Dem
Durchlauchtigſten/ Großmaͤchtigen
Fuͤrſten und Herrn/
Herrn
Friedrich dem Dritten/
Marggrafen zu Brandenburg/
Des Heil. Roͤm. Reichs Ertz-Caͤmme-
rern und Chur-Fuͤrſten/ in Preußen/ zu Magde-
burg/ Juͤlich/ Cleve und Berge/ Stettin/ Pom-
mern/ der Caßuben und Wenden/ auch in Schleſien
zu Croßen und Schwibuß Hertzogen/ Burggrafen
zu Nuͤrnberg/ Fuͤrſten zu Halberſtadt/ Minden
und Cammin/ Graſen zu Hohen-Zollern/ der
Marck und Ravensberg/ Herꝛen zu Ravenſtein/
der Lande Lauenburg und Buͤtow/ ꝛc.
Meinem genaͤdigſten Chur-Fuͤrſten
und Herrn.
ARminius/ vor welchem das
Welt-beherꝛſchende Rom mehrmals
gezitteꝛt/ hatte das Abſehen/ ſeine ſieg-
haffte Waffen/ welche nebſt Jhm
vor mehr als tauſend Jahren zu
Staub und Aſche worden/ wiederum ans Tagelicht
zu bringen/ und ſolche Eur. Chur-Fuͤrſtl.
Durchl. Erlauchteſtem Herrn Vater/
b
[]Zuſchrifft.
hoͤchſtruͤhmlichen Andenckens zu Fuͤſſen zu legen. Die-
ſer deutſche Held zohe Jhmund ſeinen Landes-Leu-
ten das Roͤmiſche Joch recht unerſchrocken vom Hal-
ſe/ darunter viel Koͤnige ſeuffzeten/ und wiedmete die
eroberten Roͤmiſchen Adler/ Waffen und Beile nach
der Variſchen Schlacht ſeinen Goͤttern. Was Wun-
der: daß er ſich mit ſeinen Sieghafften zu dem groſſen
Europeiſchen Friedrich Wilhelm zu wenden
begehret? als zu einem viel rechtern GOtt/ weil Gott
der Goͤtter die Beherrſcher der Erden ſelbſt ſo nennet;
als einem hertzhafften Vertheidiger Deutſchlandes;
welches wegen der vor wenig Jahren ſo tapfer ver-
fochtenen Freyheit (die gleich denen beym Helleſpont
auf des Proteſilaus Grabe wachſenden Baͤumen von
der herꝛſchensſuͤchtigen Aufblaͤhung des gegen uͤber lie-
genden Jliums ſchon zu knacken anfieng/) ſeinen bluti-
gen Degen zu kuͤſſen/ und gleich dem Xenophon/ deſſen
Sohnin der Mantineiſchen Schlacht vors Vaterland
ruͤhmlich geſtorben/ zu verehren Urſache hat; als einem
Uberwinder; deſſen Siege faſt alle vier Theile der
Welt geſchmecket/ und offt als einen Blitz empfinden
muͤſſen. Die Tugend iſt wol ihr ſelbſt-Lohn und
[]Zuſchrifft.
braucht keines Anſtriechs; Gleichwol aber hat Homer
des Achilles/ andere anderer Helden Gedaͤchtnuͤs biß
auf unſere Zeiten erhalten muͤſſen. Dem Arminius
iſt ſein Vaterland dieſe danckbare Pflicht ſchuldig ge-
blieben; und die nach ſo viel hundert Jahren beym
Schluſſe dieſes loͤblichen Vorhabens beſchaͤfftigte vaͤteꝛ-
liche Hand hat das Goͤttliche Verhaͤngnuͤs durch all-
zufruͤhzeitigen Tod unterbrochen: daß nunmehr der
Sohn dieſem hochverdienten Helden hierdurch vol-
lends ans Licht hilfft/ und ſolch Werck/ nach dem zu
hoͤchſtem Leidweſen Deutſchlands unſer groſſer Ce-
der-Baum/ daran ſich manch Staat ſicher gelehnet/
nicht ohne erbebenden Donner-Knall in Stuͤcken zer-
fallen/ Eur. Chur-Fuͤrſtl. Durchl. bey nun-
mehr angetretener Regierung/ als einem nichts min-
der klugen und hertzhafften Nachfolger/ zum ſchuldig-
ſten Opfer/ nebſt ſeinem Hertzen/ als der beſten Beyla-
ge/ in aller Unterthaͤnigkeit liefert.
Arminius bleibt nun Zweifels ohne in dem be-
ruͤhmten Berlin/ deſſen Verherꝛlichung einen Auguſt
zum Beherꝛſcher andeutet/ unteꝛ die Helden aufgethroͤ-
b 2
[]Zuſchrifft.
net/ welchem Eurer Chur-Fuͤrſtl. Durchl.
gleich Dero Erlauchteſtem Herrn Vor-
fahr/ weil von Adlern nur Adler gebohren werden/
aller Welt zur Nachfolge lebhafftes Bild/ gleich der
Sonne bey denen Perſiern oder denen Sineſiſchen
Koͤnigen mehr mit verdecktem Munde und Angeſicht
ſtillſchweigend zu verwundern/ als duꝛch eine ohnmaͤch-
tige Feder abzuzirckeln. Denn Tinte und Farbe iſt
allzuſchlecht hieꝛzu; und das Alterthum hat ſchonlaͤngſt
ſeinen Phidias und Silanion/ Welſchland ſeinen Ber-
nin/ wir Deutſchen aber unſern Rauch-Muͤller ver-
lohren; wiewol auch dieſe noch nicht die rechten Werck-
zeuge der Verewigung ſind; ſondern Eur. Chur-
Fuͤrſtl. Durchl. anbetenswuͤrdige Vollkom̃enhei-
ten ſahe man voꝛ Dero wuͤrcklichen Regierungſchon
in die Sternen gezeichnet/ und feſter/ als alle in ſtum-
men Marmel und Alabaſter gehauene Ehren-Saͤu-
len/ in die danckbaren Gemuͤther der itzig- und kuͤnffti-
gen Welt/ als die lebhaften und unvergaͤnglichen Be-
haͤltnuͤße/ geſetzet. Anitzo aber ſchauet gantz Europa
Eur. Chur-Fuͤrſtl. Durchl. in Dero Er-
[]Zuſchrifft.
lauchteſten Herrn VaternFußſtapfen voll-
koͤmmlich getreten zu ſeyn; in dem Selbte ſo wol zu
groſſeꝛ Verwundeꝛung aller Fuͤrſten/ als hohem Ver-
gnuͤgen aller aufrichtig-geſinnten deutſchen Hertzen die
deutſche Freyheit zu beſchirmen allbereit einen hoͤchſt-
ruͤhmlichen und die Unſterbligkeit verdienenden An-
fang gemacht haben; alſo Selbte nicht minder als
ein ander Heermann/ wie vor Dero eigene Laͤn-
der/ als des gantzen deutſchen Reichs Wolſtand zu
ſorgen bemuͤhet ſind.
Jch verhoffe die gluͤckſeligſten Zeiten/ und darinnen
meinen Angel-Stern erreichet zu haben/ da in Dero
nunmehr durch eine wieder aufs neue aufgegangene
Sonne beſtrahlten Himmels- und Erden-Kreiße ich
meinen wuͤrcklichen Sitz gefunden/ in welchem Gerech-
tigkeit und Eriede ſich kuͤſſen/ Kuͤnſte und Waffen ſich
umbarmen/ und der heilige Gottesdienſt die Grund-
feſte iſt; alſo ein ieder Unterthan mit mehrerm Recht/
als die Egyptier/ welche ihren Segen weder dem
Himmel/ noch ihren Koͤnigen/ ſondern eintzig dem
Nilus zuſchreiben/ vor die ewige Erhaltung des zeit-
b 3
[]Zuſchrifft.
her vom Tod und Verhaͤngnuͤs heftig erſchuͤtterten
Erlauchteſten Chur-Hauſes Branden-
burg den Allerhoͤchſten hertzlich anzuruffen/ und nebſt
mir ſich gluͤckſelig zu ſchaͤtzen und zu ruͤhmen Urſach
hat
Eur. Chur-Fuͤrſtl. Durchl.
Allerunterthaͤnig-gehorſamſter Knecht
Daniel Caſpar von Lohenſtein.
HJer ſtellet ſich/ unſer vor etlichen Jahren gethanen Ver-
troͤſtung nach/ nunmehr der Großmuͤthige Armi-
nius auf den Schau-Platz der Welt. Er ſuchet bey
denen Sieg-prangenden Helden dieſer Zeit guͤnſtige
Erlaubnuͤs/ Jhm einen Eintritt in dero Ruͤſt-Kam-
mern zu verſtatten; Und lebet der guten Hoffnung: ob
Er gleich in der heutigen Kriegs-Kunſt/ ſo wol wegen
Aenderung der Zeiten/ als anderer Zufaͤlle und Ge-
legenheiten ſich nur unter derſelben Schuͤler oder/
Lehrlinge zehlen moͤchte/ daß ſie ihm dennoch nichts minder ſeinen theuer-er-
worbenen Lorber-Krantz/ als auch eine Stelle in denen Ehren-Saͤlen unter
anderer Helden-Bildern goͤnnen/ und ihm den Nahmen eines hertzhafften
Feldherrn deßwegen in keinen Zweifel ziehen werden; weil Er die Kriegs-
Kunſt und Staats-Klugheit zu ſeiner Zeit an dem Welt-geprieſenen Hofe des
maͤchtigſten Kayſers Auguſtus/ da die Krieg- und Friedens-Kuͤnſte gleich-
ſam mit einander umb den Vorzug kaͤmpften/ vollkommentlich erlernet/ her-
nach aber bey Antretung ſeiner Regierung und obriſten Feldhauptmannſchafft
in Deutſchland/ vor die Beſchirmung der gleichſam in letzten Zuͤgen liegenden
Freyheit/ gegen die ſtoltzen Roͤmer hoͤchſt-ruͤhmlich angewendet; ja nicht allein
ſeinen bedraͤngten Lands-Leuten das ſchwere Joch der Roͤmiſchen Dienſtbar-
keit/ daran einige Roͤmiſche Kayſer ſo gar ſelbſt einen Greuel gehabt/ gaͤntzlich
vom Halſe geſtreifft/ andere deutſche Fuͤrſten zu gleichmaͤßiger Heldenmuͤthiger
Tapferkeit aufgemuntert/ und wider die hochmuͤthigen Roͤmer in Harniſch
gebracht/ ſondern auch derogeſtalt ſiegen gelernet: daß das durch ihn geſchwaͤch-
te groſſe Rom unterſchiedliche mahl erzittert/ Auguſten ſein Gluͤcke zwei-
felhafft gemacht/ und von derſelben Zeit an das ſtreitbare Deutſchland vor un-
uͤberwindlich gehalten worden.
Man wuͤnſchte zwar wol: daß der Herr uͤber Tod und Leben dem ſeli-
gen Herrn Verfaſſer dieſer Geſchichte noch ſo viel Tage zugeſetzet/ als Er be-
durfft haͤtte/ daß Er ſeinem Arminius oder Herrmann in dieſem Vor-
berichte ſelber das Wort reden/ und Jhm einen Geleits- oder Beglaubigungs-
Brieff
[]Vorbericht an den Leſer.
Brieff in die Welt mitgeben/ auch zugleich ſeinen itzigen Auftritt beſtens ent-
ſchuldigen koͤnnen.
Wir wollen aber den hochguͤnſtigen Leſer indeſſen an den groſſen Lehrmei-
ſter und Fuͤrſten der Staats-Klugheit/ den Cornelius Tacitus gewieſen
haben/ und mit dem vergnuͤgt ſeyn: daß derſelbe als ein auslaͤndiſcher Ge-
ſchicht-Schreiber und Feind der Deutſchen ſehr wol geurtheilet/ wie man auch
an ſeinem Feinde die Tugend loben muͤſſe. Welch Zeugnuͤs denn um ſo viel
mehr von der Heucheley und Laſter der Dienſtbarkeit entfernet/ umb wie viel
verdaͤchtiger auch der glaubwuͤrdigſten Freunde Urtheil iſt; als denen offt wider
ihren Vorſatz/ wo nicht Heucheley/ doch allzuguͤtige Gewogenheit anhaͤnget.
Dieſes hat Er auch damit bewehret: daß Er von unſerm Arminius das herr-
lichſte Zeugnuͤs von der Welt abgeleget und dabey geruͤhmet: Er habe Rom/
das Haupt der Welt/ da es in der groͤſten Bluͤte ſeiner Macht geſtanden/ und
ſchon mit auslaͤndiſchen Feinden fertig geweſen/ hertzhafft angegriffen/ keine
Gefahr geſcheuet/ und ſich in allen Treffen dergeſtalt tapfer verhalten: daß Er
niemals gaͤntzlich geſchlagen/ noch uͤberwunden worden.
Warumb aber unſer ſeliger Lohenſtein ihm eben die Beſchreibung die-
ſes Helden zu ſeiner Neben-Arbeit erwehlet/ wollen wir zwar zu ergruͤnden
uns nicht bemuͤhen; ſondern einem ieden uͤber deſſen Urſachen ein freyes Ur-
theil abzufaſſen erlauben; Gleichwol aber dieſes melden: daß vornehmlich ſo
wol einige hohe Standes-Perſonen/ als andere vertraute Freunde ihn hierzu
veranlaſſet und erſuchet: daß Er von unſern Deutſchen/ gleich wie andere
Voͤlcker von ihren Helden/ auch etwas gutes ſchreiben moͤchte; als welchen ſie
insgemein/ gleich wie Homer dem Achilles/ Xenophon dem Cyrus/ und andere
Andern zu viel/ wie wir unſerer kaltſinnigen Art nach/ den Unſrigen zu wenig
zugeeignet. Weil Er denn weder jener Befehl fuͤglich abzulehnen/ noch de-
rer Bitte abzuſchlagen vor moͤglich/ ſondern beyden etwas zu verſagen
vor ein ſtraffwuͤrdiges Laſter gehalten; ſo hat Er ihm/ nach dem faſt alle Hel-
den ihre Geſchicht-Schreiber uͤberkommen haben/ die Lieb- und Lebens-
Geſchichte des Arminius/ als welche Er zu ſeinem Zweck am beqvem-
ſten zu ſeyn vermeinet/ zu beſchreiben vorgenommen/ damit ja dieſer unver-
gleichliche Held auch zu dieſer Zeit noch einen herrlichen Glantz bey ſieinen Lan-
des-Leuten bekommen/ und ſein Ruhm nicht gaͤntzlich in dem Staube der Ver-
geſſenheit begraben bleiben moͤchte. Dieſe deutſche Geſchichte nun hat er aus
dem
[]Vorbericht an den Leſer.
dem tieffen Alterthum hervor geſucht/ und ſelbige in eine ſolche Ordnung zu-
ſammen zu bringen ſich bemuͤhet/ die dem Leſer weder allzutunckel noch ver-
druͤßlich fallen moͤchte. Dabey wolle ſich aber der beſcheidene Leſer nicht be-
frembden laſſen: daß Er nicht den Lateiniſchen Nahmen Arminius behal-
ten/ ſondern ihn durchgehends nach der deutſchen Sprache Herrmann be-
nennet. Maſſen er ſich dißfals/ wie andere in deſſen Benahmung ſeiner Frey-
heit gebrauchet; weil beyde Nahmen doch einerley ſind/ die meiſten deutſchen
Geſchichtſchreiber aber ſeiner unter dem Nahmen Herrmann gedencken.
Sonſt hat unſer ſeliger Uhrheber in dieſer Geſchichte/ wie andere Ge-
lehrten nach dem Triebe ſeines Gemuͤths-Geiſtes dies geſchrieben/ worzu er von
Natur ſo viel Luſt/ als wegen ſeiner Amts-Geſchaͤffte Zeit und Gelegenheit
gehabt. Und wird man Jhm umb ſo viel deſto weniger dieſe Schreibens-Art
uͤbel deuten koͤnnen/ weil nicht allein bey andern Voͤlckern/ ſondern auch in un-
ſerm Deutſchlande die Edelſten unter den Sterblichen ſich dergleichen bedie-
net; ja ſo gar vor wenig Jahren Durchlauchtige Haͤnde einen hoͤchſt-
ruͤhmlichen Anfang darinnen gemacht und genungſam gezeiget: daß wir
nunmehr andern Voͤlckern in der Kunſt-Liebe/ wo nicht es zuvor thun/ doch die
Wage halten koͤnnen; alſo/ daß wir der auslaͤndiſchen Uberſetzungen vor itzo
ſo wenig/ als ihrer deßwegen uͤber uns gefuͤhrten Hoͤhnerey bedoͤrffen werden.
Vornehmlich aber hat eine hochgedachte Erlauchte Feder/ und zwar
eben in den Cheruskiſchen Landen/ welche weyland unſer Arminius beherꝛ-
ſchet hat/ zu groſſer Vergnuͤgung aller edlen Gemuͤther/ mit den wichtigſten
Beweiß-Gruͤnden herrlich aus gefuͤhret: daß dergleichen Arbut ein Zeitver-
treib des Adels ſeyn ſolle/ und demſelben inſonderheit wol anſtehe; in dem der
Menſch vielmehr verpflichtet waͤre den Gemuͤths-als Leibes-Ubungen obzu-
liegen. Welches auch hoffentlich keine vernuͤnfftige Zunge in der Welt wird
wiederſprechen/ noch die geſchickteſte Feder wiederlegen koͤnnen. Maſſen es
doch allzuwahr iſt: daß eine gute Feder einen Edelmann nicht minder in der
Hand/ als auf dem Helme zieret. Denn ob zwar der Adel an ſich ſelber ein
ſchoͤner Zierrath und helleuchtendes Kleinod des Menſchen iſt; ſo wil es doch
aber auch noͤthig ſeyn: daß Er in das ſeine Gold guter Sitten und Wiſſen-
ſchafften verſetzet werde; ſonſt wird er deſſen Beſitzer eine ſchlechte Folge des
Anſehens oder Hochachtung geben koͤnnen. Die Edlen ſollen die Eigenſchafft
der Adler/ wovon ſie nicht ohne Urſach den Nahmen fuͤhren/ an ſich haben/ und
cſich
[]Vorbericht an den Leſer.
ſich unaufhoͤrlich nach der Sonne der Tugend und guter Kuͤnſte ſchwingen/
und ſo wol bey Krieg-als Friedens-Zeiten nicht nur den Leib durch die Waffen
und anſtaͤndige Ritterſpiele/ ſondern auch den Verſtand durch die Buͤcher und
das Schreiben uͤben. Denn hierdurch kan ſich der Menſch allein edel machen;
indem das Gebluͤte nur den Leib/ Tugend und Wiſſenſchafft aber den gantzen
Menſchen edel macht. Der Adel iſt/ wie Salicetus ſagt/ eine Tochter der
Wiſſenſchafft; und hat/ wie Marius beym Saluſtius redet/ ſeinen Uhrſprung
aus der Tugend genommen. Er iſt des Menſchen Ehre; die Ehre aber nach
des Ariſtoteles Ausſpruche der Tugend Lohn. Dahero iſt es unverantwort-
liche Thorheit/ ſich bereden laſſen/ als ob nach Wiſſenſchafft ſtreben und den
Buͤchern obliegen einem Edelmanne verkleinerlich waͤre/ oder daß es Jhn zu
andern Ubungen unfaͤhig mache; da doch alle wolgeſittete Voͤlcker iederzeit
dafuͤr gehalten: daß es ruͤhmlicher ſey den Adel von der Tugend/ als von den
Ahnen zu zehlen. Deßwegen/ ſpricht Livius/ habe zu Rom ein ieder/ der nur
tugendhafft geweſen/ auch edel werden koͤnnen. Was kan aber den Menſchen
eher tugendhafft machen/ als gute Kuͤnſte und wiſſenſchafften erlernen; als
wordurch der Verſtand nicht nur geſchaͤrffet/ ſondern auch das Gemuͤthe/ ja
der gantze Menſch ermuntert/ und zu allem guten faͤhiger gemacht wird? Der
groſſe Alexander iſt nicht zu ſchaͤtzen geweſen: daß Er aus dem Stamm der
Macedoniſchen Koͤnige/ noch der Caͤſar: daß Er aus dem Hauſe der Julier ge-
bohren worden; ſondern daß beyde ſich durch Tugend und Tapferkeit groß ge-
macht haben. Haͤtten ſelbige auch nicht die Weißheit zur Gefaͤrthin gehabt/
wuͤrde ihr Ruhm einen ſchlechten Glantz zum Beyſatze haben. Denn es iſt
nichts ſchaͤndlichers/ als/ ſo zu reden/ dem Jupiter zu wieder den Bacchus im
Haupte/ und die Pallas im Bauche fuͤhren; oder nur bloß allein edel von Ge-
bluͤte und leer von Weißheit ſeyn; daß man ſo denn nur allein zu dem Gedaͤcht-
nuͤs oder Ehren-Bildern ſeiner Ahnen fliehen/ und von der Vorfahren Glan-
tze entlehnen; alſo es ſolcher Geſtalt nicht viel beſſer machen muͤſſe/ als bey
den Alten die Ubelthaͤter/ welche/ wenn ſie verfolget wurden/ ihre Zuflucht
zu den Altaͤren/ Begraͤbnuͤßen oder Bilder-Saͤulen der Kayſer zu nehmen
pflegten. Maſſen ſolche Menſchen nichts beſſerem/ als denen mit zierlichen
Sattel-Decken prangenden Bucephalen vergliechen werden koͤnnen. Aller
Gegen-Einwendungen aber ungeachtet/ wird es doch ſonder Zweifel noch fer-
ner/ ſo lange tugendhaffte Menſchen in der Welt ſeyn werden/ dabey bleiben:
daß die Tugend der beſte Adels-Brieff/ und/ wie Pontanus ſpricht/ ſcheinba-
rer
[]Vorbericht an den Leſer.
rer als die Sonne ſey/ weil jene auch die Blinden/ dieſe aber ſie nicht ſehen
koͤnnen. Und waͤre zu wuͤnſchen: daß alle edle Menſchen glauben lernten/
daß es auch noch heute in der Welt/ wie weyland zu Rom/ gehe/ da niemand in
den Tempel der Ehren kommen konte/ er muſte denn zuvor durch den daneben
gebauten Tempel der Tugend gehen; ſo wuͤrden ſich vielleicht ihrer viel dem
Gluͤck zu Trotz aus iedem Stande lobwuͤrdig erheben koͤnnen; Allermaſſen wie
der deutſche Homerus unſer Opitz von einem gelehrten Ritter Schaff-
gotſche/ der einen artlichen Poeten abgegeben habe/ redet: der Stand durch
Verſtand bluͤhet/ und wer nur Verſtand hat/ auch mit Stande/ Gut und Adel
begabet wird. Wie denn deſſen unſer ſeliger Lohenſtein ſelber ein Beyſpiel
abgeben kan/ wie diß an Jhm wahr worden/ was Syrach ſaget: daß die
Weißheit Jhn zu Ehren gebracht/ und neben die Fuͤrſten geſetzet hat.
Was nun dieſe ſeine Arbeit anbelanget/ ſo wolle der hochgeneigte Leſer
ſolche nicht durchgehends vor ein bloſſes Getichte/ oder ſo genennten Roman
halten. Denn ob man zwar wol geſtehen muß: daß die Grich- und Roͤmi-
ſchen Geſchichtſchreiber nicht ſo viel wunderliche Zufaͤlle und weitlaͤufftige
Umſtaͤnde anfuͤhren; ſo wird man ſich doch diß nicht gantz befrembden laſſen/
ſondern dabey glauben: daß unſer Uhrheber viel des jenigen/ was Er nicht
bey den Geſchichtſchreibern gefunden/ theils aus ſeinen alken Muͤntzen/ theils
aus den Uberſchrifften und Gedaͤchtnuͤs-Maalen/ die er ihm inſonderheit hier-
innen uͤberaus wol zu Nutz zu machen gewuſt/ zuſammen geſucht/ ſolche gehoͤ-
riger Orten kluͤglich angewehret/ und alſo den Mangel damit hin und wieder
erſetzet hat. Weßwegen zwar zuweilen ein- oder die andern Umbſtaͤnde als er-
tichtet zu ſein ſcheinen; doch aber/ daß ſie nicht durchgehends vor bloſſes Fabel-
werck zu halten ſind/ entweder in der alten oder neuen Geſchichte ihre gewiſſe
Urſachen und die Wahrheit zum Grunde haben. Welches der in den alter-
thuͤmern und Geſchichten bewanderte Leſer leicht mercken/ die Raͤthſel aufloͤ-
ſen/ und die rechten Trauben von den gemahlten zu unterſcheiden wiſſen wird.
Es iſt zwar unſer Uhrheber bey ſeinen Lebzeiten niemals geſonnen gewe-
ſen/ dieſe Geſchichte durch den Druck ans Tagelicht zu ſtellen/ und ſich damit
den ungleichen Urtheilen der Welt zu unterwerffen. Nicht/ daß er ſeine Ar-
beit iemanden mißgegoͤnnet/ oder ſich iemals dergeſtalt in ſeine Gedancken ver-
liebt haͤtte: daß er andere neben ſich vor Kebsweiber gehalten; ſondern weil er
ſelbige/ wie alle ſeine Sachen/ niemals vor etwas geachtet/ was der Welt
mitzutheilen wuͤrdig ſey. Maſſen Er dieſes alles bloß zu obgemeldter vorneh-
c 2mer
[]Vorbericht an den Leſer.
mer Perſonen und guten Freunde eigenen Gefallen und Vergnuͤgung/ in de-
nen/ wegen ſeines muͤhſamen Amptes haͤuffigen Geſchaͤffte und ſchwerer
Rechts-Haͤndel/ wenig uͤbrigen Stunden/ beſonders aber meiſtens in ſeinem
Gicht- oder Geduld-Bette zum Zeitvertreib und Gemuͤths-Beruhigung ge-
ſchrieben/ und zuweilen ihnen etwas davon mitgetheilet/ die ſich denn mit deſ-
ſen Durchleſung nichts weniger/ als er mit der Arbeit beluſtiget/ und ihn im-
mer mehr aufgemuntert haben.
Das Abſehen dieſer Arbeit wird der kluge Leſer gleichfals leicht wahr-
nehmen koͤnnen: daß er der Welt dadurch einen guten Nutzen zu ſchaffen ge-
trachtet; weil er vornehmlich angemercket: daß ins gemein junge Standes-Per-
ſonen allzuzeitlich einen Eckel vor ernſthafften Buͤchern zu bekommen/ und lie-
ber die mit vielen Eitelkeiten und trockenen Worten angefuͤlleten Liebes-Buͤ-
cher/ als den la Motte/ oder den Spaniſchen Saavedra/ da doch dieſe
Buͤcher ihre Gelehrſamkeit und ihren Nutzen haben/ zu leſen pflegen. Dahe-
ro unſer Lohenſtein auf die Gedancken gerathen: ob man nicht unter dem
Zucker ſolcher Liebes-Beſchreibungen auch eine Wuͤrtze nuͤtzlicher Kuͤnſte und
ernſthaffter Staats-Sachen/ beſonders nach der Gewohn- und Beſchaffenheit
Deutſchlands/ mit einmiſchen/ und alſo die zaͤrtlichen Gemuͤther hierdurch
gleichſam ſpielende und unvermerckt oder ſonder Zwang auf den Weg der Tu-
gend leiten/ und hingegen ihnen einen Eckel vor andern unnuͤtzen Buͤchern er-
wecken koͤnte. Weßwegen er auch hierinnen allerhand froͤliche und traurige
Abwechſelungen von luſtigen/ verliebten/ ernſthafften und geiſtlichen Sachen
gebrauchet/ umb die Gemuͤther deſto aufmerckſamer zu machen; auch uͤber diß
mehr auf anmuthige Reden/ gute Gleichnuͤße und ſinnreiche Spruͤche/ als all-
zuweitlaͤufftige Umbſtaͤnde und Verwickelungen der Geſchichte geſehen. De-
rowegen wolle der beſcheidene Leſer auch nicht uͤbel vermercken/ wenn er da o-
der dort einigen Jrrthum entweder in dem Nahmen oder der Zeit-Rechnung
befinden moͤchte. Maſſen der ſeelige Verfaſſer wegen ſeines geſchwinden Abſter-
bens das gantze Werck nicht gaͤntzlich durchleſen koͤnnen/ da Er ſonder Zweifel
wol noch eines oder das andere ab- oder zugethan haben wuͤrde. Ob Er nun
ſchon ſeinen Zweck nicht in allem nach Wunſch erreichet haben doͤrffte; ſo wird
Er doch zum wenigſten hierinnen die Bahn gebrochen/ und ſo wol den Nach-
kommen ein Licht aufgeſteckt/ als die Lehre eines gewiſſen Auslaͤnders beob-
achtet haben: daß dergleichen Buͤcher ſtumme Hofemeiſter ſeyn/ und wie die
Redenden gute Lehren und Unterricht geben; alſo dieſe neben denſelben
durch
[]Vorbericht an den Leſer.
durch allerhand Beyſpiele die Wuͤrckung des Guten/ und die Folge des Boͤ-
ſen/ die Vergeltung der Tugend/ und die Beſtraffung der Laſter vorſtellen
ſollen.
Dahero/ wenn ja iemanden beduͤncken moͤchte/ als ob ein oder das an-
dere Laſter zuweilen hierinnen mit ſchoͤnen oder zu freyen Worten beſchrieben
waͤre; ſo wolle doch derſelbe ihme von unſerm ſeeligen Herꝛn Uhrhebeꝛ keine uͤbele
Gedancken machen/ ſondern vielmehr glauben: daß er in der Gerechtigkeit/
in der Tugend und Liebe zu GOtt feſt gegruͤndet geweſen/ und wol keinem
Chriſten in der Welt hierinnen nachgegeben. Sein Hertz war von allem Ei-
gennutz entfernet; hingegen ſein Gemuͤthe deſto mehr nach Weißheit begierig
und in derſelben unerſaͤttlich. Deßwegen hielt er iederzeit gleich dem beruͤhm-
ten Engellaͤnder Bradfort/ die Unterredung mit gelehrten Leuten/ die er faſt
taͤglich zu ſeinen Beſuchern wuͤnſchte und auch hatte/ vor eine Erqvickung der
Seelen/ und ſahe es uͤberaus gerne/ wenn ſie an ſeinem Tiſche vor lieb nah-
men/ und durch kluge Geſpraͤche ihm ſeine Speiſen wuͤrtzten. Jn Ermange-
lung derſelben aber waren gute Buͤcher ſeine unzertrennliche Gefaͤrthen; und
war ihm nicht moͤglich einen eintzigen Augenblick muͤßig zu ſeyn. Denn er
ſchaͤtzte die vergebens hinſtreichende Zeit mit dem weiſen Demetrius vor den
koſtbarſten Verluſt; und hielt dies/ was andere Arbeit und Muͤhe nennen/ vor
ein ſtaͤrckendes Labſal und die allerſuͤſſeſte Gemuͤths-Erleichterung. Daher er-
wehlte er ihm außer ſeinen Ampts- und andern Verrichtungen eine beſtaͤndige
und immerwehrende Arbeit/ die ihm nach des Himmels Bewegung oder Son-
nen-Lauff gleichſam in einem unauffhoͤrlichen Zirckel fuͤhrte. Sie war ihm
ein rechtes Spielwerck; alſo/ daß man wol mit Warheit betheuern kan: daß
ihm ſolche niemals einigen Schweiß ausgepreßt/ noch etwan Verdruß oder
Ungeduld erwecket hat. Denn er war in der Arbeit uͤberaus gluͤcklich; Er
wuſte ihm die ſchwerſten Sachen dergeſtalt leicht und annehmlich zu ma-
chen: daß ihn etwas zu verfertigen faſt wenig oder gar keine Muͤhe gekoſtet.
Maſſen ſein Kopff ein rechtes Behaͤltnuͤs der Wiſſenſchafften zu ſeyn ſchien/
darinnen er die allerwichtigſten Beweiß-Gruͤnde geſammlet hatte; und zu
aller Zeit ſo wol aus dem Munde/ als der Feder von ſich geben/ und
gleichſam wie eine Schale den Balſam der Gerlehrigkeit nur immer
reichlich ausgieſſen konte. Hierinnen aber hat er wie andere als ein
Menſch geſchrieben/ und als ein rechtſchaffener Chriſt nach ſeiner Schuldigkeit
c 3geglau-
[]Vorbericht an den Leſer.
geglaubet; auch eine und die andere Begebenheit bloß zu einem Beyſpiel vor-
geſtellet/ und zwar mit einer ſolchen Art/ die dem Leſer eine Begierde ſo wol das
Gute als Boͤſe zu betrachten/ beydes aber zu unterſcheiden/ erwecken moͤchte.
Denn allzulange auf einer Seite ſpielen/ oder immer einen Thon hoͤren/ iſt den
Ohren verdruͤßlich/ und dem Gemuͤthe zu wieder. Zu dem weiß man ja wol:
daß den Reinen alles rein iſt; und tugendhaffte Gemuͤther auch aus Leſung
des Boͤſen wie die Scheide-Kuͤnſtler aus gifftigem Napel etwas Gutes zu zie-
hen pflegen.
Denn weil alles der Veraͤnderung unterworffen iſt; und wir Menſchen
in der Welt meiſt die Abwechſelung der Dinge/ als die Mutter der Vergnuͤ-
gung lieben/ ob ſolche gleich nicht allemal eine freundliche Stirne/ und den
Mund voll Biſam hat; So folgen wir billich hierinnen dem Beyſpiel des
Himmels; der bald truͤbe/ bald klar/ bald ſtille/ bald ſtuͤrmeriſch zu ſeyn/ und
zuweilen mit Blitz und Donner zu ſpielen pfleget/ damit etwas gutes daraus
folgen koͤnne/ was wir uns weder verſehen/ noch deſſen Urſachen/ warumb
diß oder jenes geſchehen/ ergruͤnden koͤnnen. Derowegen wird ihm ein ieder
bedachtſamer Leſer die auf ſolche beſchriebene Laſter allemal gefolgten grauſa-
men Straffen hierinnen eben ſo wol/ als in dem heiligen Haupt-Buche zu einer
Warnung und Schrecken dienen laſſen. Denn haͤtte niemand die Klippen
Scylla und Charybdis ausfuͤhrlich beſchrieben/ und die See-fahrenden vor der
Gefahr gewarniget/ ſo wuͤrden noch viel Schiffer daran ſcheitern/ und ſie an-
itzo niemand ſo kluͤglich zu meiden wiſſen. Ein ieder Ort hat ſeine Wunder-
wercke und ſeine Mißgeburten/ wie ſeine Tage und Naͤchte; Und wo Sonnen
ſind/ da giebt es auch Finſternuͤße. Dannenhero wir alle Sachen in der Welt
gleichſam als in einem Spiegel beſchauen/ die boͤſen meiden/ die guten anneh-
men/ und ſtets gedencken ſollen: daß wie alle/ auch die geringſten Laſter ihre ge-
wiſſe Straffen; alſo die Tugenden allezeit ihre herrliche Belohmmgen zu ge-
warten haben. Denn beydes das Gute und auch das Boͤſe ſind gewiſſe Zah-
ler einem ieden/ wie Er es verdienet. Wer boͤſe geartet iſt/ wird gleichwol boͤſe
bleiben/ wenn er ſchon nicht den Arminius geleſen haben wird. Zu dem
koͤnte man wol fragen: was koͤnnen die Steine davor/ daß der/ ſo glaͤſern iſt/
ſich daran zerſtoͤſſet? Wer nicht wol verſetzen kan/ muß niemals fechten/ noch
ſich ohne guten Wind zu tieff in die See begeben. Man ſoll bey Leſung der Buͤ-
cher ein adeliches Hertz haben/ und mit Verachtung alles/ was weibiſch oder un-
edel iſt/ bey Seite ſetzen; hingegen ſeine Hand wie der unter des Licomedes
Jung-
[]Vorbericht an den Leſer.
Jungfrauen in Weiber-Tracht verborgene Achilles nach wuͤrdigen Sachen
ausſtrecken. Denn als dieſe mit Anſchauung des vom verkleideten Ulyſſes zum
verkauffen dahin gebrachten Weiber-Schmucks beſchaͤfftiget waren/ Achilles
bloß nach der darunter verborgenen Wehre grieff/ und alſo hierdurch vom U-
lyſſes erkennet ward. Mancher lieſet zwar die heiligſten Buͤcher/ hoͤret tau-
ſend guter Lehren und nachdruͤckliche Vermahnungen/ dennoch aber wil ihn
keines beſſern; ſondern er unterſtehet ſich vielmehr wol gar die allerherrlichſten
Dinge/ wie Lucianus/ zu einem Geſpoͤtte zu machen. Wie denn auch noch heute
zu Tage nichts gemeiners in der Welt iſt/ als uͤber andere Sachen ſeltzame Ur-
theile faͤllen und tadeln koͤnnen. Ja es giebet ſo gar Menſchen/ welche lieber
ohne Zunge als Stichreden ſeyn wolten; alſo daß es mancher entweder vor kei-
ne ſinnreiche Erfindung/ oder ihm vor einen Schimpff halten wuͤrde/ wenn er
nicht von iedem Dinge etwas boͤſes oder ſtachlichtes zu reden wuͤſte. Denn
dadurch meinen dergleichen Leute/ welche ſich gleichwol die Warheit zu reden
einbilden/ bey der gelehrten Welt vor helleuchtende Sternen angeſehen zu wer-
den; da ſie doch kaum dampfende Pech-Fackeln ſind/ welche/ was auch immer
ihr Schwefel und Rauch vor Blaͤndungen vorbilden kan/ ſich doch ihres Ge-
ſtancks halber ſelbſt verrathen/ und ihre eigene Vertunckelung befoͤrdern. Die-
ſe reden insgemein nie zierlicher/ als wenn ſie am uͤbelſten nachreden; und glaͤn-
tzen niemals mehrers/ als wenn ſie am meiſten brennen. Sie ſind wie die Loͤ-
wen/ welche/ wenn ſie einmal Blut von ihren Klauen gelecket/ noch immer
groͤſſere Begierde darnach haben; oder wie die Scorpionen/ die nur allezeit zu
ſtechen bereit ſind. Hingegen haben alle rechtſchaffene Gemuͤther iederzeit eine
Abſcheu vor Spoͤtternzu tragen pflegen; weil ihre Worte und Tinte ein laute-
res Gifft iſt/ ſo die Nahmen und alles das/ was ſie benennen/ vergifftet. Wie
denn jener auslaͤndiſche Ritter und kluge Raths-Herr zu Venedig gar nach-
dencklich hiervon geurtheilet: daß kein ehrlicher Mann mit gutem Gewiſſen
dergleichen weder reden noch ſchreiben koͤnte; Und gleich wie man Verraͤtherey
liebte/ den Verraͤther aber haſſete; alſo man auch Spott- oder Stachel-Reden
zwar lobte/ aber vor derſelben Uhrheber einen Abſcheu truͤge; ja einem derglei-
chen Liebhaber an ſtatt des verhofften Lobes gar hoch vernuͤnfftig zur Antwort
ſchrieb: Diſteln ſaͤen und Satyriſche Schrifften machen/ waͤre ſeines Beduͤn-
ckens einerley; wenn ſodenn Dornen daraus wuͤchſen/ muͤſte man nicht das
Gluͤcke/ ſondern ſeine eigene Thorheit anklagen. Und ob ſelbte zwar bey den
Zuhoͤrern ein Gelaͤchter erregten/ ſetzten ſie doch gemeiniglich den Uhrheber in
Leid.
[]Vorbericht an den Leſer.
Leid. Dannenhero dieſe der groſſe Alexander recht Koͤniglich verlachet/ Ti-
berius verſtellet/ und Titus gar nicht angehoͤret; Maſſen dieſes ſuͤſſe Gifft
ſeine eigene Straffe mit ſich fuͤhret. Solche Menſchen/ ſo ihren herrlichen
Verſtand und Vernunfft nur zum Boͤſen und des Nechſten Nachtheil anwen-
den/ werden offtmals/ weil ſie mit ſchaͤdlichem Rauch gehandelt/ auch wie des
Alexander Severus Diener/ Turinus mit Rauch geſtraffet; und koͤnten nicht
unbillich ein Beyſpiel vom Peryllus nehmen/ als welchen die Goͤttliche Ra-
che nicht ohne Urſach ſtraffte: daß/ weil er die ſchoͤne Kunſt aus Ertzt Bildnuͤſ-
ſe der Goͤtter und fuͤrnehmer Helden zu guͤſſen endlich mißbrauchte/ und dem
grauſamen Phalaris zu Liebe einen Ertztenen Ochſen/ als ein Werckzeug die
Menſchen zu peinigen machte/ er auch darinnen zu erſt die Wahrheit bewehren/
und ſeinen verbrennten Leib den hoͤlliſchen Goͤttern zu einem Schnupff-Pulver
werden laſſen muſte.
Gleich wie es nun allerhand wunderlich-geartete Menſchen in der Welt
giebt; alſo muͤhen ſich einige/ die einen Gran wichtiger als die itzt beſchriebe-
nen ſeyn ſollen/ nichts/ als unnoͤthige Gruͤbeleyen/ und eitel unnuͤtze Fragen auf
die Bahn zu bringen; Und wollen mit einiger Noth wiſſen: weſſen Tochter He-
cuba geweſen? was Achilles/ als er unter des Licomedes Jungfrauen verbor-
gen geweſen/ vor einen Nahmen gefuͤhret? was vor ein Lied die Syrenen zu
ſingen pflegen? Jn welche Hand Diomedes die Venus verwundet? An wel-
chem Fuße Philippus gehuncken? durch wen Auguſtus des Brutus Kopff nach
Rom geſchickt? und dergleichen mehr; oder leben gar wie Domitianus: daß
ſie ſich lieber taͤglich etliche Stunden mit einer treflichen Fliegen-Jagt/ als ei-
nem nuͤtzlichen Buche zu erluſtigen pflegen. Hingegen ſind andere wol ſo gott-
loß: daß ſie die allernuͤtzlichſten Sachen haſſen/ und ſich nicht allein unterſtehen
ſchaͤdliche und nichtige Dinge/ wie Favorinus das viertaͤgichte Fieber/ Dio die
lange Haarlocken/ Syneſius die Glatzen/ Lucianus die Fliegen zu loben/ ſon-
dern andere wol gar den Fuͤrſten der Finſternuͤs mit Lobſpruͤchen zu verehren.
Jhrer viel ſind auch/ die nicht nur den Neptun wegen ſeines der Augen halben
nicht recht gebildeten Ochſens/ Minervens Hauß wegen ſeiner Unbeweglig-
keit/ des Vulcanus Menſchen-Bild wegen der nicht durchſichtigen Bruſt zu
tadeln; ſondern ſo gar den himmliſchen Koͤrper ſelbſt/ als das groͤſte Uhrwerck
des hoͤchſten Schoͤpffers nach ihrer Einbildung einzurichten und zu ſtellen ſich
beduͤncken laſſen.
Derowegen koͤnnen wir uns umb ſo vielmehr leicht die Rechnung ma-
chen:
[]Vorbericht an den Leſer.
chen: daß wie nicht alle Sachen allen gefallen; ja das groſſe Welt-Licht die
Sonne ſelbſt von den Perſen angebetet/ von den Mohren hingegen verfluchet
wird; noch die beſten Speiſen iedwedem Munde ſchmecken; alſo auch dieſer un-
ſer Arminius nicht nach eines ieden Gehirne eingerichtet ſeyn; ſondern ein
ieder nach ſeiner Einbildung/ oder nach der Gewogenheit zu deſſen Verfaſſer
gut oder boͤſe davon urtheilen/ und alſo ihm nicht beſſer gehen werde/ als des
Jupiters Bildnuͤße/ umb deſſen Kopff die Spinnen ihr Gewebe ziehen. Denn/
denen Ungeduldigen oder allzu vieles Qveckſilber-habenden wird vermuthlich
dieſe Schreibens-Art zu weitlaͤufftig/ den Ungelehrten zu hoch und hiſtoriſch/
den Scheinheiligen zu frey/ denen Welt-geſinnten mit zu vieler Weltweißheit
und geiſtlichen Sachen angefuͤllet/ denen uͤbrigen aber auf dieſe oder jene Art
nicht recht ſeyn/ und da oder dort ſeine Fehler haben; alſo/ daß man wol mit
dem Auſonius Urſach zu ſagen haben moͤchte: wem dieſes unſer Spiel nicht ge-
faͤllig iſt/ der leſe es mcht; oder wenn er es geleſen/ ſo vergeſſe er es wieder;
der ſo er es nicht vergeſſen moͤchte/ ſo verzeihe er uns.
Allein es wolle der hochgeneigte Leſer nur gedencken: daß ein Menſch kei-
ner Engliſchen Krafft fahig iſt; ja auch dem Fleiſche der Heiligen ſelber
Schwachheiten anhangen: und daß man das jenige Buch/ welches lauter
gleichgewogene Leſer oder Liebhaber bekommen/ und allen Menſchen gefallen
wird/ unter die ſieben Wunderwercke der Welt zehlen/ deſſelben Verfaſſer aber
zum Oberhaupt und Richter aller Buͤcherſchreiber ſetzen werde. Viel/ die der-
gleichen Geſchicht-Buͤcher verachtet/ haben weder ſelber was beſſers zu ſchrei-
ben/ noch ſonſt durch ihr Beyſpiel die Welt froͤmmer zu machen gewuſt. Man
hat auch noch niemals weder gehoͤrt noch geleſen: daß es aus ihrem Haupte
Gold geregnet haͤtte/ vielleicht/ weil kein Bergwerck darinnen geweſen. Denn
ein ieder mag ſich nur beſcheiden: daß zwar alle Meere Schaum und Sand/
aber nicht Perlen und Korallen herfuͤr bringen koͤnnen.
Schluͤßlich aber wolle ja niemand meinen: daß unſer Uhrheber die Zeit
nur bloß allein an dieſes Werck oder ſeine Poetiſche Getichte gewendet habe.
Wer von ſeiner andern Arbeit und Ampts-Verrichtungen Zeugnuͤs begehret/
denſelben wollen wir nicht allein an das Breßlauiſche Raty-Hauß/
und den beruͤhmten Welt-klugen Herrn Frantz Freyherrn von Neſſelrode/
den Maͤcenas dieſer Zeit/ ſondern auch an die jenigen/ ſo ihn gekennet/ gewie-
ſen haben; als welche hoffentlich ohne alle Heucheley oder Partheyligkeit ihm
ddas
[]Vorbericht an den Leſer.
das Ehren-Lob nachzuruͤhmen ſich nicht wiedern werden: daß er die kurtzen
Jahre ſeines Lebens/ ſo wol vor die Stadt/ als die jenigen/ die ſich ſeinem
Rath und Beyſtandes anvertrauet/ treulich und redlich gearbeitet/ ſeine groͤ-
ſte Luſt in der Arbeit geſucht/ und gnungſam gewieſen/ ja ſein Corpus Ju-
ris zeugen wird: daß er ſo wol ein groſſer Rechtsgelehrter und kluger Staats-
Mann/ als ſinnreicher Poet geweſen; und daß man gar wol in der einen Hand
der Aſtrea Wagſchale/ in der andern aber auch des Apollo Leyer fuͤhren koͤnne.
Denn wo Themis und Minerva in einem Tempel beyſammen geſtanden/ ha-
ben ſie allezeit denſelben beruͤhmter gemacht/ und einander die beſte Handrei-
chung thun koͤnnen. Dahero auch eine Erlauchte Perſon von unſerm
Lohenſtein artlich zu ſchertzen Anlaß genommen: Es haͤtte das Gluͤcke in
Austheilung der Ehren-Aempter entweder geirret/ oder ihm unrecht gethan;
in dem es ihn zu einem Staats-Diener nicht einer Stadt/ ſondern eines groſ-
ſen Koͤnigs machen ſollen/ weil er zu dergleichen Dienſten vor andern faͤhig/
und gar fuͤglich des Plinius Baum/ der einen gantzen Garten mit allerhand
Fruͤchten vorſtellte/ oder auch des Auſonius Bacchus-Bilde/ ſo von allen Goͤt-
tern etwas eigentliches gewieſen/ und er es daher Pantheon/ oder alle Goͤtter
genennet/ zu vergleichen geweſen.
Dannenhero werden weder Plato/ noch alle die jenigen eigenſinnigen
Kluͤglinge/ welche der Poeſie/ ſamt allen andern denen Gelehrten mehr ſchoͤ-
nen Zierrath als groſſen Reichthum erwerbenden edlen Kuͤnſten eine Grufft
zu bauen/ oder zum minſten nur ihrem Purpur einen Schandfleck zu machen
bemuͤhet ſind/ einen Schluß abzufaſſen Urſach haben/ keinen Poeten in Rath
oder zu weltlichen Ehren-Aemptern zu nehmen. Da doch Rom und Grichen-
land nie beruͤhmter geweſen ſind/ als da die Poeſie auch bey Burgermeiſtern
und andern Groſſen zu Hauſe war. Daher wird es auch hoffentlich unſerm
Breßlau/ ſo lange nur gute Kuͤnſte und Sitten in der Welt bluͤhen werden/
eben ſo wenig/ als der Stadt Rom/ weil der Burgermeiſter Cicero ein groſſer
Redner daſelbſt geweſen und Buͤcher geſchrieben/ als ſonder welche er in der
Welt vielleicht weniger bekannt ſeyn wuͤrde/ niemals zu einiger Schande und
Verkleinerung ihres Anſehens gereichen/ wenn man gleich ſagen wird: daß
Hofmannswaldau/ Lohenſtein/ und fuͤr ihnen viel andere ihres
gleichen Getichte geſchrieben/ und die Poeſie zur hoͤchſten Vollkommenheit ge-
bracht
[]Vorbericht an den Leſer.
bracht haben. Die allergroͤſten Helden-Geiſter ſind entweder ſelber Poeten
oder doch groſſe Liebhaber/ ja der erſte deutſche groſſe Kayſer Carl/ den
Oſt und Weſt angebetet/ der Uhranheber der deutſchen Tichter-Kunſt geweſen.
Die Leſung des Homerus Getichte hat dem groſſen Alexander mehr Feuer/
als ſeiner Diener Rath zu Heldenmuͤthigen Entſchluͤſſungen gegeben; Und es
haͤtte ihm jener frembde Bothe/ der mit einem freudigen Geſichte zu ihm kam/
auf ſeine Frage: Ob Homerus von den Todten auferſtanden waͤre? keine froͤ-
lichere Zeitung ſagen/ als wenn er haͤtte Ja ſprechen koͤnnen. Unſer Armi-
nius kan auch ſelber Zeugnuͤs ablegen: daß er an dem maͤchtigen Kayſer
Auguſt/ nichts minder einen geſchickten Redner und Poeten/ als groſſen
Herrſcher gefunden habe; der auch ſchon im zwoͤlfften Jahre ſeiner Groß-Mut-
ter Julia eine offentliche Leich-Rede gehalten/ hernach aber bey ſeiner Kayſer-
lichen Wuͤrde es ſeinem hohen Anſehen gantz nicht verkleinerlich geachtet/ daß
er ſo gar ſeines Staats-Dieners Maͤcenas Tod mit einem Leich-Getichte be-
ehret hat. Und ob zwar Plato in ſeinen Geſetz-Buͤchern uͤbel von den Poeten
geredet; ſo hat er doch mehr den Mißbrauch/ als die Kunſt beſtraffen wollen;
Jm uͤbrigen aber von einem Poetiſchen Rath ſo viel gehalten: daß er ſie anders-
wo Vaͤter und Fuͤhrer der Weißheit/ ja ein Goͤttliches Geſchlecht genennet. Jſt
auch gleich nicht eben mit Abſterben der Poeten eine Stadt zu Grunde gegan-
gen; ſo hat man doch zum wenigſten allemal nicht ohne Nachdencken beobach-
tet: daß ſo bald aus einem Orte die darinnen zum hoͤchſten geſtiegene Tichter-
Kunſt ſich verlohren/ derſelbe auch in kurtzem ein gantz anderes und verſtelltes
Geſichte bekommen hat.
Jedoch damit wir nicht die Graͤntzen einer Vorrede allzuweit ausſtecken/
wollen wir dißfals weder eine Lobſchrifft noch Schutz-Rede oder Vertheidigung
der Poeſie machen, ſondern nur letzlich den geduldigen Leſer hiermit gebuͤhrends
erſuchet haben: daß er von unſerm ſeligen Lohenſtein gleichfals ein gutes
Urtheil faͤllen; indeſſen aber den Erſten Theil ſolcher ſeiner Arbeit gewogen
aufnehmen/ und kuͤnfftige Michael-Meſſe/ geliebts GOTT/ des Andern
nebſt vollſtaͤndigen Regiſtern gewaͤrtig ſeyn; auch alle Fehler darinnen zum
beſten kehren/ und gewiß glauben: daß wo er es ja nicht in allem wol
getroffen/ doch wol gemeinet/ und nicht allein damals bey den Freu-
d 2dens-
[]Vorbericht an den Leſer.
densbezeugungen uͤber des itzigen Allerdurchlauchtigſten Koͤnig Joſephs
in Ungarn hoͤchſterfreulichen Geburt gleichſam aus einem Poetiſchen Triebe
gewahrſaget hat: daß derſelbe ſeines Groß-Anherrn-Vatern/ Kayſer Carl
des Fuͤnfften Fußſtapffen betreten/ alle ſeine Tugenden und Gluͤcke beſitzen/
und nach Anzeigung des anfaͤnglich verlauteten Geburts-Tages/ eben wie dieſeꝛ
ruhmwuͤrdigſte Kayſer/ ſo wol von Sieg als Friede beruͤhmt werden wuͤrde;
Sondern er hat auch gleich wie wir/ iederzeit dieſen andaͤchtigen Wunſch in
ſeinem Hertzen gefuͤhret: daß der groſſe GOTT/ als der hoͤchſte Beſchir mer
und Erhalter aller Koͤnigreiche und Laͤnder unſern itzigen Allerdurchlauchtigſten
Oeſterreichiſchen Herrmann/ den Groſſen LEOPOLD/
einen nichts minder großmuͤthigen Feldherrn/ als preißwuͤrdigſten Beſchir-
mer deutſcher Freyheit in unverrucktem Wolſtande erhalten/ fernere gluͤckliche
und Siegreiche Waffen wieder alle die deutſche Freyheit kraͤnckende Feinde
verleihen/ und unter Seine Fahnen lauter tapfere/ keinen Eigennutz/
ſondern nur das Vaterland und die Eintracht liebende Heer - Maͤnner
ſenden/ auch das gantze hochloͤblichſte und allerguͤtigſte Ertzhauß Oeſter-
reich dergeſtalt ſegnen wolle: daß deſſen Stamm ſich durch die gantze
Welt ausbreiten/ ſeine Zweige aber biß in den Himmel
reichen moͤgen.
Hanß Aßmann von Abſchatz.
Hannß Caſper von Lohenſtein.
Chriſtian Gryphius.
F. N.
DJe Beſchaffenheit des Roͤmiſchen Reichs unter dem Kaͤyſer Auguſtus. Her-
zog Herrmann kommt mit denen Deutſchen/ vom Qvintilius Varus/ wi-
der den Sicambriſchen Hertzog Melo/ verſchriebenen Fuͤrſten/ in dem
Deutſchbur giſchen Heyn/ zuſammen. Tanfanens Heiligthum. Herrmann
opffert durch den Prieſter Libys. Die Leiche der Sicambriſchen Fuͤrſtin Walpurgis
Erſter Theil. Awird
[2]Erſtes Buch
wird beerdiget/ welche ſich/ umb dem geilen Varus zu entkommen/ im Siegeſtrome er-
traͤnckt hatte. Herrmann richtet den Fuͤrſten ein Gaſtmahl aus; und ermahnet ſie/
ihre verſammlete Waffen wider die Roͤmer zu brauchen/ mit Vorbildung ihrer Tyran-
ney. Arpus der Catten Hertzog faͤllet ihm bey; und ſchlaͤgt den Herrmann zum allge-
meinen Feld-Herrn fuͤr. Segeſthes der Caſuarier und Eulgibiner Hertzog gibt die
Schuld des Roͤmiſchen Uberfalls den Deutſchen/ widerraͤth den Frieden zu brechen/
ſondern den Varus zu verklagen. Haͤlt ihnen den ungluͤcklichen Auffſt and der Gallier/
Pañonier und Dalmatier fuͤr/ und daß der maͤchtige Koͤnig Marbod mit den Roͤmern
in gutem Verſtaͤndnuͤße lebe. Jubil des Bojiſchen Koͤnigs Brittons/ den Marbod
ermordet/ Sohn/ flucht auff den Marbod/ und raͤth ſolchen ſelbſt zu bekriegen.
Ganaſch der Chautzen Hertzog mißt dem Segeſthes die Urſache bey: daß die Chautzen
von Tiberius uͤberfallen worden. Jngniomer der Bructerer Fuͤrſt aber entſchuldigt
Segeſthen und beſaͤnfftigt ſie; und dieſer erbeut ſich den Uberfall der Roͤmer ſelbſt ein-
zurichten. Segimer Segeſthens Bruder und alle Anweſende erklaͤren den Hertzog
Herrmann zum Feld-Herrn. Jn dem fuͤr der Walpurgis Leiche eroͤffneten Grabe
wird eine zweyfache Wahrſagung gefunden. Die Prieſter ſetzen den Feld-Herrn auff
einen geweyheten Wagen/ und haͤndigen ihm drey alte Kriegs-Fahnen ein. Das Heer
nimmt den neuen Feld-Herrn mit Freuden an. Des Feld-Herrn Ruͤſtung und Re-
de zum Heere. Hertzog Segimer und unter ihm ſein Sohn Seſitach/ wie auch Ca-
tumer der Cattiſche Printz fuͤhren den Vortrab. Ein unbekannter Ritter bittet beym
Feld-Herrn/ um den Ausſchlag kuͤnfftigen Krieges zu erforſchen/ gegen einem Roͤmer
einen Zweykampff aus/ darinnen der vermeinte Roͤmer mit dem ſtuͤrtzenden Pferde
ohnmaͤchtig zu boden faͤllt/ durch ſeines Gefaͤrthen Klag-Geſchrey fuͤr eine Koͤnigin er-
kennet/ und in das Schloß Deutſchburg getragen wird. Der Feld-Herr kriegt Nach-
richt: daß der Vortrab von Roͤmern uͤberfallen worden/ und Segeſthes zum Fein de uͤ-
bergegangen ſey; worauff er ſelbten zu Huͤlffe rennt/ Jgniomern und Arpus das Heer
nachfuͤhren laͤßt. Segimer verfolgt die weichenden Roͤmer/ und verfaͤllt in dem
Deutſchmeyeriſchen Thale auff ihr gantzes Heer/ welches das Laͤger verlaſſen hatte/ und
ſich zwiſchen die Weſer und Aeder an die Feſtung Cattenburg ziehen wollen. Herrmann
befiehlet: daß Hertzog Jubil mit einem Theile des Hinterhalts einen Umſchweiff neh-
men/ und dem Feinde den Weg abſchneiden ſolte. Segimer/ Catumer und Seſitach
fechten an einem Furthe wider das gantze Heer. Der Feld-Herr macht ihm einen an-
dern Weg/ trifft auff des Varus Leib-Wache und den Eggius. Herrmann reißt die-
ſen vom Pferde/ wird aber umgeben/ von Adgandeſtern wieder zu Pferde bracht/ aber
von den Roͤmern/ welchen der Segeſthes einen neuen Furth gewieſen/ ſo wohl als Se-
gimer gantz umringt. Catumer und Seſitach werden verwundet. Das deutſche Heer
entſetzt ſie. Der Vortrab zeucht ſich zuruͤcke auff eine Flaͤche/ den Roͤmern Platz zu ei-
ner Schlacht-Ordnung zu machen; und die Roͤmer dringen wider den Willen ihrer Feld-
Oberſten nach/ alſo/ daß ſie zu ſchlagen genoͤthigt werden. Die Roͤmiſche und Deutſche
Schlacht-Ordnung. Segimer fuͤhrt ein Theil der Reuterey/ wird vom Zeno Printzen
aus Armenien verwundet/ und muß ſeine Stelle ſeinen Sohn Seſitach vertreten laſ-
ſen. Ein Ritter geraͤth mit dem Zeno in einen hefftigen Streit/ wird aber zur Erde ge-
faͤllt/
[3]Arminius und Thußnelda.
faͤllt/ fuͤr Jßmenen des Feld-Herrn Schweſter erkennt und gefangen weggefuͤhret. Ze-
no und Seſitach ſind verliebt in ſie; fallen dahero einander grimmig an. Hertzog
Ganaſch kommt dieſem zu Huͤlffe/ faͤllet den Zeno und nimmt ihn gefangen. Die Roͤ-
miſche Reuterey wird auff dieſer Seiten/ und Vala Numonius auff der andern vom
Printzen Catumer in die Flucht geſchlagen. Eggius/ Vir idomar und Guͤnterich fech-
ten imrechten Fluͤgel tapffer. Jngniomer trifft auff ſie mit groſſer Hertzhafftigkeit.
Catumer bricht mit der Reuterey in denrechten Fluͤgel ein/ Viridomar wird von ihm
zu Boden gerennet und ertreten. Catumer toͤdtet Hertzog Guͤntherichen. Um den
Roͤmiſchen Adler wird verzweiffelt gefochten. Jngniomer hauet dem Eggius die Hand
ab und ſtoͤſt ihm das Schwerdt durch die Gurgel. Der Roͤmiſche Faͤhnrich erſticht ſich
ſelbſt. Jngniomer erobert den Adler/ und Catumer der fluͤchtigen Gallier Fahne.
Rhemetalies trifft mit ſeinen Thraciern im lincken Fluͤgel. Hertzog Arpus bringt die
Roͤmer in Unordnung. Die Menapier und Bituriger und Cejonius fechten laulicht.
Rhemetalies und Arpus gerathen aneinander/ jener wird in Schenckel dieſer in Arm
verletzt. Printz Seſitach bricht mit der Reuterey in lincken Roͤmiſchen Fluͤgel ein.
Cejonius weichet/ Rhemet alies wird gefangen. Herrmann und Varus treffen mit
dem mitlern Groß ihrer Heere zuſammen. Des Varus Verrichtungen in Syrien
und Deutſchland. Wie vortheilhafftig Herrmann die Schlacht-Ordnung gemacht.
Die traurigen Anzeigungen bey den Roͤmern fuͤr der Schlacht. Varus/ Caͤditius/ Caͤ-
lius/ Britomar/ Arbogaſt/ fechten auff einer/ die Deutſchen auff der andern Seite
ſcharff und zweiffelhafft. Herrmann bemuͤhet ſich an Varus zu gerathen/ bricht mit
dreyhundert Edelleuten zu Pfer den ins Roͤmiſche Fuß-Volck. Der Ritter/ welcher
fuͤr der Schlacht die fremde Koͤnigin uͤberwunden/ trifft auff den verkleideten Sege-
ſthes. Jenem zerſpringt der Degen/ Segeſthestoͤdtet ihm und dieſer wieder ihm das
Pferdt/ reißt ihm den Helm ab; als er aber: daß es Segeſthes ſey/ erkennet/ zeucht er den
Streich zuruͤcke und laͤßt den Degen fallen. Herrmann will dem Segeſthes einen Streich
verſetzen/ der Ritter aber faͤngt ſelbten auff und wird ſelbſt verwundet; giebt ſich hierauf
fuͤr die Fuͤrſtin Thußnelde/ Segeſthens Tochter/ zu erkennen; faͤllt ihrem Vater zu Fuſſe/
reicht ihm ein Schwerdt/ und verlangt von ſeiner Hand zu ſterben. Segeſthes erken-
net ſein Verbrechen/ wuͤnſcht zu ſterben/ wird aber auff des Feldherrn Befehl in Ei-
ſen geſchlagen. Thußnelde wird ohnmaͤchtig und nach Deutſchburg bracht. Her-
tzog Herrmann nimmt den Caldus Caͤlius gefangen/ verwundet den Varus/ reißt dem
Manlius den Haupt-Adler aus. Das gantze Roͤmiſche Heer fleucht/ Varus erſticht
ſich ſelbſt. Seſitach ſteckt ſeinen Kopff auff eine Lantze. Hertzog Jubil trifft auffs neue
auff den Vala Numonius/ den Caͤditius/ Britomarn und Arbogaſten/ als ſie nach
der Cattenburg zu entrinnen vermeinen. Unter dieſen wil einer hier/ der andere dort
hinaus. Jubil durchrennt den Numonius/ verwundet den Britomar. Die Roͤ-
mer verkriechen ſich in Wald. Es erreget ſich ein hefftiger Platzregen. Der Wald
wird rings um mit Deutſchen beſetzt. Die Deutſchen machen ſich die Nacht durch luſtig
mit Wolleben und Geſaͤngen. Ein ſchrecklicher Sturmwind ſchlaͤgt viel Baͤume nie-
der. Dieſe erſchlagen die Roͤmer mit den ihrigen erbaͤrmlich. Jſmene des Feld-Herrn
Schweſter wird erledigt. Die Deutſchen ſuchen aus dem Walde den Feind herfuͤr;
A 2pluͤn-
[4]Erſtes Buch
pluͤndern ſeine Wagen und Feld-Geraͤthe/ erlegen den Reſt/ nehmen viel Weiber und
Kinder gefangen; kommen fuͤr das Roͤmiſche Laͤger/ darein Caͤditius und Arbogaſt
mit einem Theil ihres Volcks entronnen. Herrmann macht Anſtalt zum Sturme.
Catumer ſetzt durch die Lippe und beſchleuſt auff der andern Seite das Laͤger. Her-
tzog Jubil wil gegen die Feſtung Aliſon ſich ziehen/ verfaͤllt aber auff zwey Legionen
Roͤmer unter dem L. Aſprenas. Herrmann laͤſt Jngniomern fuͤrm Laͤger/ zieht dem
Aſprenas entgegen. Jubil treibt der Roͤmer Vortrab zuruͤcke. Die im Laͤger ma-
chen mit ihren Zeichen: daß Aſprenas Stand haͤlt. Fuͤrſt Marcomir gehet mit den U-
ſipetern zum Jubil uͤber. Die Roͤmer ſetzen Jubiln harte zu/ und muß er ſich zuruͤcke
ziehen. Aſprenas verfaͤllt auffs gantze Deutſche Heer/ erfaͤhrt von einem Gefangenen
des Varus Niederlage; zeucht ſich alſo/ indem Caͤcina und Silvanus Plautius mit
der Reuterey fechten/ zuruͤck. Die Roͤmiſche Reuterey wird in die Flucht bracht. Herr-
mann erlegt den Plautius. Der Roͤmer Niederlage. Jubil verwundet den Caͤcina/
Printz Sigesmund den Aſprenas/ welcher mit dem Uberreſte bey anbrechender Nacht
ſich zwiſchen die Suͤmpffe/ hernach aber durch den Wald gar zuruͤcke gegen Aliſon
zeucht. Der Marſen Hertzog Malovend ſchlaͤgt ſich durch den Catumer durch/ und
kommt ins Roͤmiſche Laͤger. Catumer laͤßt einen Theil ſeines Volcks fuͤrm Laͤger/
und gehet mit einem Theil fuͤr Aliſon. Ganaſch verfolgt den Aſprenas. Herrmann
fodert das Laͤger auff. Malovend widerraͤthet/ Cejonius ſchleußt ſich zu er geben;
befiehlt im Laͤger die Waffen uͤber einen Hauffen zu tragen. Malovend und Apro-
nius verſtecken den dritten Roͤmiſchen Adler in einen Sumpff. Herrmann bemaͤch-
tiget ſich des Laͤgers. Cejonius/ Malovend/ und Arbogaſt werden in Feſſel geſchlagen/
die Gefangenen eingetheilt und fortgetrieben. Grauſamkeit der Deutſchen gegen die
Gefangenen/ inſonderheit der Hermegildis gegen den Titus Labienus/ welcher ihres
Ehemanns Moͤrder/ und ihrer Tochter Ehrenſchaͤnder gegen ſie verthaͤdiget hatte;
als auch andere Sach-Redner. Das Laͤger wird geſchleifft. Die Fuͤrſten kommen
auff die erſte Wahlſtadt. Muſtonius und Qvintus Julius Poſthumus/ die des Va-
rus Leichnam beerdiget/ werden befehlichet ihn wieder auszugraben. Sie weigern es/
Printz Seſitach aber laͤßt ſelbten gleichwohl ausſcharren. Die Deutſchen ſo in der
Schlacht blieben/ werden theils verbrennt/ theils weggefuͤhret. Herrmanns Einzug
in Deutſchburg. Er wird von Prieſtern und Jungfrauen herrlich bewillkommt. Ca-
tumer und Ganaſch kommen beym Feld-Herrn mit unterſchiedenen Gefangenen/ dar-
unter auch Roͤmiſche Frauen an/ nachdem ſie Aliſon erobert und den daraus entkom-
menen Lucius Caͤditius verfolgt. Des Feld-Herrns gebliebene Grafen werden
praͤchtig verbrennt/ und die Aſche begraben. Emma des Ritter Waldecks: Wit-
tib beerdigt ihres Eh-Herrns Gebeine und erhenckt ſich ſelbſt uͤber ſein Grab. Der
Deutſchen Ritterſpiele bey den Begraͤbnißen. Herrmann ſchlaͤgt viel die ſich wohl ge-
halten zu Rittern. Des Varus Waffen werden in Tanfaniſchen Tempel gelieffert/
ſein Haupt auff Tuiſcons Altar gelegt/ die Roͤmiſchen Adler den Goͤtter nauffgehenckt.
Die Gefangenen werden auff hundert Altaren geopffert; viel Koͤpffe aber auͤffgehoben.
Malovend/ Apronius und Emilian weꝛden begnadigt Cejonius wird in einem Sumpffe
erſteckt. Sextus Catulus verdammt die deutſchen Opffer. Caldus Caͤlius ſchlaͤgt
ihm
[5]Arminius und Thußnelda.
ihm den Kopff mit ſeinen Feſſeln entzwey und hierauff auch Catulus. Fuͤrſt Seſi-
tach will des Varus Leib nicht auff dem Altare verbrennen laſſen. Fuͤrſt Siges-
mund erzehlt: wie er das Roͤmiſche Prieſterthum verlaſſen/ und opffert des Varus
Leiche ſelbſt auff. Neßelrod ziehet einen Brieff herfuͤr/ den Segeſthes fuͤr der Schlacht
an Varus geſchrieben. Das Kriegs Volck wird auff Segeſthen dadurch hefftig er-
bittert/ begehret an die Prieſter ihn zum Tode zu verdammen. Segeſthes wird ge-
holet/ Herrmann hieruͤber bekuͤmmert. Ganaſch dringt auff Segeſthens Tod/ Herr-
mann redet fuͤr ihn. Segeſthes erkennet ſeine Schuld/ und wil ſterben. Libys wird
gezwungen auszuſprechen: Segeſthes muͤſſe entweder vom Hencker/ oder/ da er ſeinem
Urſprunge und Buͤrgerrechte abſchwuͤre/ von Prieſtern ſterben. Segeſthes erkieſet
vom Hencker zu ſterben; bittet aber ihm einen eigenhaͤndigen Tod zu erlauben. Thuß-
nelde verdammet den Eigenmord/ und erbeut ſich vermoͤge ihrer Landes-Geſetze den
Tod fuͤr ihren Vater auch wider ihren Willen auszuſtehen. Bey aller Anweſenden
Erſtarrung will ſie dem Prieſter Libys das Opffer-Meſſer aus der Hand reißen;
Herrmann verhindert es. Thußnelda verweiſet ihm die Verwehrung ihres Todes/
und entdeckt zugleich ihre zuſammen gepflogene Liebe. Libys ſireicht die ſeltzamen Schi-
ckungen der guͤtigen Goͤtter heraus und erkennet: daß die Liebe und Verlobung mit
dem Feld-Herrn Thußnelden vom erkieſeten Tode errette. Segeſthes willigt in ſei-
ner Tochter Heyrath. Der Verlobten Vergnuͤgen/ des Volcks Freude hieruͤber. Ari-
nia wirfft zu Befreyung des Fuͤrſten/ Zeno und Rhemetalies ihnen ihren Krantz und
Guͤrtel zu. Alle ziehen nach Deutſchburg zuruͤcke.
KOm hatte ſich bereit ſo
vergroͤſſert: daß es ſeiner ei-
genen Gewalt uͤberlegen
war/ und es gebrach ihm
itzt nichts mehr/ als das
Maaß ſeiner Kraͤfften.
Denn nach dem Buͤrger ge-
wohnt waren/ gantze Koͤnigceiche zubeherꝛſchen/
fuͤr Landvoͤgten ſich große Fuͤrſten beugten/ die
Buͤrgermeiſter Koͤnige fuͤr ihre Siegs-Wagen
ſpanneten/ konte die Gleichheit des Buͤrgerli-
chen Standes ihren Begierden nicht mehr die
Wagehalten. Hieraus entſpannen ſich die in-
nerlichen Kriege/ welche dem Kaͤyſer Julius das
Hefft allein in die Hand ſpielten/ als der große
Pompejus in der Pharſaliſchen Schlacht ſeine
Kraͤfften/ das Roͤmiſche Volck aber ſeine Frey-
heit verlohr/ und jenem uͤber Hoffen die Erde
zum Begraͤbnuͤße gebrach/ dem ſie kurtz vor-
her zu Ausbreitung ſeiner Siege gefehlet hatte.
Deñ ob zwar der andere großmuͤthige Brutus/
durch einen in des Julius Bruſt geſtochenen
Dolch/ das Joch der Roͤmer zu zerſchneiden/ dem
Vaterlande die Freyheit/ ſeinem Geſchlechte
zum andernmal den Nahmen eines Erloͤſers
zuerwerben trachtete/ ſo ſchlug doch ſein nichts
ſchlimmerer Anſchlag viel aͤrger als des erſten
Brutus aus. Alſo haͤnget ein gewuͤnſchter Aus-
ſchlag nicht von der Gerechtigkeit der Sache/
nicht von der Kuͤhnheit eines hertzhafften Unter-
A 3fan-
[6]Erſtes Buch
fangers/ ſondern von dem unwandelbaren Ge-
ſetze des unerbittlichen Verhaͤngnuͤßes. Wie
nun Brutus vom Antonius erdruͤckt war/ alſo
enteuſerte ſich der furchtſame Lepidus ſeiner Ho-
heit und fiel dem Auguſt in einem Trauerkleide
zu Fuße. Derletzte unter den Roͤmern Caßi-
us toͤdtete ſich aus Einbildung eines fremden
Todes. Des Sextus Pompejus Kopf ſchwam
im Meere; Cato und Juba fielen lieber in ihre
eigene Schwerdter/ als in die Haͤnde des Octa-
vius. Anton verlohr ſich durch eigene Wolluͤ-
ſte/ blieb alſo niemand von den großen uͤbrig als
Auguſt und ſein Anhang.
Da nun dieſer die Gemuͤther der Kriegsleute
mit Geſchencken/ den Poͤfel mit ausgetheiltem
Getraͤide/ den Adel mit Freundligkeit/ alle mit
fuͤrgebildeter Suͤßigkeit des Friedens gewon-
nen hatte/ war niemand/ der nicht lieber eine
glimpfliche Herrſchafft/ als eine ſtets blutende
Freyheit verlangte. Ja die auch ſelbſt im Her-
zen die einhaͤuptige Herrſchafft verfluchten/ tra-
ten von ihrem Anhange und Meinung ab/
nach dem der Stadt Rom Schutz-Gott ſolche
vorher geaͤndert haͤtte. Alle Widerwaͤrtigen
erkenneten das Abſehen des Verhaͤngnuͤßes/ die
toͤdtliche Kranckheit ihrer Buͤr gerlichen Herr-
ſchafft/ und nahmen wahr: daß das zwiſtige
Vaterland nur unter einem Hute zubefriedi-
gen/ und die bey denen Buͤrgerlichen Kriegen
zerfleiſchte Freyheit unter einem Fuͤrſten einzu-
buͤſſen der Roͤmer groͤſtes Gluͤcke war. Und
biemit fiel das Looß auf den Auguſt; gegen wel-
chem die ſich ihm widerſetzende Tugend ungluͤck-
ſeelig; die Tapfferkeit ſelbſt unvermoͤgend ward.
Dahero ging nun iederman in ſeinen Palaſt/
nach dem/ wie ſie ſelbſt ſagten/ ihnen das Gluͤcke
zu ſelbtem und zu ihrer Schuldigkeit den Weg
gewieſen hatte/ und wohin die Goͤtter vorherge-
gangen waren. Ja die der Tugend und frey-
en Kuͤnſten hold waren/ ſchrieben dieſem Fuͤr-
ſten an die Pforte: Wer fuͤr unrecht hielte/ daß
der Himmel uͤber ſeinem Wuͤrbel ſchwebte/ daß
die Sonne ſo hoch ſtuͤnde/ haͤtte alleine ſich zu be-
ſchweren: daß der wuͤrdigſte Kaͤyſer waͤre. Sein
Verdienſt ſetzte ihn auf eine ſo hohe Staffel/ wo-
hin ihm weder der Unwille ſeiner Mißgoͤnner
nachſteigen/ noch das Auge der Ehrſuͤchtigen
nachſehen konte. Feindſchafft und Aufruhr
erſtickte in ſich ſelbſt; der Haß gegen ihn ver-
wandelte ſich in Verwunderung/ die Wider-
ſetzligkeit in Liebe. Und hiemit uͤbertraf dieſes
Schoskind des Geluͤckes bey weitem den Juli-
us. Er kam dem Numa gleich in dem/ daß
er den Tempel des Janus nach Erbauung
der Stadt zum dritten mal zuſperrete/ daran
aber: daß er das groͤſte Theil der Welt be-
herrſchte/ uͤberſtieg Er ſo wol alle ſeine Vor-
fahren/ als anderer abgelebter Beherrſcher
Bothmaͤſſigkeit. Die ſeltzamſten Zufaͤlle ſpiel-
ten ihm mehr als er wuͤntſchte in die Hand/
und noͤthigten ihn gleichſam die Graͤntzen ſei-
nes Gebietes zu erweitern/ ob er gleich das Roͤ-
miſche Reich in denen uͤberkommenen Schran-
cken zu erhalten entſchloſſen war. Weil die
Uberlaſt nichts minder eine Urſache iſt: daß all-
zu groſſe Herrſchafften als uͤberbauete Schloͤſſer
einfallen/ und groſſe Leiber den meiſten
Schwachheiten unterworffen ſind. Alleine
wo GOtt und das Verhaͤngnuͤs etwas vergroͤſ-
ſern wil/ da muͤſſen auch die Schrancken der
Natur ſich ausdehnen/ und die Zuͤgel der
menſchlichen Gemuͤths-Regungen zerreiſſen;
oder es laͤſt ſich der Ehrſucht nicht ſo leicht ein
Ziel/ als Laͤndern einen Graͤntz-Stein ſetzen.
Das Gluͤcke belegte fuͤr die Roͤmiſchen Gewalt-
haber den hoffaͤrtigen Phrat mit Bruͤcken/ und
die Zeit baͤhnete ihnen die ſandichten Wuͤſteney-
en des innern Libyens; alſo/ daß die Graͤntze
des Roͤmiſchen Reichs von den weiſſen Britten/
biß zu den ſchwartzen Mohren/ von dem Ge-
buͤrge deß Caucaſus/ biß auſſer den Saͤulen des
Hercules ſich erſtreckte; und das Jndiſche Meer
nichts minder die Rubinen der Morgen-Roͤthe/
als das/ worinnen die Sonne zu Golde gehet/
ſeine
[7]Arminius und Thußnelda.
ſeine Perlen dem Kayſer zinſete. Weßwegen
Auguſt nicht ſo wol umb den Anfang aller
von Rom außgehenden Meilen zu rechnen/ als
das Reichthum ſeines guͤldnen Reiches zu be-
zeichnen/ auff den Marckt zu Rom eine Saͤule
aus Golde ſetzte. Ja nicht nur das Reich uͤber-
ſtieg die Schrancken allervorigen/ ſondern Rom
ſelbſt das Maaß aller Staͤdte; deſſen Umbkreyß
zwey und viertzig Roͤmiſche Meilen betrug;
deſſen Haͤuſer ſechs Millionen Menſchen be-
herbergten; und derogeſtalt das uͤbrige Jtalien
nicht nur oͤde und einſam machte/ ſondern ſchier
aller Voͤlcker der Welt Aufenthalt war; und in
einem Tage der vorwitzigen Eitelkeit zehen tau-
ſend Pfund zuſammen geleſener Spinnen lie-
fern konte. Dieſemnach denn die Welt ſie fuͤr
ihr groͤſtes Wunder/ das menſchliche Geſchlech-
te ſie fuͤr ihre Gebieterin zu verehren gezwungen
ward/ nach dem Gluͤcke und Zeit ihr die Ober-
hand und die Ewigkeit entraͤumte. Bey ſol-
cher Beſchaffenheit ſchickte Phraates dem Kay-
ſer die dem Craſſus und Antonius abgenomme-
ne Adler wieder/ und trat ihm gantz Armenien
als ein Kauff-Geld des Friedens ab. Die
Parther verſicherten ihm ihre Treue durch
Geiſſel/ und vertraueten ihm die Auferziehung
ihrer Koͤnige. Die herrſchſuͤchtige Candace
meynte Egypten zu gewinnen/ und buͤſſete ihren
Koͤniglichen Sitz Tanape ein. Largus drang
biß ins Hertze deß gluͤckſeligen Arabiens/ und
Koͤnig Samos blieb in ſeinen Sand-Bergen
nicht von den Roͤmiſchen Waffen unbeirret.
Der Jndianiſche Koͤnig Porus ſchickte nach
Rom die erſten Tieger/ Pirimal auß der Jnſel
Taprobana Wuͤrtzen/ und Edel-Geſteine/ umb
hierdurch ſich beym Auguſtus einzulieben/ und
der Roͤmer Freundſchafft zu erlangen. Die
Deutſchen/ welche der Kayſer und andere groſſe
Koͤnige wegen ihrer Treue und Tapferkeit ins
gemein zu ihrer Leib-Wache erkieſeten/ ſtunden
den Roͤmern in ihren Kriegen zu Dienſte. Die
Cimbrer beſchenckten ihn mit dem bey ihrem
Reiche fuͤr das groͤſte Heyligthum und Kleinod
gehaltenem Tiegel/ und die/ welche ihre Kraͤff-
ten uͤber die Gewalt der unſterblichen Goͤtter
herauß ſtrichen/ lernten nach und nach ver-
ſchmertzen: daß Druſus deß Kayſers Stief-
Sohn durch etliche zwantzig am Rhein-Stro-
me erbauete Feſtungen ihrer Freyheit gleichſam
einen Kap-Zaum anlegte; daß Tiberius biß
an die Elbe drang/ die Chauzen fuͤr ſeinem Stu-
le die Waffen niederlegten/ ja daß deß Kayſers
Feld-Hauptmann Quintilius Varus ſie nicht
ſo wol mehr mit den Waffen im Zaume hielt/
als taͤglich nach der Schaͤrffe der Roͤmiſchen
Geſetze/ oder vielmehr nach dem Wahne ſeiner
luͤſternen Begierden verurtheilte.
Unter dieſem Joche ſchmachtete die Welt und
Deutſchland/ ſo daß nach dem allererſt gebaͤn-
digten Dalmatien niemand war/ der wider die
Roͤmer einen Degen zuckte/ denn der großmuͤ-
thige Hertzog Melo mit ſeinen Sicambern und
Angrivariern; als zu dem großmuͤthigen Herr-
mann der Cherusker Hertzoge ſich ein Ausbund
der Deutſchen Fuͤrſten (welche Quintilius Va-
rus wider den ſeiner Meynung nach aufruͤhri-
ſchen Melo guten theils verſchrieben hatte)
eingefunden/ und auf ſeine bewegliche Aufmun-
terungen in dem Deutſchburgiſchen Forſt an
der Lippe ihre Heer - Spitzen verſammlet
hatten. Die Sonne trat gleich in die Wa-
ge/ und war ſelbigen Tag ſchon zu Golde ge-
gangen/ nach Mitternacht ſolte auch gleich
der volle Mond eintreten/ als Hertzog Herr-
mann die Groſſen in dem Haͤyn der Goͤt-
tin Tanfana einleiten ließ. Es war ein Thal/
welches ungefaͤhr eine Meilweges im Umb-
kreiſſe hatte/ rings herumb mit ſteilen Felſen
umbgeben/ welche allein von einem abſchuͤſ-
ſenden Waſſer zerthellet waren. An dieſer
Gegend hatte die andaͤchtige Vor-Welt dem
Anfange aller Dinge/ nehmlich dem Schoͤpfer
der Welt zu Ehren auf ieder Seiten eine drey-
fache Reye uͤberaus hoch und gerade empor
wach-
[7[8]]Erſtes Buch
wachſender Eich-Baͤume gepflantzet/ und wie
dieſes gantze Thal/ alſo auch inſonderheit den in
der Mitte gelegenen Huͤgel/ und die in ſelbtem
von der Natur gemachte Hoͤle/ als auch den
darauß entſpringenden Brunnen fuͤr eines der
groͤſſeſten Heiligthuͤmer Deutſchlands vereh-
ret/ auch den Glauben: daß in ſelbtem die An-
dacht der Opfernden durch einen Goͤttlichen
Trieb gefluͤgelt/ und das Gebete von den Goͤt-
tern ehe als anderwerts erhoͤhet wuͤrde/ von
mehr als tauſend Jahren her auf ihre Nach-
kommen fortgepflantzet. Denn die alten an-
daͤchtigen Deutſchen waren bekuͤmmerter Gott
recht zu verehren/ als durch Erbauung koͤſtlicher
Tempel die Gebuͤrge ihres Marmeis zu berau-
ben und ihre Ertzt-Adern arm zu machen. Die-
ſemnach ſie fuͤr eine der groͤſten Thorheiten hiel-
ten Affen/ Katzen und Crocodilen/ ja Knobloch
und Zwibeln mit Weyrauch zu raͤuchern; wel-
che bey den Egyptiern mehr die auß Jaſpis und
Porphyr erbaueten/ oder auß einem gantzen
Felſen gehauene Wunder-Tempel vorſtellten/
als durch derſelben Pracht einiges Anſehen ih-
rer ſchnoͤden Heßligkeit erlangeten. Nichts
minder verlachten ſie die zu Rom angebetete
Furcht und das Fieber/ als welche Kranckheiten
wol unvergoͤttert/ ja abſcheulich bleiben/ wenn
gleich zu Uberfirnßung ihrer Bilder und Hey-
ligthuͤmer alle Meere ihr Schnecken-Blut/
und gantz Morgen-Land ſeine Perlen und
Edel-Geſteine dahin zinſet. Da hingegen
eine wahre Gottheit eben ſo ein auß ſchlechtem
Raſen erhoͤhetes Altar/ und ein mehr einem ſin-
ſtern Grabe als einem Tempel aͤhnliches/ aber
von dem Feuer andaͤchtiger Seelen erleuchte-
tes Heyligthum; wie die Sonne alle duͤſtere
Wohnungen mit ihrem eigenen Glantze er-
leuchtet und herrlich macht; alſo daß ohne die
Gegenwart des groſſen Auges der Welt alle
geſtirnte Himmels-Kreyſe duͤſtern/ in Abweſen-
heit einer weſentlichen Gottheit alle von Rubin
und loderndem Weyrauch ſchimmernde Tem-
pel irrdiſch ſind. Denn ob wol GOtt in und
auſſer aller Dinge iſt/ ſeine Macht und Herr-
ſchafft ſonder einige Beunruhigung ſich uͤber
alle Geſchoͤpfe erſtrecket/ ſeine Liebe ohne Er-
muͤdung allen durch ihre Erhaltung die Haͤnde
unterlegt/ ob er gleich ohne Außdehnung alles
außwendig umbſchleuſt/ alles innwendig ohne
ſeine Verkleinerung durchdringet; und er alſo
in/ uͤber/ unter und neben allen Sachen/ iedoch
an keinen Ort angebunden/ noch nach einigem
Maaſſe der Hoͤhe/ Tieffe und Breite zu meſſen/
ſeine Groͤſſe nirgends ein - ſein Weſen nir gends
außzuſchluͤſſen iſt; ſo iſt doch unwiderſprechlich:
daß GOtt ſeiner Offenbarung nach/ und wegen
der von denen Sterblichen erfoderten Andacht
einen Ort fuͤr dem andern/ nicht etwan wegen
ſeiner abſonderlichen Herrligkeit/ ſondern auß
einer unerforſchlichen Zuneigung/ ihm belieben
laſſe/ ja mehrmals ſelbſt erkieſet habe.
Uber dem Eingange nun dieſer ebenfals fuͤr
andern erwehlten Hoͤle waren nachfolgende
Reymen in einen lebendigen Stein-Fels ge-
graben/ iedoch gar ſchwer zu leſen; weil ſie nicht
allein mit denen vom Tuiſco erfundenen Buch-
ſtaben geſchrieben/ ſondern auch vom Regen
abgewaſchen und vom Mooß verſtellet wa-
ren:
Jn dieſer andaͤchtigen Einfalt beſtunden die
alten Heyligthuͤmer. Nachdem aber die Roͤ-
mer uͤber den Rhein gediegen/ und iede Land-
ſchafften auch ſo gar dem Kayſer Auguſtus haͤuf-
fig Tempel aufrichteten/ lieſſen die Hartz- und
Marßlaͤnder ſich von ihrer alten und einfaͤlti-
gen Andacht ableiten: daß ſie nach der Roͤmi-
ſchen Bau-Art auf dieſen Huͤgel einen rundten
und praͤchtigen Tempel von viereckichten Stei-
nen aufbaueten. Gleich als ob es in der
Willkuͤhr der Sterblichen ſtuͤnde: die
Goͤtter nichts minder in gewiſſe Geſtalten zu
verwandeln/ wie ſie auß denen Geſtirnen nicht
nur uͤppige Bulſchafften/ ſondern Baͤren/ Hun-
de und andere wilde Thiere in dem Abriſſe ihrer
tummen Einbildung gemacht haͤtten/ oder auch/
als ob es die Goͤtter mehr ver gnuͤgte/ wenn die
Sterblichen ihnen Steine an ſtatt ihrer Hertzen
einweyhen/ und mit koſtbarer Eitelkeit ihren
kaltſinnigen GOttes-Dienſt uͤberfirnſen.
Wiewol nun an etlichen Orten Deutſch-
lands die Sonne unter der Geſtalt eines halb-
nackten auf einen hohen Pfeiler geſetzten Man-
nes/ deſſen Haupt mit Feuer-Stralen umb-
geben war/ und der auf der Bruſt ein brennen-
des Rad hielt; der Mond unter dem Bildnuͤſſe
eines Weibes/ mit einem kurtzen Rocke/ einer
Kappen mit langen Ohren/ mit gehoͤrnten
Schuhen und dem Monden auf der Bruſt; der
Tuiſco in der Haut eines wilden Thieres/
mit einem Zepter in der Hand verehret
ward; ſo hatte doch gegenwaͤrtiger Ort noch
dieſe Reinigkeit erhalten: daß ſie in dieſen ihren
erſten Tempel kein Bild ihres GOttes entwe-
der nach menſchlicher Aehnligkeit/ oder Geſtalk
eines Thieres ſetzten. Sintemal ſie nicht nur
den abſcheulichen Mißbrauch der Goͤtter Bil-
dung darauß wahrnahmen: daß Praxiteles
nach ſeiner Bey-Schlaͤferin Gratina/ viel an-
dere nach der unzuͤchtigen Phryne die Goͤttin
Venus/ Phidias nach einem mißbrauchten
Knaben Pantauches/ den Olympiſchen Jupi-
ter abgebildet hatten; und wie ſchwer der Bild-
Schnitzer ſein eigen Gemaͤchte anbeten koͤnne/
beobachteten/ ſondern auch ehrerbietig glaubten:
Man koͤnne zwar gewiſſe Bildnuͤſſe zum Zei-
chen der daſelbſt verehrten GOttheit in gemein/
zu welchem Ende im Anfange der Dinge die
Sterblichen zu ihrem GOttes-Dienſte Lanzen
ſollen aufgeſteckt haben/ die Morgen-Laͤnder
ihren Jupiter durch einen groſſen rundten ober-
halb laͤnglichten/ die Araber durch einen
viereckichten Stein/ die Perſer durch einen
Fluß/ die Druiden durch einen hohen Eich-
Baum/ oder durch einen Degen und Gezelt;
die Paphier ihre Venus mit einer Kugel ange-
deutet haben/ oder zum Unterſchiede eines ge-
wiſſen GOttes-Dienſts/ der an einem Orte im
Schwange gienge/ als durch den Blitz/ daß Ju-
piter/ durch den Spieß/ daß Pallas/ durch die
Saͤule/ daß Hercules/ durch das wilde Schwein/
daß die Goͤttin Herta/ durch ein altes Schwerdt/
daß Marß/ (welchem die Scythen unter dieſer
Geſtalt ihre Gefangenen opffern) durch einen
Sebel/ daß die Diana (womit ſie die Taurer
abbildeten) allda verehret wuͤrde/ an heiligen
Oertern auffſtellen/ oder ſelbte gar nach der
Gewohnheit ihreꝛ Vorelteꝛn mit in die Schlach-
ten nahmen/ oder zu ihren Heer-Fahnen brau-
chen; Die Groͤſſe aller himmliſchen Geiſter a-
Erſter Theil Bber
[10]Erſtes Buch
ber wuͤrde verunehret/ wenn man ſie ſelbſt mit
zerbrechlichem Ertzt oder Steinen abbilden/ oder
in durch Menſchen Haͤnde gemachte Mauren
einſchlieſſen wolte. Denn der groſſe Umkreiß
der Welt ſey der groͤſte/ eine andaͤchtige Seele a-
ber der angenehmſte Tempel Gottes. Ja das
kleineſte Mooß/ das an den niedrigſten Stau-
den waͤchſt/ ſey die Groͤſſe Gottes fuͤrzubilden
groß genug. Der geringſte Wurm diene zum
Beweißthume ſeiner lebhafften Gegenwart
und unendlichen Verſehung. Dahero auch
Pythagoras ſeinen Nachfolgern auffs ſchaͤrffſte
verbot/ keinen Ring/ oder was anders/ darein
Gottes Bild gegraben waͤre/ zu tragen. Hier-
durch auch ſie zugleich erinnerte: daß ſie ihre
Glaubens-Geheimniße von GOtt bey dem al-
bern Poͤfel nicht gar zu gemein machen ſolten.
Nichts minder hat Numa verboten/ GOtt
durch eines Menſchen oder Thieres Bild fuͤr-
zuſtellen/ weil es verkleinerlich waͤre/ das hoͤch-
ſte Ding mit ſo geringen zu vergleichen/ und
die unſichtbare Unbegreiffligkeit durch die Au-
gen denen Sterblichen gemein zu machen. Wie-
wohl hernach mit dem Verderb der Roͤmiſchen
Sitten auch dieſe einſchlich: daß ſie/ nach Ge-
wohnheit der Egyptier/ auch ihrer in Edelge-
ſteine geſchnittener Goͤtter Bildniße mit Rin-
gen an Fingern trugen.
Der Prieſter Libys/ ein ſteinalter Mann/
deſſen eyßgraues Haar zwar den Schimmel
der Zeit/ und die Vergaͤnglichkeit des Leibes/
ſein munteres Antlitz aber gleichſam ein Vor-
bild der unſterblichen Seele darſtellte/ trat aus
der Hoͤle dieſen Deutſchen Helden entgegen/ und
erweckte ſo wohl gegen ihm als dieſem heiligen
Ort eine ungemeine Ehrerbietung; Zumal die
Deutſchen ohne diß gegen ihre Prieſter groͤſſere
als gegen Koͤnige zu bezeugen gewohnt waren.
Seinen Leib/ von den Schultern biß auff die
Fuͤſſe/ bedeckte ein ſchneeweißes Gewand/ wel-
ches ein Guͤrtel/ darauff die zwoͤlff himmliſchen
Zeichen geſtickt ſtanden/ uͤber den Lenden zuſam-
men zog. Das Haupt war mit einem Lorber-
Krantze umflochten/ in der lincken Hand trug er
einen Dreyzancks-Stab; auff deſſen mittelſter
Spitze die Sonne/ auff denen zwey euſſerſten
der Mond und das Feuer abgebildet war. Den
unter dem Schatten dieſer dreyen natuͤrlichen
Geſchoͤpffe betete ein Theil der Deutſchen eine
dreyeinige Gottheit an. Jn der rechten Hand
hatte er einen Sprengwedel/ welchen er drey-
mahl in das aus der Hoͤlehervor rinnende Qvell-
Waſſer eintauchte/ und damit die ſich naͤhernden
Helden beſpruͤtzte. Alſo fort fiel Hertzog Herr-
mann fuͤr der Hoͤlen auff ſein Antlitz/ und ruff-
te mit ausgebreiteten Haͤnden des Orts Gott-
heit um Erhoͤrung und gluͤckliche Ausfuͤhrung
ſeines Anſchlags an. Hierauff zuͤndeten die
Opfferknechte das Feuer auff dem unferne von
der Hoͤle auffgerichteten Altare an/ brachten
Beile/ allerhand Gefaͤſſe mit Waſſer zur Reini-
gung des Opffers/ und endlich zwey weiſſe
Ochſen herbey; welche um den Hals mit Kraͤn-
tzen aus allerhand wohlriechenden Blumen
umwunden waren. Der Prieſter wuſch ſeine
Haͤnde aus dem Brunnen/ legte die lincke auff
den Kopff des Opffer-Viehes/ ſeufftzete und be-
tete bey ſich/ die Augen ſtarr gegen dem auffge-
henden Monden haltende. Nach dieſem
ſchnitt er ein wenig Haare von der Stirne der
Ochſen warff ſie mit Weyhrauch vermenget
ins Feuer/ und ſchlingte ihnen einen Strick um
den Hals/ mit welchem ohne diß die foͤrdern
Fuͤſſe gebunden waren. Als nun die Opffer-
Knechte ſelbte damit zu Boden faͤlleten/ nahm
der Prieſter das Meſſer und ſtach darmit durch
ihre Kehle/ fing das herausſpritzende Blut in ei-
ne ſteinerne Schuͤſſel auff/ und goß es in die
Flamme/ welche davon gantz ſpitzig in die Hoͤhe
klimmete. Endlich ſchnitt er den gantzen Bauch
auff/ beſahe das Eingeweide/ zertheilte mit den
Veilen die Ochſen/ wuſch ſie ab/ beſprengte
die Viertel mit Meel und Saltz/ und verbrenn-
te alles zu Aſchen.
Nach derogeſtalt vollbrachtem Opfer rief er
mit lauter Stimme dem Hertzoge zu: Er ſolte
aufſte-
[11]Arminius und Thußnelda.
aufſtehen/ die GOttheit haͤtte ſein Gebete gnaͤ-
dig aufgenommen/ und das Opfer deutete in
allem an: daß das Verhaͤngnuͤß ſeinem Fuͤrha-
ben geneigt waͤre. Hertzog Herrmann ſprang
hierauf mit gleichen Fuͤſſen empor/ neigte ſich
gegen dem Altare/ und weil ſein Hertze ſo wenig
die Freude/ als ſeine groſſe Hoffnung eines
gluͤcklichen Außganges verbergen konte/ ſteckte
er ſeine lincke Hand gegen dem aufgehenden
Voll-Mond aus/ und thaͤt ein Geluͤbde: daß
er alle edle Roͤmer/ welche von ihm wuͤrden ge-
fangen werden/ aufopfern wolte. Hiemit
wendete er ſich gegen die Fuͤrſten und andere
Groſſen/ welche unfern von ihm bey dem Opfer
auch ihrer Andacht gepfleget hatten/ und erſuch-
te ſie: daß ſie ihm/ als einem Wegweiſer hinter
den Huͤgel und Tempel nachfolgen moͤchten.
Sie hatten aber kaum etliche Schritte fortge-
ſetzt/ als ſie von Weſten her gegen dem Tempel
ſich einen Todten-Aufzug naͤhern ſahen; wel-
ches ſie aus aller Begleitenden ſchwartzen Trau-
er-Kleidern und ihren umbhuͤlleten Haͤuptern
erkenneten. Zufoͤrderſt giengen zwantzig Edel-
Leute/ welche die Bilder der Sicambriſchen
Fuͤrſtlichen Ahnen vortrugen; dieſen folgten
drey Sicambriſche Prieſter mit Opfer-Beilen/
und hierauf alſofort ein mit Blumen-Kraͤntzen
uͤber und uͤber bekleideter Sarg/ welcher von
zwoͤlf weiſſe Wachs-Fackeln tragenden Edel-
Knaben umbgeben/ und von ſo viel edlen Jung-
frauen getragen ward; die alle ſo viel Thraͤnen
uͤber ihre Wangen fluͤſſen lieſſen/ daß es ſchien/
als haͤtten ihre Augen ſich in das regnende Sie-
ben-Geſtirne verwandelt. Jhre Vorgaͤnge-
rin/ eine anſehnliche Frau/ alleine hatte trockene
Augen/ es ſahe ihr aber eine heftigere Beſtuͤr-
tzung aus dem Geſichte/ als welche mit Weinen
fuͤrzubilden iſt. Der Leiche folgten eine ziemli-
che Anzahl Sicambriſche Edel-Leute/ und zu-
letzt die Opfer-Thiere/ welche auf denen Be-
graͤbnuͤſſen zwar geſchlachtet/ nicht aber ver-
brennet/ ſondern von denen Leidtragenden
verſpeiſet zu werden pflegen. So bald
ſie fuͤr den Eingang deß Tempels kamen/ ward
die Baare niedergeſetzet/ der Sarg eroͤffnet/
in welchem eine eingebalſamte Leiche eines
Frauen-Zimmers zu ſehen war. Nachdem ſie
alle gegen der heiligen Hoͤle ſich biß auf die Erde
niedergebuͤckt/ und ein kurtzes Gebete gethan
hatten; kehrte ſich die dem Sarche vortretende
edle Frau zu denen anweſenden Fuͤrſten/ und
fieng nach etlichen tieffen Seufzern halb re-
chelnde an zu reden: Wundert euch nicht/ groſſe
Helden/ wer ihr auch ſeyd/ daß ſo viel beſtuͤrtztes
Frauen-Zimmer und traurige Frembdlinge eu-
re heilige Rath-Schlaͤge ſtoͤren. Unſre Leiche und
Sache vertraͤget nichts als Wehklagen; bey de-
nen Deutſchen aber iſt den Maͤnnern nur das
Andencken/ denen Weibern das Trauren allein
anſtaͤndig. Laſſet euch vielmehr befrembden:
daß mein trockner Schmertz noch das Vermoͤ-
gen hat meine Zunge zu ruͤhren. Dieſes Ge-
rippe ſind die geringſchaͤtzigen Huͤlſen der uͤber-
irrdiſchen Walpur gis/ der Sicambriſchen Fuͤr-
ſtin; welche ich von Jugend auf durch tugend-
hafte Erziehung zu bedienen das Gluͤcke/ der
boßhafte Varus aber zu ermorden den Vorſatz
gehabt hat. Wolte GOtt aber/ dieſer Un-
menſch haͤtte nur ihr Leben/ nicht aber ihre Tu-
gend auszuleſchen ſich bemuͤhet! Alleine dieſe
Heldin hat das erſte an ihr ſelbſt hertzhafft aus-
uͤben muͤſſen/ womit Varus/ der Keuſchheit
Tod-Feind/ das andere zu vollbringen gehindert
wuͤrde. Denn ſie hat lieber in dem Siege-
Strome ertrincken/ als mit dieſem luͤſternen
Hengſte in dem Gewaͤſſer der Wolluͤſte ſchwim-
men wollen. Jch ſtehe an unſere Walpurgis
der Roͤmiſchen Lucretia zu gleichen/ welche letz-
tere/ da ſie unſchuldig geweſt iſt/ nicht den Tod/
wenn ſie aber nur ihr beliebtes Verbrechen mit
dem Blute zu uͤberfirnſen geſuchet/ kein Lob ver-
dienet hat. Sintemal die erſtere durch zeitliche
Abſchneidung ihres Lebens-Fadens dem Wuͤ-
terich auch das Vermoͤgen ſie zu verunehren
B 2abge-
[12]Erſtes Buch
abgeſchnidten. Gleichwol aber beredet mich
der aus ſo viel Helden-Geſichtern hervor
ſtrahlende Anblick: daß die unbefleckte Wal-
purgis zum minſten ſo wol eine Urſache der Ra-
che/ ein Anlaß die gekraͤnckte Freyheit wiederzu-
ſuchen/ fuͤr Deutſchland; als die gleichwol beſu-
delte Lucretie eine Mutter der buͤrgerlichen
Herrſchafft/ und eine Vertilgerin der Wuͤtteri-
che in Rom zu ſeyn/ verdiene. Ja weil dieſe
großmuͤtige Tochter des Fuͤrſten Melo in ihrem
Hertzen einen ſo groſſen Tugends-Eyfer gezeu-
get: daß ſie an ihrem Leibe die unſinnige Be-
gierde des Varus doch mit dem Tode geſtraffet
hat; wuͤrde ich aller anweſenden Helden Un-
willen uͤber mich billich ziehen; wenn ich nur
zweifelte: daß ſie an dem ſchuldigen Varus ſo
viel Laſter mit gelinderer Straffe belegen/ und
dem/ nicht ſo wol zur Rache ſeines Hauſes/ als
dem gemeinen Weſen zum Beſten/ wider die
Roͤmer hertzhafft ſtreitenden Melo ritterlich bey-
ſpringen wuͤrden. Dieſem heiligen Heyne hat
ihr beſtuͤrtzter Vater die Aſche einer ſo heiligen
Fuͤrſtin gewiedmet/ weil dieſer Leib vorher ein
heiliges Behaͤltnuͤs einer ſo reinen Seele geweſt.
Aber in wie viel ein herrlicher Heyligthum wird
mit ihrem Gedaͤchtnuͤſſe das Bild der Tugend
beygeſetzt werden; wenn in denen Hertzen ſo groſ-
ſer Helden die truͤben Wolcken des Mitleidens
einen ſolchen Blitz gebehren/ welcher den Wuͤtte-
rich in Aſche verkehret/ und der Nach-Welt ein
Beyſpiel der ungluͤcklich angefochtenen Keuſch-
heit hinterlaͤſt. Nach dem aber die Leichen ih-
rer Ruh/ die from̃en Seelen ihrer Erquickung/
die Boͤſen der Marter nach dem Tode wuͤrdig
ſind/ und alſo mit Seufzern begleitet zu werden
verdienen/ inſonderheit die irrdiſchen Straffen
ein allzu leichtes Gewichte gegen die Schwere
eines ſo grauſamen Verbrechens abgeben; ſo
ſehet/ was das adeliche Frauen-Zimmer der Si-
cambrer fuͤr eine bewegliche Bitte an die Geiſter
des andern Lebens deswegen abgelaſſen. Hiemit
grief ſie in den Sarg/ und nahm der darinnen
ausgeſtreckten Leiche ein Schreiben aus der
lincken Hand/ und laß folgende Worte daraus:
Alle anweſende Fuͤrſten ſahen einander gantz
beſtuͤrtzt an; denn nicht nur die traurigen Ge-
ſichter der anweſenden Klage-Weiber/ ſondern
auch der todten Fuͤrſtin Antlitz ſie gleichſam mit
ſtummer Zunge zum Mitleiden und zur Ra-
che anfleheten. Das Waſſer in welchem ſie
einen halben Tag gelegen/ ehe ſie gefunden und
heraus gezogen worden/ hatte ihren Leib durch
Aufſchwellung/ und der Tod ihr faſt himmli-
ſches Antlitz durch den Raub ſeines Purpers
verſtellet; gleichwol waren auch in dieſer ge-
ringſten Uberbleibung nicht ſchlechte Merck-
male ihrer Schoͤnheit und Anmuth zu ſpuͤren.
Denn die Sonnen/ wenn ſie gleich untergan-
gen ſind/ laſſen doch noch Kenn-Zeichen ihres
herrlichen Glantzes hinter ſich. Alſo wurden
anfangs ihre Augen/ hernach ihre Gemuͤther
uͤberaus beweget; dahero Hertzog Herrmann
dieſe ihm gleichſam vom Himmel zugeſchickete
Gelegenheit die deutfchen Fuͤrſten zur Verbitte-
rung
[13]Arminius und Thußnelda.
rung anzureitzen wol wahrnahm; und die fuͤr ih-
nen als ein Marmel-Bild unbewegt ſtehende
Vorrednerin erſuchte; ſie moͤchte den beruͤhrten
Trauerfall ihnen umſtaͤndlicher entdecken. Die-
ſe fing alſofort auff unverwendetem Fuße an:
die hier liegende Tochter des Hertzogs Me-
lo war von der Natur mit allen Schaͤtzen uͤ-
bermaͤßig beſchuͤttet/ welche das weibliche Ge-
ſchlechte von ihrer milden Hand anzunehmen
faͤhig iſt. Ja auch ihr Hertze war mit dem
Schatze der Maͤnner betheilet/ nehmlich ei-
nem Heldenmuthe; alſo daß ihre Schoͤnheit
mit ihrer Anmuth nicht nur ohne Waffen ih-
re Anſchauer uͤberwaͤltigte; ſondern ihr Geiſt
auch faͤhig war Laͤnder einzunehmen. Was
muͤhe ich mich aber die heraus zu ſtreichen/ wel-
cher Vollkommenheit gantz Deutſchland fuͤr-
laͤngſt erkennet; nunmehr aber an ihr einen ſo
herrlichen Schatz ſo ſchaͤndlich verlohren hat?
Denn wie es Schlangen giebt/ welche nur die
ſchoͤnſten Blumen anfeinden; und die Kroͤten
aus den reinſten Kraͤutern ihr Eyter ſaugen; al-
ſo hat die Tugend dieſer ſo reinen Fuͤrſtin nicht
die Anfechtung des geilen Varus zuruͤck zu hal-
ten vermocht. Dieſer Unmenſch zohe mit etli-
chen tauſend Roͤmern und Galliern durch das
Sicambriſche Gebiethe nach Aliſon. Melo
nahm ihn als einen Freund und Bundsgenoſ-
ſen freundlich auff/ bewirthete ihn auff etlichen
ſeiner Luſthaͤuſer/ wohin die Reiſe zutrug/ auffs
hoͤfflichſte; und dieſe ſeine zu ihrem Ungluͤcke ſo
ſchoͤne Tochter muſte die mit ihm reiſende Frau
des Lucius Aſprenas und etliche andere Roͤme-
rinnen/ oder vielmehr Kuplerinnen auffs
freundlichſte unterhalten. Varus fing mit ih-
rer erſten Erblickung alsbald Feuer/ und in
einem Tage brandte ſein Hertz lichterloh. Wie-
wohl nun ihre ihr aus den Augen ſehende Tu-
gend dieſen in ſeinen ſtinckenden Hertzen auff-
ſteigenden Dampff haͤtte niederdruͤcken ſollen;
war doch dieſer der Laſter gewohnte Menſch ſo
wenig ſeiner Vernunfft als ſeiner Begierden
maͤchtig; ſondern er meinte: daß die Schoͤnheit
ſo ſelten keuſch/ als die Sonne kalt waͤre/ und
Walpurgis fuͤr eine Ehre oder Gnade zu ach-
ten haͤtte/ wenn ein Anverwandter des Roͤmi-
chen Kaͤyſers mit ihr ſeine Luſt buͤſſete. Ja es
war Varus in ſich ſelbſt ſo ſehr verliebt: daß er
kein Frauenzimmer fuͤr ſo kaltſinnig hielt/ wel-
ches bey ſeiner erſten Anſprache nicht die Frey-
heit; bey der andern Zuſammenkunfft die Ver-
nunfft verliehren/ und ſeine Vollkommenheit
nichts minder alles Weibsvolck verliebt/ als die
Soñe in Mohrenland alle Einwohner ſchwartz
machen muͤſte. Nachdem er auch ein und ander
mahl in Abweſenheit der Roͤmiſchen Frauen ge-
gen ſie ziemlich freye Reden und Geberden ge-
braucht/ Walpurgis aber es in Meinung: daß
es zu Rom gewohnte Sitten waͤren/ ohne euſſer-
liche Empfindung hatte hingehen laſſen/
bildete er ſich ein/ dieſer Fuͤrſtin Hertze waͤre
ſchon eine von ihm ſo in die Enge gebrachte Fe-
ſtung: daß ſie um ſich zu ergeben nur die Ehre
verlangte auffgefodert zu werden. Dieſemnach
er ſie dann/ als Hertzog Melo mit des Aſprenas
Gemahlin in einem Luſthauſe das Koͤnigsſpiel
ſpielten/ bey der Hand nahm/ und in einem
ſchattichten Gange des Gartens mit ſeinem
garſtigen Munde durch Abheiſchung unziemli-
cher Liebe nichts minder das Haus ſeines ſo
wohlthaͤtigen Wirthes/ als die keuſche Ohren
dieſer tugendhafften Fuͤrſtin verletzte. Walpur-
gis/ welche nichts minder mit Hertzhafftigkeit/
als die Roſen mit Dornen ihre Beleidiger zu
verletzen gewaffnet war/ hatte ſich bey nahe ent-
ſchloſſen dieſem unverſchaͤmten Tollkuͤhnen mit
einem Schimpffe zu begegnen; ſie erwog aber
alsbald vernuͤnfftig/ was ihrem Vater und al-
len Sicambern aus einer zu hitzigen Bewe-
gung fuͤr Unheil erwachſen/ und/ nachdem Va-
rus ſo groſſe Kriegs-Macht an der Hand hat-
te/ in was fuͤr Gefahr und Ungluͤck ſie ſich
durch zu geſchwinden Eyfer ſtuͤrtzen koͤnte.
Dieſemnach ſie denn/ wiewohl mit gantz ver-
aͤnderter Freundligkeit dem Varus antwor-
tete: Sie muthmaßte aus dieſem Vortrage/
B 3wann
[14]Erſtes Buch
wann ſie es nicht vorhin wuͤſte: daß er nicht
lange in Deutſchland geweſen ſeyn muͤſte/ al-
wo dieſer Schertz gar ungewoͤhnlich waͤre.
Der von den Begierden gantz verblendete Va-
rus gab nur ein Lachen darein/ meldende:
die Roͤmer waͤren gewohnt insgemein Schertz
und Ernſt mit einander zu vermaͤhlen; und
moͤchte ſie glauben: ſeine gegen ihr entglom-
mene Liebe waͤre ſchon zu einem ſolchen Feu-
er worden: daß ſie ſich mit denen erſtern
Schalen nicht ſaͤttigte. Walpurgis zaͤhmte
ſich noch und verſetzte: Sie koͤnte ſich ſeine
angegebene Meinung nicht bereden laſſen/
weil er nichts minder von denen Deutſchen/ als
ſie von Roͤmern wuͤſte: daß beyderſeits zwey-
fache Ehen verdammlich waͤren. Varus fuhr
alſogleich fort und fing an: Jch bejammere
die Einfalt der Deutſchen/ welche der Him-
mel mit uͤbermaͤßiger Schoͤnheit begabt/ a-
ber mit gebrechender Wiſſenſchafft ſelbte zu
brauchen geſtrafft hat. Sie Roͤmer aber
wuͤſten: daß die Ehen nicht unauffloͤßlich;
ein Ehweib auch nur ein Wort der Wuͤr-
de/ nicht der Vergnuͤgung waͤre; welche al-
ſofort mehr als die Helffte verſchwinde/ oder
gar erſtickte/ wenn man die Liebe in die Schran-
cken des Ehbettes als in einen Kercker ver-
ſperrete; Sintemahl einem fuͤr dem leicht
eckelte/ deſſen Genuͤß man taͤglich in ſeiner
Gewalt haͤtte. Die tugendhaffte Walpur-
gis faͤrbte ſich uͤber ſo unverſchaͤmtem Gegen-
ſatze/ und wolte ſich des Varus entbrechen;
welcher aber ihr die Hand loß zu laſſen wei-
gerte/ und ſie alſo ihm zu ſagen noͤthigte:
Deutſchland haͤtte ihm ſo ſehr uͤber ſeiner
Einfalt Gluͤck zu wuͤnſchen/ als die wolluͤſti-
gen Auslaͤnder uͤber ihrer geruͤhmten Wiſ-
ſenſchafft ſich zu betruͤben. Sintemahl kei-
ne reinere Unſchuld ſeyn koͤnte/ als die La-
ſter nicht kennen; welchen ſo viel Gifft an-
klebte: daß ihr Nahme gleichſam anfaͤllig/
wie der Baſiliſten Auge toͤdtlich waͤre. Da-
hero ſie ihn erſuchte: daß er ihre als einer
Jungfrauen Ohren mit ſo aͤrgerlichen Belei-
digungen verſchonen und erwegen ſolte: wie
in Deutſchland auch nur die Verſehrung
der Schamhafftigkeit eine aͤrgere Verletzung
als der Tod/ ſie aber/ mit der er redete/ nichts
minder im Gemuͤthe/ als von Ankunfft ei-
ne Fuͤrſtin waͤre. Eben dieſes/ antworte-
te Varus/ iſt alleine erheblich genug/ ihr an-
dere Gedancken einzureden. Denn die Ge-
ſetze/ welche der Natur und ihren Neigungen
Zwang anthun/ ſind fuͤr den Poͤfel gemacht.
Die bloſſe Wilkuͤhr der Fuͤrſten aber iſt eine
Richtſchnur/ welche Gutes und Boͤſes unter-
ſcheidet. Und der Glantz ihres Anſehens iſt
ſo vermoͤgend einer Schwachheit die Farbe der
Tugend/ als die Sonne einer truͤben Wolcke
des Purpers und Goldes anzuſtreichen. Nie-
drige Geſtirne wuͤrden nur von andern verfin-
ſtert/ an die aber/ welche in den oberſten Kreiſſen
ſtuͤnden/ reichten weder Schatten noch Flecken.
Nichts minder waͤren die Heldinnen an eine
ſolche Hoͤhe geſetzet: daß ihre Flamme der Liebe
entweder gar ohne einigen Rauch der Schande
loderten/ oder zum minſten ſelbte kein irrdiſches
Auge zu erkieſen vermoͤchte. Dieſe ungebunde-
ne Freyheit nach ihrem Belieben zu leben/ und
von dem andern verbotenen Baume zu eſſen/
waͤre das einige Vorrecht und Vortheil/ die das
Gluͤck ihnen fuͤr ſo viel Sorgen und Schweiß/
womit der Poͤfel verſchonet wuͤrde/ zugeſchantzt
haͤtte. Woriñen die Sitten der Deutſchen auch
ſelbſt uͤbereinſtimmeten; welche dem gemeinen
Volcke nur eines/ den Fuͤrſten aber mehr Wei-
ber zu heyrathen erlaubten. Die Fuͤrſtin Wal-
pur gis unterbrach mit einer nicht geringen Un-
gedult die allen Fuͤrſtlichen Haͤuſern verkleiner-
liche Lehre; welche er nach ſeinen unreinen Ge-
muͤthsregungen zu erhaͤrten bemuͤhet war. Jſt
die Keuſchheit/ ſagte ſie/ nicht das edelſte Kleinod
des gantzen weiblichen Geſchlechts/ warumb ſoll
denn der Poͤfel ſich mit dieſer koͤſtlichen Perle
zu
[15]Arminius und Thußnelda.
zu ſchmuͤcken allein befugt/ denen Heldinnen
aber ſich mit Unflate der Laſter zu beſudeln eine
anſtaͤndige Tracht ſeyn? Der Koth bleibt heß-
lich und ſo viel mehr kenntbar in Kryſtallenen
Geſchirren; und die Laſter garſtig/ wenn ſie
ſchon in Sammet und Gold-Stuͤck gehuͤllet/
oder auf helffenbeinerne Stuͤle geſetzet werden.
Die Straalen des Geluͤckes haben ſo wenig die
Krafft aus einem ſtinckenden Verbrechen eine
Tugend zu machen/ als das Geſtirne aus Kroͤ-
ten-Gerecke oder Froſch-Leich reine Thiere zu
gebehren. Warlich es ſcheines nichts unge-
reimter zu ſeyn; als daß dis/ was in eines Buͤr-
gers Hauſe ſtincket/ auf der Burg den Geruch
des Ambra vertreten; daß ein eytrichter Hader
ein gemeines Weib verſtellen/ einer Fuͤrſtin
aber wol anſtehen/ daß Hurerey und Ehbruch
an Maͤgden geſtrafft/ an Goͤttern aber mit dem
aberglaͤubiſchen Griechen-Lande angebetet
werden ſoll. Der Adel hat ja zu ſeinem Eben-
Bilde die Perlen/ welche von dem reinen Thaue
des Himmels gezeuget werden/ und ohne ihren
gaͤntzlichen Verderb keinen unſaubern Bey-
Satz annehmen. Die groͤſten Diamanten/
wenn ſie unrein ſind/ ſind unwerther/ als kleine.
Das Feuer/ als das oberſte unter den natuͤrli-
chen Dingen iſt reiner/ als die niedrigern; ja es iſt
denen Flecken ſo ſehr feind/ daß es viel ſchwartze
Dinge weiß macht/ viel Ungeſtalten die Farbe
des Himmels oder des Geſtirnes zueignet/ die
unverbrennliche Leinwand von aller Unſauber-
keit/ das Gold von Kupfer und Schlacken ſau-
bert. Wie mag man denn uns den Huͤtten-
Rauch ſchandbarer Geilheit fuͤr ein heiliges
Feuer der Liebe verkauffen? Nein fuͤrwar;
ich laſſe mich nicht bereden: daß die Natur fuͤr
den Schmuck des Fuͤrſtlichen Frauen-Zim-
mers nur Perlen und Rubinen/ der Himmel
aber fuͤr das gemeine die Reinligkeit der Keuſch-
heit/ und das Feuer der Schamhaftigkeit auser-
wehlet habe. Jch kan nimmermehr glauben:
daß die Edlen deßwegen insgemein aͤuſerlich
ſchoͤner und lebhaffter/ die geringern ungeſtalter
und eingeſchlaffener ſind; womit jene den Ziey-
rath der Seele in dem Schlamme der Suͤnden
erſtecken; dieſe aber in innerlicher Vollkom-
menheit den Vorzug haben moͤchten./ Waͤre
es nicht eben ſo viel/ als die Seide aus Weid/
die Wolle aus Schnecken-Blute faͤr-
ben; und in ein Huren-Haus ein Bild aus
Golde/ in einen Tempel aus Thone ſetzen?
Wahr iſt es zwar: daß in der Welt meiſt kleine
Miſſethaten geſtrafft/ groſſe noch mit Lorbeer-
Kraͤntzen verehret werden; und der allein ein
Ubelthaͤter iſt/ der ſeiner Schwaͤche halben ge-
ſtrafft werden kan; aber die gerechte Rache
GOttes ſchlaͤget auf die hohen Haͤupter
oͤfter und grimmiger/ wie der Blitz eher in die
Gipfel der Gebuͤrge/ und Cedern/ als in nie-
drige Thaͤler und auf Krumm-Holtz. Und die
Schmach unſers Thuns koͤm̃t auch fuͤr der
Welt eher ans Tage-Licht/ denn derer/ welche
ihr niedriger Stand verduͤſtert: Sintemal un-
ſere Fehler nicht minder genau als die Flecken
des Monden auf einen Finger breit ausgerech-
net/ ja unſere mit allem Fleiß verdeckte
Schwachheiten eben ſo wol als die auch unſicht-
baren Finſternuͤſſe uͤbel gedeutet werden. Zu
geſchweigen: daß die Laſter bey hohem Stande
und Anſehen nichts minder als das Gift in dem
geſtirnten Scorpion unvergleichlich ſchaͤdlicher/
als in dem irrdiſchen iſt. Sintemal Unterthanen
in ihrer Fuͤrſtẽ Antlitzern auch die Feuer-Maa-
le fuͤr ſchoͤn halten/ und ihre angebohrne Gebre-
chen nachaͤffen; alſo ihre Laſter nichts minder fuͤr
Sitten/ als die heßlichſtẽ Larven fuͤr eine anſtaͤn-
dige Tracht añehmẽ. Der fuͤr toller Brunſt ſchier
wahnſinnige Varus meynte mit nichts weni-
germ/ als mit Worten abgeſpeiſet zu ſeyn; daher
er der tugendhaften Walpurgis unter Augen
ſagte: Es waͤre da keine Zeit/ und verlorne Muͤh
einen Prieſter oder Weltweiſen abzubilden/ ſon-
dern ihr laͤge die unvermeidliche Noth ob/ ſich zu
erklaͤren: ob ſie gutwillig ſeines Willens leben/
oder
[16]Erſtes Buch
oder Zwangs gewaͤrtig ſeyn wolte. Weil nun
die verwegenen und vollbrachten Laſter ins ge-
mein gluͤcklich ausſchlagen/ hielt es Varus fuͤr
eine Thorheit/ nur halb oder furchtſam boßhaft
ſeyn. Dieſemnach er denn mit obigen Wor-
ten alsbald ſie als ein Unſinniger anfiel; ſie aber
mit groſſer Hertzhaftigkeit ſeinen geilen Beta-
ſtungen Widerſtand that. Jch/ ſagte dieſe
Frau/ weil mir die Aufſicht uͤber dieſe Fuͤrſtin
anvertrauet war/ hoͤrte allein in einer von dem
Gepuͤſche verdeckten Naͤhe dieſes alles mit ſte-
tem Hertz-Klopfen an/ und weil ich beſorgte:
Walpurgis moͤchte uͤbermannet werden/ rieff
ich mit einem jaͤmmerlichen Geſchrey umb
Huͤlffe. Hieruͤber entſtand zwiſchen denen Si-
cambern und Roͤmern ein Auflauff und zu-
gleich ein blutiges Gefechte; weil ſie den Varus
und die Fuͤrſtin noch in einander ſo unfreundlich
verwickelt antraffen. Hertzog Melo ſprang
aus dem Luſt-Hauſe ſelbſt herbey; aber Varus
hatte das Garten-Thor aufzubrechen und das
Kriegs-Volck einzulaſſen befohlen; welches die
wenigen Hof-Leute des Hertzogs leicht zuruͤcke
trieb oder erlegte. Wiewol Melo mit ſchaͤu-
mendem Munde/ als ein Tieger-Thier/ dem
man ſeine Jungen raubt/ fochte/ und ſein Leben
zulaſſen/ oder ſein Kind zu erſtreiten ihm vorſetz-
te/ biß er von dreyen empfangenen Wunden ſich
ſo ſehr verblutete: daß er in eine wiewol ihm die-
nende Ohnmacht ſanck; weil die Grauſamkeit
dieſer Raͤuber ihm ſchwerlich das Leben gegoͤn-
net haͤtte; wenn es nicht ſchon fuͤr verloren waͤre
geachtet worden. Gleichwol aber wolte der
Himmel der Boßheit des Varus nicht entraͤu-
men: daß ſie einer ſo reinen Keuſchheit ein
Haarbreit Abbruch zu thun vermocht haͤtte.
Denn die Fuͤrſtin Walpurgis rieß einem Roͤ-
mer ein Schwerdt aus/ und weil Varus ſie zu
verwunden bey Lebens-Straffe verbot/ war es
ihr unſchwer/ durch etliche Hauffen ihr einen
Weg zu oͤfnen; biß ſie an den die eine Seite des
Gartens beſtreichenden Siege-Fluß kam; in
welchen ſie ſich ruͤckwerts ſtuͤrtzete/ als ſie ſich aller
Huͤlffe entbloͤſt/ ihr Schwerdt zerſprungen/ und
ſich allenthalben umbringet/ und dem unzuͤchti-
gen Ehren-Schaͤnder Varus anderer geſtalt
zu entrinnen keine Moͤgligkeit ſahe. Die Roͤ-
mer und inſonderheit Varus wurden hieruͤber
ſo beſchaͤmt und beſtuͤrtzt/ daß ſie/ gleich als vom
Blitz geruͤhret/ erſtarreten/ und als wenn die
Goͤttliche Rache ſchon ihnen uͤber dem Na-
cken ſchwebte/ oder etliche Kriegs-Heere ihnen
in Eiſen waͤren/ uͤber Hals uͤber Kopf ſich aus
dem Sicambriſchen Gebiete fluͤchteten. Denn
die Boßhafften erkieſen allererſt die Groͤſſe ih-
res Laſters nach vollbrachter That. Hertzog
Melo ward hierauf wieder erfriſchet/ und ihm
ſeine Wunden verbunden; welche GOtt ſo viel
zeitlicher heil werden laſſen/ daß er wider ſolche
Grauſamkeit ein ſtrenger Raͤcher ſey. Der
eines beſſern Gluͤcks wuͤrdigen Walpurgis Leib
ward in dem Waſſer ſorgfaͤltig geſucht/ an ſelbi-
gem Abende noch funden/ und endlich auf unſers
Fuͤrſten Befehl/ in Begleitung tauſend ſtreit-
barer Sicambrer/ anher gebracht. Denn wie
ihre reine Seele/ nach abgelegter Buͤrde ver-
weßlicher Glieder/ in einem der reineſten Ge-
ſtirne/ daraus ſie entſprungen/ oder in einer
ander-viel herrlichern Welt/ ietzt ihre Wohnung
hat; alſo verdienet auch ihr heiliger Leib/ daß er
in der heiligſten Erde Deutſchlands ſein Be-
graͤbnuͤs erlange.
Hertzog Herrmann fieng nach ihrem Schluſ-
ſe zu denen andern Fuͤrſten an: Jſt dieſes nicht
eine Begebnuͤs/ welche einen Stein in der Er-
den erbarmen moͤchte? Jſt die Greuel-That
des Varus nicht ſo abſcheulich/ daß ſie der Goͤtt-
lichen Rache unmoͤglich entkommen kan? Dieſe
heilige und behertzte Todte aber iſt uns eine Lehr-
meiſterin: daß man ehe ſich ſelbſt toͤdten/ als ſich
ſeiner Freyheit und Tugend berauben laſſen/
und daß man laͤnger nicht leben ſoll/ als ſo lange
es ruͤhmlicher iſt zu leben als zu ſterben. Viel
Voͤlcker halten die Grabe-Staͤdte fuͤr Pforten/
wor-
[17]Arminius und Thußnelda.
woraus ſich die Goͤttlichen Leitungen durch
Wahrſagung herfuͤr thun; Laſſet uns allein
hier wahrnehmen/ daß die Todten denen
Lebenden durch ihr Bey-Spiel mehrmals
die Augen aufſperren. Ja die Todte ſind die
getreueſten Spiegel ſo wol anderwertigen Be-
ginnens/ als Wegweiſer unſer kuͤnftigen Ent-
ſchluͤſſungen. Als die andern Fuͤrſten hierzu
gleichfalls ihr Wort gaben und Mitleiden be-
zeugten/ ward die Leiche der Fuͤrſtin Walpurgis
von denen Prieſtern mit Waſſer aus dem heili-
gen Brunnen beſprengt; ieder Fuͤrſt ſtreuete
eine Handvoll Blumen auf die Leiche/ wuͤntſch-
te ihr eine ſanfte Ruhe; und Hertzog Herrmann
gelobte ihrem Geiſte ein fettes Rach-Opfer an
ihren Feinden abzuſchlachten. Weil nun zu
ihrer Beerdigung Anſtalt gemacht ward/ ver-
fuͤgten die Fuͤrſten insgeſam̃t ſich in die Cheruſki-
ſchen Zelten/ darinnen eine groſſe Menge klei-
ner Tiſche/ weil eine iede Perſon auf einem ab-
ſondern zu ſpeiſen pflegt/ zubereitet/ und mit al-
lerhand Speiſen theils in ſilbernen/ theils ertz-
tenen/ theils irrdenen Schuͤſſeln beſetzet. Auf der
Erden hin waren allerhand Haͤute von Beeren/
Luchſen/ Woͤlfen/ Fuͤchſen und andern wilden
Thieren/ die im Hartz-Walde gefangen werden/
aufgebreitet. Auf dieſe noͤthigte der Cheruſkiſche
Fuͤrſt ſeine Eingeladene ſich niederzulaſſen/ und
nam endlich ſeine Stelle zwiſchen den zweyen
Hoͤrnern der gleichſam in einen halben Mond
ſich umbkruͤmmender Taffeln. Es war alles
nach der Cheruſkiſchen Landes-Art aufs praͤch-
tigſte angeſtellt/ und einem ieden Gaſte ein mit
Silber eingefaſſetes Horn von Auer-Ochſen mit
Biere/ und ein Becher mit Weine/ derogleichen
numehro auch durch die Gemeinſchafft mit den
Roͤmern in Deutſchland kom̃en war/ fuͤr geſetzt.
Nach faſt vollbrachter Mahlzeit ließ Hertzog
Herrmann ihm einen gantz guͤldenen Becher
reichen/ ſtand auf/ tranck ſelbten dem Hertzoge
der Catten Arpus zu/ und redete die Anweſen-
den mit folgenden Worten an: Edle Deut-
ſchen/ großmuͤthige Bunds-Genoſſen; Quin-
tilius Varus hat uns ſaͤm̃tlich anher beruffen/
daß wir unſere Schwerdter im Blute unſerer
Bruͤder und Bunds-Genoſſen/ der fuͤr Deutſch-
lands Freyheit und die Schand-That des Va-
rus zu raͤchen ergreiffenden Sicambrer ba-
den ſolten. Aber ſo ſehr ſich Varus betrogen
finden wird/ wenn er glaͤubt/ daß die Cheruſ-
ker und Catten nicht fuͤr die allgemeine Wol-
fart ihre Jrrungen vergeſſen koͤnten/ auch Fuͤrſt
Arpus und ich allhier einander ſelbſt aufreiben
wuͤrden; ſo wenig traue ich einigem Anweſen-
den Deutſchen zu/ daß er glaube/ ich waͤre fuͤr
die Roͤmer aufgeſeſſen/ und meine Cheruſker
wolten wider die Deutſchen einen Sebel zuͤcken.
Wir wuͤrden nicht mehr unſerer Vorfahren
Nahmen zu fuͤhren wuͤrdig ſeyn/ wenn wir die-
ſes im Schilde fuͤhrten/ oder zeithero nicht mehr
vom Verhaͤngnuͤſſe waͤren gedruͤckt/ als durch
eigene Kleinmuth zu Sclaven gemacht worden.
Mein Anherr Koͤnig Teutobach ließ von des
Buͤrger-Meiſters Carbo und Silan Legionen
nicht ein Bein davon kommen/ als ſelbte ſich
nur ihren Nachbarn den Galliern naͤherten;
und wir koͤnnen die Roͤmiſchen Adler zwiſchen
dem Rhein und der Elbe fliegen ſehen? Teuto-
bach/ ſage ich/ drang mit mehrem Schrecken als
Hannibal durch die felſichte Mauren Jtaliens/
ſchlug den Manlius und rieb mit dem Caͤvio
den Kern des Roͤmiſchen Adels auf. Woruͤber
Rom erzitterte/ und ſelbigen ungluͤckſeligen Tag
mit Kohlen in ſeine Zeit-Regiſter ſchrieb. Und
wir empfinden nicht/ daß zwey Meilweges von
hier in dem Hertzen Deutſch-Landes in unſern
heiligen Heynen unſere Tod-Feinde ihr Lager
und Beſatzungen haben? Dem Kayſer Julius/
deſſen Thaten die Roͤmer ſelbſt mehr fuͤr
Goͤtt-als menſchlich halten/ boten die einigen
Sicambrer/ ihrer Freunde halber/ die beyih-
nen uͤber dem Rheine Zuflucht geſucht hatten/
die Spitze/ und ſagten ihm ſtatt begehrter Aus-
folgung unter Augen: Der Rhein ſey die
Erſter Theil. CGraͤntz-
[18]Erſtes Buch
Graͤntzſcheidung zwiſchen ihrem Gebiete und
dem Roͤmiſchen Reiche. Eben dieſe behertzten
Sicambrer rennen uns auch dismal den Preiß
ab; indem der großmuͤthige Melo ſich allein an
die Roͤmer macht/ und ſie uͤber dem Rheine an-
taſtet/ auch mit etlicher tauſend erſchlagener
Feinde ausgeleſchtem Leben ſeiner tugendhaften
Tochter zu Grabe leuchtet. Wir aber laſſen
die Saale und Elbe zinßbar machen/ die Lippe
und Weſer mit Feſtungen beſetzen? Kayſer Ju-
lius ſchlug ja wol die erſte Bruͤcke uͤber den
Rhein/ alleine/ nachdem er vernahm/ daß die
Catten ſich ihm zu begegnen verſam̃leten/ kehre-
te er zuruͤcke und brach die Bruͤcke ab; meynte
auch ſeinen Ehren gar genug gethan zu haben:
daß er achtzehn Tage auf deutſchem Bodem haͤt-
te raſten koͤnnen. Und wir laſſen mehr als ſo
viel Jahre deſſen Nachkommen/ von denen wir
noch zur Zeit wenige Thaten geſehen/ unſere
Ehre kraͤncken/ unſere Guͤter rauben/ und die
Wilkuͤhr uͤber unſer Leben und Kinder ausuͤben?
Die Augen gehen mir uͤber/ wenn ich bedencke:
daß unſere Waffen vom Roſte gefreſſen werden/
weñ wir ſelbte nicht noch in der Roͤmer Dienſten
ausputzten; daß wir unſeꝛe Schwerdter im Blute
unſerer eigenen Bluts-Verwandten waſchen/
uñ ſie wie uns unter das Joch der Roͤmer muͤſſen
ſpannen helffen. Wolte Gott aber/ wir truͤgen
noch das Joch rechtſchaffener Roͤmer/ und waͤ-
ren nicht Knechte eines einigen uͤppigen Men-
ſchen/ an dem nichts Roͤmiſches als der Nahme/
ja der den Roͤmern ſelbſt veraͤchtlich/ und ein
Knecht ſeiner Begierden iſt. Gewiß ich halte
dafuͤr: daß uns Quintilius Varus nicht ſo wol
Marck und Bein auszuſaugen/ als zu Be-
ſchimpfung unſerer vorhin ſo hoch herausge-
ſtrichenen Tapferkeit fuͤrgeſetzt ſey. Sintemal
bey uns ſo viel Goldes nicht zu erſcharren/ als
in Syrien/ welches er bey ſeiner armſeligen
Hinkunft reich gefunden/ bey ſeinem reichen
Abzuge aber arm verlaſſen hat. Wie/ oder
wil Rom durch ihn in unſer Vater-Land der
warmen Laͤnder [a]bſcheuliche Laſter/ welche un-
ſere Einwohner auch vom Nahmen nicht ken-
nen/ unſer zwar harter/ dißfalls aber mehr guͤti-
ger Himmel nicht vertraͤget/ einſpielen/ und un-
ſer geliebtes Deutſchland/ in welchem die Wei-
ber maͤnnlicher als anderswo die Krieges-
Leute ſind/ weibiſch machen? Weil ja dieſer
uͤppige Menſch von Wolluͤſten/ womit die Roͤ-
mer ohne dis insgemein denen Unterworffenen
mehr als mit ihren Waffen Schaden thun/ zer-
rinnen moͤchte. Denn iſt in unſerer Gegend
wol ein ſchoͤnes Weib fuͤr ſeinen unkeuſchen
Anmuthungen verſchonet blieben? Was ſag
ich aber von Anmuthungen? Die Toͤchter des
Landes haben nichts minder ſeiner Geilheit
ihre Jungfrauſchafften/ als den wolluͤſtigen
Roͤmiſchen Weibern ihre gelben Haare zu ih-
rer Aufputzung/ als einen Zoll abliefern muͤſſen.
Jch wil der Roͤmiſchen Grauſamkeit geſchwei-
gen: daß ſie anfangs bey denen Begraͤbnuͤſſen
wol-verdienter Helden/ nach der Erfindung
des Junius Brutus/ ihre Gefangenen umb
Leib und Leben zu fechten noͤthigten; her-
nach aber auch gemeine Buͤrger ſolches auf-
brachten; ja ihren Geiſt mit dem Blute ſol-
cher Fechter zu verſoͤhnen in ihren letzten Wil-
len verordneten; und endlich auch der Wei-
ber Holtz-Stoͤſſe mit dieſer Grauſamkeit ver-
ehret wurden. Wie denn Kayſer Julius
auf dem Begraͤbnuͤſſe ſeiner Tochter viel
Deutſche und unzchliche Gallier/ nebſt einer
groſſen Menge wilder Thiere/ ſich durch ſelbſt-
eignen Kampf aufzureiben gezwungen hat.
Mich aͤrgert ſo ſehr nicht/ daß die Buͤrgermei-
ſter und Einwohner die Antretungen ihrer
Aempter/ die Bau-Herren die Außmachun-
gen ihrer Gebaͤu/ die Stadt-Voͤgte das Ge-
daͤchtnuͤß des von ihnen betretenen Richter-
Stules/ ja ſo gar die Prieſter ihre Wey-
hungen/ die Uberwinder ihre Siegs-Ge-
praͤnge mit ſo blutigem Gefechte gefeyert/
und den ſchwermenden Poͤfel faſt Monatlich/ o-
der
[19]Arminius und Thußnelda.
der zuweilen hundert und zwantzig Tage nach
einander mit Auffopfferung vieler tauſend
Fechter beſaͤnfftigt haben. Es laͤſt ſich noch ver-
ſchmertzen: daß Roͤmiſche Buͤrger ihre Gaſt-
mahle nicht vor vergnuͤglich halten/ wenn nicht
ihr Tiſch mit dem Blute der dabey kaͤmpffenden
Deutſchen beſpritzt wird; welche man hierzu
vorher mit niedlichen Speiſen in gewiſſen Ge-
maͤchern mit Fleiß gemaͤſtet hat. Deñ hierdurch
iſt von unſern Feinden nichts als das Leben ver-
ſehret worden/ woruͤber ein Uberwinder aller-
dings ein Recht erlangt. Aber die Schaͤndung
unſerer Kinder/ die Verunehrung unſer Wei-
ber/ und zwar unter dem Scheine der Freund-
ſchafft/ iſt ein unverdauliches und nur mit ihrem
Blute ausleſchliches Unrecht. Was haben un-
ſere Augen kurtz vorher an der Leiche der tu-
gendhafften Walpurgis fuͤr ein Trauerſpiel
anſchauen muͤſſen? Warlich ihre ſtummen Lip-
pen haben in ihrer Seele eine ſolche Krafft der
Beꝛedſamkeit/ daß/ weñ ich auch nie gemeint ge-
weſt waͤre der Roͤmer Feind zu werden/ ich mich
mit ihnen zu brechen nur dieſer Greuelthat hal-
ben entſchluͤſſen muͤſte. Dieſe todte Rednerin
iſt mir mit ihrer nachdruͤcklichen Betagung der
Rache zuvor kommen: daß ich mit wichtigen
gruͤnden euch zum Kriege zu bereden uͤberhoben
zu ſeyn ſcheine. Es iſt ein beſonder Geheimnuͤß
des Verhaͤngnuͤſſes: daß es das Laſter der Un-
zucht nichts minder zum Fallbrete maͤchtigſter
Reiche/ als zum Fallſtricke groͤſſeſter Uberwin-
der erkieſet. Daher ich feſtiglich glaube: daß
die Schandthat des Varus ihm den Hals bre-
chen/ und der Roͤmiſchen Herrſchafft in Deutſch-
land einen toͤdtlichen Stoß verſetzen werde; weñ
wir anders den/ welchen das Schrecken uͤber
ſeiner Boßheit furchtſam/ die Furcht verzagt
und taumelnd macht/ durch unſere Unachtſam-
keit ſich nicht wieder erholen laſſen. Meinen
aber wir an der Beſchimpffung des Fuͤrſten
Melo kein Theil zu haben; ſo behertzigt den un-
ermeßlichen Geitz und Grauſamkeit dieſes
Wuͤterichs/ welcher auch dar Schaͤtze geſamm-
let/ wo niemand fuͤr ihm einige geſucht; und fuͤr
einen Centner Ertzt gerne tauſend Deutſche ver-
graben hat; in dem er die Kluͤffte unſers Hartz-
waldes gleich einem Maulwurffe durchfahren/
und unzehlich viel unſer daruͤber ſchmachten-
der Landesleute noch bey Lebzeiten in eine Hoͤlle
verdammet hat/ biß er die Gold- und Silber-
Adern erfunden/ welche die Natur oder die
mehr milden als zornigen Goͤtter fuͤr den uner-
ſaͤttlichen Augen der Menſchen verborgen hat-
ten. Auch hat nicht nur er ſich mit unſerm
Schweiß und Blute angefuͤllet; ſondern zu Be-
feſtigung ſeines ungewoͤhnlichen Richterſtuls
uns den durſtigen Aegeln der Zanckſuͤchtigen
Sachredner zum Raube uͤbergeben; welche die
Deutſchen nicht nur biß auffs Blut ausgeſo-
gen/ ſondern ihnen mit ihren gifftigen Zungen
durch Seel und Hertz gedrungen. Jſt wohl
eine ſchimpfflichere Dienſtbarkeit zu erſinnen;
als daß die edlen Deutſchen ſich von einem ge-
ringen Auslaͤnder/ der vielleicht nicht ſeinen
Großvater zu nennen weiß/ muͤßen urtheilen
laſſen? daß Deutſchland ſeine heilſame Sitten/
welche die Roͤmer ehmahls ſelbſt anderer Voͤl-
cker beſten Geſetzen weit fuͤrgezogen haben/ zu
Bodem treten/ ihm fremde Rechte auffdrin-
gen/ oder vielmehr nach andern Begierden ihm
Ehre/ Hals und Vermoͤgen abſprechen laſſen/
auch Beil und Stecken gleichſam zum taͤgli-
chen Schrecken fuͤrtragen ſehen muß. Daß
wir Deutſchen in Deutſchland unſere Noth-
durfft und Gemuͤths-Meinung nicht in unſe-
rer uhralten Mutterſprache fuͤrtragen doͤrffen/
ſondern auch Fuͤrſten durch den Mund lateini-
ſcher Knechte und Dolmetſcher reden muͤſſen?
Dieſes aber iſt grauſamer als die Grauſamkeit
ſelbſt/ und unſern freyen Gemuͤthern unertraͤg-
lich/ daß ſich dieſer auffgeblaſene Menſch fuͤr
Hoffarth ſelbſt nicht kennet/ und die Edelſten
unter uns am veraͤchtlichſten haͤlt. Wie viel
Stunden muß offters ein deutſcher Fuͤrſt/ wel-
C 2chem
[20]Erſtes Buch
chem der Kaͤyſer wohl ehmahls ſelbſten entge-
gen kommen/ fuͤr dem Zimmer auffwarten/ ehe
Varus ihn mit der Verhoͤr begnadigt? Welch
Roͤmiſcher Obriſter/ dem etwan eine Legion an-
vertrauet worden/ ſiehet einen Hertzog in
Deutſchland/ der ein gantz Volck zu beherr-
ſchen hat/ nicht kaum uͤber die Achſel an? Welcher
Rottmeiſter will nicht den Fuͤrnehmſten unſerer
Ritterſchafft fuͤrgezogen ſeyn? Behertzigt die-
ſem nach/ großmuͤthige Helden/ was bey die-
ſem groſſen Ubel euere Klugheit euch vernuͤnff-
tig entſchluͤſſen/ und eure Tapfferkeit behertzt
ins Werck ſetzen heiſt. Einem groſſen Ge-
muͤthe ſind Armuth/ Feſſel und Dienſtbarkeit
ja noch ertraͤglich/ Beſchimpfung aber erdul-
den und ſeine eigene Ehre in Wind ſchlagen/
heiſt zugleich die Wurtzeln der Tugend in ſich
ausrotten. Dahero iſt es ruͤhmlicher und ſuͤſ-
ſer ehrlich ſterben/ als ſchimpfflich das Leben be-
halten.
Hiemit tranck Fuͤrſt Herrmann den Becher
aus/ gewehrte ihn dem Hertzoge der Catten/ und
ſetzte bey: dieſes Trinck-Geſchirre iſt ein wer-
thes Angedencken meines Großvaters/ Hertzog
Aembrichs/ deſſen Tapfferkeit die Herrſchafft
der Eburonen dem Cheruskiſchen Hauſe unter-
worffen. Dieſes war der Mund-Becher des
Cotta/ und hernach Aemkrichs Beute/ als er ihn
und ſeine gantze Legion Roͤmer vertilgte und Sa-
binus fuͤr ihm die Waffen kleinmuͤthig nieder-
legte. Der Himmel gebe: daß ich dir mor-
gen des Varus Trinckgeſchirre bringen koͤnne!
Der Catten Hertzog nahm ſolchen als ein be-
ſonderes Gluͤcks-Zeichen und ein Pfand ver-
treulicher Freundſchafft an; befoͤderte ſelbten an
den Segeſthes der Caſſuarier und Dulgibiner
Fuͤrſten; mit dem Beyſatze: er verſehe ſich/
daß keiner unter den Anweſenden ſey/ welcher
mehr zu berathſchlagen noͤthigachtete: ob das un-
ertraͤgliche Joch der Roͤmer von den Achſeln des
Vaterlandes zu werffen/ und ſelbtes durch U-
berfallung des Varus in die guͤldne Freyheit zu
ſetzen ſey. Denn fuͤr einem Wuͤterich haͤtten
alle Menſchen eine Abſcheu; und alle behertz-
ten ihn auffzureiben den Vorſatz; ſintemahl
der Pfeiler ſeiner Herrſchafft nur das Bild der
Furcht/ und die Rieſen-Seule der Grauſam-
keitwaͤre. Der erſten verleſchende Furcht waͤ-
re der Anfang ſeines Falles/ der letztern Ent-
ſchlieſſung das ungezweiffelte Mittel ſeiner Zer-
malmung. Varus haͤtte zwar den Deutſchen
durch ſeine Blutſtuͤrtzungen und Grauſamkeit
ein nicht geringes Schrecken eingejagt; aber die
vermeſſenſte Kuͤhnheit waͤre eine Geburt der
kleinmuͤthigſten Furcht/ und eine Tochter der
Verzweiffelung. Alſo wuͤrden auch die Ver
zagteſten in dieſem Fuͤrhaben nicht feige; Sie a-
ber als Helden/ wo nicht durch eigene Ruhms-
Begierde/ doch durch die Rache gegen ſo vieles
Unrecht hierzu genugſam auffgemuntert ſeyn.
Die Parther/ welche doch leibeigen gebohren
und der Dienſtbarkeit gewohnt waͤren/ haͤtten
ſich wider die Roͤmiſche iederzeit biß auffs Blut
verfochten/ und mit Erlegung des Craſſus und
Ventidius ihnen nicht ſo wol das guͤldene Klei-
nod der Freyheit/ welches der Deutſchen Aug-
apffel waͤre/ als einen unſterblichen Nachruhm
erworben. Pacorus habe dort daruͤber ſein
Leben auffgeopffert/ ihm wuͤrde es nichts weni-
ger ſuͤſſe ſeyn/ fuͤrs Vaterland zu ſterben. Er
habe deßwegen ſeinen einigen Sohn mit ins
Laͤger bracht/ umb den allgemeinen Feind
Deutſchlands zu beſtreiten; welcher nach dem
uͤberwundenen Varus die Erſtlinge ſeines
Bartes in den Taufaniſchen Tempel zu lief-
fern begluͤckt zu ſeyn hoffte. Er haͤtte von ſei-
ner Vorfahren Anſpruͤchen und Staats-Ge-
ſetzen abgeſetzt/ und den zwiſchen den Catten
und Cheruskern faſt ewigen Streit in Freund-
ſchafft beygelegt. Sintemahl der Eigennutz
insgemein auch den ſchwaͤchſten Feinden den
Sieg zuſchantzte/ und daher ſo wohl dieſer als
haͤußlicher Haß dem gemeinen Nutzen nachge-
ben ſolte/ denn wo man gleich rechtſchaffene Ur-
ſache
[21]Arminius und Thußnelda.
che zur Feindſchafft haͤtte/ ſolte man der Sache/
nicht der Perſon feind werden. Derenthal-
ben haͤtte er iederzeit dem Marcus Brutus in
dieſer letzten Zeit den erſten Platz unter den
Roͤmern ein geraͤumt/ weil er nicht als ein zu hi-
tziger Sohn ſich auff die Seite des Julius/ ſon-
dern als ein treuer Buͤrger zu dem fuͤr die Frey-
heit ſtreitenden Pompejus geſch lagen; ungeach-
tet dieſer des Brutus Vater auffgerieben haͤt-
te; ja auch des Julius Wohlthaten ſich hernach
nicht verblenden und abhalten ließ/ fuͤr die ge-
meine Freyheit ſeinem Wohlthaͤter den Dolch
ins Hertze zu ſtoſſen; Wodurch er ſich zu einem
zweyfach danckbaren Sohne des gemeinen
Weſens gemacht haͤtte. Derogeſtalt waͤre
numehro allein die Frage/ wie diß Werck/ wel-
ches er fuͤr wichtiger als ſchwerer hielte/ vor-
ſichtig zu vollziehen waͤre? Denn ein frommer
Fuͤrſt waͤre zwar leicht anzugreiffen/ aber ge-
faͤhrlicher zu erlegen; weil er todt am meiſten
geliebt w[uͤ]rde. Hingegen waͤre ein boͤſer Herr-
ſcher zwar ſchwer anzutaſten/ aber ſonder Ge-
fahr zu ſtuͤrtzen. Sintemahl ihn nach ſeinem
Tode auch ſeine eigene Schooß Kinder verdam̃-
ten; womit ſie nicht fuͤr ſo boͤſe als ihr verlohr-
ner Ruͤckenhalter moͤchten geachtet werden.
Solchem nach waͤre ſeine Meinung: der gluͤck-
liche Ausſchlag hange von Fortſetzung eines ge-
ſchwinden Uberfalls/ und von Anfuͤhrung ei-
nes erfahrnen Feldherrn. Langſamkeit ſey
der Kern in zweiffelhafften Rathſchlaͤgen/ Ge-
ſchwindigkeit aber in der Bewerckſtelligung
eines Schluſſes. Uberdiß wuͤrden Auffleh-
nungen wider einen Unterdruͤcker gefaͤhrlicher
berathſchlagt als ausgeuͤbt. Wo es auch ums
gemeine Heyl zu thun waͤre/ muͤſte niemand
ſich eigne Vermeſſenheit oder Ehrgeitz auff-
blehen laſſen und zu Zwytracht Anlaß geben.
Denn ſeine Leibs-Staͤrcke/ ſeine Gemuͤths-
Kraͤfften und Erfahrung nur ſeinem eigenen
Ehrgeitze wiedmen/ waͤre viehiſch oder teuffe-
liſch; ſelbte zugleich dem gemeinen Weſen zum
beſten anwenden/ ſtuͤnde Menſchen zu; ſeinen
eigenen Vortheil aber gar davon abziehen/
ſchiene ſo gar etwas goͤttliches zu ſeyn. Die
ſem nach wolte er den gerne fuͤr den hertzhaffte
ſten halten/ und die Oberſtelle demſelben ohn
Widerrede einraͤumen/ welcher am erſten durch
den Wall des Roͤmiſchen Laͤgers einbrechen
wuͤrde. Jnzwiſchen erklaͤre er ſich/ daß er un-
ter dem Cheruskiſchen Hertzoge/ welcher die
Roͤmiſche Kriegs-Art von Grund aus gefaſſet/
als er unter ihnen ſelbſt einen Heerfuͤhrer abge-
geben/ ſeine Catten willigſt in Schlacht-Ord-
nung ſtellen wolle. Das Gluͤcke ſey eine Buh-
lerin junger Helden. Sein Geſchlechte/ ſei-
ne Tugend/ ſein Eyfer fuͤr das gemeine Weſen/
und daß er der Urheber dieſes heiligen Buͤnd-
nißes ſey/ eigne ihm das Vorrecht zu/ und er-
klaͤre ihn zu ihrem oberſten Feld-Herrn. Er a-
ber wolte durch ſein Beyſpiel lehren: daß ob
wohl viel faͤhig waͤren/ einem ein Oberhaupt
fuͤrzuſetzen/ gleichwohl es ſelbſt nicht uͤber ſich
leiden koͤnten; dennoch ihm und der deutſchen
Freyheit nicht zu wider lieffe/ einem Beſchirmer
des Landes zu folgen/ den man gleich ſelbſt ans
Bret gehoben haͤtte.
Aller Anweſenden Angeſichter ſchienen dem
Arpus Beyfall zu geben/ als Segeſthes ihm
einfiel: Es waͤre freylich wol zu wuͤntſchen
Deutſchland in voͤllige Freyheit/ das Volck in
Sicherheit/ ſich in mehr Anſehen zu ſetzen; al-
lein es haͤtten die Deutſchen die Roͤmer wider
ſich ſelbſt/ durch unaufhoͤrliche Einfaͤlle in Gal-
lien/ gereitzet. Haͤtte Arioviſt ſich mit denen
gewonnenen Sequanern vergnuͤgt/ die Heduer
und alle Gallier ihm nicht wollen unterthaͤnig
machen/ dem Julius nicht ſpoͤttiſche Antwort
zugeboten/ ſo haͤtten die Roͤmer ſo wenig/ als
vorher/ auf Deutſchland ein Auge gehabt. Was
haͤtte Aembrich nicht den Roͤmern fuͤr Haͤn-
del gemacht/ und fuͤr Schaden zugefuͤgt? daß
Auguſt den Vinicius mit einem Kriegs-Heere
in Deutſchland geſchickt/ haͤtten die Catten erho-
C 3let/
[22]Erſtes Buch
let/ indem ſie unterſchiedene Roͤmiſche Kauf leu-
te/ die guter Meynung zu ihnen kommen/ be-
raubet und erſchlagen. Den Anfall des Lollius
und die Grauſamkeit des Druſus haͤtten die
Sicambrer/ Uſipeter und Teneterer verur-
ſacht/ welche in Gallien eingefallen/ und viel
Roͤmer gekreutzigt/ ja den Lollius gar aufgerie-
ben haͤtten. Die Anfaͤnger eines Krieges waͤren
nicht eben die/ welche zum erſten den Degen zuck-
ten/ ſondern die Beleidiger/ welche jene entwe-
der zur Nothwehre/ oder zu Ablehnung der ih-
nen ſonſt zuwachſenden Schande noͤthigten.
Zu dem haͤtte ihre eigene Zwytracht den Roͤ-
mern Thuͤr und Thor aufgeſperret; Hertzog
Herrmanns eigener Vater Sigimer mit dem
Kayſer Bindnuͤſſe gemacht/ ſeine eigne Kinder
haͤtten unter ihren Fahnen gefochten; numeh-
ro/ nach dem faſt alle mit den Roͤmern Bindnuͤß
und Vergleich getroffen/ waͤre es ſo wenig
ruͤhmlich als ſicher/ alſofort Treu und Glauben
zu brechen/ welche man auch den Feinden halten
muͤſte. Waͤre Quintilius Varus aus den
Schrancken der Beſcheidenheit und des Ver-
gleichs geſchritten/ muͤſte man dieſes Ungemach
nur mit der Gedult/ als Mißwachs und Unge-
witter von GOtt aufnehmen. Laſter wuͤrden
ſeyn/ ſo lange als Menſchen; iedoch wechſelte
Boͤſes und Gutes mit einander ab. Zu dem
ſo ſey dis nicht dem Kayſer noch dem Roͤmiſchen
Volcke beyzumeſſen. Rom haͤtte uͤber ſeine
Land-Voͤgte ſchaͤrffere Geſetze gemacht/ und
haͤrtere Straffen ausgeuͤbt/ als uͤber frembde
Voͤlcker. Als Cornelius Gallus die Egyptier
uͤbel gehalten/ und nicht halb ſo viel als Varus
geſuͤndigt/ habe Kayſer Auguſt/ auf Anklage des
einigen Largus/ ihn ſeiner Wuͤrden entſetzt/ ſei-
ne Guͤter dem gemeinen Weſen zugeeignet/ ja
ihn zum Selbſt-Mord gebracht. Man ſolte
durch eine Geſandſchafft zu Rom deß Vater-
lands Wunden entdecken/ Erleichterung und
einen ſittſamern Land-Vogt bitten. Nach dem
es aber mit Deutſchland ſchon einmal ſo weit
kommen/ koͤnte das Volck aller Beſchwerden
ſich nicht gaͤntzlich enteuſern. Die Ruhe der
Voͤlcker koͤnne nicht ohne Waffen/ die Waffen
nicht ohne Kriegs-Sold/ der Kriegs-Sold nicht
ohne Land-Schatzung im Stande bleiben. Zwar
koͤnte er den Roͤmern nicht gar recht geben/ we-
niger die Verbrechen des Varus vertheidigen/
und die Suͤſſigkeit der Rache widerſprechen.
Alleine dieſe waͤre nichts minder als die Liebe nur
ein Thun gemeiner Leute. Die Vortraͤglig-
keit aber waͤre der einige Bewegungs-Kreiß ei-
nes Fuͤrſten/ und das Abſehen der Klugheit.
Beyde ſolten weder ſehen noch hoͤren; wo der
Gebrauch dieſer Sinnen ſie auf einen andern
Abweg verleiten wolte. Weil nun die Roͤmer
in Deutſchland noch allzu maͤchtig/ ſie aber mit
keinem Hinterhalte verſehen waͤren/ deuchtete
ihn noch zur Zeit nicht rathſam zu ſeyn/ alles auf
die Spitze zu ſetzen. Es ſey ertraͤglicher unter
hoͤherer Gewalt/ als leibeigen ſeyn. Zwiſchen
Gehorſam und Dienſtbarkeit ſey noch eine
ſchwere Klufft befeſtigt. Dieſe wuͤrden ſie
Deutſchland erſt aufhalſen/ da ihr gefaͤhrliches
Fuͤrnehmen nicht geriethe. Der Roͤmer waͤren
ohne die faſt unzehlbaren Huͤlffs-Voͤlcker zu A-
liſon drey gantzer Legionen/ ſo viel Fluͤgel Reite-
rey/ und noch abſonderlich ſechs Geſchwader
Fuß - Volck; alles außerleſene alte Kriegs-
Knechte und erfahrne Obriſten. Das Laͤger
ſtuͤnde an einem vortheilhaften Orte/ waͤre aufs
ſtaͤrckſte befeſtigt; Aſprenas laͤge noch mit einem
anſehnlichen Heere zwiſchen der Jſel und der
Emße/ und in der Feſtung Aliſon/ Tran und
Cattenburg ſtarcke Beſatzungen. Zu Meyntz/
beym Altare der Ubier/ bey den Nemetern und
Vangionen befindete ſich noch mehr als ein
Kriegs-Heer/ welches in wenig Tagen dem Va-
rus zu Huͤlffe kommen koͤnte. Die ordentliche
Beſatzung des Rhein-Stroms beſtuͤnde in acht
Legionen und der Donau an vieren. Uber dis
laͤge bey Carnumt eine/ bey Bonn und Geldu-
ba auf dem Rheine und bey deſſelbten Einfluſſe
ins
[23]Arminius und Thußnelda.
[in]s Meer an dem Britanniſchen Schloſſe drey
maͤchtige Schifs-Flotten. Zu geſchweigen:
daß der Kayſer nach Uberwindung des Sextus
Pompejus vier und viertzig Legionen zuſammen
bracht/ zu Lande ohne die viel hoͤher ſich erſtre-
ckenden Huͤlfs-Voͤlcker zeither ſiebendehalb
hundert tauſend Roͤmiſche Kriegs-Leute/ bey
Miſen und Ravenna/ in Gallien/ auf dem ro-
then Meere und dem Phrat anſehnliche Schifs-
Flotten unterhalten/ und hiemit alle Laͤnder in
einander feſte verbunden haͤtte. Zweyhundert
neun und viertzig tauſend Gallier waͤren unter
dem Vercingentorich/ und noch neulich achtmal
hundert tauſend gewafnete Pannonier und
Dalmatier wider etliche Legionen Roͤmer zu ih-
rem eignen Verderb aufgeſtanden/ jene aber ha-
be Julius/ dieſe Tiberius aufs Haupt erlegt und
zu Sclaven gemacht. Vergaſilaus der Arver-
ner Hertzog waͤre daruͤber gefangen/ Koͤnig Ver-
eingentorich von ſeinen eignen Leuten in die
Haͤnde der Feinde geliefert/ zum Siegs-Ge-
praͤnge geſchlept und hernach getoͤdtet/ Corbeus
der Bellovaker Fuͤrſt erſchlagen/ Guturnath/
der ſeine Cornuter wider den Kayſer angefuͤhret/
zu Tode gepruͤgelt/ und ſein Kopf durchs Beil
abgeſchlagen worden. Draxes habe ſich aus
Verzweifelung zu Tode hungern/ und Lucteri-
us in Feſſeln verſchmachten/ Batto der Dalma-
tier Haupt und Uhrheber des Krieges ſich auf
Gnade und Ungnade ins Tiberius Haͤnde ge-
ben muͤſſen/ und Pinetes laͤchſete noch in dem
Roͤmiſchen Kercker. Koͤnig Marbod/ ein Herr
der Marckmaͤnner/ Seduſier/ Heruder/ Her-
mundurer/ Schwaben/ Semnoner und Longo-
barden/ deſſen Gebiete ſich von der Elbe biß zur
Weichſel und der Oſt-See erſtreckete/ der achzig
tauſend Mann ſtets auf den Beinen hielte/ ha-
be mit ihnen wider die Roͤmer aufzuſtehen Be-
dencken gehabt/ und wer wuͤſte/ was der ſchlaue
Tiberius mit ihm zu ihrem Nachtheil fuͤr Ab-
kommen getroffen; nachdem die Roͤmiſchen
Kriegs-Oberſten gegen ihn vertraͤuliche Nach-
barſchafft pflegten. Alſo ſchiene es rathſamer
zu ſeyn/ daß man noch eine Weile den Mantel
nach dem Winde hienge/ und nichts minder
Marbods Abſehen/ als des Pannoniſchen Krie-
ges voͤlligen Außgang vollends erwartete.
Denn es waͤre mit Erlegung des Varus nicht
ausgemacht/ ſondern die Roͤmiſche Macht in ſo
langer Zeit ſo feſte beraaſet: daß ſie ohne Zerber-
ſtung ihrer Widerſacher nicht wuͤrde ausgerot-
tet/ und ohne Erdruͤckung ihrer Beſtuͤrmer
ſchwerlich zermalmet werden. So lange be-
raaſete Reiche/ wie das Roͤmiſche waͤre/ wuͤrden
vergebens beſtuͤrmet; daher muͤſte man ſie ver-
alteꝛn und durch ſtete Ruhe/ wie die ſtehenden
Waſſer/ faul werden laſſen. Die oͤftere Be-
wegung befeſtigte nichts minder eine Herr-
ſchafft/ als die Baͤume; hingegen koͤnte man ein
Reich nicht aͤrger bekriegen/ als durch den Frie-
den; welcher Anfangs ihre Tapferkeit/ hernach
ſein Weſen/ wie der Roſt ungebrauchten Stahl
verzehrte. Jhm ſey es zwar umb ſeine greiſe
Haare nicht ſo leid/ als er Sorge truͤge umb den
Wolſtand der Erbarmens- wuͤrdigen Nach-
welt. Sie aber ſolten ſich aus anderer Bey-
ſpiele ſpiegeln/ und daraus lernen: daß es rath-
ſamer ſey Gehorſam mit Sicherheit fuͤr der
Hartnaͤckigkeit mit ſeinem Verderben erkieſen.
Segeſthes haͤtte noch laͤnger geredet/ wenn
ihm nicht Jubil/ Brittons des letzten Bojiſchen
Hertzogs einziger Sohn in die Rede gefallen waͤ-
re. Das Waſſer gienge der Deutſchen Frey-
heit in Mund/ gleichwol zeigte ihnen GOtt
und das Verhaͤngnuͤs einen Weg die Roͤmi-
ſchen Feſſel von ihren Gliedern zu ſchleudern/
oder ſie gar denen Roͤmern anzulegen. Sin-
temal von undencklicher Zeit nicht ſo viel Fuͤr-
ſten miteinander vereinbart/ die Roͤmiſche
Macht aber ſo ſehr/ als ietzt/ durch den Panno-
niſchen Krieg nicht erſchoͤpft geweſt waͤre.
Dieſemnach koͤnte er bey ſich nicht befinden: daß
man die ſelten-umbkehrende Gelegenheit ſolte
aus den Haͤnden laſſen. Dieſe mit beyden
Haͤn-
[24]Erſtes Buch
Haͤnden umbarmen waͤre ein Werck der Klug-
heit/ von Verbeſſerung der Zeit und denen Wun-
der-Wercken/ des Gluͤckes aber Huͤlffe und Er-
rettung erwarten/ waͤꝛe ein Traum der Einfaͤl-
tigen/ und ein Troſt der Verzweifelten. Die
fuͤrgebildete Gefahr koͤnte nur Weiber von hertz-
haften Entſchluͤſſungen zuruͤcke halten. Denn
einem Helden-Geiſte waͤr nichtsſchrecklich/ als
ſich gezwungẽ ſehen der Boßheit beyzupflichten.
Weder die Kinder/ die noch kein Urtheil haͤtten/
noch die Thoren/ welche es verloren/ fuͤrchteten
ſich fuͤr dem Tode. Solte nun ihnen ihre Ver-
nunft und das Heil des Vater-Landes nicht die-
ſe Sorge benehmen; wovon jene Unverſtand
und Thorheit erledigte? Der Tod waͤre das
Ende der Natur/ keine Straffe/ ja vielmehr offt
ein neues Leben der Sterbenden/ und ein Heil
der Lebenden. Es waͤre nicht nur ertraͤglicher/
ſondern auch ruͤhmlicher einmal ſterben/ als ſein
Leben in ewiger Ungewißheit wiſſen; welches ſie
taͤglich gleichſam als eine Gnade vom Varus
erkennen muͤſten. Denn Sterben waͤre wol
die Eigenſchafft eines Menſchen; umb ſein Le-
ben aber betteln der Weiber. Haͤtten ſie nun
als Maͤnner gelebet/ ſolten ſie nicht geringer
ſterben; wenn es ja der Himmel alſo uͤber ſie be-
ſchloſſen haͤtte. Diß waͤre ſein Schluß/ und ſon-
der Zweifel ihrer aller als Fuͤrſten/ denen man
alle Tage/ wo nicht nach dem Leben/ doch nach
ihren Laͤndern graſete. Welcher Fuͤrſt aber das
Hertze haͤtte ohne Herrſchafft zu leben/ haͤtte
gewiß keines ſelbter fuͤrzuſtehen. Sie edle Deut-
ſchen ſolten nicht laſſen ihr Leben ihre Freyheit
uͤberleben/ noch es eine Nach-Geburt ihrer ſter-
benden Tapferkeit ſeyn. Sie ſolten ihnen nicht
heucheln/ daß mit Abſchaffung des Varus und
Erlangung eines glimpflichern Land-Vogts ih-
re verſchwundene Freyheit wieder jung wuͤrde;
welche eben ſo wohl unter einem vernuͤnfftigen
als tummen Oberherrn zu Grabe ginge. Weñ
die Roͤmer ſchon ihnen einen andern Landvogt
gaͤben/ wuͤrden ſie doch nur die Art ihrer Be-
draͤngung/ nicht die Buͤrde veraͤndern; weil ſie
alle glaͤubten/ daß ſie als Aegeln und Peitſchen
zu denen uͤberwundenen Voͤlckern geſchickt
wuͤrden. Jeder bildete ihm/ wie Demades ein/
er kriege mit ſeiner Landvogtey einen Beruff zu
einer guͤldenen Erndte; oder er ſey verpflichtet
ſich in eine mit ihren Klauen alles zerreiſſende
oder beſudelnde Harpyie zu verwandeln. Denn
wie die von der Sonnen erregten Winde das
Feld mehr ausdoͤrreten/ als die Sonne ſelbſt;
Alſo maßten ſich alle von Fuͤrſten eingeſetzte
Landvoͤgte insgemein einer ſtrengern Herr-
ſchafft an/ als die Fuͤrſten. Der Kaͤyſer moͤch-
te ihnen ja guͤldene Berge verſprechen/ aber
kaum Spreu gewehren; weil die Roͤmer auch
gegen die/ welche einen groſſen Vortheil uͤber ſie
erlanget/ Treu und Glauben zu halten nicht ge-
wohnet waͤren. Dem Koͤnige Porſena haͤtten
ſie ja Geiſſel eingelieffert/ aber wieder entwen-
det. Als ſie dem Brennus und ſeinen Deut-
ſchen das fuͤr Rom zum Loͤſegelde verſprochene
Gold zugewogen/ haͤtten ſie ſie argliſtig uͤberfal-
len. Als der Samniter Koͤnig Claudius Pon-
tius das Roͤmiſche Heer in ſeine Haͤnde und un-
ters Joch bracht/ haͤtte der Buͤrgemeiſter Poſt-
humius einen Frieden eingegangen; das Roͤmi-
ſche Volck aber nach freygelaſſenem Heere ſelb-
ten uͤber einen Hauffen geworffen. Washaͤt-
ten ſie Deut chen ſich numehr denn fuͤr gutes zu
verſehen/ die in den Augen der Roͤmer ſchon ih-
re Sclaven waͤren? Lucullus haͤtte in Spani-
en das Cauceiſche Volck gegen hundert Talent
ausgeliefferte Geiſſel und geſtellte Huͤlffs-Voͤl-
cker in ſeinen Schirm genommen/ hernach aber
ſich argliſtig der Stadt bemaͤchtigt/ und zwan-
tzig tauſend unſchuldige Leute meuchelmoͤrde-
riſch uͤber die Klinge ſpringen laſſen. Eben ſo
waͤren alle Auſonier in Jtalien aus einem fal-
ſchen Argwohne/ daß ſie auff der Samniter
Seite hiengen/ in einem Tage mit Strumpf
und Stiel ausgerottet worden. Sylla haͤtte/
nach erſcharreten zwantzig tauſend Talenten/
Aſien/
[25]Arminius und Thußnelda.
Aſien/ und Paulus/ nach allem ausgepreßten
Gold und Silber/ allererſt gantz Epyrus aus-
pluͤndern laſſen. Hortenſius haͤtte die aufge-
nommenen Abderiten beraubet/ die Fuͤrnehm-
ſten enthaupten/ die Buͤrger verkauffen/ Plemi-
nius der Locrenſer Heiligthuͤmer ſtehlen/ ihr
Frauenzim̃er ſchaͤnden/ Appius den Salamini-
ſchen Rath durch Hunger toͤdten laſſen. Jnſon-
derheit aber noͤthigte die Staats-Klugheit die
Roͤmer gleichſam dazu: daß ſie in der Grau-
ſamkeit gegen die Deutſchen beſtaͤndig verhar-
reten. Denn Wuͤteriche waͤren ſo boͤſe/ daß ih-
nen von nichts mehr als der Tugend Gefahr zu-
hinge. Hartnaͤckigkeit befeſtigte ihre Herrſchafft
durch Furcht/ ihre Beſſerung aber ſtuͤrtzte ſie
durch Mißtrauen neuer Verſchlimmerung.
Alſo muͤſte ein Gebietter niemals anfangen
grauſam zu ſeyn/ oder niemals aufhoͤren. Alles
dis haͤtten ſich die Deutſchen taͤglich zu befahren.
Ja er haͤtte noch kein groͤſſeres Merckmal auf-
gebuͤrdeter Dienſtbarkeit verſpuͤret/ als ietzigen
Zweifel an einem ſieghaften Ausſchlage. Wer
an den Verluſt gedencke/ habe ſchon halb verſpie-
let. Daß Deutſche aber von Frembden uͤber-
wunden werden koͤnten/ waͤre zeither fuͤr eine
Unmoͤgligkeit gehalten worden. Von Galli-
ern auf ſie einen Schluß machen/ ſchiene den
Roͤmern ſelbſt ungereimt; die ſich wider jene zu
kaͤmpfen ſchaͤmeten/ wann ſie mit den Deutſchen
ſchon eine Hitze ausgeſtanden haͤtten. Zu dem
waͤren die Gallier theils durch eigene Zwytracht
verfallen/ theils von Deutſchen uͤberwunden
worden. Mit den Pannoniern und Dalma-
tiern aber waͤre das Spiel noch nicht ausge-
macht/ welche vom Marbod ſchaͤndlich waͤren
im Stiche gelaſſen worden/ weil ein Wuͤtterich/
wie er/ doch kein recht Hertze haͤtte/ ja nicht nur
alle andere/ ſondern ſo gar ſich fuͤr ſich ſelbſt und
ſeinem eigenen Bey-Spiele fuͤrchtete. War-
umb ſolten nun ſie dieſen ſcheuen/ der wegen be-
gangener Laſter aus ſeinem Hertzen die Zag-
heit/ aus ſeinem Gebiette die Ubelwollenden
nimmermehr verbannen koͤnte; und an ſeinen
meiſten Unterthanen groͤſſere Feinde als an de-
nen vertriebenen Bojen und beleidigten Feinden
haͤtte. Das Band ſeiner und des Tiberius
Freundſchafft waͤre zerriſſen worden/ nach dem
Hertzog Herrmann beyden die Fuͤrſtin Thußnel-
de aus den Zaͤhnen geruͤckt haͤtte. Die vier und
viertzig Legionen waͤren biß auf fuͤnf und zwan-
tzig noch fuͤr dem Dalmatiſchen Kriege ver-
ſchmoltzen; in dieſem aber bey nahe vollends die
Helfte/ oder doch der beſte Kern drauf gegangen.
Die Flotten beſtuͤnden meiſt in ſchlechtem Vol-
cke/ und in gepreßten Außlaͤndern; welche nach
Abwerffung des Roͤmiſchen Jochs eben ſo wol
als die Deutſchen ſeufzeten. Die uͤbrige Macht
in denen entfernten Laͤndern und ſo gar andern
Theilen der Welt koͤnten mit Vernunft ſo we-
nig als der Angelſtern von ſeinem Wirbel ver-
ruͤckt werden/ da Auguſt nicht auf allen Sei-
ten Thuͤr und Thor den Feinden oͤfnen wolte.
Alſo moͤchten ſie ihnen die leeren Nahmen der
erſchoͤpften oder theils blinden Legionen keinen
blauen Dunſt fuͤr die Augen machen/ weniger
ſich ſchrecken laſſen.
Ganaſch der Chautzer Hertzog pflichtete dem
Jubil bey/ anfuͤhrende: daß wo die Glut eines
Wuͤtterichs raſete/ ſelbte zu leſchen ſich die Ge-
wogenheit eines gantzen Volckes billich gleich-
ſam durch einen Platz – Regen dahin aus-
ſchuͤttete. Es waͤre zwar den Menſchen die
Begierde der Neuigkeit angebohren/ aber
dieſe waͤre mit ſich ſelbſt ſo unvergnuͤgt; daß
wie ſie uͤberdruͤßig worden zu ſeyn/ was ſie vor-
her geweſt/ alſo auch ſtets ihrer gegenwaͤrtigen/
inſonderheit aber der veraͤrgerten Beſchaffen-
heit gram wuͤrde. Dieſem nach muͤſte ja die ed-
len Deutſchen das Verlangen/ ſich wieder in der
uhralten Freyheit zu ſehen/ ankommen; welche
lobwuͤrdige Begierde auch die wilden Thiere in
ihren Waͤldern nicht verlohren haͤtten. Bey
welcher Beſchaffenheit ſie ſich nicht ſolten irren
laſſen: daß Segeſthes ihnen nicht beypflichtete/
Erſter Theil. Ddeſſen
[26]Erſtes Buch
deſſen Ergetzligkeit allezeit fremdes Unheil/ und
anderer Ohnmacht ſein ſuͤſſeſter Lebens-Athem
geweſt waͤre. Jnſonderheit habe ſein Hertz al-
lezeit mehr zu den Roͤmern/ als zu den Deut-
ſchen gehangen. Er habe jenen den Durchzug
verſtattet/ und ſey Urſache: daß die Chautzen
vom Tiberius ſo unverhofft uͤberfallen/ ihnen
die Waffen abgenommen/ er ſelbſt nebſt denen
Edlen des Landes fuͤr des Kayſers Richterſtuhle
ſich zu beugen gezwungen worden. Jngnio-
mer der Bructerer Fuͤrſt/ Hertzog Herrmanns
Vetter/ ein ſo wohl bey den Roͤmern als Deut-
ſchen hochangeſehener Kriegs-Held unterbrach/
aus Beyſorge erwachſender neuer Uneinig-
keit/ Hertzog Ganaſches hitzige Rede/ und hielt
ihm ein: Die Zufaͤlle waͤren eine weile ſo ver-
wirrt/ der Tugend und offenhertzigem Begin-
nen ſo feind geweſt/ daß auch der fuͤrſichtigſte auf
ſo glattem Eiße habe gleiten/ und der es am be-
ſten gemeint/ ſeine Redligkeit verſtellen muͤſſen.
Ja man waͤre in ſolche Zeiten eingefallen/ da
die Liebe des Vaterlandes fuͤr eines der groͤſten
Laſter gehalten worden. Numehro aber habe
ein guter Einfluß des Geſtirnes/ oder vielmehr
die kluge Anſtalt Hertzog Herrmanns und die
euſſerſte Bedraͤngung der Sicambrer die zer-
ruͤtteten Gemuͤther ſo vieler deutſchen Fuͤr-
ſten/ als ihrer noch nie auff einmahl wider
die Roͤmer zuſammen getreten/ vereinbart.
Nunmehr blickte ſie eine ſo gluͤckliche Zeit an/
da man erndten doͤrffte/ was man daͤchte/ und
dis ausuͤben/ was man im Schilde fuͤhrte. Jtzt
ereigne ſich die Gelegenheit/ da ſie alle das
Seil der Roͤmiſchen Dienſtbarkeit von den
Hoͤrnern abſtreiffen/ Segeſthes aber die alte
Scharte auswetzen koͤnne. Denn eine tapf-
fere That wiſche die Schamroͤthe von vielen
begangenen Fehlern ab. Segeſthes/ welchem
die Roͤmer am meiſten traueten/ koͤnne fuͤr
dißmahl ihrem Siege eine groſſe Huͤlffe ge-
ben/ nach dem Varus ihn ſelbſt/ von Herr-
mann und andern Fuͤrſten aber nur gewiſſe
Kriegs-Schaaren beruffen haͤtte: daß er wider
den Teucterer und Sicambriſchen Hertzog
Melo/ welcher auff Hertzog Herrmanns gege-
benen Einſchlag alleine wider die Roͤmer den
Harniſch anzuziehen ſich hertzhafft gewagt haͤt-
te/ mit ihren Huͤlffs-Voͤlckern zu Felde ziehen
moͤchte. Alſo koͤnte Segeſthes entweder durch
eine vertraute Perſon/ oder auch ſelbſt dem Va-
rus ſeine und der gefoderten Huͤlffs-Voͤlcker
Anweſenheit zu wiſſen machen/ und hierdurch
nicht alleine dem verſammleten Kriegs-Hee-
re/ welches doch wenig Stunden mehr fuͤr den
Roͤmern koͤnne verborgen ſtehen/ eine deſtowe-
niger verdaͤchtige Naͤherung zu dem Roͤmi-
ſchen Laͤger und einen unverſehenen Uberfall
zu wege bringen/ ſondern wohl gar die Roͤ-
mer aus ihrem Laͤger und Vortheil ins freye
Feld locken. Man ſolte nunmehro keinen Au-
genblick verſaͤumen. An geringer Saͤumniß
haͤnge offt der Verluſt der gantzen Sache; und
die Zeit ſey im Kriege am theuerſten. An-
ſchlaͤge wuͤrden zwar krebsgaͤngig/ gute Gele-
genheit aber komme nicht zweymahl wieder.
Man ſolle das fertige Heer nur immer gegen
das Laͤger anziehen laſſen. Hertzhafften Leu-
ten riegele die Natur alle Pforten auff/ das
Gluͤcke ſtehe ihnen an der Seiten/ und das
Verhaͤngniß hielte ihnen den Ruͤcken.
Segeſthes begegnete/ wiewohl allem Anſe-
hen nach mit ſchwermuͤthigen Worten/ dem J-
gniomer: er hielte das Werck nochmahls fuͤr ge-
faͤhrlich und zu entſchluͤſſen bedencklich. Es
waͤre nicht weniger unzeitig/ was zu fruͤh/ als zu
ſpaͤte geſchehe; die Ubereilung aber noch ſchaͤdli-
cher/ als die Verſaͤumung. Denn ungeſchehe-
ne Dinge koͤnte man noch thun/ geſchehene aber
nicht wieder verwiſchen. Weßwegen die Klug-
heit fuͤr eine Tochter des kalten Gebluͤtes/ die U-
bereilung aber fuͤr eine Mutter unzeitiger und
daher todter Geburten gehalten wuͤrde; Und
muͤſte man der Gelegenheit freylich wohl wahr-
nehmen/ ſelbter aber nicht zuvor kommen/ und
wenn
[27]Arminius und Thußnelda.
wenn man ſeinen Feind zu bekriegen hat/ ſich
nicht ehe von ſeinen eigenen Schwachheiten/ als
von des Feindes Tugend uͤberwinden laſſen.
Dieſe waͤre bey den Roͤmern unvergleichlich/
als welche ihr meiſtes Leben mit den Waffen
hinbraͤchten; allen ihren Ruhm aber durch ſelb-
te erlangten; ja niemand kein Ehren-Amt zu
bekleiden faͤhig waͤre/ der nicht zum minſten zehn
Jahr zu Felde gedienethaͤtte. Zu geſchweigen/
daß die zu Fuß dienenden Kriegs-Leute eher
nicht als nach zwantzigjaͤhrigen Dienſten er-
laſſen wuͤrden; und die Roͤmer auch beym Frie-
den ihre Wffaen durch ſtete Kriegs-Ubungen
alſo brauchten/ daß weder ſelbte noch ihre Tapf-
ferkeit verroſtete. Nichts deſtoweniger/ wenn
ſie alle ja mit den Roͤmern zu brechen fuͤr gut
anſaͤhen/ waͤre er nicht gemeint/ mit ſeinem Be-
dencken des mehrern Theils Schluß zu ſtoͤren/
und ſich in ſeine Gedancken dergeſtalt zu verlie-
ben/ daß er aller andern Urtheil als unrechte ver-
werffen ſolte. Denn man ſolte in Rathſchlaͤgen
allezeit das beſte rathen/ und doch auch dem/ was
man fuͤr ſchlimm hielte/ beyfallen/ wenn es die
meiſten billichten. Sintemahl das beſte/ wel-
chem nur wenig folgten/ ſchlimmer waͤre als das
aͤrgſte; welches alle auszuuͤben auf ſich nehmen.
Daß uͤbrigens Qvintilius Varus ihn und an-
dere Huͤlffs-Voͤlcker wider die Sicambrer be-
ruffen/ habe ihnen freylich zu einem guten Vor-
wand gedienet/ ihre Voͤlcker ohne Verdacht zu-
ſammen zu fuͤhren. Dahero ſey er bereit un-
ter dieſem Scheine einen Schluͤſſel ins Roͤmi-
ſche Laͤger zu finden. Segemer des Segeſthes
Bruder ſchlug hiemit auff ſeinen Degen/ mel-
dende: Wenn ihn auch Segeſthes nicht findet/
ſo iſt hier einer verhanden. Und wenn wir dis-
mahl den Roͤmern nicht den Weg wieder uͤber
den Rhein weiſen/ koͤñen wir uns nicht beſchwe-
ren/ daß es uns an Gelegenheit/ ſondern an
Hertze und an der Wiſſenſchafft uns ſelbte nuͤ-
tze zu machen/ gemangelt habe. Sie haͤtten
ohne diß ihren Feind allzu großwachſen/ und
die Flamme zu ſehr zu Schwunge kommen laſ-
ſen; welche ſie gar verzehren wuͤrde/ wenn ſie
ſelbter ſo lange zuſehen wuͤrden/ biß die Roͤmiſche
Macht aus Dalmatien ihnen vollends uͤber
den Hals kaͤme. Alſo waͤre die Geſchwindig-
keit wider geſchwinde Kranckheit die heilſam-
ſte Artzney. Hiermit ſtimmten alle andere Fuͤr-
ſten und Groſſen ein/ ſtanden von ihren Taffeln
auff/ verehrten den Cheruſtiſchen Hertzog als ih-
ren oberſten Feldherrn/ und wuͤnſchten ihm
gluͤckliche Uberwindung ſeiner uñ ihrer Feinde.
Hertzog Herrmann/ auff welchen numehr
aller anweſenden Augen gerichtet waren/ ließ in
ſeinem Antlitze und Geberden nicht das gering-
ſte Merckmahl eines entweder verwirrten oder
freudigen Gemuͤths blicken. Denn ob wohl der
Glantz neuer Wuͤrden ſonſt insgemein die Ver-
nunfft nichts anders als die uͤbermaͤßigen Son-
nenſtrahlen das Geſichte verduͤſtern; ſo war doch
dieſem Helden; welcher in ſich ein auskomment-
liches Maaß hatte die gantze Welt zu beherr-
ſchen/ bey dieſem neuen Wachsthume nichts
neues noch hoffaͤrtiges; Sintemahl dergleichen
Auffblehung nichts minder ein gewiſſes Zeichen
einer Gemuͤths-Kranckheit/ als die Geſchwulſt
der Leibes-Gebrechen/ und eine augenſcheinli-
che Andeutung iſt/ daß ſolche Ehre zu groß fuͤr
das Behaͤltniß einer ſo engbruͤſtigen Seele ſey.
Er gebrauchte gegen die Fuͤrſten eben die Ehrer-
bietung als vorher/ und als gegen ſeines glei-
chen. Ja durchgehends ſtellte er ſich ſo/ als wenn
er die Feldherrſchafft leichter uͤberkaͤme/ als zu
haben verlangte; Maſſen nur dieſe letztere Be-
gierde zu herrſchen eben ſo wohl kein Mittel
in ihrer Bezeugung zu treffen weiß; als das
Geluͤcke zwiſchen Gebot und Fußfall ſelb-
tes zu beobachten pflegt. Daher er ſich denn
auch erklaͤrete: Er empfinde in ſich ein ſo unbe-
ſchreibliches Vergnuͤgen uͤber der neuen Ein-
tracht der deutſchen Fuͤrſten und uͤber dem fuͤr
die allgemeine Wohlfarth gemachten Schluſ-
ſe; dieſen auszufuͤhren waͤre ſein einiges Abſe-
D 2hen/
[28]Erſtes Buch
hen dieſer Verſammlung geweſt/ und haͤtte er es
dem Verhaͤngniße und ihrer Klugheit heim-
geſtellt: Ob ſie ihn hierinnen zu einem Kriegs-
Manne/ oder zu ihrem Feld-Herrn gebrauchen
wuͤrden. Nach dem ihnen aber das letztere ge-
fallen/ thaͤte er hierinnen mehr ihrem Willen/
als ſeinem Ehr-Geitze ein Genuͤgen. Denn
ob wol die verwirrete Beſchaffenheit der Zeit/ die
beſorgliche Mißgunſt derer/ welche nach dieſer
Wuͤrde geſtrebet/ und ſein noch nicht allzu hohes
Alter ihn hievon zuruͤcke ziehen wolten; ſo uͤber-
wiege doch ſein Verlangen dem gemeinen We-
ſen zu dienen alle andere Bedencken; und die
Bilder ſeiner lobwuͤrdigen Vorfahren ladeten
ihn gleichſam ein/ lieber mit Schweiß und Blut
in ihre Fußſtappen und in dis von ihnen gefuͤhr-
te Ambt zu treten/ als die Haͤnde ſeiner Ergoͤtzlig-
keit halber auf die Schoos zu legen. Denn die
Aufthuͤrmung der Ehren-Saͤul-waͤre ein aber-
glaͤubiſcher Zeit-Vertreib und eine Verſchwen-
dung der Unkoſten; wenn ſie allein ein Gedaͤcht-
nuͤß deſſen/ was die Todten gethan haben/ nicht
aber eine Ermahnung ſeyn ſollen/ was denen le-
benden zu thun obliegt. Dahero daſſelbige
Bild/ welche nur etliche Tage geſtanden/ aber
das Gluͤcke habe/ daß iemand durch ruͤhmliche
Nachartung ſeinem Befehle gehorſamet/ viel
hoͤher zu ſchaͤtzen waͤre/ als eines/ das tauſend
Jahre wider Lufft und Ungewitter getauret/
aber zum unfruchtbaren Anſchauen gedienet
hat. Haͤtten ſeine Vor-Eltern durch ihre Tha-
ten zuwege gebracht/ daß ſie ihm ihren Stab
einhaͤndigten; wolte er ſich befleiſſen durch ſein
Thun zu behaupten/ daß er ihr Sohn waͤre;
nach dem ein ungerathener Sohn eines Helden
ſich gar keines Vaters zu ruͤhmen haͤtte. Denn
keines frembden Sohn koͤnte er vermoͤge der
Natur; des Natuͤrlichen aber wuͤſte er es wegen
ſeiner Untugend nicht zu ſeyn/ alſo/ daß wenn
die Todten reden koͤnten/ wuͤrden ſie ihn/ wenn
er ſich ihrer Ankunft ruͤhmte/ entweder Luͤgens
ſtraffen/ oder ihn als einen Wechſel-Balg aus
dem Geſchlechte ſtoſſen. Dieſes und der Noth-
ſtand Deutſchlands zwinge ihn die aufgetragene
Wuͤrde willig zu uͤbernehmen. Denn/ wenn
das Gebaͤu eines Reiches einfallen wolte/ muͤſte
der erſte der beſte ſeine Achſel unterſchieben/ und
zu denen Stuͤtzen nicht diß oder jenes Holtz aus-
ſchuͤſſen. Bey ſo geſtalten Sachen koͤnte ſich
niemand entbrechen/ der ſich ſonſt doch ausduͤ-
cken wuͤrde/ wenn ihn die Scham - Roͤthe oder
der Mangel eines guͤltigen Verwands nicht zu-
ruͤcke hielte. Wie er deñ feyerlich ſich verwahrte:
daß er ihm dieſe Wuͤrde nicht leichte; ihre Uber-
nehmung aber nicht aus Hoffarth/ ſondern aus
Liebe des Vaterlandes nicht ſchwer machte.
Seine Wercke ſolten nicht nur ſeine ietzige Er-
klaͤrung beglaubt/ und ihnen wahr machen/ daß
er nicht ſo wol ihr Feld-Herr ſeyn/ als ihr Bru-
der leben/ und als ihr Freund fuͤr ſie und das
Vater-Land ſterben wolte. Denn alle andere
Merckmaale der Freundſchafft waͤren ungewiß
oder verdaͤchtig; die groͤſſeſten Betheurungen
verhuͤlleten offt ein gehaͤſſiges Hertze/ die nuͤtz-
lichſten Dienſte verkleideten zuweilen den Ei-
gen-Nutz/ die Freygebigkeit zielte auf anderer
Verbindligkeit/ der Gehorſam ruͤhrte nicht ſel-
ten mehr aus einem Nothzwange als willkuͤhr-
lichem Eifer her; wenn aber die Freundſchafft
mit ſeinem eigenen fuͤr eines andern Erhaltung
verſpritzten Blute beſiegelt wuͤrde/ waͤre ſie al-
lem Verdacht eines angenommenen Scheines/
aller nachtheiligen Auslegung/ und allem wi-
drigen Urthel uͤberlegen.
Bey Außdruͤckung dieſer Worte und daruͤber
erwachſender Vergnuͤgung trat ein mit der
Fuͤrſtin Walpurgis Leiche vorhin beſchaͤfftigter
Prieſter mit einem freudigerm Geſichte/ als ſein
Todten-Dienſt mit ſich brachte/ ins Zelt/ und
berichtete: Der Walpurgis Grab waͤre fertig/
mit Bitte: Es moͤchten die Fuͤrſten die Leiche
noch mit einer Hand voll Erde beehren/ und ihr
merckwuͤrdiges Grabmahl anzuſchauen unbe-
ſchwert ſeyn. Dieſe waren theils wegen An-
dacht/
[29]Arminius und Thußnelda.
dacht/ theils aus Begierde das angedeutete Grab
zu ſehen leicht dazu zu bereden. Wie ſie nun an
den beſtim̃ten Ort kamen/ fanden ſie drey Sti-
che tief die Erde ausgegraben/ darunter aber ein
anſehnliches in einen lebendigen Fels gehauenes
Grab. Welches ihnen ſo viel mehr wunders
werth vorkam/ weil nicht allein in ſo enger Zeit
ein ſolch Grab auszuhauen unmoͤglich/ auch das
geringſte Meꝛckmal der heꝛausgehauenen Stei-
ne verhanden; ſondern auch die ſteinernen
Gꝛabmale bey denen Deutſchen ſehꝛ ſeltzam wa-
ren/ als welche ihre Todten nur in die friſche Er-
de zu begraben/ und zum hoͤchſten die Graͤber
mit Raſen aufzuſetzen und zu erhoͤhen pflegen/
entweder weil ſie die ſteinernen und koſtbaren
Grabmale denen Leichen fuͤr beſchwerlich hal-
ten; oder weil ſie ſelbte als eine Eitelkeit/ oder
auch als eine offt bey denen unwuͤrdigſten miß-
brauchte Ehre verſchmaͤhen. Sintemal leider
bey den Griechen die zwo Huren Glycera und
Pythionice ſo praͤchtige Begraͤbnuͤs-Male/ daß
des Miltiades und Pericles ſelbten nicht den
Schatten reichen/ erlangt; zu Rom aber ſo gar
Raben und Pferde nicht ſo wohl damit beehret/
als die mit Fuͤſſen getretene Gedaͤchtnuͤſſe der
Horatier und Fabier dadurch beſchimpfft wor-
den. Uberdis hatte dieſer Fels und das daran kle-
bende Mooß den annehmlichſten Veilgen-Ge-
ruch/ der die Anweſenden nicht wenig erqvickte.
Jhre Verwunderung aber verkehrte ſich gar in
eine andaͤchtige Verehrung dieſes Orts/ als ſie
nach der auf den Seiten vollends weggeraͤum-
ten Erde gegen Mittag in dieſes ſteineꝛne Grab
folgende Uberſchrifft eingegraben funden:
Alle Fuͤrſien laſen zwar dieſe Zeilen/ Hertzog
Jubil aber war der erſte/ der alle Geheimnuͤße
dieſer Wahrſagung am erſten ergruͤndete. Sin-
temahl er ſich der Erzehlung vom Hertzog Herꝛ-
mann erinnerte/ welche ihm der Schutz-Geiſt
des Gabretiſchen Gebuͤrges nicht nur/ daß er
ein Erloͤſer des dienſtbaren Deutſchlandes ſeyn/
ſondern auch deßwegen eine in Stein gegrabe-
ne Wahrſagung bey dem Tanfaniſchen Tem-
pel gefunden werden wuͤrde/ vorhin angedeutet
haͤtte. Weil nun Hertzog Jubil dieſes kuͤrtz-
lich erzehlte; war die in dieſer Wahrſagung ent-
haltene Billigung des zum Heerfuͤhrer erwehl-
ten Hertzog Herrmanns deutlich genug zu ver-
ſtehen; und weil die erſte Schrifft allbereit durch
die in diß Grab gelegte Fuͤrſtin Walpurgis
Sonnenklar wahr gemacht war/ fand die letz-
tere ſo viel mehr Glauben und zohe deſto groͤſ-
ſer Vertrauen zu dem neuen Feldherrn und
dem kuͤnfftigen Siege nach ſich. Weßwegen
der gantze Heyn ſeine Freude uͤber dieſer gluͤctli-
chen Wahl durch ein allgemeines Frolocken
kund machte.
Unterdeſſen hatte der Prieſter Libys denen
vieꝛ ſchoͤnſten und groͤſten weiſſen Pfeꝛden/ dereꝛ
eine ziemliche Anzahlin ſelbigem heiligen Heyne
erzo gen/ und keines zu irrdiſcher Arbeit ge-
braucht/ auch von ſonſt keinem Menſchen/ als
dem Prieſter/ weder gefuͤttert noch beſchritten
wird/ das erſte Gebiß und Zaum anlegen laſ-
ſen/ ſelbte mit ſilbernem Zeuge und ſeidenen
Qvaſten rother Farbe/ welche bey dieſen Voͤl-
ckern Krieg andeutet/ belegen und an einen ge-
weiheten Wagen ſpannen/ auch ſolchen fuͤr den
Zelten in Bereitſchafft halten laſſen. Sie rauch-
ten fuͤr Hitze und Schweiß/ da ſie doch in etli-
chen Tagen nicht aus dem Stalle kommen wa-
ren; welches ſie dahin ausdeuteten: daß die
Schutz-Geiſter ſelbiges Orts allbereit auff ſelb-
ten wider die Feinde geſtritten haͤtten. Dieſem
nach die Prieſter denn auch alſofort dem Feld-
herrn mit vielen Seegenſpruͤchen drey Kriegs-
Bilder/ welche noch die Vorfahren in dieſem
Heyne aufgehenckt hatten/ und unter den
Deutſchen/ wie bey den Roͤmern die Adler/ zu
Kriegs-Fahnen gebraucht worden/ uͤberreich-
ten. Jn dem erſten war ihres Uhranherrns
des Tuiſcons Haupt/ im andern ein Pferd/ im
dritten ein Loͤwe abgebildet. Die Pferde aber
fingen hefftig zu ſchaͤumen und zu wiehern an.
Welches Libys und die andern verſammleten
Prieſter fuͤr ein uͤberaus gutes Zeichen des
Sieges auslegten; ſonderlich weil ſelbte den
rechten Fuß zu erſt aufhoben/ durch die in der
Erde geſteckten Lantzen ohne einige Beruͤh-
rung durchrenneten. Daher ſie alle ſo wohl
den Hertzog Herrmann als die andern Fuͤr-
ſten/ welche fuͤr dem Wagen hertraten und
dem Heere zueileten/ mit tauſend Gluͤckswuͤn-
ſchen begleiteten. Denn dieſe Anzeigungen
verſicherten die Fuͤrſten ſo gewiß des Sieges/
als wenn ſie ſelbten ſch[o]n in den Haͤnden haͤtten.
Sintemahl zwar die Deutſchen mit den mei-
ſten Voͤlckern auch aus denen Eingeweiden
des Opffer-Viehes/ aus dem Fluge der Ad-
ler/ Habichte und Geyer/ aus dem Geſchrey
der Raben/ der Kraͤhe und Nacht-Eulen/ aus
dem Lauffe der Woͤlffe/ Fuͤchſe und Schlan-
gen/ aus den Wirbeln der Fluͤſſe/ aus fallen-
den Lufft-Sternen/ und aus Andeutungen de-
rer zu erſcheinen genoͤthigten Geiſter kuͤnffti-
ge Begebenheiten zu erforſchen pflegen; in-
ſonderheit aber aus der Anzahl vieler ungefehr
in die Aſche gemachte Striche/ und durch ge-
wiſſe aus einer fruchtbaren Gaͤrthe gekerbe-
te und mit unterſchiedenen Merckmahlen be-
zeichnete Hoͤltzlein/ die der Prieſter auff ein
weiſſes Kleid ausſchuͤttet/ und hernach zu drey-
en wieder auff[l]ieſet/ ihr bevorſtehendes Gluͤcke
zu ergruͤnden vermeinen; ſo ſetzen ſie doch auff
keine Wahrſagung mehr Vertrauen/ als auff
die Andeutung dieſer geweyheten Pferde.
Nicht zwar/ daß ſie ihnen eine Wiſſenſchafft
deſſen/ was das Verhaͤngniß ihnen beſtimmet
habe/
[31]Arminius und Thußnelda.
habe/ zueignen; ſondern weil ſie dafuͤr halten:
Gott bewege durch eine geheime Krafft aus
einer Erbarmniß gegen den Menſchen dieſe
edlen Thiere/ als ohne deſſen Zulaſſung kein
Vogel eine Feder ruͤhren/ kein Pferd einen
Fuß auffheben koͤnte.
So bald das Kriegs-Volck/ welches in vol-
ler Ruͤſtung bereit ſtand/ und nur auff einen
Feind loß zu gehen begierig war/ den heiligen
Kriegs-Wagen erblickte und daraus erkenn-
te/ daß der Krieg und Anfall des Feindes be-
ſchloſſen war/ kriegte ſelbtes gleichſam eine neue
Seele und erfuͤllete die Lufft mit einem hei-
ſern Feld-Geſchrey. Als ſie aber gewahr
worden/ daß Hertzog Herrmann als Feldherr
ſeinen Sitz darauff genom̃en hatte/ machten ſie
mit Zuſammenſchlagung ihrer Lantzen/ Spieſ-
ſe/ Schilde und andern Waffen/ um dadurch
ihr Wohlgefallen uͤber ſolcher Wahl zu bezeu-
gen/ ein ſolches Gethoͤne/ daß auch die naͤch-
ſten kein Wort von des Jgniomers Rede/ wel-
cher ihnen von ihrem Schluſſe einen Vortrag
thun wolte/ verſtehen konten. Womit ſie a-
ber zu verſtehen geben moͤchten: daß ſie dis/
was Jgniomer ihnen ſagen wolte/ verſtuͤnden/
und ihre bey der Wahl eines allgemeinen Her-
tzogs habende Stimmen dem Herrmann ein-
muͤthig gaͤben; nahmen vier der fuͤrnehmſten
Kriegs-Oberſten zwey Lantzen auff die Achſeln/
legten darauff einen breiten Schild/ hoben den
Feld-Herrn von dem Wagen darauff/ und
trugen ihn mitten durch ihre Reyhen. Hier-
auff ſenckten ſie dieſen Kriegs-Stuhl/ womit
er ab und zu Pferde ſitzen konte. Dieſes war
ein feuriger Hengſt/ welcher/ nachdem er die-
ſen fuͤrtrefflichen Helden auff ſich bekommen/ fuͤr
Hoffarth den Erdboden eintreten wolte/ mit
ſeinem Schaͤumen und hitzigen Saͤtzen ſeine
Ungedult aber/ daß es nicht ſchon in der
Schlacht waͤre/ zu verſtehen gab. Herrmanns
Leib war mit einem glaͤntzenden und zum Theil
verguͤldeten Harniſche bedeckt/ womit ihn
Kaͤyſer Auguſtus beſchencket/ als er in Ar-
menien bey Einſetzung des Koͤnigs Artavaſ-
des die Roͤmiſchen Waffen zu ſeinem Ruhm
und des Kaͤyſers Nutzen getragen hatte. Jn
der rechten Hand fuͤhrte er eine Lantze/ im lin-
cken Arm einen laͤnglichten Schild/ auff wel-
chem ein ſpringendes Pferd geetzt war/ wel-
ches die Cheruſkiſchen Hertzoge noch vom al-
ten Hermion her/ aus beſonderer Liebe zu den
Pferden/ zu fuͤhren gewohnt waren. Um ſei-
ne Lenden war ein mit Edelgeſteinen verſetz-
tes Schwerdt geguͤrtet/ und an dem Sattel-
knopffe hieng ein eckichter Streit-Hammer.
Seine braunen und kringlichten Haare hatte
er nach ſeiner Landes-Art ihm uͤber dem Haͤu-
pte laſſen zuſammen binden; den Helm aber/
uͤber welchem ein Habicht mit ausgebreiteten
Fluͤgeln zu ſehen war/ ließ er ihm ſeinen Waf-
fentraͤger neben bey tragen. Jn ſolcher Ruͤ-
ſtung ſtellete er ſich gegen das in voller Schlacht-
Ordnung ſtehende Heer/ und redete mit ver-
miſchter Freundligkeit und Großmuͤthigkeit
ſie derogeſtalt an:
Edle Deutſchen/ vertrauteſte Bruͤder. Dem
Verhaͤngniße und den Fuͤrſten des Vaterlan-
des hat einmuͤthig gefallen/ fuͤr die Freyheit
Deutſchlands wider der Roͤmer Bedraͤn-
gung die Waffen zu ergreiffen/ und mich zum
gemeinen Feld-Herrn zu erkieſen. Das letz-
te anzunehmen hat mich die Liebe des Vater-
landes gezwungen/ nicht meine eigene Ver-
meſſenheit gereitzt. Die Andeutungen der Prie-
ſter/ die Gerechtigkeit unſerer Sache/ die Wol-
luͤſte unſers weibiſchen Feindes und eure Tapf-
ferkeit/ verheiſſen mir einen unzweiffelbaren
Sieg. Es iſt unnoͤthig Maͤnnern ein Hertz
einſprechen/ fuͤr derer Thaten mehrmahls
Rom erzittert/ durch deren Huͤlffe die Roͤmer al-
lein in Gallien Fuß gehalten/ und gegen die
Parther geſtanden. Der Deutſchen ihre Feld-
herren werden ihrem Kriegs-Volcke mehr zum
Beyſpiele als zum Befehlichen fuͤrgeſetzt. Jch/
ſichert
[32]Erſtes Buch
ſiehert euch/ behertzte Bruͤder/ wil heute mit
meinem Blute lieber drey Spannen Erde ge-
gen die Roͤmer gewinnen/ als drey Schritte
zuruͤck weichen/ wuͤſte ich auch dadurch mein Le-
ben auf tauſend Jahr zu verlaͤngern. Werdet
ihr meinen Fußſtapfen nachfolgen/ wird dieſen
Tag entweder von dem Feinde oder uns kein
Gebeine entrinnen.
Hiermit ergriff er den Helm/ druͤckte ihn aufs
Haupt/ und ſprengte mit ſeinem Pferde von ei-
ner aͤuſerſten Spitze der Schlacht-Ordnung biß
zur andern. Das Heer aber ſchlug noch mit
groͤſſerm Ungeſtuͤm die Waffen aneinander;
welches bey den Deutſchen die Kraͤfftigſte Art et-
was zu beſtaͤtigen/ und die ehrlichſte iemanden zu
loben iſt. Hierauf erregten die theils hoͤrner-
ne/ theils aus Meſſing gegoſſene krum̃- Hoͤr-
ner/ bey noch ſtiller Nacht/ ein ſolches Gethoͤne/
daß die Erde erbebte/ und die Luͤfte mit vielfaͤl-
tigem Wieder-Schalle erfuͤllet wurden.
Hertzog Segimer nahm hiemit den ihm un-
tergebenen Vortrab/ und fuͤhrte ſelbten gerade
dem Feinde zu/ unter welchem ſein Sohn Seſi-
tach tauſend junge Cheruskiſche und Bructeri-
ſche/ Printz Catumer des Arpus Sohn fuͤnf-
hundert junge Cattiſche Edelleute fuͤhrte/ welche
alle/ weil ſie noch keinen Feind erſchlagen/ eiſerne
Ringe trugen/ umb in dieſer Kriegs-Schule ihr
Gluͤck oder vielmehr ihre Tapferkeit zu verſu-
chen/ und zugleich das Recht zu erwerben ge-
meynt waren: daß ſie kuͤnftig goldne Ringe tra-
gen moͤchten.
Als dieſe bey dem Feld-Herrn vorbey zohen/
welcher alle und iede in genauern Augenſchein
nahm/ und keinen Hauffen zur Hertzhafftigkeit
aufzufriſehen vergaß/ ritte ein gerader wol-ge-
wafneter Juͤngling/ der einen mit gruͤnem Laub-
wercke ausgeetzten Harniſch/ und im Schilde
eine Taube fuͤhrte/ aus der Ordnung/ naͤherte ſich
dem Feldherrn/ und reichte ihm mit tiefſter Ehr-
erbiettung einen Zettel/ darauf dieſe Schrifft
zu leſen war:
Erlauchter Fuͤrſt/ großmuͤthiger Feld-Herr!
Die Cherusker ſind gewohnt fuͤr ihren Schlach-
ten durch Zwey- Kampf eines Einheimiſchen
und eines gefangenen Feindes den Ausſchlag
des bevorſtehenden Treffens zu erkundigen.
Goͤñe dieſemnach einem ruhmbegierigen Edel-
manne/ daß/ nach dem dir die guͤtigen Goͤtter
den Sieg ſchon ſo augenſcheinlich gewieſen ha-
ben; daß ich und ein gefangener Roͤmer/ ieder
mit Waffen nach ſeiner Landes - Art allhier zu-
ſammen ſchlagen/ und mir deine Augen und
Vorbild heute das Gluͤcke des Sieges mitthei-
len/ was ich ſonſt meiner Staͤrcke und Tapfer-
keit nicht zutrauen darf.
Dem Feld-Herrn kam dieſer Anſpruch gantz
unvermuthet/ iedoch nahm er dieſe kecke Ent-
ſchluͤſſung fuͤr ein ſehr gutes Zeichen an/ und ſein
Hertze empfand gegen dieſem Edelmanne eine
ungemeine Beweg- und Zuneigung. Er
wuͤrde auch nicht die Befchaffenheit ſeiner Per-
ſon und den Anlaß zu dieſem Ebentheuer genau
zu erforſchen vergeſſen haben/ wenn er nicht als-
bald in die Gedancken gefallen waͤre: daß ſelb-
ter/ umb alleine unbekant und mit dem Helme
verdeckt zu bleiben/ ſein Verlangen ſchrifftlich
entworffen haͤtte. Dahero lobte er/ ohne eini-
ges vorwitziges Ausfragen/ ſein Begehren/ und
befahl: daß/ da irgend einige gefangene Roͤmer
alldar befindlich waͤren/ ſie augenblicklich zur
Stelle gebracht werden ſolten. Fuͤrſt Arpus/
welcher unferne davon hielt/ vernahm dieſen Be-
fehl des Feld - Herrn/ naͤherte ſich zu ihm/ und
ließ alsbald zwey wolgewachſene ſchoͤne Juͤng-
linge zur Stelle bringen/ welche er fuͤr kurtzer
Zeit gefangen bekommen/ als die Roͤmer aus der
vom Druſus am Berge Taunus aufgerichteten
Feſtung Tranburg auf die Catten geſtreifft.
Dieſe fragte der Feld-Herr: Ob einer unter
ihnen das Hertze haͤtte mit anweſendem Edel-
manne zu fechten? Der Preiß des Sieges ſey
des gefangenen Freyheit. Hertzog Herrmann
hatte diß letzte Wort noch halb im Munde/ als
der
[33]Arminius und Thußnelda.
der ſchoͤnſte unter beyden/ welchem die Anmuth
ſelbſten aus den Augen ſah/ verſetzte: Er habe
niemanden noch einen ſolchen Tantz verſagt.
Die Dienſtbarkeit ſey ihm unertraͤglicher als der
Tod. Das Ungluͤcke/ nicht die Liebe ſeines Le-
bens habe ihn lebendig in ſeiner Feinde Haͤnde
geliefert/ in dem er in dem Scharmuͤtzel mit dem
Pferde geſtuͤrtzt/ und daruͤber gefangen worden
waͤre. Wolte ihm der Catten Hertzog ſeine
Waffen wieder langen laſſen/ und der Feldherr
ihm den Zwey-Kampf erlauben; wuͤrde er es
fuͤr eine groͤſſere Großmuͤtigkeit aufnehmen/ als
er ihm in dieſem Nord-Lande zu finden eingebil-
det. Alſofort wurden die ihm abgenommenen
Waffen/ und ein wol-aufgeputztes Pferd zur
Stelle bracht. Die Fertigkeit im Wafnen
gab die Luſt zu dieſem Kampfe und die
Hoffnung des eingebildeten Sieges ge-
nungſam zu verſtehen. Ob nun wol die zum
Vortrab geordnete Kriegs-Voͤlcker ihren An-
zug beſchleunigten/ ſo blieb doch das gantze Heer/
ſam̃t denen Fuͤrſten und Kriegs-Haͤuptern mit
aufgeſperreten Augen und begierigem Gemuͤthe
den Ausſchlag zu erfahren unverruͤckt halten.
Der numehr faſt volle Mond erſetzte an dem
heuteren Himmel bey nahe die Stelle der abwe-
ſenden Sonnen. Beyde freudige Kaͤmpfer
tummelten ihre Pferde mit ungemei-
ner Geſchickligkeit/ und hierauf renneten ſie wie
ein Blitz gegeneinander. Der Gefangene traf
mit ſeiner Lantzen den Deutſchen an die rechte
Huͤfte/ dieſer aber jenen auf die Bruſt. Jedoch
ſaſſen ſie beyde ſo wol zu Pferde/ daß ehe einer ſich
aus dem Sattel bewegte/ beyde Lantzen in Stuͤ-
cke ſprungen. Augenblicks wendeten ſie ſich/
und ergriff der Roͤmer einen Wurff-Spieß/ der
Deutſche aber einen Streit-Hammer; alleine
der Wurff-Spieß gieng dieſem unter dem lin-
cken Arm durch/ und ob zwar der Deutſche mit
dem Streit-Hammer den Roͤmer an der rech-
ten Achſel erreichte/ wuſte ſich der Roͤmer doch
dem Schlage ſo kuͤnſtlich auszuwinden/ daß ſelb-
ter ohne empfindliche Beſchaͤdigung abging.
Ja er ſpannte mit ebenmaͤſſiger Geſchwindig-
keit ſeinen Bogen/ und ſchoß ruͤckwerts auf ſei-
nen Verfolger ſo gerade/ daß/ wenn ſelbter mit
dem Schilde den Pfeil nicht aufgefangen/ ohne
Verwundung derſelbte ſeinen Flug nicht wuͤrde
vollendet haben. Jnzwiſchen hatten beyde ſchon
ihre Schwerdter entbloͤſſet/ und fielen einander
als zwey junge Loͤwen an; iedoch wuſte ein ieder
des andern Streiche mit ſolcher Geſchickligkeit
zu begegnen/ daß bey einer halben Stund die Zu-
ſchauer nichts minder verwundernd als zweifel-
haft blieben/ auf welche Seite noch endlich der
Sieg ausſchlagen wuͤrde. Endlich geluͤckte dem
Deutſchẽ ein heftiger Streich des Roͤmers Pferd
an Hals/ wovon ſelbtes ſich kollernd in die Hoͤhe
lehnte/ in einem Augenblicke zuruͤcke ſchlug/ und
der Gefangene/ weil es zugleich einẽ kleinẽ Gra-
ben traf/ durch einen heftigen Fall unter das
Pferd zu liegen kam. Der Deutſche ſprengte bey
dieſem Zufall etliche mal umb ſeinen Feind rings
umb her/ und nach dem er an ſelbtem keine Be-
wegung ſahe/ ritt er gegen dem Feld-Herrn/ be-
zeigte ſelbtem eine tieffe Ehrerbietung/ ihm
gleichſam fuͤr den verſtatteten Kampf demuͤtigen
Danck erſtattend/ und rennte Spornſtreichs
dem vorangegangenen Vortrabe nach. Etli-
che der nechſten Zuſchauer aber ſprangen zu dem
Gefallenen/ zohen ihn unter dem ſchon halb-tod-
ten Pferd herfuͤr/ oͤfneten ihm den Helm/ wurden
aber kaum einigen Lebens an ihm gewahr. Fuͤrſt
Jubil/ der unter den Fuͤrſten dieſem Falle der
nechſte war/ und aus dieſem Kampfe ihn nicht
wenig zu ſchaͤtzen angefangen/ befahl alſobald
ihm den Harniſch zu luͤften/ und durch Eroͤfnung
der Kleider ihm Luft zu machen. Als dieſes er-
folgte/ wurde man aus den Bruͤſten gewahr:
daß es ein Frauen-Zimmer war. Hier zu kam
nicht nur der Feldherr und andere Fuͤrſten zu
ihrer hohen Verwunderung; ſondern ſie er-
ſtaunten auch noch mehr/ als der andere hi erzu
gelauffene Gefangene ihm fuͤr Verzweifelung
Erſter Theil. Edie
[34]Erſtes Buch
die Haare ausrauffte/ und nebſt anderer jaͤm-
merlicher Verſtellung/ welche auch einen Seel-
loſen Stein zur Erbarmnuͤs haͤtte bewegen koͤn-
nen/ mehrmals die Worte: O ungluͤckſelige
Koͤnigin! ausrief. Unterdeſſen ward man ge-
wahr/ daß ihr das Hertz und der Puls noch et-
was ſchlug/ ja als der andere Gefangene ſie mit
etlichen bey ſich habenden Balſamen beſtrich/
fieng ſie wieder an zu athemen. Woruͤber ſein
Antlitz und Geberden zwar nicht geringe Freu-
de/ zugleich aber auch eine Reue an Tag gaben:
daß der uͤbermaͤſſige Schmertz die Schrancken
der Verſchwiegenheit uͤberſchritten/ und das
Geheimnuͤs ihres Standes entdecket hatte.
Hertzog Herrmann und die andern Fuͤrſten
haͤtten bey ſo ſeltzamer Begebenheit nicht unter-
laſſen/ von dem Gefangenen die eigentlichere
Beſchaffenheit/ und was fuͤr Zufaͤlle dieſe frem-
de Koͤnigin in Deutſchland gebracht haͤtten/ ge-
nau zu erforſchen/ wenn nicht ein Ritter mit
gantz verhaͤngtem Zuͤgel und keuchendem Pfer-
de gerennt kommen waͤre: und ihnen ange-
deutet haͤtte/ daß eine Meilweges von dan-
nen eine Menge Roͤmiſcher Reiterey den
Vortrab aus einem verborgenen Winckel an-
gefallen/ Segeſthes/ welcher/ dem Verlaß nach/
unter dem Scheine den Feind zu verkundſchaf-
ten voran gegangen war/ mit ſeinen bey ſich ha-
benden Grafen und tauſend Kriegs-Knechten
ſich zum Feinde geſchlagen/ und die Deutſchen
mit angefallen habe. Hiemit befahl der Feld-
herr: daß die Koͤnigin nebſt dem andern Ge-
fangenen in ſein unentferntes Schloß Deutſch-
burg gefuͤhret/ ihrer auch auffs ſorgfaͤltigſte ge-
pfleget werden ſolte. Dem Jnguiomer und Ar-
pus vertraute er das Groß des Heeres/ dem Ju-
bil und Ganaſch den Hinterhalt mit moͤglichſter
Geſchwindigkeit auf den Kampffplatz zu ſtellen.
Er aber/ umb nicht allein der erſten Unordnung
zu begegnen/ ſondern fuͤrnemlich den Stand und
die Beſchaffenheit des feindlichen Heeres ſelbſt
zuerkieſen/ nahm nebſt ſeinen hundert Grafen
tauſend Edelleute und Pferde zu ſich/ welchen
ſo viel Kriegs-Leute zu Fuſſe/ die ſie zu ihren Leib-
Schuͤtzen erkieſet hatten/ und wenn ſie nur ſich
mit einer Hand an die Meenen der Pferde an-
hielten/ ihnen auch in volle[m] Rennen gleich
lieffen/ und dieſer Geſchwindigkeit halber mit
leichten Schilden aus Weiden-Holtze/ die ein
ei erner Ring umbſchloß/ mit Helmen aus Leder
und nur mit Eiſen geſpitzten Lantzen geruͤſtet
waren/ und eilte ſeinem Vortrab moͤglichſt nach.
Als er nahe den halben Weg biß dahin hinter
ſich gelegt/ ward er verſtaͤndigt: daß Segimer
den Roͤmiſchen Hauffen/ welcher ihn uͤberfal-
len/ nechſt dem abtruͤnnigen Segeſthes zuruͤck
gejaget haͤtte/ hiermit aber in dem Deutſchmeye-
riſchen Thale/ bey dem Flecken Falckenburg auf
das gantze Roͤmiſche Heer verfallen waͤre. Sie
haͤtten eine groſſe Menge Wagen und Kriegs-
Geraͤthe bey ſich/ es waͤren durch den Forſt
eine groſſe Menge der dickeſten Baͤume umb-
gehauen/ und die Moraͤſte mit Bruͤcken be-
legt zu ſehen; dahero habe es das Anſehen: daß
die Roͤmer ihr Lager gaͤntzlich verlaſſen/ und ſich
zwiſchen die Weſer und die Aeder an die Feſtung
Cattenburg haͤtten ziehen wollen. Muͤſte alſo
ihr Anſchlag durch den Segeſthes vorhero gaͤntz-
lich verrathen worden ſeyn. Der Feldherr/
welchem dieſe Meynung der Wahrheit ſehr
aͤhnlich ſchien/ fertigte alſobald einen Edelmann
an den Hertzog Jubil ab/ und befehlichte ihn/
daß er mit dem groͤſſeſten Theile des Hinter-
halts ſich gegen Sud-Oſt ablencken/ und dero-
geſtalt dem Feinde nicht allein den Paß abzu-
ſchneiden/ ſondern ihm mit Gelegenheit gar an
die Seite oder in Ruͤcken zu fallen trachten ſolte.
Seinem Kriegs-Volcke aber ſprach er bey dieſer
verlautenden Flucht der Roͤmer ſo viel mehr
ein Hertz zu/ und hielt ihnen fuͤr: daß ein furcht-
ſames Heer nur geſchlagen/ nicht uͤberwunden
werden doͤrfte; weil es von ſeiner eigenen Ein-
bildung ſchon uͤbermannet/ ieder Ruff des Fein-
des ſchon fuͤr ein Siegs-Geſchrey/ ſeine eigene
Be-
[35]Arminius und Thußnelda.
Bewegung aber fuͤꝛ eine Flucht gehalten wuͤrde.
Ja wer auch nur an dem Siege zweiffelte/ der
fuͤchte nicht/ ſondern verſetzte nur die feindlichen
Streiche ohne einigen behertzten Angriff; und
alſo raͤumte er insgemein das Feld/ nicht weil
er es verſpielet/ ſondern weil er es verſpielt zu
haben aus Schrecken glaubete. Hierauff ge-
riet Hertzog Herrmann gleich zu hoher Zeit auf
die Wahlſtatt/ allwo der Vortrab die Macht
des gantzen Roͤmiſchen Laͤgers mit unausſprech-
licher Tapfferkeit ſchon eine Stunde auffgehal-
ten hatte. Welches an ſich ſelbſt unmoͤglich
geweſt waͤre/ wenn nicht Hertzog Segimer
ſich des Vortheils der daſelbſt vermengten Thaͤ-
ler/ Berge und Waͤlder bedienet/ und an einem
engen Furthe/ allwo die Roͤmiſchen Legionen
ſich nicht voͤllig auff ihn ausbreiten konten/
Fuß geſetzt haͤtte. Catumer und Seſitach
thaͤten mit ihren jungen Edelleuten Wunder-
wercke von Tapfferkeit/ Segimer aber wie-
ſe alle Kuͤnſte eines erfahrnen Feld-Haupt-
manns. Herrmann wahrnehmende: daß es
wegen dieſes Vortheils mit dem Segimer kei-
ne Noth hatte/ ſuchte ihm einen andern Weg/
durch ein Geſtrittig an den Feind zu kommen/
um des Segimers Hauffen ein wenig Lufft
zu machen/ und hatte das Gluͤcke auff des
Qvintilius Varus Leibwache zu treffen/ wel-
che Lucius Eggius anfuͤhrte. Beyde erkenn-
ten einander an ihrer Ruͤſtung/ und dahero
drangen ſie gegeneinander mit Gewalt durch/
um an einander zu kommen. Denen ihri-
gen befahlen ſie/ daß ſie nicht hauen/ ſondern
nur ſtechen/ und inſonderheit nach dem Ant-
litze zielen ſolten. Herrmann und Eggius
fochten gegeneinander wie zwey wuͤtende Pan-
terthiere. Nachdem aber weder Lantzen noch
Schwerdter einem unter ihnen einigen Vor-
theil uͤber den andern verleihen wolten/ ſpreng-
te Herrmann an den Eggius hart an/ umar-
mete ihn ſo feſte/ daß ſie beyde zur Erden fie-
len. Ob nun zwar Herrmann oben zu lie-
gen kam/ war doch die Menge der Roͤmer/ ſo
dieſem Roͤmiſchen Heerfuͤhrer zu huͤlffe kamen/
ſo groß daß Herrmañ den unter ſich gebrachten
Eggius verlaßen/ und zu Fuße wider tauſend
Lantzen uñ Degen ſich vertheidigen muſte. Fuͤrſt
Adgandeſter/ welcher der Oberſte unter denen
Grafen oder Gefaͤrthen des Feldherrn war/
die/ wie bey den Galliern die ſo genannten
Soldurier aus dem Kerne des Adels von de-
nen Deutſchen Fuͤrſten nichts minder im Frie-
de zur Pracht und allen fuͤrnehmen Hoffaͤm-
tern/ als im Kriege zu ihrer Leibwache pflegen
erkieſet zu werden/ ward dieſer dem Feldherrn
zuſtoſſenden Gefahr inne. Weil nun dieſer
Gefaͤrthen Pflicht iſt/ daß/ wie ihr Hertzog oh-
ne Schimpff keinen es ihm darff an Tapffer-
keit zuvor thun laſſen/ alſo ihnen eine nicht ge-
ringere Schande ſey/ des Fuͤrſtens Tugend
nicht gleiche kommen/ ja ein unausleſchliches
Brandmahl ihres gantzen Lebens/ ohne den
Hertzog lebendig aus der Schlacht kommen;
Weßwegen ſie auch auff dem Helme einen
kohlſchwartzen Federpuſch fuͤhren; ſo drang
er nicht alleine durch das Gedraͤnge der Roͤ-
mer verzweiffelt durch/ ſondern ermunterte
auch durch ſein Beyſpiel noch dreißig andere
Ritter/ welche wie der Fuͤrſt fuͤr den Sieg/ al-
ſo ſie fuͤr ihren Fuͤrſten zu ſtreiten/ und ihm alle
ihre Heldenthaten zuzueignen verbunden/ und
wenn nur einer fuͤr dem andern Ehre einle-
gen kan/ dem Tode ſelbſt das blaue in Augen zu
ſehen gewohnt ſind. Dieſe machten durch ihre
gleichſam blitzende Streiche/ deren ieder faſt ei-
nem Roͤmer das Licht ausloͤſchte/ dem Feldherrn
ein wenig Lufft/ und Adgandeſter/ welcher
ihm mit ſeinem Schilde viel Streiche abgeleh-
net/ hingegen ſelbſt ſieben Wunden hieruͤber be-
kommen hatte/ Raum und Gelegenheit/ daß
Herrmann wieder zu Pferde kommen konte;
indem er ſelbſt von dem ſeinigen abſprang/ und
es ſeinen Feldherrn beſchreiten ließ. Dieſer
war kaum in dieſem Stande/ und der von Ver-
E 2blu-
[36]Erſtes Buch
blutung ziemlich matte Adgandeſter hatte ſich
kaum wieder auff eines erlegten Roͤmers
Pferd geſchwungen; und die uͤbrigen Grafen
an ihren Hertzog gezogen/ als gegen ihnen ein
Ritter in einem gantz verguͤldeten Harniſche
und Helme/ den ein Pfauen-Schwantz zier-
te/ nebſt drey tauſend Armeniſchen und Nu-
midiſchen Schuͤtzen/ derer ertztene Helme mit
feuerrothen Federn nach Erfindung der Ca-
rier glaͤntzten/ ihre Pferde aber/ ſo wohl als
ſie/ nach Parthiſcher Art in ſtaͤhlerne Pan-
tzerhemde eingenehet waren/ herfuͤr ruͤckte/
welche die Lufft mit ihren Pfeilen gleichſam
ſchwartz machten; alſo/ daß/ ob wohl der Feld-
herr mit ſeinem Schwerdte keinen vergebe-
nen Streich thaͤt/ daß nicht einer der Feinde
entweder das Leben oder die Kuͤhnheit ſich ihm
zu naͤhern verlohr/ er und ſeine Helden rings
umher mit Feinden umringt waren. Ja/
was noch aͤrger/ ſo hatte Segeſthes den Roͤ-
mern welche gleichſam zwiſchen dem Walde
und einer See vorhin eingeſperret waren/
durch den Sumpff einen Furth gewieſen; als
ſie ſo wohl dem Feldherrn als dem Vortra-
be in Ruͤcken kamen. Anbeyden Orten ſtand
es ſchon auff der euſſerſten Spitze/ und die
Noth war recht an Mann kommen; Fuͤrſt
Catumer war in einen Arm/ Fuͤrſt Seſitach
an die lincke Huͤffte verwundet; von des Feld-
herrn hundert Grafen hatte mehr als die helf-
te ins Graß gebiſſen/ und von ſeinen zwey
tauſenden war mehr als das vierdte Theil er-
legt. Eggius fuͤhrte an einer/ und der Arme-
ni[ſ]che Fuͤrſt Zeno an der andern Seite mit ſte-
ter Abwechſelung friſcher Voͤlcker die ihrigen
nichts minder mit Worten/ als mit ihrem
Beyſpiel auff die Deutſchen an/ welche gleich-
wohl wie Mauern ſtunden/ als Jngniomer
und Arpus mit dem Groß des Heeres anka-
men/ und die ihrigen/ ſo von der Menge der
Roͤmer/ Armenier/ Numidier/ Nemeter/
Vangionen/ Gallier und Cretenſer uͤb[e]rman-
net wurden/ entſetzten. Nunmehro gieng
die rechte Schlacht allererſt an/ und das Au-
ge der Welt ſtieg gleich an dem blauen Mor-
gen-Ecke des Himmels auff ſeinen verguͤlde-
ten Wagen empor: womit es einen Zuſchau-
er dieſer blutigen Schlacht abgeben koͤnte.
Der Feldherr/ als er ſich nun dem Feinde ge-
nugſam gewachſen zu ſeyn achtete/ ließ an den
Segimer Verordnung abgehen/ daß er und
ſeine Voͤlcker Fuß fuͤr Fuß zuruͤck weichen/
und dem Feinde Raum und Platz zu einer voͤl-
ligen Schlacht-Ordnung machen ſolte. Wel-
ches er nebſt dem Fuͤrſten Catumer und Seſitach
iedoch dem Feind allezeit die Stirn bietend/
mit ſehr guter Art ins Werck richtete. Der
Feind nahm dieſes fuͤr eine kleinmuͤthige Flucht
auff/ drang an dreyen Orten/ wo nehmlich
der Feldherr und Hertzog Segimer gefochten/
Segeſthes aber den Furth gefunden hatte/
mit aller Gewalt nach/ alſo/ daß weder Qvin-
tilius Varus/ noch Lucius Eggius/ welcher al-
lenthalben das Lob eines vernuͤnfftigen Feld-
Hauptmanns und eines behertzten Kriegs-
Manns verdiente/ die ihrigen zuruͤck halten
konten; weil beyde nicht allein ſahen/ daß das
Roͤmiſche Heer ſich hierdurch aus dem Vor-
theil begab/ ſondern auch/ als Varus und Eg-
gius uͤber dieſen Fluß ſelbſt ſetzen wolten/ beyder
Pferde gleichſam kollernde ſolches zu thun wei-
gerten/ ja ſo gar Thraͤnen aus den Augen fal-
len lieſſen. Bey welcher Begebenheit ſie ſich
erinnerten: daß auff gleichmaͤßige Art die durch
den Fluß Rubico zu ſetzen widerſtrebende Pferde
dem Kaͤyſer Julius den bey nahe begegnen-
den Untergang wahrgeſagt haben. Nach-
dem es aber nicht zu aͤndern war/ und es un-
verantwortlich und noch ſchaͤdlicher ſchien/
die Helffte des Heeres/ welches duͤrch die drey
Wege auff das freye Feld ſchon durchgebro-
chen war/ im Stiche zu laſſen/ muſten ſie aus der
Noth eine Tugend machen/ alſo die rothe Blut-
fan zum Zeichen der Schlacht auffſtecken/ das
gantze
[37]Arminius und Thußnelda.
gantze Heer ihre Segen Aexte/ Ketten/ Grabe-
ſcheite/ Sicheln/ Riemen/ und das auff zwan-
tzig Tage mit ſich genom̃ene zweymal gebackene
Brodt abwerffen und uͤbergehen laſſen/ alſo auf
verwechſelten Pferden folgen/ hierauf auch ſo
gut/ als es die Zeit und der Ort lidte/ in Schlacht-
Ordnung ſtellen. Sintemal fuͤr dismal un-
moͤglich war der Roͤmiſchen Art nach alle Huͤlfs-
Voͤlcker an die Spitze/ die leicht geruͤſteten an
die Stirne der Legionen/ und die alten Kriegs-
Leute zum Hinterhalte zu ordnen. Den rech-
ten Fluͤgel/ welcher von einer Legion/ fuͤnftau-
ſend Nemetern/ Tribozern und Vangionen/
welche allererſt den Abend vorher ins Roͤmiſche
Laͤger ankommen waren/ und ſieben tauſend
Galliern beſtand/ fuͤhrte Lucius Eggius/ Viri-
domar der Vangionen/ und Guͤnterich der Tri-
erer Hertzog. Jm lincken Fluͤgel war eine
Legion Roͤmer/ dreytauſend Thracier/
viertauſend Ubier und Menapier/ acht-
tauſend andere Gallier/ und hatte zu Kriegs-
Haͤuptern den Cejonius/ Rhemetaltzen einen
Fuͤrſten aus Thracien/ den Menapiſchen Fuͤr-
ſten Malorich/ und den Hertzog der Bituriger
Ambigat. Das mittlere Groß hatte andert-
halb Legionen Roͤmer/ zweytauſend Uſipier/ tau-
ſend Caſſuarier/ mit denen Segeſthes uͤberge-
lauffen/ tauſend Juhoner/ zehntauſend Gallier/
worinnen Quintilius Varus/ als oberſter Feld-
herr/ in Perſon/ Segeſthes/ Britomar/ der
Ubier Fuͤrſt/ und Arbogaſt der Mediomatrizer
Hertzog/ oberſte Befehlhaber waren. Die auf
achttauſend Mann ſich belauffende Reiterey
fuͤhrte auf der einen Seite Vala Numonius/
auf der andern Zeno ein Armeniſcher Fuͤrſt.
Hierunter waren zweytauſend Roͤmer/ das an-
dere Trierer/ Armenier und Numidier/ welche
theils mit ihren Pferden gepantzert/ und mit
ſchweren Waffen verſehen waren/ theils aber
nackt und mit bloſſen Bogen geruͤſtet/ auf Pfer-
den ohne Sattel und Zaum ſaſſen/ und noch ein
Bey-Pferd an der Seite lauffen hatten/ von
derer einem auf das andere ſie mit unglaublicher
Geſchwindigkeit zu ſpringen/ und mit einem
Winck der Spieß-Ruthe ſelbte meiſterlich zu
leiten wuſten. Zweytauſend Cretenſiſche Schleu-
derer waren dort und dar zwiſcheneingeſpickt/
welche ſich ruͤhmten: daß von der Heftigkeit
ihres Schleuderns die bleyenen Kugeln in der
Luft zerſchmeltzten/ und ihre Steine alle Harni-
ſche durchdringen. Daß alſo die frembden Huͤlfs-
Voͤlcker/ wider die alte Roͤmiſche Kriegsverfaſ-
ſung/ an Fuß-Knechten mehr als zwey-an Rei-
terey mehr als dreymal die Anzahl der Roͤmer
uͤberſtieg. Hingegen vertraute der Feldherr dem
Jngniomer den lincken/ dem Arpus den rechten
Fluͤgel; Segimer bedeckte mit der Reiterey den
lincken/ und Catumer den rechten Fluͤgel; der
Feldherr ſelbſt fuͤhrte das Groß in der Mitten/
und Hertzog Ganaſch blieb zum Hinterhalte
unter einem Huͤgel ſtehen. Varus aͤnderte das
fruͤh gegebene Wort/ und gab anietzt: die Gluͤck-
ſeligkeit/ Herrman aber: die Freyheit. Die-
ſes ward nur muͤndlich/ jenes aber auf gewiſſen
beſchriebenen Hoͤltzlein herumbgegeben.
Das Treffen begonte nach erlangter Flaͤche
von denen theils an die Spitze geſtellten/ theils
zwiſchen die Fluͤgel eingeſpickten Schleude-
rern; kurtz aber darauff von den erſtern Fahnen
derer dreyfach hinter einander geſtellten Hauf-
fen/ wiewohl ſo wohl auff deutſcher als Roͤmiſcheꝛ
Seiten im rechten Fluͤgel zum erſten. Alleine
die Roͤmer/ welche wegen der in lincken Armen
haͤngender Schilde die Deutſchen auf der Seite
zu bloͤſſen/ und ihnen einen beſondern Vortheil
abzujagen vermeynten/ befunden ſich mercklich
betꝛogen; weil der Feldher in ſeinem lincken Fluͤ-
gel alle die/ welche linckiſch/ oder linck und recht
waren/ geſtellet hatte; welche ihre Schilde alle
in rechten Arm nahmen/ und dadurch die Roͤmer
in ihrem gantzen Gefechte verwirreten. Hertzog
Segimern u. Catumern mochte weder die Mat-
tigkeit von vorigem Kampfe/ noch die empfange-
nen Wunden hindern: daß ſie nicht auf den
E 3Feind
[38]Erſtes Buch
Feind ſo hurtig als vor immermehr loß giengen.
Die Numidiſchen Schleuderer und die Arme-
niſche Reiterey/ welche ihre Pantzer/ umb ihren
Feind zu vielen vergebenen Streichen zu ver-
anlaſſen/ mit baumwoͤllenen Roͤcken verdeckt
hatte/ thaͤte mit ihren Pfeilen und Wurffſpieſſen
ziemlichen Schaden/ weil doch der Catten aus
hanfenen Fadenen geſtrickte und in Eſſig gehaͤr-
tete/ oder hoͤrnerne aus Pferdehuf Schuppen-
weiſe mit Drate zuſammen gemachte Bruſt-
Harniſche und hoͤltzerne Schilde/ nicht wie jener
aus ſtaͤhlernen Ringen gemachte Pantzer und
lederne Schilde den Stich halten wolten/ und
Hertzog Segimer ward von dem Armeniſchen
Fuͤrſten mit einem durch die lincke Achſel ſo hef-
tig verwundet/ daß er aus dem Gefechte ſich zu-
ruͤcke ziehen und ſeinem Sohne Seſitach ſeine
Stelle zu vertreten anvertrauen muſte. Hin-
gegen zertrennete die deutſche Reiterey mit ih-
ren langen Spieſſen die Roͤmiſchen Glieder/
zernichteten mit ihren ſchweren Streit-Ham-
mern die dickeſten Schilde und die aufs beſte ge-
haͤrteten Harniſche. Jhre mit Wiederhacken ge-
ſpitzte Wurff-Spieſſe machten auch die/ welche
gleich an keinem gefaͤhrlichen Orte ver wundet
waren/ zum Fechten unfaͤhig/ weil ſie muſten aus
dem verletzten Gliede geſchnidten werden. Weñ
ſie ſelbte nun in Verwirrung gebracht hatten/
ſprangen ſie von ihren Pferden/ die inzwiſchen
auf ihrer Stelle ſtock ſtille zu ſtehen gewohnt wa-
ren/ ſtachen ihre kurtze Degen theils den Pſer-
den/ theils den Feinden in ihre Baͤuche/ ſchwun-
gen ſich hiermit wieder auf die Pferde/ und bra-
chen an einem andern Orte ein; alſo daß/ wenn
Fuͤrſt Zeno mit ſeinen geſchwinden Armeniern
nicht mehrmals in die Luͤcken geruͤckt/ und den
Roͤmern ſich zu erholen Lufft gemacht haͤtte/ das
Fußvolck bey zeiten wuͤrde bloß geſtanden ſeyn.
Dieſer Held fiel nicht anders als der Blitz bald
dar bald dort ein/ und wie ſehr ſich Fuͤrſt Seſi-
tach bemuͤhete mit ihm anzubinden/ diente doch
ſeine ungewoͤhnliche Landes-Art zu fechten/
ihm gegen dem ſchweren Reiſigen Zeuge zu ei-
nem beſondern Vortheil. Endlich hieng ſich
einer aus denen Cheruskiſchen Edelleuten an
ihn/ welcher eine leichte mit guͤldenen Blumen
beſtreuete Ruͤſtung fuͤhrte; alſo/ daß Zeno ihm
endlich ſtand halten muſte/ oder ſich vielmehr
freywillig wider ihn ſetzte/ als er ſahe/ daß ein ei-
niger Ritter ihm ſo auf den Hals gieng; umb zu
bezeugen/ daß ſeine vorige geſchwinde Abwech-
ſelungen nicht eine verzagte Flucht/ ſondern eine
vortheilhaftige Krieges-Art geweſen. Dieſe
zwey rennten mit ihren Lantzen ſo heftig anein-
ander/ daß die Stuͤcke davon in die Luft flogen/
und fingen mit ihren Degen ſo einen hitzigen
Kampf gegeneinander an/ daß die umb ſie her-
umb fochten/ und auf die Streiche ihres eigenen
Feindes genungſam Achtung zu geben hatten/
deñoch ein vorwitziges Auge auf dieſe zwey Kaͤm-
pfer warffen; gleich als wenn an ihrem Siege
und Verluſt auch eines oder des andern Theils
Verderben oder Wolfarth hienge. Als nach
langem Gefechte der Armeniſche Printz wahr-
nahm/ daß wegen des Deutſchen Hurtigkeit und
Vorſicht mit dem Degen nichts auszurichten
waͤre/ warff er ſein Pferd herumb/ rieß einem
Armenier einen Wurff-Spieß aus/ und nach
dem der Deutſche einem andern/ der ihn auf der
Seite anfiel/ einen Streich verſetzen muſte/ warf
Zeno ſelbten ſo gluͤcklich/ daß er dem Deutſchen
den Schenckel verwundete/ und in den Bauch
des Pſerdes ſo tief hinein drang/ woruͤber Mann
und Pferd zu Boden ſtuͤrtzten. Hieruͤber wur-
den die Armenier ſo hochmuͤthig/ als wenn durch
dieſen gluͤcklichen Streich der voͤllige Sieg er-
langet waͤre/ die Deutſchen aber ſo erbittert/ als
wenn Zeno den Feld-Herrn ſelbſt erleget haͤtte.
Und hiermit gieng das Schlagen aufs neue mit
zweyfachem Eifer an. Der Gefallene konte
wegen empfangener Wunde von der Erde nicht
empor kommen. Seſitach thaͤt zwar das aͤuſerſte
ihm aufzuhelffen; das Gedraͤnge aber war umb
ihn ſo groß/ und Zeno traf mit einem andern
Wurff-
[39]Arminius und Thußnelda.
Wurf-Spieſſe des Seſitach Pferd/ daß ſelbter
unter ſeine Grafen zuruͤck weichen muſte. Jn-
zwiſchen waͤre der Gefallene numehro der Ra-
che der wuͤtenden Feinde aufgeopfert worden/
wenn nicht zu ſeinem Gluͤcke ein Pferd ihm den
Helm vom Haupte getreten/ und hiemit dem
Fuͤrſten Zeno das ſchoͤnſte Antlitz unter der Son-
nen ins Auge geworffen haͤtte. Dieſer ward
hieruͤber gantz erſtarrend/ nicht anders als wenn
ihm das Haupt der Meduſen ins Geſichte ge-
fallen waͤre. Bald aber erholte er ſich/ und ver-
bot den Seinigen alle fernere Beleidigung/ be-
fahl auch den Verwundeten alſofort aus dem
Treffen wegzufuͤhren. Unterdeſſen hatte Se-
ſitach ein friſches Pferd beſtiegen/ und kam nun
ſich an den Zeno aufs neue zu machen/ als er des
Hertzog Herrmanns wunderſchoͤne Schweſter/
die unvergleichliche Jßmene verwundet und in
den Haͤnden des Feindes ſahe. Denn dieſe
Fuͤrſtin hatte ſich ihrer Landes-Art nach nebſt
etlichen andern Frauenzimmern dem Kriegs-
Heere mit unkentlicher Ruͤſtung eingemiſchet.
Jßmene! Jßmene! rief er/ aus gantzen Kraͤf-
ten/ und ſprengte damit auf die/ welche ſie gefan-
gen fuͤhrten/ zu. Alleine der Hertzog aus Ar-
menien/ der numehr allererſt von ſeinem Feinde
erfuhr/ was fuͤr ein Kleinod in ſeine Haͤnde ver-
fallen waͤre/ begegnete ihm mit unglaͤublicher
Gegenwehr/ alſo daß Jßmene aus den Augen
dieſes Fuͤrſten gerieth/ und denen Deutſchen ſie
zu erloͤſen alle Hoffnung entfiel. Es war nicht
anders/ als weñ Eris einen neuen Zanck-Apfel
zwiſchen dieſe zwey Helden geworffen/ und ſelb-
ten dem Uberwinder zum Siegs-Preiſe aufge-
ſetzt haͤtte. Sie fielen einander ſo raſend an/
gleich als wenn ſie aus Mutter-Leibe gegenein-
ander Tod-Feindſchafft gebracht haͤtten. Weil
aber Seſitach numehro gantzer ſechs Stunden
gefochten hatte/ ihn auch die empfangene
Wunde nicht wenig im Fechten hinderte/ wuͤr-
de er/ und mit ihm die deutſche Reiterey auf ſel-
biger Seiten/ dieſen hurtigen Feind kaum laͤn-
ger beſtanden haben/ wenn nicht Hertzog Ga-
naſch auf Verordnung des Feld-Herrn/ durch
die in der Schlacht-Ordnung zwiſchen ieden
dreyen Fahnen gelaſſene Straſſen/ mit einem
Theile ſeines Hinterhalts ihnen zu Huͤlffe kom-
men waͤre. Seſitach hatte von den Wurff-
Spieſſen des Zeno numehr das andere Pferd
verlohren/ und muſte ſich zu Fuſſe gegen ihm ver-
theidigen/ als der Chauzer Hertzog ihn mit dem
Degen in der Fauſt abloͤſete. Ehe nun Zeno
ſein recht inne ward/ hieb Ganaſch ihm den Zuͤ-
gel am Pferde entzwey/ und nach dem er derge-
ſtalt ſich nicht wenden konte/ verſetzte ihm Ga-
naſch mit einem ſchweren Streit-Hammer ei-
nen ſo harten Schlag ruͤckwerts aufs Haupt/
daß er gantz ertaͤubet auff den Erd-Boden
fiel. Die Armenier verlohren mit dieſem Schla-
ge auch all ihr Hertz/ meynende: daß ihr Fuͤrſt
entweder von ſelbtem entſeelet/ oder doch von de-
nen uͤber ihn ſprengenden Pferden zertreten ſey.
Hiemit fingen ſie an gegen die friſchen Voͤlcker
des Ganaſch laulichter zu fechten und endlich
die Flucht zu ergreiffen/ alſo/ daß die Roͤmiſche
Reiterey/ ungeachtet ſelbter der zum Hinterhalt
ſtehende Fluͤgel von eitel alten Rittern zu huͤlffe
kam/ auch nicht laͤnger den Anfall der Deutſchen
aushalten konte/ und auf ſelbiger Seiten ihr
Fuß-Volck gantz bloß ſtehen blieb/ den Armeni-
ſchen Fuͤrſten aber in den Haͤnden des Hertzog
Ganaſches lieſſen.
Ehe dieſe Begebenheiten ſich auf dieſer Sei-
ten dergeſtalt zugetragen hatten/ waꝛ Fuͤꝛſt Catu-
mer ſchon auf der andern Seiten der Roͤmiſchen
Reiterey Meiſter worden. Deñ dieſe war gegen
die Deutſche ſolangſam/ daß die Roͤmiſchen Rei-
ter Fußgaͤnger zu ſeyn/ die Deutſchen aber ſich
alleine auf Pfeꝛden zu bewegen ſchienen. Daheꝛo
ward Vala Numonius von des Cattiſchen Fuͤr-
ſten Lantze auf der rechten Seiten verwundet/
die Roͤmiſchen und Trieriſchen Glieder von dem
Deutſchen Adel durchbrochen/ worauf er zum
erſten die ſchimpflichſte Flucht ergriff. Ja der
Deut-
[40]Erſtes Buch
Deutſchen Tapfferkeit hatte ihm eine ſolche
Furcht eingejagt/ daß er nicht naͤher als am
Rheinſtrome ſichern Stand zu finden trauete.
Hingegen fochten Eggius/ Viridomar und
Guͤnterich im rechten Fluͤgel zu ihrem unſterb-
lichen Ruhme und des Numonius Schande
deſto hertzhaffter. Denn die Vangionen und
Trierer hatten zwar durch Verſetzung ih-
res Sitzes in Gallien einen gelindern Himmel
erkieſet/ auch durch lange Gewohnheit mit den
Roͤmern umzugehen und mit ihnen ſich zu be-
freunden/ faſt alle Liebe des alten Vaterlands
verlernet/ gleichwohl aber groͤſten theils ihre
deutſche Tapfferkeit behalten. Und Lucius
Eggius war ſonder Zweiffel der Ausbund der
Roͤmiſchen Kriegs-Oberſten; welcher uͤber des
Qvintilius Varus Uppigkeiten offters ſein
Mißgefallen bezeugt/ und von der anfaͤlligen
Seuche ſo vieler Wolluͤſte nicht angeſteckt wor-
den war/ ſondern mit den alten Roͤmiſchen Sit-
ten auch die Kriegs-Zucht bey ſeinem Volcke/
ungeachtet des Varus Nachlaͤßigkeit/ unverſeh-
ret behalten hatte. Dieſer hielt ſelbtem nicht al-
lein ein: Sie haͤtten dreymahl ſo viel Pannoni-
er und Dalmatier erlegt/ und noch keinem
Feinde den Ruͤcken gekehret. Dieſer Barbarn
gantze Macht beſtuͤnde an dem erſten Ungeſtuͤm-
me/ welches keinen Beſtand haͤtte/ ſondern
wenn nur der erſte Anfall behertzt uͤberſtan-
den waͤre/ Anfangs ſich in Traͤgheit/ hernach
in knechtiſche Kleinmuth verwandele. Er wol-
le bey ihnen Gut und Blut auffſetzen/ und die-
ſen Tag entweder todt ſeyn/ oder den alten Preiß
der Roͤmiſchen Waffen behaupten; ſondern ſein
Thun diente auch denen Behertzten zu einem
Beyſpiel/ denen Verzagten zu einer Auff-
munterung. Uberdiß hatte Eggius in das
erſte Glied der voͤrderſten Kriegs-Hauffen
meiſtentheils alte ausgediente freywillige Roͤ-
miſche Rittersleute geſtellet/ und ihnen zu
Hauptleuten ſo gar Raths-Herren zugeordnet;
wie die Roͤmer nur in aͤuſerſten Nothfaͤllen zu
thun pflegeten. Jngniomer hingegen ward
durch der gluͤcklichen und tapferer Leute Ge-
muͤths-Regung/ nemlich einen Loͤbswuͤrdigen
Ehr-Geitz zu ungemeinen Helden-Thaten an-
gereitzt/ umb zu erweiſen/ daß auch er der ober-
ſten Feldhauptmannſchafft wuͤrdig geweſt waͤre.
Er ſelbſt begegnete den kuͤhneſten Feinden zum
erſten/ lobte die Seinigen/ welche ſich ritterlich
hielten/ ſchalt die Kleinmuͤthigen/ troͤſtete die
Verwundeten/ und halff den Gefallenen auff.
Eggius/ welcher die Seinen dort und dar ein-
buͤſſen und in Unordnung bringen ſahe/ ver-
wandelte ſeine Hertzhaftigkeit in ein Wuͤtten.
Denn als er einen Hauptmann fuͤr einem
Deutſchen zuruͤck weichen ſahe/ ſtieß er ihm ſelbſt
den Degen in Leib/ rieß ihm den Schild vom
Arme/ und war an den gefaͤhrlichſten Orten
ſtets der foͤrderſte. Als auch dis nichts verfan-
gen wolte/ ſeine Roͤmer hertzhaft zu machen/
warff er das Kriegs-Zeichen des Drachens mit-
ten unter die Feinde. Durch welches Mittel
die Roͤmer mehrmals ihre gantz zertrenneten
Heere wieder in Stand gebracht; weil ſie nicht
alleine zu dieſen Bildern zu ſchweren/ ſie in Fey-
er-Tagen einzubalſamen/ und den Goͤttern
gleich zu verehren/ ſondern auch die/ welche ſie in
der Schlacht einbuͤſſen/ mit Rutten zu peitſchen
und zu enthaupten pflegen. Dieſe Erfindung
verurſachte zwar keine geringe Veraͤnderung
in dem Streite der Roͤmer/ welche freylich wol
noch einen verzweifelten Anſatz thaͤten; weil
aber Vala Numonius die Flucht ergriffen hat-
te/ und Catumer mit einem Theile ſeines reiſigen
Zeuges/ welcher nicht den Feind verfolgte/ auf
der Seite in den rechten Fluͤgel einbrach/ warff
er alle gute Verfaſſung des Eggius vollends
uͤber einen Hauffen/ und rieß dem Caſca die er-
ſte Fahn/ darauf ein Wolff gebildet war/ zu
groſſem Schrecken der Roͤmer aus den Haͤnden.
Viridomar wolte gegen ihm die Ordnung er-
halten/ er ward aber zu Boden gerennt/ und von
Pferden ertreten. Den Fuͤrſten Guͤnterich
ſchlug
[41]Arminius und Thußnelda.
ſchlug Catumer mit einem Streit-Hammer ſo
heftig/ daß ihm Gehoͤre und Geſichte verging/
und ſtieß ihm den Degen unter dem Pantzer in
Leib/ daß er daruͤber ſeine Seele ausbließ. Hier-
mit gediegen die Deutſchen biß in das Mittel
der Legion/ und waren gleich einem Ameißhauf-
fen umb den Roͤmiſchen Adler zu erobern beaͤm-
ſigt. Eggius und die Streitbarſten drangen
den Jhrigen allhier zu Huͤlffe/ und es mochten
weder Spieſſe/ noch Hacken/ noch Schwerdter
ihnen den Weg verſchrencken; gleich als mit
dieſem Fahne das Schutz-Bild des Roͤmiſchen
Reichs vertheidigt werden ſolte. Kein Roͤmer
wiech hier einen Fuß breit zuruͤcke/ ſondern ſie
fielen von der Menge ihrer Feinde Gliederwei-
ſe/ wo ein ieder geſtanden war; und in eines ie-
den erlegten Luͤcke trat alſobald ein ander in die
Stelle; alſo daß die Streitenden numehr nicht
auf der Erden/ ſondern denen todten Leichna-
men ihren Kampf-Platz hatten. Jnguiomer
ſelbſt/ weil er wol ſahe/ daß am großmuͤthigen
Eggius das Haupt-Werck des Sieges gelegen
war/ machte ſich an ihn. Dieſer fochte wie ein ver-
zweifelter Loͤwe/ welchem man ſeine jungen rau-
ben wil/ und jenem hatte die Begierde eines ſo
treflichen Feindes Meiſter zu werden Muth
und Kraͤfften vergroͤſſert. Jedoch konte ſo
groſſe Heftigkeit in die Laͤnge nicht austauren.
Eggius hatte zwar einen Uberfluß von Muthe/
aber endlich Mangel an Kraͤften/ und er konte
kaum mehr athmen/ oder die Glieder ruͤhren/ als
Jnguiomer ihm einen ſo heftigen Streich ver-
ſetzte/ daß mit der Hand ihm auch ſein Schwerdt
entfiel. Alſobald ſtieß er ihm den Degen durch
die Gurgel. So ungluͤcklich verging dieſer
Ausbund der ſtreitbarſten Roͤmer/ wo anders
ein hertzhafter Tod nicht fuͤr eine allgemeine/ dis
aber/ daß er keinen Roͤmiſchen Adler noch in den
Haͤnden des Feindes ſahe/ fuͤr ſeine abſondere
Gluͤckſeligkeit zu achten war. Kein Donner-
Schlag/ der einen gantzen Thurn zu Boden
wirfft/ kan groͤſſeres Schrecken verurſachen/
als die Niederlage dieſer Roͤmiſchen Seule.
Mit ſeinem Falle entfiel auch den Streitbar-
ſten der Muth/ und die Hoffnung ihrer Erhal-
tung. Denn wie die einem Heerfuͤhrer zu-
ſtoſſende Gefahr eine nicht geringe Urſache des
Sieges abgibt/ weil ieder ihn zu erhalten ſeine
aͤuſerſte Kraͤften anſtreckt; alſo iſt der Tod deſ-
ſelben auch die wichtigſte Urſache der Nieder-
lage/ weil mit ſeinem Leben iedem ſchier das
Hertze entfaͤllt. Der Fendrich/ als er kaum
noch eine Handvoll ſeiner Vertheidiger umb
ſich ſahe/ umbarmete den ihm anvertraueten
Adler/ und ſtach ihm ſelbſt den Degen in die
Bruſt. Denn was haͤtte eines Roͤmers Leben
fuͤr ein aͤrgerer Schandfleck angebrennt wer-
den koͤnnen/ als daß ihm der erſte Roͤmiſche
Adler in Deutſchland waͤre abgenommen wor-
den? Jnguiomer ergriff nun ſelbſt den Adler/
Catumer aber rieß faſt eben zu einer Zeit einem
Gallier ihre Kriegs-Fahne/ auf welcher ein
Hahn ſtund/ aus/ und wie dieſen uͤberwunde-
nen Huͤlffs-Voͤlckern weder die Ruhms-noch
Siegs-Begierde/ ſondern die Noth ihres Zu-
ſtandes die Waffen in die Hand gegeben hatte/
alſo vermochten ſie ſo wenig ietzt/ als vorhin
iemals der Deutſchen Tapferkeit die Waage
zu halten. Dahero ſuchten ſie ihr Leben/ als
ein beſonder Geſchencke des Verhaͤngnuͤſſes
durch eine offene Flucht zur Ausbeute davon
zu bringen. Sintemal die Roͤmer ihre
Bunds-Genoſſen ſtets an die Spitze zu ſtel-
len/ und mit der eroberten Laͤnder Blute
die Benachbarten zu uͤberwinden gewohnt
waren.
Jm lincken Fluͤgel lieff das Spiel nichts
gluͤcklicher. Rhemetalces hatte mit ſeinen
Thraciern zufoͤrderſt dem erſten Sturme der
Deutſchen zu begegnen erwehlet. Jhr erſtes Ge-
ſchoß/ ehe ſie zu den Schwerdtern griffen/ waren
Pfeile und leichte Wurff-Spieſſe. Daher/
wenn das erſte Glied ſich verſchoſſen hatte/ es
ſich biß zur Erde buͤckte/ und ſo auch das andere
Erſter Theil. Fund
[42]Erſtes Buch
und dritte/ biß das vierdte Glied auch ſein Ge-
ſchoß anbracht; da denn die foͤrderſten Glie-
der/ welche unter deß ihre Bogen ſpanneten/
wieder den Anfang machten. Alleine die
Deutſchen drangen mit ihren langen Spieſſen
den Thraciern bald ſo nahe auf den Hals/ daß
ſie ihr Geſchoß nicht laͤnger brauchen konten/ biß
die Roͤmer/ welche uͤberaus verbittert wurden/
daß die jungen Cattiſchen Edelleute/ neben dem
deutſchen rechten Fluͤgel/ an ihrer Pferde Haͤlſe
zu zwey und drey Feindes-Koͤpfe henckten/ durch
Zuſammenruͤckung ihrer Hauffen/ in dem an-
fangs ieder Kriegsmann rings um ſich her ſechs
Schuch/ numehr aber nur drey Schuch lang
Platz hatte/ denen Thraciern neuen Platz mach-
ten. Dieſe gebrauchten ſich darauf einer neu-
en Kampf-Art/ ſteckten auch ein neues Kriegs-
Zeichen auf/ nemlich einen Drachen/ deſſen ſil-
berner Kopf mit offenem Rachen die Zaͤhne
blaͤckte/ und/ wenn der Wind hinein gieng/
ziſchte/ der uͤbrige hinausgehende Leib aber recht
nach der eigentlichen Beſchaffenheit der Dra-
chen gemahlet war. Welches denen Catten
anfangs ſeltzam und zaͤuberiſch fuͤrkam. Jhre
Art zu kaͤmpfen gleichte ſich dem Blitze/ weil
ſie ſo fertig auf den Feind loß giengen/ und ſelb-
ten durch Pfeile und Wurff-Spieſſe beſchaͤ-
digten/ im Augen-Blicke ſich aber auf die Sei-
ten zertheilten/ und hinter die geſchloſſenen Hauf-
fen der Roͤmer wider ſetzten. Alleine Hertzog
Arpus und ſeine Catten gewohnten alſobald
beyder Neuigkeiten/ lieſſen ſich alſo nichts irre
machen/ ſondern durchdrangen die Roͤmiſchen
Glieder/ verbeugten den Thraciern mehrmals
an den Straſſen der Roͤmiſchen Schlacht-
Ordnung den Weg/ alſo/ daß wenn nicht Fuͤrſt
Rhemetalces ſeine Voͤlcker wieder zuſammen
gerafft/ und durch unzehlbare friſche Anfaͤlle
den Deutſchen zu thun/ den Roͤmern Luft ge-
macht haͤtte/ dieſer Fluͤgel in kurtzer Zeit wuͤrde
zertrennet worden ſeyn. Zumal der Graf von
Solms das Gluͤcke hatte/ im erſten Treffen den
Roͤmiſchen Oberſten Panſa zu toͤdten/ welchen
damalige zwey Monate die Reye traf/ uͤber dieſe
Legion und die fuͤnf andern Oberſten zu gebieten.
Denn denen Menapiern und Biturigern ſchie-
ne der Streit ein ſchlechter Ernſt zu ſeyn/ als
welche ungewiß waren/ ob der Roͤmiſche Sieg
oder Verluſt ihnen eine Erleichterung ſchaffen/
oder groͤſſere Buͤrde aufweltzen wuͤrde. Ja ſie
waren in ihrem Gewiſſen uͤberzeugt/ daß die
Gallier ihre Freyheit in ſieben Jahren mit
minderem Schimpf verlohren/ als ſie ſich gegen-
waͤrtig wider die Vertheidiger der Deutſchen
Freyheit haͤtten zu fechten gebrauchen laſſen.
Dahero/ wie gegen angedraͤuete Dienſtbarkeit
am blutigſten und am gerechteſten gefochten
wird/ alſo kuͤhlet ſich dar aller Eyfer bald ab/
wo die Kriegs-Leute die Wuͤrckung des
Sieges ſelbſt verdammen. Cejonius fochte
nichts weniger gantz laulicht/ und buͤſſete das
Siegszeichen des Elephanten ein/ welches das
andere hundert dieſer Legion noch unter dem
Kaͤyſer Julius durch tapfere Zuruͤcktreibung
der Pompejiſchen Elefanten zu fuͤhren ver-
dient hatte; weil er dem Quintilius Varus
ſich aus dem befeſtigten Laͤger zu begeben be-
weglich aber vergebens widerrathen/ und
einen traurigen Ausgang ſelbſt vorher wahr-
geſagt hatte. Alſo wird die Ausfuͤhrung
eines Rath - Schluſſes niemanden gefaͤhr-
licher vertraut/ als dem/ der ſelbten von An-
fang verworffen hat. Und die einmal ein-
gebildete Furcht laͤſt ihr auch durch hand-
greiffliche Urſachen ihren einmal gefaßten
Aberglauben nicht ausreden. Bey ſolcher
Beſchaffenheit war unter den Groſſen auf die-
ſer blutigen Schau-Buͤhne der Thraciſche Fuͤrſt
der muthigſte/ der das Trauerſpiel feurig und
mit Aufopferung vieler Todten anſehnlich
machte. Der Catten Hertzog nahm daher ihm
Urſache/ fand auch unſchwer Gelegenheit gegen
ihm ſeine Kraͤfften zu meſſen. Rhemetalces
empfing den Arpus ſo behertzt/ daß auch die
Klein-
[43]Arminius und Thußnelda.
Kleinmuͤtigen beſchaͤmt und noch neben ihm
Stand zu halten veranlaßt worden. Beyde
verwundeten zugleich einander ihre Pferde/ alſo
daß ſie abſpringen und mit den Degen zu Fuſſe
gegeneinander ſtreiten muſten. Arpus verletzte
den Rhemetalces in Schenckel/ dieſer jenen in
Arm/ und es hatte ſich weder einer noch derander
einigen erlangten Vortheils zu ruͤhmen/ als der
Graf von Naſſau das Kriegs-Zeichen/ darauff
das ſilberne Bild des Druſus ſtand/ dem Petro-
nius auswand/ und Seſitach zugleich mit ſeiner
Reuterey nun auch in dieſen Fluͤgel einbrach/
welche theils mit ihren Lantzen und viel laͤngern
Degen/ als das Fußvolck zu fuͤhren gewohnt iſt/
die Glieder zertreñeten/ theils durch die Gewalt
der Pferde die Roͤmer zu Boden renneten/ al-
ſo daß Cejonius in das Thal zwiſchen das Ge-
ſtruͤttig zu weichen/ und ſich in das verlaſſene
Roͤmiſche Laͤger zu fluͤchten befahl. Die Roͤ-
mer folgten ihrem zuruͤckweichenden Adler/
die Gallier ihren Fahnen nach. Rhemetal-
ces blieb allein mit ſeinen wenigen Thraciern
ſtehen/ und verfiuchte die Zagheit des Cejonius.
Alleine was ſolte dieſe Handvoll Volck gegen
dem Strome eines ſiegenden Heeres ausrich-
ten? Die hartnaͤckichten Thracier wurden faſt
alle erſchlagen/ dem Fuͤrſten Rhemetalces aber/
welcher auf dieſer Wallſtatt gerne eine ruhm-
wuͤrdige Helden-Baare erlanget haͤtte/ ward es
nicht ſo gut/ daß er ſterben mochte. Denn
Hertzog Arpus befahl/ daß ihn niemand ver-
wunden/ ſondern lebendig fangen ſolte.
Das mittlere Groß beyder Kriegs-Heere
kam am laͤngſamſten zum Treffen/ weil Hertzog
Herrmann wahrgenommen/ daß die groͤſſeſte
Macht der Roͤmer darein geſtellt war/ und da-
her befohlen hatte/ daß ſeine zwey Fluͤgel ſich
als zwey Hoͤrner herfuͤr ziehen/ und den Feind
bald Anfangs zum Schrecken des langſam zum
Gefechte kommenden Kernes in ſeiner Schwaͤ-
che angreiffen ſolten. Nichts deſto weniger
war der Streit am allergrimmigſten/ und
dahero auch am blutigſten. Sintemal wie in
dem Hertzen alle Lebens-Kraͤffte gleichſam
in einen Mittel-Punct zuſammen gezogen
werden; alſo ſich umb beyde obriſte Feldher-
ren auch die Kraͤffte der Streitenden anein-
ander drangen. Denn dieſe ſind in Wahr-
heit das Hertz und die Seele eines Heeres/
welche allen andern Gliedern ihre Bewegung
mittheilen/ und durch vorſichtige oder ſchlim-
me Anſtalt den Ausgang einer Schlacht herr-
lich oder erbaͤrmlich machen. Quintilius
Varus kam zu dieſer Schlacht wider ſeinen
Willen/ und dahero auch mit weniger Hoffnung
des Sieges. Jhn trug nicht allein ſein Ge-
muͤthe nicht zu den Waffen/ und ſeine Lebens-
Art hatte ihm auch keine kriegeriſche Zunei-
gung angewoͤhnt; ſondern es hatte ſo wol ſein
natuͤrlicher Trieb/ als ſeine bißherige Verwal-
tungen ihn mehr zu Schlichtung der Rechts-
Haͤndel/ als Schlacht-Ordnungen zu ſtellen
geſchickt gemacht. Denn Syrien/ ſo lange er
Land-Vogt daſelbſt war/ behielt mit ſeinem
Gehorſam eine beſtaͤndige Ruhe/ und ſeine
wichtigſte Verrichtungen waren daſelbſt ge-
weſt/ daß er dem Herodes im Nahmen des
Kayſers die Landſchafften Trachonitis und
Batanee eingeliefert/ die Stadt Caͤſarea dem
Druſus zu Ehren koͤſtlicher zu erbauen/ mit
einem groſſen Hafen zu verſehen/ eingerathen/
ja zwiſchen dem Herodes und den Gadaren-
ſern einen Richter abgegeben/ und jenem des
alten Juͤdiſchen Koͤnig Davids Grab zu er-
brechen/ und dadurch ſeinem Geitze eine Naſe
zu drehen Anlaß gegeben hatte. Ob auch
wol die erſchoͤpften Juden zuletzt wider den
Varus und Sabinus/ als von welchen ſie
biß auffs Blut ausgemergelt/ ihre Schloͤſſer
ihnen abgenommen/ des Herodes verlaſſene
Schaͤtze gewaltſam angegriffen/ ja aus dem
Tempel zu Jeruſalem der Kirchen - Schatz
geraubt worden/ am Pfingſt - Feſte einen
Aufſtand erregten/ auch den Sabinus/ Rufus
F 2und
[44]Erſtes Buch
und Gratus/ ſambt der dritten Legion in der
Burg Zion belaͤgerten/ und Athronges ein
gemeiner doch ſtarcker Hirte ſich zum Koͤnige
auffwarff; ſo zerſtreueten ſich doch die Aufruͤh-
rer/ als ſie nur hoͤrten/ daß Quintilius Varus
mit zwey Legionen im Anzuge begriffen/
aus Ptolemais funfzehenhundert/ und vom
Koͤnige Aretas noch eine groͤſſere Anzahl
Huͤlffs - Voͤlcker zu ihm geſtoſſen waren.
Woruͤber Athronges gefangen/ und nebſt
zweytauſend Raͤdelsfuͤhrern vom Varus ans
Creutze genagelt wurden. Als Varus in
Deutſchland kam/ war ſelbtes eben ſo wol in
Ruhe/ dahero nichts minder ſeines Leibes als
Gemuͤthes Beſchaffenheit aͤhnlich. Er ver-
hing dem Kriegs - Volcke allen Muthwillen
und Muͤſſiggang. Jederman dorfte ge-
kochtes Fleiſch/ neugebackenes Weißbrodt/
und andere niedliche Speiſen auch zur Unzeit
eſſen/ wenn gleich nicht das allgemeine Zeichen
dazu gegeben ward. Nicht nur die Ober-
ſten/ Hauptleute/ Reiterey/ und die Freywilli-
gen waren aller Arbeit enthoben; ſondern er
ließ auch das gemeine Fuß - Volck/ welches
theils numehr uͤber ſchlechter Arbeit ſchwitzte
und ſeufzete/ den Schantz-Bau dem gemeinen
Kriegs-Geſinde aufbuͤrden. Nach dem das
Laͤger nur genung befeſtigt war/ blieben alle
Kriegs-Ubungen nach/ die doch ſonſt die neu-
geworbenen des Tages zweymal/ die alten
einmal treiben/ und noch dazu Suͤmpfe trock-
nen/ Hafen vertieffen/ Fluͤſſe raͤumen/ oder
anderwerts hinleiten/ Schiffe und Tempel
bauen/ Waffen ſchmieden/ ja mehrmahls/ umb
nur durch Faulheit nicht Leib und Gemuͤthe
zu verderben/ vergebene Arbeit ausmachen
muſten. Die Wachen verminderte er umb
die Helfte/ alſo/ daß ſie erſt den zehenden Tag
herumb kam. Uberdiß ließ er ſie ſonder
Wach - Feuer/ auch noch ohne Schild und
Pantzer halten/ und ſie dorften die Rundten
nicht nach alter Gewohnheit laut ausſchreyen-
umb die Krieges-Gebieter nicht im Schlafe
zu ſtoͤren. Die Rollen der Kriegs-Leute/ wel-
che taͤglich einkommen muſten/ durchſahe er
kaum des Monats einmal. Er machte unter
den Straffen keinen Unterſchied/ ließ wider
die Roͤmiſchen Geſetze die Frembden ſo bald
mit Wein-Stoͤcken/ als die Roͤmiſchen Buͤr-
ger mit gemeinen Stecken ſchlagen. Zohe
ihm alſo bey den Seinigen den groͤſten Haß
auf den Hals. Von den Deutſchen bildete
er ihm ein/ daß in ihnen kein Geiſt waͤre/ ſie
auch nichts anders von Menſchen als die bloſſe
Sprache und die aͤuſerlichen Glieder an ſich
haͤtten/ und dahero dieſe ehe mit dem Kap-
Zaum der Geſetze/ und der Suͤſſigkeit eines an-
gewohnten Friedens/ als mit Schaͤrffe der
Waffen gedemuͤtiget werden koͤnten. Die
ſchlauen Deutſchen/ welche ſo viel Gehirne
im Kopffe als Marck in Gliedern hatten/ ſtaͤrck-
ten durch euſſerliche Bezeugungen den Varus
in ſeiner irrigen Einbildung. Sie erdichteten
allerhand verworrene Rechts-Haͤndel/ trugen
ſie den Roͤmern fuͤr/ und lieſſen ſich von ihnen/
gleich als wenn die Goͤtter ihnen alleine die
Wagſchale des Rechts und der Billigkeit an-
vertrauet haͤtten/ entſcheiden. Die cinander
ambeſten verſtunden/ verſtellten ihre Vertrau-
ligkeit mit Schmaͤhungen und Gezaͤncke; ſo
denn unterworffen ſie ſich der Roͤmer Vermit-
telung/ lobten ihre Tieffſinnigkeit/ danckten fuͤr
ihre Urthel/ verdammten ihres eigenen Va-
terlandes wilde Sitten/ welche vorhin alle
Zwytracht durch das Fauſtrecht auszumachen
gewohnt geweſt waͤren. Ja ſie baten mehrmahls
von den Roͤmern eine Anzahl Kriegs-Leutel
zu Beſchirmung ihrer Flecken/ und Ausrot-
tung der Raͤuber und Landbeſchaͤdiger aus;
gleich als wenn ſie numehr die Ubung der
Waffen gar vergeſſen/ und alle Degen in Pflug-
ſcharen verwandelt haͤtten. Die Fuͤrſten war-
teten
[45]Arminius und Thußnelda.
teten dem Roͤmiſchen Land-Vogte offters auff/
verſchmertzten alle Bedraͤngniße/ luden die
Roͤmer mehrmahls zu Gaſte/ machten mit
denen geringern groſſe Vertrauligkeit/ ſtri-
chen ihnen durch tauſend Lobſpruͤche gewaltig
den Fuchs/ thaͤten ihnen ihre Uppigkeiten nach/
und beredeten ſie: daß Deutſchland der Roͤmer
Ankunfft ihre hoͤfflichere Sittſamkeit/ ihre ge-
maͤchlichere Lebens-Art/ und die Verbeſſe-
rung ihres gantzen Zuſtandes zu dancken haͤtte.
Ja erſt fuͤr drey Tagen war Hertzog Herrmann/
Segimer/ Segeſthes und Ganaſch beym Va-
rus zu Gaſte geweſt. Alſo verlernte Qvinti-
lius Varus vollends alle Kriegs-Wiſſenſchafft;
und ſeine Verrichtungen waren mehr eines
Stadt-Richters als eines Feldherrn aͤhnlich/
der ſein Laͤger mitten in eines ſtreitbaren
Feindes Lande hatte/ und weil ſeine verwehnte
Kriegsknechte ſich hauffenweiſe von ihren Fah-
nen verlieffen/ nicht nur den Neugeworbenen/
ſondern auch wohl denen/ welche zehen Jahr ge-
dienet/ des Kaͤyſers Nahmen in die Hand mu-
ſte einbrennen laſſen. Dem deutſchen Feld-
herrn hingegen war die Kriegs-Luſt angeſtam-
met/ das Feuer der Großmuͤthigkeit ſahe ihm
aus den Augen/ und die Erfahrenheit der Waf-
fen hatte er theils von ſeinem tapffern Vater
Hertzog Sigmarn/ theils in denen Roͤmiſchen
Laͤgern ſelbſt gelernet. Wie verſchmitzt er nun
die Gelegenheit die unvorſichtigen und allzuſi-
cheren Roͤmer zu uͤberfallen/ und die theils
ſchuͤchternen/ theils zwiſtigen Fuͤrſten auff ſeine
Seite zu bringen/ nichts minder die Schlacht-
Ordnung hoͤchſt vortheilhafftig zu machen ge-
wuſt; alſo machte er in gegenwaͤrtigem Treffen
zweiffelhafft; ob er mehr ein ſtreitbarer Kriegs-
mann/ als ein vernuͤnfftiger Heerfuͤhrer waͤre.
Das deutſche Heer war ruͤckwerts Bergauff ge-
ſtellet/ womit deſſen Groͤſſe auff einmahl den
Roͤmern ins Geſichte ſiel/ und die Menge
ihnen ein Schrecken einjagte. Denn in
Schlachten werden die Augen am erſten ge-
ſchlagen. Dieſes Schrecken bemuͤheten die
Deutſchen ſich auch in die Ohren der Roͤmer
einzujagen/ indem ſie ihre holen Schilde fuͤr
den Mund hielten/ darein aus allen Kraͤff-
ten ſchrien/ und durch den Widerſchall das al-
lergrauſamſte Gethoͤne erregten; alſo/ daß die
Roͤmer dafuͤr die Ohren zuſtopfften/ gleich als
wenn ſie/ wie die Jndianer in dem Zuge des Bae-
chus/ durch das vom Pan angegebene Ge-
ſchrey aus dem Felde wuͤrden gejagt werden.
Uberdis kehrten ſie ihre Stirne gegen Weſten;
denn es hatte ihr Feldherr vorher geſehen/ daß
die auffgehende Sonne dem Feinde gleich in
die Augen fallen/ und ſie blaͤnden wuͤrden. Auch
befremdete bald anfaͤnglich den Feind uͤberaus:
daß die Deutſchen nicht wie vorhin verwirret
durcheinander fochtẽ/ ſondern Glieder und Ord-
nung hielten/ auch mit beſſern Waffen als vor
iemals verſorgt waren. Jede unverſehene Neu-
igkeit aber kan im Kriege ein nicht geringes
Schrecken verurſachen. Welches in der Roͤ-
mer Gemuͤthern ſo viel ehe fing/ weil unter-
ſchiedene traurige Zeichen ſie vorhin beſtuͤrtzt ge-
macht/ und den Zorn der Goͤtter angedraͤuet
hatten. Die Opfferthiere waren den Tag
vorhero den Druyden/ welche wegen der Galli-
er opffern wolten/ entriſſen. An dem einen
Roͤmiſchen Adler hatte ſich ein Bienſchwarm
gelegt; und dem Varus hatte getraumt/ als
wenn er mit dem Hertzog Herrmann zu Rom
im groſſen Schauplatze tantzte und von dem
Volcke mit frolockendem Zuruff bewillkommet
wuͤrde. Denn ergetzende Traͤume legten ſie
auff traurige Zufaͤlle aus.
Ob nun wohl die Deutſchen derogeſtalt in
mehrer Hoffnung und Vortheil ſtanden/ der
Graff von Aſcanien auch denen Galliern die
groſſe weiße ſeidene Fahne/ darein mit Pur-
purnen Buchſtaben der Nahme des Kayſers
geſchrieben war/ abdrang/ und ſie nebſt denen
andern auslaͤndiſchen Huͤlffs-Voͤlckern durch
F 3die
[46]Erſtes Buch
die tapffern Cheruſker in Unordnung brachte/
ſo war doch bey den Roͤmern die Tapfferkeit
ſo tieff eingewurtzelt/ daß ſelbte weder gar noch
auch bey allen ſich durch angenommene Up-
pigkeit hatte vertilgen laſſen. Lucius Caͤditi-
us und Caldus Caͤlius fochten als hertzhaffte
Kriegsleute/ und fuͤhrten die ihrigen an/ als
verſtaͤndige Obriſten. Britomar und Arbo-
gaſt waren des Kaͤyſers und des Gluͤcks Schoß-
kinder/ und von ihnen aus Edelleuten in die
Wuͤrde der Fuͤrſten erhoben/ alſo ſo wohl von
der Natur fuͤr ihren eignen Wohlſtand als aus
Pflicht fuͤr ihre Wohlthaͤter hertzhafft zu fech-
ten angereitzt. Den Segeſthes und ſeine Ca-
ſuarier zwang die Furcht verzweiffelt zu fechten.
Deñ was kan ein Uberlaͤuffer ihm ſchrecklichers
fuͤrbilden/ als daß er in der verlaſſenen ſeinigen
Haͤnde verfalle? Ja es war gleichſam ein Zei-
chen fuͤr des Qvintilius Varus ſich naͤherndem
Ende/ daß er dißmahl groͤſſere Merckmahle
der Tugend/ als ſonſt iemahls von ſich blicken
ließ. Denn ein bald ausleſchendes Licht giebt
einen deſto groͤſſern Strahl von ſich/ und die
Winde/ die bald auffhoͤren wollen/ vaſen deſto
hefftiger. Das gantze Kriegs-Volck ſtieß und
ſchlug ſo hefftig auff einander/ daß das Gethoͤ-
ne der Waffen den Schall der Trompeten und
anderer Kriegs-Spiele daͤmpffte/ und ſich offt-
mals den Schlaͤgen auff Amboßen vergleichte.
Bald ward auff einer bald auff der andern Sei-
ten durchgebrochen/ und bald zogen die Roͤmer
und Gallier/ bald die Deutſchen den kuͤrtzern/
und unter beyden fiel keiner/ der vom Feinde
das Antlitz haͤtte weggekehret. Ob auch wohl
die Numidiſchen Schuͤtzen in der Deutſchen
Schilde viel Pfeile ſo tieff eingeſchoſſen/ daß
ſie ſelbte unbrauchbar machten/ verließ doch kei-
ner ſeine Reyhe/ ſondern fochte mit entbloͤßtem
Leibe. Die Gallier/ welche Varus mit Fleiß
zufoͤrderſt geordnet hatte/ muſten laͤnger als ihr
Wille und Gewonheit war/ Stand halten.
Denn die Roͤmer ſtanden ihnen am Ruͤcken und
wieſen denen Fluͤchtigen ſelbſt die Spitzen. Et-
liche Stunden dauerte die Tapfferkeit beyder
Theile/ daß der Sieg und Verluſt auf gantz glei-
cher Wagſchale lag. Denn Hertzog Herrmann/
als er alle Fluͤgel wol beſichtigt und allenthalben
beſte Anſtalt gemacht/ ſich auch auff die andern
Heerfuͤhrer zu verlaſſen hatte/ uͤberlieff nach ſo
langem Gefechte die Ungedult/ daß der Feind
allzu hartnaͤckicht ihm den Sieg vorenthielt/
welchen ihm die Prieſter und die Hertzhafftig-
keit ſeines Heeres doch ſchon vorher verſpro-
chen hatten. Dahero vergaß er ſich offt/ daß er
der Feldherr war/ indem er in die dickſten Hauf-
fen der kuͤhnſten Feinde ſprengte. Am meiſten
aber verdroß ihn/ daß er den Roͤmiſchen Feld-
hauptman Varus ſo lange nicht zu Geſichte be-
kommen konte; um mit eigenen Haͤnden denen
Rach-Goͤttern Deutſchlands eine fette Beute
durch Auffopfferung des Roͤmiſchen Feld-
herrns abzulieffern/ und dadurch die Schmach
ſeines Vaterlandes und Geſchlechts abzuwi-
ſchen: daß Marcellus nach eigenhaͤndiger Er-
legung ſeines Anherrns des Koͤnigs Virido-
mars zum dritten mahl ſeine Waffendem Fe-
retriſchen Jupiter auffgehenckt hatte. End-
lich erblickte er ihn zu Pferde unfern von dem
Roͤmiſchen Adler der dritten und Haupt-Le-
gion haltend. Alleine Caͤditius Caͤlius und
Segeſthes/ welcher/ um ſich unkentlich zu ma-
chen/ den Helm verwechſelt und ſeinen Harniſch
mit einem Roͤmiſchen Waffen-Rocke verdeckt
hatte/ machten mit faſt verzweiffelter Gegen-
wehr dem Feldherrn ſo viel zu ſchaffen/ daß er
dem Varus unmoͤglich beykommen konte.
Hierauff entſchloß er durch drey hundert Che-
ruſtiſche Edelleute/ welche er auff einen ſonder-
baren Nothfall von der andern Reiterey abge-
ſondert und hinter ſein Fußvolck an einen nie-
drigen Ort alſo unſichtbar geſtellet hatte/ ſein
Heil zu verſuchen. Hiermit befahl er: daß in
der mitten das Fußvolck ſich augenblicks tren-
nen und daſelbſt dieſem reiſigen Zeuge Platz
zum
[47]Arminius und Thußnelda.
zum Einbruche machen ſolte. Den Roͤmern
kam dieſer Angriff der Reuterey ſo unvermu-
thet/ gleich als ob ſelbte aus den Wolcken geren-
net kaͤmen. Und weil es unmoͤglich war gegen
ſie einige Roͤmiſche Reuterey durckzubringen/
litte ihr beſtes Fußvolck unglaublichen Schiff-
bruch/ und ihre gantze Verfaſſung gerieth in hef-
tige Zerruͤttung. Unter dieſen Edelleuten war
auch dieſer/ der fuͤr der Schlacht gegen die fremde
Koͤnigin den ebentheuerlichen Zweykampf aus-
geuͤbt hatte. Dieſer ſetzte ihm fuͤr/ ſeine Hertzhaff-
tigkeit nunmehr auch gegen Maͤnner auszuuͤ-
ben/ nachdem er durch eine ohne diß meiſt nur
zufaͤllige Uberwindung eines Weibes mehr
Verkleinerung als Ehre erlangt zu haben ihm
einbildete. Mit denen Galliern/ deren Haͤupter
ſich zwiſchen dem Fußvolcke ebenfals zu Pfer-
de befanden/ anzubinden/ war ihm auch nicht
anſtaͤndig/ als derer erſtern Sturm man zwar
fuͤr mehr als maͤnnlich/ ihren Verfolg des Kam-
pfes aber ſchlechter als weibiſch hielt. Hiemit ge-
rieth er an den. Segeſthes/ und rennte mit ver-
haͤngter Lantze Spornſtreichs auf ihn zu. Se-
geſthes aber verſetzte durch einen hefftigen Hau
ſeines Schwerdts ſo gluͤckſelig/ daß die Spitze der
Lantze ohne ſeine Beruͤhrung zuꝛ Erdẽfiel. Hier-
auff verfolgten ſie mit den Degen ihren Streit/
dieſem Ritter aber ſprang nach einem hefftigen
Gefechte die Klinge des Degens entzwey/ alſo
daß er ſich ohne einige Waffen und dahero in
hoͤchſter Gefahr befand. Segeſthes verfolgte
bey deiſem Zufalle ſein Gluͤcke mit vielfaͤltigen
Hieben. Alleine einem Hertzhafften iſt kein
Degen zu kurtz/ und ein halber lang genug/
denn ein Schritt gegen ſeinem Feinde und ein
unverzagtes Hertze erſetzet/ was einem an Eiſen
abgehet. Daher zernichtete er Segeſthen/ mit
geſchwindeſter Fuͤrwerffung des Schildes und
Degenſtrumpffs/ alle ſeine Streiche. End-
lich aber verſetzte dieſer dem Pferde einen zwey-
fachen Stoß in Hals. Dieſes verurſachte den
Ritter/ daß er/ ehe das verwundete Pferd ſtuͤrtz-
te/ mit einer fertigen Hurtigkeit aus dem Sat-
tel ſprang/ und nicht nur auff die Fuͤſſe zu ſte-
hen kam/ ſondern auch auff dem Boden nebſt
einem Todten einen entbloͤſten Degen fand/
welchen er des Segeſthes Pferde in einem Au-
genblicke ſo tieff in die Bruſt ſtach/ daß es alſo-
fort mit ſeinem Reuter entſeelet zu Boden
ſanck. Der Ritter gebrauchte ſich dieſes Vor-
theils mit hertzhaffter Geſchwindigkeit/ ſprang
dem auff den Ruͤcken gefallenen Segeſthes auf
den Hals/ und weil er wegen deß unter dem
Waffenrocke verborgenen Pantzers ihm etliche
vergebene Stiche verſetzte/ riß er ihm mit aller
Gewalt den Helm vom Haupte/ um den Se-
geſthes die Gurgel mit ſamt dem Kopffe abzu-
ſchneiden. Hilff Himmel! rieff er/ vom Se-
geſthes bey ſeinem erſten Anblicke auffſprin-
gend/ und ließ mit einer hefftigen Beſtuͤrtzung
den auff-ihn gezuͤckten Degen aus der Hand
fallen. Die Worte erſtarben ihm auff den zit-
ternden Lippen/ und ſeine Glieder worden
unbeweglicher als eine Marmel-Seule/ alſo/
daß Segeſthes ihn auffzureiben Zeit und Gele-
genheit genug gehabt haͤtte/ wenn nicht ſeine aus
dieſer Beſtuͤꝛtzung empfundene Verwundeꝛung
ihm Vernunfft und Glieder gebunden haͤtte.
Bey dieſer Begebenheit erblickte Hertzog Herr-
mann Segeſthens entwaffnetes Angeſichte/
und griff ihn aus geſchoͤpffter Verbitterung
nicht ſo bald mit empfindlichen Scheltworten:
Ha! Verraͤther des Vaterlandes! als mit der
Schaͤrffe der bey handen habenden Waffen
an. Es wuͤrde auch der in voller Verwunde-
rung begriffene Segeſthes einen gefaͤhrlichen
Streich bekommen haben/ wenn nicht der Ritteꝛ
den/ welchen er kurtz vorher hinzurichten ſo be-
gierig war/ mit Fuͤrwerffung beyder Armen
gegen dieſen unvermerckten Angriff beſchirmet
haͤtte. Wovon er aber ſelbſt verwundet war/
daß das Blut uͤber die Waffen haͤuffig herab
floß. Dem Feldherrn kam dieſe Begeben-
heit eben ſo ſeltzam fuͤr/ und fuhr ihn mit grim-
migen
[48]Erſtes Buch
migen Worten an: Was ihn dieſer Verraͤ-
ther und Uberlaͤuffer zu vertheidigen veranlaß-
te? Dieſer rieß ihm hierauff ſelbſt den Helm
vom Haupte/ und gab hiermit zu erkennen/ daß
es die unvergleichliche Fuͤrſtin Thußnelde/ Se-
geſthens einige Tochter war. Urtheile/ fing ſie
an/ großmuͤthiger Hertzog: ob das Kriegsrecht
mich mehr den Feind zu verfolgen und dem
Feldherren zu gehorſamen/ oder das Geſetze
der Natur den Vater zu beſchuͤtzen noͤthige?
Sie hatte dieſe Worte noch halb auff der Zun-
gen/ und die Augen gegen den Feldherrn gerich-
tet/ als ſie ſchon fuͤr dem gantz verwirrten Se-
geſthes fußfaͤllig ward/ und ihm das von der Er-
de wieder auffgehobene Schwerdt/ mit Beyſez-
zung dieſer Worte/ reichte: Straffe Segeſthes
deine boßhafftige Thußnelde/ welche nicht mehr
des Tochter-Nahmens werth iſt/ nach dem ſie
das Mordeiſen wider ihren Vater gezuckt hat.
Rom wird dieſen Schandfleck nimmermehr
ausleſchen/ daß die unmenſchliche Tullia uͤber
die blutige Leiche ihres ſchon todten Vaters die
beſtuͤrtzten Pferde geſprenget hat. Und ich ha-
be Deutſchland mit dieſem Brandmahle beſu-
delt/ daß ich dem lebenden das Meſſer an Hals
geſetzt. Raͤche Segeſthes durch dieſen Werck-
zeug meines Verbrechens deines Geſchlechtes
und des Vaterlandes Schande/ welche groͤſſer
iſt/ als warum Virginius ſeine Tochter auff oͤf-
fentlichem Marckte abſchlachtete. Dieſe Re-
de beſeelte ſie mit einer ſo erbaͤrmlichen Geber-
dung und Wehmuth/ daß ſie dem Segeſthes
durch die Seele/ dem Feldherrn durchs Hertze
drang/ und bey dieſem eine vielfache Empfind-
ligkeit/ bey jenem aber verurſachte/ daß er wie-
der zu ſich ſelbſt kam/ und ihr mit dieſer Antwort
begegnete: Jch empfinde den Zorn der Goͤt-
ter und die Biſſe meines Gewiſſens uͤber mein
begangenes Laſter/ welches ſo groß iſt/ daß das
Verhaͤngniß meiner eignen Tochter Klinge
wider meine Verraͤtherey zur Rache geſchliffen
hat. Vollfuͤhre deinen Streich wider den/
der ſich ſelbſt verdammet. Kinder ſind dem Va-
terlande mehr als ihren Vaͤtern ſchuldig/ und
die Geſetze haben denen Belohnung und Eh-
renmahle ausgeſetzt/ die das befleckte Blut ih-
rer ſtraffbaren Eltern dem gemeinen Weſen
auffopffern. Der Feldherr fiel Segeſthen in
die Rede: Es waͤre ein allzugroß Gluͤcke fuͤr ei-
nen Verraͤther/ daß er von ſo edlen Waffen/
entweder einer ſo unvergleichlichen Heldin o-
der eines deutſchen Fuͤrſten ſterben ſolte. Das
Recht des Vaterlandes habe auff Feinde der
Freyheit knechtiſche Strafen ausgeſetzt. Schla-
get dieſemnach den/ der ſich ſelbſt ſchon verdam-
met/ in die Eiſen. Du aber/ unvergleichliche
Thußnelde/ laſſe dich den Verluſt eines dem ge-
meinen Weſen ohne diß ſchon abgeſtorbnen Va-
ters nicht jammern. Deine Tugend iſt der Vaͤ-
terlichen Flecken nicht faͤhig/ und dieſe darff ſich
fuͤr keine Waͤyſe achten/ welche wegen ihrer Hel-
denthaten das Vaterland ſelbſt zu einer Tochter
auffnehmen muß. Alſobald waren einige dar/ die
dem Segeſthes Feſſel anlegten; welche die Deut-
ſchen/ um ihre Gefangenen damit feſte zu ma-
chen/ in die Schlachten mitzunehmen gewoh-
net waren; woruͤber Thußnelde theils wegen
empfangener Wunde/ theils daß ihres Vaters
Zuſtand ihr ſo tieff zu Hertzen ging/ in Ohn-
macht ſanck/ und auff Befehl des Feldherrn mit
allerhand Erfriſchungen erqvicket/ und nach
Deutſchburg getragen ward.
Der Feind war durch den Verluſt Sege-
ſthens uͤberaus beſtuͤrtzt/ Hertzog Herrmann a-
ber durch den zweyfachen Sieg dieſer deutſchen
Amazone gleichſam beſchaͤmet/ und dahero zu ei-
nem ſo eifrigen Gefechte angezuͤndet/ daß kein
Feind ſeinen Sturm ausdauren konte. Cal-
dus Caͤlius/ welcher ihm begegnen wolte/ ward
von ihm mit dem Streithammer zu Boden ge-
ſchlagen und daruͤber gefangen. Qvintilius
Varus/ als er ihn dem Roͤmiſchen Haupt-Ad-
ler ſo nahe kommen ſahe/ machte ſich mit ſeiner
Leibwache/ als denen euſſerſten Kraͤfften des
Roͤmi-
[49]Arminius und Thußnelda.
Roͤmiſchen Heers gegen ihm herfuͤr. Dieſes
waren tauſend mit kupffernen Schilden und
ſchupfichten Pantzern aus dem alten Kerne der
Roͤmiſchen Kriegsleute ausgeleſene freywillige/
welche ſchon ihre zwantzigjaͤhrige Dienſte aus-
geſtanden und anſehnliche Kriegs-Aemter ver-
waltet/ auch keine Wache oder andere Arbeit
mehr zu vertreten/ ſondern nur den Feldherrn
zu beſchirmen hatte/ und auff ihren Schilden
den Nahmen des Kayſers mit Golde eingeetzt
fuͤhrten. Dieſe thaten wohl ihr beſtes unter ih-
rem ſtreitbarem Fuͤhrer Caͤcina; und fochten
nach Gelegenheit des engen oder geraumen
Oꝛts bald mit ihꝛem kuꝛtzen/ bald mit dem langen
Spaniſchen Degen/ wormit die lincke/ wie mit
jenem die rechte Seite verſehen war. Alleine
die Keckeſten wurden unverlaͤngt von der deut-
ſchen Reuterey zu Grunde gerichtet/ und der
Feldherr kam dem Varus ſo nahe/ daß/ ob wohl
die Roͤmiſchen Kriegsleute ihn mit ihren Schil-
den auffs moͤglichſte verdeckten/ er ihm einen
Wurffſpieß in die Schulter jagte; dem Qvin-
tilius Manlius aber in Hals einen toͤdtlichen
Stich verſetzte/ und mit eigner Hand ihm den
Roͤmiſchen Adler ausriß. Nachdem auch in-
zwiſchen beyde Roͤmiſche Fluͤgel gantz aus dem
Felde geſchlagen waren/ drang Fuͤrſt Catumer
und Seſitach mit der Reuterey auff den Va-
rus loß. Wodurch der letzte noch ſtehende
Reſt des Roͤmiſchen Heeres in oͤffentliche Flucht/
Qvintilius Varus aber in euſſerſte Verzweif-
felung gebracht ward. Denn als er ſeine noch
ſtandhaltende Hand voll Volcks auff allen Sei-
ten umringt/ und nirgendshin einige Ausflucht
mehr ſahe/ bezeugte er endlich groͤſſere Hertz-
hafftigkeit zu ſterben als zu kaͤmpfen/ und re-
dete die naͤchſten mit dieſen Worten an: Laſ-
ſet uns/ ihr ehrlichen Roͤmer/ dieſen letzten
Schlag des veraͤnderlichen Gluͤcks behertzt er-
tragen/ und lieber dem Tode friſch in die Au-
gen ſehen/ als aus einer bevorſtehenden Ge-
faͤngniß noch einige Erloͤſung hoffen/ und alſo
eine freywillige Entleibung einer knechtiſchen
Dienſtbarkeit fuͤrziehen. Der ſtirbt deſto ruͤhm-
licher/ der noch einige Hoffnung zu leben uͤ-
brig hat. Jch geſtehe/ daß uns Segeſthes und
die Goͤtter unſer Verderben vorher geſagt;
allein wenn das Verhaͤngniß an unſer Gluͤcks-
Rad die Hand anlegt/ koͤnnen uns keine ver-
traͤuliche Warnungen aus ſeiner Verfolgung
entreiſſen/ und der Scharffſinnigſten Anſchlaͤ-
ge werden ſtumpff und verwirret. Jedoch laſſe
ich gerne geſchehen/ daß der Schluß der Goͤtter
mit meinem Verſehen bekleidet/ und der Zufall
zu meinem Verbrechen gemacht werde. Mein
Großvater Sextus Varus hat in der Pharſa-
liſchen Schlacht durch ſeine eigene/ mein Vater
Varus Qvintilius in dem Philippiniſchen
Kriege durch ſeines freygelaſſenen Hand ſich lie-
berhingerichtet ehe ſie ſich der Willkuͤhr ihrer
Feinde/ die doch Roͤmeꝛ waren/ unteꝛwerfen wol-
len. Jchwil es ihnen nachthun/ ehe ich in dieſer
Barbaꝛn Haͤnde falle/ und euch ein Beyſpiel/ deꝛ
Nachwelt aber das Urtheil hinterlaſſen: Ob ich
durch meine Schuld/ oder durch ein beſonders
Verhaͤngnuͤß meines Geſchlechts alſo vergehe.
Craſſus hat durch ſeine Niederlage gegen die
Parther weniger Schande eingelegt/ als/ daß er
nicht/ wie Publius/ Cenſorinus und Mega-
bachus ihm ſelbſt das Leben verkuͤrtzet/ ſondern
ſich in die verraͤtheriſchen Haͤnde des Surena
vertrauet/ und des Maxarthes Sebel die Keh-
le dargereichet hat. Von dem Tode mehr Wor-
te zu machen/ iſt ein Stuͤcke der Kleinmuͤthig-
keit. Wie feſte ich mir zu ſterben fuͤrgeſetzt/ koͤn-
net ihr dahero ſchluͤſſen/ daß ich niemanden eini-
ge Schuld beymeſſe. Denn ſich uͤber Men-
ſchen und Goͤtter beklagen/ ſtehet nur dem an/
der laͤnger zu leben begehret. Ein Koͤnig aber
ſoll ſeines Reiches/ ein Knecht ſeines Herrn/ ein
Kriegsmann ſeines Oberſten/ ein Feld-Haupt-
mann ſeines Heeres Wohlſtand nicht uͤberle-
ben. Hiemit umhuͤllete er mit ſeinem Gold-
geſtuͤckten Purpur-Mantel ſein Haupt/ und
Erſter Theil. Gſtach
[50]Erſtes Buch
ſtach ſeinen Degen ihm biß an den Griff ins
Hertze. Alſo verhuͤllete ſich auch der ermor-
dete Pompejus und Julius; wormit niemand
ihre ſterbenden Ungeberden ſehen moͤchte. Die
fuͤrnehmſten und hertzhaffteſten thaten es ihrem
Heerfuͤhrer nach/ und benahmen durch eigene
Entſeelungen dem Feinde die Luſt und die Eh-
re von ſeinen Streichen zu fallen. Andere/
welche gleich noch genug[ſ]ame Kraͤffte zu fechten
hatten/ warffen ihr Gewehre weg/ und reich-
ten/ aus Verdruß zu leben/ ihre Haͤlſe den
feindlichen Schwerdtern hin. Zumal von denen
neun Oberſten dieſer anderthalb Legionen/ nur
noch einer/ von den neuntzig Hauptleuten mehr
nicht als ihrer fuͤnff uͤbrig waren. Die Fluͤch-
tigen worden von der Reiterey zu Boden ge-
rennt/ die liegenden von den Pferden ertreten/
die ſtehenden wie das Vieh zerfleiſcht/ alſo/ daß
das Feld numehro keine Geſtalt eines Kampf-
plazes/ ſondern einer Schlachtbanck fuͤrſtellte.
Seſitach ward uͤber des Varus und anderer O-
berſten eigener Entleibung ſehr verbittert/ weil
er mit ſeiner Reiterey ſie lebendig in die Haͤnde
zu bekommen ihm eingebildet hatte/ und dahero
ſprang er ſelbſt vom Pferde/ ſchnitt den Kopf
des Varus Leiche ab/ und ſteckte ſelbten/ nach
der Deutſchen und Gallier Gewonheit/ und
den Roͤmern deſto mehr Schrecken zu machen/
auff eine Lanze. Das gantze Feld ward mit
Todten bedecket/ und die zwiſchen denen Huͤgeln
dieſes Forſtes lauffenden Baͤche von dem Blu-
te der Erſchlagenen auffgeſchwellet/ inſonder-
heit an denen drey engen Furthen/ wodurch
das Roͤmiſche Heer ſeine Flucht zuruͤcke nahm.
Jhr jaͤmmerlicher Zuſtand aber ward dardurch
vergroͤſſert/ daß Vala Numonius und ſeine zum
erſten durchgegangene Reuterey/ Caͤditius/
welcher zwiſchen denen Paͤſſen noch uͤber zwoͤlff-
tauſend ſtreitbare Maͤnner wieder zuſammen
gezogen und in Ordnung bracht hatte/ in Mei-
nung mit der bald anbrechenden Nacht noch
nach der Catten Feſtung zu entrinnen/ inglei-
chen Vritomar und Arbogaſt mit mehr als zehn
tauſend Galliern gerade auff den Hertzog Jubil
traffen/ welchen der Feldherr dem Feinde in
den Ruͤcken zu gehen befehlicht hatte. Es iſt
unſchwer zu ermeſſen/ was denen Roͤmern die
Muͤdigkeit von einer ſo hefftigen Schlacht/ ei-
nem ſiegenden Feinde auff dem Ruͤcken/ und ei-
nem friſchen von fornen zu begegnen/ fuͤr Hin-
derniß ſchaffte/ ja was die Furcht/ allwo des
Poͤfels Traͤume ſo wohl als kluger Leute Gut-
achten gehoͤret werden/ fuͤr ſeltzame Meinun-
gen auff die Bahn brachte. Einer rieth ſich
durch den friſchen und vielleicht nicht allzugroſ-
ſen Hauffen des Hermunduriſchen Hertzogs
durchzuſchlagen/ und/ weil doch das zwar naͤhe-
re Laͤger keine Sicherheit/ die Feſtung Aliſon
aber keinen genugſamen Raum und Lebens-
Mittel ſchaffen koͤnte/ den Anfangs ſchon erkie-
ſeten Weg gegen der Cattenburg oder gar an
den Rhein fortzuſetzen. Ein ander hielt diß
fuͤr ein verzweifelt Werck/ und wolte/ daß/ nach-
dem Cejonius mit dem groͤſten Theil des lincken
Fluͤgels und dem einigen noch erhaltenen Ad-
ler ſich wieder in das Laͤger gezogen haͤtte/ man
dahin folgen/ ſich darinnen biß auff den letzten
Mann wehren/ und von denen zwey Legio-
nen/ welche Lucius Aſprenas nicht allzuweit von
ihnen unter ſeinem Gebiete hatte/ Huͤlffe er-
warten ſolte. Wie nun die Zwytracht in
Begebenheiten/ welche keine langſame Rath-
ſchlaͤge erdulden/ der geradeſte Weg zum Ver-
derben iſt; alſo wartete Hertzog Jubil die Er-
oͤrterung ihres Zweiffels nicht aus/ ſondern be-
diente ſich der wider die Uneinigkeit hoͤchſt vor-
theilhafften Geſchwindigkeit. Einem fluͤchti-
gen Feinde jagt auch ein rauſchendes Blat
Schrecken ein. Was ſolte nicht dieſer freudi-
ge Held/ mit ſeinen ſtreitbaren und unermuͤde-
ten Voͤlckern/ gegen die/ welche zum erſten aus-
geriſſen und allhier zwiſchẽ Thuͤr und Angel wa-
ren/ ausrichten? Fuͤrſt Jubil traff ſelbſt in Perſon
auff den Numonius/ und durchrennete ihn mit
ſeiner
[51]Arminius und Thußnelda.
ſeiner Lantze; alſo fiel dieſer verzagte Ausreiſſer
nicht nur ſchimpfflicher/ ſondern auch eh/ als die/
welche er im Stiche gelaſſen hatte. Britomar
ward von ihm durch einen Wurffſpieß hefftig
verwundet/ und nachdem von einer Seiten die-
ſer Hertzog/ auff der andern das gantze obſiegen-
de Heer mit aller Gewalt nachdrungen/ muſte
dieſer Uberreſt des Feindes in den Wohnſtaͤdten
der wilden Thiere ihre Sicherheit ſuchen/ und
ein Hauffen hier/ der ander dort ſich in die dicke-
ſten Waͤlder verkriechen. Alleine auch in dieſen
waͤren ſie von ihren Feinden nicht unverfolget
blieben/ wenn nicht die ſtockfinſtere Nacht mit
einem hefftigen Platzregen eingebrochen/ und
die ſchwartzen Wolcken das ſonſt volle Mon-
den-Licht gantz verduͤſtert/ und alſo dem Tod-
ſchlagen nicht ſo wohl ein Ende/ als einen An-
ſtand gemacht haͤtte.
Der Feldherr ließ bey dieſer Begebenheit
ſelbſt Befehl und Zeichen geben/ daß die Deut-
ſchen bey ſo gefaͤhrlicher Finſterniß und ſchluͤpf-
rigem Wetter ihren Feind in die moraſtigen
Waͤlder nicht verfolgen/ ſondern mit der auff-
gehenden Sonnen der Roͤmer und ihrer Ge-
huͤlffen endlichen Untergang erwarten ſolten.
Gleichwohl beſetzte er die Waͤlder um und um
an denen Orten/ wo er meinte/ daß irgends
der dieſer Wildnuͤße kundige Feind zu entrin-
nen/ ihm einigen Weg ſuchen doͤrffte. Er
verordnete auch/ daß aus denen umliegenden
Flecken dem Heere/ welches nun gleichſam den
gantzen Forſt belaͤgerte/ ein Uberfluß von Le-
bensmitteln/ welche der Deutſchen Kriegs-
Sold ſind/ zufuͤhrten. Wie ſehr ſie nun ſonſt
auch dem Schlaffe ergeben ſind/ und von der
langen Schlacht ermuͤdet waren/ ſo ermun-
terte ſie doch dieſer herrliche Sieg dergeſtalt/ daß
wenig oder keiner ein Auge zuthat. Denn die/
welche nicht ihre eigene oder ihrer Angehoͤrigen
empfangene Wunden zu verbinden/ noch die
Schwachen ins Laͤger zu fuͤhren harten/ mach-
ten ſich auff der Wahlſtatt und um den Forſt
herum bey etlichen tauſend Wach- und Freu-
den-Feuern mit Geſundheit-Trincken/ Jauch-
tzen und Lobgeſaͤngen ihrer Feld-Herren und
Heerfuͤhrer luſtig. Unter die Kriegsknechte
miſchten ſich nun auch die Barden/ ſangen
von dem deutſchen Hercules vielerley Lieder/ und
zohen mit einem freudigen Nachklange ihm
endlich doch den großmuͤthigen Herrman fuͤr.
So vergnuͤgt ſich nun bey dieſem Wolleben
die Deutſchen befanden; ſo elende ging es de-
nen Uberwundenen/ wider welche der Himmel
numehro ſelbſt ſich verſchworen zu haben ſchien.
Deñ den en[t]ſtandenen Regen begleitete ein ſolch
erſchrecklicher Sturmwind/ welcher nicht nur
die Aeſte und Wipffel der Baͤume zerbrach/ ſon-
dern auch die ſtaͤrckeſten Staͤmme mit den
Wurtzeln aus der Erden riß/ und ſie denen
ohne diß halb todtgeſchlagenen auff die Haͤlſe
warff. Die aber/ welche dieſem Ungewitter
zu entkommen vermeinten/ und aus dem Ge-
hoͤltze hervor krochen/ wurden von denen al-
lenthalben wachſamen Deutſchen wie die Hun-
de zerfleiſchet. Das gantze Gefilde erbebe-
te von unauffhoͤrlichem Widerſchall/ bald von
dem Frolocken der Sieger/ bald von dem Kra-
chen der Baͤume/ bald von dem Angſt-Geſchrey
der Zerſchmetterten/ und ſtellte auff einmahl
den ſeltzamen Wechſel der irrdiſchen Dinge
fuͤr/ daß ſelten einer lachen koͤnne/ wenn nicht
der andere weine. Dieſes Unheil ward ver-
mehret noch durch dieſes Hertzeleid/ daß groͤſten
theils der Roͤmer ihre Weiber und Kinder/ wel-
che ſie wider die alten Kriegs-Geſetze der Roͤ-
mer bey ſich/ und die Nacht zuvor aus dem Laͤ-
ger mitgefuͤhret hatten/ von dieſem Sturm-
Winde uͤberfallen/ die Weiber offt in den Ar-
men ihrer Ehmaͤnner/ die ſaͤugenden Kinder
auff den Bruͤſten ihrer Muͤtter zerqvetſcht
worden. Ja es brach einigen diß jaͤmmerliche
Schauſpiel dergeſtalt ihr Hertze/ daß ſie/ aus Er-
barmniß/ ihrer eigenen Kinder und Ehgatten
Elend durch Mord zu verkuͤrtzen ſich entſchloſ-
G 2ſen.
[52]Erſtes Buch
ſen. Dieſer Sturm noͤthigte auch dieſelben
Armenier/ welche auffdes Zeno Befehl Jſme-
nen gefangen hielten/ ſich aus der innern Wild-
nuͤß herfuͤr zu thun. Bey welcher Begeben-
heit ſie ihren Vortheil erſah/ dem einen unver-
merckt das Schwerdt aus der Scheide zoh/
und durch die Rippen ſtieß. Die drey andern
fielen ſie zwar hieruͤber ſo grimmig an/ aber ſie
verthaͤidigte ſich mit unvergleichlicher Hertz-
hafftigkeit. Das hierdurch erregte Geraͤuſche
zohe eine groſſe Menge derer im Walde irren-
den Roͤmer herzu/ welche die theils abgehauenen
Kieffeꝛn-Aeſte/ theils von denen Roͤmiſchen Wa-
gen genommenen Hartzt-Fackeln anfangs zu
ihrem Lichte/ nunmehr aber gegen die gleichfals
ſich alldar verſammlete Deutſchen zu Schwerd-
tern brauchten/ und weil ſie ſich iederſeits auff
etliche hundert verſtaͤrckten/ in einen vollkom-
menen Streit mit einander geriethen. Die
Verzweiffelung und das ſeltzame Feuer-Ge-
fechte der Roͤmer aber brachte die Deutſchen
zum weichen; wiewohl die Fuͤrſtin Jſmene/ als
eine großmuͤthige Heldin/ dem Feinde ſtets die
Stirne bot/ und denen weichenden Deutſchen
veraͤchtlich zurieff: Ob ſie ein Bienenſchwarm
waͤren/ welche vom Rauche vertrieben wuͤrden?
Ob ſie numehr fuͤr einem entwaffneten Feinde
zu lauffen fuͤr keine Schande hielten/ den ſie den
Tag vorhero in ſeiner beſten Ruͤſtung geſchla-
gen haͤtten? Endlich kam der Ritter Waldeck
mit zwey hundert Mann ſeiner Wache darzu/
welche den Feind nach groſſem Verluſt wieder
in Wald trieb/ und dieſe Heldin zu groſſer Freu-
de des gantzen Heeres zum Feldherrn brachte.
Als es den folgenden Morgen kaum zu tagen
anfing/ ließ der Feldherr ſchon ein Zeichen ge-
ben/ diß was von den Feinden nicht/ wegen er-
mangelnder Verbindung/ an den Wunden ge-
ſtorben/ in Suͤmpfen erſticket/ oder von den
Baͤumen erſchlagen noch von den wilden Thie-
ren zerriſſen war/ aus den Hecken und Loͤchern
herfuͤr zu ſuchen und auffzureiben. Alſo ward
dieſes Tagelicht nach etlichen tauſenden in eine
Nacht des Todes verwandelt. Denn wo der
ſchluͤpffrige Erdboden nur einen Fußſtapffen ei-
nes Menſchen zeigte/ folgten ihrer zehen und
mehr der Spure nach/ und zerfleiſchten ohne Eꝛ-
baͤrmniß ihre fuͤr Furcht und Kaͤlte zitternde
Feinde. Ja es ward gleichſam fuͤr eine groſſe
Schande gehalten/ wenn einer nicht einen abge-
hauenen Feindes-Kopf fuͤꝛ die Fuͤſſe ſeines Obri-
ſten niederzulegen hatte; alſo hin und wieder
Berge von blutigen Menſchenkoͤpffen zu ſchau-
en waren. Nebſt dieſem unterließ der Feldherr
nicht mit geſchloſſenem Hauffen duch den Weg/
welchen die Roͤmer ihnen durch Umhauung vie-
ler Baͤume fuͤr der Schlacht durch den Forſt ge-
macht hatten/ nachzuſetzen/ und traff kurtz nach
aufgegangener Sonne auf eineꝛ etwas blancken
Hoͤhe auff das groͤſte Theil des Roͤmiſchen Feld-
Geraͤthes/ und einer groſſen Menge mit Frau-
en/ Kindern/ Zelten/ Kriegszeug und anderer
Nothdurfft beladenen Wagen/ zwiſchen wel-
chen noch etliche tauſend Maͤnner eingeflochten
waren. Dieſe Verwickelung/ der glatte Erd-
boden/ und daß Bogen/ Schilde/ Schleudern
und ander Gewehre von dem ſtarcken Regen
gantz unbrauchbar gemacht worden waren/ be-
nahm denen ſchwergewaffneten Roͤmern alle
Moͤgligkeit ſich in Ordnung zu ſtellen/ und ge-
gen die mit leichter Ruͤſtung und langen Spieſ-
ſen verſehenen Deutſchen zu fechten. Dahero
wurden ſie ohne groſſe Muͤhe niedergehauen/
auch Weiber und Kinder/ welchen nicht deꝛ Feld-
herr und andere Fuͤrſten die Gnade der Dienſt-
barkeit wiederfahren lieſſen/ von der Schaͤrffe
des Schwerds nicht verſchonet. Ob die Roͤmer
auch wohl an der Einfarth des ſich wieder an-
fangenden Waldes eine Menge Wagen/ Holtz
und ander Geraͤthe anzuͤndeten/ um an dieſer
Enge denen Deutſchen die Verfolgung zu ver-
hindern; ſo waren doch dieſen alle Fußſteige und
Nebenwege ſo gut bekandt/ daß ſie in kurtzem
ſich im Gehoͤltze wiedeꝛ an ſie hingen/ von welchen
einige
[53]Arminius und Thußnelda.
einige in der Flucht einander ſelbſt uͤber einen
Hauffen rennten und beſchaͤdigten/ andere uͤber
die Stoͤcke oder in Moraſte ſtuͤrtzten/ alſo daß
die Deutſchen nicht ſo wohl zu kaͤmpffen Noth/
als nur niederzumetzgen Gelegenheit hatten.
Gegen Abend ward der ohne diß den Tag
unauffhoͤrlich gewehrte Regen abermahls mit
einem noch ſchꝛecklicheꝛn Sturmwinde begleitet/
welcher in den Waͤldern das oberſte zu unterſte
drehete/ und dahero ſelbſt die Deutſchen zwang
ſich auff die Flaͤche zuruͤck zu ziehen/ wiewohl ſie
den Roͤmern den zornigen Himmel zu einem
genugſam grauſamen Feinde uͤber dem Halße
lieſſen/ und des Nachts die vom Feinde im Sti-
che gelaſſenen Wagen und Beute bey abermah-
ligem Wolleben durchſuchten.
Des Morgens vermochte ſie auch der noch
waͤhrende Sturm nicht auffzuhalten/ ſondern ſie
brachen/ wiewohl wegen der haͤuffig uͤber einan-
der gefallenen Baͤume/ unter denen viel hundeꝛt
ihrer Feinde erbaͤrmlich zerſchmettert lagen/ mit
groſſer Muͤh durch den Forſt durch/ und kamen
endlich an das zwiſchen dem Alme- und Lippen-
ſtrome befeſtigte Laͤger der Roͤmeꝛ/ in welches ſich
Lucius Caͤditius/ Arbogaſt und noch etliche ande-
re Heerfuͤhrer/ mit allen denen/ welche von dieſer
zweyer Tage Niederlage uͤbrig blieben waren/
eingeſchloſſen hatten.
Der Feldherr ſtellte alſofort ein Theil ſeines
Heeres in Schlacht-Ordnung/ und ließ durch
einen Hauptmann das laͤnglicht viereckichte
auch zwar ſehr veſte/ aber wideꝛ die Roͤmiſche Art
mit Kuͤchen/ Badſtuben/ Betten und allerhand
Hausrath angefuͤllte Laͤger auffodern/ mit der
Bedrohung: daß wenn ſie den Sturmbock den
Wall beruͤhren lieſſen/ er ſo denn von keinen Be-
dingungen ihrer Erhebung hoͤren wolte. Er
kriegte aber zur Antwort: daß ſie ſich biß aufden
letzten Blutstropffen zu wehren entſchloſſen
haͤtten. Hiermit befahl Hertzog Herrmann alſo-
bald denen Zim̃erleuten/ und einem Theile ohne
diß mit Beilen und Aexten verſehener Kriegs-
leute/ Reißig-Gebuͤnder zu Fuͤllung der Graͤ-
ben und Sturmleitern zu Erſteigung der Waͤl-
le zu fertigen. Er ſelbſt legte auch/ um ſein Volck
deſto mehr auffzufriſchen/ mit Hand an; Zumal
bey denen Deutſchen ohnediß die Kriegs-O-
berſten mehr durch ihr eigenes Beyſpiel/ als
durch Befehle/ ihre anvertraute Gewalt auszu-
uͤben pflegen. Er machte hierauff Tag und
Nacht zu Uberwaͤltigung des Laͤgers moͤchligſte
Anſtalt. Jnzwiſchen ließ er den Hertzog Catu-
mer wiſſen: daß er mit ſeinem noch hinterſtelli-
gen Fluͤgel gegen Norden und uͤber den Lippe-
ſtrom abweichen/ alſo verhindern ſolte/ daß die
im Laͤger beſchloſſenen ſich nicht daraus an die
ſo weit nicht entfernte Feſtung Aliſon abziehen
koͤnten. Hertzog Jubiln aber hieß er mit
einem Theil Reuterey durch die Alme ſetzen/
um diſſeits der Lippe die Seite gegen Aliſon
zu bedecken.
Es war nun ſchon alles zum Sturme fertig/
zwey aus Heynbuchen hundert und zwantzig
Ellenbogen lang gemachte und mit einem ſtar-
cken eiſernen Widerkopffe verſehene/ auch mit
einem wider das Feuer durch ein ledernes
Sturm-Dach verwahrte Sturm-Boͤcke/ an
derer iedem vier tauſend Maͤnner ziehen mu-
ſten/ hatten an zweyen Orten den Wall dreyſ-
ſig Ellen breit uͤber einen Hauffen geworffen.
Der Graben war an unterſchiedenen Orten
ausgefuͤllet/ und es waren vier mit Eiſen und
Alaun wider das Feuer bedeckte Sturmthuͤr-
me zum anſchieben fertig. Die groſſen Stein-
ſchleudern waren an dienliche Orte gepflantzt/
und es ſolte gleich zum Anlauffen das Zei-
chen gegeben werden/ als man den dritten Tag
bey der Sonnen Auffgang gegen Weſten uͤ-
ber der Alme einen ſtarcken Schall von Trom-
peten und andern Kriegs-Spielen vernahm/
welchen der daher kommende Wind hefftig ver-
groͤſſerte/ ein von dem Hermundurer Fuͤrſten
zuruͤckjagender Edelmann aber berichtete/ daß
zwey Legionen Roͤmer/ welches man aus ihren
zwey Adlern erkennte/ nebſt etlichen Hauffen
Reutern recht gegen ihn anzuͤgen. Der Feldherꝛ
G 3muth-
[54]Erſtes Buch
muthmaſſete alsbald/ daß Lucius Aſprenas/ ein
erfahrner Kriegs-Oberſter/ des Varus Schwe-
ſter Sohn/ die zwiſchen der Jſel oder Nabel und
der Emſe zertheilte Legionen (wie es ſich denn in
Wahrheit alſo auswieß) zuſammen gezogen/
und bey der Feſtung Aliſon uͤber die Lippe ge-
ſetzt haben muͤſte. Dahero ließ er den Hertzog
Jnguiomer mit einem Theil Volckes fuͤr dem
Laͤger ſtehen/ theils alles in altem Stand zu er-
halten/ theils zu verhindern/ daß die Roͤmer
nicht durch den Alme-Strom ſetzten. Weil
auch der heftige Weſt-Wind den Deutſchen ge-
rade in die Augen geſtrichen haͤtte/ wenn er den
anziehenden Roͤmern geraden Weges entgegen
gegangen waͤre/ lenckte der Feld- Herr Sud-
werts ab/ womit er zugleich den halben Wind
gewinne/ und das Fuß- Volck nicht durch den
Alme-Strom waten doͤrfte.
Aſprenas/ welcher zwar Nachricht hatte/ daß
Quintilius Varus mit den Cheruskern und
Hermundurern in Zwytracht und in ein Tref-
fen gerathen war/ ihm aber nicht traumen ließ/
daß dieſes groſſe Heer aufs Haupt erlegt/ weni-
ger das Laͤger noch dazu belaͤgert und er ſo nahe
dem Deutſchen Heere waͤre/ wolte durch ſeinen
Trompeten-Schall ſeine Ankunft dem Roͤmi-
ſchen Laͤger kund machen/ ward daher uͤberaus
beſtuͤrtzt/ als er die vom Hertzog Jubil uͤber den
Alme-Strom gefuͤhrte Deutſche Reiterey/ und
in deren Fahnen den gekroͤnten Cattiſchen Loͤwen
erblickte. Jhm machte auch alſobald Nachden-
cken/ daß dieſe Reiterey/ als ſie ſeiner anſichtig
worden/ ſtock ſtille halten blieb/ und nach dem
er ohne diß am reiſigen Zeuge ſehr ſchwach war/
wuſte er nicht/ ob er die Deutſchen anzufallen
Befehl ertheilen ſolte. Zumal dieſe ohnedis
harte an dem Puſche hielten/ und er ſich eines
ſtarcken Hinterhalts beſorgen muſte. Alſo blie-
ben beyde Theile eine gute Weile/ Aſprenas aus
Zweifel/ Jubil auf Huͤlffe wartend/ gegeneinan-
der ſtille halten. Gleichwol konte Aſprenas
ſich wenig gutes verſehen/ und daher ſtellte er ſein
Volck auf allen unverſehenen Anfall in
Schlacht-Ordnung/ und ließ hiemit einen Vor-
trab Reiterey gegen die Deutſche voraus traben/
umb die wahre Beſchaffenheit zu erkundigen:
ob die Catten dar als Freund oder Feind ſtuͤnden.
Denn weil er noch nicht wuſte/ daß dieſe ſich mit
den Cheruskern ausgeſoͤhnet hatten/ und zu ih-
nen geſtoſſen waren/ er auch bey ſo gar nahem
Roͤmiſchen Laͤger nicht vermuthen konte/ daß ein
Feind daſelbſt ſeinen Stand haben ſolte/ war
ihm eine Meynung ſo zweifelbar/ als die andere.
Dieſe aber ward ihm dadurch allzu zeitlich be-
nommen/ daß die Catten ohne einige eingebilde-
te Wortwechſelung den Roͤmiſchen und theils
Uſipetiſchen Reiternin vollem Rennen mit ein-
gelegten Lantzen begegneten/ derer etliche von
den Pferden renneten/ die wenigen andern aber/
als ſich zumal die groſſe Menge der Deutſchen
mehr und mehr aus dem Gehoͤltze herfuͤr that/
das Haſen-Panier aufzuwerffen noͤthigten.
Aſprenas konte ihm numehr aus der ſo ſichtbar
ſich vergroͤſſernden Anzahl die Rechnung leicht
machen/ daß ein der Reiterey gemaͤſſes/ und alſo
maͤchtiges Fuß-Volck am Ruͤcken ſtehen muͤſte;
dahero war er ſchon halb und halb entſchloſſen die
Legionen mit guter Art gegen dem nahen Walde
an einen wegen dabey liegender Suͤmpfe vor-
theilhaften Ort zuruͤck zu ziehen. Hievon aber
hielt ihn zuruͤcke/ daß er gleichwohl in dem Roͤmi-
ſchen Laͤger die Roͤmiſchen Kriegs-Spiele hoͤrte/
auch ihm im Laͤger durch aufgeſteckte rothe Tuͤ-
cher und Schwenckung vieler Fackeln gewiſſe
Kriegs-Zeichen geben ſah/ welche ihn durch bey
denen Roͤmern abgeredte Verſtaͤndnuͤß genung-
ſam verſicherten/ daß das Laͤger von Roͤmern be-
ſetzt/ aber nicht auſſer Gefahr waͤre. Dahero ent-
ſchloß er ſich fort und dem Laͤger zuzudringen/
in Hoffnung/ es wuͤrden auff allen Fall die et-
wan Belaͤgerten auch das ihrige thun/ und die
Deutſchen zugleich anfallen.
Hiermit gerieth die Reiterey beyderſeits an
einander/ Caͤcina fuͤhrte die Roͤmiſche/ und Her-
tzog
[55]Arminius und Thußnelda.
tzog Jubil wolte als der letzte in voriger Schlacht
numehro mit ſeinen Hermundurern und anver-
trauten Catten in dieſer die erſte Ehre einlegen.
Ob nun zwar die Roͤmer das ihrige thaten/ ſo
war doch der deutſche reiſige Zeug ihnen ſo wol
an der Anzahl als Geſchwindigkeit uͤberlegen/
und welches das aͤrgſte war/ ſo ging Fuͤrſt Mar-
comir mit ſeinen Uſipetern von den Roͤmeꝛn zu
den Deutſchen uͤber/ alſo/ daß die Roͤmiſche Reite-
rey gegen den muthigẽ Jubil nicht lange geſtan-
den haben wuͤrde/ wenn nicht die Acarnaniſchen
und Baleariſchen Schleuderer ihnen zu huͤlffe
geeilet haͤtten. Dieſer ihr knechtiſches Hand-
werck iſt von Kind auf das Schleudern/ und
kriegen ſie von der Mutter kein Brodt/ das ſie
nicht mit dem Steine getroffen. Sie ſchlingen
die eine Schleuder als eine Zierrath umb das
Haupt/ die ſie in der Naͤhe brauchen/ die andere
als einen Guͤrtel um den Leib/ welche etwas
weiter ſchleudert/ und die/ welche am ferneſten
traͤgt/ haben ſie ſtets in der Hand und in Bereit-
ſchafft. Sie ſchwencken ſie dreymal umbs
Haupt/ treffen mit einem pfuͤndichten Steine
oder Bley ſechshundert Fuͤſſe weit/ was ſie wol-
len/ und zerſchmettern auch denen auffs beſte
Geharniſchten ihre Glieder. Unter dieſen
waren auch Achaiſche Schleuderer/ welche an
ſtatt der Kugeln Spieſſe und Pfeile mit groſ-
ſem Nachdruck warffen. Aber auch dieſe
wuͤrden nicht lange geſtanden ſeyn/ wenn nicht
das Roͤmiſche Fuß-Volck ſich genaͤhert und die
Reiterey entſetzt haͤtte. Die Legionen drangen
gleichſam als Mauren gegen die Deutſchen an/
dem Fuͤrſten der Hermundurer worden von de-
nen untergeſpickten Armeniſchen und Arabi-
ſchen Schuͤtzen/ welche letztern ihre Bogen mit
den Fuͤſſen ſpannen/ und Pfeile eines Mannes
lang ſchuͤſſen/ zwey Pferde unter dem Leibe er-
legt/ weil die Pfeile wegen ihrer zweyfach uͤber
einander ſtehenden oder vierhackichten Spitzen
unmoͤglich aus der Wunde zu ziehen waren.
Er ſelbſt ward mit einem geſchleuderten Stei-
ne auf die Bruſt getroffen; alſo/ wie hertzhafft
gleich dieſer Hertzog dem Feinde unter die Au-
gen ging/ ſo war es doch unmoͤglich zwey geſchloſ-
ſene Legionen zu durchbrechen. Weil aber die
Deutſchen gleichwol keinen Fuß breit weichen
wolten/ gerieth der Graf von Mansfeld ſo ſehr
ins gedrange/ daß ein Roͤmer ſeinem Pferde den
Degen in Bauch ſtieß/ worvon es zu Boden
ſtuͤrtzte/ zwey andere aber ihm den Schild mit
Gewalt vom Arme riſſen. Dieſer Verluſt
machte dieſen Helden gantz raſend; weil bey
den Deutſchen keine groͤſſere Schande iſt/ als den
Schild einbuͤſſen/ und derſelbe ſo denn weder
einigem Rathſchlage noch dem Gottes-Dienſte
beywohnen darff. Er ſprang hierauf nicht nur
von der Erden/ ſondern auch hinter einen Roͤ-
mer auffs Pferd/ ſtieß ihm den Degen durch den
Hals/ riß dem davon ſterbenden den Schild
vom Arme/ und warff den Todten aus dem
Sattel/ verfolgte auch den der ſeinen Schild
hatte wie ein Blitz/ biß er ihm das Licht aus-
leſchte/ und ſeinen unſchaͤtzbaren Verluſt mit
nicht geringerm Ruhme/ iedoch auch mit nicht
wenigern Wunden/ als des Cato Sohn in der
Schlacht gegen den Koͤnig Perſes ſeinen ihm
entfallenen Degen wieder erlangte. Dieſes
Beyſpiel ermunterte die Deutſchen/ daß ſie
gleichſam wider alle Vernunft und Moͤgligkeit
die gantze Roͤmiſche Macht aufhielten. Nach
dem aber Hertzog Jubil dabey mehr Schaden
als Vortheil erſah/ gab er denen Seinigen ein
Zeichen/ daß ſie ſich nach und nach auf die lincke
Seite ziehen ſolten. Denn der gerade hinter
dem Ruͤcken ſich befindliche Wald war zum
Treffen des feindlichen Fuß-Volcks vortheil-
haftiger/ als ſeiner Reiterey. Aſprenas meyn-
te/ er haͤtte numehr ſchon den Sieg in Haͤnden/
und der Feind habe ihm ſelbſt bereit den Weg in
das Roͤmiſche Laͤger geoͤffnet/ als auf der rechten
Seiten Segeſthens Sohn/ Fuͤrſt Sigismund/
mit der Cheruskiſchen Reiterey die Roͤmer an-
fiel/ und ſich zugleich das deutſche Fuß-Volck
ſehen
[56]Erſtes Buch
ſehen ließ. Aſprenas erkennte nun allererſt
ſeinen Fehler/ und die Gefahr/ in welche ſeine
Verwegenheit das Roͤmiſche Kriegs-Volck ge-
ſtuͤrtzt haͤtte/ gleichwolließ er ſeinen Muth nicht
alſobald fahren/ ſondern war bemuͤhet/ aus der
Noth eine Tugend zu machen/ und die Scharte
ſeiner Ubereilung durch Vorſicht und Tapfer-
keit auszuwetzen. Er preßte einem mit dem
Pferde geſtuͤrtzten/ und hierdurch in ſeine Haͤn-
de verfallenen Cattiſchen Reiter aus/ daß Quin-
tilius Varus mit dem gantzen Heere biß auffs
Haupt geſchlagen/ das Laͤger von Hertzog Jn-
guiomern beſchloſſen/ Hertzog Herrmann aber
mit dem ſiegenden Heere gegen die Roͤmer in
ſichtbarem Anzuge waͤre. Dahero ordnete er:
daß Caͤcina mit ſeiner Reiterey/ und Sylvanus
Plautius mit denen untermengten Schuͤtzen
und Schleuderern die andringende deutſche
Reiterey aufhalten/ und durch ihr Gefechte de-
nen Legionen ſich zwiſchen die Suͤmpfe und
den Wald zuruͤckzuziehen Lufft machen ſolte.
Hertzog Jubil und Sigismund worden durch
Zuruͤckweichung des Roͤmiſchen Fuß-Volcks
Meiſter des Feldes/ und wenn einer gegen die
Reiterey fochte/ fiel der ander bald dar bald dort
in das Fuß-Volck ein/ und thaͤt groſſen Scha-
den. Der Feldherr ſprach dem deutſchen
Fuß-Volck ſo beweglich zu/ daß ſie ihre Muͤ-
digkeit des ſchon in vierdten Tag waͤhrenden
Treffens vergaſſen/ und auf die Roͤmer traben-
de zulieffen/ nach dem ſie ſie ſchon fuͤr der einigen
Reiterey weichen ſahen. Wie geſchwinde nun
gleich dieſe fortgieng/ ſo war es doch ſeiner
Siegs-Begierde vielzu langſam; dahero fuͤgte
er ſich ſelbſt zu der Reiterey/ und brachte mit ſei-
nem grimmigen Anfalle die Roͤmiſche in offent-
liche Flucht/ ſaͤbelte die Schuͤtzen und Schleude-
rer meiſt/ auch unter ihnen den Plautius mit ei-
gner Hand nieder. Die foͤrderſten Hauffen der
Legionen/ welche zwar allezeit den Deutſchen in
viereckicht geſchloſſener Schlacht-Ordnung die
Stirne boten/ kamen in nicht geringe Verwir-
rung. Weil auch wegen der Suͤmpfe das Roͤ-
miſche Fuß-Volck nicht mit der auf der Flaͤche
gehaltenen Breite ſich zuruͤck ziehen konte/ ſon-
dern ſich daſelbſt zertheilen muſte/ und alſo viel
laͤngſamer zu weichen vermochte; wurden ſie
von dem deutſchen Fuß-Volcke nun auch errei-
chet/ zertrennet/ und wie tapfer gleich Aſpre-
nas an der Spitze des Fuß-Volcks/ Caͤcina
an der Stirne des ſich zwiſchen den Legionen
widerſetzenden reiſigen Zeuges fochten/ faſt
alles/ was nicht bey Zeite uͤber die engen
Furthe der Moraͤſte gediegen war/ nieder gehau-
en oder ertreten/ Caͤcina auch von dem Jubil im
Haupte/ Aſprenas vom Fuͤrſten Sigismund
mit einer Lantze in Arm verwundet. Es wuͤr-
den auch weder Wald noch Moraͤſte dem uͤbri-
gen Heere einige Sicherheit verſchafft haben/
wenn nicht die regenhafte Nacht denen Deut-
ſchen abermals mit ihrer Finſternuͤß die engen
Wege uͤber die Suͤmpfe verbeugt haͤtte/ wiewol
in ſelbten auch viel Roͤmer ſtecken blieben und er-
ſtickten/ die aus den Haͤnden ihres Feindes zu
entrinnen vermeynten.
Aſprenas war nicht weniger durch den groſ-
ſen Verluſt ſeines Volckes bekuͤmmert/ als
umb Erhaltung des uͤberbliebenen Heeres
ſorgfaͤltig. Zumahl er ſeinem unvorſichti-
gen Anzuge ſelbſt groſſen theils die Schuld des
empfangenen Schadens und der noch vor-
ſtehenden Gefahr gab. Dahero trachtete er
durch eine Kriegs-Liſt ſein Verſehen auszubeſ-
ſern; befahl alſo hin und wieder Wach-Feuer
zu machen/ Baͤume abzuhauen/ Graͤben ge-
gen dem Feinde/ und in allem ſolche Anſtalt zu
machen/ als wenn er an dieſem vortheilhaften
Orte ſich befeſtigen und alſo ſtehen bleiben wol-
te. Jnzwiſchen ließ er im finſter nund in moͤg-
lichſter Stille unter dem Geraͤuſche/ ſo durch
das Umbhauen der Baͤume gemacht ward/
die Wagen und das Heergeraͤthe/ ſamt denen
Krancken/ und welche am uͤbelſten zu Fuſſe wa-
ren/ zuruͤcke und nach der Feſtung Aliſon gehen/
wel-
[57]Arminius und Thußnelda.
welchen das Fuß-Volck nach und nach folgte/
und/ weil die Noth auch im ſtockfinſtern ſehende
Augen hat/ geſchwinder und ohne wenigere
Vermerckung des Feindes/ als ihm Aſprenas
ſelbſt eingebildet hatte/ durch den holen und en-
gen Weg/ der durch ſelbigen Wald fuͤhrte/ auf
das flache Feld gegen Aliſon gerieth. Worauf
Aſprenas die Feuer nach und nach von ſich ſelbſt
verleſchen/ das Geraͤuſche in Waͤldern ſich ver-
mindern ließ/ und mit der zuruͤckbliebenen Rei-
terey eilfertig nachfolgete. Hertzog Herrmann
hatte inzwiſchen Nachricht erlangt/ daß Catu-
mer mit ſeinem Hauffen auf Malovenden der
Marſen Hertzog auff der andern Seite der Lip-
pe getroffen haͤtte/ dieſer aber dennoch mit etli-
chen Tauſenden theils Reiterey/ theils Fuß-
Volck in das Roͤmiſche Laͤger durchgedrungen
ſey; Catumer alſo ein Theil zu Beſchluͤſſung
des Laͤgers daſelbſt gelaſſen/ und weil ihm etliche
Gefangenen entdecket/ daß vorhergehende
Nacht Lucius Aſprenas mit ſeiner Kriegs-
Macht bey Aliſon uͤber die Lippe geſetzt haͤtte/
mit dem groͤſten Theile auch dieſe Feſtung zu
ſperren/ und den Feind zu einer Zertrennung
zu noͤthigen/ an der Lippe ſeinen Zug fortgeſetzt
habe. Ob nun zwar der Feldherr endlich beym
Abzuge der Reiterey die Flucht des Feindes
durch etliche Kundſchaffter erfuhr/ ſo dorfte er
doch/ theils wegen Muͤdigkeit ſeines Volcks/
theils wegen vernommener Verſtaͤrckung des
Laͤgers/ theils wegen groſſer Finſternuͤß ſich
durch die gefaͤhrlichen Moraͤſte und Waͤlder/
allwo er von dem liſtigen Feinde leicht haͤtte um-
ringet und uͤberfallen werden koͤnnen/ den Feind
zu verfolgen nicht wagen/ ſondern muſte mit dem
lichten Morgen neue Entſchluͤſſungen er-
warten.
Mit anbrechendem Tage ſahen die Deut-
ſchen/ daß Aſprenas voͤllig das Feld geraͤumt
hatte. Und ob wol ein Theil der Reiterey un-
ter Hertzog Ganaſchen (denn mit dem gantzen
Heere ihn zu verfolgen ſchiene bey ſo ungeſtuͤ-
mem Wetter und ſchlimmen Wegen weder
rathſam noch moͤglich) biß an die Feſtung Aliſon
den Feind verfolgte/ auch von denen/ welche in
ſo ſchnellem Zuge ſo eilfertig nicht hatten folgen
koͤnnen/ ein ziemliches Theil uͤbereilte und er-
legte/ ſo muſten ſie doch endlich den Aſprenas/
welcher in die Feſtung Aliſon alles Heer-Geraͤ-
the abgelegt hatte/ durch die Tencterer gegen den
Rhein/ allwo einige Voͤlcker auch ſchon Aufſtand
zu machen anfingen/ entſchlippen laſſen.
Der Feldherr fuͤhrte das Heer bey ſo geſtalten
Sachen wieder fuͤr das Laͤger/ allwo Hertzog
Jnguiomer die an zweyen Orten/ bey waͤhren-
dem Treffen mit dem Aſprenas/ ausfallenden
Belaͤgerten/ welche Fuͤrſt Malovend tapfer an-
fuͤhrte/ mit groſſem Verluſt zuruͤck getrieben/
und ſo wol in Verwirrung als Schrecken veꝛſetzt
hatte. Bey ſo ſieghafter Zuruͤckkunft des gan-
tzen Heeres/ und zerronnener Huͤlffe des Aſpre-
nas/ und da kaum ſo viel Kriegs-Leute als Zelten
verhanden waren/ in derer iedem ihrer ſonſt eylf
zu ſeyn pflegen/ geriethen ſie in aͤuſerſte Ver-
zweifelung/ ſonderlich da die Deutſchen die de-
nen erſchlagenen Roͤmern abgeſchnittene Koͤpfe
auf ihre Spiſſe geſteckt hatten/ und ſelbte theils
in die Graben warffen/ theils uͤber die Waͤlle
ins Laͤger ſchleuderten/ theils nach dem Beyſpie-
le der Kayſerlichen Kriegs-Knechte fuͤr Munda/
als Pompejus die Pharſaliſche Schlacht ver-
lohren hatte/ ihnen von derogleichen Koͤpfen
Bruſtwehren und Bruͤcken machten; und wie
Hannibal nach der Schlacht bey Cannas fuͤr
keine gemeine Rache hielten/ wenn ſie uͤber die
Baͤuche der Roͤmer zu Sturme lauffen koͤnten.
Ob nun wol der Feldherr die Unvermoͤgenheit
der Roͤmer ihr Laͤger zu beſchuͤtzen wahrnahm;
ſo erwog er doch/ daß die Schlangen auch nach
zerknirſchtem Kopfe ſich mit dem Schwantze
wehren/ und einem verzweifelten Feinde ehe ei-
ne goldene Bruͤcke zu ſeinem Abzuge zu bau-
en/ als ein erlangter Sieg durch angemaßte
Vertilgung deſſelbten in Gefahr zu ſetzen ſey.
Erſter Theil. HDa-
[58]Erſtes Buch
Dahero hielt er den Eyfer der hitzigen und zum
Sturme begierigen Deutſchen mit allem Fleiß
zuruͤck/ ihnen einhaltend: Der Krieg muͤſte zwar
mit einer in die Augen lauffenden Tapferkeit
angefangen/ ein herrlicher Sieg aber mit Rath
und Vernunft ausgemacht werden. Er hielte
fuͤr einen groͤſſern Verluſt als Gewinn/ wenn
er einen Deutſchen einbuͤſſete/ ob ſchon hundert
Feinde daruͤber ins Gras beiſſen muͤſten. Er
wolte ſich des den Belaͤgerten eingejagten noch
friſchen Schreckens bedienen/ und das gleich-
wohl mit einem zehn Schuch hohen/ mit einge-
legten weidenen Ruthen und Koͤpfen verſtaͤrck-
tem Walle/ und nicht nach gemeiner Art mit
einem acht Fuß breit- und tieffen/ ſondern wol
zweyfach vergroͤſſertem Waſſer-Graben befe-
ſtigte Laͤger/ welches unterdeſſen an denen von
den Sturm-Boͤcken zerſtoſſenen Orten ziem-
lich wieder verbauet worden war/ noch einſt auf-
fodern laſſen. Die andern Fuͤrſten ſtimmten
des Feldherrn Meynung bey; ward alſo der
Ritter Naſſau ins Laͤger geſchickt/ ſelbtes auff
Gnade und Ungnade auffzufodern/ iedoch ſolte
er denen Belaͤgerten keine Zeit zu gewinnen/
noch uͤber einigen Bedingungen langweilig ſich
zu berathen verſtatten. Unterdeſſen wurden
die Sturm-Boͤcke und groſſe Stein-wie auch
die Feuer-Schleudern wieder zu rechte gemacht/
und das Heer zum Sturme aufgefuͤhrt. Der
Marſen Fuͤrſt/ als ein noch junger hitziger Herr/
nebſt etlichen Roͤmiſchen Oberſten/ widerrieth
ſich zu ergeben/ entweder umb fuͤr andern hertz-
hafft angeſehen zu werden/ oder daß er als ein
Deutſcher ſich vom Feinde mehrer Grauſam-
keit beſorgte. Er meynte: Es ſey ehrlicher ſich/
ſo lange man noch eine Fauſt ruͤhren/ und in
ſelbter den Degen halten koͤnne/ wider ſo grim-
mige Feinde ritterlich zu fechten/ als aus Zag-
heit in unertraͤgliche Dienſtbarkeit zu fallen/
oder wol gar lieber vom Hencker/ als einem
redlichen Feinde umbkommen. Nichts ſey ſo
arg/ weſſen ſie ſich nicht von einem erzuͤrnten
Feinde/ welcher ſo gar von keiner Behandelung
hoͤren wolte/ zu befuͤrchten haͤtten. Sie wuͤrden
nichts minder/ wenn ſie ſich ergeben/ als wenn ſie
uͤberwunden wuͤrden/ ſterben muͤſſen. Dieſer
Unterſcheid waͤre es alleine/ daß man auf jene
Art die Seele mit Spott/ auff dieſe tugendhafft
ausblieſſe. Alles ſey ſo viel mehr unſicher/ iemehr
ihm Schimpf anklebte. Muͤſte es auch ja
gefallen ſeyn/ waͤre es ruͤhmlicher der Gefahr
die Stirne/ als den Nacken darbieten. Ta-
pferkeit muͤſte auch der Feind loben/ und groß-
muͤthige Gegenwehre ſtuͤnde nicht alleine Hel-
den wol an/ ſondern ſie riſſe auch offt Ver-
zagte aus ihrem Untergange. Sie wuͤrden
an Hertzhafftigkeit dem Feinde hoffentlich nichts
bevor geben/ an Guͤte der Waffen waͤren ſie den
Deutſchen uͤberlegen; ſie haͤtten den Wall zu
ihrem Vortheil/ und die Noth/ welche das
letzte und beſte Gewehre waͤre/ diente ihnen zu
einem kraͤfftigen Beyſtande. Cejonius aber/
welcher die hoͤchſte Gewalt uͤber das Laͤger
hatte/ rieth das ausdruͤckliche Widerſpiel. Es
wieſe es der Augen-Schein/ daß die Goͤtter
dieſesmal wider die Roͤmer ſelbſt gekrieget
haͤtten. Ja dieſe haͤtten diß Unheil ihnen
durch vielfaͤltige Wunder - Zeichen angekuͤn-
digt. Der Blitz habe zu Rom in den Tempel
des Kriegs-Gotts geſchlagen. Die Gipfel
des Apenniniſchen Gebuͤrges waͤren uͤberein-
ander gefallen/ und aus ſelbten drey Feuer-
Saͤulen empor geſtiegen. Der Himmel habe
zeither offt in vollem Feuer geſtanden/ und
haͤtten ſich unterſchiedene Schwantz-Sterne
ſehen laſſen. Es waͤren von Mitternacht her
Lantzen in ihr Laͤger geflogen kommen/ die
Bienen haͤtten etliche ihrer Opfer-Tiſche mit
Wachs uͤberzogen. Das Bildnuͤß des Sie-
ges habe ſich fuͤr einem darfuͤr tretenden Deut-
ſchen umbgewendet/ und ſein Geſichte gegen
Rom gekehret. Umb die Roͤmiſchen Adler
waͤre etlichemal ein blinder Lermen entſtanden/
und die Wache ſey/ gleich als die Barbarn
ein-
[59]Arminius und Thußnelda.
eingefallen/ daruͤber erſchreckt worden. Alles
dieſes haͤtte der Goͤtter unverſoͤhnlichen Zorn/
der Roͤmer unvermeidlichen Verderb angedeu-
tet. Varus habe diß alles veraͤchtlich in
Wind geſchlagen/ wiewol dem/ was das Ver-
haͤngnuͤß iemanden ſchon beſtimmte/ koͤnne
man nicht entgehen/ wenn man es ſchon vorher
wahrnehme. Dahero waͤre es ihres Orts nu-
mehro eine groſſe Thorheit/ wider das Verhaͤng-
nuͤß zu Felde ziehen/ eine Klugheit der unauff-
haltbaren Nothwendigkeit aus dem Wege
weichen. Jhrer waͤren noch eine Handvoll
gegen das ſich noch taͤglich vergroͤſſernde Heer
der Deutſchen. Da nun die gantze Roͤmiſche
Macht gegen dieſen Sturm - Wind viel zu
ohnmaͤchtig geweſt waͤre/ was ſolten ſie wenige
und meiſt hart verwundete ausrichten? Der
Deutſchen Grauſamkeit habe zeithero ſich nach
den Roͤmiſchen Sitten mercklich gemiltert.
Und da ſie auch ihre Kriegs-Art von Ermor-
dung der Ergebenen nicht zuruͤcke hielte/ wuͤr-
den ſie doch ihrer eignen Landsleute und Bluts-
Freunde ſchonen/ welche in Roͤmiſcher Gefan-
genſchafft begriffen/ alſo gleichmaͤſſiger Rache
unterworffen waͤren. Sie wuͤrden ſelbſt Gott
dancken/ gegen ſie die Jhrigen auszuwechſeln.
Der Uberwinder ſchriebe dem Uberwundenen
willkuͤhrliche Geſetze fuͤr. Dahero ſey es mehr
gewoͤhn-als nuͤtzlich gewiſſe Abſaͤtze zu behan-
deln. Denn wer koͤnne dem Sieger die
Haͤnde binden/ daß er die verwilligte Abrede
nicht breche? Dahero hielte er fuͤr rathſamer
ſich der Gnade ihrer Feinde/ welche ja noch
Menſchen/ keine Ungeheuer waͤren/ zu erge-
ben/ und durch Streichung der Segel den Jh-
rigen und dem Vaterlande ſich zu erhalten/
als aus Hartnaͤckigkeit ihm eitele Ehre erzwin-
gen wollen und zu Grunde gehen. Er waͤre
zwar bereit/ wenn denen Belaͤgerten oder Rom
darmit was geholffen wuͤrde/ ſich zum Schlacht-
Opfer fuͤr ſie eigenhaͤndig hinzugeben. Auch
ſchiene die Ergebung ſchimpflich/ die verzwei-
felte Gegenwehr mehr ruͤhmlich zu ſeyn: Allei-
ne dieſe waͤre doch dem Vater-Lande/ dem ſie
durch jene noch erhalten wuͤrden/ nicht ſo nuͤtz-
lich. Nun aber waͤre es groͤſſere Liebe dem
Vaterlande mit ſeiner Schande/ als mit ſeinem
Tode dienen. Alſo ſolten ſie ſich gegenwaͤrti-
ger Noth nur unterwerffen/ welche die maͤchti-
gen Goͤtter ſelbſt nicht uͤberwinden koͤnten.
Die meiſten fielen dem Cejonius bey; alſo wur-
den auch die Tapferſten uͤberſtimmet/ wie es ins-
gemein zu geſchehen pfleget/ wo die Meynun-
gen gezehlet/ nicht gewogen werden.
Der deutſche Ritter/ welcher ihnen bald an-
fangs angedeutet hatte/ daß ihre Ergebung kei-
ne Bedingung zulieſſe/ ward hierauf fuͤr die
Verſammlung gebracht/ und Cejonius eroͤffne-
te ihm: Nachdem die Goͤtter ſeinem Feldherrn
die Ehre eines ſo groſſen Sieges zugedacht/ muͤ-
ſten ſie der Zeit/ dem Verhangnuͤſſe und ſeiner
Tugend weichen: ſich alſo ergeben. Jhnen
und allen Uberwundenen ſey es ein Troſt/ von
einem ſo groſſen Helden uͤberwunden worden
ſeyn. Weil es auch ihm ſo gefiele/ wolten ſie
durch keine Unterhandlung ihm die Zuſage ſei-
ner Gnade abnoͤthigen. Die Tugend eines
hertzhaften Uberwinders ſey ein ſicherer Pfand
der Sanftmuth/ als betheuerliche Worte. Sich
ſelbſt uͤberwinden ſey der groͤſte Sieg/ und eines
Siegers groͤſter Ehren- Ruhm/ gegen Gefan-
gene Erbarmnuͤß uͤben. Ein einig erhaltener
Feind ſey ein ſchoͤneres Siegsmahl als tauſend
todte Leichen. Nichts hingegen beſudele die
Lorbern eines Uberwinders mehr als das Blut/
wormit ſie die Rachgier nach ſchon abgekuͤhltem
Gebluͤte und geendigter Schlacht beſpritze.
Mit dieſer erwuͤntſchten Verrichtung und
einer guten Anzahl Roͤmiſcher Geiſſel kehrte der
Ritter zu ſeinem Feldherrn/ Cejonius aber be-
fahl/ daß alle im Lager befindliche Waffen auf
einen Hauffen getragen/ die Pforten des Laͤgers
aufgeſperret/ und ein ieder numehro den Grim̃
des Feindes/ den ſie mit Waffen abzulehnen
H 2nicht
[60]Erſtes Buch
nicht vermocht/ mit demuͤthiger Begegnung be-
ſaͤnftigen ſolte. Fuͤrſt Malovend aber/ und
Apronius ein Roͤmiſcher Oberſter/ welchen nebſt
vielen andern uͤber der Entwafnung ſo vieler
tapfern Kriegs-Leute die Augen uͤbergiengen/
und dahero des Cejonius kleinmuͤthige und
ſchimpfliche Entſchluͤſſung verdammten/ hatten
aus Verdruß zwar ihrer eigenen Wolfarth/
nicht aber des noch uͤbrigen Roͤmiſchen Adlers
vergeſſen. Dahero eilten ſie zum Emilian/ der
ihn in ſeiner Verwahrung hatte/ hielten ihm die
ihnen allen daraus erwachſende Schande ein/
da dieſes guͤldne Kleinod und Zeichen der Roͤmi-
ſchen Hoheit in die Haͤnde des Feindes geliefert
wuͤrde; worden alſo ſchluͤſſig/ ſolchen in einen
im Laͤger befindlichen Sumpf zu verſtecken.
Hertzog Herrmann wolte bey ſo gluͤcklichen
Begebenheiten weder einige Zeit verlieren/ noch
Gelegenheit verſaͤumen/ gab alſobald Befehl/
daß die Reiterey/ und ein Theil des Fuß-Volcks
ins Laͤger ruͤcken/ die vier Pforten/ ihre Thuͤr-
me/ das in der Mitte auf einem Huͤgel ſtehen-
de und gleich einem Tempel mit einem Opfer-
Tiſche verſehene Haupt-Zelt des Feldherrn/
welches von Seide und Goldſtuͤck war/ auch ge-
wuͤrffelte Perſiſche Teppichte zum Fuß-Boden
hatte/ das Zeug-Haus nebſt andern vornehmen
Plaͤtzen beſetzen/ und die Waffen der Belaͤgerten
in Verwahrung nehmen ſolte. Als nun diß
alles in genungſame Sicherheit gebracht/ ritte
er unter der Begleitung Hertzog Jnguiomers/
des Cattiſchen und anderer Fuͤrſten ins Laͤger;
welchen Cejonius fuͤr der Pforte begegnete/ dem
Feldherrn die Schluͤſſel fußfaͤllig uͤberlieferte/
ihn auch fuͤr ſich und die Ergebenen umb eine
leidliche Gefaͤngnuͤß und Beſchirmung fuͤr den
gemeinen Kriegs-Knechten anflehete. Sinte-
mal dieſe ſchwerlich reine Haͤnde behalten koͤn-
ten/ wo der Sieg ihnen zugleich den Werckzeug
zur Rache/ und Gelegenheit zur Beute dar-
reckte. Die Großmuͤthigkeit eines ſo groſſen
Uberwinders lieſſe ſie nichts widriges beſorgen/
weil ſo denn weder Menſchen noch Goͤtter ihm
den herrlichen Sieg mißgoͤnnen koͤnten. Die
vorigen Merckmale ſeiner Guͤtigkeit haͤtten ſie
beredet/ daß ſie ihre Ergebung einer verzwei-
felten Gegenwehr fuͤrgezogen haͤtten/ weil ſie
glaubten/ es wuͤrden ſie ſo wenig der Deutſchen
Bothmaͤſſigkeit/ als ihn ihrer demuͤthigen Un-
terwerffung gereuen. Der Feldherr verſetzte
ihm: Man wuͤrde nach denen Geſetzen des Va-
terlandes/ nach dem Beyſpiel der uͤber die Deut-
ſchen ehmals ſiegenden Roͤmer/ und nach Maaß-
gebung der Kriegs-Rechte gegen ſie verfahren.
Worauf Cejonius/ Fuͤrſt Malovend/ Arbogaſt
und alle Groſſen in Feſſel geſchlagen/ die ge-
meinen Kriegs-Knechte aber ie zehn und zehn
aneinander gekoppelt/ und nebſt der gefundenen
reichen Beute unter die Uberwinder eingethei-
let/ die ins Laͤger zuruͤckgebrachte Schriften des
Varus und alle andere Geheimnuͤſſe ſorgfaͤltig
auffgeſucht und auffgehoben worden. Es haͤtte
einen Stein in der Erden jammern moͤgen/ das
erbaͤrmliche Winſeln der Gefangenen/ welche
an Stricken gleich als Heerden unvernuͤnfti-
gen Viehes fortgetrieben wurden/ und nun al-
lererſt ihre Zagheit zu bereuen/ des Cejonius aber
zu verfluchen anfingen.
Wiewol nun Hertzog Herrmann und andere
Fuͤrſten ihr Volck mehrmals ermahnten/ ſie ſol-
ten ſich mit der Beute vergnuͤgen/ hingegen un-
barmhertziger Blutſtuͤrtzung enthalten; denn
es wuͤrde den Schirm-Goͤttern Deutſchlandes
ſchon ein austraͤgliches/ und die allgemeine Ra-
che vergnuͤgendes Antheil aufgeopfert werden;
ſo war es doch unmoͤglich uͤber ſo viel tauſend ein
nichts uͤberſehendes Auge zu haben/ und in ihren
kriegeriſchen Gemuͤthern das Gedaͤchtnuͤß ſo
mannigfaltigen Unrechts/ als einen leicht fan-
genden Zunder der ſo ſuͤſſen Rache zu vertilgen.
Deñ etliche ſtelleten ihre Gefangene auf der ab-
gehauenen Baͤume Stoͤcke empor/ und lieſſen
ihre Knaben nach ihnen mit Pfeilen zum Ziel
ſchuͤſſen. Viel ſpiſſeten die Schaͤdel der Todten
auf
[61]Arminius und Thußnelda.
auf die Gipfel der Baͤume/ oder baueten aus de-
nen abgefleiſchten Knochen Huͤtten. Andere/ und
inſonderheit die unter dem Feldherrn kaͤmpfen-
den Cimbreꝛ/ machten aus denen abgeſchnittenen
Haaren Stricke/ und hingen ihre Gefangenen
darmit an die Aeſte. Denn die ſtreitbaren
Deutſchen laſſen insgemein ihre Haare weder
Scheere noch Scheer-Meſſer beruͤhren/ biß ſie
einen Feind erwuͤr get/ und ſo denn legen ſie mit
ihrem Haare zugleich ihr gethanes Geluͤbde ab;
gleich als wenn ſie ſo denn allererſt ihrem Va-
terlande ihr freyes Antlitz zu zeigen/ und ſich
eines Deutſchen Uhrſprunges zu ruͤhmen be-
rechtigt waͤren. Die Reiterey hackten vielen
die Koͤpfe ab/ und ſteckten ſie theils auf ihre Lan-
tzen/ theils auf die Wipfel der Baͤume/ theils
ſchlugen eiſerne Haſpen in die Koͤpfe/ und hin-
gen ſelbte ie zwey und zwey uͤber den Hals ih-
rer Pferde; gleich als wenn dieſe blutige Merck-
male nicht allein die Kenn-Zeichen ihres Sieges
waͤren/ ſondern auch guͤldene und Purperfaͤr-
bichte Ausputzungen uͤbertraͤffen. Am aller-
grauſamſten aber ward auff die gefangenen
Sach-Redner und Gerichts-Anwaͤlde gewuͤ-
tet. Es war unter denen Kriegsleuten Her-
megildis/ eine Frau Adelichen Standes/ welche
nichts minder ihre angebohrne Hertzhafftigkeit/
als die Rache/ theils wegen ihres ermordeten
Eh- Herrns/ theils ihrer geſchaͤndeten Tochter
die Waffen anzulegen bewogen hatte. Denn
es hatte Munatius/ ein Roͤmiſcher Hauptmann/
den erſten wegen eines geringen Unvernehmens
und daraus gefaßten aber verſtellten Grolles
bey ſeinem eigenen Tiſche durch Gift hinge-
richtet/ ſich auch dieſer Mordthat/ als eines
wider einen plumpen Deutſchen ruͤhmlich aus-
geuͤbten Kunſt - Stuͤckes offentlich geruͤhmet.
Ob ſie nun wol dieſe Mordthat bey dem Varus
geklaget/ ſchuͤtzte doch Munatius fuͤr/ es koͤnte
wider ihn keine groͤſſere Straffe ſtatt finden/
als die Deutſchen gegen Frembde und Einhei-
miſche in ſolchen Faͤllen ausuͤbten. Dieſe aber
buͤſſeten einen Todſchlag mit’ einem Pferde
oder einem Rinde. Die Klaͤgerin verſetzte:
Dieſe Buſſe haͤtte nur im redlichen Zwey-
kampfe/ nicht in heimlichem Meuchel-Morde
ſtatt; Varus haͤtte auch den Deutſchen die
Roͤmiſchen Straff-Geſetze auffgedrungen; alſo
muͤſte der Thaͤter ſeines Vaterlandes Satzun-
gen ſo vielmehr unterworffen ſeyn. Als nun
Munatius nirgends keine Ausflucht wuſte/
und die Klaͤgerin ſich gleich eines gerechten
Urthels/ deſſen ſie Varus gegen Abheiſchung
faſt ihres gantzen Vermoͤgens verſichert hatte/
verſahe/ wiſchte Munatius mit einem Gna-
den-Briefe herfuͤr/ welchen ſeine Freunde ihm
auff des Varus ſelbſteigne Vor-Schrifft beym
Kayſer zu Rom ausgebracht hatten. Jhre wun-
derſchoͤne Tochter aber hatte ſie dem Antiſtius/
einem Roͤmiſchen Juͤnglinge/ gegen ſein bey
ihr betheuerlich gethanes Verſprechen/ daß er
beym Varus viel vermoͤchte/ und ihr zu Aus-
uͤbung gerechter Rache wider den mit ihm oh-
nediß in Feindſchafft ſtehenden Munatius un-
fehlbar verhelffen wolte/ nach ihrer einfaͤltigen
Landes-Art verlobet; ihm auch ihres Vaters
Pferd und Waffen/ ja wider die Gewohnheit
der Deutſchen noch ein anſehnliches an Guͤ-
tern zugebracht. Nach wenigen Tagen aber
verhielt er ſie gar geringſchaͤtzig/ und erklaͤrte
offentlich/ daß er ſie nicht fuͤr ſein Eh-Weib/
ſondern fuͤr eine bloſſe Bey-Schlaͤferin erken-
nete. Die hierdurch hoͤchſt - bekuͤmmerte
Mutter und Freundſchafft kamen mit ihrer
beſchimpften und endlich gar verſtoſſenen
Tochter fuͤr den Varus Antiſtius aber ſchuͤtz-
te fuͤr/ daß die geklagte Heyrath ſo wol wegen
unterlaſſener Roͤmiſchen Verlobungs - Ge-
braͤuche/ als ſeines Vatern ermangelnder
Einwilligung zu ſolcher Eh von Unkraͤfften
waͤre; ja er hielt ſie noch hoͤhniſch/ vorgebende/
daß eine deutſche Sclavin mehr denn zu
viel Ehre erlangt haͤtte/ wenn ſie ein Roͤ-
miſcher Edelmann des Bey-Schlaffs wuͤrdigte.
H 3Und
[62]Erſtes Buch
Und hiermit muſten ſie zwar ſchimpfflich abzie-
hen; ſolche Ehrenkraͤnckungen aber ſchrieben
ſie mit unausleſchlichen Buchſtaben in das
Buch unvergeßlicher Rachgier. Dieſe Her-
megildis nun erblickte unter den Gefangenen
ungefehr den Titus Labienus/ wegen ſeiner
Stachel-Reden ins gemein Rabienus genennt/
deſſen Schrifften auch vermoͤge eines ausdruͤck-
lichen Rathſchluſſes offentlich zu Rom verbrennt
wurden. Dieſer hatte ſich deßwegen zwar in
ſeiner Ahnen Begraͤbniß lebendig einſchlieſſen
laſſen/ ward aber vom Kayſer daſelbſt weg und
aus Rom geſchafft/ kam alſo zum Varus und
gab im Laͤger den vornehmſten Sach-Redner
ab/ hatte auch in oberwehnten Rechts-Haͤndeln
ſo wohl den Munatius als Antiſtius ſpoͤttiſch
und anzuͤgerlich vertheidigt. So bald fiel ſelb-
ter der Hermegildis nicht ins Geſichte/ als ihr
Hextze Gifft und Galle zu kochen/ die Augen a-
ber Grimm und Feuer auszulaſſen anfingen.
Hiermit wechſelte ſie ihn gegen drey andere
Gefangene aus/ um mit ſeinem Blute ſo wohl
ihren Zorn abzukuͤhlen/ als ihrer beſudelten
Tochter Flecken abzuwaſchen. Der uͤbermaͤßi-
ge Eyfer ließ ſie wenig Worte machen; dahero
ergriff ſie den in Feſſel geſchloſſenen Labienus/
ſchnitt ihm eigenhaͤndig das Glied/ welches ſie
empfindlich verletzt hatte/ nehmlich die Zunge
aus dem Maule/ und nachdem ſie ſelbte grim-
miger/ als es die erbitterte Fulvia der Zunge
des beredten Cicero mitſpielte/ mit Pfruͤmen
zerfleiſcht hatte/ reckte ſie ſelbte mit dieſen Wor-
ten empor: ziſche mich mehr an/ du gifftige Nat-
ter. Ja ſie nehete ihm gar die erblaſſenden Lip-
pen zuſammen/ gleich als wenn ſie ſeine Entſe-
lung noch nicht verſicherte/ daß auch ſein
todtes Schmach-Maul die Zaͤhne auff ſie nicht
mehr blecken wuͤrde. Dieſes Beyſpiel verhetz-
te viel andere Deutſchen gegen die Sach-Red-
ner. Einer beſchwerte ſich/ daß dieſer ihm ſein
Erbgut abgerechtet hette/ unter dem Vorwand/
daß in den eroberten Landſchafften aller liegen-
den Gruͤnde Eigenthum dem Kaͤyſer verfallen
waͤre; Ein ander klagte: daß jener eine unred-
liche Handlung/ durch welche er um ein groſ-
ſes Theil ſeines Vermoͤgens betrogen worden/
als guͤltig verfochten haͤtte/ weil die Roͤmiſchen
Rechte die Verfortheilungen/ biß zur Helffte des
wahren Preißes/ zulaͤßlich erkennten; der drit-
te ſchmaͤhete einen andern/ der ſeines Anver-
wandten letzten Willen wegen Mangel einer
ſpitzfindigen Zierligkeit umgeſtoſſen/ und die
Erbſchafft dem Land-Vogte verfallen zu ſeyn
ausgefuͤhret haͤtte. Mehr andere verfluchten
die von ihnen ſelbſt koſtbar gebrauchten An-
walde/ welche ihnen ihr letztes Marck ausgeſo-
gen/ gleichwohl aber die Geheimnuͤſſe ihrer an-
vertrauten Sache dem Gegentheile zu verra-
then ſich hatten erkauffen laſſen/ und viel ver-
zweiffelte Trauerfaͤlle verurſacht. Dahero
kuͤhlte ieder Beleidigter an den Sachrednern
ſeinen Muth/ und wurden einem Theile die
Augen ausgeſtochen/ einem andern die Haͤnde/
vielen die Zungen und Lippen abgeſchnitten/ al-
ſo/ daß/ ſo viel ihrer nur ausgeforſcht wurden/
keiner die Erbarmung ſeines Uberwinders zu
erbitten vermochte/ und der gantze groſſe Wald/
wodurch ſich das Heer gegen Deutſchburg zuruͤ-
cke zoh/ nachdem der Feldherr das Roͤmiſche Laͤ-
ger zu ſchleiffen ein Theil zuruͤck gelaſſen hatte/
allenthalben blutige Gedaͤchtniße grimmiger
Uberwinder behielt. Denn ob wohl einige der
Meinung waren/ daß die Deutſchen dieſes ſo
ſtarck befeſtigte Laͤger zu ihrer Sicherheit wider
die Roͤmer in ſolchen Stande laſſen und beſetzen
ſolten/ widerrieth es doch der Feldherr/ mel-
dende: der Deutſchen Bruͤſte waͤren ihre feſte-
ſte Mauren/ die von Steinen erbaueten Waͤl-
le aber nur Zuchthaͤuſer und Feſſel der Dienſt-
barkeit. Zu dem verlernten auch wilde Thiere
ihre Hertzhafftigkeit/ wenn ſie eingeſperretwuͤr-
den.
Folgenden Morgen kam der Feldherr mit
den andern Haͤuptern auff die erſte Wallſtatt/
und
[63]Arminius und Thußnelda.
und wie ieder unter ihnen freudig zu erzehlen
wuſte/ wo einer und der andere getroffen; wo
es am ſchaͤrffſten hergegangen; wo die Roͤmer
am erſten gewichen; wo Segeſthes gefallen
waͤre; alſo geriethen ſie endlich auch auff die
Stelle/ wo ſich Qvintilius Varus verzweiffeln-
de ſelbſt hingerichtet hatte/ funden aber daſelbſt
zwey Roͤmiſche Kriegsknechte/ welche eine Gru-
be zuſcharreten/ und auff bedraͤuliche Befra-
gung um ihr Vornehmen/ zur Antwort ga-
ben: Sie waͤren in der Schlacht von empfan-
gen Wunden fuͤr todt liegen blieben/ als ſie aber
nach ihrer Ohnmacht wieder zu ſich ſelbſt kom-
men waͤren/ haͤtten ſie den zwar enthaupteten
Leib ihres Feldherrn erkennet/ und ihrer Pflicht
zu ſeyn erachtet/ theils mit etlichen zerbrochenen
Degen/ theils mit ihren eigenen Naͤgeln ein
Grab zu ſcharren/ und/ nachdem auch die A-
meiſen und Bienen ihre Todten begruͤben/ ihn
zu beerdigen. Die Fuͤrſten lobten zwar ihre
Froͤmmigkeit; ſonderlich/ da ſie fuͤr Schwach-
heit wegen des ſo viel weggelaſſenen Blutes
nicht ſelbſt auff den Fuͤſſen zu ſtehen vermochten;
Fuͤrſt Seſitach aber war der erſte/ der dem Fein-
de dieſe Begraͤbnuͤß-Ehre zu goͤnnen wider-
rieth. Als ſie nun befehlicht worden den Leich-
nam wieder auszugraben/ verſetzte einer unter
ihnen Muſtonius: die Feinde pflegten ja auch
den Todten eine Hand voll Erde den Hafen
deß entſeelten Leibes zu goͤnnen. Die Heleer
haͤtten fuͤr unmenſchlich und fuͤr eine Verletzung
des Voͤlckerrechts gehalten/ wenn man die tod-
ten Feinde nicht begruͤbe. Bey denen Atheni-
enſern waͤren die Heerfuͤhrer zum Tode ver-
dammet worden/ die ſolches unterlaſſen; wo-
durch Chabrias ſeine unterlaſſene Verfolgung
der geſchlagenen Spartaner entſchuldiget; Und
der ſonſt von Natur ſo grauſame Hannibal haͤt-
te die Roͤmer ſorgfaͤltig beerdigen laſſen. Die
Deutſchen wuͤrden ſich mit dem Schandflecke
der Parther und Nabatheer zuverſichtlich nicht
beflecken/ welche aller wohl geſitteten Voͤlcker
Fluch verdienten/ daß die erſten die Magen
der Woͤlffe und Raubvoͤgel zu Saͤrgen ihrer
Todten werden lieſſen/ und hernach erſt die nack-
ten Gebeine begruͤben; die andern aber ihre Lei-
chen den Miſthauffen wiedmeten. Auch trau-
ten ſie ihnen nicht zu/ daß ſie/ wie die Scythen/
des Varus Leiche zum verſpeiſen verlangten.
Des groſſen Alexanders Vater haͤtte dadurch
ſeinen Ruhm nicht wenig verkleinert/ daß er
nicht nur die Gefangenen/ ſondern auch die er-
ſchlagenen Thebaner verkaufft/ und auff ihre
Begraͤbniße einen Zoll geſchlagen. Wolten
ſie denen andern todten Roͤmern die Ruhe im
Grabe nicht goͤnnen/ ſolten ſie ſolche doch einem
Roͤmiſchen Buͤrgermeiſter und Feldherrn nicht
verweigern. Und da ihn ſeine Wuͤrde deſſen
nicht faͤhig machte/ haͤtte er ſolches durch ſeine
letzte Großmuͤthigkeit nichts minder als De-
moſthenes verdient; welcher von den ſonſt ſo ſehr
erbitterten Syracuſiern nur deßwegen ehrlich
begraben worden waͤre/ daß er nach verlohrnem
Kriegs-Heere mehr Hertz als Nicias bezeuget/
indem er durch ſein eigen Schwerdt ihm ſelbſt
vom Leben und aus der Dienſtbarkeit geholffen.
Auch waͤre des Varus Leiche dieſer wenige
Sand ſo vielweniger zu mißgoͤnnen/ nachdem
ihm ohnediß nicht die letzte Pflicht nach Roͤmi-
ſcher Art durch Einaͤſcherung des Leibes ge-
ſchehen koͤnte. Seſitach fuhr den Muſtonius
an/ Varus waͤre der Erde nicht werth/ und ſie
ſolten alſofort ihn ausſcharren. Zumahl dieſe
Einſcharrung ohne diß nicht den Roͤmern ge-
maͤß ſeyn ſolte. Haͤtte doch Sylla bey Anien
des Marius Aſche nicht unbeirret gelaſſen/ ſon-
dern auffs ſchimpfflichſte zerſtreuet. Dieſem
begegnete der andere Roͤmer Qvintus Julius
Poſthumus/ des beruͤhmten Landvogts in Dal-
matien Sohn: Die Verbrennung waͤre bey
den Roͤmern keine unveraͤnderliche Nothwen-
digkeit. Das edle Geſchlechte der Cornelier
haͤtte auſſer dem Sylla ſich unverſehrt in die
friſche Erde legen laſſen. Sie haͤtten weder
ſo viel
[64]Erſtes Buch
ſo viel Kraͤffte noch Leichtſinnigkeit den Beer-
digten auszuſcharren/ und ihr gutes Werck nu-
mehr mit einem aͤrgern Laſter zu beſudeln. Bey
den Roͤmern und allen wohlgeſitteten Voͤlckern
waͤren die Begraͤbniße heilig. Die Mutter
aller irrdiſchen Dinge bezeugte ſo denn/ wenn
ſie den Menſchen von der Natur abſonderte/
allererſt ihre groͤſte Mutter-Liebe/ weil ſie die
Leichen durch ihre Bedeckung unverſehrlich
machte. Sie wuͤrden ihnen hierdurch nicht
geringern Zorn und Straffe der Goͤtter auff
den Hals ziehen als Creon/ welcher den Haͤemon
ſeinen Sohn auff dem Grabe ſeiner verlobten
Antigone ſich ſelbſt ermorden/ ſeine Gemahlin
Eurydice ſich eigenhaͤndig hinrichten/ und ſich
ſelbſt in hoͤchſter Verzweiffelung haͤtte ſehen muͤſ-
ſen/ weil er die Leiche deß vom Eteocles erlegten
Polynices wieder ausſcharren/ die ihn begra-
bende Antigone aber in eine Hoͤle lebendig ein-
mauern laſſen. Der ſonſt in allem ſo gluͤckſe-
lige Sylla waͤre darinnen allein ungluͤckſelig
geweſt/ daß er des Marius beerdigten Coͤrper
ausgegraben/ ſeinen Kopff zu offentlicher Schau
auffgeſtellet/ und dadurch nicht allein ſeinen
Ruhm beſudelt/ ſondern ſeine Leiche auch wi-
der des Corneliſchen Geſchlechts Begraͤbniß-
Art/ aus Beyſorge ebenmaͤßiger Ausſcharrung/
haͤtte verbrennen laſſen muͤſſen. Wolte man
aber den wenigen Sand um ein Stuͤck Gol-
des verkauffen/ wuͤrde ſelbtes nicht mangeln.
Ja da Cimon die Freyheit ſeines im Kercker
verſchmachteten Vaters Leiche zu beerdigen ſich
in ſein Gefaͤngniß und Feſſel ſchlieſſen laſſen;
Sie aber keine Freyheit um ihres Feldherrn
Leiche zu kauffen uͤbrig haͤtten/ were er erboͤtig
mit ſeinem Leben auch ſeine Beerdigung zu ent-
behren/ wenn nur des Varus ohne diß durch
den abgeriſſenen Kopff genugſam beſchimpffte
Leiche nicht wieder ans Tagelicht kommen doͤrf-
te. Hertzog Herrmann nahm die tugendhaffte
Entſchluͤſſung dieſer zweyen Roͤmer wohl auff/
entbuͤrdete ſie deꝛ anbefohlnen Ausgrabung/ und
befahl: daß ſie in ihrer Gefangenſchafft ehrlich
gehalten/ und von der Ausgrabung des Va-
rus verſchonet werden ſolten; ob ſchon die Roͤ-
mer weder die Graͤber noch die Leichen ihrer
Feinde/ noch auch ihre eigene Grabmahle/ wo
das Haupt nicht laͤge/ fuͤr heilig hielten. Ob
nun wohl des Varus Leiche dergeſtalt unauff-
geſcharꝛet blieb/ ſo ward doch ſelbte von dem nach-
ziehenden ergrimmten Kriegs-Volcke/ und
zwar meiſt auff Anſtifftung des Fuͤrſten Seſi-
tachs ausgegraben/ und auff einem Karne mit
fort geſchleppt. Denen andern in der Schlacht
umkommenen ward das beſte zur Beute abge-
nommen/ und blieben ihre Leichen zwiſchen den
erſchlagenen Pferden und zertruͤmmerten Waf-
fen unbeerdigt liegen. Die aber/ welche von
denen Deutſchen in der Schlacht geblieben wa-
ren/ wurden von ihren Befreundeten oder Ge-
ferthen auffgehoben/ auff unterſchiedenen auff-
gerichteten hohen Holtzſtoͤſſen nebſt ihren Pfer-
den und Waffen nach ihrer Lands-Art verbren-
net/ und ihre Aſche hernach beerdigt. Wiewohl
auch viel Leichen hohen Standes von der Wall-
ſtatt zu herrlicherm Begraͤbnis-Gepraͤnge
weggefuͤhret wurden. Die Deutſchen/ welche
der Feldherr zu Bewachung der Wallſtatt ver-
laſſen hatte/ betheurten einmuͤthig/ daß bey der
Abends-Demmerung die erſchlagenen Todten
ſich auffgerichtet/ und auffs neue mit einander
die gantze Nacht durch geſchlagen haͤtten/ gleich
als wenn ihre Verbitterung ſich nicht an einem
Tode vergnuͤgen koͤnte. Ja es ereignete ſich
bey Abſonderung der Todten/ daß ihrer unter-
ſchiedene/ welche auff oder nahe an einander la-
gen/ einander in dem letzten Grimme Naſen
und Finger abgebiſſen hatten.
Der Feldherr war noch eine halbe Meil-
weges von Deutſchburg entfernet/ als ihm ei-
ne groſſe Menge Volcks entgegen kam. Zu-
foͤrderſt gingen die Barden und die heilige Auri-
nia mit fuͤnffhundert edlen Jungfrauen. Jene
waren mit langen weiſſen Kleidern angethan/
ihre
[65]Arminius und Thußnelda.
ihre Haͤupter waren mit Kraͤntzen aus Eiche-
nem Laube/ welcher Baum bey ihnen fuͤr heilig
gehalten wird/ umgeben/ und ſie blieſſen mir
Krummhoͤrnern die annahenden Sieger freu-
dig an/ und vermiſchten diß Gethoͤne mit des
jauchzenden Volcks Frolocken. Dieſe waren
theils mit Himmelblauen/ theils mit Meergruͤ-
nen Roͤcken bekleidet/ ihre weiſſen Haarlocken/
mit welchen der anmuthige Weſtwind ſpielte/
waren mit Blumen-Kraͤntzen geſchmuͤckt. U-
ber ihre Achſeln hingen Bogen/ und an der
Seite mit Pfeilen gefuͤllte Koͤcher. Jhr Ge-
wand verdeckte mit Fleiß die rechten Bruͤſte/
da hingegen die lincken gantz bloß zu ſehen wa-
ren/ um denen ſtreitbaren Siegern gleichſam
neue Amazonen fuͤrzubilden. Jhre ſchnee-
weiſſen Fuͤrtuͤcher hatten ſie auffgeſchuͤrtzt/ und
mit allerhand Blumen angefuͤllt. Jn der Mit-
te folgte ſelbſt der Prieſter Lybis nebſt ſieben an-
dern Prieſtern in ſchneeweiſſen Roͤcken. Bey
Naͤherung des Feldherrn/ neigte ſich die gantze
Schaar gegen Jhm mit groſſer Ehrerbiettung/
und er ſelbſt ſaß vom Pferde ab/ welchem der
Prieſter Lybis mit allerhand andaͤchtigen Ge-
behrdungen einen von Lorberblaͤttern/ und mit
geſponnenem Golde umflochtenen Siegs-
Crantz auffſetzte. Als Hertzog Herrmann hier-
auff wieder zu Pferde ſaß/ gingen Anfangs die
Jungfrauen/ hernach die Barden/ endlich Libys
und ſeine Gefaͤrthen fuͤr denen Fuͤrſten her.
Dieſe zuͤndeten in ihren Rauch-Faͤſſern Wey-
rauch und Agſtein an; die Jungfrauen aber
ſtraͤueten allerhand Blumen auff den Weg/
und wechſelten mit den Barden gegeneinander
ſingende nachfolgende Reimen ab:
Nachdem nun endlich der Feldherr mit den
andern Groſſen auff ſeinem Schloſſe Deutſch-
burg ankommen war/ er daſelbſt die fuͤrnehm-
ſten Gefangenen in Hafft halten/ das Heer in
die nechſt angelegenen Oerter biß zu fernerer
Entſchluͤſſung zertheilen/ der Verwundeten
wohl pflegen ließ/ ſie ſelbſt perſoͤnlich heimſuchte
und troͤſtete/ die tapffern lobte und begabte/ auch
fuͤr ſo herrlichen Sieg den Goͤttern auff den in-
ſtehenden neuen Mond herrliche Opffer zu brin-
gen/ und ſich ſeines Geluͤbds zu befreyen Anſtalt
machte/ kam endlich auch Fuͤrſt Catumer ſieg-
hafft zuruͤcke/ und berichtete: daß er das Schloß
Aliſon/ oder Altzheim/ auff der Weſt-Fuͤrſt Ga-
naſch auff der Oſt-Seiten mit dem Kriegs-Vol-
cke/ welches den fluͤchtigen Aſprenas verfolgt/
beſchloſſen haͤtte. Aus dieſem habe Lucius
Caͤditius auff geſchehene Auffoderung ihm
ſchimpffliche Antwort zuentboten: daß ſo lan-
ge er Athem holete/ er von keiner Ubergabe hoͤ-
ren; ſondern die ihm anvertraute Feſtung zu
ewigen Merckmahle ſeiner Treue behaupten.
oder zu ſeinem Grabe haben wolte. Da-
hero er denn auch zur Gegenwehr und meh-
rer Befeſtigung des Orts Tag und Nacht
Anſtalt gemacht. Alldieweil ſie aber/ dieſen
vortheilhafftig-gelegenen Platz zu beſtuͤrmen/
weder genugſames Fuß-Volck noch Sturm-
Zeug bey Handen gehabt/ haͤtten ſie aus dem
Roͤmiſchen Laͤger beydes zu bringen Befehl
ertheilet. Sie haͤtten aber von einigen im
Ausfall erwiſchten Galliern die Nachricht er-
langet: daß die Feſtung zwar mit Kriegszeu-
ge und uͤbermaͤßiger Mannſchafft/ welche ſich
von des Aſprenas Heere hinein gefluͤchtet haͤt-
ten/ auffs beſte verſehen waͤre; die Lebensmit-
tel aber wuͤrden auffs ſparſamſte ausgetheilet/
und haͤtte Caͤditius fuͤr/ alles zur Gegenwehr
undienliche Volck heraus zu jagen. Sie
haͤtten uͤberdiß genau erforſchet/ welcher Ge-
gend das Kornhaus ſtuͤnde/ das ihnen denn
auch
[67]Arminius und Thußnelda.
auch ein Gallier nahe hinter der Mauer an-
gewieſen. Hierauff haͤtte Hertzog Ganaſch
und er alſofort Anſtalt gemacht/ daß folgen-
de Nacht ſelbiger Gegend zwey hoͤltzerne Seu-
len etwas hoͤher als die Mauern der Feſtung
waͤren eingegraben/ und darauff nach Art ei-
nes Brunn-Schwengels ein langer Balcken
gelegt worden/ mit deſſen hinterwaͤrtiger Nie-
derziehung gegen der Feſtung zu ein Korb mit
zehn geuͤbten Schuͤtzen waͤre empor gezogen
worden. Dieſe haͤtten/ ungeacht derer von
der Mauer auff ſie unzehlbar abgeſchoſſenen
Pfeile/ mit ihren brennenden Wurff-Spieſ-
ſen und Feuer-Pfeilen das Dach des Korn-
hauſes in Brand gebracht/ und/ wie eiffrig
gleich die Roͤmer ſolches zu leſchen bemuͤhet
geweſt waͤren/ voͤllig eingeaͤſchert. Caͤditius
haͤtte ſein heimliches Ubel derogeſtalt verra-
then/ und uͤber etliche wenige Tage eine ſo
groſſe Menge Volcks zu unterhalten kein Mit-
tel geſehen/ waͤre alſo gezwungen worden/ die
erſte Mitternacht darauff auff der Sud-Sei-
ten blinden Lermen zu machen/ auff der Nord-
Seiten mit ſeiner gantzen Macht auszufallen.
