Komm, lieber Freund, wenn du nicht stolz verschmähst
Ein unscheinbares Blümchen zu beschauen,
Das farb- und duftlos still verborgen blüht,
Begleite mich die steile Trepp' empor!
Der Sand, der weiß wie Schnee die Stiegen deckt,
Hat unter unsern Sohlen knirschend schon
Uns angemeldet. Treten wir hinein!
Es grüßt ein blasses Weib uns sittsam, freundlich
Für uns die alten Stühl' ans Fenster rückend.
Sie ist verblüht, es mischt sich leises Grau
In ihr nußbraunes Haar, das sanft die nicht
Mehr glatte Stirn umfließt; ihr Auge nur
Blickt noch, wie sonst, mit stiller weicher Milde.
Nun geht sie, aus der Gartenlaub' am Berge
Den kleinen kranken Pflegling mir zu holen.
Ein niedriges und enges Stübchen — kleiner
Sind Nonnenzellen nicht — doch zierlich sauber.
Das Licht scheint mild durch dicht umrankte Fenster,
Wo Fuchsien und Epheu wohl gepflegt
Frischgrün gedeihen ohn' ein staubig Blatt.
Daneben grünt ein alter Myrtenstrauch.
Sie zog ihn auf von einem zarten Reise,
Das von der Freundin Brautkranz übrig blieb,
Und hegt' ihn still mit scheuer Mädchenhoffnung.
Er hat so oft geblüht, sie ist verblüht.
Durchs Fenster siehst du Dächer braun und blau,
Voll gelber Flechten und voll schwarzer Moose,
Doch auch ein freundlich Stücklein blauen Himmel,
Durch das weißbrüst'ge Schwalben pfeilschnell schwirren,
Und dort ein Streifchen dunkelgrüner Berge.
Hier sitzt sie nähend, Tag für Tag, und Woche
Um Woche, Jahr um Jahr in stiller Arbeit.
Des Abends dann und wann liest sie in Büchern,
[465]Die sie geerbt, nur drei sind's oder vier.
Doch wer nur eins hat, findet mehr darin,
Als Andre wohl in Tausenden, wenn auch
Nicht grad ein welkes Blümchen drinnen liegt
Und an vergangne Zeit süßtraurig mahnt.
Es rankt ein ganzes grünes Menschenleben
Sich liebend oft um ein vergilbtes Buch,
Wie grüner Epheu um ein dürres Gitter.
Am Sonntag aber, wenn der Glocken Dreiklang
In jedem stillen Raum erbaulich hallt,
Geht sie zur Kirche, und des Nachmittags
Zur Freundin auf Besuch. Der Kinder Jubel
Empfängt sie, die gar sinnreich spielt und baut
Und bunte Vöglein malt und Puppen kleidet
Und auf den Erdbeerschlag die Kleinen führt.
Das Bild dort, jener ernste stolze Mann,
Altvätrisch angethan mit Galakleidern,
Ihr Vater ist's, ein Mann von Amt und Würden.
Kein Jüngling in dem armen Städtchen wagte
Sich an die schöne Jungfrau. Einer nur,
Der junge Lehrer, wagt' es und sie liebt' ihn;
Allein des Vaters Wort war ihr Gebot.
Betagt und grämlich war er und bedurfte
Der treuen Tochter liebevoller Nähe,
Da seine Gattin früh ihm ward entrissen.
Sie übte still die schwere Tochterpflicht,
Und immer heiter, wenn auch im Geheimen
Zuweilen eine Thräne niederrollte,
Da nach und nach sie die Gespielen alle
Mit holden Kindern an den Händen glücklich
Und mutterstolz zur Kirche wandeln sah.
Der Vater starb, nun war sie ganz allein.
Ein Mädchen, dem der Jugend Reiz verblüht ist,
Wer sucht sie, wenn sie Geld nicht hat noch Gut?
Das arme Frauenbild, so recht geschaffen,
Des Mannes Freundin und der Kinder Engel
Zu sein, hier welkt sie klösterlich dahin.
O Freund, viel tausend edle Frauenherzen
Gehn unverschuldet einsam so durchs Leben,
Der Stütze baar, um die sich liebevoll
Die zarte Ranke schutzbedürftig schlingt,
Der Blüth' entbehrend, die den rechten Duft
Ins Frauenleben haucht, des Mutterglücks.
[466]Und wie blickt lieblos spöttisch oft die Welt
Auf arme Mädchen. denen ernste Fügung
Das Haupt in dichte Nonnenschleier hüllt! —
Doch still! Sie bringt das blonde bleiche Mädchen,
Das sieche Kind der armen Hausgenossen,
Das sie, die ohne Liebe nicht kann leben,
Mit Mutterliebe heget, lehrt und pflegt!