„Auf dem Reichstage zu Augsburg geſchah ein guter
„Schwank von Gruͤnenwald, Singer an des Herzogs
„Wilhelmen von Muͤnchen Hof. Er war ein guter Mu-
„ſikus und Zechbruder, nahm nicht fuͤr gut was ihm an
„ſeines gnaͤdigen Fuͤrſten und Herren Tiſch aufgetragen
„ward, ſunder ſucht ſich anderswo gute Geſellſchaft, ſo
„ſeines Gefallens und Kopfs waͤre, mit ihm tapfer daͤmpf-
„ten und zechten, kam ſo weit hinein, daß alle Geſchenke
„in der Schenken fuͤr naſſe Waar und gute Bislein da-
„hin gingen; nach mußt die Maus bas getauft werden,
„er macht dem Wirth bey acht Gulden an die Wand.
„Als der Wirth erfuhr, daß der Herzog von Muͤnchen
„ſammt andern Fuͤrſten-Herren aufbrechen wollte, ſo kam
„er zu dem guten Gruͤnenwald, fodret ſeine angeſchriebene
„Schuld. Lieber Wirth, ſagt Gruͤnenwald, ich bitt euch
„von wegen guter und freundlicher Geſellſchaft, ſo wir
„nun lang zuſammen gehabt, laſſen die Sach alſo auf
„diesmal beruhen, bis ich gen Muͤnchen komm, denn ich
„bin jetzt zumal nicht verfaßt, wir haben doch nicht ſo
„gar weit zuſammen, ich kanns euch alle Tag ſchicken, denn
„ich hab noch Kleinod und Geld zu Muͤnchen, das mir
[[4]] „die Schuld fuͤr bezahlen moͤcht. Das gunn dir Gott,
„ſagt der Wirth, mir iſt aber damit nicht geholfen, ſo
„woelln ſich meine Glaͤubiger nicht bezahlen laſſen mit
„Worten, nemlich die, von denen ich Brod, Wein,
„Fleiſch, Salz, Schmalz, und andere Speiſen kaufe;
„komm ich auf den Fiſchmarkt, ſehen die Fiſcher bald, ob
„ich um baar Geld oder auf Borg kaufen woͤll; nimm
„ichs auf Borg, muß ichs doppelt bezahlen. Ihr Geſellen
„aber ſetzt euch zum Tiſch, der Wirth kann euch nicht
„genug auftragen, wenn ihr gleichwohl nicht ein Pfenning
„in der Taſchen habt. Drum merk mich eben, was ich
„auf diesmal geſinnet bin. Willt du mich zahlen mit
„Heil, wo nicht, will ich mich dem naͤchſten zu meins
„gnaͤdigen Fuͤrſten und Herrn von Muͤnchen Secretarien
„verfuͤgen, derſelbig wird mir wohl Weg und Steg an-
„zeigen, damit ich zahlt werd.“
„Dem guten Gruͤnenwald war der Spieß an Bauch
„geſetzt, wußt nicht wo aus oder wo an, dann der Wirth
„ſo auch mit dem Teufel zur Schulen gangen, war ihm
„zu ſcharf. Er fing an die allerſuͤßeſten und glatte-
„ſten Wort zu geben, ſo er ſein Tag je ſtudieren und
[[5]] „erdenken mocht, aber alles umſonſt war. Der Wirth
„wollt aber keineswegs ſchweigen, und ſagt: ich mach
„nicht viel Umſtaͤnd, glattgeſchliffen iſt bald gewetzt, du
„haſt Tag und Nacht wollen voll ſein, den beſten Wein,
„ſo ich in meinem Keller gehabt, hab ich dir muͤſſen
„auftragen, drum ſuch nur nicht viel Maͤus, haſt du
„nicht Geld, ſo gib mir deinen Mantel, dann ſo will ich
„dir wohl eine Zeitlang borgen. Wo du aber in beſtimm-
„ter Zeit nicht kommſt, werd ich deinen Mantel auf der
„Gant verkaufen laſſen, dieß iſt der Beſcheid mit einander.
„Wohlan ſagte Gruͤnenwald, ich will der Sache bald Rath
„finden. Er ſaß nieder, nahm ſein Schreibzeug, Papier,
„Feder und Dinten, und dichtet nachfolgends Liedlein:
„Dies Liedlein faßt Gruͤnenwald bald in ſeinen
„Kopf, ging an des Fukers Hof, ließ ſich dem Herrn an-
„ſagen; als er nun fuͤr ihn kam, thaͤt er ſeine gebuͤhr-
„liche Reverenz, demnach ſagt er: Gnaͤdiger Herr, ich
„hab vernommen, daß mein gnaͤdiger Fuͤrſt und Herr
„allhie aufbrechend auf Muͤnchen zu ziehen will. Nun
„hab ich je nicht von hinnen koͤnnen ſcheiden, ich hab
[[9]] „mich dann mit Euer Gnaden abgeletzet. Habe Deren zu
„lieb ein neues Liedlein gedicht, ſo Euer Gnad das be-
„gehrt zu hoͤren, wollt ichs Deren zu letze ſingen. Der
„gute Herr, ſo dann von Art ein demuͤthiger Herr war,
„ſagt: Mein Gruͤnenwald ich wills gern hoͤren, wo ſind
„deine Mitſinger, ſo dir behuͤlflich ſeyn werden, laß ſie
„kommen. Mein Gnaͤdiger Herr, ſagt er, ich muß al-
„lein ſingen, dann mir kann hierin weder Baß noch Dis-
„kant helfen. So ſing her, ſagt der Fuker. Der gute
„Gruͤnenwald hub an und ſang ſein Lied mit ganz froͤh-
„licher Stimm heraus. Der gut Herr verſtund ſein
„Krankheit bald, meinet aber nit, daß der Sach ſo gar
„waͤr, wie er in ſeinem Singen zu verſtehn geben hat,
„darum ſchickt er eilend nach dem Wirth; als er nun die
„Wahrheit erfuhr, bezahlt er dem Wirth die Schuld,
„errettet dem Gruͤnenwald ſeinen Mantel, und ſchenkt
„ihm eine gute Zehrung dazu. Die nahm er mit Dank
„an, zoge demnach ſeine Straße, da erhob ſich ein Wind,
„der ſelbigen Mantel recht luſtig vor dem Hauſe des
„armſeligen Wirthes aufblies, war aber dem Wirthe
[[10]] „entgegen, warf ihm auch die Fenſter zuſammen: darum
„Kunſt nimmer zu verachten iſt.“
„(Aus dem Rollwagenbuͤchlein.)“
Wir ſprechen aus der Seele des armen
Gruͤnewald, das oͤffentliche Urtheil iſt wohl
ein kuͤmmerlicher Wirth, dem unſre Namen
als Mantel dieſer uͤbelangeſchriebenen Lieder
die Schuld nicht decken moͤchten. Das Gluͤck
des armen Singers, der Wille des reichen
Fuker geben uns Hoffnung, in Eurer Exzel-
lenz Beifall ausgeloͤſt zu werden.
L. A. von Arnim. C. Brentano.
[[11]]Altes fliegendes Blatt aus Koͤlln.
Abgeſchrieben vom Giebel eines Hauſes in Arth in der Schweiz, durch
Arnim, ſ. Franzoͤſiſche Miszellen III. B. S. 82.
Aus muͤndlicher Ueberlieferung in Maria's Godwi. Bremen 1802.
II. B. S. 113. abgedruckt.
Von Martin Luther. Aus dem J! neueroͤffneten Schatze der Kinder Gottes.
Zittau 1710. S. 393.
Muͤndlich.
Friſche Liedlein. Nuͤrnberg 1505. Quer 8. mit Muſik.
Fliegendes Blat aus Coͤlln.
Narren-Meß von Abraham a St. Clara. Wien 1751. III. T. S. 89.
Bei Elwert. S. 17.
Limpurger Cronik. „In ſelbiger Zeit (1359.) ſang und pfif man
dieſes Lied.“
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Kurzgefaßte Nachrichten von denen in den Ringmauern der Stadt Regens-
burg gelegenen Stiftern. Reg. 1723. S. 172. u. 173.
Feiner Almanach II. Band S. 10.
Muͤndlich.
Hallorenlied in Halle, wahrſcheinlich noch aus ihren fruͤhern Wohnplaͤtzen.
Herr Buchhaͤndler Hendel ſoll mehrere derſelben haben.
Bragur VI. B. II. Ab. S. 77.
Fliegendes Blat aus dem letzten Kriege mit Frankreich.
Muͤndlich.
Friſche Liedlein.
Elwert. S. 117.
Fliegendes Blat.
Aus Bragur IV. B. 2. Ab. S. 93.
Katholiſches Kirchenlied.
Opitz.
Von Veit Weber, aus Diebold Schillings Beſchreibung der
Burgundiſchen Kriege. Abgedruckt von Koch in der neuen Littera-
tur und Volkskunde I. B. S. 93. Von Bodmer in den altengli-
ſchen und altſchwaͤbiſchen Balladen. II. B. S. 241.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Feiner Almanach.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Fliegendes Blat von Kloſter Einſiedeln.
Muͤndlich.
Muͤndlich durch die guͤtige Bemuͤhung des Herrn A. B. Grimm aus Schluͤch-
tern bei Heilbronn, eines Studierenden in Heidelberg, dem wir noch einige
andere verdanken.
Muͤndlich.
Venus-Berg von Kornmann, dann in Praͤtorii Bloksberg-Verrichtung.
Leipzig, 1568. S. 19-25.
Muͤndlich.
Ottmars Volksſagen. Bremen 1800. S. 43 und 44
Fliegendes Blat.
Aus einem geſchriebenen geiſtlichen Liederbuche in der Sammlung
von Clemens Brentano.
Vergleiche Hartleder S. 425. S. 423. eine merkwuͤrdige Stelle uͤber den
Trommelſchlag der deutſchen Landsknechte: Die uͤbrigen Trommelſchlaͤge,
damit ein jeder etwas Neues auf die Bahn bringt, ſind ungeſchickt und
laͤcherlich, der alte, welchen ich allein fuͤr loͤblich halte, iſt wenn man
nach jeden fuͤnf gleichen Schlaͤgen etwas inne haͤlt: Top, top, top, top
top: top, top, top, top, top. Durch ſolchen Trommelſchlag werden bei-
des die Gemuͤther zur Freud und Tapferkeit erweckt, hilft auch den Leibes-
kraͤften nicht wenig. Der gemeine Haufen pflegt bei ſolchen fuͤnf Schlaͤ-
gen etliche Worte zu brauchen, als:
A.
Muͤndlich.
Schuppis Schriften S. 277.
Muͤndlich.
Manuſcript Neithards des Minneſaͤngers, ſaͤmmtliche Streiche mit den Bau-
ren enthaltend, in meiner Bibliothek.
C. Brentano.
Friſche Liedlein.
Friſche Liedlein.
Muͤndlich nach Martin Luther Lieder. Zittau 1710. S. 502. und Phil. von
Rittewald II. Band S. 691.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Storchs- und Schwalben-Winter-Quartier durch Johann Praͤtorium.
Frankfurt 1676. S. 187.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Martin Opitz.
Friſche Liedlein.
Aus Meißners Apollo. Juny 1794. S. 173.
Eſchenburgs alte Denkmaͤhler S. 439.
Fliegendes Blat aus dem ſiebenjaͤhrigen ſchleſiſchen Kriege.
Fliegendes Blat aus dem lezten Kriege mit Frankreich.
Gaſſenhauer, Reuter und Bergliedlein, chriſtlich veraͤndert durch Dokter
Knauſten. Frankfurt am Mayn 1571. S. 27.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Fliegendes Blat.
Aus einem Geſangbuche der Wiedertaͤufer v. J. 1583. S. 53.