Dieſer waͤre durch die in Bereitſchafft ſtehen-
den Hauffen mit blutigem Gefechte durchge-
brochen. Er Catumer habe zwar ſein gan-
tzes Laͤger bald in die Waffen gebracht und den
Feind verfolgt/ Hertzog Ganaſch waͤre auch mit
ſeinem Kriegs-Volcke durch die verlaſſene und
nun unſchwer erbrochene Feſtung uͤber die
Lippe/ und ebenfals dem Feinde in Ruͤcken
gegangen/ welcher ſie auch mit anbrechendem
Tage erreicht haͤtte; Alleine der Moraſtige
Ort/ dahin man mit der Reiterey ſchwerlich
haͤtte kommen koͤnnen/ haͤtte ihnen allen An-
griff verwehret. Zwiſchen ſolchen Suͤmpfen
waͤre er drey Tage bald fort geruͤckt/ bald haͤt-
te er wieder Lufft geſchoͤpfft/ und bey ſolchem
Zuge theils unertraͤglichen Hunger/ theils weil
er bald vor/ bald hinterwerts/ bald auff der
Seiten angefallen worden/ empfindlichen Ab-
bruch gelitten. Er muͤſte ſeinem Feinde den
Ruhm laſſen/ daß er durch Erdultung ſo groſ-
ſer Noth/ mit ſteter Durchwatung der Pfuͤ-
tzen/ mit Abbruch des Schlaffs/ mit unauff-
hoͤrlicher Gegenwehr die Unmoͤglichkeit ſelbſt
uͤberwunden/ unertraͤgliche Dinge uͤberſtan-
den/ Caͤditius bey ſeinem zwar groſſen Ver-
luſt die tauerhafften Deutſchen muͤde gemacht/
in ſeinen Entſchluͤſſungen weder verwegene
Ubereilung/ noch traͤge Langſamkeit began-
gen/ endlich wider menſchliche Einbildung
einen Weg und Furth durch die Lippe gefun-
den/ und des Nachts in aller Stille ſein mei-
ſtes Volck daruͤber in Sicherheit gebracht/ al-
ſo mit dem Degen in der Fauſt ihm nicht ſo
wohl einen Weg durch ſeinen ſtaͤrckern Feind
gemacht/ als der Natur ſelbſt abgewonnen
habe. Ja es haͤtte geſchienen/ als wenn der
Himmel ſein Elend laͤnger anzuſchauen muͤ-
de/ und derogeſtalt mitleidend worden waͤre/
indem er durch etlicher Tage Regen/ bald nach
ſeiner Durchwatung/ den Strom derogeſtalt
angeſchwellet haͤtte/ daß Hertzog Ganaſch und
er ſich mit Erober- und Beſetzung der Feſtung
Aliſon/ mit Niederreiſſung des dem Druſus
Claudius zum Gedaͤchtniß daſelbſt aus Mar-
mel auffgerichteten Heiligthums und koͤſtlichen
Altares/ mit denen zuruͤck gebrachten Gefan-
genen/ darunter auch etliche Roͤmiſche Frau-
en waͤren/ haͤtten vergnuͤgen/ und dem Fein-
de Zeit ſich an den Rhein zu ziehen verſtatten
muͤſſen.
Den Tag fuͤr dem Neumonden brachte die
Gewohnheit mit/ denen noch etwan uͤbrigen
Todten ihren letzten Dienſt abzuſtatten. Denn
es hatte eine groſſe Anzahl der Grafen/ wel-
che auff des Feldherrn Leib beſtellet waren/
als auch ſonſt etliche aus uralten Fuͤrſtlichem
und viel aus Ritterlichem Stamme ihr Blut
fuͤrs Vaterland verſpritzet; welche/ ob ſie zwar
in dem Andencken der Nachwelt ihrer Tugend
wegen ewig leben/ doch auch fuͤr ihre Leiber/
J 2als
[68]Erſtes Buch
als die Wohnſtaͤdte ſo himmliſcher Seelen an-
ſehnliche Gedaͤchtniß-Mahle verdienen. Die-
ſemnach hatte Hertzog Herrmann in dem groſ-
ſen Thale/ rings um den Taufaniſchen Tem-
pel einem ieden einen viereckichten funffzig
Schuch hohen/ und zweyhundert Schuch im
Umkreiß habenden Holtz-Stoß auffrichten laſ-
ſen. Denn groſſe Holtzſtoͤſſe und hocherhabe-
ne Graͤber ſind nichts minder Kennzeichen
hoher Verdienſte und Werthhaltung/ als groſ-
ſe Schatten Merckmahle groſſer Leiber. Die
Leichen wurden von der Burg auff erhobenen
Stuͤhlen durch eitel Ritter dahin getragen/
welchen in die Hand ein Honig-Kuchen/ in
den Mund eine Muͤntze gegeben/ auff das
Haupt ein Krantz/ als ein Zeichen der uͤber-
wundenen irrdiſchen Drangſalen/ geſetzt war.
Ob nun wohl die Deutſchen zeithero bey ih-
ren Begraͤbniß-Feyern keine koſtbare Pracht
gebrauchten/ die Todten mit keinen Kleidern
ziehrten/ noch die Holtz-Stoͤße mit wohlruͤ-
chenden Salben und Balſamen auffrichteten/
ſich auch mit einem aus Raſen erhoͤheten Grab-
mahle vergnuͤgten/ und alſo nicht unweißlich
anmerckten: daß aus der Menſchlichen Aſche/
als dem Merckmahle unſer Vergaͤngligkeit/
Ehrgeitz ziehen wollen/ die groͤſte Eitelkeit
ſey; ſo wolte doch der Feldherr/ bey dieſem
ungemein herrlichen Siege denen fuͤrs Vater-
land ruhmwuͤrdig auffgeopfferten Leichen auch
ein ungemeines Gepraͤnge ausrichten. Sie
hatten in dem Laͤger einen groſſen Vorrath
von Zimmet/ Weyrauch/ Myrrhen/ Nar-
den und Juͤdiſchen Balſam/ welchen Varus
noch mit aus Syrien bracht/ gefunden. Die-
ſer ward zu Einſalbung der Leichen und der
Holtzſtoͤſſe verbrauchet. Denn die Deutſchen
hielten diß fuͤr eine heilſame Verſchwendung/
welche ihnen den Zunder zu weibiſcher Uppig-
keit aus dem Wege raͤumte. Jeden Ritters
Pferd ward auch geſchlachtet/ und nebſt ſeinen
gebrauchten Waffen und was dem Verſtor-
benen ſonſt etwan lieb geweſen/ mit verbren-
net. Die Bluts-Verwandten warffen in die
Flamme viel an ihre ſchon fuͤrlaͤngſt verſtor-
bene Freunde geſtellte Brieffe/ in Meinung:
daß ihre Seelen hierdurch den Zuſtand ihrer
Nachkommen zu wiſſen bekaͤmen/ als welche
die verbrennten Schrifften zu leſen allerdings
faͤhig waͤren. Bey iedem Holtz-Stoſſe wur-
den auch etliche der Gefangenen abgeſchlach-
tet/ und uͤberdiß muſten auff den Graͤbern
dieſer Helden hundert Paar gefangener Roͤ-
mer und Gallier/ auff welche das Loß fiel/ ſich
zu tode fechten. Ja es fiel die deutſche Ritter-
ſchafft den Feldherrn an: weil die Roͤmer
mehrmahls zehn und zwantzig Jahre nach ih-
rer Eltern Tode ihre Graͤber mit dem Blu-
te derer zum Fechten gezwungener Deutſchen/
ja auch Julius ſeiner Tochter Begraͤbniß da-
mit eingeweihet/ andere auch wohl ſelbſt ſol-
ches in ihren letzten Willen verordnet haͤtten;
ſo moͤchte er doch ſeines Vaters wahrhafftes
und ſeiner Muttter leeres Grab/ bey dem
Taufaniſchen Tempel/ durch gleichmaͤßiges
Blut der Roͤmer verehren. Weil nun der
Feldherr dieſen ſo unverdienten Helden uͤbel
etwas ausſchlagen konte/ befahl er: daß auff
ꝛedem Grabe ſieben Paar Roͤmer einander auf-
opffern ſolten. Die Freunde der Todten a-
ber verſcharreten die aus den gluͤenden Koh-
len herfuͤrgeſuchte Gebeine und Todten-A-
ſche/ nachdem ſie ſie mehr mit Thraͤnen als
wohlruͤchenden Waſſern angefeuchtet hatten/
in die Erde. Auff iedem Grabe richteten ſie
von Raſen einen hohen Huͤgel auff/ der Feld-
herr aber ließ hernach einen Stein dabey ſe-
tzen/ und in ſelbten das Lob deß daſelbſt Be-
grabenen hinein graben. Unter andern war
alldar Emma/ eines Heruliſchen Fuͤrſten Toch-
ter/ des in der Schlacht umkommenen Rit-
ters Stirum Wittib. Dieſe/ nachdem ſie ih-
rem Ehherrn die letzte Pflicht mit hoͤchſter
Sorgfalt geleiſtet hatte/ laß aus den noch al-
lent-
[69]Arminius und Thußnelda.
lenchalben brennenden Holtz-Stoſſe/ ohne ei-
nige Empfindligkeit/ ſeine noch heiſſen Beine
in einen Krug zuſammen. Die in ihrem Her-
tzen noch unerloſchene und von uͤbermaͤßigem
Schmertz zuſammen gezwengte Liebe preßte
aus ihren Augen ſo viel Thraͤnen aus/ daß es
ſchien/ als ob ihre gantze Seele darein zerrin-
nen wolte/ um nur ihres Eh-Herrn Gebeine
damit abzukuͤhlen/ und ſeine Todten-Aſche da-
mit einzubalſamen. Als endlich ihre Augen
kein Waſſer mehr zu geben vermochten/ ver-
ſcharrete ſie den Todten-Krug unter eine hohe
Eiche/ rieff hiermit: ihr Goͤtter! laſſet dieſer
Aſche die Erde leichte ſeyn! Und ihr heiligen
Gebeine/ wuͤrdiget dieſelbe zu eurem Opffer/
welche dadurch ſchon lange genug gelebt/ nach
dem ſie ihr Leben mit einem ſolchen Helden zu-
gebracht. Nun ich denn meines Ehmanns
Hertze in dieſe Flamme/ und in dieſen Krug/
meines aber in dieſe Aſche begraben habe/ wor-
zu iſt mir dieſer Hertzloſe Leib laͤnger nuͤtze?
Alſofort ergriff ſie ein Band/ henckte ſich an
einen Aſt recht uͤber ihres Eh-Herrn Grab.
Sintemahl nach der Heruliſchen Voͤlcker Lan-
des-Gewonheit eine Frau ohne hoͤchſte Ehren-
Verletzung eben ſo wenig/ als die ſich mit ihren
Ehmaͤnnern verbrennende Frauen in Jndien
lange ihres Eh-Herrn Todt uͤberleben darff.
Ja bey den Deutſchen insgeſamt/ ſiehet man
alleine Jungfrauen heyrathen/ indem ſelbte nur
einem einigen Ehmann einen Leib und ein Le-
ben widmen/ aus dem Bette ihrer einmal abge-
legten Jungfrauſchafft in kein anders ſchreiten/
und dahero nach ihres Ehmans Tode nach
laͤngerm Leben zu ſeuffzen wenig Urſache ha-
ben. Alſo gelten bey dieſen Voͤlckern mehr die
guten Sitten/ als in Narſinga und bey andern
Voͤlckern die ſchaͤrffſten Straff-Geſetze/ wo der
Prieſter bey Verſtattung der andern Vereh-
ligung ſolches mit einem gluͤenden Eiſen auff
den Schuldern der Braut verſiegelt. Die
Fuͤrſten/ Grafen und Ritter/ ja der Feldherr
ſelbſt hielten hierauff denen Beerdigten zu Eh-
ren Turnier/ Fuß-Kaͤmpffe/ Ring-Kopff-Ren-
nen und allerhand andere Ritterſpiele/ und
Hertzog Herrmann ſchlug eine gute Anzahl der-
ſelben/ welche in der Schlacht ſonderbahre Tha-
ten ausgeuͤbt/ zu Rittern; unter denen war
Sarweden/ Eberſtein/ Helffenſtein/ Waldeck/
Bentheim/ Salm/ Reifferſchied/ Reckum/
Palland und viel andere tapffere Helden.
Nach eingetretenen Neumonden wurden
auff des Prieſters Lybis Erinnerung alle Ge-
fangenen/ alle Waffen und die Koͤpffe von de-
nen Erſchlagenen zu dem Taufaniſchen Tem-
pel gebracht. Aus denen auff einander geleg-
ten Koͤpffen ward gleichſam ein hoher Thurm
gebauet/ die Waffen an einem andern Orte auff
einen hoher Hauffen anfaͤnglich zuſammen ge-
tragen/ und von ſelbten die/ welche Qvintilius
Varus gefuͤhret und mit Golde reichlich gezie-
ret waren/ ausgeleſen/ und in dem Tempel dem
Woden/ mit welchem Nahmen ſie den goͤttlichen
Beyſtand im Kriege andeuteten/ zu Ehren auf-
gehenckt/ die andern abeꝛ von dem Feldherꝛn un-
ter die Kriegs-Leute ausgetheilet. Hertzog Herr-
mann und Jnguiomer trugen ſelbſt die zwey er-
oberten Roͤmiſchen Adler/ und liefferten ſelbte
mit groſſem Gepraͤnge dem Hohenprieſter Libys
ein/ welcher beyde uͤber zwey Opffertiſche ſtellte.
Des Varus Haupt ward auff einem dem Tu-
iſco auffgerichteten Altar als ein Erſtling ihres
Opffers/ gelegt/ in deßen im Leben uneꝛſaͤttlichen
Mund/ wie vormahls es Mithridates dem
Manius Aqvilius/ und fuͤr 32. Jahren Orodes
dem Craſſus/ oder vielmehr Sextimulejus dem
Grachus mitgeſpielet hatte/ zerſchmeltztes
Bley gelaſſen/ und den Schutzgoͤttern Deutſch-
lands fuͤr erlangten herrlichen Sieg gedancket.
Hierauff baueten die Prieſter um den Tem-
pel ringsher hundert Altare aus zuſammen-
geſetzten Raſen/ alldar allezeit den hunder-
ſten der Gefangenen denen Goͤttern zu opf-
ern. Maſſen denn alſofort von den Prie-
ſtern ihre Haͤupter mit Wein abgewaſchen/ die
J 3andern
[70]Erſtes Buch
andern Glieder mit Waſſer beſprengt/ hernach
gebunden/ geſchlachtet/ das Blut in einen Keſſel
zuſammen auffgefangen/ die Leiber verbrennt/
und die Koͤpfe zum theil zur Balſamung auffge-
hoben worden. Sintemal die Deutſchen die
Koͤpfe nach der Egyptier Gewohnheit/ die ſie von
den Opfern in Nil-Strom warffen/ nicht mit
verbrennten/ ſondern mit Ceder-Safft einzuſal-
ben/ und fuͤr der Faͤulnuͤß ihren Nachkommen
zum Gedaͤchtnuͤß ihrer Siege zu verwahrẽ/ auch
ſelbte in ſo groſſem Werthe zu halten pflegen/
daß ſie ſelbte nicht/ mit den Moͤrdern des Gra-
chus/ umb gleichwiegendes Gold verwechſeln
wuͤrden.
Endlich ward auch Malovend der Marſen
Fuͤrſt/ Cejonius/ Caldus Caͤlius/ Sextus Catu-
lus/ Apronius und Emilian zur Opferung ge-
fuͤhret. Als man nun an den Malovend die
Hand anlegen wolte/ ſchuͤtzte er das Recht des
Vaterlandes fuͤr/ welches ihn als einen gebohr-
nen Deutſchen ſeinen eigenen Goͤttern/ welchen
auch von den wilden Scythen nur fremdes
Menſchen-Blut geopfert wuͤrde/ zu ſchlachten
nicht zulieſſe. Ob nun wol Hertzog Ganaſch
ihm fuͤrwarff: Er habe dem Vaterlande abge-
ſchworen/ dem er das Leben zu dancken haͤtte/
und den letzten Athem ſchuldig waͤre. Wer
wider dis den Degen ausziehe/ verliere ſein Buͤr-
ger-Recht/ und ſey aͤrger zu ſtraffen als Auslaͤn-
der; ſo nam ſich doch ſo wol der Prieſter Libys
als der Feldherr dieſes Gefangenen an. Jener/
weil die milden Schutz-Goͤtter Deutſchlands
ihr eigenes Blut zu verderben Abſcheu haͤtten;
dieſer/ daß ſo wol der ſchluͤpferigen Jugend un-
vorſichtigen Fehlern/ als denen ſeltzamen Ver-
wickelungen bißheriger Laͤufte etwas von der
Schaͤrffe der Geſetze zu enthaͤngen ſey. Hin-
gegen muͤſte gegen die Roͤmer mit der ihnen ge-
wohnten Schaͤrffe verfahren werden/ welche
nicht nur die gefangenen Menſchen toͤdteten/
ſondern auch ihre Hunde ſchlachteten. Cejoni-
us zohe fuͤr ſich an/ daß er/ Apronius/ Emilian/
und alle andere/ die im Laͤger geweſen/ nicht fuͤr
Gefangene/ ſondern fuͤr ſich gutwillig ergeben-
de zu achten waͤren/ welche hinzurichten alle
Voͤlcker fuͤr Grauſamkeit hielten. Der Feld-
herr aber befahl: Es ſolte zwar dem Apronius/
Emilian und andern Ergebenen das Leben ge-
ſchenckt ſeyn/ Cejonius aber wuͤrde wegen ſeiner
verzagten Auffgabe des Laͤgers ihm ſelbſt nur zur
Schande leben/ und habe mit ſeinen gegen die
Deutſchen verdienten Boßheiten einen aͤrgern
Tod verdienet; dahero muͤſſe er von Henckers-
nicht Prieſters-Haͤnden ſterben. Die Roͤmer
haͤtten gegen die Ergebenen mehrmals anders
gewuͤtet. Emilianus habe fuͤnfhundert Ergebne
aus des Viriats Kriegsleuten in Spanien mit
dem Beilhinrichten; Kayſer Julius den Fuͤrſten
Guturat in Gallien zu Tode pruͤgeln/ und her-
nacherſt enthaupten; allen/ die ſich aus Mangel
Waſſers mit der Feſtung Uxellodun ihm erge-
ben muͤſſen/ und Waffen tragen koͤnnen/ die
Haͤnde abhacken/ der noch lebende Auguſtus in
dem buͤrgerlichen Kriege gantze ergebene Staͤdte
aushauen laſſen. Cejonius warff ein: Maxi-
mus Emilianus habe dem Konneba/ einem er-
gebenen Straſſen-Raͤuber/ Caͤſar auch See-
Raͤubern das Leben geſchenckt. Er ward aber/ als
er mehr reden wolte/ hingeriſſen/ in einen nicht
weit entfernten Sumpf geworffen/ und mit ei-
ner auf ihn geworffenen Hurde erſtecket. Auf
welche Art die Deutſchen das Laſter weibiſcher
Zagheit zwar offentlich zu ſtraffen/ zugleich aber
das Gedaͤchtnuͤß zu verſtecken pflegten. Eine
in Wahrheit eben ſo wol verdiente Straffe fuͤr
den Cejonius/ als im Mithridatiſchen Kriege
fuͤr den Aquilius/ welcher lieber ſchimpflich vom
Hencker als ruͤhmlich im Streit zu ſterben erkic-
ſet hatte. Caldus Caͤlius und Sextus Catulus
ſahen inzwiſchen wenig Hoffnung uͤbrig ſich von
ſo blutiger Auffopferung zu erledigen/ als welche
in der Schlacht verwundet und gefangen wor-
den waren. Gleichwol wolte Catulus ſein Heil
noch verſuchen/ redete derowegen den Feldherrn
an:
[71]Arminius und Thußnelda.
an: Er koͤnte nicht glauben/ daß einige Goͤtter
an ſo grauſamem Gottes-Dienſte Gefallen
truͤgen. Die Scythen und Thracier wuͤrden
fuͤr die raueſten Voͤlcker insgemein gehalten/
dieſe aber opferten nur den hundertſten Gefan-
genen/ hier aber wuͤrde von denen ſonſt ſo hochge-
ruͤhmten Deutſchen auff alle erbaͤrmlich geraſet.
Hannibals und Xantippus Grauſamkeit ſey
zwar noch beſchrien/ daß jener aus denen erſchla-
genen Feinden uͤber die Vergelliſche Bach ihm
eine Bruͤcke gebaut/ die Vaͤter mit den Soͤhnen/
Bruͤder mit Bruͤdern zu kaͤmpfen gezwungen/
und hierdurch den Mohren ein Schau-Spiel
angeſtellt habe; dieſer/ daß er und die Carthagi-
nenſer dem Attilius Regulus die Augen-Lieder
abſchneiden/ und ihn an der brennenden Sonne
verſchmachten laſſen. Alleine beyde haͤtten
ſcheinbare Urſache ihrer Grauſamkeit gehabt;
der erſte/ weil der Roͤmiſche Rath die Gefange-
nen zu loͤſen verboten; die andern/ weil Regulus
den Roͤmern den Frieden und ſeine Auswechſe-
lung ſelbſt widerrathen haͤtte/ und ſo wol er als
Sempronius dem Feinde gleichſam zu Trotze
ins Mohriſche Laͤger zuruͤck kommen waͤren.
Dieſesmal aber waͤre an ihrer Loͤſ- oder Ein-
wechſelung nicht zu zweifeln. Hingegen habe
Mithridates nicht allein unſterbliches Lob er-
worben/ ſondern auch die Roͤmer mit nichts
mehrers erſchreckt/ als daß er ihre Gefangenen
mit einem Zehr-Pfennige verſehen und ohne
Entgeld frey gelaſſen. Kayſer Julius habe es
mit den Pompejiſchen Gefangenen nicht anders
gemacht. Hertzog Ganaſch fiel ihm in die Re-
de: Alle Gefangene muͤſſen ſterben. Rom hat
ſelten einem fremden Gefangenen Lufft und Le-
ben gegoͤnnet. Vom Marius vermochten die
Celtiſchen Weiber und Kinder nicht das Leben
und die Freyheit zu erbitten. Caldus Caͤlius
biß hieruͤber die Zaͤhne zuſammen/ und fuhr
den Catulus mit verzweifelter Geberdung und
harten Worten an: Schone deiner! Einem Roͤ-
mer ſtehet es ſo wenig an das Leben zu erbetteln/
als dieſe Barbarn einiger Bitte werth ſind.
Folge meinem Beyſpiele/ wo es dir mehr umb
Ehre als den ohnmaͤchtigen Athem zu thun iſt.
Hiermit ergriff er die eiſernen Ketten/ wormit
er gebunden war/ und ſtieß ſelbte ſo heftig an
ſein Haupt/ daß er mit Vergieſſung ſeines
Bluts und Gehirnes Augenblicks todt zu Bo-
den fiel. Ja ehe ein Menſch zuſpringen konte/
hatte es Catulus ihm nachgethan; allen hier-
uͤber erſtaunenden Zuſchauern zum Nachden-
cken laſſend: Ob bey dieſer Begebenheit das be-
hertzte Beyſpiel oder die geſchwinde Nachfolge
mehrer Verwunderung wuͤrdig ſey/ oder ob ſie
nicht mit groͤſſerm Ruhm geſtorben als Corne-
lius Merula/ der umb/ nicht in des wuͤtenden
Marius Haͤnde zu fallen/ mit ſeinem eignen
Prieſter-Blute des Jupiters Augen beſpreng-
te; oder als Herennius Siculus/ der ſeinen
Kopf an den Pfoſten des Kerckers zermalmte/
und alſo dem Hencker gleichſam den ſchimpfli-
chen Tod aus den Haͤnden wand.
Hierauff ward auch der ausgeſcharrte Leich-
nam des Roͤmiſchen Feldherrn zu einem Altare
geſchleppt/ bey welchem Printz Seſitach/ Her-
tzog Segimers und Fuͤrſt Siegesmund des Se-
geſthens Sohn zugegen waren. Der erſtere/
welcher wegen einer einsmal geſchehenen Belei-
digung auf den Varus einen unverſoͤhnlichen
Haß geſchoͤpfft hatte/ ſpottete nicht allein ſein/
ſondern wolte auch verwehren ihn als ein un-
wuͤrdiges Aaß auff dem Altare zu verbrennen.
Fuͤrſt Siegesmund aber/ welcher wegen ſeines
abtruͤnnigen und numehro verhaffteten Vaters
in groͤſtem Bekuͤmmernuͤſſe war/ und von denen
gegen ihn als einen Verraͤther des Vaterlandes
hoͤchſt-erbitterten Deutſchen ein ſcharffes Ur-
thel befahrete/ bekam hierbey eine Gelegenheit
zugleich ſich bey den Deutſchen einzulieben/ und
den Roͤmern einen Dienſt zu thun/ oder zum
minſten ſſelbte nicht gar aus der Wiege zu werf-
fen. Denn ob wol der ſchlaue Segeſthes/ als
er zu den Roͤmern uͤberging/ ſeinem Sohne mit
Fleiß
[72]Erſtes Buch
Fleiß befohlen hatte/ er ſolte mit einem Theile
des Caſuariſchen Adels auf der deutſchen Seite
ſtehen bleiben und fechten; womit/ wenn die
Deutſchen die Ober-Hand behielten/ der Sohn
dem Vater/ da aber die Roͤmer obſiegten/ der
Vater dem Sohne Freyheit und Begnadigung
erbitten koͤnte; Siegesmund auch in der
Schlacht ſeinen Mann gewehret/ und gute
Kenn-Zeichen ſeines deutſch-geſinneten Gemuͤ-
thes von ſich gegeben hatte; ſo vermochte doch
diß alles/ entweder wegen kindlicher Liebe/ oder
weil ſein Gewiſſen des Vaters Verbrechen
ſelbſt zu unnachlaͤslicher Straffe verdammete/
ihm nicht die geſchoͤpfte Furcht zu benehmen.
Dahero redete er den Seſitach an: Vetter/ du
weiſt/ wie mein Vater mich zu groſſen Ehren
gebracht zu haben vermeynt/ als er mir wider
meinen Willen/ und die angeborne Abſcheu fuͤr
den Roͤmern das Prieſterthum bey dem von den
Roͤmern am Rheine aufgerichteten Altare der
Ubier nicht ohne groſſe Muͤh und Geld zuwege
gebracht. Zeit und Alter lidten es damals nicht/
daß ich haͤtte meine innerſte Gemuͤths-Mey-
nung heraus ſagen/ oder mich dem vaͤterlichen
Befehle widerſetzen doͤrffen. Den erſten Au-
gen-Blick aber/ da ich von der Deutſchen wider
die Roͤmiſche Dienſtbarkeit ruͤhmlich-gefaßten
Entſchluͤſſung nur wenig Wind bekommen/
habe ich vorſaͤtzlich das ewige Feuer ausgeleſcht/
den Prieſter-Rock und die Haupt-Binden zer-
riſſen/ mich uͤber den Rhein gefluͤchtet/ und fuͤr
mein Vater-Land mein Blut mit beſſerm Ruh-
me/ als dort die uns geraubten Ochſen/ den
Goͤttern aufzuopfern/ entſchloſſen. Goͤnne
mir dieſemnach/ daß ich unſern Schutz-Goͤttern
dieſes von ſeinem Blute und Vermoͤgen ſo fette
Opfer abliefern/ und jenes irrdiſche Prieſter-
thum in ein heiliges verwandeln moͤge. Die
Gewogenheit des Fuͤrſten Siegesmunds und
die Einfalt der umbſtehenden Kriegsknechte ließ
ſich von ihm leicht erbitten/ und der andaͤchtige
Libys wolte einen Fuͤrſten von ſo hohem Gebluͤ-
te/ welcher ſchon einmal zum Prieſter geweyhet
war/ von dieſer Verrichtung nicht abſtoſſen/ ſon-
dern befahl/ daß ihm alſobald aus dem heili-
gen Brunnen reines Waſſer zu Abwaſchung ſei-
ner Haͤnde gebracht ward; warff zu ſeiner Be-
ſtaͤtigung ihm einen weiſſen Rock uͤber/ und ſetzte
ihm einen Lorber-Krantz auff. Fuͤrſt Sieges-
mund ward hieruͤber nicht wenig vergnuͤget;
weil er hierdurch zum minſten wider die ſtrengen
Geſaͤtze/ welche auch der Verraͤther Kinder ge-
wiſſen Straffen unterwerffen/ ſich in Sicherheit
geſetzt hatte. Hiermit raffte er ſich mit der von
den Kriegs-Leuten entbloͤſſeten Leiche des Va-
rus/ warff ſelbten in die lodernde Flamme des
Altars/ und rieff: Groſſer Tuiſco/ nim dieſes
Opfer fuͤr die Wolfahrt des Vater-Landes gnaͤ-
dig an! Ja! und vertilge die Verraͤther deſſelbten
mit Strumpf und Stiel; brach ihm Neſſelrod
ein Cheruskiſcher Ritter ein: Sehet/ und erſtar-
ret zugleich ihr edlen Deutſchen/ uͤber der Boß-
heit des meineydigen Segeſthes. Hiermit laß
er einen Brief/ welchen er in des Varus Klei-
dern gefunden/ Segeſthes aber die letzte Nacht
fuͤr dem Treffen an ihn geſchrieben hatte/ mit
nachfolgenden Worten ab:
Segeſthes wuͤntſchet dem Quintilius Varus
Leben und Sieg/ ihm ſelbſt aber den numehr zu
ſpaͤten Tod/ nach dem er mit dem Hertzog Herr-
mann und andern Bundbruͤchigen Fuͤrſten in
den Uberfall des Roͤmiſchen Kriegs-Volcks hat
ſtimmen muͤſſen/ welche die zum Schein wider
die Sicambrer/ Angrivarier und ihren aufruͤh-
riſchen Melo verſammleten Huͤlffs-Voͤlcker
folgenden Tag wider eure Adler anfuͤhren wer-
den. Wolte Gott! Varus haͤtte meinen War-
nungen ſo viel Glauben gegeben/ da ich ihm noch
fuͤr wenig Tagen rieth ſo wol mich als den arg-
liſtigen Herrmann nebſt ſeinem Anhange bey
ſeinem Gaſtmahle in Feſſel zu ſchluͤſſen/ als er
auff die glatten Verſicherungen dieſes Aufruͤh-
rers mit ſeinem nun empfindlichen Schaden ge-
trauet. Es iſt mehr ein thoͤrichter Aberglauben/
als
[73]Arminius und Thußnelda.
als eine Froͤmmigkeit/ wenn man ihm ein Ge-
wiſſen macht den in ſeinem Hauſe uͤber ſeinem
Tiſche hinzurichten/ welchen ſein Verbrechen
zum Tode verdammt. Numehro beſtehet
dein und der Roͤmer Heil in Zuſammen-
raffung der Roͤmiſchen Kraͤffte/ und in einer
vorſichtigen Zuruͤckziehung von der Lippe.
Jnzwiſchen glaube/ daß ich meine Waffen der
Roͤmiſchen Macht beyzufuͤgen entſchloſſen ſey/
da mir der Feind und das Verhaͤngnuͤß nicht
alle Wege verbeugen wuͤrden. Diß abgeleſene
Schreiben verurſachte unter dem Kriegs-Vol-
cke ein groſſes Getuͤmmel. Einige fragten:
Warumb man den Segeſthes/ welcher dem Va-
terlande das Roͤmiſche Joch haͤtte an die Hoͤrner
ſchlingen helffen/ welcher Urſache waͤre/ daß
Deutſchland zu unausleſchlichem Spott zwi-
ſchen dem Rhein und der Elbe die Roͤmiſchen
Beile und Ruthen geſehen/ nicht zum Suͤhn-
Opfer den Goͤttern des Vaterlandes zum erſten
abgeſchlachtet haͤtte? Andere rieffen: Bey an-
dern Voͤlckern waͤre es halsbruͤchig/ wenn einer
wider ſeines Feld-Oberſten Willen den Feind
angegriffen/ und gleich geſieget haͤtte. Papirius
haͤtte deßwegen den Q. Fabius zum Tode ver-
dam̃t/ und Manlius ſeinen eigenen Sohn mit
dem Beile richten laſſen. Solte nun Segeſthes
ſein Vaterland ungerochen bekriegt haben? Die
vaͤterlichen Geſetze hieſſen Verraͤther und Uber-
laͤuffer an Baͤume auffhencken. Man ſolte
dieſen Eydbruͤchigen herzu ſchaffen. Sein ho-
her Stand vermoͤchte ihn nicht des Todes zu be-
freyen/ wo der Deutſchen Geſetze nicht zu Spin-
neweben werden ſolten/ darinnen nur Muͤcken
und Fliegen hencken blieben/ Weſpen und Hor-
niſſen aber durchriſſen. Miſſethaten ſtuͤnden
Fuͤrſten/ wie Flecken den groͤſten Geſtirnen am
ſchimpflichſten an. Segeſthens Beſtraffung
koͤnte auch keine Schande auff ſeine ſo hochver-
diente Anverwandten waͤltzen. Denn die La-
ſter beſudelten niemanden als den Ubelthaͤter/
und die Urſache/ nicht die Straffe machte einen
unehrlich. Deßwegen haͤtte Lucius Brutus
ſeine eigene Soͤhne/ weil ſie mit den verjagten
Tarquiniern Verſtaͤndnuͤs gehabt/ und Spu-
rius Caſſius ſeinen nach der Roͤmiſchen Herr-
ſchafft ſtrebenden Sohn mit Ruthen ſchlagen/
und des Kopfes kuͤrtzer machen laſſen. Mit
ſolchem Ungeſtuͤm fielen ſie an die Prieſter. Gott
und die Vorfahren haͤtten ihnen die Gewalt ge-
geben die Miſſethaͤter in Hafft zu ziehen und zu
verurtheilen. Sie ſolten uͤber den Segeſthes
ihnen nun Recht verhelffen. Gott koͤnne kei-
nen ſuͤſſern Geruch empfangen/ als den Dampf
vom kreiſchenden Blute eines boßhaften Men-
ſchen. Der Feldherr ward uͤber dieſem Zufalle
in nicht geringe Verwirrung verſetzt; ſonderlich
als er wahrnahm/ daß hierdurch einige Prieſter/
mit Huͤlffe der verbitterten Kriegsleute/ den Se-
geſthes herbey zu ſchaffen ſich bewegen lieſſen.
Und zwar viel/ in Meynung/ dem Feldherrn/
welcher mehrmals vom Segeſthes beleidigt
worden war/ einen Dienſt zu thun/ nach dem
insgemein unvergeltete Wolthaten fuͤr Verluſt/
geraͤchetes Unrecht fuͤr Gewinn gehalten wuͤr-
den. Er ſelbſt konte zwar die Verraͤtherey Se-
geſthens unverdammet nicht laſſen/ gleichwohl
fuͤhlte er ſchon durch die Beleidigung Segeſthens
ſeiner unvergleichlichen Thußnelde Seele ver-
wunden/ und dieſe Empfindligkeit ihm ſelbſt
durchs Hertze gehen. Ja dieſe Bekuͤmmernuͤß
wuchs noch mehr/ als Ganaſch das durch den
Segeſthes ſeinen Chautzern verurſachte Unheil
wieder auf den Teppicht warf/ und daß auch hun-
dert ſeiner Koͤpfe ſeinẽ ſo ſehr beſchimpften Vol-
cke dergleichẽ Schmach zu bezahlẽ viel zu wenig
waͤren. Hertzog Jubil pflichtete dieſer Meynung
nicht nur bey/ ſondern zoh auch an: Wem das
Vaterland lieb waͤre/ der muͤſte ſolchen Verraͤ-
thern gram ſeyn/ welche auch ſo gar die haßten/
die ſie zu Werckzeugen ihres Vortheils brauch-
ten. Solche groſſe Verbrechen uͤberſehen/ waͤre
ein gewiſſes Kennzeichen entweder gleichmaͤſſi-
ger Boßheit/ oder daß man ſich fuͤr denen fuͤrch-
tete/ welche fuͤr der Gerechtigkeit leben ſolten.
Nicht nur die Laſterhaften/ ſondern auch die/
Erſter Theil. Kwel-
[74]Erſtes Buch
welche bey gemeinen Verwirrungen ſich etwas
zu entſchluͤſſen kein Hertze haͤtten/ wuͤrden durch
ſo grauſame Barmhertzigkeit zu ſchaͤdlicher
Nachfolge verleitet/ die Unſchuld aber ſchuͤchtern
gemacht/ welcher ohnediß ſtets mehr Gefahr als
Ehre zuhinge; da hingegen die Boßhaften noch
mit ihren Ubelthaten wucherten. Wenn nun
Segeſthes das Kauff-Geld/ das ihm die Roͤmer
fuͤr der Deutſchen Freyheit gegeben/ behielte/ die
Deutſchen aber ſeine Verraͤtherey nicht ſtraff-
ten/ wer wolte nicht glauben/ daß die Vergeltung
numehr der Boßheit/ die Schande der Tugend
gewiedmet waͤre; oder/ daß Segeſthes dieſe nicht
unbillich verhandelt haͤtte/ welche uͤber ihrer
Dienſtbarkeit ſo unempfindlich waͤren. Wie
viel ruͤhmlicher waͤre es ihnen/ wenn die Vor-
Eltern ihre Freyheit mit ſo viel Blute nicht be-
hauptet haͤtten; weil es ja ſchimpflicher waͤre/
das erworbene verlieren/ als es gar nicht erwer-
ben! Was wuͤrde in Deutſchland mehr heilig
bleiben/ nun das Vater-Land zu feilem Kauffe
ginge? Zu was wuͤrde Recht und Richter mehr
nuͤtze ſeyn/ nun die Verraͤtherey unſtraͤfflich waͤ-
re? Zu was Ende kaͤmpften ſie umb das Joch
der Herrſchafft abzulehnen/ wenn Segeſthes
thun moͤchte/ was er wolte? Denn dis waͤre das
euſerſte der Koͤniglichen Gewalt. Wuͤrde man
nun am Segeſthes ein Bey-Spiel der Rache
uͤben/ wuͤrden ſich alle/ die was Boͤſes im Schilde
fuͤhrten/ wie das kleine Gepuͤſche bey einem
groſſen Zeder-Falle erſchuͤttern/ die Redlichen
aber von der empor wachſenden Boßheit nicht
gedaͤmpft werden. Es waͤre viel ſchaͤdlicher/
die Laſter ungeſtrafft/ als die Tugend unbelohnet
laſſen. Denn die Gutten wuͤrden dadurch nur
traͤger/ die Boͤſen aber verwegener und ſchlim-
mer. Die meiſten Anweſenden billigten dieſe
Meynung durch ein helles Begehren: Man
ſolte denen Geſetzen ihre Krafft/ dem Rechte ſei-
nen Lauff/ und der Straffe ihr Maaß laſſen.
Ja das Volck bezeigte mit ſeinen Ungeberden
gleichſam ſeine Ungedult uͤber der allzulangſa-
men Rache. Gleichwol erholte ſich Hertzog
Herrmann/ drehete ſich gegen dem oberſten Prie-
ſter/ als welcher ihm hierinnen am meiſten zu
ſtatten kommen konte/ meldende: Dieſe Opfer
koͤnten mit einheimiſchem Blute nicht beſudelt
werden/ nach dem die Sitten des Vaterlandes
nur frembdes Blut heiſchten. Alleine wie
groſſes Anſehen er bey iedermann hatte/ ſo war
doch dieſer Fuͤrwand die erbitterten Gemuͤther
zu beruhigen allzuohnmaͤchtig. Denn Hertzog
Ganaſch hielt entgegen: Es foderten die Geſetze
nicht allein Straffe uͤber die Beleidiger; ſondern
es ſolte der Feldherr ſich nur ſines eigenen Ge-
luͤbdes erinnern/ wie er an dieſem heiligen Orte
den Goͤttern bey aufgehendem Monden ange-
lobt/ alle die er gefangen bekommen wuͤrde/ auf-
zuopfern. Ja/ antwortete der Feldherr: Aber
Segeſthes iſt nicht in meine/ ſondern in ſeiner
eigenen Tochter Haͤnde verfallen/ welche fuͤr das
Vaterland mit mehr als maͤnnlicher Tapferkeit
ihr Blut aufgeſetzet/ durch ihren gluͤcklichen An-
fang dem gantzen Heere die unzweifelbare Hoff-
nung eines herrlichen Sieges eingebildet/ und
dahero zweyfaches Hertze gemacht. Denn der
erſte Ausſchlag gebiehret entweder verzagte
Furcht/ oder vermaͤſſene Zuverſicht. Mit nicht
minderm Ruhm hat Fuͤrſt Sigesmund ſeine
Liebe zum Vaterlande bezeugt/ und mit ſeinem
Blut die Flecken der vaͤterlichen Schuld abge-
waſchen. Uber dis haben Sylla und andere
Wuͤteriche denen Verſtorbenen zu Ehren ehe-
mals denen undanckbarſten und ſchuldigſten
Miſſethaͤtern die verdienten Straffen enthan-
gen. Segeſthes ward nebſt denen zweyen ge-
fangenen Fuͤrſten Armeniens und Thraciens
auf einem Wagen gleich herzu gefuͤhrt/ als der
Feldherr fuͤr den erſten derogeſtalt redete. Se-
geſthes ward hieruͤber nicht wenig beſchaͤmt; fiel
ihm dahero in die Rede: Er haͤtte dieſe Verthei-
digung weder umb den Feldherrn/ noch ſeine
Begnadigung umbs Vaterland verdienet. Er
erkenne die Groͤſſe ſeines Verbrechens erſt nach
voll-
[75]Arminius und Thußnelda.
vollbrachter That. Waͤre es nach den vaͤterli-
chen Rechten zulaͤßlich/ wolte er hier gerne ein
Opfer fuͤr das gemeine Heil werden. Denn
dem/ welchen ſein Gewiſſen verdammte/ waͤre
der Tod ein Troſt/ das Leben eine unaufhoͤrliche
Quaal; Sintemal die Gnade einen Verbre-
cher zwar der Straffe/ nicht aber ſeiner Schan-
de entbuͤrden koͤnte. Die Prieſter erſtarreten
gleichſam hieruͤber; und ob zwar der Feldherr
fuͤr Segeſthen das Wort nicht reden wolte/ ſahen
ſie ihm doch unſchwer an/ wie ſehr ihm ſeines er-
kieſeten Schwaͤhers Fall muͤſte zu Hertzen geben.
Denn wie die Liebe ein ſo nachdruͤckliches Feuer
iſt/ daß ſie ſtaͤhlerne Hertzen erweichet; alſo laͤſt
es ſich auch am ſchwerſten verbergen/ und iſt un-
ter allen Gemuͤths-Regungen die unvorſichtig-
ſte. Ganaſch nahm dieſe Unbewegligkeit der
Prieſter fuͤr eine Kaltſinnigkeit auf; redete ſie
daher auffs neue an: Jhnen waͤre die Erhaltung
der Geſetze/ die Straffe der Laſter auff ihre See-
le gebunden. Sie ſolten numehro dem Volcke
Recht verhelffen/ und urtheilen: Ob ſie den/ wel-
cher ſich ſelbſt verdammete/ loßſprechen koͤnten?
Taugte dieſer Miſſethaͤter nicht zu einem
Schlacht-Opfer/ ſo waͤre dieſer heilige Ort doch
ihr gewoͤhnlicher Richt-Platz/ wo uͤber der Edlen
Leben erkennet und geſprochen wuͤrde. Sie
ſolten erwegen die Eigenſchafft des Laſters/ die
Beſchaffenheit des Verbrechens/ und das den
Deutſchen hieraus erwachſende Unheil. Grie-
chenland koͤnne ſich ruͤhmen/ daß Codrus/ umb
nur durch ſeinen Tod das Vaterland zu erhal-
ten/ ſeinen Purpur mit dem Rocke eines Scla-
ven verwechſelt; der ins Elend verjagte Themi-
ſtocles aber/ womit er dem Xerxes wider ſein un-
danckbares Vaterland dienen doͤrfte/ habe von
einem dem Jupiter geſchlachteten Ochſen das
Blut ausgetruncken/ und ſich ſelbſt fuͤr ſeine
Feinde aufgeopfert. Deutſchland aber habe am
Segeſthes ſo eine Schlange gebohren/ welche der
eigenen Mutter Leib zerfleiſche. Die Geiſter
ſeiner ruhmwuͤrdigen Vorfahren/ derer Ge-
ſchlechte er mit ſo ſchlimmen Thaten beſchwaͤrtz-
te/ wuͤrden in ihren Graͤbern beunruhiget wer-
den/ da ſie nicht durch ſeine Hinrichtung verſoͤh-
net/ ja er ſeinen ſo tugendhaften Kindern als ein
Greuel aus den Augen geriſſen wuͤrde. Das
Urthel waͤre unſchwer wider ihn abzufaſſen/
nach dem das Geſetze in dem benachbarten Hay-
ne an ſo vielen Baͤumen angeſchrieben ſtuͤnde/
daran man viel geringere Verraͤther und Uber-
laͤuffer auffgehenckt ſehe. Die Geſetze waͤren
ohne folgende Beſtraffung der Ubertreter eine
Blendung der Einfalt/ und ein Hohn der Boß-
haften. Denn keines haͤtte eine ſo kraͤfftige Guͤt-
te in ſich/ dieſe auff den Weg der Tugend zu lei-
ten/ die Guten aber folgten ihr ohne Geſetze.
Eine zum Argen geneigte Seele waͤre zwar die
Mutter/ und braͤchte die Laſter auff die Welt/
der ſolche nicht hinderte/ huͤlffe ihr auff die
Beine/ aber der Richter/ welcher ſie nicht ſtraffte/
kroͤnete ſie gar. Libys befand ſich hierdurch
uͤberwieſen/ und nach dem er weder einen ſo hoch-
verdienten Feldherrn/ welcher die Stiefmuͤtter-
lichen Abneigungen des Gluͤcks mit ſo vaͤterli-
cher Liebe gegen das Vaterland ausgegleicht
haͤtte/ betruͤben/ noch iemanden die Gerechtigkeit
verſagen wolte/ zwiſchen Thuͤr und Angel.
Denn nach dem er durch die Wolthat dieſes
Helden ſich und Deutſchland allen Bekuͤmmer-
nuͤſſes entledigt wuſte/ hatte er numehr ſo viel
mehr Kummer um ihm ſelbſt. Hingegen muͤ-
ſten alle andere Abſehen der Gerechtigkeit aus
dem Wege treten; ſintemal da ſchon die Geſetze
zu Grunde gingen/ wo Gewalt und Anſehen
uͤber ſie empor ſtiege. Bey dieſem Bedencken
legten gleichwohl/ aus einem beſondern Ver-
haͤngnuͤſſe/ die Opfer-Knechte Hand an Segeſt-
hes/ hoben ihn vom Wagen/ und er ſelbſt warte-
te nicht ſo wol mehr auff ſein Todes-Urtheil/ als
auff was Art ſelbtes an ihm wuͤrde vollzogen
werden. Aller Augen waren auff den Libys
gerichtet/ welche durch ihr Stillſchweigen ihm
numehr das Urthel abzunoͤthigen ſchienen.
K 2Da-
[76]Erſtes Buch
Dahero dieſer Prieſter ſich nur ſeines Amptes
nicht entaͤuſern konte/ ſondern zu befinden ge-
zwungen ward: Es muͤſte Segeſthes/ da er ein
taugliches Opfer ſeyn wolte/ ſeinem Vaterlan-
de/ Geſchlechte und Nahmen abſchweren/ oder
die irrdiſche Straffe der Verraͤther ausſtehen.
Segeſthes entruͤſtete ſich uͤberaus/ und fuhr den
Prieſter mit harten Worten an: Er habe zwar
bey dieſer der Tugend gehaͤſſigen Zeit geſuͤndigt;
darumb aber ſey bey ihm die Wurtzel der Tu-
gend nicht gaͤntzlich ausgerottet/ daß er den
Glantz ſeiner verſtorbenen Ahnen lieber mit
Fuͤſſen treten/ als ſich eines ſchimpflichen Todes
entbrechen ſolle. Der erſte und letzte Tag des
Lebens mache einen Menſchen entweder gluͤck-
ſelig oder veraͤchtlich/ das Mittel lauffe bald in
Ruh/ bald mit Sturm dahin/ nach dem das
Gluͤck ſein Steuer-Ruder fuͤhre/ dahero liege
einem Sterbenden keine Sorge mehr ob/ als daß
er das Schau-Spiel ſeines Lebens tugendhaft
beſchluͤſſe. Ein heimlicher Abend trockne die
Pfuͤtzen eines ſchluͤpfrigen Tages auff/ und ein
ſauberer Grabe-Stein verdecke auch die beſu-
delſten Lebens-Taffeln. Dahero wolle er lie-
ber als ein Deutſcher gehenckt ſeyn/ als ein un-
wuͤrdiger Frembdling/ oder vielmehr verſtoſſe-
ner/ der Eitelkeit einer ihn nicht rein brennenden
Opferung genuͤſſen. Das Lob oder die Schan-
de eines Todes ruͤhre nicht von dem Ruffe des
Poͤfels/ noch von dem eitelen Wahne des irren-
den Volckes/ ſondern von dem Gemuͤthe des
Sterbenden her. Jhrer viel ſtiegen ruͤhmlicher
auff den Raben-Stein/ als mancher Aſche in
guͤldne Toͤpfe und alabaſterne Graͤber verſchar-
ret wuͤrde. Niemand war/ der/ dieſer letzten
Entſchluͤſſung wegen/ Segeſthens Laſter nicht
zum Theil fuͤr vermindert hielt. Weil auch der
am Ende des Lebens herfuͤrblickende Schatten
der Tugend nicht anders als der Wider-Schein
der untergegangenen Sonne den allerſchoͤnſten
Glantz zu haben ſcheinet. Gleichwol konte Li-
bys nicht vorbey ſein End-Urthel zu eroͤffnen:
daß Segeſthes nach den Geſetzen des Vaterlan-
des muͤſte hingerichtet werden. Aber/ verſetzte
Segeſthes/ iſt es einem Nachkommen des Halb-
Gotts Tuiſco nicht verſtattet/ daß er das Urtheil
an ſich ſelbſt ausuͤbe/ und/ womit man ſein Ver-
brechen nicht weibiſcher Zagheit zuſchreibe/ den
letzten Athem ungezwungen ausdruͤcke? Denn
ich weiß wol/ daß dieſe ihnen einen ſchoͤnern Tod
anthun/ die noch viel Hoffnung zu leben uͤbrig
haben; aber auch dieſe ſind weniger veraͤchtlich/
welche der Nothwendigkeit des unvermeidlichen
Todes mit unverwendeten Augen entgegen ge-
hen. Libys antwortete ihm mit Nein. Der
angethane/ nicht der eigenwillige Tod ſey eine
Straffe. Dieſer ſey vielmehr eine Nothwen-
digkeit der Natur/ eine Ruhe von der Arbeit/ ein
Ende des Elends. Getraueſtu dir denn (fing
die fuͤr ihres Vaters Leben ſorgfaͤltige Thußnel-
de an/ welche ſich gleich durch die Menge des
Volcks zu dieſem Trauer-Spiele herzugedrun-
gen hatte) einer zu ſterben entſchloſſenen Seele
den Weg zu verbeugen/ da uns die Natuꝛ zu dem
Tode hundert Pforten eroͤffnet hat? Meinſtu/
daß wenn ein Elender die ſchwache Gemein-
ſchafft des Leibes und der Seelen zu trennen Luſt
hat/ ſelbter Gift trincken/ Stricke kauffen/ Meſ-
ſer brauchen/ rauhe Stein-Felſen ſuchen/ gluͤen-
de Kohlen verſchlingen/ die Adern zerkerben
muͤſſe? Das Gluͤcke haͤtte uͤber uns allzugroſſe
Herrſchafft/ wenn wir ſo langſam/ odeꝛ nur auff
einerley Art/ ſterben als geboren werden koͤnten;
als welches uͤber einen Lebenden alle/ auff einen/
der zu ſterben weiß/ keine Gewalt ausuͤben kan.
Hat dir nicht Caldus Caͤlius bewieſen/ daß die
Feſſel/ welche ihm den Eigen-Mord verwehren
ſolten/ ſein Werckzeug darzu geweſt? Der Raͤu-
ber Coma dorffte nichts als ſeinen eignen Lebens-
Athem hierzu/ durch deſſen Hinterhaltung er
unter den Haͤnden ſeiner Huͤter und fuͤr den Au-
gen des Buͤrgermeiſters Rupilius ſich erſteckte/
alſo die Ausforſchung um ſeine Geferten zernich-
tete. Aber es ſey ferne/ daß Thußnelde dem/
wel-
[77]Arminius und Thußnelda.
welchem ſie das Leben zu dancken hat/ den
Selbſt-Mord einloben ſolte. Ein Knecht thut
unrecht/ wenn er ſich ſeinem Herrn zu Schaden
verſtuͤmmelt. Wir ſind alle Knechte des uͤber-
all herrſchenden GOttes/ und alſo nicht Herren
nur eines einigen Gliedes/ weniger unſers Le-
bens. Wir ſind Ebenbilder des groſſen Schoͤ-
pfers. Wie moͤgen wir uns denn ſelbte zu zer-
ſtoͤren erkuͤhnen/ da es das Kupfer-Bild eines
ſterblichen Fuͤrſten zu verunehren halsbruͤchig
iſt? Sollen die Menſchen nicht zahmer als wilde
Thiere ſeyn? Keines unter dieſen aber hat eine
ſo wilde Unart/ daß es ſich ſelbſt vorſetzlich toͤdte.
Ja es iſt eine Schwachheit eines verzaͤrtelten
Gemuͤthes/ oder eine Raſerey der Ungedult/ we-
gen eines heftigen Schmertzens nicht leben wol-
len/ und eine Thorheit ſich zum Sterben noͤthi-
gen/ daß man nicht auff eine andere Art ſterbe.
Geſetzt nun/ der Hencker ſetze uns das Meſſer
ſchon an die Kehle/ ſoll man darumb dem Hen-
cker die Hand zu Vollziehung des Streiches
leihen? Laſſe den ankommen/ der dich toͤdte.
Warumb wilſtu frembder Grauſamkeit Stelle
vertreten? Mißgoͤnneſtu dem Hencker die Ehre
dich zu toͤdten/ oder wilſtu ihn der Muͤhe uͤberhe-
ben? Der von dem Goͤttlichen Außſpruche
ſelbſt fuͤr den Weiſeſten erklaͤrte Socrates konte
nach empfangnem Urthel ſeinem Leben durch
Enthaltung vom Eſſen oder Gift alsbald ab-
helffen; was ſolte ſich aber der fuͤr dem ihm zu-
erkenneten Gifte fuͤrchten/ der den Tod verach-
tete? Dahero wartete er ſeines Moͤrders/ ob
ſchon das eingefallene Feyer in Delphos die
Vollziehung des Urtheils dreiſſig Tage auff-
ſchob. Lernet hieraus/ ihr Deutſchen/ mit was
Ruhm ihr euer heutiges Siegs-Feſt durch Ver-
dammungen verunehret! Alleine/ heiliger Li-
bys/ moͤgen derſelben auch die Gewohnheiten
des Vaterlandes zu ſtatten kommen/ deſſen Ge-
ſetze wider ihren Vater ausgeuͤbet werden? Der
Prieſter ward uͤber ſo ſeltzamen Abwechſelungen
nicht wenig beſtuͤrtzt/ und bildete ihm ein/ es wuͤr-
de dieſe Heldin/ welche mit denen in der
Schlacht gebrauchten und vom Blute beſpritz-
ten Waffen angethan erſchien/ wegen ihrer
Verdienſte des Vaters Begnadigung ſuchen.
Dahero ließ er ſich gegen ſie heraus: Derſelben/
welche ſich umbs Vaterland ſo wol verdienet
haͤtte/ koͤnten die Wolthaten ſolcher Rechte keines
weges verſchrenckt werden. Wolauff denn/
ſagte ſie/ ſo ſtellet den Vater derſelben Tochter
nur auff freyen Fuß/ welche ſich fuͤr ſeine Be-
freyung fuͤr ihn ſelbſt auffzuopfern entſchloſſen
iſt. Bey den meiſten Voͤlckern ſtehet in der
Willkuͤhr und den Haͤnden der Eltern das Leben
und der Tod ihrer Kinder. Jhnen iſt erlaubt/
auch zu ihrem bloſſen Unterhalt fuͤr ſie ein bluti-
ges Kauffgeld zu nehmen. Warumb ſoll ihnen
nicht auch frey ſtehen ſie fuͤr ihr Leben aufzuo-
pfern. Und warumb nicht am allermeiſten dem
Segeſthes ſeine Tochter? welche ihn mit eignen
Haͤnden erwuͤrget/ da ſie ihn in der Schlacht in
die eurigen geliefert? Laſſe dieſemnach/ liebſter
Vater/ mich fuͤr dich ſchlachten/ und uͤbe an mir
aus/ was dir ſo wol deine vaͤterliche Gewalt ver-
ſtattet/ als meine eigene Verwahrloſung auff-
buͤrdet. Dem Segeſthes fielen die milden
Thraͤnen uͤber die Wangen/ und die Beſtuͤrtzung
hatte ihn eine ziemliche Weile ſtum̃ gemacht/ biß
er ſeine Tochter dergeſtalt anredete: Nein/ nein/
hertzliebſte Thußnelde. Haben die Aſſyrier ihrem
Bel/ Carthago dem Saturno fuͤr ihre Wolfarth
gleich ihre eigne Kinder geopfert; habe ich zeithe-
ro meine Macht etwas rau uͤber dich ausgeuͤbet/
werde ich doch nimmermehr auf dieſe Grauſam-
keit verfallen/ die Unſchuld/ ja mein eigenes Blut
fuͤr mich hinzugeben. Jch habe mit meinem
Verbrechen meine vaͤterliche Gewalt verloren/
und bin nun alles aͤuſerſte unerſchrocken zu lei-
den entſchloſſen. Es iſt vergebene Ausflucht/
verſetzte Thußnelde. Menſchen/ welche ſich
dem ſchluͤpfrigen Gluͤcke gantz und gar ver-
trauen/ verlernen zwar ſelbſt die Natur/ und
verwandeln ihre angebohrne Eigenſchafften;
aber kein Zufall kan das Recht des Gebluͤts
aus den Adern vertilgen/ und kein buͤr-
K 3ger-
[78]Erſtes Buch
gerlich Geſetze machen: daß Segeſthes nicht
der Thußnelden Vater bleibe. Jch heiſche
Recht/ heiliger Libys/ und ich beziehe mich auff
das Recht der Kinder hieſigen Landes/ welche
fuͤr die Eltern auch wider ihren Willen ſter-
ben koͤnnen. Mit dieſen Worten ſanck ſie fuͤr
dem einen Opffer-Tiſche zu Boden/ und nach
dem ſie dreymahl geruffen hatte: Schlachtet die
fuͤr ihren Vater willig ſterbende Tochter; ſahe
ſie alle Umſtehende ringsum mit ſtarren Augen
an/ gleich ob ſie aus eines iedem Antlitze das in-
nerſte ſeines Gemuͤths leſen wolte. Libys verlohꝛ
vewundernde hieruͤber Puls und Sprache; Der
unbarmhertzige Ganaſch ward zu inniglichem
Mitleiden bewogen; Jhr Bruder Sieges-
mund erſtarrte wie ein Stein/ Segeſthes ſanck
ohnmaͤchtig zur Erden/ alle Umſtehenden ſeuff-
zeten; Hertzog Herrmann ward von der Liebe
und dem Mitleiden ſo empfindlich beruͤhret/
daß er ſeine Hertzhafftigkeit viel zu ſchwach hielt
dieſem Trauerſpiele ohne ſeine ſelbſt eigne Ver-
liehrung zuzuſehen/ und womit die bey den
Deutſchen veraͤchtliche Wehmuth ihm nicht bey
dem anweſenden Poͤfel ein verkleinerliches Ur-
thel zuziehen moͤchte/ verhuͤllete er ſein Antlitz/
gleich als ob dieſe Begebenheit ihm mehr als
dem leiblichen Vater zu Hertzen ginge/ und er
ſchwerer als vor zeiten Agamemnon der Opffe-
rung dieſer andern Jphigenia zuſehen koͤnte.
Ja er ſtand ſchon auff verwandtem Fuſſe/ um
ſich dieſer unertraͤglichen Bekuͤmmerniß zu ent-
brechen/ als ihn ein heftiger Hall des ſchꝛeyenden
Volcks/ ſeine Enteuſſeꝛung zu hemmen/ und ſein
Geſichte zu eroͤffnen noͤthigte. Da er denn wahꝛ-
nahm/ daß die an ihrer Auffopfferung zu zweif-
ffeln anfangende Thußnelde auffgeſprungen
war/ und ſich dem erſtarꝛten Libys das Schlacht-
meſſer aus der Hand zu winden bemuͤhete. Jhr
Goͤtter! rieff er/ und ſprang zwiſchen ſie und
den Prieſter/ um mit der Ausreiſſung des
Meſſers auch ihre ſelbſthaͤndige Hinrichtung
zu verhindern. Unbarmhertziger Herrmann!
ſprach ſie/ und blickte ihn mit gantz gebrochenen
Augen/ aus welchen Tod und Wehmuth ſelbſt
zu ſehen ſchien/ an/ daß es einen Stein haͤtte
erbarmen moͤgen. Unbarmhertziger Herr-
mann! fuhr ſie fort/ iſt diß das ſchoͤne Kennzei-
chen der mir mehrmahls ſo hoch betheurten
Liebe? Mißgoͤnneſtu mir fuͤr meine beſtaͤndige
Zuneigung den Tod/ oder die Ehre fuͤr den
Vater zu ſterben? Jenes verwehren einem
auch die Feinde nicht; dieſes aber kan mir die
Unſterbligkeit erwerben. Holdſelige Thuß-
nelde/ fing der Feldherr gegen ſie an/ ſoll der
nicht den Streich von deiner Bruſt abwen-
den/ welcher ihm zugleich durch ſeine Seele
gehen wuͤrde? Was wuͤrde dir mit einer eiteln
Unſterbligkeit des Nachruhms gedienet ſeyn/
welche mich zu Grabe ſchicken/ und nebſt mei-
nem Ruhme mein gantzes Weſen vertilgen wuͤꝛ-
de? Soll ich denn aber/ fuhr ſie heraus/ meinen
Vater ſo veraͤchtlich in Wind ſchlagen und ſo
ſchimpfflich umkommen laſſen? Soll ich das
mit Purpur-Tinte in mein Hertz und Adern
geſchriebene Geſetze der Natur ausleſchen/
und die eingepflantzte Waͤrme der Liebe durch
kalten Undanck erſtecken? Hertzog Herrmann
ſahe hierauff den Prieſter Libys ſchmertzhafft
an/ gleich als ob er von ihm ein Huͤlffsmittel er-
bitten wolte/ welcher von ſeiner Beſtuͤrtzung ſich
noch kaum erholen konte. Nach einem langen
Stillſchweigen fing er als wie aus einer Entzuͤ-
ckung an: O allerweiſeſte Gottheit! wie wer-
den doch der Scharffſichtigſten Augen verduͤ-
ſtert/ wenn ſie in die Sonne deiner unerforſch-
lichen Verſehung ſchauen wollen! Welch ein
alberer Schluß komt heraus/ wenn unſer thoͤ-
richtes Urthel die Schickungen des Verhaͤng-
niſſes ſich zu meiſtern unterwindet/ und mit
dem Poͤfel diß oder jenes fuͤr gut oder boͤſe/ fuͤr
Gluͤck oder Ungluͤck haͤlt/ was in ſeinem We-
ſen und Ausgange nicht ſo beſchaffen iſt/ als es
euſſerlich unſerm bloͤden Verſtande fuͤrkoͤmmt.
Welcher unter uns glaubte nicht/ daß Segeſthes
in das tieffſte Elend verfallen/ Thußnelde in den
mitleidentlichſten Zuſtand gerathen waͤre? Un-
ſere
[79]Arminius und Thußnelda.
ſere Geſetze halten das einmahl gethane Ster-
bens-Geluͤbde eines Kindes vor ſeine Eltern
fuͤr unwiederrufflich/ und es hat kein ſterblicher
Menſch die Gewalt/ es ſo denn aus den uner-
bittlichen Armen des Todes zu reißen/ oder es
von Erfuͤllung des Geluͤbdes zu entbinden.
Welche Ariadne wuͤrde uns nun aus dieſem
gefaͤhrlichen Jrrgarten fuͤhren/ welch Oedi-
pus uns diß Raͤtzel auffloͤſen? wenn die goͤttliche
Weißheit durch ſo ſeltzame Zufaͤlle unſern im
finſtern nur tappenden Verſtand nicht erleuch-
tete; Wenn ſage ich/ die ſo empfindliche Beſtuͤr-
tzung dieſes Hertzogs uns nicht die Fenſter ſei-
nes Hertzens eroͤffnete/ und wir ſo wohl darin-
nen/ als in der ſterbenden Seele der unvergleich-
lichen Thußnelde das Feuer einer reinen Liebe
lichterlohe haͤtten heraus ſchlagen ſehen. Laͤ-
ſtert nun mehr das Verhaͤngnuͤß ihr irrdiſchen
Gottes-Veraͤchter/ daß es ſich weder um un-
ſern Urſprung/ noch um unſer Ableben/ noch
um einigen Menſchen bekuͤmmere. Faͤllet
mehr fruͤhzeitiges Urthel: daß die Frommen
ſelten Seide ſpinneten/ die Boßhafften aber
meiſt auff Roſen gingen. Lernet aber ihr An-
daͤchtigen/ daß alle Begebenheiten an einer rich-
tigen Schnur der goͤttlichen Leitung haͤngen;
daß alles/ was uns begegnen ſoll/ ſchon vom An-
fange her/ zwar nicht in den Stern-Ziffern/ aber
wohl in der Hand des Verhaͤngnuͤſſes auffge-
zeichnet ſey; Daß die goͤttliche Barmhertzigkeit
unter den bittern Schalen eines ſcheinbaren E-
lendes den ſuͤßeſten Kern unſerer Wohlfarth
verberge; und meiſt der garſtigſte Nebel ge-
faͤhrlichſter Zufaͤlle ſich in einen erfreulichen
Sonnenſchein verklaͤre. Wiſſet demnach/ daß
unſere guͤtige Gottheit der gewaltigen Liebe al-
leine enthangen habe/ den Knoten ſolcher Ge-
luͤbde auffzuloͤſen/ und die Riegel der Opffer-
ſchrancken zu zerbrechen/ wenn mit der Verlob-
ten iemand ſich in ein den Goͤttern angeneh-
mers Ehverloͤbniß einlaͤſt. Jſt nun nicht ſich
hoͤchſt zu wundern/ wie unſere traurige Cy-
preſſen ſich uͤber aller Anweſenden Einbildung
in annehmliche Myrrhen verwandeln? Wie
unſer gluͤcklicher Feldherr in einem Tage mit
Lorbern und Roſen bekraͤntzt wird? Stehe auf
Segeſthes/ aus dem Schatten des Todes/ aus
den Feſſeln des Ungluͤcks/ und erfreue dich uͤber
die Vertilgung deiner begangenen Fehler/ er-
kenne dein und deines Hauſes Gluͤcke in Beſitz-
thum der unvergleichlichen Thußnelde/ und in
Verbindung des groſſen Herrmanns. Begluͤck-
ſelige mit dem Ubermaſſe deiner Vergnuͤ-
gung unſern unſterblichen Feldherrn/ durch
Verſprechung deiner holdſeligen Tochter/ und
unſerer neuen Schutzgoͤttin. Verknuͤpffe durch
dieſe Heyrath die Hertzen der großmuͤthigen
Cheruſker/ und der tapffern Caſuarier. Jhr
aber/ O ihr uͤberaus gluͤckſeligen Verliebten/
warum verziehet ihr nach ſo feſter Verknuͤpf-
fung eurer tugendhafften Seelen nunmehro
durch inbruͤnſtige Umarmung auch die Leiber zu
vereinbarn? Wunderſchoͤne Thußnelde/ opffe-
re numehr deine zarte Seele uͤber den Flammen
der unbefleckten Liebe deinem Braͤutigam auff/
der die ſeinige dir fuͤrlaͤngſt gewidmet hat/ und
nach dem du deinen Vater durch die Liebe aus
dem Rachen des Verderbens geriſſen/ ſo mache
auch dieſen unſchaͤtzbaren Helden von den Stri-
cken aller Furcht loß/ und laſſe den/ der auff den
Grund deiner Tugend geanckert/ mit ſeiner
Hoffnung numehro in Hafen der Vergnuͤgung
mit vollem Segel einlauffen.
Dieſe wunderliche Ebentheuer kamen allen
Anweſenden nicht anders als ein Traum fuͤr;
iedoch bezeugten ſie mit Geberden und Jauch-
zen ihre daraus geſchoͤpffte Freude. Segeſthens
Ohnmacht verwandelte ſich in eine Schwer-
muth. Denn die Vergnuͤgung/ welche er uͤber
Erhaltung ſeines Lebens empfand/ war nicht
maͤchtig genug/ die wider den Cheruſkiſchen
Hertzog eingewurtzelte Gramſchafft ſo ge-
ſchwinde abzulegen/ oder auch nur zu verde-
cken; Vielmehr wuchs ſie in Segeſthens Her-
tzen
[80]Erſtes Buch
tzen gegen dieſen Helden/ weil er ſeiner zeither
ver worffenen Liebe ſein und ſeiner Tochter Le-
ben zu dancken gezwungen ward. Alſo iſt man
geneigter/ weniges Unrecht als groſſe Wohltha-
ten mit gleichem zu vergelten; Ja wenn Wohl-
thaten ſchon die Kraͤffte unſerer Vergeltung uͤ-
berſteigen/ geben wir ſtatt verbindlichen Dan-
ckes unſern Wohlthaͤtern noch Haß zu Lohne.
Uberdiß hatte Hertzog Herrmann vorhin nicht
ſo wohl den Segeſthes/ als dieſer jenen belei-
digt/ dahero brachte die Eigenſchafft des menſch-
lichen Gemuͤthes beym Segeſthes mit/ den belei-
digten zu haſſen/ und zwar/ weil ſeine Urſachen
hierzu unrechtmaͤßig waren/ deſto hefftiger.
Gleichwohl muſte er aus der Noth eine Tu-
gend machen/ und ſo viel moͤglich ſeine gegen
den Feldherrn tragende Feindſchafft mit be-
truͤglichem Liebkoſen bekleiden. Dahero erklaͤr-
te er ſich: Daß nachdem es den Goͤttern beliebet/
die Gemuͤther des Feldherrn und ſeiner Toch-
ter zu vereinbarn/ lieſſe er ihm derſelben Verlo-
bung allerdings gefallen/ und ertheile hierzu
ſeinen vaͤterlichen Willen. Thußnelden ſtieg
nun allererſt die Schamroͤthe unter die Augen/
entweder weil ſie ſich erinnerte/ daß ſie nach
Art der Sterbenden oder der unvorſichtigen
Liebhaber eine allzufreye Zunge gehabt/ als ſie
die Heimligkeit ihres Hertzens nicht nur dem/
welchen ſie liebte/ ſondern ſo vielen Zuſchauern
offenbahret hatte; oder weil ihre Landes-Art er-
forderte ihre Zucht bey Erkieſung eines Man-
nes mit dieſer Farbe als dem ſchoͤnſten Braut-
ſchmucke der Jungfrauen zu bezeichnen. Her-
tzog Herrmann/ ob er wohl dem Segeſthes den
Zwang ſeiner Einwilligung unſchwer anmeꝛck-
te/ und wohl verſtand/ daß der/ welcher ihn vor-
hin nie auffrichtig geliebt hatte/ den hervorbli-
ckenden Unwillen nicht zum Scheine annahm/
fuͤgte ſich doch zu ihm mit hoͤfflichſter Ehrerbie-
tung/ hob ihn von der Erden auff und danckte
ihm/ daß er ihn fuͤr einen wuͤrdigen Braͤuti-
gam ſeiner unſchaͤtzbaren Tochter beliebt haͤtte.
Hierauff naͤherte er ſich zu Thußnelden mit an-
nehmlichſter Liebes-Bezeugung/ und verwech-
ſelte mit ihr/ zum Zeichen ihrer Verbindung et-
liche Mahlſchaͤtze; Woruͤber Thußneldens
Schamhafftigkeit ſie doch ſo weit nicht verſchliſ-
ſen konte/ daß ihr nicht die Vergnuͤgung ihres
Hertzens aus den Augen geſehen haͤtte.
Kein Menſch/ auſſer der ſchwermuͤthige
Segeſthes/ war zugegen/ welcher nicht uͤberaus
groſſe Freude bezeugte/ daß das Verhaͤngniß
ein dem Vaterlande ſo heilſames und zu fried-
ſamer Eintracht des Schwaͤhers und Eydams
dienendes Verbindiß geſtifftet/ und die ſo trau-
rigen Opffer mit ſo einem froͤlichen Ausgange
begluͤckt hatten. Die Prieſter ſprachen mit an-
daͤchtigen Geberdungen tauſenderley Segen
uͤber die Verlobten/ und es war aller einmuͤthi-
ger Schluß/ daß eheſten Tages das hochzeitliche
Beylager ſolte vollbracht werden.
Die Fuͤrſten Zeno und Rhemetalces hatten
dieſen Begebungen gleichſam auff einer Schau-
Buͤhne/ zwiſchen Furcht und Hoffnung/ als de-
nen zwey Wirbeln menſchlichen Lebens/ lange
genug zugeſehen/ als/ aus der groſſen Menge
des frolockenden Volcks/ ſich die bey den Deut-
ſchen heilige/ und ſo wohl wegen ihrer Weiß-
heit als Wiſſenſchafft kuͤnfftiger Dingein groſ-
ſem Anſehen ſich befindende Aurinia/ welche
in eben dieſem Heyne/ nebſt hundert zu ewiger
Keuſchheit verſchwornen Jungfrauen/ ihren
Auffenthalt hatte/ auff einer ſchwibbogichten
Saͤnffte naͤherte/ denen Verlobten/ nach Uber-
ſtehung vielerley ſeltzamen Zufaͤlle/ groſſes
Gluͤck und Auffnehmen ihres Geſchlechts
weiſſagete; auch/ daß die Goͤtter nunmehro
des Bluts uͤberdruͤßig waͤren/ andeutete. Hier-
auff riß ſie ihren Krantz vom Haupte/ loͤſete den
Guͤrtel von ihren Lenden/ und warff beydes zu
Beſchirmung dieſer zweyer Fuͤrſten auff ihren
Wagen/ welche Zeichen bey denen andaͤchtigen
Deutſchen auch die ſchon Verdammten vom
Tode zu befreyen und wider alle Gefahr zu
verſi-
[]
[][81]Arminius und Thußnelda.
verſichern kraͤfftig waren. Eine That in War-
heit/ welche dem Beyſpiele der Veſtaliſchen
Jungfrau Claudia die ihres Vatern Appius
Siegs-Gepraͤnge wider des Roͤmiſchen Zunfft-
meiſters angemaßte Hindernuͤß beſchuͤtzte/ weit
fuͤrzuziehen iſt! indem dieſe nur ihres Geſchlech-
tes Ehrgeitz befoͤrderte/ jene aber zwey Fremd-
linge aus Lebens-Gefahr riß. Libys verfuͤgte
hierauff/ daß nicht nur dieſe zwey Fuͤrſten/ ſon-
dern alle noch lebende Gefangene entfeſſelt wuͤr-
den/ und dahero dieſe zwar in freyerer Bewah-
rung blieben/ jene aber/ nachdem ſie der heiligen
Aurinia als ihrer Schutz Goͤttin weiſſen
Schleyer (welchen ſie ihnen ſelbſt darreichte/
weil ſonſt niemand bey Lebens-Straffe ſie an-
ruͤhren dorffte) mit tieffſter Demuth gekuͤſt/ und
fuͤr ihre Begnadigung gedancket hatten/ wur-
den nebſt allen andern Fuͤrſten von dem Feld-
herrn in ſeine Burg eingeladen. Alles Volck
begleitete ſie mit unauffhoͤrlichen Gluͤckwuͤn-
ſchen/ die Prieſter mit vielfaͤltigen Segnungen/
und der ſchon anbrechende Morgen diente ih-
nen zu einem anmuthigen Wegweiſer/ gleich
als wenn das groſſe Auge der Welt nicht ehe
den Erdboden mit ſeinem Scheine haͤtte erfreu-
en wollen/ als biß mit dem Schatten der Nacht
bey vielen auch die Furcht des ihnen fuͤr Augen
ſchwebenden Todes verſchwunden waͤre. Der
Prieſter Libys trug inzwiſchen Sorge fuͤr die A-
ſche der Abgeſchlachteten/ womit ſelbte mit de-
nen noch uͤbrigen Gebeinen in Todten-Toͤpffe
gerafft und verſcharret wuͤrde. Abſonderlich
ſammlete er die Uberbleibung des Qvintilius
Varus in einen ſteinernen Krug/ vergrub ſie/
richtete auch daſelbſt einen viereckichten Stein
mit dieſer Uberſchrifft auff:
HErtzog Herrmanns Vergnuͤgung/ Thußneldens Freude/ Segeſthens
Schwer- und Malovends Unmuth. Des Fuͤrſten Zeno und Malovends
Unterredung vom Koͤnigs- und andern Spielen; inſonderheit: Ob dieſe
den Fuͤrſten anſtaͤndig/ und der Deutſchen Spiel-Sucht verdam̃lich ſey.
Adgandeſter deutet im Nahmen deß Feldherrn denen gefangenen Fuͤr-
ſten die Freyheit ſich mit der Jagt zu erluſtigen an. Lob des Jagens. Sie fangen
es mit der Reiger-Beitze an. Faͤllen einen Uhr-Ochſen. Seltzame Haͤrte ihrer Koͤpfe.
Erlegung eines vom Kayſer Julius mit einem Halsbande bezeichneten Hirſchen/ welcher
uͤber den Rhein geſetzt/ weil die Sicambrer ihm die aus Gallien getriebenen Menapier
nicht haͤtten wollen ausfolgen laſſen/ fuͤr den auff ihn dringenden Catten aber haͤtte
muͤſſen zuruͤck weichen. Dahero er vorher aus dem Sicambriſchen Thier-Garten zu
ſeinem Andencken alle alſo gezierte Hirſche loßgelaſſen haͤtte. Der Hirſchen Alter und
Eigenſchafften. Was fuͤr Unterſchleif mit falſch-ertichteten Alterthuͤmen vorgehe.
LWas
[82]Anderes Buch
Was die Thiere den Menſchen fuͤr Artzneyen gewieſen. Ob die unvernuͤnftigen Thie-
re/ wie die Menſchen/ Gemuͤths-Regungen haben? Malovend gedencket eines Wun-
der-Horns/ welches eine Wald-Goͤttin einem Fuͤrſten ſeines Geſchlechts gegeben. Der
Roͤmer Großſprechen von ihren Thaten. Jhre gegen frembde Voͤlcker veruͤbte Boß-
heiten/ und Verdruͤckung anderer Siege. Die Fuͤrſten faͤllen viel wilde Schweine/
derer eines Rhemetalcen verwundet. Fuͤrtreffligkeit der Britanniſchen Tocken und
anderer Hunde. Erlegung zweyer Baͤren. Die Treue der Hunde gegen ihre Herren.
Alfesleben verlieret bey Ausweidung des Baͤres einen eiſernen Ring. Schaͤtzbarkeit
gewiſſer Ringe/ und warumb die Cattiſchen Edelleute biß zu Erlegung eines Feindes
eiſerne tragen? Das Recht guͤldne und eiſerne Ringe zu tragen/ die Gewohnheit
ſelbte zu verſchencken/ an gewiſſen Gliedern zu tragen/ und gewiſſe Bilder
darein zu etzen. Was die Catten und andere fuͤr Wappen gefuͤhrt. Alfesleben wird
von einer Sau verwundet. Andeutungen durch Ringe und andere ſeltzame Wir-
ckungen. Die Fuͤrſten ſpeiſen in des Feldherrn Jaͤger-Hauſe. Beſchreibung des
Boller-Brunnes/ und anderer wunderbaren Waͤſſer. Deutſchland waͤre Außlaͤn-
dern wider die Wahrheit allzu rauh beſchrieben/ und haͤtte ſich durch die Gemein-
ſchafft mit den Roͤmern verbeſſert. Die Natur waͤre mit wenigem vergnuͤgt/ und
haͤtte iedem Lande ſeine Nothdurfft verſchafft. Scheltung des luͤſternen Uberfluſſes.
Schaͤdligkeit frembder Gewaͤchſe. Ob die Natur deßwegen in allen Landen nicht
alles wachſen laſſe/ daß eines mit dem andern Gemeinſchafft haben ſolle? Ob der
Menſch ſein Leben durch Erfindungen zu verbeſſern/ oder ſich mit den bloſſen Gaben
der Natur zu vergnuͤgen habe? Verwerffung der Zaͤrtligkeit und Verſchwendung/
und das Lob der menſchlichen Abhaͤrtung; iedoch ſey die Tugend keine Feindin der Ge-
maͤchligkeit. Der Deutſchen Uhrſprung. Die Geſchichte Hermions des erſten deut-
ſchen Feldherrns aus dem Cheruskiſchen Geſchlechte. Der Kwaden Hertzog Atcoroth
hat Mißfallen uͤber Hermions Wahl. Seine Tochter Emma iſt verliebt in Hermions
Sohn Marß. Hermion nim̃t ſich der vom Atcoroth bekriegter Noricher/ nebſt dem
Fuͤrſten der Rhetier Bato an; ſchlaͤgt und zwinget ihn/ daß er ihm die Laͤnder zwi-
ſchen der March und Wage/ ſeinem Sohne Mars die Tochter/ dem Bato ſein Wahl-
Recht abtreten muß. Seine Gemahlin Kuͤnigundis verleitet den Atcoroth zum Frie-
dens-Bruche/ ſperret die Emma ein/ und bringt den Mars umbs Auge. Atcoroth
wird geſchlagen/ erſtochen/ Kuͤnigundis belaͤgert/ aber durch den Emma an Mars/ der
Jutta des Hermions Tochter an Valuſcenes des Atcoroths Sohn geſchehene Verhey-
rathung Friede gemacht. Hermion uͤberwindet die Sequaner/ und lehret die Wei-
ber kriegen. Mars wird nach ihm wider Svaſandufaln den Fuͤrſten der Tencterer
zum Feldherrn erkieſet/ dieſer auch von jenem/ und jener vom Fuͤrſten der Alemaͤnner
erlegt. Cridifer ſein Sohn wird von Dulwigen der Vindelicher Hertzoge gefangen.
Nach neun andern wird Vandal der dritte Cheruskiſche Feldherr. Dieſer ſchlaͤgt
Micaſirn den Sarmater/ ſtirbt aber zeitlich. Jhm folgt der kluge und friedſame Her-
tzog Ulſing; herrſchet lange; vermaͤhlet ſeinen Sohn Alemann an Vercingentorichs
Tochter und macht ihn zum fuͤnften Feldherrn. Lob des Friedens. Ulſings nuͤtzliche Ge-
baͤue. Verachtung der unnuͤtzen aber koſtbaren/ wie auch der wahrſagenden Stern-
ſeher-
[83]Arminius und Thußnelda.
ſeher-Kunſt. Die Wiſſenſchafft des Sternenlauffs ſey aber nuͤtzlich. Ulſing muß ihm
ein Bein abloͤſen laſſen und ſtirbt. Der ſtreitbare Aleman fuͤhret einen Loͤwen mit ſich/
erlegt die wildeſten Thiere/ verſteigt ſich in Jagten/ wird von einer Heydexe errettet/
ſchlaͤgt die Gallier. Kriegeriſche und Friedſame Fuͤrſten ſollen miteinander abwechſeln.
Die Cheruſkiſchen ſind im Heyrathen gluͤcklich. Alemann verehlicht ſeinen Sohn Hun-
nus mit des Britanniſchen Koͤnigs Tochter/ welcher das Atlantiſche Eyland erobert.
Der Carthaginenſer/ Phoͤnicier/ Egyptier/ Nord-Voͤlcker/ Scythen/ Britañier/ Bata-
ver/ Frieſen Schiffarth dahin. Die Britannier waͤren durch Ungewitter dahin verſchla-
gen worden. Madoch der Cimbern Hertzog waͤre 300. Jahr ehe dahin gereiſet/ und die
Sitonier lange vorher fuͤr dem Wuͤterich Harfager in die Atlantiſche Jnſel geflo-
hen. Jhr Reichthum waͤre Urſach/ daß nimmer ein Volck fuͤr dem andern verborgen/
gleichwohl haͤtte das Erdbeben ein gut Theil davon verſchlungen. Der Griechen und
Roͤmer Schiffarthen/ welche aber ſich in das Atlantiſche Eyland nicht erſtrecket. Mar-
comir der ſechſte Cheruſkiſche Feldherr erbt von der Mutter Britannien und viel ande-
re Laͤnder; ſein Bruder der Noricher Hertzog der Bojen und Kwaden Gebiete. Mar-
comirs Kriege wieder Uſeſivaln der Gallier Hertzog/ wider die Hermundurer/ Catten
und den Scythiſchen Koͤnig Salomin. Er richtet zwey Seulen auff der Atlantiſchen
Jnſel auff/ erobert viel groſſe Laͤnder und ſchaffet die in der Welt ſo gemeine Menſchen-
Opfferung darinnen ab. Wuͤrde der Reichs-Urheber und ihrer Vergroͤſſerer. Ob A-
lexander dem Julius oder dieſer jenem vorzuziehen? Marcomirs Siege/ Reiſen und Ab-
legung ſeiner Herrſchafft. Welche die loͤblichſte Vorbereitung zum Tode waͤre. Der
Seele ſey ein geheimer Zug gegen GOtt/ und ein Verlangen nach der Unſterbligkeit an-
gebohren. Jrrdiſche Urſachen der Abdanckungen. Mit dem Alter verfielen die beſten
Fuͤrſten. Die Reue folge der Niederlegung der Wuͤrden auff dem Fuſſe. Marcomir
verlaͤſt ſeinem Sohne Hippon die fremden/ ſeinem Bruder Jngram die deutſchen Laͤn-
der und die Feldherrſchafft. Beyſpiele etlicher anderer ſich ihres Reichs enteuſernder
Fuͤrſten. Der Getiſchen Koͤnige dienſtbare Herrſchafft. Des Rakimis Abdanckung
wegen verfallenen Anſehns bey ſeinem Volcke. Der ſiebende Feldherr Jngram und der
Dacier Hertzog Decebal bewerben ſich widereinander um die Pannoniſche und Kwadi-
ſche Hertzogin Hermildis. Decibal verfaͤlſcht Jngrams Schild durch Einſchiebung ei-
nes Bildes der Cimbriſchen Fuͤrſtin Gandeberge. Beyder Fuͤrſten Turnier. Das Bild
wird in des Jngrams zerſchmettertem Schilde entdecket und der Hoff wider ihn erbit-
tert. Die vermum̃te Hermildis kaͤmpfft wider den Hertzog Jngram/ wird aber von
ihmhefftig verwundet. Grauſamer Streit Jngramswider Decebaln/ welcher gezwun-
gen wird ſeinen Betrug zu bekennen. Decebal wird vom Hofe verbannt/ erregt aber
wider den Koͤnig Liſſudaval die Pannonier/ dieſe erwehlen ſeinen Sohn Gudwil zum
Koͤnige. Gudwils Mißtrauen gegen den Jngram. Gottesdienſt der Kihala bey den
Kwaden. Jngram betheuret ſeine Redligkeit/ und ruͤhret einen gluͤenden Roſt unver-
ſehrt an. Jhm wird Hermildis vermaͤhlet. Liſſudaval ſtirbt/ Gudwil wird vom
Salomin erlegt. Jngram erbt das Kwadiſche Reich/ krieget um das Pannoniſche mit
Decebaln. Er ſiegt/ verfaͤllt aber mit den Scythen in Krieg. Schutz-Bilder gewiſſer
Oerter. Friedebald beſchuͤtzt wider den Salomin die Stadt Vindobon; Decebal trit
L 2dem
[84]Anderes Buch
dem Jngram Pannonien ab/ behaͤlt Dacien. Salomin vertreibt Decebals Sohn und
ſeine Mutter/ nimmt Bregetio ein; Jhm widerſtehet aber Jngram. Sein Sohn Klo-
domir der achte Cheruſkiſche Feldherr wird von Marcomiren erzogen. Seine Tugen-
den und Liebe gegen Riamen Marcomirs Tochter/ welche aber in Friedebalden verliebt/
und unter der ebenfalls in Hertzog Friedebalden verliebten Koͤnigin der Kwaden Olorene
Auffſicht iſt. Beyder Fuͤrſtinnen geheime Eiferſucht. Riama gibt Friedebalden ihre
Liebe zu verſtehen. Marcomir ſchreibt an Olorenen und Riamen/ wil dieſe Klodomirn
gegen Abtretung der Feldherrſchafft vermaͤhlen. Klodomir iſt hier zu geneigt/ ihm a-
ber ſelbſt Riama unhold. Aſtinabes der gluͤckſeligen Jnſeln Koͤnig wirbt um Olore-
nen. Koͤnig Jngram verbeut ſeinem Sohne Klodomir der Feldherrſchafft ſich zu ver-
zeihen. Marcomir ſchickt Friedebalden wider den Koͤnig Salomin; traͤgt Olorenen
Aſtinabens Heyrath fuͤr/ erfaͤhret aus Hertzog Friedebalds Briefe Olorenens und Ri-
amens Liebe gegen den Fuͤrſten Friedebald. Marcomir befehlicht die Riame Klodomirn/
Olorenen den Aſtinabes zu ehlichen. Marcomirs und Olorenens ungleiches Urthel von
Fuͤrſtlichen Staats-Heyrathen. Die Fiſcher ziehen des durch Schiff bruch umkomme-
nen Friedebalds Leiche aus de[m] Waſſer/ woruͤber Olorene ohnmaͤchtig wird/ Riame er-
ſtarret und beyde erkrancken. Klodomir geraͤth in einer Wildniß in Lebens-Gefahr. Die
zwey krancken Fuͤrſtinnen werden nach Gades in den Tempel des Eſculapius bracht.
Friedebalds Geiſt bittet ſie um Vergeſſung ihrer Liebe und Betruͤbniſſes. Jhre Geneſung
und ſeltzame Verliebung in die ihnen beſtimmten Braͤutigame. Schlaue Wunderwercke
der Prieſter. Der Gottesdienſt gebe nicht nur eine Larve der Staats-Klugheit/ ſondern
auch der Liebe ab. Klodomirs Vermaͤhlung mit Riamen/ des Aſtinabes mit Olore-
nen. Friedebalds Geiſt bedienet ihren Braut-Tantz/ und weiſſaget Olorenen. Jhre
Einſamkeit wegen des verlohrnen Aſtinabes. Merckwuͤrdige Unterredung von den
Geiſtern der Lebenden und Todten. Hippon nimmt das Reich des Aſt inabes ein. Klo-
domirs gluͤckliche Herrſchafft und Kriege wider den Salomin und Miles. Nach ſeinem
Tode herrſchet der neundte Feldherr Roderich/ krieget wider drey Scythiſche Koͤnige/
und ſetzt Deutſchland in Ruh/ weigert ſich auch auff des Parthiſchen Koͤnigs Mithri-
dates Erſuchen mit den Scythen den Frieden zu brechen. Ruhm des Friedens/ dahin
ein verlebter Fuͤrſt ſein Abſehen nehmen ſoll. Roderich ſchickt dem Mithridates koſtba-
re Gegengeſchencke. Unterſuchung des Goldmachens/ und ob das Reichthum der Pfei-
ler eines Reiches ſey. Geſpraͤche von dem ewigen Feuer. Malorichs des zehenden
deutſchen Feldherrn kluge Herrſchafft. Er erkieſt Hertzog Aembrichen zu ſeinem Reichs-
Erben. Die Erſcheinung eines ſchrecklichen Schwantz-Sternes. Deutungen ſolcher
Geſtirne und der Erdbeben. Ruͤckkunfft der auff der Jagt geweſenen Fuͤrſten nach
Deutſchburg/ allwo unterdeſſen Melo der Sicambrer Hertzog/ Beroris ſein Bruder/
und Dietrich ſein Sohn mit vielen Gefangenen Roͤmern ankommen waren/ welche ſie
in der Feſtung Tranburg/ Mattium/ Segodun/ und Cattenburg/ und in dem mit
dem Caͤditius abermahls gehaltenen Treffen bekommen/ und berichtet/ daß die Me-
napier und Eburoner wider die uͤber den Rhein getriebenen Roͤmer auffzuſtehen ge-
neigt waͤren. Der Deutſchen hieruͤber bezeugte Freude.
DAs Volck kam insgemein mit
nicht geringer Freude/ die Fuͤr-
ſten mit uͤberaus veraͤnderten
Gemuͤths - Regungen/ iedoch
meiſt alle mit mehrer Vergnuͤ-
gung auff des Feldherrn Burg
an/ als ſie vorher in den Deutſchburgiſchen
Heyn gediegen waren. Hertzog Herrmann
ſahe ſein Vaterland numehr durch ſeine Ver-
nunft und Tapferkeit auff den Stul der guͤldnen
Freyheit verſetzt/ ſein Haupt mit unverwelcken-
den Siegs-Kraͤntzen uͤberſchattet/ und er ſolte
nun in das Bette der wunderſchoͤnen Thußnel-
de ſchreiten; alſo ſchien er in beyden heftigſten
Gemuͤthsregungen/ nehmlich der Ehrſucht und
Liebe den hoͤchſten Zweck erlangt zu haben/ und/
nachdem ein gewuͤntſchter Ausſchlag alle Ver-
druͤßligkeiten uͤberzuckert/ konte er das erlidtene
Ungemach ſo viel leichter ihm aus dem Sinne
ſchlagen. Ja er wuſte wider das Unrecht des
Segeſthes ſich keiner ruͤhmlichern Rache zu be-
dienen/ als nach ſo vielen Wolthaten ſeine Ab-
neigung mit moͤglichſter Ehrerbietung/ und die
menſchliche Eigenſchafft mit Entaͤuſerung alles
Unwillens zu uͤberwinden/ nach dem es doch in
unſer Gewalt nicht ſtehet/ etwas/ ſo unſerm Ge-
daͤchtnuͤſſe ſchon einmal feſt eingedruͤcket iſt/ gar
zu vergeſſen. Die großmuͤthige Thußnelde
ward wegen Errettung ihres verurtheilten Va-
ters/ wegen eingelegten Ruhmes ihres Bru-
dern/ durch die Vergnuͤgung ihrer inbruͤnſtigen
Liebe von Freuden dergeſtalt uͤberſchuͤttet/ daß
ihr ſo viel Gutes mehrmals nur zu traͤumen be-
deuchtete/ und ſie daruͤbeꝛ aus angewohntem Un-
gluͤcke zu zweifeln anfing/ mehrmals auch ihre
Freudigkeit nicht allzuſehr an Tag zu geben ſich
zwingen muſte. Weil ſich aber Schwermuth
nicht ſo leicht als Freude verbergen laͤſt/ ſahe dem
Segeſthes und ſeiner ſtets geſuchten Einſamkeit
entweder der Verdruß wider ſeiner Tochter un-
vermeidliche Heyrath/ oder die Erkaͤntnuͤß ſei-
ner eigenen Schande aus den Augen. Denn
die Laſter ſind ihnen ſelbſt die aͤrgſten Hencker/
und es kan der Leib nicht ſo blutig mit Ruthen
geſtrichen werden/ als das Gewiſſen der Boß-
hafften ihre eigene Bangſamkeit peinigt. Ma-
lovend empfand zum theil auch einige Wunden
dieſer innerlichen Quaal/ daß er den Degen wi-
der ſeine Landsleute ausgezogen/ und noch nicht
allerdings verſichert zu ſeyn meynte/ ob ihm ſol-
ches ſo gar ungenoſſen ausgehen wuͤrde. Die-
ſe Schwermuth veranlaſſete den Tencteriſchen
Fuͤrſten Marcomir/ daß er den Fuͤrſten Malo-
vend auff ſeinem Zimmer heimſuchte/ und mit
dem Koͤnigs-Spiele die Verdruͤßligkeit der Zeit
zu verkuͤrtzen vornahm. Nach weniger Zeit
kam Zeno der Pontiſche und Rhemetalces der
Thraciſche Hertzog darzu/ welchem letztern be-
frembdet fuͤrkam/ daß Malovend ſeine Bekuͤm-
mernuͤſſe mit einem Spiele zu erleichtern ſuchte;
welches zwar nachdencklich und darinnen Fuͤrſt-
lich waͤre/ daß es keine knechtiſche Begierde des
Gewinns/ ſondern den einigen Ruhm des Ob-
ſiegs zum Zweck; aber keine Bewegung des Lei-
bes in ſich haͤtte/ und das Gemuͤthe eben ſo ſehr
als das wichtigſte Fuͤrnehmen beſchaͤfftigte/ alſo
in ſeiner Ernſthafftigkeit nichts weniger als ein
Spiel waͤre. Malovend antwortete Rheme-
talcen: Der Nahme des Koͤnigs-Spiels redete
ihm ſelbſt/ und ihnen/ als Fuͤrſten/ dieſes Zeit-
vertriebs halber/ das Wort; und weil es aus
Morgenland den Urſprung/ auch bey ſelbigen
Voͤlckern das groͤſte Anſehen haͤtte/ wunderte
ihn ſo viel mehr/ wie er esfuͤr ſo veraͤchtlich hielte/
da doch in ſelbtem/ als in einem Sinnbilde alle
Herrſchens-Kuͤnſte und die oberſte Botmaͤſſig-
keit der Klugheit enthalten ſeyn ſolten. Jn
welchem Abſehen ein Jndiſcher Koͤnig dem mit
L 3ihm
[86]Anderes Buch
ihm kriegenden Perſiſchen ein Koͤnig-dieſer
aber jenem ein Bret-Spiel uͤberſchickt; und wie
jener die Gewalt der Klugheit/ alſo dieſer die
Macht des Gluͤckes dardurch entworffen ha-
ben ſolle. Jm Fall aber auch gleich ihr Spiel
nicht die Freudigkeit anderer Luſt-Spiele in ſich
haͤtte/ waͤre ſeine traurige Eigenſchafft ihrer
Gefangenſchafft ſo viel anſtaͤndiger. Rhemetal-
ces verſetzte: Er waͤre zwar ein naher Nachbar
der Lydier/ welche das Wuͤrffel-Bret- und Ball-
Spiel erfunden haben ſolten/ dißfalls aber waͤre
er von ihrer Lebens-Art gantz entfernet/ in dem
er zu keinem als denen Kriegs-Spielen einigen
Zug haͤtte/ und aus ſelbten mehr Unluſt als Er-
goͤtzligkeit ſchoͤpfte. Sintemal der Menſch zu
einer nuͤtzlichen Thaͤtigkeit gebohren/ wie der
Himmel zur Bewegung geſchaffen waͤre. Die
ſaͤm̃tlichen Spiele aber waͤren wegen ihrer ver-
gebenen/ wo nicht ſchaͤdlichen Bemuͤhung/ fuͤr
etwas geringers als den Muͤſſiggang zu halten.
Jnſonderheit aber hielte er das Spielen einem
Fuͤrſten fuͤr unanſtaͤndig/ als deſſen Ambt waͤre
ſtets mit wichtigen und gemeinnuͤtzigen Dingen
unmuͤſſig zu ſeyn. Weßwegen er die vom Me-
nedemus dem jungen Antigonus beym Spiele
ins Ohr geſagte Lehre als heilſam verehrte: Er-
innere dich/ daß du eines Koͤnigs Sohn biſt.
Zeno brach Rhemetaleen ein: Dieſes waͤre ein
allzu ſcharffes Urthel wider die Spiele/ und
eine zu ſtrenge Einſperrung der Fuͤrſten. Nach
der Meynung des Goͤttlichen Plato verrichte-
ten GOtt und die Natur alles ſpielende; war-
um ſolte alle Ergoͤtzligkeit/ welche doch ein Wetz-
Stein der folgenden Arbeit waͤre/ Fuͤrſten ver-
wehret ſeyn? Die Bewegung der Sterne ſolle
ſich einer ſpielenden Harffe gleichen. Ja die
Weißheit ſelbſt waͤre nichts beſſer als ein ver-
nuͤnftiges/ und das menſchliche Leben groſſen
theils ein Affen-Spiel. Dahero der den ſieben
Weiſen in Griechenland gleich-geſchaͤtzte Koͤ-
nig in Egypten Amaſis ſich mehrmahls zu ver-
mummen und einen Narren fuͤrzuſtellen ſich
nicht geſchaͤmet haͤtte. Es waͤre zu wuͤnſchen/
daß man alles dis/ was ein Fuͤrſt zu lernen haͤtte/
ihm im Spiele beybringen koͤnte/ wie Parrha-
ſius alle ſeine ſo liebliche Gemaͤhlde mit Singen
verfertigte. Sintemal Fuͤrſten ohnedis nicht
den Buͤchern/ wie die Sclaven von den Ketten
wollen angefeſſelt ſeyn/ und alle Gemaͤchte aͤu-
ſerlich entweder dieſelbe Anmuth oder Verdruͤß-
ligkeit zeugen/ die dem Kuͤnſtler in ſeinem Gehir-
ne geſteckt/ wenn ihm die Arbeit entweder ſchwer
oder gut von Haͤnden gegangen. Wenn das
Meer am annehmlichſten waͤre/ ſpielte es mit
ſeinen ſanften Wellen/ und wenn das Auge der
Welt der Welt ſeinen Segen austheile/ mit ſei-
nen Straalen. Die guͤtigſten Fuͤrſten waͤren
zu Kurtzweil geneigt/ die allzu ernſthaften aber
insgemein die grimmigſten geweſt. So gar
Socrates und Heraclites haͤtten zu Epheſus un-
ter den Kindern des Beinleins/ und der ſauer-
ſehende Cato mit den Wuͤrffeln geſpielt. Wie
moͤchte man denn Fuͤrſten eine ſtrengere Weiß-
heit abheiſchen? Koͤnig Demetrius haͤtte es ihm
fuͤr keine Schande geachtet/ allerhand Schnitz-
werck/ der junge Dionyſius Wagen und Tiſche
mit ſeiner Hand zu machen/ und Attalus ertztene
Bilder zu gieſſe. Der Ciziceniſche Antiochus haͤt-
te ſich mit tantzenden Tocken/ Koͤnig Aeropus in
Macedonien mit Laternen-machen/ Hercules/
Ageſilaus und Alcibiades mit Spielen der Kin-
der ſich erluſtigt. Ja/ ſagte Malovend/ habe ich
doch den umbs Reich ſo ſorgfaͤltigen Kaiſer Au-
guſt nach der Abend-Mahlzeit uͤber Mitternacht
mit vierſeitigen Wuͤrffeln ſpielen und dabey
zwantzig tauſend Groſchen verlieren/ und ſeinen
Mitſpielern wol dritthalbmal ſo viel zum Spie-
le verehren ſehen. Rhemetalces fing an: Dieſe
Freygebigkeit muß dem Spiele noch ein wenig
aushelffen. Denn ein Fuͤrſt ſoll niemals ſpielen/
als mit Vorſatze zu verlieren. Mit was aber ent-
ſchuldigt ihr Deutſchen eure Luͤſternheit zum
Spielen? Sintemal ich nach der Schlacht
wahrgenommen/ daß ihrer viel/ und zwar nuͤch-
tern
[87]Arminius und Thußnelda.
tern bey gutem Verſtande/ gegen ein gewiſſes
von den gefangenen Roͤmern auffgeſetztes Geld
ſo gar ihre eigene Freyheit auffgeſetzt/ und/ unge-
achtet der Verſpielende ſtaͤrcker und vermoͤgen-
der war/ ſich in die Knechtſchafft des gewinnen-
den Spielers ohne Widerrede geſtellet haͤtten.
Malovend begegnete ihm: Er koͤnte dieſen
Mißbrauch ſeiner Landsleute nicht umſtehen.
Alleine wie ſchwerlich das Theſſaliſche Thal
Tempe/ oder einige Aue der Welt nicht auch ein
giftiges Kraut unter ihren Gewaͤchſen naͤhrte/ ſo
waͤre kein ſo wol geſittetes Volck unter der Son-
ne/ welches nicht einige Laſter unter dem Nahmẽ
der Sitten hauſete. Die Lydier verkaufften die
Jungfrauſchafft ihrer Toͤchter/ ehe ſie ſie verhey-
ratheten/ die Sarder toͤdtetẽ ihre veralternde El-
tern/ die Perſer entkleideten ſich zu ihrer Schwel-
gerey/ gleich als wenn ſie eine Schlacht liefern
ſolten/ ja Eltern und Kinder heyratheten wider
die gleichſam angebohrne Scham und das Ge-
ſetze der Natur zuſammen. Die dem Spiele
ergebenen Deutſchen aber machten gleichwohl
aus dem Laſter eine Tugend/ nach dem ſie in dem
Spielen ſonder Zwang einigen Geſetzes ſo ſtand-
hafft Treu und Glauben hielten/ und ſich lieber
ihrer Freyheit/ als der Wahrheit entaͤuſerten.
Auſſer dem wuͤrde man die Verſaͤumung noͤthi-
ger Geſchaͤffte/ Zwytracht und Gewinnſucht/
als die gemeinſten Mißbraͤuche des Spieles/ in
Deutſchland ſo gemein nicht als bey andern
Voͤlckern finden. Dahero es mit der Deutſchen
Spiele ſchier wie mit den Pfirſchken beſchaffen
zu ſeyn ſchiene/ welche in Perſien giftig/ in den
Nordlaͤndern aber eine gute Speiſe waͤren.
Malovend wuͤrde den Deutſchen noch ferner
das Wort geredet haben/ wenn nicht gleich Fuͤrſt
Adgandeſter in das Zimmer getreten waͤre/ wel-
cher denen Gefangenen im Nahmen des Feld-
herrn erlaubte/ an dem Hofe ohne geringſte Be-
ſtrickung ſich auffzuhalten/ wenn ſie anders nur
ihr Wort geben/ ſich des Orts nicht zu entbre-
chen. Wie nun dieſe Gnade ſie ſo viel mehr
vergnuͤgte/ und gegen den Fuͤrſten Adgande-
ſter ihre Verbindligkeit auffs beweglichſte aus-
druͤckte; alſo wurden ihre Gemuͤther gegen
dem Feldherrn auffs hoͤchſte verknuͤpfft. Denn
es iſt keine groͤſſere Zauberkunſt ſich beliebt zu
machen/ und andern das Hertz zu ſtehlen/ als
Wohlthat und Leutſeligkeit. Der Feldherr
hatte die deutſchen Fuͤrſten/ wenn ieder der
Ruh gepflegt haben wuͤrde/ zu einem herrli-
chen Mahl eingeladen/ weil er aber mit ihnen
uͤber ihren Reichs- und Kriegs-Haͤndeln dabey
zu rathſchlagen willens war/ den Zeno/ Rheme-
talees/ Marcomir und Malovend abſonderlich
zu bedienen angeordnet. Weil nun gleiches
Alter und einerley Gluͤcke auch die fremdeſten
Gemuͤther leicht miteinander verknuͤpfft/ ge-
riethen dieſe drey letztern unſchwer in eine ſon-
derbare Vertrauligkeit. Folgenden Tag ver-
anlaſſete ſie der Feldherr ſelbſt ihnen ſelbige Ta-
ge/ da er theils mit Rathſchlaͤgen/ theils mit An-
ſtalt ſeines Beylagers beſchaͤfftigt war/ durch
Jagen die Zeit zu vertreiben/ und ihnen allen
Kummer aus den Gedancken zu ſchlagen/ gab
auch ſie zu unterhalten ihnen den Fuͤrſten Mar-
comir zu. Daher noͤthigte ſie ſo wohl dieſes hoͤff-
liche Anbieten/ als ihr eigener Trieb/ und in-
ſonderheit die um das ſchwartze Meer braͤuchli-
che Landes-Art folgenden Tag nach der Mor-
genroͤthe fuͤrzukommen/ und mit allerhand noͤ-
thiger Anſtalt in das Hertzogliche Gehaͤge ſich zu
dieſer den Fuͤrſten gewoͤhnlichen und wohl an-
ſtaͤndigen Luſt zu verfuͤgen. Sintemal ſie den
Leib hierdurch zu allerhand Muͤhſamkeit abhaͤr-
ten/ in Verfolgung des fluͤchtigen Wildes ren-
nen/ des Hertzhafften/ fechten/ des Schlauen/ al-
lerhand krummen Raͤncken und Liſt mit Liſt be-
gegnen/ und die Beſchaffenheit eines Landes am
beſten kennen lernen. Welche Wiſſenſchafft ei-
nem Fuͤrſten noͤthiger als die Kenntniß der Ge-
ſtirne iſt. Denn dieſe hat den bedraͤngten Serto-
rius mehrmahls errettet/ wenn ſeine Feinde ihn
ſchon in Haͤnden zu haben vermeinet. Die bey
Ver-
[88]Anderes Buch
Verfolgung eines Wildes ſich ereignete Verir-
rung iſt mehꝛmals eine Wegweiſerin des Sieges
geweſt. Weßwegen iederzeit die ſtreitbarſten
Voͤlcker die Jagt geliebet/ und die tapfferſten
Fuͤrſten mit dieſer maͤnnlichen Ergetzligkeit ih-
re Herrſchens-Sorge erleichtert/ denn auch
ihre Erqvickungen ſollen Bemuͤhungen ſeyn.
Darius hielt dieſe ſo ruhmwuͤrdig/ daß er auff
ſein Grab ihm als einen beſondern Ehren-
Ruhm ſchreiben ließ/ daß daſelbſt ein fuͤrtreffli-
cher Jaͤger begraben laͤge. Etliche groſſe Fuͤr-
ſten haͤtten ſelbſt dieſe Kunſt mit ihrer eigenen
Feder zu beſchreiben ſich nicht geſchaͤmet. Die-
ſemnach denn die wider dieſe an ſich ſelbſt gute
Ubung geſchehene Einwuͤrffe von ſchlechtem
Gewichte zu achten ſind/ ſamb ſelbte das menſch-
liche Gemuͤthe mehr wilde machte/ als ſie dem
Leibe dienlich waͤre; daß ihre Annehmligkeit ei-
nen Fuͤrſten noͤthigern Sorgen abſtehle. Sin-
temal ſelbte auff bloſſen auch den Kern der beſten
Sachen verderbenden Mißbrauch gegruͤndet
ſind. Daß aber Saro der Gallier Koͤnig ſich
uͤber Verfolgung eines Hirſchen ins Meer ge-
ſtuͤrtzt/ andere ſich in Gebuͤrgen verſtiegen/ oder
von Geſpenſten verleitet worden/ iſt ihrer eig-
nen Unvorſichtigkeit/ oder andern Zufaͤllen/
welche auch in den loͤblichſten Unterfangungen
die Hand mit im Spielhaben/ nicht der Eigen-
ſchafft des Jagens zu zuſchreiben.
Den Anfang dieſer Jagt machte der Graf
von Uffen/ des Feldherrn oberſter Jaͤger-Mei-
ſter/ an einem ſumpfichten Orte mit dem Rei-
gerbeitzen. Denn ſo bald dieſer etliche Mitter-
naͤchtiſche Falcken außließ/ erhoben ſich eine
groſſe Anzahl Reiger empor/ welche allhier fuͤr
den Hertzog pflegen gehegt zu werden/ alſo daß ſie
niemand ſonſt bey ernſter Straffe beunruhigen
darff; wiewol ſonſt das allgemeine Voͤlcker-
Recht/ welches den Fang der wilden Thiere ie-
dermann gemein laͤſt/ in Deutſchland unver-
ſehrt iſt. Auff die auffprellenden Reiger wur-
den alſofort ſo viel Falcken/ worunter etliche
ſchneeweiſſe/ welche bey denen Cimbern und
Boſniern gefangen werden/ ausgelaſſen. Die-
ſe muͤhten ſich auffs eifrigſte jene mit ihrem Flu-
ge zu uͤberklimmen/ und hierauff ſtieſſen ſie
ſchriemwerts mit vorgeſtreckten Klauen auff die
niedrigen Reiger mit ſolcher Heftigkeit herab/
daß ihr Abſchieſſen gleichſam ein Geraͤuſche
des Windes machte/ und die Reiger gantz zer-
fleiſcht zur Erden fielen. Wiewol etliche ſchlaue
Reiger die allzu hitzigen Falcken mit ihren uͤber
ſich gekehrten Schnaͤbeln nicht nur verwunde-
ten/ ſondern gar toͤdteten. Dieſe Luſt vergnuͤg-
te den Hertzog Zeno ſo ſehr/ daß er ſich heraus
ließ: Plato haͤtte zwar die Fiſch- und Vogel-
Jagt/ als etwas knechtiſches getadelt/ er befindete
aber die Reigerbeitze fuͤr eine recht edle Fuͤrſten-
Luſt. Rhemetalces fing an: Die Thracier
haͤtten fuͤr uhralter Zeit dieſen Vogel-Krieg hoͤ-
her als keine andere Jagt gehalten/ und ihre Koͤ-
nige bey der Stadt Amphipolis mit dem Ha-
bicht-Fange der Waſſer-Vogel ihnen eine un-
gemeine Luſt gemacht. Zeno pflichtete dieſem
Lobe gleichfalls bey/ mit Vermeldung/ daß die
Jndianer mit ihren abgerichteten Adlern eben-
falls das furchtſame Gefluͤgel zu fangen pflege-
ten/ aber ihre Luſt kaͤme der gegenwaͤrtigen bey
weitem nicht bey.
Hierauff kamen ſie in den nechſt daran liegen-
den Forſt/ darinnen ihnen alſofort unterſchiede-
ne Rehe auffſtieſſen/ derer etliche ſie mit ihren
Pfeilen faͤlleten. Hernach kamen ſie auff die
Spur eines wilden Uhr-Ochſens/ den ſie auch
alſofort ereilten. Zeno vermeynte mit ſeinem
Bogen ihn alſofort zu erlegen/ und ſchoß drey
Pfeile hintereinander auff deſſen Stirne/ wel-
che aber alle ohne Verwundung abſprungen.
Dieſer Fuͤrſt verwunderte ſich hieruͤber nicht
wenig/ meldende: Er wuͤſte nicht ob dieſe Ochſen
ſich mit Kraͤutern feſte gemacht/ oder ſeine Ar-
men alle Kraͤfte verlohren haͤtten. Malovend
lachte und ſagte: Von Gemſen glaubte man
zwar/ daß wenn ſie die Doranich-Wuꝛtzel gegeſ-
ſen/
[89]Arminius und Thußnelda.
ſen/ ſie mit keinem Geſchoß verwundet werden
koͤnten; von dem Ochſen aber haͤtte er diß nie
gehoͤrt. Rhemetalces ſchos zwey Pfeile/ eben
ſo wol vergebens/ dem Ochſen auff den Kopff/
und dahero mit nichts minderer Entruͤſtung.
Da fing Malovend an: Sie ſuchten vergebens
diß Thier im Kopfe zu beleidigen/ der ſo harte
waͤre/ daß ein Geſchoß ehe durch Ertzt als
durch ſeine Hirnſchale gehen wuͤrde. Hiermit
traff er den rennenden Ochſen mit einem Wurf-
ſpieſſe ſo gluͤckſelig in die Seite/ daß ſelbter in der
Bruſt vorging/ und dieſes Thier entſeelt zu Bo-
den fiel. Hierauff ſchoß er einen Pfeil ihm
durch den Kopff durch und durch. Welches bey-
den andern Fuͤrſten noch ſeltzamer fuͤrkam/ und
mit deſſen nunmehr leichter Durchſchuͤſſung die
Krafft ihrer Bogen verſuchten. Malovend
berichtete ſie hierauff/ daß mit dem Leben die
Haͤrte des Schaͤdels zugleich verſchwinde/ und
hiermit verfielen ſie auff einen Hirſch von unge-
meiner Groͤſſe/ und einem Geweyhe von ſehr
viel Enden. Er verwundete zwar ſelbten mit
einem Pfeile/ es wuͤrckte aber ſolcher mehr nicht/
als eine ſchnellere Flucht. Nachdem er auch in
dieſem Forſte eine See erreichte und durch-
ſchwamm/ muſten die Fuͤrſten einen Umweg
ſelbten zu verfolgen nehmen/ und womit er ih-
nen nicht gaͤntzlich entrinne/ ein paar Strick
Winde loß laſſen. Dieſe brachten ihn/ nach-
dem er endlich in ſeinem Lauffe nach Art der
Hirſchen/ wegen Schwachheit ihres Maſt-
darms und wegen der Verletzung offtmahls
ruhen muſte/ zu Stande/ alſo/ daß er/ keine an-
dere Ausflucht ſehende/ ſich endlich ſelbſt denen
Fuͤrſten naͤherte/ ihre Bogen und Pfeile/ gleich
als wenn er von ihnen ſich keines Leides zu be-
ſorgen haͤtte/ betrachtete/ und als ein Muſter
allzu leichtglaͤubiger Vertrauligkeit/ vom Rhe-
metalces mit einem Wurffſpieſſe getoͤdtet ward.
Als dieſe Fuͤrſten abeꝛ diß gefaͤllte Wild betrach-
teten/ wurden ſie eines am Halſe habenden und
unter den Haaren ziemlich ins Fleiſch gewachſe-
nen Halsbandes gewahr/ welches ſie von den
Pferden abzuſitzen und ſelbtes eigentlicher zu er-
forſchen verurſachte. Das ſie denn auch aus
dichtem Silber gefertigt/ und darauff eingeetzt
befanden: Als Julius Caͤſar den Deut-
ſchen ein Gebieß anlegte/ gab er mir
die Freyheit. Sie erſtarrten fuͤr Ver-
wunderung gleichſam uͤber dieſer Begebenheit/
und Rhemetalces beklagte uͤberaus: daß ſeine
unvorſichtige Ubereilung dieſes denckwuͤrdige
Thier/ welches gantzer drey und ſechtzig Jahr
nur nach getragenem Halsbande unverſehret
blieben waͤre/ zu unzweiffelbarem Verdruß Her-
tzog Herrmanns gefaͤllet haͤtte. Fuͤrſt Malo-
vend aber fiel ihm in die Rede: Er moͤchte ſich
hieruͤber keinen Kummer machen. Es wuͤrde
der Feldherr ihm hierfuͤr noch groſſen Danck
ſagen. Warum? verſetzte Rhemetalces. Ma-
lovend antwortete: Weil dieſer Hirſch ein ver-
druͤßliches Gedaͤchtniß deſſelben Tages iſt/ da
die Deutſchen ihre Freyheit zu verliehren ange-
fangen. Beyde Fuͤrſten wurden dadurch mehr
begierig alle Umſtaͤnde von ihm zu vernehmen;
Worauff er denn ihnen folgenden Bericht er-
ſtattete: Es haͤtten in Deutſchland ſich die Cat-
ten iederzeit fuͤr andern/ ſo wohl an Streitbar-
keit als an Fruchtbarkeit herfuͤr gethan; alſo/
daß ſie alleine uͤber hundert groſſe Doͤrffer mit
denen darzu gehoͤrigen Landſtrichen bewohnet/
alle Jahr aber etliche tauſend gewaffnete Maͤn-
ner aus ihren Graͤntzen getrieben/ und/ durch
ihren Degen neue Wohnplaͤtze zu ſuchen/ alſo
auch ihre Herrſchafft zu vergroͤſſern genoͤthigt
haͤtten. Dieſer Ausbreitung waͤre ihrer Le-
bens-Art zu ſtatten kommen. Denn nachdem
ſie wenigen Ackerbau gepflegt/ ſondern nur
von Jagten und Viehzucht gelebt/ haͤtte ſie
der Hunger zur Kriegs-Luſt gezwungen/ und
ſie waͤren von Kindauff die Freyheit lieb zu
gewinnen/ die Glieder durch taͤgliche Kriegs-
Ubungen zu verſtaͤrcken/ Kaͤlte und Hitze mit
Erſter Theil. Mnack-
[90]Anderes Buch
nacktem Leibe zu vertragen angewoͤhnt worden.
Ja/ ungeachtet ſie den Roͤmiſchen Kauffleu-
ten mit ihnen zu handeln/ womit ſie ihrer Feinde
Leuten angewehren koͤñen/ verſtattet haͤtten/ lieſ-
ſen ſie doch biß itzt keinen Wein noch andere zur
Uppigkeit dienende Wahren bey ihnen einfuͤh-
ren/ womit ihre Tapfferkeit durch keine Wolluͤ-
ſte verzaͤrtelt wuͤrde. Dieſe haͤtten nun nahe fuͤr
hundert Jahren die Ubier ihnen zinßbar ge-
macht/ fuͤr ſechs und ſechzig Jahren aber die Uſi-
peter gar aus dem Lande getrieben/ welche/ nach-
dem ſie durch allerhand Landſchafften der An-
ſibarier/ Angrivarier/ Chamaver/ Bructerer
und Marſen/ unter allerhand Kriegs- und
Gluͤcks-Zufaͤllen umgeirret/ die auff beyden
Seiten des Rheins wohnende Menapier uͤber-
fallen/ und ſie an der Maaß ihren Herd und Hof
auffzuſchlagen gezwungen haͤtten. Dieſe aber
waͤren aus dem Regen in die Troffe gefallen/
indem der in Gallien damals ſiegende Caͤſar ſie
daſelbſt nicht leiden/ ſondern ſie uͤber den Rhein
und die Bothmaͤßigkeit der Ubier zu begeben
zwingen wollen. Woruͤber es zum Treffen kom-
men/ darinnen die Menapier eine ſchwere Nie-
derlage erlitten/ und die uͤbrigen ſich zu denen
Sicambern haͤtten fluͤchten muͤſſen. Weil die-
ſe nun die Menapier Caͤſarn nicht haͤtten aus-
folgen laſſen wollen/ die von denen Catten ge-
druͤckten Ubier beweglich um Huͤlffe gebeten/ er
auch ohne Schreckung der Deutſchen ſich der
Gallier nicht verſichert gehalten/ haͤtte er eine
Bruͤcke uͤber den Rhein gebaut/ und mit ſechs
Legionen daruͤber in Deutſchland geſetzt. Die
Deutſchen haͤtten unſchwer dieſen Bruͤckenbau
hindern koͤnnen; alleine Sie waͤren auff Rath-
geben der Tencterer ſchluͤßig worden/ etliche Ta-
gereiſen weit/ mit allem ihrem Vorrathe ſich zu-
ruͤcke zu ziehen/ und da die Roͤmer ſich tieffer ins
Land wagen wuͤrden/ ſelbte nicht allein aus ih-
ren Wildnuͤſſen rings umher zu uͤberfallen/ ſon-
dern auch ihnen den Ruͤckweg und die Bruͤcke
gar abzuſchneiden. Weil nun dem Kaͤyſer
ſelbſt ſehr verdaͤchtig fuͤrkommen waͤre/ daß die
ſonſt nicht zu furchtſamen Deutſchen ohne ge-
ringſten Widerſtand die Bruͤcke zu verfertigen
verſtattet/ und ohne einigen Schwerdſchlag ih-
ren Sitz verlaſſen/ haͤtte er die Bruͤcke an bey-
den Enden mit ſtarcken Bollwercken verwah-
ret/ in Meinung nicht unverrichter Sache den
Deutſchen Boden zu raͤumen. Alleine nach dem
Fuͤrſt Catumer den Roͤmiſchen Vortrab in die
Flucht geſchlagen/ und etliche Ubier ihm Kund-
ſchafft gebracht/ daß die Catten ein allgemein
Auffboth gethan/ und wider ihn im Anzuge waͤ-
ren; haͤtte er nicht rathſam befunden/ ſo lange
Stand zu halten/ ſondern er haͤtte der Sicam-
brer Doͤrffer verbrennt/ den Ubiern auff den
Nothfall neue Huͤlffe verſprochen/ der Deut-
ſchen Gebaͤue/ und inſonderheit einen herrlichen
Thiergarten des Sicambriſchen Hertzogs ver-
wuͤſtet. Nachdem er nun in dieſem uͤber hundert
groſſe Hirſchen gefunden/ und er in Deutſchland
ein Gedaͤchtnuͤß ſeiner Uberfarth zu verlaſſen
gewuͤnſcht/ welches von den Deutſchen ſo bald
nicht vertilget werden koͤnte/ ſo haͤtte er iedem
Hirſche ein ſolch Halsband/ mit gleichmaͤßiger
Schrifft/ als wir hier fuͤr Augen ſehen/ ange-
macht/ und ſelbte frey in die Wildnuͤſſe lauffen
laſſen. Hierauff waͤre er den achtzehenden
Tag mit ſeinem Heere in Gallien gekehrt/
und haͤtte die Bruͤcke/ womit ſie den Deutſchen
nicht ſelbſt zum Einfall diente/ wieder wegge-
riſſen. Zenofing hierauff an: Er muͤße geſte-
hen/ daß dis eine gute Art ſey in einem feindli-
chen Lande/ und da der Feind zumahl wenig
Geſchichtbuͤcher zu halten pflegt/ ſein Anden-
cken zu erhalten. Ja verſetzte Rhemetalces/ ſon-
derlich wo es wahr iſt/ daß eine Kraͤhe neunmahl
des Menſchen Alter uͤberſteigen und nahe biß
an neunhundert Jahr leben/ ein Hirſch dieſes
aber vier mahl uͤbertreffen und derogeſtalt wohl
drey tauſend und fuͤnfftehalb hundert Jahr
alt werden ſolle. Alleine es iſt dieſes nicht des
Kaͤyſers erſte Erfindung/ ſondern er hat es dem
groſ-
[91]Arminius und Thußnelda.
groſſen Alexander nachgethan/ welcher nach er-
langtem Siege wider der Triballer Koͤnig Syr-
mus und die Geten/ vielen Hirſchen ſilberne/
auch hernach in Jndien guͤldne Halsbaͤnder um-
gemacht. Uberdiß waͤre auch des Diomedes
Hirſch allereꝛſt zu Zeiten des Koͤnigs Agathocles
gefangen worden/ und Kaͤyſer Auguſt haͤtte an
unterſchiedenen Orten ſolche Hirſche mit guͤld-
nen Halsbaͤndern und dieſer Uberſchrifft lauffen
laſſen: Ruͤhre mich nicht an/ ich ſtehe dem Kaͤyſer
zu. Malovend fiel ihm ein; Er koͤnte nicht glau-
ben/ daß ein Hirſch ſo lange leben ſolle. Auch ich
nicht/ antwortete ihm Rhemetalces; Gleichwohl
abeꝛleben ſie ſehr lange/ theils wegen ihreꝛ natuͤꝛ-
lichen Leibes-Kraͤfften/ welche auch bey ungeſtuͤ-
mem Meere aus Cypern in Cilicien und Syrien
zu ſchwimmen veꝛmoͤchten; ja mit ihrem Atheme
Nattern aus den Steinritzen zu ziehen/ die ver-
ſchlungenen Schlangen im Magen in Stein
zu verwandeln/ und gleichſam in einen fleiſcher-
nen Sarge ein ſteinernes Aas zu vergraben
maͤchtig ſind; theils wegen mangelnder Galle/
theils wegen ihrer eingepflantzten Wiſſenſchafft
wider Gifft und andere Schwachheiten aller-
hand heilſame Kraͤuter und Artzneyen zu erkie-
ſen. Wie ſie denn/ um der Bloͤdigkeit ihrer Au-
gen abzuhelffen/ ſo viel ſchlangen freſſen/ hernach
ſich in die kalten Fluͤſſe eintauchen/ biß das Gifft
aus dem Magen durch die Augen ſchwitze. Glei-
chergeſtalt haͤtten die verwundeten Hirſchen den
Menſchen die wilde Poley als ein Kraut gewie-
ſen/ wodurch die ins Fleiſch geſchoſſene Pfeile
heraus zu ziehen ſind. Dieſer gegenwaͤrtige
Hirſch koͤnne nu ſelbſt ein Zeugniß ihrer Lebhaf-
tigkeit abgeben/ denn er habe diß Halsband ſchon
etliche ſechzig Jahr getꝛagen/ und als man es ihm
umgemacht/ wird er nicht klein geweſt ſeyn. Ja/
ſagte Malovend/ diß kan leicht ſeyn/ weil ein
Hirſch in fuͤnff Jahren zu ſeiner Vollkom̃enheit
gelangt; und wir in Deutſchland insgemein da-
fuͤr halten/ daß ein Hirſch hundert Jahr lebe. Ze-
no brach hierauff ein: Fuͤr hundert Jahren
kriegte ein Hirſch wohl keinen Stein im Auge/
aber ſonſt muͤſte er viel laͤnger leben. Denn
ſein Vater Polemon/ Koͤnig im Pontus/ habe
nach einen Hirſch am ſchwartzen Meer geſchla-
gen/ auff deſſen Halsbande dieſe Griechiſche U-
berſchrifft zu leſen geweſt: Alexanders Scytiſche
Beute iſt meine Zierrath. Nun aber ſind es na-
he vierdtehalb hundert Jahr/ ſeit Alexander in
ſelbigen Laͤndern Krieg gefuͤhret. Es kan viel-
leicht wohl ſeyn/ daß zuweilen ein Hirſch ſo lan-
ge lebe/ begegnete ihm Rhemetalces; aber ich
beſorge/ es gehe wie in andern Alterthuͤmern
viel Unterſchleif mit unter/ und habẽ ſolche Sa-
chen meiſt einen viel juͤngern Vater/ als den ſie
an der Stirne fuͤhren. Und inſonderheit ſind die
Griechen hierinnen Meiſter/ welche viel Dinge/
die geſtern jung worden/ einer greißen und un-
gewiſſen Zeit Kinder heiſſen. Sie tichten ihnen
nicht allein Helden/ die nie in der Welt geweſt;
Sie ruͤhmen ſich Staͤdte eingeaͤſchert zu haben/
die nie geſtanden/ und die Stadt Troja/ ja Pri-
amus/ Hector und ihre Nachkommen ſind noch
etliche hundert Jahr hernach in voller Bluͤthe
geweſt/ als ſie ſolche zerſtoͤrt und erlegt zu ha-
ben die gantze Welt luͤgenhafft uͤberredet. Sie
verhandeln noch itzt den einfaͤltigen Auslaͤndern
zwar in der Erde verſchimmelte aber neu gegoſ-
ſene Muͤntzen/ die ihr Cadmus und Ceerops ſol-
len haben praͤgen laſſen. Und wie lange iſt es/
daß ein verſchlagener Hetrurier etliche bleyer-
ne Taffeln/ auf welche ein alter beruͤhmter War-
ſager Olemus Calenus die alten Hetruriſchen
Geſetze und nachdenckliche Wahrſagungen ge-
ſchrieben haben ſolle/ er aber ſelbſt in eine Hoͤ-
le verſteckt gehabt/ fuͤꝛ mehr als ſo viel wiegendes
Silber verkaufft. Zeno fiel hier ein/ es hat ein
Betruͤger ſich nicht unbillich auff einen andern
bezogen. Denn ſo viel ich mich erinnere/ iſt diß e-
ben der Calenus/ welchen der Rath zu Rom uͤber
dem auff dem Tarpejiſchen Berge gefunde-
nen Kopffe zu rathe gefragt/ und der den Bau
des Capitoliniſchen Tempels argliſtig nach He-
M 2truri-
[92]Anderes Buch
trurien zu ziehen getrachtet/ wenn ſeine Tuͤcke
nicht ſein eigner Sohn verrathen haͤtte. Jch
glaͤube/ fing Zeno wieder an/ daß das Roͤmi-
ſche Volck ſchon vorher mit ſelbigem Kopffe be-
trogen geweſt ſey/ indem viel der nachdenckli-
chen Roͤmer dafuͤr halten/ es habe der ſchlaue
Tarquinius/ welcher mit allerhand ſcheinba-
ren Kunſtſtuͤcken ſeinen blutigen Stul unter-
ſtuͤtzen muſte/ es ſelbſt vorher dahin begraben laſ-
ſen/ um ſeinem Tempel-Bau und Herrſchafft
eine eben ſo groſſe Hoffnung und Anſehen bey
dem leichtglaͤubigen Poͤfel zu erwerben/ als die
Koͤnigin Elißa bey Auffindung eines Pferde-
Kopffs ihrer neuen Stadt zu wege brachte/ wie
ſie zu Carthago den Grund legte. Rhemetal-
ces ließ ſich hierauff heraus: Er koͤnte derglei-
chen Erfindungen ſich leicht bereden laſſen.
Die gerechteſten Herrſcher/ zu geſchweigen die/
welche ſich mit Gewalt oder Argliſt auff den
Thron geſpielt/ muͤſten das unbaͤndige Volck
durch wunderliche Arten in Schrancken hal-
ten/ denen hitzigen Koͤpffen einen Kapzaum
anlegen/ den Ehrſuͤchtigen einen guͤldnen Ring
unter dem Scheine einer Zierrath durch die
Naſe ziehen/ den Poͤfel mit Schauſpielen und
anderm unnuͤtzen Zeitvertreib von der Bekuͤm-
merung um die Herrſchafft abziehen/ und die-
ſem ſo wie dem ſonſt erſchrecklichen Wallfiſche
eine Tonne zum Spielen fuͤrwerffen/ die
Scheinheiligen mit angenommener Andacht
betaͤuben/ den Geitzigen einen aus glaͤntzendem
Ertz gebackenen Kuchen zum Verſchlingen vor-
werffen/ darvon ſie hernach zerplatzen. Altein
dieſes gehoͤret mehr in die geheimen Rathſtu-
ben/ als auff die Jagt. Rhemetalees fing an:
dieſer Hirſch hat noch wohl etwas/ welches wir
als Weideleute zu betrachten haben/ nehmlich/
daß ſeine Geweyhe gleichſam mit Mooß und
Eppich uͤberwachſen ſind/ und wohl neunzehn
Ende haben/ welches er fuͤr ein Kennzeichen
eines hohen Alters hielte. Malovend antwor-
tete: beydes waͤre in Deutſchland nichts unge-
meines/ und haͤtte er Geweihe mit dreißig En-
den geſehen. Hieraus aber waͤre der Hirſchen
Alter nicht zu nehmen/ welche zwar die haͤrte-
ſten und faſt unter allen Thieren nicht hole Hoͤr-
ner haͤtten/ iedoch/ weil ſelbte nicht an die Hirn-
ſchale angewachſen waͤren/ alle Fruͤhlinge ab-
wuͤrffen/ und das eine Horn/ welches zur Artz-
ney am dienlichſten ſeyn ſoll/ verſcharreten.
Ja/ ſagte Zeno/ er haͤtte diß ſelbſt wahrgenom-
men/ und haͤtten die unvernuͤnfftigen Thiere
zwar denen Menſchen viel nuͤtzliche Artzneyen
gewieſen/ nehmlich das Waſſer-Pferd das A-
derlaſſen/ der Egyptiſche Vogel Jbis das Kli-
ſtiren/ die Schwalbe und Schlange die Augen-
Kraͤuter/ der Storch den Rutzen des Krauts
Wohlgemuth/ die Natter des Fenchels/ die
Baͤren die Artzney der Ameiſen/ die wilden
Tauben des Lorber-Baums/ man ſehe aber da-
bey ihre ſonderbare Mißgunſt. Unterſchie-
dene Voͤgel verſteckten ihre Neſter/ die Hey-
daͤxe verſchlinge ihre abgeworffene Haut/ daß
ſie nicht fuͤr die fallende Sucht gebraucht wuͤr-
de; und das furchtſamſte aller Thiere/ welches
in der Flucht fuͤr Angſt wohl ſcchzig Fuͤſſe
weit ſpringe/ fiele mehrmals lieber in der Jaͤ-
ger Haͤnde/ als es ſeine Geweihe unvergra-
ben lieſſe. Rhemetalces verſetzte: Er hielte diß
Beginnen der wilden Thiere mehr fuͤr einen
blinden Trieb der Natur/ als fuͤr eine Wuͤr-
ckung wahrhaffter Gemuͤths-Regungen. Ze-
no antwortete lachende: Ob er die Tauben nie-
mahls habe verliebt/ anch nie erzuͤrnet/ einen
Hund einmahl neidiſch/ das andere mahllieb-
koſend geſehen? Ob er die Loͤwen allzeit bruͤl-
len/ niemahls kirmeln/ die Turteltauben ſtets
girren oder wehklagen gehoͤret haͤtte? Rheme-
talces verſetzte: dieſe Abwechſelungen waͤren ſo
wenig ein Beweiß eigentlicher Gemuͤths-Re-
gungen/ als diß/ daß ſie einmahl Speiſe/ das an-
dermahl Getraͤncke zu ſich nehmen. Denn weil
wilde Thiere keine Vernunfft haͤtten/ Furcht/
Begierde/ Mißgunſt und dergleichen aber Ubeꝛ-
ſchrei-
[93]Arminius und Thußnelda.
ſchreitungen der Vernunft-Graͤntzen waͤren;
koͤnte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend
faͤhig waͤre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/
ſo wenig ein Laſter und der Beyfall einer falſchen
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben
hat/ ſterben. Dannenhero/ wenn ein Thier
ſchiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe
zu erwehlen/ waͤre es ein bloſſer Schatten wah-
rer Gemuͤths-Regungen. Einem Loͤwen kaͤ-
me die Eigenſchafft des Zornes nicht viel beſſer
zu/ als einer Wolcke/ wenn ſie blitzet. Eine
Hinde waͤre nicht eigentlicher traurig/ als der
Monde/ wenn er verfinſtert wuͤrde. Zeno be-
gegnete Rhemetalcen: Er hoͤrte wol/ daß er die
Stoiſchen Weiſen zu ſeinem Lehr-Meiſter ge-
habt haͤtte/ welche die in dem Hertzen wohnenden
Gemuͤths-Regungen in das Gehirne verſetzten/
darinnen derſelben ſo wenig/ als Einwohner im
Monden/ zu finden waͤren. Sie ſchluͤgen ſich
aber ſelbſt/ wenn ſie Kindern/ Narren und vollen
Leuten ſelbige nicht abſprechen koͤnten/ welche
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und
Elefanten haͤtten. Denn bey den Kindern
waͤre ſie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey
Vollen eingeſchlaffen. Die erſten weinten aus
Unvernunft umb ihre Tocken ſo bitterlich/ als
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb
ſein Koͤnigreich. Sie erſchrecken fuͤr einer Lar-
ve mehr/ als Brutus fuͤr ſeinem boͤſen Geiſte.
Der Wahnſinnige zu Athen opferte aus einge-
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/
ſein abgeſchnidtenes Haar dem ſtuͤrmenden
Meer und Winde ſo willig/ als es die belaͤger-
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen
hergaben. Die Vollen zu Syracuſa warffen
aus getraͤumtem Schiffbruche muͤhſamer alles
zum Fenſter des Schenckhauſes hinaus/ als der
Schiffbruch-leidende Ulyſſes alles uͤber Bord.
Rhemetalces wendete ein: Dieſer Art Men-
ſchen koͤnte er eben ſo wenig wahre Gemuͤths-
Regungen/ als dem Vieh enthaͤngen/ weil ihnen
eben ſo wenig die Wahl ihrer anklebenden
Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen
Art zu widerſtehen/ mangelte. Der Haſe und
deꝛ Hirſch waͤꝛen allemal furchtſam/ deꝛ Loͤwe und
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben koͤn-
ten nichts als im̃er liebreitzend ſeyn. Zeno wideꝛ-
ſprach diß durch dieſe Frage: Ob er die Hirſchen
niemals einen Jaͤger haͤtte toͤdten ſehen? Ob nicht
Ptolomaͤus ſieben paar hoffaͤrtig hertrabende
Hiꝛſchen an ſo viel guͤldnen Wagen gefuͤhꝛet/ und
Mithridates ſo viel behertzte zu ſeiner Leib-Wa-
che erkieſet habe? Des Sertorius weiſſe Hindin
haͤtte den Ruhm einer Wahrſagerin erworben/
und eine andere in Egypten die Griechiſche
Sprache verſtehen gelernet. Haͤtte nicht Ono-
marchus mit den zahmen Loͤwen geſpeiſet/ An-
tonius ſie fuͤr ſeinen Wagen geſpannet? Hanno
haͤtte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefuͤhrt/
und dadurch von ſeinem argwoͤhniſchen Vater-
lande ihm ſeine Hinrichtung zugezogen. Men-
tor von Syracuſe/ Elpis aus Samos und An-
droclus haͤtten durch ihre Wolthaten ſie zu einer
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-
Taube ergrimmete ſich wider den Raben/ betruͤ-
bete ſich uͤber den Tod ihres Geſpielen/ trincke
nur truͤbes Waſſer/ und ſitze auff keinen gruͤnen
Zweig mehr. Sollen nun dieſe Thiere keine
wahre Gemuͤths-Regung haben? Sie haben
ja alle Sinnen der Menſchen/ welche ihnen ſo
wol als uns alles annehmliche und verdruͤßliche
empfindlich machen; ja in unterſchiedenen uͤber-
treffen ſie uns noch. Wer wil ſich uͤberreden
laſſen/ daß der Haſe fuͤr den Hunden nicht aus
Furcht fliehe/ und das Rebhun ſich fuͤr dem Ha-
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil
an dem Grimme des Loͤwen zweifeln/ wenn fuͤr
ſeinem Bruͤllen die Waͤlder beben/ und tauſend
Thiere zittern/ oder er Spiſſe und Degen zer-
malmet/ und die Jaͤger zerfleiſchet? Rhemetal-
ces fiel ein: Alle dieſe Bewegungen der Thiere
ſchritten uͤber keine Graͤntzen/ weil ſie keine Ver-
nunft zur Anweiſerin/ und kein Geſetze zur
Richtſchnur haͤtten. Zeno antwortete: Es
M 3folgte
[94]Anderes Buch
folgte hieraus nichts anders/ als daß die ihren
Gemuͤths-Regungen den Zaum verhaͤngenden
Thiere nicht wie den Zuͤgel der Vernunft zer-
reiſſen/ den Menſchen mißhandelten. Unter-
deſſen waͤren doch beyder Gemuͤths-Regungen
nichts minder/ als das Wette-Rennen in einem
freyen Felde/ und einer umpfaͤhlten Renne-
Bahn/ als der Lauff eines entmanneten und mit
einem unwiſſenden Steuer-Manne verſe-
henen Schiffes ſeiner weſentlichen Eigen-
ſchafft nach einerley. Zwiſchen beyden Regun-
gen aber waͤre kein groͤſſerer Unterſchied/ als
zwiſchen dem Thun eines wilden und eines zu-
gerittenen Pferdes/ eines auff dem Seile tan-
tzenden/ und eines andern in der Wuͤſten mit
dem Naſenhorn-Thiere kaͤmpfenden Elefan-
ten. Dem Fuͤrſten Malovend wolte dieſer
Streit zu lange waͤhren/ daher fing er an: Sei-
nem Beduͤncken nach waͤre nuͤtzlicher/ ſeine Ge-
muͤths-Regungen ſo vernuͤnftig zu leiten/ daß
ſie mit denen unvernuͤnfftigen Thieren keine
Aehuligkeit haͤtten/ als uͤber ihrer Gemeinſchafft
oder Unterſchiede bekuͤmmert ſeyn. Fuͤrnem-
lich aber waͤre zu wuͤnſchen/ daß der Mißbrauch
der Vernunfft in den menſchlichen Hertzen nicht
aͤrgere Feindſchafft als zwiſchen Schlangen ge-
ſaͤmet/ und ihre Rachgier nicht ſchaͤdlichere Waf-
fen erfunden/ als die Natur an Klauen/ Zaͤhnen
und Hoͤrnern denen wilden Thieren mitgethei-
let haͤtte. Nach dem ſie aber nicht allein ein ge-
hoͤrntes Thier geſchlagen/ ſondern auch anderer
Hoͤrner erwehnet/ koͤnte er gegen ſie eines ſeltza-
mern Hornes/ als vielleicht anderwerts einiges
Thier haben moͤchte/ unerwehnet nicht laſſen/
welches vielleicht ſo wenig unangenehm zu hoͤ-
ren/ als zu der Jagt ungeſchickt ſeyn wuͤrde.
Als er nun beyder Fuͤrſten Ohren geneigt zum
Anhoͤren vermerckte/ fing er an: Es habe ein
Fuͤrſt aus ſeinen Vor-Eltern ſich in denen von
dannen nicht allzuweit entfernten Frieſiſehen
Wildbahnen einmal verirret/ in ſelbtem ſey eine
wolgeſtalte Wald-Goͤttin auff einem ihm unbe-
kandten Thiere zu ihm geritten kommen/ habe
ihm ein uͤberaus artiges Horn dargereicht/ und/
daß er den darinnen enthaltenen Tranck aus-
trincken ſolle/ ermahnet/ da er ſein Geſchlechte
in uͤberaus groſſe Wuͤrde und Gewalt verſetzet
wuͤnſchte. Der Fuͤrſt habe diß Geſchirr/ wel-
ches auch noch in ihres Geſchlechts Schatz-Kam-
mer als eine beſondere Seltzamkeit auffgehoben
wuͤrde/ angenommen/ worauff die Wald-Goͤt-
tin fuͤr ſeinen Augen verſchwunden. Er aber
habe ſich ſolches auszutrincken nicht wagen wol-
len/ ſondern ſich voller Entſetzung Spornſtreichs
davon gemacht/ und das Horn uͤberruͤcke ausge-
goſſen/ wovon dem Pferde/ ſo weit es beſpritzt
worden/ die Haare wegge gangen waͤren. Zeno
ſagte: Es iſt diß in Wahrheit eine ungemeine
Begebenheit/ und ich moͤchte dis Horn wol ſe-
hen. Malovend vertroͤſtete ihn: Er wolte da-
zu Anſtalt machen; aber er wuͤrde ſo wenig/ als
alle/ die es biß auff gegenwaͤrtige Zeit in Augen-
Schein genommen/ nicht er gruͤnden koͤnnen/ ob
ſolch Geſchirr aus Horn/ Ertzt/ oder aus was
fuͤr einem andern Talge bereitet oder gewachſen
ſey. Diß iſt noch ſeltzamer/ ſagte Rhemetalces/
welches mir die Wahrheit der Geſchichte ziem-
lich beglaubigt/ und ich werde nicht ruhen/ biß
ich diß Wunder-Horn zu Geſichte bekomme.
Aber da deine obige Erzehlung von des Kayſers
Julius Bvuͤcke und Verrichtuͤg mit der Wahr-
heit uͤbereintrifft; wie denn dieſe an dem Orte/
wo etwas geſchehen/ am wenigſten verfaͤlſcht
bleibt; hat Julius ſich keiner ſo groſſen Thaten
gegen die Deutſchen zu ruͤhmen/ noch den Hir-
ſchen eine ſo ruhmraͤthige Schrifft anzuhaͤngen/
noch weniger die Roͤmer ſo viel Weſens darvon
zu machen Urſache gehabt; und ich erfahre nun/
daß die Griechen nicht alleine tichten koͤnnen.
Freylich wol! antwortete Malovend. Das
Geſchrey iſt mit den Rieſen vergeſchwiſtert/ es
uͤberſchreitet allezeit das rechte Maaß der
Wahrheit mit einer Ubermaaß/ es gebiehret al-
lezeit Wunder-Wercke oder Ungeheuer/ leget
der
[95]Arminius und Thußnelda.
der Sachen entweder zu viel zu/ oder nim̃t zu
viel darvon/ und vermiſchet das lautere eines
Wercks mit einem unechten Beyſatze. Haͤtten
die Deutſchen bey ſich ſo viel Geſchicht-Schrei-
ber/ es wuͤrden auch des Druſus und anderer
Roͤmer Thaten ſo groſſen Ruhm in der Welt
nicht haben/ als ſie daraus machen. Und daher
muthmaſſe ich/ es verhalte ſich mit ihren alten
Wunder-Wercken nichts beſſer. Zeno fiel ihm
bey/ und fing an: Die Ferne und das Alterthum
waͤren der ſcheinbarſte Firnß der Unwahrheit/
und pflegten nicht nur die Roͤmer/ ſondern alle
andere Voͤlcker/ inſonderheit die Griechen ihre
alte Helden und Thaten/ wie die Wald-Goͤtter
in des Timantes Gemaͤhlde den Daumen des
ſchlaffenden Cyclopen mit langen Staͤn geln zu
meſſen. Die Eroberung einer mittelmaͤſſigen
Stadt war bey ihnen ein Wunder-Werck/ die
Erlegung eines beruͤhmten Raͤubers machte den
Sieger zu einem Hercules. Ja die Wuͤrde
der Halb-Goͤtter war fuͤr Zeiten ſo guten Kaufs/
daß unter den Griechen leicht einer was thun
dorffte/ umb vergoͤttert oder unter die Sternen
verſetzt zu werden. Zu Rom waͤre ſo gar die
Hure Flora/ bey den Marſen die Zauberin Me-
dea mit einem Tempel verehret worden. Es
ginge ja noch wol hin/ ſagte Marcomir/ wenn
die Griechen und Roͤmer in Herausſtreichung
ihres Eigen-Ruhms nur uͤber die Schnure ge-
hauen/ nicht aber die Flecken ihrer Ungerechtig-
keitanderer Voͤlcker Unſchuld/ wie die Spinnen
ihren giftigen Unflat reinen Blumen anſchmie-
reten. Jch wil der Griechen Eitelkeit/ weil ſie
den Deutſchen wenig Leides gethan/ unberuͤh-
ret laſſen. Die Roͤmer aber haben den Bren-
nus und ſeine Deutſchen bey Auszahlung ihres
Loͤſe-Geldes argliſtig uͤberfallen/ die Stadt
Alba/ ihr Vaterland/ aus bloſſer Ehrſucht ver-
tilget/ die Samniter wider Treu und Glauben
hinters Licht gefuͤhret. Den dritten Krieg
wider Carthago haben ſie mit groͤſſerm Mein-
eyd angefangen/ als ſie den Mohren niemals
aufweltzen koͤnnen. Geitz und Herrſchens-
Sucht habe ihren Krieg wider den Macedoni-
ſchen Koͤnig Philipp angezuͤndet. Dem Anti-
ochus/ welchen ſie zur Zeit des Africaniſchen
Krieges unter dem Scheine falſcher Freund-
ſchafft auff ihre Seite bracht/ haͤtten ſie gantz
Aſien diſſeits des Tauriſchen Gebuͤrges und ze-
hentauſend Talent ohne rechtmaͤſſige Urſache
abgezwungen. Dem Koͤnige Perſes haͤtten
ſie in einem Frieden/ ſo lange er lebte/ Heil
und Sicherheit verſprochen/ ihn aber bald
im Schlaffe erwuͤrget; gleich als wenn dieſes
Bild des Todes nichts minder ihn aus der Zahl
der Lebenden genommen/ und ihr Buͤndnß zer-
riſſen haͤtte. Den mit leeren Freundſchaffts-
Schalen ſicher gemachten Eumenes haͤtten ſie
dem Antiochus verkaufft/ den Attalus zum
Knechte/ und uͤber ſein Eigenthum zum Ampt-
manne gemacht; ja durch Einſchiebung eines
falſchen letzten Willen ſeinem Sohne Ariſtoni-
cus ſeiner Vor-Eltern Reich mit dem Degen
abgerechtet/ und ihn zum Schau-Gepraͤnge
gefuͤhrt; gleich als von einem guten Vater ein
maͤchtigerer/ fuͤr deſſen Boßheit er ſich nicht
fuͤrchtete/ zum Erben eingeſetzt werden koͤnte.
Eben ſo haͤtten ſie des Nicomedes und der Ryſa
Sohn von Bithinien verdrungen. Daß Craſ-
ſus aus unſinniger Gold-Begierde des Pom-
pejus und Sylla mit den Parthen getroffenes
Buͤndnuͤß ungluͤcklich gebrochen/ wuͤſten die Roͤ-
mer ſelbſt nicht genung zu verfluchen. Gegen die
Gallier haͤtten ſie eine Urſache vom Zaun gebro-
chen/ und durch Argliſt die unuͤberwindlichen
Deutſchẽ ſelbſt aneinander gehetzt/ um ſo wol die
Uberwinder/ als die Uberwundenen zu verſchlin-
gen. Gleichwol aber wolten ſie niemals das Waſ-
ſer getruͤbt/ ſondern nach ihrer Geſchicht-Schrei-
ber Großſprechẽ/ die halbe Welt/ entweder durch
geraͤchetes Unrecht/ oder durch den ihren Bunds-
Genoſſen geleiſteten Beyſtand erobert haben;
Gleich
[96]Anderes Buch
Gleich als wenn nichts minder die Schwaͤchern
die Maͤchtigern/ als die Tauben die Geyer zu
beleidigen/ nicht aber insgemein dieſe ſich an jene
zu reiben pflegten. Uberdis ſchrieben ſie ihre
Fehler und Niederlagen mit ſo fahler Dinte
auff/ welche niemand leſen koͤnte; oder ſchaͤmten
ſich wol gar nicht ihren Verluſt mit Siegs-Ge-
praͤngen zu verdecken. Weßwegen er nicht
zweifelte/ daß ſie die Niederlage des Varus eben
ſo wol verkleinern wuͤrden/ als ſie des Lollius ver-
tuſcht haͤtten. Alle hoͤrten den eifrigen Mar-
comir geduldig an/ weil ſie entweder den Roͤmern
ſelbſt nicht gar hold waren/ oder eines Gefange-
nen Schuldigkeit zu ſeyn hielten/ etwas zu ver-
hoͤren. Zeno aber nahm endlich das Wort von
ihm/ und ſagte: Er wolte weder in einem noch
dem andern das Wort reden. Alleine Laſter wuͤr-
den ſo lange gefunden werden/ als Menſchen.
Gute und Boͤſe waͤren unter allen Voͤlckern/
wie weiſſe Leute und ſchwartze Mohren in der
Welt. Die Roͤmer waͤren von allzu groſſem
Gluͤcke verblendet worden/ bey welchem die
kluͤgſten Leute wie die helleſten Augen von der
Sonnen Straalen ihr Geſichte einbuͤßten.
Bey anwachſender Gewalt ſchiene/ was vor-
traͤglich/ auch recht zu ſeyn/ und das Geluͤcke
machte auch die ſittſamſten kuͤhn/ das zu thun/
was man bey niedrigerm Zuſtande verdamme-
te. Unterdeſſen waͤre das durch das Gluͤcke
verderbete Urtheil doch nicht ſo kraͤftig/ daß man
den Laſtern nicht ihre Heßligkeit anſehen/ und
ſich ſeine eigene Fehler zu ruͤhmen uͤberreden laſ-
ſen ſolte. Die Eigenliebe haͤtte in der einen Hand
einen Schwam̃/ damit ſie fort fuͤr fort ſich zu ſau-
bern bemuͤhet waͤre; in der andern aber Kohlen/
um andere damit zu ſchwaͤrtzen; gleich als wenn
frembde Beſudelung unſern Brandmahlen/ wie
die finſtere Nacht den Sternen einen Glantz zu
geben vermoͤchte. Bey welcher Bewandnuͤß
man ihm von den Roͤmern nicht frembde zu ma-
chen haͤtte/ daß ſie lieber anderer/ als ihre eigene
Anklaͤger ſeyn/ auch ihre eigene Ungluͤcke lieber
verhuͤllen/ als durch derſelben Eroͤfnung wie
die Wunden durch Abreiſſung der Pflaſter ver-
aͤrgern wollen. Auſſer dem wuͤrden alle merck-
wuͤrdige Geſchichte insgemein ungleich und
durch Ferne-Glaͤſer angeſehen/ welche von for-
nen die Sachen vergroͤſſern/ von hinten zu aber
verkleinern. Ja es waͤre eine unabtrennliche
Eigenſchafft der Erzehlungen/ daß ſelbte mit der
Entfernung nicht anders/ als die von einem
Gebuͤrge abkugelnden Schneeballen ohne ihre
Schuld wuͤchſen. Denn wenn ſchon Haß oder
Gunſt ſich nicht mit auff die Wag-Schale leg-
ten/ ſo haͤtte doch Gluͤck und Jrrthum mit die
Hand im Spiele/ und ſtrichen dem Weſen einen
falſchen Firnß an. Auch diß/ was an ſich ſelbſt
groß genung waͤre/ behielte ſein Maaß nicht/
ſondern der Nahme uͤberwiege die eigene
Schwerde. Der groſſe Alexander haͤtte ſelbſt
geſtanden: Man redete mehr von ihm als wahr
waͤre. So haben die Deutſchen hingegen von ih-
nen zu ruͤhmen/ fing Malovend an/ daß ſie mehr
thun/ als man von ihnen ſaget. Rhemetalces
laͤchelte/ mit Beyſetzung dieſer Worte: Wir ha-
ben es leider/ und du zwar an deinen eigenen
Landsleuten wol erfahren. Aber/ Malovend/
ſo viel aus deinen Worten verlautet/ biſtu dei-
nem Vaterlande nicht gram/ was hat dich denn
bewogen dich auff der Roͤmer Seite zu ſchlagen?
Malovend zoch die Achſeln ein und ſeuffzete.
Sie haͤtten ihm auch ferner angelegen die Urſa-
che zu eroͤffnen; es brachten aber die Jaͤger gleich
vier groſſe hauende Schweine gejagt/ welches ihr
Geſpraͤche unterbrach/ und ſie nach ihren Waf-
fen zu greiffen noͤthigte. Zeno warff das foͤrder-
ſte mit einem Wurffſpieſſe/ alleine es lieff mit
ſelbtem gleichſam ohne einige Empfindligkeit
deꝛ Wunden hinweg/ ſo bald es ſein Waſſeꝛ gelaſ-
ſen hatte. Denn auſſer dem koͤnnen ſie nicht ſtaꝛck
lauffen. Rhemetalces ſchoß etliche Pfeile auff
das andere/ ſie vermochten aber nicht einſt durch-
zudringen. Malovend aber ſprang nach ſeiner
Landes-Art eilfertig vom Pferde/ ließ ihm den
nech-
[97]Arminius und Thußnelda.
nechſten Jaͤger ein Eiſen langen/ hielt ſelbtes ge-
gen dem dritten Schweine/ welches gantz ver
blendet darein lieff/ und mit dieſem Fange ſtein-
todt zur Erden fiel. Rhemetalces fing hier-
uͤber an: Jch glaͤube/ daß die wilden Schweine
in Deutſchland keine Augen haben/ daß ſie ſich
ſo ſelbſt auffopffern. Ja/ ſagte Malovend/
wie in der gantzen Welt die Menſchen/ welche
entweder Furcht oder Begierden verblenden.
Hiermit gab er dem vierdten Schweine einen
gleichmaͤßigen Fang. Zeno fing hierauff an:
Jch ſehe wohl/ daß Malovend diß Handwerck
beſſer als wir gelernet/ ſprang hiermit/ nach dem
er noch unterſchiedene groſſe Stuͤcke folgen ſahe/
vom Pferde/ welchem Rhemetalces bald folge-
te. Jener begegnete einem Hauer gleichfalls
mit einem Eiſen/ welches zwar wohl antraff/ a-
ber am Holtze in ſtuͤcken brach/ alſo er mit ſei-
nem Degen ſich zu beſchirmen gezwungen
ward. Dieſem gelang es noch aͤrger. Denn
das Schwein rennte ihn gar uͤber einen Hauf-
fen/ verletzte ihn auch ein wenig in die Huͤffte/
weßwegen die Jaͤger etliche der groſſen Britan-
niſchen Tocken auff ſie loß laſſen muſten. Die-
ſe hielten die Schweine bey den Ohren ſo feſte/
daß man ihnen die Eiſen ohne einige Kunſt ins
Hertze ſtoſſen konte. Nachdem nun wohl zwoͤlff
Stuͤck erlegt/ fing Zeno an: Jch glaube/ daß P.
Servilius Rullus aus dieſem Forſt entſproſſen
ſey/ weil er zu Rom mit den wilden Schweinen
ſo groſſe Verſchwendung angefangen/ und der
erſte geweſt/ der iedem Gaſte ein gantzes
Schwein fuͤrgeſetzt. Ja/ ſagte Zeno/ und die-
ſe wuͤrden auch wohl dem Apicius das Gewich-
te halten/ der keines auffſetzen ließ/ welches nicht
tauſend Pfund ſchwer war. Malovend ant-
wortete: zum wenigſten hat er dieſen Pracht von
den Deutſchen gelernet/ welche bey ihren Her-
tzogs-Wahlen nicht nur gantze Schweine/ ſon-
dern groſſe Ochſen braten. Zeno aber fiel ein:
Er wundere ſich vielmehr/ daß die deutſchen
Schweine ſo wohl ihre Landsleute kenneten/ in
dem ſie nur die Auslaͤnder beleidigten. Malo-
vend verſetzte dieſen Schertz: vielleicht waͤren ſie
ſo klug oder guͤtig/ als die Tyrintiſchen Schlan-
gen/ die Nattern am Phrat/ und die Scorpi-
onen auff dem Berge Latmus/ von denen man
ihn zu Rom im Ernſt bereden wollen/ daß ſie
gegen die Eingebohrnen gantz kirre waͤren/ auch
ihnen kein Leid anthaͤten. Jch begehrte ihrer
vernuͤnfftigen Unterſcheidung/ ſagte Rhemetal-
ces/ nicht ſo viel/ als auff die Staͤrcke gegenwaͤr-
tiger Hunde zu trauen. Zeno fielihm ein: Er
wuͤnſchte/ daß dieſe Gegend noch ſtreitbarere
Thiere hegete/ um zu verſuchen/ ob dieſe Hun-
de auch Loͤwen und Elefanten bemeiſtern koͤn-
ten/ wie die/ welche der Koͤnig in Albanien
und Sophites in Jndien dem groſſen Alexan-
der verehret haͤtten. Jch weiß/ ſie wuͤrden ih-
ren Feind nicht ſcheuen/ antwortete Marcomir.
Denn die Gallier holten ſie aus Britannien/
und brauchten ſie wie die Garamanten in
Schlachten an ſtatt der Kriegs-Knechte/ und
die Colophonier ſtelleten ſie Gliederweiſe in die
Spitze des Treffens. Die Cimbrer richteten
ihre eigene Hunde darauff ab. Rhe-
metalces fuhr fort: Jch habe gemeint/ meine
Nachbarn die Magneten fuͤhrten nur mit Hun-
den Kriege. Ja ſagte Zeno; brauchte ſie nicht
Koͤnig Maſiniſſa zur Leibwache? und noch heu-
te zu Tage iſt diß in Africa nicht ungemein.
Die Roͤmer ſelbſt haben ſolche als M. Pompo-
nius Sardinien eingenommen/ zu Ausſpuͤh-
rung ihrer in oͤde Oerter gefluͤchteten Feinde
gebraucht. Rhemetalces antwortete ihm: al-
les diß iſt der Hunde Eigenſchafft aͤhnlicher/ als
daß ſie zu Rom auff den Schau-Buͤhnen die
Stelle und Verrichtungen der Gauckler ver-
treten. Sie ſollen uns/ rieff Malovend/ hier
zuverſichtlich auch ein nicht unangenehmes
Schauſpiel fuͤrſtellen/ und erinnerte ſie ruͤck-
waͤrts umzuſchauen/ allwo die Jaͤger zwey
groſſe Baͤren gegen ſie auffgejagt hatten. Die
ſich erſchuͤtternden Pferde aber hatten dieſer
Erſter Theil. NThiere
[98]Anderes Buch
Thiere Naͤherung ſchon/ ehe ſie ſie zu Geſichte be-
kom̃en/ angedeutet/ weil die Natur beyden einen
unverſoͤhnlichen Haß eingepflantzt. Die aus-
laͤndiſchen Fuͤrſten wolten etliche von den Brit-
tanniſchen Tocken auff ſie loß laſſen; Malovend
aber meinte/ es waͤre an einer genug. Denn an
den andern Baͤr wuͤrde ſich wohl ein einigeꝛ Jaͤ-
ger machen. Der loßgelaßne Hund griff als-
bald den groͤſten Baͤr an/ und machte ihm ſo
viel zu ſchaffen/ daß er ſich fuͤr ihm auff einen
Eichbaum fluͤchtete; nach welchen ſie hernach
mit Pfeilen ſo lange zum Ziele ſchoſſen/ biß
er nach vielen empfangenen Wunden herab
fiel. Den andern Baͤr aber griff Alfelsleben/
ein von Fußauff gewaffneter Cattiſcher Edel-
mann des Fuͤrſten Adgandeſters/ an; gegen
welchen ſich der Baͤr aufflehnte/ und als er ihn
mit den foͤrdern Klauen umarmete/ fiel der Jaͤ-
ger mit allem Fleiß zuruͤcke/ und ſtach ihm ein
Meſſer durch den Bauch ins Hertze/ daß er uͤ-
ber ihm ſteintodt liegen blieb. Ehe ſich aber die-
ſer unter dem Baͤren herfuͤrweltzte/ fing der ihn
begleitende Hund erbaͤrmlich an zu winſeln/ fiel
den todten Baͤren auffs grimmigſte an/ und als
dieſer ſich nicht regte/ ſtuͤrtzte ſich der Hund in
den nechſten See/ haͤtte ſich auch darinnen vor-
ſaͤtzlich erſaͤuffet/ wenn nicht der hinzu lauffende
Jaͤger durch ſein Zuruffen ihn davon abwen-
dig gemacht haͤtte. Sie verwunderten ſich al-
le uͤber dieſer Begebniß/ und ſagte Rhemetal-
ces/ daß es doch kein ander Thier an Liebe und
Treue gegen den Menſchen den Hunden gleich
thaͤte. Man haͤtte mehr als tauſend beruͤhmte
Beyſpiele/ daß ſie fuͤr ihre Herren biß in Tod ge-
fochten/ auch nach etlichen Jahren ihre Moͤrder
angefallen und entdeckt haͤtten. Ja des Eu-
polites Hund waͤre uͤber ſeinen Abſterben er-
hungert/ des Xantippus waͤre ſeinem Schif-
fe ſo lange nachgeſchwommen/ biß er erſoffen/
des letzten Darius Hund waͤre ſein einiger
Todes-Gefaͤrthe geweſt/ des Lyſimachus und
Pyrrhus haͤtten ſich in ihre brennenden Holtz-
Stoͤße geſtuͤrtzet.
Die Verzweiffelung dieſes getreuen Hundes
war kaum vorbey/ als Alfelsleben/ deꝛ den Baͤꝛ in
Eil ausgeweidet hatte/ keine geringe Beſtuͤꝛtzung
von ſich blicken ließ. Wie nun dieſer dem Jaͤger-
meiſter den Verluſt ſeines eiſernen Ringes/ als
die Urſache ſeiner Bekuͤmmernis andeutete/ zo-
he Zeno einen koͤſtlichen mit Diamanten verſetz-
ten Ring vom Finger/ und reichte ſelbten dieſem
Cattiſchen Edelmanne/ um dardurch ſeinen
Schaden zu ergaͤntzen. Alfelsleben bezeugte
gegen dieſer Fuͤrſtlichen Freygebigkeit die hoͤff-
lichſte Demut/ und weigerte ſich dieſes Geſchen-
cke anzunehmen/ anziehende/ daß der Werth
ſeines verlohrnen eiſernen Ringes durch keinen
andern/ auch durch den mit einem koͤſtlichen
Opal verſetzten Ring nicht erſetzt werden koͤnte/
welchen der Rathsherr Monius gehabt/ und ſo
hoch geachtet/ daß er ſich lieber damit ins Elend
verjagen laſſen/ als ſolchen dem geitzigen Anto-
nius abtreten wollen; noch auch um denſelben
Ring/ um deſſen Kauff zwiſchen dem Coͤpio und
Druſus eine Todt-Feindſchafft und ein ſchreck-
licher Krieg erwachſen. Rhemetalces fing an:
in was denn die Koſtbarkeit dieſes Ringes be-
ſtanden/ weil ſelbter nur fuͤr eiſern angegeben
wuͤrde? Ob ſelbter eine geheime Krafft wie der-
ſelbe Ring in ſich gehabt habe/ welchen der Koͤ-
nigliche Hirte Gyges in einer Hoͤle einer in ei-
nem ertztenen Pferde verwahrten Leiche abge-
zogen; ſich damit als wie des Pluto oder der Hoͤl-
le Helm ebenfals die Krafft gehabt haben ſoll/
unſichtbar und zum Koͤnige in Lydien gemacht
haͤtte? oder ob dieſer Ring den Alfelsleben/ wie
des Phecenſiſchen Fuͤrſten zwey Ringe/ durch
ihren Klang erinnert haͤtten: Ob er diß oder
jenes thun oder laſſen ſolte? Alfesleben/ wel-
cher in dem Eingeweide des Baͤren ſeinen Ring
bekuͤmmert ſuchte/ gleichwohlaber das eine Ohr
bey dem Geſpraͤche dieſer Fuͤrſten hatte/ ant-
wortete: Wo die Anreitzung der Tugend et-
was beſſers/ als die betruͤgeriſchen Kuͤnſte der
Zauberey waͤre/ wuͤrde ſein Ring zweiffelsfrey
hoͤ-
[99]Arminius und Thußnelda.
hoͤher als alle erwehnte/ ja auch als des Eucra-
tes Ring/ darinnen des Pythiſchen Apollo Bild
alle Heimligkeiten ihm entdeckte/ und andere
zu achten ſeyn/ krafft welcher Timolaus alle
Schwerden erheben/ durch die Luͤffte fluͤgen/ ie-
derman einſchlaͤffen/ und alle Schloͤſſer oͤffnen
wolte. Uber dieſen Worten fand Alfelsleben
den Ring in einem Darme des Baͤres/ welchen
er mit groſſen Freuden dem ihn zu ſehen ver-
langenden Fuͤrſten Zeno reichte. Bey deſſen
erſtem Anblicke er anfing: es iſt dieſer Ring
ziemlich weit/ und zum Verlieren gar geſchickt.
Weil er nun ſo hoch geſchaͤtzt wird/ muthmaße
ich/ deſſen Weite werde ſo wohl als der Ring
des dem Jupiter zu Rom geweyhten Hohen-
prieſters etwas ſonderlichs anziehlen; in dem
dieſer ihn erinnerte/ daß er nichts gezwunge-
nes fuͤr die Hand nehmen ſolte. Ja/ ſagte Mar-
comir/ nichts anders zielet auch dieſer deutſche
Ring an; daher auch kein Leibeigner ſolchen bey
Lebens-Straffe tragen darff. Uberdiß koͤmmt
auch dieſer Ring dem erwehnten prieſterlichen
bey/ daß er mit keinem Steine verſetzt iſt. Zeno
fiel ein: bey andern Voͤlckern aber ſind die eiſer-
nen Ringe der Leibeigenen Merckmahl/ wie die
ſilbernen der unedlen Freyen. Wiewohl bey-
de ſich aus einem verborgenen Ehrgeitze unter-
ſtehen denen edlen einzugreiffen/ und unter der
Farbe oder Schale des Stahles Gold zu tra-
gen. Malovend antwortete: Es iſt nicht ohne/
daß Eiſen und Stahl dem Golde nicht zu ver-
gleichen; ſondern vielmehr ſolche Ringe von e-
ben dem Metalle/ worvon insgemein die knech-
tiſchen Feſſel ſeyn. Mir iſt auch nicht unwiſ-
ſend/ daß zu Rom die erſten guͤldnen Ringe nur
die Botſchaffter/ die Raths-Herren/ und die
Rathsfaͤhigen Geſchlechte/ welche nach der Can-
niſchen Schlacht alle ihr Gold in den gemeinen
Kaſten gelieffert/ hernach die Ritterlichen getra-
gen/ und daher Mango aus der groſſen Menge
der abgenommenen guͤldenen Ringe zu Cartha-
go die Anzahl der erſchlagenen edlen Roͤmer er-
wieſen habe. Durch welches Kennzeichen des
Cornutus Knechte des Marius den Cornutus
zu ermorden befehlichte Kriegs-Leute betrogen;
indem ſie unter dem Scheine ihres ſchon entſeel-
ten Herrn einer gemeinen Leiche guͤldne Ringe
angeſteckt/ und ſie fuͤr des Cornutus zu Gra-
be getragen. Wiewohl freylich das Recht
guͤldne Ringe zu tragen hernach auff die Kriegs-
Hauptleute/ nach dieſem auff die außerleſnen
Kriegs-Maͤnner/ ferner auff die Edelleute/ wel-
che viertzig tauſend Seſtertier in Vermoͤgen
zeigen konten/ verfiel. Ja endlich ſteckte Ver-
res/ wiewohl mit groſſem Unwillen des Roͤmi-
ſchen Adels/ ſeinem Schreiber/ Sylla ſeinem
Schauſpieler Roſcius/ Kaͤyſer Julius dem un-
edlen Laberius/ Balbus dem Gauckler Heren-
nius Gallus/ Kaͤyſer Auguſt dem vom Pom-
pejus mit der Schiffs-Flotte uͤbergehenden
Mena/ und ſeinem Artzte Muſa einen guͤld-
nen Ring an; alſo/ daß zuletzt dieſes guͤldne Ge-
ſchencke nur fuͤr ein Zeichen der Loßlaſſung
aus der Dienſtbarkeit angenommen ward.
Nichts deſtoweniger iſt unlaͤugbar/ daß Pro-
metheus/ welcher der Ringe Erfinder gewe-
ſen ſeyn ſoll/ einen eiſernen getragen/ und daß
bey denen Spartanern ein eiſerner Ring ein
Kleinod der Edlen/ zu Rom eine Zierde des Koͤ-
nigs Numa in ſeinem ertztenen Bilde war/ daß
bey denen alten Roͤmern die gleich mit einer
guͤldenen Krone im Siegs-Gepraͤnge einzie-
henden Uberwinder/ und inſonderheit Cajus
Marius/ als der dem Koͤnig Jugurtha an ſei-
nen Wagen geſpannet einfuͤhrte/ doch ei-
nen eiſernen Ring am Finger truge/ ja die
Roͤmiſchen Geſandten in ihren Wohnungen
nur eiſerne anſteckten/ die Roͤmer auch noch nur
mit dergleichen ihre Braͤute beſchencken. Jch
habe zu Rom ſelbſt zu der Zeit/ als Kaͤyſer
Auguſt das Volck in zehn und zehn abtheil-
te/ die Richter in anſehnlicher Zahl ſitzen/ und
in der meiſten Haͤnden keine andere als eiſer-
ne Ringe geſehen/ und hat man mich verſt-
N 2chert/
[100]Anderes Buch
chert/ daß der Roͤmiſche Adel keine andere tra-
gen doͤrffte/ wenn ſie der Stadt-Vogt nicht
mit einem guͤldenen beſchenckt haͤtte/ ungeach-
tet die von ihnen uͤberwundenen Sabiner lan-
ge vorher insgemein an den Fingern und Ar-
men guͤldene mit Edelgeſteinen verſetzte Rin-
ge und Armbaͤnder gefuͤhret. Endlich mag
auch der Kaͤyſer ſo heilig geſchaͤtztes Bild zu
Rom nichts minder in eiſerne/ als guͤldene
Ringe gepraͤgt werden. Zeno betrachtete in-
zwiſchen Alfeslebens Ring auffs genaueſte/
fing hierauff an: Jch finde an dieſem Ringe
weder Kunſt noch Koſtbarkeit/ vermuthlich
aber wird er wegen einer verborgenen Urſa-
che ein Ehrenzeichen des deutſchen Adels ſeyn.
Vielmehr ein Merckmahl der Schande/ ver-
ſetzte Marcomir. Denn es muͤſſen ihn alle
Catten ſo lange tragen/ biß ſie einen Feind
uͤberwunden/ gleich als wenn ſie durch ſolche
Heldenthat ſich von einem Feſſel der Verach-
tung befreyen muͤſten. Nach dieſer Art darff
kein Cheruſker und Catte auch fuͤr Erlegung ei-
nes Feindes weder Haupt noch Bart beſcheeren
laſſen/ gleich als wenn er durch ein dem Va-
terlande zu liebe gethanes Geluͤbde das Haar
ſo lange zu tragen verpflichtet waͤre. Her-
tzog Zeno fragte: Warum denn dieſer junge
Edelmann um den Verluſt deſſen/ was er loß
zu werden ſo ſehr wuͤnſchte/ ſo bekuͤmmert ge-
weſen waͤre? Weßwegen/ ſeiner Meinung nach/
er dieſes Schmach-Zeichen mehr Urſache in
dieſen Pfuhl/ als Polycrates und Sextus Pom-
pejus ihre Ringe ins Meer zu werffen gehabt
zu haben ſchiene. Marcomir antwortete: Es
waͤre denen/ welchen dieſe Ringe zu tragen von
ihrem Fuͤrſten einmahl ausgetheilet worden/
verkleinerlich/ wenn ſie ſelbte verliehreten; gleich
als wenn ſie das Denckmahl ihrer Tugend und
verſprochenen Tapfferkeit ſo geringſchaͤtzig hiel-
ten und auſſer Augen ſetzten. Zu dem waͤre
der Deutſchen Gewohnheit/ daß die Fuͤrſten
um den Sieg/ die Edlen aber fuͤr den Fuͤr-
ſten kaͤmpfften/ und die Ehrerbiettung
gegen ihre Fuͤrſten ſo groß/ daß ſie fuͤr Ge-
winn und Ehre ſchaͤtzten/ wenn ſie mit einem
ihnen gleich ſchaͤdlichen Gehorſam der Fuͤr-
ſten Befehl befolgten/ und aus einer ihnen zu
wachſenden Schande ihm Ruhm und Ehre zu-
ſchantzen koͤnten. Fuͤrnehmlich aber waͤre es
dem Alfesleben darum zu thun/ daß er in der
letzten Schlacht dreyer Gallier und zweyer
von ihm erlegter Roͤmer Koͤpffe eingebracht
haͤtte/ und er alſo folgenden Tag dem Cattiſchen
Hertzoge Arpus dieſen Ring als ein Pfand ſei-
ner numehr bewehrten Hertzhafftigkeit zuruͤck
lieffern ſolte; worgegen er nach der Deutſchen
Gewohnheit zum Siegs-Lohne mit einem
Schwerdte/ einem Vogen/ oder einer Ruͤſtung/
zuweilen auch wohl mit einem guͤldenen Rin-
ge/ nach des Hertzogs Gefallen und des Sie-
gers Verdienſte beſchencket wuͤrde. Auſſer
ſolchen durch Tapfferkeit erworbenen doͤrffte
kein deutſcher Rittersmann keinen guͤldenen
Ring tragen. Rhemetalces fing an: es iſt diß
ſehr loͤblich und dem Carthaginenſiſchen Geſe-
tze nicht ungleich/ welches verbot/ mehr Ringe
anzuſtecken/ als einer Feldzuͤge gethan hatte.
Sonſten waͤren alle erzehlte Dinge der Tapf-
ferkeit wohlanſtaͤndige Geſchencke. Jnſon-
derheit waͤre die Verehrung der Ringe in dem
tieffſten Alterthume ſchon braͤuchlich geweſt.
Denn wie dieſe nicht nur zu Verſicherung der
Wetten/ der Geluͤbde/ der Heyraths-Schluͤſſe
gegeben worden; alſo habe die Stadt Cyrene
einen koſtbaren Ring ſchmieden/ das koͤſtliche
Kraut Silphium/ welches auch unter andern
Schaͤtzen dem Delphiſchen Apollo gewidmet
war/ darauff praͤgen laſſen/ und ſolchen ihrem
Urheber Battus als ein Zeichen ihrer Danck-
barkeit; Philip/ als er wider die Byſantzier zo-
he/ dem groſſen Alexander/ dieſer auff dem
Tod-Bette/ als ein Erkaͤntniß ſeiner treuen
Dienſte/ oder ein Zeichen des ihm zugeigne-
ten Reiches dem Perdiccas/ der krancke Au-
guſt
[101]Arminius und Thußnelda.
guſt dem Agrippa ſeinen Ring gegeben. Ma-
lovend nahm das Wort von ihm und fing an:
Es waͤre die Art mit dem Ringe einem die
Nachfolge der Herrſchafft zuzueignen/ oder
ſonſt eine ungemeine Vertrauligkeit anzudeu-
ten/ wie Alexander gegen dem Hepheſtion mit
ſeinem an den Mund gedruͤckten Ringe ge-
than/ als er ihme Olympiens geheime Schrei-
ben zu leſen gab/ auch in Deutſchland nicht un-
bekant/ und pflegten die Catten dieſe eiſerne
Ringe ihrer Ahnen auffs fleißigſte zu verwah-
ren. Sonſt waͤren dieſe Ringe vielleicht deß-
wegen ſtaͤhlern/ weil bey denen alten Deutſchen
dieſes in der Haushaltung und im Kriege nuͤtz-
lichere Ertzt in groͤſſerm Anſehen/ als das Gold/
auch dem Kriegs-Gotte zugeeignet geweſt. Aus
welchem Abſehen/ und weil die rechte Hand
meiſt die Ausuͤberin der Tapfferkeit ſeyn muß/
der Daumẽ und mitlere Finger auch der ſtaͤrck-
ſte iſt/ dieſe eiſerne Ringe auch nur in der rechten
Hand/ und zwar in oberwehnten zweyen Fin-
gern getragen wuͤrden. Da hingegen die mei-
ſten Voͤlcker die aus bloſſer Wolluſt angenom-
mene Ringe in der muͤſſigern und verborgenern
lincken Hand/ und in dem Finger neben dem
kleinern/ gleich als wenn nach der Egyptier wie-
wohl irrigen Meinung aus dieſem Goldfinger
eine kleine Ader zu dem vom Golde Staͤrckung
empfangenden Hertzen ginge/ truͤgen/ den Dau-
men und mittlern Finger damit niemahls be-
ſteckten. Dieſe Erzehlung vergnuͤgte die frem-
den Fuͤrſten uͤberaus/ und nachdem Rhemetal-
ces dieſen Ring gleichfals wohl betrachtet hatte/
fing er an: Jch finde in dieſem Ringe gleichwohl
noch etwas/ was Fuͤrſt Zeno nicht angemercket/
oder gemeldet; Denn es iſt in ihn was gebei-
tzet/ welches ich aber noch nicht recht erkennen
kan. Fuͤr kein Bild eines Gottes darff ich es
nicht annehmen/ weil ich weiß/ daß die Deut-
ſchen mit den Egyptiern dißfals nicht einig ſind/
welche des Harpocrates und anderer Goͤtter
Bilder gar gemein an Fingern tragen. Ver-
mutlich aber wird es iemand beruͤhmtes von die-
ſes Edelmanns Ahnen oder aus ſeinen vertrau-
ten Freunden ſeyn. Maſſen ich in Griechenland
und zu Rom dieſe Gewohnheit wahrgenom̃en/
und bey dem Germanicus den Ring mit des A-
fricaniſchen Scipio eingeetztem Haupte geſehen/
welchen das Volck ſeinem unwuͤrdigen Sohne/
als er ſich die Stadtvogtey zu ſuchen unterſtand/
abgezogen hat. Kaͤyſer Julius hat der gewaffne-
ten Venus Bild/ von welcher er nichts minder
entſproſſen/ als ſeine Aehnligkeit empfangen zu
haben vermeinte/ getragen. Jn Griechenland
pflegen noch die Nachfolger des Welt-Weiſen
Epicurus ſein Bild in ihren Ringen zu vereh-
ren/ in ihre Saͤle zu ſetzen und auff ihre Trinck-
Geſchirre etzen zu laſſen. Alfesleben antwor-
tete hierauff ſelbſt: Es iſt weder eines noch
das andere/ ſondern ein Schild/ und darauff
das Haupt des Tuiſco/ zu meiner Erinnerung/
daß nichts ſchaͤndlichers ſey als im Kriege den
Schild einbuͤſſen; und daß alle edele Gemuͤther
in die Fußſtapffen ihres niemahls uͤberwunde-
nen Tuiſco zu treten ſchuldig ſind. Zeno fing
hieruͤber laut an zu ruffen: diß iſt ein ſo ſchoͤnes
Sinn-Bild/ als dieſer junge Ritter tapffer iſt.
Nichts nicht kan einem einen groͤſſern Zug zur
Tugend/ als das Anſchauen eines beruͤhmten
Helden verurſachen. Alſo hat Ariſtomenes
des Agathocles/ Callicrates des Ulyſſes/ und
Kaͤyſer Auguſt des groſſen Alexanders Bild in
ihren Ringen getragen/ und Tiberius ſiegelt
ſchon mit des Auguſtus. Callicrates hat ſo gar
nach Ulyſſes Kindern den ſeinigen ihre Nahmen
gegeben/ und das Roͤmiſche Geſchlechte der
Macer traͤgt nicht nur in Ringen/ in Trinckge-
ſchirren und Waffen; ſondern auch das Frau-
en-Zimmer Alexanders Bild mit Perlen/ Gold
und Seide geſtickt auff ihren Hauben/ Kleidern
und Zierrathen. Auch hat mir zu Rom Lucius
Macro ein vertrauter des Tiberius eine aus
Agtſtein gearbeitete Schale/ als das ſchaͤtzbarſte
Kleinod ihres Geſchlechtes/ gewieſen/ in welche
N 3vom
[102]Anderes Buch
vom beruͤhmten Pyrgoteles Alexanders Thaten
auffs kuͤnſtlichſte gegraben ſind. Rhemetalces/
der noch immer den Ring betrachtete/ brach ein/
und ſagte: Jch finde inwendig noch einen in die-
ſen Ring gegrabenen Loͤwen. Alfelsleben fiel
ihm bey/ und berichtete/ daß die Hertzoge der
Catten dieſes hertzhafte Thier zu ihrem Ge-
ſchlechts- und Feld-Zeichen brauchten/ und deß-
wegen alle ſolche eiſerne Ringe damit beſtem-
peln lieſſen. So fuͤhren ſie/ antwortete Rhe-
metalces/ mit dem groſſen Pompejus einerley
Merckmahl/ weil dieſer ſtets einen mit einem
Schwerdte geruͤſteten Loͤwen in einen Sardo-
nich-Stein gegraben am Fingeꝛtrug/ und damit
ſiegelte. Maſſen dieſer Ring dem todten Pom-
pejus auch vom Achille abgezogen/ dem Kaͤyſer
Julius mit dem eingehuͤllten Haupte uͤber-
ſchickt/ und damit ſein zu Rom unglaͤublicher
Tod beſtaͤrcket ward. Zeno ſetzte bey: Eswaͤ-
re die Zuneigung gewiſſer Sinnen-Bilder ie-
derzeit im Brauche geweſt. Die Egyptiſchen
Kriegsleute haͤtten insgemein einen Kefer/ als
ein Bild der Tapferkeit/ weil es keinen Kefer
weiblichen Geſchlechts gebe/ Areus der Spar-
taner Koͤnig einen Adler/ Darius ein Pferd/
Amphitruo den auffgehenden Sonnen-Wa-
gen mit vier Pferden/ die Locrer den Abend-
Stern/ die Koͤnige in Perſien das Bild der
Heldin Rhodogune mit zerſtreueten Haaren/
welche bey derſelben Aufflechtung eine erlittene
Niederlage erfahren/ und ſelbte nicht eher/ als
biß nach veruͤbter Rache zuzuflechten ſich ver-
ſchworen hat/ Clearchus die tantzenden Jung-
frauen zu Sparta/ welche alle Jahre die Carya-
tiſche Diana alſo verehreten/ Sylla die Erge-
bung des Koͤnigs Jugurtha/ und zuweilen drey/
Timoleon ein Sieges-Zeichen/ weil er deroglei-
chen Ring in dem Kriege gegen den Jcetes aus
dem Looß-Topfe gezogen/ Jntercatienſis des
Scipio Emilianus Sieg uͤber ſeinen eigenen
Vater/ Pyrrhus den Agath mit den Muſen/
Auguſt einen Sphinx/ Seleucus und ſeine
Nachkommen einen Ancker/ Mecaͤnas einen
Froſch/ Jßmenias das Bild der Amimone in
ihren Ringen gefuͤhret. Unter dieſem Geſpraͤ-
che brachten die Hunde eine groſſe Sau aus dem
Geſuͤmpfe herfuͤr gejagt/ welcher der wegen ſei-
nes wiedergefundenen Ringes frohe Alfelsleben
mit dem Eiſen muthig entgegen ging. Zu al-
lem Ungluͤcke aber brach der Stiel entzwey/ und
Alfelsleben fiel uͤber einen Hauffen. Die ſchwere
Ruͤſtung hinderte ihn geſchwinde aufzuſpringen
die andern aber die Ferne/ ihm im Augenblicke
Huͤlffe zu leiſten; und alſo kriegte dieſe grim-
mige Sau Zeit/ dieſen hurtigen Edelmann im
Bauche und in der Seite/ wo er ungeharniſcht
war/ gefaͤhrlich zu verwunden/ alſo/ daß die Jaͤ-
ger ihn halb todt in das nechſte Jaͤger-Haus zur
Verbindung tragen muſten. Wie nun alle
hieruͤber ein ſonderbarhes Mitleiden bezeugten/
fing Rhemetalces an: Jch ſehe gleichwohl aus
dieſem Beyſpiele/ daß die aus denen Ringen zu-
weilen genom̃ene Andeutungen nicht bloſſe Ei-
telkeiten ſeyn/ ſondern gewiſſe Geheimnuͤſſe in
ihren Kreiſſen verborgen ſtecken/ wie Polycrates
mit ſeinem Schaden/ Timoleon mit ſeinem
Frommen erfahren/ weil jenem dadurch ſein
Untergang/ dieſem ein herrlicher Sieg wider die
Leontiner angedeutet ward. Alſo ſagte Eſopus
den Samiern mehr denn allzu wahr/ als ein
Adler ihren Ring/ damit der Rath zu ſiegeln
pflegte/ mit in die Lufft nahm/ und in eines
Knechtes Schooß fallen ließ; ſie wuͤrden unter
eines Koͤnigs Dienſtbarkeit verfallen. Mar-
comir begegnete ihm: Er hielte den Verluſt des
Ringes und Alfelslebens Verwundung fuͤr
einen bloſſen Zufall; und alſo auch dieſe der
Ringe wie auch andere eingebildete Andeutun-
gen fuͤr Aberglauben. Er geſtuͤnde gerne/ daß
in koͤſtlichen Edelgeſteinen/ als in welche die Na-
tur gleichſam ihre Kunſt und Herrligkeit zuſam-
men gezwaͤnget hat/ nichts minder als der Ma-
gnet abſondere Kraͤffte in ſich haͤtte/ aber nur na-
tuͤrliche und der Vernuft gemaͤſſe. Daher er
denn
[103]Arminius und Thußnelda.
denn fuͤr ein bloß Getichte hielte/ daß ein in ei-
nes Hahnes Magen gefundener Stein den
Milo Crotoniates unuͤberwindlich gemacht ha-
be. Gleicher geſtalt waͤre ihm unglaublich oder
eine Zauberey/ daß iemals ein in ein Glas ge-
henckter Ring gewiſſe daran gehaltene Buchſta-
ben durch ſeine Bewegung bezeichnet/ und einen
Nachfolger im Reiche angedeutet; daß der welt-
weiſe Eudamus Ringe bereitet haͤtte/ welche die
Geſpenſter verjagt/ die Schlangen-Biſſe ver-
hindert/ und die Verſtorbenen zu erſcheinen ge-
noͤthigt; Moſes aber mit einem/ ſeinem Egypti-
ſchen Weibe ſeiner und aller vorhergehenden
Vergeſſenheit beybꝛacht. Weßwegen eꝛ auch diß
fuͤr den aͤrgſten Aberglauben hielte/ wenn etliche
Wagehaͤlſe aus denen vom Kreutze genomme-
nen Ketten/ oder von den Klingen der Scharff-
richter ihnen zu allerhand verdaͤchtigem Ge-
brauche (wie der ruchloſe Eucrates gethan ha-
ben ſoll) Ringe ſchmieden laſſen. Rhemetal-
ces verſetzte: Keine gruͤndliche Urſache koͤnte er
ſo wenig geben/ als die ſcharffſichtigſten Welt-
weiſen in vielen andern Geheimnuͤſſen. Unter-
deſſen bekraͤfftigte es die Erfahrung und ihr heu-
tiges Beyſpiel. Niemanden waͤre iemals ein
Stein aus dem Ringe/ oder der Ring ſelbſt zer-
ſprungen/ dem nicht ein Ungluͤck auff dem Na-
cken geſeſſen. Woraus allem Anſehen nach
gefloſſen zu ſeyn ſchiene/ daß die Traurenden/
die Fußfaͤlligen/ die zum Tode verdammten die
Ringe abnehmen/ denen Sterbenden aber ſelbte
abgezogen wuͤrden; gleich als weñ ihr Leid keines
groͤſſern Ungluͤcks Ankuͤndigung aus ihren Rin-
gen mehr zu erwarten haͤtte. Jhrer viel haͤtten
deswegen umb auff den Nothfall ihrem Leben
abzuhelffen/ Gifft in ihren Ringen verwahret.
Maſſen Demoſthenes dardurch dem vom An-
tipater abgeſchickten Moͤrder Archias/ und
Hannibal des Flaminius Kriegsleuten zuvor
kommen waͤren/ und der Bewahrer des von
dem Camillus dem Capitoliniſchen Jupiter ge-
wiedmeten Schatzes haͤtte mit Zerbeiſſung eines
in ſeinen Ring eingeſetzten Steines ihm augen-
blicklich ſein Leben verkuͤrtzt/ als Marcus Craſ-
ſus daſelbſt zweytauſend Pfund Goldes wegge-
nommen. Alſo durchgraben die eitlen Sterb-
lichen nicht allein die Eingeweide der Erde/ und
beſchinden ihnen ſo viel Haͤnde/ nur daß eines
einigen Fingers Glied glaͤntzend ſey/ ſondern ſie
muͤhen ſich auch ihre Scharffſinnigkeit zu Be-
foͤrderung ihres Todes an zugewehren/ alſo/ daß
wenn in der Tieffe der Erdkugel nur eine Hoͤlle
zu finden waͤre/ dieſe Kaninichen des Geitzes
ſolche fuͤrlaͤngſt unteꝛgraben/ und/ wo nicht Eꝛtzt/
doch Schwefel und Gifft daraus geraubet haben
wuͤrden.
Die Sonne war hiermit ſchon uͤber den Mit-
tags-Wirbel gelauffen/ als Hertzog Herrmanns
Jaͤgermeiſter ſie in das unfern davon gelegene
Fuͤrſtliche Jaͤgerhaus zur Mittagsmahlzeit ein-
lud. Dieſes war ein ſechseckichtes von gebacke-
nen Steinen aufgefuͤhrtes/ und mitten in einem
luſtigen Thiergarten gelegenes Gebaͤue/ darin-
nen ſie bey ihrer Ankunft unten auff einem ge-
pflaſterten Voden ſchon eine fertige Taffel fan-
den/ und in dieſer Wildnuͤß nicht allein den hun-
grigen Magen mit ſchmackhafter Koſt/ als das
Gemuͤthe mit annehmlichem Geſpraͤche ſaͤttig-
ten. Wie ſie aber im beſten Eſſen waren/ er-
hob ſich in einem Augenblicke unter der Taffel
ein Geprudel und Geraͤuſche/ das Waſſeꝛ ſpritzte
auch bald darauf ſo heftig in die Hoͤhe/ daß alle an
der Taffel ſitzende haͤuffig beſpritzet/ und darvon
auffzuſpringen genoͤthigt waren. Dieſes Bad
verurſachte ein nicht weniges Gelaͤchter/ und
Zeno fing an: Er haͤtte in dieſer ſandichten Flaͤ-
che keine Waſſer-Kunſt geſucht. Der Graf
von Uffen/ des Feldherrn Jaͤgermeiſter antwor-
tete: Es haͤtte ſie die Natur/ keine Kunſt an die-
ſen Ort verſetzet. Denn es waͤre diß der be-
ruͤhmte Boller-Brunn/ welcher alle Tage zwey-
mal zwiſchen den Sand ſich verſteckte/ und ſo
vielmal wieder herfuͤr ſpringe/ alſo nicht anders/
als das Meer Epp und Fluth habe. Sie lieſſen
hier-
[104]Anderes Buch
hierauff die Taffel hinweg ruͤcken/ umb dieſen
Wunder-Brunn ſo viel eigentlicher zu betrach-
ten/ und an einem ſichern Orte die Mahlzeit zu
vollenden. Zeno fing hierauff an: Dieſer
Brunn kom̃t mir fuͤr/ wie der von mir auff der
Reiſe aus Jtalien beſichtigte Fluß Timavus in
Hiſtrien/ deſſen Strom ebenfalls von dem in
die unterirrdiſchen Kluͤffce ſich eindringenden
Adriatiſchen Meere ſo ſehr auffgeſchwellet
wird/ daß er weit uͤber ſeine Ufer ſich ergeuſt/ und
ſelbige Landſchafft waͤſſert. Dahero halte ich da-
fuͤr/ daß dieſer Boller-Bruñ gleichfalls von dem
Aufſchwellen des Balthiſchen Meeres ſeine Be-
wegung hat. Rhemetalees warff ein: Was
wird aber fuͤr eine Urſache zu geben ſeyn/ daß
an dem Fluſſe Baͤtis ein Brunn/ wenn ſich das
Meer ergeuſt/ ab- und wenn es faͤllt/ wieder zu-
nim̃t? Daß bey den Helvetiern das beruͤhmte
Pfeffer-Bad im Anfang des Mayen Waſſer be-
kom̃t/ im Mittel des Herbſt-Monats aber ſelbtes
wieder verliert; daß in dem Pyreniſchen Gebuͤr-
ge ein Brunn im laͤngſten Tage das Waſſer mit
groſſem Geraͤuſch heraus ſtoͤſt/ und weñ der Tag
am kuͤrtzſten/ wieder verſeuget? Zeno antwortete:
Das erſtere ruͤhrte her von den weiten und ver-
drehten unterirrdiſchen Waſſer-Gaͤngen/ durch
welche das eindringende Meer ſich ſo geſchwinde
nicht durchzwaͤngen kan; das andere aber koͤnte
nicht von dem Ab- und Zulauffe des Meeres/
ſondern/ ſeinem Beduͤncken nach/ noch von dem
zerſchmeltzenden Schnee/ welcher nach und nach
mehr/ als die bald abſchieſſenden Regen/ in die
Berge einſincke/ herruͤhren. Wie kom̃ts aber/
ſagte Rhemetalces/ daß es in Pannonien und in
Hiſtrien eine See gibt/ die des Sommers ver-
trocknet und beſaͤet wird/ des Winters aber
ſchwimmet und Fiſchreich iſt; und daß in Sy-
rien ein Fluß nur den ſiebenden Tag kein Waſ-
ſer hat? Dieſes muß aus der Gelegenheit des
Orts unzweifelbar entſchieden werden/ verſetzte
Zeno. Denn es koͤnnen wol daſelbſt ſolche Hoͤ-
len ſich befinden/ die entweder den Sommer
uͤber/ oder auch nur ſechs Tage die zuſammen-
rinnenden Fluthen auffzufangen faͤhig ſind;
hernach aber ſelbtes wie ein ausgedruͤckter
Schwam̃ durch gewiſſe Roͤhrẽ wider von ſich ge-
ben muͤſſen. Malovend fiel ein: Sie wuͤrden vie-
ler Tage Arbeit beduͤrfen/ die Wunder auslaͤndi-
ſcher Bruñen und Fluͤſſe zu beruͤhren/ wiewol er
viel fuͤr Gedichte hielte; als: daß in der Jnſel
Caͤa ein Brunn den/ der daraus trincket/ verduͤ-
ſtert/ einer in Cilicien lebhafft/ der Leontiſche ge-
lehrt/ in Sicilien einer weinend/ der ander la-
chend/ einer/ ich weiß nicht wo/ verliebt machen/
einer in der Jnſel Bonicca verjuͤngen/ der Fluß
Selemnius in Achaien aber der Liebe abhelffen
ſolle. Es lidte es auch nicht die Zeit von Deutſch-
lands Wunder-Waſſern zu reden; ſondern er
wolte nur von der engen Gegend nicht ver-
ſchweigen/ daß nahe von dar der Fluß Beche
und Lichtenau ſich unter die Erde verkriechen/
und unfern von des Feldherrn Burg bey der
Stadt Tenderium wieder hervor ſchuͤſſen; wie
der Fluß Anas in Hiſpanien/ Lycius in Aſien/
Tigris in Meſopotamien/ Timavus in Hiſtri-
en/ und viel andere auch thun ſollen.
Uber dieſem Waſſer-Geſpraͤche ward die
Mahlzeit vollendet/ da ſie dann in einen uͤber
das gantze Gemach gehenden Saal empor ſtie-
gen/ welcher mit allerhand Zierrathen ausge-
putzt war/ und rings herumb uͤber den Thier-
garten ein luſtiges Ausſehen auff die haͤufſig
darinnen verſchloſſenen und miteinander ſpie-
lenden Thiere eroͤffnete; worunter viel von
Natur wilde Baͤren/ Woͤlfe/ Luchſen/ entweder
durch Gewohnheit gezaͤhmt/ oder ihnen ihre zur
Verletzung dienende Waffen benommen wa-
ren. Umb den Saal herumb waren in Le-
bens-Groͤſſe zwoͤlff Helden gemahlet/ derer
Waffen genungſam andeuteten/ daß es Deut-
ſche waͤren. Zeno redete hiermit den Fuͤrſten
Malovend an: Jch habe mir Deutſchland viel
wilder beſchreiben laſſen/ als ich es ietzt in Au-
genſchein befinde. Und darff ich mich uͤber die
Sitten
[105]Arminius und Thußnelda.
Sitten der Einwohner nicht mehr ſo ſehr ver-
wundern/ nach dem ich auch in ihren Wild-
bahnen die wilden Thiere zahmer als ander-
werts antreffe. Man hat mich beredet: es
waͤre allhier ein unauffhoͤrlicher Winter/ ein
immer truͤber Himmel/ ein unfruchtbares
Erdreich; die Staͤdte haͤtten keine Mauren/
ihre Wohnungen waͤren Huͤtten/ oder vielmehr
Hoͤlen des Wildes/ mit derer Haͤuten ſie ſich der
Kaͤlte kaum erwehren/ und mit der Rinde von
den Baͤumen ſich fuͤr dem Regen decken muͤſten;
das Feld truͤge kein Getraide/ die Baͤume kein
Obſt/ die Huͤgel keinen Wein. Jch erfahre
numehr aber in vielen Sachen das Widerſpiel.
Diß Gebaͤue lieſſe ſich auch wol bey Rom ſehen/
und auff unſere heutige Mahlzeit haͤtten wir
auch den Roͤmiſchen Buͤrgermeiſter Lucullus/ ja
den luͤſternen Gauckler Eſopus zu Gaſte bitten
koͤñen. Deñ haben wir gleich nicht von Jndiani-
ſchen Papegoyen das Gehirne/ keine Egyptiſche
Phoͤnicopter Zungen/ aus dem rothen Meere
die Scarus-Lebern/ aus dem Britanniſchen die
Auſtern/ vom Fluſſe Phaſis die Phaſanen/ und
Voͤgel/ die reden koͤnnen/ geſpeiſet/ oder in einer
Schuͤſſel/ ja in einem Loͤffel eines gantzen Lan-
des jaͤhrliche Einkunften verſchlungen; ſo hat
man uns doch ſolch wolgeſchmackes Wildpret
und Gefluͤgel auffgeſetzt/ welches Africa/ die
Mutter der Ungeheuer/ nicht der Koͤſtligkeiten/
mit allen ſeinen ſeltzamen Thieren nicht zu lie-
fern gewuſt haͤtte/ und uns beſſer geſchmeckt/
als jenen Verſchwendern ihre unzeitige Gerich-
te/ welche an ſich ſelbſt weder Geruch noch Ge-
ſchmack haben/ und nur deßwegen/ daß ſie koſt-
bar und ſeltzam ſind/ verlanget werden. Jſt
unſer Fuß-Boden nicht mit theurem Saffran
beſtreut/ ſo iſt er doch mit wolruͤchenden Blumen
bedeckt geweſen. Jch ſehe wol/ ſagte Marco-
mir/ daß unſer Deutſchland einen ſo geneigten
Beſchauer bekom̃en/ der es bey den Auslaͤndern
mit der Zeit in groͤſſeres Anſehen ſetzen doͤrfte.
Jch geſtehe es: Wo mich die Liebe des Vater-
landes/ in welchem uns die raueſten Stein-
klippen ſchoͤner als anderwerts die Heſperiſchen
Gaͤrte und das Theſſaliſche Luſt-Thal fuͤrkom-
m[e]n/ nicht zu einem ungleichen Urthel verleitet/
daß bey uns das Erdreich nicht ſo rauh/ der
Himmel nicht ſo grauſam/ das Anſehen nicht ſo
traurig ſey/ als es die uͤppigen oder durch hoͤren
ſagen verleiteten Auslaͤnder gemacht. Uber-
dis hat Deutſchland von der Zeit her/ da die
Deutſchen mit den Roͤmern in Kundſchafft ge-
rathen/ viel ein ander Geſichte bekommen/ als
es fuͤr hundert und mehren Jahren gehabt.
Die/ welche vorhin von nichts als von dem er-
legten Wilde und Viehzucht lebten/ haben nun
gelernt den Acker bauen/ fruchtbare Baͤume/
ja an der Donau und dem Rhein gar Wein-
ſtoͤcke pflantzen. Wir zeugen itzt ſo viel eßbare
Kraͤuter und Wurtzeln/ wir machen unſere
Speiſen mit ſo frembden Wuͤrtzen an/ welche
man noch bey unſerer Eltern Leben nicht einſt
hat nennen hoͤren. Alleine ich weiß ſicher nicht/
ob dieſe Verbeſſerung Deutſchlands Auffneh-
men oder Verderb ſey. Jch bin zwar kein
Artzt/ kein Kraͤuter- und Stern-Verſtaͤndiger/
ich kan mich aber nicht bereden laſſen/ der guͤtigen
Natur dieſe Mißgunſt auffzubuͤrden/ daß ſie ei-
nem Lande was entzogen haͤtte/ deſſen man ſo
wol zu ſeiner Geſundheit als Nothdurft unnach-
bleiblich benoͤthiget waͤre. Warlich die Goͤttli-
che Verſehung/ welche allen wilden Thieren ſo
reichlich ihren Unterhalt verſchafft/ iſt dem Men-
ſchen ſo feind nicht geweſt/ daß er ſein Leben zu er-
halten ſo groſſer Kunſt und ſo fernen Zufuͤhrung
doͤrffe. Kein Wald naͤhret ſo unfruchtbare
Baͤume/ keine Wuͤſteney ſo ſtachlichte Diſteln/
welche nicht dem Menſchen ſo wol die Nothdurft
der Artzney/ als der Speiſe gewehre. Jeder-
mann koͤnne ſeine Lebens-Mittel allenthalben
und umbſonſt finden. Mit Pappeln und
Goldwurtz haͤtten ſich fuͤrzeiten gantze Voͤlcker
ausgehalten/ und Koͤnige nicht ſo ver-
ſchwenderiſch/ als itzt gemeine Buͤrger gelel et.
Erſter Theil. OAls
[106]Anderes Buch
Als die Koͤnigin in Carien Ada dem groſſen A-
lexander viel niedliche Speiſen geſchickt/ haͤtte er
ihr zu wiſſen gemacht/ daß die Nacht-Reiſe ein
viel beſſerer Koch zum Fruͤh-Maale/ eine ſpar-
ſame Mittags-Mahlzeit aber die Wuͤrtze ſeines
Abend-Eſſens waͤe. Aber nunmehr baute/
nach dem Beyſpiele der Sicilier/ faſt iedermann
aus ſeinem Leibe der vielfraͤſſigen Verſchwen-
dung einen Tempel. Dieſe Luͤſternheit und
der Uberfluß habe das menſchliche Leben aller-
erſt ſo theuer gemacht/ und bezahle die Ungeſun-
deſten umb hundertfachen Preiß. Jn welchem
Abſehen des Zamolxis Meynung allerdings
wahr waͤre/ daß alles Ubel und Gute des Leibes
aus dem Gemuͤthe des Menſchen herfluͤſſe.
Die Artzneyen/ welche die Reichen aus Ara-
bien und Jndien kommen lieſſen/ braͤche ein
Tageloͤhner von gemeinen Stauden ab.
Und da der Egyptier und anderer Voͤlcker
Goͤtter nur die in ihrem Landſtriche ge-
wachſenen Fruͤchte ihnen opfern lieſſen/ waͤ-
re der Menſchen Luͤſternheit nach frembden
Gewaͤchſen zweifelsfrey eine ſchaͤdliche Uppig-
keit. Ein hungriger Magen nehme alles
an/ die Natur aber waͤre mit dem ſchon ver-
gnuͤgt/ was ſie verlangt. Zeno fiel ihm ein: Es
waͤre keine Feindſchafft/ ſondern ein Geheimnuͤß
der Goͤttlichen Verſehung/ daß in einem Lande
nicht alles wuͤchſe/ wormit ſie durch ſolche Duͤrf-
tigkeit die entfernten Voͤlcker in ein allgemeines
Band und Freundſchafft zuſammen knuͤpfte.
Es iſt diß/ antwortete Malovend/ eine annehm-
liche Heucheley unſerer Schwachheiten/ und ein
ſcheinbarer Fuͤrwand der Wolluͤſtigen. Die
Uppigkeit alleine hat uns gelehret ihre Graͤntzen
uͤberſchreiten/ und anfangs nach uͤberfluͤſſi-
ger/ hernach gar nach ſchaͤdlicher Koſt geluͤſten;
welche uns vergiftet/ da ſie uns naͤhren ſoll.
Man ſchaͤtzet die Speiſen nach dem Geſchma-
cke/ nicht nach der Geſundheit; ja man muͤhet
ſich nicht ohne empfindlichen Eckel frembder
Gewaͤchſe Bitterkeit und den Geſtanck der von
dem aͤuſerſten Meere zu uns geſchickter Fiſche
zu gewohnen. Wie lange hat man den aus
Jndien gebrachten Zinober zu Rom unter die
Artzneyen gemiſcht/ ehe man erfahren/ daß er
ſelbſt Gift waͤre? Wie viel gemeinen Staub
haben die Araber bey der Seuche ſolcher Sit-
ten den Auslaͤndern fuͤr Phoͤnir-Aſche und ein
bewaͤhrtes Geſundheits-Mittel/ diß/ was in
Sperlings-Koͤpfen gewachſen/ fuͤr ſuͤſſes Ge-
hirne des Phoͤnixes verkaufft; der doch nie-
mals als gemahlt in der Welt geweſen iſt.
Wie viel koͤſtliches gleich auch anderwerts
zu finden/ ſo kan ich mich doch ſchwerlich be-
reden laſſen/ daß die in den heiſſen Mittags-
und Morgenlaͤndern wachſende Pfeffer/ Zie-
met/ Muſcaten und andere brennenden Fruͤch-
te denen Mitternaͤchtiſchen Leibern zuſchlagen
ſolten. Die Geſtirne/ welche uns allhier eine
abſondere Beſchaffenheit von anderer Lands-
Art geben/ floͤſſen denen hier wachſenden Kraͤu-
tern und anderen eßbaren Dingen gleiche
Eigenſchafften ein. Dahero muͤſſen ſie uns
unzweifelbar geſuͤnder ſeyn/ als die/ welche mit
der Waͤrmbde unſers Magens und dem Trie-
be unſers Gebluͤts keine Vergleichung haben.
Rhemetalces ſetzte hierauff nach: Zeno iſt mei-
nem Vaterlande und meines Himmels Ein-
fluͤſſen naͤher; alſo ſcheinets/ muͤſte ich auch ſei-
ner Meinung naͤher als andern kommen.
Denn da die Natur eine Feindin des Uber-
fluſſzes waͤre/ wie Malovend meynte/ wuͤrde
er ſie dazu ſelbſt machen/ wenn er alle Mit-
theilung frembder Land - Gewaͤchſe verdam-
te. Sintemal ſie in vielen Land - Strichen
mehr koͤſtliche Fruͤchte wachſen lieſſe/ als die
Einwohner verzehren koͤnten. Ja in vie-
len unbevolckten Laͤndern finde man die edel-
ſten Gewaͤchſe. Aus den unwirthbaren
Sandflaͤchen des groſſen Scythiens komme
die ſo nuͤtzliche Rhabarber; aus den un-
bewohnten Stein - Kluͤfften Aſiens der be-
wehrte Bezoar und der kraͤfftigſte Moſch.
Da-
[107]Arminius und Thußnelda.
Dahero ſchiene ihm der Anzielung goͤttlicher
Verſehung gemaͤſſer zu ſeyn/ aus der milden
Hand ihres Uberfluſſes lieber etwas aufſuchen/
als ſelbtes ohne Gebrauch verderben laſſen.
Und ich weiß nicht/ ob in fruchtbaren Laͤndern
gelegene Voͤlcker/ welche den goͤttlichen Segen
alleine fuͤr ſich behielten/ nicht ſchlimmer han-
delten/ als die Phoͤniziſchen Kauffleute/ welche
wol ehe bey reichen Jahren den ihrem Beduͤn-
cken nach allzuhaͤuffig gewachſenen Pfeffer ins
Meer geſchuͤttet/ wormit dieſe Wahre nicht zu
wolfeil wuͤrde. Marcomir hingegen fiel dem
Malovend bey und ſagte: Es koͤmt mir fuͤr/
dieſer Uberſchuß beſtehe nicht auf ſo feſtem
Grunde; oder der Schluß ſey davon auch all-
zuweit geſucht. Denn mich beduͤnckt/ man
ſchreibe frembden Gewaͤchſen mehr Wunder-
wercke zu/ als man an ihnen befindet; Und es
halte unſer wunderwuͤrdiger Holunder-Baum
der Rhabarbar/ unſer Hirſchhorn und Krebs-
Augen dem Bezoar die Wage. Moſch und
Zibeth aber iſt eine leicht entbehrliche Wuͤrtze
der Geilheit. Oder da wir ſelbtem auch nichts
gleichwichtiges entgegen zu ſetzen haben; Ge-
ſchicht es nicht ſo wol aus Armuth unſers Erd-
reichs/ als aus unſorgfaͤltiger Unwiſſenheit un-
ſers eigenen Reichthums/ welche mehrmahls
Schaͤtze beſitzt/ die ſie nicht kennet. Wenn
auch kein Volck nach keinen frembden Gerich-
ten geluͤſtete/ wuͤrde iedes ſeinen Vorrath aller-
dings aufzehren. Jn dem aber die Jndianer
aus Europa Weine verlangen/ dieſes nach ih-
ren Gewuͤrtzen etzelt/ bleibet einem ieden von
dem ſeinigen etwas uͤbrig/ welches doch ſonſt ie-
des Jahr/ oder doch in einem andern bey ſich er-
eigneten Mißwaͤchſen aufginge. Da aber
ſich auch irgends ein warhafter Uberſchuß er-
eignete/ ruͤhret er durch bloſſen Zufall und
durch eigene Verwahrloſung der unerſaͤttlichen
Menſchen her. Zeno brach ein: Wie ſoll ich
begreiffen/ daß die Unerſaͤttligkeit als eine Mut-
ter des Mangels einen Uberfluß nach ſich zie-
hen ſolle? Jn alle Wege/ verſetzte Malovend.
Wenn der Menſch ſich mit dem ſeinen oder der
Genuͤgligkeit vergnuͤgte/ wuͤrde Geitz/ Ehren-
Ruhm und Herſchensſucht ſo viel Voͤlcker nicht
vertilgen/ ſo viel Laͤnder nicht Volck-arm ma-
chen/ und die Vergroͤſſerung des menſchlichen
Geſchlechts hindern; welches von der gantzen
Welt Zuwachs ſelten was uͤbrig laſſen wuͤrde.
Zugeſchweigen: daß man aus frembden Laͤn-
dern nicht ſo oft die Nothdurfft als den Zunder
zu Wolluͤſten holet. Wie viel mahl hat Rom
und Gallien aus Mangel Getreydes fuͤr Hun-
ger geſchmachtet/ da es an Wuͤrtzen/ Datteln/
Jndianiſchen Ruͤſſen/ Syriſchen Balſamen/
Perlen/ Edelgeſteinen/ Purpur und Helfen-
bein/ und andern zur Uppigkeit dienenden Sa-
chen einen Uberſchuß gehabt? Eben jener
Mangel/ fuhr Zeno fort/ uͤberweiſet dich/ daß
ein Land dem andern auch in unentbehrlichen
Sachen muͤſſe behuͤflich ſeyn. Du haſt Rom
geſehen; Kanſt du nun glauben/ daß das ſchma-
le Welſchland dieſer Welt Volck genungſam
Brodt geben/ und man ihm ſeine Kornhaͤuſer
Egypten und Sicilien verſchlieſſen moͤge! Ma-
lovend fragte alſofort: Ob die Natur durch ih-
re Fruchtbarkeit/ oder nicht vielmehr Ehrgeitz/
Wucher und Wolluͤſte ſechzig mahl hundert
tauſend Menſchen in den engen Creyß des groſ-
ſen Roms zuſammen gezogen? Weiſt du aber/
fuhr Rhemetalces heraus/ daß Roth und
Hunger deine Cimbern unter dem Koͤnige
Teutobach gezwungen in Welſchland und
Gallien einzubrechen/ an das ſchwartze Meer
ſich zu ſetzen/ ja gar in Aſien uͤberzugehen? Ma-
lovend antwortete ihm: Mehr das Waſſer als
der Hunger. Jedoch wil ich endlich wol glau-
ben/ daß ein Volck in gewiſſen Dingen mit
dem andern Gemeinſchafft haben muͤſſe; Auch
daß die Natur ein Theil der Welt fuͤr andern
Laͤndern auskommentlicher verſorget habe/
und daß diß/ was die Natur ohne des Men-
ſchen Zuthat ſelbigem liefert/ nicht aber der un-
O 2ver-
[108]Anderes Buch
vergnuͤglichen ſterblichen Gemaͤchte und Er-
findungen endlich mitzutheilen ſey. Wenn
die Natur ſo ſelzame Vermiſchungen der
Speiſen mit Ambra/ ſo frembdes Getraͤncke
von Zucker/ ausgepreſten Beeren und Gra-
nataͤpfeln/ die Abkochung allerhand Balſam
und Bieſamkuchen; Die Aufbauung groſſer
Alabaſterner Palaͤſte/ und Bergen oder Staͤd-
ten gleichſehende Gefilde/ fuͤr noͤthig befunden
haͤtte/ wuͤrde die/ welche ſo vielerhand Speiſen
wachſen laͤſt/ die in den Trauben ſo koͤſtliche
Saͤffte kochet/ die das groſſe Gewoͤlbe des Him-
mels/ die Wunderhaͤuſer des Geſtirnes/ die
unterirrdiſchen Hoͤlen/ die geheimen Waſſer-
leitungen des Meeres und der Fluͤſſe/ die Adern
der Brunnen gebauet/ auch diß/ was die ſchwa-
chen und alberen Menſchen ihr nachaffen/ zu
bauen maͤchtig und vorſichtig genung geweſen
ſeyn. Die Vorwelt hat ohne Bildhauer und
Steinmetzer ruhiglich leben koͤnnen. Es war
die gluͤckſeligſte Zeit/ als noch kein Baumeiſter
war/ als niemand Zuͤgeln brennte und uͤber
dem Steinſchneiden ſchwitzte/ da man die De-
cken nicht verguͤldete/ den Boden nicht mit
Marmel pflaſterte/ die Waͤnde nicht mit Per-
ſiſchen Teppichten behing; Da man auf Gra-
ſe/ nicht auf kuͤnſtlicher geneheter Seide/ oder
gewebter Baumwolle ſaß/ ſondern aus vier
Gabeln und vier Stangen und qveruͤberge-
legten Aeſten in einer Stunde ein gantz Hauß
bauete; Da Mitternacht ſich mit wenigen
Schoben fuͤr aller Kaͤlte/ das bratende Moh-
renland in gegrabenen Hoͤlen ſich fuͤr aller Hi-
tze beſchirmete; Da man ohne der Serer
Handlung/ oder der Wuͤrmer Geſpinſte/ ohne
Toͤdtung der Purpur-Schnecke ſich mit Hanf
und Haͤuten kleidete; Da man ſich mit Piltzen
und gemeinen Baumgewaͤchſen vergnuͤgte/
aus lautern Brunnen und unverdaͤchtigen
Baͤchen tranck. Zeno brach ihm ein: Er
machte die Natur zur Stiefmutter gegen dem
Menſchen/ da ſie doch auch die wilden Thiere
fuͤr eine ſo guͤtige Verſorgerin erkennten. Die-
ſe waͤren alsbald/ wenn ſie das Tagelicht er-
blickten/ bekleidet/ ihrer ſelbſt maͤchtig/ und es
wiſſe von ſich ſelbſt eine Biene die Kraͤuter zu
unterſcheiden/ woraus ſie Gifft oder Honig zu
ſaugen habe. Ein Hirſch wiſſe mit was fuͤr
einem Kraute er ſich nach der Geburt reinigen
ſolte. Das wilde Schwein wiſſe/ ſich mit Ep-
pich/ die Schlange mit Fenchel/ der Baͤr mit
Ameiſſen/ der Elefant mit Oelbaͤumen/ die
Holtztaube mit Lorberblaͤttern zu heilen. Der
Adler ſehe/ der Geyer ruͤche/ der Affe ſchmecke/
der Maulwurff hoͤre/ die Spinne fuͤhle beſ-
ſer und ſchaͤrffer als der Menſch. Solte nun
deßwegen die Natur dieſem unholder als jenem
ſeyn? Nein ſicher! Denn die Vernunfft/ als
das eigentliche Kleinod des Menſchen/ welches
ihn allein den Goͤttern aͤhnlich macht/ uͤbertrifft
und vertrit alle andere Fuͤrtreffligkeiten der
Thiere/ die Staͤrcke des Loͤwens/ die Schoͤn-
heit des Pfauen/ die Geſchwindigkeit der Pfer-
de. Dieſe muß der Menſch zu ſeiner Unter-
haltung und Wohlſtande nichts minder an-
wenden; Als das Cameel ſeinen Ruͤcken/ der
Hund ſeine Fuͤſſe/ der Ochſe ſeine Lenden/ die
Spinne ihre Kunſt/ die Ameiß ihren Fleiß/ die
Nachtigal ihre Stimme nicht muͤßig ſeyn laͤſt.
Die Natur/ ſage ich/ hat uns die Vernunft
deßwegen eingepflantzt: daß wir unſer Leben
dadurch fuͤr allen andern Geſchoͤpffen nicht nur
tugendhafft/ ſondern auch gluͤckſelig machen
ſolten. Dieſe hat den Hammer/ die Saͤge/
die Axt/ die Kelle/ die Spille/ den Weberſtul
und tauſend andere Werckzeuge erfunden:
Daß man Haͤuſer gebaut/ Wolle geſponnen/
Seide gewebt/ Speiſen gekocht/ Artzneyen
bereitet/ durch die Schiffarthen ein Ende der
Welt mit dem andern vereinbart/ und das
duͤrfftige Leben mit tauſendfachem Uberfluſſe
beſeligt hat. Eine elende Gluͤckſeligkeit!
rieff Marcomir/ welche den Leib maͤſtet/
das Gemuͤthe behuͤrdet/ und die Seele be-
ſudelt.
[109]Arminius und Thußnelda.
ſudelt. Freylich wohl zeucht die Gemein-
ſchafft mit frembden Voͤlckern/ die Erfin-
dung ſo vielerley Kuͤnſt eden Gliedern eine groſ-
ſe Gemaͤchligkeit/ der Tugend aber einen un-
ſchaͤtzbaren Verluſt zu. Jemehr das Gluͤcke
und die Natur dem Leben liebkoſet/ ie in gefaͤhr-
lichern Zuſtand verſetzt ſie es. Was in Roſen
verfaulet/ wird in Neſſeln erhalten. Die im
Elende tauren/ werden von Gluͤckſeligkeit ver-
derbet. Daher iſt die Natur daſelbſt/ wo ſie raue
Klippen/ kalte Lufft/ ſandichtes Erdreich geſchaf-
fen/ eben ſo wenig fuͤr grauſam zu ſchelten/ als
die Muͤtter zu Sparta/ die ihre Soͤhne abzuhaͤr-
ten ſelbte fuͤr dem Altar der Orthiſchen Dia-
na biß auffs Blut/ zuweilen auch auff den Tod
peitſchen laſſen. Die Tugend will durch keine
weiche Lehre begriffen ſeyn. Ein Feldherr ſtellt
den ihm liebſten Kriegsknecht an die gefaͤhrlich-
ſte Spitze; und den ſchaͤtzen die Goͤtter am wuͤr-
digſten/ an dem ſie verſuchen/ was ein Menſch
zu erdulten faͤhig ſey. Von guten Tagen zer-
flieſſen nicht allein unſere Gemuͤther/ ſondern
die Wolluͤſte reiſſen uns auch gleichſam die
Spann-Adern aus unſern Gliedern. Wen
in dem Glaſe-Wagen nie keine rauhe Lufft an-
gegangen/ wer die Hand nie in ein kalt Waſſer
geſteckt/ den Fuß nie auff die bloſſe Erde geſetzt/
der kan auch ohne Gefahr nicht einen maͤßigen
Wind/ ein geringes Ungemach vertragen. Was
man aber am haͤrteſten haͤlt/ wird das tauerhaff-
teſte. Der oͤfftere Sturmwind befeſtigt die Wur-
tzeln und Aeſte der Eichbaͤume/ weñ die in wind-
ſtillen Thaͤlern wachſende Pappeln morſch blei-
ben. Eines Schiffers Leib vertraͤgt ohne Em-
pfindligkeit die ſchlimmſte Seelufft. Der Pflug
haͤrtet des Ackermanns Haͤnde/ die Waffen des
Kriegsmanns Armen ab; das offtere Wetteren-
nen macht eines Laͤuffers Glieder behende. Wie
geſund und wohlgewachſen ſind die Scythen/
und andere Nord-Voͤlcker/ die in holen Baͤu-
men wohnen/ ſich mit Fuchs und Maͤuſe-Fel-
len decken/ mit Vogel-Federn kleiden/ mit Ei-
cheln ſpeiſen. Wie hoch ſteigen in ihren Ge-
heimniſſen die Perſiſchen Weiſen/ welche/ um
zu den tieffen Nachſinnungen deſto geſchickter
zu ſeyn/ nichts als Kreßicht aſſen? Wie viel beſſer
ſtand es zu Rom/ da das Capitol unver goldet/
und nicht ſo anſehnlich als itzt des Lucullus Vor-
werck/ und des Meſſala Fiſchhaͤlter/ da ein Och-
ſe nicht ſo theuer als itzt ein Fiſch war/ da die
Samnitiſchen Geſandten den groſſen Curius
aus einem hoͤltzernen Nappe gebratene Ruͤben
eſſen fanden/ und er ſo wenig von ihrem Golde
als ihren Schwerdtern zu uͤberwinden war/ da
der Zerſtoͤrer des Schatzreichen Carthago Pu-
blius Scipio nicht einen Scherff von ihrem
Reichthume mit ſeinẽ Aꝛmuth veꝛmiſchen wolte/
da Lucius Emilius der Uberwinder des Koͤnigs
Perſes und Macedoniens die im Koͤniglichen
Schatze gefundene ſechs tauſend Talent nicht
einmahl anzuſehen wuͤrdigte/ ob er ſchon ſeinen
Soͤhnen ſo wenig verließ/ daß ſie ſeiner Ehfrau-
en die zugebrachten fuͤnff und zwantzig Talent
nicht erſtatten konten/ als itzt/ da Freygelaſſene
auff Helffenbeinernen Tiſchen ſpeiſen/ da einem
vollbraͤtigen Aus geſchnittenen kein Vogel und
Fiſch ſchmeckt/ keine Blume reucht/ als zur Un-
zeit; da einem luͤſternen Gauckler Meer und
Lufft zu arm ſind neue Speiſen genug zu gewe-
ren/ da ein verfluchter Pollio ſeine Murenen
mit Menſchen-Fleiſch maͤſtet/ da ein Tullius
um einen hoͤltzernen Tiſch ein gantzes Vermoͤ-
gen gibt/ da ein Raths-Herr aus nichts als ed-
len Steinen/ Porcellan oder Criſtallen/ denen
die Zerbrechligkeit ihren Preiß giebt/ trincken
mag/ da die geile Julia an iedem Ohre drey rei-
che Erbſchafften haͤngen hat/ und weder dem
Leibe noch der Scham dienende Kleider traͤgt/
in welchen zu ſchweren noͤthig waͤre/ daß ſie nicht
nackt gehe/ und darinnen ſie ihren Ehbrechern
nicht mehr im Schlaff-Gemacht weiſen kan/ als
ſie auf oͤffentlichen Plaͤtzen zur Schau feil traͤgt.
Da man jaͤhrlich wohl zwantzig Tonnen Gol-
des den Serern fuͤr Wuͤrtzen und Steine ſchickt/
O 3da ein
[110]Anderes Buch
da ein Fuͤrſt zum Begraͤbniſſe ſeiner Ehebreche-
rin mehr Weyrauch und Balſam verbrauchet/
als ein Jahr deſſen in der Welt waͤchſt. Wir
Deutſchen wuſten nichts als von guͤldner Frey-
heit/ konten die Laſter nicht neñen/ und die wir itzt
den Roͤmern nachthun/ als wir auff Raſen Tiſch
hielten/ und in Stroh- Huͤtten wohneten/ da
wir die Eingeweide unſerer Gebuͤrge nicht
durchwuͤhleten/ und die geitzigen Fremden in
den Adern Gold zu ſuchen veranlaßten/ da wir
bey Entzuͤndung unſerer Waͤlder Ertzt gefun-
den hatten. Urtheilet dieſem nach/ was dieſer
Herrligkeit fuͤr Elend/ wie viel dieſem Weitzen
Spreu anklebe; und glaͤubet/ daß wie die Ra-
tur keines Kuͤnſtlers darff/ die noͤthigen Sachen
gemein/ die uͤppigen ſauer zu erlangen ſind/ alſo
die Natur Gott und der Tugend nicht unſers
Wollebens halber den Menſchen ſo tieffſinnig
gemacht/ und den Verſtand verliehen habe.
Fuͤrſt Zeno laͤchelte/ und wendete ſich zum Rhe-
metalces/ meldende: Jch ſehe wohl/ Marcomir
iſt ein Weltweiſer von der Secte des Zeno/ und
er wuͤrde mit dem Diogenes ſchon den Becher
wegwerffen/ wann er iemand aus ſeinem Hand-
Teller trincken ſehe. Allein ich laſſe mich nicht
bereden/ daß die Goͤtter die Tugend zur Straf-
fe des Leibes in die Welt geſchickt haben/ daß der
Schluß der Vernunfft auff eigenes Ungemach
ziele/ daß die Wolluſt alleine des Viehes Gut
ſey/ daß das Weſen der Tugend in Bitterkeit
beſtehe/ daß ſie nichts als Waſſer trincken/ auff
Diſteln gehen/ im Siechhauſe liegen und in Be-
graͤbniſſen wohnen doͤrffe. Sondern ich bin
vielmehr der Meinung/ daß der Gebrauch
von dem Mißbrauche zu unterſcheiden/ die Ro-
ſen nicht zu vertilgen ſind/ weil die Spinne
Gifft draus ſauget/ und die Artzneyen nicht zu
verbieten/ weil die Boßhafften ſelbte zur Ver-
gifftung mißbrauchen/ ja daß es ein Theil der
Weißheit ſey/ ſich der unſchuldigen Wolluſt
ohne Laſter gebrauchen. Und/ wie es nicht
vermuthlich/ daß die Natur ſo viel koͤſtliche
Sachen entweder umſonſt/ oder nur zur Er-
getzligkeit der Boßhafften geſchaffen; alſo iſt
die Reinigkeit ſolcher Dinge nicht wegen Un-
maͤßigkeit der Verſchwender zu verdammen.
Mecenas lag allerdings tugendhafft auff Da-
maſten und Sammet/ und verſteckte ſeine
Klugheit mit groͤſſerm Nutzen des gemeinen
Weſens unter den Schatten ſeiner koſtbaren
Luſtgaͤrten/ wenn er den Kaͤyſer Auguſt von dem
rauhen Weg der ſtrengen Gerechtigkeit und
Blutſtuͤrtzung abhielt/ und mit vielerley Kurtz-
weilen ihn zu einer ſanfften Herrſchafft anleite-
te/ wenn er mit ſeinen Wolthaten ihm die Welt
zum Schuldner machte/ mit ſeiner Auffrich-
tigkeit verurſachte/ daß der vermummte Hoff
ſeine Larven weglegte/ mit ſeiner Freygebigkeit
die Begierde der Geitzigen uͤberlegte/ wenn er
ſein Haus mit koſtbaren Gemaͤhlden/ mit kuͤnſt-
lichen Bildern aus Corinthiſchem Ertzte/ mit
Criſtallinen Geſchirren nicht zu ſeiner Hof-
fart Abgoͤtterey ausputzte/ ſondern daß er dem/
welcher etwas dran lobte/ was zu verehren hatte.
Womit er ſicherlich tugendhaffter verfuhr/ als
jener Weltweiſe/ der alle Menſchen zu ihren ei-
genen Feinden machen wolte/ ihnen ſelbſt nicht
allein nichts gutes zu thun/ ſondern ihnen Durſt/
Hunger/ Froſt/ Marter/ ja Strick und Meſſer
einlobte. Alleine nachdem uns Marcomir ſo
viel gutes von dem alten einfaͤltigen Deutſch-
lande ruͤhmet/ dieſe zwoͤlff Bilder aber groͤſten
theils nicht dieſer Zeit Kinder zu ſeyn ſchie-
nen/ ſo wuͤnſchten wir wohl von ihrer geruͤhmten
Gluͤckſeligkeit Wiſſenſchafft und Theil zu ha-
ben. Es ſind/ antwortete Malovend/ zwoͤlff
oberſte Feldherren Deutſchlands/ und zwar alle
Hertzog Herrmanns Voreltern; So viel ih-
rer kein Fuͤrſtliches Geſchlechte aus ſeinem
Hauſe zu zehlenhat. Und ich muß geſtehen/
daß ob wohl die Cheruſker Hertzoge meinem
Geſchlechte/ daraus ich entſproſſen/ ſtets auff-
ſaͤtzig geweſt/ doch ihre Thaten fuͤr andern ruhm-
wuͤrdig zu achten ſind. Zeno fing hierauff an:
Es
[111]Arminius und Thußnelda.
Es iſt loͤblich/ die Tugend auch an ſeinen Fein-
den loben/ und iſt derogleichen Zeugnis ſo viel
mehr von der Heucheley/ und dem in ſelbter
verborgenen heßlichen Laſter der Dienſtbar-
keit entfernet. Hingegen iſt auch der glaub-
wuͤrdigſten Freunde Urtheil verdaͤchtig/ weil
ſelbtem auch wider ihren Vorſatz wo nicht ei-
ne Heucheley/ doch eine zu guͤtige Gewogen-
heit anhaͤnget. Dieſemnach wir denn ſo viel-
mehr von ihnen die Geſchichte/ und zwar aus
keines andern Munde zu vernehmen begierig
ſind. Malovend antwortete: Er wuͤrde die-
ſer Helden Verdienſten und des Zeno Sorg-
falt ein Genuͤgen zu thun zwoͤlff Monat zur
Erzehlung beduͤrffen. Jedoch wolte er hiervon
einen Schatten und nicht vielmehr/ als der
Mahler allhier gethan/ von ihnen entwerffen.
Als nun beyde ihre Begierde anzuhoͤren mit
Stillſchweigen zu verſtehen gaben/ hob Malo-
vend an: Wir Deutſchen ſind insgeſamt vom A-
ſcenatz entſproſſen/ welcher mit ſeinen Nachkom-
men im kleinern Aſien den Sitz gehabt/ von dem
die Phrygier/ Bithynier/ Trojaner und Aſcani-
er/ wie auch die Reiche Ararath/ Minni und A-
ſcenatz den Urſprung haben. Hertzog Tuiſco
hat mit einer groſſen Menge Volcks theils uͤber
das enge/ theils das ſchwartze Meer geſetzt/ und
ſich aller Laͤnder zwiſchen dem Rhein und der
Rha bemaͤchtigt. Jhm iſt im Reiche gefolgt Her-
tzog Mann/ Hertzog Jngevon/ und Jſtevon/ mit
welchen ſich Deutſchland in viel Hertzogthuͤmer
zu theilen angefangen/ ſonderlich da zugleich die
um das Caſpiſche Meer und die Meotiſche See
wohnenden Cimbrer/ fuͤr der Macht der Scy-
then/ mit welcher ihr Koͤnig Jndathyrſus die
halbe Welt uͤberſchwemmete/ ſich fluͤchteten/ und
theils in klein Aſien/ als ihr altes Vaterland/
theils aber unter dem Fuͤrſten Gomar/ meinem
Uhranherrn durch die flachen Sarmatiſchen
Felder ſich an der Oſt-See niederlieſſen. Unge-
achtet dieſer Theilung/ erwehlten die deutſchen
Fuͤrſten unter ihnen ein gewiſſes Haupt/ wel-
chem ſie zwar nicht als einem vollmaͤchtigen Koͤ-
nige unterthaͤnig waren/ gleichwol aber in ihren
ſelbſteignen Zwiſtigkeiten/ und wann ſie mit an-
dern Voͤlckern in Krieg verfielen/ ſich ſeiner Veꝛ-
mittelung und Heerfuͤhrung unterwarffen. An-
fangs beſtand dieſe Wahl bey denen geſamten
Fuͤrſten/ hernach aber ward ſolche wegen mehr-
mahliger Zwytracht und Langſamkeit ſiben Fuͤr-
ſten heimgeſtellt. Aus den Cheruſkiſchen Hertzo-
gen iſt Hermion der erſte/ der zu dieſer Wuͤrde
kam/ und auch hier in den Gemaͤhlden. Sechs
Fuͤrſten gaben ihm wegen ſeiner Großmuͤthig-
keit/ und zwar derer drey gegen Verlobung ſei-
ner wunderſchoͤnen Tochter einmuͤthig ihre
Stimmen/ wie es ein Sternſeher vorher dem
Koͤnige Jſtevon/ an deſſen Hofe er erzogen wor-
den war/ wahrgeſagt hatte; der einige Hertzog der
Qvaden Atcoroth/ der vom Herciniſchen Gebuͤꝛ-
ge an alle zwiſchen der March/ der Weichſel und
der Teiße gelegene Laͤnder beherrſchte/ lag wider
die Noricher zu Feld und wohnte der Wahl nicht
bey. So bald dieſer ſolche Erhoͤhung vernahm/
gab er ſein Mißfallen mit vielen ungleichen Be-
zeugungen an Tag; ja ließ ſich ſelbſt fuͤr einen O-
berſten Feldherꝛn Deutſchlandes ausruffen; un-
geachtet er vorher dieſe ihm angetragene Wuͤr-
de/ auf Einrathen ſeines oberſten Caͤmmerers/
ausgeſchlagen hatte. Denn weil Fuͤrſt Hermion
fuͤr etlichen Jahren in des maͤchtigen Atcoroths
Dienſten gelebt hatte/ und ſein oberſter Mar-
ſchall geweſt war/ ſchiene es ihm verkleinerlich zu
ſeyn/ den numehr als ſein Haupt zu verehren/
dem er vorhin zu befehlen gehabt hatte. Hinge-
gen konte ſeine Tochter Em̃a ihre Freude kaum
verdecken/ als welche ſich in Hermions Sohn den
Fuͤrſten Marß verliebt/ und ihm heimlich die
Ehe verſprochen hatte. Hermion ward mit groſ-
ſem Gepraͤnge/ ungeachtet des Atcoroths Wi-
derſetzung/ zum Feldherrn ausgeruffen/ es traff
ſich aber/ daß der Reichsſtab unverſehens ver-
mißt ward/ auff welchem die Fuͤrſten dem
Feldherrn die Pflicht zu leiſten gewohnt waren.
Als dieſe nun dem Hermion ſelbte abzulegen an-
ſtunden/ entbloͤſſete er ſeinen Degen/ mit dieſen
Wor-
[112]Anderes Buch
Worten: Sehet dar/ ihr großmuͤthigen Helden/
den Stab/ auff welchen unſer und alle Reiche
geſtuͤtzt werden muͤſſen. Worauff ihm alle oh-
ne Widerrede den Eyd der Treue leiſteten. Her-
mion aber/ der fuͤr aͤrgſte Schande hielt/ ſich
zwar in der Wuͤrde/ nicht aber in genugſamen
Anſehen zu ſchauen/ empfand des Ateoroths
Verachtung in der Seele/ und/ nachdem die
damals zu Deutſchland gehoͤrigen Noricher ſich
beym Hermion beweglich beſchwerten/ daß der
Qvaden Hertzog/ nachdem die Gallier ihren letz-
ten Fuͤrſten Durnacin hingerichtet hatten/ unter
dem Vorwand eines ihm mit ſeiner erſten Ge-
mahlin Garramis zugebrachten Heyrathguts/
und der von ſeinem uͤberwundenen Feinde Koͤ-
nig Aleb eroberter Kriegs-Beute/ ihnen mit un-
rechter Gewalt viel Landſchafften abgenommen/
ja biß an die Mure/ den Jnn und das Adriati-
ſche Meer ſich feſte geſatzt hatte/ dieſer auch auff
Hermions Befehl das gewonnene nicht abtre-
ten wolte/ fuͤhrte er wider die Qvaden mit Huͤlffe
der Rhetier ſeine Heerſpitzen. Hermion und
Bato der Rhetier Hertzog geriethen bey der
Stadt Vindobon mit dem Atcoroth in eine
blutige Schlacht/ und nachdem ſein Bundge-
noſſe Fuͤrſt Rangolbebet mit ſeinen Baſtarnen
und Daciern zum erſten ſchimpfflich die Flucht
gab/ vermochten die Qvaden nicht laͤnger zu ſte-
hen/ das gantze Heer ward auffs Haupt geſchla-
gen/ und Atcoroth ſelbſt entrann mit Noth in
Vindobon/ darinnen ihn ſeine Gemahlin und
Kinder Hermion rings um ſtarck belagerte. At-
coroth muſte dieſem nach bey ſo verzweiffeltem
Zuſtand in einen ſauren Apffel beiſſen/ und
dem Hermion nicht allein unter einem Zelte/
deſſen kuͤnſtliche Seiten-Waͤnde bey ſolcher De-
muͤthigung wegfielen/ fußfaͤllig werden/ ſondern
auch drey Fahnen mit dreyen Laͤndern in des
Hermions Haͤnde lieffern/ dem Fuͤrſten Mars
ſeine ſchoͤne Tochter Emma verloben/ den Land-
ſtrich zwiſchen der March und der Wage zum
Brautſchatze/ dem Fuͤrſten Bato ſein Wahl-
recht und ein Stuͤcke Landes an der Donau ab-
treten/ und alſo den Frieden theuer genug kauf-
fen. Alleine ſeine Gemahlin/ die Herꝛſchens-
ſuͤchtige Kunigundis/ eine Tochter des maͤchti-
gen Koͤnigs der Reußen und Bulgarn/ welcher
ſich einen Herrn des gantzen ſchwartzen Meeres
ſchalt/ ward uͤber dieſen Verluſt in verzweiffelte
Verbitterung geſetzt/ lies auch nicht ab/ biß ſie
theils mit Liebkoſen/ theils mit Fuͤrbildung des
unabloͤſchlichen Schimpffes/ welche nicht nur
ihm und den ſtreitbaren Qvaden/ ſondern auch
ihrem maͤchtigen Vater zuwuͤchſe/ den Hertzog
Atcoroth zum Friedensbruch veranlaſſete. Ja
dieſe hitzige Mutter verdammte ihre dem Prin-
tzen Mars verlobte Tochter Emma nebſt zehn
andern Jungfrauen Fuͤrſtlichen Gebluͤts in ei-
ne Wildniß auff dem Carpatiſchen Gebuͤrge/
allwo eine Anzahl der Goͤttin Hertha geweihe-
ter Jungfrauen beſchloſſen waren/ zu Gelobung
ewiger Jungfrauſchafft; dem Fuͤrſten Mars
aber ließ ſie heimliches Gifft beybringen/ wo-
durch er in groſſe Gefahr des Lebens und in
Verluſt des einen Auges verſetzt ward. Her-
mion und ſein Sohn Mars begegneten mit ih-
ren Cheruſkern und Rhetiern dem Atcoroth und
dem Fuͤrſten Rangolbebet/ welche mit einem
viel maͤchtigern Heere nicht allein im Anzuge
waren/ ſondern auch unterſchiedene fuͤrnehme
Kriegs-Oberſten des Hertzog Hermions beſto-
chen hatten. Beyde traffen auff einander bey
der Feſtung Medoslan mit faſt verzweiffelter
Tapfferkeit. Hermion als er ſeinem umring-
ten Sohne zu helffen wie ein Blitz in die Hauf-
fen drang/ ward von einem zu dieſem Ende
vom Atcoroth mit vielen Verheiſſungen ange-
friſchtem Qvadiſchen Ritter Nahmens Thurn
(welchen Hermion hieruͤber zwar gefangen
kriegte/ abeꝛ ſeineꝛ Tapferkeit wegen in allen Eh-
ren hielt) vom Pferde geworffen und in euſſerſte
Lebens-Gefahr geſtuͤrtzt; gleichwol verthaͤidigte
er ſich zu Fuſſe ſo hertzhafft/ biß ihn und ſeinen
Sohn endlich die ſeinigen/ und inſonderheit die
Tapf-
[113]Arminius und Thußnelda.
Tapferkeit des Ritters Regenſperg aus ſo aͤu-
ſerſter Gefahr entriſſen. Ja weil die Dacier
abermahls zum erſten die Flucht gaben/ und
Milota/ ein von dem Atkoroth beleidigter Qva-
diſcher Herr/ aus Rachgier ſich mit einem Theile
des Heeres zum Hermion ſchlug/ die Kwaden
aber in der Cherusker Heergeraͤthe/ ſolches gleich-
ſam nach ſchon erlangtem Siege zu pluͤndern/
einfielen/ wurden ſie wieder biß auffs Haupt ge-
ſchlagen/ Atkoroth zwar vom Ritter Emerwerck
mit einer Lantze vom Pferde gerennt und gefan-
gen/ aber von zweyen Mareomanniſchen Rit-
tern/ derer Bruder er enthaupten laſſen/ durch-
ſtochen. Die Staͤdte Eburodun/ Eburum
und Kalmnitz ergaben ſich dem Sieger; die
Fuͤrſtin Kuͤnigundis ward in einem feſten Berg-
Schloſſe belaͤgert/ und es ſchiene numehr mit
ihr und dem Qvadiſchen Reiche geſchehen zu
ſeyn/ als ihre Tochter Emma/ welche aus ih-
rer Beſtrickung in dem Carpathiſchen Gebuͤrge
entkommen war/ in dem Lager ankam/ dem Her-
mion zu Fuſſe fiel/ und durch des Fuͤrſten Mars
Vorbitte fuͤr ihre Mutter Begnadigung er-
langte. Der Vergleich ward durch die Heyrath
zwiſchen dem Hertzoge Mars und der Fraͤu-
lein Emma/ die ihm alle vom Atkoroth erober-
te Laͤnder zum Heyrath-Gute einbrachte/ voll-
zogen. Hingegen heyrathete des Atkoroths
Sohn und Stul-Erbe Valuſcones des Hermi-
ons Tochter Jutta/ die Koͤnigin Kuͤnigundis
aber den ſchoͤnen Ritter Berg-Roſe. Hernach
uͤberwand er auch die Sequaner/ allwo ihm aber
in einer Schlacht gleichfalls das Pferd erſtochen/
und er mit vollem Kuͤraß in eine See zu ſpren-
gen gezwungen ward/ biß ihm der Ritter Ha-
nau zu Huͤlffe kam. Dieſer Held hat zum erſten
die Weiber gelehrt die Waffen fuͤhren/ und die
Gewohnheit eingefuͤhrt/ daß der Mann ſei-
nem Weibe ein geſatteltes Pferd/ eine Lantze
und Degen zum Mahlſchatze liefern muͤſſen.
Alſo iſt Hermion der Grund-Stein der hernach
ſo hoch geſtiegenen Cheruskiſchen Herrſchafft.
Nach Hermions Abſterben ward zwar Sua-
ſandufal/ ein Fuͤrſt der Tencterer zum Feld-
herrn erwehlet/ nach dem er aber von dem Koͤ-
nige der Ruſſen Geld nahm/ ſelbtem gegen die
Sarmater im Kriege beyzuſtehen/ welches die
Deutſchen ihnen fuͤr verkleinerlich hielten/ wie-
der abgeſetzt/ und Hertzog Mars/ der andere in
dieſen Gemaͤlden/ von fuͤnf der wehlenden Fuͤr-
ſten zu ſolcher Wuͤrde erhoben. Suaſandu-
falward hieruͤber ſo erbittert/ daß er entweder
ſeine Hoheit behaupten/ oder ſein Blut aufopf-
fern wolte. Als nun beide maͤchtige Kriegs-
Heere in der Nemeter Gebiete auf einander
traffen/ drang Suaſandufal gantz verzweiffelt
durch die geharniſchten Hauffen gleich wie ein
Blitz durch/ biß er perſonlich auf den Fuͤrſten
Mars traf/ ſelbten auch nichts anders als ein
ergrimmter Loͤw anfiel. Dieſer verletzte zwar
den Mars in Arm/ Mars aber ſchlug mit einer
vorſichtigen Geſchwindigkeit ſeinen Streitkol-
ben dem Suaſandufal ſo ſtarck ins Antlitz/ und
verletzte ihn bey das lincke Auge/ daß er vom
Pferde ſtuͤrtzte; Worauf ſein Eydam/ ein
ſtreitbarer Ritter/ Nahmens Oetingen/ ihm ei-
nen ſo tieffen Hau in Hals verſetzte/ daß er mit
dem ausſpritzenden Blut und Galle ſeine See-
le ausbließ. O ein herrlicher Sieg! rief Rhe-
metalces/ wo man mit Schlagung einer Ader
ſo viel Blutſtuͤrtzung abwendet/ und auf dem
Leichenſteine eines mit eigner Hand erlegten
Feindes ſeine Herrſchafft befeſtigt! Ja/ fuhr
Malovend fort/ wenn ſonderlich die Tapffer-
keit des Sieges mit Barmhertzigkeit gekroͤ-
net wird/ wie Hertzog Mars that/ welcher
hierauf alſofort keinen Menſchen mehr zu er-
ſchlagen verbot. Zeno fiel ein: diß iſt der groͤ-
ſie Sieg/ ſich dergeſtalt ſelbſt zu uͤberwinden/
und ſeinen Stul nicht auf Furcht ſondern Liebe
bauen/ wormit die Unterthanen fuͤr ihrem Fuͤr-
ſten/ wenn ſie ihn erblicken/ ſich nicht als fuͤr ei-
nem blutgierigen Panther-Thiere verkrichen/
ſondern ſelbtem als einem wohlthaͤtigen Geſtir-
Erſter Theil. Pne
[114]Anderes Buch
ne Augen und Hertz zu neigen. Diß begegne-
te dieſem Uberwinder/ ſagte Malovend. Denn
die ſich ergebenden Feinde richteten ihm auf der
Wallſtadt eine praͤchtige Siegs-Seule auf;
Und weil Hertzog Mars ſich der durch die
Wahl ihm aufgetragenen Wuͤrde enteuſerte/ in
dem zwey auf des Suaſandufals Seiten ſte-
hende Fuͤrſten dazu nicht geſtimmet hatten/ ka-
men ſie alle noch einmahl zuſammen/ und er-
klaͤrten ihn einmuͤthig zu ihrem Haupt und O-
berſten Feldherrn. Alleine Hertzog Mars
wolte auf einmahl ſein Geſchlechte allzu maͤch-
tig/ ihm die Qvaden und Hermundurer unter-
thaͤnig machen/ und ſeines Vettern des Hertzo-
gens der Alemannier Hertzogthum an ſich zie-
hen; Welches dieſen veranlaſſete/ daß als er
bey Uberſetzung des Fluſſes Urſa ſeine Gele-
genheit erſahe/ ihn im Geſichte ſeiner auf der
andern Seite des Stroms zuruͤcke bliebener
Soͤhne und Hofleute mit Huͤlffe dreyer mit-
verſchwornen Edelleute toͤdtete. Deſſen Her-
tzogthum aber ward dennoch des Mars Soͤh-
nen zu theile. Alſo iſt die Herrſchensſucht eine
rechte Flamme/ derer Unerſaͤttligkeit von dem
erlangten Uberfluſſe waͤchſet/ endlich aber doch
zu einer Hand voll Aſche wird.
Hierauf wurden neun andere Fuͤrſten zu O-
berſten Feldherrn erwehlet. Denn ob ſchon
etliche Cridifern des Hertzogs Mars Sohn ge-
gen Dulwigen den Hertzog der Vindelicher er-
kieſeten/ ward er doch in einer blutigen
Schlacht/ darinnen er mit eigner Hand funfzig
ſtreitbare Maͤnner erlegte/ von Hertzog Dul-
wigen gefangen.
Nach hundert und dreißig Jahren kam der
Cheruskiſche Stamm wieder zu ſolcher Wuͤr-
de/ iſt auch biß itzt dabey blieben. Denn es
ward Hertzog Vandal Oberſter Feldherr der
dritte allhier in der Reye. Ja ſeine Tapffer-
keit machte ihn im eben ſelbigen Jahre zu einem
Fuͤrſten der Pannonier und Marckmaͤnner.
Und ob wohl einige Marckmaͤnniſche Herren/
welche in ihrem Gottesdienſte der Eubagen auf
den Gruͤnden der Natur befeſtigten Meinun-
gen/ mehr als der Druiden geheimen Offenbah-
rungen/ denen Vandal zugethan war/ beypflich-
teten/ ihn verworffen/ ſeine Vertheidig er von
einem Thurme herab ſtuͤrtzten/ und den Sar-
matiſchen Fuͤrſten Micaſir zu ihrem Fuͤrſten be-
rufften/ ſo ſchlug er doch dieſen mit Huͤlffe des
Hertzogs der Hermundurer auffs Haupt/ alſo
daß die Sarmater ihn umb Fꝛiede bitten/ die
Scythen auch/ welche in Pannonien eingefallen
waren/ fuͤr ihm zuruͤcke weichen muſten. Aber
ſeine Herrſchafft endigte ſich nach zweyen Jah-
ren mit ſeinem fruͤhzeitigen Tode. Als Ma-
lovend mit dieſen Worten ein wenig verbließ/
ſetzte Fuͤrſt Zeno bey: Dieſer Held dienet uns zu
einem Beyſpiele/ daß allzugroſſes Gluͤcke ſo ge-
ſchwinde/ als die zwiſchen den Bergen zuſam-
menſchuͤſſenden Regen-Fluthen/ vergehen; und
daß Fuͤrſten/ welche der Himmel mit ſo haͤuffigen
Siegen uͤberſchuͤttet/ ſich denen fallenden Luft-
und Schwantz-Geſtirnen vergleichen/ welche
zwar mit ihrem Blitze den Glantz der ewigen
Sternen wegſtechen/ in kurtzem aber in Aſche
zerfallen.
Dieſem folgte in ſolcher Wuͤrde/ fuhr Malo-
vend fort/ der hier in der vierdten Stelle ſtehen-
de Hertzog Ulſing/ deſſen Mutter Cimburgis/
eine Sarmatiſche Fuͤrſtin/ mit flacher Hand
einen eiſernen Nagel in die Wand ſchlagen kon-
te. Dieſer Herꝛwar in der Stern- und Meß-
Kunſt erfahren; er befließ ſich die Heimligkeiten
der Natur zu erforſchen/ und aller guten Kuͤnſte
Meiſter zu ſeyn/ derer Friede und Ruhe/ wozu
ihn ſeine Zuneigung trieb/ beduͤrftig ſind. Sei-
ne fernen Reiſen hatten ihm eine ungemeine
Klugheit zuwege gebracht/ welche er fuͤr die ei-
gentliche Kunſt eines Feldherrn hielt. Dahero
mangelte es ihm nie an klugẽ Rathſchlaͤgen/ wel-
che ſonſt meiſt bey Ungluͤck einem entfallen. Er
zohe denen heftigen und groſſen Ruff nach ſich
ziehenden Entſchluͤſſungen die vorſichtigen fuͤr/
als
[115]Arminius und Thußnelda.
als durch welche eine Gewalt ſicherer behauptet
wuͤrde. Denn er hielt es fuͤr eine Schwach-
heit/ nach Art der verwegenen Schiffer/ die bey
aͤrgſtem Sturme aus dem Hafen ſich auff die
hohe See wagen/ ſich mit tapfern Thaten wol-
len ſehen laſſen/ umb ihm nur einen groſſen
Nahmen zu machen/ wenn ſchon das gemeine
Weſen in Unruh/ das Reich in Gefahr geſetzt
wird. Gleich als wenn die Tugend nur in
Kriegs-Kuͤnſten/ das Ampt eines Fuͤrſten in der
Beſchaͤfftigung der Tieger und Raub-Voͤgel
beſtuͤnde/ und ein unſterblicher Nachruhm mit
friedſamer Beobachtung des gemeinen Heils
keine Verwandnuͤß haͤtte. Dieſemnach die
beſten Fuͤrſten iederzeit die Ruhe ihrer Voͤlcker
der Eitelkeit vieler Siegs-Bogen fuͤrgezogen/
und zwiſchen dem Ambte eines Fuͤrſten und
eines Kriegsmannes einen vernuͤnftigen Un-
terſcheid gemacht/ hierdurch aber nicht nur Ehre
genung bey den Nachkommen/ ſondern auch Lie-
be bey den Lebenden erworben haͤtten. Auff
dieſe Art beſchuͤtzte Ulſing ſeine Herrſchafft drey
und funſzig Jahr wider viel gefaͤhrliche Anſchlaͤ-
ge/ verurſachte/ daß viel maͤchtige Haͤupter/
und inſonderheit der Scythiſche Koͤnig von dem
Fluſſe Jaxartes und Paroxamiſus ihn mit Ge-
ſandſchafften und Geſchencken ehrten; ja durch
die ſeinem Sohne Alemann zu wege gebrachte
Heyrath mit der Tochter des alten Carnutiſchen
Hertzogs Vercingentorichs/ und daß ihn die
Deutſchen noch bey ſeinen Lebetagen zum Feld-
herrn annahmen/ machte er ihn groͤſſer/ als ſich
keiner ſeiner Vorfahren durchs Schwerdt.
Alſo vergroͤſſerte Ulſing ſein Haus und Reich
durch Klugheit mit beſſerm Rechte und Beſtan-
de/ als viel andere Fuͤrſten/ die mit blutiger Auf-
opferung etlicher hundert tauſend Menſchen/
Erſchoͤpfung ihrer Schatz-Kammern/ Verar-
mung ihrer Unterthanen/ mehrmals nicht hun-
dert Faden Land gewinnen. Dahero denn mit
dem Nahmen des Friedens kein traͤger Muͤſ-
ſiggang bekleidet/ weniger bey ſeinen ſteten
Kriegs-Ubungen die Gemuͤther weibiſch und
ſchlaͤfriger gemacht/ hingegen die Tugend und
guten Kuͤnſte in Auffnehmen geſetzt wurden.
Weßwegen er alleine ſo viel Kraͤntze von Oel-
Zweigen/ als ihrer ſeine Vorfahren von Lorber-
Baͤumen/ verdiente. Als Malovend uͤber
dieſer Erzehlung Athem ſchoͤpfte/ fing Zeno an:
Jch geſtehe/ daß die meiſten Voͤlcker kriegeriſch
geartet/ und die edleſten Gemuͤther ſo voller Feu-
er ſind/ daß ſie ſo wenig als Scipio vom Hanni-
bal die wichtigen Urſachen Friede zu machen
annehmen/ ſondern vielmehr alles auff die Spi-
tze der Waffen zu ſetzen/ nichts weniger fuͤr ihre
Pflicht/ als fuͤr Ehre/ ſchaͤtzen. Gleich als
wenn die Zeit/ als die Raͤuberin ihrer eignen oder
geſchenckten Guͤter/ zu unvermoͤgend waͤre/ daſ-
ſelbe geſchwinde genung zu zernichten/ was ſie
reiff zu machen keine Muͤhe geſparet hat. Al-
leine/ wenn man Krieg und Friede auff eine
Wag-Schale legt/ es ſey gleich jener ſo vortheil-
hafftig/ dieſer ſo ſchlecht als er wolle/ muͤſten auch
die/ welche gleich vom Kriege ein Handwerck
machen/ und auff deſſelben Amboſſe ihr Gluͤcke
ſchmieden wollen/ dem Friede den Ausſchlag des
Gewichtes zugeſtehen. Denn nach dem die
Vollkommenheit des Krieges insgemein in
Einaͤſcherung der Laͤnder/ in Vertilgung des
menſchlichen Geſchlechts beſtehet; alſo ſeine Ei-
genſchafft nicht nur dem rechtmaͤſſigen Beſitz-
thume zuwider/ und der aͤrgſte Feind der Natur
und des Himmels iſt/ in dem ſo denn die Vaͤter
ihre Eltern begraben/ die Gerechtigkeit der Ge-
walt zum Fuß-Hader dienen muß/ kein Geſetze
fuͤr dem Geraͤuſche der Waffen gehoͤret wird/
womit Marius ſeine Verbrechen wider das
Vaterland entſchuldigte; ſondern auch kein
Sieg ſo reich iſt/ daß er die Unkoſten und den
Schaden des Krieges erſetzen koͤnne/ vielmehr
aber Boßheit und Froͤm̃igkeit nach einem Richt-
ſcheite gemeſſen/ ja die Tugend ſelbſt uͤbel zu
thun/ und die Treue ungehorſam zu ſeyn genoͤ-
thiget wird; ſo iſt faſt wunderns werth/ daß
P 2man
[116]Anderes Buch
man der Tapferkeit die Ober-Stelle unter den
Helden-Tugenden eingeraͤumt habe; welche
man billich nur fuͤr eine Werckmeiſterin der ei-
ſernen Zeit ſolte gelten laſſen/ wie der Friede das
Kleinod der guͤldnen iſt/ welcher als ein Goͤttli-
ches Geſchencke vom Himmel kommen/ deſſen
Fußſtapfen von Oele trieffen/ und deſſen Fluͤgel
eitel Segen von ſich ſchuͤtten/ welcher umb die
Welt mit Uberfluſſe zu erquicken die Haͤnde an
den Pflug und Wein - Stock legt/ und der
Handlung alle Gebuͤrge und Seen oͤffnet.
Jn welchem Abſehen die Egyptier den Frie-
den in Geſtalt eines jungen mit Weitzen-
Aehren/ Roſen und Lorber-Zweigen gekroͤnten
Schutz - GOttes mahlen/ und darmit ſeine
Gluͤckſeligkeiten abbilden. Weßwegen auch
die/ welche wider den Frieden eine eingewur-
tzelte Gramſchafft im Hertzen hegen/ zu beken-
nen genoͤthigt werden/ daß der Krieg an ſich
ſelbſt nichts gutes/ ſondern eine Kranckheit des
gemeinen Weſens/ der Friede aber deſſelbten
Geſundheit/ jener ein Sturm/ dieſer ein Son-
nen-Schein des Gluͤckes/ und wenn der Krieg
nicht umb den Frieden zu befeſtigen angefan-
gen wuͤrde/ ſolcher kein vernuͤnftiges Begin-
nen/ ſondern eine Raſerey der wilden Thiere
ſey/ derer keines doch ſo blutgierig/ als der un-
verſoͤhnliche Menſch wider ſeines gleichen wuͤ-
tet. Wohin die alten Griechen ſonder Zwei-
fel gezielet/ als ſie der klugen Pallas zwar Helm
und Waffen/ aber zugleich den Oel-Baum/ als
das Zeichen des fruchtbaren Friedens/ zuge-
eignet/ dem ſtreitbaren Achilles auch den fried-
fertigen Palamedes fuͤr Troja an die Seite
geſetzt haben. Und bey den Roͤmern hat die
fuͤnfte Legion nur deßhalben eine Sau zum
Kriegs-Zeichen gefuͤhret/ weil man dieſes un-
ſaubere Thier denen Friedens - Handlungen
zu opfern pfleget. Daher als die Stadt
Athen dieſes Abſehen des Friedens insgemein
außer Augen geſetzt/ und niemals/ als in Trau-
er-Kleidern/ wenn nemlich ſelbte/ nach der Ge-
wohnheit der ſtuͤndlich veraͤnderlichen Waffen/
groſſe Niederlagen erlidten/ Friede gemacht/
ſie ihr Phocion mit Rechte geſcholten/ und Rom
den Regulus billich verflucht hat/ weil er ſo
hartnaͤckicht der darumb flehenden Stadt
Carthago den Frieden zu geben widerrieth/ ſich
aber dadurch in grauſamſte Pein/ ſein Vater-
land in tauſenderley Ungluͤck ſtuͤrtzte. Wie
denn das kriegeriſche Sparta/ welches den
Krieg nicht fuͤr den letzten/ ſondern fuͤr den
erſten Streich des Rechtes und den Kriegs-
Gott in Band und Eiſen angeſchloſſen hielt/
wormit er nicht von ihnen entfliehen moͤchte;
nichts minder das unruhige Athen/ welches
ein ungefluͤgeltes Siegs - Bild fuͤr ſeinen
Schutz-Gott verehrte/ zu gerechter Rache von
dieſem ihrem Schoos-Kinde in die Roͤmiſche
Dienſtbarkeit geliefert worden. Woraus ich
den Roͤmern nichts beſſers wahrſagen kan/
weil ſie anderer Voͤlcker Laſter und Blutſtuͤr-
tzungen nicht nur fuͤr ihr Gluͤcke/ ſondern
wenn ſie anderwerts den Saamen der Zwy-
tracht angewehren/ fuͤr groſſe Klugheit hal-
ten. Denn ob wol insgemein geglaubet
wird/ daß bey langer Ruh nichts minder die
Tugend weibiſch/ als das ungenuͤtzte Eiſen
roſtig werde/ weßwegen Scipio Naſica ſo ſehr
die Zerſtoͤrung der Stadt Carthago/ als des
rechten Wetz-Steins der Roͤmiſchen Tapfer-
keit widerrathen; ſo iſt doch diß eine auff dieſen
Jrrthum gegruͤndete Meynung/ ſamb der Frie-
de die Waffen zu unterhalten gar nicht faͤhig waͤ-
re/ und er nach Anleitung einer alten Roͤmiſchen
Muͤntze die Waffen alſofort zerſchmeltzen muͤſte;
Da doch derſelben Ubung gar wohl beym Frie-
den geſchehen kan und muß; und die ſtreitba-
ren Gemuͤther ſich/ wie die Deutſchen/ in aus-
laͤndiſchen Kriegen koͤnnen ſehen laſſen/ ohne
welche in der Welt faſt kein Fuͤrſt eine Leibwa-
che hat/ noch einigen Krieg fuͤhret. Vielmehr
aber
[117]Arminius und Thußnelda.
aber ſind die Friedens-Kuͤnſte zu Befeſtigung
eines Reiches dienlich; Maſſen denn Sparta
acht hundert Jahr gebluͤhet/ ehe es ſeinen
Kriegs-Ruhm und damit auch ſeinen Unter-
gang verdienet hat. Endlich verdienet auch die
Beyſorge/ daß der Poͤfel beym Frieden ſchwuͤ-
rig/ das Volck wolluͤſtig/ der Adel wegen Man-
gelhoher Befoͤrderung unmuthig wuͤrde/ nicht/
daß man dem Kriege zu-dem Frieden ablegen
ſolle. Sintemal ſo denn nichts minder der Ge-
horſam als das Wachsthum eines Reiches in
der beſten Vollkommenheit iſt; Weil die/ welche
etwas zu verlieren haben/ fuͤr Aufſtand und Un-
ruh Abſcheu tragen; Die Unvermoͤgenden a-
ber bey allgemeinem Schiffbruche ſich von den
Stuͤcken des gemeinen Weſens zu bereichern
vermeinen. Wenn aber auch aus allzulanger
Ruh ein Schaden erwachſen wil/ iſt einem Fuͤr-
ſten nichts leichter/ als dem Muͤßiggange einen
Rocken zu finden/ woran er ſich zu tode ſpinne
und der Neuerungen vergeſſe. Wie ich denn
dafuͤr halte/ daß die Egyptiſchen Koͤnige ihre
unnuͤtze Spitzthuͤrme nicht ſo wohl ihrer Be-
graͤbnuͤſſe halber/ weniger aus Aberglauben/
daß ſelbte den Menſchen eine Leiter in Him-
mel/ den Goͤttern auf die Erde ſeyn/ oder ihr
Gedaͤchtniß fuͤr einer beſorglichen Ubergieſſung
der Welt verwahren ſolten; Sondern vielmehr
um ihre muͤßige Unterthanen zubeſchaͤfftigen
erbauet haben. Gleichergeſtalt iſt glaublicher:
Daß die koſtbaren Jrrgaͤrte in Creta und Jta-
lien zu eben dieſem Ende/ nicht aber der Er-
bauer Schaͤtze zu zeigen/ und der Nachbarn
Mißgunſt zu erregen/ ſo koſtbar aufgethuͤrmet
worden.
Malovend pflichtete in allem dem klugen Ze-
no bey/ und erwehnte: Daß der Feldherr Ul-
ſing um ſein Volck ſo viel beſſer in Pflicht und
arbeitſam zu erhalten/ und dadurch dem Armu-
the/ daß es ſeinen Unterhalt verdienen koͤnne/
Gelegenheit zu verſchaffen/ viel anſehnliche aber
nuͤtzlichere Gebaͤue/ denn vieler Fuͤrſten thoͤrich-
te Wunderwerck e geweſt waͤren/ in Grund ge-
legt haͤtte. Sintemahl ohne den ſichtbaren
Nutzen alle Gebaͤue der Fuͤrſten aberwitzige
Erſchoͤpffungen der gemeinen Schatzkammer/
fluchwuͤrdige Buͤrden der Unterthanen/ und
ſchnoͤde Merckmaale geſchwinder Vergaͤnglig-
keit waͤren. Dieſemnach denn die drey Waſ-
ſergraben/ welche ein Arabiſcher Fuͤrſt aus dem
Fluſſe Coris/ um ſeine Sandwuͤſten anzuwaͤſ-
ſern/ geleitet; Des Selevcus Anſtalten das ro-
the- und Mittel-Meer/ wie auch die Euxiniſche
und Caſpiſche See zu vereinbaren; Jngleichen
die vom Pyrrhus und Marcus Varro fuͤr ge-
habte Zuſammenbindung Jtaliens und Grie-
chenlands uͤber das Adriatiſche Meer/ des Da-
rius und Xerxes zwey Bruͤcken uͤber den Hel-
leſpont/ der Roͤmer Meer-Taͤmme fuͤr dem Li-
lybeiſchen Hafen vielmehr Ruhms verdienen/
als die Verſchwendung deſſelben Meders/ der
das Ecbataniſche Schloß aus ſilbernen Ziegeln
mauren/ und Memnons/ der zu der Burg in
Suſa an ſtatt des Eiſens lauter Gold verbrau-
chen laſſen. Weßwegen auch des groſſen Ale-
xanders bey ſo vielem Gluͤcke ungemeine Maͤſ-
ſigung kein geringes Lob verdienet; Jn dem er
des Werckmeiſters Vorſchlag anzunehmen
nicht gewuͤrdigt/ welcher aus dem Berge Athos
Alexanders Bild zu hauen ſich erboten/ wel-
ches/ wie ein Opfer-Prieſter/ mit der einen
Hand aus einer groſſen Schale einen Fluß aus-
ſchuͤtten ſolte/ worvon zwey darunter gebauete
Staͤdte beſtroͤmet werden koͤnten.
Rhemetalces fing hieruͤber an: Es haͤtte der
Erzehlung nach der Feldherr Ulſing alles ſo
vernuͤnfftig eingerichtet/ daß er ſeines Gluͤckes
wohl werth geweſt. Jhn wunderte aber hier-
bey nicht wenig/ daß er als ein ſo kluger Fuͤrſt/
der mit ſo vielen Eitelkeiten angefuͤllten Stern-
ſeher-Kunſt befliſſen/ und bey dieſer ungluͤckſeli-
gen Wiſſenſchafft eine ſo vergnuͤgte Herrſchafft
P 3gefuͤh-
[118]Anderes Buch
gefuͤhret. Sintemal ſie warhafftig eine Weiß-
heit der Aberglaͤubigen waͤre/ und der Schatten
des Ungluͤcks dieſelben fuͤr andern verfolget haͤt-
te/ die von dem Lichte der Geſtirne am meiſten
erleuchtet zu ſeyn ſich eingebildet haben. Wie
denn Zoroaſter/ welchen die Sternſeher fuͤr ihre
Sonne hielten/ vom Ninus; Pompejus/ der
auf dieſe Kunſt wie auf einen Ancker ſich verlaſ-
ſen/ vom Kayſer Julius/ als dem kuͤhneſten
Veraͤchter dieſer und anderer Wahrſagungen/
uͤberwunden; Ein Celtiberiſcher Koͤnig/ wel-
cher die tiefſten Geheimnuͤſſe des Himmels er-
forſchet und beſchrieben/ von ſeinem auf der
Erde mehr aufachtſamen Sohne des Reichs
entſetzet/ und der ſo genau-eintreffende Thra-
ſyllus auf des Tiberius Befehl getoͤdtet worden.
Malovend begegnete dem Rhemetalces: Her-
tzog Ulſing haͤtte von nichts weniger gehalten/
als von der eingebildeten Wiſſenſchafft aus den
Sternen der Menſchen kuͤnfftige Gluͤcksfaͤlle
zu erkieſen; ſondern er haͤtte allein des Geſtir-
nes Stand/ ihre Bewegungen und Eigenſchaf-
ten erlernet; Welche Wiſſenſchafft einem Fuͤr-
ſten/ der einen uͤber den Staub des Erdbodens
ſich empor klimmenden Geiſt beſitzen ſoll/ nicht
nur wohl anſtehet/ ſondern auch mehrmahls
groſſen Nutzen bracht hat. Wie dann Pala-
medes die Griechen bey Troja/ Alexander fuͤr
der Schlacht bey Arbelle ſein Kriegsvolck/
welches bey einer Mondenfinſternuͤß in groſſes
Schrecken verfiel/ mit Auslegung der natuͤr-
lichen Urſachen mercklich aufrichtete/ andere
ſich dieſer Begebenheit zu Stillung des Auff-
ruhrs meiſterlich bedienten. Auch iſt niemand
ſo unwiſſend/ daß unterſchiedene Gefangene/
durch Ankuͤndigung bevorſtehender Finſternuͤſ-
ſe/ bey denen barbariſchen Voͤlckern ihnen
gleichſam ein goͤttliches Anſehen gemacht/ und
dadurch ſich aus ihren blutduͤrſtigen Haͤnden er-
rettet haben. Fuͤrſten begreiffen hiermit auch
die Gelegenheit ihrer und anderer Laͤnder; Die
bevorſtehende Witterung/ und aus der Bewe-
gung der Sonne viel vernuͤnfftige Richtſchnu-
ren ihrer Herrſchafft. Hingegen hat Nicias
und Sertorius aus Unwiſſen heit der Geſtirne
und des Windes groſſe Niederlagen erlitten.
Archelaus iſt fuͤr einer Sonnenfinſternuͤß ſo er-
ſchrocken/ daß er ſeinem Sohne die Haare ab-
ſcheren laſſen/ und ſich fuͤr der gantzen Welt ver-
aͤchtlich/ Kayſer Julius aber durch Auslegung
der himmliſchen Richtſchnuren und Einrich-
tung der Jahres-Zeiten ſich beruͤhmter ge-
macht/ als durch ſeine dem Erdboden fuͤrge-
ſchriebene Geſetze.
Unſer Ulſing aber ſtarb mit nicht minderm
Ruhme/ im hohen Alter/ zu groſſem Leidweſen
gantz Deutſchlands/ ſonderlich weil er ihm noch
vorher muſte einen Schenckel abloͤſen laſſen.
Zeno fuͤgte hier abermahls bey: Dieſer Fuͤrſt
dienet uns zum Merckmahle/ daß die Gluͤckſe-
ligkeit ſich niemanden ohne vorbehaltene Eh-
ſcheidung vermaͤhle; und das Verhaͤngniß ei-
nem gar an Leib komme/ wenn jene der Vor-
ſichtigkeit ein Bein unterzuſchlagen nicht ver-
mocht hat. Jch weiß nicht/ ſagte Rhemetalces/
ob man hierinnen dem Verhaͤngniſſe/ oder
nicht vielmehr den Aertzten die Schuld beymeſ-
ſen ſolle/ derer Unwiſſenheit durch unſere Hin-
richtung ſich erfahren/ ihre Verwegenhe[it] aber
ſich zur Halsfrau uͤber unſer Leben macht. Die-
ſemnach ich dieſem klugen Fuͤrſten wohl das
Gluͤcke wuͤnſchen wolte: Daß er von eines ed-
len Feindes Waffen in einem hertzhafften Ge-
fechte fuͤrs Vaterland einen ſchoͤnern Todt er-
langet/ und nicht einem unvermutheten Strei-
che ſeines Feindes dem Schermeſſer der grau-
ſamen Aertzte ſeine furchtſame Glieder haͤtte
hinrecken doͤrffen. Alleine das mißguͤnſtige
Gluͤcke goͤnnet insgemein den tapfferſten Hel-
den nicht/ daß ſie auf dem Kriegsfelde/ als dem
herrlichſten Ehren-Bette ihren Geiſt in dem
Geſichte ſo vieler Tauſenden ausblaſen; ſon-
dern der Tod haͤlt es vielmehr fuͤr einen nicht
geringen Sieg/ wenn er die groͤſten Lichter der
Welt
[119]Arminius und Thußnelda.
Welt durch Kinder-Blattern/ durch eine uͤbel-
geſchnittene Wartze/ oder Huͤner-Auge und
dergleichen ſchlechte Zufaͤlle ausleſcht.
Malovend fuhr fort/ und ſagte: Die Deut-
ſchen haben inſonderheit von einer blutigen
Bahre auch ſtets mehr als einem madichten
Siech-Bette gehalten/ auch lieber etwas mit
Blute/ als mit Schweiß oder durch kluge Raͤn-
cke behauptet. Dahero ſchlug der fuͤnffte Feld-
Herr Hertzog Aleman ſeinem Vater nicht nach.
Er war behertzt und verwegen/ fuͤhrte auch ſtets
einen lebendigen Loͤwen an der Hand/ ja zu Jſi-
niſka riß er einem ſechsjaͤhrigen Loͤwen den
Rachen auff/ zohe ihm die Zunge heraus; der
Loͤw aber blieb fuͤr ihm entweder aus Schre-
cken oder Ehrerbietung wie ein Lamm ſtehen.
Bey den Eburonern erſtach er einen uͤber ihn
ſpringenden Hirſch/ bey den Rhetiern einen
wuͤtenden Baͤr/ und auff denen ihm uͤber aus
beliebten Jagten erlegte er viel hauende
Schweine und andere grimmige Thiere mit
ſeinem bloſſen Degen. Weßwegen die Griechen
ihn hernach den deutſchen Hercules genannt.
Jn den ſteilen Gebuͤrgen hat er ſich nach Gem-
ſen und Steinboͤcken offt ſo weit verſtiegen/ daß
er keine Ruͤckkehr gewuſt; mehrmals haben ihn
die abkugelnden Steine und der abſchieſſende
Schnee in hoͤchſte Lebensgefahr geſetzt. Merck-
wuͤrdig iſt von ihm/ daß als er einſt auff der
Jagt auff der Erde geſchlaffen/ ihn eine Hey-
daͤx ans Ohr gebiſſen und erweckt habe/ als in
ſeinen eroͤffneten Mund eine Schlange krie-
chen wollen. Jſt diß wahr/ ſagte Zeno/ ſo muͤ-
ſten die Heydaͤxen ihrer ſelbſt und ihrer Jungen
mehr als der Menſchen vergeßlich ſeyn. Man
haͤlt es fuͤr kein Gedichte/ antwortete Malovend/
und deßwegen ſoll er eine guͤldene Heydexe zum
Gedaͤchtniſſe am Halſe getragen haben. Er
war ein Meiſter in Zweykampff und Turnie-
ren/ in den Schlachten fochte er ſelbſt in der
Spitze. Er bewaͤltigte ſich der Menapier und
Noricher/ zwang die abtruͤnnigen Marnier und
Nervier/ nachdem ihn der tapffere Fuͤrſt der
Hermundurer Treball/ ſein und Deutſchlands
rechter Arm/ aus ihren Haͤnden errettet hatte.
Er ſchlug viel tauſend Gallier. Mit den Le-
pontiern fuͤhrte er einen blutigen aber ungluͤck-
lichen Krieg. Die Bataver aber ſchlug er auffs
Haupt/ und nahm ihnen ihr gantz Gebiete/ auſ-
ſer etliche in Pfuͤtzen ligende Oerter ab. Es iſt
ein groſſes Gluͤcke eines Reiches/ ſagte Zeno/
wenn friedſame und kriegeriſche Herrſcher in
ſelbtem mit einander abwechſeln. Denn ſo
denn verlernen die Kriegsleute nicht die Ubung
der Waffen/ der Adel behaͤlt ſeine Freyheit und
Anſehen/ die groſſen Verdienſte bleiben nicht
nach/ noch ohne Belohnung/ und die im Kriege
entkraͤffteten Laͤnder erholen ſich wieder bey der
Ruh; ja auch diß/ was man durch die Waffen
gewonnen/ beraſet im Frieden am beſten. Die-
ſem nach denn Rom deßhalben augenſcheinlich
gewachſen/ daß nach dem hitzigen Romulus der
ſanffte Geſetzgeber Numa gefolget. Daß hier-
auff der kriegeriſche Tullus die Waffen und die
Gemuͤther dieſes ſtreitbaren Volcks geſchaͤrffet/
und dieſen der Baumeiſter Ancus abgeloͤſet;
die Pracht des Tarqvinius aber nicht nur dem/
was Ancus gebauet/ ſondern auch denen Obrig-
keiten ein Anſehen gemacht. Servius hat her-
nach durch angelegte Schatzung denen Roͤmern
ihre vorher unbekandten Kraͤffte gezeiget/ und
der hoffaͤrtige Tarqvinius durch ſeine Grau-
ſamkeit dieſe Wohlthat gethan/ daß das Volck
das unſchaͤtzbare Kleinod der Freyheit liebzu-
gewinnen angefangen. Es iſt wahr/ fuhr Ma-
lovend fort; Aber der Cheruſkiſche Stamm hat
insgemein dieſes Gluͤcke gehabt/ daß deſſelbten
ſtreitbarſte Fuͤrſten zugleich Meiſter in den Frie-
dens-Kuͤnſten geweſt/ und inſonderheit durch
gluͤckliche Heyrathen ſich vergroͤſſert haben; Al-
ſo daß dieſeꝛ Stamm den Liebes-Stern in War-
heit fuͤr ſeinen Gluͤcks-Stern ruͤhmen kan.
Maſſen denn auch dieſer Feldherr Alemann
ſeinem Sohne Hunnus Diumfareds des Bri-
tanni-
[120]Anderes Buch
tanniſchen Koͤnigs Tochter vermaͤhlte/ welcher
mit ſeiner Schiffarth der groſſen Tritoniſchen
oder Atlantiſchen Eylande bemaͤchtigt hat. Das
ſelbige Eiland/ fragte Rhemetalces/ von welchem
Plato erzehlet/ daß es auſerhalb der Seulen
Hereules liegen/ und groͤſſer/ als Aſien und
Africa zuſammen/ ſeyn ſolle? Jch halte es da-
fuͤr/ ſagte Malovend/ denn ſeine Gelegenheit
und Groͤſſe trifft mit ihm ein. Aber ſagte Ze-
no/ wird die Erfindung nicht der Stadt Cartha-
go zugeſchrieben? Jch erinnere mich aus den al-
ten Geſchicht-Schreibern: daß nach dem die
Carthaginenſer ihr Gebiete biß an das Phile-
niſche Altar und in Spanien erſtrecket/ ſie auſ-
ſerhalb der Gaditaniſchen Meer-Enge (welche
ſie ſtets mit einer Schiffs-Flotte beſetzt gehalten/
und auſſer ſelbtem alle betretende Frembden er-
ſaͤufft) insgemein nach den Jnſeln Caſſiterides
geſchifft haͤtten. Von dar waͤre ein Schiff durch
Ungewitter viel Tagereiſen weit auff ein groſſes
Eyland verſchlagen worden/ welches hernach
durch ihre Fruchtbarkeit/ geſunde Lufft/ An-
muth/ Schiffreiche Fluͤſſe viel Carthaginenſer
dahin/ und ihr ſandichtes von deꝛ Sonne und ſte-
ter Kriegsflam̃e brennendes Vaterland zu ver-
laſſen gelockt haͤtte; alſo daß die Suffetes in Sor
gen gerathen/ es wuͤrde Carthago dieſer daſelbſt
ſo groß gemachten Herrligkeit und der ſtets
beliebenden Neuigkeit halber gar oͤde gelaſſen/
und ihr Reich dahin verſetzt werden. Weßwe-
gen ſie nicht allein bey Lebens-Straffen fernere
Schiffarth dahin verboten/ ſondern auch den
Hanno mit einer Kriegs-Flotte dahin geſchickt/
welcher die daſelbſt niedergelaſſenen Carthagi-
nenſer auff die Schiffe gebracht/ und ungeach-
tet ihres erbaͤrmlichen Wehklagens/ daß ſie die
kaum gekoſtete Suͤßigkeit dieſes neuen Vater-
landes verlaſſen ſolten/ zuruͤck gefuͤhret haͤtte.
Auſſer allem Zweiffel/ antwortete Marcomir/
ſind die Carthaginenſer dahin kom̃en/ ſintemal
man daſelbſt hin und wieder Helffenbein/ da doch
daſelbſt, keine Elephanten ſind/ gefunden hat;
und es iſt bekandt/ daß die Roͤmer zu Carthago
noch in dem Tempel des Eſculapius zwey
Haͤute von daſelbſt gefangenen rauchen Wei-
bern gefunden/ welche eben derſelbe Hanno/
der gantz Africa umſchifft/ alle Meere durch-
forſcht/ alſo leicht das Atlantiſche Eyland fin-
den koͤnnen/ zum ewigen Gedaͤchtniß auffge-
henckt. Ja man glaubt numehro feſtiglich/ daß
der Carthaginenſer Vor-Eltern die Phoͤnicier
noch lange Zeit vorhero hinter dieſe Eylande
(die nichts minder als das Libyſche Gebuͤr ge
und das groſſe Meer von dem Phoͤniciſchen
Koͤnige Atlas den Nahmen bekommen) in das
groſſe Reich Kekiſem/ und dieſelben mittaͤgich-
ten Laͤnder/ die von dem Faͤrbe-Holtze theils be-
ruͤhmt ſind/ theils gar den Nahmen haben/ wor-
von der Egyptiſche Prieſter Santes dem So-
lon ſo viel zu erzehlen gewuſt/ gedrungen; als
wo biß an die Sudiſche Meer-Enge man von
ihnen viel Kennzeichen ſeit der Zeit angetrof-
fen. Jnſonderheit haben die Britannier noch
in dieſer neuen Welt ſolche Rieſen-Gebeine
ausgegraben/ die niemanden mehr als den Phoͤ-
niciſchen Enackitern und Chettern aͤhnlich ge-
ſehen. Von dieſen Rieſen erzehlen noch itzige
Einwohner/ daß ihre Vor-Eltern durch goͤtt-
lichen Beyſtand mitten durch die See fuͤr ih-
ren Feinden trocken gefuͤhret worden/ und aus
den Morgenlaͤndern uͤbers Meer dahin kom-
men waͤren/ praͤchtige Gebaͤue und noch ſicht-
bare Brunnen daſelbſt gebauet/ endlich durch
ihre abſcheuliche Laſter vom Himmliſchen Feu-
er ihre Vertilgung erholet haͤtten. Zeno ver-
wunderte ſich/ und meldete: Er koͤnte nicht be-
greiffen/ warum und wie ſie in ſo ſehr entfernte
Laͤnder gerathen? Ob ſie die Sonne auff ihrem
Wagen mitgenommen? Malovend verſetzte:
zum minſten hat ihnen ſo wohl die Sonne als
andere Geſtirne den Weg gewieſen. Wie
denn auch oberwehnter Koͤnig Atlas fuͤr des
Himmels Sohn/ des Saturnus Bruder/
und fuͤr den Erfinder der Sternkunſt gehalten/
und
[121]Arminius und Thußnelda.
und geglaubt wird: daß er/ oder ſein Bruder
Gadir zum erſten/ die Phoͤnicier aber mehr-
mahls/ inſonderheit unter dem Koͤnige Hiram
aus Jdumaͤa/ und mit ihm die Juden dahin ge-
fahren. Die Phoͤnicier hatten auch den Nord-
ſtern zum erſten zum Leitſtern ihrer Schiffarth
erkieſet. Die Urſachen lieſſen ſich auch leicht
errathen; nachdem die Phoͤnicier den Noth-
zwang ihrer Flucht aus ihrem Vaterlande/
woraus ſie vorher in Egypten/ Perſien/ Ba-
ctrian/ uͤber den Ganges und Jndus/ und das
Caſpiſche Meer in Jndien und zu den Scythen
Volckreiche Heere geſchickt hatten/ ſelbſt bey der
Stadt Tingis in eine marmelne Saͤule gegra-
ben/ nehmlich ſie haͤtten fuͤr dem Antlitze des
Raͤubers Joſua entlauffen muͤſſen. Ob ſie nun
zwar gantz Africa uͤberſchwemmet/ in Spanien
Gades/ in Gallien Maßilien/ die Baleari-
ſchen/ wie auch die Heſperiſchen und Caßiteri-
ſchen Eylande bebauet/ ſo haben ſie doch daſelbſt
nicht immer feſten Fuß ſetzen koͤnnen; Son-
dern es haben die Pharuſier und Nigriten in
Mauritanien alleine 300. ihrer Staͤdte eingeaͤ-
ſchert/ und ſie die beruͤhmten ſieben gluͤckſeligen
Jnſeln/ die man von den Cananeern hernach die
Canariſchen geheiſſen/ zu bebauen/ hernach gar
hinter der beruͤhmten Jnſel Cerne/ durch das
von Schilf und Kraͤutern gantz uͤberwachſene
Atlantiſche Meer neue Laͤnder zu ſuchen ge-
zwungen/ worvon dieſe gluͤckſeligen Eylande
ſelbſt ſo leer und wuͤſte ſtehen blieben/ daß die
Nachkommen ſo gar nichts mehr vom Gebrau-
che des Feuers gewuͤſt. Dieſe Phoͤnicier und
Gaditaner waren ebensfalls ſchon gantz Africa
zu umbſchiffen gewohnt/ derer zerſcheiterte
Schiffe mehrmals auf der Mohrenlaͤndiſchen
Kuͤſte bey dem Eingange des rothen Meers ge-
funden/ und aus dem Zeichen eines Pferdes fuͤr
Gaditaniſche erkennet/ ja von dem Egyptiſchen
Koͤnige Necko die Schiffarth aus dem Nil biß
in das rothe Meer gewieſen worden. Der
Weg nach dem euſerſten Eylande Thule war
ihnen eine gebaͤhnte Straſſe; nach dem die zwey
Tyrier Mantinias und Dercyllides dahin ver-
ſchlagen worden/ wie die in ihren Graͤbern zu
Tyrus gefundene Cypreſſen-Taffeln und des
Antonius Diogenes Anmerckungen hiervon
ſattſames Licht geben. Alſo ihre Reiſe nach
dem Atlantiſchen Eylande fuͤr kein ſolch Wun-
derwerck zu halten/ in dem man von den gluͤck-
ſeligen Jnſeln bey gutem Winde in funfzehn
Tagen unſchwer dahin ſegeln kan. Die Bri-
tannier haben dieſe Laͤnder eben ſo reich von
Golde und Silber/ wie ſie Silenus ſchon dem
Midas beſchrieben/ ja unterſchiedene ausgeleer-
te Ertzt-Gruben/ und aus den Adern gehaue-
nes Gold/ (worvon doch die Jnnwohner da-
ſelbſt nichts gewuſt/ ſondern das Gold aus den
Fluͤſſen gefiſcht) nichts minder ſo dicke Baͤume/
die ſechszehn Menſchen kaum umklaftern koͤn-
nen/ und der Phoͤnicier runde Bauart gefun-
den. So diente auch fuͤr die Phoͤnicier zum
Beweiſe: daß beyde Voͤlcker des Koͤnigs Fuͤſſe
zu kuͤſſen/ die Haare biß auf den Wuͤrbel abzu-
ſchneiden/ die Leichen an der Sonne auszu-
doͤrren/ und in Haͤuſern zum Gedaͤchtniſſe auf-
zuſetzen/ die Jungfrauſchafften ihrer Braͤute
den Koͤnigen aufzuopffern/ das Hundefleiſch
fuͤr koͤſtliche Speiſe zu halten/ den Gott Cham
oder Chambal unter der Geſtalt eines ſchwar-
tzen ein Weib abbildenden Steines zu verehren/
ſelbtem ihre Kinder beym Feuer zu opffern/
beym Beten die Hand auf den Mund zu legen/
und aus ihren Gliedern Blut zu laſſen/ bey
Verehrung ihrer Goͤtter uͤbers Feuer zu ſprin-
gen/ der Sonnen in Geſtalt eines Loͤwen zu die-
nen gewohnt geweſen/ beyde auch die Mitter-
naͤchtiſchen Geſtirne mit einerley Nahmen ge-
nennt/ die letzten Erfinder der neuen Welt ſol-
che in Sitten und natuͤrlichen Dingen aufs ge-
naueſte befunden haben; wie die Alten das At-
lantiſche Eyland abgemahlt. Rhemetalces
fing hierauf an: Dieſes ſind ſicher ſcheinbare
Kennzeichen/ daß die Phoͤnicier dahin geſegelt;
Erſter Theil. Qaber
[122]Anderes Buch
aber ſollen dieſe wol allein in ſolche Laͤnder kom-
men ſeyn? Sie ruͤhmen ſich es/ ſagte Marco-
mir/ und haben deswegen den Hanno unter ih-
re Goͤtter gezehlet/ auch ſein Bild in die Tem-
pel geſetzt. Ja er ſelbſt ließ eine Menge lehrſa-
mer Voͤgel abrichten und hernach fliegen/ wel-
che ihn in der Lufft fuͤr einen groſſen Gott aus-
ſchryen. Jedoch ſtreiten die Egyptier und
Scythen mit ihnen ums Vorrecht. Von je-
nen iſt bekandt/ wie die Egyptiſchen Prieſter ſich
gegen den Solon geruͤhmt haben ſollen: daß O-
ſiris damals ſchon fuͤr neuntauſend Jahren die
Verwaltung Egyptiens ſeiner Jſis uͤberlaſſen/
die gantze Welt durchzogen/ endlich auch ſich die-
ſes Atlantiſchen Eylandes bemaͤchtigt/ und da-
ſelbſt ſeinen Enckel Neptun zum Koͤnige hinter-
laſſen haben ſolte. Ferner ſollen zu Thebe an
einem Obeliſcus/ unter dem Verzeichnuͤſſe der
Laͤnder/ welche Seſoſtris und Oſmandua beherꝛ-
ſchet/ auch dieſe fernen Abendlaͤnder begriffen ge-
weſen ſeyn. Welche Sage nicht allein der Raͤu-
ber-Jnſeln Einwohner daſelbſt gegen den Alla-
megan beſtaͤtigt haben/ ſondern der Egyptier
Buchſtaben/ welche theils allerhand Thiere/
theils verworrene Knoten und Schneckenhaͤu-
ſer abbildeten/ kommen auch mit der Schrifft in
Kokiſem nicht wenig uͤberein. Dieſer Meinung
dient nicht wenig zum Behelff: Daß/ ob wol die
gar alten Egyptier das Meer den Schaum des
Typhan und das Verderben genennt/ die Schif-
fer fuͤr wilde Menſchen/ die Fiſche fuͤr Merck-
mahle des Haſſes gehalten/ ſie dennoch hernach
der Schiffarth ſich ſorgfaͤltig befliſſen. Nach
dem auch Ptolomeus Evergetes von einem ge-
ſtrandeten Jndianer die Straſſe nach Jndien
erfahren/ hat ſo wol er als ſeine Gemahlin Cleo-
patra unterſchiedene Flotten dahin ausgeruͤſtet/
welche durch die Meer-Enge zwiſchen Abalites
und Ocelis um das von dem Gewuͤrtze den Nah-
men habenden Vorgebuͤrge nach der groſſen E-
lephanten Jnſel Menutheſias und der beruͤhm-
ten Handelſtadt in Africa/ nach Taprobana/
nach der Stadt Ganges/ in den guͤldenen Cher-
ſoneſus/ ja biß zu dem euſerſten Eylande Jam-
boli gefahren/ und viel koͤſtliche Waaren nach
Arſinoe zuruͤck gebracht. Der fluͤchtige Eudo-
xus iſt fuͤr dem Koͤnige Latirus aus dem Arabi-
ſchen Meere biß nach Gades geſegelt. Nichts
minder waͤre ein von dem Egyptiſchen Koͤnige
Nechus aus der Handelſtadt Aduli im rothen
Meere abgeſchicktes Schiff/ nach dreyjaͤhriger
Fahrt umb gantz Africa in den Canobiſchen
Mund des Nilus eingelauffen. Alleine wie fuͤr
Zeiten die Scythen denen Egyptiern in ihrem
Zwiſt um ihr Alterthum aus wichtigen Urſa-
chen abgewonnen; Alſo ruͤhmen ſich auch die
Hunnen/ Fennen/ Helluſier/ Oxioner/ Satma-
ler/ Faneſier/ Chadener/ in der euſſerſten Mitter-
nacht/ uͤber dem Berge Sevo bey dem groſſen
Meer-Nabel wohnenden Deutſchen und die
Hyperboriſchen Scythen: daß ſie von deꝛ Nord-
ſpitze Rubeas aus dem Eylande Carambutze
und Oone/ aus dem Gleſſariſchen Eylande/ aus
Thule und Kronen uͤber das gefrorne Amalchi-
ſche und Sarmatiſche Meer gelauffen/ die Tau-
ten und Manſen auf ihren Jnſeln uͤberwaͤltigt/
hernach in das oͤſtliche Nordtheil dieſer neuen
Welt/ darinnen wie bey den Scythen Elend-
Thiere und weiſſe Baͤren/ die Anbetung der
Sonnen und das Eſſen der rohen Speiſen an-
getroffen wird/ beſonders durch Huͤlffe ihrer
ſchnellen Rennthiere/ und derer geſchwinde Hir-
ſchen uͤberlauffender Hunde/ gedrungen waͤren/
endlich ſich ſehr weit gegen Sud gezogen haͤtten.
Dahero die Einwohner im Vaterlande des ro-
then Faͤrbeholtzes den Hyperboriern/ ihre Spra-
che der Fenniſchen nicht wenig gleiche ſey. Die
Urſachen waͤren theils ihre Gebuꝛtsart und Ge-
wohnheit/ da ſie nemlich nirgends lange zu ra-
ſten/ auch ſtets inneꝛliche Kꝛiege zu hegen pflegten/
theils/ daß ihꝛ Vateꝛland ihrem fruchtbaꝛen Vol-
cke zu enge werden wollen/ welches dahero ſein
Reich nach Uberwindung des Koͤnigs Vexoris
biß an Egypten ergroͤſſert/ und Aſien dreymal
eingenom̃en haͤtte. Zeno fing hieꝛauf an: Er erin-
nerte ſich nun auch deſſen/ was er in Moꝛgenland
von
[123]Arminius und Thußnelda.
von den Oſt-Seythen gehoͤret/ wormit er deßwe-
gen ſo lange zuruͤck gehalten/ weil ihm unglaub-
lich geſchienen/ daß das Atlantiſche Eyland ſo
weit und ferne ſich erſtrecken ſolte. Nachdem er
aber hoͤrte: es waͤre groͤſſer als Aſien und Africa/
hielte er es eben fuͤr das von den Oſt-Scythen
ihm beſchriebene Land. Dieſe ruͤhmten ſich
nun: daß ihre Voreltern hinter Caolidenen Zi-
pangrern und Goldreichen Chryſen in das weſt-
liche Nord-Theil dieſer Welt/ welches entwe-
der zuſammen reichte/ oder/ welches glaublicher/
nur durch eine ſchmale Meer-Enge bey dem
Aſiatiſchen Land-Ecke Tabin getrennet waͤre/
und mit ihnen die in beyden Theilen gemeinen
Hirſche/ Baͤren/ Loͤwen/ inſonderheit aber die
wunderſchoͤnen Voͤgel einen Weg gefunden haͤt-
ten. Jhr erſter Zug waͤre dahin geſchehen von
den Tabinern/ Apaleern und Maſſageten/ wel-
che fuͤr den Scythiſchen Menſchen-Freſſern in
dieſe neue Welt ſich gerettet/ und von den Seren
an biß an das Vorgebuͤrge Tabin Scythien wuͤ-
ſte und oͤde gelaſſen haͤtten/ derer Nachkommen
daſelbſt noch die Tambier/ Apalatker und Maſ-
ſachuſeten genennet wuͤrden. Das andere mal
waͤren die wilden Moaln/ Ungern/ Alanen/
Avaren dahin eingefallen/ und daſelbſt ihre Sit-
ten eingepflantzt/ daß nemlich die Chichimecken/
Pileoſonen/ Cherignanen und andere Men-
ſchen-Freſſer keine Baͤrte/ und nur im Hinter-
theil des Kopfs einen Puſch Haare truͤgen/ des
Jahres nur einen Feyertag hielten/ nur in be-
weglichen Huͤtten wohnten/ Pfeile aus geſchlif-
fenen Steinen und Fiſchbeine brauchten/ viel
Weiber nehmen und in die Blut-Freundſchafft
heyratheten/ ihre Leiber und Antlitze mit Loͤwen/
Drachen und Voͤgeln bemahlten/ den Gefange-
nen die Haut und Haare vom Kopfe ziehen/ ihre
veralteten und erkranckenden Eltern und Ge-
ſchwiſter toͤdteten und eſſen/ oder den wilden
Thieren fuͤrwuͤrffen/ ihrer Feinde gefangene
Weiber nur zum Kinder - empfangen leben
lieſſen/ wormit ſie entweder die neugebohrnen/
odeꝛ noch zur Unzeit ausgeſchnittenen Fruͤchte zu
ihrer unmenſchlichen Speiſe bekaͤmen; daß viel
die todten Leichen wider die Kaͤlte in Peltze huͤlle-
ten/ in ihre Graͤber Eſſen ſetzten/ den verſtorbe-
nen Fuͤrſten zu Ehren ihre Knechte/ Geſinde
und Gefangenen/ derer Zahl ſich mehrmals
auff viel tauſend erſtreckte/ ſchlachteten/ ihre
Buͤndnuͤſſe mit Blute aus der Zunge und der
Hand beſtaͤtigten/ ihre Braͤute andere vorher
entehren lieſſen/ Menſchen-Blut trincken/ ſich
mit vielerley Federn ſchmuͤckten/ daß ſie einen
Schoͤpfer der Welt anbeteten/ nebſt dem aber
die Geſtirne/ Feuer/ Waſſer/ Erde und den
Wind verehrten/ bey ihrer Sebel und dem
Winde ſchwuͤren/ die Pipeles/ ein in Stein ge-
hauenes Weib/ ſo/ wie am Fluſſe Carambutzis
geſchehe/ mit Blute von geopferten Thieren be-
ſpritzten und ſelbtes ihnen wahrſagen lieſſen;
endlich ein Stuͤck Tuch zum Kennzeichen ihres
Reichs auffhenckten. Rhemetalces fiel dem
Zeno hiermit in die Rede und ſagte: Die
Ubereinſtimmung ſo ſeltzamer und theils un-
menſchlicher Gebraͤuche waͤre ſchwerlich einem
miltern Volcke/ als den rauhen Oſt-Scythen/
zuzueignen/ und dahero ein glaubhaffter Grund/
daß dieſe ehe als die Weſt-Scythen und Phoͤ-
nicier ſich in dieſe Laͤnder verſetzt haͤtten. Ja/
antwortete Malovend/ aber fuͤr die Phoͤnicier
ſtreiten/ wo nicht groͤſſere/ doch gleichwich-
tige Urſachen/ und der groſſe Unterſchied/ wie
auch der unglaubliche Umbſchweiff dieſes Ey-
landes beredet mich feſtiglich/ daß vielerley Voͤl-
cker darein gewandert ſind. Denn die im
Reiche Kokiſem bluͤhenden Kuͤnſte der Weber-
und Seidenſtuͤckerey/ der Goldarbeitung/ die
Bau-Kunſt/ die tugendhaften Sitten ſind un-
zweifelbare Andeutungen/ daß ſie nicht von den
rauhen Scythen entſproſſen/ ſondern die ihnen
in allem faſt gleichende Serer/ die Einwohner
uͤber dem Berge Jmaus/ die Zipangrier dahin
muͤſſen kommen ſeyn. Sintemal die im Rei-
che Kokiſem ſelbſt berichten/ daß fuͤr 400. Jahren
noch daſelbſt die wilden Chichimeken gewohnt/
die aber welche die Mittags-Laͤnder bewohnen/
Q 2und
[124]Anderes Buch
und ſelbte die vier Ende der Welt heiſſen/ fuͤr-
geben: daß fuͤr eben ſo weniger Zeit alldort kein
Acker-Bau/ keine Staͤdte/ kein Gottes-Dienſt/
kein Geſetze geweſt/ ſondern die Menſchen bey
den Thieren in Hoͤlen gewohnt/ Wurtzeln und
Menſchen-Fleiſch gefreſſen/ und mit Baum-
Rinden ſich gekleidet haͤtten. Es habe aber
ihr Vater die Sonne ſeinen Sohn Manco und
Tochter Coya zu ihnen geſchickt/ dieſe waͤren zu
erſt beym See Teticaka ankommen/ haͤtten bey
dem Huͤgel Huanacaut die Haupt-Stadt Cutz-
ko gebaut/ und das Volck beſſer zu leben gelehrt.
Dieſer Manco iſt der erſte Jnga/ und allem An-
ſehn nach ein Frembder aus dem wolgeſitteten
Aſien geweſt/ weil er und die Jngen ſeine Ge-
ferten eben wie die Serer weitausgeſpannte
durchloͤcherte Ohren gehabt/ eben ſo praͤchtig als
jene gebaut/ und ihre Koͤnige auffs demuͤthigſte
zu verehren eingefuͤhrt; alſo/ daß auch ſein Spei-
chel von einem ihrer Fuͤrſten mit groſſer Ehrer-
bietung auffgefangen wuͤrde. Maſſen denn
auch die Epiceriner in Canada/ wie auch die
Quantulkaner von weit gegen Weſten ent-
legenen dahin kommenden in eitel Seide geklei-
deten Kauffleuten/ und daß bey Quivira mit
Gold und Silber hinten gezierte Schiffe/ der-
gleichen die Zipangrier und Serer fuͤhren/ geſe-
hen worden/ die Californier von baͤrtichten in
einer andern Welt wohnenden Leuten zu erzeh-
len gewuͤſt. Auch haͤtten die/ derer See-Macht
einſt gantz Ophir/ alle Oſt-Jndiſche Jnſeln biß
an den Perſiſchen See-Buſen und das groͤſte
Theil Scythiens beherrſchet/ biß ſie bey Tapro-
bana auf einmal achthundert Schiffe eingebuͤſſt/
durch das friedſame Meer/ bey denen daſelbſt ſte-
ten Winden/ gar leicht in Kokiſem und das ſo ge-
nante Land der vier Welt-Ende uͤberſchiffen/ die
Zipangrier aher auf das an der neuen Welt han-
gende Land Seſſo noch leichter kommen koͤnnen.
Ja die Aricier und Jeenſer ſolten ſelbſt aus dieſer
neuẽ Welt auf Schiffen/ darauf die Segel Haͤute
von Meer-Woͤlffen geweſen/ in Oſt-Jndien ge-
reiſet ſeyn. Die Zeit/ da die neuen Bewohner
des Reichs Kokiſem in die neue Welt angelendet/
trifft auch mit derſelben ein/ da Uzou/ der groſſe
Scythen Koͤnig/ zwiſchen dem Caſpiſchen Mee-
re/ dem Fluſſe Jaxartes und dem Berge Jmaus/
uͤber diß Gebuͤrge geſetzt/ und an dem Strome
Oechardus/ Bautiſus die Rhabbaneer und an-
dere Noͤrdliche Oſt-Voͤlcker uͤberwunden hat/
derer fluͤchtiger Koͤnig Tepin ſich mit tauſend
Schiffen in entfernte Laͤnder gefluͤchtet/ welche
Menge Volcks nirgend beſſern Raum als in
dieſer neuen Welt gefunden/ und ein groſſes
Theil dem in ſieben Voͤlcker zertheilten Ge-
biete der Novatlaker abgegeben hat. Maſſen
denn auch der letztere Koͤnig dieſes Volcks/ den
unſer Feldherr Marcomir gefangen bekommen/
ſelbſt auch dieſe Ankunfft ſeiner Voreltern aus
entfernten Weſt-Laͤndern/ ihre Anlaͤndung an
dem Californiſchen Geſtade/ und ihre Uberkunft/
in ausgehoͤlten Baͤumen uͤber den See-Buſen
in das Land Aſtatlan erzehlet hat. Nichts min-
der haben ihn etliche daſelbſt geweſene Britan-
nier verſichert/ daß dieſe Frembdlinge in dieſen
Laͤndern hohe marmelne Thuͤrme/ groͤſſere und
ſchoͤnere Pallaͤſte/ als in Europa waͤren/ gebauet
haͤtten/ ihr Feder-Mahlwerck aber waͤre ein
Wunder in frembden Augen. Zeno beſtaͤtigte es
mit der Scythen und Serer Berichte/ und ſetzte
bey: Jhr Koͤnig nennte ſich wie der Seriſche ei-
nen Herrn der Welt/ einen Sohn des Himmels
und der Sonnen; Beyder Zierrathen und Wap-
pen waͤren Drachen/ Schlangen und ein Regen-
bogen; beyde Voͤlcker druͤckten mit Mahlwerck
und Sinnen - Bildern aus/ was andere mit
der Schrifft. Malovend ſetzte hierauff als
etwas merckwuͤrdiges bey/ daß ſie/ als Her-
tzog Marcomirs Volck zu ihnen kommen/
gefragt: Ob ſie nicht von Oſten kaͤmen? weil
ihnen ein beruͤhmter Jucutaner Chila Cambel/
und ein ander den Mechoakanern geweiſſaget:
Es wuͤrde ein frembdes Volck aus Morgen-
land ſie uͤberziehen. Rhemetalces fing hier-
auff an: Jch vernehme aus dieſer Erzehlung/
daß die Britannier dieſe neue Welt mehr als
fuͤr
[125]Arminius und Thußnelda.
fuͤr dieſem einiges Volck erkundigt/ und daß
ſolche unter der Deutſchen Herrſchafft beſtehe.
Dahero muß ich meine Gedancken aͤndern.
Sintemahl ich die Atlantiſche Jnſel zeither fuͤr
ſo weſentlich/ als die Laͤnder im Monden gehal-
ten/ von denen darhinter liegenden andern Laͤn-
dern aber das minſte gehoͤret. Nunmehr/ ſag-
te Malovend/ iſt nichts gewiſſers; ja es haben
ſeit der Zeit die Britannier und Bataver nebſt
unſern Frieſen gegen Sud noch eine dritte
Welt entdecket/ welche an einem Ende durch
zwey Meer-Engen von der neuen Welt und
dem ſo genennten Feuer-Lande abgeſchnitten
wird/ in der man aber noch zur Zeit nichts als die
ſteilen Ufer und etliche wilde Menſchen erkun-
digen koͤnnen. Zeno fing hierauff an: Wer a-
ber hat den Britanniern den erſten Weg dahin
gewieſen/ und wie ſind die Bataver und Frieſen
dahin kommen? Der allgemeine Wegweiſer/
nehmlich das Ungewitter/ antwortete Malo-
vend/ iſt es bey dieſer letztern Erfindung ebens-
falls geweſt. Jch erinnere mich nun/ antwor-
tete Rhemetalces/ daß ich zu Rom gehoͤret/ es
habe ein deutſcher Fuͤrſt dem Landvogte in Gal-
lien Q. Metellus etliche fremde Menſchen ver-
ehret/ welche mit einem Schiffe aus dem groſſen
Atlantiſchen Eylande in die Deutſche Nord-
See getrieben worden. Malovend verſetzte:
Diß iſt Hertzog Herrmañs Vater geweſen/ wel-
cher ſie vorher von dem Hertzoge der Frieſen be-
kommen. Er hat aber ihre ungefaͤhrliche An-
lendung den Roͤmern nur weiß gemacht/ weil
ſelbige Menſchen die dahin fahrenden Frieſen
mit heraus gebracht. Unterdeſſen bleibet gleich-
wohl wahr/ daß auff dem Meere die Schiffe ſo
weit koͤnnen verſchlagen werden. Sintemahl
ſchon fuͤr mehr als fuͤnff hundert Jahren bey der
Stadt Treva Atlantiſche Einwohner angelaͤn-
det ſind/ und andere dergleichen von den Galli-
ern im Aqvitaniſchen Meere auffgefangen wor-
den. Gleicher geſtalt hat Nocol ein Ligurier/
der bey den Britaniern den Ruhm der letzten
Erfindung darvon getragen/ Nachricht von die-
ſer neuen Welt von einem auff der Hiberniſchen
Kuͤſte ſcheiternden Jberier/ der durch Sturm
auff die Britanniſche Jnſel gediegen/ erfahren.
Dieſe Britannier haben ſie zwar nichts minder
als vor Zeiten die von Carthago fuͤr allen andern
Voͤlckern moͤglichſt verſchloſſen; aber nachdem
die Bataver und Frieſen mit den Britanniern
gantzer achzig Jahr Krieg gefuͤhret/ und ihnen
im groſſen Meere viel daraus kommende Sil-
berſchiffe weggenom̃en/ haben ſie hierdurch den
Schluͤſſel und den Weg auch in dieſe neue Welt
gefunden/ und ſich vieler groſſen Laͤnder be-
maͤchtigt. Es ruͤhmen ſich aber unſere Cim-
bern/ daß mehr als 300. Jahr fuͤr dieſer letzten
Entdeckung nach Abſterben ihres Fuͤrſten
Guͤneths ſein Sohn Madoch/ aus Verdruß
der mit ſeinen Bruͤdern entſponnenen kriegeri-
ſchen Zwytracht/ mit etlichen Schiffen dieſe itzt
wieder neue Welt erkundigt/ ja zweymahl wie-
der zuruͤck kommen ſey/ und immermehr ſeines
Land-Volcks dahin gefuͤhret habe. Die War-
heit deſſen wird dadurch beſtaͤrcket/ daß noch itzt
die Gnahutemallier dieſen Madoch Zungam
als einen groſſen Helden und Halb-Gott vereh-
ren. Nichts weniger beſcheinigen unſere Si-
tonier/ die das Nord-Gebuͤrge Sevo an dem
groſſen Weltmeere bewohnen/ daß ihrer em
groß theil ſchon fuͤr acht hundert Jahren fuͤr dem
Wuͤteriche Harfager ſich auff das Eyland Thu-
le gerettet/ von dar uͤber eine Meer-Enge in
Kronien oder Groͤnland/ und aus dieſem theils
zu Lande/ theils uͤber einen See-Buſen in die
Nord-Laͤnder der neuen Welt kommen waͤren.
Jch wundere mich/ hob Rhemetalces an/ daß in
dieſer Mitternacht nicht nur die Atlantiſche Jn-
ſel ſondern auch fernere und groͤſſere Laͤnder ſo
gar kein Geheimniß ſind/ da doch wir und die Roͤ-
mer ſelbſt ſolche fuͤr eitel Traͤume haltẽ/ oder doch
der Egyptiſchen Prieſter Bericht geglaubt ha-
ben/ daß die Atlantiſche Jnſel durch ein Erdbe-
ben und eine groſſe Ergieſſung der Waſſer vom
Meere verſchlungen worden ſey. Maldvend
verſetzte: Es ſey nicht zu verwundern/ daß die-
Q 3ſelbten
[126]Anderes Buch
ſelbten Voͤlcker/ die nicht ſelbſt dahin kommen/
ſo wenig davon wuͤſten/ weil wegen derſelben
groſſen Reichthums/ in dem man ſo viel Edel-
geſteine und Perlen in den Bergen und Ufern/
ſo viel Gold im Sande/ ja gantze Berge voll
Silber daſelbſt finde/ alle Voͤlcker iederzeit an-
dern die Mittheilung dieſer Schaͤtze mißgegoͤn-
net. Der berichtete Untergang ſey nicht gaͤntz-
lich ein Gedichte; Sintemahl die groſſe Atlan-
tiſche Jnſel zwar nicht gar wie die Phoͤnicier
und Carthaginenſer die albere Welt zu ihrem
Vortheil beredet/ doch gutentheils zu Grunde
gegangen/ und in viel kleine unter und um den
himmliſchen Krebs-Strich liegende Eylande
zertheilet worden. Dieſes ſey in der groſſen
Erdkugel nichts neues/ und waͤren ſo wohl die
gegen dem Coryſchen Vorgebuͤrge und dem Ey-
lande Taprobana Sudwerts liegende 11000.
Jnſeln fuͤr Alters ein zuſammen hangendes
Erdreich geweſt. Dieſe neue Welt waͤre auch
dergleichen Uberſchwemmungen offters unter-
worffen/ nachdem ſelbte unterſchiedene ſo groſſe
Fluͤſſe haͤtte/ deren einer die Erde zu erſaͤuffen
groß genug ſchiene/ und gegen welche die Do-
nau/ der Ganges/ der Rhein und Phrat fuͤr
kleine Regen-Baͤche anzuſehen waͤren. Sol-
ten gleichwohl die Griechen und Roͤmer/ fing
Zeno an/ dieſes Geheimniß nicht ergruͤbelt ha-
ben? Fuͤr beyde ſtreitet/ daß ihre Weltweiſen aus
der Runde des den Monden verfinſternden
Schattens/ aus dem unterſchiedenen Auffgan-
ge der Sonnen/ und aus der Umweltzung des
geſtirnten Himmels um den unbeweglichen An-
gelſtern/ die Runde der aus Erden und Meer
beſtehenden Kugel erwieſen/ und geglaubt ha-
ben/ daß auff ſelbter die Menſchen ſeitwerts
wohneten/ und uns die Fuͤſſe kehrten. Weil
nun die insgemein kundige Welt nicht einmahl
die Helffte ſolcher Kugel begreifft/ haͤtten ſie ihnen
leicht die Rechnung machen koͤnnen/ daß das an-
dere groͤſte Theil nicht eitel Waſſer ohne Land/
ſolche Laͤnder aber nicht gantz unbewohnt ſeyn
koͤnten. Abſonderlich kommet den Griechen zu
ſtatten/ daß ſie mit der Stadt Carthago mehr-
mahls in vertraulichem-Buͤndniſſe gelebt/ daß
Menelaus ſchon durch das Mittel-Meer um
gantz Africa geſegelt/ Jndien beſichtigt und nach
acht Jahren erſt wieder nach Hauſe kom̃en ſeyn
ſolle. Die Koͤnige Selevcus und Antiochus ha-
ben hinter der Caſpiſchen See die Fluͤſſe Rha/
Carambucis und unterſchiedene Ufer des Mit-
ternaͤchtiſchen Weltmeeres entdecket. Nearchus
und Oneſicritus des groſſen Alexanders Kriegs-
Haͤupter das Jndiſche und Perſiſche Meer vom
Einfluſſe des Ganges um das Coꝛyſche ſich weit
gegen Sud erſtreckende Vorgebuͤrge biß zum
Phrat ausgeforſchet/ nachdem Alexander ſelbſt
auff dem Fluße Jndus ins Meer gefahren/ ſelb-
tes mit hineingeworffenen guͤldnen Geſchirren
verſohnet/ auff dem euſerſten, Eylande Cilluta
der Thetys ein Altar gebauet und geopffert hat-
te. Ja Nearchus waͤre gar um Africa herum
und durch die Gadiſche Meer-Enge in Mace-
donien eingelauffen. Homerus haͤtte ſchon von
gluͤcklichen Eylanden/ vom Atlandiſchen Mee-
re und der Jnſel Ogygia zu ſingen gewuſt. Die
Roͤmer aber haben das unwirthbare Gebuͤrge
des Caucaſus und die Caſpiſchen Pforten nicht
aufzuhalten vermocht/ daß ſie nicht meiner Vor-
Eltern Pontiſches Koͤnigreich/ das gegen den
groſſen Cyrus/ den ſchlauen Philip/ den groſſen
Alexander/ den Sopyrion ſo groſſe Thaten aus-
gerichtet/ ihnen dienſtbar gemacht. Sie haben
auch alle Heimligkeiten der Stadt Carthago
und darunter inſondeꝛheit die beruͤhmten Schif-
farths-Beſchreibungen des Hanno und Himil-
co/ wie nichts minder die Schrifften des Pyneas
von Maßilien/ der von den Seulen Hercules
biß an den Fluß Tanais alle Laͤnder durchſuchet/
in ihre Haͤnde bekommen/ alle ihre Schiff- und
Boots-Leute zu Sclaven gemacht; Mit dem
Koͤnige Juba/ der ſo offt in die gluͤckſeligen Ey-
lande geſchifft/ ſo gute Kundſchafft/ ja ſelbſt in
der Schiffarth ſo groſſe Erfahrung gehabt.
Sin-
[127]Arminius und Thußnelda.
Sintemahl bekandt iſt/ daß die Roͤmer gegen
Mitternacht biß ins weiße Meer in das Vor-
gebuͤrge Rubeas/ und biß in die Jnſel Thu-
le/ gegen Mittag um gantz Africa geſegelt. Caͤ-
lius Antipater iſt ſchon von Ulyßipo biß in das
innerſte Mohrenland gefahren; Als noch fuͤr
wenig Jahren des Kaͤyſers Auguſtus Enckel
Cajus auf dem rothen Meere zu thun gehabt/
ſind daſelbſt kenntbare Stuͤcke von zerſcheiter-
ten Gaditaniſchen Schiffen/ die um gantz Afri-
ca muͤſſen gelauffen ſeyn/ angeſtrandet. Ein
freygelaſſener des Annius Plocanus/ der den
Zoll auf dem rothen Meere vom Kaͤyſer im Be-
ſtande gehabt/ iſt in funfzehn Tagen bis in den
Hafen Hippuros des Eylands Taprobana ge-
ſegelt. Zum Sertorius in Spanien ſind
Schiffleute aus den gluͤckſeligen Jnſeln kom-
men/ die ihm das Land und deſſelben Einwoh-
ner dergeſtalt gelobet/ daß er dahin zu fahren
und ſein Leben darauf zu endigen bey ſich be-
ſchloſſen. Des itzigen Kaͤyſers Landvogt in
Egypten hat noch alle Jahr hundert und zwan-
tzig Schiffe in Jndien geſchickt. Ja da Pu-
blius Craſſus die viel weiter entlegenen Caßite-
riſchen Eylande entdecket; Welche zienreiche
Laͤnder die Carthaginenſer ſo ſorgfaͤltig fuͤr ih-
nen verbargen/ daß ſie einem Phoͤniciſchen
Schiffer gerne allen Schaden erſetzten/ der/ um
einem ihm folgenden Roͤmiſchen Schiffe nicht
den Weg dahin zu weiſen/ mit Fleiß an Africa
ſtrandete/ ſcheinet unglaͤublich/ daß ſie von dar
nicht eben ſo wol als die Phoͤnicier in die Atlan-
tiſchen Jnſeln ſolten gedrungen ſeyn. Zuge-
ſchweigen/ daß Elianus Selenus/ in ſeinem Ge-
ſpraͤche mit dem Phrygiſchen Koͤnige Mydas/
ein Eyland von Groͤſſe/ Einwohnern/ Sitten
und Reichthum dergeſtalt beſchreibet/ daß
kein Ey dem andern/ als ſelbtes dieſer neuen
Welt ehnlich ſeyn kan. Ja weil die Heſperi-
ſchen Eylande/ der Alten Beſchreibung nach/
viertzig Tagereiſen entfernet ſeyn ſollen; muͤſ-
ſen ſie nothſchluͤßlich dieſelben/ welche fuͤr dem
feſten Lande dieſer neuen Welt liegen/ nicht a-
ber die gluͤckſeligen ſeyn/ von denen die Gorgo-
niſchen nur ſieben Tagereiſen entfernet ſind.
Und ich erinnere mich zweyer in Ertzt geetzter
und in des Mecenas Buͤcher-Saale befindli-
cher Taffeln/ derer eine der Mileſiſche Amaxi-
mander/ der zum erſten ſie erfunden haben ſoll/
die andere Ariſtagoras gemacht/ und dem Fuͤr-
ſten Cleomenes zu Sparta geſchenckt/ die dritte
Socrates gefertigt/ und dardurch dem ſo reich
beguͤterten Alcibiades den engen Umkreiß
Griechenlands/ und den unſichtbaren Son-
nenſtaub ſeiner engen Landguͤter zu Maͤßigung
ſeines Hochmuths eingehalten haben ſoll. Jn
dieſen habe ich gegen Africa uͤber groſſe Eylande
und feſte Laͤnder/ wiewohl etwas tunckel ver-
merckt geſehen. Malovend brach ein: Sollen
die Landtaffeln/ die ich fuͤr gar was neues gehal-
ten/ gleichwohl ſo alt/ auch dieſe des Mecenas
nicht etwa neue Nachgemaͤchte ſeyn? Zeno ant-
wortete: Jch zweiffele weder an einem noch
dem andern. Denn Mecenas iſt in Kennt-
nuͤſſen der Alterthuͤmer ſo erfahren geweſt/ daß
er ihm nicht leicht hat etwas auf binden laſſen.
Griechenland hat auch nichts ſo ſeltzames und
werthes beſeſſen/ deſſen ſie dieſen groſſen Freund
der gelehrten Welt nicht wuͤrdig geſchaͤtzt/ oder
zum minſten durch eine gegen ihm ausgeuͤbte
Freygebigkeit ihnen nicht haͤtten des Kaͤyſers
Gnade zuziehen wollen. Zumahl auch die/
welche den Mecenas mit etwas beſchenckten/
mehr Wucher trieben als Verluſt litten; Weil
der Genuͤß deſſen/ was er beſaß/ faſt aller Welt
gemein/ und ſeine Vergeltung ſtets zweymahl
uͤberwichtig war. Die Landtaffeln aber ſind
ſo alt/ daß man insgemein glaubt/ es ſey der
von dem Eolus dem Ulyſſes verehrte Sack/
darinnen die Winde verſchloſſen geweſen ſeyn
ſollen/ nichts anders als ein Widderfell geweſen/
darauf der Abriß des Mittellaͤndiſchen Mee-
res/ ſeiner Klippen und Winde geſtanden. Ma-
lovend begegnete ihm: Es laͤſſet ſich nach eines
Din-
[128]Anderes Buch
Dinges Erfindung vielerley leicht muthmaſ-
ſen/ und nach dem Ausſchlage auch Traͤume zur
Wahrheit machen. Jch glaͤube auch wol/ daß
die Griechiſchen Weiſen ihnen von unbekanten
Laͤndern in dem Gehirne und auff dem Papiere
mancherley Abriſſe gemacht/ gleichwol aber dar-
von keine Gewißheit erlangt/ weniger ſolche
ſelbſt betreten/ oder nur ins Geſichte bekommen
haben. Der Koͤmer wegen iſt uͤber obiges
noch beyzuſetzen/ daß man in der neuen Welt die
Roͤmiſchen Nahmen Titus und Paulus/ ja in
einer Silber-Gruben eine Muͤntze des Kayſers
Auguſtus gefunden. Alleine beydes iſt Zwei-
fels-frey von den Britanniern oder Batavern
vorher dahin bracht worden/ und kein einiger
gewiſſer Fußſtapfen von einem Roͤmer daſelbſt
anzutreffen/ derer keiner auch/ wie ruhmraͤthig
ſie gleich ſonſt ſind/ das minſte hiervon zu melden
weiß. Ja ich habe mir ſelbſt zu Rom ſagen laſ-
ſen/ daß die Roͤmer zwar nach Anleitung der
vom Hanno verfaſſeten fuͤnfjaͤhrigen Reiſe-Be-
ſchreibung etliche Schiffe ausgeſchickt/ welche
aber das wenigſte gefunden/ weßwegen man her-
nach ſeinen Ruhm fuͤr ein eiteles Getichte ge-
halten hat.
Rhemetalces fing an: Jch bin ſelbſt der Mey-
nung/ daß weder Grieche noch Roͤmer einigen
Fuß in dieſe andere Welt verſetzt habe/ weil bey-
de ruhmraͤthige Voͤlcker entweder hiervon gantz
ſtum̃ ſind/ oder allzumaͤſſig und zweifelhafft dar-
von reden. Mit was fuͤr Sorgfalt haben die
Griechen nicht auffgemerckt/ daß Dedalus die
Sege/ den Hobel/ das Bleymaß/ Theodor von
Samos das Richtſcheit/ den Drechsler-Zeug
und den Schluͤſſel/ Perdix nach Anleitung eines
Kinnbackens von einer Schlange den Zirckel/
Penthaſilea die Axt/ die Beotier zu Cope das
Ruder/ Jſis oder Jcarus die Segel/ Dedalus die
Segel-Stange und den Maſt-Baum/ Piſeus
die Schiffs-Schnautze/ Griphon der Scythe die
eiſernen Spitzen/ die Tyrrhener den Ancker/ A-
nacharſis die Schiff-Hacken/ Tiphys das Steu-
er-Ruder/ Neptun die Schiffs-Thuͤrme/ Glau-
cus oder vielmehr der erſte Schiffer Saturn die
Schiffs-Kunſt/ Proteus das Waſſertreten/ die
Phoͤnicier die Erkieſung beyder Angel-Sterne/
Hippius Tyrius die Laſt-Schiffe/ die Phoͤnicier
den Kahn/ die Jllyrier das Both/ die Cyrener
die Renn - die Salaminer die Pferde-
Schiffe erfunden haben. Die Roͤmer wiſſen
nicht ſattſam heraus zu ſtreichen/ daß Duillius
die anfaͤſſelnden Schiff - Troͤpfen/ Aprippa die
alle Maſt-Tauen durchſchneidende eiſerne Ha-
cken und Sicheln zu ſeinem Siege erdacht habe.
Wie ſolten ſie denn die Erfindung einer neuen
Welt verſchweigen? Wie viel Weſens haben
die Alten nicht von ihren geringen/ oder kaum
mittelmaͤſſigen Schiffarthen gemacht? Daß der
Egyptiſche Koͤnig Vexoris uͤber das ſchwartze
Meer biß zu den Scythen/ Tanais der Scy-
then Koͤnig aus der Meotiſchen Pfuͤtze biß an den
Nil/ Memnon aus Mohrenland in Phrygien
geſegelt/ waͤre ein Wunder-Werck der Vor-
Welt geweſt. Dannenhero ſie auch die Welt zu
uͤberreden geſucht/ daß Sonne und Mond nicht
auff Wagen/ ſondern auff Schiffen ihren Lauff
vollfuͤhrten/ die Geſchoͤpfe von der Feuchtigkeit
gezeugt und genaͤhret wuͤrden. Weßwegen
auch nicht nur in Egypten/ ſondern auch zu Rom
der Jſis Schiffe zum Gedaͤchtnuͤſſe ein jaͤhrliches
Feyer begangen wuͤrde. Das mit einem ge-
fluͤgelten Pferd bezeichnete Schiff des aus Grie-
chenland in Lycien fahrenden Bellerophon hat
verdient/ daß der Aberglaube ſein Kenn-Zeichen
nichts minder als das an dem Colchiſchen Ufer
geweſene Schiff der Argonauten unter die Ge-
ſtirne verſetzt. Nicht nur Jaſon ihr Haupt er-
warb den Nahmen eines Beſchirmers der
Griechen wider die See-Raͤuber/ und das Vor-
recht/ daß er alleine ſich langer Schiffe bedienen
dorfte; ſondern das wenige vom Phrixus in ein
Widder-Fell eingehuͤllte Gold ward fuͤr einen
guͤldnen Widder/ der Steuer-Mann Tiphys
fuͤr einen Halb-Gott/ ſein Nachfolger Anceus
fuͤr
[129]Arminius und Thußnelda.
fuͤr des Neptunus Sohn/ und der ſtumme
Maſt-Baum fuͤr einen Redner ausgeruffen.
Das zerbrochene Schiff Argos ward auff der
Corinthiſchen Land-Enge dem Meer-Gotte zu
einem Heiligthum gewiedmet/ und darbey
jaͤhrlich von gantz Griechen - Lande Luſt-
Spiele gehalten. Bacchus/ welcher von
der Stadt Nyſa aus Arabien biß in Jn-
dien ſchiffte/ ſpannte an ſeinen Siegs - Wa-
gen Tiger an; Gleich als ob er mit Bezwin-
gung etlicher Voͤlcker die Natur ſelbſt bemeiſtert
haͤtte/ und richtete an dem Munde des Ganges
auf zwey Bergen ſo viel Saͤulen auf/ als wenn
daſelbſt das Graͤntzmaal aller Schiffarthen waͤ-
re. Die Araber und Phoͤnicier preiſten ihn
fuͤr den Urheber der Schiffarth und Kauffmann-
ſchafft; fuͤr einen Lehrmeiſter des Sternen-
Lauffs/ und verneuerten das Gedaͤchtniß ſeiner
dreyjaͤhrigen Reiſe mit einem jaͤhrlichen Feyer.
Weil aber Hercules ſich aus den engen Ufern
der Mittellaͤndiſchen See wagte/ oder auch nur
das Eyland Gades erreichte/ ſchaͤmte ſich Grie-
chenland nicht zu tichten: daß er daſelbſt beyde
Meere zuſammen gegraben, und die Berge
Calpe und Abila nicht ſo wol zu ſeinen Ehren-
Saͤulen/ als zu Graͤntzmaalen des Erdbodens/
und der verwegenen Schiffer aufgerichtet haͤt-
te. Ulyſſens weltberuͤhmte Umirrungen blie-
ben in dem Umkreiſſe des Mittel-Meeres.
Denn daß er nach ſeiner Heimkunfft vom
Neoptolemus wieder vertrieben/ von ihm am
Einfluſſe des Tagus die Stadt Ulyßipo ge-
baut/ Britannien und Deutſchland befahren
worden ſey/ iſt einer Griechiſchen Erfindung ſehr
ehnlich. Malovend brach ein: Jch muß den
Griechen hierinnen das Wort reden/ weil wir
Deutſchen aus glaubhaften Merckmaalen dar-
fuͤr halten/ daß Ulyſſes auf den Rhein kommen
ſey/ und an deſſen linckem Ufer bey den Tenckte-
rern die Stadt Aſchburg gebauet habe. Ja
auf der Deutſchen und Rhetiſchen Graͤntze iſt
ſo wol Ulyſſens Grab/ als ein ihm und ſeinem
Vater Laertes aufgerichtetes und mit Griechi-
ſcher Schrifft bezeichnetes Altar noch heute zu
ſehen. Aber freylich iſt von Gades/ aus Deutſch-
land und aus Britannien noch weit in die At-
lantiſchen Eylande. Rhemetalces ſetzte bey:
Die ſo weit herrſchenden Perſier ſind noch nicht
ſo weit kommen als die Griechen. Nach Jn-
dien haben ſie ſich an ihrem eigenen Ufer finden
muͤſſen. Das Caſpiſche Meer hat ihnẽ keine wei-
tere Farth/ als in etliche Fluͤſſe verſtattet. Da-
rius/ welcher aus der Euxiniſchen See bis an
den Jſter geſchiffet/ und eine Bruͤcke daruͤber
gebauet/ iſt noch faſt am weiteſten kommen. Die
Juͤdiſchen Schiffarthen haben in der Oſt-Seite
von Africa/ an dem Praßiſchen Vorgebuͤrge
den Monden-Bergen gegen uͤber auf dem Ey-
lande Menutheſias/ Tapabran und dem guͤld-
nen Cherſoneſus ſich geendigt. Wiewol auch
zuweilen ein oder ander Schiff fernere Reiſen
gethan haben mag/ iſt ſelbtes mehr aus Zwange
des Sturmes als aus Willkuͤhr der Menſchen
geſchehen. Zumahl die meiſten Voͤlcker auch
nur an den See-Ufern/ und zwar auch nur des
Tages hinzurudern ſich getrauet; biß endlich ſie
aus duͤnnen Fellen/ dergleichen die Veneter in
Gallien noch brauchen/ hernach aus woͤllenem
Geſpinſte/ endlich aus Leinwand biß auf zwoͤlf
Segel ausgeſpannet/ ſich auf das hohe Meer
gewaget/ und des Tages die Sonne/ des Nachts
den geſtirnten Baͤr zum Wegweiſer erkieſet ha-
ben. Malovend ſetzte bey: Es waͤre ſchwerlich
ein Volck iemahls in der Schiffarth ſo gut als
die Deutſchen und Britannier erfahren geweſt;
daher ſie ſich uͤber das groſſe Welt-Meer nicht
haͤtten trauen doͤrffen. Uberdiß taugten die
Sternen/ als bey truͤbem Wetter verſchwinden-
de Zeichen alleine eben ſo wenig/ als der Alten
kleine/ ſchwache und langſame Schiffe in die
Atlantiſchen Laͤnder zu reiſen. Denn es waͤre
bekandt/ daß Semiramis zwey tauſend Schiffe
auf Camelen in Jndien tragen laſſen/ welcher
Koͤnig Starobates vier tauſend nur aus Jndi-
Erſter Theil. Rſchem
[130]Anderes Buch
ſchem Rohr gemachte entgegen geſetzt. Die
Scythen ſchwaͤrmen auf ſo kleinen Schiffen
herum/ daß ſie ſie des Winters auf den Achſeln
in die Waͤlder tragen und darinnen wohnen. Ja
der Argonauten ſo beruͤhmtes Schiff ſoll ſo klein
geweſen ſeyn/ daß ſie es von dem Jſter in die
Adriatiſche See/ oder von der Tanais in das
Nordliche Welt-Meer uͤber Land auf den Ach-
ſeln getragen haben ſollen. Kaͤyſer Auguſt
hat nach der Schlacht bey Actium aus dem Ha-
fen zu Schoͤmis ſeine Schiffe auf Wagen fuͤnf
tauſend Schritte weit/ auf die andere Seite des
Peloponneſus/ und Cleopatra die ihrigen aus
dem Mittel-Meere ins rothe/ drey hundert
Stadien weit/ fuͤhren laſſen. Dionyſius in
Sicilien ſolte das erſte Schiff mit fuͤnf Rudern
in einer Reyhe gebauet haben. Die Roͤmer
haͤtten beym erſten Puniſchen Kriege nicht ein-
mahl ein ſolch Schiff geſehen gehabt/ ſondern
der Buͤrgermeiſter Appius von einem an Jta-
lien geſtrandeten Schiffe der Mohren ein Mu-
ſter zu ſeinen neuen nehmen/ und ſeine Ruderer
zu Lande im Sande hierzu uͤben muͤſſen. Duil-
lius haͤtte das von dem hernach gecreutzigten
Hannibal eroberte Schiff des Koͤnigs Pyrrhus
mit ſieben Rudern in einer Ordnung fuͤr ein
Meerwunder den Roͤmern gewieſen. Dem
Eroberer Siciliens Luctatius haͤtte man zu
Ehren auf eine ſilberne Muͤntze ein fuͤnfrudrich-
tes Schiff/ als einen groſſen Werckzeug ſeines
herrlichen Sieges/ gepraͤget. Zeno verſetzte:
Seiner Meinung nach haͤtte es andern Voͤl-
ckern/ und zwar auch den Alten/ an groſſen und
ſtarcken Schiffen nicht gefehlet. Die Anfangs
aus Semden/ oder Bintzen geflochtene/ oder
aus Baumrinde/ holen Baͤumen oder Leder ge-
machten Kahne und Floͤſſen/ haͤtten ſich von
Jahre zu Jahre verbeſſert. Erictetes haͤtte
die zwey/ Amimocles die drey/ die Athenienſer
die vier/ Neſiethon von Salamine die fuͤnf/ Ze-
razoras die ſechs/ Mneſigethon die acht- und
zehnrudrichten Schiffe erfunden; Der groſſe
Alexander noch vier/ Ptolomeus Soter noch
fuͤnf Reyhen darzu geſetzt. Der Staͤdteſtuͤr-
mer Demetrius waͤre biß auf dreißig/ Ptolo-
meus Philadelphus auf viertzig/ Philopater auf
funftzig Ruder-Ordnungen kommen. Uber-
diß haͤtten ihre Vorfahren ſchon ſo ſtarcke Schif-
fe gebaut/ daß man hohe Thuͤrme drauf ſetzen/
und von ſelbten der Waſſer-Staͤdte Mauren
uͤberſteigen koͤnnen. Fuͤrnehmlich aber waͤre
des Seſoſtris dem Oſiris gewiedmetes/ aus-
wendig mit Golde/ inwendig mit Silber uͤber-
zogenes zwey hundert achtzig Ellen langes
Schiff/ wie auch des Philopators eben ſo lan-
ges/ acht und dreißig Ellen breites/ und vom
Hintertheile nur biß ans Waſſer drey und funf-
tzig Ellen hohes Schiff beruͤhmt/ welches mit
vier tauſend Ruderern/ mit vier hundert Hand-
langern/ und vier tauſend Kriegsleuten beſetzt/
auch mit zwoͤlf-elligen Bildern vieler Thiere ge-
zieret geweſt. Sein Luſt-Schiff mit zweyen
Hinter- und Voͤrder-Theilen waͤre nicht viel
kleiner/ aber viel koſtbarer geweſen/ weil faſt al-
les Holtz Cedern/ die Saͤulen der Gaͤnge und
die Bette aus Cypreſſen/ das Pflaſter und die
Stuͤle aus Helffenbein/ an ſtatt des Eiſens eitel
ver guͤldetes Ertzt/ die Knoͤpffe der Corinthiſchen
Saͤulen aus Golde/ der neuntzig Ellen hohe
Maſt mit ſeidenen Segeln und purpurnen
Seilen ausgeruͤſtet/ und auf dieſem ſchwim-
menden Koͤnigs-Schloſſe ſo wol ein praͤchtiges
Heiligthum des Bacchus/ als der Venus/ wie
auch eine Hoͤle voller marmelner Bilder von
ſeinen Ahnen geſtanden. Noch ein groͤſſer
Wunderwerck ſoll das vom Archimedes gebau-
te Schiff Syracuſa geweſt ſeyn/ welches Hiero
dem Ptolomeus ſchenckte. Es hatte drey Maſt-
baͤume/ zwantzig Reyhen Ruder/ ſechs hohe
Thuͤrme/ einen eiſernen Wall/ unzehlbare
Zimmer/ Badſtuben/ Pferde-Staͤlle/ einen
fiſchreichen Teich/ etliche ſchoͤne Gaͤrte/ etliche
groſſe
[131]Arminius und Thußnelda.
groſſe Schleudern/ und darunter eine/ welche
Steine von drey hundert Pfunden und funf-
zehn-elligte Pfeile warff. Das darauf befind-
liche Heiligthum der Venus war mit Agath ge-
pflaſtert/ die Thuͤren von Helffenbein/ und alles
voller Bilder und Saͤulen. Der andern Zim-
mer Pflaſter waren kleine vielfaͤrbichte Kieſel-
ſteine/ welche die gantze Geſchichte von Troja
abbildeten. Dionyſius flohe aus Sicilien auf
einem Schiffe/ darauf ſechs tauſend Menſchen
Raum hatten. Lucullus bauete ein ſo groſſes/
darauf man jagen konte/ und Kaͤyſer Julius
eroberte in der Pharſaliſchen Schlacht eines/
darauf ein gantzer Wald fruchtbarer Baͤume
ſtand. Nichts minder iſt die Groͤſſe der Schif-
fe auſſer Augen zu ſetzen/ darauf Kaͤyſer Auguſt
den nach Puteoli verſetzten Spitz-Pfeiler des
Koͤnigs Meſphees und einen andern wohl hun-
dert Ellen langen des Koͤnigs Senneſerteus o-
der vielmehr des Pſammirtaus nach Rom ge-
bracht und auf den groͤſten Platz geſetzt hat.
Nichts weniger hat es denen Alten an geſchwin-
den Schiffen nicht gefehlet; und iſt inſonderheit
des Annibals von Rhodis und ein ander Car-
thaginenſiſches beruͤhmt/ welches vielmahl der
Roͤmer gantze Schiffs-Flotte ausgefodert/ und
durch ſeine Fluͤchtigkeit geaͤffet hat. Rheme-
talces fing an: Jch bin ebenfalls der Meinung/
daß hieran das Hindernuͤß der ſo fernen Schif-
farth nicht liege; Ob ich wohl weiß/ daß der
Deutſchen und Gallier Schiffe aus eitel eich-
nem Holtze/ und zwar mit Fleiß wider Sturm
und Wellen ſehr ſtarck gebauet/ die Ancker an
eiſerne Ketten gehenckt/ die Segel aus zuſam-
men geneheten Haͤuten wilder Thiere gemacht
ſind. Alleine weil ich aus Malovends Reden
ſo viel abnehme/ daß ſie nebſt dem Geſtirne noch
andere Richtſchnuren ihrer Schiffarth haben/
moͤgen ſie es ſolchen Vortheils halber vielleicht
andern Voͤlckern zuvor thun. Maſſen man
denn insgemein glaubt: daß die Carthaginen-
ſer dergleichen Kunſt gehabt/ und die Serer
ſolche noch haben. Es iſt wahr/ ſagte Zeno:
Denn die Serer wiſſen durch die Wendung
eines gewiſſen Steines auch in dem unterſten
Schiffe und bey ſtockfinſterer Nacht ihre Farth/
wohin ſie gehe/ zu erkieſen. Aber moͤgen wir
das Geheimnuͤß der Deutſchen nicht wiſſen?
Malovend verſetzte: Jch bin wohl weder unter
den Fiſchen noch dem Meerſchweine gebohren/
und alſo auch von Natur kein geſchickter Schiff-
mañ; iedoch meine ich ihnen etwas zu eroͤffnen/
welches zweiffelsfrey auch vielen derer verbor-
gen iſt/ die gleich ihnen in einen Edelſtein ein
Schiff mit einem verdreheten Vordertheile und
ausgeſpannten Segeln ſchneiden laſſen/ wenn
die Sonne im Loͤwen/ Mars und Saturn a-
ber gegen Mittag ſtehet/ und ſolchen als einen
Gluͤcksſtein an dem Finger tragen. Unſere
Frieſen/ ſagte er/ ſchmieden mit ihrem gerade
gegen den Mittag gekehrten Antlitze eine ſtaͤh-
lerne Nadel/ und ziehen den gluͤenden Drat
auf dem Amboſſe unter den Haͤmmern recht ge-
gen ſich und Mitternacht. Dieſelbe Spitze
hat hernach dieſe geheime Krafft/ daß/ wenn
man die Nadel in der Mitte feſte/ iedoch zum
umwenden geſchickt macht/ ſie ſich allezeit gegen
Mitternacht wendet/ und alſo ein richtiger
Wegweiſer der Schiffer iſt. Rhemetalces und
Zeno wunderten ſich uͤber dieſem Geheimnuͤſſe
nicht wenig/ und fragte dieſer: Ob die Krafft
dieſer Nadel aus natuͤrlichen Urſachen oder
aus Zauberey herruͤhrte. Malovend antwortete:
Er haͤtte das letztere gute Zeit geglaubt/ weil die
Frieſiſchen Schmiede ihn verſicherthaͤtten/ daß
wenn ſie die Nadeln ohne Vorſatz der Spitze
einem ſolchen Zug einzuveꝛleiben ſchmiedeten/ ſie
auch ſolcheꝛ Krafft nicht faͤhig wuͤrden; Gleich als
wenn die menſchliche Einbildung eine Botmaͤſ-
ſigkeit uͤber die Geſtirne haͤtte/ daß ſie dem Ertzte
gewiſſe Wuͤrckungen einfloͤſſen muͤſten. Nach
dem er aber haͤtte wahr genommen/ daß alles
ausgekochte Eiſen/ ohne Abſehn des Schmeltzers/
zweyerley Stuͤcke in ſich habe/ derer etliche dem
R 2Nord
[132]Anderes Buch
Nord/ etliche dem Mittage geneigt waͤren/ und
daher die entweder in die Lufft gehenckte/ oder
auff dem Waſſer ſchwimmende Eiſenfaͤdeme
ſich beſtaͤndig mit dem einen Ende gegen Mit-
ternacht/ mit dem andern gegen Sud lenckten/
glaubte er feſtiglich/ daß dieſer Zug aus einem
verborgenen Triebe der Natur/ nicht aber aus
Zauberey herruͤhrte.
Beyde auslaͤndiſche Fuͤrſten bezeigten ſich
uͤber dieſer merckwuͤrdigen Nachricht ſehr ver-
gnuͤgt; Rhemetalces aber fing an: Wir ſind un-
vermerckt aus dieſem Forſte auffs Meer und
aus Deutſchland in eine neue Welt geꝛathen/ alſo
weiß ich nicht/ ob wir nicht Zeit zur Ruͤckkehr
haben/ da wir heute nicht gar hier verbleiben
wollen. Malovend verſetzte: Es iſt ſo wenig oh-
ne Urſache geſchehen/ als dieſer ſechſte Feldherr
der groſſe Marcomir gemahlet iſt/ daß er mit ie-
dem Fuſſe auff einer Weltkugel ſtehet/ und in ie-
der Hand eine Sonne traͤgt. Denn weil ſein
Vater Hunnus noch fuͤr dem Groß-Vater
ſtarb/ erbte er von ſeiner Mutter alle Britan-
niſche Reiche und die Atlantiſchen Eylande/
nach des Groß-Vatern Tode aber die Deut-
ſchen und etliche Galliſche Hertzogthuͤmer und
die Wuͤrde ihres Feldherrn. Dahero ſagte man
von ihm/ er beherrſchte eine zweyfache Welt/ und
in ſeinem Gebiete ginge die Sonne nicht unter.
Ja ſeine Herrſchafften waren ſo groß/ daß er
ſeinen Bruder mit dem Reiche der Nori-
cher betheilte/ der ohne diß mit ſeiner Gemahlin
des Koͤnigs Liſſudaval Tochter der Boyen und
Qvaden Hertzogthuͤmer uͤberkam. Das Ver-
haͤngniß hatte dem Marcomir gleichſam zwey
irrdiſche Neben-Sonnen/ nehmlich den Salo-
min der Scythen/ und den Uſeſival der Salli-
er und Cantabrer Koͤnig entgegen geſetzt/ wor-
mit er durch beyder Verduͤſterung ſo viel herr-
lichern Glantz erlangen moͤchte. Uſeſival drang
nicht allein uͤber den Rhein/ ſondern auch in Hi-
bernien/ eroberte Farnaboja/ Olamin und Car-
ioma; ſondern er erregte auch wider ihn den
Hertzog der Hermundurer und Catten/ ja auch
das Haupt der Druyden/ unter dem Vorwand/
daß er die Barden und Euſtachen zum Unter-
gange der alten Druyden in Deutſchland hege-
te. Alleine der Feldherr Marcomir ſchlug die
Gallier etliche mahl biß auffs Haupt/ eroberte
alle abgenommene Plaͤtze/ bemaͤchtigte ſich al-
ler Landſchafften zwiſchen der Maaß/ eroberte
die Veſontier und Caturiger/ kriegte in einer
blutigen Schlacht bey Zitin den Koͤnig Uſeſi-
val/ an der Elbe der Hermundurer und Cat-
ten Hertzog/ wie auch das Haupt der Druyden
gefangen. Den Scythiſchen Koͤnig Salomin/
der ſeinen Bruder bey einem von dem Fuͤrſten
Jazapol in Pannonien erregten Auffruhre die
Staͤdte Carpin und Bregentio erobert hatte/
trieb er von Belaͤgerung der Stadt Vindo-
mana mit groſſem Verluſt weg. Ja als Sa-
lomin den Koͤnig in Colchis Aßemules aus ſei-
nem Reiche vertrieb/ dieſer aber zum Marco-
mir ſeine Zuflucht nahm/ ſchiffte er uͤber das
ſchwartze Meer/ erlegte den neu eingeſetzten
Fuͤrſten Barſaboſar/ eroberte die Haupt-Stadt
Phaſia/ und befeſtigte darinnen den Aßemu-
les. Hinter der Atlantiſchen Jnſel ließ er
auff zwey erhobene Stein-Felſen zwey groſ-
ſe Coloſſen aus Ertzt/ einen der Sonnen/ den
andern dem Monden zu Ehren auffrichten/
und zur Andeutung/ daß ihm ſeine Reichs-
Grentzen noch viel zu gedrange waͤren/ mit
goͤldner Schrifft darauff etzen: Der Zirckel
der Sonnen iſt der Tugend zu enge/
und des Monden zu niedrig. Dieſer
Uberſchrifft/ ſagte Zeno/ klebt ſicher mehr Hoch-
muth an/ als den Thraͤnen des groſſen Ale-
xanders/ der darum geweinet haben ſoll/ daß
mehr nicht als eine Welt zu ſeiner Beſiegung
verhanden ſey. Malovend verſetzte: Dero-
gleichen Auslegung hat Marcomir ſchon ſelbſt
verſchmertzen muͤſſen/ indem einige uͤber ſei-
ne Seulen einen Krebs geſetzt mit der Uber-
ſchrifft:
[133]Arminius und Thußnelda.
ſchrifft: Auch die Sonnen gehen den
Krebsgang; Andere eine Schnecke/ die ihr
Schnecken-Haus trug mit dem Beyſatze:
der Atlas traͤget nicht allein ſeinen
Himmel. Aber Marcomir hat nicht Urſa-
che ſich ſeiner Schrifft zu ſchaͤmen/ ſondern viel-
mehr ſeine Siege des groſſen Alexanders fuͤr-
zuziehen. Denn er erfand und eroberte die
uͤberaus groſſen Laͤnder Kokiſem und Rupe/
in welche man alle von den Griechen iemahls
bezwungene Koͤnigreiche ſetzen kan. Er kam
biß an das andere Geſtade des groſſen Oſt-
Meeres/ und erlangte diß/ wornach der uner-
ſaͤttliche Alexander vergebens ſeuffzete. Er
entdeckte das Silbervolle Gebuͤrge Opiſot/ er-
fuͤllte Britannien mit Golde/ und die Welt
mit Perlen. Rhemetalces fiel hiermit geſchwin-
de ein: Jch ſehe wohl Malovend iſt zeitlich un-
ſer Meinung worden/ und er ruͤhmet nunmehr/
was er fuͤr kurtzer Zeit verworffen. Dahero
wuͤrde er ſchwerlich ſeinem Marcomir eine ſol-
che Schand- und Fluch-Seule auffrichten/
wie Technas in dem Thebaniſchen Tempel
dem Koͤnige Menis/ darum/ daß er bey denen
vor duͤrfftigen Egyptiern den Gebrauch des
Geldes eingefuͤhret hatte. Zeno fing hierauff
an: Jch lerne in Deutſchland mehr/ als ich ie-
mahls zu Rom erfahren/ und bin ſo vielmehr
begierig von dem ſonſt ſo ſparſamen Malo-
vend die Beſchaffenheit dieſer ſo reichen neu-
en Welt zu vernehmen; inſonderheit: ob man
darinnen auch anſehnliche Staͤdte/ wie bey
uns/ finde? Malovend antwortete: in der
Menge und Feſtigkeit zwar nicht/ aber an Groͤſ-
ſe und Beqvemligkeit geben ſie den unſrigen
nicht nach/ und haͤtte Marcomir eine in einer
ſaltzichten See gebauete erobert/ welche ihrer
Beſchreibung nach der Stadt Rom wenig nach-
geben muͤſte/ weil ſie ſechzig tauſend Haͤuſer haͤt-
te/ und alle Jahr ihrem Abgotte ſechs tauſend
ihrer Kinder ſchlachtete. Wie nun Zeno und
Rhemetalces hieruͤber ihre Verwunderung
mercken lieſſen/ ſagte Malovend: dieſe Stadt
waͤre von Marcomirn noch unglaublich ver-
groͤſſert und verbeſſert worden. Aber/ ſagte Ze-
no: iſt denn die abſcheuliche Abſchlachtung der
Menſchen auch uͤber das groſſe Meer geſegelt/
und bey dieſen fremden Voͤlckern eingewur-
tzelt? Malovend antwortete: Jn allewege/
und zwar nirgends mehr als allhier/ wo man
Kinder zu tauſenden ſchlachtet/ und da es gan-
tze Voͤlcker giebt/ welche wenig anders als
Menſchen-Fleiſch ſpeiſen. Jedoch waͤre diß
von dieſen wilden Leuten nicht ſo ſehr zu ver-
wundern/ weil ſie vermuthlich nicht allein die
Carthaginenſer in dieſer Grauſamkeit zum
Wegweiſer gehabt/ ſondern auch ſolche bey de-
nen Voͤlckern/ die fuͤr die ſittſamſten wolten an-
geſehen ſeyn/ eingeriſſen waͤre; und noch darzu
fuͤr ein Gottesdienſt gehalten wuͤrde. Sinte-
mahl die Phoͤnicier dem Saturn die Stadt He-
liopolis der Juno/ die Blemies der Sonne/ an-
dere andern himmliſchen und vermeinten guͤti-
gen Goͤttern ihre liebſten Kinder ſchlachteten;
da doch dieſe Greuel-That denen hoͤlliſchen Gei-
ſtern zu abſcheulich ſeyn ſolte/ welchen die grau-
ſame Koͤnigin in Perſien Ameſtris und andere
nur fremde Menſchen geopffert haͤtten. Wie
aber der Roͤmiſche Rath den Griechen die
Menſchen-Opfferung abſchaffte/ und die Ve-
ſtaliſchen Jungfrauen an derſelben ſtatt alle
Jahr dreißig aus kleinen Baum-Ruthen ge-
flochtene Bilder in die Tieber werffen/ Ama-
ſis an ſtatt der Menſchen-Verbrennung in E-
gypten Wachs-Kertzen anzuͤnden ließ; alſo hat
auch Marcomir durch Einfuͤhrung der Druy-
den und ihres itzt ſanfften Gottesdienſts dieſe
neue Welt von ihren unbarmhertzigen Goͤt-
tern und dem grauſamen Aberglauben erledi-
get. Marcomir fing hieruͤber an: Jn Warheit
Marcomirs Thaten ſind den Siegen der maͤnn-
lichen Semiramis und des groſſen Cyrus fuͤr-
zuziehen. Malovend beſtaͤtigte es und mel-
R 3dete/
[134]Anderes Buch
dete/ daß auch die Deutſchen dieſen Marcomir
fuͤr ihren andern Hercules hielten/ und die Che-
rusker waͤren ſelbſt miteinander zwiſtig/ ob ſie
dem groſſen Hermion/ dem Uhrheber ihrer Ho-
heit/ oder dem Marcomir den Vorzug entraͤu-
men ſolten. Rhemetalces ſagte: Es iſt ſo ſchwer
zu einem groſſen Reiche/ als in die Tieffe des
Meeres einen Grund legen/ gleichwol aber hat
beydes kein ſolch Anſehen/ als was hernach mit
minderer Muͤh in die Luft gethuͤrmet wird.
Hingegen laͤſſet ſichs leichter weiter gehen/ wo
der von den Vorfahren gezogene Faden einen
leitet/ und der Eltern Fußſtapfen einem den
Weg weiſen. Ja/ ſagte Zeno/ die Uhrheber
eines Reichs behalten insgemein wohl den
Ruhm/ und zwar billich; wenn aber der Anfaͤn-
ger nur einen Entwurff zum Zwerge gemacht
hat/ hingegen der Nachfolger hernach einen
Rieſen bildet/ oder ein durch ſeine Veralterung
gleichſam verfallenes Reich wieder ans Bret
bringet/ iſt dieſer mehr/ als jener/ fuͤr den
Uhrheber eines Reichs zu ruͤhmen. Dahero
auch die Roͤmer dem Kayſer Auguſt dieſe Ehre
zueigneten/ und ihn Romulus zu nennen ent-
ſchloſſen waren. Marcomir brach ein: Jch
halte dieſen Ruhm fuͤr ein Urthel der heucheln-
den Dienſtbarkeit/ und den Auguſt wol fuͤr ei-
nen/ der durch ſeine Kuͤnſte die Roͤmiſche Frey-
heit zu Boden getreten hat/ nicht aber dem Ro-
mulus gleiche/ noch fuͤr einen Uhrheber ſelbigen
Reiches. Sintemal er zwar unzehlbare Roͤ-
mer abgeſchlachtet/ das Reich aber wenig oder
nichts vergroͤſſert; auch alle ſeine Siege durch
den Antonius/ Agrippa/ und andere ihn vertre-
tende Krieges-Helden erhalten hat. Da aber
die Gewalt des Raths ihm alleine zueignen eine
ſo groſſe Sache waͤre; warumb waͤre nicht viel-
mehr Sylla oder Kayſer Julius uͤber ihn zu
ſtellen? Malovend fiel ihm bey/ und meynte:
daß unter allen Roͤmern keiner an Helden-
Thaten dem Julius zu vergleichen waͤre; ja er
glaubte/ daß er den Nahmen des groſſen fuͤr
Alexandern verdiente. Rhemetalces fing an:
Sein Stam̃ ruͤhrte zwar vom Lyſimachus des
groſſen Alexanders Feldhauptmanne her; aber
die Thracier und Macedonier waͤren einan-
der niemals hold geweſt/ und Lyſimachus haͤtte
auch den Pyrrhus aus Macedonien gejagt; alſo
ſeine Meynung hoffentlich niemanden verdaͤch-
tig ſeyn wuͤrde. Dieſe aber ginge dahin/ daß
Julius Alexandern nicht das Waſſer reichte.
Zeno laͤchelte/ und fing an: Es lieſſe ſich zwar
uͤber zweyen ſo beruͤhmten Helden ſchwer
den Ausſchlag geben/ und waͤre diß ein be-
ruͤhmter Zwiſt der Roͤmer und Griechen;
gleichwol aber hielte er unvorgreifflich den Ju-
lius/ wo nicht hoͤher/ doch Alexandern auffs we-
nigſte gleich. Rhemetalces antwortete: Die
Goͤtter haͤtten durch den Traum ſeiner Mutter
Olympia/ durch die in ſeiner Geburts-Nacht
geſchehene Einaͤſcherung des Epheſiſchen Tem-
pels/ und andere Wunder/ ſchon Alexanders
kuͤnftige Groͤſſe angedeutet. Kayſer Julius
haͤtte Alexandern ſelbſt die Ober-Stelle entraͤu-
met/ da er bey ſeinem Bilde zu Gades bittere
Zaͤhren vergoſſen/ weil er in dem Alter/ da Ale-
xander ſchon die Welt bezwungen gehabt/ noch
wenig ruhmbares gethan hatte. Zeno verſetz-
te: Wenn aus Traͤumen und Wahrſagungen
etwas zu entſcheiden waͤre/ wuͤrde auch fuͤr den
Julius anzuziehen ſeyn/ daß er ſeine Mutter
beſchlaffen zu haben getraͤumet; welches fuͤr die
Uberwaͤltigung der allgemeinen Mutter der
Erde ausgelegt worden. Sonſt waͤre zwar
Alexander jenem in den Jahren zuvor kommen;
hingegen habe dieſer ſeine Langſamkeit/ wie die
langſame Aloe-Staude/ welche in einer Nacht
einen hoͤhern Blumen-Stengel/ als die Ceder
in etlichen Jahren/ treibt/ mit Groͤſſe ſeiner Wer-
cke einbracht. Die ſich langſam auffthuenden
Gewaͤchſe und Gemuͤther waͤren beſſeꝛ oder zum
minſten tauerhafter/ als fruͤhzeitige Fruͤchte und
ſich uͤbereilende Geiſter. Jhr Lauff gleichte den
Schwantz-Geſtirnen/ die alle Geſtirne uͤber-
lieffen/ aber gar bald eingeaͤſchert wuͤrden/ wie
es Alexandern ebenfalls begegnet waͤre. Jedoch
waͤre Julius nicht deswegen/ daß er ſich ſo lang-
ſam auffgethan haͤtte/ ſondern weil er vorher viel
dem
[135]Arminius und Thußnelda.
dem Alexander nicht im Wege ſtehende Schwe-
rigkeiten uͤberwinden muͤſſen/ etwas zuruͤck blie-
ben. Dannenhero denn die dem Julius von der
Tugend ausgepreßte Thraͤnen/ ſo wenig als die/
welche Alexander bey Leſung des Homer uͤber
den Thaten Achillens vergoſſen haͤtte/ ſeinem
Ruhme abbruͤchig ſeyn koͤnten. Haͤtte Alexander
uͤber den Siegen ſeines Vaters geeifert; ſo haͤtte
Julius uͤber dem Gluͤcke des Sylla geſeufzet/
von welchem dieſer wahrgeſagt/ daß dieſer Juͤng-
ling mehr als einen Marius im Buſem ſtecken
haͤtte. Beyde waͤren zwar Liebhaber der Ge-
lehrten geweſt/ und haͤtten den Wiſſenſchafften
obgelegen. Wie hoch haͤtte nicht Alexander den
Ariſtoteles geſchaͤtzt/ und des Pindarus wegen
haͤtte er nicht nur bey Eroberung der Stadt
Thebe ſeiner Nachkommen Haͤuſer/ ſondern
auch die Buͤrgerſchafft erhalten. Aber hierin-
nen waͤre ihm Julius weit zuvor kommen. Er
haͤtte die Weltweißheit nicht nur geliebet/ ſon-
dern ihm nuͤtze gemacht. Bey dem Begraͤbnuͤſſe
ſeiner Mutter Julia/ bey der Verklagung des
Dolabella/ bey Loßbittung der Catiliniſchen
Mit-Verſchwornen haͤtte er mit ſeiner Bered-
ſamkeit groſſes Anſehen erworben. Was er des
Tages ruͤhmlich gethan/ haͤtte er des Nachts
zierlich geſchrieben. Rhemetalces antwortete:
Alexander waͤre ebenfalls gelehrt und beredſam
geweſt/ aber ſie ſehen beyde hier nicht als Welt-
weiſen/ ſondern als Kriegs-Helden an. Zeno
fragte: welcher Held ohne die Welt-Weißheit
zur Vollkommenheit kommen koͤnte? Dieſe waͤ-
re der Leit-Stern der Tapferkeit/ und die Mut-
ter der Vergnuͤgung. Aber/ ſagte Rhemetalces:
Jſt dieſes eine wahrhaffte oder verfaͤlſchte Weiß-
heit/ wenn Julius nur des Epicurus wolluͤſtige
Meynungen faſſet/ wenn er weder Goͤtter noch
die Unſterbligkeit der Seelen glaubt/ und bey
Belaͤgerung Maꝛſiliens an einen ihm am Wege
ſtehenden Baum/ den die Druyden von viel hun-
dert Jahren her den Goͤttern eingeweihet/ die
Kriegsleute aber ſelbten nur anzuruͤhren Ab-
ſcheu hatten/ zum erſten die Hand und die Axt an-
legt? Welchen Unglauben er aber mit ſeinem
Tode gebuͤſſet/ als er ſeinen und ſeiner Calpurniaͤ
Ungluͤcks-Traum/ des Spurinna und anderer
Prieſter Warnungen veraͤchtlich in Wind ge-
ſchlagen. Hat ſich Julius nicht in ſtetigem
Schlamme der Geilheit geweltzet? des Sulpiti-
us/ des Gabinius/ des Craſſus/ Pompejus/ Bo-
gudes und Brutus Ehbette durch Ehbruch be-
flecket? Hat er nicht mit Cleopatren Ehre/ Leben
und Vaterland in Gefahr geſetzt? und das Be-
ginnen mit dem Nicomedes laͤſt ſich kaum ſagen.
Alſo iſt das ſcheinbare Gute am Julius nicht ſo
wol Tugend/ als ihre Larve geweſt; welche ſo viel-
mehr ſchaͤdliches Gifft an ſich hat/ ie naͤher ſie der
Tugend kom̃t/ weil ſie ſo denn/ wie die ſich mit
ſchoͤnen Sternen deckenden Schlangen/ deſto
mehr Unheil zu ſtiften vermag. Rhemetalces
meynte: Es wuͤrde ſo wol in einem als dem an-
dern ihm zu viel beygemeſſen/ und Er haͤtte ſich
niemals wie Alexander fuͤr Jupiters Sohn und
ſelbſt fuͤr einen Gott ausgegeben. Das letztere
aber waͤre die gemeine Schwachheit der Helden/
welche Alexandern ebenfalls in ſeiner gegen die
Barſine/ Roxane und Thais/ ja gar gegen den
Bagoas geſchoͤpften Brunſt befallen haͤtte. Rhe-
metalces veꝛſetzte: Die Betheuerung ſeineꝛ Mut-
ter/ der Glaube ſeines eigenen Vaters/ die Heu-
cheley der Ammoniſchen Prieſter/ der Wahn da-
maliger Zeit/ und das uͤbermaͤſſige Gluͤcke haͤt-
te Alexandern leicht bereden koͤnnen/ daß ſein
Urſprung aus dem Himmel waͤre/ deſſen Goͤt-
ter damals ſo viel ſterbliche Soͤhne auf Erden
hatten/ wo es anders nicht eine Staats-Klugheit
war/ bey denen aber glaͤubiſchen Voͤlckern ſich
durch ſolchen Ruhm in deſto groͤſſer Anſchen zu
ſetzen. Zeno brach ein: Sie ſchritten von ihrem
gantzen Zweck ab/ wenn ſie dieſer zweyen groſſen
Helden Ruhm durch Erzehlung ihrer Gebre-
chen verduͤſterten/ derer Verdienſte einen ſolchen
Glantz haͤtten/ daß ſelbter ſo wenig/ als die Son-
ne ihre Flecken/ und die uͤber den Monden er-
hobene Geſtirne ihren Schatten ſehen lieſſen.
Ein groſſer Geiſt haͤtte keinen einkommentli-
chern Haushalter als die Freygebigkeit/ und
keine ſchoͤnere Gemahlin als die Freundſchafft.
Julius
[136]Anderes Buch
Julius aber habe mit ſeinen Geſchencken nicht
nur das Roͤmiſche Volck und das Kriegs-
Heer/ ſondern auch frembde uͤberſchwemmet/
Rom und andere Staͤdte mit koſtbaren Gebaͤu-
en gezieret/ und auslaͤndiſchen Koͤnigen die Ge-
fangenen zu tauſenden frey gelaſſen. Julius
haͤtte zwar mit niemanden ſo gar vertraute
Freundſchafft/ wie Alexander mit dem Epheſti-
on und dem Craterus gepflogen/ iedoch haͤtte er
mehrmals des Koͤnigs Micipſa Wort im Mun-
de gehabt/ daß gute Freunde eine ſichere Huͤlffe/
als Heere und Schaͤtze waͤren/ und daher unter
freyem Himmel geſchlaffen/ wormit ſich Oppius
des engen Wirths-Hauſes bedienen koͤnte.
Seinen Freunden haͤtte er das groͤſte Unrecht
verziehen; ſeine Freundſchafft waͤre niemanden
ſo gefaͤhrlich geweſt/ als Alexanders/ der dem
Clitus und andern vertrauteſten das Licht aus-
geleſcht/ ja aus bloſſem Verdachte den hoch-
verdienten Parmenio und unſchuldigen Philo-
tas vorher auf die Folter geſpannet haͤtte. Es iſt
wahr/ ſagte Rhemetalces. Aber iſt das zu ſei-
ner Tochter Gedaͤchtnuͤſſe dem Volcke gegebene
Mahl/ ſind die bey erlangtem Bau-Ambte
auffgewendete Unkoſten nicht mehr eine Ver-
ſchwendung? Hat er durch ſeine Begabung den
Curio und andere nicht beſtochen/ und ihnen die
gemeine Freyheit abgekaufft? Alexander hinge-
gen ſchenckte aus einer bloſſen Großmuͤthigkeit
denen/ von welchen er nichts als eine Danckſa-
gung zu gewarten hatte; Mahler/ Bildhauer/
Tichter und Weiſen ließ er in den Schaͤtzen des
uͤberwundenen Morgenlandes theil haben. Und
diß/ was er ſeinen beſiegten Feinden dem Porus
und Taxiles gab/ waren groſſe Koͤnigreiche. Ale-
xander haͤtte im Eifeꝛ/ welcher bey den Guͤtigſten
meiſt am feurigſten waͤre/ zuweilen ſich uͤberei-
let; aber dieſe Scharte hernach durch gantze
Meere voll Wolthaten und Bereuungs-Thraͤ-
nen ausgewetzt; und/ wenn es der weiſe Ca-
liſthenes und das ſeufzende Heer nicht verweh-
ret/ ſich ſelbſt durch Enthaltung vom Eſſen zu
Tode gegraͤmet. Ja er haͤtte bey ſtrengem
Froſte einem halb erfrornen Kriegsknechte ſeine
Koͤnigliche Saͤnfte abgetreten/ und ihn daſelbſt
wieder zu rechte bringen laſſen. Den Achilles
haͤtte er bey ſeiner Saͤule gluͤckſelig geprieſen/
daß er am Patroclus ſo einen treuen Freund ge-
habt haͤtte. Marcomir brach ein: Er hielte
dafuͤr/ daß Julius zu Rom/ und Alexander in
Griechenland die Ober-Stelle verdiente/ und
daß beyde/ wie die Sonne/ wenn ſie mit dem
Monden den Kreiß verwechſeln ſolte/ ander-
werts nicht ſo hoch wuͤrden kommen ſeyn. A-
lexanders gar zu groſſe Freygebigkeit wuͤrde ſich
ſelbſt unzeitig/ ihn bey Zeite dem Roͤmiſchen Ra-
the verdaͤchtig/ ſein hoher Geiſt ihn geſchwinde
zu einem Catilina oder Manlius gemacht/ ſeine
Empfindligkeit dem Sylla die Stirne zu bie-
ten veranlaſt; der behutſame Julius aber nim-
mermehr mit fuͤnff und dreiſſig tauſend Mann
und mit ſiebentzig Talenten den groſſen und
reichen Koͤnig der Perſen/ fuͤr deſſen einigem
Land-Vogte Griechenland zitterte/ anzugreif-
fen/ und Aſiens Eroberung gewagt/ ſondern
vorher ſich ſeiner zweifelhaften Nachbarn verſi-
chert; ſeine Graͤntze an dem Fluſſe Granicus be-
hauptet/ ſeine Sorgfalt in der Nacht fuͤr der
Schlacht bey Arbelle nicht ſo feſte geſchlaffen
haben. Sein Kummer eines zweifelhaften Aus-
ſchlages/ welcher dem Pompejus ſo offt den Frie-
den anbot/ haͤtte des Darius angebotene Tochter
mit ſechs Laͤndern unfehlbar angenommen. Und
deswegen meynte ich dieſen Streit unvorgreiff-
lich dergeſtalt zu entſcheiden/ daß Julius ein we-
nig mehr Gehirne/ Alexander aber ungleich
mehr Hertze gehabt habe. Rhemetalces verſetzte:
Das letzte iſt auſſer allem Zweifel. Denn/ in
was fuͤr Gefaͤhrligkeiten hat ſich Julius ge-
waget? Die Geſchwindigkeit der Nervier/ und
die Noth bey Alexandria ſetzten ihn wider ſeinen
Willen in einen zweifelhaften Stand. Und
haͤtte ihn Labienus beym erſten nicht entſetzt/
waͤre es umb ihn geſchehen geweſt. Alexander
aber
[137]Arminius und Thußnelda.
aber iſt mit einem Loͤwen-Muthe der Gefahr
mehrmahls vorſaͤtzlich entgegen gegangen/ und
hat ohne weniger Schrecken als Brutus dem
Tode das blaue in Augen geſehen; Da hinge-
gen Julius insgemein das gewiſſe geſpielet/ und
ſo wenig als Parmenio in der groſſen Schlacht
mit dem Darius alles auf die Spitze geſetzt/ we-
niger ſich alleine in die Stadt der Maller unter
ſo viel tauſend Feinde geſtuͤrtzt haben wuͤrde.
Alexander waͤre allhier und ſonſt unterſchiedene
mahl/ Julius aber niemahls gefaͤhrlich ver-
wundet worden. Zeno brach ein: weil ein Ver-
nuͤnfftiger niemahls/ als in unvermeidlicher
Noth/ in der Verwegenheit/ wie kluge Aertzte
bey verzweiffelten Kranckheiten aus gefaͤhrli-
cher Artzney ſein Heil ſuchen ſolte/ wuͤſte er nicht:
ob Alexander ſeiner Kuͤhnheit/ oder Julius ſei-
ner Vorſicht halber mehr zu ruͤhmen waͤre.
Wiewohl dieſer unter den See-Raͤubern/ beym
Ungewitter/ und/ ungeachtet aller Ungluͤcks-
Zeichen/ fuͤrgenommener Schiffarthen gleich-
falls erwieſen/ daß keine Furcht in ſeinem Her-
tzen Raum haͤtte. Rhemetalces begegnete ihm:
Die Verwegenheit waͤre das Saltz der Tapf-
ferkeit/ und ohne derſelben Beyſatz waͤre kein
Held ein groſſer Eroberer worden. Alexander
aber haͤtte in zwoͤlf Jahren mehr Landes/ als die
Roͤmer in ſiebenhunderten/ und alle vorige
Reiche in mehr als Tauſenden gewonnen. Ja/
ſagte Zeno: Aber er hat mit den Weichlingen
des wolluͤſtigen Aſiens zu kaͤmpffen gehabt. Rhe-
metalces antwortete: Und Julius mit den rei-
chen und feigen Galliern/ welche weder Waf-
fen noch Schlacht-Ordnung verſtanden. Die-
ſe hat er alleine bezwungen; Denn alles andere
des Roͤmiſchen Reichs war ein Gewin der
Scipionen/ der Meteller/ des Marius/ des
Sylla und des Pompejus/ welche in ſechs hun-
dert Jahren zuſammen gewachſene Macht ihm
wenig Stunden der Pharſaliſchen Schlacht
zueigneten. Alexander aber hatte in Perſien
und Jndien mit keinen Weibern zu thun/ ſon-
dern mit Voͤlckern/ derer eines nur den Craſſus
erſchlagen/ den Antonius uͤberwunden/ und das
noch itzt der Roͤmiſchen Macht das Gewichte
haͤlt. Und es kan ſo wohl fuͤr Alexanders Klug-
heit als ſeine Tapfferkeit kein herrlicher Merck-
maal ſeyn/ denn daß alle ſeine Kriegs-Oberſten/
die aus ſeiner Schule kommen/ groſſe Kriegs-
Helden und kluge Koͤnige worden.
Zeno fing an: Er geſtuͤnde gerne/ daß Ale-
xanders Thaten mehr Glantz haͤtten/ aber des
Julius nicht wenigern Kern. Jenen haͤtte er
als ein Buͤrger zu Rom mehr verſtecken/ und
das Gold ſeiner Vermoͤgenheit mit was unan-
ſehnlichem uͤberfirnßen muͤſſen. Sein Krieg
wider den Petrejus und Afranius in Spanien
waͤre ein Begriff der vollkommenſten Kriegs-
Wiſſenſchafft; Die Belaͤgerung der Stadt
Aleſia ein Wunderwerck/ und ein Muſter/ da-
von alle nachfolgende Belaͤgerungen nur
Stuͤckwercke entlehnen; Die Schlacht bey
Munda waͤre die ſchaͤrfſte Pruͤfung ſeiner
Hertzhafftigkeit geweſt. Jch geſtehe/ antwor-
tete Zeno/ mit dem Redner Tullius/ daß Ju-
lius der erſte unter den Roͤmern ſey/ aber Ale-
xander ſicherlich unter den Helden insgemein.
Julius beobachtete ſorgfaͤltig die ſichere Mittel-
Bahn; Vernunfft und Vortheil waren ſeine
Wegweiſer/ wie Alexanders die Ehre und ſeine
Neigung. Alles ſein Abſehn ging uͤber die ge-
meinen Schrancken. Er hielt es fuͤr eine
Schande mit Ohnmaͤchtigen kriegen. Auf der
Jagt faͤllete er nichts als Loͤwen/ und er war nie-
mahls unerſchrockener/ als wenn andere aus
Zagheit verzweiffelten/ oder auch die behertzten
aus anderer Schwachheit ſich verlohren. Die
wildeſten Barbarn verehreten ihn/ und die U-
berwundenen liebten ihn mehr/ als ſie ihn vor-
her gefuͤrchtet hatten; ja er hatte weniger zu thun
mit ihrer Erlegung/ als es ihn Muͤhe koſtete/ ſie
fuͤr Unterthanen anzunehmen; und mit einem
Worte: Er war zu einem Herrn der Welt ge-
bohren. Malovend fing an: Jn Warheit alle
Erſter Theil. Sentfern-
[138]Anderes Buch
entfernte Voͤlcker/ welche nur ſeine Thaten er-
zehlen hoͤren/ und darunter auch unſere Deut-
ſchen und Gallier/ haben ihn durch Geſandten
zu Babylon dafuͤr verehret; Und der weltbe-
ruͤhmte Hannibal hat ihm die erſte Stelle unter
allen Helden eingeraͤumt. Zeno fiel ein: ja/
und nach dem Pyrrhus hat Hannibal ihm den
dritten Platz zugeeignet. Alleine als ihn Sci-
pio gefragt: wo er ſich hinſtellen wolte/ wenn er
den Scipio uͤberwunden/ haͤtte Hannibal ſich
uͤber alle zu ſetzen vermeinet. Da nun aber
Julius dem Scipio vorginge/ koͤnte nach Han-
nibals Urthel Alexander nicht dem Julius vor-
gezogen werden. Marcomir nahm wahr/ daß
dieſer Einwurf eine Gelegenheit zu einem
neuen Zwiſte geben wuͤrde; daher er/ um ſelb-
ten zu unterbrechen/ anfing: Es wuͤrde Ma-
lovend ſeines Marcomirs druͤber vergeſſen/
welcher Alexandern und dem Julius den Lor-
berkrantz nicht wenig zweiffelhaft machen wuͤr-
de/ wenn die Zeit und die ihm als einem Deut-
ſchen dißfalls gebuͤhrende Beſcheidenheit ihn
von einer umſtaͤndlichen Vergleichung nicht
zuruͤcke hielte; die aber aus Malovends Erzeh-
lung unſchwer zu machen waͤre. Es haͤtte ied-
wedes Volck und eine iegliche Zeit Beyſpiele
der Tugend/ welche Frembden und der Nach-
welt ein Licht zu geben wuͤrdig waͤren. Er
wuͤſte aber nicht/ ob die Mißgunſt oder das Ver-
haͤngnuͤß Schuld daran waͤre/ daß man neue
und einheimiſche Sachen mit unachtſamen Au-
gen uͤberſehe/ und nur alte und frembde hoch
hielte. Er ſtellte dem Zeno und Rhemetalces
alleine zu bedencken anheim: daß Marcomir
viertzig Schlachten gewonnen/ und ſiebentzig
Kriege geendigt habe; daß er ſechs mahl in Bri-
tannien/ ſieben mahl in Sarmatien/ zwey mahl
in Colchis/ vier mahl in Gallien/ zehn mahl in
Pannonien geweſen/ und eilf mahl uͤbers
Meer gefahren ſey. Wo aber fuͤr etwas ſon-
derlichs zu ſchaͤtzen waͤre; wenn ein Fuͤrſt durch
Gemuͤths-Maͤßigung ſeiner Herrſchafft ehe/
als das Verhaͤngnuͤß/ ein Ziel ſteckte/ ſo wuͤrde
Marcomirs Beſchluß/ welcher alle Wercke
kroͤnete/ dem Alexander und Julius auſer zweif-
fel den Vortheil abrennen. Denn jener waͤre
von ſeinen Freunden durch Gifft/ dieſer durch
das kalte Eiſen aufgerieben worden/ als beyder
unerſaͤttliches Gemuͤthe noch nach groͤſſern
Dingen duͤrſtete/ und ihr Kopff mit vielen Chi-
maͤren ſchwanger ging. Der Feldherr Mar-
comir aber haͤtte fuͤr die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit ge-
prieſen/ wenn einer als ein Fuͤrſt gebohren wuͤr-
de/ als ein Held lebte/ und als ein Weiſer ſtuͤrbe.
Dannenhero haͤtte er nach Beſiegung aller ſei-
ner Feinde ſich ſelbſt uͤberwunden; und nach
dem er ſo gelebt/ daß es niemanden/ als die Fein-
de des Vaterlands/ gereuen dorfte; auch ſo lan-
ge/ daß er zu Verewigung ſeines Nahmens den
minſten Beyſatz der Zeit bedorfte/ bey noch hur-
tigen Leibes- und Gemuͤths-Kraͤfften Wuͤrde
und Herrſchafft nieder gelegt. Seine Siegs-
Gepraͤnge verwechſelte er mit einer andaͤchtigen
Einſamkeit/ ſeine Reichs-Sorgen mit einer
Betrachtung irrdiſcher Vergaͤngligkeit. Die
Nachſinnung uͤber der Unſterbligkeit der See-
len/ war zugleich ſeine Erluſtigung und Ehr-
ſucht.
Dieſe letztere Entſchluͤſſung/ fing Zeno an/
halte ich fuͤr eine groͤſſere Hertzhafftigkeit/ als
ſeine vorgehende. Denn ob ſchon kein Ort o-
der Stand zu finden/ darinnen ein tugendhaff-
ter Geiſt nicht eben ſo wohl als Diogenes in ſei-
nem Faſſe ſeine Vergnuͤgung antreffen/ und
ihm eine annehmliche Einſamkeit bauen koͤnte;
ſo erfoderte doch die Kunſt wohl zu ſterben nichts
minder Zeit und Sorgfalt/ als das Leben. Die-
ſe aber ſo lange an ſich kommen laſſen/ biß die
Ohnmacht des Alters und das Geſpenſte des
Todes uns uͤberfalle/ waͤre die ſchaͤdlichſte
Schlaff-Sucht. Sintemahl beydes den Men-
ſchen in einem Augenblicke/ wie die Naͤchte die
Nachbarn beyder Angelſterne mit einer kohl-
ſchwartzen Finſternuͤß uͤberfiele; Niemand a-
ber
[139]Arminius und Thußnelda.
ber wie die Schlangen mit ihrer Haut die
Schwachheiten des Alters abſtreiffen koͤnte. Die
menſchliche Vermeſſenheit aber bildete ihr ins-
gemein noch eine Laſt voll Kraͤffte zu haben fuͤr/
wenn ſie kaum noch ein Loth beſaͤſſe. Daher
koͤnten ihrer ſo viel keine Erlaſſung der Arbeit
von ihnen ſelbſt erlangen/ die ihnen gleich die
Freyheit des Alters und die Geſetze des Va-
terlands entraͤumten. Die Ehrſucht lobte ih-
nen fuͤr eine groͤſſere Suͤßigkeit ein an der Kette
liegen und andere anbellen moͤgen/ als ſeiner
Freyheit genieſſen/ und keine Sclaven in ſeiner
Gewalt haben. Dahero ſicher ein uͤberirrdiſcher
Triebzu ſeyn ſchien Purpur und Scharlach von
ſich werffẽ/ und ſich mit Haar und geringer Wol-
le decken/ ſeine Augen von dem Schimmer der
ſchuͤtternden Diamanten und Rubine abziehen/
und auff die Aſche der Todtengraͤber werffen.
Rhemetalces ſetzte bey: er hielte dafuͤr/ die Goͤt-
ter haͤtten das Hertz in den menſchlichen Leib zu
einem Uhrwerck geſetzt/ welches mit iedem
Schlage den Menſchen unauffhoͤrlich ſeiner
Sterbligkeit erinnern ſolte. Und die/ welche ſich
uͤber Behertzigung ihrer Eitelkeit erluſtigten/
kaͤmen ihm fuͤr wie die Schatzgraͤber/ welche ſich
erfreueten/ wenn ſie auff die Scherben der zer-
brochenen Todten-Toͤpffe kommen. Jn War-
heit/ ſagte Zeno. Denn beyde ſind dem geſuch-
ten Schatze ſehr nahe/ dieſe dem Jrrdiſchen/ je-
ne der Entbuͤrdung ihrer in dem Siechhauſe
ihrer krancken Glieder angepfloͤckten Seele.
Es iſt nicht ohne/ ſagte Marcomir/ daß die
Hoffnung dieſer Entbuͤrdung ein groſſer Troſt
der Elenden/ und ihre Seufftzer alleine nach
dem Tode als dem Hafen aller Bekuͤmmer-
niß gerichtet ſeyn. Aber unſern in faſt unver-
aͤnderlichem Gluͤcke lebenden Marcomir muß
etwas groͤſſers als die mehrmahls kleinmuͤthige
Begierde zu ſterben zu ſeiner Entſchluͤſſung be-
wegt haben. Wer wolte glaͤuben/ daß ihrer ſo
viel/ welche in bluͤhenden Jahren/ im Uberfluſſe
des Vermoͤgens/ bey unerſchoͤpfften Kraͤfften/
im Angeſichte des ſie anlachenden Gluͤckes/ ſich
der weltlichen Ergetzligkeiten darum entſchla-
gen ſolten/ weil ſie in den abſcheulichen Tod ſo
verliebt waͤren/ daß ſie den ſuͤſſen Genuͤß des
Lebens fuͤr ein Geſpenſte anſehen/ und fuͤr der
lockenden Wolluſt einen Eckel haben ſolten?
Dannenhero die wahre Urſache ſchwerlich in
den Scherben der ſtinckenden Todten-Toͤpffe/
ſondern vielmehr in was himmliſchem zu ſuchen
ſey. Denn nach dem zwar unſer Leib aus der
Erde/ unſere Seele aber/ nach der meiſten
Weiſen Meinung/ aus dem Geſtirne oder viel-
mehr/ wie wir Deutſchen glauben/ von GOtt
ſeinen Urſprung hat; hegt ſie gegen dieſem ih-
rem Brunnen eine nicht geringere Neigung/
als die Sonnenwende gegen die Sonne/ die A-
fricaniſchen Ziegen gegen dem Hunds- und der
Magnet gegen dem Noͤrdlichen Angel-Serne/
wenn anders dieſe heilige Regung nicht durch
irrdiſche Verleitung/ wie der Magnet durch
Knobloch/ entkraͤfftet wird. Dieſes waͤre die
Liebe GOttes/ welche die Seele ſo vergnuͤgte/
daß ihr alle andere Wolluſt zu Wermuth/ alle
andere Pracht zu Staube wuͤrde. Alle andere
Geſtirne verſchwinden fuͤr der Sonne deꝛ Gott-
heit/ welche ohne Verwendung einigen Blicks
der Menſch ſein Lebetage anzuſchauen geſchaf-
fen waͤre. Dieſe Liebe waͤre der Geiſt des Le-
bens/ und ohne ſie das von andern Reitzungen
lodernde Hertz kalt und todt. Sie waͤre das
Feuer des Weyrauchs und der Opffer/ ohne
welches jener die Lufft ſtinckend machte/ dieſe ſie
mit Rauche ſchwaͤrtzten/ und die Erde mit Blu-
te beſudelten. Ja weil die Liebe den Liebenden
mit dem Geliebten gaͤntzlich vereinbarte/ ſo er-
langte ſie mit der Umarmung Gottes das Be-
ſitzthum aller ſeiner unbegreifflichen Reichthuͤ-
mer. Seine Gemeinſchafft theilte ihr alles
mit und verwandelte alles boͤſe in das Beſte.
