Der Vorſatz eine Geſchichte meines
Vaterlandes zu ſchreiben, iſt bey
mir ſehr ſpaͤt entſtanden; und ſeit-
dem ich mich daran gewagt habe,
oft unterbrochen worden. Der
ſeelige Profeſſor Lodman, mein
Freund von der erſten Kindheit an, hatte, wie ich
glaube, von der Natur einen Trieb dazu empfangen.
Denn ſchon im zehnten Jahre ſeines Alters fieng er
an damit zu ſpielen; und ich theilte ihm nachher das-
jenige gern mit, was ich zufaͤlliger Weiſe fand. Al-
lein der Tod hat ihn mir und ſeinem Vorſatze zu fruͤh
entriſſen. Seine Monumenta Oſnabrugenſia er-
ſchienen noch fuͤr ſeinem Ende; und ſeine Geſchichte,
ſo weit ſolche fertig geworden iſt, beruhet bey ſeinen
Erben. Meine Abſicht war anfangs mir ſolche aus-
zubitten und gemein zu machen; hiernaͤchſt aber die
* 2Ge-
[]Vorrede.
Geſchichte der letzten Jahrhunderte wovon ich in der
Folge beſſere Nachrichten erhielt, als ihm das Gluͤck
gegoͤnnet hatte, ſelbſt auszuarbeiten. Und in dieſer
Abſicht wandte ich zuerſt, nachdem ich bereits zwan-
zig Jahre mit Arbeiten von ganz andrer Art beladen
geweſen, einige erſparete Stunden darauf, um die
noͤthigen Auszuͤge zu machen. Bey der Arbeit aber
fuͤhlte ich bald, daß die neuern Zeiten durchaus das
Licht der alten noͤthig haͤtten. Jch ward daher zuerſt
genoͤthiget bis zu der Epoche des mit Herzog Hein-
rich dem Loͤwen geſprengten Großherzogthums Sach-
ſen zuruͤck zu gehen. Wie ich hier war, muſte ich die
Verfaſſung unter Carln dem Groſſen haben, und
endlich um ſolche recht anzulegen in die aͤlteſten Zeiten
hinauf gehen.
Hier waͤre mir die Arbeit meines Freundes beſon-
ders noͤthig geweſen; und ich wuͤnſche noch immer,
daß ſolche von ſeinem geſchickten Vettern, der ſich be-
reits durch gluͤckliche Proben zeigt, der Welt bekannt
werden moͤge. Denn ich habe vieles uͤbergangen,
was nicht zu meiner Abſicht gehoͤrte; und unſer beyder
Geſichtspunkt iſt ſehr von einander unterſchieden ge-
weſen; indem ich vorzuͤglich die Geſchichte unſrer Rech-
te, Sitten und Gewohnheiten zu entwickeln mich be-
muͤhet, und die Begebenheiten ziemlich nach dieſer
Abſicht geordnet habe; er aber mit aller ihm eignen
Genauigkeit die Vorfaͤlle, ohne ſolchen eine gewiſſe
Richtung zu dieſem oder jenem Ziele zu geben erzaͤhlet
und beſchrieben hat. Mein Freund wuͤrde Fehler ver-
mie-
[]Vorrede.
mieden haben; ich aber habe nothwendig ſehr oft ge-
fehlt, indem man ſich gegen das funfzigſte Jahr ſeines
Alters nicht ungeſtraft in ein Feld wagt, worin man
in ſeinen Lehrjahren voͤllig unbekannt geweſen; ich kann
ſelbſt einiges davon anfuͤhren.
Da meine Zeit zu kurz war: ſo gieng ich uͤberall
unmittelbar zu den Quellen; und meine wenige Be-
kanntſchaft mit ihnen machte, daß ich alles neu zu ent-
decken glaubte. Das Vergnuͤgen, welches ich dabey
empfand, verfuͤhrte mich zu unzaͤhligen Ausſchweifun-
gen; wovon ich mit ziemlicher Strenge eine unge-
heure Menge nachwaͤrts verworfen, doch aber nach
dem mir vorgeſteckten kleinen Ziel, noch viel zu viel
beybehalten habe.
Ein ander Fehler iſt, daß ich den Anfang zum
ſchreiben auf Reiſen waͤhrend dem letzten Kriege ge-
macht, und mir erſt jede Sache nach ihrer Moͤglich-
keit vorgeſtellet, und ſolche hernach zu Hauſe vielleicht
nicht mit genugſamer Unpartheylichkeit gegen die Be-
weiſe gepruͤfet habe. Daher kann einiges einen ſchein-
baren Hang nach der Hypotheſe behalten haben.
Denn dieſe pflegt ihren erſten Liebhaber doch noch im-
mer heimlich und unſichtbar zu verfolgen. Manches
aber iſt ſicher, wie ich jetzt ſehe, zu weit ausgeholet;
und ich haͤtte verſchiednes weit naͤher aus der Reichs-
Vogteylichen Verfaſſung haben koͤnnen, was ich aus
den aͤltern Zeiten zu weit geſucht habe. Jndeſſen
glaube ich doch eben dadurch, daß ich auf eine ſonder-
bare Art verfahren, und nicht ſofort den gewoͤhnlich-
* 3ſten
[]Vorrede.
ſten Weg eingeſchlagen bin, manches auf eine neue
Art gewandt und viele hiſtoriſche Wahrheiten moͤgli-
licher und wahrſcheinlicher erzaͤhlet zu haben, als an-
dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma-
chen, und dann mit ermuͤdetem Geiſte die Feder an-
ſetzen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeſſern.
Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die
Charakter der vorkommenden Perſonen niemals in ei-
nem beſondern Gemaͤhlde entworfen, und nur ſehr ſel-
ten einige Betrachtungen mit eingeſtreuet habe. Jch
bin aber gewiß, daß die erſtern ſehr viel von meiner
eignen Erfindung behalten haben wuͤrden, und halte
in Anſehung der letztern dafuͤr, daß in der Geſchichte,
ſo wie auf einem Gemaͤhlde blos die Thaten reden,
und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu-
ſchauer eigen bleiben muͤſſen. Jm Alter, und faſt in
jeder Periode des Lebens ſehen wir die Begebenheiten
von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue
Betrachtungen daruͤber, und vertragen diejenigen
nicht mehr, welche uns in juͤngern Jahren die praͤch-
tigſten ſchienen. Daher thut in der Geſchichte die
Handlung, wenn ſie moraliſch vorgeſtellet oder mit
ihren Urſachen und Folgen erzaͤhlet wird, und ſchnell
und ſtark fortgehet eben das was ſie auf der Schau-
buͤhne thut. Sie erweckt, naͤhrt und fuͤllet die Auf-
merkſamkeit der Zuſchauer mehr als alle dabey ange-
brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thraͤne von
demjenigen fordert, der uͤber die Handlung lachen
muß.
Jch habe mir auch wohl nicht wenig geſchadet, daß
ich
[]Vorrede.
ich dieſe meine Einleitung (welche eigentlich zu einer
hiſtoriſchen Logic dienen, und daher vielleicht nicht
Erzaͤhlungsweiſe geſchrieben ſeyn ſollte,) nicht erſt ganz
entworfen, ſondern ſolche immer ſo, wie ein Bogen
fertig wurde, in die Preſſe geſchickt habe. Da ich
unter ſehr vielen Zerſtreuungen ſchrieb, und niemals
glaubte, daß ich ſo viel als ein Alphabet auf einmal
zu Stande bringen wuͤrde: ſo ſuchte ich mir gewiſſer
maßen meine eigne Arbeit zu ſtehlen; und wenigſtens
alle Monat einen Bogen in die Druckerey zu liefern.
Je weiter ich kam je mehr lernte ich. Allein da die
Bogen immer abgedruckt waren: ſo konnte ich nicht
wieder einlenken; und muß mich jetzt begnuͤgen, wenn
die Geſchichte meiner Fehler andre fuͤrſichtiger macht.
Faſt hatte ich mich entſchloſſen den Abdruck ganz wie-
der zu unterdruͤcken; oder ihn doch erſt blos als ein
Manuſcript guten Freunden zur Verbeſſerung auszu-
theilen; es ſind auch wuͤrklich bereits uͤber zwey Jahr,
daß ſolcher geruhet hat. Endlich aber wage ich es
doch ihn mit dieſer Vorrede noch zu begleiten und ihn
als einen bloſſen Verſuch dem guͤtigen Leſer zu em-
pfehlen.
Was ich am mehrſten fuͤhlte, war dieſes, daß un-
fre Sprache eine Verraͤtherin der edlen Freyheit ge-
worden war, und den Ausdruck verlohren hatte,
welcher ſich zu meinen Begriffen paßte. Die aͤlteſten
Geſchichtsſchreiber von Deutſchland haben nicht in
unſer Sprache geſchrieben, und dem ſtarken deutſchen
Koͤrper ein ganz fremdes Colorit gegeben. Wie man
aber anfieng unſre Mutterſprache zu gebrauchen: ſo
hatte die Lehnsverfaſſung die gemeine Freyheit ſchon
* 4gefeſ-
[]Vorrede.
gefeſſelt, und die Sprache der vorherigen Verfaſſung
theils verdunkelt, theils zu einem andern Verſtande
umgebildet, und theils unverſtaͤndlich gemacht. Oft
hat daher meine Empfindung mit den Worten ge-
kaͤmpft, und ich bin nicht ſelten in der Verſuchung
geweſen auf die Geſchichte einzelner Worte, welche
immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern
Sinn erhalten haben, auszuſchweifen. Da ich aber
in manchen Anmerkungen ſchon bis ans rothe Meer
gekommen war: ſo konnte ich meiner eignen Critik
nicht weiter entwiſchen. Doch bin ich noch ſo weit
nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausſchweifung
ſchlieſſen zu koͤnnen.
Die Geſchichte von Deutſchland hat meines Ermeſ-
ſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir
die gemeinen Landeigenthuͤmer, als die wahren Be-
ſtandtheile der Nation durch alle ihre Veraͤnderungen
verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſ-
ſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder
gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſo
denn dieſer Geſchichte nicht allein die Einheit, den
Gang und die Macht der Epopee geben, worin die
Territorialhoheit, und der Deſpotiſmus, zuletzt die
Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤſung
vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang
und das unterſchiedliche Verhaͤltnis des Nationalcha-
rakters unter allen Veraͤnderungen mit weit mehrer
Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir
blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte be-
ſchreiben, ohne des kranken Koͤrpers zu gedenken.
Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten,
Tugen-
[]Vorrede.
Tugenden und Fehler der Regenten, falſche oder gute
Maaßregeln, Handel, Geld, Staͤdte, Dienſt,
Adel, Sprachen, Meynungen, Kriege und Verbin-
dungen auf jenen Koͤrper und auf deſſen Ehre und Ei-
genthum gehabt; die Wendungen, welche die Geſetz-
gebende Macht oder die Staatseinrichtung uͤberhaupt
bey dieſen Einfluͤſſen von Zeit zu Zeit genommen; die
Art, wie ſich Menſchen, Rechte und Begriffe allmaͤh-
lich gebildet; die wunderbaren Engen und Kruͤm-
mungen, wodurch der menſchliche Hang die Territo-
rialhoheit empor getrieben und die gluͤckliche Maͤßi-
gung, welche das Chriſtenthum, das deutſche Herz,
und eine der Freyheit guͤnſtige Sittenlehre gewuͤrket
hat, wuͤrde ſich wie ich glaube, ſolchergeſtalt in ein
vollkommenes fortgehendes Gemaͤhlde bringen laſſen
und dieſem eine ſolche Fuͤllung geben, daß der Hiſto-
rienmahler alle uͤberfluͤßige Groupen entbehren koͤnnte.
Dieſe Geſchichte wuͤrde vier Hauptperioden haben.
Jn der erſten und guͤldnen war noch mehrentheils jeder
deutſcher Ackerhof mit einem Eigenthuͤmer oder Weh-
ren beſetzt; kein Knecht oder Leut auf dem Heerbanns-
gute gefeſtet; alle Freyheit, als eine ſchimpfliche
Ausnahme von der gemeinſamen Vertheidigung ver-
haßt; nichts als hohe und gemeine Ehre in der Na-
tion bekannt; niemand, auſſer dem Leut oder Knech-
te einem Herrn zu folgen verbunden; und der gemeine
Vorſteher ein erwaͤhlter Richter, welcher blos die
Urtheile beſtaͤtigte, ſo ihm von ſeinen Rechtsgenoſſen
zugewieſen wurden. Dieſe guͤldne Zeit daurete noch
guten Theils, wiewohl mit einer auf den Hauptzweck
ſchaͤrfer anziehenden Einrichtung unter Carln dem
* 5Groſ-
[]Vorrede.
Groſſen. Carl war aber auch der einzige Kopf zu die-
ſen antiken Rumpfe.
Die zweyte Periode gieng allmaͤlig unter Ludewig
dem frommen und ſchwachen an. Jhm und den un-
ter ihm entſtandenen Partheyen war zu wenig mit
Bannaliſten, die blos ihren Heerd und ihr Vaterland
bey eigner Koſt und ohne Sold vertheidigen wollten,
gedienet. Er opferte aus Einfalt, Andacht,
Noth und falſcher Politik ſeine Gemeinen den Geiſt-
lichen, Bedienten und Reichsvoͤgten auf. Der Bi-
ſchof, welcher vorhin nur zwey Heermaͤnner ad latus
behalten durfte, und der Graf oder Oberſte, der ihrer
viere zum Schutze ſeines Amts und ſeiner Familie be-
urlauben konnte, verfuhren mit den Reichsgute nach
Gefallen, beſetzten die erledigten manſos mit Leuten
und Knechten, und noͤthigten die Wehren ſich auf
gleiche Bedingungen zu ergeben. Henrich der Vogler
ſuchte zwar bey der damaligen allgemeinen Noth das
Reichs-eigenthum wieder auf; und ſtellete den Heer-
bann mit einigen Veraͤnderungen wieder her. Allein
Otto der Groſſe ſchlug einen ganz andern Weg ein
und gab das gemeine Gut denjenigen Preis, die ihm
zu ſeinen answaͤrtigen Kriegen einige glaͤnzende und
wohlgeuͤbte Dienſtleute zufuͤhrten. Jhm war ein
Ritter, der mit ihm uͤber die Alpen zog lieber als tau-
ſend Wehren, die keine Auflagen bezahlten, und keine
andre Dienſtpflicht als die Landes-vertheidigung
kannten. Seine Groͤſſe, das damalige Anſehn des
Reichs und der Ton ſeiner Zeiten machten ihn ſicher
genug zu glauben daß das deutſche Reich ſeines Heer-
banns
[]Vorrede.
banns niemals weiter noͤthig haben wuͤrde. Und ſo
wurde derſelbe voͤllig verachtet, gedruckt und verdun-
kelt. Der Miſſus oder Heerbanns-commiſſarius
welcher unter Carln dem Groſſen allein die Urlaubs-
paͤſſe fuͤr die Heermaͤnner zu ertheilen hatte, verlohr
ſein Amt und Controlle, Commiſſariat und Commando
kam zum groͤſten Nachtheil der Land-eigenthuͤmer und
der erſten Reichs-matrikel in eine Hand.
Jn der dritten Periode, welche hierauf folgte iſt
faſt alle gemeine Ehre verſchwunden. Sehr wenige
ehrnhaften Gemeine haben noch einiges Reichs-gut in
dominio quiritario. Man verlieret ſo gar den Na-
men und den wahren Begrif des Eigenthums, und
der ganze Reichsboden verwandelt ſich uͤberall in Lehn-
Pacht-Zins- und Bauer-gut, ſo wie es dem Reichs-
oberhaupte, und ſeinen Dienſtleuten gefaͤllt. Alle
Ehre iſt im Dienſt; und der ſchwaͤbiſche Friederich
bemuͤhet ſich vergeblich der kayſerlichen Krone, wor-
in ehedem jeder gemeiner Land-eigenthuͤmer ein
Kleinod war, durch bloſſe Dienſtleute ihren alten
Glanz wieder zu geben. Die verbundene Staͤdte und
ihre Pfal-buͤrger geben zwar der Nation Hofnung zu
einem neuen gemeinen Eigenthum. Allein die Haͤnde
der Kayſer ſind zu ſchwach und ſchluͤpfrich, und an
ſtatt dieſe Bundes-genoſſen mit einer magna charta
zu begnadigen, und ſich aus allen Buͤrgen und Staͤd-
ten ein Unterhaus zu erſchaffen welches auf ſichere
Weiſe den Untergang der ehmaligen Land-eigenthuͤ-
mer wieder erſetzt haben wuͤrde, muͤſſen ſie gegen ſol-
che Verbindungen und alle Pfalbuͤrgerſchaft ein
Reichsgeſetze uͤbers andre machen. Rudolph von
Habs-
[]Vorrede.
Habsburg ſieht dieſen groſſen Staatsfehler wohl ein,
und iſt mehr als einmal darauf bedacht, ihn zu ver-
beſſern. Allein Carl der IV. arbeitet nach einem den
vorigen ganz entgegen geſetzten Plan, indem er die
mittlere Gewalt im Staat wieder beguͤnſtigt, und
Wenzels groſſe Abſichten, welche den Reichsfuͤrſten
nicht umſonſt verhaßt waren, werden nie mit gehoͤ-
riger Vorſicht oft durch gehaͤßige Mittel und insge-
mein nur halb ausgefuͤhrt. Alle ſind nur darauf be-
dacht die Dienſtleute durch Dienſtleute zu bezaͤhmen,
und waͤhrender Zeit in Daͤnnemark der Landeigen-
thum ſich wieder unter die Krone fuͤget; in Spanien
der neue Heerbann, oder die Hermandad der mittlern
Gewalt mit Huͤlfe der klugen Jſabelle das Gleichge-
wichte abgewinnt; und in der Schweiz drey Bauern
gemeine Ehre und Eigenthum wiederherſtellen, wurde
die Abſicht des Bundſchuhes und andrer nicht undeutlich
bezeichneter Bewegungen von den Kayſern kaum em-
pfunden. Sigiſmund thut etwas, beſonders fuͤr die
Frieſen; und Maximilian ſucht mit allen ſeinen guten
und groſſen Anſtalten wohl nichts weniger, als die
Gemeinen unter der mittlern Gewalt wieder hervor-
und naͤher an ſich zu ziehen. Allein ſo fein und neu
auch die Mittel ſind, deren er ſich bedient: ſo ſcheinet
doch bey der Ausfuͤhrung nicht allemal der Geiſt zu
wachen, der den Entwurf eingegeben hatte.
Mehr als einmal erforderte es in dieſer Periode die
allgemeine Noth, alles Lehn-Pacht-Zins- und Bau-
er-weſen von Reichswegen wieder aufzuheben, und
von jedem Manſo den Eigenthuͤmer zur Reichsverthei-
digung aufzumahnen. Denn nachdem die Lehne erb-
lich
[]Vorrede.
lich geworden, fielen ſolche immer mehr und mehr zu-
ſammen. Der Kriegsleute wurden alſo weniger.
Sie waren zum Theil erſchoͤpft; und wie die aus-
waͤrtigen Monarchien ſich auf die gemeine Huͤlfe er-
hoben, nicht im Stande ihr Vaterland dagegen al-
lein zu vertheidigen. Allein eine ſo groſſe Revolution
waͤre das Werk eines Bundſchuhes geweſen. Man
muſte alſo auf einem fehlerhaften Plan fortgehen,
und die Zahl der Dienſtleute mit unbelehnten, unbe-
guͤterten und zum Theil ſchlechten Leuten vermehren,
allerhand Schaaren von Knechten errichten, und den
Weg einſchlagen, worauf man nachgehends zu den
ſtehenden Heeren gekommen iſt. Eine Zeitlang reich-
ten die Cammerguͤter der Fuͤrſten, welche ihre Macht
auf dieſe Art vermehrten, zu den Unkoſten hin. Man
wuſte von keinen gemeinen Steuren; und in der That
waren auch keine ſteuerbare Unterthanen vorhanden,
weil der Bauer als Paͤchter ſich lediglich an ſeinen
Contrakt hielt, und ſein Herr frey war, wenn er als
Gutsherr fuͤrs Vaterland, und als Vaſall fuͤr ſeinen
Lehnsherrn den Degen zog. Die Cammerguͤter wur-
den aber bald erſchoͤpft, verpfaͤndet oder verkauft.
Und man muſte nunmehr ſeine Zuflucht zu den Lehn-
leuten und Gutsherrn nehmen, um ſich von ihnen eine
auſſerordentliche Beyhuͤlfe zu erbitten; und weil dieſe
wohl einſahen, daß es ihre Sicherheit erfordere, ſich
unter einander und mit einem Hauptherrn zu verbin-
den: ſo entſtanden endlich Landſtaͤnde und Landſchaf-
ten; wozu man die Staͤdte, welche damals das
Hauptweſen ausmachten, auf alle Weiſe gern zog.
Alle noch uͤbrige Geſetze aus der guͤldnen Zeit,
worin
[]Vorrede.
worin die Reichsmanſi mit Eigenthuͤmern beſetzt ge-
weſen waren verſchwanden in dieſer Periode gaͤnz-
lich; wozu die Staͤdte, dieſe anomaliſchen Koͤrper,
welche die Sachſen ſo lange nicht hatten dulden wol-
len, nicht wenig beytrugen, indem ſie die Be-
griffe von Ehre und Eigenthum, worauf ſich die ſaͤch-
ſiſche Geſetzgebung ehedem gegruͤndet hatte, verwirre-
ten und verdunkelten. Die Ehre verlohr ſo gleich ih-
ren aͤuſſerlichen Werth, ſo bald der Geldreichthum
das Landeigenthum uͤberwog; und wie die Handlung
der Staͤdte unſichtbare heimliche Reichthuͤmer ein-
fuͤhrte, konnte die Wehrung der Menſchen nicht mehr
nach Gelde geſchehen. Es muſten alſo Leib- und Le-
bensſtrafen eingefuͤhrt, und der obrigkeitlichen Will-
kuͤhr verſchiedene Faͤlle zu ahnden uͤberlaſſen werden,
worauf ſich die alten Rechte nicht mehr anwenden,
und bey einer unſichtbaren Verhaͤltnis keine neue fin-
den laſſen wollten. Die Freyheit litt dardurch unge-
mein, und der ganze Staat arbeitete einer neuen Ver-
faſſung entgegen, worin allmaͤhlig jeder Menſch eben
wie unter den ſpaͤtern roͤmiſchen Kayſern, zum Buͤr-
ger oder Rechtsgenoſſen aufgenommen, und ſeine Ver-
bindlichkeit und Pflicht auf der bloſſen Eigenſchaft
von Unterthanen gegruͤndet werden ſollte. Eine Ver-
faſſung wobey Deutſchland haͤtte gluͤcklich werden
koͤnnen, wenn es ſeine Groͤſſe immerfort auf die
Handlung gegruͤndet, dieſe zu ſeinem Hauptintereſſe
gemacht und dem perſoͤnlichen Fleiſſe und baaren Ver-
moͤgen in beſtimmten Verhaͤltniſſen gleiche Ehre mit
dem Landeigenthum gegeben haͤtte, indem als-
dann die damals verbundene und maͤchtige Staͤdte
das
[]Vorrede.
das Nationalintereſſe auf dem Reichstage mehren-
theils allein entſchieden, Schiffe, Volk und Steuren
bewilligt, und die Zerreiſſung in ſo viele kleine Terri-
torien, deren eins immer ſeinen privat Vortheil zum
Nachtheil des andern ſucht, wohl verhindert haben
wuͤrden.
Der vierten Periode haben wir die gluͤckliche Lan-
deshoheit oder vielmehr nur ihre Vollkommenheit zu
danken. Jhr erſter Grund lag in der Reichsvogtey,
welche ſich nach dem Maaſſe erhob und ausdehnte,
als die Carolingiſche Grafſchaft, wovon uns keine ein-
zige uͤbrig geblieben, ihre Einrichtung, Befungnis und
Unterſtuͤtzung verlohr. Aus einzelnen Reichsvogteyen
waren edle Herrlichkeiten erwachſen. Wo ein edler
Herr ihrer mehrere zuſammen gebracht und vereiniget
hatte, war es ihm leicht gelungen, dieſe Sammlung
zu einer neuen Grafſchaft erheben zu laſſen und ſich
damit die Obergerichte in ſeinen Vogteyen zu erwer-
ben. Fuͤrnemlich aber hatten Biſchoͤfe, Herzoge,
Pfalzgrafen und andre kayſerliche Repreſentanten in
den Provinzien die in ihren Sprengeln gelegne Vog-
teyen an ſich gebracht, und ſich daruͤber mit dem
Grafenbann, und auch wohl um alle fremde Gerichts-
barkeit abzuwenden, mit dem Freyherzogthum und
der Freygrafſchaft belehnen laſſen. Der Adel, die
Kloͤſter und die Staͤdte, welche nicht unter der Vog-
tey geſtanden, hatten ſich zum Theil gutwillig den kay-
ſerlichen Repreſentanten unterworfen, und der Kayſer
hatte zu einer Zeit da noch keine Generalpacht erlaubt
und bekannt war, ſich ein Vergnuͤgen daraus ge-
macht, die mit vielen Beſchwerden und mit wenigem
Vor-
[]Vorrede.
Vortheil begleitete Ausuͤbung der Regalien, wozu er
ſonſt eigne Localbeamte haͤtte beſtellen muͤſſen, den
hoͤchſten Obrigkeiten jedes Landes zu uͤberlaſſen, und
ſolchergeſtalt ſein eignes Gewiſſen zu beruhigen. Hie-
zu war die Reformation gekommen und hatte allen
Landesherrn oͤftere Gelegenheit gegeben diejenigen
Rechte, welche ſich aus obigen leicht folgern lieſſen,
in ihrer voͤlligen Staͤrke auszuuͤben, insbeſondre aber
die Schranken welche ihnen ihrer Laͤnder eigne von der
kayſerlichen Gnade unabhaͤngige Verfaſſung entgegen
geſetzt hatte ziemlich zu erweitern, indem ſie die Voll-
macht dazu theils von der Noth entlehnten, theils von
dem Haſſe der ſtreitenden Religionspartheyen gutwil-
lig erhielten. Und ſo war es endlich kein Wunder,
wann beym weſtphaͤliſchen Frieden, nachdem alles
lange genug in Verwirrung geweſen, diejenigen
Reichsſtaͤnde, welche nach und nach die Vogtey, den
Grafenbann, das Freyherzogthum und die ganze
Vollmacht des miſſi in ihren Landen erlangt hatten,
die Beſtaͤtigung einer vollkommenen Landeshoheit;
andre hingegen, welche nur die Vogtey gehabt, je-
doch ſich der hoͤhern Reichsbeamte erwehret hatten,
die Unmittelbarkeit und in Religionsſachen eine noth-
wendige Unabhaͤngigkeit erhielten.
Wenn man auf die Anlage der deutſchen Verfaſ-
ſung zuruͤck gehet: ſo zeigen ſich vier Hauptwendun-
gen, welche ſie haͤtte nehmen koͤnnen. Entweder waͤre
die erſte Controlle der Reichsbeamte per miſſos ge-
blieben. Oder aber jede Provinz haͤtte einen auf Le-
benszeit ſtehenden Statthalter zum Controlleur und
Ober-
[]Vorrede.
Oberaufſeher aller Reichsbeamten erhalten. Oder
ein neues Reichsunterhaus haͤtte den Kronbedienten
die Wage halten muͤſſen; wenn man den vierten Fall
nemlich die Territorialhoheit nicht haͤtte zulaſſen wol-
len. Die erſte Wendung wuͤrde uns reiſende und
pluͤndernde Baſſen zugezogen haben, oder alle Kayſer
haͤtten das Genie von Carln dem Groſſem zu einem
beſtaͤndigen Erbtheil haben muͤſſen. Jn der andern
wuͤrden wir mit der Zeit wie die Franzoſen das Opfer
einer ungeheuren Menge von Reichs-Generalpaͤchtern
geworden ſeyn. Schwerlich wuͤrden auch unſre Schul-
tern die dritte ertragen haben, oder die verbundnen
Handelsſtaͤdte in Ober- und Niederdeutſchland haͤtten
uns zugleich die Handlung durch die ganze Welt, ſo
wie ſie ſolche hatten, behaupten und das ganze Reichs-
Krieges- und Steuer-weſen unter ihrer Bewilligung
haben muͤſſen. Und ſo iſt die letztere, worin jeder Lan-
desfuͤrſt, die ihm anvertraueten Reichsgemeinen als
die ſeinigen betrachtet, ſein Gluͤck in dem ihrigen fin-
det und wenigſtens ſeinem Hauſe zu gefallen nicht al-
les auf einmal verzehrt, allenfals aber an dem aller-
hoͤchſten Reichsoberhaupte noch einigen Wiederſtand
hat, gewiß die beſte geweſen, nachdem einmal groſſe
Reiche entſtehen, und die Landeigenthuͤmer in jedem
kleinen Striche, Staͤdte und Feſtungen unter ſich
dulden, geldreiche Leute an der Geſetzgebung Theil
nehmen laſſen und nicht mehr befugt bleiben ſollten ſich
ſelbſt einen Richter zu ſetzen und Recht zu geben.
Dabey war es ein Gluͤck ſo wohl fuͤr die catholi-
ſchen als evangeliſchen Reichsfuͤrſten, daß der Kayſer
**ſich
[]Vorrede.
ſich der Reformation nicht ſo bedienet hatte, wie es
wohl waͤre moͤglich geweſen. Luthers Lehre war der
gemeinen Freyheit guͤnſtig. Eine unvorſichtige Anwen-
dung derſelben haͤtte hundert Thomas Muͤnzers erwek-
ken, und dem Kayſer die vollkommenſte Monarchie
zuwenden koͤnnen, wenn er die erſte Bewegung recht
genutzt, alles Pacht-Lehn- und Zins-weſen im Reiche
geſprengt, die Bauern zu Landeigenthuͤmern gemacht,
und ſich ihres wohlgemeinten Wahns gegen ihre Lan-
des-Gerichts- und Guts-herrn bedienet haͤtte. Allein er
dachte zu gros dazu; und eine ſolche Unternehmung
wuͤrde nachdem der Ausſchlag geweſen waͤre, die groͤßte
oder treuloſeſte geweſen ſeyn.
Jndeſſen verlohr ſich in dieſer Periode der alte Be-
grif des Eigenthums voͤllig; man fuͤhlte es kaum mehr,
daß einer Rechtsgenos ſeyn muͤſſe, um ein echtes Eigen-
thum zu haben. Eben ſo gieng es ſo wohl der hohen
als gemeinen Ehre. Erſtere verwandelte ſich faſt durch-
gehends in Freyheit; und von der letztern: honore qui-
ritario: haben wir kaum noch Vermuthungen, ohner-
achtet ſie der Geiſt der deutſchen Verfaſſung geweſen,
und ewig bleiben ſollen. Religion und Wiſſenſchaf-
ten hoben immer mehr den Menſchen uͤber den Buͤr-
ger, die Rechte der Menſchheit ſiegten uͤber alle be-
dungene und verglichene Rechte. Eine bequeme Phi-
loſophie unterſtuͤtzte die Folgerungen aus allgemeinen
Grundſaͤtzen beſſer als diejenigen, welche nicht ohne
Gelehrſamkeit und Einſicht gemacht werden konnten.
Und die Menſchenliebe ward mit Huͤlfe der chriſtlichen
Religion eine Tugend, gleich der Buͤrgerliebe, der-
ge-
[]Vorrede.
geſtalt, daß es wenig fehlte oder die Reichsgeſetze
ſelbſt haͤtten die ehrloſeſten Leute aus chriſtlicher Liebe
ehrenhaft und zunftfaͤhig erklaͤrt.
Die Schickſale des Reichsgutes waren noch ſonder-
barer. Erſt hatte jeder Manſus ſeinen Eigenthuͤmer
zu Felde geſchickt; hernach einen Bauer aufgenom-
men, der den Dienſtmann ernaͤhrte; und zuletzt auch
ſeinen Bauer unter die Vogelſtange geſtellet. Jetzt
aber muſte es zu dieſen Laſten auch noch einen Soͤld-
ner ſtellen, und zu deſſen Unterhaltung eine Landſteuer
uͤbernehmen, indem die Territorialhoheit zu ihrer Er-
haltung ſtaͤrkere Nerven, und das Reich zu ſeiner
Vertheidigung groͤſſere Anſtalten erforderte, nachdem
Frankreich ſich nicht wie Deutſchland in einer Menge
von Territorien aufgeloͤſet, ſondern unter unruhigen
Herrn vereiniget hatte. Von nun an ward es zu ei-
ner allgemeinen Politik das Reichseigenthum ſo viel
moͤglich wieder aufzuſuchen, und zur gemeinen Huͤlfe
zu bringen. Der Kayſer unterſtuͤtzte in dieſem Plan
die Fuͤrſten. Dieſe unterſuchten die Rechte der Dienſt-
leute, der Geiſtlichen und der Staͤdte in Anſehung
des Reichseigenthums; und bemuͤheten ſich ſo viel
moͤglich ſolches auf eine oder andre Art wieder zum
Reichs-Land-kataſter zu bringen. Der Rechtsgelehr-
ſamkeit fehlte es an genugſamer Kenntnis der alten
Verfaſſung, und vielleicht auch an Kuͤhnheit, die
Grundſaͤtze wieder einzufuͤhren, nach welcher wie in
England von dem ganzen Reichsboden eine gemeine
Huͤlfe gefordert werden mogte. Das Steuerweſen
gieng alſo durch unendliche Kruͤmmungen und quere
** 2Pro-
[]Vorrede.
Proceſſe in ſeinem Laufe fort. Geiſtliche, Edelleute
und Staͤdte verlohren vieles von demjenigen was ſie
in der mittlern Zeit und bey andern Vertheidigungs-
anſtalten wohl erworben und verdienet hatten. Der
Landesherr ward durch die Nutzung des gemeinen
Reichseigenthums maͤchtiger. Ehrgeiz, Eyferſucht
und Fantaſie verfuͤhrten ihn zu ſtehenden Herren; und
die Noth erforderte ſie anfaͤnglich. Der Kayſer ſahe
ſie aus dem groſſen Geſichtspunkte der allgemeinen
Reichsvertheidigung gern, erſt ohne ſie nach einem
ſichern Verhaͤltnis beſtimmen zu wollen, und bald
ohne es zu koͤnnen.
Jedoch ein aufmerkſamer Kenner der deutſchen Ge-
ſchichte wird dieſes alles fruchtbarer einſehen, und
leicht erkennen, daß wir nur alsdenn erſt eine brauch-
bare und pragmatiſche Geſchichte unſers Vaterlandes
erhalten werden, wenn es einem Manne von gehoͤriger
Einſicht gelingen wird, ſich auf eine ſolche Hoͤhe zu
ſetzen, wovon er alle dieſe Veraͤnderungen, welche
den Reichsboden und ſeine Eigenthuͤmer betroffen,
mit ihren Urſachen und Folgen in den einzelnen Thei-
len des deutſchen Reiches uͤberſehen, ſolche zu einem
einzigen Hauptwerke vereinigen, und dieſes in ſeiner
ganzen Groͤſſe ungemahlt und ungeſchnitzt, aber ſtark
und rein aufſtellen kann. Wie vieles wird aber auch
ein Gatterer noch mit Recht fordern, ehe ein Ge-
ſchichtſchreiber jene Hoͤhe beſteigen und ſein ganzes
Feld im vollkommenſten Lichte uͤberſehen kann.