Muͤndlich.
Aus einem geſchriebenen geiſtlichen Liederbuche vom Jahre 1601. in der
Sammlung von Clemens Brentano.
Friſche Liedlein.
Trutz Nachtigal von Spee. Seite 94.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Reichard's Geiſterreich. I. B. S. 145.
Daſ. S. 145.
Friſche Liedlein.
Muͤndlich.
Handſchrift im Beſitze von Clemens Brentano.
Spee Trutz Nachtigal. S. 225.
Spee Trutz Nachtigal, Coͤlln 1660. S. 34.
Von Balde, nach dem deutſchen Muſaͤum.
Muͤndlich.
Seladons (Greflingers) weltliche Lieder. Frankfurt 1651. S. 60.
Muͤndlich.
Im Ton: Wie ſchoͤn leucht uns der Morgenſtern.
Der durch das geiſtliche Schlegel andaͤchtige Berg-Reihen das Gedinge ſei-
nes Glaubens herausſchlagende Bergmann. Anno 1712. S. 56-61.
Fliegendes Blat aus dem ſiebenjaͤhrigen Kriege.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich am Neckar.
Herder's Volkslieder. I. B. S. 109.
Kirchengeſaͤnge. Coͤln 1625. S. 672.
Simpliciſſimi Lebenswandel. Nuͤrnberg 1713. I. B. S. 28.
Friſche Liedlein und muͤndlich.
Simon Dach.
Fliegendes Blat.
Eſchenburgs alte Denkmaͤhler S. 463.
Muͤndlich.
Friſche Liedlein.
Feiner Almanach I. B. S. 113.
Katholiſche Kirchengeſaͤnge. Coͤln 1625. S. 91.
Kurzweilige Fragen S. 23.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat aus Coͤln.
Muſikaliſches Kunſt-Magazin von J. F. Reichardt. I. B. S. 100.
Fliegendes Blat.
Aus einer ungedruckten Sammlung Minnelieder in meinem Beſitz. — C. B.
Antiquarius des Elbſtroms. Frankfurt 1741. S. 616.
Friſche Liedlein.
Von Martin Luther aus dem J! neu-eroͤffneten herrlichen Schatze der Kin-
der Gottes. Zittau bey David Richtern 1710. S. 492.
Elwert S. 43.
Herders Volkslieder I. B. S. 67.
Feiner Almanach. II. B. S. 106.
Elwerts alte Reſte. S. 41.
Muͤndlich.
Muͤndlich bey Heidelberg.
Muͤndlich in Heſſen. In Niederſachſen ſagen ſie Pommerland, ſ. Volksſagen
von Ottmar (Nachtigal). Bremen 1800. S. 46.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat aus dem ſiebenjaͤhrigen Kriege.
Bragur I. B. S. 358. Geiſtlich veraͤndert in den Gaſſenhauern von Heinrich
Knaußer. Frankfurt 1571. S. 32.
Fliegendes Blat.
Aus Meißner's und Canzler's Quartalſchrift fuͤr aͤltere Literatur. II. S. 102.
Brotuff's Marsburger Chronik.
Morhof von der deutſchen Poeſie. Leipzig 1718. S. 313.
Chriſtian Weiſens drei kluͤgſten Leute. Leipzig 1684. S. 234.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Weckherlin S. 244. Phil. von Sittewald II. Th. S. 574.
Fliegendes Blat, auch abgedruckt in Herders Volksliedern I. Th. S. 232.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Aus einem alten Buche ohne Titel.
Aus Bruckmanns Beſchreibung aller Gebirge.
Fliegendes Blat.
Katholiſche Kirchengeſaͤnge. Coͤlln 1625. S. 620.
Aus Meißner's Apollo. Juny 1794. S. 165.
Die Geſchichten und ritterlichen Thaten Moritz Herzogs zu Sachſen, durch
Leonhardt Reutter. 1553. Flugſchrift.
Herders Volkslieder. I. 79.
Deutſches Muſeum. 1778. II. B. S. 459.
Aus einem Manuſcript in der Sammlung von Clemens Brentano.
Herder's Volkslieder. I. S. 139.
Herder's Volkslieder. I. B. S. 38. aus dem Elſaſſo.
Trutz Nachtigal von Spee. S. 211.
Muͤndlich.
Martin Opitz.
Hiſtorie der Wiedergebornen. 1742. S. 18.
Feiner Almanach I. B. S. 77.
Feiner Almanach. I. B. S. 126.
Taͤnzels eurioͤſe Bibliothek. 1705. S. 783.
Eſchenburgs alte Denkmahle. S. 455.
Martin Opitz.
Muͤndlich.
Ariel's Offenbahrungen. S. 201. 207.
Friſche Liedlein.
Bairiſches Volkslied.
Die lautere Wahrheit von Ringwaldt. S. 290.
Fliegendes Blat.
Fliegendes Blat.
Feiner Almanach. I. B. S. 103.
Feiner Almanach. II. S. I.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Schubart.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Adelung's Magazin der deutſchen Sprache. II. B. 3. Stuͤck. S. 114.
Feiner Almanach. I. B. S. 126.
Fliegendes Blat.
Schoͤne neue Lieder mit Muſik von Orlando di Laſſo. Muͤnchen 1576.
III. T. S. 21.
In den friſchen Liedlein Georg Forſters. Nuͤrnberg 1565. II. XXV. iſt ſchon
der Anfang eines ganz aͤhnlichen Lieds:
Muͤndlich.
Nach Abraham a St. Clara. Judas, der Erzſchelm. I. S. 253.
Von Halb Suter Tſchudi. I. 529. Die aͤltern Kriegs- und Schlachtlieder der
Deutſchen fordern eine eigne Sammlung; aus Tſchudi eilf, bey
Diebold Schilling fuͤnf, die Seeſchlacht der Vitalienbruͤder aus Canz-
ler, die Schlacht bey Ingolſtadt aus Schaͤrtlin, am Kremmerdamm
aus Buchholz, der Nuͤrnberger Krieg aus Canzler, die Grumbacher
Fehde, der Wirtemberger Krieg u. a m. haben ſich bey uns angehaͤuft,
wir konnten nur die Ausgezeichneten aufnehmen, ungerichtet keins
unbedeutend.
Von Hans Buͤchel, aus einem alten Geſangbuche der Wiedertaͤufer. S. 179.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Fliegendes Blat.
Von Iſenhofer von Walzhut bei Tſchudi.II. 412.
Feiner Almanach. I. B. S. 145.
Muͤndlich.
Procopii Mariale festivale. S. 9.
Fliegendes Blat.
Schwaͤbiſch.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Procopii Mariale festivale. S. 447.
Friſche Liedlein.
Muͤndlich.
Muͤndlich.
Muͤndlich am Neckar.
Fliegendes Blat.
Aus einer Sammlung ungedruckter Minnelieder im Beſitz von C. B.
Friſche Liedlein.
Friſche Liedlein.
Herders Volkslieder. I. T. S. 118.
Fliegendes Blat.
Von Abele in ſeiner kuͤnſtlichen Unordnung. Nuͤrnberg 1675.
I. T. S. 319.
Procopii Mariale festivale. S. 368.
Wahrhafte Geſchichte Herrn P. v. St. Straßburg bey B. Tobias Erben 1595.
Altes Lied in meinem Beſitz. C. B.
An
Herrn Kapellmeiſter Reichardt.
Wenn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom
Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn
zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All-
gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht
aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu
verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet
in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen
Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen
Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn
doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt,
haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem
Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit
mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden —
Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen
Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben,
daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre
aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was
[426[436]] geſchieht, was nur entfallen, nicht vergeſſen werden kann, was
nicht ruht, bis es das Hoͤhere hervorgebracht, das iſt erhoͤrt.
Wohl wuſte ich das lange nicht, viele werden es mir nie glau-
ben, denn jeglicher muß ſelbſt im Schweis ſeines Angeſichts den
Kreis der Zeit um und um bis zum Anfange in ſich durchlaufen,
ehe er weiß, wie es mit ihr ſteht und wie mit ihm! — Was
ich unſre Zeit nenne, was in allen lebt, als Methode, was
keinem ein Wunder, das faͤngt mir in der Welt der Nachgedan-
ken mit Kirchenliedern an, lange von mir nicht gehoͤrt, bleiben
ſie mir doch gegenwaͤrtig. Ich hoͤrte ſie als Kind von meiner
Waͤrterin beym Ausfegen der Zimmer, das in gleichem Zuge
ſie begleite, mir ward dabey ganz ſtill, ich muſte oft an ſie
denken, jezt moͤgen Kinder ſie ſeltener hoͤren, und ich weiß
nicht, was ſie ſtatt ihrer denken moͤgen. Nachher hoͤrte ich in
geſelligen Kreiſen allerley Lieder in Schulzens Melodieen, wie
ſie damals in raſchen Pulſen des Erwachens ſich verbreiteten,
mein Hofmeiſter ruͤhmte ſie naͤchſt Gellert, mir war es nur
ums Ausſchreien darin zu thun, die Langeweile der Welt kuͤm-
merte mich nicht. Jezt muß ich ſagen, ſie ſind nicht ohne Bey-
ſtand geweſen gegen das damalige Streben zu Krankheit und
Vernichtung (die Sentimentalitaͤt *), es war doch darin ein
[427[437]] wahrer Ton, wie im derben Lachen aus Herzensgrund. Nach-
her ſcheint mir die Kraft wunderlich zerriſſen, vieles geht glaͤn-
zend voruͤber, da ſteht die Menge mit offnem Munde, dann
ſinkt es unter im Hexenkeſſel uͤberſchaͤtzter Wiſſenſchaft, worin
ſie damals uͤberkocht wurde. Was mir im Worte lieb, das
hoͤrte ich nie allgemein ſingen, und die ſchoͤnen Melodieen
pfiff ich lieber nach, die falſchen Kukuk-Eyer zu verdraͤngen,
welche dem edlen Singevogel ins Neſt gelegt. Hoͤrte ich von
Gebildeten nach Ihrer Eingebung zum Fluͤgel ſingen: Kennſt
du das Land, wo die Zitronen bluͤhen, da ſah ich die vier
Waͤnde umher wie herkuliſche Seulen, die nun fuͤr lange Zeit
den thaͤtigen lebhaften Theil des Volkes von dem feurigen Bette
der Sonne trennen. Sah ich dann ſtill vor ſich jemand den
wunderbaren Fiſcher (Goͤthe's) leſen, es war mir, als ſaͤhe ich
den herrlichen Gedanken halb ziehen halb ſinken ins Waſſer,
keine Luft wollte ſich ihm geſtatten. — So ging es dem Herr-
lichen, waͤhrend die ſchlechten Worte zum Theater ſich erhoben,
das damals mit Redensarten national werden wollte, in der
That aber immer fremder wurde der Nation, zulezt ſich ſogar
einbildete uͤber die Nation erhaben zu ſeyn (wohl einiger Fuß
hoher Bretter willen, wie das Hochgericht uͤber die Stadt.) Ja
wie ein Wiederhall fuͤhrte der edle Klang dieſe ſchlechten Worte
durch die Gaſſen, und die ernſten blauen Chorſchuͤler, wenn ſie
vor dem Hauſe ſich zuſammenſtellten, waren von dem Streit
des Doktors und Apothekers, des Poeten und Muſikers befan-
gen. Ein ſchoͤnes Lied in ſchlechter Melodie behaͤlt ſich nicht,
und ein ſchlechtes Lied in ſchoͤner Melodie verhaͤlt ſich und ver-
*)
[428[438]] faͤngt ſich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth iſt es, einmal
hinein, muͤſſen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lind-
wurm der drin eingeſperrt, ſuchen wir gleich nach dem auslei-
tenden Faden. So hat dieſe leere Poeſie uns oft von der Mu-
ſik vielleicht die Muſik ſelbſt herabgezogen. Neues muſte dem
Neuen folgen, nicht weil die Neuen ſo viel Neues geben konn-
ten, ſondern weil ſo viel verlangt wurde: ſo war einmal einer
leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie
Volkslieder werden konnten. In dieſem Wirbelwind des Neuen,
in dieſem vermeinten urſchnellen Paradiesgebaͤren auf Erden
waren auch in Frankreich (ſchon vor der Revolution, die dadurch
vielleicht erſt moͤglich wurde), faſt alle Volkslieder erloſchen, noch
jezt ſind ſie arm daran, was ſoll ſie an das binden, was ihnen
als Volk feſtdauernd? Auch in England werden Volkslieder ſel-
tener geſungen; auch Italien ſinkt in ſeinem nationalen Volks-
liede, in der Oper durch Neuerungsſucht der leeren Leute; ſelbſt
in Spanien ſoll ſich manches Lied verlieren und nichts Bedeuten-
des ſich verbreiten. — O mein Gott, wo ſind die alten Baͤume,
unter denen wir noch geſtern ruhten, die uralten Zeichen feſter
Grenzen, was iſt damit geſchehen, was geſchieht? Faſt ver-
geſſen ſind ſie ſchon unter dem Volke, ſchmerzlich ſtoßen wir uns
an ihren Wurzeln. Iſt der Scheitel hoher Berge nur einmal
ganz abgeholzt, ſo treibt der Regen die Erde hinunter, es
waͤchſt da kein Holz wieder, daß Deutſchland nicht ſo weit ver-
wirthſchaftet werde, ſey unſer Bemuͤhen.
