Peiffer inni. del: Fritzsch Jeni: Sculqis:
Von allen Schmuck der gantzen Erde, Graß, Kraͤutern Bluhmen, Baͤum und Fruͤ[chte]
ſind Gaͤrten recht der Jnbegriff. Hier laͤßt ſich die Natur, wie ſchoͤn,
ſie, ſo in ihrer eignen Pracht, als mit der Kunſt Verſchwiſtert, ſehn.
Genieſsen wir ſie, Gott zum Preiſe; ſo handeln wir nach unſern Pflichten
All’
Altezza Riverendma Serenma
ed Elettorale
di
CLEMENTE
AUGUSTO
Arciveſcovo di Colonia
del Sacro Romano Imperio
Prencipe Elettore
Arci-Cancellario per l’Italia
\&c. \&c. \&c.
umilmente dedicato
dal
Autore.
Sonntags-Lied.
Das Neu-Jahr-Gedicht auf 1744, welches eine neue,
aus der Verſchiedenheit anderer Planeten, ſowohl
im Koͤrper- als im Sittlichen, hergenommene
Betrachtung des Zuſtandes unſerer Erde,
im Gegenhalt der theils beſſern, theils
ſchlechtern Umſtaͤnde der andern, enthielte;
iſt, durch einen beſondern Zufall, von Abhaͤnden
gekommen.
Obgleich die Zeit, von der Natur, in Tag und Nacht,
und von uns, in Stunden, eingetheilet wird; ſo befin-
den wir jedoch, daß dadurch eine langweilige Einfoͤr-
migkeit bey uns ſich nicht unterbreche. Wir ver-
bringen unſere Dauer in einem ungefuͤhlten Zug.
Jndem wir nicht daran gedenken; bemerken wir kaum,
daß wir ſeyn, wenn wir uns in guten Umſtaͤnden
befinden: und, in verdrießlichen, werden wir, in einer
nicht unterbrochenen bittern Stille, gleichſam als in
einem ſchwehren Schlaf, und wie in einem ſchleichen-
den Drang eines Strohms, fortgezogen. Jnſon-
derheit empfinden wir eine verdrießliche lange Weile,
bey ſchlafloſen Naͤchten. Dieſe beſchwehrliche Lang-
wierigkeit nun nicht allein zu unterbrechen; ſondern
auch zugleich, (nebſt einer vernuͤnftigen Erinnerung
unſers Daſeyns) in guten Zeiten, unſer Vergnuͤgen
zu vermehren; in kranken und betruͤbten aber, durch
erbauliche Betrachtung: daß wir, bey jeder Stunde,
dem Ende unſerer beſchwehrlichen Umſtaͤnde, und
dem Anfange einer ewig daurenden Gluͤckſeligkeit, uns
naͤhern; habe ich nicht undienlich erachtet, folgende
Stunden-Betrachtungen anzuſtellen.
Weil alle dieſe Betrachtungen auf die Nacht- und
Tages-Stunden ſich ſchicken, auſſer die eilfte und
zwoͤlfte; ſo ſind, beyde folgende, des Tages zu ge-
brauchen.
Curioſum nobis Natura ingenium dedit: et artisſibi ac pulchritudinis ſuæ conſcia, Spectatoresnos tantis rerum ſpectaculis genuit. Perditura fru-ctum ſui, ſi tam magna, tam clara, tam ſubtiliterducta, tam nitida et non vno genere formoſa, ſoli-tudini oſtenderet.
Raiſon reconnois toi, connois toi, par toi-même!Tu ne ſçais rien de ſur, ſi non, qu’il eſt un Dieu.So yés ſoumiſe à Lui, addreſſe à Lui tes voeux.Dire, qu’on le comprend, eſt erreur, eſt blaſpheme.Sur cette terre, à toi Il voulût Se montrerDans Ses ouvrages ſeuls. Il veut ſe revelerDans leur beauté, leur ordre \& l’excellence,Mais ſache, qu’icy bas, Il a voulû cacherSon incomprehenſible Eſſence.
