Zur Einführung
[III]Die Zusammenstellung dieses Sammelbuches deutscher Kunst geschah lediglich im Hinblick auf die Talente, nicht auf die „Richtungen“.
Die starke Beteiligung von Begabungen aus allen Kreisen der modernen Kunst aber ergab von selbst ein vollständiges Bild der in verschiedenen Richtungen lebendigen modernen Bewegung in Deutschland.
Ein solches Bild in großem Rahmen, gegeben nicht durch Raisonnements, sondern durch die Produktion selber, fehlte uns bisher in Deutschland, wo denn in weiten Kreisen eine wunderliche Unkenntniß über „die Moderne“ herrscht. Man hat zwar schnell hintereinander eine unglaubliche Masse von Schlagworten verbraucht, die allesammt bestimmt waren, die Erscheinung zugleich zu bezeichnen und zu verdammen, aber der Sache selber ist man dabei keinen Schritt näher gekommen. Die Hauptnamen der Modernen tönen am lautesten heraus aus jedem literarisch künstlerischen Gespräch, aber ihre Werke kennen nur Wenige.
Vielleicht hilft dies Buch dadurch zum Besseren, daß es Gelegenheit gibt, eine größere Anzahl charakteristisch moderner Künstler des deutschen Wortes und Bildes in ihrer Art kennen zu lernen und so [IV]die Probe darauf zu machen, ob man wirklich diese ganze „Moderne“ mit ein paar Schlagworten voll erschöpfen kann. Vielleicht schwören doch einige den Schlagworten ab und wenden ihr Interesse den schöpferischen Persönlichkeiten zu.
Eine äußerliche Einteilung nach Richtungen wurde nicht getroffen, immerhin mag eine lose innerliche Anordnung nach gewissen Ähnlichkeitszügen im Großen bemerkt werden.
Die Auswahl der Bilder geschah gleichfalls in dem Streben, die Spannweite der modernen Kunst vom Naturalistischen zum Phantastischen zu zeigen.
Aus technischen Gründen mußte der Plan aufgegeben werden, auch Proben moderner Musik zu bieten. Nun soll im größeren Rahmen einer besonderen Veröffentlichung dieser Kunst später ihr Recht werden.
Die Autorentafel blieb infolge Krankheit des Herausgebers ohne die geplanten biographisch-bibliographischen Notizen.
O.J.B.
Das gebliebene Lächeln
[1]Was ist denn los im Schloß? Der Gutsherr liegt im Sterben,
Geschäftig eilten her aus Fern und Näh die Erben.
Vor zitterndem Begehr nach seinen Geldern, Gütern,
Verbergen schwer die Gier sie hinter Maskenhütern.
Und um sein Bett herum, mit Wehmuth, Schüttelköpfen,
Berechnen sie den Werth bis hin zu Tand und Töpfen,
Bis auf den Stiefelknecht und die Cigarrenspitze,
Sie wähnen alles schon im sichersten Besitze.
Damit der Seele auch der Himmelsflug gelänge,
Erschallen Litanein und fromme Betgesänge.
Doch zornig wehrt er ab: Weg mit den Komödianten,
Dem ganzen Bettlerpack der Vetternsipp’ und Tanten.
Er will nicht, daß „Moral“ die Abschiedsstund ihm störe,
Daß er zu guterletzt den starken Sinn verlöre.
Unheimlich, seht, er lacht, er lächelt, Gott bewahre,
So starb wohl niemand noch, dazu im weißen Haare.
[2]Der Kranke lächelt fort, er lächelt, lächelt, lächelt,
Als würd er gütevoll von Engeln schon gefächelt,
Daß ihn zu süßem Trost, nach all der Glut und Schwüle,
Die uns hienieden quält, ihr sanfter Fittich kühle.
Ah, der fatale Zug, dies Lächeln um die Lippen,
Er sah den Menschen stets ins Herz durch Fleisch und Rippen.
Er sah, wie sie die Brust in Eigendünkel schwellten,
Und, voller Heuchelei, des Nachbars Ruf zerspellten.
Ach, und die Religion, wie oft ist die der Mantel,
Wenn innen auch der Neid sie sticht wie die Tarantel,
Mit Augen wolkenauf, Hosiannah, Heiligspielen,
Sie wissen doch dabei scharf um sich her zu schielen.
Und gar, wenn sie nun sehn, daß andre Freude haben
Und sich ihr bischen Lust aus wüstem Acker graben,
Da sind sie außer sich und suchens zu verderben,
Daß ja das kleine Glück geschwind zerbricht in Scherben,
Indessen sie mit List in Trüb und Dunkel fischen,
Um eine Leckernis geheim sich zu erwischen.
All das durchschaut er klug, und wollten sie betrügen,
Betrog er selbst sie dann mit vielen guten Lügen.
Die Lieb’ insonderheit versteckt er hinter Bäumen,
Bei abgedrehter Thür läßt sich am besten träumen,
Wo nicht die Menschen sind mit ihren schelen Blicken,
Mit ihrem Mörderdrang, mit ihren Würgestricken.
[3]Dess’ lächelt fein er jetzt, daß er den bösen Fallen
So meisterlich entging in seinem Erdenwallen,
Und lacht zum letzten Mal, daß vollauf und entschlossen,
Trotz manchem Widerspiel das Leben er genossen!
Er lächelt und er stirbt, sein Buch ist ausgeschrieben,
Die Leichenstarre kam, das Lächeln ist geblieben,
Das Lächeln — sagt es noch: Es lag die Sphinx mir offen,
Ich sah der Welt ins Herz, und nur die Narren hoffen?
Waldfahrt
[6]Hingegossen in die Polster
Einer alten Miethskarosse
Lehnt das allerschönste Mädchen.
Neben ihr, in Seligkeiten,
Lehn’ ich gleichfalls in den Sitz.
Unser Kutscher denkt an gar nichts,
Baumelnd hängt ihm die Cigarre,
Trösterin von meinen Gnaden,
Und er glotzt nur blöde, schläfrig
Auf die dicken, faulen Füchse.
Und schon nickt er höchst bedenklich,
Weil er weiß, daß seine Gäule
Ihn auch ohne Ruf und Peitsche
Kennen, daß sie niemals scheuen,
Daß sie brave Kerle sind.
Langsam, langsam wühlt der Wagen
Durch den grauen Kiefernsandweg.
Wem der Vorrang hier gebühre,
Wetten Einsamkeit und Stille.
[7]Julihitze, Sonnenlichter
Spielen, zittern durch die Bäume,
Während gnädig breite Kronen
Schattenbaldachine spannen.
Und indessen, immer näher
Drängen wir uns an uns an.
Stürmischer wird unsre Sehnsucht,
Länger werden unsre Küsse,
Ach, Jorinde, ach, Belsazar.
Und versinkend, und versunken,
Wissen wir die Welt nicht mehr.
Sahen, merkten nicht, daß itzo
Neben uns die Schienen laufen
Einer Eisenbahn im Forste.
Ganz zerflossen, ganz im Himmel,
Und der Fuhrmann eingeschlafen,
Überholt uns plötzlich, rasend
Der Courierzug von Nüchterna.
Huch, was ist das? Tücherschwenken,
Hütegruß aus allen Fenstern,
Hurrahrufen, Bravoklatschen,
Grinsendes Gesichterschneiden,
Und am Schluß, von seinem Hochsitz,
Auf dem allerletzten Wagen,
Winkt ironisch uns der Schaffner
Huldvoll seine Grüße zu.
[8]Und die Liebste schreit erschrocken,
Und wir fahren auseinander,
Und wir fühlen uns bekümmert,
Denn wir hatten uns blamoren,
Gräßlich, gräßlich uns blamoren.
Aber wie der Blitz in Wolken,
Ist der Train im Hui verschwunden,
Ist verrattert, ist verrädert.
Und wir sitzen hurtig wieder,
Als ob wirklich nichts gewesen,
Grenzenlos verliebt im Fond.
Sonnenblumen
[13]Am Abend zwischen Traum und Wachen,
Ich dachte nicht grade an heilige Sachen,
Vor mir der Nazarener stand.
Die schönen Gottesaugen lagen
Auf mir wie zwei freundliche Fragen.
Hielt eine Blume in der Hand,
Hochstengelig ein goldner Stern
Lehnt’ an der Schulter unserm Herrn,
Wie frommer Maler Engelsgestalten
Ihre Friedenspalmen halten:
Eine Sonnenblume, voll erschlossen,
Von einem lieblichen Licht umflossen,
Hob sich von seinem blauen Kleid
Als ein glänzendes Geschmeid.
So schwebte in einem Nebel zart
Vor mir die göttliche Gegenwart,
Darauf ich holden Schreckens geblickt,
Bis ich darüber eingenickt.
[14]Am Morgen nach gesundem Schlaf
Stand mir der Sinn ins Feld hinaus,
Wo ich auf eine Hütte traf,
Ein leicht gezimmert hölzern Haus.
Drum ragten als ein Schirm und Zaun,
Als ein golden Gegitter anzuschaun,
Hochsäulig aufgereiht beisammen,
Sonnenblumen, zehn helle Flammen.
Das war ein dichterlicher Platz,
Wie nur am Wege hold versteckt
Ein Sonntagskind ihn einmal entdeckt.
Ein Wässerlein lief mit süßem Geschwätz
Durch eine schattige Wiese hin,
Sonst war die Stille hier Königin.
Ihr König, der Frieden, saß auf der Bank
Und putzte seine Krone blank.
So oft ich vom Häuschen vorüber geh,
Ein blau Gewand ich vor mir seh.
Geht nicht, steht nicht, schwebt vielmehr
In einiger Höhe vor mir her.
Schöne Gottesaugen schlagen
Sich nach mir auf mit freundlichem Fragen,
Und von der Schulter unserm Herrn
Nickt schwankend der goldne Blätterstern,
Die Sonnenblume, voll erblüht,
Von einem himmlischen Leuchten umglüht.
[15]War nie diesen Blumen recht gut gewesen,
Schalt sie bäuerisch und gemein,
Kamen mir vor wie Küchenbesen,
Die gerne wollten Prinzessinnen sein.
Aber so läßt, was wir verachtet,
Eh’s drüber getagt nur, oder genachtet,
Oft plötzlich die schlichte Hülle sinken
Und uns seine heimliche Schönheit trinken.
Besonders Poeten kommen oft
Zu solchen Gnaden unverhofft.
Nicht mehr dabei!
[19]Die Kalpaks bauschen und wehen,
Patrouillen lauschen und spähen,
Die Fähnlein der Lanzen flattern,
Von fern Carabiner knattern.
Dann kommt die Attacke breit über das Feld,
Staubwolken steigen zum Himmelszelt,
Den Boden erschüttert das Rossegestampf,
Auf der Wiese hinwogt der Reiterkampf.
„Hurrah! Hurrah!“ ... Trompeten gellen...
Hin fluthet es über die Bodenwellen...
Und Signal: „Halt“; „Zum Handgemenge“ ...
Ein wildes, wirres Pferdegedränge...
„Regimentsruf“, und dann „abgesessen!“ ...
[20]Die Thiere gierig die Gräser fressen...
Der Wachtmeister hinten mit einem Fluche
Notirt sich im großen, dicken Buche
Den „dummen Rekrut“, den „rothen Franz“
Der „umgeworfen den Angriff ganz“.
Schnell sieht der Leutenant nach den Eisen
Und läßt sich einzeln die Hufe weisen.