Wo ich zuerſt die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn
des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer
Sommernacht weckte mich ein buntes Geſchrey. Da ſah ich aus
meinem Fenſter durch die Baͤume, Hofgeſinde und Dorfleute,
wie ſie einander zuſangen:
Sie brachen ab und auf zu ihren Regimentern, zum Krie-
ge. Damals klang manches daran, was mir ſo in die Ohren
gefallen, alles reizte mich hoͤher was ich von Leuten ſingen hoͤr-
te, die nicht Saͤnger waren, zu den Bergleuten hinunter bis
zum Schornſteinfeger hinauf. Spaͤter ſah ich den Grund ein,
daß in dieſen ſchon erfuͤllt, wonach jene vergebens ſtreben, auf
daß ein Ton in vielen nachhalle und alle verbinde *), der hoͤchſte
[430[440]] Preis des Dichters wie des Muſikers, ein Preis der nicht im-
mer jedem Verdienſte gefaͤllt (wie manche Blume wird zertreten,
aber das friſche Wieſengras bringt tauſend), aber auf lan-
ge Zeit gar nicht erſchlichen werden kann, ſo daß jedes hundert-
jaͤhrige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, ge-
woͤhnlich in beyden tauget. —
Und als ich dieſes feſte Fundament noch unter den Wellen,
die alten Straßen und Plaͤtze der verſunkenen Stadt noch durch-
ſchimmern ſah, da hoͤrte ich auf, mich uͤber die großentheils
mislungenen Verſuche vieler Dichter und Muſiker, beſonders
des Theaterweſens zu aͤrgern. Vielleicht wuͤrde einmal das Vor-
treffliche ſonſt gar nicht entſtehen, gar nicht verſtanden werden!
Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine iſt
Bluͤte das andre Blat, das dritte ſeine ſchmierige Wurzelfaſern,
alle drey muͤſſen vorhanden ſeyn, auch die ſaubern Fruͤchtchen,
die abfallen. Stoͤrend und ſchlecht iſt nur das Verkehrte in ſich,
der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone,
eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein duͤrrer Stab. Die-
ſer Art von wahrer Stoͤrung iſt die Beſchraͤnkung aller Theater-
erſcheinungen in Klaſſen und fuͤr Klaſſen der buͤrgerlichen Geſell-
*)
[431[441]] ſchaft, die entweder ganz unfaͤhig der Poeſie, oder unbeſtimmt
in ihrem Geſchmacke geworden. Beſchraͤnkung iſt aber das Tu-
gendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet ſie,
darum kann das Ueberſchwengliche nie von ihr gefordert werden.
Der Einfluß davon iſt unbegrenzt, denn indem die Schauſpieler
das Gemeine vornehm machen wollen, machen ſie das Ungemeine
auch nichts weiter als vornehm (ſie laſſen Muͤller und Schorn-
ſteinfeger ſich an einander abreiben). So ſuchen nun die Kuͤnſt-
ler aller Art um in gleichen Verhaͤltniſſen zu leben, wie ſie die-
ſelben gewoͤhnlich darſtellen, da ihren Lohn, wo ſie ſelten hinge-
hoͤren und nimmermehr hineinpaſſen ſollten, wo es der Zweck
des ganzen muͤhevollen Lebens, ſich ſo leiſe wie moͤglich neben
einander wegzuſchieben, ſie denken nicht, daß die beſten Stein-
ſchneider Sklaven, die beſten altdeutſchen Mahler zuͤnftig waren.
Daher das Abarbeiten ihrer edelſten Kraft an Formen des An-
ſtandes, die ihnen ſich ſelbſt gegeben, wenn ſie wirklich etwas
Wuͤrdiges geben: Daher das Bemuͤhen der Kunſtſaͤnger zu ſin-
gen, wie Vornehme gern reden moͤchten, ganz dialektlos, das
heiſt, ſie wollen ſingen ohne zu klingen, ſie moͤchten blaſen auf
einem Saiteninſtrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn
ihr nur ſanft waͤret; und wenn ihr ſanft waͤret, o haͤttet ihr
doch Ton. Dem geſchickten Kuͤnſtler ſind die Dialekte Tonar-
ten *), er vernachlaͤßigt keine, wenn er gleich nur in einer ſich
ſelbſt vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt ſie aus
einander nach Suͤden und Norden, Oſten und Weſten, keiner
kann ſich fuͤgen dem Fremden, da doch alle einander in Volks-
liedern begegnen, wie Luſtkaͤhne, die eben erſt vom gemeinſchaft-
[432[442]] lichen Geſpraͤche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder
zuſammen, ſich gleich wieder verſtehen durch Aneignen und Wei-
terſtreben, wenn auch in jedem das Geſpraͤch ſich anders gewen-
det. — Hinter dem Vornehmen Anſtande, hinter der vornehmen
Sprache verſteckt, ſcheiden ſie ſich von dem Theile des Volks,
der allein noch die Gewalt der Begeiſterung ganz und unbe-
ſchraͤnkt ertragen kann, ohne ſich zu entladen, in Nullheit oder
Tollheit. Unſre heutige Theater und Konzert-Theilnehmer,
wie wuͤrden ſie auseinander ſpringen, bey wahrer reiner Kunſt-
hoͤhe, ſie wuͤrden umſinken in der reinen Bergluft, oder fuͤhl-
los erſtarren. Ruft nicht dieſen Ton, ihren eigenen menſchlichen
Ton hinein ihr Saͤnger, ſie wuͤrden ſpringen wie Glaͤſer, die
tauſendmal an einander geſtoßen, doch nur zerſungen werden
koͤnnen mit ihrem Ton! — Sey ruhig gutes Publikum, den
Ton haben deine Saͤnger laͤngſt verloren, das Lebende von dem
Todten zu ſcheiden, dabey kannſt du noch das Heil deiner ſchlaf-
fen Seele in (dem engliſchen Salzflaͤſchchen) ihrer hoͤheren Kritik
ſuchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze
Welt packen und ſie in der Gravitation zwiſchen Ernaͤhrung
und Zeugung erhalten, worin ihr wie Muͤcken ſpielt. — Mit
großer Bravur koͤnnen wohl dieſe vortrefflichen Kunſtſaͤnger
ihren Kram ausſchreien und ausſtoͤhnen, man verſuche ſie nur
nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unaͤchte, laßt ſie
auch nicht mit einander reden, ſie ſingen wohl noch mit ein-
ander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder
haben ihre Sangſtuͤcke ſo unbedeutenden Charakter, daß er gar
nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Ver-
ſtande davon kaͤmen, wir wuͤrden ſie hinunter jagen von ihren
Bretern, und uns lieber ſelbſt hinſtellen, zu ſingen, was uns
einfiele und allen wohlgefiele, Ball ſchlagen, ringen ſpringen
und trinken auf ihre Geſundheit. — Wollt ihr Saͤnger uns mit
[433[443]] der Inſtrumentalitaͤt eurer Kehle durch Himmel und Hoͤlle aͤng-
ſtigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes phyſika-
liſches Kabinet von geraden und krummen hoͤlzernen und blecher-
nen Roͤhren und Inſtrumenten ſteht, die alle einen hoͤheren,
helleren, dauerndern, wechſelndern Ton geben als ihr, daß aber
das Abbild des hoͤchſten Lebens oder das hoͤchſte Leben ſelbſt,
Sinn und Wort, vom Ton menſchlich getragen, auch einzig
nur aus dem Munde des Menſchen ſich offenbaren koͤnne. Ver-
ſteckt euch eben ſo wenig hinter welſchen Liedern, dem einheimi-
ſchen Gefuͤhl entzogen ſeyd ihr dem Fremden nur abgeſchmackt.
Nein, es iſt kein Vorurtheil der Italiaͤner, daß jenſeit der Al-
pen nicht mehr Italiaͤniſch geſungen werde, daß ſelbſt nationale
Saͤnger ihren reinen italiaͤniſchen Geſang in der Fremde verlie-
ren: Denkt auch daran, daß es gar nichts ſagt, fremde Spra-
chen melodiſcher zu nennen, als daß ihr unfaͤhig ſeyd und un-
wuͤrdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunſtuͤbung erbt
ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kraͤnklichen Rei-
zungen der Staͤdtlichkeit, Philoſophie und Liederlichkeit auf alle
Wohlgeſittete, die ſich den Bart nicht ſcheren, wenn er lang,
ſondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn ſie
frieren, ſondern wenn ihre Stunde kommen, ja es giebt ordent-
liche Regiſter uͤber die Kunſt auf dem Ruͤcken aller der bunt-
jaͤckigen Leute, denen die alten Komoͤdienzettel auf den Ruͤcken
geklebt, ich meine die Journaliſten. Wie vielmal dieſe Voͤgel-
ſcheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen ſich drehen, wo-
hin der Schlauch der Kunſtſpritzen ſich wendet, die Kunſt wen-
det ſich ſelten mit der Noth unſrer Zeit zu einer reinen Thaͤtig-
keit, ſie iſt faſt nie nothwendig, ſondern den meiſten eine boͤſe
Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern
ſich, wie ſchnell ſie den Geſchmack aufgeben, wenn ſie die Doſe
einmal in eine andre Taſche ſtecken). Es muͤſte ſonderbar in
[434[444]] ihren Winter hinein bluͤhen, wenn ihnen ſo der Sinn fuͤr das
Große eines Volks aufgehen ſollte und fuͤr ſein Beduͤrfniß,
darum ſind eigentlich die Kuͤnſtler aller Art der Welt ſo uͤber-
fluͤßig, wie ſie gegenſeitig aͤrmlich, zufrieden, wenn einer ſie
verſteht unter tauſenden, gluͤcklich, wenn dieſer eine keinen
Ueberdruß an ihnen erlebt: Mag nur keine neue Voͤlkerwande-
rung kommen, was wuͤrde von dem allen bleiben, — ſicher kei-
ne Arbeniſche Ruinen!