Aus des vortrefflichen Tit. Herrn Ribow habe ich
die hieher gehoͤrige ſchoͤne Stelle herzuſetzen nicht
unterlaſſen koͤnnen:
Die heilige Schrift berichtet uns an einem Orte Eſ. 45,
15. Daß Gott ein Gott ſey, der ſich verbuͤrge,
oder ein verborgener Gott. Und in einer andern Stelle
ſaget ſie uns: Gott offenbahre ſich, und laſſe ſich gleich-
ſam vor Augen ſehen. Roͤm. 1, 19. 20. Dieſe zwo Arten,
uns
[609]Die unerlaubte Gruͤbeley.
uns Gott vorzuſtellen, ſcheinen einander entgegen geſetzt zu
ſeyn; allein ſie ſind es deswegen in der That nicht. Gott
iſt vor unſern Sinnen verborgen; Er offenbahret ſich aber
in unſerer Vernunft. Gott iſt auch ſelbſt unſrer Vernunft
verborgen, wenn ſie Jhn in den ordentlichen und gemeinen
Begriffen, welche ſie von Dingen hat, ſuchen will; doch of-
fenbahret Er ſich auch eben dieſer Vernunft, wenn ſie ihre
Begriffe von alle dem, was ſie vom Coͤrperlichen bey ſich
haben, reiniget, und wenn ſie ihnen alle die Geiſtigkeiten
giebt, die ſie zu haben faͤhig iſt. Gott iſt ein Gott, der ſich
der verwegenen Vermeſſenheit einer hochmuͤthigen Seele
verbirgt, die ſich unterſtehet, die goͤttlichen Tiefen zu er-
gruͤnden, und das Unendliche, ſo zu ſagen, zu meſſen, indem
ſie alles, was Gott iſt, begreifen will; die aber doch, wenn ſie
Jhn nicht begreifen, u. ganz u. gar in ihren Begriff einſchlieſ-
ſen kann, denſelben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.
Faſt eben ſo, als wie ſich ein Menſch unvermoͤgend
machen wuͤrde, die Sonne anzuſehen, wenn er ſie gar zu
ſcharf anſehen wollte. Hingegen iſt Gott ein Gott, der
ſich einer weiſen und demuͤthigen Vernunft offenbahret, die
ſich unfaͤhig achtet, alles das, was Gott iſt, zu erkennen,
und die ſich begnuͤget, zu erkennen, daß er ſey, Jhn in Sei-
nen Werken zu finden, den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen zu
ſehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun-
ter Er Seine Hoheit vor uns verſtecket.
Darum kann man eben das von Gott ſagen, was man
von dem Lichte geſaget hat, das nichts ſey, welches mehr
bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt ſey. Es iſt kein
Kuͤnſtler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht
kennete; gleichwol aber giebt es keine Philoſophen u. keinen
ſo tiefſinnigen Verſtand, der erklaͤren koͤnnte, was es ſey.
Nach einem entſetzlichen Sturm, und gaͤnzlicher
Zertruͤmmerung ſeines Schiffs, wird Miran-
der, ein deutſcher Edelmann, halb todt durch die
Brandung an ein ſonſt uͤberall mit ſteilen Felſen be-
ſetztes Ufer, jedoch, zu ſeinem Gluͤck, an eine etwas fla-
che Stelle geworfen. Hieſelbſt, nachdem er ſeine noch
uͤbrigen wenigen Kraͤfte angewendet, in moͤglicher Eile
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-
ruͤckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine
Hoͤhle an, worinn er ſich begiebt. Er danket dem Him-
mel inbruͤnſtig fuͤr ſeine ſonderbare Errettung, und ſank
fuͤr großer Muͤdigkeit in einen tiefen Schlaf.
Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-
des zu uͤberſehen, auf die faſt unerſteiglichen Felſen ge-
klettert, wird er gegen Oſten, zwiſchen zween Himmel-
hohen, ſich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,
in einem dadurch formirten Thal, einer ſehr anmuthigen
Gegend gewahr.