Jndeſſen bleibt ein ſolches Werk dem deutſchen Ge-
nie und Fleiſſe noch immer angemeſſen, und belohnt
ihm die Muͤhe. Der maͤchtige und reiſſende Hang
groſſer Voͤlkervereinigungen zur Monarchie und die
unſaͤgliche Arbeit der Ehre oder nach unſer Art zu re-
den der Freyheit, womit ſie jenem Hange begegnen,
oder ihrer jetzt fallenden Saͤule einen bequemen Fall
hat verſchaffen wollen, iſt das praͤchtigſte Schauſpiel
was dem Menſchen zur Bewunderung und zur Lehre
gegeben werden kann; die Berechnung der auf beyden
Seiten wuͤrkenden Kraͤfte und ihre Reſultate ſind fuͤr
den Philoſophen die erheblichſten Wahrheiten: Und
ſo viele groſſe Bewegungsgruͤnde muͤſſen uns aufmun-
tern unſre Nation dieſe Ehre zu erwerben. Sie muͤſ-
ſen einem jeden reizen ſeine Provinz zu erleuchten, um
ſie dem groſſen Geſchichtſchreiber in dem wahren Lichte
zu zeigen. Das Coſtume der Zeiten, der Stil jeder
Verfaſſung, jedes Geſetzes und ich moͤgte ſagen jedes
antiken Worts muß den Kunſtliebenden vergnuͤgen.
Die Geſchichte der Religion, der Rechtsgelehrſam-
keit, der Philoſophie der Kuͤnſte und ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften iſt auf ſichere Weiſe von der Staatsgeſchichte
unzertrennlich und wuͤrde ſich mit obigen Plan vorzuͤg-
lich gut verbinden laſſen. Von Meiſterhaͤnden ver-
ſteht ſich. Der Stil aller Kuͤnſte ja ſelbſt der De-
peſchen und Liebesbriefe eines Herzogs von Richelieu
ſteht gegeneinander in einigem Verhaͤltnis. Jeder
Krieg hat ſeinen eigenen Ton und die Staatshand-
** 3lun-
[]Vorrede.
lungen haben ihr Colorit, ihr Coſtume und ihre Ma-
nier in Verbindung mit der Religion und den Wiſ-
ſenſchaften. Rußland giebt uns davon taͤglich Bey-
ſpiele; und das franzoͤſiſche eilfertige Genie zeigt ſich
in Staatshandlungen wie im Roman. Man kann
es ſo gar unter der Erde an der Linie kennen, wo-
mit es einen reichen Erzgang verfolgt und ſich zu-
wuͤhlt. Der Geſchichtsſchreiber wird dieſes fuͤhlen,
und allemal ſo viel von der Geſchichte der Kuͤnſte
und Wiſſenſchaften mitnehmen, als er ge-
braucht, von den Veraͤnderungen der Staatsmo-
den Rechenſchaft zu geben.
Zur Geſchichte des weſtphaͤliſchen Friedens ge-
hoͤrt eine groſſe Kenntnis der Grundſaͤtze, welche
ſeine Verfaſſer hegten. Man wird von einer ſpaͤ-
tern Wendung in den oͤffentlichen Handlungen keine
Rechenſchaft geben koͤnnen, ohne einen Thomaſius
zu nennen; und ohne zu wiſſen, wie unvorſichtig
er ſeine Zeiten zum raiſonniren gefuͤhret habe. Der
Stil des letztern Krieges iſt daran kenntbar, daß
alle Partheyen ſich wenig auf den Grotius beru-
fen, ſondern ſich immer an eine bequeme Philoſo-
phie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt
herrſchte, gehalten haben. Die neue Wendung
welche ein Strube der deutſchen Denkungsart da-
durch giebt, daß er wie Grotius Geſchichtskunde,
Gelehrſamkeit und Philoſophie maͤchtig verknuͤpft,
iſt
[]Vorrede.
iſt auch an verſchiedenen Staatshandlungen merk-
lich. Das oͤffentliche Vertrauen der Hoͤfe beruhet
auf ſolchen Grundſaͤtzen und ſolchen Maͤnnern.
Und ihr Name mag wohl mit den Namen der
groͤſten Feldherrn genannt werden. Brechen end-
lich Religionsmeinungen in buͤrgerliche Kriege aus:
ſo wird ihre Geſchichte dem Staate vollends erheb-
lich. Die Eigenliebe opfert Ehre und Eigenthum
fuͤr ihre Rechthabung auf. Der Sieger gewinnt
allezeit zu viel; er feſſelt wie in Frankreich zuletzt
Catholiken und Reformirte an ſeinen Wagen ......
Aber wehe dem Geſchichtsſchreiber, dem ſich der-
gleichen Einmiſchungen nicht in die Haͤnde draͤngen;
und bey dem ſie nicht das Reſultat wohlgenaͤhrter
Kraͤfte ſind.
Doch es iſt Zeit, daß ich von meiner Aus-
ſchweifung zuruͤckkehre. Jch habe meinem Leſer
nur noch zu ſagen, wie ich, wenn mir GOtt Le-
ben und Geſundheit verleihet, den erſten Theil
meiner Geſchichte, welcher bis dahin gehet, daß
unſre Biſchoͤfe die Beſtaͤtigung ſaͤmtlicher nach und
nach an ſich gebrachten Reichsvogteyen, und die
Grafenbaͤnne daruͤber vom Kayſer erhalten haben,
bald zu liefern gedenke. Man wird alsdann ſchon
den Block, woraus die Landeshoheit gebildet wird,
aus dem rauhen gearbeitet, und die Zuͤge erſchei-
nen ſehen, welche ihre kuͤnftige Geſtalt verrathen.
Jch hoffe uͤbrigens meine Goͤnner und Freunde, de-
nen
[]Vorrede.
nen ich die Geſchichte unſers Vaterlandes hiemit
zu uͤbergeben anfange, werden ſolche mit einigen
Vergnuͤgen leſen. Eine Familie nimmt insgemein
Antheil an den Zufaͤllen der ihrigen, und die Ge-
ſchichte unſers kleinen Staats iſt die Erzaͤhlung
der Begebenheiten unſerer naͤchſten Angehoͤrigen.
Der Zirkel, fuͤr welchen ſolche einige Wichtigkeit
haben, wird zwar ſehr klein ſeyn. Allein ich ent-
ſage mit Freuden der Begierde in einer groſſen
Geſellſchafft zu glaͤnzen, wenn ich ihnen ein haͤusli-
ches Vergnuͤgen als das edelſte und noͤthigſte unter
allen verſchaffen kann. Die Erkenntlichkeit ſo ich
meinem Vaterlande ſchuldig bin, macht mir dieſe
Selbſtverleugnung nicht ſchwer; und wenn der-
maleinſt ein deutſcher Livius aus dergleichen Fami-
liennachrichten eine vollſtaͤndige Reichsgeſchichte
ziehen wird: ſo werde ich nicht fuͤr den kleinſten
Plan gearbeitet haben.
Das Stift Oſnabruͤck hat gleich andern Spren-
geln den Namen von dem Orte ſeiner Biſchoͤf-
lichen Kirche bekommen. Vorhin und ehe dieſe
Stiftung geſchehen, iſt alſo wol ein Ort, aber kein
Staat oder Land gleiches Namens vorhanden ge-
weſen. Allein auch dieſer Ort kann kein groſſes Al-
terthum haben, indem die Einwohner Deutſchlandes
lange keine Staͤdte und Doͤrfer duldeten. (a) Eine
gleiche Vorſtellung kann man ſich von allen benach-
barten Stiftern und Grafſchaften machen. Sie ſind
nach einem Staͤdtgen, Schloſſe oder Dorfe benannt.
Und wenn man uͤber ihren bekannten Urſprung hin-
ausgeht: ſo verlieren ſich ihre heutigen Namen und
Graͤnzen, und alles vermiſcht ſich in einer dunklen
Ferne, ſo bald man in die Zeiten ſteigt, worinn die
Deutſchen noch keine Kriege mit den Roͤmern fuͤhr-
ten. Es laſſen ſich alſo von der Herkunft unſrer
AVor-
[2]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Vorfahren, und von ihren erſten Einrichtungen und
Kriegen nur allgemeine Vermuthungen wagen. Viel-
leicht haben ſie eben ſo gut als andre Voͤlker ihre
Helden und Dichter gehabt, und ſind beydes Thaten
und Lieder vergeſſen.
Etwas merkwuͤrdiges aber iſt es wol, daß die wah-
ren Landes-Einwohner insgeſamt noch einzeln auf ab-
geſonderten und insgemein rings umher aufgeworfenen
Hoͤfen wohnen, welche kein allgemeines Maaß (a)
oder Verhaͤltniß zu einander haben: Ein Erb-Kotte
deren bald drey bald vier auf ein Voll-Erbe gerech-
net werden, iſt oft groͤſſer als dieſes; und zwiſchen
Erbe(b) und Erbe, beſonders auf der Heide, iſt
der groͤſte Unterſcheid. Jeder ſcheinet ſich im Anfange
ſo viel genommen zu haben, als er hat noͤthig gehabt
und gewinnen koͤnnen, da wo ihm ein Bach, Gehoͤlz
oder Feld gefallen. (c) Und ſo iſt gemeiniglich die
erſte Anlage der Natur.
Unſre Gegenden ſind daher auch wol ſchwerlich
durch einen allgemeinen Voͤlker-Zug angebauet wor-
den. Denn unter ſolchem giebt es gemeiniglich kleine
Verbindungen und Freundſchaften, welche ſich gern
zuſammen halten, und nicht ſo ungleich theilen. Die
Doͤrfer,(a) welche auf ſolche Art angebauet zu ſeyn
ſcheinen, ſind wol zuerſt mit und bey den Kirchen und
A 2hoͤch-
[4]Oſnabruͤckſche Geſchichte
hoͤchſtens bey den Bruͤcken und Muͤhlen entſtanden.
Denn faſt keines hat eine gerechte Feldmark, und viele
muͤſſen ihre Aecker von den benachbarten Hoͤfen pach-
ten, auch wol einen Grundzins dahin entrichten; zum
Zeichen daß ſie auf einem fremden Grunde, und zwar
zu einer Zeit angeleget worden, wo ſie ſich ſchon nicht
mehr nach Nothdurft ausdehnen konnten. Jn keinem
Lehnbriefe findet ſich ein Zehnte mit dem Ausdruck:
in oder vor dem Dorfe. Die Dorf-Geſeſſene be-
ſitzen auch ordentlich keine Hoͤfe, thun daher keine
Krieges-oder Landes-Fuhren, und ſind nicht Leib-
eigen, ſondern Wirthe, Kraͤmer, Handwerker und
dergleichen neu angezogene Leute.
Eben das laͤßt ſich von den Landſtaͤdten ſagen.
Jhre Lage auf den Stifts-Graͤnzen zeiget ihre Be-
ſtimmung, wie ihren neuern Urſprung. Die Ge-
ſchichte kennet ihren Anfang und Wachsthum noch.
Und uͤberhaupt werden ſich in allen Staͤdten, wenig-
ſtens in Niederdeutſchland, Spuren nnd Nachrichten
von allgemeinen Grund-Zinſen und Word-Geldern
finden, welche deutlich beurkunden, daß uͤberall der
Boden, worauf Buͤrger und verſammlete Leute woh-
nen, ſchon vor ihnen einen Herrn gehabt habe, folg-
lich nicht urſpruͤnglich durch eine erobernde (a) Colo-
nie
[5]erſter Abſchnitt.
nie gewonnen ſey; doch ſcheinen unſre Staͤdte und
Doͤrfer mehr im Schutz als auf Herrlichkeit ent-
ſtanden zu ſeyn. (b)
Menſchen welche ſich ſolchergeſtalt einzeln, mit aller
Bequemlichkeit und Sicherheit anbaueten, darf man
auch wol die natuͤrliche Vermuthung der Freyheit zu
ſtatten kommen laſſen. Wenigſtens zeigt ſich hier in kei-
nem einzigen Dorfe ein urſpruͤnglicher Edelhof, mit eini-
ger Gerichtsbarkeit uͤber daſſelbe. Die Edelhoͤfe lie-
gen vielmehr gleich den Erben einzeln und abgeſondert,
zum Theil ohne geſchloſſene Hofmarken, oder, wie
man ſolche hier nennet, Frechten, (a)Wellen, (b)
Boͤrden(c) und Aroden,(d) ohne Muͤhlen-Brau-
und Back-Zwang. (e) Jhre Leibeigne ſind bis auf
einige ſehr wenige, insgeſamt Goͤdings-pflichtig, und
keiner jetzt ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen. Und
ob man wol deutliche Spuren findet, es auch als
A 3noth-
[6]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nothwendig annehmen muß, daß dem Adel alle Ge-
richtsbarkeit in wahren Boͤrden und Wellen und uͤber
diejenige von ihren Leibeignen, ſo nicht in der Gogra-
fen (f) Folge ſtehen, ehedem zugeſtanden habe: ſo laͤßt
ſich daher doch keine weitere Folge auf andre ziehen.
Von alten Befaͤngen, Begriffen, Baͤnnen,
Cantons, Baronien, Herrſchaften und andern der-
gleichen Herrlichen(a) Bezirken findet ſich auch kei-
ne genugſame Nachricht. Schloͤſſer, und was da-
bey vertheidigt wird, reichen wol nur in die mittlern
Zeiten und Freye Hagen(b) nicht hoͤher. Die Luft
macht (c) nirgends eigen, wie ſie wol in ſtrengen Be-
faͤngen thut; und die Dienſte Goͤdings-pflichtiger
Leibeigenen ſind faſt durchgehends gemeſſen. Die
Worte Cent, (d)Centbarkeit, Frais, Fraisliche
und Malefixiſche Obrigkeit, hoͤrt man in unſer gan-
zen Gegend nicht. Es giebt wenige Gehaͤge, und
die Jagd (e) ſcheinet vor Carln dem Groſſen mit dem
echten (f) Land-Eigenthume verknuͤpft geweſen zu
ſeyn. Meyer-Hoͤfe(g) findet man viele und faſt in
jeder Bauerſchaft einen, bald mit bald ohne Zeichen
beſondrer Vorzuͤge; bisweilen auch noch mit einiger
Jagd berechtiget.
Die jetzige Abtheilung in Kirchſpiele iſt nicht
aͤlter als die Kirchen; und die Gow-Gerichte wor-
in das Stift vertheilet iſt, ſind hoͤchſtens von der
Zeit Carls des Groſſen. Die Aemter(a) mit ihren
Unter-abtheilungen den Vogteyen(b) werden wir
noch ſpaͤter aus den Reichs-Vogteyen entſtehen,
und durch die Regalien anwachſen ſehen. Die
Bauerſchaften, ſind wol nur Unter-abtheilungen der
Gow-Gerichte, doch wiederum ohne ſcheinbare
Verhaͤltniß zu einander. Die Erbe allein, und ihre
Namen welche ſich mit ihren Beſitzern nicht veraͤn-
A 5dern,
[10]Oſnabruͤckſche Geſchichte
dern, (c) koͤnnen ein wahres Alterthum haben. Und
ſolchergeſtalt fuͤhren alle Spuren dahin zuruͤck, daß
die erſten Bewohner dieſer Gegend keine Herrlichkeit
uͤber ſich erkannt, ſondern bey ihrer Ankunft ſich
einzeln, erbar, (d) und unverbunden niedergelaſſen
haben moͤgen.
Eine ganz andre Einrichtung findet man in den Ge-
genden jenſeits der Weſer, (a) und vielleicht jenſeits
der Linie welche vorher die Herzogthuͤmer Oſtphalen
und Engern von Weſtphalen geſchieden hat. Dort
beſtehen die Doͤrfer aus Bauerhoͤfen und Anſpaͤn-
nern, welche zuſammen geruͤckt ſind und ihre gemein-
ſchaftliche Feld-Flur haben. Was ein jeder beſitzt
ſcheinet Maaß und Verhaͤltnis zu einander; und die
Hand einer ordnenden Macht oder Kunſt zu ver-
rathen. Die Gerichtsbarkeit, welche hier der Gow-
grafe hat, iſt dort bey den Aemtern; oder es hat ſie der
Edelmann. Der Gowgrafe, wo er ſich noch findet,
iſt ein verdunkelter und ſchlechter Bedienter. Ganze
Doͤr-
[12]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Doͤrfer; Zehnten vor Doͤrfern; Jagden und Ge-
richtsbarkeiten gehen dort zu Lehen, und der Edelhof
liegt vielfaͤltig im Dorfe, oder nahe daran. Statt
der Leibeignen zeigen ſich Erb-Zins-Leute; (b) und
man findet Muͤhlen-Brau- und Back-Zwang. Die
Bauerhoͤfe werden nach ihren Beſitzern genannt; und
ihre Pflichten ſind einfoͤrmiger und von andrer Art.
Man ſpricht von Ober- und Untergerichten; ge-
ſchloſſenen und ungeſchloſſenen Gerichten, Dinaſtien
welche gemeinen Edelhoͤfen entgegen geſetzt werden;
vom Jagd-Regal und ſehr vielen andren Rechten und
Gewohnheiten wovon man in Weſtphalen und in
unſerm Stifte keine Spur findet.
Ein ſo merklicher Unterſcheid ſetzt groſſe und wichti-
ge Veraͤnderungen voraus. Vielleicht hat die lang-
wierige Gefahr vor den Normaͤnnern, Sklaven,
Wenden, Hunnen und andern Voͤlkern in jenen Ge-
genden eine ſtrengere Krieges-Verfaſſung und einen
beſtaͤndigen Feldherrn erfordert, welcher die einzel-
nen Wohner in Rotte zuſammen ruͤcken laſſen, um
ſie mit mehrer Bequemlichkeit zu uͤben; und allezeit
marſchfertig zu haben. Und vielleicht hat ein ſolcher,
durch die allgemeine Noth berechtiget, Hauptleute
uͤber ſie geſetzet, welche die Kriegesrolle oder den
Heerbann vollzaͤhlig gehalten, und den Leibeigenthum
verhindert haben. Denn jeder Goͤdingspflichtiger Leib-
eigener iſt ein Ausreiſſer. (a) Wenigſtens zeugen die
vielen verliehenen Gerichtsbarkeiten, Jagden und
Doͤrfer von einer alten Beſtallung. Und Niederge-
richte, welche faſt nur auf die nothwendige Zucht der
Krieges-Leute gehen, ſcheinen den alten Hauptmann
im Heerbann zu verrathen. Die Menge dieſer
Hauptleute, welche alles ihrige nur aus einer Be-
ſtallung hatten, mogte dem Adel auf Allode leicht
Gelegenheit geben ſich hoͤher zu halten; indem wol
anfaͤnglich ein Hauptmann nur nach ſeinem perſoͤnli-
chen Verdienſte angeſetzet wurde. Der Muͤhlen-
Brau- und Back-Zwang (b) kann zu dem Gehalt
des Hauptmanns gehoͤret; und eine beſſere Krieges-
Einrichtung die alte Gografſchaft geſprenget |haben.
Jch entſcheide dieſes alles nicht; ſondern bemerke nur,
daß
[14]Oſnabruͤckſche Geſchichte
daß ſich von allen dieſen Merkmalen, welche zu ſol-
chen Vermuthungen zuruͤck fuͤhren, nichts in unſerm
Stifte und nichts dieſſeits der angenommenen Linie
findet. Der Streit uͤber die Regalitaͤt der Jagden in
Weſtphalen iſt daher auch lange unerhoͤrt geweſen,
und eine Folge der Umſtaͤnde, die ſich in jenen Gegen-
den darbieten.
Noch weiter entfernt ſich die alte Sueviſche Ver-
faſſung von der unſrigen. Caͤſar ſagt. (a) „Unter
„den Germaniern beſitzt keiner gewiſſe Aecker oder
„Bezirke zum Eigenthum, ſondern ihre Obern und
„Vorſteher weiſen nach ihrem Gutachten den Voͤl-
„kern und Familien, welche ſich zuſammen gethan
„haben, das noͤthige Land an, welches ſie beſaͤen und
„das folgende Jahr wieder verlaſſen muͤſſen. Sie
„meinen, ohne dieſe Vorſorge, wuͤrden die Leute ſich
„zu ſehr an ihr Eigenthum gewoͤhnen und daruͤber die
Luſt
[15]erſter Abſchnitt.
„Luſt und den Geiſt des Krieges verlieren; oder eine
„Begierde nach groͤſſern Beſitzungen bekommen und
„die Schwaͤchern verſchlingen; ſich auch nach und
„nach bequemlicher anbauen und verzaͤrteln, oder
„wol gar Reichthuͤmer erwerben und ſich nach einer
„natuͤrlichen Folge beneiden und zanken. Es diene
„auch endlich nicht wenig dazu, das gemeine Volk
„bey gutem Willen zu erhalten, wenn es ſehe, daß
„der Vornehme es nicht beſſer habe, als der Gemei-
„ne und Beyde ſich mit gleicher Nothdurft befriedi-
„gen.„
Allein dieſe ganze Beſchreibung ſchließt auf unſre
Gegenden nicht. Hier haben ſich keine Familien zu-
ſammen gethan. Heide, Sand, Mohr und Gebuͤrge,
woraus unſer Stift groͤſtentheils beſteht, erfordern
eine vieljaͤhrige Zubereitung, anhaltenden Bau und
keine ſolche Veraͤnderung. Die Natur liebt Eigen-
thum; und der Plan, welchen Caͤſar angiebet, hat
ein kriegeriſches Genie zum Urheber, das den Staat
in ſeine Abſichten gezwungen hat. Dies war ohn-
ſtreitig bey den Sueven (a) vorher gegangen; und
Caͤſar kannte keine andere Germanier. Jn dem
Sueviſchen Plan verliert der groſſe Beſitzer und der
Adel;
[16]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Adel; und die Kriegeslaſt, ſo anderwaͤrts mit dem
Land-Erbe verknuͤpft war, faͤllt [auf]jeden Kopf, wel-
ches irgend eine Revolution verraͤth, die mit Huͤlfe
des groſſen Haufens, oder in der groͤſten Noth iſt
vorgenommen worden.
Jn einer ſolchen Anlage als die Sueviſche war lie-
gen Keime zu ganz andern Entwickelungen, welchen wir
hier nicht weiter nachgehn duͤrfen. Das Schwaben-
Recht muſte ſich in der Folge ganz anders bilden als
Sachſen-Recht, und Maͤnner auf Weſtphaͤliſcher
Erde gebohren, muſten ſich groͤſſer duͤnken, als die-
jenigen welche jenſeits der Weſer in ein Dorf und
unter der Zucht eines Hauptmanns zuſammen gezogen
waren. (a) Anlaß genug zu einem gegenſeitigen Wi-
derwillen, (b) welcher noch jetzt nicht voͤllig erſtickt
und nach der Carolinger (c) Zeit entſtanden iſt. Doch
auch Weſtphalen hat ſich nicht durchgehends gleich
bleiben koͤnnen. Die Gegenden nach dem Nieder-
rhein haben wie alle Graͤnzen kriegeriſcher Nationen
leicht von ihrer urſpruͤnglichen Verfaſſung etwas
verlohren, nachdem ſie lange Zeit den Roͤmern und
Franken zum Kampf-Platze dienen muͤſſen. Die
BUnſri-
[18]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Unſrigen hingegen haben den Einfluß ſo groſſer Urſa-
chen weniger empfinden, und ſo wie bey ihren einzel-
nen Wohnungen alſo auch bey manchem alten Rechte
bleiben koͤnnen. Man mag alſo bey ihnen den Plan
der Natur wol verfolgen, beſonders da die Geſchichte
ſich auf denſelben beſtaͤndig zuruͤckzieht.
Solche einzelne Wohner waren Prieſter (a) und
Koͤnige (b) in ihren Haͤuſern und Hofmarken. Sie
richteten uͤber das Leben (c) ihrer Familie und Knech-
te, ohne einander Rechenſchaft (d) zu geben. Jeder
Hof war gleichſam ein unabhaͤngiger Staat, der ſich
von ſeinem Nachbaren mit Krieg oder Friede ſchied.
Jeder Hausvater handhabete ſeinen eignen Hausfrie-
den; und wie ſie ſich mehrer Sicherheit halber enger
verbanden, ward dieſe Befugnis nicht aufgehoben.
Keine Obrigkeit, (e) und vielleicht nicht einmal eine
gemeine(f) Gottheit erſtreckte ſich in eines Mannes
Wehre. (g) Das gemeine Recht kam wie billig dem
Hausrechte (h) nur zu Huͤlfe.
Die gemeinſchaftliche Nutzung eines Waldes, Wei-
degrundes, Mohrs, oder Gebuͤrges, wovon ein jeder
ſeinen noͤthigen Antheil nicht im Zaune haben konnte,
vereinigte dem Anſchein nach zuerſt ihrer einige in
unſern Gegenden. Wir nennen dergleichen gemein-
ſchaftliche Reviere Marken; und Markgenoſſen
waren vielleicht die erſten Voͤlker da wo man ſich ein-
zeln anbauete. Unſer ganzes Stift iſt in Marken,
worin Doͤrfer und einzelne Wohnungen zerſtreuet lie-
gen, vertheilet, und die Graͤnzen derſelben treffen mit
keiner Landes-Amts-Gerichts-Kirchſpiels- oder
B 3Bauer-
[22]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Bauerſchafts-Graͤnze zuſammen. (a) Natur und Be-
duͤrfnis ſcheinen allein die Eintheilung gemacht zu ha-
ben; und man ſchließt daher daß ſie aͤlter als alle
uͤbrigen ſind. Dem gemeinen Grunde und was dar-
auf war, muſten ſie nothwendig einen Frieden(b)
wuͤrken, ſich wegen einer beſtimmten Nutzung und ge-
wiſſer Rechte und Bruch-Faͤlle (c) vergleichen, Auf-
ſeher und Richter erwaͤhlen, und gewiſſe Tage zur all-
gemeinen Verſammlung haben.
So iſt noch jetzt unſre Mark-Verfaſſung. (a) Die
wahren Genoſſen ſetzen ſich ſelbſt ihr Recht. Der
Mark-Richter, Ober-Erb-Exe oder Holzgraf, wie er
jetzt insgemein heißt, erkennet darnach in oͤffentlicher
Verſammlung, unter freyem Himmel; (b) vollſtreckt
das Urtheil mit gemeiner Huͤlfe; (c) durch Pfandung
auf ofner (d) Mark; und ſchließt den Uebertreter zu-
letzt von der Gemeinſchaft (e) aus, wenn er ſich nicht
bequemen will; ohne ſich an ſeine Perſon (f) und
Guͤter vergreifen zu duͤrfen. Jeder Genoſſe ohne Un-
terſcheid des Standes folgt dem Markgerichte, das er
mit bekleidet; (g) dem Richter welchen er ſich erwaͤh-
let, und der Abrede die er mit bewilliget hat.
Alle Arten von Gemeinſchaften erforderten auf
gleiche Weiſe einen Richter oder Schiedsmann; und
die Mannigfaltigkeit der deutſchen Gerichte ruͤhrt eben
daher, daß jede Genoſſenſchaft, eben wie jetzt unſre
Jnnungen, ihre beſondre Richter und Vorſteher hat-
te, welche mit den Genoſſen nothduͤrftiges Recht fan-
den. Daher kam es, daß oft einer drey Fuß uͤber
der Erde, (a) und ein ander darunter richtete, wenn
die Genoſſen verſchieden, und ein Theil derſelben z. E.
Blumwarig.(b) der andre aber bloß Duſtwarig(c)
war. Denn die Geſellſchaft zur Maſt (d) konnte
mit ihrem Richter nicht uͤber die Geſellſchaft zum
Brandholze richten. Wir haben mit unſern Begrif-
fen von Grundherrlichkeiten (e) und Erbgerichtsbar-
keiten alle dieſe ſo begreiflichen Anlagen verdorben.
Ein Grundherr richtet uͤber die Wurzel wie uͤber den
Stamm, und laͤßt ſich nicht drey Fuß uͤber die Erde
weiſen.
Jch finde es unnoͤthig die verſchiedenen Arten dieſer
Gemeinſchaften und Rechtsfindungen zu beruͤhren.
Jhre Einrichtung war eben ſo, wie die in den Marken;
und der Gegenſtand nur verſchieden. Genoſſen eines
Eſches;(a) einer Koppel;(b) einer Heimſchnat,(c)
eines Kirchen-Friedens, einer Weiſung,(d) eines
Lohes,(e) eines Mohres(f) und andrer gemeinen
Sachen, hatten andre Vortheile und andre Rechte.
Niemand als ein Genoſſe konnte ſolche erkennen und
weiſen; und der Richter mogte ſo wenig als der
Amts-Meiſter ſich einer beſondern Grund-Herrſchaft
anmaſſen. Jetzt hat der Landes-Herr verſchiedene
Bruchfaͤlle dieſer Art zu ſtrafen; und ſeit dem alle
ſolche kleine Gemeinſchaften in einen Staat erwachſen,
koͤmmt es ihm zu, dafuͤr zu ſorgen, daß ſie ihren Vor-
theil nicht zum Nachtheil des Ganzen ſuchen. Allein
dieſes bey Seite geſetzt, iſt er in ſolchen Faͤllen bloß
Richter und nicht Landes-Herr, und der Verluſt ſei-
ner Bruch-Faͤlle (g) darf ihm kein Recht geben, ſich
den loͤblichen Abſichten einer ſolchen Jnnung zu wi-
derſetzen. Wenn die ganze Gemeinde eins iſt hat er
nichts zu ſcheiden. Gemeiniglich fuͤhren dergleichen
Junungs-Abſchiede, den Nahmen von Sprachen
oder Abreden, und ſind die Bauer-ſprachen,
Bauer-gerichte, Hecken-ſprachen und andre be-
kannt.
Durch alle dieſe kleinen Frieden in beſchloſſenen
und unbeſchloſſenen Gemeinſchaften war aber noch
keines Mannes Leib und Erbe geſichert. Hieruͤber
konnten alle dieſe verſchiedenen Genoſſen kein Recht
wei-
[31]erſter Abſchnitt.
weiſen; und der Hausvater der auf ſeinem Hofe
als Koͤnig herrſchte, hatte ſeinem Nachbaren nichts
zu befehlen. Sie muſten alſo noch einen beſondern
Frieden (a) errichten, wodurch ſie ſich einander Leib
und Eigenthum gewaͤhreten. (b) Aller Wahrſchein-
lichkeit nach haben ſie ſolchen nach dem Mark-Frieden
gebildet; (c) und ſchwerlich koͤnnen Menſchen einen ed-
lern Plan ihrer Vereinigung erwaͤhlen, als ſich alle
Nordiſche einzelne Wohner im Anfange erwaͤhlet
haben.
Es muſte ihnen nothwendig ſeltſam vorkommen,
daß ein Nachbar den andern zum Tode oder zu einer
Lei-
[32]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Leibes-Strafe verdammen ſollte. Ein ſchlimmer Looß
hatte keiner von ſeinem Feinde im Unfrieden zu beſor-
gen; und es verlohnte ſich nicht der Muͤhe einen ge-
meinen Frieden zu errichten, um Leib, Ehre und Gut
durch Urtheil zu verliehren. (a) Jhre Vereinigung
gieng alſo lediglich auf Rettung und Erhaltung. (b)
Auf dieſen groſſen und vielleicht noch uͤberdem ge-
heiligten Grundſatz baueten ſie ihre Verfaſſung, und
man wird faſt im ganzen Norden kein Volk finden,
welches ihn nicht zum Eckſtein genommen habe. Wo
ein Geſetzgeber davon abgegangen iſt, hat er ſeine
Vollmacht dazu von einer Gottheit entlehnt. Jeder
Verbrecher und ſelbſt der Moͤrder (c) konnte daher
ſein Blut und ſeinen Leib loͤſen.
Zu einer ſolchen Einrichtung gehoͤrte nothwendig,
daß ein jeder ſeine gewiſſe feſt-ſtehende Taxe (a) oder
Wehrung empfieng; damit der beleidigte Theil ſeine
CFor-
[34]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Forderung nicht uͤbertreiben konnte: und daß ſolche
im voraus verglichen und beſtimmet wurde, damit
der Schuldige nach ſeiner eignen Bewilligung ver-
urtheilet werden konnte. Denn dieſe, und nicht ein
willkuͤhrliches Geſetze nach der That, worinn die
Partheyen ohnedem ſchwerlich uͤbereingekommen ſeyn
wuͤrden, mogte ihn verbinden. Man hies ſolche ins-
gemein das Wehr-geld(b) Je hoͤher ein Preis war
den einer auf ſeine Perſon erhielt, je mehr war er ge-
ſichert. Und der Unterſchied (c) des Wehrgeldes
konnte die Klaſſen der Menſchen; ihren verſchiedenen
Rang; und die Verhaͤltnis in allen Genugthuungen
uͤberaus wohl beſtimmen. Wer das Wehrgeld, wie
es verglichen war, nicht bezahlen wollte, genos des
gemeinen Friedens nicht weiter, (d) und mogte ſeine
Gefahr ſtehen. Er nahm und gab in der oͤffentlichen
Verſammlung weiter kein Recht; und keiner durfte
ihm helfen, ohne ebenfalls von der Geſellſchaft aus-
geſchloſſen zu werden.
Es wurde weiter dazu erfordert, daß man ſich ein-
ander dieſe Wehrung verſicherte, und ſich dafuͤr mit
geſamter Hand verbuͤrgte. (a) Dieſe Buͤrgſchaft mogte
gleichſam die Stelle der obrigkeitlichen Obhut vertre-
ten, und der Grund ſeyn, warum an einigen Orten
ein Theil des Wehrgeldes der Gemeinheit, (b) an
andern aber dem Koͤnige entrichtet werden mußte.
Durch jede Erhoͤhung des Wehrgeldes wurde die ge-
meine Buͤrgſchaft ſchwerer. Sie muſte alſo wohl mit
gemeiner Bewilligung geſchehen, und der vornehmſte
Privat-Dienſt mogte daher eines Menſchen oͤffentliche
Wehrung nicht erhoͤhen. Vielleicht zeigt dieſes eini-
ger maſſen den Grund (c) warum der Kayſer die
C 2Quelle
[36]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Quelle alles Adels iſt. Ohne Zweifel heiligte ein
Prieſter dieſe Geſamt-Buͤrgſchaft zum Gottes-Frie-
den. Denn auch dieſer hatte Antheil am Wehr-
gelde. (d) Jn den ſpaͤtern Zeiten ſtand blos der Koͤ-
nig in des Volkes (e) und das Volk in des Koͤnigs
Obhut. Benachbarte Voͤlker (f) vereinigten ſich
gern miteinander uͤber das Wehrgeld, damit ſie ſich
darnach einander Genug thun und einen Krieg ab-
wenden konnten.
Endlich folgte es von ſelbſt daß jeder Hausvater (a)
fuͤr ſeine Kinder, Geſinde und andre, die er auf ſeine
Gruͤnde nahm, nothwendiger Buͤrge werden und bis
auf ihre Wehrung haften mußte. Blos einen Gaſt
konnte er drey Tage (b) beherbergen ohne fuͤr ihn
einzuſtehen; und jeder Fremde war ein nothwendiger
Feind, (c) ſo lange er keinen Buͤrgen hatte. Denn
keiner war befugt auf die Rechnung der gemeinen
Buͤrgſchaft unſichere Leute aufzunehmen und zu hegen.
Und der Fremden Schutz, die Geleits-Gerechtigkeit,
das Recht Fremde ohne Buͤrgſchaft zu herbergen, oder
ein Wirthshaus zu halten, mußte in der Folge zu den
Obrigkeitlichen Befugniſſen gehoͤren. (d) Der Wild-
fang oder wie es bey uns heißt, der Bieſter-Freyen
Sterbfall iſt damit verknuͤpft. Und man findet leicht
den Grund warum alle Fremde anfaͤnglich als Knechte
angeſehen wurden. Mit ihrer Haut konnten ſie da-
mals noch wenig bezahlen, und man borgte ihnen dar-
auf das Geleit nicht wie jetzt.
Das eigentliche Wehrgeld (a) eines Erſchlagenen
gehoͤrte aber deſſen naͤchſten Verwandten, (b) wenn
er keinem Herrn angehoͤrig geweſen war. Dieſe wa-
ren aber auch dagegen verbunden fuͤr ihn zu haften; (c)
alſo daß der Gemeinheit eigentlich nur die Waͤhr-
Buͤrg-
[39]erſter Abſchnitt.
