trieb es nach des Nordens Sitte,
Wo die Frauen Heiligen gleich geachtet,
[140]Weil sie kalt, unnahbar sich verschließen:
Daß auch ich erhabner mich gedünket,
Und vergaß, wie niedrig ich geboren,
Wenn ich mit ihm fuhr im reichen Wagen,
Wenn Gesang erklang vor meinem Fenster!
Gänzlich lebte er von meinen Blicken,
Und ein leises Wort war ihm Befehl schon.
Doch ich liebt' ihn wahrhaft, heiß und heftig,
Mit der Glut der Jugend hing ich an ihm,
Der mich selbst zu achten erst mich lehrte.
Kurze Zeit nur hab' ich ihn besessen,
Denn gar bald begann er tief zu grübeln,
Daß er nichts als glücklich nur gewesen
Und er schreckte feig vor meinen Lippen;
Zu gewaltig war ihm meine Liebe
Und zu schwach die Flügel seiner Seele,
Daß sie sich versengt an meinen Flammen.
Und so stieß er herzlos mich ins Elend,
Draus er mich zuvor emporgehoben. —
Gestern als ich ging nach Santa-Croce,
Um zu beichten, hört' ich eine Stimme,
Hohl und zitternd. Eisig überlief's mich:
Blaß und geisterhaft war er geworden,
Als ein armer Mönch seit langen Jahren
[141]Und ich bin gegangen ungebeichtet;
Denn er hätte mich nicht lösen können,
Er nur, er ist schuld an meinem Unglück!
Merke das und liebe nie die Schwärmer,
Die dich erst zur Göttin machen wollen
Und dann schnöd' verlassen, wenn sie sehen,
Daß du nichts bist als ein sterblich Wesen. —
Und der Zweite dann, ach, hätte Gott mir
Jene Zeit erspart und ihre Leiden!
Doch es ist Vorherbestimmung alles,
Nur der erste Schritt allein ist unser.
Jener Zweite war ein kühner Seemann,
Düster und tyrannisch war sein Wesen,
Jäh und heftig seine Mannesseele.
Zwar er konnte lachen, trinken, tanzen,
Und mit vollen Händen Gold verschwenden;
Doch verschlossen blieb mir sein Seele
Und ein Dämon haust' in ihren Tiefen,
Der mich oft aus seinen dunkeln Augen
Magisch hielt wie mit geheimem Zauber
Und mich schlug mit unsichtbaren Fesseln.
Salben bracht er mir und bunte Früchte,
Die gereift des Morgenlandes Sonne;
[142]Kleine Vögel, die nur paarweis leben,
Wo vordem das Paradies der Menschheit;
Teppiche, gewebt im Mohrenlande;
Seide, in Jerusalem gesponnen;
Goldne Schalen; Edelsteine blutroth,
Die ein türkischer Corsar getragen.
Denn sein Schiff, es flog von Sonnenaufgang
Zu des Abendmeeres fernsten Inseln,
Und er kam nur einmal in dem Jahre,
Wenn die Störche kommen aus Ägypten,
Und er blieb bei uns drei kurze Wochen.
Auf der Tiber lag sein schlankes Fahrzeug.
Und ich wohnte bei ihm. Schaukelnd wiegten,
Wie das Schiff die Wogen, meine Seele
Süße Träume einer goldnen Zukunft.
So ward mir die Zeit der Leiden Christi
Schon zum Maimond, eh noch es Mai war.
Doch er weigerte sich immer standhaft,
Mich auf seine Bahnen mitzunehmen,
Und er lachte stets zu meinen Schwüren,
Lachte zu dem Heiland und der Messe.
Ach, es lag um ihn ein schwarz Geheimniß,
Daß ich oft gezittert und geweinet
Und doch nicht die Bande lösen konnte!
[143]So geschah's, daß schon drei Jahr' verronnen,
Als er landend einst an der Ripetta
Brachte mir ein Papageienmännlein
Und es hing am Mast im goldnen Bauer.
Und er schenkt es mir als Liebeszeichen,
Unsers Lebens in der Zeit der Trennung;
Denn das Weibchen sei bei ihm zu Hause.
Doch der dritte Tag war nicht vergangen,
Als es klang wie Flügelschlag am Maste
Und das Weibchen kam aus fernem Lande,
Seinem Männchen war es nachgeflogen.
So beschämten uns die grünen Vögel,
Und sie sprachen, zankten, pfiffen, schrieen
Hundert süße Namen in dem Käfig:
Sei gegrüßt, Amirala! Zuleika!
Fatime! Zaire! Herz, was machst du?
Auf und tanzt und singt! Groß ist Allah! —
Sieh, da fiel's wie Binden von dem Aug' mir,
Daß er fern besaß noch viele Frauen,
Daß er war ein Moslim, und ich selber
Nur erkaufter Zierde gleich des Harem!
Da erhob sich Sturm in meiner Seele,
Wuth und Wahnsinn rast' in meinem Herzen,
Und ich stieß ins Herz die goldne Nadel
[144]Jenen Vögeln, die uns so beschämten.
Doch ihm selber warf ich in der Nachtzeit
Brand ins Fahrzeug, wo er schlief im Rausche;
Schauernd sah ich's, wie die Flammen flogen
Hastig, züngelnd, sprühend in dem Tauwerk
Und sich eitel spiegelten im Strome,
Daß zum hellen Tag die Nacht geworden,
Hell wie meine Seele, die mit Jubel
Ins Geprassel sah und ins Getümmel,
Bis ein langer Todesschrei erschollen —
Manchmal hör' ich heut' ihn noch im Traume
Gellen aus der Ferne hohl und schaurig!
Damals klang er süß; doch meine Perlen,
Meine Seibe, Schmuck und Federn warf ich
Zu den Todten nieder in die Wellen,
Und entfloh darauf in die Gebirge.
Dieses merk' und liebe nie die Fremden,
Die mit anderm Gott auch andre Liebe
Tragen neben dir im falschen Herzen;
Einige Liebe ruht in Einem Gotte!
Doch der Dritte! — Mag die Welt mir fluchen:
Ewig dank' ich's Gott, daß mir beschert ward
Aller Liebe süßeste auf Erden,
[145]Die noch heiter lächelt in mein Alter.
Jener Dritte war ein kühner Räuber,
Ihn nur einzig liebt' ich wie mein Leben,
Er nur einzig liebte als ein Mann mich,
Treu und stark in Freude und im Unglück.
Waren wir ja beide doch geächtet
Von den Glücklichen und von den Frommen,
Feind den Reichen, Feind den sichern Schelmen,
Die uns so in Noth und Schuld getrieben.
Also führten wir ein wildes Leben
In des Apennines grünen Schluchten
Und in Felsenhöhlen, an den Feuern,
Bald in bittrer Armuth, bald in Fülle,
Daß mit Castagnetten, Tamburinklang
Oft Gesang und Tanz scholl durch die Nächte.
Denn wir waren beide sehr gefürchtet,
Doch noch höher waren wir beneidet.
Damals war ich glücklich; meine Knaben
Lernten laufen an den Brombeersträuchern,
Herzten, küßten ihre ernste Mutter,
Daß ich glaubte, Gott sei mir barmherzig
Um der Kinder unschuldvolle Liebe.
Doch sie alle nahm er bald mir wieder,
Weil sie viel zu schön für Menschen waren,
[146]Weil zu stolz ich selbst auf sie gewesen.
Ach, von damals ist das Leid begonnen,
Und bis heute ist's mit uns gegangen!
In den Sümpfen war es bei Cisterna,
Wo Raubvögel stehn in hohen Lüften,
Wo Libellen tanzen an den Büschen,
Doch wo unsichtbar mit Todesgeiseln
Gift'ge Dünste ziehn wie Heergeschwader.
Damals war's, als wir im Kampf gefangen!
Schwer verwundet ward mein Herzgeliebter,
Doch die Ketten schmückten ihn wie Perlen.
Sieben Monde lagen wir im Kerker,
Doch nie sah' ich weinen seine Augen,
Die noch immer zärtlich auf mir ruhten —
Und als Held schritt aufrecht er zum Tode.
An demselben Tag, da er erschossen,
In derselben Nacht bist du geboren.
Viel zu früh ein Kind der Leiden warst du,
In den Kerker hab' ich dich getragen,
Doch in Freiheit warst du einst empfangen,
Und um dich nur ließ man mir das Leben.
Öde wär's und einsam mir geblieben,
Hätt' ich dich nicht, letztes Liebeskleinod
Meiner alten Tage, und Erinnrung,
[147]Daß ich einmal glücklich doch gewesen!
Also war's, was ich in Leid erfahren;
Darum hüte ganz dich vor der Liebe,
Liebe keinen! Wie wir's auch beginnen,
Leid und Thränen sind ihr Ende immer.
Geh' nun, liebe Tochter, hole Kohlen,
Völlig schon ist Nacht hereingesunken.
Doch du weinst und zitterst, und dein Auge
Flieht die Mutter? Gnädige Madonna,
Längst geschehn schon ist, was ich gefürchtet! —
Gott behüte deine arme Seele,
Selber will ich nach den Kohlen gehn.
Otto von Botenlauben
[178]Der hoch als Sänger ward geehrt,
Er trug zum Osten auch sein Schwert
Im Kampf mit grimmen Heiden.
Dort kämpfte er in mancher Schlacht;
Von Liebeslust und Leiden
Sang er dann auf der Wacht.
Einst in der Heimat klang sein Lied
Aus fromm andächtigem Gemüth,
Jetzt aber gilt's der Minne;
Die hat ihm ganz das Herz bewegt,
Seitdem im tiefsten Sinne
Ein Königskind er hegt!
[179]Sie war ihm der Karfunkelstein,
Versenket in den tiefen Rhein,
Der Stern in einer Krone;
Ausströmend wunderbare Glut,
Wie auf des Kaisers Throne
Das Licht der Gnade ruht.
Er selber war die Nachtigall,
Die vor dem zarten Liederschall
Aushaucht das junge Leben;
Durft' sie nur preisen sein Gesang,
Wollt' er die Seele geben
Gern mit dem letzten Klang.
Bald lohnte ihm der Süßen Hand,
Da zog er heim ins Vaterland,
Nicht länger konnt' er's meiden;
Einen Zauberschleier, zart und weich,
Gab ihr zuletzt beim Scheiden
Die Mutter kummerbleich.
„Bewahr' ihn wie dein Augenlicht,
Daß nie dein Glück wie Glas zerbricht,
[180]Die Beute kurzer Stunden;
Viel Wonne und viel heißer Schmerz
Ward einst darein gebunden,
Drum hüt' ihn wohl, o Herz!“
Den Schleier hat sie treu bewahrt;
Sie kamen wohl nach guter Fahrt
Zu Frankens grünen Auen.
Vom Thurm des Schlosses, fest und gut,
Sollt' die Geliebte schauen,
Wie reich sein Hab' und Gut.
Da faßt ihr Haupt ein Frühlingswind,
Der Schleier ist gelöst geschwind,
Er flattert in die Weiten;
Fern sieht man über'm grünen Wald
Die leichte Hülle gleiten,
Indeß ihr Klagen schallt.
Herr Otto fleht mit Herz und Mund:
„Gib, Himmel, deine Gade kund,
Laß mich den Schleier finden;
Ein Kloster, dir zum Dank erhöht,
[181]Will an dem Fleck ich gründen,
Wo ihn mein Blick erspäht.“
Drauf sprengt er in den nahen Tann,
Auf unwegsamer Felsenbahn,
Wo laut die Wasser brausen.
Tief bis ins finstre Waldrevier,
Wo in dem Dickicht hausen
Der Wolf und wilde Stier.
Sieh da, auf saftig frischer Au'
Hebt sich, benetzt vom Morgenthau,
Ein Busch von wilden Rosen;
Dran wiegt der Schleier sich im Wind,
Gleich Schmetterlingen kosen
Die rothen Knospen ihm gelind.
Voll Jubel tönt des Grafen Horn,
Er treibt das Roß durch Busch und Dorn,
Das Kleinod heimzubringen;
Auch hört man bald aus Waldesnacht
Des Klosters Glocken klingen,
Das er gar reich bedacht.
[182]Er sang noch manche Minneweis',
Manch' Lied zu Gottes Ehr' und Preis,
Bis er sein Haupt geneiget;
In Frauenrode auch sein Bild
Noch diese Stunde zeiget,
Wie er so fromm und mild.
Der Frau Mutter Lehren
[196]Und als ich mein lustig Bündel geschnürt,
Da war die Frau Mutter sehr gerührt,
Sie gab mir viel gute Lehren,
Wie in der Welt zu verkehren.
Sie sprach: „Kommst du zu Herbergsthür,
Und tritt ein schmuckes Mägdlein herfür,
Dich höflich zu empfangen,
Du greifst ihr wol in die Wangen?“
„Ja wol, Frau Mutter!“ — „Du schnöder Gesell!
In Positur wirfst du dich schnell
[197]Und ziehst das Hütlein, das graue:
Grüß Gott, du zarte Jungfraue!
Und trittst zur Stube du hinein,
Da werden viel Hirschgeweihe sein,
Du hängst wol ohn' Umstände
Dein nasses Zeug an die Wände?“
„Ganz recht, Frau Mutter!“ — „Das läßt du fein!
Da bittest du höflich das Jüngferlein,
Die Kleider dir zu reinigen,
Doch möge sie sich nicht peinigen.