Wir ahnden es ſchon hier, was wir in unſrer Geſchichte
nachgehend ſo allgemein durchgreifend fanden, es wird wohl ein
ſehr allgemeines Verhaͤltniß zur fruͤheren Geſchichte ihm Grund
legen. Denken wir dem nach, auf dem dunklen ſchwankenden
Schiffe der Gedanken, ſehen wir uns um nach den Wunder-
blumen, nach den Waſſerlilien, was die fernen Kuͤſten umgab,
da ſehen wir nur eine Stelle erleuchtet, dahin ſieht des Steuer-
manns Auge, es iſt die Windroſe, ſie ſchwebet feſt und wandel-
los und fuͤhrt uns wohl weit weg! Die Erde iſt umſchifft, wir
haben kein heimliches Grauen mehr vor dem Weltende, es liegt
feſt und ſicher vor uns, wie unſer Tod, es iſt in aller Welt ein
Verbinden getrennter Elemente, welche die innere Kraft jedes
Einzelnen ſchwaͤcht, nur mit hoͤchſter Anſtrengung jedes Einzel-
nen gluͤcklich beendigt werden kann. — Vielleicht mag dies blos
allgemein ſeyn, und darum gar nichts, aber ſo iſt der Ueber-
gang immer von ſich zur Welt, ich will ihn wenigſtens nicht
verſchweigen, vielleicht daß einer ihn mit mir fand. — Zunaͤchſt
haͤngt wohl dieſes Herabſinken ſchoͤnerer Bildung mit einer all-
gemeinen großen Erſcheinung der vorigen Jahrhunderte zuſam-
men, ich meine mit dem allgemeinen Klage- und Elend-Weſen.
Dieſes ſonderbare Bewuſtſeyn, wie ein Traͤumender laͤſt es das
Gluͤck aus der Hand fallen, weil ihm traͤumet, es falle, er muͤſſe
darnach greifen und nun haͤlt es Gluͤck und Traum fuͤr nichts,
[435[445]] weil es ihm nicht fortdauert. Als vorzeiten die Flagellanten in
Selbſtgeiſſelung wehklagend durch alle Straßen den Strom der
Voruͤbergehenden in ihren Ton hineinriſſen *), ſo verſtummte
in dieſer ſpaͤteren Selbſtpeinigung der Furcht noch einmal aller
edle Gemuͤthston. Die Regierungen glaubten es ihre Pflicht
dieſen Jammer zu ſtillen, ſtatt ihn in ſich ausgehen zu
laſſen, aber ſie waren demſelben Zeitgeiſte unterworfen, ſtatt
einer hoͤheren Thaͤtigkeit machten ſie gegenthaͤtige (antipoetiſche)
Bemuͤhungen, das Fieber ſollte ſich ſchwaͤcher zeigen, indem ſie
die geſammte Kraft des Koͤrpers minderten, von dem Zwecke des
Fiebers hatten ſie keine Vorſtellung, es war ihnen ein Miß-
verhaͤltniß weiter nichts. Die nothwendigen Laſten des buͤrger-
lichen Vortheils wurden Einheimiſchen wie Fremden verſteckt
und heimlich, das Regierungweſen ſchien daher den Regierten
dunkel und ſuͤndig. Nochmehr, es wurden ihnen Grenzen des
Nothwendigen geſezt, man ſchnitt die Freude davon ab — ſo
ward ihrem Leben aller Werth genommen, es entſtand eine
Sehnſucht nach dem Tode, an ſich ſelbſt Tod, der mit ſeinem
Knochenarm dem Lebenden eine Fallgrube graͤbt. In der Liebe
iſt keine Furcht, ſagt Johannes, es war dieſe Klage uͤber die
Selbſtentleibung von Deutſchland, wie jene der Chrimhilde,
welche immer neue Verzweiflung herbeyfuͤhrte. Die Spaltung
war gemacht, der Keil eingetrieben, bald ſollte der Staat nicht
[436[446]] mehr fuͤr die Einwohner, ſondern als Idee vorhanden ſeyn,
manches Volk kannte ſeinen eignen Namen nicht mehr und wo
ein Staat ſich ſelbſt geboren, da ſah man, daß die andern ei-
gentlich nur noch Namen waren. Dieſes Elendſeyn wurde ſo
auffallend, wie aus wurmſtichigem Holze der gelbe Staub, allen
hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimen-
talitaͤt war nur eine Faͤrbung, ganz erſcheint es in der klaͤglichen
Sprache der niedern Staͤnde vieler Gegenden. Weisheit wurde
es den freudigen Augenblick wie Ungluͤckszeichen zu meiden,
waͤhrend ſeiner feſteſten Dauer ſein Vergehen voraus zu ſehen,
und den kuͤnftigen hellen Blick des Gluͤckes zu truͤben, mit der
Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuſte uͤber ſein
Leben etwas zu ſagen, nur hatte keiner Leben, ſo wurde das Le-
ben verachtet, der Tod gefuͤrchtet, und die Gentalitaͤt bey dieſer
Aermlichkeit in Vollerey geſezt *). So war dieſe eitle Weis-
[437[447]] heit (wie die Petersburger Maͤgde um Schminke betteln ſollen)!
So wurde auf einmal die ganze Welt arm, ſchlechte Zeit,
ſchlechte Sitten und Weltuntergang, verkuͤndet in allem Frieden,
in allem Ueberfluß, in allem Fruͤhling. Weil keiner dem Dran-
ge ſeiner Natur, ſondern ihrem Zwange nachleben wollte und
konnte: ſo wurde ſchlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie
auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Fruͤchte
der Erde durch ſein nothwendiges Entſtehen trefflich gut ſey,
ſondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geſchaͤfts
So wollte der Adel das Blut verbeſſern, die Kaufleute bildeten
ſich ein, eigentlich nur zur ſittlichen Kultur der Welt zu gehoͤ-
ren, die Gruͤbelnden, in ihren Worten ſey Seligkeit, die aber
alles verachteten, meinten es beſonders getroffen zu haben. Es
ließe ſich viel ſagen uͤber die allgemeinen Aſpekten dieſer Phaͤno-
mens, gehen wir nur in die naͤchſte Gemaͤhldeſammlung eines
alten Hauſes, wie auf einmal wahre Haͤßlichkeit, und mahleri-
ſche Falſchheit in die Welt gekommen. Wichtiger iſt es, die
Wirkungen dieſer allgemeinen Erſcheinung im Volksliede zu be-
obachten, ſein gaͤnzliches Erloͤſchen in vielen Gegenden, ſein
Herabſinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der be-
fahrnen Straße *).
Da alles, wie wir ſahen, klagend und gebrechlich erſchien,
*)
[438[448]] ſo verloren die Regierungen alle Achtung, alles Vertrauen zu
dem Einzelnen; was nicht durch allgemeinen Widerſpruch und
Aufruhr ſich verdammte, das ſchien der Aufmerkſamkeit unwuͤr-
dig, und dieſer allgemeine Widerſpruch wurde durch druͤckende
Verbote in ſeiner Aeußerung, ſelbſt dem beſtgeſinnten Herrſcher
ſo lange unhoͤrbar gemacht, bis ſeine Wuth, nicht ſein beſſerer
Wille alles uͤberſchrieen. Wem der Zufall zu einer wirkſamen
Stelle verhalf, dem glaubte man einen ſolchen vollſtaͤndigen
Volksverſtand angetauft, daß ſich das ganze Volk in ihm aus-
ſpreche. Freilich, wenn einer nur reden darf, ſo redet er im-
mer am kluͤgſten, die Muͤhe verſchiedene Sinne zu vereinigen,
wie es in der Berathſchlagung verſucht, in der Geſetzgebung
ausgefuͤhrt wird, ward ganz uͤberfluͤßig dadurch, man verwun-
derte ſich uͤber das kinderleichte Regierungsgeſchaͤft. Das Volk
kam dahin, die Geſetze, wie Sturmwind, oder irgend eine an-
dre unmenſchliche Gewalt zu betrachten, wogegen Waffnen, oder
Verkriechen, oder Verzweifeln diente. In dieſem Sinne wurde
lange geglaubt, viele zuſammen koͤnnten etwas werden, was
kein Einzelner darunter zu ſeyn brauche, ſo ſollte ſich kein ein-
zelner Krieger bilden, ſie wurden zur Ruhe und zum naͤhrenden
Leben eingepfercht, ſie muſten dem ewigen Streite gegen die
Barbaren entſagen. Man wollte keinen Krieger, doch wollte
man Kriegsheere, man wollte Geiſtlichkeit, aber keinen einzelnen
Geiſt. So wurde das Thaͤtige und Poetiſche im Lehr- und
Wehrſtande allmaͤhlig aufgehoben, wo nicht die allmaͤchtige Noth
alle Kraͤfte luͤftete, nur der Naͤhrſtand konnte nicht ſo unum-
ſchraͤnkt vernichtet werden, naͤhren muſte ſich doch jeder, ſo kuͤm-
merlich es ſeyn mochte. Darum finden wir auch das neuere
Volkslied, wo es ſich entwickelt, dieſem angeſchloſſen in maͤßiger
Liebe, Gewerb- und Handelsklagen, Wetterwechſel und gepfluͤg-
tem Fruͤhling. Aber ſo wenig die Glieder ohne den Magen, ſo
[439[449]] wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten
Fabel, auch der Naͤhrſtand wurde enger, freudeleerer, beduͤrfti-
ger, befangener in dem Herkommen; nirgend leiſteten Feld,
Haus- und Werkarbeit, wies ihre Beſtimmung, die Nothdurft
des Menſchen mit geringerer Noth zu beſtreiten. Die Scheidung
zwiſchen Freude und Beduͤrfniß war einmal gemacht, es iſt das
Eigenthuͤmliche des Boͤſen, wie der Krankheit, wo es erſcheint,
da erſcheint es ganz, in ganzer Thaͤtigkeit, das Gute hingegen
und die Geſundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird ſelten nicht
ſichtbar, dafuͤr leuchtet ſie ewig, waͤhrend der fliegende feurige
Drache in Funken zerſtiebt. Die Bauern mochten klagen daß
ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die ſingenden from-
men Bettler wurden wie Miſſethaͤter eingefangen und gefangen
geſezt; verkappt, ſtill und heimlich mußte nun Armuth umher-
ſchleichen. Wenigſtens haͤtte das doch eine aufrichtige oͤffentliche
Unterſuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsſtufe uns be-
finden, wo ſein eigner Herr nicht ſeyn kann, der ſich nicht ſelbſt
ernaͤhren kann. Vielleicht wuͤrde ſich finden, daß keiner mehr
ſein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen
Arbeitshauſe: Wozu alſo das Arbeitshaus im Arbeitshauſe! —
Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am naͤch-
ſten. — Wo es Volksfeſte gab, da ſuchte man ſie zu entweihen
durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch un-
geſchicktes Umfaſſen, wobey ſie ihn zerbrechen, oder bis ſie ge-
faͤhrlich ſchienen in uͤbler Nachrede. Schauſpiel, Gaukelſpiel
und Muſik, wie die Stadt ſie zur Verſoͤhnung fuͤr ihre Ein-
kerkerung braucht, und das Land, wie es ſich daran freut in
dreytaͤgiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles
dies wurde Eigenthum einzelner, um es beſteuern zu koͤnnen,
und durch den einen Schritt einem ſtrengen, aͤußern Drange,
einer fremden Beſtimmung, einem Stolze unterworfen, als
29.