Buͤrgſchaft gegen Benachbarte oblag. Vermuthlich
liegt hierinn der Grund des Mit-Eigenthums, welches
eine Familie zuſammen an allen Guͤtern hatte; und
warum ein Herr ohne ihre Bewilligung ſolche nicht
veraͤuſſern, vermachen und beſchweren konnte. Denn
ihre Buͤrgſchaft wuͤrde ſehr gefaͤhrlich geweſen ſeyn,
wenn ſie nicht gleichſam ein geſetzmaͤßiges Unterpfand,
oder jenes Mit-Eigenthum daran gehabt; oder wenn
auch nur die Vormundſchaften eine ander Linie als
die Erbfolgen gehalten haͤtten. Die Entlaſſung aus
der Vaͤterlichen oder Herrlichen Gewalt, war gewiſſer
maſſen die Aufkuͤndigung der bisherigen Buͤrgſchaft.
Sie muſte daher oͤffentlich geſchehen; und eine Ver-
aͤnderung (d) in der eingefuͤhrten Erb-Folge ſehr
ſchwer, und ohne eine allgemeine Einwilligung nicht
vorzunehmen ſeyn weil die Ordnung der Buͤrgſchaft
dadurch verruͤcket wurde. Wie die Leibes-Strafen
aufkamen, und Hof-Recht Voͤlker-Recht wurde,
mogte dieſe Noth-Haft der Verwandten mit Recht
das grauſame (e) Geſetz der Sachſen heiſſen.
Die Richterliche ſchwankende Willkuͤhr wurde zu-
gleich durch das Wehrgeld ungemein verhindert; und
um derſelben endlich auch nicht den geringſten moͤgli-
chen Raum zu geben: ſo wurden alle Wunden nach
der Maaſſe berechnet, alle Glieder auf das ſorgfaͤltig-
ſte gezaͤhlet; und jedes zu einem beſondern Anſchlag
gebracht. Der Richter behielt nicht die Macht von
dem linken Zaͤhe auf den rechten zu ſchlieſſen. (a)
Sein Amt war die Gemeine zu fragen; (b) und
dieſer ihre Pflicht, Recht nach der Abrede zu weiſen.
Aus einem hartnaͤckigen Triebe zur Freyheit verbann-
ten ſie alle moraliſche Bewegungs-Gruͤnde, (c) weil
Einbildung und Laune zu viel dabey wuͤrken. Sie
C 5dul-
[42]Oſnabruͤckſche Geſchichte
duldeten keine geſchriebene Geſetze, und uͤberall wo
dergleichen eingefuͤhret wurden, geſchahe es von O-
brigkeiten welche die Geſetzgebende Macht des Volks
untergraben wollten. (d) Denn ſo bald ein Richter
die Geſetze und nachwaͤrts die Rechtweiſungen und
Auslegungen in einem Buche hatte: ſo fragte er nicht
das Volk, ſondern ſein Buch und zuletzt fremde
Ausleger und Rechte. Das Archiv der Geſetze war
in dem Gedaͤchtnis aller Maͤnner. (e) Die Markge-
noſſen haben ſich allein bey dieſem Rechte erhalten;
weil das Maͤrker-Recht nie beſchrieben und durch das
Roͤmiſche nicht iſt erſetzet worden.
Es iſt nicht ganz unwahrſcheinlich, daß man dieſe
Vereinigung eine Manie,(a) und deren Eingeſeſſe-
ne Maͤnner(b) genannt habe. Jch muß (c) mich
wenigſtens dieſer Ausdruͤcke bedienen; und in der
Mark nennt man noch jetzt die gewahreten Genoſſen
Maͤnner oder Erb-Maͤnner. Es iſt weiter faſt
nothwendig, daß einzelne Wohner, welche ſich wegen
Leib und Gut vereinigen und verbuͤrgen, aus ihrer
Vertheidigung eine Hof-oder Erbe-Laſt (d) machen;
indem es ſehr unbillig ſein wuͤrde, jeden Kopf mit
gleicher Laſt zu beſchweren. Jch kann dieſe Erb-Laſt
mit Recht die Wehre(e) heiſſen; Und alſo war der
wahre Genoſſe dieſer Vereinigung ein Mann der eine
Wehre oder Civil-Wort-Staͤtte beſas. Das Ge-
gentheil von dieſem waren Leute.(f) Und der Leut
iſt derjenige, der keine eigne Wehre beſitzet, ſondern
einem andern angehoͤret. Man wird auch leicht ein-
ſehen, daß ſo wie die gemeine Obhut, welche aus der
Geſamt-Buͤrgſchaft entſtand, eine Vollmacht der
Obrigkeit wurde; und die Obrigkeit in eine Herrlich-
keit und Landes-Hoheit ausartete, alle Maͤnner zu
Leuten (g) werden muſten. Und daß man endlich in
den neuern Zeiten nur eines Schluſſes noͤthig gehabt
habe um Kayſer und Koͤnige zu ſo genannten Grund-
und Territorial-Herrn zu machen. Denn der Leut
beſitzt kein echtes Eigenthum.
Jn Ruͤckſicht auf den Krieg war die Mannie eine
Heer-
[47]erſter Abſchnitt.
Heermannie(a) oder ein Heerbann. (b) Und weil
dazu niemand einen Knecht an ſeinen Platz ſchicken
mogte: (c) ſo war der Stand eines Mannes(d)
oder Heer-Mannes nothwendig ein Ehrenſtand.
Wenn ſie auszogen geſchahe es unter der Fahne Got-
tes; (e) und nicht unter der Fahne eines Herrn. Jhr
erwaͤhlter Richter zu Hauſe war ihr Oberſter im Fel-
de. Sie dienten, wenn man es einen Dienſt nennen
kann, ohne Eid und ohne Sold; und fochten fuͤr ihren
eignen Heerd; Bruder bey Bruder, Nachbar bey
Nachbar. (f) Der Richter mahnte ſie auf, ohne Ge-
bot; (g) und der Prieſter war im Nahmen Gottes
der General-Gewaltiger. (h)
Die Mannie mogte im uͤbrigen nach der Mark
gebildet ſeyn. Die Verſammlung geſchahe unter
offenen Himmel; der Richter wurde erwaͤhlt; (a)
das Recht von den Maͤnnern gewieſen; und das Ur-
theil mit gemeiner Huͤlfe vollzogen; die Ausſchlieſſung
aus der Geſellſchaft war ihre letzte Befugnis; und der
Mann blieb in ſeinem Hauſe Anfangs noch immer
ſicher. (b) Weil aber nicht alle Sachen vor den jaͤhr-
lichen feſt-ſtehenden Verſammlungen abgethan wer-
den konnten: ſo ſchoͤpften ſie einige weiſe Maͤnner
aus ihrem Mittel, mit welchen ſich der Richter oͤfter
verſammlen, und die Streitigkeiteu entſcheiden konnte.
Man hieß dieſen engern Ausſchuß Schoͤpfen Da
dieſe nicht anders als aus ihrem Mittel genommen
werden konnten: ſo muſte ein Schoͤpfe nothwendig
ein Mann und kein Leut ſeyn; und ſeine vollkomme-
ne Wehre beſitzen. Da weiter keine Buchſtaben im
Ge-
[49]erſter Abſchnitt.
Gebrauch waren: ſo mußten alle guͤltige Handlungen
vor Gerichte oder doch vor einigen Schoͤpfen (c) ge-
ſchehen; und in Ewigkeit richtig ſeyn, wenn ſie uͤber
aller Maͤnner (d) Gedenken nicht anders geweſen wa-
ren. Es mußte lediglich derjenige Zeugniß geben
koͤnnen, welcher dem Gerichte beywohnen konnte,
folglich ſeine Wehre beſaß. Und wie endlich der Ge-
brauch aufkam, ſich zu gewiſſen Sachen einen Rich-
ter zu waͤhlen: ſo muſten in der That die dabey be-
findliche Zeugen erwaͤhlte (e) Schoͤpfen; und die
deutſchen Zeugen von den chriſtlichen Zeugen gar ſehr
unterſchieden ſeyn.
Jn Sachen welche nicht durch die ordentliche
Verſammlung, durchs Geſchrey,(a) oder durch
ſchoͤpfenbare Maͤnner erwieſen oder entſchieden werden
konnten, muſten ſie ihre Zuflucht zur Gottes-Probe
und zum Gottes-Urtheil nehmen. Und vielleicht fuh-
ren ſie damit ſicherer als wir mit unſerm Reinigungs-
Eyde. (b) Auch darinn zeigt ſich der Geiſt der Frey-
heit, daß ſie zweifelhafte Sachen lieber durchs Loß, (c)
durchs Wiehern eines Pferdes und durch das Ge-
ſchrey der Voͤgel, als durch Macht und Willkuͤhr
entſcheiden laſſen wollten. Oeffentliche(d) Ver-
brechen kannte man nicht; und oͤffentliche Anklaͤ-
ger (e) noch weniger. Dagegen aber war der belei-
digte Theil zur Klage oder zur Fehde verbunden;(f)
eine kluge Wendung, (g) um den Folgen vorzubeu-
gen welche aus ihrem Grundſatze: Wo kein Klaͤger
iſt da iſt auch kein Richter, entſtehen konnten.
Wer eine Beleidigung einſteckte, wurde wie der
Schuldige verbannt.
Dies mag genug ſeyn von den Rechten der Weh-
ren, Maͤnner, oder Erben Wehr-Gut(a) oder
Erbe, ſo dunkel es auch jetzt iſt, (b) wird nach
dem was ich angefuͤhrt leicht erkannt, und von un-
wehrigen Gute unterſchieden werden koͤnnen. Man
wird einſehen, warum letzters kein Erb-Echt-Eigen-
thum(c) verleihen koͤnnen; und wie beydes von der
bloſſen Feſte,(d) nach welcher unſre jetzigen mehrſten
Bauren das Erbe unter haben (e) unterſchieden ſey.
Es iſt dieſes noͤthig zu wiſſen, weil mit der eigentlichen
Civil-Wehre, die wir jetzt Gutsherrlichkeit nennen,
noch faſt alle die alten Rechte der Wehren verknuͤpft
ſind, und ohne den Begrif derſelben deutlich feſt zu
ſetzen, die Entſtehung unſer Land-Staͤnde nicht wohl
beſchrieben werden kann. Jch will nur noch hinzu fuͤ-
gen, daß nothwendig eines jeden Perſon von ſeinem
Gute habe mit abhangen; (f) und ein Wehr oder
Mann, der ſich auf ein unwehrig Gut geſetzt, oder ein
Wehrgut von andern gehalten, ſeinen Stand verlie-
ren muͤſſen. Eine gleiche Nothwendigkeit zeigt ſich
D 3dar-
[54]Oſnabruͤckſche Geſchichte
darin; daß niemand zu einem wahren eignen Haupte
gelangen koͤnnen; ohne das Eigenthum einer Wehre
zu haben.
Wie ſich mehrere dergleichen kleine Verbindungen
D 4oder
[56]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oder Mannien ihrer Sicherheit wegen zuſammen
thaten, und einen Staat bildeten, verfolgten ſie faſt
denſelben Plan. Eine Maunie hatte ſo wenig der
andern als ein Hausvater dem andern zu gebieten. (a)
So viele Mannien, ſo viele unterſchiedene Verſam-
lungen, Rechts-findungen und Rechte; eben wie
noch jetzt in unſern Marken, welche zwar zuſammen in
einer Staats-Verbindung ſtehen, ihre Mark-Ver-
ſamlungen aber nicht gemein haben. Die von ihnen
bisweilen erwaͤhlete Koͤnige, ſo lange ſie nicht geſal-
bet waren, hatten nichts mehr im Groſſen als die
Richter im Kleinen. Ehre, Leib und Erbe eines
Mannes waren ihrer Erkenntnis nicht unterworfen. (b)
Auch ſelbſt im Heerzuge nicht. Die Verbannung (c)
war auch hier alles, und jeder Staat war oder hielt
ſich nicht weiter berechtiget.
Jn dieſer dritten Vereinigung zeigen ſich Edle und
Maͤnner. Die Rechte der Letztern haben wir bisher
geſehen. Allein es haͤlt ſchwer den Urſprung der Er-
ſtern anzugeben. Jnsgemein macht man alles zu
Herrn und Knechten, um einen bequemen Plan zu
haben; oder man glaubt der Krieges-Stand habe
D 5ge-
[58]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gewiſſe Menſchen geadelt. Erſters iſt falſch; und
Letzters unbeſtimmt. Es giebt kriegeriſche Nationen
ohne Adel; und in Deutſchland hat der Wehr(a)
zu Fuſſe und zu Pferde gedient. Das Wahrſchein-
lichſte iſt, daß man auſſer dem gemeinen Heerbann,
worin alle Wehren die Waffen ergriffen, gleich
Anfangs annoch einige beſondre und beſtaͤndige
Reuter erwaͤhlt und ſolche gegen dieſe vorzuͤgliche Laſt
fuͤr ihre Perſonen von gemeinen Dienſten; und fuͤr
ihr Wehrgut von der gemeinen Reihe-Laſt befreyet,
dieſes auch wohl merklich vergroͤſſert habe. Auf dieſe
Art glaube ich daß unter den freyen nordiſchen Natio-
nen Adel und Allode zuerſt entſtanden; und der be-
ſtaͤndige Reuter (b) zu dem Nahmen und zu der
Ehre gelanget ſey, womit er noch jetzund pranget.
Wenigſtens wuͤrde er in Weſtphalen noch jetzt auf
dieſe Art entſtehen koͤnnen; wenn er noch nicht vor-
handen waͤre. Denn das ordentliche Mittel jeman-
den zur Uebernahme einer vorzuͤglichen Beſchwerde zu
vermoͤgen, iſt die Anweiſung einiger Gruͤnde aus der
gemeinen Mark. Und die Allode kann zuerſt aus ei-
ner ſolchen Anweiſung und deren Befreyung entſtan-
den ſeyn.
Vermuthlich war zuerſt nur ein Adel; (a) und
dieſer nothwendig mit dem Eigenthume einer Allode
verknuͤpft. Da er aus der gemeinen Reihe geſetzt
war: ſo erſchien er daheim in keiner Verſamlung der
gemeinen Maͤnner; (b) nahm und gab daſelbſt kein
Recht, ſondern ſchied ſich von andern mit Krieg und
Frieden. So lange man keinen beſondern Gottes-
oder
[60]Oſnabruͤckſche Geſchichte
oder Land-Frieden (c) errichtete und einen Koͤnig;
oder die allgemeine National-Verſamlung zu deſſen
Handhabung erwaͤhlete. Hier unterwarf er ſich dem
National-Abſchiede welchen er mit bewilligt hatte;
fiel in den Unfrieden, wenn er ſich der verabredeten
Genugthuung wegerte; und der Richter der Nation
oder der Koͤnig verfuhr gegen ihn, wie der Richter
einer Mannie gegen den Mann oder Wehren. Die
geringe Anzahl der Edlen und ihre Entfernung (d)
aus einander machte beſondre jaͤhrliche feſt-ſtehende
edle Verſamlungen zum Recht-weiſen unnoͤthig. Sie
konnten alſo nicht anders als bey der allgemeinen
National- (e) Verſamlung; und bey dieſer lediglich
uͤber den Bruch eines Gottes- Koͤnigs- oder Land-
Friedens beſprochen werden. Daher mogten ſie ſich
in den uͤbrigen Faͤllen (f) durch die Waffen und
durch Austraͤge ſcheiden; und endlich mit dem Ein-
lager diejenige Unſicherheit heben, welche aus dem
Mangel eines Obrigkeitlichen Zwangs nothwendig
entſtehen muſte.
Da ſich der Adel von der Allode nicht trennen laͤßt,
wofern man nicht annehmen will, daß ein Staat
Herrnloſe unangeſeſſene Reuter geduldet; oder jedem
Reuter erlaubt habe, ein gemeines Wehrgut von der
Reihe-Laſt zu befreyen: ſo konnte es nicht fehlen;
oder die juͤngern Soͤhne der Edlen muſten bey ihren
Vaͤtern bleiben; oder ſich bey ihren Verwandten in
Dienſte geben. Es blieb auſſer dem geiſtlichen
Stand (a) gar keine andre moͤgliche Verſorgung fuͤr
ſie uͤbrig; und ſo entſtand etwas, was man Gefol-
ge(b) oder Begleitung nannte; woraus der Dienſt-
Adel ſeinen Urſprung genommen zu haben ſcheinet.
Auf einer Seite war es eine unendliche Beſchwerde
fuͤr den Beſitzer der Allode, der einen ſolchen
Schwarm von Verwandten und nothwendigen
Muͤßiggaͤngern um ſich haben, kleiden und ernaͤhren
muſte. (c) Auf der andern Seite aber gab ihm ein
groſſes Gefolge der edelſten Juͤnglinge Gewicht und
Anſehen; (d) Und der gemeine Heerbann, welcher
allezeit mit Muͤhe in Bewegung (e) geſetzt wird, und
deſſen Heerzuͤge mit den groͤſten Schwierigkeiten ver-
knuͤpft ſind, bediente ſich oft der Gelegenheit, denje-
nigen der das groͤſte Gefolge hatte, (f) fuͤr Korn und
Fruͤchte (g) zu dingen, daß er einen Krieg, welcher
eine allgemeine Aufſitzung erfordert haͤtte, allein uͤber-
nahm. Auf ſolche Weiſe mogte es geſchehen, daß
oft in einem ganzen Jahr-hundert, der gemeine Heer-
bann nicht aufgeboten, folglich ungeuͤbt und von dem
be-
[63]erſter Abſchnitt.
beſtaͤndigen Reuter verachtet wurde. Auf eine
gleiche Weiſe (h) konnte es geſchehen, daß zuletzt der
gemeine Heerbann, da man ihn nicht leicht brauchen
konnte, zur gemeinen Vertheidigung nichts als Korn
lieferte, und die Fuhren verſchafte.
Die edlen Gefolge hingegen blieben in beſtaͤndiger
Uebung und Ehre. (a) Jhre Einrichtung war von
dem gemeinen Heerbann voͤllig unterſchieden. Es
diente darin niemand von einem Wehrgute; ſondern
fuͤr Koſt, Kleidung und Beute, und auf ſeines Herrn
Pferde. (b) Hier war die Fahne eines Herrn;
Eyd; (c) Verpflichtung; Aufbot; und Hof-Kriegs-
Recht, welches zwar auch von Dienſt-Leuten ge-
wieſen (d) wurde; aber auf dem Hofe ihres Herrn;
unter ſeiner Oberrichterlichen Beſtaͤtigung. Nachdem
das Hof-Recht war, konnte einer Leib, Ehre und Le-
ben verwuͤrken; und die Geſetze muſten an einem ſol-
chen beſtaͤndigen Hof-Lager, und bey ſo vielen taͤglich
verſamleten muͤßigen Leuten unendlich ſtrenger (e)
werden; als fuͤr einzelne Wohner. Der Herr des
Gefolges Hatte auch den Sterbfall; (f) und man
ſchien keine andre Art der Unterwuͤrfigkeit als die
Knechtſchaft (g) zu kennen. Dies blickt aus allen
Anſtalten der Alten hervor.
Allem Anſehen nach ward im Gefolge der Krieg
Zunft-maͤßig(a) gelernet. Und muſte ſelbſt der
Sohn eines Koͤnigs oder Fuͤrſten ſeine Dienſt-Jahre
aushalten, (b) und erſt Junge und Knape (c) wer-
den, ehe man ihn zum Meiſter oder Ritter machte.
Dieſes erhob den Dienſt ſehr. Und diejenige irren
welche dem Dienſt-Adel aus ſeinem Jungen- und
Knapen-Stande jetzt einen Vorwurf machen. Rit-
terſchaft und Knapſchaft machen den Edelmann nicht;
wohl aber zu gewiſſen Zeiten eine Vermuthung fuͤr
ſeine edle Geburt. Als Knape erhielt er zuerſt mit
gewiſſen Feyerlichkeiten Schild und Pfriemen; (d)
Wenn er ſeine Lehr-Jahre ausgehalten hatte, reiſete
er vermuthlich auf Ebentheuer, oder aufs Krieges-
Handwerk; und wenn er ſich darinn mit Ruhm ver-
halten, dann erhielt er als Ritter, oder auch oft als
licentiirter Knape (e) den Degen, wenn er die Rit-
terliche Wuͤrde, welche ihn zu einen groͤſſern Auf-
wand verpflichtete, nicht verlangte. Jn beyden Faͤl-
len hatte er Meiſter-Recht; und er konnte ſich nun
aus dem Gefolge begeben; und ſelbſt Zunft-maͤßige
Knapen halten. Jn eignem Dienſte, wenn er eine
Allo-
[67]erſter Abſchnitt.
Allode beſas; in fremden Dienſte; wenn er, um nicht
Herrenloß zu ſeyn, einen Buͤrgen oder Herrn haben
muſte.
Unter den Gefolgen ſelbſt muſte ſich aber bald ein
wichtiger Unterſcheid zeigen. Wann einer von Adel
das Gluͤck hatte zum Koͤnig erwaͤhlet zu werden: ſo
mogte ſich der Glanz dieſer Wuͤrde leicht auf ſein Ge-
folge verbreiten. Des Koͤnigs Schalk war nun um
einen Grad hoͤher als der Schalks-Knecht. (a) Und
die
[69]erſter Abſchnitt.
die Geſchichte des Menſchen laͤßt nicht zweifeln, daß
Macht (b) und Wuͤrde nicht gar fruͤhzeitig darauf
bedacht geweſen ſeyn ſollten, ihr Gefolge immer mehr
aus edlern Theilen zu beſetzen. Noth und Umſtaͤnde
erforderten aber auch oftmals mindere Zaͤrtlichkeit;
und nicht alle Zunftmaͤßige Krieger waren von edler
Geburt. (c) Mit dem Wort Adel verknuͤpfte man
lange Zeit den Begrif der Durchleuchtigkeit;(d) und
verſagte daher einem, ſo lange er im Dienſte oder von
einem Haupte beſchattet war, den Tittel eines Edlen.
Dieſes ſetzte ſie in die Verlegenheit ſich Edel-gebohrn
zu ſchreiben; um ſich von andern im Gefolge, die
nicht Edel-gebohrn waren, zu unterſcheiden. Jn-
zwiſchen und da eigentlich nur ein Adel moͤglich iſt;
und dieſer ſo bald er die Decke oder den Dienſt ver-
laͤßt, in ſeinen angebohrnen Stand zuruͤck tritt, wel-
ches aber nicht anders als durch die Erwerbung einer
Allode geſchehen kann; ſcheinet es nicht, daß der
Dienſt eine beſtaͤndige Ungleichheit des Standes (e)
wirken ſollte.
Dieſes Meiſter-Recht ſcheinet zugleich den Sohn
von der vaͤterlichen Gewalt befreyet; (a) und ihm
die Stimm-Gerechtigkeit in der oͤffentlichen Ver-
ſamlung erworben zu haben; wenn er zugleich zu dem
Eigenthum einer Allode gelangte. Daher es oͤffent-
lich (b) ertheilet werden muſte. Unſre heutigen Rit-
ter-Orden ſind eine Nachahmung davon. Der Novitiat
ſtellet die Lehr-Jahre fuͤr; und die drey Feld-Zuͤge
ſind die alten Ebentheuer. Jch darf aber dieſes nicht
weiter verfolgen. Zu meinem Endzweck iſt es genug
den gemeinen Heerbann von dem Gefolge der Edlen;
und in dieſem Gefolge wiederum die Ritterliche Zunft
von der eigentlichen Dienſtfolge unterſchieden zu ha-
ben. Es konnte einer dienen ohne Ritter zu ſeyn;
und es konnte einer Ritter ſeyn und doch noch im Ver-
bunde oder Dienſte beharren, nachdem es ſeine Um-
ſtaͤnde zulieſſen.
Edle und Wehren oder Gemeine waren alſo zwey
neben einander ſtehende, und von einander unabhaͤn-
gige Staͤnde. Letztere machten eigentlich den Koͤrper
der Nation aus; (a) und auf ihrer Bewilligung be-
ruhete alles. Sie waren erſtern zu Nichts verpflich-
tet. (b) Und es iſt eine bewunderns-wuͤrdige Sache,
daß ſie ſich in Sachſen bis auf Carln den Groſſen (c)
in dieſer vollkommenen Unabhaͤngigkeit, gegen die
Macht (d) der Gefolge haben erhalten koͤnnen, da ſie
kein Geſetz (e) gehabt zu haben ſcheinen, wodurch die
Gefolge auf gewiſſe Weiſe waͤren eingeſchraͤnket wor-
den; und der Adel auch damals ſchon Schloͤſſer und
Veſtungen (f) beſaß. Jn der National-Verſamlung
erſchienen beyde Staͤnde zuſammen. Der Prieſter
und keine andre Obrigkeit handhabete darin die Ord-
nung. Es redete wer das Anſehen und die Geſchick-
lichkeit dazu (g) hatte. Der Anfuͤhrer ward aus den
Tapferſten (h) erwaͤhlt; und mit dem Kriege hatte
ſein Amt ein Ende. (i)
Der Prieſter war es uͤbrigens welcher mehrere
Manien zuſammen; und Edle und Gemeinen im
Gleichgewichte erhielt. Erſtere waren durch die
Menge leicht uͤberſtimmt; Allein der Prieſter durfte
ein Zeichen uͤbel deuten, (a) wenn er merkte daß die
Menge fehlen wuͤrde; und damit war die Verſam-
lung vor dasmal aufgehoben. Vermuthlich geſchahe
dieſes ſo oft als es die Klugheit der Wenigern erfor-
derte. Da das uͤbel gedeutete Zeichen allein die Ehre
davon hatte: ſo ſchien dieſe Macht der Freyheit un-
ſchaͤdlich. Der Prieſter allein hatte das Recht je-
manden in der Verſamlung ein Stillſchweigen (b)
aufzulegen; und man wuͤrde ihm dieſes nicht uͤber-
laſſen
[75]erſter Abſchnitt.
laſſen haben, wenn man haͤtte ein Himmels-Zeichen
dazu gebrauchen koͤnnen. Der Prieſter war noth-
wendig Edel. (c) Denn wenn er zu einer Mannie o-
der zu einer gemeinen Verſamlung gehoͤret haͤtte: ſo
wuͤrde ſich eine andre von ihm nichts haben vorſchrei-
ben laſſen. Man muß ihn deswegen als einen unab-
haͤngigen geheiligten National-Beamten anſehn, der
gleich dem Adel zwiſchen den Jnnungen geſtanden,
ohne zu einer einzigen ins beſondre zu gehoͤren. (d)
Jhr Kirchen-Bann war erſchrecklich. (e)
Was wir jetzt Regalien heiſſen, wogte dero Zeit
Gottes-Recht ſeyn; und zu dem Unterhalt des Prie-
ſters dienen. Wenigſtens waren faſt alle oͤffentliche
Sachen, als Stroͤme, Salz-Quellen, Waͤlder und
Thaͤler geheiligt (a) und vermuthlich hatte der Prie-
ſter dem Wilde darinn einen Frieden gewuͤrket. Da
die Eiche ein beſonders Heiligthum hatte: ſo mogte
das Brandholz gemein; das Bauholz aber geheiliget
ſeyn; und der Prieſter in groſſen National-Waͤldern
die Mahl-Axt (b) fuͤhren. Wenigſtens konnte in ſol-
chen wozu mehrere Mannien gehoͤrten, dieſe keinem
andern ohne Gefahr vertrauet werden. Er war zu-
gleich der geheiligte Mittler und Schieds-Richter
zwiſchen ſtreitigen Edlen wie auch ganzen Mannien
und Marken; (c) und hatte das gluͤckliche Recht die
ſtreitigen Graͤnzen zu heiligen. Ein Recht welches
man ſpaͤter aus einem Mißverſtande auf hob; ſich
aber noch jetzt in unſerm Stifte erhaͤlt. (d) Da er
uͤber-
[77]erſter Abſchnitt.
uͤberhaupt den Gottes-Frieden handhabete; ſo mogte
er auch die Bruchfaͤlle davon, oder das Suͤhn-Opfer
und Suͤhnde-Geld (e) haben. Und ſolchergeſtalt
konnte ſein Unterhalt auf mancherley Art beſtimmet
ſeyn, ohne daß er eine Allode oder ein Wehrgut be-
ſitzen mogte.
Jch muß hier zugleich der Religion gedenken, in fo
fern ſie ein Band des Staats (a) war. Man ver-
ehrte ein allgemeines unſichtbares Weſen; und
glaubte nicht, daß ſich ſolches durch ein Bild vor-
ſtellen oder in Tempel (b) einſperren lieſſe. Der
Grund dieſes Glaubens lag aller Wahrſcheinlichkeit
nach darinn, daß das Bild und der Tempel eines
National-Gottes auf der Erde keinen Platz haben
konnte. Denn die Mark, worin Gott ſeinen Tem-
pel hat, erhaͤlt bald einen Vorzug und leicht die
Herrſchaft uͤber andre, wie die Erfahrung (c) bey
allen Voͤlkern zeiget. Jm Heer-Lager war ein be-
wegliches(d) Goͤtter-Bild moͤglich und vielleicht
noͤthig; um unter dem Schutz deſſelben, einer ver-
ſamleten unabhaͤngigen Menge kraͤftiger zu gebieten
und den Prieſter ſichtbar zu unterſtuͤtzen.
Deswegen aber konnte der beſondere Gott einer
Haushaltung, einer Jnnung, oder einer Mark, gar
wohl ſein Bild und ſeinen Tempel an einem verab-
redeten oͤffentlichen Orte haben. (a) Der Hausgott,
er mogte nun aus einer ſeltenen Wurzel oder aus
einem
[81]erſter Abſchnitt.
einem andern Dinge, (b) wovor die Einbildung ſich
beugen wollte, beſtehen, war dem Hausvater unent-
behrlich um ſeine Perſon gegen ein zahlreiches Ge-
ſinde nothduͤrftig zu heiligen, und ſich gleichſam eine
Freyſtatt in ſeinem eignen Hauſe zu geben. Jn der
Mark waren Graͤnz-Goͤtter, wie jetzt Kreutze und
heilige Schnat-Baͤume gegen den Eingrif der Nach-
baren auch von gutem Nutzen; weil deren Verletzung
ſo fort den Gottes-Frieden ſtoͤren, und den Prieſter
zu deſſen Handhabung erwecken muſte. Man trug
auch einige Mark-Goͤtter (c) bey einer jaͤhrlichen
Verſamlung auf den Graͤnzen der Mark herum;
und im Chriſtenthum kam die Heiligen-Tracht an
ihre Stelle. Die Mannie, da ſie ſich an keinen
Baum oder Stein, ſondern auf die Koͤpfe der Maͤn-
ner ſchloß, (d) und folglich nicht leicht einige Graͤnz-
Streitigkeiten veranlaſſete, haͤtte in ihrer innern
Verfaſſung am allererſten einer beſondern Gottheit
entbehren koͤnnen. Denn die einheimiſchen Streitig-
keiten derſelben konnten nach der Abrede leicht geſchie-
den werden, und hoͤchſtens bey der Gottes-Probe
und dem Gottes-Urtheile beſondre Gottheiten noͤthig
ſeyn. Doch laſſen die ſo genannten Teufel-Gil-
den(e) auch einer andern Vermuthung Raum.
Da die Gewalt des Prieſters auf keiner weltlichen
Macht; ſondern lediglich auf der Ehrfurcht der Men-
ſchen beruhete: ſo war die Religion auſſerordentlich
verſtaͤrkt; und bisweilen grauſam; (a) auſſerdem aber
die Redlichkeit mehr als eine gemeine Tugend; und
gleichſam geheiliget. (b) So daß jedes Verſprechen
die Kraft eines Ehren-Wortes und jede Treuloſigkeit
den Haß eines Meineydes mit ſich fuͤhren mogte.
Dieſes trug ſehr viel zur Erhaltung ihrer Verfaſſung
bey. Und der Adel (c) insbeſondre wuͤrde mit einer
gemeinen Redlichkeit ſich nicht erhalten haben; weil
er faſt durch nichts, als ſein Wort verbunden werden
konnte. Doch waren Schimpf (d) und Ehre ihre
einzigen Mittel; und man bauete weniger auf kuͤnftige
Strafen (e) und Belohnungen.
So viel von den Edlen, Maͤnnern und Prieſtern,
wel-
[85]erſter Abſchnitt.
welche zur National-Verſamlung kamen. Alles was
einem Herrn angehoͤrte, oder unter irgend einer Ge-
walt, Hut, Pflege und Schutz ſtand, konnte darin
unmoͤglich erſcheinen, ſo lange die gemeine Vertheidi-
gung dem Grunde anklebete. Oder Feſte und Eigen-
thum haͤtten gleiche Laſten tragen; und einerley Guͤter
gleichſam mehrmalen verſteuret werden muͤſſen. Ein
Mann haͤtte auch ſeine Knechte, Kinder und Freygelaſſe-
ne, welche ihm zu Dienſt und Dankbarkeit verpflichtet
waren, fuͤr ſeine Richter erkennen; und ſeine Wohl-
fahrt der Mehrheit knechtiſcher Stimmen unterwerfen
muͤſſen; eine Unanſtaͤndigkeit wovor alle freye Voͤlker
jederzeit einen Abſcheu (a) geheget haben.
Die erſten Knechte (a) ſind wol im Hauſe geboh-
F 3ren;
[86]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ren; und um getreues Geſinde zu haben, mogte das-
jenige was ein Sohn oder Knecht erworben hatte,
nach ſeinem Tode nicht aus dem Hauſe gefuͤhret wer-
den duͤrfen. Wie der Hausvater aufing ſeine Kinder
und Knechte neben ſich in eine beſondre Huͤtte zu ſetzen,
verfolgte er leicht einen gleichen Grundſatz. Wenig-
ſtens muſte er ſie gleichſam decken und vertreten, wo-
fern er nicht ſeine Erb-Gruͤnde mit einer doppelten
Pflicht beladen wollte. Da der Knecht unter dieſem
Schutze von aller oͤffentlichen Laſt befreyet blieb, ſo
verzieh er ſich vielleicht auch gern der Ehre; und jeder
geringer Neubauer, gieng vermuthlich leicht unter ein
ſolches oder ein andres Dach, um eine aͤhnliche Frey-
heit, um Schutz und Buͤrgen zu erhalten. Die Edlen
welche groſſe Alloden hatten, und den Ackerbau ver-
achteten, hatten keinen bequemern Weg ihr Land zu
bauen als durch leibeigne Knechte; und man kann ſa-
gen daß es faſt der einzige war; weil ein Wehr die
Allode leicht in die gemeine Reihe gebracht, oder bey
dem Mangel der Buchſtaben, (b) durch Verjaͤh-
rung in ſein Eigenthum verwandelt haben wuͤrde.
Jhre Leute muſten ihnen alſo angehoͤrig bleiben; und
die Luft auf der Allode muſte eigen machen, um aller
Verſplitterung zu begegnen. Die Furcht ein Wild-
fang (c) zu werden, zwang den Knecht zu bleiben;
und machte jede Heymath angenehm, ehe und bevor
Staͤdte eine Zuflucht der Fluͤchtlinge wurden, und
Menſchen ohne Acker und Pflug ernaͤhrten. Auf
dieſe Art konnte ſich ſchon eine groſſe Menge leibeige-
ner Leute in dem alten Deutſchlande befinden.
Allein dieſer Plan, welchen die Natur darbietet, iſt
der Grund des Weftphaͤliſchen Leibeigeuthums nicht.