Und kommt es nun zur Schlafenszeit,
Und die schöne Jungfer gibt dir Geleit,
Und geht voran mit dem Lichte,
Daß sie das Bette dir richte:
Da greifst du sie lustig unter den Arm,
Und küssest wacker und küssest sie warm,
Und stiftest zum Vermächtniß
Ihr wol gar ein lebend Gedächtniß?“
[198]„Mit großem Vergnügen!“ — „Unnützer Wicht!
Da nimmst du höflich das Kerzenlicht,
Und leuchtest ihr beim Spreiten,
Und gehst sie artig geleiten,
Und sprichst: Schön Dank, fein Jüngferlein!
Wünscht ruhsame Nacht zum Herrn Vater mein!
Dann lösche dein Licht und bete,
Daß dich kein Unfall betrete!“ —
Ach, wenn das die gute Frau Mutter wüßt',
Wie oft ich des Lammwirths Lenchen geküßt!
Ich war keinen Tag gegangen,
Da hat mich das Ding gefangen;
Da kniff ich ihr schon in der Wange Roth,
Und küßte den Mund, den so gern sie bot —
Gibt's wol im Hause ein Plätzchen,
Wo nicht geküßt ich mein Schätzchen?
Im Keller allein da thut's nicht gut,
Dieweil das Lenchen, das wilde Blut,
Vergessen vor lauter Lachen
Den Hahnen zuzumachen.
[199]Und wenn dich das Alter belehren will,
So horch andächtig und schweige still,
Hernach treib's nach Belieben —
So ward es und wird es getrieben.
Sneewittchen
[206]Sneewittchen, das Königskind ist todt!
Das schuf den Zwergen große Noth;
Laut klagten die sieben Kleinen.
„Ach, Gott, wie war sie schön und gut!
Wie hielten wir sie in treuer Hut!“
Sie hörten nicht auf zu weinen.
Sie zogen ihr an ein weißes Kleid,
Wie schlummernd lag die schöne Maid
Mit zugeschlossnen Blicken;
Sie schufen den Sarg ihr aus Krystall
Und suchten Blumen überall,
Das liebe Kind zu schmücken.
[207]Da lag Sneewittchen im schwarzen Haar,
Bekränzt mit Blumen wunderbar,
Wie eine Königinne.
Fast sahn sich blind die Zwergelein —
Ach, daß sie todt nun sollte sein,
Wollt' ihnen nicht zu Sinne.
Sie schauten in den Sarg hinein
Wol bis zum vollen Mondenschein,
Sie wollten sie nicht begraben:
„Um unter der garstigen Erde zu stehn
Ist ja Sneewittchen viel zu schön,
Die Erde soll sie nicht haben!“
Sie hoben den Sarg mit Mühe schier,
Und trugen ihn durchs Waldrevier
Zu einem hohen Berge.
Sie brachten ächzend ihn zur Stell',
Der Mond schien ins Gesicht ihr hell;
Das freute die sieben Zwerge.
Des andern Morgens in der Fruh,
Da flogen die Vöglein all' herzu,
Sneewittchen anzublicken;
[208]Die Hirsch' und Rehe kamen auch,
Und Gras und Blume, Baum und Strauch
Thäten sich liebreich bücken.
So lag sie da wol hundert Jahr,
Noch unverweset ganz und gar,
An Schönheit ungebrochen;
Verzaubert lag ihr schöner Leib —
Stiefmutter, das böse Königsweib,
Die hatte den Zauber gesprochen.
Und sieh, mit Purpur und mit Kron'
Geritten kam ein Königssohn
Hoch auf schneeweißem Rosse:
„Ach, lebtest du, du schöne Maid,
Du wärest Königin noch heut'
Mit mir auf meinem Schlosse!“
Und wie das Wort gesprochen war,
Hob sie die Augen blau und klar,
Der Zauber war vergangen;
Die Vöglein alle sangen laut —
Er hält die allerschönste Braut
Mit Armen rings umfangen!
Die Göttin der Armuth
[215]Ihr Heiden, begrenzt von blauen Fernen,
Ihr Schluchten, wo sicher die Gemse ruht,
Gebirge, bekränzt von hellsten Sternen,
Und wandernde Ströme mit rascher Flut,
Ihr Schatten, die weit sich im Norden breiten,
Von undurchdringlichem Waldesgrün,
O lasset die Göttin vorüberschreiten!
Die Göttin der Armuth, laßt sie ziehn!
Sie wanderte, seit der Reichthum thronet,
Aus Freien Sklaven geworden sind,
Und unter den harten Menschen wohnet
Das schöne, heitere Götterkind.
[216]Sie wandert unter Entbehren und Fasten,
Und hell ihr Gesang in Lüften klingt;
Noch unter der Arbeit schweren Lasten
Die gute Göttin der Armuth singt.
So reicht ihr Alter zu frühesten Tagen,
Sie wallte länger als Ahasver;
Ihr Fuß hat weiter sie schon getragen,
Als Schwalben reisen zum fernsten Meer.
Es wohnen auf weitem Erdenballe
Die Kinder zahllos ihr zerstreut;
Es hat in göttlich Geheimniß alle
Die Göttin der Armuth eingeweiht.
Was immer sich groß und schön mag zeigen,
Sie hat auf Erden alles geweckt.
Sie baut die Felder, die nicht ihr eigen;
Sie pflegt die Bäume, bis Frucht sie deckt;
Sie leitet singend hinaus die Heerde,
Und wenn das Morgenroth erglüht,
Sein erstes Lächeln auf unsre Erde
Die gute Göttin der Armuth sieht.
[217]Sie baut aus grünem Gezweig die Hütte
Dem Fröhner, der Holz im Walde fällt;
Sie dämpft des Wilderers leise Schritte,
Und schärft sein Aug', wenn der Hirsch sich stellt;
Sie kräftigt den Greisen, wenn kraftverloren
Sein Arm mit Pflug sich und Hacke müht;
Die schönsten Kinder, auf Stroh geboren,
Die Göttin der Armuth auferzieht.
Den Dichter entflammt sie zu allen Zeiten
Mit mahnendem Rufe zum Gesang;
Sie weckt aus Flöten, entlockt aus Saiten
Des wandernden Künstlers Sphärenklang;
Sie trägt ihn leichten Flugs zu Fernen,
Sie kränzt sein Haar mit Perlenthau,
Und ihm erleuchtet mit hellsten Sternen
Der Armuth Göttin das Himmelblau.
Den Stein behaun und den Marmor glätten,
Das lehrt sie den kundigen Handwerksmann;
Der glüht das Kupfer und schmiedet die Ketten,
Sie leitet die schwielige Faust ihm an.
[218]Es macht in der zitternden Greisin Händen,
Des Mägdleins auch, noch der Knospe gleich,
Den Flachs, um köstlich Gespinst zu vollenden,
Die Göttin der Armuth seidenweich.
Sie stützt die Hütte, vom Sturm erschüttert;
Sie schonet der Fackel Harz am Herd,
Wenn Mondlicht durch die Scheiben zittert,
Der Lampen Öl bleibt unverzehrt;
Sie schafft das Brot, weiß Korn zu rösten,
Dran Alt und Jung im Haus sich hält;
Sie kleidet im Sommer, in Winterfrösten,
Die Göttin der Armuth nährt die Welt.
Sie baute Schlösser und Kathedralen;
Sie trägt die Muskete, führt das Schwert,
Das Siege, womit dann Fürsten prahlen,
Auf Feldern erringt, die Krieg verheert;
Sie sammelt die Todten, wenn Sieg gewonnen,
Und pflegt, was wund und wehrlos fiel;
Es öffnet den Flüchtigen, die entronnen,
Die Göttin der Armuth ein Asyl.
[219]Nur Sanftmuth bist du, bist Erbarmen,
Und Kraft und Geduld, o Göttin du!
Du eilst mit rettenden Liebesarmen,
Mit That und Hülfe Bedrängten zu!
In heiliger Liebe stehen sie offen
Den Kindern allen in deinem Reich,
Und Milde gibst du, Glauben und Hoffen,
O Göttin der Armuth, allen gleich!
Sie haben die Welt bisher getragen,
Und fanden für Arbeit keinen Lohn!
Doch scheiden nimmer in künft'gen Tagen
Sich arm und reich! Es dämmert schon!
Wenn dann, ob noch Jahrhunderte kreisen,
Der göttlichen Gaben sich alle freun,
Nie wird doch in ihren Jubelweisen
Der Armuth Göttin vergessen sein.
Nie werden die Kinder dich verkennen,
Die alle geboren, für alle litt,
Die alle gesäugt, die Mutter dich nennen,
Und streitbare Kirche, die für sie stritt.
[220]Es heilt ihr Balsam deine Wunden,
Auf duftendem Lager findest du,
Von Schmerzen der alten Welt zu gesunden,
O Göttin der Armuth, endlich Ruh'!
Es kommen die Tage des Herrn! Sie kleiden
Die Göttin in Licht! — Du Wüstenei,
Ihr Ströme, Berge, Thäler und Heiden,
Bis dahin gebt ihr die Pfade frei!
Ihr Schatten, die weit sich im Norden breiten,
Von undurchdringlichem Waldesgrün,
O lasset die Göttin vorüberschreiten!
Die Göttin der Armuth, laßt sie ziehn!
Phönizier
In Tyrus hatten wir geladen
Und stießen schwerbefrachtet ab,
Da sahn wir plötzlich die Plejaden
Verdüstert sich im Meere baden,
Und ahnten, was die Zukunft gab.
[223]Wir lenkten schnell zum Strand des Niles,
Doch furchtbar wandte sich das Glück:
Statt eines sehnlichen Asyles
Warf uns vom nahen Land des Zieles
Der Sturm, und weit ins Meer zurück.
Die Wogen kamen Nachts, sie trugen,
Wir wußten nicht woher, wohin,
Sie bäumten sich und brüllten, schlugen,
Ein Stöhnen ging durch alle Fugen
In unserm hölzernen Delphin.
Am Morgen, als der Wind sich legend
Die Flut bestrich, da stieg empor,
Sich plötzlich gegen uns bewegend,
Aus einer andern Himmelsgegend
Die Sonne, als den Tag zuvor.
Wir zogen Segel auf und nieder,
Wir hingen Ruder ein und aus,
Wir opferten und sangen Lieder,
Und starrten dennoch immer wieder
Verzweiflungsvoll ins Meer hinaus.
[224]Sturmvögel flogen um die Maste,
Ihr unheilvoll Gekrächz begann;
Wie Mancher, der vor Furcht erblaßte,
Erlag dem Fieber, es erfaßte
Den Besten noch, den Steuermann.
Und endlich nahten wir den Zonen,
Wo Blumen unverwelklich blühn,
Wo selig fromme Völker wohnen,
Beschattet von der Palme Kronen
An blühender Gestade Grün.
Und hier ließ uns die Fahrt vollenden
Der leitenden Kabiren Schar,
Sie wußten neuen Muth zu senden,
Und nahmen gnädig unsrer Spenden
Und unsrer Opfergüsse wahr.
O Brüder, da wir wiederkehren
An unser väterlich Gestad',
Die ferne ruhn in fremden Meeren,
Laßt uns mit Todtenopfern ehren,
Und lichter wird ihr dunkler Pfad!
Am Meer
[228]Der Abend kam und mit ihm wuchs die Flut.
Ha, kühler Meerwind nach des Mittags Glut!
Ich schritt allein am muschelreichen Strand,
Um meine Sohle stob der Düne Sand
Und feuchte Perlen warf mir ins Gesicht
Die Woge, die ans Ufer rauscht und bricht.
Den Hut riß ich vom Haupt und schwang ihn frei
Hinaus zum blauen Meer und sang dabei:
Gegrüßt, du herrliches, du ew'ges Meer,
Wie stolz und prächtig rollest du daher!
Die Wogenhäupter weiß von Schaum bekränzt,
Vom letzten Strahl des Sonnengotts beglänzt,
Der mit erschöpftem Viergespann entflieht,
Umklungen von der Nereiden Lied.
[229]Die Welle drängt die Welle mit Gewalt,
Das steigt und fällt und duldet keinen Halt;
Gedonner und Gebrause tief und voll,
Gipfelnde Wogen, brechendes Geroll.
Kein Segel blickt, soweit mein Auge fliegt,
Das sich auf deinem trotz'gen Rücken wiegt,
Nur ungezähmter krauser Wasserschwall
Und schrankenlose Freiheit überall!
Der Weltgeist weht um meine Schläfe her —
Gegrüßt, du herrliches, du ew'ges Meer!
So schritt ich hin, im Winde flog mein Haar —
Doch sieh, am Strande ernst und sonderbar
Saß dort ein Mann, in faltigem Gewand,
Ein breites Messer hielt er in der Hand
Und grub seltsame Lettern in den Sand!
Wie aus vergangnen Zeiten ein Gebild:
Ein dunkler Bart umsäumte lang und wild
Sein braunes Antlitz, tief durchfurcht von Qual,
Doch seine Augen blitzten wie sein Stahl;
So saß und schwieg und schrieb der fremde Mann.
Sein Räthselwesen zog mich mächtig an,
Die Lösung suchend trat ich rasch ihm nah
Und frug: „Wer bist du und was schreibst du da?“
[230]Er sah mich an mit einem langen Blick —
In diesen Augen lag ein Weltgeschick —
Und murmelte: „Du fragst? Mit welchem Recht?
Bist du mein Herr und bin ich wol dein Knecht,
Du toller Schwätzer, der am Strande rennt?
Zeig' mir dein Recht, dein gültig Pergament!
Doch wenn's auch noch so klar geschrieben steht,
Ein kluger Richter hat es bald verdreht!
