Zueignungs-Geſang
an den
Baron von Kottwitz,
Erbherrn auf Boyadel in Niederſchleſien
meinen erſten Wohlthaͤter.
Es iſt eine alte und bekannte An-
merkung, daß die Dichter nicht
durch Unterricht und Regeln gebildet wer-
den, ſondern ihren Beruf und ihre Faͤhig-
keiten blos von der Natur erhalten. Wer
dieſen Beruf empfangen hat, der redet
ohne Vorſatz und ohne Kunſt die Sprache
der Muſen: aber der Mangel deſſelben wird
durch keinen Unterricht, und durch keine
Regeln erſetzt. Plato ſetzet den wahren
Character eines Dichters darin, daß er
ſeine Geſange durch Begeiſterung hervor-
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[VIII]Vorrede.
bringe, ſich ſelbſt unbewußt, was er ſinge.
Die Harmonie und der Gang des Verſes
ſetzen nach ſeiner Meinung, den Dichter
in den Enthuſiasmus, der ihm die Gedan-
ken und Bilder darbietet, welche er bey ge-
ſetztem Geiſte vergeblich wuͤrde geſucht ha-
ben. (*) Man darf ſich deshalb nicht wun-
dern, daß die fuͤrtreflichſten Dichter aͤlter
ſind, als die Regeln, und daß die feineſte
Critik keine vollkommenere Geſaͤnge hervor-
gebracht hat, als die ſind, welche vor der
Kunſt geweſen.
Das Beyſpiel der Dichterin, von welcher
wir hier einige auserleſene Lieder der Welt
vorlegen, beſtaͤtiget die Wahrheit dieſer An-
[IX]Vorrede.
merkungen auf die unzweifelhafteſte Weiſe.
Ohne Vorſatz, ohne Kunſt und Unterricht
ſehen wir ſie unter den beſten Dichtern ihren
Platz behaupten. Mit Bewunderung er-
fahren wir an ihr, wie die Natur durch die
Begeiſterung wuͤrket, und wie ohne dieſe
kein Vorſatz und keine Beſtrebung vermoͤ-
gend iſt, dasjenige zu erſetzen, was ohne
ſie fehlt. Die Lieder, welche ihr am beſten
gelungen, ſind alle in der Hitze der Einbil-
dungskraft geſchrieben, da hingegen die,
welche ſie aus Vorſatz und mit ruhiger
Ueberlegung verfertiget, allemal das Kenn-
zeichen des Zwanges und den Mangel der
Muſe nicht undeutlich bemerken laſſen.
Wenn die Dichterin in Geſellſchaft, oder in
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[X]Vorrede.
einſamen Stunden von irgend einem Ge-
genſtand lebhaft geruͤhrt wird, ſo wird ihr
Geiſt ploͤtzlich erhitzt; ſie beſitzt ſich nicht
mehr, jede Triebfeder der Seele wird rege,
ſie fuͤhlt einen unwiderſtehlichen Trieb zum
Dichten, und ſchreibet das Lied, welches
ihr die Muſe eingiebt, mit bewundrungs-
wuͤrdiger Geſchwindigkeit. Gleich einer
Uhr, die ohne fernere Huͤlfe ihren richtigen
Gang fortſchreitet, ſo bald die Feder ge-
ſpannt iſt, ſingt ſie, ſich ſelbſt unbewußt,
wie die Gedanken und Bilder in ihr ent-
ſtehen, ſo bald die Seele durch die erſte
Vorſtellung in Wuͤrkſamkeit gebracht wor-
den. Auch die feinere Beobachtung des
Plato, daß die Harmonie und der Gang
[XI]Vorrede.
des Verſes die Begeiſterung unterhalten, fin-
den wir durch das Beyſpiel unſrer Dichterin
beſtaͤtiget. So bald ſie den Ton, wie ſie es
ſelbſt nennt, und das Sylbenmaaß getroffen,
ſo fließt das ganze Lied ohne Muͤh und ohne
Beſtrebung die Gedanken und Bilder zu
finden. Die feineſte Wendung der Materie
und des Ausdrucks entſtehen unter der Feder,
als wenn ſie ihr eingegeben wuͤrden.
Wie unzweifelhaft es ſey, daß unſre
Dichterin ihren Beruf allein von der Natur
bekommen habe, erhellet am deutlichſten aus
allen Umſtaͤnden ihres Lebens. Denn darin
finden wir nichts, das vermoͤgend geweſen
waͤre, an ſtatt des natuͤrlichen Hangs einen
kuͤnſtlichen Trieb zur Dichtkunſt in ihr zu
[XII]Vorrede.
erregen, keinen einzigen Umſtand, woraus
wir begreifen koͤnnten, daß gelernte Regeln
bey ihr die Stelle des Genies vertreten.