Ein uͤberaus klarer Fluß ſchlaͤngelte wie ein flieſſend
Silber ſich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern
Frucht-Baͤumen bepflanzet waren, wovon das ſchoͤne
Gruͤn ihrer Wipfel beyde Seiten des Waſſers mit einem
kraͤftigen Wiederſchein ſehr anmuthig faͤrbte, derſelben
Schoͤnheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-
lichſten Vorwurf von der Welt darſtellte. Die Anhoͤ-
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-
ſchiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern
bedecket. Das Gras war kurz und gruͤn, worauf man-
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch
den
[623]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
den Fluß mit vielen Waſſer-Voͤgeln, deren einige die
ſchoͤnſten Federn hatten, an vielen Orten faſt bedecket,
und in dem Waſſer ganze Heere beſchuppter Fiſche wim-
meln ſahe. Die Luft ſchien nicht nur von gebieſamten
Duͤnſten aus unzaͤhligen Bluhmen, ſondern zugleich
von ſuͤßen Toͤnen lieblich ſingender Voͤgel ganz ange-
fuͤllet. Kurz! die ganze Landſchaft war ein Jnbegriff
anmuthiger Vorwuͤrfe, und ſchien faſt ein irdiſches Pa-
radies vorzuſtellen.
Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger
gefaͤhrlichen Weg von dem Gebuͤrge herabgeſtiegen,
und in einem kleinen luſtigen Waͤldgen angelanget war,
ward er unvermuthet einen Mann anſichtig, dem ſeine
majeſtaͤtiſche Mine ein ehrwuͤrdiges Anſehn gab. Es
hatte derſelbe einen weiſſen Bart, der uͤber ſeine Bruſt
herab hieng, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, durchdrin-
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil ſie auf
eine zierliche Art zugeſchnitten waren, ihm nicht uͤbel
anſtunden. Jhn begleitete eine faſt auf dieſelbe Art
bedeckte lange und ſehr anſehnliche Frau, deren Geſichts-
zuͤge noch den Reſt von einer ausnehmenden Schoͤnheit
zeigten. Dieſe hatte einen Knaben von ungefehr acht
Jahren bey der Hand. Nachdem ſie alle bey dem er-
ſten Anblicke etwas ſtutzig ſich eine Zeitlang von ferne an-
geſehen hatten, nahete Mirander ſich ihnen voller Freu-
de, an einem ſo entlegnen Orte Menſchen ſo unvermu-
thet angetroffen zu haben, zumal ihr ſittſamer Anſtand
ihn etwas dreiſte gemacht hatte. Er redete ſie in Fran-
zoͤſiſcher Sprache an. Der ehrwuͤrdige Greis antwor-
tete ihm zu ſeiner groͤßten Verwunderung Teutſch.
Nachdem ſie ihn nun beyde mit vieler Hoͤflichkeit in ihre
nicht
[624]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
nicht fern gelegene Wohnung einzutreten genoͤthiget,
und mit auserleſenen Fruͤchten erquicket hatten, erkun-
digte Mirander ſich nach ihren Umſtaͤnden, und bat aufs
inſtaͤndigſte, ſeine Neubegier zu vergnuͤgen, und ihm
einige Nachricht davon zu ertheilen.
Der anſehnliche Alte gab ihm, nachdem er von ſeiner
Abkunft und ganzem Lebenslauf ihn kuͤnftig weitlaͤuftig
zu benachrichtigen verſprochen, einen kurzen Begriff
von ihrer nunmehr in die ſechs Jahr gefuͤhrten Lebensart.