Geh' zur Giudecca hin und forsche da
Dem Vater nach der schönen Jassica,
Erfahre dort, daß ich durch Zinsgewinn
Der reichste Mann, der Jude Shylock bin!“
Ich mußte lachen, lachen lang' und hell:
„Der Jude Shylock du, du närrischer Gesell!
Vor Mitternacht schon ein Gespenstergraus,
Wer ließ dich aus San Servulo heraus,
Wo du in Träumen, die dein Hirn verwirrn,
Ans kühle Gitter drücktest deine Stirn,
Die fieberfeuchte, und hinausgeschaut,
Wo in der Sonne die Lagune braut?!“ —
Sein wilder Flammenblick durchbohrte mich,
Daß mich ein leises Frösteln überschlich.
„So lache doch“, sprach er, „einst lachten so
[231]Wie du die Richter und Antonio,
Als sie mein Recht verkürzt durch Christenkniff,
Und ich dies Messer da vergeblich schliff.
Sie lasen nicht heraus, nein, nur hinein,
Was nicht geschrieben stand in meinem Schein;
Wo ist lebendig Fleisch, das ohne Blut?
Die Christen geizten nach des Juden Gut.
Weil ich ein Jude, ward der Spruch verkehrt
Und der Gerechtigkeit entfiel das Schwert.
Doch ihre Wage schwankte lang' und bang,
In ihren Schalen Auf- und Untergang!
Schau', drüben, wo der Abendnebel graut,
Mit stolzen Kuppeln liegt die Meeresbraut.
Doch wo ihr Glanz, ihr Ruhm, ihr Schimmer, wo?
Venedig dort — ist selbst Antonio!
Der königliche Kaufmann, tief gehaßt,
Auf Ebenpfählen stand sein Prachtpalast
Von istrischem schneehellem Marmorstein;
Die Schmeichler zogen stündlich aus und ein,
Die schönste Gondel trug ihn im Kanal
Und seine Schiffe waren ohne Zahl;
An Spaniens Küsten, wo die Mittagsglut
Durchkocht und reift der Traube dunkles Blut,
Im Barbaresken-Meer, im Hellespont
[232]Hat sich sein weißes Segeltuch gesonnt, —
Doch weil er ränkevoll, misgünstig, klein,
Brach das Geschick, das rächende, herein.
Der mich bespie, der mich mit Füßen trat,
Ha, wie er flehte und sich beugend bat,
Als all sein Gut versunken und verstreut —
Ein König gestern und ein Bettler heut'!
Frag' ihn, der lange schwer und grausam litt,
Wer ihm sein bestes Fleisch vom Herzen schnitt,
Daß es jetzt offen liegt, nur bunt verhängt
Und träges Blut durch enge Adern drängt, —
Nicht ich, den sie gemartert und geplagt,
Des Glücks beraubt, von Haus und Herd gejagt:
Die eigne Schuld, der eigne Frevel nur,
Verletztes Recht und oft gebrochner Schwur!
Es war mein Recht so unbestreitbar
Wie es das Recht des Stammgenossen war,
Der eines Tages zu Jerusalem
Den König mit dem Dornendiadem
Mit rauhen Worten von der Schwelle stieß,
Auf die er sich ermattet niederließ.
Sie trieben ihn nach Golgatha in Hast,
Zusammenbrach er unter seiner Last;
Er trug das Kreuz, das ihn dann selber trug,
[233]An das ihn hoher Priester Ausspruch schlug.
Wer schilt den Mund, der Den von dannen schalt,
Der rings vor Israel als Sünder galt,
Der wundgegeißelt zu dem Tode ging,
Ans Kreuz geheftet zwischen Schächern hing?
Ein Theil des Hauses ist der Schwelle Stein,
Darf ich nicht wahren, was ich nenne mein?
Weil er den Sünder, der zur Strafe schritt,
Nicht an des reinen Hauses Schwelle litt,
Ein gutes Recht zu wahren nur gesucht,
Ward er für alle, alle Zeit verflucht!
Jahrhunderte hindurch hetzt ihn die Qual
Der Wüste Brand, das duftdurchhauchte Thal,
Der Gletscher Eis, die See, vom Sturm gefaßt —
Nur weiter, weiter, ohne Ruh' und Rast!
Der Kinder Schreckbild, kluger Thoren Spott,
Verflucht von jenem milden Christengott!
Ein Recht! — Ein Recht! — Und kein verletzt Gebot,
Und dafür wandern, wandern und kein Tod!!“
Er fuhr empor, er drohte mit der Faust
Zum Himmel hin, hat wild sein Haar zerzaust,
Mit einem langen, grellen Jammerschrei
[234]Riß er das Kleid auf seiner Brust entzwei.
Wie tief von diesem Schmerzenston erschreckt,
War rasch der Himmel nachtgrau überdeckt,
Der Boden zitterte, wie fieberhaft
Durchwogt von einer unterird'schen Kraft,
Die, Ausgang suchend, heiß, in vollstem Fluß
Der Erde Kruste erst zersprengen muß,
Die Brandung schlug dumpfdonnernd an den Strand
Und hoch aufwirbelte der Düne Sand.
Dann schritt er weiten Schrittes übers Meer
Mit wehnden Haaren, wie auf ebnem Pfad —
In stummen Schauern stand ich am Gestad'
Und sah ihn fliehen — Shylock — Ahasver!
Schleswig-Holstein
[253]Ein Völkersturm, der an des Alten Wucht
So stark wie keiner je zuvor gerüttelt! —
Und plötzlich schien so nah des Sieges Frucht,
Von der Geschichte Baum so leicht geschüttelt!
Der Gegner griff euch übermüthig an,
Ihr mußtet kämpfen um verbriefte Rechte;
Wie schöne Thaten wurden da gethan!
Das ganze Deutschland jauchzte dem Gefechte,
Und doch vergebens war die Heldenkraft!
Verlassen von den Mächtigen und Großen,
Saht ihr das schön Erkämpfte weggerafft
Und tiefer euch ins Leid zurückgestoßen.
[254]O herbe Noth! O grimme Bitterkeit!
Wer darf nach euch von hartem Loose sagen?
Ihr seid die wahren Märtyrer der Zeit,
Die Tugend ist wie Missethat geschlagen!
Erschütternd Elend, allem Volk enthüllt!
Wo ist ein edler Mann in deutschen Landen,
Dem nicht mit Thränen sich das Auge füllt,
Sieht er den Bruderstamm in solchen Banden?
Und doch — erhebt euch wieder, schaut empor
Und laßt euch nicht von euerm Schmerz bezwingen!
Ist auch das Ziel nun ferner als zuvor,
Noch immer ist es kämpfend zu erringen.
Es war uns Allen allzu nah gebracht!
Das eben hat der bösen Geister Tücke
Zu grollerfülltem Widerstand entfacht;
Zu rasch gelungne Schöpfung ging in Stücke.
Doch weil ihr jetzt bewältigt vom Geschick,
Nicht dürft ihr auf ein künftig Heil verzichten;
Als Männer schmerzgeprüft mit offnem Blick
Erkennt in euerm Leid die neuen Pflichten.
[255]Tragt euer unabänderliches Loos!
Ertragt das Völkchen, das mit solcher Gierde
Nach euch verlangt; es fühlt sich arm und bloß,
Entbehrt in euch es seiner höchsten Zierde!
Gebt ihm die Stütze, deren es bedarf
Und ohne die es freilich sinken sollte,
Weil hohe Politik die Würfel warf
Und das Geschick es leben lassen wollte.
Und drängt es kleinlich euch im eignen Land,
Entgegensetzt ihm einen Sinn von Eisen!
Das von Natur und Geist gewobne Band,
Das uns vereinigt, wird es nicht zerreißen.
Ist es ein Volk von eignem Genius?
Nein, sondern eins, dem wir Erleuchtung senden
Und das mit uns im Geiste wandeln muß,
Und immer mehr, je mehr wir uns vollenden.
Und wenn sie meinen, daß sie jetzt euch dreist
Den deutschen Sinn, die deutsche Weise nehmen —
Wir werden sie mit Sprache, Sitte, Geist
In siegender Entfaltung überströmen!
[256]Vielleicht nur darum auch gefiel es Gott,
Zu dulden, daß sie euch hinweggenommen
Und daß ihr tragen müßt der Sieger Spott,
Damit sie selbst mit euch herüberkommen.
Fürwahr, es wird sich in dem Lauf der Zeit
Das deutsche Machtbewußtsein wieder rühren,
Und, was begonnen Geistesthätigkeit,
Durch Heldenkraft zum letzten Schlusse führen.
Kurzbolt
[258]Hei, wie so hell die Kunde scholl!
Durchs Land gehn freudige Sagen!
Der Finkler, Heinrich der Sachse, soll
Die deutsche Krone tragen!
Die falschen Franken ergrimmten in Wuth,
Sie murrten zornentflammet:
In uns fließt Karl's des Großen Blut,
Und Königen sind wir entstammet.
Und Konrad's Bruder Eberhart,
Und Giselbert von Lothringen,
Sie riefen zur ehernen Kriegesfahrt,
Und zogen die blanken Klingen.
[259]Umsonst bat Kuno, Graf von der Lahn:
„Pflanzt keine Aufruhrfahnen!
Auch ich gehöre den Saliern an,
Und ehre die hohen Ahnen.
Doch rechtlich ist des Kaisers Wahl,
Ihn haben die Fürsten erkoren;
Auf, mehren wir seiner Diener Zahl,
Ihm sei die Treue geschworen!“
Da spotten sie laut: „Ei, Kurzbolt, sieh,
Mit deinem höckrigen Rücken,
Den krummen Beinen, dem schiefen Knie
Wirst du den Sachsen entzücken!“
Er aber achtet nicht den Hohn
Und zieht auf waldigen Wegen,
Des Reiches echter treuer Sohn,
Dem neuen König entgegen.
Und als er in das Lager ritt,
Da raunen Herren und Knechte:
„Solch kurzer Leib, solch hinkender Schritt
Taugt nimmer zum Gefechte.“
[260]Doch rasch begrüßet er im Zelt
Der Heimat Hort und Leiter:
„Es droht Empörung dir, mein Held,
Ich geh' mit dir als Streiter.“
Der Finkler dankt, doch will der Mann
Ihm seltsamlich erscheinen.
Indeß er sinnt: gar Großes kann
Gott wirken durch den Kleinen! —
Und sieh, ein Haufen Jäger naht
Mit Spießen, Bogen, Stangen,
Sie haben im Harz auf waldigem Pfad
Den wilden Bären gefangen.
Rings jauchzt man dem Unthier gewaltig, groß,
Da bricht es die Seile in Stücke;
O weh, der Kaiser ist waffenlos,
Das Thier stürzt auf ihn voll Tücke.
O weh, ihm droht ein jäher Tod!
Nur Kurzbolt weiß zu wagen,
Sein rascher Schwertschlag bricht die Noth,
Das Unthier liegt erschlagen.
[261]Und wie es röchelt im rothen Blut,
Umarmt der Finkler den Franken:
„Ich kenne dich kaum, du machst es gut,
Schon muß ich mein Leben dir danken!“
Bald ritten sie an den Elbefluß
Entgegen den trotzigen Wenden,
Da ließ ein Riese frechen Gruß
Und kühne Botschaft senden:
„Herr König, ich schlage Mann um Mann
Im Zweikampf mit deinem Heere!“
Da ging Herr Kurzbolt den Finkler an:
„Ich stelle mich zur Wehre!“
Er zog hinaus, dem Riesen gefällt
Der Zwerg zum Waffentanze;
Doch bald ist ihm die Brust zerspellt
Von Kurzbolt's klingender Lanze.
Die Feinde fliehen in wilder Flucht,
Der Finkler umarmt den Franken:
„Im Männerkampf, hei, welche Wucht!
Dir hab' ich mein Heer zu danken!“
[262]Nun ging zum grünen Rhein die Fahrt,
Den Aufruhr dort zu zwingen,
Es gilt dem Salier Eberhart
Und Giselbert von Lothringen.
Gen Breisich nahten sie dem Rhein,
Da fliehn die Empörer am Strande,
Und springen in den Kahn hinein
Und stoßen rasch vom Lande.
Der Kurzbolt wirft den Spieß mit Macht
In seiner Feinde Runde;
Er trifft das Schiff, daß es zerkracht,
Sie sinken all' zu Grunde.
Sie sinden alle den Tod im Fluß,
Der Finkler umarmt den Franken:
„Nun geb' ich dir den Bruderkuß!
Dir hab' ich das Reich zu danken!
Dir dank' ich Leben, Heer und Reich!“
So ruft Herr Heinrich von Sachsen;
Dem König Heil und dem Land zugleich,
Wo solche Treue mag wachsen!
[263]Seitdem war Kurzbolt in Stadt und Zelt
Des Königs liebster Genosse,
Sie ritten zum Streit in Heide und Feld,
Und tagten zusammen im Schlosse.
Was hatten die deutschen Kaiser doch
Nicht sämmtlich solche Vasallen!
Es stände das Reich hehr, herrlich, hoch
Noch vor den Reichen allen!
Des Juden Rache
[264]Sinnt der Schüler einsam über'm Talmud,
Dessen heil'ge Überlieferungen
Ihm der Synagoge weiser Rabbi
Glüh'nder Rede hatte ausgedeutet.
Süßen Nachklang immer noch im Herzen,
Blättert träumrischer in der Gomora,
Wendet in der Mischna er die Blätter.
Doch die Seele weilt in andern Sphären,
Diese hängt noch an des Rabbi Lippen,
Diese bebt noch von der hohen Rede,
Die der bärtige Israelite
Gramerfüllten Herzens vom Katheder
Über die Verfolgung seines Stammes
Den gerührten Schülern vorgetragen. —
[265]Und der Schüler in dem stillen Zimmer
Weiß nicht, wie die Stunden ihm verrinnen,
Weiß nicht, wie die Nacht schon niederdunkelt,
Und die Sterne hell und höher aufgehn.