Das Armuth waͤre ihr Reichthum/ die Kranck-
heiten gaͤben ihr Staͤrcke/ das Gifft dien-
te ihr zur Artzney und der Tod zur Unſterblig-
S 2keit/
[140]Anderes Buch
keit/ als dem wahren Zwecke dieſer Liebe/ und
der ewigen Gluͤckſeligkeit einer reinen Seele.
Dieſe Suͤßigkeit wuͤrckte eine Vergeſſung al-
ler andern vergaͤnglichen Schaͤtze. Alle vo-
rige Abſehen verrauchten; Das Gluͤcke ver-
achtete ſie als eine Naͤrrin/ die Wolluſt ſtincke
ſie an. Alle ihre Gemuͤths-Kraͤfften eignete ſie
GOtte zu; und wenn ihre Siegs- und Koͤnigs-
Kraͤntze/ alle Gold-Adern und Edelgeſteine
nicht zu veraͤchtlicher Sand waͤre/ wuͤrde ſie
felbte zu ſeinem Dienſt einweyhen. Hingegen
waͤren alle ihre zu GOttes Verehrung geſche-
hende Bemuͤhungen leichte. Wenn ſie an der
Ramme zoͤge/ deuchtete ſie es ein Spiel zu ſeyn.
Denn ſeine Guͤte gaͤbe ſeiner Ohnmacht Kraͤff-
te/ und erleichterte die Laſt ihrer heiligen Ar-
beit. Seine Barmhertzigkeit labte ihre Hitze/
ihr Schweiß wuͤrde zu ihrer Erqvickung/ der
Dornen-Weg der Tugend verwandelte ſich in
weiche Roſen/ und ein Tropffen ſeines Troſt-
Balſams heilete alle Schmertzen. Die rauhe
Hoͤle ihrer erwehlten Einſamkeit gefiele ihr beſ-
ſer/ als die von Porphir und Golde glaͤntzen-
den Schloͤſſer; die wilden Kraͤuter waͤren ihr
eine ſuͤſſere Koſt/ als die verſchwenderiſche Taf-
fel eines Apicius/ die Galle verliere auff ihrer
Zunge die Bitterkeit/ aus einer Hand voll
Meer-Waſſer trincke ſie etwas fuͤſſeres als die
Milch waͤre/ die vorher ihre irrdiſche Lippen aus
den Bruͤſten der Wolluſt geſogen haͤtten. Die-
ſe Flamme haͤtte nun auch die der Eitelkeit ab-
geſtorbene Seele des Feldherrn Marcomirs
angefeuret: daß ſeine Andacht weder in dem
greiſſen Alter noch im Tode erkaltet waͤre/ daß
er die Naͤchte mehr der Verachtung der Ehr-
ſucht/ als dem Schlaffe/ die Tage aber in Be-
trachtung der unerſchaffenen Sonne zuge-
bracht/ und endlich mit Freuden ſterbende die
Unſterbligkeit ſeiner Seele begierlich umar-
met/ und mit ſeinen halb todten Lippen ſchon
den Vorſchmack eines beſſern Lebens gekoſtet
haͤtte.
Zeno und Rhemetalces hoͤrten gleichſam
verzuͤckt Mareomirn als einem Wahrſager
zu. Nach einer Weile aber fing jener an: die-
ſe Geheimniſſe waͤren zwar fuͤr ihn zu hoch
und er waͤre ein Kind in dieſer Weißheit. Es
ſchiene aber freylich wohl bey Mareomirn ei-
ne uͤberirrdiſche Leitung zu ſeyn/ welcher Er-
klaͤrung er ihm mit Gelegenheit auszubitten
vorbehielte. Auſſer dem koͤnten ſeines Er-
achtens ſich auch niedrige Urſachen ereignen/
eben ſo wohl Zepter und Krone wegzulegen/
als Soſthenes und andere viel ſie anzuneh-
men verſchmaͤhet haͤtten. Ja es duͤnckte ihm
eine ruhmswuͤrdige Klugheit zu ſeyn/ wenn
ein Fuͤrſt die ſchwere Laſt der Herrſchafft von
ſeinen Schultern weltzte/ ehe ſie der Tod ihm
aus den Haͤnden riſſe/ ſeine Lebens-Geiſter
erkalteten/ und die Gemuͤths-Kraͤfften weg-
fielen. Denn wie das greiſſe Alter durchge-
hends einem lecken Schiffe und faulen Hau-
ſe aͤhnlich waͤre/ alſo lieſſe ſich von einer zit-
ternden Hand das Steuer-Ruder eines Reichs
uͤbel fuͤhren/ von trieffenden Augen die ver-
borgenen See-Klippen/ die abwechſelnden
Winde/ die fernen Sturm-Wolcken/ die Un-
gewitter andeutenden Geſtirne/ welche nie-
mahln in dem gefaͤhrlichen See-Buſem einer
Herrſchafft mangelten/ nicht erkieſen; auch von
tauben Ohren das Gebelle Seyllens und Cha-
rybdens nicht bey Zeite hoͤren. ein allzu al-
ter Fuͤrſt wuͤrde gleichſam wieder zum Kinde/
er glaͤubte allen Hoff-Heuchlern. Die Boßheit
leitete ihn wie ein kleiner Mohr einen groſſen
Elephanten. Die Diener ſuͤndigten ohne Fuꝛcht/
lieſſen ihnen auch noch wohl ihre Verbrechen
belohnen. Die gebrechlichen Weiber wuͤrden
ſelbſt ſein Meiſter. Ein Beyſpiel alles deſ-
ſen haͤtte man an dem vorhin ſo klugen und
gluͤcklichen Kaͤyſer Auguſtus fuͤr Augen. Livia
ſpielte mit ihm/ wie mit einem Papegoyen/
zwinge ihn zu Verſtoſſung ſeiner Bluts-Ver-
wand-
[141]Arminius und Thußnelda.
wandten/ zur Verbannung ſeines einigen En-
ckels Agrippa auf die Jnſel Planaſia/ und ſei-
ner Tochter auf die Jnſel Pandateria; Dringe
den Tiberius hingegen ihm zum Sohne und
unzweifelbaren Nachfolger im Kaͤyſerthum ein;
alſo/ daß der/ welcher vorhin mehr als eine Welt
kluͤglich zu beherrſchen faͤhig geachtet worden/ itzt
ſeines Hauſes nicht maͤchtig waͤre. Daß auch
das Gluͤcke/ als eine Buhlerin der Jugend/ ihn
verlieſſe/ haͤtten ſie in itziger Niederlage erfah-
ren. Der fuͤr Jahren ein Wunder des Volcks
geweſt/ waͤre itzt ihr Gelaͤchter. Die Unter-
thanen hielten ſeine Befehle veraͤchtlich/ die
Feinde ſeine Gewalt geringe. Die durch
frembde Einfaͤlle beſchaͤdigten Laͤnder lieſſen ih-
re Liebe ſincken/ die bey ſeines gleichen insge-
mein/ bey Fuͤrſten aber allezeit vom Nutzen ge-
bohren/ von der Hoffnung unterhalten wird.
Die untergedruͤckten Freunde wuͤrden ihm
gram/ die Staats-Diener/ weil ſie mehr wenige
Zeit uͤbrig zu haben meinten/ griffen wie die
Habichte deſto unverſchaͤmter in den gemeinen
Schatzkaſten/ die freygelaſſenen verkauften die
Rathsſtellen/ die Knechte machten ihren Herrn
ihnen dienſtbar/ und alle beteten die aufgehende
Sonne noch in ihrer duͤſternen Wiege an. Allen
dieſen Spott und Schaden haͤtte Auguſtus ver-
huͤtet/ wenn er wie Marcomir ſeine Herrſchafft
nur fuͤr etlichen Jahren abgetreten/ und ſich den
Mecenas hiervon nicht haͤtte ableiten laſſen.
Marcomir fing hier auf an: die freywillige und
aus irrdiſchen Urſachen herruͤhrende Abdan-
ckung ſey bey groſſen Fuͤrſten ein ſo unbekand-
tes Wunderwerck/ daß er ſich keines merck-
wuͤrdigen Beyſpiels erinnerte/ auch nicht glaub-
te/ daß es iemahls des Auguſtus Ernſt geweſen
waͤre. Solte ſich doch Marcomirs Sohn und
Erbe Hippon einſt haben verlauten laſſen/ daß
ſein Vater die Ablegung Cron und Zepters
noch fuͤr der Sonnen Untergang bereuet haͤtte;
ungeachtet ſeine Entſchluͤſſung gewiß aus him̃-
liſcher Regung geſchehen/ er auch in ſeiner Ein-
ſamkeit nicht einſt nach ſeiner Stul-Erben Ver-
richtungen gefragt; ſondern ſeine Haͤnde mit
Pflantzung eines Gartens/ ſeine Gedancken a-
ber mit Nachſinnen uͤber der Seelen Unſterb-
ligkeit beſchaͤfftigt; ja noch bey ſeinem Leben ſein
eigen Begraͤbniß-Feyer angeſtellt haͤtte.
Rhemetalces fragte hierauf: Ob ſein Sohn
Hippon der ſiebende unter den Gemaͤlden/ und
folgender Feldherr geweſt waͤre? Nein/ ant-
wortete Malovend/ wiewohl Hippon ein ſo klu-
ger Fuͤrſt war/ daß wenn Marcomir ſchon wie
der groſſe Alexander den beſten/ oder wie Pyr-
rhus den/ welcher den ſchaͤrfſten Degen haben
wuͤrde/ zum Reichsfolger erklaͤret haͤtte/ er ſon-
der das Recht ſeines Gebluͤts dieſe hohe Wuͤrde
zu bekleiden wuͤrdig geweſt waͤre. Denn es
waͤre Jngram/ Marcomirs Bruder/ der ſie-
bende unter den Gemaͤlden/ ein Herr hohen
Verſtandes/ groſſen Gemuͤths und unerſchoͤpf-
licher Guͤtigkeit an ſeine Stelle kommen; weil
die Fuͤrſten Deutſchlands/ um kuͤnfftiger Zwy-
tracht vorzubeugen/ ihn ſchon fuͤr dreißig Jah-
ren zum kuͤnftigen Feldherrn beſtimmt hatten.
Dieſem verließ er ſeine Laͤnder in Deutſchland/
als welcher vorher ſchon das Reich der Qvaden
und Pannonier erheyrathet hatte/ ſeinem Soh-
ne aber trat er die Britanniſchen Reiche mit de-
nen Atlantiſchen Eylanden und andern ent-
fernten Reichen mit groſſem Gepraͤnge ab/ uͤ-
bergab ihm auch/ wiewohl mit groͤſſerer Groß-
muͤthigkeit/ als der ſchon ſtumme Alexander
dem Perdiccas/ ſeinen Siegelring/ mit der Er-
mahnung/ daß er den ihm fuͤr dieſe fruͤhzeitige
Erbſchafft und ſolche ungemeine Wohlthat
ſchuldigen Danck (in dem andere Koͤnige ihren
Soͤhnen zwar das Leben/ nicht das Reich zu ge-
ben/ ſondern nur zu verlaſſen pflegten) ſeinen
Unterthanen durch vaͤterliche Liebe abſtatten
ſolte. Durch den Ritter Naſſau aber ſchickte
er ſeinem Vruder Jngram den Stab und das
S 3Schwerd/
[142]Anderes Buch
Schwerdt/ als die Zeichen der deutſchen Feld-
hauptmannſchafft/ mit dieſer Erinnerung:
Er uͤberſchicke ihm hiermit die Cent-
ner-Laſt/ nach welcher alle Sterblichen
ſeufzeten/ die aber niemand/ der
ſie recht kennete/ aufheben wuͤrde.
Es iſt wahr/ ſagte Rhemetalces/ die Buͤrde der
Herrſchafft darff Rieſen-Achſeln/ und gleichwol
wuͤntſchet ſie iedweder Zwerg auf ſeinen Nacken
zu kriegen. Alle wollen lieber in dieſen guͤlde-
nen Ketten verſchmachten/ als bey mittelmaͤſſi-
gem Gluͤcke ſtoltzer Ruh und edler Freyheit ge-
nuͤſſen. Gleichwol aber koͤnte er obiger Mey-
nung des Fuͤrſten Marcomirs/ daß der ſechſte
Cheruskiſche Feldherr der erſte waͤre/ welcher die
Herrſchafft abgetreten/ entgegen ſetzen/ daß vor
wenigen Jahren eine Koͤnigin der Samojeden
Thinacris/ und ein Koͤnig der Geten Rakimis/
fuͤr langen Zeiten aber Hierulck und Nidotical
zu aller Menſchen Verwunderung Kron und
Zepter von ſich geworffen; welcher letztere doch
den Nahmen eines Herrn und die Anbetung
der Goͤtter von ſeinem Volck vorhero angenom-
men/ und ſeine Eitelkeit mit ſeinen gantz guͤlde-
nen Kleidern und Diamantenen Schuhen an
Tag gegeben/ ja ſeine Herrſchafft fuͤr ein Goͤtt-
liches Geſchencke zu achten gehabt haͤtte; weil
ſie ihm lange vorher von den wahrſagenden
Druyden waͤre angedeutet worden. Marcomir
antwortete: Ob ich wol dieſe vier Begebenhei-
ten fuͤr ſeltzamere Dinge achte/ als die Araber
ihre Phoͤnixe/ und die Jndianer ihre Einhoͤrner;
ſo duͤnckt mich doch/ es ſey nirgend eine gantz
freywillige Entaͤuſerung geweſen. Denn Ni-
dotical ward theils durch ungemeine Unpaͤßlig-
keit/ durch Verwirrung ſeines Gemuͤthes und
feſteingebildete Zerruͤttung ſeines Reichs zu die-
ſer Ent[ſ]chluͤſſung bracht; Hierulk aber von ihm
hierzu beredet/ oder vielmehr uͤbereilet. Die
Koͤnigin Thinacris entſchloß ſich aus Zwange
hierzu/ weil ſie entweder diß thun/ oder ſich einem
ihrer angebohrnen Freyheit unertraͤglicherm
Geſetze der Vermaͤhlung eines Koͤniges unter-
werffen ſolte/ den nicht ſie zu erkieſen/ ſondern
die Unterthanen ſchon erwehlt hatten. Dahe-
ro hielt ſie es fuͤr rathſamer/ ſich ehe der Herr-
ſchafft uͤber viel tauſend andere zu begeben/ als
ſich eines andern Gewalt zu unterwerffen.
Auch diß letztere halte ich fuͤr ein Wunderwerck/
fing Rhemetalces an. Denn die Ehrſucht ſchaͤ-
met ſich nicht/ umb ihre Herrſchafft zu befeſtigen/
alle knechtiſche Dienſtbarkeit auf ſich zu nehmen.
Alle Larven der Welt waͤren ihr anſtaͤndig/ der
Bettlers-Mantel nicht zu verſchmaͤhlich/ die
Geſtalt der Schlangen nicht zu abſcheulich.
Wenn man andere Regungen als Kinder mahl-
te/ muͤſte man die Begierde zu herrſchen zwar
als eine Rieſin abbilden; gleichwol aber nehme
ſie wie Hercules die Spindel/ wie Apollo den
Hirten-Stab in die Hand. Sie verwandelte
ſich wie Jupiter in einen Ochſen/ wenn ſie da-
durch einen Vortheil zu erlangen hoffte. Koͤnig
Rakimis aber/ fuhr Marcomir fort/ war zu einer
ſo dienſtbaren Herrſchafft zu ungeduldig/ welcher
ſie nicht ſo wol aus Verdruß uͤber ſein Ungluͤ-
cke/ als uͤber verkleinertem Anſehen bey ſeinen
Unterthanen mit dem Ruͤcken auſah. Unge-
achtet dieſes Reich ohne diß dieſer Suͤſſigkeit/
nemlich der ungebundenen Gewalt/ nicht ge-
wohnet/ ſondern ſeine Koͤnige mit vielen Grund-
Geſetzen/ und den Stimmen des faſt unbaͤndi-
gen Adels umbſchraͤncket ſind. Rhemetalces
fuhr heraus: Jch halte denſelben/ welcher nach
frembder Richtſchnur leben muß/ fuͤr keinen
Koͤnig; Sintemal das Herrſchen darinnen
beſtehet/ daß alle einem/ nicht einer allen
von ſeinem Fuͤrnehmen Rechenſchafft giebet.
Jch halte/ ſagte Malovend/ den Rakimis auch
nur fuͤr einen Schatten eines Herrſchers/ der
Geten Herrſchafft aber fuͤr eine unertraͤgliche
Buͤrde/ fuͤr keine Ergetzligkeit. Denn ob ich
wol derſelben Unart nicht billige/ die Wolluſt
und Uppigkeit fuͤr den Lohn ihrer Herrſchafft
halten/
[143]Arminius und Thußnelda.
halten/ ſondern vielmehr den Purper fuͤr ein er-
innerndes Sinnen-Bild ausdeute/ daß ein Fuͤrſt
ſein Blut fuͤr ſein Volck zu verſpritzen ſchuldig/
auch zwiſchen Buͤrgern und Knechten ein Un-
terſcheid zu machen ſey; ſo iſt doch auch einem/ der
zum Steur-Ruder geſetzt iſt/ unertraͤglich/ daß
ein ieder Boots-Knecht an ſolches ſeinem Gut-
beduͤncken nach die Hand anlegen/ ein Unterthan
ſeinem Koͤnige ins Antlitz widerſprechen/ ein
Unvernuͤnftiger/ ohne Anziehung einiger Ur-
ſache/ als welches er ſchon fuͤr eine Dienſtbarkeit
haͤlt/ die Reichs-Schluͤſſe zernichten/ ein Auf-
wiegler die Land-Tage zerreiſſen/ ein Vettler die
Koͤnigliche Hoheit mit Fuͤſſen treten moͤge.
Gleichwol aber fuͤhren dieſe verderbliche Miß-
braͤuche in dem Reiche der Geten/ das hierdurch
mehrmals in die aͤuſerſte Gefahr gaͤntzlichen Un-
tergangs verfaͤllt/ den ſcheinbaren Titul der
Freyheit/ und man darff ſich wol gar unterſte-
hen fuͤrzugeben/ daß die Unordnung ein Ancker/
und Uneinigkeit ein Reichs-Pfeiler der Geten
ſey. Am allermeiſten aber war die Koͤnigliche
Gewalt zur Zeit Rakimis verfallen/ und des
Adels ihm zu Kopfe gewachſen. Denn/ als er
nach ſeines Bruders Liſſudaval Abſterben das
Reich uͤberkam/ hatten ſchon die Baſtarnen ein
Theil der Getiſchen Unterthanen den Kap-
Zaum des Gehorſams abgeworffen/ welche
Seuche auch andere Treue leichter/ als der ſchon
in einem Gliede freſſende Krebs den geſunden
Leib vollends einnim̃t. Sein Stam̃ ſtand auf
dem Falle/ indem er aller Kinder/ und hierdurch
derſelben Schutzwehren entbloͤſſet war/ welche
ein Reich und die Koͤnigliche Hoheit feſter als
Kriegsheere beſchirmen/ weil doch die beſorgte
Rache des Nachfolgers auch die Verwegenſten
ſchrecket. Der Koͤnig muſte dem Adel das
Heft der Waffen in die Haͤnde geben/ wodurch
ein Koͤnig ſeine Gewalt ſchon mit dem Volcke
theilet. Weil er wider die Baſtarnen wegen
uͤbeler Anſtalt ſeiner Befehlshaber etliche Tref-
fen verlohr/ die Scythen wegen Zwytracht der
Reichs-Staͤnde etliche Plaͤtze eroberten/ die von
den Geten ſelbſt ins Land beruffenen Samoje-
den das gantze Reich uͤberſchwemmeten/ und ihn
aus dem Koͤnigreiche jagten; legten ſie die
Schuld auf ihren Koͤnig/ und buͤrdeten ihm nicht
allein die Zufaͤlle des Gluͤcks/ wie der Poͤfel
ſonſt zu thun gewohnt iſt/ ſondern ihre eigene
Verbrechen auf. Ja ſein eigner Unterthan
Mulobir hielt ihn endlich ſo veraͤchtlich/ daß er
auf ihn den Degen entbloͤſſete/ und wider ihn
nicht anders/ als einen Feind des Vaterlandes/
zu Felde zog. Zeno laͤchelte und ſprach: So
wolte ich lieber der Moßineken Fuͤrſt ſeyn/ der
nur einen Tag Hunger leiden muß/ wenn
ſeine Anſchlaͤge durch Zufall nicht zu gewuͤntſch-
tem Zweck gelangen. Es iſt ertraͤglicher/ ant-
wortete Malovend/ als zwantzig Jahr ſeiner
unbeſonnenen Unterthanen Sclave und Fluch
ſeyn/ wie es Rakimis geweſt/ gegen dem ſie aller-
erſt ihre ſchuldige Ehrerbietung bezeugten/ als er
ſich auch ihre Thraͤnen nicht erweichen ließ/ ihre
ſo gefaͤhrliche Herrſchafft zu behalten; welcher
er/ wiewol zu ſpaͤt/ ein ſicher und ruhiges Leben
vorziehen lernte. Es iſt eine nicht ungemeine
Begebenheit/ daß die menſchliche Boßheit des
gegenwaͤrtigen Guten leicht uͤberdruͤſſig wird/
alſo unbaͤndige Unterthanen ihre gegenwaͤrtige
Fuͤrſten verdammen/ derer Verluſt ſie kurtz her-
nach bejammern/ oder nach einem ſeufzen/ den
ſie kurtz vorher verfluchet.
Ein fuͤrtrefliches Beyſpiel ſtellet ſolchen un-
vorſichtigen der oberwehnte ſiebende Feldherr/
Hertzog Jngram/ fuͤr Augen/ fing Malovend
an. Denn ob wohl dieſer tapfere Held bey den
Deutſchen in groſſem Anſehen/ und neben dem
groſſen Marcomir Unterfeldherr war/ ſein
Bruder ihm auch aus der vaͤterlichen Erbſchaft
die Norichſchen Laͤnder abgetreten hatte; ſo
ſchaͤtzten ihn doch die Pannonier nicht wuͤrdig
ihres Koͤnigs Liſſudaval Tochter zu beſitzen.
Dieſer Liſſudaval hatte nicht mehr als einen
Sohn den Fuͤrſten Gudwil und die Fraͤulein
Her-
[144]Anderes Buch
Hermildis/ eine Fuͤrſtin von wunderwuͤrdiger
Schoͤnheit/ ungemeinem Verſtande/ und
maͤnnlicher Tapferkeit. Dieſe Gaben zohen/
nicht anders als der Agtſtein die Spreu/ unter-
ſchiedene tapfere Fuͤrſten und Helden an ihres
Herrn Vatern koͤniglichen Hof/ unter dieſen
auch den Hertzog Jngram/ und den Daciſchen
Fuͤrſten Decebal. Weil nun beyde Fuͤrſten ſa-
hen/ daß Hermildis die Eigenſchafft des Ma-
gnets und der Sonnen Wende hatte/ und wie
dieſe nur den Geſtirnen/ alſo ſie nur der Tugend
ihre Gewogenheit zuneigete; So diente die Lie-
be beyden Fuͤrſten zu einem Wetzſteine/ ihre an-
gebohrne Fuͤrtreffligkeiten taͤglich durch ruhm-
wuͤrdige Ubungen mehr zu ſchaͤrffen; und nach
dem Hermildis eine Sonne ihres Koͤnigreichs/
ein Begriff aller Tugenden war/ ſuchte ieder
Fuͤrſt/ welcher ſie fuͤr ſeinen Leitſtern erkieſet hat-
te/ mit tapfern Thaten ihre Gewogenheit zu er-
werben/ iedoch durch ſelbte ſtets einer des andern
Vollkommenheit zu verduͤſtern. Denn die
Flamme einer tugendhafften Liebe wecket die
eingeſchlaffenſten Menſchen auf/ ſie begeiſteꝛt die
kaͤlteſten Gemuͤther. Sie machet die Kloͤtzer
rege/ die Cyclopen hoͤflich/ und die Nieder geſchla-
genen Ehrſuͤchtig. Jn denen aufgeweckten
Seelen aber zuͤndet ſie eine ſo ruͤhmliche Eyver-
ſucht an/ daß ſelbte auch die Unmoͤgligkeiten uͤ-
berwinden/ und entweder Stern oder Aſche
werden wollen. Liſſudaval war zwar uͤber dem
Beſitzthume eines ſo edlen Kleinods an ſeiner
Tochter hoch vergnuͤgt/ gleichwol aber bekuͤm-
mert/ daß er durch Erwehlung des einen Fuͤr-
ſten den andern erbittern/ und alſo dieſe ſo ſchoͤne
Helena mit ſeinem Koͤnigreiche ein ander Troja
anzuͤnden wuͤrde. Die Fuͤrſtin Hermildis ſelbſt
konte uͤber dieſen zweyen Hertzogen/ welche alle
andere wie zwey Sonnen die gemeinen Sterne
verfinſterten/ ſich mit ihr ſelbſt eines gewiſſen
Urthels nicht vergleichen/ ſondern gab ihrem
hieruͤber ſorgfaͤltigen Bruder/ entweder aus
wahrhafftem Zweifel/ oder aus einer vernuͤnff-
tigen Verſtellung ihrer Zuneigung/ zu verſte-
hen: Sie wuͤſte einen dem andern ſo wenig fuͤr-
zuziehen/ als eines unter ihren eignen Augen
fuͤr dem andern zu erwehlen. Nach vielen ſel-
tzamen beyder Fuͤrſten Anſehn in gleicher Wage
haltenden Begebenheiten riß endlich beym De-
cebal die Gedult aus/ und daher gerieth er ent-
weder aus ſelbſt eignem Mißtrauen zu ſich ſelbſt/
oder/ weil er die Tugenden zeither mehr ange-
nommen/ als eigenthuͤmlich gehabt hatte/ von
dem Pfad der Ehren/ auf den verzweiffelten
Jrrweg der Laſter. Alle ſein Nachſinnen war
nun wie er dieſen guͤldnen Apfel nicht mehr ſo
wohl durch ſeine numehr ſelbſt verdammte Ver-
dienſte als Argliſt zu uͤberkommen/ oder auf dem
euſerſten Fall auch dem Jngram/ deſſen hohes
Geſchlechte das ſeine bey weitem uͤberſtralete/
dieſes Kleinods verluſtig zu machen. Denn ei-
ne falſche Liebe faͤhret/ wie die grimmige Medea/
mit Drachen/ ſie verwandelt nicht nur/ wie die
zaubernde Circe/ andere/ ſondern ſich ſelbſt in
reiſſende Thiere. Jhre Ungedult wird zur
Raſerey/ und ihre Mißgunſt haͤlt eines fremb-
den Genuͤß fuͤr unertraͤglicher/ als ſeinen eige-
nen Verluſt. Dieſemnach Decebal den Jn-
gram zum minſten ſo ungluͤcklich zu machen/ als
er ſelbſt zu werden fuͤrchtete/ die drey hefftigen
Gemuͤths-Regungen die Regierſucht/ die Ey-
verſucht/ und Furcht wider ihn in Harniſch zu
jagen bemuͤht war. Die Gelegenheit hierzu
gab ihm ein groſſes Feyer/ welches Koͤnig Liſſu-
daval auf ſeiner Tochter der Fuͤrſtin Hermildis
Geburts-Tag anſtellte; darauf nicht allein alle
an dieſem groſſen Hofe anweſenden Fuͤrſten und
Herren ſich ſtattlich ausruͤſteten/ ſondeꝛn ſich auch
viel frembde/ um bey den Strahlen dieſer Fuͤr-
ſtin ihre Freyheit/ wie die Mutten bey dem Lich-
te ihre Fluͤgel zu verlieren/ einfanden. Sinte-
mahl es ſchwer oder unmoͤglich war die Hermil-
dis zu kennen/ und nicht verliebt zu ſeyn. De-
cebal/ welcher des Hertzog Jngrams Beginnen
aufs genaueſte auszuforſchen viel Kundſchaffter
unter-
[145]Arminius und Thußnelda.
unterhielt/ erfuhr endlich/ daß er ihm bey einem
Silberdrechsler einen kuͤnſtlichen Schild aus-
arbeiten ließ/ darauf eine ſchoͤne von der Son-
nen beſtrahlte Perlen-Muſchel geetzt/ auff der
Schalen aber das ſchoͤne Antlitz der Hermildis
abgebildet/ und der gantze Schild mit dieſer U-
berſchrifft bezeichnet war: Das Beſte/ und
mein Abgott iſt gleichwohl verborgen.
Decebal konte aus dieſer Nachricht unſchwer
errathen/ daß Jngram hierdurch ſo viel ſagen
wolte: Wie in der Muſchel die Perle das koͤſt-
lichſte waͤre/ alſo liebte er an der Hermildis mehr
ihr tugendhafſtes Gemuͤthe/ als ihre euſerliche
Schoͤnheit. Er mißbrauchte aber dieſe herrli-
che Gedancken nicht anders/ als die Hirnſe und
Spinne die Roſen. Denn er ließ alſofort auf
ein duͤnnes Blat das Bildnuͤß einer zur ſelben
Zeit ihrer Schoͤnheit wegen beſchrienen Cim-
briſchen Fuͤrſtin Gondeberge mahlen/ welche
man insgemein die Mitternaͤchtiſche Perle
hieß; brachte es auch durch die dritte und vierdte
Hand der uͤber ſolchem Schilde arbeitenden
Kunſt-Meiſter ſo weit/ daß nicht allein dis duͤn-
ne Bildnuͤß/ ohne Jngrams Wiſſen/ unter das
oberſte Blat ſeines Schildes mit eingemacht/
ſondern auch das oberſte Blat ſchwach und zer-
brechlich eingeſchraubt ward. Hingegen ließ
Decebal ihm einen Harniſch/ der uͤber und uͤber
voller Feuer-Flammen loderte/ und einen
Schild fertigen/ deſſen Umkreiß ſich gleicher ge-
ſtalt in eitel Feuer-Flammen endigte/ in der mit-
ten ſich aber in drey Kleeblaͤtter zertheilte/ um
hierdurch ſo wohl ſeine inbruͤnſtige Liebe als die
unverwelckliche Hoffnung fuͤrzubilden. Auff
iedem Kleeblatte war ein Hertz gemahlet. Das
erſte lag auf gluͤenden Kohlen/ mit der Uber-
ſchrifft: O ſuͤſſe Einaͤſcherung! Jn das
andere ließ eine Hand biß zur innerſten Spitze
ein Bleymaaß/ mit der Uberſchrifft: Liebe lie-
be nichts ſeichtes. Das dritte hing zerſpal-
tet an einem durchgehenden Pfeile aneinander/
mit der Uberſchrifft: Jn- und auswendig.
Auf den angeſtellten Tag erſchienen beyde Her-
tzoge/ nach vielen vorhergegangenen Ergetzlig-
keiten mit praͤchtigen Aufzuͤgen/ auf den zu den
Ritterſpielen beſtimmten Schauplatz/ mit nicht
andern Gemuͤths-Regungen/ als wenn dieſer
Tag ihrer Tapfferkeit die Fuͤrſtin Hermildis zu
einem Siegs-Preiß aufgeſetzt haͤtte. Jm Ring-
und Kopf-Rennen hielten beyde einander die
Wage. Denn im erſten erhielt Decebal/ im
andern Jngram aus den Haͤnden ihrer irrdi-
ſchen Goͤttin den Preiß. Jederman war zu er-
warten begierig/ wer unter dieſen zwey Loͤwen
im Turnier die Oberhand behalten wuͤrde/ dar-
innen ſie einander als zwey geſchworne Tod-
feinde anfielen. Jngram traf im zuſammen-
rennen den Decebal auf den Helm/ dieſer je-
nen/ und zwar mit ſonderbarem Fleiſſe auf den
Schild ſo hefftig/ daß beyde Lantzen in Stuͤcken
ſprangen. Hiermit griffen ſie beyde nach ſel-
biger Landsart zu ihren Streitkolben; und ſo
ſehr ſich Jngram bemuͤhete den Decebal am Lei-
be zu beleidigen/ ſo ſehr trachtete Decebal des
Jngrams Schild zu zerſchmettern. Bey ſol-
cher Beſchaffenheit gaben die Zuſchauer ſchon
groͤſten theils dem Jngram gewonnen/ als/ nach
einem heftigen Schlage des Decebals/ von Jn-
grams Schilde das oberſte Blat abſprang. Das
zuſehende Volck hielt diß fuͤr ſeine eigene ſinn-
reiche Erfindung/ weil ſie darauf alſofort ein ſo
ſchoͤnes Bild ins Geſichte bekamen; Hertzog
Jngram aber ward hieruͤber allein ſo heftig be-
ſtuͤrtzt/ und nach dem er bey Herumdrehung des
Schildes eines ſo frembden Bildnuͤſſes gewahr
ward/ hielt er ſich nicht ſo wol fuͤr betrogen als be-
zaubert. Decebal/ an ſtatt daß er ſich ſolcher
Beſtuͤrtzung zu ſeinem Vortheil und Beleidi-
gung ſeines Neben-Buhlers/ dem gemeinen
Urthel nach/ haͤtte bedienen ſollen/ maſte ſich ei-
ner befrembdenden Verwunderung an/ und
ritte unter dem Schein einer gegen den Jngram
gebrauchten Hoͤfligkeit aus dem Schrancken.
Erſter Theil. TWie
[146]Anderes Buch
Wie nun Jngram dergeſtalt ſtille hielt/ und ſich
mit ſonderbarer Ehrerbietung gegen die koͤni-
gliche Schaubuͤhne wendete/ ward iederman
und hiermit auch das Fraͤulein Hermildis ge-
wahr/ daß auf Jngrams Schilde die allenthal-
ben mehr denn zu viel bekandte Cimbriſche Her-
tzogin Gandeberge abgebildet war/ und uͤber
ſelbter dieſe Uberſchrifft ſtand: Meine und
die Nordiſche Perle. Jeder Einfaͤltiger/
geſchweige eine ſo verſchmitzte Fuͤrſtin/ konte uͤ-
ber dieſe und Jngrams erſte uͤber die Perlen-
Muſchel geſtellte Uberſchrifft und Sinnenbild
vernuͤnftig keine andere Ausdeutung machen/
als daß Jngram die Hermildis nur fuͤr die eu-
ſerſte Schale/ die Cimbriſche Hertzogin aber fuͤr
die Perle und ſeinen Abgott hielt. Dahero iſt
leicht zu erachten/ wie Hermildis dieſe eingebil-
dete Beſchimpffung ihr zu Gemuͤthe zoh. Rhe-
metalces fiel ein: Jch bin begierig ihre Empfind-
ligkeit zu vernehmen. Denn man ſagt/ daß
wenn eine erzuͤrnte Taube ein Ey lege/ werde ei-
ne Natter daraus gebruͤttet/ und ein erboſtes
Weib gewinne an Grauſamkeit den hoͤlliſchen
Unholden ab. Ja/ antwortete Malovend/
aber gleichwol vermochte Hermildis ihren Ge-
muͤths-Regungen einen ſolchen Zaum anzule-
gen/ daß die Zuſchauer ihnen einbildeten/ es
muͤſte Hermildis dieſer Bildnuͤſſe ſo genau nicht
innen worden ſeyn. Der Koͤnig nahm dieſe
Begebenheiten zwar wol wahr/ weil er aber aus
dem Stegereiffen keine untadelhafte Entſchluͤſ-
ſung zu erkieſen wuſte/ gebrauchte er ſich des un-
gefaͤhr fallenden Regens zu einem Vortheil ſei-
ner Klugheit/ befahl alſo wegen unſteten Wet-
ters vom Turnier abzublaſen/ und ließ durch
den Herold deſſen Fortſtellung auf folgenden
Morgen andeuten. Weder Hermildis noch
Jngram wuſten/ wie ſie vom Schauplatze ka-
men/ alſo waren beyder Gemuͤther verwirret.
Jngram verfluchte den ſchaͤndlichen und uner-
forſchlichen Betrug/ Hermildis wuͤtete uͤber ſo
ſchimpflicher Verſchmaͤhung. Decebal hin-
gegen lachte in die Fauſt/ und kitzelte ſich uͤber ſei-
ner ſo gluͤcklichen Argliſt. Fuͤrſt Gudwil dach-
te auf nichts als eine geſchwinde/ Liſſudaval auff
eine vorſichtige Rache. Denn die Beleidigten
ſind insgemein blutgieriger als die Aegeln/ und
ergetzen ſich an abgeſchlachteten Leichen mehr/
als die Scharfrichter. Hertzog Jngram war
in tiefſten Gedancken begriffen/ ſo wol den Ur-
ſprung des Betrugs zu ergruͤnden/ als der Fuͤr-
ſtin Hermildis ſeine Unſchuld zu erhaͤrten. We-
gen des erſten ar gwohnte er auf Decebaln/ theils
aus ſeinen Sinnenbildern/ theils aus denen auf
den Schild fort fuͤr fort gefuͤhrten Streichen.
Wegen des andern aber zweifelte er/ daß Her-
mildis von ihm einige Schutz-Schrifft anneh-
men wuͤrde. Als er ſich nun mit dieſen Gedan-
cken ſchlug/ brachte ihm der Ritter Bercka vom
Fuͤrſten Gudwil/ und einen Augenblick darauf
ein Norichiſcher Edelmann vom Decebal einen
anzuͤgerlichen Abſag- und Ausfoderungs-Brief
zu einem ernſten Kampffe auf folgenden Tag;
darinnen ſie die der ihm von niemandẽ feil gebo-
tenẽ Fuͤrſtin zugefuͤgte Beſchimpfung mit nichts
wenigerm/ als ſeinem Blute/ auszuleſchen
draͤueten. Eine Viertelſtunde darauf empfing
er durch einen Edelknaben von ihr ſelbſt einen
Befehl/ er ſolte bey Vermeidung grimmigſter
Rache ihr nicht mehr ins Antlitz zu kommen ſich
erkuͤhnen. Jngram haͤtte bey ſo unuͤberſehli-
chem Ungluͤcke verzweifeln moͤgen. Er konte
ohne Zagheit nicht vom Kampfplatze auſſen
bleiben/ und gleichwol dorfte er ohne ſeiner an-
dern Seele der holdſeligen Hermildis noch groͤſ-
ſere Beleidigung ſich dahin/ nemlich fuͤr ihre Au-
gen/ nicht geſtellen. Die gantze Nacht ward oh-
ne Schlaf und mit tauſendfachen Abwechſelun-
gen der heftigſten Gemuͤths-Regungen aller
Orts zubracht. Die freudige Sonne hatte allein
ruhig ausgeſchlaffen/ und die anmuthige Mor-
genroͤthe gruͤſte den Tag mit lachendem Mun-
de. Jhr und allen aber war auf dem Schauplatze
noch zuvor kommen ein Ritter in eben einem ſo
feuri-
[147]Arminius und Thußnelda.
feurigen Harniſche/ wie den Tag vorher Dece-
bal angehabt. Der Schild allein fuͤhrte ein
ander Sinnbild/ nehmlich eine Taube die einen
Adler zerriß/ mit der Uberſchrifft: Maͤchtige
Ohnmacht der Rache. Die Trompeten
hatten kaum das erſte mahl ein Zeichen zur Ver-
ſammlung der Ritterſchafft gegeben/ als ſelbte
ſich mit unglaublicher Menge um die Schran-
cken/ wie auch bey dem dritten Ausblaſen der
ſchwermuͤthige Koͤnig/ iedoch ohne die Fuͤrſtin
Hermildis/ als welche ſich bey ihrem Herrn
Vater mit Unpaͤßligkeit hatte entſchuldigen
laſſen/ einfand. Hertzog Jngram kriegte von
ihrem Auſſenbleiben durch die ſeinigen bey Zei-
te Wind/ und weil er es dahin andeutete:
die Fuͤrſtin ſey nach erfahrner Ausfoderung mit
allem Fleiß auſſenblieben/ um/ unbeſchadet des
Verbots ihres Angeſichts/ ihm den Schauplatz
zu eroͤffnen/ ſo erſchien er alſofort in einem kohl-
ſchwartzen Harniſche. Auff ſeinem Schilde
ſchwebte ein Salamander in der Flamme/ mit
der Uberſchrifft: Die unverſehrliche Un-
ſchuld. Fuͤrſt Decebal erſchien in blancken
mit goldnen Blumen beworffenen Waffen; Jn
dem Schilde war eine Sonne gemahlet/ welche
mit ihren Strahlen einen Nebel und darinnen
ſich befindende Neben-Sonne unter ſich dꝛuͤckte/
mit der Uberſchrifft: Die obſiegende Wahr-
heit. Hertzog Gudwil hatte einen gantz ver-
guͤldeten Harniſch/ in ſeinem Schilde ſtand der
Qvadiſche Loͤw/ und brach einen Hauffen Pfei-
le entzwey/ mit der Uberſchrifft: Veraͤchtliche
Waffen der Mißgunſt. Dieſe zwey Fuͤr-
ſten und iederman war bekuͤmmert/ wer der
fremde Ritter waͤre/ Hertzog Jngram aber
muthmaſſete aus der Gleichheit des Harniſches:
es waͤre Decebal. Daher rennte er nach gege-
benen Zeichen wie ein Blitz auf ihn/ und jener be-
gegnete ihm mit nicht geringerer Fertigkeit/ bey-
de traffen auch ſo wohl/ daß die Splitter von bey-
den Lantzen in die Hoͤh ſprangen. Bey der Um-
wendung reichten ihre Waffentraͤger ihnen ein
paar andere/ welche ſie ebensfalls ohne Beſchaͤ-
digung an einander in Stuͤcken rennten. Jm
dritten Rennen ließ Jngram aus einer faſt ver-
zweiffelten Verbitterung die eingelegte Lantze
kurtz fuͤr dem Antreffen ſincken/ umarmte ſeinen
Feind/ und riß ihn durch eine unglaubliche Ge-
ſchwindigkeit mit ſich vom Pferde/ ſtieß ihm auch
zwiſchen den Zuſammenfuͤgungen den Degen
in Leib/ daß er fuͤr todt liegen blieb. Alſofort
fing ſein vermum̃ter Waffentraͤger ein erbaͤrm-
liches Mordgeſchrey an: Ach! Hermildis! Her-
mildis! ungluͤckſelige Fuͤrſtin! Hertzog Jngram/
der ſich alsbald wieder zu Pferde geſetzthatte/ er-
ſtarrte uͤber dieſer Stimme wie ein Scheit; und
der gantze Schauplatz gerieth in eine Raſerey/
als ſie nach abgeriſſenem Helme Hermildens
Antlitz erblickten/ aber wenig Zeichen des Lebens
an ihr verſpuͤrten. Jngram waͤre in dieſem
Getuͤmmel von dem wuͤtenden Poͤfel in Stuͤ-
cke zerriſſen worden/ wenn nicht der Koͤnig bey
dieſem ihn am meiſten bekuͤmmernden Zufalle
Vernunfft und Maͤßigung ſeiner Regungen
behalten/ auch der Leibwache ihn zu beſchirmen
befohlen haͤtte. Nach geſtilltem erſtem Auff-
ruhr/ und als die Fuͤrſtin ſich von der Ohnmacht
erholte/ die Wundaͤrtzte gleichergeſtalt die Ver-
letzung nicht fuͤr toͤdtlich hielten/ kamen Hertzog
Gudwil und Decebal und baten beym Koͤnige
aus/ daß ſie gegen den Jngram fechten und
Rache ausuͤben moͤchten. Dieſer ward hier-
durch allererſt von ſeiner Beſtuͤrtzung ein we-
nig ermuntert/ redete damit den Lißudaval an:
Jch wuͤnſche durch mein Blut/ großmuͤthiger
Fuͤrſt/ meinen Jrthum zu buͤſſen/ wenn ich dar-
durch nur allein meine durch des Decebals Be-
trug oder Zauberey geſchaͤndete Unſchuld ans
Tagelicht bringen koͤnte. Das Verhaͤngniß
wird es mir ſicherlich/ und dadurch dieſes Gluͤ-
cke verleihen/ daß der Erlauchte Fuͤrſt Gud-
wil Decebals offenbahrtes Laſter verfluchen/
T 2und
[148]Anderes Buch
und mich gegen dem/ welchem ich ſo hoch verbun-
den bin/ zu kaͤmpffen nicht noͤthigen werde.
Nach dem Koͤniglichen Verlaub traffen Jn-
gram und Decebal als zwey Felſen an einander/
das Gefechte ſchien mehr als menſchlich zu ſeyn/
denn nach gebrochenen Lantzen und gefaͤlleten
Pferden fuͤhrten ſie zu Fuße mit ihꝛen Schwerd-
tern auff einander ohne einiges Verblaſen/
gleich als wenn ſie keines Athemholens beduͤrf-
ten/ ſolche Streiche/ welche auffzuhalten Stahl
und Harniſch zu wenig waren. Endlich unter-
lieff Jngram dem Decebal ſein Gewehr/ und
nach einem langen Ringen fielen ſie mit ein-
ander zu Boden; weil aber Jngram das Gluͤ-
cke hatte oben zu kommen/ nahm er ſeines
Vortheils ſo wohl wahr/ daß er dem Decebal
den Helm vom Haupte riß/ und ihm den De-
gen an die Gurgel ſetzte/ mit Bedraͤuung: Er
wolte ihm nun das Licht ausblaſen/ da er nicht
die betruͤgeriſche Verfaͤlſchung ſeines Schildes
eroͤffnen wuͤrde. Jn Decebals Gemuͤthe kaͤmpf-
te Schande und Liebe des Lebens. Dieſe aber
uͤberwog jene/ und er geſtand/ wie ſchwer es ihm
ankam/ mit Erzehlung aller Umſtaͤnde zu/ daß
auff ſeine Anſtifftung der Blattner der Cim-
briſchen Hertzogin Bildniß unter das oberſte
Blat eingeſchraubet haͤtte; Welch Bekaͤnt-
niß auch alſofort durch den herzu gefoderten
Blattner bekraͤfftigt ward. Nicht nur des Koͤ-
nigs und des Fuͤrſten Gudwil/ ſondern aller
anweſenden Gemuͤther wurden hierdurch gantz
umgekehrt/ und ſo viel Jngram Anſehen und
Gewogenheit erwarb/ ſo tieff verfiel Decebal
in Haß und Verachtung/ ja Lißudaval ließ ihm
alſofort Stadt und Hoff verbieten. Jngrams
groͤſte Bekuͤmmerniß war die Fuͤrſtin auſſer Ge-
fahr/ und ſich bey ihr ausgeſoͤhnt zu wiſſen. Al-
leine wenig Tage verſetzten ſie in eine verſi-
cherte Geneſung/ und ihres Brudern Erzeh-
lung der voͤlligen Begebenheiten den Jngram
in ſo groſſes Anſehen/ daß ſie ihn ſelbſt zur Ver-
hoͤr beruffen ließ/ ja/ als er ihr ſeine Verle-
tzung auff den Knien abbitten wolte/ einiges
ſein Erkaͤntniß nicht annahm/ ſondern ihr ſelbſt
ein zweyfaches Verbrechen/ ſo wohl eines uͤbel-
gegruͤndeten Argwohns/ als einer ungerech-
ten Antaſtung zueignete. Es iſt wunderns-
werth/ wie die zwey widrigſten Gemuͤths-Re-
gungen Liebe und Rache in einer Seele ſo ge-
ſchwind abwechſeln koͤnnen! Die zeither freye
Hermildis ward durch die verbindlichen Liebes-
Bezeugungen Hertzog Jngrams nunmehr tief-
fer im Gemuͤthe/ als vorher mit ſeinem De-
gen verwundet. Den Koͤnig Lißudaval ver-
band er ihn zu einer innerlichen Zuneigung/
den Fuͤrſten Gudwil zu einer bruͤderlichen
Vertrauligkeit; und hiermit ſchien er alle Hin-
derniſſe die Qvadiſche Hertzogin zu erlangen
uͤberſtiegen zu haben/ als Hertzog Decebal bey
denen ihm benachbarten und befreundeten
Pannoniern den Hertzog Jngram durch eine
empfindliche Verlaͤumdung vergaͤllete. Denn
er ließ durch einen Betruͤger ſeine Hand nach-
mahlen/ und ſein Petſchafft nachſtechen/ ſchrieb
hiermit in ſeinem Nahmen einen Brieff an den
Oberſten Feldherrn Marcomir/ darinnen er
die Hoffnung ſeiner Vermaͤhlung mit der
Hermildis Jhm vergewiſſerte/ wordurch er
das Pannoniſche Reich/ welches fuͤr acht und
ſechtzig Jahren von ihrem Geſchlechte durch
angemaßtes unrechtes Wahl-Recht abkom-
men waͤre/ wiederum an ſich zu ziehen anziel-
te. Dieſen Brieff haͤndigte er ſelbſt einem
Poſt-Reuter ein/ ſolchen dem Marcomir zu uͤ-
berbringen/ ſtellte aber etliche Pannonier an/
daß ſie einen ſolchen verdaͤchtigen Brieff-Traͤ-
ger nicht allein anhalten/ und ihm die Schrei-
ben abnehmen/ ſondern ſelbten auch/ wormit
ſein Betrug verſchwiegen bliebe/ todt ſchlagen
ſolten. Keine Natter kan ſo vergifftet ſich an-
ſtellen/ wenn ſie getreten wird/ als der Adel/
wenn man ihm das Wahl-Recht nehmen/ und
ein
[149]Arminius und Thußnelda.
ein freyes Volck/ wenn man es zu Erb-Un-
terthanen/ oder ſeiner Auslegung nach zu Scla-
ven machen will. Daher iſt unſchwer zu er-
achten/ wie die Pannonier/ die ohne diß nicht
ſo viel Schatten einer Dienſtbarkeit/ als ein Au-
ge Staub in ſich vertragen koͤnnen/ wider den
Hertzog Jngram erbittert worden. Die Furcht
und Einbildung ſind auſſer dem gewohnt/ eben
wie die Fern-Glaͤſer/ alle Dinge zu vergroͤſ-
fern/ und den Sachen eine andere Farbe anzu-
ſtreichen/ ja diß/ was etwan geſchehen kan/ fuͤr
etwas weſentliches zu verkauffen. Dahero
war kein Herrſchens-Joch ſo ſtrenge zu erſin-
nen/ das ſie nicht ſchon unter dem Jngram auff
ihren Achſeln zu haben ihnen traumen lieſſen;
und wormit ſie ihrer Empfindligkeit ſo vielmehr
Anſehen und Beypflichtung zu wege braͤchten/
ſtellten ſie dem Hertzog Gudwil nicht allein ſeine
eigene Gefahr und die Verdringung von denen
Vaͤterlichen Reichen fuͤr/ ſondern ſie erklaͤrten
ihn auch noch bey Lebzeiten Lißudavals zu ihrem
kuͤnfftigen Beherrſcher. die Qvaden machten
bey ſo ſcheinbarer Gefahr auch groſſe Augen/
und die eiferſuͤchtige Herrſchens-Sucht ver-
wandelte Hertzog Gudwils Freundſchafft wi-
der den Jngram in einen hefftigen Argwohn.
Ja es mangelte nicht an Leuten/ die um ſich
beym Gudwil in Anſehen groſſer Treu zu ſe-
tzen ihm riethen: Er ſolte nicht allein Jngrams
Heyrath mit ſeiner Schweſter ſtoͤren/ ſondern
ihm auch das Licht ausblaſen. Fuͤrſten ſolten
allezeit den verdaͤchtig achten/ der nach ihnen
ihm Hoffnung zum Reiche machen koͤnte. Es
waͤre dieſe Entſchluͤſſung nicht zu verſchieben/
in welcher die Langſamkeit mehr als Verwe-
genheit Schaden braͤchte; auch doͤrffte man uͤber
dem/ was zur Ruhe des Volcks/ zur Befeſti-
gung des Throns/ und zu dem gemeinen Heil
angeſehen waͤre/ ihm kein Gewiſſen machen/
wenn es ſchon einen Schein der Grauſam-
keit an der Stirne fuͤhrte. Die Sueßioner
und Senoner haͤtten fuͤr hundert Jahren ihr
von den Eubagen/ welche ſich wider die alten
Druyden aufflehnten/ und ihren Gottesdienſt
aus den Geheimniſſen der Natur ergruͤbeln
und befeſtigen wollen/ zerruͤttetes Reich nicht ehe
in Ruhe ſetzen koͤnnen/ als biß Koͤnig Coluſar ei-
nes ihrer Haͤupter durch Verlobung ſeiner
Schweſter/ das andere mit Verleihung groſ-
ſer Wuͤrden gantz ſicher gemacht/ und auff der
Koͤniglichen Hochzeit uͤber hundert tauſend Eu-
bagen unverſehens nieder ſaͤbeln laſſen/ den
Braͤutigam auch ſelbſt zu Abſchwoͤrung des
Eubagiſchen Gottesdienſts genoͤthigt. Ver-
zweiffelte Kranckheiten muͤſte man mit Giffte
heilen/ und in allen groſſen Beyſpielen ſtecke
ein Gran Ungerechtigkeit/ welche Scharte a-
ber durch den gemeinen Nutzen ausgewetzt wuͤr-
de. Hertzog Gudwil gerieth hierdurch in ei-
nen rechten Kampff ſeines Gewiſſens und der
Regierſucht. Jenes redete dem Jngram als
einem noch nie uͤberwieſenen das Wort; dieſe
aber ſprach ihm das Leben ab/ weil einem in
Laſtern/ die die Herrſchafft angehen/ auch nur
glaubhaffte Muthmaſſungen zu verurtheilen
berechtigt waͤren. Hertzog Jngram/ welchem
dieſe Verleumdung lange Zeit verborgen blieb,
erfuhr ſelbte durch vertrauliche Nachricht des
Ritters Schlick/ und zugleich/ was man dem
Gudwil wider ſein Leben fuͤr blutige Rath-
ſchlaͤge einblieſſe. Gleichwohl behielt dieſer
Fuͤrſt ein der Gefahr gemaͤſſes Gemuͤthe/ und
weil er durch eine bloſſe Schutz-Rede den be-
reit ſo tieff eingewurtzelten Verdacht zu vertil-
gen nicht getrauete/ noch durch eine heimliche
Flucht zwar ſein Leben zu retten/ ſeine Unſchuld
aber in mehrern Verdacht einzuſencken/ und ſich
dadurch der unſchaͤtzbaren Hermildis verluſtig
zu machen nicht fuͤr rathſam hielt/ ihn auch ſeine
uͤbermaͤßige Liebe alles euſſerſte zu verſuchen
veranlaſſete/ ſo nahm er ſeine Zuflucht zu einer
vermeſſenen Andacht. Denn den folgenden
Tag
[150]Anderes Buch
Tag fiel der Neumond ein/ an welchem die Pan-
nonier und Qvaden der Gottin Kihala opferten.
Dieſe Goͤttin war ein nacktes auff einem mit
zwey Tauben beſpannten Wagen ſtehendes
Weib/ in ihrer rechten Hand trug ſie die Welt-
Kugel/ in der lincken drey Granat-Aepfel/ auf
dem Haupte einen Myrthen-Krantz/ aus ihrer
Bruſt ging eine brennende Fackel herfuͤr. Auf
ihrem Altare lag ein aus dichtem Golde auf dem
einen Gebuͤrge dieſer Voͤlcker gewachſener
Stab/ darauf die Koͤnige nicht allein dem Reiche
ihre Eydes-Pflicht zu leiſten/ ſondern auch ande-
re Groſſen des Landes ihre Angeloͤbnuͤſſe zu be-
ſchweren pflegten; und wird geglaubt/ daß kein
Meineydiger aus dem Tempel lebendig ſcheiden
koͤnte. Wie nun der Koͤnig/ Fuͤrſt Gudwil
und Hermildis fuͤr dieſem Bilde knieten/ und
der Prieſter ein Opfer nach dem andern anzuͤn-
dete/ kam Hertzog Jngram unverſehens in den
Tempel/ legte ſeine lincke Hand auf den guͤlde-
nen Stab/ und ſchwur mit heller Stimme: Jch
ruffe euch Schutz-Goͤtter dieſes Koͤnigreichs zu
Zeugen/ daß ich das Erbrecht deſſelben meinem
Stamme zuzuziehen/ die Freyheit des Volcks
zu unterdruͤcken/ noch auch den Fuͤrſten Gudwil
darvon abzuſtoſſen niemals/ ſondern allein die
unvergleichliche Hermildis zu beſitzen gedacht.
Da auch ich hierinnen meineydig bin/ ſo werde
ich und mein Stam̃ vertilget/ ſo verzehre mich
augenblicks dieſe Flamme. Hiermit faßte er
mit der rechten Hand den gluͤenden Roſt/ worauf
die Opfer lagen. Alle Anweſenden erſtarrten
hieruͤber/ und inſonderheit/ da ſie ihn die Hand
gantz unverſehrt von dem umbfaßten brennen-
den Eiſen wegziehen ſahen. Weil nun kein
Menſch an ſeiner durch dieſes Wunderwerck
bewehrten Unſchuld zweifelte/ muſte ſich Hertzog
Gudwil ſchaͤmen/ daß er dieſe andere Ver-
leumbdung ſich ſo leichtglaͤubig hatte einnehmen
laſſen. Es iſt ſicher eine vermeſſene Zuverſicht
zu ſeiner Unſchuld/ oder ein ungemeines Ver-
trauen zu den Goͤttern geweſt/ fing Zeno an/ da
unter dieſem Wunderwercke nicht ein Kunſt-
Stuͤcke verdeckt gelegen. Was fuͤr ein Kunſt-
Stuͤcke? verſetzte Malovend. Zeno antwor-
tete: Machet man aus dem Amianten-Steine
Leinwand/ die von der Flamme gereinigt/ nicht
verzehret wird; waͤchſet auf dem Javiſchen Ge-
buͤrge Holtz/ das nicht verbrennet; leben in den
Cypriſchen Schmeltz-Oefen uͤber dem zerfluͤſ-
ſenden Ertzte gewiſſe Fliegen unverſehrt; leſchen
die Salamandern mit ihrem Speichel das Feu-
er aus/ ſo iſt es auch wol moͤglich/ daß der
Menſch ſeine Glieder durch natuͤrliche Mittel
fuͤr dem Brande verwahre. Uberdis ſollen
nicht weit von Rom in dem Filiskiſchen Gebiete
gewiſſe Geſchlechter/ die Hirpien genennt/ ge-
weſen ſeyn/ welche am Berge Soractes/ wenn
daſelbſt jaͤhrlich dem Apollo geopfert worden/
uͤber die gluͤenden Braͤnde ohne einigen Scha-
den baarfuͤſſig gehen koͤnnen/ und deßwegen vie-
ler Freyheiten genoſſen haben. Malovend
begegnete ihm: Es mag wol ſeyn/ daß unter de-
rogleichen Begebenheiten zuweilen die Kunſt
oder die Natur ſpiele; Hertzog Jngrams Be-
ginnen aber ward als ein unbegreiffliches Wun-
derwerck der ſonderbaren Fuͤrſorge ſeiner
Schutz-Goͤtter zugeſchrieben; und daher ihm
alſofort die Fuͤrſtin Hermildis im Tempel mit
groſſem Frolocken der Qvaden verlobet. Kurtz
hierauf ſtarb der Koͤnig Liſſudaval/ und betrat
Fuͤrſt Gudwil beyde Reichs-Stuͤle/ wiewohl
mit minderm Gluͤcke/ als Verdienſt. Denn
Decebal erregte wider ihn den maͤchtigen Roͤnig
der Scythen Salomin/ daß er mit einem groſſen
Heere in Pannonien einfiel. Koͤnig Gudwil
begegnete ihm zwar mit Heeres-Krafft/ ward
aber bey Zoma geſchlagen/ und er ſelbſt kam in
einem Moraſt umb. Nach deſſen Tode erkenn-
ten die Qvaden zwar alſobald die Fuͤrſtin Her-
mildis fuͤr eine Erbin des vaͤterlichen Reichs/
uud den Hertzog Jngram fuͤr ihren Koͤnig; die
Pannonier aber wurden untereinander zwiſtig/
und erwehlte ein Theil in Anſehung der Anver-
wand-
[151]Arminius und Thußnelda.
wandnuͤß und ſeiner Tapferkeit den Jngram/
das andere Theil aber/ theils wegen ihrer Blut-
freundſchafft/ theils aus Furcht fuͤr der Dacier
und Scythen groſſer Macht/ theils weil ihnen
das vom Decebal gegen den Jngram erregte
Mißtrauen noch im Hertzen ſteckte/ den Dece-
bal/ welcher inzwiſchen ein Sarmatiſches Fraͤu-
lein Laſabile geheyrathet hatte. Hiermit gerie-
then dieſe zwey Fuͤrſten gegeneinander in Krieg/
das Gluͤcke aber ſtand auf Hertzog Jngrams
Seiten; denn er bemaͤchtigte ſich der Haupt-
Stadt/ und ließ ſich kroͤnen/ verfolgte hierauf
mit ſeinen ſiegreichen Waffen den Decebal/ und
ſchlug ihn beym Fluſſe Pathißus aufs
Haupt/ alſo daß er zum Salomin zu fluͤchten ge-
noͤthigt ward. Dieſer fuͤhrte ein Heer von
300000. Scythen wider den Koͤnig Jngram
auf/ drang damit biß ins Hertze Pannoniens/
und belaͤgerte die Stadt Vindobon. Es be-
ſchuͤtzte aber ſelbte mit unglaublicher Gegen-
wehr Friedebald der Alemannier und Vangio-
nen Hertzog ſo lange/ biß Koͤnig Jngram ein
anſehnlich Heer zuſammen zog. Welchem aber
Salomin nicht Fuß halten wolte/ ſondern nach
Verluſt unzehlbarer Stuͤrme und mehr als
60000. Mann ab- und in Scythien zuruͤck zie-
hen muſte. Jnſonderheit machte die Belaͤger-
ten behertzt eine ſtaͤhlerne in einem alten Tempel
aufgehenckte Krone/ die der alte Koͤnig Friſon
dahin gebracht/ und mit ſeiner Jndianiſchen
Gemahlin Palibothra zum Braut-Schatze be-
kommen haben ſoll/ als ihn Sandrocot aus dem
Emodiſchen Gebuͤrge vertrieben/ und er an-
fangs in Egypten/ hernach in Thracien/ endlich
in Deutſchland ſich niedergelaſſen. Denn ſie
glaubten/ daß/ ſo lange dieſe in ihren Ring-Mau-
ren waͤre/ die Stadt nicht zu erobern ſey. So
gibt dieſe Stadt/ fing Zeno an/ Rom nichts nach/
welches auf ſein Bild der Pallas/ das Eneas
aus dem Trojaniſchen Brande/ Metellus aus
dem in voller Glut ſtehenden Tempel der Veſta
errettet/ oder auf den kurtzen Schild/ der unter
dem Numa vom Himmel gefallen ſeyn ſoll/ ſo
viel bauet. Es ſind dergleichen Schutz-Bilder
hin und wieder gar gemein/ ſiel Rhemetalces ein/
und habe ich in der Africaniſchen Stadt Bockan
Hemer auf einem ſehr hohen Thurme vier guͤl-
dene Kugeln angetroffen/ die 700. Pfund wie-
gen/ welche eines Mohriſchen Koͤnigs Tochter
aus ihren Geſchmeiden unter einem beſondern
Zeichen des Geſtirnes hat gieſſen/ und ſtatt ihres
verſprochenen Braut - Schatzes auf die 4.
Thurm-Ecken ſetzen laſſen/ ja gewiſſe Geiſter
zauberiſch beſchworen/ daß ſie verpflichtet waͤren/
ſolche Aepfel und zugleich ſolches Reich ewig zu
bewahren. Allein der Ausgang lehret nicht
allein/ daß hierunter viel Aberglauben und Ei-
telkeit ſtecke; wie denn diß Reich ietzt mit ſeinen
Aepfeln unter frembdem Joche ſchmachtet/ und
Troja iſt unbeſchadet ihres Pallas-Bildes von
den Griechen/ Rom unbeſchadet ſeines Ancils
von Deutſchen erobert worden; ſondern der
Urſprung und die Wahrheit dieſer Schutz-Bil-
der iſt auch meiſt zweifel- oder gar luͤgenhafft.
Einige Roͤmer wollen ſelbſt nicht glauben/ daß
das Roͤmiſche Palladium das rechte ſey/ weil
Heraclea/ Lavinium und Luceria das unver-
faͤlſchte zu haben ſich ruͤhmen/ und unter den
zwoͤlf Ancilen weiß niemand/ welches das rechte
ſey. Viel mienẽ auch/ daß Eneas das Palladium
vom Diomedes nicht kriegt/ weniger in Jtalien
gebracht/ ſondern Fimbria es im Mithridati-
ſchen Krieg bekommen habe. Jch glaube ſelbſt/
verſetzte Malovend/ daß Friedebalds Tapferkeit
das beſte Schutzbild der Stadt Vindobon/ und
der Ungluͤcks-Stein der Scythen geweſen ſey.
Durch derſelben Verluſt und Flucht ward De-
cebal gezwungen den Koͤnig Jngram umb Frie-
den anzuflehen/ und ſich des Pannoniſchen Rei-
ches zu entaͤuſern; gleichwol aber blieb dem De-
cebal das vorhin zu Pannonien gehoͤrige Dacien
mit dem Koͤniglichen Titul und beyderſeitiger
Bedingung: daß/ wer unter ihnen den andern
uͤberlebte/ das Koͤnigreich Pannonien voͤllig
haben
[152]Anderes Buch
haben ſolte. Wenige Zeit hernach ſtarb Dece-
bal. Als nun Koͤnig Jngram/ vermoͤge ihres
Bundes/ das Pannoniſche Dacien wieder for-
derte/ ſchuͤtzte die Koͤnigin Laſabile fuͤr: Decebals
abgeredter Ruͤckfall haͤtte den Verſtand in
ſich gehabt/ da einer unter ihnen ohne Kinder
ſtuͤrbe/ und Salomin/ dem Jngrams mehrere
Vergroͤſſerung Kummer machte/ ſchickte des
Decebals zweyjaͤhrichtem Sohne Feſtan eine
Koͤnigliche Krone und andere koſtbare Geſchen-
cke/ verſicherte die Koͤnigin ſeines Beyſtandes/
brachte auch die Staͤnde des Reichs theils durch
Bedraͤuung/ theils durch Verheiſſungen/ darzu/
daß ſie dieſem Kinde die vaͤterliche Krone aufſetz-
ten/ ſich auch uͤberdis noch ein Theil Pañoniens/
das die Jatzyger bewohnen/ zu ihm ſchlug. Als
nun Koͤnig Jngram mit ſieghaften Waffen
die Abtruͤnnigen wieder eroberte/ drang Salo-
min mit einer neuen Heeres-Macht wieder her-
fuͤr/ laͤgerte ſich bey Bregetio/ worinnen ſich die
Koͤnigin Laſabile und ihr Sohn aufhielt. Da-
ſelbſt bekleidete er ſeine Argliſt mit betruͤglichen
Liebkoſungen gegen der Koͤnigin und die Lan-
des-Herren/ als dem ſchaͤdlichſten Gifte recht-
ſchaffener Freundſchafft. Endlich erſuchte er
die Koͤnigin ihm den Koͤnig ins Laͤger zu ſchicken/
wormit er ihm ſelbſt die mitgebrachten Geſchen-
cke einliefern/ und ſeiner Perſon Beſchaffenheit
in Augenſchein nehmen koͤnte. Laſabile erſchrack
uͤber dieſem Anmuthen uͤberaus heftig/ und
ward nunmehr allzu langſam ihres Jrrthums
gewahr/ und daß nichts gefaͤhrlichers ſey/ als ei-
nen maͤchtigern Nachbar zu Huͤlffe ruffen/ derer
Schutz-Fluͤgelmeiſtentheils von Adlers-Federn
ſind/ welche dieſelben/ ſo ſie fuͤr Gewalt beſchir-
men ſollen/ ſelbſt zerreiben; wie die benachbarten
Griechen am Koͤnige Philip empfunden/ der
den ſchwaͤchſten halff/ wormit er anfangs die
Beſiegten/ hernach die Sieger ihm unterthaͤnig
machte. Gleichwohl dorfte ſie ihr Mißtrauen
gegen dem Salomin/ als welcher mit ſeinem
maͤchtigern Heere/ als dem ihre aͤuſerſte Kraͤfften
nicht gewachſen waren/ im Hertzen ihres Reiches
ſtund/ nicht mercken laſſen/ ſondern muſte ihren
Sohn mit lachendem Munde in den Rachen
eines Wuͤterichs liefern/ deſſen Herrſchſucht be-
reits hundertmal die Ketten der Bindnuͤſſe/ ja
die Geſetze der Natur durch Hinrichtung ſeiner
eigenen Soͤhne zerriſſen hatte. So bald diß
Kind in ſeiner Gewalt war/ ließ er die Stadt
Bregentio beſpringen/ zwang durch angedraͤue-
te Abſchlachtung ihres Sohnes/ und mit dem
Vorwand/ daß ihr Land fuͤr Zeiten zu dem von
ihm durchs Recht oder Waffen eroberten Geti-
ſchen Reiche gehoͤret haͤtte/ die Koͤnigin/ daß ſie
ihm das Schloß und andere Pannoniſche und
Daciſche Feſtungen einraͤumen/ und fuͤr eine
Gnade erkennen muſte/ daß ſie mit ihrem Kinde
in Sarmatien ziehen dorfte. Alſo erfuhr dieſe
einfaͤltige Koͤnigin allzu geſchwinde/ daß/ da ſie
meynte unter dem Schatten maͤchtiger Schirm-
Fluͤgel zu ſtehen/ und mit Lilien bedeckt zu ſeyn/
ſie in den Klauen eines Raub- Vogels war/ und
auf den biß ins Hertz ſtechenden Dornen lag;
lernete aber allzu langſam/ daß auch bey faſt ver-
zweifeltem Zuſtande man frembder Huͤlffe ſich
nicht bedienen ſolle von einem ungewiſſenhaff-
ten oder im Gottes-Dienſte unterſchiedenen
Fuͤrſten/ oder der auf das Schutzduͤrftige Land
einen Anſpruch hat/ oder es ihm vortheilhafftig
gelegen iſt; ſonderlich da die Huͤlffe die eigene
Macht uͤberwieget/ und die Huͤlffs-Voͤlcker
unter ihren eigenen Heer-Fuͤhrern bleiben/ in
Feſtungen verlegt/ und nicht bald wider den
Feind gefuͤhret werden. Ob nun wol dieſer
Salomin viermal in Perſon mit dem unzehlba-
ren Schwarme der Scythen/ Geten und Ba-
ſtarnen Pannonien uͤberſchwemmete/ Deutſch-
land auch wegen eigener Trennung der Druy-
den/ Barden und Eubagen dem Koͤnige und
endlich oberſten Feldherrn Jngram wenige
Huͤlffe leiſtete/ ſo thaͤt er doch dieſem grauſamen
Feinde mit ſeinen Qvaden/ inſonderheit der
Gothiniſchen/ Oſtſchen und Buriſchen Ritter-
ſchafft
[153]Arminius und Thußnelda.
ſchafft ſo mannliche Gegenwehr/ daß er nach
uͤberwaͤltigtem Dacien uͤber dem Fluſſe Pathiſ-
ſus und Arrabon ſich nicht feſte ſetzen konte. Und
ſeine Verdienſte waren ſo groß geſchaͤtzt/ daß fuͤr
ſeinem Abſterben noch ſein Sohn Clodomir zu
der Deutſchen oberſten Feldherrn erwehlet
ward.
Dieſer Clodomir/ der achte in den Gemaͤhl-
den/ ward erzogen in dem Hofe und Laͤger des
groſſen Marcomirs. Denn ſein Vater wuſte
wol/ daß einem jungen Fuͤrſten der Staub auf
der Renne-Bahn und auf dem Kampf-Platze
zutraͤglicher/ als der Ambra-Geruch in dem
wolluͤſtigen und fuͤr iedem Schatten ſchichtern-
den Frauenzimmer ſey; ja daß die Jugend
nichts minder als ein Gefaͤſſe den Geſchmack
deſſen/ was zum erſten darein gegoſſen wird/ be-
halte. Dieſer Marcomir leitete ihn mit ſeinem
Beyſpiele als der kraͤftigſten Richtſchnure nicht
anders zu allen Fuͤrſtlichen Tugenden an/ als die
Adler ihren Jungen an die Straalen der Son-
nen zu ſchauen mit ihrem Vorfluge Unterricht
geben. Sintemal in dem eingebiſamten Ge-
mache eines Sardanapals auch ein tapferes
Gemuͤthe ſo wenig herrſchen/ als ein Adler von
der Nacht-Eule die Augen an der Sonne
ſchaͤrffen/ oder die Gipfel der Cedern uͤberfluͤgen
lernt. Dieſer muthige Held ließ ſeine Tapferkeit
in den Kriegen wider den unruhigen Koͤnig Uſe-
ſuval uñ den Hertzog der Hermundurer blicken.
Seine Beꝛedſamkeit machte/ daß Maꝛcomiꝛ auf
den Reichstagen ſich ſeines Mundes und Vor-
traͤge bediente; ſeine Klugheit/ daß er in ſeiner
Abweſenheit ihm die Herrſchafft gantz Britan-
niens anvertrauete. Daſelbſt bezwang ihn die
unvergleichliche Schoͤnheit der Fuͤrſtin Riama/
daß er in heftiger Liebe gegen ſie entzuͤndet/ und
dardurch ſeinen Stand taͤglich mit neuen Hel-
den-Thaten herrlicher zu machen verurſacht
ward/ umb dardurch Marcomirs Einwilligung
und der Fuͤrſtin Gewogenheit zu gewinnen.
Dieſem ſeinem Abſehen aber wurden zwey
heftige Hindernuͤſſe in Weg geweltzet. Denn
das Hertze dieſer Fuͤrſtin hatte allbereit von
frembdem Zunder/ nemlich den Tugenden
Friedebalds/ des Hertzogs der Vangionen/ der
die Stadt Vindobon wider den Salomin ſo
herrlich vertheidigt hatte/ heimliches Feuer ge-
fangen/ und Marcomir bereuete/ daß er die
Ober-Feldherrſchafft Deutſchlandes in ſeines
Brudern Jngrams Haͤnde hatte kommen laſ-
ſen/ und ſelbte nicht vielmehr ſeinem Sohne
Hippon zugeſchantzt. Deßwegen verſtellte er
ſeine ſonſt zum Clodomir und ſeiner Vergnuͤ-
gung tragende Zuneigung/ meynte auch
durch ſeine Flammen einen groͤſſern Schatz zu
ſchmeltzen/ nemlich: daß Jngram und Clodomir
gegen den guͤldnen Apfel der Riama den deut-
ſchen Reichs-Stab verwechſeln wuͤrden. Bey-
de dieſe Klippen aber waren Klodomirn verbor-
gen/ und darum deſto gefaͤhrlicher. Sein hoher
Stand/ ſeine Anverwandnuͤß/ welche doch bey
dem Cheruskiſchen Hauſe im Heyrathen moͤg-
lichſt beobachtet ward/ ſeine fuͤrtrefflichen Leibes-
und Gemuͤths-Gaben/ die beweglichſten Aus-
druͤckungen ſeiner brennenden Seelen waren
zu ohnmaͤchtig der Riama Hertze zu erweichen/
ja es ſchien/ daß/ ie heiſſer er entzuͤndet war/ ſie
ſo vielmehr kaltſinnig und unerbittlich wuͤrde.
Dieſe Fuͤrſtin war in der Aufſicht Olorenens
Marcomirs Schweſter/ des Qvadiſchen Koͤnig
Gudwils Wittiben. Deshalben bemuͤhte ſich
Klodomir dieſer klugen Koͤnigin Gunſt zu ge-
winnen/ und meynte/ wenn er nur dieſen Stein
ins Bret bekaͤme/ das Spiel halb gewonnen zu
haben. Denn er bildete ihm dieſen ſuͤſſen
Traum ein/ die Abneigung Marcomirs/ als
von dem er ſonſt in allem uͤbrigen ſo hoch geſchaͤtzt
ward/ ſey ein bloſſer Schatten/ welcher von der
Kaltſinnigkeit der Fuͤrſtin auf ihn fiele. Die
Qvadiſche Koͤnigin war von Klodomirn ihm
bey der Riama ſein Wort zu reden leicht zu ge-
winnen/ weil ſie ſelbſt auf den Vangioniſchen
Hertzog ein Auge geworffen/ ihre Eiferſucht
Erſter Theil. Vaber/
[154]Anderes Buch
aber/ welche mehr als hundert Luchs-Augen hat/
der Riama biß ins Hertze ſah/ und aus ihren
Blicken/ aus ihren oͤftern Faͤrbungen des Ant-
litzes in Abweſenheit des Vangioniſchen Her-
tzogs/ und etlichen andern Umbſtaͤnden urtheil-
te/ daß Riama ihre verliebte Neben-Buhlerin
ſey. Wie behutſam nun Olorene ihre Em-
pfindligkeiten verſteckte/ ſo hatte doch auch ihre
Liebe verbundene Augen/ welche ſich aus den
ſtrauchelnden Fehl-Tritten unſchwer abmercken
ließ/ und daher ward Riama eben ſo geſchwinde
gewahr/ daß Olorene in den Friedebald verliebt
waͤre. Alſo waren ſie zwey gegeneinander die
allergenaueſten Aufſeher/ das Fraͤulein Riama
aber darinnen ungluͤcklich/ daß Olorene ihr zu-
vor kommen war/ und nicht allein ihm ihre Ge-
wogenheit durch nachdruͤckliche Merckmale
entdeckt/ ſondern auch ſein Hertze voͤllig gewoñen
haͤtte. Wie nun aber/ daß es allbereit mit dem
Friedebald und Olorenen ſo weit kommen waͤre/
Riamanicht wuſte; alſo war ſie bekuͤm̃ert/ wie ſie
Friedebalden die Wunde ihrer Seele ohne ihre
Verkleinerung und Olorenens Wahrnehmung
entdecken moͤchte. Denn ſie wuſte wol/ daß ſie
hier zum erſten wuͤrde muͤſſen die Larve vom Ge-
ſichte ziehen/ weil Friedebald ſonſt gegen einer ſo
groſſen Fuͤrſtin ſeine heftigſte Liebe mercken zu
laſſen ſich nimmermehr unterwinden wuͤrde.
Ja ihre Gedancken liebkoſeten ſelbſt ihrem Ge-
muͤths-Triebe/ und legten die gegen ihr taͤglich
bezeugte Ehrerbietungen nebſt denen oͤftern
Veraͤnderungen des Fuͤrſten Friedebalds/ wel-
che aber von Olorenens Regung herkamen/ fuͤr
Verraͤther ſeiner vermummeten Liebe aus.
Undendlich bildete ſie ihr ein/ es waͤre kein Fuͤrſt
in der Welt/ der gegen ſie nicht ſolte entzuͤndet
werden/ gegen welchen des groſſen Marcomirs
ſchoͤne Tochter einen Stral ihrer Gewogen-
heit wuͤrde ſchieſſen laſſen. Dieſemnach ent-
ſchloß ſie ſich/ ihre bißherige zweydeutigen
Gunſtbezeugungen dem Friedebald durch ein
deutlicher Merckmal klaͤrer auszulegen. Hier-
zu ereignete ſich Gelegenheit in dem Koͤniglichen
Luſt-Garten/ allwo Riama/ Olorene/ Klodomir
und Friedebald einſt ihre Zeit mit allerhand Er-
getzligkeiten vertrieben. Als fichs nun traff/ daß
Olorene und Klodomir miteinander im Schach
ſpielten/ bediente ſich die Princeſſin Riama ſol-
chen Vortheils/ und veranlaſte den Hertzog Frie-
debald mit ihr die Laͤnge aus durch den auf bey-
den Seiten mit Palm-Baͤumen beſetzten Spa-
tzier-Saal zu gehen/ und/ welches unter denen
Gemaͤhlden ihm am beſten gefiele/ zu urtheilen.
Als nun/ nach derſelben Betrachtung/ Friede-
bald gepreßt ward ſeine Meynung zu ſagen/
lobte er fuͤr allen andern das Bild/ da Nannus
der Segobrigier Koͤnig am Rhodan ſeiner Toch-
ter Gyptes Hochzeit machte/ und nach dem ihr
vermoͤge der Landes-Art aus den eingeladenen
Gaͤſten einen Braͤutigam zu erkiefen verſtattet
war/ ſie dem Protis/ der nebſt dem Simos aus
Griechenland daſelbſthin angelendet/ zum Zei-
chen ſeiner Erwehlung Waſſer reichte. Wel-
cher denn hierauf aus einem Gaſte des Koͤnigs
Eydam ward/ und die beruͤhmte Stadt Maſſi-
lien mit ſeinen Phocenſern erbauete. Der Ri-
ama ſchoß bey dieſer Erzehlung die Scham-
Roͤthe mit vollem Strome ins Antlitz/ ihr feſti-
glich einbildend/ daß Friedebald nicht allein das
Geheimnuͤß ihrer zu ihm tragender Liebe er-
gruͤndet habe/ ſondern er auch als ein Gaſt von
ihr nichts anders/ als was Gyptes dem Protis
gewehret/ aus Gegen-Liebe erſaͤufze. Nach
weniger Erholung war ihre Antwort: Sie
koͤnne ſein Urthel nicht ſchelten/ und es waͤre
eine ungemeine Gluͤckf ligkeit/ wo Liebe und
Wahl auf der Wag-Schale zweyer Augen
laͤgen. Wie aber die verdeckte Liebe eroͤffnet/
die offenbare verdeckt zu ſeyn wuͤntſchet;
alſo wolte auch Riama ſich nicht gantz und
gar bloß geben/ fing daher an: Jhrem Gut-
beduͤncken ſchaͤtzte ſie noch hoͤher/ die darne-
ben
[155]Arminius und Thußnelda.
ben gemahlte Geſchichte/ von deꝛ Qvadiſchen Koͤ-
nigin Buliſſa/ welche ihren Reichs-Staͤnden/
die ſie entweder zu heyrathen oder Kron und
Scepter niederzulegen noͤthigen wolten/ nach
daruͤbeꝛ gehalteneꝛ Berathſchlagung antwoꝛtete:
Sie wolte den ehlichen/ zu welchem ſie das Goͤtt-
liche Verhaͤngnuͤß verſehen haͤtte. Dieſen wuͤr-
de ihnen ihr wolaufgeputztes und ohne Zuͤgel ge-
laſſenes ſchimmlichtes Pferd zeigen. Jhr
Merckmal ſolte ſeyn/ daß er auf einem eiſernen
Tiſche Mahlzeit hielte. Friedebald war luͤſtern
den Ausſchlag dieſes Ebentheuers zu ver-
nehmen; worauf ihm Riama meldete: Das
Pferd waͤre uͤber Berg und Thal zehn Meil-
weges gelauffen/ und zehn der fuͤrnehmſten
Landes-Herren ſelbtem mit den Koͤniglichen
Zierrathen nachgefolgt. Endlich waͤre es
wiehernde bey einem Ackersmanne Nahmens
Sarpimil ſtehen blieben/ der auf ſeiner umbge-
dreheten Pflugſchar Brodt und Kaͤſe geſpeiſet.
Die Abgeordneten haͤtten hieraus den Schluß
des Himmels erlernet und den Sarpimil fuͤr
ihren Koͤnig verehret; Sarpimil aber dieſe
Wuͤrde unbefrembdet angenommen/ und ſeine
Reute in die Erde geſteckt/ worauf ſie alſofort als
eine Haſelſtaude aufgewachſen. Durch welche
wunderliche Begebungen denn der Koͤnigin
Buliſſa Wahl ſo vielmehr Anſehens bekommen
haͤtte. Mit welcher Erzehlung die Fuͤrſtin
Riama zu verſtehen geben wolte/ daß die Heyra-
then im Himmel geſchloſſen wuͤrden; gleichwohl
aber auch durch dis Beyſpiel die in ihren Kram
dienende Meynung beſtaͤtigte/ daß eine Fuͤrſtin
keinen andern/ als welchen ſie ſelbſt erwehlte/
lieben ſolte. Und dieſe Erklaͤrung begleitete ſie
mit einer ſo durchdringenden Annehmligkeit/
daß ſelbte auch der Unempfindlichſte/ zu ge-
ſchweigen der ſo tiefſinnige Hertzog Friedebald
fuͤr eine Ausdruͤckung ihrer hertzlichen Zunei-
gung haͤtte annehmen muͤſſen. Jch laſſe euch
nachdencken/ fuhr Malovend erzehlende fort/
ob Friedebald uͤber dieſer unvermutheten Liebes-
Eroͤffnung nicht in aͤuſerſte Verwirrung gera-
then ſolte. Die Gluͤckſeligkeit/ daß er auf ein-
mal von zweyen unvergleichlichen Fuͤrſtinnen
geliebet ward/ uͤberſchwemmte ſein Gemuͤthe
derogeſtalt/ daß weder der Verſtand hieruͤber
einen Schluß zu faſſen/ noch die Zunge etwas
auszuſprechen maͤchtig war. Und die beſchaͤm-
te Riama wuſte mit nichts/ als einem tieffen
Seufzer/ ihr Hertze zu erleichtern. Gleichwol
muſten ſie dieſe Regungen/ ſo gut ſie konten/ ver-
ſtellen/ denn Klodomir und Olorene ſtunden
gleich von ihrem geendigten Spiele auf/ und
kamen auf ſie gerade zugegangen. Sie nah-
men alſofort Friedebalds und der Riama Ver-
aͤnderungen wahr; beyden aber halff ihre
Verwirrung ein Edel-Knabe verdecken/ wel-
cher von Marcomirn der Riama und Olore-
nen eingelauffene Schreiben brachte. Klodo-
mir und Friedebald lieſſen deßhalben dieſe zwey
Fuͤrſtinnen alleine/ und verfuͤgten ſich mitein-
ander an die den Garten durchſchneidende/
und zu Beſchirmung fuͤr der Sonne mit ei-
tel Cypreß-Baͤumen beſetzte Bach. Olore-
ne erbrach das an ſie lautende/ und laß folgen-
de Worte: Liebſte Schweſter. Unſer
Vertrauen/ das ſie ſtets zu Berathſchla-
gung unſerer groͤſten Reichs-Geheimnuͤſſe
gezogen/ bewegt uns auch dißmal ihre ver-
nuͤnftige Einrichtung zu erbieten/ daß ſie Her-
tzog Klodomirn gegen Vermaͤhlung unſer von
ihm begehrten Tochter zu gutwilliger Abtre-
tung der deutſchen Feldhauptmannſchafft an
unſern Sohn Hippon bewege; als welche wir
ihm nicht allein gutwillig entzogen und
Klodomirs Vatern zueignen laſſen/ ſondern
auch unſer Recht der Erſt - Geburt auſſer
Augen geſetzt/ als wir das von unſerm Vater
uns zugefallene Noricum ihm uͤberlaſſen.
Das Schreiben an die Princeßin Riama aber
war folgenden Lauts: Liebſte Tochter/ Hertzog
V 2Klo-
[156]Anderes Buch
Klodomirs gegen euch heraus gelaſſene Liebe
ruͤhret nicht allein vom goͤttlichen Verhaͤngnuͤſ-
ſe her/ ſondern dienet auch zum Heil unſerer Laͤn-
der/ und zu Erhaltung unſers Hauſes. Dahe-
ro zweifeln wir nicht/ daß ihr ſo wohl an ſo viel
Gutem/ als ſeinen Tugenden und hohen An-
kunfft eure Vergnuͤgung finden werdet. Je-
doch wird die Koͤnigin Olorene/ an die wir euch
deßhalben verwieſen/ hierinnen euch eine treue
Wegweiſerin abgeben. Lebet alſo wol. Wie
nun Olorene uͤber ihrem Schreiben erfreuet
war/ nach dem ſie ihre Neben-Buhlerin von ih-
rem Ziel abzuziehen Macht und Gelegenheit
bekam; alſo gab Riamen iedes Wort einen
Stich ins Hertze/ und ſie wuſte ihr Elend nicht
zu uͤberſehen. Weil nun ieder Augenblick Ver-
liebten in Tage ſich verlaͤngert/ feyerte Olorene
nicht/ ſondern fuͤgte ſich zu Klodomirn/ von wel-
chem Friedebald ſich alſofort abſonderte/ weil
allem Anſehen nach Olorene mit ihm alleine re-
den wolte. Dieſe fing alſofort an heraus zu
ſtreichen/ daß ſie fuͤr ſeine Vergnuͤgung zeither
mehr/ als er ſelbſt bekuͤmmert geweſt waͤre. Da-
hero waͤre ſie nicht in den engen Schrancken ge-
blieben ihm bey Riamen gut in Worten zu ſeyn/
ſondern/ nach dem ſie Riamens ſo groſſe Kaltſin-
nigkeit verſpuͤret/ habe ſie das Feuer in der
Aſche geſucht/ und nunmehr einen Schluͤſſel ge-
funden Riamens Hertze und die Pforte ſeiner
Gluͤckſeligkeit aufzuſchluͤſſen. Klodomir ward
uͤber ſo froͤlicher Botſchafft faſt fuͤr Freuden ent-
zuͤckt; und nach dem er gegen der Koͤnigin ſeine
Verbindligkeit aufs beweglichſte ausgedruͤckt/
war er begierig die Auslegung dieſes angeneh-
men Raͤtzels zu vernehmen. Olorene fing hier-
auf an: Sie habe die ausdruͤckliche Einwilli-
gung Marcomirs zu ſeiner Vermaͤhlung in ih-
ren Haͤnden/ welcher ſich Riame als eine ver-
nuͤnfftige Tochter ohne euſerſten Ungehorſam
nicht wuͤrde widerſetzen koͤnnen. Klodomir
kam hieruͤber vollends auſer ſich/ umarmte buͤ-
ckende Olorenens Knie/ und rieff: Guͤtiger
Himmel! ſoll ich am erſten fuͤr deine Guͤte/ daß
du mich mit ſo ungemeinem Gluͤcke uͤber-
ſchwemmeſt; oder dieſer meiner Schutz-Goͤttin
fuͤr ihre kluge Vorſorge danckbar ſeyn! Olore-
ne beſtillte ihn/ und verſetzte: Es waͤre dieſes
Werck noch nicht ausgemacht/ und haͤtte das
Gewebe unſers Gluͤcks keinen ſo gleichen Fa-
den/ daß nicht noch hin und wieder ein Knoten
daran zu finden waͤre. Jedoch ſtuͤnde es viel-
leicht in ſeiner Gewalt/ dem/ was ihm noch am
Wege ſtuͤnde/ ſelbſt abzuhelffen. Klodomir fuhr
alſofort heraus: da ſeine Gewalt ſich dahin er-
ſtreckte/ waͤre nichts unter der Sonne/ das ihn
an der Vollziehung hindern ſolte. Olorene fiel
ihm ein: Er ſolle ſich nicht uͤbereilen. Eshabe
in der Welt mehr als einen guͤldenen Apfel/ und
die Liebe erlange nicht allezeit unter den menſch-
lichen Gemuͤths-Regungen den Obſieg. Was
ſolte diß wol fuͤr ein Kleinod ſeyn/ antwortete
Klodomir/ das ich oder iemand der unſchaͤtzba-
ren Riame fuͤrziehen ſolte? Olorene verſetzte:
Wann die Liebe den Richterſtul beſitzt/ Nichts;
wenn aber Ehrſucht urtheilen ſoll/ Herrſchafft
und Wuͤrden. Klodomir ſtockte hierauf/ fing
aber nach einem wenigen Nachdencken an: Jch
traue ja wol dem groſſen Marcomir zu/ daß ich
ihm fuͤr ſeine Tochter die vaͤterliche Kron und
Zepter nicht abtreten ſolle/ welche er unmoͤglich
ungekroͤnet wuͤnſchen kan/ weil die Natur ihr
einen Koͤnigs-Krantz aufs Haupt zu ſetzen die
Welt verbinden wuͤrde/ wenn das Gluͤcke der
Geburt ihr ſelbten gleich nicht zueignete. Sol-
te mir aber Kron und Zepter am Wege ſtehen
oder unfaͤhig machen/ koͤnte ich mich noch wol uͤ-
berwinden/ daß ich mich ihrer enteuſerte. Nein/
nein/ mein lieber Klodomir/ fing Olerene an:
Es iſt Marcomirn ſo wenig anſtaͤndig einen
ungekroͤnten Eydam zu haben/ als ich dem Fuͤr-
ſten Klodomir eine ſo bloͤdſinnige Liebe zutraue/
daß er in etwas mehr/ als in dem unſchaͤtzbarn
Pur-
[157]Arminius und Thußnelda.
Purper/ ſeine Vergnuͤgung finden ſolte. Kron
und Zepter laſſen ſich leichter ſchelten/ als weg-
werffen. Und es eckelt einem fuͤr dieſen nicht
ſo bald/ als man eines ſchoͤnen Antlitzes uͤber-
druͤßig wird. Die uͤbereilende Hitze der auf-
wallenden Begierde unterdruͤcket zwar zuwei-
len die Begierde zu herrſchen; aber dieſe den
Fuͤrſten mehr natuͤrliche Waͤrmde kommt mit
der ſich von ſolchen Duͤnſten auswickelnden
Vernunfft bald wieder empor. Dahero wird
Klodomir wol das Qvadiſche und Pannoniſche
Reich mit der ſchoͤnen Riama beſitzen koͤnnen.
Diß aber/ was Marcomir fuͤr ſeinen Sohn
Hippon verlangt/ ruͤhrt nicht allein ohne diß von
ſeiner Freygebigkeit her/ ſondern iſt an ſich ſelbſt
eine Nuß/ die guͤldene Schalen und ein groſſes
Gewichte/ aber keinen Kern/ und doch viel U-
berlaſt hat. Es iſt leicht zu errathen/ daß ich die
Feld-Hauptmannſchafft Deutſchlands meine;
die Buͤrde nach der ſich Fuͤrſten nicht ſehnen
doͤrffen/ welche einer unverſchrenckten Gewalt
gewohnt ſind/ und die ihre Freyheit nicht ſelbſt
denen Beherrſchten dienſtbar machen/ ja ihre
eigene Laͤnder zu Unterhaltung der noͤthigen
Pracht/ und zu Beſchirmung dieſes ſo viel-
koͤpfichten Leibes erſchoͤpffen wollen. Jch be-
greiffe ſelbſt nicht/ was Marcomir fuͤr Anſehn
habe/ daß er dieſe eitele Ehre auf die Schultern
ſeines Sohnes zu heben trachtet/ die der Deut-
ſchen Fuͤrſten Eigenſinnigkeit ihm mehrmahls
ſo ſauer und verdruͤßlich gemacht. Hingegen
uͤberkommſt du mit der unſchaͤtzbaren Riama ei-
nen Koͤniglichen Braut-Schatz/ die Anwarth-
ſchafft zu ſo vielen Koͤnigreichen. Denn dieſe
ſtehen auf den zweyen Augen ſeines einigen
Sohnes Hippon/ und alſo aufdem Falle. Die
Fuͤrſten ſind nichts weniger ſterblich als Unter-
thanen/ ja es ſterben mehr koͤnigliche/ als gemei-
ne Geſchlechter ab. Dieſes iſt mein unvor-
greiflicher Fuͤrtrag/ Klodomir; Klugheit wird
vernuͤnftig unterſcheiden/ welche Wageſchale
den Ausſchlag zu haben verdiene. Dieſer lieb-
koſende Vortrag Olorenens fiel kaum ſo ge-
ſchwinde in die Ohren Klodomirs/ als ſein Ge-
muͤthe ihren Bewegungs-Gruͤnden Beyfall
gab. Dahero ſchrieb er noch ſelbigen Tag an
ſeinen Vater den Koͤnig Jngram/ und/ weil die
Buchſtaben nicht ſo/ wie ein redender Mund/
ſchamroth wird/ ſchuͤttete er fuͤr ihm ſein gantzes
Hertze und Abſehn aus. Jnzwiſchen lag Olo-
rene der Princeßin Riama an/ daß ſie gegen den/
welchen ſo wohl das Verhaͤngnuͤß als ihr Vater
ſchon zum Gemahlbeſtimmet hatte/ anſtaͤndige-
re Bezeugung machen ſolte. Jhre Landsart
und die Schamhaftigkeit ihres Geſchlechts noͤ-
thigte ſie einen Braͤutigam anzunehmen/ nicht
zu kieſen. Jhre Jugend beſcheide ſie der Eltern
Urtheil/ ihre Pflicht des Vatern Wahl ſich zu
unterwerffen/ und die Erhaltung ihrer Hoheit
ihrer unzeitigen Zuneigung fuͤrzuziehen. Die
Liebe der Jugend waͤre insgemein blind/ daher
haͤtte ſie einer fremden Leitung von noͤthen/ ſie
waͤre ein Kind/ alſo muͤſte ſie aus Mangel der
Klugheit den Gehorſam zur Hoffemeiſterin ha-
ben. Denn keine Fehltritte waͤren ſchaͤdlicher
als im Heyrathen/ und wer hier irrete/ kaͤme
nimmermehr wieder zu rechte. Riamen war
dieſer ſcharffe Einhalt ein taͤglich-nagender
Wurm im Hertzen/ und ſie haͤtte fuͤr Unwillen
mehrmals zerſpringen moͤgen/ daß ihre Neben-
Buhlerin numehr auch ihre Aufſeherin worden
war. Gleichwohlzwang ſie der vaͤterliche Be-
fehl dieſe Gewalt mit Gedult zu ertragen/ und
ihre Empfindligkeit nicht mercken zu laſſen;
wiewohl ihr Gemuͤthe auf Rache und Mittel/
Olorenens Liebe auch einen Stein in Weg zu
werffen/ bedacht war. Maſſen ſie denn eine
ihrer Cammer-Jungfrauen gewann/ die ihr von
Olorenen alle nur erforſchliche Heimligkeiten
entdeckte. Hieruͤber kam Marcomir ſelbſt in
Britannien/ und an den Koͤniglichen Hoff Aſti-
nabes der gluͤckſeligen Jnſeln Koͤnig/ um Olo-
renen zu werben. Was hier fuͤr ſeltzame Ver-
wickelungen in den Gemuͤthern ſich zuſammen
U 3floch-
[158]Anderes Buch
flochten/ iſt unſchwer zu ermaͤſſen. Klodomir
liebte Riamen/ ſie aber den Friedebald/ der be-
reits durch Olorenens Liebe bemeiſtert war/
und ſonder Gefahr zwiſchen zweyen Stuͤlen
niederzuſitzen/ ihm keine Veraͤnderung dorf-
te traumen laſſen. Olorene liebte den Frie-
debald/ und er zwar ſie/ aber ihre Flamme
war ohne einige Hoffnung/ die ſich doch ſonſt
mit der Liebe in die Wiege und in den Sarch
leget. Sintemahl die Liebe ihr auch bey un-
moͤglichen Dingen ſtets ſelbſt heuchelt/ und
ihre Beſitzer offtmahls den bloſſen ſchlagen
laͤſt. Aſtinabes war in Olorenen verliebt/ ſie
aber ſeuftzete nach einer andern Seele. Und
endlich verwirrete das Spiel noch mehr Jn-
grams Antwort auf Klodomirs Schreiben
dieſes Jnhalts: Der Poͤfel heyrathete nach
Wolluſt/ Fuͤrſten aber zu ihrer Vergroͤſſe-
rung. Denn das Reich ſey ihre rechte Ge-
mahlin/ die Gemahlin ihr ehrliches Kebs-
Weib/ deſſen man ſich auch ſo gar entſchlagen
muͤſte/ wenn es entweder ihre Unfruchtbarkeit
und der Mangel der Stamm-Erben erforder-
te/ oder der Fuͤrſt durch eine neue Heyrath dem
Reiche ein ſtuͤcke Land zuſchantzen koͤnte. Es
haͤtte das Qvadiſche und Pannoniſche Reich der
Urheber ihres Stammes/ welcher nunmehr die
andere Welt uͤberſchattete/ gantz Noricum/ ſein
Vater gantz Britannien und die Frieſiſchen
Landſchafften/ welche wuͤrdig waͤren Europens
Jndien genennet zu werden/ nicht durchs
Schwerdt/ ſondern durch Heyrathen erwor-
ben. Durch dieſen untadelhafften Hamen
traue ihm Hippon Marcomirs Sohn Hiber-
nien zufiſchen. Zu allem dieſem Aufnehmen
haͤtte dem Hermion und ſeinen Nachkommen
die deutſche Feld-Hauptmannſchafft geholffen/
welche Wuͤrde ſo groß waͤre/ daß alle Europaͤi-
ſchen Koͤnige ſelbter unſtriettig die Oberhand
einraͤumten/ und dieſe waͤre darum ſo viel herr-
licher/ weil ſie keine knechtiſche Herrſchafft uͤber
Sclaven fuͤhrte/ ſondern ſo maͤchtigen Fuͤrſten
vorſtuͤnde/ welche Koͤnigen den Vorzug nicht
entraͤumten. Weil die letztern Gedancken ins-
gemein die beſten waͤren/ koͤnte er unſchwer ur-
theilen/ daß Marcomir nunmehr ſeinen ſelbſt-
eigenen Fehler erkennte/ und mit ihrem Scha-
den die Scharte auswetzen wolte/ wenn er dieſe
vorhin aus den Haͤnden gelaſſene Feld-Haupt-
mannſchafft wieder an ſeinen Sohn ziehen wol-
te. Dahero beſchwuͤre er ihn bey ſeiner kindli-
chen Liebe/ er ſolte diß/ was das Verhaͤngniß
und Gluͤcke ihnen einmahl zugeworffen/ ja deſ-
ſen Abtretung ohne diß nicht in ihrer Gewalt/
ſondern in der unumſchrenckten Wahlfreyheit
der deutſchen Fuͤrſten beſtuͤnde/ zu ſeiner eigenen
Verkleinerung/ zum Fluche ihrer Nachkom-
men/ und zum Nachtheil der ihnen ſo wol wol-
lenden Deutſchen nicht von ſich ſtoſſen. Bey
dieſem Ungewitter erfuhr Marcomir/ daß Sa-
lomin in Deutſchland einbrechen wolte/ daher
ſchickte er den Hertzog Friedebald/ entweder
weiler vorhin gegen ihm ſo groſſe Ehre einge-
legt/ oder iemand Olorenens Gewogenheit ihm
verrathen hatte/ ihm aufs neue den Kopf zu bie-
ten. Dieſe Entſchluͤſſung kam ſo unverhofft
und geſchwinde/ daß er von Olorenen nicht einſt
vertraͤulichen Abſchied zu nehmen Gelegenheit
fand. Denn weil Liebe iederzeit von Furcht
begleitet wird/ undihr einbildet/ daß ihre ſelbſt-
eigene Stivne die Verraͤtherin ihrer Gedan-
cken ſey/ ſo wagten ſie ſich ſelbſt nicht eine einſa-
me Zuſammenkunfft zu pflegen. Gleichwol
verfiel Friedebalds Liebe/ ſo furchtſam ſie war/
in eineunbedachtſame Berwegenheit. Denn
als Marcomir und der gantze Hof ihn an den
Hafen und biß aufs Schiff begleitete/ druͤckte
er Olorenen beyletzter Geſegnung einen Zettel
in die Hand/ welchen ſie/ weil Koͤnig Aſtinabes
ihr ſo fort die Hand bot/ mit nicht geringerer
Unvorſichtigkeit in Buſem ſteckte/ alſo/ daß es
Marcomir gewahr ward. Aſtinabes begleite-
te
[159]Arminius und Thußnelda.
te ſie biß an ihr Zimmer/ Marcomir aber wolte
ihr/ um dieſe Heimligkeit/ worvon er aus Ey-
verſucht Riamens ſchon Wind hatte/ zu er-
gruͤnden keine Luft laſſen; daher fuͤhrte er ſie an
ein Fenſter gegen dem Meere/ und fing an
Aſtinabes Perſon und Liebe ihr nachdruͤcklich
einzuloben. So ſehr nun Olorene Zeit und
Aufſchub zu gewinnen trachtete/ ſo ſehr ver-
mehrte ihre Kaltſinnigkeit Marcomirs Ver-
dacht/ alſo/ daß er endlich unter dem Scheine/
als wolte er ihr die vom Winde verwickelten
Haarlocken zu rechte machen/ ihr Friedebalds
Brief zwiſchen den Bruͤſten herfuͤr zog/ und
was ſie dahin fuͤr Heimligkeit verborgen haͤtte/
laͤchelnde fragte. Olorene wuſte fuͤr Beſtuͤr-
tzung uͤber dieſer unvermutheten Begebenheit
kein Wort aufzubringen; Marcomir aber be-
reuete alſofort ſeine allzugroſſe Freyheit/ und/
wormit er ſeine Schweſter nicht allzuſehr be-
ſchaͤmen moͤchte/ wolte er ihr den Zettel wieder
einhaͤndigen/ und ſeine Sorgfalt mit einem
kurtzweiligen Vorwitze beſchoͤnigen. Olorene
aber/ welche ſich entweder fuͤr verrathen hielt/
oder doch endlich ihre Gewogenheit lieber durch
einenſolchen Zufall/ als durch ihr eigenbewegli-
ches Bekaͤntnuͤß zu entdecken verlangte/ wei-
gerte ſolchen anzunehmen/ und meldete/ ſie wuͤ-
ſte zwar nicht den Jnhalt dieſes ihr unvermu-
thet zugekommenen Papieres/ doch laͤge in ih-
rem Hertzen keine Heimligkeit verborgen/ wel-
che ihre ſchweſterliche Liebe fuͤr einem ſolchen
Bruder geheim zu halten Urſache haͤtte. Die-
ſe Vertrauligkeit nahm Marcomir mit einer
ſchertzhafften Freyheit an/ und laß daraus fol-
gende Zeilen: Jch bejammere/ ewige Beherr-
ſcherin meiner Seele/ daß das Band unſerer
Gemuͤther/ welches das Verhaͤngnuͤß zuſam-
men gebunden/ Menſchen zerreiſſen. Wie a-
ber? ſoll die mir abgenoͤthigte Abweſenheit un-
ſer Buͤndnuͤß aufloͤſen/ welches die Tochter des
groſſen Marcomirs zu trennen nicht vermocht
hat? Nein ſlcher! die Riegel ſo groſſer Gebuͤr-
ge/ die Tieffen des groſſen Meeres werden
zwar meinen Leib von ſeiner Sonne entfernen/
mein Gedaͤchtnuͤß aber wird mir ewig das
Bild der unvergleichlichen Olorene fuͤrhalten/
und meine Seele ſich ihr/ wenn das Tacht mei-
ner Hoffnung und ihrer Beſtaͤndigkeit ver-
glimmt/ aufdem Holtzſtoſſe der Verzweifelung
aufopfern. Nach Ableſung dieſes Schrei-
bens/ geriethen ſie beyde in ein langes Still-
ſchweigen/ biß endlich Olorene ihre Tiefſinnig-
keit mit folgender Rede ausdruͤckte: Sie koͤnte
nicht laͤugnen/ daß ſie den Hertzog Friedebald ſo
ſehr liebte/ als einer Frauen Gemuͤthe zu thun
faͤhig waͤre. Marcomir aber habe ſelbſt das
Waſſer auf das Rad ihrer Gewogenheit gelei-
tet/ da er ihr aufgetragen ſeine Tochter mit dem
Hertzog Klodomir zu verknuͤpfen. Denn weil
dieſe zu Friedebalden eine Zuneigung bezeigt/
habe ſie fuͤr rathſam befunden/ anfangs durch
angenommene Liebes - Vezeugungen beym
Friedebald ihr den Vortheil abzurennen/ und
ſich ſeiner zu verſichern; Sie habe aber im
Ausgange erfahren/ daß kein Feuer ſich gefaͤhr-
licher anruͤhren laſſe/ als die Liebe. Jhre bloſ-
ſe Anſtellung babe ſich in kurtzer Zeit in War-
heit/ ihr Schertz in Ernſt verwandelt. Jedoch
hoffte ſie/ daß nicht allein dieſes Hertzogs unge-
meine Vollkommenheit eine Entſchuldigung
ihrer Schwachheit ſeyn/ ſondern ihre Beſtri-
ckung Friedebalds die Fuͤrſtin Riama von einer
haͤrteren Gefaͤngnuͤß befreyet haben wuͤrde.
Marcomir ward uͤber ſo offenhertzigem Be-
kaͤntnuͤß fuͤrnehmlich aber ſeiner Tochter Ria-
ma ausbrechender Vergehung uͤberaus bekuͤm-
mert/ alſo daß er aus dem Stegereiffen nichts ge-
wiſſes zu entſchluͤſſen wuſte/ ſondern ſtillſchwei-
gend/ iedoch nicht ohne Kennzeichen einigen Un-
willens von Olorenen Abſchied nahm Deꝛ Moꝛ-
gen war kaum angebrochen/ als Marcomir Ria-
men und Olorenen in ſein Gemach beruffen ließ.
Die-
[160]Anderes Buch
Dieſe leiſteten ſolchem Befehl unverzuͤgliche
Folge/ fanden aber zu ihrer groͤſten Beſtuͤrtzung
Klodomirn und den Aſtinabes ſchon in dem Koͤ-
niglichen Zimmer/ woraus ſie ihnen ſelbſt alſo-
fort ein ſeltzames Abentheur wahrſagten. Bey
ihrer Erſcheinung eroͤffnete Marcomir alſofort
dieſes Urtheil: Gott haͤtte ihn mit einer Schwe-
ſter und Tochter/ die Reichs-Geſetze Britanni-
ens aber mit dieſer Gewalt begabt/ daß er ſelbte
nach ſeinem Gutbeduͤncken durch Verehligung
nicht allein verſorgen/ ſondern auch die Wohl-
farth ſelbten Reichs hierdurch befoͤrdern moͤchte:
Weil nun zwey ſo vortreffliche Fuͤrſten bey ihm
um ſie Werbung thaͤten/ koͤnte er dem Ver-
haͤngnuͤſſe nicht widerſtreben. Dahero er-
klaͤrte er hiermit aus unverſchrenckter Gewalt/
daß in breyen Tagen Riame Klodomirn/ und
zwar mit Enthengung aller vorigen Bedingun-
gen/ Olorene Aſtinaben offentlich ſolte ver-
maͤhlet werden. Klodomir und Aſtinabes be-
zeugten mit tieffſter Ehrerbiettung ihre hieruͤ-
ber geſchoͤpffte Vergnuͤgung. Riame und O-
lorene hoͤrten iedes Wort als einen abſondern
Donnerſchlag an/ iedoch mit einem ſtillſchwei-
genden Schrecken/ theils weil die Schamhaff-
tigkeit auch denſelben Schmertz auszulaſſen hin-
dert/ zu dem man gleich Urſache hat/ theils weil
ſie beſorgten/ daß ſie durch ihre Ungeberdung
die/ mit welchen ſie in ein unauffloͤßliches
Buͤndniß treten ſolten/ nicht zu ſehr erherbe-
ten/ und daß Marcomir ihre Thraͤnen nicht
fuͤr eine Hartnaͤckigkeit auffnehme. Wie nun
der Schmertz/ den man nicht mercken laſſen
darff/ und der Eyfer/ den man in ſich freſſen
muß/ ſich in ſich ſelbſt vergroͤſſert/ alſo konten
ſie ſich nach genommenem Abtritte Klodomirs
und Aſtinabens gleichwohl nicht enthalten/ daß
ſie Marcomirn mit Vergieſſung vieler Thraͤ-
nen zu Fuͤſſen fielen und baten: da man ihnen
ja die Freyheit in der Angelegenheit/ welche ſich
an ſich ſelbſt nicht zwingen lieſſe/ verſchrencken
wolte/ ſolte man doch ihre Gemuͤther nicht dero-
geſtalt uͤbereilen/ ſondern zu deren Beruhigung
einige Zeit entraͤumen. Marcomir aber ant-
wortete ihnen mit ernſthaffter Geberdung: Sie
ſolten entwerffen/ was ſie der Vollkommen-
heit zweyer ſo groſſen Fuͤrſten fuͤr Maͤngel aus-
zuſtellen haͤtten. Sie koͤnten beyde des Her-
tzog Friedebalds nicht faͤhig werden/ der einen
Zuneigung aber muͤſte nicht zu der andern Un-
vergnuͤgen ausſchlagen. Gemeinen Leuten
muͤſte man das Joch ihrer Unterthaͤnigkeit da-
durch verzuckern/ daß ſie nach wohlgeſtalter
Bildung/ nach gleichgeſitteter Art und ihrem
Triebe heyrathen moͤchten; Koͤnigen aber wuͤr-
de es ſo gut nicht/ und Fuͤrſtinnen muͤſten nach
dieſer Suͤßigkeit nicht luͤſtern werden/ ſondern
ſich dieſen Kuͤtzel vergehen laſſen. Die Wohl-
farth des Reichs erforderte mehrmahls einer
Helena einen ungeſtalten Zwerg/ einer klugen
Penelope einen albern Traͤumer durch dieſes
heilige Band anzutrauen. Der waͤre der
ſchoͤnſte Braͤutigam/ welcher der Staats-
Klugheit gefaͤllt/ und die feſteſte Schwaͤger-
ſchafft/ die das Reich befeſtigt. Olorene be-
gegnete Marcomirn mit einer hertzhafften Be-
ſcheidenheit: Es waͤre nicht ohne/ daß Koͤnige
ihren Toͤchtern und Schweſtern insgemein
niemahls geſehene/ weniger beliebte Maͤnner
auffzudringen pflegten/ und ſie zu Pfeilern
und Riegeln ihres Staats/ oder auch zu Ha-
men fremde Laͤnder zu fiſchen/ ja zuweilen wohl
zu Larven ihrer verborgenen Feindſchafft
brauchten. Alleine ſie erlangten dardurch ſel-
ten ihren Zweck/ ſtuͤrtzten aber hierdurch ihr ei-
genes Blut in ein ewiges Qval-Feuer. Sin-
temahl das Band der Anverwandniß viel zu
ſchwach ſey/ die Auffblehungen der Regierſucht
zu daͤmpffen/ und die Schwaͤgerſchafften/ wel-
che nur wenig Perſonen verknuͤpffen/ den
Staats-Regeln zu unterwerffen/ daran ſo viel
tauſenden gelegen iſt. Sie verhuͤllten zwar auf
eine kurtze Zeit die Abneigungen/ waͤren aber
viel zu ſchwach/ den zwiſchen ein und anderm
Fuͤrſt-
[161]Arminius und Thußnelda.
Fuͤrſtlichen Hauſe eingewurtzelten Haß auszu-
rotten. Wie vielmahl haͤtten die Cheruſker
und Catten zuſammen geheyrathet/ die hier-
durch zugeheilten Wunden waͤren aber alſo-
fort wieder anffgebrochen/ und der Ausgang
haͤtte gewieſen/ daß nur ein Haus auff des an-
dern Laͤnder Erb-Anſpruͤche/ und dadurch
Urſachen zu neuen Kriegen zu uͤberkommen ge-
ſucht/ alſo Gifft fuͤr Artzney verkaufft haͤtte.
Rhemetalces brach hier ein und agte: Olorene
haͤtte ſicherlich wahr und vernuͤnfftig geur-
theilet/ und ihre Meinung beſtaͤtigte die Vor-
welt mit vielen Beyſpielen. Seine Nachbarn
die Meloſſen beklagten noch/ daß Philip Koͤnig
in Macedonien ihrem Koͤnige Arrybas ſeiner
Gemahlin Olympias Schweſter nur zu dem
Ende verheyrathet habe/ wormit er ihn ein-
ſchlaͤffte/ und ſeines Reichs beraubete. Und
wie lange iſt es/ daß Antonius dem Kaͤyſer Au-
guſtus mit Vermaͤhlung ſeiner Schweſter O-
ctavie ein Bein unter geſchlagen/ ſeine betruͤgli-
che Schwaͤgerſchafft ihm mit ſeinem Leben be-
zahlen muͤſſen? Malovend fuhr hierauff fort in
der Rede Olorenens: die Staats-Klugheit haͤt-
te zwar unterſchiedene mahl das verborgene
Geſetze des Verhaͤngniſſes meiſtern/ und eine
Vormuͤnderin uͤber die goͤttliche Verſehung
abgeben wollen/ wenn Koͤnige ihre Toͤchter fuͤr
ihrer Verlobung angehalten aller Erb- und
Reichs-Anſpruͤche ſich eydlich zu begeben. Al-
lein der Ehrgeitz habe hernach aus einer ſo heili-
gen Betheurung einen Schertz oder Gelaͤchter
gemacht/ die erkaufften Rechts-Gelehrten aber
ſich nicht geſchaͤmet durch offentliche Schrifften
zu behaupten/ daß ſolche Enteuſſerung fuͤr eine
unguͤltige Nichtigkeit zu halten ſey. Und es
ſtuͤnde ſo denn nicht in der Gewalt einer Fuͤr-
ſtin/ die Farbe und Liebe ihres Geſchlechts und
Vaterlands zu behalten. Denn es gluͤckte ſel-
ten einer Fuͤrſtin/ wie jener tieffſinnigen Spar-
tanerin/ welche ihren zuſammen kriegenden
Vater und Ehmann dadurch zur Verſoͤhnung
gezwungen/ daß ſie ſich allezeit zum ſchwaͤchſten
Theile geſchlagen. Jch wil aus unſerm eige-
nen Hauſe/ fuhr Olorene fort ein einiges Bey-
ſpiel zum Beweiß/ daß das Verhaͤngniß mit
den menſchlichen Rathſchlaͤgen und Staats-
klugen Heyrathen nur ihr Geſpoͤtte treibe/ an-
fuͤhren. Keiner unſers Geſchlechts hat mehr
durch ſeine Eh/ als Hunnus mit des Koͤnigs
Dinfareds Tochter gewonnen. Jhr Vater
meinte ſeine Britanniſche Reiche ſeinem ei-
nigen Sohne Nojanes hierdurch zu befeſtigen/
ſeine Tochter aber auff den Stul der Gluͤckſe-
ligkeit zu ſetzen. Das Rad aber ſchlug in bey-
den Abſehen gantz um. Britannien ſahe die-
ſen Fuͤrſten kaum anfangen zu leuchten/ als er
in Staub und Aſche verſtel. Hiermit wuchs
dem Hunnus nicht allein der Math ſeiner Ge-
mahlin aͤltere Schweſter/ die dem Koͤnige der
gluͤckſeligen Eylande vermaͤhlet war/ von dem
Erbtheile Britanniens abzuſchippen; ſondern
ſolches auch noch dem lebenden Dinfared aus-
zuwinden. Er zwang ſeine Gemahlin/ daß ſie
nebſt ihm zu Kraͤnckung ihres Vaters ſich eine
Fuͤrſtin uͤber Britannien ausruffen ließ/ er
ſchloß ſeinen Schwehervater von dem Frieden
aus/ den er mit den Galliern einging/ er kam
wider ſeinen Willen in Britannien/ machte
von ihm ſeine Raͤthe und Unterthanen/ welche
von der untergehenden Sonne meiſt die Augen
gegen die auffgehende richten/ abtruͤnnig; Er
forderte von ihm mit Ungeſtuͤm die Abtretung
Caledoniens/ das ihm ſeine Gemahlin Betiſa-
le zugebracht hatte/ er verſtattete mit genauer
Noth und mit ſchimpflichen Bedingungen ſei-
nem Schwehervater eine einſtuͤndige Zuſam-
menkunfft; und wie ſehr dieſem geluͤſtete ein-
mahl ſeine Tochter zu ſchauen/ durffte er ſich
doch nicht erkuͤhnen nur nach ihr zu fragen. Ob
wohl auch dieſer groſſe Koͤnig fuͤr der Zeit und
Noth die Segel ſtrich/ und ſeiner Tochter Cale-
donien abtrat/ war Hunnus doch hierdurch we-
der geſaͤttigt noch beſaͤnfftigt. Seine Gemah-
Erſter Theil. Xlin/
[162]Anderes Buch
lin/ die alles/ was ſie ihm an Augen anfahe/ thaͤt/
die gleichſam von ſeinem Anſchauen lebte/ und
aus ſeinen Neigungen ihr eitel Abgoͤtter bilde-
te/ gerieth wegen ſeiner bloſſen Abweſenheit aus
uͤbermaͤßiger Liebe in eine wenige Gemuͤths-
Schwachheit. An ſtatt deſſen nun Hunnus mit
ihr Mitleiden haben ſolte/ rieff er dieſe Bloͤdig-
keit fuͤr eine gaͤntzliche Unvernunfft aus/ ver-
ſchloß ſie in ein Zimmer/ und verdamte ſie zu ei-
ner traurigen Einſamkeit; ja er ließ ſie nicht al-
lein ſeine Reichs-Staͤnde in oͤffentlicher Ver-
ſammlung fuͤr bloͤdſinnig und zur Herrſchafft
untuͤchtig erkennen/ ſondern zwang auch ihren
Vater/ daß er dieſe ſchimpffliche Erklaͤrung
ſelbſt unterzeichnen/ und dem Hunnus das
Hefft alleine in den Haͤnden laſſen muſte. Die-
ſe ſeine Grauſamkeit ward nach ſeinem Tode
vollkommentlich offenbar. Denn als er in der
Bluͤte ſeines Alters durch Gifft umkam/ und
ſeine Gemahlin ſich in der Freyheit befand/ er-
wieß ſie nicht allein ihren vollkommenen Ver-
ſtand/ ſondern auch ein Muſter einer unver-
gleichlichen Liebe. Denn ſie fuͤhrte ſeine ein-
gebalfamte Leiche allenthalben mit ihr herum/
um ſelbte alle Tage in dem Sarge zu betrach-
ten/ und mit Seuffzern und Thraͤnen ſeine von
ihr ſo bruͤnſtig geliebte Aſche anzufeuchten; mach-
te auch hierdurch vom Hunnus wahr/ dieſelbe
Weiſſagung/ daß er laͤnger nach/ als bey ſei-
nem Leben reiſen wuͤrde. So verwirret ging
es dieſem Staatsklugen Koͤnige/ und ſo elende
dieſer vollkommenen Fuͤrſtin. Nicht beſſer
traff es der oberſte Feldherr Alemann/ der durch
Vermaͤhlung ſeiner Tochter an den maͤchtigen
Koͤnig der Gallier Lucoſar ſich nicht wenig zu
vergroͤſſern dachte. Denn dieſe Verknuͤpffung
ward zu einem Zanck-Apfel/ und Lucoſar ver-
ſtieß ſie aus keiner andern Urſache/ als daß er
mit der Fuͤrſtin Nana die Amorichſchen Laͤn-
der erheyrathen koͤnte. Ja ſein Nachfolger
Gudwil verſtieß aus gleichem Abſehen Lueo-
ſars Schweſter/ um nicht ſo wohl der ver-
wittibten Nana/ als ihres Heyraths-Guts
faͤhig zu werden. Diß ſind die traurigen Aus-
gaͤnge der Ehen/ die die Ehrſucht ſtifftet/ und
die Eigennutz/ nicht auffrichtige Liebe zum
Grundſteine haben. Marcomir hoͤrte Olo-
renen mit hoͤchſter Gedult an/ antwortete a-
ber: Er haͤtte alles reifflich uͤberlegt/ und nicht
ohne wichtige Urſachen dieſen Schluß gefaſt.
Oefftere Zuſammen-Heyrathungen unterhiel-
ten gute Verſtaͤndniß der anverwandten Haͤu-
ſer. Man verſiegelte mit ihnen die Friedens-
Schluͤſſe/ man zertrennte dadurch gefaͤhrliche
Buͤndniße. Da ſie nicht ſelbſt den Knoten der
Eintracht machten/ ſo befeſtigten ſie ihn doch.
Er habe durch dieſe Entſchluͤſſung nicht allein
auff die Vortraͤgligkeit ſeines Reichs/ ſondern
zugleich auff ihre Vergnuͤgung gezielet. Sie
meinten zwar beyde ſolche mehr in dem Beſitz
des Fuͤrſten Friedebalds zu finden. Wie a-
ber diß an ſich ſelbſt unmoͤglich waͤre/ alſo ſol-
ten ſie erwegen/ daß Klodomir und Aſtinabes
an Tugenden dem Friedebald gleich/ an Macht
und Ankunfft aber ihm weit uͤberlegen waͤren.
Nun haͤtte das Cheruſtiſche Haus ja allezeit
von ſolcher Art Pflantzen gehabt/ welche fuͤr
niedriger Vermaͤhlung Abſcheu getragen/ und
ihr Antlitz keinem andern Geſtirne/ als Son-
nen nachgekehret haͤtten. Die Palm-Baͤu-
me wuͤrdigten keine unedlere Staude ihrer
Nachbarſchafft und Verknuͤpffung/ und die
Magnet-Nadel lieſſe ſich keine andere himm-
liſche Stralen von dem ſo herrlichen Nord-
und Angelſterne abwendig machen. Wie moͤch-
ten ſie ſich denn durch Erwehlung eines unge-
kroͤnten Hauptes ſo tieff erniedrigen/ die aus
einem Geſchlechte entſproſſen/ das ſo wenig ge-
wohnt waͤre Kinder/ als der Granat-Apf-
felbaum Fruͤchte ohne Purpur und Kronen
zu haben? Alles dieſes ſolten ſie behertzigen/
und nachdencken: ob ſie dem/ der Zeither fuͤr
ſie mehr als ein ſchlechter Vater und Brudet
geſorgt/ etwas uͤbels zutrauen koͤnten/ und ob
ſein
[163]Arminius und Thußnelda.
ſein fuͤr beyden Fuͤrſten eroͤffneter Schluß ſich
ohne ſeine hoͤchſte Ehren-Verletzung/ fuͤr wel-
cher ehe alles muͤſte zu druͤmmern gehen/ ver-
aͤndern lieſſe. Mit dieſen Worten entbrach
er ſich ihrer/ und ließ Riamen und Olorenen
in hoͤchſter Gemuͤths-Beſtuͤrtzung. Beyde
miſchten allhier ihre Thraͤnen zuſammen/ wel-
che kurtz vorher einander mit ſo ſcheelen Augen
angeſehen hatten. Alſo hat die Gemeinſchafft
des Jammers dieſe ſeltzame Krafft/ daß ſelbte
zertrennte Gemuͤther vereinbart. Und dieſe
Eintracht erhaͤrtete/ daß die Haͤnde des Un-
gluͤcks ſtaͤrcker/ als die Klauen der Eiferſucht
ſind. Klodomir und Aſtinabes waren hinge-
gen bemuͤht durch Ausuͤbung allerhand erge-
tzender Ritterſpiele und Kurtzweilen ſo wohl ſich
ſehen zu laſſen/ als ihnen die Zeit zu verkuͤrtzen/
wormit ſie hieruͤber ihnen ihren Kummer und
Gedancken aus dem Gemuͤthe ſchlagen moͤch-
ten/ und durch hunderterley Arten annehmli-
cher Bedienungen ſuchten ſie ihr Hertze zu ge-
winnen. Wiewohl nun Riame und Olore-
ne die groſſen Tugenden dieſer zweyen ausbuͤn-
digen Herren nicht allein erkennen/ ſondern
auch daruͤber ſich oͤffters verwundern muſten/
ſo ſprachen ſie doch in Gedancken allemahl
Friedebalden den Preiß zu/ entweder weil ihr
Hertze von ihm ſchon vorher beſeſſen war/ o-
der weil die Liebe an ſich einen Zug zu einer
gewiſſen Hartnaͤckigkeit hat/ daß ſie auch et-
was koͤſtlichers verſchmaͤhet/ welches man ihr
einnoͤthigen will. Welches ſo vielweniger zu
verwundern/ weil die hefftige Liebe einen Men-
ſchen voͤllig entzuͤcket/ und auſſer dem/ was ſie
liebet/ gegen alle andere Reitzungen unempfind-
lich macht/ auch ein liebender ſelbſt diß/ was
er vorhin geweſt/ zu ſeyn auffhoͤret/ und durch
eine gleichſam zauberiſche Vereinbarung zu
ſeiner Buhlſchafft wird. Nach zweyen Ta-
gen fuͤhrte Marcomir ſie insgeſamt auff ein
von dem Hofe ſechs Meil Weges entlegenes
Luſt-Haus. Nach unterſchiedenen Ergetz-
ligkeiten verfuͤgten ſie ſich mit einander ans
Geſtade des Meeres/ und ſahen denen Fi-
ſchern/ wie ſie daſelbſt die Fiſche beruͤckten/ zu.
Kurtz hierauff wurden ſie inne/ daß die Wel-
len etliche Breter und Stuͤcke von zerbroche-
nen Schiffen an die Klippen trieben. Die
Fiſcher waren darum ſorgfaͤltig/ in Hoffnung
groͤſſern Gewinn aus fremdem Ungluͤcke/ als
durch ihren Fiſchzug zu erlangen. Maſſen
ſie denn auch kurtz hierauff etliche Menſchen/
ſo dem Anſehen nach Boots-Leute waren/ aus
dem Waſſer fiſchten und auff ihre Kaͤhne leg-
ten. Unter andern brachte die Fluth eine mit
koͤſtlichen Kleidern angethane Leiche getrieben/
welchen die Fiſcher alſofort auff Koͤniglichen
Befehl ans Ufer tragen muſten. Das Waſ-
ſer aber hatte ſein Antlitz/ und der anklebende
Schlamm und Schilff ſeine Kleider gantz un-
kentbar gemacht. Nachdem ſie ihn nun ab-
ſauberten/ und Olorene einen an dem Finger
ſich befindenden Ring wahrnahm; hob ſie un-
vermuthet einen hellen Gall an zuſchreyen.
Hierauff verblaßte ſie nicht anders/ als die fuͤr
ihr liegende Leiche/ und ſanck hiermit in eine
tieffe Ohnmacht. Die beſtuͤrtzten Umſtehenden
wuſten nicht/ ob ſie vor die wahre Veſchaf-
fenheit dieſer Leiche erkundigen/ oder der Ohn-
maͤchtigen beyſpringen ſolten. Als dieſe ſich
nur ein wenig erholete/ und man ſie um die
Urſache ihrer Beſtuͤrtzung befragte/ ſeuffzete
ſie und ſprach mit gebrochener Zunge: Ach!
Friedebald! Woruͤber die Fuͤrſtin Riama
alſofort als ein Stein erſtarrete/ alle Em-
pfindligkeit und Bewegung verlohr/ auſſer:
daß aus ihren Augen haͤuffige Thraͤnen ſchoſ-
ſen/ und ſie alſo einem Marmel-Bilde in den
Waſſer-Kuͤnſten wahrhafftig aͤhnlich ward.
Die uͤbrigen Anweſenden aber befunden lei-
der! nur nach eigendlicher Beſchauung des
todten Leichnams/ daß es dieſer fuͤrtreffliche
Held war. Sie kebrten dieſem nach mit
der Leiche hoͤchſt beſtuͤrtzt auff das Koͤnigli-
X 2che
[164]Anderes Buch
che Hauß/ allwo man die gantze Nacht ſo wol
an Riamen/ als Olorenen genung zu reiben
und kuͤhlen hatte/ derer Beſtuͤrtzung ſich in
eine voͤllige Kranckheit verwandelte. Dieſe a-
ber und die ſo hefftige Empfindligkeit Riamens/
welche Klodomirn faſt aller Hoffnung ſeinen
Zweck zu erlangen beraubte/ verurſachte/ daß
er ſich des Hoffes/ und zugleich ſeine hieruͤber ſich
etwan ereignende Gemuͤths-Schwachheit zu
verbergen/ entſchlug/ und in denen tiefſten
Wildnuͤſſen des Jagens bediente. Hieruͤber
aber gerieth er in euſerſte Lebens-Gefahr. Denn
als er einſt ſich von den Seinigen verirrete/ und
des Nachts in der Rauchhuͤtte eines Kohlbren-
ners herbergen muſte/ ward er von dieſem Buſi-
ris und zwey andern Mord-Geſellen unver-
hofft angefallen/ derer ſich doch ſeine Tapffer-
keit durch ihre Hinrichtung mit ſeiner einigen
Hand erledigte. Dieſer Zufall und die Unruh
ſeines Gemuͤthes trieb ihn hierauf wieder an
Hof/ allwo Riamens und Olorenens ſich taͤglich
vergroͤſſernde Kranckheit die Kunſt aller Aertzte
und die Kraͤfften aller Artzneyen zernichtete.
Dieſe euſerſte Gefahr bewegte den Koͤniglichen
Artzt Marcomirn offenhertzig zu entdecken: Es
waͤren mehr Kranckheiten des Gemuͤthes/ als
des Leibes. Dahero er und alle Aertzte denen
Krancken keine Geneſung/ ihnen ſelbſt aber
nichts als Schande zuziehen wuͤrde. Marco-
mir/ welcher ohne diß beſſer als iemand den Ur-
ſprung ihres Ubels wuſte/ fragte bekuͤmmert:
ob denn dieſe Schwachheiten des Gemuͤthes
auch zuweilen toͤdtlich waͤren? Jn allewege/
antwortete der Artzt/ weil die heftigen Gemuͤths-
Regungen der Ausfarth der verwirrten Lebens-
Geiſter nichts minder eine Pforte oͤfneten/ als
eine Verwundung dem ausſchuͤſſenden Gebluͤ-
te/ dadurch die Seele nach und nach verſchwin-
de. Alſo waͤre zu Rom eine Mutter uͤber der
unverhofften Erblickung ihres fuͤr todt gehalte-
nen Sohnes fuͤr Freuden erblichen. Und der
dem Sophocles aufgeſetzte Lorber-Krantz/ weil
eines ſeiner Trauerſpiele fuͤr andern den Preiß
behalten/ waͤre ihm ſo toͤdtlich/ als das Gifft
dem Socrates geweſt. Bey ſo geſtalten Sa-
chen/ da keine Kraͤuter-Artzneyen des Gemuͤ-
thes waͤren/ wuͤrde am rathſamſten ſeyn/ an
ſtatt der Menſchen himmliſche Huͤlffe zu ſuchen.
Auf der Druyden hieruͤber eingeholtes Gut-
achten/ ließ Marcomir beyde Krancken in einen
uhralten Tempel des Eſculapius/ welcher in ei-
nem Jahr mit dem zu Carthago ſoll gebaut ſeyn/
bringen/ ſelbigem durch die dem Heiligthum
vorſtehende Dauniſche und Calabriſche Prieſter
auf dem Grabe des Podalir ſieben Widder
opffern/ und auf derſelben Felle beyde Fuͤrſtin-
nen legen. Es iſt wunderns werth/ daß die/
welche ſo viel Zeit kein Auge zugemacht/ dieſe
gantze Nacht in einen ſanften Schlaf verfielen.
Olorene erwachte zum erſten/ iedoch erſt mit der
aufgehenden Sonne/ und kurtz nach ihr auch
Riame. Beyde wuſten nicht/ wie ſie dahin kom-
men/ ob ſie noch in der Welt oder unter irrdi-
ſchen Gruͤften bey den abgelebten Geiſtern
ſchwebeten. Nach gegeneinander erfolgter
Befragung erzehlte Olorene/ ſie wuͤſte nicht/
obs ihr getraͤumet/ oder ob der Geiſt des ertrun-
ckenen Hertzog Friedebalds ihr wahrhaftig er-
ſchienen waͤre. Dieſer haͤtte ihr mit klaͤglicher
Gebaͤrdung erzehlet/ daß ſein Schiff durch
Unvorſichtigkeit der Bootsleute an einen Fel-
ſen gelauffen und zerborſten/ er aber ertruncken
waͤre. Er dulde aber nunmehr unertraͤgliche
Schmertzen/ weil ihre und Riamens Seufftzer
ſeine Ruh ſtoͤrten/ und ihre Thraͤnen ihm eitel
bittere Wermuth einſchenckten. Dahero bete
er ſie mit gefaltenen Haͤnden/ ſie ſolte mit ſo un-
beſonnener Traurigkeit nicht ihren verſtorbe-
nen Liebhaber peinigen/ nicht ihrem lebenden
Marck und Bein ausſaugen/ nicht das gemei-
ne Heil hindern/ noch aus uͤbermaͤßigem Hertze-
leide unzeitigen Ruhm/ und ihren vom Ver-
haͤngnuͤſſe noch nicht ausgeſteckten Tod ſuchen.
Riame antwortete ihr/ diß koͤnte kein Traum/
oder
[165]Arminius und Thußnelda.
oder es muͤſte gewiß ein ſolcher/ welchen die Wei-
ſen Gottes Botſchafften hieſſen/ geweſen ſeyn.
Denn/ was ſie erzehlte/ waͤre ihr gleichſam bey
offenen Augen eben ſo begegnet; ſie koͤnte kaum
ſagen/ wie ihr Gemuͤthe ſo erleichtert waͤre/ wie
ſo wol von ihrem Hertzen ein groſſer Stein ge-
weltzet/ als die zum Hertzog Friedebald ſo tief
eingewurtzelte Liebe gantz erloſchen zu ſeyn ſchie-
ne. Uberdiß haͤtte ihr ihr Lebetage/ wie man
vom Cleon aus Daunia/ Thraſimedes und dem
Atlantiſchen Volcke ſchriebe/ nie getraͤumet.
Olorene verſetzte/ auch ſie waͤre gleichſam neu-
gebohren/ und ſie nehme an ihr wahr eine ab-
ſondere Schickung der Goͤtter. Dieſemnach
denn auch die Fuͤrſtin Riama nicht Urſache haͤt-
te/ dieſen ihren erſtern Traum fuͤr ein Ster-
bens-Zeichen auszulegen/ und doͤrfte ſie dahero/
um ſeine Wuͤrckung zu hindern/ ihn weder der
Sonne erzehlen/ noch im Bade abwaſchen.
Bey dieſen Worten trat der Prieſter in den
Tempel/ wuͤnſchte ihnen nicht allein zu ihrem
beſſern Zuſtande tauſend Gluͤck/ ſondern un-
terrichtete ſie auch von allen Begebenheiten/
derer Gedaͤchtnuͤß ihnen durch ihr Leid und
Kranckheit gantz entfallen war. Die Fuͤrſtin-
nen erzeigten ihm groſſe Ehrerbietung/ fielen
fuͤr dem Altare/ als dem Urſprunge ihrer Ge-
neſung/ fußfaͤllig und danckbar nieder. Nach
geendigter Andacht fuͤhrte ſie der Prieſter im
Tempel herum/ und zeigte ihnen alle ſehens-
wuͤrdige Seltzamkeiten. Unter andern wieß
er ihnen eine Jaſpis-Taffel/ welche von Cartha-
go in dieſen Tempel ſolle gebracht worden ſeyn.
Auf dieſer war die Liebe an einem Myrthen-
Baume gecreutzigt zu ſchauen/ und uͤberdiß
ſtanden drey Frauen/ unter denen des Prie-
ſters Auslegung nach Medea und Dido ſeyn
ſolten/ welche aus fuͤr ſich habenden Koͤrben die
angebundene Liebe mit Roſen-Ballen ſteinig-
ten. Olorene lachte uͤber dieſem in Stein ge-
wachſenen Gemaͤlde/ und fing zu Riamen an:
Es muͤſten dieſe Frauen von der Liebe ſo ſehr/
als ſie/ nicht gepeinigt ſeyn worden. Denn
haͤtten jene ſo viel als ſie erduldet/ wuͤrden ſie die
Haͤnde und Fuͤſſe der Liebe nicht angebunden/
ſondern durchnagelt/ weniger ihn mit Roſen/
ſondern vielmehr mit Dornen zu tode geworffen
haben. Gegen uͤber ſtand eine helffenbeiner-
ne Taffel/ auf welcher abgebildet war/ wie der
in die Pyrrha verliebte Deucalion ſich von dem
Leucadiſchen Felſen ins Meer ſtuͤrtzte/ und da-
durch den unertraͤglichen Brand ſeiner Liebe
ausleſchte. Riame ſahe Olorenen an/ und
ſagte: Jch traue numehr dem guͤtigem Eſcu-
lapius in dieſer Kranckheit mehr zu/ als dieſer
Meer-Klippe und dem Fluſſe Silemnus/ oder
auch dem Kraute/ das von ſeiner Wuͤrckung die
vergeſſene Liebe genennet wird. Jch nichts
minder/ verſetzte Olorene/ als Marcomir/ der
mit Klodomirn und Aſtinaben unvermerckt in
Tempel kommen war/ ihr in die Rede fiel/ und
den Prieſter fragte/ ob Eſculapius nur wider/
nicht aber auch zu der Liebe helffen koͤnte? Jn
allewege/ antwortete der Prieſter. Der die
ſchoͤne Epione ſo ſehr geliebt/ kan der Liebe nicht
ſo ſehr feind ſeyn/ und der dem ſo ſehr geliebten
und von Pferden zerriſſenen Hippolytus/ hier-
mit wieß er auf das darneben ſtehende Bild/
das Leben wieder geben/ vermag auch wohl eine
todte Liebe lebhafft zu machen. Klodomir und
Aſtinabes lagen hiermit dem Prieſter zugleich
an/ ſie beym Eſculapius zu verbitten/ daß da er
Riamen und Olorenen von einer Liebe/ welche
ſtaͤrcker als der Tod geweſt waͤre/ entbuͤrdet haͤt-
te/ ſolte er nunmehro den Balſam einer leben-
digen Liebe in ihre Hertzen floͤſſen. Sinte-
mahl die unſterblichen Goͤtter zwar wohl die
muthwillige Liebe aus dem Himmel/ niemahls
aber die vernuͤnfftige aus ihren Hertzen ver-
ſtoſſen haͤtten. Der Prieſter trat hierauf fuͤr
das Altar/ warf auf die daſelbſt glimmenden Ko-
len etliche Handvoll Weyrauch/ worvon ein an-
nehmlicher Rauch das gantze Gewoͤlbe gleich
einer Wolcken verhuͤllete. Hierauf troͤpfel-
X 3te ein
[166]Anderes Buch
te ein ſo erqvickender Thau uͤber den gantzen
Tempel herab/ gleich als die Morgenlaͤnder
darzu allen ihren Ambra und Balſam verlie-
hen haͤtten. Alle Anweſende und ſelbſt Riame
und Olorene hielten dieſes fuͤr ein abſonderes
Wunderwerck/ und/ nach dem der Aberglaube
die Menſchen alles zu uͤberreden maͤchtig iſt/
lieſſen ſie ſich bedeuchten/ als wenn die anweſen-
de Gottheit ihre Gemuͤther gleichſam durch ei-
ne Magnetiſche Krafft zu einer Zuneigung ge-
gen Klodomirn und Aſtinaben zuͤge. Hier-
mit fiel Rhemetalces ein: Wie aber? war denn
dieſer wohlriechende Thau kein Wunderwerck
des Eſculapius? Malovend antwortete/ das
leichtglaͤubige Frauenzimmer hielt es freylich
dafuͤr/ ungeachtet die Deutſchen ſonſt des Eſcu-
lapius kaum fuͤr einen Halb-Gott erkennen.
Jch bilde mir aber ein/ es ſey allhier nichts min-
der mit Kuͤnſten zugegangen als es in den Egy-
ptiſchen Tempeln geſchiehet/ allwo/ wenn das
Feuer auf dem Altare angezuͤndet wird/ die
vielbruͤſtige Mutter der Goͤtter haͤuffig Milch
in einen Marmelnen Keſſel ſpritzet/ und zu Sai
Jſis und Oſiris Milch und Wein rinnen laſ-
ſen/ oder auch/ wenn in dem Lybiſchen am Croco-
dilen-Ufer gebauten Tempel des Eſculapius ei-
ner hinein trat/ und nur die ertztenen Raͤder an-
ruͤhrte/ ſelbter alſofort mit Weyhwaſſer beſpritzt
ward. Rhemetalces begegnete ihm: Solten
die klugen Egyptier wol ſo alber geweſen ſeyn/
daß ſie ihnen einen blauen Dunſt fuͤr die Augen
machen laſſen? Sicherlich/ verſetzte Malovend/
ſind dieſes alles Kunſt-Streiche der verſchlage-
nen Prieſter geweſt/ welche hierdurch den ein-
faͤltigen Poͤfel nach ihrem Willen geleitet/ ſich
zu Halb-Goͤttern/ Egypten aber zum Eben-
bilde des Himmels und zu einem Tempel der
Welt gemacht. Nach dem Kaͤyſer Auguſtus
alldort ihren aberglaͤubiſchen Gottesdienſt ab-
geſchafft/ habe ich mir ſelbſt in den Altaͤren die
heimlichen Roͤhren und Werckzeuge weiſen laſ-
ſen/ welche von der Hitze des anzuͤndeten Feuers/
oder durch einen andern Trieb die verborgene
Feuchtigkeit auszuſchuͤtten ſind gereget worden.
Dem ſey aber/ wie ihm wolle/ ſo gebrauchte ſich
Marcomir allhier des Aberglaubens gegen
Riamen und Olorenen/ ihnen die Liebe zu beneh-
men und ſie wieder verliebt zu machen. Zeno
konte ſich des Lachens nicht enthalten/ und fing
an: Jch weiß wol/ daß die Staats-Klugen ihre
Herſchſucht mit dem Mantel der Gottesfurcht
verhuͤllen/ und durch Aberglauben das Volck
ihnen verbindlich machen. Jch erinnere mich/
daß Numa durch die ertichteten Geſpraͤche mit
ſeiner Egeria/ Scipio mit ſeinen Traͤumen in
dem Hauſe des Capitoliniſchen Jupiters/ Sulla
mit dem fuͤr getragenen Bildnuͤſſe des Apollo/
Sertorius mit den Warſagungen ſeiner weiſ-
ſen Hinde/ Minos mit denen vom Jupiter ihm
eroͤfneten Geſetzen/ Piſiſtratus mit ſeiner ver-
mummten Minerva ihre Herrſchafft befeſtigt/
daß die Spartaner ihre Regierſucht und den
Krieg wider Athen/ Philippus den Uberfall der
Phocenſer mit ihrem Kirchenraube beſchoͤnet/ ja
daß auch der Britanniſche Koͤnig Dinafer alle
ſeine Begierden mit der Andacht bekleidet; Daß
man aber den Aberglauben zum Werckzeuge
der Liebe gebrauchthabe/ erinnere ich mich nicht.
Jn allewege/ ſagte Rhemetalces. Nectabis uͤ-
berredete des groſſen Philippus Gemahlin O-
lympias/ es wuͤrde ſie der Hammoniſche Jupi-
ter ſchwaͤngern/ und ſie von ihm einen Sohn/ der
die gantze Welt beherrſchen ſolte/ gebaͤhren;
brachte es auch durch aberglaͤubiſche Bethoͤ-
rung oder zauberiſche Verblendung zu wege/
daß ſie dieſen Betruͤger oftmahls in Geſtalt
einer Schlangen/ und in Einbildung eines
goͤttlichen Beyſchlaffs umhalſete. Ja ich hal-
te dafuͤr/ daß ſo wohl des Scipio als des Au-
guſtus Mutter von der Olympias eben die-
ſen Fuͤrwand ihre frembde Buhlerey zu ver-
bluͤmen gelernt/ und nebſt ihren Maͤnnern
auch
[167]Arminius und Thußnelda.
auch die einfaͤltige Nachwelt zu glauben be-
redet/ daß beyde von Schlangen gezeugt
waͤren/ Scipions Geiſt auch deshalben in der
Linterniniſchen Hoͤle von einem Drachen be-
wacht wuͤrde. Wem iſt nichtd as Unthier/ ich
mag nicht ſagen/ der Unmenſch bekant/ der ſich
fuͤr den Jupiter ausgab/ ja ſich des Beyſchlafs
mit dem Monden ruͤhmte/ und deßwegen ſeine
Schweſtern zur Blutſchande verleitete? Wer
weiß nicht/ daß ein ander die Heyrath einer
Veſtaliſchen Jungfrauen mit ſeinem Prieſter-
thum und einer Wahrſagung/ daß von ihnen
goͤttliche Kinder wuͤrden gezeuget werden/ be-
maͤntelt? Jch wil geſchweigen/ daß ihrer viel den
Bund ihrer Liebe unter dem Scheine der An-
dacht zerreiſſen/ das Band der Eh unter dem
Schein zu naher Anverwandnuͤß zertrennen/
andere ihre Abneigung oder auch frembden
Zunder mit der Gelobung ewiger Keuſchheit
verdecken. Malovend fiel ihm ein: Es waͤren
ſo ſchlimme Mißbraͤuche der Gottes-Furcht
auch in Liebes-Sachen verdam̃lich; wie er aber
fuͤr zulaͤßlich hielte/ ſich ihres Scheins zu Nutz
des gemeinen Weſens zu bedienen; alſo haͤtte
er es Marcomirn nicht fuͤr uͤbel/ daß er Riamens
und Olorenens Aber glauben zu einem ſo guten
Zwecke ihrer ſo loͤblichen Verehligung gemiß-
braucht habe. Es ging ſein Anſchlag auch ſo
gluͤcklich von ſtatten/ daß beyde alſofoꝛt gleich alſo
auf Goͤttlichen Befehl ſich mit Klodomirn und
Aſtinaben zu verknuͤpfen begierig waren. Die
Vermaͤhlung ward noch ſelbigen Tag im Tem-
pel mit groſſem Frolocken vollzogen/ und unter
dieſer Freude das Trauren umb den umgekom-
menen Friedebald nach und nach vergeſſen. Alſo
quellen aus keinem Hertzeleide ſo viel Thraͤ-
nen/ welche nicht der Schwam̃ der Zeit aus-
trockne/ und es iſt keine Liebe in einem Hertzen ſo
beraaſet/ daß ſelbte nicht verwelcken/ oder von
einer andern uͤberwachſen werden koͤnte. Wie-
wol er hierbey die ſeltzame Begebenheit nicht
verſchweigen koͤnte/ daß unter denen Hochzeit-
Fackeln/ welche zwoͤlf Edel- Knaben der zum
Altar gefuͤhrten Olorene fuͤrtrugen/ ſich eine
ſelbſt-bewegende Flam̃e eingemiſcht/ die alles an-
dere Licht verduͤſterte. Und ob ſchon kein Menſch
ſonſt etwas mehrers ſahe/ ſo betheuerte doch ſo
wol Riame als Olorene/ daß ſelbte der Geiſt
Hertzog Friedebalds in ſeinen Haͤnden truͤge/
und derogeſtalt ſeine ſo liebe Buhlſchafft ſo wol
nach ſeinem Tode bediente/ als ihre neue Ver-
maͤhlung billigte. Eben dieſer Geiſt iſt ihr
zum andern und dritten mal erſchienen/ und hat
ihr gerathen/ alle moͤgliche Verhinderungs-
Mittel fuͤrzukehren: daß ihr Gemahl Aſti-
nabes nicht den Zug wider die Mohren fuͤr-
nehmen ſolte/ darinnen er hernach entweder
erſchlagen oder zum minſten verlohren worden.
Weßwegen Olorene auch/ als dieſer Geiſt die
traurige Nachricht brachte/ daß ſie ihren Aſti-
nabes nicht mehr ſehen wuͤrde/ ſich geſtorben
zu ſeyn anſtellte/ und zum Scheine begraben
ließ/ ſich aber/ umb ihrem Betruͤbnuͤſſe deſto
freyer nachzuhaͤngen/ in einer bergichten Ein-
ſamkeit ſo wol ihr Leben als ihre zu den Tod-
ten tragende Liebe endigte; wo anders die
Geiſter der Verſtorbenen nicht noch dieſe ſuͤſſe
Empfindligkeit behalten/ wie faſt der Schatten
des erblaſten Friedebalds zu behaupten ſchei-
net. Rhemetalces fing hieruͤber an: Jch muß
geſtehen/ daß das erzehlte eines der merckwuͤr-
digſten Ebentheuer ſey. Denn ob ich wol weiß/-
und die Welt insgemein glaubet/ daß ieder-
Mann abſonderlich 2. Geiſter zu unabtrennli-
chen Geferten habe/ derer einer entweder mit-
ihm gebohren wird/ oder zum minſten ſich ihm-
bald bey der Geburt zugeſellet/ und ihn/ wie-
vom Socrates genung bekant iſt/ zu allem-
Guten reitzet/ und durch Traͤume oder-
andere Wege fuͤr Ungluͤck warne/ der-
Boͤſe aber ihn zum Verderben reitzet/ und/-
wie dem Brutus geſchehen/ erſchrecket;-
Bey
[168]Anderes Buch
Bey welchen erſtern Geiſtes Regung Socrates
auf der rechten/ bey des andern auf der lincken
Seiten genieſet haben ſoll; ſo ſcheinet doch diß/
was Olorenen begegnet/ keine weder ihrem noch
des Friedebalds Geiſte anſtaͤndige Verrichtung
zu ſeyn; zumal das weibliche Geſchlechte nur
die Juno zu ſeiner allgemeinen Beſchirmerin/
nicht aber/ wie ieder Mann/ abſondere Schutz-
Geiſter haben ſoll/ und Friedebalds erſchienener
Geiſt nicht ihm ſelbſt/ ſondern andern Men-
ſchen/ nemlich Olorenen und Riamen ſeine Dien-
ſte abgeliefert/ da doch die Geiſter ſonſt Frem-
den/ ja auch Freunden ehe aufſaͤtzig zu ſeyn
ſcheinen. Maſſen Auguſtens Geiſt des Anto-
nius zu unterdruͤcken auch damals bemuͤht ge-
weſt/ als beyde gleich noch in groſſer Vertraͤulig-
keit lebten. Zeno begegnete Rhemetalcen: Er
waͤre der gaͤntzlichen Meynung/ wuͤſte auch kei-
nen Grund einer beſſern aufzufinden/ daß Her-
tzog Friedebalds Schutz-Geiſt und kein anderer
Olorenen dieſen Liebes-Dienſt erzeiget habe.
Sintemal unzweifelbar waͤre/ daß die getreuen
Schutz-Geiſter nicht/ wie insgemein die Men-
ſchen/ ihr Freundſchaffts-Band mit dem Lebens-
Fadem zerreiſſen/ ſondern auch ihren Verſtor-
benen/ ja den faulen Leichen wolzuthun beaͤm-
ſigt waͤren/ wie der Geiſt zu Athen/ der den
Athenodor umb die Beerdigung der gefeſſelten
Glieder erſuchet/ und derſelbe Geiſt/ der aus dem
abgehauenen Kopfe des Prieſters Cercidas re-
dete/ und ſeine Moͤrder zu Ausuͤbung der Ra-
che offenbarte. Ob auch ſchon zwiſchen Augu-
ſtens und des Antonius Geiſte einige Gram-
ſchafft ſich ereignet haben ſoll; ſo werden ſelbte
Zweifels-frey die hernach ausgebrochene Tod-
Feindſchafft Auguſtens und des Antonius vor-
geſehen haben. Sintemal die Goͤtter dieſe
Geiſter nicht nur mit der Wiſſenſchafft kuͤnfti-
ger Dinge begabten/ ſondern ſie auch zu Werck-
zeugen ihrer Offenbarungen brauchten. Dieſe
haͤtten in Theſſalien durch die Tauben/ in Lybien
durch den Widder/ zu Delphis aus dem Drey-
Fuſſe geweiſſagt/ und waͤren der ſonſt ſtummen
Dinge redende Zunge geweſt. Maſſen denn
die Griechen feſtiglich geglaubt/ daß/ als die Py-
thia ſo viel fuͤr dem Koͤnig Philipp wahrſagte/
ſein Schutz-Geiſt durch ihren Mund geredet
habe. Ja dieſer Werck waͤre noch/ die geopfer-
ten Thiere derogeſtalt zuzubereiten/ daß ſie mit
den kuͤnftigen Begebenheiten uͤbereinſtimmeten/
ſo gar/ daß die Eingeweide auf den Altaͤren
mehrmals ohne Lungen und Hertzen ge-
funden wuͤrden/ ohne welche doch ein Thier un-
moͤglich leben koͤnte. Endlich waͤre dieſes Gei-
ſtes der Olorene erwieſene Gewogenheit fuͤr ei-
nen dem Friedebald ſelbſt geleiſteten Dienſt zu
achten; weil ein eifriger Liebhaber ſeiner Buhl-
ſchafft mehv/ als ihm ſelbſt/ wol wil/ und die Liebe
der von denen irrdiſchen Leibern entladenen
Seelen alles eitlen Rauches befreyet/ und reiner/
als der Lebenden/ ſeyn ſoll. Alſo haͤtte die Lie-
be des Vaterlandes/ die Theſeus zu Griechen-
land trug/ ſo viel gewuͤrcket/ daß ſein Schutz-
Geiſt in der Marathoniſchen Schlacht wider
die Perſen geſtritten/ ob ſchon Griechenland/
wie Rom die Veſta/ und Perſien einen feurigen
Engel/ und andere Laͤnder andere allgemeine
Schutz-Geiſter gehabt/ welche/ der gemeinen
Meynung nach von dẽ 2. groſſen Welt-Lichtern
und den 12. him̃liſchen Zeichen ihre Bewegung
haben ſollen. Welcher Meynung denn zum
Behelf dienet/ daß Malovends Erzehlung nach
dieſer Geiſt beſtaͤndig Hertzog Friedebalds Ge-
ſtalt behalten habe; zumal ſolche Geiſter wegen
ihrer groſſen Zuneigung nicht leicht eine frembde
Geſtalt anzunehmen wuͤrdigen/ und ihren duͤn-
nen Luft-Leib darmit gegen den ſterblichen Au-
gen ſichtbar machen. Malovend brach ein:
Jch ſolte dieſer letzt-angezogenen Geſtalt halber
meynen/ daß kein Schutz-Geiſt/ welche an Be-
wahrung der nicht nur von boͤſen Geiſtern/ ſon-
dern auch aber glaͤubiſchen Zauberern mehrmals
angefochtenen Leichen und Todten-Gebeine ge-
nung zu thun haben/ ſondern vielmehr Hertzog
Frie-
[169]Arminius und Thußnelda.
Friedebalds eigener Geiſt oder Seele Olore-
nen wohlgethan habe. Sintemahl wir von
den Jndiſchen und Chaldeiſchen Weiſen dieſe
gruͤndliche Lehre angenommen/ daß alle Gei-
ſter/ inſonderheit aber die Seelen der Menſchen
unſterblich ſind/ und daß dieſe alles dis/ was
bey ihrem irrdiſchen Leben fuͤrgegangen/
im Gedaͤchtniſſe behalten. Maſſen die Seele
auch nur alleine der gantze Menſch/ ſein Leib
aber nur der Seele Kercker und Grab iſt/ durch
welchen als ein duͤſternes Weſen ſie das Licht
der Warheit zu erkieſen nur verhindert wird.
Bey ſo geſtalten Sachen iſt kein Wunder/ daß
der erledigte Geiſt nach dem Tode des Leibes
ſo viel thaͤtiger ſey; und bezeuget die oͤffte-
re Erfahrung/ wie unruhig der Entleibten
Geiſter um ihre Graͤber zu ſchwaͤrmen/ der
Gottloſen Geſpenſter ihre Wohnungen zube-
unruhigen/ der frommen Seelen die betruͤb-
ten zu troͤſten mehrmahls bemuͤht ſind. Weß-
wegen nicht nur die Griechen die Erſtlinge
ihrer Fruͤchte/ und die Roͤmer der verſtorbenen
Seelen taͤglich Wein und Weyrauch opffern/
von ihrem Tiſche ihnen Broſamen lieffern/
ſondern auch andere Voͤlcker ihnen Kraͤntze
winden und Altaͤre bauen. Ja da die Zau-
berer durch vergoſſenes Blut und Galle die Er-
ſcheinung der Seelen zu wege bringen; Wie
vielmehr ſoll nicht eine ſo hefftige Regung/ als
die feſteſte Verknuͤpffung der Seelen/ nehm-
lich die Liebe iſt/ ſo viel zu wuͤrcken maͤchtig ſeyn?
Zeno antwortete: Es waͤre die Beruffung der
Geiſter eine Blendung oder Betrug/ ſintemal
weder Steine/ Kraͤuter noch Beſchwerungen
einigen Zwang uͤber die Geiſter haͤtten/ wiewol
die Boͤſen zuweilen die Aberglaͤubigen mit ihrer
gehorſamen Erſcheinung bethoͤrten/ und aus de-
nen von Menſchen geſchnitzten Bildern rede-
ten/ gleich als wenn ſie von ihnen in irrdiſche
Behaͤltniſſe eingeſperret werden koͤnten. Da-
her ging es mit ſelbter insgemein wie mit denen
zweyen Gottesſchaͤndern her/ derer einer ſich in
Saturn/ der andere in Anubis verſtellet haͤtte/
um mit denen in die Tempel kommenden Frau-
en ihre geile Luſt zu buͤſſen/ und die ſchaͤndliche
Unzucht noch mit dem Scheine der Andacht zu
uͤberfirnßen. Uberdiß haͤtte zwar der Geiſt des
Delphiſchen Apollo nicht fuͤr gar langeꝛ Zeit aus
ſeinem Dreyfuße geruffen: Er waͤre nur ein
Sonnenſtaub und das geringſte Theil des groſ-
ſen Gottes/ deſſen Nahme unausſprechlich/ deſ-
ſen ewiges Weſen ein unerſchaffenes Feuer/
und doch das Band der gantzen Welt waͤre. Er
Apollo waͤre ſterblich/ ja er ſtuͤrbe gleich/ weil das
Licht der goͤttlichen Flamme ihn ausleſchte. Auch
haͤtte ein Geiſt bey dem Eylande Paxi dem
Thamus offenbahret/ daß der groſſe Pan ein
Fuͤrſt unter den Geiſtern geſtorben waͤre.
Gleichwohl aber gebe er willig nach/ daß die
Seelen der Verſtorbenen allerdings unſterblich
waͤren/ ob er zwar der Egyptier Meinung dem
Buchſtaben nach nicht beypflichtete/ daß die
Seele ſchon fuͤr dem Leibe ein abſonderes himm-
liſches Weſen waͤre/ und durch den geſtirnten
Krebs/ als die eine Pforte der ſtockenden Son-
ne ſich in den menſchlichen Leib herab laſſe/
weil ſie ſonſt von Gott und dem himmliſchen
Weſen ihre gehabte Wiſſenſchafft nicht ſo gar
verlieren wuͤrden; alſo auch hinfaͤllt/ daß ſie
beym Tode durch die andere Pforte nehmlich
den Steinbock wieder empor klimmen/ und ſich
feſte in Himmel verſperren. Jnzwiſchen ſcheint
es doch eben ſo wohl ein ungereimter Aberglau-
be zu ſeyn/ daß die Menſchen ſich in umſchwer-
mende Geiſter verwandeln/ als daß der Ver-
ſtorbenen Seelen/ nach Vergeſſung des leibli-
chen Ungemachs/ wieder in die Bande ihrer ver-
weſeten Leiber kehren ſollen. Und laſſe ich mich
nicht bereden/ daß die Seelen der Tugendhaff-
ten ſich viel mehr um unſere Eitelkeiten/ daran
ſo viel ſuͤndliches klebet/ bekuͤmmern ſolten. Deñ
ob ſelbten freylich zwar die Schwachheit der
Vergeßligkeit/ und die Entaͤuſerung aller Liebe
nicht beyzumeſſen iſt/ ſo ſind ſelbte doch mit was
Erſter Theil. Ywich-
[170]Anderes Buch
wichtigerm beſchaͤfftiget/ weil ſie durch einen
hefftigern Trieb zu Anſchau- und Betrachtung
des groſſen Gottes/ als die Flamme zu der Em-
porglimmung/ und der Magnet zum Eiſen
gezogen werden. Die verdammten Seelen a-
ber ſind mit ſo viel Angſt und Schmertzen uͤber-
ſchuͤttet/ daß ſie der geweſenen Dinge gerne ver-
geſſen/ und in ein ſolch Gefaͤngniß eingeſperret/
daß ſie die Welt zu beunruhigen ihnen nicht
doͤrffen traumen laſſen. Wie aber/ verſetzte Rhe-
metalces/ wenn die Geiſter/ wormit/ nach des
Plato/ und faſt aller Weltweiſen Meinung/
Lufft/ Erde/ Feuer und Waſſer angefuͤllet/ und
dieſer Elemente Thiere/ ja ſo gar die Britanni-
ſchen Eylande Sporades von eitel Geiſtern be-
wohnet ſeyn ſollen/ welche die Anlendung der
Menſchen mit Sturm und Feuer-Fluthen ver-
hindern/ und zu nichts mehr/ als aus Bildern
und durch Traͤume wahrzuſagen einen Zug
haben/ oder auch die hoͤlliſchen/ ſo wie der zaube-
riſche Proteus/ der Verſtorbenen Geſtalt anneh-
men? Oder wie wenn in dem Menſchen die
Seele und der Geiſt zwey abſondere Weſen waͤ-
ren? Maſſen die Griechen von ihrem Hercules
beſtaͤndig erzehlen/ daß ſeine Seele im Himmel/
ſein Geiſt in die Hoͤlle/ ſein Leib in die Erde ver-
ſetzt worden ſey. Zeno antwortete: Er vernein-
te nicht die Vielheit der Geiſter in der Welt/
noch auch daß ein Theil derſelben dem Men-
ſchen wohlzuthun geneigt/ wiewohl ihm ihr
Dienſt wegen Vielheit der boͤſen allezeit ver-
daͤchtig waͤre. Dieſes die Olorene bedienenden
Geiſtes Gewogenheit beduͤncke ihn auch von all
zu zarter Regung fuͤr einen Geiſt/ und/ weil von
geraumer Zeit ſchier alle Wahrſager-Geiſter zu
verſtummen angefangen/ eine zu ſeltzame Bege-
benheit zu ſeyn. Daß aber des Menſchen See-
le und Geiſt zweyerley ſeyn ſolte/ waͤre ein Jrr-
thum/ und die Meinung vom Hercules ein
bloſſer Aberglaube. Sintemahl der erſtere
Nahme die Eigenſchafft des Weſens/ der an-
dere die lebhaffte Regung der Seelen ausdruͤck-
te. Nachdem ſie aber unter den Lebenden in
dieſer Sache keinen unverwerfflichen Schieds-
mann finden wuͤrden/ muͤſten ſie einmahl ſich
der Geiſter und Geſpenſter entſchlagen/ wenn
Malovend nicht des tapffern Hertzog Klodo-
mirs vergeſſen ſolte.
Rhemetalces nahm alſofort das Wort vom
Zeno an/ meldende/ daß er zwar fuͤr ſeine Mei-
nung und der Geiſter zu den Menſchen tragen-
der Liebe anzufuͤhren haͤtte/ wie ſelbte ſich ſo gar
mit ihnen zu vermiſchen luͤſtern waͤren; maſſen
Plato/ welchen man von einer Jungfrau ge-
bohren zu ſeyn ruͤhmte/ der groſſe Alexander/
Scipio und andere/ von eitel Geiſtern/ inſon-
derheit aber Zoroaſter von dem beruͤhmten Gei-
ſte gezeuget worden/ welche ihre Muͤtter in
Geſtalt der Schlangen oder der Goͤtter ge-
ſchwaͤngert haͤtten. Sintemahl eine Gottes-
laͤſterung zu ſeyn ſchiene/ daß ein wahrer Gott
eine ſterbliche Frau beſchlaffen ſolle/ und/ daß
Schlangen Weiber ſchwaͤngern koͤnten/ eben
ſo laͤcherlich waͤre/ als daß die Koͤnige der Go-
then einen Baͤr/ und ein Volck am Ganges
einen Hund zu ihren erſten Geſchlechts-Ahnen
haben ſolten. Alleine er beſcheidete ſich ſelbſt/
daß ſeine ungewiſſe Gedancken Malovends
annehmlicher Erzehlung billich den Platz raͤu-
meten.
Malovend gehorſamte ihrem Verlangen/
und fing an: Aſtinabes und Klodomir heyrathe-
ten zwar einen Tag und unter einerley Stande
des Geſtirns; Olorene und Riame waren eines
Geſchlechtes/ und ſie ſaͤmmtlich Liebhaber
der Tugend; Aber/ wie auff einerley Zweigen
Roſen und Dornen/ Datteln und Schwaͤmme
wachſen/ ein Theil eines Baums zu einem an-
gebeteten Goͤtzen-Bilde/ das andere zu einem
verfluchten Creutze gemacht wird; alſo waren je-
ne Verwuͤꝛfflinge/ dieſe aber Schoos-Kinder des
Gluͤckes. Denn der hertzhaffte Aſtinabes brach
mit einem maͤchtigen Heere in Africa ein/ um
den verdrungenen Koͤnig der Mauritanier wie-
der
[171]Arminius und Thußnelda.
der einzuſetzen; Dieſe beyde Koͤnige aber nicht
allein/ ſondern auch der/ welcher ſolch Reich be-
hauptete/ buͤßten dem gemeinen Ruffe nach ihr
Leben in der Schlacht ein/ welche von dem Fal-
le dreyer gekroͤnten Haͤupteꝛ einen ewigen Nah-
men behalten wird/ und deßhalben noch ſo viel
merckwuͤrdiger iſt/ daß ſich nach etlichen Jah-
ren einer fand/ der ſich nicht allein fuͤr den Koͤ-
nig Aſtinabes ausgab/ ſondern auch durch ſo
viel Merckmahle und Anzeigungen ſein Vor-
geben beſcheinigte/ daß alle Unpartheyiſche ur-
theilten/ er muͤſte entweder der rechte Aſtinabes/
oder ſein Geiſt in einem andern Leibe ſeyn.
Wiewohl ſein Reich inzwiſchen vom Hippon
behauptet/ und dieſer als ein Betruͤger aus dem
Wege geraͤumet ward.
Klodomir hingegen lebte mit ſeiner Gemah-
lin Riama in hoͤchſter Vergnuͤgung/ und ſtand
etliche Jahr mit ungemeiner Klugheit Britan-
nien fuͤr. Nach ſeines Vaters Jngrams To-
de aber ward er in einem Jahre dreymahl gekroͤ-
net. Sein friedliebendes Gemuͤthe brachte die
durch die Meinungen der Druyden/ Eubagen
und Barden in Deutſchland erwachſene Zwy-
tracht ſo fern zu einem Vertrage/ daß ſie ſich
nebſt einander ohne Verdammung eines oder
des andern Jrrthums zu dulden gelobten. Sei-
ne Herrſchafft erreichte noch den Sturm des
groſſen Salomins/ welcher wie er unter dem
groͤſten Gethoͤne der Waffen gebohren/ alſo
auch unter derſelben Krachen ſeine Seele aus-
zublaſen verſehen war. Er war auffs neue mit
einer unglaͤublichen Macht in das Pannoniſche
Reich eingefallen/ und belagerte Siegeſtadt.
Selbige aber verthaͤidigte Nezir ein Norichi-
ſcher Ritter mit einer unerhoͤrten Tapfferkeit/
welche dieſen unerſaͤttlichen Wuͤterich lehrte/
daß ein unerſchrockenes Helden-Hertz mehr als
ein eiſernes Bollwerck ſey/ und hierdurch verur-
ſachte/ daß er fuͤr Ungedult im Lager ſeine Blut-
duͤrſtige Seele ausblies/ und der/ deſſen
Ehrſucht Meer und Gebuͤrge nicht hemmeten/
alhier in einer Pfuͤtze Schiffbruch leiden muſte.
Es richtete aber Salomins argliſtiger Heerfuͤh-
rer den Leib-Artzt eigenhaͤndig hin/ um ſeinen
Tod ſo lange zu verbergen/ biß ſein Sohn
Miles das Hefft der Herrſchafft in Haͤnden
hatte/ die Belaͤgerten aber/ denen das einge-
worffene Feuer numehr allen Auffenthalt
und Lebensmittel gefreſſen/ und derogeſtalt
dem Feinde ein ſchlechtes Sieges-Mahl uͤbrig
gelaſſen hatte/ ſich in den unzehlbaren Hauffen
der Belaͤgerer zu ſtuͤrtzen/ und ihr Leben noch
um viel Feindes-Blut zu verkauffen gezwun-
gen worden. Alſo wird zuweilen auch die Tu-
gend uͤbermannet/ und die Hertzhaffteſten fallen
mehrmahls von dem Geſchoß eines Verzagten:
als welche bey zuhangendem Siege nichts we-
niger als die Tapffern/ wagen. Wiewohl in
ſolchen Faͤllen der Sieg ſo wenig fuͤr Ehre/
als der Untergang fuͤr Schande/ ja die/ wel-
che derogeſtalt umkommen/ wohl fuͤr erſchla-
gen/ nicht aber fuͤr uͤberwunden zu halten ſind.
Maſſen denn dieſer blutige Gewinn die Sey-
then alſo entkraͤfftet hatte/ und Klodomirs klu-
ge Herrſchens-Anſtalten dem Miles ſo ſehr
unter Augen leuchteten/ daß er es rathſamer
hielt/ mit einem ſo fuͤrſichtigen Feinde Friede
zu ſchlieſſen/ als den ungewiſſen Ausſchlag ei-
nes laͤngern Krieges zu erwarten. Dieſes
Anſehen brachte auch zu wege/ daß Klodomir
von den meiſten Staͤnden Sarmatiens zu ih-
rem Koͤnige erwehlet ward/ wiewohl Miles/
der ohne ſeine euſerſte Gefahr ſeinen Nachbar
nicht konte ſehen ſo groß werden/ theils durch
Bedraͤuungen/ theils durch Verheiſſungen
ein Theil der Sarmater zu Erwehlung Tia-
bors der Dacier Fuͤrſtens beredete. Als
nun Klodomir ſo wohl ſein durch rechtmaͤßige
Wahl erlangtes Recht mit dem Degen zu be-
haupten/ als die durch Tiabors Eindringung
ihm zuwachſende Schande mit der Verurſa-
cher Blute auszutilgen beemſigt war/ ſetzte das
Y 2Ver-
[172]Anderes Buch
Verhaͤngniß unvermuthet ſeinem Leben und
Gebiete/ nicht aber ſeinem noch herrlichen
Nachruhme einen Grentzſtein.
Die Sonne fing nun an zu Golde zu gehen/
und es trat des Feldherrn Jaͤgermeiſteꝛ zugleich
in den Saal mit Erinnerung: es waͤre hohe Zeit
zur Ruͤckkehr/ im Fall ſie daſelbſt nicht uͤber-
nachten wolten. Weil aber dieſe Fuͤrſten diß letz-
tere bey ihrem erſtern Ausritte zu thun Beden-
cken hatten/ befahlen ſie ihre Pferde zur Stelle
zu bringen. Malovend aber fing an: Jch habe
meine verſprochene Erzehlung uͤbel eingetheilt/
und ich bleibe noch die Geſchicht dieſer vier letz-
tern Feldherren ſchuldig. Zu der letztern zwey-
en/ nehmlich Aembrichs und Segimers unge-
meinen Zufaͤllen bedinge ich mir einen beſon-
dern Tag aus/ von dem neundten und zehen-
den aber/ nehmlich dem Roderich und Malorich
wil ich zu Pferde noch etwas weniges erweh-
nen.
Als ſie nun auff dem Ruͤckwege begriffen wa-
ren/ fuhr Malovend fort: Beyde dieſe Feld-
herren ſind Klodomirs Soͤhne/ und betrat Ro-
derich nach ſeines Vaters Tode alle vaͤterliche
Throne; dieſe befeſtigte er mit Gerechtigkeit/
Deutſchland erhielter durch Vereinbarung ſei-
ner Glieder in einer herrlichen Eintracht/ und
beſeligte es mit dem guͤldnen Frieden. Jn Pan-
nonien und Dacien aber fuͤhrte er wider drey
Seythiſche Koͤnige/ nehmlich dem Turama/
der nach des Miles ſeines Vaters Tode auff
ſeinem Grabe fuͤnff Bruͤder abſchlachtete/ dem
Mehdum/ welcher ſeinen Thron auf ſiebenzehn
erwuͤrgte Leichen ſeiner Bruͤder gruͤndete/ und
dem Techma/ der ſeinem eigenen Bruder die Au-
gen ausſtach/ mit groſſer Hertzhafftigkeit Krieg.
Er gewann unterſchiedene Schlachten/ erober-
te etliche verlohrne Feſtungen/ und inſonderheit
durch eine beſondere Kriegs-Liſt des Ritters
Schwartzenburg die durch Zagheit eines Pan-
noniſchen Edelmanns den Scythen ohne Noth
uͤbergebene Stadt Arabo. Er bemaͤchtigte ſich
eines Theils Daciens uͤber dem Fluſſe Pathiſ-
ſus/ allwo ein Marſingiſcher Ritter Reder in
der Feſtung Nidavar die gantze Scythiſche
Macht mit unglaublichem Heldenmuthe auff-
hielt/ und nach Verluſt unzehlbarer Stuͤrme
abzuweichen zwang. Er zwang den Koͤnig
der Dacier Gundimes zu einem Vergleiche/
krafft deſſen nach ſeinem Abſterben ihm ſeine
Laͤnder heimfallen ſolten/ und als dieſer ſeiner
Zuſage wider kam/ in dem er ſeinem Vetter Na-
ſared ſeine Herrſchafft einraͤumte/ wurden die
Dacier und Scythen auffs Haupt geſchlagen/
und Naſared ſelbſt muſte ſeine Untreu mit ſei-
nem Halſe bezahlen. Ob ſich nun wohl hier-
auff Tabiſock zum Oberhaupte der Dacier
auffwarff/ und vom Koͤnige Techma beſchir-
met ward/ ſo zwang doch Roderich jenen/ daß
er ihn fuͤr ſeinen Lehns-Herrn erkennen/ dieſer
aber einen billichen Frieden eingehen muſte.
Sintemahl der groſſe Mithridates der Par-
then Koͤnig um den Tod ſeines Vaters Arta-
bans/ welchen die Thochariſchen Scythen in ei-
ner Schlacht erſchlagen hatten/ wie auch ſei-
nes Groß-Vaters Phraates/ der eben ſo um-
kommen war/ zu raͤchen/ nicht allein ihnen
die vorhin verlohrnen Staͤdte Tauris und Ar-
tzirum wieder abgenommen/ ſondern auch den
Scythiſchen Bund-Genoſſen Artavasden
geſchlagen/ ſich ſeines Armeniens bemaͤchti-
get/ und in das Hertze des Scythiſchen Rei-
ches mit Feuer und Schwerdt gedrungen war.
Dieſer Mithridates ſchickte eine praͤchtige Ge-
ſandtſchafft an den Roderich mit koſtbaren Ge-
ſchencken/ worunter merckwuͤrdig waren ein
blauer Topaß ſo groß/ daß man daraus ein
Trinck-Geſchirr machen konte/ ein weißer To-
paß und ein reineꝛ Amethiſt/ beyde ſo groß als ein
Ganß-Ey/ ein Perſianiſcher Bogen von Spañ-
adern eines Camels mit groſſen Diamanten/
zwey Parthiſche Sebeln mit Damaſeener Klin-
gen und Rubinen verſetzt/ ein gelber Topaß ſo
groß als ein Tauben Ey/ eine Schnure wundeꝛ-
groſſe
[173]Arminius und Thußnelda.
groſſe Perlen/ drey Carfunckel/ eine Krone von
einer Schlange/ und eine groſſe Kugel Ambra.
Das Ab ehen dieſer Botſchafft war den Feld-
herrn Roderich zu bewegen/ daß er mit dem
Techma den Frieden zerreiſſen/ und mit den
Parthen zugleich die Scythen bekriegen ſolte.
Alleine Roderich hielt es Fuͤrſtlicher zu ſeyn/
ſein Wort und den gemachten Frieden auch
eydbruͤchigen Feinden zu halten/ als mit Ver-
minderung Treu und Glaubens ſeine Reichs-
Graͤntzen zu erweitern; zumal auch ſich zwiſchen
ihm und ſeinem Bruder Malorich gleich Zwi-
ſtigkeiten ereigneten/ welchem er lieber Panno-
nien abtreten/ als durch bruͤderliche Zwytracht
das gemeine Heil in Gefahr ſetzen wolte. Rhe-
metalces fing an zu ſeufzen und zu ruffen: O
ein ungemeines Beyſpiel/ daß die Regierſucht
nicht alle andere Gemuͤths - Regungen unter-
druͤcke! Wie viel hat dieſe Begierde nicht nur
Bruͤder in meinem Thracien geſchlachtet! Und
wem iſt unbekant/ daß nicht wol ehe Unmen-
ſchen fuͤr ihren Bruder-Mord belohnet zu wer-
den verlanget? Malovend fing hierauf wieder
an zu erzehlen: Roderichs friedliebendes Ge-
muͤthe iſt deswegen noch mehr Wunderns
werth/ weil noch bey Anweſenheit der Parthi-
ſchen Botſchafft die Scythen in Pannonien die
Feſtung Decebalia durch Verraͤtherey einzu-
nehmen verſuchten/ und er alſo mit ihnen zu
brechen einen guten Schein uͤberkam. War-
umb nicht Fug und Recht? fiel Rhemetalces ein.
Und ich weiß bey ſolcher Beſchaffenheit nicht/
ob ich Roderichs Beginnen mehr fuͤr eine Ver-
abſaͤumung bequemer Gelegenheit ſich in mehr
Anſehn und Sicherheit zu ſetzen/ als eine Ge-
muͤths-Maͤſſigung halten ſoll? Friede und Ruh
haͤtten freylich wol ſcheinbare Nahmen; aber
man gebe ſolche zuweilen auch einer ſchaͤdlichen
Traͤgheit. Solche rauhe Voͤlcker pflegten den
Frieden faſt iedesmals aus angewohnter Luſt
zum Kriege zu ſtoͤren; alſo waͤre leicht zu muth-
maſſen/ daß ſie den Krieg aus Liebe eines beſtaͤn-
digen Friedens nicht aufgehoben. Jhr Abſe-
hen waͤre allein/ daß ſie ihren Feind durch Ruh
und Muͤſſiggang faul und unbewehrt machen;
und weil zu Friedens-Zeit der Adel/ welcher im
Kriege mehr Gelegenheit hat ſich durch groſſe
Dienſte in Anſehen zu ſetzen/ mehr den Ruͤcken
unter das Joch der Herrſchafft beugen muß/
ſelbtem die Waffen und die Kriegs-Ubungen
aus den Haͤnden winden moͤge. Hingegen
legten die Scythen/ die ohnedis von guten Kuͤn-
ſten/ derer man beym Frieden bedoͤrfte/ nichts
hielten/ den Sebel niemals aus der Hand/ ſon-
dern/ wie ſie keinmal leichte mit zweyen Feinden
anbinden/ alſo behielten ſie auch meiſt einen
uͤbrig/ umb niemals aus der Ubung zu kommen.
Dahero waͤre auch ein zweifelhafter Krieg beſ-
ſer/ als ein unſicherer oder verdaͤchtiger Friede/
und fuͤr einem ſchimpflichen Muͤſſiggange eine
behertzte Gegenwehre zu erwehlen. Zeno ant-
wortete: Es waͤre diß ein zu ſcharffes Urthel
wider einen ſo lobwuͤrdigen Fuͤrſten/ als Rode-
rich geweſt. Der Krieg komme denen/ die ihn noch
nicht verſucht/ ſo ſuͤſſe fuͤr und bey deſſen Unge-
witter ergetzten ſich nur die Kinder uͤber ſo ſchoͤ-
nen Schloſſen/ die Klugen aber beweinten den
durch ſeinen Hagel verurſachten Schaden. Der
Sieg ſey allezeit ungewiß/ und habe das Gluͤck
darmit ſeine Kurtzweil/ daß es allen Kriegen
ſtets einen gantz andern Ausſchlag gibt/ als die
kluͤgſten Rathſchlaͤge vermuthet/ und menſchli-
che Vernunft hat vorſehen koͤnnen. Uberdiß
hoͤre der Krieg niemals auf eine Straffe der
Goͤtter/ und auch denen Siegenden verderblich
zu ſeyn. Die Froͤmſten muͤſten wider Wil-
len darinnen ſuͤndigen/ der ſchaͤrffſte und wach-
ſamſte Feldherr habe das Kriegs-Volck nicht
dergeſtalt an einem Faden/ daß keine Todſchlaͤ-
ge/ keine Nothzucht/ kein Kirchen-Raub began-
gen werde. Jm Friede allein bluͤheten Recht
und Verdienſte/ im Kriege wuͤrden unſchuldige
ſo wol als ſchuldige zu Bodem getreten. So
haͤtte auch manches Reich offtmals viel heimliche
Y 3Schwaͤ-
[174]Anderes Buch
Schwaͤchen und Bloͤſſen/ die ſein eigenes Volck
nicht wuͤſte/ und der Purpur verdeckte viel ge-
faͤhrliche Wunden. Man habe ſich fuͤr den
Huͤlffs-Voͤlckern zuweilen mehr/ als fuͤr offent-
lichen Feinden fuͤrzuſchauen. Roderich haͤtteet-
liche 30. Jahr die Klauen mit den Scythen ver-
mengt/ ihre Kraͤften ergruͤndet/ die Leichtſinnig-
keit der Dacier und Pannonier behertzigt/ die
innerliche Unruh fuͤr Augen/ ſein Bergabge-
hendes Alter im Gedaͤchtnuͤſſe/ der Herrſchens-
Kunſt Schwerigkeit in Erwegung gehabt; in
dem ein Fuͤrſt nichts minder als ein Weber zu
ſeinem Gewebe Augen/ Haͤnde/ Armen/ Fuͤſſe/
und alle ſeine Kraͤfte/ welche doch durch Zeit und
Sorgen abnehmen/ anwenden/ das Verwirrete
verrichten/ das zerriſſene ergaͤntzen muͤſte. Die-
ſemnach ſolte ein Fuͤrſt/ mit dem es auf die Nei-
ge ſeiner Jahre kommen/ in ſeinen Entſchluͤſſun-
gen ein gantz anderes Augenwerck haben/ als
der/ welcher im bluͤhenden Alter/ bey wachſenden
Kraͤfften/ mit feurigen Regungen auf dem Stul
ſitzt; da er anders ſein Reich/ welches durch ſo viel
Tugend und Klugheit kaum in tauſend Jahren
zu Stande kommen/ nicht durch eine augenblick-
liche Ubereilung in Verderben ſtuͤrtzen/ und fuͤr
dem Richter-Stule der Nachwelt/ welche ohne
Heucheley urtheilet/ und denen praͤchtigſten Eh-
ren-Saͤulen ihre Larve vom Geſichte zieht/
den durch viel Schweiß und Blut kaum er-
worbenen Ruhm verſpielen wil. Die Kette/
welche einen Herrſcher mit den Unterthanen
verknuͤpfet/ nuͤtzet ſich von Tag zu Tage ab.
Denn ich mag nicht ſagen/ daß die Begierde des
Ruhms/ die Beyſorge des Verluſts einen jun-
gen Herrn lebhafter und wachſamer mache/
hingegen bey einem bejahrten Fuͤrſten der Zun-
der der Ehre verglimme; ſintemal das Gemuͤ-
the nichts minder als der Leib veraltert und
ſchwach wird/ alſo daß ihn weder das Gluͤcke
aufmuntert/ noch bey ſeinem ohnedis fuͤr Au-
gen ſchwebenden Abſchiede das Ungluͤcke zu
Hertzen geht/ und ein Reich bey ſo geſtalten
Sachen/ das anfangs einen goͤldnen Kopf ge-
habt/ hernach auf thoͤnernen Fuͤſſen ſtehet; ſon-
dern ich ziehe mich allein auf den wanckelmuͤthi-
gen Poͤfel/ der das gegenwaͤrtige haſſet/ die Ver-
aͤnderungen verlanget/ ja ſich mit der Neuerung
uͤber ſeiner eignen Gefahr beluſtigt; alſo die
vieljaͤhrige Herrſchafft eines Hauptes ohne
Verdruß nicht ertragen kan. Du haſt es in
allewege getroffen/ pflichtete ihm Malovend
bey. Denn Roderich ſahe wol/ daß ſeine
greiſe Haare nicht bey allen Unterthanen be-
liebt waren/ daß die meiſten die aufgehende
Sonne anbeteten/ und ſeine Herrſchafft mehr
auf den Ruff/ als auf beſtaͤndige Kraͤfften ge-
anckert war; ungeachtet er ſich der dem Alter
meiſt anklebenden und einen Fuͤrſten ver-
haſſt machenden Fehler/ nemlich des Geitzes/
der Verſchrenckung zulaͤßlicher Ergetzligkei-
ten/ der fahrlaͤſſigen Hinlaſſung der Regirung in
frembde Haͤnde vernuͤnftig entaͤuſerte/ und un-
ter andern Zeitvertrieben ſeine Vergnuͤgung
aus Umbarmung des Reichs und Beobachtung
des gemeinen Weſens ſchoͤpfte. Zu dem man-
gelten ihm die rechten Pfeiler ſeiner Herr-
ſchafft/ nemlich Kinder/ welche mehr als Kriegs-
Heere/ beſſer als alle ihrem Eigennutz die-
nende/ und den Mantel ſtets nach dem Winde
des Gluͤcks haͤngende Freunde einen Fuͤr-
ſten beſchirmen. Hingegen hatte Malorich
ſchon ſo viel Jahre nach dem Hefte des Reichs/
und hiermit auch nach ſeines Bruders Tode
gelechſet; weßwegen ſeine Siege ihn mehrmals
weniger/ als das Geraͤuſche der feindlichen
Waffen ſchlaffen lieſſen/ ungeachtet Roderich
ihn zwar zum Haupte ſeiner Heere gemacht/
einem niedrigern aber ſtets die eigentliche Ge-
walt anvertrauet hatte. Endlich hat Rode-
rich behertzigt/ daß wie ein Schiff von Her-
umbwerffung der Segel auch bey gutem Win-
de ſich erſchuͤttert/ und/ wo zwey Stroͤme zu-
ſam-
[175]Arminius und Thußnelda.
ſammen fallen/ es Wellen gibt; alſo wenn ein
neuer Fuͤrſt zum Steuer-Ruder tritt/ und die
neue Regierungs-Art ſich mit der alten ver-
menget/ es nicht ſonder Gefahr iſt/ und dahero
ein abſinckender Fuͤrſt alle Kriege und Belei-
digungen vermeiden/ neue Bindnuͤſſe ſtifften/
die alten verneuern ſolle/ wie die in den Ha-
fen einfahrende Schiffleute die Ruder empor
heben. Bey ſo geſtalten Sachen laſſe ich mir
nicht ausreden/ daß Roderich eine beſondere
Klugheit begangen habe/ da er mit den Par-
then nicht in den verlangten Bund und Krieg
ſchlechterdings eintrat; gleichwohl aber den
Botſchaffter aufs herrlichſte und mit allen
erſinnlichen Freuden-Spielen unterhielt/ dem
Mithridates hingegen koſtbare Geſchencke
ſchickte/ worunter die in den Sudetiſchen Ge-
buͤrgen gefundene Granaten/ die denen Mor-
genlaͤndiſchen fuͤrzuziehen/ etliche in den Pan-
noniſchen Bergwercken aus dichtem Golde
gewachſene Corallen - Zincken/ und in den
Wein-Gaͤrten an dem Fluſſe Pathiſſus aus
den Stoͤcken hervorgeſproßte guͤldene Reben/
in dem Jſer geſiſchte Perlen/ und zwey vom
Roderich aus Kupfer in Gold verwandelte
Platten waren. Wie er denn auch ſein
Bindnuͤß nicht gaͤntzlich ausſchlug/ ſondern
ihn auf Veraͤnderung der Zeit/ und Wegraͤu-
mung einiger dem verlangten Kriege im We-
ge ſtehender Hindernuͤſſe vertroͤſtete. Jch hoͤ-
re wol/ fing Zeno an/ du biſt auch in dem
-Glauben/ daß man die Metalle verwandeln
-und das Queckſilber in Silber/ oder gar zu ei-
-nem Saamen oder Werckzeuge des Goldes
-machen koͤnne. Malovend begegnete ihm:
Jch bin ſonſt nicht ſo leichtglaͤubig/ auch in die-
ſem Stuͤcke ſo zweifelhaft/ als vielleicht nie-
mand vor mir geweſt; endlich aber haben mei-
nen Unglauben meine Augen uͤberwunden/
nach dem ich ſelbſt geſehen/ wie durch einen
kaum ſichtbaren Staub ein gantzer Tiegel voll
Bley zu Golde worden. Zeno laͤchelte hier-
zu/ und ſagte: Es waͤren in dieſer beruͤhmten
Betruͤgerey freylich wol auch Leute/ die in der
Scheide-Kunſt des Ertztes zlemlich erſahren
geweſt/ hinters Licht gefuͤhret/ und wol ehe Fuͤr-
ſten zerſtaͤubtes Gold fuͤr Bley umb ein ſchnoͤ-
des Geld geliefert worden/ wormit ſelbte her-
nach ihre Leichtglaͤubigkeit ſolchen Verfaͤlſchern
ſo viel theurer bezahlen muͤſſen. Malovend
verſetzte etlicher maſſen mit einem Eifer: Er
koͤnte leicht glaͤuben/ daß viel Einfaͤltige durch
Argliſt hierinnen bethoͤret worden/ auch daß
viel Aufſchneider ſich dieſer Kunſt ruͤhmeten/
die das allergeringſte darvon nicht verſtuͤnden;
alleine er habe bey dem von ihm erwehnten
Goldmachen das Bley ſelbſt zur Stelle ge-
ſchafft/ und mehr als Luchs-Augen wider allen
Unterſchleiff dabey gebraucht. Zu dem waͤre
Hertzog Herrmans Vatern dem Fuͤrſten Se-
gimer eben diß begegnet/ daß ihm ein unbekand-
ter Menſch ein gar weniges von dieſem Gold-
Staube eingeſchoben/ wormit er hernach ſelbſt
acht Untzen Queckſilber zu dem beſten Golde
gemacht. Als fuͤr viertzig Jahren der Svio-
nen Koͤnig Gotart den ſo beruͤhmten Krieg an-
gefangen/ ſolte ein dieſes Geheimnuͤß wiſſen-
der Kauffmann in der Stadt Treva an dem
Fluſſe Chaluſus ihm hundert Pfund des dero-
geſtalt gemachten Goldes geſchenckt haben/
worvon man noch Muͤntze findete/ darauf das
Zeichen des Schwefels und Queckſilbers gepregt
waͤre. Zeno brach ein: Das letztere waͤre ein
denckwuͤrdiges Beyſpiel/ nachdem ſonſt meiſten-
theils die Goldmacher Gold-arme Bettler ge-
weſt/ viel Fuͤrſten das Marck ihrer Laͤnder hier-
uͤber verſchmeltzet/ und nach dem ihre betruͤgeri-
ſche Lehrmeiſter das in holen Werckzeugen ver-
borgene Gold unvermerckt in den Tiegel ge-
ſchuͤttet/ und darinnen es dem Brutus/ der dem
Apollo zu Delphis ſein guͤldenes Opfer in einem
Stabe uͤberbrachte/ wiewohl gar betruͤglich
nachgethan/ und alſo einfaͤltige Fuͤrſten zu hoch-
ſchaͤdlichem Nachſchmeltzen verleitet haͤtten.
Wegen
[176]Anderes Buch
Wegen gleichmaͤßiger Verleitung haͤtten Se-
gimers acht Untzen Gold wol hundert gekoſtet.
Mit einem Worte/ dieſe Ertztwandler haͤtten
ſeines Wiſſens viel Reiche arm/ keinen Armen
aber noch reich gemacht/ inſonderheit aber etliche
Fuͤrſten durch abgeheiſchene Geſchencke hinters
Licht gefuͤhrt. Sintemahl dieſe Betruͤgerey
wie das Haupt der Meduſen gleichſam alle
Menſchen in Steine verwandelte/ und ihrer
ſonſt gewohnten Vorſichtigkeit beraubete. Da-
her Fuͤrſt Jnguiomer einen ſolchen Schmeltzer
gar kluͤglich mit eben dieſer Antwort abgefer-
tigt/ welche Ennius etlichen Wahrſagern gab/
die von ihm gegen Offenbahrung eines Scha-
tzes Geld foderten/ daß ſie nehmlich von dem ge-
fundenen Reichthume ihren Lohn haben ſolten.
Eben ſo wenig wuͤſten ſie etwas gewiſſes und
einſtimmiges von dieſer Kunſt ans Tagelicht zu-
bringen/ ſondern ſie verdeckten ihren Betrug
mit laͤcherlichen Raͤtzeln und Traͤumen/ durch
Ertichtung ſeltzamer Mißgeburthen/ als des
gruͤnen Loͤwen/ des fluͤchtigen Hirſchen/ des
Drachen der ſeinen Schwantz verſchlingt/ der
aufgeblaſenen Kroͤte/ des Raben-Haupts/ und
derogleichen/ ſelbtem eine Farbe anzuſtreichen/
und daraus ein heiliges Geheimnuͤß zu machen.
Uberdiß laufft wider die Vernunfft/ daß itzige
unachtſame Zeit die Wiſſenſchafft der ſo tiefſin-
nigen Vorwelt/ der ſterblichen und in dem Ne-
bel der Unwiſſenheit verwickelten Menſchen
Kunſt die unerforſchliche Weißheit der Natur
uͤbertreffen ſolle/ welche ſo viel Jahre uͤber dem
in den Ertzt-Adeꝛn ſo ſpaꝛſam wachſenden Golde
zu kochen/ und die Metalle ihrem Weſen/ Ei-
genſchafft und Wuͤrckung nach ſo ferne von ein-
ander unterſchieden hat; da hingegen dieſe
Schmeltzer ſich ruͤhmen/ daß ſie in weniger Zeit
groſſe guͤldne Berge machen/ ja wenn das groſſe
Welt-Meer eitel Qveckſilber waͤre/ ſolches al-
ſofort in Gold verwandeln/ und mit dieſem ge-
ſegneten Weiſenſteine alte runtzlichte ſchoͤn und
jung/ und bey nahe unſterblich machen/ ein un-
verbrennliches Oel daraus ziehen/ oder wol gar
in einem Brennglaſe einen lebendigen Men-
ſchen/ ſo wie er in Mutterleibe waͤchſt/ zubereiten
koͤnten/ und dahero ſo wol das Gedichte wegen
des Jupiters guͤldenem Regen und der Ruthe
des Midas/ als die Kraͤfften und Tugenden des
von der Sonnen ausgearbeiteten Goldes weit
uͤberſtiegen. Dahero hat diß Goldmachen
auch bey mir nicht mehrern Glauben/ und iſt
zweifelsfrey ſo wahr als diß/ daß die Ameiſſen in
dem Mitternaͤchtiſchen Jndien groſſe Gold-
hauffen zuſammen tragen ſollen. Malovend
antwortete: Er gebe gerne nach/ daß unter die-
ſem Golde viel Schlacke ſtecke/ und dieſer herr-
lichen Kunſt viel Betrug und Mißbrauch/ wel-
cher aber die Sache an ſich ſelbſt/ und deſſen nuͤtz-
lichen Gebrauch nicht verwerflich machen koͤn-
ne/ beygemiſcht ſey/ ja ihrer viel ſich hierinnen
fuͤr Halb-Goͤtter ruͤhmten/ die kaum den Nah-
men eines Qveckſalbers verdienten. Viel Un-
wiſſende opfferten auch nicht geringe Schaͤtze
dem Rauch vergebens auf; wie denn auch Ro-
derich nicht wenig Gold in Nichts verſchmeltzt
haben ſoll/ ehe er hinter diß Geheimnuͤß kom-
men. Sonſt aber waͤre dieſe Wiſſenſchafft we-
gen ihrer vermeinten Neuigkeit nicht verdaͤch-
tig zu machen; ſintemahl ſie vielleicht mit den
meiſten ums Alterthum ſtriette/ weil die erſten
Weltweiſen/ nehmlich die Tichter/ ſolche unter
den Schalen der vom Vulean/ vom Proteus/
von dem wiedergebohrnen Fenix/ von der Pan-
dora Buͤchſe/ denen guͤldnen Apfeln der Ata-
lanta und der Heſperiden/ von des Orfeus Hoͤl-
lenfarth beſchrieben haͤtten; und insgemein ge-
glaubet wuͤrde/ daß das guͤldene Fluͤß/ wornach
die Argonauten geſchiffet/ nichts anders/ als ein
in ein Widder-Fell gehuͤlletes Buch geweſen
ſey/ worinnen die Kunſt/ den ſo geneñten Stein
der Weiſen zu machen/ beſchrieben geweſt waͤre.
Maſſen die aͤlteſten Egyptiſchen Prieſter/ in ih-
rer geheimen Bilder-Schrifft/ hiervon gantze
Buͤcher geſchrieben/ derſelben Uhrſprung ihrem
drey-
[177]Arminius und Thußnelda.
dreymal-groſſen Hermes/ den Gebrauch allei-
ne den Koͤnigen zugeeignet/ die Art der Zuberei-
tung hinter die Gedichte vom Oſiris/ Horus/
Typhon und der Jſis verſteckt haͤtten. Uber-
diß geſtuͤnden auch die Verneiner dieſer Kunſt/
daß keine natuͤrliche Urſache verhanden waͤre/
daraus man nothſchluͤßlich die Unmoͤgligkeit/
aus geringerm Ertzte Gold zu machen/ erzwin-
gen koͤnte. Am wenigſten aber thaͤte dieſe Wiſ-
ſenſchafft der Natur und ihrem Anſehn einigen
Abbruch. Denn wie die Kunſt der Natur in
vielen Sachen zu huͤlffe kaͤme/ durch Propffun-
gen die Baum-Fruͤchte verbeſſerte/ durch Ver-
ſetzung des Zwiebelwercks das Gebluͤme voll
und ſchoͤner/ durch gewiſſe Glaͤſer Melonen/
und andere Gewaͤchſe fuͤr der Zeit reif machte;
alſo vertrete in vielen andern Faͤllen unſer irr-
diſches Feuer die Stelle der Sonnenwaͤrmbde/
ja die Kuͤnſtler kaͤmen mit jenem/ welches ſie
nach Nothdurfft der Sachen erhoͤhen oder min-
dern koͤnten/ in Schmeltz- und Ausziehung des
Ertzts und der Kraͤuter weiter/ als es die Sonne
damit zubringen wuͤſte. Unlaugbar waͤre es/
daß Qveckſilber und Alaun das Gold gar ge-
ſchwinde von geringerm Zuſatze reinigen/ das
irrdiſche Feuer das Gold reiffer und vollkom-
mener machen/ und derogeſtalt es der Sonne
zuvor thun koͤnte. Die Moͤgligkeit geringer
Ertzt in Gold zu verwandeln waͤre denen
Grund-Geſetzen der Naturkuͤndiger auch ge-
maͤß/ nach dem Anaxagoras und Democritus
ſchon fuͤr laͤngſt ausgefuͤhret haͤtten: Es waͤren
in der Welt alle Dinge ſo vermiſcht/ daß nichts
waͤre/ was man nicht in iedem andern antrefſe.
Jnſonderheit waͤren die Metalle in ihrem ſelbſt-
ſtaͤndigen Weſen nicht von einander unterſchie-
den. Saltz/ Schwefel und Qveckſilber ſey al-
ler ihr Talg/ die Vermiſchung unterſcheidete ſie
allein/ und daß ein oder das andere von dieſen
Dingen in einem mehr/ als in dem andern/ reif
worden ſey. Dahero waͤre dieſes keine gantz
weſentliche Verwandelung zweyer in dem
Selbſtſtande gantz unterſchiedene Dinge/ ſon-
dern nur eine Auskoch- oder Ausbruͤtung des
Unvollkommenen. Wie denn in Pannonien
durch Guͤte deſſelben Erdreichs das geſaͤete Ro-
cken-Korn im dritten Jahre zu Weitzen wuͤrde.
Oder/ da auch das Weſen ſelbſt verwandelt wuͤr-
de/ waͤre ſolche der Natur nicht unbekand. Der
Augenſchein wuͤrde ieden uͤberzeugen/ daß in
Pannonien/ unferne von dem Fluſſe Granua/
in einem Waſſer das darein geworffene Eiſen
zu vollkommenem Kupfer werde. An einem
andern Orte werde das Holtz zum Steine. Wie
auch die irrdiſchen Dinge theils durch einen na-
tuͤrlichen/ theils durch einen gewaltſamen Tod
vergingen/ nicht anders waͤre es mit ihrer Zeu-
gung beſchaffen/ und gebe die Kunſt mehrmals
eine Schoͤpfferin ab/ wenn ſie an ſtatt des Bruͤ-
tens/ durch gewiſſe Waͤrmbde aus den Eyern
Gefluͤgel braͤchte/ und aus todten Dingen
Maͤuſe/ Kefer/ Froͤſche/ Schlangen und andere
lebhafte Thiere machte/ welche ihrer fuͤhlenden
Seele halber edler/ als das Gold/ waͤren. Daß
dieſe Wiſſenſchafft aber ſo ſeltzam waͤre/ koͤnte
ihrem warhaften Weſen nichts benehmen.
Weil die Menſchen alle Dinge nicht nach ihrer
eigentlichen Koͤſtligkeit/ ſondern nach dem ein
oder anders ungemein waͤre/ ſchaͤtzten/ haͤtte die
guͤtige Natur ſelbſt Belieben getragen/ ihre
Koͤſtligkeiten ſparſamer wachſen zu laſſen. Die
Edelgeſteine finde man nur in wenigen Laͤn-
dern; der Ambra wuͤrde mit kleinen Koͤrnern
aus dem Meere/ und die Perlen aus wenigen
Fluͤſſen zuſammen geklaubt. Es wuͤchſe tau-
ſend mal mehr Unkraut/ als Jaſmin und Rha-
barber. Warum ſolten denn die warhafften
Weiſen mit dieſer Wiſſenſchafft ſo verſchwende-
riſch umgehen? Wenn ſie dieſes Geheimnuͤß
dem alberen Poͤfel ſo gemein machten/ wuͤrden
ſie nicht allein wider den der Natur geleiſteten
Eyd/ der den Affen perlene Halsbaͤnder umzu-
machen verbiete/ ſondern auch wider den Zweck
dieſer himmliſchen Wiſſenſchafft/ welche keine
Erſter Theil. ZMagd
[178]Anderes Buch
Magd des unerſaͤttlichen Geitzes/ ſondern eine
Aertztin der menſchlichen Schwachheiten/ eine
Handlangerin der Natur/ und eine Lobſpreche-
rin der goͤttlichen Allmacht ſeyn ſoll/ ja wider
das gemeine Heil ſuͤndigen/ da ſie den Kern alles
Ertzts/ den Nothpfennig aller Duͤrfftigkeit/ das
Mittel aller menſchlichen Geſchaͤffte und Um-
wechſelungen/ ſo gemein als die Steine auf den
Gaſſen machen/ und gleichſam dadurch des A-
ckermanns Hand vom Pfluge/ des Kaufmanns
Schiffe vom Meere abziehen/ und die emßige
Welt in Muͤßiggang einſchlaͤffen/ oder dieſem
unſchaͤtzbaren Ertzte/ welches nicht ſo wol die ei-
gene Guͤte/ als deſſelben Seltzamkeit ſchaͤtzbar
macht/ ſeinen Werth entziehen wuͤrde. Fer-
ner ſey es auch iedem Kuͤnſtler ſo wenig verbo-
ten ſeinen Handgriffen ungemeine Nahmen zu
geben/ ſo wenig es den Sternſehern uͤbel zu deu-
ten iſt/ daß ſie die Geſtirne in ſo ſeltzame Thiere
eingetheilet/ und die Egyptier ihre Geheimnuͤſ-
ſe durch Hunde/ Katzen/ Eulen und Schlangen
abgemahlet. Noch weniger mache dieſe Kunſt
verdaͤchtig/ daß ſelbte das Gold geſchwinder be-
reitet/ als es in den Berg-Adern und in ſeiner
Mutter gezeuget wird. Denn/ wie die Ge-
ſtirne in die ſo tieffen Schachte nicht ohne ein
und andere Hindernuͤſſe/ derogleichen dieſe
Wiſſenſchafft alle auf die Seite zu thun weiß/
wuͤrcken koͤnte; alſo waͤre ungewiß/ ob das
Gold in Fluͤſſen/ welches doch das beſte iſt/ ſo
langen kochens duͤrffe. Wie wenig Zeit doͤrf-
fe auch die Natur zu Zeugung der Goldkoͤrner/
die am Fluſſe Pathiſſus in den Wein-Trauben
und alſo der das Gold in die Ertzt-Adern allein
verdammenden Meinung nach auſer ihrer
Mutter wachſen/ und ich ſelbſt in meinen Haͤn-
den gehabt habe. Uberdiß mache er die Natur
Goldaͤrmer als ſie ſey. Wie viel Fluͤſſe fuͤhr-
ten haͤuffiges Gold? Aus wie viel Bergen
haue man groſſe Klumpen gediegenen Goldes?
Welchen Uberfluß habe nicht nur Pannonien?
Jn der oben erwehnten neuen Welt waͤre ein
groſſer Berg Topiſo ſo voller Gold und Silber/
gleich als wenn er durch dieſen Stein der Wei-
ſen darein waͤre verwandelt worden; Und
der groͤſte Reichthum liege zweiffelsfrey noch un-
ter den Klippen oder in Wildnuͤſſen verborgen.
Endlich habe dieſer geſegnete Stein der Weiſen
die Eigenſchafft des Blitzes an ſich/ wie aus dem
blitzenden Golde zu ſehen/ ſo insgemein zuberei-
tet werden kan/ und alles unter ſich zerdruͤm̃ert.
Wie nun der Blitz mit einem einigen Strahl
die groͤſſeſten Coͤrper in emem Augenblicke
durchdringet/ alſo waͤre es keine Unmoͤgligkeit/
daß wenn eine See voll ſich zu dieſer Ver-
wandelung ſchickenden Talgs beyſammen waͤ-
re/ ſolche hierdurch zu Golde wuͤrde. Wenn
eine Schlange einen Rieſen/ der Berge feil tra-
gen und den Himmel unterſtuͤtzen koͤnte/ an die
kleine Zehe ſtaͤche/ wuͤrde dieſer Gran gleichwol
den gantzen Leib einnehmen. Wann die gan-
tze Welt von Schwefel und Salpeter zuſam-
men geſetzt waͤre/ wuͤrde ein einiger Funcken ſol-
che in Brand ſtecken. Nach dem auch im Ertzte
kraͤfftigere Artzneyen als in Kraͤutern ſtecken/
das Gold aber das vollkommenſte Ertzt/ ja nach
der alten Egyptier Urthel die Sonne und dero-
geſtalt auch das Hertze des Erdbodens iſt/ muß
die daraus gezogene Artzney alle andere uͤber-
treffen/ und da ein allgemeines Mittel wider al-
le Kranckheiten zu finden/ ſolches nichts minder
in dem Golde oder vielmehr dieſem geſegneten
Steine geſucht/ als der Urſprung des natuͤrli-
chen Lebens nach Gott/ der Sonne zugeeignet
werden. Ferner koͤnne kein unverzehrliches
Brenn-Oel fuͤglicher aus was anderm/ als aus
dem in ein Oel verwandelten Golde/ weil diß
ja in dem feurigſten Schmeltz-Ofen keinen
Gran einbuͤſſet/ ſondern ſich vielmehr durchs
Feuer koͤſtlicher auswuͤrcket/ zubereitet werden.
Zeno fiel hier ein: Es lieſſe ſich alles wohl hoͤren/
er wuͤrde aber auch ſeinem eigenen Auge hierin-
nen ſchwerlich glauben/ alſo ſie wol dieſen Tag
keinen ſie entſcheidenden Richter finden. Die
ange-
[179]Arminius und Thußnelda.
angezogenen Zeugnuͤſſe der Alten waͤren ihm ſo
verdaͤchtig/ als die neuen Ruhmſpruͤche etlicher
Betruͤger. Denn Betrug und Luͤgen haͤtten
mit der Warheit einerley Alter. Fuͤrnehmlich
waͤren die Prieſter in Egypten Meiſter im
Aufſchneiden geweſt/ da ſonſt die glaubwuͤrdig-
ſten Lehrer des Alterthums kein Wort dieſer
Wiſſenſchafft gedaͤchten. Die gelehrten Ge-
dichte haͤtten in ſich den Kern der Sitten-Lehre/
zu dieſer getraͤumten Kunſt aber wuͤrde ſie mit
den Haaren und gantz ungereimt gezogen.
Hingegen lieſſe ſich aus dem Gedichte/ ſamb
Vulcan die Minerva haͤtte nothzuͤchtigen wol-
len/ und aus ſeinem Samen der Halb-Drache
Erichtonius gezeugt worden waͤre/ gar artlich
ſchluͤſſen: daß wenn dieſe Gold-Schmeltzer der
Natur Gewalt anthun wolten/ ſie nichts als ei-
ne nur zu Verfaͤlſchung der Muͤntze dienende
Mißgeburt zuwege braͤchten. Da aber auch
dieſe Wiſſenſchafft irgendswo anzutreffen waͤre/
ſolte man allen Goldmachern/ weil dieſes Ertzt
mehr Menſchen als das Eiſen toͤdtete/ einen
Stein in Hals hencken und ins tiefſte Meer
werffen/ dem geſegneten Steine aber es nicht
beſſer mitſpielen/ als die Einwohner der Stadt
Babytace an dem Fluſſe Tygris/ welche alles
Gold um es aus den Augen und dem Mißbrau-
che der Menſchen zu reiſſen/ tief verſcharreten.
Am allermeiſten aber muͤſte man dieſen Stein
des Aergernuͤſſes Fuͤrſten aus dem Wege raͤu-
men. Denn/ weil weder Weißheit noch Herr-
ſchafft die gemeinen Begierden in uns ausrot-
tet/ und daher wenig Welt-Herrſcher jenes
Mohren-Koͤnigs Meinung ſind/ daß guͤldene
Feſſel nur Sclaven anſtuͤnden/ inſonderheit die
denen Koͤnigen obliegende ſchwere Ausgaben
das Verlangen nach dieſem ſo angenehmen
Ertzte vergroͤſſerten/ waͤren ſie weniger als an-
dere zu verdencken/ wenn ſie alle ſcheinbare
Mittel/ deſſen faͤhig zu werden/ unterſuchten.
Rhemetalces fing an: Jch aber bin der unvor-
greiflichen Gedancken/ daß ein Fuͤrſt ſo groſſe
Urſachen nicht habe viel Schaͤtze zu ſammlen.
Zwar beſcheide ich mich wol/ daß ein Reich ohne
Vorrath nicht beſtehen koͤnne. Daher die ge-
meinen Schatzkammern von den Serern gar
kluͤglich Landwehren des Reichs/ der Beſchluß/
darinnen von den Scythen das unverſehrliche
Blut des Volcks genennet wird. Und alſo
Crates/ der ſein Vermoͤgen ins Meer warf/ e-
ben ſo wenig als jener Verſchwender zu einem
Fuͤrſten getaugt haͤtte/ der mit vielem Reich-
thum angefuͤllte Schiffe zu Verwahrung eines
Hafens in die See ſenckte/ um ſeinem Bau den
Ruhm der Koſtbarkeit zu erwerben. Alleine
die Sicherheit einer Herrſchafft auf Reichthum
bauen/ halte ich vor eine groſſe Eitelkeit/ weil die-
ſes ſo vieler maͤchtigen Reiche Fallbret/ Armuth
aber des ſo groſſen Roͤmiſchen Grundfeſte ge-
weſen iſt. Lycurgus verbot denen Spartani-
ſchen Buͤrgern allen Gebrauch des Goldes und
Silbers/ wormit dieſes ſchaͤdliche Ertz weder ih-
re gute Sitten verderben/ noch ſolch Uberfluß
dem Vaterlande die mißguͤnſtigen Nachbarn
zu Feinden machen moͤchte. Sintemal doch
Reichthum und die Hofnung der Beute des
Krieges fuͤrnehmſte Urſachen waͤren. Hiero
friſchte mit denen herausgeſtrichenen Schaͤtzen
ſeine Kriegsleute wider die Siciliſchen Wuͤte-
riche auf/ derer Raub ihnen mehr/ als ihr
Kriegs-Sold/ eintragen wuͤrde. Den Koͤnig
in Cypern Ptolomeus haͤtten ſeine zuſammen
geſcharrete Schaͤtze ums Koͤnigreich gebracht.
Kaͤyſer Julius waͤre durch der Einwohner
Vermoͤgen in Gallien und Britannien gelockt
worden. Zu was fuͤr einem groſſen Wachs-
thume aber ſtieg Rom empor/ als das Capitol
noch mit Schindeln gedeckt war? Die Tugend
war niemals in vollkommener Bluͤte/ und die
Siegs-Kraͤntze niemals gemeiner/ als da Rom
ſeine Kriegs-Haͤupter vom Pfluge holete. Craſ-
ſus und Lucullus verdienen zwar mit ihrer groſ-
ſen Pracht/ Curius und Fabricius aber mit ih-
ren nuͤtzlichen Helden-Thaten den Voꝛzug. Rom
Z 2hatte
[180]Anderes Buch
hatte bey ſeinem Unvermoͤgen keinen Mangel/
da gleich ihre Feldherren nicht ſo viel verlieſſen/
daß ſie konten begraben werden/ ſondern der ge-
meine Kaſten in die Luͤcke treten muſte; da Tu-
bero aus thoͤnernen Geſchirren ſpeiſete/ und
drey Gewende Ackers eines edlen Buͤrgers
auskommentliches Vermoͤgen war; Als Fa-
bricius Lucinus den zwey mal geweſenen Buͤr-
germeiſter Cornelius Ruffinus als einen Ver-
ſchwender aus dem Rathe ſtieß/ weil er zehn
Pfund ſchweres Silbergeſchirre gekaufft hatte;
da Catus Elius/ welchem die Etoliſchen Ge-
ſandten ſilbern Taffel-Gefaͤſſe ſchickten/ als ſie
ihn hatten aus irrdenem ſpeiſen ſehen/ ſolch Ge-
ſchencke verſchmaͤhete/ und ſich mit zweyen Be-
chern vergnuͤgte/ die ihm ſeiner Tugend halber
aus des uͤberwundenen Perſeus Schatze waren
verehret worden; ja als noch die Roͤmiſchen
Rathsherren der Carthaginenſiſchen Botſchafft
ein Gelaͤchter waren/ weil ſie alle zuſammen
mehr nicht als fuͤr eine Taffel zu beſetzen Silber-
werck hatten. Hingegen iſt zu Rom die Tu-
gend mercklich verfallen/ nach dem die Aſiati-
ſchen Schaͤtze die Roͤmer zu beſitzen und zu uͤ-
berwinden angefangen/ alſo gar/ daß das Ar-
muth eine Hindernuͤß in Rath zu kommen ab-
gab. Welches Unheil Cato vorgeſehen/ und
wider die Einfuhre des zu Athen und Corinth
gewonnenen Raubes ſo nachdruͤcklich geredet
hat. Bey welcher Bewandnuͤß ſich nicht zu
verwundern iſt/ warum die Stadt Gades der
Armuth ein Altar zu bauen/ und ſie darauf als
eine Goͤttin zu verehren gewuͤrdigt haben.
Zeno begegnete Rhemetalcen: Es waͤre
leicht nachzugeben/ daß groſſes Reichthum eben
ſo wol als die Fruchtbarkeit eines Landes arme
und duͤrftige Nachbarn zu Ergreiffung der
Waffen um ſich in einen beſſern Stand zu ſetzen
zuweilen angereitzt haͤtte. Nichts deſto weni-
ger haͤtte das Armuth der Scythen den Cyrus
und Alexandern/ das ziemliche rauhe und von
Golde wenig reiche Deutſchland die Herrſch-
ſucht der Roͤmer von dem Einfalle nicht zuruͤck
gehalten. Jenes aber haͤtte ſich nur alsdenn
ereignet/ wenn die Einwohner eines Landes zu-
gleich weibiſch/ und ihr Fuͤrſt von weniger Klug-
heit und Tapfferkeit geweſt. Denn an ſich
ſelbſt iſt Reichthum eine Krone der Weiſen/ weil
es ſie bey der Welt in Anſehn ſetzt/ ihr offt nie-
driges Geſchlechte in Adel erhebt/ ja in des ge-
meinen Volckes Augen ſie allererſt zu weiſen/
ſchoͤnen/ tugendhafften und edlen Leuten macht.
Denn wie der Schall des Meßings die durch
Zauberey beruffenen Geiſter vertreiben/ die
ſchwermenden Bienen aber vereinbarn ſoll:
Alſo zeucht hingegen das Vermoͤgen die beſten
Gemuͤther an ſich/ und machet auch die Gehaͤſ-
ſigſten uns zu Freunden. Aus welchem Ab-
ſehen vielleicht das Getichte den Urſprung ge-
nommen/ daß der freygebige Midas/ welcher
aus dem Berge Bermius ſo viel Gold graben
ließ/ alles in Gold zu verwandeln vermocht haͤt-
te. Daher etliche Weiſen dem Golde die ober-
ſte Herrſchafft der Welt zueignen/ welcher alle
eigenbeweglich den Eyd der Treue leiſteten/
und deswegen des Scythiſchen Koͤnigs Geſand-
ter/ als er von einem Goldmacher ſagen ge-
hoͤrt/ nicht ungereimt geſagt hat: wenn er war-
hafftig diß koͤnte/ wuͤrde ſein Koͤnig nothwendig
ſein Knecht werden muͤſſen. Jnſonderheit er-
haͤrtete die Erfahrung/ daß das Gold die
Spann-Ader einer Herrſchafft und im Kriege
die Seene der Bogen/ die Schneide der
Schwerdter/ und der Schluͤſſel aller Feſtungen
waͤre. Tantalus haͤtte mit dieſem Marcke der
Erden/ welches er aus dem Phrygiſchen Berge
Sipilus gegraben/ ſeine Herrſchafft in ſeinem
Hauſe der Pelopiden befeſtigt. Die Gold-
Adern des Pangeiſchen Gebuͤrges in Thra-
cien haͤtten den Phoͤniciſchen Koͤnig Cadmus
zum Meiſter ſeiner Zeit/ und das Bergwerck
bey Abidus den Priamus zu Aſiens Oberherrn
gemacht. Carthago haͤtte nicht mit ſeiner Buͤrgeꝛ
Waffen/ ſondern mit dem aus der Handlung
gezo-
[181]Arminius und Thußnelda.
gezogenen Gelde/ damit es die zum Kriege ge-
worbenen Auslaͤnder beſolden koͤnnen/ ſein Ge-
biete in drey Theile der Welt ausgebreitet.
Durch das vom Chriſitis empfangene Gold ha
be Koͤnig Philipp den Grundſtein zum Mace-
doniſchen Reiche gelegt. Weßwegen er ſeines
Orts fuͤr eine der groͤſten Klugheiten eines Fuͤr-
ſten hielte/ daß er als ein kluger Hausvater auf
einen guten Vorrath deſſelbten Ertztes bey Zei-
ten ſinnete/ welches auch die Ameiſen/ als die
Fuͤrbilder eines wohlbeſtellten gemeinen We-
ſens/ zuſammen truͤgen/ und fuͤr den Men-
ſchen zu verſtecken bemuͤht waͤren/ ja deſſen
Gewalt gleichſam eine Gleichheit mit der goͤtt-
lichen haͤtte/ weil niemand waͤre/ der ſich nicht
der Botmaͤßigkeit des Goldes unterwuͤrffe.
Rhemetalces gab bey dieſem gemachten Un-
terſchiede dem Fuͤrſten Zeno leicht Beyfall/
und ſetzte bey: Er hielte es zwar nicht mit dem
Glauben der Stadt Rhadata/ daß er eine
guͤldene Katze anbeten ſolte; Die Vertilgung
des Goldes wolte er aber gleichwohl auch nicht
gerne ſehen/ weil die Perſen ſolches nicht um-
ſonſt der Sonne/ die Lacedemonier dem Del-
phiſchen Apollo/ als ein mehr den Goͤttern als
Menſchen gehoͤriges Kleinod gewiedmet/ die
weiſe Natur es aber gantz unverſehrlich gezei-
get haͤtte/ daß ihm das ſonſt alles verzehrende
Feuer keinen Abbruch thun koͤnte; welch Vor-
recht kein ander irrdiſches Ding in der Welt haͤt-
te. Malovend brach Rhemetalcen ein/ und
fragte: Ob denn das unverbrennliche Oel/ wel-
ches das ewige Feuer unterhielte/ nicht auch/ wie
das Gold/ unverſehrlich/ und dem Feuer zu wi-
derſtehen maͤchtig waͤre. Rhemetalces antwor-
tete: Er haͤtte groͤſſern Zweiffel/ ob das unver-
brennliche Oel und das ewige Feuer iemahls
in der Welt geweſt/ und von Menſchen zu be-
reiten waͤre/ als man aus geringerm Ertzte Gold
machen koͤnte? Zeno fing an: es waͤre an jenem
keinesweges zu zweiffeln. Sintemal gantz
Rom zu erzehlen wuͤſte/ daß der Buͤrgermeiſter
Cicero in das Grab ſeiner Tochter Tullia ewi-
ges Feuer geſetzt/ und daß an der Tiber in ei-
ner Hoͤle/ worein der vom Turnus erlegte Rie-
ſe Pallas gelegt worden/ noch immer eine Lam-
pe brenne. So habe er auch in den Egypti-
ſchen Gruͤfften mit ſeinen Augen ſolche unaus-
leſchliche Lichter geſehen. Malovend bege-
gnete ihm laͤchelnde: Zeno moͤchte ihm verzeihen/
daß er ſeinem Unglauben einen andern nun-
mehr entgegen ſetzte. Denn ihm waͤre zwar
nicht verborgen/ daß ihrer viel ewige Lichter zu
machen ſich bemuͤhet/ auch darauff gekommen
zu ſeyn vermeinet haͤtten; es habe aber gleich-
wohl damit nicht Beſtand gehabt. So ſey
auch hin und wieder bey Eroͤffnung der Tod-
ten-Gruͤffte und Hoͤlen eine unvermuthete
Flamme oder lichter Strahl einem ins Geſich-
te gefallen; allein es waͤre diß nichts anders/
als die von langer Zeit verſchloſſene Lufft und
fette Duͤnſte geweſt/ welche von der neu ein-
dringenden Lufft gleich wie die Jrrlichter an
ſump ſichten Oertern/ angezuͤndet worden; wie
denn auch ohne diß dergleichen Jrrwiſche gar
gemein um die Grabſtaͤdte gefunden wuͤrden.
Jn Egypten waͤre das Erdreich voll Peches
und rinnenden Hartztes/ welches die Prieſter
durch heimliche Roͤhrlein in ihre derogeſtalt
leicht ewige Ampeln leiteten/ darinnen ſie un-
verbrennliche Tachter haͤtten. Derogleichen
Tacht habe auch Callimachus in Athen zu ſeiner
Ampel gebraucht/ welche ein gantz Jahr gebren-
net/ und weder vom Winde noch Platz-Regen
auszuleſchen geweſt. Und wuͤrden ſolche aus
dem bekandten Flachſe/ der in Arcadien/ fuͤr-
nehmlich aber in dem heiſſeſten Jndien wach-
ſe/ allwo man daraus/ wiewohl/ weil er kurtz/
gar ſchwerlich Leinwand macht/ darinnen der
Koͤnige Leichname verbrennet werden/ um ih-
re von der Holtz-Aſche abzuſondern/ zubereitet.
Jn dem Scythiſchen Reiche Tanyu wachſe ein
Kraut auff Steinen/ welches im Waſſer zwar
in Koth zerfleuſt/ im Feuer aber nur gluͤend/
Z 3doch
[182]Anderes Buch
doch im wenigſten verſehret wird. So laſſe ſich
auch der Amiantenſtein/ der in Arabien/ Cypern
und auff dem Berge Caryſtus/ ja auch in un-
ſerm Deutſchlande gefunden wird/ in Faͤdeme
zerſpinnen/ die im Feuer nicht verſehret/ ſondern
darinnen gereiniget werden. Ja man habe ſo
gar Papier davon/ darauff man ſchreibt/ und
wenn man die Schrifft ausleſchen wil/ ſolches
ohne Verſehrung ins Feuer wirfft. Weil nun
dieſe Tachte ein Oel oder Nahrung der Flam-
men haben muͤſſen/ und ohne dieſen Beyſatz
beyde vor ſich ſelbſt nicht brenneten/ nichts un-
verzehrliches und nicht verrauchendes noch zur
Zeit nicht gefunden worden waͤre/ ob ſchon ihrer
viel ſelbtes aus erzehltem Flachſe und Steine
zu ziehen vergebens ſich bemuͤhet/ werde ihm
niemand ausreden/ daß ſo wenig ein ewiges
Feuer/ als eine ewige alleine von der Kunſt
herruͤhrende Bewegung iemahls geweſt oder
zu machen ſey.
Rhemetalces brach hiermit ein: Jch beſor-
ge/ wir werden uͤber dem ewigen Lichte auch
den Schein des an ſich ſelbſt zwar unver gaͤng-
lichen Tagelichts verlieren. Dahero haben
wir uns hier laͤnger nicht auffzuhalten/ ſon-
dern den Fuͤrſten Malovend zu bitten/ daß er
ſich ſeines Verſprechens entbinde/ und uns den
Ruͤckſtand vom Feldherrn Malorich melde.
Dieſer/ fing Malovend an/ gelangte zwar
nach ſeines Brudern Roderichs Abſterben bey
ſchon ziemlich hohem Alter vollends zu dem
Qvadiſchen Zepter und der Deutſchen Feld-
Hauptmannſchafft; allein er hatte ſchon lange
vorher als ein Heerfuͤhrer in den Pannoni-
ſchen Kriegen ſeine Klugheit und Tapfferkeit/
welche ihn dieſer Wuͤrden wuͤrdig erklaͤrten/
dargethan. Er gerieth mit der Scythen Koͤ-
nige Techma/ weil er in Dacien einen ihm
nicht beliebigen Fuͤrſten eingedrungen hat-
te/ in Zwiſt/ war auch wohl entſchloſſen die-
ſes Unrecht mit dem Degen auszufuͤhren/
allein die deutſchen Fuͤrſten waren durch kei-
ne bewegliche Ausfuͤhrung zu bewegen/ daß
ſie zu dem ſo gerechten Kriege geſtimmet haͤt-
ten. Daher verneuerte er den vom Rode-
rich gemachten Frieden; zumahl die Zwy-
tracht zwiſchen den Druyden/ Barden und
Eubagen auffs neue anzuglimmen anfing/
welche hernach unter dem Fuͤrſten Aembrich
gantz Deutſchland in eine grauſame Flamme
verſetzte. Ob nun wohl derogeſtalt ſeine
Herrſchafft ohne Krieg war/ war er doch
niemahls ohne Waffen/ als die gewiſſeſten
Siegel einer ſichern Ruh. Er verbarg bey
ſeinem hohen Alter das Abnehmen ſeiner Kraͤf-
te/ indem er nicht allein der kraͤncklichen Blaͤſ-
ſe ſeines Antlitzes mit Salben halff/ und ſei-
ne Schwaͤche mit praͤchtigen Kleidern ver-
ſtellte/ ſondern auch offtmahls Ritterſpiele uͤb-
te/ den Rathſchlaͤgen ſtets perſoͤnlich beywohn-
te/ neue Staͤdte zu bauen anfing/ und aller-
hand fremde Thiere kommen ließ. Er mach-
te ihm ſelbſt nichts ſchwer/ er beſchwerte mit
nichts die Bruſt/ was auff die Achſel gehoͤrte/
und verabſaͤumte nichts was dem Volcke ſei-
nen lebhafften Zuſtand einreden konte. End-
lich deuchtete ihn/ er koͤnte ſeinem Anſehen kei-
ne beſſere Stuͤtze unterſetzen/ als wegen er-
mangelnder Kinder ſeine Nachfolge nicht in
Ungewißheit laſſen. Daher nahm er in vol-
ler Reichs-Verſammlung ſeines Vaters Bru-
dern Sohn Hertzog Aembrichen zu ſeinem
Sohne an/ und erklaͤrte ihn auff ſeinen To-
desfall zum Koͤnige der Marckmaͤnner/ Qva-
den/ Pannonier und Noricher. Es iſt ſicher/
ſagte Rhemetalces/ diß eine kraͤfftige Grund-
Saͤule eines verlebten Fuͤrſten. Auff dieſe lehn-
te ſich auch Kaͤyſer Auguſtus/ als er anfaͤnglich
ſeinen Schweſter-Sohn Marcellus/ hernach
ſeinen Eydam Agrippa/ bald hierauf ſeine En-
ckel den Cajus und Lucius/ und endlich den
Tiberius an Kindesſtatt annahm. Ja auch
Fuͤrſten/ die Kinder haben/ thun kluͤglich/ wenn
ſie
[183]Arminius und Thußnelda.
ſie noch bey Lebzeiten ihnen die Krone auffſe-
tzen/ und die Voͤlcker vereyden. Bey den
Perſen darff kein Koͤnig einen wichtigen Zug
vornehmen/ er benenne denn vor ſeinen Nach-
folger. Hingegen hat der groſſe Alexander
einen nicht kleinen Fehler begangen/ ſein Reich
zergliedert/ Krieg und Blutſtuͤrtzung angerich-
tet/ als ſeine Ehrſucht oder Mißgunſt den
Zanck-Apffel unter ſeine Groſſe geworffen/
daß der Wuͤrdigſte nach ihm herrſchen ſolte.
Freylich wohl that Malorich kluͤger/ und ſei-
ne Entſchluͤſſung bekleidete er mit dieſem Vor-
trage/ fuhr Malovend fort/ GOtt haͤtte ihm
zwar Zeither mehr Kraͤfften verliehen/ als ein
ſolches Alter auch bey denen/ die fuͤrs gemei-
ne Heil ihnen nie keinen Schlaff verſtoͤrt/
nicht insgemein zu haben pflegte; Gleichwohl
hieſſe ihn ſeine Sterbligkeit behertzigen/ daß der
Purper ſo wohl als ein haͤrin Kleid Aſche
wuͤrde/ die Liebe des Vaterlandes aber ihm
einen Sohn erkieſen/ der ein Vater des Reichs
werde. Hierzu habe er den Fuͤrſten Aem-
brich fuͤr tauglich erachtet/ nicht/ weil er ſei-
nes Gebluͤtes/ ſondern zeither ein redlicher Buͤr-
ger geweſen. Er ſey in einem ſolchen Alter/
das die Reitzungen der ſchluͤpffrigen Jugend
uͤberſtanden/ und die Schwachheiten des Alters
noch ſo bald nicht zu gewarten habe. Er ſey von
Ankunfft kein Fremder/ deſſen Sitten die vaͤ-
terlichen Geſetze verderben/ deſſen Anhang
die Einheimiſchen druͤcken/ die Verdienten
verdringen koͤnte; ſondern aus einem Stam-
me/ der zu herrſchen gewohnt waͤre/ und ſich
ſonder einige Uberhebung uͤber der nicht neu-
en Wuͤrde in Schrancken zu halten wuͤſte.
Jn ſeinem Leben finde er nichts zu entſchuldi-
gen/ und weil er dem Gluͤcke ſchon auff bey-
den Achſeln geſeſſen/ waͤre nicht zu beſorgen/
daß er im Widrigen den Reichs-Stab wuͤrde
laſſen aus der Hand fallen/ im Guten aber ſich
verſteigen/ und zu der Laͤnder Verderb Schloͤſ-
ſer in die Lufft bauen. Wuͤrden die Untertha-
nen zu ihm ſo viel Liebe tragen/ als er Klugheit
und Tugend mit auff den Koͤniglichen Stul
braͤchte/ ſo wuͤrde das Volck ſich uͤber ihrem Fuͤr-
ſten/ und der Fuͤrſt uͤber ſeinem Volcke zu er-
freuen haben. Das Volck begleitete dieſen
Schluß mit wiederholten Gluͤcks-Ruͤffen. Als
es aber durch ein Zeichen wieder geſtillet war/
kehrte ſich Malorich zu Aembrichen und hielt
ihm ein: Es waͤre nun an dem/ daß/ weil der
groſſe Lei[t] des Reiches und ſo viel Glieder des
Volckes nicht ohne Haupt ſeyn/ und ohne ei-
nen/ der den Ausſchlag gebe/ nicht in gleichem
Gewichte gehen koͤnte/ ſein fallendes Alter
dem gemeinen Weſen nicht mehr zu dienen
vermoͤchte/ als wenn es dem Reiche einen tapf-
fern Nachfolger lieſſe/ ſein bluͤhendes aber/
wenn es einen guten Fuͤrſten abgaͤbe. Er
ſolte ſich angelegen ſeyn laſſen/ daß er nicht al-
lein beſſer ſey/ als er geweſt/ und ſein Wohlver-
halten auch die Hoffnung uͤbertreffe deſſen/ der
ihn erwehlet/ und den Wunſch derer/ die ihn
fuͤr ihr Oberhaupt angenommen. Der ſetze
eine Natter in die Schoos ſeiner Untertha-
nen/ und einen Phaeton uͤber ſein Reich/ der
einen ungerathenen Sohn zum Nachfolger
lieſſe. Diß Laſter aber ſinde keinen genugſam
ſchlimmen Nahmen/ wenn ein Fuͤrſt mit ſeinem
Nachfolger eifert/ und einen Wuͤterich darzu
beſtimmt/ wormit er ſeine Gebrechen hierdurch
verkleinere/ und das Volck erſt/ wann er todt/
nach ihm ſeufftzen lerne. Zeno brach hierzwi-
ſchen ein: Dieſes gibt man dem Auguſtus ſchuld/
daß er an dem ehrſuͤchtigen und grimmigen Ti-
berius eine aus Blut und Kalck zuſammen ge-
ronnene Mißgeburt nach ſich zu laſſen entſchloſ-
ſen ſey; Wormit aus ihrer beyder ſchlimmen
Gegeneinanderhaltung ihm ein Nachruhm er-
wachſe. Malovend fuhr in Malorichs Rede
gegen den Fuͤrſten Aembrich fort: Ein Fuͤrſt
gebohren ſeyn/ iſt ein bloſſer Zufall/ er-
wehlt darzu werden/ eines andern Willkuͤhr/
den Unterthanen aber wohl fuͤrſtehen/ ein
recht
[184]Anderes Buch
recht eigner Ruhm. Dieſen wirſtu ohnfehl-
bar erlangen/ wenn du es ſo machen wirſt/ wie
du es wuͤnſcheteſt/ daß es ein Fuͤrſt/ der uͤber
dich herrſchte/ anſtellen ſolte. Das Volck be-
ſchloß dieſe Rede mit abermahligem Jauch-
tzen und Freuden-Feuern. Der Him-
mel aber ſteckte kurtz hierauff der Welt eine
Trauer - Fackel durch einen abſcheulichen
Schwantz-Stern an; von welchem man als-
bald die Auslegung machte/ daß er nicht allein
den Tod des Feldherrn/ ſondern auch/ weil
er dreißig Naͤchte mit ſeiner feurigen Ruthe
den Kreiß des Himmels durchſtrich/ und den
Erdkreiß erſchreckte/ ſo vieljaͤhrigen Kriegs-
Brand bedeutete. Jch hoͤre wohl/ fing Rhe-
metalces an: du ſeyeſt des Poͤfels Meinung/
daß die Schwantz-Sterne allezeit was boͤſes
wahrſagen; welches ob es einen Grund habe/ mir
ſehr zweiffelhafft ſcheinet. Jch trauete mir ihrer
faſt mehr auffzubringen die meiner Meinung
ſind/ daß ſie ſo wohl in natuͤrlichen Dingen
nuͤtzlich/ als in ihren Anzeigungen erfreulich
ſind. Sintemal ſie nichts minder/ als der
Denner/ die Lufft von ſchaͤdlichen Duͤnſten
reinigen. Als der groſſe Koͤnig Mithridates
Eupater gebohren war/ und den Syriſchen
Thron betrat/ ward ſeine Groͤſſe durch einen
Schwantz-Stern angedeutet/ welcher mit ſei-
nem Schwantze das vierdte Theil des Him-
mels einnahm/ die Sonne verduͤſterte/ und
ſiebtzig Tage und Naͤchte ſo groſſe Feuer-Stra-
len von ſich warff/ daß es ſchien/ er wuͤrde den
Himmel einaͤſchern. Des itzigen Kaͤyſers gluͤck-
liche Heyrath ward auch hierdurch bezeichnet/ ja
nicht nur Auguſtus gab fuͤr/ daß des erſten Kaͤy-
ſers Seele in ſelbigen Schwantz-Stern/ weil
er gleich in denen ihm zu Ehren angeſtellten
Schauſpielen erſchien/ verwandelt worden waͤ-
re; ſondern eine groſſe Anzahl der tiefſinnigſten
Weltweiſen hat ſtets dafuͤr gehalten/ daß die
Schwantz-Sterne Seelen wohlverdienter und
noch unter den Geſtirnen ſiegprangender Hel-
den waͤren. Andere haͤtten ſie gar fuͤr Goͤt-
ter gehalten und angebetet. Malovend ant-
wortete: Anderer Aberglaube wird mich nicht
bereden/ diß fuͤr ein Gluͤcks-Zeichen zu halten/
fuͤr deſſen blutigen Stralen/ welche meiſt eine
Straff-Ruthe/ zuweilen Schwerdter und
Spieße abbilden/ das Auge Abſcheu hat/ und
das menſchliche Gemuͤthe durch einen gehei-
men Trieb alſofort in Schrecken verſetzt wird.
Die tauſendfache Erfahrung hat es fuͤrlaͤngſt
erhaͤrtet/ daß kein Schwantz Stern iemahls er-
ſchienen/ der nicht Veraͤnderung der Reiche und
Blutſtuͤrtzungen nach ſich gezogen. Weßwe-
gen auch unterſchiedene ihren Untergang be-
ſorgende Fuͤrſten ſelbte mit edlem Blute zu ver-
ſohnen gemeint; gleich als wenn ſie ſo grimmige
Goͤtter waͤren/ welche nicht gemeines Men-
ſchen-Blut zu ihrem Opffer verlangten. Die
traurigen Ausſchlaͤge waͤren auch weder zu
Mithridatens/ noch zu Auguſtens Zeit auſſen
blieben. Haͤtte er dieſen zweyen Ehrſuͤchtigen
Menſchen gleich Sieg und Freude mitbracht/
ſo haͤtten hingegen ſo viel tauſend ins Graß beiſ-
ſen oder weinen muͤſſen. Die Boßheit der
Welt waͤre ein ſolcher Schadenfroh/ daß ſie ins-
gemein uͤber andern Thraͤnen lachte. Wenn
einer gewinnt/ muͤſte der ander verſpielen.
Des einen Verluſt waͤre des andern Vortheil;
des einen Schiffbruch des andern Beute. Als
das Erdbeben die Stadt Rhodus eingeworffen/
und andere in Aſien verſchlungen/ waͤre zwi-
ſchen der Jnſel Thenamene und Theraſia eine
neue ans Licht kommen. Welches die War-
ſager alſofort ausgelegt: das Roͤmiſche Reich
wuͤrde das Griechiſche verſchlingen. Des
einen Ergetzung aber nehme fremden Un-
gluͤcke nicht ſein Ubel. Der erwehnte blutige
Schwantz-Stern habe leider! nicht nur den
Feldherrn Malorich ins Grab/ ſondern die hal-
be Welt in ein jaͤmmerliches Blut-Bad geſtuͤr-
tzet. Und dieſen Unſtern habe ein klaͤglicher
Einfall eines Rhetiſchen Berges begleitet/ deſ-
ſen
[185]Arminius und Thußnelda.
ſen zerberſtende Klippen im Augenblicke eine
gantze Stadt begraben; alſo auff die bald folgen-
de Zerruͤttung vieler Koͤnigreiche gleichſam mit
dem Finger gewieſen. Zeno verjahete dem Fuͤr-
ſten Malovend/ daß zwar Schwantz-Sterne
und Erdbeben aus natuͤrlichen Urſachen/ und
zwar jene aus den feurigen Ausdampffungen
der Geſtirne/ dieſe vom Ausbrechen der unter-
irrdiſchen Lufft ihren Urſprung haͤtten; gleich-
wohl aber pflegte die goͤttliche Verſehung ieder-
zeit darmit groſſes Unheil anzudeuten. Auff
das Verſincken der Stadt Lyſimachia waͤre al-
ſofort der Stamm und die Herrſchafft deſſen/
der ſie in Grund gelegt haͤtte/ untergegangen/
und er ſelbſt haͤtte durch der Stieff-Mutter Ar-
ſinoe Gifft ſeinen ſo tapffern Sohn Agathocles
unmenſchlicher Weiſe hingerichtet. Als in Sy-
rien hundert und ſiebentzig tauſend Menſchen
verfallen waͤren/ haͤtten die Zeichendeuter die
Veraͤnderung des Reichs angekuͤndigt/ und
Pompejus die Koͤnigliche Herrſchafft in Syri-
en auff gehoben. Wie bey Mutina zwey Ber-
ge! gegeneinander gerennet/ und Feuer und
Rauch gegen einander ausgeſpyen/ waͤre gantz
Jtalien wider Rom auffgeſtanden/ und fuͤr
der Roͤmer Niederlage an der Thraſymener
See haͤtte die Erde ſieben und viertzig mahl ge-
bebet. Malovend ſetzte bey; Und ihr werdet
mit der Zeit von mir vernehmen/ daß nach dem
Rhetiſchen Felſenbruche Deutſchland dreißig
Jahr erzittert ſey.
Unter dieſem Geſpraͤche naͤherten ſich dieſe
Fuͤrſten an Deutſchburg/ welche ſie von einer
unzehlbaren Menge brennender Fackeln er-
leuchtet ſahen/ und ein hefftiges Gethoͤne von
Trompeten und Keſſel-Paucken hoͤreten. Als
ſie hinein kamen/ ward ihnen vermeldet/ daß
Melo der Sicambrer Hertzog mit ſeinem Bru-
der Beroris und deſſen Sohne Dietrich ſeinen
Einzug gehalten/ und eine groſſe Menge ge-
fangener Roͤmer und Gallier mitgebracht haͤt-
ten. Dieſe Fuͤrſten/ welche wider die Roͤmer
vermoͤge der mit dem Hertzog Herrmann ge-
pflogener Verſtaͤndniß den erſten Auffſtand ge-
macht hatten/ brachten dieſe den Deutſchen er-
freuliche Zeitung mit/ daß weil Qvintilius Va-
rus alhier geſchlagen/ habe Melo die von dem
Druſus auff dem Gebuͤrge Taunus gebauete
Feſtung Tranburg mit ſtuͤrmender Hand ein-
genommen/ ſeinem Bruder habe ſich Mattium
und Segodun/ und in ihrem Ruͤckwege auch die
Cattenburg an der Aeder ergeben; Hertzog Diet-
rich habe mit ſeiner leichten Reuterey noch den
abgematteten Caͤditius ereilet/ ſelbten geſchla-
gen/ alſo/ daß er mit einer geringen Uberblei-
bung mit Noth uͤber den Rhein gediegen/ all-
wo die Menapier und Eburoner des Roͤmi-
ſchen Jochs uͤberdruͤßig waͤren/ und/ da die
Deutſchen mit einer mittelmaͤßigen Macht uͤ-
ber den Rhein ſetzen wuͤrden/ wider die Roͤmer
zugleich auffzuſtehen und ihre Waffen mit den
ihrigen zu vereinigen ſich anerboten haͤtten.
Derogeſtalt haͤtten die Roͤmer diſſeit des Rheins
keine Beſatzung mehr/ und haͤtte nunmehr ihre
Tapfferkeit ihre Reichs-Grentze dahin wieder
erweitert/ wohin ſie die Natur durch dieſen groſ-
ſen Fluß verleget hatte. Die unbeſchreibliche
Freude uͤber dieſem neuen Siege verſtattete den
Siegern/ die Bekuͤmmerniß aber denen Uber-
wundenen keine Ruh; ſondern die gantze Nacht
ward von jenen mit Gaſtereyen und ruhmraͤ-
thigen Erzehlungen ihrer Heldenthaten/ welche
ſie ſo wie der Roͤmer Verluſt nicht groß genug
zu machen wuſten/ von dieſen aber mit Seuff-
tzen/ dem Schlaffe aus den Haͤnden gewun-
den. Denn der Ruhm und das Geſchrey
ſind Geſchwiſter der Rieſen/ die von kei-
nem Mittel wiſſen/ ſondern eitel Wunderwer-
cke oder Mißgeburten gebaͤhren/ nehmlich des
Lobes oder der Verachtung. Biß endlich die
ſchlaͤffrige Morgenroͤthe ihre Augenbranen der
Welt eroͤffnete/ dieſen von zweyen ſo widrigen
Gemuͤths-Regungen aber ermunterten Leu-
ten endlich zufallen ließ.
HErtzog Herrmanns Liebe gegen Thußnelden/ ſeine Sorge fuͤr das Vater-
land und Ermahnung ſich wider die Roͤmer des Sieges zu gebrauchen.
Feinde ſolle man angreiffen/ nicht erwarten. Die deutſchen Fuͤrſten
ſchluͤſſen/ daß Hertzog Ganaſch und Melo uͤber den Rhein ſetzen/ Catumer
an der Donau einfallen/ Jnguiomer dem Koͤnige Marbod des Varus
Kopf bringen/ und ihn in ihr Buͤndnuͤß ziehen/ Herrmann und Arpus der innerlichen
Unruhe abhelffen ſolle. Herrmann ſchreibt an die Menapier und Eburoner/ mun-
tert ſie zum Aufſtande wider die Roͤmer auf. Thußneldens Sorge fuͤr die von ihr
uͤberwundene Koͤnigin. Sie und die Fuͤrſtin Jßmene ſuchen dieſe Frembde heim.
Aller dreyer beſchriebene Schoͤnheit und Vertraͤuligkeit. Jngviomer geſegnet Thuß-
nelden. Herrmann und Thußnelde beſuchen die Koͤnigin. Jhre Entſchuldigung we-
gen des zugeſtoſſenen Unfalls. Jhr Geſpraͤche uͤber des Frauenzimmers Tapferkeit
und Faͤhigkeit zu den Waffen. Herrmann eroͤffnet der Koͤnigin/ daß Thußnelde der
Ritter waͤre/ mit welchem ſie gekaͤmpfet. Verfolgung vorigen Geſpraͤches/ und Er-
haͤrtung/ daß Tugend und Wolluſt beyſammen ſtehen koͤnten. Herrmann ziehet die
Abhaͤrtung der zaͤrtlichen Bequemligkeit fuͤr. Vom Hertzoge der Gothonen Gott-
wald kom̃t ein Geſandter an. Die Koͤnigin beſucht Thußnelden/ und wird auf Mor-
genlaͤndiſche Art bedienet. Dieſer beyder und Jßmenens Unterredung uͤber der tu-
gendhaften Ungluͤckſeligkeit. Von der Fuͤrtreffligkeit der Gedult und Hoffnung.
Die Koͤnigin beſchreibt ihre Andacht in dem Tempel des guten Gluͤckes fuͤr dem Alta-
re der Hoffnung. Die daran befundenen merckwuͤrdigen Gegen-Saͤtze/ wordurch
die Koͤnigin nicht wenig getroͤſtet worden. Dieſe laͤſt durch ihre Gefertin Salonine
Thußnelden und Jßmenen ihren Lebenslauff erzehlen. Armeniens und ſeiner erſten
Koͤnige Beſchreibung biß auf den Tigranes. Des Artanes geile Gemahlin verhetzet
wegen verſchmaͤhter Schoͤnheit ihren Ehmann wider den Tigranes/ wie auch Melea-
gers Ehweib ihn wider ſeinen Koͤnig zum Kriege und zur Untreu. Urſache und Vor-
wand der Kriege waͤren weit von einander entfernet. Ein Griechiſcher Artzt haͤtte aus
Luͤſternheit nach Athenienſiſchen Feigen des Xerxes angeſtifftet. Der gekraͤnckte Got-
tes-Dienſt/ die durch angethanes Unrecht abgenoͤthigte Rache/ die gefaͤhrete Freyheit/
waͤren aller Kriege Schein-Urſachen. Gleichwohl lieſſe ſich die wahre Urſache und
das Abſehen eines Krieges nicht ſtets ſicher entdecken. Tigranes ſchlaͤgt und
toͤdtet den Artanes/ erobert Syrien/ heyrathet des groſſen Mithridates
Tochter/ baut Tigranocerta. Mithridates wird vom Pompejus und Lucullus
bedraͤngt/ ſein eigner Sohn Machar faͤllt den Roͤmern bey. Tigranes wird von Roͤ-
mern bekriegt/ und vom Lucullus geſchlagen. Die Griechen in Tigranocerta machen
einen Aufſtand/ und helffen den Roͤmern hinein. Mithridates und Tigranes ſchlagen
den Fabius/ und erlegen den Triarius. Pompejus jagt Mithridaten in
Scy-
[]
[][187]Arminius und Thußnelda.
Scythien. Des Tigranes zwey aufruͤhriſche Soͤhne Barzanes und Pharna-
ces kommen umb/ der dritte Tigranes fleucht zu den Parthen/ hernach zum Pom-
pejus. Tigranes unterwirfft ſich dem Pompejus/ und tritt Syri-
en ab. Der junge Tigranes wird Koͤnig im kleinern Armenien; dieſer toͤdtet ſeine
Stief-Mutter/ ſtellt dem Vater nach/ wird zu Rom erwuͤrgt. Zwiſt zwiſchen dem
Parthiſchen Koͤnige Phraates/ beyder und des Tigranes Vertrag. Tigranes ſtirbt/
und laͤſt Armenien ſeinem Sohne Artabatzes. Mithridates folgt dem von Scythen
erſchlagenen Phraates im Parthiſchen Reiche/ faͤllt in Armenien ein/ wird vom Ar-
tabatzes geſchlagen/ von Parthen ab- und ſein Bruder Orodes eingeſetzt. Orodes
toͤdtet Mithridaten. Artabatzes und Julius Caͤſar hetzen den reichen Craſſus wider
die Parther an. Des Craſſus uͤbele Kriegs-Anſtalt. Er ſchlaͤgt des Artabatzes
Huͤlffe und Rath aus/ durch das bergichte Armenien in Parthien zu dringen/ gehet
alſo durch das ſandichte Meſopotamien/ erobert etliche Staͤdte/ verwirfft das Gut-
achten des Caſſius/ und folgt dem betruͤglichen Araber Agbarus/ der ihn in ein wuͤ-
ſtes Sand-Land Aſſyriens verfuͤhret/ in welchem Surena den Roͤmern mit 10000.
Reitern aufwartete/ und verachtet Artabatzens treue Warnung. Agbarus fleucht
zu den Parthen. Craſſus und ſein Heer geraͤth in groſſes Schrecken. Seltzame
Leitung des Verhaͤngnuͤſſes. Die Parthiſche Reiterey umbringt die Roͤmer/ verlei-
tet durch angenommene Flucht den jungen Craſſus mit einer Legion. Dieſer und Cen-
ſorin laſſen ſich ihre Waffentraͤger toͤdten/ Megabachus erſticht ſich ſelbſt/ die uͤbrigen
werden von den Parthen erſchlagen. Segimer mit ſeinen Galliern haͤlt ſich gegen
die Parthen tapfer/ verwundet den Sillaces/ wird aber vom Surena gefangen; macht
ſich bey ihm ſo beliebt/ daß er ihm ſeine Tochter verheyrathet. Die Deutſchen wuͤr-
den von Frembden insgemein Gallier genennt/ und von Roͤmern anderer Voͤlcker
Ruhm und Geſchicht-Schreiber verdruͤckt. Eitelkeit des Nachruhms. Die Parther
hoͤhnen den Craſſus mit ſeines Sohnes aufgeſpießtem Kopfe. Des Craſſus Ungeber-
dung. Egnatius fleucht mit 300. Reitern nach Carras. Verguntejus wird/ auſſer
20. ſich durchſchlagenden Catten/ mit 4. Fahnen erlegt/ 4000. im Laͤger verlaſſene
Roͤmer abgeſchlachtet. Das Heer erreicht Carras/ wird aber aufs neue uͤberfallen.
Octavius und Petronius werden erſtochen. Maxartes hauet dem Craſſus den Kopf
und die rechte Hand ab. Von 100000. Roͤmern entrinnt kaum der zehende Theil
mit dem Caſſius. Der Parther Siegs-Feyer zu Selevcia. Unterdeſſen kriegen Oro-
des und Artabazes in Armenien miteinander; dieſer kriegt des Orodes Sohn Pacor/
Orodes Artabazens Schweſter Sigambis gefangen. Bey der Auswechſelung ver-
liebt ſich Pacor in ſie. Durch dieſer Vermaͤhlung machen die Parther und
Armenier Friede. Sillaces wirfft bey dem Hochzeit-Maale des Craſſus Kopf
dem Orodes zu den Fuͤſſen. Nach langer Verſpottung geuſt dieſer ihm zerlaſſen
Gold in Mund. Pacor erobert Syrien biß an Antiochien/ wegen welcher ver-
daͤchtigen Siege ihn Orodes zuruͤcke rufft/ und den Surena toͤdtet. Pacor fleucht
zum Artabatzes. Caſſius und Ventidius erlegen in Syrien den Oſaces mit ſeinem
Partiſchen Heere. Pacor wird in Parthen beruffen. Die Parther ſtehen
dem Pompejus wider den Julius bey/ dem Caſſius und Brutus wider den
A a 2Anton
[188]Drittes Buch
Anton und Auguſt. Pacor erobert Syrien/ erlegt den Saxa/ ſetzt den Juden den
Hircan Ariſtobulen fuͤr. Venditius ſchlaͤgt den Labienus/ die Parthen und Phar-
nabates. Des Venditius Schlacht mit dem Pacor/ darinnen jener dieſen eigenhaͤn-
dig durchſticht. Orodes graͤmet ſich uͤber dieſer Niederlage bey nahe zu Tode; ſein
Sohn Phraates vergibt ihm vollends/ und laͤſt ſeine 29. Bruͤder enthaupten; ſeinen
eigenen Sohn Tiridates aber erſticht er eigenhaͤndig/ wormit er Pacors Wittib/ welche
Tiridates liebete/ fuͤr ihm genuͤſſen koͤnte. Phraates ſetzt der Sigambis heftig zu/ als
dieſe ſich aber in Feſſeln erwuͤrgen wil/ erbarmet ſich ihr Bewahrer Maneſes/ und fuͤh-
ret ſie zu ihrem Bruder Artabazes. Dieſer macht mit dem Antonius wider den
Phraates und Artavasdes der Meder Koͤnig ein Buͤndnuͤß. Phraates erſucht den
Antonius umb Zuruͤckſendung des Maneſes und erlangt ihn. Anton bricht in Meden
ein/ belaͤgert Phraata vergebens. Phraates faͤllt in Armenien/ Maneſes beredet
Artabazen mit den Parthern einen Stilleſt and zu machen. Artavasdes erſchlaͤgt
den Tatian mit zwey Legionen/ nim̃t den Pontiſchen Koͤnig Polemon gefangen.
Phraates und Artavasdes jagen den Antonius von Phraata weg/ welcher mit ſei-
nem Heere groſſen Abbruch leidet/ und den Flavius mit 3000. Deutſchen einbuͤßt.
Der Roͤmer Durſt- und Hungers-Noth. Des Antonius Verzweifelung. Mithri-
dates aber Maneſens Vetter errettet die Roͤmer durch ſeinen Rath zweymal aus dem
Verderben. Artabazes hilfft den Roͤmern uͤber den Fluß Araxes/ und uͤberwintert
ſie. Antonius zeucht in Egypten/ macht mit dem Artavasdes und Polemon ein ge-
heimes Buͤndnuͤß wider den Artabazes und Phraaten/ verſpricht dem Polemon das
kleinere Armenien/ wirbt zum Scheine fuͤr ſeinen Sohn Alexander umb Artabazens
Tochter Statira. Durch dieſe und andere Kuͤnſte locket Anton Artabazen in ſein Garn/
ſchlaͤgt ihn in ſilberne Feſſel/ und fuͤhret ihn im Siegs-Gepraͤnge nach Alexandrien/ und
laͤſt ihn enthaupten/ als er vernim̃t/ daß ſein zum Armeniſchen Koͤnige erwehlter Sohn
Artaxias ſich mit dem an ſtatt des verjagten Phraates neu - erwehlten Parthiſchen
Koͤnige Tiridates verbunden hat. Antonius vermaͤhlt ſeinen Sohn Alexan-
der mit Jotapen Artavasdens Tochter. Cleopatra ſchickt Artabazens Haupt dem
Kayſer Auguſt. Die frembde Koͤnigin gibt ſich fuͤr die Erato Koͤnigs Artaxias Toch-
ter zu erkennen. Ungluͤck ſey kein Merckmal der Untugend/ aber etlichen Geſchlechtern
erblich. Antonius/ Artavasdes/ Polemon/ Archelaus Koͤnig in Cappadocien/ Amyn-
tas in Galatien bekriegen den Artaxias. Dieſer wird wegen Verraͤtherey ſeines Feld-
Oberſten geſchlagen/ fleucht zum Tiridates in Parthen. Tiridates gibt dem Artaxi-
as Huͤlffe/ vermaͤhlt ihm ſeine Tochter Olympia. Artaxias ſchlaͤgt den Mediſchen
Koͤnig Artavasden/ gewinnet Armenien wieder/ verfolgt ihn in Meden/ kriegt Arta-
vasden gefangen/ erobert Ecbatana. Beſchreibung des Schloſſes. Artaxias ero-
bert gantz Meden. Olympia gebiehrt ihm im Tempel der Sonnen die Erato und einen
Sohn Artaxias. Dieſer aber wird auf dem Fluſſe Lycus bey Zerſchmetterung des
Schiffes von dem Waſſer weggefuͤhret. Klugheit/ nicht Staͤrcke/ gehoͤrt zur Herr-
ſchafft. Geſchickligkeit des Frauenzimmers zum Herrſchen. Artaxias erzeucht ſel-
ne Tochter Erato unter dem Nahmen des Artaxias. Jhre kluge Auferziehung. Ar-
taxias bleibt zwoͤlff Jahr in Ruh/ weil Auguſt anderwerts mit den Daciern und
Geten
[189]Arminius und Thußnelda.
Geten zu kriegen hat. Weil der Comageniſche Koͤnig Antiochus den zu den Roͤmern
uͤbergegangenen Alexander richten laſſen/ ſinnet Auguſtus auf Rache. Sitas der
Dentheleter blinder Koͤnig geraͤthet auf Anſtifftung ſeiner Gemahlin Arimanthe mit
ſeinem Bruder in Zwytracht; jenes Geſandter wil dieſem vergeben/ wird aber gecreu-
tzigt. Auguſt fordert ihn deßwegen nach Rom/ Artaxias/ deſſen Schweſter er hatte/
widerraͤthet es ihm zwar/ gleichwol zeucht er. Der Geſandten Unverſehrligkeit. Ob
ſie ihrer Verbrechen wegen geſtrafft werden koͤnten/ oder man ſie ihrem Herrn aus-
folgen laſſen muͤſte. Antiochus wird zu Rom enthauptet. Seine Gemahlin bringt
ihrem Bruder Artaxias des Antiochus Haupt. Auguſt macht den Gefangenen aber
herrſchſuͤchtigen Artabazen des Artaxias Bruder zum Koͤnige in Comagene. Arta-
xias hilfft ihm des Parthiſchen Koͤnigs Tiridates andere Tochter Antigone heyrathen;
wird aber von ihm meuchelmoͤrderiſch erſtochen. Ungleiches Gedaͤchtnuͤß der tugend-
und laſterhafften. Dieſer Gewiſſens-Angſt. Tiberius faͤllt mit Artabazen in Ar-
menien ein/ Meden ab und untergibt ſich dem Ariobarzanes. Erato wird
unter dem Nahmen des Artaxias zu Artaxata gekroͤnet. Artaxias ſucht bey den
Parthen Huͤlffe/ aber umbſonſt/ weil Phraates mit den Scythen den Tiridates uͤber-
faͤllt und ſchlaͤget. Tiridates entaͤuſert ſich hieruͤber des Parthiſchen Reiches/ gehet
mit Artafernen/ dem Feldhauptmanne Artaban und tauſend edlen Scythen aus dem
Laͤger/ und kriegt unterwegens Phraatens juͤngſten Sohn Artafernes gefangen/ wil in
Armeniẽ fliehen/ erfaͤhrt aber/ daß Artabazes ſelbtes erobert/ Olympia gefangen/ Era-
to verjaget/ und Mithridates des enthaupteten Alexanders Sohn in Comagene Koͤnig
worden ſey. Daher zeucht er in Syrien zum Kaiſer/ liefert ihm Phraatens Sohn/
welchen er aber dem Parther wiederſchickt/ und unterhaͤlt Tiridaten Koͤniglich.
Phraates ſchickt dem Kaiſer die dem Craſſus und Antonius abgenommenen Adler
wieder. Nachdem inzwiſchen Olympia Salomin und dem Ariarathen die Erato
zu fluͤchten anvertraut/ ziehen dieſe nach Sinope. Artabazes verliebt ſich zu Arta-
xata in Olympien; ſie willigt ihn zu heyrathen. Ein Erdbeben zerſpaltet das zur
Verlobung beſtim̃te Altar. Artabazes laͤſt den erzuͤrnten Goͤttern dreyhundertedle Ar-
menier ſchlachten. Praͤchtige Zubereitung zu der Vermaͤhlung in der Anaitis Tempel.
Olympie/ welche der zum Opfer beſtimmten Kuh mit einem gluͤenden Eiſen in die
Bruſt fahren ſoll/ ſtoͤßt es Artabazen durchs Hertze. Sie erſticht ſich hier auf
ſelbſt/ das Bild der Anaitis umbarmende. Olympien wird im Tempel ein guͤlden
Bild aufgerichtet. Tiberius ſetzt des Artaxias und Artabazens Bruder Tigranes
zum Koͤnige in Armenien ein. Tigranes nimmt ſeinen Sohn Artavasden zum
Reichs-Geferten an/ und vermaͤhlet ihn ſeiner mit Mallien erzeugten Tochter Lao-
dice. Des Tigranes Roͤmiſche Sitten machen ihn den Armeniern verhaßt/ ſonder-
lich weil er den unzuͤchtigen GOttes-Dienſt der Anaitis wieder einfuͤhrt/ und die
Mallia und Laodice herrſchen laͤſt. Tigranes nimmt des verſchickten Fuͤrſten Volo-
geſes Ehweib Dataphernen zu ſich; Vologeſes wird hier uͤber erbittert/ zeucht zum
Phraates/ raͤthet ihm Armenien cinzunehmen/ welches er auch durch Abfall der Ar-
menier ihm beynahe gantz unterwirfft. Auguſt ſchickt ſeinen Enckel Cajus wider
A a 3die
[190]Drittes Buch
die Parthen in Armenien/ weil Tiberius ſich auf Rhodus einſperrete/ und nicht mit
in Armenien ziehen wolte. Lob des Feld-Lebens. Jndeſſen zwingt Phraates den
belaͤgerten Tigranes ſich mit Mallien ſelbſt zu verbrennen. Gleichwohl kom̃t Cen-
ſorin in Artaxata/ und erklaͤrt Artavasden fuͤr den Koͤnig in Armenien. Phraates
zeucht dem Cajus entgegen/ hindert die Roͤmer an Uberſetzung uͤber den Phrat.
Beyde vergleichen ſich/ und beſtaͤtigen Artavasden. Jhre Gaſtmahle. Phraates
entdeckt dem Cajus die Verraͤtherey des Marcus Lollius/ welchen dieſer durch Gifft
hinrichtet. Laodice fleucht vom ohnmaͤchtigen Artavasdes in einen Tempel/ der Ar-
meniſche Rath ſetzt Artavasden ab/ geben dem Gotarzes Laodicen und das Koͤnig-
reich. Vologeſes ſchlaͤgt den Cenſorin. Cajus handelt mit dem Parthen Donnes
umb ihm die Stadt Thoſpia zu uͤbergeben/ wird aber von ihm argliſtig verwundet.
Donnes fleucht in ein Schloß und verbrennt ſich darinnen. Cajus und Phraates
vergleichen ſich aufs neue/ ſetzen Gotarzen ab/ und untergeben Armenien dem Medi-
ſchen Koͤnige Ariobarzanes. Cajus ſtirbt. Seine Grabſchrifft.
Erato ertraͤgt ihr Ungluͤck hertzhafft/ lebt mit Salomin zu Sinope einſam.
Koͤnig Polemon haͤlt den Roͤmern zu Ehren Schauſpiele. Ein Delphin todtet einen
Crocodil. Meherdates erzehlet ihnen/ wie der Kaiſer nach des Koͤnigs Amyntas
Tode Lycaonien eingezogen/ wie Scribonius ſich fuͤr einen Enckel des Mithridates und
einen Sohn des Pharnaces ausgegeben/ alſo das Boſphoriſche Reich an ſich ziehen
wollen. Die Pontiſche Koͤnigin Dynamis aber entdeckt die Falſchheit des vom
Seribonius fuͤrgewieſenen Zeugnuͤſſes. Scribonius fleucht und ruͤſtet ſich wider die
Voſphorer; auf ihr Anhalten ſchickt Agrippa ihnen den Pontiſchen Koͤnig Polemon
zu Huͤlffe/ welchen ſie aber ſchon gefangen/ fuͤr einen Freygelaſſenen des Vedius
Pollio erkennet und getoͤdtet. Die Boſphorer greiffen den Polemon an/ werden
aber geſchlagen. Agrippa ſetzt dem Polemon die Boſphoriſche Krone auf/ und ver-
maͤhlt ihm die Koͤnigin Dynamis. Erato erſcheinet unter dem Nahmen Maſſabar-
zanes mit den zwey Lycaoniſchen Printzen zu Sinope auf die Rennebahn. Die
Pontiſche Fuͤrſtin Arſinoe Polemons Tochter/ koͤm̃t neben den Maſſabarzanes zu
halten. Jhre Zuneigung gegen einander. Arſinoe rennt fuͤrtrefflich/ Maſſabarza-
nes eben ſo gut. Beyde kriegen die Preiße. Seltzame Liebes-Regungen Arſinoens
und der Erato gegen einander. Ein Edelmann des Tigranes erkennt den Maſſabar-
zanes fuͤr den verjagten Artaxias. Dieſen verlangt Tigranes ihm ausfolgen zu
laſſen. Polemon ſchlaͤgt es zwar ab/ die Roͤmer ſetzen ihm aber deswegen hefftig
zu. Bey ſelbſt-erkieſeter Ausfolgung gibt ſich der vermeynte Artaxias fuͤr ein Frau-
enzimmer zu erkennen/ woruͤber die Roͤmer und des Tigranes Geſandten in hoͤchſte Ver-
wirrung gerathen. Erato wird ins Königliche Frauenzimmer genommen/ Arſinoe
auf den Tod kranck. Celſus ſagt der Königin Dynamis: Arſinoe ſey im Gemuͤthe
kranck. Dynamis erzehlt der Erato ihre und Polemons Faͤlle; wie des Scribonius
Schweſter ſie gegen einander durch Zauberey verſchloſſen; nach dem Dynamis aber
der Diane ihren Guͤrtel opfert/ wird ſie ſchwanger. Beyden traͤumt: Sie wuͤrde
eine den Vater toͤdtende Schlange gebaͤhren. Sie gebiehrt aber Zwillinge/ den Zeno
und
[191]Arminius und Thußnelda.
und Arſinoen. Dem Polemon wird gewahrſagt: Seine Tochter wuͤrde ſterben/ ſein
Sohn ihn toͤdten. Polemon entſchleuſt ſich ſeinen Sohn hinzurichten. Dynamis fragt
den Sternſeher Cheremon umb Rath. Sein und des Sophites Geſpraͤche/ uͤber der
Wahrſagung aus dem Geſtirne. Cheremon legt vorige Weiſſagungen milderer aus.
Polemons Schluß: Sein Sohn Zeno ſoll ausgeſetzet werden. Dynamis aber laͤſt
ihn am Fluſſe Tigris erziehen. Arſinoe ſtirbt/ Dynamis laͤſt ihren Sohn holen/
und erzeucht ihn unter dem Nahmen der Arſinoe. Die Goͤtter wahrſagen alles Gu-
tes von ihm. Dynamis entdeckt der Erato: daß ihr Sohn aus Liebe gegen ihr
kranck ſey. Verwechſelte Liebes-Erklaͤrung des Zeno und der Erato. Jhre Sorge we-
gen des Zeno dem Polemon verborgenen maͤnnlichen Geſchlechts. Ariobarzanes
der Armenier und Meder Koͤnig kommt nach Sinope/ beſchenckt den Polemon/ die
Dynamis und Arſinoen. Wirbt umb Arſinoen beym Polemon. Dieſer eroͤffnet es
der Koͤnigin/ ſie voller Schrecken dem Zeno. Dieſer bemuͤhet ſich mit allerhand Vor-
wand den Koͤnig Polemon von dieſer Heyrath abwendig zu machen. Polemons
und der Dynamis Zwiſt von Beſchaffenheit Fuͤrſtlicher Heyrathen. Polemon be-
fihlt Arſinoen ſich zur Vermaͤhlung fertig zu halten/ und verſpricht ſie dem Ario-
barzanes. Arſinoens Kaltſinnigkeit; ihr Abſage-Schreiben an Ariobarzanes. Die-
ſer gibt dem Polemon den Brief. Polemon weiſet ihn der Erato/ und holet ſie/ aber
vergebens/ aus. Hierauf fordert er die Auslegung des Schreibens von Arſinoen/
und deutet ihr nochmals die Nothwendigkeit der Heyrath an. Arſinoe wil ſich
toͤdten/ Erato aber hinderts/ troͤſtet ſie/ und gibt ſich ihr fuͤr den geweſenen Koͤnig
Artaxias in Armenien zu erkennen. Zeno und Erato ſchluͤſſen mit Einwilligung der
Koͤnigin zu entfliehen. Salonine trifft am Ufer des Meeres ihren Ehmann Arta-
fernes an/ fuͤhret ihn in Koͤniglichen Garten/ redet mit ihm die Anſtalt ihrer Flucht
ab. Salonine und Erato kommen des Nachts auf Artafernes Schiff; Artafernes
aber holet Arſinoen abgeredter maſſen aus dem Garten. Folgenden Tag aber
werden ſie gewahr/ daß nicht Arſinoe/ ſondern ihre Kammer-Jungfrau Monima
vom Artafernes ſey ins Schiff bracht worden/ welche Armidas ein Mediſcher Edel-
mann entfuͤhren wollen. Damon bringt ihnen aus Sinope die Nachricht/ Arſinoe
waͤre von einem Meden zu Schiffe nach Sinope in Tempel gebracht worden/ ſie haͤtte
aber geſchworen ehe zu ſterben/ als den Ariobarzanes zu heyrathen. Polemon und
Arſinoe waͤren in das Behaͤltnuͤß der Prieſter gegangen/ und uͤber eine Weile haͤtte
ein Prieſter dem Ariobarzanes angedeutet: Die Heyrath koͤnte nicht fortgehen.
Worauf Ariobarzanes zornig aus Sinope gereiſet. Artafernes ſelbſt kommt aus
Sinope zuruͤcke/ mit der Nachricht: Dynamis und Arſinoe wuͤrden todt geſagt.
Ariobarzanes haͤtte dem Polemon durch einen Herold Krieg ankuͤndigen laſſen.
Erato/ Artafernes und Salonine ſchiffen nach der Stadt Phaſis. Der Stadthal-
ter Bardanes nim̃t ſie und andere entwichene Armenier freundlich auf. Erato wirfft ſich
fuͤr den Artaxias auf/ zeucht ein ziemliches Heer von den Armeniern/ den Bardanes
mit den Colchern an ſich/ und bricht in Armenien ein. Weil aber Ariobarzanes im
kleinern Armenien eingebrochen/ und Melitene belaͤgert/ wenden ſie ſich auch dahin/
erobern die Stadt Cergia/ und fahren mit ihren Heeren den Phrat hinab/ ſteigen
zu
[192]Drittes Buch
zu Teucila aus/ und kommen zu der Schlacht zwiſchen dem Polemon und Ariobarza-
nes. Coſrhoes/ welcher den Pontiſchen lincken Fluͤgel ſchon geſchlagen/ begegnet dem Ar-
taxias/ Bardanes und Artafernes. Ariobarzanes verwundet den Konig Polemon
toͤdtlich. Artaxias kom̃t des Polemons Heere zu Huͤlffe/ mit dem Ariobarzanes
ins Gefechte/ entdeckt ſich ihm/ und nim̃t nach ſeiner Verwundung ihn gefangen.
Sein gantz Heer wird geſchlagen. Artaxias troͤſtet den krancken Polemon/ ſtellt die
fuͤrnehmſten Gefangenen und den Ariobarzanes ſelbſt fuͤr ſein Bette. Pharaſma-
nes entdeckt dem Polemon/ daß Ariobarzanes ſein Sohn ſey/ weswegen er dieſem ge-
ſchrieben mit dem Polemon ja nicht zu ſchlagen. Ariobarzanes erzehlt/ daß er auf
diß Schreiben mit dem Polemon ſich des Friedens halber beſprochen; als ſie aber ſich
einer zwiſchen ſie kommender Schlange mit ihren Sebeln erwehren wollen/ haͤtten
beyde gegeneinander haltende Heere aus Mißverſtande zuſammen getroffen. Pha-
raſmanes erzehlet: Der zu Sinope unter dem Nahmen der Arſinoe erzogene Zeno ſey
nicht des Polemon Sohn/ welchen Dynamis der Pythadoris zu erziehen gegeben. Der
vom Artaxias aus Armenien vertriebene Koͤnig Artavasdes haͤtte ihm ſeinen Enckel des
Alexanders in Egypten und ſeiner Tochter Jotape Sohn zu retten anvertraut/ dieſen haͤt-
te er nach Satala im kleinen Armenien gefuͤhrt/ und die Pythadoris geehlicht; das
vom Artavasdes ihm anvertraute Kind aber waͤre geſtorben. Weil nun Jotape
ihn befehlicht: Er ſolte ihr ihr Kind nach Antiochia bringen/ haͤtte er von der Pytha-
doris den ihr anvertrauten Sohn des Polemon entlehnet/ und Jotapen gebracht. Die-
ſen von ihr wol erzognen Sohn haͤtte Tiberius hernach zum Koͤnig in Meden eingefuͤhrt.
Pharaſmanes beſtaͤtigte dieſe Erzehlung mit Weiſung des Caſſiopeiſchen Geſtirnes
auf des Ariobarzanes lincker Schulter. Seltzame Bildungen und Eigenſchaften der
Geſchoͤpfe. Polemon ſtirbt; das Pontiſche Heer nim̃t ſeinen gefangenen Ariobarza-
nes unter dem Nahmen des andern Polemon fuͤr ſeinen Koͤnig auf. Artafernes
entdeckt den Armeniern das Geſchlechte und die Tugenden der Erato. Dieſe ſetzen
ihr die Armeniſche Krone auf. Die Meden aber untergeben ſich einem Roͤmiſchen
Landvogte. Unterredung vom Verhaͤngnuͤſſe/ dem Gluͤck und freyen Willen. Un-
gluͤckſeligkeit der Herrſchenden. Erato verdammet den unzuͤchtigen Gottes-Dienſt
der Anaitis/ und ſchafft ſelbten in Armenien ab. Sie verfaͤllt hieruͤber in Haß. Der
Prieſter ſcheinheilige Vertheidigung der Geilheit. Sie verfaͤhret aber wi-
der ſie mit Schaͤrffe. Orißmanes ein hochmuͤthiger Armenier wirfft auf die Koͤni-
gin Erato ein Auge/ erkuͤhnet ſich der Koͤnigin den Arm zu beruͤhren/ kriegt aber von
ihr einen Verweiß. Gleichwohl ſchickt ſie ihn in Albanien. Selbige Koͤnigin weiſet
ihm ein trauriges Beyſpiel des Hochmuths. Polemon der neue Koͤnigim Pontus wirbt
aufs neue umb die Erato/ ſie lehnt es aber hoͤflich ab. Orißmanes entdeckt ſeine
Liebe der Koͤnigin/ ſie aber verbannt ihn aus ihren Augen. Orißmanes lebt auf ſei-
nen Land-Guͤtern unter dem Fuͤrwand beliebter Einſamkeit. Uberlegung der Ein-
ſamkeit. Orißmanes flucht gegen die ihn beſuchenden Armenier auf die Weiber und
ihre Herrſchafft/ verleumbdet die Koͤnigin. Die Groſſen reden dem Orißmanes zu/
daß er ſich des Reichs und verſehrten Geſetze annehmen ſolle. Die Unterbrechung
der
[193]Arminius und Thußnelda.
der Reichs-Geſetze waͤre der Tyrannen Grund-Stein. Orißmanes ſchlaͤgt zwey
Mittel zu Erhaltung der Armeniſchen Freyheit fuͤr/ entweder die Erato zu ſtuͤrtzen/
oder ſie einem Armenier zu vermaͤhlen. Die Staͤnde machen einen Schluß/ daß die
Koͤnigin einen zu ihrem Gemahl erkieſen ſolte. Erato gibt ihnen eine verzuͤgliche
Antwort. Oxarthes lieſet ein Schreiben ab vom Orißmanes/ daß Erato wegen des
auserkieſten Zeno keinen Armenier ehlichen wuͤrde/ woruͤber die Staͤnde ihr entweder
zu heyrathen oder ſich des Reichs zu entaͤuſern andeuten. Erato legt in der Reichs-
Verſam̃lung Kron und Scepter nieder. Artafernes und etliche andere wollen ſie dar-
von abwendig machen/ und Oſthanes zwingen Koͤnigin zu bleiben/ welcher bey er-
wachſender Zwytracht den Oxarthes als Uhrheber dieſes Unheils toͤdtlich verwundet.
Erato’/ Salonine und Artafernes reiſen aus Artaxata/ vernehmen zu Artemita die
Wieder-Einruffung der Koͤnigin/ und den Eigen-Mord des Orißmanes. Sie aber
iſt zum Umbkehren nicht zu bewegen/ laͤſt ihre Liebe gegen den Zeno aus/ eroͤffnet ihre
empfangene Weiſſagung im Phrixiſchen Tempel. Sie reiſen miteinander durch Sy-
rien nach Cypern. Beſchreibung des Paphiſchen Tempels. Erato kriegt allda eine
gute Wahrſagung; ſegelt nach Rom. Erato wil mit dem Druſus von dar nach
Dalmatien reiſen/ wegen gemachten Friedens aber zeucht ſie in Deutſchland/ wird auf
dem Tauniſchen Gebuͤrge von den Catten gefangen/ und alſo nach Deutſchburg bracht.
Geſpraͤche von dem Adel/ tugendhaften Unedlen/ und derſelben Heyrath. Hertzog
Herrmann kom̃t mit den Fuͤrſten in das Frauenzimmer. Der Erato und des Zeno
bewegliche Bewillkommung gegeneinander. Betrachtung der Freuden- und Liebes-
Thraͤnen. Jubils Gemuͤths-Regung uͤber der Koͤnigin Erato.
UNter den nachdencklichen Sinn-
bildern der Liebe/ verdienet kei-
nes weges den letzten Stand ihre
vom Canathus Sycionius aus
Helffenbein und Golde gebildete
Saͤule/ welche auf dem Haupte die Himmels-
Kugel/ in der einen Hand einen Granat-Apf-
fel/ in der andern ein Maah-Haupt trug.
Mit welchem letztern er nichts anders andeute-
te/ als daß die Liebe nichts minder/ als eine ge-
wiſſe Art ſtechen der Nattern/ die allermunter-
ſten einſchlaͤffte/ und ihre wachſame Regungen
fahrlaͤßig machte. Jn welchem Abſehen die
Verliebten bey den Griechen ein gewiſſes
Spiel mit Maah- und Anemonen-Blaͤttern
hegen muſten. Dieſer Einſchlaͤffungs-Krafft
aber war der großmuͤthige Feldherr Herrmann
uͤberlegen/ welcher die Gluͤckſeligkeit ſeiner
gegen die vollkommenſte Fuͤrſtin Thuſnelde
tragender Liebe bey ihrem Beſitz zwar nun-
mehr nicht begreiffen/ nichts deſto weniger aber
die Sorge fuͤr das Heil des Vaterlandes/ als
die allerwuͤrdigſte Buhlſchafft der Helden nie-
mahls vergeſſen konte. Der Krieg und die
Liebe theilten gleichſam ſein Hertz miteinander/
oder ſeine angebetete Venus war mit keinem
Spiegel und Wolluſt-Guͤrtel/ ſondern/ wie ſie
die ſtreitbaren Spartaner bey Acro-Corinth
gebildet und verehret/ mit Harniſch/ Schild
und Spiſſe gewaffnet. Dieſem nach denn der
kluge Feldherr folgende Tage mit eitel wichti-
gen Rathſchlaͤgen nebſt denen andern Fuͤrſten
beſchaͤfftiget war/ wie der erlangte herrliche
Sieg die Uberwinder nicht einſchlaͤffen und ſi-
cher machen/ ſondern vielmehr das Hertz und
die Hoffnung der Kriegsleute aufmuntern/ und
man durch deſſelbten vernuͤnfftige Verfolgung
die rechtſchaffene Frucht von ſo viel verſpruͤtz-
tem Blute einerndten/ Deutſchland in beſtaͤndi-
ge Sicherheit ſetzen/ das verlorne wiedeꝛ gewin-
nen/ oder auch gar die ſo gefaͤhrliche Nachbar-
ſchaͤfft der maͤchtigen Roͤmer in ihres eigenen
Landes Gebuͤrge wieder einſchrencken moͤge.
Herrmann hielt deßwegen eine nachdenckliche
Rede in dem verſammleten Fuͤrſten-Rathe/
welche anfangs dahin ging/ daß man dieſen
herrlichen Sieg numehr eifrigſt verfolgen/ auch
fuͤr erlangter voͤlligen Sicherheit Deutſchlands
nicht von einander ziehen ſolte. Sintemahl
auch die/ welche die Tapfferkeit der Deutſchen
zu Eroberung der gantzen Welt faͤhig hielten/
ſie dennoch beſchuldigten/ daß ihre Verſamm-
lungen allzu langſam geſchehen/ und ihre Rath-
ſchlaͤge allzu zwiſtig waͤren/ das Verhaͤngnuͤß
haͤtte ihnen einen groͤſſern Sieg verliehen/ als
iemahls ihr Wuntſch geweſt waͤre; bey ihnen
ſtuͤnde es nun ſich deſſelbten zu ihrem Vortheil
zu gebrauchen. Die groͤſten Helden haͤtten
hierinnen verſtoſſen/ und deßwegen ihre erſten
Lorber-Kraͤntze ſich hernach in traurige Cypreſ-
ſen verwandeln geſehen. Der ſonſt unver-
gleichliche Hannibal haͤtte zwar die Roͤmer zu
uͤberwinden/ auch in dem fruchtbaren Campa-
nien des Sieges zu genuͤſſen/ nicht aber ſelbten
ihm nuͤtze zu machen gewuͤſt. Koͤnig Antio-
chus haͤtte in einem Winter ſein ſieghafft- und
ſtreitbares Heer bey ſeinem Hochzeit-Feyer zu
Chalcis weibiſch/ und ſein vorig gutes Gluͤcke
ihm zum Unſterne und Fallbrete gemacht. U-
berdiß waͤre es numehr Zeit die Roͤmer in ih-
rem Eigenthume anzugreiffen. Denn es waͤ-
re ein Kennzeichen der Furcht/ und ein Be-
kaͤntnuͤß/ daß man ſeinem Feinde nicht ge-
wachſen ſey/ wenn man ſelbten erwartet/ und
ihm nicht entgegen geht. Der hertzhaffte Pe-
ricles haͤtte aus dieſem Abſehen nicht zu Beſchir-
mung
[195]Arminius und Thußnelda.
mung des Athenlenſiſchen Gebietes/ Hanni-
bal nicht zu Verwahrung Hiſpaniens ſeine
Waffen gebraucht/ ſondern jener haͤtte das
feindliche Sparta/ dieſer Jtalien darmit ange-
fallen. Die Roͤmer waͤren dadurch ſo groß
worden/ daß ſie ihren Feind allezeit im Hertzen
angegriffen/ und als gleich Hannibal noch in den
Eingeweiden Jtaliens genaget/ haͤtte doch
Seipio eben ſo wol als der in Sicilien ſchier von
den Mohren zuꝛ Verzweifelung gebrachte Aga-
thocles das Haupt Carthago mit erwuͤnſchtem
Ausſchlage angefallen/ weil die Africaner hier-
durch frembde Herrſchſucht zu vergeſſen/ und
ihres Vaterlandes eigenem Feuer zuzulauffen
gezwungen worden. Haͤtte Darius des
Memnons Rathe gefolget/ und/ an ſtatt der er-
ſten Schlacht/ in Macedonien uͤbergeſetzt/ waͤ-
re Alexandern in Perſien der gantze Compaß
verruͤckt worden. Nichts minder haͤtten die
Roͤmer wol Aſiens vergeſſen/ wenn Antiochus
nach Hannibals Anſchlage ſie in der Schwaͤche
ihres Jtaliens beſprungen haͤtte. Eben ſo
wuͤrden dieſe allgemeine Raͤuber der Welt in
Deutſchland weder Klaue/ noch Fuß aufgeſetzt
haben/ haͤtten die Deutſchen nicht ihrer Vor-
Eltern Fußſtappen uͤber die Alpen vergeſſen/
welche in Deutſchland ſo viel leichter ihre Waf-
fen ausgebreitet/ weil diß ihr Vaterland mit
keinen Feſtungen/ auſſer denen von der Natur
verliehenen Stroͤmen und Gebuͤrgen verſor-
get geweſt waͤre. Bey welcher Beſchaffenheit
es die aͤrgſte Gefahr nach ſich ziehe/ den Feind in
ſeinem offenem Lande zu erwarten/ welcher in
einem verſchloſſenen freylich mehrmals von ſich
ſelbſt zu Grunde gegangen waͤre. Dannen-
her hielte er fuͤr rathſam/ die erſchrockenen Roͤ-
mer nach ihrem eigenen mehrmals gluͤcklich-
ausgeſchlagenem Beyſpiele ſelbſt in dem ihri-
gen heimzuſuchen/ und dadurch denen Deut-
ſchen den beſchwerlichen Dorn aus dem Fuſſe
zu ziehen. Der Rieſe Antaͤus waͤre auf ſeinem
Grund und Boden unverſehrlich geweſt/ wes-
wegen ihn Hercules auf frembdes Gebiete haͤt-
te locken muͤſſen. Mit den Roͤmern aber haͤt-
te es das Widerſpiel/ welche in der Frembde Loͤ-
wen/ in ihrem Vaterlande Schaffe waͤren.
Jederman pflichtete des Feldherrn Meinung
bey/ und fiel der Schluß dahin/ daß Hertzog
Ganaſch und Melo uͤber den Rhein ſetzen/ Her-
tzog Catumer an der Donau ſein Heil verſu-
chen/ Jngviomer aber dem Koͤnige Marbod
des Qvintilius Varus Kopf als ein Kennzei-
chen des ſo groſſen Sieges uͤberbringen/ und
ſelbtem zu einem Bindnuͤſſe wider den allge-
meinen Feind bewegen ſolte. Der Feldherr
nam nebſt dem Hertzoge der Catten inzwiſchen
auf ſich/ denen innerlichen Kranckheiten
Deutſchlandes/ nemlich dem eine zeither zwi-
ſchen den Fuͤrſten eingeriſſenen Mißtrauen ab-
zuhelffen/ und die alte Vertrauligkeit zu befeſti-
gen. Worzu ſeine beſchloſſene Heyrath ie-
dermaͤnniglich ein ſehr heilſames Mittel zu
ſeyn bedeuchtete/ und daher derſelben Vollzie-
hung von den Fuͤrſten und dem Volcke ſo begie-
rig verlangt/ als zu der herrlichen Ausrichtung
alle moͤgliche Anſtalt gemacht ward. Der
Feldherr ſchrieb auch ſelbſt mit eigner Hand an
die Menapier und Eburoner: Es haͤtte das
Verhaͤngnuͤß ihnen numehro gleichſam den
Himmel/ die Erde und die Fluͤſſe wieder eroͤf-
net/ welche ihnen die Roͤmer zugeſperret/ daß
ſie nicht einmahl haͤtten zuſammen kommen/
und einander ihr Leid klagen/ weniger uͤber das
gemeine Heil rathſchlagen koͤnnen. Nun waͤ-
re es die rechte Zeit/ daß ſie als ein zun Waffen
gebohrnes Volck/ welches zeither gleichſam
nackt/ und unter frembder Aufſicht ſich haͤtte
buͤcken muͤſſen/ ſelbte ihren erſchlagenen Fein-
den wieder abnehmen. Es doͤrffe keines Fech-
tens mehr/ ſondern es ſey nur noch uͤbrig/ daß
ſie der Roͤmer leere Feſtungen/ als die Kapzaͤu-
ne freyer Voͤlcker/ und die Ketten der Dienſt-
barkeit ſchleifften. Waͤre ja irgendswo noch
eine Handvoll Roͤmer uͤbrig/ muͤſten ſie ſelbte
B b 2zu er-
[196]Drittes Buch
zu erwuͤrgen kein Erbarmnuͤß haben/ weil zwi-
ſchen herſchſuͤchtigen und freyen Leuten keine
Vertraͤgligkeit/ von ihnen aber als Nachbarn
und Bluts-Verwandten nicht nur iederzeit auf
den Fall der Noth genugſame Huͤlffe/ ſondern
gar eine Macht/ welche wie ihre Vor-Eltern
mit ihnen in Jtalien zu brechen/ und Rom zu
zerſtoͤren/ maͤchtig und behertzt waͤre/ zu hoffen
ſey. Jnzwiſchen fing die frembde Koͤnigin/
welche von der Fuͤrſtin Thußnelda fuͤr der
Schlacht im Zweykampfe war zu Boden ge-
faͤllet worden/ durch ſorgfaͤltige Wartung wie-
der an zu geneſen. Wie nun Thuſnelda/ ſo
bald ſie die Beſchaffenheit dieſer uͤberwundenen
vernommen hatte/ aus einer angebohrnen Gut-
hertzigkeit mit ihr empfindliches Mitleiden
trug/ alſo unterließ ſie nicht/ alles erſiñliche fuͤr-
zukehren/ daß ſie ihrem Stande gemaͤß/ und
nach Erheiſchung ihrer kummerhafften Be-
ſchaffenheit unterhalten wuͤrde. Sie erkun-
digte ſich alle Tage mehr als einmahl ihrer Beſ-
ſerung bey ihrer Gefaͤrthin/ welche alſofort
auch die Mannskleider von ſich geworffen/ und
fuͤr ein Frauenzimmer ſich zu erkennen gegeben
hatte/ als mit dieſer Koͤnigin Falle auch ihre
Heimligkeit offenbar worden war. So bald
es nun die Erholung ihrer Kraͤffte/ und der Koͤ-
nigin geſuchte Erlaubung verſtattete/ hielt es
die Fuͤrſtin Thußnelda und Jſmene ihre Schul-
digkeit zu ſeyn ſie ſelbſt heimzuſuchen. Als ſie
nun einander anſichtig worden/ uͤberfiel eine
iegliche ſo eine nachdruͤckliche Verwunderung
uͤber der andern ungemeinen Geſtalt/ daß weder
eine noch die andere ihre entſchloſſene Gemuͤths-
Meinung alſobald eroͤfnen konte. Thußnel-
de hatte ein wolgebildetes Antlitz/ eine klare
Haut/ einen Blut-rothen allezeit laͤchelnden
Mund/ Himmel-blaue Augen/ aus welchen
die Freundligkeit ſelbſt zu ſehen ſchien/ weiſſe
kringlichte Haarlocken/ welche uͤber ihre Ach-
ſeln und aufſchwellenden Bruͤſte ſpielten/ und
gleichſam mit einander/ oder vielmehr ſelbſt
mit dem Schnee um den Vorzug ihrer Farbe
ſtrietten. Jhr Leib war lang und geſchlang/
ihre Geberden holdſelig/ welche mit ihrer An-
muth im erſten Anblicke gleichſam aller An-
ſchauer Seelen bezauberten/ und ihnen das
Band der Zuneigung anſchlingeten. Faſt e-
ben ſo war die Fuͤrſtin Jſmene gebildet/ auſer/
daß ihre Haare ein wenig Goldfaͤrbicht/ ihre
Gebehrdung was mehr trauriger/ oder viel-
mehr nachſinnend zu ſeyn ſchien. Die Koͤni-
gin war mehr roͤßlicht/ ihre Haarlocken braun/
ihre Augen groß und ſchwartz/ und in ſteter Be-
wegung/ welche unaufhoͤrlich Strahlen als ei-
nen beweglichen Blitz von ſich lieſſen/ und die
Lebhafftigkeit ihres Geiſtes andeuteten. Das
Geſichte ſchien zwar etwas ernſthafft zu ſeyn/
die Gebehrden aber vermiſchten ſelbtes mit ei-
ner durchdringenden Freundligkeit/ alſo daß
es ſchien/ das Gluͤcke haͤtte hier drey Muſter
einer unterſchiedenen Schoͤnheit mit Fleiß zu-
ſammen bringen/ und dadurch ſo wol die All-
macht der Natur/ welche dreyen gegen einan-
der geſetzten Dingen einerley Wunder und
Wuͤrckungen einpflantzen koͤnne/ erhaͤrten/
als der Liebe einen Zanckapfel/ wohin ſie greif-
fen ſolle/ aufwerffen wollen. Thußnelde
faͤrbte ihre Wangen mit einer zuͤchtigen
Scham-roͤthe/ als ſie durch ihre Verwunde-
rung etwas ihre ſonſt fertige Zunge gehemmet
empfandt/ erholete ſich aber bald wieder/ umb-
armte die Koͤnigin mit einer ſo beweglichen An-
ſtellung/ welche auch ohne einigen Wortes
Ausdruͤckung ihr ihr hertzliches Mitleiden ein-
redete. Dieſe erſte Verſicherung bekraͤfftig-
te ſie mit durchdringenden Worten/ daß ſie ih-
re Wunden und Ungluͤck in ihrer ſelbſt eige-
nen Seele empfinde/ und alle Kraͤfften ihres
Gemuͤthes zu ihrer Geneſ- und Befreyung an-
zuwenden begierig waͤre; und wormit ſie ſol-
chen Unrechts-Verzeihung ſo viel leichter er-
langen koͤnte/ haͤtte ſie die Fuͤrſtin Jſmene zu
einer Vorbitterin vermocht. Die Koͤnigin
nam
[197]Arminius und Thußnelda.
nam die Empſahung mit holdſeligſten Ge-
behrden und verbindlichſter Antwort auf/ und
betheuerte/ ſie waͤre zu ohnmaͤchtig ſo uͤbeꝛmaͤßi-
ge Leutſeligkeit und Wolthaten zu begreiffen.
Ja ſie koͤnte nicht ergruͤnden/ wie zwey ſo groſ-
ſe Heldinnen nicht die Gemeinſchafft einer ſo
ungluͤcklichen Auslaͤnderin verſchmaͤheten/
nach dem insgemein das Ungluͤck nichts min-
der/ als die Peſt fuͤr anfaͤllig gehalten wuͤrde.
Wiewol ſie ſich numehr billich aus dem Regi-
ſter der Ungluͤckſeligen auszuleſchen ſchuldig
waͤre/ nach dem ſie ſich unter der guͤtigen Be-
ſchirmung ſolcher irrdiſchen Goͤttinnen befin-
dete. Sie haͤtte beſorgt in die Haͤnde der rau-
heſten Voͤlcker und grimmigſten Feinde ver-
fallen zu ſeyn/ ſo haͤtte ſie in ihrer Gefangen-
ſchafft mehr Vergnuͤgung/ als in der Freyheit;
in dieſen kalten Nordlaͤndern mehr Feuer un-
verdienter Freundſchafft und Gewogenheit
gefunden/ als in den warmen Morgenlaͤn-
dern/ oder in ihrem unbarmhertzigen Vater-
lande bey Bluts-Verwandten anzutreffen waͤ-
re. Ob nun wol ſonſt bey derogleichen erſte-
ren Zuſammenkuͤnfften man biß zu Ergruͤn-
dung ein- und andern Gemuͤthes gerne an ſich
haͤlt/ ſo kamen doch dieſe drey Fuͤrſtinnen ein-
ander ſo offenhertzig fuͤr/ daß iede ſich euſerſt be-
muͤhete/ ihre aufrichtige Zuneigung in der an-
dern Erkaͤntnuͤß feſt einzudruͤcken. Worauf
denn Thußnelde und Jſmene fuͤr dißmal/ weil
die Koͤnigin ſich noch ſchwach und bettlaͤgerig
befand/ Abſchied nahmen/ und einander ihrer
Begierde oͤffterer und foͤrderſamer Wiederer-
ſehung vertroͤſteten. Sie war kaum in ihr
Zimmer zuruͤck kommen/ als der Feldherr und
Jngviomer bey ihr eintraten/ und zwar dieſer
ſchon reiſefertig/ und von ihr Abſchied zu neh-
men/ und zu der vorſtehenden Verehligung
mehr als tauſendfaches Gluͤck zu wuͤntſchen.
Thußnelde begegnete Jngviomern mit einer
freundlichen Dancknehmung und zierlichem
Gluͤckwuntſche zu ſeiner ſo wichtigen Reiſe.
Gegen dem Feldherrn aber vermochten
Mund/ Augen und Gebehrden nicht genung-
ſam ihr Hertz auszuſchuͤtten. Nach unzehl-
baren Liebes-Bezeigungen vergaß ſie auch
nicht der frembden Koͤnigin Lob aufs beſte her-
auszuſtreichen/ wordurch ſie beym Feldherꝛn ein
ſonderlich Verlangen erweckte/ ſie zu ſchauen/
und die von ihr gemuthmaſte ſeltzame Begeb-
nuͤſſe zu erfahren. Dieſes bewegte Thußnel-
den/ daß ſie bald folgenden Tages bey der Koͤ-
nigin Verlaub ſie zu beſuchen/ und den Feld-
herrn mitzubringen ausbat.
Die Koͤnigin/ welche dieſe Erſuchung nicht
allein fuͤr ein Gluͤcke/ ſondern auch fuͤr eine
Staffel zu ihrer Befreyung aufnahm/ wolte
ihr Erkaͤntnuͤß auch mit Ubernehmung ihrer
Kraͤffte beſtaͤtigen; daher machte ſie ſich uͤber
Macht aus dem Bette/ wormit ſie dem Feld-
herrn und der in ihren Augen ſo lieben Thuß-
nelde mit deſto mehr Ehrerbietung begegnen
koͤnte. Sie lehnte ſich auf die Achſeln Salo-
ninens/ (alſo hieß die bey ihr befindliche Frau)
um beyde an der Schwellen ihres Vorge-
machs zu bewillkommen. Der Feldherr ver-
wunderte ſich uͤber ihre Geſtalt und Annehm-
ligkeit/ und befand beydes in groͤßer Vollkom-
menheit/ als Thußneldens Erzehlung ihm
von ihr fuͤbilden koͤnnen/ weil doch kein Pin-
ſel der Beredſamkeit eine vollkommene Schoͤn-
heit ſo gut nachbilden kan/ als das lebhaffte
Bild ſich in die Taffel des Auges eindruͤcket.
Ja Thußnelde ſelbſt haͤtte betheuert/ daß ent-
weder die Verminderung ihres Betruͤbnuͤſſes/
oder ihre aufrechte Darſiellung des gantzen
Leibes ſie uͤber Nacht um ein gutes Theil ſchoͤ-
ner gemacht haͤtte. Hertzog Herrmann be-
zeugte gegen ſie alle erſinnliche Hoͤfligkeit/
und erlangte bey ihr den Ruhm/ daß er nichts
minder ein geſchickter Hoffmann/ als ein tapf-
ferer Heerfuͤhrer ſey. Sie ſelbſt nahm ſich
uͤber der Beſuchung des Feldherrn etli-
B b 3cher
[198]Drittes Buch
cher maſſen einer Verwirrung an. Denn
zuweilen iſt dieſe beredſamer/ als die zierlichſte
Rede das Erkaͤntnuͤß ſeines Gemuͤthes auszu-
druͤcken. Nach vielfaͤltiger Abwechſelung ge-
gen einander betheuerter Verbindligkeiten/
entſchuldigte der Feldherr den ihr in dem Zwey-
kampff zugeſtoſſenen Zufall/ bat/ ſie moͤchte
den Deutſchen dieſe Unart nicht zutrauen/ daß
ſie wider das Frauenzimmer vorſetzlich ihre
Degen zuͤckten. Die ungemeine Verſtellung
ihres Geſchlechtes/ oder vielmehr die eigenwil-
lige Stuͤrtzung in die Gefahr waͤre dißmal die
Urſache eines ſo ſchaͤdlichen Fehlers geweſt.
Die Koͤnigin antwortete mit laͤchelndem Mun-
de: So hoͤre ich wol/ der Feldherr halte die
Tapfferkeit fuͤr eine dem Frauenzimmer unan-
ſtaͤndige Tugend/ und die Waffen fuͤr eine ih-
rem Geſchlechte nicht gewiedmete Waare.
Hertzog Herrmann verſetzte: Es haͤtten zwar
beyde Geſchlechte an allen Tugenden ihr Theil/
und koͤnten die Weiber auch wol gewiſſer maſ-
ſen und in etlichen Dingen ihre Hertzhaftigkeit
bezeigen. Alleine/ wie das weibliche Geſchlech-
te gewiſſe Tugenden/ als Keuſchheit und De-
muth/ in ihrer Vollkommenheit zu voraus be-
kommen haͤtte/ als haͤtte die Natur ſelbtes mit
der Buͤrde der Waffen/ als dem Eigenthume
der Maͤnner/ verſchonet. Der Koͤnigin ſtieg
hieruͤber eine kleine Roͤthe ins Antlitz/ und fing
an: Sie wolte ſich zu der Natur nicht verſe-
hen/ daß ſie dem Frauenzimmer ein ſo ſchlim-
mes Recht/ und eine ſo aͤrgerliche Freyheit durch
Entziehung der ſo herrlichen Tapfferkeit gege-
ben habe. Der Feldherr brach alſofort ein:
Es waͤre diß Kleinod ihnen nicht gar verſagt/
und bliebe/ auſſer dem Kriege/ ihnen noch ein
weites Feld uͤbrig ihre Großmuͤthigkeit auszu-
uͤben. Welche ihre Keuſchheit wider die Rei-
tzungen der Wolluſt/ wider den Glantz der
blendenden Ehrſucht/ wider den Donner ange-
draͤueter Schande/ wider die Pfeile der Ver-
laͤumbdung vertheidigen/ welche das Band ih-
rer Liebe kein Ungewitter der Truͤbſal/ keine
frembde Ablockungen und Fuͤrbildung guͤlde-
ner Berge/ keine Widerſinnligkeit ihres eige-
nen Gebluͤtes/ keine heimliche Verkleinerung/
keine offentliche Verfolgung/ keine Zeit und
Abweſenheit vertilgen laſſen/ ſondern den ein-
mahl gefangenen reinen Zunder in ihrem Her-
tzen bewahrten; dieſelbten uͤbten ſicherlich ſo
groſſe Heldenthaten aus/ als kaum dieſe/ die ein
geharniſchtes Krieges-Volck aus dem Felde
ſchluͤgen/ oder eine Feſtung eroberten. Jn
ſeinen Augen ſey Camme/ des Fuͤrſten in Ga-
latien Sinnate Gemahlin eine groͤſſere Hel-
din/ daß ſie den Sinorix fuͤr dem brennenden
Altare/ allwo ſie ſich dieſem unkeuſchen Meu-
chelmoͤrder ihres Ehherrn ſolte verloben laſ-
ſen/ durch einen Gifft-Trunck des erblaſten
Geiſte aufopffert/ als der groſſe Alexander/ der
die halbe Welt bemeiſtert. So koͤnne auch eine
Frau ihren groſſen Geiſt in Rathſchlaͤgen/ ih-
re Tapfferkeit in Anordnungen/ ihre Ruhms-
Begierde in Pracht der Gebaͤue ſchauen laſſen.
Livia ſey Auguſtus taͤgliche Rathgeberin. Fuͤr
nicht gar langer Zeit habe eine Koͤnigin Bri-
tannien gluͤckſelig beherrſchet. Die hoͤchſte
Wunderſaͤule in Egypten ſey ein Werck einer
Koͤnigin. Mauſolens Grab/ welches die
Kuͤnſte aller Baumeiſter/ die koſtbaren Stein-
bruͤche gantz Aſiens erſchoͤpffet; Die haͤngen-
den Gaͤrte/ die unvergleichlichen Mauren Ba-
bylons waͤren unvergeßliche Zeugnuͤſſe der
trefflichen Artemiſie/ und der groſſen Semira-
mis. Ja dieſer ihre Pracht haͤtte allen Glantz
uͤberſtiegen/ der einem Manne ie traͤumen koͤn-
nen; als ſie auf einem ihrer Sieges-Plaͤtze ihr
eine Ehren- und Gedaͤchtnuͤß-Saͤule aus dem
groſſen Berge Bagiſtan hauen laſſen. Die
Koͤnigin brach ihm ein: Wol an dem! warum
ſoll denn eine Frau mit dem Degen in der
Fauſt ein Ungeheuer ſeyn? Warum ſoll ein
Helm/ oder ein Hut voll Federn ſie mehr als die
Schlangen das Haupt Meduſens verſtellen?
Jch
[199]Arminius und Thußnelda.
Jch bilde mir ein/ daß das Schwerdt und Bo-
gen der behertzten Thomiris/ als ſie des uner-
ſaͤttlichen Cyrus Kopf in die Wanne voll Blut
geworffen; daß der Spieß und die Sebel der
groſſen Semiramis/ als ſie alle koͤnigliche Ze-
pter Aſiens unter ihre Fuͤſſe trat/ nicht ſo unan-
ſtaͤndlich geweſen ſind. Auch duͤncket mich/
daß Omphale/ wenn ihr Hercules die Loͤwen-
Haut umgegeben/ nicht ſo ſehr verſtellet wor-
den ſey/ als wenn er ihre Spindel genommen/
oder Sardanapal Polſter genehet/ und Tep-
pichte geſtuͤckt hat. Thußnelda fiel der Koͤni-
gin bey/ und meldete/ daß die Sitten Deutſch-
landes/ welches iederzeit hertzhaffte Weiber mit
in die Schlachten genommen/ der Koͤnigin
ſelbſt das Wort redeten. Der Feldherr be-
gegnete ihnen/ er koͤnte ſie nicht verdencken/
daß beyde ihre eigene und noch ſo friſche Thaten
vertheidigten; alleine die allgemeine Gewon-
heit/ die mit der Natur in einem Alter waͤre/
haͤtte die Weiber zu haͤußlichen Sorgen/ ja die
Natur ihre Leibes-Beſchaffenheit zum Kinder
gebaͤhren beſtimmet. Die Fuͤrſtin Thußnel-
de wolte dieſen Einwurff hintertreiben/ die Koͤ-
nigin aber fiel ihr in die Rede: Was hoͤre ich?
Haben dieſe zarten Glieder auch iemahls Waf-
fen gefuͤhret? Thußnelde verſtummte uͤber die-
ſer Frage/ und gab mit ihrem beſtuͤrtzten Still-
ſchweigen ihr eine verjahende/ der Feldherr a-
ber dieſe deutliche Antwort: Es waͤre nicht an-
ders/ ſie haͤtte mit in der Schlacht/ und zwar
zweyfach ungluͤckſelig gefochten/ indem ſie erſt-
lich auf ſie die Koͤnigin/ hernach auf ihren eige-
nen Vater zu treffen kommen. Die Koͤnigin
fing alſo fort an: Sie wuͤſte nicht/ ob ſie es fuͤr
Ernſt oder Schertz annehmen ſolte/ und ob
Thußnelde der Ritter waͤre/ der ſie uͤberwun-
den haͤtte? Thußnelda fing ſaͤufzende an: Es
waͤre/ leider! wol wahr/ ſie koͤnte ihr zweyfach
Ungluͤck nicht laͤugnen/ und ihre Beleidigung
bey ſo einer holdreichen Koͤnigin nimmermehr
genung abbitten. Aber ſie haͤtte ſich uͤber ſie
keiner Uberwindung zu ruͤhmen; denn ſie waͤ-
re nicht durch ihrer Feindin Tapfferkeit/ ſon-
dern durch einen bloſſen Fehltritt des Pferdes
verungluͤckt. Kein Zufall aber vermoͤchte ſich
eines Sieges uͤber ein Helden-Gemuͤthe zu
ruͤhmen. Die Koͤnigin umarmte und kuͤſte
hieruͤber Thuſnelden ſo empfindlich/ daß ſie
daraus ihre hefftige Zuneigung allzugewiß
warnehmen konte. Jch erfreue mich/ rief ſie/
daß ich von einer ſolchen Goͤttin uͤberwunden
worden. Und was meinet nun der Feldherr/
verſtattet ihm die Sitten ſeines Vaterlandes/
erlaubet ihm ſeine Liebe einer ſolchen Heldin
den Gebrauch der Waffen abzuerkennen? Jch
gebe gerne nach/ daß nicht alleine die niedrigen
Seelen ihr Hauß verſorgen/ ſondern auch die
geiſtigen ein Auge darauf haben ſollen. Aber
Haͤußligkeit und Tugend ſtehet ſo wol neben
einander/ als die ſtreitbaren Amazonen aus
der lincken Bruſt die Kinder ſaͤugten/ und/
wo die rechte geſtanden/ den Bogen anſetz-
ten/ welche ſie mit mehrerm Ruhm wegge-
brennet/ als die thun/ welche dem weiblichen
Geſchlechte die Waffen nehmen/ das iſt/ ihnen
das Hertz aus dem Leibe reiſſen/ und die Haͤnde
von Armen hauen. Hertzog Herrmann er-
klaͤrte ſich hierauf: Es waͤre ſeine Meinung
nicht alle ſtreitbare Frauen in die Acht zu erklaͤ-
ren/ oder daß keine zu den Waffen geſchickt waͤ-
re/ ihm traͤumen zu laſſen. Des letztern Jrr-
thums wuͤrden ihn beyde anweſende Heldin-
nen uͤberfuͤhren/ und durch das erſtere muͤſte er
manches Reich vieler Siege und ſeiner Wohl-
farth berauben. Allein es waͤre gleichwol ei-
ne ſeltene Begebenheit/ daß ein Frauenzimmer
mit einem ſo unerſchrockenen Geiſte/ mit einem
anſtaͤndigen Eyfer/ und demſelben Feuer/ wel-
ches einen Helden oftmals/ beſonders in groſſen
Gefaͤhrligkeiten/ auſer ihm ſelbſt und uͤber die
Schrancken ſterblicher Entſchluͤſſungen verſe-
tzen muͤſſe/ verſor get ſey. Daher muͤſte man
aus einer Schwalbe keinen Sommer/ und aus
weni-
[200]Drittes Buch
wenigen Beyſpielen kein Geſetze machen/ wel-
ches dem weiblichen Geſchlechte ohne Unter-
ſcheid die Waffen in die Hand gebe. Nein/
nein/ großmuͤthiger Feldherr/ brach die Koͤni-
gin heraus/ wir laſſen uns damit nicht beſaͤnffti-
gen/ daß er gegen uns zwey ein Auge zudruͤcken/
unſerm Geſchlechte aber die gantze Sache abzu-
ſprechen vermeinet. Sintemal die kriegeri-
ſchen Amazonen gantze Laͤnder angefuͤllet/ die
ſie denen ſonſt ſo ſtreitbaren Scythen abgeſchla-
gen. Jch gebe gerne nach/ daß die Großmuͤ-
thigkeit eine feurige Tugend ſey/ welche ſich uͤ-
ber die gemeinen empor ſchwinge/ und die Ehre
zu ihrem Augenziel habe. Warum aber ſoll
das weibliche Geſichte nicht auch ihr Hertze zu
dieſem Geſtirne tragen? Die Rennebahn der
Ehre und Erbarkeit ſtehet uns ſo weit offen/ als
den Maͤnnern/ und ich weiß nicht/ wer uns al-
lein hier ſolte Fuß-Eiſen gelegt haben. Wir
ſinden in allen Geſchichten eine friſche Spur
hiervon/ daß Weiber-Luſt und Nutzen auſer
Augen geſetzt/ durch Doͤrner und Steinkluͤff-
ten/ durch Flammen und Rad nicht nur nach
Ehre/ ſondeꝛn wol oft nach einem bloſſen Schat-
ten derſelben gerennet/ wenn ſie das Gluͤck und
ſeine Geſchencke aus einer gefaſten Liebe mit
Fuͤſſen von ſich geſtoſſen/ Kron und Zepter/ um
ihr Wort zu halten/ verſchmaͤhet/ dem Hencker
den Nacken geboten/ ehe ſie was verkleinerlichs
eingegangen/ ihren friſchen Leib lieber auf dem
Holtzſtoſſe ihrer Maͤnner verbrennet/ als die
Schande der Wanckelmuth auf ſich kleben laſ-
ſen wollen. Jch geſtehe es/ die Großmuͤthig-
keit erfordere ein tiefſinniges Nachdencken/
und ein verſchmitztes Urthel. Aber ich habe
noch nicht gehoͤret/ daß der Unterſchied des Ge-
ſchlechtes die Kraͤfften der Seelen unterſchei-
de. Findet man Weiber/ derer Geiſt ſich
nicht weit uͤber die Erde ſchwingen kan/ ſo ſind
auch nicht alle Maͤnner gantz himmliſch/ und
in beyden iſt oft nicht ein Funcken dieſes herrli-
chen Lichts/ welches den Nebel der Jrrthuͤmer
niederſchlaͤget/ nicht ein Sonnenſtaub war-
haffter Klugheit/ die die irrdiſchen Schwach-
heiten unterdruͤcken kan. Es iſt auch auſer
Zweifel/ daß dieſe Liebe der Ehre/ dieſer Ver-
ſtand etwas fuͤrtreffliches zu erkieſen durch ein
abſonderliches/ und andern gemeinen Tugen-
den nicht gemeines Feuer erleuchtet werden
muß/ welches den Menſchen uͤber ſein eigenes
Weſen erhoͤhet/ welches ihm den Reitz aller
Wolluſt tilget/ die Empfindligkeit aller
Schmertzen benimmt/ die Furcht aller Schan-
de und des Todes zernichtet/ ja die Unmoͤglig-
keit ſelbſt fuͤr eine Blaͤndung der Zagheit haͤlt.
Wer aber unterwindet ſich dieſe Entzuͤckung
des Geiſtes unſerm Geſchlechte ſtrittig zu ma-
chen? Wenn Clelie uͤber die Tyber ſchwim-
met/ und in ein feindliches Laͤger einbricht;
wenn Lucretie lieber ihre Bruͤſte mit ihrem eig-
nen Blute/ als ihren Nahmen mit Unehre be-
ſudelt/ wenn eine andere lieber ſich vom Hen-
cker erwuͤrgen/ als ihre Keuſchheit beflecken
laͤſt; wenn eine Mutter lieber ihre Kinder zer-
fleiſchet/ und auf gluͤende Roͤſte leget/ als in A-
berglauben verſincken laͤſt; wenn eine Tochtev
den von Blut und Gehirne trieffenden Stein/
der das Haupt ihrer Mutter zerſchmettert/ den
Feinden auf den Hals weltzet; wenn eine Frau
das Mordſchwerdt aus den Daͤrmern ihres
Ehemannes zeucht/ und ſtatt der Thraͤnen und
Wehmuth das Blut ſeiner Feinde verſpritzet
und Rache ausuͤbet; wenn die ergrimmte Se-
miramis ihre halbgeflochtene Haare ſo lange
unausgeputzt haͤngen laͤſt/ biß ſie ihre auff-
ruͤhriſche Unterthanen zu Gehorſam bracht;
wenn eine andere ihr Hembde auszuwechſeln
verſchweret/ biß ſie eine Feſtung erobert und
ihres Geluͤbdes ſich loß gemacht. Fuͤr was
will es der Feldherr halten? Will er es nicht
fuͤr einen großmuͤthigen Eyfer/ fuͤr eine Ent-
zuͤckung eines auſer ſich gelaſſenen Geiſtes gel-
ten laſſen? Der Feldherr ward hierdurch
bezwungen der Koͤnigin recht zu geben.
Allei-
[201]Arminius und Thußnelda.
Alleine/ ſagt er/ es gehet noch eines ab/ ſo wohl
ihrer Erzehlung/ als dem weiblichen Geſchlech-
te/ welches zu gluͤcklicher Ausuͤbung der Waf-
fen und Tapfferkeit noͤthig iſt. Jch wolte es
leicht errathen/ fiel die Koͤnigin ihm ein/ daß der
Feldherr die uns insgemein vorgeruͤckten Ge-
brechen/ nehmlich die Schwaͤche und Zaͤrtlig-
keit unſer Glieder/ und die uͤbermaͤßige Feuch-
tigkeit unſers Leibes meine; welche uns ſo wohl
an Ausuͤbung noͤthiger Kraͤfften/ als an Ge-
ſchwindigkeit der Bewegung hindern ſollen.
Der Feldherr muſte geſtehen/ daß ſie es getrof-
fen. Denn/ ſagte er/ man hat ſcheinbare Merck-
mahle/ daß die Tauben ſo zornig und ſo kuͤhn als
die Adler ſind; daß in Hermelinen ſo viel Tu-
gend und Hertzhafftigkeit zu ſterben/ als kaum
in Loͤwen ſtecke. Gleichwohl aber ſtehet die
Ohnmacht ihrer Kraͤffte/ der Mangel der Klau-
en ihnen im Wege/ daß ſie nicht unter die kriege-
riſchen Thiere koͤnnen gerechnet werden. Da-
hero/ im fall ſich meine offenhertzige Freyheit
keines Anſtoſſes zu beſorgen/ und inſonderheit
von zweyen Fuͤrſtinnen/ welche als ſonderbare
Wunderwercke alle Tugenden unſers/ und kei-
ne Schwachheiten ihres Geſchlechts an ſich ha-
ben/ keiner Empfindligkeit zu beſorgen hat/ un-
terwinde ich mich meine Meinung nicht zu ver-
helen/ daß das Frauenzimmer/ welches nichts
als Zibeth und Ambra zu ruͤchen gewohnt/ den
Staub in Schlachten nicht vertragen; daß
Haͤnde/ welche niemahls aus den ausgebiſam-
ten Handſchuhen/ und in kein kaltes Waſſer
kommen/ ſchwerlich eine ſtrenge Klinge fuͤhren/
und mit dem Wurff-Spieſſe ſpielen; daß ein
Haupt/ welches unter Seide geſchwitzet/ und ſich
unter einem Puſch Blumen gebeuget/ ſchwerlich
einen ſtaͤhlernen Helm tragen; daß ein Leib/
welchen eine kuͤhle Lufft/ oder ein Sonnen-
Strahl beleidigt/ weder die rauhen Winde/ noch
die Hitze eines blutigen Kampffs vertragen koͤn-
ne. Die weichen Lilgen ihrer zarten Bruͤſte
waͤren nicht geſchickt/ die Amboß-Stoͤſſe der
Streithaͤmmer und Lantzen zu vertragen/ noch
die Buͤrde ihres Unterleibs ohne Buͤgel auff
und von den raſchen Pferde[n zu] ſpringen. So
hoͤre ich wohl/ brach die Koͤnig[in] ein/ der Feld-
herr wil etlicher Pulſter-Toͤchter ſchlimme Sit-
ten fuͤr eine unſerm Geſchlechte angebohrne
Unart verkauffen/ und diß/ was eine wolluͤſtige
Aufferziehung/ oder boͤſe Gewonheiten verſtel-
let/ zu Mißgeburten machen. Das meiſte fuͤr-
geruͤckte ſind Gebrechen der Aufferziehung/
nicht der Natur. Und man hat mehr als ei-
nen Sardanapal gefunden/ der nie aus dem
Frauen-Zimmer kommen/ der mit ſeinen Bey-
ſchlaͤfferinnen ſich Tag und Nacht auff dem mit
Zobeln belegten Fußboden herum geweltzet/ der
keine Speiſe ohne Ambra gegeſſen/ der ihm ſelbſt
Biſam-Suppen gekochet/ der einen Seidenſtuͤ-
cker abgegeben/ ja der ſich ſelbſt zum Weibe ge-
macht/ und einem Ausgeſchnittenen verhey-
rathet/ der auff die Natur und ſeine Mutter ſich
erboſet/ daß ſie an ihm einen Mann gebohren/
welcher nicht im Huren-Hauſe ſich oͤffentlich feil
zu haben faͤhig ſey. Solte man aber dieſer
Wechſelbaͤlge halber das gantze Maͤnnliche
Geſchlechte verkleinern? Unſere Leibes-Be-
ſchaffenheit ſoll ja etwas waͤſſerichter/ als der
Maͤnner ſeyn; aber deßwegen ſind die Fluͤgel
unſerer Seele/ welche eben ſo wohl vom Him-
mel entſprungen/ und feuriger Art iſt/ in kei-
nen ſo zaͤhen Schlamm eingetauchet/ daß ſie
ſich nicht von dem Wuſte der Erden/ und uͤ-
ber die Duͤnſte des niedrigen Poͤfels empor
ſchwingen koͤnte/ noch auch der Leib ſo faul und
zu ritterlichen Ubungen/ inſonderheit zum Rei-
ten gantz ungeſchickt waͤre. Wormit haͤtte ſonſt
Cloelia und Valeria ein zu Pferde ſitzendes Eh-
renbild/ welches der Freyheitsgeber Brutus
nicht erlangt hat/ erworben? Jch erinnere mich/
daß mein Lehrmeiſter Dionyſius Periegetes
mir einſt aus dem goͤttlichen Plato dieſen Troſt
fuͤrgeleſen/ daß/ wenn der Weiber weichliche
Feuchtigkeit durch maͤßige Bewegungen aus-
Erſter Theil. C cgetrock-
[202]Anderes Buch
getrocknet wuͤrde/ erlange ihr Leib vom Feuer
und Waſſer eine viel vollkommenere Vermi-
ſchung. Jhre L[eib]er wuͤrden ſtaͤrcker und ge-
ſchwinder/ und derſelben Bewegung waͤre un-
gezwungener und tauerhafftiger/ als der Maͤn-
ner. Dieſes beſtaͤrckte er ferner dadurch/ daß
alle weibliche Raub-Voͤgel mit ihrem geſchwin-
den Fluge alle andere kriegriſche Thiere im
Lauffe/ und beyde im hitzigen Kaͤmpffen die
Maͤnnlichen uͤbertreffen. Ja ich ſetze unſerm
Lobe ſonder Eigenruhm bey/ daß Loͤwen/ Tiger
und Adler maͤnnlicher Art nicht ſo wohl aus
einem hertzhafften Triebe/ als aus Hunger/
nicht wegen eines ruͤhmlichen Abſehens/ ſon-
dern nur wegen des Raubes mit einer blinden
Ungeſtuͤm/ die weiblichen aber aus einer viel
edlern Regung/ zu ihrem Ruhme/ fuͤr Erhaltung
ihrer Jungen/ und mit einem beſtaͤndigern
Nachdrucke kaͤmpffen/ auch ſich weder Flam-
men nach Stahl von ihrer ſchuldigen Beſchir-
mung abſchrecken laſſen. Die weiblichen Kraͤu-
ter und Baͤume ſind auch zum Theil kraͤfftiger/
als die andern. Die maͤnnliche Muſcaten-
Nuß iſt zwar groͤſſer und laͤnger/ aber ſie hat viel
weniger Krafft/ als die weiblichen/ und unſere
Art Palmen werden in gewiſſen Faͤllen fuͤr
den maͤnnlichen zu Siegs-Kraͤntzen genom-
men. Die freudige Thußnelde hoͤrte dieſer
Schutzrede mit Luſt zu/ und ward ermuntert
ſelbter anzuhaͤngen: Warum wirfft man uns
nicht auch fuͤr/ daß kein Weibsbild iemahl zu-
gleich linck und rechts/ noch/ wie die Maͤnner
insgemein/ auff die Glieder der rechten Seiten
ſtaͤrcker/ als an der lincken ſind? daß wir eh als
ſie veralten ſollen? und andere uns angetichtete
Schwachheiten? Welche wir aber als der Groß-
muͤthigkeit nichts benehmende Gebrechen ohne
unſere Verkleinerung leicht enthaͤngen koͤnten.
Denn auch die aͤuſſerlichen Leibs-Kraͤfften ſind
nicht nach der Elle der Glieder abzumeſſen/
ſondern wie es nicht genug iſt/ daß die Natur
dem Stahle ſolche Haͤrte gegeben/ es muß ſelb-
ten allererſt das Feuer gluͤend/ der Schleiff-
ſtein ſpitzig und zum Degen machen; alſo muͤſ-
ſen Armen und Schenckel von der Hitze des
Gebluͤts/ und von einer maͤßigen Ergieſſung
der Galle/ als der letzten Anfeuchtung wacke-
rer Leute/ und dem Wetzſteine der Staͤrcke be-
ſelet werden. Dahero/ weil dieſer natuͤrliche
Zunder eine heimliche Abſcheu von Rieſen-Kno-
chen hat/ findet man in ſo ſchwaͤmmichten Men-
ſchen/ welche dem Anſehen nach Thuͤrme feil
tragen moͤchten/ weder Geſchicke noch Bereg-
ligkeit/ wie ich ſelbſt zu Rom am Puſion und
Secundellen wahr genommen/ derer zwar eilff
und einen halben Fuß lange/ aber zugleich bau-
faͤllige Coͤrper der Kaͤyſer nach ihrem fruͤhen
Tode in die Saluſtiſchen Gaͤrte begraben ließ.
Und weiß ich dieſe ungeheuere/ aber geiſtleere
Geſchoͤpffe nicht beſſer/ als denen Gebaͤuen zu
vergleichen/ die von auſſen das Anſehen einer
Koͤniglichen Burg/ innwendig aber Winckel
an ſtatt der Zimmer haben. Hingegen hat die
niedrige Balſam-Staude mehr Krafft in ſich/
als die lang-haͤlſichte Fichte. Das kleine in der
Seriſchen Landſchafft Kingcheu wachſende
Kraut von tauſend Jahren dauret laͤnger/ als
die Himmel-hohen Cedern/ denen doch kein Blat
abfaͤllt/ die kein Wurm anbeiſt/ indem jenes
nimmermehr verdorret. Nun iſt das in etlicher
Augen ſo klein ſcheinende weibliche Geſchlechte
ja nicht unter die Thiere zu rechnen/ welche keine
Galle haben/ ſondern man eignet ihnen hier-
von zuweilen auch eine Ubermaſſe zu. Weni-
ger fleuſt von einem edlen Stamme die Bluͤthe
des guten Gebluͤts nur auff die maͤnnlichen
Zweige/ alſo daß die Hefen den Toͤchtern uͤbrig
bleiben/ ſondern es wallet die angebohrne Tapf-
ferkeit ſo wohl in dieſen als jenen Adern. Der
Granatapffel-Baum traͤgt ſo wenig Bluͤthen
ohne Purpur/ als Fruͤchte ſonder Kronen; alſo
wird auff die Toͤchter ſo wohl/ als ihre Bruͤder
das hohe Gebluͤte und der Adel fortgepflantzet.
Und alle Helden der Welt haben noch unter den
Hertzen
[203]Arminius und Thußnelda.
Hertzen der Frauen gelegen. Suchen wir a-
ber das Geſtirne dieſer unbegreifflichen Tugend
in ſeinem eigenthuͤmlichen Himmels-Zirckel/
und dieſe Blume ſo wohl unſers/ als euren Ge-
ſchlechtes auff ihren eigenen Stengel/ muͤſſen
wir nicht die Aſche des ſtinckenden Leibes/ noch
den Schimmel der faulenden Glieder durch-
ſcharren/ ſondern/ weil die Großmuͤthigkeit ei-
ne Lebhafftigkeit des Geiſtes iſt/ und ihren Ur-
ſprung und Sitz in dem Hertzen hat/ muͤſſen wir
ſie nach der Eigenſchafft ihrer him̃liſchen W [...]hn-
ſtatt urtheilen/ und ihr ein Ziel nach dem Maß-
ſtabe der unumſchraͤncklichen Seele ausſtecken.
Dieſe erſcheint zum erſten auff den Kampffplatz/
und zeucht am letzten davon ab. Dieſe verwen-
det kein Auge/ wenn ſchon der Blitz mit Don-
nerkeilen um ihr Haupt ſpielet/ oder ihr der
Himmel auff den Hals faͤllt. Dieſe ſieget auch
mit zerſchmetteꝛten Gliedern/ und in dem Stau-
be des Todes. Jſt aber wohl das Hertze der
Maͤñer von anderm Talg als das unſrige? Hat
eure Seele einen andern Schoͤpffer/ als wir?
Sind alle großmuͤthige Helden aus dem Ge-
ſchlecht der Rieſen entſproſſen? Haben ſie alle
Armen aus Stahl/ und Schenckel aus Mar-
mel gehabt? Beſtehet die Tapfferkeit am Aus-
reiſſen der Baͤume/ und Verſetzen der Ber-
ge? Nein ſicher! Junius Valens/ welchen ich
Pferd und Wagen mit einer Hand anhalten ge-
ſehen; Ruſticellus/ der ſeinen Mauleſel mit ei-
ner Hand empor hob; Milo/ dem kein Menſch
einen Finger beugen konte/ werden von mir
nicht in die Schau-Buͤhne der Helden geſetzt.
Hingegen ſind die/ welche die Welt bemeiſtert/
keine ertztene Coloſſen geweſt. Den itzigen Kay-
ſer wuͤrde niemand ſeine Thaten an der Groͤſ-
ſe/ welcher nach des Julius Marathus genom-
menem Maaße nicht laͤnger/ als fuͤnff Fuͤße
und ein drittel iſt/ anſchauen. Die auch itzt
die Roͤmer geſchlagen/ den Varus erlegt/ die
deutſche Freyheit erhalten/ ſind keine Cyclo-
pen/ deren Daumen von Satyren mit Sten-
geln ausgemeſſen werden koͤnten. Jm Fall
aber ja unſere Leibes-Schwaͤche und Zaͤrt-
ligkeit der Glieder eine Hinderniß der Tapffer-
keit/ und ein Fehler unſers Geſchlechts ſeyn
ſoll/ wird man uns zuverſichtlich das Recht zu
den Waffen nicht gar abſprechen/ ſondern viel-
mehr nicht auſſer Augen ſetzen koͤnnen: Daß
auch die Sonne nicht ohne Finſterniß/ kein
Demant ohne Mangel/ keine Roſe ohne Dor-
nen ſey. Die Koͤnigin fiel Thußnelden mit ei-
ner ernſthafften Anmuth in die Rede/ und mein-
te: Sie haͤtte ihrem Geſchlechte zum Nachtheil
allzuviel nachgegeben; ſintemahl es dem Frau-
enzimmer mehr zum Ruhm als zur Schande
gereichte/ daß es mit ſo ſchwachen Gliedern Hel-
den- und Rieſenwercke ausuͤbte. Waͤre alſo ih-
re Schwachheit denſelben Maalen zu verglei-
chen/ welche durch ihren ſchwartzen Gegenſatz
den Glantz einer ſchneeweiſſen Schoͤnheit er-
hoͤheten. Oder es haͤtte die Natur ihnen die-
ſen Gebrechen mit ſonderbarem Fleiß/ und zu
ihrem Beſten angehengt/ wormit nehmlich der
Neid hieran etwas zu kaͤuen/ das maͤnnliche
Geſchlechte aber mit ihnen zu eyvern nicht noch
groͤſſere Urſach habe. Der Feldherr konte ſich
laͤnger des Lachens nicht enthalten/ ſagende:
Er ſehe wohl/ daß er auff eine ſo tieffſinnige Be-
redſamkeit verfallen waͤre/ welche auch der Waꝛ-
heit abgewinnen koͤnte/ und waͤre er nur zu ver-
nehmen begierig: Ob ſie auch die durch Miß-
braͤuche angenommene Zaͤrtligkeiten des Frau-
enzimmers heraus zu ſtreichen/ und ihr Wort
zu reden auff ſich nehmen wuͤrde. Die Koͤni-
gin verwechſelte dieſen Schertz mit einem an-
dern/ und fing an: So wenig die Heßligkeit
ſchoͤn/ und der Jrrthum zur Warheit wuͤrde/
wenn man jene ſchon in Guͤldenſtuͤcke kleidete/
dieſer aber eitel Centner-Worte zulegte/ ſo we-
nig traute ſie des Feldherrn Hoͤffligkeit zu/ daß
er zwiſchen des Frauenzimmers Rein- und Ge-
maͤchligkeit/ und den Waffen keine Gemein-
ſchafft dulden koͤnte. Die Tugend ſey der Wol-
C c 2luſt
[204]Drittes Buch
luſt ſelbſt nicht ſo feind/ als die Feinde des un-
ſchuldigen Epicurus gerne wolten/ von denen
ſie ſich wunderte/ daß ſie nicht den Schoͤpffer
der Welt meiſterten/ weil er nicht den gan-
tzen Erdkreiß entweder unter dem froſtigen
Baͤr/ oder unter den alles verſengenden Hund-
Stern geſetzet/ oder daß er es nicht allezeit
Winter ſeyn/ und ſtatt der Roſen Diſteln/
ſtatt des Weines Schleen/ ſtatt der Granaten
Holtzaͤpffel wachſen habe laſſen. Der Tapf-
ferkeit Abſehen ziele allezeit auff den Sieg/
dieſer aber waͤre von der Ergetzligkeit unab-
trennlich. Es haͤtten weder fuͤr Alters/ noch
heute zu Tage nur dieſe Schlachten gewonnen/
und Staͤdte erobert/ welche Haͤnde wie Horn/
und Geſichter wie Loͤwen gehabt/ welche die
Sonnen-Hitze ausgetrocknet/ und die Kaͤlte
abgehaͤrtet habe. Die alten Perſier waͤren
die groͤſten Zaͤrtlinge/ aber die hertzhaffteſten U-
berwinder anderer Voͤlcker geweſt. Die Hel-
den/ welche bey Marathon des gantzen Aſiens
Kraͤffte erlegt/ haͤtten eitel gekraͤuſelte Haare/
eingebalſamte Leiber/ und ſeidene Roͤcke an-
gehabt. Der groſſe Alexander haͤtte mehr-
mahls in allen Wolluͤſten ſich gebadet/ auff ein-
mahl vier hundert Heerfuͤhrer auff guͤldenen
Seſſeln und auffgebreitetem Purper geſpei-
ſet/ und bey dem Grabe des weiſen Alanus de-
nen/ die am meiſten trincken wuͤrden/ anſehn-
liche Preiße auffgeſetzt. Der beruͤhmte Welt-
weiſe Xenocrates haͤtte durch ſeinen Sieg im
Trincken eine vom Dionyſius auffgeſetzte guͤl-
dene Krone erworben. Die klugen Koͤnige
der Egyptier haͤtten ihren Gemahlinnen der
Stadt Antylla Einkuͤnffte zu Zierrathen ih-
rer Guͤrtel gewidmet. Jhm ſelbſt nicht gram/
und gleichwohl hertzhafft ſeyn/ ſeiner Gele-
genheit/ und gleichwohl der Waffen pflegen/
koͤnte ſo wohl bey einander ſtehen/ als die Ro-
ſe bey den Dornen/ als das Honig bey dem
Stachel der Bienen. Warum ſolten die
nutzbaren Fruͤchte/ die annehmlichen Blaͤtter
an den Baͤumen/ die Tugend ihren Firnß die
Anmuth haſſen? Das Hertze ſelbſt/ der Sitz der
Tapfferkeit waͤre beynahe das weicheſte Glied
am Menſchen/ deſſen Fleiſch keine Spann-A-
dern und Knochen/ weniger Klauen noch Zaͤhne
haͤtte. Dieſem nach lieſſe ſie ihr nicht ausreden:
Es koͤnne ſich ein Helden-Geiſt eben ſo wohl mit
einem zarten Leibe vertragen/ als ein ſchneiden-
tes Schwerdt in eine Sammtene Scheide ſte-
cken; Es moͤge ein Sieger ſeine Haͤnde wohl in
ruͤchende Handſchuch ſtecken/ und ein Uberwin-
der der Welt unter einem Goldgeſtuͤckten Zelte
ſeyn. Mit einem Worte: Mich duͤnckt/ die Tu-
gend koͤnne die Wolluſt zwar nicht zu ihrer Hof-
meiſterin/ wohl aber zu ihrer Geſpielin vertra-
gen/ und ſie ſehe ſauer/ wenn man ſie gar zur
Magd/ oder zum Scheuſale machen wil.
Der Feldherr ward ie laͤnger ie mehr ver-
wundernd uͤber dieſer Koͤnigin tieffſinnigen
Schluͤſſen/ und derſelben artiger Ausdruͤckung;
gab daher gegen ihr zu verſtehen/ er gaͤbe ihr in
alle wege Beyfall/ daß die Tapfferkeit nicht eben
rauh und wilde ſeyn/ Eicheln oder rohes Fleiſch
eſſen/ unter freyem Himmel oder auff ſtets um-
irrenden Wagen wohnen/ aus Ochſen-Haͤuten
Haͤuſer bauen/ nackt oder in Hanffenen Kitteln
gehen muͤße:; Sondern die Tugend koͤnne gar
wohl ihrer Gelegenheit pflegen/ das Frauen-
zimmer ſich ihrer Tugend anmaſſen. Alleine
die Erfahrung habe leider gewieſen/ daß die zu-
laͤßliche Beqvemligkeit leicht aus dem Geſchirre
ſchlage/ die Ergetzung ſich in eine haͤßliche Up-
pigkeit verwandele. Die Gewaͤchſe/ welche in
Neſſeln ſich lange hielten/ verfaulten alſobald in
Blumen. Griechenland waͤre an Witz und
Großmuͤthigkeit allen Voͤlckern uͤberlegen ge-
weſt/ biß ihre Ordnung zum Uberfluße/ der Ubeꝛ-
fluß zur Wolluſt/ die Wolluſt zum Laſter wor-
den waͤre; Und des Ariſtophanes in einem
Schauſpiele fuͤrgeſtellte Froͤſche/ oder des So-
phocles Antigone mehr/ als der Krieg wider den
Xerxes koſtete. Die Gallier ſolten fuͤr Zei-
ten
[205]Arminius und Thußnelda.
ten hertzhaffter als wir Deutſchen geweſen ſeyn/
welches daher glaublich ſchiene/ daß die Helve-
tier ſich zwiſchen dem Rhein und Mayn/ die Bo-
jen aber in dem Herciniſchen Walde niederge-
laſſen/ und die Deutſchen uͤberwaͤltigt haͤtten.
Es haͤtte ſie aber ihr Reichthum unbewehrt ge-
macht/ und ihr Wolleben ſie ſo verzaͤrtelt/ daß die
Roͤmer/ welche ſchon einmal mit uns Deutſchen
angebunden hatten/ es ihnen fuͤr Schande hiel-
ten/ wenn ſie wolten wider die weibiſchen Gal-
lier gefuͤhret werden. Dahero die verſchmitzten
Roͤmer durch ein beſonderes Kunſtſtuͤcke mehr
Voͤlcker durch angewoͤhnte Wolluͤſte/ durch
Einfuͤhrung warmer Baͤder/ durch Bauung
koſtbarer Luſtgaͤrte/ durch Anrichtung praͤchtiger
Gaſtmahle/ durch Fuͤrſtellung luſtiger Schau-
ſpiele/ als mit ihren Waffen unters Joch ge-
bracht. Sintemal die groben geſchwinder ge-
ritten ſind; durch Wolluͤſte aber gewohnt man
ehe der Ruhe und des Muͤſſiggangs. Hinge-
gen hat die unbaͤndigen Scythen ihre rauhe Art
ſo viel tauſend Jahr wider den maͤchtigen Vexo-
ris/ wider den gewaltigen Cyrus/ wider den groſ-
ſen Alexander erhalten/ und an ſie faſt alleine
haben ſich die ſtoltzen Roͤmer noch nie gewagt.
Jhre Einfalt oder Ungeſchickligkeit hat ihnen
den Schatz des Goldes/ die Geſchickligkeit der
Kuͤnſte/ zugleich aber viel ſchaͤdliche Laſter wolge-
ſitteter Voͤlcker verborgen. Dieſe Unwiſſenheit
aber hat ihnen mehr gefruchtet/ als andern die
Wiſſenſchafft der Tugend. Ja ihnen und uns
ſind zu ſelbſteigener Erhaltung die unſchuldigen
Sitten nuͤtzlicher geweſt/ als den Griechen und
Roͤmern ihre heilſame Geſetze. So lange in
Deutſchland keine andere Schauſpiele geweſen/
als da die nacketen Juͤnglinge uͤber bloſſe Degen
und Spieſſe ſprangen/ und dafuͤr keine andere
Belohnung/ als das Wolgefallen der Zuſchauer
ſuchten/ hat kein Deutſcher einen Roͤmer ge-
fuͤrchtet/ noch die Begierden ſie ihnen zinß- und
dienſtbar gemacht. Nun aber kan ich meine
ſelbſteigene Schande nicht verſchweigen/ daß ich
unter ihnen Kriegs-Sold verdienet.
Der Feldherr haͤtte noch laͤnger geredet/ wenn
nicht Adgandeſter/ ſein geheimſter Rath/ ins Ge-
mach kommen/ und ihm die Ankunft eines Ge-
ſandten von Gottwalden/ einem Hertzoge der an
der Weichſel und dem Baltiſchen Meere gelege-
ner Gothonen angemeldet/ und zugleich andere
geheime Schreiben abgegeben haͤtte. Dieſe
aber noͤthigten ihn von der Koͤnigin hoͤflichen
Abſchied zu nehmen/ und weil allbereit die Dem-
merung einbrach/ ſeine wunderſchoͤne Braut
wider auf ihr Zimmer zu begleiten.
Folgenden Morgen hielt der Feldherr mit
anbrechendem Tage Fuͤrſten-Rath/ die Koͤnigin
aber ließ Thußnelden vermelden: Sie haͤtte auf
ihr annehmliches Geſpraͤche ſo wol geruhet/ und
darvon ſo viel Kraͤfften empfunden/ daß ſie ihr
in ihrem Zimmer aufzuwarten maͤchtig und be-
gierig waͤre. Thußnelde beantwortete ihren
Edel-Knaben/ derer etliche der Catten Hertzog
aus ſeinen Gefangenen ſie wieder zu bedienen
loßgelaſſen hatte: Es waͤre zwar ihre ſelbſteigene
Pflicht ſich in der Koͤnigin Zimmer einzufinden/
doch wolte ſie lieber etwas ihrer Hoͤfligkeit abbre-
chen/ als dem zuentbotenen Befehl widerſtreben.
Sie erwartete alſo hoͤchſtbegierig die Gelegen-
heit ihr die Haͤnde zu kuͤſſen. Jſmene fand in-
zwiſchen ſich auch bey Thußnelden ein. Bey
erfolgender Zuſammenkunft umbfingen dieſe
drey Heldinnen einander mit einer ſo groſſen
Vertraͤuligkeit/ als wenn ſie nicht alleine viel-
jaͤhrige Freundſchafft mit einander verknuͤpft/
ſondern auch ſelbſt das Gebluͤte zuſammen ver-
bunden haͤtte. Thußnelde hatte fuͤr die Koͤni-
gin und ihre Gefertin Salonine alſofort/ weil
ſo wol ihre Sprache als Leute/ daß ſie eine Mor-
genlaͤnderin waͤre/ kund gemacht hatten/ von
Perſiſchen Teppichten ein ihrer Landes-Art und
Bequemligkeit dienendes Bette aufputzen laſ-
ſen/ fuͤr ſich und Jßmenen aber zwey Helffenbei-
C c 3nene
[206]Drittes Buch
nene Stuͤle nach deutſcher Art behalten. Die-
ſe Anſtalt machte der Koͤnigin alſofort ein Nach-
dencken/ und nach dem ſie eine Weile von des vo-
rigen Tages Geſpraͤchen geredet/ des Feldherrn
Tugenden und Hoͤfligkeit uͤberaus heraus ge-
ſtrichen/ und ſeinetwegen Thußneldens Gluͤck-
ſeligkeit geprieſen hatte/ fragte ſie Thußnelden:
Wie ſie darzu kaͤme/ daß ſie ihr einen in dieſen
Laͤndern ſo frembden Sitz zubereitet haͤtte?
Thußnelde antwortete: Sie ſtuͤnde in denen Ge-
dancken/ daß die von Kind-an gewohnte vaͤter-
liche Sitten zur Gemaͤchligkeit am dienlichſten
waͤren. Wie/ ſagte die Koͤnigin/ woher wiſſen
ſie denn mein Vaterland? Thußnelde laͤchelte/
und fing an: Es hat mirs nicht allein die Spra-
che zum theil verrathen/ daß ſie eine Morgenlaͤn-
derin ſey/ ſondern mein Fuͤrwitz/ oder/ wahrer
zu ſagen/ meine zu ihr tragende Zuneigung ha-
ben bey mir eine ungemeine Sorgfalt erwecket/
mich nicht allein umb ihren Urſprung/ ſondern
auch gantzen Zuſtand zu bekuͤmmern. Von
dem erſtern haͤtte ſie etwas muthmaßliches/ von
dem letztern aber gar nichts ergruͤnden koͤnnen.
Die Koͤnigin bemuͤhete ſichdieſe ſo geneigte Er-
klaͤrung mit einer empfindlichen Danckſagung
zu beehren/ und zu vermelden: Sie koͤnte nicht
umbſtehen/ daß ſie eine Morgenlaͤnderin waͤre/
ihr Lebenslauff aber haͤtte ſo viel Bitterkeit an
ſich/ daß auch deſſen bloſſe Wiſſenſchafft mitlei-
dentlichen Seelen ſchmertzhafte Empfindligkeit
zu erwecken maͤchtig waͤre. Thußnelde bege-
gnete ihr: Sie hielte dafuͤr/ daß wie etliche Fruͤch-
te eine annehmliche Saͤuere/ alſo das Mitleiden
uͤber dem Leiden der Tugend eine durchdringen-
de Anmuth habe. Und die erwaͤhnten Ungluͤcks-
Faͤlle waͤren eben ein gewiſſes Merckmal ſo wol
ihrer Tugenden/ welche in ſo kurtzer Zeit aller
Gemuͤther vn ſich gezogen haͤtten/ als der hohen
Ankunft. Denn es haͤtte das Verhaͤngnuͤß
entweder ſeine Luſt/ oder ein den Leidenden zum
beſten zielendes Abſehen/ nichts weniger das
Gluͤcke hoher Gebluͤts - Perſonen/ als
den Glantz nur der zwey groſſen/ nicht der klei-
ner Himmels-Lichter zu verfinſtern. Dieſes
Ungewitter treffe noch darzu oͤfter die Tugend-
als Laſterhaften; nicht anders/ als der Blitz mehr-
mals in Kirchen/ als Huren-Haͤuſer/ die Schloſ-
ſen den Weitzen/ nicht das Unkraut niederſchluͤ-
gen. Denen See-Raͤubern diente wohl eh eine
Steinklippe zur Windſtille/ an der ein Heiliger
geſcheitert haͤtte. Die Koͤnigin fing an innig-
lich zu ſeufzen: Ja/ ſagte ſie/ ich habe es/ leider/
allzuſehr erfahren/ daß die Unſchuld nicht ſelten
Ketten und Bande ſchleppen/ die Tugend auf
dem Blut-Geruͤſte vergehen muͤſſe/ wenn die
Boßheit auf Roſen geht/ und ein Wuͤterich den
Koͤniglichen Stul einnim̃t. Ach! aber/ auf
was fuͤr Schwachheit verleitet mich meine Un-
gedult? Wer wider ſein Ungluͤck murret/ geuſt
in das/ was er gerne ausleſchen ſehe/ nur Oel.
Wer mit den Schickungen des Verhaͤngnuͤſſes
nicht zu frieden iſt/ entfrembdet ſich von den Goͤt-
tern/ ſuchet ſich in ſich ſelbſt/ und verlieret ſich dar-
uͤber. Er ſchleppet die Kette ſeines Ungemachs
mit groſſer Beſchwerligkeit nach ſich/ die er viel
leichter tragen koͤnte. Jßmenen wurden hier-
uͤber die Augen nichts minder/ als der Koͤnigin/
waͤßricht/ und fing ſie an: Es waͤre wahr/ daß/
wer die Gedult in ſeinem Hertzen behielte/ wenn
ihn das Ungluͤck gleich aller Guͤter beraubete/
doͤrfte ſich uͤber keinen Verluſt beſchweren. Sie
waͤre das Oel/ welches alle Hertzens-Wunden
heilte/ und der koͤſtliche Balſam/ welcher auch die
halbtodten wieder beſeelte. Ja/ ſagte Erato/
dieſe ohmaͤchtige Tugend hat mich wider das
Ungeheuer der Verzweifelung kraͤftiger/ als
Perſeus Andromeden fuͤr dem grauſamen
Meer-Wunder vertheidiget; und da der Him-
mel ſelbſt mich zu zermalmen gedraͤuet/ hat mir
die Hoffnung ſtets ein gut Hertze gemacht: Wenn
es das Anſehen gewonnen/ als wenn das Ver-
haͤngnuͤß mich nur deswegen nicht toͤdtete/ weil
es mein aͤngſtiges Leben zu einem aͤrgern Ubel
aufhuͤbe/ hat das Vertrauen auf die Goͤttliche
Weiſſa-
[207]Arminius und Thußnelda.
Weiſſagungen mich doch iederzeit aufgerichtet.
Dieſemnach ich denn gerne eine Beypflichterin
der Elpiſtiſchen Weiſen zu ſeyn geſtehe/ welche
die Hoffnung fuͤr das hoͤchſte Gut hielten/ und
ſonder dieſe das Elend des Lebens fuͤr unertraͤg-
lich; hingegen derſelben Meynung als irrig
verwerffe/ die auch das vollkommenſte Gut/ das
nicht gegenwaͤrtig iſt/ fuͤr kein Gut halten/ weil
es allererſt kommen ſoll. Weswegen ich zu
Athen in dem Tempel des guten Gluͤckes fuͤr
dem Bilde der Hoffnung ſieben Tage lang mei-
ne Andacht verrichtete. Dieſes Heiligthum
iſt wegen des von dem Bupalus aus Marmel
gehauenen/ die Erdkugel auf dem Haupte/ und
der Amalthee Horn in der Hand haltenden
Gluͤcks-Bildes ſehr beruͤhmt/ in welches ſich ein
Griechiſcher Juͤngling ſo ſehr verliebt/ daß/ als
er deſſen von dem Rathe zu Athen nicht umb
groß Geld habhafft werden konte/ nach deſſen
Bekraͤntz- und vieler Thraͤnen Vergieſſung
ſelbtes umbarmende ſich toͤdtete. Weil nun
das Bild der Hoffnung und ihr Altar nahe dar-
bey ſtand/ ward dieſe von allen/ die das Gluͤcke
anbeteten/ ebensfalls verehret. Auf allen vier
Seiten des Altar-Fuſſes ſind ſo viel Wachs-
Taffeln/ darein die Betenden mit einem Griffel
ihre Wuͤntſche und Geluͤbde zu ſchreiben pfle-
gen. Den ſechſten Tag fand ich darinn dieſe
Reime gekritzelt:
Jch entſetzte mich uͤber dieſer verzweifelten
Schaͤndung derſelben Gottheit/ welche ich als
meinen einigen Gluͤcks-Stern/ wie die Afri-
caniſchen Ziegen den aufgehenden Hunds-
Stern verehrte. Dieſemnach ich aus einem
Andachts Eifer wider den verzweifelnden Wall-
farther mit folgenden Zeilen meine Rachgier
ausließ:
Den ſiebenden Tag/ fuhr die Koͤnigin fort/
war ich die erſte im Tempel/ wie ich den Abend
vorher die Pfoſten deſſelbten ſelbſt zugeſchloſſen
hatte. Zu meiner hoͤchſten Verwunderung
aber fand ich unter meinen Reymen nach folgen-
de aufs zierlichſte in Wachs gedruͤckt:
Dieſe ſich auf meinen Zuſtand ſo wol ſchickende
Schrifft befeſtigte mein Gemuͤthe mehr als vor-
hin nichts anders; weil ich ſie fuͤr nichts anders/
als fuͤr eine Goͤttliche Antwort hielt/ und ich laſſe
ſie auch noch niemals aus meinen Gedancken.
Thußnelde fing hierauf an: Dieſer Vor-
ſchmack ihrer Zufaͤlle machte ſie ſo viel luͤſterner
den voͤlligen Verlauff zu vernehmen; wordurch
der Koͤnigin ein unzweifelbarer Ruhm/ ihr und
Jſmenen aber eine vollkommene Vergnuͤgung
erwachſen wuͤrde. Die Koͤnigin Erato ant-
wortete: Es waͤre wol wahr/ daß die Geſchicht-
Schreiber ſo ſor gfaͤltig waͤren die ungluͤckſeligen
in ihre Zeit-Regiſter/ als die Sternſeher die Fin-
ſternuͤſſe in ihre Jahr-Buͤcher aufzumercken;
iedoch wuͤſte ſie nicht zu urtheilen: Ob die ruhen-
den wie die fallenden Lufft-Sterne mehr Glantz/
oder/ wie der verfinſterte Monde mehr Schat-
ten bekaͤmen. Einem Ungluͤckſeligen waͤre die
Eindenckmachung des vergangenen Ubels zwar
ſo ſchmertzhaſft/ als einem Verwundeten die An-
ruͤhrung des Schadens. Daher ſie insgemein
wie
[208]Drittes Buch
wie das fuͤhlende Kraut in Egypten geartet find/
welches/ wenn man es anruͤhret/ ſeine Zweige
zuruͤcke/ ſeine Blaͤtter zuſammen zeucht/ oder
gar verdorren laͤſt. Alleine/ dafern zwo ſo guͤti-
ge Fuͤrſtinnen aus dem Nacht-Gemaͤhlde ihrer
traurigen Begebnuͤſſe einiges Anmuths-Licht
zu holen vermeynten/ koͤnten ſie ohne den ſchwaͤr-
tzeſten Undanck ſelbtes ihnen nicht entziehen. Jh-
re Zuverſicht zu ſo tugendhaften Heldinnen ver-
biete ihr auch das geheimſte/ was ſie unter ihrem
Hertzẽ haͤtte/ zu verhelen. Da es ihnendenn belie-
big waͤre/ ſolte ihr das geringſte nicht verſchwie-
gen bleiben/ welches iedoch ſie ſelbſt fuͤr Weh-
muth ohne Jrrthum ſchwerlich wuͤrde werck-
ſtellig machẽ. Es ſolte aber Salonine ihre Stelle
vertreten; iedoch/ weil dieſe Erzehlung zugleich
eine Entdeckung ihreꝛ Schwachheiten ſeyn wuͤr-
de/ koͤnte ihr kein groͤſſeres Gluͤcke begegnen/ als
da die tugendhafte Thußnelde ſie hernach der
Wiſſenſchafft ihrer Zufaͤlle wuͤrdig machte/ die
ohne diß ſchon durch ihre mehrmalige Seufzer
zum Theil verrathen waͤren. Die Gemeinſchafft
des Ungluͤcks wuͤrde vielleicht beyden zu einer
Erleichterung/ Thußneldens Tugenden aber
ihr zu einer Richtſchnur ihres kuͤnftigen Wan-
dels dienen. Thußnelde begegnete ihr: Jhre Feh-
ler koͤnten keinen andern Wegweiſer/ als zu ei-
nem Jrrgarten abgeben/ ſonſt aber wuͤrde es ihre
ſelbſteigne Erleichterung ſeyn/ wenn ſie fuͤr einer
ſolchen Koͤnigin/ welche aus eigenem Betruͤbnuͤß
ſo viel mehr Zunder des Mitleidens gefangen
haͤtte/ ihr gantzes Hertz ausſchuͤtten koͤnte. Aller
auf Saloninen gerichtete Augen noͤthigten dieſe
numehr gleichſam durch die ſtum̃e Erinnerung
ihre Erzehlung ſolgender geſtalt anzufangen:
Jch zweifele zwar nicht/ daß die ſo kluge Fuͤr-
ſtin Thußnelda durch das Geſchrey das in der
Welt ſo beruͤhmte Reich Armenien/ welches nach
dem Parthiſchen allen andern Aſiatiſchen Rei-
chen an Groͤſſe uͤberlegen iſt/ auch zum Theil
werde haben kennen lernen. Gleichwohl aber
wil ich mit wenigen Worten melden: Seinen
Nahmen ſoll es haben entweder von ſeinem er-
ſten Bewohner Togarma/ oder von des Helden
Melichus Vaterlande/ einer Theſſaliſchen
Stadt Arimenus/ welchen Koͤnig Pelias eben
ſo wol als den ſeiner Tugend halber zu Hauſe
verdaͤchtigen Jaſon in Colchis nach dem guͤlde-
nen wieder zu ſchiffen genoͤthiget. Ob ſie nun
wohl dieſe gefaͤhrliche Reiſe gluͤcklich uͤberſtan-
den/ Jaſon auch ſeine Colchiſche Gemahlin Me-
dea verſtieß/ und den mit ihr gezeugten Sohn
Abſyrtus aufopferte/ ward er doch mit ſeinem
rittermaͤſſigen Hauffen von des Pelias Kindern
wieder aus dem Lande gejagt. Thußnelda fiel
ein: Es muͤſſen die Griechiſchen Wuͤteriche mit
der denen Herrſchenden ſo ſehr verhaßten Tu-
gend noch viel gelinder/ als andere/ gebahren/ weil
ſie ſie alleine mit der Landsverweiſung ſtraffen/
da ſonſt insgemein die Tugenden den gewiſſeſten
Unter gang nach ſich ziehen/ wie Ariſtodemus bey
den Cumanern/ Polycelus von ſeinem Bruder
Hiero/ und Clytus vom groſſen Alexander erfah-
ren; ja Tyrannen ihren Stul am meiſten zu be-
feſtigen ſich traͤumen laſſen/ wenn ſie nur die Tu-
gend mit Strumpf und Stiel ausrotten koͤnten.
Aber/ fuhr Salonine fort/ vielmal gereichet ihr
auch dieſe Bedraͤngnuͤß nichts weniger/ als der
Sturm-Wind der ſchon halbtodten Flamme
zum Vortheil. Jaſon kam mit der wieder zu ſich
genommenen Medea in Colchis/ ſetzte ſeinen ver-
ſtoſſenen Schweher-Vater Aetes wieder ins
Koͤnigreich ein/ bemaͤchtigte ſich vieler Morgen-
laͤnder/ oͤffnete dem ſonſt die Thaͤler erſaͤuffenden
Fluſſe Araxes einen Außfluß in das Caſpiſche
Meer/ weßwegen ihm daſelbſt Goͤttliche Ehre
angethan/ und viel Tempel/ beſonders ein ſehr
herrlicher in der Stadt Abderis/ den hernach der
Neid des Parmenio eingeaͤſchert/ gebauet wor-
den. Nach ſeinem Tode richtete Medius der
Meden/ oberwehnter Armenius mit ſeinen zu-
ſammen gezogenen Theſſaliern das Armeniſche
Reich auf. Nach einer langen Reyhe ſeiner Nach-
kommen bemaͤchtigten die Perſen/ hernach die
Macedonier/ und endlich die Syrer ſich dieſes
maͤchtigen und von der Natur befeſtigten Reichs.
Sin-
[209]Arminius und Thußnelda.
Sintemal es von dem Tauriſchen und Maſi-
ſchen Gebuͤrge/ worauf der Schnee ſo gar ma-
dicht wird/ und zuweilen gantze Heere verſchlin-
get/ von dem Caſpiſchen und Schwartzen Mee-
re umgeben/ und von ſechs Hauptfluͤſſen/ nem-
lich dem Phrat/ Tyger/ Cyrus/ Araxes/ Pha-
ſis/ und Lycus/ derer immer zwey in ein abſon-
derlich Meer fluͤſſen/ beſtroͤmet wird. Es hat
nebſt andern Reichthum nicht nur viel/ ſondern
die edleſten Pferde/ alſo/ daß die Parthiſchen
Koͤnige kein anders reiten/ und unter dem Per-
ſiſchen Reiche wurden dahin jaͤhrlich zwantzig
tauſend Fohlen gezinſet. Unter oberwehnten
Koͤnigen war Hydarnis aus des Orontes Ge-
bluͤte der letzte. Als aber der groſſe Antiochus
von den Roͤmern uͤberwunden ward/ theilten
ſich zwey ſeiner Landvoͤgte Artaxias/ und Za-
driades in das groſſe und kleine Armenien/ wel-
che von den Roͤmern auch fuͤr rechtmaͤßige Koͤ-
nige erkannt/ hernach aber vom Antiochus E-
piphanes vom Reiche verjagt wurden. Ja
Artaxias/ der ſein Geſchlechte vom Koͤnige
Barzanes herfuͤhrte/ welcher lange fuͤr dem Ja-
ſon diß Reich beherrſcht/ und mit dem Aſſyri-
ſchen Koͤnige Ninus ein Buͤndnuͤß gemacht
hatte/ gerieth ſelbſt in des Syrers Haͤnde. Al-
lein ſein Sohn Tigranes und Zariadres ruff-
ten die Parthen zu huͤlffe/ und gab jener ſich
ſelbſt/ dieſer aber ſeinen Sohn Artanes So-
phen ihnen zur Geiſſel/ daß ſie nach wiederer-
langtem Reiche den Parthen ſiebzig Thaͤler in
Armenien abtreten wolten. Antiochus ward
hieruͤber ſo erbittert/ daß er den Artaxias im
Gefaͤngnuͤſſe hinrichtete/ und Z[a]riadres ſtarb
durch Gifft. Die Waffen der Parthen aber
ſetzten den Tigranes und Artanes wieder auff
ihren vaͤterlichen Thron. Tigranes ließ alſo-
fort fuͤrtreffliche Zeichen ſeiner Herrſchens-
Kunſt und Tapfferkeit von ſich blicken/ alſo daß
die Parther ſelbſt daruͤber Nachdencken krieg-
ten/ und um ſeine Kraͤfften zu unterbrechen dem
Artanes in Ohren lagen/ daß er mit dem Ti-
gꝛanes einen Graͤntz-Stꝛeit/ und zugleich einen
Krieg anfing. Wiewol andere dieſem Kriege
eine viel geheimere Urſache gegeben/ nemlich/
daß des Artanes Gemahlin an den Tigranes
Unehre vermuthet/ und/ weil dieſer ſeines wol-
thaͤtigen Wirthes Bette nicht beſudeln wollen/
habe dieſes geile Weib ihre Unkeuſchheit in Ra-
che verwandelt/ und unter dem tugendhafften
Vorwande/ daß Tigranes an ſie dieſe Schand-
that begehret haͤtte/ den Artanes die Waffen zu
ergreiffen beredet. Die Fuͤrſtin Thußnelda
fiel Saloninen ein/ und meldete: Es waͤre diß
ein denckwuͤrdiges Beyſpiel/ daß die Urſachen
und der Vorwand eines Krieges meiſt gantz ab-
geſonderte Dinge waͤren. Es fiele ihr hier-
bey Meleagers Ehweib ein/ von welcher ihr
waͤre erzehlet worden/ daß ſein Koͤnig/ als an-
dere ihre Liebhaber ſo viel von ihrer Schoͤnheit
und Anmuth zu ſagen gewuͤſt/ auf ſie einſt ein
Auge geworffen/ auch von derſelben/ welche
nicht leicht einen verzweifeln/ oder in ſeiner Lie-
be Schiffbruch leiden ließ/ unſchwer diß/ was
ſie wol geringern nicht verſagt/ erlangt haben
wuͤrde/ wenn der Koͤnig nicht ihre Waare weit
unter dem Ruffbefunden/ und ſich ihrer ohne
Vergnuͤgung entbrochen haͤtte. Den Schimpf
dieſer in ihren eigenen Augen ſo anſehnlichen/
und ietzt zum erſten verſchmaͤhten Schoͤnheit
draͤuete ſie ihme ins Geſichte zu raͤchen/ und wie
ſie ihrem Ehmanne die durch nichts als durch
Blut ausleſchliche Flecken der ihrer Keuſchheit
zugemutheten Unehre meiſterlich fuͤrzubilden
wuſte; alſo war ihre Ehre taͤglich allen denen
feil/ welche nur mit Meleagern wider den Koͤ-
nig den Degen auszuziehen ſich erklaͤreten.
Derogeſtalt ward dieſer tapffere Mann ein
Aufruͤhrer wider ſeinen Herrn/ ein Krieges-
knecht ſeines geilen Weibes/ da doch andere die
Urſache ſeines Aufſtandes viel weiter herholten/
einer/ daß der Koͤnig in Macedonien in Anwe-
ſenheit der Theſſaliſchen Geſandſchafft ihm
ſchimpfliche Worte gegeben; Ein ander/ daß
Erſter Theil. D der ſei-
[210]Drittes Buch
er ſeinem Sohne ein Ehren-Amt verſagt/ der
Poͤfel aber/ daß die Liebe der Freyheit und des
alten numehr unter gedruͤckten Gottesdienſts
ihn zum Kriege bewogen haͤtte. Die Arme-
niſche Koͤnigin ſetzte bey: Dieſes waͤren noch
gar wichtige Urſachen eines mittelmaͤßigen
Krieges. Den weltberuͤhmten Zug des groſ-
ſen Xerxes in Griechenland/ da er drey mahl
hundert tauſend Menſchen ausgeruͤſtet/ Ber-
ge abgetragen/ Fluͤſſe ausgetrocknet/ Meere
ausgefuͤllet/ haͤtte ein Griechiſcher Artzt der
Perſiſchen Koͤnigin durch ihr Einblaſen erre-
get/ weil er gerne noch einſt den Pyreiſchen
Hafen geſehen/ und zu Athen gewachſene Fei-
gen gegeſſen haͤtte/ da doch dieſer Qveckſalber
ſeine Reiſe mit geringern Koſten verrichten
koͤnnen; Hingegen Xerxes zu Urſachen ſeines
Krieges anfuͤhrte: Er kaͤme die Griechen aus
einer ſo magern Dienſtbarkeit/ die ſie von ſo viel
kleinen Wuͤterichen erduldeten/ in eine reiche
Freyheit zu verſetzen/ ja die unſterblichen Goͤt-
ter haͤtten ihn zu ſeiner Entſchluͤſſung gebracht/
und die Sonne waͤre der erſte Urheber ſeines
Krieges. Freylich wol/ fing Thufnelda an/
auch unſer Deutſchland hat mit ſeinem Scha-
den erfahren/ daß aus einem kleinen Qvelle
groſſe Fluͤſſe/ aus einem Funcken unausleſchli-
che Braͤnde/ aus einem uͤbel-aufgenommenem
Worte lange Kriege entſtanden/ daß eine
Tracht einer gewiſſen Farbe den Adel eines
gantzen Volckes zergliedert/ eine auffgerichte-
te Saͤule/ ein Sinnenbild/ das andere auf ſich
gezogen/ viel Aufruͤhre geſtifftet/ und daß die
heimliche Verſchneidung eines Cammerdie-
ners manchen groſſen Reichs-Coloſſen von fei-
nem Ehrenſtande geſtuͤrtzt. Alſo haben ſo wol
die groſſen Schauplaͤtze der Koͤnigreiche/ als
die Gaucklerbuͤhnen mehrmahls euſerlich ein
praͤchtiges Anſehen/ wenn man aber hinter ih-
re Schirme gucket/ iſt ihr gantzes Gebaͤue la-
chens werth. Die Koͤnigin pflichtete ihr bey/
und fing an: Nachdem ſelten ie mand aus bloſ-
ſer Liebe der Gefahr/ wie von Deutſchen ins-
gemein geglaubet wird/ oder aus bloſſem Dur-
ſte nach Menſchen-Blute/ wie die wilden Thie-
re/ ſeinen Nachbar uͤberzeucht/ ſondern Geitz
und Ehrſucht die aͤlteſte und gemeinſte Urſache
des Krieges iſt/ ſo hat man ſich nicht zu ver-
wundern/ daß faſt alle mahl von den Herrſch-
ſuͤchtigen die wahre Urſache und das Abſehen
ihrer blutbegierigen Entſchluͤſſungen verſteckt/
und faſt iederzeit die ſcheinbaren Nahmen des
Gottesdienſtes/ der Gerechten Rache/ und der
Freyheit zum Vorwandt gebraucht werden.
Es iſt unnoͤthig in das Alterthum zuruͤck zu ſe-
hen. Auguſt verdeckte ſeine Herrſchensſucht
in dem Buͤrgerlichen Kriege meiſterlich mit
der Froͤmmigkeit/ welche ihn noͤthigte den
Todt ſeines Vatern Julius wider den Bru-
tus zuraͤchen. Antonius gebrauchte ſich auch
dieſer Farbe wider den Decimus/ welcher ihm
Gallien anzuvertrauen verhindert hatte;
Gleichwohl aber bin ich in denen Gedancken/
daß es nicht allemahl rathſam ſey auch in ge-
rechten Kriegen/ weder die wahre Urſache/
noch das eigentliche Abſehen kund zu machen.
Sintemahl der Kern aller kluger Entſchluͤſ-
ſungen in derſelben Heimligkeit beſtehet. Auch
der/ welcher die beſte Karte hat/ muß insge-
mein verſpielen/ der ihm darein ſehen laͤſt. So
begreifft auch Volck und Poͤfel nicht allezeit
die Gerechtigkeit eines Fuͤrnehmens/ ſondern
man muß ſelbten an dem Fademe ſeines Ei-
gennutzes an ſich ziehen/ und/ wenn ſelbter
durch widrige Verleitung wilde gemacht wor-
den/ ihm ſelbſten zum beſten/ ſelbten wie die kol-
leꝛnden Pferde blaͤnden. Salonine brach ein/
um in ihre Erzehlung wieder einzufallen: Ar-
tanes wuſte ſeinen Krieg ſo kluͤglich nicht
auszufuͤhren/ ſondern ſeine Eyverſucht blickte
bald fuͤr/ ſeiner Unterthanen Abneigung brach
mit ſeinem Ungluͤcke bald aus. Denn der
großmuͤthige Tigranes erlegte ihn in der erſten
Schlacht biß aufs Haupt/ und er leſchte mit ſei-
ner
[211]Arminius und Thußnelda.
ner eigenen Hand der unleidlichen Neben-
Sonne Armeniens das Licht aus/ welches vol-
lends fuͤr dem Sieger alſofort die Waffen nie-
derlegte. Mit dieſer vereinbarten Macht
nahm er denen auf des Artanes Seite ſtehen-
den Parthern nicht allein die abgetretenen ſieb-
zig Thaͤler wieder/ ſondern er bemaͤchtigte ſich
auch der Parthiſchen Staͤdte Ninus und Ar-
bela. Dieſe Siege erwarben ihm des groſſen
Pontiſchen Koͤniges Mithridatens Tochter/
und dieſe Verbindung zweyer ſo maͤchtigen
Reiche in gantz Aſien ein ſo groſſes Anſehen/
als kein Armeniſcher Koͤnig fuͤr ihm nie ge-
habt hatte. Die Syrer rufften ihn wider die
Bedraͤngniſſe ihrer vom Seleucus herſtam-
mender Koͤnige zum Schutzherrn an/ und hier-
durch brachte er alles/ was zwiſchen dem Phrat
und Tiger liegt/ die Atropatener und Gor-
dyeer unter ſein Gebiete/ ja er bemaͤchtigte ſich
gantz Syriens und der Phoͤnicier; baute auch
zum Gedaͤchtniſſe dieſer groſſen Thaten zwi-
ſchen Jberien und der Stadt Zeugma an dem
Fluſſe Nicephorius die maͤchtige Stadt Ti-
granocerta/ beſchloß ſie mit einer Mauer funf-
zig Ellenbogen hoch/ und mit einem faſt unuͤ-
berwindlichen Schloſſe. Hoͤret aber/ wie das
Gluͤcke meiſtentheils nur deßhalben einen be-
reichere/ daß es hernach mit ihm durch Abneh-
mung einer reichen Beute ſeine Kurtzweil ha-
be/ und wie es ſeine geſtrige Schoß-Kinder
heute in Staub und unter die Fuͤſſe trete! Ja
es vergnuͤget ſich nicht am Raube ſeiner eige-
nen Geſchencke/ ſondern windet einem auch
den Gewinn der Tugend aus den Haͤnden.
Welche zwey groſſe Raͤder des Verhaͤngnuͤſſes
mit einander viel Jahre geſtritten hatten/ ob
diß oder jenes unter beyden den Tigranes am
hoͤchſten empor heben koͤnte? Jedoch hatte es
das Anſehen/ als wenn das Gluͤcke ſeinen
Kraͤfften mißtrauete/ daß es dem Tigranes in
ſeinen ſelbſteigenen Reichshaͤndeln etwas an-
haben wuͤrde/ dahero es ſeinen ſo feſte beraſeten
Wolſtand nicht ſo wohl mit eigenen Haͤnden
auszurotten/ als durch den Fall eines andern
groſſen Gluͤcks-Steines in Abgrund zu reiſ-
ſen erfand. Der groſſe Mithridates war vom
Sylla und Lucullus ſo ſehr ins Gedrange ge-
bracht/ daß ſein eigener Sohn Machar des
Boſphors Koͤnig vom Vater abſetzte/ und den
Lucullus mit einer guͤldenen Krone beſchenck-
te/ um der Roͤmer Freundſchafft zu erlangen.
Tigranes aber war viel zu großmuͤthig/ daß er
nicht lieber der Roͤmer ſieghaffte Waffen ihm
uͤber den Hals ziehen/ als ſeinen zu ihm ſich
fluͤchtenden Schweher-Vater dem Lucullus
haͤtte ſollen ausfolgen laſſen. Dieſer aber kam
ihm ſo unvermuthet auf den Hals/ daß Tigra-
nes den/ welcher ihm von der Roͤmer Einfall
in Armenien die erſte Poſt brachte/ als einen
Aufwiegler des Volcks aufhaͤngen ließ. Thuß-
nelde fiel ihr ein: Jch erinnere mich/ daß zu
meiner Zeit ein Fuͤrſt/ als man ihm von mehr
denn zu gewiſſer Eroberung einer Berg-Fe-
ſtung ſagte/ den Boten hoͤniſch fragte: Ob er
geſehen/ daß des Feindes Kriegs-Volck gefluͤ-
gelt waͤre? Aber der Glaube kam ihm bald in
die Hand/ und der Feind ins Hertze ſeines Her-
tzogthums. Nichts anders/ ſagte Salonine/
ging es dem Tigranes. Denn ſein den Roͤ-
mern mit zwey tauſend Pferden begegnender
Obriſter Mithrobarzanes ward von dem Vor-
trab zerſtreuet/ Mancaͤus in Tigranocerta be-
laͤgert/ und das dabey liegende Schloß ging
mit Sturm uͤber. Tigranes verſammlete
inzwiſchen ein Heer von drittehalb hundert
tauſend zu Fuſſe/ und funfzig tauſend Reu-
tern. Orontes ſein Feld-Hauptmann fiel
den Belaͤgerern fuͤr Tigranocerta ein/ erloͤ-
ſete auch das gefangene Koͤnigliche Frauen-
zimmer aus ihren Haͤnden. Der Koͤnig a-
ber ging gerade auf den Lucullus loß. Wie-
wohl ihm nun Mithridates rieth/ er ſolte
keine Schlacht liefern/ ſondern/ wie
es Lucullus bey der Stadt Cycizum
D d 2ihm
[212]Drittes Buch
ihm gemacht/ und dardurch ſein gantzes Heer
zernichtet haͤtte/ nur mit deꝛ Reuterey das Roͤmi-
ſche Heer hinten und fornen ofters anfallen und
muͤde machen/ das Land rings umbher verwuͤ-
ſten/ und die Lebens-Mittel abſchneiden. Al-
leine dieſes Kunſt-Stuͤcke deuchtete dem Tigra-
nes nicht genungſam heldenmaͤßig/ und aller
Verzug knechtiſch zu ſeyn/ zumal er die Roͤmi-
ſche Macht/ alser derſelben anſichtig ward/ zu
Geſandten fuͤr zu ſtarck/ zu Feinden fuͤr zu
ſchwach ſchaͤtzte. Dieſemnach ſchlug Tigra-
nes mit dem Lucullus/ dieſer aber erhielt durch
eine beſondere Kriegsliſt in Eroberung eines
vortheilhafftigen Huͤgels/ und durch halsbruͤ-
chiges Verbot/ bey waͤhrender Schlacht keine
Veute zu machen/ die Oberhand. Thuſnelde
fing hieruͤber an: Es iſt die erſte Staffel zum
Verluſt die Verachtung ſeines auch ſchon halb
bezwungenen Feindes/ und die/ welche iemals
zu ihrem in den Haͤnden habenden Siege Zu-
ſchauer gebeten/ oder ihren Feind hoͤniſch gehal-
ten/ ſind meiſtentheils vom Gluͤcke/ oder ihrer
Vermeſſenheit hinters Licht gefuͤhret worden.
Es war wenig Zeit darzwiſchen/ da Democri-
tus/ welchen Qvinctius ihm den Etoliſchen
Rathſchluß/ darinnen ſie den Antiochus zu huͤlf-
fe geruffen hatten/ zu weiſen erſuchte/ ihm ver-
aͤchtlich antwortete: Er wolte ſolches ihm in
Jtalien zeigen/ wenn er dar ſein Laͤger auffge-
ſchlagen haben wuͤrde/ und da er des Qvinctius
Gefangener ward. Solonine antwortete:
Ja/ und das Mißtrauen iſt die andere Staffel
des Untergangs. Jene machet nur ſein eige-
nes Volck fahrlaͤßig/ dieſes aber gar zu Fein-
den. Hierinnen verſtieß Mancaͤus/ als er
nach erlangter Nachricht vom Verluſte der
Schlachtin der belaͤgerten Stadt Tigranocer-
ta alle in Griechenland geworbene Kriegs-
knechte entwafnete. Denn dieſe rotteten ſich
mit Pruͤgeln zuſammen/ und als Mancaͤus mit
ſeinen Armeniern auf ſie loß ging/ wickelten ſie
ihnen ſtatt der Schilde die Maͤntel um den lin-
cken Arm/ fielen ihren Feind verzweifelt an/ biß
ſie von den Waffen der Erlegten ſich wieder be-
wehrt machten/ ſich etlicher Thuͤrme an der
Stadtmauer bemaͤchtigten/ und den Roͤmern
ſelbſt hinauf/ und zu Eroberung dieſer reichen
Stadt verhalffen. Tigranes ſuchte hierauf
nichts weniger als Lucullus bey den Parthern
Huͤlffe; derer Koͤnig ſolche auch zwar beyden
heimlich verſprach/ aber keinem ſchickte/ aus
vernuͤnfftiger Erwegung/ daß der Ausſchlag
des Krieges noch ungewiß waͤre/ und ſich einer
leicht ſelbſt in das Garn verwickeln/ oder der
undanckbare Nachbar auch wol gar ſeinen
Helffer in dem Leime ſtecken laſſen koͤnte/ dar-
aus ihn das gegen ſich ſelbſt oft allzu unbarm-
hertzige Mitleiden errettet hatte. Deſſen aber
ungeachtet/ brachten die in das kleinere Arme-
nien gewichene Tigranes und Mithridates
wieder ein maͤchtiges Heer auf die Beine/ ſchlu-
gen anfaͤnglich den Fabius/ der aber durch
Freylaſſung aller Knechte ſich wieder erholete/
und den Mithridates mit einem Steine unter
dem Auge hefftig verwundete; hernach erleg-
ten ſie den Triarius aufs Haupt/ welcher des Lu-
cullus ihm zu wiſſen gemachte Ankunfft nicht
erwarten/ ſondern die Ehre des Sieges alleine
davon tragen wolte/ und alſo mit ſeiner fruhzei-
tigen Stuͤrmung des feindlichen Laͤgeꝛs vieꝛ und
zwantzig Oberſten/ hundertund funfzig Haupt-
leute/ als die Roͤmer kaum iemahls ſonſt ver-
lohren/ auf die Schlachtbanck lieferte. Weß-
wegen auch Lucullus zuruͤck gefodert/ und der
groſſe Pompejus/ der ſich gleich durch Vertil-
gung der Seeraͤuber in groſſes Anſehen geſetzt
hatte/ zu Ausfuͤhrung dieſes Krieges mit un-
verſchrenckter Gewalt gemaͤchtiget ward.
Pompejus war wideꝛ den Mithridates ſo gluͤck-
ſelig/ daß dieſer zu den Scythen und denen um
den Maͤotiſchen Pfuel wohnenden Voͤlckern
ſeine Zuflucht nehmen muſte. Nichts minder
ſchlug er den Koͤnig der Albaner Orozes/ und
der Hiberer Artocus/ ſammt denen in ihrem
Heere
[213]Arminius und Thußnelda.
Heere vermiſchten Amazonen/ und drang hier-
auf dem Tigranes und ſeiner Hauptſtadt Arta-
xata auf den Hals. Tigranes aber/ der in ſei-
nem eigenen Reiche und Hauſe ſo viel Feinde
hatte/ hielt es nicht fuͤr rathſam/ die innerlichen
Wunden mit euſerlichen zu haͤuffen/ und mit
dem Pompejus ſich in einen gefaͤhrlichen Krieg
zu vertieffen. Denn ſein aͤlteſter Sohn Bar-
zanes hatte ſich wider ihn empoͤret/ und ſein Le-
ben in einer Schlacht eingebuͤſſet. Den an-
dern aber/ Pharnaces genennt/ hatte Tigranes
auf der Jagt mit eigener Fauſt durchſtochen/
weil ſelbter ihm/ als mit dem Pferde bey Ver-
folgung eines Hirſches ſtuͤrtzenden Vater nicht
aufgeholffen/ ſondern vielmehr die vom Haupte
gefallene Krone ſeinem aufgeſetzt. Sein drit-
ter Sohn Tigranes hatte ihn zwar unter dem
ſtuͤrtzenden Pferde hervor geriſſen/ und war
deßwegen von dem Vater mit einer guͤldenen
Krone beſchenckt worden/ alleine kurtz hierauf
ward er ebenfalls meyneidig/ und/ nach verlohr-
ner Schlacht/ fluͤchtete er ſich anfangs zu dem
Parthiſchen Koͤnige Phraates/ der ſeinem Va-
ter Sintricus erſt im Reiche gefolget war; her-
nach abeꝛ auf des Partheꝛs Eingeben zum Pom-
pejus/ ungeachtet er des feindlichen Mithrida-
tes Tochter Sohn war/ fuͤhrete auch ſelbſt wi-
der ſeinen eigenen Vater ein Kriegs-Heer in
Armenien. Koͤnig Tigranes ſetzte bey ſo be-
kuͤmmertem Zuſtande ſein Vertrauen auf des
Roͤmiſchen Feldherrn beruffene Treue und
Glauben/ lieferte nicht allein Mithridatens
Geſandten/ ſondern auch ſich/ ſein Reich/ und die
Hauptſtadt Artaxata ohne Erlangung einigen
ſicheren Geleites in des groſſen Pompejus
Willkuͤhr/ legte ſeinen Purpur-Mantel ab/
und die Krone knieende zu Pompejus Fuͤſſen/
nur daß er ſeinen abtruͤnnigen Sohn bey ihm
anklagen konte/ welcher fuͤr ſeinem Vater nicht
aufſtand/ weniger gegen ihm einige Ehrerbie-
tung bezeugte/ ja auch bey dem Abendmahle/
dazu Pompejus ſeinen Vater und ihn einlud/
nicht erſcheinen wolte. Alſo iſt die Rachgier
maͤchtiger/ als die Staats-Klugheit/ und das
Buͤndniß des Gebluͤtes. Tigranes hingegen
beſchenckte den Pompejus mit 6000. Talen-
ten/ und das gantze Roͤmiſche Heer nach Stan-
des Gebuͤhr/ entſchuldigte ſeinen vorigen Krieg
mit Mithridatens naher Anverwandniß.
Pompejus nam den Tigranes mit dem Bedin-
ge/ daß er die in Syrien und Cilicien noch be-
ſatzte Plaͤtze abtrete/ fuͤr einen Freund der Roͤ-
mer an/ machte zwiſchen ihm und ſeinem Soh-
ne einen Vergleich/ kraft deſſen jener das groſ-
ſe/ dieſer das kleinere Armenien beherrſchen ſol-
te. Alleine der junge Tigranes ließ ſich etliche
meineydige Armenier verleiten/ daß er ſeiner
Stief-Mutter der Koͤnigin Aſterie mit Gifft
vergab/ und auf ſeinen Vater wegelagern ließ
um ihn zu ermorden. Alleine die Schutzgoͤt-
ter Armeniens/ welche unter keinem ſcheinba-
ren Vorwand ſolche Meuchelmoͤrde billigen/
lieſſen dieſen unmenſchlichen Sohn in ſein eige-
nes Garn fallen. Denn die zu Beſchirmung
des Koͤnigs mitgegebene Roͤmer nahmen ihn
gefangen/ und noͤthigten hierdurch ſeine Ge-
walthaber in etlichen Schloͤſſern der Sopheni-
ſchen Landſchaft/ daß ſie ſelbte/ und die darein ge-
fluͤchtete koͤniglichen Schaͤtze den Roͤmern ein-
liefern muſten. Ja weil er auch in ſolcher Be-
ſtrickung die Parther aufzuwickeln bemuͤht
war/ ſchickte er mit dem Mitellus Celer ihn in
Band und Eiſen nach Rom/ allwo er ihn nach
gehaltenem Siegs-Gepraͤnge nebſt dem Koͤni-
ge Ariſtobulus im Kercker erwuͤrgen ließ. Eine
gerechte Rache! rief Thußnelde/ wenn die Boß-
heit in das Mordbeil faͤllt/ daß ſie andern aufge-
ſtellt. Gerechteſter Jrrthum! wenn der Druy-
den oberſter Prieſter Sigabor ſelbſt durch Ver-
wechſelung der Flaſche den vergifften Wein zu
trincken bekommt/ den er andern eingeſchenckt.