Ganz vorn der Oberst. Der Adjutant
Schaut nach dem Feinde unverwandt...
Endlich ertönt: „Das Ganze. Halt,“
Von überall, vom Strom vom Wald
Von allen Höhen im Wiederhall
Der gleiche langezogene Schall...
. . . . . . . . . . . . .
Biwak ist heute. Durch die Nacht im Bogen
Sieht man die Feuer blitzend hingezogen...
Beim Schein der Flamme trägt „der Witzbold“ vor.
Man kichert und man lacht, man johlt im Chor
Die Officiere hören zu im Kreise...
Und plötzlich tönt von fern die Wunderweise:
Der „Abendsegen“ durch die stille Nacht...
Vom Himmel blinkt herab die Sternenpracht
Kein Lüftchen regt sich. Deutlich hört man klingen
Aus weiter Ferne noch Musik und Singen...
Und die Kapellen rings in aller Runde,
Und die Soldaten wie aus einem Munde
Sie fallen ein...
... Ich stehe fern am Wege
[21]Mir bebt das Herz, verdoppelt seine Schläge...
Vor mir der Posten, der zurück mich wies!
„Niemand darf durch!“ sein barscher Anruf hieß.
Als ich mein altes Regiment gesucht! ...
In seiner Liste, wo ich einst gebucht,
Steh’ ich nicht mehr... Und wieder tönt der Schrei:
„Zurück! ...
Ich wende mich:
„Nicht mehr dabei!“
Die Ehebrecherin
[29]Markt vor Jerusalem und Volksgedränge...
„Die Ehebrecherin! Auf! Steinigt sie!“
„Nein! Nackt an’s Kreuz mit ihr!“ „Das Weib muß bluten —
Nur nicht gefackelt!“ — Halt! — „Da kommt der Rabbi,
Der weise Rabbi kommt, der soll uns predgen!“
„So gib doch Antwort, Mann von Nazareth,
Du bist doch sonst — — Bist seltsam heut befangen!“
Er schweigt und sinnt, der bleiche, hagre Mann,
Wehmütig zuckt’s um seine blassen Lippen,
Er schweigt. — „Du willst nicht reden? Gib uns Rath“ ...
„Wer ohne Sünde unter Euch, der werfe
Den ersten Stein auf sie.“ Er blickt sie an
Er blickt sie müde an, er seufzt und schweiget.
Als hätt’ er mehr zu sagen...
— — — — — — — — — — — — —
[30]„Franziska, du! Du eines andern Weib —!
Hast mir das Leben bettelarm gemacht!
Was bleibt mir noch? Ich komme aus der Fremde,
Und seh’, daß du — — Weißt du nicht mehr, Franziska,
Den Abend — da im Park — „ich lieb’ dich“, sprachst du.“
„Ernst! Hör’ mich an! Du weißt nicht, kannst nicht wissen —
Es ist nicht wahr, daß ich den andern liebe.
Dich lieb’ ich, hörst du? Glaube doch, dich lieb’ ich!“
„Wie? bist du rasend?“
„Ernst, ich liebe dich!“ —
— — — — — — — — — — — — — —
„Wie lind die Luft! Du hängst in meinem Arme,
Wie damals, weißt du noch?, so ganz wie damals,
Da sich zum ersten Mal die Lippen fanden.
Wie damals blickt dein braunes Aug’ mich an...
Gib einen Kuß mir, einen! — — Wie du lieb bist...
Jetz küss’ ich dich! Küss’ dich auf beide Augen.“
„Nein, laß mich, Ernst. Ich bin — so — überselig —
So — müde... Laß an deiner Brust mich schlafen.“
„So komm! Das Moos ist weich: wir setzen uns.
Wie schwül es ist. Siehst du? Kein Blättchen regt sich...
Nein! lege nicht den Kopf auf meine Schulter,
Daß mich dein Athem streift. Ich — ich ertrag’s nicht!“
„Warum nicht Emst?“
[31]„Weil ich — weil ich dich liebe!“
„Noch immer?“
„Kannst du zweifeln?“
„Böser, Lieber —
Dein bin ich... Laß doch! ... dir gehör’ ich... du...“
— — — — — — — — — — — — — —
Sie brauchen Licht, die Blumen allesammt.
Sie brauchte viel Licht, meine blasse Blume.
Sie haben des Lichtes sie beraubt. Sie haben
Mit Steinen sie geworfen, ausgestoßen,
Geschmäht, gelästert meine blasse Blume.
Da senkte sie das Köpfchen — welkte — starb — —.
— — — — — — — — — — — — — —
Wann? frag ich, wann soll uns der Heiland kommen,
Der es bekennt, vor allem Volk es predigt:
„Ich finde keine Schuld an ihr!“ —
Kämpfe
[41]Still geh’ ich meinen Weg. Gefunden
Hab’ ich die Wurzel meiner Kraft.
Ich schaffe treu... Mit allen Hunden
Naht da die Jäg’rin Leidenschaft.
Sie schießt, und hussah! stürzt die Meute
Mit Mordgekläff auf meine Ruh,
Dem tollen Sport fall’ ich zur Beute,
Wollüstig schaut Diana zu.
Ich bin so müde dieser Hetze
Verächtlich hohler Sinnlichkeit,
Die meines Fühlens Perlenschätze
Dem Kosen des Gemeinen weiht.
Einst brach ich schluchzend in die Kniee,
Als ich der Feindin Macht erkannt,
Jetzt geh ich traurig fort und fliehe
Hinweg, bis ich mich wiederfand.
[42]Und dieser Lustkampf wird nicht enden,
Bis ich an einem klaren Tag,
Wo keine Täuschungen mehr blenden,
Der Liebe Kronfrucht pflücken mag.
Wohl sah ich’s schillern, sah ich’s blinken
An meiner Jugend schwankem Baum,
Sah die ersehnten Früchte winken,
Doch griff ich zu, war’s Tand und Schaum.
Kein Sehnsuchtslied mehr mag ich geigen,
Denn nicht aus Liedern wächst die That,
Von diesem Sternbild will ich schweigen.
Bis seine stille Leuchtkraft naht.
Bis sich der Reife meiner Tage
Die Königin der Nacht erschließt,
Und ohne Kampf und ohne Klage
Sich Sinn und Seele selbst genießt.
Aus der Herrgottsperspective
[83]Jüngst trieb michs auf eine Kirchthurmplatte,
Weil ich genug des Winkelwerks hatte
Da unten in den staubigen Straßen.
Genug für Aug’ und Ohr und Nasen.
Ich wollte mirs mal von oben besehn,
Wo frei und rein die Winde wehn.
Auch heißt es, man sei dort oben näher
Dem Herrgott, dem stummen Herunterspäher,
Und wunderlich blicke sichs in die Tiefe
Aus der himmlischen Herrgottsperspective.
So macht ich mich ans Steigen keck.
Hub wacker die stadtmüden Füße vom Fleck,
Und stieg und stieg.
Nicht eben lang:
Es mündete der Wendelgang
In ein Gemach, so nett und rein,
Als heimte drin ein Mädel fein,
Deß’ zarte Patschhand froh und frisch
Gern regt den Federflederwisch.
[84]Blank Tisch und Diele, weiß das Bett,
Ein Epheustock am Fensterbrett;
Von dem kroch friedsam das Gerank
Um einen Wanduhrkasten schlank,
Aus dem es feierlich ticktackte.
Auf der Kommode die gezackte
Schneeweiße Decke sonder Tadel
Verrieth die fleißige Häkelnadel.
Auch Vasen viel und bunte Gläser.
Darinnen graue Raschelgräser
Aus Feldblumsträußen, längst verdorrten;
Nippsächelchen von allen Sorten,
In einem Glasschrank schön plaziert;
Ein Bücherbrettchen, braun poliert,
Die Bücher drauf in Goldschnitt fein, —
Mocht’ wohl „Die deutsche Jungfrau“ sein,
Kochbücher auch und auch Tractätchen.
Sag’ Eins: was wohnt hier für ein Mädchen?
Ich sah mich um: Kam Niemand her,
War, wie wenns ausgestorben wär’
Und wär doch Jemand in der Nähe.
Und wie ich durch die Thüre spähe,
Die in ein Nebenstübchen führt,
Werd’ ich von hinten angerührt.
[85]Und bis zum Tod vergeß ich nicht
Des alten Jüngferchens Gesicht,
Das plötzlich in der Stube stund.
Ein wenig schmerzlich schien der Mund,
So säuerlich und lippenschmal;
Stand drauf geschrieben manche Qual.
Doch Liebe auch und Gütigkeit.
Zur Nase wars ein wenig weit,
Schien mirs, von diesem Lippenbogen.
Streng war und länglich sie gezogen
Von einer Stirne groß und klar.
Still, wie ein graues Taubenpaar,
Die Augen unter dünnen Brauen.
Sie träumten in gelassenem Schauen,
Als sähen sie nichts um sich her,
Als sähen weiter sie und mehr, —:
Ein reiches Land voll Friedensglanz.
Vom Scheitel fiel, ein loser Kranz,
Aschblondes Haar zur Schulter weich.
Die Kleidung war nicht arm, nicht reich.
Aus keiner Mode kam sie her,
Wie wenn aus keiner Zeit sie wär’.
Ganz wunderlich! Antik beinah,
Wie eine Gürteltunika,
Doch ärmellang und gar zu glatt.
Von Farbe war sie bläulich matt.
Wie ausgewaschen...
[86]Wortelos
Stand ich und schaute, schaute bloß.
Gewöhnlich Alles, ganz und gar,
Und doch im Tiefsten — Wunder war.
Ein zarter Glanz, ein dünner Duft
Lag wie vibrirend in der Luft,
Und aus dem leeren Weben höre
Aus alter Zeit ich leise Chöre.
Uralt, urfern und urvertraut...
Da hat sie groß mich angeschaut,
Als fragte sie: Was willtu hier,
Du Mensch von Unten, im Revier
Der hohen Stille..? ..! — Doch ihr Mund
That Frage nicht und Deutung kund.
Als wär’ er stumm. — Mir wurde bang. —
Da, plötzlich, von den Lippen klang
Es lind: „Der Vater kommt.“ Und, weiß
Von Haar und Bart, stand still ein Greis
Im Thürgevierte. — Wundersam,
Mich wieder Staunen überkam.
Mir wars, als kännt’ ich lange ihn,
Als hätt’ ich einst auf seinen Knieen
Gesessen in der Kindheit Jahren,
Gezaust ihm in den weißen Haaren,
Indeß er tiefe Worte sprach.
Die klangen lang im Herzen nach,
[87]Bis Gassenlärm sie draus vertrieb;
O Worte heimlich, heilig, lieb...! ...
Kannt’ ich den Thürmer? Wie ich sann,
Kam näher her, gebückt, der Mann,
Und fragte mich, was mein Begehr
Und meines Kommens Ursach’ wär’.
— „Von Oben säh’ ich gern die Stadt,
Der ich in innrer Seele satt!“
Sprach ich. Da lächelte er eigen:
„„Ich will Dir Alles, Alles zeigen. —
Doch bist Du auch von Schwindel frei?““
— „Meint’ nicht, daß gar so hoch ich sei.“
Erwidert’ ich. „„Nun, eben g’nung;
Es huben schnell dich Beine jung.
Ich brauchte viele tausend Jahr,
Bis ich hier angekommen war.
Altherrgottsruh heißt dieser Thurm,
Hoch steht er über Staub und Sturm,
Hoch steht er steinern aufgericht,
Die Menschen sehn den Thürmer nicht.