Siehe, durch die trüben Fensterscheiben
Von der Gasse kommt ein rother Schimmer
Langsam, ob an einer dunkeln Mauer
Hell ein Lichterglanz vorüberzittert.
Weiß der Schüler wohl, was das bedeutet;
Nahe wohnet er dem Judenkirchhof,
Nur zu dieser mitternächt'gen Stunde
Darf die Juden heimlich man bestatten.
Nieder blickt der Schüler auf den Talmud;
Nieder tropfet eine schwere Thräne,
Als die unten auf der öden Gasse
Lautlos mit der Bruderleiche wandeln;
Und im heißen Schmerz ruft er die Worte:
„Gott ist Gott der Christen wie der Juden!
Herr Herr Zebaoth, wo ist dein Antlitz,
Das du zürnend wendest von den Deinen?
Wo dein starker Arm, daß er uns helfe?
Ausgestreut in aller Welten Länder
[266]Juda's Same! Wie vor'm Windstoß flüchtet
Eine Wolke Sandstaubs in der Wüste,
Hin- und hergewirbelt, nimmer ruhend —
Alles flieht vor ihm, dem Selbstentflohnen —
Also soll das Volk des Herrn verderben?“
Gramversunken, rathlos saß der Jude,
Überdenkend seines Volkes Schicksal,
Fühlend, wie noch nie, die große Bürde,
Diesem Volk, geknechtet, fluchbelastet,
Seinen dorn'gen Pfad voranzugehen.
Nächtelang schon hatte er verweinet,
Hatte Kraft vom Herrn sich heiß erflehet;
Doch die Bitterkeit, die Arglist und die
Wilde Schmähsucht derer, die gekreuzigt
Achten ihren Heiland durch die Juden,
Drückten seine Seele schwer darnieder,
Und sie rang vergeblich oft nach Fassung.
Horch, da tönen polternd schwere Tritte,
Und die mürbe Stiege draußen knarret,
Aufgerissen wird des Schülers Thüre:
Vier Genossen schleppen, bleich und bebend
Mit verwirrtem Haar, verstörten Mienen,
[267]Eingehüllt in des Talares Falten
Einen schweren Körper in das Zimmer.
Auf vom Pulte springt entsetzt der Schüler,
Blut'ge Tropfen sickern durch die Hülle,
Unter ihr ächzt eines Menschen Stimme.
„Was beginnt ihr, theuere Genossen?“,
„Unsern Meister traf ein tückisch Messer,
Als vom Lehrstuhl in der Synagoge
Wir nach seinem Hause ihn begleitet!
Bruder, sieh die arge Todeswunde!“
Nieder stürzt er zu dem theuern Lehrer,
Drückt das greise Haupt, das todesbleiche
An die Brust, in der das Herz will stocken,
Nur ein Schrei entringt sich seinen Lippen.
Und der blasse Mund des Meisters regt sich,
Aufschlägt er die müden Augenlider,
Die das Reich der Schatten schon umnachtet;
Leise, aber liebreich, nicht im Zorne
Spricht der Rabbi seine letzten Worte:
„Klaget nicht, und trocknet eure Augen,
Rufet nicht nach Rache zu dem Himmel,
[268]Gott ist Richter und des Schicksals Lenker.
Seht, ich fluche nicht der Hand des Christen,
Die das kalte Eisen nach mir führte,
Denn nur blöder Wahn hat sie verleitet!
Eure Rache sei nicht blut'ge Rache —
Eure Rache sei Vergebung, Liebe!“ —
Sterbend jetzt verhüllte er sein Antlitz.
Noch der Morgen fand ihn bei der Leiche,
Ihn, den Trauernden, den treuen Schüler,
Der die Nacht in dumpfem Weh verbrütet.
Er erhob sich; ihm im tiefsten Herzen
Leuchteten des Meisters letzte Worte.
Und der Schüler, der vordem noch zaghaft
Auf sein Ziel, auf seine Pflicht geschauet,
Fühlte eine große Wandlung in sich,
Fühlt sich stark genug zum großen Werke,
Seinem fluchbeladnen Volk als treuer Führer
Auf dem dorn'gen Pfad voranzuwandeln,
Seines theuern Meisters blut'gem Schatten
Aufzutreten als der rechte Rächer.
Tags darauf geht er zur Synagoge.
Auf dem Marktplatz saß ein Weib in Lumpen,
[269]Hungerbleich, an schlaffer Brust ein Kindlein,
Eines Christen Weib war diese Mutter.
Fleh'nden Blickes sprach aus ihr das Elend,
Ob nicht einen ihre Noth erbarme;
Achtlos gingen viele ihr vorüber.
Schritt der Jude an dem Weib vorüber,
Sah es an und hört des Kindes Wimmern,
Und er gibt, die Blöße zu bedecken,
Seinen warmen Mantel jenem Weibe.
Eure Rache sei Vergebung, Liebe!
Und er schritt hinauf die Tempelstufen.
Hexenküche
„Hat keiner mir mein Kind gesehen?
Seit Mittag ist das Mädchen weg,
Die Abendluft beginnt zu wehen,
Und kühler wird's am Wiesensteg.
Daß Rösel sich nur nicht erkältet,
Nicht 'mal ein Halstuch hat sie um!
Allein so ist's: wie ihr auch scheltet,
Die Jugend schiert sich nichts darum.
[270]Nun, wenn der Vater ihr begegnet,
Er leuchtet ihr gewiß nach Haus!
Ach, Himmel, wenn es nur nicht regnet,
Die Wolken sehn so streifig aus ...
Noch auf dem Herde steht ihr Essen,
Seit Mittag hielt ich warm die Glut.
Ich selber habe nichts gegessen;
Wär' ich dem Balg nur nicht so gut!
Da ist sie in das Korn gelaufen,
Zu schaun nach einem Lerchennest;
Ein paar Cyanen abzuraufen
Zum Kranz, das ist für sie ein Fest.
Nun ist sie fort und wie verstoben,
Die Heimkehr schätzt sie gar gering;
Nun warte nur, ich will's geloben,
Von Morgen ändert sich das Ding!
Sie wird mir älter alle Tage,
Den Kinderrock verwuchs sie schon,
Und, daß ich heimlich mir es sage,
Schon blickt nach ihr manch schmucker Sohn.
[271]Da will es sich nicht länger schicken,
Herumzupirschen frei und frank;
Den künft'gen Ehmann zu beglücken,
Lernt sich allein bei Küch' und Schrank.
Da endlich kommt sie! Nein — ich irre,
Es ist des Köhlers alte Frau;
Ach, Gott, was ist die klapperdürre,
Der Blick so fahl, der Kopf so grau!
Wie wackelt ihr die weiße Haube,
Wie wackelt das behaarte Kinn!
Verzeih' mir's Gott, allein ich glaube,
Das Weib ist eine Zauberin!
Sie pflückt bei Neumond heimlich Kräuter,
Sie schabt vom Felsen Moos und Pilz,
Sie füllt und leert der Kühe Euter —
Und unsre Kuh starb an der Milz.
Ei ja, das ist das Weib gewesen,
Es hat gewiß den bösen Blick;
Ich schalt es einmal einen Besen —
Ach, wär' mein Rösel erst zurück!
[272]Sie kam zu Schaden, ich vermuth' es;
Wenn sie im Walde sich verlief!
Mir träumte heute Nacht nichts Gutes,
Da rechts ich auf der Seite schlief.
Nein, so am Walde auch zu wohnen,
Wie oft verdacht' ich's meinem Mann;
Es rauscht so seltsam in den Kronen,
Er aber lacht und knurrt mich an.
Aus nichts kommt nichts! Und wär's erdichtet,
Wovon doch jeder Mund fast spricht,
Wovon so manches Lied berichtet,
Man greift es aus der Luft doch nicht?
Ich selber möcht' es fast beschwören:
Als neulich ich im Holze war,
Hab' unter mir ich seufzen hören,
Die Sache schien mir gleich nicht klar ...
Und nun die alte Köhlerhütte!
So winkelschief, so diebsversteckt,
Kein Fenster ist in der Kajüte,
Nichts Gutes wird da ausgeheckt.
[273]Da geht man nur vorbei mit Schauern,
Die Hexenküche meid' ich schon —
Die Alten sind's nicht werth, bedauern
Muß ich nur ihren hübschen Sohn.
Ha, wenn er morgens durchs Gestrüppe
So hell wie eine Drossel pfeift,
Auf seinen Schultern Baum und Schippe,
Zum Meiler durch den Waldgrund streift:
Da hab' ich immer denken müssen,
Ein prächt'ger Junge doch, der Hinz!
Doch lag's mir schwer auf dem Gewissen,
Er sei wohl ein verwunschner Prinz ...
Nein in der That, das währt zu lange,
Die Rösel, scheint es, treibt ihr Spiel;
Ich bin ja sonst nicht gleich so bange,
Doch was zu viel ist, ist zu viel.
Ja komm mir nur, dich will ich lehren
Zu rechter Zeit zu Hause sein!
Dein Essen sollst du kalt verzehren,
Und morgen sperre ich dich ein.
[274]Wenn nur kein Unglück ist geschehen!
Der Hexenküche trau' ich nicht,
Erst neulich hab' ich flackern sehen
Darin ein wunderliches Licht;
Die Alte rührte einen Kessel,
Ich sah's, die Hütte ist schon spack;
Ein Drudenfaß, das war ihr Sessel,
Sie braute einen Theriak.
Den hat sie meinem Kind gegeben
Und ihm bestrickt den klaren Sinn —
Und kostete es auch mein Leben,
Zur Hexenküche muß ich hin!
Geh' ich allein? Sag' ich's dem Paster,
Daß er den Zauber gleich bespricht?
Doch wissen's mehr, so wird's zum Laster,
Ich sag' es lieber keinem nicht.“ —
Die Mutter eilt zur Köhlerhütte,
Die beiden Alten flogen aus;
Doch an des Herdes trauter Mitte
Die Jungen halten einmal Haus.
[275]So selig still ist's in der Stube,
Die Abendsonne lauscht hinein!
Im Arme hält der Köhlerbube,
Der bangen Mutter Töchterlein!
Sind denn versteinert alle beide?
Sie sehen nicht und hören nicht;
O weh, wenn jetzt zu ihrem Leide
Der schöne Zauber plötzlich bricht!
An seiner Brust ruht sie versunken,
Sie träumt von einer andern Welt;
In ihrem blonden Haare prunken
Die blauen Blumen noch vom Feld. —
„Nun, dacht' ich's doch! Hier steckt die Dirne?!
Und hält wol gar den Buben fest?
Mir aber sagt sie kecker Stirne,
Sie suche sich ein Lerchennest?
Das sind mir grade meine Lerchen!
Fürwahr das Nest liegt sehr abseit;
Ein andres mit den Klapperstörchen
Liegt in der Regel auch nicht weit!
[276]Ja freilich wär' es gut gewesen,
Hätt' ich den Pfarrer mitgebracht;
Das heißt, zu binden, nicht zu lösen;
Ich spür's: auch Lieb' ist Zaubermacht!
Ich wollte nur mein Mädchen haben,
Und wünschte dieses nur herbei;
Nun find' ich auch noch einen Knaben!
Doch — seid willkommen alle zwei!“
Nixenkönigs Trost
[281]Des Pfarrers Kinder hüpfen fort
Rasch zu des Wettersees Gestaden;
Des Nixen Kindlein sitzen dort,
Und harren ihrer Spielkamraden.
Die nahen lärmend; Arm in Arm
Sieht man die Kinder sich umschlingen,
Den drollig kleinen Nixenschwarm
Mit Christenkindern lustig springen.
Sie tummeln froh auf grünem Plan,
Feldblumen winden sie zum Kranze,
Und lassen sich gar herzig an
Und reihen sich zum Ringeltanze.
[282]Da sieh — der Nixenkönig hold
Beginnet aus der Flut zu steigen,
Er rührt der Harfe Zaubergold
Frohlockend zu der Kinder Reigen.
Keck trat der Knabe Nils herzu,
Und rief mit spöttischen Geberden:
„Geh', alter Nix! Was willst denn du?
Du kannst ja nimmer selig werden!“
Da füllt' ein Weheruf die Luft,
Die Saiten hört man springend gällen;
Wie eine Leiche in die Gruft,
So sank der Nix in dunkle Wellen.
Die Nixenkinder hielten sich
In unbewußter Furcht umschlungen,
Und weinten laut und bitterlich;
Die andern sind voll Angst entsprungen.
Nur Bolla blieb zurück am Strand,
Zum Trost für die verlassnen Kleinen;
Sie legte betend Hand in Hand,
Und mußte selbst herzinnig weinen.
[283]Die andern trieb es wie ein Fluch,
Es wußte keines sich zu rathen:
Der Pfarrer saß beim Bibelbuch,
Als jammernd seine Kinder nahten.
Erschrocken hört' er ihre Mär,
Den Knaben schalt er um sein Höhnen.
Zum See dann eilend wandelt er,
Den Schwergekränkten zu versöhnen.
Zur Flut sich neigend rief er laut:
„Klag' nicht, denn wisse, wer hienieden
Unsträflich wandelnd Gott vertraut,
Dem spendet Gott auch seinen Frieden.“
Da war's, als ob ein Zaubersang
Den geisterhaften See belebte;
Die Flut im vollsten Ton erklang,
Daß Berg und Hain und Flur erbebte.