Wenn die geile Apellis an ihren Gifft-Torten
den Tod eſſen muß/ die ſie fuͤr andere gebacken;
Wenn die Megarenſer/ welche das Atheniſche
D d 3Frauen-
[214]Drittes Buch
Frauenzimmer bey dem Eleuſiniſchen Feyer
zu uͤberfallen vermeinen/ dem Piſiſtratus in die
Haͤnde gerathen! Durch ſo viel Siege/ fuhr
Salonine abermahls fort/ ward der Parther
Koͤnig Phraates gezwungen beym Pompejus
um Frieden Anſuchung zu thun. Dieſer aber
hielt ſeine Geſandten verkleinerlich/ entzog
dem Phraates den Titel eines Koͤniges der Koͤ-
nige/ welchen ihm doch ſonſt der Roͤmiſche Rath
ſelbſt gab/ befahl ihm auch die Cordueniſche
Landſchafft dem Tigranes/ mit welchem er
deßhalben im Streit lebte/ abzutreten; Ehe er
aber noch hieruͤber Antwort bekam/ nahm er ſie
durch den Afranius ein. Phraates ward hier-
durch euſerſt erbittert/ fiel daher nicht allein mit
einem maͤchtigen Heere in Armenien/ ſondern
beſchwerte ſich auch durch eine Botſchafft uͤber
den vom Pompejus erlittenen Schimpf und
Unrecht. Hingegen ſuchte Tigranes verge-
bens wider die Parther Huͤlffe/ ſtatt welcher
Pompejus drey Schiedes-Richter beyde Koͤni-
ge zu vertragen abfertigte/ welche ſich denn auch
nach etlichen bald auf eine/ bald auf die andere
Seite gefallenem Treffen mit einander verein-
barten. Sintemahl Tigranes uͤber die vom
Pompejus ihm verſagte Huͤlffe/ und daß er dem
Koͤnige in Cappadocien Ariobarzanes die ſei-
nem Sohne vorher zugeſprochene Sophen-
und Gordeniſchen Laͤnder zuſchlug/ unwillig
ward/ Phraates aber den Tigranes nicht gar
zu Boden zu treten/ ſondern ihn vielmehr wi-
der die Roͤmiſche Macht mit der Zeit zu einem
Gehuͤlffen aufzuheben/ fuͤr rathſam hielt. Nach
dieſer Zeit beherſchte Tigranes Armenien in
gewuͤntſchter Ruh/ weil die Roͤmer theils mit
Buͤrgerlicher Unruh/ theils mit dem Galliſchen
Kriege beſchaͤfftiget waren/ der Parther
Schwerdter aber wurden von den Roͤmiſchen
in der Scheide gehalten/ derer Gewalt ſie noͤ-
thigte mit ihren Nachbaren in Freundſchafft
und gutem Vernehmen zu ſtehen. Endlich
ſtarb er auf der Jagt durch einen Fall/ und ließ
ſein Reich ſeinem einigen noch uͤbrigen mit des
groſſen Mithridates Tochter gezeugten Soh-
ne Artabazes/ und nebſt ihm eine ſchoͤne Fuͤrſtin
Sigambis. Jnzwiſchen ward auch Phraates
der Parther Koͤnig von den Griechen und
Scythen erſchlagen/ ingleichen nach ihm Arta-
ban von Tochariſchen Scythen im Arme ver-
wundet/ daß er davon ſtarb. Nach dieſem wol-
te ſich zwar Pacorus eindringen/ alleine ihn uͤ-
berwog Mithridates in Parthen/ welcher alle
ſeine Vorfahren an Großmuͤthigkeit uͤbertraff/
viel Laͤnder ſeinem Reiche anhing/ und inſon-
derheit an den Scythen das Blut ſeiner Vor-
Eltern durch unterſchiedene Siege raͤchete.
Dieſer Mithridates zerriß aus Regierſucht
endlich auch das beyden Reichen ſo vortraͤgliche
Buͤndniß mit dem Artabazes/ fiel ſelbtem in Ar-
menien/ und wuͤtete mit Feuer und Schwerdt
als ein Unmenſch/ ſchonete wedeꝛ der unbewehr-
ten Weiber/ noch der Kinder im Mutterleibe.
Es uͤberfiel ihn aber Artabazes mit einem flie-
genden Heere/ als er mit der Helffte ſeines Vol-
ckes uͤber dem Araxes geſetzt hatte/ hieb ſelbtes in
ſtuͤcken/ und zwang ihn/ daß er mit der andern
Helffte nach Aufopfferung vielen edlen Blutes
ſich in Hircanien zuruͤck ziehen muſte.
Dieſer ungluͤckliche Zug/ und die in Arme-
nien veruͤbte Grauſamkeit machte ihn ſeinem
ſelbſt eigenen Volcke ſo verhaſt/ daß der Par-
thiſche Reichs-Rath ihn als einen des Reichs un-
wuͤrdigen Wuͤterich ab/ und ſeinen Bruder O-
rodes auf den Thron ſetzte. Der fluͤchtige Mi-
thridates kam zu dem vom Pompejus in Sy-
rien eingeſetzten Roͤmiſchen Landvogte Gabi-
nius/ und bemuͤhete ſich ihn wider die Parther
aufzuhetzen. Alleine das Gold des aus Egy-
pten vertriebenen Ptolomaͤus uͤberwog die
Noth und Beredſamkeit Mithridatens/ alſo/
daß der Landvogtden Parther huͤlffloß ließ/ den
Ptolomaͤus aber ohne Vorbewuſt des Roͤmi-
ſchen Raths/ und wider die Verwarnigung der
Sibylliſchen Weiſſagung in Alexandrien wie-
der
[215]Arminius und Thußnelda.
der einſetzte. Jſmene fing hier an: der gute
Parthe hat gemeint/ das Gold ſey im Kriege
zu nichts/ als zu Beſchlagung der Schwerdter
und zu Stuͤckung der Fahnen nuͤtze/ da doch diß
mehr Feinde ſchlaͤgt/ als der Stahl/ und Mau-
ren zermalmet/ welche kein eiſerner Bock er-
ſchellen kan/ ja auch den ſonſt in den menſchli-
chen Gemuͤthern ſo kraͤfftigen Aberglauben
wegſticht. Salonine fuhr fort: der hierzu
freylich nicht genungſam verſchmitzte Mithri-
dates meinte bey den Babyloniern Huͤlffe zu
finden/ welche Stadt ihn zwar aufnahm/ aber
vom Orodes lange belaͤgert/ Mithridates auch
durch Hunger gezwungen ward ſich in des
Brudern Gewalt zu ergeben. Alleine der
Dampf der Herrſchensſucht hatte die Augen
des Orodes ſo verduͤſtert/ daß er ihn zwar wol fuͤr
ſeinen Feind/ aber nicht mehr fuͤr ſeinen Bru-
der anſah/ und daher ließ er ihn in ſeinem An-
geſichte ermorden. Alſo kennen die Men-
ſchen/ welche das Gluͤck an den Gipffel der Eh-
ren erhoben/ auch ihr eigenes Blut nicht. Ja
da das ausdampffende Blut eines frembden
Feindes wie Roſen/ eines ermordeten Buͤr-
gers wie Weyrauch reucht/ ſo uͤbertrifft das
Bruder- und Kinder-Blut den ſuͤſſen Geruch
des edelſten Balſams. Jmmittelſt ward
Marcus Craſſus zum Roͤmiſchen Stadthal-
ter in Syrien beſtellt/ deſſen Reichthum ihm
einen unleſchlichen Durſt nach dem Parthi-
ſchen Golde erweckte/ ſeine Vermeſſenheit
aber hatte in Gedancken ſchon die Jndianer
und Bactrianer verſchlungen. Artabazes/
welcher das von den Parthern erlittene Un-
recht zu raͤchen verlangte/ nahm dieſer Gele-
genheit wahr/ und verhetzte durch ſeine zu Rom
habende Botſchafft den Craſſus mit vielen Ver-
ſprechungen wider dieſes Volck/ welches allei-
ne die Roͤmiſche Hoheit veraͤchtlich hielt. Und
Julius Caͤſar wuſte in ſeinen Schreiben/ und
durch den jungen von ihm reichlich beſchenck-
ten/ und mit tauſend Reutern abgefertigten
Craſſus ſein Fuͤrnehmen nicht genungſam
heraus zu ſtreichen/ nur daß er mit Gallien
den Kern des Roͤmiſchen Kriegs-Volcks in ſei-
ner Gewalt behielt. Atejus der Roͤmiſche
Zunfftmeiſter muͤhte ſich zwar euſerſt durch
Widerſetzung des Poͤfels/ und allerhand aber-
glaͤubiſche Opffer ihn von dieſem Zuge zuruͤck
zu halten/ gab auch ſelbten mit vielen Fluͤchen
den hoͤlliſchen Rach-Goͤttern; zu Hierapolis
fiel er und ſein Sohn uͤber die Schwelle deß
der Mutter alles Geſaͤmes zu Ehren gebauten
Tempels/ die Warſager und Prieſter deute-
ten ihm allerhand Unheil an/ der erſte Roͤmi-
ſche Adler kehrte ſich im fortziehen uͤber den
Phrat bey der Stadt Zeugma zuruͤcke/ ja
Donner und Sturmwinde muͤhten ſich die
Roͤmer zuruͤck zu halten. Alleine der vom
Verhaͤngniſſe herruͤhrende Untergang iſt un-
entrinnlich/ ja wenn es iemands Gluͤcke um-
drehen will/ verwirret es auch ſeinen Verſtand
und Rathſchlaͤge. Dahero hatte Craſſus zu
allen Wunderzeichen nicht allein blinde Augen
und taube Ohren/ wie er denn auch des Orodes
Geſandten Vagiſes nicht einſt zu hoͤren wuͤr-
digte/ und ihn mit dieſer ſpoͤttiſchen Antwort:
daß er ſein Anbringen in der Stadt Seleucia
vernehmen wolte/ abfertigte/ ſondern er ver-
ſaͤumte alle Sorge eines fuͤrſichtigen Feld-
herrns/ in dem er in Syrien mehr einen Schatz-
meiſter abgab/ und viel Tage im Tempel zu Hie-
rapolis mit Abwaͤgung des dahin gewiedmeten
Geldes zubrachte/ und aller/ in ſonderheit aber
des Armeniſchen Koͤniges guten Rath aus der
Acht ſchlug. Dieſer kam mit 6000. Armeni-
ſchen Rittern in das Roͤmiſche Lager/ erſuchte
den Craſſus/ daß er durch ſein ſicheres/ und mit
genungſamen Vorrath verſehenes Land in Par-
then einbrechen moͤchte/ allwo er 10000. ge-
harniſchte Reuter/ und 30000. Fußknechte in
Beꝛeitſchaft ſtehen haͤtte/ welche mit den Roͤmeꝛn
nicht uͤber die ſaͤndichten Flaͤchen/ da der Parthi-
ſche Reiterey kein Feind gewachſen waͤꝛe/ ſondeꝛn
durch
[216]Drittes Buch
durch eitel bergichte Landſtriche einbrechen ſol-
ten. Allein Craſſus blieb auf ſeinem Kopffe
durch Meſopotamien zu ziehen/ weil ihn das be-
truͤgliche Gluͤcke anfangs anlachte/ und er Ni-
cephorium einnam/ Zenodotia einaͤſcherte/ den
Meſopotamiſchen Unter-Koͤnig Talymenus
Jlaces aus dem Felde ſchlug/ alſo/ daß Artaba-
zes mit Unwillen nach Hauſe zog/ beſonders da
Craſſus auch nicht in Meſopotamien uͤberwin-
terte/ ſondern in das luſtige Syrien zuruͤcke zog.
Wiewol Cajus Caßius auch nur auf dieſen Fall
ſich der den Parthen ſtets gehaͤßigen Staͤdte
Babylon und Seleucia zu bemaͤchtigen/ und
an den Fluß Tygris/ welcher eine Schußweh-
re und reiche Zufuhre abgeben/ und ſo denn zu
der Parthiſchen Hauptſtadt Cteſiphon den
Weg unſchwer oͤfnen koͤnte/ ſich zu halten ein-
rieth/ folgte doch Craſſus dem Arabiſchen Fuͤr-
ſten Agbarus/ welcher ſich zu dem Craſſus/ um
nur die Roͤmer ins Garn zu fuͤhren/ geſchlagen
hatte. Dieſer machte von ſeiner Treue gegen
die Roͤmer/ und der mit dem Pompejus aufge-
richteten Freundſchafft viel Worte/ fluchte auf
ſeinen Nachbar den abtruͤnnigen Araber Al-
hauden/ vernichtete hingegen den Koͤnig Oro-
des/ welcher bereit ſich in Scythien und Hirca-
nien gefluͤchtet/ ja die beſten Sachen im Stiche
gelaſſen haͤtte. Der verzweifelte Wagehals
Sillaces und der weibiſche Surena waͤren nur
noch in Parthen/ nicht/ daß ſie das Hertz haͤtten
fuͤr den Roͤmern zu ſtehen/ ſondern allein den
Ruͤcken der Fluͤchtigen zu bedecken. Dahero/
wolte Craſſus noch einen Feind finden/ den er
uͤberwinden koͤnte/ muͤſte er keinen Augenblick
verſaͤumen/ und keinen Umweg ſuchen. Dieſe
Verraͤtherey konte Craſſus mit den Haͤnden
greiffen. Denn Agbarus fuͤhrte das Roͤmi-
ſche Heer in ein rechtes Sand-Meer Aßyriens/
wo weder Laub/ noch Graß/ noch Waſſer zu ſe-
hen war/ weßwegen ihm auch die verſchmach-
tenden Roͤmer nicht nur als einem Betruͤger/
ſondern auch/ der den Craſſus durch Zauberey
aller Vernunfft beraubet haͤtte/ alle boͤſe Fluͤ-
che auf den Hals wuͤntſchten. Artabazes mach-
te auch dem Craſſus zu wiſſen/ daß Orodes ſelbſt
in Armenien mit einer groſſen Macht/ der er
nicht gewachſen ſey/ eingefallen waͤre/ daher
koͤnte er keine Huͤlffe ſchicken/ ſondern erwarte-
te ſelbter von Roͤmern/ zumahl der fuͤrtreffliche
Held Surena/ deſſen fuͤrnehmes Geſchlechte
alleine die Parthiſchen Koͤnige zu kroͤnen be-
rechtigt waͤre/ der den Orodes aus dem Elen-
de auf den Koͤniglichen Stuhl erhoben/ und
Seleucien mit ſeiner Tapfferkeit erobert hat-
te/ mit zehn tauſend der ſchnelleſten Reuter in
der Sandflaͤche auf die Roͤmer lauerte. Craſ-
ſus aber blieb hartnaͤckicht auf ſeinem verderb-
lichen Fuͤrſatze/ wuͤrdigte den Artabazes kei-
ner Antwort/ ja draͤuete ihm noch/ daß er ihn
im Ruͤckwege zu verdienter Straffe ziehen
wolte. Agbarus/ als er nun die Roͤmer im
Garne zu ſeyn meinte/ entritt bey erſehender
Gelegenheit zu den Parthen/ worauf die Roͤ-
mer ein mehr als natuͤrliches Schrecken uͤber-
fiel/ da ſie doch noch den erſten Feind erblicken
ſolten. Ja Craſſus ward ſo kleinmuͤthig/
daß er dem Caßius mit Genehmhabung des
Heeres die Feldhauptmannſchafft abzutreten
antrug/ ſo er aber anzunehmen weigerte.
Die Koͤnigin brach hierbey Saloninen ein:
Diß iſt ſicher ein gewiſſes Kennzeichen/ daß
des Craſſus Fehler nicht ſo wohl von ſeiner
Unvernunfft/ als von einem goͤttlichen Trie-
be hergeruͤhret haben. Denn in Warheit/ es
halſet ſich offt der menſchlichen Klugheit ein
verborgener Jrrthum mit Gewalt auf/ dre-
het unſere feſtgeſetzten Rathſchlaͤge wie Wuͤrf-
fel herum/ lachet unſerer Weißheit/ ruͤhret
die Zufaͤlle wie die Zettel in einem Gluͤcks-
Topfe durcheinander/ und zeucht endlich ei-
nen ſolchen Ausſchlag ans Licht/ darauf un-
ſer Wille nie ein Abſehen gehabt/ noch un-
ſer Witz ihm haͤtte traͤumen laſſen. Ja/
wenn das Verhaͤngniß die Koͤnigin und
Schie-
[217]Arminius und Thußnelda.
und Schiedes-Richterin aller Dinge uns nicht
nur ins Verderben/ ſondern auch in Verflu-
chung der Lebenden/ und in Schande bey der
Nachwelt bringen will; ſo laͤſt es den Allerkluͤg-
ſten in hoͤchſte Thorheit verſincken/ und bildet
ihm albere Sachen fuͤr heilſame Entſchluͤſſun-
gen vor/ derer ſich auch Kinder zu ſchaͤmen ha-
ben. Salomine verjahete es/ und fing an: da
die Goͤtter iemahls einen Menſchen von ſeiner
Vernunfft kommen laſſen/ iſt es gewiß dem
Craſſus geſchehen. Denn da gleich ſein Heer
mit genauer Noth den Strom Baliſſus erreich-
te; ließ er doch wieder aller Oberſten Meinung
es nicht einmahl verblaſen/ weniger die Beſchaf-
fenheit des Feindes ausſpuͤren/ ſondern uͤ-
bertrieb ſie gleichſam ohne Athem-holen ſo lan-
ge/ biß ſie auff allen Seiten von der Parthi-
ſchen Reiterey/ welche ihre aus Margianiſchem
Stahl gemachte/ und wie Feuer ſchimmernde
Waffen in der Ferne mit leichten Roͤcken ver-
deckt hatten/ itzt aber wegwarffen/ uͤberfallen
wurden. Dieſe hielten den ſchweren Roͤmi-
ſchen Kriegsknechten gar nicht ſtand/ ſondern er-
regten mit ihrem Rennen einen dicken Staub/
wormit der Wind den Sand den Roͤmern ins
Geſichte jagte. Alsdenn fielen die Parther
erſt an/ und ſo bald ſich ihr Feind gegen ſie ſetzte/
dreheten ſie ihnen zwar die Ferſen/ thaͤten aber
in der Flucht mit denen ruͤckwarts geſchoſſe-
nen Pfeilen/ wormit ſie eine gantze Herde Ca-
mele bebuͤrdet hatten/ den aͤrgſten Schaden.
Durch dieſe angenommene Flucht verleiteten
ſie den jungen Craſſus/ daß er mit der Roͤmi-
ſchen Reuterey und Publius mit einer Legion
Fußvolck die Parther allzuweit verfolgte/ wel-
che alsdenn ſie von dem gantzen Heere abſchnitt.
Der junge Publius Craſſus ward gezwungen
einen Sandhuͤgel einzunehmen/ und rings um
ſich her die Schilde fuͤrzuſetzen; aber dieſe Hoͤhe/
auff welcher die zuruͤck und empor ſtehenden von
den Pfeilen ſo viel leichter verwundet werden
konten/ gereichte den Roͤmern ſelbſt zum Ver-
derben. Publius und Cenſorinus/ weil ſie mit
durchſchoſſener Hand ſich nicht mehr wehren
kunten/ auch nach zweyer Griechen des Hiero-
nymus und Nicomachus Rathgeben ſich nach
der Stadt Jchne nicht fluͤchten wolten/ lieſſen
ſich ihre eigene Waffentraͤger durchſtoſſen/ Me-
gabachus trieb ihm ſelbſt das Schwerdt durch
die Bruſt/ die uͤbrigen wurden von den grimmi-
gen Parthen zerfleiſchet/ und mehr nicht als
fuͤnff hundert Gefangene auffgehalten. Unter-
deſſen aber hielt ſich Sigimer ein junger Fuͤrſt
mit ſeinen tauſend halb nackend-fechtenden Gal-
ern uͤberaus tapffer/ ſie rennten bald mit ihren
Lantzen die Feinde von Pferden/ bald ſprangen
ſie ſelbſt herunter/ und hieben den Parthiſchen
Pferden die Seenen entzwey/ daß alſo Mann
und Pferd ſtuͤrtzen muſte. Sigimer verwun-
dete ſelbſt den Sillaces in Arm/ und brach durch
drey geſchloſſene Hauffen der gewaffneten Par-
ther/ ließ auch den Craſſus wiſſen: daß ſein
Sohn in euſſerſter Gefahr/ er mit ſeiner Reu-
terey in dem hitzigſten Gefechte gegen der hal-
ben feindlichen Macht/ ſie aber ingeſamt ver-
lohren waͤren/ da er ihnen nicht ſchleunigſt zu
Huͤlffe kaͤme. Endlich aber wurden die Gal-
lier nicht ſo wohl durch die Menge der Feinde/
als durch ungewohnten Durſt und unleidliche
Sonnenhitze uͤberwunden/ und/ weil ſie fuͤr
Mattigkeit kaum mehr die Glieder bewegen
konten/ nieder gehauen. Der unvergleichliche
Sigimer/ welchen Surena wegen ſo groſſer
Tapfferkeit zu toͤdten verbot/ ward nach erleg-
tem Pferde lebendig gefangen. Dieſer Fuͤrſt
machte ſich bey den Parthen ſo beliebt/ und ge-
wann des Surena Zuneigung ſo weit/ daß er
ihm ſeine wunderwuͤrdige Tochter verheyrathe-
te. Jſmene konte ſich hieruͤber des Lachens
nicht enthalten/ und nachdem die Koͤnigin ſie be-
ſchwur die Urſache nicht zu verſchweigen/ be-
kannte ſie/ daß dieſer Sigimer/ des Feldherrn
Herrmanns und ihr eigener Vater/ und Su-
renens Tochter beyder Mutter/ die ſo genenn-
Erſter Theil. E eten
[218]Drittes Buch
ten tauſend Gallier alle Deutſche geweſt waͤren/
welche die Roͤmiſchen Geſchichtſchreiber insge-
mein Gallier nennten/ wenn ſie nur auff der
Weſt-Seite des Rheines gewohnet. Dieſer
Jrrthum habe den Deutſchen den Ruhm man-
cher Heldenthaten entzogen/ und fremden Voͤl-
ckern zugeeignet. Alſo ſey der Nachruhm nicht
allezeit eine Tochter der Tugend/ ſondern ein
Weckſelbalg/ den das Gluͤck einer fremden
Mutter einſchiebt. Uberdiß haͤtten die Roͤ-
mer der Deutſchen Großmuͤthigkeit nichts
minder/ als der fremden Voͤlcker Sprachen
und Schrifften/ darinnen der Sachen wahrer
Verlauff auffgezeichnet geweſt/ verdruͤckt/ ſo
viel ſie gekoͤnnt/ um ihren Siegen deſto groͤſſe-
res Anſehen zu machen. Denn ob wohl Ju-
lius Caͤſar nicht verſchweigen koͤnnen/ daß die
Deutſchen ihm die beruͤhmte Schlacht gegen dẽ
Vercingetorich bey den Seqvanern gewonnen/
daß ſie bey Belaͤgerung der Berg-Feſtung A-
leſia einmahl die ſchon zertrennten Roͤmer wie-
der zum ſtehen bracht/ das andere mahl dem
Feind aus dem Felde geſchlagen/ daß Cani-
nius ihnen den Sieg wider den Fuͤrſten Dra-
xes/ den ſie auch ſelbſt gefangen bekommen/ zu
dancken gehabt/ daß ſie in Caͤſars Alexandrini-
ſchem Kriege das beſte gethan/ und uͤber den be-
ſetzten Nil gedrungen/ ſo iſt doch diß alles nicht
das hunderſte Theil ihrer Verdienſte.
Die kluge Salonine antwortete; die Tu-
gend iſt ihr ſelbſt Preißes genug/ und darff nicht
nach dem irrigen oder vergaͤnglichen Nachruh-
me laͤchſen. Ein gutes Urthel kan den Koth kei-
nes Laſters verguͤlden/ und ein boͤſes ſo wenig als
die Vergeſſenheit die Tugend haͤßlich/ oder zu
nichts machen. Weßwegen die/ welche mit ſtand-
hafftem Vorſatze auf der Bahn der Tugend
wandeln/ ſo wenig ſich die uͤblen Auslegungen
des Poͤfels/ als die Reiſenden im Sommer ſich
das Schwirren der Heuſchrecken muͤſſen irre
machen/ noch eines andern unverdienten Ruhm
auff Abwege leiten laſſen. Alſo erwarb Fabi-
us einen unſterblichen Ruhm/ weil er die Ver-
laͤumdung der hitzigen Koͤpffe ſeiner Langſam-
keit halber verachtete/ und lieber ſein Vater-
land erhalten/ bey ſeinen klugen Feinden im
Anſehen ſeyn/ als von naͤrriſchen Leuten gelobt
ſeyn wolte. Ungeachtet auch der Nachruhm fuͤr
ein Beſitzthum der Todten geprieſen wird/ ſo be-
ſtehet doch dieſer bloß in der Einbildung der ei-
telen Erben/ und die alleine in dem Gedaͤchtniſſe
ſchwermende Unſterbligkeit iſt ein bloſſes Ge-
ſpenſte des Gehirns/ und ein Jrrlicht der Ehr-
ſucht. Ja der Ruhm iſt nicht ſelten ein offen-
barer Feind der Tugend/ und eine Buhlerin
der Unwarheit/ indem das gegenwaͤrtige Lob-
wuͤrdige meiſt von dem Neide gedruͤckt/ die Ge-
dichte der Vorwelt aber als Wunderwercke in
hohen Ehren gehalten werden/ nach dem es uns
insgemein fuͤrkommt/ als wenn jener Licht un-
ſern Ruhm verduͤſtere/ dieſes uns aber den Weg
zu der Tugend wieſe. Aber die verſchwinden-
de Zeit heiſt mich wieder zum Craſſus kehren/
welchem die Parther ſeines Sohnes an eine
Lantze geſpißten Kopff mit dieſer hoͤniſchen Fra-
ge zu ſchauen brachten: Was dieſer tapffere
Juͤngling fuͤr Eltern habe? Denn ſeine bezeugte
Tugend lieſſe ſie nicht glauben/ daß der weibiſche
Craſſus ſein Vater waͤre. Gleichwohl aber
wolten ſie die Roͤmer ſelbigen Tag nicht gar auf-
reiben/ ſondern dem Feldherꝛn eine Nacht ſeinen
Sohn zu betrauren verguͤnſtigen. Hiermit wi-
chen ſie nach etlichen Scharmuͤtzeln bey anbre-
chender Nacht etwas von den Roͤmern ab; Craſ-
ſus aber ſahe ſeinem Elende kein Ende/ gerieth in
euſſerſte Verzweiffelung/ verhuͤllte ſein Haupt/
und verſcharrte ſich in Staub. Octavius und
Caſſius riethen ihm daher das Heer des Nachts
zuruͤck zu ziehen. Alleine der Jam̃er ward im̃er
groͤſſer/ Egnatius fluͤchtete ſich mit den beritten-
ſten dreyhundert Reutern nach Carras/ ent-
bloͤſſete das Fußvolck/ und ließ ſeinen Feldherrn
ſchimpflich im Stiche. Verguntejus kam mit
vier Fahnen aus dem Wege/ und ward biß auff
zwan-
[219]Arminius und Thußnelda.
zwantzig tapffere Catten/ die ſich biß nach Car-
ras durchſchlugen/ niedergeſebelt. Jm verlaſſe-
nen Lager blieben vier tauſend ſchwache zuruͤck/
und worden wie Kaͤlber abgeſchlachtet. Das
Heer erreichte zwar auch Carras/ allein durch
des Andromachus Verraͤtherey/ und einem vom
Surena mit den Roͤmern zum Schein ge-
machten Frieden/ und gepflogener Unterꝛedung/
fiel es erſt in die Falle/ ſintemal die Parther/ nach
dem ſie ihren Feind ſicher gemacht/ und ihm
Craſſus im Nahmen ihres Koͤnigs mit einem
koͤſtlich auffgeputzten Pferde beſchenckt hatten/
ſie uͤberfielen. Octavius ſtieß zwar den/ der
ihm zum erſten in Zuͤgel fiel/ todt/ ward aber
ruͤckwerts/ und nach ihm Petronius/ durchſto-
chen. Maxarthes hieb dem Craſſus mit ſeinem
Sebel den Kopff und die rechte Hand ab. Die
Kriegsknechte kamen von dem verfolgenden
Feinde faſt alle um/ oder wurden von den
Arabern in ihre Einoͤden verſchleppet/ alſo/
daß von hundert tauſend kaum zehen tauſend
in Armenien/ Cilicien und Syrien entrannen/
welche von dieſer grauſamen Niederlage die
Botſchaft zu bringen kaum genug waren. Woꝛ-
unter auch Caßius war/ der hernach den Juli-
us Caͤſar erſtach. Surena hingegen hielt zu
Seleucia ein herrliches Siegs-Gepraͤnge/ ie-
der Parthe hatte auff ſeinem Sebel einen Fein-
des-Kopff angeſpißt/ ein dem Craſſus aͤhnlicher
Gefangener ward in Koͤniglicher Tracht zum
Schauſpiele gefuͤhret/ welchem eine Menge
fuͤrreitender Huren ſeine Zagheit in ſchimffli-
lichen Liedern fuͤrruͤckten. Unterdeſſen gieng
es in Armenien zwiſchen dem Koͤnige Oro-
des und Artabazes ſcharff her/ und das Gluͤ-
cke hielt ihre Siege faſt in gleicher Wagſchale.
So trug ſich auch dieſer ſeltzame Zufall zu/ daß
Artabazes den Pacor Orodens Sohn in ei-
nem Treffen/ Orodes aber Artabazens Schwe-
ſter/ die ſchoͤne Sigambis/ in einem Berg-
Schloſſe gefangen bekam. Als dieſe zwey groſſe
Gefangenen nun an dem Fluſſe auff einer Jnſel
gegen einander ausgewechſelt wurden/ ward
Pacorus im erſten Augenblicke von Liebe der-
geſtalt entzuͤndet/ daß er alſofort ſeinem Vater
zu Fuße fiel/ und ihn um ihre Vermaͤhlung an-
flehete. Artabazes kriegte gleich die Poſt von
des Craſſus Untergange/ ſahe alſo die gantze
Parthiſche Macht ihm auff den Hals dringen/
dahero hielt er es nicht fuͤr thulich dieſe Gelegen-
heit aus den Haͤnden zu laſſen/ ſo wohl einen an-
ſtaͤndigen Frieden zu ſtifften/ als das maͤchtige
Haus der Arſacer mit ſeinem ſo feſte zu verknuͤp-
fen. Die Heyrath und Buͤndniß ward noch
ſelbigen Tag geſchloſſen/ und das Beylager
mit hoͤchſter Pracht und allen erſinnlichen Er-
getzligkeiten vollzogen. Der gelehrte Fuͤrſt
Artabazes gab ſelbſt durch unterſchiedene Ge-
dichte ſeine Vergnuͤgung an Tag/ in derer
einem das gluͤckwuͤnſchende Armenien einge-
fuͤhrt ward/ daraus ich alleine den Schluß er-
zehlen wil:
Als nun beyde Koͤnige mit den Verlobten
gleich Taffel hielten/ brachte Sillaces des Craſ-
ſus Haupt in das Zimmer/ und warff es dem
E e 2Ora-
[220]Drittes Buch
Orodes zu Fuͤſſen. Die Parthen aber hoben
ſelbtes mit groſſem Getuͤmmel empor/ und Sil-
laces ward als ein angenehmer Sieges-Bote
mit an den Koͤniglichen Tiſch geſetzt. Nach
dieſem ergriff Jaſon Trallianus/ welcher gleich
das Griechiſche Gedichte vom Pentheus/ wie
er von ſeiner Mutter Agarcen/ und der Schwe-
ſter zerriſſen ward/ aus dem Euripides fuͤrſtel-
lete/ des Craſſus Kopff mit den Haaren/ lieff in
Geſtalt des wuͤtenden Pentheus darmit auff
und nieder/ und ſang darzu:
Als nun in der Ordnung des Reyhens ei-
ner zu ſingen kam:
ſprang Maxarthes von der Taffel auff/ und riß
das blutige Haupt dem Jaſon aus der Fauſt/
legte es auff eine guͤldene Schuͤſſel/ und uͤber-
reichte es als ein Zeichen ſeiner Tapfferkeit
dem Orodes. Dieſer beſchenckte nicht allein
den Maxarthes/ ſondern auch den Jaſon mit
einem Talent/ und niemand war/ der nicht mit
dieſem abſcheulichen Schau-Gerichte ſein Ge-
ſpoͤtte trieb; endlich goß Orodes zerſchmeltztes
Gold dem Craſſus in Mund/ fuͤr gebende/ daß
doch ſein Golddurſt ſchwerlich mit ſeinem Leben
wuͤrde verloſchen ſeyn. Seine Hand ward auch
durch alle Parthiſche Staͤdte geſchleppet/ und
allen entgegen kommenden fuͤrgehalten/ um die-
ſem unerſaͤttlichen Gliede etwas zu ſchencken.
Nach dieſem ergab ſich alles/ was zwiſchen dem
Phrat und Tiger lag/ den Parthen/ und dieſe
fielen unter dem Oſaces mit einem fliegenden
Heere in Syrien ein/ wurden aber vom Caſ-
ſius leichte zuruͤcke getrieben. Alleine es folgte
Fuͤrſt Pacor alsbald mit einem maͤchtigern Laͤ-
ger/ welchem ſich biß an Antiochien alles ergab/
theils weil die Roͤmer wenig Volcks in Syri-
en hatten/ theils weil die Syrer mehr den Par-
then als Roͤmern geneigt waren. Dieſe groſſen
Siege jagten ſeinem Vater/ der ohnediß wegen
ſeiner Grauſamkeit verhaſt war/ Schrecken und
Argwohn ein/ daß er durch Huͤlffe ſeines ſie-
genden Heeres ihn vom Throne verdringen
moͤchte; verurſachte alſo/ daß ihn Orodes zu-
ruͤck forderte. Alſo iſt das Laſter/ das einen
zum Knechte macht/ nicht ſo verdaͤchtig/ als die
zu herrſchen wuͤrdige Tugend. Und ein guter
Ruhm iſt gefaͤhrlicher/ als eine boͤſe Nachrede.
Der Koͤnig in Aſſyrien Balthaſar ließ einen jun-
gen Edelmann entmannen/ weil eine ſeiner
Kebsweiber nuꝛ ſeine Geſtalt geruͤhmet/ und die/
welche ihn heyrathen wuͤrde/ gluͤckſelig geprie-
ſen hatte. Den Sohn des Gobrias durchſtach
er mit einem Spieſſe/ weil dieſer auff der Jagt
einen Loͤwen getroffen/ er aber gefehlt hatte.
Die Herrſchafft aber iſt auch ſo gar gegen ei-
gene Kinder eyverſuͤchtig. Gegen dieſe mehr/
als gegen fremde/ fing Jſmene an/ weil ſie zu
ſelbter mehr Anſpruch haben. Daher in Gal-
lien ein gewiſſer Fuͤrſt aus Argwohn/ daß ſein
erwachſener Sohn ihm mit Gifft nachſtellte/ er-
hungerte/ ein ander Vater in Hiſpanien ſeinem
Sohne das Licht ausleſchte. Salonine fuhr
fort: Orodes machte unter Soͤhnen und Die-
nern keinen Unterſcheid/ denn er ließ den wegen
des groſſen Sieges in allzu groſſes Anſehen ge-
kommenen Surena gar hinrichten/ daß dero-
geſtalt tapffere Helden ſich mehr ihrer groſſen
Verdienſte/ als unwuͤrdige Diener ſich ihrer
Gebrechen halber fuͤrzuſehen haben. Sinte-
mal Fuͤrſten leichter aus Veraͤchtligkeit dieſer
Fehler verzeihen/ als jener Dienſte vergelten/
nachdem es ihnen beſchwerlicher iſt Schulde-
ner/ als Glaͤubiger zu ſeyn. Pacor aber zohe
fuͤr Unmuth und aus Furcht gleichen Un-
dancks mit ſeiner Gemahlin zum Artabazes/
und ſtreuete daſelbſt allerhand Samen zu
neuer Unruhe wider die Parthen. Alſo iſt
ein unzeitiges Mißtrauen ein Urſprung der
Untreu/ und die Empoͤrung ein verdienter
Lohn der uͤbel verhaltenen Tugend. Oſaces
belaͤ-
[221]Arminius und Thußnelda.
belaͤgerte inzwiſchen Antiochien/ Caßius aber
trieb ihn nicht mit geꝛingem Veꝛluſt ab/ und nach
dem er hierauff Antigonien zuſetzte/ ſchnitt ihm
Caſſius und Ventidius durch taͤgliche Schar-
muͤtzel die Lebens mittel ab. Als nun der Hun-
ger ihn Antigonien zu verlaſſen zwang/ verſteck-
te Caſſius theils hinter Berge/ theils im Ge-
puͤſche/ wodurch Oſaces abziehen muſte/ ſeine
Voͤlcker; griff ihn hierauff an der Spitze an/
und als beyde Heere im hitzigſten Gefechte wa-
ren/ ftelen die verſteckten den Parthen in Ruͤ-
cken/ erlegten ſie auffs Haupt/ ja Caſſius ſelbſt
den Oſaces. Dieſer Verluſt erhielt etliche
Jahr auff der Parthen Seite den Friede/ den
Buͤrgerlichen Krieg aber zwiſchen dem Juli-
us und Pompejus auff Seiten der Roͤmer.
Weil auch nach des Oſaces Niederlage Pa-
cor wieder in Parthen beruffen/ und ihm die
Kriegs-Macht anvertrauet ward/ blieb Arta-
bazes und Armenien ebenfalls ruhig. End-
lich wurden doch auch die Parthen vom Pom-
pejus in den Roͤmiſchen Buͤrger-Krieg gefloch-
ten/ weil dieſer bey ihnen beliebt/ des Julius
Gluͤcke aber fuͤr gefaͤhrlich geachtet ward. Als
auch ſchon Caͤſar und Pompejus todt war/ ſchick-
ten ſie wider den Antonius und Auguſtus
Huͤlffs-Voͤlcker; ja Pacor brach mit einer
groſſen Macht in Syrien/ machte mit des
Caſſius und Brutus Geſandten Labienus ein
Buͤndnuͤß/ ſtreiffte biß nach Alexandrien/ und
nahm Apamea/ Mylaſſa/ Alabanda/ ja Cili-
cien und vom Phrat biß in Jonien alle Staͤdte
ein/ welche meiſt mit des Brutus Gefangenen/
und alſo den andern Roͤmern ſelbſt abgeneigten
Kriegs-Leuten beſetzt waren/ ſchlug den Feld-
Hauptmann Saxa in zweyen Schlachten/
und in Cilicien ihn ſelbſt todt/ ſetzte den Koͤnig
der Juden Hircanus ab/ und ſeinen Bruder
Ariſtobulus an ſeine Stelle/ belaͤgerte Ty-
rus und Stratonicea/ alſo daß Antonius/
weil ihn ſelbſt dahin zu ziehen Fulvia zuruͤck
hielt/ den Ventidius wider die Parthen ſchi-
cken muſte. Dieſer kam den Labienus in Ci-
licien uͤber den Hals/ ehe er von ihm die ge-
ringſte Nachricht erhielt; doch ſtanden ſie mit
ihren Laͤgern nur gegen einander. Denn Ven-
tidius erwartete die Legionen/ Labienus die
Parthen. Dieſe aber vereinbarten ſich bey
ihrer Ankunfft nicht mit ihm/ ſondern grif-
fen auff einem Berge die mit Fleiß ſtill lie-
genden Roͤmer an/ wurden aber von ihrer ge-
drungenen Macht uͤber Hals und Kopff her-
unter geſtuͤrtzet. Labienus muſte hierauff we-
gen ſeines Volckes Zagheit des Nachts die
Flucht ergreiffen/ und ſich verkleidet in Cili-
cien verſtecken. Demetrius aber/ ein Kaͤyſer-
licher Freygelaſſener/ und des Antonius Stadt-
halter in Cypern/ ſpuͤrte ihn aus/ und toͤdte-
te ihn. Hierauff ſchickte Ventidius den U-
pedius Silo mit der Reuterey gegen Syrien
voran/ Pharnabates aber hatte die Enge deß
Amaniſchen Gebuͤrges eingenommen/ brach-
te den Silo ins Gedraͤnge/ und es war na-
he mit ihm geſchehen/ als Ventidius ohnge-
fehr zum Treffen kam/ und den Pharnaba-
tes erlegte. Hiermit ſiel gantz Syrien wie-
der in die Hand des Siegers Antiochus in
Paleſtina/ und Malchus der Nabatheer Koͤ-
nig/ die den Parthern Huͤlffe geſchickt hat-
ten/ wurden um groſſes Geld geſtrafft. Die
Phoͤniciſche Stadt Aradus alleine ſetzte ſich zu
verzweiffelter Gegenwehr. Pacor aber brach-
te bald wieder ein neues Heer auff; Hinge-
gen pflegte Ventidius mit dem auff der Par-
ther Seite hangenden Chauneus/ einem Sy-
riſchen Fuͤrſten groſſe Vertrauligkeit/ hielt
mit ihm unterſchiedene Rathſchlaͤge/ und
zwar zu dem Ende/ daß er ſolche den Par-
then verrathen ſolte. Hierdurch brachte er
zu wege/ daß ſie nicht bey Zeugma geraden
Weges/ ſondern an einem ſtachen Orte uͤ-
ber den Phrat ſetzen/ wormit er inzwiſchẽn
E e 3ſich
[222]Drittes Buch
ſich verſtecken konte. Er ließ auch den beſten
Parthiſchen Feldhauptmann Thraates mit dem
Vortrab/ und den Pacor mit dem gantzen Heer
unverhindert uͤber den Fluß ſetzen/ verſchantzte
ſich auf einem Berge/ und ſtellte ſich an/ als wenn
er dem Feinde nicht gewachſen waͤre. Unver-
ſehens aber uͤberfiel er mit ſeiner halben Macht
den Phraates im beſten Wolleben/ und jagte ihn
aus dem Felde. Pacor meynte: Die gantze
Roͤmiſche Macht waͤre hinter des Phraates
Voͤlckern her/ und ſiel daher das ſeiner Einbil-
dung nach leere Laͤger des Ventidius an. Ven-
tidius aber ließ ſeine verſteckte Legionen aus dem
Laͤger und den Cyreſſiſchen Puͤſchen die Parther
vor und ruͤckwerts anfallen. Daß ein unverſe-
hener Uberfall gegen dreyfacher Macht beſtehe/
ward dißmal wahr. Denn die Parthen verloh-
ren anfangs das Hertze/ hernach die Schlacht/
und endlich auch ihren Erb-Fuͤrſten Pacor/ wel-
chem Ventidius nach Ausuͤbung wunderwuͤr-
diger Tapferkeit die Lantze ſelbſt durch die Bruſt
rennte/ und durch Herumbſchickung ſeines ab-
gehauenen Kopfes alle uͤbrige den Parthen an-
haͤngende Staͤdte eroberte. Der einige Camo-
geniſche Fuͤrſt Antiochus entran nach Samoſa-
ta/ und ward darinnen belaͤgert/ endlich aber/ ob
er ſchon durch den daſelbſt befindlichẽ ſich von dem
Waſſer anzuͤndẽdẽ Schlam̃ aufs aͤuſerſte wehr-
te/ mit dem Antonius ſich zu vereinbarn genoͤthi-
get. Orodes kam uͤber dieſer den Parthen noch
nie begegneten Niederlage halb von Sinnen/ er
ließ viel Tage keinen Menſchen fuͤr ſich/ enthielt
ſich alleꝛ Speiſe/ und des redens ſo lang/ daß man
in Gedancken kam/ er waͤre ſtum̃ worden. End-
lich kamen ihm viel Tage die Thraͤnen nicht von
den Wangen/ und kein ander Wort aus dem
Munde/ als Pacor/ Pacor; ja/ wenn er ſchlief/
ſtellte ſich ihm ſein blutiger Sohn allezeit durch
traurige Traͤume fuͤrs Geſichte. Uber dieſem
Betruͤbnuͤſſe ward der ohne diß verlebte Orodes
kranck/ jede ſeiner Beyſchlaͤferinnen aber ſorg-
faͤltig ihren Sohn/ derer dreiſſig er mit ihnen ge-
zeugt hatte/ ihm zum Nachfolger einzuloben.
Wie aber das Verhaͤngnuͤß die Parther ins ge-
mein zu Vatermoͤrderiſchen Koͤnigen verſe-
hen hat; alſo kriegte auch dißmal Phraates
unter allen der ſchlimſte an ſtatt des guͤtigſten
Pacor das Heft in die Haͤnde/ welcher ſeinen
waſſerſuͤchtigen Vater durch eingegebene
Wolfs-Milch/ ſeine neun und zwantzig Bruͤder
aber durch das Mord-Beil in einer Stunde
hinrichtete. Alleine dieſe Laſter waren fuͤr den
unmenſchlichen Phraates noch zu wenig/ und
die durch Mord erworbene Herrſchaft konte mit
Gelindigkeit nicht fortgefuͤhret werden. Daher
muſte er ſich auch mit dem Blute ſeines Sohnes
Tiridates beſudeln. Seinen erſten Eifer ge-
gen ihn verurſachte die allen Wuͤterichen ver-
haßte Tugend und Tapferkeit ihrer Untertha-
nen/ indem Phraates wegen ſeiner Grauſam-
keit verfluchet/ Tiridates Nahmen aber weit
uͤber des Koͤnigs erhoben ward. Welcher Kum-
mer ihn denn zu der Entſchluͤſſung brachte/ den
Tiridates hinzurichten/ wormit die ihm abholden
Parthen niemanden aus dem allein Reichs-faͤ-
higen Gebluͤte des Arſaces haͤtten/ den ſie zum
Koͤnige benenneten/ alſo ihn wider Willen be-
halten muͤſten. Hierzu goß ſeine gegen deß
Pacors Wittib die ſchoͤne Sigambis gefangene
Brunſt Oel ins Feuer/ in die er ſo ſehr entbrenn-
te/ daß er ihrentwegen auch Berenicen/ des Me-
diſchen Koͤnigs Artavasdes Tochter zu verſtoſſen
verſprach. Wie nun Sigambis gar nicht in
Phraatens Willen kommen wolte/ hingegen
durch heimliche Kundſchafft ausſpuͤrete/ daß
ſein Sohn Tiridates ſich in Sigamben verliebt/
und ſich umb ihre Gewogenheit bemuͤht hatte/
machte ihn ſeine unbaͤndige Begierde gegen Ti-
ridaten gantz raſend/ in Meynung/ daß nicht die
von Sigamben vorgeſchuͤtzte nahe Anverwand-
niß/ ſondern ſeines eigenen Sohnes Liebe ſeiner
Vergnuͤgung am Wege ſtuͤnde. Daher legte er
auf alle ihre Tritte Kundſchafft/ und wie er er-
fuhr/ daß Tiridates mit Sigambẽ in den Koͤnig-
lichen
[223]Arminius und Thußnelden.
lichen Luſt-Garten/ umb friſche Abend-Luft zu
ſchoͤpfen/ ungefaͤhr zuſammen kommen waren/
rennte er als ein wuͤtender Tiger ſie mit bloſſer
Sebel an/ ſtieß ſelbte ſeinem eigenen Sohne
durchs Hertz/ und ließ die mit Tiridatens Blute
beſpritzte Sigamben auf einem Schloſſe in
Band und Eiſen ſchlieſſen. Jn dieſem ſetzte er
Sigambens Keuſchheit bald mit Liebkoſen und
groſſen Verſprechungen/ bald mit Andraͤuung
grauſamer Marter zu. Sie aber verhoͤnete
das erſtere/ und verlachte das andere/ biß ihr in
Vertrauen zu wiſſen gemacht ward/ daß Phraa-
tes ſie mit Gewalt nothzuͤchtigen und hernach zu
Aſche verbrennen wolte. Thußnelde fing uͤber-
laut an zu ruffen: Hilff Himmel! Mir gehen
die Haare zu Berge uͤber dieſes Unmenſchen
grauſamen Laſtern/ welcher ſich ſchwerlich
der grimmeſten Thiere/ zu geſchweigen eines an-
dern Menſchen vergleichen laſſen. Salonine
ſagte: Sie wuͤſte gleichfalls ihm kein ander Bey-
ſpiel beyzuſetzen/ als den Perſiſchen Koͤnig Da-
rius/ welcher/ umb ſeiner Stiefmutter Aſpaſia
vermaͤhlt zu werden/ mit 50. ſeinen Bruͤdern
den Vater Artaxerxes zu ermorden ein Buͤnd-
nuͤß machte. Unſere vorerwehnte Sigambis
aber gerieth uͤber Phraatens Entſchluͤſſung in
aͤuſerſte Verzweifelung/ und zu ſo erbaͤrmlichem
Wehklagen/ daß der tapfere Maneſes/ einer der
fuͤrnehmſten Parthiſchen Fuͤrſten/ der uͤber ſolch
Schloß und darumb liegendes Land die Aufſicht
hatte/ zu Mitleiden gegen ihr bewegt ward/ ſon-
derlich/ da ſie ſich ſelbſt/ umb ihre Verunehrung
zu verhuͤten/ in den Feſſeln zu erwuͤrgen be-
muͤhete/ und die Hippo/ weil ſie haͤtte ins Meer
ſpringen/ und ihre Keuſchheit unverletzt erhalten
koͤnnen/ fuͤr ihr mehr als ſelig prieß. Daher
ſetzte Maneſes alle ſein Gluͤck entweder aus der
Liebe der Tugend/ oder der Sigambis ſelbſt fuͤr
ihre Ehre in die Schantze/ und fuͤhrte ſie aus dem
Gefaͤnguͤſſe zu ihrem Bruder Artabazes/ bere-
dete ihn auch/ daß er/ umb dieſes Unrecht/ wie
auch ſich an dem mit den Parthen verbundenen
Koͤnige der Meden Artavasdes/ welcher der
Sigambis aus Eiferſucht fuͤr ſeine Tochter Be-
renicen des Phraates Gemahlin Berenicen
Gift beyzubringen getrachtet hatte/ zu raͤchen/
ſich mit dem Antonius wider die Parther ver-
band/ ſonderlich da Soſius und Canidius allbe-
reit mit 16. Legionen den Koͤnig in Jberien
Pharnabaces und der Albaner Zoberes zu gleich-
maͤſſigem Buͤndnuͤſſe gezwungen hatte. Phraa-
tes/ dem am Maneſes ſehr viel gelegen war/
ſchickte an Antonius/ der ihm inzwiſchen die
Staͤdte Lariſſa/ Arethuſa/ und Hierapolis ge-
ſchenckt hatte/ eine praͤchtige Botſchafft/ trug ihm
Frieden an/ und bat ihn umb Zuruͤckſchickung
des Maneſes/ welchen er durch kraͤftigſte Eyd-
ſchwuͤre verſicherte/ daß/ nach dem er durch Ret-
tung der unſchuldigen Sigambis mehr lob-als
ſtraffwuͤrdig waͤre/ ihm kein Haar gekruͤmmet
werden ſolte. Alſo muͤſſen endlich die ſchreck-
lichſten Wuͤteriche/ welche die Tugend fuͤr einen
ſchlangichten Gorgons - Kopf anſehen/ ihren
heilſamen Nachdruck erkennen/ und ihr ſelber
das Wort reden. Antonius ließ alſo den Ma-
neſes von ſich/ umb Phraaten durch Hoffnung
des Friedens mehr einzuſchlaͤffen/ brach aber
bald hierauf mit anderthalb hundert tauſend
Mann/ darunter 13000. Armenier und 6000.
Gallier waren/ in Atropatenen und Meden
ein/ und belaͤgerte in der Haupt-Stadt Phraa-
ta Artavasdens Gemahlin und ſeine Kinder;
alleine/ weil Tatian allen Sturmzeug langſam
nachfuͤhrete/ vergebens. Hingegen ſiel Phraa-
tes mit ſeiner gantzen Macht in Armenien; alſo/
daß Artabazes ſein eignes Feuer zuleſchen dahin
ſeine Macht zu ziehen gezwungen/ von Roͤmern
aber im Stiche gelaſſen/ und endlich durch
Maneſen einen Stilleſtand mit den Parthen
zu machen beredet ward. Jnzwiſchen traff Ar-
tavasdes auf den ermuͤdeten Tatian/ er
ſchlug ihn mit 2. gantzen Legionen/ verbrennte
allen Kriegszeug und kriegte den Pontiſchen
Koͤnig Polemon gefangen. Phraates und
Arta-
[224]Drittes Buch
Artavasdes ſtieſſen hierauf zuſammen/ und
ſchnidten dem Antonius bey Phraata alle Le-
bens-Mittel ab/ endlichen aber lieſſen ſie ihm
ſolche wieder zu/ und erklaͤrten ſich gegen ſeine
Geſandſchafft/ daß ſie die Roͤmer aus Gna-
de unbeſchaͤdigt wolten zuruͤck ziehen laſſen. So
bald aber die Belaͤgerung aufgehoben ward/ la-
gen ihnen die Parthen in Eiſen/ wenn auch
Mardus ein den Roͤmern getreuer Parthe zu
ihrem groſſen Vortheil ihnen nicht einen ber-
gichten Weg in Armenien abzulencken gewie-
ſen/ ja zu Verſicherung ſich ſelbſt haͤtte binden
laſſen/ und einen ſonderbaren Vortheil ſich ge-
gen die Parthiſche Reiterey zu ſtellen gewieſen/
oder auch die Gallier ſich ſo tapfer gehalten haͤt-
ten/ waͤre ihres Gebeines nicht davon kommen.
Wiewohl ihrer taͤglich viel fuͤr Hunger ver-
ſchmachteten/ oder zum Feinde uͤberlieffen/ deſſen
unvorſichtige Grauſamkeit und Unwiſſenheit/
daß man feindlichen Uberlaͤuffern Pflaumen
ſtreichen/ und ſeidene Kuͤſſen unterlegen ſolle/
alleine verhinderte/ daß nicht das gan-
tze Heer den Antonius verließ. Jnſonderheit
wurden die Gallier und andere frembde
Huͤlffs-Voͤlcker ſehr erbittert/ daß Titius und
Canidius den fuͤrtrefflichen Galliſchen Fuͤrſten
Flavius/ der den Ruͤcken der Roͤmer alle Tage
mit unſterblichem Ruhme beſchirmete/ unter de-
nen ihn uͤbermannenden Feinden alleine baden/
und nebſt 3000. Galliern durch das Ungewit-
ter der Perſiſchen Pfeile zerfleiſchen ließ. Jß-
mene konte bey dieſer Erzehlung ſich abermals
des Laͤchelns nicht enthalten/ muſte auch auf der
Koͤnigin bewegliches Erſuchen und Saloninens
Stillſchweigen bekennen/ daß dieſe Gallier eitel
Deutſche/ und der von den Roͤmern wegen ſeiner
weiſſen Haare ſo genante Flavius ihr Bluts-
Freund geweſen ſey/ der nach der Belaͤgerung
Aleſiens mit dem Antonius in Jtalien/ und fol-
gends in Morgenland gezogen waͤre. Nach
dieſem Flavius haͤtte auch Ernſt Hertzog Herr-
manns Bruder derogleichen zum Nahmen be-
kommen. Salonine fing hierauf an ferner zu
erzehlen: Nach oberwehntem Verluſt wuchs
den Parthen wieder der Muth/ die Roͤmer aber
geriethen in aͤuſerſte Kleinmuth und Drangſal/
alſo/ daß das Gerſten-Brodt gegen Silber aus-
gewogen ward/ und ſie ſo gar mit wahnſinnig-
machenden Kraͤutern den Hunger ſtillen mu-
ſten/ wiewohl Antonius mit ſeiner Beredſamkeit
und Freygebigkeit ſie zu unglaublicher Gedult
bewegte/ und mit aufgehobenen Haͤnden in
Trauer-Kleidern anruffte: Daß ſie das dem
Roͤmiſchen Heere beſtim̃te Unheil auf ſeinen
Kopf ausgieſſen moͤchten. Endlich haͤtten ſie
ſich vollends auf die Schlachtbanck geliefert/
als ſie gegen ein erblicktes Gebuͤrge wegen Durſt
ihren Zug nahmen/ wenn nicht Maneſens
Vetter Mithridates ſie gewarnigt/ und daß un-
ter ſelbigen Bergen die gantze Parthiſche Macht
auf ſie wegelagert/ berichtet haͤtte. Endlich
entſtund wegen ermangelnden Waſſers ein Auf-
ruhr im Laͤger/ alſo/ daß man ſo gar ſelbſt des
Feldherrn koſtbare Sachen pluͤnderte. Ja An-
tonius gerieth in ſolche Verzweifelung/ daß er
ihm ſeinen Freygelaſſenen Rhamnus ſchweren
ließ/ er wolte ihm den Kopf abſchneiden/ wormit
er weder lebendig in des Feindes Haͤnde geliefert/
noch auch unter den Todten erkeñet wuͤrde. Aber
Mithridates kam abermals ans Laͤger/ und ver-
gewiſſerte ſie/ daß eine Tage-Reiſe von dar ein
ſuͤſſer Fluß/ und uͤber ſelbtem das Ziel ſey/ wie
weit die Parther ſie zu verfolgen entſchloſſen
waͤren. Welches denn auch alſo erfolgte; wie-
wohl die Roͤmer 6. Tage noch mit Furcht und
Zittern forteileten/ biß ſie den Fluß Araxes/ der
Meden von Armenien trennet/ erreichten/ da-
ſelbſt aber/ und inſonderheit die Verwundeten/
unter dem Tauriſchen Schnee-Gebuͤrge einen
neuen Feind/ nemlich die Kaͤlte antraffen. Ar-
tabazes haͤtte ohne Schwerdtſchlag mit bloſſer
Entziehung des Schiff-Gefaͤſſes an dem Fluſſe
Araxes die Roͤmer vertilgen koͤnnen/ Phraates
und Artavasdes verwarnigten ihn auch/ daß er
dem
[225]Arminius und Thußnelda.
dem wegen nicht geleiſteten Beyſtandes er grim̃-
ten Antonius nicht trauen ſolte. Alleine dieſer
redliche Fuͤrſt ließ ſich ſeine Schmeichel-Worte
einnehmen/ daß er ihm mit allem Fahrzeuge
uͤber den Strom halff/ ihm Geld und Lebens-
Mittel entgegen ſchickte/ und das erhungerte
Heer in Armenien uͤberwintern lies. Anto-
nius ſelbſt zohe in Egypten zu Cleopatren/ und
nachdem Artabazes auf ſein Erſuchen nicht zu
ihm kommen/ und auf das ihm geſtellte Fallbret
treten wolte/ zohe er auf den Fruͤhling wieder in
Armenien/ als ſich vorher bey ihm Polemon
eingefunden/ und nicht allein fuͤr ſich/ ſondern
auch im Nahmen des Mediſchen Koͤniges ein
Buͤndnuͤß mit ihm wider den Artabazes und
Phraates gemacht hatte. Wider jenen/ weil er
ihm die Roͤmer uͤber den Hals gefuͤhrt; wider
dieſen/ weil er mit ihm die Roͤmiſche Beute un-
gleich getheilet/ und ſeine Tochter Berenizen
von ſich verſtoſſen hatte. Antonius eignete dem
Polemon zur Vergeltung das kleinere Armeni-
en zu/ ſchickte aber Artabazen ſo viel leichter ins
Garn zu locken den Quintus Dellius zu ihm/
und ließ fuͤr ſeinen mit Cleopatren gezeugten
Knaben Alexander um ſeine Tochter Statira
werben/ und umb eine Zuſammenkunft anhal-
ten. Wie nun der von Maneſes aufs neue
verwarnigte Artabazes allerhand Außfluͤchte
brauchte/ ſchickte Antonius den Dellius
mit eydlicher Verſicherung ſeiner Freund-
ſchafft/ und betheuerlichen Schreiben des Koͤnig
Archelaus in Cappadocien/ und des Amyntens
in Galatien/ welche er daſelbſt eingeſetzt hatte/
noch einmal zum Artabazes/ folgte aber bald mit
ſeinem Heere auf dem Fuſſe nach. Artabazes
ward hierdurch theils beredet dem Antonius auf
ſeine glatte Worte zu trauen/ theils auch gezwun-
gen ſein Mißtrauen nicht mercken zu laſſen/
fand ſich alſo gutwillig in ſein Laͤger ein. An-
tonius aber nahm ihn alſobald in Haft/ und gab
fuͤr: Er muͤſſe ſich wegen entzogener Huͤlffe mit
einem groſſen Stuͤcke Geldes loͤſen/ fuͤhrte ihn
alſo fuͤr die Schloͤſſer/ darinnen der Koͤnigliche
Schatz verwahret war. Nach dem aber die
Stadthalter ſolche nicht oͤfneten/ der Armeniſche
Adel auch alſofort ſeinen Sohn Artaxias zum
Koͤnige erklaͤrte/ ließ Antonius Artabazen in ſil-
berne Feſſel ſchlieſſen/ fuͤhrete ihn mit ſeiner Ge-
mahlin und Kindern in einem Siegs-Gepraͤn-
ge nach Alexandrien/ legte ſie Cleopatren in guͤl-
denen Ketten zun Fuͤſſen/ und ließ ihnen endlich
in einem Schauſpiele den Kopf abhauen/ als er
vernahm/ daß ſich Artaxias mit dem Parthiſchen
Koͤnige Tiridates verbunden hatte. Denn
weil Phraatens grauſame Herrſchafft alle Er-
traͤgligkeit uͤberſtieg/ hatten ihn die Parther ver-
ſtoſſen/ und Tiridaten auf den Reichs-Stul ge-
ſetzet; hingegen vermaͤhlete Antonius des Me-
diſchen Koͤniges Tochter Jotapen ſeinem Soh-
ne Alexander/ und ſchenckte ihm ein Stuͤcke Ar-
meniens/ welche nach des Antonius Tode Au-
guſtus ihrem Vater wieder zuruͤck ſchickte; Cle-
opatra aber ſendete Artabazens abgehauenen
Kopf zum Auguſtus. Als Salonine allhier
ein wenig Athem holete/ fing die Koͤnigin an:
Jch beſorge/ die holdſelige Thußnelda und die
ſchoͤne Jſmene werde aus Unwiſſenheit/ wohin
ſo viel frembde Geſchichte zielen/ unſerer Erzeh-
lungen uͤberdruͤſſig werden/ daher kan ich mich
laͤnger nicht enthalten/ ihr zu eroͤffnen/ daß dieſe
Armeniſche Koͤnige meine Voreltern/ Artaxias
mein Vater geweſen/ ich aber die verſtoſſene
Koͤnigin Erato ſey/ welcher Ungluͤck Salonine
nicht gnugſam auszudruͤcken getrauet/ wenn ſie
nicht die Trauer-Faͤlle meines zum Elende ver-
ſehenen/ nicht aber ſo laſterhaften Geſchlechtes/
wie die Roͤmer in der Welt von ihm ausgeſpren-
ger/ mit auf die Schaubuͤhne ſtellete. Thußnelde
umbhalſete die Koͤnigin Erato mit Vergieſſung
vieler Thraͤnen/ und verſicherte ſie/ daß wie ihres
Stammes Trauer-Faͤlle ihr mitleidentlich tief
zu Hertzen gegangen waͤren; alſo ſchoͤpfte ſie mit
Jſmenen aus derſelben umbſtaͤndlichen Erzeh-
lung nicht wenige Ergetzligkeit. Denn es haͤtte
Erſter Eheil. F fdas
[226]Drittes Buch
das menſchliche Elend die Eigenſchafft des Feu-
ers an ſich/ welches/ ſeines Verderbens wegen/
Schaden und weh thaͤte/ gleichwohl aber an-
nehmlich anzuſchauen waͤre. Alſo hoͤrete man
ins gemein die allertraurigſten Ebentheuer am
liebſten. Uber diß machte die Ungluͤckſeligkeit
ihr Geſchlechte bey ihr weder ſchuldig noch ver-
daͤchtig. Das feinſte Gold komme ſo geſchwind
in den Schmeltz-Ofen/ als das ſchlimmen Bey-
ſatz hat/ und der Hagel ſchlage ſo geſchwinde Wei-
tzen als Unkraut nieder. Das Verhaͤngnuͤß
habe etliche Geſchlechter zu groſſem Gluͤck/ an-
dere zu unaufhoͤrlichem Jammer verſehen/ ohne
daß es auf die Tugend oder die Laſter ein oder
des andern ein Auge habe. Dahero erbete man
von ſeinen Eltern nicht nur die Aehnligkeit des
Geſichts/ und die Gemuͤths-Regungen/ ſondern
auch die Gunſt und Verfolgung des Gluͤckes;
nicht anders/ als die jungen Panther von den
alten ihre Flecken/ und die Zibet-Katzen den
Geruch. Alſo habe in Hibernien ein Geſchlech-
te geherrſchet/ deſſen Zweige faſt alle vom Hen-
cker-Beile abgehauen worden. Ja was noch
ſeltzamer: Oftmals klebete einem gewiſſen Nah-
men ein unabſonderlich Ungluͤck oder Schand-
-fleck an. Sie habe ihr offt erzehlen laſſen/ daß
-in Armenien alle Tigranes/ im Pontus alle
-Mithridates/ in Perſen alle Artaban tapfer/
-aber ungluͤckſelig geweſt. Jn Gallien waͤren
-faſt alle Jnducianarer eines gewaltſamen To-
-des geſtorben/ einer ſey in einem Strome er-
-ſchoſſen/ der andere auf ſeiner Schweſter Bey-
-lager im Turnier von ſeinem Stallmeiſter
-mit der Lantze ins Auge gerennt/ der dritte
-von einem Druys in ſeinem Zimmer/ der vierd-
-te von einem Meuchelmoͤrder in ſeinem Wagen
-erſtochen worden. Salonine fing an: Da die
Fuͤrſtiñen ihr wieder gnaͤdiges Gehoͤre verleihen
wolten/ wuͤrde ihre folgende Erzehlung die er-
mehnte Meynung ſo viel mehr verſtaͤrcken. Als
ſie ſaͤm̃tlich durch ihr Stillſchweigen zu verſte-
hen gaben/ daß ſie durch ihr darzwiſchen reden
nicht gern einigen Aufſchub verurſachen wolten/
fuhr ſie derogeſtalt fort: Artaxias der neue Koͤ-
nigin Armenien ruͤſtete ſich nach ſeines Vatern
Artabazes Gefaͤngnuͤſſe alſofort moͤglichſt zur
Gegenwehr/ und ob ihm ſchon Antonius ſein an-
geſtam̃etes Reich unter gewiſſen Bedingungen
antragẽ ließ/ ſo wolte er doch nichts zum Schim-
pfe ſeines gefangenen Vaters einwilligen/ ſon-
dern mit Behauptung der Ehre alles zufaͤllige
lieber auf die Spitze ſetzen. Allein es zogen
wider ihn nicht alleine die Roͤmer/ ſondern auch
der Koͤnig in Meden/ deſſen Tochter der junge
Alexander geheyrathet hatte/ der Koͤnig in Pon-
tus Polemon/ dem Antonius das kleinere Ar-
menien geſchenckt/ und der hernach gar fuͤr einen
Bundsgenoſſen der Roͤmer angenommen
ward; Archelaus der Koͤnig in Cappadocien/ und
der Fuͤrſt in Galatien Amyntas ins Feld.
Gleichwohl ließ Artaxias ſich dieſe zuſammen-
ziehenden Gewitter nicht ſchrecken/ zohe ihnen
alſo entgegen/ und lieferte ihnen an der Medi-
ſchen Graͤntze eine Schlacht/ in welcher er alle
Griffe eines klugen Feldherrn/ und alle Thaten
eines tapfern Kriegshelden ausuͤbte. Sieg
und Verluſt hingen den halben Tag auf einer
Wagſchale. Denn was dem Artaxias an der
Groͤſſe des Heeres abging/ erſetzte ſeine Groß-
muͤthigkeit. Dieſe aber ward von der Leicht-
fertigkeit des verraͤtheriſchen Artabazes/ wel-
chem Artaxias den Hinterhalt anvertrauet hat-
te/ endlich muͤrbe gemacht/ indem ſelbter ſich zum
Feinde ſchlug/ und mit einem Theile ſeiner Rei-
terey ſeinem Koͤnige in Ruͤcken ſiel. Hieruͤber
geriethen die Armenier in Unordnung/ und/
nach dem Artaxias durch keine Muͤh ſie aus
ſolcher Verwirrung bringen konte/ in die
Flucht. Der Koͤnig kriegte ſelbſt drey Wun-
den/ dieſe aber hinderten ihn nicht zu dem Par-
thiſchen Koͤnige Tiridates ſeine Zuflucht zu neh-
men/ als er an dem Fluſſe Cyrus ein Theil ſei-
nes
[227]Arminius und Thußnelda.
nes Volckes wieder verſam̃let/ und hin und wie-
der gute Anſtalt gemacht hatte den Lauff des
Sieges dem Feinde zu hemmen. Dieſer Tiri-
dates nahm den Artaxias freundlich auf/ gab
ihm nicht allein anſehnliche Huͤlffe/ ſondern
vermaͤhlete ihm auch ſeine Tochter die wunder-
ſchoͤne Olympia. Hiemit kam Artaxias zu
groſſen Freuden der bedraͤngten Armenier in
ſeinem Reiche wieder an; und weil Antonius
inzwiſchen alle Roͤmiſche Kriegs-Voͤlcker wider
den Auguſtus abgefordert hatte/ wolte er keine
Zeit verſaͤumen/ ſondern ging auf den Koͤnig
der Meden getroſt loß. Dieſer aber konte fuͤr
dem Blitze dieſes hurtigen Feindes nicht ſtehen/
ſondern ward nach kaum einſtuͤndiger Gegen-
wehre fluͤchtig. Die Feſtungen ergaben ſich
meiſt gutwillig dem Artaxias/ und ſchlugen ihre
frembde Beſatzung todt. Artavasdes machte
ſich uͤber Hals und Kopf aus Armenien; allei-
ne Artaxias folgte ihm in Meden nach/ ereilte
ihn bey der Stadt Ecbatana. Beyde Heere
traffen hertzhafft auf einander. Die Arme-
nier munterte die Rache/ die Meder ihre fuͤr
Augen ſchwebende aͤuſerſte Noth auf/ welche
auch Furchtſamen ein Hertze macht. Alleine
Artaxias drang mit dem Armeniſchen Adel
auf einer/ und Artaban ein Parthiſcher Fuͤrſt
mit den Parthiſchen Huͤlffs-Voͤlckern ſo ge-
waltig auf die Meden/ daß ſie gegen der Stadt
in offentliche Flucht geriethen. Als Artavas-
des nun die Seinigen zuruͤck halten wolte/
traf Artaxias auf ihn/ rennte ihn vom Pferde/
und konte mit genauer Noth verwehren/ daß
er von den hitzigen Armeniern nicht getoͤdtet/
oder von Pferden zertreten ward. Artaxias
kam alſo mit dem gefangenen Koͤnige fuͤr die
Stadt Ecbatana/ welche ſich ohne Gegenwehr
der Willkuͤhr des Siegers untergab. Artaxias
konte ſich uͤber der Pracht dieſer Stadt/ und
inſonderheit des Schloſſes/ welches billich un-
ter die Wunderwercke der Welt zu rechnen iſt/
nicht gnungſam verwundern. Dieſes hat
der maͤchtige Koͤnig der Meden Dejoces von
Grund aus erbauet/ und mit ſieben feſten
Mauern umgeben. Die aͤuſerſte iſt von
weiſſem Marmelſteine/ die andere von ſchwar-
tzem/ die dritte von rothem/ die vierdte von ei-
nem Himmel-blauen Alabaſter; die fuͤnfte iſt
von gebackenen Steinen/ welche mit dem aller-
hoͤchſten Zinober und Sandarach uͤberglaͤſet
ſind/ die ſechſte iſt gantz uͤberſilbert/ und die ſie-
bende vergoldet. Die Koͤnigliche Burg inwen-
dig iſt von dem koͤſtlichſten Marmel/ und nach
der vollkommenſten Bau-Kunſt gebauet. Alle
Thore ſind von Ertzt/ das Pflaſter von vielfaͤr-
bicht durcheinander eingelegten Steinen berei-
tet/ das Dach vergoldet/ daß bey Sonnen-
Scheine niemand ſelbtes anſchauen darff. Die
Waͤnde ſind mit guͤldenen Tapezereyen/ an wel-
chen noch gewiſſe Bilder mit Perlen und Edel-
geſteinen geſtuͤckt zu ſehen/ die Boͤdeme mit Per-
ſiſchem Gewebe bedecket. Jn einem der Son-
ne gewiedmeten Tempel ſtehet des Mediſchen
Reichs-Stiffters Arbaces/ wie auch des Dejoces
Bildnuͤß in Gold/ und nach ihm alle Mediſche
Koͤnige aus Ertzt in Lebens-Groͤſſe gegoſſen/
oder aus Alabaſter gehauen. An dem Schilde
des Arbaces war Sardanapal eingeetzet/ wie
er mit einer Hand dem Arbaces den Aſſyriſchen
Reichs-Stab uͤberreicht/ mit der andern den un-
ter ſich gemachten Holtz-Stoß anzuͤndet/ mit
dieſer Uberſchrifft:
Unter Dejocens guͤldenem Bilde war
die Stadt Ecbatana geetzt mit dieſer Uber-
ſchrifft:
Alle andere Bilder/ ſagte Salonine/ haben
dar ihre denckwuͤrdige Uberſchriften; ich wil aber
alle/ auſſer dieſelbe/ verſchweigen/ welche Arta-
vasdes unter des letzthin uͤberwundenen Craſſus
Kopf/ welchen ein Griechiſcher Bildhauer aus
Alabaſter gemacht/ und ihm verehret hatte/
ſchreiben ließ:
Die Ergebung der Stadt Ecbatana war ein
Wegweiſer der andern Haupt-Stadt Phraa-
ta/ ja des Koͤniges Artavasdes Gefaͤngnuͤß ein
Schluͤſſel zu dem gantzen Mediſchen Reiche/
welches ihren Koͤnig als einen Stoͤrer der allge-
meinen Ruh verfluchte/ und dem Artaxias faſt
Goͤttliche Ehre anthat. Unter andern lieſſen die
Reichs-Staͤnde ſein Bildnuͤß aus dichtem Gol-
de gieſſen/ ſtellten es mitten in den Tempel der
Sonnen/ und ſchrieben darbey: Dem groſ-
ſen Artaxias/ dem dritten Erhalter der
Meden. Alſo liebkoſet die Heucheley nicht
nur den Laſtern/ ſondern auch der Tugend.
Wenn ſie aber ihre Larve wegwirfft/ uͤbt ſie ihre
Gramſchafft nicht minder gegen dieſe/ als gegen
jene aus; gleich als wenn die Tugend nur nach
Eigenſchafft der Heucheley in nichts weſentli-
chem/ ſondern auf eitelem Scheine beſtuͤnde/ und
ihre Schoͤnheit nur betruͤglicher Firnuͤß waͤre/
wie der Verlauff ausweiſen wird. Weil nun
aber/ wie die Glieder an der Kette/ alſo auch ein
Gluͤck an dem andern haͤngt/ war es nicht ge-
nung/ daß Artaxias das Koͤnigreich Armenien
wieder gewonnen/ und ſich noch darzu zum Her-
ren der Meden gemacht hatte/ ſondern ſeine Ge-
mahlin Olympia kam auch in den Tempel der
Sonnen/ dahin ſie ſich aus Andacht verfuͤgt hat-
te/ mit der hier anweſenden Koͤnigin Erato
und einem jungen Herrn/ und zwar gleich mit
aufgehender Sonne darnieder/ als die in und
auſſer des Tempels aus verguͤldetem Kupfer
gemachte Himmels - Kugeln entweder durch
Zauberey/ oder durch heimliche Krafft ſolchen
Geſtirnes feurig und klingend zu werden anfin-
gen. Die Wahrſager wuſten nicht genung
auszuſprechen/ wie viel Gutes das Verhaͤng-
nuͤß dieſen zwey neugebornen Kindern zudaͤchte.
Denn uͤber dieſe merckwuͤrdige Zeit war der Ort
der Geburt der Meden groͤſtes Heiligthum/ und
ein vollkom̃enes Nach-Gemaͤchte des Jndiani-
ſchen Sonnen-Tempels/ welchen Porus dem
groſſen Alexander zu Ehren gebauet/ ſein Bild
einmal ſtehende/ und denn auch zu Roße aus
dichtem Golde/ des Ajax aus Helffen-Bein/
ſein eigenes dem Leben nach fuͤnf Ellenbogen
hoch darein geſetzet hatte/ und darinnen die
Saͤulen des Tempels mit Feuerfaͤrbichtem
Marmel/ und gleichſam blitzendem Golde ge-
zieret/ die Boͤdeme aber mit Perlen eingelegt
waren. Jhre Eitelkeit aber kam allzu zeitlich
ans Licht. Denn als Artaxias zuruͤck in Ar-
menien kehrte/ und auf dem Fluſſe Tigris durch
den Arethuſiſchen See fuhr/ gerieth das eine
Schiff/ worauf die Koͤniglichen Kinder waren/
auf einen Steinfels/ daß es zu ſcheitern ging.
Ob nun wol die Bootsleute das Fraͤulein mit
Nachſchwimmen aus dem Waſſer brachten/ ſo
ward doch die Wiege/ darinnen der junge Fuͤrſt
Artaxias lag/ von dem Strome davon geriſſen;
und wie fleiſſig man auch an den Ufern nachſuch-
te/ von ihm das geringſte Merckmal nicht ge-
funden. Die Trauer-Faͤlle ſind mitten zwi-
ſchen vielem Gluͤcke am empfindlichſten/ da-
hero gieng dieſer dem Artaxias ſo viel mehr
zu Gemuͤthe. Denn groſſe Gemuͤther ver-
moͤgen zwar/ wie die Erdkugel/ beſtaͤndig/ aber
nicht unbeweglich zu ſeyn. Helden haben eben
ſo wenig Diamantene Augen ohne Thraͤnen/
und ſtaͤhlerne Hertzen ohne Fuͤhlen/ als andere.
Zumahl Olympien bey der Geburt ein Zufall
be-
[229]Arminius und Thußnelda.
begegnet war/ welcher der Wehmutter Urthel
nach ſie zu kuͤnfftiger Empfaͤngniß unfaͤhig
machte. Gleichwol aber beraubte ihn die Groͤſſe
dieſes Hertzeleides nicht ſeiner durch oͤfftere Zu-
faͤlle abgehaͤrteten Klugheit/ und weil ſeine Liebe
gegen Olympien unausleſchlich waꝛ/ ſetzte eꝛ ihm
fuͤr/ weder durch die ſonſt nicht ungewoͤhnliche
Heyrath mehrerer Frauen ſeine eigene durch
andere Neben-Sonnen zu verduͤſtern/ noch ie-
manden anderſt/ als diß/ was ſie gebohren/ mit
der Zeit zu ſeinem Stuel-Erben zu erklaͤren. Es
ſtand ihm aber am Wege/ daß in Armenien noch
kein Weibsbild den Reichs-Apffel in Haͤnden
gehabt hatte. Daher berieht er ſich mit ſeinem
vertrauteſten und hoͤchſten Staats-Diener dem
klugen Artafernes/ was bey ſo geſtalten Sachen
zu thun waͤre. Dieſer urtheilte: Er hielte
es in allewege fuͤr eine verdammliche Ketze-
rey/ wenn etliche das weibliche Geſchlechte fuͤr
unfaͤhig der Koͤniglichen Herrſchafft ſchaͤtzten.
Die Staats-Klugheit ſteckte nicht im Barte/
und die Koͤnigliche Hoheit nicht im Sauerſehen.
Das Gewichte/ welches die Uhr des gemeinen
Weſens triebe/ ſey die Krafft eines lebhafften
Geiſtes/ und die Geſchickligkeit einer ſcharffſin-
nigen Vernunfft/ welche nichts minder in Frau-
en-als Manns-Koͤpff[e]n Raum haͤtten. Das
Geſtirne der Caßiopea und der Venus ſey ſo
ſchoͤn und kraͤfftig/ als des Theſeus und des
Mars. Der Kopff mache einen zum Weltwei-
ſen/ die Zunge einen zum Redner/ die Bruſt
einen zum Ringer/ die Armen zum Kriegsknech-
te/ die Fuͤſſe zum Lauffer/ die Achſeln zum Traͤ-
ger/ ein groſſes Hertz aber einen zum Koͤnige.
Wenn an ſtarcken Spann-Adern das gemeine
Heil hinge/ muͤſte Griechenland ſeine Fuͤrſten
von den Olympiſchen Rennebahnen/ und Rom
ſeine Buͤrgermeiſter aus den Schauplaͤtzen neh-
men. Man haͤtte wohl eh Rieſen zu Fuͤrſten/
welche Baͤume auszureiſſen vermoͤchten/ derer
Achſeln ſich doch unter einer mittelmaͤßigen
Schwerde der Reichs-Sorgen beugten. Hinge-
gen waͤren offtmals kraͤncklichte Fuͤrſten geweſt/
die etliche Jahr nie aus dem Zimmer kommen/
oder vom Siech-Bette auffgeſtanden/ denen a-
ber die Laſt etlicher Koͤnigreiche leichte geweſt.
Dieſe waͤren von Zeuge zubereitet/ der zum
Kopffe gehoͤrete/ und keine Spann-Adern doͤrf-
te/ jene aber von ſolchem/ der zu Gliedern und
Dienern erfodert wird. Dieſe gehoͤrten zum
Steuer-Ruder/ welches nur Klugheit/ keine
Staͤrcke erfordert; jene auf die gemeine Ruder-
Banck/ da die Armen das beſte thun/ die weder
der Schweiß/ noch die rauhe Lufft entkraͤfftet.
Es iſt wahr/ ſagte Thußnelde/ es hat in Britan-
nien ein Koͤnig Hippo Marcomirs Sohn eine
und die andere Welt aus ſeinem Zim̃er/ welches
einem Kranckenhauſe aͤhnlicher/ als eineꝛ Raths-
Stube war/ ſo kluͤglich beherrſcht/ daß man ihn
den Salomon ſeiner Zeit geheiſſen. Und ich muß
unſerm Geſchlechte/ daß es zum Herrſchen ge-
ſchickt ſey/ abermal das Wort reden. Jch wil von
der Semiramis und Nitocris zu Babylon/ Ar-
temiſien und Laodicen in Aſien/ von der Thomy-
ris bey den Scythen den Wundern der Vor-
Welt nichts erzehlen. Zu erwehnten Koͤnigs
Hippo Zeit regierte in Hibernien Telesbia eine
Jungfrau lange Jahre zu der gantzen Welt
Veꝛwundeꝛung/ ja ſie hielt obe wehntem Koͤnige
Hippo dergeſtalt die Wage/ daß ſeine kluͤgſte An-
ſtalten/ und die maͤchtigſten See-Ruͤſtungen zu
Waſſer wurden. Fuͤr wenigen Jahren hat Ca-
niſtria den Svionern und Gothen mit groſſem
Ruhm fuͤrgeſtanden/ und ihr Reich uͤber zwey
Meere erweitert. Die Sitones haben insge-
mein Weiber zu Koͤniginnen. Dieſemnach deñ
hoffentlich unſern Deutſchen nicht wird zu ver-
argen ſeyn/ daß ſie die Frauen in den wichtigſten
Sachen zu rathe ziehen/ und ihr Gutachten mei-
ſtentheils gelten laſſen/ feſtiglich glaubende/ daß
diß Geſchlechte nichts minder heilig als fuͤrſich-
tig ſey. Auch ſind die Britannier nicht zu ſchel-
ten/ daß ſie in der Reichs-Folge kein Geſchlechte
unterſcheiden. Salonine kam hierauff wieder
F f 3an
[230]Drittes Buch
an den Faden ihrer Erzehlung: Artafernes ha-
be den Koͤnig Artaxias durch obige und mehr
Gruͤnde in ſeiner Meinung beſtaͤrckt/ daß er das
Reich auf ſeine Tochteꝛ Erato zu bringen Anſtalt
machen ſolte; iedoch weil alle Neuerung verdaͤch-
tig waͤre/ und einige ehrſuͤchtige Unterthanen ih-
re Herꝛſchaft zu unterbrechen ſich erkuͤhnen doͤrf-
ten/ ſolte er den Schiffbruch ſeines Sohnes ver-
druͤcken/ und das Fraͤulein Erato an des Ver-
ſtorbenen Stelle aufferziehen. Artaxias lies ihm
dieſen Anſchlag belieben/ von welchem niemand
als der Koͤnig Artafernes/ und ich als Hoffmei-
ſterin des Koͤniglichen Frauenzim̃ers wuſte. Al-
ſo glaubete gantz Armenien und Perſien/ daß
Erato todt/ und Artaxias lebendig waͤre. Die
Lebhafftigkeit/ und die anſehnliche Geſtalt dieſes
Fraͤuleins halff dieſe Blendung nicht wenig
verhuͤllen. Artaxias gab ihr den aus der Stadt
Suſiana am rothen Meer buͤrtigen Dionyſi-
us Periegetes/ welchen Kaͤyſer Auguſtus/ um ſich
der Morgenlaͤnder Beſchaffenheit zu erkundi-
gen/ mit Fleiß in Armenien zu wohnen befehli-
chet hatte/ zum Lehrmeiſter. Denn es verſtand
Artaxias wohl: daß alle Schoͤnheit ohne Auff-
putzung unvollkommen/ und alle Vollkommen-
heit ohne Beyhuͤlffe rauh ſey/ ja das Gold ſelbſt
muͤſſe gefaͤrbt/ die Diamanten geſchliffen wer-
den. Dahero eine kluge Erziehung das Boͤſe
verbeſſere/ dem Guten ſeine noch ermangelnde
Helffte der Vollkommenheit beyſetze. Alſo un-
terwieß Dionyſius ſie nicht alleine in allerhand
Sprachen/ und der Platoniſchen Weltweiß-
heit; ſondern ſie ward auch in allen Ritter ſpielen
auffs fleißigſte ausgemuſtert; alſo daß an ihr kei-
ne Eigenſchafft ihres Geſchlechtes zu ſehen war/
als die Schamhafftigkeit und Anmuth. Jn
dieſer Lehre blieb Erato biß ins zwoͤlffte Jahr/
und Artaxias in ruhigem Beſitz beyder Koͤ-
nigreiche. Denn nach dem Auguſtus den
Antonius bey Actium uͤberwunden hatte/ war
er mit Behauptung Egyptens/ und mit Demuͤ-
thigung der Dacier/ Myſier und Baſtarnen be-
ſchaͤfftigt/ welche mit Huͤlffe des Getiſchen Koͤ-
nigs Rotes geſchlagen/ ja der Baſtarnen Koͤnig
Deldo ſelbſthaͤndig von des Craſſus juͤngſtem
Sohne getoͤdtet ward. Dieſer kriegte auch mit
den Meden und Serden/ und dem Getiſchen
Koͤnige Dapyx und Zyraxes zu ſchaffen/ allwo
er das Gebuͤrge Ceyra und die Haupt-Feſtung
Genucla nebſt denen dem Cajus Antonius vor-
hin abgenommenen Fahnen wieder eroberte.
So hat auch Auguſtus mit Einrichtung ſeines
einhaͤuptigen Reichs/ und mit Beſetzung der
Aemter genung zu thun. Uberdiß draͤuten die
Britannier in Gallien einzufallen/ die Canta-
brer und Aſturier wurden auffruͤhriſch; alſo daß
Auguſtus wider jene in Gallien/ wider dieſe
nach Tarracon ziehen/ und nachdem ſein Feld-
haͤuptmann Elius Largus wider den Koͤnig
des gluͤckſeligen Arabiens Sabos einen un-
gluͤckſeligen Zug gethan/ und in der Waſſer-
mangelnden Sandwuͤſten fuͤr Hitze und Durſt
ſein gantzes Heer verſchmachtet war/ daſelbſt die
Grentzen beſetzen muſte. Zu geſchweigen ſei-
ner vielfaͤltigen Haus-Bekuͤmmerniſſe/ welche
ihn an alle Ecken des ſo groſſen Reichs die Roͤ-
miſchen Heerſpitzen zuſenden/ und den bey ihm
in ſchlechter Gewogenhiet ſtehenden Artaxias
mit Kriegs-Macht zu uͤberziehen hinderte; alſo
gegen ihm ſeine Unhold nicht anders auslaſ-
ſen konte/ als daß er ihm ſeine vom Antonius aus
Armenien gefangen mit weggefuͤhrte Bruͤder
frey zu laſſen weigerte; da er doch den Meden die
dem jungen Alexander verlobte Jotapen willig
abfolgen ließ. Wie aber das Gluͤcke entweder
muͤde wiꝛd einen lange mit unverwendetem Au-
ge anzuſchauen/ oder ihm verkleinerlich haͤlt/ daß
es allezeit mit einerley Winde in ein Segel bla-
ſen muͤſſe; alſo konte auch der Wohlſtand des
Koͤnigs Artaxias weder fuͤr ſich ſelbſt unveraͤn-
derlich bleiben/ noch ſeine Klugheit das ſich ſtets
umwaͤltzende Rad des Verhaͤngnißes hemmen.
Sehet aber/ wie das Wetter/ ſo von weitem her
uͤber Armenien auffzog! Der Comageniſche Koͤ-
nig
[231]Arminius und Thußnelda.
nig Antiochus hatte ſeinen Blutsverwandten
Alexander/ der mit einem Theile des ihm anver-
trauten Kriegsvolcks zu den Roͤmern uͤberge-
gangen/ und dabey dem mit dem Antonius ge-
troffenen Frieden ihm ausgelieffert woꝛden waꝛ/
auff offentlicher Schaubuͤhne andern Aufruͤh-
rern zum Abſcheu hinrichten laſſen. Dieſes hielt
Auguſtus fuͤr einen Schimpff des Roͤmiſchen
Volcks/ welches zeither allen fremden Aufwieg-
lern Thuͤꝛ und Thor aufgeſperret/ und duꝛch ſelb-
te mehr als durch eigene. Kraͤffte in dem truͤben
Waſſeꝛ der unꝛuhigen Laͤndeꝛ gefiſcht hatte. Da-
heꝛo tꝛug eꝛihmſolche That welche kuͤnftig Mein-
eidigen die Luſt nach Rom ziemlich verſaltzen
doͤrfte/ zu raͤchen lange nach/ biß er bey ſich ereig-
nenden Zwytꝛacht zwiſchen ihm und ſeinen Bꝛu-
der dem blinden Koͤnige der Dentheleter/ Sitas/
Gelegenheit ſolche auszuuͤben eꝛlangte. Wie wol
ins gemein dafuͤr gehalten ward: daß des Sitas
Gemahlin Arimanthe/ mit welcher Auguſtus
die hernach mit ſeiner Tochter Julia ſich als ei-
ne Freygelaſſene auffhaltende/ und bey ihrem
ausbrechenden Ehebruche mit dem Julius An-
conius ſich erhenckende Phorbe durch Ehebruch
erzeugt hatte/ den Kaͤyſer wider den Antiochus
verhetzt haͤtte. Dieſe Herrſchſuͤchtige Ariman-
the meinte/ nachdem ſie dem Kaͤyſer in dem
Schooß ſaͤße/ er ihrem Ehemanne auch ſchon
Huͤlffe wider den Antiochus verſprochen hatte/
es truͤge ihr mehr keine Buſſe alle Laſter auszu-
uͤben. Daher ſchickte Sitas/ oder vielmehr ſie
unter dem Scheine die bruͤderliche Uneinigkeit
guͤtlich beyzulegen einen Geſandten zum Anti-
ochus/ der von dar vollends nach Rom ziehen/
uñ den Verlauff der Sachen berichten ſolte. Jm
Werck aber kundſchaffte dieſer des Antiochus
Verfaſſung aus/ und trachtete nicht allein ſeine
Diener zu beſtechen/ ſondern ihm auch gar Gifft
beyzubringen. Dieſe Verraͤtherey aber ward
offenbar/ und Antiochus ließ ſeines Bruders
Geſandten ans Creutz ſchlagen. Auguſtus nam
dieſe gerechte Straffe fuͤr eine Verletzung des
Voͤlcker-Rechts und des Roͤmiſchen Volcks/ zu
welchem der Gecreutzigte gehen ſolte/ auff/ und
foderte den Antiochus nach Rom/ dafuͤr Red und
Antwort zu geben. Artaxias/ deſſen Schwe-
ſter Antiochus hatte/ widerrieth ihm zu erſchei-
nen/ aber er verließ ſich auff ſeine gerechte Sa-
che. So bald er aber nach Rom kam/ ward er
fuͤr den Rath geſtellet/ und gegen ihm auffgemu-
tzet/ wie nicht allein alle Voͤlcker/ ſondern auch
die Goͤtter das den Botſchafftern zugefuͤgte Un-
recht mit Feuer und Schwerdt gerochen haͤtten.
Als Koͤnig Pſam̃enitus in Egypten des Koͤnigs
Cambyſes Herold niederſebeln laſſen/ haͤtten
ihn und ſein Koͤnigreich die Goͤtter in Camby-
ſens Haͤnde gegeben/ welcher des Pſammenitus
Sohne und zwey tauſend Memphitiſchen
Knaben Knoͤbel an den Mund legen/ ſie zur
Schlachtbanck ſchleppen/ und dem Geiſte des
Herolds auffopffern laſſen. Alſo haͤtten ſie auch
den Arioviſt geſtrafft/ weil er des Julius Caͤſars
Geſandten Valerius Procillus in Ketten ge-
ſchloſſen und verbrennen wollen. Als die Athe-
nienſer des Darius Botſchafft/ ungeachtet ſie ih-
nen Erde und Waſſer anſprachen/ in ein tieffes
Loch ſteckten/ waͤren ſie faſt alles ihrigen entſetzt;
und als ſie des Koͤnigs Philippus todtes Bild
(Geſandten aber waͤren lebendige Bilder ihrer
Fuͤrſten) mit Harn begoſſen/ waͤre ihre Stadt
mit Aſche/ Blut und Saltz beſprenget wor-
den. Jnſonderheit waͤre es bey den Roͤmern
ein loͤbliches Herkommen/ ſolche Schmach mit
des Verbrechers Untergange abzutilgen. Als
die Tarentiner den Roͤmiſchen Botſchaffter Lu-
cius Poſthumius verlachet und beſudelt/ haͤt-
te Tarent hernach bitterlich weinen und den
wenigen Koth mit groſſen Stroͤmen Bluts ab-
waſchen muͤſſen. Die gantze Stadt Fidena ſey
deßwegen eingeaͤſchert worden. Sie ſelbſt haͤt-
ten ihre eigene Buͤrgeꝛ ihren Feinden zuꝛ Straf-
fe ausfolgen laſſen/ die ſich an ihren Geſandten
vergriffen/ als den L. Minutius und L. Mann-
lius den Carthaginenſern/ den Qvintus Fabius/
und
[232]Drittes Buch
und Cneus Apronius der Stadt Apollonia.
Antiochus ſchuͤtzte hingegen fuͤr/ der gecreutzig-
te Geſandte waͤre kein Roͤmiſcher/ ſondern ſei-
nes Brudern/ ja nicht ein Geſandter/ ſondern
ein Auffwiegler und Meuchel-Moͤrder geweſt.
Zu deſſen Beweiß er unterſchiedene Zeugniſſe
und Uhrkunden fuͤrlegte. Die Unverſehrlig-
keit einer Botſchafft waͤhrete nicht laͤnger/ als
ihre Unſchuld. Alle Freyheiten wuͤrden durch
Mißbrauch verſpielet. Weil nun das heilige
Amt eines Geſandten kein Deckmantel unſtraf-
barer Boßheit ſeyn ſolte/ haͤtte er zu Beſchir-
mung ſeiner Hoheit/ und zur Sicherheit ſeiner
ſelbſt billich Urthel und Recht uͤber ihn ergehen
laſſen. Haͤtten doch die Roͤmer den Tarenti-
niſchen Geſandten Phileas/ welcher nur
durch Beſtechung der Auffſeher zwey Taren-
tiniſche Geiſſel von Rom wegſpielen wollen/ mit
Ruthen geſtrichen/ und vom Tarpeji chen Fel-
ſen geſtuͤrtzet. Fuͤr wenigen Jahren haͤtte der
Schutzherr Hiberniens des Koͤniglichen Ge-
ſandten aus den gluͤckſeligen Eylanden Bruder
wegen eines gemeinen Todſchlages enthaupten
laſſen. Warum ſolte ein Koͤnig nun nicht
den/ der ihm nach Reich und Leben ſtrebt/ den
Geſetzen und dem Richterſtuhl unterwerffen?
Allein ihm ward begegnet: Das Unrecht eines
Geſandten ginge auch den an/ zu dem er ge-
ſchickt wuͤrde. Als die Antiater die nach Rom
von Sicilien abgeſertigte Botſchafft eingeker-
ckert haͤtten/ waͤren die Roͤmer am erſten wider
ſie zu Felde gezogen. Haͤtte ein Geſandter
was verwuͤrcket/ ſtuͤnde das Erkaͤntniß ſeinem
Herrn zu/ dem er zu Beſtraffung abgefolgt wer-
den muͤſte. Als der groſſe Alexander Tyrus
erobert/ habe er zwar zweytauſend Buͤrger ge-
creutziget/ denen Carthaginenſiſchen Geſand-
ten aber kein Haar kruͤmmen laſſen/ ob ſie
ſchon wider ihn geſchickt waren/ und die Stadt
gegen ihn zur Hartnaͤckigkeit verhetzt hatten.
Als Rom den Phileas geſtrafft/ waͤre Tarent
ſchon den Roͤmern unterthaͤnig geweſt. An-
tiochus zog endlich unterſchiedene Schreiben der
Koͤnigin Arimanthe heraus/ daraus er beſchei-
nigte/ daß ſie und Koͤnig Sitas an ihres Ge-
ſandten Laſtern Theil und Wohlgefallen/ als er
ſich von den Mitſchuldigen keiner Gerechtigkeit
zu verſehen gehabt haͤtte. Deſſen aber allem
ungeachtet/ ſprach der Rath ihm auff deß in die
Arimanthe verliebten Auguſtus Befehl den
Kopff ab/ welch grauſames Urthel auch an ihm
unerhoͤrter Weiſe vollzogen ward. Alleine dieſer
Streich zielete noch auff einen groͤſſern Kopff/
nemlich den Artaxias/ gegen den ſich nun mehr
durch Hinrichtung ſein es Schwagers des Au-
guſtus Haß ſo vielmehr vergroͤſſerte/ nach dem
es des menſchlichen Geſchlechts Eigenſchafft iſt/
den zu haſſen/ den wir verletzt haben. Gleichwol
aber hielt den Auguſtus die Macht und Tapf-
ferkeit des Artaxias/ und das Buͤndniß mit den
Parthen zuruͤcke/ ſich gegen ihn oͤffentlich Feind
zu erklaͤren/ ungeachtet er hoͤrte/ daß des Artaxi-
as Schweſter mit dem von Rom uͤberkomme-
nen blutigen Kopffe ihres Gemahls zum Arta-
xias gezogen war/ und ihn um Schirm und Ra-
che mit beweglichen Thraͤnen anflehete. Die-
ſemnach ſahe er nach durch Liſt ihm ein Bein un-
terſchlagen/ und befand des Artaxias eigenen
Bruder Artabazes/ der nebſt dem Tigranes
vom Antonius aus Armenien gefangen wegge-
fuͤhret/ und zu Bedienung dem Tiberius zuge-
eignet war/ zu einem tauglichen Werckzeuge.
Denn er war ein Menſch von Natur zu allen
Laſtern geneigt/ und die Gemeinſchafft mit
dem Tiberius hatte ihm dieſe Lehre feſt einge-
praͤget/ daß des Herrſchens wegen nicht nur
alle Rechte verletzt/ das Gewiſſen an Na-
gel gehenckt/ ſondern auch das Gebluͤte in
Galle verwandelt werden muͤſte. Dieſer ward
zu einem ſchoͤnen Vorwand/ daß der Kaͤyſer
nur dem Verbrechen des Antiochus nicht ſei-
nem Geſchlechte gram ſey/ Koͤnig in Comagene
erklaͤret/ und/ die Warheit zu ſagen/ Artaxias
hierdurch nicht alleine beſaͤnfftiget/ ſondern
auch
[233]Arminius und Thußnelda.
auch ſicher gemacht. Artabazes erſchien ſelbſt
nach Artaxata/ ſtrich ſeiner bruͤderlichen Liebe
und des Kaͤyſers Zuneigung eine ſchoͤne Farbe
an/ erſuchte ihn auch ihm behuͤlfflich zu ſeyn/
daß der Parthiſche Koͤnig Tiridates ihm ſeine
andere Tochter vermaͤhlen moͤchte. Artaxias
half ihm nicht alleine zu dieſer anſehnlichen
Heyrath/ ſondern er haͤtte ihm gerne die Son-
ne zugeeignet/ wenn diß ſo wohl in ſeiner Ge-
walt geſtanden/ als ihn bruͤderlich zu lieben.
Jſt aber wol ein ſchwaͤrtzerer Undanck/ ein ab-
ſcheulichereꝛ Meuchelmord iemals gehoͤret wor-
den! Artaxias hielt Artabazen mit ſeiner neuen
Gemahlin Antigone durch gantz Armenien koͤ-
niglich aus/ und begleitete ihn biß an die Coma-
geniſche Graͤntze. Als ſie nun das letzte mahl
auf dem erſten Comageniſchen Schloſſe nicht
weit von Samoſeta Taffel hielten/ Artaxias
auch ſeine meiſten Leute uͤber dem Fluſſe Phrat
gelaſſen hatte/ die uͤbrigen aber mit Fleiß durch
den Wein eingeſchlaͤfft waren/ auch ſich dieſem
fuͤrſichtigen Koͤnige Gifft beyzubringen nicht
ſchicken wolte/ ſtieß der unmenſchliche Artaba-
zes unverſehens einen gifftigen Dolch in des
Artaxias Hertze/ und beſudelte ſich und ſeine
Braut mit dem bruͤderlichen Blute/ und eines
ſolchen Fuͤrſtens/ deſſen Gedaͤchtniß die Tu-
gend unſterblich erhalten wird/ wo ſie anders
nicht beſor get/ daß mit ihm auch des keines Na-
mens und Andenckenswuͤrdigẽ Artabazes doͤrf-
te gedacht werden. Die Koͤnigin Erato konte
ſich nicht enthalten/ daß die Wehmuth die Thraͤ-
nen Strom-weiſe aus ihren Augen preſte;
Thuſnelde aber umb ſie von ſo ſchmertzhaffter
Erinnerung auf was anders zu bringen/ warf
ein: Sie hielte zwey Dinge fuͤr ungerechte
Schickungen des Gluͤckes; eines waͤre: daß/
nachdem der Nachruhm der ſchoͤnſte Preiß der
Tugend ſey/ der tapfferſten Helden Gedaͤcht-
niß offt gar ver geſſen/ oder doch gar ungeſchickt
aufgemerckt wuͤrde. Der unvergleichliche Sci-
pio ſey nur von der groben Feder des Ennius
geruͤhmet/ die alten deutſchen Heldenthaten aber
von niemanden aufgeſchrieben worden. Das
andere beſtehe darinnen: daß/ nachdem die
Vergeſſenheit/ welche alles in den Staub des
unſichtbaren Nichts ver graͤbet/ die groͤſte Rache
wider die Laſter iſt/ dennoch der Name und das
Thun vieler boßhafften Menſchen/ welche der
Geburt nie werth geweſt/ unvergeſſen bleibt/
und alſo die Boßheit nichts minder als die Tu-
gend die Gewalt iemanden zu verewigen haben
ſoll. Die Epheſier meinten durch ihr Verbot
den Namen des ihren Dianiſchen Tempel an-
zuͤndenden Mordbrenners/ weil er dardurch
ihm die Unſterbligkeit zu erwerben fuͤrgehabt/
der Nachwelt aus Ohren und Augen zu reiſſen;
Gleichwol hat der beredte Theopompus mehr
ihm als den Nachkommen zu Liebe aufgezeich-
net/ daß es Heroſtratus geweſen ſey. Pauſa-
nias erſtach den groſſen Koͤnig Philipp/ und
ſein Mord iſt nach dem Einrathen Hermoera-
tens nicht weniger/ als des Ermordeten Siege/
bekandt. Ja ſeine Gemahlin Olympias dorf-
te dieſem ans Creutz geſchlagenen Meuchelmoͤr-
der noch wol einen Lorber-Krantz aufſetzen/ und
Lebenslang bey ſeinem ehrlichen Grabe ein
praͤchtiges Jahr-Gedaͤchtnuͤß halten laſſen.
Es iſt nicht ohne/ antwortete die ſich wieder er-
holende Erato/ daß viel tugendhaffte Gemuͤ-
ther einer gelehrtern oder aufachtſamern Welt
wuͤrdig geweſt ſind/ als in welcher ſie gelehet/
da entweder der Mangel der Geſchichtſchrei-
ber/ oder der Undanck der Lebenden/ welchen
meiſt nur die verfaulten Knochen der verſtorbe-
nen wolruͤchen/ ihrer vergeſſen. Gleichwol
aber traͤget das Verhaͤngniß fuͤr die Tugend ſo
groſſe Sorge/ daß der Nachruhm derſelben/ de-
rer Fleiſch in unbekanten Graͤbern ſtincket oder
vermodert iſt/ ſich noch als eine kraͤfftige Salbe
in die gantze Welt zertheilet/ und daß die/ von
welchen bey ihren Lebzeiten kaum ihr Nachbar
was gewuͤſt/ tauſend Jahr hernach in der gan-
tzen Welt beruͤhmt ſind. Worbey ich mich der
Erſter Theil. G gRei-
[234]Drittes Buch
Reimen erinnere/ die in dem Delfiſchen Tem-
pel unter dem Bilde des ſeine Kinder freſſen-
den/ und dardurch die Zeit fuͤrbildenden Sa-
turnus ein geetzt ſind; Worauf Faunus/ der da-
ſelbſt fuͤr Zeiten im Nahmen des Saturnus der
Helden Gluͤcksfaͤlle geweiſſagt haben ſoll/ mit
dem Finger zeigte:
Hingegen kan man freylich wol durch keine
gegenwaͤrtige Kaͤyſer-Gewalt weder des boͤſen
noch guten Gedaͤchtniß vertilgen. Wiewohl
ſich nun die nach ſolchem Andencken ſtrebende
Boßheit mit ihrer eigenen Schande/ wie der
Geyer an ſtinckenden Aeſſern ſaͤttigt; ſo iſt doch
diß eine mehr als gifftige Nahrung/ welche
macht/ daß man fuͤr beyden Grauen und Ab-
ſcheu hat. Daher haben die Laſterhafften ſich
ſo ſehr fuͤr der Feder eines Geſchichtſchreibers/
als die haͤßlichen fuͤr dem Pinſel des Mahlers
zu fuͤr chten. Salonine ſetzte bey: Aber noch
vielmehr fuͤr dem unaufhoͤrlich nagenden Wur-
me des Gewiſſens und der goͤttlichen Rache.
Jenes fuͤhret wider den Schuldigen taͤglich
tauſend Zeugen/ es ſtellet ihm fuͤr einen Richter/
der ihn alle Augenblicke zu Schwerd/ Pfal und
Schweffel verdammet; es uͤber giebt ihn einem
Hencker/ der ihn ſtuͤndlich mit Ruthen ſtreicht.
Weder Leibwache/ noch Feſtungen koͤnnen ihn
hierwider ſchuͤtzen. Denn weil wir von Na-
tur fuͤr Laſtern eine Abſcheu haben/ iſt das Zit-
tern der boßhafften Eigenſchafft/ die Furcht
bleibt auch in der groͤſten Sicherheit nicht auſ-
ſen/ und ſie glauben weder ihren ſelbſt eigenen
Schadloß-Buͤrgen/ noch denen/ die durch
heuchleriſche Lobſpruͤche dem Laſter eine ſchoͤne
Farbe anſtreichen. Der Schlaff kan ſie nicht
beruhigen/ das Schrecken ſchleichet mit dem
Schatten ihrer Traͤume in ihre innerſte Ge-
maͤcher; ſo oft man von frembden Verbrechen
redet/ ſo oft verurtheilt ſie das ihrige. Dieſe
Angſt bleibt niemahls auſſen/ wo gleich die Ra-
che der Goͤtter verweilet. Jedoch folget dieſe
doch endlich/ und wenn ſie mit einem langſamen
Bley-Fuſſe einen Ubelthaͤter einholet/ ſo tritt ſie
ihm deſto ſchwerer auf den Hals. Beydes er-
fuhr der Bruder-Moͤrder Artabazes/ welchen
von der Zeit ſo grauſamer That niemand mehr
lachen geſehen. Er wolte ſelbte zwar verdruͤ-
cken/ und daß Artaxias durch einen Zufall um-
kommen waͤre/ die Armenier bereden; alleine
die Ubelthaͤter haben meiſt ihr eignes Antlitz/ o-
der wol gar die ſtummen Spinnen zum Verraͤ-
ther/ in dem die Moͤrder in ihren Geweben
wol mehrmals ihre Ubelthaten zu leſen vermei-
nen/ und einen Fiſchkopf fuͤr das Haupt eines
unſchuldigen Todten anſehen. Ja Artabazens
eigene Rathgeber behertzigten allererſt nach
vollbrachter That die Groͤſſe des Laſters/ und
nach dem der nur/ den ſie haſten/ erblichen war/
verwandelte ſich ihre vorige Mißgunſt in Mit-
leiden/ und welche vorhin zu ſolcher Entſchluͤſ-
ſung ein Auge zugedruͤckt/ zohen den Kopf aus
der Schlinge/ und verriethen das abſcheuliche
Beginnen ihres Fuͤrſten. Wie nun Artaba-
zes ſeinen Mord entdeckt ſahe/ muſte er ſeinem
offenbaren Laſter mit Kuͤhnheit zu huͤlffe kom-
men. Dahero ruffte er den Tiberius zu Huͤlf-
fe/ welcher alſofort mit ſechs Roͤmiſchen Legio-
nen in Armenien einbrach. Die Reichsſtaͤn-
de geriethen bey ſolcher Beſtuͤrtz- und Entfal-
lung ihres Hauptes/ wie auch in Mangel eines
erwachſenen Nachfolgers in hoͤchſte Verwir-
rung; Einer wolte mit ſeinem Rathſchlage dar/
der andere dort hinaus/ und alſo hinderten auch
die/ welche es gleich mit dem Vaterlande und
des
[235]Arminius und Thußnelda.
des Artaxias Erben gut meinten/ einander.
Die Meden fielen ab/ und ſetzten den Ariobar-
zanes auf den Thron/ welcher durch Geſand-
ſchafft und Geſchencke den damals in Aſien ſich
befindenden Tiberius auf ſeine Seite brachte/
und vom Kaͤyſer die Beſtaͤtigung ſeiner Herr-
ſchafft erlangte. So verlautete auch/ daß Au-
guſtus perſonlich mit groſſer Macht in Aſien
kommen wuͤrde. Artafernes mein Ehmann
brachte es gleichwol in der Eile ſo weit/ daß E-
rato unter dem Namen des andern Artaxias zu
Artaxata gekroͤnet ward/ und Aſtyages mit ei-
nem fliegenden Heere dem Artabazes entgegen
zog. Er ſelbſt nahm aufs ſchleunigſte ſeinen
Weg in Parthen/ um bey ſolchem Nothſtande
vom Koͤnige Tiridates Huͤlffe zu bitten. Aber/
O der ohnmaͤchtigen Kraͤffte/ welche ſich auff
frembde Achſeln lehnen! Denn/ ſehet/ gleich als
Artabazes in Armenien gedrungen/ war der
grimmige von den Parthen vertriebene Phraa-
tes mit zwey mahl hundert tauſend Scythen/
welche er nach hin und wieder vergebens geſuch-
ter Huͤlffe durch groſſe Vertroͤſtungen gewon-
nen hatte/ in Parthen eingefallen/ und hatte
theils von denen/ welche die oͤftere Veraͤnde-
rung der Fuͤrſten fuͤr den Wolſtand des Reichs
halten/ oder bey deſſen Verwirrung ſich hoͤher
ans Bret zu bringen vermeinen/ einen groſſen
Zulauff erlanget. Tiridates raffte zwar in der
Eil ein ziemliches Heer zuſammen/ und/ weil
die Geſchwindigkeit in Buͤrgerlichen Kriegen
das meiſte thut/ wolte er ſeinem Feinde bey zei-
ten begegnen. Artafernes kam mit etlichen
hundert Armeniſchen Edelleuten gleich darzu/
als Phraates und Tiridates im hitzigſten Tref-
fen waren/ und fand dieſen mit Staub und
Blut derogeſtalt beſpruͤtzet/ daß er ihm kaum
mehr kenntlich war. Gleichwol hielt er es nicht
fuͤr rath ſam/ bey ſo gefaͤhrlichem Zuſtande den
Tiridates durch Eroͤffnung der ſchlechten Be-
ſchaffenheit in Armenien kleinmuͤthig zu ma-
chen/ ſondern er vermengte vielmehr ſeine Waf-
fen gleichfalls mit dem Feinde/ und wie klein
gleich dieſe Huͤlffe war/ ſo machte es doch den
Phraates ſtutzig/ als er Armenier wider ſich
fechten ſahe. Alleine endlich uͤberwog die Men-
ge der Scythen die Tapfferkeit des Tiridates/
und er muſte ſich mit ſeinem Volcke/ ſo gut er
konte/ nach eines gantzen Tages ritterlichem
Gefechte zuruͤck ziehen. Das Schrecken etli-
cher Fluͤchtigen brachte den Ruff in das gantze
Koͤnigreich/ Tiridates waͤre mit ſeinem gantzen
Heere erſchlagen/ und hiermit auch die Furcht
unter die dem Tiridates ſonſt getreue Untertha-
nen/ alſo/ daß eine unzehlbare Menge dem
Phraates zufiel/ entweder/ weil dem Sieger
ieder geneigt iſt/ oder weil ſie durch zeitliche Un-
terwerfung ſeine bekandte Grauſamkeit beſaͤnf-
tigen wolten/ welche er itzt/ nach Art der neuen
Herrſcheꝛ/ mit angenommener Leutſeligkeit ver-
huͤllte/ und als eine ertichtete Tugend ſo viel
mehr gefuͤrchtet ward. Als nun Tiridates ſein
Laͤger alle Tage abnehmen/ Phraatens Macht
aber wachſen ſahe; Maſſen denn unter einem
neuen Herrn der Gehorſam ſeine Dienſte ſehr
eifrig abſtattet/ entſchloß er ſich auf Artafernens
Einrathen dem Phraates lieber das Reich zu
raͤumen/ als noch ſo viel edlen Blutes ohne
Hoffnung des Sieges auf die Fleiſchbanck zu
opffern. Daher befahl er/ daß gegen Mitter-
nacht ſein uͤbriges Heer in Bereitſchafft ſeyn ſol-
te/ und nachdem er dieſes auf einen geheimen
Anſchlag angeſehen zu ſeyn vermeinte/ trug er
ihnen gantz unvermuthet fuͤr: Nachdem die Goͤt-
ter ihm das Reich nicht laͤnger goͤnneten/ welches
er durch einmuͤthige Stim̃e der Parthen uͤber-
kommen/ wolte er dem Verhaͤngniſſe aus dem
Wege gehen/ und dieſes mit gutem Willen ab-
treten/ was ihm doch das Gluͤcke aus den Haͤn-
den winden wuͤrde. Dahero erlieſſe er ſie ih-
rer Pflicht/ und des ihm gethanen Eydes. Je-
der ſolte nach ſeinem Belieben ſich bey dem
Phraates ausſoͤhnen/ oder ſonſt ſein Heil verſu-
chen. Er waͤre nun auch auf dem Sprunge
G g 2dahin
[236]Drittes Buch
dahin zu folgen/ wohin ihn ſein Stern oder Un-
ſtern leiten wuͤrde. Auf allem Fall wuͤrden ſie
und ſein Gewiſſen ihm zeugen/ daß er ſein
Schwerd in kein unſchuldiges Blut der Par-
then getaucht habe. Die Fuͤrſtin Jſmene fing
hieruͤber laut an zu ruffen: Hilf Himmel! aus
was fuͤr Bloͤdſinnigkeit hat der ſo beruͤhmte Ti-
ridates/ ehe er voͤllig uͤberwunden worden/ ſeine
ſo getreue Unterthanen dieſem Wuͤterich auff
die Schlachtbanck liefern/ ſich ſelbſt aber der
Herrſchafft enteuſern koͤnnen? Einem Koͤnige
thut es ja nicht ſo weh ſterben/ als ſeiner Hoheit
entſetzt werden. Denn jenes iſt nur eine Em-
pfindung eines Augenblicks/ dieſes aber ein un-
aufhoͤrlicheꝛ Todt/ und das uͤberbliebene Athem-
holen ein ſtetes Seufzen. Salonine antwortete:
Eben dieſer Meinung waͤren die getreuen Par-
then geweſt. Denn dem Kriegsvolcke gien-
gen uͤber dieſer ſeltzamen Entſchluͤſſung die Au-
gen uͤber/ die Oberſten umarmten ſeine Knie/
reichten ihm die Haͤnde/ weiſten ihre Narben
und baten: Er moͤchte doch das ſo getreue Heer/
die ſo wol verdienten und der Wunden gewohn-
te Parthen nicht verlaſſen/ und in des Wuͤte-
richs Haͤnde ungerochen fallen laſſen. Es ſey
beſſer widrigen Zufaͤllen begegnen/ als auswei-
chen. Tapffere Leute muͤſten mehr Hoffnung
ſchoͤpffen/ als das Ungluͤcke draͤuen koͤnte/ und
die Furchtſamen eilten nur zu kleinmuͤthiger
Verzweiffelung. Sie waͤren entſchloſſen mit
einem ſo frommen Fuͤrſten zu leben und zu ſter-
ben. Alleine Tiridates hatte als ein kluger
Fuͤrſt ſchon ſeine uͤbrige/ und des Phraates
Kraͤfften gegen einander auf die Wage gelegt/
und daraus die Unmoͤglichkeit ſeinem Feinde
fruchtbar die Stirne zu bieten erkennet. Die
Chimeren der Herrſchens-Begierde ſtreichen
zwar leicht auch der Unmoͤgligkeit eine Farbe
an/ und die Anbeter des blinden Gluͤckes ver-
leiten die Fuͤrſten leicht zu tollkuͤhnen Entſchluͤſ-
ſungen; aber ein kluger Fuͤrſt haͤlt es fuͤr keine
Schande dem Blitze des Himmels auszuwei-
chen/ und der Gelegenheit zu erwarten ſich wie-
der in Stand zu ſetzen und in Buͤgel zu heben/
inſonderheit aber in einer verzweiffelten Sache
das Buͤrger-Blut zu ſparen. Phraatens
Grauſamkeit haͤtte die Zeit mit dem Schim-
mel der Vergeſſenheit uͤberzogen/ und die luͤ-
ſterne Liebe der Neuigkeit das Volck mit
Phraaten verbunden. Weil nun aber ein
Wuͤterich ſo wenig als ein Tiegerthier nicht
von ſeiner wilden Art laſſen/ ja ſein mit Blut
erworbenes Reich ohne Mord nicht behaupten
kan/ der veraͤnderliche Poͤfel aber/ als ein Ca-
meleon unter den Menſchen/ und ein Thier/
das den Wirbel des Unbeſtandes zu ſeinem An-
gelſterne braucht/ ſo geſchwinde haſſet/ als lie-
bet; meinte Tiridates/ es wuͤrde Phraates bald
erkennet werden/ und alſo ſeine Herrſchafft ſo
wenig als die Zuneigung der Parthen keinen
Beſtand haben/ und eꝛ alſo mit mehꝛ Ruhm/ und
wenigerm Blute den Koͤniglichen Stul wieder
beſteigen koͤnnen. Dieſemnach er denn ſeinen
Getreuen zur Antwort gab: Er nehme ihre
großmuͤthige Erklaͤrung zu Danck auf/ und da
noch einige Hoffnung dem Vaterlande zu helf-
fen uͤbrig waͤre/ wuͤrde er mit Freuden ſich fuͤr
ſelbtes aufopffern. Alleine er haͤtte es nun ſchon
mit dem Gluͤcke verſucht/ und das Verhaͤng-
niß kennen lernen. Moͤchte er auch gleich durch
ihre Tugend Kron und Zepter behaupten koͤn-
nen/ ſo wuͤrde dieſe Eitelkeit doch durch ſo viel
edles Blut allzu theuer gekaufft ſeyn. Es ſey
beſſer ſie dem Vaterlande zum beſten erhalten/
als es ihm ruͤhmlich waͤre fuͤr ſeine Buͤrde ie-
manden zu verderben. Sie haͤtten Ehre ge-
nung davon/ daß ihre Treue alles mit ihm aus-
zuſtehen waͤre willens geweſt. Dahero ſolten
ſie nicht laͤnger ihrer Wolfarth und ſeiner Be-
ſtaͤndigkeit am Wegeſtehen. Traute aber ein
und ander nicht beym Phraates Gnade zu fin-
den/ ſo waͤre er nicht darwider/ daß derſelbe ihm
nachfolgte/ und an ſeinem Gluͤcke Theil haͤtte.
Hiermit gab er und Artafernes dem Pferde die
Spor-
[237]Arminius und Thußnelda.
Sporne/ und ritt aus dem Laͤger fort/ welchem
das Kriegsvolck gantz verſtummet/ und als
wenn es vom Wetter geruͤhret waͤre/ beſtuͤrtzt
nachſahe. Gleichwohl aber folgten ihm uͤber
tauſend Pferde von dem fuͤrnehmſten Adel/ wel-
che zu Verſtoſſung Phraatens am meiſten ge-
holffen hatten/ und daher lieber ihre Guͤter/ als
Koͤpffe im Stiche laſſen wolten. Mit anbre-
chendem Tage traffen ſie auf ein Geſchwader
Scythen/ welche ſie alſofort umringten/ und
von ihren Gefangenen vernahmen/ daß hinter
ihnen zwey tauſend Phraatiſche Voͤlcker mit
vielen beladenen Camelen im Anzuge waͤren/
welche Phraatens juͤngſten Sohn Tiridates
wegen zugeſtoſſener Unpaͤßligkeit in eine ſich
unferne von dar ergebene Feſtung bringen ſol-
ten. Koͤnig Tiridates wolte dieſe Gelegen-
heit ſich noch zu guter letzte zu raͤchen nicht aus
den Haͤnden laſſen; Gab daher ſeinem geweſe-
nen Feldherrn Artaban das dritte Theil ſeiner
Gefehrten darmit den Scythen zu begegnen/
mit dem Befehl/ er ſolte alſofort Fuß fuͤr Fuß
zuruͤcke weichen/ er ſelbſt aber ſetzte ſich mit ei-
nem Drittel hinter einen Sandhuͤgel/ und Ar-
tafernes war befehlicht dem Feinde durch einen
Umſchweif in den Ruͤcken zu kommen/ und/ wo
moͤglich/ den jungen Tiridates nicht entwi-
ſchen zu laſſen. Der Anſchlag lief nach Wuntſch
ab; die Scythen gingen auf des Artabans ge-
ringen Hauffen/ ſo bald ſie deſſen anſichtig wa-
ren/ halb blind loß/ wurden auch des Koͤnigs
Tiridates bey ihrer unvorſichtigen Verfolgung
nicht ehe gewahr/ als biß Artaban feſten Fuß
ſetzte/ und Artafernes hinter dem Sandhuͤgel
herfuͤr ihnen in die Seite fiel. Hiermit wur-
den ſie in einer viertel Stunde zertrennet/ und/
weil es ihnen meiſt um den bey den Kamelen
ſich befindenden Sohn des Phraates zu thun
war/ kehrten ſie den Parthen den Ruͤcken/ ſetz-
ten den jungen Tiridates geſchwind auff ein
Pferd/ in Meinung mit ihm alleine durchzu-
gehen/ und ihrem Feinde die uͤbrige Beute im
Stiche/ und zu ſeiner Verweilung zu hinter-
laſſen. Aber Artafernes kam ihnen ſchnur-
ſtracks entgegen/ und derogeſtalt rennten ſie
meiſt einander ſelbſt zu Boden/ alſo/ daß die
Parthen nicht ſo wol zu fechten/ als nur zu wuͤr-
gen hatten. Den jungen Tiridates konte Ar-
tafernes mit genauer Noth erretten/ daß er
nicht von ſeiner eigenen Reuterey ertreten
ward. Nach dieſer letzten Rache und fetten
Beute nahmen ſie ihren Weg gerade nach Ar-
menien zu; auf der Graͤntze aber wurden ſie von
dieſer betruͤbten Zeitung erſchrecket/ daß Aſtya-
ges mit ſeinem Heere von den Roͤmern erlegt/
Artaxata durch Verraͤtherey erobert/ die ver-
wittibte Koͤnigin Qlympia gefangen/ Artaba-
zes gekroͤnet/ Mithridates hingegen ein Sohn
des meineydigen Alexanders/ welchem der zu
Rom enthauptete Koͤnig Antiochus hatte den
Kopf abſchlagen laſſen/ in Comagena eingeſetzt;
Erato/ oder der ſo genante junge Koͤnig Arta-
xias durch mich und etliche getreue Armenier
gefluͤchtet/ und gantz Armenien unter Artaba-
zens Botmaͤßigkeit gebracht worden waͤre.
Dieſemnach wuſte Koͤnig Tiridates aus dem
Stegereiffen/ und da ihm Armenien/ Parthen
und Scythen verſchloſſen war/ keinen andern
Schluß zu faſſen/ als gegen Edeſſa und Antio-
chien in Syrien abzulencken/ bey dem Kaͤyſer/
welcher wegen der gegen die Roͤmer veruͤbten
Grauſamkeit und abgenommener Adler dem
Phraates nicht gut ſeyn konte/ Zuflucht und
Schutz zu ſuchen/ auch ihm den jungen Tirida-
tes einzuantworten. Tiridates ward vom
Kaͤyſer freundlich bewillkommet/ und ob wohl
Phraatesbeym Auguſtus um Ausfolgung ſei-
nes ſo genennten Knechtes des Tiridates und
ſeines Sohnes/ Tiridates hingegen um Huͤlffe
wider Phraaten anhielt; ſo ſchickte er zwar je-
nem den Sohn/ das uͤbrige aber ſchlug er ſo wol
Tiridaten als Phraaten ab/ iedoch ließ er den
Koͤnig Tiridates in Syrien Koͤniglich unter-
halten. Nachdem auch Auguſtus hierauf ſelbſt in
G g 3Sy-
[238]Drittes Buch
Syrlen kam/ und Phraates wegen Tiridatens
Einfall ſorgfaͤltig war/ ſchickte jener dem Kaͤyſer
nicht allein die dem Craſſus und Antonius abge-
nommenen Adler und noch lebenden Gefange-
ne zuruͤcke/ ſondern auch ſeine zwey aͤlteſten
Soͤhne Unnones und Phraates zur Geiſſel; o-
der vielmehr/ weil er mit ſeinem gantzen Ge-
ſchlechte bey den Parthen verhaſt war/ zu ihrer
eigenen Verſicherung. Welches Auguſtus
fuͤr ein ſo groſſes Werck hielt/ daß er ſieghafft
unter einer Ehrenpforte in Rom ſeinen Ein-
ritt hielt/ dem raͤchenden Jupiter einen Tem-
pel baute/ um die ohne Schwerdſtreich wieder
bekommenen Adler darinnen aufzuhaͤngen.
Jch muß aber zuruͤck in Armenien kehren/ und
auf den fuͤrgeſetzten Zweck kommen. Als die
Poſt nach Artaxata von des Aſtyages Niederla-
ge und Artabazens Anzuge kam/ nahm die Koͤ-
nigin Olympia mich/ und Ariarathen einen ih-
rer vertrauteſten Raͤthe allein in ihr Zimmer/
ſtellte uns ihre und ihres Sohnes des jungen
Koͤnigs augenſcheinliche Gefahr mit heiſſen
und bittern Thraͤnen fuͤr/ beſchwur uns auch
bey unſerer Eydes-Pflicht/ daß wir in dieſer eu-
ſerſten Noth ſie nicht Troſtloß laſſen/ ſondern/
weil der Wuͤterich Artabazes nach ermordetem
Vater auch deſſen Sohn nicht leben laſſen wuͤr-
de/ wir ſelbten/ unſerm Gutbeduͤncken nach/
wohin wir wuͤſten und koͤnten/ retten moͤchten.
Sie waͤre entſchloſſen das Haupt des Reiches
Artaxata nicht zu verlaſſen/ ſondern ſo lange ſie
athemte/ ihrem grimmigen Feinde die Spitze
zu bieten. Ariarathes und ich muſten die Ent-
ſchluͤſſung dieſer wehmuͤthigen Mutter billi-
gen/ erboten uns zu aller moͤglichſten Außrich-
tung ihres Befehls/ und wurden nach ein- und
anderer Berathſchlagung ſchluͤßig uns mit dem
jungen Artaxias in die von dem Koͤniglichen
Sitze des Pontiſchen Reichs beruͤhmte Stadt
Sinope zu fluͤchten. Jch mag oder kan nicht
ausſprechen/ mit was fuͤr empfindlichem Hertze-
leide Olympia und Erato von einander Abſchied
nahmen. Die Zunge war nicht maͤchtig eini-
ges Wort/ noch die Augen einige Thraͤnen aus-
zulaſſen/ gleichſam als wenn beyde allzugeringe
Andeutungen ihrer Liebe und Schmertzens waͤ-
ren. Eine ſo empfindliche Zaͤrtligkeit hatte die
Natur mit der Mutter-Liebe in Olympiens
Hertze gepflantzet/ welcher ſonſt das Ungluͤck
mit allen Zaͤhnen und Naͤgeln ihres Rades kei-
nen Seufzer abzuzwingen vermocht haͤtte. Wiꝛ
zohen alſo aus Artaxata/ und nahm Erato ſo viel
Schwermuth mit ſich/ als ſie ihrer Mutter O-
lympia zuruͤck ließ. Gleichwohl hielten die
Schutz-Goͤtter die Hand uͤber uns/ daß wir in
geheim aus Artaxata/ und durch allerhand Um-
wege uͤber die rauheſten Gebuͤrge in Galatien/
und zu Sinope gluͤcklich ankamen. Viel er-
baͤrmlicher aber ging es zu Artaxata mit Olym-
pien her/ welcher Tugend das Gluͤcke gegen ſie
eyverſuͤchtig/ die Boßheit aber unſinnig machte.
Als Artabazes mit den Roͤmiſchen Legionen fuͤr
Artaxata kam/ fingen die/ auf welche ſich die Koͤ-
nigin zeither am meiſten geſtuͤtzt hatte/ an zu
wancken/ und denen ſie am meiſten zugetraut/
veraͤnderten mit dem Gluͤcke auch ihre Geſich-
ter und Gemuͤthe. Ja Artabazes war faſt ehe
mit gezuͤckter Sebel durch Verraͤtherey im
Schloſſe ihr auf dem Halſe/ ehe ſie des erſten An-
griffs auf die Stadt gewar ward. Dieſer/ ſage
ich/ trat mit feurigen Augen/ mit blutbegieri-
gen Haͤnden und giftigem Hertzen in ihr Zim-
mer/ in feſtem Vorſatze die Koͤnigin eigenhaͤn-
dig ſeiner Mord-Begierde aufzuopffern. Hoͤ-
ret aber/ was die Tugend uͤber die Grauſamkeit/
und die Schoͤnheit auch uͤber die Unmenſchen
fuͤr eine nachdruͤckliche Herrſchafft fuͤhret! So
bald Artabazes Olympien erblickte/ welche alle
Annehmligkeiten des weiblichen/ und alle Tu-
genden des maͤnnlichen Geſchlechts beſaß/ er-
blaſte ſein Antlitz/ die Sebel ſanck ihm auf die
Erde/ und ſein ſchaͤumender Mund wuſte nicht/
was er ſagen ſolte. Endlich befahl er alleine/
daß ſie die Koͤnigin ehrlich verwahren/ und/ wo
Arta-
[239]Arminius und Thußnelda.
Artaxias ſich aufhalte/ genau nachforſchen ſol-
ten. Die ſcharffſinnige Olympia dachte alſo-
fort nach/ an was fuͤr Klippen ſich die Zornwel-
len dieſes blutduͤrſtigen Wuͤterichs geſtoſſen ha-
ben muͤſten. Alleine ſie konte ſelbte unſchwer
im Spiegel ihrer unvergleichlichen Schoͤnheit/
und durchdringenden Anmuth/ als ihrer vorhin
ſchon gepruͤften zwey aͤrgſten Feinde/ finden;
welche zwey Amazonen nicht nur auf die weiche
Schwanen/ ſondern auch auf die Tieger- und
Baͤren-Jagt zu ziehen/ ja den Panthern die
Klauen/ und den Loͤwen die Rachen zu hemmen
maͤchtig ſind. Die Bluts-Freundſchafft kon-
te dieſen Unmenſchen/ der mit ſeines eigenen
Bruders Blute ſeine Taffel beſpritzt hatte/ und
nach ſeinem uͤberbliebenen Erben ſo ſcharffe
Fragen verordnete/ nicht gezaͤhmet haben. Da-
her konte ſie ihr an den Fingern ausrechnen/
und/ als ſie dieſen Wuͤterich nur zum andern
mal ins Geſichte kriegte/ ihm leicht an der Stir-
ne anſehen/ daß er in ſie verliebt worden/ als ſo
viel mehr vernuͤnftiger nachſinnen/ wie ſie dem
andraͤuenden Sturme ſeiner Uppigkeit hertz-
hafft begegnen ſolte. Wie nun die Liebe frey-
lich das uͤbermuͤthige Gluͤcke zu demuͤthigen be-
muͤhet/ und der Sieger ein Leibeigner ſeiner
Gefangenen worden war; Alſo dachte Olym-
pia auf keine Weiſe wieder uͤberwunden zu wer-
den. Jn ihrem ſchoͤnen Leibe wohnte noch ein
groͤſſer Hertze; Jhre Keuſchheit war mit einer
ſo groſſen Hertzhafftigkeit ausgeruͤſtet/ daß ihr
auch aller Welt Annehmligkeit keine neue Liebe
eindruͤcken/ keine hoͤlliſche Marter ſie den Pfad
der Tugend zu verlaſſen/ bewegen konte/ und
daheꝛ war ihr feſter Schluß/ Artabazens vermu-
thetes Liebkoſen zu verlachen/ und ſeinen Draͤu-
ungen Hohn zu bieten. Aber die unausleſchli-
che Liebe ihres Artaxias ſtellete ihr ſeinen Geiſt
fuͤr Augen/ welcher ſie mit aufgehobenen Haͤn-
den und Darzeigung ſeiner Wunden um Rache
gegen ſeinem moͤrdriſchen Bruder anflehete.
Wo aber ſolte die ſchwache Hindin/ die ſelbſt von
den Klauen dieſes Wolffes zerriſſen zu werden
alle Augenblicke beſorgen muſte/ Rache und
Kraͤfften finden? Endlich zeigte ihr die Liebe ei-
nen Weg durch die Liebe. Denn als Artabazes
das dritte mal zu Olympien in das Zimmer kam/
wiſchte er ihr ſelbſt die Thraͤnen von den Wan-
gen/ verkleinerte ihr die bißherigen Trauerfaͤlle
mit dem gewoͤhnlichen Wechſel des Gluͤckes/
und ließ ſich heraus: Es haͤtte wol ehe einer/ die
in groͤſſere Finſterniß geſtuͤrtzt worden/ die Son-
ne geſchienen. Wie er nun an Olympien we-
niger Ungebehrdung/ als ihn die Groͤſſe ihres
Elendes beſorgen ließ/ vermerckte/ ward er den
vierdten Tag gegen ihr ſo offenhertzig/ daß er/
ohne Verbluͤmung/ ſeine Liebe entdeckte/ und
wie ſie durch ihre Zuneigung die Staffel ihrer
koͤniglichen Wuͤrde alſofort wiedeꝛ betreten koͤn-
te/ mit hoͤchſter Betheuerung ſeiner Aufrichtig-
keit meiſterlich und vermeſſen fuͤrzubilden wu-
ſte. Sintemal ihm das lachende Gluͤcke ohne
diß eingebildet hatte/ daß in der eroberten Stadt
Artaxata nichts unuͤberwindliches/ und ſo gar
alle Seelen gegen ihm entwaffnet waͤren. O-
lympie muſte bey dieſem Angriffe alle Kraͤfften
ihrer Seele zuſammen ziehen/ um die in ihrem
Hertzen hellodernde Rache und den Zunder der
Tugend verbergen. Denn die annehmlichen
Anfechtungen muͤſſen mit keiner raſenden Un-
gedult uͤberwunden/ noch/ wenn man ſich des
Gefaͤngniſſes erledigen will/ der Kercker-Mei-
ſter ermordet/ am wenigſten/ um ſich des Hals-
Eiſens loß zu machen/ der eigene Kopf abge-
ſchnitten werden. Dahero ließ ſie ſich gegen ihm
heraus: Sie beſcheidete ſich wol/ daß wenn ſie
auch Baͤume ausriſſe/ ſie ihren Gemahl nicht
lebendig machen koͤnte; daß unter Fuͤrſtlichen
Bruͤdern wol mehrmal Zwiſt und Feindſchafft
erwachſen/ und daß es ertraͤglicher waͤre den
Sterbekittel an/ als den Koͤniglichen Purpur
auszuziehen/ aber ihre Niedrigkeit verbiete ihr
wol ihr ein ſolches Gluͤcke traͤumen zulaſſen/
daß der ſo maͤchtige in der Schoß der Roͤmer
und des Gluͤckes ſitzende Artabazes/ welchem
der Kaͤyſer ſeine eigene Tochter nicht verſagen
wuͤr-
[240]Drittes Buch
wuͤrde/ auf eine durch Zeit und Kummer verun-
geſtaltete Gefangene ein Auge werffen/ und von
der/ welche kaum noch laͤchſete/ Vergnuͤgung
hoffen ſolte. Der von toller Brunſt mehr als
blinde Artabazes konte dieſe ihm nie eingebildete
Gluͤckſeligkeit kaum begreiffen/ und kroͤnete ſei-
ne Begierden ſchon mit einem Braut-ſeine Ein-
bildung mit einem Siegs-Krantze; meinte auch
durch oftere Eydſchwuͤre uͤber ſeiner Liebe/ und
durch Lobſpruͤche ihrer Vollkommenheit den
Stein aller Hinderniß aus dem Wege zu raͤu-
men. Endlich ſchloß er: Weil die Sonne und
edelſten Geſtirne nicht nuꝛ am faͤhigſten/ ſyndeꝛn
auch gleichſam zu einer Verſchwendung ge-
neigt waͤren ihre vermoͤgende Wolthaten uͤber
die Welt auszuſchuͤtten/ koͤnte er von einer ſo
ſchoͤnen Olympie ſich nichts anders/ als einer
vollkommenen Beſeligung verſehen. Olympia
ſtellte ſich/ als wenn ſie ſeinen Betheuerungen
voͤlligen Glauben gaͤbe/ begleitete auch ſelbten
mit ein und andeꝛm annehmlichen Blicke. Wor-
mit aber einige Ubereilung ihr Thun nicht ver-
daͤchtig machte/ bat ſie zu ihrer Erklaͤrung drey
Tage Friſt/ um durch ſolchen Aufſchub dieſen
geilen Wolluͤſter ſo viel blind und bruͤnſtiger zu
machen. Denn wie der ſchwere und unzeitliche
Genuͤß auch die hefftigſte Liebe laulicht macht;
alſo wird ſelbte durch nichts mehr/ als durch
Verzug und halb kaltſinnige Bezeugung des
Geliebten angezuͤndet. Artabazes muſte nach
vergebens geſuchter Abkuͤrtzung dieſer Bedenck-
Zeit in ſolche Gedult willigen/ ob ihm ſchon ſei-
ne unbaͤndige Begierde iedern Augenblick zu
einem Tage machte. Nach Verflieſſung dieſer
Zeit/ und zum Scheine hieruͤber gehaltener Be-
rathung unterſchiedener Armeniſcher Fuͤrſten/
welche bey Verluſt ihrer Koͤpfe Artabazens An-
ſinnen nicht unloͤblich und unheilſam ſchelten
dorfften/ druͤckte Olympiens Vernunfft alle
Duͤnſte der Traurigkeit unter ſich/ und ihr Ant-
litz veꝛmum̃te ſich in einen gantz fꝛeudigen Geiſt/
gab auch Artabazen dieſe erwuͤnſchte Antwort:
Sie muͤſte es fuͤr eine Schickung der Goͤtter er-
kennen/ daß ſie/ welche ſonſt geartet waͤre einen
geringen Kummer zu Bergen zu machen/ nicht
allein ihre groſſe Unfaͤlle ſo leicht aus dem Sin-
ne ſchlagen koͤnte/ ſondern auch deſſen Hertze/
dem das Verhaͤngniß und Kriegs-Recht die
Gewalt des Todes uͤber ihr Leben verliehen/
mit ſo heiſſer Liebe gegen ſie geruͤhret wuͤrde.
Dahero wolte ſie weder der Goͤtter Schickung
noch dem Willen Artabazens widerſtreben/
nach dem ſie zumal durch beſtaͤndige Vermaͤh-
lung ihre koͤnigliche Wuͤrde mit beſſerm Recht
und groͤſſerm Ruhm behielte/ als es die Koͤnigin
Kleofis von dem groſſen Alexander mit ihrer Lie-
be erworben. Jedoch getroͤſtete ſie ſich/ daß/ da
Fuͤrſt Artaxias ihr Sohn zu Stande gebracht
wuͤrde/ Artabazes die Heyrath nicht mit ſeinem
Blute verſiegeln/ und dadurch ihre aufrichtige
Liebe ausleſchen/ ſondern nebſt dem Leben einen
zu ſeinem Fuͤrſtlichen Unterhalt auskom̃entli-
chen Landſtrich zu verwalten vergoͤnnen wuͤrde.
Artabazes kam fuͤr Freuden gantz auſer ihm
ſelbſt. Denn da die hefftige Liebe gleichſam die
Faͤcheꝛ des Gehixnes mit einem ſchwartzen Rau-
che anzufuͤllen/ die warhafften Bilder der Din-
ge in den Sinnen zu verſtellen/ und die Ver-
nunfft in eine gaͤntzliche Thorheit zu verſetzen
maͤchtig iſt; ſo darf Leichtglaubigkeit und uͤber-
maͤßige Freude fuͤr keine Chimere der Liebe ge-
halten werden. Wiewol ſeine Boßheit hierdurch
nicht entwaffnet ward/ noch ſeine Grauſamkeit
liſtigen Anſchlaͤgen nachzuſinnen vergaß. Deñ/
wormit er Olympien ſo viel mehr ihren Sohn
herbey zu bringen bewegte/ er aber durch ſeine
Hinrichtung ihm dieſen beſchwerlichẽ Dorn aus
dem Fuſſe ziehen moͤchte/ verſchwor er ſich den
Artaxias als ſein Kind zu halten/ ihme die Stadt
Careathiocerta mit der Sopheniſchen Land-
ſchaft einzuraͤumen/ ja/ ſo viel an ihm laͤge/ zu der
Mediſchen Krone ſeines Vaters zu verhelffen.
Welch verguͤldeter Vogel-Leim unſchwer alle/
auſer eine ſo nachdenckliche Olympia/ zu fangen
faͤhig zu ſeyn ſcheinet. Hiermit machte Artabazes
alſofort Anſtalt zu einem praͤchtigen Beylager/
ver-
[241]Arminius und thußnelda.
verſchrieb ſo wol hierzu/ als zu Ablegung der
Huldigung die Armeniſchen Reichs-Staͤnde/
welche Olympiens Untreu heimlich biß in die
Hoͤlle verfluchten. Die Nacht fuͤr dem Ta-
ge/ da die Vermaͤhlung geſchehen ſolte/ entſtand
ein erſchreckliches Erdbeben/ welches etliche Ge-
baͤue in Artaxata uͤber einen Hauffen warff/ und/
welches nachdencklich/ den ſteinernen Opfer-
Tiſch/ fuͤr welchem die Vermaͤhlung geſchehen
ſolte/ mitten entzwey ſpaltete. Woruͤber die
Gottsfuͤrchtige Olympia ihr anfing ein Ge-
wiſſen zu machen/ daß ſie/ wiewohl aus einem
guten Abſehen/ zu Aergernuͤß der Welt ihren
Ehherrn ſo liederlich auſſer Augen zu ſetzen ſich
angeberdete. Zu geſchweigen/ daß ihr einkam:
Die Goͤtter wolten ſie hierdurch fuͤr einem un-
gluͤcklichen Ausſchlage ihres Fuͤrnehmens war-
nigen. Uberdiß war ihr ſehr bedencklich/ daß
Artabazes die Vermaͤhlung nicht in demſelben
Theile des Tempels/ wo die keuſche Anaitis/
nehmlich Diana verehret/ und worein fuͤr Zei-
ten Aſpaſia zu ewiger Keuſchheit verbannet
ward/ ſondern in dem Heiligthume der geilen
Anaitis oder Venus vollziehen wolte. Alleine
ihre Vernunft erholete ſich alſobald/ und ihre
Großmuͤthigkeit deutete dißz Wunder-Zeichen
fuͤr ſich aus; Artabazes hingegen/ weil die
Brunſt nicht allein das Gemuͤthe zerruͤttet/ ſon-
dern auch einen der aͤuſerlichen Sinnen berau-
bet/ ließ es anfangs auſſer aller Acht/ nach dem
aber die gantze Stadt ſolches ſo gar groß machte/
und auf allerhand Art den erzuͤrnten Himmel
zu beguͤtigen ſuchte; ſintemal der Poͤfel ohne diß
alles/ was ihre Unwiſſenheit nicht begreifft/ zu
Wundern macht/ und furchtſame Gemuͤther
zum Aberglauben geneigt ſind; wolte Artaba-
zes alleine nicht fuͤr einen Veraͤchter der Goͤtter
angeſehen ſeyn/ befahl alſo aus einer teuffeliſchen
Andacht die 300. in der Schlacht noch gefange-
ne Armenier hinzurichten/ und durch Aufopfe-
rung dieſes edlen Blutes den Grim̃ des Him-
mels von ſeinem Kopfe abzulehnen. Olympia
haͤtte uͤber dieſer wilden Ausſoͤhnung Blut wei-
nen/ und fuͤr Leid ſich in Aſche verſcharren moͤ-
gen; aber ſie muſte nun mit lachendem Munde/
mit ſpielenden Augen/ mit freudigem Geiſte in
Purper voll ſchuͤtternden Diamanten und bren-
nender Rubinen in dem Tempel der hochheili-
gen Anaitis erſcheinen/ dahin ſie auf einem ver-
guͤldeten Siegs-Wagen von vier ſchneeweiſſen
Pferden gefuͤhrt ward. Sie fand den Artaba-
zes ſchon in der Mitte als einen Gott auf einem
praͤchtigen von Edelgeſteinen bedecktem Thro-
ne ſitzen/ neben welchem ihr nicht ein geringerer
Sitz bereitet ſtand. Dieſe kluge Koͤnigin gab
einen ſo ungemeinen Glantz von ſich/ daß es
ſchien: Es haͤtte Kunſt und Natur miteinander
ſie ſo herrlich auszuſchmuͤcken eine Geluͤbde ge-
than. Die Comagener ſelbſt/ welche zeither
im Hertzen des mit der Olympie Schweſter An-
tigone vermaͤhlten Artabazens Liebe geunbilligt
hatten/ fuͤhlten ſich uͤberwieſen/ daß ihr Fuͤrſt in
einem ſchoͤnen Gefaͤngnuͤſſe verſtrickt/ und ſeine
Liebes-Kette aller irrdiſcher Kronen wuͤrdig waͤ-
re. Jnſonderheit gruͤßte ſie Artabazen mit ei-
ner ſo durchdringenden Anmuth/ daß nicht ei-
ner aus ſo viel tauſend Zuſchauern nur muth-
maſſete/ daß unter ihren Sonnen-Straalen ſo
ein ſchrecklicher Blitz verſteckt/ dieſe Freund-
ligkeit nur angenommen/ und ſo freye Geber-
dung gezwungen waͤre. Der Prieſter hatte
das Feuer auf dem Altar nur angezuͤndet/ und
die zwey weiſſen zum Opfer beſtim̃ten Kuͤhe wa-
ren ſchon an beyde Hoͤrner des Altares angebun-
den/ als ſiebenmal ſieben der auserleſenſten in
Himmel - blaueu Damaß gekleideten Jung-
frauen mit gluͤenden Rauch-Faͤſſern/ darein ſie
Weyrauch und andere wolruͤchende Sachen
ſtreuten/ fuͤr Artabazen/ und ſiebenmal ſieben
der edleſten in Purper und Gold gekleideten
Knaben/ welche in der rechten Hand brennende
Wachs-Fackeln/ an der Seite Koͤcher und Bo-
gen trugen/ fuͤr Olympien mit tieffſter Ehrerbie-
tung zu knien kamen/ und hierauf ſie fuͤr den
Erſter Theil. H hOpfer-
[242]Drittes Buch
Opfer-Tiſch begleiteten. Nach vielen andaͤch-
tigen Geberdungen und Beſprengungen mit
Balſam und wolruͤchenden Waͤſſern/ reichte
der Prieſter/ oder vielmehr der unheilige Laſter-
Knecht dem Artabazes ein in der Spitze gluͤen-
des Eiſen/ mit welchem er/ nach ſelbigen Heilig-
thums Gewohnheit/ der auf der lincken Seiten
des Opfer-Tiſches angebundenen/ und zum
Opfer beſtim̃ten Kuh durch die Bruſt fahren
muſte. Als Artabazes dieſes mit groſſer Schein-
heiligkeit verrichtet hatte/ gab der Prieſter einen
eben ſo gluͤenden Pfriemer Olympien/ umb es
mit dem andern Opfer-Vieh eben ſo zu machen.
Hoͤret aber eine ſeltzame Umbkehrung! Die
Liebe ladet den Tod ein zu einem allgemeinen
Freuden- und Koͤniglichen Hochzeit-Feſte.
Die Tugend wird zu einer Ruhms-wuͤrdigen
Betruͤgerin und Erbarmnuͤß-werthen Moͤrde-
rin/ die Verlobten zum blutigen Opfer ihres ſich
fuͤr der Beſtaͤtigung zertrennenden Bindnuͤſſes.
Denn es hob Olympie die Augen gegen dem
Bilde der Anaitis empor/ ſie holete einen tieffen
Seufzer/ und ehe es einige Seele der ſo viel tau-
ſend Umbſtehenden gewahr ward/ ſtieß ſie das
feurige Eiſen dem neben ihr knienden Artabazes
durch die Bruſt/ daß er ohn einiges Lebens-Zei-
chen ſtein-todt zur Erden ſanck/ und derogeſtalt
von derſelben Hand das Leben einbuͤßte/ die mit
ihren Augen ihn vorher ſchon ſeines Hertzens
und der Vernunft beraubet hatte. Jhr Ant-
litz verlor in einem Augenblicke die Roſen voriger
Annehmligkeit/ die Freundligkeit ſchien numehr
mit den Augen alle Zuſchauer zu erſtechen; die
Blumen/ mit welchen ſie bekraͤntzt war/ ver blaß-
ten mit ihren Wangen/ und der gantze Tempel
ſchien mehr anietzt von einem Donner-Straal/
als vorhergehende Nacht vom Erdbeben beruͤh-
ret zu ſeyn. Jhre Hand reckte das gluͤende/
und von Artabazens anklebendem Blut noch zi-
ſchende Eiſen als ein Siegs-Zeichen empor/
gleich als weñ die Goͤttin der Liebe ſich mit der Fa-
ckel der Megera/ und die ſelbſtaͤndige Schoͤnheit
mit den Waffen des Todes in ihr ausgeruͤſtet
haͤtte. Denn ihr vor lachender Mund ſchaͤumte
Zorn und Galle/ brach auch endlich in dieſe
Worte aus: Umbirrender Schatten meines
Artaxias/ und ihr Schutz-Goͤtter des durch ſo
viel Blut befleckten Armeniens/ nehmet von
meiner ſchwachen Hand dieſes wolruͤchende
Opfer des ſchlimſten Bluthunds zu euer Rache/
zu des Vaterlands Ausſoͤhnung und meiner
Reinigung an! Jhr Sterblichen aber glaubet/
daß ich niemals dieſes Wuͤterichs Sclavin/ wohl
aber ſeine unverſoͤhnliche Tod-Feindin geweſt
ſey/ und daß ich/ ob meine Rache gleich das Gluͤ-
cke gehabt ſeine Scharffrichterin zu ſeyn/ den-
noch nimmermehr aufhoͤren werde ſeinem Gei-
ſte eine hoͤlliſche Unholdin abzugeben. Hierauf
veraͤnderte ſie wieder ihre gantze Geſtalt/ gerieth
gleichſam durch eine Goͤttliche Verzuͤckung in
ein Paradis aller Wolluͤſte/ und nach dem ſie
das Bild der Goͤttin Anaitis eine Weile mit
ſtarrenden Augen angeſehen/ auch etliche andaͤch-
tige Seufzer aus der Tieffe ihres Hertzens geho-
let hatte/ fing ſie an: Heiligſte Goͤttin/ was wer-
de ich dir nun wol fuͤr ein Danck-Opfer bringen:
daß du mein der Rache und Liebe beſtim̃tes Opfer
in dieſem dir alleine gewiedmetem Tempel/ an
dem Fuſſe deines Altares haſt ſo gluͤckſelig ab-
ſchlachten/ und mit ſo ſchwartzem Blute dieſes
Bluthundes dein heiliges Bild beſprengen laſ-
ſen? Sihe da/ nim die weder durch Mord noch
Geilheit befleckte Seele der ſterbenden Olympie
an/ und vereinbare ſie mit dem Geiſte ihres Ar-
taxias/ welche zeitheꝛ ſo ſehnlich nach einander ge-
laͤchſet haben. Hierauf umbarmte ſie mit der
lincken Hand das guͤldene Bild der Anaitis/ mit
der rechten aber ergrieff ſie einen im Ermel ver-
ſteckten Dolch/ und ſtach ihn in ihr Hertz/ alſo daß
wie ein Strom das Blut auf die Goͤttin heraus
ſpritzte/ ſie aber mit laͤchelndem Antlitze/ und mit
nicht minderer Vergnuͤgung als ein Feldherr/
der nach gewonnener Schlacht in waͤhrendem
Siegs-Gepraͤnge von ſeinen Wunden ſtirbt/
als
[243]Arminius und Thußnelda.
als ein Marmel-Bild ſtehende den Geiſt aus-
bließ. So hertzhafft beſiegte dieſe Heldin die
Liebe/ die Wolluſt/ den Ehrgeitz/ und die Furcht
des Todes/ welches doch die abſcheulichſten Fein-
de beyder Geſchlechter ſind/ zu einem unver geß-
lichen Merckmale/ daß die Maͤſſigung des Ge-
muͤthes auf den Nothfall ſo geſchickt zu den Waf-
fen/ als ſonſt friedfertig ſey. Allen Zuſchauern
band das Schrecken die Glieder/ das Gebluͤte
geran in ihren Adern/ alſo daß ſie unbeweglicher/
als das todte Bild der Anaitis ſtanden; bald
Olympien als ein Muſter der ehlichen Treue/
bald Artabazen als ein Beyſpiel Goͤttlicher Ra-
che anſahen; alle Sterblichen aber hernach die-
ſen Ort/ der von dem Blitze Goͤttlichen Zornes
geruͤhret worden/ fuͤr zweyfach heilig verehrten.
Dem Prieſter fiel das Meſſer/ den Knaben die
Fackeln aus den Haͤnden/ und leſchten ſich in de-
nen zum Opfer bereiteten Keſſeln aus/ welche
nun nicht mehr alleine mit Milch und Weine/
ſondern dem heiligen Blute der keuſchen
Olympie gefuͤllt waren. Als ſie aber endlich
wieder zu ſich ſelbſt kommen/ eilte iedweder mit
Furcht fuͤr groͤſſerm Ubel aus dem Tempel/
einige dem Artabazes wol wollende waren zw ar
uͤber Olympien erbittert/ ſie aber hatte durch ih-
ren großmuͤthigen Tod ſich dahin geſchwungen/
wo ihr weder Rache noch Mordluſt einiges Leid
mehr anthun konte. Die meiſten aber verfluch-
ten Artabazens Unthaten/ danckten den gerech-
ten Rach-Goͤttern fuͤr ſo ſcheinbare Beſtrafung/
und hoben die Helden-Thaten Olympiens uͤber
alle Tapferkeiten der Vor-Welt. Daher/ wie
Artabazes ſchlecht/ und in der Stille beerdiget
ward/ alſo baute man Olympien ein praͤchtiges
Grabmahl aus Marmelſtein/ ſetzte ihr Bildnuͤß
aus gediegenem Golde in den Tempel neben die
Goͤttin Anaitis/ in deſſen Fuß der Prieſter nach-
folgenden Lob-Spruch ſetzen ließ:
Die allgemeine Ruh noͤthigte doch endlich die
Armeniſchen Reichs - Staͤnde auf ein neues
Haupt zu ſinnen; und obwol etliche getreue Lieb-
haber des Vaterlandes ihr Abſehen auf den
rechtmaͤſſigen Stul-Erben/ nemlich den gefluͤch-
teten jungen Artaxias hat[t]ẽ/ ſo waren ihnen doch
die Haͤnde von den Roͤmiſchen Legionen gebun-
den/ gleichwohl riethen ſie ſolchen ſelbſt dem Kai-
ſer zu ihrem Koͤnige fuͤrzuſchlagen. Es ſtand
aber Vologeſes/ einer von den Fuͤrſten Armeni-
ens auf/ eroͤffnete der gantzen Verſam̃lung/ daß
er/ und etliche andere Staͤnde/ welchen Artaba-
zens Bruder-Mord ein Greuel geweſt waͤre/
dem Kaiſer ſeine abſcheuliche Laſter geklagt/ und
weil ſie unter einem ſolchen Unmenſchen nicht
zu leben getrauten/ umb einen andern Koͤnig/
und zwar den Auguſtus ſo viel eher zu gewin-
nen/ umb den andern Bruder des Artaxias/
nemlich den Tigranes gebeten haͤtten. Hier-
auf laß er ein eigenhaͤndiges Schreiben des Kai-
ſers ab/ des Jnhalts: Er habe des Armeniſchen
Volcks Bedraͤnguͤſſe behertzigt/ und an Artaba-
zens Laſtern ein Mißfallen/ daher ſey Tiberius
Nero mit noch vier Legionen im Anzuge/ und be-
fehlicht den Artabazes des Reichs wieder zu entſe-
tzen/ und den verlangtẽ Tigranes auf den Thron
zu erheben. Dieſer Brief verbot ihnen mehr an
Artaxias zu gedencken/ ſondern noͤthigte ſie viel-
mehr/ wie ſie den Tiberius bewillkommen moͤch-
ten/ fuͤrzuſinnen. Zumal noch ſelbigen Tag
die Poſt kam: daß Tiberius und Tigranes
ſchon aus Macedonien uͤber den Fluß Strymon
in Thracien geſetzt/ und daſelbſt bey der Stadt
Philippis ein ſeltzames Ebentheuer uͤberſtanden
H h 2haͤtten/
[244]Drittes Buch
haͤtten/ in dem ſie auf der Wahlſtatt/ wo der Kai-
ſer und Antonius mit dem Brutus und Caſſius
geſchlagen/ ein erbaͤrmliches Heulen und Feld-
Geſchrey gehoͤret/ auch aus dem Altare/ welches
Antonius in ſeinem Laͤger aufgerichtet/ eine
helle Flamme haͤtten geſehen empor klimmen.
Nach weniger Zeit kamen ſie beyde mit groſſer/
wiewohl nach Artabazens Tode/ und da nir-
gends kein Feind war/ mit vergeblicher Macht
an/ und ſetzte Tiberius dem Tigranes ſelbſt die
Krone auf; ja/ wormit er ſein Haus ſo vielmehr
bey dem Reiche befeſtigte/ nahm er ſeinen Sohn
Artavasdes zum Reichs-Geferten an/ und weil
ſeine Tochter Laodice von groſſem Verſtande/
aber Herrſchensſuͤchtigem Geiſte war/ vermaͤhl-
te er dieſe beyde Kinder/ welche er mit Mallien
einer Baaſe der ſchoͤnen Terentia gezeugt
hatte. Dieſe Mallia war im Verdacht/ daß
Auguſtus mit ihr zugehalten/ Tigranes aber
ſie aus bloſſen Staats - Urſachen geheyrathet
hatte. Es war aber nach des Tiberius Ruͤck-
kehr/ welcher von ſeinem Zuge groß Weſen
machte/ auch deswegen zu Rom abſondere
Opfer hielt/ Tigranes wenige Zeit in Armeni-
en: da die Armenier/ welche mehr gewohnt
waren Koͤnige von Rom zu bitten/ als zu be-
halten/ ihm und ſeinem gantzen Hauſe/ als
Frembdlingen abgeneigt/ und endlich als Wol-
luͤſtigen/ feind zu werden anfingen. Es miß-
fiel ihnen am Koͤnige/ daß er ieden alsbald fuͤr
ſich ließ/ und ſich mit den niedrigern zu gemein
machte/ daß er ſelten ritt und jagte/ ſelten
Gaſtmahle hielt/ und ſich meiſt auf der Saͤnfte
tragen ließ; die geringſten Dinge ohne Ver-
ſiegelung niemanden traute; ſonſt aber in der
Herrſchafft allzu wenigen Ernſt ſpuͤren ließ.
Welches alles zwar zu Rom/ aber den Ar-
meniern unbekandte Tugenden waren/ und
deswegen frembde Laſter hieſſen. Denn Voͤl-
ckern/ welche der Dienſtbarkeit gewohnt/ iſt
die edelſte Freyheit verdruͤßlicher/ als Freyen
die Dienſtbarkeit. Jnſonderheit war ihnen
Mallia/ der junge Artavasdes und Laodice ein
Greuel in Augen/ und die Vermeſſenheit kam
ſo weit/ daß ſie von Mallien/ als des Auguſtus
Kebsweibe Lieder machten/ ja einsmals des
Nachts an die Pforte der Koͤniglichen Vurg
ſchrieben:
Denn obwohl Koͤnigliche Hoͤfe entweder nur
die/ welche zu gehorſamen wiſſen/ einlaſſen/ oder
ſie darzu machen; inſonderheit aber die Mor-
gen-Laͤnder der Knechtſchafft gewohnet/ an ih-
ren Fuͤrſten alles zu billigen/ und es nachzu-
thun befliſſen ſind/ und die Heucheley nichts
minder/ als die Treue fuͤr eine den Koͤnigen
ſchuldige Schatzung halten; ſo koͤnnen doch
auch dieſe dienſtbare Voͤlcker nicht die Aufhe-
bung der vaͤterlichen Sitten/ ja auch ihre Ver-
beſſerung nicht vertragen; am wenigſten aber
den zum Herrn leiden/ der durch Entſchlagung
der Reichs-Sorgen ſie gleichſam ihr Herr zu
ſeyn nicht wuͤrdiget. Hierinnen aber verſtieß
Tigranes am aͤrgſten/ indem er zweyen uͤppi-
gen Weibern/ nemlich der Mallia und Laodicen
das Heft in Haͤnden ließ. Dieſen zu Liebe
fuͤhrte er den in Lydien anfangs aufgekommo-
nen/ und bey den Perſen/ Meden und Arme-
niern eingeriſſenen/ hernach aber vom vorigen
Tigranes abgeſchafften Mißbrauch wieder ein/
da die edleſten ihre Toͤchter der Goͤttin Anaitis
wiedmeten/ welche unter dem Scheine eines
Gottes-Dienſtes gemeine Unzucht trieben/ und
ſo denn allererſt als fuͤr andern heilige Frauen
begierig geheyrathet wurden. Wie ſchlaͤfrig nun
Tigranes im herrſchen war; ſo viel eifriger be-
zeugten ſich Mallia und Laodice. Denn ſie
vergaben die hohen Aempter/ beſichtigten die
Graͤntzen und Feſtungen/ muſterten das Kriegs-
Volck/ machten Reichs-Satzungen/ verſam̃le-
ten die Staͤnde/ ſchrieben Steuern aus; Wenn
Tigranes etwan auf einem Luſt-Hauſe ſich mit
einem geilen Weibe beluſtigte. Unter dieſen
war
[245]Arminius und Thußnelda.
war auch die ſchoͤne Datapherne Vologeſens
Ehweib/ welcher zum erſten dem Tigranes den
Armeniſchen Reichsſtab zugedacht hatte. Die-
ſem gab er zu Lohne/ daß er ſein Ehweib anfangs
zu heimlicher Buhlerey verleitete/ hernach aber/
weil die anfangs verſtohlnen und furchtſamen
Laſter nach und nach immer kuͤhner werden/
verſchickte er Vologeſen in Geſandſchafft zum
Ariobarzanes in Meden; und in ſeiner Abwe-
ſenheit nahm er Dataphernen gar nach Hofe.
Vologeſes erfuhr in Meden die Untreu ſeines
Weibes/ gleichwohl aber wartete er ſeiner Ge-
ſchaͤffte aus/ und kam mit vergnuͤgter Verrich-
tung zu Artaxata an; verſtellte auch alle Em-
pfindligkeit wegen des ihm angefuͤgten Un-
rechts. Nach abgelegten Bericht ließ er ſich bey
ſeiner Gemalin anmelden. Dieſe veꝛwegene Eh-
brecherin aber lies Vologeſen ſchimpfflich ant-
worten: Der Koͤnig haͤtte den Schluͤſſel zu ihrem
Zimmer/ und das Siegel zu ihrem Leibe. Hier-
uͤber brach Vologeſen die Gedult aus/ ſo daß er
Dataphernen verfluchte/ und den Tigranes er-
ſuchen ließ: Er moͤchte ihm ſeine Gemahlin fol-
gen laſſen; kriegte aber vom Koͤnige zur Ant-
wort: Er ſolte ſich noch bey Sonnenſcheine auff
ſeine Landguͤter begeben/ oder man wuͤrde ihn
ins Tollhaus einſperren. Gleich als weñ es um
die Ehre ſeines Eh-Weibes zu eyfern eine groͤſ-
ſere Unſinnigkeit waͤre/ als ſich mit einer frem-
den Unehre beſudeln. Vogoleſes zohe aus Ar-
taxata voll Gifft und Galle/ und nahm den gera-
den Weg in Parthen zum Phraates. Weil er
aber vielleicht behertzigte/ daß aus eines Ehbre-
cheriſchen Weibes Laſter einem Manne keine
Schmach zuwachſe/ oder dieſer Fleck mit deſſelb-
ten Verhuͤllung verwiſcht werde; und damit es
nicht ſchiene/ als wenn er mit des Phraates
Waffen und Gefahr nur ſeine Beleidigung
raͤchen wolte/ trug er ihm alleine umſtaͤndlich
fuͤr: wie ſchwuͤrig Armenien wider den mit Roͤ-
miſchen Kuͤnſten und Laſtern angefuͤllten Ti-
granes; wie ſchimpfflich es allen Morgenlaͤn-
dern waͤre/ daß des Kaͤyſers Leibeigene/ welche
ſo viel Jahr in der Dienſtbarkeit gelebt/ bey ih-
nen zu Koͤnigen eingeſetzt wuͤrden; und noch in
ſolcher Wuͤrde ſchlechten Roͤmiſchen Landvoͤg-
ten zu Gebote ſtehen/ ja fuͤr ihnen die Knie beu-
gen muͤſten; Wie das von den Roͤmern nun an-
gefeſſelte Armenien der Schluͤſſel in das ſonſt
durch die Sandflaͤchen genugſam ſichere Par-
then waͤre/ welchem der Kaͤyſer eben ſo wohl ein
Seil an die Hoͤrner zu legẽ anzielte. Daheꝛ waͤꝛe
es nun/ da Tigranes ein Weib/ Artovasdes ein
Weichling/ oder gar/ wie etliche muthmaſten/
ein Verſchnittener waͤre/ da der gantze Adel zum
Aufſtande fertig ſtuͤnde/ die Roͤmiſchen Legionen
anderwerts zu thun haͤtten/ hohe Zeit durch ei-
nen ſchleunigen Krieg Armeniens Wohlfarth/
Parthens Sicherheit zu beobachten/ ſein Haupt
mit einer neuen Krone/ ſeinen Nahmen mit un-
ſterblichem Nachruhme zu bereichern. Koͤnig
Phraates hoͤrte Vologeſens Vortrag begierig
an/ und ob ihm wohl im Wege ſtand/ daß er
durch Bekriegung Armeniens den Kaͤyſer belei-
digen wuͤrde/ der in ſeinen Haͤnden ſeine zwey
aͤltiſten Soͤhne hatte/ ſo uͤberwog doch ſeine Re-
gierſucht die Vater-Liebe/ und hatte er auff al-
len Fall noch ſeinen liebſten Sohn Tiridates
zum Stichblate und Kron-Erben uͤbrig. Da-
her ſchickte er Vologeſen mit ſechs tauſend leich-
ten Reutern in Armenien voran; er aber folgte
mit einem maͤchtigen Heere auff dem Fuße
nach/ und ſchrieb an den Kaͤyſer: daß er von ſei-
nen bedraͤngten Freunden in Armenien um
Huͤlffe wider den grauſamen Tigranes ange-
flohen worden waͤre; alſo ziehe er alleine dahin
ſelbigem Volcke ihre vorige Freyheit und alten
Gottesdienſt wieder zu geben; auſſer dem be-
gehrte er ſich mit Armenien nicht zu vergroͤſſern.
Ehe aber dieſes Schreiben nach Rom kam/ ſiel
die Parthiſche Macht in Armenien/ allwo die
meiſten Staͤdte Vologeſen die Schluͤſſel entge-
H h 3gen
[246]Drittes Buch
gen brachten/ und die beſten Feſtungen Thuͤr
und Thor auffſperreten; alſo daß Phraates nur
genugſam zu beſetzen/ und wenig zu fechten fand.
Auguſtus kriegte die Nachricht hiervon/ und
Phraatens Schreiben auff einen Tag/ als er
ſeinen zwey muthwilligen Enckeln des Agrip-
pa Soͤhnen Cajus und Lucius in den Rath zu
kommen erlaubt/ dem Cajus auch das Prieſter-
thum/ hingegen dem Tiberius auff fuͤnff Jahr
die Zunfftmeiſterſchafft zugeeignet/ durch diß
letztere aber ſeine Enckel mehr beleidiget/ als
durch das erſte vergnuͤgt hatte. Der Kaͤyſer/ der
ohnediß deshalben unwillig war/ ſchrieb im Ey-
fer einen hefftigen Brieff an Phraates/ darin
er ihm gar den Koͤniglichen Titel entzog/ und aus
Armenien zu ziehen anbefahl; welchem aber
Phraates noch hoffaͤrtiger antwortete/ dem
Kaͤyſer wie einem Buͤrgermeiſter ſchrieb/ ſich
aber ſelbſt einen Koͤnig der Koͤnige nennte/ und/
daß die Parthiſchen Waffen ſich keine Feder ja-
gen lieſſen/ bedeutete. Jnzwiſchen trug der Kaͤy-
ſer dem Tiberius den Zug in das abgefallene
Armenien auff/ dieſer aber/ weil er denen in der
Schooß des Kaͤyſers ſitzenden und frechen
Juͤnglingen aus dem Wege zu weichen fuͤr
rathſamer hielt; oder weil er mit der Julia ſei-
nem Ehweibe nicht laͤnger hauſen konte/ (welche
die Freyheit alle einem Weibe moͤgliche Laſter zu
thun oder zu leiden nach der Groͤſſe ihres Gluͤ-
ckes ausmaß/) lehnete ſolches beſcheidentlich ab/
und verlangte: daß er auff der Jnſel Rhodus in
Ein amkeit der Weltweisheit obliegen/ und von
bißherigen Reichs-Sorgen Lufft ſchoͤpffen
moͤchte. Wiewohl nun der Kaͤyſer und Livia
ihn hiervon abwendig zu machen bemuͤhet war;
Jener zwar dadurch/ daß das gemeine Weſen
ſeiner vonnoͤthen haͤtte/ und die Suͤßigkeit des
Feld-Lebens ein groſſer Geiſt denen nuͤtz- und
ruͤhmlichen Sorgen fuͤr die Wohlfarth des Va-
terlandes ſich nicht ſolte abſtehlen/ und keine ihm
mehrmahls aus eitelem Argwohn eingebildete
Verdruͤßligkeit ſeinen Zirckel verruͤcken laſſen.
Livia aber: daß die Enteuſſerung vom Hoffe
nicht nur ſein Anſehen und Gewalt unterbre-
chen/ ſondern die durch ſo viel Sorgen in Grund
gelegte Hoffnung der Reichs-Folge durch ſeine
Abweſenheit verſchwinden wuͤrde. Denn die
Voͤlcker/ welche gleich die Sonne als einen
Gott verehren/ vergaͤßen ihre Andacht gegen ſie/
weñ ſie nicht geſehen wuͤrde; So war doch Tiber
hiervon nicht abwendig zu machen; ſondern ant-
wortete Livien: daß das tollkuͤhne Beginnen des
Cajus und Lucius ein Verlangen in Rom nach
ihm/ deſſen man ſchon uͤberdruͤſſig waͤre/ und
ihn auch bey denen/ die ihn gegenwaͤrtig haßten/
beliebt machen wuͤrde. Gegen den Kaͤyſer a-
ber fuͤhrte er an: Seine bißherige Bemuͤhung
haͤtte nichts minder einer Erholung/ als Baͤu-
me und Aecker der Ruh von noͤthen. Sinte-
mahl Auguſt nach der Faͤhigkeit ſeiner uner-
muͤdlichen Achſeln als ein zweyfacher Atlas
nicht anderer Kraͤffte meſſen muͤſte. Wie er
nun friſche Lufft zu ſchoͤpffen unnachbleiblich
vonnoͤthen haͤtte; alſo wuͤſte er keine anſtaͤndige-
re als das Landleben zu erkieſen. Die erſten
Helden in Griechenland haͤtten ſich auch im
Kriege fuͤr Troja dadurch erholet; und wie Au-
geus bey den Griechen/ alſo Hercules in Jta-
lien die Tingung und andere Vortheile des A-
ckerbaues gewieſen; ja ſo gar vier Koͤnige/ nehm-
lich Hieron/ Philometor/ Attalus und Arche-
laus dieſe Kunſt ſchrifftlich abzufaſſen gewuͤr-
digt. Die Perſiſchen Koͤnige waͤren im Frie-
de nichts minder um ihre fruchtbaren Gaͤrte
und Auen/ als zur Kriegszeit um die Waffen be-
kuͤmmert geweſt. Semir amis haͤtte mit ihren
haͤngenden Gaͤrten ſich beruͤhmter/ als mit ſo
viel Siegen gemacht. Xenophon/ welcher am
Cyrus ein Muſter eines vollkommenen Fuͤrſten
fuͤrbilden wollen/ ſetzte ſeinen gewohnten Auf-
fenthalt aufß Land/ und in die Perſiſchen Luſt-
waͤlder. Der vermeinte Urheber des Muͤſſig-
gangs Epicur haͤtte nicht nur zu Athen in der
Stadt Luſtgaͤrte angelegt; ſondern Tarqvinius
zu
[247]Arminius und Thußnelda.
zu Rom auch darinnen gewohnt/ und ſeinem
Sohne daraus mit denen gekoͤpfften Maah-
Haͤuptern die blutgierige Lehre zuentboten; Cu-
rius aber nach uͤberwundenem Pyrꝛhus mit ſei-
nen ſieben Huben Ackers/ mit der ſchlechten
Kohl- und Ruͤben-Koſt ſich ſo vergnuͤget/ daß er
das von Samnitern ihm geſchickte Gold anzu-
nehmen nicht gewuͤrdigt. Das Schoos-Kind
des Gluͤcks Sylla waͤre ſeiner Siegs-Gepraͤn-
ge uͤberdruͤßig worden/ und haͤtte um auff ſei-
nem Cumaniſchen Vorwerge der Fiſch- und
Jagt-Luſt zu genieſſen die hoͤchſte Gewalt in
Rom nieder gelegt. Dem Scipio und Lelius
waͤre es annehmlicher geweſt in Campanien die
Baͤume/ als in Africa die ſieghafften Kriegs-
Schaaren in Ordnung zu ſtellen; und beyde
haͤtten zuletzt freudiger an dem Meer-Ufer mit
den Muſcheln/ als in Spanien mit der Beute
der Mohren geſpielet. Ja der Kaͤyſer Auguſt
ſelbſt haͤtte ſeinem Kriegs-Gefehrten Agrippa
in dem Eylande Mitylene/ und dem vertraute-
ſten Mecaͤnas in der Stadt Rom gleichſam ei-
ne entfernte Einſamkeit erlaubet. Alſo hoffte
er durch ſeine Treue und Gehorſam eine kurtze
Erhol- und Lufftſchoͤpffung verdient zu haben.
Sintemal auch die unausleſchlichen Geſtirne
der Ruh benoͤthigt waͤren/ und ihren Schein
mit ihrer Verhuͤllung abwechſelten.
Dieſer beſtaͤndige Vorſatz gewann endlich/
oder vergnuͤgte vielmehr den Kaͤyſer/ daß er in
des Tyberius Reiſe willigte. Denn weil er
des Agrippa Soͤhne zu ſehr verduͤſterte/ war Au-
guſt gleichſam mit ſeinem Stieff-Sohne fuͤr ſei-
ne Enckel eyverſuͤchtig; und Tiberius ſelbſt
pflegte hieruͤber zu ſchertzen: Er wuͤrde das Al-
ter der Egyptiſchen Spitz-Thuͤrme bey Hofe
nicht erreichen/ weil er/ wie viel kleiner er auch
waͤre/ mehr Schatten als jene von ſich wuͤrffe.
So bald nun Tiberius Rom geſegnete/ warff
die uͤbermaͤßige Liebe des Kaͤyſers dem Cajus ei-
ne ſolche Geſchickligkeit zu/ daß er ihm den Aꝛme-
niſchen Krieg anzuvertrauen faͤhig hielt. Sin-
temahl die Neigung zu ſeinem Gebluͤte nichts
minder als Selbſt-Liebe insgemein auch einem
untuͤchtigen Wunderwercke zutrauet. Ehe
aber die Roͤmiſche Macht in Armenien anlang-
te/ kam Phraates fuͤr die Stadt Artaxata/ und
beaͤngſtigte theils dieſer Feind/ theils die auffſaͤ-
tzigen Armenier/ theils ſein boͤſes Gewiſſen den
wolluͤſtigen Tigranes derogeſtalt/ daß er dem
Roͤmiſchen Buͤndnuͤße abzuſagen/ und mit
Phraaten Armenien zu theilen ſich erbot. Als
aber diß nicht verfing/ und die Parthen der
Stadt mit Stuͤrmen hefftig zuſetzten/ ſich/ um
nach einem weibiſchen Leben auch durch einen
maͤnnlichen Tod ſeinem wahrhafften Ebenbilde
dem luͤſternen Sardanapal gantz aͤhnlich zu weꝛ-
den/ mit ſeiner wolluͤſtigen Mallien auff einen
Holtzſtoß ſetzte/ und nach dem eines das andere
toͤdtlich verwundet/ ſich mit einander verbrenn-
ten/ und alſo der Grauſamkeit ihres Uberwin-
ders entriſſen. Artaxata lag nun in letzten
Zuͤgen/ und ſtand auff der Ubergabe; als Cenſo-
rinus mit ſeinen zweyen Legionen des Nachts/
ehe es die Parthen gewahr wurden/ hinein kam;
und weil Cajus ohne diß vom Kaͤyſer Befehl hat-
te/ den weibiſchen Tigranes ab/ und ſeinen Sohn
an die Stelle zu ſetzen/ um dadurch die Gemuͤ-
ther der Armenier wieder ein wenig an ſich zu
ziehen; erklaͤrte er alſofort Artavasden zum
Koͤnige Armeniens. Wie nun Cajus an die
Armeniſche Grentze ankam/ ward Phraates
gezwungen Artaxata zu verlaſſen/ und dem Ca-
jus entgegen zu ziehen/ wie denn auch beyde Hee-
re an dem Fluß Phrat bey Metilene gegenein-
ander zu ſtehen kamen. Allwo die Roͤmer
zwar mit Gewalt an einem ſeichten Furthe uͤber
den Fluß ſetzen wolten/ aber mit groſſem Ver-
luſt zuruͤck getrieben wurden. Als Ca-
jus ihm derogeſtalt die Stirne bieten ſahe/ ſich
auch an des Craſſus und des Antonius Nieder-
lage ſpiegelte/ ließ er dem Phraates zu guͤtlicher
Hinlegung ihrer Zwiſtigkeitẽ eine Unterredung
antragen; maſſen ſie beyde denn auch auff einer
mitten
[248]Drittes Buch
mitten im Strome gelegener Jnſel mit einer ge-
wiſſen Anzahl Volcks ankamen. Der Par-
the betheuerte: daß er mit dem Roͤmiſchen Vol-
cke/ welchem er ſo gar ſeine zwey liebſten Soͤhne
freywillig anvertr auet haͤtte/ die Freundſchafft
zu er halten verlangete/ Cajus hingegen hatte e-
ben ſo wenig Luſt die Wuͤrffel einer Schlacht auf
den Teppicht zu werfen/ und alſo wurden ſie mit
einander eins: daß zwar des Tigranes Sohn
Artavasdes Armeniſcher Koͤnig ſey/ und ſo
wol den Parthiſchen Großherrn/ als den Kayſer
fuͤr ſeine Oberherren erkeñen/ die Atropaten und
Aciliſeniſche Landſchafft mit der feſten Stadt
Artagera aber Phraaten fuͤr die Kriegs-Koſten
eigenthuͤmlich verbleiben ſolte. Dieſer Friede
ward mit zwey praͤchtigen Gaſtmahlen/ derer
das erſte Cajus an dem Syriſchen Ufer des
Fluſſes dem Phraates/ das andere auff dem Ar-
meniſchen Phraates dem Cajus zu ehren hielt/
beſchloſſen. Als auch ſie durch den Wein er-
waͤrmet/ und mit einander vertraͤulich worden/
weiſte Phraates dem Cajus unterſchiedene ge-
heime Schreiben/ darinnen Marcus Lollius/
welchen doch Auguſtus dem Cajus zu ſeinem ge-
heimſten Rathe und Oberſten Hoffmeiſter zu-
gegeben hatte/ ihm gegen ein groſſes Stuͤcke
Goldes alle Roͤmiſche Kraͤfften und Anſchlaͤge
verrathen hatte; welchem Cajus alſofort Gifft
beybringen ließ. Als nun derogeſtalt alles ſtrit-
tige abgethan zu ſeyn ſchien/ kam von Artaxata
dieſe ſeltzame Zeitung: daß ſo bald Cenſorinus
mit dem groͤſten Theile ſeines Volcks aus ſelbi-
ger Stadt auff einen Anſchlag ausgegangen
waͤre/ haͤtte die Koͤnigin Laodice ſich Artavas-
dens entbrochen/ und in den Anaitiſchen Tem-
pel gefluͤchtet; auch auff des Koͤnigs Wiederfo-
derung zu entbieten laſſen: Sie wolte lieber in
der Einſamkeit/ als in dem Bette eines Ohn-
maͤchtigen ſo viel kalte Naͤchte zubringen. Wie
nun Artavasdes ſie mit gewaffneter Hand haͤt-
te wollen aus dem Tempelnehmen/ haͤtte ſein
juͤngerer Bruder Gotarzes und nebſt ihm eine
gute Anzahl Armeniſcher Edelleute dem Koͤni-
ge mit entbloͤſten Degen abgetrieben; ja Go-
tarzes ſich alſofort in den Reichs-Rath verfuͤgt/
und in wenig Stunden wider Artavasden ein
Urthel ausbracht/ Krafft deſſen er fuͤr unfaͤhig
des Reichs und der Eh erkennet; in ein auff dem
Caſpiſchen Meere entferntes Eyland wegge-
ſchlept/ Gotarzes hingegen auff den Thron/ und
Laodice in ſein Bette erhoben worden. Cenſori-
nus waͤre zwar mit ſeinem Volcke zuruͤck geeilt/
Gotarzes aber habe ihm die Pforten verſchloſ-
ſen; Vologeſes haͤtte ihn auch mit einem Theile
Armenier und Parthen uͤberfallen/ und mit
groſſem Verluſt aus dem Felde geſchlagen/ alſo
daß von den zwey Legionen ihrer wenig in das
Gebuͤrge entronnen waͤren. Dieſe unvermu-
thete Veraͤnderung warff einen neuen Zanck-
Apffel auff den Teppicht/ und veranlaſte
den Cajus: daß nach dem ihm einige einhielten/
er habe ſich durch ſo groſſe den Parthen gethane
Verwilligung/ inſonderheit durch Abtretung
der vortheilhafftigen Stadt Artagera uͤberei-
let/ er den Parthiſchen Stadthalter Donnes
Adduus zu beſtechen/ und zu Ubergebung der
ihm anvertrauten Feſtung Thoſpia zu verleiten
trachtete. Dieſer nahm den Schein der Ver-
raͤtherey an/ und beſtim̃te einen gewiſſen Ort zu
Behandlung des Wercks. Wie nun Don-
nes bey der Zuſammenkunfft ſechs hundert Ta-
lent zu ſeiner Belohnung forderte/ dieſes aber
dem Cajus vervielte/ reichte ihm Donnes ein
Verzeichniß/ darinnen die zu Thoſpia ver-
wahrten groſſen Schaͤtze auffgezeichnet waren;
und als Cajus ſich in ſolchen begierig erſahe/
verſetzte ihm Donnes eine hefftige Wunde
ins Haupt/ worvon er zu Boden fiel; und ehe
die entfernten Roͤmer herbey kommen kunten/
ſchwung er ſich auff ſein fluͤchtiges Pferdt/ auff
welchem er zweiffelsfrey entronnen waͤre/
wenn er nicht mit ſelbtem geſtuͤrtzet haͤtte.
Gleichwohl aber erreichte er noch ein von den
Parthen beſetztes feſtes Schloß/ welches als er
es
[249]Arminius und Thußnelda.
es nicht laͤnger gegen die Roͤmer zu halten ge-
traute/ dieſer treue Diener mit ſamt ſich einaͤ-
ſcherte. Weil aber weder Parthen noch Roͤ-
mer dem Gotarzes gut waren/ ward dieſer
Zwytrachts-Axt noch ein Stiel gefunden/ daß
Ariobarzanes der Koͤnig in Meden/ zu welchem
ohne diß wegen ſeiner fuͤrtrefflichen Leibes-Ge-
ſtalt/ und tapfferen Gemuͤthes die Armenier ihr
Hertze trugen/ auf die dem Artavasdes behan-
delte Bedingungen das Koͤnigreich Armenien
haben ſolte. Dieſer erſchien nach weniger Zeit
in beyden Laͤgern/ legte auch wegen Armenien
ſo wol den Parthen/ als den Roͤmern die Hul-
digung ab. Die empfangene Wunde hinge-
gen machte des Cajus Leib nicht alleine zu
Kriegs-Ubungen/ und das Gemuͤthe zu nach-
dencklichen Rathſchlaͤgen gantz ungeſchickt/
ſondern als er mit Unwillen wider ſeinen ge-
machten Schluß nach Rom zuruͤck kehren ſolte/
ſtarb er davon in der Syriſchen Stadt Lincyra
Emeſa/ allwo ſein Grabmahl noch mit einer
viereckichten Spitz-Saͤule/ aus deſſen Fuſſe ein
Brunn entſpringt/ zu ſehen/ und daran zu le-
ſen iſt:
Als dieſe ſeltzame Umwechſelungen ſich in Ar-
menien ereigneten/ ließ das Gluͤcke nicht ab/
auch mit der Fuͤrſtin Erato und mir ſeine Kurtz-
weil zu treiben. Die ſchlimmen Zeitungen
unſers verwirrten Vaterlandes/ und inſonder-
heit der Todt der groſſen Olympia erſchollen in
die gantze Welt/ und hiemit auch fuͤr unſere
Ohren. Alleine die zwar noch ſo zarte/ aber
behertze Erato vertrug alle dieſe Ambos-Schlaͤ-
ge des druͤckenden Verhaͤngnuͤſſes mit unver-
aͤndertem Geſichte/ und unerſchrockenen Her-
tzen. Wenn ich ſie troͤſten ſolte/ kam ſie ſelbſt
meiner Schwachheit zu Huͤlffe/ und hielt mir
ein: Alle Dinge und Begebenheiten in der
Welt haͤtten zweyerley Antlitze/ und wenn et-
was einem abſcheulich fuͤrkaͤme/ ruͤhrte es nur
daher/ daß man ſelbtes nicht vor/ ſondern hin-
terwaͤrts anſehe. Der Verluſt ihres Reiches
ſchiene der Ehrſucht ein unermaͤßlicher Scha-
de zu ſeyn; Dieſer aber entbuͤrdete ihr Gemuͤ-
the von einer Zentner-Laſt tauſend unruhiger
Sorgen. Der Todt ihrer Mutter kaͤme wei-
biſcher Wehmuth fuͤr als ein unertraͤgliches
Hertzeleid; aber die Tugend/ als die Sonne der
kleinern Welt/ kroͤne ihre Leiche in ihren bey-
den Himmels-Zirckeln/ nemlich in dem Ge-
wiſſen/ und in dem Urthel der Menſchen mit
unverwelckenden Siegs-Kronen. Ja der
durch die Bruͤſte ihrer leiblichen Mutter fah-
rende Dolch kaͤme ihrer Empfindligkeit nicht
haͤßlich fuͤr/ nachdem er von dem gluͤenden Ei-
ſen/ welches dem Artabazen durch die Adern
dringet/ einen ſo herrlichen Glantz bekommt/
und die Rache ſich in dem hoͤchſten Blute des
Bruder-Moͤrders/ welches das Oel der Be-
leidigten iſt/ ſo annehmlich abkuͤhlet. Uberdiß
zohe ihr die holdſelige Erato faſt aus allen Bit-
terkeiten eine Ergoͤtzligkeit/ und ihre Bedraͤng-
nuͤß ward faſt mit ieder einlauffenden Nachricht
erleichtert/ wenn ſie hoͤrete/ wie keiner der un-
rechtmaͤßigen Beſitzer ihres vaͤterlichen Thro-
nes feſte ſitzen bliebe/ ſondern immer einer dem
andern das Hefft aus den Haͤnden winde. Da-
her/ ob wir wol uns anfangs ziemlich eingezo-
gen hielten/ indem wir nicht wuſten/ weſſen wir
uns zum Koͤnige Polemon/ weil er von den Roͤ-
mern fuͤr einen Freund und Bundsgenoſſen
aufgenommen war/ zu verſehen hatten/ ſo war
uns doch unſere Einſamkeit ertraͤglich. Denn
weil alleine die Laſter ſchrecklich ſind/ und mit
ihrer Langſamkeit an den Hertzen ihrer eignen
Liebhaber nagen/ war unſere Unſchuld alle-
zeit wohl gemuthet/ und dieſe machte uns ſo
behertzt/ daß wir einsmahls/ als wir hoͤrten/
daß der Koͤnig Polemon zweyen von Rom
nach Sinope angekommenen Rathsher-
Erſter Theil. J iren
[250]Drittes Buch
ren zu Ehren etliche Schauſpiele halten wolte/
uns in den Schauplatz auch einfanden. Wir
kamen gleich dem Koͤnige und dem Statilius
Taurus und Junius Silanus/ welchem jener
mit unſer Verwunderung die Oberſtelle einge-
raͤumt hatte/ gegen uͤber zu ſtehen. Unferne
davon befand ſich auch die Koͤnigin Dynamis/
mit ihrer wohlgewachſenen Tochter Arſinoe.
Mitten im Schauplatze ſtanden zwey Mar-
mel-Saͤulen/ auf der einen war das Bild Au-
guſtens/ auf der andern des Vipſanius Agrip-
pa aus Corinthiſchem Ertzte. Jn den Schau-
ſpielen wurden erſtlich Woͤlffe/ Luchſe/ Baͤren/
Panther und Loͤwen zum Kampffe aufgefuͤh-
ret/ hernach aber ward der Schauplatz durch et-
liche tauſend durcheinander ſpritzende Roͤhren
wol zwoͤlf Schuh hoch mit Waſſer angefuͤllet/
und aus dem einen Gatter ein Crocodil/ aus
einem andern ein Delfin heraus gelaſſen. Es
iſt unbeſchreiblich/ wie hefftigen Grimm dieſe
zwar von der Natur mit ungleichen Kraͤfften/
aber mit gleichverbitterter Feindſchafft ausge-
ruͤſteten Thiere gegen einander bey ihrer erſten
Erblickung bezeugten. Der Crocodil ver-
folgte den Delfin aufs euſerſte/ dieſer aber tauch-
te bald unter das Waſſer/ bald wich er auf die
Seite/ alſo/ daß jener wegen ſeines ſtarrenden
Ruͤck grades/ und weil er ſich mit dem gantzen
Leibe nicht ohne Langſamkeit umwenden kon-
te/ den Delfin zu ereilen nicht vermochte. Hin-
gegen ſpitzte der Delfin ſeine auf dem Ruͤcken
habende ſcharffe Fluͤßfeder/ und nach einer lan-
gen und luſtigen Jagt gerieth es ihm unter dem
Waſſer ſo wol/ daß er dieſes ſein einiges Waf-
fen dem ſonſt unverletzlichem Crocodil in den
Bauch ſtieß/ worvon er mit einem groſſen Stro-
me Blutes das gantze Gewaͤſſer anfaͤrbete/ und
mit dem wieder abgelaſſenen Waſſer todt auf
dem trockenen Boden zu liegen kam. Bey
dieſen vielfaͤltigen Kurtzweilen machte ihm ein
neben mir ſitzender Edelmann Gelegenheit mit
mir zu ſprechen/ und ſeine Frcundligkeit ver-
anlaſte mich auch ein und anders von ihm zu er-
forſchen. Dieſer erzehlte mir/ daß dieſe zwey
Roͤmiſche Rathsherren/ nach dem der Koͤnig in
Lycaonien und Gallo-Grecien Amyntas ge-
ſtorben waͤren/ mit Ausſchluͤſſung ſeiner Soͤhne
ſelbige Laͤnder fuͤr den Roͤmiſchen Rath einge-
zogen haͤtten. Weil denn ſie nach Sinope ih-
ren Weg zugenommen/ waͤre er nebſt dem ei-
nen Lycaoniſchen Fuͤrſten nachgefolgt/ um den
bey den Roͤmern hochangeſehenen Koͤnig Po-
lemon um eine Fuͤrbitte zu erſuchen/ daß doch
des Amyntas Kindern wo nicht gar/ doch ein
Theil ihres vaͤterlichen Reiches gelaſſen werden
moͤchte. Jch ward erfreuet uͤber dieſer Nach-
richt/ ſintemal Koͤnig Artaxias mit dem Amyn-
tas in vertraͤulicher Freundſchafft gelebt hatte/
gleichwol aber wolte ich mich/ wer wir waͤren/
nicht bald bloß geben/ ſondern meldete auf ſeine
hoͤfliche Erkuͤndigung/ wir waͤren Edelleute
aus Albanien/ welche aus bloſſer Begierde
frembde Laͤnder zubeſchauen/ fuͤr wenig Tagen
in Sinope ankommen waͤren; bezeugte gleich-
wol gegen ihm moͤglichſte Zuneigung mit ihm
in mehrere Kundſchafft zu gerathen. Hierauf
fiel ich auf die zwey Saͤulen/ und fragte inſon-
derheit: Warum des Agrippa Bildnuͤß in die-
ſem Schauplatze geſetzt worden? Der Lycao-
nier/ der ſich Meherdates nennen ließ/ antwor-
tete mir: Polemon haͤtte wohl Urſache beyde
Bildnuͤſſe zweyfach in den Schauplatz zu ſetzen/
weil er beyden das Beſitzthum des Boſphori-
ſchen Reichs zu dancken haͤtte. Denn mir wuͤr-
de vielleicht wiſſend ſeyn/ daß der geweſene Per-
gameniſche Koͤnig Mithridates des Darius
Sohn/ der in Egypten ihm treulich beygeſtan-
den war/ dem Julius Caͤſar ſeine wunderſchoͤne
Schweſter Dynamis zu ſeiner Ergetzligkeit uͤ-
bergeben/ hingegen habe der Kaͤyſer ihm nach
dem uͤberwundenen Pharnaces Galatien ge-
ſchenckt/ auch ihm wider des Pharnaces Boſ-
phoriſchen Landvogt Aſander/ ungeachtet er
ſeinem Herrn meineydig worden und auf der
Roͤmer
[251]Arminius und Thußuelda.
Roͤmer Seite getreten war/ den Krieg aufge-
tragen/ und ſich der Boſphoriſchen Laͤnder zu
bemaͤchtigen freygelaſſen. Dieſer Aſander a-
ber habe beym Auguſtus ſich derogeſtalt einge-
liebt/ daß er ihm die Dynamis verheyrathet/
und in dem Boſphoriſchen Reiche beſtaͤtigt.
Welcher denn auch den ſieghafften Pharnaces/
nach dem er die Phanagoreſer uͤberwunden/
Sinope eingenommen/ den Calviſius geſchla-
gen hatte/ mit Huͤlffe des Danitius aus Aſien
vertrieben/ und/ als Phaꝛnaces mit einem neuen
von Scythen und Sarmatern zuſammen ge-
leſenen Kriegs-Heere wider den Aſander den
Krieg verneuert/ die Stadt Theodoſia und
Panticapeum erobert/ ſeine an Pferden noth-
leidende Reuterey geſchlagen/ und den biß auff
den letzten Mann tapffer ſtreitenden Pharna-
ces getoͤdtet hat. Hier zwiſchen waͤre Scribo-
nius kommen/ und ſich fuͤr des groſſen Mithri-
datens Sohn/ des Pharnaces Enckel und
rechtmaͤßigen Stul-Erben ausgegeben/ und
weil er ihm etwas aͤhnlich geſchienen/ und ſei-
nen Betrug durch allerhand ſcheinbaren Fuͤr-
wand zu bemaͤnteln gewuͤſt/ haͤtte er beym Au-
guſtus es durch allerhand Schelmſtuͤcke ſo weit
gebracht/ daß er vom Kaͤyſer das Boſphorſche
Reich bekommen/ und der derogeſtalt verdrun-
gene Aſander ſich daruͤber zu todte gegraͤmet o-
der gehungert. Nach deſſen Tode haͤtte der ſo
gluͤckliche Betrug ihn ſo verwegen gemacht/ daß
er die verwittibte Dynamis zu ehlichen verlan-
get. Dieſe habe ihre Abſcheu fuͤr dem Scri-
bonius/ welcher mit den Kaͤyſerlichen Huͤlfs-
Voͤlckern das Heft in Haͤnden hatte/ moͤglichſt
verborgen/ und ihn zu heyrathen verſprochen/
da er in der Reichs-Verſammlung erhaͤrten
koͤnne/ daß er Mithridatens warhaffter En-
ckel/ und des Pharnaces Sohn waͤre. Dieſer
brachte alſofort einen praͤchtigen Brief herfuͤr/
an dem der Meduſen in Gold gepraͤgter Kopf/
den Pharnaces eben wie ſein geruͤhmter Ahn-
herr Perſeus zu ſeinem Siegel brauchte/ hing/
und dieſes Jnhalts war: Nach dem ſein Va-
ter Mithridates faſt alle ſeine Kinder ermor-
det/ auch durch ſeinen fuͤrgenommenen Einfall
in Gallien die Roͤmer zu Tod-Feinden ſeines
gantzen Geſchlechts gemacht haͤtte/ waͤre er ge-
noͤthigt worden fuͤrzuſinnen/ wie ihr uhralter
Stamm fuͤr gaͤntzlichem Untergange behuͤtet
wuͤrde; habe daher das Volck dem Vater ſelbſt
abtruͤnnig gemacht/ ihm nach dem Leben ge-
ſtanden/ die Roͤmer gewarniget/ auch/ um ihre
Freundſchafft ſo viel leichter zu gewinnen/ und/
da er ja ſelbſt noch vom Vater hingerichtet wuͤr-
de/ doch einigen Erben verlieſſe/ mit einer edlen
Roͤmerin Scribonia ſich vermaͤhlet. Nach
dem auch zwar ſein erſter Anſchlag waͤre verra-
then worden/ haͤtte ihm doch Menophanes vom
Vateꝛ das Leben eꝛbeten/ und eꝛ endlich das gan-
tze Heer auf ſeine Seite gebracht/ daß ſie ihn im
Felde fuͤr ihren Koͤnig erklaͤret/ in Mangel ei-
ner beſſern eine papierne Krone aufgeſetzt/ und
Mithridaten in ſolche Verzweiffelung bracht/
daß er ſeine zwey Toͤchter Mithridatis und
Nyſſa der Koͤnige in Egypten Braͤute mit
Giffte hingerichtet/ und als das Gifft bey ihm
nichts wuͤrcken wollen/ ſich durch die Fauſt des
Gallier Fuͤrſtens Bituit/ durchſtechen habe laſ-
ſen. Weil ihn aber Pompejus fuͤr ſeine den
Roͤmeꝛn durch Aufopfferung ſeines eigenen Va-
ters erzeigte Wolthat ſchlechter/ als er ihm ein-
gebildet/ belohnet/ in dem er ihm nicht das Pon-
tiſche/ ſondern nur das Boſphoriſche Reich ge-
laſſen/ und hiervon noch die Phanagorenſer
ausgenommen/ habe er mit den Roͤmern zu
brechen/ und ſich an die Parthen zu hencken fuͤr-
genommen. Weil dieſe nun dem Roͤmiſchen
Gebluͤte Spinnen-feind waͤren/ haͤtte er fuͤr
rathſam und noͤthig befunden/ ſeine Heyrath
mit der Scribonia noch geheim zu halten. Jn-
zwiſchen waͤre ihm das Ungluͤck mit den Roͤ-
mern begegnet/ daß er bey dem Berge Scotius
aufs Haupt geſchlagen/ gefaͤhrlich verwundet/
und nach Sinope zu fliehen genoͤthigt worden.
J i 2Als
[252]Drittes Buch
Als er nun zu den Scythen ferner zu fliehen
fuͤr gehabt/ waͤre ihm Scribonia mit heiſſen
Thraͤnen zu Fuſſe gefallen/ und ihn beweglichſt
erſuchet/ daß er entweder ihre Eh offenbar ma-
chen/ oder ſie und ihr Kind toͤdten moͤchte. Al-
leine er waͤre darzu nicht zu bereden geweſt/ ſon-
dern er habe ihr/ und ihrem noch an ihren Bruͤ-
ſten haͤngendem Sohne Scribonius auff den
Todesfall gegenwaͤrtiges Zeugnuͤß/ daß Scri-
bonia ſeine Gemahlin/ und diß Kind ſein Sohn
waͤre/ ertheilet. Dieſer ausfuͤhrliche Brief hat-
te einen groſſen Schein/ und wie Kaͤyſer Augu-
ſtus ſich vorher hierdurch bethoͤren laſſen/ alſo
war keiner unter den Reichs-Raͤthen/ der nicht
dieſem Scribonius Glauben beymaß. Der
Koͤnigin Dynamis aber alleine wolte diß nicht
in Kopf. Dahero nahm diß ſchlauhe Weib den
Brief ſelbſt in ihre Haͤnde/ und nach dem ſie alle
Buchſtaben aufs genaueſte betrachtet/ fing ſie in
einem Augenblicke uͤber laut an zu ruffen: Es
glaube niemand dieſem Verfaͤlſcher/ deſſen Be-
trug numehr am Tage liegt. Als nun alle
Augen und Ohren auf ſie richteten/ redete ſie
ferner: Sehet/ dieſer Brief ſoll nach der ver-
lohrnen Schlacht bey dem Berge Scotius/
und als der Kaͤyſer mit dem P. Servilius Jſau-
ricus Buͤrgermeiſter in Rom geweſt/ geſchrieben
ſeyn; Da doch der Jnhalt dieſes Brieffes ſich
groſſen Theils etliche Jahr hernach/ und wie
Qvintus Fufius/ und Q. Calenus die Buͤr ger-
meiſter-Wuͤrde vertreten hat/ zugetragen.
Die Anweſenden erinnerten ſich deſſen alſofort/
ſahen aber mehrer Gewißheit halber in den
Zeit-Regiſtern nach/ welche mit der Koͤnigin
Einwurffe uͤberein traffen. Hingegen ver-
ſtummete Scribonius bey ſo unverhoft entdeck-
ter Falſchheit/ wuſte auch/ wie ſehr er ſich be-
muͤhete/ nichts/ welches den Stich halten kon-
te/ aufzubringen. Endlich erbot er ſich dieſen
in dem bloſſen Umſtande der Zeit beſtehenden
Jrrthum durch andere Uhrkunden zu verbeſ-
ſeꝛn/ und eꝛlangte damit Uꝛlaub aus dem Reichs-
Rathe zu gehen. Er aber verwandelte ſeine Be-
weiß-Fuͤhrung in eine offenbare Flucht aus der
Stadt Panticapeum/ zohe ſein im Lande ver-
legtes Kriegs-Volck zuſammen/ und meinte
ſeine Gewalt und Heyrath mit den Waffen zu
rechtfertigen/ weil ſeine Rechts-Gruͤnde nicht
den Stich halten konten. Die Reichs-Staͤn-
de griffen durch Aufmunterung zur Gegen-
wehr/ machten auch die gantze Begebenheit
dem Vipſanius Agrippa/ der damals gleich zu
Chalcedon ſich befand/ zu wiſſen/ und baten die-
ſes unwuͤrdigen Koͤnigs entuͤbrigt zu ſeyn. A-
grippa trug alſofort dem anweſenden Koͤnige
Polemon/ der ſeinem Vater Mithridates in-
zwiſchen im Pontiſchen Reiche gefolget war/
auf/ wider den Scribonius den Boſphorern
Huͤlffe zu leiſten. Wie aber Polemon in ſolches
Land ankam/ hatten ſie ſchon ſelbſt den Scribo-
nius an dem Fluſſe Pſychrus zwiſchen dem Co-
raxiſchen Gebuͤrge gefangen bekommen/ und
von ihm diß Bekaͤntnuͤß ausgepreſſet: Er ſey
ein Freygelaſſener des Vedius Pollio geweſt/
und habe Bekandtſchafft gehabt mit demſelben/
welcher ſich zu Rom des Antonius und der
Octavia Sohn zu ſeyn geruͤhmt/ Auguſtus a-
ber zur Ruderbanck haͤtte ſchmieden laſſen.
Nach der Zeit waͤre er in Aſien kommen/ und
haͤtte geſehen/ wie gluͤckſelig ein ſeinem Be-
duͤncken nach wenig verſchmitzter Cappadocier
die Perſon des Koͤnigs Ariarathes geſpielet/
und mit ſeiner bloſſen Aehnligkeit deſſen faſt al-
le Morgenlaͤnder uͤberredet haͤtte/ da doch mehr
als zu gewiß war/ daß Marcus Antonius bey
Einſetzung des Koͤnigs Archelaus den Aria-
rathes hingerichtet hatte. Dieſe zwey Ver-
faͤlſcher haͤtten ihm die Bahn gebrochen/ und
das Bildnuͤß des Mithridates/ dem er aͤhn-
lich zu ſeyn vermeinet/ zu ſeiner Erfindung
ſich fuͤr des Pharnaces Sohn auszugeben/ An-
laß gegeben. Worauf ſie denn dieſem Scri-
bonius
[253]Arminius und Thußnelda.
bonius mit ſeinem Reiche den Kopf abgeſchnit-
ten/ und ins Meer geworffen. So bald
nun die Boſphorer die Ankunfft des Koͤnigs
Polemon vernahmen/ beſorgeten ſie ſich/ er
wuͤrde als ein Bundsgenoſſe der Roͤmer ih-
nen zum Koͤnige aufgedrungen werden/ da ſie
lieber einem einheimiſchen gehorſamt haͤtten/
alſo zohen ſie auf Anſtifften des Meleagenes/
der ſich auf die Boſphorſche Krone ſelbſt ver-
ſpitzte/ dem Polemon mit Heeres-Krafft ent-
gegen/ griffen ihn unverwarnigt an/ wurden
aber aus dem Felde geſchlagen. Es war a-
bor dieſer Verluſt nur eine Urſache zu groͤſſe-
rer Verbitterung/ und eine Fackel hefftiger
Kriegs-Flammen. Nach dem aber Pole-
mon den Meleagenes in einem Treffen erleg-
te/ und die Zeitung kam/ daß Agrippa ſelbſt
mit einem maͤchtigen Heere ſchon zu Sinope
dem Polemon zu Huͤlffe ankommen war/ leg-
ten ſie die Waffen nieder/ baten ſelbſt/ daß der
hertzhaffte Polemon ihr Koͤnig ſeyn moͤchte.
Alſo ſetzte Agrippa ihm mit Genehmhaltung
des Kaͤyſers nicht alleine die Boſphorſche Kro-
ne auf/ ſondern vermaͤhlte ihn auch mit der
ſchoͤnen Koͤnigin Dynamis.
Jch danckte fuͤr ſo annehmliche Erzehlung
dieſem freundlichen Edelmanne/ und veran-
laſte mit moͤglichſter Ehrerbietung ihn mit
uns fernere Gemeinſchafft zu pflegen. Wie
wir nun fuͤr dißmahl von ihm Abſchied nah-
men/ und aus dem Schauplatze giengen/ ward
Erato unter der Menge Volcks unvermu-
thet meines Artafernes gewar. Alleine/ ob wir
wohl auff dem Fuſſe ihm nachfolgeten/ verlohr
er ſich doch unter dem Gedraͤnge aus unſerm
Geſichte/ und wir konten zu meinem groͤſten
Hertzeleide ihn durch keinen Fleiß finden oder
ausforſchen. Folgenden Morgen kam Me-
herdates in aller fruͤh mit denen zwey Lycao-
niſchen Fuͤrſten in unſer Hauß/ und berichte-
ten uns/ wie Polemon dieſen Tag den Roͤmi-
ſchen Rathsherren zu Liebe allerhand Rennen
von ſeiner Ritterſchafft halten wuͤrde/ berede-
ten uns auch/ daß Erato/ welche zu Sinope
den Nahmen Maſſabazanes annahm/ nebſt
ihnen auf der Rennebahn in gleichfoͤrmiger
Ruͤſtung zu erſcheinen ſich entſchloß. Als wir
in die Schrancken kamen/ bezeugten wir fuͤr
dem Koͤnige/ der Koͤnigin Dynamis und den
Roͤmern/ welche auf einer mit Gold durch-
wuͤrckten Perſiſchen Tapecereyen umhange-
nen Buͤhne dem Rennen zuſchauen wolten/
moͤglichſte Ehrerbietung. Wir wunderten
uns uͤber der Abweſenheit der Fuͤrſtin Arſinoe/
wurden aber bald gewahr/ daß ſelbte unter
dem Schalle der Trompeten/ als eine Amozo-
nin ausgeruͤſtet/ ſich gleichergeſtalt in die
Schrancken verfuͤgte. Hierauf machte ſie
alsbald den Anfang aus dem fuͤr der Koͤnigli-
chen Buͤhne von zweyen Herolden gehaltenem
Loß-Topffe einen Zettel zu heben/ auff denen
die Zahl/ wie die Ritter nach der Reye rennen
ſolten/ vermerckt war. Jhr folgten die an-
weſenden Fuͤrſten und Ritter/ derer uͤber fuͤnf
hundert waren/ nach/ und traf ſich das Loß/
daß die Lycaoniſchen Fuͤrſten die erſten/ die
Fuͤrſtin Arſinoe und Maſſabazanes aber die
allerletzten Zettel bekommen. Weil nun ſie
von den Herolden in die Reyhe nach denen ge-
hobenen Zetteln geſtellt wurden/ kamen Arſi-
noe und Maſſabazanes harte neben einander.
Beyde konten Anfangs einander nicht ge-
nungſam anſchauen/ ja in beyden erregte ſich
eine geheime Zuneigung/ und ein ſolcher Trieb
ihrer Gemuͤther/ woruͤber ſie ihnen ſelbſt keine
gewiſſe Auslegung zu machen wuſten. Als
nun der juͤngſte Lycaoniſche Fuͤrſt Maſna-
emphtes im Rennen den Anfang machte/ und
dieſer/ auſer dem Pfeil-Schuͤſſen/ alle andere
Rennen traf/ machte ihr Arſinoe Gelegenheit
mit dem Maſſabazanes zu reden/ den Maſ-
J i 3naemph-
[254]Drittes Buch
naemphtes zu loben/ und den Maſſabazanes
um ſeinen Zuſtand zu fragen. Dieſer gab ſich/
wie ich vorhin gegen dem Meherdates gethan/
nachmahls fuͤr einen Albaniſchen Edelmann
aus/ den an dieſen beruͤhmten Hoff mehr der
Vorwitz was denckwuͤrdiges zu ſehen/ als eini-
ge Nothwendigkeit gebracht haͤtte. Arſinoe
antwortete ihm: Es waͤre ſolch Vornehmen
nicht fuͤr einen Fuͤrwitz/ ſondern eine Regung
eines tapffern Gemuͤthes zu halten/ und beduͤn-
cke ſie/ es habe die Tugend die Art etlicher
Pflantzen an ſich/ welche in ihrem eigenen Erd-
reiche nicht wachſen koͤnnen/ ſondern ihre Voll-
kommenheit nach geſchehener Verſetzung auff
einem frembden Baͤte erlangen muͤſten. Und
haͤtte ſie deßhalben ein ſonderbares Belieben
an denſelben Edlen/ welche auſſer Landes/ wo
weder die Liebe der ihrigen ſie verzaͤrtelte/ noch
die Heucheley ihre Laſter ſtreichelte/ ihr Gluͤck
ſuchten/ und ihren Ruhm vergroͤſſerten. Weß-
wegen Maſſabazanes ſich von ihrem Herrn
Vater aller Koͤniglichen Gnade verſichern
ſolte. Unter derogleichen annehmlichen Ge-
ſpraͤchen vollendeten die Ritter ihre Rennen;
und es war keiner/ dem nicht zum minſten ein
Streich gefehlet hatte. Die Fuͤrſtin Arſinoe
machte ſich daher geſchickt das ihrige zu thun.
Das erſte Ziel war ein Scythen-Kopff/ nach
demſelben warf ſie den Wurf-Spieß ſo gluͤck-
lich/ daß ſelbter recht in das lincke Auge traff;
Das andere war ein einaͤugichter Cyclopen-
Kopff/ dieſen hieb ſie mit ihrer Sebel in einem
Streich ab/ fing ſelbten auch mit der Spitze
ihres Sebels/ daß er daran ſtecken blieb. Das
dritte war ein Ring/ den ſie mit der Lantze/
nach dem ſie ſie vorher durch einen Wurf in
der Lufft dreymahl umgedrehet/ faſt in dem in-
nerſten Zirckel abnahm. Das vierdte war ein
auf einer 60. Ellenbogen-hoher Saͤule aufge-
ſtellter Drache/ denſelben traf ſie mit dem Bo-
gen ſo wohl/ daß der Pfeil im Rachen ſtecken
blieb. Das fuͤnffte war eine von Thon berei-
tete/ und in unterſchiedene Kreiſſe eingetheilte
Scheibe/ in dieſe traf ſie aus der Schleuder mit
einem Steine in den andern Kreiß/ alſo/ daß
ihr kein einiges Treffen mißlang/ und ſie bey
dem umſtehenden Volck ein groſſes Freuden-
Geſchrey erweckte. Maſſabazanes war al-
lein noch uͤbrig/ der rennen ſolte/ und es ließ
ihm niemand traͤumen/ daß dieſer unbekandte
Frembdling der Fuͤrſtin den hoͤchſten Preiß
ſtrittig machen ſolte. Sie vergebe mir aber/
großmuͤthige Thußnelda/ daß ich meine Koͤ-
nigin Erato ehe ins Antlitzloben/ als der War-
heit ablegen ſoll. Maſſabazanes erſchien als
ein Blitz-geſchwinder Falcke auff der Renne-
bahn/ er warf ſeinen Wurf-Spieß dem Scy-
then-Kopffe ins rechte Auge/ hieb den Kopf des
Polyphemus ab/ und ſtach ihm im fallen ſeine
Sebel in das eintzele Auge/ er nahm mit der
Lantze den Ring im Mittel weg/ er ſchoß den
Drachen ins lincke Auge/ und traf das weiſſe in
der Scheibe mit ſeinem abgeſchleuderten Stei-
ne. Die Zuſchauer wurden gezwungen ihn
eben ſo wohl mit einem Freuden-Geſchrey zu
beehren/ wormit das vorhergehende nicht ſo
wohl den Schein einer Heucheley gegen ihre
Fuͤrſtin/ als einen Zuruff der Tugend uͤberkaͤ-
me. Die zwey Roͤmiſchen Rathsherren/ de-
nen Koͤnig Polemon das Urthel des Sieges/
und die Austheilung der Preiſſe anvertraut
hatte/ konten anders nicht befinden/ als: Es
haͤtte Arſinoe und Maſſabazanes einander die
Wage derogeſtalt gehalten/ daß ſie durch ein
neues Rennen gleichen muͤſten. Arſinoe gab
ſich hingegen ſelbſt: daß Maſſabazanes den
Preiß exworben; Sie muſte aber gleichwohl
ſich dem Erkaͤntnuͤſſe unterwerffen/ und ihr
wiederholetes Rennen/ in dem ſie abermahls
gar nicht fehlte/ gab ihr ein gnungſames Zeug-
nuͤß/ daß ihr Sieg nicht einem ungefaͤhrlichen
Zufalle/ ſondern ihrer Geſchickligkeit zuzu
ſchrei-
[255]Arminius und Thußnelda.
ſchreiben waͤre. Aller Zuſchauer ſorgfaͤltige
Augen waren nun auf den Maſſabazanes ge-
richtet/ welcher den Scythen-den Cyclopen-
Kopff/ den Ring/ den Drachen in noch groͤſſe-
rer Vollkommenheit/ als das erſte mahl traf/
bey dem letzten Ziel aber zu der Schleuder die
lincke Hand brauchte/ und/ wie iederman es
unſchwer urtheilen konte/ mit Fleiß die Schei-
be fehlete umb der Fuͤrſtin den Preiß zu laſſen;
Gleichwohl aber den Staͤnder mit dem ge-
ſchleuderten Steine traf. Das Volck beglei-
tete beyde abermahls mit Jauchzen/ und Sta-
tilius Taurus reichte hierauf Arſinoen den
hoͤchſten Preiß/ welches war ein Lorber-Krantz
dichte mit Diamanten beſetzt; Junius Sila-
nus aber dem Maſſabazanes den Zier-Preiß/
nehmlich eine mit Rubinen umwundene Myr-
then-Krone. Hierdurch gerieth Maſſabaza-
nes/ oder vielmehr Erato bey Hoffe in groſſes
Anſehen/ alſo/ daß daſelbſt nichts ſonderliches
vorgehen konte/ es muſte Maſſabazanes dar-
bey ſeyn. Der Koͤnig und die Koͤnigin be-
zeugten ihm alle erſinnliche Gnade/ gleichſam/
als wenn der Vorzug eines Fuͤrſten bloß in
dem beruhete/ daß er den Menſchen mehr gu-
tes thun koͤnne/ als niedrigere; Arſinoe ver-
mochte auch faſt ohne ihn nicht zu leben/ alle
aber insgemein urtheilten/ es waͤre Maſſaba-
zanes von groͤſſerm Gebluͤte/ als er ſich ausge-
be. Alſo hat die Tugend die Krafft des Ma-
gnets in ſich/ welche auch die frembdeſten Ge-
muͤther an ſich zeucht/ und wie aus dem Klan-
ge das Ertzt/ aus der Schwerde das Gold/
wenn ſchon ſein Glantz euſerlich durch ein ge-
ringeres Anſehn benommen iſt/ erkennet wird;
alſo verrathen auch tapffere Thaten eine hohe
Ankunfft/ und die Wuͤrde eines Helden-Gei-
ſtes. Erato hingegen empfand einen nach-
druͤcklichen Zug gegen Arſinoen/ alſo daß ſie
nicht weniger eine Freudigkeit bey ſich em-
pfand/ wenn ſie ihr Antlitz zu ſchauen bekam/
als wenn die betruͤbte Welt nach der duͤſter-
nen Nacht die annehmliche Sonne aufgehen
ſiehet. Seine Enteuſerung aber von Arſi-
noens Augen/ war eine Verduͤſterung ſeiner
ſonſt angebohrnen Freudigkeit/ ja die Tage
ſelbſt mehr als verdruͤßliche Naͤchte/ in wel-
chen ihm gleichwohl die Traͤume das annehm-
liche Bild dieſer Halb-Goͤttin mehrmahls fuͤrs
Geſichte ſtelleten. Dieſe Unruh des Ge-
muͤthes ward endlich zu einer voͤlligen
Schwachheit/ und wie ſehr gleich Erato ſol-
che Gemuͤths - Veraͤnderung verbluͤmte/ ſo
lieffen ſie doch mit der Zeit in die Augen und
Auffmerckung. Ja ſie konte endlich ſelbſt
mir laͤnger nicht verſchweigen/ daß das Abſeyn
von Arſinoen ihr eine faſt unertraͤgliche Mar-
ter waͤre. Dieſer Fuͤrtrag/ und die zugleich
eroͤffnete Urſache ihrer Beunruhigung kam
mir uͤberaus ſeltzam fuͤr. Denn/ da mir nicht
die Gleichheit des Geſchlechtes im Wege ge-
ſtanden haͤtte/ waͤre die Kranckheit leicht zu
errathen geweſt. Sintemahl die Liebe kein
eigenthuͤmlicher Kennzeichen hat/ als die Be-
gierde der Vereinbarung. Denn durch ſie
wird der Geiſt gleichſam aus ihrer eigenen in
eine frembde Seele verzuͤcket/ und dieſe hoͤret
auff in dem Coͤrper/ den ſie beſeelet/ zu leben/
wormit ſie in dem/ den ſie liebet/ einen ver-
gnuͤgtern Auffenthalt finde. Weil auch die
Liebe der Uhrſprung der Freude und Ergetz-
ligkeit iſt/ kan ein Liebhabender nirgend an-
derswo/ als da/ wohin er ſein Abſehen hat/
einige Wolluſt finden. Alle andere Luſt-
Haͤuſer/ ja der Himmel ſelbſt/ iſt ihnen ein
Siech- und Trauer-Hauß; die Anmuth ſtin-
cket ſie an/ alle anderswohin zielende Ge-
dancken ſind ihnen irrdiſch und verwerfflich/
ja die Seelen werden ihren eigenen Leibern
gram/ daß ſie an ſelbten gleichſam angefaͤſ-
ſelt ſind/ und ſie beduͤncken ihnen fremb-
de Wirths-Haͤuſer/ ja wohl gar ver-
druͤß-
[256]Drittes Buch
druͤßliche Gefaͤngnuͤſſe ihrer Freyheit/ und
bangſame Todten-Gruͤffte zu ſeyn/ in welchen
ihre Vergnuͤgung vergraben liege. Alle die-
ſe Wuͤrckungen der Liebe ſahen der Erato aus
den Augen/ und ſchienen aus ihrem Thun;
Sie war in den Jahren/ da dieſe Suͤßigkeit zu
kaͤumen/ und dieſer Zunder zu glimmen an-
faͤngt. Aber/ daß ihre Neigung auf eine Fuͤr-
ſtin abzielete/ war meiner Vernunfft ein un-
aufloͤßlicher Knoten; und die der Liebe ſo aͤhn-
liche Bezeugungen konten ſie allhier unmoͤg-
lich Mutter nennen. Hoͤret aber auch die an-
dere Helffte dieſes Wunderwercks. Denn
ich erfuhr durch vertraute Hand/ daß/ da Era-
to diſſeits nach Arſinoen ſeuffzete/ jene nach
Maſſabazanen laͤchſete. Da Erato bey ihr
ein nagendes Feuer der Zuneigung in ihrem
Hertzen fuͤhlete/ Arſinoens Seele loderte/ und
in lichten Flammen ſtand. Wiewol auf Ar-
ſinoens Seiten/ welche die Fuͤrſtin Erato fuͤr
einen der vollkommenſten Helden hielt/ dieſer
Traum ſich von mir leicht auslegen ließ/ in
dem die Liebe ſich mehr als zu viel ſelbſt verrieth.
Dieſe wunderbare Verwickelung der Gemuͤ-
ther und Begebenheiten machte mich uͤberaus
bekuͤmmert. Als ich aber Tag und Nacht
einen Fadem ſuchte beyden Fuͤrſtinnen aus die-
ſem Jrrgarten zu helffen/ fuͤhrte das Ver-
haͤngnuͤß uns aus dieſem Jrrgange in einen
betruͤbten Kercker/ und verwandelte unſere
Verwirrung in ſchmertzhaffte Bekuͤmmernuͤß.
Denn es hatte der Armeniſche Koͤnig Tigra-
nes zum Taurus und Silanus nach Sinope
einen ſeiner Edelleute abgefertigt/ dieſer aber
dem Rennen zugeſehen/ und die Fuͤrſtin Era-
to/ oder vielmehr den in Armenien ſo genenn-
ten Artaxias erkennet/ und bey ſeiner Ruͤck-
kunfft ſolches dem Koͤnige entdecket. Weil
nun die/ welche ſich unrechtmaͤßig in ein Reich
eingedrungen/ ewige Todtfeinde derſelben ſind/
die dazu Recht haben; uͤberdiß die blutduͤrſtige
Mallia und Laodice dem Tigranes beweglich
fuͤrhielten/ was fuͤr Gefahr ihm fuͤrſtuͤnde von
einem ſo ſtreitbaren Juͤnglinge/ der unter fuͤnf
hundert geuͤbten Rittern das beſte gethan haͤt-
te/ und deſſen feuriger Geiſt ſich nimmermehr
in die Schrancken eines gehorſamden Unter-
thanes wuͤrde einriegeln laſſen/ ſchickte Tigra-
nes nicht allein eine anſehnliche Botſchafft mit
koſtbaren Geſchencken an den Koͤnig Pole-
mon/ ſondern ſchrieb nichts minder an den Ti-
berius/ als Taurus und Silanus um den Pon-
tiſchen Koͤnig zu bewegen/ daß er ihm den jun-
gen Artaxias/ als ſeinen und der Roͤmer Feind
ausfolgen lieſſe. Als dieſe Geſandtſchafft zu
Sinope einzog/ hielten wir uns moͤglichſt ein-
gezogen um nicht erkennet zu werden/ unwiſ-
ſende/ daß wir bereits verrathen und im Gar-
ne waͤren. Denn noch ſelbigen Abend ward
unſer Hauß rings umher mit einer ſtarcken
Wache beſetzt. Kurtz darauf brachte ein ver-
kleideter Edelknabe von der Princeßin Arſinoe
einen verſchloſſenen Zettel an die Princeßin E-
roto mit dieſen Zeilen:
Arſinoe an den Fuͤrſten Artaxias.
Der Tag/ welcher meinem Jrrthume diß
erfreuliche Licht giebet/ und die Vermuthun-
gen aller derer/ die die Tugend zu ſchaͤtzen wiſ-
ſen/ vergewiſſert/ daß der unvergleichliche
Maſſabazanes kein ſchlechter Albaniſcher E-
delmann/ ſondern der Enckel des groſſen Ti-
granes ſey/ ſetzet mich zwar aus einer nicht ge-
ringern Bekuͤmmernuͤß. Aber ich zittere zu
ſchreiben/ daß der Armeniſche Koͤnig ihn aus
meiner Gemeinſchafft/ und in ſeine unbarm-
hertzige Haͤnde fordert. Mein Vater/ der
zwar die Verſicherung ſeiner Perſon nicht ab-
zuſchlagen vermocht/ iſt iedoch allzugroßmuͤ-
thig den auf die Fleiſchbanck ſeinem Feinde zu
liefern/ der durch ſeine Tugend eines gerechten
Koͤniges Gewogenheit/ und die Liebe deꝛ gantzen
Welt
[257]Arminius und Thußnelden.
Welt verdienet. Diß Schreiben gab nach ei-
ner hefftigen Beſtuͤrtzung uns nicht geringen
Troſt/ und ob wir wohl noch tauſenderley Ge-
fahr fuͤr Augen ſahen/ verlieſſen wir uns doch
ſo ſehr auff Arſinoen/ als ein Schiffer beym
Sturm auff ſeinen Ancker. Folgende Tage
ward uns in Vertrauen zuwiſſen gemacht; wie
die Armeniſche Botſchafft beym Koͤnige die rech-
te Verhoͤr gehabt/ und im Nahmen des Tigra-
nes angefuͤhrt habe: Es waͤre den Rechten der
Voͤlcker/ und denen zwiſchen den Armen- und
Pontiſchen Koͤnigen auffgerichteten alten Ver-
traͤgen gemaͤß/ daß keiner des andern Feinde
hauſen/ ſondern ſelbte ausgefolget werden ſol-
ten. Es waͤre Weltkuͤndig/ wie uͤbel dem Ari-
ſtodicus von Cuma ſeine unzeitige Barmhertzig-
keit bekommen/ als er den dem Koͤnige Cyrus
mit einem groſſen Schatze entlauffenen Pacty-
as ſeinem Sardiſchen Land-Vogte Tabalus
nicht aushaͤndigen wollen/ da doch der Didyme-
iſche Apollo und Branchus/ als die Cumaͤer ſie
hieruͤber zu Rathe gezogen/ diß Ausfolgungs-
Recht gebilliget hatte. Dahero verſehe ſich Koͤ-
nig Tigranes unfehlbar: daß Polemon ihm den
jungen Artaxias als ſeinen Feind und Unter-
than nicht vorenthalten wuͤrde. Polemon aber
habe fuͤrgeſchuͤtzt: Es haͤtte Apollo gleichwohl/
als Ariſtodicus die an dem Tempel niſtenden
Sperlinge aus dẽ Neſtern verjagt/ und dem ihm
fluchenden Abgotte ſeinen vorigen Spruch ent-
gegen geſetzt/ ſeinen Befehl nur auf gehauſete U-
belthaͤter/ derogleichen Artaxias nicht waͤre/ ge-
deutet; ja die Cumaͤer haͤtten den Pactyas
gleichwohl nicht unmittelbar den Perſen einge-
antwortet/ ſondern ihn auff die Jnſel Chius ver-
wieſen/ da ihn den allererſt die Einwohner ſei-
nen Feinden geliefert. Nach dem der Geſand-
te darauff beſtanden/ habe Koͤnig Polemon zu
ſeiner Entſchluͤſſung Bedenck-Zeit genommen/
und den Geſandten verſichert/ daß inzwiſchen
die begehrte und fuͤr einen Feind angegebene
Perſon in ſicherer Hafft beſtrickt waͤre. Nach
der Zeit hatte der Koͤnig alle Kunſtſtuͤcke des Ti-
granes Anmuthen abzulehnen herfuͤr geſucht/
nehmlich die Geſandten mit Jagten/ Schau-
ſpielen und andern Kurtzweilen auffgehalten/
auch dort und darhin zu reiſen Gelegenheit ge-
ſucht/ um nur fernere Verhoͤr abzulehnen; und/
nach dem die Botſchafft ſich darmit nicht laͤnger
wollen aͤffen laſſen/ fuͤr geſchuͤtzt: Er muͤſte es als
eine Sache von groſſer Nachfolge mit den be-
nachbarten Koͤnigen berathen/ inzwiſchen koͤn-
ten die Geſandten zuruͤck kehren/ ſeine ihnen
vielleicht auf dem Fuße folgende Botſchaft wuͤr-
de ſeine vernuͤnfftige und vielleicht nicht unan-
genehme Entſchluͤſſung nachbringen. Hinge-
gen verſehe er ſich/ daß auff ſolchen Fall Tigra-
nes auch des Meleagenes Anhang/ welche in
dem Boſphorſchen Kriege wider ihn die Waf-
fen gefuͤhret/ und hernach ſich in Armenien ge-
fluͤchtet hatten/ unter denen Lycoſthenes ein
Schoos-Kind des Tigranes war/ ausfolgen
laſſen wuͤrden. Alleine es haͤtten die Geſand-
ten auff einen endlichen Schluß gedrungen/ ih-
res Koͤnigs Befehl/ daß ſie ohne den nicht zuruͤ-
cke kehren doͤrfften/ fuͤrgeſchuͤtzt/ und die Aus-
wechſelung des Lycoſthenes und andere ge-
gen dem Artaxius ausdruͤcklich anerboten. Deſ-
ſen ungeachtet haͤtte die Fuͤrſtin Arſinoe dem
Koͤnige fort fuͤr fort in Ohren gelegen: Es waͤre
wider der Pontiſchen Koͤnige Hoheit einen Fuͤr-
ſten/ der zu Sinope in ſeiner Verfolgung eine
Frey- und Schutz-Stadt zu finden vermeinet/
auſſer dem verhofften Schirm nicht allein zu
laſſen/ ſondern auch einen Unſchuldigen in die
Klauen eines Wuͤterichs zu lieffern. Es lief-
fe wider das Recht und die Gewonheit der Voͤl-
cker/ und diene das Beyſpiel des Kaͤyſers/ welcher
dem Phraates den fluͤchtigen Tiridates keines-
weges haͤtte ausantworten wollẽ/ ihm zu einem
Wegweiſer. Ob nun wohl die zwey Roͤmiſchen
Rathsherren Taurus uñ Silanus auf die Seite
des Tigranes hingen/ ſouͤberwog doch die Groß-
muͤthigkeit Polemons/ und die Anmaſſung Ar-
Erſter Theil. K kſinoͤens
[258]Drittes Buch
ſinoens alle andere Abſehen/ alſo: daß die Arme-
niſche Botſchafft wegen der verlangten Auslief-
ferung des Artaxias abſchlaͤgliche Antwort
kriegte. Alleine das Ungluͤck wolte der Red-
ligkeit dieſes tapffern Koͤnigs nicht aus dem
Wege treten. Denn noch ſelbigen Tag lieffen
vom Tiberius Schreiben ein/ welche dem Po-
lemon die Ausfolgung des Artaxias beweglich
einhielten/ und die Roͤmiſchen Rathsherren be-
fehlichten darzu euſſerſt befoͤrderlich zu ſeyn. Po-
lemon erſchrack uͤber des Tiberius Brieffe/ noch
mehr aber uͤber des Taurus und Silanus heff-
tigem Fuͤrtrage. Gleichwohl aber ſaͤtzte er ih-
nen entgegen: Er verſehe ſich zu ihnẽ als Roͤmern
nicht/ daß ſie ihn noͤthigen wuͤrden die Gaſt-
Goͤtter ſeines Hauſes zu beleidigen/ und daß
er dem Artaxias einmahl gegebene Koͤnigliche
Wort: Er moͤchte bey ihm ſichern Auffenthalt
haben/ brechen ſolte. Treu und Glauben waͤ-
re zu Rom ein ſolches Heiligthum/ welches da-
ſelbſt auch denen gehalten wuͤrde/ welche gleich
ſolches vorher verletzet/ und ob ſchon dem gemei-
nen Weſen daraus einiges Unheil zugehangen.
Sie haͤtten den Hanno/ der auff der Roͤmer
Wort zu ihnen kommen/ unverhindert zuruͤck
gelaſſen/ ungeachtet die Carthaginenſer den Ge-
ſandten und Buͤrgermeiſter Cornelius Aſina in
Ketten geſchloſſen hatten. Wie moͤchte man
denn ihm zumuthen ſeinen Gaſt und Freund zu
beſtricken. Zumahl ihm unbewuſt waͤre: daß
dieſer Artaxias die Roͤmer iemahls beleidiget/
ein Sohn aber nicht Theil an der Schuld ſeines
Vaters haͤtte. Antiochus haͤtte eh wider den
mit den Roͤmern gemachten Friedens-Schluß
handeln/ als an ſeinem Gaſte dem Hannibal
durch ſeine Ausfolgung eine Leichtſinnigkeit be-
gehen wollen; indem er ihn gewarnigt ſich aus
dem Staube zu machen. Alleine die Roͤmer
ſetzten ihm entgegen/ Polemon haͤtte den Maſ-
ſabazanes/ fuͤr den er ſich faͤlſchlich ausgege-
ben/ keinem Artaxias die Gaſt-Freyheit er-
laubet. Man habe nicht nur auff die Ver-
ſicherung ſeiner Feinde/ ſondern auch derer zu
dencken/ die es allem Anſehen nach werden/
und die gemeine Ruh ſtoͤren koͤnten. Frem-
de Koͤnige waͤren einem ſeine Feinde ausfolgen
zu laſſen nicht ſchuldig; und deßhalben waͤre der
Kaͤyſer Phraaten den Tiridates zu lieffern
nicht ſchuldig geweſt/ aber wohl die Bundge-
noſſen. Daher haͤtte Antiochus unrecht/ Pru-
ſias aber loͤblich gethan: daß er den Hannibal
habe greiffen laſſen/ und den Roͤmiſchen Ge-
ſandten lieffern wollen/ wenn er ihnen nicht
mit Gifft waͤre zuvor kommen. Dieſem ſetz-
ten ſie ausdruͤckliche Bedrohunger bey: daß/
nach dem Polemon hierdurch wider ſeine
Bundgenoſſenſchafft handelte/ wuͤrde er fuͤr ei-
nen Beſchirmer der Roͤmiſchen Feinde ange-
ſehen werden. Polemon fand ſich derogeſtalt
zwiſchen Thuͤr und Angel. Denn auff einer
Seite ſtritte fuͤr uns ſeine Ehre und unſere
Schutz-Goͤttin Arſinoe/ auff der andern Sei-
ten wider uns die Furcht fuͤr der Roͤmiſchen
Macht/ und die Gefahr ſeines Koͤnigreichs. Wie
nun diß alles uns zu Ohrẽ kam/ entſchloß ſich E-
rato lieber freywillig in die Gewalt ihres Fein-
des/ als einen ſo redlichen Koͤnig in ſo groſſe Ge-
fahr zu ſtuͤrtzen; Ließ auch ſolches dem Koͤnige
ausdruͤcklich beybringen/ welcher inzwiſchen
noch dieſen Vorſchlag erſonnen hatte: daß er
auffden euſſerſten Fall den Artaxias nicht dem
Tigranes/ ſondern denen weniger grimmigen
Roͤmern mit Begleitung einer beweglichẽ Vor-
ſchrifft an den Kaͤyſer und Tiberius ausfolgen
laſſen wolte. Endlich kam Erato und ich nach
langer Uberlegung unſers bevorſtehenden Un-
gluͤcks auff die Entſchluͤſſung/ lieber die Heim-
ligkeit ihres zum Erbarmniß mehr dienenden
Geſchlechts zu offenbaren/ als auff die mehr-
mahls fehlgeſchlagene Gnade der Roͤmer zu fuſ-
ſen. Wie es nun an dem war/ daß Maßabar-
zanes dem Taurus und Silanus eingehaͤndi-
get werden ſolte/ und fuͤr dem Koͤnige und ihnen
erſchien/ fing er mit einer fꝛeudigen Anmuth an:
Es
[259]Arminius und Thußnelda.
Es befremdete ihn/ daß nicht nur Tigranes/ ſon-
dern auch die ſo klugen Roͤmer entweder auff das
ungewiſſe Geſchrey/ oder auff bloſſes Angeben
eines Kundſchaffers ſo feſte gefuſſet/ und daß
Maßabarzanes Artaxias waͤre/ geglaubet haͤt-
ten. Seine Unſchuld habe keine Scheu weder
in der Gewalt eines grimmigen Wuͤterichs/
noch der ſo guͤtigen Roͤmer zu ſeyn. Allein er
waͤre der nicht/ fuͤr den man ihn anſehe; alſo be-
ſorgte er ſich noch weniger/ daß man ihn zum
Schlachtopffer eines fremden ihm unbekandten
Verbrechens hingeben wuͤrde/ wodurch zwar
Tigranes ſeinen Thron/ weil Armenien viel-
leicht noch ein Auge auf den entronnenen Arta-
xias haben moͤchte/ befeſtigen/ die Roͤmer aber/ die
Schutz-Goͤtter der Unſchuldigen/ beleidigen
wuͤrde. Der Koͤnig Polemon und die Roͤmer
ſahen einander eine gute Weile ſtillſchweigend
an; lieſſen daher des Tigranes Geſandten Sin-
nates darzu kommen/ und befragten ihn: Ob er
den geſuchten Artaxias auch eigentlich kennte?
Dieſer antwortete: nein. Denn er waͤre mit dem
Tigranes ſtets zu Rom/ und lange Jahre nicht
zu Artaxata geweſt. Allein es waͤre Sinorix
bey der Hand/ der den Koͤnig deſſen vergewiſſert
haͤtte. Sinorix war kaum uͤber die Schwelle
ins Zimmer getreten; als Maßabarzanes ihn
anredete: Biſtu der Verlaͤumder/ der der Un-
ſchuld fremde Laſter auffhalſet/ wo anderſt Arta-
xias nicht redlicher iſt als du/ der du mir eine fal-
ſche Larve einer Perſon/ die ich nicht kenne/ fuͤr-
macheſt? Sinorix ward anfaͤnglich etwas be-
ſtuͤrtzt uͤber dieſer hefftigen Anredung/ wolte auch
eher nicht antworten/ biß er Maßabarzanen wol
und eigentlich betrachtet hatte. Denn Maßa-
barzanes Kuͤhnheit machte ihm gleichwol Nach-
dencken: Ob ihn nicht ſein Auge haͤtte betruͤgen
moͤgen. Wie er ihn aber auffs genaueſte be-
trachtet; fing er an: Es moͤchte ja wohl die Na-
tur zu weilen einen Menſchen dem andern aͤhn-
lich machen/ aber er finde in ſeinem Antlitze ſolche
unfehlbare Merckmalhe/ daß/ dafern er dißmal
irꝛete/ er ſeinen Kopf/ der ihm lieb waͤꝛe/ wolte veꝛ-
lohren habẽ. Maßabarzanes lachte/ und fing an:
Wenn ich ſo rachgierig waͤre/ als du verlaͤumde-
riſch biſt/ haͤtteſtu ihn bereit ſicher verſpielet. Hie-
mit wendete er ſich zum Koͤnige Polemon/ und
bat ihn um Verlaub/ daß er in das unentfernte
Zimmer der Koͤnigin ſich verfuͤgen moͤchte/ da-
ſelbſt wolte er einen unwiderleglichen Be-
weiß fuͤrzeigen/ und den Sinorix augenſchein-
lich zu ſchanden machen. Der guͤtige Koͤnig
konte diß ihm nicht abſchlagen; wiewohl er und
die Roͤmer nicht erſinnen konten/ was fuͤr
Beweiß moͤglich zu finden ſey/ der des Sinorix
Zeugniß/ welcher aus Armenien noch tauſend
ihm beyſtimmende Zeugen auffzubringen ſich
vermaß/ hintertriebe/ und des Maßabar-
zanes Verneinung erhaͤrtete. Als Maßa-
barzanes nun in der Koͤnigin Zimmer kam/ bey
der ſich die ſeinetwegen hoͤchſtbekuͤmmerte Fuͤr-
ſtin Arſinoe auffenthielt/ fiel er vor ihnen auf die
Knie/ und fing an: Gnaͤdigſte Koͤnigin/ die Ver-
laͤumdung des Sinorix/ welche einen Fremd-
ling dem Blutduͤrſtigen Tigranes auffopffern
will/ zwinget mich fuͤr ſelbter/ als einer Schutz-
Goͤttin meiner Unſchuld ein Geheimniß zu ent-
decken/ welches ich lieber auch vor den Goͤttern
verhelet haͤtte. Hiermit riß ſie ihr Kleid auf/ und
wieß der Koͤnigin und Arſinoen ein paar ſo ſchoͤ-
ne Bruͤſte/ als ſie iemahls ein Auge geſehen/ oder
ein vollkommenſtes Frauenzimmer haben kan.
Die Koͤnigin erſtaunete uͤber ſo unvermutheter
Begebenheit/ noch mehr aber die ſchoͤne Arſinoe:
alſo/ daß ſie eine gute Weile kein Wort auffzu-
bringen wuſte. Die nunmehr offenbarte Era-
to nahm die groſſe Veraͤnderung Arſinoens ge-
nau wahr/ und weil ſie von ihrer Liebe gut genug
wuſte/ muthmaßte ſie/ ihre Beſtuͤrtzung ruͤhre
daher/ daß weil ſich nunmehr Maßabarzanes
in ein Weib verwandelte/ ſie hierdurch ihre Liebe
zu Waſſer werden ſehe. Nachdem aber beyde
ſich ein wenig erholet/ fing Crato an: Gebet nun/
ihr meine Schutz-Goͤtter/ einer ungluͤckſeli-
K k 2gen
[260]Drittes Buch
gen Jungfrauen/ die die Begierde der Tugend
und ein groſſes Abſehen ihrer Eltern in ein
Mannsbild verſtellet hat/ wider die Falſchheit
des Sinorix ein Zeugniß: daß ſie nicht Maßa-
barzanes/ weniger der verfolgte Artaxias ſey.
Der guthertzigen Koͤnigin fielen die Thraͤnen
aus den Augen/ und ſie kunte ſich nicht enthal-
ten/ daß ſie nicht die Erato mit hundert Kuͤſſen
umhalſete; Arſinoe aber blieb hierbey voll
Nachdenckens unbewegt gleichſam als eine
Marmel-Seule ſtehen/ verlohr ſich auch un-
vermerckt aus dem Zimmer. Die Koͤnigin
befahl hierauff alſofort ihrem Frauenzimmer:
daß ſie den eingebildeten Maßabarzanes alſo-
fort ihrer Tugend gemaͤß auffs praͤchtigſte an-
kleiden muſten. Als dieſes in moͤglichſter Eil
vollbracht ward/ nahm die Koͤnigin dieſe Fuͤr-
ſtin bey der Hand/ und fuͤhrte ſie in das Koͤni-
gliche Zimmer/ darinnen die verlaſſenen Per-
ſonen mit Ungedult den verlangten Ausſchlag
erwarteten. Dieſer aber als ſie nun den ein-
gebildeten Artaxias in ein Frauenzimmer ver-
wandelt/ und die unfehlbare Warheit aus de-
nen mit Fleiß halb entbloͤßten Bruͤſten ſahen/
verwirrte nicht nur den Koͤnig und die Roͤ-
mer/ ſondern auch den Sinnates/ und inſon-
derheit den Sinorix; daß jene kein Wort re-
den konten/ dieſer aber fuͤr Scham und Schan-
de ſich augenblicks aus dem Zimmer ent-
brach. Der Koͤnig ward uͤber dieſem Eben-
theuer hertzlich erfreuet/ die Roͤmer aber und
gantz Sinope verwundernd uͤber der Schoͤn-
heit und Tapfferkeit dieſer zwar unbekandten
Fuͤrſtin; welche aber ihren hohen Stand durch
ihre Tugend genugſam ausfuͤhrete. Sinorix
ließ ſich nicht mehr ſchauen/ und Sinnates mu-
ſte mit einer Naſe abziehen. Erato aber erfreu-
te ſich uͤber ſo gluͤcklichem Ausſchlage/ dem Sie-
ge ihrer Klugheit. Denn dieſe iſt die Hebam-
me der Gluͤckſeligkeit und Vergnuͤgung. Eines
allein lag ihr noch auff dem Hertzen/ nehmlich
die Sorge uͤber der an Arſinoen verſpuͤhrten
hefftigen Veraͤndeꝛung. Zumal da Erato/ welche
nunmehr in dem Koͤniglichen Frauenzim̃er blei-
ben muſte/ und von der Koͤnigin alle erſinnliche
Gnaden/ von der Fuͤrſtin Arſinoe aber noch
hefftigere Liebesbezeugungen genaaß/ gleichwol
an ihr eine ungewoͤhnliche Traurigkeit verſpuͤr-
te. Dieſe verwandelte ſich in wenigen Tagen
in eine Kranckheit/ und machte ſie gar bettlaͤge-
rig. Endlich wuchs die Unpaͤßligkeit ſo ſehr/ daß
die Aertzte an ihrer Wiedergeneſung zu zweif-
feln anfingen; woruͤber der gantze Hoff in un-
ermaͤßliches Trauren verſetzet ward. Taurus
und Silanus hatten ſelbſt mit dieſer ſo anmu-
thigen Fuͤrſtin ein hertzliches Mitleiden; und
weil ſie den beruͤhmten Artzt Cornelius Celſus/
welchen man ſeiner Fuͤrtreffligkeit wegen den
Lateiniſchen Hippocꝛates nennte/ bey ſich hatten/
ward er endlich auch zu Rathe gezogen. Dieſer
aber konte ſo wenig als die andern ſich in die
Kranckheit finden/ weniger bey ſolcher Un-
wiſſenheit helffen. Nach hunderterley Anmer-
ckungen ihrer Veraͤnderung nahm er wahr/ daß
wenn einige von dem Frauenzimmer/ und dar-
unter Erato ums Bette ſtanden/ der Puls ſchnel-
ler zu ſchlagen anfing/ ihre Farbe und gantze
Beſchaffenheit ſich aͤnderte. Gleichwohl aber
konte er hieraus ihm wenig nehmen/ noch auff
den Grund kommen. Nach dem er aber mit
Fleiß anmer ckte/ daß dieſer Umſtand allezeit ei-
nerley Veraͤnderung machte/ und die Koͤnigin
bey ſich taͤglich vermindernden Lebens-Hoff-
nung ſehr erbaͤrmlich thaͤt/ ihr die Haare aus-
rauffte/ den Goͤttern und der Natur fluchte/
ihre Kleider zerriß; dieſe eine Stieff-Mutter
ſchalt/ welche dem Menſchen bey ſeiner Geburt
nur deshalben den Verſtand entziehe/ daß er
das gute des anfangenden Lebens nicht recht
genuͤße/ bey dem Sterben aber gebe/ daß er
die Bitterkeit des Todes ſo viel mehr ſchme-
cken muͤſte/ zohe dieſer nachdenckliche Artzt
die Koͤnigin auff die Seite/ entdeckte ihr ſei-
ne Anmerckung und ſagte: Er hielte es
mehr
[261]Arminius und Thußnelda.
mehr fuͤr eine Gemuͤths - als Leibes-Kranck-
heit/ und wenn ſolche Veraͤnderung in An-
weſenheit einiges Mannes geſchehe/ wolle er
keck ſagen: Es waͤre die Kranckheit/ daran Era-
ſiſtratus den Liebhaber der Stratonice geheilet
haͤtte. Wolte ſie nun die Urſache der Kranck-
heit ergruͤnden/ und ihrer Tochter das Leben er-
halten/ muͤſte ſie die Heimligkeit ihres Hertzens
erforſchen. Der klugen Dynamis war mehr
denn zu viel geſagt/ und ſie konte ihr numehr die
Kranckheit an den Fingern ausrechnen. Gleich-
wohl aber noch gewiſſer auf den Grund zu kom-
men/ gieng ſie mit unterſchiedenen ihres Frau-
enzimmers zu Arſinoen/ merckte aber in ihrem
Beyſeyn an ihr nichts veraͤnderliches. Hier-
auf trat ſie alleine mit der Erato fuͤr ihr Bette;
alſofort dorfte ſie Arſinoen nicht an Puls
fuͤhlen; denn ihre Gemuͤths- und Leibes-Aen-
derung brach an allen Gliedern aus. Nach
ſo augenſcheinlichen Merckmalen fuͤhrete ſie die
Fuͤrſtin Erato mit ſich/ verſchloß ſich mit ihr in
ihr geheimſtes Zimmer; daſelbſt redete ſie/ ihre
Augen voll Thraͤnen/ und ihre Bruſt voll Seuf-
zer habende/ derogeſtalt an: Wenn ich/ unver-
gleichliche Erato/ nicht ihrer hohen An-
kunft halber durch ſo viel Tugenden/ wor-
mit ſie der guͤtige Himmel ausgeruͤſtet hat/
vergewiſſert waͤre/ wuͤrde ich entweder den
Vorwitz begehen ihren Urſprung zu erforſchen/
welchen ſie vermuthlich aus wichtigen Urſachen
verhelet/ oder ihr ein Geheimnuͤß zu entdecken
anſtehen/ welches meinem eigenen Gemahl ver-
borgen iſt. Nachdem man aber fuͤr den Goͤt-
tern und der Tugend ſicher ſein Hertz ausſchuͤt-
tet/ und ihre Guͤtigkeit mich aus dem Pfule des
Verderbens/ mein Kind Arſinoen aus dem Ra-
chen des Todes zu retten alleine maͤchtig iſt; wol-
le die ihren Ohren nicht beſchwerlich ſeyn laſſen
mich zu hoͤren/ welcher mitleidentlich Hertze ich
ſo geneigt weiß mir zu helffen. Als nun Erato
mit Zunge und Geberden ihr Mitleiden und
Verbuͤndligkeit beweglich bezeuget hatte/ fuhr
die Koͤnigin Dynamis fort: Als ich den Koͤnig
Polemon geheyrathet hatte/ lieſſen die Goͤtter
zu/ daß des Scribonius Schweſter durch Zau-
berey uns zwey Ehleute eben ſo/ wie es fuͤr Zei-
ten dem Koͤnige Amaſis mit der Laodice bege-
gnet/ gegen einander verſchloß. Polemon/
welcher uͤber dieſem Zufalle nebſt mir hoͤchſt be-
kuͤmmert ward/ nahm ſeine Zuflucht zu der Per-
ſiſchen Diana/ welche in der Ciliciſchen Stadt
Caſtabala verehret wird. Die Wahrſager-
Weiber/ welche daſelbſt uͤber den gluͤenden Roſt
und Kohlen/ darauf die Opfer angezuͤndet wer-
den/ baarfuͤſſig ohne Verletzung gehen/ trugen
der Goͤttin unſer Geluͤbde fuͤr/ und kriegten zur
Antwort: Jch ſolte meinen Guͤrtel der Jung-
fraͤulichen Diana wiedmen/ ſo wuͤrde ich ſchwan-
ger werden/ es ſolte ihm aber Polemon den De-
gen ſchleiffen. Ob uns nun wol das letztere
ziemlich tunckel fuͤrkam; ſo leiſteten wir doch
dem Goͤttlichen Befehl Gehorſam/ und ich be-
fand mich in einem Monat ſchwanger. Wie
wir nun auf dem Ruͤckwege bey der Stadt Se-
leucia unter dem Berge Taurus vorbey zohen/
wolten wir bey der beruͤhmten Charoneiſchen
Hoͤle nicht vergebens vorbey ziehen/ ſondern wir
verehrten den Geiſt denſelben/ und ſchlugen des
Nachts darinnen unſere Lager-Stadt auf/ umb
durch einen Traum wegen des Mittels unſer
Geneſung beſtaͤrckt zu werden. Estraͤumte uns
aber allen beyden: Jch ginge mit einer Schlan-
ge ſchwanger/ die an iedem Orte einen Kopf haͤt-
te/ derer einer den Polemon ſtaͤche/ der andere
ſeine Mutter kuͤßte. Eben dieſes traͤumte uns
zu unſerer hoͤchſten Verwunderung wenige Zeit
hernach zum andern mal in dem Pergameni-
ſchen Tempel des Eſculapius. Wir blieben
alſo mit Furcht und Hoffnung beſtricket biß zu
meiner Geburts-Zeit ruhig/ wurden aber hertz-
lich erfreuet/ als ich eines wolgeſtalten Sohnes
und Tochter geneſen war/ die wir Zeno und Ar-
ſinoe benahmten. Gleichwohl aber konte
mein Koͤnig ihm den Traum nicht aus dem
K k 3Sin-
[262]Drittes Buch
Sinne ſchlagen/ daher reiſete er ſelbſt in den Epi-
riſchen Eichwald bey der Stadt Dodona/ allwo
Jupiter in einem alten noch vom Deucalion ge-
baueten Tempel kuͤnftig Ding wahrſagte. Wie
er nun nach verrichteter gewoͤhnlichen Andacht
fragte: Was er fuͤr Gluͤck oder Ungluͤck von ſei-
nen neugebohrnen Zwillingen zu hoffen haͤtte/
antworteten ihm die daſelbſt ſingenden Tauben:
Als nun Polemon uͤber dieſer Weiſſagung be-
ſtuͤrtzt war/ und die Goͤtter umb Erklaͤrung mit
vielen Seufzern anflehete/ hob ſich das guͤldene
Bild des Jupiters/ welches oben auf dem Tem-
pel ſtand/ auf/ und ſchlug mit ſeiner eiſernen
Ruthe an die vings herumb aufgehenckten ertz-
tene Tiegel/ welche eben vorige Reymen von ſich
lauten lieſſen. Der Koͤnig wolte mit dieſer be-
truͤbten Zeitung nicht nach Hauſe kehren/ ſon-
dern ſchiffte aus Griechenland geraden Weges
in Africa/ und durch das faſt unwegbare Sand-
Meer zu dem Ammoniſchen Jupiter bey den
Troglodyten; wohin dem groſſen Alexander die
Raben/ dem Bachus ein Widder den Weg ge-
wieſen hat. Daſelbſt wuſch ſich Polemon aus
dem Sonnen-Brunnen/ welcher des Morgens
und Abends laues/ des Mittags eißkaltes/ umb
Mitternacht ſiedendheiſſes Waſſer hat; opferte
hierauf ſieben Widder/ verrichtete alles/ was zu
ſelbigem Gottes-Dienſte gehoͤrig iſt/ und bat
ihm ſeiner Kinder Zufaͤlle zu offenbaren. Die
Prieſter nahmen des Jupiters Bild/ welches
wie ein Seeweiſer aus weiſſem Marmel/ oben
mit einem Widder-Kopfe gemacht/ auf der Sei-
te mit Smaragden und andern Edelgeſteinen
gezieret war/ ſetzten ſolches auf einen guͤldenen
Nachen/ an welchem eine groſſe Menge ſilber-
ner Schuͤſſeln hingen/ und hinter dem eine groſſe
Anzahl Frauen und Jungfrauen allerhand Lob-
Lieder ſangen. Auf des Koͤnigs angebrachte
Frage verdrehete der Abgott die Augen/ ſchuͤttel-
te den Kopf/ raſchelte mit den umbhangenden
Hammel-Fellen/ und/ welches zu verwundern/
brauchte der Prieſter zu Auslegung deſſen/ was
Jupiter andeutete/ eben die von dem Dodoni-
ſchen Jupiter ausgeſprochene Worte. Wie-
wohl nun die Wahrheit der Hammoniſchen
Wahrſagungen durch die dem Egyptiſchen Koͤ-
nige Themeuthes/ dem Getuliſchen Jarbas/ dem
Hannibal und viel andern ertheilte Weiſſagun-
gen bewaͤhrt war; ſo ließ ſich doch Polemon nicht
vergnuͤgen/ ſondern er berieth ſich auch mit dem
Pythiſchen Apollo in Beotien/ deſſen Heilig-
thum von einer Ziege erfunden worden. Wie
nun die Pythia nach zweyen ihm geopferten
weiſſen Pferden aus dem Brunne Caſſiotis/
welcher die angezuͤndeten Fackeln ausleſcht/ die
ausgeleſchten anzuͤndet/ getruncken/ und den
Wahrſager-Geiſt bekommen/ auch ſich bey ein-
brechender Demmerung uͤber die heilige Hoͤle
auf den guͤldenen Dreyfuß geſetzt hatte/ kriegte
ſie einen Jaͤſcht fuͤr dem Mund/ und fing an eben
dieſe Wahrſagung/ welche fuͤrzeiten dem The-
baniſchen Koͤnige Lajus geſchehen war/ auszu-
ſchaͤumen:
Mit dieſen betruͤbten Offenbarungen kam Po-
lemon wieder zu Sinope an/ ich ſtelle zu ihrem
vernuͤnftigẽ Nachdencken/ zu was fuͤr Hertzeleid
fuͤr mich/ ſonderlich/ da ſich der Koͤnig entſchloß
meinen einigen Sohn hinrichten zu laſſen. Die
ehliche und Mutter-Liebe kaͤmpfte in meinem
Hertzen gegen einander/ weil jene aus den Goͤtt-
lichen Wahrſagungen ſelbſt die Gefahr meines
Gemahls/ dieſe meines Kindes Untergang fuͤr
Augen ſahe. Jch hielt ihm aber gleichwohl
ein; wie die albern Rathſchlaͤge der Menſchen
die unvermeidlichen Schluͤſſe des Verhaͤngnuͤſ-
ſes zu ſtoͤren ſich vergebens anmaßten/ als aus
dem Beyſpiele Aſtyagens/ der ſeiner Tochter
Mandane gantz Aſien uͤberſchattende Frucht
wollen
[263]Arminius und Thußnelda.
wollen toͤdten laſſen/ und des Lajus/ der ſeinen
mit der Jocaſta erzeugten Sohn dem Tode
wiedmete/ zu ſehen waͤre. Uber diß mißbrauch-
te die menſchliche Boßheit nicht ſelten ſich Goͤtt-
licher Weiſſagungen zu ihrem Vortheil. Pha-
lantus waͤre ſeiner Herrſchafft vom Apollo ſo
lange verſichert worden/ biß er weiſſe Raben ſe-
hen/ und in ſeinem Getraͤncke Fiſche finden wuͤr-
de. Sein Feind Jphiclus aber/ dem diß ver-
kundſchafft worden/ haͤtte durch den beſtochenen
Larca ihm mit dem Waſſer kleine Fiſche in Wein
miſchen/ und Jphiclus zugleich eine Menge
uͤbergipſte Raben fluͤgen laſſen. Hierdurch
waͤre der aberglaͤubiſche Phalantus ſich dem
Jphiclus ohne Noth zu ergeben verleitet
worden. Nach dem aber auch diß nicht ver-
fangen wolte/ ſagte Dynamis/ verſchrieb ich in
moͤglichſter Eil den Egyptiſchen Sternſcher
Cheraͤmon an Hof/ welcher bey vielen ſeiner
Wiſſenſchafft halber beruͤhmt/ bey nicht weni-
gern aber auch ſeiner Eitelkeiten halber verachtet
war; maſſen er durch das Gedichte/ daß der
Vogel Phoͤnix 7000. Jahr lebte/ und andere
Thorheiten ſich in der Welt ſchon genungſam
bekandt gemacht hatte. Nichts deſto weniger
eroͤffnete ich dem Cheraͤmon meines Sohns Ge-
burts-Stunde/ wormit er aus dem Geſtirne
alle Zufaͤlle ſeines Lebens aufs fleiſſigſte ausrech-
nen ſolte. Es konte diß aber nicht ſo verholen
geſchehen/ daß es nicht die Koͤniglichen Raͤthe er-
fuhren/ und dem Polemon fuͤrtrugen: Wie ge-
faͤhrlich es waͤre/ uͤber dem Zuſtande der Fuͤrſten
die nichts minder betruͤglich-als aber glaͤubiſche
Leute zu Rathe fragen; oder auch gar ſolche de-
nen Goͤttlichen Offenbarungen/ welche Pole-
mon allenthalben einſtimmig befunden haͤtte/
entgegen zu ſetzen. Die beruͤhmteſten Chaldeer
haͤtten einmuͤthig den groſſen Pompejus/ den
Craſſus und Caͤſar verſichert/ daß ſie mit groſſem
Gluͤcke und Ruhm in hohem Alter auf dem Bet-
te ſterben wuͤrden; ſie alſo zu vielen kuͤhnen Ent-
ſchluͤſſungen verleitet/ ihre Unwahrheit aber waͤ-
re mit aller dreyer grauſam verſpritzten Blute
aufgezeichnet. Jnſonderheit waͤre dieſer Che-
raͤmon auf derogleichen Betrug abgerichtet/ und
haͤtte er den groſſen Pompejus gewarnet: Er
ſolte ſich fuͤr dem Caſſius huͤten. Wie er nun
hernach in einem Nachen von gantz andern er-
mordet worden/ haͤtte Cheraͤmon ſeinen Fehler
damit entſchuldiget/ er haͤtte keinen Menſchen/
ſondern den Berg Caſſius/ unter welchem er ge-
ſtorben und begraben waͤre/ verſtanden. Jch
kam zu meinem Gluͤcke gleich darzu/ und hoͤrte
dieſe Beſchuldigung des Cheraͤmons/ welchen
ich eben dadurch fuͤr glaubwuͤrdig ruͤhmete.
Sintemal nicht ſeine Wahrſagung/ ſondern des
Pompejus uͤbeler Verſtand zu tadeln waͤre.
Die Goͤtter ſelbſt pflegten in ihren Weiſſagun-
gen ſelten noch ſo verſtaͤndlich zu reden/ und muͤ-
ſten allenthalben ſolche Offenbarungen nach-
dencklich uͤberlegt werden. Polemon aber blieb
gegen mich gantz unbeweglich/ allem Vermu-
then nach mehr aus einem Staats-Geheimnuͤſ-
ſe/ als aus Mißtrauen gegen dem Cheraͤmon.
Denn weil an Wahrſagung kuͤnftiger Dinge ſo
viel gelegen/ und die/ welche ſolche zu wiſſen ge-
glaͤubet werden/ bey dem Volcke in allzugroſſem
Anſehen ſind/ haben iederzeit alle kluge Oberher-
ren dieſe Wiſſenſchafft an ſich gezogen. Alſo haͤttẽ
Amphilochus und Mopſus ihren Argivern/ He-
lenus und Caſſandra des Priamus Kinder ihren
Phrygiern/ die aus den Weiſen erkieſete Perſi-
ſche Fuͤrſten alleine bevorſtehende Begebenhei-
ten/ wie ſelbte fuͤr ihre Herrſchens-Rath gedie-
net/ angekuͤndigt. Numa bediente ſich zum
Scheine ſeiner Wahrſagungen einer erdichteten
Gemeinſchafft mit der Egeria; und vom Tullus
Hoſtilius glaubten die Roͤmer/ daß der Donner
ihn deshalben erſchlagen haͤtte/ weil er die Ge-
heimnuͤſſẽ/ wordurch der Jupiter Elicius zu er-
ſcheinen beruffen werden koͤnte/ nicht recht beob-
achtet. Nichts minder iſt die Wahrſagerey auch
hernach zu Rom/ als die hoͤchſte Gewalt/ fuͤr et-
was Koͤnigliches gehalten/ uñ mit ſelbter verein-
bart;
[264]Drittes Buch
bart; hingegen/ daß die Stadt nicht durch andere
Weiſſagungen irre gemacht/ oder gar auſſer den
Schrancken des Gehorſams verſetzt wuͤrde/ ha-
ben die Obern die Sibylliniſchen Buͤcher ver-
brennen/ und die Wahrſager mehrmals aus der
Stadt vertreiben laſſen. Mit Noth brachte
ich es endlich ſo weit/ daß Koͤnig Polemon einen
ſeiner Raͤthe Sophites befehlichte/ des Chere-
mon Wiſſenſchafft zu durchforſchen. Dieſer
rechtfertigte ihn alſofort: Ob er ein Sternſeher
waͤre/ und wo er ſeine Kuͤnſte gelernet haͤtte?
Cheremon antwortete dem Sophites gleichſam
veraͤchtlich: Er waͤre zwar nach Sinope nicht
kommen ſeines Thuns halber Rechenſchafft zu
geben; nachdem er in Egypten fuͤr einen halben
Gott gehalten wuͤrde. Jedoch koͤnte er nicht
laͤugnen/ daß er mit dem Verhaͤngnuͤſſe ein ver-
traͤuliches Verſtaͤndnuͤß/ und den Sternen taͤg-
liche Gemeinſchafft haͤtte/ und nichts minder ei-
nen Wahrſager unter den Menſchen/ als einen
Geſetzgeber im Himmel abgebe; auch verſichert
waͤre/ daß ſein Nahme nicht mit tunckelern
Sternen/ als der Guͤrtel des Orions daſelbſt
eingeſchrieben werden wuͤrde. Sophites frag-
te weiter: Woher er dieſe Wiſſenſchafft erler-
net? Aus dem Buche der Verſtaͤndigen/ ant-
wortete Cheremon/ nemlich dem Himmel/ deſſen
Sterne alle Buchſtaben waͤren/ woraus die
Weiſen alle Geheimnuͤſſe der Natur und die
Schluͤſſe des Gluͤckes ſo unſchwer leſen koͤnten/
als die erſten Menſchen nach dem Stande der
Geſtirne in denen ſaͤndichten Einoͤden/ und noch
ietzt die Schiffenden haͤtten reiſen lernen/ und
die Weiſen der erſten Welt auch die Sprache
der Thiere verſtanden. Worbey er aber mit
dem Socrates geſtehen muͤſte/ daß die Erfah-
rung bim̃liſcher Dinge ohne Goͤttliche Huͤlffe
und Erleuchtung ſich nicht erlernen lieſſe. So-
phites erkundigte ferner: Mit welchen Volckes
Schrifft denn dieſe him̃liſche eine Verwandnuͤß
haͤtte/ und wordurch die Anfaͤnger ſelbte verſte-
hen lernten? Cheremon fing an: Die ſieben
groſſe Jrr-Sterne waͤren die laut-alle andere
die ſtummen Buchſtaben. Der kluge Cham haͤtte
das A. B. C. in 7. ertztene und 7. irrdene Saͤulẽ
aufgezeichnet/ wormit ſelbte weder Feuer noch
Waſſer vertilgen moͤchte. Der ſinnreiche Jdris
aber haͤtte ein von dem andern Menſchenin einẽ
verſiegelten Stein verſchloſſenes Buch gefundẽ/
darinnen die allerklaͤrſte Auslegung enthalten
geweſt/ und aus welchen die Egyptier ſo viel tau-
ſend Jahr ihre Heimligkeiten geſchoͤpfet haͤtten.
Sophites fuhr fort: Woher ſie eines ſo groſſen
Alters der Welt verſichert waͤren; ob ſie ſelbte
wegen ihres Urſprungs fuͤr ewig/ und ihrer
Tauerhaftigkeit nach fuͤr unver gaͤnglich hielten?
und ob er auch unter denen Leichtglaubigẽ waͤre/
daß die Babylonier von 470000. Jahren den
Lauff der Sonnen aufgezeichnet haͤtten? Che-
remon verſetzte: Alle Dinge/ auſſer Gott/ haͤtten
ihren Anfang; das Alter der Welt wuͤſten ſie
aus denen 20000. Buͤchern des Hermes/ in
welchen keines Sternes Bewegung von Anfang
der Welt auſſengelaſſen waͤre. Das Alter der
Welt wuͤrde ſich auf 36525. Jahr erſtrecken/ weil
in ſo vieler Zeit der voͤllige Lauff des Geſtirnes
ſich endigte/ und umb ein allgemeines Ende zu
machen alles in den erſten Stand verfiele. So-
phites fragte ferner: Ob denn die Sterne allein
in der Welt die natuͤrlichen Regungen des Ge-
waͤchſes/ des Gewitters/ der Fruchtbarkeit/ in
dem Menſchen nur uͤber den Leib/ oder auch uͤber
ſein Gemuͤthe/ uͤber den Willen und die Regun-
gen der Seele einige Gewalt haͤtte. Cheremon
antwortete: Die Sternen haͤtten ſo wohl uͤber
ein als das andere eine vollkommene Botmaͤſ-
ſigkeit. Sophites verſetzte: So hoͤre ich wohl/
die Sternen haben nicht nur eine bloſſe Nei-
gung/ ſondern einen voͤlligen Zwang uͤber uns.
Sintemal alle Wiſſenſchafften keinen zufaͤlli-
gen/ ſondern einen nothwendigen Schluß in ſich
haben. Hat denn aber der Menſch keinen frey-
en Willen der Tugend oder dem Laſter beyzu-
fallen/ auch keinen Verſtand Gutes und Boͤſes
zu
[265]Arminius und Thußnelda.
zu erwehlen in ſich? Denn wie unſchwer nach-
zugeben/ daß die Sternen uͤber den menſchli-
chen Leib als ein irrdiſches Theil der Welt wuͤr-
cken koͤnnen; alſo nachdem die Seele ein Fun-
cken des Goͤttlichen Lichtes/ und von einem hoͤ-
hern Urſprunge/ als die Sonne ſelbſt iſt; wie
koͤnnen die niedrigern Geſtirne uͤber das hoͤhere
wuͤrcken? Wenn die Seele ſich nicht ſelbſt der
Knechtſchafft des Leibes unterwirfft? Cheraͤmon
ſahe den Sophites ernſthaft an/ und ſagte: O
ihr albern Menſchen/ die ihr euer Gluͤcke/ euer
Klugheit/ und eure gute Wercke eurem freyen
Willen zueignet. Beydes haͤnget an den Ket-
ten des unveraͤnderlichen Verhaͤngnuͤſſes/ wel-
ches durch die Sternen die Menſchen/ wie
ein Gauckler die Tocken durch ver-
borgene Draͤte beweget. Dieſes Verhaͤngnuͤß
haben die Weiſen durch das Faß der Pandora/
wie die Bewegung der Jrr-Sterne durch des
Orpheus ſiebenſeitige Leyer abgebildet/ indem
jene den Seelen bey der Geburt des Menſchen
nach der Anſchaffung des Himmels Boͤſes und
Gutes zueignet. Die Hoheit der Seele klim-
mete zwar hoͤher/ als die Geſtirne/ keines weges
aber uͤber dem Verhaͤngnuͤſſe/ welches das Ge-
muͤthe und der Wille Gottes waͤre. Dieſem-
nach auch die Goͤtter an die Nothwendigkeiten
des Verhaͤngnuͤſſes/ wie Prometheus an den
Felſen des Caucaſus angebunden waͤ-
ren. Es iſt diß/ ſagte Sophites/ eine ge-
faͤhrliche Lehre/ welche den vernuͤnftigen
Menſchen zu einem wilden Thiere/ und
zu einem Leibeigenen des Himmels ma-
chen. Denn ob er zwar ſelbſt ſich beſcheide/
daß die ſo wunderwuͤrdigen Begebenheiten der
Welt nicht ungefaͤhr geſchehen/ dem menſchli-
chen Willen und Klugheit auch in der Wahl es
vielmal fehl ſchluͤge/ und daher etwas uͤberirrdi-
ſches uͤber uns das Gebiete fuͤhren muͤſte; ſo
glaubte er doch nicht/ daß dieſes von denen
Sternen/ welchen Gott doch einen gewiſſen
Lauff fuͤrgeſchrieben/ und ein ſolches Ziel geſteckt
haͤtte/ wenn man ſelbten auch ſchon das Band
anderer natuͤrlichen Urſachen beyſetzte/ herruͤh-
ren koͤnte oder muͤſte; ſondern/ daß die Vernunft
zwiſchen boͤſ- und guten eine unverſchrenckte
Wahl habe/ ungeachtet ſelbte ihrer Bloͤdigkeit
halber vielmal den unrechten Dreyfuß anruͤhre-
te/ ein Weiſer aber der Neigung des Geſtirnes
uͤberlegen ſey. Weil er aber wohl wuͤſte/ daß
dieſer Stritt unter den Menſchen keinen un-
verwerfflichen Richter haͤtte/ ſo wolte er inzwi-
ſchen dem Cheraͤmon ſeinen eingebildeten Ster-
nen - Zwang enthaͤngen. Nachdem aber
Cheraͤmon nicht laͤugnen koͤnte/ daß die Chaldeer
und Egyptier ſo gar in der Zahl und in dem
Stande der zwoͤlff him̃liſchen Zeichen einander
zuwider waͤren/ dieſe derſelben zwoͤlff/ jene
nur eilff machten/ ihre Graͤntzen auch ſonſt gar
nicht miteinander uͤbereinſtimmten; die Serer
uͤber diß uͤber 500. Geſtirne mehr/ als die andern
zwey und die Araber zehlen; gleicher Geſtalt
auch etliche Sternſeher den Mercur zu einem
weiblichen/ andere zu einem maͤnnlichen Geſtir-
ne/ die dritten zu einem Zwyter machten; eben
dieſer Stern dem einen vor/ dem andern hinten
nach ginge; ihrer viel denen Mitternaͤchtiſchen/
viel denen gerade uͤber unſerm Wirbel ſtehen-
den Sternen die nachdruͤcklichſte Wirckung zu-
eigneten; wie waͤre moͤglich/ daß aus dieſen wi-
drigen Meynungen/ welche doch die Sternſeher
fuͤr ihre Grundfeſte hielten/ einige unfehlbare
Gewißheit/ ja nur eine glaubhafte Muthmaſ-
ſung gezogen werden koͤnte? ſondern ieder Ver-
nuͤnftiger koͤnte leicht urtheilen: daß es mit der
Sternſeher Wahrſagung eben eine ſolche Eitel-
keit haͤtte/ wie mit den Aufmerckern des Vogel-
Geſchrey- und Fluges; es ginge auch mit bey-
den einerley Betrug fuͤr. Die Nacht-Eulen
waͤren faſt allen Voͤlckern ein Ungluͤcks- Vo-
gel; die Athenienſer und Scythen verehrten ihn
als einen gewiſſen Siegs- und Gluͤcks-Boten;
und haͤtte Agathocles/ welcher beym An-
fange der Schlacht eine vorhin verwahrte
Erſter Theil. L lMenge
[266]Drittes Buch
Menge Eulen fliegen laſſen/ ſeinem Heere da-
mit ein groß Hertze gemacht; die Carthaginenſer
aber keine geringe Niederlage erlidten. Die
unabmaͤßliche Groͤſſe der Geſtirne/ der unbe-
greiffliche Umbkreiß des Himmels haͤtte ſich noch
durch kein Ferne-Glaß einem richtigen Meß-
Stabe untergeben; weniger die Berge/ Thaͤ-
ler/ Seen/ und der Talg der Sternen/ und ob in
ſelbten eben ſo wohl Menſchen oder andere Thie-
re wohntẽ/ ergruͤndet werden koͤñen/ alſo daß faſt
keines einigẽ Sternſehers Rechnung mit der an-
dern uͤbereinſtimmte; wie ſolten ſie denn die ver-
borgene Eigenſchaft/ und die Wuͤrckung den
Steꝛnen ſo leichte abſehen/ welche ihnen ſo wenig
in die Stirne/ als den Kraͤutern auf die Blaͤtter
geſchrieben waͤre? Die Araber ſtellten den Egy-
ptiern/ dieſe denen Chaldeern in ihren Grund-
feſten unzehlbare Fehler aus. Die Geſtirne
ſelbſt veraͤnderten nicht allein ihren Stand/ maſ-
ſen der aͤuſerſte Stern in dem Schwantze des
kleinen Baͤres numehr kaum 4. Staffeln von
der nordlichen Angel-Spitze entfernt waͤre/ wel-
chen die Alten dreymahl ſo weit darvon ſetzten;
der geſtirnte Stier ſtuͤnde/ wo fuͤr Zeiten der
Widder geſtanden haben ſolte; die Sonne ſolte
vier und zwantzig mal ihrer Breite weit von
der Erde erhoͤhet geweſt ſeyn/ die ietzund nur
achtzehn mal von ſelbter entfernt waͤre/ wie auch
der Bewegungs-Kreiß des Kriegs-Sterns von
der alten Anmerckung hauptſaͤchlich veraͤndert
ſeyn. Wie waͤre es nun moͤglich/ daß die ſo
veraͤnderten Geſtirne ihre alte Wuͤrckung be-
halten ſolten/ da die von dem Gebuͤrge in die
nechſte Flaͤche/ zu geſchweigen die aus Europa
in Aſien verſetzte Kraͤuter ihre gantze Eigenſchaft
veraͤnderten? Zumal die Sternſeher ſelbſt
glaubten/ daß die Guͤte und Boßheit eines Ge-
ſtirnes mehr aus dem Orte/ wo er ſtuͤnde/ als aus
ſeiner Eigenſchaft zu urtheilen/ inſonderheit aber
der Mercur bey den gluͤcklichen Sternen gluͤck-
lich/ bey den argen boͤſe; hingegen der Saturn/
deſſen Grauſamkeit die alten ſo gar mit Men-
ſchen-Opfern verſoͤhnet haͤtten/ in dem Hauſe
des Loͤwen gluͤcklich waͤre. Wie viel tauſend
Sternen ſtuͤnden nur in der Milch-Straſſe/
welche unſerm Geſichte nur als ein Nebel fuͤrkaͤ-
men? Welche Vermeſſenheit aber wolte ſich
ruͤhmen/ daß ſie ihnen ihre Wuͤrckung abſehen
koͤnte/ welche ſie ſo gewiß/ als die ſichtbaren Ster-
ne haben muͤſten/ wo es anders wahr waͤre/ daß
Gott und die Natur nichts umbſonſt ſchaffe.
Wie offt wuͤrden die groſſen Him̃els-Lichter von
finſtern Flecken verduͤſtert/ wie viel Sterne haͤtte
man im Him̃el ſich zeigẽ/ und wieder verſchwin-
den ſehen/ welche hoͤher geſtanden und groͤſſer ge-
weſt/ als der Monde? Solten dieſe daſelbſt keine
Veraͤnderung machen/ welche den Erd-Boden
in ſo groſſe Verwunderung ſetzten? Sintemal
ja die kleinſten Kraͤuter nicht ohne Wuͤrckung
waͤren/ und offt fuͤr die groͤſten Kranckheiten
dieneten. Wie viel unausleſchliche Sternen
haͤtte man auf den Schiffarthen in dem Sud-
Lande des Himmels kennen gelernet/ und durch
die Ferne-Glaͤſer umb den Jupiter und Saturn
neue Jrr-Sternen erkieſet/ von denen die Alten
nichts gewuͤſt; aus derer Buͤchern ihr doch alle
eure Geheimnuͤſſe ſchoͤpfet. Jn wie viel
Dingen betreuget uns nicht das Geſichte/ die
Unvollkommenheit der Ferne-Glaͤſer/ die un-
ſichtbaren Duͤnſte in der Luft/ welche dem
Stande und der Geſtalt der Geſtirne eine
gantz andere Farbe anſtreichen/ und den Stern-
ſehern zu mehrern Jrrthuͤmern Urſach geben/
als es Jrr-Sterne im Himmel hat. Die-
ſemnach es ihm keine geringere Vermeſſenheit
zu ſeyn ſchiene/ bey ſolcher Unwiſſenheit aus dem
Geſtirne der Menſchen Verhaͤngnuͤß urtheilen
wollen/ als der vom Apion angezogene Wahr-
ſager beging/ der aus des Apelles Gemaͤhlden
auch der von ihm ſonſt nie geſehenen abgemahl-
ten vergangenes und kuͤnftiges Urthel andeute-
te; oder auch die/ welche mit gewiſſen Edelgeſtei-
nen
[267]Arminius und Thußnelda.
nen die Goͤtter aus dem Himmel/ die Geiſter
aus der Hoͤlle beruffen/ und wenn einem ein
Stein aus dem Ringe ſpringt/ daraus ein nicht
allein unvermeidliches Ungluͤck erzwingen/ ſon-
dern auch deßwegen den wichtigſten Anſchlag
abbrechen. Cheraͤmon antwortete: Er koͤnte
nicht laͤngnen/ daß viel unter denen Sternſehern
irrige Meynungen von den Sternen haͤtten/
daß die Ferne und die Bloͤdigkeit des menſchli-
chen Verſtandes nicht alles im Himmel ſo genau
auszuecken wuͤſte/ und derogeſtalt der Himmel
den meiſten ein unaufloͤßliches Raͤtzel waͤre.
Alleine/ es waͤre daraus ein mehres nicht zu er-
zwingen/ als daß ihre Wiſſenſchafft nicht voll-
kommen/ ſondern auch mit Fehlern vermiſcht
waͤre. Maſſen denn auch keine Sternſe-
her/ als die Egyptier/ die Geburt der
Schwantz-Geſtirne vorher ſehen/ und die
Zeit ihrer kuͤnftigen Erſcheinung anzukuͤndi-
gen wuͤſten. Dieſe Unvollkommenheit aber
hinge aller Weißheit und Kuͤnſten an; die
Aertzte zanckten ſich ja ſo ſehr uͤber den Ur-
ſachen und Kennzeichen der Kranckheiten/ als
uͤber der Eigenſchafft der Kraͤuter und des
Ertztes. Die Staats-Klugen machten uͤber
einer Entſchluͤſſung die Rath-Stuben mehr-
mals zu einem Jrrgarten widriger Meynun-
gen. Gleichwohl verwuͤrffe niemand die gantze
Artzney-Kunſt/ und die mehrmals fehltretende
Staats-Klugheit. Warumb waͤre man denn
ihrer Wiſſenſchafft ſo aufſaͤtzig? Warumb wolte
man denen Offenbarungen der Geſtirne nichts
glauben/ da ſo viel Voͤlcker die Sprache der
Eſel und Baͤume/ den Flug der Voͤgel/ und
das Geſchwaͤrme der Geſpenſter fuͤr unfehlba-
re Weiſſagungen annehmen? Keine einige
waͤre noch ſo vollkommen durchſucht/ daß die
beſten Meiſter nicht noch taͤglich was zu ler-
nen/ oder ihre Unwiſſenheit zu beklagen haͤtten.
Die gruͤndliche Wiſſenſchafft von dem Lauffe
und der Wuͤrckung der ſieben groſſen Jrr-
Sternen/ und der zwoͤlf Zeichen des Thier-
Kreiſſes waͤren ſchon genung eines Menſchen
fuͤrnehmſte Zufaͤlle vorzuſehen; ob wohl frey-
lich die kleineren Sterne in geringern Dingen
auch ihren abſonderen Zug haͤtten. Jhre Wuͤr-
ckungen haͤtte die Welt durch die Erfahrung
eben ſo/ wie die Eigenſchaften der Kraͤuter geler-
net. Sophites brach hier ein: Wie kan die Er-
fahrung allhier ein gewiſſer Lehrmeiſter ſeyn/
nachdem die Sternſeher ſelbſt geſtehen/ daß
der geſtirnte Himmel niemals einerley/ ſondern
ſtets einen gantz andern Stand darſtellet? und
daß ein ieder Stern/ ſo klein er ſey/ nichts min-
der als ein iedes Kraut/ ſeine gantz abſondere
Eigenſchaft habe. Cheraͤmon verſetzte: Es iſt
genung/ daß die fuͤrnehmſten Geſtirne offt-
mals ſich miteinander vereinbaren/ oder nach
einerley Art einander entgegen ſtehen. Ste-
hen doch die Kraͤuter an einem Orte/ und in
der Nachbarſchafft dieſer oder jener Gewaͤchſe
beſſer/ als am andern; ſie haben unterſchie-
dene Witterung/ auch nach der Landes-Art von
dem Geſtirne nicht gleichen Einfluß/ gleich-
wohl muͤſſen die Aertzte die Kraͤfften der
Kraͤuter/ wie die Sternſeher das Vermoͤgen
der anders geſtellten Geſtirne zu unterſcheiden
wiſſen. Die Unwiſſenheit etlicher in dieſen
Laͤndern unſichtbaren Sterne thaͤten ihrer
Weißheit ſchlechten Abbruch/ weil die uͤber
unſerm Haupte ſtehende Geſtirne uͤber uns die
kraͤfftigſten/ die ſo weit entfernten aber eben
ſo wol/ als die unſichtbaren Finſternuͤſſe
ſchlechte Einfluͤſſe haͤtten. Sophites warff
ein: Wie kom̃ts denn aber/ daß nach der mei-
ſten Sternſeher Meynung die bey eines Men-
ſchen Geburt im Morgen aufgehende/ nicht
aber die gleich uͤber unſerm Wirbel ſtehende/
oder auch nicht vielmehr die bey der Empfaͤng-
nuͤß ſcheinende Geſtirne dem Gebohrnen die
Beſchaffenheit ihres gantzen Lebens anordnen
ſollen? Zumal die Kinder mehrmals in der
L l 2Ge-
[268]Drittes Buch
Geburt etliche Stunden ſtehen; Viel ſo gar
lebendig aus den todten Muͤttern ge-
ſchnidten wuͤrden. Cheraͤmon antwortete:
Es waͤren zwar einige Sternſeher dieſer
Meynung/ die Erfahrung aber eine Lehrmei-
ſterin geweſt/ daß wie die aufgehende Sonne
mit ihren Straalen die Welt gleichſam le-
bendig machte; alſo waͤren auch alle andere
Geſtirne in ihrem Aufgange am kraͤftigſten.
Der Morgen waͤre das rechte Theil des
Himmels/ die Morgenlaͤnder waͤren die tieff-
ſinnigſten Leute/ in Morgenland wuͤchſen die
Edelgeſteine/ und die wolruͤchenden Dinge/
und die auch im Nord - und Weſt - Striche
befindlichen Gewaͤchſe waͤren doch gegen
Morgen wolruͤchender und kraͤfftiger. So-
phites fiel ein: Es waͤren aber die bey der
Geburt aufgehenden Geſtirne den meiſten
Menſchen unbekant/ die wenigſten verſtuͤnden
nicht/ wie ſie aufzumercken waͤren; die andern
verſaͤumten dieſe Sorgfalt/ und rechneten ihre
Geburts - Stunde nach Anzeigung der ins-
gemein unrecht gehenden Uhren; gleichwohl
aber haͤtten die Sternſeher kein Bedencken
einem ieden Wahrſager abzugeben. Cheraͤ-
mon gab zur Antwort: Auf einen falſchen
Bericht koͤnte freylich keine Gewißheit ge-
gruͤndet werden. Gleichwohl aber koͤnten
ſie/ wenn ſchon die Geburts-Stunde ſo genau
nicht beobachtet worden waͤre/ aus etlichen
merckwuͤrdigen Zufaͤllen deſſelben Menſchen
genau ausgerechnet werden. Sophites lachte/
und fing an: Diß iſt in Wahrheit ſehr weit ge-
ſucht/ und aus einer Ungewißheit die andere
gezogen; zumal die Sternſeher ſelbſt fuͤrgeben/
daß zweyerley Stand der Geſtirne doch ei-
nerley Gutes oder Boͤſes verurſachte. Ge-
ſetzt aber/ daß die Sternſeher allezeit der wah-
ren Geburts-Stunde verſichert werden; wie
kom̃t es denn/ daß aus zweyen auf einmal ge-
bornen Zwillingen der eine ein Schoos-Kind
des Gluͤckes/ der andere ein Verwirffling der
Welt iſt? Daß die zu einer Zeit ans Tage-
Licht kommende Proclus und Euriſthenes in
allem ſo weit als Morgen und Abend von ein-
ander entfernet ſind? Daß Hector und Poly-
damas einerley Geburts-Stunde/ aber gantz
widrige Verhaͤngnuͤſſe haben? Wie gehets
zu/ daß in einem Augenblicke zwey auf die
Welt kommen/ derer einer ein Koͤnig wird/ der
andere ſein Lebtage ein Sclave bleibt? Cheraͤ-
mon ſtockte hieruͤber ein wenig/ fing aber an:
Die Geſtirne haͤtten eine ſo geſchwinde Be-
wegung/ daß faſt unmoͤglich zwey Menſchen
einen Augenblick der Geburt haben koͤnten/ in
welchem doch der Stand der Sternen ſich ver-
aͤnderte. Uberdiß muͤſten die Wuͤrckungen
der Geſtirne nicht ſo juͤdiſch/ ſondern mit Ver-
nunft angenommen werden/ alſo/ daß nachdem
die/ welche im Steinbocke gebohren werden/
wenn ſelbtem die Krone gegen Morgen ſteht/
zu der Herrſchafft einen kraͤftigen Zug
haben/ nicht eben Koͤnige in Perſien werden
muͤſſen/ ſondern/ wenn ſie in ihrer Stadt den
hoͤchſten Gipfel erlangen/ zu Sparta Fuͤrſten/
zu Rom Buͤrgermeiſter werden/ diß/ was der
Himmel wahrſaget/ allerdings erlangt ha-
ben. Wenn ein Fuͤrſt im Waſſermanne/
welcher Fiſcher macht/ oder im Orion/ der
die Jaͤger haͤgt/ in der Harffe des Orpheus/
als dem Hauſe der Muſen gebohren wird/ iſt
es ſchon genung/ daß er zu ſelbigen Ubungen
eine heftige Zuneigung habe/ nicht aber
muß er ſich ſeiner Hoheit entaͤuſern/ und aus
fiſchen und jagen ein Handwerck machen.
Durch dieſen Fuͤrwand/ fing Sophites an/
laͤſt ſich aber der Fehler gar nicht verhuͤllen:
daß durch Schiffbruch/ durch Eroberung einer
Stadt/ Gewinnung einer Schlacht viel hun-
dert/ in Aſien durch Verſinckung vieler Staͤd-
te/ in Rhetien durch Einfallung eines Berges/
in der Mutinenſiſchen Gegend durch einen
Kampf
[269]Arminius und Thußnelda.
Kampff zweyer Berge ſo viel tauſend Men-
ſchen umkommen/ welche unmoͤglich einerley/
oder dem Sternen-Stande nach gleiche Ge-
burts-Stunden koͤnnen gehabt haben. Che-
raͤmon erblaßte und erſtummete uͤber dieſem
Einwurffe; nach einem langen Nachdencken
aber fing er an: Es haͤtten die Geſtirne zwey-
erley Einfluͤſſe/ nehmlich auff gantze Theile des
Erdbodems/ und denn auch abſondere auff
gewiſſe Menſchen. Jener Art waͤre: daß das
geſtirnte Drey-Eck denen Nord-Voͤlckern ei-
ne verdruͤßliche Kaͤlte und Langſamkeit ein-
pflantzte/ und daß Saturn ein ſorgfaͤltiger
Vorſteher der Staͤdte waͤre. Daher vom Ta-
rutius Firmanus auch der Stadt Rom ihre Zu-
faͤlle aus den Sternen waͤren wahr geſaget wor-
den. Aus welchem Grunde zweiffelsfrey A-
naximander und Pherecydes die bevorſtehenden
Erdbeben vorher angekuͤndiget haͤtten. Nach
dem nun in der gantzen Natur die eintzelen Ur-
ſachen denen allgemeinen wichen/ und mit dem
Umtriebe des Himmels ſich auch die ihre abſon-
dere Bewegung habende Jrrſterne muͤſten um-
weltzen laſſen; waͤre kein Wunder/ daß der ein-
zelen Menſchen abſondere Einfluͤße dem allge-
meinen Einfluſſe weichen/ und alſo in Peſt/
Erdbeben und Kriege auch die mit umkommen
muͤſten/ welchen das Verhaͤngniß gleich nicht
abſonderlich derogleichen Ungluͤck beſtimmet/
und ſeinen Willen ſich in ſolch Ungluͤck zu ſtuͤr-
tzen geneiget haͤtte. Sind denn die Sterne
und die Welt vernuͤnfftige Thiere/ wie dem
Plato getraͤumet hat? Jſt dieſes himmliſche
Heer/ ſagte Sophites/ mit einem gewiſſen Gei-
ſte beſeelet: daß es bey ſich einen gewiſſen Rath
halten/ einen Schluß machen/ und unſer Ge-
muͤthe derogeſtalt zwingen oder beherrſchen koͤn-
ne? Cheraͤmon fing an: die Sterne haben kei-
nen andern Geiſt/ der ſie reget/ als das Ver-
haͤngniß. Sophites ſetzte ihm ferner entgegen:
dieſes aber iſt ja noch veraͤnderlich/ und laͤſſet
ſeinen Schluß durch unſere Demuth erwei-
chen. Denn auſſer dem wuͤrde zwiſchen un-
ſer Froͤmmigkeit und Boßheit kein Unterſcheid/
und unſere den Goͤttern gewidmete Andacht ſo
wenig/ als das Bellen der Hunde gegen den
Monden nuͤtze ſeyn. Nach dem auch die Ge-
ſtirne taͤglich ſo veraͤnderliche Stellungen ma-
chen; warum ſolten die nachfolgenden nach-
druͤcklichen Vereinbarungen der Geſtirne nicht
auch das Gluͤcke der Menſchen aͤndern/ weil
ſelbte ja in der Welt das Gewitter; und die bloſ-
ſe Art der Speiſen eines Menſchen angebohrne
Beſchaffenheit gleichſam gantz umzudrehen
maͤchtig ſind. Cheremon verſetzte: Wir ſetzen das
Verhaͤngniß in alle wege uͤber den Lauf der Ge-
ſtirne/ wie den Fuhrmann uͤber die den Wagen
ziehenden Pferde. Wie nun ſelbtes in alle wege
dem Feuer die Gewalt zu brennen/ der Schwer-
de die Eigenſchafft unter zu ſincken benehmen/
den gemeinen Lauf der Geſtirne aͤndern/ den
Zuͤgel der Sonne hem̃en/ und der elben Schat-
ten verruͤcken kan; alſo kan es auch aus wichti-
gẽ Urſachen den ordentlichen Einfluß der Ster-
ne aͤndern. Worbey denn die Seele des Men-
ſchen auch etwas/ wiewohl nicht ohne ſcheinba-
re Ohnmacht beytragen/ und derogeſtalt Socra-
tes zwar die ihm vom Geſtirne zuhengende Un-
art verbeſſern/ gleichwohl aber nicht den gewalt-
ſamen Gifft-Todt verhuͤten kan. Sophites
fing laͤchelndean: Jch ſehe wohl/ daß deine Mei-
nung die Haͤrte anderer Sternſeher/ und die
unveraͤnderliche Nothwendigkeit der Sternen-
Einfluͤſſe/ denen ſie auch die Goͤtter unterworf-
fen/ in etwas miltert. Wormit zugleich alle
nicht eintreffenden Weiſſagungen der Stern-
ſeher entſchuldiget werden koͤnnen. Cheraͤmon
widerſprach alſobald dieſes letztere. Sintemal
dieſe Aenderungen des Verhaͤngnuͤſſes ſehr ſel-
tzam/ und fuͤr Wunderwercke zu halten waͤren/
damit die Unwiſſenden ihre falſche Wahrſagun-
gen nicht zu entſchuldigen/ und derogeſtalt aus
L l 3ihrer
[270]Drittes Buch
ihrer Wiſſenſchafft eine Ungewißheit zu machen
haͤtten. Dieſemnach denn einem warhafften
Weiſen unter hunderten nicht leicht ein Bey-
ſpiel fehlen koͤnte. Weßwegen die Perſen auf
eine ſolche Wahrſagung ſo feſte gebauet haͤtten/
daß ſie ihrer Koͤniglichen Wittib ſchwangern
Leib gekroͤnet/ und ihrer noch ungebohrnen
Frucht einen Mannes-Nahmen gegeben. Hin-
gegen haͤtte der groſſe Alexander mit ſeinem To-
de den Unglauben gebuͤſſet/ daß er wider der
Chaldeer Warnigung ſich die Griechiſchen
Weiſen bereden laſſen nach Babylon zu kom-
men. Ohne die Wiſſenſchafft der Sternen
koͤnten auch weder Aertzte/ noch Schiff und A-
ckers-Leute verfahren. Die Jndianer naͤhmen
in wichtigen Reichs-Sachen allezeit die Geſtir-
ne zu Rathe. Alle Weltweiſen haͤtten dieſe
Wiſſenſchafft/ weil ſie uns gleichſam uͤber un-
ſere Menſchligkeit empor huͤbe/ und uns kuͤnf-
tige Faͤlle/ um deſto beſſere Vorſicht zu haben/
vorher zeigte/ ſo hoch gehalten/ daß Pythago-
ras geurtheilet: GOtt haͤtte den Menſchen er-
ſchaffen/ und die Natur ihn ſo gerade empor
wachſen laſſen/ daß er den Himmel anſchauete.
Anaxagoras haͤtte einen Zweiffelnden: Ob es
gut waͤre zu leben/ oder nicht/ zu Betrachtung
des ſo ſchoͤnen Himmels verwieſen. Epicur/
der ſo wolluͤſtige Weltweiſe/ haͤtte ſeine groͤſte
Wolluſt in dieſem wunderſchoͤnen Garten ge-
funden/ deſſen Blumen niemahls verwelckten/
welche nichts von gruͤner Farbe an ſich haben/
weil dieſe eine verderbliche Feuchtigkeit in ſich
hat/ und ein Merckmahl nur der irrdiſchen
Hoffnungen/ wie der Himmel ein Behaͤltniß
der Gluͤckſeligkeit iſt. Dieſe Verantwortung/
oder auch meine thraͤnende Augen/ ſagte Dyna-
mis/ bewegte den Sophites/ daß er des Cheraͤ-
mons Gutachten zu hoͤren den Koͤnig beredete.
Cheraͤmon abeꝛ ſagte den dritten Tag dem Pole-
mon: Er ſehe aus dem Geſtirne/ daß man vor-
her ſchon die Goͤtter gefraget; Sie aber eben
diß/ wohin die Sternen zielten/ geantwortet
haͤtten. Jhre Antwort aber wuͤrde ſchlimmer
ausgelegt/ als die Meinung waͤre. Sintemal
Polemons Sohn durch ſeine Heldenthaten des
Vaters Ruhm/ nicht aber ſein Lebens-Licht
ausleſchen wuͤrde. Dieſe dem Polemon zwar
verdaͤchtige Weiſſagung brachte es gleichwohl
ſo weit/ daß ſich der Koͤnig erklaͤrete/ er wolte ſei-
ne Fauſt nicht in ſeinem eignen Blute waſchen/
noch den Goͤttern in ihren Verhaͤngniß-Stab
greiffen. Jedoch muͤſte er der Goͤtter War-
nung nicht ſchlechter dings in Wind ſchlagen/
ſondern dis Ungluͤcks-Kind ausgeſetzt/ und deſ-
ſen Erhalt oder Verderbung dem Himmel
heimgeſtellet werden. Dieſer Schluß ward
zwar alſofort vollzogen/ ich ließ es aber insge-
heim eine vertraute Edelfrau an dem ziemlich
weit von hier entfernten Fluſſe Melas nicht fer-
ne von der Stadt Zyriſtra im kleinern Armeni-
en aufferziehen. Hierauff zohe der Koͤnig nach
Rom/ ich aber lernte inzwiſchen mit meinem
hoͤchſten Hertzeleide die Goͤttliche Weiſſagung
von meiner Tochter verſtehen. Denn ſie er-
kranckte/ ſtarb/ und kuͤßte alſo fruͤhzeitig ihre
Mutter/ nehmlich die Erde. Dieſer Fall be-
ſtuͤrtzte mich derogeſtalt/ daß ich meinem Jam-
mer kein Ende/ noch auſſer meinem noch uͤbrig
gebliebenen/ aber vom Vater und Verhaͤng-
niſſe verworffenen Sohne keine Ergetzligkeit zu
finden wuſte. Daher ließ ich insgeheim ſelbten
zu mir bringen/ deſſen Anmuth mich derogeſtalt
bezauberte/ daß ich mich entſchloß ihn nicht wie-
der von mir zu laſſen/ ſolte ich auch ſelbſt ein
Opffer ſeiner Grauſamkeit werden. Alſo
ward ich ſchluͤßig der noch nicht jaͤhrigen Toch-
ter Tod dem Koͤnige zu verſchweigen/ und die-
ſen nicht aͤlteren als unkenntlichen Sohn unter
dem Scheine eines Maͤgdleins bey mir zu er-
ziehen. Welches ſich ſo viel leichter thun ließ/
weil in Perſen/ Meden/ und Armenien die Vaͤ-
ter ihre Kinder ohne diß nicht eher/ als biß ſie ſie-
ben
[271]Arminius und Thußnelda.
ben Jahr alt ſind/ zu beſchauen pflegen. Gleich-
wohl aber behertzigte ich die meinem Ehgemahl
angedraͤuete Gefahr/ und nahm mir daher eine
Reiſe mit dieſem Kinde fuͤr in die Jnſel Delos/
auff welcher niemand ſterben noch gebohren
werden darff/ zu dem beruͤhmten aus lauter Och-
ſen- und Widder-Hoͤrnern gebauetem Altare
des Apollo/ trug ihm daſelbſt meinen Sohn mit
bittern Thraͤnen/ weil ohne diß allda kein
Blut geopffert werden darff/ fuͤr/ und kriegte zur
Antwort:
Wer war froher als ich/ uͤber ſo erwuͤnſchtem
Ausſchlage/ gleichwohl hielt ich mit bruͤnſtiger
Andacht und Seufftzen eine gantze Nacht an/
und fragte; warum denn die Goͤtter vorher ſo
viel Ungluͤck von dieſem Kinde wahrgeſagt haͤt-
ten? Hierauff ließ ſich Apollo verlauten:
Jn dieſer erfreulichen Warſagung bekraͤfftig-
ten mich hernach auch die Prieſter des Bran-
chus/ und die Wahrſager-Weiber des Thyrxei-
ſchen Apollo/ welcher an dem Orte/ wo mein
Sohn aufferzogen werden ſolte/ einen bewehr-
ten Brunnen hat. Endlich auch der Jſmeni-
ſche Apollo zu Thebe/ aus dem beruͤhmten guͤl-
denen Dreyfuße/ den Helena bey ihrer Ruͤckkehr
von Troja ins Meer geworffen/ die Coiſchen
Fiſcher gefangen/ und dem Mileſiſchen Tales/
dieſer aber dem Solon gelieffert/ welcher ſolchen
hernach/ weil er den Titel des weiſeſten zu fuͤh-
ren ſich zu unwuͤrdig ſchaͤtzte/ dem allein weiſen
Apollo wiedmete. Nach dem es denn im Pon-
tus die Landes-Art mittebringt/ daß Leute von
hohem Geſchlechte auch ihre Toͤchter in allen
Ritterſpielen ausuͤben laſſen/ konte die Auffer-
ziehung meiner maͤnnlichen Tochter ſo viel beſ-
ſer geſchehen/ und dorffte er alſo nicht brache lie-
gen/ noch ſeine Tapfferkeit auff den weichen
Pulſtern des Frauenzimmers weibiſch werden.
Wie ſie denn/ hertzliebſte Erato/ mit Augen geſe-
hen/ daß bey ihm der Zunder der Tugend nicht
verglommen/ ſondern zu ſolcher Vollkommen-
heit gediegen ſey. Aber ach! ihr unbarmhertzi-
gen Goͤtter! wie moͤgt ihr uns doch mehrmahls
nur darum eine ſo groſſe Hoffnung machen/ daß
ihr uns hernach in deſto gꝛoͤſſere Verzweiffelung
ſtuͤrtzen koͤnnt! wie moͤgt ihr den Anfang des
Jahres unter tauſend anmuthigen Blumen/
den Tag auff dem Purper-Bette der lachen-
den Morgenroͤthe/ den Menſchen in der anmu-
thigen Kindheit und geſunden Jugend laſſen
gebohren werden/ nur daß man die verwelcken-
den Blaͤtter mit Schnee/ den Tag mit dem
Schatten der traurigen Nacht/ das Leben mit
dem Schauer des grauſamen Todes hernach
verhuͤllen ſehe! Uber dieſen Worten uͤber-
ſchwemmte die Wehmuth die Koͤnigin Dyna-
mis mit ſo viel Thraͤnen und Seuffzen/ daß ſie
kein Wort mehr auffbringen konte. Daher
fing Erato/ welche inzwiſchen tauſend Auffwal-
lungen des Gebluͤts uͤberſtanden hatte/ als ſie
Arſinoen in einen Helden verwandelt zu ſeyn
hoͤrte/ mitleidentlich an: Man muͤſte der gewal-
tigen Hand des unveraͤnderlichen Verhaͤngniſ-
ſes nur ſtille halten/ und ihre Raͤtzel nicht fuͤr der
Zeit verkleinerlich auslegen. Die Sonne ſey
ein heller Spiegel Gottes/ darein ſterbliche Au-
gen entweder gar nicht ſehen/ oder doch zum
minſten alles nur duͤſtern oder umgekehrt er-
kieſen koͤnten. Hingegen muͤſten wir uns be-
ſcheiden: Der Monde ſey ein Ebenbild der
Menſchen/ in dem beyde itzt wachſen/ itzt abneh-
men/ bald gebohren werden/ bald ſterben/ ge-
ſtern in der Voͤlle/ heute in nichts beſtehen. Bey-
de kein Licht von ſich ſelbſt haben/ ſondern von ih-
rer Sonne borgen/ und wenn ſie am vollkom-
menſten ſind/ nicht nur ihre Flecken und Maͤn-
gel am meiſten zeigen/ ſondern auch von dem
Schatten der nahen Erdeund der anklebenden
Eitel-
[272]Drittes Buch
Eitelkeit verfinſtert werden. Die Tugend al-
leine ſey/ die uns nicht nur nach dem Tode vere-
wige/ ſondern auch im Leben aus augenſcheinli-
chem Verderbẽ reiſſe. Ja ſie glaube feſtiglich/ daß
die Gefahr fuͤr der Tapfferkeit ſchichtern werde/
daß der ſonſt unverſchaͤmte Tod fuͤr Helden ent-
weder furchtſam oder ehrerbietig ſey/ und das
Gluͤcke ſelbſt der Tugend den Schirm trage/
und einen Schild fuͤrhalte; Sonſt waͤre Hercu-
les nicht den Schlangen/ Kaͤyſer Julius dem
Ungewitter/ Alexander den Spieſſen ſo vielmal
entronnen/ fuͤr dem groſſen Mithridates nicht
das Gifft unkraͤfftig worden/ und die Pfeile fuͤr
ſeine Fuͤſſe gefallen. Unter dieſe Reihe waͤ-
re nun auch Fuͤrſt Zeno zu rechnen/ daher
ſolte ſie ſeinethalben mehr die Goͤtter durch An-
dacht gewinnen/ als durch Ungedult erherben.
Ach! fieng die Koͤnigin Dynamis an/ ſo muß ich
die unver gleichliche Fuͤrſtin Erato auch unter die
Zahl der Goͤtter ſetzen/ und ihr den Tempel des
Eſculapius einweihen. Denn an ihrem Fin-
ger haͤnget der Lebens-Faden meines Sohnes/
welchen ihre Gewogenheit als eine guͤtige Klo-
tho laͤnger ſpinnen/ ihre Unhold aber/ als eine
unerbittliche Atropos im Augenblicke zerreiſſen
kan. Erato wuſte nicht alſofort dieſes Raͤtzel
auszulegen. Denn ob zwar der Koͤnigin Erzeh-
lung ein groſſes Licht gab/ warum die Natur ſie
und Arſinoen zu einer verwechſelten Gewogen-
heit gezogen/ und Arſinoe bey Entbloͤſſung ihrer
Bruͤſte ſo groſſe Veraͤnderung gefuͤhlet hatte/ ſo
waꝛ ihr doch verborgen/ dz Dynamis dieſe Heim-
ligkeit von ihrem faſt ſchon ſterbenden Sohne
ausgeſpuͤꝛet hatte. Daheꝛo konte ſie nicht anders/
als gegen der Koͤnigin ſich heraus laſſen: die
Wohlthaten/ die ſie genoſſen/ waͤren von einem
ſo groſſen Maſſe/ daß ihre Danckbarkeit ſie nim-
mermehr ausſchoͤpffen koͤnte. Auſſer dem Ver-
pflichteten die Verdienſte ihres Sohnes die
gantze Welt fuͤr ſeine Erhaltnng zu ſorgen; alſo
wuͤnſchte ſie auch mit ihrem Verluſt ſelbtem zu
helffen/ erwartete alſo nur den Befehl von der-
ſelben/ welche ihrer Schwachheit ein ſo groſſes
Ding zutraute. Alleine die Hoffnung waͤre
meiſt eine groſſe Verfaͤlſcherin der Warheit/ in
dem die Einbildung ſich ſtets mit dem Verlan-
gen vermaͤhlte/ und geringe Kraͤfften nach dem
Maſſe des genommenen Abſehens urtheilete.
Die Koͤnigin antwortete ihr: Es iſt wahr/ daß
ſich Vollkommenheiten leichter in Gedancken
abbilden/ als im Werck erreichen laſſen; aber ich
wil ihr/ ſchoͤnſte Erato/ nicht allein das Wunder-
werck und die Wuͤrckung ihrer Vollkommen-
heit/ ſondern auch ihr Vermoͤgen einen Ster-
benden lebendig zu machen ſo klar zeigen/ daß ſie
das erſte wird mit Augen ſehen koͤnnen/ im letz-
ten aber ſich uͤberwieſen erkennen muͤſſen. Hier-
mit nahm Dynamis die Erato mit der Hand
und fuͤhrte ſie fuͤr des Zeno Bette/ welcher denn
alſofort ſeine Farbe und Pulß zu veraͤndern/
und weil die Zunge zu ſchwach oder zu ver-
ſchaͤmt war/ mit den Augen das Leiden ſeiner
Seele auszuſprechen anfing. Hiemit hob die
Koͤnigin wehmuͤthig an: Siehet ſie nun/ voll-
kommenſte Erato/ daß die Wunden meines
nun faſt die Seele ausblaſenden Sohnes von
ihrer Verletzung herruͤhren? Daß ihre Tugen-
den anfangs mit einer unzertreñlichen Freund-
ſchafft ſein Hertz gewonnen/ ihre unver gleichliche
Schoͤnheit aber ſelbtes durch die Liebe in ein un-
ausloͤſchliches Feuer verſetzt hat? Wie ſchwach
Fuͤrſt Zeno gleich war/ ſo erholte er ſich doch
gleich als aus einem Traume/ alſo daß ſeine zit-
ternde Lippen nach einem tieffen Seuffzer dieſe
Worte ablieſſen: Jhr Goͤtter! hat Dynamis
das Geheimniß meines Geſchlechts/ ihr aber
meine allen Menſchen verſchwiegene Flamme
des Hertzens ans Licht gebracht? Wormit durch
das erſte unſer Haus in Schrecken oder Zerruͤt-
tung verſetzet/ durch das letztere aber der Welt
wiſſend werde/ daß Zeno von der Hand der
unſchuldigen Erato getoͤdtet ſey. Welches Ge-
heimniß ich/ um eine ſolche Goͤttin nicht zu belei-
digen/ ſo gerne mit in das Grab genom̃en haͤtte/
ſo ger-
[273]Arminius und Thußnelda.
ſo gerne die Sonne/ wenn ſie zu Golde gehet/
ihren Untergang mit Wolcken verhuͤllet. E-
rato gerieth uͤber dieſer Begebenheit in ſolche
Verwirrung/ daß ihre Beredſamkeit nicht ein
Wort/ weniger ſo viel/ als der Sterbende zu
reden wuſte. Jhre Verwirrung verwandel-
te ſich in tieffe Seufzer. Denn dieſe ſind al-
leine der Liebe ſtumme Sprache/ wie die Blaͤſſe
ihre eigentliche Farbe. Schmertz und Trau-
rigkeit aber wird von ihr nur zu ihren Dollmet-
ſchern entlehnet. Maſſen denn die Ungluͤck-
ſeligen niemals ſeuffzen/ als wenn ſie an den
Verluſt deſſen dencken/ was ſie geliebt haben.
So bald ſich die Lippen/ wordurch ihr bedraͤng-
tes Hertze die innerliche Hitze ausgelaſſen und
die friſche Lufft zu deſſelben Abkuͤhlung an ſich
gezogen hatte/ ſchloſſen/ lieſſen die mitleidentli-
chen Augen einen reichen Thau der Thraͤnen
von ſich fallen/ um hierdurch gleichſam das aͤng-
ſtige Hertze zu erleichtern. Denn wie die von
der anbrechenden Morgenroͤthe verurſachte
Daͤmmerung ſich bey der uͤber unſerm Augen-
Ziel empor zeigenden Sonnen in hellen Tag
verwandelt; alſo ward der Erato vorige Ge-
wogenheit durch das ihr aufgeſteckte Licht von
des Fuͤrſten Geſchlechte numehr zu einer war-
hafften Liebe. So ſehr nun die Schamhaff-
tigkeit ihres Geſchlechtes ihr verbot ſolche alſo-
fort mercken zu laſſen; ſo ſehr lag ihr der er-
baͤrmliche Zuſtand des Fuͤrſten/ und die Gefahr
ſeines Lebens an/ durch eine unbarmhertzige
Vorſtellung ihm das Licht nicht vollends aus-
zuleſchen. Die bekuͤmmerte Dynamis nahm
dieſe Veraͤnderung fuͤr eine Enteuſerung ihrer
Zuneigung an/ deßwegen wolte ſie durch eine
feurige Zuredung einer kaltſinnigen Entſchluͤſ-
ſung zuvor kommen; kehrte ſich dahero mit die-
ſen Worten zu ihr: Holdſeligſte Erato/ ſie ſie-
het allhier die Gewalt der Liebe/ daß ihre Fackel
die Ketten eigener Wolfarth/ die Garne des
Gluͤckes/ ja die Leib und Seele zuſammen
knuͤpfenden Faͤdeme verbrennen koͤnnen. Jn
ihrer Guͤtigkeit liegt es nun zu zeigen/ daß die
Liebe zwar ſo ſtarck als der Tod/ aber nicht des
Todes Liebhaberin ſey; ja daß die ungewaffne-
te Liebe Gifft/ Eiſen und allen Werckzeug des
Todes zu zermalmen vermoͤge. Sie erweiſe/
daß ihre Haͤnde geſund machen koͤnnen/ was ih-
re Augen gekraͤncket/ daß ihre Freundligkeit
heile/ was ihre Schoͤnheit verwundet/ ja daß ſie
mit einem ſuͤſſen Blicke zwey Wunderwercke
auszuuͤben vermoͤge; nehmlich einen todten
Verliebten lebendig/ und eine verzweiffelnde
Mutter gluͤckſelig machen. Der Erato brach
uͤber dieſen Worten und denen darauf ſich er-
gieſſenden Mutter-Thraͤnen das Hertze/ und
bezwang ſie/ daß ſie dem Fuͤrſten auf ihre Ge-
walt die Hand druͤckte. Denn nach dem die
Vereinbarung der Seelen der einige Zweck
der Liebe/ wie die Ruhe die Endurſache aller
Bewegungen iſt; ſo bemuͤhen ſich auch die eu-
ſerſten Glieder ſolcher Seelen-Vereinbarung
behuͤlfflich zu ſeyn. Weßwegen die Weltwei-
ſen die Liebe gar nachdencklich mit einem Ban-
de in der Hand ab gebildet haben. Erato deu-
tete durch dieſe Vermaͤhlung der Haͤnde an/ daß
ſie ſo gar ihren Leib gerne mit des Fuͤrſten zu-
ſammen ſchmeltzen wolte/ wormit ſie mit ihm
den Brand ſeiner Kranckheit fuͤhlen/ oder ihm
erleichtern moͤchte. Sintemahl auch nur auf-
richtige Freundſchafft eine Gemeinſchafft ſo
wohl des Gluͤck-als Ungluͤcks hat. Theſeus
ſetzt dem Pirithous alle ſeine Siegs-Kraͤntze
auf/ ja die Hoͤlle weiß ſie nicht von einander zu
trennen. Bias fuͤhlet ſo empfindlich die Be-
raubung ſeines Vaterlandes/ ungeachtet er fuͤr
ſich die Entſetzung irrdiſcher Guͤter fuͤr keinen
Verluſt haͤlt; er empfindet ſeiner Buͤrger
Schiffbruch auf feſtem Lande; die Ketten/ wel-
che ſeine Freunde in Schenckeln ſchleppen/
faͤſſeln ihn im Gemuͤthe und in der Seele. Mit
dieſer umſchloß der Fuͤrſt hingegen noch enger
ſeine geliebte Erato/ weil ſeine Glieder hierzu
zu ohnmaͤchtig waren/ machte ſich alſo der
Erſter Theil. M mSon-
[274]Drittes Buch
Sonnen/ als dem verliebteſten Geſchoͤpffe der
Welt aͤhnlich/ welche/ weil ſie in einem Tage
alles heimſuchen muß/ was ſie liebt/ und nir-
gends ihrer Kugel einen Stillſtand erlauben
darf/ ihr lebhafftes Licht mit den Sternen/ wie
zwey einander anſchauende Verliebten durch
die Augen/ ihre Waͤrmbde mit dem geliebten
Erdbodeme/ ihre ſchoͤne Farbe mit Golde/ Per-
len und Edelgeſteinen/ als denen Geſtirnen der
Vorwitzigen/ und den andern Sonnen der
Geitzigen vereinbart. Erato/ welche nicht al-
lein wuſte/ daß ſo gar der lebloſen Dinge Zu-
neigung die Vereinbarung verlange/ als die
Fluͤſſe mit dem Meere/ das Eiſen mit dem Ma-
gnet/ die Spreue mit dem Agſteine ſich zu ver-
maͤhlen verlangte/ ſondern deſſen ſelbſt in ihrer
leidenden Seele uͤberwieſen ward/ ſahe dieſe Re-
gungen dem Krancken mit hefftigem Mitlei-
den an/ konte ſich alſo mit genauer Noth er-
muntern/ daß ſie den Fuͤrſten derogeſtalt anre-
dete: Die Hoffnung waͤre eine Mutter/ oder
zum minſten eine ſtaͤte Gefaͤrthin vernuͤnffti-
ger Liebe/ die Verzweiffelung aber eine Toch-
ter des Haſſes. Dieſem nach moͤchte er doch
ſein Gemuͤthe beruhigen/ da er ſie nicht in Un-
ruh ſtuͤrtzen wolte/ und ſich nicht ſelbſt haſſen/
da ſie an ſeine Liebe anckern ſolte. Seine
Maͤßigung wuͤrde ihr ein Kennzeichen ſeiner
Gewogenheit/ und eine Weiſſagung beyder-
ſeitiger Vergnuͤgung ſeyn. Hiermit wolte
ſie ihre Hand zuruͤck ziehen/ der Fuͤrſt aber
druͤckte ſie vorher an ſeinen Mund/ worauff ſie
ſich aus dem Zimmer begab/ und den Fuͤrſten
Zeno halb geneſen/ die Koͤnigin aber/ die der
Schmertz vorher gleichſam entzuͤckt hatte/ in
ungemeiner Vergnuͤgung verließ. Ob nun
wol Fuͤrſt Zeno eine groſſe Erleichterung em-
pfand/ ſo verſchwand doch ſeine Bekuͤmmernuͤß
nicht auf einmahl/ ſondern es blieb in ſeinem
Gemuͤthe ſo wie auf dem Meere nach dem Un-
gewitter noch einige Unruh uͤbrig. Denn es
konte bald ſein Hertz die allzu geſchwinde Be-
gluͤckung nicht begreiffen/ und kam ihm der E-
rato holdſelige Erklaͤrung mehrmahls nur als
ein Traum fuͤr/ bald nam er ihre Bezeugung
nur fuͤr ein angenommenes Liebkoſen/ oder fuͤr
ein durch die Koͤnigin angeſtelltes Mittel zu ſei-
ner Geneſung an/ bald beſorgte er eine Ver-
aͤnderung ihres Gemuͤthes/ oder auch des allzu
glitſchrichten Gluͤckes. Denn die Liebe hat
zur Gefaͤhrtin die Einbildung/ die erſte Bewe-
gung der Seele/ und die allerunruhigſte Ei-
genſchafft des Menſchen. Dieſe hat zu ihrem
Dienſte mehr als hundert Mahler/ welche nicht
nur das Ebenbild deſſen/ was man liebet/ ihr
auff vielerley Weiſe fuͤrſtellt/ ſondern auch den
Schatten allerhand gefaͤhrlicher Zufaͤlle beyſe-
tzet. Ja wenn alle andere Gemuͤths-Kraͤff-
ten mit dem Verliebten eingeſchlaffen ſind/ ſo
bilden doch die Traͤume ihm alles noch viel ſel-
tzamer fuͤr; welche/ ob ſie zwar blind gebohren/
auch ſtets im finſtern ſind/ ſich doch ohne Licht
und Wegweiſer nicht verlieren/ und mit Huͤlf-
fe der Liebe zu ihrer Buhlſchafft den Weg fin-
den. Gleichwohl erlangte Zeno durch eine
mittelmaͤßige Nacht-Ruh ſo viel Kraͤfften/ daß
er folgenden Tages an die Erato etliche Zeilen
ſchreiben konte. Welche Erato mit einer ſol-
chen Anmuth beantwortete/ daß ihm dadurch
aller Nebel ſeines noch nicht gar verſchwunde-
nen Zweiffels an ihrer Gegen-Liebe vertrieben
ward. Die Koͤnigin aber kam zu ihr ins Zim-
mer/ verehrte ſie als ihre einige Huͤlffs-Goͤt-
tin/ umbhalſete ſie als ihre eigene Tochter.
Durchlauchte Fuͤrſtin! die Welt/ fing ſie an/ iſt
erſtaunt uͤber der Liebe der Britanniſchen Fuͤr-
ſtin Lelebiſa/ der Gemahlin des mit dem groſ-
ſen Mithridates verbundenen Galliſchen Fuͤr-
ſten Edwards. Denn als dieſer von einem
giftigen Pfeile verwundet/ und von den Aertz-
ten befunden ward: Er koͤnte nicht als durch
den Tod eines andern/ welcher das gifftige Ey-
ter
[275]Arminius und Thußnelda.
ter aus ſeiner Wunden ſaugte/ beym Leben er-
halten werden; Dieſer gewiſſenhaffte Fuͤrſt a-
ber lieber ſterben/ als durch eines unſchuldigen
Untergang leben wolte/ meinte ſeine ruhm-
wuͤrdigſte Lelebiſa/ das Todes-Urthel der Aertz-
te gienge ſie an/ und ſie koͤnne ſich durch nichts
mehr/ als durch einen ſo tugendhafften Todt
unſterblich machen. Dahero band ſie ihrem
eingeſchlaͤfften Eh-Herrn die Wunde ſanffte
auf/ und ſog nichts minder mit einem bruͤnſti-
gen Hertzen/ als einer geitzigen Zunge das Gift
und den Tod gluͤcklich aus der Wunden. Die
Goͤtter aber/ oder das Feuer ihrer Liebe zer-
theilte das Gifft derogeſtalt/ daß Edward ge-
heilet/ Lelebiſa aber davon nicht verletzt ward.
Wie viel mehr aber muß ich nicht erſtarren uͤ-
ber dem mitleidenden Hertzen der Erato? Wel-
che gegen meinen Sohn einige Verbindligkeit
nicht gehabt/ und mit ihrer Gefahr/ da anders
der Koͤnig unſere Geheimnuͤſſe ergruͤnden ſol-
te/ ihn vom Tode errettet; welche zu ſeiner Ge-
neſung nicht alleine ihre Zunge/ ſondern das
Feuer ihrer zarten Seele verleihet; welche ei-
nen Sterbenden anfaͤngt zu lieben/ wormit ſie
ihn und ſeine Mutter beym Leben erhalte. E-
rato begegnete der Koͤnigin mit nicht geringern
Kennzeichen ihrer Gewogenheit gegen ſie/ und
ihrer ungefaͤrbten Liebe gegen dem Fuͤrſten Ze-
no/ welchen ſie hernach mit einander mehr-
mahls beſuchten. Es wuͤrde uns/ fuhr Salo-
nine fort/ der Tag/ mir aber Worte gebrechen/
alle die zwiſchen dieſen zweyen gewechſelte Lie-
bes-Bezeugungen zu erzehlen. Mich duͤnckt
aber/ es ſey bey dieſer Geſchichte fuͤr itzt genung
zu wiſſen/ daß beyde mit einer ſo reinen und
hertzlichen Liebe gegen einander verknuͤpft wur-
den/ als eine tugendhaffte Seele anzunehmen
iemahls faͤhig werden kan. Thuſnelde fiel
Saloninen ein: Es iſt die Vollkommenheit ih-
rer Liebe unſchwer zu ermeſſen/ nach dem das
Verhaͤngnuͤß ſelbſt mit die Hand im Spiele ge-
habt/ und dieſe zwey Seelen ſchon gegen einan-
der der Zunder der Liebe gefangen; als ihnen
die Geſetze der Natur im Wege geſtanden/ und
die eingebildete Gleichheit des Geſchlechtes ih-
rer Zuneigung einen Ruͤgel vorgeſchoben. Es
iſt wahr/ fuhr Salonine fort/ dieſe zwey Liebha-
ber uͤbermeiſterten derogeſtalt die Unmoͤglig-
keit. Denn es ſtehet die goͤttliche Verſehung
gleichſam der Tugend zu Gebote. Alleine der
Himmel hatte nun zwar die Hindernuͤſſe der
Natur auff die Seite geraͤumt; aber dieſe An-
dromede lag noch mit ſchweren Ketten ange-
faͤſſelt; von denen ſie zu entbinden auch ein The-
ſeus zu ſchwach ſchien. Denn wer ſolte ſo viel
goͤttliche Weiſſagungen unkraͤfftig machen?
Wer ſolte den Koͤnig Polemon bereden den in
ſeiner Schoß zu behalten/ von welchem ihm
ſein Untergang beſtimmet war? Die Koͤnigin
Dynamis/ und ſelbſt Zeno wurden/ weun ſie
dieſer Schwerigkeit nachdachten/ und dieſen
Stein des Anſtoſſens fuͤr Augen ſahen/ auch
wie leicht ihre Liebe ſich/ und das Geſchlechte
der vermummeten Arſinoe verrathen lieſſe/
mehrmahls ſelbſt kleinmuͤthig; alſo daß Erato
ihnen zuweilen ein Hertz zuſprechen muſte/
meldende: Sie ſolten ſich die truͤbe Lufft nicht
erſchrecken laſſen; nach dem ihnen der Him-
mel ſo ein heiter Antlitz gezeigt haͤtte. Es haͤt-
te nichts zu bedeuten/ daß das Meer wuͤtete/
nach dem ſie ja die Sternen anlachten. Man
muͤſte dem Gluͤcke der groſſen Tochter des e-
wigen Verhaͤngnuͤſſes etwas heimſtellen/ und
dieſe Mutter durch Mißtrauen ihm nicht ſelbſt
zur Stiefmutter machen. Ja/ ſagte die ſorg-
faͤltige Dynamis: Jch halte es freylich fuͤr eine
ſo groſſe Thorheit/ ſeine Rathſchlaͤge auf lau-
ter Ungluͤck gruͤnden/ als ſeine Vergnuͤgung
in der Traurigkeit ſuchen. Aber wir erfah-
ren doch/ daß das Gluͤcke meiſt den unwuͤr-
digen buhle/ und die Fehler ihres Gemuͤ-
thes mit gewuͤntſchten Zufaͤllen/ wie eine
M m 2ver-
[276]Drittes Buch
verſchmitzte Mutter die Maale ihrer heßlichen
Tochter mit Perlen verdecke/ mit der Tugend
aber eifere/ und ihr insgemein ein Bein unter-
ſchlage. Mit dieſen Gedancken ſchlug ſich
die Koͤnigin fort fuͤr fort/ und vermochte ihr ſol-
che weder die Zeit/ noch die hertzliche Vergnuͤ-
gung/ die Polemon aus Arſinoens und der E-
rato Tugenden und Vertraͤuligkeit ſchoͤpffte/
aus dem Sinne zu bringen/ noch die kluge E-
rato auszureden. Hoͤret nun/ wie es nicht al-
lezeit eine Wuͤrckung weibiſcher Furcht/ ſon-
dern oft eine Warnigung der Goͤtter ſey/ wenn
einem ein Ungluͤck ahnet/ und wie die Unruh in
einer Uhr den Verlauff der Zeit/ alſo das ſchla-
gende Hertz einem die Naͤherung ſeines Unter-
gangs andeutet; ja wie aus einem Regenbogen
zuweilen ein ſchrecklicher Blitz kommen kan/
als in der ſchwaͤrtzeſten Wolcke ſtecken mag.
So bald der ſchoͤne und tapffere Ariobarzanes
die Armeniſche Krone auf ſein Haupt kriegte/
und mit der Mediſchen ſie vermaͤhlte/ war er
bedacht auch im Bette nicht einſam zu ſeyn/ und
ſeinen Stul mit erqvickenden Roſen zu be-
ſtreuen. Er warf ſeine Augen in der gantzen
Welt herum; allein es konte weder die Liebe
ihm ein ſchoͤner/ noch die Staats-Klugheit ein
vortheilhafftiger Bild/ als in dem benachbar-
ten Pontus die weltberuͤhmte Fraͤulein Arſi-
noe ausſehen. Weil er aber weder dem bloſ-
ſen Geruͤchte von ihren Tugenden/ noch dem
entferneten Pinſel wegen ihrer Geſtalt/ noch
der Gewonheit der meiſten Fuͤrſten/ die ihre
Wahre meiſt unbeſchaut/ oder mit zugemachten
Augen kauffen/ und es aufs Gluͤcke wagen muͤſ-
ſen/ trauen wolte; kam er mit einem uͤberaus
praͤchtigem Aufzuge nach Sinope/ wiewohl
unter dem Fuͤrwand/ daß er in Griechenland
reiſen/ und daſelbſt dem Jupiter ein gewiſſes
Geluͤbde ablegen/ in der Durchreiſe aber mit
dem Polemon ihrer Vorfahren Buͤndnuͤſſe
verneuern wolte. Dem gantzen Hoffe aber
ward alsbald nachdencklich/ daß er dreißig mit
den ſeltzamſten Koſtbarkeiten beladene Camele
mit ſich fuͤhrte/ derer zehn er dem Koͤnige Pole-
mon/ zehen der Koͤnigin Dynamis/ und zehen
der Fuͤrſtin Arſinoe mit aller ihrer Laſt vereh-
rete. Unter des Koͤniges Geſchencken waren
etliche Faͤſſer Chalydoniſcher Wein/ welchen
die Perſ- und Mediſchen Koͤnige alleine trin-
cken; vor zwoͤlf Zimmer Babyloniſche von
Seide und Gold nach dem Leben der Geſchich-
te genehete Tapeten/ zwantzig helffenbeinerne
Bilder der abgelebten Armeniſchen Koͤnige/
und das Gemaͤhlde des Protogenes/ welchem
zu Liebe allein Koͤnig Demetrius die belaͤgerte
Stadt Rhodos nicht angezuͤndet hat. Der
Koͤnigin Geſchencke waren Perſiſche Gold-
ſtuͤcke/ und Jndiſche Edelgeſteine/ und darun-
ter des Polycrates unſchaͤtzbarer Sardonich-
Stein/ den ihm des nachſtellenden Gluͤckes
allzu freygebige Hand aus dem Meere zuruͤcke
bracht hatte; Dynamis ihn aber hernach Li-
vien/ und dieſe ins Heiligthum der Eintracht
verehrte. Fuͤr die vermeinte Arſinoe kam al-
lerhand Arabiſches Rauchwerck/ aus Gold/
Seide und Perlen geſtuͤckte Kleider/ und in-
ſonderheit ein gantzer Perlen-Schmuck/ derer
keine weniger als hundert und ſechzig Gerſten-
Koͤrner wog. Der Koͤnig Polemon empfing
ihn/ wie beyder Koͤniglicher Stand/ und ein ſo
freundliches Anmuthen eines ſo maͤchtigen
Nachbars erforderte. Er ward/ weil beyder
Koͤnige oberſte Staats-Diener die Bedingun-
gen des neuen Buͤndnuͤſſes mit einander uͤber-
legten/ mit Jagten/ Schauſpielen/ Rennen/
und allen erſinnlichen Kurtzweilen unterhalten/
welche ihm nicht alleine uͤberfluͤßige Gelegen-
heit eroͤfneten/ alle Beſchaffenheit Arſinoens
wahrzunehmen/ ſondern auch einen Zuſchauer
ihrer wunderwuͤrdigen Tapfferkeit abzugeben.
Denn ob ſie zwar bey ſolchen Feyern aus einer
nachdencklichen Vorſicht mit Fleiß ihre Tu-
gend verſtellen wolte; ſo ward ſelbte doch/ wie
es mit ihrer Belohnung/ nehmlich dem Ruh-
me/
[277]Arminius und Thußnelda.
me/ und den Sternen bey der Nacht zu geſche-
hen pflegt/ nur mehr ſichtbar. Jeder Augen-
blick verurſachte in ſeinem Gemuͤthe eine Ver-
wunderung/ in ſeinem Hertzen eine Wunde/
alſo daß ihn bedaͤuchtete/ daß der ſonſt ſo groß-
ſprechende Ruff/ welcher kein Mittel weiß/
ſondern aus allem entweder Wunderwercke o-
der Mißgeburten macht/ nur dißmal durch ſein
Schau-Glaß ruͤckwaͤrts geſehen/ und ſo wohl
die Schoͤnheit als die Verdienſte Arſinoens
verkleinert haͤtte. Dahero kam ſein Vorſatz
numehr leicht zum Schluſſe/ daß er um Arſi-
noen werben wolte/ als welche uͤber ihre eigene
Vollkommenheiten ihm mit der Zeit noch drey
Kronen/ nemlich die Pontiſche/ die Boſphor-
ſche/ und des kleinen Armeniens/ als einen
Brautſchatz zuzubringen hatte. Die groſſe Eh-
renbezeugung/ wormit ihm Polemon und Dy-
namis entgegen ging/ und Arſinoens gegen
ihm bezeugte Holdſeligkeit/ ja ſeine eigene
Groͤſſe und Fuͤrtreffligkeiten uͤberredeten ihn
leichtlich/ daß er zu Sinope keine Fehlbitte thun
koͤnte. Wie nun die Koͤniglichen Raͤthe das
neue Buͤndnuͤß miteinander abgeredet/ die Koͤ-
nige auch ſelbſt alle Bedingungen genehm ge-
habt hatten/ und ſie nun in dem Tempel es bey-
derſeits beſchweren ſolten; zohe Ariobarzanes
den Koͤnig Polemon an ein Fenſter/ welches ein
anmuthiges Ausſehen aufs Meer hatte/ umar-
mete ihn hierauf mit groſſer Ehrerbietung/
und trug ihm fuͤr: Er waͤre dem Polemon aufs
hoͤchſte verbunden/ daß er die alte Freundſchafft
zwiſchen den Pontiſchen und Armeniſchen Koͤ-
nigen zu beyder Haͤuſer Sicherheit und ihrer
Voͤlcker Wolfarth auf feſten Fuß geſetzt haͤtte.
Er betheuerte bey den Goͤttern/ welche die Raͤ-
cher verletzter Buͤndnuͤſſe waͤren/ es ſolte nicht
mehr ſeines/ als des Pontiſchen Reiches Wohl-
ſtand ſeine Sorge und Abſehn ſeyn. Nach-
dem nun aber ſolche Verbindungen am kraͤff-
tigſten durch das Band des Gebluͤtes beſiegelt/
und mit dem heiligen Rechte der Heyrathen
verknuͤpft wuͤrden; in dieſem Abſehn auch ſein
Ahnherr der groſſe Mithridates dem Armeni-
ſchen Koͤnige Tigranes ſeine Tochter vermaͤh-
let haͤtte/ baͤte und hoffte er/ es wuͤrde Polemon
ihn ſeiner Tochter Arſinoe faͤhig machen/ und
ihn fuͤr ſeinen Sohn anzunehmen wuͤrdig ſchaͤ-
tzen. Der Pontiſche Koͤnig nahm dieſen Fuͤr-
trag mit unveraͤnderter/ iedoch freundlicher
Gebehrdung an/ haͤtte auch dieſe allerdings
thuliche Heyrath alſofort geſchloſſen/ wenn er
nicht hiervon mit der Koͤnigin Ehrenthalben
zu ſprechen/ ſeiner Hoheit/ und der Wuͤrde ſei-
ner Tochter/ wormit ſelbte nicht fuͤr allzu feile
Wahre geſchaͤtzet wuͤrde/ anſtaͤndiger zu ſeyn
gemeinet. Deßhalben nahm er uͤber dieſer
wichtigen Entſchluͤſſung Bedenck-Zeit/ gab
ihm aber dabey eine Erklaͤrung: Er wuͤntſch-
te beyde koͤnigliche Haͤuſer aufs feſteſte zu ver-
binden. Polemon kam vom Ariobarzanes ge-
raden Fuſſes zu der Koͤnigin/ und eroͤffnete ihr
ſein Anbringen/ woruͤber ſie derogeſtalt er-
ſchrack/ daß ſie ſelbtes nicht fuͤr den Augen des
Koͤnigs verbluͤmen konte. Dieſer fragte alſo-
fort: Warum ſie uͤber einer Sache ſich entſetzte/
daruͤber ſie ſich zu erfreuen Urſach haͤtte? Ario-
barzanes hohes Gebluͤte/ ſein zweyfaches
Reich/ ſeine Leibes- und Gemuͤths-Gaben waͤ-
ren ſolche Dinge/ darum die vollkommenſte
Fuͤrſtin ſelbſt zu buhlen Urſach haͤtte/ und die
Staats-Klugheit koͤnte dem Pontiſchen Reiche
keine vortheilhafftigere Heyrath ausſinnen.
Dynamis antwortete: Sie muͤſte geſtehen/ es
haͤtte dieſe Vermaͤhlung einen groſſen Schein/
iedoch wuͤſte ſie die Urſache nicht zu ſagen/ war-
umb ſie ihr Sinn ſo wenig zum Ariobarzanes
truͤge. Ob es vielleicht daher ruͤhrte/ daß alle
Armeniſche Heyrathen dem Pontiſchen Stam-
me ungluͤcklich geweſt waͤren. Dahero baͤte
ſie/ der Koͤnig wolle ſich nicht darmit uͤbereilen/
ſondern ihr wenige Zeit nachzuſinnen/ und Ar-
ſinoen daruͤber zu vernehmen erlauben; Jn-
zwiſchen aber auch die Goͤtter daruͤber/ alter
M m 3Ge-
[278]Drittes Buch
Gewohnheit nach/ zu Rathe ziehen. Die Koͤ-
nigin kam hierauf/ als eine todte Leiche in Arſi-
noens Zimmer/ allwo ſich Erato gleich aufhielt.
Jhr bloſſer Anblick war ſchon ein Vorbote ih-
rer traurigen Zeitung/ welche ſie zitternde/ mit
dieſen Worten ausſprach: Ach/ Arſinoe/ wir
ſind verlohren! Beyde erſtummeten hieruͤ-
ber/ und erwarteten mit bebendem Hertzen
das uͤber ihr Haupt aufziehende Ungewitter.
Ach/ Arſinoe/ fing die Koͤnigin an/ Polemon
will dich Ariobarzanen verheyrathen. Kein
haͤrter Donnerſchlag/ als dieſer/ konte in ihren
Ohren erſchallen. Denn/ was hatten ſie fuͤr
erhebliche Urſache eine ſo anſehnliche Heyrath
auszuſchlagen? Wie konten ſie aber ohne eu-
ſerſte Gefahr dem Koͤnige Arſinoens Geſchlech-
te offenbahren? Welcher nunmehr der goͤttli-
chen Weiſſagung ſo viel mehr glauben wuͤrde/
nach dem Arſinoe ſolche Streitbarkeit von ſich
zeigte? Sie ſannen hin und her/ konten aber kei-
ne den Stich haltende Urſache dieſe Heyrath zu
verweigern erſinnen. Hieruͤber kam der Koͤ-
nig ſelbſt ins Zimmer/ und fragte Arſinoen:
Ob ſie von ihrer Mutter die auf ſie geworffene
Liebe Ariobarzanens vernommen haͤtte? Er
zweiffelte nicht/ daß ſie dieſes groſſe Gluͤcke/ als
ein Geſchencke der Goͤtter mit freudigem Gei-
ſte annehmen wuͤrde. Er haͤtte inzwiſchen
bey dem Tempel des Pilumnus und Picum-
nus ſeine Andacht verrichtet/ und es ſey ihm
zum Zeichen ihrer gluͤcklichen Vermaͤhlung
ein an dem lincken Fuſſe lahmer Habicht auf-
geflogen. Arſinoe fiel ihm alſofort zu Fuſſe/
umarmte ſeine Knie/ und fing an: Sie wuͤſte/
daß es ein halsbruͤchiges Laſter waͤre/ ſich dem
Befehle eines ſo holden Vaters/ der fuͤr ſeines
Kindes Wohlſtand ſo eiffrig ſorgte/ zu widerſe-
tzen. Nach dem ſie aber (unwiſſend aus was
fuͤr einer verbor genen Gramſchafft) ihr Hertze
nimmermehr uͤberwinden koͤnte/ den Ariobar-
zanes zu lieben; Jhr des groſſen Mithridates
dem Armeniſchen Koͤnige Tigranes verheyra-
thete Tochter Aſterie/ mit dem ihr vom Stieff-
Sohne eingeſchenckten Gifft-Glaſe ſtets fuͤr
den Augen ſchwebte/ und ihr ein noch elenderes
Ende weiſſagte; baͤte ſie/ es moͤchte die vaͤterli-
che Liebe ihre Vergnuͤgung der Staats-Klug-
heit dißmahl fuͤrziehen. Heyrathen ſolten
ja eine Vereinbarung der Hertzen ſeyn; auſſer
der waͤren ſie fuͤr eine Ehſcheidung ihrer Ruh
und Gluͤckſeligkeit zu halten. Die Vermaͤb-
lungen wuͤrden erſtlich im Himmel/ hernach in
den menſchlichen Hertzen geſchloſſen. Durch
den Einfluß des Geſtirnes gaͤbe das Verhaͤng-
nuͤß darbey ſein Wohlgefallen oder Unwillen
zu verſtehen; jenes/ wenn es die Gemuͤther
gleichſam zuſammen verzauberte/ dieſen/ wenn
einem etwas auch ſonſt annehmliches zu wider
waͤre. Ariobarzanes gaͤbe zwar einen groſ-
ſen Schein der Tugenden von ſich; aber wer
koͤnte in wenigen Tagen einen recht ausholen?
Es gaͤbe in dem Meere des menſchlichen Le-
bens viel Seichten und Sandbaͤncke; man
muͤſte allezeit mit dem Bley-Maſſe in der Hand
fortſegeln/ wo anders die Hertzen der Men-
ſchen ſo/ wie die See/ ein Bley-Maß anneh-
men. Die Augen ſolten Fenſter der Seele
ſeyn/ ſie waͤren aber ihre Larven/ welche unter
der Geſtalt einer Taube offt einen Baſilißken
vermummeten; und das ſchwartze Saltzwaſſer
des Meeres gaͤbe vielmahl einen hellen Silber-
Schein von ſich. Daher waͤre es numehr noͤ-
thiger und ſchwerer/ die Eigenſchafften der Ge-
muͤther/ als der Kraͤuter zu erkennen. So haͤt-
ten ja auch die Goͤtter ſeine Scheutel mit dreyen
Kronen bereichert; welches ſicher mehr ein U-
berfluß des Gluͤckes/ als eine zu ergroͤſſern noͤ-
thige Macht waͤre. Solte ſie nun als das ei-
nige Kind einen Auslaͤnder heyrathen/ wuͤrde
das Pontiſche Reich ſeinen alten Glantz verlie-
ren; und/ da es itzt das Haupt zweyer andern
Koͤnigreiche waͤre/ muͤſte es kuͤnfftig ein ſchlech-
ter Anhang des Mediſchen Zepters/ eben ſo/
wie Armenien wiederfahren ſey/ werden. Die
Pon-
[279]Arminius und Thußnelda.
Pontiſchen Voͤlcker wuͤrden dieſe auslaͤndiſche
Heyrath/ als ein Seil/ wordurch ihnen das
Joch der uͤppigen Meden an die Hoͤrner ge-
ſchlinget wuͤrde/ mit Unwillen anſehen/ oder
auch die Vereinbarung ſo vieler maͤchtigen Rei-
che den Roͤmern und Parthern Nachdencken
machen/ und ſolche mit Gewalt zu zertheilen
Anlaß geben. Die Roͤmer haͤtten wider den
groſſen Mithridates keine andere Urſache zum
Kriege/ als die Furcht fuͤr ſeinen zwoͤlf Koͤnig-
reichen gehabt/ als ſie Nicomeden den Bithy-
niſchen/ und Ariobarzanen den Cappadociſchen
Koͤnig wider ihn aufgehetzet; und hernach zwey
und vierzig Jahr wider ihn gekrieget. Eben
ſo wuͤrde der Uhrſprung des Peloponneſiſchen
Krieges der ſich allzu ſehr ver groͤſſernden Stadt
Athen beygemeſſen; und derer den Degen zum
erſten zuͤckenden Spartaner Furcht fuͤr eine
rechtmaͤßige Urſache des Krieges wider Athen/
und ihr Angriff fuͤr eine Nothwehre gehalten.
Die Roͤmer hatten nach dem andern Puniſchen
Kriege den Koͤnig Philip in Macedonien zu uͤ-
berfallen keine Urſache ſonſt gehabt/ als ſeine
verdaͤchtige Kriegsruͤſtung. Weil nun ein mit-
telmaͤßiges Reich ſicherer und leichter zu beherr-
ſchen waͤre/ ſonderlich kuͤnfftig von ihr einem
Frauenzimmer; als ein uͤbermaͤßig groſſes/ wel-
ches von einem groſſen Geiſte beſeelet/ mit vielen
Armen beſchuͤtzt werden muͤſte; weil ein groſſes
Reich ſeine Fuͤrſten ſicher/ ſeine Feinde veraͤcht-
lich/ die Einwohner wolluͤſtig/ die Tapfferkeit
ſtumpf/ die Kriegsleute weich/ die Unterthanen
faul machte/ alſo aus ſich ſelbſt ſein Verderben/
wie aus dem Eiſen der Roſt/ aus dem Holtze ſei-
ne freſſende Wuͤrmer/ entſpringe; in die ent-
fernten Laͤnder die koͤniglichen Schluͤſſe zur Un-
zeit kaͤmen; ja wie groſſe Rieſen ſchweren Faͤl-
len/ alſo weite Reiche geſchwindem Untergange
unterworffen waͤren; ſo ſchiene es/ ihrem ſchwa-
chen Verſtande nach/ rathſamer zu ſeyn/ das
Pontiſche Reich numehr in ſeinen unbeneideten
Graͤntzen zu erhalten. Der verſchmitzte Koͤnig
nam unſchwer wahr/ daß dieſe Einwuͤrffe Far-
ben/ nicht Urſachen ihrer Verweigerung waͤ-
ren. Dahero begegnete er ihr mit ziemlich ernſt-
hafftem Geſichte: ihre Gramſchafft waͤre eine
unzeitige Einbildung/ und ein vergaͤnglicher
Eckel. Dahero waͤre nach dieſem ſo wenig die
Wuͤrde eines Liebhabers/ als nach einem ver-
dorbenen Magen die Guͤte einer Speiſe zu ver-
werffen. Es haͤtten zuweilen Gemuͤther die
Art des Magnets an ſich/ die zu roſtigem Eiſen
einen Zug/ und fuͤr Diamanten einen Abſcheu
haͤtten. Die Zuneigung geluͤſterte mehrmahls
nach der Haͤßligkeit/ wie manches ſchwanger
Weib nach unartigen Speiſen; und der Hart-
naͤckigkeit waͤre die Vollkommenheit ſo wenig
gut genung/ als einem vergaͤllten Maule die
ſuͤſſeſten Granat-Aepffel. Die Regungen der
Sinnen muͤſten dem Urthel der Vernunfft
nicht zuvor kommen/ und der Geiſt ſich nicht zu
fleiſchlicher Ver gnuͤgung erniedrigen. Aller
Voͤlcker Einſtimmung waͤre ein unverwerffli-
cher Zeuge fuͤr Ariobarzanens Tugenden/ und
die Welt ein Schauplatz ſeiner Helden-Thaten.
Uberdiß mache bey Buͤrgern die Liebe/ bey Koͤ-
nigen die Staats-Klugheit die Heyraths-Be-
redungen. Dieſer waͤre gemaͤß ein Reich ſo hoch
empor zu heben/ daß dem Neide die Augen ver-
gingen an ſelbtem hinauf zu ſehen/ und ſo groß
zu machen/ daß es ohne frembde Huͤlffe der un-
rechten Gewalt maͤchtiger Nachbarn die Spi-
tze bieten koͤnte. Seine und Ariobarzanens
zuſammenſtoſſende Kraͤfften waͤren noch kaum
genung den Parthern oder Roͤmern zu bege-
gnen; fuͤr denen er keine Buͤrgen haͤtte/ daß
ſein Buͤndnuͤß mit ihnen ewig tauren wuͤrde.
Das Pontiſche Reich wuͤrde fuͤr dem Mediſchen
nichts minder als Armenien ſeinen Vorzug be-
halten; und ſeine Voͤlcker wuͤrden nicht einem
frembden Lande/ ſondern ihrer angebohrnen
Fuͤrſtin zu gehorchen haben. Weßwegen man
mit Ariobarzanen gewiſſe Bedingungen ab-
reden muͤſte. Waͤre es denn aber nicht
rath-
[280]Drittes Buch
rathſamer/ verſetzte die Koͤnigin Dynamis/
Arſinoen einem Pontiſchen Fuͤrſten zu vermaͤh-
len/ welchem die Liebe zu dieſem Reiche von der
Geburt/ die Wiſſenſchafft ſeiner Rechte und
Sitten mit der erſten Auferziehung eingefloͤſt
worden/ welcher der Einwohner Gewogenheit
durch treue Dienſte erworben/ dem Polemon
ſolche Erhoͤhung zu dancken/ und nicht nur Ar-
ſinoen/ ſondern auch das ihm zugleich mit ver-
maͤhlete Pontiſche Reich zulieben Urſach haͤtte.
Koͤnig Polemon begegnete ihr: Ungleiche Hey-
rathen waͤren auch unter denen Unterthanen
ungeſchickt. Die Frauen und Jungfrauen zu
Heraclea haͤtten ſich lieber ſelbſthaͤndig getoͤdtet/
che ſie ſich auf des Wuͤterichs Clearchus Befehl
ſeinen unedlen Dieneꝛn vermaͤhlen wollen. Wie
viel weniger waͤre ſeiner hohen Ankunft anſtaͤn-
dig/ noch dem Reiche vortraͤglich ſeine eigene
Tochter an einen Unterthanen zu verheyra-
then. Die aus dem Staube empor ſteigenden
wuͤſten ſelten ihr Gluͤcke zu begreiffen/ und ihre
Begierden zu maͤßigen. Die an dem Glantze
der Sonnen gewachſenen Fruͤchte waͤren de-
nen im Schatten ſtehenden/ und die Wercke
hocherlauchter Fuͤrſten des Volckes vorzuzie-
hen. Dieſemnach wuͤrden die Unterthanen
ihrer bey zeite uͤberdruͤßig. Denn wie ſchwer es
fiele einem Bildhauer ſeinen von ihm ausge-
hauenen und vergoͤldeten Goͤtzen/ den er im
Walde als ein Klotz geſehen/ anzubeten/ wenn
er ſchon auf einem Altare ſtuͤnde; ſo ſchwer kaͤme
es die Unterthanen an/ ſich fuͤr einem Ober-
herrn zu buͤcken/ der vorher ihres gleichen/ oder
wol niedriger geweſt waͤre. Dynamis wagte
es noch einmal/ wiewol gleichſam zitternde dem
Koͤnige dieſen Gegenſatz zu thun: Wie die gar
zu niedrigen Heyrathen in alle Wege zu ver-
dammen waͤren; alſo waͤren die/ da man denn
all zu hoch hinaus gewolt/ insgemein ſehr un-
gluͤcklich geweſt. Der ſo niedrige Toͤpffers-
Sohn Agathocles haͤtte Sicilien ſo klug/ als
kein einiger Koͤnig beherrſcht; darinnen aber
haͤtte er verſtoſſen/ und ſeine Soͤhne gleichſam
ſelbſt vom Throne geſtuͤrtzt/ als er ſeine Toch-
ter Lanaſſa dem groſſen Koͤnige Pyrrhus ver-
maͤhlet/ der hernach ſeinen Sohn Helenus
einzuſchieben bemuͤht war. Die hohe An-
kunfft waͤre wohl ein groſſes Klemod/ es haͤt-
ten aber viel groſſe Geſchlechter viel Eitelkeit
und ſchlimmen Beyſatz an ſich. Die Athe-
nienſer ruͤhmten ſich ſo alt als die Erde/ und
aus ſich ſelbſt entſproſſen zu ſeyn. Die Arca-
dier wolten die Erde noch/ ehe der Mond ge-
ſchienen/ bewohnt haben. Die Julier zu
Rom wolten vom Sohne des Eneas/ und die
Antonier vom Hercules entſproſſen ſeyn. Aus
dieſem Aberglauben hielten viel fuͤr loͤblicher ei-
ne Lais aus dem Geſchlechte der Heracliden/
als eine niedrig-entſproſſene Penelope zu hey-
rathen. Ungeachtet die Schoͤnheit die Au-
gen/ das Reichthum die Haͤnde vergnuͤgte/ der
Adel aber in bloſſer/ und offt falſcher Einbil-
dung beſtuͤnde; Sintemahl kundig waͤre/ daß
Koͤniginnen nicht nur/ wie des Koͤnigs Agis
Gemahlin Timaͤa von einem edlen Alcibia-
des/ ſondern von einem haͤßlichen Mohr und
Fechter waͤren geſchwaͤngert worden. Ajax
haͤtte deßwegen Ulyſſen nicht unbillich verla-
chet/ als er ſich einen Enckel des Eacus ge-
ruͤhmt. Hingegen haͤtte der Maͤngel der
Ankunfft dem tapffern Pericles/ und dem groſ-
ſen Pompejus an ihrer Tugend keinen Ab-
bruch gethan. Alleine es doͤrffte alles dieſen
Kummers nicht; nach dem noch etliche Enckel
des groſſen Mithridates des Machares Soh-
ne/ und andere Fuͤrſten Koͤniglichen Geſchlech-
tes im Reiche verhanden waͤren. Koͤnig Po-
lemon verfiel uͤber dieſen Worten in den feſten
Argwohn/ ſamb Dynamis mit einem dieſer
Fuͤrſten ſchon eine geheime Eh-Beredung ge-
troffen haͤtte; daher er mit feurigem Eyffer
ihre Rede unterbrach: Was? ſoll ich einem
Verraͤther ſeines Vaters/ wie Machares
geweſt/ meine Tochter geben? Will
man
[281]Arminius und Thußnelda.
man mir einen Eydam aufſdringen/ deſſen Va-
ter von ſeinem eigenen zum Tode verdammet
worden? Nein ſicher/ dein Anſchlag wird dir
ſicher in Brunn fallen: ich will meine Tochter
mit nichts unedlerm vermiſchen/ als ihr Ur-
ſprung iſt. Der vollkommenſte Leib bildet eine
Mißgeburt ab/wenn man ihm einen Cyclopen-
Kopff auffſetzt. Bley und Zien/ ja auch das
Silber ſelbſt/ verunehret und vergeringert das
Gold/ wenn es untereinander geſchmeltzet wird.
Man ſetzt Marmel und Jaſpis-Bilder nur in
der Goͤtter und Koͤnige/ nicht in Geringerer
Wohnungen. Die Natur iſt auffs euſſerſte
bemuͤht/ daß nichts ungleiches zuſammen wach-
ſe. Eben dieſes ſoll die Klugheit/ fuͤrnehmlich
aber in der Liebe beobachten/ welche von den Al-
ten fuͤr blind und ein Kind gehalten worden/ weil
ſie am meiſten vorſichtiger Leitung vonnoͤthen
hat. Jch verſehe mich alſo zu Arſinoen/ wo ich
ſie anders fuͤr meine Tochter halten ſoll/ ſie wer-
de nicht von der Art deß den Poͤfel abbildenden
Epheus ſeyn/ welcher/ ſo bald eine Haſel-Stau-
de/ als einen Dattelbaum umarmet. Edle
Pflantzen kehren ihr Haupt gegen den Him-
mel; Die Roſen ſchlieſſen ihr Haupt nur der an-
weſenden Sonne auff; die Palmen vertragen
ſich mit keinem geringen Gewaͤchſe. Ja der
todte Magnet-Stein folget keinem geringern/
als dem ſo hoch geſchaͤtzten Angelſterne. Und
Polemons Haus ſolte ſich zu den Nachkommen
des knechtiſchen Machares abneigen? Die
Niedrigkeit des Gemuͤthes iſt wie alle andere
Schwachheiten nichts minder als die Seuchen
anfaͤllig. Zwey Tropffen boͤſen Gebluͤtes ſte-
cken den gantzen Leib an/ und eines einigen Fi-
ſches Farbe ſchwaͤrtzet ein groß Theil des
Meeres. Das menſchliche Gemuͤthe iſt gear-
tet wie das Thier/ das alle Farben annimmt;
am leichteſten aber die Schwaͤrtze der Boßheit.
Hat es ſeine Neigung zu Napel/ ſo vergifftet
ſichs. Liebet es Unflat/ ſo beſudelt es ſich. Die
beſten Schnaten verlieren ihre Guͤte/ wenn
man ſie auff einen herben Stamm pfropffet.
Das Feuer verlieret ſeinen Glantz/ wenn es
mit Waſſer oder Erde vermiſcht wird; Aus
Vereinbarung eines Menſchen und Pferdes
wird ein haͤßlicher Centaur/ und die niedrigen
Vermaͤhlungen ſind ein ewiger Schandfleck
hoher Geſchlechter/ welchen Koͤnig Hiero in Si-
cilien mit allen ſeinen tugendhafften Thaten/
auch bey der Nachwelt nicht auszuleſchen ver-
mocht hat. Dieſem nach iſt diß mein End- und
unveraͤnderlicher Schluß/ daß Arſinoe den edel-
ſten Fuͤrſten der Welt/ den groſſen Ariobarzanes
heyrathen ſoll. Und ich befehle dir/ Arſinoe/
dich ohne einigen Worts-Einwand darzu fertig
zu halten. Des Vaters und der Goͤtter Wil-
le hat keinen Richter uͤber ſich. Jhre Vorſor-
ge iſt die vernuͤnfftigſte und treueſte/ welche ſich
weder durch eigenen Duͤnckel/ noch durch ande-
rer Traͤume verbeſſern laͤſt.
Hiermit ging Polemon unwillig aus dem
Zimmer/ ließ ſie in vollem Jammer ſtehen/ und
verſprach noch ſelbigen Tag dem Ariobarzanes
ſeine Arſinoe. Der Heyrath-Schluß und
das neue Buͤndniß ward von beyden Koͤnigen
in dem Tempel des Friedens auff dem Alta-
re der Eintracht unterſchrieben und beſiegelt/
auch alle Anſtalt zu dem Koͤniglichen Beyla-
ger gemacht/ als inzwiſchen Arſinoe/ Dyna-
mis und Erato ihrem Kummer kein Ende/
ihren Thraͤnen keine Maas/ und ihrem Un-
gluͤcke keinen Rath wuſten. Beyde Koͤnige
kamen aus dem Tempel in ihr Zim̃er/ und wie-
wohl Dynamis und Arſinoe ihre Traurigkeit
zu verbergen ſich euſſerſt bemuͤheten/ ſahe ſie ih-
nen doch beyden mehr als zu viel aus den Au-
gen. Ariobarzanes kriegte hieruͤber Nachden-
cken/ und vermeinte Arſinoen durch die hoͤff lich-
ſten Liebkoſungen zu gewinnen/ welche ihm aber
mit einer gezwungenen oder vielmehr kaltſin-
nigen Freundligkeit begegnete. Dieſe Neu-
igkeit verſtoͤrte ihm die Ruhe der Nacht und des
Gemuͤthes/ noch mehr aber ein Schreiben/
Erſter Theil. N nwel-
[282]Drittes Buch
welches er des Morgens auff ſeiner Taffel fand/
dieſe[s Jnhalts]:
Arſinoe an den Koͤnig Ariobarzanes.
Jch geſtehe es/ daß Ariobarzanes der gantzen
Welt Herrſchafft/ des Zuruffs aller Voͤlcker/
und ſo viel mehr meiner Liebe wuͤrdig ſey; aber
alles diß/ ja die Goͤtter ſelbſt/ weniger der Zwang
meines Vaters ſind nicht genug ihn derſelben
faͤhig zu machen.. Forſche nicht von mir die
Urſache meiner Kaͤlte/ denn die Liebe entſpringet
mehr vom Einfluſſe des Geſtirns/ als von der
Wuͤrde eines Dinges. Der beſte Ambrareucht
einem wohl/ dem andern ſtinckt er. Glaube a-
ber/ daß ſelbte alſofort deine Flammen ausloͤ-
ſchen/ aber in Sinope ein groͤſſeres Feuer an-
zuͤnden wuͤrde. Uberwinde dich alſo/ und preſ-
ſe dir keine unmoͤgliche Liebe aus/ die deine Voll-
kommenheit ſo hoch in Ehren haͤlt; da du auch
diß letztere nicht verlieren/ oder gar vergaͤllen
wilſt. Die ſuͤſſeſten Pomerantzen geben Vit-
terkeit von ſich/ wenn man ſie allzuſehr aus-
druͤckt. Es iſt eine groſſe Klugheit unterſchei-
den koͤnnen/ was man fuͤr Karte wegwerffen o-
der behalten ſoll/ eine groͤſſere Kunſt/ ſich einer
Sache entſchlagen/ die mit uns entweder keine
Vereinbarung leidet/ odeꝛ uns ſelbſt den Ruͤcken
kehret; die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit aber/ nichts ver-
langen/ was man nicht haben kan. Dieſer deut-
liche Brieff legte Ariobarzanen den Traum von
Arſinoens Kaltſinnigkeit aus. Liebe und Ra-
che kaͤmpfften in ſeiner Seele die Wette. Seine
Ehre rieth ihm dieſer Veraͤchtligkeit mit Be-
ſchimpffung zu begegnen/ ſeine Begierde aber
Arſinoens Hertze zu gewinnen; Aber iede Zeile
benahm mit der fuͤrgeſchuͤtzten Unmoͤgligkeit
ihm alle Hoffnung/ und ſtuͤrtzte ihn in eine halbe
Verzweiffelung. Bey dieſer Verwirrung
ward ihm angeſagt: Der Koͤnig Polemon waͤ-
re unterweges ihn zu beſuchen/ folgte auch faſt
auff dem Fuße ins Zimmer. Ariobarzanes
konte ſich kaum erholen ihm vernuͤnfftig zu be-
gegnen/ weniger ſich berathen/ ob er dem Koͤni-
ge hiervon etwas melden ſolte? Wie nun Pole-
mon alſofort ſeine Beſtuͤrtzung wahrnahm/ und
deſſen Urſache mitleidentlich erkundigte/ reichte
ihm Ariobarzanes der Arſinoe Brieff. Polemon
muthmaßte alſobald bey erkennter Handſchrifft
was arges/ erblaßte bey der erſten Zeile/ und nach
dem er das Schreiben durchleſen/ blieb er gleich
als veꝛzuͤckt in vollem Nachdencken ſtehen; Ob eꝛ
ſchon ſonſt in Gluͤck uñ Ungluͤck eineꝛley Geſich-
te zu behalten wuſte/ und ihm nicht leichte durch
ſeine Empfindligkeiten/ welches die rechten
Fenſter des Gemuͤths ſind/ins Hertze ſehen ließ.
Ariobarzanes ſahe ihn ſtarr an/ und ſagte end-
lich: Dieſe wenige Zeilen ſind entweder voller
Geheimniße/ die wir beyde nicht wiſſen/ oder
voller Retzel/ die ich nicht auffloͤſenkan. Pole-
mon laͤchelte/ und fing an: Man verkleidet zu-
weilen ein ſeichtes Abſehen mit dem Anſehen ei-
nes heiligen Geheimniſſes; Jedoch wird es zu-
verſichtlich keines Wahrſagers duͤrffen/ hinter
diß verborgene zu kommen/ und keiner Zaube-
rey/ die vorgeſchuͤtzte Unmoͤgligkeit moͤglich zu
machen. Hiermit nahm Polemon Abſchied/
und Arſinoens Schreiben mit ſich/ legte auch
in ſeinem Zimmer alle Worte auf die Wage. Je
mehr er aber nachdachte/ ie tunckeler ſchien ihm
der Brieff und ie weniger konte er ergruͤnden/
warum Arſinoe ſo verzweiffelt Ariobarzanens
Heyrath zuhintertreiben ſuchte. Er argwohn-
te zwar noch: Es muͤſte Ariobarzanen iemand
vorkommen ſeyn/ und ſich Arſinoens Gewogen-
heit bemaͤchtiget haben; aber Arſinoens Schrei-
ben daͤuchtete ihn auff etwas gantz anders zu
zielen. Endlich fiel ihm ein Arſinoens unge-
meine Vertraͤuligkeit mit der Erato/ hinter
welcher ein ſonderlich Geheimniß/ oder zum
minſten die Wiſſenſchafft/ warum Arſinoe fuͤr
Ariobarzanen ſo groſſe Abſcheu truͤge/ ſte-
cken muͤſte. Mit dieſer Sorgfalt kam er un-
angeſagt in der Erato Zimmer/ welche denn
noch halb unangekleidet war. Wormit nun
Po-
[283]Arminius und Thußnelden.
Polemon dieſe ungewoͤhnliche Uberfallung
rechtfertigte/ oder auch vielleicht was erfiſchete/
wieſe er der Erato Arſinoens Schreiben/ von
dem ſie aber ohne diß ſchon Wiſſenſchafft hat-
te/ beſchwerte ſich uͤber ſeiner Tochter zu ſei-
nem Schimpff und ihrem Unheil gereichen-
de Widerſetzligkeit/ und beſchwor ſie endlich/
daß/ da ſie ſo tieff in Arſinoens Hertze geſehen/
ſie ihm die Urſache nicht verſchweigen ſolte. E-
rato begegnete dem Koͤnige mit tieffſter De-
muth/ ſchuͤtzte fuͤr: Sie haͤtte ſich ohne Vorwitz
nicht unterſtehen wollen/ Arſinoen etwas aus-
zulocken; doch ſehe ſie/ daß/ wenn nur Ariobar-
zanes Nahme genennet wuͤrde/ ſie ſich entſetzte/
und uͤber der Heyrath auffs euſſerſte graͤmte/
welches ihren Kraͤfften in die Laͤnge auszuſtehen
unmoͤglich fallen doͤrffte. Der Koͤnig fuͤhrte
ſie hierauf mit ſich in Arſinoens Zimmer/ welche
mit verfallenen Wangen/ thraͤnenden Augen/
und tieffaͤugichtem Geſichte betroffen ward.
Nichts deſtoweniger zohe er ihren Brieff herfuͤr/
und befahl ihr: Sie ſolte rund heraus bekennen/
was ihr Ariobarzanens Eh unmoͤglich machte/
und das in ihrem Schreiben angedeutete Feu-
er/ welches in Sinope angezuͤndet werden ſol-
te/ auslegen. Arſinoe fiel ihm abermahls mit
erbaͤrmlichen Geberden zu Fuͤſſen/ ſagte/ ſie
waͤre zwar Meiſterin ihres Willens/ aber kei-
ne Gebieterin uͤber die Natur und das Ver-
haͤngniß/ welche ſie vom Ariobarzanes gleich-
ſam mit den Haaren wegzuͤgen. Mit dem
Feuer haͤtte ſie auff ihre Begraͤbniß-Fackeln
gezielet/ weil dieſe Heyrath doch ihr Tod ſeyn/
dieſer aber Ariobarzanens Begierden aller-
dings ausleſchen wuͤrde. Jhr Wunſch und
Verlangen waͤre dieſem nach zu ſterben/ ſie
wolte von Hertzen den Tod als ein Geſchen-
cke der Goͤtter/ und ein Gifft-Glaß mit Freu-
den fuͤr eine Koͤnigliche Mitgifft aus den Vaͤ-
terlichen Haͤnden annehmen. Wolte er ſie a-
ber der Goͤttin Veſta zu ewiger Jungfrau-
ſchafft wiedmen/ wolte ſie mit dem ewigen Feu-
er auch eine ewige Danckbarkeit in ihre See-
le bewahren. Dieſe Erklaͤrung thaͤt ſie ſo
wehmuͤthig/ daß/ wie harte gleich Polemon war/
ihm die Augen uͤbergingen/ und er mit etwas
ſanfftmuͤthiger Bezeugung ſie fragte: was denn
die Urſache ihrer wider einen ſo vollkommenen
Koͤnig geſchoͤpffter Todtfeindſchafft waͤre? Ar-
ſinoe antwortete: Sie hegte derogleichen in ih-
rem Hertzen nicht/ ſondern ſie haͤtte vielmehr ein
groſſes Vergnuͤgen an ſeinen Tugenden; aber
unmoͤglich waͤre es ihr einmahl ihn zu lieben.
Polemon fing an zu ruffen: Jhr Goͤtter!
Was iſt denn unter einem ſolchen vergnuͤgen-
den Wohlgefallen und der Liebe fuͤr ein Unter-
ſcheid? Arſinoe antwortete: Jch weiß wohl/
allerliebſter Herr Vater/ daß die Liebe allezeit
die Gewogenheit zur Mutter/ dieſe aber jene
nicht allezeit zur Tochter habe/ und mein an
dem Ariobarzanes habendes Belieben doch
nimmermehr die Liebe in meinem Hertzen ge-
behren werde. Polemon fragte: Was denn
ihrer Liebe im Wege ſtuͤnde? Worauff Arſi-
noe anfing: Jhr von dem Verhaͤngniß gelei-
teter Wille. Denn das Wohlgefallen be-
maͤchtigte ſich eines Menſchen mit Gewalt
und wieder ſeine Zuneigung. Man muͤſſe
die Tugend und Schoͤnheit auch in ſeinem
Feinde werth halten/ und die Gramſchafft
muͤſte mehrmals die Gaben der Natur und des
Gemuͤths mit denen ſchoͤnſten Farben in die
Taffel ſeines Hertzens mahlen/ ja die Stiffter
des aͤrgſten Unrechts innerlich der Gerechtig-
keit beyfallen. Dieſe Gewogenheit zuͤndete
ſich in einem Augenblicke wie ein Blitz an/
ſonder einige vorhergehende Berathſchlagung;
inſonderheit erſtreckte ſie ſich auff alle Reich-
thuͤmer der Natur/ auff Blumen und leblo-
ſe Edelgeſteine/ die gleich keiner Gegen-Liebe
faͤhig ſind. Die Liebe aber/ wie ſie ein ſich lang-
ſam entzuͤndendes Feuer/ und allererſt der
Schoͤnheit Enckelin waͤre; die Berathſchla-
gung zur Amme/ und den Willen zum Leiter
N n 2haͤtte/
[284]Drittes Buch
haͤtte/ alſo waͤre ſie mit ſich ſelbſt nicht ſo ver-
ſchwenderiſch/ ſie vereinbarte ſich nicht mit al-
lem/ was ihr ins Geſicht fiele/ ſondern nur
mit dem/ was ſie fuͤr ihres gleichen hielte/ und
was ſie wieder lieben koͤnte. Weßwegen auch
kein ander Thier als der Menſch wahrhafftig
lieben/ die Schoͤnheit eines Sternes/ einer
Perle/ eines Pferdes werth geachtet/ nichts a-
ber/ als das Antlitz und der Geiſt eines Men-
ſchen/ eigentlich geliebt werden koͤnte. Wenn
nun das Verhaͤngnuͤß nicht unſern Willen/
wie der Magnet das Eiſen iemanden zu lieben
zuͤge/ waͤre es uns ſelbſt zu uͤberwinden un-
moͤglich. Polemon ward hieruͤber verdruͤß-
lich/ und befahl ihr/ ſie ſolte ihr dieſe Traͤume
aus dem Sinne ſchlagen/ und von ihrer Eigen-
ſinnigkeit/ welche ihr eitel Ungeheuer fuͤrbilde-
te/ abſtehen/ auch ſich zu dem/ was ihr beſtes/
und nun nicht mehr zu aͤndern waͤre/ beqve-
men. Der Nahme des Todes waͤre zwar
ſuͤſſe/ ſein Weſen aber die bitterſte Aloe. Wer
in ewiger Einſamkeit leben koͤnte/ muͤſte ent-
weder ein halber Gott/ oder ein gantz unver-
nuͤnfftiges Thier ſeyn. Mit dieſen Worten
entbrach ſich Polemon ihrer/ und verſicherte
den Ariobarzanes/ daß die Vermaͤhlung auff
die beſtimmte Zeit ſolte bewerckſtelliget wer-
den. Es waͤre nichts ſeltzames/ daß alberen
Maͤgdgen fuͤr dem Ehſtande eckelte/ deſſen
Suͤßigkeit ſie hernach nicht genung zu ſchaͤtzen
wuͤſten. Die langſame Liebe waͤre wie das
am langſamſten wachſende Metall/ nehmlich
das Gold/ die bewehrteſte; hingegen verſchwin-
de die hefftigſte am geſchwindeſten. Denn die
Fackel/ die allzuſehr lodert/ koͤnne nicht lange
tauren. Arſinoe blieb inzwiſchen in einer un-
ermeßlichen Betruͤbniß/ und verzweiffelten
Ungedult. Jch ſehe/ fing ſie an/ daß einem
Ungluͤckſeligen auff dem Meere das Waſſer/
auff der Erden ein Grab/ in dem Leben der
Tod gebricht. Aber wie ſehr er vor mir fleucht/
wil ich ihn doch finden/ und hiermit griff ſie
nach einem Meſſer/ welches ihr aber Erato
ausriß/ und ihre Verzweiffelung mit nachdruͤck-
licher Einredung ſtraffte. Jſt diß die Tugend/
ſagte ſie/ welche der einfallende Himmel auch
nicht von ihrem Sitze zu ſtuͤrtzen maͤchtig ſeyn
ſolte? Jſt diß die Liebe/ welche ſich mit der E-
rato in ein Grab zu legen ruͤhmete? Kan aus
Entdeckung ihres Geſchlechts ihr was aͤrgers
als der Tod zuhaͤngen/ wenn ſchon Polemon
die Vater-Liebe in grauſamſte Mord-Luſt ver-
wandelt? Jſt es nicht Thorheit ſterben wollen/
um nicht zu ſterben? Sie ſage es dem Koͤnige
unter Augen/ daß ſie nicht Arſinoe/ ſondern der
verworffene Zeno ſey/ derdem Polemon das Licht
ausblaſen ſoll! Sie laſſe ihr und mir das Urthel
des Todes ſprechen! Es iſt beſſeꝛ von den Haͤnden
eines unbarmhertzigen Vaters ſterben/ als durch
Selbſt-Mord dem Verhaͤngniße an ſeinen
Richterſtab greiffen. Ach nein! Holdſeligſte Era-
to/ ſagte Arſinoe: Es iſt nicht allein um meinen
Hals/ ſondern auch um den guten Nahmen
meiner Mutter der Koͤnigin Dynamis/ und
um die unſchaͤtzbare Genieſſung ihrer Liebe zu
thun. Erato verſetzte: Es waͤre weder noͤthig
dem Tode ein ſo unzeitiges Opffer zu lieffern/
noch der Koͤnigin Ruhm zu verſehren. Die
hertzliche Liebe einer barmhertzigen Mutter/
und die Erhaltung ihres verſtoſſenen Sohnes/
koͤnne mit dem Titel eines Laſters nicht ver-
unehret werden. Auch habe die Natur den
Auffenthalt der Tugend nicht in Sinope ein-
geſchloſſen. Die gantze Welt waͤre der Tapf-
ferkeit Vaterland. Die Unſchuld muͤſte zu-
weilen dem Verhaͤngniße/ zuweilen einer hitzi-
gen Ubereilung deſſen/ gegen welchem uns die
Natur die Gegenwehr verbeut/ ausweichen.
Die Goͤtter aber lieſſen die Tugend nirgends
aufftreiben/ ſie haͤtten ihr deñ ſchon vorher einen
beqvemen Sitz auserſehen. Sie ſelbſt habe dieſe
himmliſche Vorſorge zu preiſen. Denn als ihre
Unter-
[285]Arminius und Thußnelda.
Unteꝛthanen die Armenier ſie verſtoſſen/ haͤtte ſie
der Pontus willigſt aufgenommen/ und mit der
Liebe des vollkom̃enſten Fuͤrſten beſeliget. Wie?
fing Arſinoe an/ ſind die Armenier ihre Unter-
thanen? Jn allewege/ antwortete Erato. Und
es hat Sinorix nicht geſchielet. Denn ich bin
der junge Artaxias/ den die Liebe ſeiner Mutter
fuͤr einen Fuͤrſten/ wie ihre den Zeno fuͤr ein
Fraͤulein auferzogen hat. Arſinoe vergaß uͤber
dieſer erfreulichen Zeitung alles ihres Leides/
und umbarmete die Erato mit einer unermaͤß-
lichen Empfindligkeit. Erato aber warnigte
ſie/ ihre Liebes-Bezeugungen anietzo zu verſchie-
ben/ und fuͤr ihre Wolfarth bekuͤmmert zu ſeyn.
Einmal wuͤſte ſie kein ander Mittel/ als eine
heimliche Flucht zu erſinnen; und da die Koͤni-
gin hierzu ſtimmete/ oder ſie ſelbſt nichts ſicherers
wuͤſte/ wolte ſie darzu in allewege gerathen ha-
ben. Das Werck ward hierauf mit der Koͤni-
gin uͤberlegt/ welche/ in Mangel anderer Huͤlffe/
ihr die Flucht gefallen ließ. Der Anſchlag und
die Anſtalt der Reiſe ward niemanden/ als mir
vertraut/ weswegen ich mich ungeſaͤumt an das
Geſtade des Meeres verfuͤgte/ uns dreyen ein
Schiff zu beſtellen. Zu meinem groſſen Ge-
luͤcke lendete gleich ein Schiff am Hafen an/
deſſen Entladung ich aus bloſſer Begierde der
Neuigkeit ſehen wolte. Denn unter ſo viel
hundert daſelbſt anckernden Schiffen hatte ich
nur die Wahl auszuleſen. Alleine meine
Freude war unermaͤßlich/ als ich den erſten/ der
aus ſolchem Schiffe ans Ufer ſprang/ fuͤr mei-
nen Artafernes erkennte. Wormit ich nun
ſeiner mercklichen Freude und Empfangung
zuvor kaͤme/ nahm ich die Gelegenheit in acht
unvermerckt hinter ihn zu treten/ und/ ehe ſich
ſeine Augen vergehen konten/ ihm hinterruͤcks
ins Ohr zu ſagen: Laß dich nicht mercken/ daß
du Saloninen kenneſt/ ſondern folge mir auf
dem Fuſſe nach. Artafernes verbarg ſeine Ge-
muͤths-Regungen derogeſtalt/ daß er ſich nicht
einſt umbſahe/ gleichwohl aber meinen Fuß-
ſtapfen behutſam nachging. Jch wieß ihm den
Weg in den nahe am Hafen liegenden Koͤnigli-
chen Garten/ biß wir in einem verdeckten Spa-
tzir-Gange einander mit erfreuter Umbhalſung
zu bewillkommen Gelegenheit fanden. Jedoch
befand ich es fuͤr rathſam/ ſo wohl dieſer Ergetz-
ligkeit abzubrechen/ als den Vorſatz beyderſeitige
Zufaͤlle zu erfahren/ auf bequemere Zeit zu ſpa-
ren. Jch meldete ihm dannenher mit wenigen
Worten: Daß die unumbgaͤngliche Nothdurft
erforderte die nechſtfolgende Nacht die Armeni-
ſche und Pontiſche Fraͤulein nebſt mir aus Sino-
pe zu fuͤhren; alſo ſolte er mir ohne Umbſchweiff
entdecken: Ob er Herr des angelaͤndeten
Schiffes waͤre/ und darmit zu dieſem wichtigen
Fuͤrnehmen helffen koͤnte. Er erbot ſich alſo-
fort meinen Willen zu vollziehen. Wohl dem/
ſagte ich/ ſo machet alles zur Abreiſe fertig/ ich
wil mit der Fuͤrſtin Erato in maͤnnlicher Tracht
mich ſchon gegen Abend in euer Schiff ſpielen/
umb Mitternacht aber werdet ihr in dieſem
Gange die Fuͤrſtin Arſinoe abzuholen wiſſen.
Mit dieſem Verlaß ſchieden wir von ſammen;
ich aber brachte alſofort meine gluͤckliche Anſtalt
beyden Fuͤrſtinnen zu/ und redete mit ihnen alles
ab/ was hierbey zu thun noͤthig ſchien. Gegen
Abend ging Erato und ich unſer Gewohnheit
nach in den Garten/ in welchen wir oben aus
unſerm Zimmer 2. Manns-Kleider/ und etliche
andere Nothdurfft geworffen hatten. Wir
kleideten uns in einer nahe dabey gemachten
Spring-Hoͤle umb/ und verſteckten unſere
Weibs-Kleider unter die daſelbſt verdeckten
Waſſer-Roͤhre/ kamen auch unvermerckt auf
das Schiff/ allwo uns Artafernes eine bequeme
Lagerſtatt anwieß/ welcher wir uns aber nicht
bedienen wolten/ biß wir Arſinoens Uberkunfft
vergewiſſert waͤren/ wiewohl etlicher Naͤchte ge-
ſtoͤrte Ruh uns ſehr ſchlaͤfrig gemacht hatte. Ge-
gen Mitternacht fuͤgte ſich Artafernes an den
beſtim̃ten Ort/ und wenige Zeit hernach kam er
zu uns mit der froͤlichen Zeitung/ daß er Arſi-
N n 3noen
[286]Drittes Buch
noen gluͤcklich uͤberbracht/ und in ein abſonder-
lich Zimmer zur Ruh gelegt haͤtte. Wir ent-
ſchlugen uns zu Verhuͤtung allen Verdachts
bey den Schiffleuten/ und alles Aufſehens aus
den nah-anliegenden Schiffen/ der Bewillkom-
mung/ ſonderlich weil Arſinoe mehr als wir des
Schlaffes benoͤthigt war. Artafernes ließ die
Segel aufziehen/ und weil wir ihm freygeſtellet
hatten zu fahren/ wohin ihm beliebte/ ſchiffte er
mit gutem Winde immer der Thraciſchen See-
Enge zu. Wir ſchlieffen die uͤbrige Nacht und
ein Stuͤcke des Tages durch/ biß uns Artafer-
nes aufweckte/ und anzeigte: Arſinoe waͤre ſchon
etliche Stunden wachend. Erato und ich eil-
ten mit unſer Ankleidung/ und/ wormit uns
Arſinoe nicht zuvor kaͤme/ eilten wir ihrem Ge-
mache zu. Wir erſtarreten aber als ſteinerne
Bilder/ als wir ſtatt Arſinoens ihre Kammer-
Jungfrau Monime fuͤr uns fanden. Erato
erholte ſich gleichwohl/ und meynte/ daß ſie viel-
leicht mit Arſinoen kommen waͤre; fragte da-
her: Was ſie hier machte? Alleine Monime/
welche uͤber unſer Erblickung ſteinerner als wir
war/ verſtummte. Nach etlicher Zeit erholete
ſie ſich gleichwohl/ und weil ſie die Fuͤrſtin Erato
erkennte/ fiel ſie ihr zu Fuͤſſen/ und bat umb
Gnade/ ſie wolte ihr Verbrechen willigſt beken-
nen. Weder Erato noch ich wuſten uns hier-
ein zu ſchicken. Gleichwohl wuſte die Fuͤrſtin
alſofort aus dem Stegereiffen eine kluge Ent-
ſchluͤſſung zu machen/ nahm daher eine ernſt-
haffte Geberdung an ſich/ und befahl ihr: Sie
ſolte ihre Schuld aufrichtig heraus beichten/ ſo
wolte ſie bey ihrer Fraͤulein fuͤr ſie eine Vor-
bitte einlegen. Monime bekante hierauf: Es
haͤtte Armidas/ ein Edelmann des Ariobarza-
nes/ welchem ſie die Ehe verſprochen/ ihr Vater
Maxartes aber nicht haͤtte zugeben wollen/ mit
ihr abgeredet/ daß er ſie in dem Koͤniglichen Gar-
ten dieſe Nacht/ da wegen der auf den Morgen
beſtimmten Koͤniglichen Vermaͤhlung alles un-
tereinander ginge/ abholen/ und auf einem dazu
beſtellten Schiffe nach Armenien entfuͤhren
haͤtte wollen. Jn dieſer Meynung waͤre ſie
auf diß Schiff kommen; ſie ſehe aber/ daß ein
gluͤcklicher Jrrthum ſie von dem fuͤrgehabten
Verbrechen/ welchem ſie ietzt allererſt nachdaͤch-
te/ abgezogen habe. Erato verwieß ihr ihr Fuͤrha-
ben/ gab ihr aber noch einen guten Troſt zu ihrer
Ausſohnung. Wir gediegen hiermit nebſt
dem Artafernes wieder in unſer Gemach/ und
wegen Arſinoens in unausſprechlichen Kum-
mer; nachdem wir ihm auch kuͤrtzlich unſere
Ebentheuer erzehlet/ berathſchlagten wir: Was
bey ſo verwirreten Dingen zu thun? Artafer-
nes erkundigte beym Schiffer: Ob man nicht
irgendswo an einem unentfernten Ufer anlaͤn-
den koͤnte? welcher als er es verjahete/ erbot er
ſich in Sinope/ welches wegen des umbſchifften
Leptiſchen Vorgebuͤrges kaum zehen Stadien
vom Ufer entfernt waͤre/ zuruͤck zu kehren/ und
der Sachen Beſchaffenheit auszuforſchen. Wir
kamen ans Ufer/ fanden auch daſelbſt einen be-
quemen Felſen/ hinter dem wir nicht alleine fuͤr
allem Sturme/ ſondern auch fuͤr allen Augen
des Landvolcks ſicher liegen bleiben konten. Ar-
tafernes ging zu Fuſſe nebſt ſeinem getreueſten
Diener gerade auf Sinope zu/ und nahm von
der Fuͤrſtin Erato an Arſinoen und die Koͤnigin
Dynamis ein Schreiben mit/ worinnen ſie dem
Artafernes in allem ſich zu vertrauen erſucht
ward. Nach dem Mittage kam Damon des
Artafernes Getreuer zu uns zuruͤcke/ mit dem
Berichte/ daß/ als Ariobarzanes und Polemon
ſich ſchon in dem Tempel der Derceto befunden/
und alles zur Vermaͤhlung fertig geweſt waͤre/
haͤtte man allererſt Arſinoen vermiſſet/ welche
zwar allenthalben geſucht/ aber nirgends gefun-
den wuͤrde. Mit dieſer Nachricht kehrte er zu-
ruͤcke nach Sinope/ ſtellte ſich aber mit dem an-
brechenden Morgen wieder ein/ und verſtaͤndig-
te uns/ es haͤtte noch vorhergehenden Tag ein
Mediſcher Edelmann Arſinoen auf einẽ Schiffe
zuruͤcke und in den Tempel bracht. Wie nun die
Prieſter auf des Koͤnig Polemons Befehl der
Goͤttin Derceto oder Adargatis die Fiſche und
Tau-
[287]Arminius und Thußnelda.
Tauben zum Opfer abgeſchlachtet/ und zu der
Vermaͤhlung ſchreiten wollen/ haͤtte Arſinoe/ an
ſtatt/ daß ſie nach Gewohnheit der Braͤute der
Goͤttin lincke Hand faſſen und kuͤſſen ſollen/ ih-
ren Fiſch-Schwantz mit beyden Haͤnden umb-
griffen/ und geſchworen/ daß ſie ehe ſterben/ als
Ariobarzanen vermaͤhlt ſeyn wollen. Hier-
auf waͤre ſie in das Behaͤltnuͤß der Prieſter ge-
gangen/ Koͤnig Polemon ihr dahin nachgefolgt.
Wie ſie nun eine gute Weile darinnen verſchloſ-
ſen geweſen/ und Ariobarzanen in vollem Grim̃/
das Volck aber in heftigem Verlangen des Aus-
gangs hinterlaſſen haͤtten/ waͤre ein Prieſter her-
aus kommen/ und Ariobarzanen beſcheidentlich
fuͤrgetragen: Es haͤtte ſich eine wichtige Hinder-
nuͤß ereignet/ daß die Heyrath ihren Fortgang
nicht erreichen koͤnte. Ariobarzanes haͤtte alſo-
fort gefragt: Ob auch Polemon ſolche billigte?
Als ſolches der Prieſter verjahet/ waͤre er fuͤr
Zorne ſchaͤumende aus dem Tempel gerennet/
und/ nach dem er ſich kaum eine halbe Stunde
auf der Koͤniglichen Burg verweilet/ waͤre er
mit allen den Seinigen aus Sinope gezogen.
Polemon haͤtte Abſchied von ihm nehmen/ ihn
auch/ als er laͤnger zu bleiben nicht beredet wer-
den koͤnnen/ begleiten wollen: Ariobarzanesaber
haͤtte ihn nicht einſt fuͤr ſich zu laſſen gewuͤrdigt/
ſondern Fluch und Draͤuen ausgeſchuͤttet. Dieſe
Zeitungen konten wir nun unſchwer auslegen:
daß Arſinoe vom Armidas fuͤr Monimen ange-
nommen/ und in ſein Schiff aus Jrrthum kom-
mẽ/ hernach von ihr ihr Geſchlechte eroͤffnet wor-
den waͤre. Den drittẽ Tag kam Artafernes ſelbſt
zu ruͤcke/ und erzehlte uns ferner: daß nach Ario-
barzanes Wegzuge kein Menſch weder in noch
aus der Burg gelaſſen/ gleichwohl von einẽ ver-
trauten Freund/ den er vorhin zu Sinope kennen
lernẽ/ berichtet werdẽ wollen: Es muͤſte ein groß
Geheimnuͤß entdeckt ſeyn/ ja man muthmaſſete
gar/ daß Dynamis und Arſinoe ſchon todt waͤ-
ren. Eine Stunde fuͤr ſeinem Abzug waͤre ein
Herold von Ariobarzanen in Sinope kommen/
und habe auf dem groſſen Platze fuͤr der Burg
mit hellem Halſe geruffen: Hoͤre Jupiter/ hoͤret
ihr Pontiſchen Voͤlcker/ der Meden und Arme-
nier Koͤnig/ der mit eurem ein Buͤndnuͤß zu ma-
chen hieher kommen/ auch ſeine Tochter zur Ge-
mahlin zu erlangen verſichert/ hernach geaͤffet/
und nicht einſt die Urſache ſolcher Reue zu erfay-
ren gewuͤrdigt worden/ wil die ihm angethane
Schmach durch einen gerechten Krieg raͤchen.