Denn da unſre Leibeigne insgeſamt in der gemeinen
Reihe ſind; Steuer und Schatz unmittelbar geben;
dem Goͤdinge folgen, oder davon befreyet (a) ſind;
folglich in der alten Krieges-Rolle geſtanden haben:
ſo ſind ſie nicht von Anfang leibeigen geweſen. Caͤ-
ſar (b) giebt die groſſe Urſache einer gleichen Ver-
wandlung in Gallien an: Hier, ſagt er, ſind die
Wehren in die Knechtſchaft verſunken, nachdem
ſie ſich durch lange Kriege und die dazu erfor-
derlichen Ausgaben, erſchoͤpft, verſchuldet, und
Preis gegeben hatten. Dies noͤthigte ſie in die
Hode und Dienſtbarkeit der Maͤchtigern zu fluͤch-
ten. Und dies iſt auch die wahrſcheinlichſte Urſache des
Weſtphaͤhſchen Leibeigenthums. Schulden (c) machen
noch alle Tage aus Wehren Leibeigne, und dieſem hin-
reiſſenden Strome wiederſteht in Jahrhunderten kein
einzelner Wohner, wofern er nicht wie jenſeits der We-
ſer geſchehn, unter einer maͤchtigen Hand in Rollen und
Gerichtszwaͤngen gehalten wird. Die Wuͤrkungen der
Hofrollen werden wir gleich ſehen; und wir koͤnnen
daher vermuthen, daß die Goͤdings-rollen eine gleiche
Kraft gehabt haben wuͤrden, wenn ſie bey dem Verfall
des Heerbanns in einer aufmerkſamen Hand (d) waͤ-
ren gehalten worden. Jndeſſen geht hieraus die
Urſache herfuͤr, warum kein einziger Gutsherr ſeine
Leibeigne in einem Bezirke beſitzt und einige Ge-
richts-
[89]erſter Abſchnitt.
richtsbarkeit hat. Die Wehren konnten bey den
Verfall des Heerbanns ihre Perſonen der Rolle;
aber nicht dem Oberſten oder Gografen (e) ſeine
Gerichtsbarkeit und Sporteln entziehen. Und ſo lan-
ge er die behielt, verhinderte er das Verlaufen oder
den Leibeigenthum nicht.
Es giebt zweyerley Haupt-Claſſen von Eigenbehoͤ-
rigen; (a) Einige leben nach Hausgenoſſen- andre
nach Ritter-(b) oder Gutsherrn- Recht; und dieſe
uͤbertreffen jene weit an der Zahl. Die Hausgenoſſen
ſind nach der Regel (c) Perſonen-frey; jedoch in ei-
ner Zwang-Hode, und die naͤchſten Schwerd-Ma-
gen in der Hode erben. Jn allen ihren Rollen wird
eines Heergeweddes (d) und darunter eines Pferdes
mit Sattel und Zaum, imgleichen der Sporn und
Stiefeln mit allem uͤbrigen Feld-Geraͤthe gedacht.
Bald vererbt ſolches frey bey der Wehr, bald muß es
geloͤſet werden; der Gutsherr zieht hiernaͤchſt den vier-
ten Fuß; (e) oder auch wol nur das beſte Pfand
von der Verlaſſenſchaft ſeines Hausgenoſſen. Dem
Anſehen nach haben alle Rollen zuerſt der Kirchen,
und Nahmens derſelben dem zeitigen Biſchofe gehoͤ-
ret. Das Domcapittel hat auch einige; und eine
das Capittel zu St. Johan, welche unter den zeitigen
Proͤbſten ſtehen; und zwar vermuthlich aus der alten
Theilung. Einzelne Hausgenoſſen gehoͤren wol ei-
nem Edelmann; durch Tauſch oder Kauf, wenn ſie
in
[91]erſter Abſchnitt.
in eine Rolle gehoͤren; durch eine urſpruͤngliche Be-
dingung, (f) wenn ſie ſich in keiner Hofrolle befinden.
Jhre Hoͤfe heiſſen insgemein Rede-Hoͤfe;(a) und
ihre Vorſteher Redemeyer. Sie wohnen aber in
keinem Bezirk; (b) ſondern einzeln, und mit den Ei-
genbehoͤrigen nach Ritter-Recht vermiſchet. Sie be-
ſtehen aus Erben, Halberben und Koͤttern. Jhre
Goͤdings- (c) Send- und Halsgerichts-Freyheit iſt
nur eine Ermaͤßigung der Regel; indem ſie im uͤbri-
gen dem Amt und Gowgericht folgen, Schatzung
entrichten, und ihrem Gutsherrn gleich andern mit
dem Spanne und der Hand dienen. So daß man
faſt gewiß behaupten kann, ihr Grund ſey urſpruͤng-
lich kein andrer als derjenige, worauf Leibeigne ſitzen;
ihre beyderſeitige Feſte aber unterſchieden. Sie
verſamlen ſich jaͤhrlich an gewiſſen Pflicht-Tagen,
auf dem Hofe ihres Meyers (d) oder Schulzen, und
halten die Hof-ſprache. Der Meyer muß ſie auf
gewiſſe Weiſe verbitten (e) und vertreten, und ſie
wollen auch wol zuerſt von ihm gemahnet ſeyn. Er
mahnt aber nur bey 3 ß, als dem gemeinen Jnnungs-
Bruch. Die Hausgenoſſen erkennen ihn mit einer
jaͤhrlichen Urkunde; (f) thun ihm auch wol einige
Beyhuͤlfe, und er giebt ihnen dafuͤr eine freye Zeh-
rung,
[94]Oſnabruͤckſche Geſchichte
rung, wenn ſie ſich verſamlen, und verbittet und ver-
tritt ſie zu Rechte. Aus dem allen aber zeigt ſich kei-
ne Spur einer alten Gerichtsbarkeit; und der Meyer
iſt dem Guts- oder Hofes-Herrn nach einerley
Grundſaͤtzen-verpflichtet.
Von einer gleichen Art moͤgen (a) auch die Ra-
vensbergiſchen, Tecklenburgiſchen, Lingiſchen und
andre Freyen in unſerm Stifte ſeyn; indem zur Zeit,
als die Laͤnder noch nicht geſchloſſen waren, und jedes
Amt bloß auf den Koͤpfen ſeiner Angehoͤrigen ruhete,
dergleichen Pflegen, Hegungen und Hoden aus ei-
nem Lande ins andre, nichts ungewoͤhnliches waren
und ſich auch viele Oſnabruͤckiſche Freyen in den be-
nachbarten Laͤndern befanden; welche aber ſo, wie die
Aemter in Territorien verwandelt werden ſollten,
nach und nach ausgekauft und ausgetauſchet wurden.
Die Geßmoldiſchen Freyen wohnen in einem Ha-
gen und moͤgen, weil ſie Goͤdings-frey ſind, aus der
gemeinen Reihe geſetzet ſeyn, um als eine beſtaͤndige
Beſatzung (b) auf dem Hauſe Geßmel zu dienen;
daher dann auch eine alte Burggraͤfliche (c) Gerichts-
barkeit dabey geweſen zu ſeyn ſcheinet. Auch zu
Glandorf iſt noch ein verdunkelter freyer (d)Hage;
und moͤgen dergleichen mehr geweſen ſeyn. Die
Wetter Freyen, welche ehedem an das Kloſter Heer-
ſe (e) im Stifte Paderborn gehoͤret, und unter dem
Grafen von Ravenſperg, als edlem Vogte dieſes
Kloſters, geſtanden, ſcheinen ihre Rechte am be-
ſten (f) erhalten zu haben.
Die Eigenbehoͤrigen nach Gutsherrn- oder Ritter-
recht
[99]erſter Abſchnitt.
recht ſind der Regel nach leib-eigen. Jhre Kinder
muͤſſen daher den Zwang-Dienſt thun; ſich frey kau-
fen; und verwechſeln laſſen. Wer eine Leibeigne
ſchwaͤchet, muß dem Gutsherrn ihre Wehrung oder
den Bettemund (a) bezahlen. Sie haben keinen
Ort zur Verſamlung; keine Rolle; und kein Hof-
recht. Der Gutsherr erbt nach ihrem Tode alles;
und den Kindern bleibt nur Erb-recht am Hofe ſo
lange ſie nicht freygelaſſen ſind. (b) Sie beerbten
auch ehedem (c) ihre freyen Verwandte ſo wenig als
dieſe von ihnen erbten; und daher iſt auch der Guts-
herr ihr Vormund. Nach dieſer Grundlage kann
man annehmen, daß der erſte Leibeigne nach Ritter-
recht, der uralte deutſche Leibeigene geweſen. Allein
diejenige von unſern Eigenbehoͤrigen, welche ſich in
der gemeinen Reihe befinden, dem Amte und Goͤ-
dinge folgen; zu gemeinen Beſchwerden unmittelbar
ſteuren; und folglich aller Vermuthung nach ehedem
als Wehren im Heerbann geſtanden haben, betrach-
tet man nicht als alte Leibeigne; ſondern ſetzt gleich-
ſam voraus, daß ein jeder ſeine beſondern Bedingun-
gen gemacht habe, und ſieht deswegen darauf, wie
es jeder Gutsherr hergebracht hat. Und dieſes iſt
auch der Grund, warum Land-folge vor Herrn-
Dienſt; und gemeine Laſt (d) vor Gutsherrliche
Pacht geht, und der Landesherr als Handhaber der
gemeinen Reihe und weil er die Goͤdings-rolle unter
den Regalien (e) zu Lehn traͤgt, dem Gutsherrn nicht
geſtattet, neue Pflicht auf ſeinen Hof zu legen; oder
denſelben unbeſetzt zu laſſen. Wo aber der Leibeigne
Schatz-frey iſt, und auf Allode ſitzt, kommen ihm alle
dieſe Vermuthungen nicht zu ſtatten.
Nun ſind noch die eigentlich ſo genannten Freyen
G 3uͤbrig;
[102]Oſnabruͤckſche Geſchichte
uͤbrig; welche faſt geringer als Knechte (a) geachtet
werden, ſo ſehr auch die Knechtſchaft mit der Freyheit
zu ſtreiten ſcheinet. Sie ſtehen wie die Hausgenoſſen
in einer Hode; nur daß ſie nicht wie dieſe von ihren
Gruͤnden an eine gewiſſe Hode gebunden, (b) ſon-
dern ihrer Wahl uͤberlaſſen, oder, wie es heißt, Chur-
muͤndig (c) ſind. Sie beſitzen aber auch nur geringe
Gruͤnde; und ſind mehrentheils Mark-koͤtter; woran
man leicht abnimmt, daß ſie urſpruͤnglich auf un-
wehrigen Gute geſeſſen, daher zu keiner Rolle ge-
hoͤrt, und als geringe arme Wohner die Freyheit ge-
habt haben, ſich einen Schutz-Heiligen nach eignen
Gefallen zu waͤhlen, und demſelben zur freyen Urkun-
de jaͤhrlich ein Pfund Wachs, einen Pfennig, oder ei-
nen Schilling zu bringen; wie ſie denn auch insge-
mein mit den Wachs-zinſigen (d) Leuten zuſammen
geſetzet werden. Jn ſo weit ſind ſie alſo bloſſe Hode-
und keine Haus-genoſſen. Sie haben keine Ver-
ſamlung und keinen eignen Richter, ſondern laſſen ſich
mit Erlegung einer Erkenntlichkeit ein- und aus-ſchrei-
ben, und ſchicken jaͤhrlich ihren Freyen-Schilling oder
ihr Pfund Wachs dem Hodener. Wenn ſie dieſes
verabſaͤumen, werden ſie Bieſter-frey,(e) und nach
ihrem Tode von dem Landesherrn als Wildfaͤnge (f)
beerbt. Die Hodener haben bisweilen auch von den
Freyen das beſte Kleid fordern, und wenn ſie ſich an
der jaͤhrlichen Urkunde verſaͤumt, ſie als |Leibeigne be-
handeln wollen. (g) Allein weil ein jeder die Wahl
der Hode und derjenige Hodener die mehrſten Kun-
den hat, welcher die beſten Bedingungen giebt: ſo hat
es damit nicht gelingen wollen.
Ein anders iſt bey den Noth-Freyen,(a) welche
urſpruͤnglich ihre ebenfalls unwehrigen Gruͤnde aus
einer Landesherrlichen Mark uͤberkommen, und ſich
dabey verpflichtet haben moͤgen, beſtaͤndig in der Lan-
desherrlichen Hode zu bleiben. Dieſe koͤnnen nach
einer nothwendigen Folge, als Bellmuͤndige (b) oder
als Wildfaͤnge von dem Hode- und Landes-Herrn
beer-
[105]erſter Abſchnitt.
beerbet werden, ſo bald ſie ſich an der Freyen-Urkun-
de verſaͤumet haben und ſterben. Auſſer dem aber
genieſſen ſie fuͤr ihre Perſonen einer gleichen Freyheit
mit allen uͤbrigen Hode-genoſſen. Wegen ihrer
Gruͤnde aber haben ſie Anfechtung. (c) Hode raubt
einem das edle und Wehr-Haupt; (d) und ohne
Haupt iſt kein wahres Eigenthum. (e) Dieſem
Schluß zu Folge, verwandelt alle Zwang-Hode das
Eigenthum ſo gleich in eine bloſſe Feſte; und wenn
es in den Wahl-Hoden nicht geſchieht: ſo iſt dieſes
die Folge einer geſunden Politik. Jene Verwand-
lung iſt eine Folge des Einfluſſes welchen eine Spra-
che auf die Meinungen der Menſchen hat. Der
Hausgenoſſe iſt vermuthlich durch einen gleichen
Schluß verwandelt worden. Denn dieſer und der
Nothfreye haben das mit einander gemein, daß ſie
von ihren Gruͤnden an eine gewiſſe Hode gebunden
ſind.
Die allgemeine Regel war, (a) daß ein jeder, der
frey ſeyn wollte, entweder in der Goͤdings-rolle oder
in der Hode ſtehen muͤßte, und da Erſtere alles in ſich
faßte, was ſich ehedem gegen die gemeinen Laſten
wehren mußte: ſo iſt das Schatz-regiſter (b) an die
Stelle der Goͤdings-rolle getreten; und ſchließt man
mit Recht, daß alles was zu gemeinen Laſten ſteuret,
nicht verbieſtern koͤnne. Und wie durch die Ankunft
des Geldes, und die hiernach eingefuͤhrte neue Art zu
ſteuren, aller Unterſchied zwiſchen wehrigen und un-
wehrigen Gut aufgehoben: ſo ſollte auch ein Schatz-
pflichtiger Mark-koͤtter ſeine Freyheit ohne Hode er-
halten koͤnnen. Man kommt aber von dergleichen
Grundſaͤtzen ſo leicht nicht zuruͤck. (c)
Die aͤlteſte Hode (a) im Stifte iſt wol diejenige,
wel-
[110]Oſnabruͤckſche Geſchichte
welche ein zeitiger Biſchof mit dem H. Peter (b)
hat. Der Dom-Probſt, Dom-Dechant und Dom-
Kuͤſter ſchuͤtzen mit den heiligen Criſpinus und Criſpi-
nianus; der Probſt zu St. Johan mit dem H. Jo-
hannes; der Abt zu Jburg mit dem H. Clemens;
die Stadt Oſnabruͤck mit dem H. Geiſte, dem H.
Anton, der H. Eliſabeth und der H. Marie, als
Schutz-Heiligen zweyer ihnen gehoͤriger Hof-Haͤuſer;
der Land-Droſt aber vermuthlich von Amts-wegen.
Dann ſchuͤtzt ein jeder Edelmann auf ſeinen Frech-
ten, (c) jedes Kloſter auf ſeinem Orbaren, ein jeder
Herr ſein Geſinde, jeder Gutsherr ſeine Leibeigne,
jedes Buͤrger-und Weichbild- (d) Recht ſeine
darunter ſtehende Einwohner, und jedes Kreutz (e)
auf der Kirchen diejenige ſo am Kirch-hofe wohnen.
Solche ſind alſo mit einander keiner Bieſter- (f)
Freyheit ausgeſetzt. Wenn man dieſes, und daß
eine gleiche Art zu denken ſich durch ganz Europa
ehedem verbreitet habe, in Erwegung zieht: ſo iſt
es ſehr glaublich, daß man in den aͤlteſten Zeiten et-
was aͤhnliches gehabt, und folglich Urſache habe zu
behaupten, daß Hausgenoſſen, Leibeigne, und
Freye,(g) ſie moͤgen nun in der Hode eines Goͤtzen,
oder oͤffentlichen Amts geſtanden haben, lange vor-
handen geweſen, und vielleicht ſo gar Edle und Weh-
ren, an ihren Haus-Goͤttern eigne(h) Hodener ge-
habt haben.
Was ich bis dahin angefuͤhrt habe, wird zu mei-
nem Endzwecke hinreichen. Die Beſtaͤtigung einiger
Vermuthungen muß man von der Geſchichte erwar-
ten. Edle und Gemeine haben groſſe Veraͤnderun-
gen erlitten; und um ſolche recht zu empfinden, habe
ich ihren erſten Zuſtand nach der Natur angelegt.
Man kann Erſtere nicht aus dem Dienſte; und Letzte-
re nicht aus dem Leibeigenthum entſpringen laſſen,
ohne alles Eigenthum einem hoͤchſten Haupte zuzu-
ſchreiben, und hiernaͤchſt den Urſprung der Reichs-
und Landes-Staͤnde aus bloſſen Gnaden-Briefen und
Verleihungen wieder herzuleiten. Saͤtze welche mit
der Wahrſcheinlichkeit und einem beſſern Gefuͤhl ſtrei-
ten und den Geſchichtſchreiber bey jedem Schritt zu
Ausnahmen zwingen. So wol die eigentlichen
Reichs- als Landes-Verſamlungen ſind noch Ver-
ſamlungen der Edlen und Gemeinen; uͤberall wo ſie
zu willigen; aber nicht wo ſie gleichſam als Raͤthe
ihr Gutachten abzugeben haben. Unſre Reichs-
Fuͤrſten erſcheinen darinn als Edle Herrn; (a) und in
ſo fern ſie ein Reichs-Amt beſitzen, als Repraͤſentanten
der Gemeinen. (b) Auf rechten Landtagen ſind es
verliehene, angekaufte, geſchenkte, oder eigne Civil-
Wehren, wofuͤr der Geiſtliche, der Adel und die
Staͤdte ihre Stimmen fuͤhren.
Jn unſerm Stifte ſteht der Biſchof mit ſeinem
Domcapittel in einem beſondern Verhaͤltniß; in einem
andern mit ſeinen Dienſtleuten; (a) in einem andern
mit ſeinen Reichs-Dienſtleuten; (b) in einem andern
mit den Edlen welche ſich mit ihm zur Handhabung
des Landfriedens verbunden, und ſich in der Folge
zum Theil an Dienſt-Manns-ſtatt (c) verpflichtet ha-
ben, wie ſolches aus der Geſchichte herfuͤr gehen wird.
Allein
[115]erſter Abſchnitt.
Allein alle dieſe beſondern Beziehungen machen die
gemeine (d) Landes-Verſamlung nicht aus, welche
der Biſchof als beliehener Richter oder Herzog der
Gemeinen beruft, und deren wahrer Gegenſtand nicht
das Kirchen-Orbar, (e) nicht die Allode, nicht das
Lehn, ſondern das gemeine Wehr-gut, und deſſen
Vertheidigung in den oͤffentlichen Laſten iſt. Daß
die Wehre jetzt vielfaͤltig von dem Hofe getrennet iſt,
und einem geiſtlichen, adlichen oder buͤrgerlichen
Gutsherrn gehoͤret; und daß jene Neben-Verbindun-
gen in der allgemeinen Verſamlung drey Staͤnde
veranlaſſet haben; ſind wol eben ſo zufaͤllige Umſtaͤn-
de, als daß die Edelleute Ritter; und bloß gewiſſe
Haͤuſer (f) Landtags-faͤhig geworden ſind. Jene
drey Staͤnde ſind zwar lange geweſen und lange hat
jeder ſeinen beſondern Zirkel gehabt. Jn der gemeinen
Verſamlung aber ſind ſie wie in der Mark bloß als
Gutsherrn fuͤr ihre Wehren erſchienen; und dieſen
Leitfaden werde ich in der Geſchichte folgen.
Die erſte Periode der Geſchichte werde ich bis zu
dem
[117]erſter Abſchnitt.
dem groſſen Zeit-Punkt fortfuͤhren, worinn die Sach-
ſen das Wahl-Recht ihrer Mannie-Richter verloh-
ren; (a) und die Mannien ſich in Grafſchaften und
Thron-Lehne verwandelt haben. Dieſe wichtige
Veraͤnderung, welche ſich ſo weit uͤber Europa er-
ſtreckt, als die Franken (b) ſich ausgedehnet haben,
legt den Grund zu jeder Saͤchſiſchen (c) Landes-
Verfaſſung; und alſo auch zur unſrigen. Es wuͤrde
eine ganz andre (d) aber vielleicht auch nicht ſo ruhige
Verfaſſung in Deutſchland ſeyn, wenn die Gemeinen
das Recht behalten haͤtten ihren Richter zu erwaͤhlen
und ſie als Landboten zu den Reichs-Verſamlungen
abzuordnen; als es jetzt iſt, nachdem der Kayſer den
Repraͤſentanten ehedem angeſetzt, und dieſer ſich
erblich gemacht hat. Den Fraͤnkiſchen Kayſern wa-
ren die Gemeinen Sachſen dieſes Recht geſtaͤndig.
Nach dem Ausgange der Fraͤnkiſchen Linie haͤtten
ſie zur Landboten-Wahl ſchreiten koͤnnen. Sie goͤn-
neten aber ihre Vollmacht denjenigen Repraͤſentanten
welche dazu von den Fraͤnkiſchen Kayſern einmal an-
geſetzt, und auch wol nicht mehr zu verdringen waren.
Wie dieſe ſich nachher andre Kayſer erwaͤhlten; war
ihre freye Wahl nothwendig ein feyerlicher Auftrag
ihrer vorhin empfangenen Lehne. (e) Die Ver-
faſſung aͤnderte ſich dadurch etwas. Der Grund
aber blieb und bleibt allemal daß die Quelle der aller-
hoͤchſten Reichs-Obermacht, keine Grund-Herrſchaft,
ſondern eine Vollmacht der gemeinen Wehren ſey,
welche ihr vom Kayſer angeordneter Repraͤſentant in
den Provinzen unter den Nahmen von Staͤnden noch
jetzt zuſammen rufen laͤßt.
Die Einrichtung eines Landes haͤngt gar ſehr von
der Natur ſeines Bodens und ſeiner Lage ab.
Viele Beduͤrfniſſe der Menſchen werden allein da-
durch erweckt und befriediget. Sitten, Geſetze und
Religion muͤſſen ſich nach dieſen Beduͤrfniſſen richten.
Die Mark-Rechte eines Landes (a) veraͤndern ſich
mit ſeinem Boden; die Policey-Verordnungen mit ſei-
ner Fruchtbarkeit; (b) und die Sitten vielfaͤltig mit
ſeiner Lage; (c) Die Religion eines Bergmanns (d)
unterſcheidet ſich von dem Glauben des Hirten; und
der Feldbauer iſt nicht ſo kriegeriſch (e) als ein Volk
das von der Jagd lebt. Der aufmerkſame Geſetzge-
ber nimmt ſeine Wendungen nach allen dieſen Um-
ſtaͤnden. Und alſo gehoͤrt die Kenntniß der natuͤrlichen
Vortheile und Maͤngel eines Landes auch mit zu ſei-
ner politiſchen Geſchichte. Jch werde etwas davon
beruͤhren ohne jedoch ein Naturforſcher zu werden.
Die Gegend unſers Stifts uͤberhaupt hat ihren
erſten Gaͤſten wol nichts als die Feurung und einige
Nahrung fuͤr ihr Vieh geboten. Denn das mehrſte
beſteht aus Heide, Sand, Mohr und Gebuͤrgen,
wor-
[121]zweyter Abſchnitt.
woraus der Acker nach und nach gewonnen und ſpaͤ-
ter angebauet worden. Von den edlen Holz-Arten
haben ſie dem Anſehen nach allein die einheimiſche
Eiche und Buͤche gekannt, und von frucht-tragenden
Baͤumen als Fremdlingen (a) wol wenige Arten vor-
gefunden. Jn den Mohren (b) und beſonders in
den ſchwarzen entdeckt man zwar noch viele Fuhren
und Fichten, welche jetzt fremd und durch einen noch
vorzuͤglich herrſchenden Nord-weſtlichen Wind (c)
ehedem umgeſtuͤrzt zu ſeyn ſcheinen. Man kann aber
den Zeit-punkt (d) worinn ſolches geſchehn, und wann
die Seemuſcheln (e) welche man noch hie und da fin-
det, verſteinert worden, nicht angeben. Die Mei-
nung (f) daß Weſtphalen und alles was darinn
Seewaͤrts gelegen, vordem mit Waſſer bedeckt ge-
weſen ſey, ehe die Weſer durch die Oefnung bey
Haußberge ihren Lauf gewonnen, beruhet auf der-
gleichen Muthmaſſungen.
Wir haben ſehr viel und mancherley Mohr; beſon-
ders nach der See zu, wo die Mohre immer haͤufiger
werden. Sie wachſen, ſo viel man merkt, nirgends
wieder, und ruhen vier bis acht Fuß tief auf Sand-
beten ohne Abfluß. Man theilt ſie gemeiniglich in
ſchwar-
[123]zweyter Abſchnitt.
ſchwarze und graue, und iſt in der Verſuchung zu
glauben, daß erſtere ihre ſchwarzen und fetten Thei-
le (a) aus den umgeſtuͤrzten Fichten-Waͤldern einge-
ſogen haben, wovon ſich der harzigte Geruch im
Waſſer hat verlieren koͤnnen. Glaublicher aber iſt es
daß alle Mohre in den aͤlteſten Zeiten eine Zeitlang
geſchwommen, (b) und ſich durch die untergetretene
See erhoben haben; da denn andre Urſachen ihrer
Brennbarkeit angegeben werden koͤnnen. Man hat
dergleichen Gegenden ſicher Kuak-(c) oder Bebe-
Land genannt. Und da die ehmaligen Kuaken(d)
oder Kauchen ohnſtreitig auf einer ſolchen zitternden
Land-Kruſte wohnten; ſich aber in den Zeiten, wo-
von wir Nachricht haben, nicht mehr in unſer Stift
erſtreckten: ſo moͤgen die Sandbaͤnke, wodurch alle
Mohre eingefaßt ſind, die unſrigen gar fruͤhzeitig ab-
geſondert und zu feſtem Lande gemachet haben.
Dieſer Sand traͤgt in unſerm Stifte uͤberall die
Merkmale der Anſpuͤhlung. Auf Bergen findet man
hier keine Mohre; und wo ſich dergleichen ander-
waͤrts darauf finden, moͤgen ſie eben wie die See-
Muſcheln dahin gekommen ſeyn. Einige halten
Schwefel; andre gar keinen. Der Torf welcher
daraus auf verſchiedene Weiſe gemacht wird, koͤmmt
den Einwohnern ſehr zu ſtatten.
Die Heide macht ihre Bewohner fleißig; (a) und
diente vordem mehr zur Schaaf- und Bienen-zucht
als jetzt. (b) Sie wird an einigen Orten, beſonders
wo Mohr darunter liegt, angezuͤndet; (c) und man
ſaͤet mit groſſen Vortheil Buchweitzen in die ſalzigte
Aſche. Jnsgemein aber dient ihre Narbe oder Plag-
ge zum Duͤnger; welcher im Sande und bey duͤrren
Zeiten beſſer, als eine andre Art von Duͤnger dauret.
Man faͤhrt dieſe Narbe in Haufen zuſammen; laͤßt
ſie mit andern Miſt durchbrennen; und bringt ſie
hiernaͤchſt aufs Land. (d) Sie wird auf eine beſondre
Art gemaͤhet; und dazu wird viel Uebung erfordert.
Die Graßnarbe, wo ſie zu haben iſt, wird ihr vor-
gezogen. Da durch den fortgehenden Anbau der
Acker taͤglich zunimmt, folglich des Duͤngers mehr
erfordert und der Heide weniger wird; ſo iſt man
beſorgt, daß dieſe Quelle endlich gar verſiegen moͤge.
Einige glauben, daß man ſie entbehren; und durch
eine groͤſſere Viehzucht erſetzen koͤnne. Andre aber
behaupten daß kein groſſer Vortheil dabey ſeyn wuͤrde,
wenn
[126]Oſnabruͤckſche Geſchichte
wenn man dagegen viel Brach-felder haben; und
ſolche fuͤr das Vieh beſtellen muͤſte. Der Land-wirth
folgt einer langen Erfahrung oder einem ehrwuͤrdigen
Vorurtheile; und es iſt gefaͤhrlich ihn zu ſtoͤren. An
einigen Orten, wo Torf und Holz mangelt, brennt
man auch eine Torf-artige Heidraſe, welche Sudde
genannt wird.
Die Berge enthalten Kohlen, (a) Marmor, (b)
rothe, gelbe und ſchwarze Kreite, vielerley gute Stei-
ne, auch Silber (c) und Eiſen, (d) welches man eine
Zeitlang gluͤcklich entbehrte, und jetzt bey dem Mangel
des Holzes nicht mit Vortheil gewinnen kann. Auf
der Oberflaͤche findet man ſchoͤne und harte Criſtalle, (e)
welche ſich an Steine und Marmor haͤngen, abfallen
und uͤberall auf dem Sande blinken. Auf gleiche Art
bilden ſich einige Kieſe; und beſonders ein artiger
Wuͤrfel-Kies. (f) Der Braunſtein (g) ſchießt auch
hier und da ſo an. Sonſt giebt es vielerley Thon;
braunen und weiſſen Mergel; Leimen, Gips, (h) Gieß-
Erde, (i) Schiefer und Kalkſtein. Die Schichte in
den Steinbruͤchen ſcheinen horizontal gelegen; und
ſich aus dieſer Lage durch einen untern Druck in der
Mitte erhoben zu haben. Einige derſelben zeigen
durchgaͤngig Dendriten. (k) Beſonders aber diejeni-
gen, woran ſich der Braunſtein haͤngt. Vordem
waren die Berge reich an Holze; und da wo ſie nun-
mehr getheilet ſind, zeichnen ſie ſich bereits wiederum
auf eine angenehme Art vor den uͤbrigen aus, welche
die ſchaͤdliche Gemeinſchaft bisher verwuͤſtet und ver-
nachlaͤßiget hat. Nach der Suͤd- und Nord-See zu
ſind faſt gar keine Berge. Jenſeits denen welche unſer
Stift von der Seite des Niederrheins decken, finden
ſich minder einzelne Wohner, und mehr Staͤdte, wor-
inn
[129]zweyter Abſchnitt.
in auch ſchon Ackerhoͤfe liegen und Anſpaͤnner woh-
nen; zum Zeichen, daß jene Gegenden mehrern An-
faͤllen als die unſrigen ausgeſetzt geweſen.
Es giebt auch einige Salzquellen worunter die zum
Rothenfelde (a) das Werk noch ziemlich belohnet.
Von mineraliſchen Waſſern weiß man nichts. Un-
ter den Fluͤſſen nehmen ſich die Haſe und Hunte vor
den uͤbrigen aus. Erſtere entſpringt an dem nordli-
chen Ende des Diſſener Berges, und faͤllt bey Haſe-
luͤnne in die Ems. Letztere lauft durch den Duͤmmer-
ſee in die Weſer, und entſteht an der Nordſeite des
Kellenberges im Kirchſpiel Buer. Beyde koͤnnten be-
fahren werden; erſtere von Haſeluͤnne (b) bis Qua-
kenbruͤck, und letztere aus der Weſer bis Eſſen, (c)
wenn nur einige Bruͤcken erhoͤhet, und einige wenige
Untiefen verbeſſert wuͤrden. Kleinere Fluͤſſe als die
Elſe, Duͤte, Nette, Dalke, Heſſel, Werau, Bever
und andre dienen nur zum fiſchen; und man hat faſt
alle Arten von guten Fiſchen, (d) doch mehr in
Weihern als in Fluͤſſen. Der Duͤmmer-ſee beruͤhrt
unſer Stift und iſt auch ſehr fiſchreich.
Der Boden traͤgt insgemein Rocken, Haber und
Buchweitzen zur Nothdurft des Landes; an wenigern
Stellen aber Gaͤrſten und Weitzen. Man zieht, dar-
auf auch viel, aber mittelmaͤßiges Flachs und einigen
J 2Hanf.
[132]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Hanf. Die Weiden ſind nicht die fetteſten, und
das Vieh von der mittlern Art. Das beſſere wird
aus Oſtfriesland (a) eingefuͤhrt; ſo wie Gaͤrſte und
Weitzen aus dem Schaumburgiſchen und Mindiſchen.
Die Garten-Fruͤchte des Bauren ſind Kohl, Ruͤben,
Erbſen, Bohnen, Fitzbohnen (b) und Kartuffeln.
Aus ſeiner eignen Zucht hat er in einiger Menge nichts
zu verkaufen als Schweine und Gaͤnſe; die Pferde
ſind auf der Heide und dem Sande wie billig (c)
klein; auf ſchwerern Boden aber beſſer und bisweilen
ſchoͤn. Hohes Wildpret hat man vordem nothduͤrftig
gehabt; und die Wolfs-Jagden ſind eine groſſe
Beſchwerde der Einwohner geweſen. Nun aber
gluͤcklicher (d) Weiſe nicht mehr, nachdem das Holz
abgenommen und das Wild zu wenig Schutz gehabt
hat. An kleinem Wilde (e) iſt kein Mangel und
auch kein Ueberfluß. Sonſt bringt das Land zur
Ausfuhr faſt wenig oder nichts hervor; deſtomehr
aber gewinnet der Fleiß der Einwohner an Garn und
Linnen.
Dieſes Linnen oder Lawend welches uͤber England,
Spanien, Portugall und Holland nach beyden Jn-
dien und in die Laͤnder gefuͤhret wird, wo die Hitze (a)
alles wollene Zeug beſchwerlich macht, wird von den
Einwohnern nach verrichteter Feld- und Haus-Ar-
beit, im Hauſe bereitet, entweder von Flachs oder
von Hanf. (b) Mann, Frau, Kinder und Geſinde
wenden die Zwiſchenraͤume ihrer Arbeit zum Spinnen
an. Der Stuhl beym Rade iſt gleichſam die Ruhe-
ſtaͤtte von andrer Arbeit; und Flachs kann mit kal-
ten (c) Fingern geſponnen werden. Jeder hat ſeinen
Webeſtuhl im Hauſe; und die Magd webt. Der
Vorzug dieſer Art Manufactur iſt, daß ſie lange mit
Verluſt (d) fortgehen und doch beſtehen kann; weil
die Zeit, ſo darauf gewandt wird, ohnedem verlohren,
und vielleicht uͤbel angewandt geweſen ſeyn wuͤrde.
Hiernechſt gehoͤrt ein National-Ton dazu, um Maͤn-
ner ohne Schimpf ans Rad zu bringen; und dieſen
zwingt der Geſetzgeber in andern Gegenden nicht.
Hierinn beſteht das ganze Geheimnis, (e) welches die
Englaͤnder ſuchen; und leichter finden als nutzen wer-
den. Das Garn iſt oft theurer (f) als das Linnen,
J 3und
[134]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und man webt doch fort, um ſich zwey Wege zur
Ausfuhr zu verſichern. Mit dieſem Linnen muͤſſen
alle Ausgaben des Landes beſtritten werden; und das
gluͤcklichſte iſt, daß das Geld dafuͤr in die kleinſten
Adern des Staats zuruͤck fließt, und nicht bloß einige
Glieder belebt. Auf gleiche Art werden auch halb
wollen und halb linnene Zeuge unter dem Nahmen
von Wollacken im Hauſe verfertiget; aber alles
grob und fuͤr die Noth. Fuͤr Wolluſt und Be-
quemlichkeit zu arbeiten wuͤrde nicht ſo ſicher; fuͤr den
Bauren im Hauſe unmoͤglich; und auf andre Art fuͤr
das allgemeine Beſte minder nuͤtzlich ſeyn.