Sie haben hier zu guter letzt
Hübsch hoch und weit mich weggesetzt,
Dieweil sie meiner überdrüssig,
Auch war ich wirklich überflüssig;
Und schließlich, — grad wie Du, mein Sohn,
Recht satt hatt’ ich den Trubel schon.
[88]Von oben läßt sichs noch besehn,
Muß man nicht mitten drinnen stehn.““
Da faßte mich ein Ahnen an:
„Wer bist Du denn, Du alter Mann?“
„Ich? O, nichts, das der Frage werth,
Ein weißes Haupt, höchst ungeehrt.
Wie sagt Ihr doch...? ... Na... ein Rentier
Mit Sorgenstuhl und Kanapee
Und einer alten Wärterin,
(Er strich dem Jüngferchen das Kinn,)
Im Austragsstüberl, recht gemüthlich,
Und thu mir an Erinnrung gütlich.
Gell, meine gute Gabriele,
Du liebe, letztgetreue Seele..? ..“
Das alte Mädchen nickte leis
Und beugte tief ihr Haupt dem Greis,
Der seine Hände auf sie legte.
Mir war’s, als ob sich’s sachte regte
An ihrer Schulter zitterzart
Wie Flügelschlag verborgner Art.
Dann sah er scharf mir ins Gesicht:
„Du, höre Sohn, verrath’ mich nicht!
Daß sie mich nicht noch einmal stören
Mit Opferdünsten, Bittechören
In ihrer neuen Qual und Noth:
Ich bin unauferstehlich todt!“
[89]Jetzt war sein Auge sturmseegrau,
Und seine Worte klangen rauh,
Und ich erschrak im Herzen tief,
Und wußte, wer die Worte rief,
Und wollte gehn und wandte mich, —
Da klang es wieder sänftiglich:
„Bleib nur, mein Sohn, und sieh die Stadt,
An der Dein junges Herz schon satt;
Bleib nur bei mir ganz ohne Scheu,
Ich bin euch Deutschen heut noch treu,
Wenn ihr auch derb mir zugesetzt
Und furchtbar gründlich mich gehetzt
Durch eure graue Philosophie.
Die wilde Jagd vergess’ ich nie!“
Er schob mich sanft zur Thür hinaus.
Still war und hell die Luft da drauß’.
Doch über uns die schwarze Leere.
Zu Füßen tiefst die Sternenheere.
„Wo ist der Thurm denn festgesetzt?“
„Mein’ Seel! Der Deutsche fragt noch jetzt!
Könnt’ ihr denn nie das Fragen lassen?
Du wirst den ganzen Blick verpassen.
Paß auf! Schau dort: im rechten Eck,
Siehst Du den gelben Flammefleck?“
[90]Er deutet aus. Ich folge: „Wohl!“
„Siehst Du! Lateinisch heißt ihr’s Sol;
Die Sonne das. Es spritzt herum
Wie Bienenschwarm mit Bienensumm
Bunt eine Funkenglitzerheerde, —
Das weiße Glitzchen nennt ihr Erde.
Du sollst sie Dir genau besehn,
Wir wollen etwas näher gehn.“
Und wie im Fahrstuhl sanken wir
Gemächlich durch das Weltrevier,
Von Surresumm allwegs begleitet,
Bis unten sich die Erde breitet.
Die Erde?
Meine Blicke spähten
Und sahen einen Fetzen Tuch,
Den bunte Flicken übersäten;
Und spöttisch sprach der Alte: „Such’
Such’ Deine Stadt, an der Du satt,
Was sie für eine Farbe hat
In dieser bunten Narrenjacke.
Denn wisse: Eine reine Schlacke
Ist jeder Stern; der Menschen Hand
Wirft über sie das Buntgewand
Und meint, sie mache damit Staat
Im großen Weltenhohenrath.
Koketterie und Mummenschanz
Ist dieser ganze Tummeltanz.
[91]Mir wenigstens will’s also scheinen, -
Wenn ich einmal herunter seh’
Auf dieses bunte Zeug von meinem
Blaßblaugeblümten Kanapee.“
Er lachte, stieß mich in die Seite:
„Was meinst Du von dem Erdenkleide,
Mein Staunekindchen? Schau nur, schau:
Hier schwarz, hier grün, hier roth, hier grau.
Hier weiß, hier gelb, hier blau, hier braun, —
Ist das nicht lustig anzuschau’n?
Nur bitt’ ich: Schau’ mir nicht hinein,
Sonst fliegt davon der schöne Schein,
Und eine Wahrheit liegt am Grund,
Die für euch Menschen nicht gesund.“
Ich hörte nicht des Alten Spruch,
Ich sah aufs bunte Erdentuch.
Oh blutig Roth, wie Flammenwuth!
Oh giftig gelbe Gieregluth!
Oh kaltes Weiß! oh Gramesgrau!
Oh Schwarz, wie steiniger Acker rauh!
Das Blau verblaßt, das Grün verdrängt,
Von bösen Farben eingeengt...
Da ward mein Blick mir müd und matt.
Der Alte nur gelächelt hat,
Und schob mir unter seinen Arm
Und führte mich in die Stube warm.
[92]Und sah mir ernsthaft ins Gesicht:
„Du höre, Sohn, verrath’ mich nicht!
Ich sah dem Ding zu lange zu,
Nun will ich endlich meine Ruh’.
Doch Du, wenn Du heruntersteigst,
Daß Du mir nun nicht Wehmuth geigst,
Weil Du geseh’n die Narrenjacke:
Nein, Junge, hoch das Herz und packe
Die Flinte fest und gehe kühn
Ins Zeug für’s arme Blau und Grün;
Und geht Dir’s bös in diesem Kampfe,
So denke still im Pulverdampfe
An Herrgottsruh und den Rentier
Im blaugeblümten Kanapee.“
Traumbild
[95]Aus tiefem Schlaf bin ich erwacht —
War eine kummersatte Nacht.
Ein Traumbild war es grausig fast
Und lag auf meiner Brust wie Last.
Ich saß in einer Zelle leer —
Es drückte auf das Hirn mir schwer.
In einer Ecke saß ich dort
Mit stumpfem Blick und sprach kein Wort.
Schon zwanzig Jahre saß ich hier
Und sah zu Boden wie ein Thier.
Und immer stand vor meinem Blick
Ein längst gestorbenes Erdenglück:
Ich schlief mit Ihr in einem Bett —
Als ob ich’s jüngst verlassen hätt,
So stand’s vor mir. Ich schlief zur Nacht,
Da stahl sie sich davon ganz sacht.
Zu einem Buhlen schlich sie hin,
Ich kannte ihn am blonden Kinn. —
[96]Dann kam sie wieder mir zurück
Mit leerem, kaltem, blödem Blick.
Ich fragte sie, da log sie nicht:
Ich sah ihr fahles Angesicht.
Ich weiß nicht mehr, was dann geschah:
In ihrem Blute lag sie da.
Und zwischen Blut und Därmen quoll
Ein junges Leben unruhvoll.
Dann kamen sie mit Stricken noch
Und schleppten mich in dieses Loch
So saß ich dumpf in leerer Zell
Und saß und sah auf eine Stell.
Wohl zwanzig Jahre war’s schon her —
Ich saß und sah und sprach nicht mehr.
Und immer stand vor meinem Blick
Dies ferne todte Erdenglück.
Und immer, wenn der Wärter kam,
Er solchen stummen Sang vernahm.
Er sah in mir das Konterfei
Der blinden Glücksuchtsraserei.
Er sah in mir das Bild des Manns
Verzehrt durch eine dumme Gans.
Adam — Don Juan
[102]Adam lag im Garten-Grün
Wo die Bäume stehn,
Hat sich längst am Schöpfertraum
Müd und satt gesehn.
Über ihm zwei Papagein
Schrien das Ohr ihm taub,
Flatschten mit dem Flügelpaar
Auf das dunkle Laub.
Sorglos durch das hohe Gras
Aast ein Hirsch ganz stumm,
Kauend sieht er dann und wann
Nach den Hirschkühn um.
Traurig aber, lendenschwer
Lag der Erdmann da,
Traurig frug er Glied um Glied
Wozu bist du da?
Sieh, da sprang er jäh empor,
Flammenloh erregt,
Hätte rathlos schon die Hand
An sich selbst gelegt —
[103]Doch da war zu rechter Stund
Gott, der Schöpfer, nah,
Trat herein und fragt ihn ernst?
„Mensch, was treibst du da?“
Adam trutzte. „Komm mit mir!“
Sprach der Schöpfer mild:
Und dem grauen ernsten Mann
Folgt sein Ebenbild.
Wo das blanke Wasser schwoll
Hinter Schilf und Moos,
Hielt der Herr und griff behend
In der Fluten Schoß.
Eine Muschel griff er auf.
Steckt sie in den Koth,
In den warmen Uferschlamm,
Drauf die Sonne loht.
Und verschwand zur selben Stund.
Adam aber stand,
Stand und sah und wußte nicht,
Warum Gott verschwand.
Und dieweil er stand und sah,
Hört er ein Geschrei,
Dünn und fein: die Muschel sprang
Da mit eins entzwei.
[104]Was er sah, er glaubt es kaum:
Leib, wie seiner schier,
Bein und Hüfte, Mund und Aug —
Nur: en miniature.
Und jetzt hebt’s den kleinen Kopf,
Streckt die Arme aus,
Lächelt aus dem Muschelbett:
Nimm mich mit nach Haus!
Und das Püppchen wuchs alsbald,
Wuchs von Stund zu Stund,
Nach sechs Tagen war’s ein Weib,
Stark und voll und rund.
Adam freut sich ungemein,
Lehrt sie Ja und Nein:
Und sie sprachs noch schneller fast,
Als die Papagein.
Aber ach! das Glück zu Zwein
Währte nicht sehr lang:
Adam trieb’s zum Teich zurück
Und zum Muschelfang.
Hub noch manches Muschelkind
Aus dem warmen Schlamm,
Hegte es sechs Tage lang,
Bis es rund und stramm.
[105]Und der Garten füllte sich
Rings mit Muschelfraun,
Mit Gestalten zart und schlank,
Blond und schwarz und braun.
Lagen wie die Rehe fromm,
Schwatzten wie der Star,
Lachten hell und sprangen froh —
Springend flog ihr Haar.
Adam aber sagte drauf
Jeder, wie sie hieß,
Und sein Muschelfrauen-Reich
Nannt er Paradies.
„Heil’ge Drei König“
[106]Die heil’gen Drei König sind wieder da,
Sind wieder erschienen auf Erden;
Der Kaspar, der Melchior, der Balthasar
Sie nahen mit stummen Gebärden.
Der Eine trägt im Gefäß das Gold;
Der And’re hat im Gewande
Den duftenden Weihrauch; der Dritte bringt
Die Myrrhe aus fernem Lande. —
Das Gold, das ist jetzt worden rar;
Die Harze sind billig geworden.
An Stelle der heil’gen drei König stehn
Drei Vetteln an der Kirche Pforten.
„An Weihrauch, gnä Herr, gene’S her, kaufen ’S ein,
Für a Zehnerl, Sie krieg’n net z’wenig;
Und a Kreid’n, gnä Herr, a g’weihte, zum Schreib’n
An ’en Thürstock die heil’gen drei König!“ —
Ich blieb plötzlich steh’n; die Drei-Königs-Zahl
That plötzlich mein Inn’res entbrennen.