Jch habe, fieng er an, nachdem ich faſt die halbe
Welt mit abwechſelnden Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤllen
durchgewandert bin, bey den meiſten Voͤlkern eine be-
daurenswuͤrdige Abweichung von den Wegen der Na-
tur, und von derjenigen Abſicht, wozu die Menſchen,
nach ihrer allerſeitigen Geſtaͤndniß, hervor gebracht ſind,
angetroffen. Jch habe zwar, fuhr er ſort, faſt
uͤberall Religionen gefunden, welche zu dieſer Abſicht
leiten ſollten: wie denn auch in einigen theils mehr,
theils minder darauf gezielet wird, und hin und
wieder ein Strahl von dem Lichte der Wahrheit darinn
zu erblicken iſt. Jedoch iſt es, durch unzaͤhlige
Kuͤnſteleyen, auch ſogar im Chriſtenthume, wieder
verdunkelt und oft unſichtbar worden. Ja ich habe
gefunden, daß die Menſchen, wie in den meiſten
Religionen, durch Betrug und Aberglauben, ſo in der
Philoſophie durch Hochmuth und Eigenſinn bis auf un-
ſere Zeiten verfuͤhret werden, da naͤmlich ein jeder Philo-
ſoph ein Welt-Syſtema nach einem von ihm erdachten
Leiſten gleichſam zugeſchnitten, und ſich faſt unterſtan-
den, wenn ich ſo reden darf, einen Schoͤpfer des Schoͤp-
fers abzugeben; wenigſtens alle Jdeen des Schoͤpfers
in ſeiner Jdee zu vereinen. Wodurch denn ſowohl,
als
[625]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
als durch die Religions-Jrrthuͤmer, die Wahrheit im-
mer mehr und mehr verdunkelt, und der Menſch von
der Einfachheit ſeiner wahren Pflichten iſt abgefuͤhret
worden.
Seiner Meynung nach, koͤnnte die Haupt-Abſicht
desjenigen allmaͤchtigen, weiſen und liebreichen We-
ſens, welches ſinnliche und zugleich denkende Creaturen
hervorgebracht hat, wohl keine andere, als dieſe, geweſen
ſeyn, den Menſchen naͤmlich durch die ſeinem Koͤrper
anerſchaffenen Sinnen faͤhig zu machen, die Gegenwart
unzaͤhliger von ihm formirter koͤrperlichen Geſchoͤpfe zu
bemerken, ihrer mit Vergnuͤgen zu genieſſen, durch die
Anwendung ſeines Geiſtes derſelben Urſprung und
Schoͤpfer zu erkennen, in der Creaturen Mannigfaltig-
keit und Schoͤnheit die weit herrlichere Eigenſchaften
ihres Urſprungs, insbeſondere ſeine Allmacht und Weis-
heit, zu bewundern, auch in dem aus den Geſchoͤpfen
ihm zuflieſſenden tauſendfachen Nutzen, und einem da-
mit beſtaͤndig verbundenen Vergnuͤgen, in kindlicher
Gegenliebe denſelben zu verehren. Dieſes, ſprach er,
zeige uns die Natur. Die geſunde und reine Vernunft
fuͤhre uns weiter, und bedeute uns, daß, da wir Gott
ſelbſt zu dienen uns zu ſchwach befinden; wir in unſern
Naͤchſten ſein Bild zu verehren, und, ſo viel an uns, den-
ſelben das Leben angenehm und ertraͤglich zu machen,
nach Moͤglichkeit uns zu bemuͤhen ſchuldig waͤren. Aus
welchem Dienſt, durch eine verwunderlich eingerichtete
Wechſel-Ordnung, denn zugleich unſer eigen Beſtes,
Heil und Erhaltung flieſſet. Ferner bringe dieſelbige
Vernunft, zum Glauben und zu einer veſten Zuverſicht,
daß, da Gottes Liebe eine von ſeinen vollkommenſten
Eigenſchaften, und ſelbige, wie alles an Jhm, ewig, er
8 Theil. R rauch,
[626]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
auch, aus ewiger Liebe, es denen von Jhm mit den groͤß-
ten Vorzuͤgen, und zumal mit einem Begriff von Jhm
ſelbſt begabten Geſchoͤpfen mit dieſer kurzen Lebenszeit
es nicht wird bewenden laſſen, ihnen nur Gutes zu thun,
ſondern uns zu einem ſtets ſich verbeſſernden Stande
koͤnne, wolle, und werde verhelfen.
Hier nun finge ſich, redete er weiter, allererſt die Of-
fenbahrung an, und haͤtten wir ſolche als ein Mittel an-
zuſehen, uns dazu zu verhelfen; durch dieſelbe wuͤrden
wir auf die chriſtliche Religion, als die beſte von allen,
gefuͤhret; jedoch ſo, daß wir daruͤber den Grund nicht
vergeſſen, oder uns von dem Dienſte des Schoͤpfers ab-
geben, am wenigſten, daß wir uͤber einem Dienſt, der
eigentlich faſt ganz allein auf unſer Beſtes abzuzielen
ſcheinet, die in unſerer Natur gegruͤndeten Haupt-
Pflichten ganz vergeſſen und aus den Augen ſetzen muͤß-
ten. Zu welchem meinen Glauben, fuhr er fort, der
Zuſtand in dieſer Welt noch ein großes beytraͤgt, da
naͤmlich nur ſehr ſelten die Tugend belohnet und das La-
ſter beſtrafet wird, welches alles, auf ein anderes Leben,
recht mit Fingern zeiget.