Der Nixenkönig aber ließ
Noch lang' sich hören am Gestade;
Er griff ins goldne Spiel und pries
Mit lautem Ton die ew'ge Gnade.
Die Hornbrüderschaft
1586
[284]Wenn wir den Becher schwingen,
So soll zu jeder Zeit
Dein lautes Lob erklingen,
Herr Hans von Manderscheidt!
Du Bischof sondergleichen,
Du alter Humorist,
Der du im besten Zeichen
Zur Welt gekommen bist.
Den Herrn von Gott's Genaden
Wird oft das Amt zur Last;
Von Sorgen überladen
Bricht mancher Nacken fast.
[285]Auch quält sie gar absonder
Absonderliche Pein:
Im Leib der Hypochonder,
Im Fuß das Zipperlein.
Drum tagen jetzt die Besten
Des Reichs, wie solcherlei
Drangsalen und Gebresten
Wol abzuhelfen sei:
Zu Hohenbarr im Saale
Sitzt das Concilium,
Flink geht die volle Schale
Den dichten Kreis herum.
Zum Vorsitz fügt sich willig
Herr Hans von Manderscheidt;
Von Strodtburg sitzt, wie billig,
Der Bischof ihm zur Seit'.
Der Herzog Fritz von Sachsen,
Die Herr'n von Salm und Lein,
Und andre Kräfte wachsen
Zu diesem Trutzverein.
[286]Erst wird jedwede Meinung
Gehörig überdacht,
Dann jegliche Verneinung
Zu Protokoll gebracht;
Auf strenger Logik Wage
Wird streng das Wort gewägt,
Und wird jedwede Frage
Allseitig dargelegt
Bei jeglichem Beschlusse
Ein goldnes Bächlein fließt,
Daß auch in frischerm Gusse
Die Rede sich ergießt.
Das Wort, erst leis' und schüchtern,
Wird bald zum tollsten Scherz:
Der Kopf bleibt klar und nüchtern,
Doch überfließt das Herz.
Es legen ihre Würden
Die Herr'n freiwillig ab,
Und stell'n zu andern Bürden
So Hut als Hirtenstab.
[287]Und wie nun unumwunden
Der Wein den Sieg gewann,
Da ruft Herr Hans: „Gefunden
Hab' ich den Talisman!“
„Was drückt den grauen Haaren
Den Kranz der Jugend auf?
Was kürzt, ihr habt's erfahren,
Der trägsten Tage Lauf?
Was frommt, wie Thau den Triften,
Der Männerbrust? — Der Wein!
Ihr Herr'n, drum laßt uns stiften
Heut' einen Zechverein.
Im Hagenauerforste
War einst mein Ahn zur Jagd,
Und hat zum dunkeln Horste
Des Ures sich gewagt.
Nach langem, heißem Kampfe
Erlag das edle Thier,
Ein Schrei im Todeskampfe
Hallt weit im Waldrevier.
[288]Drauf ließ mein Ahne fassen
Als Becher jenes Horn,
Und nimmer wollt' er lassen
Von diesem Labeborn.
Man mußt's ihm täglich reichen,
Gefüllt mit goldnem Saft,
Drum sei dies Horn das Zeichen
Von unsrer Brüderschaft.
Und wer's mit einem Zuge
Zur Nagelprobe leert,
Der sei, mit gutem Fuge,
Als Ordensglied erklärt.
Solch Horn darf kecklich tragen
Ein jeder Ehemann,
Und nimmer soll man sagen,
Es haft' ein Makel dran.“
„Mit dieser Waffe stoßen
Den Gram wir in den Wind,
Und kränzt's mit rothen Rosen
Etwan ein rosig Kind, —
[289]Wir wehren es mit nichten!
Ist kußlich gar der Mund,
So ... Sagt mir, wollt ihr pflichten
Zu diesem Bruderbund?“
Da gab's kein lang Erwägen,
Ein Jubel tausendfach
Erscholl dem Mann entgegen,
Der jenes Wörtlein sprach.
Das Ordensbuch entwerfen
Die Herr'n dann insgemein,
Und beim Pokale schärfen
Sie jeden Punkt sich ein.
Es ward im deutschen Reiche
Der Hornbund oft genannt
Und ob viel toller Streiche
Allmänniglich bekannt.
Sein Witz, ein goldner Funken,
Erfreute manch Geschlecht:
Unmäßig ward getrunken
Und ohne Maß gezecht.
[290]Die Pfaffen und die Laien
Umschlang ein Bruderkranz,
Die höchsten Häupter leihen
Dem Bunde ihren Glanz.
Und weil in besten Launen
Die Herr'n stets pokulirt,
So hat auch zum Erstaunen
Das ganze Land florirt.
Ja, wenn das Glas wir schwingen,
So soll zu jeder Zeit
Dein helles Lob erklingen,
Herr Hans von Manderscheidt!
Du Bischof sondergleichen,
Du alter Humorist,
Der du im besten Zeichen
Zur Welt gekommen bist!
Unsterblichkeit
Schon neigte sich der grüne Tag,
Schon wurde stumm der Vöglein Schlag,
Das Flüstern wurde stumm im Hain
Und selbst die Blumen schliefen ein.
Kein Athem rings auf keinem Mund!
Es ruht der Schöpfung weites Rund,
Als wie ein Kind an Mutterbrust,
So sanft, so still, so unbewußt.
Die Sterne nur mit ew'gem Gang
Gehn schweigend durch die Nacht entlang,
Mer Mond, ein treuer Wächtersmann,
Führt ihren Reigen leuchtend an.
[311]Das Alles war so, wird so sein
Viel tausend Jahre hinterdrein;
Nach vielen tausend Jahren wird
Der Mond noch sein der treue Hirt.
Nur du allein, o Menschenbrust,
O du, in der der Erde Lust,
Der Erde Weh zusammenschäumt,
O du, die selbst ein Gott sich träumt:
Zerfallen wirst du und verwehn —
Vielleicht schon heute kann's geschehn,
Vielleicht, noch heute frisch und roth,
Knickt dich am Morgen schon der Tod.
Und was im Herzen dir gepocht,
Und was im Hirn dir schäumend kocht,
Der liebste Wunsch, das frömmst' Gebet —
Bald ist's zerflattert und verweht.
Ja, selbst die Liebe, die noch heut'
Dir Rosen auf den Hügel streut,
Bald trocknet sie die Thränen auch;
Auch Liebe weht dahin wie Rauch.
[312]O holde Ruh', o süßer Tod,
Aus dem uns kein Erwachen droht!
Versunken ganz im Meer der Zeit,
O selige Vergessenheit!
Denn Andre wieder werden stehn
Und werden auch gen Himmel sehn,
Und lassen auch der Sterne Schein
Sich dringen tief ins Herz hinein.
Und was die Seele dir bewegt,
Was deinen Geist auf Schwingen trägt,
Was froh und traurig dich gemacht,
Was du gekämpft, geweint, gelacht:
Es kehret Alles wieder doch
Nach vielen tausend Jahren noch;
Von vielen tausend Herzen wird,
Wie einst von dir, geliebt, geirrt.
Die Menschheit ist ein ew'ger Kreis,
Sie wandelt hin in festem Gleis,
Wie an der Kette wohlgefügt
Sich Ring an Ring zusammenschmiegt.
[313]Und wie der Mai zum Leben weckt,
Was lang' der Erde Schoos verdeckt,
Und jeder Keim aus Wintersnacht
Blüht neu hervor in Frühlingspracht:
So schließt auch an der Menschheit Baum
Sich Ring an Ring, du faß'st es kaum,
Und immer kämpft ein neu Geschlecht
Um neue Freiheit, neues Recht.
Ja, jeder Wunsch, der dir vergällt
Als Thräne auf die Seele fällt,
Und jeder früh verblaßte Traum,
Einst glüht er noch als Frucht vom Baum.
So rolle denn, o Strom der Zeit!
Du selber bist Unsterblichkeit!
Es netzt die Sohle wol dein Strom;
Doch ewig ragt der Menschheit Dom!
Das bleiche Kind
Durch einsame Straßen, bei nächtiger Zeit,
Was wallt wie von Lüften getragen?
Es ist ein Kind in weißem Kleid,
Das Haar in den Nacken geschlagen;
Es geht so leis', es geht so sacht,
Als wie der Mond in stiller Nacht;
Es schreitet nicht, es gleitet nur —
Doch hinter ihm weit, o schau die Spur
Von Thränen, o schmerzlichen Thränen!
[320]Auf seiner Stirne leuchtend steht
Ein zerbrochener goldener Reifen,
Um sein schneeweißes Hälslein geht
Ein schmaler blutiger Streifen;
Die kleinen Hände ringt das Kind,
Die Haare flattern in dem Wind,
Stumm ist sein Mund, das Antlitz blaß,
Sein weißes Hemd ist schwer und naß
Von Thränen, o schmerzlichen Thränen!
Es pocht und pocht an jedes Thor
Lautlos, mit gespenstigem Finger,
An jedes Fenster schwebt's empor,
An Erker und an Zwinger:
Und schaut mit Blicken flehend heiß
Die müden Schläfer rings im Kreis,
Und beugt das Knie bis auf den Grund
Und legt den Finger auf den Mund,
Mit Thränen, o schmerzlichen Thränen!
Doch wo es kommt an des Königs Haus,
Es schlummern die Wachen im Thore,
Da wächst das Kind und dehnt sich aus,
Wie Nebel auf dampfendem Moore:
[321]Nun ragt es an den Söller schon,
Nun durch das Fenster husch, am Thron,
Nun an des Königs Bett geschwind —
Da steht es und reckt die Hand, das Kind,
Mit Thränen, o schmerzlichen Thränen!
Und der König erwacht und sieht das Kind,
Und sieht den blutigen Streifen —
„Heda, meine Wachen! ergreift sie, geschwind ...!“
Doch läßt auch der Nebel sich greifen?
Zerflattert ist das Kind wie Schaum —
„Schlaft, gnäd'ger Herr, es war ein Traum,
Still liegt die Stadt und still die Flur —“
Nur weit durch die Gassen, o schau die Spur
Von Thränen, o blutigen Thränen!
Wie die Künstler berufen werden
Eine Legende
[331]Verflossen war manch tausend Jahr!
Seitdem die Welt erschaffen war
In Schönheit und in rechter Pracht,
Vom Herrn mit aller Lust bedacht. —
Da saß auf einer Wolke klar
Einst eine frohe Engelschar,
Erzählten sich vom Himmelreich,
Von Sonn' und Mond und so dergleich.
Drauf hub von ihnen einer an,
Und sprach: „Wär' es nicht wohlgethan
Einmal zur Erde hinzusehen,
Wie's da den Menschen mag ergehen?
Das muß doch wunderlieblich sein,
[332]Zu sehen, wie sie da sich freun
Ob all der Herrlichkeit umher,
So Gott gemacht zu seiner Ehr';
Wie sie von Herzen jubiliren,
Und ein glückselig Leben führen!“ —
Und wie der Engel also spricht,
Da säumten auch die andern nicht,
Schwangen mit leuchtendem Gefieder
Auf einen hohen Berg sich nieder,
Und wo ihr Auge deutlich sah,
Was unten in der Stadt geschah.
O weh, so viel sie auch geschaut,
Sie fanden nichts, was sie erbaut.
Die Menschen waren voll Verstand,
Dabei schlau, emsig und gewandt;
Doch wußten sie sich nur zu plagen,
Das nannten sie „ihr Glück erjagen“.
Da gab's ein Feilschen, Drängen, Schrein,
Und alles nur um Mein und Dein,
Um Geld und Gut, Macht und Gewinn. —
Auf Markt und Gassen her und hin
Kein schlicht einfältig Menschenkind
Der Engel Blick da unten findt'.
[333]Die Leute hatten Augen zwar,
Und waren blind doch ganz und gar
Für all' die Schönheit und die Pracht,
So Gott der Herr für sie gemacht.
Der König sah nur an sein Scepter,
Grammaticam nur der Präcepter,
Der Schuster seine Pfriem' und Leist,
Der Kriegesknecht sein Schwert zumeist.
Wie solches nun die Engel sahn,
Schauten sie sich erschrocken an.
Nach dem, was von der Menschen Art
Auf Markt und Gassen sie gewahrt,
Thät ihnen alle Lust vergehn,
Die Leute näher anzusehn.
Da faßten sie denn schweren Groll,
Wurden gewalt'gen Zornes voll,
Und flogen graden Wegs sogleich
Zu Gottes Thron ins Himmelreich,
Und riefen: „Herr mit deiner Erden
Muß es noch heute anders werden.
Wir bitten dich, o schau doch hin,
Wie sich verkehrt der Menschen Sinn!“ —
[334]Der Herr mit ernstem Angesicht
In heil'ger Ruhe darauf spricht:
„Ihr, die ihr so des Zornes voll,
Was meint ihr, daß geschehen soll?“ —
Die Engel riefen: „Alsofort
Send' uns hinab zur Erde dort!
Tilg alle Schönheit zu dieser Frist,
Und laß nur stehn was nützlich ist.
Der Sonne nimm den lichten Glanz,
Den Brünnlein ihrer Wellen Tanz.
Laß alle Blumen uns abmähen,
Den Berg mit Heu und Stroh besäen;
Dem Vogel nimm sein Stimmlein zart,
Daß er nur krächz' nach Raben Art;
Und von der Menschen Angesicht,
Daß du so lieblich zugericht't,
Nimm jede Zier und jeden Putz,
Daß es nur dien' zum bloßen Nutz.