Ich hatt’ ’was am Herzen; das wollte ich laut
Bei den heil’gen drei König bekennen.
[107]Rasch nahm ich drei Griff’ von dem Weihrauch und Harz,
Daß zu Haus ich’s brenne und schüre. —
Zu Haus dann brannt’ und schürt’ ich es an
Und that die drei heiligen Schwüre:
Beim heil’gen Melchior schwur ich, daß
Ich, ohne zu zaudern und denken,
Wenn mich das Mitleid bittend ruft,
Meinen letzten Knopf woll’ verschenken.
Beim heil’gen Balthasar schwur ich, daß
Man solle bereit mich finden,
Trotz Staatsanwalt und Schergenleut
Die Wahrheit laut zu künden.
Beim heiligen deutschen Kaspar jedoch
Den stärksten that ich von den Schwüren: _
Wenn Jemand mit seinen Gedanken schreibt,
Seine Gedanken nicht zu berühren;
Wenn Jemand mit seinem Herzblut-Saft
Geschrieben auf weißen Papieren,
Ihn nicht zu beflecken mit meinem Schmutz,
Zu beschneiden nicht, noch zu castriren.
Beim heil’gen Kaspar schwur ich, nie
Zu begeh’n in meinem Leben,
Die Sünde wider den heiligen Geist,
Die nie mehr wird vergeben.
Waldidyll
[110]Die Mondorange rollt auf Wolkenflor,
Den schwarzen Trauermantel schlug die Nacht
Still um den Wald, der träumt. Wovon doch träumt er?
Von Wodans Wildjagd, vom getreuen Eckart,
Von Elfen, von der schönen Melusine.
Kein Laut! Die alte Nacht, die Welturahne,
Stößt ganz unhörbar ihre Athemzüge
Und fühlt sich recht in ihrer Herrscherwürde.
Zuweilen blinzelt sie mit Sternenaugen
Hernieder, freut sich, daß kein dummer Hauch
Den Schlummer der Baumriesen wagt zu stören,
Und zieht den Schleier wieder vor die Augen.
Da ganz allmählich naht von fern ein Rollen,
Ein dumpfes Dröhnen, unerbittlich wachsend.
Ist’s Sturm? Ist’s wilde Jagd? Ist’s Donnerstimme?
Nun gellt ein wilder, langgezogner Schrei,
Und mit den glüh’nden Augen vorn, die hell
Die Stahlbahn überschau’n, braust her der Zug.
[111]Ihn überflattert hoch die lange Fahne
Des Rauches, um die Räder wirbelt toll
Der aufgefegte Staub und vollgepfropft
Mit Menschen sind die gaserhellten Wagen.
Hier schlummern Ein’ge, dort wirft Einer flüchtig
In’s Waldesdunkel einen scheuen Blick,
Und aus dem letzten Wagen tönt Gesang
Zum Kreischen einer Ziehharmonika...
Ein neuer Pfiff, doch schon aus weiter Ferne,
Wie Wimmern eines Kindes — das dumpfe Brausen
Erstirbt... Es träumt der Wald. Wovon doch träumt er?
Von Wodans Wildjagd, vom getreuen Eckart,
Von Elfen, von der schönen Melusine.
Zarenmahl
[176]Vor der sammtverhang’nen Thüre,
Die Hand am Schwerte, stehen die Hartschiere;
Gewandt und mit ehrfürchtigem Gekriech
Bedienen ihn die schwänzelnden Lakaien — —
Nun speise, Väterchen, und labe dich!
Sieh, ringsum, deinen Gaumen zu erfreuen,
Gehäuft, was nur ein Weltreich bieten kann!
Nicht reden darfst du, Großer, nur ein Winken,
Schon deiner stolzen Augen herrisch Blinken
Genügt, und was du willst, es ist gethan!
Und näher rückt der Zar die goldnen Teller — —
Da, siehe, bricht es plötzlich wie ein greller
Und blut’ger Widerschein daraus hervor:
„Gedenkst du Karas?“ tönt es an sein Ohr;
„Aus jenem Bergwerk, Zar, sind wir gewonnen.
Dort glänzt es wie von unterird’schen Sonnen
Von Gold — und Alles, Väterchen, ist dein!
[177]Viel hundert Arme werken in den Minen —
Verbannte sind’s, Unschuldige unter ihnen,
Und täglich, stündlich mehrt sich ihre Zahl —
Schlaff ist ihr Körper und ihr Antlitz fahl...
Seit Jahren traf ihr Ohr kein and’rer Ton,
Als das Gesaus der Ruthen, oder Hohn,
Wenn schwächer sie die müden Hände rühren;
Und treibt sie der Kosak des Nachts zu Bette,
So klirrt an ihrem Arm und Fuß die Kette,
Daß sie im Traum noch Deine Macht verspüren.
An jedem Barren klebt ein Tropfen Blut,
Ein wilder Fluch und eine Thränenfluth —
Wir wissen es — wir, deine Prunkgefäße...
Allein was thut es? Gold und Zarengröße
Verrosten nie! Nun iß, und laß dir’s munden,
Der Himmel schenke dir noch viele Stunden!“
Zur Erde läßt der Zar die Teller klirren;
Aufspringt er jäh, und seine Blicke irren
Wie fieberglastend durch den prächt’gen Raum...
Herzuspringt der Lakai, dem Todesbleichen
Zur Stärkung das gefüllte Glas zu reichen —
Er nimmt’s und trinkt, apathisch, wie im Traum.
Da horch! Geschrei und Lärmen auf der Straße —
Zusammenfährt, weit offnen Aug’s, der Blasse —
„Was soll dies?“ haucht er, und sein Blick wird stier.
„O Herr“, erwidert, tief vor ihm sich neigend,
Ein Diener, schüchtern nach der Straße zeigend —
[178]„Die nach dem Leben frech getrachtet dir,
Man führt die Schnöden heut dem Strick entgegen,
Milchbärte sind’s und Dirnen allerwegen,
Die gottverlassnen, tollen Nihilisten —
Gott schütze dich und alle guten Christen!“
In tiefe Falten legt der Zar die Stirn —
Das hämmert heut’ so toll in seinem Hirn...
Von seinen gift’gen Feinden wieder sieben
Entlarvt — er hat das Urtheil unterschrieben —
Nun führt der Henkerkarren sie zum Tod!
Da zittert seine Hand, und blutigroth
Entrieselt’s seinen Fingern... wie vom Bösen
Gepackt, schreit furchtbar der Gequälte auf.
Doch sieh: es ist nur sein Bordeaux gewesen,
Den zitternd er vergoß, das edle Naß!
Aufstampfend wirft er weit von sich das Glas...
Die Hand zu rein’gen, reicht ihm der Lakai
Geschmeidig die entfaltete Serviette —
Da raschelt ein Papier heraus — fürwahr,
Ein Brief! Auf seinem Tisch? An dieser Stätte?
Bleich wird der Diener, bleicher noch der Zar.
„Wie kam dies her?“ brüllt er — „ihr müßt es wissen!“
Doch schluchzend stürzen Jene ihm zu Füßen —
„O Väterchen, o Herr, wir wissen’s nicht!
Jahrzehnte schon sind wir in deinen Diensten,
Und treu, und ungeübt in solchen Künsten,
Und Gott ergeben, dir und uns’rer Pflicht!“
[179]Mit banger Hand entfaltet er das Schreiben
Und liest: „Vernicht uns — doch wir werden bleiben!
Schick uns als Sklaven nach Sibirien,
Wir werden doch vor deinem Geiste steh’n;
Wähn’ dich gesichert, wähne dich allein —
Wir geh’n doch all’zeit bei dir aus und ein;
Laß uns zu Tode knuten oder hängen —
Die Menschheit wird auch deine Ketten sprengen!“
Dies irae!
[180]Einst, da zogen bleiche Priester,
Geißelschwingende Asketen,
Durch die Straßen und sie sangen,
Unheilkündende Propheten,
Dies irae! Dies irae!
Hui! wie da die sündenfreche
Menschheit überkam ein Bangen
Vor dem letzten aller Tage,
Wie erbleichten da die Wangen...
Von den prunkumgebnen Thronen
Demüthig die Fürsten stiegen,
Mit dem Plebs, dem vielgeschmähten,
Jammervoll im Staub zu liegen.
Aus entweihten Ehebetten
Sprangen die verbuhlten Weiber:
Wie die Geißeln niederklatschten
Auf die wollustweichen Leiber...
[181]Und das blutig grause Chaos,
Weinen, Beten, Winseln, Stöhnen
Überklang mit dumpfen, hohlen,
Schaurig wilden Trauertönen
Dies irae! Dies irae!
Und zum zweitenmale lauschte
Bang die Welt den Schreckensworten,
Als im lust’gen Seinebabel
Göttin Freiheit, toll geworden.
Brüllend schrie ihr: Dies irae!
Als sie eine Rachefurie
Über Leichenhügel stürmte,
Aus Aristokratenschädeln
Einen Riesenthron sich thürmte.
Hei! da kamen bös ins Wanken
Die gepuderten Perücken,
Just als säh’ man schon das blanke
Schwert den Weltenrichter zücken.
Pfaffen schrien mit Diplomaten
Rettung suchend um die Wette,
Doch die Tolle, sie verlachte
Selbst loyalste Bayonette,
Schnitt Grimassen mit der blut’gen
Hand wie eine Straßenphryne —
Kreischend in ihr Hohngelächter
Klang der Stahl der Guillotine
Dies irae! Dies irae!
[182]Heute schwand die Furcht, die blasse
Vor dem Schreckenstag, da fließen
Blut und Thränen, denn die kluge
Wissenschaft hat ja bewiesen,
Nimmer kommt solch Dies irae!
Nimmer glaubt Ihr? Doch es gibt noch
Arme Träumer und Poeten
In der Brust das heil’ge Feuer
Zukunftsehender Propheten.
Abseits stehen sie am Wege,
Steigen nieder in die Tiefen,
Sehen wach und fesselledig
Geister, die dort lange schliefen:
Rachegeister, blutig grause,
Ohn’ Erbarmen heimzuzahlen
Hundertjähr’ges Leid, zu tilgen
Hundertjähr’ge Schmach und Qualen,
Harren nur des Winks, dann brechen
Sie empor gleich Sturmgewittern —
Und dann kommt ein Tag, vor diesem
Wird die ganze Welt erzittern!
Dies irae! Dies irae!
Der letzte Tag
[184]Geh’ stiller, meines Herzens Schlag,
Und schließt euch, alle meine Wunden —
Denn heute ist mein letzter Tag,
Und dies sind seine letzten Stunden! ...
Verstumme, klägerischer Mund!
Beschwichtige dich, Rebell: Gedanke!
Ich schließe heute einen Bund,
Der setzt euch Beiden eine Schranke.
Jawohl, Empörer, es ist aus!
Die Kraft, die euch erhielt, verdorrte —
Wie bald, und leer steht euer Haus!
Schon schloß sich seine morsche Pforte...
Was willst du, Leben, noch von mir?
Nein, deine Macht hat sich verloren.
Ich sage lächelnd Abschied dir:
Mich hat dein Sieger auserkoren.
[185]Schon steht er wartend. Und er reißt
Von meiner Lippe Deinen Becher.
Dort klirrt er hin — in Trümmern gleißt
Sein Glanz nur dem bestohlenen Zecher.
Der lehnt die kalte Stirn zurück...