[440[450]] waͤre ſolche Luſt etwas fuͤr ſich, ohne die, welche ſie hoͤren, als
waͤren ſie Meiſtergilden wie jene Alten *). Neue Feſte konnten
unter den Umſtaͤnden ſo wenig als neue Spruͤchwoͤrter allgemein
werden, die Roheit aͤußerte ihr uͤberfluͤßiges Leben in privilegir-
ter Unzucht. Freude und Geiſt blieben in einzelnen Kreiſen ver-
ſchloſſen, ein Spott gegen die andern und ſelbſt verſpottet; die
beſtehenden oͤffentlichen Vergnuͤgen, Maskenbaͤlle, Vogelſchießen,
Einzuͤge wurden meiſtens antheilloſere Formen, wie alte heili-
ge Chriſtbaͤume armer Familien, immer wieder beleuchtet,
immer duͤrrer in Blaͤttern. Die Volkslehrer, ſtatt in der Reli-
gion zu erheben, was Luſt des Lebens war und werden konnte,
erhoben ſchon fruͤh gegen Tanz und Sang ihre Stimme: wo ſie
durchdrangen zur Verodung des Lebens und zu deſſen heimlicher
Verſuͤndigung, wo ſie uͤberſchrieen, zum Schimpf der Religion.
Der Naͤhrſtand, der einzig lebende, wollte thaͤtige Haͤnde, wollte
Fabriken, wollte Menſchen die Fabrikate zu tragen, ihm waren
die Feſte zu lange Ausrufungszeichen, und Gedankenſtriche, ein
Komma meinte der, haͤtte es auch wohl gethan. Noch mehr,
ſeine Beduͤrftigkeit wurde den andern Staͤnden Geſetz (ſie muſten
alle zur Geſellſchaft mediziniren), weil der Naͤhrſtand eines
feſten Hauſes bedarf, ſo wurde jeder als Taugenichts verbannt,
der umherſchwaͤrmte in unbeſtimmtem Geſchaͤfte, als wenn dem
Staate und der Welt nicht gerade dieſe ſchwaͤrmenden Lands-
knechte und irrenden Ritter, dieſe ewige Voͤlkerwanderung ohne
Grenzverruͤckung, dieſe wandernde Univerſitaͤt und Kunſtverbruͤ-
derung zu ſeinen beſten ſchwierigſten Unternehmungen allein
[441[451]] taugten. Es iſt genug traͤger Zug im Menſchen gegen einen
Punkt, aber ſelten iſt die Thaͤtigkeit, welche durch Einoͤden
zieht und Samen wunderbarer Blumen ausſtreut, zu beyden
Seiten des Weges, wo er hintrifft, allen gegeben, wie der
Thau, wie der Regenbogen: doch wo er, vom Winde getragen,
hinreicht, da endet die unmenſchliche Einoͤde, es kommen gewiß,
die ſich unter den Blumen anſiedeln, um aus ihnen Luſt und
Leben zu ſaugen. — Warum zieht es uns in Buͤchern an, was
wir von den erſten Entdeckungsreiſen, von den Weltfahrten,
von ziehenden Schauſpielern, inſonderheit was wir von dem
wunderbaren Wandel des Zigeuner-Reichs leſen, im Kriege
aͤchte Soldaten, im Frieden zutrauliche Aerzte (deſſen die ge-
lernten ſich jezt faſt alle entwoͤhnt); ich erinnere mich noch ihrer
naͤchtlichen Feuer im Walde, wie ſie mir aus der Hand wahr
ſagten. Und ſagten ſie mir etwas Gutes, ſo ſage ich wieder
Gutes von ihnen. Wie die kleinen Zwerge, wovon die Sage
redet *), alles herbeyſchafften, was ſich ihre ſtaͤrkeren Feinde zu
Feſten wuͤnſchten, ſich ſelbſt mit Brodrinden des Mahles begnuͤ-
gend, aber einmal fuͤr wenige Erbſen, die ſie aus Noth vom
Felde naͤchtlich ablaſen, jaͤmmerlich geſchlagen und aus dem Lan-
de verjagt wurden, wie ſie da naͤchtlich uͤber die Bruͤcke weg-
trappelten, einer Schaafheerde zu vergleichen, wie jeder ein
Muͤnzchen niederlegen muſte und wie ſie ein Faß damit fuͤllten:
So danken wir die mehrſten unſrer Arzeneyen den Zigeunern **),
[442[452]] die wir verſtoßen und verfolgt haben: Durch ſo viel Liebe konn-
ten ſie keine Heimath erwerben! —
Auch die hellen Triangel der Boͤhmiſchen Bergleute klingen
den Kindern nicht mehr, am Leitbande darnach zu treten: die
treuen heilgen Drey Koͤnige begruͤßen ſie nicht mehr! — Aber
was rede ich von Kindern, waͤhrend die Politiker zehnmal in
einer Viertelſtunde zwiſchen Aufklaͤrung und Verfinſterung die
Welt wenden laſſen, weil es in ihre Koͤpfe aus allen Ecken
hineinblaͤſt, den alten Staub zu heben und wegzutreiben, viel-
leicht iſt in der Zeit anders geſchehen, was nicht bemerkt wurde,
eben weil es geſchah? — Das Wandern der Handwerker wird
beſchraͤnkt, wenigſtens verkuͤmmert, der Kriegsdienſt in fremdem
Lande hoͤrt ganz auf, den Studenten ſucht man ihre Weisheit allent-
halben im Vaterlande auszumitteln und zwingt ſie voraus darin zu
bleiben, waͤhrend es gerade das hoͤchſte Verdienſt freyer Jahre, das
Fremde in ganzer Kraft zu empfangen, das Einheimiſche damit aus
zugleichen. Dafuͤr wird dem Landmann gelehrt, was er nicht
braucht, Schreiben, Leſen, Rechnen, da er wenig Gutes mehr
zu leſen, nichts aufzuſchreiben, noch weniger zu berechnen hat.
In der Stadt macht die koͤrperliche Uebung druͤckender geiſti-
ger Anſtrengung Platz, um Kinder in die Plaͤtze der Maͤnner
einzuſchieben. Es mag verkehrt ſeyn *), wie zuweilen die Alten
[443[453]] in den Schulen behandelt worden, aber Wahnſinn iſt es, waͤh-
rend die Gebildeten ſich ihrer als Meiſter ruͤhmen und Aeltern
aus Gewohnheit ihnen wohl wuͤnſchen, daß unwiſſende Vorſte-
her dieſe einzige uns uͤbrige feſte hiſtoriſche Wurzel ausreiſſen:
Sind denn Kinder Kartenblaͤtter, die thoͤrichte Spieler einander
an den Kopf werfen? — Was erſcheint, was wird, was ge-
ſchieht? — Nichts? — Immer nur die Sucht der Boͤſen die
Welt ſich, und alles der Nichtswuͤrdigkeit in der Welt gleich zu
machen, alles aufzuloͤſen, was enger als ein umzaͤuntes Feld,
an den Boden des Vaterlandes bindet, der Gedanke, es iſt
derſelbe Boden, auf dem wir in Luſt geſprungen. Wer ſo
denkt, wird feſt und herrlich ſich und ſeinen Nachkommen bauen,
wem aber die Baukunſt fehlt, dem fehlt ein Vaterland. Wer
nun fuͤhlt, daß ſeinem beſſern Leben ein Vaterland fehlt; geh'
in die Komoͤdie, ſagt mancher, da iſt poetiſcher Genuß, da
ſingt's und klingts! — Aber was iſt das poetiſcher Genuß? —
Wo das Weſen dem Leben ausgegangen, da ſendet es einen
Schatten zu unſrer Furcht, daß wir uns ſelber nicht vergeſſen:
So iſt unſer Schauſpiel vom wahren Volksſchauſpiel ein fratzen-
hafter Schatten; und kein Volksſchauſpiel kann entſtehen, weil
es den Kuͤnſten kein Volk giebt; die aͤußere Noth hat ſie ver-
bunden nicht innere Luſt, ſonſt waͤre ein Volk, ſo weit man
deutſch am Markte reden hoͤrt. Wiſſet, Kuͤnſtler ſind nur in
*)
[444[454]] der Welt, wenn ſie ihr nothwendig, ohne Volksthaͤtigkeit iſt
kein Volkslied und ſelten eine Volksthaͤtigkeit ohne dieſes, es
hat jede Kraft ihre Erſcheinung, und was ſich voruͤbergehend
in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunſt ſeine Dauer
beym muͤſſigen Augenblicke. Kritik iſt dann ganz unmoͤglich, es
giebt nur Beſſermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlech-
tes; unendlich viel laͤſt ſich dann in der Kunſt thun, wenig
daruͤber ſagen denn ſie ſpricht zu allen und in allen wieder,
kein Vorwurf iſt dann das Gemeine, ſo wenig es den Waͤldern
Vorwurf, daß ſie alle gruͤn, denn das Hoͤchſte, das Schaffende
wird das Gemeinſte, der Dichter ein Gemeingeiſt, ein spiritus
familiaris in der Weltgemeine. —
Daß aber Volksthaͤtigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es
fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerſchwingliche Laſt
waͤlzt ſich den Sohnen auf! — Daß ich klage, werden Sie
ſagen, was ich ſelbſt als die hoͤchſte Laͤſterung des Jahrhunderts
angeklagt; wer kann ſich freymachen allein, aber drein wettern
moͤchte ich koͤnnen mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, ſagte der
wackere Schaͤrtlin, alle Kopiſterey und Kortiſaney zerriſſen, wir
wuͤrden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer
langſamern Gang menſchlicher Thaͤtigkeit, wie die Stunden der
Ruhe und Nahrung einander verdraͤngen und beeintraͤchtigen, ſo
haben alle Leidenſchaften und Liebhabereyen ihre kuͤrzere Perio-
de, geringeren Grad; die meiſten ſpringen von ihrem Geſchaͤfte
ab, wie duͤrres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu
der Einigkeit der Welt mit ſich vor, wo eines ſie erfuͤllen und
befriedigen kann, das ſind die ſehnenden, waͤhnenden Embryo-
nen von Menſchen, wenigen iſt Jugend, wenigen Alter. Wie
die Balken unſrer Decken heutiges Tags von einem ſonſt unbe-
kannten Schwamme verſchwaͤcht werden, ſo werden die Menſchen
um uns ploͤtzlich hohl und leer, da ſie noch kaum angefangen zu
[445[455]] tragen und zu ſtuͤtzen, zu leiſten und zu ſtreben. Wo ſeyd ihr
verſunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere
mit tauſend Schaͤtzen. Den Stoͤrchen moͤchte ich zuwinken:
Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Waſſer auf die Welt,
er ſehnt und treibt ſich doch wieder hinein, wie es auch ebbend
vor ſeinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel
und viel Engel, iſt wohl noch Rettung, iſt die Wahl nur eure
Qual?—Ob ſich etwa die Welt ausruht zum Auſſerordentlichen?