Dieſes Linnen iſt der wichtigſte (a) Gegenſtand der
oͤffentlichen Vorſorge; und es verdient die Aufmerk-
ſamkeit derjenigen welche Geſetze zu geben, und Steu-
ren anzulegen haben; nicht um die Leute durch Preiſe
zu ermuntern, und ihnen Vorſchriften zu geben: ſon-
dern nur um es nicht mit Auflagen (b) zu beſchweren
und die Freyheit zu hemmen, (c) womit es von Aus-
waͤrtigen und Einheimiſchen angekauft wird. Die
Sorge daß guter aufrichtiger Lein verkauft, das
J 4Garn
[136]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Garn richtig gehaſpelt, das Linnen nach jedes Orts
Regel vollzaͤhlig gewoben; und in allen redlich verfah-
ren werde, ſind die Grundſaͤtze, welche die Policey
zu beachten hat. Durch einen einzigen Fehler kann
ſich der Linnen-Handel unwiederbringlich verliehren;
da er auch ohne dieſem in Gefahr (d) ſteht.
Auſſerdem gehet jaͤhrlich eine Menge Beywohner
nach Holland, welche daſelbſt im Sommer ein Hand-
Lohn (a) verdienet; und den Winter uͤber zu Hauſe
ſitzt und ſpinnet. Dieſe Leute ſind frey; und ihr
groͤßter Ehrgeitz iſt ſo viel zu erwerben, daß ihre Kin-
der einmal leibeigen werden koͤnnen. Denn da der
Leib-eigenthum erblich Haus und Hof giebt: ſo iſt er
beliebter und angeſehener als die Freyheit ſolcher
Fluͤchtlinge. Dieſe erhaͤlt man noch wol umſonſt;
jenen aber nicht ohne ſchwere (b) Koſten. Man ſcho-
net aber dieſe Leute billig ſo viel moͤglich in allen
Auflagen; damit ſie aus Holland und Jndien, in eine
gemiethete Huͤtte zuruͤck-kehren; dem Lande worin ſie
nichts eignes haben, getreu bleiben; durch ihre Men-
ge Aecker und Fruͤchte (c) im Preiſe halten; und ihr
Erworbenes endlich in den Leib-eigenthum bringen.
Der wahre Bauer findet bey ihnen allezeit und faſt
nur zu leicht Geld und Huͤlfe. Sie ſelbſt aber ſind
mit fuͤnfzig Jahren alt, und von vieler Arbeit (d)
kuͤmmerlich; wodurch aber dem Staat nichts abgeht,
weil ſie fruͤher heyrathen als Landbeſitzer, und ſich
um ſo viel geſchwinder vermehren, als ſie abſterben.
Der Leib-eigenthum bringt andre Vortheile. Die
Landſtaͤnde ſind Gutsherrn, und durch ihre eigne
Wohlfahrt verpflichtet fuͤr den leibeignen Unterthan
zu ſorgen, und ihn nicht erſchoͤpfen zu laſſen. Sie
haben gleiche Bewegungs-Gruͤnde zur Gelindigkeit,
weil ein guͤtiger Gutsherr von den reichſten Freyen
geſucht wird. Der von aller Amts-Gerichtsbarkeit
befreyete Gutsherr iſt zugleich ein natuͤrlicher Feind
des Amts, welchem anderwaͤrts die Unterthanen gar
zu ſehr bloß geſtellet ſind; und er deckt und vertritt ſie
mit ſeinem Anſehn, wie mit ſeinem Einfluß in die
Landes-Geſchaͤfte. Jm Gegentheil haͤlt die Gerichts-
barkeit des Amts, und die Aufmerkſamkeit der Re-
gierung dem Gutsherrn das Gewichte. Und dieſer
widerſeitige Gegenſtand macht, daß der Bauer die
Frucht ſeiner Arbeit ſo ruhig als irgendwo genießt.
Jhre groͤſte Wohlthat aber iſt, daß der Juͤngſte den
Hof erbt, und der Gutsherr die Abſteuer der Ge-
ſchwiſter beſtimmt; anſtatt daß auf freyen Hoͤfen ins-
gemein der aͤlteſte Erbe, und nach dem zu feinem
groͤſten Schaden eingeſchlichenen Roͤmiſchen Rechte,
angehalten wird, mit ſeinen Geſchwiſtern gleich zu
theilen. (a) Die Fortpflanzung des Geſchlechts geht
alſo bey ihnen um ein drittel geſchwinder, die Erb-
theilungen kommen ſo viel oͤfterer, und der Beſitzer
hat mehrentheils ſeine juͤngern Geſchwiſter und ſeine
eigne
[141]zweyter Abſchnitt.
eigne Kinder zu ernaͤhren. Daher koͤmmt ſelten ein
freyer Hof auf den vierten Erben.
Die einzelnen Wohner haben Vortheile und Rech-
te welche man anderwaͤrts erkennet und jetzt wieder
einzufuͤhren wuͤnſchet. Sie haben ihre Aecker, Wie-
ſen und Gehoͤlze insgemein rings um ihre Haͤuſer,
beſtellen ihr Land nach eignem Gefallen, und finden
zur Zeit der Noth noch immer etwas in ihren Bezir-
ken, woraus ſie eine Beyhuͤlfe ziehen koͤnnen. Brand
(a) und Seuchen verbreiten ſich bey ihnen ſo leicht
nicht; im Kriege liegen ſie verſteckt, und wenden
auch im Frieden nicht zu viel auf glaͤnzende Sachen
um keine Raͤuber zu locken. Jhre Entfernung von
einander und von der Dorf-ſchenke, verhindert uͤber-
dem manche Verſuchung, Begierde und Gelegenheit.
Und da ein jeder von ihnen ſeine Nebenhaͤuſer (b) und
Beywohner hat, ſo fehlt es ihnen auch nicht an Huͤlfe.
Nichts iſt zweydeutiger als der Nutzen unſer Doͤr-
fer, welche mit einer uͤbermaͤßigen Menge von Kraͤ-
mern, Weinſchenken, Apothekern (a) und dergleichen
Leuten beladen ſind, die dem einzelnen Wohner Netze
ſtellen, ihn verſuchen und verderben, und den Ge-
ſchmack an fremden Sachen in die kleinſten Huͤtten
verbreiten. Ein Feind welcher allezeit der Heerſtraſſe
oder dem Kirchthurme folgt, findet ſie leicht, haͤlt ſich
bey ihnen auf, (b) und beurtheilt das Vermoͤgen ei-
nes Landes nach der Menge ſeiner Kraͤmer. An ſtatt
daß der einzelne Wohner die Heer-ſtraſſe flieht, (c)
ſich in Gehoͤlzen verbirgt, damit ein leeres Land zeigt,
einen einzelnen Feind nicht fuͤrchtet, von einer Menge
mit Muͤhe und Gefahr aufgeſucht, und hoͤchſtens an
dem entbehrlichſten Theile ſeines Vermoͤgens beſchaͤ-
diget werden kann; wenn ſein Vieh in den Holzun-
gen ſteckt, und ſeine Wohnung ungeſchmuͤckt iſt. Jn-
zwiſchen tragen doch auch dieſe Doͤrfer zu dem hohen
Land-preiſe vieles bey, und eine kluge mit der Frey-
heit beſtehende Policey mag das uͤbrige verbeſſern.
Das Stift iſt volkreicher als die daran ſtoſſende
Laͤnder, und erhaͤlt jaͤhrlich mehr Einwohner; wozu
die vollkommenſte (a) Freyheit in allen Arten von
Handel und Nahrung, der gluͤckliche (b) Mangel
einer eignen Krieges-Macht, die leidliche Regierungs-
Form, die gute Gelegenheit nach Holland zu gehen,
die groͤſſern Beſchwerden in den angraͤnzenden Laͤn-
dern, und beſonders die Gemeinheiten zu deren unent-
geltlichen Mitgenuß die Beywohner leicht gelangen,
ſehr vieles beytragen. Denn ſonſt waͤre es unbe-
greiflich, warum ſich die Einwohner in einem eben
nicht
[145]zweyter Abſchnitt.
nicht ergiebigen Lande, wo die Feuerung, und faſt
alles theurer iſt als in andern, und wo einer dem an-
dern den Acker zum hoͤchſten (c) Preiſe entreißt, ſtark
vermehren ſollten. Es iſt faſt kein groſſer Land-Ei-
genthuͤmer im Stifte, der nicht ſeine Guͤter in einzel-
nen Stuͤcken (d) an eine Menge kleiner Beywohner
vortheilhafter verheuret haͤtte, als er ſolche im Ganzen
mit einem ſo genannten groſſen Haushalt nutzen kann.
Von dieſem findet man kein Beyſpiel weder auf ei-
nem Amte noch auf einem Edelhofe. Der Bauer
naͤhert ſich allmaͤhlich einer gleichen Regel; und faͤhrt
nicht uͤbel dabey. Ein verſchuldeter Bauerhof wird
oft durch die Ausheurung an den Meiſtbietenden,
woraus man ſich ſonſt, weil der Acker den geringen
Beywohnern unentbehrlich iſt, ein Gewiſſen macht,
gerettet. Der Beywohner erwirbet mit ſaurer Muͤhe
das Geld in Holland, was er im Acker wieder ver-
liert.
Die Einwohner ſind nicht unbillig ſchlechte Sol-
daten fuͤr gemeinen Sold; ſo lange ihnen die Aus-
flucht nach Holland mehrere Freyheit, manches Eben-
theuer, ein beſſers Auskommen, und den gluͤckli-
chen (a) Muth giebt, ohne aͤngſtliche Ueberlegung zu
heyrathen. (b) Sie ſind auch daher nicht das beſte
und allezeit theures Geſinde; wogegen die Policey
vergeblich vielleicht auch ohne Noth (c) eifert. Jn
ihrem Betragen und in der Sprache ahmen ſie gern
den Hollaͤndern nach und ſind hierinn gluͤcklicher, als
diejenigen welche den Staͤdter (d) dieſe mißlungene
Copey einer Nation die beynahe das Gegentheil von
der unſrigen iſt, ſich zum Muſter erwaͤhlen. Der
Ehrgeitz des Bauren ſollte ſeyn, oder wenigſtens da-
hin gelenket werden, das Nothwendige in ſeiner
Vollkommenheit zu haben. Allein dieſen Ton hat
der deutſche (e) Bauer uͤberall verfehlet; und er wird
es nie zu einer eignen National-Groͤſſe bringen. Von
ihren uͤbrigen Sitten laͤßt ſich nichts beſonders
ſagen.
Jhre Neigung zu Proceſſen (a) iſt zum Theil ein
nothwendiges Uebel, zum Theil aber auch ein Fehler
unſrer Art ihre ſtreitigen Sachen zu entſcheiden. Jhre
einzelnen Hoͤfe haben viele Graͤnze und auſſer denſel-
ben faſt uͤberall Gemeinſchaft, wovon ein jeder gern
etwas erhalten, oder doch nicht verlieren mogte. (b)
Die Gemeinheiten oder Marken liegen gegen einan-
der offen, und faſt uͤberall iſt Local-Recht, (c) ja oft
gar keines. Die Gerichts-Hoͤfe kennen ſolches nicht
immer, und beruhigen die Partheyen nicht, die naͤher
und beſſer urtheilen. Der groͤſte Fehler aber iſt,
daß man faſt alle Frieden,(d) und ihre Rechts-
Weiſungen geſprengt, die Klops-Leute (e) in Sun-
der-
[149]zweyter Abſchnitt.
der-Leute verwandelt, jedem Frieden oder jeder Jn-
nung ihren eignen Schultheiſſen (f) genommen; die
Gerichts-Zwaͤnge zu ſehr erweitert, und was vielleicht
unglaublich ſcheinen moͤgte, (g) Weisheit fuͤr Recht
erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge-
richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den groſſen
Plan der alten, welcher darin beſtand, daß Abrede,
Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehrſamkeit
oder Weisheit eine ſtreitige Sache unter Klops-Leu-
ten entſcheiden muͤſſe. Die Gerichtsbarkeit eines
Reichs-Gerichtes ſollte bloß durch einen Reichs-Frie-
debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig-
keit durch einen Land-Friedenbruch gegruͤndet; nie-
mals aber von der Rechts-Weiſung eines Klops, ei-
ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden.
Die Wohnung eines gemeinen Bauren iſt in ihren
Plan ſo vollkommen, daß ſolche gar keiner Verbeſſe-
rung faͤhig iſt, und zum Muſter dienen kann. Der
Heerd iſt faſt in der Mitte des Hauſes, und ſo an-
gelegt, daß die Frau welche bey demſelben ſitzt, zu
gleicher Zeit alles uͤberſehen kann. Ein ſo groſſer und
bequemer Geſichts-punkt iſt in keiner andern Art von
Gebaͤuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzuſtehen,
uͤberſieht ſie zu gleicher Zeit drey Thuͤren, dankt de-
nen die hereinkommen, heißt ſolche bey ſich nieder-
ſitzen, behaͤlt ihre Kinder und Geſinde, ihre Pferde
und Kuͤhe im Augc, huͤtet Keller und Kammer, ſpin-
net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-ſtelle
iſt hinter dieſem Feuer, und ſie behaͤlt aus derſelben
eben dieſe groſſe Ausſicht, ſieht ihr Geſinde zur Ar-
beit aufſtehn, und ſich niederlegen, das Feuer ver-
loͤſchen und anbrennen, und alle Thuͤren auf- und zu-
gehen, hoͤret ihr Vieh freſſen, und beachtet Keller
K 4und
[152]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und Kammer. Jede zufaͤllige Arbeit bleibt in der
Kette der uͤbrigen. So wie das Vieh gefuͤttert, und
die Dreſche gewandt iſt, ruht ſie wieder hinter ihrem
Spinnrade. Dieſe vereinigten Vortheile machen,
daß die Bauern lieber beym Heerde als in der Stube
ſitzen. (a) Ein rings herum niedrig abhangendes
Stroh-Dach ſchuͤtzt die allzeit ſchwachen Waͤnde,
waͤrmt Haus und Vieh, und wird mit leichter Muͤhe
von ihnen ſelbſt ausgebeſſert. Ein groſſes Vordach
ſchuͤtzt das Haus nach Weſten, und deckt zugleich den
Schwein-koben. Und um endlich nichts zu verlieren
liegt der Miſtfahl vor der Ausfarth, wo angeſpannet
wird. Jch erwehne dieſer Vortheile mit Fleiß, um
die Ueppigkeit abzuhalten, ſich bequemer anzubauen,
und jene wichtige Vortheile zu verfehlen. Die bloſſe
Abſonderung des Heerdes (b) worauf man leicht ver-
faͤllt, wirft alle dieſe groſſen Abſichten und Geſetze zu
Boden. Bey einem Bauern muß die Nothdurft der
Zierde vorgehen.
Die Einwohner Deutſchlandes zeigen ſich gleich in
ihrer voͤlligen Staͤrke und machen ſich durch
Ueberſchwemmung ihrer Nachbaren bekannt. Man
merkt ihren Anfang und Anwachs nicht. Jhre ein-
heimiſchen Verbindungen und Nahmen bleiben dun-
kel. Den Griechen war alles Celten (a) was in Jlly-
rien, Deutſchland, Frankreich, Spanien und Eng-
land wohnte. Jhre weiteſte Ausſicht gieng an einen
Orciniſchen (b) Wald, und wie ſich nach und nach
eine Menge Deutſcher Voͤlker in Aſien ergoß, nann-
ten ſie ſolche Gallier. (c) Die Roͤmer dehnten ſich
erſt unter Caͤſarn in Europa aus. Auch ſie mogten
Anfangs alles Gallier heiſſen was uͤber ein ander ori-
ciniſches Gebuͤrge, die Alpen, zu ihnen kam. Sie
lernten erſt ſpaͤt Cimbern, (d) Teutonen und Tiguri-
nen unterſcheiden, welche vielleicht nicht aus dem heu-
tigen Deutſchlande, ſondern aus den Gegenden ka-
men, woraus ſpaͤter die Gothen, Wandalen und
Hunnen hervorbrachen.
Der Nahme Germanien(a) war zu dieſer Zeit
noch nicht uͤblich, und bezeichnet leicht eine groſſe
Heermannie,(b) oder eine Verbindung mehrer
Staaten zu ihrer gemeinſamen Vertheidigung, wel-
che alſo nach dem Cimbriſchen Einbruche erfolgte.
Die Abſicht dieſer Vereinigung erraͤth man leicht
aus der groſſen Markomannie,(c) welche ſie an
der Elbe hatten, und wofuͤr ſie in der Folge mehr als
einmal erzittern (d) muſten. Dieſes iſt die aͤlteſte
Urkunde ihres Plans, (e) dem zu Folge auch die
Longobarden an der Elbe hinunter mit dazu gehoͤren
muſten, weil man wohl ſiehet, daß die ganze Anſtalt
in der Abſicht gemacht worden, um den Voͤlkern,
welche aus dem heutigen Ungarn, Schleſien, Pohlen
und uͤberelbiſchen Laͤndern einbrechen konnten, eine
genugſame Macht entgegen zu ſetzen. Die Sueven
deren Sicherheit hauptſaͤchlich davon abhieng, brach-
ten dies wichtige Werk zu Stande. Daher kann
man Germanien als den aͤlteſten Schwaͤbiſchen Bund
betrachten, und zugleich den Grund finden, warum
die Germanier oft Sueven, und warum die Sueven
in der Folge allein Allemannier heiſſen. Denn Ger-
manien(f) und Allemanien iſt nur der Ausſprache
nach unterſchieden.
Dieſe groſſe und wichtige Vereinigung ſcheint zu-
gleich den Zeitpunkt zu beſtimmen, worin zuerſt ein
Theil der Einwohner Deutſchlandes ſich zu einem
Reiche (a) bildet, und vielleicht enthaͤlt ſie die erſte
Anlage unſers heutigen Deutſchen Reichs. Die
auſſerordentlich ſtarke Verfaſſung (b) dieſer Bundes-
genoſſen, welche nun ihre ganze Einrichtung kriegeriſch
mach-
[160]Oſnabruͤckſche Geſchichte
machten, weiſet dahin zuruͤck. Vorher wurden ſie
von den Galliern (c) jenſeits des Rheins oft heimge-
ſucht. Nun aber ſetzten ſie alle ihre Nachbaren in
Furcht und Schrecken; (d) und man ſieht eine Men-
ge damals vorgegangener Veraͤnderungen durchſchei-
nen. Die Nahmen der Voͤlker, welche ſich unter
dieſem Bund gaben, verwandeln ſich in Bundes-
Nahmen; (e) und ein ſtarker Heer-mund(f) ent-
ſteht auf allen ihren Graͤnzen. Sie verdraͤngen die
Voͤlker, (g) welche ſich mit ihnen nicht vereinigen
wollen. Und da die Feinde, womit ſie im Anfang zu
kriegen hatten, ziehende Voͤlker waren, wogegen ſie
ſich mit einem Heere, welches aus Land-Eigenthuͤ-
mern beſtand, nicht hinlaͤnglich wehren konnten: ſo
mogte dieſes zu jenem groſſen Geſetze, (h) wodurch
aller Land-Eigenthum aufgehoben wurde, den wahr-
ſcheinlichen Anlaß geben. Der Verfall dieſes Bun-
des oͤfnete lange nachher den Gothen, Hunnen und
Wandalen ihre alten (i) Wege; und Henrich der
Vogler handelte nach den Grundſaͤtzen, (k) welche
mehr als tauſend Jahr vor ihm dieſer erſte Schwaͤ-
biſche Bund gefaßt hatte. So wahrſcheinlich iſt es,
daß Germanien ein Waffen-Verein ſey, welcher ge-
gen die Scythen oder ein ander maͤchtiges Volk von
jener Seite errichtet worden.
Es iſt nicht wol glaublich (a) daß ſich die Voͤlker
zwiſchen der Weſer und dem Rhein, nebſt denjeni-
gen welche hinter ihnen wohnten, in jenen groſſen
Bund oder das damalige Sueviſche Reich eingelaſſen
haben ſollten; und die Geſchichte zeigt, daß ſie ſehr
ſelten einen gemeinſchaftlichen Krieg gefuͤhret haben.
Jener Bund kehrte vor Heſſen oder die damaligen
Catten wieder; und dieſe ſcheinen oft freye aber keine
untergeordnete Bundsgenoſſen der Sueven geweſen
L 2zu
[164]Oſnabruͤckſche Geſchichte
zu ſeyn; jedoch nur ſo wie es die Umſtaͤnde haben
verſtatten wollen. Unſre Vorfahren ſind alſo wol
keine Germanier geweſen, ob ſie gleich von den Roͤ-
mern im Anfang ſo genannt wurden, und jetzt Alle-
mands heiſſen. Wenigſtens muß man dieſes voraus
ſetzen, um das Staats-Jntereſſe der Voͤlker zwiſchen
der Weſer und dem Rhein bis auf Carln den Groſſen
zu kennen. Bis auf ihn ſieht man eine ſchwebende Li-
nie (b) Deutſchland theilen. Der Herciniſche Wald
dient erſt jenen Germaniern gegen die Cherusker, und
bald den Allemanniern und Franken gegen die Sach-
ſen zur natuͤrlichen Vormauer.
Die Land-Eigenthuͤmer, welche in Niederdeutſch-
land auf ihren Hoͤfen ſitzen blieben; vor wie nach
von ihrer Wort-ſtaͤtte dienten, und ſich unter kein
Reich, Amt oder Herrſchaft begaben, waren unſtrei-
tige Saſſen;(a) ob ſie gleich dieſen Nahmen noch
nicht fuͤhrten. Die Germanier mogten es nicht
rathſam achten, ſich mit ihnen zu vereinigen, weil ſie
ſich ſonſt des Vortheils, welchen ihnen die Schei-
dungs-Gebuͤrge gaben, verzeihen, ihre Graͤnzen aus-
dehnen, und nach einer nothwendigen Folge ſchwaͤ-
chen muſten. Jene Saſſen blieben alſo vor ſich;
eiferſuͤchtig auf die Macht der Germanier, und na-
tuͤrliche Feinde derſelben. Sie hatten ihr eignes
Staats-Jntereſſe; und vornehmlich dieſes, die Ger-
manier auf alle moͤgliche Weiſe zu ſchwaͤchen. Da-
her erhob ſich ſchon in den erſten Zeiten eine Feind-
ſchaft zwiſchen ihnen; welche ſich endlich dahin endig-
te, daß ſie zuletzt beyde von den Franken uͤberwunden
wurden.
Dieſe Saſſen zeigten ſich zuerſt unter dem Nahmen
von Cheruskern, Brucktern und Angrivariern;
ſpaͤter unter dem von Oſt- und Weſtphaͤlern und
Engern; und beydes (a) wie es ſcheinet nach ihrer
verſchiedenen Lage; wenn man engere durch mittlere
uͤberſetzt. Sie hatten wol ihre Scheidung (b) in
unſerm Stifte, ſo daß die jetzigen Aemter Fuͤrſtenau
und Voͤrden zu den Brucktern; Jburg, Groͤnenberg
und Reckenberg zu dem Engern, und Wittlage nebſt
Hunteburg zu den Cheruskern gerechnet werden mog-
ten. Doch kann man die Graͤnzen nicht genau ange-
ben; wie denn uͤberhaupt die Linie welche ſie geſchie-
den hat, veraͤnderlich geweſen zu ſeyn ſcheinet, nach-
dem die unter jenen Nahmen begriffene Voͤlkerſchaf-
ten, ſich in dieſe oder jene Verbindungen eingelaſſen
haben. Denn ſie ſtanden in keinem beſtaͤndigen (c)
Reichs-Verein wie die Germanier; ſondern verban-
den ſich nach ihrem Gutduͤnken; doch ſehr ſelten mit
L 4den
[168]Oſnabruͤckſche Geſchichte
den Kauchiſchen und Frieſiſchen Saſſen, als welche
mehrentheils vor ſich blieben, und ſehr oft eine
Freundſchaft mit den Germaniern unterhielten, um
die in der Mitte geſeſſene Cherusker von beyden Sei-
ten in einer Spannung zu halten.
Caͤſar war der erſte welcher unſre Gegenden den
Roͤmern gleichſam entdeckte. (a) Vor ihm war kein
roͤmiſches Heer uͤber den Niederrhein gekommen; er
aber hielt es noͤthig auch daſelbſt die roͤmiſche Macht
zu zeigen. (b) Er fand die dortigen Nationen in kei-
ner Verbindung (c) mit den Sueven. Und obgleich
ſein unvermutheter Sieg; ſeine ſchnelle Eroberung
Galliens; ſein uͤbermuͤthiger Verſuch auf Britannien;
und dieſe ſeine feindliche Erſcheinung uͤber den Rhein;
einen allgemeinen Waffen-Verein der Deutſchen Voͤl-
ker haͤtte hervorbringen koͤnnen: ſo waren ſie doch zum
Theil vielmehr froh daruͤber, daß er den ſueviſchen
L 5Stolz
[170]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Stolz einmal gezuͤchtiget hatte. Die Gallier waren
indes ſehr unzufrieden mit dem Roͤmiſchen Joche;
und ihre Verſuche ſich wieder in Freyheit zu ſetzen,
vermehrten die Gelegenheiten, (d) wodurch die Nie-
derrheiniſchen Voͤlker (e) von nun an oͤfterer uͤber den
Rhein gelocket wurden, und ſich als Freunde der einen,
und als Feinde der andern Parthey zeigten.
Die einheimiſchen Kriege der Roͤmer beguͤnſtigten
eine Zeitlang dieſe Unternehmungen. Wie aber Au-
guſt die ganze Roͤmiſche Macht zu ſeinem Dienſte,
und einen maͤchtigen Feind noͤthig hatte, um ſeiner
Regierung Anſehn, ſeiner Familie Lorbern, und eini-
gen unruhigen Koͤpfen einen ruͤhmlichen Untergang zu
verſchaffen, gewann es bald ein ganz ander Anſehn.
Gleichwol gieng ſeine Abſicht von dem erſten Augen-
blick
[171]dritter Abſchnitt.
blick (a) an einzig und allein auf Oberdeutſchland
oder Germanien, deſſen Eroberung dem Roͤmiſchen
Reiche die ſchoͤnſte Feſtigkeit, Rundung und Ge-
maͤchlichkeit geben konnte. Die Voͤlker am Nieder-
rhein, welche eben wieder einen Einfall in Gallien ge-
wagt hatten, kamen alſo noch gut genug davon. (b)
Wie ſie ſich ihm aber aufs neue zunoͤthigten, gieng
er ihnen mit Macht zu Leibe, unterwarf ſich die Si-
camber, (c) wies die Chatten in gewiſſe Schranken,
noͤthigte die Cherusker Bedingungen anzunehmen,
uͤberwaͤltigte an der See-kuͤſte die Frieſen, drang bis
zu den Kauchen und eroͤfnete damit auf einmal und
bis an dieſelbe einen ganz neuen Schauplatz. Doch
mehr um ſich freye Haͤnde als neue Laͤnder zu erwer-
ben. Die hieſigen konnten verheert oder beruhigt,
leichter entbehrt als erhalten werden. Zu dieſem Ende
wurden nun auch einige Veſtungen (d) an der Lippe
angelegt; und man kann ſagen daß damals unſer Land
von dem Kayſer Auguſt abgehangen habe; ob es
wol ſeiner Lage wegen von keinen Roͤmiſchen Voͤlkern
beruͤhrt ſeyn mogte. Denn ihre vornehmſten Bewe-
gungen geſchahen lange nachher noch immer die Lippe
hinauf, oder die Seekuͤſte hinunter, weil Nachfuhr
und Vorſicht keine andre Wege ſo leicht geſtatteten.
Die hieſigeu Voͤlker trauten allmaͤlig dieſem Plan
und lieſſen ſich die roͤmiſche Freundſchaft, eine be-
ſcheidne Art von Herrſchaft, (a) gefallen; ſtelleten
die in Gefolge derſelben ihnen obliegende Huͤlfs-Voͤl-
ker; und erkannten, daß die Freundſchaft mit den
Roͤmern [ihnen] die ganze Welt oͤfnen, ihre Feindſchaft
aber nichts als Nachtheil bringen koͤnnte. Die
Statthalter am Niederrhein unterhielten ſie mit aller
Klugheit bey dieſen vernuͤnftigen Gedanken; und ihr
gutes Vernehmen wuͤrde die angenehmſten Folgen (b)
gehabt haben; wenn nicht Quintilius Varus (c) die
Beſorgung der Roͤmiſchen Angelegenheiten erhalten,
und ein ander Syſtem gefaßt haͤtte. Dieſer Mann
welcher bisher Syrien regiert und erſchoͤpft hatte,
kam an die Stelle des Sentius Saturninus, dem
ſein aufrichtiges und angenehmes Weſen ein allge-
meines Vertrauen erworben hatte. Er vergaß ſo-
gleich den Unterſchied zwiſchen Freunden und Unter-
thanen, und behandelte das Land bis uͤber die Weſer
ſchlechterdings auf den Fuß einer uͤberwundenen Pro-
vinz. (d) Hierdurch erbitterte er alles gegen ſich.
Man
[173]dritter Abſchnitt.
Man durfte ſich aber nicht gegen ihn ruͤhren, weil er
mit einem ſtarken Heere in einer vortheilhaften Stel-
lung am Niederrheine ſtund, und die ganze Gegend
in Furcht hielt. Endlich lockten (e) ſie ihn doch uͤber
die Lippe gegen die Weſer, wo er ſich in Sicherheit
ausbreitete. Allein auch in dieſer Stellung, wo er
einige Veſtungen im Ruͤcken und eine maͤchtige Re-
ſerve unter dem Aſprenas am Rhein hatte, ſchien er
ihnen noch zu furchtbar. Sie muſten ihn noch tiefer
ins Land und aus ſeinem Vortheil bringen.
Zu dieſem Ende war ein Zug der Roͤmer nach der
Emſe aus dem Lippiſchen unſtreitig der Weg, um ſie
am beſten zu verwickeln, und von aller Huͤlfe abzu-
ſchneiden. Man bewog alſo ein entferntes Volk(a)
zum Aufſtande; und es iſt glaublich, daß ſich die
Emslaͤnder (b) dazu haben gebrauchen laſſen. Der
Weg dahin war ungebahnt. Varus aber ließ ihn
muͤhſam oͤfnen; (c) und Bruͤcken ſchlagen. Um das
Maaß ſeiner Unvorſichtigkeit voll zu machen, befahl er
den deutſchen Huͤlfs-Voͤlkern welche Armin an-
fuͤhrte, ihm zu folgen, und das war eigentlich wor-
auf man gerechnet hatte. Denn kaum war er auf-
gebrochen: ſo zog Armin alles unter dieſem Vor-
wande zuſammen, raͤumte was von Roͤmern zuruͤck-
geblieben war, in der Geſchwindigkeit aus den We-
ge, und folgte ihnen als Freund, mittlerweile andre
den in vollkommenſter Sicherheit und ohne alle Ord-
nung fortruͤckenden Roͤmern, durch Berg und Thal
beyde Seiten abgewonnen hatten. Jetzt legten ſie
auf einmal die Maske ab; und fielen von allen Sei-
ten auf ihre Feinde, welche drey Tage unter be-
ſtaͤndigem Gefechte, und unter den groͤſten Beſchwer-
lichkeiten, vermuthlich mit einer vernuͤnftigen Wen-
dung nach dem Niederrhein fortzogen, endlich aber
insgeſamt aufgerieben oder gefangen wurden. Dies
mogte
[175]dritter Abſchnitt.
mogte das erſtemal ſeyn, daß ein Roͤmiſches Heer
aus Noth unſer Land beruͤhrte. Denn alle dieſe Um-
ſtaͤnde laſſen vermuthen, daß Varus bey Hervord
uͤber die Werre (d) und ſo weiter in unſer Land ge-
gangen ſey.
Das Land wurde dadurch eine Zeitlang von der
Roͤmiſchen Freundſchaft befreyet, aber auch ſehr auf
Mdie
[178]Oſnabruͤckſche Geſchichte
die Spitze geſtellt. Die Roͤmer durften ein ſo kuͤhnes
Unrecht nicht ungerochen laſſen, und die Cherusker,
Bruckter und Angrivarier muſten in beſtaͤndiger
Furcht leben; oder groſſe Vereinigungen errichten,
und ſich in einer voͤlligen Kriegs-Verfaſſung erhalten.
Armin bediente ſich dieſer Umſtaͤnde. Noth und
Dankbarkeit machten ihn zum Feldherrn. Die Ge-
meinen liebten ihn, ſo ſehr als er von den Edlen,
welche die Folgen ſeiner Unternehmungen gar zu gut
einſahen, gehaſſet wurde. Hiedurch entſtand zuerſt
ein einheimiſcher Krieg, welcher den Roͤmern Zeit ließ
ſich von ihrem Schrecken zu erhohlen, und bald dar-
auf mit einem Heer von hundert-tauſend Mann einzu-
brechen, und ganz Weſtphalen (a) mit Feuer und
Schwerd zu verheeren. Der roͤmiſche Feldherr Ger-
manicus zerſtoͤrte bey dieſer Gelegenheit auch den be-
ruͤhmten Tempel Tanfans, (b) und gieng damit
um, die Voͤlker zwiſchen dem Rheine und der Weſer
dergeſtalt zu entkraͤften, (c) daß ſie fernerhin die roͤ-
miſchen Graͤnzen am Niederrhein unangefochten laſſen
ſollten. Jn dieſer Abſicht that er verſchiedne Feldzuͤ-
ge, lief zu zween malen in die Emſe ein, und drang von
dorther durch unſre Gegenden gegen die Weſer, und
uͤber dieſelbe; ohne jedoch ſeine voͤllige Abſicht zu er-
reichen, indem er einigemal gar uͤbel heimgefuͤhrt, (d)
und anch durch ſeine Vortheile nicht verbeſſert wurde,
weil ein Sieg insgemein nichts mehr entſchied, als
daß der eine fluͤchten, und der andre zuruͤckgehen
muſte.
Tiber machte zuerſt dieſen unnuͤtzen und koſtbaren
Kriegen aus einem Mißtrauen gegen den Germanicus
ein Ende. (a) Was dieſſeits der Weſer (b) war,
blieb mehrentheils in der Roͤmer Freundſchaft; und
die jenſeitigen Cherusker (c) wurden ihrem unruhigen
Willen uͤberlaſſen. Armin gieng mit denſelben den
Sueven gegen ihre Markomannen zu Huͤlfe, (d)
vielleicht um ſeine Feldherrſchaft durch den Krieg zu
verlaͤngern, oder auch in der groſſen Abſicht eine
gefaͤhrliche Souverainite in Germanien zu verhindern.
Er fochte nicht ungluͤcklich, ward aber endlich da er
wie Caͤſar, mit welchem er viel aͤhnliches hatte, ein
M 2eignes
[180]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eignes Reich zu errichten gedachte, auch wie dieſer
von ſeinen Freunden und Verwandten ermordet. (e)
Die Roͤmer ſahen dieſe einheimiſchen Unruhen der
Deutſchen gern, und Tiber hielt es fuͤr das ſicherſte
und bequemſte ſie |auf dieſe Art gegen einander zu
reitzen; wiewol er dadurch den roͤmiſchen Nahmen
zuletzt faſt in Verachtung brachte; (f) bis endlich
Claudius ſolchen wiederherſtellete, und die Sachen
am Niederrhein zu ihrem vorigen Glanze erhob, aber
auch zugleich ploͤtzlich mitten unter dem Fortgange
derſelben (g) alle Eroberungen auf dieſer Seite
weißlich verachtete. (h) Dieſer Entſchluß, welcher
von einem Kayſer kam, der die Herrſchaft der Roͤmer
uͤber Britannien feſtſetzte, endigte die groͤſte Periode
der roͤmiſchen Kriege in unſern Gegenden.