Sie iſt in einem Stande gebohren, der zu-
naͤchſt an den niedrigſten graͤnzet, ihre Erzie-
hung, die Beſchaͤftigungen ihrer Kindheit
und erſten Jugend, waren der Niedrigkeit
ihrer Geburt angemeſſen; in ihren reiferen
Jahren aber waren ihre Umſtaͤnde ſo, daß
ihr Geiſt nothwendig in den tiefſten Staub
waͤre niedergedruckt worden, wenn die Na-
tur nicht weit ſtaͤrker waͤre, als alle Hinder-
niſſe, die ihr entgegen wuͤrken.
Sie iſt im Jahr 1722. an der Graͤnze
von Niederſchleſien, zwiſchen Zuͤllichau,
Schwiebus und Croſſen an einem kleinen
[XIII]Vorrede.
Orte gebohren. Dieſer Ort iſt eine Meyerey
von wenig Haͤuſern und wird der Hammer
genennet. Unter ſieben armſeeligen Einwoh-
nern dieſes Orts, war ihr Vater der an-
ſehnlichſte, weil er der Brauer und Gaſtwirth
des Orts war. Er hieß Duͤrbach, und
ſtarb ihr zu fruͤh. In ihrem ſiebenden Jahr
kurz vor ihres Vaters Tode, nahm ihrer
Großmutter Bruder, ein verſtaͤndiger Greis,
ſie zu ſich nach Pohlen, und lehrte ſie leſen
und ſchreiben. Dies iſt der Oheim, dem ſie
das ſchoͤne Lied geſungen, welches ſich in die-
ſer Sammlung findet. (*) In ihrem zehn-
ten Jahre gingen die Muͤhſeeligkeiten des
Lebens an, die ſie hernach, bis nahe an ihr
[XIV]Vorrede.
vierzigſtes Jahr, in ſo groſſen Uebermaaß em-
pfunden hat. Sie wurde ihrer Mutter
wieder zuruͤck gegeben. Zuerſt mußte ſie Kin-
dermagd ihres Halbbruders werden, und
bald darauf wurde ihr die Beſorgung und
Verpflegung von drey Rindern, der ganzen
Heerde ihrer Aeltern, aufgetragen. Kurz
vorher zeigten ſich die erſten Spuhren ihres
natuͤrlichen Hanges zur Dichtkunſt dadurch,
daß ſie eine ungewoͤhnliche Luſt zum Singen
fuͤhlte, und hundert geiſtliche Kirchenlieder
auswendig wußte, die ſie bey ihrer Arbeit
und bey der Huͤtung ihrer kleinen Heerde
ſang. Dadurch entſtund bey ihr die Be-
gierde ſelbſt ein Morgenlied zu verfertigen,
von dem ſie ſich aber nichts mehr erinnert.
In ihrem Hirtenleben fiel noch ein
anderer Umſtand vor, der ihrem natuͤrlichen
Genie ſehr zu Huͤlfe kam. Sie wurde mit
einem Hirtenknaben bekannt, der ihr, ob ſie
gleich durch einen kleinen Fluß mit ihren
Heerden getrennet waren, einige Buͤcher
zutrug. Der Robinſon, die aſiatiſche
Baniſe, und die tauſend und eine Nacht
waren ihre Bibliothek, welche unſre junge
Hirtin mit groſſer Begierde geleſen. Dieſes
machte ihr ihren Hirtenſtand angenehm.
Allein dieſe Gluͤckſeligkeit war von ſehr
kurzer Dauer; ſie mußte bald darauf ihre
kleine Heerde verlaſſen und zum zweyten-
mal Kinderwaͤrterin werden. Unter dieſen
und andern muͤhſamen haͤuslichen Geſchaͤften
[XVI]Vorrede.
einer Dienſtmagd erreichte ſie ihr ſieben-
zehentes Jahr, in welchem ſie die Laufbahn
weit groͤſſerer Muͤhſeeligkeiten antrat. Ihre
Mutter verheyrathete ſie an einen Mann,
dem ſie alle Wolle, die er verarbeitete, zu-
rechte machen mußte. Und da uͤberdem alle
andre haͤusliche Geſchaͤfte einer Frauen allein
auf ihr lagen, ſo hatte ſie keine andere Muſſe
ihrem Hang zu leſen und Lieder zu ſchreiben
nachzugeben, als einige Stunden der Sonn-
tage. Da ſchrieb ſie die Lieder nieder, wel-
che ſie unter ihrer Arbeit ausgedacht hatte.