Und in die ungeheuren Welten
Schaut er mit einem letzten Blick,
Dem alle Nächte sich erhellten! —
Mir wird kein letzter Wunsch gewährt;
Nichts lindert diese letzten Leiden...
Roh ward der Becher ausgeleert —
Noch sterbend muß ich mich bescheiden.
Doch dürfte ich den letzten Tag
Mit einem letzten Wunsche füllen,
So möge mir sein hastiger Schlag
Noch einmal dieses Bild enthüllen:
Es war ein durstiger Sonnentag
Und Herbst schon... Hoch im Rebgelände,
Von wo das Auge schauen mag
Weit in die Welt, weit — ohne Ende — —
Dort lagen wir, dicht, Brust an Brust...
In Sehnsucht jahrelang geschieden
Und ihrer Kraft noch unbewußt
Fand unsere Liebe hier den Frieden.
[186]Du schwiegst — ich schwieg... dann sprach ich leis,
Und sprach von Allem, was ich dachte...
Herz wurde mir und Wange heiß...
Es küßte mich Dein Mund und lachte...
Und langsam losch des Tages Schein —
Wir sahn des Stromes stilles Fließen...
Ich starb in Glück — und du wardst mein,
Mein in berauschendem Genießen! — —
Geh’ stiller, meines Herzens Schlag!
Und schließt euch, alle meine Wunden —
Denn heute ist mein letzter Tag,
Und dies — sind seine letzten Stunden! ...
Bastard
[205]Nun weißt du, Herz, was immer so
in deinen Wünschen bangt und glüht,
wie nach dem ersten Sonnenschimmer
die graue Nacht verlangt und glüht,
und was in deinen Lüsten
nach Seelen dürstet wie nach Blut,
und was dich jagt von Herz zu Herz
aus dumpfer Sucht zu lichter Gluth.
In früher Morgenstunde
hielt heut ein Alb mich schwer umstrickt:
aus meinem Herzen wuchs ein Baum,
o wie er drückt! er schwankt und nickt;
sein seltsam Laubwerk thut sich auf,
und aus den düstern Zweigen rauscht
mit großen heißen Augen
ein junges Vampyrweib — und lauscht.
[206]Da kam genaht und ist schon da
Apoll im Sonnenwagen;
es flammt sein Blick den Baum hinan,
die Vampyrbraut genießt den Bann
mit dürstendem Behagen.
Es sehnt sein Arm sich wild empor,
vier Augen leuchten trunken;
das Nachtweib und der Sonnenfürst,
sie liegen hingesunken.
Es preßt mein Herz die schwere Last
der üppigen Sekunden,
es stampft aus mir der Rosse Hast, —
er hat sich ihr entwunden.
Schon schwillt ihr Bauch von seiner Frucht,
hohl fleht ihr Auge: bleibe!
Er stößt sie sich vom Leibe,
von Ekel zuckt des Fußes Wucht, —
hinras’t des Wagens goldne Flucht.
Es windet sich im Krampfe
und stöhnt das graue Mutterweib,
mit ihren Vampyrfingern gräbt
sie sich den Lichtsohn aus dem Leib,
er ächzt — ein Schrei — Erbarmen: ich,
mich hält der dunkle Arm umkrallt,
da bin ich wach — — doch hör’ ich,
wie noch ihr Fluch und Segen hallt:
[207]Drum sollst du dulden dies dein Herz,
das so in Wünschen bangt und glüht,
wie nach dem ersten Sonnenschimmer
die graue Nacht verlangt und glüht,
und sollst in deinen Lüsten
nach Seelen dürsten wie nach Blut,
und sollst dich müh’n von Herz zu Herz
aus dumpfer Sucht zu lichter Gluth!
Wiegenlied für meinen Jungen
[218]Schlaf, mein Küken — Racker, schlafe!
Kuck: im Spiegel stehn zwei Schafe,
bläkt ein großes, mäkt ein kleines,
und das kleine, das ist meines!
Bengel, Bengel, brülle nicht,
du verdammter Strampelwicht.
Still, mein süßes Engelsfüllen:
morgen schneet es Zuckerpillen,
übermorgen blanke Dreier,
nächste Woche goldne Eier,
und der liebe Gott, der lacht,
daß der ganze Himmel kracht.
Und du kommst und nimmst die Spenden,
säst sie aus mit Sonntagshänden,
und die Erde blüht von Farben,
und die Menschen thun’s in Garben —
Herr, den Bengel kümmert nischt,
was man auch für Lügen drischt!
[219]Warte nur, du Satansrachen:
heute Nacht, du kleiner Drachen,
durch den rothen Höllenbogen
kommt ein Schmetterling geflogen,
huscht dir auf die Nase, hu,
deckt dir beide Augen zu;
deckt die Flügel sacht zusammen,
daß du träumst von stillen Flammen,
von zwei Flammen, die sich fanden,
Hölle Himmel still verbanden — —
so, nu schläft er; es gelang;
Himmel Hölle, Gott sei Dank!
Gesicht
[272]Jüngst sah den Heiland in weißem Gewand
Ich schreiten durch goldenes Ernteland.
Die gelben Halme von Segen schwer,
Es lachte in Meeren blaßgolden her,
In heißer flimmernder Sommerglut,
Der reife Segen in seiner Hut.
Er ging dahin mit ruhigem Schritt,
Und Lerchengrüße wanderten mit
Aus Himmelsblau voll Seligkeit
Der leuchtend stillen Sommerszeit.
Nur einmal brach er ein Röslein vom Rand
Des Rains, der ganz voll Blumen stand,
Stand still und roch, sich neigend, dran,
Dann hub er wieder zu schreiten an.
[273]Doch wundersam war sein Gesicht:
So schön und rein sah ich’s noch nicht.
Strahlend und siegreich wie des Apoll
Und doch der klarsten Güte voll,
Die alle Schmerzen überwunden,
Die qualverzweifeltsten der Stunden;
Die nichts von Bitterniß mehr kennt,
Nur wie ein adlig Feuer brennt
Im Herzen, das krystallenrein
Das Bild der Welt schließt segnend ein.
Und wundersam: — von den Menschen allen,
Auf die nur je mein Blick gefallen,
Die einst ich sah in Kraft beglückt,
Die tief ein Kümmerniß bedrückt,
Fand ich verklärt einen leisen Zug,
Den er auf seinem Antlitz trug. — —
Und wo er trat auf weißen Wegen,
Da heimsten die Menschen den Erntesegen
Bei feierlichstem Sichelklang
Die sommerklaren Tage lang,
Im Frieden kraftvoll, glücklich stark,
Ein rein Geschlecht voll Heldenmark. —
Und vor dem Dörflein, auf leuchtendem Plan,
Wo silbern ein Brünnlein rauschend rann,
Da hielt der Heiland die Schritte an.
Da saßen die Alten und sahen zu
Dem Erntetreiben in stiller Ruh,
[274]Und silberner Kinderstimmen Schall
Vermischte sich mit des Brünnleins Fall.
Der gleiche Ernst auf Kindermienen
Und Runzelgesichtern, sonnbeschienen,
Im Aug’ die feierlichste Ruh. — —
Ein Weilchen sah der Heiland zu
Zum leisen Segnen erhob er die Hand.
Dann schritt er weiter im weißen Gewand
Durch golden schimmerndes Ernteland.
Im alten Pavillon
[275]Ein leuchtender Spätsommernachmittag.
In schwülem Dufte ruht der alte Park.
Der goldnen Lichter wirres Flimmerspiel
Webt in den Füllekronen alter Eichen
Und im Gebüsch, wo Marmorgötter träumen.
Und auf dem goldsmaragdnen Gräsermeer
Der Lichtungen, besternt von Blütendolden
Und silberflimmernd von der Gräser Spitzen,
Liegt heiß der Lüfte zitternd reine Glut.
Was seh ich? Offen steht der Pavillon,
Der, selten nur betreten, einsam schläft
In einer dichtumbuschten Hügellichtung,
Mit seinen Marmorgöttern auf der Treppe,
Auf deren rosige Marmoradern zitternd
Der Gräser grüner Schatten niederfällt.
Kein Mensch! Kein Laut! — Ich trete zagend ein. —
Es hebt ein seltsam fremder schwüler Duft
Sich aus der rosigen Dämmerung heran
Und legt sich drückend auf die Sinne mir.
Matt leuchtet im gedämpften Licht herab
Von heller Wand ein zierlich Schäferbild
[276]Des Lancret. Prüfend suche, wähl’ ich mir
Den Sessel, blaßblau, halb verblaßt, rück’ ihn
Ins rechte Licht und sitze nun im Dämmern
In seltsam fremder Stimmung wie verzaubert.
Da knirschten Schritte auf dem weichen Kies.
Wer mag es sein? Es knistert ein Gewand.
Es pocht ein Schritt herauf die Marmortreppe.
Ich rühr’ mich nicht, ich schließe meine Augen,
Von fremder Hoffnung heimlich aufgeregt,
Als müßte etwas göttlich Unvorhergesehenes
Nun in mein Leben treten leisen Zauberschritts.
Nun — klappt man gar den alten Flügel auf,
Auf dessen Deckel sich ein Menuett
In hellen Farben anmutselig wiegt.
Es irren Finger durch die gelben Tasten.
(Ich kenne diese weißen schlanken Finger.) — —
Wehmütig zart und silbern klingt ein Ton,
Der lang gefangen in den Saiten lag,
Herüber in die warme Dämmerung —
Und nun: das wunderliebliche Andante
Aus der Sonata quasi una fantasia,
So schönheitatmend, solcher Grazie voll,
Wie nur ein rein vollendetes Gemüt
In heiterer Feierstunde es empfängt,
Wenn junges Glück mit blassem Goldglanz schmückt
Des schönsten Augenblickes Freudedrang. — —
Wird so das Schweigen selige Musik,
[277]Das Schweigen, das mit Rosenfarben adelt
Der jungen Braut demutgesenkte Wangen
Und leise Trauer in die Fülle mischt
Des schwellenden, des übervollen Busens? — —
Doch kaum geendet ist der Sternensang,
Da klirrt es auf wie wilder Tubenton.
Evoë! Beethovens Opus 111. —
Ich kenne dich, du schmerzliche Gewalt,
Du heilige Not, du schwüle Bitterniß!
Zerstoben ist der lichte frohe Schwarm,
Der einst in diesen Räumen lachend liebte.
Kein Schäferspiel ist diese tiefe Welt.
Titanen sind wir Alle, Grolltitanen!
Auf unsrer Brau liegt Trotz und liegt der Grimm,
Im Herzen Hunger nach der heil’gen Schönheit,
Und doch Unfähigkeit sie zu genießen.
Wir hungern nach dem ewigen Götterlachen
Und wissen doch, daß hoher Schmerz allein
Die Herzen groß, die Herzen weit gemacht,
So weit und schrecklich wie die weite Welt,
Die ihre Kinder schlingt, um im Gebären
Allseligkeit zu kosten ohne Ziel! — —
Evoë! der Sonnenglanz des Glücks ist flüchtig,
Evoë! der Sonnenglanz des Glücks erfüllt
Mit Trauer uns, mit unnennbarem Drang! —
Den Himmel kennt nur, wer die Hölle kennt.
Evoë! Empörung ist der großen Herzen Glück!