Dieſes iſt, nach vieljaͤhrigem Nachſinnen und Unter-
ſuchung vielerley Religionen, mir, als ein mit unſrer
und der ganzen Natur uͤbereinſtimmender Grund eines
Gottes-Dienſtes vorgekommen, welcher zugleich unſere
Pflichten mit in ſich ſchlieſſet. Es dienet nicht allein die
Einfachheit dieſes Grund-Satzes, ſondern die Ueber-
einſtimmung deſſelben mit dem Zuſtande unſerer erſten
Eltern im Paradieſe, mit dazu, ſeine unumſtoͤßliche
Wahrheit zu bewaͤhren.
Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu-
faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert,
mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir
nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen,
uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn
durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge-
wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge-
bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un-
ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe-
hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir
riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie-
chen, fuͤhlen und ſchmecken.
Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu
unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen,
alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns
gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen.
Was nun die Einrichtung und Ordnung unſerer taͤg-
lichen Beſchaͤfftigung betrifft; ſo beſtehet ſelbige in
ſolgenden:
Nachdem wir den Sonntag, zu Ausuͤbung unſerer
Chriſten-Pflichten, wobey wir jedoch des Schoͤpfers
nicht vergeſſen, insbeſondere ausgeſetzet; fangen wir
alle Morgen, wenn wir erwachen, welches kurz vor dem
Aufgange der Sonne bey uns zu geſchehen pfleget, ehe
wir aufſtehen, an, unſere Gedanken auf den Schlaf, als
ein Wunder der Natur und eine Gabe des uns liebenden
Schoͤpfers, mit ſtillem Nachdenken zu wenden; und
fuͤr die genoſſene Suͤßigkeit deſſelben Dem, welcher uns
hier damit begluͤckſeliget, mit wenigen, doch nicht leeren
Worten, herzlich zu danken. Sobald dieſes geſchehen,
erheben wir uns, erfriſchen und reinigen Geſicht und
Haͤnde in einer klaren Quelle, deſſen kuͤhlendes und rei-
nigendes Weſen wir nicht obenhin, ſondern als ein mit
mancherley Kraͤften begabtes Geſchenke, anſehen, wo-
durch der Menſch unzaͤhliges Gutes genieſſet.
Hierauf begeben wir uns an einen erhabenen Ort,
um uns an der Morgenroͤthe zu ergetzen, den Aufgang
der Sonne zu bewundern; der Sonne, des herrli-
chen Spiegels der Gottheit, welcher durch ſeine Gegen-
wart, die in der Dunkelheit verſunken geweſene Welt
wieder aufs neue hervorgebracht hat, und uns dadurch
gleichſam taͤglich ein Ebenbild der erſten Schoͤpfung
ſehen laͤſſet.