Bis dahin erforderten die Kriege die Aufmahnung
aller Gemeinen. (a) Die Edlen (b) hielten es darin
mehrentheils mit den Roͤmern, und die Gemeinen
waren ſicher (c) gegen alle Herrſchaft; obwohl nicht
gegen ein Reich, welches aus den verlaͤngerten Feld-
herrſchaften haͤtte entſtehen koͤnnen. Es iſt dabey
merkwuͤrdig, daß die Roͤmer von jenem ſchwaͤbiſchen
Bunde eine foͤrmliche Huͤlfe gegen die Cheruskiſchen
und andre Saſſen erwarteten, und wiederum der
Markomanniſche Koͤnig auf den Beyſtand der Roͤmer
rechnete; (d) imgleichen daß die Voͤlker an der See-
kuͤſte und beſonders die Kauchen leicht der Roͤmer
Parthey nahmen, und eine roͤmiſche Beſatzung an
der Emſe duldeten. (e) Da die Gegenden zwiſchen
dem Rhein, der Emſe und der Weſer ſich ſolcherge-
ſtalt zur Noth-freundſchaft (f) bequemen muſten;
ſo konnten ſie nicht wohl ohne Haͤupter oder gemei-
ne (g) Koͤnige bleiben; weil die einzelnen Wohner
einen Haupt-Buͤrgen noͤthig hatten, womit die Roͤ-
mer etwas gewiſſes ſchlieſſen konnten. Ein ſolcher
Koͤnig hatte eine nothwendige Stuͤtze (h) an den Roͤ-
mern, ſo lange er ſein Volk nicht unterdruͤckte; und
einen natuͤrlichen Feind an den Adel, ehe man Lehne
kannte und ſolche ohne Schimpf annahm. Bis da-
hin erhielten ſich die Gemeinen durch ihn; und er
durch die Gemeinen. (i)
Die Zuͤge der Roͤmer von der Emſe nach dieſer
Seite muſten entweder dieſen Fluß hinauf uͤber das
heutige Meppen bis Rheine laufen, und von dort
mit einer Wendung zur Linken den Teutoburger
Wald erreichen; oder aber mit einer fruͤhern Einlen-
kung uͤber Kloppenburg und die Kuackenbruͤck durch
unſer Stift gehn. Andre Heerwege ſind noch jetzt
nicht vorhanden, und wegen der vielen Mohre und
tiefen Gegenden nicht fuͤglich anzunehmen. Erſtern
ſcheint Germanicus erwaͤhlet zu haben, wie er in
einer Richtung gegen die Lippe, durch die Gegend
der Bruckter vordrang, und ſeine Rechte durch die
leichten Truppen verwuͤſten ließ, (b) zum Zeichen
daß er mit der Haupt-Armee auf die Linke, wo er den
Teutoburger Wald traf, gehn wollte. Die Gebuͤrge
und Waldungen mit untermiſchten Ebnen, deren oft
erwehnt wird, nehmen bey Jppenbuͤren ihren Anfang,
und gehen in einer maͤchtigen Kette durch unſer Stift
und die Grafſchaft Tecklenburg ins Lippiſche und an die
Weſer. Germanicus verfolgte damals den Armin,
der ſich immer tiefer ins Land zog, auf ſeinen Ab-
wegen, (c) und nahm allem Anſehen nach, von dem
Varianiſchen Schlachtfelde, worauf er die zerſtreue-
ten Gebeine ſamlen und begraben ließ, eben den
Weg, welchen der ungluͤckliche roͤmiſche Feldherr zu-
erſt gebahnet hatte; nicht ohne Gefahr ein gleiches
Schickſal zu erfahren. Denn er that einen ſehr un-
gluͤck-
[185]dritter Abſchnitt.
gluͤcklichen Angrif, (d) und gieng wiederum den vori-
gen Weg nach der Emſe. (e)
Jn dem zweyten Zuge von der Emſe, worin Ger-
manicus das Jdeſtaviſiſche Feld jenſeits der Weſer
behauptete, mogte er den andern Weg uͤber die
Kuakenbruͤcke und ſo weiter uͤber Voͤrden nehmen. (a)
Dieſer iſt der einzige; und Voͤrden(b) ſind uralte
Anlagen aͤlter als Straſſen. Man hat nicht weit
davon ein Grabmal roͤmiſcher Kaufleute (c) entdeckt,
welche ſich leicht aus dem alten Emden durch dieſen
Weg ausbreiten konnten. Der Sieg den Germa-
nicus damals auf dem Ruͤckwege an dem Damme
erfochte, welcher die Angrivarier und Cherusker ſchied,
ſoll zu Damme (d) nahe bey dieſem Voͤrden vorge-
fallen ſeyn; und man hat in den dortigen Gegenden
verſchiedene roͤmiſche Muͤnzen gefunden. (e) Wenn
die Roͤmer vom Niederrheine kamen, mogte der Zug
ihrer Armeen nicht leicht in unſer Stift fallen. We-
nigſtens haben alle Kriegesheere, welche in den ſpaͤ-
tern Zeiten vom Rheine gegen die Weſer gezogen ſind,
ſich eher auf die Rechte gewandt, und hoͤchſtens zu
ihrer Sicherheit Jburg mit ihren leichten Truppen be-
ruͤhrt. Eine Heerſtraſſe von dieſer Seite iſt auch
uͤberhaupt nicht wohl zu beſtimmen, weil dorther
mehrere Wege zuſammentreffen.
Die Ruhe von auſſen war ſolchergeſtalt wieder-
hergeſtellet, die Beſatzung von der Lippe abgefuͤhrt,
und ein groſſer Strich Landes am Rhein zur Schei-
dung wuͤſte (a) gelegt; die innerliche Ruhe aber nach
einem ſo ſchweren Kriege, wodurch zuletzt alles krie-
geriſch
[188]Oſnabruͤckſche Geſchichte
geriſch und jeder ander Stand veraͤchtlich werden
muſte, ſchwer zu erhalten. Der Cheruskiſche
Adel, deſſen Gefolge nothwendig ſtark vermehrt
war, (b) hatte ſich bereits unter einander aufgerie-
ben, (c) und die Nation (d) dahin gebracht, des Ar-
minius Brudern Sohn Jtalus, der in Jtalien geboh-
ren und erzogen war, (e) von Rom als ihren Koͤnig
zu berufen. So angenehm er aber den Gemeinen
Anfangs geweſen war: ſo ſehr ward er zuletzt den
Edlen, und der ganzen Nation verhaßt, da er nach
roͤmiſchen Grundſaͤtzen regieren wollte. Die Bruckter
und Angrivarier mogten unter dem Einfluß der naͤ-
hern roͤmiſchen Macht, der Ruhe genieſſen welche ih-
nen Claudius geſtattete. Man ſieht ein, daß dieſe
drey Nationen damals nicht vereinigt waren, ob ſie
ſchon, ehe und bevor Claudius ſeinen groſſen Ent-
ſchluß vollfuͤhrte, Galba die Chatten und Gabinius
die Marſer und Kauchen ſchlug, Corbulo aber mit
ſeinen Entwuͤrfen uͤber die Emſe war, (f) ein ge-
meinſchaftliches Syſtem (g) behaupteten und ſich
dieſer ihrer Nachbaren nicht annahmen.
Dieſe Ruhe erhielt ſich eine Zeitlang auſſer daß die
Chatten ſich ruͤhrten, und den Cheruskiſchen Saſſen
nicht traueten. (a)Nero hatte inzwiſchen das Ver-
gnuͤgen eine frieſiſche Geſandſchaft (b) in Rom zu
empfangen; und ein ſehr anſtaͤndiges Verfahren bey
den niederrheiniſchen Voͤlkern zu bemerken. Die
Amſibarier oder Emslaͤnder wurden von den Kauchen
welche ſich alſo damals bis an Kuakenbruͤck ausdeh-
nen konnten, vertrieben, (c) und dieſe vielleicht durch
eine groſſe Waſſerfluth (d) dazu gezwungen. Denn
die uͤbrigen Saſſen, welche ſich ſonſt der Amſibarier
annahmen, und ihnen die von den Roͤmern am Rhei-
ne wuͤſtgelegte Gegenden zuwenden wollten, wieder-
ſetzten ſich dieſer gewaltſamen Ausdehnung nicht.
Die Roͤmer aber waren noch ſtark genug, die
Saſſen an der Ausfuͤhrung ihrer mitleidigen Ab-
ſichten zu verhindern. (e) Es ſchien als wenn die
Bruck-
[190]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Bruckter damals unter den weſtfaliſchen Saſſen den
Reihen fuͤhrten. Velleda (f) eine edle Bruckterin
ſo ihren Sitz auf einem Schloſſe oder erhabenen
Thurme an der Lippe hatte, regierte wenigſtens ihrer
viele, und fuͤhrte das Wort fuͤr alle. (g) Sie wur-
de als eine Perſon verehrt, welche aus goͤttlicher Ein-
gebung handelte; und dieſes iſt insgemein die hoͤchſte
und feinſte Wendung der menſchlichen Politik, wenn
ſie den Wehrt und die Nothwendigkeit einer Mo-
narchie erkennet, die Vortheile derſelben aber nur
von einer geheiligten und ſchwachen Hand empfangen
will. Unſre Vorfahren gehorchten alſo dero Zeit
einer geheiligten Jungfrauen, in ſo weit ſie zu ge-
horchen gewohnet waren; (h) und ſie hatten ſchon in
den alten Zeiten ein gleiches Haupt an der Aurinie (i)
gehabt.
Die deutſche Zwietracht hatte bisher den Roͤmern
gedient; nun aber ſollte auch einmal die roͤmiſche den
Deutſchen zu ſtatten kommen. Nero war geſtorben
mit ihm die regierende Familie erloſchen und kein
Senat mehr vorhanden, welcher den Armeen Befehle
ertheilen konnte. Galba und Otto waren nur eben
erſchienen und Vitellius fand bald an dem Veſpa-
ſian einen Gegner, welcher ihm keine lange Ruhe
verſprach; als Claudius Civilis ein edler Bataver
den kuͤhnen Entſchluß faßte fuͤr Letztern zu fechten,
und fuͤr ſich zu gewinnen. (a) Er brachte alſo zuerſt
ſeine Bataver, welche damals Gallien ruͤhrten, in
die Wafen. Die Voͤlker hinter ihnen folgten ihrem
Exempel. Was am Oberrhein war ruͤſtete ſich, und
die Niederrheinſchen Voͤlker richteten ſich nach einer
goͤttlichen Eingebung ihrer Velleda, (b) welche Ci-
vilis
[193]dritter Abſchnitt.
vilis gewonnen hatte. Von andern Seiten ſtand das
roͤmiſche Reich gleichfals in Gefahr, und Gallien er-
wartete nur den Ausgang um ſich oͤffentlich zu erklaͤ-
ren. So viele guͤnſtige Umſtaͤnde muſten nothwen-
dig die beſte Hofnung geben. Der Krieg ward auch
anfaͤnglich mit ziemlichen, bald darauf aber mit ab-
wechſelnden Gluͤcke einige Jahr nach einander fort-
gefuͤhrt, jedoch zuletzt durch Liſt und Unterhandlung
ſolchergeſtalt, wie es ſcheinet, geendiget, daß Civilis
ſeine Bedingungen (c) fuͤr ſich machte, und Velleden,
welche nicht lange nachher als eine roͤmiſche Gefangne
erſcheinet (d) ihrer eignen Gefahr uͤberließ.
Die Unternehmung des Claudius Civilis ſetzte ganz
Deutſchland in Erſtaunen, (a) und die Verbundene
Nmog-
[194]Oſnabruͤckſche Geſchichte
mogten nach ihrer Befreyung von dem roͤmiſchen
Joche, zuerſt Franken genannt werden, in der Folge
aber dieſen Nahmen denjenigen von ihren Bundsge-
noſſen laſſen, welche ihre Freyheit zuletzt behaupteten.
Der Urſprung der Franken kann wenigſtens fuͤglich in
dieſe Zeit geſetzt werden, obgleich die Roͤmer ihnen die
Freyheit und den Nahmen davon nicht eher zugeſtehn
konnten, bis die Zeit deſſen Urſprung verdunkelt hatte.
Bey dem groͤſten Fortgange ihrer Waffen ſchickten
die niederrheiniſchen Voͤlker eine Botſchaft nach
Coͤlln, deſſen ſich die Roͤmer ſeit langer Zeit zu ihrem
Waffenplatze hier unten bedienten, um dieſer Stadt
Gluͤck zu wuͤnſchen, daß ſie nunmehr frank unter
franken Voͤlkern ſeyn koͤnnte; zugleich aber auch, um
die Niederreiſſung ihrer Stadt-Mauren zu fordern,
damit ein ehrlicher Deutſcher, ohne ſeine Waffen
abzulegen, wie auch ohne Zoll und ohne Wache uͤber
den Rhein gehen koͤnnte. Man erkeunet daraus un-
gefehr ihre weiteſten Abſichten, und wird durch die
Folge uͤberzeugt, daß die Gefangenſchaft der Vellede
keine ſchlimme Veraͤnderung in unſern Gegenden und
dem bisherigen Syſtem hervorgebracht habe.
Die Chatten ſchienen zuerſt den Nahmen der Fran-
ken zu behaupten. (a) Sie fielen auf die Cherusker,
und verjagten deren Koͤnig Chariomer (b) weil er zu
maͤchtig und mit der Zeit ein gefaͤhrlicher Nachbar
werden konnte. Chariomer kam zwar einigemal
wieder empor, (c) und Domitian unterſtuͤtzte ihn
als einen roͤmiſchen Freund mit Gelde; machte auch
ſelbſt einige Bewegungen gegen die Chatten; allein
ohne Nutzen, und es ſcheinet, daß die Cherusker ſich
von ſolcher Zeit an der Ehre, ſich unter einem eignen
Feldkoͤnige verbunden und gefuͤrchtet zu ſehen, bege-
ben muſten. (d) Die Brukter hingegen erhielten ſich
noch mit Macht, und ihre damalige heilige Beherr-
ſcherin Ganna, (e) welche nach Velledens Zeit ver-
N 2ehret
[196]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ehret wurde, beſuchte den Kayſer Domitian in Rom.
Die Roͤmer gewannen an Vertrauen nach dem Maſſe,
wie ſie ihren Nachbarn weniger gefaͤhrlich wurden, und
ihre Freundſchaft wurde den Brukteriſchen Saſſen im-
mer noͤthiger, da die Germanier unter den ſchwachen
Kayſern ſich ihrer alten Groͤſſe naͤherten, den Koͤnig
welchen ihnen die Roͤmer gegeben hatten, verjagten,
und im Begrif ſtanden Gallien zu verheeren; die
Chatten aber den Domitian nicht fuͤrchteten, und
die Markomannen nebſt den Quaden dem roͤmiſchen
Reiche den Untergang droheten.
Trajan zuͤchtigte (a) endlich der Roͤmer und Saſ-
ſen gemeinſchaftliche Feinde die Chatten und andre
Franken, und brachte dadurch die Sachen am Nie-
derrhein wieder auf einen ſolchen Fuß, daß er in der
Folge ſich mit der ganzen roͤmiſchen Macht gegen die
Donau und die Morgenlaͤnder wenden konnte. Die
Freundſchaft der Roͤmer und die Schwaͤche der
Chatten diente aber den Saſſen, und beſonders den
Bruktern nur ſich ihrer Macht zu uͤberheben. Dieſe
waren eine Zeitlang dasjenige unter den Saſſen in
Weſtphalen geweſen, was die Sueven unter den
Germaniern waren, und die Sicamber unter den
Franken wurden. (b) Sie waren gleichſam die
ausſchreibende, und mit der Zeit gewiß die herrſchende
Nation. Denn Vellede und Ganne waren Brukter-
ſcher Herkunft, und hatten ihr Amt ſchon weit genug
N 3aus-
[198]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ausgedehnt. Auf einmal thaten ſich dahero ihre
Nachbarn und beſonders die Angrivarier und Cha-
maver zuſammen (c) griffen die Brukter an, und
erſchlugen ihrer am Rhein in einem Treffen uͤber ſech-
zig tauſend Mann. Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe
Niederlage den Brukteriſchen Heerbann betroffen,
und der Adel es mit den Angrivariern und Chama-
vern gehalten habe. Denn der Brukteriſche Koͤnig
fluͤchtete gleich vielen andern Koͤnigen, die dem Adel
beſchwerlich wurden, nicht lange hernach zu den Roͤ-
mern, welche ſich der Koͤnige, als ihrer Lehnleute an-
nahmen.
Die Folgen dieſer groſſen Niederlage koͤnnen zwar
nicht ſo betraͤchtlich geweſen ſeyn, als man vermuthen
ſollte. Denn Spurinna kam den Bruktern noch zei-
tig zu ſtatten, (a) befeſtigte ihren Koͤnig, und erhielt
desfals zu Rom die Ehre des Triumphs. Es iſt aber
doch glaublich, daß viele kleine Voͤlker, und beſonders
diejenigen welche damals in unſern Gegenden ſaſſen,
ſich von den Bruktern getrennt und zu den Angrwa-
riern
[199]dritter Abſchnitt.
riern geſchlagen haben. Vielleicht blieb wohl gar der
Brukteriſche Nahme blos denjenigen Bundes-genoſ-
ſen, welche vorhin jenſeits der Lippe (b) zu ihnen gehoͤ-
ret und daher ihren Nahmen gefuͤhret hatten. Dann
die Brukter zeigten ſich bald darauf am Rhein, und
zuletzt im fraͤnkiſchen Bunde, mit deſſen Huͤlfe ſie ſich
der Angrivarier erwehren konnten. Eine ſolche Ver-
aͤnderung ſchadete dero Zeit der gemeinen Freyheit ſo
leicht nicht. Ein uͤberwundenes Volk trat gleichſam
nur in den Bund der Sieger, ohne im uͤbrigen ſeine
Verfaſſung zu verlieren, es mogte denn ſeyn, daß man
es voͤllig vertilgte oder verjagte. Denn man kannte
das Mittel noch nicht, Laͤnder durch Beſatzungen zu
erhalten; und ließ einem Feldherrn ſchwerlich das
Recht aus einem gemeinen Gewinn ſein Eigenthum zu
machen, ſolchen ſeinem Gefolge zu verleihen, und der
Nation gefaͤhrlich zu werden. Auſſer dieſem aber hat-
ten die Sieger keinen andern Weg ſich der Ueberwun-
denen zu verſichern, als ſie mit ſich ſelbſt in eine
gemeine Reihe zu bringen, und ihnen ihre eigne Ehre
mitzutheilen; oder ſie ganz zu vertreiben, und ihre
Hoͤfe mit Siegern zu beſetzen, welche denn ihr Recht
noch weniger verlohren.
Das Anſehn wozu Trajan die roͤmiſche Macht
wieder erhoben hatte, erhielt ſich unter ſeinem Nach-
folger, (a) und wie der Kayſer Marc Aurel mit dem
groſſen ſchwaͤbiſchen Bunde, worinn dero Zeit die
Markomannen die Oberhand hatten, und mit dem
andern groſſen Waffenverein jenſeits der Elbe (b) zu
gleicher Zeit Krieg fuͤhren muſte: ſo zogen die Saſſen
Subſidien (c) von den Roͤmern, und halfen ihnen
gegen ihre alten Feinde die Sueven. Dieſes Sy-
ſtem ſchien ſich eine gute Weile zu erhalten, obgleich
die frieſiſchen und kauchiſchen Saſſen, welche man
mit den Bruktern und Angrivariern gar ſelten in Ge-
meinſchaft findet, ſich als Feinde zeigten. Wenig-
ſtens fuhr der Kayſer Commodus fort die Subſi-
dien (d) zu bezahlen; und Caracalla ſchlug ver-
muthlich auch mit ihrer Huͤlfe die Germanier, welche
damals zum erſtenmal von den Roͤmern Alleman-
nier (e) genannt und damit von den Niederrheiniſchen
Voͤlkern deutlich unterſchieden wurden. Dieſe mog-
ten ihm aber gegen die Kauchen, Frieſen und Anglen
nicht dienen wollen, weil er denſelben fuͤr baares Geld
das Recht abkaufte, uͤber ſie triumphiren zu duͤrfen;
ein Recht welches ihm zuletzt alle Voͤlker verkaufen
wollten.
Schon damals als Sever und Albin ſich einander
das Reich ſtreitig machten, und Albin Gallien vor
ſich hatte, ſchienen die Niederrheinſchen Voͤlker es
mit den Galliern zu halten und damit den Grund zu
neuen Kriegen mit den Roͤmern zu legen. Sie er-
fuhren wenigſtens die Rache der Roͤmer, und der
grauſame Maximin ruͤhmte ſich nachher viermal hun-
dert tauſend Doͤrfer (a) in Niederdeutſchland (b) ver-
heeret zu haben. Wie aber der groſſe ſchwaͤbiſche
Bund, oder die nunmehrigen Allemannier auf Jtalien
N 5und
[202]Oſnabruͤckſche Geſchichte
und Spanien fielen; der andre Bund an der Do-
nau in Pannonien einbrach, folglich Gallien oder
vielmehr das alte Belgien ſich ſelbſt erhalten muſte,
aͤnderte ſich die Verfaſſung. Die niederrheinſchen
Voͤlker unterſtuͤtzten die von den Galliern erwaͤhlte
beſondern Kayſer, (c) und beguͤnſtigten eine Tren-
nung, wovon ſie unter dem Aurelian und Probus (d)
das Opfer wurden. Die roͤmiſchen Kayſer ſuchten
ihre Freundſchaft ſo bald nicht wieder; ſondern be-
handelten ſie als maͤchtige feindliche Nachbaren, (e)
ſo gut ſie konnten, ohne jedoch einige Eroberungen
dieſſeits des Rheins zu machen.
Jnzwiſchen waren unter dem Diocletian (a) die
Saſſen nun auch dem Nahmen nach beruͤhmt ge-
worden; es ſey nun daß ihnen derſelbe in einer ge-
wiſſen Beziehung, oder zum beſondern Unterſchiede ge-
geben wurde, nachdem andre welche ihren beſondern
Bund hatten ſich unter dem Nahmen von Franken
nicht lange vorher bekannt gemacht hatten. Der
Ruhm dieſes Nahmens faͤllt in die Zeit, da ihnen die
Franken gegen die Roͤmer vorarbeiteten, die Germa-
nier aber den einbrechenden Gothen, und die thuͤrin-
giſchen Chatten den Wandalen und Gepiden zu
ſteuren, folglich alle ihre alten Feinde vor ſich zu
thun hatten. Sie hatten alſo dero Zeit gleichſam die
Wahl der Ebentheuer, und pluͤnderten die galliſchen
und ſpaniſchen Kuͤſten, mit eben dem Geiſte womit
ſie nachwaͤrts in Britannien (b) uͤbergiengen. Dieſe
ihre Unternehmungen in Geſellſchaft, und mehrentheils
unter dem Nahmen der Franken, waͤhreten bis auf
die
[204]Oſnabruͤckſche Geſchichte
die Zeiten Julians, da die Saſſen und beſonders die
kauchiſchen, (c) weil ſie vor den Roͤmern zu Hauſe
ſicherer als die Franken waren, ohne Unterlaß die
galliſchen Kuͤſten beſuchten, und ſich zur See fuͤrch-
terlich machten. Die fraͤnkiſche und ſaßiſche Freund-
ſchaft trennete ſich oͤfterer (d) weil jene insgemein die
Schlaͤge empfingen welche letztere verdienten. Und
ſelbſt die Franken muſten ſich bisweilen gegen ihre
Freunde von den Roͤmern gebrauchen laſſen.
Solchergeſtalt zeigten ſich nunmehr drey Haupt-
Voͤlker in Deutſchland, die Allemannier, Franken
und Saſſen, welche zwar wohl bisweilen zufaͤlliger
Weiſe, aber allezeit als drey unterſchiedene Nationeu
mit den Roͤmern und Galliern kriegten; ſehr oft ge-
gen einander fochten, und kein gemeinſchaftliches
Reich erkannten. Man ſah noch ſehr oft die Fran-
ken und bisweilen auch die Saſſen mit den Roͤmern
gegen die Allemannier (a) und ihre Bundesgenoſſen
fechten, beſonders unter dem Gratian und Theodo-
ſius. Wie aber endlich der uͤberelbiſche groſſe
Waffenverein, (b) oder die Wandalen, Gothen,
Quaden und andre Voͤlker, nachdem ſie von den
Roͤmern an der Donau nicht weiter beunruhiget
wurden, in Deutſchland einbrachen, die durch unauf-
hoͤrliche Kriege erſchoͤpften Sueven mit ſich fortriſſen,
und Gallien ſolchergeſtalt uͤberſchwemmeten, daß ſie
zwiſchen die Roͤmer und Franken zu ſtehen kamen,
behaupteten letztere mit Huͤlfe der Saſſen ihre Be-
ſitzungen. (c) Jene dehnten ſich daher nach Jtalien
und Spanien aus, gaben aber auch bald, da ſie ſich
im
[206]Oſnabruͤckſche Geſchichte
im Ruͤcken ſchwaͤchten, den Franken und Saſſen
Gelegenheit, ihnen einen Theil ihrer Eroberungen
wieder zu entreiſſen, woruͤber ſich die Roͤmer ver-
geblich beklagten. Nunmehr fieng die fraͤnkiſche
Macht an in Gallien eine Geſtalt zu gewinnen, und
den Roͤmern noͤthiger (d) als jemals zu werden.
Das fraͤnkiſche Reich dehnte ſich darauf unter dem
groſſen Chlodowig durch Oberdeutſchland aus, und
ſchloß ſich nach der Niederlage der thuͤringiſchen
Chatten, gegen die Saſſen an eben den Gebuͤr-
gen, (e) welche ehedem den Sueven gegen die Che-
rusker zur Vormauer gedienet hatten.
Die Saſſen waren bisher ohne Reich wie ohne
Syſtem geblieben, und uͤberall nur dem Kriege nach-
gezogen, wohin es ihnen am beſten gefallen hatte,
ohne an ihre gemeinſchaftliche Sicherheit zu geden-
ken. Nun aber merkten ſie ihren Fehler, und es war
als wenn ihnen bey dem Fall der Thuͤringer, welchen
ſie noch gemeinſchaftlich mit den Franken befoͤr-
derten, (a) ihr eigner ahndete. Sie zogen alſo
die-
[208]Oſnabruͤckſche Geſchichte
dieſen nunmehr wider die Franken zu Huͤlfe; aber zu
ihren Schaden. Denn dieſe hatten jetzt den Mittel-
punkt ihrer Staͤrke da, wohin ſich die Roͤmer kaum
ausgedehnt hatten; und eine ſo vollkommen ge-
ſchloſſene Einrichtung, daß die Saſſen dagegen nicht
leicht aufkommen (b) mogten. Die Roͤmer hatten
es bey ihrem Verzicht auf alle Eroberungen dieſſeits
des Rheins, nicht rathſam geachtet, die niederrhein-
ſchen Voͤlker mit einem Tribut zu beſchweren und zu
reitzen. Die Franken brauchten ſo viele Maͤßigung
nicht; und der aͤltere Hlotar (c) trug gar kein Be-
denken, den geſchlagenen Saſſen einen Tribut von
500 Rindern aufzulegen. Doch iſt es wahrſchein-
lich, daß ſich zu ſolchem Tribut nur einige vorlie-
gende Gemeinden verpflichtet haben. (d) Jmmittelſt
wurde dadurch der alte Haß wieder rege, und an
der groſſen Scheidung, wo vordem die Sueven und
Cherusker eine ewige Feindſchaft hatten, bekriegten
ſich jetzt nach veraͤnderten Nahmen die Franken und
Saſſen.
Jn dieſen Umſtaͤnden mogten ſich zuerſt die Saſſen,
zu ihrer beſſern Vertheidigung, in drey Hauptkreiſe
unterſcheiden; oder doch von den Franken in oͤſtliche,
weſtliche und mittlere (a) unterſchieden werden; wenn
man vermuthen will, daß eine gleiche Abtheilung
unter andern Nahmen ſchon vorher (b) ſey beliebet
worden. Der groͤſte Theil unſers Stifts gehoͤrte
unſtreitig zu dem weſtlichen, oder zu Weſtfalen,
und vermuthlich das jetzige Amt Groͤnenberg nebſt
Wittlage zu Engern. Der gemeinſchaftliche Sam-
melplatz der Saſſen ſoll zu Markloh(c) an der
Weſer geweſen ſeyn; und er muß wol allemal an der
Weſer angenommen werden, weil bey einem Anfalle
vom Niederrhein oder durch Heſſen, ihre Vereini-
gung in der Mitte am ſicherſten und bequemſten war.
Die Kriege mit den Franken wurden lange an der
Ober-weſer gefuͤhrt; es ſey nun daß die Oſtfaͤler
noch immer ein cheruskiſches Herz gegen die Chatten,
oder eine vorzuͤglich kriegeriſche Verfaſſung, oder
auch wegen des einigen unter ihnen auferlegten Tri-
buts, mehrere Urſache hatten, die Franken zu haſſen.
Dieſe hatten uͤberdem, auf mehrere Faͤlle, (d) ihre
groͤſte Macht in Oberdeutſchland; und folglich auch
die Wahl des Kampf-platzes. Jn Weſtfalen ſchien
es wenigſtens die erſte Zeit ruhig.
Die Franken ſchlugen oft mit ihnen, und erfochten
nach dem Bericht ihrer Geſchichtsſchreiber groſſe
Siege, ohne einige Eroberungen auſſerhalb den
Graͤnzen Germaniens zu machen. (a) Eine Ver-
wuͤſtung uͤber die Oberweſer war oft die ganze Folge
eines gluͤcklichen Treffens. Chlotar ſchlug ſie in
Geſellſchaft der Thuͤringer, (b) und wurde von ihnen
wieder geſchlagen, doch ward ein Theil der Oſtfaͤler
ihm zinsbar. Die Heldenthaten Dagoberts (d) gegen
den oſtfaͤliſchen Heerfuͤhrer Berthold ſind wohl nur ein
fraͤnkiſcher Roman; wie denn uͤberhaupt damals auf
die Rechnung der Saſſen gut dichten war. Jhr Erbie-
ten (e) die Vertheidigung der Reichs-Graͤnzen gegen
die Wenden, welche zu den uͤberelbiſchen Waffen-
verein gehoͤrten, zu uͤbernehmen, wenn ihnen der
Tribut erlaſſen wuͤrde, koͤnnte ihnen als die erſte
Verbindlichkeit gegen die Hermanie oder das Reich
angerechnet werden, wenn es durch den Erfolg ge-
nugſam bewieſen waͤre. Man merket aber leicht daß
ſie immer noch die Einbruͤche des uͤberelbiſchen Ver-
eins beguͤnſtiget haben, um den Franken in ihren
neuen Eroberungen keine Ruhe zu laſſen. Jene Ein-
O 2bruͤche
[212]Oſnabruͤckſche Geſchichte
bruͤche trafen damals (f) nicht leicht die Sachſen.
Vielmehr ſahe man dieſe ſich verſchiedentlich mit den
Hunnen, Daͤnen, Wenden und Sklaven gegen die
Franken verbinden.
Bey allen dieſen Kriegen hatten die Saſſen ihre
eigne Verfaſſung noch immer mit Macht behauptet.
Wie Dagobert ſtarb, waren ſie noch ſtark genug
Heſſen (a) zu verheeren und den Franken die Spitze
zu bieten. Die Frieſen ſtreiften unter ihrem Koͤnig
Radbot nach Koͤlln, (b) und unſre Gegenden waren
nothwendig ruhig. Der fraͤnkiſche Majordome ſchlug
zwar die Frieſen, (c) befreyete Heſſen und verwuͤſtete
das Land der Saſſen ſo weit er konnte, doch ohne
Folgen. Und die Frieſen ſo wohl als die Saſſen
drungen nachher noch mehrmals an den Rhein, (d)
ſo oft und ſo gluͤcklich er auch nach dem Berichte der
fraͤnkiſchen Schriftſteller mit ihnen ſchlug. Wie er
aber ſaͤmtliche Feldherrſchaften der fraͤnkiſchen Mo-
narchie an ſich gebracht, (e) und ſein Sohn Pipin
die Krone auf den Degen geſetzt hatte, (f) zeigte
ſich ſchon von ferne das Netz, welches unter Carln
dem Groſſen die Saſſen befangen wuͤrde. Vorher
waren ſie oft geſchlagen, uͤberzogen und zum Tribut
gezwungen, ihr Land aber war nie zu einer ordentlichen
Provinz gemacht und durch fraͤnkiſche Stadthalter,
oder verpflichtete Koͤnige regieret worden. Und dieſes
laͤßt zugleich vermuthen, daß ſie auch unter ſich in
keiner Reichs-verfaſſung lebten. Denn wenn die Fran-
ken einen Herzog oder Koͤnig von Bayern, Thuͤringen
und Allemannien uͤberwanden: ſo folgte die Provinz
dem Schickſal ihres Koͤnigs. Nie aber folgte das
Land der Saſſen dem Ueberwinder ihres Heerfuͤhrers.
Ward dieſer geſchlagen: ſo wurde ihr Land ver-
O 3heert,
[214]Oſnabruͤckſche Geſchichte
heert, (g) aber nicht zum Reiche gezogen. Sie ent-
richteten ihren Tribut als Nachbaren, welche die
fraͤnkiſche Macht fuͤrchteten und erkannten, (h) in ih-
rer innern Landes-verfaſſung aber nicht geſtoͤret wur-
den.
Die Zuͤge der Franken kamen mehrentheils aus
Heſſen und Thuͤringen (a) und nur ſelten vom Nie-
derrheine, (b) und wenn ſie auch von letzterm Orte
kamen: ſo wandten ſie ſich auf Paderborn, (c) um
dasjenige, was ſie von oben gebrauchten an ſich zu
ziehen. Dies konnten ſie thun, wenn ſie nur die Lippe
beſetzt hatten. Pipin gieng tiefer in Weſtphalen und
auf Rheme. Hier muſte er Meiſter von der Ems
und einigen Veſtungen auf ſeiner Linken ſeyn, ehe er
ſich nach Rheme vertiefen konnte. Er hatte alſo
nothwendig Jburg (d) in unſerm Stifte beſetzt, und
der Erzbiſchof Hildeger von Coͤlln ward dort erſchla-
O 4gen.
[216]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gen. (e) Pipin verwuͤſtete alles, was er nnr er-
reichen konnte, ſiegte nach dem Berichte ſeiner Leute
in manchen blutigen Schlachten, eroberte Hochſe-
burg, und zwang einen Theil der Sachſen zu einem
jaͤhrlichen Tribut von dreyhundert Pferden. Doch
kam er auch oftmals in groſſe Gefahr, und die
ſpaͤtern Unternehmungen der Sachſen zeugen von einer
Macht, welche die Erzaͤhlung fruchtloſer Siege eini-
ger maſſen verdaͤchtig macht. Ein ſaͤchſiſcher Fuͤrſt
Nahmens Dieterich, (f) welcher in Hochſeburg (g)
gefangen wurde, machte ſich in dieſen Kriegen vor
zuͤglich beruͤhmt. Es ſcheint aber, daß er blos ein
eignes Gefolge, nicht aber den National Heerbann
gegen die Franken gefuͤhret habe. Diejenigen welche
aus obigen Hochſeburg unſer Oſnabruͤck machen,
ſetzen ihn auch zu unſern Fuͤrſten. Er war aber aller
Vermuthung nach ein edler Oſtfaͤler, und Hochſe-
burg iſt jenſeits der Weſer zu ſuchen.