Wollen die Menschen sich selber leben,
Brauchst du dir keine Müh' zu geben.“ —
Da lächelt ob der Engel Rath
Der Herr und spricht: „Sind in der That
[335]Auf Erden alle Menschenkinder
Wie ihr da sagt, so arge Sünder:
Nehmt eure Sicheln, flieget hin,
Und thut sofort nach euerm Sinn.“ —
Die Engel hoben ihr Gefieder,
Und schwebten zu der Erde nieder
Mit goldnen Sicheln in den Händen,
Das Amt der Richter zu vollenden.
Da lag dicht vor der Stadt ein Feld
Mit Blumen wonniglich bestellt,
Gerade zu der Rosenblüh'
An einem schönen Morgen früh.
Die Brünnlein durch die Blumen rannen,
Dabei ein Wald von Buchen, Tannen,
Drin manch ein Vogel fröhlich sang. —
Das war ein Rauschen, war ein Klang,
Ein Funkeln in dem Sonnenschein,
Es konnte gar nicht lust'ger sein!
Und all' die Schönheit sollt' auf Erden
Vertilgt nun durch die Engel werden.
Schon wetzten sie die Sicheln schnell,
Da schauten sie zur selben Stell'
[336]Viel kleine Buben keck und frisch,
Die trieben Kurzweil im Gebüsch,
Am Quell und auf dem Wiesenplan.
Die Engel schlichen sich heran,
Und sahen zu der Knaben Spiel.
Da saßen an dem Ufer viel,
Hatten so rechte Herzensfreud'
An dieser Erde Lieblichkeit;
Mit kleinen Stäblein in der Hand,
Sie rissen nach im weichen Sand
Was sie erschaut, mit flinker Hand:
Den spitzen Fels, den runden Hügel,
Den Vogel mit gespreiztem Flügel,
Auch Bäum' und Blumen fehlten nicht;
Sogar des Menschen Angesicht
Mit Nas' und Mund und schlichtem Haar
Durch Strichlein da umrissen war. —
Die andern auch nicht feiern thäten,
Mühten sich ab in Thon zu kneten
Was ihnen vor Augen war bereit,
Wie's eben ging mit Emsigkeit;
Conterfeiten die eignen Brüder,
Den runden Kopf, die vollen Glieder. —
[337]Noch waren da der Kinder mehr,
Die holten grüne Zweiglein her,
Steckten sie rings in Leim und Erden
Als sollt' ein Häuslein daraus werden;
Die Äst' gewölbet sie verschränken,
Blum' und Blättlein darüber henken;
Hei, wie da jauchzt die ganze Schar,
Wenn solch schön Häuslein fertig war. —
Noch waren Knaben auf dem Plan,
Die huben andre Schnurren an:
Der Brüder Art und Mien' und Blick
Ahmten sie nach mit viel Geschick,
Stellten sich an wie alte Leut',
Sprachen bald närrisch, bald gescheidt. —
In Tönen andre jubilirten
Wie an den Vöglein sie's verspürten,
Schlugen den Takt mit Schelmenblicken
Dazu einander auf den Rücken. —
Auch saßen viele auf den Bäumen,
Und was in Erd' und Himmelsräumen
Geschaut sie und gehöret dorten,
Mußten sie künden in hellen Worten;
Reimten zusammen „Freud“ und „Leid“,
Hatten ihr Verslein gleich bereit. —
[338]Wie solches Spiel die Engel sahn,
Hielten sie mit den Sicheln an;
Mußten lachen aus Herzensgrund
Über die Buben klein und rund,
Die sich in ihrer Freudigkeit
Mit Wort und Werken sahn bereit
Des Herren Schöpfung nachzumachen. —
Und ob dem Schau'n und ob dem Lachen
Kam ganz den Engeln aus dem Sinn
Was sie geführt zur Erden hin.
Fingen selber zu spielen an
Mit den Buben auf grünem Plan,
Halfen da bauen und bilden und singen
Und manches schöne Werk vollbringen.
Die Knäblein aber freuten sich
Der Himmelsboten inniglich,
Ließen sich viel von ihnen sagen
Von der Welt Schöpfung und ersten Tagen.
Und als nun gar die Engel ihnen
Erzählten mit verklärten Mienen
Von aller Himmel Herrlichkeit
Und aller Seligen Seligkeit,
Was hörten da die Buben zu!
[339]Hatten auf Erden nicht mehr Ruh',
Wußten nach Kinderart zu schmeicheln
Mit Bitten und mit Händestreicheln,
Daß ihnen zum Versuch nur eben
Die Engel ihre Flügel gäben.
Das hat den Engeln wohlbehagt,
Haben nicht lange nachgefragt,
Nehmen die Flügel sich vom Rücken,
Lieh'n sie den Buben mit frohen Blicken!
Die aber also ausgezieret,
Mit Himmelsrüstzeug ausstaffiret,
Sie flogen lustig auf und fort
Über die Erde hier und dort,
Bis in die Wolken selbst empor;
Klopften sogar ans Himmelsthor,
Bis da Sanct Peter mit Vertrauen
Erlaubt durchs Schlüsselloch zu schauen.
Was dort sie sahn, sie hielten's fest
In ihrem Sinn aufs allerbest'. —
Die Engel, die sie fliegen sahn,
Sie hatten große Lust daran;
Doch als das Spiel währt gar zu lange,
[340]Ward ihnen doch auf Erden bange;
Die Schwingen hatten sie vergeben,
Wie sollten sie zum Himmel schweben?
Umsonst sie ihren Ruf erhoben,
Die Buben hörten's nicht da oben,
Versenkt in Lust und Sonnenschein. —
Jetzt fiel es erst den Engeln ein,
Was sie da alles angerichtet,
Wie sie den Herrn so falsch berichtet,
Wie sie im Eifer ganz verblend't,
Ihm gar gepfuscht ins Regiment.
So setzte reuig sich die Schar
Da wo der Wald am tiefsten war,
Und saßen da und grämten sich,
Und sahn sich an und schämten sich.
Doch Er, der kennt Verdienst und Schuld,
Langmüthig ist und voller Huld,
Er sah der Engel Reu' und Pein,
Und sprach: „Euch soll verziehen sein,
Doch künftighin verdammet nicht;
Ich bin der Herr; mein das Gericht!“ —
Gab ihnen neue Schwingen gleich,
Drauf flogen sie ins Himmelreich.
[341]Und zu den Knaben frisch und gut
Sprach er: „Bewahret euern Muth,
Und seid erfüllt mit Himmelsglut,
Daß ihr fortan den andern Leuten
Der Erde Wunder möget deuten.
Eu'r Auge sei ein klarer Spiegel,
Darin sich zeigt der Schönheit Siegel,
Das ich hab' aufgedrückt der Welt,
Zu meinem Reich sie so bestellt.
Euch aber will ich Künstler heißen,
Weil ihr der Kunst euch sollt befleißen!
Erschlossen werd' auch ferner euch
All meiner Schöpfung weites Reich.
Drum sollt behalten ihr die Schwingen
Zu Lust und Ernst und hohen Dingen,
Draus jeglicher entnehmen mag:
Daß Menschenweisheit arm und schwach,
Daß ich es bin, der diese Welt
Erschuf und lenkt und sie erhält!“ —
Und wie der Herr gesagt solch Wort,
So ist es auch geschehn hinfort: .
Mit leichten Flügeln ausgezieret
Die Buben blieben ausstaffiret,
[342]Konnten nun fliegen aller Orten
Über die Erde hier und dorten,
Sahn vieles rings auf weiter Erden,
Was war, was ist und noch soll werden:
Schlechtes und Rechtes, Schand' und Ruhm,
Dazu viel Schalkheit und Narrenthum;
Und was sie sahn, sie stellten's hin
In ihrem Werk mit treuem Sinn. —
Also, Legende uns erzählt,
Wie Künstler kamen in die Welt.
Bettler und Bettlerin
[353]Der Bettler geht mit seiner Frau
Zum Dorf hinein, zum Dorf hinein;
Der Bettler spricht zu seiner Frau:
„Geh' du allein, geh' du allein —
Und sind wir durch, wir treffen dann
Dort hinter'm Dorf uns wieder an
Am Holderzaun, am Holderzaun.“
Er geht nun rechts, sie geht nun links
Von Haus zu Haus, von Haus zu Haus;
Die Frau ist stumm, das Männlein hinkt
Zum Hof hinein, zum Hof hinaus.
Die Schuhe sind im Korn versteckt,
Damit der Bauer nicht entdeckt
Wie arm sie sind, wie arm sie sind.
[354]In Wochen liegt des Schulzen Frau,
O Schelmenglück, o Schelmenglück!
Von schwarz und weißem Kuchen gibt's
Ein großes Stück, ein großes Stück.
Der Pfarrer hat gar Hochzeitsfest,
Er gibt, daß er sich sehen läßt,
Drei Kreuzerlein, drei Kreuzerlein.
Vorm Hirtenhause kräht ein Hahn,
Der legt kein Ei, der legt kein Ei!
Was kümmert das den Bettelmann,
's ist einerlei, 's ist einerlei:
Er jagt ihn auf dem Feld umher,
Ein todter Hahn, der kräht nicht mehr, —
Zum Korb hinein, zum Korb hinein!
Die Frau sitzt schon am Holderzaun,
Ist müde nun, ist müde nun.
Er spricht: „Die Schuh' hol' aus dem Korn,
Jetzt will ich ruhn, jetzt will ich ruhn.“
Die Frau spricht: „Nein, das thu' ich nicht.“
Er schimpft, sie kratzt ihn ins Gesicht, —
Sie prügeln sich, sie prügeln sich!
[355]Schon kämpfen sie mit Hand und Fuß,
Der Korb zerbricht, der Korb zerbricht;
Im Staub liegt Kuchen, Wurst und Brot,
Sie sehn es nicht, sie sehn es nicht, —
Da plötzlich über Stock und Stein
Fliehn Mann und Weib mit flinkem Bein, —
Der Bettelvogt! Der Bettelvogt!
Sei still, mein Herz
[379]Sei still, mein Herz, und klage nicht:
Der Frühling kommt, der Frühling naht!
Hervor aus dunkelm Schoose bricht
Der frische Sproß, die grüne Saat.
Es pocht der erste Sonnenstrahl
An jede Brust mit Zauberschlägen,
Daß sich von Licht und Duft und Schall
Im tausendfachen Widerhall
Der Seele Saiten neu bewegen.
Mein Herz, wie schlugst du doch so bang
In langer, trüber Winterzeit,
Und hast verlernt der Lieder Klang,
Der leise löst der Seele Leid.
Was starrst du an den jungen Flor
Der Welt, und wagst es nicht zu hoffen!?
Der Gram, darin dein Muth erfror,
Zerrinnt und drängt und quillt hervor,
Vom Frühlingssonnenstrahl getroffen.
[380]Sahst du den Bach, als eingezwängt
Im Eise stockten seine Wellen?
Nun da er seine Decke sprengt —
Sieh, wie die Ufer überschwellen!
So schwillt empor das alte Leid; —
O laß die Thränen, laß sie strömen!
Die Seele wird so frei, so weit,
Des Frühlings ganze Herrlichkeit
Tief athmend in sich aufzunehmen.
Traf Täunschung dich, traf dich Verlust,
Und sahst du Stern auf Stern erblassen,
Da du dir keiner Schuld bewußt,
Was soll der Gram? Was soll das Hassen?
Blick an den Thau! — Es sind der Nacht
Viel düstre Thränen wol geflossen:
Nun da der lichte Morgen lacht,
Ist's nicht wie Diamantenpracht,
Die auf die Welt dahingegossen?!
Wohl dem, der nicht das Herz verschließt,
Wenn seiner Wünsche Raum zerronnen;
Der das, was ihm verblieb, genießt,
Und wären's nur des Frühlings Wonnen! —
[381]Doch besser, wer sich stolz erhebt
Mit raschem Muth, mit kühnem Sinnen,
Wo neue Kraft die Welt belebt,
Auch wieder hofft und wagt und strebt,
Den höchsten Kampfpreis zu gewinnen.
Unterwegs
Episode aus dem Flüchtlingsleben
Geschrieben 1851 in Orléans
[382]Der Abend kam, wir saßen am Kamin,
Ein ziellos Volk, gewürfelt bunt zusammen,
Vom Schicksalssturm auf Augenblicke hin
Vereint um Eines Herdes düstre Flammen:
Der blinde Bettler mit dem Pudelhund,
Der ihm am Seile leitet durch die Gassen,
Der Invalid, der alte Vagabund,
Vor kurzem aus dem Bagno erst entlassen,
Der Handelsmann, der seinen dürft'gen Kram
Von Haus zu Hause schleppt in Gram und Scham,
Der fremde Flüchtling, in des Glückes Schoos
Jüngst ruhend noch, nun bettelnd heimatlos,
[383]Was alles nur verworren kriecht und bunt
Sich nährt tief auf des Bodens Schlamm und Grund.
Die Nacht war kalt und klar, wild tobte draußen
Der Wintersturm mit unheimlichem Sausen,
Indessen wortlos brütend vor uns hin
Wir in die Kohlen starrten am Kamin.
Zuweilen nur scholl aus dem stummen Chor
Ein roher Witz, ein Seufzer auch empor.
Der blinde Bettler rief: „Heda, mehr Licht,
Frau Wirthin! 's ist ja Nacht, ich sehe nicht.“
„Und kalt ist's auch“, rief unter Fluch und Lärmen
Der Invalid, „wollt ihr, daß ich ins Feuer
Noch meinen Stelzfuß werfe, uns zu wärmen?