Das Speculiren, was ſo ernſthaft genommen wird, macht es
wahrſcheinlich, denn dies iſt der Traum der Thaͤtigkeit, nur
der Morgentraͤume ſind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im
Winterſturm beim Schauſpielhauſe *) voruͤberziehe, wo Licht
und Leben erloſchen, ich denke wohl, die ſtille Uhr uͤber den
langwierigen Stunden wird einmal anſchlagen, der hohe Dekkel
ſich eroͤffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von ei-
nem bunten Chor, die neue Bande aufſteigen, ausfliegen durch
das Land, fliegen auf allen Toͤnen, alle erwecken, die ſchon
ſchlafen gegangen! Das Eis haͤlt lange, ehe es bricht und traͤgt
viel, aber wer nur einmal uͤber das glatte Eis durch alle wun-
derbare Bahnverſchlingungen ſeiner Vorlaͤufer feſt dahingefah-
ren, wo ſeine Augen den Schein der Sonne vor ſich her ſprin-
gen ſahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom —
zu ſchwimmen darin, zu ſegeln darauf, hindurch dem rauchenden
Hirſche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Gruͤnen, die
Sterne darin zu ſehen, kommen und untertauchen in ewiger
Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze ſich verloren und
vergeſſen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen
[446[456]] ſah, den lezten Grus des Menſchleins darin empfing, der e-
mals vom jubelnden Taktſchlage der Janitſcharen hingeriſſet,
einen Feind gegen ſich den muthigen Freund neben ſich glaubte,
der die Reiter auf Wolken gegen ſich anſprengen ſah, unwtier-
ſtehlig, wie ein Trompetenſtoß den maͤchtigen Strom hemnte;
der etwa gar im Sonnenſcheine einer Kriegsflotte Anker-Lichten
ſah, wo wenige Augenblicke hinreichten voll Weben und Leben
auf Maſten und Stangen, dieſe goldenen Schloͤſſer und Galle-
rieen, alle wie Floſſen eines Fiſches ruhig in das luftbegrenzte
Meer hinſchwinden zu ſehen, alles Dinge, die uns umgeben,
uns begegnen, der muß an eine hoͤhere Darſtellung des Lebens,
an eine hoͤhere Kunſt glauben, als die uns umgiebt und be-
gegnet, an einen Sonntag nach ſieben Werktagen *), den jeder
fuͤhle, der jedem frommt. Und waͤren ſie tauſendmal nicht ge-
hoͤrt, es brauchen nur einmal, wenn dieſer Tag gekommen, und
dieſe Morgenſtunde, alle Thuͤrmer herunterpoſaunen zu dem
Liede der Schuͤler, zu den Glocken, wie wir auch ſanft ruhen,
wir werden doch lieber erwachen, da wird alles anſpringen, da
wird die Laſt ſich heben, wie die Anker bey dem einfachen Liede
der Matroſen, wenn ſie nur alle zuſammen ſingen. Was ich
hoffe iſt kein leerer Traum, die Geſchichte hat es ſo oft bewaͤhrt,
wie das reine Streben der Menſchen in gewiſſen Perioden ſie-
gend und ſingend hervortritt, Kunſtwerke gefunden, erfunden
und hoͤher verſtanden werden! Wer kann ſich enthalten, zu
glauben, wo er in eine heiſſe Glashuͤtte tritt, einige rothe Netze
um ihn ziehen, andere maͤchtig das Glas fuͤr ihn aufblaſen, was
da aus dem rothen Feuer durchſichtig werde, ſey ein Jubelbe-
[447[457]] cher, ihn im heißen Netze zu kuͤhlen: und iſt es nun gekuͤhlt,
ſo iſt es ein elendes gebrechliches zitterndes Singglas kein Glas
wobey er ſingen kann. Es ſind der Singglaͤſer doch endlich ge-
nug gemacht, wir werden endlich alle zuſammenſchlagen zum
Pokal? Bricht aus den Springkugeln dazu die Spitze, daß ſie
zu Staub zerfallen, in dem lange ſchon die große Zahl der
Dichter, Schauſpieler und Saͤnger ſcheinlebend umherverkauft
wurde. — Hoͤrt nur, wie die Zugvoͤgel ſchoͤn ſingen dem neuen
Fruͤhling: da ziehen ſchon die wackern Handwerksgenoſſen mit
Buͤndel und Felleiſen in langen Reihen uͤber den Weg; wie ſie
zuſprechen bey ihrem Zeichen; wie die Fenſterſcheiben und das
goldene Schild vom echten Grundbaß erzittern, wo ſie ſingen
iſt keine Halbſtimmigkeit, wo Deutſche gebraucht werden, von
London bis Moskau und Rom, kein halbſinniges Lied:
Liebesroſe, Lied 18.
Es iſt mir wohl begegnet im Herbſte, wenn ſchon alles faſt ſtill
und abgefallen, einen dichten krauſen Baum mit ſich umrunge-
nen Aeſten, von Staaren wie durchdrungen, klingen und gleich-
ſam auffliegen zu ſehen, ſo ſangen mir deutſche Handwerker
luͤftend ins Herz bey dumpfer Nachtluft hollaͤndiſcher Kanaͤle,
ein kleines Segel flatterte von ihrem Geſange, an bunten Baͤn-
dern ſchien das Schiff ſchneller fortgezogen. Wer hat ſo etwas
nicht oͤfter erlebt und ſey es auch nur im Traume? So hoͤrte
ich auch uͤber die Londonbruͤcke Hannoͤverſche Fluͤchtlinge: ein
freyes Leben — hinſingen, als ich mit Sehnſucht nach meinem
[448[458]] Vaterlande den Waſſerſpiegel herabſah, da ſchien mir auch jener
Boden befreundet mit ſeiner zornigen rothen Abendſonne. —
Noch nicht ganz erdruͤckt von der ernſthaften Dummheit die ihr
aufgebuͤrdet, lebt euch das froͤhliche geſangreiche Symbol des
werkthaͤtigen Lebens, die Freimaurerey. Noch ſtehen mitten
inne als Kuͤnſtler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen
Studenten; ſie beften die hoͤchſten Bluͤthen ihrer friſchen Jahre
ſich an den bezeichnenden Hut und laſſen die farbigen Blaͤtter
hinwehen weit uͤber Berg und Thal und in die Waſſer. — Auch
die Baͤnke der rauchenden Wachſtuben werden nicht immer von
den Muſen gemieden, und wenn ſie auch zuweilen nicht hinein
koͤnnen, ſo ſehen ſie doch nach ihrem Lieblingsſitz durch die Fen-
ſter: wenn die uͤberwachte Schildwache Nachts ein ſchauerliches
Anſchlagen der Gewehre hoͤrt, ſie ſpielen mit den blanken ſchnell-
fertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo
die druͤckende langweilige Waffenuͤbung allen die hoͤchſte Luſt und
Ehre, das erſte der oͤffentlichen Spiele, hoͤchſte Kraft und Zier-
lichkeit zu einem Tanze verbunden ausdruͤcket. Fuͤr jede Thaͤtig-
keit giebt es einen Preis, wer dieſen kennt, hat jene. Wer hat
es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege haͤlt, un-
ter ihm brauſet der Strom, Felſen und Baͤume drehen ſich
uͤber ihm, — ein maͤchtiger Marſch haͤlt ihn, faͤllt er ihm zur
rechten Zeit ein, und aller Schwindel verſchwindet; wie die
Tritte hinter ſeinem Ruͤcken. So begreift man Taillefers Ge-
ſang, der in jener beruͤhmten Schlacht bey Haſtings, England
fuͤr Wilhelm eroberte, indem er die unerſchuͤtterliche Ordnung
der Sachſen durchſchrie. So mag auch wohl die Macht der ru-
miſchen Verſe geweſen ſeyn. Wir begreifen nun leicht, wie
unſere gebildetere Zeiten bey der Vernachlaͤßigung des aͤrmeren
Lebens (denn das ſind die unteren Klaſſen jetzt) ſo viele leere
Kriegslieder entſtehen ſahen, waͤhrend jeder der fruͤheren deut-
[449[459]] ſchen Kriege in dem gemeinſamen Mitwirken Aller zu großer
That herrliche Geſaͤnge hervorrief. Wer hat es je vor- oder
nachgedichtet, was Zinkgref *) aus aller braven Landsknechte
Mund im oͤden dreiſſigjaͤhrigen Kriege, lehrend uns zu Gemuͤthe
fuͤhrt:
Ja wir fuͤhlen es, wie die Sprache unter dem gewaltigen
Triebe in ſolchen Punkten ſich weitet, wir ſehen dagegen die
ruhige ſinkende Erde aſiatiſcher Steppen in der ſtillen Verſteine-
rung (Steinfermentation) allmaͤhlig allem lebenden Eindrucke
ſich verſchließen, jene Freiheit alter Sprache, die Starrheit der
heutigen, ſie ſagen mehr, als ich ſagen mag. Doch dieſes wie
ſo manches andere wunderbare Lied iſt aus den Ohren des Vol-
kes verklungen, den Gelehrten allein uͤbrig blieben, die es nicht
verſtehen, alle Volksbuͤcher ſind ſo fortdauernd blos von unwiſ-
ſenden Speculanten beſorgt, von Regierungen willkuͤhrlich leicht-
ſinnig *) beſchraͤnkt und verboten, daß es faſt nur ein Zufall,
oder ein hohes Schickſal, wie uns ſo manches Wunderſchoͤne in
dieſen Tagen angemahnt hat, zu fuͤhlen und zu wiſſen, zu ahn-
den, zu traͤumen was Volkslied iſt und wieder werden kann,
das Hoͤchſte und das Einzige zugleich durch Stadt und Land **).
[451[461]] Aber in den Gelehrten, wie ſie vom Volke vergeſſen, ſo liegt
gegenſeitig in ihnen der Verfall des Volks, das tiefere Sinken
der Gemuͤther, die Unfaͤhigkeit mit eigenwilliger froher Erge-
benheit dienen und mit unbeſorgtem allgemeinen Willen zu be-
fehlen, ja bis zur Unfaͤhigkeit des Vergnuͤgens, was die tiefſte
Entartung andeutet, die faſt aufgegebene Freiheit des Lebens.
— Die Gelehrten indeſſen verfaſſen ſich uͤber einer eigenen vor-
nehmen Sprache, die auf lange Zeit alles Hohe und Herrliche
vom Volke trennte, die ſie endlich doch entweder wieder vernich-
ten oder allgemein machen muͤſſen, wenn ſie einſehen, daß ihr
Treiben aller echten Bildung entgegen, die Sprache als etwas
Beſtehendes fuͤr ſich auszubilden, da ſie doch nothwendig ewig
fluͤſſig ſeyn muß, den Gedanken ſich zu fuͤgen, der ſich in ihr
offenbahrt und ausgießt, denn ſo und nur ſo allein wird ihr
taͤglich angeboren, ganz ohne kuͤnſtliche Beihuͤlfe. Nur wegen
dieſer Sprachtrennung in dieſer Nichtachtung des beſſeren poeti-
ſchen Theiles vom Volke mangelt dem neueren Deutſchlande
großentheils Volkspoeſie, nur wo es ungelehrter wird, wenig-
ſtens uͤberwiegender in beſondrer Bildung der allgemeinen durch
Buͤcher, da entſteht manches Volkslied, das ungedruckt und un-
geſchrieben zu uns durch die Luͤfte dringt, wie eine weiſſe Kraͤhe:
wer auch gefeſſelt vom Geſchaͤfte, dem laͤſt ſie doch den Ring
niederfallen des erſten Bundes. Mit wehmuͤthiger Freude uͤber-
kommt uns das alte reine Gefuͤhl des Lebens, von dem wir
nicht wiſſen, wo es gelebt, wie es gelebt, was wir der Kind-
**)
[452[462]] heit gern zuſchreiben moͤchten, was aber fruͤher als Kindheit zu
ſeyn ſcheint, und alles, was an uns iſt, bindet und loͤßt zu ei-
ner Einheit der Freude. Es iſt, als haͤtten wir lange nach der
Muſik etwas geſucht und faͤnden endlich die Muſik, die uns
ſuchte! —
Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoeſie erhalten,
in dem Durchdringen unſerer Tage, es wird uns anſtimmend
ſeyn, ihre noch uͤbrigen lebenden Toͤne aufzuſuchen, ſie kommt
immer nur auf dieſer einen ewigen Himmelsleiter herunter, die
Zeiten ſind darin feſte Sproſſen, auf denen Regenbogen Engel
niederſteigen, ſie gruͤßen verſoͤhnend alle Gegenſaͤtzler unſrer
Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hoͤlle
uns angaͤhnt, mit ihrem Zeigefinger zuſammen. Wo Engel
und Engel ſich begegnen, das iſt Begeiſterung *), die weiß von
keinem Streit zwiſchen Chriſtlichem und Heidniſchem, zwiſchen
Helleniſchem und Romantiſchem, ſie kann vieles begreifen und
was ſie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens
wird ihr Wahnſinn, weil da der Streit aufhoͤrt, wo der Glau-
[453[463]] be anfaͤngt; noch wahner der Streit uͤber Kunſt *), welche nur
ein Ausdruck des ewigen Daſeyns. Wo Kugel auf Kugel
trift, da ſinken beyde eintraͤchtig zuſammen, wie die Hexame-
ter zweyer Homeriden. — Wen die Muſik nur einmal wirklich
beruͤhrt, den draͤngt und treibt ſie etwas aufzuſuchen, was nicht
Muſik **), worin ſie ihre veruͤbereilende Macht binden kann.