[273]Zu Ende! — Langes Schweigen drückt den Raum. —
Zu Ende! — Ja. — Doch sie mit leisem Schrei,
Als hätt’ ich ein Geheimniß ihr belauscht,
Sieht mich geschloss’nen Auges schweigend sitzen
Und kommt. Ich fasse ihre holden Hände,
An meine Seite sanft die Liebe ziehend,
Und ihre Augen glänzen schönstes Glück
Des atmend seligsten Beisammenseins.
Umschlungen, schweigend, stehn wir auf der Treppe,
Geblendet von der Fülle goldenen Lichts,
In das des Abends erste Rosenschimmer
Wie zage Ahnung fallen. Selig Atmen
In reiner, reiner Sommereinsamkeit!
Ein weißes Taubenpaar stößt scharfen Flugs
Vorüber über sommergrüne Wipfel
Und silbern friedlich klingt das Glockenspiel
Der fernen Stadt herüber in das Schweigen,
Das abendfeierlich sich tiefer senkt.
Fin de siècle
[282]Narrentand und Trauerlieder!
Das Jahrhundert legt sich nieder,
Lüstesatt, zum lauten Sterben.
Lachen —? weinen seine Erben? —
Gierig schwelgen sie an Tischen,
Wo des Tages Köche mischen —
Daß die Stunde weich verrinne, —
Kühlungstrank dem Brand der Sinne.
Welch ein Leichenmahl! — Es prangen
Unermeßlichstem Verlangen
Die Gerichte aller Zeiten,
Aller Völker, aller Breiten.
Aus Erkenntnißbaumeszweigen
Goldenblinkend her sich neigen
Früchte, — Paradiesesschlangen,
Grimmig stachelnd das Verlangen.
Doch die müden Hände zaudern,
Müd von des Genusses Schaudern,
Müd vom Hoffen, müd vom Streben,
Müd vom ewig dunkeln Leben. —
[283]Welch ein Leichenmahl! — Gelächter
Schwirrt wie Hohn von der Verächter
Lippen in der dumpfen Massen
Giergestachelt wüstes Prassen.
Schwül die Luft. — Und — Narrenwitze
Zucken als die ersten Blitze
Ob dem schwelgenden Gewimmel.
Wetter ziehen auf am Himmel. —
Weihrauch qualmt. Und müde Seelen,
Die des Herzens Bruch verhehlen,
Flüchten in die alten, wirren
Labyrinthe, froh zu irren.
Auf des Zweifels Dornenbette
Singen Dichter Trauermette,
Singen laut von schönern Tagen,
Da die Herzen Götter tragen.
An Otto Julius Bierbaum
[284]Jüngst, lässig-heiter schlendernd in dem Glaspalast,
Wo unsrer lieben Kunst- und Bierstadt München sich
Alljährlich prunkend zeigt die stumme Götterschaar
Und das Gesindel dieser überlauten Zeit —
Auf grober Malerleinwand nur, versteht sich, Freund —
Ward ich von einem seltsam schönen Traum beglückt.
Heiß war der Sommertag und schwül. Ich nippe gern
Von vollen Schönheitsbechern Schaumesperlen nur,
Des alten Götterneides schweigend eingedenk. —
So fand ich mich in einer kühlen Ecke bald
Vor einem Glase Schurlemurle. O gewiß
Nur Schurlemurle war der Nektarfeuertrank.
Und da — schon sank mein bildermüdes Auge zu —
Wen sah ich da? Es war nicht Wahn, nicht Täuschung, nein!
Den lachenden, den sieghaft schönen Heidengott,
Den tief geheimnißvollen Dionys. Er ritt
Auf einem Fabelhengste aus dem Stalle Böcklin’s,
Mit glattem Fell. Gar stolz und wohlgenährt und glänzend
Und auch noch kunstbegabt schien mir das schöne Vieh:
Sein schimmernd Wiehern klang vor mancher Kleckserei
Wie donnerpolterndes Gelächter, machtvoll selig.
[285]Doch noch vergnügter schien der schöne Gott mir selbst.
Ein übermüthig Lächeln lag auf seinem Mund,
So weich wie eines vollerblühten Weibes. Ja,
So lächeln Dichter, wenn die Ruhmesglorie hell
Sie plötzlich übersonnt, in zager halber Scham. —
Zu lustig, rief der junge Gott mir lachend zu,
Was seid ihr Menschen doch ein drolliges Gezücht!
Beim Hund! Kein Gott versteht die Allerbesten ganz.
Du weißt, im Lauf der Zeiten ward ein bißchen ich
Gelehrt. Das schadet selbst uns hohen Göttern nicht.
Ein Vorrecht haben wir ja stets: Persönlichkeit.
Nun ja, da las ich jüngst das alte Märlein mir
Vom Apfelbiß in eurem Schlangenparadies,
Davon ihr sehnsuchtskranken Narren immer träumt,
Wenn ihr in jenen bittersüßen Apfel beißt.
Hm, nach den hohen Göttern richt das Märlein nicht,
Und euer Adam, welch’ ein stumpfer Erdenkloß!
Soll ich dir sagen, wie die Menschen wurden? Ja?
In meiner tollsten Jugendgrazienflegelzeit —
Ach, auch wir Götter treiben’s in der Jugend toll —
Als ich in jubelrasendem Triumphe zog
Ums lichtazurne, leuchtend schöne Mittelmeer,
Da ruht’ ich einst mit meinem trunkenen müden Schwarm
Auf einer seligen Insel, wo ein Lorbeerhain
Den warmen Schatten warf auf einen Wiesenhang,
Aus dessen leuchtend sattem, weichem Frühlingsgrün
Die Blüthensterne weiß und purpurn lachten. Recht
Ein seliger Ruheort. — Es rauschte silbern da
[286]Ein sonnenspiegelnd Brünnlein heilig kühle Fluth,
Das trübe Aug’ zu netzen mit dem Weihenaß,
Wenn es vom steten Schau’n der Schönheit müde, müde.
Und als am reinen Morgen ich, nach tiefem Schlaf,
Erquickt von dannen zog, blieb mir ein Weib zurück,
Das schwärmend sich am Tag zuvor zu müd gerast.
Und sie beschlich ein kecker Faun. Es brannten hell
Als ewige Liebesfackeln Ätna und Vesuv.
Von diesem Paare stammt ihr Alle, Alle ab,
Der Göttin Wesen und des Fauns seltsam vermischt
Im unzufriednen Busen. Rassenkreuzung taugt
In seltenen Fällen nur, das glaube mir, Poet.
Und ich als Gott genieße mir ein Schauspiel nun,
Wie es die frohen Götter lieben, die ja stets
Das frechste Publikum des zweifelhaften Spiels,
Das Welt geheißen. Ja, beim Hund, ihr Menschen seid
Ein spaßhaft unbegreiflich drolliges Geschlecht.
Bald herrscht der Faun in euch, die schöne Göttin bald,
Die einst in meinem übertollen Schwarm erfuhr,
Auf welchem dunklen Grund die wahre Schönheit blüht.
Und kommt der ewige Streit einmal zum Stillestand
In euch — nun Katzenjammer nennt man, glaub’ ich, das.
Am Kater gingen die Olympier zu Grund,
Und eure zahmen Dichter wissen gar zu wohl,
Warum sie wachend träumen von dem dunklen Gott,
Den diese Welt gebären müsse, — diese Welt! —
Daß er als Tröstung lache jedem bangen Leid.
Zum Lachen! Schaut er dämmernd nicht aus jedem Bild.
[287]Aus jedem Weib, dem noch ein spärlich Reizchen blüht?
Und feiert er dem öden Schwelger nicht ein Fest
In jedem schmucken Dirnlein, das nur ein Symbol
Des ewig trunknen Frühlings, den ich liebe, ich?
Doch wie gesagt, ein drollig Schauspiel seid ihr mir,
Besonders wenn das Weib ihr giftig zeternd schmäht.
Weißt du, woher der eitle Narrenschmerz euch stammt?
Von eurem Guckenwollen hinter diese Welt.
Ihr Esel! Euer grausam dunkler Lebensdrang,
Der Stolz, die Freude, eure dumpfe Sehnsucht selbst,
Sie ruhen licht auf grausig schwülem dunklen Grund.
Freut euch an ihrem Spiel, an ihrem bunten Schein
Und starrt nicht in die Dämmertiefen, Narrenpack,
In dem der Faun wird mächtiger von Jahr zu Jahr,
Auch wenn er sittsam geht im Feigenblätterschurz.
So räsonnirte mir der Gott noch lange fort,
Der Schöpfung Krone nörgelnd schmähend unverschämt.
Die ewigen Götter thun nichts halb. Das ist bekannt. —
Doch ich gerieth in einen hellen Heidenzorn.
Du frecher Hanswurst, was suchst du in diesem Haus,
Wo doch wahrhaftig das Genie nicht frech sonst tollt?
Du Narr, glaub ich dich nicht, so existirst du nicht.
(Das war ein feiner Trumpf!) — Werd lieber Pastor mir
Und predige die Lebensfreude, grob und fein,
Den höhern Töchtern, von der ewigen Eva stammend
Und nicht von deinem liederlichen Bacchenweib.
Noch vieles sagt’ ich so in meinem Heidenzorn.
[288]Das Schimpfen ist ein reiner Götterhochgenuß.
Doch leider störte mich ein Gardelieutenant,
Der einer Frau von dreißig Jahren schneidig und
Ästhetisch schimpfte auf die Freilichtmalerei,
Die leider nicht die Allerhöchste Billigung fand.
Ein großer Kenner war der stramme Mars wohl nicht,
Obgleich er einst gezappelt in dem goldnen Netz,
Das hinkend der Hephästos fein geschmiedet. O
Du tiefer Sinn der alten Märenseligkeit!
Geheimnisse
(Skizze)
[289]Der Wildbach braust, es rauscht die Luft,
Schwefelfarbnes Gewölke speit rothe Flammen,
Zerrissne Zweige treiben im Sturm,
Die Thiere stecken die Köpfe zusammen.
Auf schroffem Fels, der senkrecht fällt
In die gähnende Tiefe, steht ein Weib,
Und jauchzt in die Wolken, und herzt einen Mann,
Und schlingt ihre Arme um seinen Leib.
„Salve Jehova, brav gewettert,
Hier stehen zwei, und freuen sich baß
Deiner Trommeten und Flammengarben,
Rase weiter in deinem Wolkengelaß.
Wir sind sicher vor deinen Feuern,
Heißer brennt unsere als ihre Gluth,
Wir sind sicher vor Deinen Strömen,
Höher schwillt unser drängendes Blut.
[290]Die Güsse schweigen,
Durch die Walder geht leises Erzittern hin,
Stockende Donner stottert das Echo
Die Wolken schauern und — entfliehn.
................
Monde verstrichen, Jahre verstrichen,
Sommer bräunten die Halden an ihren Feuern,
Winter küßten die Tannen bis sie erblichen.
................
Der Adler ätzte seine Brut,
Buhlende Winde streuten Samen
In Felsensprünge, zwischen Geröll,
Die Sonne brannte dazu ihr Amen.
Da schleicht inmitten des Festgejubels,
Ein Schatten über die Hochzeitsstätte,
Ein Leichnam der unbegraben ist,
Der sich sehnt nach seinem letzten Bette.
Gierig blicken die Augen nach der Tiefe
Wo der Tod im Finstern sein Messer schleift,
Befriedigt messen sie den gähnenden Abgrund
Da — zitternd die Hand nach dem Haupte greift.
Ein schroffer Felsen, der senkrecht fällt
In’s leere Dunkel, thürmt sich auf,
Edelweißwiesen träumen still,
Tannen raunen aus der Schlucht herauf.