Noth thät' es wahrlich, denn der Wein ist theuer.“
„Und gingen die Geschäfte nur etwas“,
Sprach der Hausirer, „ich tränk' auch ein Glas;
Doch immer größer wird die Noth im Volke.“
Er seufzt' und alle schwiegen wie zuvor.
Auf einmal riesig aus der Tabackswolke
[384]Hob sich der greise Vagabund empor.
Um seine Brauen lag es lange schon
Wie eines Wetters unheimliches Drohn,
Und auf der Stirne seine Ader schwoll,
Und donnernd also jetzt sein Wort erscholl:
„Wo liegt die Quelle von des Volkes Noth?
Im Volke selbst und seinem feigen Dulden!
Wollt ihr nicht ewig eure Noth verschulden,
So ruft verzweifelt aus: Brot oder Tod!
Armsel'ge Zeit, wo statt auf Barrikaden
Zu bluten für sein Recht, der freie Mann
Nur auf der Guillotine sterben kann!
Im Bagno nur bei meinen Kameraden
Lebt wie des Elementes wilde Kraft
Noch ungezähmt und frei die Leidenschaft;
Zurück zu ihnen sehne ich mich wieder,
Ich steh' auf dieser Welt sonst ganz allein,
Fast wie der Greis, der mir fällt eben ein.
Noch rieselt kalt es mir durch alle Glieder,
Denk' ich an das, was ich erzählen will.“
Er setzte sich, wir aber horchten still.
„'s war Neunundachtzig beim Bastillensturm,
Die Glocken heulten wild von jedem Thurm
[385]Und um die alte finstre Zwingburg her
Schwoll heulend wie der Sturm des Volkes Meer ...“
„Ihr war't dabei“, warf froh erstaunt ich ein,
„Ihr kämpftet mit in jenen Heldenreih'n?
Das war ein Volk noch, nicht wie die, so heute
Sich ihres Herr'n verkaufen selbst als Beute;
Das wußte noch zu kämpfen, ja zu sterben,
Sobald es galt die Freiheit zu erwerben.“
„Ich war dabei; ein Knabe von neun Jahren,
Kämpft' ich ein Mann in jenen Heldenscharen.
Heiß brütete der Julisonne Glut,
Doch heißer kochte noch in uns das Blut.
Die Veste fiel; was wird, was muß nicht fallen,
Wenn einig sich ein Volk zum Kampf erbebt!
Wie alles kam, bekannt ist es euch Allen;
Doch höret weiter, was ich da erlebt.
Wildflutend stürzte zügellos die Menge
Sich durch die Höfe, Treppen, Keller, Gänge;
Die Opfer suchten wir der Tyrannei,
Und jubelnd riefen wir: Frei seid ihr, frei!
Aus einem Kerker aber stieg ein Greis,
Verwelkt sein Antlitz und das Haar schneeweiß.
[386]Er starrt' uns an, es war ihm wie ein Traum;
Ans Geh'n längst nicht gewöhnt, vermochten kaum
Die Füße seines Leibes Last zu tragen.
Doch nannt' er Straß' und Haus auf unser Fragen
Nach seiner Wohnung, die nun funfzig Jahre,
Fluch den Tyrannen! er nicht mehr gesehn,
Und Männer trugen ihn auf einer Bahre;
Wie ein Triumphzug war es anzusehn.
Wir kamen an; man öffnete, man frug,
Maß dann mit kalt neugierig fremden Blicken
Den Alten, den man auf der Bahre trug,
Und schüttelte den Kopf. Mit festem Nicken
Bestätigte jedoch der mürbe Greis,
Was er verwirrt fast selbst bezweifelt hätte:
'Ja wohl, hier ist's, ich weiß doch, was ich weiß;
Dies ist mein Haus und meine Heimatsstätte.
Wo ist denn meine Frau?' — Noch Viele kamen,
Doch nicht ein Einz'ger kannte ihren Namen;
Man sprach wol was von einer jungen Frau,
Die plötzlich, als verhaftet ward ihr Gatte,
Der Schmerz aufs Todtenbett geworfen hatte,
Doch wußte Niemand mehr etwas genau.
Dreimal schon war das Haus verkauft indessen
Und wem es sonst gehörte längst vergessen.
[387]Wir fragten in der Nachbarschaft umher,
Umsonst! es kannt' ihn Niemand, Niemand mehr.
Hinstarben seine Freunde Jahr um Jahr,
Indeß er lebend wie begraben war;
Zwei Menschenalter schlossen ihre Reih'n,
Und als er wiederkam, stand er allein.
Da brach aus seiner Brust ein stöhnend Ach,
Und aus den Augen ihm ein Thränenbach.
So stand er in sich schmerzgebrochen da,
Indeß die bleiche Menge auf ihn sah.
Dann zuckt' er wie in Wuth, wie krampfhaft rafft'
Er sich empor: 'Was steht ihr da und gafft?
Fluch eurer Freiheit, die mein Bett mir nahm,
Die in die Wüste mich zu stoßen kam!
Mein Kerker war mein einziges Asyl;
Wo ich daheim, bin ich wie im Exil.
Dort war doch eine Spinne mein Gefährte,
Jetzt aber steh' ich einsam auf der Erde.
Hoch leb' der König, der ein Dach mir gab!
Mir bleibt nun keine Heimat als das Grab!'
Wir wagten nicht der Läst'rung ihn zu zeihn,
Stumm wich die Meng', entsetzt; er blieb allein.
Mitleidig nahm ihn Einer in sein Haus,
Dort haucht' er bald die müde Seele aus.“ —
[388]Wir saßen wie erstarrt, als er zu Ende,
Und scheu und schweigend ging ein Jeder fort;
Er aber drückt' sein Haupt in beide Hände
Und murmelte für sich das düstre Wort:
„Wie er steh' ich auf dieser Welt allein,
Ich möchte wieder heim im Bagno sein.“ —
Ich stieg hinauf in meine öde Kammer,
Das Herz so öd' wie sie, nur voll von Jammer,
Und ging zu Bett. Schon schlug es Mitternacht,
Es schwieg der Sturm und ruhig war die Nacht;
Der Vollmond warf gespenstisch hellen Schein,
Und unter wirren Träumen schlief ich ein.
Auf einmal traf mein schlummertrunknes Ohr
Ein wilder Lärm; ich fahre rasch empor,
Man rief: „Gebrochen ist die Tyrannei,
Frei ist das Volk, und frei auch bist du, frei!
Dich schrecken keine Häscher mehr noch Ketten,
Du darfst dich wieder in der Heimat betten.“
Ein Wonneschauer packt da meine Glieder:
Geendet ist das bittere Exil,
In meine Heimat darf ich endlich wieder!
Leb' wohl nun, Frankreich, Dank für dein Asyl!
[389]Wie flieg' ich hin an meines Rheines Strand,
Hinüber in mein deutsches Vaterland!
O heil'ge Muttererde, sei gegrüßt,
Wie meine Mutter selbst sei du geküßt!
Mit deinen Wäldern, Strömen, Au'n und Höh'n
Kein Land auf Erden ist wie du so schön.
Wo nur ein neuer Horizont sich weitet,
Sind deine Reize vor mir ausgebreitet.
Ich aber eile durch sie hin in Hast,
Erst in der Heimat find' ich Ruh' und Rast.
Da steigen schon auf meinem raschen Lauf
Die Kuppen des Thüringerwaldes auf;
Du süßes Reh darin, bist du jetzt zahm,
Das ich zu fangen, ach, vergebens kam?
Und dort ist Halle an der Saale Strande,
Nach altem Lied die schönste Stadt im Lande!
Die alten Zeiten seh' ich alle wieder,
Blick' ich in deinen Spiegel nur hinein,
Du lieber Strom; in unsre Burschenlieder,
Wie rauschtest du so träumerisch darein!
Die rothen Mützen, die Pariserklingen,
Die Schlägerglocken und der Gläser Klingen,
Durch alle Glieder braust es fröhlich mir,
[390]Denk' ich nur dran! Und doch ach, wieder hier,
Hier war es, wo ich von ihr Abschied nahm,
Von ihr! — O Gott, das war ein trüber,
Ein kalter Wintermorgen ... Doch — vorüber!
Heut' ist es Zeit zur Freude, nicht zum Gram.
Sieh, da taucht Leipzig auf; ein Meer von Träumen
Steigt duftend mir aus seinen Lindenbäumen.
Hier trat ich einst als Jüngling in die Welt,
Von tausend Hoffnungen das Herz geschwellt;
O meiner Jugend sel'ge Maienzeit,
Hier kränzte mir die Liebe meine Haare,
Hier schwur ich auf der Freiheit Hochaltare,
Und den ich schwur, ich löste meinen Eid.
Und nun?! — Die ich gepflanzt, die Bäume,
Voll Blüten einst, voll hoffnungsreicher Träume,
Sie sind verwelkt; der Rosen duft'ger Glanz,
Der Myrte Grün, der Eichen stolzer Kranz,
Welk, alles welk! Kaum daß die müde Hand
Sich noch ein Lorbeerreis zum Kranze wand.
Vorbei, vorbei! Mich sehnt's nach jenem Thal,
Wo mich zuerst des Tages holder Strahl
Aus meiner Mutter Auge angelacht,
Wo meines Vaters Hand mich treu bewacht.
Nun ist's erreicht; aus tiefem Grunde rauscht
[391]Die Muld' empor, o wie mein Ohr ihr lauscht!
Wie hastig in das Thal mein Auge sinkt
Und durst'gen Blicks aus jeder Quelle trinkt!
Und blieb' mir auch von allen Lebensbäumen,
Die ich gepflanzt auf meiner Tage Spur,
Auf seinem Kirchhof eine Pappel nur,
Ich wollte süß in ihrem Schatten träumen!
Jetzt geht's bergab; in meinen Schülerjahren
Wie oft nicht bin den Hohlweg ich durchfahren!
Und sieh, es stürzten Thron und Staaten; doch,
Du alter Kirchthurm, du stehst immer noch.
Und dort in jener Mauern engem Raum
Schläft meiner ersten Liebe Kindertraum.
Da ist die Brücke denn, ich trete ein,
Mich grüßt ein jedes Haus, ein jeder Stein,
Nur von den Menschen kennet Niemand mich.
Mich wundert es. Jedoch, der Tag verblich,
Und längst schon dunkelt es; still sind die Gassen,
Der weite Markt schon öde und verlassen,
Doch ganz wie sonst noch. Himmel, was wir lärmten,
Wenn vor dem Jahrmarkt sonst wir kleinen Buben
In froher Ahnung durch die Buden schwärmten
Und spielend fragten: wer vermiethet Stuben?
[392]Vom Rathhausthurme schlägt die zehnte Stunde,
Der Wächter kommt und bläst die erste Runde;
Ganz noch wie sonst. Jetzt bin ich um die Ecke —
Gott, was ich zittre und so froh erschrecke!
Dort ist es, ja dort ist mein Vaterhaus,
Dort über jener Thüre enge Schwelle
That ich den ersten Schritt zur Welt hinaus.
Und jetzt, jetzt kehr' ich draus zu ihr zurück,
Nur reich an Täuschungen und arm an Glück.
Hier steh' ich denn, kein Fenster mehr ist helle;
Sie schlafen schon; ich werde sie erwecken,
Vorsichtig, daß sie nicht zu sehr erschrecken;
Ja, was ich jemals auch an Glück verlor,
Hier blieb mir alles doch noch wie zuvor;
Falsch ist die Welt nur, aber fest und neu
Bleibt ewig Mutterlieb' und Vatertreu' ...
Ich klopfe an, ein unbekannt Gesicht
Macht mir die Thüre auf, man kennt mich nicht ...
„So wird mein Name doch bekannt euch sein,
Denn meine Eltern wohnen hier im Hause.“
Auch der nicht. „Wie? Es kann nicht möglich sein!“
„Doch halt!“ — rief man nach einer kurzen Pause —
[393]„Einst hatten es, wie ich mich jetzt besinne,
Zwei alte Leute dieses Namens inne;
Sie lebten schlecht und recht, als sie der Gram
Um ihren flücht'gen Sohn von hinnen nahm,
Der mit in Dresden war. So, das sind Sie?
Woll'n Sie gefälligst morgen wiederkommen,
Es ist schon spät und alle schlafen sie;
Gewiß; Sie sind uns herzlich dann willkommen.“
Ich stand betäubt von namenlosem Schmerz,
Der Athem stockte mir, laut schlug mein Herz;
Ich fragte nach den Nachbarn noch umher,
Man kannte keinen ihrer Namen mehr ...
Da brach aus meiner Brust ein stöhnend Ach,
Und aus den Augen mir ein Thränenbach.
In fremder Ferne fand ich ein Asyl;
Wo ich daheim, war ich wie im Exil.
Mir blieb in kalter Nacht kein andres Bette
Als meiner Eltern letzte Ruhestätte.
Ja, wo sie schlummern, tief und still und kühl,
Ihr Hügel dort sei auch mein Sterbepfühl;
Vom Himmel wird der sanfte Sternenschein
Mir wie ein Blick aus ihren Augen sein,
Und näßt der kalte Nachtthau mich, ich wähne,
[394]Es sei aus ihrem Auge eine Thräne.
Und weinend schritt von meinem Vaterhaus
Ich zu dem Friedhof vor der Stadt hinaus.
Zur Mulde kam ich, rings die Gegend lag
Im Mondenschein so hell als wie am Tag.
Die Augen schmerzten mir von Thränenglut,
Ich wollte sie erfrischen in der Flut,
Und stieg die Stufen nach dem Fluß hinab.
Welch' Bild war das, das er zurück mir gab?!