Haben wir beym Anblicke dieſer herrlichen Schoͤnheit
und dieſes, Himmel und Erde uͤberſtroͤmenden Lichts,
ſelbſt neue, auf Bewunderung, Ehrfurcht und Andacht
abzielende, Vorſtellung; ſo fahren wir in ſtiller Ueber-
legung darinn fort, theilen auch wohl unſere Gedanken
uns
[629]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
uns einander mit: wo aber nicht; ermuntern wir
unſere Jdeen durch die Betrachtungen, welche ich von
einem großen Geiſte in ſpaniſcher Sprache uͤber dieſen
majeſtaͤtiſchen Vorwurf erhalten, und zu meiner Erbau-
ung, ſo gut ich gekonnt, uͤberſetzt habe. Oder wir ver-
leſen des unvergleichlichen Miltons Morgen-Gebet un-
ſerer erſten Eltern bey Erbilckung der aufgehenden
Sonne; laſſen auch ſelbiges wol zuweilen uns von un-
ſerm Kinde, welches bereits der engliſchen Sprache
maͤchtig iſt, und ſolches laͤngſt auswendig gelernet hat,
vorbeten. Wobey ihm der Knabe ſolches ſogleich her-
ſagte, und, ſeines ſchoͤnen Jnhalts halber, von Mirander
bald darauf ſelbſt auswendig gelernet wurde. Es ver-
dienet, ſeiner Schoͤnheit wegen, hier einen Platz, und
lautet alſo:
Nachher, fuhr er fort, begeben wir uns zu unſerer
gewoͤhnlichen Arbeit; wobey wir uns aber gewoͤhnet,
an allen unſern Werkzeugen die Materie als eine
goͤttliche Gabe, und die Zubereitung und Zuſchickung
derſelben, ſo zum verſchiedenen Gebrauche, als eine
Probe der unſerm Geiſte von Gott zugelegten Geſchick-
lichkeit, und mannigfaltiger Faͤhigkeit, zu betrachten;
da wir denn zugleich einen unſtreitigen Vorzug vor
andern Thieren in demſelben befinden. Die bewun-
dernswuͤrdige Zubereitung unſerer Haͤnde dienen uns
beſtaͤndig, und oft bey jedweder veraͤnderlichen Be-
wegung, zu einem Vorwurfe und Beweiſe eines weiſen
Weſens, der uns ſelbige nicht allein, ſondern auch
dazu unſerm Geiſte eine ſo bewundernswuͤrdige Faͤhig-
keit, uns derſelben nuͤtzlich zu gebrauchen, gegeben hat.
Zu Anfange kamen uns dergleichen Ueberlegungen
etwas ſchwer an; aber durch oͤftere Wiederholung
derſelben, fallen ſie uns gleichſam von ſelbſt bey: und
kann ich euch nicht ſagen, was fuͤr ein inniges Ver-
gnuͤgen wir dabey empfinden, wenn wir dergleichen
Vorſtellungen als Erfuͤllungen derjenigen Pflichten,
wozu wir gemacht ſeyn, und zugleich als ein Theil
eines zwar ſchwachen, doch ſchuldigen, Gottes-Dienſtes
anſehen. Ja, indem wir unſere Arbeit mit unſerm
Vergnuͤgen, und mit letzterem zugleich eine dem Schoͤp-
fer aller Dinge zu leiſtende Pflicht verbinden; ſo iſt
es mir ſchwer, diejenigen ſuͤßen Empfindungen aus-
zudruͤcken, welche bey dergleichen Betrachtungen ſich
durch unſer ganzes Weſen ausbreiten, und was wir
fuͤr ein inniges, ſanftes und ruhiges Vergnuͤgen da-
durch empfinden.
Bey unſerer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge-
nuſſe anderer Speiſen und Fruͤchte, haben wir uns
gewoͤhnet, nicht allein mit Aufmerkſamkeit das Ver-
gnuͤgen des Geſchmacks uns zuzueignen; ſondern wir
erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die-
ſem Vergnuͤgen geſchenckten Vorwuͤrfe, und der uns
dabey gegoͤnnten Geſchicklichkeit, dieſelben durch faſt
unzaͤhlbare Veraͤnderungen, in unterſchiedlicher Zube-
reitung derſelben, uns die Art von Vergnuͤgen im-
mer zu vermehren. Abſonderlich aber ermangeln wir
nicht, auf die zu ſolcher Luſt uns auf eine ſo bewun-
dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge,
des Gaums ꝛc. nicht weniger der den Speiſen beyge-
legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmaͤßige Gedan-
ken zu wenden. Dieſe Beſchaͤfftigung ſehen wir an
als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein
von den Thieren unterſcheiden, ſondern wodurch wir
in der empfundenen und durch die Betrachtung uns
zugeeigneten Luſt zu einer Dankbegier gegen denjeni-
gen, durch deſſen weiſe Macht und Guͤte wir ſo man-
nigfachen Vergnuͤgens auf eine ſo kuͤnſtliche Weiſe
theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in
einem bruͤnſtigen Verlangen, uns ſeinem Willen ge-
maͤß zu bezeigen, geſtaͤrket und beveſtiget werden.
