Fremdling, komm in das große Neapel, und ſieh's, und
ſtirb!
Schluͤrfe Liebe, geneuß des beweglichen Augenblicks
Reichſten Traum, des Gemuͤthes vereitelten Wunſch ver¬
giß,
Und was Quaͤlendes ſonſt in das Leben ein Daͤmon wob:
Ja, hier lerne genießen, und dann, o Begluͤckter, ſtirb! —
Im Halbzirkel umher, an dem lachenden Golf entlang,
Unabſehlich benezt von dem laulichen Wogenſchwall,
Liegt von Schiffen und hohen Gebaͤuden ein weiter Kreis;
Wo ſich zwiſchen die Felſengekluͤfte des Bacchus Laub
Draͤngt, und ſtolz ſich erhebt in die Winde der Palmen¬
ſchaft. —
Stattlich ziehn von den Huͤgeln herab ſich die Wohnungen
Nach dem Ufer, und platt, wie ein Garten, erſcheint das
Dach:
Dort nun magſt du die See von der Hoͤh' und den Berg
beſehn,
Der ſein aſchiges Haupt in den eigenen Dampf verbirgt,
Dort auch Roſen und Reben erziehn und der Aloe
Starken Wuchs, und genießen die Kuͤhle des Morgen¬
winds. —
Fuͤnf Kaſtelle beſchirmen und baͤndigen keck die Stadt:
[284]Dort Sanct Elmo, wie drohts von dem gruͤnenden Berg
herab!
Jenes andere, rings von Gewaͤſſer umplaͤtſchert, einſt
War's der Garten Lukulls, des entthronten Auguſtulus
Schoͤnes Inſelaſyl, in die Welle hinausgeſtreckt. —
Wo du gehſt, es ergießen in Stroͤmen die Menſchen ſich:
Willſt zum Strande du folgen vielleicht und die Fiſcher
ſehn,
Wie mit nerviger Kraft an das Ufer ſie ziehn das Netz,
Singend, froͤhliches Muths, in begluͤckender Duͤrftigkeit?
Und ſchon lauert der bettelnde Moͤnch an dem Uferſand,
Heiſcht ſein Theil von dem Fang, und die Milderen rei¬
chen's ihm.
Ihre Weiber indeß, in beſtaͤndiger Plauderluſt,
Sitzen unter den Thuͤren, die Spindel zur Hand, umher.
Sieh, da zeigt ſich ein heiteres Paar, und es zieht im
Nu
Caſtagnetten hervor und beginnt die bacchantiſche
Tarantella, den uͤppigen Tanz, und es bildet ſich
Um die Beyden ein Kreis von Beſchauenden flugs um¬
her ;
Maͤdchen kommen ſogleich und erregen das Tamburin,
Dem einfacheren Ohr der Zufriedenen iſt's Muſik:
Zierlich wendet die Schoͤne ſich nun, und der bluͤhende
Juͤngling auch. Wie er ſpringt! Wie er leicht und be¬
hend ſich dreht,
Stampfend, Feuer im Blick! Und er wirft ihr die Roſe zu.
Anmuth aber verlaͤßt den Begehrenden nie, ſie zaͤhmt
Sein wolluͤſtiges Auge mit reizender Allgewalt:
Wohl dem Volke, dem gluͤcklichen, dem die Natur verliehn
Angeborenes Maß, dem entfeſſelten Norden fremd! —
Durch's Gewuͤhle mit Muͤh', ein Ermattender, draͤngſt
du dich,
[285]And're Gaſſen hindurch; der Verkaͤufer und Kaͤufer Laͤrm
Ringsum. Horch, wie ſie preiſen die Waare mit lautem
Ruf!
Kaͤuflich Alles, die Sache, der Menſch, und die Seele
ſelbſt.
Aus Caroſſen und ſonſtigem Pferdegeſpann, wie ſchrey'n
Wagenlenker um dich, und der duͤrftige Knabe, der
Auf die Kutſche ſogleich, dir ein Diener zu ſeyn, ſich ſtellt.
Sieh, hier zuͤgelt das Cabriolett ein beleibter Moͤnch,
Und ſein Eſelchen geiſſelt ein anderer wohlgemuth.
Kuppler liſpeln indeß, und es winſelt ein Bettler dir
Manches Ave, verſchaͤmt das Geſicht mit dem Tuch be¬
deckt.