Im Alterthume ſcheint die Muſik der Plaſtik naͤher verbunden,
vor den Goͤtterbildern toͤnend zu erſcheinen, war ein Feſt, die
Memnonſeule iſt uns ein Symbol dafuͤr; vielleicht war Muſik
eben ſo in der Zeit der Mahlerey dieſer ſehr wahr; allgemeiner
iſt Muſik und urſpruͤnglicher (bey uns beſonders an den Ufern
der Donau) dem Tanze, (am Rheine) dem Worte verbun-
den ***). Der deutſche Tanz, das einfache Zeichen der Annaͤhe-
rung, Verbindung und Aneignung waͤchſt an den Ufern der
[454[464]] Donau, bis zur reichſten inneren Bedeutſamkeit im oberoͤſter-
reichiſchen Laͤndriſchen, die Muſik waͤchſt und wetteifert mit ihm
in hoher Erfindſamkeit und der Sinn beſchraͤnkt ſich immer feſter
auf die gemeinſchaftliche eigne Bildung des Volks *). Es iſt
nicht jene wohlige frohmuͤthige Zaͤrtlichkeit durch Schwaben und
Oeſterreich, die uns in den unzerriſſenen Gegenden des Rheins
ergreift, es iſt oͤfter ein Spott der Liebe in der Liebe, ein
Uebermuth, der ſich verzagt ſtellt, ein Kind das ſich vor unſern
Augen hinter einen Strauch ſtellt, heraus rufend: Wo bin ich?
So iſt Melodie und auch ihr Wort, wo ſie zu Worten kommt,
in der Liebe (die ſich ſelbander Einſamkeit iſt), beym Weine,
beym Jagdtreiben, auf Wallfahrten, oder wo das Alter die
Sehnen der Fuͤße abſpannt:
Dagegen ſingen wohl die Jungen:
Was von den Sizilianern erzaͤhlt wird, die ſpielende Freu-
digkeit, in der alles zum Liede wird und ohne die Nichts ein
[455[465]] Lied, die findet ſich faſt dort allein, wo ein Blat mit Reimen,
die ſie an Bildern, oder in Jagdbuͤchern abſuchen *), jung und
alt erfreut. Als zwey eigenthuͤmliche Wiederklaͤnge dieſes Sinns,
welche ſtatt zu wiederholen, die Worte umkehren ſind die tief-
gefuͤhlten Berglieder der Bayriſchen und Tyroler Alpen zu hoͤren,
ſo auch die rein witzigen Lieder, wie ſie zur Zeit des Faſchings
in den Tanzkellern der Wiener Vorſtaͤdte umgehen, die kommen
und gehen wie die Wuͤnſche, wie die Sorgen der Zeit, ohne
der Ewigkeit eingedruckt zu werden **)
Vom Tanze verlaſſen in der Sommereinſamkeit, zu einfach
anderer Kunſt ſingt der Hirte an den Quellen des Rheins dem
ewigen Schnee zu:
So klingen die Quellen des Rheins hinunter, dann immer
neuen Quellen und Toͤnen verbunden, vom luſtigen Neckar an-
gerauſcht, ein maͤchtiger Strom, der von Mainz mit dem wein-
froͤhlichen ſingenden Mayn verbunden, nur geſchieden von ihm
durch Farbe, doppelſtimmig die vergangene Zeit in heutiger
Friſche umſchlingt, eine ſinnreiche Erinnerung fuͤr uns. Stau-
nend ſaß ich da unter den luſtigen Zechern im vollen Markt-
ſchiffe, ſah drey wunderlichen Mu [...]ker mit immer neuem Liede
zu, jeder ihrer Zuͤge eine alte ausgeſpielte Saite, jeder ihrer
Toͤne ein ausgebiſſen Trinkglas, ewig hin und zuruͤck geht das
Schiff, ihre Wiege, ihr Thron, ſie ſinds, die dieſe arme wuͤſte
Marktwelt (wie Kraut und Ruͤben unter einander geworfen) zu
einem wechſelnden, lauten und ſtillen Gedanken-Chore verbin-
den, daß neben ihnen die ruhigen reichern Dorfer wie unerreich-
bare Sterne und Monden, ohne Sehnſucht, ohne Preis vor-
**)
[457[467]] uͤberſchwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden
Uebergang, der Zauberſtab unterſcheidet ſich erſt von einem ge-
woͤhnlichen Stabe nur durch die Farbe, ſo mag auch dieſe Kunſt
uns nur vorbereiten auf jene hoͤhere am Rheine, der endlich
ermuͤdet vom wechſelnden Reiz, wie das Gold im Sande ſich
verliert. Hier zwiſchen den Bergen beym Oſtein leben noch alle
die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert geſammelt *),
viel ſchoͤnere noch, die eben nur ſelten gehoͤrt werden, weil ſie
nur ſelten wahrhaft ſich fuͤgen; ſie ſind in dem Munde der
meiſten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil,
der zingarella und aͤhnlichen in Italien. Wie die Jacht mit
den Reiſenden durch das Waſſer ſchaͤumt, in jeder Uferkruͤm-
mung von den Truͤmmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft,
ſo wechſeln die Lieder, und wo ſie ausſteigen:
Kennſt du das Land wo die Zitronen bluͤhen? Italien iſt
entdeckt, wo der Wein reift an allen Orten. Und als ich im
mittellaͤndiſchen Meere ſchiffte, der Schiffer ſein Lied ſang auf
alles, was uns traf, Windſtille und Seekrankheit, bis ihm der
Sturm das Lied von der Lippe blies, da floß der Rhein. Ganz
beſonders iſt es aber der Rhein, wenn ſich die Winzer zur
ſchoͤnſten aller Ernten im alten Zauberſchloſſe der Giſella, Nachts
verſammeln, da flammt der Heerd, die Geſaͤnge ſchallen, der
Boden bebt vom Tanz:
Viele der Singweiſen deuten auf einen untergegangenen
Tanz, wie die Truͤmmer des Schloſſes auf eine Zauberformel
deuten, die einmal hervortreten wird, wenn ſie getroffen und
geloͤſt. Durch die luſtige Schaar der Winzer zieht dann wohl
ein Frankfurter mit der Guitarre, ſie ſammeln ſich um ihn,
ſie ſtaunen dem Koͤnig von Tule, der Becher ſtuͤrzt in den
Rhein, der Ernſt ihres Lebens wird ihnen klar, wie wir klar
ſehen in wunderbaren Gedanken durch dunkle Nacht. — Wo
Deutſchland ſich wiedergebiert, wer kann es ſagen, wer es in
ſich traͤgt, der fuͤhlt es maͤchtig ſich regen. — Als wenn ein
ſchweres Fieber ſich loͤſt in Durſt, und wir traͤumen das lang-
gewachſene Haar in die Erde zu pflanzen, und es ſchlaͤgt gruͤn
aus [und] bildet uͤber uns ein Laubdach voll Blumen, die ſchoͤnen
weichen den ſpaͤten ſchoͤneren, ſo ſcheint in dieſen Liedern die
Geſundheit kuͤnftiger Zeit uns zu begruͤßen. Es giebt oft Bil-
[459[469]] der, die mehr ſind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit
uns reden, waͤre ſo doch dieſes! Doch bewaͤhrt die tiefe Kunſt-
verehrung unſerer Zeit, dieſes Suchen nach etwas Ewigem,
was wir ſelbſt erſt hervorbringen ſollten, die Zukunft einer Re-
ligion, die dann erſt vorhanden, wenn alle darin als Stufen ei-
nes erhabenen Gemuͤths begriffen, uͤber das ſie ſelbſt begeiſtert
ausflorirt. In dieſem Gefuͤhle einer lebenden Kunſt in uns
wird geſund, was ſonſt krank waͤre, dieſe Unbefriedigung an
dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken um-
her und werden aufmerkſam, wie ſo vieles uns nimmer abge-
ſtoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der groͤßere
Theil der Welt, eine fremde Atmoſphaͤre, durch unſere Luft
haͤtte hindurch gehen koͤnnen, fuͤr uns unſchwer, fuͤr uns un-
warm, keine Macht uͤber uns habend, als unſre Furcht davor.
Große Kunſt des Vergeſſens, in dir ſcheidet ſich alle fremde Pe-
ſtilenz von unſrer Heimath, fort mit dem Fremden im Frem-
den, die Welt klimatiſirt ſich uns, fort mit dem Fremden im
Einheimiſchen! Nur darum iſt Italien uns Italien, weil es
kraͤftig genug war, lange das Fremde zu uͤberſehen: von ſeinen
Schauſpielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gaſſen,
und die Handwerker, die vor den Thuͤren arbeiten, lernen ſie
den Voruͤbergehenden ab, Eitelkeit kennen ſie dabey nicht, denn
ſie kennen die Freude darin. Da mag die Muſik wohl den gif-
tigen Biß der Tarantel heilen. — Darum kann ich auch der
Englaͤnder nicht zuͤrnen, die uͤber eine Miniſterveraͤnderung kaum
aufmerken, waͤhrend ein italieniſches Muſikwunder im hoͤchſten
Glanze vor ihnen erſcheint, ſie muͤſten ihr Hoͤchſtes opfern,
wenn ſie dieſe Goͤttergunſt erhalten wollten. Hoͤren ſie doch m[it]
herzlicher Theilnahme jedem rothbemaͤntelten Weibe an der S [...]-
ſenecke zu, das von Maria von Schottland ſingt, jagen ſie doch
dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Fuͤße, wo die ſchotti-
[460[470]] ſche Sackpfeife ſich hoͤren laͤßt. Nein, eine hoͤhere Muſik giebt
es wohl nicht, als die der Matroſen von Lord Nelſons Sieg,
wie ſie die Huͤte ſchwenken und die Stimmen, daß die Wolken
verziehen von ihrem Konzertſaale, wo Wagenrollen der Akkord
und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaiſers: *)
„Heiliger Gott! Heiliger Gott, was iſt das? Der ein hat eine
„Hand, ſo hat der andre ein Bein, wenn ſie dann erſt zwo
„Haͤnd haͤtten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?“
Noch lehrreicher iſt vielleicht die Zuſammenſtellung der Wa-
liſchen Bardengeſchichte mit den Schottiſchen Saͤngern **). Jene
lebten in einer feſten Kunſtverbindung, hatten vieljaͤhrigen Un-
terricht, Ehre, Fuͤrſtengunſt, aber ſeit ſie von der Religion ge-
ſchieden, treten ihre Geſaͤnge faſt nur im aͤuſſerſten Elende ſchoͤn
und rein hervor; das nur laͤutert ſie zur Wahrheit, dagegen
entſtanden bey ihnen ſonſt nur laͤcherliche Streitigkeiten fuͤr Har-
monie gegen Melodie, Machtſpruͤche und alles das kritiſche
Elend, was nachahmend auch bey uns uͤber der Poeſie ***) ſchwebt.