Nach aufgehobener Tafel verfuͤgen wir uns aber-
mal zu unſerer Arbeit, und nach Endigung derſelben,
wenn der Tag kuͤhle worden, begeben wir uns entwe-
der in jenen luſtigen Wald, oder auf die am Ufer des
Fluſſes belegene Wieſe, oder in unſern angelegten
Garten; da uns denn die unzaͤhlbaren Vorwuͤrfe un-
gezaͤhltes Vergnuͤgen erregen. Wobey es uns un-
moͤglich an guten Vorſtellungen fehlen kann, da durch
der
[635]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
der Vorwuͤrfe Mannigfaltigkeit unſere zu Betrach-
tungen gewohnten Seelen von ſtets neuen Gedanken
gleichſam uͤberquellen. Wenn wir nun darauf die
untergehende Sonne, und endlich den geſtirneten Him-
mel, mit ſo vieler Ehrfurcht als Vergnuͤgungen be-
trachtet, und ein leichtes Abend-Brodt verzehret ha-
ben; ſo legen wir uns zur Ruhe, und erwarten eines
froͤhlichen Morgens, um unſer Vergnuͤgen von neuem
wieder anzufangen.
Nachdem Mirander, durch die Buͤndigkeit dieſes
Vortrages, ganz eingenommen, denſelben bewundert,
und nebſt einer dienſtlichen Dankſagung fuͤr deſſen Mit-
theilung, ſelbige mit dieſem herzlichen Wunſche beglei-
tet: daß doch dieſe guten Lehren ſo beſchaffen ſeyn
moͤchten, daß ſie auch denen in der Welt lebenden
Menſchen koͤnnten brauchbar gemacht werden; ſo
fing die Gemahlinn mit der ihr eigenen und gewohn-
ten Leutſeligkeit an: Sie glaube nicht, daß ein ein-
ziger Punkt in ihren Lebens-Regeln vorhanden waͤre,
welcher von allen, ſo ſich in der Welt befaͤnden, nicht
ſollte koͤnnen gebrauchet werden. Jhr waͤre die Welt,
nebſt allen denjenigen Unruhen und muͤhſeligen Be-
ſchaͤfftigungen, welche einem jeden Stande gleichſam
eigen und faſt nicht davon zu trennen, noch, mehr als
zu wohl bekannt. Sie haͤtte verſchiedene Jahre bey
Hofe zugebracht; dennoch getraue ſie ſich zu erweiſen,
daß auch alle daſelbſt insgemein herrſchende Eitelkei-
ten, ihre Lehr-Saͤtze vollkommen zulaſſen koͤnnten.
Wie viel weniger werden ſie in andern Staͤnden eine
Zerruͤttung machen; indem von dem hoͤchſten bis zu
dem niedrigſten, ja ſo gar dem Bauren-Stande, es
die Menſchen nicht hindern koͤnnte, ihre Sinnen
mit
[636]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
mit mehrer Anmuth zu gebrauchen, ſich ihr Eſſen
und Trinken beſſer ſchmecken zu laſſen, und bey ihrer
ohnedas unvermeidlichen Arbeit, dieſelbe mit ange-
nehmen Gedanken zu verſuͤßen; ja, mit einem ſol-
chen Vergnuͤgen zugleich das Haupſaͤchlichſte, naͤm-
lich einen vernuͤnftigen Gottes-Dienſt, zu verbinden:
welches, ihrer Meynung nach, einer vernuͤnftigen
Seele, zur Vermehrung ihres Gluͤcks, zur Erleichte-
rung ihrer Arbeit, und zum Troſt bey allen Unfaͤllen,
nothwendig dienen wuͤrde, ohne daß ſie deswegen von
ihren gewoͤhnlichen Handelungen etwas abbrechen
duͤrften. Kurz! das von allen Menſchen ſonſt ver-
gebens geſuchte Vergnuͤgen auf dieſer Welt, wuͤrde
auf dieſen Weg angetroffen, und das Leben der Ein-
wohner dieſes Erdbodens dadurch ertraͤglicher und
angenehmer werden.
Gedruckt mit
Piſcators Schriften.