Verwelkt mein Antlitz und das Haar schneeweiß,
Herr Gott im Himmel! und ich war ein Greis!
Hinstarben meine Freunde Jahr um Jahr,
Indeß ich fern und wie vergessen war;
Zwei Menschenalter schlossen ihre Reih'n,
Und nun ich wiederkam, stand ich allein.
Da faßte mich verzweifelnd öde Trauer —
Ich sprang hinab, mich packt des Stromes Lauf,
Durch meine Glieder rinnt ein eis'ger Schauer
Und — fieberschweiß gebadet wacht' ich auf.
Und wieder nahm ich meinen Wanderstab;
O wär' mein nächstes Lager doch das Grab!
Heimkehr ins Elsass
[399]Willkomm, ihr heimischen Vogesen!
Noch steht die alte Säule da,
Wo meine Blicke fröhlich lesen
In Stein gehauen: Alsatia.
Wie sehnt' ich mich, das Ziel zu schauen,
Der Heimat erste Station!
Du fuhrest brav durch Welschlands Gauen,
Hab' Dank, du welscher Postillon!
Ade! Auf Lotharingens Hügel
Kehr' um, du lockst mich nicht zurück!
Elsässer Bursch, führ' du die Zügel,
Und stoß ins Horn — ein fröhlich Stück!
[400]Ja, laß ein helles Lied erklingen
Hoch jubelnd in des Himmels Blau,
Ein Vivat unserm Land zu bringen,
Dem Elsaß und dem Rheinthalgau!
Den Berg hinab fährt sacht der Wagen,
O legt ihm nur den Hemmschuh an,
Daß ich mein Elsaß mit Behagen,
Nach Herzenslust betrachten kann.
Willkomm, ihr heimatlichen Thäler,
Beschirmt von hoher Berge Wall,
Und ihr, der Vorzeit graue Mäler,
Ihr segenreichen Schlösser all'!
Willkomm, ihr grünen Rebenhügel,
Wo purpurroth die Traube schwillt,
Wo unter heißer Lüfte Flügel
Des goldnen Weines Feuer quillt!
Sieh, wie vom Himmel reich gesegnet
Das weite Fruchtgebilde sprießt,
Wo kaum ein Fleck dem Aug' begegnet,
Der nicht von Segen überfließt!
[401]Und sieh die trauten Dörflein alle,
Von Obstbaumgärten rings umlacht,
Die Städtchen dort mit Thurm und Walle,
Wo Bürgermuth das Land bewacht!
Und sieh, wie dort im Abendglanze,
Wo silbern blinkt des Rheines Strom,
Aus Straßburgs altem Mauerkranze
Gen Himmel ragt der schlanke Dom!
Du hehres Münster, grauer Zeuge
Der deutschen Kraft und Frömmigkeit!
Ob Alles neuem Tand sich beuge,
Du hältst am Ernst der alten Zeit.
Bewahre du, als treuer Hüter,
Der ehrenfesten Väter Zucht,
Daß unser Volk die höchsten Güter
In Festigkeit und Treue sucht.
Und weiter siehst du dort erglänzen
Des Rheines schillernd Silberband:
Ein Band, o ja! nicht scharfe Grenzen —
Das ganze Rheinthal ist ein Land!
[402]Ob jenseits andre Mächte thronen,
Die Herzen bleiben sich verwandt;
Die hüben und die drüben wohnen,
Sie reichen sich die Bruderhand.
Gesegnet seid, ihr Schwarzwaldgipfel,
Gegrüßt das Volk an euerm Fuß!
Es weht durch alle Wasgauwipfel
Zu euch hinüber trauter Gruß!
Auf, Schwager! Laß dein Horn erklingen
Hoch jubelnd in des Himmels Blau,
Ein Vivat unserm Land zu bringen,
Dem Elsaß und dem Rheinthalgau!
Ein Traum
Du stolzes Weib voll irrer Zaubermacht!
An deine Zukunft hab' ich oft gedacht,
Die mir das Herz erfüllt mit düsterm Bangen;
O nie vergess' ich jenen eis'gen Traum,
Von dem gemartert in der Kissen Flaum
Entsetzt ich barg die glühnden Wangen!
Ein Winter war's, gleich diesem trüb' und kalt;
Alleine durch den blätterlosen Wald
Kam ich im späten Abendgold geschritten.
Rings Alles Wildniß, die kein Menschenfuß
Vor mir betrat! ... Da winkt mir wie zum Gruß
Ein Hüttlein aus des Waldes Mitten.
[410]Eintrat ich rasch — Ob mich denn keiner hört?
Nicht oft doch, mein' ich, ihr Bewohner, stört
Ein fremder Schritt das Schweigen dieser Wände.
Halloh, wacht auf! — Da schreitet auf mich zu
Ein blasses Weib ... O Gott, Maria, du
Entflohst an dieser Wildniß Ende?!
Sie reicht die Hand mir — Wenig Jahre nur,
Seit ich begegnet deiner Flammenspur,
Sind hingezogen über deiner Stirne;
Doch weh' dein Auge grüßt mich kalt und todt,
Dein bleiches Antlitz glüht im Abendroth
Wie Schnee auf eines Gletschers Firne!
Bist du gestorben? Deine Hand ist Eis —
Doch nein, wie ehmals pocht dein Herz noch heiß;
Was hat an dir die lichte Welt verbrochen?
Was flohst du trotzig aus der Menschen Bund? ...
Ein schmerzlich Lächeln spielt' um ihren Mund,
Und also hat sie trüb' gesprochen:
„Nie weckte mich in dieser Welt voll Qual
Zum Tag des Lichts ein warmer Sonnenstrahl,
Nicht Glück noch Freude hab' ich je besessen;
[411]Wenn rings der Frühling junge Blüten trieb,
Aufküssend jedes Herz zur Wonne, blieb
Nur ich verloren und vergessen!
Ich wollte trunken durch die Spanne Zeit
Hinfliegen, athmend nur in Seligkeit —
Ihr hießt um mattes Erdenglück mich werben.
Von eurer Lust, der halben, will ich nichts!
Versucher, geh' — du bist ein Kind des Lichts —
In meiner Wildniß laß mich sterben!“
Sie ging. Im Hause ließ sie stehn mich kalt,
Lang' scholl ihr irres Lachen durch den Wald,
Erstarren fühlt' ich meines Herzens Pochen.
Eis meine Stirne, meine Seele Eis! ...
Da wacht' ich auf — im Fieber —, kalt und heiß;
Mir war's als sei mein Herz gebrochen.
Seh' ich dich heut', unselig Zauberweib,
Mit deinem Weh geputzt, wie um den Leib
Der Bühnenheldin Prachtgewänder fluten;
Schau' ich dich buhlen um des Beifalls Zoll
Für deiner Wunden Leid, statt würdevoll
Und groß an ihnen zu verbluten:
[412]So denk' ich oftmals an den alten Traum,
Und wollt', ich säh' dich an der Wildniß Saum
Von deinen todten Hoffnungen umgeben;
Und sähe dich, erstarrt in deinem Weh,
Gen Himmel stumm den Blick, wie Niobe,
Aus deinem Waldeszelt erheben.
Dann bahnt' ich mir durch jeder Wüste Graus
Den Weg zu dir, und schritte stark hinaus,
Mit Purpurglanz den Abend dir zu färben;
Aufküssen wollt' ich dich zum Sonnenlicht:
„Wach' auf, Maria!“ — Oder könnt' ich's nicht,
So wollt' ich einsam mit dir sterben.
Medea
[424]O stoße mich nicht fort mit strenger Hand:
Ich bin der Mann nicht mehr, den du gekannt.
Mit mir nicht — mit dem Himmel sollst du hadern:
Der mir das Auge gab, der Schönheit Spiegel,
Der warmes Blut mir hauchte in die Adern,
Ihm magst du fluchen; laß dem Zorn die Zügel!
Du weißt, wie wir in der Campagna ritten,
Wie aus dem Hohlweg Hülferufen klang;
Wie meine Hand des Mörders Hals umschlang,
Bis ich dem Mund des röchelnden Banditen
Das gräßliche Geständniß abgerungen:
„Lucretia hat mich zum Mord gedungen.“
[425]Du sahst, wie ich an meines Bruders Leiche
Hintrat, den Finger legte in die Wunde,
Darin das Blut noch rauchte von dem Streiche,
Und wie der Eidschwur klang aus meinem Munde:
„Bei meiner Mutter Schoos, der dich getragen,
Bei ihrer Gruft! Wie hier mein Stahl erschlagen
Das schwarze Werkzeug dieser Höllenthat,
Auch sie soll fallen, die ersann den Rath,
Die gleißend dich bethört mit ihrer Schöne!
Mich strafe Gott, so ich den Eid verhöhne!“ —
Du weißt es, Freund! — Wohlan, ich sah dies Weib,
Das frech geschwelgt in meines Bruders Blut;
Wehrlos vor meinem Dolche lag ihr Leib
Wie vor des Adlers Fuß die Taubenbrut —
Und dennoch lebt sie! Eines Weibes Schöne
Entwaffnete den Zorn, den Haß, die Rache,
Und in mir hallt es, eines Teufels Lache:
Mich strafe Gott, so ich den Eid verhöhne!!
Ich sprengte noch in halber Nacht gen Rom.
Wie flüssigen Metalls ein heißer Strom
Drang mir der Rachedurst in alle Poren;
Wollüstig sah ich funkeln meinen Stahl;
Ich trieb den Rappen blutig mit den Sporen,
[426]Bis daß er keuchend hinsank am Portal.
Todt alle Fenster. Nur ein einzig Licht.
Willkommner Führer wurde mir sein Schimmer:
Beschwingten Fußes stürzt' ich in das Zimmer,
Wie wenn der Panther in die Heerde bricht.
Sie lag auf seidnem Pfühle hingegossen,
Mit hellem Blick, der Mund nur halb geschlossen;
Die zarten Hände spielten hin und wieder
Auf eines fremden Vogels Goldgefieder.
Sie sah den Störer nahn und rief: „Zurück!
Ich kenne dich, das ist Francesco's Blick!“
Da hob sie sich, nicht wie die freche Dirne,
Die man ertappt in ihrer Sünden Pfuhle,
Der man den Kranz gerissen von der Stirne
Und die nun zittert vor dem Richterstuhle —
Nein, hehr und rein wie eines Gottes Traum,
Als wär' ich würdig nicht, des Kleides Saum
Ihr zu berühren — eine Priesterin
Aus Aphrodite's lichten Tempelhallen —
In hohem Zorne trat sie vor mich hin:
„Francesco reizte mich, er ist gefallen.
Du kommst, um ihn zu rächen? — Kecker Thor,
Ruf' seinen Schatten aus der Gruft hervor,
[427]Und seine bleichen Lippen werden sprechen:
'O könnte nochmals so mein Auge brechen!
Ich habe ihren süßen Leib umfangen,
Sie küßte mich, als ich von ihr gegangen,
Ich sank ins Grab im Hochgefühl der Lust,
Ich trug ein Wunderbild in meiner Brust;
Wer wagt sie zu berühren?! — Kecker Thor!
Mein Tod war leicht, sie küßte mich zuvor!'“
Es war das Frechste, was ich jemals hörte,
War eine Lästerung, wie keine gleiche
Die Götter je in ihrer Ruhe störte
Und rächend erdwärts trieb aus ihrem Reiche.
Und dennoch! — Wie sie drohend vor mir stand —
Den weißen Arm erhoben — das Gewand
Zertheilet von des Busens wildem Wogen —
Gebuscht der Brauen reingewölbte Bogen —
Das Aug' im Zorne glühend wunderbar —
Da wußt' ich schaudernd: was sie sprach, ist wahr!
Des Bruders Bild, die Rache sank dahin;
Ich war der Sünder, sie die Richterin.
Ich floh — der schlaffen Hand entglitt der Stahl —,
Nicht eines Wortes mächtig, aus dem Saal:
Als ob der Schönheit Göttin mich gerichtet,
[428]Der frevelnd drang zu ihrem Heiligthume,
Die Hände hob nach einer Wunderblume,
Ich sank zu Boden sinnlos und vernichtet.
Kein hartes Wort, mein Freund! Dein Zorn und Gram
Verletzt mich tiefer nicht als meine Scham. —
Ja, sie wird hingehn — ein Medusenhaupt!
Kein Mann, der nicht dem süßen Zauber glaubt.
Sie wird ihr Herz um junge Seelen spinnen,
Ins Herz des Jünglings hauchen tolle Lust;
Und wenn er reizt den Geist in ihrer Brust,
Kalt wird sie lächeln — und sein Blut wird rinnen. —
Ich weiß es, Freund! — Doch laß mich nochmals gehn,
Noch blutbedeckt von ihres Opfers Wunde,
Gezückten Stahls an ihrem Lager stehn; —
Spricht sie die Lästerung mit frechem Munde:
„Sein Tod war leicht, ich küßte ihn zuvor!“ —
Mir wird es klingen wie ein Himmelschor.
Ich werde wieder in die Kniee fallen
Und wieder reuig meine Brust zerschlagen. —
O daß der Herr zu seinen Wundern allen,
Die unser Hirn mit tollem Grübeln plagen,
[429]Auch dieses höchste schuf! Daß er den Traum
Der Liebe lebend auf die Erde sandte,
Der Hölle Geist in solche Hülle bannte! —
Bleib' hier! Geh' nicht in den gefeiten Raum!
Ein Wetterstrahl, wird sie das Herz dir rühren,
Du kannst der Rache Sendung nicht vollführen!
Und könntest du's — mag sich dein Herz empören —
Des Himmels Wunder darfst du nicht zerstören!