[461[471]] Nur da geachtet, wo ſie recht und ganz gehoͤrt wurden, ohne
Kunſtregel und Schule blieben die Schottiſchen Baͤnkelſaͤnger dem
Großen und der Erfindung treu, ſo konnte ihnen auch die Form
nicht fehlen. Die Waͤliſchen klagten immer, die Kunſt ſterbe
aus, ſie war aber ſchon in ihnen ausgeſtorben; die Schotten
hatten viel Groͤßeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunſt
lebte ihnen; bey jenen mußte ein Geſez den Schuͤlern verbie-
then, ihre Lehrer in der Begeiſterung nicht zu rupfen und aus-
zulachen: dieſe brauchten keinen ſolchen wunderlichen Anlauf zur
Poeſie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er
keine Geſichter ſchnitt. Die Lieder der Waͤliſchen konnten durch
einen tollen Eroberer faſt vertilgt werden, dieſe Schottiſchen le-
ben ſich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unſterb-
lich. — Wenn nun ſo einfache leichte Kunſt viel wirkt, wie
kommt es, daß oft die ſchwere gehaͤufte ſogenannte Kunſt nichts
leiſtet? Wer nicht das Hoͤchſte will, kann auch das Kleinſte
nicht; wer nur fuͤr ſich ſchafft in ſtolzer Gleichguͤltigkeit, ob es
einer faſſe und trage, wie ſoll er andre erfaſſen und ergreifen;
wer nur um jenes Voͤlkchen buhlt, das immer laͤuft und klap-
pert, ſich immer was zu ſagen hat und eigentlich nie etwas
ſagt; ſie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis,
ſondern weil ſie die beiden Eispole aufſuchen. — Auch muͤſſen
wir oft denken, es iſt unendlich leicht, recht kuͤnſtlich zu ſcheinen,
wenn man das Leichte ſchwer, das Schwere leicht nimmt; doch
was iſt dieſer Schein? Er waͤre das Weſen, wenn es nicht er-
***)
[462[472]] ſchiene *). Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie
ſie leer, ſo voruͤbergehend iſt ſie, und doch geht darin Morgen-
ſtrahl und Leben, Auſſicht und Hoffnung auf, ein ewiges geiſti-
ges Menſchenopfer. Sehe jeder nur frey und ganz, wie er ge-
ſtellt, und einer iſt dem andern nothwendig, keinem iſt das
aſtraliſche Verhaͤltniß entzogen, jeder iſt ein Kuͤnſtler, der das
mittheilen kann, was ihm eigenthuͤmlich im All, die andern zu
erklaͤren. Dem aber ſind die Aſpecten beſonders guͤnſtig, dem
ein wichtiges allgemeines Wirken muͤhlos vorbereitet, der ohne
Arbeit erndtet und alle ernaͤhrt im gottaͤhnlichen Leben: So wird
es dem, der viel und innig das Volk beruͤhrt, ihm iſt die
Weisheit in der Bewaͤhrung von Jahrhunderten ein offnes Buch
in die Hand gegeben, daß er es allen verkuͤnde, Lieder, Sagen,
Spruͤche, Geſchichten und Prophezeihungen, Melodieen **), er
[463[473]] iſt ein Fruchtbaum, auf den eine milde Gaͤrtnerhand weiße und
rothe Roſen eingeimpft zur Bekraͤnzung. Jeder kann da, was
ſonſt nur wenigen aus eigner Kraft verliehen, maͤchtig in das
Herz der Welt rufen, er ſammelt ſein zerſtreutes Volk, wie es
auch getrennt durch Sprache, Staatsvorurtheile, Religionsirr-
thuͤmer und muͤßige Neuigkeit, ſingend zu einer neuen Zeit un-
ter ſeiner Fahne. Sey dieſe Fahne auch nicht geſtickt mit Tro-
phaͤen, vielleicht nur das zerriſſene Segel der ſchiffenden Argo-
nauten, oder der verſezte Mantel eines armen Singers *), wer
ſie traͤgt, der ſuche darin keine Auszeichnung, wer ihr folgt,
der finde darin ſeine Schuldigkeit, denn wir ſuchen alle etwas
Hoͤheres, das goldne Flies, das allen gehoͤrt, was der Reich-
thum unſres ganzen Volkes, was ſeine eigene innere lebende
Kunſt gebildet, das Gewebe langer Zeit und maͤchtiger Kraͤfte,
den Glauben und das Wiſſen des Volkes, was ſie begleitet in
Luſt und Tod, Lieder, Sagen, Kunden, Spruͤche, Geſchichten,
Prophezeihungen und Meloͤdieen, wir wollen allen alles wieder,
geben, was im vieljaͤhrigen Fortrollen ſeine Demantfeſtigkeit
bewaͤhrt, nicht abgeſtumpft, nur farbeſpielend geglaͤttet, alle
Fugen und Ausſchnitte hat zu dem allgemeinen Denkmahle des
groͤßten neueren Volkes, der Deutſchen, das Grabmahl der Vor-
zeit, das frohe Mahl der Gegenwart, der Zukunft ein Merk-
mahl in der Rennbahn des Lebens: Wir wollen wenigſtens die
Grundſtuͤcke legen, was uͤber unſre Kraͤfte andeuten, im feſten
Vertrauen, daß die nicht fehlen werden, welche den Bau zum
Hoͤchſten fortfuͤhren und Der, welcher die Spitze aufſetzt allem
Unternehmen. Was da lebt und wird, und worin das Leben
haftet, das iſt doch weder von heute, noch von geſtern, es war
und wird und wird ſeyn, verlieren kann es ſich nie, denn es
[464[474]] iſt, aber entfallen kann es fuͤr lange Zeit, oft wenn wir es
brauchen, recht eifrig ihm nachſinnen und denken. Es giebt eine
Zukunft und eine Vergangenheit des Geiſtes, wie es eine Ge-
genwart des Geiſtes giebt, und ohne jene, wer hat dieſe?
Berlin im Januar 1805.
Ludwig Achim von Arnim.
Herr Kapellmeiſter Reichardt hat einen Theil des vorſtehenden Sendſchrei-
bens in ſeiner geachteten muſikaliſchen Zeitung bekannt gemacht; er for-
derte bei dieſer Gelegenheit von mir den Abdruck des Ganzen. Wie er-
freulich iſt es mir, etwas zu thun, was ihm lieb und wuͤrdig ſchien, in-
dem ich zugleich fuͤr den Zweck dieſer Betrachtungen der Volkslieder durch
die Sammlung aus dem Wunderhorne mitwirke. Von dieſer unſrer Samm-
lung kann ich nur mit ungemeiner Neigung reden, ſie iſt mir jezt das
liebſte Buch, was ich kenne, nicht was mein Freund Brentano und ich
dafuͤr gethan, ungeachtet es gern geſchehen, ſondern was innerlich darin
iſt und weht, die friſche Morgenluft altdeutſchen Wandels. Waͤr ich ein
Bienenvater, ich wuͤrde ſagen, es war der lezte Bienenſtock, er wollte
eben wegſchwaͤrmen, es hat uns wohl Muͤhe gemacht, ihn im alten Hauſe
zu ſammeln, bewahrt ihn, ſtoͤrt ihn nicht, genießt ſeines Honigs wie
recht. Unrecht iſt es, fuͤr die einzelne Schoͤnheit einer Gegend aufzuwek-
ken, den ſie in ſchoͤnere Traͤume vertieft, darum kein naͤheres Wort uͤber
die bedeutende Schoͤnheit jedes einzelnen dieſer Lieder, blos literariſche
Merkwuͤrdigkeit iſt meines Wiſſens keins, jedes athmet, pulſirt in ſich, lau-
ter friſche, ſpielende, ringende Kinder, keine hoͤlzerne Puppen, die ſelbſt-
echte Dichter, aus Angewohnheit des Bildens, ihren echten Kindern nach-
machen. — Dem verſtaͤndigen Leſer wird dies zum aufmerkenden Leſen ge-
nuͤgen; was die Recenſeuten anbelangt, ſie leſen dies ſo wenig als das
uͤbrige, wir leſen ſie dafuͤr eben ſo wenig, ſo ſind wir miteinander im
ewigen Frieden.
Heidelberg im Juli 1805.
Ich kann mich nicht enthalten die wunderbar herrliche Vorrede Georg
Forſters zu ſeinen friſchen Liedlein, Nuͤrnberg 1552., als eines meiner
liebſten Herzblaͤtter zur Erlaͤuterung des Geſagten mitzutheilen.
„Freundlicher lieber Singer, und der edlen Muſik Liebhaber. Es
„ſind in einigen Jahren unter andern Geſaͤngen ſo bisher gedruckt wor-
„den, mancherley Teutſche Liederbuͤchlein durch den Druck ausgegangen,
„wie aber die zum Theil ſeyn, will ich denen, ſo des Geſanges einen
„Verſtand haben zu bedenken geben.
„Ich uͤbergebe mein Liederbuͤchlein, damit alte Teutſche Lieder, ſo
„doch noch, wenn ich ſagen duͤrfte, ſchier die beſten ſind, ſammt ihren
„Meiſtern, welche mit der Muſik auferzogen, umgegangen, und ihr
„Leben damit beſchloſſen haben, nicht ganz und gar vergeſſen, und an
„ihrer ſtatt nicht viel ungereimte neue Kompoſitionen, die doch gar
„keine rechte Teutſche liederiſche Art haben, gebraucht wuͤrden; ſondern
„daß ich auch die mit ſolchen ſchlechten Liedern zerſtoͤrte, ſchoͤne und
„liebliche Kunſt der Muſik, welche bey den Alten ehrlich, und in großen
„Wurden gehalten, moͤchte erhalten und foͤrd[e]rn. Inſonderheit dieweil
„bey allen Froͤhlichkeiten und Kurzweilen, friſche gute Teutſche Lieder
„zu ſingen, oder auf den Inſtrumenten zu brauchen gebraͤuchlich: Durch
„welches denn viel unnutzes Geſchwaͤtz, unflaͤtiſch Zutrinken, darzu
„zaͤnkiſch und haderlich Spielen, und andere Laſter moͤchten verhindert
„werden. Wie ich denn oft von einem trefflichen theuren Manne gehoͤrt
„habe, als er ſagt, daß unter allen Kurzweilen, damit man die Zeit
„zu vertreiben fuͤhrt, er kein goͤttlichere, ehrlichere, und ſchoͤnere
„Kurzweil wuͤſte, denn die liebliche Muſik, daß alle andere Kurzweile,
„als Spielen, Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht waͤren, daß
„ſich ein jeder nur aufs beſte befließe, damit er dem, mit welchem er
„ſolch Kurzweil uͤbet, moͤchte uͤberliegen, angewinnen, und zu bevor-
„theilen, daraus denn mancher Unrath und Zank und Hader entſprin-
„ge. Die Muſik aber hat kein andres Fuͤrhaben, denn
„daß ſie gedaͤchte, wie ſie nur die Einigkeit der Stim-
„men mit allem Fleiß moͤchte erhalten, und aller Miß-
„hellung wehren.“
Der ſchoͤnen Auswahl dieſes Mannes dankt unſre Sammlung meh-
rere der beſten Lieder, woraus zu erſehen, daß Verdienſt nicht unter-
gehen kann.
Doch zur Probe einige aus dem Jahre 1802.
1) Aus einem raͤthſelhaften Quodlibet, oder eine Kaskonade:
2) Aus einer Beſchreibung der Neuigkeiten im Prater:
Das Verhaͤltniß dieſer Lieder zu den Nationalopern der dortigen
Vorſtaͤdte, wird ſchon aus dieſen Proben fuͤhlbar, die meiſten dieſer
Singeſpiele ſind der Anlage nach ſchoͤn, ungeſchickt und leer in der
Sprache, gewoͤhnlich aber nur durch Fortſetzungen unangenehm.
Goͤthe's Eugenie.
Auch das iſt wahr, jedes an ſeiner Stelle.