Hiermit habe er das mit dem Polemon neu auf-
gerichtete Buͤndnuͤß heraus genommen/ zerriſ-
ſen/ und eine Lantze in das Burg-Thor geworf-
fen. Der Koͤnig habe auch noch ſelbige Stun-
de dieſe Fehde durch ſchleunige Poſten in ſeine
Laͤnder verkuͤndiget/ und ſich allenthalben zur
Gegenwehre zu ruͤſten anbefohlen. Wir alle
waren hieruͤber aufs aͤuſerſte beſtuͤrtzt/ Erato
aber wolte ſich uͤber dem verlauteten Tode Ar-
ſinoens/ oder vielmehr ihres geliebten Zeno gar
nicht troͤſten laſſen. Wir redeten ihr aufs be-
weglichſte ein/ hielten ihr fuͤr: Wie die Goͤtter
ſie zeither offt aus augenſcheinlichem Untergan-
ge erloͤſet/ ſie auch alle Stuͤrme des Ungluͤcks [mit]
ihrer Großmuͤthigkeit uͤberwunden haͤtte. Es
waͤre nicht genung durch einen unvergleichli-
chen Anfang ſich zum Gotte machen/ hernach
die Haͤnde ſincken/ und die menſchlichen
Schwachheiten blicken laſſen. Ein ſchoͤner
Kopf und ein heßlicher Schwantz machte die
Sirenen zum Ungeheuer. Ehre und Ruhm
veralterten nicht weniger/ als andere irrdiſche
Dinge; denn die Geſetze der Zeit vertruͤgen kei-
ne Ausſchluͤſſung. So wohl der Adler als
Phoͤnix muͤſten ſich verjuͤngen umb ihren Vor-
zug zu behaupten/ ja die Sonne ſelbſt alle Tage
eine andere Bahn erkieſen/ wormit die ſtete Neu-
igkeit ſie beym Anſehen erhielte/ und gleichwohl
haͤtten ſo viel Weltweiſen ihr eine Ver geringe-
rung beygemeſſen. Fuͤr dieſem Abfalle haͤtte
die Tugend keine Befreyung/ ſo bald ſie zuzu-
nehmen aufhoͤrete/ nehme ſie wie der Monde ab.
Dieſe geſchaͤrffte Einredungen brachten ſie
endlich
[288]Drittes Buch
endlich ja ſo weit/ daß ſie ſich zwar nicht der Trau-
rigkeit/ iedoch der Verzweifelung entbrach/ und
mit uns berathſchlagte: Wo wir denn unſere
Flucht hinnehmen ſolten? Artafernes ſchlug die
volckreiche Stadt Phaſis fuͤr/ dahin ſie in ſechs
Tagen zum laͤngſten ſchiffen/ und wegen der da-
ſelbſt der Kauffmannſchafft halben ſich aufhal-
tender unzehlichen Frembdlinge unerkennet
bleiben koͤnten. Das umbliegende Land Col-
chis habe Mithridates Eupator ſeinen eigenen
Koͤnigen zum erſten abgezwungen/ ſey auch her-
nach mit dem Boſphoriſchen Reiche auf den
Koͤnig Polemon kommen. Von daraus koͤn-
ten ſie in wenig Tagen uͤber das Moſchiſche Ge-
buͤrge in Armenien gelangen/ und wohin ſie der
Lauff des neuen Krieges beruffen wuͤrde. Denn
es ſolte ja die Fuͤrſtin Erato nicht die Hoffnung
ihr vaͤterlich Reich wieder zu behaupten fahren
laſſen. Als er mit dem Tiridates aus Parthen
in Syrien ſicher ankommen/ dieſer aber in Hi-
ſpanien zum Kaͤyſer/ der daſelbſt wider die Can-
tabrer und Aſturier gekrieget/ gezogen waͤre/
haͤtte er uns faſt in der halben Welt/ auch zu Si-
nope aufgeſucht/ und als er uns nir gends finden
koͤnnen/ ſich in Armenien gewaget/ auch daſelbſt
eine ſo tief eingewurtzelte Liebe gegen das Gebluͤ-
te des Artaxias/ hingegen einen ſo groſſen Haß
wider den auslaͤndiſchen Ariobarzanes ange-
troffen/ daß zum Aufruhre der Armeniern nichts
als ein Haupt oder Anfuͤhrer mangelte. Wir
ſchifften alſo mit gutem Winde nach Phaſis/
laͤndeten den ſiebenden Tag daſelbſt an/ nach
dem ſo wol ich als Erato uns wieder fuͤr Maͤn-
ner ausgekleidet hatten. Der Koͤnigliche Stadt-
halter in Colchis war Bardanes/ des alten vom
Mithridates dahin geſetzten Moaphernes
Sohn/ ein Mann von groſſer Tapfer- und
Leutſeligkeit. Weil nun ohne diß gantz Colchis
von gefluͤchteten Armentern/ die die Meden/
entweder weil ſie Auslaͤnder/ oder allzu aufge-
blaſen und wolluͤſtig waren/ zu ihren Oberher-
ren nicht vertragen konten/ erfuͤllet war/ trugen
wir kein Bedencken uns ebenfalls fuͤr verjagte
Armenier auszugeben/ ſonderlich/ da eben ſelbi-
gen Tag mit uns die Poſt vom angekuͤndigten
Kriege Ariobarzanens nach Sinope kam.
Bardanes machte alle erſinnliche Anſtalt aus
denen am ſchwartzen Meere gelegenen Land-
ſchafften/ die ihm alle biß an den Mund des
Fluſſes Tanais anvertrauet waren/ ein maͤchti-
ges Kriegsheer aufzubringen/ und/ weil er wohl
verſtund/ daß Armenien nicht leichter als durch
Armenien bezwungen werden konte/ zoheer die-
ſe durch Freundligkeit und groſſe Vertroͤſtun-
gen an ſich/ wohl wiſſende/ daß ein gutes Wort
eines hoͤhern ſo viel gilt/ als eine Wolthat eines
Menſchen/ der unſers gleichen iſt/ und ein
freundlicher Anblick eines Fuͤrſten uͤberwiege
ein anſehnliches Geſchencke eines Buͤrgers.
Hiemit gediegen auch wir in ſeine Freundſchafft/
und genoſſen von ihm alle Ehre. Wie wir
aber nach dem allenthalben ſo kundbaren Kriege
eine ſo groſſe Uberkunft der Armenier wahrnah-
men/ welche alle lieber Pontiſch als Mediſch ſeyn
wolten/ wurden wir ſchluͤſſig uns der Armeni-
ſchen Graͤntze zu naͤhern; erwehlten alſo unſere
Wohnſtadt zu Jdeeßa einer Stadt in dem Mo-
ſchiſchen Gebuͤrge/ wo der vom Phrixus der
Morgenroͤthe zu Ehren gebauete Tempel uns
nicht allein zu unſer Andacht/ und wegen der da-
ſelbſt beruͤhmten Weiſſagungen zur Richtſchnur
unſers Vorhabens/ ſondern auch auf allem Fall
zur Sicherheit dienen konte. Daſelbſt zohe E-
rato alſofort die Larve vom Geſichte/ und gab ſich
den Armeniern fuͤr den jungen Artaxias zu er-
kennen. Es iſt unglaublich/ wie in ſo weniger
Zeit dieſe aller Mittel/ als der Spann-Adern
des Krieges entbloͤſſete Fuͤrſtin ein Heer verſam̃-
lete/ welches ſich im Felde zu weiſen nicht ſchaͤ-
men dorfte. Koͤnig Polemon hoͤrte dieſen Ab-
fall der Armenier/ und die Herfuͤrthuung des
gefluͤchteten Artaxias nicht mit geringer
Vergnuͤgung/ befahl dem Bardanes ſelbtem
nicht allein allen Vorſchub zu thun/ ſondern
auch
[289]Arminius und Thußnelda.
auch mit den Colchiſch- und Meotiſchen Voͤl-
ckern zu ihm zu ſtoſſen/ und in Armenien einzu-
brechen/ er ſtuͤnde mit einem anſehnlichen Heere
ſchon an dem Fluſſe Melas/ und wolte daſelbſt
dem Ariobarzanes die Stirne bieten. Dieſer
hatte hingegen nicht vergeſſen bey ſich alle Ver-
nunft/ aus Meden und Armenien alle Kraͤfften
zuſammen zu ziehen/ wormit Polemon ſeine
Draͤuungen nicht fuͤr glaͤſerne Donner-Keile
halten moͤchte. Erato und Bardanes kriegten
Nachricht/ daß Ariobarzanes mit 200000.
Mann in das kleinere Armenien eingebrochen
waͤre/ und an dem Fluſſe Melas und Phrat die
Haupt-Stadt des kleinen Armeniens Melite-
ne belaͤgere; auch eine anſehnliche Parthiſche
Reiterey vom Phraates folgen ſolte. Dahero/
weil ſie den Koͤnig Polemon dieſer Macht nicht
gewachſen zu ſeyn meynten/ aͤnderten ſie ihren
nach Artaxata/ als dem Hertzen des Koͤnigreichs
fuͤrgenommenen Zug/ umb den Meden in Ruͤ-
cken zu gehen/ und den Ariobarzanes zu zwin-
gen/ daß er ſeine Macht zertheilen muͤſte. Wir
reiſeten gantzer 7. Tage/ ſonder einigen Feind zu
ſehen/ weniger einige Gegenwehre zu finden/
beſetzten hinter uns alle Paͤſſe; den achten Tag
kamen wir fuͤr die Stadt Cergia/ und machten
Anſtalt zu derſelben Belaͤgerung. Die Arme-
nier aber kamen des Nachts heimlich aus der
Stadt/ und brachten auf kleinen Nachen etliche
hundert auf dem Fluſſe Phrat hinein/ welche
mit Gewalt ſich der einen Pforte bemaͤchtigten/
daß der neue Artaxias mit der Reiterey hinein-
brechen konte. Bey Eroberung dieſer groſſen
Stadt kriegten wir genungſam Schiffe das
gantze Heer den Strom hinab gegen Melitene
zu fuͤhren. Welches ſonder alle Hindernuͤſſe
auch geſchahe/ weil die Staͤdte auf der rechten
Hand des Stromes ſaͤm̃tlich dem Polemon ge-
hoͤreten/ und von ihm beſetzt waren. Zu Ana-
liba aber erfuhren wir/ daß Ariobarzanes bey
Naͤherung des Polemon die Meliteniſche Be-
laͤgerung aufgehoben/ und gegen Mardara wi-
der den Polemon ſich gewendet haͤtte. Dieſe
Nachricht bewegte den Artaxias und Bardanes/
daß ſie zu Teucila ihre Heere eilends ausſetzten/
und dem Arwbarzanes in Ruͤcken gingen. Den
andern Tag kamen wir dem Mediſchen Kriegs-
heere auf die Spur/ und den drittẽ nach Mittags
brachte uns unſer Vortrab/ und etliche von ih-
nen gelieferte Gefangene die Zeitung/ daß Ario-
barzanes und Polemon unferne in einer hitzigen
Schlacht miteinander begriffen/ die Pontiſchen
Voͤlcker aber ſchon in Verwirrung bracht/ ja des
lincke Fluͤgel in die Flucht gediegen waͤre. Erato
und Bardanes ſtellten unverzuͤglich ihr Heer in
Schlacht-Ordnung/ und Artaſernes erlangte
die Ehre/ daß er mit 6000. leichten Reitern dem
Feinde voran einbrechen muſte. Wiewohl
nun dieſer ruͤckliche Einfall den Meden nicht
anders/ als wenn ihnen neue Feinde vom Him-
mel ſtelen/ fuͤrkam/ ſo ſchwenckte ſich doch ihr
rechter Fluͤgel/ welchen ein alter erfahrner Par-
thiſcher Kriegsheld Coßrhoes fuͤhrte/ nachdem er
vorwerts keinen Feind mehr hatte/ alſofort her-
umb/ und begegnete dem Artafernes derogeſtalt/
daß er etwas zuruͤck weichen muſte. Hiermit
thaͤt ſich Erato und Bardanes mit ihrem auser-
leſenen Heere herfuͤr/ welches den Coſrhoes an-
faͤnglich ſtutzig machte. Er ſprach aber den
Seinen ein Hertze zu/ theilte ſeinen Fluͤgel gegen
des neuen Feindes Schlacht-Ordnung aufs
beſte ein; und hiermit ging die andere blutige
Schlacht an. Die Sonne ging zwar unter/
aber beyde erhitzte Feinde wolten ihre Sebeln
nicht einſtecken. Es iſt unmoͤglich die Blut-
ſtuͤrtzung/ die theils ritterlichen/ theils verzwei-
felten Thaten ſo wohl auf ein als dem andern
Theile zu erzehlen. Denn die Nacht verdeckte
viel/ und war der aufgehende Monde allzu duͤ-
ſter ſo vielen Tapferkeiten ihr gehoͤriges Licht zu
geben. Daher verlaͤngerte die Hartnaͤckigkeit
der erbitterten Feinde ihr Wuͤten biß auf den
andern Tag. Beyder Koͤnige Vorſatz war zu
ſiegen/ oder zu ſterben. Jnſonderheit fochte der
Erſter Theil. O obelei-
[290]Drittes Buch
beleidigte Ariobarzanes mit dem lincken Fluͤgel
gantz verzweifelt gegen den Koͤnig Polemon/
weil er nunmehr bey ſich ereignendem neuen
Feinde ohne Faͤllung des Pontiſchen Hauptes
an ſeinem bereit in Haͤnden gehabten Siege
ſelbſt zu zweifeln anfing. Dieſemnach ſetzte er
mit dem Kerne ſeiner aus Mediſchen und Ga-
latiſchen Rittern erkieſeter Leibwache in den
Hauffen/ wo die Koͤnigliche Pontiſche Haupt-
Fahne wehete. Weil nun Polemon zum wei-
chen viel zu edel war/ kamen beyde Koͤnige ſelbſt-
haͤndig an einander/ und Ariobarzanes traf mit
einem Wurff-Spieſſe den Pontiſchen Koͤnig ſo
ſehr/ daß er ohnmaͤchtig zu Boden fiel. Sein
Volck ward hieruͤber ſo beſtuͤrtzt/ daß es gleicher
geſtalt die Flucht ergriffen/ und ſeinem Feinde
den voͤlligen Sieg eingeraͤumet haͤtte/ wenn
nicht Erato/ oder ietzt wieder der junge Artaxias/
nach dem Bardanes und Artafernes dem Coſ-
rhoes genungſam ſchien gewachſen zu ſeyn/ ſei-
nen Fluͤgel genommen/ und dem Polemon zu
Huͤlffe kommen waͤre. Dieſer machte den
Pontiſchen Voͤlckern nicht alleine Lufft ihren
Koͤnig aus den feindlichen Haͤnden und unter
den Pferden herfuͤr zu ziehen/ ſondern auch ein
Hertze die Wunden ihres Fuͤrſten/ und den
Schimpf ihres Verluſts zu raͤchen. Ariobar-
zanes aber kriegte als ein großmuͤthiger Loͤw
durch Erblickung ſeines zweyten Feindes ein
zweyfaches Hertze/ und bemuͤhte ſich nach Faͤl-
lung des Pontiſchen Koͤnigs auch den neuen
Heerfuͤhrer zu ſtuͤrtzen. Erato hob bey der ietzt
gleich wieder aufgehenden Sonnen mit allem
Fleiß den Helm empor/ umb ſich dem Ariobar-
zanes zu erkennen zu geben; rief hiermit: Sihe
hier deinen Neben-Buhler/ der wie er dir Arſi-
noen aus den Klauen geriſſen hat/ alſo nun auch
deinen uͤbermuͤthigen Geiſt ihrer betruͤbten See-
le zu gerechter Rache aufopfern wird. Ariobar-
zanes/ der die Fuͤrſtin Erato alſo gleich erkennete/
gerieth hieruͤber in hoͤchſte Verwirrung/ und die
ihn in der Seele beiſſende Anredung machte ihn
faſt raſend. Beyde griffen einander wie wuͤ-
tende Panther an/ das abfluͤſſende Blut aus ih-
ren Wunden verminderte keinesweges ihre
Kraͤfften/ noch die Bemuͤhung ihren Athem/
ſondern beydes vergroͤſſerte ihre Verbitterung.
Endlich gelang der Erato ein Streich ihres
Schwerdtes zwiſchen den Harniſch in Ariobar-
zanens Arm/ und ſchwaͤchte ihn derogeſtalt/ daß
ihm der Degen entſanck. Erato ſchrie hierauf:
Wiſſe nun/ daß die Goͤtter denen ſo lohnen/ die
ſich in frembde Koͤnigreiche dringen/ und daß ich
in allewege der von dir und dem Tigranes ver-
folgte Artaxias ſey. Ariobarzanes wolte ſich
nach ſo hefftiger Verwundung zwar zuruͤcke zie-
hen; aber/ weil die Meden an allen Enden zer-
trennet waren/ ward er von ſeinem Feinde um-
ringet/ und/ nachdem Erato ihn zu toͤdten ver-
bot/ ihr Gefangener. Die noch wohlberittenen
Meden und auf ſeiner Seite ſtehende Armenier
raͤumten das Feld; alle andere aber wurden
entweder erlegt oder gefangen. Erato muſte
ſelbſt der Blutſtuͤrtzung ſteuren/ welche allent-
halben herumb ritt/ mit Stimme und Geber-
den wehrte/ daß die Uberwundenen nicht alle
durch die Schaͤrffe der Sebeln aufgerieben wur-
den. Nach derogeſtalt erlangtem Siege war
der Erato erſte Sorge den Zuſtand des Koͤnigs
Polemon zu erkundigen. Deßhalben verfuͤg-
te ſie ſich unter ſein Gezelt/ traf ihn daſelbſt zwar
lebend an/ die Wund-Aertzte aber gaben ihm
gantz verlohren. Erato bezeugte ihr hertzliches
Mitleiden uͤber des Koͤnigs Verwundung/
wuͤntſchte iedoch ihm Gluͤcke zu einem ſo herrli-
chen Siege/ befahl auch/ umb ihm noch fuͤr dem
Tode eine kurtze Freude zu machen/ die Gefan-
genen ins Zelt zu fuͤhren. Jch erfahre nun
erſt/ antwortete ihr Polemon/ mit gebrochener
Stimme/ daß ich an ihr den Schutz-Gott der
Pontiſchen Herrſchafft bewirthet habe. Wol-
te Gott! daß das Verhaͤngnuͤß nicht allhier mit
meinem Leben auch meine danckbare Erkaͤntniß
dieſes Beyſtandes/ und die Gewalt ihre Ver-
maͤh-
[291]Arminius und Thußnelda.
maͤhlung mit meinem Sohne einzurichten ver-
ſchnidten. Alleine es werden die unſterblichen
Goͤtter auch nach meinem Tode alles diß weiß-
licher einrichten/ als es meine Vernunft auf dem
Blate ſeiner Gedancken entwerffen konte. Jch
ſterbe gleichwohl vergnuͤgt/ nach dem die ſeltzamẽ
Zufaͤlle dieſer Schlacht mir augenſcheinliche
Kennzeichen des unver aͤnderlichen Verhaͤngniſ-
ſes abgeben/ und ich mein Reich aus ſo groſſer
Gefahr und Dienſtbarkeit errettet ſehe. Erato
machte nach menſchlicher Gewohnheit dem Koͤ-
nige auch bẽy verzweifeltem Zuſtand noch einige
Lebens-Hoffnung/ ſetzte aber bey: Da es ie ja den
Goͤttern gefiele ſeinẽ Heldengeiſt der Welt nicht
laͤnger zu goͤnnen/ ſo ſtuͤrbe er doch Koͤniglich/ und
auf dem Bette der Helden. Er ginge unter wie
die Soñe/ welche noch der Erden wolthut/ und ſie
erleuchtet/ wenn ſie ſchon ſelbſt verfinſtert wuͤrde.
Er haͤtte ſeinen Lebens-Athẽ daran geſetzt/ wor-
mit ſo viel tauſend ungluͤckſelige wieder Lufft
ſchoͤpfen koͤnten. Sein Fall erhielte nicht nur
gantze Geſchlechter/ ſondern 3. Koͤnigreiche auf
den Beinẽ/ ja ſeine todte Leiche waͤre gleich ſam ein
Ancker/ der Aſien fuͤr dem aͤuſerſten Schiffbru-
che bewahrete. Unter dieſer Rede des Artaxias
ward Ariobarzanes und viel andere fuͤrnehme
Gefangenen fuͤr des Polemons Bette gebracht.
Unter dieſen war ein anſehnlicher eißgrauer
Mann/ welcher bald den Polemon/ bald den A-
riobarzanes hoͤchſt-erbaͤrmlich anſahe/ und ſeine
Wangen mit haͤuffigen Thraͤnen uͤberſchwem-
mete. Polemon hatte ein hertzliches Mitleiden
mit dieſem Greiſe/ und weil ſeine Geberdung ein
groͤſſer Leid/ als ſeine Gefaͤngnuͤß verurſachen
konte/ anzuzeigen ſchien/ fragte er umb die Urſa-
che; redete ihm auch zugleich ein: Ein Held muͤ-
ſte in beydem Gluͤcke einerley Geſichte behalten;
in der Gedult beſtuͤnde die halbe Weltweißheit/
zudem waͤre er ein Gefangener der Menſchen/
keiner Tieger-Thiere. Pharaſmanes (alſo
hieß dieſer Alte) ſeufzete/ und fing an: Seine
Thraͤnen ruͤhrten von keiner Kleinmuth/ weil
ſein Hertze das Ungluͤck ſein Lebtage wol haͤtte
verdaͤuen lernen/ ſondern vom Mitleiden uͤber
einen ſo ungluͤckſeligen Vater/ und einen Erbar-
mens-wuͤrdigen Sohne her. Polemon frag-
te: Wen er denn meynte? Pharaſmanes ant-
wortete: Den auf dem Todten-Bette vergehen-
den Polemon/ welchem die unbarmhertzigen
Goͤtter nur deshalben am Ariobarzanes ei-
nen ſo tapfern Sohn gegeben haͤtten/ wormit er
durch ſeine eigene Fauſt ſterben koͤnne. Der
ohnediß von ſo viel verſpritztem Blute entkraͤff-
tete Polemon erſchrack hieruͤber ſo ſehr/ daß er in
Ohnmacht ſanck/ und man durch langes Kuͤhlen
ihn kaum ein wenig wieder zurechte bringen
konte. Hierauf redete er den Pharaſmanes
zitternde an: Er ſolte einem Sterbenden doch
nicht die Warheit verſchweigen/ ſondern aufrich-
tig melden: Ob Ariobarzanes ſein Sohn waͤre/
und wie er diß ſeyn koͤnte? Jch rede die unver-
faͤlſchte Wahrheit/ verſetzte er; aber ich ſehe/ daß
es ein unveraͤnderlicher Schluß der Goͤtter ge-
weſen/ daß Ariobarzanes ſeinen Vater toͤdten
muͤſte. So bald ich zu Cyropolis/ wo ich Koͤ-
niglicher Stadthalter geweſt/ den zwiſchen dem
Polemon und Ariobarzanes ſich anſpinnenden
Krieg vernommen/ iſt mir mein Hertze kalt wor-
den/ und Ariobarzanes wird zu ſagen wiſſen/
was fuͤr einen beweglichen Brief ich/ weil ich
Alters halber ſo ſchnelle nicht reiſen konte/ ihm
geſchrieben/ und ihn umb ſein und ſeines Stam-
mes Wolfahrt willen gebeten: er wolle es zu kei-
ner Thaͤtligkeit zum minſten ſo lange nicht kom-
men laſſen/ biß ich ſelbſt ins Lager kaͤme/ weil ich
ihm ein keiner Feder vertrauliches Geheimnuͤß
zu entdeckẽ haͤtte. So viel er ietzt nun ihm erzeh-
len lieſſe/ waͤre das Schreibẽ nicht allein zu rech-
te kom̃en; ſondern es haͤtten auch beyde Koͤnige
eine guͤtliche Unterredung miteinander beliebet/
er wuͤſte aber nicht/ was fuͤr ein Zufal dieſen heil-
ſamen Fuͤrſatz in ſo ein jaͤmmerlich Blut-Bad
verwandelt. Es iſt wahr/ hob der bißher gantz
verſtummete Ariobarzanes an. Dieſes fried-
O o 2lie-
[292]Drittes Buch
liebenden Alten Ermahnung/ die ich ſo wenig
als Goͤttliche Weiſſagungen niemals in Wind
geſchlagen/ bewegte mich dir/ Polemon/ Frie-
dens Vorſchlaͤge zu thun. Und wiſſe/ liebſter
Pharaſmanes/ wir zwey kamen alleine zwiſchen
beyden in voller Schlacht-Ordnung haltenden
Heeren zuſammen/ wir waren auch ſchon bey
nahe eines/ als zwiſchen unſere Fuͤſſe eine
Schlange gelauffen kam/ welche uns noͤthigte
unſere Sebeln zu bloͤſſen/ und/ umb uns ihrer
zu erwehren/ auf ſelbte zu hauen. Unſere zum
Streit begierige Heere bildeten ihnen ein/ wir
taſteten einander an/ fielen daher Augenblicks
als der Blitz an einander/ und/ weil der Grimm
weder Augen noch Ohren hat/ mochten wir we-
der mit Zureden noch Zeichen ſie zuruͤcke halten/
ſondern/ nachdem dieſer Sturm ſchon unmoͤglich
zu hemmen war/ muſte ieder nur auf ſeiner Sei-
te das beſte thun. Pharaſmanes fing uͤberlaut
an zu ruffen: Jhr grimmigen Goͤtter! Habt
ihr/ oder die hoͤlliſchen Unholden dieſe Schlange
dißmal ausgeſchickt? Habt ihr dieſem unfuͤſſig-
tem Thiere deſſenthalben ſolche Geſchwindigkeit
gegebẽ/ mir aber entzogẽ/ wormit jenes das Gift
der Zwytracht unter euch ſtreuen/ ich aber durch
meinen Bericht nicht den abſcheulichen Vater-
Mord verhuͤten moͤchte! Wormit mich aber
niemand eines Getichtes beſchuldige/ ſo ver-
ſchweige/ Polemon/ dem hiervon nichts wiſſen-
den Ariobarzanes nicht/ daß dir die Koͤnigin
Dynamis auf einmal einen Sohn und Tochter
gebohren? Jſt es nicht wahr/ daß dir die Goͤtter
wahrgeſagt: Du wuͤrdeſt von deines Sohnes
Haͤnden ſterben? Sage/ hat dich diß nicht be-
wegt diß Kind von deinem Hofe zu ſchaffen/ nach-
dem die Mutter ihm kaum das Leben erbitten
konte? Hat dir aber Dynamis mitlerzeit nicht
offenbaret/ ſo wird ſie es noch thun muͤſſen/ daß
ſie diß Soͤhnlein der Pythodoris einer nicht weit
von hier wohnenden Frauen zum erziehẽ anver-
trauet? Hat ſie dich nicht berichtet/ daß/ als du zu
Rom geweſt/ dein Toͤchterlein Arſinoe verſtor-
ben/ ſie aber das verſtoſſene Soͤhnlein wieder
nach Hofe genommen/ und unter dem Nahmen
Arſinoe auferzogen habe? Polemon verwun-
derte ſich/ wie Pharaſmanes in allem ſo genau
eintreffe; geſtand auch/ daß Dynamis ihm letzt-
hin/ als Ariobarzanes Heyrath eben deßwegen
ruͤckgaͤngig worden/ dieſe Umbwechſelung eben
ſo zugeſtanden haͤtte. Pharaſmanes fuhr hier-
auf fort: Aber ſo wol du/ als Dynamis/ ſtecken
in einem groſſen Jrrthume/ wenn ihr glaubet/
daß das von der Dynamis zuruͤck genommene
Kind das eurige geweſt ſey. Hoͤret nun den
wahrhafftigen Lauff der Dinge:Als der beruͤhm-
te Koͤnig der Meden Artavasdes von dem Ar-
meniſchen Koͤnige Artaxias und ſeinen Parthi-
ſchen Huͤlffs-Voͤlckern aus Armenien verjagt/
und nach Verluſt der Staͤdte Arſacia/ Cyropolis/
Europus/ biß an die Stadt Ecbatana ins Ge-
draͤnge getrieben ward/ trug er in Mangel ſelb-
eigener Soͤhne/ fuͤr ſeinen kaum jaͤhrichtẽ Enckel
Ariobarzanes/ welchen ſeine dẽ jungẽ Alexander
des Antonius und der Cleopatra verheyrathete
Tochter Jotape zu Alexandria geborẽ/ der Kaiſer
ihm aber mit ihr zuruͤck in Meden geſchikt hatte/
groſſe Sorge; befahl daher mir diß Kind auf alle
Weiſe und Wege aus den Haͤnden der Feinde zu
retten. Jch nahm meine Zuflucht alſofort in
des Koͤnigs Polemons Geviete/ und ließ mich
in der Haupt-Stadt des kleinern Armeniens
Satala nieder. Daſelbſt ward ich bekant mit
oberwehntem Pythodoris/ derer Ehherꝛ ein Jahr
vorher verſtorben war/ und/ weil gantz Meden
frembde Dienſtbarkeit trug/ verlohr ich alle
Begierde in mein Vaterland zu kehren/ hey-
rathete alſo dieſe edle Armeniern. Wenige Wo-
chen darnach ſtarb das mir vom Artavasdes an-
vertraute Kind/ woruͤber ich in Troſt-loſes Trau-
ren verſanck. Dieſes ward vergroͤſſert durch
einen Befehl von der Koͤnigin Jotape/ daß ich
von Stund[-]an mit dem jungen Ariobarzanes
nach Antiochia kommen ſolte/ weil der Kaiſer
ſie mit ihrem Kinde in Schutz genommen haͤtte.
Jch
[293]Arminius und Thußnelde.
Jch wuſte meinem Leide kein Ende/ weil Jota-
pe mir leichte die Verwarloſung ihres Kindes
zurechnen konte. Noch mehr aber war es mir
um Jotapen zu thun/ welche zweiffelsfrey fuͤr
Leide ſterben wuͤrde/ wenn ſie mit dieſem Kinde
den gantzen Mediſchen Stamm abgeſtorben ſe-
hen ſolte. Ein ander gemeines Kind Jotapen
fuͤr ihren Sohn unterzuſtecken/ und vielleicht
mit der Zeit ſelbtes zu einem Koͤnige der Meden
und meinem ſelbſt eigenen Herrn auffzuthuͤr-
men/ ſchien mir ein allzu leichtſinniger Be-
trug/ und ein Fallbret der allgemeinen Wohl-
farth zu ſeyn; Weil doch im Gebluͤte des Poͤ-
fels kein Helden-Feuer ſteckt. Dieſem nach ſetz-
te ich auffs beweglichſte an die Pythodoris/ daß
ſie mir des Polemons ohne diß verworffenes
Kind/ als von welchem ſie mir die Heimligkeit
kurtz vorher eroͤffnet hatte/ zuſtellen/ ich aber Jo-
tapen uͤberbringẽ koͤnte. Pythodoris kam ſchwer
daran/ gleichwohl aber gewan ich ſie durch aller-
hand dienliche Urſachen; inſonderheit/ daß die-
ſer Verwuͤrffling ſeiner Eltern zu ſeinem Gluͤ-
cke in einen andern anſehnlichen Stammbaum
eingepflantzet/ Polemon durch dieſe Entfer-
nung in mehr Sicherheit geſetzet wuͤrde. Al-
ſo zohe ich mit dieſem Knaben nach Antiochia/
welches Jotape mit tauſend Kuͤßen fuͤr das
ihrige annahm/ und dem damahls ſich daſelbſt
befindenden Tiberius ihn als den letzten Zweig
von des Aſtyages Gebluͤte beſtens empfahl.
Tiberius/ ob er zwar ſonſt dem Geſchlechte des
Antonius nicht gut war/ ließ dennoch uͤberaus
groſſe Gewogenheit gegen Jotapen und ihren
Sohn ſpuͤren/ brachte ihr auch beym Kayſer
einen jaͤhrlichen ihrem Herkommen anſtaͤndi-
gen Auffenthalt/ eben ſo/ wie ihn der verjagte
Koͤnig der Parthen Tiridates gegeben hatte/
zu wege. Dieſer Tiridates halff auch ſelbſt
nicht wenig zu tugendhaffter Erziehung des
vermeinten Ariobarzanes. Wie nun Koͤnig
Artaxias von ſeinem Bruder Artavasdes meu-
chelmoͤrderiſch hingerichtet/ alſo die Mediſche
Krone erledigt ward/ ſchickte Tiberius etliche
Legionen mit Jotapen und ihrem Sohne in
Meden/ ließ den Reichs-Staͤnden die Tapffer-
keit dieſes aus ihrem Koͤniglichen Gebluͤte ent-
ſproſſenen Fuͤrſten fuͤrhalten; Tiridates thaͤt
auch das ſeinige darbey/ und alſo kam er anfaͤng-
lich auff den Mediſchen/ hernach durch Huͤlffe
des in Armenien vom Kaͤyſer geſchickten Cajus
auff den Armeniſchen Thron. Jedes Wort
dieſer Erzehlung rieß die Zuhoͤrer/ inſonderheit
den Polemon und Ariobarzanes in tieffe Ver-
wunderung/ fuhr Salonine fort; alle ſahen ein-
ander ſtillſchweigend an/ wuſten auch faſt nicht
ſich zu beſinnen/ ob ihnen traͤumte/ oder Pha-
raſmanes Mehre erzehlte. Dieſer aber wen-
dete ſich zum Polemon mit dieſen Worten: Jch
weiß nicht/ ob ich dieſes Stillſchweigen fuͤr ein
Zeichen des Zweiffels oder Beyfalls annehmen
ſoll? Jch will aber meine Erzehlung durch den
Augenſchein wahr machen. Jſt es nicht wahr/
Polemon/ daß die Nachkommen des groſſen
Mithridates das Zeichen der Caßiopea mit
auf die Welt bringen? Polemon verjahete es
nicht allein/ ſondern wieß ſolches auch auff ſei-
nem lincken Arme. Wohlan denn/ es weiſe A-
riobarzanes nur ſein linckes Schulterblat/ ſo
wird ſich eben dieſes klar zeigen. Ariobarzanes
ſchuͤttelte das Haupt/ und meinte/ daß er von
dieſem Geheimniſſe/ welches er doch an ſeinem
eignen Leibe tragen ſolte/ nichts wuͤſte. Pha-
raſmanes blieb darauff feſte beruhen/ und drang
darauff/ daß er ſich an ſolchem Orte entbloͤſſen
ſolte. Als dieſes erfolgte/ wieß er zu aller An-
weſenden hoͤchſter Verwunderung auff Ario-
barzanens Schulter eben ſo rothe und in glei-
cher Ordnung ſtehende Stern-Mahle/ wie ſie
die Caßiopea am Himmel/ und Polemon auff
dem Arme hatte. Dieſes unwiderſprechliche
Kennzeichen erweichte die Hertzen beyder Koͤ-
nige/ daß ſie mit tauſend Thraͤnen einander
umhalſeten/ inſonderheit aber Ariobarzanes
fußfaͤllig ſeine Beleidigung dem Vater und den
O o 3Goͤt-
[294]Drittes Buch
Goͤttern abbat. Die Fuͤrſtin Thußnelda fiel
Saloninen in die Rede: dieſe Geſchichte iſt
gewiß ſeltzam und denckwuͤrdig/ aber noch mehr
wunderns-werth duͤncken mich die erzehlten
Stern-Mahle zu ſeyn. Wiewohl ich weiß/
daß Kaͤyſer Auguſtus ſo/ wie etliche ſeiner Vor-
fahren/ den geſtirnten Baͤr auff der Bruſt habe/
und ich erinnere mich/ daß in Sarmatien ein
Geſchlechte ſey/ in welchem alle eine Baͤren-
Tatze mit aus Mutterleibe bringen. Saloni-
ne begegnete ihr: die beſtaͤndige Fortpflantzung
einerley Zeichens ruͤhrte Zweiffelsfrey aus kei-
nem andeꝛn Urſprunge/ als woheꝛ die ſo gemeine
Aehnligkeit der Eltern und Kinder kaͤme. Sie
haͤtte aber einſt von einem Chaldeer gehoͤret:
Daß ieder Menſch deſſelbigen Geſtirns Merck-
mahle an ſich truͤge/ was bey ſeiner Geburt
gleich auffginge; die Unachtſamkeit aber der
Leute lieſſe es aus der acht ſolche wahrzunehmen.
Erato wolte nach ſo langem Zuhoͤren endlich
auch einmahl ihre Zunge loͤſen/ und fing an:
Die Natur ſpielte in Muſcheln/ welche an
Vielheit der Farben und kuͤnſtlicher Vermi-
ſchung die Gemaͤhlde des Apelles wegſtechen;
an Steinen/ darinnen man nicht nur gantze
Landſchafften/ ſondern auch voͤllige Geſchichte
ſehe; an Pflantzen/ welche Schaafe und andere
Thiere/ ja Menſchen maͤnn- und weiblichen
Geſchlechts abbildeten; im Geſaͤme/ im Ge-
wuͤrme ſo wunderlich; alſo waͤre ſich ſo ſehr nicht
zu verwundern/ daß in der kleinen Welt-Karte
der gantzen Natur dem Menſchen man ſo ſeltza-
me Bildungen antreffe. Sie haͤtte ſich iederzeit
noch mehr verwundert uͤber etlichen einem und
dem andern Geſchlechte angeſtammten Wuͤr-
ckungen; als daß die Ophiogenes im Helleſpont
die Schlangenbiſſe mit bloſſer Anruͤhrung der
Hand/ die Pſyllen in Africa mit dem Speichel
geheilet/ daß die Einwohner der Stadt Tenty-
ra in Egypten eine angebohrne Gewalt die
Crocodile zu zaͤhmen haben; daß Exagonus zu
Rom/ als er in ein gantz Faß voll Schlangen ge-
worffen/ ihnen alle Krafft zu ſchaden genom̃en;
daß der Epirotiſche Koͤnig Pyrrhus mit ſeiner
groſſen Zaͤhe durch bloſſes Anruͤhren alle
Schwaͤre des Mundes/ und die Koͤnige in Gal-
lien biß auff des Jnduciomarus Soͤhne mit
dem Finger alle Kroͤpffe vertrieben. Saloni-
ne laͤchelte/ und ſagte: Jch wuͤrde durch die Aus-
fuͤhrung dieſer ſeltzamen Wuͤrckungen/ welche
faſt in allen Welt-Geſchoͤpffen zu finden ſind/
verhindert werden/ den Faden meiner Erzeh-
lung abzuſchneiden; alſo muß ich mit ihrer gnaͤ-
digen Erlaubniß vollends nicht zuruͤck laſſẽ:daß
der ungluͤckſelige Polemon zwiſchen den Umar-
mungen und Kuͤſſen ſeines Sohnes den Geiſt
ausbließ/ das Pontiſche Kriegs-Heer aber Ario-
barzanen unter dem Namen des zweyten Pole-
mon fuͤr ihr Haupt/ und alſo die Uberwinder ih-
ren Gefangenen fuͤr ihren Koͤnig erklaͤrten.
Hingegen trug Artafernes/ als er ſahe/ daß das
weibliche Geſchlechte der Erato ſchwerlich laͤn-
ger verſchwiegen bleiben konte/ den Armeni-
ern fuͤr[:] Sie haͤtten die Heldenthaten ihres Ar-
taxias numehr geſehen/ von welchem er aber
nicht verhalten koͤnte/ daß nach dem Verluſt
des warhafften Fuͤrſten Artaxias ihr Koͤnig
ſeine Tochter Erato fuͤr ſeinen Sohn auffer-
zogen habe. Alleine die Klugheit und Tapf-
ferkeit/ die zwey Grund-Seulen der Koͤnigrei-
che/ waͤren ſo wohl ein als anderm Geſchlech-
te gemein. Das Frauenzimmer habe das Hertz
eben da/ wo es die Maͤnner haͤtten/ und dieſer
ihres waͤre von keinem beſſern Zeuge als jener.
Jhre weichen Haͤnde waͤren nicht nur fuͤr Sei-
de und Wolle gewiedmet/ ſondern auch zu den
Schwerdtern und Lantzen geſchickt. Ja man
ſpuͤrte die abſondere Schickung des goͤttlichen
Verhaͤngnißes/ daß wenn dieſes ein zu Grun-
de ſinckendes Reich wieder auffrichten wolle/
ſelbtes weder die Armen der Rieſen/ noch die
Koͤpffe der Staatsklugen/ ſondern zu Demuͤthi-
gung der Sieger/ zu Erholung der Uberwunde-
nen/ zu Wieder bringung der Freyheit/ und
Er-
[295]Arminius und Thußnelda.
Ergaͤntzung des Schiffbruchs ſchwache Weiber
und zarte Maͤdgen erkieſe. Zwar haͤtte die Fuͤr-
ſtin Erato alle Tugenden der Maͤnner/ und kei-
ne Schwachheiten des weiblichen Geſchlechts
an ſich/ alſo/ daß ſie laͤnger als Semiramis ihr
Geſchlechte wuͤrde verborgen halten koͤnnen; a-
ber ihre Redligkeit vertruͤge keine Larve/ ihre
Vollkom̃enheit doͤrffte keinen falſchen Schein/
und ſie wuͤſte/ daß wie die zum Schein ange-
nommenen Tugenden ſchaͤdlicher/ als die oͤffent-
lichen Laſter/ alſo auch die Verſtellungen ſeines
Geſchlechtes Kennzeichen eigenen Mißtrau-
ens und verdaͤchtige Blaͤndungen der Argliſt
waͤren. Mit dieſem nachdruͤcklichen Einhalt
brachte es Aꝛtafernes bey denen ohne dis geneig-
ten Armeniern unſchwer dahin/ daß ſie die un-
vergleichliche Erato fuͤr eine rechtmaͤßige
Stuel-Erbin ihres Vaters Artaxias/ und fuͤr
eine Koͤnigin Armeniens erklaͤrten/ ihr auch auf
der Wahlſtatt/ als der Schau-Buͤhne ihrer
Wunderwercke die Krone auffſetzten. Maſſen
denn Ariobarzanes/ oder nunmehr Polemon
ſolche ihr als ein rechtmaͤßiges Erbtheil eigen-
beweglich abtrat. Nachdem zumahl die Goͤt-
ter ihm ſo unverhofft die Pontiſchen Koͤnigrei-
che zugeworffen hatten. Wiewohl kurtz hier-
auff die Meden/ nachdem ſie vernahmen/ daß A-
riobarzanes nicht des Artavasdes Enckel/ ſon-
dern ein Fremder waͤre/ und ein Geſchrey aus-
kam/ daß er auff dem Ruͤckwege nach Sinope
bey Durchſchwemmung eines Fluſſes ertrun-
cken waͤre/ ſich ſeiner Herrſchafft entſchuͤtteten/
und aus bloſſer Begierde der Neuigkeit ſich lie-
ber einem Roͤmiſchen Landvogte zum Sclaven
machen/ als eines tugendhafften Koͤnigs Unter-
thanen bleiben wolten. Hingegen ward die
Koͤnigin Erato zu Artaxata mit unbeſchreibli-
chem Frohlocken des Volckes angenommen.
Als Salonine uͤber dieſer Erzehlung ein wenig
Athem holete/ fing die Fuͤrſtin Jſmene an:
Wenn ich am Ariobarzanes die unvermeidliche
Entleibung ſeines Vaters Polemon/ am Pole-
mon die vergebliche Vorſorge diß zu vermeiden/
was ihm ſo vielmahl war geweiſſaget worden; an
der Fuͤrſtin Erato die ihr faſt nie getraͤumte Er-
hoͤhung bey mir erwege/ werde ich gleichſam wi-
der Willen zu glauben gezwungen/ daß der
Menſch nicht ſeines Gluͤcks Schmied ſey/ noch
daß ſein Begiñen und deſſelbten Ausſchlaͤge ih-
ren Hang von ſeinem freyen Willen/ ſondern
dieſer einen unveraͤnderlichen Zwang/ und al-
le Begebenheiten ihre Bewegung und Ge-
wichte von dem Verhaͤngniſſe habe. Denn ich
glaube nicht/ daß iemand unter uns noch ſo vor-
ſichtig/ als Polemon ihm ſeinen Sohn vom Lei-
be gehalten; daß iemand unbarmhertziger/ als
Dynamis gegen ihr Kind geweſt; daß einige un-
ter uns die ohne Meldung der Urſache geſchehe-
ne Verweigerung ſeiner Braut unempſtndli-
cher/ als Ariobarzanes/ auffgenommen/ oder ſich
zu einem Vergleiche friedlicher geſchickt haͤtte/
als das Verhaͤngniß die Schlange ſchickte die
geſchloſſene Eintracht zu zerbeiſſen. Welch Bey-
ſpiel aber nicht nur alleine dieſe Meinung be-
glaubiget/ ſondern ſie ſind unzehlbar; alſo muſten
die doch ſo vorfichtigen Dorienſer wider Willen
den Codrus umbringen/ und der ſich doch fuͤr die-
ſem ihm wahrgeſagten Laſter nach Rhodis fluͤch-
tende Althaemenes ſeinen ihm nachkommenden
Vateꝛ den Koͤnig in Creta toͤdten. Salonine ant-
wortete: Manche Zufaͤlle haben freylich wohl
den Schein/ als wenn ſie von einer Nothwen-
digkeit des Verhaͤngniſſes herruͤhrten/ in dem
die darwider angewehrten kluͤgſten Anſtalten
nichts fruchten/ die allermeiſten aber zeigten
ſchier augenſcheinlich/ daß ſie nur ungefehr ge-
ſchehen/ daß Gott/ welcher insgemein als die
erſte Urſache aller andern das Verhaͤngniß
ſelbſt waͤre/ ſich um die irrdiſchen Dinge zu be-
kuͤmmern ihm allzu verkleinerlich hielte/ indem
ſonſt die Boßhafften nicht Schoos-Kinder/
die Frommen aber Verwuͤrfflinge des blinden
Gluͤcks
[296]Drittes Buch
Gluͤcks ſeyn wuͤrden. Ja wenn auch unſere
Vernunfft einige Botmaͤßigkeit uͤber unſer
Thun haͤtte/ wuͤrden die Albern nicht uͤber dem
gewuͤnſchten Ausſchlage ihrer tummen Anſchlaͤ-
ge frolocken/ die Weiſen aber die kluͤgſten Ent-
ſchluͤſſungen zu Waſſer werden ſehen. Als ich
nach ſo vielen der Koͤnigin Erato und mir be-
gegneten Gluͤcks-Wechſeln unvermeidlich mit
dem weiſen Epicur die Verſehung des Ver-
haͤngniſſes fuͤr nichts anders/ als fuͤr Traͤume
der Wachenden/ und einen elenden Troſt kran-
cker Gemuͤther/ ich mag nicht ſagen/ fuͤr aber-
glaͤubige Maͤhrlein alter Weiber zu halten ge-
zwungen werde. Die Koͤnigin Erato fiel Sa-
loninen ſelbſt in die Rede/ ſie fragende: Was fuͤr
ein Unſtern ihre hohe Vernunfft in einen ſo ver-
dammlichen Jrrthum verfallen lieſſe/ welchem
ſie in ihren heilſamen Lehren mehrmahls ſelbſt
widerſprochen? Ob ſie ſich nicht auff die nach-
dencklichen Troſt-Reden beſinnete/ mit welchen
ſie die Ohnmacht ihres beſtuͤrtzten Gemuͤthes
auffgerichtet? Ob ſie die Bewegung der Ster-
ne/ den Lauff der Sonne/ das Wachsthum der
Fruͤchte/ und die eintraͤchtige Ubereinſtimmung
der Natur fuͤr nur ungefaͤhr nicht aber viel-
mehr in ſo richtiger Ordnung geſchehende Din-
ge erkennete? Salonine verſetzte: Die Erfah-
rung machte einen immer kluͤger/ mit den Jah-
ren und dem Himmel aͤnderte man die Ge-
dancken/ und die letzten Meinungen waͤren ins
gemein die beſten. Auch waͤre unverneinlich/
daß in dem Lauffe der Natur alles in der Ord-
nung ſeinen Fortgang behielte/ wie der Schoͤpf-
fer der Welt ſolche Anfangs in ihr groſſes Uhr-
werck eingepflantzt. Es hinge alles wie die
Ringe oder die Glieder in einer Kette anein-
ander/ und haͤtte es dieſer allerweiſſeſte Werck-
meiſter derogeſtalt befeſtiget/ daß kein Drat zer-
reiſſen und kein Glied zerbrechen koͤnte. Viel
anders verhielte ſichs aber mit des Menſchen
Gemuͤthe und Willen/ welchem das Verhaͤng-
niß ſeine Freyheit gelaſſen/ und die Willkuͤhr zu
ſeinem Fuͤhrer gemacht haͤtte/ wie der Steuer-
mann in einem Schiffe waͤre. Wie nun die-
ſe allzu blind waͤre allezeit den rechten Weg zu
erkieſen/ und daher ſo viel Anſtalten in Brunn
fielen; alſo waͤren ſie ſo wetterwendiſch/ und deß-
wegen alle kuͤnfftige Dinge ſo ungewiß/ daß Car-
neades gemeint/ Apollo haͤtte von ſelbtem/ auſ-
ſer in denen vom Lauffe der Natur eintzig her-
ruͤhrenden Begebenheiten/ keine Wiſſenſchafft.
Dannenhero Tireſias aus den Eingeweiden de-
nen von der Peſt vergehenden Thebanern nicht
zu wahrſagen wuſte/ wer der Todſchlaͤger des
Lajus waͤre; alſo/ daß bey ſolcher Unwiſſenheit
der Wahrſagergeiſt/ des Lajus Geiſt durch Zau-
berey aus der Hoͤlle beruffen werden muſte. Aus
welchem Grund nicht wenig Weiſen ſo gar
dem Jupiter der kuͤnfftigen Dinge Wiſſenſchafft
abgeſprochen haͤtten; ſintemal dieſe gleichſam des
Menſchen freyem Willen einen Kapzaum anle-
gen/ oder ſelbten vielmehr gar auffheben wuͤrde.
Denn was Gott gewiß vorſehe/ muͤſte unver-
aͤnderlich; alſo/ daß ſelbte nicht dem veraͤnder-
lichen Willen des Menſchen unterworffen
ſeyn/ und koͤnte er nicht/ diß nicht thun/ was
er ſchon vorher gewiß wuͤſte/ daß es geſche-
hen wuͤrde. Jſmene brach Saloninen hier
abermahls ein: Jhre eigene Geſchichts-Er-
zehlung uͤberwieſe ſie durch die dem Polemon
begegnete Wahrſagungen/ daß Gott alles kuͤnff-
tige/ was gleich nicht von der Ordnung der Na-
tur herkaͤme/ ſondern insgemein dem Gluͤcke zu-
geſchrieben wuͤrde/ eigentlich wuͤſte/ und daher
wuͤrde der Menſch freylich durch ſolche unver-
aͤnderliche Voꝛſehung gezwungen eines odeꝛ das
ander zu thun/ waͤre alſo die Tugend mehr eine
Gabe/ die Boßheit eine Straffe des Verhaͤng-
niſſes/ als ein Werck unſers freyen Willens. Ja
das Verhaͤngniß binde ſo gar die Goͤtter/ und
haͤtte Jupiter ſelbſt ſeinen Sohn Sarpedon aus
den Haͤnden des Patroclus/ und den Banden des
Todes
[297]Arminius und Thußnelda.
Todes durch viel Bemuͤhung zu erretten nicht
vermocht; als welcher ſelbſt an das Spinnwerck
der Parcen nichts anders/ als ein Sclave an die
Faͤſſel angebunden/ und dem Verhaͤngnuͤſſe/
welches er einmal als ein Geſetze dem Himmel
fuͤr geſchrieben haͤtte/ allezeit zu folgen ſchuldig/
und alſo einer Nothwendigkeit unterworffen
waͤre. Zumal Unwiſſenheit/ und Veraͤnderun-
gen des Willens einer Gottheit unanſtaͤndige
Schwachheiten waͤren. Dieſes waͤre der aͤl-
teſte Glaube in der Welt; und daher finde man
niemals in denen vermerckten Verſammlun-
gen der Goͤtter/ die blinde und unbeſtaͤndige
Goͤttin des Gluͤckes/ welche mit dem Verhaͤng-
nuͤſſe nicht beſtehen koͤnte/ ſondern nur ein Ge-
ſpenſte irrdiſcher Gedancken waͤre. Die aber/
die ſie endlich zu einer Tochter des Jupiters
machten/ haͤtten damit nichts anders angedeu-
tet; als daß die vom Verhaͤngnuͤſſe geſchloſſene
Nothwendigkeit in den Augen der unwiſſenden
Menſchen ein Zufall des Gluͤckes ſchiene zu
ſeyn. Dahero der kluge und tapffere Ti-
motheus ſeine groſſe Thaten durchaus nicht fuͤr
ein Geſchencke des Gluͤckes/ noch diß fuͤr eine
Gottheit erkennen wolte; Sondern/ als ſeine
Neider ihn als einen Schlaffenden abmahlten/
bey welchem das Gluͤcke Wache hielte/ in einem
Netze allerhand Feſtungen an ſich zuͤge/ und ih-
ren Fang in des Timotheus Schoß ausſchuͤtte-
te/ begegnete er ihnen mit dieſer ſcharffſinnigen
Antwort: Haͤtte er diß ſchlaffende ausgerich-
tet/ was wuͤrde er allererſt ausuͤben/ wenn er
wachen wuͤrde? Salonine warf ein: Der viel
groͤſſere Timoleon/ der das ſich erſchuͤtternde
Sicilien auf feſten Fuß geſetzt/ und das feſte
Carthago erſchuͤttert/ haͤtte alle ſeine Siege
dem Gluͤcke gedanckt. Die Roͤmer haͤtten ſie
fuͤr ihre erſtgebohrne Gottheit verehret/ ihr die
meiſten Prieſter und Heiligthuͤmer gewiedmet/
ihr groͤſſere Kraͤffte als der Tugend zugeetgnet/
und ſie fuͤr die oberſte Uhrheberin des Roͤmi-
ſchen Reichs erkennet. Zu Smyrna haͤtte ſie
ihr eine Himmels-Kugel auf dem Haupte tra-
gendes/ und ein Horn des Uberfluſſes haltendes
Bild in einem herrlichen Tempel aubeten ſe-
hen; welches die Prieſter ſelbſt dahin ausgedeu-
tet haͤtten/ daß ſie alles beherrſchte und fruchtbar
machte. Die Koͤnigin Erato hielt ſich numehr
auch genoͤthigt ihr Wort dazu zu geben/ und
fing an: Es iſt unglaublich/ daß Timoleon/ die
Roͤmer/ oder einige Weltweiſe iemahls unter
dem Nahmen des Gluͤckẽs diß/ was der Poͤfel
daraus macht/ verſtanden habe. Denn dieſer
nennet alles diß/ was ungewiß iſt/ das Gluͤcke;
bildet ihm auch ein/ alles diß ſey Ungewißheit/
was das Verhaͤngnuͤß entweder fuͤr menſchli-
chen Augen verbirgt/ oder ihr bloͤdes Geſichte
nicht erkieſen kan. Da hingegen alle Klugen/
welche iemahls das Gluͤcke als was goͤttliches
angebetet/ geglaͤubt haben: daß eben diß/ was
auf der Erde das Gluͤcke heiſt/ im Himmel das
Verhaͤngnuͤß oder die goͤttliche Verſehung ge-
nennt werde. Haͤtte der angezogene Timo-
leon alles ſein Beginnen blinden Zufaͤllen zu-
geeignet/ wuͤrde er ſchwerlich eines Prieſters
Traum ſich haben bewegen laſſen/ auf einem ab-
ſondern Schiffe die Ceres und Proſerpina in
ſeinem Kriegs-Zuge nach Sicilien zu fuͤhren.
Er wuͤrde ſelbſt nach Delphis nicht gereiſet
ſeyn/ und dem Apollo ſeine Andacht aufgeopf-
fert/ weniger wuͤrde ihn daſelbſt im Tempel zu
einem Gluͤcks-Zeichen eine Opfer-Binde von
den aufgehenckten Geſchencken ſein Haupt um-
ſchlinget/ und er gleichſam von der verehrten
Gottheit einen Sieges-Krantz zu vorher uͤber-
kommen haben. Die Roͤmer haͤtten aus kei-
nem andern Abſehen dem Gluͤcke als einer
erſtgebohrnen/ ferner als einer ſtarcken/ als ei-
ner vielbruͤſtigen/ und als einer himmliſchen
Goͤttin ſo viel Tempel gebaut; als in dem erſten
die ewige/ in dem andern die allmaͤchtige/ in dem
dritten die milde Gottheit der Verſehung/ in
dem letzten aber ihren Uhrſprung abzubilden;
als welche von den meiſten Menſchen alleine
Erſter Theil. P pange-
[298]Drittes Buch
angeruffen/ und uͤber alle andere Goͤtter geſetzt
wuͤrde/ welche in allen Dingen das Kraut al-
leine machte. Dahingegen alle Kluge das
Gluͤcke des Poͤfels/ welcher ſelbtes ſo bald wie-
der laͤſtert/ und ihm ſeine eigene Fehler aufhal-
ſet/ als anbetet/ fuͤr ein bloſſes Unding verworf-
fen/ weniger ſelbtem geopffert haben. Und
erinnere ich mich eines Gemaͤhldes dreyer ſo ge-
nennten Naͤrrinnen/ darinnen die Weißheit
die erſtere/ nehmlich die Verlaͤugnerin der Goͤt-
ter ins Tollhauß an eine Kette/ die andere/ nem-
lich die weiſſagende Sternſeherin in eine Klau-
ſe zum Gebrauche der Nieſewurtz/ die dritte/
nehmlich das gantz entbloͤſte Gluͤcke ins Zucht-
Hauß zur Ruthe verdammte. Die Fuͤrſtin
Thuſnelde meinte aus Begierde die unterbro-
chene Geſchichts-Erzehlung von der Koͤnigin
Erato vollends zu vernehmen; dem erwachſe-
nen Stritte einen rechtmaͤßigen Ausſchlag zu
geben/ ſagte alſo: Sie waͤre dißfalls der Koͤni-
gin Meinung/ daß kein ander Gluͤcke/ als die
goͤttliche Veꝛ ſehung den Nahmen einer Gott-
heit/ dieſe aber keine Laͤſterung verdiene/ ſon-
dern in ihren Wercken lauter Gewißheit und
Gerechtigkeit ſtecke; ob ſie ſchon niemand mit
ſeinem Verſtande zu erreichen vermoͤchte. Jn
dem Haupt-Stritte aber daͤuchtete ſie/ daß ſo
wol ein als das ander Theil den Bogen ſeiner
Meinung zu hoch ſpannte. Denn das goͤttli-
che Verhaͤngnuͤß waͤre zwar der erſte Bewe-
gungs-Grund aller Dinge; Gott ſehe all un-
ſer Thun unveraͤnderlich vorher/ und haͤtte es
geſehen/ als die Natur ſein Kind/ und nichts zu
etwas worden waͤre. Alleine dieſes alles haͤtte
keinen Zwang in ſich/ und buͤrdete dem Men-
ſchen keine Nothwendigkeit diß gute/ oder jenes
boͤſe zu thun auf; ſondern es behielte unſer Wil-
le ſeine vollkommene Freyheit. Denn Gott
haͤtte nur deßhalben unſer Gluͤck und Ungluͤck
ſo gewiß vorher geſehen; weilihm zugleich oder
vorher ſchon unter ſeine Augen geleuchtet hat/
was wir von der Geburt biß in den Todt boͤſes
oder gutes entſchluͤſſen wuͤrden. Unſere heu-
tige/ oder die von der Nachwelt Gott beſtimm-
te Andacht waͤre ihm ſo wenig neu/ als diß/
was uns oder den Nachkommen begegnen ſoll.
Jene ſiehet das Verhaͤngnuͤß als die Urſache/
dieſes als die veꝛdiente Wuͤrckung vorheꝛ. Daheꝛ
es die groͤſte Unvernunfft waͤre/ wenn die ruch-
loſe Verzweiffelung es fuͤr einerley halten wol-
te: ob man boßhafft oder tugendhafft ſey? Und
wenn ſie ihr Thun einem getraͤumten Noth-
zwange des Himmels unterwirft. Sehen
nicht die Sternſeher auf tauſend Jahr die Son-
nen- und Monden-Finſternuͤſſe/ und zwar un-
veraͤnderlich vorher? Gleichwol aber haben ſie
nichts weniger/ als einen Zwang uͤber die Ge-
ſtirne. Wir ſehen von denen Leuchte-Thuͤr-
men den Schiffbruch eines auff Stein-Felſen
vom Ungewitter getriebenen Schiffes fuͤr Au-
gen. Wer wolte aber dieſen insgemein mit-
leidenden Zuſchauern den Zwang ſolchen Un-
gluͤcks beymeſſen? Dieſem nach der weiſe Zeno
dem Diebe/ welcher mit der Verſehung ſein La-
ſter zu entſchuldigen vermeint/ vernuͤnfftig ge-
antwortet: Daß er auch zu der Straffe ver-
ſehen waͤre. Dieſes iſt meine einfaͤltige Mei-
nung/ iedoch eine vielleicht deſto unſchuldige-
re. Sintemahl allzu verſchmitzte Außle-
gungen in ſo tieffinnigen Dingen ſelbte mehr
verfinſtern/ als erklaͤren; und wo Fragen von
Gott mit einlauffen/ eine fromme Einfalt mehr
Ruhmes verdienet/ als ein ſcharfſinniger Vor-
witz.
Jederman ward hierdurch derogeſtalt beſtil-
let/ daß weder Jſmene noch Salonine dieſer
klugen Fuͤrſtin einigen Gegenſatz zu thun rath-
ſam hielt; ſondern dieſe kam wieder auf ihre Ar-
meniſche Koͤnigin/ und erzehlte/ wie ſie ihre
Herrſchafft auff die Pfeiler der Gerechtigkeit
und Guͤte gegruͤndet/ hierdurch aber den Ruhm
erworben haͤtte: Das Armeniſche Reich waͤre
unter ihr ſo wohl/ als vorher niemahls befeſtiget
worden; ja es haͤtte nach ſo langer Unruh aller-
erſt
[299]Arminius und Thußnelda.
erſt Erato das ſich ſtets umbweltzende Rad des
Gluͤckes zum Stande gebracht. Aber/ rieſ
ſie/ ach! daß die Tugend und Gluͤckſeligkeit
nicht einerley Geburts-Stern haben! daß Ho-
heit und Beſtand ſo gar abgeſagte Feinde ſind!
daß die Kronen auswaͤrts einen ſo herrlichen
Glantz/ in ſich aber ſo viel Stacheln einer uner-
traͤglichen Schwerde haben! Erato ſeuffzete
hierzu/ und fing an: Ja leider/ ich habe es in
kurtzer Zeit erfahren/ daß die Unvernunfft nach
Zeptern ſtrebe/ die man wegwerffen ſolte; daß
der Poͤfel die anbete/ welche er zu beweinen haͤt-
te; daß die Thorheit nur die Gluͤckſeligkeit in
Geſtalt einer gekroͤnten Koͤnigin abmahle.
Der Neid zehlet alle Koͤrner Weyrauch/ die die
Unterthanen ihrer Herrſchafft anzuͤnden/ die
Mißgunſt verwandelt kein Auge von den Opf-
fern/ die man den gekroͤnten Haͤuptern ſchlach-
tet; aber die Raͤder ihrer Unruh/ die Naͤgel ih-
rer Sorgen/ die Thraͤnen/ welche ihre Larve/
die Wunden/ die ihr Purpur verdeckt/ und die
Fallbreteꝛ ihres Untergangs uͤberſiehet ſie. Jch/
ich habe leider allererſt erfahren/ daß Kron und
Zepter nichts als ein Werckzeug der Gaucke-
ley/ und der Purper nur zum euſerlichen An-
ſehn/ und bloͤde Augen zu betruͤgen ſo glaͤntzicht
ſey; daß in dieſem Schauſpiele es/ wie in den
andern/ der Zuſchauer beſſer habe/ als der einen
Beherrſcher der Welt auf der Schaubuͤhne fuͤr-
ſtellet. Thuſnelde/ theils Saloninen wieder
zu der Geſchichte zu bringen/ theils die Koͤni-
gin Erato von ihrer Empfindligkeit abzuzie-
hen/ zohe die Achſeln ein/ und ſagte: Wir alle/
die wir auf die Staffeln der Ehre treten/ muͤſ-
ſen uns keine Zufaͤlle ſeltzam fuͤrkommen laſſen/
ſondern aus denſelben/ wie ein Kriegsmann
aus vielen Wunden/ und ein Schiffer aus oͤffte-
ren Stuͤrmen unſern Ruhm ziehen. Der Fuͤr-
ſten-Stand iſt ſo wenig als hohe Gebaͤue den
Ungewittern unterworffen; Der Scharlach der
Koͤnige hat ſo wol als der Purper der Roſen ſei-
ne Dornen/ und hohe Haͤupter rinnen ſo wohl
von Thraͤnen/ als Gebuͤr ge von Qvell-Waſſer.
Es giebt ſo wohl Krancke in Pallaͤſten/ als in
Siechhaͤuſern; beyde aber ſind in viel beſſerm
Zuſtande/ als die gluͤckſeligſten Miſſethaͤter.
Dieſem nach muͤſſen wir mit unſer Gedult uns
unſere Bitterkeiten verſuͤſſen; und durch unſe-
re Hertzhafftigkeit den ſchwachen ein Licht auf-
ſtecken. Denn in Warheit die Tugend hat
nichts minder auf dem Throne mehr/ denn in
einem Faſſe des Diogenes Gelegenheit durch
ihr Beyſpiel andern fuͤrzuleuchten/ als ein ho-
her Pharos irrenden den Weg zu weiſen. Ja/
fing Erato mit ein weiniger Bewegung an: Es
laſſen ſich alle Betruͤbnuͤſſe vergeſſen/ alle Un-
gluͤcks-Pillen verſchlingen; aber die Berlaͤum-
dungen/ da man uns Laſter antichtet/ da man
uns der Welt als Ungeheuer fuͤrbildet/ koͤnnen
auch die groß muͤthigſten nicht verkaͤuen. Thuf-
nelde antwortete: Ein gutes Gewiſſen iſt auch
dieſe/ ſo wohl als Strauſſe das Eiſen/ zu ver-
daͤuen maͤchtig. Weder Krone noch Tugend
hat einen Schirm-Brief wider die Laͤſterung.
Die Hunde bellen den reinen Monden an/
und die Grillen ſchwirren wider den Himmel.
Man hat den ſchoͤnſten Geſtirnen Nahmen
und Geſtalten wilder Thiere zugeeignet; ja es
iſt faſt kein Stern/ dem man nicht einen Feh-
ler/ oder eine ſchlimme Wuͤrckung beymiſt.
Gleichwol aber uͤben ſie keine Rache; die Son-
ne ſcheinet ſo wohl uͤber die Mohren/ die ſie ver-
fluchen; als uͤber die Perſen/ die ſie anbeten/
und die Geſtirne erleuchten die Erde/ die ſie mit
ihren aufſteigenden Duͤnſten verftnſtert. Je-
doch will ich ihre Beſchwerde keines Unrechts
beſchuldigen/ biß Salonine den Fuͤrhang von
dieſer Trauer-Buͤhne werde weggezogen ha-
ben. Dieſe richtete ſich wieder in ihre Erzeh-
lung ein/ und meldete: Die erſte Herrſchung
der Erato hatte/ auſſer dem/ daß ſie des Fuͤrſten
Zeno/ ja dieſer eines Koͤniglichen Vaters und
dreyer Kronen durch Erkaͤntnuͤß des Ariobar-
zanes beraubet war/ einen heuteren Himmel;
P p 2ihre
[300]Drittes Buch
ihre erſte Zeit war ein rechter Fruͤhling voller
Blumen ohne Stacheln und Bitterkeit. A-
ber es zohen bald truͤbe Wolcken auf/ und die
Waͤrmuth fand ſich unter die ſuͤſſen Gewaͤchſe.
Hoͤret aber/ wie die Spinnen aus dem geſun-
den Saffte der Roſen ſo ein ſchlimmes Gifft
ſaugen koͤnnen! Der Bruder-Moͤrder/ der wol-
luͤſtige Artabazes hatte bey ſeiner Herrſchaft den
verdammten Gottesdienſt der Anaitis/ oder
vielmehr den ſchaͤndlichen Greuel wieder einge-
fuͤhrt/ welchen der groſſe Tigranes in gantz Ar-
menien abgeſchafft/ da die edelſten Armenier ih-
re ſchoͤnſten Toͤchter in der Anaitis Tempel/
und in die dabey zu aller Uppigkeit angerichte-
ten warmen Baͤder geſtellen muſten; welche
daſelbſt Finger-nackt hunderterley geile Stel-
lungen machten/ die unzuͤchtigſten Spiele von
der Ehebrecheriſchen Venus und dem ſchaͤndli-
chen Priapus fuͤr ſtellten/ ja ihre Keuſchheit und
Jungſrauſchafften iedem geilen Frembdlinge
gleich als ein den Goͤttern gefaͤlliges und zu ih-
rer deſto beſſern Verheyrathung dienendes
Opfer zu liefern ſchuldig waren. Die tugend-
haffte Erato konte dieſes abſcheuliche Beginnen
bey ihrer Jungfraͤulichen Herrſchafft weder als
eine laſterhaffte Gewonheit/ noch weniger aber
als einen Gottesdienſt verhaͤngen. Dahero
ſchalt ſie dieſes Beginnen in offentlicher Reichs-
Verſammlung nicht nur als ein Aergernuͤß al-
ler wolgeſitteten Voͤlcker/ ſondern auch als eine
Abſcheu unvernuͤnfftiger Thiere; als welchen
die Natur dieſes verſteckt haͤtte/ was ihre Toͤch-
ter allen Frembdlingen zu entbloͤſſen ſich nicht
ſchaͤmeten. Als Polyxena des Achilles Geiſte
haͤtte geopffert werden ſollen/ waͤre ſie das min-
ſte um ihr Leben/ darmit aber am hoͤchſten be-
kuͤmmert geweſt/ daß bey ihrem Falle keines ih-
rer Glieder aͤrgerlich zu liegen kommen moͤchte.
Kaͤyſer Julius haͤtte bey ſeiner Ermordung ihm
deßhalben mit der lincken Hand ſeinen Rock
unter die Knie gehalten. Denen Mileſiſchen
Jungfrauen haͤtte man ihren angemaſten
Selbſt-Mord durch keine andere Bedraͤuung/
als daß ſie finger-nackt zu offentlicher Schaue
gelegt werden ſolten/ abgewoͤhnen koͤnnen.
Denen Armeniern aber ſolte die Feilbietung
ihrer geheimſten Glieder nicht nur anſtaͤndig/
ſondern ſo gar eine Andacht/ und ein in die Hei-
ligthuͤmer gehoͤriges Gewerbe ſeyn; da doch zu
Rom in dem Tempel der Cybele fuͤr den Kin-
dern ſo gar die Gemaͤhlde der maͤnnlichen
Thiere verdeckt wuͤrden/ und des Lycurgus Ge-
ſetze die jungen Leute zu Sparta gezwungen
haͤtte/ ihre Haͤnde auf den Straſſen unter den
Maͤnteln zu behalten. Auf den Spielen der
Flora zu Rom haͤtten nur die gemeinen Huren
ſich entbloͤſſet; gleichwol haͤtten ſie ſich geſchaͤ-
met in Anweſenheit des Cato nackt zu ſeyn. Jn
Armenien aber waͤre dieſe unverſchaͤmte Unver-
nunfft ein Vorrecht des Adelichen Frauen zim-
mers/ und ſie hielten es fuͤr einen Ruhm in dem
Angeſichte ihrer Fuͤrſten deſto geiler ſich zu ge-
behrden; Da doch anderer Voͤlcker Poͤfel ein
unverſchaͤmtes Weib fuͤr eine ungeſaltzene
Speiſe hielte. Jn Jndien wuͤchſe eine ſo em-
pfindliche Pflantze/ daß ſie bey Naͤherung eines
Mannes ihre Blaͤtter zuſchluͤſſe/ und gleichſam
ihre innere Beſchaffenheit ſehen zu laſſen ſich
ſchaͤmete. Jhre Jungfrauen aber entbloͤſten
auch Knechten ihre Bruͤſte und Geburts-Glie-
der/ welche Xenocrates an ſich ſelbſt zu beruͤh-
ren/ und andere ſchamhaffte Leute nur zu ſehen
Scheue getragen haͤtten. Wie viel ſchaͤndli-
cher aber waͤre ihre Jungfrauſchafften denen
geileſten Hengſten aufopffern; welche zu Thebe
eine Jungfrau nicht fuͤr die Macedoniſche Kro-
ne dem Nicanor vertauſchen/ ſieben Mileſiſche
auch lieber ihr Leben/ als diß ihr Kleinod ver-
lieren wollen. Nicht nur die Goͤtter/ welche
theils ein ſonderbares Gefallen an denen ihnen
zugewiedmeten Jungfrauſchafften truͤgen/
theils auch ſelbige ſelbſt ewig gelobt haͤtten; ſon-
dern auch die wildeſten Thiere entſetzten ſich
fuͤr ſo unkeuſchen Baͤlgen. Der in Griechen-
land
[301]Arminius und Thußnelda.
land zahm-umbirrende Baͤr haͤtte nie keinen
Menſchen/ als das ihn wolluͤſtig-betaſtende
Maͤgdlein beleidiget und zerriſſen; die Goͤttin
Diana aber deßhalben die Einwohner gezwun-
gen ihr jaͤhrlich eine gewiſſe Anzahl Jung-
frauen zu wiedmen. Jn den Africaniſchen
Jungfrau-Spielen doͤrfte keine unreine Jung-
frau ſich einmiſchen/ ſondern die Minerva
ſchickte es/ daß alle Verſehrten durch einen
Steinwurff getoͤdtet wuͤrden. Alle Voͤlcker-
Rechte erklaͤrten die aus Jrrthum mit ihnen ge-
ſchloſſenen Ehen fuͤr nichtig. Die Armeni-
ſchen Toͤchter aber meinten durch ihre Un-
keuſchheit ſich bey der Anaitis einzulieben/ und
durch ihre Schande ſo viel beſſere Heyrathen zu
verdienen. Dieſes waͤre ein unausleſchlicher
Schandfleck des gantzen Volckes/ eine Aerger-
nuͤß aller Auslaͤnder/ ein ewiger Spott der
Herrſchafft/ und eine Verhoͤhnung der Goͤt-
ter; alſo wolte ſie entweder nicht Koͤnigin/
oder dieſes abſcheuliche Beginnen muͤſte abge-
ſtellt ſeyn. Sie ließ auch noch ſelbigen Tag
die Luſt-Baͤder an dem Tempel/ oder vielmehr
die Hurenhaͤuſer biß auf den Grund einreiſſen/
und war diß ihr erſtes Geſetze: daß der mit ſei-
ner Tochter derogleichen Uppigkeit fuͤrzuneh-
men ſich geluͤſten laſſen wuͤrde/ ſolte ſeiner Ehre
und Wuͤrden verluſtig/ die Toͤchter aber mit
der Straffe der entweiheten Veſtaliſchen
Jungfrauen belegt ſeyn. Alle Tugendhaffte
hoben dieſe heilſame Anſtalt biß in Himmel/ a-
ber weil die Zahl der Boßhafften jene iederzeit
uͤbertrifft/ machte ſie ſich bey den meiſten ver-
haſt; Wiewohl die Tugend ein ſolches Anſehen
hat/ daß ſich auch die laſterhafftigſten ſchaͤmen
muͤſſen ſie offentlich zu ſchmaͤhen. Unterdeſ-
ſen wie es Schlangen giebt/ die ihr Gifft auff
nichts als das ſchoͤnſte Gebluͤme ſpeyen/ und
Hunde/ die den Monden nur/ wenn er voll iſt/
anbellen/ alſo laͤſterten ihrer viel heimlich die
Koͤnigin in ihrem lobwuͤrdigſten Fuͤrnehmen/
fuͤrgebende: Fuͤrſten ſolten ohne wichtige Ur-
ſachen/ koͤnten auch ohne Vermeſſenheit in de-
nen zum Gottesdienſte gehoͤrigen Dingen
nichts aͤndern. Dieſe Art waͤre von uhralten
Zeiten in Armenien eingefuͤhret/ von ſo viel klu-
gen Koͤnigen in ihrem Werthe gelaſſen/ von
vielen Voͤlckern/ nehmlich den Lydiern/ Voll-
ſinern/ einem groſſen Theile Jndiens/ und in
Africa in dem Tempel Siccuth Benoths an-
genommen und gebilligt worden. Am aller-
unnuͤtzeſten aber machten ſich die abgeſchafften
Anaitiſchen Prieſter/ welche bey ihrem abſcheu-
lichen Gottesdienſte ſich nicht nur am ſuͤndlich-
ſten befleckten/ ſondern noch mit ihrer und an-
derer Uppigkeit wucherten; in dem nicht nur
die weltlichen Maͤnner bey ihrem Eintritte/
ſondern auch die von ihnen ſelbſt gebrauchten
Jungfrauen ein gewiſſes fuͤr die Wolluſt zin-
ſen muſten. Dieſe lieſſen wider die ſo keuſche
Koͤnigin ein ſo unverſchaͤmtes Buch heraus/
deſſen Jnhalt zu melden ich mich ſchwerlich uͤ-
berwinden koͤnte; wenn diß nicht die wichtig-
ſte Urſache der Armeniſchen Unruh geweſt waͤ-
re/ und ich mich nicht beſcheidete/ daß keuſchen
Ohren alles keuſch/ und die Schamroͤthe/ wel-
che vielleicht ſo Erlauchter Fuͤrſtinnen Wan-
gen faͤrben doͤrffte/ nur bey denen Laſterhaffter.
eine Schande/ bey denen Tugendhafften aber
eine Zierde ſey; Sie auch auß Entwerffung
frembder Uppigkeit ſo wenig etwas boͤſes/ als
die Bienen aus Napel Gifft ſaugen koͤnnen.
Wie nun Erato Saloninen einen Winck gab/
fuhr ſie fort dieſen Jnhalt der Schrifft kuͤrtzlich
zu entwerffen: Der Koͤnigin Erato angenom-
mener Eifer waͤre eine bloſſe Scheinheiligkeit.
Die euſerlichen Dinge des Gottesdienſtes muͤ-
ſten nicht nach ſeinen euſerlichen Schalen/ ſon-
dern nach ihrer heiligen Bedeutung geurtheilt
werden/ ſonſt haͤtten die ſo klugen Egyptier
laͤngſt ihre Zwibel und Katzen/ die Syrer ihre
Fiſche aus dem Tempel werffen muͤſſen. Ein
P p 3uner-
[302]Drittes Buch
unerfahrnes Weib koͤnte ihr nicht mehr Klug-
heit/ als ſo viel Weiſen/ und nicht mehr Heilig-
keit/ als gantze Voͤlcker zumeſſen. Die Ent-
bloͤſſung der Geburts-Glieder waͤre mehr un-
gewoͤhnlich/ als unverſchaͤmt; am wenigſten
aber eine Abſcheu der Natur/ oder ein Ver-
brechen. Die erſten Menſchen waͤren insge-
ſamt nackt geweſt/ und das groͤſte Theil Jn-
diens/ ja faſt gantz Africa gienge nicht anders.
Die Bloͤſſe waͤre das angenehmſte Kleid der
Unſchuld/ die Kleider aber groſſen Theils Huͤl-
len der Hoffarth. Die Geburts-Glieder waͤ-
ren bey nahe die vornehmſten/ unter allen die
nuͤtzlichſten/ deßhalben aber nicht die haͤßlich-
ſten; dahero ſie etliche Weltweiſen nebſt dem
Hertzen fuͤr nicht ſchlechte Theile/ ſondern fuͤr
abſondere Thiere zu halten/ oder auch den Sitz
der eigentlichen Lebens-Rrafft eben ſo/ wie in
den Lampreten und Neun-Augen/ dahin ein-
zuſperren vermeint haͤtten. Andere haͤtten
ihnen einen ſechſten Sinn zugeeignet/ deſſen
kein ander Glied/ eben ſo als wie die Zunge/ nur
des Geſchmacks faͤhig waͤre. Fuͤrnehmlich
aber haͤtte ſich keines Volckes Andacht geſchaͤ-
met dieſe Glieder zu Sinnbildern ihres
Gottesdienſtes zu gebrauchen. Dieſe haͤtte
dem maͤnnlichen unter dem Nahmen des Pria-
pus eine Gottheit zugeeignet; Bacchus mit
zwey ſolchen Bildern ſeine Stief-Mutter Ju-
no beſchencket. Sintemal hierdurch die wuͤr-
ckende Zeugnuͤß-Krafft der goͤttlichen Verſe-
hung ſinnreich angedeutet wuͤrde. Jn dieſem
Abſehen truͤgen die Egyptiſchen Frauen auff
dem von der Jſis angeſtellten Feyer des Oſy-
ris Geburts-Glied offentlich herum/ mahlten
auch den Priapus ſo haͤßlich/ als kein Eſel von
Natur gebildet waͤre/ um dadurch ſeine Frucht-
barkeit oder uͤbermaͤßige Zeugungs-Krafft zu
beehren/ oder gar zu verewigen. Denen E-
gyptiern thaͤten es die Griechen nach/ und in
Jtalien wuͤrde ein groſſes Bild dieſes Gliedes
dem Wein-Gotte zu Ehren um die Felder und
durch die Staͤdte auff einem zierlichen Wagen
gefuͤhrt. Zu Lavinium muͤſte eine der keu-
ſcheſten Frauen ſelbtem einen Krantz aufſetzen;
welches/ aufer dieſer zum Weinwachſe dienen-
den Andacht/ doch keine gemeine Hure/ auff
den Schauſpielen in dem Geſichte des Frauen-
zimmers ſich unterwinden doͤrfte. Zu Rom
wuͤrde der Syrer Beel Phegor oder Priapus
unter dem Nahmen des Mutinus Tetinus
verehret/ und ritten die verliebten Frauen und
Jungfrauen fuͤr ihrer Hochzeit vorher auff ſei-
nem Gliede/ gleich als wenn ſie ihre Keuſch-
heit vorher einem Gotte ablieferten. Jn an-
dern Orten hingen die Frauen ſolche Bilder
an den Hals/ oder an die Lenden. Die Sy-
riſchen Weiber ſpielten mit ſelbtem/ als wie
mit denen durch verborgene Draͤte tantzenden
Tocken. Des Mercurius Bild/ das nichts
anders als ein Abriß der gantzen Natur waͤre/
wuͤrde allezeit mit ſtehender Ruthe gemahlet.
Das weibliche Geburts-Glied waͤre ebenfalls
nichts minder der Brunnqvell der Nachkom-
men/ als ein Sinnen-Bild/ welches den Uhr-
ſprung der empfangenden Fruchtbarkeit an-
deutete. Die Frauen der reinlichen Voͤlcker
verſorgten wegen des erſtern es mit den koͤſt-
lichſten Balſamen. Die in Africa zierten es
mit guͤldenen Ringen/ und angehenckten
Kleinodten. Wegen der andern Urſache wuͤr-
de es auff dem Theſmophoriſchen Feyer zu
Syracuſe verehret/ und ein derogeſtalt gebil-
deter Kuchen oder Kaͤſe in Sicilien herumb
getragen/ verſpeiſet/ aus einem ſolchen glaͤ-
ſernen Gliede getruncken; bey andern Voͤl-
ckern es in der Geſtalt eines Dreyecks ange-
betet. Der Egyptiſche Koͤnig Seſoſtris haͤt-
te bey denen weibiſchen von ihm bezwungenen
Syriern das Weibliche/ bey ſtreitbaren Voͤl-
ckern das Maͤnnliche ſeinen Goͤttern zu
Danckmahlen ſeiner Siege auff hohen Saͤu-
len
[303]Arminius und Thußnelda.
len auffgethuͤrmet. Die Egyptiſchen Wei-
ber ihre Heimligkeit mit auffgehobenen Roͤ-
cken dem neuen Apis viertzig Tage nach ein-
ander an ſtatt eines Opffers gezeiget. Ja
die Wahrſagungs-Krafft waͤre durch dieſen
Eingang vom Apollo denen Sibyllen und an-
dern weiſſagenden Weibern eingepflantzt wor-
den. Wiewohl auch die Jungfrauen in dem
Anaitiſchen Heiligthume ihre Leiber gemein
machten/ geſchehe es doch nicht ſo wohl aus
Begierde der Wolluſt/ als der Goͤttin zu Eh-
ren. Aus der End-Urſache aber muͤſte die
Guͤte eines Fuͤrhabens geurtheilt werden.
Weil nun derogeſtalt die Unſchamhafftigkeit
nichts minder zu einer Tugend/ als das Gifft
zu einer Artzney werden koͤnte; ſo waͤre Epi-
menides nicht zu ſchelten/ daß er ihr zu Athen
Altare und Opffer verordnet haͤtte. Aus
gleichmaͤßiger Anleitung waͤre ſonder Zweif-
fel der Volſinier Geſetze herausgefloſſen: daß
Frauen und Wittiben ohne einige Buſſe be-
ſchlaffen werden moͤchten/ kein Edler aber ei-
ne Jungfrau heyrathen doͤrffte/ die nicht vor-
her ein Knecht der Jungfrauſchafft beraubt
haͤtte. Dieſemnach waͤren der Armeniſchen
Jungfrauen Gitten fuͤr keine unerhoͤrte Neuig-
keit zu halten/ weniger ihr Gottesdienſt als
eine Verunehrung der Goͤtter/ ſondern viel-
mehr die gleißneriſche Koͤnigin von der Herr-
ſchafft zu verwerffen; als welche durch dieſen
heuchleriſchen Anfang nur Gelegenheit ſuch-
te alle Grund-Geſetze der Armenier zu vertil-
gen.
Die Koͤnigin ſchaͤtzte dieſe Gotteslaͤſterung
keiner Vertheidigung werth/ als welche von
dem Geſetze der Natur und dem Urthel aller
wohlgeſitteten Voͤlcker fuͤr laͤngſt verdammt
war; verfuhr aber gegen dieſe aufruͤhriſche
Affter-Prieſter mit Schwerd und Feuer/ un-
geachtet ihr etliche einhielten: wie gefaͤhrlich
es beydem Poͤfel waͤre/ ſolche der Einbildung
nach heilige Leute gar aus der Wiege werf-
fen. Denn ſie anckerte ihr Vertrauen auf ihr
gutes Gewiſſen/ und die niemanden ſcheuen-
de Gerechtigkeit. Alle Verlaͤumbdungen
verlachte ſie; ihr feltiglich einbildende: Daß
wie das Gold im Waſſer ſchwerer wiege/ als
ſonſt; alſo ſetzte der Schaum falſcher Ver-
laͤumbdung der Tugend mehr im Gewichte
bey/ als ſie ſelbten benaͤhme. Weil aber der
Verlaͤumbdung Gifft aͤrger als der Schlan-
gen iſt; und in den Augen des Volckes auch
der reinſten Unſchuld von ihren Kohlen etwas
ſchwartzes anklebt; gab ſie der Ruhmswuͤrdi-
gen Koͤnigin keinen geringen Stoß. Weil
aber dieſes einige Laſter ſie zu ſtuͤrtzen noch zu
ohnmaͤchtig war/ muſte die Hoͤlle noch ein an-
ders/ den Grundſtein ihrer Vergnuͤgung und
der gemeinen Wohlfarth zu verruͤcken/ dem er-
ſtern zu Huͤlffe ausruͤſten.
Es war einer der vornehmſten Fuͤrſten in
Armenien Oriſmanes/ ein Mann von trefli-
chem Anſehn und groſſer Tapfferkeit. Er
hatte nicht allein Leibes-Gaben/ mit denen er
ſich weiſen/ ſondern auch Gemuͤths-Kraͤfften/
dardurch er dem gemeinen Weſen dienen kon-
te. Maſſen er denn in dem Aufſtande wider
den Ariobarzanes das ſeine ruͤhmlich gethan
hatte. Aber unter dieſem Pflaſter lag ein
ſchaͤdlicher Ehrgeitz/ und eine hefftige Einbil-
dung verhuͤllet. Erato merckte zwar etwas
hiervon; denn ſeine ruhmraͤthige Zunge ver-
gaß zuweilen/ daß die Vollkommenheit in un-
ſerm Hertzen/ das Lob auff frembden Lippen
ſeine Zelt aufſchlagen ſolte. Aber/ weil ſie
entweder ſolche fuͤr Auffſchwellungen ſeiner
noch hitzigen Jugend/ oder doch auch die
mit Gebrechen vermengte Tugenden aller
Ehren werth hielt/ ſtand er bey ihr in groſ-
ſen Gnaden/ und ihre ohne diß angeſtamm-
te Holdſeeligkeit thaͤt nach dem Ar-
tafer-
[304]Drittes Buch
tafernes ihm mehr/ als wohl andern zu Liebe.
Dieſe reine Zuneigung der Koͤnigin bildete
dem Oriſmanes ſeltzame Geſichter in ſein Ge-
hirne. Denn weil er ſich ſelbſt fuͤr laͤngſt in ſich
verliebthatte/ uͤberredeten ihn ſeine ſuͤſſe Traͤu-
me unſchwer/ es muͤſten auch alle andere ſich in
ihn verlieben. Thuſnelde brach laͤchelnde ein:
Aller Menſchen Selbſt-Liebe iſt Thorheit/ a-
ber der Maͤnner ihre/ weil ſie ſich nicht in euſer-
liche Schoͤnheit/ wie die Weibeꝛ insgemein/ ſon-
dern in die Gaben des Gemuͤthes verlieben/ iſt
ſchimpflicher und unheilbar. Denn die
Schwachheit nimmt den Qrt ein/ woraus die
Artzney kommen ſolte. Jch habe etliche Nar-
ciſſen gekennet/ welche geglaubt/ daß die tu-
gendhaffteſte und kaltſinnigſte Frau ſie das erſte
mahl nicht ohne Verliehrung ihrer Freyheit/
das ander mahl nicht ohne Einbuͤſſung ihrer
Vernunft anſchauen koͤnne/ ja daß das Frauen-
zimmer leichter den Hunds-Stern und den
Sudwind/ als ihre Gegenwart ohne Schaden
vertragen koͤnne. Salonine verſetzte: Jn
Warheit/ Oriſmanes gehoͤret in dieſer ihre
Reye. Der Koͤnigin Hoͤfligkeit nahm er fuͤr
Liebreitz/ ihre Wolthaten fuͤr einen Zinß ihrer
uͤberwundenen Keuſchheit an. Die Koͤni-
gin hingegen urtheilte von ihm alle Tage weni-
ger; weil die Selbſt-Liebe eines Menſchen
Geringſchaͤtzigkeit am meiſten verraͤthet/ in
dem ſie wie der Agſtein nichts als leichte Spreu
an ſich zeucht. Bey ſolchem Zuſtande hielten
ein und andere Merckmahle/ fuͤrnehmlich aber
der Koͤnigin Tugenden und Hoheit des Oriſ-
manes ſich ſelbſt uͤberſteigende Gedancken/ o-
der vielmehr derſelben Auslaſſung gute Zeit
zuruͤcke. Endlich aber trieb ihn entweder der
Vorwitz der Koͤnigin Gemuͤths-Meinung
auszuſpuͤren/ oder ſeine uͤbermaͤßige Begier-
de ſo weit: daß/ als die Koͤnigin in ihrem Luſt-
Garten in eine Hoͤle ſich zu erfriſchen abſtieg/
und ſich nach der Landes-Gewohnheit auff
die Achſel des Oriſmanes lehnete/ er ſich
unterſtund mit der Hand unter ihren Arm zu
greiffen/ umb dem Scheine nach ihr Abſtei-
gen zu verſichern. Weil diß aber in Arme-
nien niemanden als den Fuͤrſten Koͤniglichen
Gebluͤtes erlaubet/ und der Numidiſchen Koͤ-
nige Art zu vergleichen iſt/ die keinen Men-
ſchen als ihre Bluts-Freunde einigen Kuſſes
wuͤrdigen; machte ihm Erato ein ſauer Ge-
ſichte/ und fing an: Es kan ein Menſch ſich
mehr nicht verſtellen/ als wenn er weiſt/ daß
er ein Menſch ſey. Ein kluger Mann iſt fuͤr
was mehr/ einer aber/ der ſeine Schwachhei-
ten zeiget/ fuͤr was weniger/ als einen Men-
ſchen/ zu halten. Hiermit wieß ſie zugleich
auff den in dem Eingange gemahlten Fall des
Jcarus/ dem die Fluͤgel zerſchmeltzten/ als er
an die Sonne ruͤhren wolte. Oriſinanes
ward hieruͤber nicht wenig beſchaͤmet/ entſchul-
digte aber ſeine Vermeſſenheit: Es waͤre ihm
vorkommen/ als ob der Koͤnigin auff den glat-
ten Marmel-Staffeln ein Fuß haͤtte entglei-
ten wollen. Erato beruhigte ſich darmit/
und ließ ſeine Kuͤhnheit fuͤr einen Jrrthumb
dißmahl hingehen; ſetzte aber bey: Der iſt kein
Thore/ der Thorheiten begeht/ ſondern der
die begangenen nicht verdecket. Man verſie-
gelt gemeine Brieffe/ wie viel mehr ſoll man
es mit den Gebrechen des Gemuͤths machen.
Alle Menſchen thun Fehltritte/ aber mit dem
Unterſchiede: Daß die klugen ihre begange-
nen Jrrthuͤmer verbluͤmen/ die albern aber
auch die Fehler verrathen/ die ſie thun wol-
len. Kurtz hernach brauchte ſie ihn noch zu ei-
nem Geſandten an Antiopen die Koͤnigin in
Albanien/ welche des Oriſmanes Hochmuth
wahrnahm/ und daher einſt unter andern Ge-
ſpraͤchen an einem Fenſter ihm den auff einem
Thurme aufgeſteckten Kopff ihres geweſe-
nen groͤſten und liebſten Rathes Treboſſe-
rex zeigte und beyſetzte: Sehet Oriſma-
nes/
[305]Arminius und Thußnelda.
nes/ alſo muͤſſen der Koͤniginnen hochmuͤthige
Schooß-Kinder erhoͤhet werden. Denn die
Koͤpffe/ welche im Leben mit eitel Winde
ſchwanger gegangen/ koͤnnen nirgends als in
der Lufft ihr Begraͤbniß haben. Oriſmanes
antwortete: Es iſt beſſer alſo ſterben/ als deroge-
ſtalt leben/ daß man hundert Jahr nach ſeinem
Tode von uns nichts zu ſagen wuͤſte.
Wie Oriſmanes mit guter Verrichtung zu-
ruͤck nach Artaxata kam/ kriegte er von der Koͤ-
nigin/ wie anfangs/ ein holdes Auge/ welches deñ
ſeine anfaͤngliche Einbildung in ihm wieder ver-
neuerte. Kurtz hierauff kam vom Pontiſchen
Koͤnige/ (der nunmehr den irrigen Nahmen
Ariobarzanes abgelegt/ und den Nahmen Po-
lemon angenommen hatte/) eine praͤchtige
Botſchafft an/ durch welche er um die Koͤni-
gin Erato warb. Seine Mutter die Koͤnigin
Dynamis ſchrieb ſelbſt eigenhaͤndig an ſie/ und
erinnerte ſie ſchertzhafft ihres Verſprechens/ daß
ſie ihr ihren Sohn zu lieben verſprochen haͤt-
te/ welches nicht die eingebildete Arſinoe/ ſon-
dern der damahls genennte Ariobarzanes waͤre.
Niemand in Armenien war/ der nicht feſti-
glich glaubte/ daß Erato dieſes maͤchtigen Koͤ-
nigs Heyrath mit beyden Haͤnden ergreiffen
wuͤrde; Oriſmanen aber bekuͤmmerte es de-
rogeſtalt/ daß er haͤtte moͤgen von Sinnen
kommen. Aber in der Erato Hertze war das
Bild und Gedaͤchtniß deß Fuͤrſten Zeno de-
rogeſtalt eingepregt/ daß es weder ſeine Ab-
weſenheit/ noch ſein Fall aus der Kindſchafft
des groſſen Polemon vertilgen/ und ein anders
anzunehmen faͤhig war. Alſo gab ſie der
Botſchafft mit gantz Armeniens Verwunde-
rung abſchlaͤgliche Antwort; wiewohl ſie ihr
Nein mit ungemeinen Lobſpruͤchen Polemons/
mit koſtbarer Beſchenckung der Geſandten/
mit ſcheinbaren Entſchuldigungen ſo verguͤl-
dete/ daß die Botſchafft gleichwohl vergnuͤgt
wegzoh/ und Polemon ſtatt der Liebe ſich mit
der Koͤnigin Hoͤffligkeit vergnuͤgen muſte. Die-
ſe Abfertigung bließ den Oriſmanes dergeſtalt
auff/ daß/ nachdem er ihm keine Urſache aus-
dencken konte/ warum Erato den Polemon
verſchmaͤhet haͤtte/ ihm traͤumen ließ/ der Koͤ-
nigin Kaltſinnigkeit gegen den Polemon ruͤh-
re von den Flammen einer ihr von ihm einge-
druͤckten Liebe. Und ob er ſich wohl ſeines
erſten uͤbel angebrachten Vorwitzes erinnerte/
ließ er ihm doch traͤumen/ daß Erato ſo viel
veraͤnderliche Geſichter als der Monde haͤtte/
und ſie ihn nun mit vollem Lichte anlachete.
Dieſem nach erkuͤnhte er ſich kurtz darauff nach
Herausſtreichung ſeiner Ankunfft und ſeiner
Verdienſte der Koͤnigin von Hefftigkeit ſeiner
Liebe/ und wie ihre Heyrath dem Reiche ſo vor-
traͤglich ſeyn wuͤrde/ Erwehnung zu thun.
Erato erblaſſete fuͤr Zorn uͤber der Vermeſ-
ſenheit dieſes hochmuͤthigen Dieners. Denn/
nach dem die Liebe zwiſchen denen Liebenden
eine Gleichheit machet/ nahm ſie des Oriſma-
nes Thun fuͤr eine Kuͤhnheit auff/ welche den
Knecht gegen ſeine Frau auff die Wagſchale
legte/ oder einen Zwerg gegen einen Rieſen
mit einerley Meß-Stabe abzumeſſen gedaͤch-
te. Weil er nun in ihren Gedancken ſo weit
unter ihr ſtand/ nahm ſie ſein Beginnen nicht
ſo wohl fuͤr einen verwegenen Flug einer
Nacht-Eule gegen dem Sonnen-Lichte/ als
fuͤr eine Erniedrigung ihrer ſelbſt auff/ und da-
her wuͤrdigte ſie ſein ander Laſter nicht mehr
wie das erſtemahl mit ihrem Munde zu be-
ſtraffen. Jhr bloſſer Anblick aber war ſchon
ein Donnerſchlag in ſeinem Hertzen. Wie ſie
ihm aber den Ruͤcken kehrte/ fing ſie an: Ge-
he/ laß dich meine Augen nicht mehr ſehen/
wo ſie dir nicht ſollen todtlich ſeyn. Oriſma-
nes erkannte allererſt nach begangenem Laſter
ſeine Groͤſſe/ zohe alſo beſtuͤvtzt aus Artaxata
auff ſeine Land-Guͤter; iedoch entdeckte er kei-
nem Menſchen ſeinen Fall/ wohlwiſſende/ daß
die Koͤnigin ſchwerlich ſeine Vermeſſenheit ie-
Erſter Theil. Q qman-
[306]Drittes Buch
manden vertrauen wuͤrde. Denn die La-
ſter/ welche zu des Veleidigten Verkleinerung
ziel[e]n/ werden auch von denen gerne verſchwie-
gen/ welche gleich Urſache ſolche zu raͤchen haͤt-
ten. Weil nun eine ungewohnte Einſam-
keit einen mittelmaͤßigen Geiſt einſchlaͤffet/ ei-
nen feurigen aber mehr anzuͤndet/ wuͤrckte die
Entbrechung des Hofes beym Oriſmanes Un-
gedult/ dieſe eine gifftige Rachgier. Seine
Ehrſucht hielt ihm ein/ daß Fuͤrſten angefange-
ne Laſter nicht geringer ſchaͤtzten/ als die voll-
brachten/ und daß dieſe nur mit Gefahr an-
geſponnen/ mit Belohnung aber vollbracht
wuͤrden. Zugeſchweigen/ daß er nichts fuͤr
thulicher hielt/ als mit ſeiner Herrſchafft anzu-
binden; weil auch das Unterliegen denen Be-
ſiegten zum minſten einen Nahmen macht/ und
alſo vortheilhafftig iſt/ wenn ſie von groſſen
Helden bezwungen werden. Dieſem nach
cntſchloß er ſich entweder durch ſeine Liſt ſei-
nen Zweck zu erlangen/ oder durch ſeine Ver-
zweiffelung ſeiner Abguͤnſtigen Untergang zu
verurſachen. Wormit er aber ſolches ſo viel
leichter ins Werck richtete/ verbarg er mit ſei-
ner Ungnade auffs ſorgfaͤltigſte ſeinen Ehr-
geitz und Abſehen. Denen/ welche ihn heim-
ſuchten/ und die Urſache ſeiner Abziehung vom
Hoffe eꝛkundigten/ machte er tauſend Lobſpruͤ-
che der Einſamkeit. Jch/ ſagte er/ habe mich
der Eitelkeit der Welt entſchuͤttet/ um der
Ruhe meines Gemuͤthes zu genieſſen. Weil
ich weiß/ daß ſich das Gluͤcke zwar auff eine
Zeit zu Dienſte vermiethe/ ſich aber nieman-
den leibeigen gebe; ſtehet mir nicht an mit ihm
ein ewiges Buͤndniß zu machen. Der Hoff iſt
ein Himmel/ der keine andere als Jrr-Sterne
hat; daher mag ich die Farth meines gantzen Le-
bens nicht nach ſeinem Angelſterne richten. Er
iſt ein Gluͤckstopff/ der unter tauſenden kaum
einen beſchriebenen Zettel hat; daher mag ich
ſo vielmal nicht fehlgreiffen. Jch gehe mit nie-
menden um als mit den Weiſen der Vorwelt/
welche weder meinen Schwachheiten heucheln/
noch in ihr Rathgeben einigen Eigennutz einmi-
ſchen. Wenn der wolluͤſtige Hoff mit ſeinen
Sorgen in ſteter Wache iſt/ genieſſe ich der ſuͤſ-
ſeſten Ruh/ weil ich wohl weiß/ daß Gott und die
Sternen fuͤr mich auff der Hutte ſtehen. Jch
weiß/ die Enge meines Land-Gutes iſt ein
Schrancken nicht nur uͤber die Ferne Armeni-
ens/ ſondern ſo weit meine Augen tragen. Jch
eigne mir mit reiner Unſchuld den Genuͤß
fremder Guͤter zu/ ſonder meinen Nachbarn
davon das wenigſte zu verſehren. Sintemal
ich derſelben mich ohne Geitz und Verſchwen-
dung nach den Geſetzen der Natur/ und auff
eine ſolche Art gebrauche/ welche ehe/ als Kunſt
und Mißbrauch ſelbte verfaͤlſcht/ und aus dem
gemeinen Eigenthume alles fremde gemacht
hat/ im Schwange ging. Jn meinem Ar-
muth bin ich reicher als der Koͤnig der Par-
then/ und/ wenn ich eine Fruͤh-Roſe/ oder einen
reiffen Apfel einem von meiner Hand gepflantz-
ten Baume abbreche/ bin ich vergnuͤgter als der
Kaͤyſer/ wenn er in einem Siegs-Gepraͤnge
ihm Lorber-Zweige um die Schlaͤffe windet/ o-
der von hundert Voͤlckern ihre Reichthuͤmer
zum Zinſe einzeucht. Jch verlache in mir das
Ungemach des gefaͤhrlichen Hoffes/ den Staub
und Poͤfel der Staͤdte/ die Angſt der Ehrſuͤch-
tigen/ und die Thorheit der Hoͤfflinge/ welche
den Kern ihres Lebens einem Fuͤrſten/ oder
wohl offt ihren unwuͤrdigen Schooß-Kindern/
die Hefen des Alters aber/ wo es ihnen auch noch
ſo gut wird/ den Goͤttern wiedmen. Die Fe-
dern/ wormit die Hoͤfflinge vielleicht ſo ge-
mein ihre Haͤupter bedecken/ weil es bey Ho-
fe faſt immer windicht iſt/ brauche ich viel nuͤtz-
licher zum Entwurff meiner der Weißheit
nachhaͤngenden Gedancken. Jch lebe mit
mir ſelbſt vergnuͤgt/ und ich habe allzu ſpaͤt ge-
lernet/ daß ein Weiſer keines andern beduͤrf-
fe/ und daß alles/ was auffer ihm iſt/ Uberfluß
ſey. Die Groſſen des Reichs/ die ihn haͤuffig
beſuch-
[307]Arminius und Thußnelden.
beſuchten/ und ſich von ihm ſo ſelten/ als der
Mercur-Stern vor der Sonne entfernten/
hielten dem Oriſmanes ein: Niemand als
GOtt/ der ſein Reichthum in ſeinem eigenen
Weſen beſaͤſſe/ koͤnte in ſich ſelbſt/ und in ſeiner
eigenen Einſamkeit ſeine Vergnuͤgung finden.
Denn GOtt alleine gingen ſeine Wercke ohne
Werckzeug und Bemuͤhung von Haͤnden/ und
alles diß/ was gleich von ihm herfluͤſſe/ bleibe
doch in ihm/ als in einem unerſchoͤpfflichen
Brunnen unvermindert. Ein Menſch aber
ſey durch eine gemeine Duͤrfftigkeit an den an-
dern gebunden/ ja ieder ſey nicht ſo wohl ein
abgeſonderter Leib/ als ein Gliedmaß der all-
gemeinen Geſellſchafft/ und deßwegen darvon
unzertrennlich. Ein Menſch koͤnne ihm ſo we-
nigſelbſt helffen/ als ein Auge ſich ſelbſt ſehen.
Die Einſamkeit waͤre der Beleidigung und dem
Mangel mehr als die Gemeinſchafft unter-
worffen/ jene aber waͤre der Gerechtigkeit/
dieſe der Handreichung/ und ein Menſch der
Geſellſchafft nichts minder als Feuer und Waſ-
ſers benoͤthiget. Uber diß ſey die Einſamkeit
der aͤrgſte Rathgeber/ und man koͤnne bey nie-
manden gefaͤhrlicher/ als alleine bey ſich ſelbſt
ſeyn. Wenn aber auch ſchon ein Weiſer ſo
weit kommen waͤre; daß er fuͤr ſich ſelbſt zu
ſuͤndigen ſich ſchaͤmete/ oder auch keinen aͤuſſer-
lichen Beyſtand duͤrffte/ ſo ſolten wir doch uns
ſelbſt nicht dem Vaterlande ſtehlen/ dem wir
gebohren waͤren/ noch fuͤr den Menſchen das
Licht verſtecken/ das die milde Natur in uns
angeſteckt haͤtte. Die groͤſten Koͤſtligkeiten haͤt-
ten ohne ihre Anwehrung/ das Marck der Er-
den in ſeinen Adern keinen Fuͤrzug fuͤr Schaum
und Aſche/ und die Tugend machte ſich durch
ihre Vertuſchung zu nichts/ oder zum Laſter.
Alle Sachen wuͤrden geſchaͤtzt nicht nach ihrem
Weſen/ ſondern nach ihrem Ausſehen. Was
man nicht ſehe/ ſey ſo viel/ als wenn es nicht
waͤre. Etwas aber ſeyn/ und ſelbtes auch im
Wercke zeigen/ waͤre ein zweyfaches Weſen.
Nach dieſer Einrede gab Oriſma nes allererſt
Gifft und Galle von ſich/ und wendete fuͤr:
Er koͤnte es laͤnger auff ſeinem Hertzen nicht
behalten/ daß ſeine eigene Mißhandlung/ und
die daraus erwachſende Beſtuͤrtzung ihn in ſol-
che Einſamkeit eingeſperret haͤtte. Denn er
habe durch Beliebung der weiblichen Herrſchafft
Armenien mehr Schaden gethan/ als alle ſei-
ne Ahnen nichts gutes geſtifftet/ und es wuͤr-
den alle ſeine Geſchlechts-Nachkommen die-
ſe Scharte nicht auswetzen. Ein Weib waͤ-
re das erſte Ungeheuer der Natur/ welche
ſtets das Maͤnnliche Geſchlechte zu zeugen ge-
meint waͤre; alſo daß das weibliche nur durch
Mißrathung gebohren wuͤrde. Wenn nun
an einem Weibe was gutes waͤre/ koͤnte man
es fuͤr ein Wunderwerck halten. Daher die
Scythen auch den bloſſen Nahmen Weib fuͤr
ſo unflaͤtig hielten/ daß ſie ſich ſelbten zu nen-
nen ſchaͤmten. Die weiblichen Gottheiten
waͤren ſo gar in dem Kreiſſe der Vollkommen-
heiten/ nehmlich im Himmel voller Gebrechen/
und Jupiter waͤre von ſeiner Juno ſo geqvaͤ-
let worden/ daß er ſie einmahl aus dem Rei-
che ſtoſſen/ und ſie ſchwebend in die Lufft hen-
cken muͤſſen. Das erſte Weibsbild auff Er-
den haͤtte Jupiter zur Straffe des menſchli-
chen Geſchlechtes zubereiten laſſen/ als er uͤ-
ber den Diebſtal des Prometheus ſo ergrimmt
geweſt waͤre. Die Schoͤnen hegten in ihren Ant-
litzen zwar eine Sonne/ alle aber in ihrem
Leibe die Befleckung/ und in ihren Hertzen
den Unbeſtand des Monden. Jhr Kopff gin-
ge allezeit mit Eitelkeit/ wie ihr Gemuͤthe mit
Geilheit ſchwanger. Und weil die Alten ge-
glaubt/ daß diß ſonſt ſo fruchtbare Geſchlech-
te in nichts mehr als in Gebaͤhrung der Weiß-
heit unfruchtbar waͤre/ haͤtten ſie der klugen
Pallas kein Weibsbild zur Mutter zugeei-
gnet. Zu Athen haͤtte man wegen ihrer Unver-
nunfft keinen wichtigern Handel als einen
Scheffel Gerſte zu kauffen verſtattet. Wegen
Q q 2ihrer
[308]Drittes Buch
ihrer Leichtſinnigkeit waͤren ihre Zeugniſſe bey
vielen Voͤlckern/ und fuͤrnehmlich in wichtigen
Sachen verwerfflich. Der beruͤhmte/ aber all-
zu weibiſche Weltweiſe/ der ſich nicht enthalten
konte dem Kebsweibe des Hermias zu opffern/
haͤtte gezwungen geſtehen muͤſſen/ daß ſie zu
maͤnnlichen Aemtern unfaͤhig/ und ihnen oder
den wilden Thieren nachzuarten einerley waͤre.
Die alten Roͤmer haͤtten deßwegen ſie nicht buͤr-
gerliche Guͤter miterben laſſen/ und Voconius
habe verbothen/ daß man ihnen etwas uͤber
das vierdte Theil ſeines Vermoͤgens verma-
chen doͤrffe; alſo wuͤſte er nicht/ wie ihm geweſen
waͤre/ daß er die Erato auff den Armeniſchen
Thron haͤtte befoͤrdern helffen? Aller Weiber
Herꝛſchafft waͤre deꝛ Freyheit Ende/ und deꝛ Rei-
che Untergang geweſt. Olympias haͤtte nicht wie
eine Koͤnigin/ ſondern henckermaͤßig uͤber das
Blut der Edlen gewuͤttet. Der kluge Antipa-
ter aber auff dem Todt-Bette ſeinen Macedoni-
ern/ als eine goͤttliche Wahrſagung vorgetra-
gen/ daß ſie in euſſerſtes Ungluͤck verfallen
wuͤrden/ da iemahls ein Weib uͤber ſie zu herr-
ſchen kaͤme. Ja auch dieſelben Voͤlcker/ wel-
che der Dienſtbarkeit gewohnt waͤren/ haͤtten
den den Weibern geleiſteten Gehorſam nicht
nur fuͤr eine der Freyheit widrige Unart/
ſondern auch fuͤr was aͤrgers/ als eine Knecht-
ſchafft gehalten. Mit dieſem haͤtte den Laͤn-
dern das Ungluͤck gebluͤhet. Hecube haͤtte
den Priamus uͤberredet/ oder vielmehr bezau-
bert/ daß er den Griechen die geraubte Helena
nicht wiedergegeben/ und hiermit haͤtte ſie Tro-
ja eingeaͤſchert. Arſinoe haͤtte mit ihrer Geil-
heit das Cyreniſche Reich zerruͤttet/ Paryſa-
tis das Perſiſche mit Kinder- und Bruͤder-
Blute uͤberſchwemmet. Semiramis wuͤrde
zwar von der Vor-Welt fuͤr einen Ausbund der
Koͤniginnen/ und eine behertzte Taube ausgeſtri-
chen/ aber ſie haͤtte durch Koͤnigs-Mord den ihr
auf fuͤnff Tage verguͤnſtigten Aſſyriſchen Stuel
an ſich gebracht/ ſie waͤre ein ſchaͤdlicher Raubvo-
gel der Welt/ und ein Pful grauſamſter Laſter ge-
weſt/ welchen anders nicht/ als durch das Mord-
Eiſen ihres eigenen Sohnes haͤtte abgeholffen
werden koͤnnen. Zwar muͤſte er bekennen: E-
rato haͤtte unvergleichliche Leibes- und Gemuͤts-
Gaben; aber es waͤren die Weiber den Seri-
ſchen Roſen gleich/ welche alle Tage ihre weiſſe
Farbe in Purper verwandelten/ und bey ihrem
Glantze einen ſtinckenden Geruch haͤtten. Ja
wenn Weiber am vollkommenſten waͤren/ haͤt-
ten ſie doch/ wie der Voll-Monde/ die groͤſſeſten
Flecken. Livia haͤtte anfangs den Ruhm ge-
habt/ daß dieſes verſchmitzte Weib dem Kaͤyſer
Auguſt die heilſamſten Rathſchlaͤge an die Hand
gebe; numehr aber beſchuldigte man ſie/ daß ſie
ihrer Ehrſucht und Grauſamkeit nicht mehr
maͤchtig/ und ein Brunn alles Unheils waͤre.
Erato haͤtte alle Tugenden einer Koͤnigin/ aber
auch alle Laſteꝛ eines Weibes. Jene waͤrẽ bekant/
weil ſie mehr als dieſe in die Augen lieffen/ dieſe
verborgen/ weil ſie ſie ſo meiſterlich zu verſtecken
wuͤſte. Zu dem koͤnte er nicht laͤugnen/ daß weil
die Schwachheiten der Fuͤrſten ſo wie die Ver-
finſterungen der groſſen Geſtirne allezeit den
Voͤlckern Schrecken einjagten/ er der Koͤnigin
Fehler ſelbſt haͤtte verdruͤcken helffen. Nach
dem er aber ihre Rachgier gegen die Vorſteher
des Reichs/ welche die Freyheit nicht wolten zu
Boden treten laſſen/ thre Uppigkeit/ welche deß-
halben zeither alle Heyrathen ausgeſchlagen/
und alſo die Wolluſt der Befeſtigung des Thro-
nes fuͤrgezogen/ laͤnger nicht zu verdecken ge-
wuͤſt/ ja er wegen ſeiner aufrichtigen Einrathun-
gen offtmals ſcheel angeſehen/ wegen ſeiner ihm
von Gott verliehenen Gaben beneidet worden
waͤre; haͤtte er es fuͤr ehrlicher gehalten/ ſich des
Hofes zu entbrechen/ ehe ihn ſelbter als einen
Verhaßten/ wie das Meer einen todten Leich-
nam auswuͤrffe/ oder ihn der Grim̃ der Koͤnigin
gar einaͤſcherte. Denn der Fuͤrſten Zorn waͤre
wie der Blitz/ den man eher empfinde/ als hoͤrte/
von ihren Schlaͤgen ſehe man eher das Blut/ als
die
[309]Arminius und Thußnelda.
die Wunde. Ja ein einiges Wort eines Koͤ-
nigs waͤre mehrmals wider ſeinen eigenen Wil-
len toͤdtlich; und haͤtte wohl ehe ein die Streu-
Buͤchſe vergreiffender Diener ſeines doch un-
entruͤſteten Fuͤrſten Erinnerung ihm ſo ſehr zu
Hertzen gezogen/ daß man ihn fruͤhe todt im Bet-
te gefundẽ. Jhre nichts minder gefaͤhrliche Liebe
wendete ſie durch bloſſen Zufall einẽ zu/ und zoͤgẽ
ſie mit Verdruß wieder ab. Deñ wenn ſie ieman-
den aufs neue hold wuͤrden/ eckelte ihnen fuͤr dem
erſten Schoß-Kinde. Ja ſie fielen wie die Fieber
von aͤuſerſter Hitze in aͤuſerſten Froſt/ und ihrer
Gnade wandelte ſich wie in etlichen zum liegen
nicht taugenden Weinen die groͤſte Suͤſſigkeit
in den ſchaͤrffſten Eſſig. Hingegen ſey nichts
ſicherers einem Diener als die Schlaf-Sucht/
und einem Unterthanen die Ablegung der Ver-
nunfft. Brutus ſey unter dieſem Scheine
aus der grauſamſten Blutſtuͤrtzung des Tarquin
und der Tullia ausgeſchwommen. Die Tu-
gend aber ziehe nach ſich den gewiſſeſten Unter-
gang. Des Gobrias Sohn waͤre vom Koͤnig
Baldaſar durchſtochen worden/ weil jener auf
der Jagt einen Loͤwen getroffen/ dieſer gefehlt
haͤtte. Einen andern haͤtte man verſchnidten/
weil ſeine Schoͤnheit von einer Koͤniglichen Dir-
ne gelobet worden. So kuͤnſtlich machte Oriſ-
manes aus ſeinem eigenen Laſter ein frembdes/
und die Straffe ſeines Verbrechens zu einer
Entaͤuſerung eines unempfindlichen Weltwei-
ſen. Thiſſaphernes und etliche andere Fuͤrſten
des Reichs bezeugten uͤber dieſer ſo ſcheinbaren
Beſchuldigung ein groſſes Leid uͤber Armenien/
und ein Mitleidẽ gegen dem Oriſmanes; gleich-
wohl aber hielten ſie ihm ein: Es waͤre unverant-
wortlich beym Sturme die Hand vom Steuer-
Ruder ſincken laſſen. Die Liebe des Vaterlandes
erforderte ſeine Wunden zu heilen/ nicht eigene
Gemaͤchligkeit zu ſuchen. Brutus haͤtte fuͤr des
Vaterlãdes Freyheit ſich der Vernunft beraubt/
Genucius das Elend gebauet/ Codrus fuͤr ſein
Heil ſich zum Selaven gemacht/ Curtius fuͤr
ſeine Erhaltung ſich in den Feuer-Pful/ Decius
in das feindliche Heer geſtuͤrtzt/ die Phileniſchen
Bruͤder fuͤr ſeine Erweiterung ſich in Sand be-
graben/ Themiſtocles/ ehe er ſeinen Degen wider
ſeine Landsleute zuͤcken wollen/ ſich ſelbſt durch
Einſchluckung giftigen Ochſen-Blutes aufge-
opfert. Des Braſidas Mutter haͤtte die Wol-
farth der Stadt Sparta der Ehre ihres Sohnes
vorgezogen; des Pauſanias Mutter den erſten
Stein zu Vermauerung der Freyheit zugetra-
gen/ dahin ſich ihr verraͤtheriſcher Sohn gefluͤch-
tet hatte. Timoleon haͤtte umb ſein Corinth in
Freyheit zu erhalten ſeinen eigenen Bruder
durchſtochen; und Oriſmanes wolte ſeiner Zaͤrt-
ligkeit nicht ein wenig weh thun/ wormit Arme-
nien wohl ſey? Oriſmanes erkieſete lieber den
Schatten einer traurigen Ruh/ als er das ge-
meine Heil ſo vieler Voͤlcker umbarmete? Der
ſchlaue Oriſmanes ſtellte ſich/ als wenn dieſe
Einredung ihm tieff zu Hertzẽ ginge/ und nachdẽ
er eine gute Weile gleichſam nachdenckende ſtille
geſchwiegen/ fing er an: Jch weiß zwar wohl/
daß nicht wenig Weiſen die Staats-Klugheit/
nicht die Natur zu einer Mutter der Vater-
lands-Liebe machen; und daß dieſe mehr von den
Eltern uns eingebildet/ als mit der Geburt ein-
gepflantzt waͤre. Denn ein Kluger waͤre ein
Buͤrger und Einheimiſcher in der gantzen Welt/
und koͤnte ſeine Freyheit nicht wie leibeigene A-
ckers-Leute an gewiſſe Kloͤſſer Erde ankleiben
laſſen. Wie viel weniger waͤre der verbunden/
der entweder in Ruhe ſicher ſeyn/ oder ſein Gluͤ-
cke anderwerts in Grund legen koͤnte/ durch
Unterſtuͤtzung des baufaͤlligen Vaterlandes ſich
mit ihm zu zerdruͤmmern. Die Natur ſelbſt
haͤtte in Africa einen Baum wachſen laſſen/
deſſen genoſſene Frucht einem die Vergeſſenheit
ſeines Vaterlandes beybraͤchte; Zweifels-frey
uns zu lehren/ daß es zuweilen nicht nur rathſam
und zulaͤßlich/ ſondern eine hertzhafte Klugheit
ſey ſeiner Heimeth den Ruͤcken kehren. Gewiſſe
Pflantzen haͤtten in frembdem Erdreich beſſern
Q q 3Ge-
[310]Drittes Buch
Gedieg/ und bey Auslaͤndern waͤren die ſchaͤtz-
barſten Sachen gantz unſchaͤtzbar. Allein wenn
er gleich fuͤr ſich gerne nachgeben wolle/ daß we-
der Furcht noch Unluſt uns von der Sorge fuͤr
das gemeine Heil zuruͤck halten ſolte/ daß kein
ſchoͤnerer Tod ſey als fuͤrs Vaterland ſterben;
daß Oriſmanes ihm nichts mehr wuͤntſchen koͤn-
te/ als den Ruhm ſein Leben zu Beſchirm-ſeinen
Tod zu Behaltung Armeniens anzugewehren;
wer wuͤrde ihm Buͤrge ſeyn/ welche Un-
ſchuld koͤnte ihn vertheidigen/ daß Oriſmanes
nicht entweder als ein Heuchler die Laſter des
Hofes verhangen/ oder als ein Uhrheber
ſelbte geſtiftet haͤtte? Sintemal der Poͤfel die
ſchlimme Herrſchafft nicht dem Fuͤrſten/ ſondern
den Staats-Dienern zumißt; die Fuͤrſten aber
ihre eigene Verbrechen ihren Raͤthen aufhalſe-
ten/ und umb ſich zu erhalten/ ſelbte dem Volcke
zu einem Schlacht-Opfer auslieferten; wie der
in Hibernien enthauptete Forſtard/ und der in
Jberien zerfleiſchte Condelar ihm ein trauriges
Vorbild abgaͤben. Tiſſafernes begegnete ihm:
Ein Reichs-Rath ſolte ſich ſeiner ſelbſt gantz ent-
aͤuſern/ und ohne Auszug ſein gantzes Weſen
dem Reiche wiedmen. Dahero muͤſte er nicht
allein ſeinen Eigen-Nutz/ und ſein Leben/ ſon-
dern auch den Schatz ſeiner eigenen Ehre auſſer
Augen ſetzen. Die Tugend waͤre ihr ſelbſtei-
gener Lohn/ und ihrer Guͤte wuͤrde weder durch
Verlaͤumbdung noch durch Beſchimpfung was
entzogen. Die Unſchuld wuͤrde im Ochſen
des Phalaris nicht ſchwartz. Socraten hinge
weder ſein Gifft-Glas/ noch die ihm zugemaͤſſe-
ne Abgoͤtterey einigen Fleck an. Und
die Tugend/ wenn ſie ſchon ans Creutz geſchla-
gen wuͤrde/ findete noch eine Olympia/ welche
ſie wie den Pauſanias mit einer guͤldenen Kro-
ne verehrete. Es waͤre nichts ungemeines in
der Welt/ daß der/ welcher hier als ein Verraͤ-
ther an Galgen gehenckt/ anderwerts fuͤr einen
Vater des Vaterlandes und fuͤr einen Maͤrty-
rer des Staats geprieſen wuͤrde. Des Bru-
tus und Caſſius Kaͤyſer - Mord hieſſe einem
ein Schelm - Stuͤck/ andern das heilſamſte
Beginnen. Denn weil in der Welt ſo viel
Boͤſen als Guten/ ſo wohl der Unvernunft
a[l]s der Klugheit die Richter - Stuͤle eroͤfnet
waͤren; koͤnte unmoͤglich ein gleichſtimmiges
Urtheil erfolgen. Sie haͤtten geſehen Koͤpfe
in guͤldene Todten - Toͤpfe vergraben/ und
mit marmelnen Leich - Steinen bedecken/
diegeſtern zum Scheuſale auf einẽ Thurme
aufgeſteckt geweſt/ von der Sonne ausgedoͤr-
rt/ von den Wolcken befeuchtet worden. Andere
die geſtern in Alabaſter gelegen/ wuͤrdẽ heute auf
den Scheiter-Hauffen geworffen. Alſo gebe oder
nehme frembdes Urthel weder den Laſtern noch
den Tugenden einige Schaͤtzbarkeit. Jnſonder-
heit abeꝛ waͤre Armenien ja nicht in ſo veꝛzweifel-
tem Zuſtande/ daß die Tugend wider die Ge-
walt der Herrſchafft ſich keines Beyſtandes zu
getroͤſten haͤtte. Oriſmanes haͤtte auf ſeiner
Seite die Reichs-Staͤnde/ dieſe aber die alten
Geſetze des Vaterlandes/ welche maͤchtiger waͤ-
ren/ als die Herrſchafft der Menſchen und ſterb-
licher Koͤnige. Es iſt wahr/ ſagte Oriſmanes/
daß/ ſo lange die Geſetze feſte ſtehen/ kein Reich
wancken/ die Freyheit nicht zu Grunde gehen
koͤnnen. Denn die Seele und Krafft eines
Reiches ſtecket in den Geſetzen; ſie ſind ein
Schild wider aͤuſerliche Feinde/ und ein Schirm
wider die aus unſerer eigenen Gemeinſchaft uns
zu Kopfe wachſende Wuͤteriche. Aber Erato
hat die Taffeln unſerer Geſetze/ und zwar die
unverſehrlichſten/ welche nemlich den Gottes-
Dienſt angehen/ ſchon zu Bodem geworffen/ und
mit Fuͤſſen getreten; wir aber hier zu unter dem
Scheine einer andaͤchtigen Keuſchheit ein Auge
zugedruͤckt. Weñ aber die Geſetze ſchon einmahl
entkraͤfftet/ oder verwirret/ ja nur ein wenig
gebeugt werden/ iſt ihre gaͤntzliche Zernichtung
fuͤr der Thuͤre/ und die Herrſchſucht hebet ſie un-
ſchwer mit einem einigen Anſatze vollends
gantz aus den Angeln. Ein Kluger darff nicht
ſo
[311]Arminius und Thußnelda.
ſo dann allererſt die Ohren ſpitzen: ob ſich von
ſerne ein Kriegs-Geſchrey hoͤren/ oder truͤbe
Wolcken aus der Nachbarſchafft blicken laſſen.
Denn weil ſo denn der Geſetze Schutz ge-
ſchwaͤcht iſt/ ſind Heucheley/ Kuͤhnheit und Geld
ſchon ſtarck und verwegen genung der Freyheit
auf den Fuß/ und die alte Herrſchens-Art in
Grund zu treten. Denn die/ welche dem Va-
terlande fuͤr den Riß ſtehen ſollen/ laſſen ſich be-
ſtechen/ oder durch hohe Aempter verblenden.
Durch dieſe machen ſich auch die groͤſten Gemuͤ-
ther einem Fuͤrſten zu Knechten/ in Hoffnung/
daß ſie uͤber viel andere ihres gleichen zu herr-
ſchen haben werden. Durch das ſchaͤdliche
Giſtdes Geitzes/ welcher auf Zuſammenſchar-
rung des Geldes alleine bedacht iſt/ und alles an-
dern vergißt/ wird nichts minder der Leib als das
Gemuͤthe der tapferſten Leute weibiſch gemacht.
Am allermeiſten aber werden die Groſſen eines
Reichs bezaubert/ wenn man ſie ſelbſt des Geſetz-
Zwanges erledigt. Denn hierdurch kriegen
die Herrſcher freye Hand nicht nur fuͤr ſich/ ſon-
dern Weibern/ Kindern und Freunden das
Garn dieſes ſo noͤthigen Bandes abzuſtreiffen.
Die Groſſen im Rathe/ welche doch Vormuͤn-
den der Geſetze ſeyn ſolten/ muͤſſen ſo denn ſelbſt
bey ſich ereignender Spaltung zwiſchen dem
Fuͤrſten und den Geſetzen jenen Pflaumen ſtrei-
chen/ dieſe beugen/ und alſo die heilſamſten Stif-
tungen ſonder groſſes Bedencken im Urthel uͤ-
berwunden werden. Wir haben kein neuer
und merckwuͤrdiger Beyſpiel fuͤr uns/ als des
Kaiſers Auguſt/ welcher bey ſeiner falſch-ange-
ſtellten Abdanckung dem Rathe zu Rom/ als
ein einiges Erhaltungs-Mittel/ nachdruͤcklich
einrieth: Sie ſolten ja an ihren alten Geſetzen
das minſte nicht aͤndern laſſen; gleichwohl aber
der erſte und aͤrgſte Zerſtoͤrer derſelben war/ in-
dem er des Agrippa Soͤhne/ als ſie noch nicht
den Kinder-Rock abgelegt hatten/ zu Buͤrger-
meiſtern/ den Juͤngling Marcell ſeiner Schwe-
ſter Sohn zum oberſten Prieſter/ ſeine Stief-
Soͤhne zu Feld - Herren machte. Alles
diß haͤtte Erato fuͤr laͤngſt ins Werck gerichtet/
wenn ihr nicht der Werckzeug gefehlet haͤtte.
Unterdeſſen waͤre es genung/ daß ſie Meiſterin
der Armeniſchen Grund-Geſetze/ und alſo ihrer
aller Halsfrau worden waͤre. Denn die Frey-
heit eines Volckes/ welche die Armenier faſt al-
leine unter allen Morgenlaͤndern erhalten; waͤ-
re noch ſorgfaͤltiger/ als ein junges Palm- oder
Dattel-Baͤumlein/ auf die Beine zu bringen.
Sie muͤſte ſtets mit neuen Geſetzen befeuchtet/
und mit der Axt der Rechts-Schaͤrffe alle Raͤu-
ber/ wie ſchoͤn ſie auch zu wachſen ſchienen/ abge-
hauen werden. Tiſſafernes verſetzte: Jhm
waͤre zwar auſſer des Anaitiſchen Gottesdienſts
Abſchaffung keine andere Durchloͤcherung ei-
nigen Geſetzes bekandt; wenn aber auch gleich
in einig anderes von der Koͤnigin ein Eingriff
geſchehẽ waͤre/ muͤſte man doch hieraus nicht alſo-
fort eine gaͤntzliche Veraͤnderung der Herſchens-
Art beſorgen. Dieſe waͤre ein ſo ſchwerer Stein/
welchen kein Weib umzuweltzen vermoͤchte/ zu-
mahl er von ſo viel hundert Jahren her ſo
feſte beraſet waͤre. Jhre Herrſchafft waͤ-
re zu ſolchem Abſehen viel zu neu. Denn/
wenn man ein Reich umgieſſen wolte/ muͤſte
es nach und nach/ und ſo unvermerckt ge-
ſchehen/ als der Zeiger an den Uhren/ oder die
Erdkugel ſich umwendet. Es muͤſſe niemand
mehr leben/ der ſich des alten Zuſtandes erinner-
te/ und deſſelbten Suͤſſigkeit geſchmeckt haͤtte.
Den ob zwar der Eigennutz uͤber die Menſchen
eine faſt unablehnliche Gewalt haͤtte/ ſo gebe es
gleichwohl noch ehrliche Leute/ welche die Frey-
heit fuͤr unſchaͤtzbar halten/ und das ihnen dafuͤr
angebotene Kauff-Geld wie die Macedonier die
vom groſſen Alexander zu Abbiſſung der abge-
nommenen Uppigkeiten angezielte Geſchencke
verſchmaͤhen. Derogleichen lebten nun auch
ſicherlich unter denen Armeniern/ welche vori-
ger guͤtiger Koͤnige Herrſchafft nicht nur ge-
daͤchten/ ſondern auch genoſſen haͤtten; und
auff
[312]Drittes Buch
auff derer Beyſtand er ſich auff den Nothfall
zu verlaſſen haͤtte. Oriſmanes brach hierauff
aus: Wenn ich mich auff ſo kluge und tapffere
Leute zu verlaſſen habe/ bin ich entſchloſſen al-
les zu thun/ was das Vaterland von mir hei-
ſchet/ und ſo viel Freunde rathen/ da ich mich an-
ders ihres Beyſtandes zu verſichern habe/ nach
dem meine einigen Haͤnde hierzu viel zu ohn-
maͤchtig ſind. Oxathres einer der Reichs-Raͤthe
hob an: Es waͤre die aͤrgſte Leichtſinnigkeit von
uns/ wenn wir in Ausuͤbung deſſen/ was wir
ſelbſt einrathen/ die Hand abzuͤgen. Entdecke
uns daher deine Meynung/ durch was fuͤr ein
Mittel dem Reiche und uns zu helffen/ und de-
nen Gefaͤhrligkeiten zu begegnen ſey. Oriſma-
nes antwortete: Er wuͤſte mehr nicht als zwey
Wege/ derer einer aber verwerfflich/ der andere
von ihm ſo lange zu verſchweigen waͤre/ biß ihm
Oxathres oder ein ander Fuͤrſt eine ſeiner Toch-
ter veꝛmaͤlet haͤtte. Oxathres verſetzte: Wer wird
dem Oriſmanes ſein Kind verſagen? Alſo habe
kein Bedencken uns beyden etwas zu verſchwei-
gen. Hier auf fing Oriſmanes an: Das ver werff-
liche Mittel iſt die Koͤnigin Erato aus dem Wege
zu raͤumen. Denn man hat from̃e Fuͤrſten wohl
zu wuͤntſchen/ boͤſe aber wie Hagel/ Mißwachs
und andere von Goͤttern herruͤhrende Zufaͤlle zu
vertragen. So viel ihrer an den Julius Hand ge-
legt/ ſind erbaͤrmlich umbkom̃en/ ja etliche haben
mit eben dem Dolche/ den ſie dem Julius in die
Bruſt geſtoſſen/ ihrem verzweifelnden Leben ab-
geholffen. Aſteloth/ der dem Caledoniſcheu Koͤni-
ge mit ſeinem Leben auch die Krone zu rauben
vermeynte/ ward/ der erhaltenen Warſagung
nach/ mit einer gluͤnden Krone gekroͤnet. Denn
es ſind doch Koͤnige Statthalter der Goͤtter auf
Erden/ die in der Welt keinen Richterſtuhl ha-
ben/ weniger iemand ihre heilige Glieder zu ver-
letzen befugt iſt. Uber diß iſt unlaugbar:daß Era-
to bey ihren Fehlern ſo viel unvergleichliche Tu-
gendẽ habe/ welche ſo wenig als ein fruchtbarer
Baum wegen eines duͤrren Zweiges auszurottẽ
ſind. Zu geſchweigen/ daß mehrmals boͤſe Men-
ſchen gute Herrrſcher abgeben/ und ihre Laſter
zum Nutze des Reiches anwenden/ und ihre Un-
terthanen mehrmals zu ihrem Beſten durch Be-
trug hinters Licht fuͤhren. Dahero einige der
Meynung ſind/ daß nur gemeine Leute/ nicht
Koͤnige/ des Boͤſen ſich zu entaͤuſern haͤtten/ wor-
aus man Gutes hoffete; andere an einem Fuͤrſtẽ
Ehrgeitz und Ungerechtigkeit ſo wenig fuͤr ſchelt-
bar hielten/ als man einem Adler den Raub/ ei-
nem Loͤwen den Grim̃ zum Fehler ausſetzte; ja
ihrer viel fuͤr eine herrſchaftliche Tugend hiel-
ten/ wenn Fuͤrſten auch in Laſtern denen Nie-
drigern nichts nachgaͤben. Sintemal Anaxar-
chus den groſſen Alexander ſchon beredet haͤtte/
daß ein Fuͤrſt nichts Boͤſes zu thun vermoͤchte/
ſondern ſo gar die Laſter unter ſeinen Haͤnden
ihre boͤſe Eigenſchaften einbuͤßten/ und weil er
thun moͤchte/ was ihm beliebte/ ſich in was gutes
verwandelten. Wiewohl ich dieſe Abwege von
der Tugend den Fuͤrſten nur wie den Aertzten
das Gift zur Artzney in aͤuſerſter Noth und in
verzweifelten Kranckheiten erlaubt zu ſeyn glau-
be. Uberdiß wuͤrde ſchwerlich Erato ſo leicht
und ohne Aufruhr des gantzen Reiches/ ihrer
Wuͤrde entſetzt werden koͤnnen/ als der Rath zu
Sparta ihrẽ Koͤnige Ageſilaus eine Geld-Buſſe
auflegten/ weil er aller Buͤrger Hertzen geſtohlẽ/
und die Liebe der gantzen Stadt ihm zugeeignet
hatte. Sintemal Erato dem Ageſilaus hieriñen
ſchon zuvor kommen waͤre. Das andere Mittel
fuͤr zuſchlagen ſolte ich wol billich anſtehen/ damit
es nicht ſchiene/ als wenn mein fuͤr des Reiches
Heil abgegebeneꝛ Rathſchlag ein Auge auf meine
ſelbſteigene Vergroͤſſerung haͤtte. Aber weil
ich mich ſo einer hohen Staffel unfaͤhig erken-
ne/ und keiner unter euch iſt/ dem ich nicht den
Vorzug einraͤume/ wil ich lieber auch mit Ver-
dacht das Gute entdecken/ als mit Ruhm dem
Vaterlande zum Schaden das minſte verſchwei-
gen.
[213[313]]Arminius und Thußnelda
gen. Der Koͤnigin Fehlern iſt anders nicht/ als
durch eine kluge Heyrath abzuhelffen/ und Ar-
menien anders nicht/ als durch einen einheimi-
ſchen Braͤutigam zu helffen. Weiber und
Reben duͤrffen wegen ihrer angebohrnen
Schwachheit zu ihrem Wohlſtande einen Ul-
men-Baum oder Stuͤtze/ daran ſie ſich lehnen/
oder darumb winden koͤnnen. Und wir/ da wir
nicht entweder einem geringern gehorſamen/
oder/ wie unter dem Ariobarzanes eines
frembden Volckes Sclaven werden wollen/ koͤn-
nen keinen Auslaͤnder unſere Koͤnigin ehlichen
laſſen. Der Pontiſche Koͤnig hat ſchon ſein
Heil verſuchet/ und es haben ſicherlich alle Nach-
barn auf die Krone Armeniens ihr Abſehen.
Die Koͤnigin aber gar unverheyrathet laſſen/
wuͤrde zwar dem Reichs-Rathe zu Vergroͤſſe-
rung ſeiner Gewalt und Anſehens/ aber hier-
durch zu innerlicher Unruh dienen/ja man wuͤr-
de ihren Fehlern Luft machen ſich zu vermehren;
und weil mit ihr endlich der alte Koͤnigliche
Stam̃ gar verfiele/ moͤchte ihr Tod dem Reiche
ſchaͤdlicher/ als ihr Leben ſeyn/ nachdem entwe-
der die Zwytracht unter denen Groſſen den
Reichs-Apfel zum Zanck-Apfel machen/ und
buͤrgerliche Kriege erregen/ oder den Roͤmern
Gelegenheit geben wuͤrde denen Armeniern wie
Syrien einen aufgeblaſenen Land-Vogt aufzu-
dringen. Daher hielte er fuͤr heilſam und noͤthig
darzu zu thun/ womit Erato foͤrderſamſt an einẽ
Fuͤrſten des Reichs/ darinnen man ihr die Wahl
laſſen koͤnte/ ſich vermaͤhlen muͤſte. Des Oriſ-
manes Anſehen/ Rede und Geberden waren ſo
durchdringend/ daß ihm alle Beyfall gaben/ und
ſie in der erſten Zuſammenkunft einen Reichs-
Schluß machten/ auch ſelbten der Koͤnigin in
verſam̃letem Rathe fuͤrtrugen: Sie ſolte/ und
zwar bey noch waͤhrender Reichs-Verſam̃lung/
einen Fuͤrſten des Reiches zu ihrem Gemahl
erwehlen/ nachdem die gemeine Wolfarth ihren
freyen Wohlſtand nicht laͤnger vertruͤge/ und die
Unterthanen nach einẽ Reichs-Erben ſeufzeten/
deſſen Wohlſtand nicht vertruͤge/ daß der Nach-
folger ungewiß waͤre/ indem ſonſt ihr Reich
ſtets frembdem Ehrgeitze ein Ziel abgebe/ und
Erato ſelbſt nicht ſicher den Reichs-Stul be-
ſaͤſſe. Sintemal der groſſe Alexander ſich ſelbſt
haͤtte beklagen muͤſſen/ daß der Mangel der
Kinder ihn bey Frembden veraͤchtlich gemacht/
ja unter ſeinen eigenen Macedoniern Unei-
nigkeit und Verraͤtherey verurſacht haͤtte. Der
Koͤnigin kam dieſe vermeſſene Gewalts-An-
maſſung ihrer Unterthanen uͤberaus unver-
muthet fuͤr; gleichwohl verdruͤckte ſie ihre hef-
tige Gemuͤths-Bewegung/ wohl wiſſende/ daß
wenn Unterthanen ſich ſchon unterwinden ihren
Haͤuptern an das Heft zu greiffen; ihre Kuͤhn-
heit ſich ins gemein in Raſerey verwandelt/
und ſie gar gegen ihnen die Degen zuͤcken.
Dieſemnach antwortete ſie ihnen: Sie naͤhme
ihren Schluß mehr fuͤr eine Liebe gegen ſie
und ihr Geſchlechte an/ als ſie muthmaſſen
wolte/ daß ſie ihrer Koͤniglichen kein Geſetze
vertragenden Hoheit etwas zu entziehen an-
zielten. Sintemal die Goͤtter dem Volcke
weder Gewalt noch Verſtand uͤber Fuͤrſten zu
urtheilen verliehen haͤtten. Gleichwohl waͤre
es in alle Wege gut ſo wohl einen Gehuͤlfſen
in der Herrſchafft/ als gewiſſe Nachfolger im Rei-
che haben. Aber die Freyheit der Heyrathen
vertruͤgen weder ſolche Maaßgebung/ noch ihre
Wichtigkeit ſo gefaͤhrliche Ubereilung. Sie
wolte dem Wercke nachſinnen/ und ſich deſſen
entſchluͤſſen/ was Armenien nuͤtzlich und ihr
anſtaͤndig ſeyn wuͤrde. Nachdem auch fuͤr
dißmal alle noͤthige Reichs-Sachen erledigt
waͤren/ ſolten die Staͤnde biß zu ihrer Wieder-
Beruffung ſich von ſammen/ und ieder nach
Hauſe ziehen. Hiermit ging die Koͤnigin aus
dem Saale/ und ließ die Staͤnde theils in Be-
ſtuͤrtz-theils in Verbitterung; gleichwohl hat-
ten ſie Bedencken dißmal wider der Koͤnigin
Erſter Theil. R rVer-
[314]Drittes Buch
Verbot laͤnger vereinbart zu bleiben. Wie
ſie nun ſchon aufgeſtanden waren/ bekam Oxar-
thes vom Oriſmanes ein Schreiben/ darinnen
er berichtete: Er habe numehr aus dem Koͤni-
glichen Pontiſchen Hofe/ und zwar aus der Koͤ-
nigin Dynamis Frauenzimmer das Geheim-
nuͤß erfahren: Warumb Erato dem Ariobarza-
nes einen Korb gegeben/ welches ihn muth-
maſſen ließ/ daß ſie ſich ſchwerlich einen inlaͤndi-
ſchen Fuͤrſten zu heyrathen wuͤrde bereden laſ-
ſen. Denn ſie waͤre durch Liebe an den ver-
meynten Fuͤrſten Zeno/ welchen Polemon ſo
lange Zeit fuͤr ſeine Tochter/ Dynamis fuͤr ih-
ren Sohn gehalten/ verknuͤpfet/ daß ſie dieſem
eingeſchobenen und Zweifels-frey von niedriger
Ankunft entſproſſenẽ Menſchẽ ſchwerlich einen
wuͤrdigern fuͤrziehen wuͤrde. Oxarthes laß diß
Schreiben/ wiewohl mit Verſchweigung des O-
riſmanes/ alſofort der gantzen Verſammlung
fuͤr/ brachte es auch ſo weit/ daß ſie der Koͤnigin
als einen neuen Reichs-Schluß fuͤrtragen lieſ-
ſen: Weil ſie keines geringen Auslaͤnders
Knechte ſeyn/ noch unter der weiblichen Herr-
ſchafft laͤnger ſchmachten koͤnten; ſolte ſie ſich
entweder vorigem Schluſſe unterwerffen/ oder
Kron und Zepter niederlegen. Die Koͤnigin
ward durch dieſe verzweifelte Verwegenheit
hochbeſtuͤrtzt/ iedoch fragte ſie den Oxarthes/
welcher das Wort fuͤhrete: Was fuͤr einen ge-
ringen Auslaͤnder meynſt du wohl/ wird
Erato ſich vermaͤhlen/ welche den maͤchtigen
Ariobarzanes verſchmaͤhet? Dieſer unver-
ſchaͤmte Raͤdelsfuͤhrer begegnete ihr alſofort:
Wir fuͤrchten den ſo genennten Fuͤrſten Zeno
zu Sinope. Erato erblaßte uͤber dieſer Ant-
wort/ und konte nicht erſinnen/ wie ſie diß Ge-
heimnuͤß ihrer Liebe ausgeſpuͤrt haͤtten; ver-
ſetzte aber gleichwohl: Es iſt wahr/ daß ich die-
ſen unvergleichlichen Fuͤrſten ſo wohl meines
Bettes/ als aller Welt-Kronen wuͤrdig ſchaͤtze.
Sage du aber/ daß ich keinen meiner Vermaͤh-
lung wuͤrdig ſchaͤtze/ den nicht die Sonne/ wie
mich/ nicht ſpaͤter als einen Fuͤrſten/ denn einen
Menſchen/ beſchienen hat. Den Staͤnden
melde auch/ daß ich morgen auf dem groſſen
Reichs-Saale ſie ſelbſt beantworten wolle.
Folgenden Tages kam Erato in praͤchtigſter
Kleidung/ uͤber und uͤber mit den koͤſtlichſten
Edelgeſteinen bedecket/ die Krone auf dem
Haupte/ den Zepter in der Hand tragende/ in
den beſtim̃ten Ort. Sie lehnete ſich auf den
Artafernes/ zwey andere ihr getreue Fuͤrſten
trugen das Schwerdt und den Reichs-Apfel
vorher/ und ſie ſetzte ſich auf den aufs herrlich-
ſte erhobenen Thron. Der Saal war mit viel
tauſend Menſchen alſo angefuͤllet/ daß kein
Apfel zur Erden konte/ welchen allen die Be-
gierde zu vernehmen/ was die Koͤnigin fuͤr einen
Gemahl erkieſen wuͤrde/ ein unbewegliches
Stillſchweigen auflegte. Hierauf fing ſie
mit einer freudigen Geberdung und holdſeli-
gen Stimme an:
Wenn die freywillige Wahl der Armenier
mir nicht meiner Voreltern Krone aufgeſetzt
haͤtte/ wuͤrde ich noch zu zweifeln haben: Ob
das Erb-Recht und der letzte Wille meines
Vatern Artaxias genung geweſt waͤre mir
dieſen Thron zuzueignen/ welchen fuͤr mir noch
kein Weib beſeſſen hat. So aber wiſſen die
Goͤtter/ und eure Gewiſſen uͤberzeugẽ euch/ daß
ſich Erato nicht zur Krone gedrungen/ nach wel-
cher die meiſten Sterblichen ſo begierig ſeufzen/
weil ſie nicht wiſſen/ daß ſie ſo ſchwer/ und nichts
als ein Zirckel ſey/ der keinen Mittel-Punct der
Ruh in ſich habe. Unſere Vorfahren haben
bey Kroͤnung ihrer Fuͤrſten nachdencklich ein-
gefuͤhrt/ daß der neue Koͤnig anfangs Feigen/
hernach Terebinthen-Beeren eſſen/ endlich ei-
nen Becher ſauere Milch austrincken muͤſſe.
Denn der Anfang des Herrſchens iſt anfangs
ſuͤſſe/ das Mittel herbe/ das Ende aber verſau-
ert gar. Jch ſelbſt habe in weniger Zeit er-
fahren/
[315]Arminius und Thußnelda.
fahren/ die Herrſchafft uͤber andere ſey eine
edle Dienſtbarkeit; auch mich befliſſen zu er-
weiſen/ daß ich den Zepter zu Beſchirmung
des Volckes fuͤhrte/ meiner Wuͤrde aber
nicht zu meiner Uppigkeit mißbrauch-
te; daß meine Sorgfalt erſetzte/ was mei-
nem Geſchlechte abgehet/ und daß euch eu-
rer Wahl/ mich aber meiner Wachſamkeit fuͤr
eure Wolfarth nicht gereuen moͤchte. Denn
nachdem in Armenien eine Neuigkeit iſt/ einer
Koͤnigin gehorſamen/ habe ich mich mehr umb
eure Liebe/ als umb eure Dienſtbarkeit bewor-
ben. Jch habe nach euren Geſetzen gelebt/
die ich keinen unterworffen bin; denn die Will-
kuͤhr der Koͤnige iſt ſelbſt Geſetzes genung/ die
Goͤttin der Gerechtigkeit lehnet ſich ſtets an
den Richter-Stuhl des Jupiters; Jnſonderheit
wenn ſie der Natur gemaͤß ſind/ welche ich
allemal fuͤr meine Richtſchnur/ und fuͤr das auch
uͤber Fuͤrſten herrſchende Recht gehalten/ und
ſo wohl des Seleucus/ als der Parthiſchen Wei-
ſen Meynung verdammet: Unter denen jener
alles Recht ſprach/ was ein Koͤnig ſeinen Unter-
thanen fuͤrſchriebe; wenn es ſchon wie ſeines
Sohnes mit der Stiefmutter vollzogene Eh
wider Zucht und Erbarkeit lieffe. Dieſe aber
bey gebilligter Heyrath des Cambyſes mit ſei-
ner Schweſter fuͤrs hoͤchſte Geſetze ruͤhmte:
Ein Perſiſcher Koͤnig haͤtte alles zu thun
Macht/ was ihm beliebte. Aber ich ſehe
wohl/ daß ihr/ die ihr an die Geſetze gebunden/
nicht nur ohne ſie ſeyn/ ſondern der Geſetzge-
berin ſelbſt fuͤrſchreiben wollet. Jhr wollt
mich an eine Heyrath binden/ die in der Will-
kuͤhr ieglichen Buͤrgers ſteht. Glaͤubt aber/ daß
wie Unterthanen nichts groͤſſers als ihren Ge-
horſam verlieren/ alſo unmoͤglich/ ein Koͤnig
ſeyn und gehorchen beyſammen ſtehen koͤnne.
So wenig die Menſchen dem Geſtirne Geſetze
geben/ und den Lauff der Sonnen einrichten
moͤgen; ſo wenig ſtehet Unterthanen zu/ das
Fuͤrnehmen ihrer Obrigkeit zu meiſtern. Jhr
meynet: Der Koͤnig ſey uͤber das Volck/ aber
das Heil des Reichs uͤber den Koͤnig. Unter-
ſucht ihr aber auch/ daß weniger Koͤpfe Ehrgeitz
der Uhrheber dieſes Fuͤrwands/ der Ungehorſam
der Reiche Untergang ſey? Jedoch/ ich wil
mein Urthel nicht ſo vieler Meynungen fuͤrzie-
hen/ und euch ein Beyſpiel zeigen/ daß dieſer
der maͤchtigſte Koͤnig ſey/ der uͤber ſeine Be-
gierden vollmaͤchtig zu gebieten hat. Daß
derſelbe die meiſten Unterthanen habe/ der ſich
der Vernunft unterwirfft/ welche uͤber alles
eine allgemeine Herrſchafft hat/ und daß Erato
ein großmuͤthiger Hertze habe/ als jener Hetru-
riſche Landmann/ der ſich gegen dem Kaͤyſer
Auguſt fuͤr ein empfangenes Unrecht bedanck-
te/ weil er es nur aus Jrrthum/ ich aber gegen
euch wohl bedacht thue. Sehet! hiermit lege
ich Kron und Zepter nieder; nehmet ſie hin/
und gebet ſie einem wuͤrdigern. Des Gehor-
ſams darff ich euch nicht entlaſſen/ ihr habt
ſelbten mir ſelbſt ſchon entzogen. Wormit
ihr aber von mir noch einer Zugabe genieſſet/
erklaͤre ich mich/ daß ich numehr als eine Buͤr-
gerin verantworten wil/ was ich als eine Koͤ-
nigin geſuͤndigt zu haben von iemanden be-
ſchuldigt werden moͤchte. Bin ich ſchon die
letzte meines Geſchlechtes/ die Armenien be-
herrſchet hat/ hoffe ich doch die erſte in der
Welt zu ſeyn/ die ihr Koͤnigreich ohne wenige-
re Empfindligkeit von ſich ſtoͤſt. Alle Zu-
ſchauer waren anders nicht/ als wenn ſie der
Blitz geruͤhret haͤtte. Alle verſtummeten/
ſahen einander an/ Oxarthes und etliche an-
dere Aufruͤhrer aber wurden mit Scham-
Roͤthe uͤbergoſſen. Denn die Boßheit wird
mehrmals ſo wohl durch unverhoffte Errei-
chung ihres boͤſen Zwecks/ als durch Fehl-
ſchlagung ihrer argliſtigen Anſchlaͤge beſchaͤ-
met. Der einige Artafernes erholete ſich/
und fiel der von dem Stuhle niederſteigenden
T t 2Koͤni-
[316]Drittes Buch
Koͤnigin mit vielen Thraͤnen zun Fuͤſſen/ ſie
beweglichſt erſuchende: Sie moͤchte von ihrem
Vorſatz abſtehen/ und Armenien ihr liebes Va-
terland nicht verwaͤyſet laſſen; ſie moͤchte aus
ihrer Erleichterung Armenien nicht ſo groſſe
Verwirrung zuziehen/ noch aus dem ihr
Ruhm erwerben/ woraus dem gantzen Reiche
eine unausleſchliche Schande erwuͤchſe. Un-
terſchiedene andere thaͤten es Artafernen nach/
und meynten ſie durch Herausſtreichung der
Koͤniglichen Herrſchafft/ und ihrer von ſo vielen
verlangten Suͤſſigkeit von ihrem Vorſatze ab-
wendig zu machen. Erato aber begegnete
ihnen: Die/ welche die Koͤnigliche Wuͤrde nicht
kennten/ und fuͤr eine halbe Vergoͤtterung
hielten/ moͤchten ſich umb ſie draͤngen. Sie
aber haͤtte die Armeniſche Krone mit einer ſol-
chen Gemuͤths-Maͤſſigung bekommen/ als
wenn ihr iemand einen Feilgen- oder Roſen-
Krantz geſchenckt haͤtte; alſo ſtiege derſelben
Verluſt ihr auch wenig zu Hertzen. Sie er-
innerte ſich wohl/ daß zweyen Haͤuptern der
Stoiſchen Weltweiſen/ welche doch die Un-
empfindligkeit fuͤr ihren Abgott hielten/ dem
Pythagoras nemlich und Zeno die Herrſchafft
ſo ſehr unter die Augen geleuchtet haͤtte/ daß ſie
ſo gar mit Gewalt derſelben ſich zu bemaͤchti-
gen bemuͤht geweſt waͤren; Plato haͤtte ſie fuͤr
eine Goͤttligkeit/ ein ander fuͤr eine guͤldene
Erndte gehalten; ſie aber pflichtete einer
gantz andern Weltweißheit bey/ welche der-
ſelben Wahnwitz verwuͤrffe/ die lieber auf
Goldenſtuͤck krancken/ als auf Stroh geſund
ſeyn; die mit ſuͤſſem Gifte ſich lieber toͤdten/
als durch bittere Rhabarber geneſen wolten.
Ja wenn auch die Herrſchafft an ihr ſelbſt
noch ſo anmuthig waͤre/ wuͤrde doch numehr/
da man ſie ihr aufzudringen gedaͤchte/ nichts
minder/ als die Leyer des Arion und Orpheus/
weil ſie beyde aus Noth und Zwang anſtim-
men muͤſte/ alle Liebligkeit verlieren/ ungeach-
tet jener die Ehre hatte von denen ihm
aufhalſenden Delfinen aus dem Schiffbruche
errettet/ dieſer von denen zuſammen gelock-
ten Thieren verehret zu werden. Denn
aller Zwang vergaͤllete iedwede Suͤſſigkeit.
Hiemit drang die unerbittliche Erato auf das
Thor zu/ umb ſich aus dem Saale zu begeben.
Oſthanes ein junger Armeniſcher Fuͤrſt hin-
gegen vertrat ihr mit entbloͤßtem Degen den
Weg/ und redete ſie an: Das Verbuͤndnuͤß
zwiſchen einem Fuͤrſten und ſeinem Volcke
waͤre ſo feſte/ daß ſo wenig die Unterthanen
ihren Koͤnig des Reichs entſetzen/ ſo wenig
dieſer ohne jener Willen ſich des Herrſchens
entaͤuſern koͤnne. Alſo ſolte die Koͤnigin Fuß
halten/ und ihrer Ruh das gemeine Heil fuͤrzie-
hen. Erato laͤchelte/ und fing an: Mein
Freund/ dringe mir diß nicht auf/ was ich alleine
wegwerffe/ die meiſten in dieſem Gemache aber
aͤuſerſt verlangen; was mir ſo vieler Naͤchte
Schlaf verſtoͤret/ und worumb ich morgen
wieder in Sorgen ſtehen muͤſte/ daß man es
mir wieder aufs neue aus den Haͤnden winde.
Das Volck hat durch ſeine Vorſteher mich
meiner Pflicht erlaſſen/ da ſie die ihre verſeh-
ret. Meynſt du aber/ daß die/ welche zwey
Reiche ohne Seufzen verlaͤſſet/ fuͤr einem ruͤhm-
lichen Verluſte ihres Lebens erzittern kan?
Uber dieſer Wort-Wechſelung entſtand eine
heftige Zwytracht/ indem der Adel den fuͤr
einen Reichs - Verraͤther ausruffte/ der
die Koͤnigin zu ſolcher Entſchluͤſſung verur-
ſacht haͤtte. Die Reichs-Raͤthe trennten
ſich auch ſelbſt/ und nachdem etliche den
Oxarthes fuͤr den Uhrheber angaben/ wen-
dete Oſthanes ſeine Sebel von der Erato ab/ und
verſetzte dem Oxarthes einen ſelchen Streich/
daß ihn Erato noch ſeine Seele ausblaſen ſahe.
Hieruͤber entſtand ein allgemeines Blut-
Bad/ der Reichs-Saal ward in eine traurige
Schlacht-Banck verwandelt/ und die Armeni-
er
[317]Arminius und Thußnelda.
er wurden den erſten Augenblick inne/ daß ein
Reich ohne Oberhaupt/ eine Weltohne Son-
ne/ ja eine lebendige Hoͤlle ſey. Bey dieſer
Uneinigkeitgewann Erato Zeit ſich ſo wohl aus
dem Saale/ als auff denen bereit beſtellten
Pferden aus Artaxata zu retten. Weil ich und
Artafernes Sie nun von ihrem Fuͤrſatze zu
bringen nicht vermochten/ ungeachtet wir ihr
den bereit erfolgten Tod des Raͤdelsfuͤhrers
und anderer Auffwiegler fuͤrſtellten/ und daß
Armenien ſie in wenig Stunden mit groͤſſerm
Frolocken/ als das erſte mahl auff den Stuel he-
ben wuͤrde/ vertroͤſteten/ und ſie uͤber Hals und
Kopf aus Artaxata eilte/ wolten wir ſie nicht ver-
laſſen/ noch den ungewiſſen Ausſchlag der in-
nerlichen Unruh erwarten; ſondern gaben uns
mit der Erato auff den Weg/ wiewohl nicht
ſonder Hoffnung/ es wuͤrden nach geſtuͤrtzten
Aufruͤhreꝛn die Staͤnde ſie wieder einrufen/ und
wir ſo vielmehr ſie auff einen andern Sinn zu
bringen Gelegenheit finden. Wir reiſeten al-
le in Manns-Kleidern/ und daher unkenntlich/
dem Gordieiſchen Gebuͤrge zu; woraus der
Phrat und Tiger entſpringt/ als wir auch in
die Stadt Artemita kamen/ ward durch einen
Herold ausgeruffen: Der Urheber der Ver-
raͤtherey wider die Koͤnigin waͤre erforſchet/
nehmlich Oriſmanes/ welcher ſie und das Reich
dadurch zu erlangen getrachtet/ aber auch durch
verzweiffelten Eigen-Mord nichts minder ſeine
eigene Straffe/ als die Unſchuld der Koͤnigin
ausgefuͤhrt haͤtte. Dahero wuͤrde die fluͤchti-
ge Erato von ihren getreuen Unterthanen er-
ſuchet: Sie moͤchte zuruͤck kehrenden vaͤterli-
chen Thron beſitzen/ und ihren Zwiſtigkeiten
vollends abhelffen. Wir lagen ihr auffs neue
an/ aber umſonſt; denn ob wir wohl daſelbſt ei-
nen Tag auszuruhen fuͤrgehabt/ ſetzte ſie doch
ſelbige Stunde noch ihre Reiſe ferner und ſchleu-
niger als vorhin fort. Folgenden Tag kamen
wir gegen den Mittag an eine angenehme
Bach/ welche ein mit tauſenderley Blumen
und Kraͤutern ausgeputztes und von vielen [da]-
ſelbſt wachſenden Amomum eingebieſamtes
Thal zertheilet/ die Huͤgel waren mit eiteln
Myrthen-Oel- und Lorber-Baͤumen beſchattet/
alſo daß dieſes Paradieß die Koͤnigin amꝛeitzte da-
ſelbſt die Mittags-Hitze vorbey gehen zu laſſen.
Erato fing bey ſolcher Ruh an/ ihre numnehr er-
langte Gluͤckſeligkeit zu preiſen/ um dardurch
uns beyden/ derer Augen ſtets voller Waſſer
ſtanden/ die ſo tieff eingewurtzelte Traurigkeit
ein wenig auszureden/ ja ſie betheuerte/ daß die
gantze Zeit ihrer Herrſchafft ſie keine ſo froͤliche
Stunde gehabt/ als ſie an dieſer anmuthigen
Bach genieſſe. Sie prieß ihre neuerlangte
Befreyung von den guͤldenen Faͤſſeln ihrer all-
gemeinen Dienſtbarkeit/ in welcher das unſchul-
dige Leben unauffhoͤrlicher Arbeit/ das laſterhaf-
te ewiger Schmach/ beydes groſſen Gefaͤhrlig-
keiten unterworffen/ ja noch ungemeine Gluͤck-
ſeligkeit waͤre/ ſich dieſer Laſt ohne einen blutigen
Untergang entbuͤrden koͤnnen/ und wenn man
von dieſer abſchuͤßigen Hoͤhe nicht geſtuͤrtzt wuͤr-
de/ ſondern gemach abſteigen moͤchte. Bey
dieſer Gelegenheit redete ich die Koͤnigin an:
Es waͤre nur unbegreifflich/ daß der bloſſe Auff-
ſtand der unbedachtſamen/ aber ſchon zur Reue
gebrachten Staͤnde/ noch auch die der Herv-
ſchafft anklebende Beſchwerligkeit ihr die vaͤter-
liche Krone ſo vergaͤllet haben ſolte; es muͤſte
eine groͤſſere Urſache in ihrem Hertzen verhor-
gen liegen/ welche ſie wider ihre angebohrne
Guͤtigkeit ſo ſehr verhaͤrtete. Erato begegne-
te mir: Liebſte Salonine/ kennteſt du Koͤ-
nigliche Kronen ſo wohl inn- als auswendig/
du wuͤrdeſt keine auffheben/ wenn du ſchon
mit dem Fuße dran ſtieſſeſt. Der groſſe Kaͤy-
ſer Auguſt hat ſich nicht ohne Urſach derſelben
entſchuͤtten wollen; und ich halte die Urſachen
des Agrippa/ der ihm ſolches gerathen/ wich-
R r 3tiger
[318]Drittes Buch
tiger und loͤblicher/ als des Mecenas/ der ihm
dieſen loͤblichen Vorſatz wieder ausgeredet.
Antiochus hat auch ſo thoͤricht nicht gethan/
als er ſich gegen die Roͤmer/ nach dem ſie ihn
ſeines gantzen Gebietes diſſeit des Tauriſchen
Gebuͤrges entſetzten/ bedanckte/ daß ſie ihm ei-
ner ſo groſſen Uberlaſt und vieler Sorgen ent-
buͤrdet haͤtten. Gleichwohl aber geſtehe ich/
daß die Liebe des gemeinen Heils mir die-
ſe Laſt erleichtert/ ich auch wegen meiner Ge-
maͤchligkeit dieſes Geſchencke der Goͤtter nicht
weggeworffen haͤtte. Solte dir aber/ ver-
trauteſte Salonine/ wohl ſchwer fallen die
Haupt-Urſache dieſer meiner Entſchluͤſſung
durch ein weniges Nachdencken zu errathen.
Haſtu den unvergleichlichen Fuͤrſten Zeno ſo
geſchwind aus dem Gedaͤchtniſſe bracht/ dem
ich zu Sinope meine gantze Seele gewiedmet/
und deſſen Abweſenheit mich ſeit der Zeit keine
Nacht ruhen/ noch auch aus der groͤſten Er-
getzligkeit die geringſte Vergnuͤgung hat ſchoͤpf-
fen laſſen? Oder traueſtu meinem Gemuͤthe
zu/ daß ich nicht ihn/ ſondern ſein Gluͤcke ge-
liebt? daß/ nach dem er auffgehoͤrt des Pole-
mon Sohn/ und ein Erbe der Pontiſchen Koͤ-
nigreiche zu ſeyn/ bey mir auch ſein Gedaͤcht-
niß verſchwunden ſey? Nein ſicher! Jch wer-
de ſeinethalben noch zehen Ariobarzanes und
alle Armeniſche/ ja aller Welt Fuͤrſten ver-
ſchmehen; Wenn ſchon ſeine Tugenden mein
Gemuͤthe und deinen Zweiffel nicht uͤberrede-
ten/ daß/ ob er ſchon kein Kind der Dynamis/
doch aus Fuͤrſtlichem Stamme entſproſſen ſey.
Jſt dir ſeine eigene Fuͤrtreffligkeit nicht Be-
weiſes genug/ ſo will ich dir ein unverwerf-
liches Zeugniß der Goͤtter fuͤrlegen. Denn
wiſſe/ daß ich nach meiner Ankunfft in die
Stadt Jderſa in dem Phrixiſchen Tempel der
Morgenroͤthe/ woraus Jaſon den guͤlde-
nen Widder geholet/ dieſe Antwort bekommen
habe:
Was meineſt du nun wol Salonine/ ob ich nicht
Urſach habe/ mich ſo wol dem Verhaͤn gniſſe gut-
willig zu unterwerffen/ als auf die fernere Huͤlf-
fe der Goͤtter zu verlaſſen/ welche bereit die Helf-
te dieſer ſo deutlichen Weiſſagung wahr gemacht
haben. Nicht nur ich/ fuhr Salonine fort/ ſon-
dern auch Artafernes verwundern ſich uͤber
dieſen goͤttlichen Offenbaꝛungen uͤbeꝛaus/ ſchoͤpf-
ten auch von demſelben Augenblicke an kraͤffti-
gen Troſt. Ja ich konte mich nicht enthalten
uͤberlaut zu ruffen: Jhr guͤtigen Goͤtter! Ach
laſſet doch unverlaͤngt geſchehen/ daß Fuͤrſt
Zeno dieſer beſtaͤndigen Koͤnigin/ bey der die
Liebe die Ehrſucht/ den groͤſſeſten Abgott
der Welt uͤberwindet/ von ihren aͤngſtigen
Beſchwerden befreye! Wir zogen hierauff fort/
kamen ſonder einige denckwuͤrdige Begeben-
heiten uͤber das Tauriſche Gebuͤrge nach E-
deſſa/ von dar durch die Cyrreſtiſche Landſchafft
noch Antiochia an dem Fluſſe Orontes in Sy-
rien/ und endlich von dar uͤber Meer nach Pa-
phos in Cypern/ wo der beruͤhmte Tempel
der Venus zu ſehen iſt. Selbigen ſoll Cyniras
an den Ort gebauet haben/ wo dieſe aus dem
Meere nach der Geburt ſteigende Goͤttin ih-
ren Fuß zum erſten mahl hingeſetzt. Thamy-
ras aus Cilicien hat darinnen zum erſten/ und
ſeine Nachkommen hernach lange Zeit geweiſ-
ſaget. Die itzigen Prieſter rechnen ihren Ur-
ſprung von Cynira her. Erato wolte die
Gelegenheit nicht verſaͤumen hier ihre An-
dacht zu verrichten. Wir begleiteten ſie in den
herrlichen Tempel/ welcher dreyfach mit Myr-
tenbaͤumen umgeben/ aus eitel weiſſen Mar-
mel recht in die Rundte/ und eben ſo wie der
Dianen Tempel zu Epheſus vierhundert
fuͤnff
[319]Arminius und Thußnelda.
fuͤnff und zwantzig Schuch lang gebaut/ in-
wendig mit dichtem Golde uͤberzogen/ aber mit
keinem Dache belegt war. Denn es hat die-
ſes Heiligthum diß beſondere Wunderwerck/
daß weder Regen noch Thau ſelbtes befeuch-
tet. Das Thor hat Phidias aus Ertz gegoſ-
ſen/ und darinnen wie die gebohrne Venus
auff einer Purpur-Muſchel von vier Meer-
Schweinen ans Ufer abgeladen wird/ auffs
kuͤnſtlichſte gebildet. Uber dem Thore ſtehet
auff einem viereckichten Agathſteine folgen-
de Uberſchrifft:
Dem Eingange gegenuͤber ſtehet die Helffenbei-
nerne Venus des Praxiteles/ welche mit der zu
Gnidus um den Vorzug ſtreitet/ und darein ſich
Macareus ſo unſinnig verliebet. Unten an dem
Fuße dieſes Wunderbildes waren dieſe Reime
zu leſen:
Auff der rechten Hand ſtehet eben dieſer Goͤttin
Bild/ wie ſie die Himmels-Kugel auff den Ach-
ſeln traͤgt/ aus Alabaſter vom Phidias gemacht/
auff der lincken des Alcamenes aus Marmel/
einen guͤldenen Apffel in der Hand haltend/ da-
mit er den Agoracritus uͤberwunden. Der o-
berſte Prieſter Soſtratus begegnete uns auf der
Schwelle mit etlichen andern/ und ließ die zum
Opffer von uns beſtimmten drey Boͤcke/ als das
hier angenehmſte Opffer/ nachdem er ſie euſſer-
lich wohl betrachtet/ und tauglich befunden/ von
uns abnehmen. Er ſelbſt fuͤhrte uns fuͤr das in
der Mitte unter freyem Himmel ſtehende Altar/
fuͤr welchem wir nieder knieten/ nachdem wir
vorher einen guͤldenen Groſchen darauff ge-
legt/ und eine Hand voll Saltz in das daſelbſt
brennende Feuer geſprenget. Das daruͤber
erhoͤhete Bild der Goͤttin war nicht in Men-
ſchen-Geſtalt/ ſondern ein aus Gold gegoſſener
Circkel/ der vorwerts am weiteſten war/ ein-
werts aber immer enger in einen gar kleinen
Umkreiß zulieff. Des Prieſters Auslegung
nach/ iſt die Venus alſo gebildet/ entweder weil
ſo wohl die groͤſten als kleinſten Geſchoͤpffe der
Natur durch ihren Einfluß erhalten wuͤrden/
oder ihr Geſtirne eben ſo wie der Monde ab
und zunehme/ wenn es der Erden am weiteſten
ent-
[320]Drittes Buch
entfernet/ voll und am groͤſten/ bey Naͤherung
der Erden aber hoͤrnricht und am kleinſten waͤ-
re. Der Prieſter ließ von denen geſchlachteten
Boͤcken nur die im Weine rein abgewaſchene
euſſerſten Theile der Glieder und Eingeweide
auff das Altar bringen/ denn es mit keinem Blu-
te beſpritzt werden darff. Zweyfelsfrey/ weil
die Liebe ſelbſt der Urſprung alles Blutes/ oder
auch gar nicht blutbegierig iſt. Nach dem der
Prieſter alle Faͤſerlein/ und inſonderheit die
Stuͤcke von den Lebern genau beſchauet/ ſtreu-
te er eine Schuͤſſel voll Weyrauch in die Flam̃e/
kehrte ſich hierauff um und fing zur Erato an:
Die Goͤttin haͤtte ihr Gebeterhoͤret; Sie wuͤr-
de zwar noch allerhand Zufaͤlle uͤberwinden
muͤſſen/ aber das Verhaͤngniß daͤchte ihr mehr
zu/ als ihre Gedancken itzt begreiffen/ oder ih-
re Hoffnung faſſen koͤnte. Nach dieſer erfreu-
lichen Ankuͤndigung fuͤhrte uns Soſtratus in
eine Halle/ und zeigte uns alle dieſelben un-
vergleichlichen Schaͤtze/ welche die Vorwelt/ und
in ſelbter auch ihre Vor-Eltern der Goͤttin ver-
ehret. Unter denen aber allen den Vorzug
verdienet das aus dichtem Golde gegoſſene
Bild der reutenden Hipſicratea/ welches zu ewi-
gem Gedaͤchtniſſe ihrer unzertrennlichen Be-
gleitung ihr Gemahl der groſſe Mithridates die-
ſem Heiligthume gewiedmet. Erato nahm nebſt
uns Abſchied/ und wir ſegelten mit gutem Win-
de nach Rom. Sintemahl ſie in dieſem allge-
meinen Vaterlande der Voͤlcker vom Fuͤrſten
Zeno einige Nachricht zu erhalten hoffte. Wie
wir nun zu Rom zwar vom Zeno das wenigſte
vernahmen/ Erato aber mit des Tiberius Soh-
ne dem jungen Druſus vertraͤuliche Freund-
ſchafft machte/ und dieſer ſeinem Vater und dem
Germanicus in den Dalmatiſchen Krieg fol-
gen wolte/ entſchloß ſich Erato in ſeiner Geſell-
ſchafft zu reiſen/ und mit ihm daſelbſt ihr Gluͤck
zu verſuchen. Wie wir aber in Rhetien ka-
men/ kriegte Druſus vom Tiberius Zeitung/
daß der Dalmatiſche Hertzog Bato und ſein
Sohn Sceva ſich den Roͤmern ergeben/ und al-
ſo dieſer Krieg ein Ende bekommen haͤtte. Hier-
bey war ein Befehl an Druſus/ daß weil krafft
einer vom Koͤnige Marbod ertheilten vertraͤuli-
chen Warnigung die Deutſchen wider die Roͤ-
mer einen Auffſtand fuͤrhaͤtten/ ſolte er ſich in
das Laͤger des Qvintilius Varus nach Deutſch-
land verfuͤgen/ und daſelbſt in die Fußſtapffen
ſeines Vettern des ſieghafften Druſus treten/
welcher die auffruͤhriſchen Gallier im Zaume
gehalten/ die ſie verleitenden Sicambrer uͤber
den Rhein getrieben/ die Bataver und Uſi-
peter gedemuͤthiget/ die Frieſen/ Chauzen und
Cheruſker zum Gehorſam bracht/ bey der in
die Lippe flieſſenden Alme die Feſtung Elſens/
als einen Kapzaum ſelbigen rauhen Voͤlckern
angelegt/ die Bructerer auff der Emſe ge-
ſchlagen/ funffzig Schantzen an Rhein gelegt/
dieſem Fluſſe den dritten Ausgang ins Meer
eroͤffnet/ und mit den Roͤmiſchen Adlern biß
an die Elbe gedrungen waͤre. Erato wol-
te dieſe Gelegenheit das ſo beruͤhmte Deutſch-
land zu beſchauen nicht aus Haͤnden laſſen/
und alſo reiſeten wir mit dem Druſus nach
Meintz/ allwo er ſeines in Deutſchland von
einem Bein-Bruche verſtorbenen Vettern
praͤchtiges Begraͤbnuͤß-Mahl betrachtete/ und
auff ſeinem Altare opfferte. Von Meintz
reiſete Druſus und wir mit ihm auff das
Gebuͤrge Taunus/ und beſahen gleicher ge-
ſtalt die daſelbſt vom erſten Druſus auffge-
baute Feſtung. Wie wir aber von dar/ in willens
zu dem andern Altare des Druſus an der Lippe
und Alme zu gelangen/ bey die Stadt Mattium
kamen/ wurden wir/ die wir von keinem Kriege
nicht wuſten/ gantz unvermuthet von den Catten
uͤberfallen/ ja der junge Druſus im erſten An-
falle mit ſeinem Pferde uͤber einen Hauffen ge-
rennet. Wenn auch Erato und Artafernes
nicht ſo tapffer den Catten begegnet haͤtten/ waͤre
Dru-
[321]Arminius und Thußnelda.
Druſus unzweiffelbar ertreten/ oder gefangen
worden. Aber in dem Erato ſich ſo ſehr bemuͤ-
hete den Druſus aus dem Gedraͤnge zu brin-
gen/ fiel ſie mit ihrem Pferde in einen Sumpf/
ward alſo von den Catten nebſt mir/ die ich mei-
ne Koͤnigin nicht in dem Stiche laſſen wolte/
gefangen. Druſus entkam auf das Gebuͤr ge;
ob Artafer nes ſich mit ihm gefluͤchtet/ oder todt
blieben/ ſtehe ich noch zwiſchen Furcht und
Hoffnung. Wir aber ſind von dem Hertzoge
der Catten als Gefangene in das deutſche Laͤger/
und endlich hieher unter die Schutz-Fluͤgel ſo
einer tugendhafften Fuͤrſtin gebracht worden.
Hiemit beſchloß Salonine ihre Erzehlung/
die holdſelige Thuſnelde aber umarmte ſie mit
beweglicher Verſicherung/ ſie haͤtte mit nichts
ſo ſehr/ als durch den Fuͤrtrag ſo wunderwuͤrdi-
gen Begebenheiten verbunden werden koͤnnen.
Gegen der Erato aber betheuerte ſie: Es waͤre
ihr hertzlicher Wuntſch/ daß ſie in Deutſchland
der Angelſtern ihrer Vergnuͤgung wieder er-
blicken moͤchte/ der ihr auf dem ſchwartzen Mee-
re aus dem Geſichte kommen waͤre. Sie muͤ-
ſte aus denen von ihr erzehlten Tugenden meh-
rentheils Wunderwercke machen; aber dieſer
finde ſie keinen genungſam wuͤrdigen Nahmen/
daß ſie Kron und Zepter verſchmehet um ihrer
Treue keinen Abbruch zu thun; daß ſie den ſo
beſtaͤndig geliebet/ von dem ſie zweiffeln koͤnte:
Ob ſein Stand ihres Geſchlechtes faͤhig waͤre.
Denn die Warheit zu ſagen/ wie hoch ich die
Tugend ſchaͤtze/ wiewol ich weiß/ daß ihre Voll-
kommenheit in ihrem eigenen Weſen beſtehe/
und ſie ſo wenig einen Beyſatz/ als ein vollkom-
mener Edelſtein eine Folge duͤrffe; ſo traute ich
mir doch nicht zu mein Gemuͤthe zu uͤberwin-
den/ daß ſelbtes ſich einem gantz und gar eignen
ſolte/ der nicht Edelgebohren waͤre; wenn auch
ſchon der Neid ſelbſt an ihm keinen Tadel zu fin-
den wuͤſte. Ja wenn ich auch ſchon aus Jrr-
thum mich ſo ferne uͤbereilet haͤtte/ wuͤrde ich
trachten meinen Fuß aus dieſem Garne unver-
merckt zuruͤcke zu ziehen. Denn meinem Ve-
duͤncken nach erfordert ſo wol Liebe als Freund-
ſchafft eine Gleichheit; und wie hohe Ankunfft
den Niedrigen einen Zunder der Liebe abgiebt;
alſo hindert ein niedriger Uhrſprung bey den
Edlen/ daß eine entglimmende Gewogenheir
zu keiner Liebe werde. Zwar iſt mir nicht unbe-
kandt/ daß auch bey uns deutſchen Koͤniginnen
ihre Lieb haber von der Pflugſchaar genommen;
daß die Scythiſchen und Seriſchen Koͤnige ih-
re Gemahlinnen insgemein auch aus dem nie-
drigſten Poͤfel erkieſen; aber ich weiß nicht/ ob
ihre Wahl mehr fuͤr tugendhafft zu achten/ als
des Paris Beginnen fuͤr leichtſinnig zu ſchelten
ſey; da er nach erfahrnem Fuͤrſten-Stande ſei-
ne Hirten-Buhlſchafft Oenone verſchmaͤhete.
Denn wie die Roſen niemahls ohne Purper
bluͤhen/ die Granat-Aepfel nie ohne Kronen
wachſen; alſo ſoll eine Fuͤrſtin auch nie nichts
anders lieben/ als was Purper und Kronen in
ſich hat. Die Koͤnigin Erato begegnete ihr:
Jch habe mich der Rechtfertigung einer ſo nie-
drigen Liebe nicht anzumaſſen/ weil ich an nichts
weniger/ als an des Fuͤrſten Zeno hoher An-
kunfft zweifele. Aber mich duͤnckt/ daß die ſo
holdſelige Thuſnelde ein allzu ſtrenger Richter
uͤber die Liebe ſey; wenn ſie die Tugend eines
niedrigern nicht fuͤr Liebens-wuͤrdig/ oder/
wahrhaffter zu ſagen/ nicht fuͤr edel haͤlt; Da
doch dieſe der Brunn alles Adels iſt. Jch lobe
den Wahnwitz nicht/ daß eine Kaͤyſerin ſich in
einen Fechter/ eine Koͤnigin in einen Mohren/
eine Fuͤrſtin ſich in einen Zwerg verliebt. Jch
widerſpreche nicht/ daß wie auff den hoͤchſten
Gebuͤrgen die reineſte Lufft/ alſo in hohen
Staͤmmen insgemein fuͤrtreflichere Gemuͤths-
Gaben anzutreffen/ und daß die mit Fuͤrſtli-
chem Gebluͤte vermaͤhlte Tugend einen zwey-
fachen Glantz habe/ und alſo der niedrigern fuͤr-
zuziehen ſey; Aber ich kan auch nicht enthengen/
daß eine Fuͤrſtin einen zu lieben Abſcheu tragen
ſolle/ der durch ſeine Tugend ſein Geſchlechte
Erſter Theil. S sadelt/
[322]Drittes Buch
adelt/ und den erſten Stein zu ſeinem Gluͤcke
leget. Sonſt haͤtte Aſtyagens Tochter Man-
dane nicht dem Cambyſes/ die Edle Herſilia
nicht den Tullus Hoſtilius/ des Damaſcon
Wittib nicht Agathoclen/ und des itzigen Kaͤy-
fers Tochter nicht den Agrippa lieben koͤnnen.
Sicher/ die Liebe hat allzu viel Zaͤrtligkeit an
ſich/ als daß ſie dieſem ſcharffen Geſetze ſich un-
terwerffen ſolte. Die hohen Cedern ſind der
Ehrſucht/ die niedrigen Myrten- und Roſen-
ſtraͤuche der Liebe gewiedmet; Dieſe aber hat
mit jener keine vertraͤgliche Gemeinſchafft.
Die der Liebe ein Sinnbild zueignen/ bilden ſie
wie keinen Adler ab/ die nur in der Schooß des
Jupiters/ oder auf dem Tauriſchen Gebuͤrge
niſten/ ſondern wie Bienen/ die an dem Saffte
und der Seele der niedrigen Blumen ſich ver-
gnuͤgen; die den Thau des Himmels nicht ver-
ſchmaͤhen/ wenn er ſchon in die tiefſten Thaͤler
auf ſich buͤckende Kraͤuter gefallen iſt. Ja auch
die Liebe/ die zwiſchen hohen Haͤuptern ſich ent-
ſpinnet/ enteuſert ſich bey ihrer ſuͤſſen Genuͤſ-
ſung aller euſerlichen Herrligkeit; Sie ſuchet
ihre Ergoͤtzligkeit nicht in den Zinnen der Pal-
laͤſte/ ſondern in den Wohnſtaͤdten der Hirten;
nicht in dem Gepraͤnge des Hoffes/ ſondern in
einfaͤltiger Vertraͤuligkeit. Uber diß ſchiene
der Fuͤrſtin Thuſnelde Meinung auch der
Wuͤrde des weiblichen Geſchlechtes einen Ab-
bruch zu thun. Denn da ein Edler durch ſeine
Heyrath eine Unedle adelte; warum ſolte dieſe
Krafft dem Frauenzimmer verſchraͤnckt ſeyn?
Warum ſolten ſie nicht ihren Adel auf die Ge-
ſchlechts-Nachkommen fortpflantzen/ die zu der
Fortzeugung mehr Gebluͤte und Sorge/ denn
die Maͤnner/ beytruͤgen? Dieſemnach die E-
pizephyrier den Adel gar vernuͤnfftig von den
Muͤttern herrechneten; die Lycier ihre Kinder
nach den muͤtterlichen Ahnen/ als denen edel-
ſten Vor-Eltern nenneten; und die Egyptier
ihren Koͤniginnen mehr Ehre/ als den Koͤnigen
erwieſen; in Jndien die Schweſter-Kinder ſo
gar die Soͤhne von der Reichs-Folge ausſchluͤſ-
ſen. Die Fuͤrſtin Thuſnelde antwortete hier-
auf: Jch will nicht in Abrede ſeyn/ daß auch
tapffere Leute von gemeinen gezeuget werden.
Dieſes aber geſchiehet vielleicht ſo ſelten/ als de-
nen Reigern auf ihren Koͤpfen die ſo koſtbaren
Koͤnigs-Federn/ und denen Schlangen Kro-
nen wachſen. Dahingegen die alten Ge-
ſchlechter nichts minder von tapfferen Soͤhnen;
als in Jndien die alten Steinklippen von
Schmaragden und Tuͤrckißen reich ſind. Die
an der Sonne gewachſenen Fruͤchte ſind
ſchmackhaffter/ als welche an dem Schatten
reif worden. Und wenn man auf den Adel
tapfferer Helden nicht ein beſonderes Abſehn
nehmen wolte; was wuͤrde endlich zwiſchen
Kindern der Menſchen und unvernuͤnfftiger
Thiere fuͤr ein Unterſchied bleiben? Man ver-
ehrt ja das Alterthum in den todten Ehren-
Saͤulen wohlverdienter Leute/ warum nicht
auch in ihren lebenden Ehrenbildern/ nehmlich
den Nachkommen? Dieſe ſchuldige Ehrerbie-
tung macht/ daß diß/ was ein Edler gethan/
ſtets anſehnlicher ſey/ als was ein neuer Menſch
ausgerichtet. Denn wo die Tugend in einem
Geſchlechte einmahl recht eingewurtzelt iſt/ koͤn-
nen deſſelbten Nachkommen ſo ſchwer in eine
boͤſe Unart verfallen; als die Mohren-Muͤtter
weiſſe Kinder gebaͤhren; ungeachtet ihre
Schwaͤrtze keine unabſonderliche Eigenſchafft
ſelbiger Menſchen iſt. Dieſemnach denn der
Adel gar billich fuͤr einen Lorber-Krantz zu hal-
ten/ welchen nicht alsbald die erſten Verdienſte
zu wege bringen/ ſondern die verjaͤhrende Zeit
denen Geſchlechtern nach und nach aufſetzt/
wenn die ruͤhmlichen Thaten gleichſam ſchon
zum Theil vergeſſen ſind. Dannenhero muß
ich unvermeidlich unſerm Geſchlechte ablegen/
und fuͤr das maͤnnliche nachgeben: daß/ nach
dem die Fruͤchte nicht ſo ſehr nach den Stamme
eines Baumes/ als nach dem Propfreiſern fal-
len/ ungeachtet jener allen Safft zum Wachs-
thume
[323]Arminius und Thußnelda.
thume hergeben muß; die Art der Kinder/ und
alſo die Fortpflantzung des Adels mehr denen
Vaͤtern/ als Muͤttern zuzueignen ſey. Jene
ſind doch nach aller Voͤlcker Rechte die Uhrhe-
ber/ dieſe aber der Beſchluß der Geſchlechter.
Alldieweil aber kein Zweiffel iſt/ daß ein auf ei-
nen edlen Stamm gepfropffter koͤſtlicher Zweig
die allervollkommenſten Fruͤchte traͤgt/ muß
ich die Gewohnheit der Deutſchen nothwendig
vertheydigen/ welche keinen fuͤr vollkommen
edel hielten/ noch zu hohen Aemptern befoͤrdern/
der nicht von Vater und Mutter Edel geboh-
ren iſt. Wiewohl ſie in dem Kriege/ als aus
welchem der Adel ſeinen Uhrſprung nimmt/ ſol-
ches nicht ſo genau beobachten/ ſondern man in
Erwehlung der Heerfuͤhrer bloß auf ihre Tu-
gend und Thaten das Abſehn hat. Die Fuͤr-
ſtin Jſmene ward von einem geheimen Triebe
gleichſam gezwungen Thuſnelden einzubre-
chen: Sie meinte zwar von beyden Seiten gut
von Adel zu ſeyn; nichts deſto weniger unter-
ſtuͤnde ſie ſich nicht ihr ſelbſt dieſen Ehrgeitz bey-
zumeſſen/ daß es keine Unedle ihr nicht in vie-
lem zuvor thun ſolte. Dahero daͤuchtete ſie ih-
res Vaterlandes Gewohnheit ſelbſt allzu ſtren-
ge/ ja hochſchaͤdlich zu ſeyn/ weil ſie durch Aus-
ſchluͤſſung der Unedlen von den hoͤchſten Ehren-
ſtellen vielen Tugendhafften Leuten den Weg
verſchraͤnckte/ dem gemeinen Weſen viel guts zu
thun. Zeugeten Leute von niedriger Ankunft
nicht allezeit groſſe Helden; ſo waͤren die Kin-
der der Edlen auch oft von aller Tugend leer/
welche doch alleine der Adel/ wie die Speiſe das
Leben/ erhielte. Vieler Fuͤrſten Soͤhne waͤ-
ren ihren Vaͤtern ſo unaͤhnlich/ daß dieſer Ver-
dienſte jenen nur ihre Fehler fuͤrruͤckte/ und ih-
rer tapffern Ahnen verrauchte Bilder/ ja gleich-
ſam lebhaffte Steine ihnen Krieg anſagten/
und als Unwuͤrdigen den keinem Erb-Rechte
unterworffenen Adel abſtreiten wolten. Da
nun dieſer ohne Verdienſte als dem Uhrſprun-
ge ſolcher Wuͤrde ein eiteler Schatten/ ein
Verfolg tapfferer Thaten herrlicher/ als eine
lange Reye beruͤhmter Ahnen waͤre; da alle
Menſchen von einem entſproſſen ſeyn ſollen/
und alſo den Fuͤrſten der gantzen Welt zum
Ahnherrn haben; da kein koͤnigliches Geſchlech-
te ſo alt und anſehnlich waͤre/ welches nicht nie-
drige Leute/ die man nicht einſt vom Nahmen
kennet/ unter ſeinen Vor-Eltern haͤtte; ja der
groͤſten Helden Nachkommen insgemein gleich-
ſam in ihr erſtes Nichts verfielen/ und daher die
von den Edlen Roͤmern auf den Schuhen ge-
tragene Monden gar nachdencklich das Wachs-
thum und das Abnehmen des Adels abbildeten;
da unſere Geſchlechts-Regiſter ſo leicht dem
Jrrthume und unterſchlieffe unterwunden waͤ-
ren/ geſtuͤnde ſie frey heraus: daß ſie bey haben-
der Wahl zwar einen tugendhafften Fuͤrſten
allen andern fuͤrziehen/ einen laſterhafften aber/
ja auch ſo gar einen mittelmaͤßigen einem tapf-
feren Unedlen im heyrathen unfehlbar nachſe-
tzen wuͤrde. Sintemahl dieſer/ ungeachtet ſei-
ner niedrigen Anherokunfft/ ihren Ahnen viel
naͤher kommen wuͤrde/ als die/ welche nur vom
Gebluͤte Edel ſind/ und in ſich einen Geiſt des
Poͤfels haben.
Die Hertzogin Thuſnelde war ſchon zu ei-
nem neuen Gegenſatze geſchickt; als die Graͤf-
fin von Horn eine Jungfrau aus ihrem Frauen-
zimmer ihr andeutete: daß der Feldherr mit
unterſchiedenen Fuͤrſten ſchon im Vorgemache
waͤren/ ſie heimzuſuchen. Alſo ward ihr Geſpraͤ-
che unterbrochen um ſelbte zu empfangen/ wel-
che auch gleich in ihr Zimmer eintraten. Mit
dem Feldherrn kamen Hertzog Arpus/ Sege-
ſtes/ Jubill/ Rhemetalces/ Malovend/ und
endlich auch Zeno; deſſen aber Erato nicht ehe
innen ward/ biß ſie ſich mit den andern bewill-
kommet hatte. Wie dieſe zwey aber einander
erblickten/ verlohren ſie beyderſeits Farbe/
Sprache und Bewegung. Alle Anweſenden/
denen die Nahmen und die Geſchichte ſo wohl
des Zeno/ als der Erato/ alſo auch die Urſache
S s 2die-
[324]Drittes Buch
dieſer augenblicklichen Veraͤnderung unbe-
kandt war; ſahen einander an/ nicht wiſſende:
Ob ſie beyder Schrecknuͤß fuͤr eine Wuͤrckung
der Feindſchafft/ oder Gewogenheit auslegen
ſolten/ biß der gleichſam aus einer Ohnmacht ſich
erholende Zeno fuͤr der Erato auf die Knie ſin-
ckende/ zu ruffen anfing: Jhr Goͤtter! wuͤr-
digt ihr den ungluͤckſeligſten Zeno/ daß er noch
einmahl den Schatten ſeiner Seelen-Beherr-
ſcherin erblicke? Oder iſt Deutſchland ſo gluͤckſe-
lig ein ſo wol getroffenes Fuͤrbild der Armeni-
ſchen Koͤnigin zu beſitzen? Die Koͤnigin Erato
erholete ſich nun gleicher geſtalt/ iedoch konte ſie
ſich nicht maͤßigen ihn zu umarmen/ von der Er-
den aufzuheben/ und zu beantworten: Nein/
nein/ mein liebſter Zeno; du ſieheſt weder die
Armeniſche Koͤnigin/ noch ihren Schatten; a-
ber wol deine getreueſte Erato. Zeno fing al-
ſoſort nach ſolcher Ausdruͤckung voller Beſtuͤr-
tzung an: O ſeltzame Blaͤndung irrdiſcher Zu-
faͤlle! darf wol ein Verwuͤrfling der Welt/ den
das Gluͤcke nicht nur dreyer Kronen/ ſondern
durch die in der Welt erſchollene Erkaͤntnuͤß
Ariobarzanens fuͤr den Sohn des Polemon/
ſeines Standes/ ſeines eingebildeten Uhr-
ſprungs beraubet/ dem das Verhaͤngnuͤs nichts
als das Leben zu einer Straffe uͤbrig gelaſſen/
ſeine Augen gegen einer ſo erlauchteten Sonne
aufzuheben ſich erkuͤhnen? oder darf der/ dem die
Goͤtter ſelbſt den Ruͤcken gekehrt/ der ſich weni-
ger als ein an die Ruderbanck geſchmiedeter
Sclave auszufuͤhꝛen weiß/ ihm etwas von Tꝛeue
oder Liebe einer gekroͤnten Koͤnigin traͤumen laſ-
ſen? Erato ließ hieruͤber entweder fuͤr Freuden/
oder fuͤr Mitleiden einen reichen Strom von
Thraͤnen uͤber die Wangen rinnen; und ant-
wortete ihm: Solte die/ welche vom Fuͤrſten
Zeno in ihrer Erniedrigung/ ja ehe er ſie geken-
net/ ſo hertzinniglich geliebt worden/ von ihm itzo
ſo leichtſinnig abſetzen; nach dem ſein Uhꝛſprung
von unſerer Unwiſſenheit alleine verdecket
wird? Ventidius/ der die Ehre gehabt zum er-
ſten mahl in Rom uͤber die Parther ein Siegs-
Gepraͤnge zu halten/ der in eben dem Tage
des Koͤnigs Sohn erlegt/ als der edle Craſſus
ſo viel tauſend edle Roͤmer eingebuͤſſet/ hat ſei-
nen Vater niemahls erfahren. Soll man
der Sonnen ihre Ehre entziehen/ wenn ſie
Wolcken umbhuͤllen? Oder ſoll unſere reine-
ſte Liebe ſich in eine Ehrſucht verwandeln/ und
nicht auf die Tugend ihr Abſehen haben/ ſon-
dern mit dem veraͤnderlichen Gluͤcke bald
dieſe/ bald jene Larve fuͤrnehmen? Jch weiß
ja wohl/ daß irrdiſche Abzielungen einen
Menſchen ihm ſelbſt ſo unaͤhnlich machen koͤn-
nen/ als er keinem frembden iſt; daß die Ehr-
ſucht heute mit der Ferſen ſtoͤſt/ die die
Schein-Liebe geſtern gekuͤſſet; daß die itzt
wohlruͤchenden Roſen uns morgen anſtincken.
Aber die Goͤtter werden meine Seele fuͤr dieſer
Schwachheit/ oder vielmehr fuͤr dieſem Schand-
flecke behuͤten; daß mein itziger Unbeſtand den
Anfang meiner reinen Liebe zur Heucheley ma-
chen; mich aber der Welt als ein Muſter der
Leichtſinnigkeit fuͤrſtellen ſolte. Tugend und
Liebe ſind beyde von ſo hoher Ankunfft/ daß ihr
alle Wuͤrden weichen/ alle Vortheil aus dem
Wege treten muͤſſen. Zeno ward uͤber ſo hold-
ſeliger Erklaͤrung gantz auffs neue begeiſtert/
und nach dem eꝛ keine ſeine Regung genungſam-
ausdruͤckenden Worte fand/ ſeufzete er und kuͤſte
die Schnee-weiſſen Haͤnde der itzt zweyfach be-
lebten Erato. Alle anweſenden Fuͤrſten ſahen
dieſen und mehrern Liebes-Bezeugungen er-
freuet zu/ und ihre Zuneigung zu beyden Ver-
liebten machte ſie ihrer Vergnuͤgungen nicht
wenig theilhafftig. Denn die ſonſt ſo eiverſuͤchti-
ge Liebe erlaubet gleichwol der Freundſchafft/
daß dieſe ſich uͤber ihren Er getzligkeiten beluſti-
gen moͤge. Und es iſt ein Beyſatz der Gluͤck-
ſeligkeit/ wenn wir uns nicht allein ſelbſt/ ſon-
dern auch andere gluͤckſelig ſchaͤtzen. Wie nun
die Fuͤrſtin Thußnelde noch immer der Koͤni-
gin Erato die Thraͤnen uͤber die Wangen ſchuͤſ-
ſen
[325]Arminius und Thußnelda.
ſen ſah/ fing ſie gegen ihr an: Jch weiß wol/
daß die Thraͤnen insgemein nach den Seuff-
zern/ wie ein ſanffter Regen nach einem war-
men Thau-Winde zu folgen/ und die Liebe ſich
ſo wohl als ihre Roſen mit derſelben Thaue zu
erfriſchen/ oder auch durch ſo eine geleuterte
Fluth die Entzuͤckung der Seele auszulaſſen
pflege. Jch bin aber der Gedancken geweſt/
daß die Thraͤnen alleine der Betruͤbten Liebes-
Kinder/ und die Traurigkeit ihre Weh-Mut-
ter waͤre. Nach dem ich nun mir unſchwer
einbilden kan/ mit was fuͤr einer Vergnuͤgung
die Koͤnigin Erato den Fuͤrſten Zeno bewill-
kommt haben muͤſte; ſo lerne ich numehr/ daß
die Thraͤnen eben ſo wohl ein reines Blut freu-
diger Seelen ſeyn/ die ein verliebtes Hertze/
welches ſeine Freude nicht in ſich beſchluͤſſen
kan/ uͤber die Ufer der Augen auszugieſſen ge-
zwungen wird. Salonine/ welche ihrer Koͤ-
nigin Gedancken mercklich zerſtreuet zu ſeyn
wahrnahm/ vertrat ſie durch folgende Ant-
wort: Es waͤre nicht ohne/ daß das Lachen
insgemein eine Gefaͤrthin der freudigen/ das
Weinen aber der bekuͤmmerten Liebe waͤre;
welches ſo denn ſonderlich bey der Verliebten
Zertrennung herfuͤr zu qvellen pflegte. Denn
weil die Verliebten ſich ſo ungerne von einan-
der entferneten/ ſtiegen ihre Seelen ſo gar biß
zu den Augenliedern empor/ um ihre Buhl-
ſchafft zum minſten ſo weit/ als das Geſichte
truͤge/ zu begleiten. Weil nun dieſe Tren-
nung der vereinbarten Seelen ihre wahrhaff-
te Verwundung waͤre; ſo guͤſſen ſich die Thraͤ-
nen aus ſelbten eben ſo haͤuffig aus; als wie das
Gebluͤte aus einem zergliederten Leibe herfuͤr
ſpruͤtzete. Alleine bey einer unverſehenen Wie-
dererſehung der Verliebten entzuͤndete und oͤf-
nete ſich ihr Hertze/ die Seele vereinbarte ſich
abermahls mit ihren Aug-Aepffeln; und waͤre
begierig ſich durch ihre annehmliche Stralen
mit dem/ was ſie liebet/ zu vereinbarn. Weil
nun die Augen allzu unvermoͤgend waͤren/ das
gantze Weſen der Seele in einen andern Leib
uͤberzugieſſen; zuͤge ſich ſo wohl von Liebe als
Zorn in dieſen irrdiſchen Sternen eine Menge
feuriger und naſſer Geiſter zuſammen/ welche
die von kalter Traurigkeit verſtopfften oder ver-
frornen Roͤhre des Hertzens oͤffneten/ und die
herfuͤr kugelnden Waſſer-Perlen uͤber die
Wangen/ wie die im Fruͤhlinge von den lauen
Sonnen-Strahlen eroͤffneten Wolcken die
ſanfften Regen abtroͤpffelten. Daher auch
die von der Freude mit Gewalt ausſtuͤrtzenden
Thraͤnen kalt/ die langſam herfuͤr qvellenden
Trauer-Zaͤhren aber heiß waͤren; bey obiger
Bewandnuͤß aber es keines Verwundeꝛns doͤrf-
te/ daß die Einwohner des Heſperiſchen Ey-
landes das Weinen fuͤr ein Merckmahl ihrer
groͤſten Freuden angewehren ſolten. Jſme-
ne fing an: Salonine weiß von der Verliebten
Thraͤnen ſo tiefſinnig zu urtheilen/ daß es ſchei-
net/ ſie muͤſſe hierinnen ſchon das Meiſter-
Stuͤcke gemacht haben. Jch haͤtte meiner
Einfalt nach ſolche Thraͤnen fuͤr nichts an-
ders/ als einen Schweiß der Seele zu halten
wiſſen; welche von dem Feuer der Liebe und
Freude/ als denen zwey hitzigſten Gemuͤths-
Regungen ausgepreſt wuͤrden. Dahingegen
die kalte Furcht das Hertze einzwaͤnge/ und
darmit auch allen Thraͤnen ihren Lauff ver-
ſtopffte. Rhemetalces nahm das Wort von
ihr und ſagte: Jch hoͤre wohl/ dieſe ſchoͤne Fuͤr-
ſtin ſey eine Beypflichterin des Plato/ wel-
cher der Seele nicht nur Fluͤgel/ ſondern auch
den Geiſtern leibliche Empfindungen zugeei-
gnet hat. Jſmene verſetzte: Jch bin zwar das
ungelehrteſte Kind in der Liebe/ und traue
daher meine darinnen vorfallende Jrrthuͤ-
mer nicht zu verfechten. Nichts deſto weni-
ger glaube ich/ daß die Seelen empfindli-
cher/ als die Leiber ſind; ja weil nichts
unbeſeeltes etwas fuͤhlet/ die Glieder
S s 3aber
[326]Drittes Buch
aber nur vermittelſt der Seelen Empfindligkeit
haben/ ſolte man faſt die Leiber fuͤr unempfind-
lich halten/ die Empfindligkeit aber alleine der
Seele zueignen. Und ob wohl das Thraͤnen-
Waſſer kein ſelbſt-ſtaͤndiges Weſen der Seele
iſt/ ſo ſcheint es doch ſo wenig ungereimt zu ſeyn/
daß man es fuͤr einen Brutt der Seele/ als den
Regen fuͤr ein Gemaͤchte der die Duͤnſte an ſich
ziehenden Geſtirne haͤlt. Die Fuͤrſtin Thuſnelde
pflichtete Jſmenen bey/ daß die Thraͤnen-Ver-
gieſſung nicht aus einem Gebrechen des Leibes/
noch von einer uͤbelen Beſchaffenheit der Feuch-
tigkeiten/ ſondern von der Bewegung der ver-
nuͤnfftigen Seele gezeuget wuͤrden/ daher auch
kein ander Thier/ als der Menſch alleine ei-
gentlich weinen koͤnte. Dieſes aber waͤre ihr
mehr nachdencklich: warum die ſo weiſe Natur
die Thraͤnen ſo wohl zu Freuden-als Trauer-
Zeichen erkieſet habe? Jubil antwortete: Viel-
leicht zu einer Unterrichtung/ daß das menſch-
liche Leben mit Freuden und Traurigkeit ſtets
abwechſele/ und unſer Hertze in beyderley Be-
gebenheit einerley Gebehrdung und Empfind-
ligkeit haben ſolte. Aber/ wie kommt es/ daß
das Frauenzimmer zum weinen viel geneigter/
als die Maͤnner ſind? Thuſnelde verſetzte:
Vielleicht meinen einige/ daß die Weiber eine
Verwandſchafft mit dem feuchten Monden/
die Maͤnner mit der trockenen Sonne haben;
und jene daher auch kleiner und kaͤlter ſind/ und
alſo ſie mehr Zeug zu Gebaͤhrung der Thraͤ-
nen in ſich haben. Rhemetalces ſiel ihr ein:
Wo ihre Geburt der Seele zuzueignen iſt/ kan
der Thraͤnen Uberfluß aus nichts anderm her-
ruͤhren/ als daß das Frauenzimmer eine zaͤrte-
re und empfindlichere Seele/ alſo auch hefftige-
xe Gemuͤths-Regungen habe; und alſo auch
die Koͤnigin Erato dem Fuͤrſten Zeno in der
Liebe und Freude uͤberlegen ſey. Salonine
hielt es ihrer Schuldigkeit zu ſeyn ſie zu verre-
den/ und begegnete ihm: Jch glaube zwar/ die
Liebe ſey eine ruhmswuͤrdige Tugend/ denn
ſonſt wuͤrden die Griechiſchen Welt-Weiſen ihr
ſchwerlich zu Athen im Eingange ihrer hohen
Schule ein Altar aufgerichtet haben. Die-
ſemnach ihre Staͤrcke ſo ſehr/ als die Groͤſſe in
Perlen geruͤhmt zu werden verdienet. War-
um will man aber hierinnen dem Fuͤrſten Zeno
ſeinen Preiß zweiffelhafft machen. Sintemal
ja die ſich an ihm gezeigete Ohnmacht eine kraͤff-
tigere Entzuͤckung der Liebe iſt/ als die Thraͤ-
nen. Denn die Lebens-Geiſter/ die gleichſam
die Seele der Sinnen/ und der zweyte Anfang
des Lebens ſind/ zerſtreuen ſich daſelbſt ſo ſehr/
daß ſelbtes kein ander Merckmahl/ als ein
ſchwaches Hertz-Klopffen behaͤlt; welches
nichts anders/ als ein aͤngſtiges Schlagen und
Huͤlffe-Ruffung der vergehenden Seele iſt.
Dieſe Ohnmacht der Verliebten ereignet ſich
nur bey der uͤbermaͤßigen Begierde oder Freu-
de; wenn das Hertze auff einmahl alle ſeine
Pforten angelweit aufſperrt/ daß die Geiſter/
die ſo fluͤchtigen Werckleute der Bewegung/ die
Federn in dem Uhrwercke der Sinnen/ mit ei-
nem Hauffen heraus brechen um mit dem Ge-
liebten ſich zu vereinbarn/ und hiermit dem
Hertzen alle Krafft/ und dem Liebenden ſchier
gar die Seele entziehn.
Unter dieſem Geſpraͤche verwandte Hertzog
Jubill bey nahe kein Auge von der mit dem
Fuͤrſten Zeno ſich unterhaltenden Erato. Denn
er empfand eine ihm unbekandte Regung uͤber
der Schoͤnheit und Großmuͤthigkeit dieſer un-
vergleichlichen Koͤnigin. Der Feldherr aber
nahm fuͤr eine abſondere Begluͤckſeligung des
Himmels auf/ daß er nicht allein ſo eine groſſe
Koͤnigin/ und einen ſo tapffern Fuͤrſten in ſeine
Bekandtſchafft kommen laſſen; ſondern daß ſie
auch in ſeiner Burg/ die ſie vielleicht fuͤr einen
traurigen Kercker angeblickt haͤtten/ durch ein
ſonderbar Verhaͤngnuͤß und ihre Vereinba-
rung alle Gemuͤths-Beſchwerden ablegen koͤn-
ten/ die ſich in ihrem beliebten Vaterlande an-
geſponnen haͤtten. Nach ſeinen und der an-
dern
[]
[][327]Arminius und Thußnelda.
dern Fuͤrſten gegen ſie verwechſelten Hoͤfligkei-
ten erſuchte er ſie allerſeits dieſen Abend mit
ihm Taffel zu halten; worzu er ſelbſt die Fuͤr-
ſtin Thuſnelden/ Zeno ſeine ſo lange Zeit mit
tauſenderley Hertzeleid vermiſte Erato/ Hertzog
Jubil Jſmenen/ und Malovend Saloninen
auf den groſſen Saal fuͤhreten/ und nahe biß an
Mitternacht die Zeit mit anmuthigen Geſpraͤ-
chen und Schertz-Reden verkuͤrtzten; welche a-
ber allein der Erato und dem Zeno durch die
Begierde einander ihre inzwiſchen ausgeſtan-
dene Ebentheuer zu erzehlen zu lang werden
wolte; biß endlich nach ſaͤmtlicher Abſchei-
dung der angenehme Schlaff ſie ihrer Sorgen
und vielfaͤltigen Gemuͤths-Regungen auff ei-
nerley Art erledigte; dem Hertzoge Jubil hin-
gegen durch allerhand Traͤume das Bildnuͤß
der wunderſchoͤnen Erato noch tieffer/ als vor-
her ſeine Augen/ in denen die Liebe insgemein
zum erſten jung wird/ ins Gedaͤchtnuͤß
und Gemuͤthe praͤgete.
THußnelde/ Jßmene/ die Cattiche Hertzogin und Fraͤulein nebſt Sa-
loninen werden in begieriger Erwartung der zwiſchen der Koͤnigin E-
rato und Fuͤrſten Zeno vorgegangenen Ebentheuer von Adgandeſtern
des Feldherrn obriſtem Staats-Rath zu dem Taufaniſchen Tempel/
allwohin des Druſus zu Aliſon von den Deutſchen noch uͤbrig gelaſſe-
ne Heiligthuͤmer gebracht werden ſollen/ verleitet/ vom obriſten Prie-
ſter Libys mit gewoͤhnlicher Ehrerbietigkeit in ſolchen gefuͤhret/ und
aldar die vier Haupt-Stroͤme Deutſchlandes/ die Donau/ der Rhein/ die Elbe und die
Weeſer nebſt des Druſus in Lebensgroͤſſe aus Marmer gehauenem Bildnuͤſſe mit aller-
hand ſchoͤnen ſeine herrliche Siege und Thaten in ſich haltenden Denckſpruͤchen gezeiget/
uͤber welcher ſonderbaren Kunſt und Erfindung ſich die gantze Verſammlung zwar er-
goͤtzet/ ſich aber zugleich befrembdet/ wie dieſe ruhmraͤthigen Bilder zu Verkleinerung
ihres Vaterlandes Schutz-Goͤtter in ihr Heiligthum geſetzet werden koͤnten/ welchen
Hertzog Herrmann verſetzet: daß die Tugend auch bey Feinden zu loben/ und zu guter
Nachfolge dienen muͤſſe/ welchen alles widrige Urtheil uͤberwiegenden Gruͤnden des
Feldherrn der Prieſter Lybis beypflichtet/ und die Tugend nicht anders als die Sonne
uͤberall einerley und zu verehren wuͤrdig ſchaͤtzet; und kommt hierauf unter ſo vielen er-
tichteten Goͤttern auf ein eintziges goͤttliches Weſen/ welches alles einſtimmig ordne/
ſchaffe und erhalte. Ob nun wohl der Prieſter Libys den ſterblichen Menſchen keine
Vergoͤtterung zugeſtanden/ ſondern ihr ruhmbares Andencken in die Hertzen der Le-
benden/ als die beſten Tempel und ſchoͤnſte Ehren-Saͤulen geſetzet wiſſen will; So kan
er doch nicht alle euſerliche Gedaͤchtnuͤß-Mahle/ als dem rechten Sporn lauer Gemuͤ-
ther/
[328]Vierdtes Buch
ther/ und alſo auch des Druſus Bild nicht ſo/ wie die ihren reinen Gottesdienſt benach-
theiligende Altar-Taͤffel aufzurichten widerſprechen/ welche letztere der Feldherr hierauf
zerbrechen/ den Hertzog Jubil/ Arxus/ Siegismund und Melo aber zur Berathſchla-
gung wichtig eingelauffener Schreiben in Tempel beruffen laͤſt. Fuͤrſt Adgandeſter
Rhemetalces und Malovend beſprachen ſich indeſſen bey Zermalmung dieſer herrlichen
Taffel von des Druſus Ruhme/ der Bunds-Genoſſenſchafft und denn auch von den
Gruͤnden der Vernunfft und Geſetzen der Natur. Druſus wird wider die den Roͤmern
verhaſte Feinde die Rhetier geſchicket. Kaͤyſer Auguſt zu Lugdun auf dem Wagen der
Sonnen in Geſtalt des Apollo durch die ihm aufgerichtete mit eitel von der Sonnen
und den Haupt-Stroͤmen Galliens hergenommenen auf ihn und den Julius zielenden
Sinnbildern ausgezierte Ehrenpforte in den vom Adginnius am Rhodan aufgebaue-
ten Tempel aufs praͤchtigſte eingeholet. Die Gallier werden wider die Roͤmer ſchwuͤ-
rig/ durch des Druſus Vorſichtigkeit aber bald wiederum zum Gehorſam gebracht;
Jngleichen die Moriner nebſt den Batavern von dieſem vergeblich bekriegt: welche letz-
tern von den ſtreitbaren Catten entſproſſen/ ihren Sitz zwiſchen dem Rheine und Nord-
Meer erkieſet/ dem Schutz der Britannier ſich anfaͤnglich unterworffen/ nachgehends
aber dieſes harte Joch vermittels ihres tapffern Hertzogs Eganors und ſeines Sohnes
Eiſenhertz ſich wiederum zum freyen Volcke gemachet. Dieſer ihre groſſe Handlung
und Schiffarth hat ſie in der gantzen Welt bekandt/ ihre Hertzhafftigkeit ſie faſt zwiſchen
allen Voͤlckern zu Schieds-Richtern und Bundsgenoſſen der maͤchtigen Roͤmer ge-
macht/ biß ſie endlich von den klugen Britanniern/ ja ſelbſt dem Hertzoge Wodan durch
die Suͤßigkeit der Ruhe und des Gewinns eingeſchlaͤfft/ der Waffen vergeſſen/ vom
Druſus ploͤtzlich uͤberfallen/ und in kurtzer Zeit faſt des halben Theils ihrer Herrſchafft
entſetzet worden. Enno ein alter Staats-Mann bringet die Fuͤrſtliche Herrſchafft als
die aͤlteſte und heilſamſte Herrſchens-Art wider das neue Staats Geſetze zum Vor-
theil des Cariovalda und Frohlocken des Poͤfels wieder auf den Teppich/ worauf dieſer
einen der vornehmſten Raͤthe und den gemeinen Redner wider Urthel und Recht aus ei-
nem bloſſen Verdacht erbaͤrmlich abſchlachtet. Jnzwiſchen nehmen die Sicambrer/
Uſipeter und Catten aus einer ſonderbaren Staats-Klugheit gleichwol wahr: daß ſie
ſich von den herrſchensſuͤchtigen Roͤmern nicht einzuſchlaͤffen/ ſondern des Druſus ſieg-
hafften Waffen zu widerſetzen Urſach haͤtten/ wordurch des Druſus Heer denn von den
Batavern abgezogen/ von jenen aber wegen des Ober-Gebiets und Mißtr aͤuligkeit wei-
ter nichts fruchtbares ausgerichtet wird/ als/ daß ein Stillſtand der Waffen zu ein und
anderm hoͤchſten Nachtheil erfolget. Druſus unterfaͤnget ſich gegen die Frieſen und
Catten eines nicht minder gluͤcklich als verzweiffelten Werckes durch Vereinbarung ei-
nes Rhein-Arms mit der Nabal und Aufbauung der Feſtung Druſusburg/ uͤberwin-
det die bey einem ſonderbaren Feyer verſammleten Frieſen nach hartem Gefechte ſeiner
eigenen Verwundung/ und des gefangenen Fuͤrſten Cheudo großmuͤthigen Antwort.
Er Druſus ergoͤtzet ſich an der ins Nord-Meer ſich ausgieſſendem Emße/ wie nicht weni-
ger an denen vom Hertzoge Wodan dabey aufgerichteten und auf ſich ſelbſt deutenden
Saͤulen. Die hier aus geſchoͤpffte Selbſt-Liebe und Heucheley ver anlaſſet ihn auch die
Chaͤutzen zu uͤberfallen/ die ihn aber mit hoͤchſtem Verluſt und gaͤntzlicher Niederlage
der
[329]Arminius und Thußnelda.
der Frieſen gantz krafftloß wieder nach Rom ſchicken/ von dar ihn Eifer und Rache bald
wieder zuruͤcke dieſen und den Uſipetern auff den Hals ziehen/ welche erſtern
ſich auch nach hertzhaffter Gegenwehr dennoch dem Roͤmiſchen Joche unterwerffen/
und durch ploͤtzlichen Uberfall des Cheruſtiſchen Gebiets zu Deutſchburg des Feldherrn
Segimers zwey Soͤhne mit ihrer Mutter Asblaſte dem Druſus zur Beute werden muͤſ-
ſen. Der Feldherr Segimer der Sicambriſche Hertzog Melo ziehen die Catten in ihr in
einem heiligen Haͤyne mit der Roͤmer Blute gleichſam bezeichnetes Buͤndniß/ ſchneiden
dem an die Weſer geruͤckten Druſus/ welcher Fluß ſeiner eigenen in Stein gegrabenen
Worte nach der Zweck ſeiner Siege war/ die Ruͤckkehr ab/ in welchem blutigen Fechten
die Roͤmer 12. Fahnen der Nervier/ 8. der Frieſen/ 20. der Gallier nebſt einem Roͤmi-
ſchen Adler einbuͤßen/ Anectius vom Arxus/ Senectius vom Melo erlegt und Druſus
vom Segimer verwundet wird/ ſo/ daß er ſich nach Aliſon fluͤchten muſte/ von dar er
nach Rom zum Siegs-Gepraͤnge beruffen/ und vor ihm her des Feldherrn Gemahlin
Asblaſte mit ihren zwey Kindern auff einem goldnen Wagen mit 4. weiſſen Pferden ge-
fuͤhret wird. Von dieſes des Druſus mehr den Deutſchen zum Schimpff als ihm zu
Ehren gereichenden Siegs-Gepraͤnge kommt Adgandeſter auff Rhemet alces und ande-
rer Fuͤrſten inſtaͤndiges Anhalten auff der Octavie des Kaͤyſers Schweſter Tochter die
ſchoͤne in einen Edelmann Nahmens Murena verliebte dem Druſus aber von der Livia
und Auguſtus zugedachte Antonia/ wie dieſe ihre Liebe unter einer in dem ihr verehrten
Vorwerg bey Baje zahm gemachten Fiſch Murene ſo kluͤglich verſtecket. Wie ſehr ſich
beyde gleich vor der auffſichtigen Octavie und ſchlauen Livie in acht nehmen/ ſo muß doch
eine im Saal des Weihers gefundene ſtumme Taffel/ und bald darauff die durch widri-
gen Zufall erfolgte Verwechſelung der Brieffe ihrer Liebe Verraͤther ſeyn. Octavia
und Antonia gerathen durch Umſtuͤrtzung des Schiffes in Lebens-Gefahr/ werden aber
vom Murena wunderbar errettet; Die verwechſelten Brieffe zwiſchen Julien und An-
tonien gegen einander ausgewechſelt/ dieſe auch von jener bey bevorſtehenden zu Pu-
teoli angeſtellten Schau-Spielen/ wobey Hertzogs Segimers Geſandter der Ritter von
der Lippe das beſte gethan/ alles Vorſchubs in ihrer geheimen Liebe zwar verſichert/ un-
ter dem vermeinten Murena aber dem Druſus faͤlſchlich in die Haͤnde geſpielet/ wor-
uͤber ſie in halbe Verzweiffelung geſetzet wird. Jnzwiſchen wird Druſus in der am ſo
genannten Spiegel-See der Goͤttin Diane gelegenen Hoͤhle Egenia von ſeiner Mutter
wegen eines an die Julia gefertigten Brieffs gerechtfertiget/ dieſe Stadtkuͤndige La-
ſter nebſt andern ihrer Ehe verhinderlichen Geheimniſſen/ dagegen die wunder wuͤr di-
ge und mit allen Tugenden vergeſellſchafftete Schoͤnheit der Antonie/ die ihm mit der
Zeit den Kaͤyſerlichen Thron zum Braut-Schatze zu bringen wuͤrde/ ihm vor Augen
geſtellet/ endlich auff des Kaͤyſers vorgezeigten Befehl zu der letztern Entſchluͤſſung
auch bewogen/ und dieſe wenige Tage darauff nach denen der Diane geſchlachteten
Opffern zu Rom durch ordentliches Beylager mehr mit Liviens und Juliens/ als der
Vermaͤhlten Freude praͤchtig vollzogen wird. Dem Druſus ſteckt Juliens Liebe noch
immer im Kopffe; Julia dagegen der Zeither in Kummer und Einſamkeit vergrabe-
nen Murena zu genieſſen dencket auff alle erſinnliche Mittel/ wird aber von der be-
Erſter Theil. T tgleich-
[330]Vierdtes Buch
leidigten Antonia mit gleicher Muͤntze bezahlet und der Liebe des Murena entzogen/
gleichwohl aber durch die Staasſuͤchtige Livia mit tauſenderley Erfindungen an ihren
andern Sohn den Tiberius mit Verſtoſſung der frommen und ſchwangern Vipſania
vermaͤhlet; dieſe mit unablaͤßlichen Geilheiten ſchwanger gehende Julia zuͤndete nicht
weniger Eiferſucht bey ihrem Gemahl/ als neue Liebes-Flammen in dem Gemuͤthe des
Druſus an; bauet am Rheine die nach ihrem Gemahl benahmte Stadt Tiberich/ ihr
ſelbſt zu Ehren und des am Rhein ſtehenden Druſus mit beſſerm Fug zu genieſſen/ an
der Ruhr die Stadt Juͤlich. Dieſer faͤllt auffs neue die Catten wieder an/ wird auch
von ihrem am Ufer hertzhafft fechtenden Hertzoge Arpus ſelbſt verwnndet; Dennoch a-
ber von dieſem wegen der den Romern zu Huͤlffe kommenden Ubiern ſich in die Waͤlder
zwiſchen die Fulde und Weſer zu ſetzen vor rathſam gehalten/ allwo ihn Druſus ungeir-
ret laſſen/ ſich gegen dem Maͤyn wider die Hermundurer zuruͤcke ziehen/ vor der groſſen
Macht des Marobods ſeine kriegeriſche Waffen in Friedens-Zeichen verwandeln/ ja die-
ſesund des Schwaͤbiſchen Koͤnigs Vannius erlangte Feindſchafft mit allerhand koſtba-
ren Geſchencken verehren muß. Nach dieſem Erfolg ſucht er ſeine Rache an denen
von fremder Huͤlffe entbloͤßten Cheruſkern auszuuͤben/ ſetzet uͤber die Weſer biß an
Hartz-Wald/ nach gefundenem Widerſtande wendet er ſich gegen die Elbe/ dieſen noch
von keinem Roͤmer iemahls betretenen Fluß zu uͤber ſetzen; Allein die Geſpenſter muͤßen
ſich ſeinem Ehr geitze in Weg legen/ und die durch Opffer vergeblich verſohnten Schutz-
Goͤtter des Fluſſes ihm ſeinen Bruͤckenbau hindern. Die dißfalls ſor gfaͤltigen Rhe-
metalces und Adgandeſter ſich unter einander beſprechende Fuͤrſten: Ob dieſe vom Dru-
ſus und vielen andern erzehlte gleichſtimmige Begebniß wahrhafftig geſchehen und
was davon zu glauben ſey? vergeſellſchafftet der ihnen zuhoͤrende Prieſter Libys/
ertheilet ihnen ſeine Gedancken uͤber die denen Menſchen/ Landſchafften/ Bergen/
Staͤdten/ Tempeln und Fluͤſſen zugeeignete Schutz-Goͤtter/ wie von dieſen in Roth-
faͤllen augenſcheinliche Huͤlffe erfolget/ alſo um ſo viel weniger zu beleidigen/ noch
durch was widriges zu verjagen waͤren/ ja es zeigte der ſchlechte Ausgang des Dru-
ſus: daß dieſe durch keine vermeinte Kuͤnſte/ wohl aber durch unſere eigene Laſter ent-
riſſen werden konten/ dafuͤr wohl gar einige Menſchen in ihren Geburtstaͤgen von ihrem
ſichtbaren Schutz-Geiſte oder durch Traͤume gewarnet worden. Der hier auff unverrich-
teter Sache ſich wieder zuruͤck ziehende Druſus findet ſeine uͤber die Weſer geſchlage-
ne Bruͤcke nicht allein zernichtet/ ſondern auch von ſeiner dabey gelaſſenen Beſatzung
nichts mehr als ihre Todten-Knochen. Die wieder ergaͤntzte Bruͤcke ſteckt der im
Hartz-Walde ſtehende Segimer durch ſonderbare Liſt wieder in Brand/ erleget das hier-
durch getheilte feindliche Heer biß auffs Haupt/ den Druſus bey nahe ſelbſt durch Stuͤr-
tzung ſeines verwundeten Pferdes. Deſſen gefaͤhrlicher Beinbruch wird durch den
zuſchlagenden Brand unheilbar/ die Gefahr dem Tiberius durch ſchnelle Botſchafft
beybracht/ welcher ihn kuͤmmerlich zu Maͤyntz noch lebend antreffen und ihm den letz-
ten Abſchieds-Kuß geben kan. Die anweſende Julia druͤckt ihm die Augen zu/ mit ih-
ren Thraͤnen waͤſcht und ſalbt ſie zugleich ſeinen Leib ein/ biß er vollends nach Rom
gebracht/ alldar oͤffentlich gewieſen/ vom Kaͤyſer ſelbſt ſeiner Thaten halber geruͤh-
met/
[331]Arminius und Thußnelda.
met/ durch die vornehmſten der Roͤmiſchen Ritterſchafft auff das Feld Mars getra-
gen/ allda verbrennet/ die Aſche ins Kaͤyſerliche Begraͤbniß geſetzet/ ja ihme und al-
len ſeinen Soͤhnen nicht allein der Nahme des Deutſchen gegeben/ ſondern auch ſtatt
des ihm beſtimmten Siegs-Gepraͤngs andere Feyer und Gaſtmahle angeſtellet/ zu
Rom und am Rheine Ehrenbogen auffgerichtet/ die Mutter Livia aber in die Zahl
derſelbigen Muͤtter/ die drey Kinder gebohren/ gezehlet worden. Unter deſſen nim̃t Segi-
mer die vor unuͤberwindlich geſchaͤtzte Feſtung Altheim am Rheine ein/ draͤuet auch
einen Einfall den Galliern/ alſo: daß Kaͤyſer Auguſt den Batavern ihre Laͤnder
und Staͤdte an der Maaß wieder abtreten/ Segimern durch annehmliche Friedens-
Vorſchlaͤge beſaͤnfftigen und die uͤbrigen Bundes-Genoſſen befriedigen muß. Uber
dieſer des Adgandeſters Erzehlung laͤufft die unvermuthete Nachricht ein: daß die
Fuͤrſtin Thußnelde nebſt ihren Gefaͤhrtinnen aus dem Luſt-Garten mit Gewalt ge-
raubet worden/ worauff der nebſt dem Fuͤrſten Jubil im Tempel ſich befindende
und daruͤber hoͤchſt beſtuͤrtzte Hertzog Hermann augenblicks ſeine Leib-Wache auff-
beut und ſamt den uͤbrigen Fuͤrſten den Raͤubern nacheilet/ von welchen/ und daß
Fuͤrſt Zeno toͤdtlich verwundet/ die an einen Baum gebundene Solonine/ ingleichen
einige uͤbereilete Lombardiſche Soldaten Bericht ertheilen/ auch: daß Segeſthes
und Marobod dieſen verzweiffelten Anſchlag ausgefuͤhret/ und an dem Furthe der
Weſer mit 6000. Pferden der Raͤuber erwartete; Worauff Hertzog Herrman ſich
gleichfals verſtaͤrcket/ und/ ehe er es vermeinet/ mit des Feindes Hinterhalt ein Tref-
fen halten muß/ biß er endlich gar auff ſie ſtoͤſt/ viel zur Beute machet/ und nach Er-
blickung ſeines Leit-Sterns der Thußnelde ſelbſt den Marobod als ein wuͤtender Loͤ-
we anfaͤllt; von der Menge aber endlich uͤbermannet/ gefangen und von dem un-
danckbaren Segeſthes mit einer ſchimpfflichen Ketten als ein Knecht geſchloſſen wird/
auff welche erblickte Schmach Thußnelde als eine ihrer Jungen beraubte Baͤrin dem
naͤchſten Lombarder den Degen ausreiſſet und durch deſſen tapffern Gebrauch den
Feld-Herrn aus den Ketten/ ein unter dem Rhemetalces darzu kommender Ritter
Horn aber ihn auff ſein Pferd bringet/ daß er den Marobod/ jener aber den Se-
geſthes hurtig anfallen kan; Worauff dieſer ihm uͤbel bewuſte und hefftig verwun-
dete Fluͤchtling eines ſchimpfflichen Todes halber; Marobod aber gleichfals verwun-
det mit Hinterlaſſung ſeiner herrlichen Beute/ die er letzt noch durch einen verzweif-
felten Bogen-Schuß zu verderben ſuchet/ ſich aus dem Staube machen und mit den
ſeinigen den Platz raͤumen muß. Jndeſſen halten Hertzog Melo und Jubil mit dem
Marſingiſchen Hertzoge Taxis und des Sarmatiſchen Koͤnigs Jagello Sohn Boris
einem halben Rieſen ein hartes Gefechte/ darinnen Melo zweymahl verwundet ſich
zuruͤck ziehen/ und Jubil die Hitze vollends allein aushalten muß/ biß er endlich des
Boris Pferd verwundet und zugleich den Reuter mit ſeiner ſchweren Ruͤſtung uͤber
und uͤber ſtuͤrtzet/ wie er ihm aber vollends das Lebens-Licht auszuloͤſchen im Wer-
cke iſt/ wird er durch ein unvermuthetes auch bald hierauff erkanntes Geſchrey der
ſich gegen einige blancke Sebel der Sarmater beſchirmenden Koͤnigin Erato hier-
von ab/ und ihr zu Huͤlffe gezogen/ daran er aber von zweyen zu des Boris Leib-
T t 2Wache
[332]Vierdtes Buch
Wache abgerichteten und von deſſen Waffentraͤger wider ihn loßgelaſſenen weiſſen
Baͤren mercklich gehindert/ wegen der Koͤnigin ſelbſt in groͤſten Kummer geſetzt/
ja letzt von dem noch uͤbrig lebenden Baͤren bey ſeinem groͤſten Ungluͤck auff gantz
wunderbare Weiſe in den Ort gebracht wird/ allwo ſich die kaum noch athmende
Koͤnigin mit den geilen Sarmatern aͤrgert/ ſie aber hiervon alsbald mit der Feinde
eigenen Waffen erloͤſet/ und auff zweyen in Wald verlauffenen geſattelten Pferden
wieder zu ſeinen durch den Fuͤrſten der Hermundurer entſetzten Cheruſkern bringet.
Thußnelde dancket ihrem vom Blut beſpritzten Hertzog Herrmann mit tauſend
Thraͤnen vor die Erloͤſung/ verflucht die Untreu ihres Vaters; der Feld-Herr aber
leget auff der Wage ſeiner Vernunfft dem vergeſſenen Unrecht vor der Rache das
Gewichte zu. Nicht weniger faͤllt die Koͤnigin Erato dem Hertzog Jubil in die
Armen/ und erhebt ihn unter vielen Lobſpruͤchen vor ihren Schutz-Gott/ wird a-
ber von ihm wie vorhin mit ruͤhmlicher Tapfferkeit/ alſo auch nunmehr mit aller
gegen geſetzten Hoͤffligkeit verfochten. Dieſe Begebnuͤß giebet zugleich Anlaß zu ei-
nem unwiderſprechlichen Urtheil: daß Tugend und Laſter nicht dem Einfluß der Ster-
nen/ am wenigſten aber gewiſſen Laͤndern zuzuſchreiben/ ſondern ieder Ort ſeine
Wunderwercke und Mißgeburten nicht weniger als ſeine Tage und Naͤchte habe: Ja
wo Sonnen/ es nicht an Finſternißen; Wo Menſchen/ es nicht an Ungeheuern fehle/
deren Grauſamkeit alle vernunfftsloſe Thiere zu entwaffnen/ und gegen die Koͤni-
gin Erato die ſonſt raaſenden Baͤren mehr Barmhertzigkeit als die Sarmatiſchen
Unmenſchen vorzukehren gewohnet. Uber dieſem Geſpraͤche kommen unvermuths
einige vom Adgandeſter und Malovend geſchlagene Marckmaͤnner dem Feld-Herrn
in die Haͤnde/ welcher/ an ſtatt: daß er dem fluͤchtigen Koͤnig Marobod vollends
vertilgen koͤnnen/ ihm durch einen Brieff erſprießliche Friedens-Mittel anzutra-
gen/ und ſeine uͤber ihres Vaters des Segeſthes Untreu hoͤchſt bekuͤmmerte Thuß-
nelde dadurch moͤglichſt zu troͤſten bemuͤhet iſt. Thußnelde erzehlet ihren und der
Koͤnigin Erato vorgegangenen Raub/ des Fuͤrſten Zeno dabey erwieſene Tapffer-
keit/ Saloninens Ungemach/ Segeſthes und Marobods uͤber ſie ergangene Ent-
ſchluͤſſungen mit hoͤchſter Gemuͤths-Beſchwer/ und wie ſie endlich zu Deutſchburg
anlangen; kommt Hertzog Hermanns Bruder Flavius mit hoͤchſter Frende des
gantzen Hofes auff etlichen Poſt-Pferden alldar an/ und uͤberbringet von Rom
die groſſe Beſtuͤrtzung uͤber des Varus erlittenen Niederlage/ ſo den fuͤnfften Tag/
weil insgemein dem Ruff Fluͤgel angehefftet werden/ ſchon alldort kundig worden;
Auguſtus verlieret durch ſein hierbey bezeigtes Ungeberden das Anſehen bey den
deutſchen Fuͤrſten/ die ihn des Tages zuvor aller widrigen Zufaͤlle Meiſter/ ja der
gantzen Welt Beherrſchung wuͤrdig geſchaͤtzet; Jedoch redet dieſem der Feld-Herr
alleine noch das Wort/ und zwar: daß zuweilen auch der Hertzhafftigſte dem Gluͤ-
cke und der Natur ausweichen/ bey Helden die Furcht und Tapfferkeit eben ſo wohl
als in Wolcken Feuer und Kaͤlte ſich vereinbaren muͤſte. Flavius erzehlet ſeine Be-
gebniß und Aufferzichung zu Rom/ der Romer inſonderheit des jungen Lucius la-
ſterhafftes Leben und Geilheit. Jn dieſes jungen Fuͤrſten Hertze haͤlt die Lehre des
welt-
[333]Arminius und Thußnelda.
weiſen Athenodors und der heuchleriſche Hoff einen rechten Kampff-Platz. Jener
bemuͤhet ſich ihm auff tauſenderley Art die Wolluſt zu vergaͤllen; Ein ander von
der Staats-ſuͤchtigen Livia erwehlter Welt-Weiſer Ariſtippus aber floͤſte ihm dage-
gen ſolche ins geheim durch ſeine verzuckerte Worte und verteuffelte Hand-Griffe
ie mehr und mehr ein/ biß ſolche endlich vom Sotion einem frommen Druyden ver-
rathen/ Flavius nebſt dem Cajus und Lucius/ welcher an den hitzigen Morinnen
ſein eintziges Vergnuͤgen/ an allem weißen Frauenzimmer als todten Bildern einen
Eckel gehabt/ von dieſem Laſter-Balge entriſſen/ dieſer aber nebſt ſeiner ergriffenen
unzuͤchtigen Geſellſchafft auffs Kaͤyſers Befehl erwuͤrget/ in die Tiber geworffen/
und alle Epicuriſche Weltweiſen aus Rom und Welſchland verbannet werden.
Der Kaͤyſerin Livia Geburts-Tag wird zu Rom mit allerhand Auffzuͤgen auffs
praͤchtigſte begangen/ Lucius dabey in die Dido des Juba und jungen Cleopatre Toch-
ter/ weil er ohne dem einen ſonderbaren Zug zu den ſchwartzen Morgenlaͤndern gehabt/
hefftig verliebet; Flavius aber/ welcher ſich ihn von ſeinen ſchwartzen Gottheiten ab-
zuhalten/ und die Weißen vor jenen mit allerhand Gruͤnden zu erheben bemuͤhet/
auch das Urthel durch die Schieds-Richter nebſt dem Nahmen Flavius erhellet/
von ihr mit mehr Stralen der Bewogenheit begluͤcket/ dagegen von ſeinem eiffer-
ſuͤchtigen Neben-Buhler; dieſer von der darzu kommenden Dido/ Dido vom jungen
Agrippa durch einen Dolch; Agrippa vom Micipſa der Dido Edelknaben durch ei-
nen Pfeil toͤdlich verwundet wird; die Verwundeten werden alle von einem Bri-
tanniſchen Artzt nicht ſo wohl durch Verbindung der Wunden/ als des mit einem ge-
wiſſen Staube beſtreuten Dolches wiederum geheilet/ der Artzt aber/ um/ daß die-
ſer den Flavius ſein Huͤlffs-Mittel zugleich mit genieſſen laſſen/ mit eben dieſem
Moͤrder- und ſchaͤdlichen Werckzeuge vom Lucius in Leib geſtochen/ welche That dem
Kaͤyſer zu hoͤchſter Empfindligkeit/ und den Flavius auſſer Rom in Sicherheit zu
wiſſen veranlaſſet/ ſo nach ſchmertzlichem Urlaub bey der Dido unter dem Koͤnig
Juba und Cornelius Caſſus wider der Getulier Hiempſal zu dienen bald begierig/
und die Dido in Rumidien wieder zu ſehen gewaͤrtig iſt. Juba laͤſt dem Gefan-
genen Himilco den Kopff abſchlagen und ſolchen dem die Stadt Azama beſchuͤtzen-
den Hiarba mit gleichmaͤßiger Bedraͤuung uͤberbringen/ welcher ihm hundert
Koͤpffe gefangener Numidier unter dem Vorwand ſonderbarer Freygebigkeit und
eines ſchuldigen Danck-Opffers zur Gegen-Gabe lieffert. Wodurch die Numidi-
er noch mehr erhitzet und die Getulier durch einen vom Flavius erſonnenen liſtigen
Streich vermittels der Alraun-Wurtzel in ſeinem verlaſſenen Laͤger eingeſchlaͤffet/ hier-
auff uͤberfallen/ gefangen und der ertoͤdteten Koͤpffe dem Juba zur Beute uͤberbracht
werden/ von welchen dieſer Koͤnig einen groſſen Berg ſchuͤtten/ mit den Gefange-
nen die Stadt Antotala beſtuͤrmen/ alles darinnen niederhauen und den Deutſchen
zu Ehren die Stadt Tumarra/ allwo Flavius dieſen Sieg erhalten/ Germana
heiſſen laͤſt. Nach gaͤntzlich erlegter Feinde und des Hiempſals eigener Perſon ſe-
tzet zu Cirtha des vergoͤtterten Juba durch kuͤnſtliches Zugwerck von der Cleopatra
zubercitetes Bild ſeine Krone dem in Tempel ſiegreich zuruͤck kommenden Koͤnige Ju-
T t 3ba;
[334]Vierdtes Buch
ba; Zwey andere aber dem Cornelius Caſſus und Flavius zwey mit Diamanten
und Rubinen durchflochtene Lorber-Kraͤntze auf; dieſer letzte findet in dem ſeinen einen
verwirreten Zettel/ nachgehends aber in dem Tempel der Getuliſchen Diana unter die-
ſem Bilde ſeine unter andern zum Schlacht-Opfer ſchon fertig ſtehende geliebte Dido/
welche uͤber des Flavius Anblick in Ohnmacht weggetragen/ eine andere in ihre Stelle
verordnet/ auch vom Juba folgenden Tag im Tempel in Beyſeyn des Prieſters uͤber
den zu Rom ihr begegnenden Verlauff befraget wird. Da ſie denn mit aller Beſtuͤr-
tzung des Lucius zu Maſſilien an ſie verſuchte Thaͤtligkeiten/ davon ſie ſich nicht
anders/ als durch das Geluͤbde ewiger Jungfrauſchafft loß reiſſen koͤnnen/ nebſt Ver-
achtung ihrer Goͤtter und Stuͤrmung des Tempels/ woruͤber ihm Dianens gerechte
Rache das Lebens Licht ausgeblaſen/ erzehlet: Welch gezwungenes Geluͤbde Flavius
als unguͤltig verwirfft/ der oberſte Prieſter dagegen widerſpricht/ und die Dido dabey
zu ſterben verurtheilet/ woruͤber der Koͤnig und Flavius betruͤbt aus dem Tempel
gehen/ Cornelius Caſſus aber nach Rom wegen der gezwungenen Getulier zum
Siegs Gepraͤnge kommen muß. Flavius erzehlet: Daß er unter Furcht und Hoff-
nung noch ein gantzes Jahr bey dem Koͤnige Juba zu Hofe geblieben/ die Getulier auf
Anſtifften der Garamanten aber bald hierauf wiederumb wegen des in Lybien ge-
aͤnderten Acumoniſchen Gottes-Dienſtes wider die Roͤmer die Waffen ergriffen/ ſo
Koͤnig Juba unter ſeines des Flavius tapfern Anfuͤhrung mit Eroberung vieler
Staͤdte/ des Micipſa eigenhaͤndiger Erlegung/ und des Amilcars am ſo genanten
Sonnen-Brunnen erfolgten Gefangenſchafft bald wiederumb daͤmpfet/ worauf
Qvirinius zu Rom/ Juba und Flavius zu Cirtha/ dieſer letztere mehr uͤber die Feinde
als ſeine Seelen-Beherrſcherin ſieghaft einziehet: Denn an ſtatt/ daß ihre annehmliche
Bewillkommung ſeine Freude vermehren ſoll/ eroͤffnet ſie ihm durch ein Schreiben/
daß ſie ihre Jungfrauſchafft einem geilen Prieſter opfern muͤſſen/ welche Greuel-That
Flavius an dem oberſten und uͤbrigen ihm vergeſellſchaftenden Prieſtern mit eigenhaͤn-
diger Ausſchneidung ihrer Mannheit/ zum Zeugnuͤß ihrer kuͤnftigen Keuſchheit zu
raͤchen/ und dem Juba in einem Abſchieds-Briefe ſolches zu ſeiner Nachricht zu eroͤff-
nen nicht umbgehen kan/ darauf er wieder nach Rom kehret/ vom Kaͤyſer und Tiberius
wegen ſeiner vor die Roͤmer in Africa geleiſteten guten Dienſte wohl empfangen/ des
Kaͤyſers Leibwache zum Haupte vorgeſtellet/ bald aber wiederumb mit dem Tiberius
und Rhemetalces entgegen dem Bato/ Dyſidiat/ und die die Roͤmer gluͤcklich bekriegen-
de Dalmatier geſendet wird. Der widrige Lauff dieſes Krieges bringet den Tiberius
in einigen Verdacht/ den jungen Agrippa hingegen ans Bret/ welch ihrem Sohne
hoͤchſt-ſchaͤdliche Neben-Sonne die argdenckliche Livia bald wieder verfinſtert. Jn-
zwiſchen wendet der in Pannonien geſchickte Germanicus allen moͤglichen Fleiß an/
dem Bato einen gluͤcklichen Streich zu verſetzen/ welcher auch vermittels des Flavius
und Deutſchen Tapferkeit/ ingleichen durch des Feindes Zwytracht dergeſtalt erfolget/
daß Dyſidiat den Tiberius umb Frieden anflehen muß/ nach welch gluͤcklichen Er-
folg Tiberius/ Germanicus und Flavius mit Freuden und erlangten Sieges-Kraͤn-
tzen wieder nach Rom kehren/ Bato aber vom Dyſidiat wegen ſeiner Verraͤtherey
ge-
[335]Arminius und Thußnelda.
geſpiſſct wird/ welche der Kaͤyſer vor einen neuen Friedens-Bruch annim̃t/ den Dyſidiat
aufs neue uͤberziehet/ Tiberius die Feſtung Anderium/ Germanicus durch des Flavi-
us Huͤlffe die von den inwohnenden Weibern aufs aͤuſerſte beſchuͤtzte Stadt Arduba
erobert/ und endlich die Dalmatier/ Pannonier/ Dacier und Sarmater nach vielen
harten Treffen/ woruͤber der tapfere Silan ſein Leben einbuͤſſet/ am Jſter und Drave-
Strom gaͤntzlich erleget/ Dyſidiat aber dergeſtalt ins Enge gebracht wird/ daß er zu
den Fuͤſſen des Tiberius mit Darreichung ſeines Kopfes umb Gnade bitten/ und ſein
gantzer Anhang ſich unter des Kaiſers Gehorſam beugen muß/ welcher Urſachen halber
denn vor den Tiberius und Germanicus zu Rom neue Siegs-Gepraͤnge/ vor den Fla-
vius und den auf dem Bette der Ehren geſtorbenen Silan zwey Sieges-Bogen in
Pannonien aufgerichtet/ und auf der Wallſtadt den ſich dabey ſonderlich wol gehal-
tenen Deutſchen zu Ehren die Stadt Deutſchburg aufgerichtet worden. Die inzwi-
ſchen zu Rom erſchollene groſſe Niederlage des Varus/ deſſen Urſache Hertzog Herr-
mann ſein des Flavius Bruder geweſen/ habe alle ſeine Dienſte vertilget/ die deut-
ſche Leibwacht abzuſchaffen/ und aus Furcht mit andern Deutſchen erſchlagen zu wer-
den/ dem Kaͤyſer Urſach zu geben/ ihn nach dem Eylande Dianium zu ſenden/ an deſſen
Ufer er unverſehens mit der Dido angelendet/ ihr mit tieffſter Ehrerbietigkeit bege-
gnet/ beyder Unfall nochmals beklaget/ und dabey berichtet habe/ daß Juba den ober-
ſten Prieſter mit Loͤwen zerreiſſen/ die andern aber alle entmannen laſſen: Sie waͤre er-
heblicher Urſachen halber nach Rom gereiſet/ ihm aber zu ſeiner Flucht das eine Schiff
abgetreten/ deſſen er ſich mit Vergieſſung vieler Thraͤnen bedienet/ und alſo mit ſeinen
zwey Deutſchen Edelleuten zu Maſſilien angelanget. Nach dieſer Erzehlung und des
Flavius von der Fuͤrſtin Thußnelde/ Jßmene/ und uͤbrigem Cattiſchen Frauenzim-
mer erlangtem Handkuß/ ſcheidet dieſe vornehme Geſellſchafft von einander.
DAs Schimmer der ſchlaͤfrigen
Morgenroͤthe hatte noch nicht
den Schatten der Nacht ver-
trieben/ noch die aufgehende
Sonne die Geſtirne gar ver-
duͤſtert/ als die vielfache Sorg-
falt ſchon dem Hofe den Schlaf
aus den Augen geſtrichen; inſonderheit aber die
Liebe in unterſchiedenen Gemuͤthern alle Ge-
muͤths-Regungen ausgeleſcht hatte. Fuͤr-
nehmlich aber machte die Begierde der Koͤnigin
Erato und den Fuͤrſten Zeno wache/ umb ihre
beyderſeits uͤberſtandene Zufaͤlle zu vernehmen.
Thuſnelde und Jſmene/ wie auch die Cattiſche
Hertzogin und Fraͤulein wurden auf dieſer An-
leitung nach Erfahrung ſolcher Ebentheuer
gleichfalls luͤſtern; Weswegen ſie ſaͤm̃tlich mit
Saloninen ſich in den eine Stunde von der Her-
tzoglichen Burg gelegenen Luſt-Garten verfuͤg-
ten/ umb in ihren Erzehlungen von niemanden
geſtoͤret zu werden. Adgandeſter aber des
Feldherrn obriſter Staats-Rath brachte ſelb-
tem/
[336]Vierdtes Buch
tem/ als er mit dem Hertzoge Jubil/ Arpus/
Sigismund/ Melo/ Rhemetalces/ Malovend
ſich auf der Reit-Bahn befand/ die Nachricht:
daß zu Folge ſeines Befehls die fuͤrnehmſten
Stuͤcke des dem Druſus zu Ehren in der Fe-
ſtung Aliſon aufgebauten/ von den Deutſchen
aber abgebrochenen Heiligthum zu dem Tanfa-
niſchen Tempel gefuͤhrt worden waͤren. Dieſes
veranlaßte ſie insgeſam̃t ſich dahin zu verfuͤgen/
den Feldherrn zwar/ daß er darmit die bey ſich
entſchloſſene Anſtalt verfuͤgte/ die andern Fuͤrſten
aber der Vorwitz diß beruͤhmte Gedaͤchtnuͤß-
Mahl eines in der Welt ſo beruffenen Heldens
zu ſehen. Der oberſte Prieſter Libys bewillkom̃te
beym Eingange des Thales dieſe Fuͤrſten mit
gewoͤhnlicher Ehrerbietung/ fuͤhrte ſie hierauf
zu dem Tempel/ fuͤr welchem die Druſiſchen
Denckmale niedergeſetzt ſtanden. Es waren
die vier Haupt-Fluͤſſe/ die Donau/ der Rhein/
die Elbe und die Weſer aus Marmel kuͤnſtlich
gehauen/ uͤber denen das Bildnuͤß des Druſus
aus Ertzt mehr als in Lebens-Groͤſſe gegoſſen
ſtand. Sie lehnten ſich mit den lincken Armen
auf groſſe Waſſer-Gefaͤſſe/ daraus ihre Stroͤ-
me geſchoſſen kamen; mit der rechten Hand aber
reichte die Donau dem Druſus einen Myrten-
Krantz empor/ in deſſen inwendigem Kreiſſe ein-
gegraben war: Dem Bezwinger der
Aufruͤhrer. Der Rhein langte ihm einen
Krantz aus Eichen-Laube/ mit der Umbſchrifft:
Dem Erhalter der Buͤrger. Die We-
ſer einen Lorber-Krantz/ mit denen Worten:
Dem Uberwinder der Feinde. Die El-
be einen Krantz aus Oel-Zweigen/ mit dem
Beyſatze: Nach verjagtem Feinde.
Des Druſus Bild hatte eine dreyfache verguͤlde-
te Krone/ darinnen ein Mauer-ein Laͤger- und
Schiff-Krantz artlich durcheinander geflochten
war/ auf dem Haupte/ in welchen kuͤnſtlich ge-
praͤget ſtand: Nach erſtiegenen Mauern/
nach erobertem Walle/ nach dem
Schiffs-Siege. Dieſes Gedaͤchtnuͤß-
Mahl hatte mitten in dem achteckichten Heilig-
thume geſtanden. Von ſeinem Altare aber war
alles zermalmet/ auſſer denen ſilbernen Opfer-
Gefaͤſſen/ und einer ſilbernen Taffel/ welche die
foͤrderſte Seite des Altar-Fuſſes abgegeben
hatte; in dieſe war mit erhobenen Buchſtaben
nachfolgende Uberſchrifft gegoſſen:
Als dieſe gantze Verſammlung alles nach-
dencklich durchleſen/ und die Kunſt dieſer
Denckmahle betrachtet/ fing Hertzog Arpus an:
Jch muß bekennen/ daß die Erſtlinge unſerer
Berg-Schaͤtze in keine ungeſchickte Hand ge-
diegen; aber es hat nicht allein der Roͤmiſche
Hochmuth/ ſondern auch ihre Abgoͤtterey der
Hand den Griffel und das Polier-Eiſen gefuͤh-
ret/ die dieſe Steine ausgehauen/ und dieſe
Buchſtaben geetzt hat. Dieſemnach bin ich be-
gierig zu vernehmen/ zu was Ende der Feldherr
dieſe Stuͤcke zum Tempel unſerer Goͤtter zu
bringen erlaubet habe. Hertzog Herrmann
begegnete ihm: Sein Abſehn waͤre dieſe Bil-
der im Eingange des Tanfaniſchen Tempels
aufzurichten. Der Catten Hertzog verſetzte:
Er nehme des Feldherrn Erklaͤrung fuͤr einen
Schertz auf; ſintemahl er nicht begreiffen koͤn-
te/ daß weder dieſe ruhmraͤthige Bilder ohne
Verkleinerung der Deutſchen Freyheit unzer-
malmet bleiben/ noch ohne Beleidigung des
Vaterlandes Schutz-Goͤtter bey ihrem Heilig-
thume ſtehen koͤnten. Der Feldherr antwor-
tete: Es waͤre ſein angedeutetes Abſehn ſein
rechter Ernſt. Man muͤſte wegen ſeines eige-
nen Vortheils der Tugend keine Kuͤrtze thun.
Druſus haͤtte durch ſeine Helden-Thaten ver-
dient/ daß ihn die Lebenden geliebt/ die Nach-
kommen verehret haͤtten. Und er wolle eben
deßwegen dieſe Denckmahle in die heilige Hal-
le ſetzen/ wormit die Deutſchen daraus ein Bey-
ſpiel der Tugend/ und eine Warnigung fuͤr in-
nerlicher Zwytracht ſchoͤpffen moͤchten. Wie
man wegen einer beliebten Perſon ihre Laſter
nicht lieben ſolte/ alſo muͤſte man wegen einer
unangenehmen der Tugend nicht gram wer-
den. Hertzog Arpus fing an: Er waͤre in dem
mit dem Feldherrn einig/ daß man auch die Tu-
gend am Feinde hoch ſchaͤtzen/ und als ein Bild
der Nachfolge anſchauen ſolte; Er tadelte auch
nicht/ daß man in Siegs-Gepraͤngen/ oder
auch in Leichbegaͤngnuͤſſen die Bilder der uͤber-
wundenen Voͤlcker truͤge/ und dem Sieger zu
Ehren aufſtellete; aber dem koͤnte er nicht bey-
ſtim-
[339]Arminius und Thußnelda.
ſtimmen/ daß man die zu ſein und ſeines Vol-
ckes Schande aufgerichtete Gedaͤchtnuͤß-
Mahle ſtehen laſſen/ und hierdurch dieſe Goͤ-
tzen der Ehrſucht verehren ſolte. Solche Bil-
der ruͤckten mit ihrer ſtummen Zunge alle Au-
genblicke den Deutſchen ihre Fehler fuͤr/ und
riſſen ihnen taͤglich die Wunden auf/ daß ſie
nimmermehr verheilen koͤnten. Sie machten
den Landes - Fuͤrſten veraͤchtlich/ den Adel
ſchwuͤrig/ das Volck furchtſam/ und den Poͤfel
unbaͤndig. Dieſer Urſache halben/ und wor-
mit er durch Verdunckelung der Perſiſchen
Geſchichte alleine der Griechen Helden-Tha-
ten in Anſehn ſetzte/ nicht aber aus einer wolluͤ-
ſtigen Verleitung der Thais/ habe der groſſe
Alexander mit der Perſiſchen Haupt-Stadt al-
le ihre Ehrenmahle eingeaͤſchert; der groſſe
Pompejus des Mithridates guͤldene Wagen/
des Pharnaces und anderer Pontiſcher Koͤnige
Bilder/ Auguſtus der Ptolomeer Saͤulen aus
den Augen ſelbiger Voͤlcker gethan/ und zu
Rom in Schmeltz-Ofen geworffen. Uber diß
waͤre die Aufrichtung ſolcher Saͤulen bey de-
nen/ die ſolches thaͤten/ ein Aberglaube/ die es a-
ber verſtatteten/ ein unertraͤglicher Ehr-Geitz.
Denn ſo ſchaͤndlich es einem Buhler waͤre/ ſich
mit der Magd ſeiner Braut gemein machen/ ſo
unanſtaͤndig waͤre es auch/ wenn man ſeine Lie-
be nur halb der Tugend/ halb ihrer Magd/
nehmlich der eiteln Ehre/ zutheilte. Ja weil
dieſe Verehrung allein den Goͤttern keinem
ſterblichen Menſchen zukaͤme/ maſſen auch die
allererſten zu Rhodis den Goͤttern waͤren ge-
wiedmet/ und vom Cadmus bey den Griechen
in die Tempel geſetzt worden; haͤtte Gott an
vielen/ theils durch ihre Zermalmung ſeinen
Zorn ausgeuͤbet/ theils ſelbte zu Merckmahlen
irrdiſchen Unbeſtandes und Andeutungen him̃-
liſcher Rache gebrauchet. Die Saͤule des Hie-
ro waͤre eben den Tag herunter gefallen/ als er
zu Syracuſe umkommen. Aus des Sparta-
niſchen Hiero Bilde waͤren beyde Augen gefal-
len/ als er kurtz hierauf bey Leuctra ins Graß
gebiſſen. Die vom Lyſander erhobenen Ster-
ne waͤren vergangen/ und das Antlitz ſeines
Marmel-Bildes mit wildem Kraͤutichte uͤber-
wachſen/ ehe er mit dem gantzen Athenienſiſchen
Heerevon den Lacedemoniern erſchlagen wor-
den. Gleichergeſtalt waͤre dieſe unmaͤßige
Ehre offt der Ehrſucht zu einer Schiffbruchs-
Klippe und zur Urſache eines gemeinen Auff-
ſtandes worden. Als des Britanniſchen Koͤ-
nigs Hippon Stadthalter der Hertzog Bala/
nach erhaltenem Siege wider die Menapier/
Eburoner/ Moriner/ Advaticher und Nervier/
ſein Bildnuͤß/ das zweyen den Adel und das
Volck bedeutenden Bildern auff dem Halſe
ſtand/ aus Ertzt haͤtte aufrichten laſſen/ haͤtte er
ſelbige ſchon gefaͤſſelte Voͤlcker zu einem ver-
zweiffelten Abfall/ ſeinen Koͤnig um ſo viel Laͤn-
der/ ſich um die Gnade des Koͤnigs/ und in
Verachtung des Hoffes bracht. Das Bild
waͤre ſelbſt wieder abgebrochen/ und die unzeiti-
ge Ehre in Schimpfverwandelt worden. Zu-
weilen haͤtten auch dieſe Saͤulen einen Drit-
tern den Hals gekoſtet. Dionyſius habe den
Antiphon laſſen hinrichten/ weil er geſagt/ diß
waͤre das beſte Ertzt/ woraus der zweyen Ty-
rannen-Vertreiber des Harmodius und Ariſto-
gitons Saͤulen gegoſſen waͤren. Hingegen
waͤre Cato zu loben/ daß er fuͤr eine groͤſſere Eh-
re geſchaͤtzt haͤtte/ wenn man ſeinetwegen ge-
fragt: warum er kein/ als weßwegen er ein Eh-
ren-Bild haͤtte? Und Mecaͤnas habe nichts
weniger dem Kaͤyſer kluͤglich gerathen: Er ſol-
te ihme durch Wohlthaten unſichtbare Saͤu-
len in die Hertzen der Menſchen/ keine Gold-
oder ſilberne aber in Rom aufſetzen; als Augu-
ſtus nicht allein die ihm anderwerts aus Silber
gegoſſene Bilder zerſchmeltzet/ und dem Apollo
Dreyfuͤſſe daraus gefertigt/ ſondern auch ande-
rer aberglaͤubige Heucheley mehrmahls ver-
lacht habe. Denn als einsmahls die Stadt
Tarragon ihm durch eine Geſandſchafft zu wiſ-
U u 2ſen
[340]Vierdtes Buch
ſen gemacht/ daß auf einem dem Kaͤyſer zu Eh-
ren aufgerichteten Altare ein Palmbaum auff-
geſchoſſen waͤre; haͤtte er ſo wohl ihren Aber-
glauben/ als diß Wunderwerck/ welches ein
alberer Fuͤrſt vielleicht in der gantzen Welt haͤt-
te ausruffen laſſen/ verlachet; in dem er den
Abgeſchickten nichts anders geantwortet/ als/
er ſehe wohl/ daß ſie ihm auf ſeinem Altare we-
nig Opffer verbrenneten. Und da ja auch
Menſchen durch ihre Tugenden ſolche Ehre
verdienten; ſo waͤre doch ſolche nicht den Fein-
den/ am wenigſten aber von den Deutſchen ein-
zuraͤumen. Ein Seriſcher Koͤnig eines
neuen Stammes habe ſeinem Geſchlechte fuͤr
verkleinerlich geſchaͤtzt/ wenn die Nachwelt et-
was aͤlters/ als von ſeinen Thaten wiſſen ſolte/
und daher alle Buͤcher verbrennt; Wie moͤch-
ten denn ſie Deutſchen ohne Spott ihrer Fein-
de Bilder gantz laſſen? Die weder dem Tuiſco
noch dem Mann ihren eigenen Uhrhebern ei-
niges gemacht/ ja nicht gerne ſolche den Goͤt-
tern zu fertigen erlaubten; ſondern ihre Hel-
den mit nichts/ als einem Liede verehreten.
Der Feldherr hoͤrte den Catten-Hertzog ge-
dultig aus/ ſetzte ihm aber entgegen: Es waͤre
ſeine Meinung nie geweſt den Ehren-Saͤulen
das Wort zu reden/ welche vom Aber glauben
oder Heucheley Unwuͤrdigen aufgerichtet wuͤr-
den. Er verlache die Abgoͤtterey der Grie-
chen/ die der Phryne Bild in den Delphiſchen
Tempel geſetzt; der Alexandriner/ die der ſchoͤ-
nen Sclavin Baleſtia Tempel gebauet/ des
Caͤcilius Metellus/ der der unzuͤchtigen Flo-
ra Bildnuͤß in dem Heiligthume des Caſtors
aufgeſtuͤrtzt; inſonderheit aber des groſſen Ale-
xanders/ der der Pythionice/ welche drey mahl
eine leibeigene Magd/ und eine Hure geweſt/
ein praͤchtiges Grabmahl zu Babylon/ der un-
keuſchen Glicera zu Tharſus eine ertztene
Saͤule/ ihm aber ſelbſt und den Seinigen kein
Gedaͤchtnuͤß aufgerichtet hat. Auch haͤtten
die Saͤulen der Boßhafften/ oder die die Ehr-
ſucht ihr ſelbſt und zu anderer Verkleinerung
aufgeſetzt/ ſo wenig Beſtand/ ſo wenig das La-
ſter durch einen angeſchmierten Firnß zur Tu-
gend werden/ oder Eigen-Ruhm zu ſeiner
Vergroͤſſerung ausſchlagen koͤnte. Des De-
metrius Phalereus 360. Saͤulen haͤtten die
Ehre nicht gehabt/ daß ſie der Schimmel ver-
ſtellt oder der Roſt gefreſſen haͤtte; denn ſie waͤ-
ren alle noch bey ſeinen Lebzeiten abgebrochen
und in ſtinckende Schachte geworffen worden.
Des Demas ertztene Bilder haͤtte man zu
Nacht-Scherben umgegoſſen. Hingegen
hielte er in allewege wohlverdiente Ehren-
Saͤulen fuͤr eine herrliche Belohnung; ja fuͤr
einen Saamen der Tugend/ welche man zu-
gleich ausrottete/ wenn man ihr allen Preiß
entzoͤge. Dieſer waͤre weder Frembden zu
entziehen/ noch dieſe Beehrungs-Art fuͤr einen
Greuel der Goͤtter zu ſchelten. Alexander
haͤtte dem Ariſtonicus/ einem nach tapfferm
Gefechte in der Schlacht umbgekommenem
Cytherſchlaͤger eine Saͤule aufzuſetzen kein Be-
dencken gehabt. Ja der heilige Numa waͤre
von den Goͤttern dem weiſen Pythagoras und
dem tapffern Alcibiades zwey Saͤulen in Rom
aufzurichten befehlicht worden. Ja es diente
zu einer Vertheidigung ſeines itzigen Begin-
nens/ daß die Roͤmer ihres geſchwornen Ertz-
Feindes Hannibals Bild an dreyen Orten ih-
rer Stadt aufgerichtet haͤtten. Vielen haͤt-
ten ſolche Ehren-Bilder den Trieb der Tu-
gend eingepflantzt/ den ihnen weder das Ge-
bluͤte ihrer Eltern/ noch der Fleiß ihrer Lehr-
meiſter einfloͤſſen koͤnnen. Dem Theſeus haͤt-
ten die Tempel des Hercules/ dem Themiſto-
cles die Saͤulen des Miltiades den Schlaff
verſtoͤrt und zu Helden-Thaten angefriſchet.
Denn weil das Beyſpiel frembder Ehre die
Nahrung und der Zunder der eiverſuͤchtigen
Tugend iſt/ werde ein feuriger Hengſt von dem
Schall
[341]Arminius und Thußnelda.
Schall der Trompeten nicht ſo ſehr zu der
Schlacht als ein edles Gemuͤthe durch fremb-
den Ruhm aufgemuntert. Sintemahl wie
der Himmel groſſe Helden in ihrem Leben dem
Vaterlande zu Mauern/ nach ihrem Tode a-
ber zu einem allgemeinen Spiegel des Adels
und einem Muſter ihrer Lebens-Art beſtim-
met; alſo laͤſt ein edler Geiſt ſich nicht beruhi-
gen/ wenn er in ihre Fußſtapffen tritt/ ſondern
er brennet fuͤr Begierde es ihnen noch vorzu-
thun. Der in dem Grabe ſchlaffende/ ja wol
laͤngſt vermoderte Achilles weckte den groſſen
Alexander alle Nacht auf/ daß/ wie er/ dem muͤt-
terlichen Geſchlechte nach/ von ihm entſproſ-
ſen war; alſo er ihn in Thaten uͤbertreffen
moͤchte. Er ſahe ſein Bildnuͤß keinmahl/ daß
ihm nicht Thraͤnen aus den Augen fielen;
nicht ſo wohl Achillens Sterbligkeit/ als ſeine
eigene Langſamkeit zu beweinen/ daß er nicht
ſchon beruͤhmter als jener waͤre. Wiewohl an
ihm ſcheltbar bleibt/ daß er auch an Grauſam-
keit ihm uͤberlegen ſeyn wolte; als er an ſtatt des
todten Hectors den lebendigen Betis umb die
Stadt Gatza ſchleiffte. Was nun Achilles
dem Alexander war/ war dieſer dem Kaͤyſer
Julius. Denn weil jener die Morgenlaͤnder
bezwungen/ wolte dieſer der ſtreitbaren Abend-
Welt Meiſter werden; alſo: daß/ da er ihn
nicht uͤbertroffen/ doch zweiffelhafft gelaſſen/
ob der groſſe Alexander nicht kleiner als Julius
geweſen ſey. Kaͤyſer Auguſt haͤtte zwar an-
fangs mit einem Sphynx geſiegelt/ von guter
Zeit aber brauchte er nur das Bild des groſſen
Alexanders/ nicht ſo wohl/ daß ſelbtes ihm Gluͤ-
cke zuziehen/ als eine Aufmunterung zu groß-
muͤthigen Entſchluͤſſungen abgeben ſolte. Er
ſelbſt muͤſte betheuren/ daß Marcomirs ſeines
Anherrns Schatten ihm als ein Geſpenſte offt
fuͤr dem Geſichte umirrete; ja daß die Tugend
ſeiner Feinde ihm taͤglich neue Fuͤrbilder auff-
ſtellete. Dahero er auch dieſe zu ſtuͤrmen fuͤr
ein Merckmahl eigener Schwachheit hielte.
Rom haͤtte die Ehren-Saͤule des hoffaͤrtigen
Tarqvinius auch/ nach dem man ihn als einen
Feind des Vaterlands verjagt/ nicht nur im
Capitol ſtehen laſſen/ ſondern ſo gar des Uhr-
hebers ihrer Freyheit des Brutus darneben ge-
ſtellt. Als etliche Roͤmer haͤtten des Philope-
menes Siegs-Bilder in Griechenland abbre-
chen wollen/ weil er ihr Feind geweſt waͤre/
und ſo wol dem Qvinctius als Attilius groſſen
Abbruch gethan hatte/ waͤre es von dem groß-
muͤthigen Mumius verwehret worden; und
der/ welcher ſich auff die Kunſt und Koſtbarkeit
der Corinthiſchen Ertz-Bilder nicht verſtan-
den/ haͤtte doch ſie als Merckmahle der Tu-
gend zu ſchaͤtzen gewuͤſt. Ja er haͤtte es fuͤr
verantwortlicher gehalten/ die Haupt-Stadt
Achajens/ die Zierde Griechenlands/ die
Schatz-Grube aller Koͤſtligkeiten und die
Gebieterin zweyer Meere einzuaͤſchern/ als
eines hertzhafften Feindes Bildnuͤß zu be-
ſchimpffen. Kaͤyſer Julius haͤtte die Gallier
geliebt/ daß ſie ſeines Feindes des Brutus Bild
auch nach ſeinem Tode in Ehren gehalten haͤt-
ten. Dieſe Beehrung gereichte auch nicht
allein dem Verehrer zu Lobe/ ſondern auch
zum Vortheil. Alſo haͤtte Julius mit Auff-
richtung der vom Poͤfel herabgeſtuͤrtzten Bil-
der des Sylla und Pompejus ſeine eigene
befeſtigt. Endlich verliere das Cryſtall
bey uns nicht ſeinen Werth/ daß es aus den
ſteileſten Klippen gehauen wuͤrde; Die
rauen Schalen benaͤhmen denen Diaman-
ten/ die ungeſtalten Muſcheln den Perlen
nichts von ihrem Preiße. Wir kauffen die
Rhabarbar von denen wildeſten Scythen/
Ambra/ Muſch und andere Koſtbarkeiten von
den Menſchen-Freſſern. Alſo koͤnte er nicht
begreiffen/ warum die Tugend ſie anſtincken
ſolte/ weil ſie nicht auff eigenem Miſte gewach-
ſen waͤre? Der Purper der Roſen behielte
U u 3ſei-
[342]Vierdtes Buch
ſeinen Glantz und Geruch auf den doͤrnricht-
ſten Stoͤcken/ die Tugend unter den ungeheu-
erſten Voͤlckeꝛn/ und bey den grimmigſten Fein-
den. Als der Feldherr ſeine Rede beſchloß/
ſchienen die Anweſenden meiſt ſeiner Meinung
beyzufallen. Denn groſſer Fuͤrſten Worte
ſind eitel Urthel/ und haben das Gewichte des
Goldes. Dahero uͤberwiegen ſie auch die
Meinungen der beruffenſten Weltweiſen.
Welches hier ſo viel leichter ſich ereignete/ weil
Hertzog Herrmann mit ſo guten Gruͤnden diß
behauptete/ was die meiſten Voͤlcker fuͤrlaͤngſt
mit ihrem Beyſpiele gebillicht hatten. Sin-
temahl auch ſonſt der Fuͤrſten Jrrthuͤmer gar
leichte Beyfall kriegen; weil man insgemein
den Mantel nach dem Winde richtet/ und nicht
ſo wol mit den Fuͤrſten als mit ihrem Gluͤcke re-
det/ um ſich durch Beyfall beliebt zu machen.
Der tapffere und kluge Hertzog der Catten/ wel-
cher wol verſtand/ daß ein hartnaͤckichtes Wi-
derſprechen eines andern Urtheil verkleinerte/
alſo verdruͤßlich waͤre/ und man dahero nichts
minder eigenes als frembdes Widerſprechen
verhuͤten ſolte/ fand ſich gleichfalls drein. Die-
ſem folgte der oberſte Prieſter Libys/ welcher ſich
gegen dem Fuͤrſten buͤckte/ und nach dem er
Uhrlaub etwas fuͤr zubringen gebeten hatte/ an-
fing: Er hielte es in allewege mit dem großmuͤ-
thigen Ausſchlage des Feldherrn. Die Natur
haͤtte zwar nach dem Unterſchiede der Laͤnder die
Eigenſchafften der Geſchoͤpffe und der menſch-
lichen Leiber; die Gewohnheit auch ihre Sit-
ten unterſchieden; aber die Tugend waͤre nicht
anders als die Sonne uͤberall einerley und zu
verehren wuͤrdig. Er haͤtte deßhalben bey
Durchreiſung Jndiens ſelbige Einwohner ge-
prieſen/ daß ſie des groſſen Alexanders Siegs-
Bogen nicht beleidigt haͤtten/ ſondern noch ver-
ehrten. Jedoch haͤtte er darbey zu erinnern/
daß der Mißbrauch die den Helden gebuͤhrende
Ehre bey den meiſten Voͤlckern ſehr verunrei-
nigt/ und alſo auch der Aberglaube dieſes Denck-
mahl des Druſus befleckt haͤtte. So lange die
Griechen die Nahmen ihrer Helden in der Mi-
nerva Schleyer geſtuͤckt/ die Roͤmer ihre in den
Saliariſchen Liedern beſungen haͤtten; waͤre
denen uͤber den Poͤfel ſich ſchwingenden Gei-
ſtern ihre anſtaͤndige Ausrichtung geſchehen.
Die Vergoͤtterung aber der Todten/ und da ih-
nen die Roͤmer traͤumen lieſſen/ daß die Adler
der Kaͤyſer die Pfauen der Kaͤyſerinnen See-
len von den Holtzſtoͤſſen in den Himmel truͤgen/
daß der Julius in ein Geſtirne verwandelt wor-
den waͤre/ daß man ſie nach ihrem Abſterben/ ja
den Auguſtus noch bey Lebzeiten mit Tempel
und Opffer-Tiſchen verehren muͤſte/ waͤre zwar
ein Geheimnuͤß der Staats-Klugheit/ um die
Fuͤrſten fuͤr aller Beleidigung ſo viel mehr zu
verſorgen; aber eine Erfindung der Ehrſucht/
und fuͤrnehmlich derer/ welche hernach ſelbſt ver-
goͤttert zu werden verlangten/ alſo ein irrdiſcher
Gottesdienſt und eine laͤcherliche Andacht. Der
Fuͤrſt Rhemetalces fiel dem Prieſter ein: wie
die Laſter einen Menſchen derogeſtalt verſtelle-
ten/ daß er/ wo nicht gar zum Vieh/ doch Halb-
Vieh Halb-Menſch wuͤrde; alſo wuͤrde man
durch die Tugend wo nicht gar/ doch zum theil
vergoͤttert. Deßhalben glaͤube er/ daß Zoroa-
ſter/ Plato und andere tiefſinnige Weiſen durch
die der menſchlichen Seele zugeeigneten Fluͤ-
gel/ welche ſie aus den Geſtirnen herab und
wieder hinauf fuͤhrten/ anders nichts als die
Tugend und die Krafft ihrer Vergoͤtterung
verſtanden haͤtten. Zumal da ſie ausdruͤcklich
lehrten: es buͤſte die Seele ſolche Fluͤgel durch
Wolluſt ein. Seine Meinung beſtaͤrckte das
Alterthum der Vorwelt und die Einſtimmung
der Voͤlcker. Die Egyptier eigneten den See-
len die Sternen zur Wohnung und ein goͤttli-
ches Weſen zu; weßwegen ihre Pyramiden
auch nichts/ als ihren Helden zu Ehren gebaue-
te Altaͤre waͤren. Die Scythen haͤtten ihren
Toxaris/ die Carthaginenſer ihren ſich in das
Opffer-Feuer ſtuͤrtzenden Amilcar und die ſich
ver-
[343]Arminius und Thußnelda.
verſcharrenden Phileniſchen Bruͤder/ die Sa-
laminier den Ajax/ die von Egina den Eacus
goͤttlich verehrt. Athen habe dem Cecrops/ dem
Theſeus/ dem Meneſtheus und Codrus/ die
Spaꝛtaneꝛ dem Hyacinthus/ dem Agamemnon/
dem Menelaus/ die Arcadier dem Epaminon-
das/ die Archiver dem Perſeus/ die von Delphis
dem Neoptolomeus/ die Cherſoniter dem Mil-
tiades/ die von Levce dem Achilles Tempel und
Altaͤre gebauet. Wer haͤtte nicht in friſchem
Gedaͤchtnuͤſſe/ daß Juba bey den Mohren/
Selevcus bey den Syrern/ Diſares bey den
Arabern/ Philippus und Alexander bey den
Macedoniern/ Romulus zu Rom/ und Bele-
cus von den benachbarten Norichern als Goͤt-
ter angeruffen wuͤrden. Ja den Deutſchen
wuͤrde nachgeſagt/ daß ſie den Tuiſco und den
Mann goͤttlich verehrten. Zu dem haͤtten
viel Voͤlcker dieſe Verehrung weder in das
maͤnnliche Geſchlechte noch allein auff Helden
eingeſchrenckt; ja auch frembder Tugend ſelbte
nicht mißgegoͤnnt. Carthago erkennte die
Dido/ Babylon die Semiramis/ Phaſis Me-
deen/ Memphis Arſinoen/ Sparta Helenen/
Athen Erigonen/ Rom die Acca Laurentia und
Deutſchland die Herta und die noch-lebende
Aurinien fuͤr eine Goͤttin. Uberdiß waͤren
nicht allein die ſich fuͤrs Vaterland aufopffern-
den Toͤchter des Erechtheus zu Athen/ und die
neun Muſen vom Leßbiſchen Koͤnige Macaris
vergoͤttert; ſondern es haͤtten die Zinſer auch
dem Homerus weiſſe Ziegen geopffert/ die Me-
tapontier den Pythagoras angebetet/ die von
Stagira dem Ariſtoteles ein Feſt gefeyret; die
Jndier rufften ihren Lehrmeiſter Cambadaxi/
und ſeine Thracier den Getiſchen Geſetzgeber
Zamolxis an/ daß er nach dem Tode ihre Seele
aufnehmen wolle. Dem Paris ſtehe weder
ſein feindliches Vaterland/ noch ſein Raub im
Wege/ daß er nicht von den Laconiern fuͤr einen
Gott gehalten wuͤrde. Die Macedonier haͤt-
ten dem Eneas/ die Umbrier dem Diomedes/
die Rhodier dem Kleptolemus koſtbare Heilig-
thuͤmer aufgerichtet. Des Ulyſſes Altar ſolle
in Britannien/ ja auch am Rheinſtrome zu ſe-
hen/ und von ſeinem Vater Laertus eine Uber-
ſchrifft daran zu leſen ſeyn; ja er ſelbſt habe ſo
wohl auf des itzigen Kaͤyſers/ als des groſſen
Alexanders Altaͤren am Boriſthenes opffern ge-
ſehen. Alſo wuͤrden die Deutſchen ſo wenig
alle dem Druſus noch auch andern Roͤmern
aufgerichtete Opffer-Tiſche zu zerſtoͤren/ als
dieſe Meinung von der Vergoͤtterung der gan-
tzen Welt auszureden maͤchtig ſeyn.
Der Prieſter begegnete dem Thraciſchen
Fuͤrſten mit einer demuͤthigen Annehmligkeit/
beydes letztere waͤre zu bejammern. Der A-
berglaube haͤtte gemacht/ daß man drey und
vierzig Hercules/ drey hundert Jupiter und
zuſammen dreißig tauſend Goͤtter zaͤhlte/ und
ſo gar unbeſeelte Sachen/ als die Cappadocier
das Meſſer/ wormit Jphigenia ſolle geopffert
worden ſeyn/ die Spartaner die Schale von
dem vermeinten Ey der Leda/ Rom die Anci-
liſchen Schilde/ die Jndianer einen Affen-
Zahn fuͤr goͤttlich verehrten. Alleine alles
diß waͤre ſo wenig/ als die Vielheit der Jrren-
den fuͤr einen Grundſtein der Warheit zu legen.
Die menſchliche Seele habe von dem Brunn
aller Dinge dem einigen und ewigen Gotte
zwar den Schatz der Unſterbligkeit/ aber kein
goͤttliches Weſen bekommen. Dieſes ſey un-
verſehrlich/ unverderblich und unveraͤnder-
lich/ und von dem Weſen der Seele ſo weit/
als die Sonne von einem Feuer-Funcken/ als
das Meer von einem Tropffen Waſſer unter-
ſchieden. Die Seele beſudelte ſich mit vielen
Laſtern/ und ſey in dem zerbrechlichen Ge-
ſchirre des Leibes vielerley Leiden unterworf-
fen/ auch als ein unvollkommeneres Geſchoͤpf-
fe von dem vollkommenen Schoͤpffer gantz
zweyerley. Dieſemnach koͤnne auch der goͤtt-
liche
[344]Vierdtes Buch
liche Dienſt auff keinen ſterblichen Menſchen
noch ſeine ſterbliche Seele/ die GOTT ihre
Tauerung zu dancken habe/ ohne eine dem un-
endlichen Weſen zuwachſende Verkleinerung/
ſo wenig/ als die Verehrung eines Koͤnigs auff
ſeinen Knecht/ erniedrigt/ ja aus einem Men-
ſchen weniger ein GOtt/ als aus einem unver-
nuͤnfftigen Thiere ein Menſch/ gemacht werden.
Zu dem waͤren die Wohlthaten der Menſchen/
welche etwa ein Volck gepflantzt/ eine Stadt
erbauet/ das Vaterland beſchirmet/ die Weiß-
heit gelehret/ eine nuͤtzliche Kunſt erfunden/ ge-
gen die unermaͤßliche Guͤte des Schoͤpffers und
des Erhalters aller Dinge/ nicht als ein Stroh-
halm gegen das groſſe Welt-Gebaͤue/ zu rech-
nen. Auch vernehmen die herrlichſten Seelen/
ſie haͤtten gleich/ nach des Plato Meinung/ ihren
Sitz/ bey den Geſtirnen/ oder/ nach der Stoi-
ſchen Schule/ beym Monden/ oder/ wie Arius
wolte/ in der Lufft/ oder/ nach des Pythagoras
Glauben/ in andern Leibern/ ſo wenig die ihnen
zugeſchickte Anruffungen; ſie ruͤchen ſo wenig
den angezuͤndeten Weyrauch/ ſie ſehen ſo we-
nig die brennenden Opffer; als in ihrer Ge-
walt ſtuͤnde den Flehenden zu helffen/ die Be-
fleckten zu reinigen/ die Boßhafften zu ſtraf-
fen. Dieſemnach/ wie Gottes unverneinli-
che Eigenſchafft waͤre/ die Ewigkeit ohne
Uhrſprung und Unermaͤßligkeit/ welche ſei-
nen Mittel-Punct allenthalben/ ſeinen eu-
ſerſten Zirckel aber nirgends habe/ alſo folge:
daß ſo wenig zwey Ewigkeiten und Unermaͤß-
ligkeiten neben einander ſtehen/ und in eine/
den ermaͤßlichen Dingen allein anſtaͤndige/
Zahl und Zeit verfallen; ſo wenig auch mehr
als ein GOtt ſeyn/ noch in der Zeit und den
engen Schrancken der Welt eine neue Gott-
heit entſpringen koͤnte. Dieſes waͤre der aͤl-
teſte und deßhalben auch der wahrhafftigſte
Glaube der erſten Welt; Und ob ſchon Unver-
ſtand und Boßheit ſolchen hernach abſcheulich
verfaͤlſcht haͤtte/ waͤre doch dieſer Strahl auch
in der aͤrgſten Finſternuͤß der aberglaͤubiſchen
Zeiten nicht gantz verduͤſtert worden. Denn
es haͤtte nicht nur Pythagoras einen GOtt/
als einen unumbſchrencklichen Geiſt/ Par-
menides ein einiges unbewegliches und unbe-
greiffliches Weſen/ Zoroaſter ein einiges
Feuer/ welches alles gezeuget haͤtte/ Antiſthe-
nes einen einigen natuͤrlichen GOtt/ ſondern
auch ſo gar diß gelehret/ daß wie die Natur
und alles Geſchoͤpffe nicht ſo wohl ein Fuͤr-
hang/ der das goͤttliche Weſen verſtecke/ als
ein heller Spiegel waͤre/ in dem die ſonſt blin-
de Welt ſchauen koͤnte/ es ſey wahrhafftig ein
GOtt/ es ſey iedwedes Geſchoͤpffe ein Zeug-
nuͤß von GOtt/ wie der Schatten ein Merck-
mahl eines verhandenen Leibes; die Sonne
mahle diß mit ihren Strahlen/ der Menſch
mit ſeiner Vernunfft/ die Erde mit ihrer
Fruchtbarkeit/ der Himmel mit ſeiner Wuͤr-
ckung/ die gantze Natur mit ihrer Ordnung/
als klaren Pinſeln/ denen/ die nicht ſehen/ ſon-
dern nur fuͤhlen/ deutlich fuͤrs Geſichte; alſo
auch durch das Licht der Natur bey ſo unauff-
hoͤrlicher Eintracht ſo vieler tauſend unterſchie-
dener ja widriger Dinge/ und da nicht eine
Feder eines Sperlings/ ein Blatt einer Ey-
che/ eine Schupffe eines gewiſſen Fiſches/ mit
einer andern Art/ durch Gleichheit vermiſchet
wuͤrde/ erhaͤrtet werden koͤnte: es ſey mehr
nicht als ein einiger GOtt/ der alles einſtim-
mig ordne/ ſchaffe und erhalte. Wiewohl
nun diß/ was die Sterblichen in dem Glauben
eines Gottes haͤtte beſtaͤrcken ſollen/ ſo/ wie
die Unerſchoͤpfligkeit der Brunnen/ die gleiche
Unaufhoͤrligkeit der Fluͤſſe uns uͤberwieſe/ daß
das Meer alles deſſen einiger Uhrſprung ſey;
gleichwohl albere Menſchen nicht begreiffen
koͤnten/ wie ſo viel Dinge moͤglich von ei-
nem Uhrſprunge herruͤhren/ und das
groſſe Laſt-Schiff der weiten Welt von
einem
[345]Arminius und Thußnelden.
einem Steuer-Manne geleitet werden koͤnte/
alſo aus der Vielheit der Wuͤrckungen auf die
Menge der Urſachen einen Schluß gemacht/
den Werckzeug fuͤr den Meiſter angeſehen; ſo
waͤre erfolget/ daß die Sonne/ der Himmel/ die
Geſtirne/ die Lufft/ das Feuer/ das Waſſer/ ja
alle Wolthaten Gottes/ als die Eintracht/ die
Liebe/ der Sieg/ die Freyheit/ gleichſam als ab-
ſondere Goͤtter verehret worden. Nichts deſto
weniger haͤtten nicht allein dieſelbten/ welche
weiter als der albere Poͤfel geſehen/ wohl wahr-
genommen/ daß alle dieſe Umbkreiſſe mehr nicht
als einen Mittel-Punct/ ſo viel Baͤche nur einen
Brunn/ und die Welt nur einen Gott haͤtte; ſon-
dern es haͤtten auch gantze Voͤlcker die Erkaͤnt-
nuͤß eines einigen Gottes behalten. Dieſes
wuͤrde bey den Juden am reineſten angetroffen/
und die Egyptier zu Thebais haͤtten unter ſo
viel abgoͤttiſchen Nachbarn ihren einigen Gott
Kneph/ den Schoͤpfer der Welt/ behalten. Die
Griechen/ als ſie unter ſo unzehlbaren goͤttlichen
Nahmen ſo vieler Voͤlcker gleichwohl nur ein
Weſen verborgen zu ſeyn erblicket/ deſſen rech-
ten Glantz aber unter ſo viel Nebel nicht recht
erkieſen koͤnnen/ haͤtten dem unbekandten
Gotte zu Athen/ ja auch Auguſtus zu Rom
ein Altar aufgebauet. Wiewohl er auch die/
die Gott anfangs ſo vielerley Nahmen gegeben/
ihn mit ſo vielerley Art des Gottes-Dienſts ver-
ehret/ nicht ſo wohl fuͤr Abgoͤtter hielte/ als des
unvernuͤnftigen Poͤfels ſchlimmer Auslegung
den Anfang des Aberglaubens beymaͤſſe.
Worzu er die Mißgunſt der ehrſuͤchtigen Prie-
ſter rechnete/ welche umb ihnen ein deſto groͤſſer
Anſehen zu machen den Gottes-Dienſt zu lau-
ter Geheimnuͤſſen machten/ und hinter Retzel
und tieffſinnige Sinnen - Bilder verſteckten.
Weshalben man in Egypten in allen Tempeln
des Jſis und Serapis/ den Harpocrates oder
Sigaleon finde/ der mit zweyen auf den Mund
gelegten Fingern die Heimligkeiten der Goͤtter
verſchwiegen zu halten andeutete/ und zu Rom
haͤtte es den Valerius Soraus das Leben geko-
ſtet/ daß von ihm ihr Schutz-Gott waͤre aus-
geſchwaͤtzt worden. Bey den Deutſchen duͤrfte
niemand den Wagen der Hertha/ welcher mit
einem Fuͤrhange verdeckt iſt/ anruͤhren. Bey
den Juden der Hohe-Prieſter allein in das in-
nerſte Heiligthum eingehen. Ja die Egypti-
ſchen und Seriſchen Prieſter gebrauchten ſich in
Goͤttlichen Dingen ſo gar einer abſondern
Sprache/ und einer gantz andern Schreibens-
Art; gleich als wenn die Prieſter nur den wah-
ren Gott/ die Koͤnige nur die Natur/ der Poͤfel
aber die vergoͤtterten Menſchen anzubeten wuͤr-
dig waͤren. Wie denn bey den Seren niemand
als der Koͤnig dem Himmel und der Erde opfern
doͤrfte. Hinter dieſe Geheimnuͤſſe waͤren gleich-
wohl von Zeit zu Zeit unterſchiedene/ theils
durch Nachdencken/ theils durch der Prieſter
Offenbarungen kommen. Maſſen denn der
groſſe Alexander derer ein gantz Buch voll von
den Egyptiſchen/ Cyreniſchen/ Perſiſchen und
Jndianiſchen Prieſtern heraus bracht/ und an
ſeine Mutter Olympia uͤberſchickt haͤtte. Und
er wolte nicht ſo wohl Eigen-Ruhms als der
Wahrheit wegen nicht verſchweigen/ daß wie
der Aberglaube einerley Abgotte vielerley Nah-
men zugeeignet/ als unter der Ceres/ Cybele/
Minerva/ Venus/ Diana/ Proſerpina/ Juno/
Bellona/ Hecate/ Rhamnuſia/ Jſis/ Dago/
Derceto/ Aſtarte/ den einigen Monden/ unter
dem Phoͤbus/ Apollo/ Mercurius/ Oſiris/
Adargatis die einige Sonne verſtanden haͤtte;
alſo die nachdencklichen Prieſter aller Voͤlcker/
unter viel ſeltzamen Nahmen/ als die Roͤmer/
unterm Jupiter/ die Cyrener/ unter dem Am-
mon/ die in der Atlantiſchen Jnſel/ unter dem
Pachakamack und Uſapu/ die meiſten aber/ als
die Juden/ Epyptier/ Seren/ Jndianer/ Celti-
berier und Deutſchen/ unter keinem Nahmen/
den einigen Schoͤpfer der Welt fuͤr den wahren
Gott erkenneten/ deſſen Nahmen auszudruͤcken
weder einige Buchſtaben/ noch einiges Wort/
Erſter Theil. X xweni-
[346]Vierdtes Buch
weniger einiges Bild zu finden waͤre. Der be-
ruͤhmte Tempel zu Jeruſalem/ der zu Gades
und das Heiligthum des Berges Carmel ver-
wuͤrffen alle Bildnuͤſſe/ weil das unſichtbare
Weſen Gottes nur mit den Gemuͤths-Augen
zu ſchauen/ und die innerliche Furcht und An-
dacht die tieffſte Ehrerbietung waͤre. Oder da
ja auch ir gendswo der wahre Gott durch etwas
fuͤr gebildet wuͤrde/ zielete ſolcher Entwurff bloß
auf eine Wolthat/ oder auf eine gewiſſe Offen-
barung. Weswegen einsmals der beruͤhmte
Jndianiſche Brachmann/ Zarmar/ der ſich her-
nach in Anweſenheit des Kaͤyſers Auguſtus zu
Athen lebendig verbrennet/ ſeine Einfalt ver-
lacht/ und als er ſich/ bey verſpuͤrter tieffſinniger
Weißheit/ uͤber die Vielheit ihrer Goͤtzen und
Goͤtter verwundert/ ihn unterrichtet haͤtte: Der
groſſe und einige Gott habe ſich nicht nur durch
die geringſten Geſchoͤpfe/ durch Kefer/ Schne-
cken/ Fliegen/ Schlangen und Wuͤrmer offen-
baret; ſondern er ſey auch ſelbſt in allerhand
Geſtalten auf der Welt/ hier ſo/ dort anders/ er-
ſchienen. Wie nun dieſe unterſchiedene Erſchei-
nung ſeine Gottheit nicht zergliederte/ alſo ge-
ſchehe diß noch weniger durch ihre Bilder und
vielfache Verehrungen. Jedoch koͤnte er dis-
falls deſſelben Weltweiſen Meynung nicht bey-
pflichten: daß Gott an dem vielfachen Unter-
ſchiede des Glaubens und des Gottes-Dienſtes
ein Gefallen truͤge. Aus Beypflichtung dieſer
Einigkeit hieſſen die Aſſyriſchen Prieſter Gott
anders nicht/ als Adad/ nemlich Den Einigen.
Ja in den Sybilliniſchen Buͤchern wuͤrde Grie-
chenland/ wegen Vielheit der Goͤtter und ihrer
ver goͤtterten Menſchen/ ſtachlicht durchgezogen.
Und ob ſchon die Auslaͤnder von den Deutſchen
insgemein ausgaͤben/ daß ſie drey Goͤtter/ nem-
lich die Soñe/ den Mond und das Feuer anbete-
ten; ſo laͤge doch/ unter dieſen dreyen Bildern/
durch die ſich Gott dem Mann/ ihrem Uhr-An-
herrn offenbaret haͤtte/ ein heiliges Geheimnuͤß
einer dreyfachen Einigkeit verborgen; welches
zu er gruͤbeln dem menſchlichen Geiſte ſo unmoͤg-
lich/ als ſeine Augen in die Sonne zu ſchauen ge-
ſchickt waͤren. Denn menſchlich darvon zu re-
den/ wie der Monde von der Sonnen ſein Licht/
das in den natuͤrlichen Leibern aber befindliche
Feuer von Sonn und Mond ſeinen Urſprung
haͤtte/ und alles diß auf gewiſſe Maaß dreyerley/
und gleichwohl ein Weſen/ und eines Alters waͤ-
re; alſo ſey aus dem Goͤttlichen Weſen eine an-
dere Perſon/ aus beyden auch die dritte/ iedoch
von aller Ewigkeit her/ entſproſſen/ und doch
die Goͤttliche Einigkeit hier weder zergliedert
noch vermehret worden. Auch waͤre die Her-
tha bey den Deutſchen keine abſondere Goͤttin/
ſondern ein unſichtbares Sinnen-Bild der Ge-
meine/ die dieſen reinen Gottes-Dienſt/ welcher
durch die weiſſen Ochſen bedeutet wuͤrde/ in ihren
Hertzen unbefleckt behielten. Die Aurinia aber
waͤre/ ſo wol als andere Heldẽ bey dẽ Deutſchen/
zwar durch herrliche Gedaͤchtnuͤß-Lieder vereh-
ret/ kein Menſch aber bey ihnen iemals unter die
Zahl der Goͤtter gerechnet/ weder einigem Koͤ-
nige damit geheuchelt worden. Denn ob ih-
nen wohl die Auslaͤnder beymaͤſſen/ daß ſie ihren
Mercurius/ Mars/ wie auch die Jſts anbete-
ten/ und daß ſie dieſen Gottes-Dienſt von
Frembden angenommen haͤtten/ aus einem auf-
gerichteten Renn-Schiffe erzwingen wolten/ er
auch nicht laͤugnete/ daß ein Theil der Deutſchen
in dieſen Jrrthum durch etliche Druiden verſetzt
worden waͤre; ſo wohnte doch denen Verſtaͤn-
digern eine viel andere Meynung und Ausle-
gung dieſer Sinnen-Bilder bey. Zudem haͤt-
ten auch nebſt ihnen viel Voͤlcker die Vergoͤtte-
rung der Todten/ darinnen die Griechen den
Anfang gemacht/ verdammet. Die Afrieaner/
auſſer den Augilen und Naſamonern/ welche
ihre Eltern anrufften/ und auf diß/ was ihnen
bey ihren Graͤbern traͤumete/ groſſe Stuͤcke
hielten/ haͤtten ſich dieſer Abgoͤtterey allezeit ent-
halten. Die Perſen waͤren bey ihrer Sonne
blieben/
[347]Arminius und Thußnelda.
blieben/ biß ſie auf Alexanders Befehl dem He-
phaͤſtion/ und hernach ihm haͤtten Tem-
pel bauen muͤſſen. Dieſe Anruffung der See-
len waͤre auch nur nach und nach/ und aus
einem Mißbrauche deſſen/ was Anfangs/ zum
bloſſen Gedaͤchtnuͤſſe der Todten und zum
Troſt der Uberlebenden/ angezielt worden/ ent-
ſprungen/ und die Helden-Ehre zu einer An-
dacht/ die Trauer-Mahle zu einem Opfer wor-
den. Ja dieſe Andacht ſey anfangs nur in ei-
nem Hauſe/ bey der Blut-Freundſchafft/ und
bey naͤchtlicher Fuͤrſetzung Weyrauchs/ Weines
und Brodts/ in die Graͤber/ verblieben/ wormit
ſie die der Speiſe noch duͤrftige Seelen zu laben
vermeynt; hernach aber habe die Ehrſucht der
Lebenden die todten Koͤnige in Geſtirne verwan-
delt/ und mit ihren neugebacknen Nahmen die
fuͤr etlich tauſend Jahren geſtandenen him̃liſchen
Zeichen verunehret/ endlich ſie gar zu groſſen
Goͤttern/ und die letzte Begraͤbnuͤß-Pflicht
zum Gottes - Dienſte gemacht/ wormit die
Abgoͤtter eines Gottes Soͤhne odeꝛ Bruͤder wuͤr-
den/ ja ſie auch wohl hierdurch aus dem rechten
Gottes-Dienſte ein Geſpoͤtte machten. Wie
man denn wohl ehe denſelbten/ dem man giftige
Schwaͤmme zu eſſen gegeben/ oder fuͤr einen
Narren gehalten/ vergoͤttert; Julius Procu-
lus auch/ daß er den Romulus in Goͤttlicher
Geſtalt geſehen habe/ meyneidig getichtet haͤtte.
Dieſelben aber/ welche ſich beſorgt/ daß die kluͤge-
re Nachwelt ihren Aberglauben verlachen wuͤr-
de/ haͤtten ſelbten durch die Veraͤnderung der
Nahmen/ in dem ſie aus dem Romulus einen
Quirin/ aus Leden eine Nemeſis/ aus der Cir-
ce eine Marica/ aus dem Serapis einen Oſiris
gemacht/ zu vertuſchen/ oder ja ſeinen eigenen
Ehrgeitz darmit zu verhuͤllen vermeynet/ wie
nechſthin Auguſtus/ der nicht ſo wohl zu Liebe
dem Romulus/ als die Jahre ſeines gluͤckſeli-
gen Alters zu bezeichnen/ einen dem Quirin
gewiedmeten Tempel/ von ſechs und ſiebentzig
Saͤulen/ aufgerichtet. Alleine die Thorheit
werde durch keine Einbildung zur Weißheit/
kein Jrr-Licht durch Verblendung zur Sonne
und kein Sterblicher durch Aberglauben zu ei-
nem Gotte.
Alle Anweſenden/ inſonderheit aber Rheme-
talces/ der bey denen ſeiner Einbildung nach
wilden Deutſchen/ einen ſo vernuͤnftigen Got-
tes-Dienſt zu finden/ ihm nicht hatte traͤumen
laſſen/ hoͤrten der anmuthigen und nachdenck-
lichen Rede des Prieſters/ gleich als er ihnen
lauter Weiſſagungen oder him̃liſche Geheim-
nuͤſſe entdeckte/ mit Verwunderung zu. Wor-
mit aber des Thraciſchen Fuͤrſten Einwurff
nicht allzu unvernuͤnftig ſchiene/ redete er
den Prieſter ſehr ehrecbietig an: Er waͤre/
von Goͤttlichen Geheimnuͤſſen zu urtheilen/
allzu unvermoͤgend; beſcheidete ſich auch/ daß
die Demuth und heilige Einfalt Gott annehm-
licher/ als eine vermaͤſſene Nachgruͤbelung
waͤre. Weswegen ihm iederzeit die Beſchei-
denheit des weiſen Simonides gefallen haͤt-
te/ welcher dem Koͤnige Hieron/ auf ſein Be-
gehren das Goͤttliche Weſen auszulegen/
nach vielen Friſt-Bittungen/ endlich geant-
wortet haͤtte: Je laͤnger er dieſem Geheimnuͤſſe
nachdaͤchte/ ie mehr ereigneten ſich Schwe-
rigkeiten/ etwas gewiſſes von Gott zu entde-
cken. Ja er glaubte: daß es Gott ſelbſt
nicht gefiele/ wenn der menſchliche Vor-
witz ihn/ nach dem irrdiſchen Maͤß-Stabe der
eitelen Vernunft/ ausecken wolte. Denn Gott
waͤre freylich dißfalls der Sonne gleich/ wel-
che ſich durch nichts anders/ als ihr eigenes
Licht/ entdeckte/ hingegen aber der Menſchen
Augen verblendete/ welche ſie gar zu eigen
betrachten und ausholen wolten. Ja zwi-
ſchen Gott und dem Menſchen waͤre ein viel
entfernter Unterſcheid/ als zwiſchen dem groſſen
Auge der Welt/ und der ſchielenden Nacht-Eule.
Weswegen die Spartaner Zweifelsfrey aus
ruͤhmlicher Beſcheidenheit dem verborgenen
X x 2Ju-
[348]Vierdtes Buch
Jupiter opferten/ die zu Elis und zu Athen den
unbekandten Gott anbeteten. Dieſemnach
haͤtte er weder das Hertze noch Vermoͤgen einem
ſo heiligen Prieſter zu widerſprechen/ ſondern
wolte mit dem armſeligen Tireſias lieber gar
nicht/ als mit dem Athamas und Agave/ welche
ihre Feinde fuͤr Loͤwen und Tieger anſahen/
Gott fuͤr was anſehen/ was ſeinem Weſen und
Eigenſchafften unanſtaͤndig waͤre/ auch daher
nicht billigen/ daß man der verſtorbenen Helden
Seelen den dem hoͤchſten Gott ſchuldigen Anbe-
tungs-Dienſt zueignen/ und den Hercules auff
den Thron des Jupiters ſetzen ſolte. Aber/
nachdem die Sonne Neben-Sonnen/ dieſes
Auge der Welt den Monden/ Auguſtus neben
ſich die Verehrung des Tiberius/ ohne Vermin-
derung ihrer Hoheit/ vertruͤgen/ hielte er dafuͤr/
daß die mindere Verehrung der Helden der hoͤch-
ſten Anruffung des unbegreifflichen Gottes kei-
nen Abbruch thue/ als welcher auch Menſchen/
die er geliebet/ mehrmals haͤtte laſſen die Sonne
ſtill ſtehen/ die Sterne gehorſamen/ und das
Meer aus dem Wege treten. Libys laͤchelte
und verſetzte: Es lieſſe ſich von menſchlichem
Unterſchiede auf den Gottes - Dienſt keinen
Schluß machen. Der eingeworffene Vereh-
rungs-Unterſcheid kaͤme ihm fuͤr/ wie die Ent-
ſchuldigung der geilen Julia/ welche ihren
Ehbruͤchen dieſen Firnß angeſtrichen/ daß ſie
ihren Ehmann/ den Agrippa/ doch am hertzlich-
ſten liebte/ auch lauter ihm aͤhnliche/ keine
frembde Kinder gebaͤhre/ weil ſie eher nicht/ als
nach voͤllig belaſtetem Schiffe/ andere Wahren
aufnehme/ oder/ nachdem ſie ſchon ſchwanger/
frembden Begierden willfahrte. Alleine dieſe
umbſchraͤnckte Uppigkeit bliebe ſo wol eine Ver-
letzung der Eh-Pflicht/ als die Anruffung der ſo
genanten Halb-Goͤtter eine Abgoͤtterey. Denn
wo die Sonne der ewigen Gottheit ſchiene/ muͤ-
ſten alle andere Sternen auch der erſten Groͤſſe
gar verſchwinden. Sintemal doch die Sterb-
lichen nur mit aͤuſſerlichen Gedaͤchtnißmahlen/
Gott aber allein mit dem innerlichen Opfer der
Seelen zu verehren waͤre.
Wie nun des Prieſters letztes Ausreden ein
allgemeines Stillſchweigen nach ſich zoh; rede-
te der Feldherr den Prieſter an: ob er denn nun
fuͤr zulaͤßlich/ oder gar verwerfflich hielte/ des
Druſus Denckmale in der Halle des Tanfa-
niſchen Tempels auffzuſetzen? Libys antworte-
te: Gemeine Menſchen pflegten in ihren Rath-
ſchlaͤgen den Vortheil zu ihrem Augen-Ziel zu
haben; Fuͤrſten aber muͤſten ihr Abſehen auff
den Nachruhm richten. Dieſen aber befeſtigten
die am gewiſſeſten/ die ſich ihrer Sterbligkeit be-
ſcheideten/ und ihrer hohẽ Pflicht ſo weit ein Ge-
nuͤgen thaͤten: daß die Nachkommen von ihnen
ſagten: Sie haͤtten ihren Ahnen keine Schan-
de angethan/ dem Volcke vorſichtig fuͤrgeſtan-
den/ in Gefahr ſich unerſchrocken bezeugt/ und
fuͤr das gemeine Heil in Haß zu verfallen ſich
nicht geſcheuet. Dieſes waͤren die rechten Tem-
pel/ die man derogeſtalt ohne Abgoͤtterey/ in die
Hertzen der Lebenden bauete/ die ſchoͤnſten und
unvergaͤnglichen Ehren-Seulen. Denn wel-
che aus Marmel gehauen werden/ bey der
Nachwelt aber Fluch verdienen/ wuͤrden gerin-
ger als ſchlechteſte Graͤber gehalten. Gleich-
wohl aber waͤren euſſerliche Gedaͤchtniß-Maa-
le nicht gaͤntzlich auſſer Augen zu ſetzen. Denn
ſie munterten ein laues Gemuͤte wie ein Sporn
ein traͤges Pferd auff. Und fuͤr ſich ſelbſten waͤ-
ren ſelbte denen Helden nicht allein zu goͤnnen/
ſondern ſie moͤchten auch ſelbſt darnach ſtreben.
Denn weil die Verachtung der Ehre auch die
Verachtung der Tugend nach ſich ziehe/ waͤre
die ſonſt in allem verwerffliche Unerſaͤttligkeit
alleine bey dem Nachruhme zu dulden. Und
man verhinge wohlverdienter Leute Nachkom-
men nicht unbillich/ daß ſie ſo wohl wegen ihres
Andenckens/ als in ihren Begraͤbniſſen/ fuͤr dem
Poͤfel etwas beſonders haͤtten. Einige kalt-
geſinn-
[349]Arminius und Thußnelda.
geſinnte hielten zwar den Nachruhm fuͤr einen
Rauch; aber dieſer waͤre die ſuͤſſeſte Speiſe der
Seelen/ wie der von den Opffern auffſteigen-
de Dampff eine Annehmligkeit GOttes. Al-
le andere Dinge verleſchten; das Gedaͤchtnuͤß
der Tugend aber erleuchtete die fernſten und fin-
ſterſten Zeiten. Dieſes herrlichen Glantzes hal-
ber haͤtten die Alten/ welche die Ehre fuͤr eine
Gottheit gehalten/ ſelbter eben ſo/ wie dem Sa-
turn/ oder der durch ihn vor gebildeten Zeit/ mit
bloſſen Haͤuptern geopfert; gleich als wenn nur
dieſe zwey Gottheiten nicht verfinſtert werden
koͤnten. Mit einem Worte: Jn dem Nach-
ruhme beſtuͤnde alleine die irrdiſche Gluͤckſelig-
keit/ und die Ehre waͤre die einige Koͤſtligkeit/
wormit man Gott ſelbſt beſchencken koͤnte. Ja
der tugendhaften Gemuͤther Vegierde/ nach ih-
rem Tode ein ruͤhmliches Andencken zu behal-
ten/ waͤre kein geringer Beweiß fuͤr die Unſterb-
ligkeit der Seelen. Jn ſolchem Abſehen koͤnte
wohl geſchehen/ daß das Bild des Druſus alldar
aufgeſetzt wuͤrde; die Altar-Taffel aber gereich-
te zu Abbruch ihres reinen Gottes-Dienſts. Die
Fuͤrſten nahmen des Prieſters Urtheil/ als einen
Goͤttlichen Außſpruch an/ und der Feldherr be-
fahl hierauf/ des Druſus Bild aufzurichten/ die
Taffel aber zu zerbrechen.
Bey dieſer Unterredung lieffen dem Feld-
herrn wichtige Schreiben ein/ welche veranlaß-
ten/ daß er ſich mit dem Hertzog Jubil/ Arpus/
Sigismund und Melo zur Berathſchlagung in
Tempel verfuͤgte/ den Fuͤrſten Adgandeſter aber
zu Unterhaltung des Fuͤrſten Rhemetalces und
Malovends hinterließ/ welche inzwiſchen der
Zermalmung der herrlichen Taffel zuſchaueten.
Rhemetalces fragte hierauf den Adgandeſter:
Ob diß alles/ was in der Uberſchrift vom Druſus
erwehnt wuͤrde/ der Warheit gemaͤß waͤre? Die-
ſer antwortete: Seine und der Deutſchen Red-
ligkeit waͤre nicht gewohnt eigene Fehler zu uͤber-
firnßen/ fremden Ruhm aber mit dem Schwam̃e
der Mißgunſt zu verwiſchen; alſo muͤſte er geſte-
hen daß daꝛan wenig zuviel geſchriebẽ waͤꝛe. Die-
ſer Druſus/ ſagte er/ des Nero rechter/ des Kaͤy-
ſers Stieffſohn/ den Livia erſt nach der mit dem
Kaͤyſer ſchon erfolgten Vermaͤhlung gebohren
hatte/ hat wenig Roͤmer ſeines gleichen gehabt/
keiner aber in Deutſchland mehr ausgerichtet.
Seine Geſchickligkeit uͤbereilete das Alter/ und
der Verſtand kam den Jahren zuvor. Deß-
wegen erlaubte ihm auch Auguſtus/ daß er fuͤnff
Jahr eher/ als es die Gewonheit zu Rom mit-
brachte/ oͤffentliche Aemter bediente. Wie er
denn auch alſofort als Tiberius der damahlige
Roͤmiſche Stadtvogt mit dem Kaͤyſer in Galli-
en zoh/ ſein Amt inzwiſchen ruͤhmlich vertrat.
Kurtz hierauff ereignete ſich/ daß/ nach dem der
Marckmaͤnner Koͤnig die Bojen/ ein Volck
dem Urſprunge nach aus Gallien/ aus ihrem
Sitz an der Moldau/ Elbe und Eger vertrie-
ben/ dieſes aber ſich bey den Rhetiern und Vin-
delichern mit dem Koͤnige Segoveſus nieder-
gelaſſen hatte/ dieſe vermiſchten Voͤlcker theils
aus angebohrner kriegeriſchen Art/ theils weil
ihre Felſen ihnen zu enge werden wolten/ nicht
nur in Gallien zum oͤfftern Einfaͤlle thaͤten/ ſon-
dern auch gar aus Jtalien Raub holeten/ ja von
den Roͤmern ſelbſt Schatzung foderten und ihrer
Stadt draͤueten. Uber diß hielten ſie alle durch
ihre Laͤnder reiſende und mit den Roͤmern/ nicht
aber mit ihnen verbundene Perſonen an; ſetzten
denen ſich daruͤber beſchwerenden Nachbarn
entgegen: Es waͤre bey ihnen ein altes Her-
kommen/ daß wer nicht ihr Bundes-Genoſſe
waͤre/ oder ihnen Schatzung gebe/ fuͤr Feind
gehalten wuͤrde. Rhemetalces fing an: Jch hoͤ-
re wohl/ die Rhetier ſind derſelben Weltweiſen
Meinung/ welche den insgemein geglaubten
Wahn/ ſamb die Natur die Menſchen durch
einen geheimen Zug vereinbarte und zu Unter-
haltung der Gemeinſchafft triebe/ verdammen/
ſondern die fuͤr einander habende Furcht ſie in
X x 3Geſell-
[350]Vierdtes Buch
Geſellſchafft/ Doͤrffer und Staͤdte verſammle-
te. Adgandeſter begegnete ihm: Wenn er die
Beſchaffenheit gegenwaͤrtiger Zeit und die Nei-
gungen itziger eiſernen Menſchen recht uͤberleg-
te/ muͤſte er dieſer denen Rhetiern beygemeſſener
Meinung beypflichten. Deutſchland waͤre
von undencklicher Zeit geſpalten/ und ein Volck
gegen dem andern wie Hund und Katze geſin-
net geweſt. Die einige Furcht fuͤr den Roͤmern
haͤtte ſie nun endlich mit einander verknuͤpffet/
welche wegen ihrer anhaͤngender Kaͤlte die Ei-
genſchafft des Waſſers haͤtte/ indem dieſe nicht
nur das ſonſt zerflieſſende Waſſer/ ſondern auch
die widrigſten Dinge durch Zuſammenfrie-
rung/ jene aber die aͤrgſten Feinde gegen die von
einem Drittern andraͤuende Gefahr vereinbaꝛ-
te. Rhemetalces veꝛſetzte: deꝛ meiſten Weltwei-
ſen einhellige Meinung waͤre doch/ daß weder
die Ameiſen noch die Bienen zu der Verſamm-
lung ſo ſehr als der Menſch geneigt waͤren. Die-
ſen haͤtte die Natur ohne Waffen geſchaffen/ al-
ſo waͤre er eines gemeinen Beyſtandes mehr als
andere Thiere benoͤthigt. Er wuͤrde der wil-
den Thiere taͤgliche Beute/ und ſein Blut ihre
gemeinſte Speiſe ſeyn/ wenn ihn die Vernunfft
und Geſellſchafft nicht beſchirmete. Dieſe a-
ber eignete ihm die Herrſchafft uͤber die ſtaͤrck-
ſten Elephanten und die unbaͤndigſten Panther
zu. Sie befreyete ihn von Kranckheiten/ ſtaͤrck-
te ihn beym Alter/ linderte ſeine Schmertzen;
ja mit ihr wuͤrde die Einigkeit des menſchli-
chen Geſchlechts und das Leben ſelbſt zertrennet.
Weil nun iedes Thier einen natuͤrlichen
Trieb zu ſeiner Erhaltung haͤtte/ muͤſte der
Menſch auch ſelbten zur Geſellſchafft/ als dem
einigen Mittel ſeiner Erhaltung haben. Die
Einſamkeit waͤre dem Tode aͤhnlicher als dem
Leben; jener aber waͤre das ſchrecklichſte in der
Welt/ und die Zernichtung der Natur. Wie
koͤnte ſolcher nun der Menſch nicht gram ſeyn?
Auſerhalb der Gemeinſchafft waͤre die Zunge/
der alleredleſte Werckzeug der Vernunfft/ und
das den Menſchen am meiſten von andern un-
terſcheidende Merckmahl/ nichts nuͤtze. Sol-
te ſie deßhalben die kluge Mutter der Welt
umſonſt geſchaffen haben? Das Feuer der Lie-
be muͤſte ohne Geſellſchafft erleſchen/ das Band
der Freundſchafft ſich zernichten/ die Fort-
pflantzung nachbleiben und durch die allge-
meine Furcht das gantze menſchliche Geſchlech-
te in ſein altes Nichts vergraben werden. Ma-
lovend hielt ſich ſchuldig zu ſeyn Adgandeſters
anzunehmen/ ſetzte alſo Rhemetalcen entge-
gen: Die Furcht iſt kein ſo grauſames Un-
thier als ſie insgemein gemahlet wird. Sie
hilfft in unterſchiedenen Kranckheiten; Sie oͤff-
net die Blaſe/ vertreibt das Schlucken/ der
Gicht und das viertaͤgichte Fieber; Laͤſt die
Meer-Spinne die ſchwartze Feuchtigkeit ent-
gehen/ die ſie von dem Garne deß Fiſchers e-
ben ſo wohl als den Menſchen aus dem Ne-
tze der Feinde errettet. Sie verwandelt im
Cameleon ſo offtmahls die Farben/ ohne wel-
che Veraͤnderung er ſich nicht lange erhalten
koͤnte. Die Hindinnen ſind nicht faͤhig zu em-
pfangen und traͤchtig zu werden/ wenn ſie
nicht der Blitz vorher furchtſam gemacht. Die
Furcht loͤſete des jungen Croeſus ſtumme Zun-
ge; Sie iſt eine Gefaͤhrtin kluger und in die
Ferne kuͤnfftiger Zufaͤlle ſehender Koͤpffe/ und
daher war Ariſtippus auff der See beym
Sturme furchtſamer als niemand anders. Ja
die Furcht iſt eine Wehmutter der Tapffer-
keit/ in dem ein alles fuͤrchtender Menſch auch
alles faͤhig zu wagen iſt/ und die aͤlteſte Urhe-
berin der Andacht/ denn ſie hat den Men-
ſchen zum erſten gelehret/ daß ein Gott ſey.
Weßwegen ſich ſo vielweniger zu verwundern/
daß die Roͤmer der Furcht nicht nur Altaͤre/
ſondern die Spartaner ihr einen Tempel ge-
baut/ und an ſelbten den Richter-Stul ihrer
Fuͤrſten gelehnet haben. Warum ſol[te] ſie
denn
[351]Arminius und Thußnelda.
denn zu einer Stiffterin menſchlicher Gemein-
ſchafften unfaͤhig oder zu ohnmaͤchtig ſeyn?
Die verwechſelte Liebe der Menſchen hat ſi-
cher wenig Staͤdte gebauet. Denn ſo heiß
ſie gegen ſich ſelbſt iſt/ ſo kalt iſt ſie gegen an-
dere. Waͤre dieſe uns von der Natur einge-
pflantzt/ warum liebt man nicht einen Men-
ſchen wie den andern? Warum hat man
fuͤr ſo vielen eine innerliche Abſcheu? Die
Selbſt-Liebe um uns entweder zu liebkoſen o-
der Nutzen zu ſchaffen/ iſt die einige Urſache/
warum wir uns nach ein oder anderer Ge-
ſellſchafft ſehnen. Verſammlet uns das Ge-
werbe/ ſo ſuchen wir unſern Gewinn/ des an-
dern Bevortheilung. Kommen wir in Amts-
Sachen gleich zuſammen/ hat die Furcht
mehr ihr Auge auff des andern Thun/ als
auff Befeſtigung einiger Vertraͤuligkeit/ und
das Mißtrauen gebiehret mehrmahls Spal-
tungen als Freundſchafft. Wollen wir mit
andern die Zeit vertreiben/ ſchoͤpffen wir die
groͤſte Vergnuͤgung aus fremden Gebrechen/
aus Verkleinerung der Abweſenden/ und wenn
wir durch Erlangung groͤſſern Anſehens und
Vermoͤgens unſere Furcht auff andere Schul-
tern legen. Ja unter dem Scheine der Weiß-
heit und der Vegierde zu lehren oder zu ler-
nen/ verbirget ſich die Eitelkeit eigener Eh-
re/ und das Verlangen andern zu Kopffe zu
wachſen; und mit einem Worte: der Menſch
hat mehr Neigung uͤber andere zu herrſchen/
als ſie zu Gefaͤhrten zu haben. Aus dieſer
eingepflantzten Herſchens-Begierde erwecket
das Mißtrauen inſonderheit bey den Schwaͤ-
chern Furcht/ dieſe aber ſtifftet groſſe und tau-
erhaffte Verſammlungen. Sintemahl uns
die Einſamkeit nur wegen deſſen/ was unſe-
rer Selbſt-Liebe abgeht/ verdruͤßlich iſt; und
bey ermangelnden Erhaltungs-Mitteln gleich-
ſam ein Zwang der Natur/ oder bey Erkieſung
ein und andern Vortheils die Vernunfft dem
Menſchen die Geſellſchafft auffnoͤthigt/ worzu
er doch ſeiner angebohrnen Art nach ſo geſchickt
nicht iſt/ als zur Einſamkeit. Denn dieſe erhaͤlt
ihn in der Gluͤckſeligkeit des Friedens und in
ſeinem Weſen; Auſſer der aber geraͤthet er als-
bald in Krieg. Sintemahl die Menſchen nie-
mahls das erſtemahl und fuͤr gemachten Buͤnd-
niſſen zuſammen kommen/ da nicht der Arg-
wohn Schildwache halte/ das Mißtrauen im
Hertzen koche/ und die Vernunfft auff Beſchir-
mungs- oder Uberwaͤltigungs-Mittel vorſin-
net; Alſo aller Menſchen erſter natuͤrlicher Zu-
ſtand gegen alle andere kriegeriſch iſt/ ungeach-
tet Vorſicht oder Heucheley insgemein dieſe Ei-
genſchafft verbluͤmet. Rhemetalces fragte hier-
auff: Ob er denn derogeſtalt der Rhetier ge-
gen alle Menſchen und Voͤlcker/ die ſie gleich
nie beleidigt haͤtten/ tragende Feindſchafft bil-
ligte? Adgandeſter antwortete: Er begehr-
te der Rhetier Thun nicht zu vertheidigen. Denn
ob wohl die Neigungen der Menſchen an ſich
ſelbſt kriegeriſch waͤren/ ſo haͤtte doch die Natur
durch die Vernunfft ihnen diß Geſetze zugleich
eingepflantzt/ daß man einem andern nicht thun
ſolte/ was man ſelbſt von ihm nicht gern erdul-
dete. Die Regungen und das Recht der Natur
waͤren gantz unterſchieden. Uberdiß koͤnte die
Selbſt-Liebe neben der Gemeinſchafft/ und die
eigene Erhaltung ohne des andern Unterdruͤ-
ckung gar wohl ſtehen; ja jene muͤſte wegen
des Menſchen Schwaͤche und Duͤrfftigkeit dieſe
zu Gefaͤhrten haben/ und ihre Hefftigkeit maͤſ-
ſigen/ wormit der Mißbrauch nicht das Band
der Geſellſchafft zertrennete. Wenn auch ſchon
der Menſch ſich in genugſame Sicherheit geſetzt
haͤtte/ ſo waͤre er doch auch denen/ welche zu ſei-
ner Erhaltung nicht faͤhig oder noͤthig find/
auff den Hals zu hucken nicht berechtigt.
Ja auch frembder uns zu vertilgen nicht ge-
meinter Vortheil gaͤbe zum Kriege uns kein
Recht. Ein Wettelaͤuffer waͤre befugt alle
euſſer-
[352]Vierdtes Buch
euſſerſte Kraͤfften anzugewehren/ um andern
vorzukommen; nicht aber denen ihn uͤberei-
lenden ein Bein unterzuſchlagen. Jeder
Menſch moͤchte ſich um ſeine Nothdurfft bewer-
ben/ aber ſie nicht andern argliſtig oder mit Ge-
walt nehmen; ungeachtet die Natur dem Men-
ſchen das Urthel/ was er zu ſeiner Erhaltung be-
doͤrffe/ frey gelaſſen/ und anfangs alle Dinge
iederman frey gemacht haͤtte. Denn jenes ſol-
le der geſunden Vernunfft und dem angezoge-
nen Geſetze gemaͤß ſeyn; und weil das Recht al-
ler Menſchen zu iedem Dinge nur eines ieden
Genuͤß verhindern wuͤrde/ waͤre hernach das
durch die Gemeinſchafft eingefuͤhrte Eigen-
thum von ihr gebilligt/ und derogeſtalt dem Krie-
ge ein Zaum angeleget worden/ welcher der Er-
haltung der Menſchen ungezweiffelt zuwider;
alſo der Menſch denen/ die ihm zu ſchaden nicht
gemeinet ſind/ vermoͤge obigen Geſetzes/ gutes
zu thun/ und alſo ihre Gemeinſchafft zu unter-
halten verbunden waͤre. Zu welcher Verbind-
ligkeit auch allein genug zu ſeyn ſchiene/ daß der
andere ſo wohl ein Menſch als er waͤre. Denn
dieſe Gleichheit hebe alle Fremdigkeit auff/ ſaͤnf-
tige alle widrige Meinungen und gebe einen fe-
ſten Fuß zu allgemeiner Freundſchafft ab. Die
Griechen haͤtten ihrem Jupiter nicht unbillich
den Zunahmen eines Freundes/ eines Gefaͤr-
then und eines Gaſtfreyen zugeeignet/ und ihn
geprieſen/ daß er dieſe Eigenſchafften auch den
Menſchen mittheilte/ wormit ſie durch verwech-
ſelte Wohlthaten ihrer Selbſt-Liebe ſo vielmehr
ein Genuͤgen thaͤten. Sintemahl auch die Eh-
re vielen andern genutzt zu haben uns ſelbſt die
ſuͤſſeſte Vergnuͤgung iſt. Je mehr ihrer nun
unſerer Huͤlffe genieſſen/ ie weiter erſtreckt ſich
unſer Ruhm. Weßwegen die nur gegen ein-
tzele Menſchen tꝛagende Freundſchafft mehr von
des menſchlichen Geſchlechts Schwachheit/ als
von der Einſetzung der Natur den Urſprung
hat; und deßwegen Hercules/ welcher allen
Menſchen ohne Unterſcheid durch ſeine Thaten
wohlzuthun bemuͤht geweſt/ fuͤr allen andern
Helden unter die Sternen verſetzt worden. Ma-
lovend warff ein: was iſt denn die Natur fuͤr ei-
ne zaͤnckiſche Stieff-Mutter/ daß ſie dem Men-
ſchen einen kriegeriſchen Trieb einpflantzet/
gleichwohl aber Geſetze der Eintracht fuͤrſchrei-
bet? Adgandeſter unterbrach dieſen Zwiſt/ und
fing an: Seinem Urtheil nach haͤtte der Menſch
eine natuͤrliche Neigung zu der haͤußlichen Ge-
meinſchafft/ die buͤrgerliche aber haͤtte ihren Ur-
ſprung aus der Furcht/ und der Vorſorge bevor-
ſtehendes Ubel abzuwenden. Jene haͤtte zu
ihren Grundfeſten die Begierde der Vermeh-
rung und daher die Gemeinſchafft des Maͤnn-
und Weiblichen Geſchlechts/ wie auch die ein-
gepflantzte Liebe der Eltern gegen ihre Kinder
und der Bluts-Verwandten gegen einander.
Dieſe haͤußliche Gemeinſchafft iſt ſchon genug
den Menſchen zu vergnuͤgen und gluͤckſelig zu
machen. Sintemal die Natur mit wenigem
vergnuͤgt/ der Uberfluß aber eine Mißgeburt
groſſer Staͤdte iſt. Bey dieſer Gemeinſchafft
waͤren die erſten Menſchen blieben; welche ins-
gemein in holen Baͤumen und Waͤldern ge-
wohnt. Die Scythen haͤtten noch ihren Auff-
enthalt auff Wagen/ die Araber in Ziegen-
Huͤtten/ welche ſie bald dar bald dort auffſchluͤ-
gen. Eben ſo haͤtten die wenigſten Deutſchen
Staͤdte/ die meiſten vertruͤgen nicht/ daß der
Nachbar an ihre Haͤuſer anbauete; ſondern ſie
waͤren nach Gelegenheit eines Brunnens/ Pu-
ſches/ Feldes oder einer Bach weit von einandes
zerſtreuet. Viel wohnten auch noch in den Hoͤ-
len der Berge/ und bedeckten ſie des Winters
mit Miſte. Bey ſolcher Beſchaffenheit haͤtte
die Natur gar nicht/ ſondern die Wolluſt alleine
vonnoͤthen gehabt dem Menſchen die Begierde
zu buͤrgerlicher Gemeinſchafft einzupflantzen/
ungeachtet der Menſch eine Faͤhigkeit an ſich
hat/ daß er zum buͤrgerlichen Wandel ausge-
arbei-
[353]Arminius und Thußnelda.
beitet werden koͤnne. Fuͤr ſich ſelbſt aber und
ſeinem Urſprunge nach kan er auſſerhalb der
Staͤdte vergnuͤgt/ tugendhafft und alſo gluͤck-
ſelig leben. Dahero auch ein guter Mann
und guter Menſch weit vonſammen unter-
ſchieden ſind; und es ſich in einem verwirre-
ten Stadt-Weſen treffen kan/ daß ein guter
Buͤrger kein guter Mann ſeyn doͤrffe. Ja
weil die haͤußliche Gemeinſchafft allem Man-
gel der Lebens-Mittel und den Verdruͤßligkei-
ten der Einſamkeit abzuhelffen vermag/ hinge-
gen aber die Buͤrgerliche ein Verbuͤndniß iſt/
welches Kinder und albere Leute nicht einge-
hen koͤnnen/ auch ohne Geſetze unmoͤglich be-
ſtehen kan/ welche den Menſchen/ ſein Ver-
moͤgen/ ſeine Ehre und Leben derſelben Zwan-
ge unterwerffen/ ihm alſo viel/ worzu er kei-
ne Luſt hat/ auffnoͤthigen/ ſeinen frechen Be-
gierden einen Kapzaum anlegen/ und gleich-
wohl manchen zu keinem das gemeine Weſen
fuͤrnehmlich ſuchenden Buͤrger machen/ ſchei-
net die buͤrgerliche Gemeinſchafft eine Berau-
bung der natuͤrlichen Freyheit/ und alſo der
Natur mehr zuwider als ihr Werck zu ſeyn.
Zumahl der Menſch unter allen Thieren das
ungezaͤhmteſte iſt; und an kriegeriſcher Zwy-
tracht die raſenden Tieger uͤbertrifft/ welche
gleichwohl unter ſich ſelbſt einen ewigen Frieden
halten; jener aber nicht nur auff ſeines gleichen/
ſondern wider ſein eigenes Blut wuͤtet/ durch
Geitz/ Hoffart und Ehrſucht/ derer verein-
barten Regungen ſonſt kein Thier faͤhig iſt/
nicht nur die andern Glieder einer Stadt un-
terdruͤcket/ ſondern Gott ſelbſt verachtet; alſo/
daß die Natur nur deßhalben aus einer vorſich-
tigen Erbarmniß den Menſchen am allerlang-
ſamſten groß wachſen laͤßt/ wormit er nicht zu
geſchwinde zu einem unbaͤndigen Ungeheuer
werde/ und durch kluge Aufferziehung zu ei-
nem tauglichen Buͤrger ausgeſchnitzt werden
koͤnne. Dieſe angebohrne Unart der Menſchen
hat unter dem gantzen Geſchlechte ein Miß-
trauen und Furcht/ dieſe aber die buͤrgerliche
Gemeinſchafft/ die Erbauung der Staͤdte/
die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze/ den Gerichts-
Zwang und die hoͤchſte Gewalt geſtifftet/ wor-
mit man ſo wohl wider Fremder als Einhei-
miſcher unrechte Gewalt ſicher ſey; Nachdem
das Geſetze der Natur wegen der Menſchen
allzu hefftiger Gemuͤths-Regungen ſie in den
Schrancken der Billigkeit zu halten viel zu
ſchwach/ und ihr Urthel theils wegen ſo groſ-
ſen Unterſchieds der Meinungen zu zweiffel-
hafft/ theils wegen uͤbermaͤßiger Selbſt-Liebe
gar zu unrecht iſt.
Malovend und Rhemetalces nahmen entwe-
der aus wahrhafftem Beyfall/ oder aus Begier-
de Adgandeſtern auff ſeine angefangene Erzeh-
lung zu bringen/ ſeine Erklaͤrung fuͤr einen ge-
rechten Entſcheid an. Dieſem nach er denn
folgender maſſen darinnen fortfuhr. Die Rhe-
tier waren ein Beyſpiel der von den Geſetzen
der Natur abirrenden Menſchen/ und daß die
Furcht eine Mutter der Rache und Grauſam-
keit/ auch die buͤrgerliche Gemeinſchafft mehr-
mahls der Natur abgeſagte Feindin ſey. Denn
als die Roͤmer einſt etliche Rhetier durch Liſt
in ihre Haͤnde bekamen und toͤdteten/ machten
dieſe ein Geſetze/ daß niemand bey Verluſt
ſeines Lebens einen in ſeine Gewalt gediege-
nen Roͤmer leben laſſen dorffte/ ja ſie verſchon-
ten nicht der unzeitigen Knaben in Mutter-
leibe/ nachdem ſie durch Zaubereyen erforſchten/
ob die ſchwangern Weiber Knaben oder
Maͤgdlein truͤgen. Dieſem nach ſchickte der
Kaͤyſer dieſen Druſus mit einem Heere gegen
ſie; welchem ſie aber bey dem Tridentiniſchen
Gebuͤrge die Stirne boten/ iedoch weil die
Roͤmer ihnen an Art der Waffen uͤberlegen
waren/ den Kuͤrtzern und ſich zuruͤck ziehen mu-
ſten. Nichts deſtoweniger ſtreifften ſie noch
immer in Gallien/ welches den Kaͤyſer noͤthig-
te den Druſus mit einem friſchen Heere ih-
nen entgegen zu ſchicken/ und Tiberius ſelbſt
Erſter Theil. Y yſetzte
[354]Vierdtes Buch
ſetzte ein anders uͤber den Brigantiniſchen
See/ und kam den Rhetiern in Ruͤcken; al-
ſo nach dem ſie vor und hinterwerts angegrif-
fen wurden/ ſie nach unterſchiedenen harten
Treffen in die Gebuͤrge zuruͤck wichen. Nach
dem aber Tiberius Taxegetium/ Cur/ Bri-
gantz/ Vemania/ und Viaca/ Druſus Paero-
dun/ Abudiacum/ Eſco/ Ambra/ Jſariſca und
Clavenna einnahm/ und an dem Lech in der
Stadt Damaſia etliche tauſend Roͤmiſche Ge-
ſchlechter niederſetzte/ hingegen die ſtreitbar-
ſten Rhetier in Jtalien hin und wieder zerthei-
lete; muſten ſich dieſe Voͤlcker nach mehrmahls
fruchtloß verſuchten Auffſtande nur endlich
fuͤr dem Druſus demuͤthigen und das Roͤmi-
ſche Joch auff ſich nehmen. Allein die in Gal-
lien verſetzten Rhetier thaͤten den Roͤ-
mern daſelbſt unbewaffnet mehr Schaden/
als vorhin in ihrem Vaterlande. Denn ſie
nahmen der Gelegenheit wahr den Galliern
ihre ſchimpffliche Dienſtbarkeit ſtachlicht zu
verweiſen/ und ſie ſo gar fuͤr Werckzeuge und
Feſſeltraͤger der Roͤmiſchen Herrſchafft zu
ſchelten; nach dem man ſo gar fremde der
Freyheit zugethane Voͤlcker in Gallien gleich-
ſam in ein genugſam ſicheres Gefaͤngniß braͤch-
te. Wie nun dieſe Einhaltung unterſchiedenen
fuͤrnehmen Galliern tieff zu Gemuͤthe ging;
alſo unterlieſſen auch die benachbarten und zum
Theil in Gallien noch vermiſchten Deutſchen
nicht/ inſonderheit die Sicambrer und Uſipe-
ter/ denen der gluͤckſelige Streich wider den
Lollius ſchon einſt gegluͤckt war/ ihnen in Oh-
ren zu liegen. Unter andern aber trug ſich
zu: daß als der Kaͤyſer Auguſtus aus Spa-
nien in Gallien ankam/ der Roͤmiſche Land-
pfleger alle Fuͤrſten in Gallien nach der Stadt
Lugdun an dem Rhodan verſchrieb/ den Kaͤy-
ſer daſelbſt mit deſto groͤſſerer Pracht zu be-
willkommen. Drey Tage nach des Kaͤyſers
Ankunfft fiel ſein Geburts-Tag ein. Ob nun
wohl Auguſt ſich zu Rom aller uͤbermaͤßigen
Ehre entſchlug/ ſo verhing er gleichwohl/ daß
man daſelbſt ſeinen Geburts-Tag als heilig
mit Luſt-Spielen und Jagten feyerte. Die
Ritterſchafft hielte allerhand Rennen/ und
die Zunfften ſammleten ſo gar das gantze Jahr
in eine Lade die Unkoſten zu unterſchiedenen
Freuden-Zeichen. Alle Staͤnde gingen mit
groſſer Ehrerbietung zu dem Pful des Cur-
tius/ und warffen dem Gott Summanus fuͤr
das Heil des Kaͤyſers eine Gabe hinein. Und
an dieſem Tage durffte kein Ubelthaͤter verur-
theilet/ weniger abgethan werden. Alleine
in denen uͤberwundenen Laͤndern hatte die
Heucheley der Landvoͤgte dieſe Feſt-Tage viel
herrlicher zu halten eingefuͤhret/ auch Auguſt
ſolches mehrmahls gebillicht/ welcher fuͤr ein
Geheimniß ſeiner Herrſchafft hielt ſich zu
Rom kleiner/ anderwerts aber groͤſſer/ als er
war/ zu machen/ und dort fuͤr einen Buͤrger/
anderwerts fuͤr einen Gott angeſehen ſeyn
wolte. Jnſonderheit meinte dißmahl der Land-
vogt Qvintus Adginnius was ungemeines aus-
zuuͤben/ verſchrieb alſo alle Fuͤrſten und einen
Ausſchuß des Adels nach Lugdun/ welche den
Kaͤyſer nebſt zwey Roͤmiſchen Legionen auffs
praͤchtigſte einholeten. Auſſerhalb der Stadt
war eine koſtbare Ehren-Pforte gebauet/ wel-
che mit allerhand von dem Phoͤnix genomme-
nen Sinne-Bildern bemahlet war. Auff der
rechten Seiten ſtand das Bild des Kaͤyſers/
uͤber ihm war eine Welt-Kugel/ und darauff
ein Phoͤnix gemahlet/ mit den Worten:
Der einige in dem einigen. Neben ihm
ſtand ein Phoͤnix/ der gerade in die Sonne ſa-
he/ mit der Veyſchrifft: Gleich und gleich.
Auff der andern Seite flog ein junger Phoͤ-
nix/ der eines andern verbrenntes Neſt auff
ein der Sonne gewiedmetes Altar legte/ mit
der Uberſchrifft: Heute dir/ morgen mir.
Bey
[355]Arminius und Thußnelde.
Bey dem Fuße ſpreußte ein Phoͤnix die Fluͤ-
gel/ und drehete den geſtirnten Thier-Kreyß
mit einem Fuße herum. Die Worte dabey
waren: Jch veraͤndere die Zeiten. Oben
in der Spitze ſchwebte ein Phoͤnix/ unter ihm
hingen die Adler ihre Fluͤgel. Die Uberſchrifft
war: Der Koͤnige Koͤnig. Auff der lin-
cken Hand ſtand das Bild Galliens/ uͤber
ſelbtem aber ein ſich verbrennender Phoͤnix/
mit der Uberſchrifft: Jch verginge/ wann
ich nicht vergangen waͤre. Auff der
einen Seite war ein Phoͤnix den die Sonne
mit Strahlen uͤberſchuͤttete/ mit der Beyſchrifft:
Anderer Verzehrung meine Speiſe.
Auff der andern Seite ein den Hals empor
ſtreckender Phoͤnix/ der darum ſeinen auff
Art eines Halsbandes habenden guͤldenen
Kreiß zeigete/ mit den Worten: Meine
Bande meine Zierde. Oben in der
Spitze warff ein Phoͤnix Zimmet und Wey-
rauch auff ein brennendes Altar/ mit der U-
berſchrifft: Meine Opffer meine Gene-
ſung. Das erſte Sinnebild war ein zerbro-
chener Spiegel/ in deſſen iedem Stuͤcke die
Sonne vollkommen ſich beſpiegelte/ mit den
Worten dabey: Verminderung ohne Ab-
gang. Das andere war ein hol ausgeſchlif-
fener Brenn-Spiegel/ in deſſen Mittel-
Puncte die Sonnen-Strahlen ſich vereinbar-
ten/ mit dem Beyſatze: Je enger ie kraͤff-
tiger. Das dritte war der verſchloſſene Tem-
pel des Janus mit der Uberſchrifft: Er
zeigt ſich durch die Verſchluͤſſung. Das
vierdte Sinne-Bild war der zuſammenge-
fuͤgte Tempel der Tugend und der Ehren/
mit der Beyſchrifft: Durch Staub zum
Geſtirne. Die dritte Ehren-Pſorte ſtand
fuͤr dem Koͤniglichen Hauſe/ das dem Kaͤy-
ſer zur Wohnung beſtimmt war/ und auff den
Rhodan ein weit und anmuthiges Ausſehen
hatte. Weil ſichs nun gleich traff/ daß die
Sonne zu Golde ging/ war die Uberſchrifft
daran:
Der Kaͤyſer war in Geſtalt des Apollo gebil-
det und ward auff dem Wagen der Sonnen
von vier weiſſen Pferden gezogen. Die gan-
tze Ehren-Pforte war mit eitel von der Son-
ne genommenen Sinne-Bildern angefuͤllt.
Die am Morgen lieblich auffgehende Sonne
hatte eine Uberſchrifft: Eigenbeweglich
und umſonſt. Die am Mittage den gan-
tzen Erdkreiß uͤberſtralende dieſe Worte:
Unermuͤdet und allenthalben. Bey
der alle Geſtirne mit Lichte betheilenden Son-
ne ſtand: Alle von einem. Bey der den
Schnee zerſchmeltzenden und die Kraͤuter er-
qvickenden: Jch vertilge und erqvicke.
Der einen Regenbogen machenden Sonne
war beygeſchrieben: Mahlwerck eines
Blickes. Der die zwoͤlff himmliſchen Zei-
chen durchwandernden Sonne ſtund beygeſetzt:
Eines nach dem andern. Die aller
groͤſte Pracht aber hatte Adginnius in dem
bey Zuſammenrinnung des Rhodans und der
Araris dem Kaͤyſer Julius und Auguſtus zu
Ehren aus weiſſem Marmel gebauten Tem-
pel ſehen laſſen/ dahin der Kaͤyſer folgenden
Tag auff dem Rhodan in einem gantz uͤber-
goldeten Schiffe gefuͤhret/ und mit mehr als
tauſend andern Schiffen begleitet ward. Der
Kaͤyſer warff/ als er den erſten Fuß in das
Schiff ſetzte/ einen koͤſtlichen Ring in den Rho-
dan/ entweder auch hierinnen es dem groſſen
Y y 2Alexan-
[356]Drittes Buch
Alexander nachzuthun/ der nach Eroberung
der Stadt Hamatelia dem Meere opfferte/
oder aus einer wahrhafften Andacht/ nachdem
nicht nur die Meſſeniſchen Koͤnige den Fluß
Pamiſus/ die Phrygier den Meander und
Marſyas/ die Egyptier den Nil goͤttlich ver-
ehrten/ ſondern auch die Roͤmer glaubten/
daß die Goͤtter und die Geſtirne ſich von de-
nen aus dem Meere und den Fluͤſſen daͤmpf-
fenden Feuchtigkeiten naͤhreten. Uber der
Pforte des Tempels ſtand in eine ertztene Ta-
fel gepreget: Denen zwey Goͤttern der
vier Gallien. Der Tempel war nach Art
des Tugend- und Ehren-Tempels zu Rom
in zwey Theile abgetheilet. Jn dem erſten
ſtand des Cajus Julius Bild zu Pferde aus
Ertzt gegoſſen in der Mitten. Unter dem
Pferde lagen allerhand in Ertzt gleichfalls ge-
etzte Kriegs-Waffen; und an einem Marmel-
nen Fußbodeme war zu leſen:
Auff der einen Seiten des viereckichten Tem-
pels ſtand das Bildnis des Belgiſchen Galli-
ens. Die Wand war in zwey Felder abge-
theilet. Jm erſten war des Julius mit dem
Koͤnige Arioviſt gehaltene Schlacht zwiſchen
der Araris und dem Rheine/ und inſonder-
heit wie der verwundete Arioviſt in einem
kleinen Nachen ſich uͤber den Rhein fluͤchtete/
und zwey Gemahlinnen nebſt einer Tochter
im Stiche/ die andere dienſtbar machen ließ/
abgebildet. Darunter war in Stein gehauen:
Jm andern Felde war die hefftige Schlacht
mit den Nerviern zu ſehen/ da dieſe gantz ver-
zweiffelt fochten/ aus den todten Leichnamen
Bruſtwehren machten/ und das Roͤmiſche Heer
zu weichen noͤthigten/ Kaͤyſer Julius aber einem
gemeinen Kriegs-Knechte den Schild vom Ar-
me riß/ an die Spitze ſich ſtellte/ den Sieg des
Feindes hemmte/ ja faſt den Nahmen der Ner-
vier vertilgte. Darbey war auffgezeich-
net:
Auff der andern Seite war das Bild des A-
qvitaniſchen Galliens auffgerichtet/ und an dem
erſten Felde der Wand kuͤnſtlich eingeetzt das ho-
he mit ſechs Fuͤſſe tieffem Schnee bedeckte Ge-
benniſche Gebuͤrge/ uͤber welches Kaͤyſer Juli-
us die Arverner wider alle menſchliche Einbil-
dung uͤberfiel. Darunter ſtand:
Jn dem andern Felde ſtand die Eroberung
der uͤberaus feſten Stadt Uxellodun; da Kaͤyſer
Julius nach vergebens gebrauchtem Schwerdt
und Feuer einem ſtarcken Brunnen das Waſ-
ſer entzoh/ und durch Durſt die Belaͤgerten zur
Ubergabe zwang/ hernach aber allen/ die
Waffen getragen hatten/ die Haͤnde abhauen
ließ. Die Beyſchrifft war:
An der dritten Seite des Tempels ſtand das
Bild des Celtiſchen Galliens/ und im erſten
Felde der Mauer war zu ſehen Caͤſars wunder-
wuͤrdige Belaͤgerung der unuͤberwindlichen
Feſtung Alexia/ und derſelben Auffgabe. Die
Schrifft dabey war:
Jn dem andern Felde der Mauer aber die
Ergebung der Carnuter/ und die Aushaͤndi-
gung ihres Fuͤrſten Guturvat/ welcher dieſes
und andere Voͤlcker wider die Roͤmer aufge-
wiegelt hatte/ und deshalben mit Pruͤgeln und
einem Fallbeile hingerichtet ward. Unter
demſelben war zu leſen:
An der vierdten Ecke des Tempels ſahe man
das Bild des Narboniſchen Galliens/ und in
dem einen Felde die Schlacht des Kaͤyſers mit
dem Koͤnige Vercingentorix/ und wie nach der-
ſelben Verluſt dieſer mit ſeinem Volcke und
Laͤger ſich ſelbſt dem Kaͤyſer ergibet/ und fuͤr ſei-
nem Stule fußfaͤllig Helm und Waffen nie-
derlegt. Die Worte darbey waren:
Jn dem andern Felde war die unvergleich-
liche Belaͤgerung der Stadt Maſſilien fuͤrge-
bildet/ und wie nach verzweifelter Gegenwehr
ſie ihre Ruͤſtung/ Waffen/ Geſchuͤtze/ Geld und
Schiffe dem Kaͤyſer demuͤthig eingeliefert/ die
Stadt aber nicht wegen ihrer Verdienſte/ ſon-
dern wegen ihres Alterthums/ weil ſie die Pho-
cenſer noch gebauet/ begnadigt wird. Darun-
ter ſtand:
Dieſes Vor-Tempels an eitel kriegeriſchen
Dingen beſtehende Pracht aber ward weit uͤber-
troffen von dem Friedens-Tempel des Kaiſers
Auguſtus. Wie in dem erſtern die Zierrathen
eitel eiſenfaͤrbichte Waffen/ das Laubwerck nur
Lorbern waren; alſo waren im andern aller-
hand Blumen/ inſonderheit viel Hoͤrner des
Uberfluſſes in Marmel und Ertzt geetzt. Das
Laubwerck beſtand an eitel Oel- und Myrten-
Laube/ und war alles ziervergoldet. Fuͤr der
Pforte ſtand ein Spring-Brunnen/ in welchem
die Schale aus Porphir/ das Bild der Natur
aber/ welches aus den Bruͤſten mit groſſer Hef-
tigkeit/ darein das klaͤreſte Brunn-Waſſer ſpritz-
te/ war aus Corinthiſchem Ertzte gegoſſen/ die
Schale trugen vier aus Alabaſter gehauene
Delphinen. Die mitten zertheilte Pforte war
aus Ertzt/ und darauf Bacchus mit ſeinen
Wein-Reben/ und Ceres mit Weitzen-Eeren
gegoſſen. Daruͤber ſtand in Marmel ge-
hauen:
Dieſer Tempel war Kugel-rund gebauet;
in der Mitten ſtand aus Corinthiſchem Ertzte
des Kaͤyſers Auguſtus Bildnuͤß/ welchem alle
Kennzeichen des Jupiters und der Sonne bey-
gefuͤgt waren. An dem marmelnen Fuſſe
ſtand:
Die Abtheilung des Tempels aber war fuͤnf-
fach/ und in einer ieden eine Geſchichte des Ju-
piters in Marmel eingehauen/ welcher aber al-
enthalben ein dem Kayſer Auguſt gantz gleiches
Antlitz hatte. Jn iedem Fuͤnfeck war einer von
den Haupt-Fluͤſſen Galliens/ nemlich der Rho-
dan/ die Garumne/ die Ligeris/ die Seene und
die Maaß abgebildet/ welche aus ihren Kruͤgen
groſſe Stroͤme Waſſers ausgoſſen. Jm erſten
lag die Maaß/ allenthalben mit Schilff umb-
wachſen/ oben ſaß Auguſt bey einer Taffel/ ein
fliegender Adler aber nahm ihm mit dem
Schnabel ein Theil der Speiſe vom Teller/ mit
der Beyſchrifft:
Jm andern Fuͤnfeck ſaß die Seene/ umb und
umb mit tauſenderley Art Muſcheln umbleget/
und der noch junge Jupiter ward mit Honig von
den Bienen ernaͤhret/ welche nach und nach ihre
Eiſen - Farbe in Gold - gelbe verwandelten.
Daruͤber war zu leſen:
Jm dritten Felde lag die Ligeris auf einem
mit Mooß bewachſenen Felſen; uͤber ihr war
Jupiter gemahlet/ wie er den Thurm des Acri-
ſius durchbricht/ und ſich als ein guͤldner Re-
gen in die Schoos ſeiner hierdurch geſchwaͤn-
gerten Danae ablaͤßt. Darunter war geſchrie-
ben:
Jm vierdten Theile lag der Fluß Garumna/
das Haupt hatte er wie Bacchus mit Reben
und Wein-Laube umbhuͤllet. Jn ſelbigem
Felde war die Geburt der Pallas aus dem
Gehirne Jupiters eingehauen/ mit der Bey-
Schrifft:
Jm fuͤnften Theile lag der Rhodan auf ei-
nem mit eitel Corallen - Zapfen bewachſenen
Felſen. Jm Felde war der in einen Schwan
verwandelte Jupiter gebildet/ wie er die Leda
des Tyndarus Gemahlin ſchwaͤngert/ welche
hernach zwey Eyer gelegt/ aus derer einem
Pollux und Helena/ aus dem andern Caſtor
und Clytemneſtra hervor kommen. Darun-
ter war gezeichnet:
Als der Kaͤyſer bey dem Tempel aus dem
Schiffe trat/ bewillkommte ihn der ihm zuge-
eignete Prieſter Cajus Julius Vercondaridu-
bius/ ein Heduer der Geburt/ nebſt ſechs andern
Prieſtern/ welche iedem denen dem Kaͤyſer fuͤr-
tretenen Fuͤrſten eine weiſſe mit Oel - Laube
umbwundene und brennende Fackel einhaͤn-
digten. Mitten im Tempel war bey ſeinem
Bildnuͤſſe ein hoher Thron aufgebauet/ darauf
ſich der Kaͤyſer ſetzte. Alſofort ward auf denen
darinnen ſtehenden fuͤnf Altaren von wolruͤ-
chendem Holtze ein Feuer angezuͤndet. Die
Fuͤrſten der Gallier/ und nach ihnen der Adel/
gingen nach der Reyhe/ neigten ſich fuͤr dem
Auguſtus/ kuͤſſeten gegen ihm ihre rechte Hand/
dreheten ſich hierauf linckwerts (welches bey
den Galliern die groͤſte Andacht iſt) zu denen
Altaren/ und warff ieder eine Handvoll Wey-
rauch in die heilige Flamme.
Jch mag/ fuhr Adgandeſter fort/ alle aber-
glaͤubiſche Heucheleyen/ die daſelbſt fuͤrgingen/
nicht erzehlen. Uns iſt alleine genung/
daß viel Gallier dieſe ihre ſchmaͤhliche Dienſt-
barkeit einen ſterblichen Menſchen goͤttlich
zu verehren in ihrem Gemuͤthe verfluchten/
die zuſchauenden Sicambrer und Rhetier aber
die Gallier als Knechtiſche Sclaven ver-
ſchmaͤheten/ und alle auf den Julius Caͤſar
und den Auguſtus gerichtete Sinnen-Bilder
und Uberſchrifften zu ihrer aͤrgſten Ver-
kleinerung auslegten. Wordurch denn
nach dem Abzuge des Kaiſers ihrer viel auf-
gewecket wurden/ das Roͤmiſche Joch abzu-
werffen/ ſonderlich da der Sicambriſche
Hertzog Anthario ihnen wider die Roͤmer
mit aͤuſerſten Kraͤfften beyzuſtehen ver-
ſprach.
Dieſer Aufſtand/ ſagte Malovend/ iſt
eine noch allzu geringe Straffe des Kaͤy-
ſers geweſt/ welcher durch angenommene
Verehrung der Prieſter keine abſondere Eh-
re Gott uͤbrig gelaſſen. Sintemal entwe-
der keine blindere Thorheit/ oder keine
ſchaͤndlichere Vermeſſenheit ſeyn kan; als
wenn ein elender Menſch/ der im Leben ſich
mehrmals nicht der Laͤuſe/ nach dem Tode
nicht der Maden erwehren kan/ ſich zu ei-
nem unſterblichen Gotte machen/ und ſeinen
Staub und Aſche mit denen unverſehrlichen
Geſtirnen verwechſeln wil. Zeno ant-
wortete Malovenden: Er haͤtte ſelbſt eine
Abſcheu fuͤr dem/ daß ein Sterblicher ſich den
unſterblichen Goͤttern gleichen ſolte. Allei-
ne weil die Menſchen ſich durch Wohl-
that den Goͤttern aͤhnlich machten/ ſchiene
ſo aͤrgerlich nicht zu ſeyn/ wenn man ſeine
Wolthaͤter/ derer Verdienſte man nicht ver-
gelten koͤnte/ auch etlicher maſſen mit einer
denen wolthaͤtigen Goͤttern zu liefern ge-
wohnten Danckbarkeit betheilte. Haͤtten
doch die Epyptier den Schlangen - verzeh-
renden Vogel Jbis/ und andere wilde Thie-
re wegen des ihnen zuwachſenden Nutzens
vergoͤttert. Sonſt aber koͤnte er ſich ſchwer-
lich bereden/ daß iemals ein Menſch ſo albe-
rer Gedancken geweſt waͤre; ſondern es haͤt-
te von Anfang die Unwiſſenheit des Poͤfels/
welcher die herrlichen Thaten der Helden als
etwas irrdiſches zu begreiffen nicht gewuͤſt/
in dem ſie alle andere Menſchen nach ihrer
Faͤhigkeit ausgemaͤſſen/ ihnen etwas Goͤtt-
liches mitgetheilet zu ſeyn vermeynet; her-
nach haͤtte entweder das danckbare Anden-
cken empfangener Wolthaten/ zuweilen
auch wohl die Heucheley/ und endlich die
Staats - Klugheit/ welche das unbaͤndige
Volck durch nichts beſſer in den Graͤntzen
des Gehorſams zu halten gewuͤſt/ die Halb-
Goͤtter in der Welt aufbracht. Niemand
aber haͤtte ſeines Wiſſens irgendswo geglaubt/
daß
[360]Vierdtes Buch
daß unter ſolchen Helden und den ewigen
Goͤttern kein Unterſcheid ſeyn ſolte. Malo-
vend verſetzte: Beyder Verehr- und Anbetung
waͤre gleichwohl gantz gleich. Jn Gallien
waͤre keinem Gotte ein ſo herrlicher Tem-
pel als dem Auguſtus aufgerichtet/ und
jenem in einem Jahre nicht ſo viel Wey-
rauch/ als dieſem in einem Tage verbren-
net worden. Kaͤyſer Julius haͤtte ſich auf
einem Wagen dem Capitoliniſchen Jupi-
ter entgegen ſetzen laſſen. Anfangs waͤ-
re freylich zwar die Goͤtter und Helden-
Verehrung unterſchieden geweſt; dieſe haͤt-
te in Bildern/ jene in Opfern/ dieſe in
Kuͤſſen/ jene in der Anbetung beſtanden/
weil man die von uns entfernten Goͤt-
ter nicht wie Menſchen erreichen koͤnnen.
Hernach aber haͤtten die Angilen und Naſa-
monen in Afriea die verſtorbenen See-
len/ die Perſen ihren Cyrus als wahre
Goͤtter zu verehren den Anfang gemacht.
Die Griechen haͤtten der Lampſace anfangs
nur eine Saͤule/ hernach aber Altaͤre aufge-
richtet; die Areadier ihren Arcas anfangs
nur in einen Stern/ den Ariſtaͤus aber
folgends in Jupitern verwandelt. Jedoch
waͤren bey allen Voͤlckern die groͤſten Hel-
den noch ſo beſcheiden geweſt/ daß ſie die
Goͤttliche Ehre von ihren heuchelnden Un-
terthanen erſt nach ihrem Tode zu em-
pfangen ſich vergnuͤget/ erwegende: daß die
Goͤttligkeit noch glaublicher einem Men-
ſchen nachfolgen/ als ihn begleiten koͤnne/
und daß zu Befeſtigung dieſes Aberglau-
bens ſo viel Zeit verlaufſen muͤſſe/ wor-
mit man ſich des verſtorbenen Schwach-
heit nicht mehr erinnere/ oder zum min-
ſten ſelbte nicht mehr ſehe. Zumal mit
dem Tode auch die der Tugend allezeit
aufſaͤtzige Mißgunſt erliſcht/ und die ſie
ſchwaͤrtzende Verlaͤumbdung verrecket; hin-
gegen die Nach - Welt iedem nicht nur
ſeinen verdienten Ruhm wieder erſtattet/
ſondern auch aus der Helden irrdenen
Bildern Heiligthuͤmer zu machen geneigt
iſt. Auguſtus aber habe die Gottheit bey
ſeinem Leben von denen Galliern anzu-
nehmen ſich nicht geſcheuet/ welche doch
nicht das Vermoͤgen haben ihnen ſelbſt ei-
nen Koͤnig zu machen; Da es doch ein
unermaͤßlich ſchwererers Werck iſt einem
den Himmel/ als ein Koͤnigreich zuzuſchan-
tzen. Zeno warff hierwider ein: Auguſt
waͤre der erſte nicht geweſt/ der ſolches
bey ſeinem Leben verſtattet haͤtte. Der
groſſe Alexander haͤtte als des Jupiters
Sohn angebetet zu werden verlanget/ und
den ſolches widerrathenden Calliſthenes pei-
nigen und kreutzigen laſſen. Philadel-
phus haͤtte ſeine und der andern Ptolo-
meer Bilder auf guͤldenen Wagen neben
dem Bacchus und andern Goͤttern mit
unglaͤublicher Pracht auffuͤhren/ Kayſer
Julius unter der Goͤtter Bildern ſeines tra-
gen/ auch alle Goͤttliche Ehre anthun laſ-
ſen. Nichts deſto weniger waͤre dieſes al-
les vermuthlich mehr aus einer Staats-
Klugheit/ als aus einer thummen Einbil-
dung einer wahrhaften Goͤttligkeit geſche-
hen. Sintemal dieſe alle die Goͤtter ſelbſt
angebetet/ Julius auch ſein auf der Erd-
Kugel ſtehendes Ertzt-Bild mit der Uber-
ſchrifft eines Halb-Gottes bezeichnet haͤt-
te. Jnſonderheit waͤre Auguſt nicht zu
bewegen geweſt ihm in Rom einiges Hei-
ligthum bauen zu laſſen; haͤtte auch Li-
viens Bild nicht in der Geſtalt der Juno
aufrichten laſſen wollen; auch als ihm der
Rath die von denen uͤberwundenen Voͤlckern
angebotene Vergoͤtterung gleichſam aufge-
drungen/ ſich erklaͤret/ daß ſein Ehrgeitz nicht
dieſe Anbetung/ ſondern ſeine Liebe des Vater-
lan-
[361]Arminius und Thußnelda.
landes nur des Raths Vorſorge billigte; welche
meinte/ daß durch dieſe Kuͤnſte dem Roͤmiſchen
Reiche ein Anſehn zuwuͤchſe; und die Welt ſich
weniger einem Gotte als Menſchen unterthaͤ-
nig zu ſeyn ſchaͤmen wuͤrde. Die Perſen und
des Atlantiſchen Eylandes Jnwohner bezeug-
ten gegen ihrem Koͤnige nur deßhalben einen ſo
blinden Gehorſam/ weil jene glaͤubten/ daß er
die Stuͤtze des Himmels und der Erde/ ſein
Fußwaſſer aber eine heilige Artzney wider viel
Kranckheiten waͤre; Dieſe aber daß er lieſſe
Sonne und Monde ſcheinen. Malovend fiel
ein: Er koͤnte einen frommen Betrug der
Staats-Klugheit nicht verwerffen/ als durch
welchen Numa/ Scipio/ Lucius Sylla/ Ser-
torius/ Minos und Piſiſtratus ihrem Thun
und Geſetzen gleichſam ein goͤttliches Anſehn
gemacht; Er verargte den Griechen nicht die
Aufrichtung des Trojaniſchen Pferdes/ denen
Phoͤniciern und Zazinthiern den von den Goͤt-
tern ihrem Fuͤrgeben nach im Traume befohl-
nen Tempel- oder vielmehr Feſtungs-Bau/
daraus ſie ſich gantz Hiſpaniens bemaͤchtigt;
Aber Gott die Wuͤrde der Gottheit/ und die
Ehre der Anruffung abſtehlen/ waͤre eine ver-
dammlichere Boßheit/ als ein aͤrgerlicher Jrr-
thum/ daß der Gottesdienſt nur eine Erfin-
dung der Staats-Klugheit waͤre. Denn die-
ſe ſteckten nur in dem Finſternuͤſſe der Unwiſ-
ſenheit; jene aber waͤren die wahrhaffteſten Rie-
ſen/ die den Himmel vorſetzlich ſtuͤrmeten/ und
der Salmoneus/ der mit ſeinem Donner den
Jupiter zum Streit ausforderte. Dieſem-
nach auch ſie von der goͤttlichen Rache durch
Blitz eingeaͤſchert zu werden verdienten; und
haͤtten alle vernuͤnfftige Weiſen ſolche eitele
Vergoͤtterung verſpottet/ der Rath zu Athen
auch den Demas gar recht mit einer Geld-Buſ-
ſe belegt/ weil von ihm der ſterbliche Alexander
bey denen Olympiſchen Spielen als ein GOtt
eingeſchrieben worden waͤre. Ja Leonnatus
haͤtte ſich nicht geſcheuet/ einen den Alexander
anbetenden Perſen ins Antlitz zu verhoͤhnen;
und Hermolaus haͤtte nebſt denen andern Edel-
Knaben deßhalben den eitelen Alexander zu er-
wuͤrgen ſich verbunden. Gleichwol aber/ ver-
ſetzte Zeno/ iſt der Delphiſche Apollo ſelbſt ſo ei-
verſuͤchtig nicht geweſt/ in dem er den Griechen
gerathen den Hercules zu vergoͤttern. Adgan-
deſter begegnete ihm: Es hat der Delphiſche
Wahrſager-Geiſt wol eher dem Koͤnige Phi-
lip und andern liebgekoſet. Weil aber Auguſt
ſelbſt wol ehender mit dem Agrippa/ Alexander
mit ſeinem Hepheſtion wegen allzu groſſen An-
ſehens geeivert hat; und kein Stern in Anwe-
ſenheit der Sonne ſich einigen Glantz von ſich
zu geben erkuͤhnet; moͤchten die armen Sterb-
lichen ſich wol ſelbſt beſcheiden/ daß ſie gegen
GOtt Spreue/ und keiner Goͤttligkeit faͤhig
ſind; der angebetete Darius/ Xerxes und Ar-
taxerxes auch leider ein Gelaͤchter der ohnmaͤch-
tigſten Menſchen worden/ als den erſten die
Scythen/ den andern zwey Griechiſche Staͤd-
te/ den dritten Clearchus und Xenophon gleich-
ſam in ein Bocks-Horn gejaget.
Hertzog Zeno merckte/ daß die Eitelkeit der
Vergoͤtterung allen Deutſchen ein Dorn in
Augen waͤre; alſo brach er von derſelben Ent-
ſchuldigung ab/ und erſuchte den Fuͤrſten Ad-
gandeſter in ſeiner annehmlichern Erzehlung
fortzufahren. Dieſer verfolgte ſie dergeſtalt:
Das Buͤndnuͤß ward zwiſchen denen durch des
Agrippa ſtrenge Verfahrung/ und des Licin-
nius Geitz und unmenſchliche Schinderey ohne
diß vorher verbitterten Gallier dem Sicambri-
ſchen Hertzoge Anthario und den Fuͤrſten der
Ubier Beer-Muth ins geheim/ und inſonder-
heit durch Unterhandlung der uͤber des Augu-
ſtus Vergoͤtterung eivernden Druyden beſchloſ-
ſen. Alleine die Roͤmer kriegten hiervon zeit-
lich Kundſchafft; und der zu Beobachtung der
Deutſchen und Gallier zuruͤck gelaſſenen Dru-
ſus beruffte unter dem Scheine des Auguſtus
Feyer abermahls zu begehen/ die Fuͤrſten der
Erſter Theil. Z zGal-
[362]Vierdtes Buch
Gallier nach Lugdun. Dieſe fanden ſich ſo
viel fleißiger ein/ ie weniger ſie ihren Anſchlag
verrathen zu ſeyn beſorgten/ oder wegen ihrer ſo
befliſſenen Dienſtbarkeit ſich einigen Arges
verſahen. Aber die ſie beſchluͤſſenden Faͤſſel
lehrten ſie allzu zeitlich/ daß man bey Anſpin-
nung eines gefaͤhrlichen Beginnens alles Ver-
trauen aus dem Hertzen verbannen muͤſte. Weil
ſie aber auf Andraͤuung noch ſchaͤrffern Ver-
fahrens nicht nur ihre Soͤhne und Bluts-Ver-
wandten den Roͤmern wider die Pannonier
und Dalmatier zu kriegen einlieferten; alſo der
Kaͤyſer mit ihnen nicht nur Huͤlffs-Voͤlcker/
ſondern auch Geiſel uͤberkam/ wie nichts min-
der alle Geheimnuͤſſe des Buͤndnuͤſſes erfuhr/
wurden ſie nach deſſelbten Abſchwerung wieder
auf freyen Fuß geſtellt. Wordurch ſie aber
das Mißtrauen bey den Roͤmern und die Ver-
aͤchtlichkeit bey den Bunds-Genoſſen nicht ab-
lehneten; ja ſo gar verurſachten/ daß die Si-
cambrer und Uſipeter ſich mit dem Druſus in
ein Buͤndnuͤß einlieſſen.
Weil aber die obbeſtrickten Gallier den Her-
tzog der Moriner Erdmann beſchuldigten/ daß
er ebenfalls theil an ihrem angezielten Aufſtan-
de gehabt haͤtte; oder die Roͤmer in Gallien kei-
ne umſchrenckte Gewalt vertragen konten/ kuͤn-
digte ihm Druſus unter einem gantz andern
Vorwande/ nehmlich/ daß die Helffte ſeiner
Laͤnder mit ſeiner aͤlteſten dem Licinnius ver-
heyratheten Tochter an ſeinen Eydam verfal-
len waͤre/ den Krieg an. Dieſe Moriner wa-
ren nebſt den Batavern das einige Volck in
Gallien/ welches nicht der Roͤmiſchen Botmaͤſ-
ſigkeit ſchlechterdings unterworffen war. Kaͤy-
ſer Julius und Labienus hatten zwar ihnen
zwey Schlachten abgewonnen; aber die feſte
Beſchaffenheit ihres ſuͤmpfichten Landes und
ihre der Streitbarkeit vermaͤhlte Vorſicht hat-
te/ auſer einer den Roͤmern verwilligten leidli-
chen Schatzung/ ſie noch groſſen Theils bey ih-
rer Freyheit erhalten; alſo/ daß weder Agrip-
pa/ noch Auguſt ſelbſt/ bey ihrer Anweſenheit ein
Bein unterzuſchlagen vermochten. Als nun
Druſus mit den Morinern anband/ auch ſich
etlicher Plaͤtze bemaͤchtigt haͤtte/ hemmete eine
Geſandſchafft der Britannier und Bataver/
welche ſchon funfzig tauſend Kriegs-Leute auff
den Beinen/ und zu Beſchirmung der Mori-
nerfertig hatten/ den Lauff der Roͤmiſchen Sie-
ge; noͤthigten auch den Druſus/ daß er/ um nicht
das mißtraͤuliche Gallien gantz in Gefahr zu ſe-
tzen/ mit den Morinern einen billichen Frieden
ſchluͤſſen muſte.
Druſus ward uͤber der Fehlſchlagung ſeines
eingebildeten Sieges ſo verbittert/ daß er ſich
haͤtte in die Finger beiſſen moͤgen; inſonderheit
aber meinte er gegen die Bataver ſeine Galle
und Rache auszugieſſen berechtigt zu ſeyn.
Dieſes Volck war von den ſtreitbaren Catten
entſproſſen/ hatte wegen haͤußlicher Unruhe
ſein Vaterland verlaſſen/ die zwiſchen dem
Rheine und dem Nord-Meer gelegene Pfuͤtzen
ausgetrocknet/ und ſolch Eyland zur Wohnung
erkieſet. Weil ſie aber von Anfangs weder an
Mannſchafft noch Kriegs-Geraͤthe ſonderlich
ſtarck waren/ muſten ſie ſich unter den Schutz
der Britannier begeben/ welche damahls vom
Einfluſſe des Rheins biß an die Seene Meiſter
der Galliſchen Kuͤſten waren. Als aber die
Britannier eine ſchwerere Hand ihnen aufleg-
ten/ als die freyen Deutſchen zu tragen gewohnt
waren/ beſchwerte ſich der Bataver Hertzog E-
ganor gegen dem Britanniſchen Koͤnigs/ und
ſchrieb ihm zu: Er moͤchte ſich entweder ſeiner
Haͤrtigkeit/ oder ſeiner Herrſchafft enteuſern.
Es moͤchte wohl ſeyn/ daß anderer Voͤlcker Koͤ-
nige nur den Goͤttern Red und Antwort zu ge-
ben gewohnt waͤren; Die Deutſchen aber for-
derten auch von ihren Gebietern Rechenſchafft;
und fromme Fuͤrſten hielten es fuͤr einen Ruhm/
die Geſetze und das Urthel ihrer Unterthanen
uͤber
[363]Arminius und Thußnelda.
uͤber ſich zuleiden. Der Koͤnig/ welchem ent-
weder von ſeinen Land-Voͤgten die geklagte
Bedraͤngung ausgeredet ward/ oder weil er ei-
ne umſchrenckte Gewalt nicht fuͤr Koͤniglich
hielt/ verwieß die Bataver an ſtatt verhoffter
Erleichterung zu der Schuldigkeit ihres Ge-
horſams. Dieſes jagte nicht nur die Bataver
in den Harniſch/ ſondern Eganor bewegte alle
denen Britanniern unterthaͤnige Gallier zum
Aufſtande. Wiewol nun der kluge und tapf-
fere Eganor Meuchelmoͤrderiſch hingerichtet
ward; verfolgte doch ſein Sohn Eiſenhertz den
Krieg wider die Britannier ſo gluͤckſelig/ daß
dieſe jene fuͤr freye Leute erkennen muſten. Die
Bataver/ wie ein kleines Antheil Galliens ſie
gleich beſaſſen/ erlangten hierdurch ein groſſes
Anſehen/ und den Ruhm/ daß ſie nicht nur un-
ter den Galliern/ ſondern allen an dem Rheine
wohnenden Voͤlckern die tapfferſten waͤren.
Weil nun ihr Eyland endlich ſo wohl ihrer
Mannſchafft zum Unterhalte/ als ihrer Tugend
zur Graͤntze viel zu enge war/ lagen ſie taͤglich
denen benachbarten Galliern in Eiſen/ und
machten ſie durch ſtete Uberfallung zinßbar.
Jn denen Nord-Voͤlckern ging zu ſagen kein
Rauch auf/ da ſie nicht als Mittler erbeten wor-
den/ oder ſie ſich ſelbſt zu Schieds-Richtern auf-
warffen/ und denen hartnaͤckichten einen Frie-
den vorſchrieben. Durch Schiffarthen und
Handlung machten ſie ſich nichts minder ver-
moͤgend/ als in der gantzen Welt bekandt. Ob
auch wol hernach Kaͤyſer Julius gantz Gallien
einnahm/ wagte er ſich doch nicht/ die Bataver
in ihrem Lande anzutaſten. Ja weil ſie fuͤr die
beſten Schwimmer/ und die fuͤrtrefflichſten
Reuter beruͤhmt waren/ ſuchte er nicht alleine
durch Geſandſchafft und Geſchencke ihre
Freundſchafft; ſondern brauchte ſie auch in ſei-
nem Britanniſchen und Buͤrgerlichen Kriegen
um zweyfachen Sold fuͤr Huͤlffs-Voͤlcker. Un-
ter dem Kaͤyſer Auguſt ſtiegen ſie ſo hoch/ daß
Agrippa im Nahmen des Kaͤyſers ſie nicht nur
fuͤr Freunde und Bruͤder der Roͤmer aufnahm/
und zum Gedaͤchtnuͤſſe dieſer Verbindung an
dem Ufer/ wo der Rhein ins Meer faͤllt/ eine von
Rom uͤberſendete Marmelne Saͤule mit der
Uberſchrifft: Das Volck der Bataver/
der Bruͤder des Roͤmiſchen Reichs/
aufgerichtet ward; ſondern Auguſt erkieſete ſie
auch zu ſeiner Leibwache. Derogeſtalt ſchienen
die Bataver an den hoͤchſten Gipffel der Ehre
und Gluͤckſeligkeit gelanget zu ſeyn; Ob zwar
im Wercke bey ihnen wahr war/ daß Herr-
ſchafften offt mehr dem Ruffe/ als dem Weſen
nach auf feſten Fuͤſſen ſtehen. Denn wie dem
Britanniſchen Koͤnige ein Reichs-Rath dieſen
ſchlauen Anſchlag gegeben hatte/ daß die Bata-
ver/ wie ihre unbewegliche Pfuͤtzen/ durch Ruhe
verderben muͤſten; Alſo ereignete ſich freylich/
daß die Bataver theils durch Sicherheit/ in dem
ſie ihre Macht ſo feſte beraſet zu ſeyn vermein-
ten/ daß ſie allen Nachbarn die Spitze bieten
koͤnten/ theils durch die vortheilhaffte Kauff-
mannſchafft guten Theils der Waffen und ih-
rer ſtreitbaren Art ver gaſſen. Worzu ſie nicht
allein die Suͤßigkeit des Gewinns/ ſondern die
von denen liſtigen Britanniern an die Hand ge-
gebene Gelegenheiten; ja der Bataviſchen
Fuͤrſten eigne Anleitungen verfuͤhrten; als
welche ebenfalls durch Verzaͤrtelung der Ba-
taver ihre vorhin mercklich verſchrenckte Ge-
walt zu vergroͤſſern anzielten. Jnſonderheit
gab Hertzog Waldan durch Einfuͤhrung ge-
wiſſer Handlungs-Geſellſchafften auch dem A-
del Anlaß/ ſich in die Handlung zu verwickeln.
Und ob wohl der Catten Geſandter dem Bata-
viſchen Adel die Gewohnheit ihrer Vor-El-
tern/ welche alle Kauffmannſchafft bey Verluſt
des Kopffes aus ihren Graͤntzen verbanneten/
wie auch daß das Gewerbe die hertzhaffteſten
Gemuͤther verzagt/ und nach der Suͤßigkeit
auch eines unanſtaͤndigen Friedens luͤſtern
machte/ einbielt; ſo ſetzten doch die Werck zeuge
Z z 2des
[364]Vierdtes Buch
des Fuͤrſten Wodan dieſen Erinnerungen ent-
gegen: Die Kauffmannſchafft waͤre der alten
Scythen und faſt aller Voͤlcker beſtes Gewer-
be geweſt. Die Phoͤniciſehen Handelsleute
haͤtten ſich durch ihr Gewerbe zu Fuͤrſten/ die
Stadt Tyrus zu einer Beherrſcherin vieler
Laͤnder/ und Carthago bey nahe zum Haupte
der Welt gemacht. Der groſſe Geſetzgeber
Solon/ und die beruͤhmteſten Weltweiſen De-
mocritus und Socrates haͤtten ſich zu handeln
nicht geſcheuet/ und der goͤttliche Plato waͤre
durch den in Egypten getriebenen Oel-Handel
reich worden. Dem Thales haͤtte die Ver-
maͤhlung ſeiner Sternkunſt und Kauffmann-
ſchafft groſſen Wucher einbracht. Die Roͤmi-
ſche Ritterſchafft haͤtte durch Kauffmannſchafft
ihren Glantz behalten; Lucius Petius zu Pa-
normus/ Qvintus Mutius zu Syracuſa dar-
durch ein groſſes erworben. Kaͤyſer Julius
waͤre eines Wechslers Enckel/ und der Koͤnig
Tarqvinius Priſcus/ ſo wol als der groſſe Buͤr-
germeiſter Cicero/ eines Kauffmanns/ nehmlich
des Damarats Sohn geweſt/ ja Tarqvinius
ſelbſt und deꝛ gꝛoſſe Pompejus haͤtten Handlung
getrieben. Die uͤber des Adels Auffnehmen
eifernde Fuͤrſten haͤtten durch Abſchneidung des
Gewerbesſelbtem argliſtig die Fluͤgel zu ver-
ſchneiden getrachtet/ und ſolches dem kleinmuͤ-
thigen Poͤfel zugeſchantzt. Haͤtten Curius/
Scipio und andere groſſe Helden/ wie auch faſt
aller Voͤlcker Adel dem Feldbaue als einer der
Ritterſchafft anſtaͤndigen Bemuͤhung obgele-
gen; warum ſolte die Kauffmannſchafft/ welche
die Hand in Seide/ Gold/ Perlen und den e-
delſten Gewaͤchſen haͤtte/ ſelbter verkleinerlich
ſeyn? Die Handlung waͤre ja ein Grundſtein
eines Reiches; welche das Vermoͤgen als die
Spann-Adern des gemeinen Weſens beytra-
gen muͤſte. Die Griechen haͤtten das Schiff
der Argonauten als ein Sinnebild der Kauff-
mannſchafft unter die Geſtirne verſetzt; weil
ſie wol geſehen/ daß ſie ein beweglicher Angel-
ſtern eines Landes waͤre. Hiermit erreichte
Fuͤrſt Wodan ſeinen Zweck; die Bataver wur-
den wohl/ wie die andern Gallier/ reicher/ aber
auch weibiſcher. Weil nun Wodan nicht oh-
ne Mißgunſt wahrnahm/ wie die Gallier dem
Kaͤyſer auf ſein Wincken zu Gebote ſtunden/
die Britannier auch dem/ was ſie ihren Koͤni-
gen an Augen anſahen/ durch Befolgung zuvor
kamen; ward er verdruͤßlich/ daß er mehr ein
Diener/ als Gebieter der Bataver ſeyn/ und
nach der Deutſchen Art nur mit ſeinem Bey-
ſpiele/ nicht mit Befehle ſie zu Beliebung eines
oder des andern Dinges bringen ſolte. Daher
fing er an nach und nach etwas weiter zu greif-
fen. Die Wohlthaten ſeiner Vorfahren hat-
ten ohnediß dem Volcke eine Liebe gegen ſein
Geſchlechte eingefloͤſt; dieſe aber iſt nicht ſelten
eine Stief-Mutter der Freyheit und eine rechte
der Dienſtbarkeit. Alſo war faſt iederman ſei-
nen Befehlen zu gehorſamen geneigt; und ie
begieriger einer zu dienen war/ ie mehr ward er
vom Volcke geprieſen/ und vom Fuͤrſten erho-
ben. Das Gluͤcke bot ſeinem Vorhaben gleich-
ſam die Hand/ weil zwiſchen denen Eubagen/
die die Bataver zu ihren Prieſtern und daher
auch zu ihren vornehmſten Leitern hatten/ ſich
uͤber gewiſſen Meinungen Zwiſt entſpan/ und
ſie dardurch ihre alte Gewalt ſchwaͤchten. Jn
dieſe Zwytracht wickelte ſich Hertzog Wodan
unter dem Scheine ſie zu vereinbaren/ in der
Warheit aber ſich/ nach der Roͤmiſchen Kaͤyſer
verſchmitzten Beyſpiele/ zum oberſten Prieſter
zu machen. Die kluͤgern Vorſteher des Lan-
des merckten numehr/ wohin Wodan zielte; da-
her waren ſie bemuͤht dieſer Fluth bey Zeiten
einen Tamm entgegen zu bauen; und ſchlug der
edle Biſuar/ den die Bataver fuͤr einen goͤttli-
chen Wahrſager hielten/ allerhand kluge Mit-
tel fuͤr; wordurch Wodan unvermerckt in den
Schrancken voriger Fuͤrſten/ die Bataver aber
bey ihrer alten Freyheit erhalten werden moͤch-
ten. Unter andern rieth er/ daß die zwiſtigen
Euba-
[365]Arminius und Thußnelda.
Eubagen nicht ihnen ſelbſt Recht ſprechen/ ſon-
dern fuͤr einer allgemeinen Landes-Verſamm-
lung verhoͤret und entſchieden werden ſolten.
Wodans Anhang beſchuldigte Biſuarn hieruͤ-
ber/ daß er dem neuerlichen Jrrthume bey-
pflichtete/ und dardurch die Herrſchafft der Ba-
taver zu zerruͤtten vorhaͤtte. Wie nun die neue
Meinung der Eubagen als irrig verdammt
ward/ alſo ſprach und ſchlug man Biſuarn den
Kopff ab. Aller ferne ſehenden Bataver Koͤpf-
fe erſchuͤtterten ſich uͤber dem Falle dieſes
Haupts; ihre Hertzen floſſen mehr von Thraͤ-
nen/ als ihre Augen; weil aber das gemeine
Volck/ das ohnediß ſich uͤber ſo blutigen
Schlacht-Opffern zu ergetzen pflegt/ auff Wo-
dans Seite ſtand/ war niemand ſo behertzt/ daß
er hieruͤber ſeine Empfindligkeit haͤtte blicken
laſſen. Die Wunden der Beleidigten heilte
die Zeit nach und nach zu; Die Freyheitlieben-
den gewohnten endlich des Gehorſams/ und nie-
mand war/ der den tapffern Wodan nicht zu
herrſchen/ und ſeine Verdienſte nicht einer groſ-
ſen Vergeltung wuͤrdig ſchaͤtzte. Alſo erlang-
te dieſer Fuͤrſt faſt eine vollmaͤchtige Botmaͤßig-
keit/ und verließ ſie ſeinem Nachfolger Dago-
bert. Dieſer machte zwar durch ſeine Ver-
maͤhlung mit des Caledoniſchen Hertzogs Toch-
ter ſich vermoͤgender/ aber auch verdaͤchtiger.
Jnſonderheit wuſte er nicht ſo wol als Wodan
in gefaͤhrlichen Entſchluͤſſungen frembdes Waſ-
ſer auf ſeine Muͤhle zu leiten/ und ihm den Vor-
theil/ andern aber den Haß zuzueignen. Wie
er nun die ſeinem Vorhaben widrige Stadt
Batavodur mit der ihm anvertrauten Kriegs-
Macht zu uͤberrumpeln vergebens verſuchte;
Alſo ſtarb er hier auf unverlaͤngt/ entweder aus
Gramſchafft uͤber ſeinem entdeckten aber feh-
lenden Anſchlage/ oder etlicher Meinung nach
durch Gifft. Denn insgemein wird uͤber un-
vermutheten Todes-Faͤllen der Fuͤrſten alſo ge-
urtheilt/ gleich als wenn ſie nicht denen gemei-
nen Geſetzen der Sterbligkeit unterworffen/ o-
der insgeſamt ein Ziel der Verraͤtherey waͤren-
Sein Tod zohe vielen/ welche die alte Freyhei[t]
noch in ihrem Hertzen beſaſſen/ die Larve vom
Geſichte. Denn nach dem doch ein niemahls
fehlender Schluß des Verhaͤngnuͤſſes iſt/ daß
von dem Vorhaben der Fuͤrſten nichts ver-
ſchwiegen bleiben kan; daß die Waͤnde ihrer ge-
heimſten Zimmer und Schlaffgemaͤcher aus-
wendig der Nachwelt als helle Spiegel fuͤr Au-
gen ſtellen/ was inwendig im verborgenſten be-
gangen wird; ſo iſt inſonderheit der Tod/ wenn
alle andere ſtumm bleiben/ ein Verraͤther ihrer
Geheimnuͤſſe/ welcher durch das Horn des ge-
meinen Ruffes der gantzen Welt kund macht/
was mehrmahls der oberſte Staats-Rath nicht
gewuͤſt hat. Welche Begebnuͤß Fuͤrſten allei-
ne eine genungſame Urſache ſeyn ſolte/ nichts
niedriges in ihre Gedancken zu faſſen/ als von
welchem hernach die Welt ewig reden wird. Ja
weil das Geſchrey von ſo ſchnellem Gewaͤchſe
iſt/ daß es uͤber Nacht aus einem Zwerge zum
Rieſen wird/ und bey Abwegung der Ge-
muͤths-Eigenſchafften die Verlaͤumbdung dem
Gewichte des Guten iedesmahl ein Steinlein
unvermerckt weg nimmt und dem Boͤſen zu-
legt; ereignete ſichs auch/ daß vom Dagobert
ausgeſprengt ward/ er haͤtte mit den Caledo-
niern und Roͤmern ein Verſtaͤndnuͤß gehabt/
wie er die Bataver ihm als Leibeigne unterthaͤ-
nig machen koͤnte. Alldieweil denn das Boͤſe
insgemoin glaubhaffter als das Gute iſt/ und uͤ-
ber den gemeinen Ruff auch die reineſte Un-
ſchuld ſchwerlich einen Richter findet; blieb dem
verſtorbenen Dagobert viel nachtheiliges auff
dem Halſe. Sein verlaſſener Sohn Cario-
valda/ ein Kind von wenigen Monaten/ war
ohnediß der Herrſchafft unfaͤhig/ und verfiel un-
ter die Vormuͤndſchafft derer/ welche der Frey-
heit geneigt und der Herrſchafft Spinnenfeind
waren. Alſo ward Cariovalda nicht nur mehr
Buͤrgerlich als Fuͤrſtlich erzogen/ ſondern es
ward die gantze Herrſchens-Art umgekehret; in
Z z 3dem
[366]Vierdtes Buch
dem nicht nur wie in Gallien/ vermoͤge der von
denen Maßiliern bekommenen Richtſchnur/
der Adel/ ſondern auch ein Ausſchuß des gemei-
nen Volcks zu der Herrſchafft gelaſſen ward.