Endlich erſchien Carl der Groſſe und mit ihm der
groſſe Zeitpunkt, worin das Land der Saſſen zum
erſtenmal eine Provinz des fraͤnkiſchen Reichs wer-
den ſollte. Die Stiftung unſers Biſchofthums
macht ihn zugleich merkwuͤrdig, und da unſre ganze
Verfaſſung ſich dahin zuruͤck zieht: ſo verdient er
die genaueſte Betrachtung. Die bisher erzaͤhlten
allgemeinen Begebenheiten haben es nur einiger
maſſen wahrſcheinlich machen ſollen, daß unſre Vor-
fahren ſo wenig von den Roͤmern als Allemanniern
und Franken in ihren unbeſchloſſenen Verfaſſungen
geſtoͤret worden. Sie waren alſo nach dieſer Vor-
ausſetzung noch immer die alten einzelnen Wohner
oder Saſſen, welche ihre Oberſten und Richter ſelbſt
waͤhlten, unter der Fahne Gottes auszogen, und ſo
wenig eine Herrſchaft als ein Reich erkannten, (a)
wann ſie ſich gleich bisweilen ungeſalbte Koͤnige oder
Haͤupter erwaͤhlten, und im Kriege dem Tapfer-
ſten folgten. Die Gefolge konnten bey den langen
und oͤftern Kriegen zugenommen (b) haben; Es
konnte mancher Wehr ſich einem maͤchtigern in
Schutz und Hode uͤbergeben; (c) und ſich ihm zu
Dienſte verpflichtet haben; Die Edlen (d) konnten
durch ihre oͤftere Vertheidigung zu dem Beſitz eines
jaͤhr-
[220]Oſnabruͤckſche Geſchichte
jaͤhrlichen Beytrages von den Gemeinen gelanget
ſeyn; (e) Jhre anſehnlichen Gefolge konnten ihnen
gedient haben, das Amt eines gemeinen Vorſtehers
in ihren Familien ſo gut als erblich zu machen.
Allein ihr richterliches Amt war noch das alte; ſie
hatten keine Gerichtsbarkeit uͤber die Gemeinen;
und das Recht uͤber Leben und Tod war auſſer dem
Hofrecht unbekannt. Der Adel war noch erleuch-
tet; (f) und die prieſterliche Gewalt das Band des
Staats.
Dieſe ihre ganze Anlage und Einrichtung ſtund der
fraͤnkiſchen Verfaſſung und der chriſtlichen Religion,
welche beyde zugleich eingefuͤhret werden ſollten,
ſchnurgerade entgegen. Laͤngſt hatte ſich letztere durch
die Laͤnder ausgebreitet, worin die Wehren ſich
mehr in Leute, (a) und Voͤlker-rechte in Hof-rechte
verwandelt hatten. Sie war gerade der Linie (b)
gefolgt, welche ehedem die Cherusker von den Chat-
ten, oder die Reichsgenoſſen, von den unbeſchloſſenen
Saſſen geſchieden hatte. Ganz Germanien war ge-
wonnen; die Niederlaͤndiſche Seekuͤſte, ſo weit ſie
beherrſcht wurde, hatte ſie mit Freuden aufgenom-
men. Allein den Saſſen konnte (c) keine Religion
gefallen, nach welcher ein geſalbter Koͤnig das Recht
uͤber Leben und Tod, Gehorſam, Gedult und Zehn-
ten fordern konnte. Es kam ihnen unertraͤglich vor,
daß ein Mann einen Schimpf nicht ſelbſt raͤchen, und
ein Held nicht ſeinen beſondern Himmel haben ſollte.
Sie muſten erſt durch die Macht der Waffen um
ihre politiſche Verfaſſung gebracht werden, ehe das
Chriſtenthum auch nur einige Verhaͤltnis zu ihrem
Staat gewinnen konnte. Dies war die Urſache
ihrer hartnaͤckigen Widerſetzung, welche Carl der
Groſſe ganzer drey und dreyßig Jahr mit unermuͤde-
tem Eyfer bekaͤmpfte, oft unterdruͤckte aber nie er-
ſtickte. Jhr Aberglauben war der ſtaͤrkſte, (d) wel-
chen je ein Volk gehabt, und die politiſche Ver-
faſſung
[223]dritter Abſchnitt.
faſſung hatte ſich dermaſſen (e) darauf gelehnet, daß
Freyheit und Religion zugleich angegriffen werden
muſten.
Carl durfte wohl wuͤnſchen ſein Reich bis an die
Elbe zu erweitern. Dieſe Ausdehnung ergaͤnzte den
Zirkel, in deſſen Mittelpunkt er ohnedem ſeine Haupt-
macht (a) halten muſte. Er war alſo großmuͤthig an
der Weſer und grauſam an der Elbe, (b) weil er
dort erobern, und hier zerſtoͤren wollte. Ob ſeine
Unternehmungen gerecht oder ungerecht geweſen, iſt
nach
[225]dritter Abſchnitt.
nach dem Siege eine vergebliche Unterſuchung.
Gluͤck und Groͤſſe uͤberheben ihn einer gemeinen
Rechenſchaft. Er diente der Religion, und dieſe ihm,
da er den Schos der Kirche und ſeines Reichs zu-
gleich erweiterte, und den Grund zu Deutſchlands
Groͤſſe legte. Wedekind ein edler Herr, fuͤhrte die
Weſtphaͤlinger gegen ihn an; Albin die Oſtphaͤler,
und Bruno die Engern. Sie handelten im Anfang
nicht gemeinſchaftlich, weil jede Nation ſich beſon-
ders verglich. (c) Es kann aber auch ſeyn, daß
Carl ihnen nicht die Zeit ließ, ſich zu vereinigen, und
ploͤtzlich mit einer unerwarteten Macht in ihr Land
gieng. Der Koͤnig hatte das Gluͤck an dem Pabſt
Adrian (d) einen Freund und Fuͤhrer zu finden; und
beyde arbeiteten mit gleichem Eyfer an der Ausbrei-
tung ihrer Macht in den Abendlaͤndern, worinn nur
ein Reich und eine Kirche ſeyn ſollte.
Der Koͤnig riß zuerſt ſeines verſtorbenen Bruders
Reich an ſich; verjagte deſſen Wittwe und Kin-
der, und zog darauf ploͤtzlich wieder die Sachſen,772
welche ihn nicht erwarteten und leicht uͤberwaͤl-
Ptiget
[226]Oſnabruͤckſche Geſchichte
tiget wurden. Er eroberte (a) Eresburg und zerſtoͤrte
den Ort worin die Jrmenſaͤule (b) von ihnen ver-
ehret wurde. Kaum aber hatte er ſich nach Jtalien
gewendet, um ſeinen Schwiegervater zu ſtuͤr-
773zen: ſo ruͤhrten ſich die Saſſen, eroberten Eres-
burg und Sigisburg und verwuͤſteten Heſſen;
jedoch nur zu ihrem Ungluͤck. Denn Carl
774kam zuruͤck, verheerte ihr Land, und noͤthigte
775erſt die Oſtphaͤler, hernach die Engern und zu-
letzt die Weſtphaͤler, welche indeſſen ſein Lager
an der Weſer uͤberfallen und erobert hatten, ihm
Geiſſel zu geben, und Frieden zu geloben. Er war
aber noch nicht wieder uͤber die Alpen, als die
776Saſſen ſich ſchon von neuen ruͤhrten, Eresburg
wieder zerſtoͤrten, Siegesburg belagerten, und
ſich auch aufs neue wieder unterwarfen, nachdem
Carl auf das ſchleunigſte und mit der groͤſten Macht
wieder ſie anzog, Eresburg herſtellete, noch eine Ve-
ſtung an der Lippe ihnen ins Geſicht ſetzte und mit
Ernſt darauf dachte das ganze Weſen auf einen
beſſern und ſicherern Fuß als bisher zu ſetzen. Zu
dieſem Ende berief er ſeine Franken wie auch die
777Saſſen nach Paderborn, und richtete alles ſo
wohl ein, daß er im folgenden Jahre ruhig und
unbeſorgt uͤber die pyrenaͤiſchen Gebuͤrge nach Spa-
nien ziehen konnte. Die Saſſen gelobten einen be-
ſtaͤndigen Frieden, und lieſſen ſich in Menge taufen.
Wedekind aber fluͤchtete uͤber die Elbe. Vermuth-
lich ließ Carl damals bey der neugetauften Heerde
einige Hirten zuruͤck, welche ſie in einer Religion er-
halten ſollten, wovon faſt die ganze Sicherheit der
Ver-
[227]dritter Abſchnitt.
Vereinigung abhangen muſte; und es iſt wohl rich-
tig, (c) daß er auch nach Oſnabruͤck eine Kirche ver-
ordnen konnte, nachdem dieſſeits der Elbe alles be-
ruhigt war. Vielleicht wurde alſo ſchon damals der
Grund zu unſerer Kirche gelegt.
Auf ſeinem Ruͤckzuge aus Spanien ward
Carl aufs Haupt geſchlagen, und alſo auch der
Friede von den Saſſen wieder gebrochen. Sie
fielen mit Macht an den Rhein, verheerten alles
was ſie konnten, und ſchonten gewiß der Altaͤre nicht.
Ohnfehlbar ward alſo auch der unſrige, wenn er
bereits erbauet war, zerſtoͤrt. Carl ließ ſo gleich eine
ſtarke Bewegung aus Oberdeutſchland gegen ſie
779vornehmen, er ſelbſt aber gieng nachdem er ſich
wieder erhohlt hatte, uͤber den Niederrhein au
die Lippe, ſchlug bey Bucholz und drang in unſre
Gegenden, wo ſich ihm alles unterwerfen muſte.
Damals konnte unſtreitig die Stiftung unſer Kirche
mit aller Sicherheit geſchehen. Denn Carl
780bauete nun ſchon Veſtungen an der Elbe, und
781rechnete auf die Saſſen als Reichs-voͤlker.
Deſto empfindlicher fiel es ihm alſo daß ſie bey
einem Einfalle der Slaven in Thuͤringen, wel-
782chen Widekind unfehlbar veranlaſſet hatte,
anſtatt ihm zu helfen, ſich mit jenen Reichs-fein-
den verſtanden, und ihm ein anſehnliches Heer auf
dem
[229]dritter Abſchnitt.
dem Suͤntel abſchlugen. (a) Dies erbitterte ihn ſo
ſehr, daß er ſelbſt mit ſeiner ganzen Macht den
Saſſen ins Land gieng, und an die viertauſend fuͤnf-
hundert Gemeine (b) bey Verden an der Aller ent-
haupten ließ.
Die Saſſen geriethen uͤber dieſes grauſame Ver-
P 3fah-
[230]Oſnabruͤckſche Geſchichte
fahren voͤllig in Wuth. Der ganze Heerbann zog
ſich unter Wedekinden bey Detmold zuſammen, und
beyde Nationen lieferten ſich einander eines der
783blutigſten Treffen, ohne etwas zu entſcheiden, (a)
indem Carl um neue Huͤlfs-voͤlker an ſich zu
ziehen, nach Paderborn; Wedekind aber an die
Haſe in unſer Stift zuruͤckgieng, wo es gleich darauf
zu einem neuen Treffen (b) kam, in welchem die
Saſſen endlich das Feld raͤumen muſten. (c) Carl
behielt aber noch keinen feſten Fuß im Lande, erhielt
auch diesmal keine Geiſſeln, ſondern ſahe ſich wieder
Willen genoͤthiget mit Verwuͤſtungen fortzu-
784fahren. Er zog alſo im folgenden Jahre von
neuen mit Feuer und Schwerd durch Weſt-
phalen uͤber die Weſer an die Elbe; jedoch ohne den
Frieden zu erzwingen. Denn die Saſſen unter-
warfen ſich nicht, ſondern giengen vielmehr ſeinem
Sohn, welchen er mit einem beſondern Heer in der
Gegend von Drente an der Lippe gelaſſen hatte, zu
Leibe (d) und noͤthigten den Koͤnig noch einen Win-
terzug zu thun. Dieſer gieng alſo mit ſeinem Heer
an die Emmer, ſtreifte bis Reme, und hielt den gan-
zen Winter uͤber von Eresburg aus die Saſſen
785in beſtaͤndiger Unruhe. Gegen das Fruͤhjahr
verſamlete er die fraͤnkiſche Reichs-folge zu Pa-
derborn, machte ſich von dem groͤſten Theil des Lan-
des Meiſter und gieng wieder an die Elbe, wo er ſich
endlich mit Wedekinden in foͤrmliche Unterhandlun-
gen einließ, (e) ihm durch ſeine Geſandten frey Ge-
leit und Geiſſeln uͤberſchickte, und dieſen Herrn dahin
brachte, daß er dem Koͤnige nach Ettnach folgte und
ſich durch die Taufe mit GOtt und ihm verſoͤhnte.
Vermuthlich konnte dieſer Held nicht eher wieder
zum ruhigen Beſitz ſeiner Weſtphaͤliſchen Guͤter ge-
langen, ohne ſich mit den Franken auszuſoͤhnen; und
der Koͤnig mogte nicht wohl auf einige Sicherheit an
der Elbe rechnen, ſo lange Widekind mit ſeinem
Gefolge, und einiger nordiſchen Huͤlfe, ſolche be-
unruhigen, und die allezeit ſchwankende Saſſen zu
neuen Unternehmungen bereden oder noͤthigen konnte.
Beyden war alſo mit einer Unterhandlung gedient,
und der Koͤnig hatte Urſache den erſten Schritt zu
thun, weil er nicht immer eine genugſame fraͤnkiſche
Macht
[233]dritter Abſchnitt.
Macht an der Elbe halten konnte, ſondern die Saſ-
ſen ſelbſt zur Vertheidigung ihrer Graͤnzen gegen die
uͤberelbiſchen Voͤlker auf die eine oder andere Weiſe
bewegen muſte. Der Erfolg zeigte zwar erſt ſpaͤt die
Richtigkeit ſeiner Maaßregeln. Jnzwiſchen mag doch
durch den Schritt welchen Widekind that, das Land
dieſſeits der Weſer in ziemliche Ruhe gebracht ſeyn.
Ohnfehlbar gelangte auch Wedekind wieder zu ſeinen
Guͤtern, wovon vielleicht ein Theil in unſern Gegen-
den belegen (a) war: allein ſeine Feldherrſchaft hoͤrte
von ſelbſt auf, und er war nunmehr ein Edler ohne
ein oͤffentliches Amt zu fuͤhren. Wenigſtens handeln
diejenigen, welche ihm ein Koͤnigreich, ein Herzog-
thum (b) oder eine Grafſchaft geben, ohne Grund wie
ohne Schein, und gegen die Sitte der damaligen Zeiten.
Die Auſſoͤhnung Wedekinds und ſeine Bekehrung
laſſen glauben, daß er ſeine Feldherrſchaft niederge-
legt habe. Die Geſchichte vermißt ihn ganz (a) und
Carl liebte keine ſtehende Feldherrn in Saſſen.
Eine tiefe Stille folgte auf die bisherigen Verwuͤ-
ſtungen. Doch ſcheint es nicht, daß der Kayſer be-
reits damals die innere Einrichtung des Landes zu
Stande gebracht habe. Denn er nahm noch ſpaͤter
Geiſſeln, und dieſe nimmt man in jenem Falle ſo
leicht nicht. Beyde Nationen zogen jedoch als
gemeinſchaftliche Reichsgenoſſen gegen die Hun-791
nen; aber auch vielleicht ungern. Denn die
Saſſen konnten ſich unmoͤglich mit gutem Willen an
der Donau (b) gebrauchen laſſen. Vermuthlich
war dieſes auch die Urſache ihres neuen Ver-
falls. Die Saſſen fiengen wenigſtens ihre793
Feindſeeligkeiten von neuen damit an, daß ſie
den Auf bot von Frieſen und Saſſen, welcher an die
Donau gehen ſollte, auseinander jagten, (c) und
jene Zeit dazu waͤhlten worinn der Koͤnig ſeinen
Schmerz verbergen, und ſich der Hunnen erwehren
muſte. Jhr Gluͤck waͤhrete nicht lange. Carl uͤber-
zog ſie mit zween Heeren von oben und unten,
und diejenigen welche ihm auf dem Sintfelde (d),794
zur Schlacht entgegen geruͤckt waren, muſten
ſich von neuen unterwerfen. Die Triebfedern dieſer
Unternehmung ſchienen jenſeits der Weſer zu lie-
gen.
[236]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gen. (e) Daher ſ[u]chte Carl vornehmlich die
795dortigen Voͤlker heim, (f) verwuͤſtete jene Ge-
797genden, blieb einen Winter zu Herſtall an der
Weſer, und verlegte ſeine ganze Armee dort in
die Quartiere, um ihnen das Krieges-Ungemach ſo
viel mehr empfinden zu laſſen.
Allein Carl mogte ihr Land verwuͤſten, und ſo un-
gluͤcklich machen als er nur wollte; er mogte ſo viele
Eydſchwuͤre und Geiſſeln von ihnen erzwingen als ihm
die Obermacht ſeiner Waffen erlaubte; ihr Herz ge-
wann er nie; und dem fraͤnkiſchen Heerbann muſte
es auſſerordentlich beſchwerlich fallen Winter und
Sommer zu Felde zu liegen, ſich als Beſatzungen in
fremden Laͤndern gebrauchen zu laſſen, und bey dem
geringſten Umſchlag der Sachen in Ungarn, Spa-
nien oder Jtalien, einen ſichern Feind an den Saſ-
ſen zu fuͤrchten. Dies bewog ihn endlich ſeine Ab-
ſicht auf eine edle freye Vereinigung beyder Natio-
nen zu richten. Er ſetzte alſo den Saſſen einen Tag
nach Seltz, und ſchlug ihnen vor, ob ſie ſich als
Chriſten in ein gemeinſchaftliches Reich mit den
Franken einlaſſen; ihn ſo wie dieſe fuͤr ihr gemeinſa-
mes
[238]Oſnabruͤckſche Geſchichte
mes Oberhaupt erkennen, diejenigen welche er an ſei-
ne Statt ſchicken wuͤrde, gebuͤhrend aufnehmen, be-
ſonders aber den Biſchoͤfen und Grafen, als ihren
geiſt- und weltlichen Vorgeſetzten gehoͤrige Folge lei-
ſten, und ihnen dasjenige entrichten wollten, was ih-
nen bey den Franken gegeben wuͤrde. (a) Auf dieſen
Fall ſollten ſie mit dieſen einerley Wehrung, (b)
Vorzuͤge und Gnade genieſſen; von allem Tribut
befreyet, und ſo wie dieſe, auch nicht anders als in
ihrer Heymath, von ihres gleichen, und nach ihrem
eignen Rechte gerichtet werden.
Die Vorſchlaͤge waren von der aͤuſſerſten Wich-
tigkeit, und nach drey und dreyßig-jaͤhrigen Unruhen
wohl zu uͤberlegen. Die Vereinigung beyder Natio-
nen
[240]Oſnabruͤckſche Geſchichte
nen zu einer Zeit, wo die Reichs-vertheidigung nicht
etwan einigen Dienſtleuten oder Soͤldnern, ſondern
dem gemeinen Heerbann oblag, war vor die Saſſen
um ſo viel bedenklicher, je weitlaͤufiger die fraͤnkiſchen
Graͤnzen auseinander lagen. „Ein ſo groſſes Reich,
„konnten ſie mit Recht ſagen, mache die Sklaverey
„nothwendig oder die Freyheit doch ſo theuer, daß
„die Koſten den Vortheil uͤberwoͤgen. Das Wohl
„einzelner Wehren komme darinn niemals, und das
„von ganzen Provinzien nur bey ihrer Aufopferung
„in Betracht. Die Saſſen wuͤrden mit den Fran-
„ken bald uͤber die Alpen (a) und bald uͤber die
„Pyrenaͤen ziehen muͤſſen, wenn es die Noth oder
„der Koͤnig erforderte; und ſo wie das fraͤnkiſche
„Reich oder die Herrſchſucht ſeines Oberhaupts ſich
„ausdehnte, wuͤrden ſich auch ihre Heerzuͤge aus-
„dehnen und vermehren. Bisher haͤtten ſie alle
„Eroberungen verachtet, weil ſolche einzelnen Woh-
„nern, die keine Soͤldner darauf halten wollten, nur
„zur Laſt kaͤmen; ſie haͤtten niemals im Herrn-dienſt
„ſondern fuͤr ihren eigenen Heerd geſieget; und kei-
„nen Tropfen Bluts fuͤr Sold oder Lehn aufge-
„opfert. Kuͤnftig aber wuͤrden ſie fuͤr einen Mo-
„narchen erobern, und ihren Acker verlaſſen muͤſſen.
„Der Koͤnig ſey großmuͤthig genug zu erkennen, daß
„ein ehrlicher Mann ſo wenig von ſeiner Perſon als
„von ſeinen Gruͤnden einem Oberhaupte Zins geben
„koͤnne. Allein ein ewiger Heerzug, werde ſie bald
„in die aͤuſſerſte Armuth, und zuletzt in die Noth-
„wendigkeit ſtuͤrzen, ſich als Knechte zu retten. (b)
„Eine allgemeine Verſamlung falle in einem ſo
„groſſen Reiche von ſelbſt weg, diene auch zu nichts,
„da ſo viele unnatuͤrlich verbundene Staaten ein gar
„zu verſchiedenes Jntereſſe haͤtten. Man werde alſo
„gleich nur Dietinen halten koͤnnen; und dieſe gehen
„bald in eine bloſſe Ceremonie uͤber, wofern man
„nicht einer jeden (a) das gefaͤhrliche Recht einraͤu-
„men wolle, den Schluß der mehrſten zu vereitlen.
„Dadurch aber werde der Grund zu neuen Unruhen
„gelegt, und der Staͤrkere folge ſeinem Willen mit
„Recht, wenn es der Schwaͤchere thun duͤrfe. Jn
„beyden Faͤllen ſey den Saſſen nicht ſonderlich ge-
„rathen, und uͤberdem der Schluß einer Dietine in
„ſehr bedenklichen Haͤnden, wenn der Koͤnig ſich da-
„von bloß durch ſeinen Geſandten unterrichten, und
Q„ihnen
[242]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„ihnen nicht ihren eignen Land-boten und erwaͤhlten
„Stimmvertreter in der allgemeinen Reichs-verſam-
„lung verſtatten wolle. Dieſe werde ſolchergeſtalt
„nicht lange unter einem freyen Himmel beſtehen, (b)
„ſondern bald zu Hofe unter Dach gehen. Der
„Geſandte werde ihnen allezeit mit ſeinem Unter-
„halte, und leicht mit Neben-forderungen zur Laſt
„fallen, (c) denen man um ſo weniger ausweichen
„duͤrfe je noͤthiger man ſeine Gunſt haben werde.
„Das ſchrecklichſte unter allen aber ſey, daß der
„Koͤnig ihnen ihre Richter ſetzen,(a) und ſolche in
„Grafen (b) verwandeln wolle. Bisher haͤtten ſie
„es als ein heiliges Geſetz von der Natur empfangen,
„ſich ihren Richter ſelbſt waͤhlen, und kein ander
„Recht erkennen zu duͤrfen, als was ſie uͤber ſich be-
„williget haͤtten. Der Richter waͤre als ein Ge-
„meins-mann in der gemeinen Verſammlung zur
„Rede und Antwort verbunden geweſen, und haͤtte
„ſein Amt beym Schluß eines Jahres allezeit, oder
„doch als eine Laſt gern niedergelegt, wenn die Ge-
„meine mit ihm nicht zufrieden geweſen waͤre.
„Kuͤnftig aber wenn der Koͤnig ihn auf ſeine Lebens-
„zeit ſetze, ſchuͤtze und beſolde, werde er ein ſtolzer
„Bedienter und ſeine Entlaſſung ſchimpflich (c) ſeyn.
„Die Befugniß wie die Macht ihn zur Rechenſchaft
„zu ziehen falle von ſelbſt weg. Jhnen bleibe nichts
„als das traurige Recht uͤbrig ihn bey Hofe zu ver-
„klagen, und ehe ſie damit zu dem entfernten Throne
„durchdraͤngen, moͤgte der Unſchuldige leicht unter-
„druͤcket ſeyn. Die Kinder des koͤniglichen Richters
„wuͤrden leicht zu groſſen Hofnungen erzogen, zu
Q 2„Vor-
[244]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„Vorzuͤgen gewoͤhnt, und verfuͤhrt werden das Rich-
„ter-amt erblich (d) zu machen, anſtatt daß ſolches,
„ſo lange es wie bisher eine jaͤhrliche Reihe-laſt
„bliebe, keinem einfallen koͤnnte. Der Koͤnig ſaͤhe
„an ſeinen Franken, zu welcher Macht es bereits die
„Richter gebracht haͤtten; und die Saſſen wuͤrden
„bald ſo viele Erb-richter (e) und Oberherrn haben,
„als ihnen jetzt Grafen vorgeſetzt wuͤrden, wenn er
„bey dem Vorſchlage beharrete, den Mannien die
„freye Wahl ihres Richters zu nehmen.
„Zwar moͤge es ſcheinen, daß man dem Kayſer
„die Ernennung des Richters als eine Kron-ehre gar
„wohl goͤnnen koͤnne, weil er keine Urtheile zu weiſen,
Q 3„ſon-
[246]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„ſondern nur die Weißthuͤmer eingebohrner redlicher
„und weiſer Maͤnner zu beſtaͤtigen habe; daher und
„ſo lange ihnen dieſes Recht bliebe; ſo lange der
„Kayſer jeder Gemeinheit die Wahl ihrer Urthels-
„finder oder Schoͤpfen lieſſe, (a) ein Saſſe den
„Richter nicht ſonderlich fuͤrchten duͤrfe. Allein er
„verlange auch die Beſtaͤtigung der Schoͤpfen, und
„behaupte das Recht, Leute die es nicht waͤren ſchoͤp-
„penbar zu machen; dies erwecke groſſes Nachden-
„ken; (b) und wenn der Kayſer gleich keinen ſchoͤp-
„penbar mache, der nicht wenigſtens hinlaͤngliche
„Guͤter beſitze, und alſo in ſeiner Reihe eben das
„Recht wieder ſich gelten laſſen muͤſſe, was er andern
„weiſe; auch keinen zum Schoͤpfen in ſeinem Volke
„beſtaͤtige, der nicht Gerichts-genoß ſey: ſo ſey die-
„ſes doch eine Billigkeit, welche ſeine Nachfolger am
„Throne leicht vergeſſen koͤnnten. Dann aber ſey
„eine Menge von Geſetzen der nothwendige Fehler
„groſſer Verfaſſungen. Dazu wuͤrden in Jtalien
„ſchon eigne Leute erfordert, welche die Erlernung
„derſelben ihr ganzes Geſchaͤfte ſeyn lieſſen; und der
„Wehr ſey gewiß der letzte, welcher ſeinen Hof ver-
„laſſen und ſich dieſe Geſchicklichkeit erwerben wuͤrde.
„Daher ſey es ſehr zu befuͤrchten, (c) daß das Amt
„der Schoͤpfen bald ſolchen unangeſeſſenen und wohl
„gar mit der Zeit fremden Gelehrten zu Theil wer-
„den, und Ehre, Leib und Leben eines Mannes von
„der rechtlichen Meinung eines Miethlings abhangen
„wuͤrde.
„Auſſerdem ſey es ein anſtoͤßiger Gebrauch (a)
„unter den Franken, daß der Oberſte wo nicht den
„ganzen Sterbfall, doch allemal einen Theil der
„Verlaſſenſchaft ſeines Gemeinen zoͤge. (b) Die
„Saſſen kennten dieſen Gebrauch nur im Hof-recht;
„und als eine Urkunde des Dienſtes; nicht aber im
Q 4Heer-
[248]Oſnabruͤckſche Geſchichte
„Heerbann. (c) So bald nun der Oberſte oder
„Graf ſeine Bedienung erblich machte, wuͤrde er die
„ihm anvertrauete Gemeinen leicht als ſeine Knechte
„betrachten, und dermaleinſt die Nachkommen zu
„ſchimpflichen Vermuthungen fuͤhren. Jetzt ſey zwar
„dieſer Gebrauch noch ſo nachdenklich nicht, indem
„alle Herzoge, Grafen und andre Reichs-bediente
„ſich dieſem Hof-recht unterwerfen muͤſten. Die
„Zeit werde aber bald kommen, wo die Groſſen ſich
„einen Schimpf (d) daraus machen, und den Ge-
„ringern darunter verlaſſen wuͤrden. Die Folge da-
„von zeige ſich unter den Franken zur Gnuͤge; der
„Dienſt werde bey denſelben ſchon zur Ehre, und
„die gemeine Wehrſchaft ſchimpflich. Alles floͤge
„bey denſelben zu Schutze und zu Hofe, und der
„Thuͤrhuͤter im glaͤnzenden Kleide hebe ſich uͤber den
„ehrbaren Mann. (e) Eine ſolche Verfaſſung, wor-
„in der Dienſt adle, ſey die ſchrecklichſte von allen,
„und eine unvermeidliche Sklaverey.
„Die Wahrheit der chriſtlichen Religion verbinde
„niemanden ſie anzunehmen; ſie ſey darum nicht
„gleich allgemein, vor alle Volker und Verfaſſungen.
„Eine jede derſelben habe ihren eignen Zweck; und
„folglich auch ihre eigne Wahrheit. Die ihrige ſey
„Freyheit; und damit ſtimme die chriſtliche Religion
„nicht allerdings uͤberein. Ein Saſſe laſſe ſich durch
„Ehre; und ein Chriſt durch Liebe verbinden. Dieſe
„fuͤhre aber den Menſchen nicht ſo ſicher als jene.
„Doch das Hauptwerk ſeyn die Zehnten (a) welche
„der Koͤnig zum Unterhalt der Prieſter fordere.
„Wenn jemals ein Volk in der Welt geweſen,
„welches ſeinen Hals mit dieſem Joche beladen haͤtte:
„ſo muͤſte es aus der Sklaverey entſprungen, (b) o-
„der
[251]dritter Abſchnitt.
„der aus ganz beſondern Urſachen dazu gebracht ſeyn.
„Jhnen ſey es ſchlechterdings unertraͤglich; da ihr
„Acker die darauf gewandte Muͤhe und Einſaat ſehr
„ſparſam vergoͤlte. Der Koͤnig ſelbſt (c) muͤſſe
„von eignen Mitteln leben; und erhielte von keinem
„Heermanne unter den Franken einen Zuſchuß.
„Dieſer ihre einzige Auflage ſey die gemeine Ber-
„theidigung; und ſolche habe eine Zeit hero mehr er-
„fordert, als ihre Hoͤfe aufgebracht haͤtten. Durch
„die Vereinigung mit den Franken wuͤrden ſich die
„oͤffentlichen Laſten eher vermehren als vermindern.
„Ein Theil (d) ihrer Erndte ſtehe ſo ſchon unter
„gemeinem Kriegs-rechte. Der Unterhalt aller rei-
„ſenden und ſtehenden oͤffentlichen Beamten liege
„ihnen ob. Alles was von Hofe kaͤme, (e) erſchliche
„Spann- und Atzungs-befehle; anſtatt mit kayſer-
„lichen Kammer-ſpannen zu reiſen, und auf den
„Kammer-hoͤfen zu zehren. Die Geiſtlichen, wenn
„man ihre Anzahl nicht unnoͤthig vermehrte, wuͤrden
„auch die Zehnten von allen nicht verzehren koͤnnen,
„und es ſey hart dem Wehren die Nothdurft zu
„nehmen, um Unwehrige in Ueberflus zu ſetzen. Die
„Saſſen haͤtten auf andre Art vor den Unterhalt ih-
„rer Prieſter geſorgt, und ſich unter dem Nahmen
„der Gottheit keinen Menſchen pflichtig oder zinsbar
„machen wollen. Knechten legte man Pflicht auf,
„aber keinen Edlen und Wehren, und ihr Abſcheu
„dagegen ſey um ſo viel gerechter, da bey den Fran-
„ken die Veraͤuſſerung und Verleihung einer Menge
„von Zehnten, aus Gottes Knechten Menſchen Knech-
„te gemacht haͤtte.
Carl fand ihre Beſorgniß nicht ohne Grund, und
ſeine Verordnungen werden ſo gleich zeigen, wie er
ſich mit allem Fleiſſe um ihre Beruhigung bemuͤhet
habe. Jndeſſen blieb der Hauptpunkt nemlich die
Vereinigung mit den Franken feſtgeſtellt; und beyde
Nationen traten unter das neue abendlaͤndiſche Kay-
ſerthum. Nunmehr waren die Saſſen Reichs-ſaſ-
ſen. (a) Der bisherige Gottes- oder Prieſter-friede
machte dem Koͤnigs-banne Raum; und die Reichs-
fahne wehete da, wo vorhin die Gottes-fahne (b)
geſtanden hatte. Carl war geſalbt (c) und Auguſt,
mithin kein gemeines Oberhaupt. Sie traten alſo
unter eine vollkommene Decke, welche die Wehren leicht
in Leute(d) verwandelte. Die Mahnung(e) hoͤre-
te auf; und ſie bewilligten dafuͤr dem Kayſer ſechzig
Schillinge (f) zur hoͤchſten Strafe, welche er jedoch
nie, ohne ihrem Willen verdoppeln ſollte. Dieſes
war
[254]Oſnabruͤckſche Geſchichte
war das Ende der ſaͤchſiſchen gemeinen Freyheit, wel-
che nach einem drey und dreyßig jaͤhrigen Kriege nur
wenige noch kennen, und mehrere aus Ermuͤdung (g)
und Armuth mit Frenden gegen eine gluͤckliche Herr-
ſchaft vertauſchen mogten.
Die Einrichtungen Carls des Groſſen verdienen aus
mehr als einer Urſache die groͤßte Aufmerkſam-
keit; nicht bloß weil ſie von einem Herrn kommen,
der alle glaͤnzende Eigenſchaften eines Monarchen,
eine groſſe Arbeitſamkeit des Geiſtes und ſehr viele
politiſche Guͤte beſaß; ſondern weil ſich vieles von
unſern Rechten und Gewohnheiten ohne eine genaue
Kenntnis derſelben nicht wohl verſtehen laͤßt. Wo-
hin die Franken ſich ausgebreitet, haben alle Staats-
verfaſſungen eine ganz neue Wendung genommen;
die allgemeine Reichs-verfaſſung neigt ſich noch gegen
den Punkt, (a) woraus Carl der Groſſe einen guten
Theil von Europa beherrſchte. Und er ſelbſt machte
aus dem Lande der Saſſen einen ganz neuen Staat.
Er iſt der erſte der den Geiſtlichen- und Krieges-
ſtand, oder den Biſchof und Grafen daſelbſt neben
einander beſtellete; beyde mit einem General-depar-
tement umfaßte und damit die drey Maͤchte ſchuf,
welche ſich zuletzt unter dem Nahmen der Territorial-
Ho-
[256]Oſnabruͤckſche Geſchichte
Hoheit vereiniget haben. Die Kriege welche dieſe
drey Maͤchte bis auf den weſtphaͤliſchen Frieden mit
einander gefuͤhrt, ſind in allen Laͤndern wahre Staats-
begebenheiten, indem ſich durch dieſelben der ganze
National-zuſtand veraͤndert, edles und gemeines Ei-
genthum verlohren, das Wort Adel in ſeinem Begrif
verſchlimmert, und hoͤchſtens eine Freyheit, welche
noch das Gepraͤge der Gnade mit ſich fuͤhret, wieder
eingeſtellet hat. Hier uͤberwand der Biſchof den
Grafen; dort der Graf den Biſchofen; und Beyde
zertruͤmmerten (b) mit der Zeit das General-departe-
ment. Letzters ward eine Beute der Wachſamen.
Das mehrſte ſammleten Biſchoͤfe und Grafen, vieles
die Staͤdte, und einiges auch der Adel davon auf.
Carl theilte das Land in Biſchofthuͤmer(a) und
Grafſchaften ein. Letztere lagen wie unſere heutigen
Aemter im erſtern, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie
unmittelbar vom Kayſer abhiengen, und bloß der
geiſtlichen Aufſicht des Biſchofen empfohlen wurden.