Dort ſteht muͤſſiges Volk um den hoͤlzernen Pulcinell,
Der vom Marionettengebaͤlke poſſirlich glozt;
Hier Wahrſager mit ihren geſprenkelten Schlangen; dort
Magſt du loͤſchen den Durſt an der Bude des Acquajuols,
Der Eiswaſſer vermengt und der herben Limone Saft.
Alles tummelt im Freyen ſich hier: der geſchaͤftige
Garkoch ſiedet, er fuͤrchtet den ſeltenen Regen nicht;
Ihn umgibt ein Matroſengeſchwader, die heiße Koſt
Schlingend gieriges Muths. An die Ecke der Straße dort
Sezt ihr Tiſchchen mit Kupfermoneten die Wechslerin,
Hier den Stuhl der gewandte Barbier, und er ſchabt,
nachdem
Erſt entgegen dem ſonnigen Strahl er ein Tuch geſpannt.
Dort im Schatten die Tiſche des fertigen Schreibervolks,
Stets bereit zu Bericht und Supliken und Liebesbrief,
Ob ein Knabe diktire der fernen Erſehnten ſein
Seufzen, oder ein leidendes Weib den verwieſenen
Gatten troͤſte, verbannt nach entlegener Inſel, ihn,
Der ſein freyes Gemuͤth in dem unterſten Kerker quaͤlt
Hoffnungslos, und den Lohn, der erhabenen Tugend Lohn,
[286]Erndtet. — Aber entferne die ſchattende Wolke, Schmerz! —
Auch zum Molo bewegt ſich die Menge, wo hingeſtreckt
Sonnt die nackenden Glieder der braͤunliche Lazzaron.
Capri ſiehſt du von fern in dem ruhigen Wellenſpiel;
Schiffe kommen und gehn, es erklettern den hoͤchſten Maſt
Flugs Matroſen, es ladet die Barke dich ein zur Fahrt.
Den Erzaͤhler indeſſen umwimmelt es, Jung und Alt,
Stehend, ſitzend, zur Erde gelagert und uͤber's Knie
Beyde Haͤnde gefaltet, in horchender Wißbegier:
Roland ſingt er, er ſingt das gefabelte Schwert Rinalds;
Oft durch Gloſſen erklaͤrt er die ſchwierigen Stanzen, oft
Unterbrechen die Hoͤrer mit muthigem Ruf den Mann.
Auferſteh' o Homer! Wenn im Norden vielleicht man dich
Kalt wegwieſe von Thuͤre zu Thuͤr', o ſo faͤndſt du hier
Ein halbgriechiſches Volk und ein griechiſches Firmament! —
Mancher Dichter vielleicht, in der Oede des Nords erzeugt,
Schleicht hier unter dem Himmel des Gluͤcks, und dem
Heimathland
Stimmt er ſuͤßen Geſang und gediegenen Redeton,
Den es heute vermag zu genießen und morgen noch,
Der zunimmt an Geſchmack mit den Jahren, wie deutſcher
Wein:
Freyheit ſingt er und maͤnnliche Wuͤrde der feigen Zeit,
Schmach dem Heuchler und Fluch dem Bedruͤcker, und
Jedem, der
Knechtſchaft prediget, welche des Menſchengeſchlechts Ver¬
derb.
Ach, nicht waͤhnt er den Neid zu beſiegen und weilt ent¬
fernt,
Taub den Feinden und hoffend, es werde die ſpaͤt're Welt
Spreu von Waizen zu ſcheiden verſtehn. — Wie erhaben
ſinkt
Schon die Sonne! Du ruhſt in der Barke, wie ſuͤß gewiegt!
[287]Weit im Zirkel umher, an dem buſigen Rand des Golfs,
Zuͤnden Lichter und Flaͤmmchen ſich an in Unzaͤhligkeit,
Und mit Fackeln befahren die Fiſcher das gold'ne Meer.
O balſamiſche Naͤchte Neapels! Erlaͤßlich ſcheint's,
Wenn auf kurze Minuten das ſchwelgende Herz um euch
Selbſt Sanct Peter vergißt und das goͤttliche Pantheon,
Monte Mario ſelbſt, und o Villa Pamfili, dich,
Deiner Brunnen und Lorbeerumſchattungen kuͤhlſten
Sitz! —
Doch der Morgen erſcheint, und der Gipfel des Tags nach
ihm:
Trauſt du ſchon dem Geliſpel der Welle dich an? Wohin?
Fuͤhrt ein Wind die Orangengeruͤche Sorrents heran?
Ja, ſchon ſchimmert von fern an dem Strande, mit Taſſo's
Haus,
Jene felſige Stadt, die berauſchende, voll von Duft.