Ja etliche Eiverer fuͤr die Freyheit machten ein
eidliches Buͤndnuͤß/ daß ſie Dagoberts Ge-
ſchlechte nimmermehr ihnen ſo ſehr zu Kopffe
wachſen laſſen/ noch dem jungen Cariovalda die
Waffen und hoͤchſten Aemter des Landes in die
Haͤnde geben wolten. Maſſen denn auch alle
Feſtungen nicht ſo wohl im Kriege erfahrnen
Edeln/ als welche im Verdacht waren/ daß ſie
allezeit einen Hang zu Fuͤrſtlicher Herrſchafft/
und eine Abſcheu fuͤr der Buͤrgerlichen haͤtten/
ſondern mehr niedrigern und daher umb leich-
tern Sold dienenden Leuten anvertrauet wur-
den. Denn die buͤrgerliche Herrſchafft iſt ge-
neigt zur Sparſamkeit und geſchickter zu Un-
terhaltung des Friedens/ als des Krieges. Da-
her wuchs auch bey den Batavern die Hand-
lung und das Reichthum alſo/ daß dieſes die Hi-
bernier und Sitonen in die Augen ſtach/ und
dem Druſus Anlaß gab/ dieſe den Batavern/
welche/ ſeinem Angeben nach/ numehr ſo wol ih-
nen als den Roͤmern in den Schiffarthen
Graͤntzen und Geſetze fuͤrſchreiben wolten/ auf
den Hals zu hetzen. Die Bataver kriegten
von des Druſus Ungewogenheit zwar Wind;
Sie konten iedoch einige erhebliche Urſache ei-
nes Krieges nicht erſinnen; gleich als wenn
ſelbte nicht wohl ehe die Herrſchensſucht vom
Zaune zu brechen pflegte. Die Catten/ Si-
cambrer und Uſipeter warnigten zwar die Ba-
taver/ boten ihnen auch wider die Roͤmer ein
Buͤndnuͤß an; aber das erſte vermehrete nur
mehr ihren Argwohn/ als ihre Kriegs-Verfaſ-
ſung/ und das letztere anzunehmen war ihrer
Kargheit wegen gefoderter Huͤlffs-Gelder be-
dencklich; da doch auch die/ welche/ frembdes
Geld nicht zu begehren/ beym eignen ſparſam/
bey des gemeinen Weſens Guͤtern geitzig zu
ſeyn der Schuldigkeit erachten/ keine Ver-
ſchwendung heilſamer halten/ als die zu Erhal-
tung der alten Bundsgenoſſen geſchiehet. Viel
derer/ die im Rathe ſaſſen/ und zwar die Frie-
dens-nicht aber die Kriegs-Kuͤnſte verſtunden/
hatten ihre unfaͤhige Anverwandten zu Kriegs-
Haͤuptern in die Feſtungen eingeſchoben; ande-
re heuchelten ihnen ſelbſt mit dieſer ſchaͤdlichen
Einbildung: Gott und die Natur haͤtte die
Vataver ſo befeſtigt/ daß/ da Kaͤyſer Julius uͤber
ihre Fluͤſſe und Suͤmpffe zu kommen ſich nicht
getrauet haͤtte/ Druſus viel zu ohnmaͤchtig waͤ-
re denen etwas abzujagen/ welche von den Cat-
ten entſproſſen/ denen die unſterblichen Goͤtter
nichts anhaben koͤnten. Druſus/ der inzwi-
ſchen alle deutſche Fuͤrſten durch Geſandſchaff-
ten der Roͤmer vertraͤulicher Nachbarſchafft
verſichert/ viel hohe Bataver mit Geſchencken
gewonnen/ ja den Fuͤrſten der Ubier und Tenck-
terer gar in ein Kriegs-Buͤndnuͤß gebracht hat-
te/ zohe mit drey maͤchtigen Kriegs-Heeren an;
die feſteſten und faſt unuͤberwindlichen Graͤntz-
Staͤdte Grinnes/ Vada und Arenacum gien-
gen ohne einige Gegenwehr/ theils aus Verraͤ-
therey der beſtochenen Gewalthaber/ theils aus
Mangel genungſamer Beſatzung/ theils aus
Gebrechen des nicht herzugeſchafften Kriegs-
Vorraths uͤber. Der zu Vertheidigung des
Rheinſtroms beſtellte Kriegs-Oberſte wieß den
Roͤmern ſelbſt den Furth. Alſo ward in Mo-
nats-Friſt das halbe Gebiete der Bataver
gleichſam ohne Schwerdſchlag eingenommen.
Jederman fluͤchtete in die Eylande der einver-
leibten Taxanter; und wenn nicht noch einige
treue Leute das Land mit Durchſtechung der
Taͤmme/ wiewol mit unſchaͤtzbarem Schaden/
unter Waſſer geſetzt haͤtten/ waͤre die Haupt-
Stadt Batavodurum/ und die gantze Herr-
ſchafft in die Haͤnde der Feinde verfallen. Hier-
an war es aber noch nicht genung/ ſondern auff
der andern Seite zohe noch ein Wetter auf/ in
dem der Hibernier Koͤnig/ ungeachtet ſeines mit
den Batavern unlaͤngſt verneuerten Buͤnd-
nuͤſ-
[367]Arminius und Thußnelda.
nuͤſſes/ mit einer maͤchtigen Kriegs-Flotte ſie/
wiewohl mit ſchlechtem Vortheil/ antaſtete.
Denn die Bataver/ Taxandrer und Frieſen/
welche wegen ihrer groſſen Handlung die erfah-
renſten See-Leute waren/ und bey ſo fernen
Schiffarthen wider die See-Raͤuber den Waſ-
ſer-Krieg geuͤbt hatten/ ſchlugen die Hibernier
nicht allein aus der See/ ſondern es zohen auch
Himmel und Winde wider ſie in Krieg. Un-
terdeſſen ſchwebten die Bataver gleichwohl in
dem gefaͤhrlichſten Schiffbruche. Der Ver-
dacht unter ihnen ſelbſt ſtieg ſo hoch/ daß keiner
dem andern trauete/ und ein ieder ſich fuͤr ſeinem
Nachbar als einem Verraͤther fuͤrchtete. Alſo
ward alles gute Verſtaͤndnuͤß zerruͤttet/ alle noͤ-
thige Anſtalt verſaͤumet/ die Kluͤgſten verwir-
ret/ und die Hertzhaffteſten feige gemacht. Der
zur Enderung geneigte Poͤfel fing anfangs an
nach der Fuͤrſtlichen Herrſchafft zu ſeuffzen/
bald darauf aber darnach zu ſchreyen/ und den
jungen Cariovalda eigenmaͤchtig um ſeine Be-
ſchirmung anzuſuchen. Der Rath ſpitzte zu
dieſem nachdencklichen Anſinnen gewaltig die
Ohren; und ob zwar/ vermoͤge eines neuen
Staats-Geſetzes/ niemand bey Verluſt des
Kopffs die Fuͤrſtliche Herrſchafft auff den Tep-
picht bringen ſolte/ auch all gemeiner Meinung
nach/ alle Fuͤrſtlich geſinnte aus dem Rathe aus-
gemuſtert waren; ſo erkuͤhnte ſich doch Enno/
ein alter von Adel/ der dreyer Fuͤrſten Helden-
Thaten noch mit ſeinem Auge geſehen hatte/ in
der Verſammlung aufzuſtehen/ und dieſen
Vortrag zu thun: Die Liebe des Vaterlandes
verknuͤpffte einen iedern auch wider die Geſetze
ſich aufzulehnen/ wenn ſie dem gemeinen We-
ſen anfingen ſchaͤdlich zu ſeyn. Denn man
ſchnidte auch Arm und Bein ab/ wenn der ſich
darein freſſende Krebs den gantzen Leib anſte-
cken wolte. Dieſes noͤthigte ihn wider diß zu
reden/ was dem Fuͤrſten Cariovalda an Be-
herrſch- und Erhaltung der Bataver hindern
moͤchte. Er fuͤrchtete nicht die auf ſolche Frey-
heit geſetzte Straffe. Denn er wuͤrde von den
Haͤnden des Scharff-Richters ruͤhmlicher/ als
in einer blutigen Schlacht fuͤrs Vaterland ſter-
ben. Diß aber koͤnte dißmahl nicht anders/
als durch einhaͤuptige Herrſchafft erhalten wer-
den. Dieſe waͤre der Bataver und aller Voͤl-
cker aͤlteſte und heilſamſte Herrſchens-Art.
Rom haͤtte ſich ſelbter mit dem Tarqvinius
zwar entſchlagen/ bey ſeiner Verwirrung und
Abfall aber haͤtte es von dem gaͤntzlichen Unter-
gange nicht anders errettet und zu einem kraͤff-
tigen Leibe werden koͤnnen/ als daß ſie den Ju-
lius ſich ihnen zum Haupte machen lieſſen.
Das gantze gemeine Volck der Bataver wider-
ſetzte ſich itziger Freyheit und dem Rathe; die
ſich alſo zertrennenden Glieder vermoͤchte aber
nur einer vereinbaren/ dem ſich niemand zu wi-
derſetzen berechtiget waͤre. Diß aber haͤtte in
vieler Herrſchafft nicht ſtatt. Bey geſchwin-
den Kranckheiten/ wie die gegenwaͤrtige Zwy-
tracht und Verfallung der Bataver waͤre/ muͤ-
ſte man kraͤfftige Mittel brauchen. Keine
Herrſchens-Art aber haͤtte mehr Nachdruck/
als die einzele/ wo die Gewalt zu ſchluͤſſen in e-
ben dem Haupte beruhete/ das der Hand die
Ausuͤbung anbefehlen koͤnte. Vieler Herr-
ſchafft waͤre nur ſo lange vortraͤglich/ als Tu-
gend/ Arbeitſamkeit und gute Sitten im
Schwange gehen. Wenn die aber verfallen
und bey einſchleichender Ungleichheit die Ed-
lern/ Reichern oder Geſchickten andere uͤber-
laͤſtig werden/ alſo das Armuth den Poͤfel zu
unrechtem Gewinn/ das erduldete Unrecht zur
Rache/ die Verſchmehung zu verzweiffelten
Entſchluͤſſungen zwinget; muͤſte zwiſchen bey-
den ein vermoͤgender Mittler/ Richter und
Beſchirmer aufwachſen/ wo nicht beyde einan-
der zermalmen ſolten. Die vorige Gleichheit
haͤtte unter den Batavern aufgehoͤret; die
Kauffleute waͤren zu reich/ die Handwercker
zu
[368]Vierdtes Buch
zu arm/ der Adel zu ſehr gedruͤckt. Die Spar-
ſamkeit waͤre in Eitelkeiten der Kleider/ der
Haͤuſer/ der Blumen und Gemaͤhlde zur
Berſchwendung/ die guten Sitten zu La-
ſtern/ ihr eintraͤchtiger Gottesdienſt zu einer
vielkoͤpfichten Schlange ſeltzamer Meinungen
worden. Der meiſten Gemuͤther waͤren nicht
hertzhafft und ſtreitbar genung zu einer Herr-
ſchafft des Volckes; die wenigſten geneigt de-
nen fuͤrtrefflichern zu gehorſamen; Die Ver-
moͤgenden waͤren alle ſelbſt zu herrſchen begie-
rig; Die Schwaͤchern nach der Dienſtbarkeit
luͤſtern/ jene ſpotteten der Obrigkeiten/ dieſe
der Freyheit; jene thaͤten boͤſes aus Verwoͤh-
nung/ dieſe aus Noth; Alſo haͤtte muͤſſen ge-
genwaͤrtige Zerruͤttung erfolgen; ja wenn
auch das Vaterland nicht ſo auff der Schuͤppe
ſtuͤnde/ erforderte die Eigenſchafft ſo widriger
Neigungen/ daß ſie alle einem Cariovalda un-
terthaͤnig wuͤrden. Alle Anweſenden im Ra-
the hoͤreten ihn gedultig/ ſahen einander an/
niemand aber erkuͤhnte ſich ein Wort darzu zu
ſagen/ biß der gemeine Redner auftrat/ und
zwar ſeine Rede von dem Lobe der unſchaͤtzbaren
Freyheit anfing; Als er aber der meiſten Raths-
herren vorhin ausgeleuterte Geſichter gleich-
ſam von einem Unwillen uͤberwoͤlcken ſahe;
wendete der verſchlagene Redner ſeinen Schluß
dahin/ daß man bey euſerſter Noth ſolch guͤlde-
nes Kleinod der Freyheit/ wie die Schiffenden
ihre koͤſtliche Ladung/ um das Schiff nur zu er-
halten/ ins Meer werffen/ und durch gutwil-
lige Unterwerffung des unvermeidlichen Herr-
ſchers Gemuͤthe beſaͤnfften/ alſo ein Theil oder
nur einen Schatten der alten Freyheit nebſt
Maͤßigung der Dienſtbarkeit erhalten muͤſte.
Derogeſtalt muͤſte man freylich der Neigung
des Volckes folgen; oder vielmehr durch Aus-
ruffung des Cariovalda fuͤr ihren Fuͤrſten denen
hefftigern Thaͤtligkeiten des Volckes vorkom-
men. Gleichwol aber ſtellte er zu der gegen-
waͤrtigen Landes-Vaͤter Nachdencken: Ob
nicht dem Cariovalda die Herrſchafft nach Art
der Roͤmiſchen Dictatorn nur auf gewiſſe Zeit
anzuvertrauen/ auch mit gewiſſen Geſetzen zu
umſchrencken waͤre? Enno aber begegnete
dieſem nunmehr mit einer hertzhafften Frey-
heit: Cariovalda wuͤrde ſich nicht weigern die
Eydes-Pflicht und Verbindung gegen die Ba-
taver nach dem Beyſpiele und der Maßgebung
ſeines Vaters und Großvaters abzulegen.
Nimmermehr aber wuͤrde er ſeine Achſeln ih-
rem gebrechlichen Staat unterſchieben/ wenn
er nach uͤberſtandener Noth einer verkleinerli-
chen Abſetzung zu erwarten haͤtte. Die Roͤ-
mer haͤtten nur zu ſolcher Zeit/ wenn ein Theil
des gemeinen Weſens zerruͤttet geweſt/ einem
auf gewiſſe Zeit die oberſte Gewalt anvertrauet.
Bey itzigem Zuſtande der Bataver aber draͤue-
ten alle Waͤnde den Einfall; daher muͤſten ſie/
wie die Roͤmer zuletzt/ einen beſtaͤndigen Fuͤr-
ſten/ keinen veraͤnderlichen Verwalter ha-
ben. Niemand war im gantzen Rathe/ der
nicht gleichſam mit zuſammen klopffenden
Haͤnden dem Enno beyfiel; ieder wolte unter
den Abgeſandten ſeyn/ die dem Cariovalda die
neue Herrſchafft antragen/ oder dem Volcke
andeuten wolte. Als auch Cariovalda im
Rath erſchien/ welchen das Volck mit unzehl-
barem Zulauff und tauſenderley Gluͤckwuͤn-
ſehen begleitete/ trachtete ieder durch Ausdruͤ-
ckung ſeiner uͤber dieſer neuen Wahl geſchoͤpff-
ten Vergnuͤgung dem andern vorzukommen.
Die gemeinſten Lobſpruͤche waren/ daß das Veꝛ-
haͤngnuͤß zu Hohne des Gluͤckes/ als einer wi-
drigen Stiefmutter den Fuͤrſten Cariovalda
zum Vater des Vaterlandes erkieſet/ und ſeine
Tapfferkeit zu einer geſicheren Graͤntz-Fe-
ſtung/ als ihre groſſen Fluͤſſe und Lachen dem
Feinde entgegen geſetzt haͤtte. Mit die-
ſem Fuͤrſten gienge bey ſo groſſen Ungewit-
tern den Batavern ein heilſames Geſtirne
der Wohlfarth auff. Das Volck doͤrffte
nunmehr nur um den Fuͤrſten/ nicht mehr um
das
[369]Arminius und Thußnelda.
das ihm allzuſehꝛ angelegene Heil bekuͤm̃eꝛt ſeyn.
Als auch Cariovalda den Eid ſeiner Vor-Eltern
willig ablegte/ rieff der gantze Rath: die Groͤſ-
ſe dieſes Fuͤrſten waͤre nicht nach der engen Herr-
ſchafft der Bataver; die vollkommenſte Ge-
muͤths-Maͤßigung aber wohl nach ſeinem Ehr-
geitze abzumeſſen. Alſo pfleget iederman und
zwar die/ welche vorhin die hartnaͤckichſten Ei-
verer fuͤr die Freyheit geweſt/ bey veraͤnderter
Herrſchafft in die Dienſtbarkeit des neuen Fuͤr-
ſten zu rennen. Je edler einer von Geſchlech-
te/ ie anſehnlicher er an Verdienſten oder Wuͤr-
den iſt/ ie tieffer demuͤthigt er ſich und verhuͤllet
wie die Sterne gleichſam fuͤr der auffgehenden
Sonne ſeinen Glantz; wormit er dem Fuͤrſten
nicht verdaͤchtig ſey/ noch ſein im Hertzen insge-
mein ſteckender Unwille nicht aus einer Kaltſin-
nigkeit herfuͤr blicke. Je unfaͤhig- oder boßhaf-
ter auch der Fuͤrſt iſt/ ie niedrigere Unterwerf-
fung erfordert theils ſeine Eigenſchafft/ theils
der Unterthanen ſicherheit/ wormit jener ſich
nicht fuͤr veraͤchtlich oder verhaßt zu ſeyn einbil-
de/ und dieſe zu unterdruͤcken ſich entſchluͤſſe.
Cariovalda brachte durch ſo willigen Gehor-
ſam/ und die Huͤlffe der Menapier die verwor-
renen Sachen der Bataver gleichwohl etlicher
maſſen wieder zu Stande/ die noch uͤbrigen
Paͤſſe wurden beſetzt/ und die Hibernier wur-
den zum andern mahl aus der See geſchlagen.
Dieſes Gluͤcke vergroͤſſerte hingegen die Ver-
bitterung des Volcks gegen die vorige Herr-
ſchafft. Ein gemeiner Mann beſchuldigte ei-
nen der fuͤrnehmſten Raͤthe/ daß er die fliehen-
den Hibernier zu verfolgen verhindert/ und dem
Cariovalda nach dem Leben geſtanden haͤtte.
Die erſte war eine offenbare Verlaͤumdung/
das andere eine Anklage ohne Beweiß. Gleich-
wohl nahmen ihn die Richter in Hafft/ der Poͤ-
fel aber kam dem Urthel durch eine unmenſchli-
che Zerfleiſchung ſein und des gemeinen Red-
ners zuvor. Alſo weiß der blinde Poͤfel weder
die Tugend von den Laſtern zu unterſcheiden/
noch in Liebe und Haß Maß zu halten; ſondern
es wird der geſtern mit Frolocken bewillkomm-
te Camillus/ Themiſtocles und Cimon heu-
te ins Elend verſtoſſen/ dem groſſen Miltia-
tes/ dem Griechenland die Freyheit zu dan-
cken hatte/ wird nicht nur ein Krantz von
Oelblaͤttern verſagt/ ſondern er muß ſo gar
im Kercker verſchmachten. Der redliche
Nuncius wird von dem wuͤtenden Volcke zer-
fleiſchet/ daß es dem ſchlimmſten Buͤrger die be-
ſtimmte Wuͤrde zuſchantzen koͤnne. Denn wie
bey einer buͤrgerlichen Herrſchafft auch die groͤ-
ſten Wohlthaten und Verdienſte von nieman-
den als ihm geſchehen geſchaͤtzt/ ſondern wegen
Vielheit derſelben/ denen ſie zu gute kommen/
gleichſam zu Soñen-Staube werden; Alſo ma-
chet hingegen der Verdacht iede Muͤcke zum E-
lephanten/ und es iſt kein Buͤrger ſo geringe/
der nicht meine/ daß durch einen ſchlechten Feh-
ler an ihm die Hoheit der Herrſchafft verletzt
worden ſey.
Unterdeſſen ward durch Vertilgung anderer
hohen Baͤume/ welche gleichwohl noch einigen
Schatten auff den Cariovalda warffen/ ſeine
Botmaͤßigkeit mehr ausgebreitet und befeſtigt.
Hingegen iſt unſchwer zu urtheilen: Ob die neue
Eintracht der Bataver/ oder die kluge Anſtalt
des Cariovalda/ oder auch das mit ſeinen eige-
nen Geſchoͤpffen endlich eiffernde Gluͤcke dem
ſiegenden Druſus in Zuͤgel fiel/ und ſeinen Er-
oberungen/ wiewohl nicht fuͤr ſeiner Ehrſucht
ein Grentzmahl ſteckte. Gleicher Geſtalt ſtieß
ſich die Macht der Ubier und Tenckterer an der
Stadt Baduhenna/ davon ein Cattiſcher San-
qvin die Belaͤgerer mit ihrem groſſen Verluſt
und ſeinem Ruhme abſchlug.
Jnzwiſchen nahmen die Sicambrer/ Uſipe-
ter und Catten gleichwohl wahr/ daß es nicht
rathſam waͤre/ die Roͤmer in der Nachbarſchafft
maͤchtiger werden zu laſſen; Jnſonderheit aber
riethen die Catten/ entweder aus einer alten Zu-
neigung zu den Batavern/ oder aus einer ver-
Erſter Theil. A a anuͤnff-
[370]Vierdtes Buch
nuͤnfftigen Staats-Klugheit: Es ſolten die
Deutſchen mit den Batavern dieſen nach Uber-
windung der Rhetier alleine noch uͤbrigen
Thamm/ zwiſchen der Roͤmiſchen und Deut-
ſchen Herrſchafft/ nicht zerreiſſen laſſen. Durch
der Bataver Thore wuͤrden ſie in das Hertze
Deutſchlandes einbrechen/ ja ihnen gleichſam
in Ruͤcken gehen koͤnnen. Die Natur waͤre
hierinnen ſelbſt ihr Wegweiſer/ welche/ wormit
zwey Meere nicht zuſammen braͤchen/ die dar-
zwiſchen ſtehenden Vorgebuͤrge mit ſo ſteilen
Felſen befeſtigt haͤtte; Oder auch heute durch
die Wellen an dieſem Ecke wieder anſetzte/ was
die Fluth geſtern an jenem Ende abgeſpielt haͤt-
te. Wiewohl nun einige Fuͤrſten unter ihnen
ſich auff keine Seite ſchlagen/ und den Aus-
gang als Zuſchauer des Spieles erwarten wol-
ten; inſonderheit auch die Roͤmer durch ihre Ge-
ſandten alle deutſche Fuͤrſten ihrer beſtaͤndigen
Freundſchafft verſichern lieſſen; und deßwegen
die Ubier und Tenckterer allen andern entge-
gen ſetzten: daß die empfangene Beleidigung
keines weges aber die Furcht fuͤr dem ſich ver-
groͤſſernden Nachtbar eine rechtmaͤßige Urſa-
che des Krieges waͤre; ſo hielt ihnen doch der
großmuͤthige Hertzog der Uſipeter und Eſtier
ein: Die Freyheit waͤre ein ſo edles Kleinod/ wel-
ches zu erhalten alle euſſerſte Mittel zulaͤßig
waͤren. Eine vernuͤnfftige Beyſorge ſolches ein-
zubuͤſſen/ rechtfertigte alle Beſchirmungs-Mit-
tel/ wenn die Furcht anders nicht eine weibiſche
Kleinmuth/ und inſonderheit der ſiegenden
Nachbar herrſchensſuͤchtig/ und zu ungerechtem
Kriege geneigt waͤre. Weil nun die Roͤmer
ihnen ein Recht die gantze Welt zu beherrſchen
einbildeten/ ſie nicht einſt eine Urſache des wider
die Bataver angeſponnenen Krieges zu ſagen
wuͤſten; mit ihrer Eroberung aber ſich zu Her-
ren des Nord-Meeres und zum Geſetzgeber
gantz Europens machten/ die Deutſchen aber
bereit hundert mahl unrechtmaͤßig beleidiget
haͤtten; ſo ſolten ſie ſich ja ihrer Nachbarn
Unterdruͤckung zu Hertzen gehen/ und der herr-
ſchensſuͤchtigen Roͤmer Verſicherungen nicht
einſchlaͤffen laſſen. Jndem die Beleidigten
immer das angethane Unrecht vergeſſen/ oder
vielmehr aus einer knechtiſchen Zagheit ver-
ſchmertzet/ und ſich nur immer das wuͤrcklich an-
gegriffene Volck ihnen zur Gegenwehre geſtellt
hatte/ waͤre ihrer ſo vielen das Joch an Hals
geleget worden. Den Deutſchen wuͤrde al-
lein die dem Ulyſſes verliehene Gnade jenes
Cyclopen zu ſtatten kommen/ daß er ihn zu-
letzt freſſen wolte. Die es mit keinem Theile
hielten/ machten ſich beyden zum Raube und
dem Uberwinder zur Beute. Die Theba-
ner haͤtten mehr? als die Feinde gelitten/ als ſie
bey des Xerxes Einbruch in Griechenland
den Mantel auff zwey Achſeln getragen/ hin-
gegen die Etolier es dem Buͤrgermeiſter
Qvinctius zu dancken/ daß ſie auff ſeine Be-
redung ſich mit den Roͤmern wider den Anti-
ochus eingelaſſen. Dieſe hertzhaffte Entſchluͤſ-
ſung der Deutſchen ward mit einer groſſen
Tapfferkeit ausgeuͤbt. Die Deutſchen ſetzten
mit Gewalt uͤber den Rhein/ ob ſchon die Fuͤr-
ſten der Ubier und Tencterer ihnen allenthalben
die Uberfarth verweigerten/ wo ſie den Fein-
den den Weg gewieſen hatten. Druſus/ welcher
ohne diß denen Trevirern und andern von den
Deutſchen entſproſſenen Galliern nicht trau-
en dorffte/ ward gezwungen auſſer wenigen
Beſatzungen ſeine gantze Kriegs-Macht aus
dem Gebiete der Bataver zu ziehen/ und den
Deutſchen am Rheinſtrome entgegen zu ſetzen.
Weil nun Cariovalda bey dieſer Erleichterung
die Haͤnde gleichſam in die Schooß legte/ auſ-
ſer daß er die Stadt Fletio einnahm/ und das
verlaſſene Traject beſetzte/ hingegen Druſus
etliche friſche Legionen an ſich zoh; wurden die
Sicambrer und Uſipeter gezwungen ſich zu-
ruͤck uͤber den Rhein zu begeben. Druſus folg-
te ſelbten mit Huͤlffe der Ubier und Tencterer;
Und nach dem der Deutſchen Buͤndnis entwe-
der
[371]Arminius und Thußnelda.
der noch nicht recht zuſammengeronnen/ oder
ſie wegen des Ober-Gebiets im Kriege mit
einander zwiſtig waren/ wo nicht gar Verdacht
gegen einander hegten/ gingen ihre Kriegs-
Voͤlcker zuruͤck und von ſammen. Dem Dru-
ſus konte das Gluͤcke keinen groͤſſern Vor-
theil als dieſe Zwytracht der Feinde zuwerffen;
gleichwohl wuſte er nicht/ ob ſie nicht aus ei-
nem geheimen Verſtaͤndniſſe derogleichen Un-
einigkeit annehmen/ und/ um ihn in ein Netze
zu locken/ ohne Noth zuruͤck wichen. Daher
uͤbte er alleine ſeine Rache durch Einaͤſcherung
etlicher Flecken aus/ und gab fuͤr: Er wolte ſei-
ne zwiſtige Feinde nur ihrer eigenen Auffrei-
bung uͤberlaſſen/ weil er kein Jaͤger waͤre/ daß
er das Wild in unwegbaren Wildnuͤſſen auff-
ſuchte.
Alldieweil aber Druſus auskundſchaffte:
daß der Theudo der Frieſen/ und Ganaſch
der Chautzen Hertzog denen Batavern groſſen
Vorſchub gethan hatte/ auch die Deutſchen
Fuͤrſten zu einem allgemeinen Buͤndniſſe an-
reitzeten; Er auch uͤber diß wahrnahm/ daß
die Bataver bey ihrem etliche Jahr getriebe-
nen Kriegs-Handwercke wieder auff die alten
Spruͤnge kaͤmen/ und/ wie vor Zeiten die
Thebaner von denen Lacedemoniern/ alſo die
Bataver von den Roͤmern die Ubung der
Waffen erlerneten/ und daher den Krieg mit
ihnen auff eine Zeitlang abzubrechen/ oder ſie
vielmehr einzuſchlaͤffen fuͤr thulich hielt/ wie
nichts minder vernuͤnfftig uͤberlegte/ daß die
Roͤmer denen Deutſchen nichts anhaben wuͤr-
den/ wenn ſie ihnen nicht ans Hertz kaͤmen/
welches aber anderer Geſtalt nicht als uͤber
das Nord-Meer/ und durch Bemaͤchtigung ei-
nes groſſen Stromes geſchehen koͤnte; Als be-
ſchloß nach getroffenem Stillſtande mit den
Batavern er bey den Frieſen und Chau-
tzen einen unverſehenen Einbruch zu thun/ in
der Hoffnung/ daß wenn ihm dieſer Anſchlag
von ſtatten ginge/ ſein Ruhm aller andern
Roͤmer Siegs-Kraͤntze verduͤſtern wuͤrde. Sin-
temahl die Frieſen unter den Deutſchen ſo be-
ruͤhmt waren/ und ſie keinem ſterblichen Men-
ſchen an Treue und Tapfferkeit nichts bevor
gaben; wolte Druſus ſein Heil verſuchen/ an
ihnen Ehre einzulegen. Nachdem ihm aber
vorwerts die tieffen Moraͤſte/ auff dreyen Sei-
ten das Meer/ die Fleviſche See/ und der Em-
ſe-Strom am Wege ſtand/ unterfing er
ſich eines verzweiffelten Wercks mit erwuͤnſch-
tem Ausſchlage. Denn er machte einen tief-
fen und breiten Graben acht tauſend Schritte
lang/ und fuͤhrte einen Arm des Rheines in
die Nabal oder Sala/ baute aldar eine Fe-
ſtung Druſusburg/ und vergroͤſſerte von dar
biß in die Fleviſche See den Buſem des Fluſ-
ſes; alſo/ daß er mit den groſſen Schiffen dar-
ein/ und ferner um Frießland in das groſſe
Meer ſchiffen konte. Weil auch hierdurch
das Land der Bataver und Caninefater/ wel-
ches ſonſt jaͤhrlich von dem Rheine uͤberſchwem-
met ward/ einen groſſen Vortheil erreichte; lieſ-
ſen es jene nicht ungerne geſchehen/ dieſe aber
ihnen nebſt den Roͤmern daran recht ſauer
werden. Rhemetalces fiel dem Adgandeſter
hier ein: Es haͤtte es Druſus ihm in alle We-
ge fuͤr ein groſſes Gluͤcke zu ſchaͤtzen/ daß ſei-
ne Tugend hierinnen die Natur uͤbertrof-
fen/ und die von dem goͤttlichen Verhaͤngniße
geſetzte Grentzen einem ſo groſſen Strome
veraͤndert haͤtte. Die Goͤtter haͤtten durch ih-
re Weiſſagungen nicht allein derogleichen Fuͤr-
nehmen den Menſchen wiederrathen/ ſondern
auch ihre daruͤber beſtehende Hartnaͤckigkeit
mehrmahls mit Ernſt unterbrochen. Seſo-
ſtris waͤre gemeint geweſen/ das rothe und
Mittellaͤndiſche Meer zuſammen zu fuͤhren/
haͤtte aber uͤber hundert und zwantzig tauſend
Menſchen daruͤber ſitzen laſſen. Darius/
Ptolomeus und Cleopatra haͤtten ſich eben-
falls ohne Frucht unterwunden/ und man ſe-
he noch bey der Stadt Arſinoe die Merckmah-
A a a 2le ver-
[372]Vierdtes Buch
le vergebener Hoffnung. Jch habe deroglei-
chen unnuͤtze Arbeit in Augenſchein genommen/
wo Seleucus Nicanor das Caſpiſche und
ſchwartze Meer zu vereinbaren geſucht. Als
die Gniedier ein anhaͤngendes Stuͤcke von
Carien abſchneiden wollen/ haͤtte es ihnen A-
pollo zu Delphis nicht nur unterſagt/ ſondern
die Steine waͤren denen/ die durch ſelbige Fel-
ſen hauen wollen/ in die Augen geſprungen/
alſo/ daß ſie davon abſtehen muſten. Pyr-
rhus habe vergebens aus Epirus in Calabrien/
Xerxes uͤber den Helleſpont eine Bruͤcke zu
machen/ Diomedes das Gaganiſche Vorge-
buͤrge von feſtem Lande abzureiſſen ſich bemuͤ-
het. Daher wolte er es weder ſelbſt wagen/
noch einem andern rathen/ es dem Druſus
nachzuthun/ und die Natur zu meiſtern/ wel-
che allen Dingen der Sterblichen am beſten
gerathen/ und ſo wohl ihren Urſprung/ als
Ausfluß am weiſeſten eingerichtet haͤtte. Ja
es wuͤrde durch ſolche Veraͤnderung gleichſam
die uͤber Stroͤme und Berge herrſchende Gott-
heit/ denen die Vorwelt Heynen geweihet/ und
Altaͤre gebauet/ beleidiget. Adgandeſter ant-
wortete dem Thraciſchen Fuͤrſten: Wenn aus
bloſſer Ehrſucht/ oder einen wenigen Umweg
zu verkuͤrtzen/ Felſen durchbrechen/ aus bloſſer
Eitelkeit Berge abtragen/ oder ſeltzame Geſtal-
ten daraus bilden/ und einen unbedachtſamen
Eifer uͤber einem etwan ertrunckenen Pferde
ſchiffbare Stroͤme in ſeichte Regenbaͤche zerthei-
len/ wie es Cyrus mit dem Fluſſe Gyndes ge-
macht/ wegen eines freyern Ausſehens von ei-
nem Luſthauſe hohe Huͤgel wegraͤumen/ oder zu
bloſſer Vergnuͤgung des Auges auff fruchtba-
ren Flaͤchen rauhe Klippen uͤber einander tra-
gen wolte; muͤſte er dem Rhemetalces in alle-
wege beyfallen. Aber wenn derogleichen Wer-
cke zum allgemeinen Nutz/ oder aus Noth/ und
zu Abwendung allerhand Ungemachs/ angefan-
gen wuͤrden/ hielte er ſie in alle wege fuͤr loͤb-
lich; Und da die Klugheit hierbey das Richt-
ſcheit fuͤhrte/ wuͤrden ſie auch mit gewuͤnſchtem
Ausſchlage/ ihr Stiffter aber mit unſterbli-
chem Nachruhme beſeligt. So wenig eine
Mutter ihrem Kinde mit der Geburt zugleich
alle Vollkommenheiten beylege; ſo wenig
habe die Natur auch ihre Geſchoͤpffe deroge-
ſtalt gefertigt/ daß ſie dem menſchlichen Nach-
dencken nichts daran zu verbeſſern uͤbrig gelaſ-
ſen. Sie habe ja ſo viel wilde Baͤume gezeugt/
daß die Kunſt ihnen durch Pfropffung huͤlffe.
Dem Agſteine und den ſchoͤnſten Diamanten
muͤſten die rauheſten Schalen abgeſchliffen/ das
Gold aus haͤßlichen Schlacken geſchmeltzet/
die Perlen allererſt durchloͤchert werden. Der
Menſch werde halb wild gebohren/ ja die Weiß-
heit ſelbſt ſey anfangs eine Baͤuerin/ und die
gantze Welt Barbarn geweſt. Warum ſolte
menſchlicher Witz nicht auch an rauhe Gebuͤr-
ge und unbeqveme Fluͤſſe Hand anlegen doͤrf-
fen? Welche die Natur mehrmahls ſelbſt den
Lauff der Stroͤme aͤndert/ ja durch Erdbeben/
unterirrdiſche Winde und andere Verruͤckun-
gen der aus dem Meere in die Gebuͤrge ge-
henden Waſſerroͤhre/ neue Fluͤſſe machet/ und
die Felſen in Seen verwandelt? Er wolte ſich
mit keinen Ungewißheiten/ als daß der Phoͤ-
niciſche Hercules bey Gades/ das Mittellaͤndi-
ſche und das groſſe Welt-Meer/ der Cimmeri-
ſche die Oſt- und Weſt-See zuſammen gegra-
ben haben ſolle/ behelffen. Allein es habe nicht
nur Druſus mit dem Rheine/ ſondern auch
Marius mit dem faſt gantz verſaͤndeten Rho-
dan/ den er an einem andern tiefferen/ und fuͤr
dem Sturme ſicheren Orte ins Meer geleitet/
es gluͤcklich ausgefuͤhrt. Cyrus habe durch
Ableitung deß Fluſſes Phrat ſich der Stadt
Babylon/ Kaͤyſer Julius mit Zertheilung des
Fluſſes Sicoris/ Hiſpaniens bemaͤchtigt/ Se-
gimer mit Schwellung der Ocker die Haupt-
Stadt der Campſacer erobert. Fuͤr weniger
Zeit habe Grubenbrand/ der fuͤrtreffliche Her-
tzog der Sicambrer/ Longobarder und Eſtier/
den
[373]Arminius und Thußnelden.
den Viader mit der Spreu vereinbart/ und
auch die Schiffarth in die Elbe und Weſt-
See; Vercingetorich der Gallier Koͤnig aber
den Fluß Garumna mit dem Mittel-Meere
verknuͤpffet. Daß die Goͤtter ſich ſolchen Un-
terwindungen nichts minder als Jupiter der
von den Rieſen fuͤrgenommener Zuſammen-
tragung der Berge widerſetzten/ waͤre ein
Wahn der Aberglaͤubigen/ oder ein Fuͤrwand
der Faulen. Zum letzten gehoͤrte das Gedich-
te/ daß die Geſpenſter die Arbeiter/ als Tu-
iſco die Donau und den Meyn in einander lei-
ten wollen/ weggetrieben haͤtten; Zum erſten/
daß eben damahls/ als er diß mit der Arar und
Moſel fuͤrgenommen/ diß was im Tage gear-
beitet worden/ die Schutz-Goͤtter ſelbiger Fluͤſ-
ſe des Nachts wieder eingeriſſen haͤtten. Jn
dem jenes Traͤume oder Gedichte der Werck-
leute/ hier aber der viele Regen und der
Schwaͤmmichte Bodem die Urſacher geweſt.
Jnsgemein zernichtete dieſe Wercke die unbe-
dachtſame Fuͤrnehmung einer Unmoͤgligkeit/
oder nebſt uͤbeler Anſtalt zufaͤllige Hinderniße.
Alſo haͤtte Darius die Vereinbarung des
rothen- und Mittel-Meeres nahe zu Wercke
gerichtet/ und ſeinen Graben dreyßig Ellen
tieff und hundert breit ſchon biß auff 38000.
Schritte vollendet gehabt; Er haͤtte aber/ um
Egypten nicht zu erſaͤuffen/ zuletzt abſtehen
muͤſſen/ nachdem er allzuſpaͤt wahr genommen/
daß das rothe Meer wohl drey Ellen hoͤher ge-
legen waͤre. Gleicher geſtalt haͤtte der hohe
Phrat ſich mit dem niedrigen Tigris/ der duͤr-
re und felſichte Bodem den Averniſchen See
mit dem Munde der Tiber nicht wollen ver-
maͤhlen laſſen. Silem der Scythen Koͤnig waͤ-
re nahe daran geweſt/ die Tanais an die Wolge
zu haͤngen/ wenn es die Maſſageten nicht mit
Gewalt verwehret haͤtten. Ein Todesfall waͤ-
re Urſach/ daß in Perſien nicht die Fluͤſſe Miana
und Tirtiri/ und mit dieſen das Caſpiſche und
Perſiſche Meer aneinander verknuͤpfft worden.
Aber wir muͤſſen den Fluͤſſen ihren Lauff
laſſen/ und mit dem Druſus auff ſeinem neu-
en Strome zu den Frieſen ſchiffen/ welcher
denn uͤber die Fleviſche See mit hundert
Schiffen gluͤckſelig ſegelte/ und als ſich die
Frieſen von den Roͤmern nichts traͤumen lieſ-
ſen/ ſondern in dem Baduhenniſchen Heyne
ein ſonderbares Feyer begingen/ ſeine Kriegs-
Voͤlcker unverhindert ans Land ſetzte. Dru-
ſus/ welcher wohl wuſte/ was im Kriege an
der Geſchwindigkeit gelegen war/ ließ ihm
durch die Gefangenen alſofort den Weg zu
dem Frieſiſchen Heiligthume weiſen. Die in
der Andacht begriffenen/ wiewohl nicht gaͤntz-
lich entwaffneten Frieſen griffen alſofort zur
Gegenwehr; Und weil Theudo ihr Hertzog ih-
nen mit tapfferem Beyſpiel vorging/ fochten
ſie wie Loͤwen/ alſo daß/ ungeachtet die mit voͤl-
liger Ruͤſtung verſehenen Roͤmer fuͤr den ſo
unverſehens uͤberfallenen Frieſen einen groſ-
ſen Vortheil hatten/ ihrer dennoch viel erlegt/
Druſus und viel Kriegs-Oberſten auch ver-
wundet wurden. Endlich aber muſten ſie der
Menge der Roͤmer nachgeben/ und nachdem
alle ihre in der Eil gemachten Ordnungen
durchbrochen waren/ ihr Heil durch die Flucht
in dem Gehoͤltze und den Suͤmpffen zu ſuchen/
ſonderlich der Hertzog Theudo hefftig verwun-
det und hieruͤber gefangen ward. Nach erlang-
tem Siege wolte Druſus ſeinen Durſt aus
dem unfern von ihm ſich befindenden Brun-
nen kuͤhlen/ und mit ſeinem eigenen Helme dar-
aus Waſſer ſchoͤpffen; Es rieff ihn aber der ge-
fangene Theudo an/ und verwarnigte ihn/ daß
er durch ſolch Waſſer ſeiner Geſundheit nicht
Abbruch thun ſolte. Druſus goß das geſchoͤpf-
te Waſſer zur Erden/ und fragte: Wer er waͤre?
und warum ihm denn ſolches ſchaden ſolte?
Theudo antwortete: Er waͤre der Frieſen Her-
tzog/ diß Waſſer aber ein gifftiger Brunn/ von
welchem den Trinckenden die Zaͤhne ausfielen/
und die Gelencke in Knien auseinander gin-
A a a 3gen.
[374]Vierdtes Buch
gen. Wie nun andere Gefangene dieſen Be-
richt beſtaͤrckten/ wunderte er ſich uͤber der Red-
ligkeit dieſes gefangenen Fuͤrſten; welche des
Roͤmiſchen Raths uͤberwog/ da ſie ihren Feind
den Koͤnig Pyrrhus ſelbſt fuͤr Gifft warnig-
ten/ als ſein Artzt Timochares ihm zu verge-
ben antrug. Wormit aber Druſus ſo viel-
mehr erforſchte: Ob Theudo aus Heucheley um
dardurch ſeinen Uberwinder zu beſaͤnfftigen/ o-
der aus Großmuͤthigkeit/ ihn gewarniget haͤt-
te/ fragte er ihn: Warum er wider die Roͤmer
die Waffen ergriffen/ und den Batavern Huͤlf-
fe geleiſtet haͤtte? Theudo antwortete mit laͤ-
chelndem Munde/ und unveraͤnderter Stim-
me: Weil ich die Roͤmer fuͤr allzu herrſchens-
ſuͤchtig/ die Frieſen aber fuͤr unuͤberwindlich ge-
halten. Als nun Druſus ferner erkundigte:
Ob er dieſen ſeinen Fehler nunmehr bereuete?
verſetzte Theudo: Kein Unfall vermoͤge die Tu-
gend ſo zu verſtellen/ daß man ſich derſelben
ſchaͤmen/ oder gereuen laſſen ſolte. Auff fer-
nere Frage des Druſus/ wie er in ſeiner Ge-
faͤngniß verhalten wolte ſeyn; erklaͤrte ſich Theu-
do ſonder die geringſte Veraͤnderung des Ge-
ſichtes und der Geberden./ wie er meinte/ daß
es dem Sieger vortraͤglich/ und der Uberwun-
dene wuͤrdig waͤre. Druſus ſahe uͤber ſo hertz-
haffter Antwort dieſen unerſchrockenen Fuͤrſten
eine gute Weile an/ und nach einem nachdenckli-
chen Stilleſchweigen fragte er ihn ferner: Ob
er wohl mit ſeinen Frieſen dem Roͤmiſchen
Volcke treu verbleiben wolte/ da ihm ſelbige
laͤnger zu beherrſchen verſtattet wuͤrde? Theu-
do antwortete ſo ernſthafft als vorher/ und als
wenn es ihm gleich gielte/ ob er wieder zur
Herrſchafft kommen moͤchte oder nicht: Ja/ ſo
lange die Roͤmer die Frieſen als auffgenom-
mene Freunde und Bunds-Genoſſen/ nicht
als Knechte handeln wuͤrden. Druſus war
hie[r]uͤber ſo vergnuͤgt/ daß er ihm alſofort die
Ketten abnehmen ließ/ die Gefangenen loß-
gab/ und den Theudo gegen Verſprechen wi-
der die Roͤmer nicht mehr zu kriegen und jaͤhr-
lich tauſend Ochſenhaͤute zu zinſen/ in ſeiner
voͤlligen Herrſchafft beſtetigte. Malovend
brach dem Adgandeſter ein: Es ſolte ein Fuͤrſt
in allewege ſein Antlitz nicht mit ſeinem Gluͤ-
cke veraͤndern/ ſondern dem Widrigen und
dem Uberwinder gerade ins Geſichte ſehen.
Denn die Kleinmuͤthigkeit des Uberwunde-
nen waͤre dem Sieger ſelbſt ſchimpflich/ ſei-
ne Hertzhafftigkeit aber gereichte ihm zur Eh-
re/ und dem Bezwungenen zur Wohlfarth.
Da hingegen die Furcht den Grimm des Fein-
des nicht mildert/ noch das Schrecken ieman-
den aus der Gefahr zeucht/ ſondern vielmehr
ſein Gegentheil muthiger/ die Seinigen aber
kleinmuͤthig macht/ welche aus dem Antlitze
ihres Fuͤrſten/ wie aus denen umbhaubten
Gipffeln der Berge das bevorſtehende Unge-
witter wahrnehmen. Alles diß begegnete dem
ſo verzagten Pompejus/ welchem nicht ſo viel
der Verluſt der Schlacht/ als daß er ihm die
Kennzeichen eines Roͤmiſchen Feldherrn ſelbſt
abnahm/ ſchadete/ und durch ſeine Erniedri-
gung eines Verſchnittenen Hand wider ſich be-
hertzt machte. Ja es ſchaͤmte ſich Emilius/
daß er an dem fußfaͤlligen Perſeus einen
Knecht/ keinen Fuͤrſten uͤberwunden hatte. Der
Roͤmiſche Rath konte die Rede des weibiſchen
Pruſia nicht aushoͤren/ ſondern verſpeyete ſeine
Zagheit/ als er in Sclaven-Kleidern und mit
beſchornem Kopffe fuͤr den Roͤmiſchen Geſand-
ten zu Bodem fiel/ ſich einen Freygelaſſenen
deß Roͤmiſchen Volcks/ die Rathsherren aber
ſeine Goͤtter ſchalt/ und die Schwelle des Rath-
hauſes kuͤßte. Hingegen hat der gefangene
Hermundurer Hertzog Socas durch ſeine
Großmuͤthigkeit ſein Leben und Ehre errettet/
als er Marcomirn/ ungeachtet ſchaͤrffſter Be-
draͤuungen/ die belaͤgerte Feſtung Elbburg auf-
zugeben ſeinen Kriegsleuten nicht befehlen wol-
te; Auch als ihm uͤber dem Schach-Spiele
das Leben abgeſagt ward/ er ſich daran nichts
irren
[375]Arminius und Thußnelda.
irren ließ/ ſondern einen mit ihm ſpielenden
Cattiſchen Fuͤrſten fortſpielen hieß. Adgan-
deſter fuhr hierauff in ſeiner Erzehlung fort:
Druſus war von dem durch ſeine Großmuͤ-
thigkeit ebener Geſtalt geneſeten Hertzog Theu-
do durch gantz Frießland herum gefuͤhrt/ und
ihm alles Merckwuͤrdige gezeiget. Letzlich ka-
men ſie an den Mund der Emſe/ und auff das
Eyland Birhanis oder Fabaria/ um welche
ſich dieſer Strom in das Nord-Meer außgeuſt.
An ieder Ecke war eine von uͤberaus groſſen
Steinen auffgerichtete Seule/ oder vielmehr
uͤbereinander getragener Berg zu ſchauen.
Unten war in einem glatten Stein ein Bild
eines alten Schiffers gegraben/ der uͤber die
Schultern eine Loͤwen-Haut hencken hatte/
in der rechten Hand eine Keule/ in der lin-
cken einen Bogen trug. An der Seite hieng
ein Koͤcher/ durch das euſerſte der Zunge ging
eine von Gold und Agſtein gemachte Kette.
Auff dem oberſten Spitz-Steine war dieſe ein-
gegrabene Uberſchrifftzu leſen.
Wodan
zeichnete mit dieſen Seulen
das Ende ſeiner
und den Anfang groͤſſerer Helden-Thaten.
Denn die Tugend leidet keinen Grentzſtein/
Und das Ziel der Vorwelt ſoll ſeyn der Anſprung
der Nachkommen.
Druſus laß an beyden Seulen die gleichſtim-
mige Schrifft mit hoͤchſter Vergnuͤgung/ und
mehr als zehnmahl; fing hierauff zum Hertzog
Theudo an: Er finde hier ſo wohl zwey neue
Seulen des Hercules/ als ſein Bildnis; alſo ſol-
te er ihm ſagen: Ob Hercules auch bey den Frie-
ſen geweſt/ und dieſe Seulen auffgerichtet habe.
Theudo antwortete? Weil die alten Deutſchen
ſich mehr bemuͤhet haͤtten tapffere Thaten aus-
zuuͤben/ als auff zuſchreiben/ und deßhalben ihre
denckwuͤrdigſte Sachen in Vergeſſenheit kom-
men/ oder durch vielfaͤltige Kriege und daher ent-
ſtandene Feuersbruͤnſte/ in Frießland auch
durch oͤfftere Uberſchwemmung des Meeres
viel Gedaͤchtnis-Mahle waͤren vertilget wor-
den/ wuͤſte er ihm von dieſem Helden kein genug-
ſames Licht zu geben. Nachdem aber nicht ſo
gar weit von dar an dem Munde der Schelde
des Maguſaniſchen Jupiters Tempel zu fin-
den waͤre/ ſchiene es glaublich/ daß dieſer Wodan
der Deutſchen Hercules waͤre/ welchen die Kluͤ-
gern Deutſchen nicht/ wie die Auslaͤnder ihnen
einbildeten/ fuͤr einen Gott/ ſondern fuͤr einen
großmuͤthigen Helden verehreten; Und/ wenn
ſie eine Schlacht anfingen/ zu Auffmunterung
des Kriegsvolcks ſeine Thaten zu ſingen pfleg-
ten. Dieſem waͤren auch zwiſchen dem Emſe
und dem Seſte-Strom mehr derogleichen ſtei-
nerne Berge/ und an der Lippe ein groſſer Wald
zugeignet. Jedoch waͤre er der Meinung/ daß
nicht nur ein Hercules ſich in der Welt ſo be-
ruͤhmt gemacht/ ſondern iedes Volck ſeinen ei-
genen gehabt/ die Ubereintreffung der Hel-
den-Thaten aber ihrer vielen einerley Nah-
men beygelegt haͤtte.
Druſus brandte bey ſolcher Beſichtigung
fuͤr Begierde uͤber die Seulen dieſes Deut-
ſchen Hercules ſeine Siege zu erſtrecken;
und er nahm die gefundene Uberſchrifft wo
nicht fuͤr eine auff ihn zielende Wahrſa-
gung/ doch zum minſten fuͤr eine Auffmun-
terung an. Denn es kan kein Brenn-Spie-
gel
[376]Vierdtes Buch
gel noch eine Schlange von den Strahlen
ſo ſehr als ein tugendhaftes Gemuͤthe von an-
derer Ruhme erhitzt werden; ja die Ehrſucht iſt
begierig ſo wol diß/ was ſie zu ruͤhmlichem Be-
ginnen aufgewecket/ durch groͤſſere Thaten zu
verduͤſtern/ als das Feuer ſeinen Zunder/ und
die Natter ihre Mutter zu verſchlingen. Die-
ſemnach lieff er mit ſeiner Schiff-Flotte umb
Frießland herumb/ fiel darmit die von den
Chautzen beſetzte Jnſel Birchanis an/ machte
ſich auch derſelben ſtuͤrmender Hand Meiſter.
Von dannen ſegelte er in den Einfluß der Je-
de/ und zwar als die Fluth am hoͤchſten war/
kam alſo mitten in dem Gebiete der Chautzen
an. Dieſe Ankunfft war ihrem Hertzoge Ga-
naſch/ den ſie alle in der Schlacht und an des
Feld-Herrn Hofe wohl haben kennen lernen/
von etlichen Fiſchern zeitlich zu wiſſen gemacht
worden. Daher verfuͤgte er ſich mit ſeinen an
der Hand habenden Kriegsleuten auf eine der
von den Wurtzeln der Baͤume zuſammen ge-
flochtenen und ſchwimmenden Jnſeln/ an wel-
che die Roͤmer anzulenden ſich eiffrigſt bearbei-
teten. Als nun von etlichen Schiffen das
Kriegsvolck zu Lande kommen war/ ließ Her-
tzog Ganaſch die Seinigen ſolches bewegliche
Land fortſtoſſen; fiel hieruͤber die angelaͤndeten
Roͤmer/ die nun allererſt ſich von den andern
abgeſchnitten und auf einem ſchwimmenden
Lande ſahen/ ſo grimmig an/ daß alle ausge-
ſtiegene entweder von den Waffen aufgerieben/
oder ins Waſſer geſtuͤrtzt wurden. Hierauff
befahl er den Seinigen: daß ſie ſich auf ihren
Nachen begeben/ und zwar etlicher maſſen ſich
gegen die Roͤmiſchen Schiffe zur Gegenwehr
ſetzen; allgemach aber zuruͤck weichen ſolten.
Bey dieſem Gefechte fiel das Waſſer bey der
Eppe nach und nach ab; alſo/ daß Druſus mit
ſeinen groſſen Schiffen auff den Grund gedieg;
Hertzog Ganaſch hingegen und ſeine Chautzen
mit Geſchoß/ und inſonderheit brennenden
Pech-Toͤpffen ſelbten hefftig zuſetzte/ viel Roͤ-
mer erlegten/ und unterſchiedene Schiffe in
Brand brachten. Und es waͤre dißmal umb
die Roͤmer gethan geweſt/ wenn nicht das Waſ-
ſer endlich ſo weit weggefallen waͤre/ daß auch
die Nachen im Schlamme ſtecken blieben/ zu
Fuße aber zu fechten nicht vortraͤglich oder moͤg-
lich ſchien/ und die Chautzen ſich auff ihre ge-
machte Sandhuͤgel zuruͤck ziehen muſten. So
bald nun der Bodem gantz trocken worden/ ſetzte
zwar Druſus ſein Kriegsvolck von den Schif-
fen ab/ umb weiter hinein ins Land feſten Fuß
zu ſetzen; Aber Hertzog Ganaſch traff mit ſeiner
geſchwinden Reuterey/ welche mit großen aus
Muſcheln zuſammen gemachten Schilden be-
deckt/ und mit langen Spießen gewaffnet war/
auf die Roͤmer/ welche denn mit ihrem langſa-
men Fußvolcke wenig ausrichten konten/ ſon-
dern groſſen Abbruch litten. Der Verluſt waͤ-
re auch noch groͤſſer geweſt/ wenn nicht Ganaſch
mit allem Fleiß die Roͤmer mehr abzumatten/
als zu erlegen/ alſo ſich mehr ſtetem Lermens/ als
einer Schlacht zu bedienen/ und ſo lange/ biß die
Fluth aus der See wieder aufſchwellen wuͤrde/
den Feind aufzuhalten/ fuͤr rathſamer befunden
haͤtte; in Meynung ſo denn durch Feuer ihre
Feinde mit Strumpf und Stiel auszurotten.
Druſus ſahe dieſen Anſchlag des Feindes und
ſeinen Untergang wol fuͤr Augen; Gleichwol
wuſte er nicht zu erkieſen: Ob es rathſamer waͤ-
re/ ſich tieffer ins Land zu wagen/ und alſo die zu-
ruͤck gelaſſenen Schiffe in Gefahr zu laſſen; o-
der daſelbſt ſtehen zu bleiben/ und der ſechs tau-
ſend Frieſiſchen Huͤlffs-Voͤlcker zu erwarten/
die in kleinen Nachen uͤber die Emſe zu ſetzen/
und ſo denn auff dem Lande zu ihm zu ſtoſſen
verſprochen hatten. Wie nun Druſus in
dieſem Kummer ſchwebte; uͤberfiel ihn noch
ein groͤſſerer/ indem die Chautzen mit
mehr als hundert Nachen hinterruͤcks die
letztern auff dem Grunde noch ſtehenden
Schiffe
[377]Arminius und Thußnelda.
Schiffe mit ihren Feuer-Toͤpffen anfielen/ und
derer etliche in Brand brachten; Alſo die Roͤ-
mer auf allen Seiten zwiſchen Thuͤr und An-
gel ſchwebten. So fing auch das Waſſer an
ſich ſchon wieder zu zeigen/ und den Roͤmern den
endlichen Untergang anzudraͤuen; maſſen die
Chautzen ſich bereit wieder mit ihren Kahnen
und Feuerwercken zu Anzuͤndung der in dem
ſeichten Waſſer unbeweglichen Schiffe fertig
machten. Druſus ließ gleichwohl das Hertze
nicht fallen/ ſondern erzeigte ſich allenthalben
als einen tapfferen Kriegs-Held/ und als einen
vorſichtigen Feldherrn. Bey ſolchem ver-
zweiffelten Zuſtande lieſſen ſich endlich die
Kriegs-Zeichen der Frieſiſchen Huͤlffs-Voͤlcker
ſehen/ welche auff die Chautzen/ die bey dem be-
reit zehnſtuͤndigen Gefechte auch nicht Seide
geſponnen hatten/ gerade loß giengen/ und
dardurch den Roͤmern ein neues Hertze zum
fechten machten. Aber wie ein kluger Feld-
Oberſter ſich auff alle unverſehene Zufaͤlle ge-
ſchickt macht/ alſo hatte auch Hertzog Ganaſch
einen ſtarcken Hinterhalt hinter etlichen Huͤ-
geln ſtehen/ die er alſofort befehlichte/ denen Frie-
ſen die Stirne zu bieten. Dieſe hatten ihnen
nicht eingebildet/ die Chautzen in ſo guter Ver-
faſſung/ die Roͤmer aber im Gedraͤnge und an
einem ſo ſchlimmen Orte zu finden. Ob nun
wohl Hertzog Theudo mit ſeinem Kriegs-Vol-
cke tapffer anſetzte/ ſo ſahe er doch wol/ daß ihm
nicht nur die Chautzen uͤberlegen waͤren/ ſon-
dern das allgemach auſſchwellende Waſſer ſie
beyde von einander trennen/ und alſo in die Ge-
walt ihrer Feinde liefern wuͤrde. Dieſemnach
lenckte er bey waͤhrendem Treffen ſo viel immer
moͤglich gegen die Roͤmer ab/ wormit ſie zuſam-
men ſtoſſen/ ihre Schiffe als das einige Mittel
ihres Heiles beſchirmen/ und endlich ſo gut ſie
koͤnten mit Ehren aus dieſem Schiffbruche zu-
ruͤck kommen koͤnten. Hertzog Ganaſch nam
diß Abſehn alſofort wahr; und alſo vermochten
die Frieſen keinen Fuß breit fortzu ruͤcken/ den
ſie nicht mit Aufopfferung vieler Todten bezah-
len muſten. Zumal die Chautzen auf ſie/ als
Deutſche mehr/ als auff die Roͤmer/ erbittert
waren/ und ſie ſo viel grimmiger anfielen. Die
Roͤmer breiteten ihren rechten Fluͤgel zwar ge-
gen die Frieſen ſo viel moͤglich aus/ um beyde
Voͤlcker an eine Schlacht-Ordnung zu hen-
cken; aber es koſtete ſie viel edlen Blutes. End-
lich kamen ſie gleichwol zuſam̃en/ als die Roͤmer
ſchon faſt biß an die Knie im Waſſer ſtanden.
Hertzog Theudo gab hierauf alſofort dem mit
Blut und Schlamm beſpritzten/ und faſt nicht
kennbaren Druſus zu verſtehen: Es waͤre nicht
laͤnger Zeit dar zu ſtehen/ ſondern er ſolte/ ſo gut
er koͤnte/ ſich mit den Roͤmern auff die Schifſe
wieder verfuͤgen/ er wolte inzwiſchen mit ſeinen
des Waſſers mehr gewohnten Frieſen die Fein-
de ſo viel moͤglich aufhalten. Druſus erſtarrte
uͤber der Treue dieſes kaum verſohnten Fein-
des/ umarmte ihn alſo mit dieſen Worten: Er
wolte zwar ſeinem Rathe folgen und die Seini-
gen ſich auf die Schiffe fluͤchten laſſen; Aber die
Goͤtter moͤchten ihn in dieſe Leichtſinnigkeit
nicht verfallen laſſen/ daß er ſich von eines ſo
treuen Freundes Seite ſolte trennen laſſen.
Wie nun die Roͤmer ſich an ihre Schiffe zuruͤck
zohen/ drangen ihnen die erhitzten Chautzen mit
aller Gewalt auff den Hals; alſo/ daß/ wie
maͤnnlich gleich die Frieſen nunmehr faſt biß in
den Guͤrtel im Waſſer ſtehend ihnen begegne-
ten/ ſie doch in eine offentliche Flucht gediegen;
und derogeſtalt die theils ihnen nachwatenden/
theils auf Nachen ſie verfolgenden Chautzen ſie
wie unbewehrte Schaffe abſchlachteten/ oder auf
ihren Schiffen verbrennten/ theils auch erſaͤuff-
ten/ und die/ welche gleich einem Meſſer des To-
des entranen/ doch durch einen andern Werck-
zeug entſeelet wurden. Die Frieſen und mit
ihnen Druſus und Theudo muſten endlich auch
der Gewalt und dem Grimme der Chautzen
weichen/ und auf ihr Heil bedacht ſeyn/ alſo auf
die Schiffe ſich zuruͤck ziehen. Die Chautzen
Eſter Theil. B b baber
[378]Vierdtes Buch
aber waren ſo erbittert/ daß ſie biß an Hals ins
Waſſer ihnen nachſetzten/ die noch feſten Schif-
fe anzuͤndeten oder mit Beilen Loͤcher darein
hackten; theils mit denen etwan ertapten
Schiff-Seilen die ſich hebenden Schiffe anhiel-
ten; ja wenn ſchon ihnen eine Hand abgehackt
war/ mit der andern ja mit den Zaͤhnen die Ab-
farth verwehreten. Allem Anſehn nach waͤre
auch kein Schif und keine Gebeine von den Roͤ-
mern darvon kommen/ wenn nicht die hertzhaf-
ten Frieſen ihnen zur Huͤlffe erſchienen waͤren/
und nicht allein ein Nord-Oſt-Wind/ ſondern
auch der gleich einfallende Neu-Mond mit
Aufſchwellung des Salpeter- und ſaltzichten
Waſſers die Fluth ehe und hoͤher/ als ſonſt ins-
gemein allhier geſchiehet/ uͤber die flachen Ufer
ergoſſen/ und die Abfarth der noch etwan uͤbri-
gen funfzig Schiffe beſchleuniget haͤtte. Alſo
muſte Druſus nach Verluſt des Kerns und groͤ-
ſten Theils ſeiner Kriegs-Leute nach der Jnſel
Birchanis traurig zuruͤck ſegeln/ und/ weil faſt
niemand unverwundet blieben/ daſelbſt/ und bey
den treuhertzige[n] Frieſen ausruhen/ endlich an
den Rhein zuruͤck kehren/ und von dar ſich nach
Rom/ allwo er abermahls zum Stadtvogt er-
wehlet ward/ und dem Kaͤyſer aus denen ſo
treuen Frieſen eine auserleſene Leibwache mit-
nahm/ bey anbrechendem Winter begeben. Un-
terdeſſen raͤumten die Roͤmer alle Plaͤtze/ welche
ſie nicht nur in dem Eylande/ ſondern auch auff
dem Galliſchen Gebiete der Bataver erobert
hatten/ auſer der Feſtung Carvo und Blariach
an der Maaß; welchen erſtern Ort aber Cario-
valda belagerte und einnahm; ungeachtet es
ſchien/ daß die Roͤmer ſelbten leicht haͤtten entſe-
tzen koͤnnen. Welche zwiſchen beyden ſich ereig-
nenden Lauligkeit faſt iederman uͤberredete/ daß
Druſus und Cariovalda insgeheim mit einan-
der verglichen waͤren; nur/ daß dieſer ſolches we-
gen beſorgter uͤbelen Nachrede verhoͤlete/ daß er
die aus bloſſer Guthertzigkeit fuͤr die Bataver
kriegende Deutſchen im Stiche lieſſe.
Nachdem aber der großmuͤthige Druſus wol
verſtand/ daß der Poͤfel in ſeinen Rathſchlaͤgen
ſein Abſehn nur auf ſeinen Nutzen und Gemaͤch-
ligkeit habe; ein Fuͤrſt aber nach einem guten
Nachruhme unerſaͤttlich ſtreben ſolle; ſintemal
der Tod beyden gemein/ jener Grab aber durch
Ver geſſenheit/ dieſer durch Ehren gedaͤchtnuͤſſe
von einander unterſchieden iſt; ſo war es ihm un-
moͤglich/ in dem wolluͤſtigen Rom lange zu ra-
ſten. Denn ein groſſer Geiſt findet nicht an-
ders/ als die Sonne in ſteter Bewegung/ ſeine
Ruh; und er wil lieber wie ein Lufft-Geſtirne
ſich in Geſtalt eines ſtrahlenden Sternes einaͤ-
ſchern/ als wie ein truͤber Nebel die Thaͤler be-
bruͤten. Uberdiß nagte die Rache wegen desletz-
tern Verluſtes Tag und Nacht an ſeinem Her-
tzen; die nach Art einer geneckten Biene ihrem
Feinde einen Stich beyzubringen trachtet/ ſoll
ſie gleich ſelbſt daruͤber ihr Leben einbuͤſſen. Au-
guſtus aber hatte ebenfals Luſt darzu. Denn er
wolte ſeinem Vater dem Kaͤyſer Julius/ der
zweymal eine Bruͤcke uͤber den Rhein geſchla-
gen/ nichts nachgeben; Wiewol er dieſe ſeine ei-
gene Ehrſucht mit dem Vorwand bekleidete/
daß er die Deutſchen nur dem Julius zu Ehren
und der von ihm gebrochenen Vahne nachzufol-
gen bekriegte. Dieſemnach kam der Druſus am
Fruͤhjahre mit einem friſchen Kriegsheere wie-
der am Rheine an/ ſchlug eine Bruͤcke daruͤber/
und fiel bey denen Uſipeten ein/ in willens durch
ſelbte und die Tencterer bey den Chautzen einzu-
brechen. Die Uſipeter und die Sicambrer lang-
ten bey des Druſus verlautender Ankunfft alle
Nachtbarn/ und inſonderheit die Catten umb
Huͤlffe an; zumal die Uſipeten ja den Catten ihr
Land geraͤumt/ und ihnen am Rheine mit Ver-
treibung der Menapier durchs Schwerd einen
Auffenthalt geſucht hatten. Gleichwohl aber
blieben aus denen benachbarten die Catten allei-
ne mit ihren Huͤlffs-Voͤlckern auſſen; entweder
weil ſie den Uſipeten/ als von ihnen verletzten/
gram waren/ oder die allgemeine Gefahr weder
ſo
[379]Arminius und Thußnelda.
ſo nahe/ noch ſo groß/ oder ſie doch alleine ſich zu
vertheidigen fuͤr maͤchtig genung hielten. Jn-
zwiſchen kam Druſus nebſt den Ubiern und
Tencterern den Uſipeten mit der gantzen
Macht uͤber den Hals/ und wurden dieſe ge-
drungen mit den Roͤmern zu ſchlagen. Alldie-
weil aber die gantze Roͤmiſche Macht einem klei-
nen Theile des zwiſtigen Deutſchlandes weit uͤ-
berlegen war/ und ſo wol ein zertheiltes Reich
als ein zerbrochenes Schiff zu Grunde gehen
muß; zohen die tapfferen Uſipeter/ wie hertzhaft
ſie auch ihrem Feinde begegneten/ den kuͤrtzern.
Ja weil dieſe ſelbſt wahr nahmen/ daß das Ver-
haͤngnuͤß und Gluͤcke gleichſam ſelbſt den Roͤ-
mern zum beſten die Uneinigkeit unteꝛ die Deut-
ſchen ſaͤete/ muſten ſie mit dem Druſus/ ſo gut ſie
konten/ abkommen/ und das Roͤmiſche Joch uͤ-
bernehmen. Weil nun die Sicambrer aus Un-
gedult/ daß die Catten von der allgemeinen Frey-
heit und Wohlfarth die Hand abzohen/ ihnen
ſelbſt eingefallen waren/ ſchlug Druſus in hoͤch-
ſter Eil uͤber die Lippe eine Bruͤcke; und nach
dem ſolch Land aller ſtreitbaren Mañſchafft ent-
bloͤſt war/ durfte es weder Kunſt noch Schwerd-
ſchlags ſich deſſelbten zu bemaͤchtigen. Maſſen
ſie ſich alſofort der Gnade eines ſo ſtarcken Fein-
des unterwarffen; Druſus auch um ſich ihrer ſo
viel mehr zu verſichern etliche Feſtungen auff-
baute. Hieran aber ließ ſich Druſus nicht erſaͤt-
tigen; ſintemahl die Herrſchensſucht eben ſo
wie ein Fluß/ ie mehr er Baͤche in ſich ſchlucket/
deſto mehr uͤberſchwemmet und wegreiſſet/ alſo
brach er durch der Tencterer Landſchafft in das
Cheruskiſche Gebiete ein; und zwar ſo unver-
muthet/ daß ſie zu Deutſchburg den jungen Fuͤr-
ſten Herrmann und Flavius des Feldherrn Se-
gimers zwey Soͤhne mit ihrer Mutter Asblaſte
des Fuͤrſten Surena aus Parthen Tochter ge-
fangen bekamen. So geringſchaͤtzig iſt in den
Augen der Ehrſucht das Anſehn voriger
Freundſchafft/ welche die Cherusker lange Zeit
mit den Roͤmern ſorgfaͤltig unterhalten hatten;
Jn dem Geſichte des Gluͤckes aber ſelbſt eigene
Gefahr/ die ihm Druſus durch ſo vieler ſtreit-
baren Voͤlcker Beleidigung zuzoh/ und endlich
auf der Wagſchale des Krieges das Recht/ wel-
ches die Roͤmer zu kraͤncken kein Bedencken hat-
ten/ weil die habende Gewalt bey Fuͤrſten ein
rechtmaͤßiges Mittel iſt ſich mit fremdem Gute
zu bereichern. So bald Segimer nun/ der
mit dem Sicambriſchen Hertzoge Melo gegen
die Catten zu Feldelag/ und ſich ehe des Himmel-
als Roͤmiſchen Einfalls verſehen hatte/ dieſe be-
ſtuͤrtzte Zeitung empfing; machten dieſe zwey
Fuͤrſten mit den Catten einen Stilleſtand der
Waffen; Weil aber die zwey auff der Roͤmer
Seite ſtehenden Oberſten der Nervier Sene-
ctius und Anectius bey den Catten einen Ein-
fall thaͤten/ und unter dem Scheine einer unent-
behrlichen Nothdurfft einen Raub von vielem
Vieh in das Roͤmiſche Laͤger wegfuͤhrten/ wur-
den die Catten ſo erbittert/ daß ſie alſofort den
Stilleſtand in einen Frieden verwandelten/
und mit dem Segimer und Melo ſich wider
die Roͤmer verbanden. Dieſes Buͤndnuͤß be-
ſtaͤtigten ſie in einem heiligen Heyne/ ſchlachte-
ten darbey zwantzig von den Roͤmern gefange-
ne Hauptleute/ machten auch mit einander die
Eintheilung gehoffter Beute (ſo viel trauten
ſie ihrer Tapfferkeit zu) derogeſtalt/ daß die
Cherusker die Pferde/ die Catten das Gold
und Silber/ die Sicambrer die Gefangenen
haben ſolten. Kurtz hierauff kriegten dieſe
Bunds-Genoſſen Nachricht/ daß Druſus et-
liche tauſend ſich in der Eil zu Beſchirmung
des Landes zuſammen gethane Cherusker bey
dem Fluſſe Arhalon in die Flucht geſchlagen/
an der Lippe und Alme eine Feſtung und
praͤchtiges Siegs-Zeichen/ welches wir hier ge-
ſehen/ auffgerichtet hatte/ und geraden Fuſſes
auff die Weſer zueilte/ allwo er allem Anſehen
nach uͤberzuſetzen gedaͤchte/ weil er in dem
Deutſchburgiſchen Heyn viel Nachen haͤtte
fertigen laſſen und ſelbte mit ſich fuͤhrte. Se-
B b b 2gimer/
[380]Vierdtes Buch
gimer/ Arpus und Melo wurden hieruͤber
ſchluͤßig dem Feinde ſeinen Lauff zu laſſen/ und
ihm ſodenn den Ruͤckweg an der Weſer abzu-
ſchneiden; richteten alſo ihren Weg gerade der
Lippe zu. Jnzwiſchen kam Druſus an der
Weſer an dem Ende der Caſſuarier/ wo der
Dimmel-Strom darein faͤllt/ an/ ſetzte ein Theil
ſeines Volckes in den Nachen uͤber den Strom/
um daſelbſt ſich zu verſchantzen/ wormit er ſo viel
ſicherer eine Bruͤcke/ ohne die er einem Roͤmi-
ſchen Feldherrn uͤberzukommen verkleinerlich
hielt/ ſchlagen koͤnte. Es waren auch ſchon et-
liche Pfaͤle eingeſtoſſen; als ein Schwarm Bie-
nen ſich an den einen Roͤmiſchen Adler legte.
Dieſer Zufall jagte den Roͤmern und ſelbſt dem
Druſus in Erinnerung/ daß ihnen/ als Hanni-
bal ſie bey dem Traſimeniſchen See geſchla-
gen/ und dem Pompejus/ als er die Pharſali-
ſche Schlacht verlohren/ eben diß begegnet war/
ein ſolches Schrecken ein/ daß er alſobald zum
Abzuge blaſen ließ/ und ihm fuͤr ſeinem Zuruͤck-
zuge nicht die Zeit nahm/ ein ander Gedaͤcht-
nuͤßmaal ſeiner Anweſenheit an der Weſer zu
laſſen/ als etliche groſſe Steine; darein er gra-
ben ließ: Biß hieher kam Druſus/ dem
das Verhaͤngnuͤß und ſeine Vergnuͤ-
gung die Weſer dißmal zu einem Zwe-
cke ſeiner Siege ſetzten. Denn wie ei-
nem groſſen Gluͤcke nichts ſchaͤdlicher/
als unaufhoͤrliches Wachsthum; alſo
iſt der groͤſte Sieg/ die Waffen mit
Sanfftmuth/ die Gluͤckſeligkeit mit
Geſetzen/ die Uberwindung mit Liebe
maͤßigen. Er war aber kaum eine kleine
Tagereiſe gegen dem Rheine fortgeruͤckt; als
die Kundſchaffter ihn berichteten/ daß alle Ruͤck-
wege von den Deutſchen beſetzt waͤren/ welche
er in ihrem Vortheil und denen zum Uberfall ſo
beqvemen Waͤldern anzugreiffen nicht fuͤr rath-
ſam hielt/ ſondern an einem dienlichen Orte
theils auszuraſten/ theils die eigentliche Ver-
faſſung der Feinde zu erforſchen/ inſonderheit
aber Anſtalt zu machen/ daß die bey Arenacum
am Rheine ſtehende Legion mit den Ubiern bey
den Catten einfallen/ und alſo die feindliche
Macht zertheilen moͤchte/ ſtille liegen blieb. Zu-
mahl er mit nicht geringem Schrecken erfuhr/
daß Hertzog Segimer theils durch Einhaltung
wichtiger Urſachen/ theils durch Andreuung
gaͤntzlicher Ausrottung der Ubier und Tenckte-
rer Hertzoge zu Abbrechung des Roͤmiſchen
Buͤndnuͤſſes/ und auff die Seite der Deutſchen
gebracht haͤtte. Die Deutſchen aber lieſſen ſich
bey Wahrnehmung dieſer Kriegs-Liſt nichts
irre machen; ſondern bemuͤheten ſich mit der
Cherußkiſchen und Sicambriſchen geſchwinden
Reuterey/ in dem das bey den Deutſchen am
hoͤchſten geſchaͤtzte Cattiſche Fußvolck auf der
Hute ſtehen blieb/ dem etwan anfallenden Fein-
de die Stirne zu bieten/ den Roͤmern alle Le-
bens-Mittel abzuſchneiden. Dieſe Bedraͤng-
nuͤß und der annahende Winter zwang den
Druſus ſich zu entſchluͤſſen/ daß er irgendswo
mit Gewalt durchbrechen wolte. Hiermit zoh er
bey anbrechender und regenhaffter Nacht aus
dem Laͤger in moͤglichſter Stille auf: alſo/ daß
die deutſche Reuterey erſt folgenden Tages hier-
von Kundſchafft erlangte/ und es denen dort und
dar zertheilten Voͤlckern ſo bald nicht zu wiſſen
machen konten. Folgenden Tag lag er aber-
mals ſtille/ und wie er vorher gegen die Tenckte-
rer ſeinen Weg einzurichten geſchienen; alſo
lenckte er folgende Nacht recht gegen die Uſipe-
ter ab/ und traf mit anbrechendem Morgen bey
Arfeld auff den Hertzog Arpus; welcher ob er
wohl nicht die Helffte ſo ſtarck war/ dennoch die
Roͤmer zwiſchen dem Gehoͤltze mit unaufhoͤrli-
chem Scharmuͤtzel ſo aufhielt/ daß ſie langſam
fortkommen konten. Ein paar Stunden darauf
kam Hertzog Melo mit 8000. Sicambrern den
Catten zu Huͤlffe/ alſo/ daß Druſus nunmehro
Stand zu halten/ und eine rechte Schlacht zu
lie-
[381]Arminius und Thußnelda.
liefern gedrungen ward. Worzu er ſich ſo viel
leichter entſchloß/ weil er ſich noch ſtaͤrcker/ als
die Deutſchen zu ſeyn ſchienen/ befand/ dieſes
auch fuͤr ihre voͤllige Macht ſchaͤtzte. Beyde
Theile vergaſſen nichts/ was klugen Feld-Ober-
ſten/ und tapffern Kriegsleuten oblieget/ gleich-
wol aber muſten die wenigen Deutſchen nach et-
licher Stunden blutigem Gefechte ſich ein we-
nig zuruͤck ziehen/ ſonderlich da die Roͤmer in ei-
nem engen und tieffen Thale ſtanden/ da die
deutſche Reuterey ihnen wenig Abbruch thun
konte. Gegen den Mittag aber kam der Feld-
herr Segimer/ der mit ſeinen Cherußkern an ei-
nem andern Orte dem Feinde aufgewartet hat-
te/ darzu. Worauf ſich denn alſofort das Blat
wendete; indem den ohne diß ſchon ermuͤdeten
Roͤmern gegen einem ſo friſchen Feinde das
Hertze entfiel/ den Catten und Sicambrern aber
wuchs; alſo/ daß/ wie ſehr gleich Druſus die Sei-
nigen mit zuſprechen und ſeinem Beyſpiele an-
friſchte; ſie doch anfangs zu weichen/ hernach/ als
Segimer inſonderheit den Druſus verwundet/
Arpus den Anectius/ und Melo den Senectius
erlegt hatte/ und unterſchiedene Kriegshaͤupter
mehr gefallen waren/ zu fliehen anfingen. Die
Schlacht veraͤnderte ſich deßhalben in ein
Schlachten/ und wuͤrde wedeꝛ Druſus noch ſonſt
ihrer viel aus den Haͤnden der Deutſchen ent-
ronnen ſeyn/ wenn ſie nicht auf der Seite einen
Furth gegen der mit Roͤmiſchem Volcke be-
ſetzten Feſtung Aliſon/ als wohin Druſus ſein ei-
niges Abſehn gerichtet hatte/ gefunden/ die an-
brechende Nacht aber die Verfolgung der Deut-
ſchen gehemmethaͤtte. Druſus kam zu Aliſon
verwundet und nicht mit der Helffte des Kriegs-
Volckes an; das meiſte Fußvolck/ alles Krieges-
Geraͤthe/ 12. Fahnen der Nervier/ 8. der Frie-
ſen/ 20. der Gallier/ und ein Roͤmiſcher Adler/
welcher aber in einen Sumpf verborgen wor-
den/ blieb im Stiche; und nach dem er ſelbige
Feſtung ſtarck beſetzet/ nam er durch das Gebiete
der Uſipeter und Tenckterer ſeinen Weg an den
Rhein/ und befeſtigte daſelbſt Antonach. Dieſer
herrliche Sieg der Deutſchen aber ward zu al-
lem Ungluͤcke abermahls durch ihre gewohnte
Zwytracht zernichtet; indem die Uberwinder uͤ-
ber ſo reicher Beute uneinig wurden; und alſo
den Feind gaͤntzlich aus Deutſchland zu vertrei-
ben/ die Uſipeter wieder in Freyheit zu ſetzen ver-
ſchlieffen/ Druſus aber ward zu einem Siegs-
Gepraͤnge nach Rom beruffen/ dahin er ſich dañ
auch mit Antonia ſeiner Gemahlin/ nach wel-
cher er die von ihm am Rheine an der Cattiſchen
Graͤntze gebaute Feſtung Antonach nennte/ und
denen gefangenen Kindern Hertzog Segimers
erhob; daſelbſt mit groſſem Siegsgepraͤnge den
Einzug hielt/ und auff dem guͤldenen von vier
ſchneeweiſſen Pferden gezogenen Wagen fuͤr
ſich Asbloſten mit ihren zweyen Kindern ſitzen/
unter ihnen aber neben den Vorder-Raͤdern den
Werckzeug/ wormit die zum Tode verdamme-
ten abgeſchlachtet wurden/ hengen hatte; zur
Anzeigung/ daß Siegern uͤber die Gefangenen
die Willkuͤhr des Lebens und des Todes zuſtehe.
Der Roͤmiſche Rath empfing ihn mit groſſer
Ehrerbietung/ und weil ſeine Stadt-Vogtey zu
Ende war/ ward er zum Unter-Buͤrgermeiſter
uͤber Gallien und Deutſchland erklaͤret; den
Titel des oberſten Feldherrn rief ihm zwar das
Kriegsvolck zu; Auguſtus aber ſtand an/ ihm ſol-
chen noch offentlich ertheilen zu laſſen. Druſus
hingegen hielt dem Kaͤyſer zu Ehren koſtbare
Schauſpiele; und an ſeinem Geburts-Tage auf
dem Marckte in Rom eine Jagt von allen nur
erſinnlichen Thieren/ ließ ihm auch zu Ehren
viel Egyptiſche und andere Sinnbilder fuͤrtra-
gen/ davon der Abriß hernach in den vom Sylla
zu Preneſte erbauten Gluͤcks-Tempel gebracht
worden. Rhemetalees brach Adgandeſtern ein:
Er koͤnte nicht begreiffen/ wie die Deutſchen we-
gen der Beute mit einander zerfallen/ daruͤber
ſie ja vom Anfange mit einander Abkommen ge-
troffen; und wie Druſus nach einer ſo groſſen
Niederlage ein Siegs-Gepraͤnge habe halten
B b b 3moͤ-
[382]Vierdtes Buch
moͤgen? Adgandeſter beantwortete ihn: die rei-
che Beute/ die man bey einem Feinde weiß/ iſt ja
wol ein Sporn/ der das Kriegsvolck anfaͤnglich
zur Tugend und tapfferem Gefechte aufmun-
tert. Die Begierde darnach machet/ daß man
das euſerſte gedultig ausſtehe. Aber wie ſolcher
Uberfluß oft zu ungerechtem Kriege Anlaß giebt;
wie denn Craſſus deßhalben die Parther uͤber-
ſallen/ auch biß zu den Bactrian- und Jndianeꝛn
zu dringen im Schilde fuͤhrte; und die Hiſpani-
ſchen Reichthuͤmer die Carthaginenſer zu ſich
lockten; Alſo verurſachet ſelbter in Schlachten
meiſt groſſe Unordnung und Gefahr; indem die
ſtreitenden bey ſich nur wenig ereignendem
Vortheile mehr auf die Beute als aufs Treffen
bedacht ſind/ vielmal auch ſchon umzingelte Koͤ-
nige und Fuͤrſten/ als den Triphon und Mithri-
dates/ durch Wegwerffung ihres koſtbaren Ge-
raͤthes aus den Haͤnden ihrer Feinde/ die ſie
ſchon im Sacke gehabt/ entrinnen laſſen. End-
lich gebieret auch die gluͤckliche Uberkommung
der Beute zuletzt mehr Schaden als Gewinn.
Denn die in Carthago und Corinth eroberte
Reichthuͤmer haben alle gute Sitten in Rom
verderbet; die itztreichen Gallier waren ſtreitba-
rer/ da ſie arm waren/ und die von den Deut-
ſchen dißmal den Roͤmern abgeſchlagene Beute
verderbte das gantze Spiel des Krieges. Denn
ob ſie zwar wegen der Pferde/ der Gefangenen/
des Goldes und Silbers ſich vorher verglichen
hatten; ſo war doch wegen der Waffen/ die ſie
erobern wuͤrden/ nichts ausgenommen. Wor-
von die Catten/ welche am laͤngſten gefochten/
den Sicambrern ein geringes/ dieſe aber den
Cherußkern gar kein Theil verſtatten; die Che-
rusker hingegen/ als welche die Oberhand und
ihren Fuͤrſten zum Feldherrn hatten/ nach ihrer
Willkuͤhr damit gebahren/ und inſonderheit
Segimer zu Ausloͤſung ſeiner Gemahlin und
Kinder die fuͤrnehmſten Gefangenen haben
wolte. Uber dem Siegsgepraͤnge des Druſus
aber wundert man ſich in allewege billich/ wenn
man die alten Sitten und Geſetze der Roͤmer
fuͤr Augen hat; welche ſolches niemanden ver-
ſtatteten/ der nicht auff einmahl zum minſten
5000. Feinde/ und zwar nicht Knechte oder See-
Raͤuber/ ſondern freye Voͤlcker und ohne ſon-
derbaren Verluſt uͤberwunden hatte. Weßwe-
gen ſelbter auch bey den Einnehmern ſo wol die
Anzahl der erlegten Feinde/ als der gebliebenen
Buͤrger eidlich anzeigen muſte. Gleichergeſtalt
ward dem Fulvius und Opimius dieſe Ehre
verweigert/ weil jener zwar Capua/ dieſer Fre-
gella wieder erobert/ aber mit nichts neuem das
Reich vermehret hatte. Zugeſchweigen/ daß auch
Scipio wegen eingenommenen Hiſpaniens/
und Marcellus nach erobertem Syracuſa diß
entbehren muſten/ weil ſie nur als Buͤrger und
ohne Bekleidung hoher Aempter alles diß aus-
gerichtet hatten. Gleichergeſtalt war ſolche
Freude in buͤrgerlichen Kriegen/ indem das ei-
gene Blut mehr zu beweinen iſt/ nicht erlaubet.
Dahero zohe Naſica und Opimius/ nach Erle-
gung der Grachen/ Qvintus Catulus/ nach
Daͤmpffung des Lepidus/ ſtille in die Stadt.
Antonius/ als er den Catilina erleget/ wiſchte
das Buͤrgerblut von allen Schwerdtern ab;
Und ob gleich Sylla den Marius/ Sulpitius/
Cumma/ Narbanus/ Scipio/ Telaſinus und
Lamponius geſchlagen hatte; ſo ließ er doch in
ſeinem Siegs-Gepraͤnge keines dieſer/ ſondern
nur Mithridatens und fremder Staͤdte Bilder
ihm fuͤrtragen. Ja Fulvius Flaccus/ und mehr
alte Roͤmer entſchlugen ſich ſelbſt dieſer verdien-
ten Ehre. Nach der Zeit aber/ da die Tugend
nicht mehr fuͤr ihren eigenen Preiß gehalten
ward/ ſondern der Ehrgeitz an ſtatt des Weſens
nach einem Schatten zu greiffen/ und dem albe-
ren Poͤfel einen blauen Dunſt fuͤr die Augen zu
machen anfing; ertichtete man Eroberungen
vieler nicht einſt geſehener Laͤnder; wenn etwan
eine Handvoll Raͤuber erlegt/ oder ein geringes
Neſt eingenommen war/ ruͤhmte man ſich groſ-
ſer Siege uͤber gantze Voͤlcker; und daß man
unuͤber-
[383]Arminius und Thußnelda.
unuͤberwindliche Feſtungen bemeiſtert haͤtte.
Wenn aber die Roͤmer ſelbſt aus dem Felde ge-
ſchlagen wurden/ bekleideten ſie ihre Schande
mit dem Nahmen einer klugen Zuruͤckziehung/
und mit Verdruͤckung ihres Verluſtes. Maſſen
ſich denn einige nicht ſchaͤmten bey des Craſſus
Parthiſcher/ und des Lollius Deutſcher Nieder-
lage/ da der fuͤnfften Legion Adler verlohren
gieng/ ſich noch eines Vortheils zu ruͤhmen. Jn-
ſonderheit wolte ieder hochtrabender Roͤmer der
tapfferen Deutſchen Meiſter worden ſeyn. Da-
hero bedienten ſie ſich der zaghafften Uberlaͤuf-
fer/ kaufften von allerhand Barbarn großge-
wachſene Knechte/ noͤthigten ſie/ daß ſie etliche
deutſche Woͤrter erlernen und nachlallen/ ihre
Haare nach unſerer Art lang wachſen laſſen/
und roͤthen muſten; kleideten ſie in deutſche
Tracht/ und ruͤſteten mit dieſen blinden Gefan-
genen ihre Siegs-Gepraͤnge aus. Auf dieſe
Weiſe gieng es nun auch bey dieſem Feld- und
Einzuge des Druſus her/ und diente die gefan-
gene Aßblaſte mit ihren Kindern zu einer glaub-
hafften Beſchoͤnigung.
Rhemetalces ſetzte bey: Jhn beduͤnckte/ daß
Eigenruhm und Verkleinerung anderer Voͤl-
cker nicht neu/ ſondern ein altes Laſter der Roͤ-
mer/ ja der Schein ihre erſte Farbe geweſen ſey.
Des Romulus Geburt und Todes-Art; des
Numa Geſpraͤche mit der Goͤttin Egeria; die
Weihung des vom Himmel gefallenen Schil-
des; die wunderlichen Thaten des Marcus Cur-
tius/ des Horatius Cocles/ der Clelia/ und des
Mucius Scevola/ waͤren groſſen Theils Ge-
dichte. Von ihren ungemeinen Tugenden
ſchriebe niemand als ſie ſelbſt/ hingegen wuͤrden
die Thaten des Porſenna/ der Gallier/ der Car-
thaginenſer/ des Pyrrhus/ uñ anderer aufs moͤg-
lichſte verkleinert; den Griechen die Unwahr-
heit/ den Mohren Untreu/ den Syrern die Up-
pigkeit/ den Deutſchen und Thraciern die Grau-
ſamkeit/ ja allen Fremden alle die Laſter beyge-
meſſen; die doch nirgends mehr als zu Rom im
Schwange giengen. Wiewol die Roͤmiſchen
Geſchichtſchreiber ſich hin und wieder ſelbſt ver-
reñten/ ſich des Geitzes ſchuldig gaͤben/ unrecht-
maͤßiger Gewalt die Vergroͤſſerung ihres Rei-
ches zuſchreiben/ und/ daß der letztere Krieg wi-
der Carthaͤgo aus keiner rechtmaͤßigen Urſache/
ſondern bloß aus neidiſcher Mißgunſt gegen ein
ſo groſſes Reich erhoben/ mit zweydeutigem
Verſprechen die Schiffs-Flotte ihr aus den
Haͤnden gewunden/ daß der Luſitaniſche Heer-
fuͤhrer Viriat von des Pompilius erkaufften
Meuchelmoͤrdern erleget/ daß vom Aqvilius die
Pergameniſchen Brunnen zu Austilgung de-
rer dem Ariſtonicus anhaͤngenden Feinde wider
das Recht der Voͤlcker vergiftet/ daß vom Sul-
la mit der Fackel in der Hand ſein Vaterland zu
erſt angezuͤndet worden waͤren/ zuſtuͤnden.
Malovend fiel hieruͤber ein: Sonder zweif-
fel haben alle Voͤlcker ihre Fehler/ wie ein iedes
Geſtirne ſeine Flecken; nur/ daß ſie in einem
ſichtbarer ſind als beym andern. Sonſt aber iſt
ſich uͤber dem Gepraͤnge und der Hochhaltung
des Druſus ſo ſehr nicht zu verwundern. Denn
die Heucheley iſt ſo alt als die Welt; welche ſchon
bey den erſten Menſchen aus einem Apffel mehꝛ
als einem Klumpen Goldes machte. Die Hel-
den-Nahmen waren gemeiner/ und der Adel
wolfeiler bey der Vorwelt/ als itzt. Wenn einer
ein wild Schwein erlegte/ hieß er ein Hercules.
Wegen Erfindung der Phrygiſchen Buchſta-
ben iſt der Phrygiſche/ wegen der Angebung
der Purpur-Farbe iſt der Tyriſche Jupiter zum
Halb-Gotte worden. Wenn einer einen Moͤr-
der umbrachte/ hat man ihn fuͤr einen Rieſen-
Bezwinger/ und wenn einer ein Raub-Neſt
eingenommen/ fuͤr einen groſſen Weltbezwin-
ger gehalten; und durch Gedichte aus einem
Floh ein Elefanten gemacht. Es iſt wahr/
ſagte Adgandeſter/ daß nichts minder fuͤr Zeiten;
als heute zu Tage viel mit Ehren-Kraͤntzen groſ-
ſen Ruhms begabt worden/ ihrer wenig aber
ſelbte verdienen. Alleine die Zeit entbloͤſſet doch
endlich
[384]Vierdtes Buch
endlich ihre Unwuͤrdigkeit; und die Wahrheit
iſt von ſolchem Nachdrucke/ daß ſelbte weder
Feinde noch Heuchler vertilgen koͤnnen. Da-
hero denn auch die Roͤmer ſelbſt wider Willen
frey heraus ſagen/ daß den Auslaͤndern nicht ſo
wol die Herrſchafft/ als die Laſter der Roͤmer un-
ertraͤglich waͤren. Alſo ereignete ſich nach obi-
gem Abzuge des Druſus aus Deutſchland/ daß
die Roͤmiſche Beſatzung aus Antonach und Bin-
gium den Catten mit taͤglichen Raubereyen be-
ſchwerlich waren. Wie nun dieſe nach aller
Voͤlcker Rechte Gewalt mit Gewalt ablehne-
ten; und mehrmals die Roͤmer den kuͤrtzern zo-
hen; von Druſus/ welcher gleich damals nebſt
dem Qvintius Criſpinus Buͤrgermeiſter war/
Anlaß zum dritten mal ſein Heil in Deutſchland
zu verſuchen; ſonderlich da die Catten und Che-
rusker ſelbſt wider einander in Haaren lagen/
und Deutſchland ſeine Haͤnde in eigenem Blu-
te wuſch. Dieſe Gelegenheit brauchte Druſus
zu einer Schein-Urſache eines neuen Zuges in
Deutſchland; ungeachtet der Blitz in den Capi-
toliniſchen Tempel ſchlug/ und die vom Druſus
aufgehenckte Sieges-Zeichen auf den Bodem
fielen; Alſo die Wahrſager ihm wenig gutes
andeuteten/ der Kaͤyſer ihn auch ungerne von
ſich ließ; wiewohl Druſus viel einen andern
Dorn im Fuſſe ſtecken hatte; deſſen Erzehlung
aber vielleicht anzuhoͤren der Verſammlung be-
ſchwerlich fallen doͤrffte.
Als nun aber Rhemetalces und die andern
Fuͤrſten Adgandeſtern anlagen/ dieſe Heimlig-
keit ihnen nicht zu verſchweigen; vollfuͤhrte er
ſeine Erzehlung folgender Geſtalt: Der be-
ruͤhmte Marcus Antonius/ deſſen Geſchlechte
vom Hercules ſeinen Uhrſprung haben ſoll/ hat
mit Octavien des Kaͤyſers Auguſtus Schwe-
ſter zwey Toͤchter erzeuget; derer eine Domi-
tius-Enobarbus heyrathete. Die andere und
juͤngſte Nahmens Antonia/ war von der Natur
mit fuͤrtreflicher Schoͤnheit begabt/ und ſo wol
der einige Troſt ihrer Mutter/ als ein Schoß-
Kind des Kaͤyſers. Weil nun die Schoͤnheit/
als die Mutter der Anmuth fuͤr ſich ſelbſt eine
geſchwinde Jaͤgerin abgiebt/ die Augen und
Hertzen leicht in ihre Garne bringt/ und man
auf daſſelbe Bild ſo viel mehr die Augen wirfft/
das eine ſo groſſe Sonne beſtrahlet; entzuͤndete
Antonia viel Hertzen/ ehe ſie noch ſelbſt wuſte/
was ſie fuͤr Feuer in ſich ſelbſt ſtecken hatte. A-
ber ſie erfuhr zeitlich genung/ daß nichts anfaͤlli-
ger als die Liebe waͤre; und daß kein Licht von
dem andern ſo geſchwinde Feuer/ als eine zarte
Seele dieſe ſuͤſſe Empfindligkeit des andern Al-
ters fange. Denn als einsmahls an des Kaͤy-
ſers Geburts-Tage der Kern des Roͤmiſchen
Adels ſich mit praͤchtigen Aufzuͤgen/ Rennen/
und andern Freuden ſpielen ſehen ließ; Gewan
ein junger wohlgebildeter Edelmann Lucius
Muraͤna den Preiß/ und zugleich das Hertze
Antoniens. Seine Geſtalt/ ſeine hohe Ankunft/
und ſeine Tapfferkeit ſchaͤtzte ſie anfangs ihres
Ruhmes/ hernach ihrer Gewogenheit wuͤrdig.
Dieſe Bluͤte der Liebe aber verwandelte ſich
nach und nach unvermerckt in einen vollkomme-
nen Liebes-Apffel. Nachdem aber das Gluͤcke
insgemein der Liebe ein Bein unter zuſchlagen
gewohnet iſt; fuͤhlte Antonia nicht ſo geſchwinde
in ihrer Seele dieſen anmuthigen Zunder; Als
der Kaͤyſer und Octavia auff Anſtifftung der
Livia ihr einen Vorſchlag thaͤten ſich mit dem
Claudius Druſus zu verheyrathen. Dieſer
Vortrag war in Antoniens Ohren ein rechter
Donnerſchlag/ und ein rechter Wirbelwind/
der ihre Ruhe des Gemuͤthes in voͤllige Unru-
he verſetzte. Wie aber die Liebe eine geſchwinde
Erfinderin iſt; Alſo war die junge Antonia alſo-
fort ſo klug/ daß ſie mit ihrer Jugend und aller-
ley anderm Fuͤrwand ihre Entſchluͤſſung ins
weite Feld zu ſpielen wuſte. Jnzwiſchen wuchs
ihre Liebe gegen den Muraͤna von Tag zu Tage/
und zwar ſo viel hefftiger/ weil ſie Druſus durch
ſeine Liebesbezeugungen zuverdringen ſuchte;
ſie aber ihr Hertze gegen keinem Menſchen/ am
wenig-
[385]Arminius und Thußnelda.
wenigſten aber gegen dem Muraͤna ausſchuͤttẽ/
und alſo ihr Gemuͤthe erleichtern konte. Denn
ſie hatte an Octavien eine genaue/ an des Dru-
ſus Mutter Livia aber eine noch ſchaͤrffere Auf-
ſeherin/ fuͤr denen ſie ſich nicht ruͤcken dorfte.
Alleine hoͤret/ wie die Liebe auch einen hundert-
aͤugichten Argus zu verblaͤnden maͤchtig ſey.
Mecenas des Kaͤyſers vertrauteſter Freund bat
ihn einmal auf ſein an dem Fluſſe Ania ge-
bautes koͤſtliche Luſt-Haus/ welches ſo wohl we-
gen ſeiner Gelegenheit/ in dem man darauf ge-
gen die Sabiniſche Landſchafft/ die Praͤneſtini-
ſchen/ Labicaniſchen/ und Tuſculaniſchen Aecker
uͤberſehen konte/ als wegen ſeiner fuͤrtrefflichen
Marmel-Saͤulen/ ertztenen Bilder/ ſeltzamen
Gewaͤchſe/ von welchen ein angefuͤllter Garten
das Gebaͤue an dreyen Ecken umbgab/ wegen
der im erſten Vorhofe ſtehender drey herrlicher
Spring-Brunnen/ und inſonderheit wegen der
annehmlichen Geſellſchafft/ indem Mecenas
daſelbſt die gelehrteſten Leute ſelbiger Zeit unter-
hielt/ fuͤr ein irrdiſches Paradis von den Roͤ-
mern/ und uͤberdiß vom Kaͤyſer wegen der lieb-
reitzenden Terentia beliebet ward. Jn der Ge-
ſellſchafft des Kaͤyſers war ſeine Gemahlin Li-
via/ ihre Soͤhne Druſus und Tiberius/ Anto-
nia und unter dem Roͤmiſchen Adel/ die den Au-
guſtus bedienten/ Lucius Muraͤna. Nebſt viel-
faͤltigen Kurtzweilen ſtellte Mecenas in dem dar-
an gelegenen tieffen Thale eine Fiſcherey an/ und
es muſte iede anweſende Perſon ihm aus den ge-
fangenen Fiſchen eine Art ausleſen/ und zu ſeinẽ
Lobe etwas auf die Bahn bringen. Antonia er-
wehlte ihr eine groſſe Murene/ und meldete: Es
koͤnte kein Frauenzimmer einiger Art Fiſche
nicht holder ſeyn als dieſer/ welche dem weiblichẽ
Geſchlechte ſo zugethan waͤre/ daß auch keine
maͤnnlichen Geſchlechtes waͤre. Jhre Schlauig-
keit gehe allen Fiſchen fuͤr/ und diene zur Lehre
dem Frauenzimmer/ daß dieſes ſo ſehr dem Ha-
men der Wolluͤſte/ als jene dem Garne und Zi-
ſchen der Fiſcher zu entgehẽ verſchmitzt ſeyn ſolle.
Cajus Hircius waͤre aller Fluͤche werth/ daß er
zum erſtẽ zwar fuͤr die Murenẽ dienende Weiher
angerichtet/ derer aber auf einmal 6000. zu des
Kaͤyſers Sieges-Mahle ausgewogen habe.
Hingegen habe Hortenſius ihre Huld erworben/
daß er eine von ihm lange bewahrte und endlich
abgeſtandene beweinet habe. Nichts weniger
haͤtte ſie Lucius Craſſus geſchaͤtzt/ als er einer ein
Halsband von Edelgeſteinen angemacht; welche
als ſeine aufgeputzte Buhlſchafft ihn an der
Stimme eigentlich erkennet/ ihm zugeſchwom-
men waͤre/ aus ſeiner Hand Speiſe genommen/
und hierdurch nach ihrem Tode verdienet haͤtte/
daß er umb ſie als ſeine Tochter in der Trauer
gegangen waͤre. Der Kaͤyſer laͤchelte uͤber der
Antonia freymuͤthigem Vortrage/ und verehrte
ihr des Hortenſius vorhin erkaufftes Vorwerg
bey Bajaͤ/ das ſie mit hoͤchſter Danckſagung an-
nahm/ und alſofort ihre koſtbaren Ohr-Gehaͤn-
cke ab- und ihrer ausgeleſenen Murene anmach-
te; ja hierauf ſich in das geſchenckte Vorwerg
verfuͤgte/ daſelbſt dieſe Murene in den Weiher
einſetzte/ einen abſonderlichen Waͤrter darzu be-
ſtellte/ umb den Weiher ein koſtbares Geſimſe
von rothem Marmel-Steine fertigen/ und dar-
ein graben ließ:
Dieſe ſeltzame Liebe zu einem Fiſche/ und die
Kirrung dieſer Murene/ welche Antonia ge-
wehnte daß ſie ſich auf ihr Zuruffen an das Ufer
naͤherte/ und ihr aus den Haͤnden aaß/ verurſach-
te viel vorwitzige Roͤmer ſich in dieſer luſtigen
Gegend oftmals einzufinden/ und mit dieſem
freundlichen Fiſche ihre Kurtzweil zu haben.
Unter dieſen fand ſich auch offtmals Lucius Mu-
raͤna/ welchem Antoniens Liebs-Bezeugung
bald anfangs nachdencklich vorkommen war.
Wie er nun folgends die eingegrabene Schrifft
zu Geſichte bekam; uͤberlaß er ſelbte wohl zehn-
mal/ und inſonderheit bedauchte ihn/ daß der letz-
te Reim ihm das voͤllige Raͤthſel aufloͤſete/ nem-
lich/ daß Antoniens Kurtzweil ein bloſſes Sin--
nen-Bild/ und die darſchwimmende Murene
nur das Zeichen/ er aber ſelbſt der bezeichnete
waͤre. Wie er ſich nun theils mit dieſen ſuͤſſen
Gedancken eine gute Zeit gekuͤtzelt/ theils auch
mit der Beyſorge allzu vermeſſener Einbildung
lange geſchlagen hatte; ſintemal Hoffnung und
Furcht an der Spille der Liebe die zwey Wirtel
ſind/ mit denen ſich das Gemuͤthe der Liebhaber
herumb drehet/ ereignete ſich/ daß Antonia mit
ihrer Mutter Octavia und Mecenas zu dem
Weiher kam/ und den Muraͤna daſelbſt ſich auf
das Gelender auflehnende auch gantz auſſer ſich
und unbeweglich antraffen. Er ward ihrer
auch ehe nicht gewahr/ als biß Antonia die Mu-
rene mit dem Munde lockte/ und dieſe aus dem
Waſſer empor ſprang; worauf er mit einig
maͤſſiger Veraͤnderung gegen ihnen die gebuͤh-
rende Ehrerbietung bezeugte. Octavia fragte
ihn hierauf: Ob die Verwunderung oder die
Zuneigung zu dieſem Fiſche ihn ſo eingenom-
men/ und unempfindlich gemacht haͤtte? Mu-
raͤna antwortete: Es habe ihn zugleich beydes
uͤbermeiſtert; denn dem/ was eine ſo ſchoͤne Fuͤr-
ſtin liebte/ koͤnte man ohne ihre Beleidigung
nicht gram ſeyn; zu verwundern aber waͤre ſich
uͤber derſelben Leutſeligkeit/ daß ihre Gunſt auch
diß nicht verſchmaͤhete/ was von ihrer Wuͤrdig-
keit doch ſo weit entfernet waͤre. Antonia ver-
ſetzte mit einer freundlichen Geberdung: Jhrem
Urthel nach haͤtte er ſich ſo viel weniger uͤber ih-
rer/ als der alldar ſchwimmenden und ihr ſo lieb-
koſenden Murene zu verwundern/ ſo viel mehr
die Gewalt etwas zu erwehlen und zu un-
terſcheiden dem Menſchen fuͤr einem
unvernuͤnftigen Thiere zukaͤme. Muraͤna
begegnete ihr: Es waͤre aber dem natuͤrlichen
Triebe und der Vernunft/ derer erſteres die
Thiere ſo gut/ das andere aber in weniger Maaß
beſaͤſſen/ gemaͤß/ daß das unwuͤrdigere das wuͤr-
digere/ dieſes aber nicht eben jenes liebte. Bey-
des erhaͤrtete der Elefant zu Alexandria des
Ariſtophanes Nebenbuhler/ der dem von ihm
geliebten Maͤgdlein mit der Schnautze aufs
freundlichſte liebkoſete/ und ſie taͤglich mit Obſte
beſchenckte; der Drache/ welcher ein Etoliſches
Weib taͤglich beſuchte/ inbruͤnſtig umbhalſete/
und in die Ferne ihr nachzoh; der Stier/ welcher
in die Lauten - Schlaͤgerin Glauce/ und die
Gans/ die in Egypten in einen Knaben verliebt
war; ein Panter-Thier habe des Philinus Va-
ter alle Gewogenheit erzeiget; und ein Drache
den Thoas in Arcadien aus den Haͤnden der
Raͤubeꝛ errettet; eine Schlange in Egypten eines
ihreꝛ eigenen Jungen getoͤdtet/ weil es ihꝛes Wiꝛ-
thes Sohn umbgebracht; eine Woͤlffin habe den
Romulus und Remus/ eine Hindin den Cyrus/
viel
[387]Arminius und Thußnelda.
viel andere grauſame Thiere den vom Hiſpani-
ſchen Koͤnige Gargoris weggeworffenen Habis
geſaͤuget/ und die Bienen in Sicilien des Hiero-
clytus Auswuͤrffling Hiero geſpeiſet. Jnſon-
derheit aber waͤre nichts minder den Delfinen
und Murenen die Liebe gegen dem Menſchen/
als den Pfauen gegen die Tauben/ und den Tur-
tel-Tauben gegen die Papegoyen eingepflantzt.
Die Delfinen naͤhmen ſich ſo gar des menſchli-
chen Seufzens an/ ergetzten ſich uͤber ihrer
Stimme/ und kaͤmen den Schiffen entgegen ge-
ſchwommen. Ja ob ſchon die Beruͤhrung der
Erde ihr Tod waͤre; ſo folgten ſie doch ſo weit de-
nen lockenden Menſchen nach. Und alſo waͤre
einer auf dem trockenen Sande erblichen/ der
einen Knaben aus der Stadt Jaſſus/ Diony-
ſius genennt/ fuͤr Liebe nicht laſſen wollen/ wel-
chen hernach der groſſe Alexander zum Prieſter
des Neptunus beſtellet haͤtte. Bey eben dieſer
Stadt Jaſſus/ und bey Naupact habe ein Del-
fin ſich an dem flachen Ufer hingerichtet/ weil ſie
einen auf ihnen reitenden Knaben bey entſtande-
nem Ungewitter abfallen und ertrincken laſſen.
Und an dem nechſt angelegenen Lucriner-See
waͤre noch das von dem Kaͤyſer gebauete Be-
graͤbnuͤß eines fuͤr Sehnſucht entſeelten Delfins
zu ſehen/ der einen Knaben taͤglich von Bajaͤ
nach Puteoli und zuruͤcke geſchiffet/ nach des
Knabens Tode auch ſein ihm verdruͤßliches Le-
ben aufgegeben haͤtte. Aus den Murenen
haͤtten einige den Lucius Philippus/ den Horten-
ſius und Hircius hertzlich geliebet/ und ein denck-
wuͤrdiges Beyſpiel ſehe man alldar fuͤr Augen:
Alſo er glauben muͤſte/ daß wie die groͤſſeſten
Thiere/ als Elefanten und Cameele/ fuͤr dem
Menſchen Furcht truͤgen/ weil die Natur ihren
Augen die Eigenſchafft eines Vergroͤſſerung-
Glaſes eingeſetzt haͤtte/ wormit ſie uns fuͤr groͤſ-
ſer/ als wir wahrhaftig waͤren/ anſehen; alſo ha-
be ſie auch gewiſſen Thieren einen ſolchen gehei-
men Trieb/ wie das Eiſen gegen dem Magnet-
Steine oder die Sonnenwende gegen der Son-
ne hat/ eingepflantzt; hingegen aber waͤre an
Antonien als eine ungewoͤhnliche Ubermaaß ih-
rer Guͤte zu ruͤhmen/ daß ſie eine unwuͤrdige
Murene mit ihrer Gegen-Liebe eben ſo wie die
Sonne die ſuͤmpfichten Thaͤler mit ihren
Straalen beſeligte. Nach dem auch Antoni-
ens Leutſeligkeit ihren Augen keinen ſauern
Blick zu erlauben faͤhig ware; betrauerte er/
daß die Murene ihre groſſe Gluͤckſeligkeit nicht
genung erkennen koͤnte. Zumal wie ſonſt alle
Murenen vom Eſſig-Geſchmacke raſend/ alſo
dieſe Geliebte von einem einigen unholden
Straale verzweifelnd werden wuͤrde. Anto-
nia ſahe es dem Muraͤna an den Augen an/ daß
er einen Blick in die Heimligkeit ihres Hertzens
gethan hatte; und weil Octavia ſich mit dem
Mecenas gleich auf die Seite wendete/ warff ſie
auf ihn einen ſo anmuthigen Straal/ der ihm
durch Marck und Adern ging/ und vollends den
Nebel alles ſeinen Zweifels zu Boden druͤckte:
Dieſen begleitete ſie mit folgendem Jnnhalt:
Es haͤtten ja wohl ehe hohe Haͤupter an geringe-
ren Thieren/ denen ſie zu Ehren gantze Staͤdte
und praͤchtige Grabmahle gebauet/ Craſſus/
Hortenſius und Hircius an Murenen ſo gar
ihre Erluſtigung gehabt/ daß ſie ſelbte fuͤr un-
ſchaͤtzbar gehalten/ ja fuͤr ſie die Klage angelegt
haͤtten. Zu dem wuͤſte niemand als ſie von der
Wuͤrde ihrer vernuͤnftigen Murene zu urthei-
len. Uber dieſer Erklaͤrung hatte Muraͤna
noch theils ſeine Seufzer zu verdruͤcken/ theils
die Veraͤnderung ſeines Gemuͤthes und Geſich-
tes nicht mercklich zu machen; und daher ward
er genoͤthiget/ ſein Geſpraͤche mit Hoͤfligkeit ab-
zubrechen. Weil nun Octavia und Mecenas
mit einander in einen Luſtgang/ Antonia alleine
ſich in einen andern Weg ſchlugen/ erkieſete Mu-
raͤna/ welchen die der anfangenden Liebe ankle-
bende Furcht ſich Antonien beyzugeſellen nicht
erlaubte/ den drittern. Und als er einen Scheide-
Weg wahrnahm/ welchen Antonia nothwendig
treffen muſte; ſchrieb er mit dem Stabe daſelbſt
C c c 2in
[388]Vierdtes Buch
in Sand: Jch liebe. Nachdem nun die
ſcharffſichtige Liebe nicht leicht eine Spur uͤber-
ſihet; fiel dieſe kurtze Schrifft Antonien alſofort
in die Augen/ welche/ als ſie Octavien und den
Mecenas ihr von ferne folgen ſahe/ unter der an-
genommenen Betrachtung etlicher auslaͤndi-
ſer Gewaͤchſe die Schrifft hin und wieder treten-
de mit ihren Fußſtapfen ausleſchte; hiermit aber
die Liebe in dem Hertzen des hierauf merckenden
Murena zweyfach anzuͤndete. Octavia/ An-
tonia und Mecenas fuhren hierauf mit einan-
der auf das bey Baje auf einem Berge gelegene
Vorwerg des Kaͤyſers Julius/ das funfzehn
Ellen lange Marmel-Bild ſeines Schutz-Got-
tes zu ſchauen/ welches Auguſtus fuͤr etlichen
Tagen daſelbſt hatte aufrichten laſſen/ und in
kriegiſcher Geſtalt in der rechten Hand eine
Opfer-Schuͤſſel/ in der lincken ein Horn des
Uberfluſſes hielt; die Uberſchrifft war daran:
Dem Schutz-Gotte des Kaͤyſers Ju-
lius. Von dar verfuͤgten ſie ſich in das koſt-
bare Vorwerg des Marius/ allwo Mecenas
wegen daſelbſt in den warmen Baͤdern wieder
erlangter Geſundheit dem Eſculapius aus
Ertzt eine Saͤule aufrichten ließ. Jnzwiſchen
aber verfuͤgte ſich Lucius Murena nach Puteoli/
und ließ daſelbſt den Weiher der Antonia/ als
wenn er brennte/ und mit den Flammen die
darinnen ſpielende Murene uͤberſchuͤttete/ mit
in einander verſetzten vielfaͤrbichten Steinen ab-
bilden/ und in eine weiſſe Marmel-Taffel dar-
unter graben:
Dieſes Bild und Gemaͤhlde ſchickte er nach
ſeiner Verfertigung durch etliche unbekante Leu-
te zu oberwehntem Weiher/ und ließ/ unter dem
Vorwand/ daß es Antonia beſtellet haͤtte/
ſolches in dem daran ſtehenden Spatzier-Saale
aufſetzen. Wie nun Octavia/ Antonia und
Mecenas dahin zuruͤcke kamen/ fanden ſie dieſe
Neuerung/ und Antonia nicht ohne ſonderbare
Entſetzung. Jedoch weil ſie ihr leicht an den
Fingern ausrechnen konte/ woher dieſes Eben-
theuer kaͤme/ verſtellte ſie ſo viel moͤglich ihre
Gemuͤths-Veraͤnderung/ und gab auf Octa-
viens Befragung fuͤr: Sie haͤtte fuͤr etlicher
Zeit dieſe Reime in dem Saale gefunden/ und
weil ſie ſolche fuͤr des Virgilius Maro Gemaͤch-
te hielte; ſo haͤtte ſie ſo wohl ihm zu Ehren/ als
ihrer Murene zu Liebe/ das Bildnuͤß fertigen
laſſen. Sie konte ſich aber an dieſer Schrifft
nicht ſatt leſen/ und ie laͤnger ſie ſelbter nachdach-
te/ ie klaͤrer ſtellte ſelbte die heftige Liebe/ ja ſo gar
den darinnen deutlich ausgedruͤcktẽ Nahmẽ des
Lucius Murena fuͤr Augen. Ob nun wohl bey-
der Liebe taͤglich zunahm/ ſonderlich da dieſes
Feuer im Hertzen ſo feſte verſchloſſen blieb; ſo er-
eignete ſich doch keine ſichere Gelegenheit ſolche
gegeneinander auszulaſſen/ biß auf den anmu-
thigen April/ da bey Baulis das Feſt der Ve-
nus von dem Roͤmiſchen Frauenzimmer be-
gangen ward. Der Kaͤyſer Julius hat daſelbſt
der gebaͤhrenden Venus als der Mutter der
Julier einen ſo herrlichen Tempel/ als der zu
Rom iſt/ gebauet/ darinnen ihr ein Wagen uͤber
und uͤber mit Britanniſchen Perlen geſtuͤcket/
geweihet/ und darein ihr kuͤnſtliches vom Arche-
ſilaus gefertigtes Marmel-Bild/ welches zwey-
mal die Lebens-Groͤſſe uͤbertrifft/ und in der
rechten Hand eine Welt-Kugel/ in der lincken
drey
[389]Arminius und Thußnelda.
drey Pomerantzen-Aepfel haͤlt/ geſetzet. Alle
dahin kommende Frauen ſind aufs koͤſtlichſte
aufgeputzet/ tragen Kraͤntze von Myrten/ haben
einen Korb voller Roſen an der lincken Seite
hencken/ welche ſie in dem Tempel hin und wie-
der ausſtreuen. Wie nun Antonia ſich unter
ihnen gleicher geſtalt fand; bediente ſich Mure-
na der bey dieſem Feyer braͤuchigen Freyheit/
fuͤgte ſich Antonien an die Seite/ und legte dar-
ein einen Zettel/ mit Beyſatz dieſer Worte:
Goͤttliche Antonia/ verſchmaͤhe nicht dieſes
Zeugnuͤtz meiner unausleſchlichen Liebe. An-
tonia nahm des Zettels alſo fort wahr/ ſteckte
ihn alſo unvermerckt in den Buſem/ und ant-
wortete dem Murena mit einer liebreitzenden
Geberdung: Die Antwort wirſt du auf den
Abend fuͤr dem Tempel in dem Rachen des Me-
deiſchen Drachen finden. Murena war hier-
uͤber fuͤr Freuden faſt verzuͤcket; verfuͤgte ſich
alſo bey anbrechender Nacht zu der aus Ertzt
gegoſſenen und von zwey Drachen gezogenen
Medea/ die Kaͤyſer Julius von der Stadt Cy-
zicnum umb 1200000. Seſtercier gekaufft/ und
daſelbſt bey dem Brunnen des Cupido geſtanden
hatte/ welcher denen daraus trinckenden die Lie-
be vertreiben ſoll. Er fand auch an dem beſtim̃-
ten Ort einen Zettel/ und kehrte darmit mit
Freuden-Spruͤngen in ſein Gemach. Als er
ihn aber oͤffnete/ fand er dariñen folgende Zeilen:
Es iſt nicht ohne/ him̃liſche Julia/ daß der
Kaͤyſer und die Staats-Klugheit mir eine ande-
re annoͤthige/ und daß Antonia der Liebe nicht
unwuͤrdig ſey. Aber ſie urtheile: Ob die Wahl
nicht mehr meiner Seele und dem Verhaͤngnuͤſ-
ſe/ welche beyde ihr ihre Stimmen geben/ gebuͤh-
re? und ob die Vergnuͤgung frembder oder ſei-
ner eigenen Augen Beyfalle folge. Die gantze
Welt ſchaͤtzet uns vergebens gluͤckſelig/ weil wir
uns ſolches nicht ſelbſt uͤberreden koͤnnen/ und
das groͤſſere Licht verduͤſtert das kleinere. Da-
hero wird Druſus ſo lange Antonien nicht er-
wehlen/ ſo lange ihn Julia nicht verſtoͤſſet.
Murena war uͤber Leſung dieſer Zeilen an-
fangs hertzlich bekuͤmmert/ weil er nicht fand
was er geſuchet; dahero er bald unverwandten
Fuſſes zu der Medea kehrte/ aber yon Antonien
das wenigſte nicht antraff/ und deshalben ſich
mit zweifelhaften Gedancken ſchlug: Ob Anto-
nie ihrem Verſprechen nicht nachkommen/ oder
ihre Schrifft in eine frembde Hand verfallen
waͤre/ welches erſtere er/ wie ſehnlich er darnach
geſeufzet hatte/ nunmehro nicht geſchehen zu ſeyn
wuͤntſchte. Gleichwohl vergnuͤgte ihn uͤberaus:
daß er hinter die geheime Liebe des Druſus und
Juliens des Kaͤyſers Auguſtus Tochter/ und des
Vipſanius Agrippa Wittib/ kommen war/ und
hierdurch Antonien ſo viel mehr vom Druſus zu
entfrembden verhoffte. Dieſemnach ſchrieb er
alſofort einen andern Zettel/ in Hoffnung/ daß
ſich ſolchen Antonien zu zubringen Gelegenheit
ereignen wuͤrde. Der Jnnhalt war:
Wo nicht ein Zufall der Goͤttlichen Antonie
Hand in frembde Haͤnde geliefert/ oder meine
Unwuͤrdigkeit die Zuruͤckziehung ihres Ver-
ſprechens verurſacht hat; muß die zauberiſche
Medea ſelbte in die Beylage verwandelt/ oder
der Himmel durch Entdeckung ſolchen Geheim-
nuͤſſes die Untreu des Druſus entdeckt haben.
Die Goͤtter/ welche den unter der Schein-Liebe
verkleideten Betrug ſo wunderlich aus Licht
bringen/ wollen die Augen der unver gleichlichen
Antonie eroͤffnen/ daß ſie dem moͤge ins Hertze
ſehen/ der ſie biß in Tod lieben/ ja ſolch ſein Ein-
aͤſchern mit Vergnuͤgung erdulden wird.
Es war bey nahe Mitternacht/ als er dieſen
Zettel geſchrieben hatte/ und ſich an das Geſtade
des Lucriniſchen See-Buſens verfuͤgte/ umb
Puteoli uͤberzufahren; weil auf den Morgen
der vom Calpurnius dem Kaͤyſer Auguſtus zu
Ehren gebaute und mit hundert Corinthiſchen
Saͤulen gezierte Tempel eingeweihet werden
ſolte. Die See war bey groſſem Zulauffe des
Roͤmiſchen Volckes/ und Anweſenheit des Kaͤy-
ſers mit etlich hundert hin und wieder fahrenden
C c c 3Schiffen
[390]Vierdtes Buch
Schiffen bedecket/ der Himmel aber von
dem hellen Lichte des Vollmonds erleuchtet.
Muraͤna war nicht weit vom Ufer abgefahren/
als eine von dem Berge Veſuvius auffſteigen-
de ſchwartze Wolcke den Monden umhuͤllete/
die Lufft ſtockfinſter machte/ und einen harten
Sturm erregte; alſo/ daß die Schiffleute nicht
ſo geſchwinde die Segel einziehen konten/ als
von dieſem groͤſſern Schiffe ein anders uͤberſe-
gelt und umgeſtuͤrtzt ward. Bey ſolchem Un-
gluͤcke vernahm der oben auff dem Bodeme des
Schiffes ſtehende Muraͤna unter andern Ge-
ſchrey eine klaͤgliche Weibs-Stimme/ welche
rieff: Ach! Antonia! Dieſes Wort brachte al-
ſofort den Muraͤna in die verzweiffelte Ent-
ſchluͤſſung/ daß er in die See ſprang/ der geſchei-
terten Antonia beyzuſpringen. Der Himmel
ſelbſt ſchiene dieſem ruͤhmlichen Vorſatze die
Hand zu reichen/ als welcher ſich faſt ſelbigen
Augenblick ausleuterte; Und das Monden-
Licht ließ ihn faſt alle in der See ſchwimmende
Menſchen unterſcheiden. Hiermit ergriff er
mit iedem Arme ein Frauenzimmer/ und durch
ſeine Geſchickligkeit lendete er mit beyden an ſei-
nem nunmehr nach abgeworffenen Segeln ſtill-
ſtehenden Schiffe an. Die Boots-Leute half-
fen auch/ daß ſo wohl beyde auffgefiſchten Frau-
enzim̃er als Muraͤna ins Schiff gezohenwurdẽ.
Jene erkennte man alſobald fuͤr Octavien und
Antonien; woruͤber Muraͤna ſo verwirret war/
daß er nicht wuſte/ ob er ſich uͤber ſeiner Huͤlffe
erfreuen/ oder/ weil beyde mehr todt als lebendig
ſchienen/ uͤbeꝛ ſolchem Hertzeleide zu tode graͤmen
ſolte. Nachdem man ſie aber vorwerts legte/
wormit das Waſſer ihnen aus dem Munde
wieder abſchieſſen konte/ ihnen auch mit Erwaͤr-
mung und kraͤfftigen Labſalen beyſprang/ erhol-
te ſich anfangs Antonia/ und hernach auch ih-
re Mutter. Jnzwiſchen laͤndeten ſie zu Puteo-
li an/ allwo dieſer Zufall die Nacht mit Fleiß
verſchwiegen gehalten ward/ wormit weder der
Kaͤyſer erſchrecket/ noch dieſer zweyer noch mat-
ten Frauenzimmer noͤthige Ruh verſtoͤret wuͤr-
de. Wie nun aber fruͤh ſich eine unglaubliche
Menge Volcks bey Einweihung des Tempels
einfand/ ward alſofort ruchtbar: wie die in
die See geſtuͤrtzte Octavia und Antonia vom
Muraͤna waͤre errettet worden? Dahero ſuch-
te nach vollbrachter Einſegnung der Kaͤyſer mit
der Livia beyde heim/ ließ auch den Muraͤna da-
hin holen/ und bezeugte gegen die Schiffbruch
leidenden uͤber ihrer Erhaltung groſſe Freude/
gegen dem Muraͤna aber groſſe Verbindlig-
keit. Livia ſchertzte auch hierbey: weil Antonie
zeither einer Murene ſo viel Annehmligkeit er-
wieſen/ haͤtten die Goͤtter ſie billich durch Mu-
raͤnen aus dem Rachen des Todes geriſſen.
Octavia/ welche allererſt ſpaͤt erfuhr/ wer ihrer
beyder Lebens-Erhalter geweſt waͤre/ wuſte mit
Worten gegen ihm ihre Danckbarkeit nicht
auszudruͤcken/ Antonia aber muſte ihre Em-
pfindligkeit mehr verſtellen/ und ihre Schul-
digkeit nur durch einen und andern annehmli-
chen Blick oder Seuffzer zu verſtehen geben.
Nach dem Abſchiede des Kaͤyſers und der Kaͤy-
ſerin nahm Muraͤna die Gelegenheit wahr/ An-
tonien das uͤberkommene Schreiben des Dru-
ſus/ und das ſeinige unvermerckt zuzuſtecken.
Als dieſer nun aber ebenfalls zuruͤck kehren
wolte/ ſtieg die liebreitzende Julia an der Pforte
des Hauſes gleich vom Wagen um Antonien
zu beſuchen. Dieſe redete den Muraͤna laͤ-
chelnde an: Es haͤtte die Goͤttin Diana/ wel-
cher Stelle ſie unter der Zahl der zwoͤlff Goͤt-
ter bey Einweihung des neuen Tempels und
Auffnehmung des Auguſtus vertreten hatte/
ihr ihm etwas zuzuſtellen anvertrauet; reichte
ihm hiermit einen Zettel/ darinnen er dieſe
Worte fand:
Nachdem es ſich nicht geziemet denen Ur-
theln der Natur zu widerſtreben/ welche mit ih-
rer Klugheit alle unſere Spitzfindigkeit uͤber-
trifft; ſo mag ich laͤnger nicht laͤugnen/ daß ich
den Muraͤna mehr/ als ſeinen Nebenbuhler/
ja/
[391]Arminius und Thußnelde.
ja hertzlicher als mich ſelbſt liebe/ und daß ſeine
Befehle hinfort werden meine Richtſchnur
ſeyn. Mir iſt die Eigenſchafft des verliebten
Frauenzim̃ers wohl bekannt/ daß ſie ihren Lieb-
habern ihr Hertz verſchluͤſſen/ und ſie zwiſchen
Thuͤr und Angel der Furcht und Hoffnung
zu halten pflegen. Solche Unempfindligkeit
aber iſt eine Tochter der Grauſamkeit. Daher
ſoll man ſeine Liebhaber entweder bald ver-
werffen/ oder ſeine Bedienung ihm nicht un-
ertraͤglich machen.
Muraͤna/ ob er wohl die Handſchrifft Anto-
niens nicht kannte/ zweiffelte an nichts weni-
gern/ als/ daß dieſer Zettel (als welchen Julia
vielleicht nicht/ von wem er kaͤme/ verſtanden/
oder aus Hoͤffligkeit und wegen der am Dru-
ſus habenden Vergnuͤgung ihr zugeſtellet haͤt-
te) die Antwort Antoniens/ und unter dem Ne-
benbuhler niemand als Druſus verſtanden waͤ-
re; zumahl ſolche ſich ſo wohl auff ſeine Zuſchrifft
ſchickte/ die er Antonien in Korb geworffen hatte.
Muraͤna und die andern Beſucher waren
von Antonien kaum aus dem Zimmer kom-
men/ als ſie Murenens Schreiben mit hoͤch-
ſter Vergnuͤgung/ des Druſus aber mit ſolcher
Verwunderung durchlaß/ daß ſie der eintreten-
den Julia nicht einſt inne ward. Weil nun Ju-
lia nicht allein mit Antonien in groſſer Vertrau-
ligkeit lebte/ ſondern ſie auch eines uͤberaus frey-
en Gemuͤthes/ und allen Vorwitz mit ihrer
Annehmligkeit zu verhuͤllen geſchickt war/ frag-
te dieſe ſie unvermuthet: was ihr Druſus/ fuͤr
deſſen Hand ſie ſolches anſehe/ fuͤr annehmli-
che Empfehlung zugeſchrieben haͤtte? Antonia
war hieruͤber entroͤthet/ verſetzte aber alſofort:
Gewißlich/ ſie iſt von ſolcher Beſchaffenheit/
daß ſich Julia daruͤber nicht wenig zu erfreu-
en hat. Jn alle wege/ antwortete Julia/ weil
Antonie wohl weiß/ daß ich als eine einſame
Wittib einiger Erfreuungen wohl von noͤthen/
ſonſt aber auch Theil an aller ihrer Vergnuͤ-
gung habe. Antonie begegnete ihr: Aber Ju-
lia wird mir noch mehr dancken/ daß ich keines
an gegenwaͤrtiger hoffen darff. Hiermit reich-
te ſie der Julia des Druſus Brieff. Dieſe laß
ihn ohne alle Veraͤnderung durch/ und fing hier-
auff zu Antonien an: Sie erkennte fuͤr eine
ſonderbare Vertraͤuligkeit/ daß ſie ihr dieſes
Schreiben nicht hinterhalten wollen. Alleine
ſie doͤrffte ſich uͤber des Druſus vorhin bekand-
te Liebes-Erklaͤrung ſo wenig verwundern/
als Antonia mit ihr eifern/ ſintemahl ihr un-
verborgen waͤre/ daß nicht Druſus/ ſondern die
leuchtende Muraͤne ihr Hertz beherrſchete. An-
tonia thaͤt/ als wenn ſie es von ihrem Fiſche ver-
ſtuͤnde; antwortete dieſemnach: Jn alle wege;
und/ weil ſich niemand vielleicht ſo ſehr in einen
Fiſch verlieben wird/ habe ich mich noch weni-
ger fuͤr Eiferſucht zu beſorgen. Julia laͤchel-
te/ und hob an: Jch beſorge/ der Kaͤyſer/ dem
Calpurnius heute den Tempel eingeweihet/
doͤrffte mit ihr eiffern. Denn Antonia habe
fuͤr Errettung ihres Lebens dieſen Fiſch mehr
zu vergoͤttern Urſache/ als die Egyptier ihren
Oxirinchus/ oder Calpurnius den Kaͤyſer. An-
tonia faͤrbte ſich uͤber dieſer Auslegung/ und
ſahe wohl/ daß ihre Heimligkeit verrathen war/
redete daher Julien an: Sie moͤchte ihr doch
nicht verſchweigen/ welcher geſtalt ſie ihr in das
innerſte ihres Hertzens geſehen haͤtte. Julia ver-
ſetzte alſofort: Mir hat es die Zauberin Medea
entdecket; zohe auch hiermit Antoniens eigenes
Schreiben heraus/ dieſes Jnhalts:
Jch bin zu ohnmaͤchtig dem Verhaͤngnuͤſſe
und dem himmliſchen Triebe meiner Seele laͤn-
ger zu widerſtreben. Deine Tugend hat mei-
ner Freyheit obgeſiegt/ und ich geſtehe/ daß
meine Lucriniſche Murene nur das Vorbild
derſelben ſey/ die mein Hertze an dir zeitlicher
in geheim angebetet hat. Aber laſſe dir zu
deiner Vorſicht dienen/ daß unſere Flammen
ſo tieffer im Hertzen/ als das ewige Feuer in
Todten-Grufften verſchloſſen bleiben muͤſſen/
da ſie nicht verleſchen ſollen.
Antonia/ als ſie ſich durch ihre Handſchrifft
uͤberzeuget ſahe/ und nunmehr wahrnahm/ daß
ihre Zettel und des Druſus Schreiben mit ein-
ander verwechſelt worden waren/ meinte ſie
durch voͤllige Ausſchuͤttung ihres Hertzens Ju-
liens Gemuͤthe/ als welches ſie ohne diß dem
Druſus verknuͤpfft zu ſeyn hielt/ ſo viel mehr zu
gewinnen. Alſo ließ ſie ſich heraus: Sie em-
pfinde zwar in ihrer Seele die unergruͤndliche
Leitung der Goͤtter zu dem Murena/ und das
Verhaͤngnis haͤtte es nicht umſonſt geſchicket/
daß ſie dem/ den ſie vor ſo inbruͤnſtig geliebet/
noch die Erhaltung ihres Lebens dancken/ und
alſo auch das Ungluͤcke ein Band zu Befeſti-
gung ihrer Liebe weben muͤſte; ſie erkennte auch
fuͤr eine guͤtige Schickung des Himmels/ daß
Druſus/ welchen die Menſchen ihr ſonſt zuei-
gneten/ eine Abneigung fuͤr ihr/ und ſein Hertze
ihrer ſo lieben Freundin gewiedmet haͤtte/ ge-
gen welcher ſie ſeinethalber zu eyfern ihr nie-
mahls wuͤrde in Sinn kommen laſſen/ weil ſie
wohl wuͤſte/ daß die Natur zum Hohne der Lie-
bes-Goͤttin Julien zu einer Gebieterin uͤber al-
ler Maͤnner Hertzen gemacht/ und die Macht
alle Seelen zu bezaubern/ iedoch auch die Guͤ-
tigkeit iederman wohlzuthun verliehen haͤtte.
Dieſes letztere erwartete ſie mit Ertheilung ei-
nes heilſamen Rathes/ nachdem es ſo groſſer
Behutſamkeit ihre Liebe fuͤr der auffſichtigen O-
ctavie zu verbergen/ kluger Anſtalt der Livia
Abſehen zu unterbrechen doͤrffen wuͤrde/ weß-
wegen ſie in tauſenderley Kummer ſtuͤnde/ und
nicht mehr als eine viertel-Sunde den Murena
in einer geheimen Unterredung fuͤr allerhand
Gefaͤhrligkeiten zu verwarnigen wuͤnſchte. Ju-
lia nahm Antoniens Offenhertzigkeit fuͤr ei-
ne neue Verbindligkeit auff; haͤndigte gegen
Empfang des von Druſus an ſie gerichteten
Schreibens Antonien das ihrige ein/ und ſprach
ihr mit einer ſonderbaren Freudigkeit zu/
ſie moͤchte ihr hieruͤber keinen Kummer ma-
chen/ ſondern ſich ihr vertrauen/ ſo wolte ſie
folgenden Tag ſich mit dem Muraͤna zu un-
terreden ihr eine ſonſt iederman verſchloſſene
auch unerforſchliche Pforte eroͤffnen. Es waͤ-
ren ja Antonien ſo wohl der deutſchen Bot-
ſchafft zu Ehren vom Kaͤyſer gemachte Anſtalt
zu den Schau-Spielen/ als die Beſchaffenheit
des groſſen Schauplatzes zu Puteoli unver-
borgen/ welchen der Kaͤyſer wegen des eins-
mahls vom Poͤfel beſchimpfften Rathherrn/
dem niemand keinen Raum gemacht/ deroge-
ſtalt gebauet haͤtte/ daß wie iede Perſon von
hoher Ankunfft/ alſo auch ſie beyde ihren ei-
genen abgeſonderten Platz und Eingang
von auſſen/ die Sitze ihrer Fenſter und Fuͤr-
haͤnge/ ja unten vielfaͤltige verborgene Zimmer
und Gemaͤcher haͤtten. Wenn nun das Frau-
enzimmer bey Aufftretung der nackten Fechter
und Ringer/ da es ohne diß ſchon insgemein
duͤſtern wuͤrde/ ſich zuruͤck zu ziehen pflegte/ wol-
te ſie mit ihrer Erlaubnuͤs durch ihre vertrau-
te Leute ſchon die Anſtalt machen/ daß Antonia
in den untern verhangenen Zimmern ihren
liebſten Murena vertraͤulich wuͤrde ſprechen/
und ohne einigen Verdacht von ſich laſſen koͤn-
nen. Die treuhertzige Antonie umarmte Ju-
lien und ſtellte ihr frey alles nach ihrem Gut-
befinden einzurichten/ mit Bitte/ daß ſie ſelbſt
auch von ihnen unentfernet ſeyn wolte. Julia
fuhr mit tauſend Freuden von Antonien; ſchick-
te auch noch ſelbigen Abend durch einen ihrer
Edelknaben an Murena dieſen Zettel:
Nach dem ſeine Getreue ſich mit ihm/ vol-
kommenſter Murena/ wegen wichtiger An-
gelegenheiten zu bereden hat/ beliebe er morgen
bey angehendem Ringen ſich durch meinen Ein-
gang in das untere Zimmer des Schaupla-
tzes zu verfuͤgen/ welches er fuͤr ſich nicht we-
niger/ als das innerſte meines ihm gewiedme-
ten Hertzens offen finden wird.
Dem Druſus ſchickte Julia in ihrem eige-
nen Nahmen einen Zettel eben dieſes Jnn-
halts. Folgenden Tages drang ſich alles
Volck/
[393]Arminius und Thußnelda.
Volck/ was nur zu Puteoli war/ in den
Schau-Platz/ alſo/ daß alle Straſſen gantz
einſam blieben. Julia foderte auch ſelbſt An-
tonien ab/ und wormit der gemachte Anſchlag
ihr ſo viel weniger Verdacht verurſachen koͤn-
te/ wenn ja iemand die Enlaſſung des Mure-
na wahrnehme/ erbot ſie ſich mit ihr die Stel-
len im Schau-Platze zu verwechſeln. Es
dienet hieher nicht/ ſagte Adgandeſter/ die
trefflichen Schauſpiele zu erzehlen; diß aber
kan ich gleichwohl nicht verſchweigen/ daß Her-
tzog Segimers Geſandter der Ritter von der
Lippe damahls zwey wilde Ochſen mit einem
Spieße von ſeinem Sitze herunter auff einen
Wurff getoͤdtet habe. Ungeachtet dieſer und
anderer vergnuͤgender Begebniſſe/ machte doch
die Gemuͤths-Unruhe der verliebten Julia und
Antonia nicht allein die luſtigen Schau-Spie-
le/ ſondern auch die annehmliche Geſellſchafft
mehr vergnuͤgt/ als die ſonſt traurige Einſam-
keit verdruͤßlich. Das Verlangen machte ihnen
ieden Augenblick zum Jahre/ und das offtere
Auff- und zuziehen der goldgewuͤrckten Fuͤr-
haͤnge verrieth gleichſam ihre Ungedult. So
bald nun das Ringen angehen ſolte/ trat An-
tonia von ihrem Fenſter wie andere Frauen-
zimmer ab/ fuͤgte ſich/ der Julien Abrede nach/
ins untere Gemach/ allwo ſie bey ſchon tun-
ckelem Abende von ihrem eingebildeten Mu-
rena auffs freundlichſte bewillkommet und um-
armet ward. Die Liebe/ welche in ſolchen
Begebenheiten eine ſtumme Rednerin iſt/ und
daß beyde ohne diß laut zu ſeyn wegen der
nahe daran ſtoſſenden fremden Zimmer nicht
fuͤr rathſam achteten/ verurſachte/ daß dieſer
zweyer gehender Liebhaber Jrrthum/ oder viel-
mehr Juliens Argliſt laͤnger als eine Viertel-
ſtunde verborgen blieb. Ja die keuſcheſte Anto-
nia ward nach Genieſſung unterſchiedener
Kuͤſſe endlich uͤberwunden/ daß ſie dem/ wel-
chem ſie ſich bereit ſelbſt gewiedmet hatte/ auch
einen Kuß zu geben unterwand/ mit beyge-
fuͤgten Worten: Erkenne hieraus/ liebſter Mu-
rena/ zu was fuͤr kuͤhner Entſchluͤſſung mich die
Hefftigkeit meiner Liebe verleitet. Uber die-
ſen Worten vernahm ſie einen tieffen Seuffzer/
und fuͤhlte/ daß der ſie bißher Umfaſſende die
Armen ſincken ließ. Antonien kam dieſe Ent-
euſſerung ſeltzam und verdaͤchtig fuͤr; alſo ſtrich
ſie den Fuͤrhang/ der fuͤr einer in der Mauer ver-
tiefften Ampel hieng/ auff die Seite/ welches
Licht ihr den leibhafften Druſus fuͤr Augen ſtell-
te/ beyde aber in ungemeine Beſtuͤrtzung ſetzte.
Nach dem ſie eine gute Weile wie Marmelbil-
der gegen einander geſtanden/ erholte ſich end-
lich Antonia/ und fing an: Gehe hin Druſus/
ich glaube/ daß du/ wie ich/ nicht aus Vorſatz/
ſondern aus Jrrthum geſuͤndiget haſt; Glau-
be aber/ wo du der Unſchuld kein Laſter auff-
buͤrden wilſt/ daß auſſer dir kein Menſch ie
Antonien gekuͤſſet habe/ oder ihr lebtage mehr
kuͤſſen werde. Sey auch vergewiſſert/ daß
meine Seele niemahls uͤber deiner Kaltſinnig-
keit empfindlich/ noch gegen der goͤttlichen Ju-
lie eiffernd ſeyn wird. Denn da der Himmel
zweyerley Einfluͤſſe vertraͤgt/ und ein Stern
verliebt/ der andere abgeneigt macht; habe ich
nicht Urſache mich zu verwundern/ daß er wie
der Magnet zweyerley Ertzt; alſo Druſus An-
tonien verwirfft/ und Julien erwehlet. Ja wenn
dieſe zu lieben ein Laſter waͤre/ wuͤrde der Hoff
gantz Rom verjagen/ und ſich ſelbſt zur Wuͤſte-
ney machen muͤſſen. Weil ſich dieſes allhier
begab/ umhalſete Muraͤna in einem andern fin-
ſtern Zimmer Julien/ und ſie ihn mit einer ſol-
chen Empfindligkeit/ als eine ſo hefftige Liebe
verurſachen kan. Sie beantwortete des Mu-
raͤna endliche Anredungen mit nichts als ver-
liebten Seuffzern/ und ſtillſchweigenden Kuͤſ-
ſen. Wie nun aber eine ziemliche Zeit vor-
bey gegangen war/ hob Muraͤna endlich
an: Hat dich denn/ liebſte Antonie/ deine Lie-
be gantz ſtumm gemacht? und vermag ſie mir die
angedeuteten wichtigen Angelegenheiten nicht
Erſter Theil. D d dfuͤr-
[394]Vierdtes Buch
fuͤrzutragen? Julia fing nach einem tieffen
Seuffzer an: Wundere dich nicht/ Muraͤna/
daß die/ welche dich hundert mahl bruͤnſtiger
als Antonie liebet/ daß die/ derer gantze Seele in
dir lebet/ kein Wort auffbringen koͤnne. Mu-
raͤna vernahm mit hoͤchſter Beſtuͤrtzung/ wie
er verfuͤhret ſey/ zohe damit den Vorhang e-
benfalls weg/ und ſahe/ die fuͤr Begierde glaͤn-
tzende Julia vor ſich ſtehen; fragte hierauff mit
etlichmaßiger Entruͤſtung: wie ſie darzu kaͤme/
daß ſie ſich an derſelben Platz und Recht ſtelle-
te/ die ihn dahin beruffen haͤtte? Julia ant-
wortete fuͤr ihm auff die Knie ſinckende: Aller-
liebſter Muraͤna/ uͤbe deinen Zorn uͤber die zu
deiner Vergnuͤgung aus/ die ſonſt nichts geſuͤn-
diget hat/ als daß ſie ihre Seele dir ſelbſt auff
dem Feuer der euſſerſten Liebe auffopffert; denn
dieſe nimmt auch Wunden fuͤr Liebeskoſungen
auff. Glaube aber/ daß du hier eben dieſe fin-
deſt/ die dich hieher beruffen hat. Ach Mu-
raͤna! Zuͤrneſtu mit mir/ daß mein Geburts-
Geſtirne alle Regungen in mir nach dem Ein-
fluſſe deiner Vollkommenheit erweckt? Fuͤrch-
teſtu nicht/ daß die Liebe mit groͤſſerer Grau-
ſamkeit ihre Verachtung raͤchet/ als ſonſt ihre
Kraͤffte ſind? Ach Muraͤna! bey dir ſtehet es ja
wohl/ daß du mich verſchmaͤheſt; aber ſo wenig
es in meiner Gewalt beruhet/ dich nicht zu lie-
ben/ ſo wenig kan auch deine Gramſchafft es
verhindern. Mit dieſen Worten umarmte ſie
auffs neue Muraͤnen/ der ihr aber einbrach:
Wenn du mich liebteſt/ wuͤrdeſt du mich nicht in
Untreu zu ſtuͤrtzen trachten; und wenn du dir
nicht ſelbſt unhold waͤreſt/ wuͤrdeſtu deine Ver-
gnuͤgung nicht in der Unmoͤgligkeit ſuchen. Die
Liebe iſt derſelbe Vogel/ welcher nicht als von ſei-
nes gleichen gefangen werden kan/ nehmlich der
Gegenliebe/ welcher du nicht faͤhig werden
kanſt/ weil ſie einer andern verpfaͤndet iſt. Ju-
lia verſetzte: Jſt Antoniens Liebe mir zuvor
kommen in der Zeit/ ſo uͤberwiegt ſie meine im
Gewichte/ und iſt gegen meiner kalt Waſſer.
Hat Antonie ehe geliebt/ ſo liebe ich hefftiger.
Ach Muraͤna! meineſtu/ daß uns die Goͤtter
hier vergebens zuſammen gebracht? meineſtu/
daß der Kaͤyſer und Octavia nicht fuͤrlaͤngſt
Antonien dem Druſus verlobet? Und wer
weiß/ ob du nicht noch heute erfaͤhreſt/ daß An-
tonia den Druſus eher als dich umarmet ha-
be? Argliſt wird ſicher nicht beſſer verbergt/ als
unter dem Fuͤrhange der Einfalt; und die Ein-
bildung ſetzet die Falſchheit bey uns mehrmahls
in ſolch Anſehen/ daß man ſich auch mit offenen
Augen verblaͤnden laͤſt. Was am wenigſten
vermuthet wird/ verleitet uns am geſchwinde-
ſten. Ach Muraͤna! Hiermit erblaßte Julia;
und ſie waͤre ohnmaͤchtig zu Bodem geſuncken/
wenn ſie nicht Muraͤna erwiſcht/ und mit Bal-
ſamen erqvicket haͤtte. Wie er ſie ſich aber
wieder erholen ſahe/ hob er an: Julia uͤberwinde
dich/ ſchone meiner/ hoffe auff die Zeit/ vertraue
den Goͤttern/ und gedencke/ daß die Wunden
der Liebe nicht alle mit dem Eiſen geheilet wer-
den/ das ſie zum erſten gemacht hat. Und hier-
mit trat er nicht weniger verwirret aus ihrem
Zimmer und dem Schau-Platze/ als er Julien
beſtuͤrtzt ſitzen ließ.
Jch laſſe euch nachdencken/ in was fuͤr Wel-
len das Hertze Muraͤnens uͤber ſo ſeltzamen Zu-
falle gewallet haben muͤſſe. Aber es war hier-
mit bey weitem nicht ausgemacht. Denn als
er aus dem Schau-Platze ſchriet/ trat Antonie
gleich auff ihre Saͤnffte; und ob er ihr gleich
ins Geſichte fiel/ ſchlug ſie doch augenblicks
das Antlitz von ihm weg/ zohe auch uͤberdiß die
Fuͤrhaͤnge fuͤr/ daß er ſie darinnen nicht ſehen
konte. Wie er auch zu Hauſe etliche Stun-
den ſeinem Kummer nachgehangen hatte/ a-
ber weder ſein Elend uͤberſehen/ noch ſelbtem
abhelffen konte/ ward bey ihm ein Freygelaſſe-
ner angeſagt/ der ihn ſelbſt in Perſon ſprechen
wolte. Dieſer uͤbergab ohne einiges Wort
dem Muraͤna ein Schreiben/ kehrte auch
unverwandten Fußes zuruͤck. Muraͤna oͤff-
nete
[395]Arminius und Thußnelda.
nete es alſobald/ und laaß darinnen nachfol-
gendes:
Unſere Liebe hat entweder eine ſeltzame Schi-
ckung der Goͤtter/ oder eine Boßheit der Men-
ſchen entzwey geriſſen. Ja/ was noch aͤrger/
Antonia hat ſich beflecket/ alſo/ daß Muraͤna
mit ihr mehr keine Gemeinſchafft haben kan.
Deñ die einen fremden kuͤſſet/ iſt nicht faͤhig von
einer ſo reinen Seele mehr Liebe zu genieſſen.
Heuchele mir nicht/ daß ich unſchuldig ſey. Die
Hermelinen ſeuffzen nach ihrem Tode/ wenn
ſie auch wider Willen ſich beſudeln; Und nach
dem die Vorſicht ein hundertaͤugichter Waͤch-
ter der Keuſchheit ſeyn ſolte/ iſt der bloße Jrr-
thum bey dem Urthel-Tiſche der Liebe verdam̃-
lich/ und der von fremder Verleitung herruͤh-
rende Fehler unausleſchlich. Vergnuͤge dich
daran/ daß ſie dich gelieber/ ſo lange es die Tu-
gend verſtattet/ und daß ſie dich fuͤr dem er-
kieſet/ den ihr die Ehrſucht fuͤrſchlug. Muthe
mir aber dißfals ferner nichts zu/ wormit weder
Antonia nach verletzter Liebe auch die Hoͤfflig-
keit beleidigen/ noch Muraͤna an vergebener
Hoffnung Schiffbruch leiden/ und mit Unge-
dult ſich anderwaͤrtiger Begluͤckſeligkeit un-
wuͤrdig machen muͤſte.
Muraͤna gerieth uͤber dieſem Abſagungs-
Brieffe Antoniens in halbe Verzweiffelung/
nach etlichen ohne Troſt in tieffer Einſamkeit
hingelegten Tagen und ohne Schlaff verlohr-
nen Naͤchten erkuͤhnte er ſich bey Hofe einzufin-
den/ um noch etwan aus Antoniens Antlitze/
nicht anders als aus ſeinem Geburts-Geſtirne
ſeine Erhaltung oder Untergang zu erkieſen. A-
ber da ging der Welt wohl dreymahl ihre/ dem
Muraͤna aber niemahls ſeine Sonne auff/ und
es war von der ſonſt nicht ſo einſamen Antonia
kein Schatten zu ſehen/ biß daß der Kaͤyſer und
der gantze Hoff nach Rom auffbrach/ und er An-
tonien von dem Druſus an der Hand ins Schiff
begleiten/ fuͤr ihm ſelbſt auch nicht undeutlich die
Augen niederſchlagen ſahe. Muraͤnen haͤtte
hieruͤber das Hertze zerſpringen moͤgen/ und er
ward genoͤthiget um ſeine Schwachheit nicht zu
zeigen/ ſich aus dem Geſichte des Volckes zu ent-
ziehen/ ja er verlohr ſich auch endlich gar fuͤr al-
ler Roͤmer Augen.
Unterdeſſen aber ſann Julia/ ihren Ausſchlag
in Rom vollends auszufuͤhren/ nach; worzu ihr
denn die Natur genugſamen Witz/ ihre hefftige
Liebe mehr deñ zu viel Kuͤhnheit/ ihre ausbuͤndi-
ge Schoͤnheit und Anmuth/ darmit ſie ſonſt/ wen
ſie nur wolte/ bezauberte/ ſatſame Gelegenheit
verliehe; Weil ſie aber gleichwohl Muraͤnens
Meiſter zu werden nicht getrauete/ ſo lange An-
tonia entweder bey Leben/ oder in der Freyheit
Muraͤnen zu lieben gelaſſen wuͤrde/ ihr auch ſo
wohl die Herrſchſucht Liviens/ als ihr Abſehen/
daß Druſus Antonien heyrathen ſolte/ unver-
borgen war; ließ ſie einmahls/ als ſie aus Livi-
ens Zimmer ging/ gleich als wenn ſie ſolches un-
gefehr heraus zoͤge/ das vom Druſus an ſie ab-
gelaſſene Schreiben fallen. Die voꝛwitzige Livia/
die ohne diß auff der wolluͤſtigen Julia Buhle-
reyen fleißige Kundſchafft legte/ nahm ſolches
zwar wahr/ verſchwieg es aber/ und hob ſelbtes/
als Julia ſchon weg war/ begierig auff. Sie
hatte aber kaum mit euſſerſter Gemuͤths-Ver-
aͤnderung ihres Sohnes eigene Handſchrifft/
und daraus ſo wol ſeine gegen Julien ausgelaſ-
ſene Liebe/ als die Abneigung gegen der in ihren
Augen allzu liebenswuͤrdigen Antonia wahr-
genommen; Als ſie dem Kaͤyſer des Druſus
Beginnen fuͤrtrug. Die vorhin zwiſchen bey-
den getroffene Abrede/ und daß ſie allerdin-
ges den Kaͤyſer in Haͤnden hatte/ brachte un-
ſchwer zu wege/ daß Auguſtus mit eigener Hand
Livien auff ein Papier ſchrieb: Es iſt mein ge-
meſſener Wille/ daß Druſus ſich alſofort an
Antonien vermaͤhlen ſoll/ weil es zu Befeſti-
gung des Reichs/ zum Auffnehmen unſers Hau-
ſes/ und beyder ſelbſt eigenem Wohlſtande gerei-
chet. Denn die kluge Livia meinte/ der dem Kaͤy-
ſer ohne diß in der Schooß ſitzende Druſus habe
D d d 2nicht
[396]Vierdtes Buch
nicht noͤthig ſeine Hoffnung zum Kaͤyſerthume
durch Heyrathung der Julia zu befeſtigen.
Weil aber es gefaͤhrlich ſchien/ ſo ein groſſes
Abſehn nur auff zwey leicht verfallende Au-
gen zu ſtellen/ wolte ſie ihrem andern Sohne dem
Tiberius gleichfals ans Bret helffen/ und alſo
arbeitete ſie an einer Vermaͤhlung des Tiberius
mit Julien. Livia machte ihr folgenden Tag
eine Luſt-Reiſe auf des Kaͤyſers Vorwerg/ wel-
ches zwiſchen dem Ariciniſchen Walde/ und dem
See/ den man den Spiegel Dianens nennet/
gelegen iſt; nahm dahin aber niemanden als ih-
ren Sohn den Druſus/ und Octavien nebſt An-
tonien zu ſich. Des Morgens war ſie unter
dem Scheine der Andacht gar fruͤh auf/ und die
gantze Geſellſchafft muſte mit ihr uͤber den See
in den gegen uͤber liegenden Tempel fahren/
darinnen die Goͤttin Diana/ welche ſich in die-
ſem rundten See offt beſpiegelt haben ſoll/ inſon-
derheit von denen/ die zu heyrathen vorhaben/
andaͤchtig verehret wird. Nach verrichtetem
Gebete/ welches ſie mit Fleiß zeitlicher als Octa-
via und Antonia abbrach/ nahm ſie ihren Sohn
Druſus bey der Hand/ und fuͤhrte ihn in die na-
he darbey gelegene Hoͤle der Egeria/ ſie ſetzte ſich
auf das Marmel-Bild des Neptunus/ Druſus
auf das der Thetys/ derer iedes ein ſtarckes
Qvell von ſich ſpritzte. Hier auf fing Livia an:
Du weiſt/ lieber Sohn/ daß die Mutter-Liebe
eine der heftigſten Gemuͤths-Regungen unter
aͤllen Muͤttern/ ich aber die ſorgfaͤltigſte fuͤr ihre
Kinder ſey. Denn du irreſt/ da du dir einbil-
deſt/ daß meine Schoͤnheit oder ander Liebreitz
den Kaͤyſer mir biß auf dieſe Stunde ſo unabſetz-
lich verknuͤpfet halte/ welcher des Servilius J-
ſauricus holdſelige Tochter ſeine Braut noch fuͤr
der Vermaͤhlung nicht aus Staats-Sucht/ des
Antonius ſchoͤne Tochter die junge Fulvia/
noch ehe er ſie erkennet/ nicht wegen Zwytracht
mit ihrer unvertraͤglichen Mutter/ die frucht-
bare Scribonia nicht wegen ihrer Eiferſucht/
ſondern alle drey aus bloſſer Luͤſternheit und
Eckel verſtoſſen hat. Glaube hingegen viel-
mehr/ daß ich wegen deiner alle Verdruͤßligkei-
ten verſchlucket/ alle Verlaͤumbdungen der vom
Kaͤyſer verſtoſſenen Scribonia verſchmertzet/
alle Schleen des Ungluͤcks ihm verzuckert/ und
mich mehrmals zur Magd gemacht habe/ umb
mich nicht ſo wohl in der Wuͤrde einer Kaͤyſerin/
als dich in dem Vortheil eines Kaͤyſerlichen
Sohnes zu erhalten. Der Himmel hat in
meine Segel alle gute Winde blaſen laſſen/ alſo/
daß Auguſtus ſich nicht ſo wohl einen Herrn der
Welt/ als ich mich eine Beherrſcherin des Kaiſers
zu ruͤhmen habe. Eines fehlet mir nur noch zu
meiner vollkommenen Gluͤckſeligkeit/ nehmlich
die Unſterbligkeit/ welche mich uͤber die Staffeln
alles irrdiſchen Wohlſtandes erhebe. Dieſe
ſuchet nun zwar die Heucheley in der eitelen
Vergoͤtterung/ ich und die Wahrheit aber in
ruͤhmlichen Nachkommen. Denn wie kan ich
mich bey der Welt und Nachwelt ſcheinbarer
verewigen/ als wenn ich meine Kinder und Kin-
des-Kinder auf den Roͤmiſchen Kaͤyſer-Stuhl
ſetze? Dieſe Wuͤrde/ hertzliebſter Druſus/ haͤn-
get dir zu/ nicht nur vom Verhaͤngnuͤſſe/ und
meiner Fuͤrſorge/ in der ich ſo gar deinen Bru-
der Tiberius/ welchem das Alter ſonſt das Vor-
Recht zueignet/ dir nachgeſetzet; ſondern ſchon
ſelbſt von der Zueignung des Kaͤyſers. Alleine
der Grund des Gluͤckes iſt ſo voller Truͤbſand/
daß in ſelbtem ſchwerlich ein Ancker haftet; und
die Gewohnheit der Fuͤrſten iſt ſo wetterwendig/
daß ſelbte mehr als mit einem Nagel muß ange-
heftet werden. Du biſt mit dem Auguſtus ja
durch mich verknuͤpfet; aber ſolte ich das Haupt
legen/ doͤrfte ſo wohl meine Hoffnung als dein
Aufnehmen verfallen. Dieſemnach habe ich
auf eine neue Verbindung mit ihm geſonnen/
keine aber iſt nachdruͤcklicher als des Gebluͤtes.
Fremde Tugend iſt in unſern Augen Zwerges-
Art/ aus unſerer Anverwandten Mittelmaͤſſig-
keiten aber machen wir Wunderwercke.
Schaue dich nun ſelbſt in dem groſſen Schau-
Platze
[397]Arminius und Thußnelda.
Platze der Weltumb; ich zweifele/ daß weder die
Liebe noch die Ehre dir eine vollkommenere Ge-
mahlin ausleſen koͤnne/ als die der Kaͤyſer und
ich dir beſtimmet/ nehmlich die unvergleichliche
Antonia. Dieſe haſt du nunmehro ohne fer-
nere Zeitverlierung zu erkieſen/ da du den Kaͤy-
ſer vergnuͤgen/ mich erfreuen/ und dein eigenes
Gluͤcke befeſtigen wilſt. Druſus fiel nach
beſchloſſener Rede Livien zu Fuſſe/ und fing ge-
gen ihr an: Jch wuͤrde/ allerliebſte Mutter/ fuͤr
ihr erſtummen muͤſſen/ wenn gleich Kinder an-
dern Muͤttern ihre Wolthaten verdancken koͤn-
ten. Denn ich erkenne die Ubermaaß ihrer
Verdienſte/ und das Unvermoͤgen meiner Ab-
ſchuldung. Sie hat mich geleitet zur Tugend/
und das Thor aufgeſchloſſen der Ehren. Jch
erkenne ihre wohl-gemeynte Abzielung/ und ich
werde uͤber ihren Urtheln keinen hoͤhern Richter
ſuchen. Aber nachdem hohe Wuͤrden zwar durch
Verbindnuͤſſe befeſtiget/ durch die Tugend aber
erworben werden muͤſſen/ duͤncket mich/ ich
wuͤrde durch Ubereilung mich ſelbſt ſtuͤrtzen/
da ich nicht den Anſprung von der Tugend
nehme. Meine Kriegs - Ubungen ſind
allererſt Erſtlinge der Tapferkeit/ keine
Thaten/ die einen Kaͤyſerlichen Stuhl be-
haupten koͤnten/ welcher auf Klugheit und
Hertzhaftigkeit gegruͤndet werden muß;
welches letztere zwar angebohren/ das erſtere
aber durch Erfahrung erlanget werden
muß. Die hierzu noͤthigen Ausuͤbungen aber
wuͤrde Zweifels-frey hindern/ wo nicht gar ſtoͤ-
ren eine uͤbereilte Heyrath/ als der wahrhafte
Stein des Anſtoſſens derer/ die auf der Renne-
Bahn der Ehren gleich ruͤhmlich einlegen/ ja
auch einen guten Vorſprung haben. Denn
ein ſich verheyrathender giebet dem Gluͤcke/ wel-
ches ſonſt uͤber die Tugend nichts zu gebieten
hat/ ſchon den Zuͤgel in die Hand. Da er vor
nichts als Ehre zu gewinnen trachtete/ fuͤrchtet
er hernach nichts als ſein Weib und Kinder ein-
zubuͤſſen/ welche ihm bey allen kuͤhnen Unter-
fangungen fuͤr dem Geſichte herumb irren/ und
nicht anders als traurige Geſpenſte alles Un-
gluͤck wahrſagen. Er iſt luͤſtern nach dem Rau-
che von Jthaca/ und verſpielet daruͤber etliche
Laͤnder; er ſeufzet nach ſeiner Penelope/ und
vergiſſet des unſterblichen Nachruhms; er wa-
get keine Schlacht unter dem Vorwand des er-
mangelnden Befehls von Hofe; er hebet Belaͤ-
gerungen der ſchon ſich zur Ergebung verſtehen-
den Feſtungen auf/ wormit er nur das Bette
ſeines ihn in geheim beruffenden Ehweibes be-
ſteigen koͤnne. Er ſchaͤtzt es fuͤr Grauſamkeit
ſeinem Hauſe Abbruch thun/ wenn er ſchon ſein
Vaterland daruͤber in Stich ſetzt. Sein Kum-
mer beſtehet in dem/ was er ſeinen Kindern ver-
laſſen/ und wie er ſeinen Soͤhnen die Anwart-
ſchafft der Aempter zuwege bringen moͤge; ſie
moͤgen gleich darzu geſchickt ſeyn oder nicht.
Antonius iſt durch Cleopatren von der hoͤchſten
Staffel in Abgrund verfallen; und der groſſe
Mithridates hat/ umb ſich ſelbſt den Feſſeln
und Untergange zu entziehen/ ſeine Sebel in
ſeiner eigenen Gemahlinnen Blute waſchen
muͤſſen. Ja das Oppiſche und andere Geſetze
hat den Landvoͤgten ihre Ehe-Weiber in die zu
Verwaltung anvertrauten Laͤnder mitzuneh-
men verboten. Sintemal dieſes Geſchlechte
beym Frieden Uppigkeit/ beym Kriege Schre-
cken/ beym Aufbruche Unordnung/ bey den
Maͤnnern Mißbrauch der Schatzungen/ bey
den Unterthanen Schwuͤrigkeit verurſacht/ und/
wie viel Schwachheiten ſelbtem gleich ankleben/
doch bey gutem Gluͤcke ſich aus Ehrgeitz des Ge-
bietens anmaſſet. Nach dem ſich denn die dem
Vaterlande und denen Seinigen ſchuldige Lie-
be ſo ſchwer eintheilen laͤſt/ zweifele ich nicht/ es
werde die/ von der ich nicht nur das Leben/ ſon-
dern auch den Reitz zur Tugend erlangt/ ihr mehr
meine zu ruͤhmlichen Entſchluͤſſungen dienende
Freyheit gefallen laſſen/ als ſelbten durch fruͤh-
zeitige Verheyrathung einen Kapzaum anlegen.
Livia begegnete dem Druſus: Er thue dem hei-
D d d 3ligen
[398]Vierdtes Buch
ligen Ehſtande Gewalt und Unrecht an/ wenn
er wegen etlicher Fehler eine an ihr ſelbſt ſo gute
Sache verdamme. Aus dem beſten Weine
machteder Mißbrauch den ſchaͤrffſten Eſſig/ und
aus den geſuͤndeſten Speiſen das ſchaͤdlichſte
Gift. Ein tugendhaftes Ehweib verlerne alle
weibliche Laſter bey Anmaſſung maͤnnlicher
Verrichtungen. Es waͤre ohne Noth der
tapfern Semiramis und der ſtreitbaren Ama-
zonen zu erwehnen. Wie vielmal habe in den
Roͤmiſchen Laͤgern eine Frau die Stelle des
Feldherrn vertreten/ die tapfern Kriegsleute
aufgemuntert/ die Armen begabet/ die Krancken
gepfleget/ die Verwundeten verbunden? Bey
den rauhen Deutſchen/ derer Hertzhaftigkeit er
bereits erfahren/ ſchluͤſſe der Mann ſein Weib
nicht aus den Schrancken der Tugend/ noch aus
den Gefaͤhrligkeiten des Krieges. Sie waͤre
eine unabtrennliche Gefertin ſeiner Bemuͤ-
hung und Ebentheuer/ und ſie ſtreite neben ihm
in den Schlachten; ja ſie bringe zu Aufmunte-
rung ſeiner Hertzhaftigkeit ihm nichts als ein ge-
ſatteltes Pferd und eine Ruͤſtung zum Braut-
Schatze zu. Man habe fuͤr etlicher Zeit erſtar-
ret/ wie daſelbſt eine Fuͤrſtin im Krieges-Rathe
ſo kluͤglich vorgeſeſſen/ die Heere gemuſtert/ die
Lauff-Graͤben beſichtigt/ die Befeſtigung ange-
geben/ die Stuͤrme angeordnet/ ihr Hembde zu
Pflaſtern fuͤr ge[q]vetſchte Kriegs-Leute zer-
ſchnidten/ und gewieſen/ daß Blitz und
Schwerdter nicht allein fuͤr die Maͤnner ge-
wiedmet ſind. Dencke dieſemnach zuruͤcke/
mit was fuͤr Rechte du den Eh-Stand ſchilteſt/
und unſerm Geſchlechte beymiſſeſt/ daß es einen
Riegel der Tugend fuͤrſchuͤbe/ und ein Werck-
zeug der Laſter ſey? Jener hat freylich ſeine Be-
ſchwerden/ aber auch ſeine Gemaͤchligkeiten.
Der wahrſagende Apollo gab dem weiſen So-
crates zur Antwort: Er moͤchte ſich verheyra-
then oder nicht/ ſo wuͤrde er bereuen/ was er thaͤ-
te. Das Verhaͤngnuͤß gibet unſern Anſehlaͤ-
gen den Ausſchlag/ nicht unſere Behutſamkeit.
Wenn die Stadt Athen gleich die ſchlim̃ſten
Rathſchlaͤge erwehlte/ richtete doch die Minerva
alles zum Beſten. Dieſes heiſſet dich dein bißhe-
riger Gluͤcks-Stern ebenfalls hoffen. Der Eh-
Stand/ das Anſehn der Kinder iſt mehrmals ein
Sporn zur Tugend und tapferen Helden-Tha-
ten. Der groſſe Julius hat alle ſeine Thaten
ausgeuͤbet/ nach dem er ſich mit des Piſo Toch-
ter vermaͤhlt gehabt. Jch ſelbſt bin mit dem
Auguſtus in die Morgen- und Abend-Laͤnder
gereiſet. Kan man mich aber beſchuldigen/ daß
ich ihm einigen Verdruß/ ſeinen wichtigſten
Reichs-Geſchaͤfftẽ einige Hindernuͤß verurſacht
habe? Hingegen wirſt du es mit der Zeit erfahrẽ/
was eine Frau ihrem aus der Schlacht kom̃endẽ
und ermuͤdeten Ehmañe fuͤr eine Erleichterung
ſchaffe. Uberdiß unterſucht man zu ſpaͤt und
umbſonſt/ ob diß thulich ſey/ was ſchon der ver-
fuͤget/ dem man ſchlechter Dinges zu gehorſamen
ſchuldig iſt. Mit dieſen Worten reichte Livia
ihrem Sohne des Kaͤyſers Befehl. Druſus
faͤrbte ſich etliche mal uͤber den wenigen Zeilen;
fing hierauf an: Er waͤre verſichert/ daß Augu-
ſtens Vorſorge zu ſeinem Beſten angezielet ſey.
Aber nach dem die Wichtigkeit des Werckes
Zeit und Nachdencken/ Heyrathen einen gantz
freyen Willen erforderten; verſehe er ſich weder
einiger Ubereilung noch einigen Zwanges.
Livia begegnete ihm: Des Kaͤyſers und mein
Abſehen iſt dir heute nicht neu/ und es iſt ſeit dei-
ner Wiſſenſchafft mehr Zeit/ als drey Hey-
raths Berathungen erfordern/ verſtrichen. Die
Freyheit nach ſeinem Belieben zu heyrathen iſt
ein Vorrecht des Poͤfels. Der Adel aber/ der
in ſo viel andern den Vorzug hat/ muß ihm die-
ſen Kitzel vergehen laſſen. Denn wo dem Rei-
che und der gemeinen Ruhe etwas daran ge-
legen/ beſtehet die Wahl der Braut bey dem
Fuͤrſten/ nicht bey dem Urthel eines luͤſternen
Auges. Es iſt Klugheit/ ſich ſo wohl Fuͤrſten/
als das Verhaͤngnuͤß bey der Hand leiten/ nicht
mit den Haaren ziehen laſſen. Die Goͤtter ha-
ben
[399]Arminius und Thußnelden.
ben dem Kaͤyſer das hoͤchſte Urthel uͤber alle Din-
ge gegeben/ dem Druſus aber nur die Ehre ei-
nes Gehorſams uͤbrig gelaſſen. Druſus ver-
ſetzte: Er wuͤſte in alle Wege die neue Art der
Dienſtbarkeit/ daß hohe Haͤuſer aus der Hand
der Fuͤrſten ihre Liebſten empfangen muͤſſen/
wormit dieſe entweder ihre Buhlſchafften wohl
angewehrten/ oder vermoͤgende Geſchlechter
durch Vermaͤhlung armer oder niedriger Dir-
nen/ in mittelmaͤſſigen Schrancken behielten/
oder durch Antrauung ihrer Baaſen/ welche ei-
nen Koͤniglichen Unterhalt erforderten/ ihnen
ein und andere Schwung-Feder ausraufften.
Wiewohl nun alles diß in gegenwaͤrtigem Falle
nicht eintraͤffe; iedoch die Guͤtigkeit des Kaͤyſers
ihn etwas bedenckliches beſorgen/ ja ſich auch die-
ſe Gewalt der Fuͤrſten nicht iegliche Heyrath zu
erlauben weder tadeln/ noch hintertreiben lieſſe;
ſo waͤre doch noch niemals in Schwung kom-
men/ daß man einem wider Willen zu heyrathen
ſchlechter dings aufbuͤrdete. Denn dieſe An-
noͤthigung haͤtte in ſich ungleich mehr Dienſt-
barkeit/ als jene Verweigerung. Und die Ge-
ſetze erlaubten dieſen Zwang auch ſo gar nicht der
vaͤterlichen Gewalt. Livia ſtund mit Entruͤ-
ſtung auf/ und fing an: Druſus/ Druſus/
kanſt du es wohl uͤbers Hertz bringen/ einer dich
ſo hertzlich liebenden Mutter Einrathung ſo
veraͤchtlich in Wind zu ſchlagen? Trauſt du es
wohl zu verantworten/ deſſen Gewalt der vaͤter-
lichen nachzuſetzen/ welchen iedermann fuͤr den
Vater des Vaterlandes verehret? Druſus ant-
wortete mit tieffſter Demuͤtigung: Jch ent-
ſchluͤſſe mich zu verehlichen/ allerliebſte Mutter/
wenn ſie es ja fuͤr gut anſihet. Aber warumb
redet ſie mir nicht das Wort bey der unver-
gleichlichen Julia? Und da mir der Kaͤyſer ſo
wohl wil; warumb goͤnnet er mir nicht lieber
ſeine Tochter/ als ſeine Baaſe? Livia begegnete
ihm mit mehrer Heftigkeit: Meynſt du/ ich wiſſe
nicht/ daß hier der Hund begraben liegt/ und
daß die Geſtalt der dich doch verſchmaͤhenden
Julia dich gefeſſelt habe? Hiermit zeigte ſie ihm
den gefundenen Brief. Aber laß dir dieſe
Einbildung nur bey Zeite vergehen/ und ſchlag
dir ſo ſchaͤdlich und unmoͤglich Ding alsbald
aus dem Sinne. Mache dir aus einer fluͤch-
tigen Schoͤnheit keinen Abgott; zuͤnde der in
deinem Hertzen keinen Weyrauch an/ welche
ihren Leib zu einem ſtinckenden Grabe vieler
Uppigkeiten machet. Meynſt du bey Julien
einen Uberfluß der Annehmligkeit zu finden/
welche ihre zwey Maͤnner Marcellus und A-
grippa/ fuͤr laͤngſt abgemẽyet? Wolte aber Gott!
es waͤre keine frembde Sichel in ihre Erndte
kommen! Aber leider! dieſe irrdiſche Sonne
hat ihre Straalen iedermann gemein gemacht/
in dem aber hat ſie es der Sonne nicht nach-
thun wollen/ daß wie dieſe niemals ohne die
Morgen - Roͤthe aufgehet/ alſo ſie ſich aus
Schamhaftigkeit iemals gefaͤrbet haͤtte. Hin-
gegen verſchmaͤheſt du die noch friſchen Knoſpen
Antoniens/ welcher die Keuſchheit ſelbſt aus
den Augen ſiht/ und die/ welche der Kaͤyſer fuͤr
ſeine Tochter aufgenommen/ weil er Julien
ſolcher Ehre nicht mehr wuͤrdig ſchaͤtzt. Jch
bin froh/ daß du keine blinde Liebe zu Antonien
traͤgſt/ weil du ſie ehlichen ſollſt. Denn die
unvernuͤnftige Begierde iſt ein Leitſtern zu
einer ungluͤcklichen Heyrath/ und verliebt ſeyn
ein wahnſinniger Geferte der Ehleute. Die-
ſer erſtes Kind iſt die Eiferſucht/ und das ande-
re Haß. Die Eh ſoll eine Art der vollkom-
menſten/ und alſo auch der tauerhafteſten
Freundſchafft ſeyn. Weil nun aber der
Verliebten Trieb ein ſchneller Feuer iſt/ als der
Blitz/ welcher zwar alles einaͤſchert/ aber ſelbſt
bald verſchwindet; hat ſelbter keine Geſchick-
ligkeit den unverzehrlichen Zunder einer ſo
beſtaͤndigen Vereinbarung lange zu unterhal-
ten. Die unter der Aſche glimmenden
Kohlen halten laͤnger Feuer/ als die in der
Glut
[400]Vierdtes Buch
Glut krachenden Wacholder-Straͤuche; und
daher dienet die lodernde Julia zwar beſſer zur
Buhlſchafft/ die laue Antonia aber iſt unzeh-
lich mal geſchickter zur Gemahlin. Jene
darff nur glaͤntzende Schalen; dieſe aber muß
im Kerne gut ſeyn. Jſt deine gute Ver-
nunft aber nicht geneigt dieſen wichtigen Un-
terſcheid zu beobachten/ ſo wird zuverſichtlich
deine Tugend der Natur Krieg anzubieten
nicht gemeynt ſeyn. Die Natur/ ſage ich/ ver-
beut dir die Gemeinſchafft/ wie vielmehr das
Ehband mit Julien/ nach dem du mich ja zwin-
geſt ein Geheimnuͤß auszuſchwaͤtzen/ was nur
ich und noch eine Seele weiß. Ach! mein
Druſus! wie weit irreſt du/ wenn du dir ein-
bildeſt/ daß du ein Sohn des Tiberius Nero
heiſt. Nein Druſus/ weit gefehlt! Erkenne
heute den Kaͤyſer fuͤr deinen Vater. Und
daß Livia dem Auguſtus ehe vermaͤhlt geweſt/
ehe er ſie aus dem Hauſe des Nero in ſeines
genommen hat/ daß die ſchwangere Livia im
dritten Monden ihm keinen Stief-Sohn
gebohren. Ob nun wohl Livia hier etwas an-
hielt/ ſahe ſie doch Druſus alleine ohne eintzi-
ges Wort groß an/ alſo/ daß ſie fortfuhr: Er-
wege nun/ liebſter Sohn/ was der Kaͤyſer fuͤr
Macht uͤber dich habe? was Auguſtus fuͤr
Liebe und Sorge fuͤr dich trage? und warumb
er dir mit Antonien das Kaͤyſerthum fuͤr dei-
nem aͤlteren Bruder Tiberius/ ja die Sonne
zuzuneigen entſchloſſen ſey? warumb er dir
deine Schweſter nicht vermaͤhlen koͤnne? Dru-
ſus ſanck hierauf fuͤr Livien abermals nieder/
mit beygeſetzten Worten: Jch dancke den
Goͤttern und ihr/ daß ſie mich heute zu einem
Sohne eines ſo groſſen Kaͤyſers machen. Jch
unterwerffe mich ſchuldigſt ſeinen und ihren
Verfuͤgungen. Jch erklaͤre mich Antonien
zu heyrathen. Aber ich ſorge/ daß Antonie
ſchwerlich mich zu ehlichen belieben werde.
Darfuͤr laſſe mich ſorgen/ antwortete Livia/
und ging hiermit aus der Hoͤle. Wie ſie
nun vernahm/ daß der Prieſter der Dianen/
welcher allhier gar mit dem Titul eines Koͤ-
nigs beehret ward/ mit Octavien und Anto-
nien gegen dem Nemorenſiſchen Luſt-Walde/
in welchem Diana den zerriſſenen und wie-
der zum Leben gebrachten Hippolytus der
Egeria anvertrauet haben ſoll/ gegangen waͤ-
re; folgte ſie ihnen nach/ fand ſie auch neben
einem Brunnen beyſammen auf einem vom
Wetter niedergeſchlagenen Myrten-Baume
ſitzen. Wie ſich Livia nun neben ſie verfuͤgt
hatte/ hob ſie an: Liebſte Antonia/ ſie weiß/ was
der Kaͤyſer von Kind auf zu ihr fuͤr Zunei-
gung gehabt/ und wie ruͤhmlich er die Stelle
ihres ungluͤckſeligen Vaters vertreten habe.
Jch aber betheure bey der Gottheit/ welcher
dieſer Puſch geweihet iſt/ und in Beyſeyn die-
ſes heiligen Prieſters/ daß ich mit Octavien
eifere/ da ihre muͤtterliche Liebe meine uͤber-
wiegen ſolte. Jn was aber moͤgen wohl
Eltern ihre Fuͤrſorge mehr an Tag geben/ als
in gluͤcklicher Vermaͤhlung ihrer Kinder? Und
wen kan Antonia erwuͤntſchter heyrathen/ als
der mit der Zeit den hoͤchſten Gipfel in der
Welt beſteigen ſoll? Sie kan unſchwer urthei-
len/ daß ich den Druſus meyne. Jch mag
ihm als Mutter nicht das Wort reden/ Rom
aber und die Welt redet es. Und der Kaͤyſer
hat mir in Mund gelegt meine ietzige Aus-
ſchuͤttung des Hertzens. Das Antlitz Octavi-
ens gibt ihr ſchon ihre Einwilligung zu verſte-
hen. Alſo erwarte ich nur von ihr eine mir
und dem Kaͤyſer annehmliche und ihr ſelbſt er-
ſprießliche Erklaͤrung. Antonia roͤthete ſich
uͤber dieſem unvermutheten Vortrage etliche
mal/ und nach dem ſie ihre Mutter angeſehen/
auch einen tieffen Seufzer geholet hatte/ ant-
wortete ſie: Jch bin verbunden diß/ was das
Verhaͤngnuͤß beſchloſſen/ der Kaͤyſer befiehlet/
Livia verlanget/ Octavia genehm hat/ und Dru-
ſus belieben wird/ zu vollziehen. Livia umb-
halſete mit Freuden Antonien/ und machte
daß
[401]Arminius und Thußnelda.
daß ſie ſich ſaͤmtlich mit einander wieder in Tem-
pel Dianens verfuͤgten; unferne aber darvon
fuͤr ein gluͤckſeliges Zeichen wahrnahmen/ daß
ihñen zwey Turteltauben entgegen geflogen
kamen. Wie nun Druſus auf Liviens Verfuͤ-
gung auch im Tempel erſchien/ eroͤfnete ſie ihm
ihre bey Antonien nach Wunſch verrichtete
Werbung; und alſo muſten beyde/ Druſus und
Antonia/ derer iedes auf des andern Unwillen
ſich verlaſſen hatte/ fuͤr dem Altare der Diana
ihr Verloͤbnuͤß vollziehen. Und nach dem ſie
Dianen zwey weiſſe Ochſen/ dem Pilumnus a-
ber auf einem nahen Huͤgel eine Ziege geopffert
hatten/ kehrten ſie zuruͤck in das Vorwerg des
Kaͤyſers/ und den dritten Tag nach Rom/ all-
wo das Beylager mehr mit Liviens und Ju-
liens/ als der vermaͤhleten Freude aufs praͤch-
tigſte vollzogen ward. Denn die Liebe des
Druſus war gegen Julien derogeſtalt einge-
wurtzelt/ daß er Liviens Vorgeben/ als wenn er
und Julie der Scribonia Tochter vom Vater
Geſchwiſter/ und beyde des Auguſtus Kinder
waͤren/ mehr fuͤr eine kluge Erfindung/ als fuͤr
Warheit aufnahm. Antonien aber blieb Ju-
lie ein ſteter Dorn in Augen; in dem ſie die Zer-
ſtoͤrung der Liebe zwiſchen ihr und dem Lucius
Muraͤna/ deſſen Verbergung ihr Angeden-
cken nicht ausleſchte/ der argliſtigen Julia allei-
ne zuſchrieb.
Hingegen vermochte die Vielheit der Lieb-
haber Julien dero geſtalt nicht zu erſaͤttigen/ daß
ſie nicht ſo wol den Druſus in ſeiner gegen ihr
gefangenen Liebe unterhielt/ und wormit ſie
nicht gar verleſchte/ nach und nach mehr Zunder
verlieh; als nach dem unerforſchlichen Muraͤ-
na Tag und Nacht ſeufzete. Unter ihren an-
weſenden Liebhabern aber war bey ihr keiner
mehr geſehen/ als Julius Antonius/ ein Roͤmi-
ſcher Juͤngling hohen Geſchlechtes/ groſſen
Vermoͤgens/ und ausbuͤndiger Schoͤnheit.
Dieſen hatte ſie mit ihrem Liebes-Reitze deroge-
ſtalt bezaubert/ daß ſie ihn mit einem Augen-
winck/ wie der Mohr den Elefanten/ gleich als
an einer Schnur leiten konte. Nebſt dem war
er entweder ſo verblendet/ daß er Juliens Zu-
halten mit andern Liebhabern fuͤr eine in bloſſe
Hoͤfligkeit eingeſchrenckte Freundligkeit anſah;
oder die ſeine Liebe uͤberwiegende Ehrſucht ver-
urſachte/ daß er zu Juliens Uppigkeiten ein Au-
ge zudruͤckte; nach dem er ihm nebſt Juliens
Heyrath von kuͤnfftiger Beſitzung des Kaͤyſer-
thums was ſuͤſſes traͤumen ließ. Julia merck-
te des Julius Antonius Abſehn nicht allein w[o]l/
ſondern ſie wuſte auch meiſterlich ihn mit dem
Winde dieſer Eitelkeit zu ſpeiſen. Endlich
meinte er: Er ſaͤſſe nicht allein Julien/ ſondern
dem Gluͤcke ſelbſt in der Schooß; Als ſie es
beym Kaͤyſer durch Vorbitte/ bey denen vorher-
gehenden Buͤrgermeiſtern/ Qvintus Fabius/
und Qvintus Elius Tubero durch ihre faſt ie-
derman feile Schoͤnheit zu wege brachte/ daß
Julius Antonius Roͤmiſcher Buͤrgermeiſter
ward. Dieſem aber ſchrieb ſie zugleich alſobald
fuͤr/ daß er den wiewol abweſenden Lucius Mu-
raͤna zum Stadtvogte erkieſen/ und ihn durch
offentliche Ausſchreibungen im Roͤmiſchen Rei-
che darzu laden muſte. Hierdurch ward Mu-
raͤna/ der inzwiſchen aus Verdruß ſich in das
Cilybeiſche Gebuͤrge verſteckt/ und zu einer
freywilligen Einſamkeit verdammt hatte/ ge-
zwungen nach Rom ſich zu verfuͤgen/ und die
ihm vom Vaterlande aufgetragene Aempter/
derer ſich ohne Unehre ſeines Geſchlechtes nie-
mand entbrechen dorfte/ aufbuͤrden zu laſſen.
Muraͤna war kaum nach Rom kommen/ als
Julia alle Kuͤnſte ihres Liebreitzes herfuͤr ſuchte
ſein Hertz zu erweichen. Sie verſchloß ihre
Ohren fuͤr aller voriger Liebhaber Anbetungen/
und alle Roͤhren ihrer gewohnten Annehmlig-
keit gegen gantz Rom/ um ſolche nur uͤber den
unerbittlichen Muraͤna auszuſchuͤtten; entwe-
der weil ſie noch keinen Menſchen ſo inbruͤnſtig/
als dieſen/ liebgewonnen hatte/ oder weil ſie es
ihr fuͤr einen groſſen Abbruch hielt/ da einigen
Erſter Theil. E e eMen-
[402]Vierdtes Buch
Menſchens Kaltſinnigkeit ſich ihres Liebreitzes
erwehren ſolte. Die Magnet-Nadel wendet
ſich ſo begierig nicht nach dem Angelſterne; die
Sonnenwende nicht nach dem groſſen Auge der
Welt; als ihre Begierde auf den Muraͤna ge-
richtet war. Sie brauchte tauſenderley Erfin-
dungen ſich in die Verſammlungen/ wo er be-
findlich war/ einzuſpielen; Und wie ſehr er ſich
ihrer zu entſchlagen bemuͤhet war/ wuſte ſie ihn
doch unterſchiedene mal ſo kuͤnſtlich zu beſetzen/
daß er ihrer einſamen Beredung ſich nicht ent-
brechen konte. Einsmals kamen ſie in den Gaͤr-
ten an der Tyber/ welche Kaͤyſer Julius dem
Roͤmiſchen Volcke vermacht hatte/ zuſammen;
da ſie denn alles euſerſte ihn zu gewinnen ver-
ſuchte. Julia brachte den Muraͤna gleich zwi-
ſchen den vom Aſcalon nach Rom gebrachten
Bilde der gewaffneten Venus/ und des Traͤze-
niſchen Hippolytus zu Stande. Sieheſt du
wol/ fing ſie an/ Muraͤna/ was das Verhaͤng-
nuͤß auf beyder Seiten deiner Hartnaͤckigkeit fuͤr
heilſame Warnigungen fuͤrſtelle? Glaubſt du
noch/ daß die Liebe nur ein nacktes Weib/ nicht
eine gewaffnete Goͤttin ſey; welche ihre Ver-
ſchmaͤhungen zu raͤchen nicht vermoͤge? Muͤſſen
ihr nicht die maͤchtigſten Goͤtter Beyſtand lei-
ſten/ und der kalte Neptun ſeine Meer-Ochſen
leihen/ daß ſie an dem unholden Hippolytus ih-
re Rache ausuͤben? Wenn ich nicht wuͤſte/ daß
Muraͤna einsmals ein Gefangener der todten
Antonia geweſt waͤre/ muͤſte die lebhaffte Julia
ſich nur bereden/ Muraͤna haͤtte von ſich ſelbſt
eine ſo groſſe Einbildung/ daß er ſich ſelbſt unter
allen Sterblichen nur liebenswerth/ die gantze
Welt aber fuͤr veraͤchtliche Spreu hielte. Wie
aber/ haben dich ſeit der Zeit deine Meinungen
bezaubert/ daß du alle andere zu verwerffen/ und
allen Liebreitz zu verlachen entſchloſſen biſt?
Haͤlteſt du es fuͤr einen Schandfleck einem
Frauenzimmer den geringſten Stand in dei-
nem Hertzen zu entraͤumen? Oder wilſt du die
Liebe der brennenden Julie zu einem Sieges-
Zeichen deines unempfindlichen Hochmuths
aufrichten? Augen/ Mund und Bruͤſte leereten
alle ihre Koͤcher der Anmuth aus/ um dieſen un-
erbittlichen oder ſteinernen Menſchen zu bemei-
ſtern. Daher/ wie der haͤrteſte Marmel endlich
von den Regen-Tropffen abgenuͤtzet/ und das fe-
ſteſte Ertzt von oͤfterem Anſtreichen eines weiche-
ren Seiles zerkerbet wird; alſo erweichte endlich
entweder die heftige und beſtaͤndige Liebe ſo einer
irrdiſchen Goͤttin/ oder die Hofnung kuͤnfftiger
Dinge/ welche alles viel herrlicher fuͤrbildet/
wenn das Gluͤcke einem die gehabten aus den
Haͤnden reiſt/ fuͤrnehmlich aber die Anwartſchaft
hoͤchſter Ehrenſtaffeln/ des Muraͤna ſteinernes
Hertze/ daß er Julien anfaͤnglich anzuſchauen/
hernach zu hoͤren/ ferner ihr guͤnſtig zu werden/
und endlich ſie zulieben anfing. Hoͤret aber/ wie
die Eiferſucht auch nach erloſchener Begierde
und aller verſchwundenen Hoffnung noch ſo
ſchaꝛfſichtig und miß guͤnſtig ſey. Die keu[ſ]che An-
tonia/ welche nunmehr mit ihrem Druſus ſich
veꝛgnuͤgte/ und des Muraͤna zu genuͤſſen die Un-
moͤgligkeit fuͤr Augen ſahe/ war gleich die erſte/
die Muraͤnens verliebte Veraͤnderung wahr-
nahm/ und das groͤſte Unvergnuͤgen ſchoͤpffte/
daß ſie Julien mit dem Siegskrantze der Liebe
prangen/ und aus ihrem unwiederbringlichen
Verluſte ihre Nebenbuhlerin ſo bereichert ſahe.
Nachdem ſie nun ihr von der Kaͤyſerin Livia un-
ſchwer fuͤrbilden konte/ daß ihr Abſehn mit Ju-
lien weit anders wohin/ als auf den Lucius Mu-
raͤna gerichtet war; entſchloß ſie nach langem
zweiffelhafften Nachdencken ſich an Julien mit
eben dem zu raͤchen/ wormit ſie von ihꝛ beleidiget
worden war. Muraͤna hat nach ſeiner Zuruͤck-
kunft nach Rom der nunmehr aus des Druſus
Armen unabtrennlichen Antonia das von der
Julia empfangene Liebes-Schreiben/ welches
er fuͤr Antoniens hielt/ zuruͤck geſendet/ gleich
als wenn er ſie dardurch aus ſonderbarer Hoͤflig-
keit ihꝛes ihm gethanen Verbuͤndnuͤſſes befreyen
wolte; Antonia aber allererſt hieraus er gruͤbelt/
daß
[403]Arminius und Thußnelda.
daß durch Julien die Verwechſelung im Schau-
Platze zu Puteol mit Fleiß angeſtifftet worden
waͤre. Dieſemnach ereignete ſich/ daß Muraͤna
und andere junge Roͤmer in denen Serviliſchen
Luſtgaͤrten mit Julien und anderm Frauen-
zimmer ſich in allerhand Kurtzweil-Spielen be-
luſtigte/ und von ieder Perſon der zu ihrer aller
Richterin erkieſeten Livia ein Pfand eingeliefert
ward; welches ſie hernach wiewohl mit verbun-
denen Augen wieder verwechſelte/ und von der
Perſon/ die es zu ſich genommen hatte/ nebſt ei-
nem Sinnſpruche zuruͤck empfing. Antonia
wolte dieſe Gelegenheit nicht aus den Haͤnden
laſſen/ und als ihr ungefehr Muraͤnens Hand-
ſchuch zukam/ ſteckte ſie an ſtatt des Sinnſpru-
ches der Julia Schreiben darein. Wie nun Li-
via in denen verwechſelten und zuruͤck bekom-
menen Pfaͤndern die Sinnſpruͤche/ um uͤber
ein- oder andern Theiles Scharfſinnigkeit zu
urtheilen/ eroͤfnete/ und auf Juliens Schreiben
kam/ verſtummte ſie eine gute Weile; iedoch
verſtellte ſie ihre Veraͤnderung moͤglichſt; alſo/
daß ſelbter auſer Antonien niemand eigentlich
gewahr ward. Gleichwol brach ſie kurtz hierauf
das Spiel ab/ zohe den Kaͤyſer auff die Seite/
und weiſte ihm ſeiner Tochter Handſchrifft;
nichts weniger ihr einbildende/ als daß Antonia
ſolches ihr zugeſteckt/ ſondern vielmehr/ daß es
Muraͤna vergriffen haͤtte. Auguſtus/ welcher
nach der Art groſſer Fuͤrſten ſich mehr um diß be-
kuͤmmerte/ was in denen entfernteſten Welt-
Enden als in ſeinem Hauſe ſich zutrug/ ward uͤ-
ber Julien heftig erbittert. Denn ob er zwar ſei-
ne Tochter vorher/ nachdem ihr erſter Ehmann
Marcellus auff Liviens Anſtifften vom Artzte
Antonius Muſa durch kalte Baͤder getoͤdtet
war/ dem vom niedrigerm Uhrſprunge herruͤh-
renden Agrippa vermaͤhlet hatte; ſo war er doch
ſchon vorher mit dem Kaͤyſer beſchwaͤgert; in
dem er der Octavia Tochter Marcella zur Eh
gehabt/ ſeine Siege wider die Gallier/ ſein
Meer-Bau bey Bajaͤ/ ſein See-Sieg wider
den Damochares und Sextus Pompejus/ ſeine
hohe Wuͤrden/ und das mehrmahl verwaltete
Buͤrgermeiſter-Ampt hatten ihn auch ſchon auf
eine ſo hohe Staffel erhoben/ daß Muraͤna/ wie
viel edler er gleich von Gebluͤte war/ ſich dem
Agrippa nicht gleichen dorfte; ja die Staats-
Sucht ſelbſt den Kaͤyſer noͤthigte ihm entweder
ſeine Tochter/ oder ein Glaß voll Gifft zu geben.
Zugeſchweigen/ daß der Kaͤyſer auf den Muraͤ-
na nicht allzuviel traute; weil ſein Bruder
Varro Muraͤna ſich mit dem Fannius Caͤpio
wider ihn verſchworen hatte. Dieſemnach for-
derte der Kaͤyſer Julien in eine Laubhuͤtte fuͤr
ſich/ und fragte alſobald/ was ſie mit dem Lucius
Muraͤna fuͤr vertraͤuliches Verſtaͤndnuͤß haͤtte?
Dieſe/ welche ihr von nichts weniger/ als dem
an den Muraͤna fuͤr laͤngſt geſchriebenen Brief-
fe traͤumen ließ/ machte ihr die Beſchuldigung
gantz fremde. Auguſtus legte ihr aber alſofort
ihre eigene Hand fuͤr; woruͤber ſie zugleich blaß
und ſtumm ward; alſofort aber dem Kaͤyſer zu
Fuſſe fiel/ und/ daß ſie auf Muraͤnen ein Auge
gehabt haͤtte/ zugeſtand. Auguſtus verbot ihr
hierauf bey Straffe des Lebens alle Gemein-
ſchafft mit dem Muraͤna/ verließ alſo Julien in
enſerſter Beſtuͤrtzung/ und kehrte zu Livien zu-
ruͤcke um mit ihr zu berathſchlagen/ wie ſolcher
unzeitigen Liebe Juliens abzuhelffen waͤre.
Livia/ welcher ihre luͤſterne Art allzu ſehr kundig
war/ verſicherte den Kaͤyſer/ daß er von Julien
noch groͤſſere Schwachheiten zu beſorgen haͤtte;
da er ihrer Freyheit nicht einen Ruͤgel fuͤrſchie-
ben wuͤrde. Denn die ſterblichen Menſchen waͤ-
ren ſelten genungſam vorſichtig denen Begier-
den zu gebieten/ welchen das Gluͤcke ſelbſt zu Ge-
bote ſtuͤnde. Daher waͤre ihr Rath: Es ſolte Au-
guſtus ſie aufs neue verheyrathen/ und alſo mit
einem Hammer ſo wol ihre unzeitige Liebe ſtraf-
fen/ als ihr ihr eigenes Gluͤcke ſchmieden. Au-
guſtus gieng eine gute Weile im Garten voller
E e e 2Nach-
[404]Vierdtes Buch
Nachdencken auf und nieder/ kam hierauf wie-
der zu Livien mit dieſen Worten: Es iſt nie-
mand Juliens faͤhig als ihr Sohn Tiberius.
Die Kaͤyſerin ward hieruͤber mit einer ſo uner-
maͤßlichen Freude uͤberſchuͤttet/ daß wie viel ſie
gleich wider beyderley Gluͤcke vermochte/ den-
noch Noth hatte ſolche zu verſtellen. Dieſe
Empfindligkeit aber bekleidete ſie mit dieſem be-
fremdenden Einwurffe: Mit was Rechte oder
Schein koͤnte der Julien ehlichen/ dem die ſo
ſchoͤne Vipſania Agrippina/ die Marcus A-
grippa mit des Pomponius Atticus Tochter ge-
zeugt haͤtte/ vermaͤhlet waͤre? Auguſtus begeg-
nete ihr: Mit eben dem Rechte/ als die Juno Ju-
pitern verlaſſen/ und die Stadt Stymphalus
fuͤr den Himmel erkieſet/ als Penelope vom U-
lyſſes ſich getrennet und nach Spaꝛta gefluͤchtet/
endlich ich ſelbſt Scribonien verſtoſſen/ und ſie
geheyrathet habe. Dannenhero ſolte ſie ohne
einige Zeitverſpielung dem Tiberius ſeine Ent-
ſchluͤſſung einhalten/ und auf allen Fall zum
End-Urthel eroͤfnen/ daß das gemeine Heil ei-
nem Buͤrger viel naͤher/ als ſein liebſtes Ehe-
weib angetrauet waͤre. Livia war zu dem/ was
ſie hertzinniglich verlangte/ unſchwer zu bere-
den; denn ob ſie wol wuſte/ daß ihr Sohn Dru-
ſus vom Kaͤyſer zum Reiche beſtimmt war; ſo
goͤnnte ſie doch entweder dem Tiberius dieſe
Wuͤrde lieber/ oder ſie wolte auf den Fall/ da die
irrdiſchen Zufaͤlle dem einen den Compaß ver-
ruͤckten/ fuͤr beyde Soͤhne den Grund legen/ als
ihre Hoffnung lieber mit zwey/ als einem An-
cker befeſtigen/ und fuͤr ihr eigenes Gluͤcke eine
Zwickmuͤhle behalten. Wie ſie nun vernahm/
daß Tiberius auf das an dem Albaniſchen See
liegende Vorwerg des Pompejus gereiſet war/
folgte ſie ihm noch ſelbigen Tag nach/ fand ihn
aber in dem unferne darvon aufgebauten Tem-
pel der Venus/ welcher auf Liviens Nachfrage/
was ihn fuͤr eine Andacht dahin triebe/ antwor-
tete: Sie wuͤſte ja wol/ daß ſeine Gemahlin ho-
hen Leibes gienge/ alſo haͤtte er der gebaͤhren-
den Venus daſelbſt fuͤr gluͤckliche Geneſung
ſchuldige Opffer gebracht. Livia laͤchelte und
fing an: Jn Warheit/ ich kan dich beſſer als hie-
fige Prieſter verſichern/ daß die Goͤttin dich er-
hoͤret/ und dir mehr/ als du verlanget haſt/ zuge-
dacht habe. Tiberius ward durch dieſe Rede
und Liviens uͤberaus freudige Gebehrdung
ſein Gluͤcke zu vernehmen begierig; welchem ſie
denn auch endlich entdeckte/ daß ihm der Kaͤyſer
Julien vermaͤhlen wolte. Tiberius nahm es
Anfangs fuͤr Schertz auf/ und fragte: Ob denn
der Kaͤyſer in Rom mehr als eine Frau zu ehli-
chen verſtatten wolte? Livia verſetzte: Zwar
dieſes iſt der Kaͤyſer nicht gemeinet; aber unſere
Sitten erlauben wohl/ und ich ſelbſt diene dir
zum Beyſpiele/ daß man wol eine weg laſſen/
und eine neue erkieſen moͤge. Tiberius er-
ſchrack uͤber dieſer Auslegung/ und wie bedacht-
ſam er gleich ſonſt in ſeinen Entſchluͤſſen ver-
fuhr; ſo trieb ihn doch ſeine Liebe ſo ſehr/ daß er
in die Worte ausbrach: Die Goͤtter wollen
mich in dieſen Wanckelmuth nicht einſincken
laſſen/ daß ich meine getreueſte Vipſania/ die
Mutter meiner einigen Hoffnung nehmlich
des jungen Druſus/ und die itzt wieder in ſo hei-
ligen Banden gehet/ undanckbar verſtoſſen;
auch fuͤr eine ſo keuſche Gemahlin die geile Julia
erkieſen ſolte! Livia brach ihm ein: Er ſolte zu-
ruͤck halten von der ſo verkleinerlich zu ſprechen/
die des Kaͤyſers Tochter und ſeine unvermeidli-
che Braut waͤre; auch der Wahrheit durch
Leichtglaͤubigkeit eitelen oder verlaͤumdiſchen
Ruffes nicht alſobald Abbruch thun. Tiberius
antwortete: Seine Einwendung beſtuͤnde
nicht auf fremdem Argwohn/ ſondern auf eige-
ner Erfahrung; indem Julia noch bey Lebzei-
ten des Agrippa gegen ihm ſelbſt feil gemacht
hatte/ was eine ehrliche Frau fuͤr allen/ auſer ih-
rem Ehherrn/ verborgen halten ſolte. Livia be-
gegnete ihm: So viel mehr haſtu die Groͤſſe der
Liebe/ die Julia zu dir traͤgt/ zu ermeſſen. Aber
warum redeſt du/ oder ich mit dir von der Liebe/
wel-
[405]Arminius und Thußnelda.
welche nur der Alberen ihr Leitſtern iſt? Biſt
du wol iemahls ſo einfaͤltig geweſt/ daß du ge-
glaubt/ ich haͤtte deinen Vater den Nero verlaſ-
ſen/ weil ich den Auguſtus inbruͤnſtiger als ihn
geliebet? Die inbruͤnſtigſte Liebe verlieret ihr
Weſen/ und verwandelt ſich in eine Chimere/
welche mit der Zeit ſo gar aus dem Gedaͤchtnuͤſ-
ſe verſchwindet/ wenn es um Ehre und Herr-
ſchafft zu thun iſt. Kanſt du ſie aber nicht aus
dem Hertzen loß werden/ ſo dencke nur/ daß auch
ich dem Nero nicht gram worden ſey/ als ich
gleich ſchon in dem Bette des Kaͤyſers geſchlaf-
fen? Zwiſchen Liebe und Heyrath iſt eine groſſe
Klufft befeſtiget. Jene hat freylich ihr Abſehn
auf Vergnuͤgung/ dieſe aber aufs Aufnehmen.
Liebe dieſemnach/ wie du wilſt/ deine Vipſania/
aber ehliche Julien und mit ihr die Anwart-
ſchafft zum Kaͤyſerthume. Laſſe Vipſania aus
deinem Hauſe/ aber nicht aus deinem Gemuͤ-
the. Behalt den jungen Druſus und was ſie
ferner gebaͤhren wird/ zu deinem Kinde; wie ich
dich und den Druſus behalten habe. Goͤnne
endlich der eine Handvoll verſtohlener Wolluſt/
die dir die Herrſchafft der Welt zum Braut-
Schatze einbringt. Denn in Warheit dieſe
iſt wichtiger als der eitele Wind aller verzweif-
felten Liebhaber/ und hat mehr Nachdruck/ als
alle ſcharffſinnige Einwendungen. Der be-
ſtuͤrtzte Tiberius verſetzte ſeiner Mutter: wie
kan ich mir einige Hoffnung zum Kaͤyſerthume
traͤumen laſſen/ wenn ich durch meine unzeitige
Ehſcheidung mir gantz Rom gehaͤßig mache?
Was Julius und Auguſt bey ihrer ſchon befe-
ſtigten Herrſchafft gewagt/ laͤſt ſich von einem
Buͤr ger nicht nachthun/ der den hoͤchſten Gipf-
fel zwar im Auge/ nicht aber in ſeinem Beſitze
hat. Die Geſetze und Beyſpiele ſtehen mir im
-Wege. Romulus erlaubt einem Manne ſein
-Weib nur zu verſtoſſen/ wenn ſie die Eh gebro-
-chen/ den Kindern vergeben/ oder falſche
Schluͤſſel gebrauchet. Daher auch viel hun-
dert Jahr zu Rom von keiner Ehſcheidung zu
hoͤren geweſt waͤre; biß Spurius Carbilius we-
gen Unfruchtbarkeit/ Publius Sempronius
wegen Anſchauung der Begraͤbnuͤß-Spiele
ſein Ehweib verſtoſſen. Seine fruchtbare und
unſchuldige Vipſania aber haͤtte das minſte ver-
brochen. Bey welcher Beſchaffenheit auch
Kaͤyſer Julius weder durch den Ehrgeitz verlei-
tet/ noch durch des Sylla Draͤuungen haͤtte be-
wegt werden koͤnnen/ ſeine liebſte Cornelia des
Cnina Tochter zu verlaſſen. Und ob wohl
freylich unterſchiedene mal einige aus liederli-
chen Urſachen ihre Weiber verſtoſſen/ Cato ſei-
ne aus Freundſchafft dem Hortenſius abgetre-
ten haͤtte; waͤre doch dieſer Mißbrauch vom
Auguſt ſelbſt allererſt nachdruͤcklich abgeſtellet
worden. Livia lachte nur zu des Tiberius Ein-
wuͤrffen/ und fragte: Ob er ſich ſelbſt nicht kenn-
te/ wer er waͤre? Und ob er nicht verſtuͤnde/
wem die Geſetze geſchrieben wuͤrden? Tibe-
rius aber antwortete: Es waͤre dem Kaͤyſer und
ihm ſelbſt daran gelegen/ daß auch die groſſen
denen Geſetzen gehorſamten. Denn ein Fuͤrſt
buͤſte all ſein Anſehen ein/ wenn er das ſeinen
Befehlen angefuͤgte Unrecht nicht raͤchen koͤnte.
Er zeigte mit nichts mehr ſeine Schwaͤche/ als
wenn er den Verbrechern durch die Finger ſe-
he. Wenn aber die Geſetze zu Spinnweben
wuͤrden/ welche die Weſpen und groſſen Flie-
gen zerriſſen; kehrte ſie der Poͤfel hernach gar
ab/ und trete nicht ſo wol ſie/ als den Geſetzgeber
ſelbſt mit Fuͤſſen. Livia ward hieruͤber nun-
mehr unwillig/ und fing mit einer ernſthafften
Verſtellung an: Es iſt der Klugheit nicht ge-
maͤß uͤber dem zu gruͤbeln/ worinnen uns ſtatt
der Wahl nur der Gehorſam uͤbrig iſt. Der
Geſetzgeber der Kaͤyſer will es einmahl ſo ha-
ben/ deſſen Gewalt du kein Maaß ſetzen muſt;
wo du nicht deine kuͤnfftige verkleinerlich ein-
ſchrencken wilſt. Tiberius wuſte Livien hier-
auf nichts als tieffe Seufzer entgegen zu ſetzen;
endlich bat er/ ihm ſo viel Zeit zu erlauben/ daß
er ſeiner Vipſania Gemuͤthe einen ſo ſchweren
E e e 3Stoß
[406]Vierdtes Buch
Stoß zu verſchmertzen faͤhig machen moͤchte.
Als diß ihm ſchwerlich erlaubt ward/ trug er es
in eben ſelbigem Tempel ſeiner Gemahlin mit
der empfindlichſten Wehmuth und mit betheu-
erlicher Verſicherung/ daß ſeine Liebe durch kei-
ne Zertrennung erleſchen wuͤrde/ fuͤr. Vipſa-
nia aber nahm dieſe Verſtoſſung/ weil ſie die
Unvermeidligkeit leicht ermeſſen konte/ mit
einer ſolchen Bezeugung auf/ daß man ihr we-
der einige Kaltſinnigkeit ihrer Liebe/ noch eini-
ge Kleinmuth bey hartem Ungluͤcke zumeſſen
konte. Als ſie aber nach Rom gelangten/ und
Tiberius von Vipſanien nun Abſchied nehmen
ſolte; ſintemahl der Kaͤyſer inzwiſchen Julien
ohne lange Gewinnung ihres Willens befch-
licht hatte ſich zu der Vermaͤhlung mit dem Ti-
berius fertig zu halten; Uberwog beyderſeitige
Wehmuth alle Kraͤfften der Standhafftigkeit/
alſo/ daß ſie einander mit nichts als heiſſen Thraͤ-
nen und ſtummen Kuͤſſen geſegnen konten. Ja
als Tiberius und Julia auch ſchon einander an-
getraut waren/ konte er ſeineꝛ Vipſania unmoͤg-
lich vergeſſen; ihre Geſtalt ſchwebte ihm gleich
als einem Geſpenſte Tag und Nacht fuͤr den
Augen/ er bereuete tauſendmahl ihre Verlaſ-
ſung; ja als er ſie einmal in dem von ihrem Va-
ter allen Goͤttern gewiedmetem Tempel nur
ungefehr zu Geſichte kriegte/ ſahe er ſelbte mit
ſo ſtarren Augen an/ daß ihm darvon die Augen-
lieder aufſchwollen; und die ſolches erfahrende
Livia hierauf ſorgfaͤltig verhuͤten ließ/ das Vip-
ſania ihm nicht leicht wieder zu Geſichte kom-
men ſolte. Hier entgegen blieb gegen Julien
ſeine ſich anfangs anſpinnende/ und nach dem ſie
ihm auf der Ruͤckreiſe aus Pannonien zu Aqvi-
leja einen Sohn gebahr/ etwas ergroͤſſernde
Liebe dennoch laulicht; endlich/ als diß Kind
zeitlich ſtarb/ ward ſie kalt/ und verſchwand gar/
alſo/ daß Tiberius ſich ihrer/ ſo viel moͤglich/ ent-
ſchlug; ſonderlich/ da er ſahe/ daß Julia in Rom
nichts von ihren gewohnten Uppigkeiten nach-
ließ; und dieſes alle Augenblicke mit einer neuen
Gemuͤths-Enderung ſchwanger gehende Weib
zwar alle Farben/ niemahls aber die Weiſſe der
Tugend nach Art des Cameleons anzunehmen
faͤhig/ und derſelben ſchoͤnen Griechin aͤhnlich
war/ welcher man den Zunahmen einer Uhr
gab/ weil ſie ſich keinen Liebhaber laͤnger beſitzen
ließ/ als biß die Waſſer-Uhr ausgelauffen war.
Gleichwol bezeigte ſie gegen den Tiberius ie-
derzeit eine ſo feurige Liebe/ daß ſie ihm auff den
gefaͤhrlichſten Reiſen in die raueſten Laͤnder/ in-
ſonderheit zu den Pannoniern/ welche nach ver-
nommenem Abſterben ihres erſten Uberwuͤn-
ders des Agrippa aufſtanden/ und nach der von
den Deutſchen erlittenen Niederlage des Mar-
cus Lollius/ darinnen die Roͤmer den Adler der
fuͤnfften Legion einbuͤſten/ in Deutſchland nach-
folgte. Und weil ſie bey dieſen fremden Voͤl-
ckern ſo viel Gelegenheit zur Uppigkeit nicht
fand/ hierdurch den eiverſuͤchtigen Tiberius ein
wenig beſaͤnfftigte. Denn ob zwar die Eiffer-
ſucht insgemein eine Geburt der hefftigſten Lie-
be/ wie die Vermehrung der Galle uͤbermaͤßig
genoſſener Suͤßigkeit iſt; Tiberius aber Julien
nie mit einiger Ader geliebt hatte; ſo war er doch
entweder aus einer angebohrnen Gramſchafft/
oder aus Einbildung/ daß durch Juliens Geil-
heit ſeine Ehr und Anſehen anbruͤchig wuͤrden/
oder welches am glaublichſten: weil er keinem
Menſchen Juliens zu genuͤſſen goͤnnete/ dieſer
Schwach heit uͤbermaͤßig unterworffen. Wel-
che neidiſche Unart/ wenn ſie mit der Eiferſucht
ſich vermaͤhlet/ auch mit dem Tode nicht
aufhoͤret; daher jene zwey Roͤmer in ihrem letz-
ten Willen verordneten/ daß nach ihrem Abfter-
ben ihre zwey ſchoͤnen Weiber auf dem erſten
Fechterſpiele einander toͤdten ſolten/ und He-
rodes/ als er einsmahls zum Kaͤyſer reiſete/
hinterließ einen Befehl ſeine wunderſchoͤne
Mariamne zu ermorden/ wenn er nicht zuruͤcke
kaͤme. Ja weil Livia dem Tiberius ſeine Ei-
verſucht weder durch das Beyſpiel ihrer eigenen
Uberſehung/ noch durch angezogene Urſachen
ausre-
[407]Arminius und Thußnelda.
ausreden konte/ ſondern er ihr zu ſeiner Ver-
theidigung entgegen ſetzte: daß die Natur ſelbſt
dieſe Gemuͤths-Regung billichte/ wenn ſie die
in Mutterleibe noch befindliche Zwillinge
zweyerley Geſchlechtes abſonderlich in eine
Haut einhuͤllete und fuͤr einander bewahrte; Li-
via ſich alſo zu Rom wegen Juliens aͤrgſter Haͤn-
del/ und ſo gar eine Zerfallung des Tiberius mit
dem Kaͤyſer beſorgte/ in dem doch der eiverſuͤch-
tigen Rache die heftigſte und ſchnelleſte iſt; und
deßhalben das Bild der Nemeſis zu Smyrna
mit den Fluͤgeln des Liebes-Gottes ausgeruͤſtet
war/ ſo veranlaſt ſie den Tiberius/ daß als er
gleich nach Rom kehrte/ und die Laſt des deut-
ſchen Krieges ſeinem Bruder Druſus uͤberlaſſen
muſte/ doch Julien unter dem Scheine foͤrder-
ſamſter Ruͤckkehr bey dem Altare der Ubier zu-
ruͤck ließ. Julia/ ob ſie wol euſerlich dieſe Ab-
ſonderung ſchmertzlich empfand/ verlangte doch
im Hertzen ferne von ihm zu ſeyn; ſonderlich/
weil des Druſus gegen ihr tief eingewurtzelte
Liebe durch dieſe beqveme Gelegenheit und bey
ſo unverdaͤchtigem zuſammen-ſeyn aufs neue
weiderum zum heftigſten entbrannte/ und ſo wol
der Eckel fuͤr dem gramhaftigen Tiberius/ als
die ihr allzu ſehr verſaltzene Genuͤſſung des in
Syrien von dem Kaͤyſer ihrent wegen entfern-
ten Muraͤna ihre Liebe gegen dem holdſeligen
Druſus vergroͤſſeꝛte/ und ihre vorige umſchweif-
fende Zuneigungen nunmehr gleichſam in ei-
nen Mittelpunet zuſammen drang; wo anders
nicht auch die gegen Antonien geſaſſete Rach gieꝛ/
weil ſie nach eingezogener Nachricht vom Mu-
raͤna ihr die Zerſtoͤrung ihrer Liebe beymaß/ Ju-
lien reitzte ihren Druſus zu lieben/ um hierdurch
Antonien ſo viel mehr zu beleidigen. Alſo wird
die ſo heilſame Liebe mehrmals nicht nur zu eineꝛ
Larve der Herſchſucht/ ſondern auch zu einem
Dolche der Rachgier mißbraucht. Maſſen denn
Antonia dieſes Verſtaͤndnuͤß zwar merckte/ aber
weder ihren Eheherrn zu beſchimpffen/ noch ih-
rer Nebenbuhler in Anlaß zu geben/ daß ſie ſich
noch mehr uͤber ihrer Verſchmehung kuͤtzeln
koͤnte/ vernuͤnftig verſtellte. Sintemal die Ei-
ferſucht nur eine ſinnreiche Erfindung ſich ſelbſt
zu qvaͤlen/ und ein Wetzſtein fremder Begierden
iſt. Hierdurch aber richtete Antonia gleichwol
nichts anders aus/ als daß Julien gar nicht nach
Rom geluͤſtete/ ſondern etliche Jahre/ und wor-
mit die Urſache ſo viel weniger mercklich war/
auch/ wenn Druſus im Winter nach Rom kehr-
te/ in Deutſchland verharrete/ und in dem Bel-
giſchen Gallien nicht weit vom Rheine ihrem
Gemahl zu Ehren die Stadt Tiberich/ ihr ſelbſt
an der Ruhr die Stadt Julich erbaute; Hinge-
gen zohe Julia den luͤſternen Druſus ſtaͤrcker als
der Nordſtern den Magnet an ſich. Dahero er
auch als Buͤrgermeiſter den dritten Zug/ nicht ſo
wol wider die Deutſchen/ als der unerſaͤttlichen
Julie zu genuͤſſen/ fuͤrnahm/ und ſich keine wi-
drige Andeutungen/ noch des Auguſtus Wider-
rathungen abhalten ließ. Welcher den aus dem
Deutſchen Kriege erwachſenden ſchlechten Vor-
theil/ aber mercklichen Verluſt nunmehr zu uͤ-
berlegen anfing/ und daher dieſen Krieg der Fi-
ſcherey mit dem guͤldenen Hamen vergliech/ in
der mehr zu verlieren/ als zu gewinnen waͤre.
Sintemal die blinde Liebe ſo ſehr in ihr Verder-
ben/ als die Motte in die ſie zwar anlockende a-
ber verzehrende Flamme rennet.
Wie nun Druſus zu Maͤyntz/ wo der Maͤyn
in Rhein faͤllt/ ankam/ fand er die nach ihm lech-
ſende Julia ſchon daſelbſt auf ihn waꝛtend/ welche
ihn den Rhein hinab fuͤhrte/ unter dem Schein
ihm ihre zwey neuangelegten Staͤdte zu zeigen/
in der Warheit aber ſeiner Liebe viel laͤnger und
freyer zu genuͤſſen. Ja er baute zu Gelduba
am Rheine denen drey Heldinnen und der Lie-
be ein Heiligthum/ in welches er der Julie
Bildnuͤß ſetzte/ und ihr/ unter dem Scheine
ſolcher Gottheiten/ nach dem Beyſpiele der
Spartaner opfferte; welche durch dieſen Got-
tesdienſt andeuteten/ daß man fuͤr Ergreiffung
der Waffen alle guͤtliche Mittel verſuchen ſol-
te. Druſus brauchte ſich dieſer wolluͤ-
ſtigen
[408]Vierdtes Buch
ſtigen Reiſe gleichfals zu einer Kriegs-Liſt/ um
vielleicht die alte Meinung und das Gedichte
wahr zu machen/ daß die Liebe die ſcharfſinnigſte
Erfinderin unter den Goͤttern/ und Mercur
niemals nachdencklicher geweſen ſey/ als wenn
ihr annehmliches Feuer nichts minder ſeinen
Verſtand erleuchtet/ als ſein Hertze entzuͤndet
haͤtte. Denn er ſtellte ſich/ als wenn er mit ſei-
ner Kriegs-Macht wieder bey den Sicambrern
einbrechen wolte; weßwegen die Catten/ unge-
achtet ihres letztern Zwiſtes wegen der Beute/
ihnen etliche tauſend der am beſten berittenen
Mannſchafft/ treuhertzig zu Huͤlffe ſchickten.
Sintemal die ſich mit einander beiſſenden Tau-
ben nicht geſchwinder mit einander vereinbaret
werden koͤnnen/ als wenn ſich ein Habicht/ der
ſie alle zu zerreiſſen vermag/ empor ſchwingt.
Ehe ſichs aber die Deutſchen verſahen/ oder
Kundſchafft erlangen konten/ ſetzte Druſus bey
Antonach die Roͤmiſchen Legionen/ und Galli-
ſchen Huͤlfs-Voͤlcker uͤber/ und brach bey den
Catten mit voͤlliger Macht ein. Hertzog Ar-
pus bot mit ſeinen verſammleten Catten den Roͤ-
mern die Stirne/ und wolte weder ſeine denen
Sicambrern zu Huͤlffe geſchickte Voͤlcker/ noch
auch andern Beyſtand erwarten/ entweder weil
er die Roͤmer nicht fuͤr ſo ſtarck/ oder ſich alleine
dem Feinde genungſam gewachſen hielt/ und
deßwegen in Zuruͤcktreibung der Roͤmer die
Ehre alleine einlegen wolte. Alſo gieng das
Treffen beyderſeits mit groſſer Tapfferkeit an/
Hertzog Arpus fochte wie ein Loͤwe an der Spi-
tze ſeiner hertzhafften Catten. Aber weil der
Roͤmer wohl viermal mehr als der Deutſchen
waren/ wurden ſie uͤbermannet/ und Arpus
mit ſeinem Heere zuruͤck zu weichen gezwungen;
welches wie allhier gegen die Deutſchen/ alſo faſt
allezeit der Roͤmer Vortheil geweſt/ daß ihre
Feinde ſich nicht mit einander um die gemeine
Erhaltung berathen haben/ ſondern in dem ſie
eintzel weiſe gefochten/ alle nach einander uͤber-
wunden worden. Gleichwol aber hatten diß-
mal ſich die Roͤmer ſchlechten Vortheils zu ruͤh-
men; indem ihrer ſo viel/ wo nicht mehr als der
Deutſchen geblieben waren/ und die Catten an
der Lahne wiederum feſten Fuß ſetzten/ um des
Feindes Uberkunfft zu verwehren. Druſus
ward uͤber dem/ daß eine Handvoll der Deut-
ſchen ihm ſo viel zu ſchaffen machten/ erbittert;
hielt auch die ſo koſtbare Erhaltung des Feldes
mehr fuͤr Verluſt als Sieg; und die Beſchir-
mung dieſes kleinen Fluſſes fuͤr eine groſſe
Schande der Roͤmer. Weßwegen er folgen-
den Tages ſeinem in voller Bereitſchafft ſtehen-
den Heere andeutete: Er wolte in dreyen Stun-
den Meiſter beyder Ufer ſeyn/ oder ſelbſt ſein Be-
graͤbnuͤß im Fluſſe haben. Hiermit ſetzte er an
dreyen Orten an/ wormit er die ſchwaͤchere
Macht der Feinde ſo viel mehr zertheilte. Die
Gallier als geringgeſchaͤtzte Fremdlingen/ wel-
che wie die angepfloͤckten Kraͤhen auch denen
Deutſchen den ihnen angeſchlingten Strick der
Dienſtbarkeit um den Hals zu werffen bemuͤht
waren/ muſten den erſten Angriff thun/ und
weil die Catten mit unglaublicher Gegenwehr
keinem einen Fuß aus dem Waſſer zu ſetzen er-
laubten/ gleichſam mit ihren Leichen den Roͤ-
mern drey Bruͤcken uͤber den Fluß machen/ al-
ſo/ daß von viel tauſend Galliern wenig uͤbrig
blieben/ welchen nicht entweder von den Waf-
fen der Deutſchen das Licht ausgeleſcht/ oder
von dem Waſſer verduͤſtert ward. Als nun aber
die Roͤmiſchen Legionen folgten/ und Druſus
ſelbſt mit der Reuterey an einem neuen Furthe
durchbrechen wolte/ gieng die Schlacht allererſt
mit erbaͤrmlicher Blutſtuͤrtzung an. Arpus
wolte mit ſeinen Catten keinen Fuß breit Erde
dem Feinde einraͤumen/ und Druſus nicht ab-
ziehen/ und ſolte das Roͤmiſche Heer auch mit
Strumpf und Stiel vertilget werden. Er
ſelbſt hielt zu Pferde mitten im Strome/ umb
den Seinigen ein Beyſpiel zu ſeyn; Hertzog
Arpus aber gegen ihm am Ufer; ja endlich
kamen ſie einander ſo nahe/ daß der Cat-
ten
[409]Arminius und Thußnelda.
ten Hertzog den Druſus in lincken Arm ver-
wundete; Gleichwohl wolte er keinen Fuß
breit zuruͤck weichen/ weil er wohl wuſte/ daß ein
Feldherr in dem Kriegs-Spiele zwar ein Re-
chenpfennig von eben dem Ertzte/ als andere
Kriegsleute ſey/ aber etliche tauſend gemeine
Pfennige gelte/ und ein demſelben begegnender
Zufall den ſeinigen ein unermaͤßliches Schre-
cken dem Feinde eine zweyfache Hertzhafftig-
keit zuziehe. Nach einem ſechsſtuͤndigen hart-
naͤckichten Gefechte aber und als die Roͤmer
ſchon an dem Siege verzweiffelten/ hatten die
den Roͤmern noch um einen wiewohl zweyfa-
chen iedoch ſchaͤndlichen Sold dienenden und
der Orten mehr kundige Ubier wohl eine Mei-
le weges von dieſem Schlacht-Platze weg/ einen
andern gar nicht beſetzten Furth gefunden/ und
den Roͤmiſchen Hinterhalt an ſich gezogen/ wel-
cher nunmehr die Catten auff der Seite anfiel.
Hertzog Arpus/ als er ſahe/ daß bey ſolcher Be-
ſchaffenheit gegen der groſſen Menge der Roͤ-
mer laͤnger zu ſtehen mehr eine verzweiffelte
Unvernunfft/ als eine Tapfferkeit waͤre/ gab
ſeinen Catten ein Zeichen ſich nach und nach zu-
ruͤcke in die verhauenẽ Waͤlder zu ziehen/ in wel-
che wegen allzu groſſen Verluſts und Abmat-
tung der Roͤmer Druſus ſie nicht verfolgen kon-
te/ ſondern vielmehr des Arpus vorſichtige Zu-
ruͤchweichung einem mittelmaͤßigen Siege vor-
ziehen/ und fuͤr eine Hem̃ung ſeines Einbruchs
ruͤhmen muſte. Wie denn Druſus in War-
heit an dem Lahnſtrome ſtille zu ſtehen/ und aus
den Beſatzungen noch eine Legion nebſt zwoͤlff
tauſend Galliern zu Huͤlffe zuruffen gezwungen
ward. Mit dieſer neuen Verſtaͤrckung drang
Druſus ſeinem Feinde nach/ welcher inzwiſchen
ſich mit etlich tauſend Sicambrern und ſeinen
ihnen zu Huͤlffe geſchickten Voͤlckern verſtaͤrckt/
und an der Eder geſetzt hatte. Allhier kamen
ſie mit einander das drittemahl zu ſchlagen.
Hertzog Arpus bediente ſich abermahl dieſes
Fluſſes zum Vortheil. Denn er hatte ſeine
Schlacht-Ordnung geſtellet/ daß eꝛ mit dem lin-
cken Fluͤgel an die Eder ſtieß/ mit dem rechten an
die alsbald hinter ihm darein fluͤſſende Fulde et-
liche Meilen oberhalb der Stadt Stereontium/
uͤber welche beyde er etliche Bruͤcken geſchlagen
hatte/ um auff allen Fall daruͤber ſich zuruͤck zu
ziehen. Weil nun die Catten derogeſtalt auff
beyden Seiten verſichert ſtanden/ daß die Fein-
de nicht einbrechen/ noch auch/ weil die Stirne
der Schlacht-Ordnung nicht allzu breit war;
Druſus ſich ſeiner Menge voͤllig bedienen kon-
te/ war dieſe Schlacht ſo grimmig/ als keine vor-
her. Druſus und Arpus kamen dreymahl in
Perſon an einander; und ſo tapffer jener vor ſei-
ne Siegs-Ehre fochte/ ſo behertzt begegnete ihm
Arpus fuͤr die Freyheit ſeines Volckes. Das
Blutvergieſſen waͤhrete vom Auffgange der
Sonne biß in Abend/ und gleichwohl hatte ſich
keiner des Sieges zu ruͤhmen. Der Roͤmer
waren ſo viel blieben als der Catten/ der Gallier
aber ungleich mehr/ welche Druſus an die Spi-
tze ſtellte/ und den Feind durch die Eder anzu-
greiffen befehlicht hatte/ und gleichſam aus ih-
rem Verluſte denen Roͤmern einen Gewinn zu-
zu ziehen vermeinte. Beyde Feldherren waren
verwundet/ und die Kriegs-Heere blieben nur
drey Bogen-Schuͤſſe weit von einander halten/
mit beliebtem Stilleſtande die Nacht uͤber ihre
Todten zu beerdigen. Eine ſolche Guͤlte hat
der Friede in ſich/ daß auch die Feinde deſſen
mitten unter dem Geraͤuſche der Waffen nicht
entpehren koͤnnen. Hertzog Arpus aber/ weil
er ſeiner Ehren genug gethan zu haben vermein-
te/ auch wohl ſahe/ daß ſeine Voͤlcker groſ-
ſen theils ſehr verwundet/ und durchgehends
abgemattet/ hingegen viel Roͤmer noch nicht
einſt zum Treffen kommen waren/ brauch-
te ſich dieſes Stillſtandes zu einer neuen Kriegs-
Liſt/ welcher ſich die Perſen/ weñ ſie in der Flucht
die ſie verfolgende Feinde bekaͤmpffen/ bedienen/
und dadurch die Scythen die groͤſte Ehre einzu-
legen vermeinen/ wenn ſie andern den Ruͤcken
Erſter Theil. F f fkehren/
[410]Vierdtes Buch
kehren/ und ihnen gleichwohl den groͤſten Ab-
bruch thun. Jedoch ließ er mit dem fluͤchti-
gen Demoſthenes in der Hoffnung ſich kuͤnfftig
beſſer zu halten/ den Schild nicht im Stiche;
ſondern die gantze Nacht anfangs alles Kriegs-
Geraͤthe/ hernach die Verwundeten und das
Fußvolck uͤber den Fluß gehen; und endlich folg-
te er mit der Reuterey nach/ zuͤndete die Bruͤcken
hinter ſich an/ und zohe ſich an die Weſer. Dru-
ſus/ welcher ihm einbildete: er haͤtte den Arpus
zwiſchen dieſen zwey Fluͤſſen im Sacke/ ward
am Morgen allererſt bey Abweichung der letz-
ten Hauffen dieſer klugen Zuruͤckziehung ge-
wahr; hatte auch Bedencken einem ſo liſtigen
und tapfferem Feinde zwiſchen die Fluͤſſe und
Waͤlder tieffer nachzugehen; ſonderlich da er
vernahm: daß die Catten ſich abermahls an ei-
nen ſo vortheilhaften Ort zwiſchen die Fulde und
Weſer geſetzt/ und am Ruͤcken ebenfals etliche
Bruͤcken geſchlagen hatten. Dieſem nach ent-
ſchloß ſich Druſus auch einmal mit dẽ Hermun-
duren/ welche wie die Catten gleicher geſtalt ein
Theil der Schwaben waren/ anzubinden/ und
ſein Heil zu verſuchen; richtete alſo ſeinen Zug
gegen Mittag und gegen dem Meyn/ von dar
wendete er ſich gegen der Saale; fand auch zu
ſeiner Verwunderung etliche Tagereiſen we-
der einigen Widerſtand/ noch einige Menſchen.
Denn in denen Waͤldern waren alle Flecken
verbrennet. Endlich aber gerieth ſein Vortrab
nahe biß an den Hermunduriſchen Saltz-See;
aus welchem ſie an ſtatt des mangelnden Meer-
Waſſers das von ihnen ſo genennte Saltz-Oel
ſchoͤpffen/ ſolches in einen groſſen Hauffen
gluͤender Kolen gieſſen/ und alſo denn das durch
Feuer und Waſſer gleichſam zuſam̃en gebacke-
ne Saltz von der Aſche abſondern. Dieſen Ort/
als welchen die Natur mit einem ſo herrlichen
Schatze begabet/ auch mit dieſem ge altzenen ei-
nen andern ſuͤſſen See unmittelbar verbunden
hat/ halten die Hermundurer fuͤr den heiligſten
in der Welt/ und glauben/ daß Gott nirgends
wo ſo geſchwinde das Gebet der Sterblichen er-
hoͤre; dahero ſie auch wegen Beſitzung dieſes
Saltz-Sees und etlicher anderer Saltz-Brun-
nen mit den Catten und Cheruſkern offtmahls
Kriege gefuͤhret. Nahe hierbey/ ſage ich/ ſtieſſen
etliche Hermundurer/ ſo den Feind ausſpuͤhren
ſolten/ auff des damahligen Buͤrgermeiſters
des Qvintus Criſpinus Sohn/ der den Roͤmi-
ſchen Vortrab fuͤhrte. Wie nun er ſich dieſer
wenigen leicht bemaͤchtigte/ alſo zwang er ihnen
endlich durch Draͤuen und Marter aus: daß der
Marckmaͤnner Koͤnig Marobod zwiſchen der
Saale und dem Saltz-See mit ſiebentzig tau-
ſend außerleſenen Fußknechten und dreißig tau-
ſend Reutern wartete. Vannius aber/ ein Qva-
diſcher Fuͤrſt/ welcher durch Marbods Huͤlffe
das Koͤnigreich der Qvaden und Schwaben
zwiſchen der Donau/ dem Fluſſe Marus/ und
dem Reiche der Bojen unlaͤngſt erobert hatte/
ſtuͤnde nicht weit darvon/ und haͤtte dieſer allen
ſeinen Unteꝛthanen befohlen/ ſich gegen deꝛ Saa-
le zuruͤck zu ziehen. Druſus ſtutzte nicht allein
uͤber dieſer Zeitung/ ſondern ward auch bekuͤm-
mert/ daß er von dieſer groſſen Macht nicht um-
geben und auffgerieben werden moͤchte. Weil
er aber gleichwohl nicht begreiffen konte/ war-
um die Hermundurer/ welche eine ſo groſſe
Macht an der Hand gehabt/ ſo ferne gewichen
waͤren; fragte: warum ſie denn ihr Land ſelbſt
ſo ſehr verwuͤſtet haͤtten? Noſtitz/ ein gefange-
ner Edelmann/ antwortete dem Druſus: Bey
den Deutſchen waͤre es Herkommens/ daß ein
ieder der gemeinen Wohlfarth zum beſten
ſich ihres Vermoͤgens gerne verluſtig mach-
ten. Wenn dieſem nach ihr Fuͤrſt es fuͤr vor-
traͤglich hielte/ ſteckte ieder Einwohner auff ſei-
nen Beſehl das Feuer mit Freuden unter ſein
eigenes Dach/ weil ſie ſich beſcheideten: daß ein
Fuͤrſt eben ſo wohl als die Sonne manchmahl
beſchwerlich ſeyn muͤſte; welche mehrmahls ei-
nem Reiſenden den Schweiß austriebe/ unter-
deſſen die Erndte reiff machte/ die Welt beſeelte/
und tauſenderley Nutzen ſchaffte. Schwere Sa-
chen ſenckten ſich in die Tieffe/ als ihrem ordent-
lichen
[411]Arminius und Thußnelda.
lichen Ruh-Platze; Gleichwohl erhuͤben ſie ſich
offt empor/ wormit in der Natur nichts leer blie-
be; alſo muͤſten Unterthanen ſich dem gemeinen
Weſen zum beſten auch zuweilen ihrer ſuͤſſen
Ruh und Wohlſtandes enteuſſern. Am beſten
aber waͤre/ daß die Deutſchen den Verluſt ihrer
wenigen Guͤter leicht wieder ſchaffen koͤnten.
Warum aber dißmahl ihre Fuͤrſten die Flucht
und die Einaͤſcherung ihrer Wohnungen ver-
ordnet haͤtten/ ſtuͤnde ihnen nicht zu auszugruͤ-
beln. Auſſer Zweiffel aber waͤre es aus wichti-
gen Urſachen/ und zu ihrem Beſten geſchehen.
Weil dieſe Auſſage dem Druſus noch im̃er mehr
Nachdencken machte/ ſchickte er an den Koͤnig
Marobod/ und ließ ihm fuͤrtragen: Weil er wol
wuͤſte/ wie Kaͤyſer Auguſt den Marobod/ als er
in ſeiner Jugend zu Rom ſich auffgehalten/ ſo
lieb und werth gehabt/ und wie hoch er ihn noch
zur Zeit ſchaͤtzte/ waͤre er dahin nicht kommen die
alte Freundſchafft zu verletzen/ welche vielmehr
die Groͤſſe beyderſeitigen Gluͤcks befeſtigen ſol-
te. Auguſtus habe ihm vielmehr eingebunden
das gute Vernehmen zwiſchen ihnen zu unter-
halten. Nachdem aber die Hermundurer ſo viel-
mahl in das Gebiete der Roͤmer eingefallen waͤ-
ren/ und ihre Bunds-Genoſſen mit Raub und
Brand beſchaͤdiget haͤtten/ waͤre er genoͤthiget
worden ihrer Vermeſſenheit zu ſteuern/ und deß-
halben in ihre Graͤntzen geruͤcket. Dafern auch
dem Marobod hieruͤber ausfuͤhrlicher zu han-
deln eine muͤndliche Unterredung beliebte/
moͤchte er hierzu Zeit/ Ort und Art benennen.
Marobod entbot dem Druſus zuruͤcke: Er haͤtte
gegen die Roͤmer ſich in Andencken der ihm zu
Rom erwieſener Wohlthaten ſtets alſo bezeiget/
daß er ſie niemahls zum Kriege veranlaſſet. Da-
fern man ſich aber an ihn reiben wolte/ haͤtte er
genugſame Macht und Hertze ihnen zu begeg-
nen. Er wolte aber gegen den Mittag an der
Bach/ welche zwiſchen beyden Heeren hinfluͤſſe/
nur mit hundert Pferden ſich einfinden/ und da-
ſelbſt vernehmen/ was er an ihn ferner zu brin-
gen haͤtte? Druſus fand ſich ein wenig fuͤr der
Zeit an dem beſtimmten Ort ein; daher Koͤnig
Marbod ſich daſelbſt einzufinden weigerte/ weil
es ihm verkleinerlich ſchiene zum Druſus als ei-
nem Vornehmern zu kommen. Wiewohl nun
Druſus die Hoheit des Roͤmiſchen Volckes und
das Anſehn des Kaͤyſers fuͤr ſich anziehen ließ/
entbot ihm doch Marobod zuruͤcke: Er waͤre in
Deutſchland diß und ein mehrers/ als Auguſtus
zu Rom. Und da ſein Vorfahr Koͤnig Arioviſt
zum Kaͤyſer Julius zu kommen fuͤr verkleiner-
lich geſchaͤtzt; wie viel weniger ſtuͤnde ihm an zu
eines Kaͤyſers Feldhauptmanne zu kom̃en/ fuͤr-
nehmlich aber allhier in Deutſchland/ da er Koͤ-
nig/ Druſus aber entweder ein Geſandter/ oder
ein Gaſt/ oder ein Feind waͤre. Uber diß haͤtte er
beym Druſus nichts zu ſuchen; wenn alſo Dru-
ſus bey ihm nichts anzubringen vermeinte/ koͤn-
ten ſie beyde der Zuſammenkunfft gar entpeh-
ren. Endlich ward durch Unterhandlung er da-
hin verglichen: daß Druſus von dem Orte ab-
weichen/ und beyde zugleich auff die verglichene
Stelle zuſammen kommen muſten. Jhre Leute
lieſſen ſie eines Bogenſchuſſes weit hinter ſich/ ſie
aber trennte nichts als die ſchmale Bach. Dru-
ſus fing nach beyderſeitiger freundlichen Be-
gruͤſſung zum erſten an die Gewogenheit des
Kaͤyſers/ die Friedens-Begierde des Roͤmiſchen
Volckes gegen ihn auszuſtreichen. Weil nun
aber die unbaͤndigen Hermundurer leicht einen
Zanck-Apffel zwiſchen ſie werffen doͤrfften/ ver-
langte er einen Vorſchlag/ wie dieſe am fuͤglich-
ſien im Zaume gehalten/ und aller beſorglichen
Zwytrachtbey zeite vorgekommen werden koͤn-
te. Marobod antwortete: Es waͤre ihm nicht un-
angenehm die Freundſchafft der Roͤmer; Weil
aber nechſthin der Roͤmiſche Landpfleger zu Car-
mut ihm und ſeinem Bundsgenoſſen der Qva-
den Koͤnige Vannius/ der nicht weit hinter ihm
ſtuͤnde/ und der Roͤmiſchen Macht in Pannoni-
en Abbruch zu thun Kraͤffte genug haͤtte/ ſchlech-
te Bezeugung ihrer Freundſchafft gethan/ und
ſich weitausſehender Anſchlaͤge verlauten laſ-
ſen; darzu ihm dieſer Einbruch des Druſus
F f f 2nicht
[412]Vierdtes Buch
nicht unbillich bedencklich fuͤrkaͤme/ thaͤte Dru-
ſus gar wohl/ daß er alle Gelegenheit der Unei-
nigkeit aus dem Wege zu raͤumen trachtete. Die
einmahl zerbrochene Freundſchafft waͤre her-
nach unauffhoͤrlichem Mißtrauen unterworf-
fen/ lieſſe ſich auch weniger als ein zerfallenes
Glaß vollkoͤm̃lich ergaͤntzen. Dieſelbten hegten
mit einander den beſtaͤndigſten Frieden/ die ihre
Kraͤfften noch nicht gegen einander verſucht haͤt-
ten. Der Hermundurer Streiffen lobte er nicht/
es waͤre aber eine ſo tieff eingewurtzelte Art die-
ſes ſtreitbaren Volckes/ welches ſchwerlich durch
einiges Mittel/ am wenigſtẽ abeꝛ durch die Waf-
fen vertilget werden koͤnte. Nachdem aber die
Hermundurer ihn fuͤr ihren Koͤnig angenom̃en/
und er ihren vorigen unruhigen Fuͤrſten vertrie-
ben/ wolte er darob ſeyn/ daß der Roͤmer Be-
ſchwerden/ ſo viel moͤglich/ wuͤrde abgeholffen
werden. Druſus nahm dieſe Erklaͤrung fuͤr be-
kandt an/ und bat/ daß Marobod den Vannius
zu ihnen beruffen moͤchte. Als diß erfolgte/ redete
Druſus ihn an: Sein Antlitz und Geberdung
beſtaͤtigten bey ihm das gute Urthel/ welches Koͤ-
nig Marobod von ihm gefaͤllet haͤtte/ da er ihn
zum Koͤnigreiche der Qvaden waͤre befoͤrderlich
geweſt. Dieſemnach erklaͤre er ihn im Nahmen
des Kaͤyſers ebenfals fuͤr einen Koͤnig der Qva-
den/ fuͤr einen Freund des Kaͤyſers/ und treuen
Bunds-Genoſſen der Roͤmer. Hiermit befahl
Druſus alſofort/ daß ſo wohl dem Marobod/ als
dem Vannius ein ſchoͤnes mit einer goldgeſtuͤck-
ten Decke/ und mit guͤldenem Zeuge geputztes
Pferd/ ein mit Edelgeſteinen verſetzter Degen/
eine Lantze/ und ein guͤlden Halsband mit des
Kaͤyſers Bildniße herbey gebracht ward. Wor-
mit ſie alſo nach gewechſelten Verſicherungen
ihrer Freundſchafft von ſam̃en ſchieden/ die Roͤ-
mer aber von ihrem Druſus hierauff ruhmraͤ-
thig ausſprengten/ daß er den maͤchtigen Koͤnig
Maꝛobod zũ Fꝛieden gezwungen/ auch den Qva-
den und Schwaben einen Koͤnig fuͤrgeſetzt haͤtte.
Dieſem nach entſchloß ſich Druſus/ der ver-
moͤge des mit dem Marobod getroffenen Ab-
kommens/ das Gebiete der Hermundurer raͤu-
men muſte/ ſeine Rache an den Cheruſkern aus-
zuuͤben/ darzu er nimmermehr eine beſſere Ge-
legenheit hoffen konte/ als ſie ihm itzt die zwiſchen
dem Marobod/ und ihnen ſchwebende Mißhel-
ligkeit an die Hand gab. Alſo richtete er ſeinen
Zug recht gegen die Weſer/ welche von aller Be-
ſatzung entbloͤſſet war/ indem der von ſo vielen
innlaͤndiſchen Kriegen abgemergelte Segimer
ſich mit dem uͤbrigen Kriegsvolcke im Baceni-
ſchen Walde/ ſo wohl wegen der Marckmaͤnner/
als Roͤmer verhauen hatte/ aus Veyſorge: Es
haͤtten Marobod und Druſus bey ihrer Zuſam-
menkunfft wider die Cheruſker ein Buͤndniß ge-
macht/ und ihn vor und hinterwerts anzugreif-
fen mit einander abgeredet. Sintemal die Zu-
ſammenkunfft groſſer Fuͤrſten nichts minder/
als die Vereinbarung groſſer Geſtirne/ nach-
druͤckliche Wuͤrckungen nach ſich zu ziehen pfle-
gen. Druſus ſchlug eine Bruͤcke uͤber die Weſer/
befeſtigte ſie/ und ging mit dem gantzen Heere uͤ-
ber. Weil er nun alle Flecken leer fand/ verſuchte
er zwar in den Hartzwald ein zu brechen; aber er
muſte mit Verluſt abweichẽ/ indem die der heim-
lichen Wege kundigen Cheruſker die Roͤmer bald
vor/ bald hinterwerts anfielen/ und von denen
hohen Klippen und ſchattenreichen Gipffeln der
Baͤume unverſehens verletzten. Hiervon wen-
dete er ſeinen Zug gegen der Elbe/ mit Vorſatz
uͤber dieſen beruͤhmten Fluß zu ſetzen/ und hier-
durch allen fuͤr ihm geweſenen Roͤmern/ derer
keiner noch dieſen Strom geſehen hatte/ den
Preiß abzurennen. Welches ihm deñ auszurich-
ten nicht ſchwer ſchien/ weil Deutſchland zwi-
ſchen der Weſer und der Elbe faſt gantz Volck-
leer war/ und ſich die Einwohneꝛ entwedeꝛ in den
Baceniſchen Wald/ oder in die Jnſeln gefluͤchtet
hatten. Alleine wo menſchliche Armen zu
ſchwach ſind einem ungeſtuͤmen Gluͤcke die
Stirne zu bieten/ hauen die Goͤtter ſelbſt einem
einen Span ein/ wo das Verhaͤngniß ſeine
Deichſel anderwerts hin zu drehen beſchloſſen
hat. Druſus kam zwar ohne einigen feindli-
chen
[413]Arminius und Thußnelda.
lichen Anſtoß an die Elbe; alleine/ als er noch ei-
ne Tage-Reiſe davon entfernet war/ und er des
Nachts ſeinen Zug fortſetzte/ legte ſich ein ſchwar-
tzes Geſpenſte in einem Walde ihm uͤber den
Weg/ alſo daß das Pferd mit Schaͤumen zuruͤck
prellte/ und weder durch Sporn noch Ruthe uͤber
ſolchen Pfad zu bringen war. Nach dem er
auch in dem unbeſetzten Fluſſe eine Bruͤcke zu
bauen anfing/ uͤberſchlug ſich das Schiff/ und
ertrancken die meiſten/ welche den erſten Pfal
einſtoſſen wolten. Druſus war hieruͤber be-
ſtuͤrtzt/ und nach dem er ihm einbildete/ daß der
Schutz-Gott dieſes Fluſſes oder Landes ihm zu
wider waͤre/ baute er ſelbtem am Ufer ein Altar
von Raſen und Mooß/ verordnete ſelbtem ge-
wiſſe Prieſter/ welche ihn durch Wuͤntſche und
Beſchwerungen/ und inſonderheit durch Opfe-
rung der am Ufer gewachſenen Diſteln ge-
ſchwinde zu erſcheinen noͤthigen ſolten. Dru-
ſus ſelbſt ſtreute allerhand waͤßrichte Kraͤuter in
das Feuer/ ſtrich die Hoheit dieſes edlen Stro-
mes hoch heraus/ gelobte ihm nicht nur daſelbſt/
ſondern auch zu Rom einen Tempel zu bauen/
und zu ſeiner Verehrung groͤſſere Andacht/ als
die Deutſchen ihm iemals gewiedmet haͤtten/ an-
zurichten. Dieſer neue Gottes-Dienſt ward des
Abends bey der Demmerung verrichtet/ weil
dieſe Zeit denen Waſſer-Goͤttern am ange-
nehmſten ſeyn ſoll. Wie nun Druſus und die
Prieſter auf eine ſonderbare Erſcheinung war-
teten/ flohe unverſehens dem Druſus eine
Nacht-Eule uͤber dem Kopfe weg/ von welchen
geglaͤubet wird/ daß ſelbte zwar der unholden
Goͤtter Abneigungen und kuͤnftiges Un-
gluͤck ankuͤndigten/ zugleich aber als Bilder der
Weißheit den Menſchen eroͤffneten/ wie ſie allen
Trauer-Faͤllen gluͤcklich entkommen ſolten.
Es war aber kaum dieſer Ungluͤcks-Vogel fuͤr-
bey/ als an dem andern Ufer der Elbe ſich ein die
Laͤnge eines Menſchen wohl zweyfach uͤbertref-
fendes Weib empor ſtreckte/ und mehr als uͤber
die Helfte des Gtromes gegen dem Druſus ge-
watet kam. Sie war fingernackt/ die Augen
glaͤntzten wie gluͤende Kohlen ihr im Kopfe/ die
Haare hingen ihr gantz verworren uͤber die
Bruͤſte und Schultern/ und wie ſie ſtehẽ blieb/ hob
ſie ihre rechte Hand gegen dem Druſus draͤuen-
de auf/ und fing mit einer holen Stimme gegen
ihm an: Druſus/ Druſus/ bilde dir nicht ein/
daß der Trieb deiner Ehrſucht ſtaͤrcker ſey/ als
die Schutz-Goͤtter dieſes maͤchtigen Stromes/
noch daß dein Hochmuth das Ziel des Verhaͤng-
nuͤſſes uͤberfluͤgen koͤnne. Weiche dieſemnach
alſofort zuruͤcke/ denn hier iſt das Ende deiner
Thaten und deines Lebens. Jedes Wort die-
ſes Geiſtes war ein Donner-Schlag in den Oh-
ren und dem Hertzen des Druſus.
Rhemetalces brach ein: Es iſt unſchwer zu
glauben/ nach dem ich dieſe Begebnuͤß ſelbſt
nicht ohne Erſchuͤttern anhoͤre/ dafern anders
dieſer Begebung voͤlliger Glaube beyzumaͤſſen
iſt. Denn die Wunderwercke doͤrffen wegen
offter Verfaͤlſchung genauere Pruͤfung als die
Muͤntze. Jch ſelbſt habe in Egypten mit mei-
nen Augen geſehen/ daß die Crocodile etliche ſich
im Nil badende Knaben an dem Geburts-Ta-
ge des Apis verſchlungen haben/ da doch ihre
Prieſter der gantzen Welt weiß machen wollen/
daß ſie umb ſelbige Zeit ſieben Tage lang zahmer
als die Laͤmmer waͤren. Man hat mich zu
Rom verlachet/ als ich nach dem Orte gefraget:
Wo die Veſtaliſche Jungfrau Valeria Maxi-
ma zu Bewehrung ihrer Keuſchheit aus der Ti-
ber das Waſſer geſchoͤpft haͤtte/ welches ſie in ei-
nem loͤchrichten Siebe in den Tempel der
Goͤtter-Mutter getragen. Ja der ſonſt glaub-
hafteſten Geſchicht-Schreiber Buͤcher ſind von
gantz unglaublichen Dingen/ welche auch fuͤr
Traͤume zu alber ſcheinen/ angefuͤllet/ alſo/ daß
nach dem ſchon ein Loͤwe in Peloponneſus/ ein
Menſch und Ochſe anderwerts vom Himmel
gefallen ſeyn ſoll/ wir mit ehſtem eine Land-Kar-
te des Monden mit den Gemaͤhlden derer darin-
nen wohnenden Thiere zu erwarten haben. So
F f f 3leicht-
[414]Vierdtes Buch
leichtglaubig ſind die Menſchen/ und wir ſchei-
nen in nichts nachdencklicher zu ſeyn/ als wenn
wir einander eine Unwahrheit aufbinden wol-
len; ja unſere Einbildung iſt bemuͤhet offt ſelbſt
unſere Sinnen zu betruͤgen/ und einen blauen
Dunſt fuͤr die Augen zu mahlen. Adgande-
ſter antwortete: Die Wahrheit waͤre eine Buͤr-
gerin des Himmels/ und eine ſeltzame Gaͤſtin
auf Erden/ alſo nicht Wunder: daß man ſie nicht
allezeit und allenthalben antreffe. Auch wuͤſte
man/ mit was fuͤr Aberglauben und Falſchhei-
ten die Roͤmer ſo wohl ihre Ungluͤcks-Faͤlle als
Fehler zu bekleiden pflegten. Nichts deſto weni-
ger waͤre das erzehlte dem Druſus mehr deñ all-
zu gewiß begegnet/ und koͤnte er ihnẽ etliche noch
lebende Deutſchen fuͤrſtellen/ welche an dem an-
dern Ufer der Elbe eben diß mit eigenen Augen
geſehen haben. Es iſt merckwuͤrdig/ hob Rhe-
metalces an/ und eine ſichere Buͤrgſchafft der
Wahrheit. Sintemal ſonſt insgemein ſo wun-
derbare Erſcheinungen nur von einem Men-
ſchen geſehen/ andern aber/ die gleich nahe darbey
ſtehen/ die Augen verſchloſſen werden. Gleich
als wenn nur die/ welche etwas Goͤttliches an
ſich haben/ Geiſter ſehen/ und mit Goͤttern ſich
ſelbſt beſprechen koͤnten. Aber ſoll ich dieſes
Weib fuͤr einen Gott oder fuͤr einen Menſchen
halten? Adgandeſter verſetzte: Dieſe Frage zu
eroͤrtern waͤre fuͤr ihn zu hoch/ und gehoͤrte in die
Schule der Geiſtligkeit; iedoch fiele ihm bey:
daß ein derogleichen Weib auch dem Catuman-
dus erſchienen waͤre/ und ihn von Belaͤgerung
der Stadt Maſſilien abgemahnet; er aber ſolche
hernach in dem Tempel fuͤr die Goͤttin der Maſ-
ſilier erkennet/ und mit einer guͤldenen Kette be-
ſchencket haͤtte. Durch dieſe Entſchuldigung
war der Prieſter Libys/ der kurtz vorher aus dem
Tempel zuruͤck kommen war/ und der letztern
Erzehlung unvermerckt zugehoͤret hatte/ veran-
laſſet/ ſich mit dieſen Worten herfuͤr zu thun:
Seine Begierde ſo eines tapfern Fuͤrſten Sorg-
falt zu vergnuͤgen/ noͤthigte ihn ihre Unterre-
dung zu ſtoͤren. Seinem Urthel nach aber waͤre
dieſes Geſichte weder fuͤr einen rechten Gott/
noch fuͤr einen ſchlechten Menſchen zu halten.
Rhemetalces umbfing den Prieſter mit einer
ehrerbietigen Hoͤfligkeit/ und lag ihm an: daß er
durch ſeine Erklaͤrung ihrer Unwiſſenheit ab-
helffen moͤchte. Libys begegnete ihm hier auf
mit einer beſondern Annehmligkeit: Zwiſchen
Gott und dem Menſchen waͤre etwas mitleres/
nehmlich die Geiſter. Denn Gott als der ei-
nige Mittel-Punckt/ aus welchem der Circkel
aller Dinge wie aus einem unerſchoͤpflichen
Brunnen groſſe Stroͤme entſprungen waͤre/
haͤtte nicht nur den groſſen Welt-Coͤrper als den
Schatten und das Bild ſeiner unſichtbaren
Gottheit mit einem oberſten Geiſte beſeelet/
welcher die widrigen Glieder derſelben gleich als
eine von allerhand Art Saiten zubereitete Harf-
fe durch annehmliche Zuſammenſtimmung
in Eintracht erhaͤlt/ und insgemein die Natur
genennet wird; ſondern dieſer ſorgfaͤltige Vater
hat iedem Theile und Gliede der Welt zu ſeiner
Erhaltung einen Geiſt abſonderlich zugeeignet.
Die tieffſinnigen Egyptier ſchreiben der ver-
ſtaͤndlichen/ der him̃liſchen und unterirrdiſchen
Welt zwoͤlff Haupt-Geiſter/ ja den Geſtirnen
alleine acht uñ viertzig oberſte Herrſcher zu/ derer
zwoͤlff gute nach Zoroaſters Lehre vom Orima-
zes/ zwoͤlff boͤſe aber vom Arimanius zu Beſee-
lung der Welt als eines Eyes erſchaffen ſeyn
ſollen. Die unterirrdiſche Welt ſolle abermals
vier Haupt-Geiſter bewirthen/ derer einer Oſi-
ris dem Feuer/ der andere Jſis oder Hertha der
Erde/ der dritte der Lufft/ der vierdte dem Waſ-
ſer fuͤrſtehen ſolte. Aber hierbey hat es die Guͤ-
te des unbegreifflichen Gottes nicht bewenden
laſſen. Jedes Land/ ieder Berg/ ieder Fluß/
iede Stadt/ ieder Menſch hat ſeine gewiſſe
Schutz-Geiſter. Egypten verehret nicht nur
fuͤnf allgemeine/ ſondern iede Landſchafft einen
abſonderlichen/ und zwar ieden in einem abſon-
deren Tempel. Die Perſen zuͤnden ihren
feu-
[415]Arminius und Thußnelda.
feurigen Weyrauch an/ die Syrer opfern ihrem
waͤßrichten. Und unſer Deutſchland iſt ſo we-
nig als Jtalien oder Thracien ſeines Schutz-
Geiſtes entbloͤſſet. Die Phoͤnicier ſchauen
nicht nur den Berg Carmelus/ und die Emeſſe-
ner/ die Cappadocier und Dacier ihr Gebuͤrge
als ein Antlitz des ewigẽ Schoͤpfers an/ und ver-
ehren ihre Geiſter theils mit Tempeln/ theils
mit anderer Andacht/ weil ſie die Berge an ſich
ſelbſt fuͤr die herrlichſten Tempel halten; ſondern
auch Rom glaͤubt: der uns hier im Geſichte lie-
gende Meliboch ihre abſondere Geiſter in ſich
hegen. Jch geſchweige der Waͤlder und Thaͤ[-]
ler/ und beruͤhre nur die ſich mehr hieher ſchicken-
de Brunnen und Fluͤſſe. Gewißlich haͤtte das
Auge des Gemuͤthes in ihnen nicht abſondere
Geiſter wahrgenommen/ wuͤrden die Egyptier
ihrem Nilus nicht ſo viel Saͤulen und Tempel
gebauet/ die Meſſenier ihrem Pamiſus/ die
Phrygier dem Meander und Marſyas/ der
groſſe Alexander dem Meere geopfert/ die Roͤ-
mer den Vater Tiberin nicht verehret haben.
Der Brunn Clitumnus wuͤrde von Umbriern/
ein ander von Samiern/ das Qvell Arethuſens
von Griechen/ und die Unſrigen von den Bojen
und Catten nicht fuͤr heilig gehalten werden.
Und die Stadt Puteol wuͤrde ihrem groſſen
Schutz-Gotte kein ſo praͤchtiges Gedaͤchtnuͤß-
Mahl mit einer ſo herrlichen Uberſchrifft geſtiff-
tet haben. Jch gebe gerne nach/ daß viel durch
ihre Vergoͤtterung allzuweit gehen/ aber das er-
zehlte Beyſpiel unſerer Elbe iſt ein genungſames
Zeugnuͤß/ daß dieſe Geiſter nicht zu beleidigen
ſind/ ſie auch aus Goͤttlicher Zulaſſung eine ge-
wiſſe Beſchirmungs-Macht haben muͤſſen.
Auch iſt nicht unbekandt/ wie die Stadt Apollo-
nia mit dem Schutz-Bilde des Fluſſes Aaͤn-
tes/ welches ihnen die Epidaurier alleine zu
Huͤlffe verliehen/ die Jllyrier in die Flucht ge-
trieben habe. Die Thebaner haben wider die
Leuerenſer einen herrlichen Sieg mit Huͤlffe ih-
res ſo genanten Schutz-Geiſtes Hercules erfoch-
ten; deſſen Tempel zu Thebe ſich bey angehender
Schlacht eroͤffnet/ deſſen darinn aufgehenckte
Waffen ſich verlohren/ und alſo ſeine Abreiſe an-
gedeutet/ ſeinen Beyſtand in der Schlacht aber
das ungemeine Schrecken der Feinde bewaͤhret
haͤtte. Daher auch unſere Vorfahren/ als ſie
nach der den Roͤmern bey dem Fluſſe Allia zu-
gefuͤgten groſſen Niederlage die Stadt Rom er-
oberten/ und die Rathsherren auf ihren Stuͤlen
unbewegt ſitzen fanden/ nicht ohne Urſache ſich
entſetzten/ weil ſie ſie anfangs fuͤr die Roͤmiſchen
Schutz-Geiſter anſahen. Jch geſchweige/ daß die
Griechen den Schutz-Geiſt der Stadt Troja
durch ihre Beſchwerungen auf ihre Seite ge-
bracht habẽ ſollen. Welchẽ es die Roͤmer/ wie ietzt
vom Druſus erzehlet worden/ nachthun; hingegẽ
aber den Nahmẽ und Eigenſchafft ihres Schutz-
Geiſtes Romaneſſus ſo ſorgfaͤltig verbergen; ja
ihre geweihtẽ Bilder/ als den Anciliſchen Schild
durch Nachmachung ſo viel anderer verſtecken.
Rhemetalces fiel ein: Aber da die Geiſter einem
Orte derogeſtalt entzogen werden koͤnnen/ war-
umb hat es dem Druſus ſo ſehr fehl geſchlagen?
Der Prieſter antwortete: Wer kan ohne Ver-
blendung der Augen in die Sonne/ und ohne
Verduͤſterung des Gemuͤthes in das viel hellere
Licht des Goͤttlichen Verhaͤngnuͤſſes ſehen? Jch
weiß wohl/ daß derogleichen Mißrathungen
vom Aberglauben einer ungeſchickten Vereh-
rung zugerechnet werden. Denn dieſer bildet
ihm ein: Einem Geiſte muͤſte eine Wiedehopfe/
einem andern ein Kirbis/ inſonderheit kein
frembdes oder des Geiſtes Weſen widriges Ge-
waͤchſe/ ingleichen alles mit gewiſſer Geberdung
und in ſeltzamer Tracht geopfert; ja es koͤnte
ohn ein Maulwurffs-Hertze keine gewiſſe An-
deutung erbeten; auch muͤſten die Saͤulen/ in
welche die Geiſter zum Wahrſagen gebannet
werden ſolten/ aus gewiſſem Zeuge bereitet und
unterhalten werden. Wordurch Koͤnig Phi-
lipp in Macedonien die Pythia/ oder ſo gar des
Apollo Wahrſager-Geiſt gewonnen haben ſolle.
Aber
[416]Vierdtes Buch
Aber mir ſind dieſe Thorheiten ein Greuel/ und
ich glaube/ daß unſer Schutz-Geiſt durch keine
frembde Kuͤnſte/ wohl aber durch unſere Laſter
uns entriſſen wird/ und daß ſo denn der Goͤttli-
che Beyſtand von uns und unſerm Lande Ab-
ſchied nim̃t/ wenn unſere unreine Hertzen mehr
zu keinem Tempel eines reinen Goiſtes taugen/
wenn unſere Fluͤſſe/ unſere Berge/ als die von
der Natur geſetzte Schutzwehren der Laͤnder mit
Blute und Unrecht beſudelt ſind. Dieſemnach
dañ auch fuͤr keine Strengigkeit des guͤtigẽ Got-
tes anzuziehẽ iſt/ wenn er verhaͤnget/ daß Staͤd-
te und Menſchẽ nichts minder von einem boͤſen/
als einem guten Geiſte begleitet werdẽ/ oder: daß
vieler Meynung nach/ iede Stunde der Woche
eines beſonderen Geiſtes bald heilſamer bald
ſchaͤdlicher Herrſchafft unterworffen/ und daher
unſer Gluͤck und Thun auch ſo ofter Veraͤnde-
rung unterworffen ſeyn ſolte. Denn der iedem
Menſchen noch in Mutter-Leibe zugeeignete
Schutz-Geiſt/ welcher keinen Augen-Blick ſich
von ihm entfernet/ ſondern zu unſerer Geburt
behuͤlfflich iſt/ und nicht/ nach etlicher Meynung
mit uns gebohren/ oder aus dem Geburts-Ge-
ſtirne herunter gelaſſen/ weniger aber von uns
ſterblichen Menſchen geſchaffet wird; ja der uns
auf den Haͤnden traͤgt/ und biß man die Seele
ausblaͤſet/ als ein unabtrennlicher Gefaͤrte be-
gleitet; auch wohl gar nach dem Tode/ wenn des
verſtorbenen Boßheit ſie nicht ſelbſt verbannet/
ein Beſchirmer des Hauſes bleibet/ und den un-
ſrigen uns zu Liebe zu Dienſte ſtehen/ iſt ſolchen
widrigen Geiſtern nicht nur gewachſen/ ſondern
auch uͤberlegen/ wenn ſelbter nur in ſchuldigen
Ehren gehalten/ fuͤrnehmlich aber nur mit ei-
nem helligen Leben verſoͤhnet wird; weswegen
unſere Vor-Eltern in ihren Geburts-Tagen
ihren Schutz-Geiſt mit Wein und Blumen be-
ſchenckten; maſſen mir denn auch ein Edelmann
aus der Jnſel Thule/ deſſen Geſchlechte nebſt et-
lichen andern alldort von Gott die Gnade haben
ſollen/ die den Menſchen zugeeignete Geiſter in
Geſtalt allerhand Thiere mit Augen zu ſehen/
betheuerlich erzehlet/ daß ihnen ſonderlich an
eines ieden Menſchen Geburts-Tage die Augen
eroͤffnet wuͤrden. Dieſe Gabe ſoll auch So-
crates gehabt/ und durch Beyhuͤlffe ſeines
Schutz-Geiſtes viel ihm durch Zeichen oder
Traͤume vorangedeutete Unfaͤlle abgelehnet/ ja
ſein eignes ihm ſo abgeneigtes Geburts-Geſtir-
ne uͤbermeiſtert haben. Und iſt derogeſtalt ir-
rig/ daß iedes Menſchen Geiſt die Eigenſchafft
ſeines Sternes haben ſolle. Denn dieſer war
bey dem Socrates irrdiſch/ und zur Uppigkeit
geneigt; jener aber feurig/ welcher ihn zu Nach-
ſinnung him̃licher Dinge/ zu Ausuͤbung der
Tugend an- und von allem ver gaͤnglichen ab-
leitete. Uber diß deutet unſer Schutz-Geiſt
uns mehrmals unſer gutes Gluͤcke an/ wie dem
Curtius Rufus in Africa von ſeinem in einer
ſchoͤnen Weibes-Geſtalt ihm erſcheinenden
Geiſte begegnete; er wecket uns zu einer er-
ſprießlichen Entſchluͤſſung auf; wie dem Kaͤyſer
Julius geſchahe/ welchen/ als er uͤber den Fluß
Rubico zu ſetzen Bedencken trug/ die Schilff-
Pfeiffe eines groſſen Menſchen-Vildes auf-
munterte/ und ihm uͤber den Strom den Weg
zeigte. Daß aber unſer Schutz-Geiſt mit uns
nicht verſchwinde/ ſondern auch nach unſerm
Tode fuͤr uns und die Unſrigen wachſam ſey/
hat die Erfahrung uns mehrmals augenſchein-
lich erwieſen. Jn der Marathoniſchen Schlacht
fochte der Schutz-Geiſt des Theſeus mit hell-
glaͤntzenden Waffen fuͤr die Griechen wider die
Perſen. Jn der Philippiſchen Schlacht der
Geiſt des Kaͤyſers Julius wider ſeinen Moͤrder
den Caſſius/ und ein anderer Geiſt erſtieg fuͤr die
furchtſamen Roͤmer den Wall der Brutier und
Lucaner. Die Geiſter des Pollux und Caſtors
brachten auf ihrem mit Schweiß und Staub be-
ſudelten Pferden die froͤliche Botſchafft von dem
bey dem Viturniſchẽ See erhaltenẽ Siege nach
Rom. Des in dem Siciliſchen Kriege von des
Auguſtus Krieges-Volcke enthaupteten Gabi-
nius
[417]Arminius und Thußnelda.
nius Haupt deutete dem Sextus Pompejus an:
daß die him̃liſch- und unterirrdiſchen Geiſter
des Pompejus Wehklagen erhoͤrt/ und er einen
gewuͤntſchten Ausſchlag zu hoffen haͤtte. Aus
dem todten Leichname des Buplagus mahnete
ſein Geiſt die Roͤmer von der Grauſamkeit ge-
gen ſeine Syrier ab. Des von dem raſenden
Wolffe gefreſſenen Publius nur uͤbrig gelaſſe-
nes Haupt/ welches hernach in den neu-erbau-
ten Tempel des Lyciſchen Apollo gebracht ward/
ſprach ſeinen Roͤmern ein Hertz ein/ und ver-
mahnete ſie zur Tapferkeit. Als die Aetolier
ihres verſtorbenen Fuͤrſten Polycritus mit ſeiner
Locrenſiſchen Frauen erzeugtes oben maͤnn-
unten weibliches Kind als eine Andeutung eines
zwiſchen beyden Voͤlckern bevorſtehenden Krie-
ges zu Verſoͤhnung der Goͤtter verbrennen
wolten/ kam des Polycritus Geiſt/ redete ſeinem
Kinde das Wort/ und warnigte ſein unbarm-
hertziges Vaterland fuͤr dem daraus entſtehen-
den Unheil. Ja als er das Volck von ſeinem
Schluſſe nicht abwendig machen konte/ und er
ſein Kind/ umb es aus ihren blutduͤrſtigen Haͤn-
den zu reiſſen/ ſelbſt zerrieß und verſchlang/ rede-
te dieſes Kindes Schutz-Geiſt aus dem nur noch
uͤbrigen Kopfe beweglich die Buͤrger an/ daß ſie
dem blutigen Kriegs-Verderben ſich zu entbre-
chen von dar weg/ und auf eine Zeitlang in eine
der Pallas heilige Stadt ziehen ſolten. Der
dem Athenodorus mit ſo viel Ketten ſich zeigende
Geiſt konte nicht ruhen/ biß ſein ermordeter
Leichnam aus gegraben/ und an einen geweihten
Ort geleget ward. Der Tod war nicht maͤchtig
die Liebe der ſchoͤnen Philinion des Demoſtrates
und der ſchoͤnen Charito Tochter auszuleſchen/
ſondern ihr Geiſt beſeelte noch die ſchon begrabe-
ne Leiche umb ihren geliebten Machates zu um-
armen. Hier entgegen wird unſer Schutz-
Geiſt auch noch im Leben durch laſterhaftes oder
dem Verhaͤngnuͤſſe widerſtrebendes Beginnen
von uns verjaget/ und ſchichtern gemacht. Wel-
ches alleine/ nicht aber einige Zwytracht der gu-
ten Geiſter Urſache ſeyn kan/ daß des Antonius
Geiſt ſich fuͤr des Auguſtus Geiſte gefuͤrchtet
haben ſolle. Oder wenn wir unſern Schutz-
Geiſt von uns weggeſtoſſen/ krieget unſer feind-
licher Luft uns zu betruͤben und zu erſchrecken;
wie dem Brutus zweymal/ als er nehmlich aus
Aſien in Europa mit ſeinem Heere uͤberſetzen
wolte/ und den Tag fuͤr der Schlacht in den Phi-
lippiſchen Feldern begegnete. Ein ſolcher
Geiſt brachte den Tarquinius und die Hetru-
rier in Schrecken und Flucht/ als er bey waͤh-
render Schlacht mit den Roͤmern aus dem Ar-
ſiſchen Walde ruffte: Ein Hetrurier iſt mehr
als der Roͤmer todt blieben/ welche auch den
Siegbehalten werden. Und des Dions boͤſer
Geiſt deutete mit ſeinem Hauskehren ihm ſein
und ſeines Sohnes Todt an. Alſo muthmaſſe
ich/ daß das dem Druſus in unſerer Elbe bege-
gnete Geſichte entweder ſein boͤſer/ oder dieſes
Fluſſes Schutz-Geiſt geweſen ſeyn muͤſſe. Aber
fing Rhemetalces abermals an/ ward dem Dru-
ſus auch wahr/ was dieſer Geiſt oder Geſpenſte
ihm angedeutet hatte? Jn alle wege/ antworte-
te Adgandeſter. Denn ſolch ſein Schrecknuͤß
ward bald mit mehrern beſtaͤrcket. Folgende
Nacht umbrennten ſein Laͤger etliche Hauffen
grauſam-heulender Woͤlffe; mitten im Laͤger/
darein doch bey Leibes-Straffe kein Weib kom-
men dorfte/ ward ein jaͤmmerliches Winſeln von
Weibern gehoͤret/ und etliche Luft-Geſtirne
wurden geſehen/ gleich als wenn der Himmel
mit ſolchen Lichtern dem kurtz dar auf ſterbenden
Druſus/ wie die Sterblichen ins gemein ihren
Leichen mit waͤchſernen Todten-Fackeln zu
Grabe leuchten wolte. Rhemetalces warff
ein: Er lieſſe die Erſcheinung des deutſchen
Schutz-Gottes billich an ſeinem Orte/ an de-
nen andern Begebenheiten ſtuͤnde er nicht un-
billich an/ weil er ſehe/ daß kein groſſer Mann
iemals gebohren oder geſtorben waͤre/ da nicht
entweder die Liebe zu dem Todten/ oder der Haß
wider die Verdaͤchtigen ſolche Wunderwercke
Erſter Theil. G g gauf
[418]Vierdtes Buch
auf die Bahn gebracht/ oder ungefaͤhrliche Zu-
faͤlle dahin aberglaͤubiſch ausgedeutet haͤtte.
Des Romulus Empfaͤngnuͤß und Tod ſoll
durch einer Sonnen-Finſternuͤß/ des Mithri-
dates Geburt und Herrſchens-Anfang durch ei-
nen Schwantz-Stern/ welcher ſiebentzig Tag
und Naͤchte mit ſeinen Flammen das vierdte
Theil des Himmels bedecket habe/ angedeutet
ſeyn. Da doch ſolche aus dem unveraͤnderli-
chen Lauffe der Geſtirne ſich begeben muͤſten.
Der Tempel zu Epheſus ſolte wegen Abweſen-
heit der bey des Alexanders Geburthandreichen-
den Diana verbrennet ſeyn/ da doch die Goͤtter
allenthalben gegenwaͤrtig/ oder zum minſten
auch in die Ferne zu wuͤrcken vermoͤgend ſeyn
ſolten. Als Carneades ſich mit Gift hingerich-
tet/ ſoll der Monde ſich verfinſtert haben/ da
doch diß/ wenn Carneades gleich noch hundert
Jahr gelebt haͤtte/ nicht nachblieben waͤre. An-
derer Ungluͤck ſolten frembde Voͤgel angekuͤn-
digt/ oder andere Thiere beweinet haben; da doch
der Menſch alleine nur Thraͤnen vergieſſen
kan. Alleine/ wie dem allem ſey/ glaube ich/
daß die bloſſe Einbildung des Todes ein
Schwantz - Geſtirne/ welches dem Leibe den
Untergang draͤuet/ der Seele aber ein zur Tu-
gend wegweiſender Leit-Stern ſey; Druſus auch
durch das ihm begegnete Geſichte zu keiner ge-
meinen Schwermuth/ alſo zu ſeltzamen Einbild-
und furchtſamen Entſchluͤſſungen verleitet wor-
den. Adgandeſter fuhre fort: Jch wil daruͤber
nicht ſtreiten/ ob dem Druſus die erzehlten Din-
ge begegnet ſind/ oder getraͤumet haben. Diß
aber iſt gewiß/ daß Druſus folgenden Tag mit
ſeinem Heere aufbrach/ und ſeinen Ruͤckweg ge-
gen dem Rheine nahm/ nach dem er in einen
groſſen am Ufer aufgerichteten Stein hatte ein-
graben laſſen:
Die Roͤmer kamen biß an die Weſer ohn
Hindernuͤß; fanden aber ihre befeſtigte
Bruͤcke abgebrochen/ und nichts als die Todten-
Knochen von ihrer Beſatzung. Welches ſie in
eine noch groͤſſere Beſtuͤrtzung ſetzte; zumal nie-
mand verhanden war/ der ihnen nur die Art ſo
erbaͤrmlicher Niederlage erzehlen konte. Wie ſie
nun beemſigt warẽ eine neue Bruͤcke uͤber dieſen
Fluß zu ſchlagen; fielen umb Mitternacht ein
Hauffen von fuͤnff hundert Cheruskiſchen Edel-
leuten den Roͤmern ein/ erlegten die Wache/
rennten alles was ihnen begegnete im Laͤger zu
Bodem/ zohen ſich auch/ als ſie das gantze Laͤger
in Lermen gebracht/ und etliche hundert Feinde
erlegt hatten/ ohne einigen Verluſt zuruͤcke.
Weil nun ein Sieg des andern Werckzeug iſt/
und dieſelben/ welchen das Ungluͤck mit ſeinen
Bley-Fuͤſſen gleich lange auf dem Ruͤcken her-
umb getreten hat/ wieder aufrichtet/ ſo ermun-
terte dieſer gluͤckliche Streich den Feldherrn
Segimer ebenfalls/ daß er die Roͤmer beym
Uberſetzẽ des Fluſſes anzugreiffen ſich entſchloß;
ſonderlich da er vom Marobod/ daß er ſein
Kriegsheer Sudwerts gezogen haͤtte/ vom Dru-
ſus aber/ daß bereit das dritte Theil uͤber die
Bruͤcke geſetzt waͤre/ Kundſchafft einzog. Die-
ſemnach zohe er ſein gantzes Heer aus dem Hartz-
walde gegen eben ſelbigen Strom/ und befehlich-
te etliche Wagehaͤlſe/ daß ſie drey mit Pech/
Schwefel/ und anderm brennenden Zeuge an-
gefuͤllte Schiffe des Nachts Strom-ab fuͤh-
ren/ und darmit die Roͤmiſche Bruͤcke zernich-
ten ſolten/ mit der Abrede/ ſo bald er das erſte ihm
mit einer Fackel gegebene Zeichen von einem
Berge erblicken wuͤrde/ wolte er mit geſam̃ter
Macht das Roͤmiſche Laͤger anfallen. Der
Anſchlag ging nach Wuntſch von ſtatten.
Denn/ weil die Nacht ſehr truͤbe war/ die auf
den Schiffen ſich auch nur den Strom ab
treibne
[419]Arminius und Thußnelda.
treiben lieſſen/ und mit den Rudern kein Geraͤu-
ſche machten/ ward der Feind ihrer nicht ehe ge-
wahr/ als biß die Deutſchen an die Bruͤcke an-
ſtieſſen/ und die Brand-Schiffe anzuͤndeten.
Die Roͤmer lieffen hierauf beyderſeits der Bruͤ-
cke zu/ umb das Feuer zu leſchen/ als Hertzog
Segimer an einem Orte des Laͤgers Lermen
machte/ an zwey andern aber mit aller Macht
einbrach/ alſo geriethen ſie alſobald in Verwir-
rung/ und wuſten nicht/ an welchem Orte ſie zur
Gegenwehr eilen ſolten. Druſus befahl ſelbſt
das Laͤger anzuzuͤnden/ umb den Feind von ſei-
nem eignen Volcke zu unterſcheiden/ welches
einander hin und wieder ſelbſt verwundete/ und
zu Bodem rennete. Weil nun aber die Roͤmer
mehr auf die Flucht als Gegenwehr bedacht wa-
ren/ und daher einander ſelbſt in das Waſſer
drangen/ und von der in der mitten brennenden
Bruͤcke abſtuͤrtzten/ drang Druſus mit ſeiner
Leibwache herfuͤr/ um durch ſein Beyſpiel den
furchtſamen ein Hertz zu machen. Hingegen war
der Feldherr Segimer von ſeinem Adel nicht zu
erhalten/ daß er/ ungeachtet ſeiner damals ihm
zuſtoſſenden Schwachheit ſich ebenfalls an die
Spitze ſeines Kriegsvolcks ſtellte. Rhemetalces
fieng hieruͤber an: Die Feldherrẽ/ welche zugleich
Haͤupter und Herren des Krieges waͤren/ ver-
gaͤſſen aus Eifer in den Schlachten gemeini-
glich das Ambt eines Kriegs-Oberſten/ und eines
Fuͤrſten. Denn da dieſe/ wie Jupiter auf dem
Jdiſchen/ und Neptun auf dem Samothraci-
ſchen Gebuͤrge der Trojaner und Griechen
Schlacht/ oder wie Xerxes auf dem Egaleiſchen
Gipfel dem Salaminiſchen See-Treffen/ von
aller Gefahr entfernet zuſchauen ſolten/ zuͤckten
ſie ſich unzeitig herfuͤr/ vertreten die Stelle ge-
meiner Kriegs-Leute/ und beobachten nicht/ daß
ein ungluͤcklicher Streich dem Treffen ein boͤſes
Ende/ und dem Reiche das Garaus machen
koͤnne. Es iſt nicht ohne/ antwortete Adgan-
deſter/ daß/ wenn auf einer Schlacht nicht das
Hauptwerck des gantzen Krieges/ das Heil oder
der Untergang des gantzen Reiches beruhet/ und
derſelbten Ausſchlag an einem zweifelhaften Fa-
deme haͤngt/ ein Fuͤrſt ſich nicht muthwillig in
Gefahr ſtuͤrtzen ſolle. Sintemal es auch bey
Niedrigen eine Unvernunft iſt/ ſich uͤber der Ge-
fahr erfreuen/ und nicht erwegen/ ob aus ſelbter
uns einiger wuͤrdiger Lohn zuwachſe. Wenn
aber Freyheit und Dienſtbarkeit eines Volckes
auf der Wag-Schale liegen/ und es umb des
Fuͤrſten Ehre/ die Wolfarth des Vaterlandes
zu thun iſt/ muß kein Fuͤrſt einige Gefahr zu
groß/ keinen Tod zu ſchrecklich/ und ſein Blut
nicht zu koͤſtlich ſchaͤtzen; ſondern bey verzweifel-
ten Faͤllen durch ſeine Verwegenheit der Klein-
muth und dem Ungluͤcke einen Riegel vorſchie-
ben. Denn jene wuͤrde dardurch beſchaͤmet
und lebhaft; diß aber ſcheute ſich ſelbſt mit einer
verzweifelten Kuͤhnheit anzubinden. Alſo haͤt-
te Sylla ſein fluͤchtiges Heer wider den Orcho-
menes in Beotien zu Stande/ und den Sieg
auf ſeine Seite bracht/ als er ſich ſelbſt in das
Gedraͤnge des Feindes geſtuͤrtzet. Haͤtte Ale-
xander nicht mit ſeinen Macedoniern die Ge-
fahr getheilet/ und das wichtigſte auf ſeine Achſel
genommen/ wuͤrde er nicht biß an das Ufer des
Ganges gedrungen/ und Caͤſars Siegs-Ruhm
in der Bluͤthe verdorben ſeyn/ wenn er bey ſchon
halb verſpielter Schlacht nicht einem Haupt-
manne den Schild ausgeriſſen/ und dem Nach-
drucke der Nervier einen Stilleſtand geboten
haͤtte. Dahero bey ſo gefaͤhrlichem Zuſtande
der Cherusker/ dem Segimer ſeine wohlbedaͤch-
tige und wohlausgeſchlagene Herfuͤr zuͤckung
nicht als ein Fehler ausgelegt/ ſondern von denen
ohne dis die Gefahr liebenden Deutſchen fuͤr ei-
ne Ubermaaſſe der Tapferkeit ewig geprieſen
werden muͤſte. Denn er ſchlug ſich durch des
Druſus Leibwache hertzhafft durch/ und ver-
wundete des Druſus Pferd mit einem Wurff-
Spieſſe ſo ſehr/ daß er ſich mit ihm uͤberſchlug/
und das rechte Schienbein entzwey brach. Des
Druſus Fall brachte die erſchrockenen Roͤmer
G g g 2in
[420]Vierdtes Buch
in Verzweifelung/ dieſe aber auch die Furchtſam-
ſten zu Zorn und Kuͤhnheit. Jnſonderheit
meynten ſie ihnen ein unausleſchliches Brand-
maal zuzuziehen/ da ihr Feldherr in des Fein-
des Haͤnde verfallen ſolte. Und ob wohl hieruͤ-
ber viel der tapferſten Roͤmer ins Gras biſſen/
lieſſen ſie doch nicht nach/ biß ſie den Druſus un-
ter dem Pferde herfuͤr und aus dem Gedraͤnge/
auch auf einem Nachen uͤber die Weſer brachten.
Segimer muſte hingegen nach einem ſtuͤndigen
Gefechte wegen ihm von ſeiner empfangenen
Wunde zuhaͤngenden Schwachheit aus der
Schlacht weichen. Weil nun das Roͤmiſche
Heer ohne diß ſtaͤrcker als die Deutſchen waren/
auch bereit zu tagen anfieng/ der Tag aber die
Schwaͤche der Cherusker ans Licht bringen wuͤr-
de/ rieth er ſeinem Kriegs-Oberſten/ daß ſie dem
Feinde Lufft machen ſolten ſich uͤber die Weſer
zu ziehen. Denn wenn Druſus ſeine Kraͤfften
mit Vernunfft brauchen koͤnte/ hielten ſie ihnen
die Waage; wenn er ſie aber mit Verzweifelung
vergroͤſſerte/ wuͤrden ſie ihnen uͤberlegen ſeyn.
Deshalben ſolte man einem ins Gedrange ge-
brachten Feinde lieber eine guͤldene Bruͤcke
bauen/ als alle Ausflucht abſchneiden. Alſo
zohen die Deutſchen ſich nach und nach wieder
ab; iedoch ließ Segimer dem Druſus durch ei-
nen Gefangenen ſagen: Er wolte aus Erbarm-
nuͤß den Roͤmern erlauben/ daß ſie ſelbigen
Tag unverhindert vollends uͤber den Fluß ſetzen
moͤchten; von dem aber/ was den folgenden Tag
noch betreten werden wuͤrde/ ſolte kein Gebeine
darvon kommen. Die Roͤmer/ ob ſie wohl
dieſe verdaͤchtige Guͤte der Deutſchen nicht be-
greiffen konten/ wurden gleichwohl uͤberaus
froh/ uͤberlegten das abgebrennte Theil der
Bruͤcke mit Balcken und Bretern/ ſo gut es die
Zeit lidte/ wormit das Fußvolck uͤberkommen
konte; die Reiterey aber muſte meiſt durch den
Fluß ſetzen; und/ wormit die Deutſchen ſie
nicht ſo bald wieder uͤberfallen moͤchten/ brand-
ten ſie ſelbſt vollends die Bruͤcke ab/ reiſeten auch
Tag und Nacht/ biß ſie den Rhein erreichten/
und zu Antonach nach verlohrnem Kerne ihres
Heeres wieder ankamen. Unterdeſſen aber/
weil der Schaden des Druſus ſich ſehr gefaͤhrlich
anließ/ ward dem Tiberius durch rennende Bo-
then dieſes Ungluͤck zu wiſſen gemacht/ welcher
nach geendigtem Pannoniſchen Kriege ſich zu
Ticin aufhielt. Wormit ſie auch ſo viel eh ein-
ander ſehen moͤchten/ ließ er ſich/ wie ſchwach er
von dem nunmehr durch zugeſchlagenen kalten
Brand unheilbaren Schaden war/ nach Meyntz
tragen/ allwo er den dreiſſigſten Tag nach der
Verwundung/ als Tiberius eine Stunde vor-
her daſelbſt ankommen/ und in Tag und Nacht
auf drey Poſt-Wagen zwey hundert tauſend
Schritte uͤber die ſchrecklichen Gebuͤrge und
Wildnuͤſſe mit einem einigen Geferten Antaba-
gius gereiſet/ auch auf des kaum noch athmen-
den Druſus Befehl von den Legionen als ihr
Feldherr bewillkom̃t war/ und ihm den letzten
Abſchieds-Kuß gegeben hatte/ mit der Hoffnung
noch groͤſſerer Thaten ſeine Seele ausbließ.
Die anweſende Julia druͤckte ihm die Augen zu/
und ihre Augen wuſchen ſeinen Leib mit einem
Strome haͤuffiger Thraͤnen ab. Denn ob
zwar ſonſt die Schamhaftigkeit auch einen
rechtmaͤſſigen Schmertz verbir get/ ſo zohe doch
ihr allzu empfindliches Hertzeleid ihrer Liebe die
Larve vom Geſichte/ welche nur im Anfange/
und ſo lange ihr kein ungemeiner Zufall aufſtoͤſt/
fuͤrſichtig iſt. Die Leiche ward koͤſtlich einge-
balſamt/ und nicht nur von den Kriegs-Ober-
ſten/ und denen Raths-Herren der Staͤdte/ wor-
auf ſie zukam/ nach Rom getragen/ ſondern
Tiberius ſelbſt ſtuͤtzte darbey ſeine Achſeln
unter/ und ließ ſich ſeiner gegen Julien
geſchoͤpften Eiferſucht noch gegen dem
Druſus allererſt ſich entſpinnenden Ver-
druſſes nicht mercken/ umb Livien nicht
zu erbittern/ noch den Kaͤyſer zu beleidigen.
Gleich-
[421]Arminius und Thußnelde.
Gleichwohl aber/ weil mit denen taͤglichen bey
Bewillkomm- und Abſchiednehmung gewoͤhn-
lichen Kuͤſſen/ welche die annehmliche Julia/
in Meinung/ daß vieler Gewohnheit den La-
ſtern ihre Heßligkeit benehme/ allererſt zu Rom
auffbracht hatte/ vielerley Geilheit bedecket
und entſchuldiget ward/ lag er dem Kaͤyſer in
Ohren/ daß er dieſe Aergerniße durch oͤffent-
liches Verbot abſchaffen moͤchte. Bey der
Stadt Meyntz richtete ihm das Kriegs-Heer
ein praͤchtiges Denckmahl auff. Zu Rom ward
ſeine Leiche auff dem Marckte auff einem ho-
hen Pracht-Bette gewieſen/ und daſelbſt vom
Tiberius/ auff der Flaminiſchen Renne-Bahn
aber vom Kaͤyſer ſelbſt ſeine Thaten heraus
geſtrichen/ der Leib von den fuͤrnehmſten aus
der Roͤmiſchen Ritterſchafft auff das Feld des
Mars getragen/ daſelbſt verbrennet/ die A-
ſche in das Kaͤyſerliche Begraͤbniß beygeſetzt/
ihm und ſeinen Soͤhnen der Zunahme des
Deutſchen vom Rathe gegeben; an ſtatt des
ihm beſtimmten Siegs-Gepraͤnges ein ander
Feyer angeſtellet/ dem Roͤmiſchen Volcke auff
dem Capitol ein Gaſtmahl ausgerichtet/ zu
Rom und am Rheine koͤſtliche Ehren-Bogen
auffzurichten anbefohlen/ und Livia die Mut-
ter des Druſus und Tiberius unter die Zahl
derſelbigen Frauen gezehlet/ die drey Kinder
gebohren hatten. Unterdeſſen nahm Hertzog
Segimer die von den Roͤmern fuͤr unuͤberwind-
lich geprieſene Feſtung Altheim an dem Rhei-
ne ein/ dreuete auch einen Einfall in Galli-
en/ alſo daß Kaͤyſer Auguſt denen Batavern
alle abgenommene Laͤnder und Staͤdte an der
Maaß vollends abzutreten/ den Segimern
durch annehmliche Friedens-Vorſchlaͤge zu
beſaͤnfftigen/ den Catten allen Schaden zu
erſtatten/ und die Sicambrer von der auffge-
buͤrdeten Schatzung zu befreyen gezwungen
ward.
Adgandeſter hatte noch die letzten Worte
auff der Zunge/ als ein mit verhangenem Zuͤ-
gel Spornſtreichs gegen ſie auff einem Schlaͤ-
gebaͤuchenden Pferde rennender Reuter aͤngſt-
lich nach dem Feldherrn fragte/ und endlich
dem Fuͤrſten Adgandeſter vermeldete/ die
Fuͤrſtin Thußnelde waͤre nebſt ihrer Geferthin
aus dem Luſtgarten mit Gewalt geraubet und
hinweg gefuͤhret worden. Dieſe beſtuͤrtzte
Zeitung konte Adgandeſter nicht verſchweigen/
ſondern fuͤgte ſich alſofort in den Tempel ſol-
ches zu berichten. Alle erſchracken uͤberaus heff-
tig/ fuͤrnehmlich aber Hertzog Herrmann und
Jubil ſtanden/ als wenn ſie der Blitz geruͤhret
haͤtte. Denn ob wol die Liebe die lebhaffteſte Ge-
muͤths-Regung iſt/ ſo beraubet doch keine den
Menſchen geſchwinder ſeiner Sinnen und na-
tuͤrlichen Kraͤffte/ als wenn das Schrecken ihr
den Verluft ihres Abſehens unverſehens fuͤr-
bildet. Gleichwohl erholeten ſie ſich alßbald/
und verwandelte ſich das Erſchrecknis bey dem
Feldherrn in einen hefftigen Zorn; beym Fuͤr-
ſten Jubil aber in eine Begierde ſich beyde der
Koͤnigin Erato durch ihre Erloͤſung ihr beliebt
zu machen. Was gilt es/ fing Herrmann an/
und mich werden meine Gedancken nicht betruͤ-
gen/ daß Segeſthes der Urheber dieſes verraͤ-
theriſchen Raubes ſey? Hiermit eilte er aus dem
Tempel/ ſetzte ſich mit ſeiner Leib-Wache nicht
allein zu Pferde denen Raͤubern nachzueilen/
ſondern Hertzog Jubil/ Melo/ Adgandeſter/
ja auch Rhemetalces und Malovend folgten
ihm auch auff der Ferſen nach. Denn dieſe
fremde gefangene Fuͤrſten hielten ihrer Schul-
digkeit zu ſeyn/ daß ſie ihre Tapfferkeit ihrem
ſo wohlthaͤtigen Fuͤrſten zu Liebe ſehen lieſſen.
Auſſer dem erlaubte dieſe Eilfertigkeit nieman-
den bey dem Boten die Umſtaͤnde des Rau-
bes zu erkundigen; ſondern nach dem man ihm
ein friſches Pferd gegeben/ waꝛd er befehlicht nur
den geraden Weg dahin zu zeigen/ wohin die
Raͤuber ihre Flucht genommen hatten. Wie
ſie nun bald nahe an Deutſchburg kamen/ ſtieſſen
nach und nach wohl tauſend Pferde zu ihnen/ die
G g g 3bey
[422]Vierdtes Buch
bey erregtem Geſchrey ſich fertig gemacht hat-
ten; wiewohl Saloninens Bericht nach die
Raͤuber/ welche ſie an einem Baum feſte ange-
bunden gelaſſen/ ihr auch den Mund verſtopfft/
den Fuͤrſten Zeno aber toͤdtlich verwundet hat-
ten/ ſchon etliche Stunden zu ihrem Vorſprun-
ge ihrer Flucht hatten. Gleichwohl aber ka-
men ſie auff die Spur/ und behielten ſelbte wohl
vier Stunden lang recht gegen dem Weſer-
Strome zu/ biß ſie endlich an einem Schei-
de-Wege ſich nach Anleitung des Huffſchlages
auch zu theilen genoͤthiget waren. Der Feld-
herr mit dem Hertzog Melo und Adgandeſtern
behielt die rechte/ Hertzog Jubil mit Rhemetal-
cen und Malovenden die lincke Hand. Gegen
der Sonne Untergang ereilte der Feldherr etli-
che zwantzig Reuter/ welche die Muͤdigkeit ih-
rer Pferde ihren Geferthen laͤnger gleiche zu
reiten verhindert hatte. Dieſe vermeinten
ſich zwar in dem dicken Walde auff die Seite zu
verſchlagen/ weil es wider eine ſo groſſe Men-
ge ihrer Verfolger zu fechten eine verzweiffelte
Thorheit ſchien. Alleine ihre Verfolger um-
ringten ſie alſofort/ daß die meiſten nicht abwei-
chen konten/ die uͤbrigen wurden auch vollends
aus den Hecken herfuͤr geſucht. Auff geſche-
hene ſcharffe Rechtfertigung: wer ſie waͤren/ und
wo das geraubte Frauenzimmer hinkommen?
meldeten ſie: Sie waͤren Longobarder/ Koͤnig
Marobods Unterthanen und von der Be-
ſatzung der an der Elbe liegenden Feſtung Lau-
burg. Fuͤnff hundert daſelbſt liegende Reuter
waͤren befehlicht worden/ Tag und Nacht biß
an ein in dem Deutſchbur giſchen Walde gelege-
nes Thal ihren Zug zu nehmen; allwo ſie noch
nahe drey tauſend Pferde/ und zwar ihren ei-
genen Koͤnig und einen Hertzog der Caſſuari-
er/ deſſen Nahmen ihnen unwiſſend/ angetroffen
haͤtten; von denen ſich kein Menſch auſſer die-
ſes rings umher mit einem dicken Walde um-
gebenen Thales haͤtte herfuͤr thun doͤrffen/ un-
geachtet ſie 3. Tage daſelbſt ſich verborgen gehal-
ten; Dieſen vierdtẽ Tag aber fruͤhe eine Stunde
nach der Sonnen Auffgange waͤre ein reñender
Bote kom̃en/ und nach dem dieſer dem fremden
Hertzoge nur drey Worte ins Ohr geſagt/ waͤre
er mit dreißig außerleſenen und am beſten berit-
tenen Edelleuten auffgeweſt; Koͤnig Maro-
bod haͤtte mit tauſend Reutern/ darunter auch
ſie geweſt/ ihm gefolget/ waͤre aber in dem Ende
des Waldes gegen Deutſchburg verborgen ſte-
hen blieben. Ungefehr aber nach einer Stun-
de waͤren die dreißig Pferde Spornſtreichs in
Wald zuruͤcke kommen/ und haͤtten auff zwey
Zelter-Pferden zwey weinend- und heulende
Frauenzim̃er zuruͤcke bracht. Worauff ihr Koͤ-
nig und alles Kriegs-Volck mit groſſer Ver-
gnuͤgung und Eilfertigkeit zuruͤck gekehret waͤ-
ren; alſo/ daß ſie mit ihren abgematteten Pfer-
den ihnen nicht laͤnger haͤtten folgen koͤnnen.
Weil nun faſt ieder abſonderlich hieruͤber ver-
nommen ward/ und ſie alleſamt mit einander uͤ-
berein ſtimmten/ etliche ſich auch verſchnapten/
daß Koͤnig Marobod an dem Furthe der We-
ſer/ wo ſie alle durchgeſetzt/ noch ſechs tauſend
Pferde ſtehen haͤtte; ſtellte der Feldherr dieſen
Gefangenen voͤlligen Glauben zu/ ſchickte auch
alſofort einen Edelmann mit Befehl zuruͤcke/
daß aus den naͤchſt herum gelegenen Plaͤtzen/ in
denen das Kriegs-Heer zertheilet lag/ alles/ was
nur in der Eil auffſitzen konte/ ihm folgen ſol-
te. Er aber ließ ſich die vernommene Menge
der Feinde nicht ſchrecken ſie zu verfolgen/ ſon-
derlich reitzte ihn die Verbitterung wider den
Segeſthes/ an deſſen Anſtifftung er nicht mehr
zweiffelte/ nachdem Koͤnig Marobod ſelbſt die-
ſen Anſchlag auszufuͤhren ſich erkuͤhnet hatte/
welcher bey der Fuͤrſtin Thußnelde ſein Neben-
buhler allein/ und beym Segeſthes ieder zeit ſehr
hoch am Brete geweſt war. Etliche Stunden in
die Nacht kam der Feldherr auff eine ſchoͤne mit
einer rauſchenden Bach zertheilte Wieſe/ dar-
auff er/ wiewohl nicht ohne Unwillen mit ſei-
nen Leuten/ weil die Pferde nicht mehr recht fort
wolten/
[423]Arminius und Thußnelda.
wolten/ ein wenig auszuraſten gedachte/ und
umwechſelungsweiſe die Pferde auszaͤumen zu
laſſen gezwungen ward. Denn ob es zwar ſo
ſtockfinſter war/ daß die Cheruſter einander
mehrmahls in die Augen griffen/ und einander
uͤbern Hauffen rennten/ und den Weg mit den
Haͤnden erkieſen muſten; ſo erleuchtete doch das
in dem Hertzen des Feldherrn brennende Feuer
der Liebe ſeine Augen/ daß er ihm einbildete nicht
weniger/ als gewiſſe Thiere auch im finſtern zu
ſehen. Sintemal ſo wol dieſe ſcharffſichtige Ge-
muͤths-Regung/ als die Seele ſelbſt in den Au-
gen ihren fuͤrnehmſten Sitz hat. Nach Mitter-
nacht ſagte ihm ſeine Vorwache an/ daß ſie von
ferne ein Gethoͤne der Waffen/ ein Geraͤu-
ſche der Pferde/ und Geſchrey ſtreitender Leute
hoͤrten. Dieſe Nachricht brachte alſofort ie-
derman zu Pferde/ und der Feldherr befahl/ daß
man alſobald mehr Kuͤhn-Fackeln anzuͤnden/
und ieglicher ſich hertzhafft zu fechten fertig ma-
chen ſolte; Adgandeſter muſte auch mit ſeinem
Vortrabe alſobald ſich gegen ſolchem Getuͤm-
mel naͤhern/ welches/ weil es nicht vorwerts/ ſon-
dern auff der lincken Seite zu ſeyn ſchien/ mit
groſſem Ungemach geſchach/ weil ſie durch un-
terſchiedene Moraͤſte/ und einen dicken Kiefer-
und Tannen-Wald ſich durcharbeiten muſten.
Das ſich ihnen immer ie laͤnger ie mehr naͤhern-
de Gethoͤne machte ſie ſo vielmehr begieriger
ihr Handgemenge darbey zu haben. Endlich er-
reichten ſie bey begiñender Tagung den Kampf-
Platz/ welches ebenfals eine ſumpffichte und zum
Treffen ungeſchickte Wieſe war; daher auch die
meiſten von den Pferden abgeſtiegen waren/ und
zu Fuſſe kaͤmpfften. Der erſte Anblick zeugte
alſobald aus der Tracht/ daß die Cheruſter und
ein Theil Catten unter dem Hertzog Jubil/
mit denen Marckmaͤnnern und langbaͤrtichten
Einwohnern der zwiſchen der Elbe und der
Spreu geſeſſenen Voͤlcker einander in Haaren
waren. Dieſer ihre Menge war auch jenen
wenigern weit uͤberlegen; dahero ſie ſich auch
zu ihrer Gegenwehr nur der vortheilhafftigen
Enge an dem Walde bedienen muſte. Die An-
kunfft des Feldherrn aber aͤnderte alsbald die
Beſchaffenheit des Treffens/ als er und die zwey
andern Fuͤrſten mit ihrem Hauffen dem Feinde
großmuͤthig in die Seite fielen. So bald Her-
tzog Jubil dieſer Huͤlffe wahrnahm/ drang er ſich
zu dem Feldherrn durch/ ihm vermeldende: Es
waͤre nicht rathſam/ daß ſie ins geſamt hier im
Gefechte bleiben ſolten. Denn Koͤnig Maro-
bod und Segeſthes haͤtten bey verſpuͤrter Ver-
folgung nur dieſen verlohrnen Hauffen um ſie
auffzuhalten/ und inzwiſchen mit ihrer reichen
Beute zu entwiſchen am Ruͤcken gelaſſen. Alſo
waͤre am rathſamſten hier nur ſo viel Volck/
welches dem Feinde an einem ſo engen Orte zur
Noth gewachſen waͤre/ zu laſſen. Sie aber muͤ-
ſten mit dem kerne ihres Volckes dem Haupt-
Feinde in Eiſen liegen. Der Feldherr lobte
dieſen Rath; Befahl daher dem Fuͤrſten Adgan-
deſter/ daß er nebſt Malovenden allhier dem
Feinde begegnen ſolte. Er aber und alle an-
dere Fuͤrſten lenckten mit tauſend Pferden recht-
waͤrts/ ſchnitten alſo dieſen feindlichen Hauffen
vom Koͤnige Marobod und Segeſthes ab. Ge-
gen den Mittag holten ſie ihren deſthalben gantz
unvermutheten Feind ein/ welcher auch deſthal-
ben/ auſſer einer mit fuͤnffhundert Pferden be-
ſtellter Wache/ in einem anmuthigen Thale
ausruhete. Der Anfall der Wache brachte
alsbald alles feindliche Kriegsvolck in Lermen;
allein/ weil die Cheruſter/ um deſto groͤſſeres
Schrecken zu machen/ an vier Orten angriffen/
und gegen einem unverſehenen Feinde zweyfa-
che Mannſchafft nicht zu ſtehen vermag/ konten
die Marckmaͤnner und Langbaͤrte ſich unmoͤg-
lich aus ihrer Unordnung verwickeln/ und daher
hatten die Cheruſter mehr zu metzgen als zu fech-
ten. Zumahl die Gerechtigkeit der Sache den
fuͤr ſie kaͤmpffenden noch ein Hertze macht/ dem
ihm uͤbel bewuſten aber die Helffte nimmet. Der
Feldherr hatte auch das Gluͤcke von einem Huͤ-
gel
[424]Vierdtes Buch
gel eine Saͤnffte zu erblicken/ in welcher er ſeine
himmliſche Thußnelde eingekerckert zu ſeyn ihm
einbildete. Daher machte er mit ſeinem
Schwerdte/ als einem unauffhoͤrlichen Blitze
durch Niederſchlagung alles deſſen/ was ſich ge-
gen ihm ſetzte/ einen Weg dahin; kam auch alſo
nahe/ daß er Thußnelden ſein einiges Kleinod
dieſer Welt mit ihren thraͤnenden Augen er-
blickte. Hieruͤber gerieth er gantz auſſer ſich;
indem eines Liebenden Seele mehr in dem iſt/
was ſie liebet als was ſie beſeelet; alſo/ daß ob
wohl Koͤnig Marobod und Segeſthes in Perſon
mit fuͤnff hundert auffs beſte gewaffneten Edel-
leuten alldar in Bereitſchafft ſtanden/ er doch ſich
fuͤr allem ſeinem Volcke herfuͤr brach/ und den
Marobod als ein wuͤtender Loͤw anfiel. Die
Schwerdter waren nicht zu zehlen/ die uͤber ihn
gezuͤckt wurden/ welche auch ſein Pferd deroge-
ſtalt verletzten/ daß er ſelbſt aus dem Sattel ſpꝛin-
gen/ und ſich zu Fuße beſchirmen muſte. Aber
was konten zwey Armen gegen tauſend ausrich-
ten? Denn ob er ſchon faſt mit iedem Schlage
einen Feind ſeiner rachgierigen Liebe auffopf-
ferte/ ward er doch/ nach dem die Seinigen ihn
gantz aus dem Geſichte verlohren hatten/ uͤber-
mannet/ zu Bodem getreten/ und auff Maro-
bods Befehl gefangen. Der verdam̃te/ und aus
Hertzog Herrmanns bloſſer Gnade nur noch le-
bende Segeſthes ward durch ſeine Rache auch ſo
ferne verleitet/ daß er ihm ſelbſt eine Kette an den
Hals warff/ und ihn als einen Knecht fortſchlep-
pen ließ. Dieſe Schmach erblickte die vorhin
weinende/ itzt aber wuͤtende Fuͤrſtin Thußnelde;
welche von ihrem Herrmann ſo wenig als die
Turtel-Taube von ihren Eyern/ kein Auge ver-
wendet/ ſondern durch ihre Strahlen ſein Gluͤ-
cke aus zubruͤten vermeinet hatte/ nunmehr aber
alle Feinde mit ihren Augen erſtechen wolte.
Daher ſprang ſie als eine ihrer Jungen beraub-
te Baͤrin aus der Saͤnffte/ riß einem derer ſie
verwahrenden Longobarder den Degen aus/
und ob ſie wohl ungewaffnet/ ja mit hinderli-
chen Frauen-Kleidern angelegt war/ verſetzte
ſie doch zweyen Marckmaͤnnern von denen/ die
den Feld-Herrn gebunden hielten/ ehe ſich ie-
mand deſſen verſahe/ zwey ſo grimmige Strei-
che/ daß ſie todt zur Erden fielen. Die uͤbri-
gen geriethen hierdurch in Schrecken und
Flucht/ weil ſie Thußnelden mehr fuͤr eine
Kriegs-Goͤttin/ als ein ſterbliches Frauen zim-
mer anſahen. Hiermit riß ſie dem Feldherrn
die unwuͤrdige Laſt der Kette vom Halſe/ der
ſich denn Augenblicks mit dem Schilde und
Degen eines Erſchlagenen waffnete; Und weil
er dieſe Beſtrickung fuͤr die groͤſte Schmach ſei-
nes Lebens hielt/ ſolche mit einem haͤuffigen
Strome feindliches Blutes auszuleſchen alle
Leibes-Kraͤfften anwendete. Denn Liebe und
Rache hatten ohne diß vorher ſein Gemuͤthe
auffs euſſerſte angeſtecket. Die großmuͤthige/
und numehr gleichſam aufs neue lebende Thuß-
nelde bemuͤhete ſich ihrem gewiedmeten Helden
alle Streiche nachzuthun/ und ſchlug auff die
bey dem Marobod fechtenden Marckmaͤñer ge-
troſt loß/ welche darum ſo viel mehr ausrichtete/
weil Marobod diß wahrnehmende den ſeini-
gen bey Leibes-Straffe verbot/ ſie nur wieder
zu fangen/ nicht zu verwunden. Es iſt un-
moͤglich zu beſchreiben/ was dieſe zwey Hel-
den gegen die groſſe Menge ihrer Feinde fuͤr
Thaten ausuͤbten. Jnzwiſchen aber hatte
Fuͤrſt Rhemetalces und die ihm zugegebenen
Cheruſter die Gefahr und den Nothſtand des
Feld-Herrn wahrgenommen/ und alſo ih-
nen mit Blut und Leichen den Weg zu ſei-
ner Errettung gebaͤhnet; Ja endlich drang der
Ritter Horn harte an ihn/ ſprang vom Pferde/
wormit ſich Hertzog Herrmann deſſen bedienen/
und dem auff ihn dringenden Marobod begeg-
nen konte. Wie nun dieſe zwey mit einander
hertzhafft anbanden/ geriethen Rhemetalces
und Segeſthes an einander. Beydes Gefech-
te war wuͤrdig von der gantzen Welt geſehen
zu werden. Segeſthes aber ward an den rechten
Ell-
[425]Arminius und Thußnelda.
Ellbogen hefftig verwundet; Daher/ und weil
er den ſchlimſten Tod vor Augen ſahe/ wenn er
noch einmal gefangen wuͤrde/ machte er ſich zum
erſten aus dem Staube. Der inzwiſchen auch
verwundete Koͤnig Marobod verſuchte zwar
alle ſein Heil zu ſiegen/ kriegte aber von des
Feldherrn Wurffſpieſſe noch eine Wunde in die
Achſel/ und alſo muſte er mit verfluchter Ver-
laſſung ſeiner in der Hoffnung ſchon verſchlun-
genen Thußnelda auch aus dem Gefechte ſich zu-
ruͤcke ziehen. Hiermit kriegte der Feldherr Platz
die ungewaffnete Thußnelda aus ſo gefaͤhrli-
chem Gedraͤnge zu bringen. Weil aber die
Liebe in gekroͤnten Haͤuptern all zu zart und un-
gedultig/ des geliebten Dinges Verluſt uner-
traͤglich iſt/ und kein Zorn raſender/ als derſelbe
zu ſeyn pflegt/ welcher eine hefftige Liebe zur
Mutter hat; ſchoß der erboſte Marobod bey ſei-
ner Zuruͤckweichung einen Pfeil iedoch verge-
bens nach der ſchoͤnen Thußnelde. Die Marck-
maͤnner fochten hierauf alſobald laulichter/ hin-
gegen wuchs den Cheruskern wegen theils wie-
der erſtrittener Beute/ und daß etliche neue
Hauffen ihnen zu Huͤlffe kamen/ das Hertze;
wiewohl die Longobarden mit ſolcher Hartnaͤ-
ckigkeit ſtritten/ daß ſielieber ſterben/ als einen
Schritt aus ihrem Gliede weichen wolten.
Endlich gaben die Marckmaͤnner die Flucht/
welche der Feldherr all zuweit zu verfolgen nicht
fuͤr rathſam hielt/ weil er ſeinen geraubten
Schatz dem Feinde wieder abgeſchlagen/ und
von den Gefangenen den groſſen Hinterhalt
an der kaum drey Meilweges von dar entfern-
ten Weſer ausgeforſcht hatte/ zumal ihm die all-
zu zeitliche Flucht des ſonſt ſo ſtreitbaren Maro-
bods all zu verdaͤchtig fuͤrkam.
Dieſe Zuruͤckhaltung war auch ſo viel noͤthi-
ger und heilſam/ weil der hertzhaffte Jubil in-
zwiſchen in euſerſter Noth badete. Denn die-
ſer war mit ſeinem in dreyhundert Maͤnnern
beſtehenden Hauffen auf dreyhundert ſtreitbare
Marſinger unter ihrem Hertzoge Tapis/ deſſen
Sitz an dem Fluſſe Guttalus in der Stadt Bu-
dorigum iſt/ und deſſen Gebiete ſich an ſolchem
Strome von dem Marcomanniſehen Gebuͤr-
ge biß an die Bartſch erſtrecket/ geſtoſſen. Jhre
Sprache bezeuget/ daß ſie von Uhrſprunge
Schwaben ſind. Neben dieſen hielten noch
fuͤnf hundert Sarmater den Hertzog der Her-
mundurer warm; welch Volck zwar zu Fuſſe
nichts taugt/ zu Pferde aber iſt es ſo ſchnell/ daß
wenn es mit ſeinen uͤber Stock und Stein ren-
nenden Hauffen anfaͤllt/ auch die geſchloſſenſte
Schlacht-Ordnung zertrennet wird. Dieſe
fuͤhrte des Sarmatiſchen Koͤnigs Jagelle
Sohn/ deſſen Reich ſich von der Weichſel biß an
den Fluß Tanais/ und vom Baltiſchen biß an
das ſchwartze Meer/ und die Meotiſche Pfuͤtze
erſtreckte. Jhre Grauſamkeit haben auch die
Roͤmer ſchon unter dem Lucullus im Thraci-
ſchen Kriege/ und noch fuͤr weniger Zeit Augu-
ſtus erfahren/ nach dem ſie uͤber die gefrorne
Donau den Roͤmern oftmals eingefallen/ und
groſſen Schaden gethan/ alſo daß der Kaͤyſer ih-
retwegen den Lentulus mit dreyen Legionen zu
Beſetzung ſelbigen Fluſſes halten muͤſſen/ biß
endlich durch Vermittelung des Daciſchen Koͤ-
nigs Cotiſan die Roͤmer und Sarmater mit ein-
ander einen Frieden gemacht/ als jene zu dem
Jagello nach Kiov/ dieſe aber zum Kaͤyſer biß in
Hiſpanien nach Tarracon eine praͤchtige Ge-
ſandſchafft abgehen laſſen. Dieſes Koͤnigs
Sohn Boris/ ein zwantzig jaͤhriger ſtreitbarer
Fuͤrſt/ hatte ſich an des Koͤnigs Marobods Hoffe
etliche Monat auf gehalten/ und um ſeine ſchoͤne
Tochter Adelmund geworben; alſo um ihm
durch ſeine Tapfferkeit Gunſt und Anſehn zu
erwerben/ ſich dieſem eilfertigen Anſchlage des
Koͤnig Marobods zugeſellet. Hertzog Jubil
und Melo muſten bey ſolcher Beſchaffenheit
ſich auch in zwey Hauffen theilen/ und alſo nahm
dieſer den Marſingiſchen Hertzog/ jener den uͤ-
ber alle andere hervorragenden und mit einer
abſcheulichen Ruͤſtung alles grauſame draͤuen-
Erſter Theil. H h hden
[426]Vierdtes Buch
den Boris auf ſich. Auf beyden Seiten ward
alle Tapfferkeit und Kriegs-Liſt herfuͤr geſucht.
Nach langem Gefechte ward Hertzog Melo
vom Marſingiſchen Fuͤrſten in die lincke Seite/
hernach von dem Ritteꝛ Hohbeꝛg an dem rechten
Arm verwundet/ und mit ihm ſein Hauffen fuͤr
denen an der Menge ihnen weit uͤberlegenen
Feinden etwas zuruͤck zu weichen gezwungen.
Gleicher geſtalt kamen Hertzog Jubil und Bo-
ris an einander/ welcher auf eine gantz ſeltſame
Art ſein um und um mit eiſernem Bleche be-
hencktes Pferd mit dem Zuͤgel im Munde lenck-
te. Anfangs brauchte er an ſtatt der Lantze einen
langen an dem Sattel feſte gemachten ſtaͤhler-
nen Pantzerſtecher/ welchen er mit der rechten
Hand in vollen biegen rennende auff ſeinen
Feind richtete; dem aber Hertzog Jubil/ weil er
diß Gewehre ihm auff die Seite abzulehnen
nicht getraute/ kluͤglich auswich. Ob er nun
zwar hingegen den Boris mit der Lantze zu er-
reichen vermeinte/ beugte ſich doch dieſer Sar-
mate mit einer groſſen Geſchwindigkeit auf die
andere Seite; Hierauf ließ er ſeinen Schild auf
die Seite haͤngen/ ergriff mit beyden Haͤnden
eine uͤberaus lange Sebel/ und ſchlug auff den
Fuͤrſten der Hermundurer mit groſſem Unge-
ſtuͤme loß/ alſo/ daß er fuͤr dieſen Rieſenſtreichen
ſich zu beſchirmen groſſe Muͤh hatte. Nach
vielen ver gebenen Streichen kriegte endlich die-
ſes ungeheure Gewehre den Schwung/ alſo/
daß es ihm aus den Haͤnden entfuhr. Jubil
meinte bey dieſer Gelegenheit ihm eines zu ver-
ſetzen/ aber Boris bedeckte mit ſeinem uͤberaus
breiten Schilde ſeinen gantzen Leib/ warf ſein
Pferd herum/ und buͤckte ſich zugleich ſo tief an
Bodem/ daß er eine andere daſelbſt liegende
Sebel aufhob/ und mit ſeinem Feinde aufs neue
anband. Jubil hingegen ſuchte alle Meiſter-
ſtreiche herfuͤr dieſem geſchwinden Feinde einen
Vortheil abzurennen/ und infonderheit ſein
Pferd zu erlegen/ weil er wol ſahe/ daß des Bo-
ris Ruͤſtung und Waffen zu einem Fußgefechte
ungeſchickt waren; Zumal dieſe Liſt vielen Che-
ruskern neben ihm wider die Sarmater wohl
gluͤckte. Ob nun wohl der abhaͤngende Har-
niſch viel tapffere Streiche zernichtete; ſo gerieth
ihm doch endlich einer derogeſtalt/ daß er des
Boris Pferd an einen Vorder-Schenckel heff-
tig verwundete/ worvon er uͤber und uͤber ſtuͤrtz-
te. Hertzog Jubil ſprang Augenblicks vom
Pferde um ſeinem Feinde vollends den Reſt zu
geben; als er ein jaͤmmerliches Geſchrey eines
Frauenzimmers hinter ſich im Walde erblickte/
und als er ſich umwendete/ die Koͤnigin Erato
mit einem Stocke gegen zwey mit blancken
Sebeln ſie antaſtende Sarmater ſich beſchir-
men ſahe. Dieſer Nothſtand machte/ daß er
des gefallenen Boris vergaß/ und der Koͤnigin
zu Huͤlffe eilete; fuͤr welchem ſich ihre Feinde al-
ſofort in die Hecken verbargen. Herentgegen
ſahe er zwey grauſame weiſſe Baͤren/ welche
Boris gezaͤhmet/ und gleichſam zu ſeiner Leib-
wache abgerichtet/ ſein Waffentraͤger aber bey
ſeines Herrn erſehener Stuͤrtzung loß gelaſſen
hatte/ auf ihn zurennen/ welches ihn noͤthigte/
ſich an einen dicken Baum an zulehnen/ wormit
er nicht zugleich vor- und ruͤck waͤrts angegriffen
wuͤrde. Bey dieſer Sorge hatte er noch eine
groͤſſere fuͤr die ſich nahe bey ihm befindende und
unbewehrte Koͤnigin/ welche aber/ entweder
aus goͤttlicher Beſchirmung/ oder weil die Baͤ-
ren dem weiblichen Geſchlechte leichte kein Leid
thun/ zu ſeiner groſſen Vergnuͤgung unange-
taſtet blieb; iedoch von denen zwey vorigen
Sarmatern aufs neue uͤberfallen/ und in das
Gepuͤſche fort geſchlept ward. Wiewohl er
nun kein ander Gewehr/ als ſeinen Degen bey
der Hand hatte/ auch in halbe Verzweiffelung
gerieth/ daß er die in ſo groſſe Ehren- und Le-
bens-Noth verfallene Erato nicht retten konte/
ſo hielt er doch die Baͤren ihm eine gute Zeit
vom Leibe/ verwundete auch beyde in ihre Maͤu-
ler. Dieſes aber verurſachte bey ihnen keine
Furcht/ ſondern vielmehr ein grauſames Wuͤ-
ten;
[427]Arminius und Thußnelda.
ten; inſonderheit da der Hertzog dem einen Baͤ-
ren den Degen tief in die Bruſt ſtache. Wie er
nun uͤber dem heraus ziehen zerbrach/ ſprang
der andere Baͤr gleichſam ſeines Gefaͤrthen
Tod zu raͤchen/ ihn ſo gewaltig an/ daß er bereit
mit einem Knie zu Bodem fiel. Wie nun die-
ſer auch in der groͤſten Lebens-Gefahr und bey
Ermangelung allen Gewehres gantz unver-
zagte Held kein ander Mittel ſahe dieſen grim-
migen Klauen zu entkommen/ ſprang er mit ei-
ner unglaublichen Geſchwindigkeit dem Baͤ-
ren auf den Hals/ hielt ſich auch mit Haͤnden/
Beinen und Zaͤhnen ſo feſt an/ daß ſich dieſes
wilde Thier ſeiner ungewoͤhnlichen Laſt nicht
entſchuͤtten konte. Weil nun Jubil/ nach dem
er ſich feſte genung zu ſitzen vermeinte/ den Baͤr
mit ſeinem noch behaltenen Degenſtrumpffe
moͤglichſt neckte/ und zu verwunden trachtete/
nahm dieſes erboſte Thier in ſein erſtes Vater-
land/ nehmlich in den dickeſten Wald ſeine Zu-
flucht/ brachte ihn aber aus ſonderbarem Ver-
haͤngnuͤſſe des Himmels eben an ſelbigen Ort/
wo ſich die nunmehr kaum noch athmende Koͤ-
nigin mit den geilen Sarmateꝛn aͤrgerte/ und in
Mangel anderer Waffen mit Zaͤhnen und Naͤ-
geln ihre Ehre vertheidigte. Alſo fuͤhret das
unerforſchliche Verhaͤngnuͤß ſeine Schluͤſſe
durch wilde und zahme Thiere aus; und Her-
tzog Jubil hatte bey nahe dieſem wuͤtenden Baͤ-
re ſo viel zu dancken/ als Paris dem ſo guͤtigen/
der ihn auf dem Berge Jda geſaͤuget; und A-
rion dem Delfine/ der ihn durch das Meer nach
Corinth getragen haben ſoll. Hertzog Jubil
konte ihm zwar nichts anders einbilden; als daß
der Baͤr bey ſeinem Abſteigen ihn aufs neue an-
fallen wuͤrde; Gleichwol hielt er fuͤr ruͤhmlicher
von einem unvernuͤnfftigen Thiere zerfleiſchet
werden/ als eine ſo tugendhaffte Koͤnigin in den
Klauen dieſer die Grauſamkeit des Baͤres weit
uͤbertreffender Raubvoͤgel zu laſſen/ und hier-
durch ſich ſelbſt zum Unmenſchen machen. Da-
her griff er mit beyden Haͤnden nach einem
vorwaͤrts erſehenem Aſte/ und ließ den Baͤr un-
ter ſich ſeine blinde Flucht vollſtrecken; welcher
denn auch ohne einiges Umſehen nach ſeinem
Reuter den dickſten Hecken zueilte. Hertzog
Jubil wuſte dieſe goͤttliche Huͤlffe mit keinem an-
genehmern Opffer ſeinem Gott abzugelten/ als
daß er Augenblicks denen ſich auf der Erde mit
der Koͤnigin umweltzenden Sarmatern zueil-
te/ einem auch/ ehe er ſein inne ward/ die Sebel
von der Seiten wegrieß/ und ſelbte beyden in
den Wanſt ſtieß/ worvonſie zugleich ihre tolle
Brunſt abkuͤhleten/ als ihre viehiſche Seelen
den hoͤlliſchen Rachgeiſtern ablieferten. Die
ihres Hauptes inzwiſchen entbloͤſten Cherusker
zohen nicht wenig den kuͤrtzern/ waren auch von
dem Hertzoge Tapis und dem wieder zu Pferde
gebrachten Fuͤrſten Boris ſchon in Verwir-
rung und zum weichen gebracht; als Hertzog
Jubil/ der in dem Walde zwey aus dem Tref-
fen entlauffene Pferde erwiſcht/ und nebſt der
Koͤnigin ſich darauff geſetzt hatte/ wieder gleich-
ſam vom Himmel fallende den Seinigen zu
Huͤlffe kam. Sein erſter Anblick erneuerte auch
der Ermuͤdeſten entfallene Kraͤfften; Gleich-
wol aber wuͤrden ſie von der Menge endlich uͤ-
bermannet worden ſeyn/ nach dem Hertzog Me-
lo ſich wegen vieler Wunden hatte muͤſſen weg-
tragen laſſen/ Hertzog Jubil auch aus ſieben
wiewol nicht gefaͤhrlichen Wunden ſeine Kraͤf-
ten ausblutete/ ja aus denen Cheruskern nicht
einer mehr unbeſchaͤdigt blieben war; wenn
nicht nach der Flucht Koͤnig Marobods und des
Segeſthes Hertzog Herrmann und Rhemetal-
ces mit ihrem Hauffen dem Fuͤrſten der Her-
mundurer und denen nothleidenden Cherus-
kern zu Huͤlffe kommen waͤren. Dieſer An-
kunfft verkehrte alsbald das Spiel. Denn Her-
tzog Tapis und Boris/ welche inzwiſchen mit
den ihrigen auch nicht Seide geſponnen hatten/
ſahen wol/ daß dieſe neue Huͤlffe ihnen uͤberle-
gen waͤre; machten ihnen auch alſofort die
Rechnung/ daß Marobod an der andern da-
H h h 2ſelbſt
[428]Vierdtes Buch
ſelbſt zwar unſichtbaren Seite die Flucht gege-
ben haben muͤſſen. Ja wenn ſie auch ſchon ger-
ne laͤnger gegen die Cherusker geſtanden haͤt-
ten/ ſo konten ſie doch nicht mehr das offentliche
Ausreiſſen ihrer Marckmaͤnner und Sarma-
ter/ welche ſich ohne diß in ihren Kriegen mehr-
mals der Flucht zu einer Kriegsliſt brauchen/
und alſo ſelbte kein mal fuͤr Schande halten/ ver-
wehren. Dahero muſten dieſe zwey ſtreitbare
Helden nur auch zu dieſem Erhaͤltnuͤſſe der
furchtſamen ihre Zuflucht nehmen/ und ſich troͤ-
ſten/ daß die Klugheit zuweilen auch hertzhafften
zu weichen raͤthet; und bey verzweiffeltem Zu-
ſtande der Gefahr ſelbſt in die Waffen rennen/
eine viehiſche Hartnaͤckigkeit/ keine Tugend ſey.
Die Cherusker hingegen waren in ihrer Ver-
folgung nicht zu hemmen; in Meinung/ daß
die/ die Furcht im Hertzen truͤgen/ auch ein
Merckmahl auf den Ruͤcken bekommen muͤſten.
Ob nun wol denen Marckmaͤnnern und Sar-
matern von dem Hinterhalte Marobods eine
ſtarcke Huͤlffe entgegen kam; ſo wolten ſie doch
nicht ihren Verfolgern die Stirne bieten/ ſon-
dern brachten unter ihre Gehuͤlffen anfangs ein
Schrecken/ hernach ein gleichmaͤßiges Flie-
hen; biß den Cheruskern theils die Muͤdigkeit
ihrer Pferde/ theils die einbrechende Nacht end-
lich auchden Zuͤgel anhielt.
Die nunmehr erledigte Fuͤrſtin Thußnelda
konte ſich nicht enthalten ihren gantz mit Blut
beſpruͤtzten Feldherrn thraͤnende zu umfangen/
und fuͤr ihre Erloͤſung Danck zu ſagen. Hertzog
Herrmann nahm ſelbte mit unausſprechlichen
Hertzens-Freuden an/ und ermahnte ſie dieſe
mehr goͤttliche als menſchliche Errettung mit
Frolocken/ nicht mit Thraͤnen zu erkennen.
Thußnelda antwortete: ihre Zunge koͤnte frey-
lich ihre Freude der Seele nicht ausſprechen/
daß ſie nicht allein aus den Haͤnden des grauſa-
men Marobods geriſſen/ ſondern auch in den
Armen ihres liebſten Herrmanns aufenthalten
waͤre; aber wie ſolte ſie nicht nur mit Thraͤnen/
ſondern vielmehr mit Blute beweinen/ daß das
Geſchencke des Lebens als die groͤſte Wohlthat
eines verletzten Menſchen ihren Vater Se-
geſthes nicht haͤtte gewinnen/ und von einem ſo
boͤſen Fuͤrnehmen zuruͤck halten koͤnnen. Der
Feldherr verſetzte: Sie ſolte ſich an der Guͤte des
Himmels vergnuͤgen. Wer die goͤttliche Gewo-
genheit zur Mutter haͤtte/ koͤnte die Hold eines
unbarmhertzigen Vaters leicht enthehren. Auch
koͤnte Segeſthes ihm nimmermehr ſo viel Leides
anthun; als er ihm ihr zu Liebe ver geſſen wolte.
Ja nach dem er nunmehr Segeſthen zweymal
uͤberwunden haͤtte/ koͤnte er mit keinem Ruhme
ſich die Schwachheit des Zornes uͤberwaͤltigen
laſſen. Freylich wol/ begegnete ihm Thußnelda/
iſt dieſe Vergeſſenheit empfangener Beleidi-
gung ruͤhmlicher als das beruͤhmte Gedaͤchtnuͤß
des Cyneas; weil diß eine bloſſe Gabe der Natur/
jene eine edle Wuͤrckung der Tugend iſt. Auch
iſt die Rache eben ſo wol ein Laſter/ als die Ver-
letzung/ nur daß jene es dieſer in der Zeit zuvor
thut. Jene empfindet nur die Suͤßigkeit eines
Augenblicks/ Sanftmuth und Vergebung aber
ſo lange/ als das Leben und Andencken tauert.
Jene verletzet nur den Leib ihres Feindes/ dieſe
aber ihre eigene Seele; ja ſie kan ſeinem Verle-
tzer nichts anders rauben/ als was ihm die Zeit
ohne diß entziehen wird. Großmuͤthige Verzei-
hung hingegen wird durch unſterblichen Nach-
ruhm verewigt. Dieſer hat niemanden iemals/
jener aber die meiſten unzehlich mal gereuet/ alle
verhaſt gemacht/ und nicht wenig auch einer
gleichmaͤßigen Rache unterworffen. Alſo ward
des Achilles Sohn Neoptolemus/ weil er den
Priamus dem Jupiter auf ſeinem Altare abge-
ſchlachtet hatte/ vom Oreſtes nicht unbillich dem
Apollo ab gethan. So richtet ihr auch die Grau-
ſamkeit in ihrem eignen Hertzen eine Folter auf.
Denn wie die grimmigen Thiere fuͤr einem
Schatten/ eine abſchelenden Blate/ einem unge-
meinen Geruche erſchrecken/ die Loͤwen ſich auch
fuͤr einer aufſprin genden Mauß erſchuͤttern; alſo
fuͤrchtet ſich ein grauſameꝛ Fuͤrſt fuͤr eben ſo vielẽ/
als andere fuͤr ihm. Aber ſtehet es wol in unſerer
Gewalt
[429]Arminius und Thußnelda.
Gewalt ein ſo groſſes Unrecht zu vergeſſen?
Giebet uns nicht ſo wol unſere eigene Sicher-
heit/ als der natuͤrliche Trieb das Rachſchwerd
in die Hand/ wenn unſere Guͤtigkeit unſern
Feind nicht beſaͤnftiget/ ſondern nach Art der
abzugelten unmoͤglichen Wolthaten/ ihn nur
noch mehr erbittert? Oder kan die Liebe gegen
derſelben unverſehrt bleiben/ wenn ihꝛ Urſprung
nichts als Gift und Galle kochet? Und mit was
fuͤr einer Bach voll Thraͤnen mag Thußnelde
ihren eigenen Schimpf abwaſchen; nach dem
Segeſthes ſein gantzes Geſchlechte mit ſolcher
Untreu beſudelt? Keine Flecken ſind ſchwerer zu
vertilgen/ keine Verbrechen geben einen haͤßli-
chern Geſtanck von ſich/ als welche nach Verraͤ-
therey ruͤchen. Der Feldherr umarmte Thuß-
nelden aufs neue/ mit beweglicher Bitte: Sie
wolte doch ihr und der Tugend kein ſo ungerech-
tes Urthel faͤllen/ wenn ſie ihr fremde Schuld des
Segeſthes aufhalſete. Das Licht der Tugend al-
lein haͤtte nur dieſen Voꝛzug; und begreiffe ſo viel
in ſich/ daß ſie auch andere mit ihrem Glantze be-
theilte; das Weſen der Laſter aber beſtuͤnde in
Finſternuͤß/ und erſtrecke ſich ihr Schatten
nicht uͤber das Maaß der Verbrecher; Daher
koͤnte zwar fremdes Feuer unſere eigenthuͤmli-
che Guͤter/ aber fremde Schuld nicht unſern ei-
genen Ruhm verzehren. Uberdiß wuͤrde die
Groͤſſe ihrer Liebe ihr ſchwerlich zu glauben ver-
ſtatten/ daß die Seinige durch einigen Zufall der
Welt vermindert werden koͤnte. Tugend und
ungefaͤlſchte Liebe waͤren in dem/ dem Geſtirne
zu vergleichen/ daß kein Nebel noch Ungluͤck ih-
nen das Licht ausleſchen koͤnte; darinnen aber
uͤbertraͤffen ſie es/ daß ſie allzeit im Wachsthum
blieben. Wie aber koͤnte ſein guter Ruhm mehr
ins Abnehmen kommen/ als weñ er durch Rach-
gier ſelbten verfinſterte? Alle Begierden ver-
blendeten zwar die Augen des Gemuͤths/ den
Geitzigen machte ſein erſehner Vortheil uͤber-
ſichtig/ ein Geileꝛ ſaͤhe den Fꝛoſch fuͤꝛ eine Diana/
ein Hoffaͤrtiger die Rieſen fuͤr Zwerge an/ ein
Heuchler machte aus Kohlen Kreide/ ein Ver-
laͤumder aus Kreide Kohlen; ein Zorn- und
Rachgieriger aber ſey ſtock blind/ und ſtuͤrtze ſich
oft ehe als ſeinen Todfeind in den erſchrecklich-
ſten Abgrund; ja er rechne es ihm fuͤr einen groſ-
ſen Gewinn/ wenn er ſeinen Feind mit ſeiner ei-
genen Leiche erdruͤcken koͤnne.
Bey waͤhrender dieſer annehmlichen Unter-
redung wuſte die Koͤnigin Erato ihre Verbind-
ligkeit gegen dem Hertzoge Jubil nicht genung-
ſam auszudruͤcken/ alſo daß ſie auch ohne einige
Bedenckligkeit ihres Geſchlechtes in ſeine Um-
armung rennte. Sintemal man ſich gegen dem
aus Schamhaftigkeit nicht zu zwingen hat/ wel-
chem man die Behaltung der Ehre und Scham
zu dancken verbunden iſt. Sie nennte ihn ihren
Schutz-Gott/ ihren Erhalter/ ihren Vater/ ja
dem ſie ſo viel mehr verknuͤpft waͤre/ ſo viel ſie ih-
re Ehre hoͤher/ als ihr Leben ſchaͤtzte; weil er mit
dem Blute der geilen Sarmater nicht nur ihre
viehiſche Begierde/ ſondern auch das Andencken
ihrer ſchwartzen Unterfangung ausgewiſcht
haͤtte. Er habe ſein Leben fuͤr ihre Keuſchheit in
die Schantze geſetzt/ wormit ſie ihr Lebtage nicht
fuͤr der Welt und ihrem eigenen Andencken
ſchamroth/ oder vielmehr ihre Haͤnde in ihrem
eigenen Blute haͤtte waſchen doͤrffen. Denn da
dieſe raſende Unmenſchen ihꝛ gleich nach geraub-
ter Ehre den Lebens-Athem uͤbrig gelaſſen haͤt-
ten/ wuͤrde ſie ſelbtem als einer Marter ihrer rei-
nen Seele doch durch eine Wunde aus zufahren
Luft gemacht haben. Wiewol ſie zu den Goͤttern
der Zuverſicht gelebt/ ſie wuͤrden ihr ehe den Le-
bensfadem abgeriſſen/ oder ſie der Vernunft und
aller Sinnen beraubet/ als eine ſolche Schmach
zu erleben und zu empfinden uͤber ſie verhan-
gen haben. Hertzog Jubil war uͤber dieſer
freymuͤthigen Erkaͤntnuͤß derogeſtalt erfreuet/
daß er der Koͤnigin Gunſt-Bezeigung nicht
nur fuͤr eine weit uͤberwichtige Vergeltung ſei-
ner Wolthaten ſchaͤtzte/ ſondern auch ſeine hier-
aus geſchoͤpffte Vergnuͤgung aller ſeiner uͤ-
berſtandenen Gefaͤhrligkeiten ſchier vergaß.
Er raffte dieſemnach itzt alle Kraͤfften ſeiner
H h h 3Hoͤflig-
[430]Vierdtes Buch
Hoͤfligkeit/ wie vorhin ſeiner Tapfferkeit zuſam-
men/ einer ſo liebreichen Koͤnigin annehmlich
zu begegnen. Er ſtrich ihre gegen die gewaf-
neten Sarmater erwieſene Hertzhafftigkeit mit
ſo hohen Lobſpruͤchen/ als es ihre herrliche That
verdiente/ und mit ſo lebhafften Farben heraus/
daß der Feldherr ſeine Thußnelda und die an-
dern Fuͤrſten/ (welche ihre uͤberſtandene Eben-
theuer zu vernehmen begierig waren) alles
gleichſam noch einmal geſchehen ſahen. Er
verkleinerte ſeine Verdienſte/ indem das Gluͤ-
cke ihm in allem Thun die Hand gefuͤhret/ und
einen wilden Baͤren ihm zum Pferde und Weg-
weiſer gemacht haͤtte; ſolte ja aber ſeine Tapffer-
keit etwas darbey gethan haben/ waͤre ihr un-
vergleichliches Beyſpiel fuͤr den Zunder zu hal-
ten/ welcher ſeinen Geiſt zu behertzten Ent-
ſchluͤſſungen angeſteckt haͤtte. Dahero waͤre
ſeine That nicht ſo wol aus eigner Wuͤrdigkeit/
als nur wegen ſo erfreulichen Ausſchlages/ da
eine ſo tugendhaffte Koͤnigin aus einer ſo ab-
ſcheulichen Antaſtung errettet worden/ zu ſchaͤ-
tzen. Hingegen uͤberſtiege ihre zuſammen ver-
maͤhlte Tapfferkeit und Keuſchheit das Lob al-
ler Sterblichen/ zumal die einige Keuſchheit oh-
ne diß fuͤr eine groͤſſere Hertzhafftigkeit/ als aller
Welt-Eroberer Helden-Thaten zu achten waͤ-
re. Fuͤrſt Rhemetalces brach hier ein: Er
waͤre verwundert uͤber dieſer groſſen Heldin/
und der Neid ſelbſt wuͤrde ihrem Ruhme ehe
was beyſetzen muͤſſen/ als einen Gran wegneh-
men koͤnnen. Aber diß koͤnne er nicht begreif-
fen/ wie die Keuſchheit die eigenthuͤmliche Tu-
gend des ſchwaͤcheren Geſchlechtes eine groͤſſere
Hertz hafftigkeit/ als die Tapfferkeit der Helden
abgeben ſolle? Jene haͤtte ja meiſt ihre Anfech-
tung nur von anmuthigem Reitze und zucker-
nen Worten/ ihr Kampff geſchehe in wohlruͤ-
chenden Zimmern; und die ihr am hefftigſten
zuſetzten/ kuͤſſeten ihrem Feinde die Haͤnde/ leg-
ten ſich ihm unter die Fuͤſſe/ verſchmertzten alle
Beleidigung/ gehorſamten ihrem Augenwinck/
opfferten ihm Seuffzen und Thraͤnen/ und
nicht ſelten ihre hellodernde Seele auff dem Al-
tar der Verzweiffelung auff. Alſo haͤtte die
Keuſchheit mehr das Anſehn einer gebietenden
Kaͤyſerin/ als einer ſtreitenden Amazone. Sie
lieſſe ſich mehrmals die tiefſte Demuth nicht er-
bitten; ſie aber gebiete wol uͤber Koͤnige/ und la-
che derer/ die alle ihre Kraͤfften mit eben ſolchem
Vortheil an ihre Unbarmhertzigkeit/ als das
Meer ſeine Wellen an eine ſteile Klippe an-
ſchlagen. Hingegen muͤſſe die Helden-Tu-
gend ſo vielen Todten die Stirne bieten/ als es
Pfeile in den Koͤchern der Feinde/ und Spitzen
an Degen eines verſammleten Kriegs-Heeres
habe/ ſie muͤſſe uͤber unwegbare Felſen/ durch
ungruͤndbare Stroͤme/ auf geharnſchte Mau-
ern/ wider Feuer und Schwerdter/ und den
Donner der Geſchuͤtze behertzt anſetzen/ welche
in der Welt groͤſſere Schrecken und Moͤrde
ſtiffteten/ als der natuͤrliche Blitz aus den Wol-
cken. Dieſe gewinne Schlachten/ erobere Fe-
ſtungen/ erwerbe Zepter und Kronen/ und zeh-
le ihre Uberwundene nach tauſenden. Die hold-
ſelige Thußnelda begegnete dem Thraciſchen
Fuͤrſten mit einer durchdringenden Anmuth/
daß nicht ſo wol die Selbſtliebe ihres Geſchlech-
tes/ als die Warheit ſie noͤthigte/ dem Fuͤrſten
Jubil beyzufallen. Denn wenn man die eu-
ſerliche Bemuͤhung des Leibes/ und anſehnliche
Geſchickligkeit der Glieder/ weil die Tugenden
ja nicht in Fleiſch und Beinen/ ſondern im Ge-
muͤthe ihren Sitz haͤtten/ wegnehme/ wuͤrde
wenig mehr ſcheinbares fuͤr die Helden uͤbrig
bleiben/ daß ihre Tapfferkeit ſich der Hertzhaff-
tigkeit einer keuſchen Frauen fuͤrzuͤcken ſolte.
Dieſe muͤſte zu ihrer Ausuͤbung nicht immer die
Sebel in der Hand/ Stahl und Feuer uͤber dem
Kopffe/ blutige Haͤnde und feurige Augen ha-
ben/ noch auf Leichen und Aſche gehen. Jedoch
waͤre die Keuſchheit nicht nur eine Tugend des
Krieges/ ſondern auch des Friedens; und zwar
eines ſo harten/ welcher weder einen Stille-
ſtand
[431]Arminius und Thußnelda.
ſtand/ noch daß man ſich auff keine Seite des
Feindes ſchluͤge/ verſtattete/ ſondern in dem
man ſein Lebenlang kaͤmpffen/ und entweder
ſterben oder ſiegen muͤſte. Die Keuſchheit haͤt-
te zwar zu ihrem Sinnbilde die weichen Lilgen/
aber ſie muͤſte mit Diſteln umgeben ſeyn. Ja
ihrem Beduͤncken nach waͤre die Roſe ihr fuͤgli-
cher zuzueignen/ welche nicht nur an ihrer Far-
be verſchaͤmt/ ſondern mit ſo viel Doͤrnern ge-
waffnet iſt. Unter den Thieren waͤre das groͤ-
ſte und zum Kriege geſchickteſte/ nemlich der E-
lefant/ auch das keuſcheſte/ welches von keinem
Ehebruche wuͤſte. Die Keuſchheit habe ſo viel
Feinde/ als das menſchliche Gemuͤthe unziem-
liche Regungen; und ſo viel mehr gefaͤhrliche/
als ſich mit Anmuth und Tugend vermummen/
und daher weniger kentbar und ſchwerer zu-
ruͤck zu treiben waͤren/ als welche einen mit
Dreuen und Schnauben zum Kampff ausfor-
dern. Alſo laſſe ſich der ſonſt wider den Ham-
mer beſtehende Marmel von weichen Regen-
Tropffen abnuͤtzen; und der allen ſtarcken Thie-
ren ſo ſchreckliche Loͤwe von einer Weſpe uͤber-
winden. Dahero ſey Hercules/ nach dem er
die Ungeheuer der Welt und der Hoͤlle uͤberwaͤl-
tiget/ Alexander und Julius/ nach dem ſie ſo viel
Voͤlcker beſtritten/ ſo viel Reiche zermalmet/
von der Liebe untergedruͤckt worden/ und ihr
Helden-Geiſt niedriger geweſt/ als welchen die
Keuſchheit von noͤthen habe. Ja die Natur
ſchlage ſich mit ihrem Triebe/ unſere eigene
Sinnen mit ihrer Kitzelung auf die Seite die-
ſer ſo annehmlichen Widerſacher; eroͤfneten ih-
nen verraͤtheriſch die Pforte des Hertzens; dahe-
ro wie die unvermerckte Krafft des Magnets
das ſo ſchwere und unbewegliche Eiſen ohne un-
ſere Gewaltſamkeit an ſich zeucht/ alſo werde der
Liebreitz auch leicht Meiſter unſers Willens/
und vereinbare ſich mit unſer Zuneigung. Hin-
gegen habe die Tapfferkeit keine ſo ſchlaue und
ſchleichende/ ſondern nur einen oͤffentlichen
Feind/ nemlich die gewaltſame Antaſtung; und
nebſt ihr die Natur ſelbſt zum Beyſtande; welche
fuͤr Abwendung aller Beleidigung allezeit
Schildwache haͤlt/ und das Boͤſe abzulehnen
dem Gemuͤthe einen angebohrnen Trieb/ iedem
Gliede eine abſondere Faͤhigkeit zu Beſchir-
mung des gantzen Leibes eingepflantzet hat;
wenn die Keuſchheit von niemanden als der ei-
nigen Veꝛnunft ihre Waffen zuentlehnen weiß.
Alſo ſey in alle Wege der Tapfferkeit viel leich-
ter einem Rieſen die Stange zu bieten/ als der
Keuſchheit die Zuneigungen des Gemuͤthes zu
zwingen/ das Verlangen der Seele/ den Trieb
der Sinnen zu daͤmpffen/ die Vergnuͤgung als
ein ſo ſcheinbares Gut aus den Haͤnden zu ſchla-
gen/ ja der Wolluſt obzuſiegen/ einer ſo hartnaͤ-
ckichten und zugleich liebkoſenden Feindin/ wel-
cher weder die Gewalt der Starcken/ noch das
Nachdencken der vorſichtigſten etwas leicht an-
hat/ ob ſie ſchon nicht mit Schwerd und Feuer/
ſondern mit Blumen und Schneeballen an-
greift. Jch geſchweige/ daß die Liebe und Wol-
luſt insgemein noch viel maͤchtige Feinde auf den
Kampf-Platz bringe; als den Geitz/ durch Aus-
ſchuͤttung koͤſtlicher Perlen/ unſchaͤtzbarer Edel-
geſteine/ und des guͤldenen Regens/ wordurch
man auch unzehlbare Schloͤſſer aufſprenget/
und zu Danaen durch eiſerne Riegel dringet;
die Schmach und Schande/ wenn man der wi-
derſpenſtigen Keuſchheit grauſamſte Laſter und
knechtiſche Buhlſchafft anzutichten draͤuet/ die
Ehrſucht/ wenn man ihre ungemeine Wuͤrden/
Purpur und Anbetungen vieler Voͤlcker ver-
heiſſet/ ja endlich den ſo grauſam ausſehenden
Tod/ wenn ein bruͤllender Tarqvin einer Lucre-
tia den Dolch ans Hertze ſetzt; wenn ein Wuͤte-
rich auf einer Seite ſein aus Sammet und At-
las bereitetes Bette/ auf der andern Seite der
Hencker Rad und gluͤende Zange fuͤrleget; alſo
die Keuſchheit alle annehmliche Eitelkeit groß-
muͤthig verachten/ alles ſchreckliche mit einer
unbeweglichen Gedult ausſtehen/ beydes aber
durch eine mehr als heldenmaͤßige Hertzhafftig-
keit uͤberwinden/ ja mit ihrem eigenen Meſſer
dem Nothzwange toller Brunſt zuvor kommen/
und
[432]Vierdtes Buch
und ihre Bruͤſte mit reinem Blute beflecken
muß; wormit man die Lilgen der Keuſchhelt un-
beſudelt in Sarch lege; Maſſen denn ohne der-
gleichen Anfechtungen ſich keine fuͤr keuſch zu
ruͤhmen/ ſondern entweder fuͤr eine von der Ge-
burtsart her froſtige/ oder fuͤr eine von den La-
ſtern ſelbſt verſchmehete zu halten hat. Der Feld-
herr brach allhier ſeiner Thußnelden ein: Die
Keuſchheit doͤrfe in alle wege ein groſſes Hertze/
und unverzagte Entſchluͤſſungen; aber diß koͤn-
ne er nimmermehr billichen/ daß ſie wider ſich
ſelbſt ihre Rache ausuͤben/ und ein fremdes Laſter
an ihrem unſchuldigen Leibe ſtraffen ſolte. Denn
da das Gemuͤthe in eines andeꝛn Uppigkeit nicht
gewilligt habe/ waͤre durch Zwang weder die
Seele beſudelt/ noch dem guten Nahmen ein ſol-
cher Schandfleck angehenckt worden/ welcher
mit ſo ſcharffer Lauge ſeines eigenen Blutes ab-
gewiſcht werden muͤſſe. Jhm waͤre zwar nicht
unbekandt/ wie hoch die Roͤmer den Selbſtmord
ihrer Lucretie heraus ſtrichen; er finde aber dar-
an nichts ruhmwuͤrdiges/ als daß ſie mit ihrem
Meſſer das Joch der koͤniglichen Tyranney
zerkerbet habe; und daß wie aus Aureliens Bau-
che der Julius und die Roͤmiſche Dienſtbarkeit
geſchnitten/ alſo aus Lucretiens Wunde die
Freyheit des Volckes gebohren worden. Auſer
dem aber/ da ſie Tarqvin mit Gewalt veruneh-
ret/ waͤre ſie keines Todes ſchuldigs da ſie aber
zugleich geſuͤndigt/ ihre Reue zu ſpat/ und ihre
Verzweiffelung keines Lobes wuͤrdig geweſt.
Die Koͤnigin Erato konte ſich nicht enthalten/
der in ihren Augen ſo hoch geſehenen Lucrekia
das Wort zu reden/ und nach des Feldherrn ge-
betener Erlaubnuͤß entgegen zu ſetzen: Keuſch-
heit und Lilgen waͤren von ſolcher Reinligkeit/
daß dieſe auch in ihrem Stiele/ jene in ihrem Lei-
be keinen Fleck erduldete. Die Lilge ſtreckte ihr
Haupt unter den Blumen/ die Keuſchheit unter
den Tugenden am hoͤchſten empor/ wormit jene
von dem Schlamme der Erden/ dieſe der Laſter
nicht beſudelt wuͤrde. Die Lilge habe eine Farbe
wie Schnee/ einen Geruch uͤber Biſam/ eine
Krone von Gold; die Keuſchheit muͤſſe nicht al-
leine den Glantz der Unſchuld/ ſondern einen al-
len Verdachts befreyten Geruch eines guten
Namens haben/ wenn ſie den Krantz der Ehren
erwerben wolte. Wie nun aber die Lilge alleine/
wenn ſie unberuͤhrt bleibt/ ihren Geruch behiel-
te/ durch Betaſtung aber ſelbten in Stanck ver-
wandelte; alſo muͤſſe die Keuſchheit auch die Be-
ruͤhrung ihrer Glieder von einem geilen Finger
verhuͤten/ wo ſie ihrer Ehre keinen Abbruch
thun wolle; oder da ihre euſerſte Sorgfalt ſie
endlich fuͤr der Verwelckung nicht laͤnger be-
freyen/ und mit ihrem kraͤfftigen Geruche die
Giftſaugenden Schlangen von dem Genuͤſſe
ihres Jungfrauen-Honigs verjagen koͤnte/ doch
mit ihrem Blute ihr einen neuen Ruhm gebaͤh-
ren/ wie die Lilge ſich aus ihren abfallenden eige-
nen Thraͤnen ſaͤme und fortpflantze. Die Fuͤr-
ſtin Thußnelda fiel der Koͤnigin ein: Sie billig-
te allerdinges ihre Lehre/ aber nicht das darzu
aufgeſtellte Beyſpiel. Denn ſie lieſſe Lucretien
gerne fuͤr eine Austreiberin der Tyrannen/ fuͤr
eine Mutter der buͤrgerlichen Freyheit/ nicht a-
ber fuͤr ein vollkommenes Muſter der Keuſchheit
gelten. Sintemal ſie fuͤr ihrer Befleckung den
angeſetzten Dolch des Tarqvin/ nicht aber nach
verwundeter Sache ihr Meſſer in ihren Bruͤ-
ſten haͤtte empfinden ſollen. Weil ja eine mit
Schrecken erpreſte Beliebung zwar kein freyer/
aber gleichwol ein Wille; ein zuͤchtiges Hertze
aber ein ſo durchſichtiges Cryſtall waͤre/ welches
keinen Schatten gebe/ und ein ſo heller Spiegel/
daß er vom Anhauchen/ von einem geilẽ Anblicke
Flecken bekaͤme. Dieſemnach waͤre mit viel rei-
neren Leibern/ mit viel keuſcheren Seelen nach
der vom Marius erlittener Niederlage das
deutſche gefangene Frauenzimmer geſtorben/ da
ſie in einer Nacht/ als ſie Marius der Goͤttin
Veſta nicht wiedmen wolte/ durch eigenhaͤndi-
gen Tod aller fremden Brunſt zuvor kamen.
Da aber ja von einem Wuͤterich der Keuſchheit
die Haͤnde gehunden wuͤrden/ koͤnte ſie ſo deñ al-
lereꝛſt ein behertzteꝛ Tod alleꝛ Schande befreyen.
Alſo
[433]Arminius und Thußnelda.
Alſo waͤre eine Fuͤrſtin ihres Geſchlechtes von
einem Ungeheuer anfangs in Band und Eiſen
geſchlagen/ hernach aber als ſie vergebens um
durch einen ruͤhmlichen Todt ihrer Schande fuͤr
zukommen/ aus einem hohen Zimmer herab ge-
ſprungen/ in ſeinem Bette/ worfuͤr ſie Pfal und
Holtzſtoß lieber beſchritten haͤtte/ zu ihrer Ent-
weihung angebunden/ und aus hieruͤber ge-
ſchoͤpfftem Hertzeleide ihre reine Seele auff dem
Grabe ihres vorher ermordeten Ehherrn aus-
geblaſen worden. Fuͤrſt Rhemetalces/ nach-
dem er mit Verwunderung ſo tugendhafften
Geſchicht- und Entſchluͤſſungen zugehoͤret hat-
te/ fing hierauff an: Er und die uͤbrige Welt
muͤſten bey ſolcher Beſchaffenheit nicht nur ih-
ren Meinungen beypflichten/ ſondern auch ih-
ren Tugenden aus dem Wege treten. Armeni-
en aber/ fing Hertzog Jubil an/ wuͤrde ſich nun-
mehr mit der Heldenthat ihrer Erato auch den
Deutſchen zu gleichen und andern Voͤlckern
fuͤr zu zuͤcken haben. Jn alle wege fuhr der
Feldherr fort/ denn die Tugend iſt an keine Ecke
der Welt angepfloͤcket. Wie unter einem guͤti-
gen Himmel und einem gluͤckſeligen Geſtirne
ſolcher Art Menſchen gebohren werden/ die un-
ter-dem kalten Angelſterne wohnen; Alſo wer-
den in dem eyßichten Nord auch ſolche gezeuget/
wie die/ ſo die Sonne uͤber ihrem Wuͤrbel haben.
Mir iſt zwar nicht unbewuſt/ daß die Stern-
verſtaͤndigen die Weltkugel in ſieben der Brei-
te nach genommene Landſtriche abtheilen/ den
erſten/ der durch die Jnſel Meroe geht/ dem Sa-
turnus/ und deſthalben groben/ argwohn- und
verraͤtheriſchen Leuten/ den andern bey der E-
gyptiſchen Stadt Siene dem Jupiter/ und dar-
um klugen andaͤchtigen und ehrliebenden Ein-
wohnern/ den dritten/ der Alexandria beruͤhrt/
dem Mars/ und alſo kriegeriſchen und unruhi-
gen Menſchen zueignen. Uber dem vierdten/
unter dem Rhodis und halb Griechenland gele-
gen/ ſetzen ſi die Sonne/ darinnen gelehrte/ be-
redſame un zu allen Kuͤnſten geſchickte Leute
wohnten; Den fuͤnfften/ welcher Jtalien be-
greifft/ ſtellen ſie unter den Einfluß der Venus/
und machen darinnen Wolluſt und Uppigkeit
zur Herrſcherin. Den ſechſten/ der Gallien in
ſich hat/ ſoll Mercur unter ſich/ und alſo veraͤn-
derliche und unbeſtaͤndige/ iedoch denen Wiſſen-
ſchafften ergebige Einwohner; Der ſiebende a-
ber/ der uns Deutſche und Britannien erreicht/
des Monden Eigenſchafft haben/ und deßhalben
traurige/ und nur zur Kauffmañſchafft und Ga-
ſtereyen geneigte Leute bewirthen. Alleine wie
ich unſchwer enthenge/ daß die Wuͤrckung der
Geſtirne uͤber die Beſchaffenheit der dort oder
dar ſich befindlicher Leiber eben ſo wie uͤber die
Erde ſelbſt eine groſſe Gewalt ausuͤbe; wiewohl
auch dieſe nach ihrem Unterſcheide jener Wuͤr-
ckung verhindert; Daher es auch unter dem
mittelſten Sonnen-Zirckel nicht allenthalben
gluͤendheiß/ ſondern recht mittelmaͤßig/ gegen
Mitternacht nicht allenthalben unertraͤglich
kalt iſt/ alſo iſt das edelſte Kleinod des Gemuͤths
die Tugend/ welche ihren Urſprung nicht aus
den Sternen/ noch aus den Duͤnſten der Erden
ſondern aus einem uͤberirrdiſchen Saamen/ wel-
chen die Goͤttliche Verſehung in Mutterleibe
noch in unſere Seelen eingeuſt/ und eine gute
Aufferziehung fortpflantzet/ nicht in gewiſſe
Winckel des Erdkreißes zu verriegeln. Zwar
iſts nicht ohne/ daß ein Volck tugendhaffter ſey
als das andere/ und daß zu gewiſſer Zeit gewiſſe
Laſter/ wie manche Kranckheiten/ mehr im
Schwunge gehen. Allein es iſt kein Ort und
keine Zeit ſo ungluͤckſelig/ daß eitel Klodier/ kein
Cato leben ſolte. Jedes Land hat ſeine Wun-
werwercke und ſeine Mißgeburten nichts weni-
ger/ als ſeine Tage und ſeine Naͤchte. Keines iſt/
welches nicht ſeinen Hercules/ und ſeine Lucretia
auff die Schaubuͤhne ſtellen koͤnne. Und wo
Sonnen ſind/ giebt es auch Finſterniße. Ob wir
Deutſchen nun wohl dem beruͤhmten Armenien
eine ſo koͤſtliche Perle/ als ihre Koͤnigin Erato
iſt/ nicht mißgoͤnnen/ ſo rechnen wir es doch fuͤr
Erſter Theil. J i iein
[434]Vierdtes Buch
ein Gluͤcke Deutſchlandes/ daß ſelbte mit einem
ſo herrlichen Strahl ihrer Tugend unſer
Deutſchland beſeligt/ und ihre Heldenthat zu ei-
nem Beyſpiele unſer Nachkommen fuͤr gebildet
habe. Die Koͤnigin faͤrbte uͤber dieſem Ruhme
ihre verſchaͤmte Wangen/ ſchrieb ihr Beginnen/
da es ja eines Ruhmes wuͤrdig waͤre/ dem Ein-
fluſſe Deutſchlandes/ welches ſo vieler Voͤlcker
gemeine Laſter auch nicht nur von Nahmen
keñte/ alles ihr gegebene Lob aber der Hertzhaff-
tigkeit des Fuͤrſten Jubils zu/ deſſen Tugend
nicht nur ſo viehiſche Menſchen/ ſondern auch die
grauſamſten Thiere bezwungen/ und den Nah-
men eines neuen Hercules verdienet haͤtte. Die
Fuͤrſtin Thußnelde fiel ein: Jch weiß ſicher nicht/
ob ich wilde Thiere oder boͤſe Menſchen fuͤr
grauſamer halten ſolle. Denn ob gleich die Na-
tur dieſe nicht wie die Baͤre mit ſtarcken Tatzen/
wie die Loͤwen mit ſtarcken Klauen/ wie die Ti-
ger mit ſcharffen Naͤgeln/ mit einem Ruͤſſel wie
die Elefanten/ mit Hoͤrnern wie die Ochſen/ mit
Zaͤhnen wie die hauenden Schweine/ mit Sta-
cheln wie die Bienen ausgeruͤſtet/ ſo hat ſie es
doch nicht ſo wohl aus Miß gunſt gethan/ weil die
Vernunfſt alle Waffen uͤberwieget/ als die
Menſchen aus Mißtrauen allzu groſſen Miß-
trauens entwaffnet. Sintemal die Verlaͤum-
der eine viel gifftigere Zunge als die Nattern/
wormit ſie auch die reinſten Lilgen begeiffern/ die
Betruͤger viel kruͤmmere Anſchlaͤge/ als die Hoͤr-
ner der Auer-Ochſen ſind/ wormit ſie auch die
Fuͤrſichtigen beſchaͤdigen/ die Neidiſchen ſchaͤdli-
chere Augen als Baſilißken haben/ und mit ih-
ren Blicken die Unſchuld zu erſtechen trachten.
Der Athem der Drachen iſt nicht ſo toͤdtlich als
der Heuchler/ die Hunds-Zaͤhne nicht ſo ſpitzig
als der Zornigen/ keine Egel ſo blutduͤrſtig als
die Tyrannen. Alſo ſind im Menſchen nicht nur
aller Ungeheuer Waffen vereinbart/ ſondern
da dieſe zum hoͤchſten uns nur des Lebens zu
entſetzen maͤchtig ſind/ ſo rauben uns dieſe noch
Ehre/ Friede/ Gut/ Vergnuͤgung/ das Gewiſ-
ſen/ und endlich gar die Seele/ durch Laͤſtern/
Krieg/ Diebſtal/ Ehbruch/ Verfuͤhr- und Ver-
zweiffelung. Bey welcher Bewandniß ſich
nicht zu veꝛwundern iſt/ daß ſo viel Weltweiſe ge-
glaubt: die Menſchen haͤtten nichts uͤberirrdi-
ſches an ſich/ ſondern ſie waͤren wie die wilden
Thiere von ſich ſelbſt aus der Erde gewachſen.
Maſſen denn ein Menſch dem andern offt un-
aͤhnlicher als einem Affen/ und gehaͤßiger als den
Schlangen iſt. Daher Socrates mit ihm ſelbſt
nicht eins geweſt iſt: Ob er ein Menſch oder an-
der Thier waͤre/ und deß wegen nachdencklich ge-
dichtet/ daß er auff dem Vogel-Eylande wegen
deß daſelbſt eingewurtzelten Haſſes wider die
Menſchen/ ſich habe fuͤr einen Affen ausgeben
muͤſſen. Jch muß es geſtehen/ fing Hertzog Jubil
an/ dieſe zwey Baͤren bezeugten allhier gegen
einer ſolchen anbetens-wuͤrdigen Goͤttin mehr
Barmhertzigkeit und Ehrerbietung/ als die
Sarmatiſchen Unmenſchen; ja der eine fuͤhrte
mich ſo gar zu ihrer Errettung. Und ob ſie
wohl gegen mich ihre Klauen gewetzet/ ſo iſt doch
diß nicht ſo wohl fuͤr eine Grauſamkeit zu ſchel-
ten/ ſondern vielmehr als eine Vertheidigung
ihres Herrn/ welcher ſonſt ſein Leben diß-
mahl nicht darvon gebracht haͤtte/ zu loben.
Fuͤrſt Rhemetalces ſetzte bey: Es waͤre in alle
wege die That dieſer zwey ſo wohl abgerichte-
ten und treuen Baͤren ſo ſchlecht nicht anzuſe-
hen. Jn Epiro habe zwar ein Hund den Moͤr-
der ſeines Herrn angegeben/ ein ander ſich mit
ſeinem Liſimachus verbrennen/ Maſiniſſa ſich
von Hunden bewachen laſſen/ einander ſich mit
ſeinem in die Tiber geſchmiſſenen Herrn er-
ſaͤuft. Die Colophonier und Caſtabalenſer haͤtten
Hunde in ihren Schlachten an die Spitze geſtel-
let/ zwey hundert Hunde haͤtten einen Koͤnig der
Garamanter durch ihre Tapfferkeit wieder in
ſein Reich geſetzt. Der groſſe Mithridates habe
zwar Hunde/ ein Pferd/ einen wilden Ochſen/
und einen Hirſch/ Hanno einen Loͤwen im Laͤger
zu ſeiner Bewahrung abgerichtet/ welches als
ein
[435]Arminius und Thußnelda.
ein Zeichen angezielter Ober-Herrſchafft uͤber
Carthago ihn ſeinen Kopff gekoſtet/ Marcus
Antonius habe nach der Pharſaliſchen Schlacht
zur Andeitung/ daß die hertzhafftigſten Roͤmer
ſich einem knechtiſchen Joche unterwerffen wuͤr-
den/ gezaͤhmte Loͤwen an ſeinen Wagen geſpan-
net/ und ſey darmit in Rom gefahren; von denen
ſo wilden Baͤren aber habe er noch nicht gehoͤret/
daß ſelbte zur Leibwache waͤren gebraucht/ und
zum Kriege abgerichtet worden. Der Feldherr
antwortete: Es waͤre in denen Nordlaͤndern
diß nichts ungem eines; maſſen die Baͤren all-
dar zum Tautz und anderer Gauckeley geweh-
net wuͤrden. Auch hielte er darfuͤr/ daß die
Baͤren in Thracien nicht grimmiger ſeyn muͤ-
ſten/ weil in dem benachbarten Phrygien ja des
Priamus wegen eines Traumes in das Jdi-
ſche Gebuͤrge verworffener Sohn Alexander
von einer Baͤrin ſoll geſaͤuget worden ſeyn.
Rhemetalces verſetzte: Jch hoͤre wohl/ daß der
Feldherr meiner Nachbarſchafft mehr als ich
ſelbſt kundig ſey. Jedoch faͤllt mir zu Beſtaͤr-
ckung obiger Meinung ein/ daß es die Men-
ſchen den wilden Thieren weit zuvor thun/ wie
Cyrus von einem Hunde/ Pelias von einer
Stutte/ Egiſthus von einer Ziege/ Romulus
von einer Woͤlffin/ Koͤnig Habis von einer
Hinde/ Midas von Ameiſen/ Hiero und
Plato von Bienen/ ja Pythagoras gar von ei-
nem Aſpen-Baume ernehret worden ſey; als
die unbarmhertzigen Eltern ihnen die Lebens-
Mittel entzogen. Es iſt zu bejammern/ antwor-
tete der Feldherr/ daß vernuͤnfftige Menſchen
wilder als wild ſind/ daß ein Thier ins gemein
nur einer uͤbeln Art/ als der Fuchs der Argliſt/
der Hund der Zwiſtigkeit/ der Eſel der Traͤg-
heit/ der Haſe der Furchtſamkeit/ der Panther der
Grauſamkeit/ der Menſch hingegen aller Laſter
faͤhig ſey. Und da kein Unthier ein anders toͤdtet/
wenn es nicht Hunger oder Beleidigung darzu
noͤthiget/ der Menſch alleine das heilige Eben-
bild Gottes den andern im Schertz und Kurtz-
weil in offentlichen Schau-Plaͤtzen mit Lachen
und Frolocken der Zuſchauer ermordet. Ja weñ
man den Abriß deß menſchlichen Lebens genau
betrachtet/ ſcheinet ſelbter faſt alle zehn Jahr eine
neue Geſtalt eines Thieres abzubilden/ und biß
zum zehenden Jahre einen Papagoyen/ und ein
ſpielendes Eichhorn/ biß zum zwantzigſten einen
ſtoltzen Pfauen/ biß zum dreißigſten einen hitzi-
gen Loͤwen/ biß zum viertzigſten ein arbeitſames
Kamel/ biß zum funffzigſten eine liſtige Schlan-
ge/ biß zum ſechzigſten einen neidiſchen Hund ab-
zugeben/ und derogeſtalt biß er wieder zum Kin-
de wird/ ſich von Jahre zu Jahre mehr zu ver-
ſchlimmern/ und ie mehr ſein Verſtand zunim-
met/ ſich ſeines edlen Schatzes der Vernunfft
nur weniger zu gebrauchen/ oder kraͤfftiger zu
mißbrauchen. Die tugendſame Thußnelde ſeuf-
zete hieruͤber/ und zweiffelsfrey uͤber dem Begin-
nen ihres Vatern Segeſthes/ und hob an: Wol-
te Gott! daß der Menſch dieſes mehr als him̃li-
ſche Licht der Natur/ welches in uns alle Nebel
der Unwiſſenheit/ allen ſtinckenden Dampff der
Laſter erleuchten und zertreiben ſoll/ mit Nach-
haͤngung ſeiner boͤſen Luͤſte nicht verfinſterte!
Wolte Gott! daß er alle ſein Thun nach dieſer
Richtſchnur richtete! Denn die Vernunfft iſt in
Warheit der Probierſtein/ an dem man alle Be-
gebnuͤſſe ſtreichen/ alles Boͤſe und Gute unter-
ſcheiden muß. Sie iſt die Magnet-Nadel/ wel-
che ſich allezeit gegen dem Angelſterne der Tu-
gend wendet. Dieſe iſt des Menſchen eigenthuͤm-
liches Gut/ das die Natur ihm zuvoraus ge-
ſchencket hat; Alle andere Gaben beſitzen auch
andere Thiere. Einen Leib haben auch die Stei-
ne/ ein Leben auch die Gewaͤchſe/ die Bewegung
auch das Gewuͤrme/ eine Schoͤnheit auch die
Pfauen/ eine Stimme auch die Papagoyen/ eine
Staͤrckere der Loͤw/ eine ſchaͤrffere der Adler/ eine
lieblichere die Nachtigal. Die Elephanten uͤber-
treffen den Menſchen an der Staͤrcke/ die Hir-
ſchen an Geſchwindigkeit/ die Affen am Ge-
ſchmacke/ die Spinne am Fuͤhlen/ der Geyer am
J i i 2Ge-
[436]Vierdtes Buch
Geruche/ der Luchs am Geſichte/ das wilde
Schwein am Gehoͤre. Der Menſch aber alle
Geſchoͤpffe/ auch die Geſtirne am Gebrauch der
Vernunfft/ nehmlich der Tugend.
Uber dieſen Worten vernahmen ſie ein ſtar-
ckes Geraͤuſche/ welches die Fuͤrſten das Frau-
enzimmer auff die Seite zu bringen/ und ſich zu
Pferde zu ſetzen verurſachte. Bald hier auf ſa-
ben ſie aus dem Gehoͤltze eine Menge fluͤchtiger
Marckmaͤnner ſpornſtreichs hervor kommen/
welche von denen Cheruſkern unter dem Fuͤr-
ſten Adgandeſter und Malovend verfolgt wor-
den/ hier aber ihrem zweyten Feinde in die Haͤn-
de fielen. Wie nun dieſe wenige Uberbleibung
alſofort umringet ward/ und ſie keine Ausflucht
ſahen/ warffen ſie alle die Waffen von ſich/ und
unter gaben ſich der Gnade ihrer Uberwinder.
Der Feldherr ließ ſie nach Kriegsbrauch gefan-
gen nehmen und in Verwahrung halten. Nach
dem er auch von Adgandeſtern verſtand/ daß
nach etlicher Stunden hartnaͤckichtem Gefech-
te ſie wohl ein paar tauſend harte hinter ihnen
herziehende Cheruſker entſetzet/ und den Feind in
gegenwaͤrtige Flucht getrieben haͤtten; ward er
mit den andern Fuͤrſten ſchluͤßig den Koͤnig
Marobod vollends zu verfolgen und aus ſeinem
Gebiete zu treiben.
Dieſem nach fertigte er zwey tauſend Pferde
von denen/ welche wenig oder gar nicht gefochten
hatten/ unter etlichen ſeinen Kriegs-Oberſten
ab/ dem Feinde noch ſelbige Nacht nach zuſetzen.
Die Fuͤrſten aber mit denen abgematteten be-
gaben ſich in die kaum eine halbe Meile von dar
entfernte Stadt Tuliſurgium/ wohin die Ver-
wundeten zu ihrer Pflegung/ die Todten a-
ber zu ehrlicher Beerdigung gebracht wurden.
Es begunte aber kaum ein wenig zu tagen/
als der Feldherr mit ſeinen ausgeruheten Che-
ruſkern ſchon wieder zu Pferde ſaß/ und biß an
den Weſer-Strom fortruͤckte; daſelbſt aber von
einem aus ſeinem Vortrabe zuruͤck geſchickten
Edelmanne benachrichtiget ward/ daß Koͤnig
Marobod mit ſeiner geringen Uberbleibung/
welche nicht entweder von der Schaͤrffe der
Schwerdter gefallen/ oder wegen Muͤdigkeit
nicht folgen koͤnnen/ uͤber die Weſer geſetzt/ und
ſo eilfertig ſich gefluͤchtet haͤtte/ daß er ſchwerlich
zu ereilen ſeyn wuͤrde. Weil nun der Vortrab
nach dem Urthel derer/ die die fluͤchtigen Hauffen
geſehen haͤtten/ dem Feinde uͤberfluͤßig gewach-
ſen zu ſeyn ſchien/ zumal insgemein drey Fluͤch-
tige nicht gegen einem aus den Uberwindern ſte-
hen/ hielt es deꝛ Feldherꝛ nicht vor rathſam einem
ſo ſchwachen Feinde ſelbſt/ uñ mit ſo hohen Haͤup-
tern und mehrer Macht nachzuſetzen/ ſondern er
ſchrieb an Koͤnig Marobod folgenden Jnhalts:
Ob zwar das Fuͤrſtliche Cheruſkiſche Haus
und ſeine Bundsgenoſſen von den Marckmaͤn-
nern durch vielerley Beleidigung zu Ergreif-
fung der Waffen waͤre gereitzet worden/ habe
doch die Liebe des Vaterlands/ und die Sorge
fuͤr die allgemeine Freyheit ihm allezeit die Ein-
tracht gerathen. Sintemal der Degen zwar/
wenn man will/ ausgezogen/ nicht aber einge-
ſteckt werden koͤnne; und ſie beyderſeits einen
ſolchen Feind an der Seite haͤtten/ der ſich der
Deutſchen Uneinigkeit zu ſeinem Vortheil
meiſterlich zu bedienen wuͤſte. Er habe zeither
wegen dieſes gemeinen Beſten unter ſchiedene
Feindſeligkeit unerſchrocken uͤbernommen/
und die ihm von den Roͤmern angebotene guͤlde-
ne Verge veraͤchtlich gehalten/ da er nebſt ihnen
mit dem Marobod brechen wolte. Alſo befrem-
de ihn nicht wenig gegenwaͤrtiger wider alles
Fried- und Kriegs-Recht fuͤr genommene Ein-
fall/ und zwar zu der Zeit/ als er und andere recht
deutſch geſinnte Fuͤrſten ſo wohl fuͤr ſeine als ihre
eigene Erhaltung zu Felde gelegen/ und das
ſchon in fremder Dienſtbarkeit ſchmachtende
Deutſchland aus den Feſſeln geriſſen haͤtten;
ja da der Fuͤrſt Jngviomer unterwegens waͤre
ihn aller Freunoſchafft zu verſichern/ und ein
neues Buͤndiß fuͤrzuſchlagen. Die Entfuͤh-
rung ſeiner mit ihres Vatern Willen ihm ver-
lobten
[437]Arminius und Thußnelda.
lobten Braut beleidige nicht nur das Recht der
Freundſchafft/ der Voͤlcker und der heiligen
Eh/ ſondern auch die Gottheit/ fuͤr welcher Al-
tare das Eh-Verloͤbniß vollzogen worden/
und welche das ihr angefuͤgte Unrecht zu raͤ-
chen nicht vergeſſe. Daher mangele ihm
nunmehr weder erhebliche Urſache noch Kraͤf-
ten/ mit ſeinen ſieghaften Waffen dieſer Beleidi-
gung gerechter Rache zu uͤben; daraus die
Sterblichen ins gemein einen groſſen Wucher
ſuchten/ Gott auch ſelbſt deshalben fuͤr uns ſorg-
faͤltig waͤre. Jedoch wolte er noch einmal hier-
zu ein Auge zudruͤcken/ und glauben/ daß Se-
geſthes der Uhrheber/ die Heftigkeit ſeiner Liebe
nur der blinde Wegweiſer dieſes Anſchlages ge-
weſen ſey; der allgemeine Nachtreter unbe-
dachtſamer Erkuͤhnungen nemlich die Reue ihm
aber ſchon auf den Ferſen folge. Daher wolle
er das gemeine Heil ſeinem abſondern Unrechte
vor-die abgefertigte Botſchafft nicht zuruͤcke
ziehen; alſo ihm zum Uberfluſſe noch die Wahl
laſſen: Ob er das fuͤr geſchlagene Buͤndnuͤß fuͤr
die Freyheit des Vaterlandes belieben/ oder ihm
und ſeinen Bundsgenoſſen einen verderblichen
Krieg abnoͤthigen wolle? Er moͤchte aus des
vorhergehenden Tages Begebenheit nachden-
cken/ daß man zum Kriege noch anders gefaßt
aufziehen muͤſſe/ als zu einem Treffen; und daß
die Buͤrger-Kriege die blutigſten und ungerech-
teſten/ als welche ohne ſchlimme Stuͤcke weder
angefangen noch ausgefuͤhret werden koͤnten.
Dieſes Schreiben ſtellte der Feldherr einem
Marſingiſchen Ritter/ Zedlitz/ zu/ umb ſolches
ſeinem Koͤnige zu uͤberbringen/ er ließ auch nebſt
ihm alle Gefangene/ welche er biß an die Marck-
maͤnniſche Graͤntze/ wo die Saale und Elbe zu-
ſammen fleuſt/ durch 500. Pferde begleiten und
beſchirmen.
Hierauf kehrten ſie allerſeits mit neuem Sie-
ge und unermaͤßlichen Freuden zuruͤcke/ auſſer
daß die Koͤnigin fuͤr die Wunden ihres hertzlieb-
ſten Zeno groſſen Kummer trug/ ob ſie ſchon ei-
nige zuletzt nachkommende Edelleute verſicher-
ten/ daß die Beſchaͤdigung ſo gefaͤhrlich nicht
waͤre/ als man anfaͤnglich gefuͤrchtet. Denn
weil ins gemein boͤſe Botſchafften ſo viel moͤg-
lich vergeringert werden/ finden ſelbte auch ſtets
nur einen zweifelhaften Glauben. Jn der zar-
ten Seele der edlen Thußnelde aber war der
traurige Kummer noch viel empfindlicher ein-
gewurtzelt/ weil ſie ihre eigene Ehre durch ihres
Vaters Untreue befleckt zu ſeyn meynte. Da-
her/ ob ſie zwar mit ihrem laͤchelnden Munde
ihre iñerliche Gemuͤths-Vergnuͤgung zu eroͤff-
nen/ und ihn mit einem Strome der Annehm-
ligkeit zu uͤberſchuͤtten ſich bemuͤhte/ waren doch
die ihre Freudigkeit unterbrechenden Seufzer
Verraͤther ihres mit eitel Schwermuth uͤberla-
denen Hertzens. Ja die Augen ſelbſt vermoch-
ten die Qvellen der Traurigkeit nicht zu verſto-
pfen/ daß nicht zuweilen die Thraͤnen ihre la-
chende Wangen befeuchteten. Hertzog Herr-
mann fuͤhlete dieſe Schmertzen zweyfach in ſel-
ner Seele/ weil ſie mit Thußneldens durch die
heftigſte Liebe vereinbaret war. Dieſemnach
noͤthigte ihn ſein eigenes Mitleiden Thußnelden
Lufft/ und ſie ihrer gewohnten Großmuͤthigkeit
eindenck zu machen/ alſo ihr einzureden: daß ſie
durch uͤbermaͤſſige Kleinmuth ihrem erhaltenen
Tugend-Ruhme keinen ſo groſſen Abbruch/ ſei-
ner Liebe aber kein ſo groſſes Hertzeleid anthun
moͤchte. Denn es waͤre kein aͤrger Ubel/ als kein
Ubel vertragen koͤnnen. Ein Weiſer freuete ſich
auch in einem gluͤenden Ochſen; das weiche
Holtz wuͤrde nur wurmſtichig/ und ein niedriges
Gemuͤthe durch Widerwertigkeit zu Bodem
geworffen. Er wuͤſte zwar/ daß die Natur in
Thußnelden der Welt ein Muſter der Voll-
kommenheit/ ihm aber einen Leit-Stern zur
Tugend fuͤrſtellen wollen; nichts deſto weniger
wuͤrde ſie zweifels-frey ſelbſt empſinden/ daß
wie der Wind die Lufft/ die Glut das Ertzt/ der
Sturm das Meer; alſo das Ungluͤck die Ge-
muͤther von aller Unreinigkeit ſaubere. Ach!
J i i 3ſag-
[438]Vierdtes Buch
ſagte Thußnelde/ ich weiß und fuͤhle nunmehr
allzu ſehr meine Schwachheit. Jch lerne/ daß
das Verhaͤngnuͤß Anfechtungen habe/ welche
Rieſen Furcht einjagen/ und auch marmelnen
Saͤulen Schweiß austreiben koͤnnen. Es iſt
nicht ohne/ verſetzte der Feldherr? Aber zuletzt
gereichet alles dem/ der alles diß uͤberwindet/
zum Vortheil. Beym Blitze werden nur von
den Muſcheln die Perlen empfangen/ die
Myrrhen rinnen nur durch die Wunde/ welche
das Baum-Meſſer in ſeiner Mutter-Staude
macht; der Wein-Stock wil geſchnidten/ und
gewiſſe Baͤume behauen ſeyn/ wenn ſie Fruͤchte
tragen ſollen. Nicht andere Eigenſchafft haͤtte
das unter der Truͤbſal ſich am tapferſten bezei-
gende Gemuͤthe des Menſchen; und wuͤrde man
vom Hercules/ wenn keine Ungeheuer geweſt
waͤren/ ſo viel ruͤhmliches nicht zu ſagen wiſſen.
Was ein oder ander Menſch abſonderlich aus-
ſtuͤnde/ gereichte zu Erhaltung des gemeinen
Weſens. Die Natur ſelbſt befoͤrderte ihre
Geburten durch eine Verderbung vorher gewe-
ſener Dinge. Wer nur immer gluͤckſelig ſeyn
wolte/ verlangte die Welt nur auf einer Seite/
das Geluͤcke nur vorwerts/ und die Natur nur
halb zu kennen. Er wolte/ wenn andere bere-
gneten/ keinen Tropfen auf ſich fallen laſſen/
und bey allgemeinem Schiffbruche nur ſein
Segel in Hafen bringen. Thußnelde roͤthete
ſich hieruͤber/ und verſetzte: Sie koͤnte ohne Un-
vernunft ſich keines Vorzugs fuͤr andern Men-
ſchen/ noch einer Freyheit von der Botmaͤſſig-
keit des Geluͤckes ſich anmaſſen; aber ihr Un-
ſtern ſchiene mit Fleiß dahin ausgeruͤſtet zu ſeyn/
daß er ſie in dem Mittel ihres Hertzens/ nemlich
in dem Behaͤltnuͤſſe der allein unverſehrlichen
Ehre/ verwunden/ und bey vermeynter Erlan-
gung ihres hoͤchſten Wohlſtandes einaͤſchern
wolte. Hertzog Herrmann begegnete ihr mit
einem ihm aus den Augen herfuͤrbrechenden
Mitleiden: Es waͤre zwar eine gemeine Ketze-
rey der Menſchen/ daß ſie/ denen es ein wenig
wol ginge/ ſich fuͤr die Schooß-Kinder/ die ein we-
nig ungluͤcklichen aber ſich fuͤr die Verwuͤrfflin-
ge des Himmels ausruffeten. Den Hoch- und
Kleinmuth vertruͤgen als Rieſen und Zwerge
keine Mittelgattung im menſchlichen Leben.
Allein es waͤre das Ungluͤck dem Menſchen ſo
gemein/ als die Schwaͤrtze dem Raben. Weswe-
gen einige Weiſen in dem Weinen eine merck-
wuͤrdigere Eigenſchafft und Unterſcheidung
von andern Thieren bey dem Menſchen zu fin-
den vermeynet/ als in dem Lachen/ oder auch gar
in der Vernunft. Denn ſie waͤren ins gemein
in Wahrheit denen traurigen Wacholder- und
Fichten-Baͤumen zu vergleichen/ welche keine
Bluͤthen truͤgen/ und alſo aller Merckmale des
freudigen Lentzes beraubt waͤren. Jhr gantzes
Leben/ wenn es gleich die Wolluſt zuweilen ver-
zuckerte/ waͤre vergaͤllet/ und ſie wuͤſten von keinẽ
Honige; den nicht der Tod durch Aufhebung
ihres Elendes verurſachte/ oder die Tugend aus
ihren eigenen Wermuth-Blumen ſaugte. Da-
hero der tieffſinnige Democritus den verzwei-
felnden Koͤnig Darius beym Verluſt ſeiner
ſchoͤnſten Gemahlin/ nach verſprochener Leben-
digmachung dieſes ſeines todten Abgottes/ durch
dieſe nachdenckliche Erinnerung zur Vernunft
gebracht: Er ſolte dreyer niemals ungluͤckſeli-
ger Nahmen auf der Verſtorbenen Grab ein-
atzen laſſen. Welche Darius aber ſo wenig in
ſeinem groſſen Gebiete/ als der Himmel iemals
unter ſeinem weiten Dache gehabthat. Unter
dieſer allgemeinen Ungluͤckſeligkeit machte doch
der Himmel die tugendhafte Thußnelda ſeinem
geringſchaͤtzigen Urtheil nach/ ſie aber ihn tau-
ſendfach gluͤckſelig. Das Verhaͤngnuͤß mach-
te alle ſchlimme Anſtiftungen ihrer Feinde zu
Waſſer/ und alle zernichtete Fall-Stricke zu
Sieges-Zeichen. Sie beſaͤſſe den/ welchen
man von ihr zu trennen Himmel und Erde be-
weget/ und die Hoͤlle beſchworen haͤtte. Alle
Verfolgung gelangte ihrer Unſchuld zur Mit-
leidung/ und ihrem Nahmen zum Ehren-Ruh-
me.