[291]Vor Jahren. Rother Himmel rings,
Auf diesem Fels ein Mann, ein Weib,
Er starb ihr jüngst, wer sagt warum?
Was suchet hier ihr müder Leib?
..............
Auf schroffem Felsen, der senkrecht fällt
In die gähnende Tiefe, ruht die Sonne,
Tannen raunen aus der Schlucht herauf,
Die Thiere kosen in scheuer Wonne.
Es ist alles wie früher, ...... O Jehova!
Zu Ende
[293]Die Dirne hat ein Kind geboren
Und liegt allein im Prunkgemach,
Im Purpur ihres Pfühl’s verloren,
Von Qual erschlafft, von Schmerzen wach.
Der Ampel blasse Ringel zittern
Um einer Göttin Goldgesicht,
Die von des Hausaltares Flittern
Den Segen in die Halle spricht.
Die lauten Buhler sind verschwunden,
Kein Cymbelklang durchschwirrt die Luft,
Gefährte ihren Marterstunden
War nur der heiße Ambraduft,
Der schwül durch alle Kissen lagert,
Der lockt, betäubt und trunken macht,
Und die entsaugten Glieder hagert,
Wenn in den Morgen sinkt die Nacht.
[294]Die Nacht war der zum Reich erkoren,
Die jetzt des Morgens Kühlung sucht
Und ihren Leib, weil er geboren,
Mit kranker Lippe herb verflucht.
Die Krone, die ihr Haupt getragen,
Die Schönheit, die von Lust geschmückt —
Ward all’ von einer Nacht zerschlagen,
Was tausend Nächte nicht zerstückt?
Die sie in ihrer Kraft Verschwendung
Verrast und in des Giftes Trank,
Da ihre Jugend, stolz der Schändung,
In freche Mannesarme sank?
Wär’ nimmer ihr zurückgegeben
Der Wonnen ungebroch’ne Gier?
„O Göttin, nimm von mir das Leben,
Eh’ daß du Schönheit nimmst von mir!“
Sie tastet, greift den gold’nen Spiegel,
Die müden Augen sind bereit
Zu spähen, ob des Schmerzes Siegel
Das weiche Angesicht entweiht.
Wohl ist es bleich und scharfgezogen
Der feinen Adern Blaugeäst,
Gesenkt der Brau’n gepfeilte Bogen,
Des Mundes Üppigkeit gepreßt.
[295]Doch ist es Nebel nur, der schleiert
Auf rosenwilde Bergeshöh’n,
Wenn die verschlafne Sonne feiert.
Sie athmet tief: Noch ist sie schön.
Sie fühlt das süße Lebensfeuer,
Der Göttin schwöret sie empor,
Sich zu vergeuden ungeheuer
In Rausch und Glut — da schrickt ihr Ohr.
War es der eig’nen Stimme Tönen?
War’s im Gezweig verirrter Wind?
Und wieder eines Hauches Stöhnen —
Sie neigt und lauscht — es ist ihr Kind.
Zu ihren Füßen nackt und bebend
Vom seid’nen Schleier schlecht bedeckt,
Die kleinen Hände hilflos hebend,
Noch nicht das Aug’ zum Licht erweckt.
Gehaßt, da sich sein erster Schauer
Geheim geregt in ihrem Schooß,
Empfangen in die Erdentrauer
Liegt es verlassen, mutterlos.
„Gebrandmalt hast du meine Stirne,
Hinausverstoßen mich in’s Leid!“
Schwer trifft es, was der schönen Dirne
Der stumme Mund entgegenschreit.
[296]Mit zitternd ungeschickten Armen
Hebt sie es leis und wiegt es sacht.
Wie zart es ist! Und im Erbarmen
Schmiegt sie es in des Busens Pracht.
Doch glühend fühlt sie sich durchirret
Von der Berührung schwachem Kuß,
Daß sie, in Angst und Lust verwirret,
In Thränen sich entzücken muß.
Und daß im festeren Umfangen
Kein kalter Druck das Kind verletzt,
Reißt sie vom Arm die reichen Spangen,
Vom Hals die Kette steinbesetzt.
Zu rauh scheint ihr der Schleier Seide,
Ihr langes Haar umspielt, umgibt
Den kleinen Leib mit gold’nem Kleide.
Die nur gebuhlet hat — sie liebt.
Sie will aus ihren sünd’gen Nächten,
Die leise drängend sie umweh’n,
Den Kranz für seine Stirne flechten:
In Königsreichthum soll es steh’n.
In seinem Tag wird sie sich schauen,
In seiner Unschuld wird sie rein,
Sie wird die strahlendste der Frauen,
Die seligste der Mütter sein.
[297]Wann wird sein Lächeln ihr begegnen?
Wann grüßet sie der erste Laut?
Wann wird der erste Blick sie segnen,
Der Blick, den sie noch nicht geschaut?
Sie sehnt zu wecken seine Lider.
Schon will sie’s, scheu verlangend, thun —
Wie kühl, wie schwer sind seine Glieder,
Die still an ihrem Herzen ruh’n!
Und schwächer wird das Athembeben,
Die Wange kalt, die Lippe weiß.
Und in ihr eigen heißes Leben
Fühlt sie des Grabes schwarzes Eis.
Und hebt in schreiendem Entsetzen
Die Arme zu dem Götterbild
Und reißt das Purpurtuch in Fetzen
Und stürzt sich hin verstört und wild:
„O Göttin, lass’ es nicht geschehen
Daß Tod mir raubt, was noch nicht mein!
Noch hat sein Aug’ mich nicht gesehen,
Noch kann sein Mund mir nicht verzeih’n!
Halt’ auf das nachtende Verderben
Du Mächtigste, die ich verehrt —
Und willst du nicht, so laß mich sterben,
Und meinem Kind sei Licht gewährt!“
[298]Die Göttin starrt mit gold’nem Lächeln
Auf das emporgehob’ne Kind
Und in die Ambraschwüle fächeln
Die ersten Dämmerlüfte lind.
Die großen Augen aufgedunkelt,
So schaut das Kind zum ersten Mal
Und aus dem Sterbeblicke funkelt
Ein ewigkeitentschöpfter Strahl.
Mit weitem Schau’n zur weiten Ferne
Flieht suchend er durch’s Morgenlicht,
Bis er begegnet seinem Sterne,
Dem letzten Stern, — das Auge bricht.
Und über ihres Wahnsinns Weinen,
Dem Rasen ihrer Mutternoth
Die bleichen Morgenrosen scheinen,
Mit denen sich bekränzt der Tod.
Von stolzer Marmortreppe scheidet
Die grau verhüllte Bettlerin,
Der Schätze hat sie sich entkleidet
Und ihre Schönheit wirft sie hin.
Ihr Kind will sie zu Grabe tragen
Wo Lilien blüh’n im Waldgefild,
Und in der Halle liegt zerschlagen,
Zerscherbt der Göttin goldnes Bild.
Phantasie
(Aus „Tannhäuser“ in „Venus Astaroth“)
[340]Poesie ist Magierkunst,
Denn ein Magier ist der Dichter,
Nostradamus nicht der Große,
Noch der bleiche Doktor Faust
Waren mächtgere Beschwörer,
Waren kühnre Geisterbanner,
Als wir Dichter, die dem Tod wir
Und der Hölle Rede stehen.
Alle Geister bannt die kundge
Dichtersklavin Phantasie, —
Nicht Mephisto noch Asmodi
Haben Zauberkraft wie sie.
Phantasie baut Feenschlösser
Auf des Himalaya Gipfel,
Phantasie taucht auf den Meergrund,
Wo die Nixe sich ihr Haar flicht.
[341]Auf der Elfen Bergen tanzt sie
Nächtens bei dem Mondenscheine,
Silberhell erklingt ihr Lachen;
Märchenschön erglänzt ihr Auge.
Phantasie belauscht Diana,
Wie sie in den weichen Wellen
Eines Waldsees ihre ros’gen
Glieder lüstern widerspiegelt.
Mit den kämpfenden Titanen
Thürmt sie Ossa auf den Pelion,
Von den Höhen des Olympos
Stürzt die Götter sie herab.
Phantasie tritt vor die Sphinx,
Lächelnd löst sie ihre Räthsel, —
Phantasie fliegt durch den Weltraum
Schneller als des Lichtes Pfeile.
Mit dem Helden schreitet sie
Sieghaft in die Männerschlacht,
Und dem todten Kämpfer schmückt sie
Noch das bleiche Haupt mit Lorbeer.
Im Palast des Königs thront sie
Mit dem Scepter in der Hand,
Mit dem düsteren Verbrecher
Irrt sie heimathlos durchs Land.
[342]Über der Alltäglichkeit
Unkenreichen Sümpfen schwebet
Sie in göttergleicher Ruh,
Stolze Wolkenwandlerin.
Auf denn Phantasia, fliege
Fort von hier in’s Land der Sage,
Fliege in den Hörselberg
Zu der schönen Frauen Venus.
Vergessen
[365]Ich sah’s an andern, die du gern gehabt,
Wie schnell du sie vergessen. — Der Gedanke
Erfaßt mich jäh: auch mich wirst du vergessen! —
Kein Leid auf Erden ist so riesengroß —
Es kommt die Zeit, den herben Schmerz zu lindern...
Kein Glück auf Erden ist so riesengroß —
Es kommt die Zeit, und macht das Glück zu nichte.
Sie ist gewaltig. — Hab’ ich es doch selbst
An mir erfahren mannigfalt.
Es kommt die Zeit,
Und mit ihr das Vergessen. Wie in Nebel,
Der sich am Abend von den Wassern löst,
Hüllt sich Vergang’nes, daß die müden Augen
Nichts mehr erkennen. Gegenwärtiges
Drängt sich mit Allgewalt vor unsre Sinne,
Und farblos, matt und nichtig wird Entschwund’nes.
Die Woge war — die Woge ist nicht mehr,
Versunken in das Grab: Vergessenheit. —
[366]Einst schien mir jegliches Gefühl gestorben,
Da nahtest du dich mir in Lieb und Güte,
Und lehrtest mich, daß ich dich lieben mußte,
Daß ich mit jeder Faser meines Leibes
Mich an dich klammerte, um dich zu halten. —
Dann kam der Sturm; verweht ward alles wieder,
Dein Lieben starb. —
Und wie ein welkes Blatt,
Das herbstlich von dem dürren Zweige bricht
Und niederflattert zu der nassen Erde,
Irrt unsre Freundschaft haltlos in dem Winde. —
Nur eine Welle war’s im Lebensmeer,
Die schäumend sich am Fels des Todes bricht,
Und dann in Nichts zerschellt...
Denn tausend Wellen
Vernichtend drängen ringsum auf sie ein,
Und tilgen ihre Spur für ewig aus.
Dein Lieben starb, der Welle gleich im Meer,
Im leichten Wind’ zerflatterte die flüchtige...
Ist deine Freundschaft stärker vor dem Wind?
Frag’ ich zu allen Stunden mich voll Leid’s. —
Und sieh: Das ist’s, was mich so traurig macht! —
Den Schulfüchsen
[374]Es soll mit der Zeit die Schule gehn,
Mit ihr, der vorwärts winkenden,
Am Born des Lichtes trinkenden.
Sie soll der Zeit die Spule drehn,
Der werdenden, nicht der sinkenden.
Ein Saatfeld soll sie, breit gepflegt,
Für dieser Tage Samen sein,
Soll’s in der Zukunft Namen sein.