Nach einer neunjaͤhrigen Ehe ward ſie
dieſes Bandes los, um ein viel haͤrteres zu
tragen; denn ihre Mutter fuͤhrte ſie nicht
lange hernach einem zweyten Mann zu, und
[XVII]Vorrede.
zugleich in den allerkuͤmmerlichſten und arm-
ſeligſten Theil ihres Lebens. Was die un-
gluͤcklichſte Ehe und die bitterſte Duͤrftigkeit
ſchweres und niederſchlagendes haben, mußte
ſie bey dieſem zweyten Mann ertragen.
Aber eben in dieſen Umſtaͤnden zeigte die
Natur ihre Kraͤfte an dem Genie unſrer
Dichterin. Ihr kamen einige Verſe des
bekannten Prediger Schoͤnemanns zu
Geſichte. Man weiß in Berlin, daß dieſen
Mann, nach einem heftigen hitzigen Fieber,
von Zeit zu Zeit eine Art von Raſerey an-
getreten, in welcher er immer in Verſen
geſprochen und geprediget. Ungeachtet die
meiſten Verſe dieſes ſeltſamen Mannes mehr
das Kennzeichen einer uͤbel erhitzten Phan-
b
[XVIII]Vorrede.
taſie, als das Gepraͤge des himmliſchen Feu-
ers der Muſen trugen, ſo fand doch unſere
Dichterin in denen, die ſie zu ſehen bekom-
men, etwas, das ihr Genie auſſerordentlich
reitzte. Sie fuͤhlte eine groͤſſere Begierde,
als jemals, ihrem Trieb zu folgen, aber es
fehlte ihr an Zeit und Gelegenheit dazu.
Nach einigen Proben, die ſie gemacht
hatte, wurde ſie von verſchiedenen Bekannten,
die ſie zu Frauſtadt in Pohlen, dem damali-
gen Ort ihres Aufenthalts hatte, ermuntert,
fortzufahren. In einem ſehr kurzen Aufſatz
von ihren Lebensumſtaͤnden, gedenket ſie des
Rector Rickerts, und ſeines Collegen
Pruͤvers, des Burgermeiſter Greiffen-
hagen, des Doctor Neugebauers in
[XIX]Vorrede.
Frauſtadt, der Prediger an der Kirche zu
Liſſa in Großpohlen, des Reichsgrafen von
Roͤders, und des Hofprediger Doͤbels
in Großglogau, als der erſten Befoͤrderer
und Goͤnner ihrer poetiſchen Arbeiten; und
ſie verlangte aus Dankbarkeit gegen dieſe
Maͤnner, daß ihrer hier Meldung geſchaͤhe.
Aus eben dieſem Grunde muͤſſen wir erwaͤh-
nen, daß der Poſtmeiſter Koͤrber in
Großliſſa der erſte geweſen, der etwas von
der Feder unſrer Dichterin der Preſſe uͤber-
geben, und daß der berůhmte Profeſſor
Meyer in Halle, den ſie durch das Geruͤcht
kannte, und dem ſie aus Pohlen ein Lied zuge-
ſchickt hatte, das meiſte beygetragen hat, ſie
zur Fortſetzung ſolcher Arbeiten aufzumuntern.
Indeſſen waren dieſe Aeuſſerungen ihres
Genies nur noch kleine Funken, des halb
unterdruckten Feuers, welches die Muſen
in ihr angezuͤndet hatten. Die Siege
Friederichs gaben ihm eine Kraft,
die alle Hinderniſſe ſeines vollen Ausbruchs
verzehrte, und die es in vollen Flammen dar-
ſtellte. Sie war im Jahr 1755 mit ihrem
Mann und vier Kindern nach Groß-Glogau
gezogen. Daſelbſt bekam ſie den Zutritt zu
einem Buchladen, wo ſie verſchiedene poeti-
ſche und andere Schriften mit groͤßter
Begierde, wiewohl ohne Ordnung und be-
ſtimmte Abſicht durchlas. Wie gluͤcklich
ſie ſich eine ſehr ſchnelle Durchleſung der
Buͤcher zu Nutze mache, und wie leichte
[XXI]Vorrede.
ſie die beſten Zuͤge behalte, zeiget ſich
uͤberall in ihren Gedichten. Man wuͤrde
von ihr eine ziemlich ſtarke Beleſenheit
vermuthen, wenn man nicht wuͤßte, daß
ſie nur wenige Buͤcher und ſehr fluͤchtig
durchgeleſen.
Der im vorigen Jahr geendigte merk-
wuͤrdige Krieg, und die groſſen Thaten des
Helden, der die Augen der ganzen Welt
allein auf ſich gezogen hat, vollendeten die
Ausbildung des dichteriſchen Geiſtes dieſer
auſſerordentlichen Frauen. Sie hatte nach
der Schlacht bey Lowoſchuͤtz ihr erſtes
Sieges-Lied geſungen, und nicht lange
hernach kamen ihr die Kriegeslieder des
preußiſchen Grenadiers, einige Oden von
b 3
[XXII]Vorrede.