[439]Arminius und Thußnelda.
me. Sintemal auch die nicht ohne Schuld
leidenden die Gewogenheit/ als wie der verfin-
ſterte Monde die Augen der Menſchen an ſich
zu ziehen/ und die Ungluͤckſeligſten gegen ſich
nichts minder eine Verehrung/ als Erbarmnuͤß
zu erwecken pflegten. Alſo wiche man eben
ſo gern einem Blinden/ als einem Koͤnige aus
dem Wege; und die Alten haͤtten die von dem
Donner beruͤhrten Oerter zu Heiligthuͤmern
eingeweihet. So wuͤrde ſie wohl/ antwortete
Thußnelde/ einer der groͤſten Tempel in
Deutſchland werden/ ungeachtet ſie ſich fuͤr keine
Gott zu wiedmen wuͤrdige Hecke hielte.
Sintemal das Ungluͤck ſeine aͤuſerſte Kraͤfften
an ihr pruͤfete/ und eines alle Tage dem andern
die Hand reichte. Maſſen ſie denn ihr Vater
Segeſthes zeither faſt ſo vielen Goͤtzen zun Fuͤſ-
ſen geleget/ als ſeine Veraͤnderung ihm neue An-
ſchlaͤge an die Hand gegeben haͤtte. Der Feld-
herr begegnete ihr: Gleichwohl haͤtte er unter
dieſen ihrer beyder Wuntſch billigen/ und dar-
durch beſtaͤrcken muͤſſen/ daß/ wie vieler abſon-
derlich toͤdtlichen Gifte Vereinbarung heilſam/
alſo mehrmals ein Ubel des andern Artzney waͤ-
re. Wenn auch der Sturmwind und das Un-
gluͤcke ſo gar arg raſete/ waͤre es ein Merckmahl
der aͤuſerſt angewehrten Kraͤfften/ und daß bey-
de bald aufhoͤren wuͤrden. Die ſchwaͤrtzeſte
Wolcke waͤre durch die letzthin erhaltene vaͤter-
liche Einwilligung zu ihrer Heyrath zertrieben;
ſintemal zwar nicht das Recht der Natur/ den-
noch der Voͤlcker der Eltern Beyfall zu der Kin-
der Verehligung erforderte; alle uͤbrigen/ wel-
che Argliſt oder Verlaͤumbdung erdaͤchten/ waͤ-
ren nur unter die ſo geringſchaͤtzigen Verdruͤß-
ligkeiten zu rechnen; welche Telemachus und
die Egyptiſchen Weiber durch das Kraut Ne-
penthes in die Vergeſſenheit zu vergraben ge-
trauten. Nach dem aber in allen dieſen Unfaͤl-
len das unveraͤnderliche Verhaͤngnuͤß ſeine
Hand haͤtte/ und unſere Feinde nur Werckzeu-
ge des Goͤttlichen Zornes waͤren/ ſtuͤnde es uns
ja beſſer an/ uns der unvermeidlichen Noth zu
unterwerffen/ als ein Sclave unſers verzaͤrtelten
und offt der Natur unvertraͤglichen Willens zu
ſeyn. Der Himmel wolte zuweilen unſere
Vergnuͤgung durch die Schaͤrffe der Wider-
wertigkeiten/ wie die uͤbermaͤſſige Suͤſſigkeit
durch eine annehmliche Saͤure verbeſſern/ ja zu-
weilen durch einen Sturmwind uns in Hafen
der Gluͤckſeligkeit treiben. Alſo pflegten die
Aertzte zuweilen ſelbſt ihren Krancken ein Fieber
zu machen/ umb gefaͤhrlichere Schwachheiten
abzuleiten. Gleicher geſtalt haͤtten die Rho-
dier bey Einfallung ihres Coloſſus aus dem gut-
hertzigen Beytrage ihrer Nachbarn mehr Vor-
theil/ als aus dem Erdbeben Schaden empfun-
den. Einigen haͤtte ein in der Schlacht ſie ver-
wundender Pfeil ihr Geſchwuͤre eroͤffnet/ wel-
ches die Aertzte mit einigem Finger an zuruͤhren
ſich gefuͤrchtet haͤtten. Mit einem Worte:
Die ſo ſuͤſſe Milch haͤtte ihren Urſprung aus
Blute/ und der Honig aus bitterem Klee/ und
die groͤſſeſte Ergetzligkeit aus uͤberſtandenem
Ungluͤcke. Thußneldens Hertze ward nicht ſo
wohl durch die Krafft der angezogenen Gruͤnde/
als durch das Anſehen des Redners ſelbſt geruͤh-
ret/ daß ſie eine merckliche Gemuͤths-Beruhi-
gung von ſich blicken ließ. Gleichwohl aber
giengen ihr die Augen noch uͤber/ und ſie gab die-
ſe Urſache ihrer Wehmuth zu verſtehen/ daß ſie
all ihr Ungluͤck zu vergeſſen verbunden waͤre/
weil das Verhaͤngnuͤß ſie durch die Liebe des
Feldheꝛꝛn mit tauſendfacher Gluͤckſeligkeit uͤber-
ſchwemmete. Alleine/ diß ſtiege ihr noch allzu-
ſehr zum Hertzen/ daß ihr Unſtern ſo viel andere
Unſchuldige mit druͤckte; oder/ daß fuͤr die Wie-
derbringung ihres Heiles andere ſo viel leiden
muͤſten. Wie denn die holdſelige Koͤnigin Era-
to nur deshalben/ daß ſie ſich an ſie einen zer-
brechlichen Rohr-Stab gelehnet haͤtte/ in die
Gefahr verfallen waͤre/ Hertzog Herrmann/
Jubil und Malovend ihr Blut verſpritzet/ viel
andere auch/ und vielleicht der großmuͤthige
Zeno
[440]Vierdtes Buch
Zeno ihr Leben gar aufgeopferthaͤtten. Her-
tzog Jubil begegnete ihr mit einer freymuͤthigen
Ehrerbietung/ und weil die Koͤnigin Erato ſich
ihrer Saͤnfte naͤherte/ verſicherte er ſie/ daß Her-
tzog Zeno auſſer aller Gefahr/ ſonſt aber mehr
Helden fuͤr eine ſo tugendhafte Fuͤrſtin zu ſterben
verbunden waͤren/ als das thoͤrichte Griechen-
land fuͤr eine unkeuſche Helena auf die Schlacht-
banck in Phrygien geliefert haͤtten. Hertzog
Malovend antwortete: Der den Griechiſchen
Helden zu gewachſene Nachruhm machte nichts
deſto weniger ihre Baare gluͤckſelig/ und die/
welche fuͤr die unſterbliche Thußnelde iemals ih-
ren Degen gezuͤcket/ wuͤrden gleichfalls nimmer-
mehr vergeſſen werden; zumal ſie das Gluͤcke
gehabt haͤtten ſo viel Zuſchauer ihrer Helden-
Thaten zu haben. Nach dem aber der geruͤhm-
ten Tapferkeit des Fuͤrſten Zeno ſo viel Zuſchau-
er abgegangen waͤren; wuͤrde es zu ihrer allge-
meinen Vergnuͤgung/ und zum verdienten
Preiſe dieſes Helden gereichen/ wenn ſie der Wiſ-
enſchafft ſolcher Begebnuͤß theilhaftig wuͤrden.
Als nun auch die andern Fuͤrſten ihre Begier-
de den Verlauff des geſchehenen Raubes zu ver-
nehmen mercken lieſſen/ erzehlte die liebreiche
Thußnelda: Sie waͤre fruͤh mit der Koͤnigin
Erato/ dem Fuͤrſten Zeno und Saloninen in den
Fuͤrſtlichen Luſt-Garten bey Deutſchburg ge-
fahren/ in Meynung von erwehntem Fuͤrſten
die vertroͤſtete Erzehlung ſeiner wunderſamen
Zufaͤlle zu vernehmen. Wir ſetzten uns/ ſagte
ſie/ zu dem Ende auf den Umbgang des letztern
Luſt - Hauſes/ theils dem annehmlichen
Spring-Brunnen/ allwo aus vier ertztenen
Wallfiſchen vier groſſe Stroͤme Waſſer in die
marmelne von ſo viel unterbuͤckenden Meer-
Goͤttern gehaltene Schale ausſpritzẽ/ zu zuſchau-
en/ theils auch unſere Augen in die ſelbige Ge-
gend gleich eines Krantzes umbgebende Huͤgel
und Waͤlder auszutreiben. Der Fuͤrſt hatte
nach etlichen andern annehmlichen Unterredun-
gen kaum ſeine Geſchichte beruͤhret/ als wir aus
Deutſchburg einen zu Pferde ſpornſtreichs dem
dickſten Walde zurennen ſahen/ uns aber als von
allen Feinden weit entfernet/ hieruͤber das we-
nigſte bedenckliche traͤumen lieſſen; wiewohl wir
hernach aus dem Ausſchlage gemuthmaſſet/ daß
durch eben ſelbten unſere Anweſenheit in dem
Luſt-Garten verrathen ſey worden. Wenige
Zeit hernach kamen aus drey unterſchiedenen
Ecken des Waldes etwan zwoͤlf Pferde gegen
Deutſchburg Fuß fuͤr Fuß geritten/ die wir aber
ebenfals/ zumal ſie auf Cheruskiſche Art bekleidet
waren/ aus der Acht lieſſen/ und des Fuͤrſten Ze-
no anmuthiger Erzehlung Sinnen und Gemuͤ-
the wiedmeten. Der Feldherr brach ein: Es
iſt ſicher eine hoͤchſt vermeſſene That/ aus unſerm
mit ſo viel tauſend Mann beſetztem Fuͤrſtlichen
Laͤger bey hellem Tage mit ſo weniger Mann-
ſchafft einzubrechen/ und Erlauchte Perſonen
freventlich anzutaſten. Aber es gehen keine
Anſchlaͤge gluͤcklicher von ſtatten/ als derer man
ſich am wenigſten verſihet/ und der Vernunft
am wenigſten aͤhnlich ſind/ entweder weil das
Gluͤcke ſeine Oberhand uͤber alle Klugheit hier-
durch bezeugen/ oder dieſe uns fuͤr aller Unacht-
ſam - und Sicherheit warnigen wil. Thuß-
nelda fuhr fort: Bey dieſer letztern verlohren
wir ſie ein par Gewende lang unter der ziemlich
hohen Gartẽ-Mauer aus dem Geſicht und Ge-
dancken/ wurden ihrer auch nicht ehe gewahr/
als biß derer ſechs oben auf der Mauer ſtan-
den/ an einer angehenckten Leiter von Stricken
in Garten ſtiegen/ das nahe darbey ſich befin-
dende Thor innwendig aufriegelten/ und noch
wohl zwantzig andern den Eingang oͤffneten.
Wir eilten wider des Fuͤrſten Zeno Vermah-
nung die Stiege an dem Luſthauſe herab/ in Hoff-
nung/ wir wuͤrden dieſer Gewalt noch durch
die Flucht in den innern Garten entkommen/
oder zum minſten durch unſer Geſchrey ieman-
den eher als an dieſem allzu weit entfernten
Theile erruffen koͤnnen. Allein dieſe Raͤuber
hatten ſo gute Kundſchafft der ſich daſelbſt
befin-
[441]Arminius und Thußnelda.
befindenden Luſtgaͤnge/ daß ſie uns zuvor kamen/
und wir ihnen recht in die Haͤnde lieffen. Fuͤrſt
Zeno/ ob er zwar ohne Schild und Helm/ mit
ſeinem bloſſen Degen bewaffnet war/ grieff die
Raͤuber mit einem unverzagten Helden-Muthe
an/ maſſen in unſerm Beyſeyn er zwey den
Staub zu kuͤſſen zwang/ und ihrer wohl fuͤnf
verwundete. Alleine weil ihrer wohl zwoͤlff
andere ihm den Zutritt zu uns mit Degen und
Spieſſen verwehrten/ banden die andern der
Koͤnigin Erato und mir die Haͤnde zuſammen/
ſchleppten uns aus dem Garten/ und hoben uns
mit Gewalt auf zwey Pferde/ ungeachtet die
Koͤnigin in tieffe Ohnmacht ſanck/ als ſie im Zu-
ruͤckſchauen den Fuͤrſten Zeno von den Strei-
chen der ihm zuſetzenden Meuchel-Moͤrder zu
Bodem ſincken/ Saloninen aber an einen
Baum anbinden ſah. Aber/ ob ſchon Erato
gantz unbeſeelet war/ und von zweyen neben ihr
reitenden Boͤſewichtern mit Noth auf dem
Pferde erhalten werden kunte; waren doch dieſe
Raub-Voͤgel wie die Steine unempfindlich/
und eben ſo ſtum̃. Daher wir allererſt in dem
Walde die Stifter dieſer Entfuͤhrung erfuhren/
als wir den Koͤnig Marobod und Segeſthes in
voller Ruͤſtung und Bereitſchafft antraffen/ die-
ſer aber mir/ daß ich jenem als meinem unver-
aͤnderlichen Braͤutigam nur gutwillig folgen;
der Koͤnigin aber/ daß ſie die Beherrſcherin ſei-
ner Seele in ſo wenigen Tagen worden waͤre/
und ſie unſer beyder Heil und Vergnuͤgung am
meiſten ſuchten/ andeutete. Jch laſſe ſo empfind-
liche Gemuͤther/ als ſolche Erlauchte Helden
haben muͤſſen/ urtheilen/ wie mir und der ſich
den gantzen Tag faſt nicht von ihrer Ohnmacht
erholenden Koͤnigin muͤſſe zu Muthe geweſen
ſeyn/ da wir den Fuͤrſten Zeno fuͤr todt hielten/
Saloninen angebunden/ und dardurch allen
Troſt/ daß unſer Raub ſo bald entdeckt/ und uns
einige Huͤlffe nachgeſchickt werden wuͤrde/ ver-
ſchwunden ſahen. Gewißlich/ ſetzte Erato
darzu/ weil ich damals mehr todt als lebendig
geweſt/ habe ich meine Seelen-Angſt nicht recht
empfunden/ ſondern ſie allererſt dazumal recht
angegangen/ als mich die zwey verdam̃ten Sar-
mater ſoſchaͤndlich angetaſtet. Und kan ich be-
theuern/ daß ich ſelbſt nicht weiß/ ob ſie mich aus
der Senfte geriſſẽ/ oder wie ich ſonſt daraus kom-
mẽ oder in ihre Haͤnde verfallen ſey. Allem Anſe-
hen nach aber haben ſie ſich bey anderer hitzigem
Gefechte ihres Vorcheils bedienen/ und ihren
Muthwillen an mir gewaltſam ausuͤben/ und
ſich ſo denn aus dem Staube machen wollen.
Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie/ nach
zweymal abgewechſelten friſchen Pferden/ wie-
wohl ſchon eine Stunde in die Nacht/ nahe bey
Deutſchburg an/ allwo ſie von denen verſam̃le-
ten Kriegshauffen/ und von der Menge des
Volcks/ welches ſich das Hertzogliche Beylager
theils zu bedienen/ theils zu beſchauen/ in die
Stadt nach und nach eingefunden hatte/ mit
Jauchzen und Frolocken bewillkom̃t/ und mit
tauſenderley Gluͤckwuͤntſchung uͤber der Erloͤ-
ſung Thußneldens und den neu-erlangten herr-
lichen Sieg/ in die Fuͤrſtliche Burg begleitet
wurden; darinnen nach vorher eingelauffener
guter Zeitung und erſchollenem Geſchrey/ wel-
ches nicht ſelten der Geſchichte zuvor kom̃t/ ein
herrliches Mahl bereitet worden war/ zu wel-
chem alle anweſende Fuͤrſtliche Perſonen und
Kriegs-Haͤupter ſich einfunden/ auſſer Hertzog
Melo/ welcher wegen ſeiner empfangenen
Wunden erſt folgenden Tag auf einer Saͤnfte
nachkam/ und der Koͤnigin Erato/ die bey dem
Feldherrn dißmal ſich abzuſondern/ und in dem
Zimmer des Fuͤrſten Zeno zu ſpeiſen Verlaub
erlangte. Den andern Tag fruͤh ließ der Feld-
herr nach gehaltenem Rathe die Fuͤrſten aber-
mals in dem nechſten Thier-Garten zur Taffel
einladen.
Die Fuͤrſten waren ſchon in dem Speiſeſaale
verſam̃let/ als dem Feldherrn angeſagt ward/
daß ein frembder Fuͤrſt nur mit etlichen Poſt-
Pferden ankommen waͤre/ und bey ihm Verhoͤr
Erſter Theil. K k kzu
[442]Vierdtes Buch
zu erlangen ſuchte. Wie nun Hertzog Herr-
mann ihn in ſelbigen Saal zu leiten befahl/ und
er ihm im Vorgemache entgegen kam/ trat ſein
eigner Bruder Ernſt oder Flavius hinein/ wel-
cher von dem Feldherrn und denen andern deut-
ſchen Fuͤrſten alſobald erkennet/ mit groſſen
Freuden und hertzlicher Umbarmung bewill-
kommet ward. Weil nun die Speiſen allbereit
auf der Taffel ſtanden/ muſten ſie beyderſeits ih-
ren Freud- und Freundſchaffts-Bezeugungen
etwas abbrechen/ und ſich an die Taffeln ſetzen.
Der Feldherr bezeigte ſich uͤberaus luſtig/
und gab zu vernehmen/ daß er gegenwaͤrtigen
Tag fuͤr den andern ſeiner gluͤckſeligſten hielte/
indẽ er nicht allein wider einen maͤchtigẽ Koͤnig
einen ſo herrlichen Sieg/ ſondern auch ſeinen
Aug-Apfel die wunderſchoͤne Thußnelda und
ſeinen liebſten Bruder wieder erlanget haͤtte.
Dieſe Erklaͤrung machte den Fuͤrſten Flavius
begierig/ den Verlauff ſelbigen Tages zu ver-
nehmen/ welchen denn der Feldherr mit aus-
fuͤhrlicher Erzehlung vergnuͤgte/ und inſonder-
heit des Fuͤrſten Zeno/ Rhemetalces und Malo-
vends Tapferkeit hoch heraus ſtrich/ und melde-
te/ daß Hertzog Malovend dieſen Tag ſeinen
Fehler/ daß er wider ſein Vaterland die Hand
aufgehoben/ getilget/ die andern zwey Fuͤrſten
aber umb Deutſchland verdienet haͤtten/ daß ſie
fuͤr Fuͤrſten ihres Reichs erklaͤrt/ und mit dem
Rechte und Freyheit der Deutſch-Eingebornen
beſchencket wuͤrden. Maſſen denn auch nach
der andern Fuͤrſten Einſtimmung der Feldherr
zum Zeichen ihrer Annehmung in den deutſchen
Fuͤrſten-Stand/ iedem eine Fahne/ eine Lantze/
und ein koͤſtliches Schwerdt uͤberreichte/ von ih-
nen beyderſeits auch mit groſſer Vergnuͤg- und
Danckſagung angenommen ward. Hierauf gab
Hertzog Arpus auch dem Flavius ſeine Sorgfalt
uͤber ſeiner ſo unvermutheten Ankunft zu verſte-
hen; iedoch verlangte er mehr nicht/ als nur: Ob
ihn ein guter oder boͤſer Stern von Rom in ſein
Vaterland geleitet haͤtte/ zu vernehmẽ/ da er die
Urſache offentlich zu entdecken Bedencken truͤge.
Flavius antwortete: Er muͤſte geſtehen/ daß er
aus әiner geheimen Urſache ungerne von Rom
gewichen waͤre. Die ihn aber hierzu genoͤthiget/
waͤre denen nicht zu verſchweigen/ von denen ſie
ſelbſt herruͤhrte. Arpus ward hieruͤber noch begi-
riger; bat daher/ weil ſie derogeſtalt zu ſagẽ taug-
te/ ſie ihnen nicht zu verſchweigen. Flavius
antwortete: Die zu Rom erſchollene Niederlage
des Varus habe den Kaͤyſer derogeſtalt er-
ſchreckt/ daß er alle unter ſeiner Leibwache/ oder
auch nur Reiſens und Handels wegen zu Rom
ſich befindende und zu den Waffen geſchickte
Deutſchen auf unterſchiedene entlegene Jnſeln/
die unbewehrten aber aus Furcht/ daß ſie einen
Aufſtand anſtiften moͤchten/ auſſer der Stadt
Rom geſchafft haͤtte. Jch war auch auf die
Jnſel Dianium gebracht/ von dar ich durch
Beyſtand eines Frauenzimmers mich dieſes
Gefaͤngnuͤſſes entbrochen habe. Arpus fragte:
Wenn er denn von Rom weg waͤre/ und wie es
moͤglich ſeyn koͤnte/ daß bey ſeiner Anweſenheit
in Rom man ſchon die Niederlage des Varus
gewuſt haben koͤnne? Flavius antwortete:
Sie haͤtten daraus keines weges zu zweifeln/
ſondern ſich zu verſichern/ daß dieſe boͤſe Zeitung
ſchon den fuͤnften Tag zu Rom geweſt/ er aber
noch wohl vier Tage hernach aus Rom geſchie-
den ſey. Rhemetalces fiel ein: Obes durch ein
Wunderwerck zu Rom ſo zeitlich kund worden/
wie er ihm denn erzehlen laſſen/ daß die Schlacht
in Macedonien/ in welcher Paulus den Perſes
uͤberwunden/ und in welcher Marius die Cim-
brer geſchlagen/ zu Rom/ und des Tauroſthenes
Sieg und Kroͤnung zu Egina an eben dem Ta-
ge/ als ſolche weit darvon geſchehen/ von Ge-
ſpenſtern waͤren angekuͤndigt worden. Glei-
cher geſtalt ſolle der Griechen Plateriſcher Sieg
in Beotien wider den Mardonius in eben dem-
ſelben Tage auf dem Vorgebuͤrge Mycale kund
worden/ und eine Urſache des wider die Perſen
erlangten See-Gefechtes geweſen ſeyn. Den
Sieg
[443]Arminius und Thußnelda.
Sieg der Lorrer wider die Crotoniaten in Jtali-
en ſollen eben ſelbigen Tag die Stadt Corinth/
Athen/ und Sparta/ die Pharſaliſche Schlacht
viele entfernte Oerter/ des Kaͤyſers Auguſt Si-
ciliſche Uberwindung Rom erfahren haben.
Flavius verſetzte: Es haͤtten zwar unzehlich
viel Wunderzeichen ein groſſes Ungluͤck zu Rom
angedeutet/ indem der Blitz in den Tempel des
Mars geſchlagen/ gantze Wolcken voll Heu-
ſchrecken in Rom kommen/ und von Schwalben
aufgezehret worden; in dem Apemnius und Al-
pen die Gipfel der Berge eingebrochen und ge-
gen einander gefallen/ daraus drey Feuer-Saͤu-
len aufgefahren/ der Himmel etliche mal in vol-
lem Feuer geſtanden/ etliche Schwantz-Sterne
zugleich erſchienen waͤren. Alleine dieſe Zei-
tung waͤre durch die ſchnelle Poſt/ welche Kaͤy-
ſer Auguſt in ordentlichen Stand gebracht haͤt-
te/ dahin kommen. Denn ob wohl vorhin die Roͤ-
mer auch unterſchiedene mahl ſich reñender Bo-
then gebrauchet/ in dem Sempronius Grach-
chus in Griechenland von Amphiſſa nach Pella
den dritten Tag/ Vibullius zum weit entfern-
ten Pompejus in kurtzer Zeit/ Marcus Cato den
fuͤnften Tag von Hydrunt nach Rom/ Julius
Caͤſar den achten von Rom an Rhodan auf ab-
gewechſelten Pferden kommen/ und ieglichen
Tag hundert tauſend Schritte gereiſet haͤtten;
ſo waͤre doch dieſe ſchnelle Poſt allererſt von ietzi-
gem Kaͤyſer ordentlich eingefuͤhrt/ welcher durch
gantz Jtalien/ auſſerhalb der gemeinen Land-
Straſſen/ abſondere ſchnur-gerade Kriegs-
Wege mit breiten Steinen gantz gleiche habe
pflaſtern laſſen/ alſo/ daß die Poſt-Wagen gar
leichte und fluggeſchwinde fortgerollet wuͤrden.
Rhemetalces antwortete: Es waͤre dieſe Erfin-
dung mit denen ſchnellen Wagen beſſer und ge-
maͤchlicher als des Cyrus darzu auf ieder Tage-
Reiſe beſtellte Angar-Pferde und Staͤlle/ auf
denen ſich die Bothen offt zu Tode rennten/ oder
die Pferde ſtuͤrtzten/ und zu ſchanden wuͤrden.
Uber diß waͤre von der Lippe den fuͤnften Tag et-
was nach Rom zu bringen eine ſolche Geſchwin-
digkeit/ welche alle vorhin erzehlte und die von
den Perſen uͤbernommenen uͤbertreffe; ja er koͤnte
dieſer/ weder des Hannibals/ der nach verſpielter
Schlacht gegen den Seipio in zwey Tag- und
Naͤchten drey tauſend Stadia weit nach Adru-
met/ noch auch kaum des Koͤnigs Mithridates/
welcher in einem Tage tauſend Stadia/ derer
acht eine Roͤmiſche Meile machen/ gereiſet ſoll
ſeyn/ vergleichen. Es iſt wahr/ verſetzte Flavi-
us; iedoch meyne ich/ daß derſelbige Freygelaſſe-
ne/ der zu meiner Zeit von Rom in ſieben Tagen
nach Tarracon zum Kaͤyſer in Spanien gerit-
ten/ und der Philippides/ welcher von Mara-
thon nach Athen noch ſelbigen Tag kommen/
und mit dieſen Worten: Seyd gegruͤßt/ wir
haben uͤberwunden/ ſeine muͤde Seele ausgebla-
ſen hat; nicht laͤngſamer/ als der in fuͤnf Tagen
von der Lippe nach Rom kommen kan/ gereiſet
ſey/ und ſo gute Pferde/ oder der Perſiſchen Koͤ-
nige Dromedarien/ die in einem Tage funfzehn-
hundert Stadien gerennet haben ſollen/ gehabt
haben muͤſſe. Aber es haͤtten dieſe ſchnelle Poſt
nicht allein die Pferde/ ſondern guten theils die
Stimme der Menſchen verrichtet. Denn
nach dem die Gallier und Deutſchen ſchon fuͤr
langer Zeit gewohnt waͤren in wichtigen Zuͤgen
gewiſſe Menſchen/ die helle Stimmen haͤtten/
hinter- und ſo weit von einander/ als des andern
Ruffen zu vernehmen waͤre/ zu ſtellen/ da im-
mer einer dem andern die Zeitung zuſchreyet/ al-
ſo/ daß in des Kaͤyſers Julius Kriege diß/ was
fruͤh bey der Belaͤgerung Genab vorgieng/ des
Abends in der Averner Graͤntze ſchon vernom-
men ward; ſo habe Kaͤyſer Auguſtus eben dieſes
von dem Rhein an/ an allen bergichten Orten/
wo man mit den Poſt-Pferden ſo geſchwinde
nicht rennen kan/ angeordnet. Rhemetalces be-
danckte ſich fuͤr ſo gute Nachricht/ mit dem Bey-
ſatze: Er erinnere ſich numehr/ daß in Perſien fuͤr
Zeiten auch derogleichen auf die Berge und
Huͤgel geſtellte Poſtſchreyer braͤuchig geweſt
K k k 2waͤren/
[444]Vierdtes Buch
waͤren/ und inſonderheit ſich derſelben Eumenes
derogeſtalt bedienet haͤtte/ daß er in einem Tage
dreißig Tagereiſen weit etwas haͤtte zu wiſſen
machen koͤnnen. Und als Xerxes in Grie-
chenland Krieg gefuͤhret/ haͤtte er von Athen
biß nach Suſis derogleichen Ruffer ausgeſetzt/
durch welche man in acht und viertzig Stun-
den in Perſien erfahren/ was in Griechenland
geſchehen waͤre. Peuceſtes haͤtte eben des groſ-
ſen Alexanders Tod in einem Tage dem euſſer-
ſten Perſien zu wiſſen gemacht. Der Feldherr
ſetzte bey/ dieſe Poſt-Art waͤre wohl die ſchnellſte/
aber ſehr ungewiß; indem ein widriger Wind
ſelbte auff einmahl vernichtete/ die Erfahrung
auch oͤffters mit Schaden gewieſen haͤtte/ daß
die darzu beſtellten Leute eine Sache gantz un-
recht vernommen/ und mehrmahls das Wi-
derſpiel an den beſtimten Ort berichtet wor-
den waͤre. Denn eines einigen uͤbeles Ge-
hoͤre verfaͤlſche aller andern Zungen. So
lieſſe ſich auch hier durch nichts berichten/ an deſ-
ſen Heimligkeit offtmahls ſo viel gelegen waͤre.
Noch ungewiſſer waͤren die in Sicilien braͤuch-
liche Fackeln/ der man ſich auch nur des Nachts
bedienen koͤnte. Weil ſich auch ſo gleiche We-
ge zu bereiten/ wie Auguſtus gethan/ allzu koſt-
bar/ die bergichten Laͤnder aber darzu gar nicht
geſchickt waͤren/ hielte er es mit den Scythiſchen
und Sarmatiſchen Pferden/ derer ſie etliche
zwantzig Stuͤck auff der Rennebahn geſehen/
welche/ wie unanſehnlich ſie gleich waͤren/ in ei-
nem Tage/ und zwar wohl zehn Tage hinter
einander ſonder einige Uberlaſt hundert Roͤmi-
ſche/ oder fuͤnff und zwantzig deutſche Meilen/
auff euſſerſten Nothfall auch/ wenn man ſie den
Tag vorher nicht uͤberfuͤtterte/ noch halb ſo weit
lauffen koͤnten. Rhemetalces wunderte ſich hier-
uͤber/ und ſagte/ dieſe Pferde waͤren mit Golde
nicht zu bezahlen/ und eines praͤchtigen Grab-
mahls beſſer werth/ als die Kraͤhe des Egypti-
ſchen Koͤnigs Marrha/ die er allenthalben hin
Brieffe zu tragen abgerichtet hatte. Hertzog
Jubil fiel ihm ein: Jch halte dieſe Pferde we-
niger wunderns-werth/ als den Philippidas/
der im Perſiſchen Kriege in zwey Tagen von
Athen nach Sparta/ zwoͤlff hundert und ſechzig
Stadia weit/ um Huͤlffe zu bitten; und noch
mehr den Euchidas/ der in einẽ Tage das heilige
Feuer zu holẽ von Athen nach Delphis und wie-
der zuruͤck alſo tauſend Stadia weit zu Fuße ge-
lauffen. Ja unglaublich ſcheint/ daß des groſ-
ſen Alexanders Bothe Philonides von Sicyon
nach Elis hundert funffzig Roͤmiſche Meilenin
neun Stunden gegangen/ und auch alſobald
zuruͤcke gekehret ſey/ alſo gleichſam die Sonne
uͤberlauffen habe. Wiewohl ich darfuͤr halte/
daß es neun Sommer-Stunden geweſen/ und
daß man damahls eben wie itzt die Roͤmer/ den
langen und kurtzen Tag in zwoͤlff Stunden ab-
getheilet/ und ſelbte/ nach dem der Tag lang oder
kurtz iſt/ verlaͤngert oder verkuͤrtzt habe. Eben
ſo unglaublich ſcheint/ daß Philip ein edler
Juͤngling den groſſen Alexander fuͤnff hundert
Stadia weit in voller Ruͤſtung begleitet/ und
das ihm vom Lyſimachus offt angebotene Pferd
anzunehmen geweigert habe. Sonſten aber
halte ich die Botſchafft durch das Gefluͤgel
ſehr hoch/ nuͤtzlich/ und nicht allein den geſchwin-
deſten Pferden/ ſondern auch denen in den euſ-
ſerſten Nordlaͤndern braͤuchigen Rennthieren/
welche taͤglich dreißig deutſche Meilen/ und alſo
alle Pferde der Welt uͤberlauffen/ uͤberlegen zu
ſeyn. Sintemahl ſie keinen kruͤmmenden Um-
weg machen doͤrffen/ auch uͤber Seen und Fluͤſ-
ſe fliegen/ durch keine Laͤger/ Mauern und
Bollwercke auffgehalten werden koͤnnen. Und
wie in Egypten die Taubẽ insgemein zu Brief-
traͤgern gebraucht werden/ alſo weiß ich bey de-
nen benach barten Batavern/ wie auch in Sy-
rien eine beruͤhmte Stadt/ welche bey ihrer Be-
laͤgerung ſich derſelben nuͤtzlich bedienet hat.
Mir iſt aber auch nicht unbekandt/ verſetzte. Rhe-
metalces/ daß eine andere Feſtung dardurch zur
Ubergabe gebracht worden/ als eine ſolche Poſt-
Tau-
[445]Arminius und Thußnelda.
Taube wegen Muͤdigkeit ſich im feindlichen Laͤ-
ger auff eine Fahne nieder geſetzt/ mit ihren
Huͤlffs-Brieffen erwiſchet/ ihr andere widrige
Brieffe angebunden/ und darmit in die Stadt
zu fliegen frey gelaſſen worden. Der Feldherr
redete darzwiſchen: Es waͤren dieſe Botſchaff-
ken freylich wohl eben ſo zweiffelhafft/ als der
Hunde/ welche mehrmahls durch feindliche Laͤ-
ger mit nuͤtzlicher Nachricht durchkommen/ zu-
weilen aber auch zum Schaden erwiſcht worden
waͤren. Jedoch lieſſen ſie ſich ſicher gebrauchen/
wenn man gezifferte Brieffe ſchriebe/ die nie-
mand/ als der ſie empfangen ſolte/ leſen koͤnte.
Hertzog Flavius fing hierauff an: Er hielte fuͤr
rathſam/ daß ein Fuͤrſt alle ſeine Brieffe/ an de-
nen etwas gelegen/ und welche in feindliche
Haͤnde fallen koͤnten/ mit ſolchen unkenntlichen
Buchſtaben ſchreiben ſolte; wie denn Kaͤyſer Au-
guſt ſeines Wiſſens dieſes Geheimniß mit ei-
nem andern/ gewiſſe Kennzeichen abzureden/ er-
funden; Kaͤyſer Julius noch nur/ wenn er was
Geheimes ir gends wohin ſchreiben wollen/ ei-
ner andern daſelbſt ungemeinen Sprache
Buchſtaben gebraucht haͤtte. Jnſonderheit
haͤtte er nach der Niederlage des Lollius iedem
Landvogte eine abſondere Art Zieffern zu gehei-
mer Brieffwechſelung uͤberſchicket/ auch ihre
jaͤhrige Verwaltungen durchdringend noch auf
ein Jahr verlaͤngert/ wormit ſelbte als der Laͤn-
der erfahrne/ und derer die Voͤlcker ſchon ge-
wohnt waͤren/ alles ſo viel leichter in Ruh erhal-
ten koͤnten. Der Feldherr fing hierauff an:
Die Tieffſinnigkeit der Menſchen er gruͤbelt
nunmehr nicht alleine die Geheimniße der
Schrifften/ ſondern ſie erfindet auch Angeln
das verborgenſte aus denen verſchloſſenſten
Hertzen herfuͤr zu ziehen. Er haͤtte in ſeiner
vaͤterlichen Erbſchafft die Kunſt in einem Buche
verzeichnet gefunden/ wie man die gezifferten
Brieffe auffſchluͤſſen koͤnte/ und waͤre der Feld-
herr Segimer darinnen ein Meiſter geweſt/
welchem niemals einiger Brieff zu handen kom-
men waͤre/ den er nicht ausgelegt/ und dar-
durch den Nahmen des deutſchen Oedipus er-
worben haͤtte. Unterdeſſen waͤre gleichwohl
die geheime Schreibens-Artin keinerley Wei-
ſe zu verwerffen/ weil in Griechenland ſelbten
mehr als einer gefunden wuͤrden/ die die Raͤth-
ſel eines Sphynx auffzuloͤſen wuͤſte. Sonſt a-
ber merckte er aus des Flavius Erzehlung/ daß
der Deutſchen Sieg gleichwol zu Rom nicht ge-
ringes Schrecken verurſacht haben muͤſſe. Fla-
vius antwortete: Er verſicherte ſie/ daß es groͤſ-
ſer geweſt/ als da Hannibal fuͤr den Roͤmiſchen
Thoren geſtanden. Jn gantz Jtalien haͤtte al-
les nach Rom gefluͤchtet/ in Rom aber alles ge-
zittert und gebebet/ indem die fremden Huͤlffs-
Voͤlcker alle mit drauff gegangen/ die Grentz-
Feſtungen des Volcks entbloͤſſet/ die junge Buͤr-
gerſchafft zu Rom durch den Pannoniſchen und
Deutſchen Krieg gantz erſchoͤpfft waͤren/ ja zu
Rom ſchon die gemeine Rede gegangen/ daß die
Deutſchen geraden Weges gegen Rom anzoͤ-
gen/ und ſchon nahe unter den Alpen ſtuͤnden/
um ihrer Vorfahren Fußſtapffen nach zu tre-
ten/ und die vom Marius empfangene Wun-
den zu raͤchen. Ob nun wohl der Keyſer zu Be-
ſetzung des Gebuͤrges neue Werbungen ange-
ſtellet/ haͤtte doch faſt niemand des rechten Al-
ters wider einen ſo tapffern Feind ſich wollen
einſchreiben laſſen/ alſo daß der Kaͤyſer die ſich
weigernden Buͤrger zum Loß gezwungen/ und
aus denen/ die noch nicht dreißig Jahr alt/ den
fuͤnfften/ aus denen aͤltern den zehenden/ aller
Guͤter und Ehren entſetzt; ja als auch diß noch
nicht geholffen/ etliche toͤdten laſſen. Das dem
Tiberius wegen des Pannoniſchen Krieges be-
ſtimmte Siegs-Gepraͤnge und andere Schau-
Spiele haͤtten muͤſſen nachbleiben; und es waͤ-
ren in Rom alle Plaͤtze mit ſtarcken Wachten
wider allen beſorglichen Auffruhr beſetzt wor-
den. Der Kaͤyſer ſelbſt/ der vorhin bey vielen
groſſen Ungluͤcksfaͤllen nicht nur ein unveraͤn-
dertes Geſichte behalten/ ſondern auch um ſein
unerſchrockenes Gemuͤthe zu zeigen Gefaͤhr-
ligkeiten gewuͤnſchet/ und darbey ſeine Ehrſucht
K k k 3aus-
[446]Vierdtes Buch
aus geuͤbet haͤtte/ waͤre gantz verzweiffelt mit
dem Kopffe wider die Thuͤr-Pfoſten gelauffen/
ruffende: Qvintilius Varus/ ſchaffe mir die ver-
lohrnen Legionen wieder. Er haͤtte drey Ta-
ge nie geſpeiſet/ drey Naͤchte nicht geſchlaffen/
wider Gewonheit ſein Haar und Bart nicht be-
ſcheren/ den Tag der Niederlage in das ſchwar-
tze Zeit-Regiſter/ wormit man jaͤhrlich daran die
erzuͤrnten Goͤtter verſoͤhnte/ einzeichnen laſſen.
Dem Jupiter haͤtte er nebſt zugeſagten groſſen
Schauſpielen viel andere Geluͤbde gethan/ da
er das gemeine Weſen in einen beſſern Stand
ſetzen wuͤrde. Alle deutſche Fuͤrſten hoͤrten dieſe
Betruͤbniß ihrer Feinde mit Freuden an; Her-
tzog Arpus aber fing an: Auguſtus hat durch
dieſe Zagheit bey mir ein groſſes Theil ſeines
Anſehens verlohren/ und ich halte dieſen Abend
wenig von dem/ den ich geſtern der gantzen Welt
Beherrſchung wuͤrdig ſchaͤtzte. Denn was mag
einem Fuͤrſten unanſtaͤndiger/ ſeinem Reiche
ſchaͤdlicher ſeyn/ als wenn er ieden Gluͤcks-
Wechſel ſein Geſichte/ und mit iedem Winde
ſeinen Lauff aͤndert? Wer fuͤr Truͤbſalen die
Augen niederſchlaͤgt/ macht ſelbte gegen ihn
nur behertzter; wer aber ſelbten mit unver-
wandten Augen ins Geſichte ſihet/ machet offt-
mahls Tod und Hencker ſtutzend. Die Klein-
muͤthigkeit reißt keinen aus der Gefahr/ wohl
aber die Hertzhafftigkeit. Aus den waͤßrich-
ten Augen eines Fuͤrſten erkennet das Volck
die Groͤſſe bevorſtehenden Ubels/ wie aus um-
woͤlckten Bergen das Ungewitter/ verlieret alſo
das Hertze/ laͤſt die Haͤnde ſincken/ und faͤllt in
Verzweiffelung. Hingegen hat ein Fuͤrſt man-
cher Furcht und daraus erwachſender Gefahr
dadurch abgeholffen/ wenn er ſeine Wunden
verbunden/ nicht gewieſen hat. Maſſen der mei-
ſten Reiche und Kriege Befeſtigung nicht ſo wol
auff der Groͤſſe der Kraͤfften/ als ihrem groſſen
Nahmen gegruͤndet iſt. Haͤtte Pompejus nach
der Pharſaliſchen Schlacht ſich nicht ſo weibiſch
und kleinmuͤthig gebaͤrdet/ wuͤrde es ihnen an
Kraͤfften nicht gemangelt haben/ dem Julius die
Wage zu halten. Weniger haͤtte ein verſchnit-
tener Knecht ſich gewagt einen ſo tapffern Held
abzuſchlachten. Hingegen haͤtte der gefangene
Porus dem groſſen Alexander nicht ſo unver-
zagt geantwortet/ wuͤrde er ein Sclave/ kein Koͤ-
nig blieben ſeyn. Es iſt ſchimpff- und ſchaͤdlicher
ſeinen Muth als eine Schlacht verlieren. Die-
ſes kan wegen uͤberlegener Feinde/ wegen Vor-
theilhafftigkeit ſeines Standes/ oder durch Ver-
ſehung der ſeinigen geſchehen. Ja Staub/ Wind
und Sonne verdienen offtmahls den Siegs-
Krantz/ und das Gluͤcke den Nahmen/ daß es
ſey ein Meiſter aller Ausſchlaͤge/ und eine Ge-
bieterin uͤber die Schlachten. Der Verluſt des
Muths aber ruͤhret von unſerer eigenen Schuld
her. Sintemal weder Gluͤcke noch ſonſt iemand
einige Herrſchafft uͤber unſer Gemuͤthe hat.
Dieſes iſt allen Regungen gewachſen/ laͤſſet ſich
nicht wie geſchloſſene Glieder mit Lantzen/ und
feſte Mauern durch Sturmboͤcke durch brechen/
es vertreibet alle Furcht und vergeringert alles
Ubel/ wenn es nur beherzigt/ daß nichts als unſe-
re Fehler den Nahmen eines Ungluͤcks verdie-
nen/ und daß es ruͤhmlicher ſey/ ohne ſein Verſe-
hen etwas verſpielen/ als duꝛch Laſter oder bloſſen
Zufall viel gewinnen. Dieſemnach wie ein Fuͤrſt
ſich beym Gluͤcke nicht uͤberheben/ noch bey gu-
tem Winde die Haͤnde in die Schoos legen muß/
alſo ſoll er auch beym Sturme ihm nicht den
Compaß verruͤcken laſſen/ ſondern mit wachſa-
men Augen/ ſteiffen Haͤnden/ unerſchrockenem
Hertzen ſeiner vorigen Richtſchnur nachgehen/
gleich als weñ ſeine Klugheit dieſen Sturm lan-
ge vorher geſehen haͤtte/ und kurtz zu ſagen/ die
Noth kleiner machen als ſie iſt. Freylich wol/ ver-
ſetzte der Feldherr/ iſt es ein groſſer Fehler/ wenn
ein Fuͤrſt ihm zur Unzeit in die Karte ſehen laͤſt/
was er fuͤr ein boͤſe Spiel habe/ oder weñ ein An-
cker geriſſen/ das Schiff ſelbſt fuͤr verlohꝛen aus-
rufft/ oder wol gar in Grund bohret. Dieſe Zag-
heit uͤberfaͤllet auch insgemein dieſelben/ welche
allzulanges Gluͤcke/ oder allzugroſſe Vermeſ-
ſenheit auff ſeine Kraͤfften in Sicherheit einge-
ſchlaͤfft/
[447]Arminius und Thußnelda.
ſchlaͤfft/ gleich als ſie ſich mit jenem auff ewig ver-
maͤhlet/ oder dieſe mit dem Feinde nur zu ſpielen/
nicht zu fechten haͤtten/ alſo ihnen nichts weniger
als einen Unfall habe traͤumen laſſen/ weniger
auff den Fall/ da etwas umſchluͤge/ vorſichtige
Anſtalt gemacht. Dieſes ſtuͤrtzte den Pompejus/
welcher in der Pharſaliſchen Schlacht in ſeinem
Gemuͤthe ſich ehe uͤberwunden gab/ als er im
Felde angegriffen ward. Es faͤllte die Spar-
taner/ als die Athenienſer ihnen wider vermu-
then Pylus und Cythere wegnahmen. Deñ wie
ſoll ein niemahls verwundeter Fechter/ ein nie zu
Bodem gelegener Ringer/ ein Schiffer/ der nie
keinen Sturm ausgeſtanden/ das erſte mahl da-
fuͤr nicht erſchrecken? Und es ſcheinet/ daß die ge-
wohnten Siege der Roͤmer dißmahl das Schre-
cken uͤber des Varus Niederlage zu Rom frey-
lich ver groͤſſert habe. Allein ich bin gleichwohl
der Meinung/ daß es in ſolchen Gefaͤhrligkei-
ten/ welche den Staat leicht uͤber einen Hauffen
werffen koͤnnen/ oder da das Volck allzu ſicher o-
der zu vermeſſen iſt/ es ſo wenig einem Fuͤrſten
rathſam ſey ein groß Ungluͤcke/ als einem Kran-
cken ſein Ubel zu verſchweigen. Wenn ein
Schiffer den Wellen nicht mehr gewachſen/ ruft
er aͤngſtiglich alle Schiffende/ daß ſie entweder
mit Hand ans Ruder legen/ oder ihre Goͤtter um
Huͤlffe anruffen. Wenn ein Fuͤrſt zu allem Un-
gluͤcke unempfindlich iſt/ ſcheints/ daß er entwe-
der keine Liebe zu ſeinem Volcke/ oder keine Acht
auff ſein Reich habe/ oder aus dem Blitze der zor-
nigen Goͤtter ein Gelaͤchter mache. Ein treues
Haupt eines Landes fuͤhlet alle Wunden der
Glieder/ und alle Thraͤnen ſeines Volcks gehen
einem Vater des Vaterlandes durchs Hertz.
Die Natur hat allen Thieren als ein Mittel ih-
rer Erhaltung das Fuͤhlen eingepflantzet/ die
Staats-Klugheit den Fuͤrſten eine Empfind-
ligkeit. Die Krancken ſind ſo denn in euſſerſter
Gefahr/ wenn ihnen nichts mehr weh thut/ und
die Fuͤrſten/ wenn ihrem Reichs-Coͤrper ein
Glied nach dem andern ohne Empfindligkeit
abgeriſſen wird. Es giebt Sardanapaln/ welche
ſich mehr um niedliche Speiſen/ als umbs Laͤger
bekuͤmmern; Die auff Erfindungen ſinnen/ daß
ſie das gantze Jahr friſche Feigen/ alle Monden
neue Blumen haben; den Sommer in Spreu/
Schnee und Eiß/ und drey Jahr die Weintrau-
ben gut behalten/ daß ſie auff einen Stamm zeh-
nerley Fruͤchte pfropffen/ und in einem Apffel
Pomerantzen und Granat-Aepffel mit einan-
der vermaͤhlen; hingegen ſich uͤber einer verlohr-
ne Schlacht kuͤtzeln/ meinende: Es haͤtte dem
ſchwuͤrigen Poͤfel eine Ader muͤſſen geſchlagen
werden; Aus dem Verluſt einer eingebuͤſten
Stadt noch einen Wucher machen/ weil ſie als
alzuweit entlegen gar zu viel zu erhalten gekoſtet/
die/ wenn ſie ein fruchtbar Land verſpielet/ dar-
fuͤr halten daß in den uͤbrigen noch Weitzen ge-
nug wachſe/ wenn des Nachbars Haus brennet/
das ihrige noch weit genug entfernet ſchaͤtzen.
Da denn insgemein heuchleriſche Diener aus
ſolcher Schlaffſucht eine Großmuͤthigkeit ma-
chen/ und dieſe Blindheit fuͤr ein Staats-Ge-
heimniß verkauffen. Denn es hat noch nie ein ſo
ſchlimmer Fuͤrſt gelebt/ dem ſeine Hoffheuchler
nicht den Titel eines Helden gegeben/ den die
Kluͤgern auch eine gute Zeit vertragen und ſeine
Fehler zum beſtẽ gedeutet/ ungeachtet er nach ſei-
nem Tode kaum fuͤr ein Mittelding zwiſchen
Menſch und Vieh angeſehen worden. Es iſt
in alle Wege wahr/ antwortete der Catten Her-
tzog/ daß ein Fuͤrſt ſeines Reiches Wunden fuͤh-
len/ ſein Ungluͤck nicht gar verſtellen/ und das ge-
meine Feuer zu leſchen iederman beruffen ſolle.
Daher koͤnte er nicht ſchelten/ daß Auguſtus uͤber
ſo groſſem Veꝛluſte ſeine Empfindligkeit bezeigt/
inſonderheit aber die Sorgfalt die Reichs-Gren-
tzen zu verſichern nicht vergeſſen haͤtte. Alleine
ſeine erzehlte Ungeberdung waͤre nicht maͤnn-
lich/ weniger Fuͤrſtlich. Denn ein Fuͤrſt ſolle wie
ein kluger Schiffer auch bey dem gefaͤhrlichſten
Ungewitter nie erblaſſen/ noch die Groͤſſe der
Noth mercken laſſen/ wenn er nicht ſeine Gehuͤl-
fen verurſachẽ wolte/ daß ſie aus Veꝛzweiffelung
die Haͤnde ſincken laſſen/ und die Augen mit un-
nuͤtzen
[448]Vierdtes Buch
nuͤtzen Thraͤnen beſchaͤfftigen muͤſſen. Die
Furcht waͤre die Eigenſchafft eines Laſterhaff-
ten/ und das Schrecken eines Sclavens. Alle
andere Ubel haͤtten ihr Maaß/ und das Ungluͤck
ſein gewiſſes Ziel. Die Furcht alleine uͤberſchrit-
te alle Grentzen/ und vertruͤge keinen Zaum der
Vernunfft. Andere Schwachheiten fuͤhlten nur
diß/ was ſie wuͤrcklich und weſentlich beleidigte;
die Furcht aber machte das kuͤnfftige oder auch
nur getraͤumte Boͤſe gegenwaͤrtig. Sie verwan-
delte den Schatten von einem Zwerge in einen
Rieſen; wie die unter gehende Sonne einen Ro-
ſen-Strauch in eine Ceder. Sie ſehe einen glaͤn-
tzenden Nachtwurm fuͤr ein Jrrlicht an; Sie
zitterte fuͤr ihrer nichtigen Einbildung/ wie Pi-
ſander fuͤr ſeiner eigenen Seele. Sie benehme
dem Geſichte die Farbe/ dem Haupte die Ver-
nunfft/ dem Leibe das Hertze/ dem Munde die
Beredſamkeit. Sie machte auch die Treueſten
wanckelmuͤthig/ und noͤthigte auch den Guten
den Jrrthum der Boͤſen auff. Sie unterſcheide-
te nicht die heilſamen Eriñerungen kluger Leu-
te/ und die Meinungen des albern Poͤfels. Sie
zerſtoͤrte alle Ruh und Eintracht/ und gebe ei-
telem Ruffe mehr Gehoͤre als der Warheit. Ja
ſie erdichtete ihr ſelbſt/ was ihr doch zuwider waͤ-
re. Sie triebe einem die grauen Haare in einer
Nacht heraus; Sie entlieffe wie das groſſe Heer
des Xerxes fuͤr dem furchtſamſten aller Thiere/
nemlich einem Haſen; fluͤchtete ſich wie die maͤch-
tige Kriegs-Flotte der Jnſel Samas bey dem
Fluſſe Siris fuͤr dem Geraͤuſche etlicher auff-
fliegender Rebhuͤner/ oder ſtuͤrbe wohl gar fuͤr
Aengſten wie die Waſſer-Heuſchrecke/ wenn ſie
den Meer-Fiſch zu ſehen kriegt/ der von vielen
Fuͤſſen den Nahmen hat. Ein Fuͤrſt aber nehme
durch ſeine einige Zagheit tauſend ihm folgenden
Loͤwen das Hertze/ und ſtuͤrtzte ſein gantzes Volck
mit einer kleinmuͤthigen Gebehrdung ins Ver-
zweiffeln/ wie die verfinſterte Sonne die gantze
Welt in Schrecken. Dieſem nach muͤſte er alle
Furcht von ſich verhannen. Denn wer das we-
nigſte davon im Hertzen haͤtte/ waͤre unſaͤhig ſol-
che andern einzujagen. Denn die Crocodile und
Feinde lieffen nur fuͤr denen ſie verfolgenden;
hingegen verfolgten ſie alle Fluͤchtigen. Der
Feldherr ſetzte dem Hertzog Arpus entgegen: Er
wolte des Auguſtus Verſtellung zwar nicht das
Wort reden; aber er koͤnte den Deutſchen ſchweꝛ-
lich ſo ſehr heucheln/ daß der Kaͤyſer hierdurch
bloß die Verfallung ſeines Gemuͤths entdecket/
nicht aber vielmehr ein unerforſchlich Geheim-
niß verborgen haben ſolte. Er kennte den Auguſt
gar zu gut/ Auguſt aber ſo wohl der Roͤmer als
Deutſchlands Kraͤfften. Waͤre es eine Klugheit
ſein Ungluͤck verkleinern/ ſo koͤnte deſſelbten Veꝛ-
groͤſſerung zuweilen auch wohl ein Streich der
Staats-Verſtaͤndigen ſeyn. Wie viel Leute
wuͤrden nur durch euſſerſte Gefahr vorſichtig ge-
macht/ und durch Donner und Blitz aus dem
Schlaffe ihrer Sicherheit auffgeweckt? Die
Thoren hielten den nur fuͤr einen tapffern Hel-
den/ der ſich fuͤr nichts fuͤrchtete. Daher ſein Vor-
fahr Marcomir/ deſſen Hertze gewiß keine wei-
biſche Zagheit zu beherbergen faͤhig geweſt waͤre/
uͤber eines Großſprechers Grabſchrifft/ Krafft
welcher er ſich niemahls fuͤr etwas gefuͤrchtet ha-
ben ſolte/ lachte und urtheilte: der Verſtorbene
muͤſte niemahls ein Licht mit den Fingern ge-
putzt haben. Denn die Steine haͤtten allein dieſe
Unempfindligkeit; Die Unwiſſenden ſchreckte
kein Blitz; die Wahnſinnigen lieffen nur wie die
thummen Schaafe ins Feuer/ und die wilden
Zelten haͤtten nicht ihre Hertzhafftigkeit/ ſon-
der ihre blinde Unvernunfft an Tag gegeben;
als ſie die unverſehrlichen Wellen des ſie uͤber-
ſchwemmenden Meeres mit ihren Waffen zu-
ruͤck treiben wolten. Man muͤſte dem Gluͤcke
und der Natur zuweilen aus dem Wege gehen.
Dieſe haͤtte in den hertzhafteſten Thieren uns
einen Spiegel der Klugheit fuͤrgehalten/ wenn
ſie gemacht/ daß der Loͤwe ſich fuͤr dem Geſchrey
eines Hahnes/ der Elefant fuͤr dem Gruntzen
eines Schweines/ oder fuͤr dem Anſehn eines
Widers/ der Tiger ſich fuͤr dem Gethoͤne einer
Paucke/ der Wallfiſch fuͤr Zerſtoſſung der
Bo-
[449]Arminius und Thußnelda.
Bonen ſich entſetzet. Und bey den Helden waͤ-
re mehrmals die Furcht und Hertzhafftigkeit e-
ben ſo wol/ als in den Wolcken Feuer und Kaͤlte
vereinbarlich. Aratus Sicyonius haͤtte durch
ſeine Thaten bey den Griechen den Ruhm eines
unver gleichlichen Feld-Hauptmannes erwor-
ben/ gleichwol haͤtte ihm bey allen Treffen das
Hertze mehr/ als dem furchtſamſtẽ Kriegsknech-
te geklopfft; und er haͤtte offt ſeine Untergebe-
nen aͤngſtig gefragt: Ob er auch ſelbſt wuͤrde
treffen muͤſſen? Er wolte einen andern tapffe-
ren Kriegs-Mann nicht nennen/ welcher bey
angehender Schlacht aͤrger/ als ein Aeſpenlaub
gezittert; dieſen Gebrechen der Natur aber
einsmals gegen einem/ der ihm einen Harniſch
anzulegen gerathen/ aber derogeſtalt artlich ab-
gelehnet haͤtte: Er doͤrfte keiner ſolchen Waf-
fen. Denn das Fleiſch zitterte und ſcheute ſich
nur fuͤr dem Gedraͤnge/ darein es ſein feuriges
Hertze einzwaͤngen wolte. Dahero waͤre die
Meinung nicht durchgehends anzunehmen/
daß kein furchtſamer iemahls ein Siegszeichen
aufgerichtet/ noch das Gluͤcke zum Beyſtande
gehabt haͤtte. Griechenland glaubte/ daß die
Furcht denen Goͤttern ſelbſt anſtaͤndig waͤre;
als welche ſich fuͤr dem Rieſen Tiphaus in Egy-
pten gefluͤchtet/ und in wilder Thiere Geſtalt
verſteckt haͤtten. Das Verhaͤngnuͤß brauchte
das Schrecken bißweilen zu einem boͤſen Wahr-
ſager/ und wenn ſelbtes eine goͤttliche Schi-
ckung waͤre/ muͤſten auch eiſerne Hertzen beben/
und die Kinder der Goͤtter ſo wol/ als Ajax/ He-
ctor und Amphiaraus fliehen. Alſo haͤtte Pan
bey des Bacchus Heere durch ein bloſſes Ge-
ſchrey/ und deſſelbten Wiederſchall dem Jndi-
ſchen/ eine bloſſe Einbildung dem Xerxiſchen/
und eine unerforſchliche Urſache des groſſen A-
lexanders Heere/ als es gleich mit dem Darius
ſchlagen ſollen/ eine uͤber-natuͤrliche Furcht ein-
gejagt/ daß ſie wie unſinnige Menſchen ſich ge-
berdet. Gleichwol waͤre bey den letzten ſolche
bald mit Weglegung der Waffen verſchwun-
den/ und ihr Schrecken mit einem herrlichen
Siege gekroͤnt worden. Dahero waͤre die
Furcht nicht nur zuweilen unvermeidlich/ ſon-
dern auch nuͤtzlich; und wuͤrden auch die tapffer-
ſten Leute durch geſchwinde Zufaͤlle erſchrecket.
Denn ob zwar ihre Ubermaſſe freylich wol alle
Weißheit aus dem Gemuͤthe raubete/ und ein
ungetreuer Lehrmeiſter unſers Fuͤrhabens iſt;
ſo waͤre doch die maͤßige eine Mutter der Vor-
ſicht/ dieſe aber der Gluͤckſeligkeit/ und eine
Schweſter der Klugheit. Sintemal die furcht-
ſamen insgemein auch die Nachdencklichſten
ſind. Und wie der Camelion nur/ wenn er
furchtſam iſt/ zu ſeiner noͤthigen Erhaltung die
Farben veraͤnderte/ und die Hindinnen nur/
wenn es donnert/ traͤchtig wuͤrden; Alſo lehre-
te auch nur eine vernuͤnfftige Beyſorge fuͤr Un-
gluͤcks-Faͤllen kluge Anſchlaͤge/ und vielerley
Anſtalten zu erfinden; und das gemeine Heil
fruchtbar zu machen. Die uͤbermaͤßige Furcht
ſelbſt waͤre mehrmals zu was gutem dienlich;
indem ſie durch die Verzweiffelung unmoͤgliche
Dinge ausuͤbete; Und der uͤber ſeines Vaters
Croͤſus Lebens-Gefahr erſchreckende Sohn ſei-
ne ihm von der Natur gebundene Zunge auff-
loͤſete/ wormit ſein Band der Liebe dem Vater
den Lebens-Fadem verlaͤngere. Ja die Furcht
waͤre mehrmals ſo heilſam/ daß man ſelbte an-
nehmen muͤſte/ wenn man ſie am wenigſten haͤt-
te. Mit dieſer haͤtte Ventidius den Pacorus
mit ſeinen Perſen/ dieſe aber den Antonius uͤber-
wunden. Die Staats-Klugen brauchten die
Furcht oft zum Werckzeuge der Ruhe und Si-
cherheit. Sie waͤre der einige Nagel/ welcher
die Geſetze hielte/ weil die wenigſten aus Liebe
der Tugend nicht ſuͤndigten. Sie waͤre das
Siegel der Friedens-Schluͤſſe und Buͤndnuͤſ-
ſe/ ein Kapzaum unbaͤndiger Voͤlcker/ welche
bey verſchwindender Furcht alſo gleich wieder
zu den Waffen griffen/ und das gemeinſte Band
der Unterthanen. Denn man muͤſte alle die
mit ihr zwingen/ welche durch Wolthat nicht zu
Erſter Theil. L l lgewin-
[450]Vierdtes Buch
gewinnen waͤren. Dahero die Roͤmer die
Furcht fuͤr ſo goͤttlich gehalten/ daß/ wie ſie in
der Welt die erſte Andacht geſtifftet; alſo ſie ihr
ſelbſt Altaͤre gebaut und geopffert haͤtten. Mit
einem Worte: ein Fuͤrſt muͤſte allezeit klug/ ins-
gemein hertzhafft/ zuweilen furchtſam/ aber nie-
mals verzagt ſeyn. Jch muß es geſtehen/ fing
Flavius an/ daß die Furcht mich nichts minder
aus der Roͤmer Haͤnden errettet habe/ als ſie die
Hirſchen der Grauſamkeit der Jaͤger zu ent-
reiſſen pfleget. Hertzog Herrmann bat hier-
auf den Flavius: Er moͤchte doch/ wie er ſo
gluͤcklich von Rom in Deutſchland entronnen/
kuͤrtzlich entwerffen. Rhemetalces aber ſetzte
bey: Er moͤchte doch ſeine auch vorher ihm zu
Rom begegnete Zufaͤlle darbey nicht gaͤntzlich
vergeſſen. Denn er wuͤſte wol/ daß wie Africa
eine Mutter taͤglicher Mißgeburten/ alſo
Rom ſeltzamer Zufaͤlle waͤre/ und inſonderheit
Fremden. Flavius antwortete: Aus ſeinen
waͤre zwar kein Wunderwerck zu machen; ie-
doch wolte er ſeine merckwuͤrdigſte Begebnuͤſſe
ohne Umſchweif beruͤhren/ um theils der Anwe-
ſenden Verlangen zu vergnuͤgen/ theils ihre
Gedult nicht zu mißbrauchen. Hiermit fing
er an: das Verhaͤngnuͤs machte unſere ungluͤck-
liche Gefangenſchafft dardurch gluͤckſelig/ daß
uns Druſus nicht mit zum Siegs-Gepraͤnge/
ſondern der Kaͤyſer/ weil mein Bruder Herr-
mann ihn bey Mniturne aus dem Waſſer er-
rettete/ uns neben dem jungen Agrippa und
Germanicus in Rom einfuͤhrte. Jch genoß
allenthalben daſſelbe mit/ was Hertzog Herr-
mann durch ſeine Tugend verdiente/ worvon
ich viel denckwuͤrdige Begebnuͤſſe erzehlen muͤ-
ſte/ wenn ich mich nicht beſcheidete/ daß ſeine Ar-
men wohl groſſe Thaten auszuuͤben geſchickt
ſind/ ſeine Ohren aber ihre Erzehlung nicht ver-
tragen koͤnnen. Einmal neigte mir ja mehr
das Gluͤcke/ als meine Geſchickligkeit ein Mit-
tel zu/ des Kaͤyſers Gewogenheit etlicher maſ-
ſen zu erwerhen/ als ich auf einer vom Druſus
angeſtellten Jagt ein wildes Schwein aufhielt/
daß es den fallenden Kaͤyſer nicht verletzen kon-
te. Der Kaͤyſer war uͤber meiner Auferzie-
hung und Unterweiſung in der Bau-Rechen-
und Meß-Kunſt/ wie auch in ritterlichen U-
bungen mehrmals ſo ſorgfaͤltig/ daß uns ieder
Fremder ehe fuͤr des Auguſtus Enckel/ als fuͤr
Gefangene angeſehn haben wuͤrde. Jch haͤt-
te den Kaͤyſer vielleicht auch wohl zuweilen in
unſern Pruͤſungen vergnuͤgt/ wenn mein Thun
nicht allemal von meinem Bruder und dem
Germanicus waͤꝛe verduͤſtert worden. Wie-
wol dieſe Verduͤſterung gleichwol zu meinem
Vortheil gereichte; weil mein eingeſchlaffener
Geiſt aus Eifferſucht ermuntert/ und mein
Gemuͤthe durch zweyer ſo lebhaffter Fuͤrſten
Beyſpiel gleichſam rege zu werden gezwungen
ward. Sintemal die Laſter nicht nur anfaͤllig
find; ſondern auch die Tugend/ wie des Apollo
Leyer/ welche einen Stein/ an dem ſie gehan-
gen/ ſingend gemacht/ und des Orpheus Grab/
bey welchem die Nachtigaln eine viel ſuͤſſere
Stimme bekommen haben ſollen/ ihre Gefaͤu-
then mit ihrer Koͤſtligkeit betheilet. Auſer die-
ſem waren Herrmanns Verdienſte ſo groß/ daß
die Schaͤtzbarkeit der Roͤmer ihre Gewogenheit
nicht gar auf ihn ausſchuͤtten konten/ ſondern
wie die Sonne mit ihren Stralen auf unfrucht-
bare Klippen/ mich Unwuͤrdigen damit bethei-
len muſten. Jn deſſen Anſehn ward mir auch
Mecenas hold/ und der Kaͤyſer hieß mich nebſt
meinem Bruder des verbrennten Druſus Aſche
in der Julier Begraͤbnuͤß tragen. Welche
Verrichtung zwar in Deutſchland einen
Schein der Dienſtbarkeit haben kan/ in Rom
aber eine der groͤſten Ehren iſt/ welcher nur die
Rathsherren faͤhig ſind. Uber diß ward ich zu
allen Gemeinſchafften gezogen/ in denen ſich
des Kaͤyſers Enckel Lucius und Cajus befan-
den; und ich hatte das Gluͤcke/ daß ich mit dieſen
unbaͤndigen Juͤnglin gen niemals zerfiel; und
weil ich zuweilen mit etwas verhieng; erlangte
ich
[451]Arminius und Thußnelda.
ich bey ihnen ſo viel Anſehen/ daß mein Wieder-
rathen ſie offt ehe/ als des Kaͤyfers ſtrenge
Dreuungen von ihren wilden Entſchluͤſſungen
zuruͤck hielt. Es iſt wahr/ ſagte Hertzog Ar-
pus; Man muß an groſſen Hoͤffen allezeit ver-
mummte Antlitzer haben/ und das freudig mit
machen/ darfuͤr man die groͤſte Abſcheu hat.
Junge wilde Fuͤrſten muß man auch/ wie die
Wallfiſche fangen; denen man das in die Seite
eingejagte Seil nachlaͤſt/ und wenn ſie ſchwach
oder muͤde worden ſind/ ſie aller erſt zu dem ſonſt
uͤber einen Hauffen geriſſenen Schiffe ziehen
muß. Hertzog Flavius fuhre fort: Jch darff
meine uͤber dieſe zwey Fuͤrſten gewonnene Bot-
maͤßigkeit wol nicht meiner Klugheit zueignen/
weil ich meiner ſelbſt noch nicht maͤchtig/ und
mein Thun ein ſteter Fehltritt war. Jch mei-
ne aber/ daß mein Vortheil von einer Ver-
wandſchafft unſer Gemuͤther/ und von der Ein-
tracht der Neigungen den Uhrſprung hatte/
welcher Wuͤrckungen offt ſo ſeltzam ſind/ daß ſie
der Unwiſſenheit des Poͤfels mehrmahls eine
Zauberey heiſſet. Dieſe Verwandnuͤs bere-
det ohne Worte/ und bemaͤchtiget ſich der Ge-
muͤther ohne Verdienſte; ohne ſie aber iſt alle
Tugend ohnmaͤchtig/ und alle Bemuͤhung ver-
gebene Arbeit. Dieſer verborgenen Neigung
hilfft nichts mehr auff die Beine als eine Be-
fleiſſung ſich in die zu ſchicken/ mit denen man
umgehet. Denn wenn man mit den Woͤlffen
heulet/ mit den Affen ſpielet/ mit den Eichhoͤr-
nern tantzet; wird man nicht nur allenthalben
beliebt/ ſondern dieſe kluge Verwandlung ma-
chet/ daß hernach alle andere einem ſo fertigen
Proteus auch was kluges nachthun. Lucius
war kaum dreyzehn Jahr alt/ als er ſchon eine
hefftige Neigung der Geilheit von ſich mercken
ließ. Welches mir als einem Deutſchen ſo viel
ſeltzamer vorkam/ als welche ſehr langſam dieſen
Trieb der Natur fuͤhlen/ und fuͤr dem dreißig-
ſten Jahre auch zulaͤßlicher Liebe pflegen fuͤr
Schande achten. Welches/ als ich es damals
auf Anſtifften unſers Lehrmeiſters Athenodorus
dem Lucius erwehnte; ſo wol ihm als ſeinen Roͤ-
miſchen Gefaͤrthen anfangs unglaublich/ her-
nach ein Gelaͤchter war. Sintemal dieſe uns
Deutſchen fuͤr halbe Mißgeburten ſchalten/
denen unſer gefrorner Himmel mehr Schnee
als Blut in die Adern gefloͤſt haͤtte. Jch aber
hing ihnen im lachenden Muthe dieſen Schand-
fleck an/ daß ihre unzeitige Luͤſternheit ihre
Kraͤfften erſchoͤpffte/ ehe ſie erſtarreten; und im
Fruͤhlinge unreiffe und ſauere Aepffel abbreche/
welche die Deutſchen im Sommer in ihrer ſuͤſ-
ſen Vollkommenheit zu genuͤſſen pflegten.
Hiervon ruͤhrete/ daß dieſich zur Unzeit abmer-
gelnden Roͤmer gleichſam halbe Zwerge blie-
ben; Hingegen der Baum-langen Deutſchen
Kinder als halbe Rieſen heꝛwuͤchſen/ und ſichtba-
re Beweißthuͤmer der Elterlichen Leibes-Kraͤf-
ten fuͤr Augen ſtellten. Bey ſolcher Maͤßi-
gung haͤtten die Deutſchen auch in der Wolluſt
ſelbſt einen Vortheil. Denn ſie behielten biß
ins greiſe Alter das unerſchoͤpfliche Vermoͤgen
der Jugend. Dahingegen bey denen/ welche
durch zu fruͤhe Begierden ihnen und der Natur
Gewalt anthun/ eben ſo zeitlich entkraͤfftet wuͤr-
den/ wie gewiſſe Baͤume ehe verdorren/ wenn
man ihnen die Bluͤthen abbricht; Als wenn
man ihre Aepffel reif werden laͤſt. Jnſonder-
heit aber war der bey dem Kayſer ſo ſehr beliebte
Athenodor von Canaan in Sicilien/ theils nach
Anleitung ſeiner Stoiſchen Weltweißheit/
theils wegen Verbindligkeitgegen dem Kaͤyſer/
fuͤr viel genoſſene Wolthaten befliſſen den Lu-
cius von dem Wege der Wolluſt abzuleiten.
Dieſer weiſe Mann ward entweder dem Auguſt
zu Liebe/ oder auch wegen ſeiner Lehre und tu-
gendhafften Lebens halber fuͤr einen halben
Gott verehret. Denn ob zwar anfangs die
Stoiſchen Weiſen/ als Nachfolger des unver-
ſchaͤmten Diogenes als hoffaͤrtige/ hals-
ſtarrige und unruhige Veraͤchter der Obrigkeit
gantz verachtet waren; ſo erlangten ſie doch nach
L l l 2und
[452]Vierdtes Buch
und nach durch ihre Maͤßigung/ und inſonder-
heit/ als man ihre Weißheit nicht in Schalen
zierlicher Worte/ ſondern im Kerne der von ih-
nen ſtets eingelobten Tugend beſtehen ſahen/
ein ſo groſſes Anſehen/ daß man ſie unter allen
gleichſam nur alleine fuͤr Weltweiſen/ oder ſie
nur fuͤr Maͤnner/ die andern Weiſen aber fuͤr
Weiber hielt. Dahero Auguſt dieſen Atheno-
dor nach Rom/ wie vorher der Parthiſche Koͤnig
den weiſen Demetrius von Athen/ nach Baby-
lon die Stoiſche Weißheit daſelbſt fortzupflan-
tzen holen und unterhalten ließ. Dieſer gute
Athenodor hatte ſchier von der Wiege an dem
Cajus und Lucius den Grund der vom Zeno
und Cleanthes befeſtigten Lehre eingeredet/ daß
das hoͤchſte Gut des Menſchen waͤre/ den
Schluͤſſen der Vernunfft zu folgen/ nach der
Richtſchnur der Natur/ nemlich nach dem Wil-
len Gottes zu leben/ mit ihm ſelbſt eintraͤchtig
und vergnuͤgt zu ſeyn/ und ſich aller hefftigen
Gemuͤths-Regungen/ welche in dem Men-
ſchen einen buͤrgerlichen Krieg erregten/ zu ent-
ſchlagen; welche die Vernunfft nicht im Zuͤgel
fuͤhrte und zu Ermunterung der ſonſt laulichten
Tugend angewehrte. Aber beyden war dieſe
Lehre zu ſchwer auszuuͤben. Denn der heuch-
leriſche Hoff/ und die Stadt/ worinnen alle La-
ſter Buͤrgerrecht gewonnen/ wo nicht den Nah-
men der Tugend erworben hatten; redeten in
einer Stunde ihnen mehr aus/ als ihnen Athe-
nodor in zehn Tagen mit genauer Noth bey-
bracht hatte. Als er nun ſonderlich den Lucius
einen unmaͤßigen Tꝛieb zuꝛ Geilheit haben ſahe/
befließ er ſich die ſonſt gewohnte Maͤßigung ſei-
ner uhrſpruͤnglich ſtrengen Lehre bey Seite zu
ſetzen/ und die Wolluſt mit Stahl und Schwe-
fel anzugreiffen. Einen gantzen Monat lang
ſagte er dem Lucius ſchier nichts anders fuͤr/ als
was das Frauenzimmer ihm verhaſt/ und bey
der Welt kohlſchwartz machen konte. Es hieß
ihm ein unvollkommenes Thier/ eine Mißge-
burt der Natur/ welches ſchwerlich fuͤr einen
Halb-Menſchen zu achten waͤre. Ein haͤßlich
Weib waͤre eine Abſcheu der Augen/ ein ſchoͤnes
eine helle des Hertzen. Die Liebe machte aus
ihr einen Wuͤterich/ die Verachtung einen Tod-
feind/ die Erzuͤrnung eine hoͤlliſche Unholdin.
Jhre Regungen wuͤſten von nichts mittelmaͤßi-
gen/ und vertruͤgen uͤber ſich keine Vernunfft;
ihre Gedancken duldeten keine Beſtaͤndigkeit/
ihre Begierden keinen Zaum/ ihr Haß keine
Verſohnung. Auch was Tugend an ihnen
ſchiene/ waͤre ein Blaſter/ kein Weſen/ und ein
bloſſer Fuͤrniß der Laſter. Sie waͤre niemanden
getreu/ als aus dringender Noth/ keinem Men-
ſchen hold/ als zu ihrem Vortheil/ und nur
keuſch aus Furcht der Schande oder der Ver-
ſtoſſung. Sie betruͤge ihren beſten Freund
mit lachendem Munde/ ſie verſteckte ihr ſcha-
den-frohes Gemuͤthe mit falſchen Thraͤnen/ die
Unwarheit mit glatten Worten/ das Gifft ih-
res neidiſchen Hertzen mit verzuckertem Liebko-
ſen. Jhre grimmige Augen verwandelten die
thoͤrichten Liebhaber in Stein/ ihre holden An-
blicke bezauberten ſie. Jhre Kuͤſſe verruͤckten
auch den Weiſeſten die Vernunfft/ und ihre
Uppigkeit machte ſie zu Unmenſchen. Ja die
Weißheit haͤtte mit dem weiblichen Geſchlechte
eine ſolche Unvertraͤglichkeit/ daß ihre Goͤttin
nicht von einem Weibe/ ſondern nur aus dem
Gehirne Jupiters haͤtte koͤnnen gebohren wer-
den. Jn ſelbtem kaͤmen alle Laſter/ wie die
Striche in dem Mittel eines Kreiſſes zuſam-
men; alſo/ daß Plato mit ſich Rath gehalten/
ob er die Weiber nicht fuͤr eine Mittelgattung
zwiſchen Menſch und Vieh halten ſolte. Die
aber/ welche der Unzucht den Zuͤgel ſchuͤſſen lieſ-
ſen/ waͤren grimmere und garſtigere Thiere/ als
die/ welche vom Raube und eitel Unflate lebten.
Denn die Wolluſt waͤre der wahrhaffte Pro-
metheus/ welcher zu Fertigung ſeines Men-
ſchen den Grimm des Loͤwen/ die blinde Unart
wilder Schweine/ die Grauſamkeit der Tiger/
die Zagheit der Hinde/ die Betruͤgligkeit des
Fuch-
[453]Arminius und Thußnelda.
Fuchſes/ und den Wanckelmuth des vielfuͤßich-
ten Meerfiſches genommen haͤtte. Sie ſtaͤche
ihr ſelbſt die Augen aus/ daß ſie weder Schande
noch Gefahr ſehen/ ſondern deſto blinder und
verzweiffelter in den Pful aller Laſter rennen
koͤnte. Sie lieſſe ſich anbeten als einen Ab-
gott; und wuͤrde hernach ein Hencker ihrer ei-
genen Prieſter. Sie aͤſcherte Staͤdte und
Laͤnder ein/ darinnen man ſie beherbergt/ und
auf Gold und Purpur gelegt haͤtte; Sie beſu-
delte mit Mord und Blut das Ehbette/ und die
Taffeln der Eltern; und erſteckte wie die
Schlangen die Kinder ihres gutthaͤtigen Wir-
thes. Jhre Augen toͤdteten wie die Baſilisken
ohne Verwundung/ ihr Athem vergifftete/
was er anhauchte; ihre ſtreichelnde Haͤnde haͤt-
ten Kreile wie die Egyptiſchen Maͤuſe/ welche
mit ihrem Krimmen die Eingeweide zerfleiſch-
ten. Jhre Armen erwuͤrgten wie die Affen mit
ihren Umhalſungen. Jhr Mund blieſſe wie
jener Wald-Gott kalt und warm heraus; und
ihr Hertze naͤhrete/ wie gewiſſe Berge/ bald feu-
rige Stroͤme bruͤnſtiger Liebe/ bald euſerſten
Schnee des bitterſten Haſſes. Sie rotte alle
andere Tugenden mit Strumpfund Stiel aus/
und brauche die beſten Wiſſen ſchafften zu einem
Richtſcheite nach der Kunſt zu ſuͤndigen/ und
auch in der Boßheit dem Poͤfel uͤberlegen zu
ſeyn. Alles diß/ was die hefftige Ungedult
dem Athenodor wider die Wolluſt und das
weibliche Geſchlechte heraus lockete/ merckte
Lucius fleißiger auf/ als nichts vorher. Hier-
durch machte er ſeinem Lehrmeiſter keine geringe
Hoffnung der in ſeinem Gemuͤthe noch glim̃en-
den Funcken der Tugend. Alleine Lucius ver-
fuͤgte ſich ins geheim faſt taͤglich zu dem weltwei-
ſen Ariſtippus/ welcher ſich fuͤr einen Nachfol-
ger des Epicur ausgab/ und dahero vom Mece-
nas an der Tiber einen Garten geſchenckt be-
kommen; auch an deſſen Thuͤre/ eben wie vorhin
Epicur/ angeſchrieben hatte: Hier werden
die Gaͤſte wol bewirthet; denn hier iſt
die Wolluſt das hoͤchſte Gut. Jn der
Warheit aber pflichtete dieſer Ariſtippus dem
Ariſtippus bey/ der ein Uhrheber der Cyreni-
ſchen Weltweiſen war/ und die Wolluſt des Lei-
bes fuͤr das hoͤchſte Gut hielt; Alſo von dem E-
picur ſo weit als ſchwartz und weiß entfernet
war. Sintemal dieſen alleine die Verleum-
dung zu einem Freunde der Faulheit/ und die zu
einem Beſchirmer der Uppigkeit machen wol-
len/ welche ihre Laſter in der Schoß der Welt-
weißheit verber gen wollen. Dahingegen Epicuꝛ
nur dieſelbe Wolluſt billigt/ welche man aus der
Tugend ſchoͤpffet; und daher der Wolluſt eben
diß Geſetze vorſchreibt/ was Zeno der Tugend.
Dahero er auch ſelbſt ſein nur mit Waſſer und
Brod unterhaltenes Leben in der hoͤchſten
Maͤßigkeithingebracht/ das euſerliche Gluͤcke
fuͤr einen ſeltenen Gefaͤrthen eines Weiſen ge-
halten/ auch zuweilen ſelbſt den Schmertz ver-
langet hat/ wenn er zumal ſich beſorgt/ daß auff
die Wolluſt einige Reue folgen doͤrffte. Un-
geachtet er nun ſeine verdammte Lehre ſtets mit
den Meinungen des Epicur verhuͤllete/ ſo
ſchwam ihm der Honig der Wolluſt doch immer
auf der Zunge; alſo/ daß Lucius fuͤr dem Athe-
nodor einen hefftigen Eckel/ zu dem Ariſtippus
aber eine deſto groͤſſere Zuneigung empfing.
Dieſemnach brachte er den Vermerck der von
Athenodor heraus gelaſſenen Heftigkeiten zu
Livien/ und verlangte durch ſie beym Kaͤyſer
verbeten zu werden/ daß er ſich eines ſo rauchen
Lehrers entſchlagen/ und mit beſcheidenern ver-
ſorgt werden moͤchte. Livia zohe entweder aus
einer weiblichen Schwachheit/ oder aus einer
vorhin ſchon wider ihn gefaſten Gramſchafft des
Athenodorus Lehre fuͤr eine ſie ſelbſt antaſtende
Schmaͤhung an[;] verklagte ihn beym Kaͤyſer/
und drang darauf/ daß er und alle Stoiſche
Weiſen aus Jtalien gejagt werden ſolten. Wie-
wol ſie nun diß nicht bey dem Kaͤyſer auswuͤr-
cken konte/ ſondern er ihr zur Antwort gab:
Man muͤſte mit dem Socrates ſtreiten/ mit dem
L l l 3Car-
[454]Vierdtes Buch
Carneades zweiffeln/ mit dem Diogenes zuwei-
len uͤber die Schnur hauen/ mit dem Epicur
ſich beruhigen/ mit dem Zeno die Natur uͤber-
wuͤnden lernen/ und alſo ihm einen ieden Wei-
ſen nuͤtze machen; ſo brachte ſie es doch dahin/
daß weder Cajus noch Lucius ihn ferner hoͤren
dorften. Hingegen/ weil ihr und ihrem auff
den Tiberius geſetztem Abſehen daran gelegen
war/ daß beyde Kaͤyſerliche Enckel in den La-
ſtern erſteckt wuͤrden; half ſie mit des Mecenas
Einrathen dem Ariſtippus zu der Unterrich-
tung des Cajus und Lucius/ wie auch meiner.
Dieſer Verfuͤhrer trug uns anfangs zwar den
beſten Kern der Epicuriſchen Weißheit fuͤr/
und wuſte der Tugend meiſterlich eine Farbe
anzuſtreichen; Gleichwol aber hing er derſelben
ſtets dieſen Schandfleck an/ daß ſie nicht wegen
ihr ſelbſt/ ſondern nur wegen ihrer viel edlern
Tochter/ nemlich der Wolluſt zu lieben waͤre.
Hernach kam er auff natuͤrliche Dinge/ und
lehrte uns/ daß die Welt/ nicht nach des Hera-
clitus Meinung/ aus Feuer/ nicht/ wie Thales
lehrte/ aus Waſſer/ noch wie dem Pythagoras
traͤumte/ aus Zahlen/ ſondern aus eitel durch-
einander ſchwermenden Sonnen-Staͤublein/
ungefehr zuſammen gewachſen/ am allerwe-
nigſten aber nach des Ariſtoteles Meinung
und Einbildung ewig waͤre. Auff dieſen
Schluß gruͤndete er ferner/ daß die Goͤtter ſich
um die Welt und die Menſchen unbekuͤmmert/
alſo die vom Plato geruͤhmte goͤttliche Vorſor-
ge und Verſehung ein bloſſer Traum waͤre/ ja
die Goͤtter haͤtten nicht einmahl den Sinn der
Tugend wol zu thun/ weniger Waffen und
Macht die Boͤſen zu beſchaͤdigen. Die See-
len der Menſchen verrauchten mit dem ſterben-
den Leibe/ und haͤtten nach dem Tode weder
Luſt noch Straffe zu er warten. Dahero waͤre
die Entſchlagung aller Bekuͤmmernuͤß/ die
Ruhe des Gemuͤthes das hoͤchſie Gut der
Sterblichen/ wie der Muͤſiggang der Goͤtter.
So viel wagte er ſich dem faſt unzehlbaren Hauf-
fen ſeiner ſich taͤglich zu ihm draͤngenden Lehr-
linge fuͤrzutragen. Und wenn iemand uͤber
etwas ihm einen Zweifel erregte; wuſte er durch
ſpitzige Unterſcheidungen ſeine Saͤtze ſo meiſter-
lich herum zu drehen/ daß es ſchien/ als wenn er
die Goͤtter angebetet/ die Menſchen allerdings
tugendhafft wiſſen wolte. Als er aber den Ca-
jus und Lucius ſo gar geneigt zur Wolluſt ſahe;
ließ er ſie und mich einmal in das innerſte Theil
ſeines bewohnten Luſthauſes zu abſonderer Un-
terweiſung leiten. Wir fanden daſelbſt an ihm
gleichſam einen gantz andern Menſchen. An
ſtatt des langen Mantels trug er nach Griechi-
ſcher Art einen ſeidenen Rock der Edelen. Die
Platte ſeines kahlen Kopffes war mit falſchen
Haaren bedeckt. An den Armen und Fingern
trug er guͤldene Geſchmeide und Ringe mit E-
delgeſteinen. An den Fuͤſſen hatte er geſtickte
Schuh mit kleinen Monden. Und von der
Tracht der Weltweiſen war nichts/ als der lan-
ge Bart uͤbrig; welcher aber mit Fleiß ausge-
kaͤmmet/ und eingebalſamt; die Lippen mit
Zinober geſchmuͤckt/ die Naͤgel verguͤldet/ und
von ſeinen itzt Roſenfaͤrbichten Wangen das
ſonſt aufgeſchmierete Bleyweiß/ welches ſie in
ſeiner Schule ſonſt blaß machte/ abgewaſchen
war. Der Saal/ darinnen er lehrte/ war mit
allem nur erſinnlichen Vorrathe der Ver-
ſchwendung/ inſonderheit aber mit denen geile-
ſten Bildern ausgeſchmuͤckt. Fuͤr dem Unter-
richte erqvickte er uns mit denen kraͤfftigſten
Labſaln. Er badete uns mit wohlruͤchenden
Waſſern/ falbete uns mit Syriſchen Balſamen/
und verſchwendete allen Vorrath des uͤppigen
Aſiens. Hierauf machte er eine weitſchweiffige
Rede von ſeiner gegen uns tragenden Gewo-
genheit/ und daß dieſe ihn noͤthigte wiewol mit
ſeiner Gefahr das Geheimnuͤß der wahren
Weltweißheit zu offenbaren. Nach dem er uns
nun gleichſam nach dieſem verborgenen Schatz
ſeufzen ſahe; fing er an/ aller Weltweiſen Mei-
nungen als Jrrthuͤmer zu verdammen/ und als
Betruͤgereyen zu verfluchen. Die wahre Weiß-
heit waͤre/ wiſſen/ daß kein Gott waͤre. Socra-
tes
[455]Arminius und Thußnelda.
tes haͤtte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/
als eines unveraͤnderlichen Lichtes/ gedacht; a-
ber/ weil er ſelbſt nichts davon gehalten/ beyge-
ſetzt: Er waͤre ein Weſen ohne Leib. Er haͤtte
zwar aller andern Weltweiſen Meinungen
widerlegt; aber ſelbſt keinen Satz gemacht/
ſondern ſich nur mit ſeiner Unwiſſenheit ge-
ruͤhmt; und deßwegen haͤtte ihn der Wahrſager-
Geiſt Apollo fuͤr den weiſeſten Menſchen aus-
geruffen. Zwar haͤtte er oft einer hohen Weiß-
heit/ welcher aber der Poͤfel nicht faͤhig noch
wuͤrdig waͤre/ erwehnet; dieſe aber waͤre nichts
andeꝛs geweſt/ als die oben eꝛwehnte; und haͤtte eꝛ
ſie mir etlichen hohen Geiſtern/ wie wir waͤren/
eroͤfnet. Gleichwol aber waͤre er verrathen/
und wegen Entdeckung eines Geheimnuͤſſes/
welches nur herrſchende Fuͤrſten wiſſen ſolten/
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-
den. Plato/ und die nachfolgenden Weiſen waͤ-
ren Heuchler geweſt/ und haͤtten aus Furcht
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen
ſich nicht gewagt. Epicur haͤtte zwar denen
ſcharfſichtigen wieder ein Licht aufgeſteckt; und
weil er zu Athen nicht ſagen doͤꝛffen/ daß es keine
Goͤtter gebe; habe er gelehret: Es waͤre keine
goͤttliche Verſehung. Gleich als wenn nicht
dieſes letztere auch das erſtere aufhuͤbe. Sinte-
mal ein Gott ohne Verſehung weniger als ein
Klotz odeꝛ Stein den Nahmen eines Gottes ver-
dienet. Alleine Ariſtippus von Cyrene haͤtte die
vom Socrates gefaſte Weißheit allererſt recht
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach
dem er der Goͤtter als eines Undinges gar nie
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/
als durch ſein Beyſpiel/ da er in dem Bette der
geilen Lais/ und an der Taffel des verſchwende-
riſchen Dionyſius alleine ſeine Luſt geſucht/ al-
les vergangene vergeſſen/ alles kuͤnfftige verach-
tet/ und ſich nur des gegenwaͤrtigen erfreuet/ al-
len Klugen die Augen aufgeſperret/ und durch
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem
Munde lehren/ erwieſen/ daß die Wolluſt des
Leibes das einige und hoͤchſte Gut des Menſchen
ſey. Hierauf trat auf ſein gegebenes Zeichen ein
uͤberaus ſchoͤnes/ aber fingernacktes Frauen-
zimmer in den Saal und uns ins Geſichte. Ari-
ſtippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Fuͤr-
ſten der Jugend/ das ſchaͤndliche Ungeheuer des
wahnſinnigen Athenodorus. Duͤncket euch die-
ſe nackte Lehrerin nicht ein kluͤger Weiſer zu
ſeyn/ als der ſich fuͤr wenig Jahren zu Athen
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der
thumme Empedocles/ der ſich in den feurigen
Berg Etna ſtuͤrtzte? Warlich/ entweder euch
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-
gen berruͤgen. Dieſe aber werden euch zuver-
ſichtlich uͤberweiſen/ daß ein ſchoͤnes Weib das
groͤſte Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-
gen/ das wuͤrdigſte Buch eines Weiſen/ und ein
weſentlicher Begriff himmliſcher Ergetzligkei-
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den
Menſchen ſey. Ohne ſie werden die Maͤnner
ihnen ſelbſt feind; von ihnen aber werden die
Kaͤlteſten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-
feuert/ und ſie opfern ihre Hertzen keiner Gott-
heit wuͤrdiger/ als dieſem Geſchlechte. Sie ſind
der unerſchoͤpfliche Brunnen der Fortpflan-
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.
Deßhalben wuͤrde zu Rom Jupiters Prieſter
mit dem Tode ſeines Eheweibes auch ein Wit-
tiber ſeines Prieſterthums und zu opffern unfaͤ-
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-
bele oder der Goͤtter-Mutter kein Thier/ wel-
ches nicht weiblichen Geſchlechtes iſt/ gebildet
ſeyn. Jn dem groſſen Feyer der Ceres zu Athen
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil
durch deſſelbten ergetzende Anſchauung Ceres
den Verluſt ihrer Tochter vergeſſen haͤtte.
Dieſes Sinnenbild aber deutete nichts an-
ders als den unſchaͤtzbaren Werth der Wol-
luſt an. Ohne ſie iſt das Leben bittere
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit
nur Thorheit. Als er uns dieſes ſeiner Mei-
nung nach feſte genung eingedruͤckt zu ha-
ben
[456]Vierdtes Buch
ben vermeinte; wie er denn wohl wuſte/ daß
kein Schweffel ein ſo geſchwinder Zunder des
Feuers/ als die Jugend der Laſter ſey; leitete er
uns in ein ander Gemach; darinnen wir zwey
marmelne Bilder/ des Bacchus und der Ve-
nus/ derer erſtem zwoͤlf wie Wald-Goͤtter/ dem
andern wie Liebes-Goͤtter geputzte Knaben
bald raucherten/ bald darum nach einem verbor-
genen ſuͤſſen Gethoͤne tantzten; in der Mitte a-
ber eine Taffel mit den ſeltzamſten Speiſen be-
deckt/ um ſelbte acht mit Perſiſchen Teppich-
ten bekleidete Bette antraffen. Wie wir uns
nun auf ſeine Noͤthigung auf vier Bette geleh-
net hatten/ fanden ſich ſo viel gantz nackte
Frauenzimmer neben uns auff die noch leeren
Bette; und zwoͤlf andere ebenfals nackte Dir-
nen bedienten uns insgeſamt an der Taffel.
Nach dem dieſe aufgehoben war/ hegten ſie zu
uns allerhand geile Taͤntze mit denen unver-
ſchaͤmteſten Stellungen. Cajus und Lucius
verlohren ſich dann und itzt in die Neben-Ge-
maͤcher; und ich ſelbſt wuſte mich kaum zu be-
ſinnen/ ob mir traͤumete/ oder ob ich in dem
Meer der ſelbſt-ſtaͤndigen Wolluſt badete. Jn
dieſer Entzuͤckung brachten wir in dem feſt ver-
ſchloſſenen Garten den halben Tag und die
Helffte der Nacht zu/ biß uns Ariſtippus ſelbſt
erinnerte/ fuͤr dißmahl unſere Lehre zu beſchlieſ-
ſen; Bey der Geſegnung aber erinnerte: wir
ſolten nun die eigene Erfahrung als den kluͤg-
ſten Richter urtheilen laſſen: Ob des Ariſtip-
pus hoͤchſtes Gut nicht beſſer als des gramhaff-
ten Athenodorus ſey? Ob des Crates Taſche/
des Antiſthenes Kappe/ des Diogenes Faß/
des Zeno Stab wuͤrdiger/ als des Epicurus
Luſtgarten zu achten waͤre? Wiewohl alle dieſe
Heuchler nur euſerlich wie die Schauſpieler ſich
in den Mantel der Tugend huͤlleten; im Her-
tzen aber der Wolluſt beypflichteten/ und in ge-
heim ſich mit derſelben vermaͤhlten. Plato
haͤtte ſich dardurch allzu ſehr verrathen/ da er ge-
lehrt/ daß die Weiber allen Maͤnnern gemein
ſeyn ſolten. Als Crates einmal eingeſchlaf-
fen/ haͤtte man in ſeiner Taſche noch tauſend
guͤldene Darier gefunden; ungeachtet er all ſein
Reichthum als Koth weggeworffen zu haben
ſich ruͤhmete. Dem Antiſthenes waͤren aus
ſeinen zerriſſenen Hoſen offtmals Wuͤrffel und
Karten gefallen. Diogenes waͤre an Alexan-
ders Hoffe uͤber dem Diebſtahle eines guͤldenen
Bechers betreten/ und in ſeinem Schuͤbſacke
das Bild der unkeuſchen Lais gefunden wor-
den; ungeachtet er nur aus dem Hand-Teller
zu trincken/ und die Weiber mit dem Stabe
von ſeinem Faſſe wegzutreiben pflegen. Eu-
clides waͤre in Weibskleidern zu Athen im
Hurenhauſe angetroffen worden; als er unter
dem Vorwand den Socrates zu hoͤren von
Megara dahin zur Nachtzeit geſchlichen. Py-
thagoras haͤtte in den Armen ſeiner Theano/
Socrates auff den Bruͤſten der Aſpaſia und ih-
rer Dirnen gelechſet/ durch welcher feil gehab-
te Schoͤnheit ſie den Peloponneſiſchen Krieg an-
gezuͤndet haͤtte. Der ſcharffe Geſetzgeber So-
lon haͤtte nicht nur der ſich gemein machenden
Venus einen Tempel gebaut/ ſondern auch mit
unkeuſchen Weibern Gewerb getrieben. Des
Parthaoins fuͤr einen Weltweiſen geruͤhmter
Sohn wolte eine ſchoͤne Taͤntzerin nicht neben
ſich niederſitzen laſſen; als ſie aber hernach feil
geboten ward/ bot er nicht nur das meiſte dar-
fuͤr/ ſondern raufte ſich auch mit andern um ſie.
Fliehet daher dieſe Thoren/ folget dem viel wei-
ſern Epicur/ welcher mit ſeiner holdſeligen
Leontium den Zucker dieſer Welt genoß/ und
dem Ariſtippus/ welcher auf denſelben Bruͤſten
ſchlief/ von welchen alle Mahler zu Corinth das
Muſter ihrer zu bilden noͤthigen Bruͤſte nah-
men. Opffert die Bluͤten eurer kraͤfftigen Ju-
gend der ergetzenden Wolluſt/ und dencket/ daß
ſie im Alter welck wird; nach dem Tode aber
keine mehr uͤbrig ſey.
Mit dieſem abſcheulichen Unterrichte nah-
men wir von dem Verfuͤhrer Ariſtippus Ab-
ſchied/ und kamen mit Verwunderung des Ho-
fes/ daß Cajus und Lucius ſich ſo ſehr in die
Weltweißheit verliebt haͤtten/ nach Hauſe. Fol-
genden Tag fanden wir uns wieder gar zeitlich
in des Ariſtippus Garten/ da er denn uns und
der verhandenen groſſen Menge der Zuhoͤrer
fuͤrtrug: Ein Weiſer ſolte in allem/ was er thaͤte/
ſein Abſehn allein auf ſeine eigene Vergnuͤgung
haben. Daher doͤrffte der/ welcher am Muͤſſig-
gange Ergetzligkeit ſpuͤrte/ ſich nicht mit Erler-
nung ſchwerer Dinge quaͤlen/ ein Geitziger
doͤrffte gegen niemanden freygebig ſeyn/ ein
Furchtſamer nicht in Krieg ziehen/ ein Unacht-
ſamer ſich umb Gott nicht bekuͤmmern. Zu-
letzt gab er uns ein Zeichen/ daß wir uns wieder
in ſeine geheime Schule einfinden ſolten. Cajus
und Lucius waren ſchon in das Luſt-Haus hin-
ein/ und ich auf der Schwelle/ als ich fuͤhlte/ daß
mich einer hinterruͤcks bey dem Kleide zuruͤck
zoh. Als ich mich umbwendete/ ſahe ich einen
alten Mann/ deſſen Antlitz eine ſonderbare An-
dacht/ ſeine Geberden aber eine groſſe Beſtuͤr-
tzung andeuteten. Dieſer fing mit aufgehobe-
nen Haͤnden an: Tritt zuruͤcke/ edelſter Flavius/
von der Schwelle deines Untergangs. Hier-
mit ergriff er mich bey der Hand/ und fuͤhrte
mich halb gezwungen und halb gutwillig in den
duͤſterſten Gang des Gartens/ daſelbſt fiel er
mir umb den Hals/ kuͤßte und benetzte mich mit
einem reichen Strome bitterer Zaͤhren. Hier-
auf ſahe er gegen dem Himmel/ und fieng an::
Ewiger Gott! laſſe nicht zu/ daß der Sohn des
frommen Fuͤrſten Segimers in den Klauen ei-
nes ſo ſchaͤndlichen Gottes-Veraͤchters/ und ſei-
ne Seele von dieſem Ertzt-Moͤrder umbkom-
me! Jch/ der ich anfangs gleich uͤber der Kent-
nuͤß und hertzhaften Anſprache dieſes Greiſes
mich verwunderte/ ward nunmehr durch einen
geheimen Trieb zu einer abſondern Ehrerbie-
tung gegen ihn gereget/ und es ſchien ihm eine
uͤberirrdiſche Lebhaftigkeit aus den Augen zu ſe-
hen. Daher ich anfing: Sage mir/ Vater/
woher du mich kenneſt/ und was mir fuͤr ein Un-
gluͤck vorſtehe? Ach! fing er ſeufzende und zwar
nunmehr in deutſcher Sprache an: Es iſt hier
kein Ort dir alles zu offenbaren. Meine
Sprache verſichert dich/ daß ich dein Lands-
mann/ und dieſe meine Betheuerung/ (hiermit
legte er ſeine Hand ihm flach aufs Haupt/) daß
ich ein treuer Knecht deines Vaters Segimers/
Ariſtippus aber der verfluchteſte Unmenſch
und euch den hoͤlliſchen Unholden zu einem fetten
Schlacht-Opfer zu liefern vorhabens ſey. Hier
leidet die Zeit nicht mehr Worte zu machẽ. Wilſt
du dich aber erhalten wiſſen/ ſo entferne dich au-
genblicks aus dieſem Garten/ und ſuche mich
morgen fruͤh in dem Tempel der Jſis/ welchen
der Kaͤyſer unlaͤngſt an den Ort/ wo vorhin der
vom Julius eingeriſſene geſtanden/ zu bauen er-
laubet hat. Hiermit ſetzte ſich dieſer Greiß in
einen Kahn auf die Tiber/ und fuhr davon; ich
aber verfuͤgte mich in die groſſe Renne-Bahn/
und brachte den Tag mit allerhand Ritterſpielen
zu/ umb mich der von des vorhergehenden Tages
ſeltzamer Begebnuͤß/ oder dieſes Alten Erinne-
rung zuhaͤngenden Traurigkeit zu entſchlagen.
Umb Mitternacht kam Lucius in mein Zimmer
fuͤr mein Bette/ und wuſte mir die beym Ariſtip-
pus genoſſene Luſt/ welcher die erſtere nicht das
Waſſer reichte/ nicht genungſam heraus zu ſtrei-
chen. Denn er haͤtte ſie mit eitel jungen Moh-
ren und Mohrinnen bedienet/ gegen welcher feu-
rigem Liebes-Reitze des weiſſen Frauenzimmers
Anmuth nur fuͤr Schnee zu achten waͤre. Jch
konte mich uͤber dieſem Vortrage nicht enthalten
uͤberlaut zu lachen und zu fragen: Was Ariſtip-
pus fuͤr eine Beredſamkeit ſie zu bereden gebrau-
chet/ daß die Raben ſchoͤner als die Schwanen
waͤren? Sind die Raben nicht ſchoͤner/ verſetzte
Lucius/ ſo ſind ſie doch wahrhaftiger zum Reden/
als die Schwanen zum ſingen geſchickt/ und alſo
anmuthiger. Warumb aber ſolte nicht auch
Erſter Theil. M m mSchoͤn-
[458]Vierdtes Buch
Schoͤnheit und Schwaͤrtze bey einander ſtehen
koͤnnen? Meyneſt du/ weil deine Deutſchen/ wie
auch du/ ſo weiß ſind/ daß die Mohren in allen
Augen ſo heßlich ſeyn? Weiſt du nicht/ daß die
Venus in Africa eben ſo aus ſchwartzem/ wie zu
Athen von weiſſem Marmel gebildet wird? Ja
die Griechen ſelbſt geben nach/ daß dieſe Mutter
der Schoͤnheit und Liebe mit ihrem Vulcan ein
Mohren-Kind gezeugt habe. Jch antwortete:
Nach dem die Gewohnheit auch etwas abſcheu-
lichem eine beſſere Farbe anſtreicht/ und den
Augen ihre erſte Empfindligkeit benim̃t; ja die
Liebe gar ins gemein verbundene Augen hat/
iſt mir nichts frembdes/ daß die Wald-Goͤtter
ihre rauche und Ziegenfuͤſſichte Geferten/ und
die halbgebratenen Mohren ihre beraucherte
Weiber oder vielmehr ausgeleſchte Kohlen fuͤr
ſchoͤn halten? Jch aber werde mir ſolche Farbe
niemals fuͤr ſchoͤn verkauffen/ noch auch michs ſo
gar die nackten und ſchwartzen Weltweiſen in
Jndien bereden laſſen. Mein Auge iſt mir diß-
falls nicht allein ein unverwerfflicher Richter;
ſondern die Roͤmiſchen Frauen ſind meine un-
zehlbare Zeugen/ welche durch ſo viel Kuͤnſte ihre
gelbe Haut in eine lebhafte Schnee-Farbe zu
verwandeln/ und ihre ſchwartze Haͤupter mit den
weiſſen Haaren des Deutſchen Frauenzimmers
auszuſchmuͤcken bemuͤhet ſind. Ja/ ſagte Lu-
cius/ iede Farbe hat ihre Vollkommenheit.
Was weiß iſt/ muß ſehr weiß ſeyn/ wenn es
ſchoͤn ſeyn ſoll. Alſo iſt die Schwaͤrtze auch
ſchoͤn/ wenn ſie nicht fahl/ ſondern vollkommen
ſchwartz iſt. Der ſchwartze in Mohrenland
und bey denen Landesleuten den Lagionen
wachſende Marmel waͤre beliebter/ als der
weiſſe des Eylands Paros. Auch ich/ verſetzte
ich/ halte viel von ſchwartzen Steinen; und Dia-
manten ſelbſt ſind nicht ſchoͤn ohn ſchwartze Fol-
gen und finſtere Straalen. Aber unter dem
Frauenzimmer halte ich es mit dem weiſſen.
Das Meer hat in ſich nichts koͤſtlichers/ als die
weiſſen Perlen; der Himmel der Begriff aller
Schoͤnheit weiß von keiner ſchwartzen Farbe.
Lucius begegnete mir: Er hat dieſer in alle
wege zu ſeiner hoͤchſten Pracht von noͤthen.
Denn ſeine Geſtirne ſind ſo gar unſichtbar/
wenn ihn der Pinſel der Nacht nicht ſchwartz
anſtreicht. Jch brach ihm ein: Der Schatten
hilfft wohl unſerm bloͤden Geſichte/ aber dem
Lichte und den Sternen theilt er keine Zierde
mit. Die Sonne das ſchoͤne Wunderwerck
der Natur iſt der Schwaͤrtze ſo feind/ daß
Nacht und Schatten fuͤr ihr in ewiger Flucht
ſeyn muͤſſen. Gleichwohl wird bey den Phoͤ-
niciern/ verſetzte Lucius/ ein ſchwartzer Stein
als das Ebenbild der Sonnen unter dem
Nahmen des Eliogabalus angebetet. Alſo
muͤſſen die Geſtirne mit dieſer Farbe keine ſo
unleidliche Eigenſchafft hegen. Die Jndi-
ſchen und theils Griechiſchen Goͤtter verlangen
ein ſchwartzes Lam̃/ oder eine ſolche Kuh zu ih-
rem Opfer. Alles diß/ antwortete ich/ ruͤhret
ſchwerlich von einer beliebten Verwandſchafft/
vielmehr aber daher/ daß ein heßlicher Gegen-
Satz der Schwaͤrtze ihrer Zierde einen Firnuͤß
anſtreichen ſoll. Maſſen denn die Diamante
ſchwartze Schalen/ die Perlen tunckele Mu-
ſcheln/ und die Gold-Adern nicht finſtere Be-
haͤltnuͤſſe und duͤſtere Schlacken verſchmaͤhen.
Jch hingegen verſetzte: Das von der Unrei-
nigkeit gelaͤuterte Ertzt und die ſauberſten Ge-
ſchoͤpfe ſind am weiſſeſten. Das Licht iſt ein
Merckmal der Vollkommenheit/ und daher
auch diß vortrefflicher/ was dem Lichte am aͤhn-
lichſten iſt. Das weiſſe aber iſt nichts anders
als ein ruhendes Licht/ wie das Licht eine thaͤti-
ge Weiſſe. Dahero ich/ auſſer dem Lucius/
noch keinen Verliebten von den ſchoͤnen Kohlen
ſeiner beraͤhmten Buhlſchafft/ wohl aber von
dem Alabaſter des Halſes/ dem Helffenbeine des
Leibes/ und den Perlen der Bruͤſte Lobſpruͤche
gehoͤrt haͤtte. Vielleicht aber doch/ ſagte Luci-
us/ von dem ſchoͤnen Finſternuͤſſe ſchwartzer
Augen/
[459]Arminius und Thußnelda.
Augen/ und von dem einẽ kohlſchwartzen Pferde/
das die nachdencklichen Tichter nicht ohne Urſa-
che vor den Wagen der Soñe geſpañt/ und viel-
leicht dardurch angedeutet haben/ daß ein Weib
ohne ſchwartze Augen unvollkommen ſchoͤn ſey.
Jch antwortete: Schwartze Augen ſtechen in
alle Wege wohl ab/ aber nur in einem weiſſen
Antlitze/ unſere blauen aber ſchicken ſich in beyde.
Da man aber von einem ſo kleinen Theile des
Leibes einer Farbe den Vorzug zueignen wol-
te/ wuͤrde die weiſſe den Obſieg behalten/ weil
niemand weiſſere Zaͤhne haͤtte/ als die Mohren/
auch an ihnen nichts zierlicher waͤre als die Zaͤh-
ne. Jch muß dem Flavius/ verſetzte Lueius/
ſeine Meynung laſſen. Jch aber bin ein Nach-
komme des Kaͤyſers Julius/ welcher nichts min-
der/ als Anton an der braunen Cleopatra/ mit
welcher er nicht nur biß in Mohrenland gerei-
ſet/ ſondern ſie gar nach Rom mitgenommen/
mehr als an der Schwanen-weiſſen Martia
Ergetzligkeit genoſſen/ und die Mohrin Euroe
der den Schnee beſchaͤmenden Servilia fuͤrge-
zogen. Perſeus haͤtte nicht nur die ſchwartze
Andromede geehlicht; ſondern ſie waͤre ſo gar
in den Himmel unter die Geſtirne geſetzt zu wer-
den gewuͤrdiget worden. Maſſen denn die
einander zuſagende Abtheilung der Glieder/
und wenn iedes an ſeinem Orte ſteht/ mehr als
die bloſſe Farbe ſo wohl ein Frauenzimmer/ als
eine Saͤule vollkommen machen. Dahero die
Griechen zu Abbildung einer vollkommenen
Schoͤnheit verlangt haͤtten/ daß Euphranor das
Haar/ wie ſeine Juno gehabt/ Polygnotus die
Augenbrauen und Wangen/ wie er der Caſſan-
dra zu Delphis zugeeignet/ Apelles den uͤbrigen
Leib/ nach dem Muſter ſeiner Pacata/ Aetion
die Lippen/ wormit ſeine Roxane pranget/ mah-
len ſolte. Hierauf haben die Egyptier Zwei-
fels-ohne geſehen/ als ſie zu ihrem beruͤhmteſten
Memnons-Bilde ſo ſchwartzen Stein/ als er im
Leben geweſt/ zu nehmen kein Bedencken gehabt.
Es muß alles/ antwortete ich/ beyſammen ſte-
hen. Denn die Vollkommenheit hat mit kei-
nem Gebrechen Verwandſchafft. Dieſe/ ver-
ſetzte Lucius/ iſt ſchwerlich unter der Sonnen zu
finden/ und theilet die vorſichtige Natur einem
dieſes/ dem andern was anders zu. Maſſen
ich dich denn verſichere/ daß die zarte Haut der
Mohren fuͤr weiche Seide/ der weiſſen Weiber
aber hingegen fuͤr Hanff anzufuͤhlen/ dieſe aber
im Lieben wo nicht todt/ doch eißkalt/ jene hinge-
gen lebhaft/ und mit einem Worte Buhlſchaff-
ten voll Feuer ſind. Jch weiß hiervon nicht zu
urtheilen/ fing ich an/ weil ich keine Mohrin nie
betaſtet/ auch von der Liebe ſelbſt nicht zu ſagen
weiß: Ob ſie dem Schnee oder dem Feuer ver-
wandt ſey? Du wirſt beydes morgen pruͤfen
koͤnnen/ antwortete Lucius/ wo du dich unſer
Gluͤckſeligkeit nicht wie heute entbrechen wilſt.
Hiermit ſagten wir einander gute Nacht; ich
aber konte aus einer ungewoͤhnlichen Unruh des
Gemuͤthes kein Auge zuthun/ ſtand alſo mit dem
erſten Tagen auf/ und eilte in den Tempel der
Jſis. Dieſer war laͤnglicht-rund von eitel
rothfleckichtem Egyptiſchem Marmel gebaut;
das in der Mitte ſtehende Bild der Jſis war
von Thebe hingebracht/ war aus Porphyr/ hat-
te auf dem Haupte einen dreyfachen Thurm/
wollichte Haare/ am Halſe das Zeichen des
Krebſes und Steinbocks/ zwoͤlff Bruͤſte/ in der
rechten Hand eine Cymbel/ in der lincken einen
Waſſer-Krug/ nackte Fuͤſſe/ darmit ſie auf ei-
nem Crocodil ſtand. Die Prieſter opferten
auf dem Altare gleich etliche Gaͤnſe. Der mich
den Tag vorher beſtellende Alte war meiner
bald gewahr/ winckte mir alſo/ daß ich ſelbtem
durch eine Pforte folgen ſolte. Dieſer leitete
mich in einen langen gewoͤlbten Gang/ und
endlich in ein kleines Heiligthum/ darinnen
zwar ein Altar/ aber kein Bild zu ſehen war.
Jn dieſem noͤthigte mich der Alte auf einen
dreyeckichten ſteinernen Stul niederzuſitzen;
M m m 2fing
[460]Vierdtes Buch
fing auch alſofort an: Entſetze dich nicht/ mein
Sohn/ daß du in dieſem Heiligthume weniger
annehmliches/ als in des Boßhaften Ariſtippus
Garten zu ſehen bekommeſt/ darinnen aber keine
Frucht zu finden/ die nicht von einem ſchaͤdli-
chern Drachen/ als welcher die Aepfel der Heſpe-
riden bewacht hat/ verwahret/ oder vielmehr ver-
giftet werden. Jch bin Sotion/ von Geburt
ein Cherusker/ von Urſprung ein Cattiſcher
Fuͤrſt/ von Glauben ein Druys/ von Lebens-
Art ein Pilgram/ ein Knecht des Cheruskiſchen
Hauſes/ des Libys Bruder/ welcher ietzt ober-
ſter Prieſter in dem Tanfaniſchen Tempel ſeyn
ſoll. Meine mit Begierde der Weltweißheit
vermiſchte Andacht hat mich ſchon fuͤr gerau-
men Jahren aus meinem Vaterlande in Thra-
cien gelocket/ theils des beruͤhmten Zamolxis
von dem Pythagoras gelernete/ und zu denen
Druyden und biß zu denen Hyperboriſchen
Voͤlckern von ihm gebrachte Weißheit zu be-
greiffen; theils auch mich umb das Gluͤcke zu
bewerben/ daß ich durch meine Aufopferung
zum Geſandten der Thracier an den Halb-
Gott Zamolxis erkieſet werden moͤchte. Das
Looß fugte auch meinem Verlangen; weil ich
aber ein Auslaͤnder war/ ward ich von dem
Gluͤcke eines ſo herrlichen Todes und eines
ewigen Nachruhms verdrungen. Jch wen-
dete mich hierauf nach Athen; weil ich aber
daſelbſt die wahre Weißheit/ welche der Jude
Phereeydes des Pythagoras Lehrer in Grie-
chenland bracht/ in die Striche des immer wei-
nenden Democritus/ und in die Spitzfindig-
keiten des Protagoras verwandelt fand/ fuhr
ich in Syrien/ verrichtete ein gantzes Jahr
meine Andacht in dem heiligen Tempel der
Juden zu Jeruſalem/ darein mir aber nicht
ehe der Eingang verlaubt ward/ als biß ich
nach dem Beyſpiele des Pythagoras mich be-
ſchneiden/ und wie jener ſeine Tochter Sara/
alſo ich mich Moſes nennen ließ. Von dar
kam ich in Epypten/ und nach einer ſieben
Jahr mit dieſes Landes Prieſtern gepflogenen
Vertraͤuligkeit reiſete ich nach Cyrene/ aus
welcher Stadt alleine ſo viel Welt-Weiſen/
als aus gantz Griechenland kommen ſeyn
ſollen. Daſelbſt habe ich den Verfuͤhrer Ari-
ſtippus angetroffen. Ob nun wohl dieſe
Stadt noch von des alten Ariſtippus gelehrten
Uppigkeiten angeſteckt iſt/ alſo/ daß man daſelbſt
keinen Wein ohne eingemiſchten Balſam trin-
cket/ und auch Maͤgde ſich mit dem koͤſtlichſten
Veilgen-Oel und Roſen-Salbe einbiſamen;
alſo ihnen Plato einiges Geſetze zu geben ſich
nicht unbillich geweigert hatte; ſo waren doch
ſeine Unterfangungen ſo abſcheulich/ indem
Ehbruch/ Blutſchande/ unnatuͤrliche Brunſt
die geringſten Laſter waren/ welche dieſer
geile Bock und unverſchaͤmte Hund der al-
bern Jugend durch ſeine verdam̃te Lehre und
aͤrgerliches Beyſpiel eingefloͤſt hatte/ daß er
in Hafft genommen/ und als ein Knecht ſeiner
fchaͤndlichen Begierden mit ſeiner von gar-
ſtigem Unflathe der Unzucht ſtinckenden
Gefertin der Hure Cyrene/ welche darin-
nen zwoͤlff neue Stellungen erfunden zu
haben ſich ruͤhmte/ und ein zauberiſches
Kraut verkauffte/ welches zu ſiebentzigmali-
gem Beyſchlaf faͤhig machte/ zum Creutze
verdammt. Weil aber zu Cyrene die obrig-
keitliche Macht denen Laſtern nicht gewachſen
war/ wurden dieſe zwey Ubelthaͤter von
einem Hauffen verwegener Buben dem
Scharffrichter aus den Haͤnden geriſſen/
und durch ein fertiges Schiff entfuͤhret.
Jch nahm von Cyrene als einer Spiel-
Tonne aller Laſter zeitlich meinen Abſchied/
und bin fuͤr acht Monden zu Metapont
ankommen/ alldar ich in Beſchauung des
von dem Pythagoras bewohnten/ und zu
ſeiner Zeit ſtets mit ſechs hundert Schuͤ-
lern angefuͤllten Ceres-Tempels/ und an-
derer
[461]Arminius und Thußnelda.
derer heiligen Alterthuͤme zubracht/ auch
ſelbſt noch unterſchiedene geheime Anmerckun-
gen von dem Oenuphis und Souched/ die Py-
thagoras zu Hieropolis gehoͤret/ und von dem
Ezechiel/ welcher ihn zu Babylon unterwieſen/
wie auch von ſeinen Nachfolgern dem Zelevcus/
Charonda/ und Archytas zu meinen Haͤnden
gebracht habe. Von dar haben mich zwey
bekandte Egyptiſche Prieſter mit anher nach
Rom gebracht/ und mir nebſt zwey andern hier
gefundenen deutſchen Druyden/ weil ſie mei-
nen/ daß wir eben wie ſie/ die Jſis anbeten/
und ihr Schiff verehren/ und von den von mir
geruͤhmten Pythagoras hochhalten/ dieſes klei-
ne Heiligthum erlaubet haben. Weil nun mei-
ne Sorgfalt die Lehren hieſiger Weltweiſen zu
erforſchen mich angetrieben/ bin ich auch hinter
den Betrug des verfuͤhreriſchen Ariſtippus kom-
men/ und weil mir deine Geſtalt etwas Deut-
ſches zu ſeyn geſchienen/ man mir auch ehege-
ſtern geſagt/ daß du ein Sohn des deutſchen
Feldherrn Segimers waͤreſt/ hat mein hertzli-
ches Mitleiden mich ſo kuͤhn gemacht/ daß ich
auch mit meiner Gefahr dich aus dem Abgrun-
de des Verderbens zu reiſſen entſchloſſen. Hier-
mit fing er an: Das wahre Weſen/ die vaͤterli-
che Vorſorge und Verſehung Gottes/ die
Unſterbligkeit der Seelen/ die Beſtraffung der
Boͤſen/ die Belohnung der Frommen/ die
Schaͤtzbarkeit der Tugend/ die Freudigkeit ei-
nes guten/ die Qvaal eines laſterhafften Gewiſ-
ſens aus unumſtoßlichen Gruͤnden wider des
Epicurus und Ariſtippus verdammte Lehre
auszufuͤhren; ja dieſen Betruͤger ſelbſt aus des
Epieurus eigenen Saͤtzen zu widerlegen; iedoch
um vielleicht der Schwachheit meiner Jugend
zuhelffen/ der Wolluſt ſo ferne das Wort zu
reden/ daß ihr maͤßiger Genieß mit der Tugend
keine Todfeindſchafft hegte/ jene aber wie die E-
hefrau zu lieben/ dieſe wie ihre Magd zu dulten
waͤre. Nach dieſem Beſchluß dieſer ſeiner
heilſamen Lehre umarmte mich Sotion auffs
neue/ und beſchwur mich bey denſelbigen Gei-
ſtern meiner frommen Ahnen/ daß ich von ihrem
heiligen Gottesdienſte/ von den heilſamen Sit-
ten meines Vaterlandes/ und von dem Pfade
der Tugend keinen Fußbreitt abſetzen/ und den
Ariſtippus furchtſamer als Schlangen und
Nattern fliehen ſolte; wo ich mich nicht in eine
ewige Pein geſtuͤrtzet/ und mein altes Geſchlech-
te erloſchen wiſſen wolte.
Das Hertze ſchlug mir bey waͤhrender Rede
wie die Unruh in einer Uhr; das innerſte meiner
Seele ward gereget/ und mich beduͤnckte nicht
ſo wohl einen Menſchen/ als einen Gott zu hoͤ-
ren. Daher verfluchte ich den Ariſtippus/ und
verſchwur ſeine Schwelle nim̃ermehr zu betre-
ten. Die andern zwey Druyden kamen im-
mittelſt auch darzu/ liebkoſeten mir auffs freund-
lichſte/ und waren bemuͤhet mich mit tauſend gu-
ten Lehren wider die Verſuchungen der Wolluſt
auszuruͤſten. Woruͤber ich mich derogeſtalt
vergnuͤgt befand/ daß ich mit ihnen das ohne
Auffſetzung einigen Fleiſches aus lautern Kraͤu-
tern und Geſaͤme bereitetes Mittags-Mahl
einnahm. Uber dieſer Mahlzeit reitzte mich
mein Vorwitz zu fragen: Ob alle Druyden ſich
des Fleiſch-Eſſens enthielten/ und ob ſie es aus
der vom Pythagoras herruͤhrenden Meinung
thaͤten/ daß der Verſtorbenẽ Seelen in den Thie-
ren wohneten? Der eine Druys/ von Geburt ein
Celte/ veꝛjahete/ daß ſich alle eꝛleuchtete Druyden
des Fleiſches enthielten/ iedoch nicht aus ange-
zogener und vielen noch zweiffelhafften Urſache.
Wiewohl dieſe Meinung laͤngſt fuͤr dem Py-
thagoras von denen Nord-Voͤlckern ange-
nommen/ und inſonderheit vom Zamolxis fort-
gepflantzet worden. Wenn diß zweiffelhafft
iſt/ wundere ich mich/ daß ſich die Druyden des
Fleiſches enthalten/ da doch die ſonſt ſo ſtren-
gen Stoiſchen Weltweiſen ſolches eſſen/ und Di-
ogenes ſo gar rohe Fiſche zu eſſen ſich nicht ge-
ſcheuet hat. Sotion fiel ein: Bey mir hat die
Wanderung der Seelen in Thiere keinen Zweif-
M m m 3fel.
[462]Vierdtes Buch
fel. Aber auch auſſer dem halte ich fuͤr mehr
wunderns-werth/ daß iemahls ein Menſch ei-
nes Thieres Aaß nur anzuruͤhren/ ja gar ihrer
toͤdtlichen Wunden Eyter/ oder der Gebeine
Marck auszuſaugen und das Blut ihrer A-
dern zu eſſen ſich erkuͤhnet habe? Welches ich
nichts anderm als dem Mangel des Getrey-
des in der ſich mit Eicheln ſpeiſenden erſten
Welt zuſchreiben kan; Weil ich angemerckt:
was viel Menſchen fuͤr einen Eckel fuͤr noch nie
geſehenen Krebſen/ Schild-Kroten/ Meer-
Spinnen und Auſtern gehabt/ welche doch
der koſtbaren Taffeln niedlichſte Speiſen
ſind. Sonder Zweiffel haben auch die/ wel-
che zum erſten ihre Schwerdter in Menſchen-
Blut getauchet/ mit Toͤdtung der Thiere/ und
zwar anfangs grimmiger Tyger/ wilder
Schweine/ ſchaͤdlicher Baͤren den Anfang ge-
macht/ biß die der Grauſamkeit gewohnte
Menſchen/ nach Art der Athenienſer/ welche
zum erſten den Verleumder Epitideus getoͤd-
tet/ hierdurch aber den tapfern Theramenes und
weiſen Polemarchus zu toͤdten gelernet haben/
auch zu den frommen Laͤmmern und nuͤtzlichen
Rindern kommen ſind. Dahero auch Empe-
docles den Griechen/ und der Roͤmiſche Rath
Ochſen und Kuͤh zu ſchlachten/ ja auch den Goͤt-
tern zu opffern ihrer Nutzbarkeit halber vor Al-
ters verboten hat. Mich beduͤncket auch/ ja
meine Natur ſagt mirs gleichſam/ daß ſie nicht
nur unter den Menſchen ein Band der Liebe/
ſondern auch zwiſchen Menſchen und Vieh
zum minſten eines des Friedens und des Mit-
leidens geſtifftet habe. Die Elephanten laſſen
von ſich keine geringe und ſchlechte Merckmah-
le der mit uns gemein habender Vernunfft bli-
cken. Die Papagoyen und Schalaſtern thun
uns ſo gar die Sprache nach; Zwiſchen uns und
den Affen iſt eine ziemliche Aehnligkeit. Weß-
wegen zu Athen auch auff eine Straffe geſetzt
war/ die nur einem lebenden Widder die Haut
abzohen. Jch brach hier ein: Freſſen doch aber
Loͤwen/ Baͤren/ Woͤlffe und Crocodile die Men-
ſchen/ und zerreiſſen alſo dieſes vermeinte
Buͤndniß der Natur. Sotion antwortete:
Vermuthlich haben es ehe die Thiere von denen
einander ſelbſt freſſenden/ und alſo grimmigern
Menſchen/ als dieſe von jenen gelernet; Wie-
wohl die Menſchen die Vernunfft von dem ab-
halten ſolte/ was die unvernuͤnfftigen Thiere
aus groſſem Mangel oder aus Rache zu thun
genoͤthiget werden. Zudem toͤdten wir mehr
zahmes als wildes Vieh. Wir eſſen keine
Drachen/ Loͤwen/ keine Tiger noch Woͤlffe;
hingegen verſchwenden wir tauſend Lerchen auf
einer gethuͤrmten Schuͤſſel; Wir erwuͤrgen auf
ein Gaſtmahl die Faſanen zu hunderten/ und
koͤnnen ohne unzehlbare Leichen nicht ſo wohl
unſere grimmige Magen/ als unſere unbarm-
hertzige Augen ſaͤttigen; und laſſen uns weder
der Voͤgel Blumen und Tapezerey wegſtechen-
de Schoͤnheit/ noch ihre und der Schaffe umb
Erbarmniß bittende Stim̃e von unſer Blutbe-
gierde abwendig machen/ ſondern ermorden die
edlen Phoͤnicopter/ die wunderſchoͤnen Pfauen/
daß wir nur von jener hunderten einen einigen
Biſſen niedlicher Zungen/ von dieſen eine Scha-
le Gehirne haben; Von dem Scarus-Fiſche
und Hechten eſſen wir nur die Lebern/ von den
Murenen nur die Milch/ und in einem Loͤffel
verſchlingen wir hundert Seelen mit hundert
Sonnen-Fiſchen; welche wir nur deßwegen
nicht groͤſſer wachſen laſſen/ wormit unſere
Verſchwendung nicht zu wenigen Thieren das
Leben und Licht ausloͤſche; da doch ein iedes un-
ter dieſen/ ja auch eine Fliege ihrer fuͤhlenden
Seele halber edler/ als die Sonne iſt. Wer
wolte ſich aber erkuͤhnen den allerkleineſten
Stern auszuloͤſchen/ wenn es ſchon in ſeinem
Vermoͤgen ſtuͤnde? Ja wir maͤſten nicht nur die
unſchuldigen Thiere zu ihrem Tode/ wormit
wir ſelbte nicht aus einem Eyfer/ ſondern mit
gar gutem Vorbedacht zu ſchlachten ſchei-
nen. Wir kappen oder entmannen ſie auch/
wor-
[463]Arminius und Thußnelda.
wormit ſie ſelbſt unſerer Luͤſternheit ſo wohl
feiſter werden/ als ihre ausgeſchnittene Glie-
der uns zum Zunder der Geilheit dienen;
da doch unſer enger Mund keinen ſcharffen
Schnabel/ noch einen weiten Rachen; keine lan-
ge Zaͤhne/ die Naͤgel keine ſpitzige Kreilen/ der
Leib keine ſo groſſe Staͤrcke/ und der Magen
keine ſo kraͤfftige Verzehrung hat/ daß wir zu
Umbring- und Verzehrung des Viehes ge-
ſchickt waͤren. Daher nicht nur ſolch Fleiſch
geſotten/ gebraten/ mit Eßig gebeitzt/ ſondern
auch nicht anders/ als eine zu begraben noͤthige
Leiche mit Morgenlaͤndiſchem Pfeffer/ Zimmet
und Muſcaten eingewuͤrtzet/ und unſerm Ma-
gen verdaͤulich gemacht werden muß. Wie-
wol auch das auffs beſte zugerichtete Fleiſch eben
ſo wohl als der Wein zwar den Leib ſtaͤrckte/ das
Gemuͤthe aber entkraͤfftete; Alſo/ daß dieſes wie
ein angefuͤlltes Ertzt-Geſchirre nicht klingen/
wie ein mit Feuchtigkeit uͤberſchwemmtes Auge
nicht ſehen/ und die umwoͤlckte Sonne nicht
leuchten koͤnte. Wie viel mehr Abbruch muß
nun die Seele und der Verſtand leiden; da man
wie alle andere alſo auch dieſe Speiſe nicht zur
Nahꝛung/ ſondern zu Erregung kuͤtzelnder Be-
gierden zurichtet. Die fremden Fiſche erſaͤufft
man im Cretiſchen Weine; die Jndianiſchen
Huͤner erſteckt man in ihrem eigenen Gebluͤte;
die Schweine toͤdtet man mit gluͤenden Eiſen/
daß man zugleich ihres Fleiſches und Blutes
genuͤſſe; ja daß man mit beyden auch die ver-
miſchte Milch und den Safft unzeitiger Fruͤch-
te ſchmecke/ tritt man denen traͤchtigen Baͤr-
Muͤttern auff ihre Eiter und toͤdtet ſie. Zu ge-
ſchweigen/ daß dieſe Fleiſch-Begierde ein Weg-
weiſer geweſen/ daß nicht nur etliche wilde Voͤl-
cker ihre verſtorbene Eltern und Freunde ver-
zehret haben/ ſondern auch noch etliche ihre Ge-
fangenen ſchlachten und eſſen. Hingegen ha-
ben nicht nur viel Weiſen/ ſondern gantze Voͤl-
cker eine eingepflantzte Abſcheu fuͤr vielerley
Fleiſche bey ſich empfunden; maſſen die Juden
keine Schweine und Haſen/ die Egyptier keinen
Jbis/ die Jndier keine Kuh/ die Syrier keine
Fiſche und Tauben eſſen/ und allhier zu Rom
Jupiters Prieſter kein rohes Fleiſch nur anruͤh-
ren darff.
Mit dieſen und andern Geſpraͤchen brachten
wir die Zeit biß auf den Abend zu/ da ich denn al-
lererſt mit vertroͤſteter Wiederkehr Abſchied
nam; auf dem Morgen aber vom Lucius verlacht
ward/ daß ich des vorigen Tages Luſt/ welcher
bloße Erzehlung mir eine groſſe Abſcheu fuͤr ſo
viel unnatuͤrlichen Uppigkeiten erregten/ ver-
ſaͤumet haͤtte. Dieſer lag mir hernach beweglich
an/ daß ich folgenden Abend ſie zu dem Ariſtip-
pus vergeſellſchafften moͤchte/ welcher allbereit
hundert edle Roͤmiſche Juͤnglinge in ſein gehei-
mes Heiligthum auffgenommen haͤtte/ und ſie
ſelbige Nacht dem Bacchus und der Venus ein-
ſegnen wolte. Jch muͤhete mich moͤglichſt/ den
Lucius von fernerer Veſuchung des Ariſtippus/
inſonderheit aber von der vorhabenden Einwei-
hung abzuhalten. Alleine/ weil die Wolluſt
zwar einen ſchluͤpffrigen Eingang/ aber einen
mit zaͤhem Leime beworffenen Ausgang hat/ o-
der ihr Gifft die Vernunfft gantz einſchlaͤffet/
wolte Lucius ihm weder eines noch das andere
erwehren laſſen/ ſondern ſchuͤtzte ſich ſonderlich
damit/ daß der Kaͤyſer Auguſt zu Athen ſich der
viel verdaͤchtigern Ceres einſegnen zu laſſen kein
Bedencken gehabt haͤtte; ja derogleichen Ein-
ſegnungẽ/ ob ſich ſchon ſelbte mit der Wolluſt ver-
maͤhlten/ doch Beweißthuͤmer der Unſchuld/ und
den Goͤttern angenehm waͤren. Alſo verfuͤg-
ten ſich Cajus und Lucius zum Ariſtippus/ ich a-
ber noch vorher mit einer hefftigen Empfindlig-
keit zu meinem Sotion/ welcher mir meinen Un-
muth alſofort anſahe/ und um die Urſache frag-
te. Weil ich nun einem ſo heiligen Manne
nichts zu verſchweigen getraute/ eroͤffnete ich
ihm mein Mitleiden uͤber das Verderben der
zweyen jungen Fuͤrſten Cajus/ Lucius/ und hun-
dert anderer edlen Juͤnglinge. Sotion erſtarr-
te uͤber
[464]Vierdtes Buch
te uͤber dieſer Zeitung/ und uͤber eine Weile fing
er erſt an: Jſt es nicht einerley Miſſethat einen
erſaͤuffen/ oder einen Erſauffenden/ wenn man
kan/ nicht aus dem Waſſer ziehen? Jch finde
mich in meinem Gewiſſen verpflichtet der O-
brigkeit des Ariſtippus ſchreckliche Einweihung
zu entdecken/ welche nicht ohne grauſame der
Natur ſelbſt widerſtehende Laſter geſchehen kan.
Ob nun zwar ich und beyde andere Druyden
hierbey allerhand Bedencken hatten; war doch
Sotion nicht zu erhalten/ ſondern eilte zum
Vuͤrgermeiſter Lucius Cornelius/ erzehlte ihm
des Ariſtippus gantzes Leben/ und ſein Fuͤrha-
ben; iedoch verſchwieg er/ daß unter der Roͤmi-
ſchen Jugend/ welche er ſelbige Nacht der Hoͤlle
verloben wolte/ des Kaͤyſers Enckel waͤren.
Cornelius wolte anfaͤnglich dem fremden Soti-
on wenig Glauben beymeſſen/ die fuͤrſtehende
Gefahr aber und Sotions unerſchrockene Be-
theurung uͤberredete ihn endlich/ daß er zwar
den Sotion in Verwahrung behalten ließ/ er
ſelbſt aber zum Kaͤyſer ſich verfuͤgte und ihm fuͤr-
trug: Es waͤre ein aͤrgerer Auslaͤnder in Rom/
als derſelbe Grieche/ welcher fuͤr hundert und
zwey und achzig Jahren in Hetrurien/ hernach
in die Stadt eingeſchlichen waͤre/ das ſchaͤndliche
Feyer des Bacchus ins geheim eingefuͤhrt/ den
Minius und Herenius Cerrinius zu Prie-
ſtern/ die Puculla Minia zur Prieſterin ein-
geweyhet/ und biß ſieben tauſend Maͤnner
und Weiber durch Unzucht/ Mord/ Gifft und
tauſend ſchreckliche Laſter dem Bacchus verlobet
haͤtte. Weil nun auff damahlige Anzeigung
der Freygelaſſenen Hiſpala und des jungen von
ſeiner eigenen Mutter Duronia der Hoͤlle ge-
wiedmeten Ebutius wider alle Verſchwornen
mit Schwerdt und Feuer verfahren worden
waͤre; waͤre kein Augenblick zu verſpielen/ wor-
mit dieſem noch abſcheulicherm Ubel vorgebeu-
get wuͤrde. Auguſtus billichte des Buͤrgermei-
ſters Gutachten/ und befahl dreyen Hauptleu-
ten/ daß ſie mit einem Theile der Leibwache des
Ariſtippus Garten in aller Stille beſetzen/ von
der Seite der Tiber ſelbten erſteigen/ die Ge-
baͤue auffbrechen/ das Fuͤrhaben der darinnen
Betretenen erforſchen/ und ſelbte/ inſonderheit
aber den Ariſtippus in Hafft nehmem ſolten.
Dieſer Befehl ward wegen des in dem Luſthau-
ſe mit Paucken und Hoͤrnern veruͤbten Getuͤm-
mels ſo unvermerckt volbracht/ daß die Wache
ohne einigen Menſchens Warnehmung in den
groſſen Saal kam/ darinnen ein Auffzug des
Bacchus uñ der Venus von eitel nackten Juͤng-
lingen und Weibern mit abſcheulich-garſtigen
Unzuchts-Bildungen gehalten ward/ Ariſtip-
pus aber/ deſſen Leib keinen Finger breit/ auſſer
das Haupt mit einem Reben- und Myrten-
Laubenen Krantze bedeckt war/ einen auff dem
Altare ſtehenden Priapus mit Weine beſpritzte/
und zu ſeiner teuffliſchen Einſegnung den
Anfang machte. Cajus ſelbſt bildete den Bac-
chus/ die geile Cyrene die Venus/ und Lucius
den Cupido ab. Es iſt leicht zu ermeſſen/ was
die Leib-Wache uͤber Erblickung dieſer beyden
Fuͤrſten/ dieſe Verſammlung aber uͤber dem
Eintreten der Wache fuͤr Schrecken uͤberfallen
habe. Cajus und Lucius wolten durch ihr ho-
hes Anſehn/ die andern durch Herfuͤrſuchung
der Waffen die Wache abweiſen; aber der an-
gedeutete Kaͤyſerliche Befehl/ und die fuͤr Au-
gen ſtehende Macht ſchlug aller Hertzen zu Bo-
dem; wo anders wolluͤſtige Leute noch eins in
ihrem Buſem haben. Sintemal kein Meſſer ſo
ſehr/ als Geilheit einen Menſchen zu entman-
nen faͤhig iſt. Dem Cajus und Lucius wurden
allein ihre Kleider gereicht/ und auff einem
Wagen nach Hofe gebracht. Ariſtippus a-
ber ward mit drey hundert andern beyderley
Geſchlechtes ſo/ wie ſie betreten wurden/ fort-
geſchlept/ und eintzelich in die Gefaͤngniſſe ge-
ſperret. Auguſt erſchrack uͤber ſeiner Enckel
Verbrechen ſo ſehr/ daß er etliche Naͤchte nicht
ſchlaffen konte/ und etliche Tage keinen Men-
ſchen/ als Livien vor ſich ließ/ welche ſich uͤber
des
[465]Arminius und Thußnelda.
des Cajus und Lucius Verfallung im Hertzen
erfreuete. So boßhafft iſt die Ehrſucht/ daß ſie
mit eigner Boßheit ſich empor zu ſchwingen; an-
dere aber mit ihrer in Abgrund zu druͤcken vor
hat. Der Kaͤyſer befahl endlich nach langem
Nachdencken: Man ſolte den Ariſtippus/ Cy-
renen und alle ihre Gefaͤhrten/ wie auch die
Mohriſchen Weiber und Knaben im Kercker
erwuͤrgen/ ihnen Steine an Hals hencken/ und
ſie des Nachts in die Tiber werffen. Nachdem
auch Auguſt ſelbſt dem Cajus und Lucius das
Geſetze geſchaͤrfft/ und ihnen bey nachbleiben-
der Beſſerung die Verweiſung in das ungeſun-
de Sardinien angedraͤuet hatte/ wurden ſie/ und
zwar/ wormit das Verbrechen nicht einem
Uberſehen an dem andern geſtrafft zu werden
ſchiene/ alle Roͤmiſche Gefangene loß gelaſſen.
Alle Epicuriſche Weltweiſen wurden aus Rom
und Jtalien verbannet. Sotion hingegen kam
bey den Roͤmern in groſſes Anſehen/ und beym
Kaͤyſer in ſolche Gnade/ daß er die Weißheit
oͤffentlich lehren/ die Druyden auch den halb-
zerſtoͤrten Tempel der Bellona/ weil man dar-
innen viel mit Menſchenfleiſche gefuͤllte Toͤpffe
gefunden hatte/ ergaͤntzen/ und fuͤr ſich und an-
dere Auslaͤnder ihren gewohnten Gottesdienſt
uͤben dorfften. Denn den Roͤmiſchen Buͤr-
gern wolte der Staatskluge Auguſt weder die-
ſen noch einigen andern fremden zulaſſen. Ca-
jus und Lucius faßten mich zwar in Verdacht/
als wenn von mir Ariſtippus und ſein boͤſes Be-
ginnen angegeben worden waͤre/ aber der Kaͤy-
ſer hatte dißfals ſelbſt Sorgfalt fuͤr mich; indem
er durch einen mir in ihrer Anweſenheit gege-
benen empfindlichen Verweiß/ daß ich auch
des Ariſtippus Verleitung gefolget haͤtte/ mich
aus dem gefaßten Argwohne kluͤglich ver-
ſetzte.
Cajus und Lucius wurden durch dieſe Be-
gebniß genoͤthiget ihre Unart zwar zu verber-
gen/ aber nicht maͤchtig ſich ſelbter zu entaͤuſ-
ſern. Denn die in dem Hertzen eingewur-
tzelten Laſter ſind ſchwerer als Unkraut aus
geilem Erdreiche auszurotten. Ja die Men-
ſchen haben durchgehends mehr den Firniß/
als das Weſen der Tugend an ſich. Dahe-
ro denn beyde junge Fuͤrſten/ als der Eyfer
des Kaͤyſers verrauchte/ und ſeine gewohnte
Leutſeligkeit zu ein und anderm Fehler ein Au-
ge zudruͤckte; inſonderheit aber das Beyſpiel
des Hofes und die kupleriſche Heucheley ſie wie-
der auff die alten Wege verleitete/ ſie dem Athe-
nodor zwar ihre Ohren; aber denen Wolluͤ-
ſten ihre Hertzen verliehen. Wormit aber
meine Zunge nicht ſcheine ein Regiſter frem-
der Schwachheiten zu ſeyn/ und daß ich mich
mit anderer Kohlen weiß brennen wolte/ will
ich alleine diß/ worvon zugleich mein Gluͤcks-
Fadem gehangen/ beruͤhren. Lucius war durch
des Ariſtippus Verleitung ſo verwehnt/ daß er
gleichſam fuͤr allem weiſſen Frauenzimmer ei-
ne Abſcheu/ zu denen Moriſchen aber einen
hefftigen Zug hatte. Daher er ihm etliche
ſchwartze Sclavinnen kauffte/ ſelbte in einem
Garten unterhielt/ und ſich dieſen Maͤgden
zum Knechte machte. Es trug ſich aber zu/
daß Koͤnig Juba/ welchem Auguſt die junge
Cleopatra vermaͤhlt/ und das Koͤnigreich Nu-
midien wegen ſeines Vaters Juba ihm gelei-
ſteten treuen Beyſtandes eingeraͤumet hatte/
ſeine Tochter Dido nach Rom ſchickte/ um die
Roͤmiſchen Sitten zu faſſen/ und bey dem Kaͤy-
ſerlichen Hauſe ſich beliebt zu machen. Die-
ſe war eine Fuͤrſtin von ſechzehn Jahren; aber
von reiffem Verſtande. Sintemal die Ein-
wohner der heißen Laͤnder ohne diß tieffſinni-
ger/ als kalte Voͤlcker/ dieſe hingegen hertz-
haffter/ als jene ſeyn ſollen. Sie war zwar ih-
rer Numidiſchen Landes-Art nach ſchwartz; a-
ber die Anmuth leuchtete ihr aus den Augen/
die Freundligkeit lachte auff ihrem Munde;
deſſen Lippen nicht nach Moriſcher Art auff-
geworffen/ ſondern wie alle andere Glieder
ihr rechtes Maaß und ihre vollkommene Ein-
theilung hatten. Lucius hatte dieſe Fuͤrſtin
ſo geſchwinde nicht geſehen/ als die Kohlen ihres
Erſter Theil. N n nLei-
[466]Vierdtes Buch
Leibes ſeine Seele in Brand und Flamme
verſetzten. Dieſemnach er ſich aller andern
Vergnuͤgung[e]n entſchlug/ und ſeine vorhin
auff tauſend Gegenwuͤrffe zerſtreuete Neigun-
gen gegen der Dido als in einen Mittelpunct
zuſam̃en zoh; alſo ihr anfangs durch Hoͤfligkeit
ſeine Freundſchafft/ hernach durch Seufzer und
andere ſtumme Beredſamkeiten ſeine Liebe zu
verſtehen gab; endlich durch erſinnlichſte Auff-
wartungen ihre Gewogenheit zu erwerben be-
muͤhet war. Unter andern fugte ihm das Gluͤ-
cke/ daß als der Hoff der Kaͤyſerin Livia Ge-
burts-Tag feyerte; ihm die Dido zu bedienen
durchs Loß zufiel. Der Auffzug geſchahe des
Abends auff der Tiber. Des Kaͤyſers Schiff
war gebildet wie ein Ochſe/ welcher von denen
verborgenen Rudern unter dem Waſſer dero-
geſtalt beweget ward/ gleich als er durchs Waſ-
ſer ſchwimme. Livia ſaß in Phoͤniciſcher
Tracht oben an dem Halſe wie eine Koͤnigin
in Purpur gekleidet/ und mit vielen tauſend
Diamanten gekroͤnet. Sie hielt ſich an eines
ſeiner guͤldenen Hoͤrner an/ welche mit vielem
Blumwercke umkraͤntzt waren. Auguſt ſtell-
te den Jupiter fuͤr/ Mecenas den Apollo/ Te-
rentia die Venus/ und andere Roͤmiſche Raths-
Herren und Frauen die andern Goͤtter/ wel-
che auff allerhand Art Livien bedienten. Die
Heldinnen aber preiſeten durch allerhand Lob-
Geſaͤnge die von Jupiter auff einem eben ſo
gebildeten Schiffe geraubete Europa/ und ver-
bluͤmeten hierunter/ wie Auguſt auch dem Ti-
berius Nero Livien/ und zwar noch ſchwanger/
aus ſeinem Bette genommen habe. Cajus fuͤhrte
die junge Livia des Druſus Tochter auff einer
Muſchel/ er ſelbſt bildete die Sonne fuͤr/ wel-
che mit ihren Stralen ſie ſchwaͤngerte/ und Li-
via die Venus/ welche gleich gebohren und
von denen um ſie herumſchwimmenden Meer-
Goͤttinnen fortgeſtoſſen/ von denen geſchwaͤntz-
ten Sirenen aber ihre Schoͤnheit und Luſt
ſingende geruͤhmet ward. Lucius aber ſtellte
den Wein-Gott/ und Dido eine ſchwartze Ve-
nus/ oder vielmehr die Schiffarth des Anto-
nius/ und ihrer Großmutter Cleopatra nach
Cilicien fuͤr. Denn ſeines Schiffes Vorder-
theil war auffs zierlichſte gemahlet/ das Hin-
tere gantz verguͤldet/ die Segel aus Purpur/
die Ruder verſilbert/ welche von eitel Saty-
ren nach dem Falle der von zwoͤlff Heldinnen
geſpieleten Lauten und andern lieblichem Ge-
thoͤne bewegt wurden. Auff dem Schiffe
war um den Maſt herum ein Gold-geſtecktes
Zelt auffgeſpannt/ die Seiten aber unten
entbloͤſſet/ daß man darunter die Fuͤrſtin Di-
do in Geſtalt der ſchwartzen Arcadiſchen Ve-
nus/ welcher zwoͤlff kohlſchwartze Liebes-Goͤt-
ter mit Pfauen-Schwaͤntzen Lufft zufachten/
und den Fuͤrſten Lucius in Geſtalt des gekroͤn-
ten/ und auff einem zweyerley Wein von ſich
ſpritzenden Faſſe ſitzenden Bacchus/ welchen
zwoͤlff Vachen mit Schalen bedienten/ ſe-
hen konte. Zwoͤlff andere Mohren ſaſſen
und ſtreuten in die mit gluͤenden Kolen gefuͤll-
ten Rauchfaͤſſer Weyrauch; zwoͤlff Mohren-
Weiber aber ſpritzten allerhand wohlruͤchen-
de Waſſer und Balſame umb ſich. Das
Schiff war mit etlich tauſenden allerhand
Bildungen fuͤrſtellenden Wachs-Lichtern be-
ſteckt/ und an der Spitze des Maſtbaumes
waren mit eitel Flammen die Nahmen Luci-
us und Dido/ an dem Hintertheile des Schif-
fes/ Bacchus und Venus/ an dem Vordern/
Antonius und Cleopatra ausgedruͤckt. Mit
einem Worte: Gantz Rom hielt des Lucius
Auffzug fuͤr den allerpraͤchtigſten. Bey die-
ſem nun hatte Lucius uͤberfluͤßige Gelegen-
heit der Dido ſeine Liebe fuͤrzutragen/ und um
die ihrige ſich zu bewerben/ weil er/ wenn
ſchon etwas von ihr fuͤr eine zu kuͤhne Freyheit
auffgenommen werden moͤchte/ alles mit dem
uͤbernommenen Schau-Spiele entſchuldigt
werden konte. Dido muſte dem Kaͤyſer zu ge-
fallen/ und dieſen Auffzug nicht zu verſtellen/
umb
[467]Arminius und Thußnelda.
umb mehr/ als ſie vielleicht im Hertzen ge-
meint war/ dem Lucius liebkoſen. Wiewohl
auch die Ehrſucht ihm das Wort redete; in-
dem Dido ſich niemahls hoͤher/ als an dieſen
vermutheten Erben des Kaͤyſers/ und des hal-
ben Roͤmiſchen Reichs/ haͤtte vermaͤhlen/ o-
der zum minſten ihre vaͤterliche Krone Numi-
diens in Africa anſehnlich vergroͤſſern koͤn-
nen. Zu dieſer Hoffnung ſchien ihr nicht we-
nig zu dienen die Heucheley des an dem Ufer
der Tiber als Mauern ſtehenden Volckes/
welches dem Lucius und der Dido tauſend
Lob-Spruͤche und Gluͤck-Wuͤnſche zuruffte.
Folgende Tage war der Dido Gebehrdung
gegen ihn zwar viel laulichter; nichts deſtowe-
niger unterhielt ſie ihn mit moͤglichſter Hoͤff-
ligkeit/ alſo/ daß ſolcher Nachlaß mehr einer
behutſamen Klugheit/ als einer kalten Unge-
wogenheit aͤhnlich zu ſeyn ſchien. Daher ſich
Lucius unſchwer ſelbſt gar bald beredete/ daß
der Dido Hertze gegen ihn nicht weniger Fen-
er/ als ſeines gegen ihr hegete. Denn ob
wohl ſonſt das Frauenzimmer hierinuen leicht-
glaͤubiger/ die Maͤnner aber mißtraͤulicher
ſind; ſintemahl dieſe die Klugheit warniget/
jenes aber das groſſe Vertrauen auff ihre
Schoͤnheit/ und die gewohnte Anbetung auch
derer/ die ſie zu lieben ihnen nie traͤumen laſ-
ſen/ verleitet; ſo bildete ihm Lucius dißmahl
aus einer Schwachheit des noch unreiffen Ver-
ſtandes/ oder in Meinung/ daß alle Weiber
der Welt zu Sclavinnen eines jungen Kaͤy-
ſers gebohren/ oder er vollkommener/ als
niemand in Rom waͤre/ diß feſtiglich ein/ ohn
welches er ſich nicht gluͤckſelig ſchaͤtzen kon-
te. Alldieweil denn Liebe eine ſo gewaltſa-
me Regung iſt/ daß ſie die Seele peinigt/ das
Hertze aͤngſtigt/ die Vernunfft verwirret/ des
Willens ſich bemaͤchtigt/ und alſo den Men-
ſchen auſer ſich ſelbſt verſetzt und in ihm nichts
minder feind als unvorſichtig macht; konte ich
und andere/ inſonderheit die ſchlaue Livia dem
Lucius die Heimligkeit ſeines Gemuͤths gar
leicht an der Stirne anſehen/ und in ſeinem
Geſichte leſen. Denn die Blaͤße des Geſich-
tes/ die Seuffzer des Hertzens/ die verworre-
ne Umbſchweiffung der Augen ſind allzu ge-
ſchwinde Verraͤther der Verliebten. Livia/
welche nichts lieber wuͤnſchte/ als daß Lucius und
Cajus durch ſeltzame Vergehungen des Kaͤy-
ſers unmaͤßige Gewogenheit verſpielen/ und
des Roͤmiſchen Volcks Haß auff ſich laden
moͤchte/ goß ſie/ ſo viel an ihr war/ Oel in diß
Feuer/ und that des Lucius wahnſinniger
Liebe allen Vorſchub. Dido wuſte hingegen
meiſterlich eine angebehrdete Liebhaberin ge-
gen dem Lucius fuͤrzuſtellen. Denn ob es zwar
ſonſt leichter iſt/ aus etwas nichts/ als aus nichts
etwas zu machen/ ſo iſt es doch theils der Boß-
heit/ theils der Klugheit nicht ſo ſchwer/ eine
falſche Liebe zu tichten/ als eine wahrhaffte zu
verbergen. Maſſen auch der Leib ſchwerer
eine ſchmertzhaffte Wunde verbeiſſet/ als er ſich
verwundet zu ſeyn ſtellen kan. Unterdeſſen
ward doch ich/ weil mich Lucius insgemein
mit zu ſeiner geliebten Dido nahm/ ich weiß
aber nicht/ aus was vor Anlaſſe ſo ſcharffſich-
tig/ daß mir Didons Bezeigungen gegen dem
Lucius eine bloſſe Larve der Liebe zu ſeyn ſchien.
Hierinnen ward ich von Tage zu Tage im-
mer mehr geſtaͤrckt/ weil ich ſahe/ daß Dido
in ſeiner Anweſenheit mir nicht viel kaͤltere/
in ſeinem Abſeyn aber viel nachdruͤcklichere
Bezeugungen that. Weßwegen mich auch mei-
ne Einfalt verleitete/ daß ich dem Lucius mei-
ne Muthmaſſung offenhertzig entdeckte/ und
ihn von ſo heiſſer Brunſt gegen einen ſo ſchwar-
tzen Schatz abwendig zu machen mich erkuͤhn-
te. Lucius aber verlachte mich als einen/ der
in Ergruͤndung der Liebe ein Kind/ und ein
unfaͤhiger Richter uͤber die Schoͤnheit waͤre.
Wenn mein Hertze von jener/ und meine Au-
gen von dieſer etwas verſtuͤnden/ wuͤrde ich be-
kennen/ daß die eine wahrhaffte Enckelin der-
N n n 2ſel-
[468]Vierdtes Buch
ſelben Cleopatra waͤre/ welcher ihrer viel ihr
Leben willig auffgeopffert haͤtten/ um nur eine
einige Nacht ihrer Liebe zu genieſſen. Und
ihm ſolte ſeines eben ſo wenig gereuen/ wenn
er bey der Dido gleicher Gluͤckſeligkeit faͤhig
wuͤrde. Jch verſetzte zwar: Rom wuͤrde ſol-
cher Geſtalt bald oͤde/ und die Welt Maͤnner-
arm werden/ wenn ſo ſchwartze Gottheiten
Menſchen-Opffer verdienten. Denn die
Schoͤneren wuͤrden ſo denn zu ihrer Verſoͤh-
nung gantze Staͤdte zu ihrer Abſchlachtung
verlangen. Er wuͤſte zwar/ daß nichts Schoͤ-
nes ſo ſchoͤn/ als diß/ was man liebte/ waͤre;
weil die Einbildung Apellens Pinſel beſchaͤm-
te/ und die Gewonheit ſelbſt das Urtheil der
Natur verdammte. Daher auch von Hiber-
niern die Sprenckeln/ von Thraciern die Mah-
le/ von Mohren die pletſchichten Naſen und
von den Einwohnern der Jnſel Taprobana
die langen durchloͤcherten Ohren fuͤr einen
Ausbund der Schoͤnheit gehalten wuͤrden. Al-
leine dieſe Einbildung koͤnte der wahren Schoͤn-
heit ſo wenig/ als die naͤchtliche Finſterniß der
Klarheit der Sternen Abbruch thun. Weniger
Menſchen ſeltzames Urthel koͤnte die Schwaͤrtze
ſo wenig zu einer Vollkommenheit/ als ein Bild-
hauer einen Stein oder Baum zum Gotte ma-
chen. Es wuͤrde aber beſorglich in kurtzer Zeit
dem Lucius mit ſeiner Mohrin/ wie der etwas
verlebten Helene mit ihrem Spiegel gehen/ wel-
che mit heiſſen Thraͤnen beweinte/ daß er ihꝛ Ant-
litz nicht ſo ſchoͤn wie vor zehn Jahren abbildete.
Denn wie die neidiſche Zeit Helenen gleichſam
ſelbſt der Helene raubte; alſo wird eine andere
Schoͤnheit und ein reifferes Urthel der Dido
in den Augen des Lucius bald eine andere Farbe
anſtreichen. Mit dieſem Zwiſte brachtẽ nicht nur
wir beyde offtmahls viel Zeit zu/ ſondern Cajus
ſchlug ſich auch zu mir/ welcher ſich inzwiſchen
in eine ſchoͤne Cimbriſche Sclavin verliebt hatte/
und ſelbte ſeine ſchoͤne Clytemneſtra hieß/ weil
ſie ſo ſchneeweiß war/ als wenn ſie ebenfalls/ wie
jene und Helena aus einem von der Leda geleg-
tem Ey geſchaͤlet worden waͤre. Jnſonderheit
verfielen ſie einmahl in Serviliſchen Gaͤrten
mit einander in dieſen Wort-Streit/ allwo in ei-
nem Gange die Andromeda aus ſchwartzem/
und Helena aus weiſſem Marmel einander
gegen uͤber ſtanden. Da denn Cajus fuͤr die Far-
be ſeiner Buhlſchaft anfuͤhrte/ daß ſelbte die Leib-
Farbe nichts minder der Hoheit/ als Schoͤnheit
waͤre. Daher ſie die Alten der Soñe gewiedmet;
Pythagoras ſeinem Gotte ein ſchneeweiſſes Ge-
wand zugeeignet/ der groſſe Alexander nur eine
weiße Krone getragen/ die Jndianer aber ſolche
Fahnen fuͤr ein Kennzeichen der Freundſchafft/
und faſt alle Voͤlcker fuͤr ein Merckmal des Frie-
dens erkieſet haͤtten. Die weiße Farbe verdiente
auch nur alleine den Nahmen einer Farbe/ oder
weil alle andere von ihr den Urſprung nehmen/
zum minſten den Ruhm/ daß ſie aller Farben
Mutter waͤre/ als welche aus Vermiſchung
des Lichtes und des Schattens ihren unzehl-
baren Unterſcheid bekaͤmen. Hingegen waͤre
die Schwaͤrtze die abſcheuliche Leichen und Tod-
ten-Farbe/ ja ſie verdiente nicht einſt dieſen Nah-
men; denn ſie waͤre an ſich ſelbſt nichts weſentli-
ches/ ſondern wie die Finſterniß der Nacht ein
bloſſer Mangel des Lichtes/ oder vielmehr der
Tod aller andern Farben/ ein Schatten der Hoͤl-
le/ und daher eine Andeutung des Ungluͤcks.
Weswegen die Scythiſchen Koͤnige nicht er-
laubten/ daß ihnen einigeꝛ ſchwaꝛtzgekleideter ins
Geſichte kom̃en doͤrffte. Lucius ſetzte ihm entge-
gen/ die weiſſe Farbe waͤre aller Voͤlcker in Jn-
dien Trauerkleid/ und eine Schwachheit der Na-
tur. Maſſen denn alle weißen Thiere viel ohn-
maͤchtiger waͤren als die ſchwartzen. Deꝛ Elefant
wuͤꝛde von deꝛ ihn blendenden weiſſen Farbe wil-
de und wuͤtend; und in Mohꝛenland mahlte man
die boͤſen Geiſter nur weiß. Die in dem Schnee
wachſenden Kraͤuter blieben alle bitter/ hingegen
waͤre das ſchwartze Erdꝛeich das fruchtbarſte. Jn
den kaltẽ Nordlaͤndern/ darein die Natur nichts
minder
[469]Arminius und Thußnelda.
minder Unfruchtbarkeit/ als die Finſternuͤß ver-
bannt haͤtte/ waͤren die Baͤren/ die Feldhuͤner/ die
Falcken/ die Haſen/ ja ſelbſt die Raben weiß. Alſo
klebete an allem weiſſen eine Unvollkommenheit/
inſonderheit aber ein kalter Geiſt in weiſſen Wei-
bern. Dahero ſie nur/ wie Galathea von einem
einaͤugichten Polyphemus/ welcher ſein Lebtage
nichts ſchoͤners als Milch und Kaͤſe geſehn und
geſchmeckt haͤtte/ geliebt zu werden verdienten.
Alſo wunderte er ſich nicht/ daß in Africa die
Braͤute noch ihre Haͤnde und Fuͤſſe uͤber ihre na-
tuͤrliche Farbe/ ja ſo gar viel Frauenzimmer ihre
weiſſe Zaͤhne/ und die Sarmatiſchen ihre Naͤ-
gel an Haͤnd und Fuͤſſen ſchwaͤrtzten. Jch ward
hieruͤber gezwungen mich meines Vaterlands
und unſers weiſſen Frauenzimmers anzumaſ-
ſen/ und ſo wohl fuͤr jenes Fruchtbarkeit/ als die-
ſer Schoͤnheit zu fechten. Als ich nun gleich
mit dieſen Worten ſchloß: Weiſſes Frauenzim-
mer waͤre ſo ferne dem ſchwartzen/ als der Tag
den Naͤchten/ und ein leuchtendes einem verfin-
ſterten Geſtirne vorzuziehen; kam eine weiſſe
Taube geflogen/ und ſetzte ſich auf das ſchwartze
Bild Andromedens. Welches ich und Cajus/
daß die Goͤttin der Liebe mit dieſem ihr heiligem
Vogel den Obſieg der weiſſen Farbe uͤber der
ſchwartzen andeutete; Lucius aber dahin aus-
legte/ daß ſie durch ihre dahin befehlichte Taube
der ſchwartzen beypflichtete. Uber dieſem un-
ſerm Streite ſtreckten die Fuͤrſtin Dido und
Servilia ihre Haͤupter hinter dem in ſelbigem
Gange zuſammen geflochtenen Laubwercke her-
fuͤr/ allwo ſie ihrem Farben-Kampfe zugehoͤret
hatten. Maſſen denn Dido ſo wohl mir/ als
dem Cajus/ als ſo offenbaren Feinden ihrer Leib-
Farbe einen gerechten Krieg anzukuͤndigen be-
rechtigt zu ſeyn ſich heraus ließ/ wenn ihr eigenes
Hertze nicht wider ſie einen Aufſtand erregt/
und der weiſſen Farbe beygefallen waͤre. Mit
derogleichen Schertz vertrieben wir die Uber-
bleibung ſelbigen Tages. Worbey ich denn
aus einigen Geberdungen wahrnahm/ daß diß/
was Dido zwar ſchertzweiſe und mit lachendem
Munde wider den Lucius fuͤr den Ruhm der
weiſſen Farbe fuͤrbrachte/ als meiſt gar nach-
dencklich/ was ernſthaftes hinter ſich verborgen
hatte. Wie wir auch von einander Abſchied
nahmen/ und mir Servilia ſelbſt die Hand reck-
te ſie zum Wagen zu fuͤhren; ſagte ſie gemaͤhlich
zu mir: Flavius iſt heute gluͤckſelig/ daß er mit
ſeiner Schoͤnheit einer Koͤnigin Hertz bemeiſtert/
und es ihr zu einem Feinde/ ihm aber zur Scla-
vin gemacht hat. Jch konte mich nicht enthal-
ten mich daruͤber zu roͤthen; da ſie denn fortfuhr:
Jch ſehe wol/ ſeine weiſſe Farbe vermaͤhle ſich mit
einer mitlern/ wormit er mit Didons ſchwartzer
ſo viel leichter zum Vergleich komme. Jch wol-
te ihr antworten; alleine ſie wendete ſich mit
Fleiß zum Cajus/ und verließ mich alſo in ein
weniger Verwirrung. Nach etlichen Tagen
ſtellte Lucius einen Tantz an/ darinnen die Far-
ben umb den Vorzug ſtritten. Jch muſte dar-
innen die weiſſe vorſtellen/ er aber vertrat ſeine
beliebte ſchwartze; welcher auch von dem zum
Richter erkieſeten Hercules Melampyges/ den
Marcus Lollius uͤbernahm/ ein aus eitel
ſchwaͤrtzlichten Blumen geflochtener Krantz zu-
erkennt und aufgeſetzt/ und von denen neun Mu-
ſen ihr oder eigentlicher der Fuͤrſtin Dido ein
Ruhms-Lied geſungen ward. Wenige Tage
hernach ſtellte Cajus einen gleichmaͤſſigen Far-
ben-Tantz an/ welche alle wie Waſſer-Nym-
phen und Meer - Goͤtter aufgeputzt waren;
da er mich denn abermals zur weiſſen/ und das
Looß die Dido zum Richter der ſchwartzen Far-
be erkieſete/ und in der Fuͤrbildung der Caſſiopea
mir einen von weiſſen Lilgen gemachten Krantz
aufzuſetzen gezwungen ward. Hiervon habe
ich zu Rom/ und folgends ſo gar in meinem Va-
terlande den Nahmen Flavius bekommen/ und
iſt mein wahrer Nahme Ernſt dardurch gleich-
ſam gar erloſchen. Denn nicht nur Cajus und
Lucius kleideten ſich und ihre Hofe-Leute nach
der Gewogenheit/ die jener zur weiſſen/ dieſer
N n n 3zur
[470]Vierdtes Buch
zur ſchwartzen Farbe trug; ſondern das Roͤmiſche
Volck ſpaltete ſich ihnẽ zu Liebe gleichſam in 2. 3.
widrige Farbenbuhler/ alſo/ daß in denen Schau-
Plaͤtzen mehrmals/ inſonderheit wenn Cajus
und Lucius den Spielen beywohnten/ ſich hier-
uͤber Zwiſt ereignete/ und ein Theil dieſer/ das
ander Theil der andern Farbe ſo wohl mit ihren
Kleidern als Ruhmſpruͤchen beypflichtete. Die-
ſemnach der Kaͤyſer ſelbſt dieſer weit ausſehenden
Uneinigkeit zu begegnen kein kluͤger Mittel wu-
ſte/ als andere Farben ans Bret/ und in Anſehn
zu bringen/ und dardurch dem Poͤfel entweder
ſeine Eitelkeit zu zeigen/ und zu beſtillen/ oder
doch die mehrere Verwirrungen/ wie die ſchwer-
menden Bienen durch den Rauch zu beruhigen.
Er ſtellte dieſemnach Livien an/ daß ſie einen
ſolchen Tantz hielt/ in welchem ſie die Farben als
Schaͤferinnen aber mit eitel Sclavinnen auf-
fuͤhrte/ darunter ſie ſelbſt als eine Blumen-Goͤt-
tin der gruͤnen den Siegs-Krantz aufſetzte. Zu-
letzt aber folgte ein Tantz von zwoͤlff gruͤn-ge-
kleideten Naͤrrinnen/ dardurch ſie die Erweh-
lung einer gewiſſen Farbe gleichſam als eine
Thorheit durchzoh; diß aber darmit vorſichtig
verbluͤmet ward/ daß zwar die gruͤne Farbe mit
allen andern eine Verwandnuͤß habe/ und alſo
hochſchaͤtzbar/ ja gleichſam der fruchtbaren Na-
tur allgemeine Leib-Farbe ſey/ aber doch von der
Gewohnheit zum Aufzuge der Narren gebrau-
chet werde. Servilia hielt auf des Kaͤyſers
Befehl einen Tantz/ darinnen vier und zwantzig
Zwerge ſo viel Farben in Geſtalt der Geſtirne
auffuͤhreten/ und nach dem Stande der zwoͤlff
him̃liſchen Zeichen kuͤnſtliche Stellungen mach-
ten. Sie kroͤnete ſelbſt in Geſtalt der Juno die
blaue Himmel-Farbe mit einem Hyacinthen-
Krantze. Zuletzt aber erſchienen ſo viel Todten-
Gerippe/ welche anfangs die Eitelkeit der aͤngſt-
lichen Steroͤligkeit durch ſeltſame Geberden ab-
bildeten/ hernach aber/ welches die zum Tode und
Trauren geſchickteſie Farbe waͤre/ ſich miteinan-
der zancktẽ/ endlich die blaue Farbe darzu erweh-
leten/ als welche ohn diß bey den meiſten Morgẽ-
Laͤndern die Kleidung der Leidtragenden waͤre.
Livia/ des Druſus Tochter/ folgte mit einem
Tantze/ darinnen ſieben Laſter ſieben Farben
fuͤrſtellten. Die Heucheley war weiß/ die Grau-
ſamkeit roth/ die Hoffart gruͤn/ der Neid blau/ der
Haß ſchwartz/ die Ehrſucht braun/ die Eiferſucht
gelbe geputzt/ und dieſe ward von dreyen Unhol-
din zur Koͤnigin erwehlet/ und ihr Haupt mit
gelben Blumen geſchmuͤckt. Endlich beſchloß
Lollia mit einem von zwoͤlff Holdinnen und ſo
viel Liebes-Goͤttern gehegtem Tantze/ darinnen
ſie nicht ſo wohl als eine angeberdete als weſent-
liche Venus/ die rothe Liebes- und Herrſchaffts-
Farbe mit einem Roſen-Krantz beſchenckte/ wel-
chen aber der Neid/ der Haß/ die Eiferſucht/ die
Unfruchtbarkeit/ als die Tod-Feinde dieſer ſuͤſſen
Regung ihr abriſſen/ und ihr einen Dornen-
Krantz aufſetzten.
Bey dieſen oͤftern Verſam̃lungen ließ
Dido gegen mir allezeit meiner Einbildung
nach etwas blickẽ/ welches mich einiger ge-
gen mich tragenden Gewogenheit zu verſi-
chern ſchien/ und mir Terentiens Raͤthſel ausleg-
te. Jch aber/ der ich einige Empfindligkeit der
Liebe noch nie gefuͤhlet hatte/ mich auch nicht des
Lucius Eiferſucht zu erregen ſehr behutſam an-
ſtellen muſte/ begegnete ihr mit einer ziemlich
kaltſinnigen Hoͤfligkeit. Den Morgen nach
dem letzten Tantze brachte mir ein unbekandter
Knabe auf dem Reit-Platze einen Puͤſchel weiſ-
ſer Blumen/ daraus ich nach derſelben genauer
Beſchauung folgende Zeilen laß:
Weil der weiſſe Flavius nichts minder ein
Hertze/ als ein Vaterland voller Schnee hat;
bin ich genau zu glauben veranlaßt worden/ daß
alles weiſſe nicht nur unempfindlich/ ſondern
auch ohne Seele ſey. Nach dem mir aber dieſe
Blumen den letzten Jrrthum benommen/ habe
ich mich verbunden geachtet ihn durch dieſer Leb-
haftigkeit zu erinnern [d]aß nicht alles/ was weiß
iſt/ Schnee ſeyn muſſe.
Dieſes ſeltſame Schreiben veranlaßte mich
nach dem Uberbringer mich umzuſehen/ aber er
war unvermerckt verſchwunden/ welches mir ſo
viel mehr Nachdencken machte. Servilia und
Didons Augen aber hatten mir bereit einen gar
zu guten Vorſchmack von Didons Zuneigung
gegeben/ alſo/ daß ich mir gar geſchwinde eine
vortheilhaftige Auslegung von der Fuͤrſtin Di-
do Liebe machte. Unterdeſſen geluͤſtete mich
dieſe Schrifft wohl zehnmal zu leſen/ iedes Wort
liebkoſete mir in Gedancken/ und redete mir
gleichſam ein/ daß es eine unverantwortliche
Unhoͤfligkeit waͤre/ einer ſo annehmlichen Liebes-
Erklaͤrung keine geneigte Erwiederũg abzuſtat-
ten. Jch brachte den Tag in verwirrter Ein-
ſamkeit/ die Nacht in Unruh zu. Auf den fol-
genden begegnete mir Dido/ als ſie mit Livien in
den allen Goͤttern zu Ehren gebauten Tempel
fuhr/ da ſie mir denn noch einmal ſo ſchoͤn/ und
vielmal ſo liebreitzend/ als andere mal fuͤrkam/
alſo daß ich durch einẽ geheimẽ Trieb mich genoͤ-
thigt befand ihr dahin zu folgen. Sie kniete fuͤr
dem Bilde der him̃liſchen Venus/ und ließ ſelbter
etliche weiſſe Tauben aufopfern. Meine An-
weſenheit aber ſtahl der Goͤttin von Didons
Augen mehr annehmliche Blicke ab/ als ſie der-
ſelben oder andere Andacht ihrem Bilde lieferte.
Als Livia auch fuͤr dem Altare des guten Gluͤckes
aufſtand/ und der Dido ein Zeichen gab ihr zu
folgen/ ſagte dieſe im vorbeygehen laͤchelnde zu
mir: Sie haͤtte der Liebe die weiſſe Taube/ wel-
che auf der ſchwartzen Andromeda Haupte ge-
ſeſſen/ geopfert/ daß ſie mein Hertze von dem
Haſſe der Schwaͤrtze abwendig machen moͤchte.
Dieſe Worte begleitete ſie mit einer ſo durch-
dringenden Anmuth/ daß ſich meine Seele
gleichſam durch eine Zauberey gantz und gar
veraͤndert befand. Des Nachts ſtellten mir
die Traͤume/ des Tages mein Verlangen un-
aufhoͤrlich das Bild der Dido/ als einen Anbe-
tens-wuͤrdigen Abgott fuͤr. Hatte ich ſie einen
Tag nicht geſehen/ dorffte ich mich folgende
Nacht keines Schlafes getroͤſten; hatte ſie mich
aber ihres Anblicks gewuͤrdigt/ ſo wuſte ich meine
Freude nicht zu begreiffen. Derogeſtalt ward
mein Leben eine beſtaͤndige Unruh. Mit einem
Worte: Jch war verliebet/ und mir lag ein
ſchwerer Stein auf dem Hertzen/ welchen ich
durch eine der Fuͤrſtin Dido auf des Mecenas
Vorwerge geſchehende Bekaͤntnuͤß abzuweltzen
vermeynte. Aber der nichts minder brennen-
den Dido mir ſtatt der Antwort auf meine
Stimme gegebener Kuß verwirrete mir vol-
lends alle Vernunft/ daß ich noch nicht weiß/
was ich damals fuͤr Abſchied von ihr genommen
habe. Meine und ihre Flamme ward in bey-
den Hertzen immer groͤſſer/ alſo/ daß wir ſie fuͤr
dem nichts minder angeſteckten Lucius zu ver-
bergen alle moͤglichſte Sorgfalt/ und dardurch
unſer Vergnuͤgung ein groſſes abbrechen mu-
ſten/ wo anders die Heimligkeit nicht minder eine
Verzuckerung/ als ein Zunder der Liebe iſt.
Alleine/ iſt es wohl moͤglich die Liebe zu verſte-
cken/ da das gemeine Feuer durch die feſteſten
Steinkluͤffte mit ausgeſpienem Schwefel und
Hartzt; ja durch die unergruͤndlichen Meere
herfuͤr bricht/ und ſeine Fluthen ſiedend macht?
Lucius/ welcher ſich umb der Dido Liebe ſo gar
durch verzweifelte Mittel bewarb/ kriegte von
einer Zauberin die Nachricht/ daß einer/ welcher
ſeiner Buhlſchafft am unaͤhnlichſten waͤre/ ſei-
nem Abſehn allein im Wege ſtuͤnde. Der oh-
ne diß gegen mich argwoͤhniſche Lucius machte
ihm hieraus alſofort einen unzweifelten
Schluß/ daß ich und Dido einander liebeten.
Dieſer Verdacht machte ihn zum genaueſten
Aufmercker unſer Geberdungen/ und hiermit
auch zum Ausſpuͤrer unſer Hertzen. Weil nun
die Heftigkeit meines Gemuͤthes keine mittel-
maͤſſige Entſchluͤſſungen vertrug/ ſetzte er ihm
fuͤr/ mir das Licht des Lebens auszuleſchen/ und
ihm den Schatten/ welcher ſeiner Vergnuͤgung
am Lichte ſtuͤnde/ aus dem Wege zu raͤumen.
Weil er aber wohl wuſte/ daß der Kaͤyſer mir ge-
neigt war/ wolte er vor bey der Dido das aͤuſerſte
verſuchen. Dieſemnach ſetzte er als ein Eifer-
ſichtiger
[472]Vierdtes Buch
ſichtiger an ſie mit hoͤchſter Ungeſtuͤm/ ſagte ihr
unter Augen/ wie thoͤricht ſie einen frembden
Selaven fuͤr einen Roͤmiſchen Fuͤrſten und be-
ſtim̃ten Nachfolger des Kaͤyſers liebte/ wolte
auch ein fuͤr alle mal ihre endliche Entſchluͤſſung
wiſſen. Worbey er ſich nicht hemmen konte/
ſo wohl Fluͤche auf mich/ als Bedraͤuungen wi-
der ihren Vater Juba unvernuͤnftig heraus zu
ſtoſſen. Dido ſahe wohl/ daß weder Hoͤfligkeit
noch beſcheidene Antwort dieſen verzweifelten
Liebhaber beruhigen wuͤrde; und weil ſie mei-
nethalben am meiſten bekuͤmmert war/ muͤhte ſie
ſich nur ihm meine Liebe auszureden/ und von
mir die beſorgliche Gefahr abzulehnen/ und fuͤr
ſich alleine Zeit zu gewinnen/ ſagte ihm alſo: daß
wenn er Buͤrgermeiſter zu Rom ſeyn wuͤrde/
wolte ſie anfangen ihn zu lieben. Denn ehe
ſtuͤnde es ihr als einer Koͤnigs-Tochter nicht an.
Lucius war mit dieſem Verſprechen zu frieden/
und alſo bemuͤht/ dieſe Wuͤrde ie ehe ie beſſer zu
erlangen. Alſo ſtiftete er an/ daß Cajus und er/
wiewohl ohne Zulaſſung des Kaͤyſers/ in den
groſſen Schau-Platz kamen/ das heuchelnde
Volck beyden mit groſſem Frolocken und Lob-
Spruͤchen empfing/ auch den Kaͤyſer anflehete/
daß er dieſe mit ihrer Tugend den Mangel der
Jahre ausgleichende Fuͤrſten aller Wuͤrden faͤ-
hig erkennen moͤchte. Sintemal Auguſt ſelbſt
im zwantzigſten/ Marius im achtzehenden Jah-
re Burgermeiſter worden/ Cajus aber beynahe
ſo alt/ und Lucius wenig juͤnger waͤre. Hieruͤ-
ber ward Lucius ſo verwegen/ daß er den Kaͤyſer
offentlich anſprach: Er moͤchte ſeinen Bruder
Cajus zum Burgermeiſter erklaͤren; in Hoff-
nung/ daß das Volck ihn ſo denn zu des Cajus
Geferten begehren wuͤrde. Der Kaͤyſer ſchoͤpfte
zwar hieruͤber nicht geringen Unwillen/ und
ſagte: Marius waͤre durch Gewalt/ er aber aus
Noth zu dieſer Wuͤrde kommen/ welche die Vaͤ-
ter fuͤr dem drey und viertzigſten Jahriemanden
anzuvertrauen verboten haͤtten; gleichwohl aber
machte er den Cajus zum Prieſter/ und dem Lu-
cius erlaubte er zugleich/ daß er in den Rath/ in
die groſſen Schauſpiele/ und in die Gaſtmahle
der Burgermeiſter mit erſcheinen dorfte. Hier-
mit meynte Lucius der Dido Bedingung ſchon
ein Genuͤgen gethan zu haben. Wie nun der
Kaͤyſer mit den Fuͤrnehmſten des Hofes ſich auf
des Lucullus Vorwerge befand/ nahm Lucius in
dem Garten bey dem groſſen Spring-Brun-
nen Gelegenheit die Fuͤrſtin Dido umb ein
Merckmal ihrer Liebe anzuſprechen; ihr zum
Beyſpiel fuͤrhaltende/ daß ſie doch nicht un-
empfindlicher/ als die aus todtem Marmel ge-
hauenen Bilder ſeyn moͤchte/ welche mit ſo groſ-
ſem Uberfluſſe geſunden Waſſers nicht nur die
durſtigen Menſchen labten/ ſondern auch Blu-
men und Kraͤuter erquickten. Die verſchmitz-
te Dido hingegen wolte des Lucius damalige
Beſchaffenheit fuͤr keine Wuͤrde eines Roͤmi-
ſchen Burgermeiſters gelten laſſen/ ſondern wie-
ſe ihm eine Marmel-Taffel an dem Umbſchrote
des Brunnens/ darinnen Penelope mit naͤchtli-
cher Zuruͤckwebung ihrer Tages-Arbeit/ und
andern Entſchuldigungen ihre Buhler biß ins
zwantzigſte Jahr aufhielt; Welches den unge-
duldigen Lucius derogeſtalt beleidigte/ daß er ſich
ihr mit heftigſter Entruͤſtung entbrach. Sinte-
mal er mit der ihm vom Kaͤyſer erlaubten Frey-
heit ihm ſchon die Herrſchafft uͤber alles Frauen-
zimmers Seelen eingeraumt zu ſeyn einbildete.
Zu allem Ungluͤcke begegnete ich ihm ungefehr
etliche wenige Schritte von dem Brunnen/ da
er deñ mir/ der ich mich des geringſten Unwillens
nicht verſah/ einen unvermerckt herfuͤr gezuͤckten
Dolch in die Seite ſtach/ worvon ich fuͤr todt zu
Bodem fiel. Dido/ welche diß wahrnahm/ ſprang
gantz verzweifelt herzu/ riß den Dolch mir aus
der Wunde/ und gab darmit dem Lucius einen
Stich in Hals. Wie nun ſie hierauf mich/ oder
vielmehr meine vermeynte Leiche mit vielen
Thraͤnen auf dem Erdboden umbarmte; der
junge Agrippa aber den Lucius in der Naͤhe gur-
geln hoͤrte/ oder auch wohl den von der Dido
dem Lucius gegebenen Stich geſehen hatte/
ſprang er herzu/ zohe dem auf der Erde zap-
pelnden
[473]Arminius und Thußnelda.
pelnden Lucius den Dolch aus der Wunde/ und
ſtach ihn der Dido zwiſchen das Schulterblat
hinein. Micipſa/ ein die Dido bedienender
Edelknabe/ ward deſſen gewahr; ergrief alſo
ſeinen Bogen/ und verwundete mit einem Pfei-
le Agrippen ins Bein. Hieruͤber entſtand ein
groſſer Lermen/ und kamen alle im Garten An-
weſende/ ja der Kaͤyſer ſelbſt mit Livien herbey;
welcher uͤber denen auf der Erden fuͤr todt aus-
geſtreckten/ und haͤuffiges Blut von ſich laſſen-
den vier Verwundeten aufs euſerſte beſtuͤrtzt
war. Die Sorge fuͤr ihr Leben verſchob die
Unterſuchung dieſer Begebnuͤs. Gleichwohl
wurden alle Deutſchen und Mohren gefaͤng-
lich eingezogen. Agrippens und der Dido
Verletzung ward fuͤr nicht ſo ſehr gefaͤhrlich;
meine und des Lucius aber fuͤr toͤdtlich befunden.
Agrippa kam derogeſtalt bald zu rechte; Dido
aber/ als ſie meinen Zuſtand vernahm/ riß ihr
ſelbſt die Pflaſter von der Wunde/ und ſagte of-
fentlich/ daß ſie mich nicht zu uͤberleben begehr-
te: Jnzwiſchen ſchoͤpfften die Wund-Aertzte
auch von des Lucius Geneſung einige Hofnung;
woruͤber Dido faſt unſinnig ward/ und in ihrer
Raſerey tauſend Fluͤche und Draͤuungen auff
den Lucius ausſchuͤttete; welcher inmittelſt mit
einem Wundfeber uͤberfallen/ und ſein Aufkom-
men ſehr zweiffelhafft gemacht ward. Endlich
gab ſich ein Britanniſcher Artzt beym Kaͤyſer/
an/ der uns beyde in kurtzer Zeit zu heilen bey
Verluſt ſeines Kopffes verſprach. Weil uns
nun die Aertzte gantz verlohren gaben; ließ uns
der Kaͤyſer dieſes gefangenen Britanniers
Willkuͤhr uͤbergeben/ ihm auch nebſt ſeiner
Freyheit anſehnliche Belohnung verſprechen.
Dieſer riß ſo wol dem Lucius als mir alle Pfla-
ſter ab/ und wuſch unſere Wunden mit einem
gewiſſen Weine aus. Hernach forderte er den
Dolch/ von welchem wir waren beſchaͤdigt wor-
den; ſauberte ſelbten aufs fleißigſte/ ſalbete ihn
ein und verband ihn mit einem genetzten Tuche;
unſere Wunden aber verhuͤllete er nur mit ei-
nem trockenen. Jn wenig Stunden vergieng
nicht nur mir und dem Lucius/ ſondern auch der
Dido/ welche durch ihr Pflaſter-abreiſſen ihren
Schaden wiederum ſehr veraͤrgert hatte/ alle
bißherige Hitze. Nach dem dieſer Artzt drey-
mal unſer Wunden ausgewaſchen/ und ſo viel
mal den Dolch mit einem gewiſſen Staube be-
ſtreut und verbunden hatte/ wurden wir nicht
nur der Schwulſt/ ſondern auch der Schmertzen
erledigt. Als dieſes Lucius wahrnahm; frag-
te er den Britannier: Ob denn die Verbindung
des Beleidigung-Waffens der Wunde durch
natuͤrliche Wuͤrckung zu ſtatten kaͤme? Als der
Artzt diß verjahete/ und daß dieſe Heilung ver-
mittelſt einer geheimen Verwandnuͤß gewiſſer
Dinge geſchehe; ja deſſen Warheit dardurch
bewaͤhrete/ daß wenn er den verbundenen Dolch
uͤber das Kohlfeuer hielt/ den Lucius ſeine Wun-
de hitzte; Bey deſſen Annetzung aber wieder
ſchmertzloß ward; fragte Lucius ferner: Ob alle
mit dieſem Dolche gemachte Wunden zugleich
heileten? und wie der Britannier abermals diß
beſtaͤtigte/ fuhr er fort: Ob er denn nicht machen
koͤnte/ daß nur ſeine darvon heil/ des Flavius a-
ber aͤrger wuͤrde; verneinte es der Artzt und mel-
dete: Er haͤtte an dieſe unbarmhertzige Kunſt
noch nie gedacht. Uber dieſem Beſcheide fuhr
Lucius auf/ rieß dem Artzte den Dolch aus der
Fauſt/ und ſtach ihn ſelbſt dem Artzte in Bauch/
mit Beyſetzung dieſer verzweiffelten Worte:
Jch will lieber mit meinem Feinde ſterben/ als
ihn mit mir geneſen ſehen. Alle Umſtehenden
erſchracken hieruͤber euſerſt; der Britannier a-
ber zohe ihm unerſchrocken den Dolch aus dem
Leibe/ wiſchte ſelbten ab/ und verband ihn aufs
neue. Jch und Dido empfanden um ſelbige
Zeit unglaubliche Schmertzen/ nicht anders/
als wenn wir in unſere alte Wunde einen neuen
Stich bekaͤmen. Auguſt ſchoͤpffte uͤber des Lu-
cius erfahrnen Grauſamkeit einen hefftigen
Unwillen; ließ alſo den Lucius nicht allein be-
wachen/ ſondern auch binden; wormit er nicht in
Erſter Theil. O o omeh-
[474]Vierdtes Buch
mehrere Verzweiffelung gerathen moͤchte. Jn-
zwiſchen ward es mit mir/ und weil Dido hier-
von Nachricht kriegte/ mercklich beſſer; ja wir
geneſeten beyde eher als Lucius. Dieſemnach
denn der Kaͤyſer nicht fuͤr rathſam hielt/ mich
laͤnger in Rom zu laſſen; wormit er ſo wol mei-
ner Sicherheit rathen/ als auch dem unbaͤndi-
gen Lucius keinen Stein fernern Anſtoſſes am
Wege liegen laſſen moͤchte. Weil nun mein
Bruder Hertzog Herrmann in Aſien ſich ſo ver-
dient machte; gleichwol aber er mich in Deutſch-
land ziehen zu laſſen Bedencken trug; ſtellte er
mir frey/ wohin ich unter dem Roͤmiſchen Ge-
biete mein Kriegs-Gluͤcke verſuchen wolte. Es
machten dazumal gleich die Cantabrer in Hiſpa-
nien wider die Roͤmer/ und in Africa die Getu-
lier wider den Koͤnig Juba einen Aufſtand. Jch
erkieſete ohn einiges Bedencken dem Koͤnige
Juba zu dienen/ und der vom Kaͤyſer ihm zur
Huͤlffe erkieſete Cornelius Coſſus bat mich ſelbſt
aus/ daß ich unter ihm die Waffen fuͤhren moͤch-
te. Dido/ welche bey ihr feſt beſchloſſen hatte/
aus Haſſe gegen dem Lucius nicht in Rom zu
bleiben/ und bereit an ihren Vater Juba um Er-
laubnuͤß nach Hauſe zu kehren geſchrieben hat-
te/ ward uͤber dieſer Entſchluͤſſung hoͤchſt er-
freuet/ und verſicherte mich/ daß ſie ſich nichts in
der Welt aufhalten laſſen wolte mich in Numi-
dien zu umarmen. Nach dreyen Tagen nahm
ich von Rom und der mich mit viel Thraͤnen ge-
ſegnenden Dido Abſchied/ wir wurden aber/ als
wir kaum das Lylibeiſche Gebuͤrge aus dem Ge-
ſichte gebracht/ mit einem heftigen Sturme be-
fallen/ etliche Schiffe auff denen Aegatiſchen
Steinklippen zerſchmettert/ ich ſelbſt ſtrandete
auf dem Eylande Terapſa/ wiewol biß auff fuͤnf
Perſonen alle Leute gerettet wurden. Deroge-
ſtalt kam ich wol zehn Tage laͤngſamer als Cor-
nelius Coſſus in Numidien an/ welcher mich be-
reit gantz fuͤr verlohren geſchaͤtzt hatte. Das uͤ-
brige Roͤmiſche Heer/ und darunterfuͤnf hundert
mir unter gebene Deutſchen und Gallier waren
inzwiſchen in dem Olcachitiſchem Seebuſem an-
gelendet. Cornelius Coſſus und die oberſten
Befehlhaber/ darunter auch ich war/ reiſeten
hierauf nach Cirtha voran/ allwo wir in Abwe-
ſenheit des Koͤnigs Juba von der Koͤnigin Cleo-
patra wol bewillkommt wurden. Nach dreyer
Tage Ausruhung/ folgten wir dem nach Getu-
lien auff dem Fluſſe Pagyda eilenden Heere.
Welch Land aus keiner andern Urſache/ als aus
Andencken der alten Freyheit/ vom Juba abge-
fallen war/ und noch darzu die Lybier uͤber dem
Gebuͤrge Thambes und Mampſarus an ſich
gezogen hatten. Sintemal fuͤr Zeiten beyde
Voͤlcker keinem Geſetze noch Votmaͤßigkeit un-
terworffen waren. Wiewol nun Juba aus dem
unfruchtbaren Getulien wenig Einkuͤnften zoh;
ja ihnen die Beſetzung der Graͤntzfeſtungen/ und
er zu denen Wartegeldern/ welche er denen zu
ſeinen Kriegsdienſten beſtellten Getuliern jaͤhr-
lich reichte/ noch zubuͤſſen muſte; wolte er doch
ehe ſein euſerſtes dran ſetzen/ als einen Fußbreit
ſandichter Erde verlieren. Alſo vermindert
die Armuth eines Landes gar nicht die Begierde
zu herrſchen/ als welche ein Brut der Ehren/
nicht des Geitzes iſt. Unterwegens erfuhren
wir/ daß Juba mit ſeinem gantzen Heere in die
Flucht geſchlagen worden/ und er ſelbſt in der
Stadt Vegeſela belaͤgert waͤre. Dahero eilten
wir ſo viel mehr gegen den Feind; welcher aber
bey unſer ver nommener Ankunfft zuruͤcke gegen
Uciby und von dar zwiſchen das Gebuͤrge Au-
dus wich. Juba verſammlete zwar ſo denn ſei-
ne zerſtreuten Numidier groſſen Theils wieder
zuſammen; aber die fluͤchtigen Getulier/ welche
ohnediß auſer wenigen Feſtungen keine beſtaͤn-
dige Wohnungen hatten/ waren nicht gemeinet
gegen die Roͤmer ſtand zu halten/ ſondern uns
nur muͤde zu machen. Wie ſie denn auch uns
gantzer ſechs Monate derogeſtaltumtrieben und
abmatteten/ daß wir nicht laͤnger in Getulien
ſtehen konten/ ſondern uns in Numidien zuruͤck
ziehen muſten. Alleine der Feind lag uns Tag
und
[475]Arminius und Thußnelda.
und Nacht in Eiſen/ und thaͤt uns durch Ein-
faͤlle mehrmals Schaden. Endlich hatte ich mit
meiner deutſchen Reiterey das Gluͤcke ihnen ei-
nen Streich zu verſetzen/ und ihres neu aufge-
worffenen Fuͤrſten Hiempſals Brudern Himil-
co/ welche beyde ſich des Jugurtha Enckel ruͤh-
meten/ bey der Stadt Lampeſa gefangen zu be-
kommen. Wie wir nun nach einer zwey monat-
lichen Ruh wieder ins Feld zohen/ und gegen
Sitiphis einbrachen/ die Getulier uns aber wie-
der wie vormals aͤffeten/ zwang Juba dem Hi-
milco durch Umgebung eines gluͤenden Man-
tels zu offenbaren/ wohin die Getulier ihre Le-
bensmittel verſteckten. Sintemahl wir nir-
gends keinen Vorrath fanden/ der Feind aber
niemals keinen Mangel hatte. Hiermit erforſch-
ten wir eine groſſe Maͤnge Sandgruben und
Hoͤlen/ darin Hiempſal viel Weitzen/ Datteln/
Granat-Aepffel und Wein verborgen hatte/
worvon doch niemand als Hiempſal und ſeine
Fuͤrnehmſten wuſten. Wie nun dieſer Vorrath
zu einem groſſen Vortheil des Roͤmiſchen und
Numidiſchen Kriegsvolckes diente; alſo gerie-
then die Getulier hieruͤber in groſſe Noth; alſo/
daß ſie meiſt nur von Heuſchrecken und duͤrren
Kraͤutern leben muſten. Juba und Cornelius
wurden derogeſtalt ſchluͤßig die Stadt Azama zu
belaͤgern. Hiempſals ander Bruder Hiarba war
darinnen oberſter Befehlhaber. Dieſem ließ
Juba andeuten/ daß er auf den Fall ſeiner ver-
weigerten Ergebung den gefangenen Himilco
in ſeinem Geſichte abſchlachten wolte. Hiarba
aber ließ dem Juba zur Antwort wiſſen: Er koͤn-
te ihm und dem Hiempſal keinen groͤſſern Ge-
fallen thun. Denn weil Himilco ſich als ein
furchtſames Weib fangen laſſen; haͤtte er den
Spieß zum Lohne ſeiner Zagheit wol verdienet.
Weil er aber ehrſuͤchtig geweſt/ waͤre Hiempſal
einer groſſen Sorge entuͤbrigt/ und er Hiarba
als der juͤngſte haͤtte ſo denn eine Staffel naͤher
zur Herrſchafft. Juba/ welcher nicht mit einem
rechtſchaffenen Feinde/ ſondern mit aufruͤhri-
ſchen Unterthanen zu kriegen vermeinte/ ließ
auf einen Huͤgel gegen der Stadt Antabole uͤ-
ber/ ein Geruͤſte bauen/ und dem Himilco den
Kopf abſchlagen. Dieſen ſchickte er dem Hiarba
mit einem Zettel/ welcher ihm ein gleichmaͤßiges
Verfahren andraͤuete. Hiarba hingegen ließ
100. gefangene Numidier enthaupten/ gab die
Koͤpffe dem Boten und ließ ihm melden: Er
muͤſte eines ſo groſſen Koͤnigs Freygebigkeit mit
Wucher vergelten/ und weil bey den Numidieꝛn
braͤuchlich waͤre/ daß ihre Fuͤrſten 100. Loͤwen
auf einmal opfferten; koͤnte er auch den Juba
mit nicht weniger Koͤpffen verehren. Hieraus
erwuchs eine verzweiffelte Verbitterung/ eine
ernſte Belaͤgerung/ und eine euſerſte Gegen-
wehr. Juba und Cornelius unter gaben mir die
gantze Reuterey/ um das Numidiſche Laͤger mit
noͤthiger Zufuhre zu verſorgen/ und alle Einfaͤl-
le zu verhuͤten. Als ich nun einsmals 400. mit
Weitzen und Mehl beladene Kamele ins Laͤger
zu fuͤhren bemuͤht war; erlangte ich Kundſchaft/
daß die Getulier mich allenthalben umſetzt haͤt-
ten. Jch war bekuͤmmert nicht ſo wol zu entkom-
men/ als dieſen Vorrath zu retten. Alle Numi-
dier riethen den Wein und den Weitzen in Sand
lauffen zu laſſen/ die Kamele zu erſtechen/ und
uns an einem Orte durch zuſchlagen. Alleine ich
ſahe zu allem Gluͤcke daſelbſt viel Alraun-Wur-
tzel wachſen. Dahero befahl ich alſobald ſelbte
auszurauffen/ und ſo gut man konte auszupreſ-
ſen. Dieſen Saft ließ ich mit dem groͤſten Thei-
le des Weines vermiſchen/ aber die Lagen/ Bla-
ſen und andere Behaͤltnuͤſſe zeichnen. Wir wa-
ren mit unſer Arbeit kaum fertig/ als die Getu-
lier ſich an dreyen Orten herfuͤr thaͤten. Jch
ließ zwar etliche Geſchwader leichte Reuter mit
den erſten Hauffen treffen; befahl aber nir-
gends Fuß zu halten/ und als die Getulier mit
voller Macht anſtachen/ ließ ich den gantzen
Vorrath im Stiche. Des Feindes groſſer
Mangel an Lebens-Mitteln/ und die Erobe-
rung der reichen Beute machte/ daß ich wenig
oder gar nicht verfolget ward; alſo mich etliche
Meilen darvon in einem Palmen - Puſehe
O o o 2ſicher
[476]Vierdtes Buch
ſicher ſetzen konte. Um Mitternacht als ich
meinte/ daß der mit der Alraun-Wurtzel ver-
miſchte Wein/ welcher auch/ wenn er nur neben
ihr waͤchſt/ zwar nicht giftig wird/ aber eine hef-
tige Einſchlaͤffungs-Krafft bekommt/ ſeine
Wuͤrckung gethan haben wuͤrde; machte ich
mich in aller Stille auf/ und kam an den Ort
meines Verluſtes: Daſelbſt fand ich etliche
theils leere/ theils belaſtete Kamele/ umirren;
welches mir ein gewuͤnſchter Vorbote eines ſon-
derbaren Vortheils war. Jch ruͤckte nur zwey
Stadien der Spure nach fort/ da fand ich die
Getulier in einem Palmen-Gepuͤſche ohne ei-
nige Wache theils ſchwermend/ meiſt aber ſchlaf-
fend. Dieſemnach ließ ich die Helffte meiner
Reuterey in zweyen Theilen auf allen Nothfall
fertig ſtehen; die andere Helffte aber theilte ich
wol in zwoͤlf Hauffen/ welche auf die noch wa-
chenden loß giengen. Es iſt ohne Noth hier-
von viel Ruhmes zu machen. Denn es waren
wenige/ die an die Gegenwehr gedachten/ ſon-
dern nur die Flucht ergrieffen. Alſo ſchlachte-
ten wir zwoͤlf tauſend Getulier ohne Verluſt ei-
nes einigen Mannes ab. Etliche zwantzig
von meinem Volcke waren alleine verwundet.
Drey tauſend ſchlaffenden nahmen wir nur aus
Kurtzweil ihre Pferde und Waffen von der Sei-
te/ welche auff den Morgen bey ihrer Erwa-
chung fußfaͤllig um ihr Leben bitten muſten.
Den groͤſten abgenommenen Raub/ nebſt funf-
zehn tauſend meiſt Lybiſchen Pferden eroberten
wir wieder; alſo/ daß ich bey meiner Annaͤhe-
rung zu unſerm fuͤr Antotale ſtehendem Heere
anfangs ein groſſes Schrecken/ hernach aber ei-
ne viel groͤſſere Freude erweckte. Maſſen mich
denn Juba mit beyden Armen umſchloß/ mich
ſeinen Bruder nennte/ und mit koſtbaren Waf-
fen beſchenckte; wiewol ich den Titel des Bru-
ders in eine vaͤterliche Gewogenheit zu verwan-
deln bat und erlangte. Weil nun meine Deut-
ſchen der Getulier Koͤpffe an die Pferde gebun-
den/ die Numidier aber ſie auf die wie der erober-
ten Kamele gepackt/ und ins Laͤger gebracht hat-
ten; ließ Juba gegen Antotale einen groſſen
Berg von der Erſchlagenen Koͤpffen aufbauen/
durch etliche Gefangene aber den Belaͤgerten
die boͤſe Zeitung des groſſen Verluſtes zubrin-
gen. Aber Hiarba ſteckte auch Mauern und
Thuͤrme voll von denen Koͤpffen der erwuͤrgten
Roͤmiſchen und Numidiſchen Gefangenen.
Juba ließ hingegen die gefangenen Getulier
zehn und zehn zuſam̃en ſchmieden/ und brauchte
ſie im Stuͤrmen zu der Seinigen Vormauer.
Gleichwol verzog ſich die mit allen erſinnlichen
Kriegs-Streichen eifrigſt fortgeſetzte Belaͤge-
rung biß in ſechſten Monat/ in welchem endlich
die hartnaͤckichten Feinde uͤberwaͤltiget/ und
alle lebende Seelen in Antotale durch die
Schaͤrffe der Schwerdter vertilget wurden.
Die Stadt Thubutis und Aegea giengen hier-
auf gleicher geſtalt uͤber. Hiempſal muſte hier-
uͤber gegen dem Fluſſe Ampſa weichen; ich
brachte ihn aber an ſelbtem unter der Stadt Tu-
marra wieder zu Stande/ und nach einem ver-
zweiffelten Gefechte in die Flucht. Die Ge-
tulier ſetzten wol durch den Strom/ weil aber die
Deutſchen geſchickter als ſie waren durch die
Fluͤſſe zu ſchwaͤmmen/ wurden ihrer viel theils
im Waſſer/ theils auf dem Ufer erſchlagen.
Hiempſal ward ſelbſt verwundet/ und konte mit
genauer Noth nebſt wenigen auf das Buzariſche
Gebuͤrge entrinnen. Juba folgte mit dem
Groß ſeines Heeres nach/ kam aber zum Siege
zu ſpaͤt/ iedoch fand er ſich ſo vergnuͤgt/ daß er die
Stadt/ bey welcher ich diß Gluͤcke gehabt/ den
Deutſchen zu Ehren Germana heiſſen ließ.
Mit dieſem Siege ward zwar Juba des flachen
Getuliens Meiſter/ aber die in und uͤber dem
Buzariſchen/ Thambiſchen und Atlantiſchen
Gebuͤrge wohnenden Phoruſier/ Siranger/
Niſibes/ ſchwartzen Getulier und Natembres
ſtellten ſich gegen dem Juba in moͤglichſte Ver-
faſſung/ und verſahen Hiempſaln mit einem
neuen Heere. Nach etlicher Monate Ruh
drangen wir/ wie wol nicht ohne Verluſt vielen
edlen Blutes/ ins Gebuͤrge ein. Unter andeꝛn
zeich-
[477]Arminius und Thußnelda.
zeichneten drey hundert Deutſchen mit ihrem
Blute einen Felſen/ auf welchem Juba den er-
ſten feſten Fuß ſetzte. Nach eines gantzen hal-
ben Jahres gleichſam wechſelweiſe ausſchlagen-
den Treffen brachten wir an dem Fluſſe Ghir
den Hiempſal mit ſeinem Heer ins Gedraͤnge;
nach einer ſehr blutigen Schlacht aber in die
Flucht. Weil ich nun wahrnahm/ daß Hiem-
pſal abermals durch den Strom entrinnen wol-
te/ kam ich ihm zuvor/ verbeugte ihm den Weg;
da ich denn das Gluͤcke hatte/ daß er mir ſelbſt in
die Haͤnde lief. Alleine ungeachtet er ſchon
gantz von Blute trof/ wolte er ſich doch nicht er-
geben/ ſondern wehrte ſich ſo lange/ biß er von
Pfeilen und Schwerdtern gantz zerfleiſchet mit
ſeinem Pferde zu Bodem fiel/ und beyde mit
einander den Geiſt ausblieſſen. Mit dem
Falle dieſes Hauptes entgiengen allen Kriegs-
Gliedern ihre Kraͤfften. Die Getulier/ wel-
che unter dem Marius zum erſten/ nunmehr
auch zum andern mal die Roͤmiſchen Kraͤfften
gefuͤhlet hatten/ wurden verzagt/ oͤfneten ihr
Land vollends dem Uberwuͤnder/ erlangten
auch gegen Verſprechung/ daß ſie alle Jahr
zehn tauſend Pferde und eine groſſe Menge
weiſſen Saltzes/ deſſen ſie viel mit denen gar
ſchwartzen Mohren in gleichem Gewichte und
Gold verwechſeln/ nach Cirtha liefern wolten/
voͤllige Gnade. Hiermit kehrte Koͤnig Juba
ſiegreich nach Cirtha. Fuͤr der Pforten ward
er von der Koͤnigin und vielen Prieſtern bewill-
kommt/ und von ihnen nebſt uns in den Tempel
gefuͤhret/ welcher ſeinem vergoͤtterten Vater
Juba zu Ehren gebauet war; der ſo getreu dem
Scipio wider den Kaͤyſer Julius beyſtand/ und/
um nicht in des obſiegenden Feindes Haͤnde zu
fallen/ von ſeinem Freunde Petrejus in einem
Gefechte zu ſterben erwehlte. Bey dem darin-
nen gehaltenen groſſen Sieges-Gepraͤnge hat-
te Cleopatra das Bild des vergoͤtterten Juba
mitten in Tempel ſtellen/ und durch verborge-
nes Zugwerck bereiten laſſen/ daß als der leben-
de Juba bey ſelbtem vorbey gieng/ das Bild ſei-
ne mit Lorbern durchflochtene Krone von ſeinem
Haupte nahm/ und dem Koͤnige aufſetzte. Auf
beyden Seiten ſtanden zwey andere Bilder
nehmlich der Luft und des Feuers/ welche von
den Africanern ebenfals goͤttlich geehret wer-
den. Das erſte ſetzte dem Cornelius Coſſus ei-
nen mit Diamanten/ das andere mir einen mit
Rubinen gezierten Lorber-Krantz auf. Wie
ich nun nach vollbrachtem Feyer in meinem
Zimmer den Lorber-Krantz abnahm/ und be-
trachtete/ ward ich darinnen eines Zettels ge-
wahr/ darinnen ich folgende Zeilen laß:
Die/ welche tauſend mal geſeufzet dem un-
vergleichlichen Flavius einen Myrthen-Krantz
aufzuſetzen/ hat bey ihrer Verdamnuͤß noch den
Troſt fuͤr ihrer euſerſten Verzweiffelung dem-
ſelben/ welcher ihre Seele vorlaͤngſt uͤberwun-
den gehabt/ dieſen Siegs-Krantz aufzuwinden.
Ein Unſtern/ oder ich weiß nicht/ ob der Men-
ſchen oder der Goͤtter Grauſamkeit hat ſie zu ei-
ner blutigen Prieſterin einer ſo wilden Gottheit
gemacht/ daß/ wo mein einiger Abgott Flavius
ſich nicht dieſem Ungeheuer ſie zu entreiſſen er-
bitten laͤſt/ ſie ſich ſelbſt zwar nicht der Getuli-
ſchen Diana/ wol aber dem unſterblichen Fla-
vius eigenhaͤndig aufzuopffern/ und mit ihrer
Uhr-Anfrau Dido auf einem von der Liebe ange-
zuͤndeten Holtzſtoſſe einzuaͤſchern entſchloſſen iſt.
Jch/ ſagte Flavius/ laß dieſe Zeilen wol zehn
mal; und ob ich wol auf die Numidiſche Fuͤrſtin
Dido muthmaſte; wuſte ich mir doch auf die dar-
innen begriffene Geheimnuͤſſe keine ſichere
Auslegung zu machen. Sintemal ich in der
Meinung war/ daß/ weil kurtz nach meiner Ab-
reiſe Lucius vom Kaͤyſer nach Spanien geſchickt
worden/ unter wegens aber zu Maßilien geſtor-
ben war/ Dido ſich noch in Rom aufhielte. Jch
ſchlug mich die gantze Nacht mit unruhigen Ge-
dancken/ der Morgen aber ſteckte mir etlicher
maſſen ein Licht auf; indem Koͤnig Juba mich
in meinem Zimmer beſuchte/ und erkundigte:
O o o 3Ob
[478]Vierdtes Buch
Ob ich nicht der Gottesdienſte der Getuliſchen
Diana beywohnen wolte. Auf meine Befra-
gung unterrichtete er mich: Es haͤtte Jugurtha/
als er wider den Marius Krieg gefuͤhrt/ und die
Getulier ihm ſo treulich beygeſtanden/ der von
den Getuliern zu ehren gewohnten Diana ei-
nen herrlichen Tempel aus rothem Marmel zu
bauen angefangen; Hiempſal/ welchen Marius
nach uͤberwundenem Jugurtha zum Koͤnige in
Numidien und Getulien gemacht/ weil er ihm
in ſeiner Flucht Auffenthalt in Africa gegeben/
haͤtte auch etwas daran gebauet/ wie auch nach
deſſen geſchwindem Tode ſein Sohn Hiarbas;
alleine/ weil dieſer als ein Gemaͤchte des Ma-
rius/ auf des Sylla Befehl vom groſſen Pom-
pejus bekriegt und gefangen; Hingegen ſein
Großvater Hiempſal/ als der noch einige Zweig
von Maſaniſſens Stamme/ mit beyden Kro-
nen Numidiens und Getuliens beſchenckt waꝛd/
haͤtte die Ehre gehabt/ dieſen koͤſtlichen Tempel
auszubauen. Weil er nun die Getulier als ein
wildes und meiſt rohes Fleiſch mehr mit An-
dacht/ als durch einigen andern Kapzaum ihm
zu verbinden noͤthig hielt/ dieſe aber der Diana
ihre ſelbſt eigene Kinder auf dem Berge Atlas zu
opffern pflegen; ließ er die in Geſtalt eines Loͤ-
wen gemachte/ und von den Getuliern als ihr ei-
niges Heil- und Schutzbild mit unglaublicher
Andacht angebetete Diana von dem Atlanti-
ſchen Gebuͤrge auff einem mit zwoͤlf Loͤwen be-
ſpannten Wagen in Begleitung halb Getu-
liens anher nach Cirtha bringen/ und um die Ge-
tuliſche Grauſamkeit theils zu miltern/ theils ih-
nen nicht gar zu abzule gen/ fuͤhrte er einen ſol-
chen Gottesdienſt ein/ wie die Griechen ſelbten
fuͤr Alters der Tauriſchen und Brauroniſchen
Diana hielten/ die ſich nur mit der Feinde Blut
vergnuͤgte. Hiempſal haͤtte zwar gerne/ wie
Lycurgus/ ſelbten dahin ein gerichtet/ daß an ſtatt
der Abſchlachtung die Menſchen nur gegeiſſelt
und die Goͤttin mit dem ausrinnenden Blute
verſohnet werden moͤchte. Alleine die Getulier
ſetzten ſich hartnaͤckicht darwider/ vorgebende:
da die Tauriſche Diana/ wenn man ihr nicht von
genungſam edlen und ſchoͤnen Knaben Blut
geopffert/ ſich zum Zeichen ihrer Ungnade ſo
ſchwer und unbeweglich gemacht haͤtte/ daß ſie
die Prieſterin nicht haͤtte von der Stelle heben
koͤnnen; wuͤrde die viel maͤchtigere Getuliſche
Diana mit ſo geringſchaͤtzigen Opffern ſo viel
mehr unvergnuͤgt und ergrimmet ſeyn. Alſo
haͤtte es Hiempſal und Juba ſein Vater nur dar-
bey bewenden laſſen muͤſſen; ob wol die Roͤmer
mehrmals wider dieſe Menſchen-Opfferung
gemurret. Dieſemnach denn auch er/ da er die
Getulier nicht anders wieder zu einem Aufſtan-
de veranlaſſen wolte/ heute aus den Getuliern
ſelbſt die Erſtlinge der Gefangenen aufopffern
muͤſte. Weil nun bey den Deutſchen gleichmaͤſ-
ſige Opfer waͤren; zweiffelte er nicht/ daß ich ſol-
chem beyzuwohnen Belieben tragen wuͤrde.
Ungeachtet ich nun zwar ein und anderes Be-
dencken haͤtte haben koͤnnen/ reitzte mich doch die
Begierde meines Raͤthſels Auslegung zu erfah-
ren/ daß ich mit dem Koͤnige Juba ſelbigen Tag
mich in den Tempel der Getuliſchen Diana ver-
fuͤgte. Denn die Opfferung darff nur des
Nachts geſchehen. So bald wir in den Tempel
traten/ erhob ſich ein grauſames Gethoͤne von
Paucken und Jagthoͤrnern. Der oberſte Prie-
ſter beſprengte uns daſelbſt mit Waſſer/ welches
aus dem Atlantiſchen Gebuͤrge dahin gebracht
werden muß/ und leitete uns zu dem in der mit-
te ſtehenden Altare; bey welchem wir uns auff
den flachen Erdbodem niederſetzen muſten. Die
oberſte Prieſterin ſtand wie eine Diana beklei-
det auf dem Fuſſe des Opffer-Tiſches fuͤr einer
groſſen ertztenen Wanne/ uͤber welcher denen
hundert in gruͤne Seide gekleideten Gefange-
nen die Gurgeln abgeſchnitten werden ſolten.
Die Menge der brennenden Fackeln entdeck-
ten mir im erſten Anblicke meine geliebte Dido.
Nach wenigen Augenblicken ward auch ſie mei-
ner gewahr/ und ſahe ſie mich eine gute weile
mit
[479]Arminius und Thußnelda.
mit unverwendeten Augen an. Bald aber dar-
auf ließ ſie das Schlacht-Meſſer aus der Hand
fallen/ fing an ihre Geberden und Antlitz zu ver-
ſtellen. Endlich fiel ſie gar zu Bodem/ und in
Ohnmacht. Juba und alles Volck erſchrack uͤ-
ber dieſem Zufalle ſo viel mehr/ weil die Men-
ſchen-Opfferung an ſich ſelbſt ſchrecklich genung
iſt. Die Getuliſchen Prieſter aber/ um ihren
Gottesdienſt nicht verhaſt zu machen/ legten es
fuͤr eine goͤttliche Entzuͤckung aus. Gleichwol
trugen ſie ſie von dem Altare weg/ und kleideten
in moͤglichſter Eil eine andere Prieſterin zu ſol-
chem Opffer aus/ welches mit jaͤmmerlichem
Winſeln der Sterbenden/ mit groſſer Verwir-
rung des Volckes/ und mit ſo hefftiger Beſtuͤr-
tzung des Koͤnigs geſchah/ daß er unerwartet des
Ausgangs ſich deſſelbten entbrach/ und nach der
Halle/ in welcher Dido lag/ leiten ließ. Jch folg-
te uͤber eine Weile dem Juba nach/ und ſahe/ daß
ſie ſie durch reiben und Balſame wieder ein we-
nig zu rechte gebracht hatten. So bald ſie mich
aber nur wieder erblickte/ fiel ſie nicht alleine
wieder in die erſtere Ungebehrdung/ ſondern uͤ-
ber eine Weile rief ſie bey ihrer Entzuͤckung:
Flavius/ Flavius! Jederman ſahe mich hieruͤ-
ber an/ und ich ſelbſt hatte keine ſolche Botmaͤſ-
ſigkeit uͤber mein Antlitz/ daß ſelbtes haͤtte meine
Liebes- und Mitleidens-Regung verbergen
koͤnnen. Juba/ welcher hierunter ein gewiſſes
Geheimnuͤß verborgen zu ſeyn muthmaſte/ be-
fahl der Dido in einem geheimern Zimmer des
Tempels wahrzunehmen/ mich aber nahm er
bey der Hand/ leitete mich aus dem Tempel/ und
fuͤhrte mich mit ſich nach Hoffe in ſein innerſtes
Gemach. Daſelbſt beſchwur er mich bey der
Redligkeit/ worvon alle Voͤlcker die Deutſchen
ruͤhmten/ daß ich ihm die Urſache der mit ſeiner
Tochter ſich ereignenden Zufaͤlle eroͤfnen ſolte;
weil nicht nur meine ſelbſt eigene Veraͤnderung
meine Wiſſenſchafft verrathen/ ſondern der Di-
do Mund mich ſelbſt fuͤr den Ausleger erklaͤrt
haͤtte. Dieſe Beſchwerung noͤthigte mich ihm
rund heraus meine und ihre Liebe zu bekennen;
auch alles zu erzehlen/ was ſich zwiſchen uns und
dem Lucius in Rom zugetragen hatte/ mit dem
Schluſſe/ daß mich nichts minder vergnuͤgt und
gluͤckſelig/ als ſeine Tochter geſund machen wuͤr-
de/ wenn er ſich mich fuͤr ſeinen Eydam anzu-
nehmen wuͤrdigen wolte. Juba hoͤrte mich mit
Gedult und genauer Aufmerckung an; an ſtatt
der Antwort aber holete er aus der innerſten
Seele einen tieffen Seufzer. Endlich fing er
an: Er hoͤre wol/ daß ich von den letzten Begeb-
nuͤſſen der Dido und denen Getuliſchen Geſe-
tzen keine Nachricht haͤtte. Daher/ wolte er auf
den Morgen/ wo moͤglich/ mir hiervon noͤthige
Wiſſenſchafft zu wege bringen. Wir nahmen
hierauf von einander Abſchied; aber die Nacht
ward meinen Gedancken zu einem rechten Zir-
ckel der Unruh; wiewol ich daraus nicht wenig
Hoffnung ſchoͤpffte/ daß Juba meine Erklaͤrung
ſo gar guͤtig auffgenommen hatte. Auff den
Morgen ſehr fruͤh fuͤgte ſich Juba in den Tem-
pel der Dianen/ guter fuͤnf Stunden darnach
ließ er mich auch dahin beruffen. Man leitete
mich durch ſelbten in ein unterirrdiſches/ gleich-
wol aber durch ein oben in der mitte des Gewoͤl-
bes einfallendes Licht ziemlich erleuchtetes Ge-
mach/ in deſſen Mitte eine aus Egyptiſchem
Porphyꝛ gebildete Diana aus den Bruͤſten in ei-
ne weite Marmel-Schale Eißkaltes Waſſer
ſpritzte/ und den Ortaufs annehmlichſte erfriſch-
te. Darinnen fand ich zwiſchen dem Koͤnige und
dem oberſten Prieſter meine Dido ſitzen. Die
Traurigkeit ſahe ihr aus den Augen/ und mach-
te ſie nicht nur ſtumm/ ſondern gar unbeweglich.
Der Prieſter bewillkom̃te mich freundlich/ fing
aber alsbald an: die groſſe Beſtuͤrtzung der Prie-
ſterin/ uñ die unablaͤßliche Bitte des Koͤnigs haͤt-
te mir den ſonſt iederman verſchloſſenẽ Eingang
in diß Heiligthum nur zu dem Ende zu wege ge-
bracht/ daß ich darinnen die erheblichen Urſachen
vernehmen moͤchte/ warum ich den Zunder mei-
neꝛ Liebe in meinen Heꝛtzen gaͤntzlich zu vertilgen
bedacht
[480]Vierdtes Buch
bedacht ſeyn; uͤbrigens aber derogeſtalt an mich
halten ſolte/ daß die nichts minder rachgierige
als alles ſehende Diana ihren Grimm uͤber mich
aus zuſchuͤtten/ wie auch die Prieſter mich nach
ihren heiligen aber ſcharffen Geſetzen zu ſtraffen
nicht gezwungen wuͤrden. Als ich dem Prieſter
mit Ehrerbietung gedanckt/ fing die beaͤngſtig-
te Dido an: Verzeihe mir/ Flavius/ daß mein
itziger Zuſtand den/ welchen ich mehr als mich
ſelbſt geliebt/ ſo kaltſinnig willkommen heiſt.
Daͤmpffe in deinem Hertzen die vor ſuͤſſen/ nun-
mehr aber nuꝛ miꝛ eitele Pein gebaͤhrende Flam-
men. Denn die Unmoͤgligkeit ſtehet unſer Lie-
be ſelbſt im Lichten/ und die Goͤttin dieſes Ortes
befiehlet in ſelbte mehr und kaͤlteres Waſſer zu
gieſſen/ als diß Bild allhier ausſpritzet. Dieſes
redete ſie mit einer ſolchen Empfindligkeit/ daß
ich nicht wuſte/ ob in mir die Liebe oder das Mit-
leiden heſtiger waͤre. Gleichwol konte ich mich
nicht bereden laſſen/ daß es Didons gantzer
Ernſt waͤre mir die Liebe gantz auszureden; weil
mir ein gantz widriges die in dem Lorberkrantze
gefundene Schrifft andeutete/ und ſo wohl der
Ort/ als die Anweſenheit des Prieſters mir die-
ſen Vortrag verdaͤchtig machte/ daß Dido mit
gebundener Zunge redete. Daher fing ich an:
Unver gleichliche Dido/ machet mich denn ihre
Verſtoſſung/ oder die Mißgunſt einer Goͤttin
ſo ungluͤckſelig? Jch kan wol dencken/ daß du
nicht ohne Geluͤbde der Diane Prieſterin wor-
den biſt. Aber haſt du mir nicht ehe/ als ihr eines
gethan/ nemlich mich ewig zu lieben? Muͤſſen
mir alſo die Goͤtter dieſes Ortes/ wo ſie anders
gerecht ſind/ nicht ſelbſt das Vorrecht uͤber dich
zuerkennen? Der Prieſter entruͤſtete ſich uͤber
dieſen Worten/ gebot mir zu ſchweigen/ und fing
an: Wilſt du thoͤrichter an der Gerechtigkeit
Dianens zweiffeln/ welche am gerechteſten iſt/
wenn es die alberen Menſchen am wenigſten
glauben? Wilſt du ohnmaͤchtiger Menſch mit
den Goͤttern ums Vorrecht kaͤmpffen/ welche
uͤber dich die Gewalt des Lebens und des Todes/
als uͤber ihren Leibeigenen haben? Jch entſchul-
digte meinen Jrrthum mit tieffer Demuͤthi-
gung/ ſo gut ich konte/ und bat nur/ daß mir Di-
do doch nur zu meinem Troſte erzehlen moͤchte/
wie ſie zu Vergeſſung des mir/ und zu Beſchluͤſ-
ſung des der Diane angelobten Geluͤb des kaͤme.
Als der Prieſter diß durch ein Zeichen willigte/
fing Dido an: Wenige Zeit nach ſeinem Ab-
ſchiede von Rom erhielt ich die traurige aber nun
leider zu ſpat falſch erſcheinende Zeitung/ daß
Flavius mit ſeinem Schiffe/ und allen Men-
ſchen darauf/ zu Grunde gegangen waͤre. Dieſes
Schrecknuͤß ſetzte alle meine Vernunft aus ih-
ren Angeln; alſo/ daß ich weiter weder um mich
einige Bekuͤmmernuͤß zu fuͤhren ver gaß/ ob mir
ſchon von meinem Herrn Vater die Erlaubnuͤß
von Rom zu verreiſen und wieder nach Africa zu
kehren einlief. Als aber Lucius mich mit neuen
Verſuchungen beunruhigte/ fing ich an wieder
an meine Heimreiſe zu gedencken/ ſchickte mich
auch derogeſtalt darzu/ daß ich den ſiebenden
Tag von Oſtia abzuſegeln gedachte. Jch hat-
te kaum an drey oder vier Orten Abſchied ge-
nommen/ als unvermuthet heraus brach/ daß in
zweyen Tagen Lucius mit dreyen Schiffen in
Spanien ſegeln/ und das Roͤmiſche Krieges-
Heer wider die Cantabrer fuͤhren ſolte/ welche
wider die Roͤmer mit einer verzweiffelten Ver-
bitterung die Waffen ergriffen hatten/ weil ih-
re Geſandten zu Rom lange Zeit mit Beſtaͤti-
gung ihrer Freyheit geaͤffet/ hernach von einan-
der in gewiſſe Staͤdte abgeſondert/ und endlich
ſo ſchimpflich gehandelt worden waren/ daß ſie
ihnen ſelbſt aus Verdruß vom Leben geholffen
hatten. Des Lucius Reiſe erreichte auch den drit-
ten Tag ihren Fortgang/ und ließ er bey mir
noch alle mir zugezogene Verdruͤßligkeiten ent-
ſchuldigen. Den 3. Tag darauf ſchied ich in Be-
gleitung vieler edlen Frauen von Rom biß nach
Oſtia/ den 4. aber fuhr ich von dar an der Thuß-
kiſchen und Liguſtiſchen Kuͤſte hin biß nach Maſ-
ſilien; theils weil ich die weltberuͤhmte Anmuth
deſ-
[481]Arminius und Thußnelda.
deſſelbigen Ufers genuͤſſen/ theils dieſe von den
Roͤmern ſelbſt ſo beliebte/ und fuͤr einen kurtzen
Begrieff gantz Griechenlands geruͤhmte Stadt
zu beſehen luͤſtern war. Maſſen mich denn
auch die Reichthuͤmer ihrer fernen Handlung
nicht in geringe Verwunderung zohen/ die
Reinligkeit der Griechiſchen Sprache/ welche
ſie von dem Alter ihrer unter dem Tarquinius
geſchehenen Erbauung zwiſchen eitel Galliern
gantz rein behalten hatten/ und die Menge ihrer
Weltweiſen nebſt der luſtigen Gegend uͤberaus
erquickten. Aber dieſe Luſt ward mir in weni-
gen Tagen durch eine Nachricht zeitlich verſal-
tzen/ daß Lucius/ welcher bey Aphrodiſium mit
ſeinen Schiffen mir vergebens vorgewartet haͤt-
te/ endlich auf meine Spur/ und gleichfalls in
Maſſilien ankommen waͤre. Jch mag hier
nicht die Umbſtaͤnde meiner Bekuͤmmernuͤſſe
und des Lucius Anfechtungen erzehlen. Genung
iſt es zu wiſſen/ daß Lucius zu Maſſilien wie der
Kaͤyſer ſelbſt angebetet ward/ und ihm alles zu
Gebote ſtand. Daher es ihm unſchwer fiel mir
und meinem Schiffe die Ausfarth aus dem Ha-
fen zu verwehren. Nach dem er meiner Keuſch-
heit durch die allerglatteſten Liebkoſungen und
Verſprechung guͤldener Berge vergebens zuge-
ſetzt hatte/ verfiel dieſer geile Hengſt in die Raſe-
rey/ daß er in einem Luſthauſe Gewalt an mich
legen wolte/ wordurch ich genoͤthigt ward von
ſelbtem einen kuͤhnen aber gluͤcklichen Sprung
zu thun. Denn ich kam durch Huͤlffe meiner
auf mein Geſchrey ſich naͤhernden Leute aus
dem Garten. Weil ich mich aber nirgends
ſicher wuſte/ nahm ich meine Zuflucht in den
nah von dem Uhrheber ſelbiger Stadt/ nemlich
dem Peranus/ gebauten Tempel der Dianẽ/ dar-
innen alleine 300. Griechiſche Jungfrauen un-
terhalten; aber/ weil die Maſſilier unter dem
Scheine der Gottesfurcht niemanden einigen
Muͤſſiggang entraͤumen/ in der Weltweißheit
und denen Geheimnuͤſſen des Gottes-Dienſtes
aufs ſorgfaͤltigſte geuͤbet werden. Sie nahmen
mich willig in den Vorhof/ und nachdem ich mich
gebadet/ und mit gantz neuen Kleidern angethan
hatte/ in den Tempel auf; ſintemal ſo wohl allhier
als zu Tarent niemand ſonſt diß Heiligthum be-
ſchreiten darff. Lucius begehrte mich zwar als
ſeine Verlobte mit groſſem Ungeſtuͤm und
Draͤuen heraus; nach dem ich aber die Ober-
Prieſterin eines widrigen betheuerlich verſicher-
te/ ſchlug ſie ihm meine/ als ihrer Freyheit verle-
tzende Ausfolgung rund ab. Als er auch ihr
mit mehr ſchimpflichen Worten zuſetzte/ ſagte ſie
dem Lucius in die Augen: Es waͤre diß ein Tem-
pel der keuſchen und glimpflichen Diane. Da-
hero moͤchte er mit ſeinem geilen Anſinnen ſich
nach Athen zu dem Tempel der Unverſchaͤmig-
keit/ und mit ſeinen Schelt-Worten zu dem
Heiligthume der Verachtung verfuͤgen. Hier-
mit ließ ſie den Tempel fuͤr ihm zuſchlagen; der
wuͤtende Lucius aber denen drey Oberſten unter
denen ſechshundert Tumuchen oder Rathherren
anbefehlen: Sie ſolten der Ober-Prieſterin das
auf dem Rathhauſe verwahrte Gift zu ihrem
verdienten Eigen-Morde ſchicken/ und mich
aus dem Tempel ſchaffen. Der Rath entſchul-
digte ſich aufs beſte/ daß ſolch Gift nur dem/ wel-
cher es ſelbſt verlangte/ und genungſame Urſache
zu ſterben andeutete/ gegeben wuͤrde; an dem
Tempel aber doͤrfften ſie ſich ohne ihren unge-
zweifelten Untergang nicht vergreiffen/ deſſen
Schatten auch die Veraͤchter ſelbiger Gottheit
toͤdtete. Lucius lachte uͤber dieſem Vortrage/
und ſagte: Es waͤre dieſer Aberglaube vielleicht
ſo wahr/ als daß derſelbẽ Leiber/ welche einmal in
den Arcadiſchen Tempel des Jupiters einen Fuß
geſetzt haͤtten/ ſo verklaͤrt wuͤrden/ daß ſie hernach
an der Sonne keinen Schatten mehr von ſich
wuͤrffen. Wie er denn auch ferner hoͤniſch fra-
gete: Ob ſolcher Tempel auch nicht/ wie von
dem unbedeckten Heiligthume der Cyndiadi-
ſchen Diane getichtet wuͤrde/ nicht beregnete
und beſchneyete? Und derogeſtalt beharrete er
halsſtarrig auf ſeinem Verlangen. Der Rath
Erſter Theil. P p pumb
[482]Vierdtes Buch
umb den Lucius etwas zu beſaͤnftigen ſchickte das
Gift der oberſten Prieſterin; woruͤber die gewei-
heten Jungfrauen in hoͤchſte Bekuͤmmernuͤß/ ich
aber in groͤſte Verwirrung gerieth/ und die Prie-
ſterin aufs beweglichſte erſuchte: Sie moͤchte das
Gift mir zu trincken gebẽ/ und hierdurch auf ein-
mal ſo wohl ihrem/ als meinẽ Kummer abhelffẽ.
Aber ſie war unerbittlich/ ſondern ſie tranck das
Gift ſelbſt aus/ und fing an: Jch weiß gewiß/
daß es die Aertztin Diana mir nicht wird ſchaden
laſſen/ und durch diß Wunderwerck dem Got-
tes-Veraͤchter Lucius eine ewige Hertzens-
Angſt einjagen. Wir erſtarreten alle uͤber die-
ſem Beginnen und Glauben/ noch mehr aber
uͤber dem wunderwuͤrdigen Ausſchlage/ in dem
die Prieſterin die geringſte Veraͤnderung nicht
davon empfand. Lucius ward hiervon zwar
benachrichtigt/ aber er antwortete nichts anders/
als daß die Maſſilier ihn viel zu alber anſehen/
wenn ſie ihren Betrug ihm unter einem thoͤrich-
ten Aberglauben aufzubinden vermeynten.
Dahero ſolten ſie mich ihm geſtellen/ oder er wol-
te ſelber den Tempel ſtuͤrmen. Dieſe Ent-
ſchluͤſſung verſetzte die gantze Stadt/ inſonder-
heit aber die geiſtlichen Jungfrauen in kein ge-
ringes Schrecken/ und mich in Furcht/ man
wuͤrde mich bey aͤuſerſter Gefahr aus dem Tem-
pel ſtoſſen. Dahero ließ ich mich nach abgeleg-
tem Geluͤbde ewiger Jungfrauſchafft zu einer
Prieſterin einweihen/ umb der beſorglichen Ver-
ſtoſſung/ und des Lucius toller Brunſt vorzu-
kommen. Hilff Himmel/ rieff ich/ ſagte Fla-
vius von ſich! Hat gleichwohl der uͤppige Ne-
benbuhler Lucius das Gluͤcke gehabt/ daß er
durch Verurſachung dieſes Geluͤbdes mich auf
mein Lebtage ungluͤckſelig gemacht? Nach mei-
nem mit gleichſam tauben Ohren angehoͤrten
Wehklagen/ erzehlte mir Dido ferner: Der
Rath und zwey Prieſter des Jupiters lieſſen den
zu Stuͤrmung des Tempels ſich ruͤſtenden Lu-
cius beweglich abmahnen. Der Rath hielt ihm
ein: Daß Lucius hierdurch ihre Goͤtter erzuͤrn-
te/ die alte Freũdſchaft beyder Voͤlcker beleidigte.
Sintemal Maſſilien mehr fuͤr eine Schweſter/
als eine Magd der Stadt Rom zu halten waͤre.
Denn ſie haͤtte bey ihrem Urſprunge mit den
Roͤmern ein ewiges Buͤndnuͤß gemacht/ ſelbtes
nie verſehret/ und in Gluͤck und Ungluͤck ſich ih-
re treueſte Freundin bezeigt. Sie waͤre/ als
Brennus ſie verbrennet/ umb Rom im Leide ge-
gangen/ haͤtte alles Gold zum Loͤſegelde des Ca-
pitolium vorgeſchoſſen/ und ſie haͤtten zu Rom
auf den Schauſpielen unter den Raths-Herren
ihren gleichen Sitz. Dahero die Stadt nicht
nur zu Beſchirmung ihrer Heiligthuͤmer in
Aufruhr gerathen/ ſondern der Kaͤyſer ſelbſt die-
ſe Gewalt-That ungnaͤdig empfinden wuͤrde.
Die Prieſter aber dreuten ihm die unnachbleib-
liche Rache der Goͤtter an/ und machten ihm
eingedenck: Wie Brennus die Stuͤrmung des
Delphiſchen Tempels und den Raub des Gol-
des daraus ſo ſchrecklich gebuͤſſet haͤtte. Pro-
ſerpina haͤtte am Pyrrhus die Entweihung ihres
Siciliſchen Heiligthums mit Umbſchlagung al-
les Gluͤckes und ſeinem Untergange ernſtlich ge-
raͤchet. Jhre Diana aber waͤre nichts anders
als Cynthia im Himmel/ und Proſerpina in der
Hoͤlle. Die Perſen waͤren in der Potideiſchen
Belaͤgerung durchs Waſſer erbaͤrmlich umb-
kommen/ weil ſie einen Tempel des
Neptun verunehret/ und Amilcar haͤtte
nach Beraubung der Eryciniſchen Venus we-
der Stern noch Gluͤcke mehr gehabt. Den
Goͤttern und ihrer Rache waͤren aber auch die
Roͤmer unterwuͤrffig. Dieſe waͤren durch ei-
nen gewaltſamen Sturm beſchaͤdigt worden/
als ſie ſich erkuͤhnet nur etliche heilige Bilder von
Delphis nach Rom zu fuͤhren. Die geweihe-
ten Jungfrauen aber waͤren lebhaftere und alſo
heiligere Bilder der Goͤtter/ als die Marmel-
und guͤldenen. Clodius waͤre gar recht an der
Pforte des der Cybele gewiedmeten Hauſes er-
ſchlagen worden/ weil er zu Rom in ihren Tem-
pel vermeſſentlich gegangen. Griechen und
Egy-
[483]Arminius und Thußnelda.
Egyptier wuͤſten: Daß wer nur ſich die Ge-
heimnuͤſſe der Jſis zu ſchauen geluͤſten lieſſe/ als-
bald ſtuͤrbe/ und Appius/ welcher nur die Frey-
gelaſſenen zu des Hercules Gottes-Dienſte zu-
gelaſſen/ waͤre blind worden. Wie viel aͤrgere
Straffe wuͤrde nun ſeine Gewalt-That und
Jungfrauen-Raub ihm auf den Hals ziehen?
Zumal der Roͤmer/ welcher bey Eroberung der
Stadt Carthago dem Apollo nur den Mantel
abgenommen/ die Hand/ und Flavius Flaccus/
weil er die von der Laciniſchen Juno Tempel ab-
geriſſene Zuͤgel auf das Heiligthum des reitendẽ
Gluͤckes decken laſſen/ beyde Soͤhne und ſein
Leben eingebuͤſſet. Lucius lachte zwar nur zu
allem dem/ ſagte dem Rathe/ daß ſie dem Kayſer
Julius als Uberwundene ſich ergeben/ und aus
Geferten zu Unterthanen gemacht haͤtten. Die
Prieſter hoͤhnete er mit dem Beyſpiele des Dio-
nyſius/ welcher mit dem Raube der Locriſchen
Proſerpina gluͤcklich nach Hauſe geſchifft waͤre/
des Olympiſchen Jupiters goͤldenẽ Mantel mit
groſſem Wucher um einẽ woͤllenen eingetauſcht/
und zu Epidaur den Eſculapius ſeines goͤldenen
Bartes beraubet haͤtte. Die Prieſter ſeufzeten
hieruͤber/ und nahmen mit dieſen Worten ihren
Abſchied: Gott erſetze mit der Groͤſſe die Lang-
ſamkeit ſeiner Rache! Welche Worte doch beym
Lucius einẽ ſolchẽ Nachdruck hattẽ/ daß er 3. Ta-
ge ſich gantz ſtille hielt/ und iedermann nun das
Ungewitter vorbey gegangẽ zu ſeyn glaubte. All-
dieweil aber die Furcht fuͤr Gott/ wo ſie nicht eine
andaͤchtige Liebe zum Grunde hat/ als eine ſeich-
te Pfuͤtze von der Hitze boͤſer Begierden leicht
ausgetrocknet wird; unterſtand er ſich in der
vierdten Nacht mit dreyhundert reichlich be-
ſchenckten Roͤmiſchen Kriegs-Knechten der Di-
anen Tempel heimlich zu erſteigen. Weil aber
alle Nacht hundert Jungfrauen in ſelbtem/ und
hundert Hunde in dem Vorhofe wachen/ ent-
ſtund alſofort ein heftiger Lermen im Tempel/
und die Prieſterin befahl von den Zinnen Stei-
ne und brennende Fackeln auf die Stuͤrmen-
den zu werffen. Lucius ward hiervon ſelbſt ge-
troffen/ ſtuͤrtzte alſo von einer hohen Leiter hinab/
und brach neben noch zwoͤlffen den Hals. Die
uͤbrigen wurden mit ſolchem Schrecken befallen/
daß ſie ihre todte Geferten im Stiche lieſſen/ und
nur alleine die Leiche des Lucius mit ſich nahmen.
Etliche erzehlten hernach/ daß ſie auf der Spitze
des Tempels die mit Schwefel und Pech wider
ſie kaͤmpfende Diana geſehen haͤtten. Welches/
ob es wahr geweſt/ oder aus Furcht geglaubet
worden/ ich nicht zu eroͤrtern weiß. Ob nun
zwar der Rath zu Maſſilien/ umb den Kaͤyſer
nicht zu erbittern/ die Todten in aller Stille auf
die Seite bringen ließ/ und der Roͤmer Vor-
wand/ daß Lucius an einem Schlagfluſſe geſtor-
ben waͤre/ moͤglichſt beſtaͤrckte; ſo machten doch
die Maſſilier ein groſſes Wunderwerck daraus/
zohen ſelbtes auch demſelben weit fuͤr/ da ihre
Minerva dem Koͤnige Catumand im Traume
erſchienen war/ und ihn die Belaͤgerung der
Stadt Maſſilien aufzuheben gezwungen hatte.
Jch ſelbſt ward dardurch in meinem Geluͤbde
nicht wenig beſtaͤrcket/ und blieb daſelbſt/ biß
mein Herr Vater auf erlangte Nachricht von
meinem Geiſtlichen Stande mich von der Ober-
Prieſterin zu einer Prieſterin unſer Getuliſchen
Diana ausbitten/ und anher abholen ließ. Dido
beſchloß hiermit und einem Beyſatze vieler tau-
ſend Thraͤnen ihre Erzehlung/ welche verurſach-
ten/ daß mein Hertz inwendig blutete/ und ich im
Eifer heraus brach: Der Dido Geluͤbde und
Prieſterthum iſt von keiner Giltigkeit/ weil es
den Jrrthum zum Vater/ und die Furcht zur
Mutter gehabt. Sintemal ſie das von meinem
Tode falſch erſchollene Geruͤchte darzu verleitet/
und die Furcht fuͤr dem wuͤtenden Lucius ihr ihr
Angeloͤbnuͤß abgezwungen hat. Der Prieſter
widerſprach mir/ und ſagte: Die den Goͤttern
geſchehende Verſprechungen waͤren nicht nach
den Handlungen der Menſchen zu urtheilen.
Sie blieben unaufloͤßlich/ denn ſie gereichten al-
lezeit den Menſchen zum Beſten. Daher
P p p 2koͤnten
[484]Vierdtes Buch
koͤnten ſich dieſe niemals uͤber einige Bevorthei-
lung beſchweren. Alſo ſolte Dido nur ihre
Vergnuͤgung in der Andacht ſuchen. Dido
waͤre einmal Prieſterin/ diß muͤſte ſie ſterben.
Alſo muͤſte ich mir das Andencken deſſen/
was ſie vorhin geweſt/ und meine Liebe mir nur
aus dem Sinne ſchlagen. Denn auſſer der
Vergeßligkeit haͤtten die Sterblichen kein Recht
uͤber geſchehene Dinge/ und vergangene Sa-
chen. Hiermit gab er ſo wohl dem Koͤnige als
mir ein Zeichen zu unſerer Entfernung. Dido
aber begleitete mich mit ſo wehmuͤthiger Geber-
dung/ daß ich mich laͤnger der Thraͤnen nicht
enthalten konte. Jhr ſtummer Mund flehete
mich beweglichſt umb Errettung an/ und meine
Augen bemuͤheten ſich ihr ſelbte ſtillſchweigende
zu verſprechen. Nach dem ich mit dem Juba
auf ſein Gemach kam/ ließ er auch ſeine Gemah-
lin Cleopatra kommen/ erzehlete mir die groſſe
Muͤh/ welche er und der Prieſter gehabt ſeine
Tochter von hundert verzweifelten Entſchluͤſ-
ſungen zuruͤcke zu halten. Er betrauerte/ daß
es mit der Dido ſo weit kommen waͤre/ und ſo
wohl er als Cleopatra betheuerten/ daß/ wenn
die Goͤtter hierinnen ein Mittel ſchickten/ ſie fuͤr
groͤſtes Gluͤcke ſchaͤtzen wolten/ wenn ich ihre
Tochter zu einer Gemahlin wuͤrdigte. Dieſe
Zuneigung und andere Hoͤfligkeiten hielten
mich zu Cirtha zuruͤcke/ als gleich Cornelius
Coſſus mit der meiſten Roͤmiſchen Macht wie-
der nach Rom zoh/ allwo man ſeine Verrichtung
ſo hoch hielt/ daß ihm der Kaͤyſer/ wie vorher
dem Statilius Taurus/ dem Lucius Antroni-
us/ und Cornelius Balbus ein Africaniſches
Siegs-Gepraͤnge und des Getuliſchen Zunah-
men verſtattete.
Jch/ fuhr Flavius fort/ brachte bey nahe ein
gantzes Jahr an des Juba Hofe/ und zwar die
Tage mit allerhand Mohriſchen Kriegs-Ubun-
gen/ die Naͤchte aber mit ſtetem Nachdencken
zu/ die unter dem Scheine einer heiligen Wuͤrde
angefaͤſſelte Dido zu erloͤſen. Drey mal hatte ich/
das Gluͤcke ſie auf gewiſſen Feſt-Tagen zu ſehen
und einmal auch ſo wohl von ihr einen geheim en
Zettel zu bekommen/ als ihr einen zuzuſiecken/
darinnen ich alles aͤuſerſte fuͤr ſie zu thun ange-
lobte. Jnzwiſchen machten die Getulier auf
Anſtiftung der Garamanten und Marmarider
einen neuen Aufſtand. Die letzten ergriffen des-
halben wider die Roͤmer die Waffen/ weil Auguſt
in gantz Lybien des Ammoniſchen Jupiters Got-
tes-Dienſt deshalben verbieten ließ/ daß er durch
ſeine denen kringlichtẽ Hoͤrnern insgemein glei-
che Wahrſagung ſeinen Enckel Cajus in Arme-
nien zu ſchickẽ/ und daruͤber einzubuͤſſen verleitet
hatte. Auch haͤtte der Landvogt im Befehl aus
dem uhralten noch von dem Baechus erbauten
Tempel den koſtbaren Widder nach Rom zu
ſchicken/ welcher mit eitel gelben Edelgeſteinen
uͤberſetzt iſt/ die die Egyptier die heiligen Widder-
Hoͤrner heiſſen/ und Goͤttliche Traͤume verur-
ſachen ſoll. Die Lybier ſchlugen die Roͤmer
aus der Stadt Ammon und Mareobis/ und die
Prieſter verſicherten ſie/ daß ihr Hammon ſie ſo
wohl von den Roͤmern erretten wuͤrde/ als er
dem ihn zu vertilgen anziehenden Cambyſes
funfzig tauſend Perſen mit Sande bedeckt haͤtte.
Durch dieſe eifernde Andacht kamen auch die
Garamanten mit ins Spiel/ und Micipſa der
zu ihnen geflohene Sohn des von dem Juba er-
ſchlagenen Hiarba reitzte auch die Getulier auf/
welche wegen der ihnen geraubten und nun-
mehr ſchlecht verehrten Diana wider die Numi-
dier groͤſſere Urſache des Krieges haͤtten/ als die
Marmarider wider die Roͤmer. Der dem Ca-
jus zur Aufſicht mitgegebene Publius Quiri-
nius/ welcher zwar von ſchlechter Ankunft zu La-
vinium entſproſſen/ aber zu dem groͤſten Krieges-
Ruhme/ und ſo gar zur Wuͤrde des Roͤmiſchen
Buͤrger meiſter-Ampts geſtiegẽ war/ auch wegen
der in Ciliciẽ eroberten Hamonadenſiſchẽ Schloͤſ-
ſer zum Siegs-Gepraͤnge gelaſſen worden war/
kam nach des Cajus Tode und dem Parthiſchen
Frie-
[485]Arminius und Thußnelda.
Frieden aus Aſien nach Paratonium an/ ſchlug
unter dem Gebuͤrge Aſpis die Lybier/ eroberte
Mareotis und Am̃on wieder. Koͤnig Juba aber
und ich brachen mit leichter Muͤh/ weil alle vor-
theilhaftige Oerter mit Numidiern beſetzt wa-
ren/ in Getulien ein. Nach dreyen leichten
Treffen wiech Micipſa zu den Garamanten/
welche wir an dem Fluſſe Garama zum ſtehen
zwangen/ und ſie mit Erlegung etlicher zwantzig
tauſend in die Flucht ſchlugen/ und die vormals
vom Cornelius Balbus eroberte Haupt-Stadt
Garaman eroberten. Unterdeſſen hatte Qui-
rinius die Marmarider voͤllig zum Gehorſam
bracht. Daher fuͤhrte er auf dem Fluſſe Ciay-
phus ſein Kriegsvolck auf dreyhundert ſeichten
Schiffen in die ſchoͤnſte und fruchtbarſte Land-
ſchafft des gantzen Africa Cieyps/ und uͤber das
ſo luſtige Gebuͤrge/ die Huͤgel der Chariten ge-
nennet/ vollends in das Reich der Garamanten.
Dieſe ſahen ſich nun auf beyden von ei-
nem maͤchtigen Feinde umbzuͤngelt/ und deroge-
ſtalt in hoͤchſten Aengſten/ ſonderlich weil die Roͤ-
mer wegen der betruͤglich ermordeten Roͤmi-
ſchen Beſatzungen keinen Garamanter leben
lieſſen. Nach dem ſie ſich nun die Brunnen
des Landes mit Sande zu bedecken bemuͤhten/
weil zu uns taͤglich Landes-kuͤndige Uberlaͤuffer
kamen/ ergaben ſich in einem halben Jahre die
Staͤdte Negligemela/ Rapſa/ Thube/ Tabidi-
um/ Nathabut/ Nitibrum/ Tapſagum/ Pege
und Boin/ und hiermit das halbe Koͤnigreich.
Quirinius nahm Matelge/ Zazama/ Baracum/
Baluba und Balſa mit Sturm ein/ und endlich
belaͤgerten wir den Garamanten-Koͤnig Asdru-
bal/ und den Micipſa in der Stadt Debris.
Dieſe unterlieſſen nichts/ was zu einer Gegen-
wehr gehoͤret. Es kamen aber meine durſtige
Deutſchen/ welche an vielen Orten Brunnen
zu finden gruben/ auf eine unter der Erde von
eitel Porphyr gemauerte Waſſerleitung/ welche
wir alſofort den Belaͤgerten abſchnidten/ und zu
groſſer Erquickung unſers Heeres verbrauch-
ten. Jn weniger Zeit lidten jene groſſe Noth
vom Waſſer. Denn ob wohl ſie in der Fe-
ſtung einen Brunn hatten/ ſo diente doch das von
Mittag biß zu Mitternacht heiß hervor quel-
lende Waſſer zu keiner Durſtleſchung. Das
von Mitternacht biß zu Mittag rinnende kalte
war fuͤr eine ſo groſſe Menge Volck und Pferde
nicht zulaͤnglich/ auch wegen ſeines vielen
Schwefels ungeſund; daher auch ſo wohl Men-
ſchen als Vieh haͤuffig zu ſterben anfingen/ und
in unſerm Laͤger ſich viel Uberlaͤuffer einfanden.
Dieſe berichteten uns/ daß folgende Nacht alles/
was Waffen tragen koͤnte/ auszufallen/ und ſich
durchzuſchlagen entſchloſſen waͤre. Daher zoh
ich an dem beſtim̃ten Orte alle Wachen zuruͤcke/
oͤfnete die Verbauungẽ der Wege/ umb dem ver-
zweifelten Feind Lufft zur Fluchtzu machen. Jch
verſteckte aber zweyerley ſtarcke Hinterhalte/ de-
rer einer bey erfolgendem Ausfall alsbald in die
Stadt drang/ der andere den Fluͤchtigen in
Eiſen lag. Dieſen letzten fuͤhrte ich ſelbſt/ und
hatte das Gluͤcke den Micipſa eigenhaͤndig zu
toͤdten/ den Koͤnig Amilcar gefangen zu kriegen.
Der Ritter Gleichen/ Oberſter uͤber die Deut-
ſchen/ bemaͤchtigte ſich aber des Thores. Und
hiermit ward auch dieſem Kriege in zweyen
Jahren ein Ende gemacht; Sintemal die
uͤbrigen Staͤdte uns vollends die Schluͤſſel
ſchickten. Wir betrachteten alle mit einan-
der den ſeltzamen Sonnen-Brunn/ welchen die
Garamanten Goͤttlich verehren/ auch uͤber
ſelbten einen rundten Tempel ohne Dach/ der
Sonnen zu Ehren von rothem Marmel ge-
bauet haben. Jedoch geſtehen die Garaman-
ter ſelbſt/ daß der Troglodytiſche Sonnen-
Brunn noch wunderbarer ſey/ weil er am Mit-
tage eiß-kalt und ſuͤſſe/ umb Mitternacht bruͤh-
heiß und bitter iſt. Die Griechen aber meynen
ihren des Mittags verſeigenden und ſtets kal-
ten Jupiters-Brunn beyden weit vorzu-
ziehen/ weil er die angezuͤndeten Fackeln
ausleſcht/ die ausgeleſchten aber anzuͤndet.
P p p 3Qui-
[486]Vierdtes Buch
Qvirinius und Juba theilten das Garamanti-
ſche Reich mit einander/ und ſchafften dieſem
halb viehiſchem Volcke die Gemeinſchafft der
Weiber und andere wilde Unarten bey Lebens-
Straffe ab. Jener zohe ſieghafft/ und mit zwey-
fachem Ruhme nach Rom/ weil er das ihm ver-
laubte Siegs-Gepraͤnge unterließ/ und ſich des
gegebenen Zunahmens Marmaricus und Ga-
ramanticus nicht gebrauchen wolte. Jch kam
mit dem Juba gleichfals wieder in Numidien/
welcher mich neben ihm auff einem mit ſechs E-
lefanten beſpannten guͤldenen Siegs-Wagen
zu Cirtha einzufahren noͤthigte. Aber dieſe
Freude war viel zu ſchlecht meinem nun wieder
auffwachendem Liebes-Kummer abzuhelffen/
denn die ſteten Kriegs-Geſchaͤffte nur ein wenig
eingeſchlaͤfft hatten. Jnſonderheit goß die der
Diana in meinem Anſehen opffernde Dido a-
bermahls mehr Oel in das Feuer meines Her-
tzens als ſie Weyrauch in die gluͤenden Kohlen
des Opffer-Tiſches ſtreuete. Dahero Juba
und Cleopatra ſo wohl mit mir/ als ihrer nichts
minder verliebten und mit Unwillen opffernden
Tochter Mitleiden hattẽ/ mir auch alles euſſerſte
zu verſuchen anboten/ was zu meiner Vergnuͤ-
gung gereichen moͤchte. Hierauff fuͤgten ſie ſich
faſt taͤglich in den Tempel/ und ward einen gan-
tzen Monat lang mit den Prieſtern uͤber der Di-
do Befreyung Rath gehalten. Nach ſolcher Zeit
kamen Juba/ Dido/ und der oberſte Prieſter des
Morgens fruͤh bey auffgehender Sonnen voller
Freuden in mein Schlaffgemach/ weckten mich
auff/ weil mir gleich traͤumte: Wie ein Falcke
mir eine an dem Meer-Ufer gefundene herrli-
che Perlen-Muſchel aus den Haͤnden riße/ ſelb-
te empor fuͤhrte/ und nachdem er die darinnen
geweſene koͤſtliche Perle verſchlungen/ ſie wieder
in meine Schoos fallen lieſſe. Uber dieſer Be-
gebung erwachte ich/ und vernahm mit groſſer
Vergnuͤgung die gewuͤnſchte Zeitung/ welche
mich meines Traumes und aller Sorgen ver-
geſſen ließ. Wie mir denn auch die groſſe Hoff-
nung den Beyſatz nicht verdruͤßlich machte/ daß
unſer Beylager noch drey Monat verſchoben
werden muͤſte. Den dritten Tag ward ein groſ-
ſes Feyer in dem Dianiſchen Tempel gehalten.
Der Diana wurden hundert Loͤwen geopffert/
hundert zehnjaͤhrige edle Maͤgdlein auff Athe-
nienſiſche Art eingeweyhet/ und ſelbte auff zehn
mit Baͤren beſpannten Wagen in Tempel ge-
fuͤhret. Die den Tempel ringsum bewachen-
den drey hundert Loͤwen wurden nach Getulien
geſchickt/ uñ in der Wuͤſteney frey gelaſſen. Den
vierdten Tag ward Dido auff einem praͤchtigen
Siegs-wagen nach Aphrodiſium in den an dem
Meer-Strande ſtehenden Tempel der Aphro-
ditiſchen Venus gefuͤhret/ welcher ſie daſelbſt auf
gewiſſe Zeit eingeweyhet werden ſolte. Mir kam
zwar nachdencklich fuͤr/ daß ich bey ſolchem Auf-
zuge der Fuͤrſtin Dido Haupt mit fremden
Haaren bedeckt; und uͤber diß/ daß die Abſchnei-
dung der Haare ein Zeichen des Traurens/ und
ein Opffer der Schiff bruch-leidenden iſt/ ſie noch
in der traurigſten Beſtuͤrtzung ſahe; meine Liebe
aber/ welche insgemein zwar argwoͤhniſch/ aber
auch leichtglaͤubig iſt/ ließ ſich leicht durch den
Vorwand beruhigen/ daß die Traurigkeit zwei-
felsfrey nur aus einer verliebten Ungedult we-
gen verſchobener Hochzeit herruͤhrte/ ihre Haare
aber haͤtte ſie an ſtatt ihrer Jungfrauſchafft Di-
anen zuꝛ Veute laſſen/ wie bey denen Troͤzeniern
die Heyrathenden ihre dem Hippolytus/ und bey
den Aſſyriern der Derceto wiedmeten. Alſo haͤtte
ſchon Oreſtes auf Befehl der Goͤtter der Tauri-
ſchen Diana einen Tempel bauen/ undſeine ab-
geſchnittene Haare darein lieffern muͤſſen. Man
uͤberredete mich zwar auch/ daß Dido in ſelbi-
gem Tempel drey Monat ihre Andacht verrich-
ten muͤßte; ein ins geheim dahin abgeſchick-
ter Deutſcher aber brachte mir die Nachricht/
daß ſie bald die andere Nacht von Aphrodiſi-
um weg geſegelt waͤre; Welches mich ſo un-
ruhig machte/ daß/ als Cleopatra von mir die Ur-
ſache meiner ungewohnten Ungedult zu wiſſen
ver-
[487]Arminius und Thußnelda.
verlangte/ ich ihr diß/ und meine deßhalben ge-
ſchoͤpffte Bekuͤmmerniß rund heraus entdeckte.
Sie aber gab mir laͤchelnde dieſe ſcheinbare Ant-
wort: Es waͤre wahr/ daß ſie eine Wallfarth
in den Lyceiſchen Tempel bey der Stadt Troͤ-
zen verrichten/ und daſelbſt ihr Geluͤbde abſtat-
ten muͤſte. Sie wuͤrde aber auff beſtimmte Zeit
unfehlbar zu Cirtha ſeyn. Und haͤtte man we-
gen der ohne diß bey mir verſpuͤrten Traurig-
keit nur dieſe Entfernung verhoͤlet. Jch war
hiermit abermahls vergnuͤgt; ungeachtet ich
mehrmahls fuͤrhatte/ ihr in Griechenland zu
folgen. Juba unterhielt mich inzwiſchen mit
allen nur erſinnlichen Ergetzligkeiten/ mit Jag-
ten auff die Loͤwen und Elefanten/ wie auch mit
Mohriſchen Ritterſpielen auff. Die drey Mo-
nat waren noch nicht gar verfloſſen/ als Dido
wieder zu Aphrodiſium anlaͤndete; dahin ich
denn ſie zu bewillkommen ſelbſt eilete. Sie
war zwar in dem Tempel noch verwahret/ ie-
doch kriegte ich Erlaubniß ſie darinnen in An-
weſenheit der Prieſterin zu ſprechen. Die Trau-
rigkeit war bey ihr noch nicht verſchwunden/ ihr
gantzes Thun war vermiſcht von Kaltſinnig-
keit und Liebes-Bezeugungen/ welche aber im-
mer wider ihre vorhin gewohnte Freyheit und
Freudigkeit etwas gezwungenes an ſich hatten.
Als ich das dritte mahl mit ihr ſprach/ und die
Prieſterin anderwerts hin Augen und Gemuͤth
wendete/ ſteckte ſie mir ein Schreiben mit einer
ſolchen Empfindligkeit zu/ daß an ſtatt der ihr
auff der zitternden Zunge erſterbenden Woͤrter
ſie ihre Wehmuth mit einem Zeugniſſe etlicher
hundert Thraͤnen erhaͤrtete. Nachdem ich wie-
der in mein Zimmer kam/ erſtarrte ich mehr deñ
der in Stein verwandelte Atlas/ als ich darin-
nen folgende Zeilen laß:
Wenn ich dich/ edler Flavius nicht ſo ſehr lieb-
te/ wuͤrde ich mich deiner Liebe nicht berauben.
Nim alſo dieſe meine ſelbſteigene Verungluͤck-
ſeligung fuͤr ein unverfaͤlſchtes Zeugniß auf/ daß
ich lieber gehaſſt und verſtoſſen ſeyn wil/ als mei-
ne Liebe mit einiger Unreinigkeit beſudeln. Ach
leider! aber/ iſt gleich mein Leib/ ſo iſt doch mei-
ne Seele nicht beflecket. Der Wahn des A-
berglaubens/ und der Zwang meiner verleiteten
Eltern hat mich mir ſelbſt zu einem Greuel/
und dir zu einer unwuͤrdigen Anbeterin ge-
macht. Denn ich habe die dir gewiedmete
Jungfrauſchafft einem geilen Prieſter der zu
Cirtha ſo unzuͤchtigen Diane opffern muͤſſen.
Alleine dieſer Verluſt war noch zu wenig. Man
ſpottete noch der Geſchaͤndeten/ und machte ſie
aus einer Verunehrten zu einer Naͤrrin. Denn
man ſchickte mich in Argia/ badete mich bey der
Stadt Nauplia in dem Brunnen Canathus/
in welchem alle Jahr Juno ihre Jungfrau-
ſchafft wieder bekommen ſoll. O des abſcheu-
lichen Aberglaubens! daß auch die Goͤtter den
Schwachheiten der Begierden unterworffen/
und des Abbruchs ihrer Vollkommenheit faͤ-
hig ſeyn ſollen! O des albern Wahnwitzes!
daß das Waſſer/ welches ja zuweilen einigen
Schwachheiten des Leibes abhilfft/ den Ver-
luſt deſſen/ was die Natur und die Goͤtter nicht
ergaͤntzen koͤnnen/ erſtatten ſolle! Hoͤre mich
dieſemnach auff zu lieben/ Flavius; wormit du
von mir geliebt zu ſeyn nicht allzu wuͤrdig blei-
beſt. Verſtoß mich Flavius/ und enteuſſere
dich einer ſolchen Braut/ welche mit Ehren
weder einer keuſchen Gottheit Prieſterin blei-
ben/ noch eine Ehefrau werden kan. Erlaube
mir aber nur aus Erbarmniß/ daß die/ welche
du einsmahls die Beherrſcherin deiner Seele
zu nennen wuͤrdigteſt/ deine Magd und Leibei-
gene ſterben moͤge.
Jch ward/ ſagte Flavius/ uͤber dieſer Greuel-
That des Prieſters beynahe raſend. Bald ver-
fluchte ich den abſcheulichen Prieſter/ bald ſchalt
ich die wahnwitzige Dido; bald verwandelte ſich
mein Grimm in das wehmuͤthigſte Mitleiden.
Alſo brachte ich gantzer zwey Tage und Naͤchte
zu. Endlich uͤberwand die Begierde mich an
dem Prieſter zu raͤchen meine andere Gemuͤths-
Re-
[488]Vierdtes Buch
Regungen. Jch ſann nunmehr auff Mittel
und Wege meinen Grimm an ihm auszuuͤ-
ben; als ein deutſcher Edelmann mir wiſſend
machte/ daß der Diana oberſter Prieſter mit
noch ſechs andern nach Aphrodiſtum ankom-
men waͤre/ daſelbſt der Diana zum Danckmal
ein Heiligthum einzuweihen/ und die Fuͤrſtin
Dido nach Cirtha zu begleiten. Keine erwuͤnſch-
tere Zeitung konte mir damahls zu Ohren kom-
men. Jch verſtellte daher moͤglichſt meinen
Schmertz und meinen Eiver/ veranlaßte auch
die Dido/ daß ſie zur See und auff dem Fluße
Pagyda nach Cirtha zu kehren ſchluͤſſig ward.
Weil nun ohne diß mir weder die Landes-Ge-
wonheit/ noch Hoͤffligkeit zuließ meinen Auff-
enthalt auff dem die Dido fuͤhrenden Schiffe zu
haben/ nahm ich die ſieben Prieſter auff mein
meiſt mit lauter Deutſchen beſetztes Schiff.
Meinen Vorſatz zu vollziehen ſchien mir Him-
mel und Wind gleichſam ſeine Huͤlffe anzubie-
ten. Denn dieſer beunruhigte ein wenig das
Meer/ daß die Schiffe von einander etwas ent-
fernet wurden/ und die Wolcken umhuͤlleten
des Nachts den Monden/ daß ſie einander aus
dem Geſichte kamen. Hiermit befahl ich mit
meinem Schiffe an der gantz nahen Jnſel Ca-
lathe anzulaͤnden. Daſelbſt trat ich mit etlichen
meiner Getreueſten aus/ und ließ die Prieſter
auch dahin leiten. Jch hieß aber auſſer dem
Oberſten ſich alle andere entfernen/ und fragte
ihn mit ernſthafftem Geſichte: Durch was fuͤr
ein Mittel ſich Dido von ihrem Geluͤbde be-
freyet haͤtte? Er erblaßte und verſtummte zu-
gleich; endlich aber fing er an: Es lieſſe ſich die-
ſes Geheimnis niemanden offenbahren. Aber/
verſetzte ich/ die offenbaren Laſter wohl beſtraf-
fen. Du unheiliger Menſch! hat dir nicht ge-
grauſet deine tolle Brunſt mit der Andacht einer
keuſchen Goͤttin zu verlarven? Haſtu dich nicht
entroͤthet eine ſo reine Fuͤrſtin mit dem Unflathe
deiner Unzucht zu beſudeln/ und die mir gewied-
mete Myrthen in ſo traurige Cypreſſen zu ver-
wandeln? Der Prieſter ſtand nicht anders/ als
wenn er vom Blitz geruͤhret waͤre; gleichwol er-
holete er ſich und fing an: Was er gethan/ waͤre
aus keiner Geilheit/ ſondern nach dem Willen
Dianens/ nach der Stifftung des Alterthums/
nach den Sitten der meiſten Morgenlaͤnder/ und
mir ſelbſt zu Gefallen geſchehen. Die Jung-
frauſchafft beſtuͤnde ohne diß mehr in einer ein-
faͤltigen Einbildung/ als in einem wahrhafften
Weſen der Natur. Ja in Africa und Jndien
hielte man ſie mehr fuͤr einen Fehler/ als fuͤr was
ſchaͤtzbares. Dido haͤtte ſie auch nicht ihm/ ſon-
dern nur durch ihn/ als ein Werckzeug Dianen
auffgeopffert/ und er hiervon nicht die wenigſte
Luſt/ wohl aber die Goͤttin ihre Vergnuͤgung
geſchoͤpffet. Dieſe haͤtte ihn/ er aber die Dido
ſo heilig uͤberſchattet/ daß ihre Reinigkeit ſo we-
nig haͤtte Flecken/ als der Amianthen-Stein in
der Flamme Rauch oder Verſehrung fangen
koͤnnen. Er glaubte nicht/ daß ich die ihrer Di-
anen geſchehene Opfferung der Jungfrauſchafft
ſcheltbarer als der Jndianiſchen Goͤtter/ und
wie ſie auff den Eleyſiniſchen Feyern durch
hoͤltzerne Goͤtzen geſchehe/ halten wuͤrde. Ja
zu allem Uberfluſſe haͤtte das heilige Waſſer
des Brunnen Canathus alles unreine abgewa-
ſchen. Woran ſo viel weniger zu zweiffeln waͤ-
re/ weil die Egyptier durch das Bad der Jſis/
die Perſer durch das des Mithra/ die Grie-
chen durch die Apollinar- und Eleuſiniſchen
Beſprengungen/ und inſonderheit durch das
Waſſer des Fluſſes Jliſſus ſo wohl alle See-
len-als Leibes-Flecken abwiſchen. Jch ward
verdruͤßlich dieſe ſcheinheilige Thorheiten anzu-
hoͤren/ unterbrach ſie alſo und ſagte ihm: Er ſol-
te ſeine thoͤrichte Waſſer-Wuͤrckungen nur die
uͤberreden/ die aus dem Paphlagoniſchen Brun-
nen ſich vollgetruncken haͤtten/ und deutete ihm
an: Weil er ja ſo eine heilige Suͤnde began-
gen zu haben vermeinte/ wolte ich keine Straf-
fe an ihm ausuͤben/ als die ihre Goͤtter ſelbſt
vollzogen haͤtten. Weil ſich Attis geluͤſten laſ-
ſen
[489]Arminius und Thußnelda.
ſen des Midas Tochter der in ihn verliebten Cy-
bele vorzuziehen/ waͤre er von dieſer eyverſichti-
gen Goͤttin gezwungen worden/ ihm unter ei-
nem Fichten-Baume mit einem geſchaͤrfften
Kieſelſteine ſein Geburts-Glied abzuſchneiden.
Hiermit legte ich ihm Stein und Meſſer fuͤr/
eben diß an ihm zu vollbringen/ wormit er ein
deſto keuſcher Prieſter ſeiner Diane/ aber ein
nicht ſo ſchaͤdlicher Raͤuber der fuͤr ihn nicht ge-
wiedmeten Jungfrauſchafften ſeyn moͤchte.
Der Prieſter machte hieruͤber zwar tauſend
Schwuͤrigkeiten; aber meine Andraͤuung
grauſamern Verfahrens noͤthigte ihn ſich der
Schaͤrffe meines ihm gegebenen Geſetzes
wuͤrcklich zu unterwerffen. Gleichwohl ließ
ich durch meine Wundaͤrtzte ihn ſorgfaͤltig ver-
binden/ forderte die andern ſechs Prieſter vor
mich/ verwieß ihnen ihren abſcheulichen Got-
tesdienſt/ und ſie zur Nachfolge an das Beyſpiel
des getreuen Combabus welcher fuͤr der ihm
anvertrauten Begleitung der Koͤnigin Stra-
tonice/ ſich ſelbſt entmannete/ und dieſe in Ho-
nig/ Myrrhen und ander Gewuͤrtze verwahre-
te Wahre dem Koͤnige Selevcus unter ſeinem
Siegel anvertraute/ daß ſie ihm konte hernach
ein Zeugniß ſeiner Treue und Keuſchheit/ eine
Widerlegung der Verlaͤumder/ und fuͤr des
Selevcus Eyferſucht eine ſattſame Beſchir-
mung ſeyn. An den Koͤnig Juba ſchrieb ich:
Nach dem die Deutſchen fuͤr Aberglaube
und Unehre einen Eckel haͤtten/ koͤnte er ſeine
geſchaͤndete Tochter nicht in ein Fuͤrſtliches Eh-
bette erheben. Er entſchuldigte des Juba
Leichtglaͤubigkeit/ und haͤtte Mitleiden mit dem
Ungluͤcke der zu beweinen wuͤrdigen Dido. Sei-
ne an dem Prieſter veruͤbte Rache wuͤrde er
nicht fuͤr uͤbermaͤßig ſchelten/ weil er nur diß ge-
ſtrafft/ wormit er geſuͤndigt/ und ihn nichts
mehr/ als das Vermoͤgen mehr zu verbrechen/
ſelbſt von ſich zu thun/ angehalten haͤtte. Diß
ſein Beyſpiel ſolte dem Juba ein Wegweiſer
ſeyn/ wie er kuͤnfftiger Zeit fuͤr ſo ſchnoͤden Ver-
leitungen ſeiner unzuͤchtigen Prieſter ſicher
ſeyn koͤnte. Haͤtte Cybele zum Gedaͤchtniße
ihres geliebten Attis ein Geſetze machen koͤn-
nen/ daß alle ihr dienende Prieſter bey Trom-
peten-Schall entmannet werden muͤſten; ſo
haͤtte er ſeiner mehr liebwerthen Tochter halber
mehr Urſache alle Numidiſche auff gleiche Art
zum Dienſte der keuſchen Diana faͤhiger zu ma-
chen.
Dieſen Brieff gab ich denen aus dem Schiffe
geſetzten Numidiern/ hinterließ ſie mit den Prie-
ſtern auff dem Eylande Calathe; ich aber ſegel-
te mit meinen uͤbrigen Deutſchen gerade nach
Drexena in Sicilien. Nachdem ich nun ſo
wohl hierinnen/ als in Campanien alles Merck-
wuͤrdige beſehẽ hatte/ kam ich wieder nach Rom;
da mich deñ ſo wol der Kaͤyſer als der inzwiſchen
ans hoͤchſte Bret geſtiegene Tiberius ſehr wohl
auffnahmen; weil nicht nur Cornelius Coſſus/
ſondern auch der beym Tiberius ſehr hoch ge-
ſehene Qvirinius von mir viel gutes berichtet/
und meine Dienſte im Africaniſchen Kriege
aus Gewogenheit mercklich vergroͤſſert hatten.
Jch kam gleich nach Rom/ als Tiberius kurtz
vorher aus Deutſchland kommen war/ und
nebſt dem Sentius Saturninus ſich mit dieſen
Voͤlckern verglichen hatte. Dieſes halff mir/
daß der Kaͤyſer mich zum Haupte uͤber die zu ſei-
ner Leib-Wache erkieſeter Bataviſchen Reiterey
ſetzte. Weil aber ſich wenige Zeit der hefftige
Krieg in Dalmatien anſpann/ und Tiberius
dieſes gefaͤhrliche Feuer zu leſchen dahin beſtim-
met war/ muſte ich mit denen in Roͤmiſchen
Kriegsdienſten befindlichen Deutſchen nur auch
dahin. Batto hatte gleich bey Certiſſa an der
Sau die Roͤmer aus dem Felde geſchlagen/ die
Breuzen und Teraunizer/ zwey Pannoniſche
Voͤlcker ihm beyfaͤllig gemacht/ und nach Ero-
berung der Staͤdte Citalis und Budalia die an
dem Fluſſe Bucantius gelegene Haupt-Stadt
Sirmium belaͤgert; ja Bato Dyſidiatus hatte
mit ſeinen Dalmatiern alles zwiſchen dem Fluſ-
Erſter Theil. Q q qſe Te-
[490]Vierdtes Buch
ſe Tedarius und Tillurus biß an Apollonia und
das Eyland Pitiea entweder erobert oder ver-
wuͤſtet/ und die einige noch uͤbrige Stadt Salo-
na belaͤgert; aber wegen einer von einem Wurff-
Steine empfangener hefftigen Wunde dafuͤr
abziehen muͤſſen/ iedoch die Roͤmer zweymahl
geſchlagen; ja er gleichſam als ein Blitz biß an die
Grentzen Jtaliens gedrungen/ hatte die Staͤd-
te Nauport/ und Tergeſtis/ als zwey Schluͤſſel
nach Rom in ſeinen Haͤnden/ welches fuͤr Schre-
cken zitterte/ ſonderlich als der Kaͤyſer ſelbſt im
Rathe meldete: der Feind koͤnte in zehn Tagen
fuͤr Rom ſtehen. Alſo ſtand es in Dalmatien
und Pannonien; und in Macedonien wuͤtete
Pinnes/ als der Landvogt in Jllyris/ auch nach
ſeinem Gefallen/ als Meßalinus mit der zwan-
zigſten Legion und vier tauſend Galliern dem
Dyſidiat entgegen eilete/ uñ ich ihm mit tauſend
Deutſchen/ Tiberius aber mit einem groͤſſern
Heere folgte. Meſſalinus traff den Feind bey
dem Tempel des Diomedes fuͤr ſich; und weil
er entweder zu hitzig war/ oder die Ehre des
Sieges alleine davon tragen wolte/ ward er
von dem zwar noch verwundeten/ aber die
Dalmatier hefftig anfuͤhrenden Dyſidiat zu-
ruͤck getrieben/ daß er mit ziemlichem Verluſt
uͤber den Fluß Natiſo weichen muſte. Jch
kam folgenden Tag zum Meſſalinus/ und nach
dem wir erfuhren/ daß die Dalmatier auch uͤ-
berſetzten/ ſtellten wir uns in einen vortheilhaff-
tigen Ort/ lockten den Feind zu einem neuen
Treffen/ und hatten das Gluͤcke den Dyſidiat
auffs Haupt zu ſchlagen/ welcher nach Verluſt
mehr als zwoͤlff tauſend Mann/ weil wir ihm
ſtets in Eiſen lagen/ biß uͤber den Sau-Strom
zu weichen gezwungen ward. Weil nun in-
zwiſchen der Myſiſche Landvogt Caͤcina Seve-
rus den Bato auch die Belaͤgerung fuͤr Sir-
mium auffzuheben genoͤthigt hatte/ ſtieſſen bey-
de Bato zuſammen; und nach dem ſo wohl Ti-
berius als Rhemetalces mit einem neuen Hee-
re ſie gleichſam umringte/ zohen ſie ſich zwi-
ſchen das Almiſche von den Roͤmern ſo genenn-
te Claudiſche Gebuͤrge. Rhemetalces lockte
zwar ein Theil des Pannoniſchen Heeres auff
die Flaͤche/ und verſetzte ſelbtem einen ziemli-
chen Streich; nachdem aber er und Severus
mit ſeinem gantzen Heere ſeinem Myſien/ in
welches die Dacier und Sarmaten eingefal-
len/ Ariopolis erobert/ und viel offene Oerter
angezuͤndet hatten/ zueilen muſte/ Tiberius mit
dem Meſſalin zu Seſcia zwiſchen der Sau
und dem Fluſſe Colapis uͤberwinterte, kriegte
der Feind Lufft/ ſpielte zwiſchen der Sau/ der
Drave und Jſter allenthalben den Meiſter/
und brachte faſt gantz Pannonien auff ſeine
Seite. Unterdeſſen gewanen Rhemetalces
und Raſciporis mit ihren Thraciern zwar in
Macedonien dem Pinnes eine Schlacht ab/
alleine er verſtaͤrckte ſich mit ſeinen Dalmati-
ern auff dem Skandiſchen Gebuͤrge und an
dem Fluſſe Drilon; aus welchen ſichern Be-
haͤltnißen ſie denn Macedonien mit unauffhoͤr-
lichen Einfaͤllen beunruhigten. Jch ward wohl
befehlicht denen Pannoniern mit der Deut-
ſchen und Galliſchen Reuterey moͤglichſten Ab-
bruch zu thun; und ich traff auch etliche mahl
mit ziemlichem Vortheil. Weil aber die Feinde
mir an Macht weit uͤberlegen/ auch ſo fluͤchtig
als die Deutſchen waren/ hingegen tauſend
Schlipploͤcher zum Uberfall und Entkommen
wuſten/ war unmoͤglich was hauptſaͤchliches
auszurichten. Aulus Caͤcina und Silvanus
Plautius ſetzten zwar aus Aſien fuͤnff friſche
Legionen zu Liſſus aus/ und der Koͤnig in Thra-
cien ſtieß mit zehn tauſend Reutern zu ihnen/
aber Pinnes und Bato boten ihnen an dem
Fluſſe Clauſula die Stirne/ ſchlugen die Thra-
cier zum erſten in die Flucht/ erſchlugen faſt alle
Huͤlffs-Voͤlcker/ zertrennten drey Roͤmiſche
Legionen/ erlegten viel Oberſten/ eroberten viel
Fahnen/ und trieben das uͤbrige Heer biß nach
Liſſus. Weil nun Tiberius und Meßalin
bey Seſcia gleichſam unbeweglich lagen/ und
ſchier
[491]Arminius und Thußnelda.
ſchier alle Anſchlaͤge Krebsgaͤngig wurden/
verfiel Tiberius beym Kaͤyſer in Verdacht:
daß er/ um die Waffen ſtets in ſeinen Haͤnden
zu behalten/ dieſen Krieg mit Fleiß verzoͤgerte.
Daher entſchloß er ſich den jungen Agrippa
in Dalmatien zu ſchicken; Aber Liviens Arg-
liſt wendete alle Kuͤnſte an/ den Tiberius ei-
ner ſolchen Neben-Sonne zu entuͤbrigen/ brach-
te es auch ſo weit/ daß nicht allein ſtatt des
Agrippa der vom Tiberius fuͤr einen Sohn
angenommene Germanicus in Pannonien
geſchickt/ ſondern auch Agrippa/ weil er wegen
dieſer Ubergehung Livien ihre Stieffmuͤtter-
liche Feindſchafft/ dem Kaͤyſer aber die Vor-
enthaltung ſeiner vaͤterlichen Guͤter fuͤrruͤckte/
auff das Eyland Pcanaſia verwieſen ward.
Germanicus kam mit einem maͤchtigen Heere
in Pannonien/ denn der Kaͤyſer hatte nicht
nur Freygebohrne darzu geworben/ ſondern
auch bey damahliger Theurung viel tauſend
Freygelaſſene um Getreyde zu Kriegs-Dien-
ſten erhandelt. Dalmatien und Pannonien
ward von ſo viel Roͤmiſchen Heeren zwar
gleichſam uͤberſchwemmet/ ſintemahl zehn Roͤ-
miſche Legionen/ ſiebentzig Fahnen Huͤlffs-
Voͤlcker/ vierzehn Fluͤgel Reuterey/ ohne viel
tauſend Freywillige zuſammen kamen/ welche
aber wider die tapffern Pannonier wenig
denckwuͤrdiges ausrichteten/ als daß ſie weit
und breit Pannonien einaͤſcherten/ um die/ wel-
che ſie mit Waffen zu uͤberwinden nicht getrau-
eten/ durch Hunger zu zaͤhmen. Severus
ruͤckte zu dieſer Zeit/ nachdem die Dacier und
Sarmater wieder uͤber die Jſter in das ber-
gichte Dacien gewichen waren/ aus Myſien
zwiſchen dem Fluſſe Pathiſſus und Jſter durch
das Gebiete der Metanaſter und Jazyger den
Pannoniern auff den Hals/ ſetzte bey Sali-
num uͤber den Jſter/ bey Caͤſarea uͤber den
Fluß Urpan/ ſchlug ſein Laͤger an dem Vol-
ceiſchen See auff/ kam alſo dem Vato recht in
Ruͤcken. Dieſer aber zohe in Eil den Dyſi-
diat an ſich/ uͤberfiel gantz unverſehens des Se-
verus umb Triccana Barbis/ und Serbium
in aller Sicherheit ſich erfriſchendes Heer/
und trieb es biß unter den Wall. Weil aber
von Flexum den Tag zuvor die vierzehende Le-
gion ins Laͤger ankommen war/ welche den
Fluͤchtigen mit der alten Beſatzung zu Huͤlffe
kam/ muſten die Pannonier ſich zuruͤck ziehen.
Germanicus und ich hatten zu ſelbiger Zeit
mit einem Theile unſers Heeres gegen die
Dalmatier zu ſchaffen/ und das Gluͤcke/ daß
wir die Maceer und Dindarier unter dem Ge-
buͤrge Carvancas aus dem Felde ſchlugen;
welchen Sieg Germanicus ſelbſt der Deut-
ſchen Tapfferkeit zueignete. Gleicher geſtalt
ging die feſte Stadt Lopſica/ darein der Feind
faſt allen Vorrath des Landes gebracht hatte/
durch die Staͤrcke eines Hermunduriſchen
Ritters Polentz/ oder Pulio uͤber. Hiermit
geriethen die Dalmatier und Pannonier in
euſſerſte Noth der Lebens-Mittel/ und von de-
nen gegeſſenen rohen Kraͤutern und Wurtzeln
riſſen viel ſchaͤdliche Seuchen/ wie nichts min-
der die Zwytracht bey ihnen ein. Denn Ba-
to der Breutzer Fuͤrſt liefferte gegen empfan-
genes Verſprechen/ daß er ſelbiges und das
Skordiſkiſche Fuͤrſtenthum bekommen ſolte/ den
Fuͤrſten Pinnes und die Feſtung Aleta in des
Tiberius Haͤnde. Welches den Dyſidiat noͤ-
thigte dem Tiberius Frieden anzubiethen/ wel-
cher denn auch von ihm zu einer Unterredung
ein frey Geleite bekam/ und dem Tiberius auff
die Frage: Warum ſie wider die Roͤmer auff-
geſtanden waͤren? antwortete: Weil ſie ihre
Heerden zu bewahren nicht Hirten und Hun-
de/ ſondern Woͤlffe brauchten. Dyſidiat ſchloß
alſo einen fuͤr die Dalmatier und Pannonier
ziemlich ertraͤglichen Frieden. Tiberius und
Germanicus zohen mit groſſem Siegs-Ge-
praͤnge/ und der Kaͤyſer/ welcher/ umb dem
Kriege deſto naͤher zu ſeyn/ unterdeſſen ſich zu
Arminium auffgehalten hatte/ mit groſſen
Q q q 2Freu-
[492]Vierdtes Buch
Freuden nach Rom; allda er auch mich mit
einem Siegs-Krantze beſchenckte. Jnzwi-
ſchen konte Dyſidiat dem Bato ſeine Verraͤ-
therey nicht vergeſſen/ daher belaͤgerte er ihn
mit denen ihm ebenfalls gramen Breutzen in
der Feſtung Serota/ verdammte ihn nach der-
ſelben Eroberung zum Tode/ und ließ ihn als
einen Verraͤther in Spieß ſtecken. Der Pan-
noniſche Landvogt nahm diß fuͤr einen neuen
Friede-Bruch auff/ uͤberzohe die Breutzer/
und zwang ſie mehr durch Feuer als durchs
Sch werdt auffs neue um Frieden zu bitten;
den Dyſidiat aber nach Arduba in Dalma-
tien zu weichen. Alldieweil aber beyde Voͤl-
cker von den Roͤmern aͤrger als iemahls vor-
her gedruͤckt und ausgeſogen wurden; flehe-
ten ſie den Fuͤrſten Dyſidiat abermahls umb
Beſchirmung ihrer Freyheit an/ uͤberfielen die
Roͤmiſchen Beſatzungen/ und brachten den
Silan bey Velcera ziemlich ins Gedrange.
Germanicus eilte mit friſchen Voͤlckern in
Dalmatien/ buͤſſete aber in der Stadt Rheti-
um/ darein ihn die fluͤchtigen Dalmatier arg-
liſtig lockten/ durchs Feuer etliche tauſend
Mann ein. Dieſe aber erſetzte er kurtz her-
nach mit Eroberung der vormahls vom Ti-
berius vergebens belaͤgerten Stadt Seretium.
Weil aber Dyſidiat ſich taͤglich verſtaͤrckte/
und mit vier Heeren gegen die Roͤmer kriegte/
ſchickte der Kaͤyſer noch drey Kriegs-Heere
unter dem Tiberius dem Silan und Lepi-
dus in Pannonien; Er ſelbſt aber und darun-
ter ich ſchlugen ſich zum Germanicus. Si-
lanus kriegte an dem Fluſſe Arrabo/ Silan
an der Drave mit ihren Feinden zu ſchaffen/
und wurden nach etlichen Treffen bey Carro-
dum/ Bolentium und Limuſa Meiſter. Ti-
berius und Germanicus drangen mit dem
Kaͤyſer durch der Flanater/ Japuͤder und Ma-
zoer Gebiete dem Dyſtdiat biß ins Hertze Dal-
matiens/ und ward er ſelbſt in der faſt unuͤber-
windlichen Feſtung Anderium an dem Fluſſe
Jader belaͤgert. Der Kaͤyſer ruhete bey die-
ſer Belaͤgerung in der Naͤhe zu Salona aus.
Jch will hier nicht die Kuͤnſte des ſchlauen Tibe-
rius erzehlen; genug iſt es/ daß er den Dyſidiat/
als er ſeine Dalmatier vergebens zu einem neu-
en Frieden zu bewegen bemuͤhet war/ dahin
brachte/ daß er ſich heimlich aus der Feſtung
ſtahl/ und die Seinigen verließ; auch nach euſ-
ſerſter Gegenwehr den Feind endlich zur Er-
gebung zwang. Unterdeſſen ſchlug Germani-
cus nebſt mir etliche mahl den Feind/ und nahm
das gantze Gebiete der Epetiner/ Phryger und
Karier biß auff die Haupt-Stadt Arduba ein.
Dieſe Belaͤgerung ſetzte Germanicus mit ſo viel
hertzhafftigerm Eyfer fort/ als er dem Tiberius
in der Belaͤgerung der Stadt Anderium/ von
welcher dieſer jenen mit Fleiß entfernet hat-
te/ nichts nachzugeben begierig war. Die
Stadt Arduba war faſt umb und umb von
dem uͤberaus ſtrengen Strohme Tillurus um-
geben; in welchem die Roͤmer mit ihren ſonſt
braͤuchigen Schiff-Floͤſſen/ oder an die Schen-
ckel gebundenen und auffgeblaſenen Ochſen-
Blaſen und Ziegen-Haͤuten uͤber zu kommen
vergebens verſuchten. Germanicus wuſte
ihm hierinnen weder Huͤlffe noch Rath/ und al-
ſo foderte er von mir ein Gutachten. Jch aber/
weil ich bereit wahrgenommen hatte/ daß der
Strohm nicht allenthalben an die Stadtmau-
ern ſtriche/ ſondern an etlichen Orten ein ziemli-
cher Platz Erde unbewaͤſſert an den Mauern
hinge/ erbot mich folgende Nacht unter der
Stadt-Mauer mit meinen Deutſchen feſten
Fuß zu ſetzen. Dieſes bewerckſtelligte ich auch
gluͤcklich. Deñ ich laß mir 200. des Schwim̃ens
erfahrne Deutſchen aus; iedem gab ich ein Gꝛab-
ſcheit/ ein Holtz oder Bret/ welches ſie mit uͤber
den Fluß zu bringen getrauten. Mein Vor-
gang/ die truͤbe Nacht/ und das groſſe Geraͤu-
ſche des Stromes machte/ daß wir unvermerckt
uͤber-
[993[493]]Arminius und Thußnelde.
uͤberkamen/ vorwerts uns mit einer fuͤr uns
aufgeworffener Bruſtwehre/ uͤber uns mit ei-
nem von Bretern gemachten/ und fuͤr den
Brand mit Erde beſchuͤttetem Dache/ wider alle
Gewalt verwahrten. Woruͤber die Belaͤger-
ten derogeſtalt bey der Tagung erſtauneten/ daß
ſie ſich zu ergeben ſchluͤſſig waren. Weil aber
mehr als tauſend Uberlaͤuffer in der Stadt wa-
ren/ welche an aller Gnade verzweifelten/ und
alſo alles aͤuſerſte auszuſtehen vorhatten/ ent-
ſtand in der Stadt ein Aufruhr. Jedoch ſchlu-
gen ſich die mehr maͤnnlichen Weiber zu den letz-
ten/ und fielen ihren eigenen Maͤnnern/ Bruͤ-
dern und Soͤhnen in die Haare. So bald ich
der innern Unruh innen ward/ ließ ich durch
meine ſchwimmende Deutſchen etliche Seile
uͤber den Strom ziehen/ an welchen nicht nur
meine uͤbrige Landsleute/ und ein paar tauſend
Roͤmer/ ſondern auch der benoͤthigte Sturm-
Zeug uͤbergebracht werden/ und wir ſchier ohne
allen Widerſtand die Stadt Arduba erſteigen
konten. Die Dalmatiſchen Weiber lieſſen
nunmehr von ihren eigenen Anverwandten ab/
und fielen uns wie wuͤtende Unholden an; nach-
dem ſie aber ihrer Ohnmacht gegen unſere Waf-
fen gewahr wurdẽ/ ſtuͤrtzten ſie ſich meiſt alle mit
ihren in der Eil erwiſchten Kindern/ theils in die
von ihnen ſelbſt angezuͤndeten Haͤuſer/ theils uͤber
die Mauern und in den Fluß Tellurus. Sin-
temal ihnen ertraͤglicher ſchien alles/ als das edle
Kleinod der Freyheit zu verlierẽ. Alſo ging dieſe
fuͤr unuͤberwindlich geruͤhmte Feſtung ſchier oh-
ne Verluſt uͤber; und mit ihr entfiel faſt allen
Dalmatiern vollends das Hertze/ alſo/ daß ſie
entweder ſich ſelbſt willig ergaben/ oder vom
Vibius Poſthumius vollends unſchwer be-
zwungen worden. Die Pannonier aber wur-
den aufs neue von Daciern und Sarmatern
durch eine Huͤlffe von 40000. Mann aufge-
friſcht/ welche die beruͤhmte Stadt an dem Jſter
zu den Coloſſiſchen Saͤulen genannt/ mit einer
groſſen Niederlage der Roͤmer dem Severus ab-
gewannen/ und biß an die Manſvetiniſche Bruͤ-
cke an der Drave alles unter ihre Gewalt brach-
ten. Dieſer neue Feind ermunterte auch die zwi-
ſchen dem Gebuͤrge Ardius und dem Fluſſe Dri-
nus uͤberaus vortheilhaftig gelegene und ſo wohl
ihrer Kriegs-Wiſſenſchafft als Harnaͤckigkeit
halber beruffene Daoriſer/ wie auch die ſtreitbarẽ
Diſitiates/ daß ſie unter dem jungen Pinnes wi-
der die Roͤmer die Waffen ergriffen. Wider dieſe
letztern ward der neu - erwehlte Dalmatiſche
Landvogt Vibius Poſthumius/ Lepidus und Ju-
nius Bleſus geſchickt/ welche faſt mit gaͤntzlicher
Vertilgung dieſer Voͤlcker dem Kriege ein Ende
machten. Mich aber ſchickte der Kaͤyſer mit dem
Licinius Nerva Silianus wider die Dacier und
Sarmater/ weil die Deutſchẽ/ des Auguſtus Ur-
theil nach/ dieſen geſchwinden Feinden am beſten
zu begegnen wuͤſten. Jch ſetzte bey Leucomũ uͤber
die Sau/ bey Anciana uͤber die Drave/ in Mey-
nung bey Varronianum auch uͤber den Jſter zu
kommen/ und nicht nur dem ſich aus Dacien
taͤglich vermehrenden Feinde alle fernere Huͤlffe/
ſondern auch die Ruͤckwege uͤber den Jſter abzu-
ſchneiden. Es ſetzten ſich aber die Pannonier
und zehntauſend Dacier bey Animaſcia uns in
Weg; alſo/ daß ich mit meinẽ Vorzuge gezwun-
gen ward zu ſchlagen. Jch gebrauchte mich aber
des von dem Ventidius gegen die Parther ſo
gluͤcklich angewehrten Vortheils/ daß ich mit
meinem Kriegs-Volcke einen Huͤgel beſetzte/ von
dem ich die mich angreiffenden Feinde Sporn-
ſtreichs und mit verhengtem Ziegel als ein Blitz
anfiel; alſo nicht allein die viel tauſend abge-
ſchoſſenen Pfeile der Dacier uͤberhin gehen ließ/
ſondern auch die foͤrderſten Feinde uͤber einen
Hauffen rennte/ und durch die Tapferkeit der
einigen Deutſchen in kurtzer Zeit die Dacier und
Pannonier in Unordnung und in die Flucht
brachte. Wie wir aber vernahmen/ daß der
Feind zu Varronianum und Murſella ſich
Q q q 3ſtarck
[494]Vierdtes Buch
ſtarck verſchantzt hatte/ wurden Silvan und ich
ſchluͤſſig zu Murſa zuruͤck uͤber die Drave/ und
zu Korbach uͤber den Jſter zu gehen. Dieſes
verrichteten wir ohne einigen Widerſtand. Weil
aber der Feind nunmehr inne ward/ daß wir ihm
in Ruͤcken zu kommen vermeynten/ hielt er fuͤr
nothwendig/ ehe als wir uns einigen feſten Ortes
bemaͤchtigten/ zu Varronian ebenfalls uͤber den
Jſter zu ſetzen/ und uns mit gantzer Macht auff
den Leib zu gehen. Dieſer kam uns den dritten
Tag mit 60000. Mann ins Geſichte. Daher
Silan und ich uns harte an den Jſter-Strom
recht gegen uͤber/ wo die Drave in den Jſter faͤllt/
in Schlacht-Ordnung ſtellten/ wormit die ſtar-
cke feindliche Reiterey die Sarmater das Roͤmi-
ſche Fußvolck nicht umbgebẽ und an beydẽ Sei-
ten anfallen koͤnte. Wie wir auch wahrnahmen/
daß die Pannonier den rechten/ die Dacier den
lincken Fluͤgel erwehltẽ/ der Sarmater aber bey-
de Fluͤgel auf der Seite deckten; alſo ich die Helffte
unſer Reiterey denen an dem Jſter vergebens
geſtellten Sarmatern an ihrem lincken Fluͤgel
genungſam zu ſeyn meynte; ſetzte ich alle Stall-
Buben zu Pferde/ und ſtellte die Helffte derſel-
ben bey unſerm lincken Fluͤgel/ allwo Silan mit
der vierzehenden Legion am Jſter gegen den
Feind genungſam feſte ſtehen konte. Die Helfte
der Deutſchẽ und Gallier Reiterey aber/ wie auch
2000. unnuͤtzes Geſindlein ſtellte ich hinter ei-
nen auf der rechten Hand gelegenen Berg.
Wir traffen mit unſerm lincken Fluͤgel wegen
Vortheilhaftigkeit des Ortes mit Fleiß zum er-
ſten. Da denn unſer Anſchlag bald gewuͤntſcht
ausſchlug/ indem/ als die Roͤmiſche Legion mit
feſt geſchloſſenen Gliedern gegen die Pannonier
andrang/ die Sarmatiſche Reiterey derogeſtalt
ins Gedrange kam/ daß ſie ſich nicht ruͤhren kon-
te/ auch die Ordnung der Pannonier ſelbſt dort
und dar verwirrte. Daher entſchloß ſich zwar
ihr Fuͤhrer Fuͤrſt Popel in den Strom zu ſetzen/
in Meynung in ſelbtem herunter zu ſchwem̃en/
und unſerm lincken Fluͤgel in Ruͤcken zu kom-
men; Aber es hinderte diß theils das hohe Ufer/
theils/ weil ich derogleichen vorgeſehẽ/ meine An-
ſtalt/ in dem ich an dem ſeichten Ufer in der Eil
hatte Grabẽ aufwerſfen/ oder hoͤltzerne Schlaͤge
fuͤrmachen laſſen. Jnzwiſchen kam auch unſer
rechter/ und des Feindes lincker Fluͤgel ins Ge-
fechte. Unſere an die Spitze geſtellten Griechen
und Aſiatiſchen Huͤlffs-Voͤlcker lidten zwar von
den hartnaͤckichten Daciern etwas Abbruch/ ie-
doch ließ ich bald Deutſche/ bald Roͤmer an die Luͤ-
cke tretẽ/ und erhielt alſo die Schlacht-Ordnung
feſte/ daß die Dacier muͤde worden/ ehe die dritte
Legion/ welche dem Lucius Apronius vertrauet
war/ recht zum Fechten kam. Die Reiterey
der Gallier und Thracier lidt zwar auch von den
geſchwinden Sarmatern Noth; wenn aber die
Deutſchen auf ſie traffen/ raͤumten ſie Augen-
blicks den vorhin erlangten Vorthel. Als nun
derogeſtalt beyde Heere miteinander im heftig-
ſten Treffen waren/ kamen 50. mit Pannoni-
ern geladene Schiffe den Strom herab/ welche
theils des Silans Legion und unſern gantzen
lincken Fluͤgel in der Seite mit allerhand Ge-
ſchoß angriffen/ theils auch unterwerts Volck
mit Aexten ausſetzten/ die die Graben fuͤlle-
ten/ die Schlag-Baͤume zerhieben/ und alſo der
Sarmatiſchen Reiterey am Ufer auszuſetzen/
und unſern lincken Fluͤgel hinterwerts anzufal-
len Gelegenheit machten. Silan wendete
zwar/ als unſere blinde Reiterey nemlich die
Stallbuben die Flucht nahmen/ ein Theil des
lincken Fluͤgels umb und gegen die Sarmater;
aber weil er von dreyen Seiten beſtritten
ja er auch ſelbſt von denen eindringenden Sar-
matern mit einer Sebel im Haupte heftig
verwundet ward/ gerieth der gantze lincke Fluͤgel
in Unordnung. Mein rechter hatte fuͤrſich ſelbſt
genung zu thun; alſo befahl ich/ daß unſere hin-
ter einem Huͤgel ſtehende Reiterey dem lincken
Fluͤgel zu Huͤlffe eilen/ die gantze blinde Reite-
rey aber umb den Berg herumb gehen/ und de-
nen gegen mich fechtenden Daciern in Ruͤcken
ein-
[495]Arminius und Thußnelda.
einzufallen draͤuen ſolte. Der Ritter Zimbern
fuͤhrte die deutſche Reiterey mit unvergleichli-
cher Hertzhaftigkeit an/ und zwang die Sarma-
ter/ daß ſie uͤber Hals und Kopf in Jſter ſpren-
gen muſten. Jch kam auch ſelbſt dem lincken
Fluͤgel zu Huͤlffe/ und vertraute dem Avronius
den rechten/ ſetzte denen ſchiffenden Pannoniern
500. Thraciſche und Cretiſche Schuͤtzẽ entgegen/
brachte alſo den lincken Fluͤgel wieder in Stand.
Hingegen wurden die Dacier und Sarmater
in ihrem lincken Fluͤgel von unſer ſich hervorthu-
enden blinden Reiterey derogeſtalt geſchreckt/
daß dieſe die offentliche Flucht zu ergreiffen/ jene
aber in Verwirrung zu gerathen anfingen.
Ritter Pappenheim hielt nicht fuͤr rathſam die
fluͤchtigen Sarmater zu verfolgen/ ſondern ging
dem Daciſchen Fußvolck in die Seite/ Apro-
nius drang ihnen vorwerts auf den Hals und
alſo ging der gantze lincke Fluͤgel uͤber einen
Hauffen/ zumal der Daciſche Fuͤrſt Deldo ſelbſt
todt blieb. Die Pannonier im rechten Fluͤgel
verlohren hiermit ihren vorigen Vortheil/ das
Hertze und das Feld. Das Gefechte ward
nunmehr in ein Wuͤrgen verwandelt. Von
dem Feinde blieben 18000. ohne die ſich in den
Jſter ſtuͤrtzten/ auf der Wallſtadt todt/ 10000.
wurden gefangen. Dyſidiat entran zwar auf
einem Nachen/ iedoch ließ er uns ſeinen Gehor-
ſam/ und ſeinen Sohn Sceva zur Geiſſel anbie-
then. Jch aber/ weil der tapfere Silan folgen-
den Tag von den empfangenẽ Wunden ſein Le-
ben auf dem Bette der Ehren beſchloß/ verwieß
ich ihn an den zu Segeſthe des Ausſchlags er-
wartenden Tiberius/ welcher anfangs den Sce-
va/ hernach den ihm zu Fuſſe fallenden Dyſidi-
at/ welcher ſein verwuͤrcktes Haupt zur Abſchnei-
dung willig darreichte/ zu Gnaden annahm.
Gantz Jllyris/ Dalmatien und Pannonien kam
hiermit zu voͤlligem Gehorſam/ Dacien und die
Sarmater in Schrecken. Germanicus brach-
te dem Kaͤyſer ſelbſt die froͤliche Zeitung/ welcher
mit dem Tiberius zu Rom im Siegs-Gepraͤn-
ge einzuziehen koſtbare Anſtalt machte/ den Ger-
manicus mit einem Lorber-Krantze/ und mit
der Wuͤrde der Stadt-Vogtey/ mit der Faͤhig-
keit nunmehr Buͤrgermeiſter zu werden/ und
nach den Buͤrgermeiſtern im Rathe ſeine Mey-
nung zu ſagen beſchenckte; mir und dem Silan
aber zwey Sieges-Bogen in Pannonien auf-
fuͤhren/ ja auf die Wallſtatt eine Stadt zu bauen/
und ſie den Deutſchen zu Ehren Deutſchburg
zu nennen befahl.
Jch kam derogeſtalt vergnuͤgt nach Rom/ und
ward allenthalben nunmehr nicht ſo wohl fuͤr
einen Deutſchen/ als fuͤr einen Roͤmer gehalten.
Nach dem aber den fuͤnften Tag nach des Kaͤy-
ſers Ankunft die traurige Zeitung von der
groſſen Niederlage des Varus/ und daß
mein Bruder Uhrheber dieſes groſſen Ver-
luſtes waͤre/ nach Rom kam; alſo die deutſche
Leibwache abgeſchafft/ alle andere Deutſchen
entweder vom Poͤfel erſchlagen/ oder aufs Kaͤy-
ſers Befehl in Hafft genommen wurden/ ver-
rauchten auch in einem Augenblicke alle meine
Verdienſte. Man brachte mich noch ſelbigen
Tag nach Oſtia/ ſetzte mich auf ein Schiff/ und
ſegelte mit mir nach dem Eylande Dianium.
Der Kaͤyſer ließ mir zwar andeuten/ daß es zu
meiner ſelbſteigenen Sicherheit/ und nur biß der
ſchwirige Poͤfel ſich wieder beruhiget habẽ wuͤr-
de/ geſchehe; alleine ich hielt es fuͤr ein einſames
Gefaͤngnuͤß. Den andern Tag nach meiner
Dahinkunft ging ich an dem Meer-Ufer in
traurigen Gedancken/ als ich unverſehns zwey
frembde Schiffe anlaͤnden ſah. Bald darauf
ward ich in einen Stein verwandelt/ als die
Numidiſche Fuͤrſtin Dido ans Land trat. Dieſe
ward mein ſo bald als ich kaum ihr gewahr/
iedoch war ihre Veraͤnderung nicht ſo heftig;
daher ſie ſich mir naͤherte/ mich aufs holdeſte
gruͤßte/ und nach dem ſie allen ihren Leuten ſich
zu entfernen einen Winck gegeben hatte/
umb meinen Zuſtand fragte. Jch ward ſcham-
roth uͤber derſelben Freundligkeit/ die ich durch
meine Verſchmaͤhung beleidigt zu haben ver-
meynte; gleichwohl begegnete ich ihr mit
moͤglich-
[496]Vierdtes Buch
moͤglichſter Hoͤfligkeit/ und entdeckte ihr mei-
ne Beſchaffenheit aufs kuͤrtzeſte. Nach einem
tieffen Seufzer fing ſie an: Unvergleichlicher
Flavius/ glaube/ daß ich dein Ungluͤck mehr als
du ſelbſt empfindeſt/ und daß ich dich als eine irꝛ-
diſche Gottheit verchre/ weil ich dich zu lieben
unwuͤrdig bin. Meine bißherige Zufaͤlle ver-
dienen nicht dein Gehoͤre; troͤſte aber deine Ra-
che/ daß Juba den oberſten Prieſter auf dein Zu-
ſchreiben habe die Loͤwen zerreiſſen/ und die an-
dern Prieſter der Diane ſaͤm̃tlich entmannen
laſſen. Jch bin aus erheblichen Urſachen auf
der Reiſe nach Rom begriffen/ hier aber ange-
fahren/ umb in dem hieſigen Heiligthume
Dianen ein Geluͤbde abzuſtatten. Wormit du
aber glaubeſt/ daß ich deine Magd im Wercke
ſterben wolle/ ſo trete ich dir das andere Schiff
zu deiner Flucht ab. Erwehle ſelbſt einen Ort/
wo du hin wilſt. Jch verlange ſelbten nicht zu
wiſſen. Mache hieruͤber keine Schwerigkeit/
und laſſe allen Kummer mir zuruͤcke. Jch ward
hierdurch derogeſtalt geruͤhret/ gleich als ich eine
Goͤttin fuͤr mir reden hoͤrte. Die Thraͤnen
fielen mir aus den Augen/ welche ich ſtatt einer
Danckſagung ihr zuruͤcke ließ/ und mit meinen
zwey deutſchen Edelleuten/ die man mir ja noch
gelaſſen hatte/ das Schiff betrat. Dido befahl
dem Schiffer mir nicht anders als ihr ſelbſt zu
gehorſamen. Nach dem ich von ferne noch einſt
den traurigſten Abſchied von ihr genommen
hatte/ erwehlte ich nach Maſſilien zu fahren/ da
ich auch den andern Tag anlaͤndete/ und von dar
auf verwechſelten Pferden durch Gallien nun-
mehr ſo gluͤcklich allhier ankommen bin.
Hertzog Herrmann ſchoͤpften uͤber dieſer Er-
zehlung uͤberaus groſſe Freude/ die andern Fuͤr-
ſten aber nicht geringe Verwunderung. Der
Tag war hieruͤber groſſen Theils verſtrichen;
und weil Hertzog Flavius Erlaubnuͤß bat der
Fuͤrſtin Thußnelde und Jſmene/ wie auch dem
Fuͤrſtlichen Cattiſchen Frauenzimmer die Haͤn-
de zu kuͤſſen/ ſchied dieſe fuͤrnehme Verſam̃lung
mit hoͤchſter Vergnuͤgung von einander.
DJe Gleichheit der Gemuͤther/ welche einen nicht wenigern Zug hat als an-
dere gewiſſe Verwandnuͤß unter ſich habende Dinge/ bringet auch vor
dißmal den Feld - Herrn/ Hertzog Flavius/ Jubil/ Arpus/ Catumer/
Rhemetalces und Malovend in Begleitung der Thußnelde/ der Koͤnigin
Erato/ Jßmene und Saloninen in des verwundeten Zeno Zimmer zu-
ſammen. Dieſer wuͤntſchet dem Feld-Herrn uͤber den erhaltenen Sieg
und der erloͤſeten Thußnelde vielfaͤltiges Gluͤck/ kommet zugleich auf das im Traumzu
ſeiner Geneſung dienende wunderbare Geſichte; Salonine und Rhemetalces aber auf
den Schluß: daß das Pflaſter der Liebe allen andern Geſundheits-Kraͤutern vorzuzie-
hen. Der Feld-Herr giebet Beyfall und beſtaͤtiget: daß offtmals der Krancken feſte
Hoffnung der Hand des Artztes zu Huͤlffe komme/ gebr auchten Kraͤutern frembde
Kraͤffte zuwuͤchſen/ und die Einbildung allerhand Kranckheiten und Gebrechen zu hei-
len/ ja ſo gar in Bildung der Geſchoͤpffe die Natur zu bemeiſtern maͤchtig ſey. Fuͤrſt Ze-
no kommt auf Ver anleitung der liebreichen Erato auf die Erzehlung ſeines Urſprungs/
Auferziehung und Ankunfft nach Sinope/ dahin ihn die Hinterliſtigkeit des Armides
gefuͤhret/ und zur erfolgenden Vermaͤhlung dem Koͤnige Ariobarzanes in die Haͤnde
geſpielet/ darzu denn alsbald alle Zubereitungen im Tempel gemacht/ der Koͤnig in ſei-
nem Vorſatz von des Zeno Vater dem Polemon unterſtuͤtzet; die Koͤnigin Dynamis a-
ber wegen der ihr hierinnen bewuſten Heimligkeit/ der vermeinten Arſinoe/ in hoͤchſtes
Bekuͤmmernuͤß geſetzet wird. Dieſe Arſinoe iſt in der Kindheit zu Rom geſtorben/ und
in das Begraͤbnuͤß des Großvaters Mithridates geleget/ nachmals unter deſſen Per-
ſon Zeno auferzogen worden. Polemon erſchrickt uͤber dieſem von der Dynamis ihm
geoffenbahrten Sohne als einer Schlangenbrut/ wil ihm auch im Tempel das
Schlacht-Meſſer in Leib ſtoſſen/ wenn ihn nicht des Prieſters Arm daran verhindert.
Polemon und Dynamis ſtreiten hier auf mit einander uͤber dem Haß und Liebe/ ob ſol-
che nur von der bloſſen Einbildung/ oder von einem geheimen Triebe der Natur her-
ruͤhren/ darinnen ſie das unvermeidliche Verhaͤngnuͤß entſcheidet/ die Dynamis nebſt
dem Zeno aber aus dem Tempel ins Gefaͤngniß bringet/ in welches der wuͤtende Vater
Polemon mit einem blancken Dolche/ den er von ſeinem Schutz-Geiſte empfangen zu
haben ſich ruͤhmet/ einbricht/ um ſeinen Sohn aufzuopffern/ deſſen Standhafftigkeit
den Vater in Furcht und Verwirrung endlich aber zu der Entſchluͤſſung bringet: daß
er durch den Koͤnigl. Stadthalter Nicomedes der Dynamis die Freyheit/ dem Zeno da-
gegen die augenblickliche Entfernung von Sinope ankuͤndigen laͤſt. Nicomedes erzeh-
let die dem Polemon im Schlaffe zugeſtoſſene Einbildung/ und daß der von ſeinem
Schutz-Geiſte empfangene Dolch des Mithridates geweſen/ mit mehrer Ausfuͤhrung
was von Traͤumen zu halten? Dieſe Erzehlung unterbricht Salonine durch Aufloͤſung/
der Wundbinden/ und Pruͤfung des wolangeſchlagenen neuen Pflaſters. Worauf
Erſter Theil. R r ralsbald
[498]Fuͤnfftes Buch
alsbald Zeno wieder in der Erzehlung fortfaͤhret: wie er in ſeiner gewoͤhnlichen Frauen
Tracht von ſeinen zweyen Edelleuten vergeſellſchafftet zu Schiffe gegangen/ in die be-
ruͤhmte See- und Handels-Stadt Dioſcurias/ um allda deſto unkenntlicher zu ſeyn/ ge-
ſchiffet/ von denen am Strome Hippanus und Tyras wohnenden See-Raͤubern ange-
fallen/ dieſe aber durch tapffern Widerſtand endlich uͤberwunden/ und nach erobertem
Schiffe fußfaͤllig von denen Gefangenen in ſeiner Frauen Kleidung vor die Fuͤrſtin Ar-
ſinoe erkennet/ ja als eine Schutz-Goͤttin verehret/ die auf dem Raub-Schiff zugleich
erloͤſete Panthaſilea aber vor der Amazoniſchen Koͤnigin Minothea Schweſter und
einzige Tochter des Albaniſchen Koͤnigs Zobers mit Hindanſetzung ihres vaͤterlichen
Reichs gehalten worden. Er Zeno/ weil er bey ſeiner verkleideten Geſtalt den Koͤnig
der Meden und Armenier Ariobartzanes nicht haͤtte ehlichen wollen/ haͤtte ihn der Pon-
tiſche Koͤnig Polemon aus allen ſeinen Reichen verbannet. Panthaſilea verſprichts
mit Ausſchuͤttung vieler Mitleidungs-Thraͤnen ihn bey der Koͤnigin Minothea anzu-
bringen. Hierauf kommt Flavius und Rhemetalces auf die Numidier alten Egypti-
er und andere Voͤlcker/ bey welchen die Maͤnner den weiblichen/ die Weiber aber den
maͤnnlichen Verrichtungen obgelegen. Panthaſilea erzehlet ihren Urſprung/ und
wie des deutſchen Koͤnigs Alemanns als ihres Uhranherrns Tochter Vandala die erſte
Kaͤmpfferin zu Pferde/ ja aller Amazonin Mutter geweſen. Dieſer ſparſamen Liebes-
Wercke in ihrer mit des Bojus Sohne Tanauſis gefuͤhrten Ehe; Jhre hertzhaffte Ant-
wort und Tapfferkeit gegen den Egyptiſchen Koͤnig Vexoras oder Seſoſtres in Jberien
bey der Stadt Harmaſis/ allwo die Egyptier die geruͤſteten Weiber vor eitel Geſpenſter
angeſehen/ und nebſt ihrem hierbey verwirreten Koͤnige Hertz und Feld verlohren. Zum
Zeichen dieſes Sieges und vieler darauf folgenden Laͤnder bauet ihr Vandala zwiſchen
die Stroͤme Jris Thermedan ans Meer zu ihrem Koͤnigl. Sitze die Stadt Themiſchra;
Tanauſis aber nach Eroberung des kleinen Aſiens/ Syriens/ Meſopotamiens und Aſ-
ſyriens Hirapolis und Bethſan/ welcher guten Laͤnder wegen die Gothen ihres kalten
Vaterlands/ ja Frauen und Kinder ver geſſen. Vandala ſetzet den uͤberwundenen Sa-
cken einem Scythiſchen Volcke ihre Baſe Zerina zur Koͤnigin vor/ und fuͤhret dar durch
auch bey den rauhen Meden die Amazoniſche Herrſchafft ein. Sie eilet den Gotiſchen
ihrer Maͤnner entbloͤſten Frauen in Cappadocien zu Huͤlffe/ und giebet alsbald dem
zweiffelhafften Siege an dem Fluße Jris ſeinen erwuͤntſcheten Ausſchlag/ bauet dahin
wegen ihrer unter waͤhrendem Kampffe aufgeflochtener Haarlocken die durch Grichi-
ſche Redens-Art ſo benamte Stadt Komana/ ingleichen der Kriegs-Göttin unter dem
Nahmen der Tauriſchen Diana einen praͤchtigen Tempel/ darinnen nachgehends Aga-
memnon ſeiner Tochter Jphigenie Opffer-Meße aufgehoben. Die Gotiſchen Frauen
toͤdten ihre zu Hauße gebliebene und der Schlacht ſich entzogene Maͤnner vollends/ neh-
men den Nahmen der Amazonen und die erſten Geſetze der Vandala an/ welche ihnen die
zwey tapfferſten Frauen Marpeſia und Lampeto zu Koͤniginnen fuͤrſetzet/ dieſe brennen
ihnen ſelbſt/ den Bogen deſto beſſer zu gebrauchen/ die rechte Bruͤſte ab/ und nennen ſich
Tochter des Kriegs-Gotts und der Diana. Endlich ſtirbt nach vielen Siegen in ihrem
Reiche Vandala/ und laͤſt das Gedaͤchtniß einer Goͤttin der Tapfferkeit hinter ſich.
Marpeſiens ſieghaffte Waffen biß in das Caucaſiſche oder nachgehends nach ihr genenn-
te
[499]Arminius und Thußnelda.
te Marpeſiſche Gebuͤrge unterbricht ein Aſſyriſcher Pfeil/ ihre Tochter Gorgonia ver-
folget ihre Siege/ von welcher die ſo genannten mit Schlangen behangene Gorgoniſche
Schilde und Waffen den Nahmen bekommen/ wird aber auch letzt durch Hinterliſt vom
Perſeus erleget. Nach ihr herrſchet die Koͤnigin Myrine/ dieſe uͤberwindet die Syrer
durchs Schwerdt/ die Cilicier durch Schrecken/ bauet auch unterſchiedene Staͤdte/ biß
ſie ebenmaͤßig in der Schlacht wider die Thraciſchen Koͤnige umkommet. Lampeto und
ihre Tochter Antiope wird nicht weniger ſieghafft und in die Hoͤhe eines ſo ruͤhmlichen
Urtheils geſtellet: daß eine Amazone zu uͤberwinden ſo wenig/ als den Himmel mit
Fingern zu erreichen moͤglich/ und dem Hercules einer Amazonen Guͤrtel vor ein ſchwe-
rers Werck/ als das goldene Fell aus Colchis zu holen auferleget ſey. Die von den A-
mazonen hart bekriegte und faſt uͤber den Helleſpont getriebene Griechen bauen dieſen
ihren Feinden zum ewigen Gedaͤchtniß die Stadt Amazonia auf. Panthaſeleens Lie-
be gegen den Koͤnig der Myſier Telephus des Hercules und der Auge Sohn bringet das
Amazoniſche Reich in Aufſtand; faͤllt aber doch gleichwol bald die aufs neue Troja be-
aͤngſtigenden Grichen wieder an/ darunter die hertzhaffte Koͤnigin Tamyris dem Scy-
thiſchen Koͤnige Madyes wider den Cyrus zu Huͤlffe kommt/ ihres erwuͤrgten Sohnes
Rhodobates wegen viel tauſend Perſen erleget/ gegen den Koͤnig ſelbſt aufs grauſamſte
wuͤtet/ und dardurch allen Voͤlckern ein Schrecken einjaget/ auch behauptet: daß kein
ander als Koͤnigl. Gebluͤte ins kuͤnfftige den Thron betreten ſolle. Die Koͤnigin Tha-
leſtris ſendet wider des Koͤnigs Artaxerxes Ochus verſchnittenen Meuchelmoͤrder Ochus
Bagoas und den ſich zum Koͤnige aufgeworffenen Darius Codman tauſend Amazo-
nen/ welche des Gotiſchen Koͤnigs Sit alces Tochter Syeda zwar hertzhafft fuͤhret/ aber
toͤdlich verwundet/ vom Atropates gefangen/ dem groſſen Alexander verehret/ und all-
dar dem die Großmuͤthigkeit der deutſchen verfechtendem Fuͤrſten Anthyr vermaͤhlet
wird/ mit dem ſie wieder in Deutſchland zuruͤcke reiſet. Zeno bekommt Nachricht von
der Fuͤrſtin Thußnelde: daß dieſe zwey Helden-Leute nicht allein gluͤcklich im Vater-
lande ankommen/ ſondern ihnen auch die Heruler zwey ſteinerne Ehren-Bilder aufge-
richtet/ die Syeda als eine Ceres verehret/ und ihr jaͤhrlich geopffert haben. Von die-
ſem uhralten Stamm haben die noch heutiges Tages bluͤhenden Hertzoglichen Wappen
den Bucephals Kopff geerbet. Die Koͤnigin Thaleſtris wird vom Alexander mit Liſt
hintergangen/ endlich gar von ihm geſchwaͤngert; die Koͤnigin Erato von der Fuͤrſtin
Thußnelde zu einiger Erzehlung ihres Helden-Stammes/ beyde aber dardurch gegen
einander zu ſonderbaren Hoͤfligkeiten gebracht: biß endlich Rhemetalces von dieſen
Heldinnen/ ingleichen von der hertzhafften Teuta ausfuͤhrlicher zu erzehlen vom Zeno
ſelbſt erſuchet/ auch vom Feld-Herrn darinnen unterſtuͤtzet wird: wie ihr Vater Ba-
ſan ein Sicambriſcher Koͤnig ſeinen einzigen Sohn Sedan wegen Ehbruchs getoͤdtet/
und dardurch Deutſchland in Krieg verwickelt habe. Der Jllyrier Koͤnig Agron beut
ihm ſeine Freundſchafft und Beyſtand an: worauf Koͤnig Baſan mit ſeiner ſtreitbaren
Tochter Teuta/ und zwar er durch ſeine Klugheit/ die Fuͤrſtin mit ihrer Tapffer-Koͤnig
Agron durch ſeine Streitbarkeit den Feinden obſieget. Baſan erlegt eigenhaͤndig den
Koͤnig Thabor; Teuta den Heerfuͤhrer der Sarmaten/ und Agrons Heldenthaten
bringen ihm die Vermaͤhlung der Teuta auf der Wahlſtatt zu wege. Rhemetalces
R r r 2faͤhret
[500]Fuͤnfftes Buch
faͤhret in Erzehlung der Jllyrier und des ſie bekriegenden klugen Koͤnig Philipps in Ma-
cedonien/ welcher zu aller benachbarten Fuͤrſten geheunten Rathhaͤuſern einen golde-
nen Schluͤſſel gehabt/ und zu der groſſen Welt-Beherrſchung Alexanders den Grund-
ſtein geleget/ weiter fort: an wen nemlich nach ſeinem Tode die Koͤnigl. Gewalt Jllyri-
ens verfallen; wie Eacidus Koͤnig in Epirus aus dem Reiche verjagt; ſein zweyjaͤhri-
ger Sohn Pyrrhus zur Aufopfferung von dem wuͤtenden Volcke verfolget/ endlich
vom Glaucias dem Koͤnig der Jllyrier und ſeiner Gemahlin Beroe wider den Macedo-
niſchen Koͤnig Caſſander in Schutz genommen/ und nebſt ſeinen Soͤhnen auferzogen/
letzt im zwoͤlfften Jahr auf den vaͤterlichen Thron geſetzet worden. Dem Glaucias
folget ſein Sohn Pleuratus/ dieſem aber der Hoffnungs-volle Agron der Teuta Eh-
gemahl/ welche die Mydioner wider die unruhigen Etolier durch eine anſehnliche Ge-
ſandſchafft um Huͤlffe anflehen. Teuta als ein Kriegsknecht verkleidet gehet ohne wiſ-
ſen des Koͤnigs zu Narona zu Schiffe/ ſetzet in Etolien aus/ erleget ſie nebſt dem Etoli-
ſchen Zunfftmeiſter; kommt nicht allein mit reicher Beute/ ſondern mit noch groͤſſerm
Ruhme zuruͤcke/ weil ihr die Mydioner eine Ehren-Saͤule als ihrer Erloͤſerin aufſetzen.
Uber dieſer plotzlichen Freude ſtirbet ihr Ehgemahl Agron/ und laͤſt einen einzigen von
einer Grichin gezeugten Sohn Nahmens Pines. Teuta herrſchet in deſſen Minder-
jaͤhrigkeit uͤber die maſſen wol/ demuͤthiget die ſie antaſtende Eleer und Meſſenier/
nimmt auch gar die Stadt Phoenitz in Epirus mit ſtuͤrmender Hand ein/ wird aber in
vollem Siege wegen der erlangten Nachricht/ daß die Jnſel Jſſa und die Stadt Epi-
damnus ſich den Dardanern ergeben/ zuruͤck in Jllyrien geruffen: da ſie alsbald die
Aufwiegler wiederum zum Gehorſam bringet/ ſich aber zu Rom uͤber die den Meineydi-
gen gethane Huͤlffe beſchweret. Sie ſtoͤſt den vom Eylande Jſſo abgeordneten Calempo-
rus wegen ſeiner bey der Verhoͤr allzuſcharff gebrauchten Worte mit eigener Hand
tod/ den Roͤmiſchen Geſandten aber laͤſt ſie im Ruͤckwege hinrichten/ zwey Stadt-Tho-
re zu Dyrrachium erobert ſie mit Liſt/ das Eyland und die feſte Stadt Corcyra bekom̃t
ſie zum Sieges-Preiße/ welche der Roͤmiſche Buͤrgermeiſter Cajus Fulvius durch gu-
tes Verſtaͤndniß mit dem Stadthalter wieder einnimt. Gleichwol erhaͤlt der Teuta
Hertzhafftigkeit beyden Roͤmern noch einen vortheilhaftigen Frieden/ weiſet Demetrium
mit ſeiner an ſie muthenden Liebe ſchimpflich ab/ welcher ſie als eine treuloſe Stief Mut-
ter deßwegen bey der Tritevta des jungen Fuͤrſten Pines rechten Mutter/ hernach auch
bey den Roͤmern aufs neue verhaſſt macht: daß ſie ihn zum Vormund erkieſet/ die un-
vergleichliche Koͤnigin Teuta aber durch ein paar uͤberſchickte gifftige Handſchuch toͤdtet/
und alſo den Demetrius durch ihre Vermaͤhlung zum Stiefvater/ kurtz hier auf aber zu
ihrem eigenen Meuchelmoͤr der machet. Thußnelde und Erato ſtellen wechſelsweiſe den
Unterſcheid zwiſchen der Tugend und dem Gluͤcke oder Verhaͤngnuͤße vor. Fuͤrſt Zeno
verfuͤhret ſeinen von der Panthaſilea erhaltenen Bericht/ und wie des Gothiſchen Koͤ-
nigs Coriſo Amazoniſche Tochter Syrmanis durch Liſt den Roͤmern wieder entnom-
men; kommt hier auf auf die ſonderbaren Merckmahle der Argonauten und den Tem-
pel der Medea; Hertzog Herrmann aber wie dieſe inſonderheit Hercules/ Jaſon und
Medea mit dem entwen deten goldenen Widder ſich vor dem Colchiſchen Koͤnige fluͤchten
muͤſſen; Fuͤrſt Zeno/ wie er mit Panthaſilea von Diſcurias aufgebrochen/ zu Ampſa-
lis
[501]Arminius und Thußnelda.
lis von denen Amazonen inſonderheit der Koͤnigin Minothea empfangen/ mit aller-
hand Luſtbarkeiten und Jaͤgereyen ergetzet worden/ ruͤhmet zugleich ihre Tugenden
und groſſen Reichthum. Der Koͤnigin Minothea und Panthaſilea Liebe gegen den
gefangenen Fuͤrſten Oropaſtes/ und deſſen wiederum gegen den verkleideten Zeno. O-
ropaſtes lehnet der Koͤnigin Minothea Liebe durch ein der Goͤttin Diane gethanes Ge-
luͤbde hoͤfflich ab/ verfaͤllt aber durch der einen Hirſch verfolgenden Panthaſilea nach-
denckliche Antwort in das groͤſte Ungluͤck/ durch welches er ſeine Mannheit/ wie Pan-
thaſilea die Augen/ von der erzuͤrnten Koͤnigin Minothea verlieren ſoll. Hertzog Herꝛmañ
Jubil und Flavius nehmen hierbey Anlaß auf die Schoͤnheit und Vortreff ligkeit der
Augen zu kommen. Fuͤrſt Zeno eroͤffnet dem Dropaſtes ſein bevorſtehendes Ungluͤck
und fliehet nebſt der Schweſter Syrmanis uͤber die hoͤchſten Gebuͤrge. Sie finden in
dieſer ihrer Flucht allerhand Seltzamkeiten/ ja vermoͤge der in Stein und Felßen alldar
eingegrabenen Reimen und Lob-Spruͤche gleichſam ein irrdiſches Paradieß; daß auch
Oropaſtes und ſeine Schweſter Syrmanis ihr Leben allda zuzubringen ſich entſchluͤſſen.
Dieſen Fremdlingen erzehlet der Prieſter Meherdates ihren Gottesdienſt/ und ſein der
Koͤniglichen Wuͤrde gleichendes Prieſterthum. Fuͤrſt Zeno kommt wiederum auf ſei-
ne zuruͤck gebliebene Rede: wie er mit dem Oropaſtes und Syrmants auf die Spitze
des Berges Caucaſus zu dem Tempel des Prometheus gereiſet/ wie hoch ſolcher ſey/ und
was ſie allda angetroffen/ auch wie weit ſie dar auf ihr Augenmaaß getragen; was vor
Herrligkeiten und Kunſtſtuͤcke ſie in ſolchem Tempel angetroffen/ und wie endlich ſie der
Prieſter in ſeine Hoͤle zu einer koͤſtlichen Blumen- und Kraͤuter-Mahlzeit eingeladen.
Hier auf den Augenblick auch dem Hertzog Herrmann die bereitete Tafel angekuͤndiget/
dem noch ſchwachen Zeno zu Liebe aber in ſeinem Zimmer auf Roͤmiſche Art nicht ſo wol
der Schwelgerey als Beqvemligkeit wegen iedem auf einem Bette bey der Tafel zu ſpei-
ſen Anſchaffung geſchiehet. Dabey kommt der Deutſchen Speiſe-Art nicht weniger
auf den Teppich als die Speiſen auf die Tafel/ und die aufgetragenen fremden Fiſche ge-
ben zu mehrer Verwunderung Anlaß: daß gewiſſe Voͤlcker Wuͤrmer/ Heuſchrecken/
Nattern/ Schlangen vor die beſten Leckerbißichen halten. Die Tafel wird mit aller-
hand fremden Koͤſtlichkeiten beſetzet/ die ſie mit herrlichem Weine wie auch ſonſt aller-
hand Geſundheits-Waͤſſern begieſſen/ und dabey von dem Gebrauch und Mißbrauch
der ſtarcken Getraͤncke denen darinnen Meiſter ſpielenden Voͤlckern/ von dem Unter-
ſcheid gekochter und ungekochter auch anderer Waͤſſer/ zu reden Gelegenheit nehmen.
Dieſen langwirigen Wortwechſel unter bricht bey aufgehobener Tafel das ſo gar unge-
meine und von ſeiner Natur des Holtzes wunderbar gebildete Tiſchblat. Zeno kommt
wieder auf den Prieſter Meher dates und den von ihm genommenen Abſchied/ auch/
daß er wegen des zerſprungenen Caucaſus und des erſt bewunderten Tempels Abſtuͤr-
zung nebſt ſeiner Gefaͤhrten bald um ſein Leben kommen/ wie hiervon nichts mehr/ als
des Prometheus beſchriebener und an einer Seite zerſchlagener Leichenſtein/ zu Verfuͤh-
rung ihrer Reiſe aber wegen zerfallener Klippen faſt kein Ausgang mehr uͤbrig geweſen;
nach ihren muͤhſamen und gefaͤhrlichen Auswickelung ſie zum grauſamen Strudel
kommen/ welcher das ſchwartze und Caſpiſche Meer unſichtbar vereinigen/ und ſolches
Wunder ein vom Mithridates beſchriebener Fiſch/ wie ein Delphin zwiſchen dem Caſ-
R r r 3piſch-
[502]Fuͤnfftes Buch
piſch- und Perſiſchen/ dem rothen und Mittel-Meer/ der Weſt- und Oſt-See gethan/ de-
nen Einwohnern entdecket haben ſoll. Zeno/ Oropaſtes und Syrmanis erlittener heff-
tige Sturm auf dem Caſpiſchen Meer/ und Syrmanis dabey mit unterlauffende Un-
gedult/ wie nicht weniger ihre wunderbare Errettung; die Furcht vor den Scythen
und die ihnen aufgebuͤrdeten Kriegsdienſte; ihre Verhor vor dem Koͤnige Huhanſien
am Fluße Ganges; deſſen ſein Aufzug/ Art und Kleidung;-ſeine Freundlichkeit und
groſſes Verſprechnuͤß; ſein ſchneller Bruͤckenbau uͤber den Fluß Ganges; die Ankunfft
an die Seriſchen Graͤntzen/ dieſer elende und duͤrre Beſchaffenheit/ der Scythen daher
verurſachte erbaͤrmliche Durſtleſchung. Koͤnig Huhanſien argwohnet der Syrmanis
Geſchlecht/ ja dieſer/ der mit Uberwindung des Seriſchen Reichs ſchwanger gehet/ wird
ein Gefangener der Liebe/ die ihm ſeine gute Vernunfft als einen Wetzſtein der Tapffer-
keit vorſtellet. Fuͤrſt Zeno wird von einem Scythiſchen Fuͤrſten des Seriſchen Reichs
Beſchaffenheit nebſt der Urſache des gegenwaͤrtigen Krieges verſtaͤndiget/ und daß un-
ter ihren Koͤnigen vornemlich Hoangti und Yvas die Erfinder vieler himmliſchen und
faſt aller Handwercks-Kuͤnſte waͤren/ weßwegen ſie auch von den Jnwohnern hochge-
halten und lebendig vergoͤttert worden: Maſſen die Wohlfarth des Reichs ins gemein
von frommen und verſtaͤndigen Fuͤrſten als ein unausbleiblicher Seegen zu hoffen. A-
lexanders des Großen in Aſien am Fluße Hyppanis aufgebaute und theils zu ſeinem
Ruhm/ theils zu ſeiner Verkleinerung uͤberſchriebene Altaͤre. Die 300. deutſche Mei-
len oder 10000. Seriſche Stadien lange Mauer vom Koͤnige Tſchin oder Fius am Oſt-
Meer erbauet. Der Serer und Scythen eingepflantzte Widrigkeit ſo groß: daß dieſe
beyde Voͤlcker auch nicht auf einerley Art in Mutterleibe zu liegen/ und gebohren zu
werden gewohnet. Die Europeer werden von allen hoffaͤrtigen Serern nur einaͤu-
gicht/ die andern Voͤlcker alle aber vor blind gehalten. Die Sud-Tartern im Koͤnig-
reich Nackia unterwerffen ſich der Seriſchen Bothmaͤßigkeit/ und bringen zum Zeichen
ihres Gehorſams dieſen Koͤnigen jaͤhrlich eine weiſſe Phaſan-Henne. Der Sud-Tar-
tern hefftige Niederlage auf dem Berge Jn vom Seriſchen Feldhauptmann Gveicing
erlitten; ihre Gewohnheit beym Sebel und der Nacht-Eule zu ſchweren ſo heilig als
das Pallas-Opffer der Athenienſer. Die maͤchtige Stadt Siucheu am Fluße Kiang
von redenden Papegoyen beruͤhmt wird durch eine dieſer Voͤgel unglaͤubliche Pro-
pheceyung zur Ubergabe gebracht. Von dieſen und dergleichen wahrſagenden Voͤ-
geln kommt Zeno wiederum auf der Serer Land/ und ausgehauenen Wunder des Ber-
ges Fexao und Tunghuen. Der Serer Lebens-Art gibt ihnen Anlaß zu uͤberlegen:
ob die Weltweißheit bey den Waffen ſtehen koͤnne? Hartes Gefechte zwiſchen beyden
Koͤnigen Huhanſien und Jvan; des erſten gefaͤhrliche Verwundung/ deſſen toͤdtlicher
Streich von der Syrmanis ſiegreichen Haͤnden/ die ihr durch gewiſſe Abgeſandten deß-
wegen angetragene Koͤnigliche Wuͤrde nimmt ſie mit hoͤchſter Beſcheidenheit an. Der
Serer Meinung von Beſchaffenheit der Seelen und der Gemuͤths-Ruh. Jhr vor-
nehmſtes Geſchencke 12. im gantzen Koͤnigreich ohne Maal und Flecken ausgeleſene und
mit den koͤſtlichſten Edelgeſteinen gezierte Jungfrauen an den Koͤnig Huhanſien/ die er
aber als ein teutſcher Fuͤrſt hertzhafft ausſchlaͤgt/ und hier durch dieſe zur Verlobung e-
wiger Jungfrauſchafft/ ſich aber in die Liebe der Syrmanis/ die er nunmehr aus vielen
Kenn-
[503]Arminius und Thußnelda.
Kennzeichen vor die Weltberuͤhmte Tochter des Koͤnigs Catiſons urtheilet/ verſetzet/ ſie
auch alsbald der Landes-Art nach auf entbloͤſten und geſchrenckten Scythiſchen Sebeln
vor die Koͤnigl. Braut ausruffen/ wie nicht weniger den Getiſchen Koͤnig durch Ge-
ſandten inſonderheit den Oropaſtes um die Einwilligung anſuchen laͤſt. Huhanſien
vergiſt bey der Liebe nicht ſeine Siege; er erobert die faſt unuͤberwindliche Stadt Ham-
fung durch Sturm/ den Fuͤrſt Zeno kroͤnet er wegen der erſten Erſteigung und Toͤdtung
des Seriſchen Helden Pingli mit Lorbern/ welche ihm aber von den verzweiffelten
Serern bald hier auf mit Blute gefaͤrbet/ Huhanſien und Syrmanis auch ſelbſt dabey/
iedoch mit erhaltener Wahlſtatt verwundet werden. Dieſe beyde kommen nebſt dem
Zeno bey Betrachtung des Wunder- oder Frauen-Berges Yonin auf die in Stein und
Holtz befindlichen ſeltzamen Bildungen der Natur/ inſonderheit macht dieſer letzte auf
Befehl des Koͤnigs mit ſeinen bey ſich habenden Scythen ihm Berg/ Klippen und Steine
wegſam/ daß ſie die Feinde auch mehr fuͤr Goͤtter als Menſchen anſehen. Hertzog Her-
mann lobet am Zeno die Maͤßigung ſeiner hierdurch erlangten Ehren-Maale/ weil ein
vernuͤnfftiger Diener niemals aus ſeinen Thaten ihm einen Ruhm erzwingen/ ſondern
alles der Leitung ſeines Fuͤrſten zuſchreiben ſolle. Mit Eroberung der Stadt Qvan-
chung wird ihnen auch der alle andere der gantzen Welt uͤberſteigende Koͤnigliche Schatz
zu Theil. Jvens Leiche auf Koͤnigs Huhanſiens Befehl nebſt einer in Jaſpis gegrabe-
nen herrlichen Grabſchrifft nach der Serer Art in ihrer Ahnen Grufft praͤchtig beyge-
ſetzt/ um zu zeigen: daß ſich auch die gerechteſte Rache nicht uͤber eines Feindes Tod er-
ſtrecken ſolle. Huhanſien wird um Frieden angeflehet/ ſolcher auch durch den hierzu
Gevollmaͤchtigten Zeno mit erwuͤntſcheten Bedingungen beſchloſſen. Fuͤrſt Zeno und
Hertzog Herrmann halten an der ungemeinen Frucht barkeit des Gebuͤrges Lie/ welches
wegen des frommen Xuno weder Dornen noch Unkraut tragen ſoll/ wahr zu ſeyn: daß
die Froͤmmigkeit der Fuͤrſten einem gantzen Lande Seegen/ ſeine Laſter aber Goͤttliche
Straffen zuziehe. Der weltweiſe Cheucung wird wegen ſeiner ſonderbaren Geheim-
nuͤße/ inſonderheit wegen der entdeckten Krafft des Magnets/ den ſie den Hercules.
Stein nennen/ bey den Seerern Goͤttlich verehret/ das Bild des Flußes Kiang aber
gleich dem Rhodiſchen Sonnen-Coloſſus nebſt ſeinen denckwuͤrdigen Uberſchrifften der
Haupt-Stadt Suchem/ des Koͤniglichen Sitzes Moling und Porcellanenem Thurme
vom Zeno mit groͤſter Verwunderung betrachtet/ ſeine oͤffentliche Verhoͤr aufs praͤch-
tigſte vorgenommen/ und der auf ſeidenes Pappir geſchriebene Friedens-Schluß vom
Seriſchen Koͤnige ihrer Art nach beſchworen/ endlich der Geſandte mit vielen Geſchen-
cken an den Koͤnig Huhanſien wieder abgefertiget. Seine Zuruͤckreiſe uͤber die reiche
Handelſtadt Uching und Schlangen-Gebuͤrge Kutien an die von ihm mit Sturm ero-
berte feſte Stadt Junchhang/ und endlich wiederum ins Koͤnigl. Lager Huhanſiens.
Luckiang der weißen Elephanten Enthaltniß/ dieſer ihre Kaͤmpffens-Art/ und von dieſen
dem Zeno zugeſtoſſene Gefahr; Seine eingewurtzelte Liebe gegen die Koͤnigin Erato
vertreibet alle vom Huhanſten und denen Jndianern ihm angetragene Gluͤcks- und Eh-
ren-Strahlen. Perimals gefangene Gemahlin wird durch vielmal ſie uͤberwiegende
Perlen und Edelgeſteine von ihren Unterthanen ausgeloͤſet/ auch noch ſo viel ihrer Er-
loͤſung wegen von den Fruͤchten dieſes unſchaͤtzbaren Landes ihren Goͤttern und den
Armen
[504]Fuͤnfftes Buch
Armen gegeben. Zeno berichtet/ wie er der Jndianer Weiber ſich ſo freudig mit ihren
verſtorbenen Maͤnnern auf dem Holtzſtoß verbrennen ſehen/ und dieſes alles aus einem
verborgenen Egyptiſchen und Brahminiſchen Gottesdienſt/ davon wie auch von Wan-
derung der Seelen ihnen der Prieſter Zarmar viel Erzehlungen machet. Zeno erlegt
bey dem goldreichen Eylande Catucaumene ein von ſeltzamer Geſtalt ſich dem Schiffe
naͤherndes Seeweib/ uͤberlaͤſt dardurch dem klugen Nachdencken der Welt: was von
Syrenen oder der gleichen Meer-Wundern zu halten? Des Kaͤyſerlichen Stadthal-
ters Cornelius Gallus zu Heliopolis mit einer allzu ruhmraͤthigen Uberſchrifft von
ihm ſelbſt aufgerichtete Sonnenſpitze lehret: daß alle neblichte Neben-Sonnen/ welche
ihre rechte Fuͤrſten-Sonne uͤberſcheinen wollen/ ſich in ver gaͤngliche Regentropffen ver-
wandeln muͤſſen. Die Anlendung in der herrlichen Krocodil-Stadt bey dem Behaͤlt-
nuͤß des fruchtbaren Nils/ und dem dabey befindlichen vom Koͤnige Meris erbauetem
wunderwuͤrdigen Jrrgebaͤu. Der Nilus fuͤhret ſie von einem Wunder zum andern/
und alſo auch von dar nach Memphis zu den alten Grabe-Spitzen/ dem ſieben Wun-
dern der Welt/ oder vielmehr zu den zerfallenen Uberbleibungen der Eitelkeit. Die
Geſandtſchafft langet uͤber Babylon zu Marmacus in der Samiſchen Sybillen Ge-
burts-Orte gluͤcklich an/ in deſſen vornehmſten Tempel ſie das ertztene Bild der Ceres
und Pythagoras des vollkommenſten Weltweiſen und hall-Gottes mit allerhand ſinn-
reichen Uberſchrifften nebſt ſeinen eifrigen Nachfolgern antreffen; kommen von dar auf
die Jnſel Paris zum ſchoͤnen Tempel des Pallas/ nachgehends an den Munychiſchen
und Pyreiſchen Haafen zu denen noch ſichtbaren Merckmahlen des raaſeriſchen Sylla/
biß ſie die Begierde vollends zu Theſeus Tempel/ zum Grabe Menanders und Euripi-
des/ ja zu dem Heiligthume des vergoͤtterten Socrates fuͤhret/ deſſen Porphyrenes
Bild und Grab ſie mit einer Hand voll Narciſſen und Hiacynthen verehren. Der Ge-
ſandten Ankunfft; Kaͤyſers Auguſtus praͤchtiger Einzug in dem Augapffel Grichen-
lands der aller Kuͤnſte und Weißheit vollen Stadt Athen, dabey der Kaͤyſer in Geſtalt
des Saturns und anderer Goͤtter; Livia der Aſtrea und Ceres; beyde endlich aus Gold
in des Jupiters und Juno Stelle geſetzet werden. Alle Tempel muͤſſen dar geoͤffnet
und den Goͤttern von wegen des Gottes Auguſtus geopffert/ Ringen/ Rennen/ alle er-
ſinnliche Luſt- und Schau-Spiele begangen ſeyn. Des Jndianiſchen Geſandtens Ver-
hoͤr beym Kaͤyſer/ von da er an den tugendvollen Hoͤfling und Staats-Mann Mece-
nas des Kaͤyſers Schooßkind zum Beſcheid verwieſen wird. Jhr Geſpräch bey der Tafel
uͤber die geſunden und ungeſunden Speiſen; des Kaͤyſers perſoͤnliche Beſuchung; Me-
cenas eroͤffneter Bilder-Saal; ſeine Freygebigkeit gegen die Jndianiſchen Geſandten;
deren erkenntliche Danckbarkeit durch allerhand mit gebr achte und von der Natur
wunder barer weiſe gebildete Seltzamkeiten/ daruͤber ſich Mecenas kaum ſo ſehr erfreu-
en/ als Zeno ſich uͤber deſſen ſcharffſinnigem Prometheus vergnuͤgen kan. Nach Ma-
ſelipals abgelegter Verhoͤr werden ihnen alle Gedaͤchtnuͤße der Stadt Athen/ inſonder-
heit die Tempel mit ihren Heiligthuͤmern und Gottesdienſte der alles in ſich begreiffen-
den geſchleyerten Jſts gezeiget. Die Geſandſchafft vom Zarmar zu des Plato Grabe
und ſeiner von den Spartanern allein unverletzten hohen Schule gefuͤhret. Zarmars
Lehre gegen die Athenienſiſchen Weltweiſen inſonderheit den ſich vor andern herfuͤr-
thuen-
[505]Arminius und Thußnelda.
thuenden Cheremon von Beſchaffenheit der Seele und einem einzigen Goͤttlichen We-
ſen: die er auch mit Aufopfferung ſeines zeitlichen und Erwartung eines gluͤckſeligern
bewehret. Seine Aſche wird zu Athen als ein Heiligthum verwahret/ Maſulipat be-
urlaubet; Zeno aber wegen ſeiner entbehrten Erato als ein umirrender Stern in Grie-
chenland gelaſſen/ iedoch nicht gar aus dem Creiße der Vernunfft und vorſichtigen
Klugheit geleitet.
DJe wunderſame Zuſam-
men-Neigung zweyer
an ſich ſelbſt unterſchiede-
ner Dinge/ ſtecket nicht
allein in Steinen/ in
Ertzt und Pflantzen/ ſon-
dern auch in den Seelen
der Menſchen. Der
Magnet zeucht nicht ſo
begierig das Eiſen/ der Agſtein die Spreu/ das
Gold das Qveckſilber an ſich; die Reben ver-
maͤhlen ſich mit dem Ulmenbaume nicht ſo ger-
ne/ als etliche Gemuͤther an einander verknuͤpf-
fet ſind. Deſſen einige und wahrhaffte Urſa-
che iſt alleine bey beyden die Verwandſchafft ih-
rer Aehnligkeit. Denn auch die unbeſeelten
Dinge haben wo nicht einen Trieb/ doch eine
Geſchickligkeit ſich mit ihres gleichen zu verein-
barn. Jn einem Siebe ſamlet ſich unter un-
zehlbarem Geſaͤme mehrentheils einerley zu-
ſammen. Das ſich aufſchwellende Meer wirft
die runden Kieſel an einem/ die laͤnglichten an
einem andern Orte uͤber einen Hauffen. Wie
viel mehr iſt nun ſolcher Zug in beſeelten zu fin-
den. Der Weinſtock hat die Eigenſchafft aus
der Erde die Suͤßigkeit/ die Wolffsmilch das
Gifft/ die Kolokinthen die Bitterkeit an ſich zu
ziehen. Nach dem nun aber des Menſchen
Geiſt durch die Kraͤfften der Vernunfft aller
anderer Dinge Neigungen weit uͤberlegen iſt;
darf es keiner Verwunderung/ daß einige ihrer
Aehnligkeit halber entweder in Tugenden/ oder
auch in Laſtern ſo feſte an einander/ als die
Schnecken und Auſtern an ihren Muſcheln
und Haͤuſern kleben. Jedoch weil eine Tu-
gend mit der andern/ nicht wie die Laſter zuſam-
men zwiſtig ſind; iſt keine feſtere Verbuͤndnuͤs
nicht anzutreffen/ als zwiſchen denen der Tu-
gend geneigten Seelen.
Derer waren nun vorigen Tag eine ziemli-
che Anzahl zuſammen kommen/ welche/ weil die
Tugend nicht ſo/ wie die Boßheit hinter dem
Berge zu halten/ und ihre Haͤßligkeit inwendig
nein zu kehren Urſach hat/ durch ihre ausgelaſſe-
ne Vertraͤulig keiten einander ziemlich ausge-
nommen hatten. Jhre Gemuͤths-Aehnlig-
keiten reitzten ſie alſo ſtets um einander zu ſeyn;
Die Hoͤfligkeit aber/ und das Mitleiden ver-
band ſie den von ſeinen Wunden noch nicht ge-
neſenen Fuͤrſten Zeno/ welcher ſich den Tag
vorher uͤber ſeine Kraͤfften ausgemacht und
nebſt andern Fuͤrſten dem Frauenzimmer auf-
gewartet hatte/ in ſeinem Gemach heimzuſu-
chen. Alſo verfuͤgten ſich der Feldherr/ Her-
tzog Flavius/ Jubil/ Arpus/ Catumer/ Rheme-
talces und Malovend in Thußneldens Zim-
mer/ da ſie denn bey ihr die Koͤnigin Erato/ Jſ-
menen und Saloninen antraffen/ und weil ſie
ſelbſt darzu Anlaß gaben/ ſie zum Fuͤrſten Zeno
fuͤhreten. Dieſer empfing ſolche annehmliche
Geſellſchafft aufs freundlichſte/ wuͤnſchte dem
Feldherrn uͤber dem neuen Siege/ und der Er-
loͤſung ſeiner unvergleichlichen Thußnelda
Gluͤck; Auf erfolgende Befragung um ſeinen
Erſter Theil. S s sZu-
[506]Fuͤnfftes Buch
Zuſtand aber ließ er ſich heraus: Es muͤſſe
Deutſchland einen viel gnaͤdigern Himmel als
andere Laͤnder haben; Denn uͤber die groſſe
Sorgfalt/ welche der Fuͤrſtliche Hoff ſeiner
Geneſung halber fuͤrkehrete/ haͤtte er dieſe
Nacht in einer uͤberaus ſanfften Ruhe erfah-
ren/ daß die Goͤtter ſelbſt um ſeine Geſund-
heit bekuͤmmert waͤren/ nachdem ihm gegen
Morgen eigentlich getraͤumet haͤtte: Wie ein
Frauenzimmer ihm die Binden von den Wun-
den aufgemacht/ ſelbte beſichtiget/ und/ nach-
dem ſie daran eine uͤbermaͤßige Geſchwulſt und
Jucken verſpuͤret/ gemeldet haͤtte: Es waͤre
der Degen mit Ziger-Kraute vergifftet geweſt.
Daher waͤren die Wunden mit andern/ als
zeither gebrauchten Mitteln zu heilen; ſie ſey
auch alſofort weggegangen/ habe geſtoſſene
Raute gebracht/ und ſie ihm aufgelegt. Sie
verwunderten ſich uͤber dieſer Erzehlung nicht
wenig/ Salonine aber fing an: Sie hielte die-
ſen Traum in allewege fuͤr eine goͤttliche Of-
fenbahrung/ und haͤtte ſie ihr nicht allein er-
zehlen laſſen/ daß/ als Ptolomaͤus fuͤr der
Stadt Hamatelia durch ein gifftig Geſchoß
verwundet/ und nunmehr an ſeinem Leben ge-
zweiffelt worden/ dem fuͤr dieſen tapfferen Krie-
ges-Obriſten ſo ſehr bekuͤmmertem Alexander
zu ſeiner Geneſung ein dienliches Kraut eben-
fals im Traume gewieſen worden ſey/ ſondern
ſie haͤtte auch in Syrien in einem Seraphi-
ſchen Tempel geſehen/ daß krancke Leute dar-
innen nach verrichtetem Gebete eingeſchlaf-
fen/ und eine Artzney im Schlaffe zu verneh-
men gehoffet. Rhemetalces fiel ihr bey/ und
meldete: Es haͤtten die Syrer nicht allein die-
ſen Glauben/ ſondern die Griechen verehrten
den Eſculapius nichts minder fuͤr einen GOtt
der Wahrſagungen/ als der Artzney. Die
Egyptier erzehlten fuͤr eine unfehlbare War-
heit/ daß Jſis ihren Krancken durch Traͤume
ihre Artzneyen offenbarte. Die Carier ruͤhm-
ten ſich/ daß ſie eben diß von ihrer angebeteten
Hemithea im Schlaffe erfuͤhren. Hiermit
gieng Salonine unverruͤckten Fuſſes in Gar-
ten/ brachte zerqvetſchte Raute/ und Erato leg-
te nach vorher erhaltener Genehmhabung des
Wund-Artztes/ welcher dieſes Kraut ruͤhmte/
und/ daß die wenigſten Eigenſchafften der Kraͤu-
ter noch unergruͤndet waͤren/ zugeſtand/ ſol-
ches ſelbſt auf des Fuͤrſten Zeno Wunden. Die-
ſer fing hieruͤber ſchertzweiſe an: Er haͤtte dar-
zu ein groſſes Vertrauen. Denn zu Rom haͤt-
te man gantzer ſechs hundert Jahr alle ihre
Kranckheiten auch nur mit einem Kraute/
nehmlich mit Kohle gluͤcklicher/ als hernach mit
theurer Vermiſchung vieler auslaͤndiſcher Ge-
waͤchſe geheilet. Wie viel heilſame Artzneyen
waͤren auch nicht dem Menſchen von Thieren
gewieſen worden? Wenn aber auch ſchon ſein
Traum ein eiteler Wahn/ und diß Kraut fuͤr
ſich ſelbſt zu ſeinen Wunden nicht dienlich waͤre/
muͤſte es doch von ſo ſchoͤnen Haͤnden/ und einem
ſo mitleidendem Hertzen eine neue Krafft em-
pfangen. Die Koͤnigin Erato faͤrbte ſich uͤber
dieſem Lobe/ und verſetzte: Sie wuͤſte zwar wol/
daß die Natur ihren Gliedern keine Wuͤrckung
der Wund-Kraͤuter verliehen haͤtte/ da aber
hertzliche Liebe die Krafft zu heilen/ oder Wun-
der zu thun haͤtte/ wolte ſie an nichts weniger/
als an der Wuͤrckung dieſes gemeinen Krautes/
und an des Fuͤrſten Geneſung zweiffeln. Hier-
uͤber netzte ſie die Pflaſter mit einem Strome
voll Thraͤnen/ gleich als wenn ihre zarte Seele
auch ein Theil zu dieſer Artzney beytragen muͤ-
ſte. Hertzog Jubil fing hieruͤber an: Das Gluͤ-
cke eine ſo vollkommene Fuͤrſtin zu ſeineꝛ Aertztin
zu haben/ und nichts mindeꝛ von ſo ſchoͤnen Haͤn-
den verbunden/ als von ſo himmliſchen Augen
bethauet zu werden / ſolte einen luͤſtern machen
kranck zu werden. Rhemetalces pflichtete ihm
bey/ und ſagte: Bey Aertzten von ſolcher Be-
ſchaffenheit koͤnte er ſo viel leichter anderer Aertz-
te Meinung annehmen/ daß wie die bunte Far-
ben-Vermengung der Tulipanen von ihren
Kranck-
[507]Arminius und Thußnelda.
Kranckheiten herruͤhrte; alſo etliche Schwach-
heiten den Menſchen theils ſchoͤner/ theils ver-
ſtaͤndiger machten. So iſt/ verſetzte Jubil/
unter ſo guͤtige Kranckheiten ſonder allen Zweif-
fel die Liebe zu rechnen; welche/ wo nicht dem
Leibe eine Zierrath/ doch den Gliedern eine
Geſchickligkeit beyſetzt/ fuͤrnehmlich aber dem
Geiſte ein Licht anzuͤndet/ und den Ruhm ver-
dient ein Wetzſtein der Tugend genennet zu
werden. Der Feldherr brach ein: Jch gebe
das letztere gerne nach; diß aber iſt der Liebe viel
zu verkleinerlich/ daß ſie mit dem Nahmen einer
Kranckheit verunehrt werden wil. Jubil ant-
wortete: zum minſten muͤſſen wir enthengen/
daß ſie eine Mutter der Kranckheiten ſey/ wo
es wahr iſt/ daß Antiochus aus Liebe gegen der
Stratonica todt-kranck worden. Der Feld-
herr verſetzte: Nicht die Liebe/ ſondern der ſeiner
Liebe angethane Zwang/ und in dem er diß/ was
ſich ſo wenig/ als das Feuer verbergen laͤſt/ in
ſeinem Hertzen verdruͤcken wolte/ ſetzte den An-
tiochus in ſo erbaͤrmlichen Zuſtand. Durch die
Liebe aber ſeiner Stratonica/ ja durch einen ei-
nigen Anmuths-Blick/ ward er gleichſam in ei-
nem einigen Augenblicke geſund. Alſo eignet
Fuͤrſt Zeno der Erato nichts neues zu; wenn er
von dem Einfluſſe ihrer Gewogenheit ihm zu
geneſen Hoffnung macht. Zeno danckte fuͤr
die Vertheidigung ſeiner Meinung/ und ſetzte
bey: Die Liebe wuͤrde in Aſien und Griechen-
land fuͤr die Erfinderin aller Kuͤnſte/ und alſo
auch der Artzneyen gehalten; Ja der ſchlaue
Mercur waͤre niemals verſchmitzter geweſt/
als wenn ihm das Feuer der Liebe ſeinen Ver-
ſtand erleuchtet haͤtte. Jn der Stadt Egira
ſtuͤnde das mit einem Horne des Uberfluſſes ge-
bildete Gluͤcke der Saͤule der Liebe recht an die
Seite geſetzt; weil dieſe gleichſam eine Schmie-
din der Gluͤckſeligkeit waͤre. Dieſemnach
waͤre keines weges fuͤr ſo eitel zu ſchaͤtzen/ daß
eine kraͤfftige Liebe heilſame Wuͤrckung ſtiff-
ten/ das Gifft ausſaugen/ und gleichſam den
Tod ſelbſt bezaubern koͤnne. Es ſey diß ſo viel
weniger zu verwundern/ ſagte der Feldherr/
weil iede Einbildung faſt in allen Dingen ſo
wunderſeltzame Macht haͤtte/ und mehrmals
das Andencken einer gebrauchten Artzney/ o-
der das Anſchauen ihres Behaͤltnuͤſſes/ eben
diß/ was ſie ſelbſt zu wuͤrcken pflegte. Dieſem-
nach glaube er/ daß des Krancken feſte Hoffnung
nicht ſelten den Jrrthuͤmern der Aertzte zu Huͤlf-
fe komme/ und gebrauchten Kraͤutern fremde
Kraͤfften zueigne; weil die Erfahrung bezeug-
te/ daß offimahls verzweiſſelte Kranckheiten
durch ſchlechte Worte/ und ſeltzame Kennzei-
chen/ denen er an ſich ſelbſt die geringſte Wuͤr-
ckung nicht entraͤumte/ oder vielmehr durch des
Krancken ſtarcken Glauben geheilet worden.
Dieſer waͤre die einige Urſache geweſt/ daß des
Scythen Toxaris Saͤule zu Athen/ und das
Bild des Polydamas auff dem Olympiſchen
Kampf-Felde die Anruͤhrenden/ wie auch das
vierdte Buch der Homeriſchen Jlias/ die/ welche
darauf ſchlieffen/ vom Fieber befreyete. Der
Pſyllen in Africa/ der Marſen in Jtalien/ der
Ophiogenes in Aſien Gifft-Ausſaugungen haͤt-
ten den feſten Glauben zu ihrem feſten Grunde.
Sonder Zweiffel ruͤhrte auch aus einer ſolchen
Einbildung her/ daß Pyrrhus mit ſeiner groſſen
Zehe im rechten Fuſſe die Miltz-Kranckheit/ die
Pannoniſchen Koͤnige die Gelbeſucht/ die Can-
tabriſchen die Beſeſſenen/ die Britanniſchen die
hinfallende Sucht/ der Gallier Fuͤrſten die
Kroͤpffe geheilet haben ſollen. Was die Ein-
bildung im Kinder-zeugen koͤnne/ und wie von
dieſer die Aehnligkeit derſelben ihren Ur-
ſprung habe/ erhaͤrtete das beruͤhmte Beyſpiel
der Mohriſchen Koͤnigin Perſina/ die vom
ſtarren Anſehen einer Marmelnen Androme-
da wider die Landes-Art ein ſchneeweiſſes
Kind gebohren/ alſo in Verdacht des Ehe-
bruchs und Gefahr des Lebens verfallen waͤre.
Der Fuͤrſt Zeno fiel dem Feldherrn bey/ daß
die Einbildung nicht nur bey den Menſchen/
S s s 2ſon-
[508]Fuͤnfftes Buch
ſondern auch bey wilden Thieren ihre wunderli-
che Wuͤrckung habe. Denn daß die Schlangen
ſich von den Beſchwerern in einen Kreiß ban-
nen lieſſen/ oder die Ohren fuͤr ihrer Stimme
verſtopfften/ ruͤhrte nicht von dem Nachdrucke
der Worte und Zeichen/ ſondern von einer bloſ-
ſen Beſtuͤrtzung. Was aber die Einbildung
bey den Menſchen wuͤrcke/ haͤtte er bey den A-
mazonen verwundernd wahrgenom̃en/ indem
er derſelben unterſchiedene geſehen/ welchen auf
der rechten Seite keine Bruͤſte gewachſen.
Daher ihrer viel fuͤr ein Gedichte der Vorwelt
hielten/ daß ſie/ um ſich des Bogens deſto beqve-
mer zu gebrauchen/ die Bruͤſte auf der rechten
Seite weg brennten; oder es muͤſte dieſe Ge-
wohnheit bey ihnen nun gar veraltet und ab-
kommen ſeyn. Sewiß aber waͤre es/ und haͤtten
ſeine Augen ihm unbetruͤgliche Zengen abge-
geben/ daß die Natur ihnen zu dieſem beliebeten
Gebrechen itzt ſelbſt die Hand reichte; deſſen
Urſache/ ſeinem Beduͤncken nach/ nichts andeꝛs/
als die Einbildung waͤre. Die Koͤnigin Era-
to konte ſich nicht enthalten/ zu fragen: Wie und
wenn er unter die ſtreitbaren Amazonen verfal-
len? Zeno antwortete: Dieſe begehrte Nach-
richt waͤre ein groſſes Stuͤck ſeiner ihm bege-
gneten Ebentheuer; derer Erzehlung er mit ih-
rer Erlaubnuͤß itzt abzulegen erboͤtig waͤre.
Die Fuͤrſtin Thußnelda fing hierauf an: Sie
ſaͤhe es allen Anweſenden an den Geſichtern an/
daß ſie ſeine Zufaͤlle zu vernehmen hoͤchſt begie-
rig waͤren. Sie ſelbſt haͤtte darnach gleichſam
eine abſondere Sehnſucht. Aber wer moͤchte
ohne Grauſamkeit ihm ſolche Bemuͤhung bey
ſeiner Schwachheit zumuthen? Zeno verſetzte:
Er empfinde an ihnen/ daß Zuneigung und
Mitleiden anderer Wunden allezeit gefaͤhrli-
cher und groͤſſer macht/ an ihm hingegen nun-
mehr wenig Schmertzen/ und keine ſonderliche
Schwachheit/ welche ihm und zu deroſelben
Vergnuͤgung ſein Hertz auszuſchuͤtten/ verhin-
derlich ſeyn koͤnte. Wie nun alle Anweſenden
ihr Verlangen ſelbſt beſtaͤtigten; zumal ſie an
ihm eine ſonderbare Luſt zu ſolcher Erzehlung
verſpuͤrten; fing der Fuͤrſt Zeno nach einem
tieffen Seufzer an:
Jch kan aus der Vertraͤuligkeit dieſer hold-
ſeligen mir die Ohren goͤnnenden Verſamm-
lung und andern Umſtaͤnden die Reehnung mir
leicht machen/ daß die liebreiche Erato meinen
Uhrſprung/ meine ſeltzame Auferziehung/ ihre
Ankunfft nach Sinope/ unſer wunder wuͤrdige
Liebe/ und die unvermeidliche Entſchluͤſſung/
daß wir die Nacht fuͤr der zwiſchen dem Medi-
ſchen Koͤnige Ariobarzanes und mir beſtimmten
Vermaͤhlung mit einander weg ſegeln wolten/
ausfuͤhrlich erzehlet habe; daher ich von ihrem
vermutheten Schluſſe den Anfang meiner fer-
nern Begebenheit nehmen will.
Jch fuͤgte mich auf beſtimmte Zeit in den Koͤ-
niglichen Garten/ fand auch/ Saloninens An-
deutung nach/ den mir beſtimmeten Leiter. Die-
ſer fuͤhrete mich zu folge gepflogener Abrede auf
ein Schiff/ und ein darinnen wohl aufgeputztes
Zimmer/ um daſelbſt meine Ruhſtadt zu haben.
Alſo fort zohen die Bootsleute die Segel auff/
ſchifften mit gutem Winde aus dem Hafen/ und
weil ich ſo wol ſelbſt der Ruhe von noͤthen hatte/
als meine hertzliebſte Erato in ihrem Schlaffe
nicht ſtoͤren wolte/ war ich um ihren und Salo-
ninens Wolſtand unbekuͤmmert. Ward auch/
nach dem ich mich kaum auf die von koͤſtlichen
Perſiſchen Tapeten bereitete Lagerſtatt verfuͤ-
get/ von einem feſten Schlaffe befallen. Die
Sonnehatte wol ſchon zwey Stunden an unſer
Helffte des Himmels geſtanden/ als mich be-
deuchtete etliche tieffe Seuffzer zu hoͤren; daher
ich aus dem Schlaffe aufffuhr/ meinen uͤber dem
Geſichte habenden Flor wegſtrich/ und zu mei-
ner hoͤchſten Beſtuͤrtzung den Armidas/ welchen
ich unter des Ariobarzanes Edelleuten zu Si-
nope oͤffters geſehen hatte/ auch aus ſeiner Me-
diſchen Kleidung ſo viel leichter erkennte/ fuͤr
mir auf den Knien liegen ſah. Wie befremdet
mir
[509]Arminius und Thußnelda.
mir diß nun zwar fuͤrkam; ſo verſpuͤrte ich doch
an dem Armidas eine viel hefftigere Beſtuͤr-
tzung/ als er mein Antlitz erblickte/ alſo daß er
als ein todter Stein fuͤr mir erſtarrete. Die-
femnach ich meine Veraͤnderung ſo viel moͤglich
verſtellte/ und den Armidas mit ernſter Ge-
behrdung rechtfertigte: Wer ihm erlaubet haͤtte
in diß Zimmer zu kommen? Und was er bey
mir zu ſuchen haͤtte? Nach einem ziemlichen
Stillſchweigen bewegte er nach Mediſcheꝛ Lan-
des-Art ſein Haupt zur Erden/ kuͤſſete meine
Fußſtapffen/ und bat allein um einen gnaͤdigen
Tod/ nach dem er ſeinen Kopff verwuͤrgt zu ha-
ben freywillig wol geſtehen muſte. Dieſe ſei-
ne Demuͤthigung veranlaſte mich noch mehr
ihm haͤrter abzuheiſchen: wie er dahin kommen?
und was ſein ſterbenswuͤrdiges Verbrechen waͤ-
re? Hierauf hob er endlich an: Er wolte nicht
verſchweigen/ daß er ſich in meiner Adelichen
Jungfrauen eine/ nehmlich die Monime ver-
liebet/ und/ weil ihr Vater/ Maxartes/ ſie ihm
nicht verehlichen wollen/ ſie auff dieſem Schiffe
zu entfuͤhren mit ihr abgeredet haͤtte. Statt
der Monime waͤre nun ich ſelbſt ihm/ er koͤnte
nicht begreiffen/ aus was fuͤr Zufaͤllen/ in die
Haͤnde gefallen. Daher er ſeinen Leide kein
Ende wuͤſte. Er koͤnte aber alle allwiſſenden
Goͤtter zu Zeugen ruffen/ daß er ſich an mir
nicht aus Vorſatz/ ſondern bloſſem Jrrthume
verſuͤndiget haͤtte. Dieſen wolte er alſobald
verbeſſern/ und den Seinigen befehlen/ daß ſie
den Lauf gegen Sinope zuruͤck richten ſolten.
Jch erſchrack uͤber dieſem Schluſſe auffs neue
nicht wenig/ iedoch weil mir aus dem Stege-
reiffen keine ſcheinbare Urſache ſolches abzuleh-
nen nicht einfiel/ verwieß ich ihm/ iedoch mit
mehrerm Glimpffe ſein Beginnen/ vertroͤſtete
ihn auch ſelbtes/ ſo viel moͤglich/ zum beſten zu
wenden; Jtzt ſolte er ſagen/ wohin der Lauf des
Schiffes gerichtet waͤre? Armidas antwortete:
recht nach dem Fluſſe Abſyrtus/ auff welchem
er biß unter das Moſchiſche Gebuͤrge auszuſe-
tzen/ und von dar vollends in Armenien zu kom-
men ihm fuͤrgeſetzt haͤtte. Jch fing hierauf ge-
gen ihn an: So doͤrffte dein Jrrthum mich
gleichwohl nicht weit von meinem fuͤrgeſetzten
Wege ableiten/ weil ich wegen wichtiger
Schwuͤrigkeiten/ die meine Mutter wider mei-
ne Vermaͤhlung mit deinem Koͤnige erreget/
mich heimlich in ſein Gebiete zu fluͤchten mit
dem Ariobarzanes abgeredet. Dieſemnach iſt
mein Wille/ daß du den geraͤdeſten Weg gegen
Armenien inne haͤlteſt/ und dem Volcke auf die-
ſem Schiffe von mir/ oder meinem Anſchlage
noch zur Zeit das minſte nicht entdeckeſt. Ar-
midas thaͤt/ als wenn meine Erklaͤrung ihn uͤ-
beraus vergnuͤgte/ ließ mich alſo in dem Zimmer
gantz alleine/ und/ weil ich um mich nicht zu
verrathen nicht einſt auffs Schiff kam/ darfuͤr
halten/ als wenn wir unſern vorigen Weg ge-
gen Morgen verfolgten/ da ich denn mich auff
dem Lande aus ſeinen Haͤnden zu winden ſchon
Mittel zu erfinden getraute. Und derogeſtalt
war ich nicht mehr um mich/ ſondern nur um
meine verlohrne Erato bekuͤmmert. Wir wa-
ren aber meines Beduͤnckens uͤber fuͤnf Stun-
den nicht gefahren/ als ich vermerckte/ daß das
Schiff anlendete/ und Armidas kam/ mich be-
fragende: Ob mir auszuſteigen beliebete/ nach
dem wir bereit in den Sinopiſchen Hafen ge-
diegen waͤren? Jch erſchrack mehr als iemals
uͤber dieſer unvermutheten Zeitung/ fuhr auch
den Armidas alſofort an: Wer hat dir/ ver-
raͤhtriſcher Boͤſewicht/ erlaubet/ zuruͤck zu keh-
ren? Armidas entſchuldigte es: Er haͤtte zwar
anfangs meinem Befehl nachzukommen ge-
meinet/ nachdem er aber der Sache reiffer nach-
gedacht/ wie Koͤnig Polemon gleichwol dieſen
Tag zur offentlichen Vermaͤhlung beſtimmet/
hingegen in Sinope unter den Meden verlau-
tet haͤtte/ daß ich den Ariobarzanes ungerne
heyrathete/ waͤre ihm meine einſame Flucht be-
denck- und unverantwortlich fuͤrkommen/ alſo
haͤtte ihn ſeine Pflicht gezwungen/ das Schiff
S s s 3um-
[510]Fuͤnfftes Buch
umzukehren/ und anitzt von ſeinem Herrn/
an den er bereit durch einen Nachen hiervon
Nachricht ertheilet/ ferneren Befehl zu er-
warten. Er hatte noch nicht ausgeredet/ als
unterſchiedene hohe Beamptete/ ſo wohl des
Koͤnigs Polemon/ als Ariobarzanes ins Schiff
traten/ und mir andeuteten: Es waͤre im
Tempel alles zur Vermaͤhlung fertig/ beyde
Koͤnige ſelbſt ſchon anweſend/ und wuͤrde ich
mit hoͤchſter Begierde erwartet. Jch haͤtte
fuͤr Unluſt vergehen moͤgen/ auch wuͤrde mich
niemand lebendig aus dem Schiffe bracht ha-
ben/ da ich nicht noch in dem wider alle Ge-
waltthat und Beleidigung befreyten Heilig-
thume eine Ausflucht zu finden/ oder Huͤlffe
von den Goͤttern zu erbitten gehoffet. Alſo
folgte ich denen Leitenden in die Halle des Tem-
pels/ da mir ein praͤchtiges Braut-Kleid ange-
leget/ und ich ſo denn ferner in den innerſten
Tempel gefuͤhret ward. Das in- und um den
Tempel verſammlete unzehlbare Volck fro-
lockte/ als mein Hertze Blut weinte/ und die
Koͤnigin Dynamis in dem innerſten Gemache
der Prieſter/ in unaufhoͤrliche Ohnmachten fiel;
Koͤnig Polemon/ der dem Altare gegen uͤber
auff einem hohen Stuhle ſaß/ bewillkommte
mich mit einem zornigen Blicke/ und ich muͤhe-
te mich alle Galle meines Hertzens durch mei-
ne Augen uͤber den neben ihm ſitzenden Ario-
barzanes auszuſchuͤtten. Alles deſſen unge-
achtet/ gab der Koͤnig den Prieſtern ein Zei-
chen/ daß ſie der Goͤttin Derceto/ die ihr ge-
wiedmeten Fiſche abſchlachten/ ſelbige uͤber
dem heiligen Feuer ſieden/ roͤſten/ und in de-
nen an iedem Pfeiler angehenckten Rauchfaͤſ-
ſern den Weyrauch anzuͤnden ſolten. Ario-
barzanes-ſtieg von ſeinem mit Gold und Pur-
pur ausgeputzten Sitze herab/ und ſtuͤtzte ſich
auff die Achſeln der Koͤniglichen Stadthalter
in den Laͤndern Bogdomanis und Timonitis.
Sein eigener Unter-Koͤnig zu Ecbatane trug
das ewige Feuer/ der zu Thoſpia eine guͤldene
Schale voll Syriſchen Balſams/ die Stadt-
halter zu Tigranocerta und Satala zwey
Schuͤſſeln mit guͤldenen und ſilbernen Fiſchen
fuͤr ihm her; welches der Koͤnig alles der Goͤt-
tin ablieferte/ und den Balſam in das Opffer-
Feuer goß. Er faſſete auch die rechte Hand der
Goͤttin/ und der oberſte Prieſter winckte mir/
daß ich nun auch mein Opffer/ nehmlich ein paar
weiſſe Tauben herzu bringen ſolte. Jch aber
ergriff der Derceto von ſilbernen Schoppen
glaͤntzenden Fiſch-Schwantz/ welches eine Ab-
ſchwerungs-Art iſt/ und fing an: Heilige Der-
ceto/ die du wegen unrechter Gewalt dich in den
See bey Aſcalon geſtuͤrtzet/ und von den Fi-
ſchen erhalten worden biſt/ nimm auch mich all-
hier in deine Schutz-Armen/ und beſchirme
mich wider die Gewalt dieſes Fremdlings/ wel-
chen ich/ bey deinen Augen ſchwerende/ nimmeꝛ-
mehr ehlichen kan. Alle Zuſchauer wurden
uͤber dieſer meiner Enteuſerung beſtuͤrtzet/ der
oberſte Prieſter ließ das in der Hand gehaltene
Rauchfaß fallen; Ariobarzanes ſchaͤumte fuͤr
Zorn/ und Koͤnig Polemon ſprang von ſeinem
Stuhle zu dem Opffer-Tiſche/ ergrief das
Schlachtmeſſer/ und wolte es mir in die Bruſt
ſtoſſen. Ein Prieſter aber erwiſchte ihm den
Arm/ und ermahnte ihn/ daß er mit Blutver-
gieſſen nicht das Heiligthum entweihen/ und
der Goͤttin Rache/ derer Zorn ohne diß aus al-
len Opffern herfuͤr blickte/ nicht auff ſich laden
ſolte. Zwey andere Prieſter fuͤhrten mich in
ihr eigenes Behaͤltnuͤß/ darinnen die Koͤnigin
Dynamis ſich in Thraͤnen badete/ wenn ihr
noch die ſtete Ohnmacht ſo viel Kraͤfften uͤber-
ließ. Der Koͤnig mit dem oberſten Prieſter
folgten mir auf dem Fuſſe nach/ und weil jener
fuͤr Ungedult kein Wort fuͤrbringen konte/ er-
mahnte mich dieſer bey der Gottheit/ die ſelbi-
gen Tempel bewohnte/ die Urſache meiner Ab-
ſcheu fuͤr dem ſo tapfferen Ariobarzanes zu ent-
decken.
[511]Arminius und Thußnelda.
decken. Jch ſahe die Koͤnigin mit beſtuͤrtzten
Augen und Gemuͤthe an/ ſie aber erholete
ſich/ und fing an: Fordert von mir dieſe Re-
chenſchafft/ und hoͤret auff/ der Natur Ge-
walt anzuthun. Denn ſo wenig ihr aus kal-
ten Brunnen Feuer ſchoͤpffen koͤnnet/ ſo we-
nig werdet ihr dieſen meinen Sohn ohne
Greuel einem andern Mann verheyrathen.
Polemon ſprang uͤber dieſem Berichte auff/
und ſtieß dieſe Worte gegen der Koͤnigin aus:
Was ſagſt du? Jſt diß nicht meine Tochter
Arſinoe? Nein ſicher/ verſetzte ſie/ ſelbige iſt
ſchon/ als du zu Rom geweſt/ in ihrer Kind-
heit verblichen/ und du wirſt ihren eingebal-
ſamten Leib noch in dem Begraͤbnuͤſſe Mi-
thridatens finden. Aber wie iſt dieſer denn
dein Sohn? fragte Polemon. Dynamis ver-
ſetzte: Eben ſo/ wie er deiner iſt. Denn nach
dem Arſinoe geſtorben/ hat meine Mutter-
Liebe unſern Sohn/ welchem du den Nah-
men Polemon/ ich Zeno gab/ von ſeiner Am-
me Pythodoris abgefordert/ und unter dem
Schein unſerer Tochter aufferzogen. Jhr
Goͤtter! ruffte Polemon/ haſt du eine Schlan-
ge in deinem Buſen auferziehen koͤnnen/ von
der du der unfehlbaren Goͤtter Ausſpruch wohl
gewuͤſt haſt/ daß ich von ihr ſolte verſchlungen
werden? Von der mir die Wahrſagung ſchon
heute wahr wird/ in dem mein uͤber ihr ge-
ſchoͤpffter Eiffer mir zweiffels frey mein Leben
verkuͤrtzet/ und mich in die Grufft ſtuͤrtzen wird?
Dynamis antwortete: Glaubſt du wohl/ daß/
da der Goͤtter Wille ihren Worten gemaͤß iſt/
ſelbter durch menſchliche Klugheit zu hinter-
treiben ſey? Haſt du den Ausſpruch des wei-
ſen Pittacus nie gehoͤret/ daß die Goͤtter ſelbſt
ſich dem Nothzwange des Verhaͤngnuͤſſes zu
widerſetzen allzu ohnmaͤchtig ſind? Magſt du
deinem eignen Sohn eine Schlange/ und
dardurch dich ſelbſt einen Vater eines ſo giffti-
gen Thieres ſchelten? Kanſt du das Erbar-
men einer empfindlichen Mutter fuͤr ein ſo ar-
ges Laſter verdammen? Welche doch diß/ was
ſie neun Monden unter dem Hertzen getra-
gen/ mit ſo viel Schmertzen gebohren/ mehr
als ein Vater zu lieben berechtiget iſt. Oder
haſt du ihm nicht ſelbſt das Leben geſchencket?
Polemon verſetzte: Aber nicht verſtattet/ ihn
unter meinem Dache zu beherbergen. Biſt du
aber deinem Ehherrn nicht mehr Liebe/ als
deinem Ungluͤcks-Kinde ſchuldig geweſt/ fuͤr
welche andere gluͤende Kohlen verſchlungen/
und um den Wolſtand ihres Reiches und Ge-
mahles zu erhalten ihre Soͤhne auff gluͤenden
Roͤſten geopffert haben? Jch geſtehe es/ Pole-
mon/ antwortete die ihm zu Fuſſe fallende Koͤ-
nigin/ daß auff der Wagſchale der Muͤtter-
und Ehelichen Liebe dieſe uͤberſchlagen ſolle.
Aber wie ſchwer iſt zwiſchen beyde ſein Hertz
nach dem rechten Maaß abtheilen! ſonderlich
wenn die Erbarmnuͤß einem Theile ihr heimli-
ches Gewichte beylegt? Wie viel Vaͤter haben
ihre Kinder mehr als ſich ſelbſt geliebet? Ario-
barzanes in Cappadocien nahm ſeine Krone
vom Haupte/ und ſetzte ſie in Beyſeyn des groſ-
ſen Pompejus ſeinem Sohn auf. Octavius
Balbus wolte lieber in die Haͤnde ſeiner ihn
verfolgenden Moͤrder fallen/ als ſeinen zuruͤck
gebliebenen Sohn nicht noch einmahl ſehen.
Und du wilſt uͤber meiner Mutter-Liebe mit
deinem Sohne eiffern? Glaube aber/ hertz-
liebſter Polemon/ daß/ da ich mein Kind mit
einer/ ich dich ſicher mit zweyen Adern ge-
liebt/ und von einem ſo tugendhafften Geiſte
deines eigenen Fleiſches mich keiner ſo grim-
men That beſorget/ ſondern vielmehr eine
ſanfftere Auslegung uͤber die meiſt ſchwer-
deutige Wahrſagungen gemacht habe. Jch
habe erwogen/ daß unſere Gefahr nicht ſo
wohl von der Boßheit unſerer Wieder-
ſacher/ als von dem unverſehrlichen Fade-
me unſerer Verſehung den Hang habe;
Ja
[512]Fuͤnfftes Buch
Ja daß unſere Beſchuͤtzung mehr vom Him-
mel/ als unſer Vorſicht herruͤhre. Dieſe
kanſt du ſicherer nicht erlangen/ als wenn
du dich dem ohne diß unuͤberwindlichem Ver-
haͤngnuͤſſe gedultig unterwirffſt/ und nicht
durch Grauſamkeit gegen dein Kind die Goͤt-
ter als unſere Vaͤter wider dich mehr verbit-
tert machſt. Glaube nur/ daß dieſe durch un-
ſerer mißtraͤulichen Klugheit Abwege uns
ſchnurgrade auff den Pfad ihrer unveraͤnderli-
chen Schluͤſſe leiten! Polemon begegnete ihr
mit noch ernſthafftem Geſichte: Uberrede dieſe
Traͤume wen anders/ und lobe einem leicht-
glaͤubigern deine Liebe ein. Die Sonne er-
leuchtet ja wohl die Schwantz-Sternen nichts
minder/ als andere Geſtirne; Aber was iſt
zwiſchen jener und dieſer ihrem Feuer/ zwi-
ſchen deiner Liebe gegen den Zeno/ und der
gegen mich nicht fuͤr ein Unterſcheid? Unſer
Großvater Mithridates dienet uns zum Vor-
bilde. Denn weil ſeine Gemahlin Strato-
nice nur ein feſtes Schloß mit ſeinen Schaͤtzen
dem Pompejus uͤbergeben hatte/ durchſtach
er in denen von ferne zuſchauenden Augen ſei-
ner Mutter ihren und ſeinen Sohn Xiphar/
und ließ ihn unbegraben liegen; Und ich ſoll
fuͤr mein eigen Leben nicht eiffern? Gehet a-
ber/ und ſaget dem Ariobarzanes/ daß zwi-
ſchen ſeine Vermaͤhlung was groſſes kommen
ſey/ wormit ſeine Ungedult ſich nicht gegen
uns uͤber noch mehrere Aeffung beſchweren
doͤrffe. Hierauff kehrte Polemon mit nie-
der geſchlagenen Augen auff die Burg; ver-
ließ alſo Ariobarzanen in wuͤtender Raſerey/
die Koͤnigin in aͤngſtigſter Bekuͤmmernuͤß/
mich im Zweiffel: Ob ich den Polemon fuͤr
meinen Vater/ oder fuͤr meinen Todtfeind
halten; ob ich zu Sinope bleiben/ oder mich
fluͤchten ſolte. Ehe ich mich aber eines endli-
chen entſchluͤſſen konte/ kam der Hauptmann
uͤber die Koͤnigliche Leibwache/ und ſagte ſo
wohl mir als der Dinamis an/ daß wir ihm auf
Koͤniglichen Befehl folgen ſolten. So bald
wir nun von der Schwelle des Tempels tra-
ten/ wurden wir von einer Menge Krieges-
Volckes umgeben/ und zu empfindlichem Be-
truͤbnuͤſſe der uns begleitenden Prieſter auff
die Burg in einem feſt verwahrten Thurm/
zu dem der Koͤnig ſelbſt die Schluͤſſel behielt/
verwahret. Jch ſtelle einem ieden zum Nach-
dencken/ wie uns dieſe Gefaͤngnuͤß bekuͤmmer-
te. Denn wenn Fremder hefftigſte Beleidi-
gung den Geſchmack der Schleen hat/ ſchmeckt
ein von ſeinen Anverwandten empfangenes
maͤßige Unrecht bitterer als Wermuth. Sin-
temahl nicht das Waſſer/ wohl aber das Ge-
bluͤte ſich in Galle zu verwandeln faͤhig iſt;
und aus dem ſuͤſſeſten Honige der ſchaͤrffſte Eſ-
ſig gezogen wird. Weil aber das Mitleiden
fuͤr die unſchuldige Koͤnigin mir am tieffſten zu
Hertzen ging; hatte ich meines Nothſtandes
ſchier vergeſſen/ biß uns nach Mitternacht
das Schwirren der eiſernen Riegel und Thuͤ-
ren bey ſo unzeitiger Eroͤffnung des Thur-
mes einen neuen Schauer einjagte. Maſſen
denn auch alſo fort der unbarmhertzige Pole-
mon mit einem blancken Dolche nebſt etlichen
von der Leibwache zu uns hinein getreten kam.
Sein Antlitz war als ein weiſſes Tuch erblaſ-
ſet/ ſeine Glieder und Lippen zitterten/ und
aus den Augen ſahe zugleich Furcht/ und ihre
zwey Toͤchter/ Verzweiffelung und Grau-
ſamkeit. Hilff Himmel! ſchriehe die Koͤni-
gin/ welch hoͤlliſcher Mord-Geiſt reitzet ihn
ſelbſt zum Moͤrder ſeines Fleiſches und Blu-
tes zu machen? hat er ſeine Unbarmhertzigkeit
gegen andere Menſchen zeither darum geſpa-
ret/ daß er ſie itzt mit vollen Stroͤmen uͤber ſein
unſchuldiges Kind ausſchuͤtte/ und ſich denen
Jndianiſchen Einhoͤrnern gleich mache/ welche
mit allen andern wilden Thieren in Friede le-
ben/ und nur wider ſeines gleichen wuͤten?