Und daß sie zu Bürgern der Zeit uns prägt,
Das soll ihr tägliches Amen! sein.
Ihr aber, Kathederzöpfe ihr,
Ihr ganz in Scholastik Verlorenen
Und drum von der Kirche Erkorenen,
Stumpf macht ihr die schärfsten Köpfe schier,
Die zu was Besserm geborenen.
[375]Die Bibel ist wohl ein gutes Buch,
Doch wie sie heute zünftig ist —
Wir wollen nicht, daß sie es künftig ist!
Zu Einem nur zieht uns des Blutes Zug:
Zu glauben, was vernünftig ist.
Zu viel ist in Griechisch, Latein geschehn;
Gebt uns statt des Todten Lebendiges,
Gebt uns Modernes, Verständiges,
Und wollt euch endlich eingestehn:
Im Leben regiert Notwendiges!
Drum thut vor allem die Pfaffen ab
Im Lehramt hoch und niederig,
Die Pfaffen glatt und widerig!
Thut ab, thut die Schlaraffen ab,
Die Spinnen tausendgliederig!
Ihr seid fürwahr! ein kleinlich Geschlecht,
Ihr ewig lateinisch Leimenden,
Ihr credo mit cedo Reimenden!
Ihr macht die Geister „hübsch reinlich“ zurecht
Und mordet den Geist, den keimenden.
Der Same, den ihr in die Massen streut,
Erzieht uns den kriechenden Kämmerling,
Den ganz verkirchlichten Dämmerling!
Schon reichen sich auf den Gassen heut
Die Hände nur Schwächling und Jämmerling.
[376]Und meint ihr, es solle so weiter gehn?
Uns lebt ein freiheitforderndes,
Ein heißes Jahrhundert, ein loderndes.
In Flammen wird bald die Scheiter stehn,
Die Faules verzehrt und Moderndes.
Nicht steht, was geistig, hienieden still,
Und jocht ihr’s mit Priestern und „Gnädigen“,
So werden’s die Fäuste erledigen.
Und dies soll wer da Frieden will,
Auf allen Märkten predigen.
Der Wiesenpfad
Eine Fabel
Der Mond schien trübe — auf Feld und Flur
Schlief längst schon alle Creatur.
Da sprach zum Eichbaum der Wiesenpfad:
„Ich bin ein wichtiger Weg in der That;
Von Pfaffenwinkel nach Fürstenhagen
Führ’ ich die Leute seit Olimstagen.
Ein Schultheiß mich gestiftet hat
Und ein wohlweiser Magistrat;
[377]Im Stadtbuch steh’ ich registriret;
Benamst bin ich, concessioniret;
Wegweiser verkünden der Christenheit,
Daß laut ehrsamer Obrigkeit
Nur die gesetzlichen Wandel führen,
Die mich erkiesen und erküren,
Und bin ich auch stellenweis holprig und schmal,
So bin ich doch sehr legitim und legal,
Und schwing’ ich mich auch ein wenig schräge,
So bin ich doch immer der Weg der Wege!“
So sprach der Wiesenpfad gemessen;
Der Eichbaum aber lauschte indessen
Und wiegte nachdenklich seine Blätter
Und sprach: „Potztausend, alle Wetter,
Es blüht dein Gras, als wär’ es Haber,
Doch scheint mir, es hat die Sache ihr Aber.
Will man dich verstehn — es ist notorisch —
So kann es nur sachlich geschehn und historisch.
Drum sag’ ich dir redlich als guter Christ,
Wie du vor Zeiten entstanden bist:
Vor Zeiten war Einer, der ungebeten
Zufällig dich zurecht getreten,
Ganz tölpisch und ohne Sinn und Verstand,
Just wie er durch Wiesengras und Sand
Von Pfaffenwinkel nach Fürstenhagen
Gedankenlos sich durchgeschlagen.
[378]Und wie nun einmal ist die Welt,
Daß gegebenes Ding am besten gefällt,
So traten dem Einen die Andern nach
Und thun es noch heute — die Welt ist flach.
Und hat dich, mein guter Wiesenpfad,
Auch registrirt ein hoher Rath,
Dein Ruhm ist nur von Zufalls Gnaden —
Ein Pfad bist du gleich andern Pfaden.“
Da stäubte der Wiesenweg zornig auf
Und stäubte den Staub bis zum Eichbaum hinauf:
„Gleich soll dich beißen des Gärtners Säge —
Ich bin und bleibe der Weg der Wege.“
Der Eichbaum sagte gar nichts mehr
Als: „Gute Nacht! Es schläfert mich sehr.“
Der Mond schien trübe — auf Feld und Flur
Schlief längst schon alle Creatur.
Chinesiches Trinklied
Nach Li-tai-po
[389]Der Herr Wirth hier — Kinder, der Wirth hat Wein!
aber laßt noch, stille noch, schenkt nicht ein,
ich muß euch mein Lied vom Kummer erst singen.
Wenn der Kummer kommt, wenn die Saiten klagen,
wenn die graue Stunde beginnt zu schlagen,
wo mein Mund sein Lied und sein Lachen vergißt,
dann weiß Keiner, wie mir ums Herz dann ist,
dann woll’n wir die Kannen schwingen —
die Stunde der Verzweiflung naht.
Herr Wirth, dein Keller voll Wein ist dein,
meine lange Laute, die ist mein,
ich weiß zwei lustige Dinge:
zwei Dinge, die sich gut vertragen:
Wein trinken und die Laute schlagen!
eine Kanne Wein zu ihrer Zeit
ist mehr werth als die Ewigkeit
und tausend Silberlinge!
Die Stunde der Verzweiflung naht.
[390]Und wenn der Himmel auch ewig steht
und die Erde noch lange nicht untergeht:
wie lange, du, wirst du’s machen?
du mitsammt deinem Silber-und-Goldklingklange?
kaum hundert Jahre — das ist schon lange!
Ja: leben und dann mal sterben, wißt,
ist Alles, was uns sicher ist;
Mensch, ist es nicht zum Lachen?!
Die Stunde der Verzweiflung naht.
Seht ihr ihn? seht doch, da sitzt er und weint!
seht ihr den Affen? da hockt er und greint,
im Tamarindenbaum — hört ihr ihn plärren?
über den Gräbern, ganz alleine,
den armen Affen im Mondenscheine? —
Und jetzt, Herr Wirth, die Kanne zum Spund!
jetzt ist es Zeit, sie bis zum Grund
auf Einen Zug zu leeren — —
die Stunde der Verzweiflung naht.
Lied der Gehenkten
Villon’s Epitaph,
als er nebst Etlichen zum Galgen verurtheilt war.
[391]O Mensch, o Bruder, machst du hier einst Rast,
verhärte nicht dein Herz vor unsrer Pein;
denn wenn du Mitleid mit uns Armen hast,
wird Gott der Herr dir einst gewogen sein.
Hier hängen wir, so stücker acht auch neun;
ach, unser Fleisch, einst unser liebst Ergetzen,
jetzt ist es längst verfault und hängt in Fetzen,
sammt unsern Knochen fast zu Staub zerfallen.
Doch wolle Keiner seinen Witz dran wetzen —
nein: bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen!
Mißachte, Bruder, nicht dies unser Flehn;
du weißt ja, der du unser Bruder bist,
obgleich uns nach Gesetz und Recht geschehn,
daß nicht ein jeder Mensch vernünftig ist.
Verwende dich von Herzen als ein Christ
beim Sohn der Jungfrau, daß er seine Gnade,
da wir nun tot sind, auch auf uns entlade
und uns behüte vor des Satans Krallen;
die Seele, Bruder, stirbt nicht mit am Rade —
ja: bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen!
[392]Sturzregen haben unsern Leib zerspült,
die Sonne uns geschwärzt und ausgedörrt,
Kräh’n, Raben uns die Augen ausgewühlt,
uns Bart und Brauen aus der Haut gezerrt.
Niemals, kein Stündchen Ruh’ am warmen Herd;
nur wipp und wapp, und immer wippwapp wieder,
umschwärmt von Kräh’n, die Winde um die Glieder,
zerhackt, zerlöcherter als Hosenschnallen!
Ja: vor Uns Brüdern seid ihr sicher, Brüder;
doch — bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen!
Bürden
Nach Ch. A. Swinburne
[401]Die Bürde schöner Weiber. Sinnentrug
Und Liebe, die sich lachend elend macht,
Und häuptlings der unwandelbare Flug
Der Jahre, schattenähnlich sacht;
Und eingefallne Wangen über Nacht,
Und Gram, der hält, was Freude einst verhieß,
Und Müdigkeit, die für ein Kaufgeld wacht —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde feiler Küsse. O wie schwer!
Ein wehevolles Kreißen ohne Frucht;
Von Mitternacht zu Morgengraun Begehr,
Vom Morgengraun zum Abend neue Sucht;
Und zwischenein die angstgejagte Flucht
Vor deiner eignen Seelenfinsterniß,
Und Liebe dir verekelt und verrucht —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde falscher Reden. O, du wirbst
Umsonst um Menschengunst; sie spotten dein.
Noch trinken sie dir zu; aber du stirbst,
Wehe, du stirbst, und da — bist du allein.
[402]Allein! wie Erde wird dein Antlitz sein.
Wie Seeschlamm, den die Flut ans Ufer stieß.
Allein! und was Gestalt war, wird Gebein —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde langen Lebens. Dir wird bang
Des Nachts in deinem Bett, du athmest schwer.
Du stöhnst der Nacht entgegen: O wie lang!
Und sprichst zum Morgen: Daß doch Abend wär!
Und keine Liebesfessel hält dich mehr,
Das Band, das dich ans Leben knüpfte, riß,
Und blind geschlagen tastest du umher —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde eitlen Glanzes. Alles bleicht,
Das Gold wird trüb, des Sommers Grün verdorrt,
Und aller Zauber, der dich blendet, weicht,
Dein eigner Blick wird unstät und umflort;
Und alle, die dich lieben, gehen fort,
Und jener Mund, der einst vielleicht dich pries,
Der sagt dir heut ein unbarmherzig Wort —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde der Erinnerung. Dermaleinst,
Wenn deines Daseins Wehe dich erfaßt,
Wenn du um alle deine Schmerzen weinst,
Um alles, was du je besessen hast:
Da siehst du deutlich, was du ehmals sahst,
Jedwede Hoffnung, die sich falsch erwies,
[403]Wie man dich liebte, wie man dich gehaßt —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde von Gestorbnen. Fernab, weh.
Wo Licht und Dunkel ineinanderrinnt,
Wo keine Saat und keine Ernte je
Und grauenvoll die bleichen Tage sind,
Wo seinen schwarzen Flor das Schicksal spinnt,
Wo Alles Grauen, Nacht und Finsterniß:
Da wandeln sie verschleiert, stumm und blind —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Die Bürde vieler Freude. Morgen, glaub,
Erlischt der Freudenbrand, der heute loht;
Die Stunden streu’n zu deinen Füßen Staub,
Beißende Sturmwuth dir zu Häupten droht,
Und fahl wie Asche wird das glühende Roth,
Zu Lüge wandelt sich, was Wahrheit hieß,
Und wo sonst Tag war, da kommt Nacht und Tod —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.
Ihr Alle noch vom Hauch der Luft geschwellt,
Trunken vom Wein des Lebens, der euch süß:
Bedenkt, bedenkt, der dunkle Vorhang fällt —
Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.