Eine Geſandſchaft(b) oder ein General-departe-
ments-diſtrickt faßte mehrere Biſchofthuͤmer und Graf-
ſchaften in ſich; und Weſtphalen oder der nachherige
Erzſtifts-coͤllniſche (c) Sprengel gehoͤrte vermuthlich
zu einer einzigen Geſandſchaft; ſo wie noch jetzt zu
einer Nuntiatur. Die kayſerliche Cammer machte
unter der beſondern Aufſicht des Geſandten ein eignes
Departement aus. Sprengel Grafſchaft und Cam-
mer (d) deckten in ſolcher Maaſſe, daß der Biſchof
ſeine Geiſtlichkeit, der Graf ſeine Landfolge, und die
kayſerliche Cammer ihre Mund- und Mahl-leute,
auch Cammerknechte zu mittelbaren Reichs-unter-
thanen machte. Der Geſandte hingegen repraͤſen-
tirte (e) den Kayſer; und Biſchoͤfe, Grafen und Edle
verlohren ihre Unmittelbarkeit nicht, (f) wenn ſie
gleich in manchen Stuͤcken ſeiner Direktion folgen
mußten.
Der Biſchof (a) war durch ſein Amt nothwendi-
ger Edler oder Reichs-fuͤrſt (b) und das Kir-
chen-orbar (c) gleichſam eine Reichs-allode. Der
kayſerliche Geſandte ſtand gegen ihn; (d) Uebrige
Reichs-beamte aber, als Herzoge, Grafen (e) und
andre, hatten auſſer dem Fall, (f) wenn ſie darum
begehret wurden, uͤber keinen Geiſtlichen, auch uͤber
kein Orbar und Weihgut etwas zu ſagen. Die Voll-
macht des kayſerlichen Geſandten gegen den Biſchof
gieng aber bloß auf die Erhaltung des Reichs-frie-
dens; und in ſolcher Maaſſe konnte er dem Biſchofe
wiederſtehen, und ſich im Nothfall ſeiner Perſon (g)
verſichern; aber nicht uͤber ihn erkennen. (h) Dies
gehoͤrte vor den Kayſer und die Reichs-verſam-
lung. (i) Jeder Biſchof ward mit Vorbehalt ſeiner
Ehre, (k) des Heerzuges erlaſſen; jedoch wurde ihm
vergoͤnnt ſeine Leute zu ſchicken. Wo die Natur nicht
durch Fluͤſſe oder auf andre Art ſelbſt Graͤnzen ſetzte,
ſchienen die biſchoͤflichen Sprengel dergleichen nicht zu
empfangen, (l) ſondern ſich auf eine Mannzahl zu
ſchlieſſen. Der Oßnabruͤckiſche mogte Anfangs ſich
dieſſeits der Emſe bis ans Meer ausdehnen ſollen.
Wenigſtens war bey der erſten Anlage kein Grund
vorhanden, um ihm von dieſer Seite Graͤnzen zu geben.
Jn ſeinen auswaͤrtigen geiſtlichen Amtsverrichtun-
gen hatte der Biſchof vielleicht ſeinen Archidiacon (a)
zum Gehuͤlfen. Seiner wird aber in den einheimi-
ſchen ſaͤchſichen Urkunden der erſten Zeit nicht gedacht.
Zu den weltlichen Sachen erhielt er ſeinen Vogt, (b)
welcher, eben wie der Graf in ſeinem Amte, den
kayſerlichen Bann, wodurch das Orbar der Kirchen
ge-
[263]vierte Abtheilunge.
gegen alle Gewalt befeſtiget wurde handhaben, die
Bannbruͤche davon aufheben und der kayſerlichen
Cammer einſchicken; (c) insbeſondre aber alle Leute,
welche der Kirchen angehoͤreten, und Klopps- oder
Hof-recht (d) hatten, zu Hofe verſamlen, ihre Weis-
thuͤmer annehmen, ſolche als kayſerlicher Richter be-
ſtaͤtigen, das Schwerdt uͤber ſie zucken, ſie als un-
mittelbarer Reichs-obriſter ausfuͤhren, gegen alle
Herzoge, Grafen und ſelbſt vor dem kayſerlichen Ge-
ſandten zu Rechte und zu Kampfe vertreten, und
uͤberhaupt der beſtaͤndige Gewalthaber der Kirchen zu
allen weltlichen Haͤndeln ſeyn ſollte. Die Reichs-
verfaſſung erforderte aber, daß dieſer Vogt edel,
oder ohne Mittel dem Kayſer unterworfen ſein muſte,
weil er als ein bloſſer biſchoͤflicher Amtmann in ſehr
vielen Faͤllen nicht die noͤthige Ehre gehabt haben
wuͤrde den Biſchof und die Kirche zu vertreten. Die-
ſer Umſtand machte ſie aus Voͤgten zu Herrn und
oft zu Tyrannen der Biſchoͤfe und ihrer Kirchen, zu
deren Behuef und in deren Nahmen, ſie doch den
Bann vom Kayſer empfangen und zu handhaben hat-
ten. (e)
Mit dieſer Einrichtung wurde der Kayſer leicht
fertig; ſie folgte beynahe von ſelbſt. Jetzt aber kam
es auf die Verſorgung der Biſchoͤfe und ihrer Geiſt-
lichkeit an; und dazu wollte ein Hof(a) und einige
Dienſte (b) nicht viel helfen, welche jeder Kirche zu-
gelegt wurden. Der Zehnte muſte alſo eingefuͤhret
werden, und der Kayſer, welcher nicht ohne Be-
willigung der Sachſen einige Hauptſtuͤcke der chriſt-
lichen Lehre eingefuͤhrt hatte, verordnete ploͤtzlich (c)
daß nach Gottes Befehl Edle, Wehren und Leute
den Zehnten von allen was ſie haͤtten, geben ſollten.
Die Verordnung iſt klar; ihre Befolgung aber nicht;
es ſey nun daß der Kayſer nach dem vernuͤnftigen
Rath ſeines Lehrmeiſters (d) mit den Sachſen uͤber-
haupt Gedult hatte; oder aber die erſten Biſchoͤfe (e)
ſich von ſelbſt maͤßigten, und vielleicht auch bey den
Weſtphaͤlingern als einzelnen Mohr- und Heide-
wohnern nicht die Bequemlichkeit ordentlicher Zehnt-
fluren fanden. Wenigſtens zeigt ſich in Weſtphalen
mancher Sack- oder bedungener Zehnte; uͤberaus
viel Zehntfrey Land; und nicht leicht ein Zug-zehnte,
welcher vor zweyhundert Jahren wuͤrklich waͤre gezo-
gen worden. Vermuthlich hat auch das Zehnt-
pfund(f) und der Zehntſchilling ſeinen Urſprung
aus einem uralten Vergleiche.
Herzoge, (a) Grafen (b) und Hauptleute waren
im Heerbann, was Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Pfar-
rer (c) in der geiſtlichen Reihe waren. Allein Carl
verordnete keine Herzoge uͤber die Sachſen; (d) und
machte noch weniger Herzogthuͤmer. Der Heerbann
ward bloß in Cantons oder Grafſchaften abgetheilt;
und wann er ausziehen muſte, durch einen General,
welchen der Kayſer ſchickte, gefuͤhrt. Der Graf oder
Oberſte ward auch ihr Richter; indem Landbeſitzer
wel-
[268]Oſnabruͤckſche Geſchichte
welche zugleich im Felde dienen, nicht wohl unter-
ſchiedenen Gerichtsbarkeiten unterworfen werden konn-
ten. Er richtete aber unter des Kayſers Bann, (e)
wie der Edelvogt der Kirchen. Jedoch nicht anders
als nach dem Weißthume der Schoͤpfen. Die
Grafſchaft war wie der Sprengel ein Amt und kein
Territorial-diſtrikt. Daher man nicht ſagen konnte,
was in der Grafſchaft wohnet ſteht auch unter dem
Grafen. Der kayſerliche Geſandte, welcher zugleich
Provincial-General (f) und an der Spitze des
Kriegs-Commiſſariats war, hielt die Mann-liſte der
Grafſchaft, (g) und beobachtete den Grafen ſehr
genau, ohne jedoch ſein Richter (h) zu ſeyn. Jhm
wurden nicht mehr als vier Beurlaubte gut gethan; (i)
und kaum die Aufhebung und Berechnung der Bann-
bruͤche zur kayſerlichen Cammer geſtattet; (k) um
alle Unterſchleife (l) zu vermeiden.
Da man in Weſtphalen nichts von Centen,
Hundteden und Toufen;(a) in der Folge aber deſto
mehr von Edelvoͤgteyen oder Advocatien findet: ſo
ſcheinet (b) es, daß der Kayſer anſtatt der Centena-
tien, und Tiuphaden;(c) lauter Edelvoͤgte verord-
net habe, welche alſo die Stelle der Hauptleute ver-
traten, auf Hoͤfen(d) ſaſſen, und nicht vom Grafen
ſon-
[271]vierte Abtheilunge.
ſondern vom Kayſer oder ſeinem Geſandten angeſetzt
wurden; (e) daher ſie auch vor jenem nicht zu Rechte
ſtanden. Sie ſelbſt aber richteten nicht unter Kay-
ſers-bann; (f) doch hatten ſie Gebot und Verbot,
vermuthlich aber nicht hoͤher als auf 3 ß. (g) weil
der Grafe ſelbſt nur bey 12 ß. gebieten konnte. Die
Folge macht es ziemlich wahrſcheinlich, daß verſchie-
dene ſolche Voigts-hoͤfe ſpaͤter mit Schloͤſſern (h)
beſetzt, viele aber auch von den Edelvoͤgten verkauft,
und als gemeines Gut in die biſchoͤfliche Kirchen-fol-
ge (i) gerathen ſind.
Jn den erſten dreyen Jahr-hunderten zeigen ſich
biele Hoͤfe welche von Edlen Herrn(a) dem Heil.
Peter oder andern Heiligen uͤbergeben werden; und
Sunter
[274]Oſnabruͤckſche Geſchichte
unter dem Zubehoͤr dieſer Hoͤfe iſt insgemein Fiſche-
rey und Jagd (b) begriffen. Jhrer iſt keine geringe
Menge in den Urkunden aufbehalten; und alle dieſe (c)
Hoͤfe ſind jetzt keine Edel-guͤter ſondern Meyer-
Schulzen- oder Rede-hoͤfe. Die Wehr dieſer Hoͤfe
oder die vorhin daraus gegangene Vogtey hat alſo
der Biſchof da der Heerbann bereits verfallen war,
zuruͤck behalten und den Hof einem Leut(d) unter-
geben. Daraus wird glaublich, daß der Edel-vogt
zuerſt aus der Reihe der Wehren (e) erwaͤhlet, und
vom Kayſer zum Hauptmann beſtellet worden. Es
wird weiter daraus wahrſcheinlich, daß die Jagd mit
der Wehr (f) verknuͤpft geweſen, und fuͤr diejenigen
verlohren gegangen ſey, welche unter die Voͤgtey ge-
rathen. Man ſiehet den Grund durchſcheinen, war-
um die jetzigen Rede-hoͤfe dem Biſchofe, als der-
maligen Beſitzern ihrer Edelvoͤgtey, zu verſchiedenen
beſondern Jagd-dienſten (g) verpflichtet; andre aber
noch mit einiger Jagd berechtiget (h) ſind. Man
begreift daß die Markgenoſſen in der Wahl ihres
Holzgrafen ſchwerlich den Edelvogt vorbey gehen
koͤnnen; und alſo zur Zeit Carls des Groſſen der
Edelvogt auch Holzgrafe (i) geweſen; wovon hier-
nechſt die vielen Unterholzgrafſchaften bey den Meyer-
und Rede-hoͤfen erblich verblieben. Man ſchließt
endlich, daß der Edelvogt vorzuͤglich Patron der
Kirche (k) werden muſte, welche die Vogts-leute
erbauen halfen.
Solche Hoͤfe wovon der Eigenthuͤmer in der Folge
die Wehr nicht uͤbergab, blieben vermuthlich Edel-
S 3hoͤfe;
[278]Oſnabruͤckſche Geſchichte
hoͤfe; (a) und mit der Jagd berechtiget. Auch die
Holzgrafſchaft konnte ihnen ſchwerlich entgehen; (b)
Wo noch einige die Wroge und die Beſtrafung der
Blut-ronnen (c) dabey haben, da mag auch eine
alte Hof-rolle dabey geblieben, ſonſt aber der Vogt-
ſitz einzeln(d) ohne Rolle verkauft oder verliehen
ſeyn. Die Vogts-jagd war nur eine niedre Jagd.
Es finden ſich wenigſtens Beyſpiele, (e) daß einem
der bereits mit der Vogts-jagd berechtiget geweſen,
gewiſſe Stuͤcke grob Wild zu faͤllen erlaubet worden.
Spaͤter wie die gemeine Noth die Anlegung einiger
Schloͤſſer auf ſolchen Hoͤfen erforderte, (f) mogte
die grobe Jagd Anfangs vom Schloſſe(g) gehen.
Doch iſt dieſes eine bloſſe Vermuthung. Allein in
den Urkunden der erſten Zeit erſcheinet kein Schloß;
und die Sachſen konnten dergleichen ſchwerlich an-
ders als auf der Graͤnze geduldet haben. Schloͤſſer
wurden der ſpaͤtern und ſchwaͤchern Lehn-militz wich-
tig. Der Heerbann und die gemeine Freyheit dul-
deten ſie nicht. Die Klagen uͤber die vielen Raub-
ſchloͤſſer erhoben ſich gegen das Ende der Lehn-militz
und den Anfang der Landes-knechte.
Durch die neue Einrichtung ward der Adel ſehr
vermehrt, indem die Grafſchaften ihm alle Gelegen-
heit gaben, ſich in mehrere Zweige auszubreiten; auch
die Edelvoͤgte ſich mit ihm vermiſchten. Anfangs
mogte nicht ein jeder Edler ſich dazu bequemen; (a)
und manche Grafſchaft einem verdienten Wehren (b)
zu Theil werden. Es gab ſich aber bald und die juͤn-
gern Soͤhne der Edlen nahmen vermuthlich gern
Reichs-dienſte, da ihnen die Gelegenheit ſich kuͤnftig
in privat Gefolgen(c) zu erhalten, benommen, und
dem alten Adel das bisherige Recht der Gefolge (d)
mit groſſen Bedacht abgeſchnitten wurde. Dieſer
behielt nur die Wahl ob er in des Kayſers Dienſte
glaͤnzen, oder mit ſeiner Familie ruhig auf ſeiner
Allode bleiben wollte. Er ſtand daſelbſt unter keinem
Herzoge (e) oder Grafen; zog wenn er ſeine Allode
vertheidigen muſte, unmittelbar zum Kayſer, oder
demjenigen, (f) der des Kayſers beſondre Vollmacht
hatte;
[281]vierte Abtheilunge.
hatte; erhielt die Befehle dazu durch den Geſand-
ten; (g) und kam zur Reichs-Dietine, und zur Bi-
ſchoͤflichen Synode, aber zn keinem Grafen-dinge.
Ohne Erlaubnis des Geſandten durfte er auch keine
Verſamlungen halten; (h) und noch weniger wie
vordem (i) ſo gleich zum Degen greifen.
Die Gemeinen verlohren bey der neuen Einrich-
runge das meiſte. (a) Man kann nach dem Plan des
Kayſers annehmen, daß ſie in Vogteyen vertheilet,
den Edelvoͤgten als Hauptleuten, und den Grafen als
Oberſten untergeben wurden. Der Vogt ward alſo
ihr kriegeriſcher Vormund oder ihr Advocat, (b) zu
Gerichte und zu Felde. Sie wurden Leute und er
zog ihr Heergewedde. Unſre Hausgenoſſen,(c) ſo
viel deren noch uͤbrig, ſind die Ueberbleibſel dieſer Ein-
richtung. Jndeſſen erhielten ſie durch jene Vogtey ſo
viel, daß ſie nicht voͤllig aus ihren alten Jnnungen (d)
zerſtreuet; und alſo auch nicht einzeln vor Gericht
gezogen werden konnten. Denn alle diejenigen ſo zu
einer Voͤgtey gehoͤrten ſtunden, wie vordem die
Mannie, fuͤr einen Mann; hafteten fuͤr einander,
und wurden daher Biergelden(e) genannt. Sie
vertheidigten wo es noͤthig war ihr Recht nicht anders
als durch ihren gemeinſchaftlichen Advocaten oder den
Edelvogt. Welches denn ebenfals zur Erhaltung
ihrer Geſamt-rechte vieles beytragen muſte.
Das Beſte aber war, daß ſie ihre Schoͤpfen und
die Wahl (a) derſelben behielten. Der Kayſer
wollte daß niemals unter ſieben (b) ein Gerichte be-
ſtehen ſollte. Sie muſten auf die Rechte des Volks
und deren Erhaltung geſchworen haben. (c) Der
Schoͤpfe am Gowgericht wurde vermuthlich, wie
jetzt, Churgenoſſe (d) genannt; und der Tittel
Schoͤpfe nur denjenigen gegeben die im Obergericht
vor dem Geſandten ſaſſen, und ſpaͤter Freyſchoͤpfen
genannt wurden. Daher ein ſchoͤppenbarer Mann
ſicher unter keinem Vogt und auch wohl unter kei-
nem Grafen ſtehen mogte. (e) Wie ſo viele Land-
eigenthuͤmer zu Leuten herabſunken, ward die Wehr
und die damit verknuͤpfte Schoͤppenbarkeit eine vor-
zuͤgliche Ehre; welche ſich ſo lange erhielt, bis der
Kayſer die Schoͤppenbarkeit allerhand Leuten und da-
mit den alten Geſchlechtern Urſache gab, ſich dagegen
zu wahren. Die Schoͤpfen hatten aber nicht bloß
auf einen vorgetragenen Fall Recht zu weiſen, ſon-
dern auch die Unterſuchung (f) der Sache.
Ob die Grafſchaft und Edelvogtey alle(a) Weh-
ren unter ſich begriffen habe, iſt nicht mit Gewisheit
zu entſcheiden. Einigen und zwar angeſeſſenen(b)
Freyen erlaubte der Kayſer ſich in ſeine Dienſte zu
empfehlen, dieſe waren alſo nicht in der graͤflichen (c)
Rolle, auch keine arme Freye. Der Vogts-leut
mogte Churgenoſſe vor dem Grafen, aber ſchwerlich
Schoͤpfe vor dem Geſandten ſeyn. Es muſten folg-
lich noch Wehren bleiben, woraus Schoͤpfen und
ſelbſt Voͤgte erwaͤhlt werden konnten; oder man muß
annehmen daß entweder unangeſeſſene Freye oder
bloß Edelvoͤgte Schoͤpfen ſeyn koͤnnen. Beydes iſt
ſehr unwahrſcheinlich. Es iſt weiter glaublich daß
der Graf noch viele Gemeine ausgefuͤhret habe, wel-
che eben nicht in einer Vogts-rolle geſtanden, und
daß dieſe noch mehrere Freyheit behalten haben. Der
Senior(d) aber, deſſen in den Caroliniſchen Geſetzen
bisweilen gedacht wird, war im Grunde ein Edelvogt
und vielleicht nur unter den Franken. Jn Doͤrfern
und Staͤdten, wenn ſie vorhanden waren, konnten ſo
lan-
[289]vierte Abtheilunge.
lange nur unwehrige Gruͤnde dabey waren, (e) und
ſo lange ihnen nicht durch Vorrechte und Begnadi-
gungen ſolche Vortheile (f) verſchaffet wurden, wo-
von ſie mit Recht zur Ehre gezogen werden konnten,
kein eigentlicher Wehr wohnen. (g) Ohne Sold
konnten auch unangeſeſſene Freye nicht zur gemeinen
Vertheidigung gezwungen werden; Jm Heerbann
war aber kein Sold. Solche Freye ſtanden ohne-
dem in Schutz oder in Gefolgen; und in beyden
diente man nicht vom Wehrgute, ſondern auf fremde
Koſten. Carl mogte alſo wohl nicht die Gelegenheit
haben alle Gemeinen in eine Claſſe und unter einen
Edelvogt ihres Mittels zu ſetzen.
Unter den Germaniern oder den alten Sueven und
ihren Bundes-genoſſen iſt der Leut unbekannt ge-
weſen; (a) welches eine Folge des unter ihnen auf-
T 2geho-
[292]Oſnabruͤckſche Geſchichte
gehobenen Land-eigenthums ſeyn mogte, (b) weil
man ihn gerade auſſer ihren Graͤnzen, (c) bey den
Franken, beſonders aber bey den Sachſen und Frie-
ſen findet; und vermuthlich iſt er mit den Sachſen
nach Engelland uͤbergegangen. Bey den Weſtphaͤ-
lingern hat er ſich am laͤngſten (d) in ſeiner eignen
Verfaſſung (e) erhalten. Als Geiſſel, (f) als Zehnt-
pflichtiger (g) und als ein Menſch, der unter keiner
Leibes-ſtrafe ſtund, (h) wiederſpricht er einem knech-
tiſchen (i) Urſprunge, ob er gleich gar fruͤhzeitig mit
Leib und Gut in eine Gilde, Echte oder Vogts-rolle
gerathen, und ſolchergeſtalt von einem Vogt geſchuͤtzt,
vertreten und aufgeboten worden. Er leiſtete auch
den Leut-eid der Treue, (k) zog im Heerbann zu
Felde, ſtand unter dem Heergewedde, (l) heyrathete
wo er wollte, (m) gab aber keine Kinder aus ohne
Freybrief des Edelvogts. Der Lehnhof ward ſpaͤter
nach dem Vogts-hofe gebildet; (n) und der Unter-
ſchied der Hoͤfe machte billig einen Unterſchied der
Leute.(o)
Da die Biſchoͤfe nicht mehr als zwey Leute aus der
gemeinen Reihe zu Hauſe behalten durften: (a) und
der Kayſer beſtaͤndig die genaueſte Liſte von der
Mannzahl hatte: (b) ſo iſt leicht zu ermeſſen, daß
ſehr wenige Gutsherrn (c) in unſerm heutigen Styl
T 3vor-
[296]Oſnabruͤckſche Geſchichte
vorhanden ſeyn konnten. Oder man muͤſte glauben,
daß ein Gutsherr fuͤr jedes eigenbehoͤrige Erbe einen
Soͤldner (d) geſtellet haͤtte; weil er ſeinen Leibeignen
nicht in die gemeine Reihe ſchicken durfte, und
ſchwerlich haͤtten die andern mit einem Soͤldner ge-
dienet. Damals waren alſo unſre mehrſten Bauer-
hoͤfe, in ſo fern die Wehr davon getrennet wurde,
Vogts-guͤter (e) und ihre Beſitzer Vogts-leute.
Um deswillen fehlte es aber nicht an Leibeignen.
Es war deren vielmehr eine groͤſſere Anzahl als
jetzt. (f) Unſre heutige Gutsherrlichkeit aber iſt
Vogtey am Gute (g) und Eigenthum an dem der
es bauet. Erſters befindet ſich alſo von ſeinem erſten
Urſprung an in der gemeinen Reihe; und letzter iſt
als Vicar (h) hinein gekommen, wie der Heerbann
zu Anfang der Lehn-militz ſeine Ehre verlohr; und
der Krieges-dienſt auf eine Krieger-fuhr hinaus lief.
Der Kayſer aber liebte den Krieges-ſtaat zu ſehr, um
nicht dem Leibeigenthum unter den Landbeſitzern, als
einem unſtreitigen Ausfall aus der Reichs-matrikel
auf alle moͤgliche Art zu ſteuren.
Man ſieht leicht ein, daß die Geſandſchaft oder
das General-departement, das Gleichgewicht zwi-
ſchen
[299]vierte Abtheilunge.
ſchen dem Biſchofe und Grafen, und jeden in den
Schranken ſeines Amts erhalten; den Unterdruͤckun-
gen der Gemeinen und Armen ſteuren, und die Seele
des ganzen Staats ſeyn ſollen. Der Kayſer wandte
daher eine ungemeine Sorgfalt darauf; (a) machte
aber auch die Einrichtung ſo vollkommen, daß ſie
bloß durch ihn als den Meiſter erhalten werden konn-
te. Der Geſandte muſte jaͤhrlich die Reichs-dieti-
ne (b) halten, welche nunmehr, da eine allgemeine
Verſamlung der ganzen Nation wo nicht unmoͤglich,
doch ſehr beſchwerlich wurde, ſich ſelbſt anpries. Auf
derſelben vernahm er zuerſt den Biſchof uͤber den
Zuſtand der Religion; (c) und uͤberhaupt alle kay-
ſerliche Bediente oͤffentlich uͤber ihre Amtsfuͤhrung. (d)
Jeder konnte daſelbſt ſeine Klagen und Beſchwerden
gegen dieſelbe vorbringen; und der Geſandte machte
darauf ſo gleich die noͤthigen Verfuͤgungen, (e) oder
nahm ſie zum Bericht an. Die erforderlichen Lan-
des-verordnungen wurden dort erwogen und in
Vorſchlag gebracht; (f) oder wenn ſie bereits vom
Hofe verfaßt und angenommen waren, oͤffentlich be-
kannt gemacht und eingeſchrieben. Doch mogten
diejenigen, welche die Reichs- und Landes-vertheidi-
gung betrafen, und auf dem allgemeinen Reichs-tage
bereits gutgefunden waren, ihrer beſondern Eigen-
ſchaft wegen, nicht leicht weiter gepruͤft, ſondern bloß
bekannt gemacht werden. Die uͤbrigen Gegenſtaͤnde
einer ſolchen Verſamlung laſſen ſich leicht begreifen.
Sie gerieth mit dem Verfall der Geſandſchaft in Un-
ordnung; und aus ihren Truͤmmern ſind unſre Land-
tage nach vielen Veraͤnderungen entſtanden. Die
Voll-
[300]Oſnahruͤckſche Geſchichte
Vollmacht des Geſandten iſt mit der Zeit in jedem
Stifte an die Biſchoͤfe uͤbergegangen; (g) und die
Repraͤſentation der Gemeinen durch mancherley Zu-
faͤlle an die Landſtaͤnde (h) gerathen.
Die Gemeinen behielten ſolchergeſtalt an der Ge-
ſetz-gebenden Macht den ihnen gebuͤhrenden Antheil.
Jhre Schoͤpfen (a) kamen zur Dietine, und ſtanden
gleichſam als Tribunen des Volks den Grafen und
Edelvoͤgten, in deren Haͤnden ihre ganze Vollmacht
nicht ſeyn konnte, zur Seite. Jhre Einwilligung
ward zu allen neuen Verordnungen erfordert; (b)
und der Geſandte gieng mit ihren Schluͤſſen an den
allgemeinen Reichs-hof zuruͤck, um dem Kayſer ſei-
nen Bericht zu erſtatten. Vor die ſaͤchſiſchen Schoͤ-
pfen wuͤrde es zu weitlaͤufig geweſen ſeyn ihn da-
hin zu begleiten, und ſeinen Bericht zu beglaubigen.
Man gab ihm alſo die wichtigſten Schluͤſſe der Die-
tine unterſchrieben (c) mit. Die nachherigen Kayſer
verlohren den Geiſt dieſer Verfaſſung, und bedienten
ſich oft der Biſchoͤfe und Grafen ſelbſt, (d) um die
Dietinen zu berufen, zu eroͤfnen und zu ſchlieſſen.
Da-
[303]vierte Abtheilunge.
Damit gieng die von Carln ſo weislich und nuͤtzlich
eingefuͤhrte Controlle (e) verlohren. Diejenige wel-
che die kayſerlichen Befehle ſonſt aus den Haͤnden des
Geſandten (f) empfangen hatten, wegerten ſich ſolche
von Biſchoͤfen und Grafen anzunehmen, aus Furcht
Land- oder Amt-ſaͤßig zu werden. Sie kamen da-
her auch nicht mehr zur Dietine; und jene verſamle-
ten mit der Zeit nur diejenigen, welche ohnehin in
ihren Dienſt- und Amts-folgen ſtanden; wodurch
denn der erſte Grund zum Verfall der Dietine gelegt,
und der Schoͤpfe in den Gerichts-hof verwieſen
wurde, wo er zwar noch Recht aber keine Geſetze (g)
zu weiſen hatte.
Jn der Mark werden die Genoſſen von Mark-koͤt-
tern, Brinkliegern, Heuerleuten und dergleichen zu
gemeinen Laſten und Ehren nicht kommenden Leuten
wohl unterſchieden (a). Und man weiſet einem jeden
ſein Holz, ſeine Trift und ſeine Nutzung zu, mit dem
Maaßſtabe in der Hand, nicht nachdem er baares
Vermoͤgen hat, ſondern nachdem er in der Mark ge-
wahret iſt (b). Die Sachſen hatten gleiche Grund-
ſaͤtze in der Civil-mark gehabt (c), und die Kunſt Ge-
ſetze zu machen auf die einfachſten Regeln zuruͤckge-
bracht; indem ſie ebenfalls die Eigenthuͤmer wehriger
oder ſtimmbarer Laͤndereyen von den Unwehrigen un-
terſchieden, Geld und Staͤdte verbannet, und keine
Geſetze fuͤr Menſchen, ſondern fuͤr Echten(d) gemacht
hatten. Arme (e), Fremde, und Knechte hatten Liebe,
Achtung und Schutz, aber kein eigentliches Recht; und
man war arm bey ihnen, wenn man keine ſtimmbare
Gruͤnde zu eigen oder kein Echtwort beſas. Durch
die neue Einrichtung verlohren ſie aber die Gelegen-
heit jener Armuth oder dem Geld-reichthum zu ſteu-
ren; dieſe erhielt ihr Recht durch Begnadigung, und
Geſetze von der Willkuͤhr des Schutzherrn. Der Ar-
me der eine Million baares Vermoͤgen beſas, konnte
gehangen werden, wenn ihn nicht bloſſe Gnade oder ſeine
Ueigne
[306]Oſnabruͤckſche Geſchichte
eigne Bedingung ſchuͤtzte; der geringſte Wehr aber
nicht, weil der Kayſer ihn nach dem Rechte behandeln
muſte, was er ſich gewieſen hatte, und niemals hatte er
eine Leibes-ſtrafe uͤber ſich zu Recht gewieſen. Allein
nach der Carolingiſchen Anlage muſten die Armen bald
Rechte der Wehren erhalten; und die Leibes-ſtrafen,
worunter dieſe neuen Wehren blieben, ſich leicht mit der
Neigung aller Herrſcher zu allgemeinen Verordnungen
uͤber die alten ausbreiten. Handelnde und werbende
Leute muſten geſchwind die Landbeſitzer verdunkeln,
und die Geſetze fuͤr Echten ſich in Verordnungen fuͤr
Koͤpfe verwandeln.
Die ſaͤchſiſche Nation erkannte uͤberhaupt drey Staͤn-
de, Edle, Wehren und Leute; und wenn letztere gleich
nicht in Perſon zu der Verſamlung kamen, worin die
Geſetze bewilliget wurden: ſo war doch der Vogt, der
ihre Wehre hatte, ihr Repreſentan, und dieſer hatte ver-
muthlich noch einige Bevollmaͤchtigte bey ſich. Man fin-
det kein Exempel, daß der Adel ein Geſetz fuͤr Wehren,
und
[309]vierte Abtheilunge.
und der Wehr ein Geſetz fuͤr Leute gemacht; oder daß
eine Sache dem einen und nicht auch zugleich dem an-
dern Stande (a) verboten worden. Alles ward mit
Gelde beſtraft; und der einzige Unterſchied war in der
Summe; wo der Edle ſechzig Schillinge (b) gab, be-
zahlte der Wehr dreyßig und der Leut funfzehn. Blos
Armen, Fremden und Knechten, wurden ohne ihre
Einwilligung Geſetze fuͤrgeſchrieben. Carl veraͤnderte
hierunter zwar nichts; da er aber dem Handel und ſei-
ner Cammer zum Vortheil die Armen zu ſehr beguͤn-
ſtigte, und aus ihnen Staͤdte (c) und Doͤrfer bevoͤlker-
te; da der Fraͤnkiſche- oder Reichs-Muͤnz-fuß allmaͤh-
lig das ſaͤchſiſche Geld-ideal (d) verdrang, und der Fall
dieſes Muͤnz-fuſſes jene Strafen unkraͤftig machte;
und uͤberhaupt das Vermoͤgen eines Menſchen nicht
mehr nach ſeinen Beſitzungen geſchaͤtzt werden konnte:
ſo muſte auch dieſes feine Syſtem der Sachſen, wel-
ches billig noch unſre Bewundrung verdient, der Zeit
und den Umſtaͤnden weichen. Man ermaͤchtigte ſich
bald, dasjenige einem geringen Land-eigenthuͤmer zu
verbieten, was man den geldreichſten Manne nach
Gefallen verbieten konnte.
Der Geſandte hielt jaͤhrlich ſeine Dietine, wofuͤr
eben wie auf unſern jetzigen Land-tagen die oͤffentlichen
Angelegenheiten, und beſonders alle Beſchwerden ge-
gen die kayſerlichen Beamten unterſucht, und dem Be-
finden nach abgethan oder zum Bericht angenommen
wurden (a). Auſſer derſelben aber hielt er auch noch
ſeine gebotene Gerichts-tage, an welchen in Appella-
tionsſachen und gegen ſolche Perſonen zu Rechte ver-
fahren wurde, deren man fuͤr ihrem ordentlichen Rich-
ter nicht hatte zu Rechte maͤchtig werden koͤnnen.
Dieſes hoͤchſte Land-gericht hieß vermuthlich die Ober-
ſale(b), und ſpaͤter das Fehm-gericht(c). Hier
gieng es an Leib und Leben, weil die Beklagten, ſo
ſich zur rechtlichen Gnugthuung und zur Bezahlung
des Wehr-geldes fuͤr ihrem ordentlichen Richter nicht
geſtellet hatten, und folglich von demſelben im Con-
tumaz-proceß, Recht-Echt-und Friede-los erklaͤret
waren, nun nicht mehr ſich auf die buͤrgerliche Wohl-
that der Genugthuung mit Gelde, berufen konnten,
ſondern ſich, wie jetzt, rechtfertigen oder ihre Leibes-
ſtrafe leiden muſten. Der Biſchof hielt ſeine Syno-
de und reiſete jaͤhrlich zur Kirchen-viſitation auf allen
Kirchſpielen herum, eine Verrichtung die er ſpaͤter
U 4ſeinem
[312]Oſnabruͤckſche Geſchichte
ſeinem Archidiacon (d), auch wohl dem Pfarrer des
Orts (e) vertrauet hat. Der Graf hatte ſeine drey
Goͤdinge im Jahr; und auſſerdem ſeine gebotene Ge-
richts-tage. An erſtern wurde von der ganzen Ge-
meinde Rechte gewieſen, auch wohl ſofort darnach
erkannt, wenn die Sache ſo weit reif oder klar (f)
war. Sonſt gehoͤrte die Unterſuchung und Entſchei-
dung nach dem an jenem gewieſenen Rechte fuͤr die
Schoͤpfen, welche ſich mit dem Richter an den gebo-
tenen Tagen verſamleten. Aus letztern iſt unſer heu-
tiges Gow-oder Part-gerichte entſtanden. Der
Graf erkannte weiter am offnen Goͤdinge uͤber Todt-
ſchlag und Wunden, wenn die Klage aufs Wehr-
geld (g) gieng. Er konnte auch den im Contumaz-
proceß recht-und echt-los erklaͤrten Miſſethaͤter wie-
der in ſeinen vorigen Stand ſetzen, und ihm ſeine Ver-
theidigung auf die Civil-klage wieder eroͤffnen (h).
Seitdem aber die Leibes-ſtrafen an ſtatt der Geld-
bußen (i) eingetreten, gehoͤren zum Goͤdinge jetzt
nur noch die Blut-ronnen, worauf keine Leibes-ſtrafe
ſteht. Der Edel-vogt hatte ſeine Gerichts-tage fuͤr
geringe Sachen, die weder Eigenthum noch Freyheit
betrafen (k), und fuͤr alle Bruchfaͤlle, die geringer
als Blut-ronnen waren. Unſre heutigen Aemter ſind
ihre Nachfolger; und was ſie mehr haben, iſt ihnen
bey Gelegenheit neuerer Einrichtungen beygeleget wor-
den. Mehrers will ich von der Carolingiſchen Ein-
richtung nicht anfuͤhren, weil es zu meinem Zweck
nicht gehoͤrt.
ENDE.