Ramler, nebſt den Geſaͤngen der Frau
Unzerin zu Geſichte, die einen maͤch-
tigen Reiz auf ſie hatten. Die Lieder, in
denen ſie hernach Friedrichs Siege be-
ſungen, ſind Zeugen eines ſchon zur Reife
gekommenen Dichter-Geiſtes.
Indeſſen lebte die Dichterin immer
unter dem Druck des groͤßten Elendes.
Aber es gefiel dem Schickſal, ſie endlich aus
den beklagenswuͤrdigen Umſtaͤnden, unter
denen gemeine Seelen zu verſinken pflegen,
heraus zu reiſſen. Der Baron von
Cottwitz, ein Schleſiſcher Edelmann, der
ſich ſeit vielen Jahren durch liebenswuͤr-
dige Eigenſchaften bekannt gemacht hatte,
kam im Jahr 1760, als er eben durch
[XXIII]Vorrede.
Glogau nach Berlin reiſen wollte, in ihre
Bekanntſchaft. Sein wohlthaͤtiges Gemuͤth
empfand Mitleiden uͤber ihr Elend, er riß
ſie heraus, und fuͤhrte ſie mit ſich nach Ber-
lin. So bald ſie in dieſer Hauptſtadt an-
gekommen, und die Bekanntſchaft mit ver-
ſchiedenen Kennern und Liebhabern der
Dichtkunſt gemacht hatte, zeigte ſich ihr
Genie in ſeiner vollen Staͤrke. Sie wurd
in der Stadt und am Hofe bewundert.
Die meiſten Lieder dieſer Sammlung ſind
Arbeiten, die ſie ſeit dieſem, fuͤr ſie ſo gluͤck-
lichen Zeitpuncte, gefungen hat. Sie legen
ihren Charakter und ihre letztere Begeben-
heiten ſo wohl an den Tag, daß wir fuͤr un-
noͤthig halten, uns laͤnger bey dem auf-
b 4
[XXIV]Vorrede.
zuhalten, was ihre Perſon betrift. Es
bleibet uns demnach nur noch uͤbrig, daß
wir den Goͤnnern unſrer Dichterin, etwas
von der Beſchaffenheit der gegenwaͤrtigen
Sammlung auserleſener Gedichte fagen.
Es iſt bekannt, in was fuͤr einer Ab-
ſicht, einige Freunde der Dichterin unter-
nommen haben, dieſe Sammlung heraus-
zugeben. Man hat Urſache, ſich zu freuen,
daß man dieſen Weg eingeſchlagen, eine
Perſon von ſolchen Talenten, wenigſtens
aus der aͤuſſerſten Duͤrftigkeit heraus zu
reiſſen. Es haben ſich, wie das nachſte-
hende Verzeichniß zeiget, eine Menge wohl-
thaͤtiger Perſonen gefunden, die ſich ein
Vergnuͤgen daraus gemacht haben, die vor-
[XXV]Vorrede.
geſchlagene Mittel zu unterſtuͤtzen. Die
gute Abſicht, die ſowol die Urheber, als die
Befoͤrderer dieſes Werks, gehabt haben,
wird uns uͤberheben, die geringe Anzahl der
Bogen dieſer Sammlung zu entſchuldigen.
Es weiß jedermann, daß man ſich nicht
anheiſchig gemacht hat, die Vorſchuͤſſe, durch
das Gewicht des Papiers, oder die Menge
der Blaͤtter zu bezahlen. Hingegen geſtehen
wir gerne, daß wir wegen des langen Ver-
zuges der Ausgabe Nachſicht noͤthig haben.
Verſchiedene unvermeidliche Umſtaͤnde ſind
an dieſer Verzoͤgerung Schuld.
Die Wahl der Stuͤcke, die in dieſe
Sammlung gekommen, hat zwar ein be-
kannter Dichter, deſſen richtiger Geſchmack
b 5
[XXVI]Vorrede.
aus ſeinen eigenen Werken hinlaͤnglich be-
kannt iſt, getroffen. Indeſſen fuͤrchtet er
ſich doch, daß man ihm vorwerfen koͤnnte,
es ſeyen Stuͤcke weggelaſſen worden,
die vollkommener ſind, als einige an-
dere, denen man hier Platz gegeben. Er
bittet alſo dieſes zu ſeiner Entſchuldigung
anzunehmen, daß er genoͤthiget geweſen,
einigen Gedichten einen Platz zu geben, den
vielmehr zufaͤllige Umſtaͤnde, als ihr inner-
licher Werth gefodert haben.