Pole-
[513]Arminius und Thußnelda.
Polemon antwortete: Mein eigner Schutz-
Geiſt hat mich aus dem bangſamen Schlafe er-
wecket/ mir dieſen Dolch in die Haͤnde gegeben/
und hierdurch dem Vater-Moͤrder vorzukom-
men ermahnet. Daher bereite dich/ Zeno/ nun-
mehro behertzt zu ſterben/ nach dem es das Ver-
haͤngnuͤß alſo ſchicket/ und die Goͤtter es befeh-
len. Jch/ fuhr Zeno fort/ war meines Lebens
ſchon uͤberdruͤſſig/ und ich ſahe ohne diß nichts/
als den Tod fuͤr mir/ welches/ nach verlorner
Erato/ mich meines Jammers erledigen konte.
Daher fiel ich fuͤr dem Polemon auf die
Knie/ rieß die Kleider von meiner Bruſt weg/
und redete ihn an: Glaube/ Polemon/ daß/ wie
ich dir im Leben zu gehorſamen mich alle-
zeit gezwungen/ auſſer da mir die Natur ſelbſt
einen Riegel fuͤrgeſchoben; alſo ich dir auch ſter-
bende nicht wil zuwider ſeyn. Glaube/ daß ich
von dem/ dem ich das Leben zu dancken/ auch den
Tod zu erdulden mich ſchuldig erkenne; daß ich
vergnuͤgter meinẽ letztẽ Athem ausblaſe/ als daß
man mich Lebenden als einen Vater-Moͤrder
fuͤrchte; daß ich dardurch nicht ſo wohl meinen
Ruhm als meine Liebe vollkommen zu machen
gedencke/ wenn ich die Vater-Hand kuͤſſe/ die
mich zu toͤdten das Eiſen zuͤckt. Stoß alſo/
ſtoß Polemon/ durch das hier nicht fuͤr Schre-
cken/ ſondern aus Liebe ſchlagende Hertze; aber
beleidige nicht mehr die ſo unſchuldige Dyna-
mis Stoß zu! ſtoß zu/ Polemon! und zwei-
fele nicht/ daß ich behertzter ſterben/ als du mich
toͤdten wirſt; ja daß ich dir deine zitternde Hand
ſelber zu fuͤhren nicht ſcheue. Hiermit kuͤſſete
ich die gewaſfnete Hand Polemons/ war auch
ſelbſt bemuͤhet ſelbige mit dem Dolche gegen mei-
ne Bruſt zu ziehen. Dynamis hatte hieruͤber
in voller Ohnmacht liegende/ Sinnen und Ver-
ſtand verloren. Polemon holete aus/ mir ei-
nen ſtarcken Stoß zu verſetzen; im Augenblicke
aber ſprang er mit hoͤchſter Entſetzung zuruͤcke/
ließ den Dolch fallen/ drehete ſich auch ohne eini-
ge Wort-Verlierung umb/ und eilete aus dem
Thurme/ alſo/ daß er nicht einſt der Wache/ ob
ſie uns wieder verſchlieſſen ſolte/ Befehl ertheile-
te. Jch wuſte derogeſtalt nicht/ wie mir/ weni-
ger wie dem Koͤnige geſchehen war. Jnſonder-
heit wuſte ich die Urſache nicht zu ergruͤnden/
welche dẽ Polemon von Ausuͤbung ſeines ſo blu-
tigen Vorſatzes gehemmet haben muͤſte/ auſſer/
daß ich auf meinen willfertigen Gehorſam zu
ſterben muthmaſſete. Sintemal Grim̃ und
Eifer eben ſo wie die ſtuͤrmenden Meeres-Wel-
len alles/ was ſich mit Haͤrtigkeit widerſetzet/ zer-
druͤmmern; aber jene an der Demuth/ dieſe in
dem weichen Sande des Ufers ſich beſaͤnftigen.
Nach weniger Erholung rieb ich an der Koͤni-
gin/ brachte ſie auch endlich wieder zu ſich ſelbſt/
nach dem ſie eine gute Zeit mich fuͤr einen Geiſt
gehalten hatte. Jhre muͤtterliche hierauf er-
folgte Umbarmungen kan ich nicht ausdruͤcken;
iedoch vermochte dieſe Freude ſich auch der
Furcht fuͤr neuem Ubel nicht zu entſchuͤtten/ weil
ſie noch weniger als ich auszulegen wuſte/ was
fuͤr ein Trieb den vollen Stoß des Polemons
zuruͤck gezogen haben muͤſſe. Wir lebten zwi-
ſchen Furcht und Hoffnung oder vielmehr in ei-
nem Mittel-Dinge des Todes und des Lebens/
unter der Umbwechſelung mit Thraͤnen und
Kuͤſſen zuſammen biß an den hohen Mittag; da
ward unſer von der Wache inzwiſchen wieder
verſperrtes Gefaͤngnuͤß eroͤffnet/ und kam Ni-
comedes/ der Koͤnigliche Stadthalter zu Libyſſa/
wo der beruͤhmte Hannibal begraben liegt/
mit freudigem Antlitz/ und gleichwohl weinen-
den Augen zu uns hinein getreten. Seine ver-
miſchte Geberdung deutete auf eine gleichmaͤſ-
ſige Verrichtung. Denn er kuͤndigte der Koͤ-
nigin die Freyheit/ mir aber einen Befehl an:
Daß ich noch fuͤr der Sonnen Untergang Si-
nope raͤumen ſolte. Jch war mit dieſer Stra-
fe vergnuͤgt/ Dynamis aber uͤber meiner Be-
raubung hertzlich bekuͤmmert. Weil ſie denn
zu Nicomeden ein ſonderbares Vertrauen hat-
te/ hat ſie/ er moͤchte ihr nicht verſchweigen/ was
Erſter Theil. T t tſeit
[514]Fuͤnfftes Buch
ſeit unſer Beſtrickung fuͤrgegangen waͤre/ und
was den Koͤnig zu der naͤchtlichen ſo blutduͤrſti-
gen Uberfallung veranlaßt haͤtte. Dieſer kon-
te anfangs fuͤr Weinen kein Wort aufbringen/
hernach aber erzehlte er: Wie die Stadt uͤber der
Strengigkeit Polemons uͤber uns erſtaunet/
iedermann faſt eine abſondere Urſache/ bey Un-
wiſſenheit der wahrhaften/ der verhinderten
Heyrath mit dem Ariobarzanes ertichtet/ dieſer
aus Sinope halb raſend ſich begeben/ dem Po-
lemon den Krieg angekuͤndigt/ der oberſte Prie-
ſter aber unſere Befreyung beweglichſt geſucht/
ja die Sache in ziemlich guten Stand gebracht
haͤtte. Alleine es waͤre der Koͤnig/ bey welchem
er vorige Nacht im Vorgemache ſelbſt die Wa-
che gehabt/ aus dem Bette aufgeſprungen/ haͤt-
te auf ihn geruffen/ und umbſtaͤndlich erzehlet/
Es haͤtte ihn ſein Schutz-Geiſt aufgewecket/ ihm
angedeutet: Es waͤre nun nahe dabey/ daß er
von ſeinem Sohn aufgerieben werden ſolte. Al-
ſo wolte er ihn nicht allein dem Thaͤter fuͤrzu-
kommen/ und ehe er ſich ſeines Gebietes entbraͤ-
che/ deſſelbten ſich zu entbrechen vermahnet/ ſon-
dern ihm auch hierzu ſeines Großvatern des
Mithridatens Dolch eingeantwortet halẽ. Jch/
ſagte Nicomedes/ wolte ihm dieſes als einen eitlen
Traum ausreden. Polemon aber widerſprach
es/ bezohe ſich auf ſeine wachende Augen/ und
inſonderheit waͤre das unfehlbare Kennzeichen
der Dolch dar/ derogleichen keiner im Zimmer
nicht geweſt waͤre/ ja er erkennete ihn auch fuͤr
den/ der auf Mithridatens Grabe gelegen haͤtte.
Wenn aber auch diß gleich nur ein Traum waͤ-
re/ bliebe es doch/ aller Weiſen Urthel nach/ eine
vom Himmel geſchickte Warnigung der Goͤt-
ter. Socrates ſelbſt haͤtte aus einem Traume
erfahren/ daß er in dreyen Tagen ſterben wuͤrde/
und es dem Eſchines entdeckt. Der groſſe Py-
thagoras haͤtte gelehrt/ daß ein Menſch in ſeinen
Traͤumen ſich wie in einem Spiegel betrachten
ſolte. Der weiſe Periogetes/ welchen ich in der
Eil hatte ruffen laſſen/ antwortete dem Koͤnige:
Ja/ aber des Pythagoras Meynung waͤre nicht/
daß man/ wie etliche tumme Atlantiſche Voͤlcker
nur den Morpheus fuͤr ſeinen Gott halten/ und
alles thun muͤſte/ was einem traͤumte. Denn
ſonſt wuͤrde denen Sabinern/ welchen alles
traͤumte/ was ſie wolten/ kein Laſter zu verweh-
ren geweſt ſeyn. Traͤume koͤnten wohl eine
Nachricht von der Beſchaffenheit des Leibes/
und von den Neigungen des Gemuͤthes abge-
ben. Dahero ein Menſch nach dem Urthel des
Zenon/ ſich aus den Traͤumen ausnehmen koͤn-
te: Ob er in der Tugend zugenommen/ oder
nicht. Sintemal/ wo dem Epicur zu glauben/
ein Weiſer ihm allezeit/ ja auch/ wenn ihm traͤu-
met/ aͤhnlich iſt. Jndem aber/ was vom Gluͤ-
cke oder Verhaͤngnuͤſſe herruͤhrte/ koͤnte man
ohne Aberglauben auf keinen Traum fuſſen.
Daher auch der ſo erfahrne Hippocrates an die
Hand gaͤbe/ wie man durch Opfer ſich von der
Beſchwerligkeit der Traͤume erledigen ſolle.
Polemon vergaß aller ſonſt gegen dem Perioge-
tes zu bezeigen gewohnten Beſcheidenheit/ und
fuhr ihn an: Was bringſt du vor ketzeriſche Leh-
re auf die Bahn? Verneineſt du die Vorſorge
der Goͤtter/ daß ſie auch durch Traͤume uns fuͤr
kuͤnftigem Ungluͤck warnen? Verwirffſt du die
durch Traͤume geſchehende Goͤttliche Weiſſa-
gungen in des Amphiaraus Tempel bey Athen/
und in dem Heiligthum der Paſichea zu Spar-
ta? Meynſt du auch/ daß ich der erſte ſey/ der den
ihm im Traume gleichſam mit Fingern gezeig-
ten Feind aus dem Wege geraͤumet habe?
Smerdes muſte uͤber ſeines Bruders Camby-
ſes Klinge ſpringen/ als dieſem traͤumte/ daß er
ſich auf ſeinen Stul ſetzte. Aſtyages gab ſei-
nen Enckel Cyrus dem Harpagus zu ermorden/
weil er aus ſeiner Tochter Leibe einen gantz Aſien
uͤberſchattenden Wein-Stock wachſen ſahe.
Des Harpagus Ungehorſam aber brachte den
Aſtyages umbs Leben und Reich/ und erhaͤrtete
die Gewißheit ſo wichtiger Traͤume. Perioge-
tes verlohr hierdurch nicht den Muth dem Koͤ-
nige
[515]Arminius und Thußnelda.
nige derogeſtalt zu begegnen: Es moͤchten die
Goͤtter ja wohl zuweilen durch Traͤume was
offenbaren/ aber ſicherlich gar ſelten. Nimmer-
mehr aber lieſſe er ſich bereden/ daß ſie den Kin-
der-Mord billigen/ weniger durch Traͤume ver-
ordnen ſolten. Zwar muͤſte unter ſo viel tau-
ſend eitelen Traͤumen ja zuweilen einer eintref-
fen. Denn wenn tauſend Blinde nach dem
Ziele ſchuͤſſen/ wuͤrden ſchwerlich alle fehlen/ ſon-
dern einige ungefehr treffen. Xerxes haͤtte ſei-
ne Eitelkeit nicht genung zu bejammern gewuͤſt/
daß er/ auf Verleitung eines zweyfachen Trau-
mes/ und ſeiner eiteln Ausleger den Krieg wider
Griechenland angehoben. Waͤren die Traͤume
Goͤttliche Warnungen/ wuͤrde gewiß den Nar-
ren und Boßhaftigen nicht mehr/ als den From-
men und Weiſen/ am wenigſten aber auch dem
Viehe traͤumen. Ja ſie wuͤrden ihre Meinun-
gen viel deutlicher ſagen/ und ſie nicht in ſo duͤſte-
re Nebel verſtecken/ daß uns die uͤber der Aus-
legungs-Art ſo ſehr zwiſtige Wahrſager nicht
entweder nach ihren Neigungen/ oder uns nichts
minder zu verfuͤhren/ als Pflaumen zu ſtreichen
Anlaß nehmen koͤnten. Worzu des Kaͤyſers
Julius Traum/ indem er ſeine Mutter beſchlief/
ein merckwuͤrdiges Beyſpiel abgibt. Sinte-
mal die ihm liebkoſenden Roͤmer hierdurch ihm
die Herrſchafft uͤber unſer aller Mutter die Er-
de wahrgeſagt zu ſeyn glaubten. Dahingegen
Hippias/ welcher ihm laͤngſt vorher dieſe Blut-
Schande traͤumen ließ/ nichts weniger als ein
ſolcher Welt-Beherrſcher ward. Polemon
ſchien hieruͤber der Vernunfft wieder ein wenig
Raum zu geben; warff aber ein: Sein Traum/
wo ein ſo klarer Befehl der Goͤtter auch ſo ge-
ringen Nahmen vertragen koͤnte/ waͤre ſo deut-
lich/ daß er keiner Auslegung doͤrffte. Auch
waͤre auſſer Zweifel/ daß Koͤnige/ und inſonder-
heit etliche Geſchlechter in gewiſſen Dingen was
beſonders uͤber den Poͤfel haͤtten. Jhre Schutz-
Geiſter waͤren gewiß ſtaͤrcker und ſorgfaͤltiger/
als gemeiner Leute. Jnſonderheit haͤtte der
Koͤnigliche Pontiſche Stam̃ einen Traum zum
Grund-Stein ſeines Gluͤckes. Denn dem
Antigonus in Syrien haͤtte getraͤumet: Er ſaͤe-
te Gold/ ſein Diener Mithridates aber erndtete
es ein/ und fuͤhrte die Frucht in Pontus. Die-
ſes Traumes halber haͤtte Antigonus ihn zu
toͤdten getrachtet/ Mithridates aber ſich in Cap-
padocien zu fluͤchten genoͤthigt geſehen/ allwo
ihm das Gluͤcke die Hand geboten/ ſich des Pon-
tiſchen Reiches zu bemaͤchtigen. Eben dieſer
Traum/ verſetzte Periogetes/ dienete zum Un-
terricht: Daß kein menſchlicher Witz verhuͤten
kan/ was die Goͤtter auszuuͤben im Schilde
fuͤhren. Auſſer dem vertruͤge Polemons
Traum allerdings eine und zwar ſehr gute Aus-
legung; Sintemal die meiſten Traum-Deu-
ter feſtiglich darfuͤr hielten/ daß alle Traͤume auf
das Widerſpiel zielten. Polemon beſaͤnftete
hieruͤber ſein Gemuͤthe/ und verſprach dem Zeno
kein Leid zu thun/ wenn nicht der ihm von dem
Geiſte eingehaͤndigte Dolch aus des groſſen
Mithridatens Begraͤbnuͤſſe kaͤme/ welches ihm
der groſſe Pompejus zu Ehren in Sinope auf-
gerichtet haͤtte. Jch/ ſagte Nicomedes/ hielt
nichts weniger/ als dieſes glaublich/ und erbot
mich daſelbſt die Wahrheit zu erforſchen. Aber
Polemon fuͤgte ſich aus Mißtrauen ſelbſt da-
hin/ und wir befanden leider! zu unſerer aͤu-
ſerſten Erſtaunung/ daß auf Mithridatens
Grufft der dargelegene Dolch fehlte. Dieſes
Wunder verſetzte uns ins hoͤchſte Schrecken/
den Koͤnig aber brachte es/ alles Einredens
ungeachtet/ zu der feſten Entſchluͤſſung/ ſeinen
Sohn auf ſelbſteigene Veranlaſſung der Goͤtter
hinzurichten. Wir ſahen aber/ fuhr Nicome-
des fort/ den Koͤnig mit groͤſſerer Beſtuͤrtzung
aus dem Gefaͤngnuͤſſe zuruͤck kehren. Er
warff ſich mit hoͤchſter Verwirrung auf ſein
Bette/ befahl mir biß zu Tage nicht von ihm
zu weichen. Wie ich nun eine Weile ſeiner
T t t 2Unruh/
[516]Fuͤnfftes Buch
Unruh/ welche ich fuͤr eine Bereuung ſeines
Kinder-Mords annahm/ zugeſehen hatte/ fing
Polemon endlich an: Ach! ihr grimmigen
Goͤtter! ach! Nicomedes! wir ſind verlohren!
Nach unterſchiedenen verwirrten Reden ent-
deckte er mir endlich auf meine Befragung:
Er habe ſeinen Sohn nicht getoͤdtet. Denn
als er gleich ausgeholet haͤtte/ ihm den Stoß zu
geben/ waͤre eben der Geiſt/ der ihm gleich vor-
hin den Dolch eingehaͤndiget/ mit grauſamer
Geſtalt darzwiſchen geſprungen/ habe ihm den
Dolch aus den Haͤnden geriſſen/ und geſagt:
Halt! diß iſt weder dein Sohn/ noch ein Tod-
ſchlaͤger. Nach ſolcher Erzehlung waͤre Pole-
mon gegen den Morgen endlich eingeſchlaffen/
nach ſeiner Erwachung aber haͤtte er den Prieſter
erfordern laſſen/ mit ihm eine lange Unterredũg
gepflogẽ/ und ihn endlich mit dieſer Botſchafft zu
ihnen abgefertigt. Dynamis und ich entſatzten
uns uͤber Nicomedens Vortrag/ ſonderlich aber/
da wir ſelbſt den noch am Boden liegenden
Dolch betrachteten/ und ſelbten gleicher geſtalt
fuͤr Mithridatens erkenneten. Am allermei-
ſten aber ſtieg mir zu Hertzen/ daß der dem Po-
lemon erſchienene Geiſt mich zwar wider die be-
ſorgte Mord-Luſt vertheidiget/ mir aber zugleich
ſeine Kindſchafft abgeſprochen haben ſolte. Da-
hero umbhalſete ich mit vielen Thraͤnen die Koͤ-
nigin/ wuͤntſchte/ daß dieſem meinem unſchaͤtz-
baren Verluſte/ da ich mit einem ſo maͤchtigen
Vater zugleich eine ſo holdſelige Mutter ein-
buͤſſete/ mein Tod von der Hand des Koͤnigs
zuvor kommen waͤre. Dynamis aber kuͤßte
mich mit der hertzlichſten Empfindligkeit/ als
eine Mutter thun kan/ und/ umb mir dieſen
Kummer auszureden/ fragte ſie: Ob ich einem
luͤgenhafften Geſpenſte mehr als dem wahrhaf-
teſten Kennzeichen der inbruͤnſtigften Mutter-
Liebe Glauben geben wolte? Das Aufwallen
ihres muͤtterlichen Hertzen gegen mich koͤnte ſie
ſo wenig zu einem frembden Kinde ziehen/ als
die Magnet-Nadel fuͤr den Angel-Stern ein
frembdes Geſtirne erkieſen. Sie koͤnte ſich
auf die Treue der tugendhaften Pythodoris ſo
ſehr/ als auf ihr eigenes Augenwerck verlaſſen.
Ja wenn es auch ſchon wahrhaftig heraus kaͤ-
me/ daß ich nicht ein Sohn ihres Leibes waͤre/
ſo wuͤrde ich es doch ewig in ihrem Gemuͤthe
bleiben. Sintemal der/ welcher durch ſeine
Tugend ein Koͤnigs-So hn zu ſeyn verdien-
te/ wenn er es ſchon nicht waͤre/ ſich doch hoͤhe-
rer Ankunfft ruͤhmen moͤchte/ als der/ welcher
es nur von Geburt/ nicht aber durch Verdien-
ſte waͤre. Jch/ ob ich zwar uͤber meiner Kind-
ſchafft ſelbſt zweifelte/ und auf den gebrechlichen
Grund der von der Natur eingepflantzten
Mutter-Liebe wenig fuſſete/ wolte mich doch
nicht ſelbſt eines ſo hohen Urſprungs berauben/
noch die Koͤnigin durch meine Enteuſerung
mehr betruͤben. Und alſo brachten wir die
uͤbrige Zeit meines verguͤnſtigten Darbleibens
mit eitel liebreichen Umbarmungen zu/ biß mit
der niedergehenden Sonne nach und nach das
Licht von der Welt/ ich aber mit tauſend Thraͤ-
nen von der Dynamis Abſchied zu nehmen ge-
zwungen ward. Salonine brach hier ein:
Wir muͤſſen nun auch die Wuͤrckung unſers
neuen Pflaſters erkundigen. Alſo muſte Zeno
mit ſeiner Erzehlung anhalten/ und die Wund-
binden aufloͤſen laſſen. Die Schwulſt hatte
ſich zu aller Anweſenden Verwunderung in
ſo kurtzer Zeit faſt gantz geſetzt/ und/ des Zeno
Andeuten nach/ aller Schmertz geſtillet/ daher
band ihm Salonine friſche Raute auf. Die
Fuͤrſtin Thußnelde aber fing an: Jch verwun-
dere mich uͤber dem ſo heftigen Liebes-Triebe
der Dynamis/ und weiß daher nicht: Ob die
groſſe Liebe der Eltern gegen ihre Kinder nicht
mehr von der Einbildung/ als einem geheimen
Triebe der Natur eingepflantzt werde/ nach-
dem ich gleichwohl aus der Koͤnigin Erato
Erzehlung ſo viel erfahren/ daß nicht er/ Zeno/
ſondern Ariobarzanes fuͤr ihren und Polemons
wahrhaften Sohn erkennet worden ſey; alſo
die
[517]Arminius und Thußnelda.
die Zuneigung der Eltern ihre Kinder deroge-
ſtalt nicht erkenne/ wie die Wuͤnſchel-Ruthe von
einer Haſel-Staude das vergrabene Gold und
Silber/ die von einem Eſchbaume verbor genes
Ertzt andeutet. Es iſt wahr/ antwortete Zeno/
ich habe hernach bekuͤmmert erfahren/ wie
Ariobarzanes den Polemon auf ſeinem Tod-
Bette fuͤr ſeinen Vater erkennet/ alſo diß Ge-
ſpenſte wahr geredet habe/ und ich ſo arm wor-
den ſey/ daß ich weder Vater noch Mutter zu
nennen weiß/ und wenn ich nicht zu dem all-
gemeinen Urſprunge der Menſchen gehoͤrete/
mich aus einem Steine entſproſſen zu ſeyn
ſchaͤtzen muͤſte. Aber ich wil mich nicht ver-
ſehen/ daß mein und der Dynamis Jrrthum
die Geſetze der Natur zerreiſſen/ oder die an-
geborne Zuneigung zu einer bloſſen Einbildung
machen werde. Wenn das menſchliche Ge-
muͤthe auſſer der Kinder-Liebe ſonſt keine Zunei-
gung/ ſondern wie der Magnet nur zum Ei-
ſen/ der Agſtein nur zur Spreu einen Trieb
haͤtte/ wuͤrde ſie ihre denen Augen unkenntliche
Kinder Zweifels-frey erkieſen/ und das Hertze
uͤber ihrer Erblickung viel anders zu ſchlagen
anfangen. So aber werden wir von der Gleich-
heit unſerer Geburts-Art/ von der Tugend/
von Aehnligkeit der Geſtalt/ oder von einem
geheimen Einfluſſe des Geſtirnes offt zu eines
gantz frembden Menſchens Liebe gezogen/ alſo/
daß da uns weder das Gebluͤte noch andere
Gaben reitzen/ wir mehrmals ſelbſt die Urſa-
che unſerer Gewogenheit nicht finden koͤnnen.
Dieſe Vielheit der Gemuͤths - Regungen
machet alſo unſere Unterſcheidung ſchwer
und zweifelhaft/ hebt aber der Eltern inner-
lichen Trieb nicht auf. Uns wuͤrden ſonſt
die unvernuͤnftigen Thiere beſchaͤmen/ wenn
die wilden Baͤren fuͤr ihre Jungen biß aufs
Blut kaͤmpfen/ wenn die Panther lieber in
die Eiſen der Jaͤger rennen/ als ihre Frucht
im Stiche laſſen/ wenn die Loͤwen gegen de-
nen zu Laͤmmern werden/ die ihnen zu
ihrem Brute verhelffen; wenn die Stoͤrche
die juͤngern auf ihren Fluͤgeln tragen; an-
dere Vogel mit ihrem eigenen Blute heilen;
die Adler die ihrigen gegen die Straalen der
Sonne abrichten; wenn die Wallfiſche ihren
Brut in ihren Rachen fuͤr ſich naͤhernden Raub-
fiſchen wieder einſchluͤſſen/ und nach dem die
Gefahr fuͤruͤber/ ſelbte gleichſam zum andern
mal gebaͤhren. Zwar iſt nicht ohne/ daß eine
kraͤfftige Einbildung der Natur mit ihren Wuͤr-
ckungen ziemlich nahe kommet/ daß offt Muͤtter
fremde Wechſel-Baͤlge/ und Vaͤter die ihnen
durch Ehebruch eingeſchobene Kinder mit der
zaͤrtlichſten Empfindligkeit lieb gewinnen! aber
deshalben iſt dieſer ihr unverfaͤlſchter Trieb ſo
wenig zu verwerffen/ als der Glantz denen
Geſtirnen abzuſprechen/ weil auch die Jrr-
wiſche ihrer Straalen ſich bedienen. Die
Fuͤrſtin Thußnelda warff hierwider ein;
Warumb aber freſſen ſo viel Thiere ihre eigene
Jungen? Warumb zerſchlagen ſo viel Voͤ-
gel ihre eigene Eyer? Warumb ermordet Ly-
ſimachus ſeinen tapfern Sohn Agathocles?
Warumb nagelt Maleus ſeinẽ Sohn Cartalus
ans Creutze? Warumb ſetzet Ptolomeus Phyſcon
ſeinen zergliederten Sohn Menephiten der
Mutter Cleopatra fuͤr ein Geruͤchte auf?
Warumb richtet Laodice ihre fuͤnff mit dem
Ariarathes erzeugte Kinder mit Gifft hin?
Und wer weiß alle Kinder- oder auch Va-
ter- und Mutter-Moͤrde zu erzehlen? Nach-
dem gantze Voͤlcker an dem Caſpiſchen Mee-
reihre verlebte Eltern erhungern/ die Bactrianeꝛ
aber ſie gar von den Hunden auffreſſen laſſen.
Freylich wohl/ verſetzte Zeno/ giebt es unter den
Menſchen eben ſo wol undanckbare Kuckucke/
grauſame Nattern/ Spinnen und Scorpionen/
die ihres eigenen Geſchlechts und Blutes nicht
ſchonen. Deſſen aber ungeachtet/ bleibet doch
der Natur gemaͤß/ daß die Eltern und Kinder
T t t 3einan-
[518]Fuͤnfftes Buch
einander lieben/ und daß/ ſo lange bey ihnen die
Vernunfft recht auffgeꝛaͤumt bleibt/ dieſes heim-
liche Feuer unausleſchlich ſey. Wo aber die La-
ſter die Oberhand genommen/ und die Men-
ſchen ſich auff die Spitze des Gluͤcks ſetzen/ zie-
hen ſie nicht nur ihre Menſchheit/ ſondern die
gantze Natur aus. Und alſo iſt kein Wun-
der/ daß die geilen Muͤtter ihre Toͤchter/ die
herrſchſuͤchtigen Soͤhne ihre Vaͤter nicht mehr
kennen/ und in Kerckern veꝛfaulen laſſen. Deñ
die in dem menſchlichen Gemuͤthe auffſteigen-
den laſterhafften Auffdampffungen verduͤſtern
nicht nur die Vernunfft wie dicke Nebel die
Sonne; ſondern ſie gebaͤhren Ungeheuer/ wie
die Schwefel-Duͤnſte feurige Lufft-Drachen.
Ja da die wilden Thiere nur insgemein von ei-
ner uͤbeln Neigung/ als die Panther von Grau-
ſamkeit/ der Fuchs von Betruge/ die Natter
von Undanck/ der Hund von Geilheit/ die
Heydechſe von Mißgunſt heruffen ſind; ſo iſt
ein mißrathener Menſch ein Begriff aller La-
ſter. Aber nach dieſen Mißgeburten muß der
vernuͤnfftige Menſch ſo wenig abgemahlet/ als
die in den faulenden Leichen wachſenden Wuͤr-
mer fuͤr eine rechtſchaffene Menſchen-Brut ge-
halten werden. Thußnelda antwortete: Jch
gebe gerne nach/ daß bey ſolchen Unmenſchen
die Regungen der Natur ſich verlieren/ dieſe
auch nach einer ſo krummen Richtſchnur nicht
abzumeſſen ſind; aber woher ruͤhret es/ daß ver-
nuͤnfftige Eltern einem Kinde geneigter/ als dem
andern/ oder wohl gar ſo Spinnen-feind ſind/
daß ſie es kaum fuͤr den Augen leiden koͤnnen/
daß auch tugendhaffte Soͤhne fuͤr ihren Eltern
einen Abſcheu haben; Maſſen ich in Jtalien ei-
nen Edelmann gekennet/ der/ wenn er ſeines
Vaters anſichtig war/ erblaßte/ und ſich mehr
als der Elephant fuͤr dem Widder/ der Loͤw fuͤr
einem Hahne/ die Hauß-Schlange fuͤr einem
nackten Menſchen/ die Natter fuͤr einem Zwei-
ge von Buchen/ der Agſtein fuͤr Oel/ der Wein-
ſtock fuͤr dem Epheu entſetzte. Fuͤrſt Zeno ver-
ſetzte: Es ſind dieſes ſeltzame Abſaͤtze der Natur/
welche ſo wohl Kriepel und Mißgeburten des
Gemuͤthes/ als des Leibes zuweilen gebieret;
daraus man ſo wenig einen Schluß machen/
als ergruͤnden kan/ warum ein Menſch keine
Katze/ ein ander keine Maus ſehen/ warum die-
ſer keine Zwiebeleſſen/ jener keinen Wein trin-
cken koͤnne? Hertzog Herrmann ſetzte bey:
Sonder allen Zweiffel wird der ſeinem Vater
ſo verhaſſte Sohn ihm an Geſtalt und Gemuͤ-
the ſehr unaͤhnlich geweſen ſeyn. Denn wie
die Aehnligkeit auch zwiſchen Fremden eine
Vereinbarung ſtifftet; Alſo iſt die Unaͤhnlig-
keit ſo wohl zwiſchen Menſchen als andern Ge-
ſchoͤpffen eine Urſache des Haſſes. Hiervon
ruͤhret die Uneinigkeit zwiſchen dem Magnet
und Demant. Deßhalben ſtoͤſſet der Moh-
riſche Stein Theamedes das Eiſen ſo behertzt
von ſich/ als es der Magnet an ſich zeucht. Der
Weinſtock kan den Kohl nicht neben ſich leiden/
und iſt dem Lorber-Baume ſo todtfeind/ als das
Rohr dem Farren-Kraute/ und die Fiſche dem
Oelbaume. Die Unaͤhnligkeit pflantzet das
Schrecken dem Schwane fuͤr dem Drachen/
dem Meerſchweine fuͤr dem Wallfiſche/ dem
Loͤwen fuͤr dem Hahne/ dem Elephanten fuͤr
dem Widder/ dem Pferde fuͤr dem Kamele
ein. Welch letzteres den Cyrus zum Uberwin-
der des Croͤſus machte. Das Geſchrey des E-
ſels toͤdtet ſo gar die Jungen der Flachs-Fincken
und erſchellet ihre Eyer. Ja dieſes Vogels
und der Goldammer Blut ſollen ſich nicht einſt
mit einander vermiſchen. Und die ſtaͤrckſten
Raub-Voͤgel muͤſſen/ wenn ſie uͤber den kleinen
Camelion fluͤgen/ auff die Erde fallen. Keine
andere Beſchaffenheit hat es mit den Menſchen/
ja mit gantzen Voͤlckern/ derer einige einander/
theils durch einen geheimen Zug geneigt/ theils
Spinnen-feind ſind. Dieſe ihre Aehnlig-
keit und Ungleichheit ruͤhret groſſen Theils
von
[519]Arminius und Thußnelda.
von der Art ihrer Laͤnder/ noch mehr aber ih-
rer Eltern her. Daher vertragen ſich die Me-
den und Armenier/ wie auch die vielerley Scy-
then ſo wohl mit einander. Die Europeer
und Aſiatiſchen Voͤlcker/ wie auch die Mohren
und Roͤmer koͤnnen zuſammen gar ſelten ſtehen.
Zwiſchen den Galliern und Celtiberiern/ zwi-
ſchen den Britanniern und Caledoniern iſt faſt
ein unauff hoͤrlicher Krieg; Weil der erſtern
Vaterland einander gantz gleiche/ der andern
gantz ungleiche iſt; Auch von denen hierbey ſehr
viel wuͤrckenden Sternen unterſchiedene Ein-
fluͤſſe hat.
Zeno pflichtete dem Feldherrn bey/ und
meldete: Er haͤtte auff ſeinen Reiſen eben diß
angemerckt/ und ſo bald er uͤber das Euxini-
ſche Meer kommen/ den groſſen Unterſcheid
zwiſchen deſſelbten Sud- und Nord-Nachbarn
verſpuͤhrt; Hingegen bey denen ſe weit entfern-
ten Serern etlicher Voͤlcker nahe Verwand-
niß mit ſeinem Vaterlande wahrgenommen.
Weil nun der Anweſenden Stillſchweigen ihm
eine Andeutung ihres Verlangens zu ſeyn
ſchien/ fuhr er in ſeiner Erzehlung fort: Jch
verfuͤgte mich noch ſelbigen Abend mit zwey-
en Edelleuten/ und einem Knaben/ und
zwar in meiner gewoͤhnlichen Frauen-Tracht/
in ein Schiff/ nicht ſo wohl/ weil es an einen von
mir erkieſeten Ort fahren wolte/ ſondern weil
es ſeegel-fertig war/ um mich nur deſto geſchwin-
der dieſes ungluͤckſeligen Ufers zu entbrechen.
Nachdem wir bereits die gantze Nacht Nord-
Oſtwerts geſegelt hatten/ erfuhr ich aller-
erſt vom Schiffer/ daß der Lauff gegen der
Moſchiſchen Kuͤſte auff die beruͤhmte See-
und Handels-Stadt Dioſcurias zwiſchen dem
Fluſſe Anthemus und Charus gerichtet waͤre;
Allwo man taͤglich wohl dreyhunderterley Voͤl-
cker anzutreffen pfleget/ und die Roͤmiſchen
Kauffleute hundert Dolmetſcher zu Auslegung
dreyhundert alldar im Schwange gehender
Sprachen unterhielten. Welches mir ſo viel
lieber war/ weil ich in einer Verſammlung
ſo vieler Voͤlcker nicht nur deſto unkenntlicher
zu bleiben/ ſondern auch ſo viel mehr mein an-
derwaͤrtig Gluͤck zu finden verhoffte. Nach-
folgenden Tag gegen Abend fing der auffm
Maſtkorbe ſitzende Boots-Knecht an zu ruffen/
wir ſolten die Waffen ergreiffen/ und uns zum
Streit fertig machen/ denn er ſehe ein Raub-
Schiff ſeinen Lauff recht gegen uns zu richten.
Dieſer Ruff erregte im Schiffe ein nicht gerin-
ges Lermen/ und/ weil es nicht ſonderlich zum
Kriege ausgeruͤſtet/ darzu kaum dreißig bewehr-
te Maͤnner darauff waren/ bey den meiſten em-
pfindliches Schrecken. Dieſemnach ich zu Ver-
wunderung der Schiffenden nicht allein mich
ſelbſt zum Gefechte fertig machte/ ſondern auch
denen Kleinmuͤthigen ein Hertze zuſprach; nebſt
dem zugleich erkundigte: Woher man in ſol-
cher Ferne ſo genau erkieſen koͤnte/ daß diß e-
ben ein Raub-Schiff ſeyn muͤſte? Der Schiff-
herr/ welcher aus der Stadt Tanais buͤrtig
war/ ſagte mir: Es waͤre dieſes unſchwer an der
Art der Schiffe zu erkennen/ welche die auff
denen in dem Fluſſe Boriſthenes ſich befindli-
chen haͤuffigen Jnſeln/ und an dem Strome
Hippanis und Tyras wohnenden Raͤuber zu
fuͤhren pflegten. Dieſes waͤre ein von Kind-
auff zum Kriege abgerichtetes Volck/ deſſen
Reichthum zu Hauße allein in Viehzucht be-
ſtuͤnde/ alſo alles andere auff dem Euxini-
ſchen Meere ſuchte/ ja an die daran ſtoſſenden
Laͤnder mit ſeinen flachen Schiffen anlaͤnde-
te/ und mehrmahls reiche Beuten darvon braͤch-
te. Sie erkennten theils der Geten/ theils der
Sarmater Koͤnig fuͤr ihren Ober-Herrn/ a-
ber mehr zum Scheine als weſentlich. Denn
ſie gaͤben ihm nicht allein keine Schatzung/ er-
wehlten ihnen ſelbſt ihre Oberſten und Richter/
ſondern die Koͤnige lieſſen ihnen auch ſelbſt jaͤhr-
lich ein gewiſſes von allerhand Haus- und Krie-
ges - Geraͤthe austheilen; iedoch haͤtte er in
Krie-
[520]Fuͤnfftes Buch
Kriegen wider andere Feinde ſich auff ihre
Tapfferkeit zu verlaſſen/ und waͤren durch ſie
unterſchiedene groſſe Thaten ausgewuͤrcket
worden. Unter dieſem Geſpraͤche naͤherte ſich
dieſes Raub-Schiff/ welchem ich wegen ſeiner
Kleinigkeit noch nicht zutrauen konte/ daß es uns
antaſten wuͤrde. Mir kam aber der Glaube
zeitlich in die Hand; denn ſo bald uns der Feind
nur erreichen konte/ begruͤßte er uns mit ſeinen
Pfeilen/ worvon einer alsbald in meinem Schil-
de ſtecken blieb/ und einen neben mir in Arm veꝛ-
letzte. Sein Schiff war oben rings umher
mit einem Tuche umſpannet/ Daß wir die An-
zahl der uns anfallenden nicht erkieſen konten.
Wir hingegen thaten mit unſern Bogen gleich-
fals das beſte/ wo wir nur einen unſerer Feinde
erblickten/ und der Schiffer bemuͤhte ſich mit un-
ſerm als einem viel groͤſſern Schiffe das feindli-
che zu uͤberſegeln/ aber wegen Schlau- und Ge-
ſchwindigkeit der Raͤuber vergebens. Nachdem
wir wohl eine Stunde gegen einander mit dem
Pfeil-Gefechte zubracht/ auch bey uns unter-
ſchiedene gefaͤhrliche Wunden bekommen hat-
ten/ und ich ſahe/ daß diſſeit der Herr des Schif-
fes die Seinigen nur zu eigener Beſchirmung
nicht zum Angriffe des Feindes anwieß/ welches
ſo viel iſt/ als einem wohl uͤberwunden zu wer-
den/ aber nicht zu uͤberwinden Macht geben;
fing ich an: Wir haͤtten durch unſere Zagheit
dem Feinde nur ein Hertze gemacht/ wuͤrden
auch dergeſtalt uus durch eigene Schuld gar
verlieren. Denn wer im Kriege nur ſeiner
Haut wehrte/ und den Feind nicht in ſeinem ei-
genen Lager und Lande ſuchte/ haͤtte ſchon halb
verſpielet. Alſo waͤre mein Rath/ daß/ weil al-
lem Anſehen nach ſie uns an der Zahl nicht uͤber-
legen waͤren/ wir unſer Schiff an das ihrige fe-
ſte zu machen trachten ſolten. Wie ſchwer er
nun hierzu zu bereden war/ ſo folgte er doch end-
lich meinem Rathe/ als ihm ſelbſt ein Pfeil in
Schenckei zu ſtecken kam. Weil unſere biß-
herige Fechtens-Art einer Kleinmuth allzu aͤhn-
lich/ und der Feind hierdurch vermeſſen ge-
macht war/ gieng der Anſchlag deſto leichter/
und hiermit der rechte Streit mit den Schwerd-
tern an. Dieſer waͤhrete eine lange Zeit/ ohne
ein oder des andern Theils Vortheil/ die Tod-
ten und verwundeten waren faſt gleiche; Wie-
wohl die Geten durch ihren Eifer und Behen-
digkeit wieſen/ daß ſie das Kriegs-Handwerck
wohl verſtuͤnden/ und dieſem Theile/ darunter
ihrer viel dieſen Tag wohl das erſtemahl die
Waffen fuͤhrten/ weit uͤberlegen geweſt waͤren/
wenn ich und meine zwey Edelleute nicht fuͤr die
Luͤcke geſtanden haͤtten. Wie ich nun mit dem
Oberſten deꝛ. Raͤuber/ und zweyen andern/ welche
mich ihnen allein fuͤrnahmen/ genugſam zu thun
hatte/ ward ich eines Frauenzimmers im feindli-
chen Schiffe gewahr/ welche von unten empor
ſtieg/ einem Geten hinterruͤcks das Schwerdt
aus der Hand riß/ und ſeinem Nachbar einen
ſolchen Streich verſetzte/ daß er todt zu Bodem
fiel. Dieſer Streich kehrte alsbald etliche Se-
beln des Feindes gegen diß Frauenzimmer/ die
ſich aber maͤnnlich vertheidigte. Weil ich nun
ſie ohne Schild/ und daher in hoͤchſter Gefahr
ſahe/ verſuchte ich gegen meinen Feind das euſ-
ſerſte/ brachte auch dem Oberſten Raͤuber ei-
nen ſo gluͤcklichen Streich an/ daß er mit ſei-
ner Hand auch die Sebel muſte fallen laſſen. Jch
wolte mich dieſes Vorteils bey Zeiten bedienen/
beſprang daher das feindliche Schiff/ und be-
nahm mit einem andern Streiche einem Fein-
de das Leben/ und das Frauenzimmer der ihr
ziemlich nahenden Todes-Gefahr. Meine
Geferthen wurden hierdurch behertzt/ der Feind
aber/ nachdem mehr als die Helffte erlegt war/
ſo verzagt/ daß ſie die Waffen wegwarffen/ fuͤr
mir/ ich weiß nicht aus was fuͤr Anſehen/
zu Fuſſe fielen/ und das Leben baten/ wel-
che alſofort gebunden und verwahret wur-
den.
Rhemetalces fiel ein: Diß ſind die herrlichſten
Merckmahle eines Gebieters/ welche einem die
Tugend und die Natur eingepraͤget. Zepter und
Kronen hingegẽ nur Tockenwerck des Gluͤckes/
welches einẽ Knecht ſo wenig zum Koͤnig/ als ein
Perlen Halsband einen Affen zum Menſchen
machen kan. Hingegen ſahe man dem Cyrus
auch in der Hirten-Hoͤle ſeinen hohen Urſprung
und ſein Helden-Gemuͤthe an. Und als Kaͤyſer
Julius gleich von den See-Raͤubern gefangen
war/ jagte er ihnen doch Furcht und Schrecken
ein. Denn in Warheit/ wer zum Herrſchen ge-
bohren iſt/ verliert auch in Ketten und Banden
nicht ſeine Botmaͤßigkeit; einem dienſtbaren
Geiſte aber machen auch hundert Kronen kein
Anſehen. Zeno gab diß alles nach; entſchul-
digte dieſe auff ihn gemachte Auslegung/ fuhr
alſo fort:
Der Herr des Schiffes und alle andern wu-
ſten mir nicht genug zu dancken/ noch auch was
ſie von mir als einem Weibsbilde urtheilen ſol-
ten/ wenn nicht einer unter den Schiffenden
mich fuͤr die Fuͤrſtin Arſinoe erkennet/ und mich
alſo durch ſeine unzeitige Ehrerbietung allen
Anweſenden bekandt gemacht haͤtte; Welche
denn insgeſamt mir zu Fuſſe fielen/ darfuͤr hal-
tende/ daß der Himmel mich ihnen zu einer ab-
ſondern Schutz-Goͤttin zugeſchickt haͤtte. E-
ben dieſen Titel legte mir das erloͤſete Frauen-
zimmer bey/ welches mich mit Thraͤnen umb-
balſete/ und nicht genug ihre Verbindligkeit
auszudruͤcken wuſte/ daß ſie von mir aus den
Klauen dieſer Raubvoͤgel erloͤſet worden waͤ-
re. Jch verſetzte gegen ihr/ daß ihre eigene
Tapfferkeit ein Werckzeug unſers Sieges ge-
weſt waͤre/ und wuͤrde ſie meinen geringen
Dienſt uͤberfluͤßig abſchulden/ wenn ich allein
wiſſen moͤchte/ wie ſie in dieſe Noth verfallen
waͤre/ und wem ich dißmahl zu ihrer Freyheit
geholffen haͤtte? Penthaſilea/ alſo nennte ſie ſich/
gab mir zu verſtehen: Wenn mir beliebte ihr ei-
nen Ort zu unſerer Einſamkeit anzuweiſen/
wolte ſie mir in allem Vergnuͤgung leiſten.
Nachdem ich nun Vorſorge gethan/ daß/ was
von dem Raube Penthaſileen zuſtaͤndig waͤre/
abgeſondert/ und ihr wieder zugeeignet/ das uͤ-
brige aber fuͤr gute Beute ausgetheilet wuͤrde/
fuͤhrte ich ſie in mein Gemach des Schiffes/ dar-
innen ſie mir eroͤffnete: Sie waͤre der Amazoni-
ſchen Koͤnigin Minothea Schweſter/ und eine
Tochter des Albaniſchen Koͤnigs Zober/ welcher
nebſt dem Koͤnige Pharnabazes in Jberien wi-
der des Antonius Feldhauptmann Canidius
Krieg gefuͤhret/ und/ als er von ſelbtem geſchla-
gen worden/ ſich nach Ampſalis/ der Amazoni-
ſchen Haupt-Stadt/ biß ihn Moneſes mit dem
Antonius wieder ausgeſoͤhnet/ gefluͤchtet/ und
daſelbſt ihre Mutter Androgyne geſchwaͤngert
haͤtte. Bey welcher ſie in ihrer Kindheit ver-
moͤge der Amazoniſchen Reichs-Geſetze/ welche
den Vaͤtern alles Recht uͤber ihre Toͤchter ent-
ziehen/ haͤtte verbleiben muͤſſen/ hernach aber
haͤtten ſie die angewohnten Sitten/ und die
Suͤßigkeit ihrer Freyheit ſo eingenommen/ daß
ob wohl ihr Vater/ Koͤnig Zober/ ohne Soͤhne
geſtorben/ ſie nach dem vaͤterlichen Reichs Er-
be nie gefragt/ ſondern eine Amazonin blieben
waͤre. Jch war begierig von dieſer Fuͤrſtin die
wahre Beſchaffenheit ihres Reichs zu erfor-
ſchen/ welche ſie ſonſt insgemein aus einer be-
ſondern Staats-Klugheit fuͤr den Auslaͤndern
auffs ſorgfaͤltigſte verhoͤlten. Daher gab ich
ihr mit einem freudigen Antlitz zur Antwort:
Jch vernehme mit groſſer Vergnuͤgung/ daß
die vertriebenen und ungluͤckſeligen Maͤnner
bey denen Amazonen/ die doch in der Welt
fuͤr die grauſamſten Feinde des Maͤnnlichen
Geſchlechtes ausgeſchrien wuͤrden/ ihren Auff-
enthalt findeten; Alſo haͤtte veꝛmuthlich eine ver-
ſtoſſene Fuͤrſtin/ und inſonderheit ich/ die ich zwar
nicht vom Gebluͤte/ aber wohl vom Gemuͤthe ei-
ne Amazonin waͤre/ derogleichen ſich zu getroͤ-
ſten. Sintemahl ihr alle Anweſenden auff
dem Schiffe wuͤrden erzehlen koͤnnen/ daß weil
Erſter Theil. U u uich
[522]Fuͤnfftes Buch
ich den Koͤnig der Meden und Armenier Ario-
barzanes mit Verluſt der guͤldnen Freyheit nicht
haͤtte ehlichen wollen/ haͤtte mich der Pontiſche
Koͤnig Polemon aus allen ſeinen Reichen ver-
bannet/ und alſo ſegelte ich nunmehro auff gutes
Gluͤcke dahin/ wohin mich die Goͤtter und mein
Verhaͤngniß beruffen wuͤrden. Penthaſilea
ſchuͤttete mitleidende gegen mich aus ihren kohl-
ſchwartzen Augen einen Hauffen naſſer Perlen/
umarmte und verſicherte mich/ daß die Koͤnigin
Minothea mich als ihr Kind oder ihre Schwe-
ſter auffnehmen wuͤrde/ da ich meine Zuflucht
dahin zu nehmen ſie wuͤrdigen wuͤrde. Es waͤ-
re ihr zwar nicht unwiſſend/ was der falſche Ruff
den Amazonen fuͤr wilde Sitten andichtete/ wie
ſie nehmlich alle neugebohrne Knaben Mutter-
moͤrderiſch toͤdteten/ denen Maͤgdlein die rechte
Bruſt mit einem gluͤenden Eiſen verſehrten/
wormit die Bruͤſte ſie mit der Zeit nicht an dem
Gebrauch des Bogens verhinderten/ oder der
rechte Arm dadurch deſto mehr Staͤrcke bekaͤme/
daß ſie aus Erfindung der Koͤnigin Antianira
die erwachſenen Maͤnner laͤhmeten/ wormit
ſie zum Kriege ungeſchickt/ zur Geilheit deſto
faͤhiger wuͤrden; Allein es wuͤrde mich mein er-
ſter Augenſchein in ihrem Reiche ein anders be-
reden/ indem ich darinnen viel wohlgeſtalte Kna-
ben/ die biß ins ſiebende Jahr ſorgfaͤltig auffer-
zogen/ und ſo denn ihren Vaͤtern heimgeſchickt
wuͤrden/ die Amazonen meiſtentheils zweybruͤ-
ſtig/ viel vollkommene Maͤnner/ welche nur
nicht Waffen tragen/ und die Reichs-Aem-
ter bedienen doͤrfften/ ſondern der haͤußlichen
Wirthſchafft/ der Kinderzucht/ und anderer
ſonſt den Weibern obliegende Geſchaͤffte ab-
warten muͤſten/ antreffen wuͤrde.
Flavius brach ein: Jch erinnere mich/ daß
ich derogleichen verkehrte Lebens-Art auch in
der Numidiſchen Stadt Teſſet angetroffen/
wo nur die Weiber den freyen Kuͤnſten oblie-
gen. Ja/ ſagte Rhemetalces: Jn Egypten iſt
es voriger Zeit uͤblich geweſt/ daß die Maͤn-
ner geſponnen/ genehet und gewuͤrcket/ die
Weiber aber maͤnnliche Geſchaͤffte verrichtet
haben. Nicht anders liegen auch die Gelo-
nes in Meden der Uppigkeit ob/ ſchmincken
und balſamen ſich ein; ihre Weiber aber ver-
richten alles wichtige. Jch will nicht zweif-
feln/ ſagte Zeno/ daß weil die Amazonen lan-
ge Meden beherrſchet/ die Gewonheit von ih-
nen den Urſprung habe. Ubrigens ermunterte
ich Penthaſileen nicht nur durch mein fleißiges
Auffmercken in ihrer annehmlichen Erzehlung
fort zu fahren/ ſondern ich erſuchte ſie auch be-
weglichſt/ mir den wahrhafften Urſprung ih-
res Reiches nicht zu verſchweigen/ nach dem
ins gemein ſo unterſchieden hiervon gere-
det wuͤrde. Penthaſileens Willfaͤhrigkeit uͤ-
berwog mein Verlangen/ alſo fing ſie hier-
auff gegen mir an: Unſer erſter und warhaff-
ter Urſprung ruͤhret von der Fuͤrſtin Vandala
her/ des Deutſchen Koͤnigs Alemans Tochter/
welcher zu ſeiner Leibwache/ oder vielmehr zum
Zeichen ſeiner uͤber Menſchen und Thiere ha-
bender Herrſchafft ſtets einen Loͤwen an der
Hand fuͤhrte. Als dieſer ſtarb/ theilten ſeine
drey Soͤhne/ Norich/ Hunnus und Bojus die
vaͤterlichen Reiche vom Boriſthenes biß an
Rhein alleine unter ſich; Welches ihre mehr
als maͤnnliche Schweſter Vandala/ welche am
allererſten unter den Menſchen zu Pferde ge-
ſtiegen/ und ſo wohl das Reiten/ als Kaͤmpffen
zu Pferde erfunden hat/ nicht verſchmertzen
konte/ ſondern als ihre Bruͤder ihr ein gewiſ-
ſes Erbtheil abzutreten weigerten/ ein groſſes
Heer von allerhand Weibern verſammlete/ und
zwiſchen denen Brunnen der Weichſel und des
Guttalus mit dem Bojus eine Schlacht wagte/
ſelbten auch aus dem Felde ſchlug. Dieſer
Sieg verurſachte/ daß aus allen Enden des
deutſchen Reichs eine unzehlbare Menge Wei-
ber/ welche entweder der maͤnnlichen Herr-
ſchafft uͤberdruͤßig waren/ oder durch die Waffen
Ehre einzulegen getraueten/ der Fuͤrſtin Van-
dala
[523]Arminius und Thußnelda.
dala zulieff. Dieſe Macht/ oder vielleicht auch
die Abſcheu fuͤr groͤſſerm Blutver gieſſen brach-
te zu wege/ daß die drey Bruͤder ihrer Schweſter
Vandala den Strich zwiſchen der Weichſel
und dem Guttalus einraͤumten. Es verliebte
ſich aber in dieſe tapffere Vandala des Bojus
Sohn/ Tanauſis/ welchen ſein Vater zum Koͤ-
nige der damahls um die Meotiſche Pfuͤtze
wohnenden Gothen gemacht hatte. Dieſen
tapffern Held vergnuͤgte zwar die Koͤnigin
Vandala/ iedoch war ſie nicht zu bewegen/ daß
ſie ihn als ihren Ehherrn bey ſich behalten/
und die Herrſchafft uͤber ihr maͤnnliches Frau-
enzimmer mitgetheilet haͤtte; ſondern er muſte
darmit vorlieb nehmen/ daß ſie ihm alle Jahr
einen Monat bey ihr zu bleiben erlaubte/ die
Soͤhne/ die ſie gebahr/ ihm folgen ließ/ die Toͤch-
ter aber fuͤr ſich behielt. Eben zu ſelbiger Zeit
bemeiſterte ſich faſt gantz Aſiens der Egypti-
ſche Koͤnig Vexores/ Seſoſtres/ oder Sethos.
Nachdem dieſer das Reich der Aßyrier unter
dem Koͤnige Soſarin/ und der Sycioner un-
ter dem Jmachus ihm zinßbar gemacht/ ſchick-
te er an den Tanauſis einen Herold mit Be-
fehl/ daß er ſich ſeiner Herrſchafft gleichfals un-
terwerffen ſolte. Dieſer Deutſche Koͤnig der
Gothen ließ dem Vexores zur Antwort wiſ-
ſen: Es waͤre groſſe Thorheit/ daß eines ſo rei-
chen Volckes Koͤnig durch Krieg bey denen et-
was ſuchen wolte/ die die Sebel fuͤr ihr groͤſtes
Reichthum hielten/ alſo alldar zwar keine Beu-
te/ wohl aber Verluſt und ein zweiffelbarer
Kriegs-Ausſchlag zu beſorgen waͤre. Nach
dem ihn aber ja ſo geluͤſtete/ mit den Gothen
anzubinden/ wolten ſie ſelbſten eheſtens bey ihm
ſeyn. Weil nun Tanauſis der Koͤnigin Van-
dala Ehrſucht wohl wuſte/ machte er alles diß ihr
eilfertig zu wiſſen/ welche mit ihrem Weiblichen
Heere ſich nicht ſaͤumete den Gothen zu Huͤlffe
zu kommen. Die groſſen Stroͤme des Bori-
ſthenes/ des Pantycapes/ des Pacyris/ und
Gerrhus/ und der Cimmeriſche Boſphorus/
waren ihrer Ruhms-Begierde allzu geringe
Hinderniße in Aſien zu dringen. Tanauſis/
welcher mit einem ſtarcken Heere uͤber die Fluͤſ-
ſe Tanais/ Marabius/ Rhambites/ Pſoͤpis/
und Varadan geſetzt/ und ſolche unter dem
Coraxiſchen Gebuͤrge ſtehen hatte/ kam ihr biß
in die Stadt Apaturus mit den fuͤrnehmſten
ſeiner Gothiſchen Fuͤrſten entgegen; baute auch
hernach wegen ihrer daſelbſt genoſſenẽ Vergnuͤ-
gung der Liebe einen praͤchtigen Tempel. Hier-
auff zohen ſie mit einander an der Nord-Seite
des Caucaſiſchen Gebuͤrges/ und kamen in Jbe-
rien/ bey der Stadt Harmaſtis gegen der Egy-
ptier Vortrab zu ſtehen. Die Fuͤrſtin Vanda-
la bat ihr gegen dieſem wolluͤſtigen Feinde allein
zu fechten aus. Der unverſchene Anblick eitel
geruͤſteter/ und ſo maͤnnlich anfallender Wei-
ber jagte denen Egyptiern alsbald ein grauſa-
mes Schrecken ein. Denn/ weil ſie nicht glaub-
ten/ daß dieſes ſchwache Geſchlechte ſolcher
Tapfferkeit faͤhig waͤre/ ſahen ſie ſie fuͤr Ge-
ſpenſter an. Weil nun in Schlachten das Au-
ge am erſten uͤberwunden wird/ dieſes aber ſo
denn dem Hertzen leicht den Muth benimmt/
ſchlug Vandala nach weniger Stunden Ge-
fechte den Feind aus dem Felde; welches in das
groſſe Koͤnigliche Heer nicht einen geringen
Schrecken vorher jagte. Dieſes traffen die
Deutſchen in Colchis an dem Fluſſe Hippus
an. Beyde Heere wurden des Nachts in
Schlacht-Ordnung geſtellet/ wormit ſie bald/
wenn es begunte zu tagen/ mit einander an-
binden koͤnten. Vandala fuͤhrte den rechten/
Tanauſis den lincken Fluͤgel. Die auffgehen-
de Sonne warff durch ihren Widerſchein von
der Egyptier guͤldenen Waffen/ goldgeſtuͤckten
Kleidern/ und Pferde-Decken denen Deut-
ſchen und Gothen einen ſolchen Widerſchein in
die Augen/ daß ſie bey nahe verblaͤndet/ und
daher ſo wohl Vadala als Tanauſis die Stir-
ne ihrer Schlacht-Ordnung etwas ſeitwerts
zu lencken genoͤthigt wurden. Beyde Heer-
U u u 2fuͤh-
[524]Fuͤnfftes Buch
fuͤhrer nahmen daher Anlaß ihr Volck auffzu-
friſchen; Vexores: daß der Feind nicht einſt den
Glantz ihrer Waffen vertragen koͤnte; Vanda-
la und Tanauſis aber/ daß ſie mit keinen abge-
haͤrteten Kriegs-Leuten zu fechten/ ſondern nur
auffgeputzte Tocken/ und eingebieſamte Weiber
zu erlegen haben wuͤrden. Alleine den Egy-
ptiern ſchauerte fuͤr Schrecken ſchon die Haut/
als ſie die deutſchen Amazonen auff eitel ſchwar-
tzen Pferden/ und mit ſchwartzen Schilden ge-
ruͤſtet/ die Gothen aber auff weißen Pferden
mit Kohlen-beraͤhmten Geſichtern und Ar-
men wie der Blitz andringen ſahen. Es iſt
freylich wohl rathſamer/ fing Rhemetalces an/
mit ſtarcker als praͤchtiger Ruͤſtung verſehen
ſeyn. Denn das Eiſen/ nicht das Gold iſt
von der Natur zu Waffen gezeuget. Und
die Federn dienen wohl den Voͤgeln zur Flucht/
aber nicht den Kriegsleuten zum Gefechte. Es
waͤre wahr/ ſagte Hertzog Herrmann/ und wuͤ-
ſten die Deutſchen inſonderheit nicht viel von die-
ſer den Feind nur zum Raube reitzenden/ und an
ſich ſeilbſt beſchwer- und hinderlichen Eitelkeit.
Gleichwohl aber waͤre die Auffputzung der
Kriegs-Leute nicht ſchlechterdings zu verwerf-
fen; und haͤtten die zwey groſſen Helden Phi-
lopoͤmen und Kaͤyſer Julius die ihrigen praͤch-
tig ausgeruͤſtet. Der koͤſtliche Granat-Aepffel-
Safft ſteckte in ſchoͤnen/ die Diamanten in
heßlichen Schalen/ und ein Helden-Hertze thaͤ-
te in beyden Wunder. Zeno meldete/ die-
ſesmahl in dem ſchlechteſten Auffzuge. Uber-
diß ereignete ſich/ daß/ als die Schlacht nur
angegangen war/ Vexores von dem ober-
ſten Prieſter aus Memphis die traurige Zeitung
bekam/ daß des Koͤnigs Bruder und hinterlaſ-
ſener Stadthalter die Koͤnigin veraͤchtlich hielte/
mit des Koͤnigs Buhlſchafften ſich befleckte/ und
die Herrſchafft an ſich zu reiſſen trachtete. Die-
ſes Ungluͤck verwirrte den Vexores derogeſtalt/
daß er ſeinen Kriegs-Oberſten gantz widrige
Befehl ertheilte/ und alſo ſein eigenes Heer in
Unordnung brachte. Hingegen fiel auff einer
Seite Tanauſis/ auff der andern Vandala die
Egyptier wie Loͤwen an/ an denen ſie aber
mehr zu ſchlachten/ als mit ihnen zu kaͤmpffen
hatten. Alles was ſich nicht an das Tauri-
ſche Gebuͤrge/ oder die Nacht verſteckte/ kam
durch die Schaͤrffe des Schwerdtes um. Der
Koͤnig kam mit Noth auff den Fluß Phaſis/
und auff ſelbtem uͤber das Euxiniſche Meer/
in den Fluß Halys/ daſelbſt ſtieg er aus/ ging
zu Lande durch Galatien/ und Lycaonien/ biß an
den Fluß Cydnus/ auff dem er in das Cilici-
ſche Meer ſchiffte/ und bey Cypern vorbey
gleichſam ohne Umſchauen in Egypten ankam.
Polemon fing an: Es iſt diß ein merckwuͤr-
dig Beyſpiel/ daß ein Feldherr mit einem un-
bekandten Feinde nicht leicht ſchlagen/ auch nicht
alles an die Spitze einer einigen Schlacht ſe-
tzen ſolle. Ja/ ſagte Hertzog Hermann/ auch/
daß ein Heerfuͤhrer nicht allein ein groſſes Her-
tze/ ſondern auch in der groͤſten Verwirrung
einer Schlacht einen auffgeraͤumten Kopff ha-
ben muͤſſe; welcher alle boͤſe Zeitungen ver-
daͤuen und verhoͤlen/ ja Zufaͤlle und das Un-
gluͤck ſelbſt zu ſeinem Vortheil gebrauchen koͤn-
ne. Alſo munterte der hertzhaffte Brennus ſei-
ne bey waͤhrender Schlacht von einem Erd-
beben erſchreckende Deutſchen auff: Sie ſol-
ten nur tapffer anſetzen. Denn wie ſolte der
Feind gegen denen ſtehen/ fuͤr welchen die Er-
de zitterte. Und der großmuͤthige Marcomir
hielt einsmahls ſein Heer/ von welchem etliche
Geſchwader durchgingen/ mit dieſen wenigen
Worten in gutem Stande: Es iſt gut/ daß ſich
die Weiber bey zeite von den Maͤnnern ab-
ſondern. Hertzog Jubil ſetzte bey/ daß Arioviſt
zu der dem Kaͤyſer Julius gelieferten Schlacht
einem ihm die Zeitung bringenden Kriegsknech-
te/ daß ſeine Gemahlin getoͤdtet waͤre/ unveraͤn-
dert geantwortet habe: du wirſt mein Kebs-
Weib meinen. Denn ich weiß von keiner an-
dern Gemahlin/ als meinem Reiche; diß aber
beſte-
[525]Arminius und Thußnelda.
beſtehet nicht in Berg und Thaͤlern/ ſondern
in denen hier hertzhafft fechtenden Seelen. Ze-
no fing an: Alſo haͤtte ihm Vexores auch helf-
fen/ und mit ſeinem Gluͤcke nicht alsbald gar
die Vernunfft verlieren ſollen. Der Koͤnigin
Vandala/ und dem Tanauſis hingegen wuchs
mit dem Gluͤcke die Klugheit/ allen Deut-
ſchen aber durch dieſen ſo leichten Sieg der
Muth/ und durch die reiche Beute die Begier-
de mehr zu erlangen. Dahero bemaͤchtigte
ſich Vandala der zwiſchen dem Tauriſchen/ und
Moſchiſchem Gebuͤrge/ wie auch dem Euxi-
niſchen Meere gelegener Laͤnder/ beſetzte die
Stadt Phaſis/ Sebaſtopolis an dem Fluſſe A-
cinaſis/ die Stadt Abſyrtus an dem Fluße Ab-
ſarus/ Baute Xylina zwiſchen dem Fluſſe Py-
xites/ und Pritanus/ beſetzte die Fluͤſſe Adie-
nus/ Ophis/ Nyſſus/ und Melanthius/ ja brach-
te biß an den Fluß Halys die gantze See-Kuͤ-
ſte unter ihr Gebiete; zwiſchen die Stroͤme
Jris/ und Thermodon aber baute ſie ans Meer
zu ihrem Koͤniglichen Sitze die Stadt Themi-
ſcyra. Tanauſis aber theilte ſein Heer in
zwey Theil/ mit einem drang ſein Bruder Par-
thes uͤber den Caucaſus in Hircanien/ und
durch die Caſpiſchen Pforten in Meden/ wel-
chem ſich des Vexores Unter-Koͤnig Sorim gut-
willig unterwarff. Dieſer richtete daſelbſt von
ſeinem Nahmen das beruͤhmte Volck und Herr-
ſchafft der Parthen und Bactrianer auff. Das
andere Theil fuͤhrte Tanauſis in Cappadocien
und Lycaonien/ daſelbſt lieſſen die Gothen ihre
Weiber/ Kinder und Alten unter dem Schirm
der beyden Fuͤrſten Ylinos und Scolopitus zu-
ruͤcke/ uͤberſchwemmeten nicht nur das kleinere
Aſien/ ſondern auch Syrien/ Meſopotamien
und Aſſyrien; Sie waͤren auch biß in Egypten
gedrungen/ wenn ſie die Pfuͤtzen von dem uͤber-
lauffenden Nil nicht zuruͤcke gehalten haͤtten.
Tanauſis baute in Syrien Hierapolis uñ Beth-
ſan/ und die Liebligkeit ſelbiger Laͤnder verur-
ſachte/ daß die Gothen nicht nur ihres kalten
Vaterlandes/ ſondern auch der ihrigẽ in Cappa-
docien ver gaßen; Ungeachtet ſie ihre verlaſſenen
Frauen beweglich zuruͤck rufften/ und aus den
Nachbarn andere Maͤnner zu erkieſen draͤue-
ten. Die Koͤnigin Vandala fuͤhrte inzwiſchen
mit den Sacken/ einem Scythiſchen Volcke
Krieg/ uͤberwaͤltigte ſie/ und drang ihnen zur Koͤ-
nigin ihre Baſe/ die ſchoͤne und ſtreitbare Zarina
auff/ welche hernach die Meden/ und andere
rauhe Voͤlcker demuͤthigte/ ſelbten mildere Sit-
ten angewoͤhnete/ und unterſchiedene Staͤdte
bauete/ alſo auch unter den Scythen die Frau-
en-Herrſchafft/ unter den Amazonen aber die
Tugend und Tapfferkeit durch dieſes Geſetze be-
feſtigte/ daß keine/ die nicht drey Feinde erlegt/
und zwar nur alsdeñ/ weñ ſie vorher ihren Got-
tesdienſt verrichtet/ mit einem Manne Gemein-
ſchafft haben dorffte. Weßwegen ſie nach ih-
rem Tode vergoͤttert/ und mit Auffrichtung ei-
ner Himmel-hohen ſteinernen Saͤule verehret
ward. Als Vandala mit den Sacken kaum
fertig ward/ bey dieſem Kriege aber ſie faſt alle
ihre Macht aus dem kleinern Aſien zuruͤck ge-
gen Norden gezogen/ und zu Ampſalis ihren
Sitz erkieſet hatte/ kriegte ſie von denen in Cap-
padocien gelaſſenen Gothiſchen Frauen Nach-
richt: Nachdem die benachbarten Pamphilier/
Paphlagonier und Armenier/ die Gothiſchen
Weiber in Cappadocien aller Mannſchafft ent-
bloͤſſet/ und von ihren Maͤnnern gantz verlaſſen
geſehen/ waͤren ſie mit geſamter Hand bey ihnen
eingefallen/ haͤtten auch beyde Fuͤrſten Ylinos
und Scolopitus erlegt/ alſo waͤre es um ſie ge-
ſchehen/ da ſie ihnen nicht ſchleunige Huͤlffe lei-
ſtete. Vandala machte ſich unverruͤcktes Fuſ-
ſes mit einem Theile ihrer ſtreitbaren Weiber
auff/ uͤber das Euxiniſche Meer/ ſtieg zu The-
miſcyra aus/ und traff die Gothiſchen Frauen
an dem Fluſſe Jris in einem hitzigen Gefechte
mit ihren Feinden an. Jhre ſchneidenden
Schwerdter gaben dem zweiffelhafftem Siege
bald einen Ausſchlag; Die Feinde wurden mei-
U u u 3ſten-
[526]Fuͤnfftes Buch
ſtentheils nieder gehauen/ und hierdurch daſelbſt
ein neues Weiber-Reich auffgerichtet. Van-
dala baute auff der Wallſtatt eine Stadt/ und
nennte ſie zum Gedaͤchtniſſe/ daß bey waͤhren-
der Schlacht ſich ihr die Haarlocken auffgefloch-
ten/ ſie aber ſolche biß zum Ende fliegende ge-
laſſen hatte/ nach angenommener Griechiſchen
Redens-Art Komana. Jn dieſer Stadtrich-
tete ſie von eitel rothem aus dem Tauriſchen
Gebuͤrge gehauenem Marmel der Kriegs-
Goͤttin unter dem Nahmen der Tauriſchen Di-
ana einen praͤchtigen Tempel auff/ ordnete
hundert Prieſterinnen dahin/ darunter die O-
berſte nach der Koͤnigin die hoͤchſte Gewalt im
Reiche hatte; Sechs tauſend Gefangene mach-
te ſie zu Opffer-Knechten/ welche aber auff ge-
wiſſe Feyer einander ſelbſt auffreiben muſten.
Die Griechen und alle andere Voͤlcker verehre-
ten hernach dieſes Heiligthum fuͤr allen andern/
und Agamemnon wiedmete darein das Opffer-
Meſſer/ wormit ſeine Tochter Jphigenia ab-
geſchlachtet worden war. Weil auch einige
bey ihnen nachbliebene Maͤnner nicht mit in
die Schlacht kommen waren/ toͤdteten die Go-
thiſchen Weiber ſie vollends/ und nahmen hier-
von den Nahmen der Amazonen und die erſtern
Geſetze der Vandala an; welche ihnen die zwey
tapfferſten Frauen Marpeſia und Lampeto zu
Koͤniginnen fuͤrſetzte/ die ihnen ihre rechten
Bruͤſte den Bogen deſto beſſer zu gebrauchen
weggebrennet hatten/ und ſich des Krieges-Got-
tes und der Diane Toͤchter nannten/ die erſte
auch einem Theile des Caucaſiſchen Gebuͤrges/
aus dem die Fluͤſſe Corax und Aſtelephus ent-
ſpringen/ ihren Nahmen zugeeignet hatte/ weil
ſie die daſelbſt einbrechenden Scythen ſo hertz-
hafft zuruͤck geſchlagen. Vandala ſelbſt aber
kehrte wieder in ihr Nordliches Reich/ alldar
ſie nach vielen Siegen endlich ſtarb/ von den
ihrigen aber fuͤr eine Goͤttin und Fuͤrbild der
Tapfferkeit in unerleſchlichem Gedaͤchtniße
behalten ward. Lampeto und Marpeſia aber
uͤbten ihr Frauenzimmer an ſtatt des veraͤchtli-
chen Spinnens in Ritter-Spielen/ theilten ſich
in zwey Heere ab; Marpeſia bemaͤchtigte ſich
Armeniens/ und nennte denſelbigen gantzen
Strich des Caucaſus nach ihrem Nahmen das
Marpeſiſche Gebuͤrge/ wiewohl ſie hernach bey
einem Einfall der Aſſyrer durch einen Pfeil toͤdt-
lich verwundet ward/ iedoch erſt nach erlangtem
Siege ihren Helden-Geiſt auffgab. Dieſer ihre
Tochter Gorgonia verfolgte ihre Siege/ fuhr
auf dem Tigris uͤber das Perſiſche/ und nach Eꝛ-
legung der Araber uͤber das rothe Meer/ allwo
ſie dem Egyptiſchen Koͤnige Horus der Jſis
Sohne ihre Tochter Myrina auff eine gewiſſe
Zeit vermaͤhlte/ und ein Buͤndniß auffrichtete.
Von dar zohe ſie durch die Cyreniſche Wuͤſten in
Numidien/ baute zu dem Tritoniſchen See eine
Stadt/ und unterwarff ihr theils durch Tapffer-
keit/ theils durch Schrecken/ indem die von ihr ſo
genannten Gorgones ihre Schilde und Waffen
mit Schlangen behingen/ viel Voͤlcker; Ward
aber endlich durch Argliſt vom Perſeus erlegt.
Nach ihr maßte ſich der Herrſchafft die Koͤnigin
Myrina an/ ſchlug die Einwohner in Cercene/
worauff ſich die andern Atlantiſchen Voͤlcker
ihr gutwillig untergaben. Von dar drang ſie
wieder in Arabien/ bemaͤchtigte ſich der Syrer
durchs Schwerdt/ der Cilicier durch Schrecken/
baute die Staͤdte Cyme/ Pitame/ Priene und
Mitilene. Blieb endlich in der Schlacht mit den
Thraciſchen Koͤnigen Sipylus und Mopſus;
Nach welcher Tode dieſe Amazonen wieder in
Lybien zuruͤck kehrten. Lampeto eroberte inzwi-
ſchen auff der andern Seite Galatien/ Piſidien/
Cilicien/ und ein Theil Syriens/ baute die
Stadt Smyrna/ Cuma/ Myrina/ Paphus/
Epheſus/ und der Diane Wunder-Tempel; Ja
endlich drang ſie biß in Thracien. Vandalens
Nachfolgerinnen aber machten ihnen auff der
Nord-Seite des Euxiniſchen Meeres biß an
den Einfluß der Tanais alle Voͤlcker dienſt-
bar. Marpeſien folgte ihre Tochter Orithia/
welche
[527]Arminius und Thußnelda.
welche ewige Jungfrauſchafft gelobte/ und die
Stadt Sinope baute; der Lampeto ihre Toch-
ter Antiope/ welche zwey mit ihren Thaten die
Welt alſo erfuͤlleten/ daß es eine Amazone zu
uͤberwinden ſo unmoͤglich/ als den Himmel mit
den Fingern zu erreichen gehalten ward.
Wie denn deshalben Bacchus in dem Tem-
pel zu Samos etlicher von ihm erlegter Ama-
zonen Gebeine als ein groſſes Wunderwerck
aufhenckte. Daher als Hercules in Griechen-
land nach unterſchiedenen groſſen Verrichtun-
gen/ und inſonderheit/ daß er das goldene Fell
aus Colchis geholt/ und den an dem Caucaſus an-
geſchmiedetẽ Prometheus loßgemacht hatte/ ſich
beym Koͤnige noch groͤſſerer Streiche vermaß/
legte dieſer ihm auf/ einer Amazoniſchen Koͤni-
gin Guͤrtel zu bringen. Hercules nahm die-
ſes auf ſich/ und die Gelegenheit in Acht/ als
Orithia mit den meiſten Amazonen uͤber den
Phrat geſetzt war/ zohe den Kern des Griechi-
ſchen Adels/ unter denen Theſeus/ Enneus/
Thoas/ Sokoan/ Artolicus/ Demeleon/ Phlo-
gius die fuͤrnehmſten waren/ an ſich/ ſegelte mit
neun langen Schiffen durch die Thraciſche
Meer-Enge uͤber das Euxiniſche Meer in den
Fluß Thermodon/ ſchlug alſo des Nachts un-
vermuthet bey der Stadt Themiſcyra ein Laͤ-
ger auf. Des Morgens ſchickte Anti-
ope zu den Griechen/ ſie fuͤr Freunde halten-
de/ welche nach Gewohnheit ihrer Lan-
des - Art ihrer Liebe zu genuͤſſen dahin
kommen waͤren/ allerhand Erfriſchungen
ſie zu bewillkommen. Hercules und Theſeus
nahmen ſelbte an/ luden die Amazonen mit
allerhand Liebes-Bezeugung auf ihre Schiffe/
wordurch ſich der Koͤnigin Schweſter Hippoly-
te nebſt etlichen andern blenden/ und alſo vom
Theſeus/ der ſich Augenblicks in ſie heftig ver-
liebte/ fangen ließ. Hierauf forderte Hercules
noch den Guͤrtel der Koͤnigin/ oder er waͤre ent-
ſchloſſen ſolchen mit Gewalt zu nehmen. Die
Amazonen/ wie wenig ihrer gleich einheimiſch
waren/ wolten ehe ruͤhmlich ſterben/ als ihrem
Ruhme durch Zagheit einigen Schandfleck an-
brennen/ oder auch nur ſich in die Mauren zu
Themiſcyra einſperren laſſen. Daher fielen ſie
auf die in voller Schlacht-Ordnung ſtehenden
Griechen aus/ nach dem ſie vorher geloſet/ wie ſie
hintereinander auf den großmuͤthigen Hercules
treffen ſolten. Die Griechen aber uͤberfiel eine ſol-
che Furcht/ daß Hercules dem Schrecken als einẽ
Gotte opfern muſte. Jſmene fing hieruͤber
an zu laͤcheln/ und zu melden: Die Schwachheit
unſers allzuviel redenden Krancken veranlaſſete
mich die Thorheit der ſonſt ſo klugen Griechen
zu verlachen/ daß ſie diß fuͤr Gottheiten vereh-
ren/ was wir Deutſchen fuͤr Schwachheiten/
oder gar fuͤr Laſter haben. Dergleichen aller-
dings die von dem ſchrecklichen Hercules ange-
bethene Furcht iſt. Ja/ ſagte Rhemetalces/
und zu Athen ſtehen noch zwey Tempel/ derer
einer der Verachtung/ der andere der Unſcham-
hafftigkeit gewiedmet iſt. Thußnelde fragte
halb-entruͤſtet hieruͤber: Heiſt diß aber nicht
unverſchaͤmt ſeyn? und iſt es nicht eine offenbare
Gottes-Verachtung/ wenn man durch eine ſo
laͤcherliche Andacht nur des Himmels ſpottet?
Rhemetalces als ein Griechiſcher Nachbar roͤ-
thete ſich ein wenig uͤber dieſem Eifer. Wormit
er nun nicht fuͤr einen/ der an dieſem Aberglau-
ben Theil haͤtte/ angeſehen haben moͤchte/ hob er
an: Er wuͤntſchte/ daß die Athenienſer ehe/ als
ſie ſo verdam̃liche Tempel gebaut/ mit den Elea-
ten den weiſen Xenophanes zu Rathe gefragt
haͤtten; welcher auf ihre Befragung: Ob ſie
laͤnger der Morgenroͤthe mit Heulen und Weh-
klagen opfern ſolten? ihnen vernuͤnftig antwor-
tete: Wenn ſie die Morgen-Roͤthe fuͤr eine
Goͤttin hielten/ waͤren die Thraͤnen nichts nuͤ-
tze; waͤre ſie aber eine Verſtorbene/ ſo verdiente
ſie kein Opfer. Jſmene fragte: Was richtete
Hercules aber mit ſeinem furchtſamen Opfer
aus? Zeno ſagte: Mit ſeinen von der Medea
empfangenen Zaubereyen/ welche ihn unver-
wundlich
[528]Fuͤnftes Buch
wundlich machten/ ſonder Zweifel mehr/ als mit
ſeinem thoͤrichten Gottes-Dienſte. Wiewohl
ich darfuͤr halte/ daß der gewuͤntſchte Ausſchlag
weder eine falſche Andacht rechtfertige/ noch ein
widriger den rechtmaͤſſigen verwerfflich mache.
Denn die gerechten Goͤtter haben mehrmals ſo
viel Urſache uns/ als die Eltern ihren Kindern
ihre Bitten zu verſagen; denen Boͤſen aber ihre
ſie ins Verderben leitende Wuͤntſche zu geweh-
ren. Jſmene verſetzte: Kriegte denn aber Her-
cules keine Wunde? Zeno antwortete/ aus Pen-
thaſileens Berichte: Keine/ aber wohl viel hefti-
ge Streiche/ deren aber keiner durchdrang. Rhe-
metalces brach ein: Jch traue gleichwohl dem
Hercules nicht zu/ daß ſeine Feſtigkeit von Col-
chiſchen Kuͤnſten hergeruͤhrt haben ſolle/
weil die Gemſen- und Siegwurz/ die in dem Her-
tzen der Gemſen gefundene Kugel/ und etliche
andere natuͤrliche Kraͤuter einen fuͤr allen Wun-
den verſichern ſollen. So muͤſſen/ ſagte Ju-
bil/ die fuͤr Troja verwundete Venus/ und an-
dere Goͤtter ſchlechte Kraͤuter-Verſtaͤndige/ und
ohnmaͤchtiger als die Zauberin Medea
geweſen ſeyn/ daß ſie ſich auch nicht un-
verwundlich haben machen/ und Jupiter ſelbſt
ſeinen Sarpedon nicht erretren koͤnnen. Zeno
antwortete: Dem ſey/ wie ihm wolle/ ſo blieb er
doch faſt alleine nur unverſehret. Denn Anti-
opens Schweſter Malpadia traff auf den The-
ſeus/ welcher der Griechen lincken Fluͤgel fuͤhr-
te/ verwundete ihn auch zwar an dreyen Orten/
ſie ward aber von der Menge der Griechen um-
ringet und gefangen; Aella traff auf den Her-
cules/ von welchem ſie aber verwundet/ und aus
dem Treffen zu weichen genoͤthiget ward. Dieſer
folgte die tapfere Philippis/ welche Hercules bald
im erſten Anbinden erlegte. Nach dieſem griffen
ihn Prothoe/ welche auf einmal hinter einander
fieben Helden uͤberwunden hatte/ Euribea/ Cele-
no/ Eurybia/ Phobe/ welche ſonſt mit ihren Pfei-
len auf ein Haar traffen/ ferner Deianira/ Aſte-
rie/ Marpe/ Tecmeſſa/ Auge/ und die zu ewiger
Jungfrauſchafft verlobte Aleippe an. Alle die-
ſe wurden entweder vom Hercules verwundet
oder erſchlagen/ alſo/ daß ſie alle darfuͤr hielten/
es muͤſſe mit Kraͤutern zugehen/ oder er kein ver-
wundlicher Menſch ſeyn. Endlich wolte An-
tiopens andere Schweſter Manalippe ihr letztes
Heil an ihm verſuchen/ verwundete ihn auch an
die Huͤffte; ſie fiel aber endlich auch in ſeine
Haͤnde/ alſo/ daß die Koͤnigin Antiope ſich
mit den uͤbrigen Amazonen in Themiſcyra fluͤch-
ten/ und/ wolte ſie anders ihre Schweſter Mena-
lippe loß haben/ ſie mit ihrem Guͤrtel bey dem
Hercules auswechſeln muſte/ welcher denn nach
erlangtẽ Siegs-Zeichen mit ſeinen groͤſten theils
auch verwundeten Griechen nach Hauſe kehrte/
unterwegens aber gleichwohl durch eine Krie-
ges-Liſt ſich der Stadt Sinope bemaͤchtigte/
und daſelbſt den Artolycus zum Fuͤrſten einſetz-
te/ deſſen Schiff an einer Steinklippen zerbro-
chen ward. Die andere Schweſter Hippolyte
aber/ wegen welcher ſich Soloon aus verzweifel-
ter Liebe in den Fluß Thermodon ſtuͤrtzte/ war
durch kein Mittel zu befreyen/ ſondern ſie ward
dem Theſeus/ die wunderſchoͤne Auge auch dem
Hercules ſelbſt vermaͤhlet. Als Orythia die-
ſen Raub und ſchimpfliche Niederlage vernahm/
munterte ſie ihre Amazonen zur Rache auf/ ih-
nen vorhaltende/ wie vergebens ſie ſich des Pon-
tus und Aſiens bemaͤchtiget haͤtten/ da die Grie-
chen aus ihrem Hertzen einen ſolchen Raub zu
holen ſich unterwinden moͤchten. Sie erſuchte
auch der Koͤnigin Vandala Tochter Hipſierate/
und den Gothiſchen Koͤnig der Parthen Sagil
des Parthes Sohn umb Huͤlffe/ jene verſprach
ihr in kurtzer Zeit/ ſo bald ſie nur aus ihrem Scy-
thiſchen Kriege zuruͤck kommen wuͤrde/ 20000.
auserleſene Amazonen zuzuſchicken; alleine weil
Koͤnig Sagils Sohn Panaſagor mit 40000.
Pferden zur Orythia ſtieß/ wolte ſie Hipſicratens
Huͤlffe nicht erwarten/ ſondern zohe geraden
Weges in Phrygien/ und weil Priamus ihr den
Durchzug verwehrte/ ſchlug ſie ſein Heer aus dẽ
Felde/ woruͤber aber ihre Tochter Myrnita todt
blieb.
[529]Arminius und Thußnelda.
blieb. Hierauf ſetzte ſie uͤber den Helleſpont/ und
drang von dar biß in Peloponneſus. Gantz
Griechenland hatte daſelbſt unter der Haupt-
Fahne der Athenienſer ſeine Kraͤffte verſamm-
let/ als es aber zum Treffen kam/ gerieth Ory-
thia mit dem Fuͤrſten Panaſagor wegen des
Vorzugs in Zwiſt/ und zohe dieſer ſich in ſein
Laͤger zuruͤcke. Deſſen ungeachtet/ band Ory-
thia und ihre Amazonen mit den Griechen tapf-
fer an/ und blieb der Sieg einen halben Tag
zweiffelhafft/ biß daß Orythia nach eigenhaͤndi-
ger Aufopfferung vieler Feinde/ und inſonder-
heit Hippolytens/ welche fuͤr ihren Ehherren
Theſeus der Griechen Feldherrn an der Spitze
wider ihre Schweſtern am verzweiffelteſten
fochte/ toͤdtlich verwundet ward. Ob ſich nun
wol hierauf das Gluͤck wendete; brachten doch
die hertzhaffteſten Amazonen ihre Koͤnigin aus
dem Gedraͤnge der Feinde/ und zohen ſich zu-
ruͤck-weichende in Panaſagors Laͤger/ darin-
nen Orythia mit Vergnuͤgung/ weil ſie Hippo-
lyten erlegt hatte/ nach Vermahnung der A-
mazonen zur Tapfferkeit/ und Benennung ih-
rer Tochter Penthaſilea zum Reiche dieſes Le-
ben geſegnete. Die abgematteten Griechen
wolten ſich nicht wagen das Laͤger anzutaſten/
ſondern lieſſen den Feind ohne einige Verfol-
gung wiedeꝛ uͤber den Helleſpont in Aſten ſetzen/
und bauten zum ewigen Gedaͤchtnuͤß auff den
Siegs-Platz die Stadt Amazonia. Pentha-
ſilea verliebte ſich im Ruͤckwege in den Koͤnig
der Myſier Telephus/ des Hercules und der
Auge Sohn/ und behielt ihn etliche Monat bey
ſich. Welche Liebe denen Amazonen aus
Rachgier gegen dem Hercules hoͤchſt verdaͤchtig
und alſo verdruͤßlich war/ ungeachtet Telephus
ihnen beym Uberſetzen allen Vorſchub gethan/
hingegen den Griechen/ als ſie zur Belaͤgerung
der Stadt Troja zohen/ ſich entgegen geſetzt/
den Fuͤrſten Timander getoͤdtet/ und/ als er dem
fluͤchtigen Ajax und Ulyſſes nachrennende mit
dem Pferde ſtuͤrtzte/ von den Pfeilen des Achil-
les eine toͤdtliche Wunde bekommen hatte/ die
auch anders nicht/ als mit Verbindung des ver-
wundenden Eiſens/ zu heilen waꝛ. Dieſer Lie-
bes-Zwiſt kam endlich ſo weit/ daß Penthaſilea
Monotapen/ als ſie ihr allzu hefftig einredete/
durchſtach/ und hierdurch das Amazoniſche
Reich in offentlichen Aufſtand wider ſich verſetz-
te/ alſo/ daß ſie mit einem Theile der ihr wohl-
wollenden Amazonen ſich in Myſien fluͤchten
muſte. Wie nun Troja von den Griechen aufs
aͤrgſte bedraͤnget/ Hector auch ſchon vom Achil-
les erlegt war/ meinte Penthaſilea ſich ſo wol an
den Griechen zu raͤchen/ als einen unſterblichen
Nahmen zu erwerben; Zohe alſo den Troja-
nern zu Huͤlffe/ erlegte daſelbſt etliche tauſend
Griechen/ das unveraͤnderliche Verhaͤngnuͤß
aber ſchickte es/ daß ſie nur auch von dem
Schwerdte des grimmigen Achilles fallen mu-
ſte. Unterdeſſen wurden die Amazonen in Cap-
padocien wegen der Herrſchafft uneins/ die be-
nachbarten Voͤlcker hingegen fielen von ihnen
ab/ und machten wider ſie/ als welche gleichſam
zu ewiger Schande der Maͤnner ſie ſo lange mit
Fuͤſſen getreten hatten/ ſtarcke Buͤndnuͤſſe; alſo/
daß ſie ſich endlich entſchloſſen ſelbige Laͤnder zu
verlaſſen; zohen daher durch Colchis zu ihren
Schweſtern/ die unter den Nachkommen der
Koͤnigin Vandala zwiſchen dem ſchwartzen und
Caſpiſchen Meere noch uͤber viel Voͤlcker herr-
ſchen. Unter der Reyhe dieſer Koͤniginnen war
auch die hertzhaffte Tamyris/ welche dem Scy-
thiſchen Koͤnige Madyes/ mit dem ſie einen
Sohn Rhodobates gezeuget hatte/ wider den
Cyrus zu Huͤlffe kam. Denn nachdem dieſer
Aſien und alle Morgenlaͤnder uͤberwaͤltiget
hatte/ ſtach ihn auch der Kuͤtzel der Scythen
Meiſter zu werden. Madyes ſchickte ſeinen
Sohn Rhodobates mit einem anſehnlichen Hee-
re an den Fluß Araxes den Perſen die Uber-
kunfft zu ver wehren; Tamyris aber rieth/ den
Feind unverhindert uͤberzulaſſen/ und ſelbten
zwiſchen die Engen des Tauriſchen Gebuͤrges
Erſter Theil. X x xzu
[530]Fuͤnfftes Buch
zu locken. Rhadabates folgte im erſten/ als a-
der Cyrus nach zweyen Tagereiſen aus ange-
nommener Furcht ſein mit Wein und koͤſtli-
chen Speiſen angefuͤlletes Lager verließ/ be-
maͤchtigte ſich dieſer junge hitzige Fuͤrſt deſſelb-
ten/ darinnen ſein gantzes Heer in Wein und
Schlaff alle Tapfferkeit vergrub/ des Nachts
von den Perſen uͤberfallen/ und biß auff den letz-
ten Mann nieder gemetzget ward. Die Koͤni-
gin Tamyris ſuchte den Troſt uͤber den Ver-
luſt ihres einigen Sohnes nicht in weibiſchen
Thraͤnen/ ſondern in Rache; wiech daher mit
ihrem Heere biß uͤber den Fluß/ welcher nicht
weit von dem Caſpiſchen Meere in Araxes faͤllt/
und von des Cyrus erfolgter Niederlage her-
nach ſeinen Nahmen bekommen. Die uͤber-
muͤthigen Perſen nahmen ihnen fuͤr nicht zu ru-
hen/ biß ſie ihr Reich biß an den Jaxartes oder
Tanais erſtreckt haͤtten/ ſetzten alſo unbedacht-
ſam uͤber den Fluß Cyrus/ allwo die Koͤnigin
Tamyris mit ihren Amazonen ſie aus allen
Ecken des Gebuͤrges uͤberfiel/ und zweymahl
hundert tauſend Perſen niederſebelte/ alſo/ daß
nicht einer darvon kam/ der die Nachricht von
dieſer Niederlage in Perſen zu bringen ver-
mocht haͤtte. Cyrus ſelbſt ward gefangen/
und an ein Creutz genagelt/ hernach ihm der
Kopff abgeſchlagen/ welches Tamyris in einen
Keſſel voll Blutes warf/ mit den Worten: Saͤt-
tige nun allhier du unerſaͤttlicher Wuͤterich dei-
nen Blutdurſt. Koͤnig Amorges/ welcher mit
ſeinen Sacken den Perſen zu ſpaͤt Huͤlffe leiſten
wolte/ ward gleichfals aufs Haupt geſchlagen/
daß er mit Noth entran. Wie nun deroge-
ſtalt die Amazonen mit ihrem Ruhm und Tha-
ten die gantze Welt/ mit ihrem Gebluͤte die groͤ-
ſten Reichs-Stuͤle erfuͤlleten/ daß ſie nicht leicht
von Feinden mehr angetaſtet wurden/ ſondern
auch andere Voͤlcker ſie zu ihrer Herrſchafft er-
kieſeten; maſſen denn die Koͤnigin Semira-
mis in Aſſyrien/ Cleoſis in Jndien des Amazo-
niſchen Uhrſprungs ſind; Alſo haben unſere
Koͤniginnen genau beobachtet/ daß ſie keinen/
der nicht ein Koͤnig/ oder aus Koͤniglichem Ge-
bluͤte iſt/ ihrer Liebe genuͤſſen laſſen/ wormit
kein unedles Blut auff den Amazoniſchen Stul
komme. Nach der Zeit trug ſichs zu/ daß die
Koͤnigin Thaleſtris auff bewegliches Flehen des
Perſiſchen Koͤnigs Arſes/ deſſen Vater Arta-
xerxes Ochus von ſeinem verſchnittenen Ba-
goas ermordet/ ſein Fleiſch den Maͤuſen zu freſ-
ſen gegeben/ die Beine zu Degen und Meſ-
ſergriffen verbrauchet worden waren/ wider
dieſen Fuͤrſten-Moͤrder und den auffgeworffe-
nen Koͤnig Darius Codomann/ ſelbtem tauſend
Amazonen zu Huͤlffe ſchickte. Dieſe fuͤhrte
des Gothiſchen Koͤnigs Sitalces hertzhaffte
Tochter Syeda/ welche aus Begierde der Tu-
gend zu den Amazonen kommen war. Alldie-
weil aber die furchtſamen oder meineidiſchen
Perſen den Arſes und die Amazonen im Stiche
lieſſen/ wurden ſie von den Feinden umringt;
Bagoas/ und die faſt toͤdtlich verwundete Fuͤr-
ſtin Syeda mit noch hundert Amazonen vom
Mediſchen Unter-Koͤnige Atropates gefan-
gen/ von dieſem aber kurtz hernach dem den
Darius uͤberwindenden groſſen Alexander ver-
ehret. Dieſer großmuͤthige Fuͤrſt nahm ſie
mit groſſer Hoͤfligkeit an/ und verſetzte ſie noch
ſelbigen Tag in die Freyheit; wiewohl ſie ſelbſt
Luſt hatten eine Zeit unter ſeinen Fahnen zu
kriegen. Weil nun die Macedoniſchen Fuͤr-
ſten ſie taͤglich bedienten/ und uͤber ihrer Tapf-
ferkeit ſich verwunderten/ ward die wieder ge-
neſene Fuͤrſtin Syeda mit einem Deutſchen
Fuͤrſten Anthyr bekandt/ deſſen Vater noch
uͤber die Heruler herrſchte/ die Mutter aber
aus dem Koͤniglichen Amazoniſchen Stamme
herruͤhrte/ und mit der Koͤnigin Thaleſtris
Geſchwiſter Kind war. Dieſer junge Fuͤrſt
war mit der Deutſchen Geſandſchafft zum Ale-
xander kommen/ welche zwiſchen ihm und dem
Geti-
[531]Arminius und Thußnelda.
Getiſchen Koͤnige Syrmus vermittelte/ auch
ihm unter Augen ſagte/ daß die Deutſchen
ſich fuͤr nichts als fuͤr Einfallung des Himmels
fuͤrchteten. Weil nun dieſer junge Fuͤrſt
Anthyr groſſe Gewogenheit von Alexandern
genoſſen/ und unter einem ſo groſſen Helden
durch tapffere Thaten ſich beruͤhmt zu machen
begierig war; zohe er mit drey hundert deut-
ſchen Edelleuten ihm in Aſien nach/ und er-
langte durch ſeine Hertzhafftigkeit nicht min-
dern Ruhm/ als des Koͤnigs Gewogenheit.
Welcher denn auch/ als ihm Anthyr ſein An-
liegen eroͤffnete/ bey der Fuͤrſtin Syeda ihre
Gegen-Liebe/ und endlich eine Heyrath zwi-
ſchen beyden Deutſchen Fuͤrſtlichen Perſonen
zu wege brachte. Anthyr aber ward bald nach
dem Beylager von denen Herulen und Va-
rinen zur Herrſchafft beruffen/ weil ſeines Va-
tern Todt ihm dieſe eroͤffnet hatte; welcher
denn mit denen Amazonen nach genommenem
Urlaub von Alexandern unter einer Beglei-
tung zwey tauſend Macedonier biß an unſers
Reiches Graͤntze/ bey der Koͤnigin Thaleſtris
gluͤcklich ankam/ von dar aber mit ſeiner Ge-
mahlin Syeda durch Sarmatien und uͤber
das Venediſche Meer in ihr Vaterland ver-
reiſete. Ob nun dieſe zwey/ fuhr Zeno fort/
in Deutſchland ankommen/ wuſte mir Pen-
thaſilea nicht zu ſagen; Jch ſolte aber vielleicht
allhier hiervon einigen Grund erlangen.
Es iſt wahr/ antwortete die Fuͤrſtin Thußnel-
da alſofort: Denn dieſer zwey Helden-Leute
wird Deutſchland nimmermehr vergeſſen;
weil ſie nicht nur Stargard/ und andere Staͤd-
te gebauet/ ſondern durch ihre Thaten ver-
dienet/ daß die Heruler ihnen zwey ſteinerne
Ehrenbilder aufgerichtet; Welche noch als An-
reitzungen zu ruͤhmlicher Nachfolge von denen
Deutſchen in hohen Ehren gehalten werden.
Des Anthyrs Bild iſt in Rieſen-Groͤſſe/ hat
auff dem Helme einen guͤldenen Greiff. Der
Schild aber bildet halb einen Ochſen/ halb
einen Pferde-Kopff ab/ welchen ihm der groſ-
ſe Alexander aus koͤſtlichem Ertzte etzen laſſen/
und zum Gedaͤchtnuͤſſe verehret/ weil er den
Marden das abgenommene Pferd Bucephal
wieder abgeſchlagen. An dem Bilde der
Koͤnigin Syeda hencken die Haare biß an die
Waden herab/ beyde Haͤnde haͤlt ſie hinter
dem Ruͤcken/ in einer einen guͤldenen Apffel/
in der andern gruͤne Wein-Reben mit Trau-
ben. Weil ſie dieſe Fruͤchte mit aus Aſien
gebracht/ und zum erſten in Deutſchland an
der Donau zu pflantzen gelehrt haben ſoll.
Dahero ſie von den Herulen faſt als eine Ce-
res verehret/ und jaͤhrlich ihr geopffert wird.
Dieſen ſeinen Eltern folgte ihr Sohn/ Anar/
nicht nur im Reiche/ ſondern auch in Tu-
genden nach; welcher die Sarmatiſche Fuͤr-
ſtin Oraja zur Ehe nahm/ und mit ihr nicht
geringere Ehren-Saͤulen verdiente. Ja
dieſes Gebluͤte und Tugenden leben noch itzt
in dem Helden-Stamme der Heruliſchen/
Rugiſchen und Variniſchen Hertzoge/ welche
noch alle obigen Bucephals Kopff in ihren
Schilden fuͤhren. Dieſe gute Nachricht/ ſag-
te Zeno/ bekraͤfftigt mir gewaltig Penthaſi-
leens gantze Erzehlung; welche denn mir zu-
gleich vermeldete/ daß Alexander der Fuͤrſtin
Syeda an die Koͤnigin Thaleſtris einen freund-
lichen Brieff uͤberſchickt/ und ſie zu ſich be-
weglich eingeladen haͤtte. Aus dieſer Ver-
anlaſſung waͤre die Koͤnigin Thaleſtris/ welche
doch vorher ſeinen Feld-Obriſten Sopyrion
mit ſeinem gantzen Heere in Albanien erſchla-
gen hatte/ mit drey hundert Amazonen dem
groſſen Alexander biß in Hircanien nachge-
zogen/ und dreyzehen Tage/ biß ſie ſich von
ihm ſchwanger befunden/ bey ihm verhar-
ret. Von dieſer Thaleſtris waͤre ſie und
ihre Schweſter die Koͤnigin Minothea des
Jberiſchen Koͤnigs Pharnabazes Tochter
X x x 2noch
[532]Fuͤnfftes Buch
noch uͤbrig. Die andern Amazonen pflegten
meiſt im Fruͤhlinge auf die Graͤntzen ihres Rei-
ches ſich zu verfuͤgen/ und alldar den Albanern/
Jberiern/ Gargarenſern und Scythen beyzu-
wohnen. Die Amazonen haͤtten auch noch
dem Mithridates wider den Lucullus anſehnli-
che Huͤlffe geleiſtet unter ſeinem Feld-Haupt-
manne Taxiles/ und dem groſſen Pompejus
nebſt dem Jberiſchen Koͤnige Artocus/ und dem
Albaniſchen Orezes nicht geringen Abbruch ge-
than.
Die Fuͤrſtin Thußnelda fiel dem Zeno in die
Rede: Jch hoͤre wol/ es habe Zeno ſich ſo ſehr in
die Tugend der ſtreitbaren Amazonen verliebet/
daß ſein Gedaͤchtnuͤß nicht eines von den Ge-
ſchichten ihrer Tapfferkeit ihm entfallen laſſen.
Denn/ ob ſchon Freundſchafft und Liebe einan-
der ſo gar nahe verwand ſind/ daß ſelbte offt Ge-
ſchwiſter abgeben/ jene auch gegen dieſer mehr-
mals Mutterſtelle vertrit; ſo ſind ſie doch/ was
das Andencken betrifft/ einander insgemein
himmelweit entfernet/ indem die Freundſchafft
ihre der Ewigkeit wuͤrdige Wohlthaten nur in
leichten Staub/ die Liebe aber ihre ungefaͤhrli-
che Handlungen in den Marmel der Unver geß-
ligkeit eingraͤbet. Aber/ warum vergiſſet
Fuͤrſt Zeno den Uhrſprung ſeiner geliebten E-
rato auch denen Amazonen zuzurechnen/ nach-
dem ihre gegen mich ausgeuͤbte Thaten ſchon
ihr Geſchlechte verrathen hat. Die Koͤnigin
Erato faͤrbte ſich uͤber dieſem Lobe/ und verſetzte:
Sie koͤnte nicht leugnen/ daß ihre Vor-Eltern
von muͤtterlicher Seite ihren Stamm von A-
mazonen herrechneten/ und es waͤre in Mor-
genland faſt kein Fuͤrſtliches Hauß/ welches
nicht etliche Amazoniſche Schilde zwiſchen ih-
ren Geſchlechts-Kleinoden zeigete. Aber ſie
wuͤrde durch das Andencken ihres Zweykampfs
nicht allein ihrer Unfaͤhigkeit halber beſchaͤmt/
alſo/ daß ſie entweder an ſo ſtreitbarer Ankunfft
zweiffeln/ oder/ ob ſie nicht als eine Mißgeburt
ihres Uhrſprungs Tugenden nicht geerbet haͤt-
te/ ſich uͤber das Verhaͤngnuͤß beklagen muͤſte/
ſondern wuͤrde zugleich gezwungen in ihrem
Hertzen der tugendhafften Thußnelda einen ſol-
chen Siegs-Krantz aufzuſetzen/ deſſen keine be-
hertzte Tamyris wuͤrdig waͤre; weil ſie mit ih-
ren Waffen ſich zwar ihrer Glieder bemaͤchti-
get/ durch ihre gegen eine uͤberwundene Fein-
din aber gebrauchte Sanfftmuth ſich zu der Ge-
bieterin ihrer durch euſerliche Gewalt unzwing-
baren Seele gemacht haͤtte. Dieſe ihre Tu-
genden beglaubigten ihr mehr/ als das Zeugnuͤß
der bewaͤhrteſten Geſchichtſchreiber/ daß die A-
mazonen aus deutſchem Gebluͤte entſproſſen.
Denn in ihren Augen waͤre Thußnelda zwar
nicht an Grauſamkeit/ wol aber an Tapfferkeit
die vollkommenſte Amazone. Thußnelda be-
gegnete der Koͤnigin: Es haͤtten alle irrdiſche
Dinge zweyerley Farben/ nachdem man ſelbte
entweder gegen dem Schatten/ oder ans Licht
ſtellte; alles menſchliche Beginnen aber zweyer-
ley Geſichter/ alſo/ daß ſie uns bald ſchoͤn/ bald
ungeſtalt fuͤrkaͤmen/ nachdem nehmlich entwe-
der die Klugheit/ oder die Zuneigung der Men-
ſchen/ oder auch wol gar der bloſſe Zufall eines
fuͤr dem andern hervor zeigte. Dieſem letztern
alleine/ nicht eigener Geſchickligkeit habe ſie
beyzumeſſen/ daß ſie von einer ſo vollkommenen
Koͤnigin nicht waͤre uͤberwunden worden.
Das Gluͤcke habe die Gewohnheit/ daß es die-
ſelben/ welche es ohne Schuld mit vielen Ubeln
druͤcket/ zuweilen mit Zuwerffung eines unver-
dienten Obſieges von gaͤntzlicher Verzweiffe-
lung zuruͤck ziehe. Oder/ daß ihre Ungluͤcks-
Wolcke durch einen entgegen geſetzten Son-
nenſchein ſo viel mehr ſcheinbar werde. Ja ein
Loth des Gluͤckes uͤberwiege einen Zentner der
Geſchickligkeit. Alſo waͤre es eine Ubermaß
ihrer Gewogenheit/ nicht ein Verdienſt eigener
Wercke/ daß man Thußnelden nur mit dem
Titel einer Amazonin wuͤrdigen wolte. Nein/
nein/ Durchlauchte Fuͤrſtin/ fing Rhemetalces
an;
[533]Arminius und Thußnelda.
an; auch ich muß ihr ihrer gegen die Roͤmer aus-
gewuͤrckter Thaten halber unter allen die Ober-
ſtelle bedingen. Ja ich wundere mich nun nicht
mehr uͤber die hertzhafftige Teuta/ nun ich von
dem Wunder unſerer Nachbarſchafft ſo viel le-
bendige Abriſſe in der Schoos des ſtreitbaren
Deutſchlandes finde. Die Koͤnigin Erato
vergaß aus Begierde dieſer Neuigkeit/ der Fuͤr-
ſtin Thuſnelda Gegenſatz zu beantworten; Lag
daher Rhemetalcen mit einer beweglichen Hoͤff-
ligkeit an: Er moͤchte ihr doch die ihr unbekandte
Teute bekandt machen. Rehmetalces erklaͤrte
ihr die Begierde zu gehorſamen; Aber ſie wuͤr-
den entwedeꝛ hieruͤbeꝛ die annehmlichere Erzeh-
lung des Fuͤrſten Zeno vergeſſen/ oder ihn doch
in ſelbter irre machen. Zeno ſchlug ſich alſo fort
auff die Seite ſeiner Erato/ und bat: Er moͤch-
te nicht allein ſie hierinnen vergnuͤgen/ ſondern
ihm auch hierdurch Gelegenheit eroͤfnen ein we-
nig zu verblaſen. So wird mein Verlangen
des Fuͤrſten Zeno ſelzamere Begebenheiten vol-
lends zu vernehmen eine beqveme Verdeckung
meiner Unberedſamkeit ſeyn/ ſagte Rhemetal-
ces/ denn ich werde mit einer unverhofften Kuͤr-
tze abbrechen/ und mich beſcheiden/ daß kurtze
Reden/ wenn ſie gut ſind/ zweyfache Guͤte ha-
ben; ungeſchickte aber durch ihre Kuͤrtze die
Helffte ihres Tadels verlieren. Dieſe Teuta
hat zur Zeit/ als Arſaces ein verſtoſſener Sohn
des Koͤnigs Aſchki in Scythen und einer Ama-
zoniſchen Koͤnigin der Parther Reich in Per-
ſien aufgerichtet/ als eine Koͤnigin gantz Jllyri-
cum beherrſchet. Jhr Vater ſoll Baſan/ ei-
nes Sicambriſchen Koͤnigs Sohn geweſen ſeyn;
von dem/ und wie es mit Verheyrathung der
Teuta hergegangen/ uns der Feldherr beſſer/
als ich iemanden unterrichten wird. Hertzog
Herrmann uͤbernahm alſofort dieſe Vollfuͤh-
rung/ und berichtete: Es waͤre Koͤnig Baſan
des Sicambriſchen Fuͤrſten Melo Anherr/ ein
Feldherr der Deutſchen/ und ein ſo ſtrenger
Handhaber der Gerechtigkeit geweſt/ daß/ ſei-
nem Urtheile nach/ er dem Lucius Brutus/ und
dem Spurius Caßius vorzuziehen waͤre; in-
dem dieſe wegen ihrer wider das gemeine We-
ſen veruͤbte Verbrechen ihre Kinder/ Baſan a-
ber/ weil er eines Sicambriſchen Edelmanns
Ehfrau durch Ehbruch beflecket/ ſeinen Sohn
Sedan getoͤdtet haͤtte. Da es doch bey andern
Voͤlckern nicht ungemein waͤre durch Unzucht
und Ehebruch gleichſam ſich als einen Sohn
des Fuͤrſten ſehen zu laſſen. So ungluͤckſelig
nun Koͤnig Baſan in dieſem ſeinem Sohne
war; ſo viel mehr Freude ſahe er an ſeiner Toch-
ter Teuta/ welche nicht nur alle Tugenden des
weiblichen Geſchlechtes vollkommentlich beſaß/
ſondern es auch an Tapfferkeit denen ſtreitbar-
ſten Helden zuvor that. Jhre Vollkommen-
heit erwarb ihr die Liebe des Volck es/ ihre Tu-
gend den Ruhm der Auslaͤnder/ und dieſer die
Beruhigung des Vaterlandes. Denn nach-
dem Koͤnig Baſan an ſeinem einigen Sohne
Sedan das ſtrenge Todes-Urthel ausgeuͤbt hat-
te/ hoben unterſchiedene deutſche Fuͤrſten ihre
Haͤupter nach der Wuͤrde der Feldhauptmann-
ſchafft empor. Alſo gebahr dieſer Ehrgeitz
nicht allein einen buͤrgerlichen Krieg/ ſondern
brachte auch die Sarmater und Dacier mit ins
Spiel/ daß Deutſchland als ein ſiecheꝛ Leib nicht
nur von innerlichen Wuͤrmern gefreſſen/ ſon-
dern auch von euſerlichen Pfriemern zerfleiſchet
ward. Ja Rache und Mißgunſt verblaͤndete
die Deutſchen ſo ſehr/ daß ſie uͤber Vertilgung
ihrer eigenen Mitglieder jauchzeten/ das in ih-
ren eigenen Staͤdten und Saaten wuͤtende
Feuer mit Freuden toben ſahen/ und lieber ei-
nes nur Knechte unter ſich leidenden fremden
Feſſel kuͤſſen/ als eines einheimiſchen Fuͤrſten
vaͤterliche Herrſchafft erdulden wolten. Ba-
ſan ſteckte derogeſtalt zwiſchen Thuͤr und An-
gel; Denn die Auslaͤnder wuͤteten auf die euſer-
lichen Glieder Deutſchlands/ ſeine eigene
X x x 3Lands-
[534]Fuͤnfftes Buch
Landsleute aber in ſeinen Eingeweiden; wie-
wol er ſein graues Haupt mit Abtretung ſeiner
Wuͤrde zur Ruh zu legen mehrmals entſchloſſen
war/ wenn ihn nicht die Freyheit und Liebe ſei-
nes zu ſeinem Verderben gleichſam ſporen-
ſtreichs rennenden Vaterlandes zuruͤck gehal-
ten/ und ihm alle Beſchwerligkeiten erleichtert
haͤtte. Die gantze Sache ſtand nun ſchier auff
der Spitze/ Koͤnig Baſan fuͤhrte ſeine Sicam-
brer/ das Haupt ſeiner Widerwaͤrtigen/ Tha-
bor der Seduſier und Vangionen Koͤnig mit
ſeinen ihm anhaͤngenden Daciern und Sar-
matern/ ſtellten ihre Heere gegen einander in
Schlacht-Ordnung/ und es hatte bey Gegen-
einanderwaͤgung beyderſeitigen Machten das
Anſehen/ daß der ſeinen Feinden ſchwerlich an
Macht gewachſene Baſan den kuͤrtzern ziehen
wuͤrde; Als ihm der Jllyrier Koͤnig Agron ſei-
ne Freundſchafft und Beyſtand zuentbieten
ließ/ welcher er ihn in dreyen Tagen mit ſeiner
Heeres-Krafft wuͤrcklich zu leiſten verſicherte.
Koͤnig Baſan zohe zu Koͤnig Thabors Ver-
wunderung nebſt ſeiner ſtreitbaren Tochter
Teuta ſein Heer durch eine beſondere Krieges-
Liſt uͤber den Maͤyn zuruͤcke; vereinbarte ſich
auch mit den Jllyriern ſo unvermerckt/ daß die
ihn gleichſam als einem verzagten fluͤchtigen hi-
tzig-folgendem Feinde deſſen nicht einſt inne
wurden/ biß Koͤnig Baſan in einer neuen
Schlacht-Ordnung ſein faſt zweyfach vergroͤſ-
ſertes Heer dem unvorſichtigen Feinde entge-
gen ſtellte. Dieſer unvermuthete Anblick
ſiegte anfangs denen Augen/ hernach die Klug-
heit Baſans/ die Tapfferkeit der Fuͤrſtin Teu-
ta/ und die Streitbarkeit des Koͤnigs Agron de-
nen Waffen der Feinde ob. Baſan erlegte
eigenhaͤndig den Koͤnig Thabor/ Teuta den
Heerfuͤhrer der Sarmaten/ und Agron ver-
diente durch ſeine Helden-Thaten/ daß ihm die
Fuͤrſtin Teuta auff der Wallſtatt vermaͤhlet
ward. So viel weiß ich von dieſer Heldin
deutſchen Verrichtungen zu erzehlen; das be-
ſte wird Fuͤrſt Rhemetalces fuͤrzutragen wiſ-
ſen.
Dieſer fuhr fort: Der Jllyrer Reich hat Ri-
phat gegruͤndet/ welchen einige irrig Jllyrius
heiſſen/ und fuͤr des Cyclopen Poliphemus und
Galateens Sohn halten. Jhre Tapfferkeit
iſt von uhralten Zeiten beruͤhmt; alſo/ daß ſie
denen behertzten Moloſſen in Epirus mehr-
mahls obgeſieget/ und in einer Schlacht ihrer
uͤber zehn tauſend erleget. Hierauff haben ſie
den Meiſter uͤber die ſtreitbaren Macedonier
geſpielet/ und ob ſie zwar einsmahls von die-
ſen/ als ſie der Anblick ihres mit in die Schlacht
genommenen Koͤnigs Europus eines noch zar-
ten Kindes zu verzweiffeltem Gefechte veran-
laſte/ eine ſchwere Niederlage erlitten; ſo ha-
ben ſie gleichwohl ihr Haupt wieder empor ge-
hoben/ den Koͤnig Amyntas ihnen zinsbar ge-
macht/ und ein Theil Macedoniens erobert.
Nach dem aber die Jllyrier unter einander
ſelbſt zwiſtig waren/ alſo/ daß die Scordiſcier
die Triballen aus dem Lande und biß uͤber den
Jſter an das ſchwartze Meer verjagten/ ja die
Andierer und Liburnier/ wie auch die Taulan-
tier und Parthiner ſolch Reich gar unter einan-
der theileten/ und jene den Clitus/ dieſe den
Bardylis zu ihrem Koͤnige erwehlten/ brauch-
te ſich der ſchlaue Philipp dieſer Gelegenheit/
und zwang nach einer blutigen Schlacht/ in
welcher er zwar ſiegte/ aber nebſt dem Verluſt
ſeines beſten Adels verwundet ward/ und nach
Eroberung der Stadt Liſſus am Fluſſe Dri-
nus und dem Meere/ dem Bordylis alles/ was
er in Macedonien beſaß/ abzutreten. Wie
nun aber ein Fluß nur ſo lange ſein Anſehn/
daß man ſelbten nicht durchwaten koͤnne/ be-
haͤlt/ biß man einen Furth dardurch gefunden;
Alſo haͤltman ein Reich nicht laͤnger fuͤr unuͤ-
berwindlich/ als biß ſelbtes einmahl einen
Hauptſtreich verſehen. Dieſes bewog Phi-
lip-
[535]Arminius und Thußnelda.
lippen denen Jllyriern immer ie laͤnger ie mehr
auff den Fuß zu treten; dieſe Geringſchaͤtzung
aber die Jllyrier/ daß ſie wider Philippen mit
meinen Thraciern und Poeoniern ein Buͤnd-
nuͤß machten. Aber Koͤnig Philipp/ welcher
zu aller benachbarten Fuͤrſten geheimen Rath-
haͤuſern einen guͤldenen Schluͤſſel hatte/ kam
ihnen mit ſeinem auserleſenen Heere zuvor/ und
ſchlug/ ehe ſie ſich mit einandeꝛ vereinbarten odeꝛ
in Ordnung ſtellten/ anfangs die Thracier/ her-
nach die Jllyrier und Poeonier. Ja weil das
Verhaͤngnuͤß durch dieſen Philip zu der groſ-
ſen Welt-Herrſchafft Alexanders den Grund-
ſtein legen wolte/ deſſen ſtaͤhlernem Rade
menſchlicher Witz und Tapfferkeit vergebens
zwiſchen die Speichen trit/ und ſo wenig als
ein Fels die Ausbrechung eines Qvelles oder die
Herfuͤrwachſung eines Cederbaumes verhin-
dert; ſo brachte er es durch ſeinen gluͤcklichen
Parmenio ſo weit/ daß ſie ihn groſſen theils fuͤr
ihren Oberherrn erkennen muſten. Wie-
wohl ſie nun bey ſeinem Tode nach ihrer Frey-
heit ſeuffzeten/ und unter dem Koͤnige der Tau-
lantier Glaucias nach dem Degen die Banden
ihrer Dienſtbarkeit zu zerſchneiden grieffen; ſo
war ihnen doch Alexander als ein Blitz auf dem
Halſe/ und legte durch Beſetzung ihrer Fe-
ſtungen ihnen einen ſolchen Zaum an/ daß ſie
nur der Noth/ und dem Verhaͤngnuͤſſe ſtille hal-
ten/ alſo unter ihren Uberwindeꝛn den Ruhm ih-
rer Tapfferkeit zu erhalten trachten muſten.
Maſſen ſie denn Alexandern in dem Perſiſchen
Kriege anſehnliche Dienſte gethan/ und fuͤr der
erſtern Schlacht mit dem Darius von Alexan-
dern mit einer abſonderlichen Rede beehret wor-
den. Nach Alexanders Tode ward ein Theil
des Koͤnigreichs Jllyris dem Philo zu theile;
welchen aber Koͤnig Glaucias bald wieder des
Reiches entſetzte. Dieſer beherrſchte ſeiner
Vor-Eltern Reich mit groſſer Klugheit/ und
ſetzte ſich bey ſeinen Nachbarn in groſſes Anſe-
hen; alſo/ daß nach dem der Koͤnig in Epirus
Eacides wegen unaufhoͤrlicher Kriege mit den
Macedoniern dem Volcke verhaſt/ und aus
dem Reiche verjagt/ ja ſein nur zwey Jahr alter
Sohn Pyrrhus zur Auffopfferung vom Vol-
cke geſucht ward/ Androclites und Angelus
dieſen Knaben zu ihm fluͤchteten. Welcher/
als er fuͤr den Glaucias und ſeine aus der Eaci-
der Geſchlechte entſproſſene Gemahlin Beroe
auff die Erden nieder geſetzt ward/ und der Koͤ-
nig aus Beyſorge den Macedoniſchen Koͤnig
Caſſander allzu ſehr zu beleidigen/ ihn anzuneh-
men anſtand/ von der Erden aufſtand/ anfangs
das Altar/ hernach des Glaucias Mantel er-
griff/ und durch ſeine Thraͤnen erweichte/ daß
er den Pyrrhus nicht allein aufnahm/ und mit
ſeinen Soͤhnen auferziehen ließ/ ſondern auch
Caſſandern/ welcher gegen ſeine Ausfolgung
ihm zwey hundert Talent bot/ abweiſte/ und
wie er zwoͤlf Jahr alt war/ ihn mit einem maͤch-
tigen Heere in Epirus fuͤhrte/ den Koͤnig Alce-
tas erlegte/ den Pyrrhus aber auff ſeinen vaͤter-
lichen Stul ſetzte. Dem Glaucias folgte ſein
Sohn/ Pleuratus/ welcher denen Athenien-
ſern behuͤlflich war/ daß ſie die ihnen vom De-
metrius auffgedrungene Beſatzung ausſchlu-
gen/ und ſich in Freyheit verſetzten. Dieſer
verließ nach einer friedſamen Herrſchafft/ ob
ſchon ſein benach bartes Macedonien und Epi-
rus ſich gleich ſam taͤglich in friſchem Blute ba-
dete/ den Koͤnig Agron; deſſen Kindheit ſchon
den Jllyriern groſſe Hoffnung ſeine zu Land
und Waſſer aber in Bereitſchafft ſtehende
Land- und See-Macht den Nachbarn groſſes
Aufſehn verurſachte. Denn er bemaͤchtigte
ſich im erſten Jahre ſeiner Herrſchafft des
Eylands/ Pharos und Corcyra/ der herr-
lichen Stadt Epidamnus an dem Fluſſe Pa-
lamnus/ und eines groſſen Theils von Epirus.
Welches alles noch mehr vergroͤſſert ward/
als er aus Deutſchland ſieghafft zuruͤcke kam/
und zum Siegs-Preiße die ſtreitbare Fuͤrſtin
Teuta zur Gemahlin nach Hauſe brachte.
Denn
[536]Fuͤnfftes Buch
Denn ſie waren kaum in dem Koͤniglichen Sitze
ankommen/ als die Mydionier durch eine herr-
liche Geſandſchafft ſich uͤber ihre unruhige
Nachbarn die Etoler beklagten/ daß/ weil ſie
ſich ihrer Poͤfel-Herrſchafft nicht haͤtten unter-
geben wollen/ ſie von ihnen mit groſſer Heeres-
Krafft belaͤgert wuͤrden/ und dahero wider dieſe
unrechte Gewalt Huͤlffe baten. Weil nun Koͤ-
nigen die Vergroͤſſerung buͤrgerlicher Herr-
ſchafft ohne diß ſtets ein Dorn in Augen iſt; U-
berdiß Koͤnig Demetrius in Macedonien ihm
ein groſſes Stuͤck Geldes fuͤr dieſe Huͤlffe dar-
ſchoß; ruͤſtete Agron in aller Eil hundert Schif-
fe mit fuͤnf tauſend außerleſenen Kriegsleuten
aus. Die Koͤnigin Teuta wolte alsbald bey
ihrer Ankunfft ihr einen Nahmen machen;
Und daher verkleidete ſie ſich in einen gemeinen
Kriegsknecht/ und ſegelte ohne Vorbewuſt des
Koͤnigs aus dem Hafen zu Narona mit darvon.
Wie ſie nun nach dreyen Tagen um Mitter-
nacht an das Mydioniſche Vorgebuͤrge kamen/
gab die Koͤnigin ſich dem verordneten Kriegs-
Haupte zu erkennen/ und befahl ihr allhier ſein
Ampt abzutreten. Hiermit befahl ſie alſofort
ſich dem Ufer zu naͤhern/ und auff Booten das
Kriegsvolck in moͤglichſter Eil und Heimligkeit
auszuſetzen; Alſofort aber alle Schiffe und Na-
chen vom Ufer wegzufuͤhren/ mit der Andeu-
tung/ daß ſie entweder auff dem Lande ſiegen/
oder ſterben/ keines weges aber ſich ihres Schif-
zeuges zu ſchaͤndlicher Flucht mißbrauchen wol-
te. Nach dieſem machte ſie die Schlacht-Ord-
nung/ untergab dem Cleomenes das Fußvolck/
ſie aber fuͤhrte die Reuterey. Die Etolier ſa-
hen zu ihrer hoͤchſten Beſtuͤrtzung/ als es anfing
zu tagen/ ein fremdes Krieges-Heer harte an ih-
rem Walle ſtehen. Jhre Vermeſſenheit ver-
leitete ſie gleichwol/ daß ſie ihr Kriegsvolck ge-
gen die Jllyrier aus dem Laͤger fuͤhrten. Al-
leine dieſer/ und inſonderheit der einer Loͤwin
gleich kaͤmpffenden Teuta Tapfferkeit brachte
die Etolier/ welchen die belaͤgerten Mydionier
auch in Ruͤcken fielen/ bald im erſten Angrieffe
in Verwirrung/ und kurtz hierauf in die Flucht.
Von denen aber wenig Reuter entranen/ alles
Fußvolck ward erſchlagen oder gefangen/ und
unter dieſen auch der Etoliſche Zunfft-Meiſter.
Alſo kehrte die Koͤnigin mit reicher Beute/ aber
groͤſſerm Ruhme eilfertig zuruͤcke; welcher die
Mydionier eine Ehren-Saͤule aus Ertzt auf-
richteten/ mit der Beyſchrifft: Der goͤttli-
chen Teuta/ der Mydionier Erloͤſerin.
Koͤnig Agron/ der inzwiſchen um die verlohrne
Koͤnigin ſich halb todt gegraͤmet hatte/ ward
durch ihre ſieghaffte Zuruͤckkunfft mit ſo uͤber-
maͤßiger Freude uͤberſchuͤttet/ daß er davon/ und
nicht wie die miß guͤnſtigen Etolier von ihm aus-
ſprengten/ an dem durch Schwelgerey verur-
ſachtem Seitenſtechen den Geiſt aufgab. Al-
ſo kan das Gemuͤthe zu ſeinem Verderb nichts
minder mit etwas gutem uͤberſchuͤttet/ als der
Leib durch geſunder Speiſen Uberfluß gekraͤn-
cket werden. Er verließ einen zwey jaͤhrigen
Sohn Pines/ welchen er vorher mit einer Grie-
chin erzeuget hatte; die Koͤnigin Teuta aber un-
geſegnet. Denn es ſchien/ als haͤtte die Natur
diß/ was es an Gemuͤths-Gaben ihr zuviel ge-
geben/ durch Unfruchtbarkeit am Leibe wieder
abbrechen/ und jene Ubermaß mit dieſem Ge-
brechen ausgleichen wollen. Teuta verwalte-
te das Reich mit einer maͤnnlichen Klugheit/
und einer heldenmaͤßigen Tapfferkeit. Denn
als die Meſſenier und Einwohner in Elis/ wel-
che in dem Jllyriſchen oder Joniſchen Meere
ihr Gewerbe und Schiffarth trieben/ ſich wei-
gerten auf Corcyra den gewoͤhnlichen Zoll ab-
zugelten/ und deßhalben etliche Schiffe als ver-
fallen eingezogen wurden; ſchickten die Eleer
mit Zuziehung der Epirer unterſchiedene
Raub-Schiffe aus/ welche auf der Liburniſchen
Kuͤſte ſo gar die koͤniglichen Segel antaſteten.
Die Koͤnigin befahl hingegen alle fremde Schif-
fe auffzubringen/ eilte ſelbſt mit einer Kriegs-
Flot-
[537]Arminius und Thußnelda.
Flotte in Peloponneſus/ durchſtreiffte und ver-
wuͤſtete der Eleer und Meſſenier Landſchafft/
ruͤckte hierauf in aller Eil fuͤr die Stadt Phoͤnice
in Epirus/ und nahm ſelbte durch Huͤlffe der
darinnen liegenden 800. Gallier/ mit welchen
ſie heimliches Verſtaͤndnuͤß hatte/ mit ſtuͤrmen-
der Hand ein. Zu der Uberwundenen Erin-
nerung/ daß/ wer Verraͤther zu ſeinen Gehuͤlf-
fen wuͤrdigt/ von ſelbten billich betrogen werde.
Denn dieſe von ihnen hoͤchſt unvernuͤnftig zur
Beſatzung eingenommene Gallier waren we-
gen Untreu aus ihrem eigenen Vaterlande/ und
wegen Beraubung des Eryciniſchen Tem-
pels aus den Roͤmiſchen Dienſten verſtoſſen
worden.
Ob nun wohl hieruͤber gantz Epirus die Waf-
fen ergrieff/ und an dem bey Phoͤnice fluͤſſenden
Strome ein Laͤger gegen der Koͤnigin aufſchlug/
ſo muſten ſie doch ihre maͤchtige Heeres-Krafft
theilen/ und gegen der Enge bey Antigonia ein
Theil abfertigen/ weil der Jllyriſche Feldhaupt-
mann Seerdilaidas mit 5000. friſchen Jllyri-
ern daſelbſt einzubrechen im Anzuge war. Als
Teuta deſſen/ und daß die ſichern Feinde im
Schlaf und Schwelgerey vertiefft waͤren/ ver-
nahm/ machte ſie des Nachts eine Bruͤcke uͤber
den Fluß/ gieng mit ihrem Volcke in hoͤchſter
Stille uͤber/ uͤberfiel mit dem Tage die Epirer/
und ſchlug ſie durch eine groſſe Niederlage aus
dem Felde. Dieſe rufften mit groſſem Weh-
klagen und Fuͤrſtellung eigener Gefahr die Eto-
lier und Achaͤer zu Huͤlffe; als nun aber die Koͤ-
nigin Teuta mit dem Scerdilaidas im Wercke
war/ ihre Feinde anzugreiffen/ kriegte ſie von
Hauſe Nachricht/ daß die Jnſel Jſſa/ die Stadt
Epidamnus und ein Theil Jllyriens ſich den
Dardanern unterworffen haͤtte. Dieſes noͤ-
thigte die Koͤnigin mit den Griechen einen ehr-
lichen Frieden zu ſchluͤſſen/ welche denn mit un-
ſaͤglicher Beute an Silber/ Vieh und Sclaven
in Jllyris zuruͤck kehrete/ nachdem fuͤr ihren
Waffen gantz Gricchenland erzittert war. Nach
ihrer Heimkunfft brachte ſie die meiſten Aufruͤh-
rer alſofort in die Flucht/ und alles/ auſſer Epida-
mnus und Jſſa/ zum Gehorſam. Sie ſchickte
auch nach Rom eine Bothſchafft/ umb ſich uͤber
den ihren aufruͤhriſchen Unterthanen geleiſteten
Beyſtand zu beſchweren; welche aber ſchlechtes
Gehoͤr/ und alleine diß zum Beſcheide kriegte/
daß die Jllyrier durch Antaſtung etlicher Brun-
duſiſcher Schiffe zum Kriege Anlaß gegeben haͤt-
ten. Hierentgegen als Teute wider ihre Abtruͤn-
nigen zum Gehorſam zu bringen bemuͤht war/
kamen Coruncanius von Rom/ und Calempo-
rus von dem Eylande Jſſa als Geſandten bey
ihr an/ welche beyde ſie bey der Verhoͤr mit ziem-
lich harten Worten antaſteten. Daher ſie den
Geſandten der Jnſel Jſſa/ die ſie fuͤr Aufruͤhrer
und keiner Geſandſchafft faͤhig zu ſeyn hielt/ aus
Eifer mit eigener Fauſt durchſtach; den Roͤmi-
ſchen zwar fortreiſen/ auf dem Wege aber gleich-
falls hinrichten ließ. Alldieweil auch die Stadt
Dyrrachium mit dem Demetrius unter
der Decke lag/ ſegelte ſie mit hundert Schif-
fen dahin ab/ welche unter dem Schein
friſch Waſſer zu holen/ mit ihren in den Kan-
nen verſteckten Degen ſich zweyer Stadt-Tho-
re bemaͤchtigten/ endlich aber/ als ſie wider die
allzu groſſe Macht ſie nicht laͤnger behaupten
konten/ zuruͤcke zohen/ und umb das Ceruaniſche
Vorgebuͤrge auf das Eyland Corcyra zuſegel-
ten. Nach ihrem Ausſteigen/ und fuͤrgenom-
mener Belaͤgerung der Stadt/ ſchickten die Eto-
ler/ Achaͤer/ die Staͤdte Appollonia und Dyr-
rachium eine anſehliche Kriegs-Flotte nach Cor-
cyra; welcher aber die Koͤnigin Teuta mit ihrer
und der Acarnaner ihrer Bundsgenoſſen Schif-
fen begegnete/ unterſchiedene feindliche und dar-
auf den beruͤhmten Acheer Marcus von Cary-
na verſenckte/ viel eroberte/ und nach dem alle
uͤbrige die Flucht nahmen/ das Eyland und die
feſte Stadt Corcyra zum Siegs-Preiße bekam.
Wie ſie nun hierauf Jſſa und Dyrrachium
aufs neue belaͤgerte/ lendete der Roͤmiſche Bur-
Erſter Theil. Y y yger-
[538]Fuͤnfftes Buch
germeiſter Cajus Fulvius mit 200. Schiffen
unverſehens zu Corcyra an/ welchen der Koͤni-
gin Stadthalter daſelbſt/ aus Verdruß einem
frembden Weibe zu gehorſamen/ und weil er aus
etlicher Verlaͤumdũg die Koͤnigliche Gnade gegẽ
ihn etwas ſincken ſahe/ dahin beruffen hatte/ und
den Roͤmern nicht nur Corcyra und Pharos ein-
lieferte/ ſondern auch verhalff/ daß ſie/ nach dem
Arlus Polſthumius noch mit 22000. Mann von
Brunduſium uͤberſetzte/ die Stadt Apollonia/
Dyrrachiũ/ und Jßa/ nach aufgehobener Belaͤ-
gerung die Pforten oͤffneten/ die Parthiner und
Atintaner/ den Roͤmern ſich ergaben/ die Stadt
Nutria/ wiewohl mit groſſem Verluſt/ ſtuͤrmend
einnahmen. Teuta ließ bey der Untreu der Jhri-
gen und ſo widrigem Gluͤcke gleichwol nicht den
Muth fallen/ ſondern ſetzte ſich an dem Fluſſe
Rizon und der Stadt Buthoa feſte/ brachte es
auch dahin/ daß die Roͤmer gegen Abtretung deſ-
ſen/ was ſie Sud-Oſtwerts gegen Epirus erobert
hatten/ welches alles ſie dem Demetrius zur
Verwaltung einraͤumeten/ und gegen Verſpre-
chen/ daß die Jllyrier die frembden Kuͤſten nicht
mehr durch Raub-Schiffe beunruhigen wolten/
mit ihr einen noch ertraͤglichen Frieden eingien-
gen. Muſte alſo dieſe ſtreitbare Koͤnigin diß-
mal zwar/ wiewohl ſonder ihre Verwahrloſung/
in einen ſauren Apfel beiſſen; iedoch erwarb ſie
daraus den Ruhm einer beſondern Klugheit/
weil doch der Friede denen Siegern zwar ſchoͤn
anſtehet/ denen ſchwaͤchern aber den meiſtẽ Nu-
tzen ſchafft. Wie nun die Roͤmer hierauf mit
den Celten am Po in Krieg verfielen/ verrauch-
ten bey dem undanckbaren Demetrius der Roͤ-
mer Wolthaten; daher verleitete er nicht allein
die Jſtrier und Atintaner der Roͤmer Joch von
den Achſeln zu ſtreiffen/ ſondern unterſtund ſich
auch der Koͤnigin Teuta ſeine Liebe und Ehe an-
zutragen. Dieſe nahm ſolche Kuͤhnheit fuͤr eine
unverſchaͤmte Beſchimpfung an/ und ließ dem
Demetrius zur Antwort wiſſen: Deutſche Fuͤr-
ſtinnen waͤren ungewohnet ſich zu ihren Knech-
ten zu legen/ noch weniger aber Teuta einen
Verraͤther zu umbhalſen. Dieſer ſchlechte
Beſcheid verwandelte ſeine Liebe in aͤrgſte Galle.
Denn dieſe beyde ſind ſo nahe/ als Honig und
Stachel an der Biene beyſammen. Wormit
er aber ſeine Rache ſo viel leichter ausuͤben moͤch-
te/ gewan er das Hertze der Tritevta des jungen
Fuͤrſten Pinnes Mutter. Dieſer bildete er
anfaͤnglich fuͤr: Mit was Unrechte die Stief-
Mutter Teuta ſich der Jllyriſchen Herrſchafft
mit ihrer Ausſchluͤſſung anmaßte/ und wie ihr
Sohn in aͤuſerſter Reichs- und Lebens-Gefahr
ſchwebte; ſintemal die Stiefmuͤtter weniger als
die Nattern ihr Gift von ſich ablegen koͤnten.
Hiermit brachte er anfangs zuwege/ daß auf ihr
bewegliches Anhalten die Roͤmer den Deme-
trius/ welcher die Larve eines keiner ſchaͤdlichen
Gemuͤths-Regung unterworffenen Weltwei-
ſen ihm meiſterlich fuͤrzumachen wuſte/ zum
Vormuͤnden des Fuͤrſten Pines erklaͤreten/ und
ihm ſeine Auferziehung nebſt der Tritevta an-
vertraueten. Allein ſeine Wercke entlarveten
zeitlich ſeinen Drachen-Kopf/ und wieſen/ daß
die/ welche von der Tugend und der Unempfind-
ligkeit die groͤſten Streiche machen/ meiſt der
Stein-Fels aller anſtoſſenden Neigungen/ und
der Strudel aller Laſter ſind. Denn er
verleitete die einfaͤltige Tritevta/ nach dem das
weibliche Geſchlechte insgemein den Schimmer
fuͤr die Guͤte einer Sache haͤlt/ in kurtzer Zeit
dahin/ daß ſie die unver gleichliche Koͤnigin Teu-
ta durch ein paar zugeſchickte vergiftete Hand-
ſchuch/ wiewohl unwiſſend/ toͤdtete/ hernach die-
ſen Meuchelmoͤrder in ihr Ehe-Bette nahm/
und den/ welcher vorher die Koͤnigin Teuta als
eine Stiefmutter verdaͤchtigte/ als einen Stief-
vater aus blinder Liebe umbarmete/ ohne Nach-
dencken/ daß die Tyger durch keine Kirrung
vollkommen zahm werden; ſondern daß ſie ſo
denn/ wenn ſie ihre Zaͤhne verſtecken/ mit ihren
Klauen die Unvorſichtigen zu zerreiſſen geden-
cken; und daß die Schlangen/ wenn ſie ſchon
bey
[539]Arminius und Thußnelda.
bey ihrer Beſchwerung ihr Gift weglegen/ ſelb-
tes doch bald/ wenn ſie aus dem Zauber-Kreiſſe
kommen/ wieder an ſich ziehen. Dieſes war
das traurige Ende der wunder-wuͤrdigẽ Teuta/
iedoch war von den Hochzeit-Fackeln der einfaͤl-
tigen Tritevta ſo wenig verbrennet/ daß der
Uberreſt ihr noch konte zu Grabe leuchten.
Denn weil die Herrſchens-Sucht der Urſprung
dieſer Heyrath war/ ward Tritevta faſt ehe Lei-
che als Gemahlin. Der Hochzeit-Tag/ der
doch auch Sclaven heimlich iſt/ und ihren Ket-
ten einen annehmlichen Klang zueignet/ umb-
woͤlckte ſich ſchon mit tauſenderley Unvergnuͤ-
gen. Ja ſie war in des Demetrius Bette
kaum warm worden/ als ſie von ſeiner eigenen
Fauſt durchſtochen ſchon in dem Sarche erkal-
ten muſte.
O ihr Goͤtter! rieff hieruͤber die holdſelige
Koͤnigin Erato. Warumb iſt das Verhaͤng-
nuͤß dem weiblichen Geſchlechte ſo aufſaͤtzig?
Oder warumb iſt das Gluͤcke gegen die Tu-
gend ſo eiferſichtig? Warumb preßt das Elend
die Thraͤnen aus den ſchoͤnſten Augen? Und
warumb verduͤſtert der Rauch der Betruͤbnuͤſſe
die reineſten Kertzen edelſter Seelen? Die be-
hertzte Thußnelda antwortete ihr: Laſſet uns
weder dardurch der Tugend was ab-noch dem
Verhaͤngnuͤſſe was auflegen. Jene hat ihre
Vergnuͤgung nicht in dem Tocken - Wercke
des Gluͤckes/ ſondern in der Ruhe des Gemuͤ-
thes; nicht in der Ergetzligkeit des Poͤfels/ ſon-
dern in der Freude des Gewiſſens. Auch die
durch gerechteſte Goͤttliche Verſehung in eine
untadelhafte Ordnung verſetzte Natur hat ihren
herrlichſten Geſchoͤpfen gleichſam eine Ungluͤck-
ſeligkeit angekleibet. Keine gemeine Ster-
nen/ ſondern nur die zwey groſſen Lichter des
Tages und der Nacht haben ihre ſcheinbare
Flecken/ und ſind der Verfinſterung unter-
worffen. Der Blumen Koͤnigin die Roſe
pranget zwar mit dem ſchoͤnſten Purper/ ſie
wird aber von den Dornen am aͤrgſten ver-
wundet/ ſie leidet am meiſten von der Hitze des
Mittags/ und von den Sturmwinden der
Mitternacht. Die Perlen werden in der
Schoß des Ungewitters gezeuget/ und die Co-
rallen wachſen in dem bitterſten Meer-Waſſer.
Hingegen bluͤhen Napell und andere giftige
Kraͤuter auf keinen Diſtel-Stengeln/ und was
der Poͤfel fuͤr Gluͤckſeligkeit haͤlt/ iſt eine Dienſt-
barkeit der Wolluͤſte. Durch dieſe werden wir
verderbet; ja ſie hecket in uns ſchaͤdlichere Wuͤr-
mer/ als ein ſtets unbewegter Leib Maden.
Das Ungluͤck aber iſt nicht nur die Artzney wi-
der die Waſſerſucht des Gemuͤthes/ ſondern die
Anleitung zur Tugend. Keine Laſter haben
eine ſolche Anmuth/ daß ſie nicht endlich ihre
elgene Liebhaber anſtincken. Und wenn ein
Boßhafter auf Sammet liegt/ ſo foltert ihn
doch ſein Gewiſſen; wenn ſein Nahme gleich
mit Gold an marmelnen Ehren-Saͤulen ſte-
het/ ſo verwandelt ſie doch die Zeit in Kohlen.
Ein unſchuldiges Leben aber gibt einen ſo an-
nehmlichen Geruch von ſich/ welcher auch in den
garſtigſten Kerckern die fauleſte Lufft einbiſamt/
alſo/ daß wir keinen Athem an uns ziehen; wel-
cher nicht zugleich unſerer reinen Seele ein Lab-
ſal/ der Nachwelt aber ein erquickend Gedaͤcht-
nuͤß abgebe. Dahero mag die Boßheit es
uns ſo ſauer machen/ als ſie kan/ weil die Hoff-
nung zu ſiegen alle Verdruͤßligkeit des Kam-
pfes verzuckert/ ſo zeucht die Tugend ihre Ru-
he aus der Widerwertigkeit/ und ſie findet ihre
Erluſtigung mitten in der Unruh. Alſo hat
die Zeit in ihrem Rade keinen Ungluͤcks-Na-
gel/ welcher der Unſchuld nicht einen Weiſer
auf eine gluͤckſelige Stunde abgebe; und das
Gluͤcke kan auf ſie kein ſo ſchaͤles Auge haben/
welches ſie nicht in einen Sonnen-Schein zu
verwandeln wiſſe; denn auch das ſchlim̃ſte
muß ihr zu Ausuͤbung ihrer Gedult dienen.
Y y y 2Wenn
[540]Fuͤnfftes Buch
Wenn endlich auch Gluͤcke und Natur ihr
gar viel abgewinnt/ ſo ſind es eitele Tropfen
Waſſer. Denn die Tugend zwinget ihre
Feinde/ daß ſie ſich mit Thraͤnen oder einer
Handvoll Bluts vergnuͤgen muͤſſen/ welche ſie
aber vorher von der Natur uͤberkom̃en. Ja ſelbſt
in der Verzweifelung unter gluͤnden Zangen
und ſiedendem Oele troͤſtet ſie doch ihr Gewiſ-
ſen/ und die Hoffnung eines herrlichern Lebens.
Der Hencker ſelbſt wird wider Willen ihr Er-
loͤſer/ und der letzte Schlag zerbricht ihre Feſſel/
endiget ihre Pein/ nicht aber ihr Leben. Denn
in Wahrheit/ ſo wenig ein Fuͤrſt ſein Bild aus
Golde gieſſen laͤſt/ daß er es in einen finſtern
Stall ſetze/ ſo wenig hat die Goͤttliche Weiß-
heit ihr Bildnuͤß in reine Seelen gepraͤget/
daß es nur in der Welt in dem Elemente der
Thraͤnen und Doͤrner/ zur Schaue/ oder viel-
mehr zur Plage ſtehen ſolte; ſondern ſie wer-
den in dem Schmeltz-Ofen dieſer finſtern Eitel-
keit von den Schlacken ihrer Schwachheiten
geſaubert/ wormit ſie in einer unendlichen
Ewigkeit deſto herrlicher glaͤntzen moͤgen.
Die Koͤnigin Erato umbarmte Thußnelden
mit dieſen Worten: Jch empfinde aus ihren
heilſamen Lehren nichts minder ein groſſes
Licht/ als aus ihrem Beyſpiele eine freudige
Aufrichtung meines Gemuͤthes/ wider die
Verfolgungen des Gluͤckes. Freylich muß
man/ wenn ich es recht bedencke/ dem Goͤttli-
chen Verhaͤngnuͤſſe/ wie ein Blinder ſeinem
Leiter an die Hand gehen. Das Licht unſers
Verſtandes iſt ſo tunckel/ daß/ wenn wir dar-
durch uns ſelbſt erleuchten wollen/ nicht weit
ohne toͤdtlichen Fall kommen koͤnnen. Die-
ſemnach muß ich aus eigener Erfahrung
enthaͤngen/ daß das Wehklagen uͤber unſere
Trauer-Faͤlle nicht weniger unrecht/ als un-
nuͤtze iſt. Wir machen unſern Unverſtand
zum Laſter/ wenn wir der Goͤttlichen Verſe-
hung anmuthen/ ihre unveraͤnderliche Rath-
ſchluͤſſe umbzuſtoſſen. Wir ſind mit ſehen-
den Augen ſtock-blind/ wenn wir zu Erleuch-
tung unſers abſchuͤſſigen Lebens ein heller
Licht begehren/ als daſſelbte/ welches die Son-
ne erleuchtet/ und die Circkel der Sternen ab-
mißt. Aber mich verlangt/ hertzliebſter Ze-
no/ daß er nun wieder durch Verfolgung
ſeiner Zufaͤlle nicht ſo wohl unſerer Begierde
der Neuigkeit abhelffe/ als mein zuweilen klein-
muͤthiges Gemuͤthe durch ſein beſtaͤndiges Bey-
ſpiel aufrichte.
Fuͤrſt Zeno antwortete ihr: Sie waͤre ge-
ſchickter andern ein Vorbild ihrer Standhaf-
tigkeit abzugeben/ als es von andern zu neh-
men; und er vermerckte wohl/ daß weil ihre
Thaten nichts weibiſches an ſich haͤtten/ belu-
ſtigte ſie ſich zuweilen ihre Reden ihrem Ge-
ſchlechte aͤhnlich zu machen. Er wolte aber
durch Fortſetzung ſeiner unterbrochenen Er-
zehlung ihnen willigſt gehorſamen; nur
wuͤntſchte er/ daß ſie derogeſtalt von ſeiner Er-
zehlung vergnuͤgt wuͤrden/ als er von Pentha-
ſileens. Denn dieſer ihre haͤtte alſofort in ihm
eine heftige Begierde gewuͤrcket das Reich der
ſtreitbaren Amazonen ſelbſt zu beſchauen/ wel-
ches er der liebreichen Penthaſilea auch alſofort
zu verſtehen gegeben/ icdoch vorhero/ wie ſie in
die Haͤnde der rauberiſchen Geten verfallen waͤ-
re/ ihm vollends zu eroͤffnen gebeten.
Dieſe/ fuhr Zeno fort/ bemuͤhte ſich aufs
beſte mich zu vergnuͤgen/ fuhr dahero fort zu
erzehlen: Es haͤtte des Getiſchen Koͤnigs
Cotiſo Tochter Syrmanis/ welchem Kaͤyſer Au-
guſtus ſeine Julia haͤtte verheyrathen wollen/
ſich deshalben/ daß ſie des Kaͤyſers Gemahlin
oder vielmehr ſein Kebs-Weib werden ſollen/
zu den Amazonen gefluͤchtet/ dieſer haͤtten ihre
Sitten ſo beliebt/ daß/ ob wol Cotiſo vielmahl
mit
[541]Arminius und Thußnelda.
mit Verſicherung: Es haͤtte ſich alle Feind-
ſchafft zwiſchen dem Kaͤyſer und ihm zerſchla-
gen/ ſie zuruͤck begehret/ ſie doch dieſe cdle Frey-
heit zu verlaſſen nicht zu bereden geweſt waͤre.
Wie nun ihr Vater alle Hoffnung ſeine Tochter
in Guͤten wieder zu erlangen verzweiffelt/ habe
er ſolches durch Liſt/ nachdem er durch offent-
lichen Krieg es gleichfals nicht wagen doͤrffen/
auszuuͤben getrachtet/ und weil ihm verkund-
ſchafftet worden/ daß die vornehmſten Amazo-
nen um dieſe Jahres-Zeit den ſehr alten an dem
Ufer dieſes Meeres dem Achilles zu Ehren ge-
bauten Tempel zu beſuchen/ darbey allerhand
Ritterſpiele zu uͤben/ und Ergoͤtzligkeiten zu ſu-
chen pflegten/ etliche Schiffe auff den Anſchlag
ſeine Syrmanis wegzunehmen ausgeruͤſtet.
Dieſe haͤtten ſich etliche Tage vorher zwiſchen
die am Ufer ſich haͤuffig befindenden Stein-
Klippen verſteckt; Und als die Amazonen nach
verrichteten Opffern und Ritterſpielen gegen
dem Abende um friſche Lufft zu ſchoͤpffen an
dem Meere gantz unbewaffnet ſich erluſtiget/
waͤren die Geten mit blancken Degen herfuͤr
geplatzet/ da denn ſie faſt am erſten waͤre er-
wiſcht/ und weil die Raͤuber ſie ihrem nachma-
ligen Berichte nach/ wegen ihrer praͤchtigen
Kleider fuͤr die Koͤnigin angeſehen haͤtten/ auff
das Schiff mit Gewalt getragen/ und hier-
auff fort gefuͤhret worden; Ubrigens wuͤſte ſie
nicht/ wie es mit den andern abgelauffen ſeyn
wuͤrde.
Mit dieſen und andern annehmlichen Er-
zehlungen vertrieb mir Penthaſilea/ ſagte Zeno/
die Zeit/ biß wir nach etlichen Tagen endlich
gluͤcklich in die Herrliche Stadt Dioſcurias an-
kamen. Jn dieſer ſind noch unterſchiedene
Denckmahle von den Argonauten/ inſonder-
heit aber der Tempel der Medea/ und ihre
aus Ertzt gegoſſene und rings umher mit
Schlangen umflochtene Seule zu ſehen. Nebſt
derſelben ſtehet eine andere des juͤngern Mar-
ſus/ des Gothiſchen Koͤnigs Tanauſis Sohn/
welcher Meden/ nachdem ſie am Jaſon und ſei-
nen Kindern die grauſame Rache ausgeuͤbt/ dem
Hercules aber von ſeiner Raſerey geheilet hatte/
geehlicht/ und mit ſich in Deutſchland gefuͤhret/
allwo ſie von den Marſen unter dem Nahmen
Anguicia noch verehret werden ſoll.
Hertzog Herrmann fiel dem Fuͤrſten Zeno
allhier ein/ und ſagte: Es waͤre wahr/ daß die
Marſen der Medea Gedaͤchtniß verehrten/
und inſonderheit von ihr ruͤhmten/ daß ſie ſie
wider die Schlangen/ wegen welcher ihr Land
damahls faſt nicht zu bewohnen geweſt waͤre/ ein
bewaͤhrtes Mittel gelehret haͤtte. Auſſer dem
aber berichteten die Marſen/ daß Hercules/ Ja-
ſon/ und Medea ſelbſt bey ihnen ausgeſtiegen
weren. Denn wie ſich die Argonauten mit dem
entwendeten guͤldenen Widder gefluͤchtet/ ha-
be der Colchiſche Koͤnig Eetes alſobald mit einer
Schiffs-Flotte den Mund der Thraciſchen
See-Enge beſetzet; Weßhalben ſie durch die
Cimmeriſche See-Enge in die Meotiſche Pfuͤ-
tze/ von dar auff dem Fluſſe Tanais nahe biß
zu ſeinem Urſprunge gefahren/ daſelbſt ihre
Schiffe uͤber Land in den Fluß Rah/ aus dieſer
in den Fluß Vagus getragen/ darauff in das
groſſe Nord-Meer/ endlich bey Gades wieder
in das Mittellaͤndiſche Meer/ und ferner in
Griechenland geſchiffet waͤren.
Fuͤrſt Zeno kam hiermit wieder in ſeine Er-
zehlung/ daß er und Penthaſilea/ wie ſie alle
Seltzamkeiten zu Dioſcurias beſchauet haͤtten/
nach der Stadt Pytius uͤber den Fluß Corax/
von dar endlich durch die vier hundert und ach-
zig Stadien lange Mauer/ welche die Colchier
wider den Einfall der Amazonen an dem Ber-
ge Caucaſus gebauet/ ihren Weg uͤber ein Theil
ſelbigen Gebuͤrges genommen/ auch den andern
Tag gluͤcklich auff die Amazoniſchen Grentzen
ankommen/ und Penthaſilea mit groſſen Freu-
den bewillkommet; von dar in die am Fluſſe
Y y y 3Bor-
[542]Fuͤnfftes Buch
Borgis liegende Stadt Ampſalis begleitet wor-
den waͤre. Das Geſchrey/ ſagte Zeno/ kam
unſerer Ankunfft zuvor/ und alſo die Koͤnigin
Minothea von Maſetica uns entgegen; Wel-
che mich als eine Erloͤſerin ihrer Schweſter
gleichſam auff den Haͤden trug/ und uns er-
zehlte: wie ſie bey dem Einfalle der Geten zu den
Waffen kommen/ ſelbte uͤberwaͤltiget/ ja Koͤnig
Cotiſons eigenen Sohn den Fuͤrſten Oropaſtes
ſelbſt gefaugen bekommen haͤtten. Die erſte
Frucht unſerer Ankunfft war/ daß Oropaſtes
ſeiner engen Beſtruͤcknis erlediget ward; nach-
dem ſie ſich bloß ſeiner um ihn gegen Pentha-
ſileen auszuwechſeln ſo wohl verſichert hatten.
Hierdurch erfolgte/ daß dieſer tapffere Fuͤrſt zu
mir eine ungemeine Zuneigung gewann/ weil
ich ſein Volck uͤberwunden/ und ihnen ſeine
Beute abgeſchlagen hatte. Denn die Frey-
heit iſt alleine der unſchaͤtzbare Schatz unter den
Jrrdiſchen. Jch wuͤrde etliche Tage doͤrffen
zu Erzehlung aller Ergetzligkeiten/ die uns die
Amazonen mit Hirſch-Luchs- und Biber- Jag-
ten/ welche ſich auch in dem See-Strande auf-
halten/ mit Reiger- und Phaſan-Beitzen/ die
allhier ihr rechtes Vaterland haben/ mit Ritter-
Spielen und Durchſchwemmungen der Fluͤſ-
ſe/ darinnen ſie es allen andern Voͤlckern zuvor
thun/ anſtelleten; Alſo daß weder ich mich an-
ders wohin/ noch auch Oropaſtes nach Hauſe
ſehneten/ und daher die Entſchlagung ihres
Vaterlandes der Fuͤrſtin Syrmanis nicht fuͤr
uͤbel haben konten. Mich vergnuͤgte inſon-
derheit/ daß dieſe Amazonen viel anderwerts
herrſchende Laſter auch mit den Nahmen nicht
kannten/ und alſo dieſer ihre Unwiſſenheit viel
heiliger/ als ſonſt in der Welt die Erkentniß der
Tugend iſt; daß ihre Sitten mehr gutes/ als an-
derwerts heilſame Geſetze ſtifften. Jnſonder-
heit iſt ihnen die Anbetung Gold und Silbers/
des Abgottes ſo vieler Menſchen gantz unbe-
kandt, daher ſie in die Baͤche/ welche vom Cau-
caſus abſchieſſen/ und vielen Goldſand mit ſich
fuͤhren/ zwar Schaaff-Felle hencken/ und da-
mit Gold ſammlen; ſolches aber mehr zur Luſt/
als zum Geitze anſtellen. Denn ihr groͤſtes
Reichthum iſt ein ſchnelles Pferd/ ein guter Bo-
gen und ein Zobelner Peltz. Unter dieſer ihrer
Unſchuld aber/ ſind gleichwohl Liebe und Rache
die hefftigſten Gemuͤths-Regungen. Dieſe
verwandeln unſere Vergnuͤgung allzu ge-
ſchwinde in ein klaͤgliches Trauer-Spiel. Denn
die Koͤnigin Minothea und Penthaſilea verlieb-
ten ſich in den Fuͤrſten Oropaſtes; Oropaſtes a-
ber/ ich weiß nicht aus was fuͤr einem ſeltzamen
Triebe/ in mich. Jch merckte dieſe Regung
dem Oropaſtes zeitlich an/ iedoch verſtellte ich
meine Wahrnehmung ſo lange/ biß er ſeine
Neigung nun nicht mehr mit Veraͤnderung
der Farbe und Seuffzern/ ſondern mit deutli-
cher Ausdruͤckung zu verſtehen gab. Da ich
mich denn Anfangs ſeiner Geſellſchafft auff al-
le erſinnliche Wege entſchlug/ hernach ſeiner Lie-
be durch bewegliche Abmahnung abzuhelffen
mich bemuͤhete/ und den Oropaſtes zu behertzi-
gen ermahnte/ daß ich aus Haß gegen die Lie-
be meine Eltern und Vaterland verlaſſen/ und
den Ariobarzanes verſchmaͤhet/ inzwiſchen zwar
Erde und Lufft/ nicht aber mein Gemuͤthe ver-
aͤndert haͤtte. Aber ich befand/ daß die/ welche
eine hefftige Liebe mit allzu groſſer Kaltſinnig-
keit zu ſtillen vermeinen/ eben diß ausrichten/
als die mit Oel das Feuer leſchen; und daß es
rathſamer ſey/ ſelbte mit Glimpff nach und nach
abzukuͤhlen/ und ſie ſich an laulichter Be-
gegnung wie die Wellen des ſtuͤrmenden Mee-
res auff dem weichen Bette des kleinen San-
des abſchlagen laſſen. Weil nun Oropaſtes
derogeſtalt ſein gantz Hertze mir gewiedmet
hatte/ blieb nichts fuͤr die brennende Minothea
und Penthaſileen uͤbrig/ welche beyde fuͤr Lie-
be haͤtten zerſchmeltzen moͤgen/ ſonderlich aber
die letztere/ welche ihren Brand fuͤr der Koͤ-
nigin auffs vorſichtigſte verdecken muſte. Mi-
nothea konte ſich endlich nicht enthalten/ auff ei-
ner
[543]Arminius und Thußnelde.
ner Jagt in einer erkieſeten Einſamkeit fuͤr dem
Fuͤrſten Oropaſtes/ welcher zeither von allen ih-
ren Anmuths-Blicken die Augen nieder ſchlug/
fuͤr ihren Seuffzern die Ohren verſtopffte/ ihr
gantzes Hertze auszuſchuͤtten/ ihm alle ihre
Schoͤnheiten zu entbloͤſſen/ alle ihre Annehm-
ligkeiten zuſammen zu raffen/ und endlich ihre
Rede zu ſchluͤſſen: Vermoͤchte er ſie nicht aus
Zuneigung zu lieben/ ſo ſolte er aus Erbar-
mung ſie nicht ſterben laſſen/ oder doch ſelbſt
der annehmliche Werckzeug ihres Todes ſeyn/
und mit ihren eigenen Pfeilen/ (dieſe legte ſie
ihm mit Bogen und Koͤcher zun Fuͤßen) ih-
rem elenden Leben abhelffen. Oropaſtes er-
ſchrack uͤber dieſer verzweiffelten Entſchluͤſſung/
wuſte auch nicht/ wie er der ſo hefftigen Koͤnigin
vernuͤnfftig begegnen ſolte. Nach etlicher Zeit
Nachdencken/ erſuchte er ſie: Sie ſolte dem Ver-
haͤngniſſe nicht in den Zuͤgel fallen/ ſondern
ſeinen weiſen Schickungen in Gedult und Hoff-
nung den Lauff laſſen. Vernunfft und Zeit
waͤren die zwey Dinge/ ohne welche weder die
Vergnuͤgung noch die Gluͤckſeligkeit reiff wer-
den koͤnte. Er waͤre des Stromes ihrer Ge-
wogenheit/ mit der ſie ihn uͤberſchuͤttete/ nicht
wuͤrdig/ und er bejammerte ſein Ungluͤcke/ daß
ein unverſehrliches Geluͤbde/ das er auff ge-
wiſſe Zeit in dem beruͤhmten Tempel Dianens
an dem Ausfluſſe des Fluſſes Tyras bey ſeiner
Abſegelung gethan hatte/ ihn hinderte dieſer ihm
angebotenen Suͤßigkeiten nicht zu genieſſen. Ja
weil er bey einer ſo vollkommenen Koͤnigin eine
ſolche Ubermaß ihrer Gnade nicht verdienet
haͤtte/ truͤge er nicht unbilliges Nachdencken/ daß
die Goͤtter ihn hierdurch verſuchten: Ob er ſei-
ne Vergnuͤgung nicht ihrer Furcht vorziehen
wuͤrde? Die Koͤnigin Minothea muſte ſich mit
dieſer wichtigen Entſchuldigung beruhigen; ſtieß
alſo nach langem Stillſchweigen die Worte aus:
Jch nehme es fuͤr bekant an/ Oropaſtes/ daß dein
Geluͤbde nur auff eine gewiſſe Zeit ziele/ und
daß ich in Hoffnung der Zeit und dem Ver-
haͤngniße auswarten ſolle. Glaube aber/ daß
ich dich aus meinen Reichs-Grentzen nicht laſſen
werde/ biß das Ziel deines Geluͤbdes erreichet
worden ſey. Hiermit verfolgte die Koͤnigin die
Jagt/ und ließ Oropaſten nicht in geringer Be-
ſtuͤrtzung zuruͤcke; Welcher in tieffem Nachſin-
nen faſt auſſer ſich geſetzet war/ als ihn ein durch
das Geſtrittig dringender Hirſch gleichſam aus
dem Schlaffe erweckte/ welchem Penthaſilea
ſporn-ſtreichs nachſetzte/ und ſelbten mit einem
Wurffſpieſſe gluͤcklich erreichte/ gleichwohl mit
dem in ſeinẽ Ruͤcken ſteckenden Eiſen ſeine Flucht
verfolgete. Oropaſtes redete Penthaſileen an:
Jhr Wurff waͤre gewiß ein Meiſterſtreich ge-
weſt/ und muͤſſe er ſich wundern/ daß dieſes ſo
hefftig verwundete Thier noch ſo fluͤchtig ſeyn
koͤnte. Penthaſilea verſetzte: Wunder dich viel-
mehr Oropaſtes uͤber mir/ daß ich noch lebe;
denn ein viel ſchaͤrffer Geſchoß ſteckt mir nicht
nur im Ruͤcken/ ſondern im Hertzen. Wie nun
aber Oropaſtes nur ſtille ſchwieg/ und ſie ſtarr
anſahe/ hob ſie abermahls an: O unbarmhertzi-
ger Oropaſtes! wie biſtu doch viel grimmiger
wider meine Seele/ als wir Amazonen gegen
das fluͤchtige Wild. Uber dieſen Worten er-
blickte ſie von ferne ihre einen Luchs verfolgen-
de Schweſter die Koͤnigin; Daher ſie zu Ver-
meidung Verdachts ſich Oropaſtens entbre-
chen/ und der Spur ihres Hirſchens nacheilen
muſte. Oropaſtes ſahe nun wohl/ daß Mino-
theens Hefftigkeit ihm nicht mehr Zeit ließ Fuß
fuͤr Fuß in dem Liebes-Gewerbe gegen mich
fort zu ſchreiten; Daher druͤckte er in einem mir
beſtimmten Schreiben die Pein ſeines Hertzens
mit ſo bruͤnſtigen Worten aus/ daß ſelbte gleich-
ſam fuͤr Feuer raucheten/ und/ da ich nicht ſelbſt
ſeines Geſchlechts geweſt waͤre/ mich/ wo nicht
zur Liebe/ doch zum Mitleiden bewegt haben
wuͤrden. Unter andern klagte er darinnen uͤber
meine ſchwartze Augen/ aus derer Finſterniß
ein unauffhoͤrlicher Blitz ſeine Seele verwun-
dete; Wie ſie denn wohl wiſſen/ daß die Verlieb-
ten
[544]Fuͤnfftes Buch
ten nicht nur beredſam ſind; ſondern auch aus
mittelmaͤßigen Dingen unver gleichliche Wun-
derwercke zu machen und aus gemeinen Brun-
nen Nectar und Honig zu ſchoͤpffen wiſſen.
Zuletzt ſchloß er: Jch moͤchte doch den nicht
ohne Hoffnung vergehen laſſen/ welchen eine
Koͤnigin fruchtloß anbetete. Mir ging Oro-
paſtens Zuſtand zu Hertzen/ und ich haͤtte ihm
ſo gerne von ſeinem Jrrthum und Gemuͤths-
kranckheit/ als deꝛ in ihn verliebten Penthaſileen
zu ihrer Vergnuͤgung geholffen; wenn ich an-
ders mich haͤtte wagen doͤrffen die Larve meines
Geſchlechtes von dem Geſichte zu ziehen. Die-
ſem nach entſchloß ich mich dieſes Schreiben
Oropaſtens der Fuͤſtin Penthaſilea/ welche uͤ-
beraus ſchoͤne ſchwartze Augen hatte/ durch ei-
ne unbekandte Peꝛſon unter ſeinem Nahmen zu-
zufertigen/ theils ihr Gelegenheit zu geben ſich
deſſen zu ihrem Vortheil uͤber den Oropaſtes
zu bedienen/ theils durch meine ſo ſcheinbare
Untreu ihm ſeine Liebe gegen mich zu vergaͤl-
len/ und alſo zweyerley Wunden vielleicht mit
einem Pflaſter zu heilen. Hoͤret aber/ wie mein
Wohlmeinen ſo ungluͤcklich ausſchlug! Die
Koͤnigin und Penthaſilea waren nebſt denen
fuͤrnehmſten Amazonen an dem Fluſſe Jca-
ruſa auff einem Luſthauſe/ allwo ſie ein Goͤt-
termahl angerichtet/ und/ was dieſe oder jene
fuͤr eine Perſon vertreten ſolte/ geloſet hatten.
Penthaſilea ging allezeit in gruͤner Kleidung/
und wie die Diana ausgeputzet; Zu allem Un-
gluͤck aber war dißmahl das Loß derogeſtalt ge-
fallen/ daß Penthaſilea die Juno/ Minothea
aber Dianen fuͤrſtellte. Der von mir zum
Bothen erkieſete Edelknabe kommt bey ſchon
anbrechender Nacht in der Demmerung da-
hin/ wo ſie in einem Garten ſich mit allerhand
Spielen erluſtigten/ verkennet in ſolcher Tracht
die Koͤnigin fuͤr Penthaſileen/ welche ohne diß
auſſer den ſchwartzen Augen einander ſehr aͤhn-
lich waren; Giebet alſo im Nahmen Oropa-
ſtens ſein Schreiben der Minothea. Dieſe
nimmt/ voller Freude und Begierde den Jn-
halt aus einer ſo ungemeinen Bothſchafft zu er-
fahren/ ſolches an/ ſondert ſich alsbald von ih-
ren Geferthen ab/ erkennet aber bey deſſen
Durchleſung alsbald den Jrrthum des Abge-
bers/ wendet ſich alſo unverruͤckten Fuſſes zu
ihm/ und fraget: An wen Oropaſtes diß
Schreiben abzugeben beſohlen? Dieſer giebt
nach meinem Befehl in voriger Meinung/ er
rede mit Penthaſileen zur Antwort: An nie-
manden/ als an Penthaſileens ſelbſt eigene Haͤn-
de. Wohl! antwortete ihm die Koͤnigin/ brin-
ge deinem Herrn zur Antwort wieder/ was dich
deine Augen bald ſelbſt unterrichten werden.
Hiermit wandelte Minothea ihr Antlitz in ein
Geſichte einer raſenden Unholdin/ ging hierauf
in den Hauffen ihrer Geſpielin und fing an:
Es iſt nun genug gekurtzweilt/ wir muͤſſen auch
ein Trauer-Spiel beginnen; Greiffet und bin-
det dieſe hochmuͤthige Juno/ welche uns nicht ſo
wohl die Krone vom Haupte/ als das Hertze
aus unſer Bruſt zu reiſſen gedencket. Alle A-
mazonen erſtarrten/ und haͤtten dieſen Befehl
fuͤr eine luſtige Erfindung zu einem neuen
Spiel angenommen/ wenn die Augen der Koͤ-
nigin nicht fuͤr Grimme Feuer ausgelaſſen/
und ihr Mund fuͤr Boßheit gegeiffert haͤtte.
Alſo/ nachdem bey denen Amazonen der Unge-
horſam/ oder auch nur die Urſach oder Ausle-
gung uͤber einen Koͤniglichen Befehl zu begeh-
ren ein ſterbenswuͤrdiges Laſter iſt/ muſten ſie
Minotheens Urthel an der fuͤr Schrecken er-
ſtummenden Penthaſilea vollziehen. Die wuͤt-
tende Koͤnigin aber ergriff einen Pfriemer/ und
ſtach der unſchuldigen Schweſter ihre wunder-
ſchoͤne Augen aus mit beygeſetzten Worten:
Thut mir nun mehr Eintrag bey dem unbeſon-
nenen Oropaſtes. O des grauſamen Urthels!
O der kohlſchwartzen Rache uͤber die weiſſe Un-
ſchuld dieſer ſchwartzen Augen! fing die Fuͤrſtin
Thußnelda uͤberlaut an zu ruffen. O der un-
menſchlichen Schweſter/ gegen welcher Pan-
ther-
[545]Arminius und Thußnelda.
ther- und Tiger-Thiere fuͤr zahm und guͤtig zu
halten ſind! Jch geſtehe es/ ſagte Jubil/ daß ich
kein raſendes Thier dieſer Caucaſiſchen Woͤlf-
fin/ auſſer dem eyverſuͤchtigen Wald-Eſel zu
vergleichen weiß; welcher alle ſeine von der
Mutter nicht bey zeite verſteckte maͤnnliche
Jungen aus der Beyſorge entmannet/ daß
ſie ſeine Neben-Buhler werden wuͤrden. Auch
dieſe Vergleichung/ ſagte Zeno/ reichet noch
nicht an die Grauſamkeit der Minothea;
Weil es ſonder Zweiffel aͤrger iſt/ iemanden
die Augen ausſtechen/ als entmannen. Wie-
wohl ſie/ um ſich zu einem Muſter einer voll-
kommenen Unholdin zu machen bey ihren ei-
genen Augen und Haaren ſchwur: daß ſie O-
ropaſten eigenhaͤndig entmannen wolte. Her-
tzog Jubil verſaͤtzte: Minothea muͤſte eitel Ei-
genſchafften einer Schlange/ und auſſer der euſ-
erlichen Geſtalt nichts Menſchliches an ſich ge-
habt haben. Jedoch waͤre ſeinem Urtheil nach der
Schwur uñ der Fuͤrſatz ihren kurtz vorher ſo ſehr
geliebten Oropaſtes ſo ſchaͤndlich zu verſtuͤm-
meln eine unmenſchlichere Grauſamkeit/ als
die Beraubung der Augen. Denn ob zwar
dieſe dem Menſchen der Beſchauung tauſen-
derley Schoͤnheiten inſonderheit der Sonnen/
weßhalben etliche Weiſen das menſchliche Ge-
ſchlechte erſchaffen zu ſeyn geglaubet/ entſetzte;
ſo gereichte doch dieſer Verluſt zu einer Ent-
fernung mehr Verdruͤßligkeiten und Aerger-
niße. Derer gaͤbe es in der Welt ſo viel/ daß
einige die Schlaff-Zeit/ da man die Augen zu-
thaͤte/ fuͤr das beſte Theil des Lebens hielten.
Viel durch das Geſichte ſich ſonſt zerſtreuen-
den Kraͤfften der Seelen blieben in den Blinden
beyſammen/ verbeſſerten ihre andere Sinnen/
ja ſo gar ihre Vernunfft; alſo/ daß weil die Na-
tur/ als eine guͤtige Mutter den Gebrechen in
einem/ mit andern Vortheilen zu erſetzen be-
fliſſen waͤre; Die Blinden insgemein leiſer hoͤ-
reten/ empfindlicher fuͤhlten/ und uͤberaus ver-
ſchmitzt waͤren. Weßwegen der alle Weltwei-
ſen uͤbertreffende Democritus ſich ſelbſt des Ge-
ſichts beraubet haben ſoll/ damit ſeine verſchloſ-
ſene Augen des Gemuͤths zum Nachdencken ge-
ſchickter werden moͤchten. Der blinde Tire-
ſias haͤtte in die Begebenheiten kuͤnfftiger Zeiten
einen ſo reinen Blick als kein Sehender/ und aus
allen dieſen es eben ſo wenig iemand dem blin-
den Homerus nachgethan. Appius Clodius
haͤtte zwar den Staar/ aber wenn ihm iemand
fuͤrkommen waͤre/ dem er es haͤtte nachthun ſol-
len/ in Ergruͤndung wichtiger Dinge mehr/
als Luchs-Augen gehabt. Die weiſe Natur
machte in Mutterleibe die Augen am letzten/
als welche der Menſch unter allen Gliedern
noch am beſten entbehren koͤnte. Viel kleine
Thiere haͤtten gar keine Augen/ des Maul-
wurffs waͤren mit einem Felle uͤberzogen/ alſo
nichts nuͤtze; und das groſſe Wunder der Wall-
fiſch waͤre ſo uͤberſichtig/ daß er einen kleinen
Fiſch zum Fuͤhrer doͤrffte. Jm Scythiſchen
Cherſoneſus kaͤmen die Kinder/ wie man von
Hunden glaubte/ blind auff die Welt; Jn J-
berien unteꝛm Caucaſus ſolten ihrer viel nicht im
Tage/ ſondern nur des Nachtes ſehen. Ja un-
ſere Luͤſternheit ſuchte gar offt mit der Dido in
Finſterniſſen ihre Ergetzligkeit/ und die Andacht
in den duͤſternen Tempeln ihre Entzuͤckung von
der Eitelkeit. Hertzog Herrmann ſetzte ſeuffzen-
de bey: Wir blinde Menſchen ſind auch nicht
einſt faͤhig in die Sonne zu ſehen; Wenn uns
aber der Tod unſere bloͤde Augen wird zuge-
ſchloſſen haben/ hoffen wir ein ſo verklaͤrtes Ge-
ſichte zu erlangen/ welches in das groſſe Licht der
ewigen Gottheit zu ſehen faͤhig ſeyn wird. Fla-
vius fing an: Auff diß Geheimniß muß ſonder
Zweiffel die bey ſo vielen Voͤlckern angenom-
mene Gewohnheit zielen/ daß die Prieſter de-
nen auff die Holtzſtoͤſſe gelegten Leichen/ ehe ſie
verbrennet werden/ die vorher von ihren
Freunden zugedruͤckte Augen auffſperren. Ze-
no wendete ſich gegen die zwey letztere Fuͤrſten/
meldende: Es waͤren dieſes heilige Gedancken;
Erſter Theil. Z z zaber
[546]Fuͤnfftes Buch
aber hoffentlich nicht zu Verminderung deß von
der Minothea durch Ausſtechung ſo ſchoͤner
Augen begangenen Laſters angeſehen. Wie-
wohl er verſict ert waͤre/ daß ein ſo edler Fuͤrſt/
wie Jubil waͤre/ ſeine Vergnuͤgung in kei-
nem andern Finſterniße/ als zweyer ſo ſchwar-
tzen Augen/ wie ſie die ungluͤckſelige Pentha-
ſilea gehabt und geliebt/ finden koͤnte. Das
Geſichte waͤre im Leibe der edelſte Sinn/ wie
der Verſtand in der Seele; Und darum ſtuͤn-
den die Augen auff einer ſo anſehlichen Hoͤ-
he. Es waͤre der gewiſſeſte und geſchwindeſte
Sinn. Denn das Gehoͤre waͤre mehrmahls
denen Verleitungen der Unwarheit unter-
worffen/ und die Augen kaͤmen mit ihrer
Botſchafft bey dem gemeinen Sinne viel zei-
tiger an/ als die Ohren und das Fuͤhlen. Al-
le andere Sinnen waͤren irrdiſch/ das Fuͤhlen
haͤtte die Eigenſchafft der Erde/ das Ruͤchen
des Feuers/ der Geſchmack des Waſſers/ das
Gehoͤre der Lufft; das Auge alleine waͤre den
Sternen aͤhnlich/ und alſo was Himmliſches;
Ja weil es in einem Augenblicke aus der Tief-
fe der Erden uͤber viel tauſend Sternen einen
unbegreifflichen und geſchwindern Flug als
die Sonne ſelbſt thun koͤnte/ gleichſam was goͤtt-
liches. Die Natur haͤtte ſonder Zweiffel auch
das Gehirne als den Sitz deꝛ Vernunft von dem
Brunnen des Lebens/ nehmlich dem Hertzen
nur deßhalben ins Haupt entfernet; Wormit ſie
nur eine Nachbarin der Augen/ als Fenſter
der Seele ſeyn moͤge/ zwiſchen beyden aber waͤre
eine ſichtbare Verknuͤpffung. Sintemal die euſ
ſerſte weiſſe Schale des Auges von der euſſerſten
und haͤrtern Haut des Gehirnes; die innwen-
dige duͤnnere ſchwaͤrtzlichte Trauben-Haut des
Auges von der weichern Haut des Gehirnes
das aͤdrichte Augen-Netze und Spiegel aus
dem ſelbſtaͤndigen Weſen des Gehirnes durch
die Augen-Spann-Ader den Urſprung haͤt-
ten/ und alſo beyde aneinander hingen. Ja
die Augen waͤren die Leiter und Pforten der
Liebe; Ohne welche man die Welt fuͤr eine
Wuͤſteney/ das Leben fuͤr einen verdruͤßlichen
Traum halten muͤſte. Wer wolte nun zwei-
feln/ daß einen blind machen eben ſo viel ſey/
als einen Lebenden in ein Grab verſchluͤſſen?
Denn ob zwar der Verluſt eines Auges im
Menſchen nicht/ wie in einem Schweine/
den Verluſt des Lebens nothwendig nach ſich
zeucht; So waͤre doch das Leben der Blinden
nur ein Schatten des Lebens/ und ein Blin-
der nichts beſſer als die in denen unter-irrdi-
ſchen Fluͤſſen befindliche Fiſche/ welche An-
fangs blind/ hernach gar zu Steine wuͤrden/
ja ein Todter unter den Lebenden. Die Na-
tur haͤtte die Augen/ um dieſe unſchaͤtzbare
Werckzeuge in Sicherheit zu ſetzen/ ſo tieff zwi-
ſchen die Gebeine verſetzt/ auch mit Augen-
brauen/ Liedern/ und zweyfachen Augen-Wim-
pern verwahret/ uͤber diß faſt alle Thiere mit
zweyen Augen verſehen/ wormit/ wenn ja ei-
nes Schaden litte/ das andere ihnen das un-
ſchaͤtzbare Sehen erhielte/ und das unvergleich-
liche Meiſterſtuͤcke das Haupt um keiner an-
dern Urſache wendbar gemacht/ denn daß die
Augen allenthalben ſich umſchauen koͤnten.
Jhre Runde waͤre ein Zeugniß ihrer unwi-
derſprechlichen Vollkommenheit/ ja die Stoi-
ſchen Welt-Weiſen gaͤben dem Geſichte gar
den Nahmen eines Gottes. Ein entmann-
ter Menſch hingegen litte an nichts/ als an ſei-
nen Nachkommen und an Welluſt Abbruch.
Wie viel aber waͤren nicht von Natur/ ſon-
dern aus eigener Willkuͤhr und Geluͤbde un-
fruchtbar? Zudem waͤren jene nicht aller Ver-
gnuͤgung entnommen/ wo die allem Vieh ge-
meine Wolluſt bey dem Menſchen nicht mehr
in Verachtung/ als in Werth zu ziehen iſt.
Die geileſten Weiber vergnuͤgten ſich mehr mit
der Verſchnittenen Langſamkeit und dem
Schatten der Wolluſt/ als mit einer maͤnnli-
chen Zuthat. Unter dieſen waͤre Cambabus
bey der Syriſchen Koͤnigin Stratonica ſo be-
liebt
[547]Arminius und Thußnelda.
liebt geweſt/ daß ſich ihm und ihr zu Liebe die
meiſten Hoͤfflinge haͤtten verſchneiden laſſen.
Die Aſſyrier haͤtten denen Perſiſchen Koͤnigen
jaͤhrlich eine gewiſſe Anzahl ausgeſchnittener
Knaben zinſen muͤſſen. Alle dieſe behielten
nicht nur ihre Haare und helle Stimme le-
benslang unverſehrt/ ihre Schoͤnheit und ge-
ſunden Kraͤffte biß ins hohe Alter; Weßwe-
gen auch die allen andern unentmannten
Menſchen und Thieren toͤdtlichen Schwefel-
Duͤnſte bey Hieropolis in Aſien ihnen nichts
ſchadeten/ ſondern ihr Gehirne der Sitz der
Weißheit bliebe ihnen unvermindert/ welches
ſonſt zu Zeugung des Saamens ſeine beſte
Kraͤffte beytragen muͤſte. Daher waͤren ſie ie-
derzeit bey allen Morgenlaͤndiſchen Reichen
die hoͤchſten im Brete; ja nicht nur oberſte
Raͤthe/ ſondern auch Heerfuͤhrer geweſt/ und
von den Perſiſchen Koͤnigen ihre Augen und
Ohren genennet worden. Zu geſchweigen/
daß ihrer viel aus Andacht ſich ſelbſt verſchnit-
ten/ weil ſie in ſolcher Beſchaffenheit eben ſo den
Goͤttern reine Opffer zu bringen vermeinten/
als die verſchnittenen Thiere viel niedlichere
Speiſen als andere abgeben. Dahero die
Mutter der Goͤtter in dem Weltberuͤhmten
Phrygiſchen Heiligthume nur Verſchnittene
zu ihren Prieſtern wuͤrdigte. Ja der weiſe
Ariſtoteles haͤtte den Hermias/ dieſes ſeines
Mangels unbeſchadet/ ſo hoch gehalten/ daß er
ihm wie einem Gotte zu opffern kein Beden-
cken gehabt. Jubil begegnete dem Fuͤrſten
Zeno mit einer beſondern Annehmligkeit: Er
merckte wohl/ daß Fuͤrſt Zeno mehr aus den
Geſetzen ſeines Vaterlandes/ als der Natur
urtheilete/ und hierdurch unvermerckt ſeinem
Aſien das Wort reden muͤſte. Alleine die
Deutſchen hielten nichts minder als die Roͤ-
mer die Entmannung fuͤr eine haͤrtere Straf-
fe/ als den Tod ſelbſt. Daher Kaͤyſer Julius
ſich nicht haͤtte uͤberwinden koͤnnen des groſ-
ſen Mithridates Sohn Pharnaces zu begna-
digen/ weil er von denen gefangenen Roͤmern
etliche haͤtte verſtimmeln laſſen. Die zu ewi-
ger Fortpflantzung ſo begierige/ ja keinen Au-
genblick ohne Bezeugung ſich befindende/ ſon-
dern ſtets ſchwangere und zugleich gebaͤhren-
de Natur muͤſte fuͤr dieſer Verſtimmelung
nothwendig die euſſerſte Abſcheu haben. Da-
her ſie auch in Zubereitung des Weiblichen
Geſchlechts ſo vorſichtig geweſt waͤre/ daß
zwar/ wie Semiramis die Maͤnner/ alſo An-
dramytis die Weiber zu verſtimmeln am er-
ſten bemuͤht geweſt/ ſie doch hierdurch ihrer
Fruchtbarkeit nicht koͤnnen beraubet werden.
Wer vernuͤnfftiges moͤchte auch den Raub
der nichts minder edelſten/ als zu Erhaltung
der Welt hoͤchſt noͤthigen Geburts-Krafft ge-
gen den Gewinn einer glatten Haut/ etlicher
gekraͤuſelten Haar-Locken/ und einer weibi-
ſchen nur zur Wuͤrtze der Uppigkeit dienenden
Stimme verwechſeln? und ſich zu etwas ma-
chen laſſen/ was weder den Nahmen eines
Mannes/ noch eines Weibes fuͤhren kan/
und in dem die Natur ſich fuchet/ aber nicht
findet? Wer wolte ſich bereden laſſen/ daß
durch ein Meſſer etwas ſchoͤner werden ſolte/
welches/ wenn es ſo gebohren wuͤrde/ eine
Mißgeburt hieſſe? Uber diß waͤre die Unfrucht-
barkeit des Gemuͤthes meiſtentheils mit der des
Leibes verſchwiſtert; ja es ſchiene ſchier wider die
Vernunfft zu ſeyn/ daß ein Entmannter die
maͤnnliche Tugend der Tapfferkeit an ſich ha-
ben ſolte. Weniger ſchickte ſich was ſo ge-
brechliches zum Gottesdienſte; Und koͤnten
bey den Deutſchen ſo wohl als bey den Hebre-
ern weder die gekappten Thiere Opffer/ noch
die Verſchnittenen Prieſter abgeben. Sin-
temal was in den Augen der Menſchen unvoll-
kommen waͤre/ Gott ohne Verkleinerung nicht
gewiedmet werden koͤnte. Hierdurch aber
meinte er keinesweges denen ſchwartzen Augen
der ſchoͤnen Penthaſilea einigen Abbruch zu
thun/ noch dem Fuͤrſten Zeno zu verargen/ daß
Z z z 2er
[548]Fuͤnfftes Buch
er uͤber der Verfinſterung zweyer ſo ſchoͤner
Geſtirne ſeinen gerechten Eyver auslaͤſt; wo
anders nur die ſchwartzen zwey Sonnen der
Koͤnigin Erato nicht eyverſuͤchtig zu werden
vermeinten. Zeno ward gezwungen uͤber die-
ſem Schertze zu laͤcheln/ Erato aber ſich zu roͤ-
then; Und zwar jener zu ſeiner Schutzrede an-
zufuͤhren: Er liebte die Koͤnigin Erato ſo ſehr/
daß ſie mit niemanden als ihrem eigenen hohen
Stande zu eyfern uñ zu beſorgen Urſache haͤtte;
dieſer habe etwan ſo viel Theil an meiner Seele/
als ihre andere Vollkom̃enheiten. Erato verſetz-
te: das erſtere waͤre ein bloſſes Gluͤcks-Geſchen-
cke; alles andere aber an ihr ſo mittelmaͤſſig/
daß ſie nicht ſchweren wolte: Ob die aus den
ſchwartzen Augen der ſchoͤnen Amazone gepflo-
genen Pfeile des Fuͤrſten Zeno Schluͤſſe fieder-
ten; Jhr aber wuͤrde ja niemand zutrauen/ daß
ſie mit einer ſo ungluͤckſeligen Todten eyfern ſol-
te. Ja wenn Penthaſilea auch noch gegen-
waͤrtig den Fuͤrſten Zeno mit ihren ſchoͤnen
Augen begluͤckſeligte/ wuͤrden ihre kleinen
Lichter ſo wenig mit ihren zu eyfern die un-
beſonnene Vermeſſenheit/ als die Sternen in
der Mittel-Straſſe mit dem groſſen Auge des
geſtirnten Ochſens ſich zu vergleichen Urſache
haben. Flavius brach ein: Unſere Augen wi-
derlegen zwar der Koͤnigin von ihren eigenen
Augen gefaͤlltes Urthel/ und wir ſehen wohl/
daß ſie ſie auch im Anſehen der Sonne gleich
wiſſen will; welche/ wenn ſie uͤber unſerm Wir-
bel ſtehet/ am kleineſten zu ſeyn ſcheinet. Alleine
iſt es denn der Eiverſucht Eigenſchafft/ daß ſie
nur mit ihres gleichen in Krieg ziehe? Weil ſie
eine Schweſter der Mißgunſt iſt/ ſolte ich mei-
nen/ daß ſie mit dieſer die geringen Geſtirne
verachten/ aber die groſſen Monden-Kugeln an-
bellen ſolte. Die Koͤnigin antwortete: Jch hal-
te diß fuͤr eine unrechte Schweſter der Eyfer-
ſucht/ oder vielmehr fuͤr eine Mißgeburt blinder
Begierden. Wenn ein Kampff nicht zur Toll-
kuͤhnheit/ oder zum Gelaͤchter werden ſoll/ muß
er gegen ſeines gleichen ſeyn. Eine Juno und
Pallas mag wohl mit einer Venus/ aber keine
Arachne mit einer Minerve/ kein Marſyas mit
einem Apollo/ und kein Therſites mit einem A-
chilles eifern. Thußnelde brach mit einem U-
berfluſſe ihrer angebohrnen Anmuth ein: Jch
begehre mich zwar nicht wider diß Geſetze der
Gleichheit auffzulehnen; dennoch doͤrffte ſie die-
ſer tieffſinnigen Geſellſchafft nicht verſchweigen/
daß die blauen Augen ihr eine Vollmacht auff-
getragen haͤtten/ zu erforſchen: Warum die
ſchwartzen ihnen allenthalben den Vorzug zu-
eigneten? Sintemahl die blauen ja mit der Far-
be des Himmels/ die ſchwartzen mit der Hoͤlle
prangeten; jene vielmehr Feuer/ dieſe mehr
Waſſer in ſich haͤtten. Die ſchwartzaͤugichte
Erato ward durch ſolche Hoͤffligkeit genoͤthiget/
die Seite ihrer eigenen Augen zu verlaſſen/ und
denen blauen Augen Thußneldens das Wort
zu reden. Daher ſagte ſie: Jhre angefuͤhrte Ur-
ſachen ſpraͤchen den Himmelblauen Augen bil-
lich den Preiß zu. Jn ihren Augen waͤren
auch keine ſchoͤnere Edelgeſteine/ als die Saphi-
re; keine ſchoͤnere Blumen als die Hyacinthen/
in der Mahlerey nichts koſtbarers/ als das vom
Laſurſtein kommende blaue/ an welcher Farbe/
und der ihr gantz nahe kom̃enden gruͤnen die Au-
gen ſelbſt ſich allein erqvickten; Hingegen weiſſe
Dinge das Geſichte zerſtreueten/ ſchwartze die
Augen-Strahlen zu ſehr in die Enge draͤngten/
die Roͤthe aber die Augen entzuͤndete und blen-
dete. Gleicher geſtalt ſtaͤchen die Pfauen mit
ihres Schwantzes blauen Augen der Schoͤn-
heit aller andern Voͤgel die Augen aus. Das
ſchoͤne blaue waͤre gleichſam der Schmeltz der
Regenbogen; ja die ſchwartzen Augen ſelbſt koͤn-
ten in ihrem den Aug-Apffel umgebenden Re-
genbogen dieſer Himmel-Farbe niemahls gantz
entbehren. Nein/ nein/ rieff die Fuͤrſtin
Jſmene. Die Koͤnigin wolte mehr ihren
deutſchen Augen/ als der Wuͤrde der ſchwar-
tzen liebkoſen/ welche ſchon fuͤr allen Richter-
Stuͤlen
[549]Arminius und Thußnelda.
Stuͤlen das Recht wider alle andere Ar-
ten erlanget haͤtten. Dieſem nach waͤre es
nun nicht mehr umb den Jnnhalt/ ſon-
dern nur umb die Urſache des allenthalben/
inſonderheit aber von der Liebe angenommenen
Urtheils die Frage. Aller Anweſenden Augen
noͤthigten die Koͤnigin von Jſmenen das Wort
zu nehmen/ und ſich zu erklaͤren: Sie wuͤſte we-
der von angezogenem Ausſpruche/ noch weniger
von der Beypflichtung der Liebe etwas; welche/
wenn es anders wahr waͤre/ daß die Mutter
aus dem blauen Meere ihren Urſprung haͤtte/
von Rechtswegen fuͤr ſchwartzen die blauen zu
erkieſen ſchuldig geweſt waͤre. Salonine fiel
ein: Soll ſie denn die/ welche ſie unter ihrer ei-
genen Stirne getragen/ ſelbſt andern veraͤchtlich
nachgeſetzt habẽ; da ſie keiner andern Goͤttin den
Preiß der Schoͤnheit zu entraͤumen willens ge-
weſt iſt? Erato antwortete: Jch erinnere mich
wohl/ daß Pallas von ihren groſſen blauen Augẽ
beruͤhmt iſt/ und daß der Glantz blauer Augen ei-
nes tieffſinnigen Geiſtes Merckmal ſey; daß
aber die Liebe ſchwartze gehabt/ darvon hab ich
keine Gewißheit/ ungeachtet die Mahler/ welche
ihre Unwahrheiten zu vertreten einen alten
Frey-Brief haben/ ſolche/ ich weiß aber nicht
aus was fuͤr einem Grunde ſchwartz bilden.
Auch weiß die gantze Welt/ daß das uns vom
Apelles hinterlaſſene Ebenbild der Venus aus
vielen ſchoͤnen Antlitzen zuſammen gezogen/ des
Praxiteles nach der Phryne/ und des Adiman-
tus nach des Koͤnigs Demetrius Schweſter
Phile gebildet worden. Wenn ich aber ja fuͤr
die ſchwartzen Augen was vortraͤgliches ſagen
muß; weiß ich nichts anders/ als daß ſie wegen
ihres vielen Waſſers bey Tage/ die blauen aber
wegen mehrern Feuers in der Nacht heller ſehen
ſollen. Aber auch die Sternen leuchten nur
bey Nacht. Thußnelda fiel ein: Und die
Sonne nur bey Tage; ja wo Sonnen und
ſchwartze Augen ſind/ kan und darff keine Nacht
ſeyn. Daher ich glaube/ daß wie diß die ſchoͤn-
ſten Diamanten ſind/ welche die ſchwaͤrtzeſten
Straalen von ſich werffen/ weswegen man auch
denen allzu lichten ſchwartze Folgen unterlegt;
alſo auch die dieſen Edelſteinen gleiche Augen
der Ausbund aller andern. Erato verſetzte: Jch
verſtehe mich zwar nicht auf die Edelgeſteine/
welches die reinſten ſind; diß aber beſtaͤtigen alle
Naturkuͤndiger/ daß in ſchwartzen Augen die
Cryſtallen-Feuchtigkeit viel Erde in ſich habe/
welche von der angebornen Waͤrmbde nicht ge-
nung gelaͤutert werden kan. Dahero die in
heiſſen Laͤndern wohnende Mohren/ Jndianer
und Syrer faſt alle ſchwartze/ die Nordlaͤnder
aber meiſt graue und blaue Augen haben; wenn
ich aber von Gleichheit ſolcher Dinge die Schaͤtz-
barkeit der Augen meſſen ſolte/ wuͤrde ich/ mei-
ner Neigung nach/ auch hierinnen den blauen
Augen den Vorzug zu geben gezwungen/ weil
in meinen Augen die Perlen ſchoͤner als alle
Edelgeſteine ſind/ dieſer Schoͤnheit aber meiſt in
blaulichtem Glantze beſtehet/ als in einem ſchein-
baren Zeugnuͤſſe/ daß die Perlen mehr vom
Himmel als vom Meere an ſich haben. Fuͤrſt
Zeno meynte ſeiner Erato beyzuſpringen/ mel-
dete alſo/ daß die klugen Serer die vielfaͤrbichten
Augen fuͤr die vollkommenſten hielten/ und in-
ſonderheit von ihrem hoch-ſchaͤtzbaren Koͤnige
Yaus ruͤhmten/ daß er ſo gar vielfaͤrbichte und
wie Regenbogen ſpielende Augenbranen gehabt
haͤtte. Jſmene fing an: Unter die Fuͤrtrefflig-
keit der Augen wird fuͤrnehmlich gerechnet: daß
ein ander ſich darinnen wie in einem erhobenen
Spiegel beſehen koͤnne. Weswegen man die
Verſchwindung dieſes Gegenſcheins fuͤr ein
unfehlbar Sterbens-Zeichen haͤlt/ und glaubt/
daß drey Tage fuͤr iedes Menſchen Tode man
ſich nicht mehr in des Sterbenden Augen be-
ſpiegeln koͤnne. Weil nun die aus tunckelem
Stale geſchliffene/ alle glaͤſerne Spiegel uͤber-
treffen/ ja dieſen durch Anſchmeltzung duͤſternen
Bleyes noch geholffen werden muß/ iſt auſſer
allem Zweifel: daß die ſchwartzen Augen denen
Z z z 3ſich
[550]Fuͤnfftes Buch
ſich beſpiegelnden ihr Antlitz viel vollkommener/
als andere/ entwerffen muͤſſen. Welches die
Koͤnigin Erato/ wenn ſie daran zweifelte/ als-
bald in den ſchwartzen Augen ihres Zeno
verſuchen koͤnte. Ja/ allerdings/ ſagte Thuß-
nelde/ denn ſie wird zugleich in dieſem le-
bendigen Spiegel ihren Gluͤcks-Stern
wahrhafter erkieſen koͤnnen/ als die/ welche in
Achaien fuͤr dem Tempel der Ceres in einem biß
an das Waſſer eines heiligen Brunnes gelaſſe-
nen Spiegel ihre kuͤnftige Kranckheit/ Tod oder
Geneſung zu erfahren verlangen. Zeno war
begierig nun wieder an ſeine Erzehlung zu kom-
men/ fing alſo an: Er ſehe wohl/ ſie wuͤrden uͤber
ihrem Augen-Stritte nicht einig werden/ es
waͤre denn/ daß die/ welche vollkommen ſchoͤn
ſeyn ſolte/ wie der Seriſche Koͤnig Fohi/ und Xu-
nus/ und etliche Scythiſche Voͤlcker das groſſe
Gluͤcks-Zeichen/ nemlich/ in iedem Auge zwey
Aug-Aepfel/ und zwar einen ſchwartzen und
blauen haͤtte. Jhm aber haͤtten die erſtarreten
Augen ſeines zuruͤckkommenden Edel-Kna-
bens ſchon ſeine ungluͤckliche Verrichtung wahr
geſagt/ ehe er noch berichtet/ daß in der Koͤnigin
Minothea grauen Augen Grimm und Rache/
nicht nur Pferde/ (wie die Thibier im Pontus
in ihren Augen haben ſollen/) ſondern eitel Ty-
ger und Drachen gebildet haͤtten/ alſo aus ihnen
eitel Mord und ſchwartzes Ungluͤck gefahren
waͤre/ und die in ihrem Geſichte aufgezogenen
kohlſchwartzen Wolcken ihm und dem Oropaſtes
nichts als Blitz und Untergang draͤueten. Weil
nun/ der Naturkuͤndiger Meynung nach/ in
den Augen keine eigentliche Farbe wahrhaf-
tig ſeyn/ ſondern nur zu ſeyn ſcheinen ſolte; uͤber-
diß die Verliebten meiſt uͤberſichtig waͤren/ und
nicht ſo wohl was ſchoͤnes liebten/ als was ſie lieb-
ten/ fuͤr ſchoͤn hielten/ wuͤrde die hohe Verſam̃-
lung ihm hoffentlich erlauben/ von ihrem Augen-
Streite Urlaub zu nehmen; wormit ſie erfah-
ren moͤchte/ wie er und Oropaſtes ſich von den
toͤdlichen Baſiliskẽ-Augen der erzuͤrnten Taube
Minothea entfernet haͤtten. Jch laſſe aber/ fuhr
Zeno fort/ ſo viel empfindliche Hertzen urthei-
len: Jn was fuͤr eine Beſtuͤrtzung mich der Be-
richt meines Spornſtreichs zuruͤckkommenden
aber kaum zu reden maͤchtigen Knabens verſetzt
habe/ daß mein unvorſichtiges Beginnen der ſo
holdreichen Penthaſilea ihre Augen/ und mit
ſelbten wohl gar das Leben genommen haͤtte.
Weil ich denn den Fuͤrſtẽ Oropaſtes ebenfalls in
nicht geringer Gefahr zu ſeyn achtete/ entſchloß
ich mich/ ihm meinẽ Zuſtand/ und dieſen ſeltzamẽ
Verlauff voͤllig zu entdecken. Wie ich nun in
ſein Zimmer kam/ traff ich ſeine Schweſter
Syrmanis an/ welche die gantze Nacht geritten
war/ und ihm bereit ſeine Gefahr berichtet hat-
te. Wir entſchloſſen uns alſo ohne lange Be-
rathſchlagung mit einander/ und zwar umb ſo
viel ſicherer durchzukommen/ nicht gegen das
Euxiniſche Meer/ ſondern in das Tauriſche Ge-
buͤrge zu fluͤchten; welches wir auch/ nachdem
wir zwey Tage und zwey Naͤchte nicht von
Pferden geſeſſen waren/ hernach mit erhandel-
ten andern Pferden nach dreyer Tage und
Naͤchte moͤglichſter Forteilung erreichten/ und
in einer Hoͤle/ unter welcher der Fluß Borgis
entſpringet/ bey etlichen Wurtzel-Weibern ei-
nen Tag ausruheten. Wir gaben fuͤr/ daß wir
nach Gewohnheit der dort herumb wohnenden
Voͤlcker/ aus einer beſondern Andacht den Tem-
pel des Prometheus beſuchen wolten/ der auf
denſelben Stein-Fels gebauet iſt/ worvon ihn
Hercules ſoll loßgemacht haben; erlangten auch
unter dieſem heiligen Scheine etliche Amazoni-
ſche Weiber zu Wegweiſern. Dieſen Vor-
wand beſtaͤrckten wir durch die denen Amazo-
nen/ Maſſageten und Armeniern gewoͤhnliche
Aufopferung unſerer Pferde der Sonnen zu
Ehren/ als welche wir ohne diß uͤber die ſteilen
Kluͤffte nicht fortbringen konten/ ſondern Schuh
aus rauchem Ochſen-Leder umb nicht zu gleiten
an-
[551]Arminius und Thußnelda.
anziehen/ und nur zu Fuſſe unſere Reiſe fortſe-
tzen/ ja uns mit Wurtzeln/ Kraͤutern und Milch
etliche Tage behelffen muſten. Nach dem wir
zehn Tage uͤber die hoͤchſten Gebuͤrge/ und un-
ſerm Beduͤncken nach offtmals durch die Wol-
cken geſtiegen waren/ auch unterweges aus den
Brunnen der beruͤhmten Fluͤſſe Abaſcus/ Corax
und Aſtelephus zu trincken das Gluͤcke gehabt
hatten/ kamen wir endlich in ein ſehr fruchtba-
res/ und zu unſerer hoͤchſten Verwunderung
mit Reben und Oelbaͤumen uͤberdecktes Thal/
darinnen ein einfaͤltiges Volck wohnhaft iſt/
welches uns mit allerhand Erfriſchungen er-
quickte/ und dieſen Winckel der Welt fuͤr das
gluͤckſeligſte Land preiſete/ darein von undenckli-
cher Zeit die Begierde der Menſchen keinen
Feind gefuͤhret haͤtte. Wir traffen uͤber die in
unſern Landen bekanten herrlichen Fruͤchte und
Thiere allerhand uns unbekante Arten/ und un-
ter andern einen mit unzehlbaren Farben Fe-
dern geſchmuͤckten und einen Purpur-rothen
Schnabel habendẽ Vogel an/ welcher von einer
Blume waͤchſt/ und nicht laͤnger lebet/ als die
Blume tauret/ alſo/ daß er gleichſam fuͤr eine
fliegende Blume zu halten iſt. Gleicher Ge-
ſtalt fanden wir ein Gewaͤchſe in Geſtalt eines
Lammes/ das auf einem Stengel wuchs; eine
den Jaßminen im Geruch gleich kommende/ an
Groͤſſe und Vielheit der Blaͤtter ſie aber weit
uͤbertreffende Blume Mogorin/ derer eine ein
gantz Haus einzubiſamen genung iſt; Roſen/
welche ihre Farben bald in Schnee/ bald in Pur-
pur verwandeln; eine Frucht/ da Citronen und
Pomerantzen ſtreiffweiſe ſich in einem Apfel ver-
maͤhlen; und endlich ein Kraut/ deſſen Genuͤſ-
ſung traurige luſtig macht/ ja die Tieger-Thie-
re/ die es allhier gab/ waren gantz zahm/ und die
Schlangen eben ſo wohl von keinem Gifte/ als
die Einwohner/ auſſer der Liebe/ von den ſchaͤd-
lichſten Gemuͤths-Regungen/ nehmlich/ Ehr-
ſucht/ Geitz und Rachgier nicht eingenommen/
alſo/ daß dieſe Landſchafft mit Rechte der Garten
der Welt/ und ein Meiſter-Stuͤcke der Natur
genennet zu werden verdiente. Auch Oropa-
ſtes und Syrmanis daſelbſt ſo gar ihr Leben zu-
zubringen ſchluͤſſig wurden; mir auch/ welchem
ohne diß der Himmel meines Vaterlandes ſo
unguͤtig geweſt war/ und dem in Abweſenheit
meiner Erato alle Geſtirne finſter und ſchrecklich
fuͤrkamen/ leicht die uͤbrige gantze Welt vergaͤllet
haben wuͤrde/ wenn mich der innerliche Magnet
nicht gezogen haͤtte meine Sonne auch
unter dem eyſichten Wirbel-Sterne aufzuſu-
chen. Gleichwol ſchlug ich nicht aus mich in dieſẽ
Paradiſe von meinen uͤberſtandenen Verdruͤß-
ligkeiten ein wenig zu erholen. Denn wo wir
hinkamen/ waren wir angenehme Gaͤſte/ die
Gaͤrten und Aecker waren ſo wenig durch
Graͤntzmale/ als alle Beduͤrftigkeiten durchs
Eigenthum unterſchieden/ ſondern der Uberfluß
aller Dinge machte hier alles gemein/ dieſe
Gemeinſchafft aber ſtellte die Wahrheit der er-
tichteten guͤldenen Zeit/ das von Milch und Ho-
nig fluͤſſende Land der gluͤckſeligen Jnſeln oder
des ſo ſehr beruffenen Eylands Taprobane fuͤr;
alſo/ daß wir ſeines Reichthums halber derſelben
Vorwitz verlachten/ die umb die unnuͤtzen
Spitz-Thuͤrme Egyptens zu ſehen/ oder ei-
nen guͤldenen Widder zu holen alle Unluſt
und Gefahr des Meeres ausſtuͤnden/ wegen
ſeiner Einwohner aber es uns nicht anders als
jenem von Corinth nach Sparta kommenden
fuͤrkam/ daß wir alldar die erſten rechten Men-
ſchen ſehen. Die Einwohner wuſten wenig
von unſern Goͤttern/ ſondern ſtunden wegen
etlicher von andern Voͤlckern erfahrner Nach-
richten in denen Gedancken/ daß/ auſſer ihnen/
die gantze Welt das Gluͤcke fuͤr ſeinen Gott
anbetete/ und ieder Menſch nach dem Triebe
des blinden Gluͤckes insgemein aus ſeiner thoͤ-
richten Einbildung/ offtmals auch aus ſchaͤnd-
licher Mißgeburt ihm einen Abgott/ die meiſten
Laſter aber zu einem Gottes-Dienſte machte.
Es iſt wunder/ ſagte Hertzog Herrmann/ daß
dieſe
[552]Fuͤnfftes Buch
dieſe heiligen Leute/ da ihnen niemand ande-
rer Voͤlcker Thun aufrichtig entdeckt/ glauben/
daß ſie Menſchen ſind/ weil ſie insgemein im
Boͤſen andere Thiere uͤbertreffen. Noch
mehr aber befrembdet mich/ daß ſie in den
Kreiß ihrer Ruhe aus der andern ſtuͤrmeriſchen
Welt einigen Frembden einlaſſen. Allein ich
bin wohl begierig dieſes unſchuldigen Volckes
Gottes - Dienſt zu vernehmen. Zeno
fuhr fort: Als wir eben diß von ihnen ver-
langten/ fuͤhrten ſie uns in die Mitte ihrer
Landſchafft/ und zeigten uns auf einem luſti-
gen mit fruchtbaren Baͤumen und kraͤfftigen
Kraͤutern bewachſenem Huͤgel ihren einigen
Tempel. Dieſer war ein von dreyhundert
Himmel-hohen Cedern umbſetzter Umbkreiß.
Jn der Mitte ſtand das alabaſterne Bild ihrer
einigen Goͤttin/ nemlich der Natur. Den ei-
nen Fuß hatte es auf einer ertztenen/ den an-
dern auf einer glaͤſernen Kugel/ hiermit auf
den Erd- und den Waſſer-Kreiß zielende.
Das. Haupt war mit der Sonne bekleidet/
an der Stirne hing der Monde/ das Halsband
war eine Reye fuͤnckelnder Sterne; umb den
Leib trug ſie einen Guͤrtel/ darauf die zwoͤlff
him̃liſche Zeichen gepraͤget waren. Aus der
rechten Bruſt ſpritzte ſie Wein/ aus der lincken
Milch/ aus dem Geburts-Gliede Waſſer/ wel-
ches ſich in einer Schale von Agat zuſammen
vermiſchte/ und in einer verborgenen Roͤhre
auf das Altar der Goͤttin geleitet ward. Auf
der aͤuſerſten rechten Hand ſtand das Zeichen
des Schwefels/ und in ſelbter hielt ſie eine nie
verleſchende Ampel; unter dem lincken Arme
ein Horn des Uberfluſſes/ welches mit tauſen-
derley Fruͤchten und Blumen erfuͤllet war.
Jn dem lincken Hand-Teller war das Zeichen
des Saltzes/ und aus einem Glaſe troff fort fuͤr
fort Oel in die Schale. Auf dem rechten
Fuſſe ſtand das Zeichen des Queckſilbers in
der Mitten/ und umb ſelbtes herumb des Gol-
des/ des Silbers/ des Kupfers/ des Zienes/ des
Eiſens/ und des Bleyes. Auf dem lincken
Fuſſe des Spießglaſes/ des Salpeters/ und an-
derer Berg-Gewaͤchſe. Zwiſchen den Zehen
ſtachen Corallen-Zapfen/ Purpur und Per-
len-Muſcheln/ rauhe Diamante und andere
Edelgeſteine herfuͤr. Der Ruͤcken war uͤber
und uͤber/ nach Pythagoriſcher Art mit eitel
Ziffern bezeichnet; als welcher lehrte/ daß die
gantze Natur von nichts als Zahlen beſtuͤnde.
Dieſes Sinne-Bild der Natur/ und die
Freundligkeit des uns anweiſenden Prieſters
vergnuͤgte uns uͤberaus/ veranlaßte auch uns
ihn ſo wohl umb den Urſprung dieſes Gottes-
Dienſts/ als die Art der Verehrung zu fragen.
Der Prieſter unterrichtete uns: Dieſer Gottes-
Dienſt waͤre ſo alt als die Natur ſelbſt/ und
darumb auch der reineſte/ ja nicht allein den
Menſchen/ ſondern allen Geſchoͤpfen gemein.
Denn nicht nur der Menſch mit ſeiner Spra-
che/ die Nachtigal mit ihrem Geſange/ ſondern
auch die Loͤwen lobten mit ihrem grauſamen
Bruͤllen/ die Pferde mit ihrem Wiegern/ die
geringſchaͤtzigen Raben mit ihrem unartigen
Geſchrey/ das Gewuͤrme mit ſeinem ohnmaͤch-
tigen Athem - holen ihren Schoͤpfer. Nicht
nur die Sonnenwende durch ihre Umbwen-
dung/ das Gewaͤchſe Acacia/ wenn es ſeine
Blaͤtter von Mitternacht biß an Mittag auf-
nach der Zeit aber zuſchleuſt; ein ander Kraut/
wenn es mit der untergehenden Sonne ver-
welcket/ mit der aufgehenden wieder gruͤnet/
ein anders bey untergehender Sonne ſeine ho-
he Farbe in blaue Trauer-Farbe verwandelt/
ein anders des Abends ſeine Blaͤtter in
eine Knoſpe zuſammen zeucht/ fruͤh aber wie-
der ausbreitet/ bezeugeten ihre Andacht ge-
gen ihrem Urſprunge; ſondern auch der
Trauer-Baum/ der des Tages ſeine Blaͤt-
ter abwirfft und welck wird/ des Nachts
hingegen friſche wohlruͤchende Blumen
bekom̃t/
[553]Arminius und Thußnelda.
bekommt/ der Glantzbaum der des Nachts mit
ſeinem Scheine die Finſternuͤß erleuchtet/ ja
alle und iede Kraͤuter gaͤben mit ihren wunder-
wuͤrdigen und dem unachtſamen Menſchen
noch groſſen theils verborgenen Wuͤrckungen
ihre Danckbarkeit gegen ihrem ewigen Schoͤpf-
fer zu verſtehen/ und dienten Gott unbefleckter
als die alberen Menſchen/ welche das durch ei-
ne unzertrennliche Einigkeit in einander ver-
knuͤpffte Weſen der Natur/ oder vielmehr den
eintraͤchtigen Einfluß des Schoͤpffers zerglie-
derten/ und wenn dieſer die Sonne/ ein ander
die Sternen/ der dritte die Erde/ der vierdte
das Waſſer/ der fuͤnffte das Feuer/ etliche nur
Baͤume und Steine anbeteten/ das Stuͤck-
werck fuͤr das gantze verehreten/ oder vielmehr
Gott den alles beſeelenden Geiſt in ein ſo enges
Gefaͤſſe einſperveten. Da doch ſie mit Augen
wahrnehmen/ daß die Zeder einen groͤſſern
Raum zu ſeinem Wachsthum/ als der Jſop be-
duͤrffe. Ja der Menſch/ das unvollkommene
Nachbild Gottes lieſſe ſich nicht in einen Wald
wie der Elefant/ nicht in eine Wieſe/ wie das
Pferd/ nicht in einen Seebuſem/ wie der Wall-
fiſch/ nicht in einen Teich/ wie der Schwan/
nicht in eine Pfuͤtze/ wie der Froſch/ noch auch
allein in die weite Lufft/ wie der Adler einrie-
geln/ ſondern die Erde ſey ihm zu ſeichte; er
durchgrabe ihre innerſten Eingeweide/ daß
Gold und Silber ſeinen Geitz ſaͤttige; Er baue
Wolcken-hohe Schloͤſſer in die Luͤffte/ ſeinen
Hochmuth zu vergnuͤgen; Er fahre uͤber/ und in
die Tieffen des Meeres/ um ſeiner Eitelkeit
Perlen/ Corallen und Ambra zu opffern; ja ſei-
ne Gedancken meiſterten den Lauff und die
Wuͤrckung der Geſtirne; ſein Nachdencken loͤ-
ſete die Raͤhtſel auff/ die die ewige Verſehung
mit verborgenen Ziffern in die Himmels-Kreiſ-
ſe verzeichnet; und die Schrancken der Natur
waͤren der Groͤſſe ſeines Gemuͤthes/ oder ſeinen
unmaͤßigen Begierden zu enge. Wie viel
weniger koͤnte nun ein Stern/ oder was gerin-
gers/ ein genungſamer Begriff einer uner-
maͤßlichen Gottheit ſeyn? Dieſemnach waͤre
zwar eine Eichel/ aus der ſo ein groſſer Baum
wuͤchſe/ eine Biene/ die ſo kuͤnſtlich baute/ eine
Ameiſſe/ die ſo ſorgfaͤltig waͤre/ eine Schnecke
in ihrem Wunder-Hauſe/ eine Muſchel/ in der
die Natur mit ſo viel Farben ſpielet/ ein kleiner
Stein/ der das Zu- und Abnehmen des Mon-
den fuͤrbildet/ ein glaͤntzender Nachtwurm mit
ſeinem Wunder-Lichte ihnen ein genungſamer
Beweiß einer wahrhafftigſeyenden/ kein Ge-
ſchoͤpffe aber/ ja die gantze Welt ſelbſt nicht ein
anſtaͤndiges Behaͤltnuͤß einer unumſpannlichen
Gottheit. Es ſey zwar die Groͤſſe der Himmels-
Bogen mit der Geſchwindigkeit der darinnen
geſchehenden/ und die Blicke der Augen uͤberei-
lenden Bewegungen unbegreiflich; Die Schoͤn-
heit und Eigenſchafften der zwar nicht nach der
Schnur oder dem Zirckel eines Feldmeſſers ge-
ſetzten-aber mit einem gewiſſen Lauff und durch-
dringenden Tugenden begabten Geſtirne/ in
dem wie iedes Kraut/ alſo auch ieder Stern ſei-
ne abſonderliche Wuͤrckung hat/ unermaͤßlich;
die zwey groſſen Lichter Sonne und Monde/
derer jene die Erde erwaͤrmte und trocknete/
dieſer die Meere benetzte/ und die Pflantzen be-
thaute/ jene den Tag/ dieſer die Nacht erleuchte-
te/ jener dem Jahre/ dieſer den Monaten ihr
Maaß gaͤbe/ waͤren zwar die zwey Wagſcha-
len der Zeit/ die zwey Pfeiler/ an denen die
Wunder der goͤttlichen Verſehung geſchrieben
waͤren; Alleine wie ein hundertaͤugichter
Menſch viel zu wenig Augen haͤtte den Himmel
genungſam zu betrachten; alſo waͤren die fuͤnff
Sinnen viel zu wenig die Fruchtbarkeit der Er-
de/ welche taͤglich mit neuen Gewaͤchſen unſe-
rer eckelnden Zaͤrtligkeit abhuͤlffe/ zu genuͤſſen/
oder nur in einer Roſe die Schoͤnheit zu be-
ſchauen/ die Vielheit der Blaͤtter zu zehlen/
mit dem Geruche ſich zu erqvicken. Der U-
berfluß der unzehlbaren Gewaͤchſe waͤre ein
Kennzeichen ihrer Freygebigkeit/ der groſſe
Erſter Theil. A a a aUnter-
[554]Fuͤnfftes Buch
Unterſcheid/ da kein Kraut dem andern/ kein
Blat eines Baumes/ keine Feder eines Sper-
linges einem andern gantz ehnlich iſt/ ſey ein
Merckmal der goͤttlichen Weißheit/ die Ab-
wechſelung der Zeit/ des Gewitters/ und daß die
Stauden nicht auff einmal/ ſondern nach und
nach ihre Bluͤten und Fruͤchte braͤchten/ wor-
mit es uns ſo viel mehr genoßbar wuͤrde/ bezeich-
ne ſeine vaͤterliche Liebe. Die Lufft floͤſſe uns
zwar mit iedem Athem-holen einen Hauch der
goͤttlichen Gnade ein; Befruchte mit ihrem
Anblaſen die Erde/ ergoͤtze und ſpeiſe uns mit
dem Geſange und dem Fleiſche ſo unzehlbarer
Voͤgel; ja die goͤttliche Verſehung habe zweif-
felsfrey den Vogeln alleine fuͤr allen andern
Thieren eine ſo annehmliche Stimme/ keinem
einigen aber das wenigſte Gifft beygelegt/ um
den Menſchen zu ermuntern/ daß er ſo viel
mehr ſeine Zunge zum Lobe Gottes an-
wenden/ und ſeine Seele fuͤr allem Giffte/ wel-
ches allein denen auf der Erde krichenden Thie-
ren anklebet/ rein behalten; Und wie das
maͤnnliche Gefluͤgel allezeit ſchoͤner als das
weibliche iſt; alſo auch unſer Geſchlechte aller
weiblichen Schwachheiten frey/ und dieſem ein
Leitſtern zur Tugend ſeyn ſolle. Es waͤren
die Gebuͤrge die Gebeine der Erden eine Kette
der Natur/ welche derſelben Glieder aufs kuͤnſt-
lichſte an einander hielte; Ein Behaͤltnuͤß des
goͤttlichen Reichthums/ darinnen das Ertzt ge-
ſchmiedet/ die Brunnen von dem Meer-Saltze
geleutert/ von denen die Wolcken zertheilet/ auf
denen die hohen Baͤume zu Haͤuſern und
Schiffen gefaͤllet wuͤrden. Es ſey zwar das
Meer ein Spiegel der goͤttlichen Allmacht/
deſſen gethuͤrmte Wellen/ welche die Sternen
zu bekriegen ſchienen/ doch keinen Fußbreit
Erde verſchlingen koͤnten/ da ihnen doch die
Natur nichts als Staub zu einer Mauer ent-
gegen geſetzt haͤtte/ deſſen unergruͤndliche Tief-
fe niemahls uͤberlieffe/ ob gleich ſo viel tauſend
ſchifbare Stroͤme ſo viel tauſend Jahr hinein
gelauffen waͤren. Es waͤre eine unerſchoͤpfli-
che Speiſekammer/ welches dem Menſchen ſo
viel unzehlbare Fiſche gebieret/ daß/ nachdem
ſie der gantze Erdkreiß nicht aufzuzehren mag/
ſie einander ſelbſt auffreſſen muͤſten; Es waͤ-
ren die nimmer verſeugenden Fluͤſſe ein Fuͤr-
bild der goͤttlichen Ewigkeit/ die Artzt- und
Heilbrunnen ſeiner Barmhertzigkeit/ die Wun-
der-Qvellen ein Anweiſer/ daß etwas ſey uͤber
den gemeinen Lauff der Natur/ nehmlich ein
verborgener/ und ſeinem Weſen nach in ſeine
unerreichliche Unbegreiffligkeit eingehuͤlleter/
aber in den Geſchoͤpffen augenſcheinlich offen-
barter Schoͤpffer/ der zwar unſern Augen ent-
fernet/ ſeinen Wercken nach aber uns ſo nahe/
als wir uns ſelbſt waͤren/ deſſen Willen wir ſo
ſehr in unſerm Thun widerſtrebten/ ſo ſehr er
unſer Hertz durch einen innerlichen Trieb zu
ſeiner Liebe und Erkaͤntnuͤß nicht anders als
der Nordſtern die Magnet-Nadel/ der Mittel-
punct die Schwerde/ die Hoͤhe das Feuer an ſich
zuͤge/ alſo/ daß man zwar Laͤnder ohne Feuer/
keines aber ohne die Wiſſenſchafft/ daß ein Gott
ſey/ angetroffen haͤtte; und noch niemahls
ein Vernunfft-faͤhiger Kluͤgling gefunden wor-
den/ der das geringſte Geſchoͤpffe zu tadeln ge-
wuͤſt/ oder an der ſo vollkommenen Natur
etwas zu verbeſſern ihm getrauet haͤtte. Denn
die/ welche die ſo guͤtige Natur nicht fuͤr eine
Rechte/ ſondern fuͤr eine Stieff-Mutter zu
ſchelten ſich erkuͤhnet; und die Thiere alles Gif-
tes/ das Feld alles Unkrautes/ die Lufft aller
Muͤcken/ die Zeit alles Winters befreyt zu ſeyn
verlanget/ waͤren nicht ihre Kinder/ ſondern
unvernuͤnfftige Wechſelbaͤlge. Die ſie aber
tadelten/ daß ſie den Floͤhen mehr Beine als
den Elefanten/ der Raupe mehr Gelaͤncke als
dem Krokodil/ der Kraͤhe ein viel groͤſſeres Al-
ter als dem Menſchen gegeben/ verdienten als
Unſinnige mehr als Prometheus in ſtaͤhlernen
Feſſeln auff dem Caucaſus angeſchmiedet zu
werden. Jch fiel/ fuhr Zeno fort/ dem Prie-
ſter
[555]Arminius und Thußnelda.
ſter in die Rede/ und ſagte: So hoͤre ich wohl/
dieſes Bild ſey nicht das Abbild euerer Goͤttin/
und ihr haltet die Natur auch ſelbſt nicht dar-
fuͤr. Jn keinerley weiſe/ antwortete mir der
Prieſter. Dieſe Saͤule iſt ein Spiegel der
Natur/ die Natur aber Gottes. Jene iſt die
Harffe/ welche dieſer ſtimmet; jene eine Strahl
ſeiner uͤberſchwenglichen Herrligkeit/ nicht a-
ber die ſelbſtſtaͤndige Gottheit/ welche/ ob ſie
zwar alles erfuͤllt/ erhaͤlt/ erleuchtet/ erwaͤr-
met/ erfreuet/ beſeelet/ ſchwaͤngert/ doch keine
Verwunderung in ihrem Weſen/ keinen Ab-
fall in ihren Kraͤfften leidet. Ob ſie zwar auch
in der Seele des Menſchen mit Kraͤfften des
Verſtandes/ in den Geſtirnen durch Waͤrmde/
Licht und andere Einfluͤſſe in der irrdiſchen
Welt durch Bewegung und Fruchtbarkeit
wuͤrcket/ ja iedem Kraute etwas abſonderliches
einfloͤſt/ ſo beſtehet ſie doch nur in einer einigen
Einigkeit/ als aus welcher ſo vieler widriger
Dinge Eintracht rinnet. Dieſe Einigkeit iſt
eine Mutter eines ſo unzehlbaren Vorraths/
welcher nirgends einigen Gebrechen zeigt/
gleichwol aber in aller dieſer Menge keinen un-
nuͤtzen Uberfluß hat. Sie wuͤrcket in dem groſ-
ſen mit nichtbeſchwerlicher Bemuͤhung/ als in
dem kleinen; Sie reget ſo leicht einen Wald
voll Elefanten/ und ein Meer voll Wallfiſche/
als einen Ameiß-Hauffen. Alleine ſie iſt in
groſſen Dingen nur derogeſtalt eine ſo groſſe
Kuͤnſtlerin/ daß ſie gleichwol nicht kleiner in dem
kleinen ſey. Ja ſie hat in dem kleinen mehr-
mahls ſolch Belieben/ daß ſie nirgends mehr
gantz/ als in den kleinſten Geſchoͤpffen zu ſeyn
ſcheinet. Wormit aber gleichwol dieſe Gott-
heit ſich nicht ſelbſt verkleinere/ noch ihre Uner-
maͤßligkeit gegen das groſſe eine Abneigung zei-
gen moͤchte/ hat ſie in der Welt die groſſe Son-
ne/ das Hertze und Mittelpunct der Welt/ das
unverſeigende Qvell alles Lichtes zu ihrem
Spiegel aufgethuͤrmet. Denn wie dieſe allein
machet/ daß man alle Sachen ſiehet/ ſich aber
doch ſelbſt nicht recht ſehen laͤſt/ wie dieſer ihr
Glantz alle andere Lichter verduͤſtert; Alſo er-
oͤfnet auch Gott allen Thieren die Augen/ und
dem Menſchen den Verſtand/ beydes aber kan
ihn nicht ſehen/ und alle andere Abgoͤtter ſind
gegen ihm verduͤſterte Schatten. Herentge-
gen iſt der Monde der Spiegel der kleinern
Welt/ nehmlich des Menſchen/ in dem beyde
bald ab-bald zunehmen/ bald gebohren/ bald be-
graben werden/ bald alles/ bald nichts ſind/ bey-
de ihr Licht nicht aus ſich ſelbſt/ ſondern von der
Sonne nehmen; wenn ſie am vollkommenſten
ſind/ die meiſten Flecken haben/ und von der Er-
de verfinſtert werden. Wie der Monde alle-
zeit ſein Antlitz gegen der Sonnen kehret/ und
ſeinen Morgenthau der Sonnen zu einem taͤ-
glichen Opffer liefert; alſo ſoll das menſchliche
Hertze auch ſich niemals von dieſer Sonne der
Gottheit abwenden/ ſondern ſeine Seufzer und
Gedancken ihr zu einem ſuͤſſen Geruch andaͤch-
tig abliefern. Dieſes iſt das rechte von GOtt
verlangte Opffer/ welcher ihm nur zu einem eu-
ſerlichen Kennzeichen das ſiebende Theil ihres
Zuwachſes auf dem nahe alldar ſtehenden Alta-
re darreichen laͤſt; maſſen die Kinder im Fruͤh-
linge die ſiebende Blume/ die mannbaren Juͤng-
linge und Jungfrauen im Sommer die ſieben-
de Garbe alles Getreydes/ die Maͤnner das
ſiebende Theil aller Baum-Gewaͤchſe zu brin-
gen pflegen. Mit dieſem wenigen ſeines eige-
nen Geſchenckes vergnuͤgt ſich Gott/ damit der
Menſch ſo viel mehr ihm ſein gantzes Hertze zu
wiedmen Urſach haben moͤge. Wir hoͤrten die-
ſen Eisgrauen (erzehlte Fuͤrſt Zeno ferner) mit
groſſer Vergnuͤgung an; und weil er ſo wohl
Griechiſch redete/ bat ich ihn meinem Vorwitze
zu ver geben/ und mir zu ſagen: Ob er ein Einge-
bohrner in dieſem Lande/ oder ein Fremder waͤ-
re? Dieſer antwortete: Er waͤre Meherdates/
ein gebohrneꝛ Armenier/ des Comaniſchen Prie-
ſters Archelaus/ mit dem Sylla und Gabinius
vertraͤuliche Freundſchafft gepflogen haͤtte/ leib-
licher Sohn/ dem Pompejus nicht allein zu die-
ſem Prieſterthume verholffen/ ſondern auch ein
A a a a 2anſehn-
[556]Fuͤnfftes Buch
anſehnliches Gebiete unterworffen haͤtte. Die-
ſe Wuͤrde waͤre der Koͤniglichen in vielem ſo na-
he/ daß er jaͤhrlich auch zwey Tage die Koͤnigli-
che Krone truͤge/ und alle Koͤnigliche Gewalt
ausuͤbte/ daß er Fuͤrſtliche Einkommen genuͤſ-
ſe/ und allein ſechs tauſend Opffer-Knechte un-
terhielte; in vielem giengen ſie auch gar uͤber
den Koͤnig/ indem dieſer ihn als einen Vater
verehrete/ von ihm nicht allein Erinnerungen
annehmen/ ſondern er auch die Beſchwerden
des Volckes wider den Koͤnig entſcheiden muͤ-
ſte. Uberdiß waͤre das Gluͤcke ihm ſo an die
Hand gegangen/ daß durch ſein Anſtifften der
Koͤnig in Cappadocien Ariarathes vom Anto-
nius waͤre getoͤdtet/ ihm aber ſelbigen Reiches
Krone aufgeſetzt worden. Ja/ ob er wol in der
Schlacht bey Actium dem Antonius beygeſtan-
den/ haͤtte er ſich doch bey dem Auguſtus ausge-
foͤhnet/ und derogeſtalt eingeliebet/ daß er ihm
noch das kleinere Armenien und Cilicien ge-
ſchencket. Wie er aber derogeſtalt dem Gluͤ-
cke gar in der Schooß zu ſitzen vermeinet/ haͤtte
es ihn uͤber Hals und Kopff herab geſtuͤrtzet/ in-
dem ihn der Landvogt in Syrien Titus beym
Kaͤyſer derogeſtalt ver gaͤllet/ daß er ſich fuͤr den
Roͤmiſchen Waffen und des Titus Nachſtellun-
gen in das Tauriſche Gebuͤrge fluͤchten muͤſſen/
uͤber welches ihn ein Armenier in dieſe gluͤckſe-
lige Gegend gefuͤhret; Gottes wunderbare
Verſehung aber und die mehr hieraus/ als aus
ſeiner Geſchickligkeit ſich entſpinnende Zunei-
gung dieſes hier wohnenden Volckes ihn zu ei-
nem Prieſter der Natur gemacht/ alſo ſeinen
vorigen eitelen Gottesdienſt allhier in einen viel
heiligern und gluͤckſeligern verwandelt haͤtte.
Allhier habe Gott und die Natur allererſt ſeiner
angenommenen Blindheit abgeholffen/ die
Larve dem Gluͤcke vom Geſichte gezogen/ und
mit dem Elende zeitlicher Wuͤrden und koͤnigli-
cher Hoͤffe die Herrligkeit der Gemuͤths-Ruh/
und einer vergnuͤglichen Einſamkeit entdecket;
alſo/ daß ihn nun nach nichts weniger als ſeinem
mit ſo viel Seufzern erworbenem/ und ſo unver-
hofft ihm aus den Haͤnden gewundenem Zepter
geluͤſtete. Wormit er auch hieruͤber fuͤr uns ſo
viel mehr ſein Gemuͤthe ausſchuͤttete/ fuͤhrete er
uns zu einem nahe darbey gelegenen Steinfelß/
darein er nachfolgende Gedancken/ von denen
ich mir gegenwaͤrtige Abſchrift auff gehoben/ mit
groſſer Muͤhe eingegraben hatte:
Saloninen lieffen uͤber dieſen Reimen tau-
ſend Thraͤnen uͤber die Wangen/ welche bey
derſelben Schluſſe ſie mit dieſen Worten recht-
fertigte: Warlich/ dieſer Meherdates muß
den Hoff gewiß auch in- und auswendig haben
kennen lernen/ weil er ihn mit ſo lebendigen
Farben abzubilden gewuͤſt. Aber ach! nein/
wer wil dieſe Mißgeburt abbilden/ welche die
Larve niemals vom Geſichte legt/ und gleichwol
alle Stunden verwechſelt/ welche durch aller-
hand-falfchen Schein das Antlitz verſtellet/ und
ihr Hertze auszuſchuͤtten fuͤr aͤrgſten Schiff-
bruch haͤlt/ welche nichts mehr zu verlangen ſich
angebehrdet/ als worfuͤr ſie die heftigſte Abſcheu
hat/ ja niemanden bey ihr ſeinen freyen Willen
laͤſt/ als alleine darinnen/ daß ſie ſich zu freyge-
laſſenen Knechten des Hoffes machen moͤgen.
Aber auch dieſes thun ſie aus keiner Freyheit/
ſondern aus dem Nothzwange der ſie faͤſſelnden
Begierden. Denn keine Fliege ſtrebet ſo ſehr
nach Honige/ kein Raubvogel eilet ſo ſehr nach
einem Aaſſe/ keine Egel duͤrſtet ſo ſehr nach Blu-
te/ keine Ameiſſe eilet ſo ſehr mit dem gefunde-
nen Weitzen-Korne in ihr Laͤger/ ungeachtet ſie
ihrer Groͤſſe nach die Geſchwindigkeit der Son-
neuͤbereilet; als die Hoͤflinge ſich nach ihrer er-
baͤrmlichen Dienſtbarkeit ſehnen/ welche doch
von groſſem Gluͤcke zu ſagen haben/ wenn ſie
ſich ihr Lebtage mit dem Traume ſuͤſſer Hoff-
nung/ dem Brodte der Elenden ſpeiſen koͤnnen/
nicht aber ihrer unertraͤglichen Folterung durch
das Meſſer der Verzweiffelung abzuhelffen ge-
zwungen werden. Rhemetalces fing an: Die-
ſe Gedancken des Meherdates ſind ſicher/ wei-
ſer und heiliger/ als das Thun ſeines Vaters
Archelaus/ da er in Armenien ſich bey ſeiner
Prieſterlichen Wuͤrde in die weltliche Herr-
ſchafft einmiſchete/ ja dieſe Suͤßigkeit ihn endlich
ſo gar luͤſtern machte/ daß er an den Cappadoci-
ſchen Zepter die Hand zu legen/ und ſeinen recht-
maͤßigen Koͤnig Ariarathes darvon argliſtig zu
verdringen ſich unterſtanden. Seiner Boß-
heit aber haͤtte des Himmels gerechter Rache
ſeine wolverdiente Erniedrigung ein Ziel ge-
ſetzt/ und dardurch ſeinen Sohn angewieſen/
daß die Prieſterliche Wuͤrde nicht mit die Hand
im Spiele irrdiſcher Dinge/ keine Stimme im
Fuͤrſten-Rathe/ und den Fuß nicht auff dem
Richterſtuhle haben ſolle. Hertzog Zeno bege-
gnete dem Feldherrn mit einer ſonderbaren Be-
ſcheidenheit: Er koͤnte dem Archelaus freylich
das Wort nicht reden/ daß er den Ariarathes
aus eigener Herrſchensſucht ein Bein unterge-
ſchlagen/ und ſich in ſeinen Purpur gehuͤllet haͤt-
te;
[559]Arminius und Thußnelda.
te; Aber die Prieſterliche Wuͤrde ſo enge einzu-
ſperren/ oder vielmehr ſie gar unter die Fuͤſſe zu
treten/ ſchiene ihm nicht rathſam zu ſeyn. Sie
waͤren die Boten und Ausleger des goͤttlichen
Willens/ ja gleichſam die Unterhaͤndler und
Friedens-Stiffter zwiſchen GOtt und den
Menſchen; Sie waͤren Schutzſaͤulen der Rei-
che/ nichts minder als die Koͤnige/ welche das
Volck mit ihrer Andacht/ Gebete und Faſten
beſchirmeten/ als Koͤnige mit den Waffen. Die
Aufhebung ihrer Hand haͤtte wol ehe unter den
hochmuͤthigen Feinden eine groͤſſere Niederla-
ge verurſacht/ als viel tauſend Lantzen und ge-
harnſchte Helden-Armen. Jhre Hirtenſtaͤbe
haͤtten wol ehe Meere zertheilet/ Mauern nie-
der geriſſen/ Erdbeben/ Blitz und Hagel aus
den Wolcken erreget; Wie der wuͤtende Bren-
nus mit ſeinen Galliern bey dem Delphiſchen
Tempel erfahren. Wie viel mal haͤtte eines
einigen Prieſters bloſſes Anſehen dem grim-
migſten Feinde den Muth genommen/ und ſei-
ne Rachgier in Sanfftmuth verwandelt? Wie
offt haͤtte ihre Aufmunterung den allerverzag-
teſten ein Hertze gemacht? Jhre bewegliche
Einredung zwiſtige Fuͤrſten mit einander ver-
ſoͤhnet. Ja den unbaͤndigen Poͤfel/ fuͤr welchen
die groͤſſeſte Macht kein genungſamer Kap-
zaum waͤre/ vermoͤge ein Prieſter gleichſam mit
einem Naſen-Bande zu leiten/ wohin er wolle.
Daher koͤnne er der Cappadocier alles Herkom-
men ſo ſehr nicht verdammen/ daß ſie dem Co-
maniſchen Prieſter ſo groſſe Gewalt eingeraͤu-
met haͤtten. Die benachbarten Koͤnigreiche/
Albanien/ Jberien und Cappadocien verehre-
ten ſeine Hoheit/ erholeten ſich bey ihm/ wie bey
einer goͤttlichen Wahrſagerey Rathes/ lieſſen
ihnen auch von ihm alle ihre Prieſter benennen/
oder zum minſten beſtaͤtigen. Dieſe Vereh-
rung der Prieſter waͤre faſt allen andern Voͤl-
ckern gemein. Bey denen Egyptiern waͤren
die Prieſter alleine der geheimen Weißheit wuͤr-
dig geſchaͤtzt worden. Sie haͤtten fuͤr allem an-
dern Volcke eine abſondere Schrifft und Spra-
che. Zu der Koͤniglichen Hohheit haͤtte daſelbſt
niemand gelangen koͤnnen/ der nicht vorher ein
Prieſter geweſt waͤre. Die Koͤnige richteten
ſich nach ihren Maßgebungen/ und es haͤtte
Darius/ als gleich die Perſen Egypten unter
ihre Botmaͤßigkeit gebracht/ ſich nicht erkuͤhnen
doͤrffen wider eines Prieſters Willen ſein Bild
uͤber die Saͤule des Seſoſtris zu ſetzen. Ja die
Egyptier trauten ihren Prieſtern zu/ daß ſie uͤ-
ber die Goͤtter ſelbſt nicht geringe Gewalt haͤt-
ten/ und dieſe auf ihre Beſchwer- und Draͤuun-
gen/ daß ſie die Geheimnuͤſſe der Jſis verrathen/
die zerfleiſchten Glieder des Oſiris dem Tiphon
fuͤrſtreuen wolten/ nicht geringes Abſehen ha-
ben muͤſten. Wie viel Voͤlcker/ und ſo gar die
durchtriebenen Roͤmer glaubten/ daß der ober-
ſte der Prieſter auch der oberſte unter den Men-
ſchen ſey/ weßwegen er nicht nur keiner Miß-
gunſt/ keinem Haſſe/ keiner Eigennuͤtzigkeit/
ſondern auch alleine dem Verhaͤngnuͤſſe unter-
worffen waͤre/ und die Sternen uͤber ſein Thun
keine Gewalt haͤtten. Bey den Egyptiern/
Perſen und Griechen/ zu Sparta und ander-
waͤrts ſey nichts minder die Prieſterliche Wuͤr-
de der Koͤniglichen gleich. Die Roͤmer hielten
den Prieſter des Jupiters fuͤr ein lebendig und
heiliges Ebenbild ſeiner Gottheit/ fuͤr eine Zu-
flucht aller Bedraͤngten; alſo/ daß wenn ein
Ubelthaͤter zu ſeinen Fuͤſſen ſincke/ muͤſſe er ſei-
ner Feſſel erlediget/ und er doͤrffe ſelbigen Tag
weder geſchlagen noch getoͤdtet werden. Bey
den Mohren habe nicht nur Koͤnig Sabacus
auf der Prieſter Befehl Zepter und Krone weg
gelegt/ ſondern alle ihre Herrſcher entaͤuſerten
ſich ſolcher Gewalt/ wenn es ihr oberſter Prie-
ſter fuͤr gut befindete. Dieſemnach haͤtten die
Juden/ die Egyptier/ und letzlich die Roͤmiſchen
Kaͤyſer die koͤnigliche Gewalt mit der Prieſter-
lichen Wuͤꝛde als einem feſten Pfeiler unterſtuͤ-
tzet. Auch waͤre ihm andeꝛs nicht wiſſend/ als daß
wie bey den Britañ- und Gallieꝛn die Druyden/
alſo
[560]Fuͤnfftes Buch
alſo bey den Deutſchen ihre Prieſter in hoͤchſter
Ehre/ und den Fuͤrſten gleich gehalten wuͤrden;
alſo daß ſie nichts minder als die Koͤnige keinen
Geſetzen/ und keinem weltlichen Gerichts-
Zwange unterworffen waͤren. Der Fuͤrſten
Kinder wuͤrden wie bey den Perſern und Se-
rern ihrer Auferziehung anvertrauet/ ſie ſchlich-
teten der hohen und des Volckes Zwiſtigkeiten
durch Urthel oder Vermittelung; inſonderheit
richteten ſie uͤber Todt-Schlaͤgen/ uͤber Erb-
ſchaffts- und Graͤntz-Streitigkeiten/ ſie ſetzten
den Tugendhafften ihre Belohnung/ den Boͤſen
ihre Straffen aus; und fuͤrnehmlich die groͤſſe-
ſte unter allen/ nehmlich die Ausſchluͤſſung von
dem offentlichen Gottesdienſte; weßhalben ſol-
che Menſchen von den andern wie die Peſt ge-
flohen wuͤrden. So waͤren ſie auch aller An-
lagen/ aller Ritterdienſte und Frohnen befreyet;
und ſie erkennten in der Welt niemanden/ als
das von ihnen ſelbſt erwehlte Haupt/ dieſer aber
niemanden als Gott uͤber ſich. Daher koͤnte
man nicht die Prieſterſchafft von der oberſten in
eine ſo niedrige Staffel herab ſetzen/ zugleich a-
ber eines der feſteſten Bande/ wormit der Poͤfel
in Furcht und Gehorſam gehalten wuͤrde/ zer-
reiſſen. Hertzog Herrmann hoͤrete den Fuͤr-
ſten Zeno wol aus/ nahm ſich aber Rhemetal-
cens derogeſtalt an: Jhm waͤre die Fuͤrtrefflig-
keit des Prieſterlichen Amptes ſo wohl als das
Anſehen bey den meiſten Voͤlckern nicht unbe-
kandt. Alleine wie der Koͤnige Macht in eu-
ſerlicher Gewalt/ und in Beherrſchung der Lei-
ber beſtuͤnde; alſo haͤtten die Prieſter nur mit
den Seelen der Menſchen zu thun. Weil nun
aber dieſe nicht mit Stahl und Eiſen/ ſondern
nur durch Vernunfft und der Warheit ehnliche
Schluͤſſe beherrſchet wuͤrden/ maſten ſich die
Prieſter irrdiſchen Zwanges zu Unrechte an.
Jhr Ampt zielte nicht auf Krieg/ ſondern auff
den Friede des Gemuͤthes; Daher waͤre auch
ihr Stab nicht ſpitzig zum beleidigen/ ſondern
oben krum gebogen/ daß die Fallenden ſich dar-
an anhalten koͤnten. Prieſter verſetzten durch
den Glantz ihrer Tugenden ſich in eine ſolche
Herrligkeit/ machten ihnen hierdurch ſo viel Ge-
muͤther verbindlich/ daß ſie keines weltlichen
Armes nicht beduͤrfften/ zumahl es ieden Fuͤr-
ſtens Pflicht waͤre/ ſelbte zu vertheidigen. So
uͤbel es nun jene empſindeten/ wenn dieſe ihren
Fuß aufs Altar erhuͤben/ ſo ungeſchickt waͤre es/
wenn jene fuͤr eine Muͤtze einen Helm aufſetz-
ten. Weßwegen auch die alten Roͤmer fuͤr ab-
ſcheulich hielten/ daß die/ welche einmahl auch
bey gerechten Verdammungen eines Ubelthaͤ-
ters geſeſſen hatten/ den Goͤttern ein unbeſudel-
tes Opffer darreichen ſolten. Des Hercules
Prieſter bey den Coern/ und des Alcis bey den
Naharvalen muͤſten ſeinem Beduͤncken nach
deßhalben in weiblicher Tracht opffern/ daß ſie
ſich aller maͤnnlichen Sorgen zu entſchlagen
indenck leben ſolten. Auch waͤre er verſichert/
daß bey der erſten Welt die Prieſter weder in
den geheimen Rath der Koͤnige eingedrungen/
noch den Richterſtuhl uͤber das Volck betreten/
noch mit fliegenden Krieges-Fahnen aufgezo-
gen waͤren. Etlicher Prieſter Ehrſucht und
Vorwitz/ unterſchiedener Fuͤrſten Unachtſam-
keit/ oder auch etlicher/ die ſich mit Unrecht und
Mord auf den Thron geſetzet/ ihre Furcht und
Gewiſſens-Angſt/ und endlich des Poͤfels A-
berglaube habe der Prieſterſchafft das Hefft
groſſer Laͤnder und Koͤnigreiche in die Haͤnde
geſpielet/ und ihre einſamen Gruͤffte in hohe
Palaͤſte verwandelt. Der Schein/ daß geiſt-
liche Stifftungen von Blut und fremdem Rau-
be reinigten/ haͤtte vieler Koͤnige Schatzkam-
mern erſchoͤpffet. Die Lehre/ daß/ was man
in die Hand der Prieſter legte/ in die Schooß
der mildreichen Goͤtter fiele/ haͤtte gantze Laͤn-
der arm/ die Prieſterſchafft wolluͤſtig gemacht.
Der Fuͤrwand/ daß Heyrathen und Eyde Ge-
wiſſens-Sachen waͤren/ und von denen unter-
ſucht werden muͤſten/ welche die Sorge der
Seelen uͤber ſich haͤtten/ haͤtte ihnen den Schluͤſ-
ſel
[561]Arminius und Thußnelda.
ſel zur Gerichts-Stube eingehaͤndigt. Der
Eifer des Gottes-Dienſtes habe ſie zu Reichs-
Cantzlern/ zu Hertzogen/ Fuͤrſten/ und geheim-
ſten Raͤthen gemacht/ und die/ welche fuͤrzeiten
nur denen Kriegsheeren ein Hertze zugeſpro-
chen/ waͤren endlich gar zu Heerfuͤhrern worden.
Ja etlicher der Freyheit gehaͤſſigen Fuͤrſten ei-
gene Anſtalt haͤtte mit Haͤnd und Fuͤſſen geholf-
fen/ daß die Prieſterſchafft unter ſich ſelbſt ge-
wiſſe Haͤupter empor gehoben/ weil ſie dieſe als
Werckzeuge der Dienſtbarkeit wider die Frey-
heit des Volcks zu brauchen angezielet/ welche
bey durchdringender Gleichheit der gehorchen-
den erhalten wird/ ihrer weniger Bothmaͤſſigkeit
aber der Koͤniglichen Macht am naͤheſten kom̃t
und am dienlichſten iſt. Wolte aber Gott! es
waͤre die Prieſterſchafft noch in dieſen mittel-
maͤſſigen Schrancken blieben. Denn wo ha-
ben ſie nicht ihnen faſt alle liegende Gruͤnde zins-
bar gemacht? Jn wie vielen Laͤndern beſitzen
ſie nicht das dritte Theil des fetteſten Bodens/
und der gewiſſeſten Einkuͤnfte? Wo aber ent-
ziehen ſie ſich nicht von den allgemeinen Mitlei-
dungen anderer treuen undviel aͤrmerer Unter-
thanen? Wo machen ſie nicht das Seil der weltli-
chen Herrſchaft von ihren Hoͤrnern loß? An
wie vielen Orten laſſen ſie ſich die allgemeinen
Richtſchnuren nicht binden? Aus wie vielen
Richter-Stuͤlen verſtoſſen ſie nicht alle Weltli-
che/ und wo ſchwingen ſie ihre Fluͤgel nicht uͤber
die Grund-Geſetze der Reiche/ und uͤber die Ho-
heit der Koͤnige? Haben ſie nicht die erſten Stim-
men bey ihrer Wahl? An wie viel Kronen
empfangen Fuͤrſten Kron und Zepter aus ihren
Haͤnden? Jch wil der uͤppigen Prieſter auf der
Atlantiſchen Jnſel/ denen aller Braͤute Jung-
frauſchaften geopfert werden muͤſſen/ der grim̃i-
gen in Mohrenland/ auf derer Befehl ſich ſein
Koͤnig hinrichten muß/ geſchweigen/ und allein
von dem Comaniſchen Prieſter in Armenien
fragen: Ob Seſoſtris fuͤr ſo uͤbermuͤthig zu ſchel-
ten ſey/ daß er vier Koͤnige an ſeinen Siegswa-
gen angeſpannet/ oder Tigranes/ daß er ihrer
vier zu ſeinen Aufwaͤrtern hatte/ oder auch jener
Scythe/ der einen groſſen Fuͤrſten zum Fuß-
Schemmel brauchte/ als dieſer Comaniſche Prie-
ſter/ welcher nicht nur ſeinem/ ſondern auch frem-
den Koͤnigen Geſetze fuͤrſchreibet/ und ihnen in
Anſtalten des Gottes-Dienſtes die Haͤnde bin-
det? Welchem Ariarathes die Fuͤſſe kuͤſſen/ und
ſeine Ferſe auf ſeiner Koͤniglichen Scheitel er-
dulden muͤſſen? Zu geſchweigen/ daß uͤbermaͤſ-
ſiges Reichthum und Gewalt ſich mit inbruͤnſti-
ger Andacht/ und alſo mit der Prieſter eigenen
Pflicht nicht vertraͤget/ ſondern ſie bey dem Be-
ſitzthume zur Uppigkeit verleite; Ehrſuͤchtigen
aber Anlaß gebe nach dieſem guͤldenen Apfel
durch alle verbotene Kuͤnſte zu ſtreben. Ju-
lius hatte gegen dem Lentulus das Recht gebeu-
get/ den Poͤfel angebetet/ und nahe ſein gantzes
Vermoͤgan verſchencket/ daß er nur den Quin-
tus Catulus/ und Publius Jſaurius/ welche
nebſt ihm ſich umb das Prieſterthum bewarben/
wegſtechen konte. Dieſe Peſt ſey auch leider
bey den Deutſchen eingeriſſen. Denn ſeine
Vorfahren haͤtten nicht nur aus einer allzugroſ-
ſen Gutwilligkeit verhangen/ daß die Miſſe-
thaͤter zu binden/ zu ſchlagen/ oder zu toͤdten nie-
manden als den Prieſtern freyſtehe; ſondern es
habe auch Segeſthes ſein Gewiſſen an Nagel
gehenckt/ die deutſche Freyheit auf die Schippe
geſetzt/ daß er ſeinem Sohne Siegmund nur das
Ubiſche Prieſterthum zuwege gebracht. Endlich
waͤre es ſo weit kommen/ daß ſolche ehrſuͤchtige
hohe Prieſter ſich ſelbſt vergoͤttert/ ihnen ſelbſt ge-
wiſſe Prieſter/ welche dieſe Wuͤrde vorher theuer
erkauffen muͤſſen/ angenommen/ und die nied-
lichſten Opfer von Samiſchen Pfauen/ Perſi-
ſchen Huͤnern/ Faſanen/ und Phoͤnicopter-Zun-
gen zu liefern angeordnet haͤtten. Dieſe Miß-
braͤuche zu unrecht angemaßter Gewalt haͤtte
jener Koͤnig zu Meroe mit Hinrichtung aller
Erſter Theil. B b b bPrie-
[562]Fuͤnfftes Buch
Prieſter/ die ſich der Gewalt des Lebens und des
Todes uͤber ihn angemaßt/ nicht ohne Urſache
abgeſtellt/ und er wuͤſte nicht/ ob die Albaner ſo
ſehr zu tadeln waͤren/ daß ſie ihre Prieſter/ wenn
ſie ſie vorher wohl aufgemaͤſtet und eingebalſamt
haͤtten/ ſelbſt zum Opfer ſchlachteten. Weil
aber dieſe Leute insgemein gefaͤhrlicher als gluͤ-
endes Eiſen anzuruͤhren waͤren/ haͤtte der kluge
Ariſtobul bey den Juden/ der weiſe Anius bey
den Lateinern/ der verſchmitzte Midas bey den
Phrygiern/ und die Roͤmiſchen Kaͤyſer durch
kluͤgere Erfindung ſich ſelbſt zu oberſten Prie-
ſtern gemacht/ und die entwendete Gewalt
wieder an ſich gebracht. Kaͤyſer Auguſt haͤtte
mit Schmertzen nach dem Tode des Prieſters
Lepidus geſeufzet/ weil er ohne ſein Prieſter-
thum ſich noch nicht des Roͤmiſchen Reiches voͤl-
lig verſichert zu ſeyn erachtet. Der fuͤnfte deut-
ſche Feldherr ſein Uhr-Anherr Alemann habe
gleicher geſtalt ſchon wahr genommen/ daß die
allzu groſſe Gewalt der Prieſter/ und die allzu-
ſehr umbſchraͤnckte Herrſchafft der Feldherrn
der deutſchen Macht einen groſſen Abbruch thaͤ-
te. Dahero/ wenn Alemann/ ſeinem Abſehen
nach/ das oberſte Prieſterthum haͤtte an ſeine
Krone heften/ und auf ſeine Nachkommen fort-
pflantzen koͤnnen/ waͤren die Deutſchen hierdurch
erſchrecklicher/ als durch ſeines Enckels des
gluͤckſeligen Marcomirs unzehlbare Siege und
Helden-Thaten worden. Ja er wuͤrde ſein
Vaterland mehr/ als durch Beyſetzung etlicher
Koͤnigreiche vergroͤſſert haben/ wenn er nur ſei-
ne heilſame Anſchlaͤge ins Werck zu ſetzen durch
den ihn uͤbereilenden Tod nicht waͤre verhindert
worden. Denn es war bereit unter der Hand/
daß dieſelben Stifftungen/ die von denen unver-
wendlichen Guͤtern des Reiches wider die alten
Grund-Geſetze geſchehen waren/ zuruͤck gezo-
gen/ iedoch die er hobenen Nutzungen ver geſſen/
und wo die Prie ſterſchafft ja ohne ſolche ihr
Auskommen nich thaben moͤchten/ andere Guͤ-
ter erkaufft/ und ihnen zugeſchlagen werden ſol-
ten. Nebſt dieſem ſolte man alle bereit beſeſſe-
ne geiſtlichen Guͤter in die Land-Taffel einzeich-
nen und unterſuchen: Ob ſelbte auskommentlich
oder nicht; jenen ſo denn weder durch Behand-
lung noch durch einige Freygebigkeit mehrere
an ſich zu bringen erlauben/ dieſen aber den
Maͤngel durch anderer Uberfluß und derſel-
bten Zuſchlagung erſetzen. Ferner ſolten die
koſtbaren Wallfarthen und Geluͤbde nach Car-
nutum dem beruͤhmten Sitz der Druyden in
Gallien/ wordurch nicht alleine Deutſchland
aller Mittel erſchoͤpft/ ſondern denen weibiſchen
Galliern gleichſam zinsbar gemacht wuͤrde/
abgeſtellet ſeyn; am wenigſten auch von dar ei-
nige Beſtaͤtigung unſerer Prieſterthuͤmer ge-
ſucht/ ſondern von dem Feldherrn/ welcher von
der Faͤhigkeit derer darzu beruffenen beſſer/ als
Auslaͤnder urtheilen koͤnte/ erlanget werden.
Nichts minder hatte Alemann fuͤr/ die uͤbermaͤſ-
ſige Anzahl der Prieſter/ wordurch dem Vater-
lande/ an deſſen Erbauung und an noͤthigen
Kriegsleuten viel entginge/ auf die Helffte ein-
zuziehen/ der unbedachtſamen Jugend/ welche
ins gemein entweder durch Uberredung/ oder
durch eigene Ubereilung ſich allzu fruͤhzeitig dem
Altare wiedmete/ bey ihrẽ reiffen Alter aber ver-
gebens bereuete/ das fuͤnf und zwantzigſte Jahr
zur Faͤhigkeit ein Geluͤbde zu thun auszuſetzen/
die denen Geiſtlichen zufallenden Erbtheile dem
gemeinen Weſen zum Beſten anzuwenden/ und
die Eltern/ die ihre Kinder in ſolchen Stand tre-
ten lieſſen/ mit alsbaldiger Abſtattung in den
Reichs-Kaſten zu bebuͤrden. Seit der Zeit
ſind unterſchiedene Haͤupter zwar auch auf dieſe
Gedancken gefallen; aber es hat ſelbte entwe-
der die innerliche Unruhe geſtoͤret/ oder die Miß-
braͤuche haben durch Laͤnge der Zeit ſo feſte Wur-
tzel gefaßt/ daß ſie ſolche auszurotten ſelbſt ver-
zweifelt. Zumal man in dieſen Kranckheiten
ſtuͤrmeriſche Artzneyen ohne diß mit hoͤchſter Ge-
fahr
[563]Arminius und Thußnelda.
fahr brauchet; vielmehr aber man dieſe vorher
durch allerhand Liebkoſungen einſchlaͤfen muß/
denen man unempfindlich ein- oder ander Glied
abſchneiden wil. Zeno fing hierauf an: Die
Prieſter hoͤrten nicht auf Menſchen zu ſeyn/ und
alſo waͤre kein Wunderwerck/ daß einige zu weit
gingen/ oder ſich in etwas vergriffen. Waͤren
doch die Koͤnige leicht zu zehlen/ und die Nahmen
der groſſen Staats-Diener haͤtten in einem Rin-
ge raum/ welche nicht uͤber die Graͤntzen ihrer
rechtmaͤſſigen Gewalt geſchritten waͤren. Die-
ſemnach lieſſe ſich wegen etlicher oder vieler Prie-
ſter mißbrauchten Macht/ oder uͤbel angewehr-
ter Guͤter der ſaͤmtlichen Prieſterſchafft weder
die Ehren-Staffeln verſchlieſſen/ noch die Brun-
nen der Freygebigkeit verſtopfen. Am aller-
wenigſten haͤtte Deutſchland Urfache darzu;
allwo die meiſten Prieſter ſich ſelbſt der duͤrftig-
ſten Armuth und der gehorſamſten Demuth
verlobten. So haͤtte er auch bey denen fuͤr-
nehmſten Druyden/ welche gleich mit bey dem
Steuer-Ruder des Vaterlandes/ unter den
Fuͤrſten ſaͤſſen/ eine in Aſien ungemeine Be-
ſcheidenheit/ und eine ſolche Liebe des gemeinen
Weſens gefunden/ daß ſie mit Freuden ihre aͤl-
teſte Stiffs-Einkunfften fuͤr das Heil des Vol-
ckes ausgeleeret/ und das Armuth mit ihrem
Uberfluſſe verſorgt haͤtten. Alſo waͤre die Prie-
ſterſchafft wohl ein Meer/ in welches viel Fluͤſſe
ihr Waſſer zinſeten; aber aus ſelbtem auch alle
Brunnen ihr Waſſer/ entweder durch offene
Roͤhren ihrer Freygebigkeit/ oder durch die ver-
borgenen Adern des Goͤttlichen Segens/ welche
die Prieſter durch ihre Andacht immer
rinnend machten. Wie viel ungluͤckſeliger
waͤre Aſien und Comagene/ wo die Prieſter tau-
ſend Goͤtter verehrten/ und durch tauſenderley
Erfindungen ſich muͤheten blutſaͤugende Aegeln
des Volckes zu ſeyn. Welche Prieſter waͤren
in der Welt beruͤhmter/ als die nackten Brach-
manen Jndiens? Gleichwohl aber beſtuͤnde bey
ihnen nicht nur die Fuͤrſtliche Herrſchafft und
Oberkeitliche Gewalt/ ſondern ihr Wille waͤre
eineſtrenge Richtſchnur aller andern Menſchen/
und dieſer Willkuͤhr an jener Geſetze durch ein
Seil des allerſtrengſten Gehorſams angefaͤſſelt.
Die Haͤnde waͤrẽ ihnẽ gebunden/ ihre Vernunft
verduͤſtert/ daß niemand nichts/ als durch die
Augen der Brachmanen zu ſehen glaubte. Ohne
ihr Erlaubnuͤß doͤrfften ſie nichts eſſen/ ihnen
nicht die Haare abſchneiden/ noch ſich in dem hei-
ligen Ganges baden/ noch ſonſt einig Geluͤbde
abgelten. Sie verkaufften nicht nur denen
Heyrathenden das Waſſer dieſes unerſchoͤpfli-
chen Stromes zehnmal theuerer/ als ander-
werts den beſten Wein; ſondern auch den Kuͤh-
Miſt wiegen ſie den Einfaͤltigen als ein groß
Heiligthum gegen zweymal ſo viel Gold aus.
Die Duͤrſtenden muͤſten ehe erduͤrſten/ als ohne
eines Brachmans Einwilligung aus einem of-
fenen See trincken; und die wohl zwantzig
Tage-Reiſen weit vom Ganges entlegene Leute
waͤren von denen Brachmanen ihr verſiegeltes
Waſſer gegen einer ſchweren Schatzung zu ih-
rem Labſal zu holen verpflichtet. Wenn ein
Jndianer was verliere/ muͤſte er zur Straffe ſei-
ner Unachtſamkeit eben ſo viel ſeinen Prieſtern
bezahlen/ oder er wuͤrde bey Nachbleibung deſſen
als ein Verfluchter aus der Gemeine geſtoſſen/
aus welcher ohne diß wenig in ihre Tempel kom-
men/ und niemand aufer denen Brachmanen ih-
rer Goͤtter Bilder anruͤhren doͤrffte/ gegen wel-
che Deutſchland wegen ſeiner beſcheidenen und
glimpflichen Prieſterſchafft ſich gluͤckſelig zu
ſchaͤtzen/ und ihren zuweilen mit unterlauffenden
Schwachheiten/ wie kluge Aertzte gewiſſen
Kranckheiten/ etwas nachzuſehen haͤtte. Denn
das hohe Prieſterthum mit Gewalt an ſich zu
reiſſen/ oder ihnen die Fluͤgel allzu ſehr zu ver-
ſchneiden/ waͤre ein im Gewiſſen nichts minder
bedenckliches/ als in der Ausuͤbung ſchweres
und der gemeinen Ruhe gefaͤhrliches Werck.
Daher wolte er dem Feldherrn nimmermehr
B b b b 2rathen
[564]Fuͤnftes Buch
rathen dieſe Flamme anzuruͤhren. Was lan-
ge Jahre ſo weichlich gehalten worden/ waͤre
ſchwer zu etwas haͤrterem ohne Gefahr zu ge-
wehnen. Und alſo ſey es beſſer ein Auge zuzu-
druͤckẽ/ als ohne Frucht etwas verzweifeltes ver-
neuern. Denn die Wieder-Einfuͤhrung der altẽ
Schaͤrffe und beſſerer Sitten ſey ſchaͤdlich und
unzeitig/ wenn ſelbte erſtarret/ unſere Kraͤfften
aber abgenommen haͤtten. Und es ſey ſo denn
mit einer ſolchen Herrſchafft/ wo die Gebrechen
zu Sitten worden/ wie mit alten ſiechhaften Lei-
bern beſchaffen; da die Artzney die ſchaͤdlichen
Feuchtigkeiten nur rege machte/ und den ſonſt
noch eine gute Weile angeſtandenen Tod be-
ſchleunigte. Das Volck ſelbſt ſey durch die
Laͤnge der Zeit ſchon dahin gebracht/ daß ſie die
Gebrechen der Prieſter ietzt ſo ſehr liebten/ als ſie
fuͤr Alters ihre Andacht und Tugenden werth
gehalten. Den Adel kitzelte es/ daß ſie dem aͤl-
teſten Sohne ihre Guͤter verlaſſen/ die juͤngern
durch die Wuͤrde eines Prieſterthums abſtatten/
und derogeſtalt den Glantz ihres Geſchlechtes
erhalten/ oder auch erhoͤhen koͤnten. Daher
wuͤrde unter ſeinen Raͤthen und den Werck-
zeugen ſeines Vorhabens niemand ſeyn/ der
nicht Theil an dieſem Ubel/ und zu dieſem Ber-
ge einen Karn voll Erde getragen haͤtte. Auch
gaͤbe es unter den Unterthanen ſolche Leute/
welche den Veraͤnderungen ſo gram waͤren/ daß
ihnen fuͤr ihrer erlangten Freyheit eckelte. Die
von der grauſamſten Dienſtbarkeit kaum er-
loͤſeten Roͤmer haͤtten die Tarquinier wieder
einzuruffen ſich geluͤſten laſſen. Und ein ver-
wehntes Volck fluchtete nichts minder dem/
der ſeine Wolfarth ſuchte/ als die am Feber
kranck liegenden denen/ welche ihnen bey waͤh-
render Hitze das ſchaͤdliche Waſſer zu geben
verweigerten: Er wuͤſte zwar wohl/ daß auch
durch linde Mittel kluge Fuͤrſten vielem Ubel
abhuͤlffen. Alleine auch alle eingewurtzelte
Kranckheiten des Leibes nehmen ſelbte nicht
an/ ſondern erforderten Staͤrcke/ Reinigun-
gen und ſcharffes Aderlaſſen. Wie viel we-
niger waͤren die ſo hoch entbrennten Be-
gierden des Gemuͤthes mit laulichten Saͤff-
ten zu leſchen. So fuͤhlete auch keine Spin-
ne ſo geſchwinde/ wenn nur ein Finger einen
Faden ihres Gewebes anruͤhrete/ als die Prie-
ſterſchafft/ wenn man ihren Freyheiten mit
einem Tritte zu nahe kaͤme. Alſo ſey es beſ-
ſer bey ſo zweifelhaftem Ausſchlage ſo kraͤfftige
Schwachheiten nicht anruͤhren/ als es durch
unzeitigen Eifer offenbar machen/ daß wir
ſelbten nicht gewachſen ſind. Denn fuͤr dero-
gleichen Geſetzen wird noch immer mit
Furcht/ es werde verboten werden/ geſuͤndigt.
Wenn es aber nach dem Verbot den Ver-
brechern ungenoſſen ausgehet/ verſchwindet
nicht nur alle Furcht und Scham bey den
Unterthanen/ ſondern auch alles Anſehen bey
dem Fuͤrſten.
Aber/ fuhr Zeno fort/ ich muß wieder auf den
Luſt-Garten meines Gebuͤrges kommen; dar-
innen Oropaſtes/ Syrmanus/ und ich/ zwar eine
gute Zeit unſer Ergetzligkeit pflegtẽ/ endlich aber
theils aus Andacht/ theils aus Begierde der
Neuigkeit/ auf die Spitze des Caucaſus/
und in das Heiligthum des Prometheus zu
kommen verlangten. Wir reiſeten einen
gantzen Tag in dieſem luſtigen Thale uͤber
allerhand mit Wein/ Oel- und Granat-
Aepfel-Baͤumen bedeckte Huͤgel; des andern
Tages kamen wir auf ein neues Gebuͤrge/
welches zwar uͤberaus hoch/ gegen der aber
uns nun fuͤr dem Geſichte liegenden Spitze des
Caucaſus/ nur gleichſam fuͤr Maulwurffs-
Hauffen anzuſehen war. Mit dem Abende
kamen wir an den Fuß des Berges/ und
nach dem wir nur etliche Stunden geru-
het/ ſtiegen wir mit unſern Maul-Thie-
ren Berg-auf/ weil die Hitze des Tages
daſelbſt faſt nicht zu reiſen verſtattet. Am
Mor-
[565]Arminius und Thußnelda.
Morgen muſten wir wegen angehender Ge-
higkeit die Maulthiere zuruͤcke/ und unſere
Erfriſchungen durch etliche Bergleute tragen
laſſen. Gegen Mittag verminderte ſich die
Waͤrmde nach und nach/ und wir kamen end-
lich in eitel Schnee und Eiß; die Lufft war auch
ſo kalt gegen Abend/ daß wir ein Feuer machen/
uns und unſer bey nahe gefrornes Getraͤncke
waͤrmen/ und bey einem hellen Qvell/ welches
eines Armes dicke/ und wohl drey Maͤnner
hoch aus der Spitze eines Stein-Felſens em-
por ſpritzte/ uͤbernachten muſten. Befunden
auch/ daß unſere Krafft-Waſſer alle Staͤrcke
verlohren/ der Wein aber mehr Krafft bekom-
men hatte. Folgenden Tag ſingen wir mit
auffgehender Sonnen an wieder empor zu klim-
men/ kamen in einen dicken Nebel/ welcher
unſere Kleider faſt durch und durch annetzte/ nach
Mittages aber in eine helle ſehr duͤnne/ aber/
weil die Sonnen-Stralen ſo hoch von der Erde
nicht zuruͤck ſchlagen koͤnnen/ uͤberaus kalte
Lufft/ und eine Stunde vor Abend auff die
verlangte Spitze des Caucaſus/ welche dem
Bley-Maße nach vier hundert und acht Sta-
dien/ oder ein und funffzig tauſend Schritte hoch
iſt. Dieſe hat eine Flaͤche etwan einer halben
Meile in ſich/ wir empfanden den wenigſten
Wind nicht/ und zu unſer hoͤchſten Verwun-
derung oben in dem weiſſen Sande mit einem
Stabe folgende Reime gantz unverſehrt ge-
ſchrieben:
Dieſe Beſchaffenheit beſtetigte unſern Glau-
ben/ daß die Opffer-Aſche auff dem Peloponeſi-
ſchen Berge Cylene ein gantz Jahr unverwehet
bliebe; und daß beyde Gipffel den dritten Strich
der Lufft erreichten/ wegen welcher Abtheilung
halber die Griechen ſonder Zweiffel den Tem-
pel der Lufft dreyen Gottheiten eingeſegnet haͤt-
ten. Wirkonten von dieſer unglaublichen Hoͤ-
he zu unſer hoͤchſten Beluſtigung beyde das
ſchwartze und Caſpiſche Meer/ nicht aber die
Meotiſche Pfuͤtze/ wie nach des Ariſtoteles Be-
richt insgemein von dieſem Berge geglaubet
wird/ erblicken; Welche beyde aber ein viel duͤ-
ſterners Anſehen hatten/ als die herum liegende
Berge/ weil dieſe die Sonnen-Strahlen feſter
und gewaltſamer zuruͤck ſchlagen/ jene aber ſol-
che gleichſam in ſich ſchlucken/ und alſo keinen
Widerſchein geben. Die andern Tauriſchen
Berge/ auff welchen die weit unter uns ſchwe-
benden Wolcken lagen/ kamen uns wie ſchnee-
weiſſe niedrige Huͤgel/ und ein Regenbogen wie
unſer Fuß-Schemmel fuͤr; Auſer der uns nach
Sud recht gegen uͤber liegende Berg Ararat/
auff dem ein groſſes Schiff ſtehen ſol/ worauff
ſich der Scythiſche Deucalion mit ſeiner Aſia
und Kindern/ auff Einrathung ſeines Vaters
Prometheus fuͤr der allgemeinen Suͤndfluth
ſoll errettet haben. Wovon die Griechen her-
nach getichtet/ daß dieſes Schiff nach Wegwei-
ſung einer ausgelaſſenen Taube auff dem Ver-
ge Parnaſſus angelendet/ ja das uͤbrige Waſſer
zu Athen in einen Schlund eingeſchlucket wor-
den waͤre/ woruͤbeꝛ ſie hernach dem Olympiſchen
Jupiter einen Tempel gebauet/ darein ſie jaͤhr-
lich einen von Honig und weitzenem Mehle
gebackenen Kuchen als ein Opffer zu werffen
pflegen. Dieſer Berg Ararat/ ſagte Zeno/
ſchien ſo hoch/ wo nicht hoͤher/ als der Caucaſus
zu ſeyn/ ſoll abeꝛ/ nachdem durch Erdbeben et-
liche Kluͤffte davon abgeſpalten ſind/ nicht mehr
beſtiegen werden koͤnnen.
Nach dem wir nun auff dieſer ſtillen Hoͤhe
uns nicht lange auffzuhalten vermochten/ weil
uns der Athem wegen Duͤnnigkeit der Lufft uͤ-
beraus verlag/ alſo daß wir naſſe Tuͤcher fuͤr
den Mund halten muſten/ hieraus alſo wahr
B b b b 3befun-
[566]Fuͤnfftes Buch
befunden/ daß man durchs Athemholen von
der Lufft/ als durch Speiſe und Tranck
aus Erd und Waſſer Nahrung ſchoͤpffete/ uͤ-
berdiß es auch allbereit ziemlich finſter zu wer-
den anfing/ und wir unwahr zu ſeyn erfuh-
ren/ daß auff dem Gipffel dieſes Berges die
Sonnen-Stralen faſt die gantze Nacht durch
ſchimmerten/ und es darauff vier Stunden
laͤnger Tag ſeyn ſolte; ſo machten wir uns
auff der Seite gegen Sud in ein Thalher-
unter/ zu dem uhralten Tempel des Prome-
theus/ darinnen zu uͤbernachten. Der abſchuͤſ-
ſige Weg noͤthigte uns gleichſam von der Hoͤ-
he eben ſo ſpringend herunter zu eilen/ wie
man in Africa einen gewiſſen Berg tantzend
zu uͤberſteigen genoͤthiget ſeyn ſoll/ wenn man
nicht vom Feber befallen werden will/ oder
vielmehr eines Weiſen Lebens-Art ſeyn ſoll/
daß er den Pfad aller Beſchwerligkeiten mit
einem freudigen Geiſte wandele/ und durch kei-
ne Unruhe die Ruhe ſeines Gemuͤthes ſtoͤren
laſſe. Vorerwehnter Tempel iſt in einen gan-
tzen auff der Flaͤche dieſes Thales liegenden
Stein-Felß entweder von einem kuͤnſtlichen
Werck-Meiſter gehanen/ oder von der Natur
ſelbſt ausgehoͤlet. Er iſt groß/ inwendig ku-
gelrund/ und empfaͤngt von einem oben durch
den ſich zuſammen welbenden Felß gebroche-
nem Lufft-Loche nur ein weniges Licht. Wenn
Agrippa dieſen Tempel/ oder ſeinen Abriß ge-
ſehen haͤtte/ wolte ich kuͤhnlich ſagen/ daß er
nach dieſem Muſter zu Rom ſein Pantheon
gebauet. Jn der Mitte ſtehet ein ſteinern
Altar/ darauff liget eine Erdkugel/ welche uͤber
die uns bekandte Laͤnder/ Meere und Fluͤſſe
mit vielen neuen bezeichnet iſt; Uugeachtet
dieſe Kugel ſonder allen Zweiffel viel aͤlter iſt/
als die ins gemein fuͤr die aͤlteſte gehaltene Land-
Charte Anaximanders. Sie uͤbertrifft an Voll-
kommenheit auch die kupfferne Taffel des A-
riſtagoras/ und die vom groſſen Alexander in
den Tempel des Ammoniſchen Jupiters ver-
ehrete goldene/ welche doch alle Laͤnder/ Mee-
re und Fluͤſſe auffs genaueſte fuͤr Augen ſtellen
ſolte; wo anders unſere itzige Abriſſe nicht man-
gelhafft ſind. Der Fuß/ darauff die Kugel
liegt/ iſt mit einer Eins beziffert; Gleich als
dieſe dem Menſchen bekandteſte Kugel der Meß-
ſtab aller andern Coͤrper ſeyn ſolte. Uber der
Erd-Kugel ſtehet das aus dichtem Golde ge-
goſſene Bild der Sonne/ auff ſeinem rechten
Fuſſe die Ziffer 140. weil ſie ſo vielmahl groͤſ-
ſer als die Erde ſeyn ſoll. Wiewohl einige
Weltweiſen ſie fuͤr hundert ſechs und ſechzig
tauſend mahl groͤſſer halten. Hingegen Epi-
cur ihm hat traͤumen laſſen/ daß weder die Son-
ne noch andere Sternen groͤſſer waͤren/ als
ſie uns unſer Augen-Maaß fuͤrbildete; ja einige
gar auff den Wahn gerathen ſind/ daß wie
der Stern im Auge keine weſentliche Kugel/
ſondern nur ein rundes Loch in der mitlern
Augen-Haut ſey; Alſo die Sonne nur ein klei-
ner Platz des oberſten Feuer-Himmels/ wel-
cher ſo weit in die Runde eroͤffnet ſtuͤnde. Auff
dem lincken Fuße iſt ein Jahr verzeichnet/
weil ſie in dieſer Zeit alle zwoͤlff himmliſche
Zeichen durchlauffet/ alſo/ daß kein Theil des
Erdbodens laͤnger oder weniger als das ande-
re beſtrahlet wird; Ob ſchon unter den An-
gel-Sternen das gantze Jahr nur ein Tag und
eine Nacht eines halben Jahres lang zu ver-
ſpuͤhren iſt. Auff dem Nabel ſind ſieben und
zwantzig Tage vermercket; weil in ſo vielen
ſich die Sonne um ihren eigenen Mittelpunct
herum drehet/ wormit ſie nicht nur der Erde/
aus allen ihren vielfaͤltigen Schatzkam̃ern ihren
Reichthum zu neigen/ und ſie mit ihrer tau-
ſendfachen Beſaͤmungs-Krafft uͤberſchritten;
ſondern auch einem ieden Jrrſterne ſeiner Ei-
genſchafft gemaͤſſe Strahlen und Tugenden/
aus ihren unzaͤhlbaren Roͤhren nicht anders/
als das Meer durch ſeine Bewegung und Ein-
drin-
[567]Arminius und Thußnelda.
dringung in die Hoͤhlen der Berge die Erde
bey Kraͤfften erhaͤlt/ einfloͤſſen moͤge. An der
Seite haͤnget ein Bogen mit Koͤcher und
Pfeilen/ ihren fuͤr unſern Augen noch mehr
als Pfeil geſchwinden Lauff/ und ihre durch-
dringende Krafft darmit abzubilden. Sinte-
mal/ da gleich die Sonne nicht um den Erd-
kreiß rennet/ wie die Weltweiſen insgemein
glauben/ daß ihr geſchwinder Lauff vom menſch-
lichen Verſtande nicht zu begreiffen ſey; Jn
dem ſie in einer Stunde uͤber neun hundert/
drey und funffzig Breiten des Erdbodens weit
fortrennen muͤſſe; So koͤmmt doch ihre Her-
umweltzung um ihren eigenen Wirbel und
Mittelpunct/ welches laͤngſten in ſieben und
zwanzig Tagen/ oder vieler Meinung nach al-
le 24. Stunden geſchiehet/ aller irrdiſchen Ge-
ſchwindigkeit zuvor. Jhre Wirckung aber
dringt biß in den Abgrund des Meeres/ biß in
den Mittelpunct der Erde/ und ſchwaͤngert
gleichſam durch eine angenehme Vermaͤhlung
alle fruchtbare Dinge/ die verborgenſten Ertzt-
Adern/ die kaͤlteſten Kriſtallen und Schnecken/
und das Marck der raueſten Felſen. Jn der
lincken Hand hat es eine Leyer/ weil die Be-
wegung der Sonne nicht allein einen ange-
nehmen Klang von ſich abgeben; ſondern auch
die widrigen Wuͤrckungen anderer Geſtirne/
und gegeneinander ſtreitenden Eigenſchafften
der Elemente vereinbaren ſoll; Alſo daß die
Sonne ſelbſt ſo wohl aus dem Erdbodem/ als
aus denen andern ſechs Jrr-Sternen ihren
Einfluß annimmt/ von welchen ihr rinnen-
des Meer nach Erheiſchung der Natur zuwei-
len als durch einen Sturmwind beweget/ zu-
weilen auch ſein uͤbermaͤßiges Auffſieden be-
ſaͤnfftiget wird. Nebſt dieſem Sonnenbilde
ſtehet das himmliſche Zeichen des Loͤwen/ als
ihr rechtes Erhoͤhungs-Haus abgebildet. Mit
den Armen haͤlt es uͤber dem Haupte eine uͤ-
beraus groſſe von Berg-Criſtallen zwar geſchlif-
fene/ an ſich ſelbſt aber nicht glatte/ ſondern hin
und wieder nichts minder als die Erde von Ber-
gen/ Thaͤlern/ Meeren und Fluͤſſen gantz hoͤck-
richte Kugel/ durch welche man etliche Reyhen
Berge gleich als einen Ruͤckgrad/ Rippen und
Gebeine/ als Behaͤltniſſe ihrer Vereinbarung
gehen/ auch aus ſolcher Kugel offtmahls Strah-
len/ Dampff und Wolcken ausſchieſſen ſiehet.
Welches mir der Prieſter ſelbigen Tempels
dahin auslegte/ daß die Sonne/ das warhaffte
Element des eigentlichen Feuers/ dieſes aber
in ſeiner warhafften Eigenſchaft ſonſt nirgends/
ſonderlich aber unter dem Monden nicht zu fin-
den waͤre/ und dannenhero die Sonne theils aus
einem harten feurigen Kalcke/ theils aus einem
fluͤſſenden Flammen-Meere beſtuͤnde/ welches
dem im Schmeltz-Ofen gluͤendem Golde zu ver-
gleichen waͤre; und dannenher bey ſeiner mehr-
mals hefftigen Vewegung nicht nur feurige
Duͤnſte ausdampffte/ ſondern wie die Feuer-
ſpeyenden Berge groſſe Stroͤme Glutt von
ſich ausſtieſſe; welche hernach ſich entweder in
einen Feuer-Regen verwandelten/ und ſich al-
ſo wieder zu ihrem Urſprunge zuͤgen/ und der
Soñe gleichſam zur Speiſe dieneten/ hierdurch
aber die vielfaͤltigen Flecken an der Sonnen-
Kugel/ wie auch ihre Erblaſſung/ und daß ſie ih-
re guͤtige Einfluͤſſe nicht ſo leichtlich der Erde
mittheilen koͤnte/ verurſachten; Oder gar ihr
hartzichtes Weſen alſo zuſammen kleibten/ daß
daraus Schwantz-Geſtirne erwuͤchſen/ welche/
nachdem ihr Talg geſchwinde oder langſam ſich
einaͤſcherte/ ihre Dauerung/ und gleich als auff
Erden die Jrrwiſche oder die fluͤgenden Dra-
chen ihren Untergang haͤtten. Dieſer Erzeh-
lung nach/ ſagte Rhemetalces/ fehlen die Stoi-
ſchen Weltweiſen ſehr weit/ weñ ihrer Meinung
nach die Sonne aus dem Meere/ der Mond
aus ſuͤſſen Waſſern/ die andern Sternen aus
den Duͤnſten der Erde ihre Nahrung ziehen
ſollen. Noch aͤrger aber irret Cleanthes/ wenn
ihm die Sonne deßhalben nicht den Krebs- und
Stein-Bocks-Kreiß uͤberſchreiten kan/ daß ſie
ſich
[568]Fuͤnfftes Buch
ſich nicht von ihrer Speiſe entferne. Allerdings/
fuhr Zeno fort/ iſt beydes weit gefehlt. Sinte-
mahliedem Dinge nur diß/ woraus es ſeinen
Urſprung bekommen/ zur Nahrung dienet; die
Sonne aber eben wie die Erde in ihrem eigenen
Kreyße ihren Unterhalt findet. Sonſten iſt/
des Prieſters Angeben nach/ das dicke Weſen in
der Kugel des Sonnenbildes aus Amianten-
Stein/ und Jamboliſchem Holtze/ das fluͤſſende
aber von dem Oel derſelbigen Feuer-Wuͤrmer/
die in den Schmeltz-Oefen gezeuget werden/ be-
reitet; Alſo/ daß es unauffhoͤrlich ohne einige
Verminderung brennet/ zum Zeichen/ daß die
Sonne zwar nichts minder als die Erde und an-
dere Geſtirne aus verzehrlichem Weſen bereitet
iſt/ auch ihr Abnehmen/ Gebrechen/ und jaͤhrli-
che Kranckheiten erduldet/ derogleichen ſie al-
lererſt fuͤr weniger Zeit gelitten/ und ein gantz
Jahr gantz verblaßt geſchienen haͤtte; Gleich-
wohl aber einen ſolchen Talck an ſich haͤtte/ wel-
cher dem duͤnnen Sonnen-Feuer eine beſtaͤn-
digere Nahrung giebet. Da aber auch gleich
ſolch Feuer etwas abnaͤhme/ wuͤrde es durch die
haͤuffigen Sonnen-Roͤhren nicht anders/ als
der abnehmende Schwefel in denen unauff-
hoͤrlich brennenden Bergen/ von dem Zufluſ-
ſe aus denen fernen Berg-Adern reichlich wie-
der erſetzet. Der Prieſter ſtellt die/ welche der
Soñe opffern wollen/ und eine Hand voll Wey-
rauch in eine guͤldene mit Rubinen und Chry-
ſolithen verſetzte Schuͤſſel/ etliche Handvolln
Weyrauch und Myrrhen ſtreuen muͤſſen/ um
das Altar herum; Hierauff zuͤndet er eine mit
Lorber-Zweigen umflochtene Fackel an/ rei-
chet ſie dem/ welcher ihm am naͤchſten iſt/ dieſer
dem folgenden/ biß ſie wieder an den Prieſter
zuruͤck kommt. Alsdenn zuͤndet er den Wey-
rauch an; da denn zugleich zweiffels frey durch
ein verborgen Rohr das Oel oder der Zunder
in der Sonnen-Kugel vermehret wird/ weil ſich
alsdenn derſelben Glantz vergroͤſſert. Dieſe hat
an ſich nichts minder/ als das durch ſie abgebil-
dete groſſe Tage-Licht von dreißig biß an funfzig
ſcheinbare Flecken/ welche gantz beſtaͤndig blei-
ben/ und die dichten nicht fluͤſſenden Glieder
oder Gebeine der Sonne ſind/ zwiſchen wel-
chen vielmehr glaͤntzend und fluͤſſendes Weſen
ſein Behaͤltniß hat; Wiewohl/ weil die Son-
ne und dieſe Kugel ſich um ihren eigenen Mit-
telpunct umwendet/ auch dieſe Flecken einmal
anders als das andere ins Geſichte fallen/ aber
doch nach ſieben und zwantzig Tagen wieder
kommen. Auſſer dieſen giebt es unzehlbare/
bald vergaͤngliche/ wiewohl gegen anderer Ge-
ſtirne Duͤnſten ſehr helle Flecken/ welches nichts
anders als aus ihren Hoͤlen und von dem auf-
ſchwellenden Meere aufſchuͤſſende Fackelnſind/
durch die die innern Sonnen-Kraͤffte in ihren
euſſerſten Rand getrieben werden; zum Theil
auch durch ihren Dampff verhindern/ daß die
flammenden Sonnen-Strahlen die Erde und
andere Jrrſterne nicht zu hefftig entzuͤnden.
Hinter dem Altare ſiehet eine zugeſpitzte Seule/
an der folgende Uberſchrifft zu leſen iſt:
Um dieſes herrliche Sonnen-Bild ſind um
den rundten Tempel herum in einer wohl ab-
getheilten Entfernung ſechs andere zu ſehen.
Das erſte Bild war ſilbern/ ſtand auf zwey weiſ-
ſen Ochſen/ hatte auff dem einen Fuße 29. Ta-
ge/ 12. Stunden/ und 44. ſechzigtheil; Auff
dem andern 27. Tage/ 7. Stunden/ 42. ſech-
zig theil zum Merckmahle ſeines Lauffs. So
hoch iſt der Vorwitz des Menſchen geſtiegen/
daß er den Himmel auff einen Finger/ die Er-
de auff ein Haar/ und die Zeit gleichſam auff ei-
nem Augenblick abzumeſſen vermiſt! Seine
glaͤſerne Kugel uͤber dem Haupte war kaum
das zwey und vierzigſte Theil ſo groß als die
Erd-Kugel; denn ſo viel kleiner ſoll der Mon-
de ſeyn; Wiewohl ihm ihrer viel auch das neun
und dreißigſte Theil der Erde zueignen. Die-
ſe hatte in ſich ſo wol ein irrdiſches als ein waͤſſe-
richtes Weſen; welches letztere gegen dem Sud-
lichen Rande ſich als ein groſſer Brunn in
viel Baͤche zertheilete/ und gleichſam unter-
ſchiedene helleuchtende Spiegel abbildete.
Sie ware auch voll Meere/ Fluͤße/ Jnſeln/
Berge/ Waͤlder und Thaͤle/ und daher ent-
ſpringender unzehlbarer Flecken/ welche theils
daraus/ daß die Strahlen von der Sonnen-
Kugel in ſolche Tieffe nicht fallen koͤnnen/ theils
aus dem Monden-Meere entſpringen; auch/
weil dieſes ſich nichts minder als das irrdiſche
Meer aus ſeiner eigenen Natur/ und von der
Krafft der Sonnen-Strahlen/ bald hin bald
her beweget; ja der Monde ſich von Oſt gegen
Weſt/ und wieder zuruͤcke weltzet/ nicht einmal
wie das andere ausſehen/ ſondern/ nachdem
die Monden-Kugel gegen den Sonnen-Strah-
len/ oder dem Auge des Menſchen ſtehet/ ſich
veraͤndern. Gleichwohl war ſein ſilberfarbe-
ner Schein/ nicht nur wenn er voll/ ſondern
auch/ wenn er nur wie eine Sichel ausſah/
der ſchoͤnſte und dem Augenmaſſe nach/ groͤſ-
ſeſte nach der Sonnen fuͤr allen andern Stern-
Kugeln. Zu den Fuͤſſen dieſes Bildes ſtand
das himmliſche Zeichen des waͤßrichten Kreb-
ſes; Jn der rechten Hand hatte es eine weiſ-
ſe Wachs-Fackel/ in der lincken einen Waſſer-
Krug oder Thau-Horn. Sintemal der Mon-
de nicht nur die Nacht erleuchtet; ſondern auch
die gantze Erd-Kugel/ welche ſonſt von der Hitze
der Sonne bald zu Staube werden wuͤrde/ an-
feuchtet; und zwar alsdenn/ wenn die Sonne
das Monden-Meer im Neu- und Voll-Mon-
den am hefftigſten bewegt/ am meiſten bethauet;
alſo/ daß aus der Monden-Kugel nichts min-
der als aus der Erde viel/ iedoch weit duͤnnere
Duͤnſte auffſteigen/ das Meer ſich bey Epp und
Flut hoͤher auffſchwellet/ Fluͤſſe anlauffen/ die
Pflantzen mehr Safft kriegen/ Krebſe und Mu-
ſcheln voͤller werden/ das Gehirne feuchter wird/
und inſonderheit die Blutloſen Dinge den Geiſt
des Monden empfinden.
Das andere Bild des Mercurs war von
einem aus getoͤdtetem Qveckſilber zuſammen
gefuͤgten Talcke bereitet; welches mit einem
Fuſſe auff einem ſteinernen Hahn/ mit dem
andern auff eine Ertztene Schlange trat. Sei-
ne uͤber dem Haupte ſchwebende Kugel war
neunzehn mahl kleiner als die Erd-Kugel/ und
kriegte auch nur zuweilen/ wenn die Sonnen-
Kugel am aller dunckelſten leuchtete/ einen
Aſcherfarbenen Gegenſchein. Auff einer Sei-
ten ſtanden die geſtirnten Zwillinge/ auff der
andern die Jungfrau. Diß Bild hatte in
der lincken Hand einen Zirckel/ in deſſen Mit-
te das Bild der Sonnen ſtand; weil dieſer Jrr-
Stern ſeinen Lauff um die Sonne verrichtet/
und von ſelbter ſich keinmahl uͤber acht und
zwanzig Staffeln entfernet/ wird alſo er gleich-
ſam in ihre und der Venus Stralen ſtets ein-
gehuͤllet; daher auch ſeine Kugel meiſt auff bey-
den Seiten lichte iſt/ wenn die Venus nicht zu-
weilen zwiſchen ihn und die Sonne tritt. Jn
der rechten Hand trug diß Bild einen Herolds-
Stab/ mit zwey gegeneinander gekehrten
Schlangen/ weil dieſes Geſtirne/ ſonderlich
Erſter Theil. C c c cwenn
[570]Fuͤnfftes Buch
wenn es mit der Sonne vereinbaret iſt/ oder
ſein Geiſt durch ihre gerade einfallende Strah-
len beſeelet wird/ denen irrdiſchen Dingen eine
Lebhafftigkeit einfloͤſt/ die Thiere/ und voraus
den Menſchen tieffſinnig machet. Auff dem
einen Fuße dieſes Bildes ſtand die Ziffer ſechs;
weil dieſer Stern in ſo wenigen Stunden ſich
um ſeinen eigenen Mittelpunct umdrehet/ und
alſo auff der Erden gleichfalls bald voll bald
hoͤrnricht zu ſeyn ſcheinet.
Das dritte Bild der Venus war von Kupf-
fer/ ſtand mit einem Fuße auff einem Marmel-
nen Schwane/ mit dem andern auff einer A-
labaſternen Taube. Die rundte Kugel uͤber
ſeinem Haupte war zwar nur das ſechſte Theil
ſo groß als die Erd-Kugel/ iedoch nimmt ſelbte
gleicher geſtalt ab und zu; uͤbertrifft aber mit
dem Glantze ſeiner weißgelblichten Strahlen
alle andere Sterne/ auſſer denen zwey groſ-
ſen Welt-Lichtern; alſo/ daß ſelbter ſo gar ei-
nen ziemlichen Schatten von ſich wirfft. Die-
ſes Bild hatte auff einer Seiten den himmli-
ſchen Ochſen/ auff der andern die Wage/ in
der Hand einen Zirckel/ in deſſen Mittelpun-
cte gleichfals die Sonne abgebildet war; weil
dieſer Jrr-Stern um die Sonne lauffen/ bald
uͤber bald unter ihr ſtehen/ auch ſich keinmahl
allzu weit von ihr entfernen ſoll; ſondern bald
ihr Vorlaͤuffer/ bald ihr Nachfolger/ bald
Morgen-bald Abend-Stern iſt/ und dahero
ſeinem Stande nach auff der Erde bald klein/
bald groß/ und wie der Monde Monatlich;
alſo dieſer jaͤhrlich bald voll/ bald halb/ bald
wie eine Sichel ſich ſehen laͤſt; Auch nach Art
der Sonne bald ihre hoͤckrichten gleichſam aus
Diamanten beſtehenden Gebuͤrge/ bald ihr
aus rinnendem Cryſtall ſich ſanffte ruͤhrendes
Meer beweget/ Zierde und Annehmligkeit
denen irrdiſchen Dingen einfloͤſſet/ und
gleichſam eitel Muſch und Ambra von ſich
hauchet.
Das vierdte Bild des Mars war auß hell-
geſchliffenem Stahle/ ſtand mit einem Fuße
auff einem Bocke/ mit dem andern auff ei-
nem Wolffe; Weil dieſer Jrr-Stern aller-
hand ſtinckende Einfluͤſſe hat/ und woͤlfichter
Art iſt/ in den Adern ſchwartzes Gebluͤte/ im
Hertzen Gifft und Galle kochet. Auff dem
rechten Fuße ſtand die Ziffer 14. als das Maß/
wie viel mahl er groͤſſer als die Erde ſeyn ſoll.
Auff der lincken ſein Bewegungs-Ziel/ nehm-
lich/ 1. Jahr/ 321. Tage/ 22. Stunden/ und
24. Sechzigtheile; Auff der Seiten das Zei-
chen des himmliſchen Schuͤtzens und der Fi-
ſche/ als ſeine zwey Haͤuſer. Jn der lincken
Hand hatte dieſes Bild einen rundten gantz
gluͤenden und die obere Kugel beſtrahlenden
Schild/ in der rechten einen Pfeil/ wormit
dieſer Jrr-Stern auch ſonſt bezeichnet wird.
Mit dem erſten zwar/ weil er nebſt der Son-
nen auch zum Theil ſich durch ſein eigenes
Feuer erleuchtet; daher auch ſein Schein/ wel-
cher ſonſt blaſſer als der Mond ſeyn wuͤrde/
blutroth iſt; Auch wegen dieſes ſeines eigenen
Scheines ſeine Kugel zuweilen als halb ge-
ſpalten ſcheinet/ nachdem er ſich nehmlich um
ſeinen eigenen Mittelpunct herum drehet/ und
dem Erdbodem ein oder andere Seite zeiget/
wormit er ſeine ſchaͤdliche Wuͤrckungen uͤber
die Erde nicht allezeit in gleicher Hefftigkeit
ausuͤbe. Maſſen er denn uͤber diß in der
Mitten einen rundten ſo groſſen Wirbel und
Schlund/ als wohl gantz Africa iſt/ ingleichen
ein finſteres ſchwartz-gelbes Pech-Meer hat/
darinnen der Zunder/ den dieſes feurige Ge-
ſtirne zu taͤglicher Zehrung darff/ zwiſchen de-
nen Schwefel-Bergen/ und der aus Huͤtten-
rauch und funckelnder Ertzt-Erde gemach-
tem Gerippe erhalten/ und durch die geheimen
Roͤhren in die unterirrdiſchen Hoͤlen dieſes
Feuerſpeyenden Etna geleitet wird. Jn der
rechten Hand fuͤhrete diß Bild einen Pfeil/
und
[571]Arminius und Thußnelda.
und aus dem Munde fuhr der Blitz/ weil er
nicht alleine kein mahl rund ausſiehet/ vielmehr
aber allezeit groſſe Spitzen oder Borſten aus
ſeinem Coͤrper vorragen hat; ſondern weil ſei-
ne Schaͤrffe allenthalben durchdringet/ er gleich-
ſam als ein wuͤttender Vulcan alle ſchaͤdliche
Waffen zum Verderb der Welt ſchmiedet/
das Haupt ſchwindelnd/ die Glieder zitternd/
die Leber hitzig/ das Hertze klopffend/ die Thiere
raſend macht/ die Gewaͤchſe verſaͤnget/ die
Brunnen verſaͤugen laͤßt/ fruͤh alles verbren-
net/ des Abends alles austrocknet/ gifftige
Winde/ ausſaugende Lufft/ Donner und
Wetter verurſacht. Daher er auch von eini-
gen Weiſen das kleine Ungluͤck der Welt/ und
ein Gott der Zerſtoͤrung geheiſſen worden.
Auff den Achſeln trug diß Bild eine blaugel-
be hoͤckerichte Schweffel-Kugel/ oder vielmehr
einen Feuer-ausſpeyenden Berg; weil der hie-
durch bezeichnete Jrr-Stern unauffhoͤrlich
ſtinckenden Rauch und Feuer ſchaͤumet/ das
waͤſſerichte Theil eitel ſiedendes Hartzt kochet/
um ſeine Kugel ſchwartze Nebel und Wolcken
erreget/ und durch ſolche unauffhoͤrliche Auff-
ſchwellung ſeine Eigenſchafften als aus einem
Schmeltz-Ofen heraus floͤſſet/ auch allen an-
dern Geſchoͤpffen eindringet; Wiewohl dieſe
Duͤnſte ſich endlich in einen Regen verwan-
deln/ und alſo um dieſes Wuͤten ein wenig
zu beſaͤnfftigen/ wieder zu ihrem Urſprunge
abſincken. Jedoch kriegte dieſe grauſame Ku-
gel von denen fuͤr ihm ſtehenden erſtern und
dritten/ wie auch von dem hinter ihm folgen-
den Jrr-Sterne offtmahls einen annehmlichen
Gegenſchein. Denn wie die groſſe Harffe der
Welt zu ihrer annehmlichen Zuſammenſtim-
mung allerhand ungleiche und widrige Sei-
ten erfordert/ die Erde aus unterſchiedenen
ſtreitbaren Dingen vereinbaret iſt; alſo hat der
Himmel auch dieſes kriegeriſchen Geſtirns von
noͤthen/ um im Winter die Kaͤlte zu miltern/
und der offtmahls gleichſam Waſſerſuͤchtigen
Erde zu Huͤlffe zu kommen. Ja wie kein
Gifft zu finden/ daß nicht auch zur Artzney
werde/ wie das gifftige Gewuͤrme ſeinen Nu-
tzen ſchafft/ die Spinne in der Lufft/ die Kroͤ-
te auff der Erde/ der Scorpion aus den Wun-
den/ die gruͤnen Kaͤfer aus den Peſt-Druͤſen
das Gifft an ſich ziehen; Alſo zeucht auch die-
ſer Stern die ſchaͤdlichen Einfluͤſſe aller andern
wie ein rechter Miltz an ſich/ und verbraucht
ſelbte zu ſeinem Zunder. Auch hat die Na-
tur weißlich geordnet/ daß der Zirckel dieſes
Sternes/ der in ſeiner Naͤherung zuweilen
beym Eintritt des Waſſermanns und der Fi-
ſche ein groſſer Haar-Stern zu ſeyn ſcheinet/
um die Sonne/ die Venus und den Mond
gehe/ womit er zuweilen von der Erde ſehr weit
entfernet werde.
Das fuͤnffte Bild des Jupiters war aus
fuͤnckelndem Zihn/ ſtand mit einem Fuße auff
einem mit Blitz ausgeruͤſtetem Adler/ mit dem
andern auff einem Hirſchen. Auff dem Fuſ-
ſe war das Ziel ſeines Lauffes mit 11. Jahren/
315. Tagen/ 17. Stunden/ und 14. Sechzig-
theilen bezeichnet; Neben dieſem Bilde war
das Zeichen des geſtirnten Schuͤtzen und der Fi-
ſche. Auff dem Nabel ſahe man 284. Tage
eingepreget/ weil dieſer Jrr-Stern in ſolcher
Zeit ſich um ſeinen eigenen Mittelpunet/ wie
ein Rad um die Axe umwenden ſoll; Wormit
er die heilſamen Kraͤffte beyder Seiten den an-
dern Geſtirnen und der Erde mittheilen moͤ-
ge. Jn der Hand trug diß Bild einen mit
Oel-Laube umflochtenen Zepter; denn dieſes
Koͤniglichen Geſtirnes Einfluͤſſe (wenn ſelbte
nur nicht durch den darzwiſcher: tretenden
Coͤrper des feindlichen Kriegs-Sternes auff-
gehalten werden) wigen den Menſchen Ehre/
Herrſchafft/ einen freudigen Geiſt und Klug-
heit zu; Sie ermuntern in Thieren die Lebens-
Geiſter/ in Gewaͤchſen ſtifften ſie Fruchtbar-
keit/ in der Lufft heimliches Wetter/ ſanffte
Regen/ anmuthige Winde; im Auffgange
C c c c 2ver-
[572]Fuͤnfftes Buch
vermehren ſie die Waͤrmde/ im Niedergan-
ge die Feuchtigkeit; Jm Sommer maͤßigen
ſie die Hitze/ im Winter den Froſt; ja weil die
Tieffen dieſes Geſtirns mit eitel Ambragriß an-
gefuͤllet ſind/ beſtehen ſeine Ausdampffungen
in eitel wohlruͤchendem Balſam/ welche in der
Erden alle kraͤfftige Gewuͤrtze/ Oele und Hartz-
te zeugen/ und alle der Jndier Stauden ein-
bieſamen. Daher er nicht unbillich der groſ-
ſe Gluͤcks-Stern/ und das Horn des Uber-
fluſſes geheiſſen wird. Dieſes Bild trug uͤber
ſeinem Haupte einen abſonderlichen Himmel
mit vier unterſchiedenen Zirckeln. Jn der
Mitte ſtand eine hellglaͤntzende/ auch die Erde
wohl vierzehn mahl an der Groͤſſe uͤbertreffen-
de/ um den euſſerſten Rand etwas hoͤckrichte
Kugel/ welche gegen der Sonnen mit ihrem
Liechte dem Abends-Sterne nichts nachgiebt.
Auff der abgewendeten Seite war ſie gleich-
wohl auch ziemlich lichte/ weil dieſer Jrrſtern
nicht nur von der Sonnen/ ſondern auch von
ſeinem eigenen Liechte erleuchtet wird. Umb
dieſe Kugel von Oſt gegen Weſt gingen un-
terſchiedene etwas tunckele theils gerade theils
gebogene Guͤrtel; Weil dieſes Geſtirne von
ſolchen dem Taurus verglichenen Gebuͤrgen in
gewiſſe Striche abgetheilet/ zwiſchen dieſen das
dariñen mehr glaͤntzende/ und ſich unauffhoͤrlich
bewegende Silber-Meer bewahret/ auch nur
an etlichen Orten von etlichen See-Engen
durchſchnitten wird. Dieſe Stern-Berge/
welche ſchmal/ bald breit/ bald weit/ bald nahe
beyſammen/ bald ſchnurgleiche/ bald gekruͤmt
ſcheinen/ nach dem dieſe ſich von Nord gegen
Sud ſich umweltzende Kugel uns im Geſichte
ſtehet/ halten in ſich allen Saamen der herrli-
chen Tugenden/ welche allen andern Elemen-
ten deſſelbten mitgetheilet/ und gleichſam von
eitel lieblichen Weſt-Winden ausgehauchet
werden. Dieſe ſchoͤne Kugel krieget ferner
noch einen abſonderlichen Glantz von ihren
vier in denen vier Zirckeln um ſie herum ſte-
henden Stern-Geferthen/ welche ſaͤmtlich von
Weſt gegen Oſt/ und zwar die innerſten und
nechſten immer geſchwinder als die euſſerſten
herum lauffen/ und ihrem Haupt-Geſtirne ihr
theils eigenes/ theils von der Sonne geborg-
tes Licht mittheilen; ſonderlich der erſte und drit-
te/ welche uͤberaus helle ſchimmern/ und gleich-
ſam gegen den andern zweyen Monden zwey
kleine Sonnen ſind. Ja weil die Sonne die-
ſes groſſe und hohe Geſtirne nicht voͤllig er-
leuchten kan/ zum theil ihre Stelle verderben/
und aus der Tieffe deſſelbten alle Kraͤfften em-
por ziehen: wiewohl der erſte und naͤchſte an
Groͤſſe den rechten Monden/ der andere dem
Mercur/ der dritte der Venus/ der vierdte
der Erde gleich kommt; iedoch nachdem ſie
ihrem und dieſes groſſen Geſtirnes Lauffe
nach zu ſtehen kommen/ bald nahe beyſammen/
bald weit von einander/ gegen Nord groß/ und
als wenn ſie unten/ gegen Sud viel kleiner/
und als wenn ſie uͤber dem Jupiter ſtuͤnden/
auch nach dem Stande der Sonnen bald wie
volle/ bald wie wachſend- oder abnehmende
Monden ausſehen/ auch zuweilen vom Schat-
ten des Jupiters verdeckt; hingegen/ weil aus
dieſer Geſtirne hellen Duͤnſten ſich auch auff
eine zeitlang neue Hartzt-Sternen zeigen/ zu-
weilen an ihrer Zahl vermehret werden.
Das ſechſte Bild/ war ein aus Bley gegoſ-
ſener alter Greiß; ſeine Stirne voller Run-
tzeln/ die Wangen eingefallen/ alle Glieder
ſchwach und ſonder Lebhafftigkeit; Die Augen
hatte er unter ſich geſchlagen/ und die Beine
ſchienen zur Bewegung gantz ungeſchickt. Deñ
der hiermit fuͤrgebildete hoͤchſte und langſam-
ſte Jrr-Stern hat an ſich alle Schwachheiten
des langſamen Alters/ daher auch 29. Jahr/
162. Tage/ 7. und 36. ſechzigtheil Stunden ver-
ſtreichen/ ehe er einmal um ſeinen Zirckel herum
kom̃t. Diß Bild ſtand auff einem Drachen und
Baͤ-
[573]Arminius und Thußnelda.
Baͤren/ hatte auf dem Fuſſe die Ziffer 22. als das
Maaß ſeiner Groͤſſe/ wiewol andere dieſen Jrr-
Stern mit ſeinen zweyen Armen oder Gefer-
ten 165. mal groͤſſer als die Erde ſchaͤtzen. Auf
der Seite ſtand der geſtirnte Steinbock/ und der
Waſſermann. Jn der rechten Hand hatte es eine
Sichel/ in der lincken einen Rauch-Topf/ weil
die in dieſem Jrr-Sterne ſich befindende graue
Erde und Bley-Berge/ wie auch das gleichſam
aus eitel Spießglaſe ſich langſam bewegende
todte Meer aus ſeinen Hoͤlen/ und auftochen-
dem Hartzte unaufhoͤrlich ſtinckendẽ ſchwartzen
Rauch ausdampfet/ als die rechte Kugel der Ver-
wirrung alles verduͤſtert/ mit ſeiner Todten-
Sichel aber alles heilſame abmeyet/ durch
ſeine Kaͤlte die Lebens-Waͤrmde ausleſcht/ Feber
gebieret/ die Feuchtigkeiten zaͤhe machet/ giftige
Nebel/ Ungewitter/ Schiffbruch/ Unfruchtbar-
keit und Kaͤlte verurſachet/ ſonderlich/ wenn er
ſich unſerm Scheitel naͤhert/ oder mit dem krie-
geriſchen Jrr-Sterne in ein Horn blaͤßt; daher
er billich der groſſe Ungluͤcks-Vogel/ der kalte
und trockene Feind der Natur/ und das Vorbild
der Zeit/ welche ihre eigene Kinder auffrißt/ ge-
nennt wird. Uber dem Haupte ſchwebte eine
groſſe dunckele Kugel/ welche vorwerts von der
Sonnen/ auf der Seiten aber auch von zwey
kleinen Kugeln/ die ihn gleichſam zu einem drey-
leibigten Geryon machen/ erleuchtet wird; wie-
wohl beyde Geferten/ nach dem man ſtehet nicht
ſtets als von der mittelſtẽ groſſen Kugel gantz ab-
geſondert/ ſondern nur/ als angefuͤgte Armen/
handhaben/ und halbe Monden; alſo die mitle-
re Kugel wie ein laͤnglichtes Ey/ oder/ wenn die
eine kleinere Kugel vor-die andere hinterwerts
ſtehet/ gar nicht geſehen werden. Sintemal
umb dieſen Jrr-Stern zwey kleinere Jrr-
Sterne/ derer ieder nur halb ſo groß iſt/ ieder
in ſeinem abſondern Circkel von Weſt gegen Oſt
aufwerts herumb lauffen/ wormit ſie mit ihrem
eignen Lichte/ weil die uͤberaus weit entfernte
Sonne ſeinen groſſen Coͤrper nicht genungſam
erleuchten kan/ alle ſeine ihnen nach und nach zu
gewendete Theile/ indem ſie und dieſer Jrr-
Stern ſich ebenfalls umb ihren Mittel-Punct
umbweltzet/ erhellen/ und ſeine traurige Ein-
fluͤſſe durch ihre abſondere Wuͤrckungen beſee-
len helffen; ohn welche die ſchwere Bley-Kugel
gantz unbeweglich und finſter ſeyn wuͤrde; wie-
wohl/ wenn ſie dieſem Jrr-Sterne ihre eben-
falls an ſich habende irrdiſche dunckele Seite zu-
wenden/ ſelbter gleichſam verſchwindet/ oder er
auf ſeinen beyden Seiten mit zwey weſentli-
chen/ nicht aber von einem bloſſen Schatten
herruͤhrenden duͤſternen Henckeln umbgeben
wird; hingegen wenn eine Kugel gleich mit ih-
rem lichten Theile vor ihm ſteht/ ſelbten ſo we-
nig als ein kleines Licht einer groͤſſern Flam-
me Schimmer verfinſtert. Dieſen Jrr-
Stern als den allerſchaͤdlichſten hat die Natur
in eine unermaͤßliche Hoͤhe/ nehmlich nahe
funfzig tauſend Breiten der Erde weit/ uͤber
die Erdkugel geſetzet/ womit ſeine maͤchtige
Wuͤrckungen deſto ſchwaͤcher waͤren/ auch von
Heilſamkeit des Jupiters/ von der Lebhaftigkeit
der Sonne/ und der Feuchtigkeit der Erden
gelindert wuͤrden. Wiewohl ſie nichts min-
der als Napel/ Wolffs-Milch und dieſelbigen
Artzney-Kraͤuter/ welche uͤbel ruͤchen/ in Ein-
geweiden reiſſen/ dem Magen Eckel ſchaffen/
oder auch die gifftigen Brunnen/ die Schwe-
fel-Baͤder/ und ſiedende Fluͤſſe auf Erden/ ja
Nacht-Eulen und Fleder-Maͤuſe noͤthig und
nuͤtze ſind. Denn ob die Saturniſchen Ein-
fluͤſſe zwar in denen Leibern/ welche einen ihres
Giftes faͤhigen Zunder in ſich haben/ groſſen
Schaden thun; ſo ſaubern ſie doch andere ih-
nen nicht ſo ſehr Zugethane darvon/ und trei-
ben die boͤſen Feuchtigkeiten in das ihnen von
der Natur beſtim̃te Glied zum Heil der andern
Eingeweide. Sintemal was in dem Men-
ſchen der Magen iſt/ der die Speiſe verdaͤuet/
und iedem Eingeweide ſein zuſtaͤndiges Theil
zueignet/ das iſt in der Welt die Erde; die
C c c c 3Werck
[574]Fuͤnfftes Buch
Werckſtatt der Feuchtigkeiten iſt in den Thie-
ren das Gehirne/ in dem Himmel der Monde;
der Austheiler der Lebens-Geiſter iſt in der
kleinen Welt das Hertze/ in der groſſen die
Sonne; die Leber theilet den Gliedern mit
dem Gebluͤte Krafft und Staͤrcke mit/ der ge-
ſtirnte Jupiter allen Geſchoͤpfen/ die Lunge
ſchoͤpfet Lufft/ und kuͤhlet die Hitze des Hertzens
ab/ wie der Mercur unter den Geſtirnen; die
Nieren ſind das Sieb/ welches das reine von
dem unreinen unterſcheidet/ und der Werck-
zeug der Fruchtbarkeit; dieſes wuͤrcket auch in
der Welt die geſtirnte Venus; und wie die
Galle das bittere und ſchweflichte Gebluͤte
an ſich zeucht; alſo macht es im Himmel der
Kriegs-Stern; ja wie der Miltz alle andere
ſchaͤdliche Feuchtigkeit dem Leibe zum beſten
theils in ſich zeucht/ theils durch die Stulgaͤn-
ge abtreibet; alſo iſt es in der groſſen Welt mit
dem geſtirnten Saturn beſchaffen; zu geſchwei-
gen/ daß er auch die fluͤchtigen Geiſter hemmet/
alles uͤberfluͤſſige zuſammen zeucht/ und den
Menſchen zu Erforſchung nachdencklicher
Dinge bereitet.
Alle dieſe ſechs Kugeln waren nur vorwerts
glaͤntzend/ auſſer daß die des Saturn und Ju-
piters von den Geferten/ des Mars aber von
ſeinem eigenen Feuer auf der Abſeiten etwas
erhellet wurden/ weil ſie von der Sonnen-Ku-
gel ihren Schein bekommen/ und alle als klei-
ner hinter ſich einen zugeſpitzten Schatten
werffen. Man nahm in allen dieſen Kugeln
gleichſam Erde/ Lufft/ Feuer und Waſſer wahr/
ob wohl dieſer Dinge Vermiſchung bey einem
Sterne viel anders/ als beym andern/ zu ſeyn
ſchien. Sintemal iedes Element in einem
ieden Geſtirne eine beſondere Eigenſchafft ha-
ben ſoll. Daher auch ſo wohl die Jrr-als
andern Sterne ihre Ausdampfungen haben/
daraus zuweilen Schwantz- oder Haar-Ge-
ſtirne/ nach dem die Sonne ſie durchſtraalet/
entſtehen; welche/ ob ſie wohl lange Zeit/ ja biß
zwantzig Jahr ſcheinen/ nach dem ihr Weſen
nehmlich feſte und hartzicht iſt/ wie man in der
Caſſiopea/ auf der Bruſt des Schwanen und
andern Geſtirnen wahr genommen/ doch endlich
verſchwinden; nach dem der Mittelpunct iedes
Sternes eine magnetiſche Krafft in ſich hat/
welche/ wie es die Erde und alle Eingeweide
in den Thieren thun/ alles ſeinem Weſen gleich-
geartete an ſich zeucht; alſo daß da ein Stuͤck
von dem Monden mit Gewalt auf die Erde
kaͤme/ ſelbiges ſo wohl zu dem Monden klim-
men/ als ein Stein aus dem Monden zur Er-
de fallen wuͤrde. Und daher fuͤr ein bloſſes
Getichte zu haltẽ waͤre/ wenn Licinius Silanus
geſehen haben wil/ daß ein Maͤgdlein aus den
Sternen gefallen/ und ſelbtes nahe bey der
Erde in eine Fackel verwandelt worden waͤre;
Wie auch/ daß einſt ein Loͤwe aus dem Mon-
den in Peloponneſus abgeſtuͤrtzet haͤtte. Hinge-
gen billichte der Prieſter dieſes Ortes nicht nur
die Meynung des Pythagoras und des Xeno-
phanes: daß es im Monden Staͤdte/ vollkom-
menere Menſchen/ und funfzehen mal groͤſſere
Thiere gaͤbe als auf der Erden. Ja daß da-
ſelbſt in der Hoͤle der Hecate der hier abgeleb-
ten Seelen uͤber ihr Thun Rechenſchafft geben/
und ihre Straffe oder Belohnung empfangen
muͤſten/ indem daſelbſt das rechte Elyſiſche Thal
anzutreffen waͤre; ſondern es wuͤrden auch die
uͤbrigen Geſtirne/ gegen derer Herrligkeit unſe-
re Erde fuͤr Koth/ und gegen ihrer unbegreiff-
lichen Groͤſſe fuͤr ein Saam-Korn zu achten
waͤre/ bewohnet/ welche aber ihren Leibern und
Gemuͤthern nach/ uns gantz ungleich/ hingegen
ihrer Wohnung nach geartet waͤren. Glei-
cher geſtalt ſind die Seren und Scythen von
dieſer Meynung nicht entfernet/ daher der
Tatter Xaucung den Seriſchen Koͤnig Hiao-
rus unſchwer beredete/ daß er ihm ſeine ver-
ſtor-
[575]Arminius und Thußnelda.
ſtorbene und im Monden wohnende Changoa
alle Nacht zu ſeinem Beyſchlafe herunter lock-
te. Als auch gleich deſſen Betrug offenbar
ward/ wolte er doch biß in den Monden einen
Thurm bauen laſſen. Welche Thorheit ihm
nicht ehe auszureden war/ als biß der Bau-
Meiſter das gantze Seriſche Reich zur Grund-
legung forderte. Hertzog Herrmann brach
Schertz-weiſe ein: Jch erinnere mich/ daß die
Einwohner des Atlantiſchen Eylandes nach ih-
rem Tode in die Sternen verſetzt zu werden
glaͤuben; alſo werdẽ dieſe vermuthlich ihre Buͤr-
ger ſeyn. Alleine hat Democritus dieſe bewohnte
Stern-Kugeln auch unter ſeine viel Welten
gerechnet? Oder hielt dieſer Prieſter/ des Plato
Meynung nach/ die Welt/ die Erde und Ster-
ne fuͤr beſeelte/ und mit allen Sinnen begabte
Thiere? Zeno antwortete laͤchelnde: Es wuͤr-
de Pythagoras dieſem Prieſter ſolche Geheim-
nuͤſſe unter dem Siegel des Stillſchweigens
vertrauet haben/ weil er gegen ihn damit hin-
ter dem Berge gehalten. Es mangelte aber
gleichwohl noch zur Zeit nicht an Vertheidi-
gung beyder Meynungen. Und erinnerte er
ſich/ daß etliche das eine Naſen-Loch der Erde/
in das Throniſche Nord-Meer/ andere in die
Mitte des Caſpiſchen Nord-Meeres verſetz-
ten/ und daß die Erde durch ſelbte Athem hole-
te/ erhaͤrteten; andere Epp und Fluth des
Meeres fuͤr der Erde Lufft-Schoͤpfung/ das
Erdbeben fuͤr die Schuͤtterung dieſes Thieres
hielten/ alle aber aus der Hegung ſo vieler be-
ſeelten Dinge ihr eigenes Leben behaupten wol-
ten. Des Democritus Meynung aber haͤtte
nicht nur unzehlbare Nachfolger/ ſondern Epi-
cur haͤtte gar gelehret/ daß taͤglich neue Wel-
ten entſtuͤnden und untergingen. Ja Metro-
dor haͤtte ihm dieſes ſo feſt eingebildet/ daß er
es ſo ungereimt zu ſeyn geachtet/ wenn nur
eine Welt alles All begreiffen ſolte/ als wenn
auf einem groſſen Felde nur eine Aehre wuͤchſe.
Daß auch deſſen von langer Zeit nicht etwan
der albere Poͤfel/ ſondern die groͤſten Leute bere-
det geweſt/ gibt uns der groſſe Alexander ein
merckwuͤrdiges Beyſpiel/ welchem des Anaxar-
chus hieruͤber gefuͤhrter Beweiß ſo tieff zu Her-
tzen ging/ daß er bittere Thraͤnen daruͤber ver-
goß.
Nach Betrachtung dieſer Bilder/ fuhr der
Fuͤrſt Zeno fort/ zeigte uns der Prieſter ein in
dem Tempel haͤngendes Muſter des groſſen
Weltbaues/ daruͤber ich mich zum hoͤchſten ver-
wunderte. Denn nach dem ich zumeinem Lehr-
meiſter einen Chaldeiſchen Sternſeher/ einen
Griechiſchen Weltweiſen/ und einen Egyptiſchẽ
Prieſter gehabt/ bin ich vom erſten unterrich-
tet worden/ daß die Erde der Mittel-Punct
der Welt ſey/ und dieſe lieffe im erſten Circkel
der Monde/ im andern Mercur/ im dritten Ve-
nus/ im vierdten die Sonne/ im fuͤnften Mars/
im ſechſten Jupiter/ im ſiebenden Saturn
herumb. Eben dieſes faſt hat mich der Platoni-
ſche Weltweiſe gelehrt/ auſſer daß er die Son-
ne in andern/ den Mercur in dritten/ die Venus
in vierdten Circkel ſetzte. Der Egyptiſche
Prieſter hat in dem mich nur etwas ſonders
bereden wollen/ daß die Sonne zwar im an-
dern Circkel umb die Erde lieffe; aber Mercur
und Venus rennten nicht umb die Erde; ſon-
dern ihre zwey Circkel/ derer innerſten Mer-
cur/ den aͤuſerſten Venus inne hielte/ gingen
mit ihrem Lauffe umb die Sonne/ als ihre
Trabanten/ welche ſich keinmal weit von ihr
entferneten. Jn dieſem Welt-Geſtelle
aber war alles verruͤckt. Denn der Mittel-
Punct war die Sonne/ umb dieſe lieff im er-
ſten Kreiſſe Mercur/ im andern Venus/ im
dritten rennte die von mir fuͤr den unbe-
weglichen Mittel - Punct gehaltene Erde/
und umb dieſe in einem abſondern kleinen Cir-
ckel der Monde herumb. Den vierdten Kreiß
hatte Mars/ den fuͤnften Jupiter/ umb wel-
chen
[576]Fuͤnfftes Buch
chen in vier Circkeln vier Sternen umblieffen/
den ſechſten Saturn/ umb den in zwey Circkeln
zwey Sterne umbeileten/ inne. Mein Vor-
witz trieb mich dem Prieſter einzuhalten/ daß
es ja wider den Augenſchein lieffe/ wenn man
die taͤglich auf- und nieder gehende Sonne
unbeweglich machen/ die Erde aber/ auſſer
dem Mittel-Puncte der Welt/ welches aus
denen rings herumb darauf fallenden ſchwe-
ren Dingen zu ermeſſen waͤre/ ruͤcken wolte.
Wie ſolten auch auf der wanckenden Erde
Menſchen und Thiere ſicher ſtehen/ oder dar-
aus ſo viel Baͤume und Pflantzen wachſen/ da
ſie ſich bewegen ſolte/ nachdem das Weſen/ in
welches die Kraͤfften aller Geſtirne einfluͤſſen
ſolten/ ja ruhig ſeyn muͤſte? Der Prieſter ant-
wortete mir laͤchelnde: Jch ſolte meinen bloͤden
Augen nicht zutrauen/ das Mittel des uner-
maͤßlichen Welt-Gebaͤues zu erkieſen/ welches
ſie ohne ein Circkel-Maaß in keinem Kreiſſe
eines Fingers lang ſo genau treffen koͤnten.
Meinen falſchen Augenſchein die Bewegung
der Dinge zu unterſcheiden/ ſolte ich aus ei-
nem Schiffe wahrnehmen/ da mich beduͤncken
wuͤrde: Das Ufer fliehe fuͤr mir/ und ich nicht
fuͤr ihm. So geſchehe auch die Bewegung
der Erde in viel mehrer Gleichheit/ als eines
Schiffes bey dem beſten Winde/ darinnen
alles ſo unverruͤckt bliebe/ wenn es auf der
See fort ſegelte/ als wenn es im Hafen an-
gebunden ſtuͤnde/ ob ſchon die Erde wohl
mehrmals ſich erſchuͤtterte/ offtmals nicht nur
Berge einbraͤchen/ ſondern auch an einen
fernen Ort gar fortgeſetzet wuͤrden. Und
die/ welche gantze Jahre auf dem Meere ſich
herumb ſchuͤttelten/ wuͤrden ſich uͤber keinen
Abgang der einfluͤſſenden Sterne zu beſchwe-
ren/ vielmehr aber zu bezeugen haben/ daß
in denen darauf ſtehenden Gefaͤſſen die irren-
den Pflantzen nichts minder als die in der
groſſen Erdkugel eingewurtzelt waͤren/ wuͤchſen.
Uber dis haͤtte nicht nur die Erde/ ſondern
auch die Sonne und alle Sternen ihren ab-
ſonderen Mittel-Punct/ in welchen alles zu-
ruͤck fiele/ was aus ihr empor kommen waͤre.
Hingegen waͤre es nicht allein moͤglicher und
der Vernunfft gemaͤſſer/ daß die Erdkugel
alle vier und zwantzig Stunden ſich umb ſei-
nen Wuͤrbel umbwendete/ alle Jahre aber ein-
mal umb die Sonne herumb lieffe; als daß
dieſes unbegreifflich-groſſe Geſchoͤpfe und ſo
viel tauſend unmaͤßliche Geſtirne ſich ſo ge-
ſchwinde/ als es menſchlicher Verſtand nicht
faſſen kan/ umbrennen ſolten; ſondern es wuͤr-
de nach fortgeſetztem Grunde/ daß die Welt
hier wahrhaftig abgebildet waͤre/ die Rech-
nung mit der Bewegung der Sternen/ der
Mond- und Sonnen-Finſternuͤſſe viel genauer
eintreffen.
Wie wir nun/ ſagte Zeno/ mit unſer Ver-
wunderug dieſes Prieſters Unterricht fuͤr eine
unzweifelbare Wahrheit anzunehmen ſchie-
nen/ gab er uns Anlaß das Gewoͤlbe des
Tempels genauer zu betrachten/ und zu ſchau-
en: Ob das daran gebildete Geſtirne mit un-
ſern geſtirnten Himmels - Kugeln uͤberein
treffe? Jch ward aber bald gewahr/ daß die
mir bekandten 48. oder 50. him̃liſchen Bilder
unzehlich viel mehr Sternen in ſich hatten/ in-
dem meine Lehrmeiſter mit dem Ptolemeus ihreꝛ
nur 1022. gezehlet. Jnſonderheit nahm ich
in dem neblichten Theile des Orions ihrer
zwoͤlff/ zwiſchen ſeinem Guͤrtel und Degen
achzig/ zwiſchen ſeinen Schenckeln mehr als
fuͤnf hundert/ in der Krippe ſechs und dreiſſig/
umb das Sieben-Geſtirne vierzig/ und in
allen Zeichen eine groſſe Menge neuer Ster-
nen wahr; in der Milch-Straſſe war die
Zahl unzehlbar/ und der Prieſter verſi-
cherte mich/ daß im einigen Orion mehr
Sternen/ als man ihrer ins gemein
am
[577]Arminius und Thußnelda.
am gantzen Himmel zehlte/ ja ihrer in dieſer
Straſſe allein uͤber hundert tauſend waͤren; de-
rer keiner doch ſo wenig als das kleineſte Aeder-
lein in dem menſchlichen Leibe umſonſt geſchaf-
fen/ ſondern in der Welt ſeine abſondere Wuͤr-
ckung/ ja iedes Kraut ſeinen eigenthuͤmlichen
Stern haͤtte. Jch erſtarrte aber/ als er mir
gegen Sud funfzehn gantz neue Sternbilder/
davon ich vorhin nichts geſehen noch gehoͤret
hatte/ zeigte. Daher ich fuͤr groſſer Begierde
alſofort ihre Nahmen zu wiſſen verlangte/ aber
zur Antwort bekam: Es wohnte in dieſem
Tempel weder Heucheley noch Ehrgeitz/ welche
ſich nicht vergnuͤgten/ Huren/ Ehebrecher/
Moͤrder in Marmel und Helffenbein zu bilden/
ſondern ſie auch nebſt wilden Thieren unter die
Sternen verſetzt haͤtten; daher haͤtten auch we-
der dieſe noch andere Sternen in dieſem Tem-
pel ſo irrdiſche Nahmen/ noch ſo eitele Einthei-
lung; Er koͤnte aber aus ihrem Stande leicht
wahrſagen/ daß man mit der Zeit Schlangen/
Fluͤſſe/ Fliegen/ Fiſche/ Dreyecken/ Thiere/
Kraͤhen/ Phenixe/ Pfauen und andere Gefluͤ-
gel daraus machen wuͤrde. Er machte auch
unter dieſen Sternen/ welche insgemein fuͤr un-
bewegliche in einen Cryſtallenen dichten Him-
mel eingeſchraubte Coͤrper hielte/ aber in der da-
ſelbſt durchdringlichen dinneſten Lufft eben ſo
wol ihre richtige/ wiewol unſern entfernten Au-
gen unſichtbare Bewegung haͤtten/ nur nach ih-
rem Weſen und Eigenſchafften einen Unter-
ſcheid/ daß etliche rechte Sonnen/ unter denen
der Sirius die groͤſte/ waͤren/ welche die um ſich
herum irrenden wiewol in unſer Geſichte nicht
fallende/ und von unſerer Sonne zu erleuchten
unmoͤgliche Monden mit ihrem Lichte betheil-
ten/ auch aus ihren feurigen Ausdampffungen
viel durchſichtige Schwantz- und Haar-Sterne
zeugeten/ wiewol man ihren Schwantz und
Haare nicht ſo wie unter denen Jrrſternen er-
kieſen koͤnte; weil ſie mehr als hundert mal wei-
ter von der Sonne/ als die Sonne von der Er-
den ſtuͤnden. Dieſe Weite verurſachte gleich-
fals/ daß nachdem dieſe ſtillſtehenden Sternen
ſich zwar nicht von Oſt gegen Weſt alle Tage
umwendeten; Gleichwohl aber der gantze ge-
ſtirnte Himmel jaͤhrlich ein gutes Stuͤck von
Weſt gegen Oſt/ wie die Erdkugel alle Tage
fortruͤckte/ man kaum in hundert Jahren ſolche
Fortruͤckung mit den Augen vermerckte. Deſ-
ſen waͤre ein klares Zeugnuͤß der mitternaͤchtige
Angelſtern/ welcher ſich kaum drey Himmels-
Staffeln weit um ſeinen Mittelpunct zu dre-
hen ſchiene; Da doch dieſer enge Umkreiß in
Warheit mehr als der Zirckel des Mars in ſich
begrieffe. Aus welchen Geſchoͤpffen wir die
Unermaͤßligkeit des ewigen Schoͤpffers/ wel-
cher iſt der rechte Mittelpunct der gantzen Na-
tur/ und der vernuͤnfftigen Seele ermeſſen/ und
alſo wie die vernunfftloſen Dinge nach ihrem/
alſo ſo viel mehr wir/ in derer Gemuͤthern Gott
ein ſo groſſes Licht des Verſtandes aufgeſteckt
haͤtte/ nach unſerm Mittelpunctuns ziehen ſol-
ten.
Wir hatten uns uͤber dem unzehlbaren Ge-
ſtirne ſchier muͤde geſehen/ als der Prieſter uns
wiederum zum Altare fuͤhrte/ und uns das Mar-
melbild des Scythiſchen Koͤnigs Prometheus
zeigte/ welches mit beyden Haͤnden die zwey
Hoͤrner deſſelben faßte/ die Augen aber ſtarr auf
die Sonnen-Kugel richtete. Dieſer/ ſagte der
Prieſter/ iſt es/ der auf dieſem hohen Gebuͤrge
ſein gantzes Leben in Betrachtung der Sonne
und Sternen/ gleich als wenn er nach jenes
Weltweiſen Meinung hierzu alleine geſchaffen
waͤre/ zubracht haͤtte; worvon das Getichte ent-
ſprungen waͤre/ daß er auf dem Caucaſus vom
Mercur an eine ſteinerne Saͤule gefaͤſſelt wor-
den. Dieſer Steinfels waͤre die Saͤule/ ſeine
himmliſche Gedancken waͤren die Feſſel/ und
er habe einem hierbey niſtenden Adler/ wenn er
ſich auſſer ſeinem Geſichte in die Hoͤhe geſchwun-
gen/ mißgegoͤnnet/ daß er nicht/ wie dieſer un-
verſtaͤndige Vogel/ dem Geſtirne naͤher kom-
Erſter Theil. D d d dmen
[578]Fuͤnfftes Buch
men koͤnte. Dieſes waͤre der Adler/ welcher
ihm taͤglich ſein Eingeweide gefreſſen zu haben
gedichtet wuͤrde. Hier habe Prometheus nicht
nur durch den Augenſchein/ wie in denen nie-
drigern Wolcken aus dem Dampffe der ſchwef-
lichten Duͤnſte und ſalpetrichten Feuchtigkeiten
Donner und Blitz gezeuget wuͤrde/ ſondern
auch durch ſein tieffes Nachſinnen und kuͤnſtli-
che Schau-Glaͤſer die Eigenſchafften der Ster-
nen/ und den Abgrund der hellen Himmels-
Lichter erforſchet/ und andern Menſchen ent-
decket. Deßhalben haͤtte die Nachwelt fuͤrge-
geben: Er waͤre durch Huͤlffe der Minerva in
Himmel geſtiegen/ haͤtte an dem Wagen der
Sonne eine Ruthe angezuͤndet/ und hiermit das
Feuer auf den Erdbodem bracht.
Uber dieſer Unterred- und Betrachtung des
Tempels/ war der Abend nahe herbey kommen/
und wir haͤtten daruͤber ſchier des Eſſens ver-
geſſen/ wenn uns der Prieſter nicht ein gutes
Theil den Berg hinab in eine zu ſeinem Auf-
fenthalt dienende Hoͤle/ zu ſeiner gewoͤhnlichen
Kraͤuter-Speiſe eingeladen/ und mit dem koͤſt-
lichen Waſſer eines daſelbſt aus einem rothen
Felſen entſpringenden Brunnens erqvicket
haͤtte; welches uns in Warheit beſſer ſchmeckte/
als das Waſſer aus dem Fluſſe Lynceſtis/ das
wie der Wein truncken machen ſoll; oder auch
aus dem Brunnen des Bacchus ſelbſt/ wenn es
ſchon den ſiebenden Tag geweſt waͤre/ da er alle-
mahl mit Wein qvellen ſoll. Hertzog Herr-
mann fing an: Es iſt gleich Zeit/ daß wir auch
unſer deutſches Waſſer koſten. Denn der Graf
von Leuningen hatte dem Feldherrn gleich an-
gemeldet/ daß auff ſeinen Befehl in des Zeno
Vorgemach die Taffel/ und zwar dem noch
ſchwachen Zeno zu Liebe auf Roͤmiſche Art be-
reitet waͤre/ daß ieder Gaſt ſich zur Taffel auff
einem Bette legte. Hier mit verfuͤgte ſich die
ſaͤmtliche Verſammlung dahin. Der Feld-
herr entſchuldigte bald anfangs/ daß zwar der
Tiſch/ aber nicht die Geruͤchte nach Roͤmiſchem/
weniger nach Aſiatiſchem Uberfluſſe bereitet
ſeyn wuͤrde. Sintemal er ſelbſt zu Rom geſe-
hen/ daß bey einer Mahlzeit zweytauſend ſeltza-
me Fiſche/ und ſieben tauſend Voͤgel aufgeſetzet
worden waͤren. Die Perſiſchen Koͤnige aber
ſolten auf ein Abend-Eſſen viertzig Talent auf-
wenden/ und tauſend Thiere abſchlachten laſſen.
Denn die Deutſchen waͤren nicht gewohnt/ wie
dieſe wolluͤſtige Fuͤrſten/ in die Welt Ausſpuͤrer
niedlicher Speiſen auszuſenden/ noch groſſe
Silber-Preiſſe fuͤr die Erfinder neuer Wolluͤſte
aufzuſetzen/ ſondern hielten vielmehr dafuͤr/ daß
der Geruͤchte Uberfluß Eckel verurſachte/ und
das Eſſen hinderte. Hierauf ward zum erſten
von friſchen Neun-Augen vor gelegt; Erato/
welche ihr Lebtage keine ſolche Fiſche geſehen/
hatte Bedencken ſie anzunehmen/ und fing an:
was ſie mit dieſen Wuͤrmen machen ſolte? Rhe-
metalces/ ob ſie ihm gleich eben ſo fremde waren/
fing laͤchelnde an: Es waͤre nichts ungemei-
nes/ daß man Wuͤrmer aͤſſe. Seine Nach-
baꝛn/ die Thracier/ hielten die weiſſen Holtzwuͤr-
mer mit den ſchwartzen Koͤpffen fuͤr Leckerbiß-
lein. Flavius ſetzte bey: Und die Africaner
nicht nur die Heuſchrecken/ ſondern auch die
gruͤnen Heydaͤchſen. Zeno beſtaͤtigte es/ und
meldete/ daß ſie um den Berg Athos die Nat-
tern aͤſſen/ und deßhalben insgemein biß hun-
dert und viertzig Jahr zu leben glaubten. Die
Candeer in Africa ſpeiſeten auch meiſtentheils
Schlangen. Nachdem aber der Feldherr die
Fremden verſicherte/ daß die Neun-Augen Fi-
ſche waͤren; genaſſen ſie ſelbte mit ſonderbarem
Vergnuͤgen. Noch vielmehr aber hielten ſich
Zeno und Erato an die aufgeſetzten Biber-
Schwaͤntze und Klauen/ welche ſie fuͤr die koͤſt-
lichſte Speiſe des Euxiniſchen Meeres/
Deutſchland aber fuͤr das rechte Vaterland der
ſeltzamſten Koͤſtligkeiten hielten; als ſie Aeſchen/
uñ ein Stuͤcke von einem Stoͤr auftragen ſahen/
und ſelbten aus denen gegen den Kopf gekehrten
Schupffen erkenneten. Rhemetalces fing auch
an:
[579]Arminius und Thußnelda.
an: Es haͤtte diß ſchoͤne Stuͤcke wol verdienet/
daß ſein Kopf wie zu Rom mit einem Krantze/
und von bekraͤntzten Schallmeyern waͤre aufge-
tragen worden. Wie denn auch die Beotier
die Aale mit Kraͤntzen ziereten/ und ſie ihꝛen Goͤt-
tern opfferten. Rhemetalces hatte kaum aus-
geredet/ als man auf des Feldherrn Winck ei-
ne Schuͤſſel rothe Aale aufſatzte; Welches die
fremde Gaͤſte noch mehr verwundernd machte.
Hertzog Herrmann aber befahl einem ieden
Gaſte eine Schale mit einem koͤſtlichen am
Fluſſe Pathiſſus gewachſenem Weine zu ge-
ben/ und erinnerte ſie ſolche zu genuͤſſen; weil
nur die lebenden Fiſche im Waſſer/ die todten
aber in etwas heiſſerem ſchwimmen. Daher
muͤſten ſie des Fuͤrſten Zeno ſeinem Waſſer er-
theilten Ruhm fuͤr dißmal etwas miltern. Rhe-
metalces fing an: Er haͤtte gleichwol in Pan-
nonien bey Saline in bruͤh-heiſſem Waſſer-Fi-
ſche ſchwimmen ſehen. Auch ſolte das Waſſer
zur Verdaͤuung beſſer ſeyn/ als der Wein. Fuͤr-
nehmlich aber waͤre der Hunger der beſte Koch/
und der Durſt der beſte Kellermeiſter. Daher
doͤrfte man ſich nicht wundern/ daß ſchlechtes
Waſſer dem Fuͤrſten Zeno nicht nur beſſer als
der ſo hoch beſchriehne Nectar geſchmecket haͤt-
te/ ſondern auch wol bekommen waͤre. Er haͤt-
te ſich gleichfals offt darmit gelabet/ und er koͤnte
dem Pindarus ohne groſſes Bedencken enthen-
gen/ daß das Waſſer unter den Elementen/ was
das Gold unter den Metallen waͤre. Unter-
deſſen aber waͤre doch dem ſo groſſen Geſchencke
der Natur dem Saffte der edlen Reben ſein
Vorzug fuͤr dem Waſſer nicht zu entziehen/ ſon-
dern vielmehr zu enthengen/ daß der Wein eine
Milch der Alten und der Liebe/ ja ein Oel des
Lebens/ und eine Artzeney der Krancken genen-
net zu werden verdiente. Jn welchem Abſehn
Vacchus zu Athen als ein Artzt; ja ſein Ge-
waͤchſe ſelbſt in Africa fuͤr einen Gott verehret
wuͤrde. Jederman muͤſte den Wein fuͤr einen
Zunder der Hertzhafftigkeit/ und fuͤr ein heilſa-
mes Mittel wider die Traurigkeit gelten laſſen.
Dahingegen das Waſſer betruͤbt/ und etliches
gar/ wie das aus dem Brunnen Salmacis/ wei-
biſch machte. Zeno verſetzte: Er waͤre kein
abgeſagter Feind des Weines/ und hielte es fuͤr
Verleumdung/ daß einige ihn fuͤr ein im Holtze
der Reben verfaultes Waſſer ſchielten. Er
hielte ihn auch fuͤr eine Hertzſtaͤrckung/ und eine
der koͤſtlichſten Artzneyen; aber nicht fuͤr ein
dienliches Getraͤncke. Denn er grieffe die Le-
bens-Geiſter an/ erhitzte das Gebluͤte/ zerruͤtte-
te das Gehirne/ zerſtoͤrete die Fruchtbarkeit/
und ſchwaͤchte die Kraͤfften der Vernunfft. Da-
her die Griechen die Schrifften des Demoſthe-
nes dem/ was Eſchines ſchrieb/ nicht wegen ſei-
ner beſſern Geburts-Art vorzohen/ ſondern
weil dieſer Waſſer/ jener Wein tranck. Und ob
zwar hierinnen die Maßhaltung eine Graͤntz-
ſcheidung zwiſchen dem Nutzen und Schaden
ſeyn ſolte; ſo bezeugte doch die Erfahrung/ daß
dieſen Unterſcheid zu beobachten ſchwerer als die
Aus-Eckung eines Zirckels waͤre. Die uns
angebohrne Luͤſternheit ſetzte dem Glaſe der Ge-
ſundheit einen Becher der Freundſchafft bey/
und das dritte ſchenckte man zu Erfreuung des
Gemuͤthes ein. Hiermit erſchlieche uns ein
halber Satz zur Trunckenheit/ wordurch ein
Menſch ſchon nicht mehr ſeiner maͤchtig waͤre/
ſondern dem Schwelgen freyen Zaum verhien-
ge. Auf dieſe Art haͤtte die Trunckenheit ſich
gantzer Voͤlcker bemaͤchtiget/ daß ſie bey ihnen
den Nahmen der Sitten/ und das Vermoͤgen
viel zu trincken den Ruhm einer Tugend er-
langt. Da doch der Menſch dardurch ſich gleich-
ſam zu was aͤrgerm/ als einem Vieh machte;
ſintemal/ kein Thier auſer dem Menſchen/ ohne
und uͤber den Durſt trincke. Daher die Roͤmer
allen Weibern/ die Carthaginenſer allen Krie-
gesleuten das Weintrincken ſo ſcharf verboten/
daß es bey ihnen dem Ehebruche/ bey dieſen der
Verraͤtherey gleiche geſtrafft ward. Pytha-
goras haͤtte die/ welche ſich des Weines nicht
D d d d 2gaͤntz-
[580]Fuͤnfftes Buch
gaͤntzlich zu enthalten gewuͤſt/ aus ſeiner Schule
geſtoſſen; und Pittalus ein Geſetze gegeben/
daß ein in der Trunckenheit begangenes Laſter
zweyfach geſtrafft werden ſolte. Jn den Opf-
fern der Sonne/ welche doch dieſen Safft ſelbſt
allein kochte/ und zubereitete/ waͤre es nicht zu-
laͤßlich einigen Tropffen Wein beyzumiſchen/
und in den Tempel der Juno dorfte man keinen
dem Bacchus gewiedmeten Epheu bringen;
Zu einer heilſamen Lehre/ daß inſonderheit
Fuͤrſten/ und die/ welche uͤber andere Menſchen
Aufſicht haben/ ſich deſſen zu enthalten haͤtten.
Daher der groſſe Alexander mit ſeinem Heere
einen weiten Umweg genommen haͤtte/ wor-
mit er es nicht uͤber den weinreichen Berg Ny-
ſa fuͤhren doͤrfte/ weil er ſolches unverſehrt daruͤ-
ber zu bringen nicht getrauete Denen uͤber die
Geſetze ſonſt erhabenen Koͤnigen in Jndien
waͤre der Wein durch ein Geſetze verboten/ und
ein Weiſer haͤtte den Weinberg nachdencklich
die Haupt-Stadt der Laſter genennet. Her-
tzog Herrmann laͤchelte/ wendete ſich gegen den
Hertzog Arpus/ und fing an: Jch mercke nun
allererſt/ daß Zeno ſich bey den Catten aufge-
halten/ und ihm ihre Sitten nicht uͤbel gefallen
haben muͤſſen/ welche eben ſo wenig/ als die von
ihnen entſproſſenen tapfferen Nervier in Gal-
lien einigen Wein/ als wordurch man nur wei-
biſch und zur Arbeit untuͤchtig gemacht wuͤrde/
in ihr Land zu fuͤhren bey Lebens-Straffen ver-
bieten. Hertzog Arpus antwortete: Jch be-
ſorge vielmehr/ daß ſeine Scheltung der Trun-
ckenheit nichts minder meine Catten/ als alle
andere Deutſchen zu treffen anziele. Sinte-
mal wir faſt in der gantzen Welt deßhalben
ſchwartz ſind/ es auch in Warheit wenig anders
iſt/ als daß es bey den Deutſchen keine Schande
ſey/ Tag und Nacht mit trincken zugebracht ha-
ben. Hertzog Herrmann ſetzte bey: Es iſt lei-
der wol wahr/ daß die Deutſchen im Truncke
ihre Schwaͤche zeigen. Gleichwol aber wuͤr-
dꝛ ihnen viel uͤber die Warheit beygemeſſen;
inſonderheit waͤre es eine offenbare Verlaͤum-
dung der Roͤmer/ daß ſie einen Knaben um ei-
nen Eymer Wein vertauſchten; Bey denen
Gaſtmahlen ihnen die Stirne aufritzten/ das
Blut daraus in den Wein rinnen lieſſen/ und
aus ihren Hoͤrnern zu Beſtaͤtigung ihrer
Freundſchafft einander zubraͤchten. Und ob
er wol ſeiner Landsleute Laſter nicht entſchuldi-
gen/ weniger zu Tugenden machen wolte; ſo
hielte er doch das Trincken nicht fuͤr das aͤrgſte.
Den Deutſchen waͤre angebohren/ aufrichtig
und ſtreitbar zu ſeyn. Nach des Plato Berich-
te aber/ waͤren alle ſtreitbare Voͤlcker/ als Scy-
then/ Perſen/ Zelten/ Spanier und Thracier
zum Truncke geneigt/ und die Warheit ſolte im
Weine begraben liegen. Jn welchem Abſehn
die Griechen die Sieger auf den Spielen des
Bacchus mit dreyfuͤßichten Trinck geſchirren
beſchenckten/ gleich als wenn die Trinckenden
ſo wahr/ als die Wahrſagerinnen aus dem
Dreyfuſſe des Apollo redeten. Zeno entſchul-
digte ſich in alle Wege/ daß er die Deutſchen an-
zugreiffen nie gemeint geweſt waͤre; auch nicht
glaubte/ daß ſie im Trincken allen andern Voͤl-
ckern uͤberlegen ſeyn ſolten. Die Parthen
ſuchten Ehre aus vielem Trincken/ und haͤtten
der Scythen Geſandten von ihnen geurtheilt/
daß ie mehr ſie in ſich ſchuͤtteten/ ie mehr duͤrſtete
ſie. Die Perſen haͤtten ihrem Erloͤſer dem
tapffern Darius als eine beſondere Lobſchrifft
auf ſein Grab geetzt/ daß er ohne ſein Ungemach
viel zu trincken vermocht. Der groſſe Alexan-
der haͤtte Saͤuffern ein Talent zum Siegs-
Preiſſe aufgeſetzt/ mit dem Proteus in die Wet-
te getruncken/ und durch den Wein ihm ſelbſt
den Tod verurſacht/ gleich als ſich Bacchus hier-
durch an ihm wegen Zerſtoͤrung der Stadt The-
be haͤtte raͤchen wollen. Die Sybariten hiel-
ten fuͤr Schande/ diß was ſie auff dem Bretſpie-
le gewonnen/ anders wohin/ als auf Wein an-
zulegen. Sie noͤthigten einander ſo viel mal
ihre Schalen auszuleeren/ als der Wuͤrffel ih-
nen
[581]Arminius und Thußnelda.
nen ein Geſetze fuͤrſchriebe. Sie ſchaͤmeten
ſich nicht dem ſich ausſchuͤttenden Magen Ge-
walt anzuthun/ und diß zu fuͤllen/ was die Na-
tur leer zu haben ſich muͤhte; gleich als wenn ſie
zu Verderbung des Weines gebohren waͤren/
und dieſer edle Safft nicht anders als durch ih-
ren Wanſt ausgeſchuͤttet werden koͤnte. Un-
ter dieſem verſoffenen Volcke haͤtte ſich Smin-
derydes geruͤhmet/ daß er in zwantzig Jahren
nie haͤtte geſehen die Sonne aufgehen. Bey
den Griechen waͤre das Trincken ein uhraltes
Handwerck/ und es haͤtte Homer nicht ſo eigent-
lich den Schild Achillens als das Trinck geſchir-
re des zum Truncke geneigten Neſtors beſchrie-
ben. Bey ihren Gaſtmahlen wuͤrde aus ei-
nem groſſen Keſſel iedem Gaſte durch ein abſon-
derliches Silberroͤhr ſo viel Wein zugefloͤſt/ daß
ſelten einer genung ſchlingen koͤnte. Alcibia-
des ſelbſt haͤtte nicht nur wegen ſeiner Tapffer-
keit in Schlachten/ ſondern auch im Sauffen ei-
nen beruͤhmten Nahmen erlangt. Die zwey
groſſen Weiſen Socrates und Plato waͤren von
ihrem Trincken beruffen; Arceſilaus und La-
cydes haͤtten ſich gar zu tode geſoffen/ und So-
lon waͤre hundert mal uͤber ſein eigenes Geſetze
gefallen/ darinnen er die Trunckenheit der O-
brigkeit bey Lebens-Straffe verboten. Eben
ſo ſehr waͤre dieſes Laſter bey den Roͤmern einge-
riſſen; welche allererſt eine Kunſt erfunden/ ihn
durch einen Lagerſack zu ſeigen/ alſo dem Wei-
ne ſeine Staͤrcke zu nehmen/ und ihn gleich-
ſam zu entmannen/ daß ſie deſſen nur ſo viel mehꝛ
trincken koͤnnen. Marcus Antonius haͤtte
von ſeiner Trinck-Kunſt ein gantz Buch ge-
ſchrieben. Des Cicero Sohn waͤre zu Rom
fuͤr einen ſo groſſen Saͤuffer/ als ſein Vater fuͤr
einen Redner gehalten worden. Tiberius ſelbſt
waͤre ein ſo groſſer Held in Glaͤſern/ als im Fel-
de/ und hielte den Torqvat nur wegen ſeiner ſel-
zamen Sauff-Kuͤnſte in ſeiner Beſtallung.
Rhemetalces fing an: Er ſolte ſeinen in dieſe
Zeche gehoͤrigen Thraciern nur nicht heucheln/
als bey welchen ſo wol Weiber als Maͤnner das
Volltrincken/ und ſo gar die Kleider mit Wei-
ne netzen/ den Titel des gluͤckſeligſten Lebens
verdiente. Hertzog Arpus verſetzte: ſeinem
Beduͤncken nach/ waͤre die Trunckenheit die-
ſen Voͤlckern/ welchen die Natur durch den
Weinwachs einen ſo reichen Zunder hierzu ver-
liehen haͤtte/ ehe als den Deutſchen zu verzeihen/
derer euſerſte Graͤntzen/ und zwar nur noch fuͤr
weniger Zeit durch bloſſe Luͤſternheit mit Reben
waͤren belegt worden; da die Deutſchen doch
vorhin geglaubt/ daß ſich bey ihnen ſo wenig
Wein pflantzen/ als auf dem Eylande Tenos
ſein Brunnwaſſer ſich mit Weine vermengen
lieſſe. So aber haͤtten die Deutſchen mit vie-
lem Nachdencken ergruͤbelt/ wie ſie auch das
Waſſer truncken machen/ und diß alſo die Ei-
genſchafft des ſtarcken Fluſſes Erganes uͤber-
kommen moͤchte; da ſie nehmlich ihr Bier aus
Gerſten und Hopffen kochten. Welche Er-
findung alleine ſeinen Wunſch zuruͤcke hielte/
daß alle Waſſer in der Welt die Eigenſchafft
des Clitoriſchen Brunnes haben moͤchten/ deſſen
der/ der nur einmal daraus getruncken haͤtte/
nicht einmal den Wein ruͤchen koͤnte. Jedoch
wolte er gerne zu frieden ſeyn/ wenn die Deut-
ſchen ſich mit den Koͤnigen in Perſien vergnuͤ-
gen wolten/ welche ſich des Jahres nur einmal
an dem Feyer ihres Gottes Mithra voll trin-
cken dorften. Antiochus in Syrien/ und My-
das in Phrygien haͤtten gantze Brunnen mit
Weine angefuͤllt/ wormit jener ſeinen Uberfluß
zeigen/ dieſer den Silenus berauſchen koͤnte.
Alles diß aber waͤre Kinderſpiel gegen der Ver-
ſchwendung des Seriſchen Koͤnigs Rieus/ mit
welchem auch der erſte koͤnigliche Stammbaum
Hiaa untergegangen. Denn er haͤtte einen
groſſen/ und zur Schiffarth faͤhigen Teich gra-
ben/ und mit Weine fuͤllen laſſen; woraus im-
mer wechſelsweiſe drey tauſend Menſchen auff
Hundes-Art ſauffen/ und hernach im nechſten
Walde die an die Baͤume gehenckten und ge-
D d d d 3brate-
[582]Fuͤnfftes Buch
bratenen Ochſen/ Hirſche und wilde Schweine
verzehren muͤſſen. Zeno fing an: Hertzog
Arpus erinnerte ihn durch ſein Verlangen der
Maͤßigkeit deſſen/ was die Serer von ihrem
unvergleichlichen Koͤnige Yvus ruͤhmten; daß/
als ſie ihm den neuerfundenen aus Reiß gemach-
ten koͤſtlichen Tranck zu koſten gebracht/ klaͤg-
lich geruffen haͤtte: Wehe meinem Stamme
und dem Koͤnigreiche/ welche beyde durch dieſes
ſuͤſſe Gifft vergehen werden! Rhemetalces ſag-
te: Derogeſtalt ſind die Deutſchen nicht die er-
ſten/ oder wenigſtens nicht alleine/ die ihnen
neue Traͤncke erdacht haben. Denn uͤber die
Serer kochten die Mohren aus Hierſe/ die
Pannonier/ Spanier und Egyptier aus Wei-
tzen eben dieſes Getraͤncke/ welche letztern es
gar von ihrem Oſiris gelernt haben wolten.
Seine Thracier machten aus Geſaͤme gewiſſer
Kraͤuter/ die Babylonier aus Pflaumen/ die
Jllyrier aus Baumknoſpen/ die Jndianer aus
Datteln und Zucker-Rohre/ die Africaner aus
Granat-Aepffeln ſtarcke Getraͤncke. Ja die
Scythen trincken ſich auch durch den Rauch ge-
doͤrreter Kraͤuter voll. Hertzog Herrmann
ſetzte bey: Dieſe Einzieh- und Ausblaſung des
Rauches waͤre fuͤrnehmlich in dem Atlantiſchen
Eylande gemein/ woher ſie die Frieſen auch in
die Waſſer-Laͤnder Deutſchlandes gebracht haͤt-
ten; und wuͤſte er nicht/ ob die Atlantier von den
Scythen/ oder dieſe von jenen/ dieſen duͤrren
und ſtinckenden Tranck bekommen haͤtten.
Am allerſelzamſten aber waͤre/ daß die Einwoh-
ner des Eylands Thule ihren Fiſchthran/ oder
die von den Wallfiſchen geſchmeltzte Fettigkeit
allen Weinen der Welt weit fuͤrziehen. Sonſt
aber muͤſte er nur von ſeinen durſtigen Deut-
ſchen geſtehen/ daß ſie zu Unterhaltung der
Trunckenheit noch aus gepreſten Aepffeln und
Honige einen ſtarcken Meth jaͤhren lieſſen; zu
ihrem gemeinſten Getraͤncke aber Milch und
Waſſer brauchten. Dieſe zwey/ ſagte Zeno/
ſind ſonder Zweiffel wol die aͤlteſten/ und daher
auch die geſuͤndeſten Traͤncke. Maſſen denn
der Wein ſo gar von eingemiſchtem bittern
Meer-Waſſer/ oder wenn man die mit Moſt
gefuͤlleten Faͤſſer eine weile im Meere ſchwim-
men laͤſt/ beſſer werden ſoll. Thales Mileſius
haͤlt das Waſſer gar fuͤr den Uhrſprung aller
Dinge/ die Egyptier fuͤr einen Gott/ und die
meiſten Voͤlcker verehren die warmen Brun-
nen/ und die Qvelle groſſer Fluͤſſe. Ja in dem
Heiligthume des Clariſchen Apollo/ wie auch
des zu Colophon macht das aus ſeiner Hoͤle ge-
trunckene Waſſer auch die ungelehrten Prieſter
ſo geſchickt/ daß ſie in gebundener Rede aufs
zierlichſte wahrſagen. Seine Artzney-Kraͤff-
te ſind nicht zu zehlen. Daher Melampus die
Vermiſchung des Weines mit dem Waſſer auf-
bracht hat; und ſein Genuͤß iſt ſo kraͤfftig/ daß
nicht nur die Heuſchrecken davon alleine leben/
ſondern auch viel Menſchen/ ohne andere Spei-
ſe/ ſich lange erhalten haben. Denn wie Phi-
linus von lauter Milch; alſo haben Moſchus/
Anchimolus und Lamprus von eitel Waſſer ne-
ben wenig Feigen und Myrthen-Fruͤchten ge-
lebt. Der Feldherr fing hieruͤber an: Er waͤ-
re ebenfals nicht nur ein Freund/ ſondern auch
ein Koſter der Waſſer; wiewol niemand eines
oder des andern Guͤte durch den Geſchmack beſ-
ſer als die/ welche keinen Wein trincken/ zu un-
terſcheiden wuͤſten; Es waͤren aber die Mei-
nungen von Geſundheit derſelben ſo unterſchie-
den/ daß er ſich nicht recht daraus zu wickeln
wuͤſte. Die Griechen ruͤhmten das Attiſche/
die Perſen ihr Euleiſches/ die in Aſien das Do-
nyleiſche/ die Phrygier ihr warmes bey Tra-
gaſta/ die Sicilier ihr kaltes im Brunnen Are-
thuſa/ die Sarmater ihr dinnes im Boryſthe-
nes/ die Stadt Niſſa ihr fettes Waſſer/ welches
ſie ſo gar an ſtatt des Oeles brauchten/ fuͤr das
beſte. Zwar waͤren die Waſſer aus ſchlam-
michten und gegrabenen Brunnen/ wie auch
die Salpeter- und ſaltzichten/ und die das Ertzt
angreiffen/ oder langſam das Geſaͤme kochten/
wie
[583]Arminius und Thußnelda.
wie auch das ſtilleſtehende verwerflich. Daher
die Corinther aus dem eißkalten Brunnen beym
Contoporiſchen Vorgebuͤrge das Waſſer nicht
ehe trincken/ als biß es ziemlich weit aus ſelbtem
hervor gefloſſen waͤre. Und das koͤſtliche A-
chilliſche Waſſer bey Milet ſolte/ wenn es ſtille
ſtehen muͤſte/ ſaltzicht werden; Das unterirrdi-
ſche aber/ welche die Sonne nie beſchiene/ taugte
noch weniger; alſo/ daß in Cappadocien das ge-
ſuͤndeſte Waſſer/ welches gleich ſtehende gut blie-
be/ verduͤrbe/ wenn es unter die Erde lieffe. E-
ben ſo wenig hielte man von den faͤrbichten.
Denn wie der rothe Wein/ der gelbe Honig/
das gruͤne Oel/ der ſchwartze Balſam/ alſo waͤre
das Milch-weiſſe Waſſer auch das beſte. Ja
auch den wolruͤchenden Brunn in Meſopota-
mien zu Cabura wolten wenig loben; weil eben
ſo wol das gar nichts ruͤchende/ als das nichts
ſchmeckende Waſſer das beſte ſeyn ſolte. Her-
tzog Malovend beſtaͤtigte es/ und zohe als was
merckwuͤrdiges an/ daß da die Sonne ſonſt das
Waſſer ſo ſehr verbeſſerte/ gleichwol das von de-
nen Sonnenſtrahlen empor gezogene/ und her-
nach aus der Lufft herab fallende ſo wenig nuͤtze
waͤre. Sintemal das aus Schnee und Schloſ-
ſen zerlaſſene ſo gar eine Gifft bey ſich haben/ der
Tau die Kraͤtze verurſachen/ das Regenwaſſer
aber wegen bey ſich habenden Schlammes am
geſchwindeſten faulen/ und alſo auf die Schiffe
nichts taugen ſolte. Alleine dieſe geſchwinde
Faͤulnuͤß/ verſetzte Jubil/ halten viel Aertzte fuͤr
ein Merckmal ihrer Heilſamkeit. Daher ſie
das Regenwaſſer etliche mal mit Fleiß faulen
laſſen/ und allemal reinigen/ alſo hernach ſol-
ches fuͤr geſuͤnder/ als alle andere ruͤhmen. U-
berdiß haͤtten die Alten/ inſonderheit aber/ wenn
ſie truncken geweſt/ Schnee zu trincken/ oder
auch ſolchen mit Weine zu vermiſchen/ groſſes
Belieben gehabt. Des groſſen Alexanders
Taffel waͤre niemals leer davon geweſt; und
haͤtte er im heiſſen Jndien/ bey Belaͤgerung der
Stadt Petra/ in dreißig mit Eichenem Laube
bedeckten Gruben den Schnee zu ſeinem Ge-
traͤncke aufs ſorgfaͤltigſte verwahren laſſen. Es
waͤre diß nichts altes/ antwortete Hertzog Herr-
mann/ indem er zu Rom etliche hundert Eiß-
Gruben und Behaͤltnuͤſſe des Schnees geſe-
hen/ welchen zu erhalten die Spreu eine deßhal-
ben ſo viel mehr wunderwuͤrdige Eigenſchafft
haͤtte; weil ſie in ſich durch ihre Waͤrmde das
unzeitige Obſt reif machte. Den Schnee aber
und das Eiß brauchten die Roͤmer bey ihren
Mahlzeiten/ nicht nur des Sommers den
Wein damit in Flaſchen aufzufriſchen/ ſondern
ſie wuͤrffen beydes/ und zwar auch im Winter/
nach dem ſie die vom Rooſte noch gluͤhenden
Biltze oder andere ſcharf gepfefferte Speiſen ſie-
dendheiß veꝛſchlingen/ in ihꝛ Getraͤncke/ wormit
ſie mit dem noch unzergangenen Eiß und
Schnee ihre erhitzte Magen abkuͤhleten. Ja
es waͤre diß nicht etwan was beſonders groſſer
Leute zu Rom/ ſondern der Poͤfel waͤre auch ſo
luͤſtern/ daß der Schnee ihme zur Unzeit eine
Wuͤrtze ſeiner Uppigkeit abgeben muͤſte. Wor-
durch man denn daſelbſt eine Gelegenheit aus-
geſonnen haͤtte/ das gemeine Waſſer zu kauffen;
nachdem es dieſer wucherſuͤchtigen Stadt ver-
druͤßlich waͤre/ daß man die Lufft/ die Sonne/
oder ſonſt etwas umſonſt haben ſolte. Allein es
waͤren alles diß nur Erfindungen der ver-
ſchwenderiſchen Wolluſt/ welche ihrer Luͤſtern-
heit ſo wol das Leben und die Geſundheit willig
aufopfferte. Zeno fing an: ſonder allen Zweif-
fel muß dieſes kalte Getraͤncke die natuͤrliche
Waͤrmde ſehr daͤmpffen/ und die Rohigkeit des
Eiſes und Schnees ſehr ſchaͤdlich ſeyn; wo es
anders wahr iſt/ daß die gekochten Waſſer am
geſuͤndeſten ſind/ die Schmertzen der Wunden
ſtillen/ und daß auch die ſchaͤdlichen Waſſer/
wenn man ſie halb einſieden laͤſt/ trinckbar wer-
den. Ja ich halte nichts geſuͤnders zu ſeyn/ als
das Getraͤncke der Seren/ welche nichts als uͤ-
ber ein gewiſſes Kraut ſiedend-heiß gegoſſenes
Waſſer/ ſo warm es ihr Gaumen und Zunge
ver-
[584]Fuͤnfftes Buch
vertragen kan/ niemals aber nichts kaltes trin-
cken/ und daher auch nicht einſt die Nahmen der
Darm- und Glieder-Gicht/ des Steines/ und
etlicher anderer unſerer ſchmertzhaffteſten
Kranckheiten kennen. Hertzog Herrmann
wunderte ſich hieruͤber/ und fragte: Ob ſich denn
mit ſo heiſſem Getraͤncke der Durſt wol leſchen
lieſſe? und wie es den Auslaͤndern zuſchluͤge?
Beydes gar wol/ antwortete Zeno; und haͤtte
ihm hernach die Aenderung vom warmen zum
kalten/ als die erſte vom kalten zum warmen Ge-
traͤncke viel baͤnger gethan. Sonſt haͤtten ſie
in Aſien wol auch eine gute Art/ daß ſie gutes
Waſſer abkochten/ hernach in Brunnen oder
Hoͤlen abkuͤhleten; aber es kaͤme der Seriſchen
nichtbey. Ja/ ſagte Flavius/ auch zu Rom
wird diß itzt fuͤr eine tiefſinnige Erfindung ge-
halten/ daß ſie/ um den ſchaͤdlichen Beyſatz des
gemeinen Schnees und Eiſes abzuſondern/ ab-
gekochtes Waſſer in Glaͤſern zu Eiß oder
Schnee gefrieren laſſen/ und ſodenn in anderm
Getraͤncke mit genuͤſſen; auch glauben/ daß es
ſo denn nicht nur geſuͤnder/ ſondern das gekoch-
te Waſſer viel ſchneller gefriere/ im Gewichte
leichter ſey/ auch viel kaͤlteres Eiß daraus wer-
de. Solte denn aber/ fragte Fuͤrſt Catumer/
ein Waſſer leichter als das andere/ und zwar das
leichtere das geſuͤndeſte ſeyn? An dem erſten/
antwortete Rhemetalces/ iſt nicht zu zweiffeln;
das Waſſer des Boriſthenes ſchwimmt im Fluſ-
ſe Hippanis ſeiner Leichtigkeit halber augen-
ſcheinlich oben; das Pangaiſche iſt im Winter
um ein dritte Theil ſchwerer als im Sommer.
Und die Griechen/ welche auff einer gewiſſen
Waſſer-Wage alle Waſſer in Griechenland
gewogen/ haben das Waſſer im Brunnen Pi-
rene das leichteſte zu ſeyn befunden. Es mei-
nen zwar etliche/ antwortete der Feldherr/ daß
weil das Eretriſche gute/ und das Amphiarati-
ſche boͤſe Waſſer einerley Schwere haͤtte/ nicht
das Gewichte/ ſondern diß das gewiſſeſte Kenn-
zeichen geſunden Waſſers ſey/ wenn ſelbtes ge-
ſchwinde warm/ und bald wieder kalt wuͤrde/ o-
der im Winter lau/ im Sommer Eiß-kalt waͤ-
re. Aber die meiſten pruͤfften ſeine Guͤte aus
der Leichtigkeit/ als einem Merckmale/ daß es
keinen irrdiſchen Beyſatz habe. Daher denn
das Fluͤßwaſſer denen Brunnen/ fuͤrnehmlich
aber den felſichten Qvellen vorzuziehen waͤre.
Unter den Fluͤſſen aber verdienten den Preiß/
welche/ wie unſere geſunde Donau/ von Abend
gegen Morgen lauffen/ weil dieſe die Sonne
fuͤr andern herrlich laͤuterte und leichter machte.
Ja/ ſagte Rhemetalces/ deßhalben laſſen die Koͤ-
nige in Thracien ihr Trinckwaſſer aus dem
Jſter bringen. Alleine die von Mittag gegen
Mitternacht lauffenden Fluͤſſe haben eben ſo ge-
ſund- oder noch geſuͤnder Waſſer. Weßwegen
die Egyptier ihr leichtes/ und nur halb ſo viel
Feuer als andere/ zu ſeiner Abkochung doͤrffen-
dendes Nilwaſſer fuͤr das geſuͤndeſte in der
Welt/ und welches ſo gar unfruchtbare Frauen
fruchtbar/ und ihre Leibes-Fruͤchte ſtaͤrcker
machte/ halten/ dieſen Strom ihren Goldfluß/
ihren Jupiter heiſſen/ und goͤttlich verehren.
Daher ſchickte Ptolomeus Philadelphus ſeiner
dem Antiochus verheyratheten Tochter Bere-
nice das Nil-Waſſer ſtets in Aſſyrien mit groſſen
Unkoſten zu. Zeno verſetzte: die Perſier hal-
ten gleichwol das Waſſer ihres Fluſſes Cho-
raſpes bey Suſa noch viel leichter und beſſer/
welches nicht nur der Koͤnig alldar trincket/ ſon-
dern auch abgekocht auf ſeine ferneſte Reiſen in
ſilbernen Gefaͤſſen auff Maul-Thieren mit ſich
fuͤhren laͤſt. Hertzog Malovend brach ein: Er
haͤtte ſich berichten laſſen/ daß die Perſiſchen Koͤ-
nige ihr gruͤnes Waſſer/ welches nur ſie und ih-
re aͤlteſten Soͤhne trincken doͤrfften/ aus Brun-
nen ſchoͤpfften. Zeno antwortete: Es koͤnte
beydes wol beyſammen ſtehen/ und wuͤrden die-
ſe wolluͤſtige Koͤnige ihr Getraͤncke zweiffels-
frey nicht ſeltener/ als ihr Hof-Lager veraͤndert
haben; indem ſie zu Suſa den Winter/ zu Ec-
batena den Sommer/ zu Perſepolis den Herbſt/
und
[585]Arminius und Thußnelda.
und zu Babylon den Fruͤhling hingebracht.
Die Jndianiſchen Koͤnige aber trincken beſtaͤn-
dig das Ganges-Waſſer/ deſſen ieder Becher ei-
ne Untze leichter ſeyn ſolte als alle andere Waſſer
der Welt. Allein ich habe doch hernach bey den
Serern/ (welche meines Erachtens die dinn-
ſchaͤlichſten Zungen Waſſer zu koſten haben/ und
nicht leicht aus einem Brunnen trincken/ ehe ſie
das Waſſer auff einer kuͤnſtlichen Wage abge-
wogen/) in der Landſchafft Xenſi zwey Fluͤſſe
Jo und Kiemo angetroffen/ welche wegen Leich-
tigkeit keine Spreu oder Holtz/ weniger einiges
Schiff tragen. Welche Umſtaͤnde mich bere-
den/ daß in ſelbten das leichſte Waſſer der Welt
ſey. Jch moͤchte wiſſen/ ſagte der Feldherr: Ob
diß ſchwerer oder leichter ſey/ welches unſere
Frieſen in dem Mittags-Theile der Atlanti-
ſchen Jnſel uͤber dem Andiſchen Gebuͤrge an-
getroffen/ und auff der Wage viel leichter/ im
Geſchmacke viel koͤſtlicher/ und zweiffelsfrey
viel geſuͤnder/ als das Nil/ das Choraſpes/ und
Ganges-Waſſer befunden haben.
Jch will/ ſagte Zeno/ weder mit den Frieſen/
noch mit ſonſt iemanden wegen ihres Ge-
ſchmacks einen Rechts-Streit anfangen/ wor-
mit wir nicht jenen Philoxenus/ der ihm zu die-
ſer Pruͤfung eines Geyers Kehle/ und eines
Kranchens Hals wuͤnſchte/ oder die wegen ihrer
ſcharffen/ und zum Theil drey geſpitzten Zun-
ge alle andere Thiere am Geſchmack uͤbertref-
fende Schlangen zu unſerm Schieds-Richter
zu erkieſen gezwungen werden. Dem Jupi-
ter aber kan ſchwerlich ſein Nectar beſſer ſchme-
cken/ als mir das Waſſer des Caucaſus/ deſſen
Suͤßigkeit mich wieder zu dem Fuͤrſten Oropa-
ſtes/ und der Syrmanis zu kehren reitzet; unge-
achtet wir hier hundert mahl koͤſtlicher/ als auff
dem Caucaſus/ oder auch Apicius bey ſeinen Ka-
mel-Fuͤſſen/ Huͤner-Kaͤmmen/ Pfauen- und
Nachtigal-Zungen geſſen haben/ und dieſer ed-
le Wein mit allen in der Welt um den Vorzug
kaͤmpffen kan; Hingegen uns dort die von dem
Prieſter genoſſene Koſt bald ziemlich verſaltzen
ward. Der Feldherr danckte fuͤr die Willfaͤ-
rigkeit des Fuͤrſten Zeno/ entſchuldigte/ daß ihr
Waſſer-Geſpraͤche Urſache geweſt waͤre/ daß ſie
weder ſatt geſſen/ noch auch getruncken haͤtten.
Weil aber die allermaͤßigſten Griechen bey ih-
ren Mahlzeiten ein Glaß voll Wein den Gra-
tien/ das andere der Venus/ das dritte dem Dio-
nyſius/ und zum Beſchluſſe noch wohl das vierd-
te dem Mercur zu ehren; Die Aſiater aber das
erſte zur Geſundheit/ das zweyte zur Wolluſt/
und endlich eins zum Schlaffe/ oder den ſie ver-
ſor genden Goͤttern zuzutrincken pflegten; moͤch-
ten ſie doch ihnen ein wenig wohl ſeyn laſſen/ und
durch allzu ſtrenge Maͤßigkeit ſeiner Sparſam-
keit keinen Vorruck thun. Alle anweſende/ auſ-
ſer der ſeiner Wunden halber fuͤr ſich ſelbſt ent-
ſchuldigte Zeno/ trancken ein Glaß auff gutes
Gluͤcke des Feldherrn aus; welcher hiermit die
Taffel auffheben hieß. Erato aber verwun-
derte ſich uͤbeꝛ dem entdeckten Tiſchblate/ welches
von wellichtem Flaſer-Holtze war/ und mit ſei-
nen Augen zugleich einen Pfauen-Schwantz
fuͤrbildete. Daher rieff ſie: wie die ſeltzame Pan-
ther-Taffel in Deutſchland kommen waͤre? Der
Feldherr antwortete ihr laͤchlende: Aus dem
naͤchſten von Orlen-Baͤumen gar reichen Wal-
de/ aus derer Staͤmmen oder Wurtzeln dero-
gleichen Flaſern Brete haͤuffig geſchnitten wuͤr-
den. Rhemetalces fing an: Jch ſelbſt haͤtte diß
fuͤr außerleſenes Zeder- oder Zitronen-Holtz an-
geſehen; ja ich muß auffrichtig geſtehen/ daß die-
ſes Blat die zwey zu Rom fuͤr unſchaͤtzbar gehal-
tene Taffeln beſchaͤmet/ derer iede Koͤnig Juba
fuͤr 15000. Seſtertier verkaufft. Noch weniger
reichen ihm die zwey koſtbaren Taffeln des Kaͤy-
ſers/ die er aus des Cicero Erbſchafft/ und vom
Aſinius Gallus bekommen/ das Waſſer. Es iſt
wahr/ ſagte Zeno: auch die Heilffenbeinern Taf-
feln der Jndianer waͤren hier der Zierde halber
in keine Gleichheit zu ziehen. Thußnelda warff
ein: Aber jene ſind nicht/ wie unſere/ der Faͤulniß
Erſter Theil. E e e eunter-
[586]Fuͤnfftes Buch
unter worffen. Zeno verſetzte: Jch glaube/ daß
dieſe beſtaͤndiger als jene ſind; weil das Helffen-
bein mit der Zeit gelbe wird. Alleine welchem
irrdiſchen Dinge laͤſſet ſich mit Beſtand einige
Beſtaͤndigkeit/ auſſer in dem Unbeſtande/ zueig-
nen? Wuͤrmer und Faͤulniß ſind nicht nur
Werckzeuge der Eitelkeit/ und Scharffrichter
der alles freſſenden Jahre. Was kein Holtz-
Wurm ausfreſſen/ keine Feuchtigkeit verfaͤu-
len kan/ wird durch Sturmwinde zerdruͤmmert/
durch Blitz eingeaͤſchert/ durch Erdbeben zer-
nichtet. Die Brunnen vertrocknen/ die Stei-
ne werden zu Staube/ und gantze Gebuͤrge wer-
den uͤber einen Hauffen geworffen; wie mir der
groſſe Caucaſus ein grauſames Schauſpiel fuͤr
Augen geſtellet hat. Denn nachdem wir bey
unſerm wohlthaͤtigen Prieſter des Prometheus
die Nacht uͤber wohl ausgeruhet hatten/ nahmen
wir fruͤh Abſchied/ gingen durch ein ſteinichtes
Thal/ ſtiegen hierauff einen andern gaͤhen Berg
hinauff/ in willens daſelbſt eine Hoͤle zu beſchau-
en/ in welcher Hercules/ und ſeine nach Col-
chis gereiſete Gefaͤrthen ihre Gedaͤchtniſſe ver-
laſſen haben ſollen. Wir waren noch nicht gar
auff der Spitze/ als der Fels unter uns zu beben/
und der gantze Berg gleichſam wie eine haͤngen-
de Wagſchale hin und wieder zu wancken an-
fing. Der Himmel war helle und heiter; die
uns rings umher umgebende Berge aber ſpey-
ten mit groſſem Gekrache Blitz und Flammen
aus. Der hoͤchſte Gipffel des Caucaſus brach
entzwey/ und uͤberſchuͤttete mit ſeinem Grauſe
die darbey liegenden Thaͤler; mit dem Rauche
aber/ den er aus ſeinem itzt auffgeſpaltenen Ra-
chen ausſtieß/ verfinſterte er das weite Gewoͤlbe
des Himmels/ und die durchdringenden Strah-
len der Sonne. Der Tempel des Prometheus
fiel mit ſeinem felſichten Fuſſe in das Thal her-
ab/ durch welches wir erſt gegangen waren; alſo
daß das groſſe Welt-Gebaͤue ſich nunmehr in
ſein Nichts zu verwandeln ſchien. Jch ſtelle zu
iedes Nachdencken/ wie wir gezittert/ da die Klip-
pen zitterten/ und wir die Berge zerberſten/ die
Steine zeꝛſchmeltzen ſahen. Unſeꝛ Antlitz erblaß-
te/ die Zunge verſtummte/ das Hertze ſchlug/ als
wenn es ſich aus dem in ſo groſſer Lebensgefahr
ſchwebenden Leibe reißen wolte/ und unſere Bei-
ne waren nicht mehr ſtarck genug uns auff den
Fuͤſſen zu erhalten; daher wir auff den Erdbo-
dem fielen/ und unter der Furcht/ daß wir von
denen einfallenden Gebuͤrgen bald in dem Ab-
grunde der Erden wuͤrden begraben werden/ al-
ler Sinnen beraubet wurden. Jch weiß nicht
zu ſagen/ wie lange wir in dieſer Ohnmacht gele-
gen/ oder wie lange der Lauff unſers Lebens all-
hier gehemmet geweſt. Gleichwohl kriegte ich
zum erſten meine Siñen wieder/ und raffte mich
aus dieſer Aſche/ darmit wir inzwiſchen gantz
waren bedeckt worden/ wieder auff; Oropaſtes
aber und Syrmanis blieben noch gantz fuͤr todt
liegen. Weil ich nun den Goͤttern fuͤr Erhal-
tung meines Lebens nicht beſſer als durch huͤlff-
bare Beyſpringung und Liebe gegen meinen
Gefeꝛthen zu dancken wuſte/ eilte ich einer unfer-
ne von dem Berge abſchuͤſſenden Bach zu/
ſchoͤpffte daſelbſt in meine Haͤnde Waſſer/ brach-
te auch endlich durch Kuͤhl- und Reibung zuwege/
daß anfangs Oropaſtes/ und hernach die Fuͤrſtin
Syrmanis wieder zu ſich ſelbſt kamen; wiewohl
ſie eine lange Weile kein Wort reden konten.
Endlich ſprachen wir einander wieder ein Hertze
zu/ fielen auf unſere Antlitzer/ um unſern Schutz-
Goͤttern Danck zu ſagen/ und fuͤr fernere Be-
ſchirmung andaͤchtig anzuruffen. Wir verwun-
derten uns hierauff uͤber der ſeltzamen Veraͤn-
derung der gantzen Gegend/ welche wir nicht ge-
kennt/ ſondern uns vielmehr in ein ander Land
verſetzt zu ſeyn gemeinet haͤtten/ wenn nicht wir
die Stuͤcke von dem herab geſtuͤrtzten Promethi-
ſchen Tempel erkennet haͤtten. Weil denn der
Berg/ dar auff wir waren/ auff der Seite/ dahin
wir wolten/ auch abgeſpalten und unwegbar
worden war/ kehrten wir/ theils aus Noth/ theils
aus Vorwitz/ den Graus des herrlichen Tem-
pels
[587]Arminius und Thußnelda.
pels zu beſcha uen/ wieder in das Thal/ fanden a-
ber alles denckwuͤrdige entweder in Staub ver-
wandelt oder unter die Klippen vergraben; Auſ-
ſer des Prometheus Leichenſtein/ den wir doch
im Tempel nie wahr genommen hatten/ lag an
einen Stein angelehnet/ deſſen obeꝛſte Seite uns
mit ſeiner Schrifft benachrichtigte/ wo er her-
kommen waͤre. Denn es war darauff zu leſen:
Auff der andern und inwendigen Seite war
eingegraben:
Allhier war ein Stuͤcke vom Steine abgebro-
chen/ und alſo mangelte der Schluß dieſer Rey-
me. Weil wir denn ohne diß wegen Mattigkeit
uñ einbrechendeꝛ Nacht allhieꝛ uͤbernachten mu-
ſten; grub ich mit einem daſelbſt befindlichen ſpi-
tzigen und harten Steine folgende Worte darzu:
Ob wir nun wohl nach der mehr durch unru-
hige Traͤume/ als durch ſanfften Schlaff hinge-
brachte Nacht/ nicht Urſache hatten/ an dieſem
gefaͤhrlichen Orte viel Zeit zu verſpielen; ſo weiß
ich doch nicht: ob unſere Erbarmung uͤber dieſer
Verwuͤſtung/ oder unſer Vorwitz/ welcher auch
in denen Einaͤſcherungen und in zermalmetem
Grauſſe herrlicher Gebaͤu etwas ſchoͤnes zu fin-
den ihm eingebildet/ uns noch einen halben Tag
in Beſchauung des zerdruͤmmerten Tempels
aufhielt. Hierauff erinnerte uns die Begierde
unſers Magens auf unſere Speiſe und hiermit
auch auff Enderung unſers Ortes vorzuſinnen.
Dem erſtern Vergnuͤgung zu ſchaffen/ fanden
wir nichts/ als etliche Wurtzeln. Dahero haͤtten
wir uns gerne in das von uns verlaſſene Para-
diß zuruͤck gezogen/ wenn uns das Erdbeben
durch Abſpaltung ſo vieler Stein-Klippen nicht
alle Wege verſchrenckt haͤtte. Die Fuͤrſtin Syr-
manis kam in dieſer Einoͤde wiederum die Liebe
ihres Vaterlandes an/ fuͤr welcher ihr ſo lange
geeckelt hatte. Daher rieth der ihr beyſtim̃ende
Oropaſtes/ wir ſolten unſern Weg nach Nord-
weſt einrich ten/ da wir entweder an die Bruñen
des Fluſſes Hippus oder Agrus kom̃en wuͤrden/
welche beyde in dieſem Gebuͤrge ihren Urſprung
haͤtten/ und durch das Land Colchis in das Euxi-
niſche Meer ihr Waſſer ausſchuͤtteten. Wir be-
fahlen unſern wenigen Bedienten an den Fel-
ſen hinauff zu klettern und zu erkundigen: Ob
wir daſelbſt aus dieſem ſteinernen Gefaͤngniße
einige Ausflucht finden koͤnten? Aber nachdem
ſie mit euſſerſter Lebens-Gefahr ſich verſtiegen/
wurden ſie theils durch die Unmoͤgligkeit ferner
zu kommen genoͤthiget/ theils durch unſere Zei-
chen verurſachet mit noch groͤſſerer Gefahr zu-
ruͤck zu kehren. Weil wir nun durch unſere euſ-
ſerſte und beynahe verzweiffelnde Muͤhwaltung
nirgend anders/ als Oſtwerts aus dem Crantze
dieſer unſaͤglich hohen Berge endlich einen Weg
ſelbte zu uͤberſteigen fanden/ muſten wir hier nur
den Leitungen der Natur/ nicht unſers Willens
folgen. Wiꝛ kamen den dꝛitten Tagan eine ziem-
lich ſtarcke Bach/ welche gegen der Sonnen Auf-
gang von den Gebuͤrgen abſchoß. Dieſer folg-
ten wir/ als unſer Einbildung nach einer Weg-
weiſerin zu dem Caſpiſchen Meere/ und dannen-
hero auch in eine von Menſchen bewohnte Land-
ſchafft; Welche letztere wir auch nach zweyer
Tage beſchwerlicher Reyſe erlangten/ auff der
uns gleichwohl etliche von unſern Pfeilen erleg-
te Gemſen zur Speiſe aushalffen. Daſelbſt nah-
men wir wahr/ wie dieſe Bach nebſt etlichen an-
E e e e 2dern
[588]Fuͤnfftes Buch
dern hieher zuſam̃enlauffenden Fluͤſſen von ei-
ner uͤberaus hohen Tieffe mit ſchroͤcklichem Ge-
raͤuſche verſchlungen wurden. Es grauſete ei-
nem/ wenn man in dieſen Strudel ſahe; die ſonſt
einfaͤltigen Einwohner aber verſicherten uns/
daß dieſe Tieffe ein Theil der unterirrdiſchen
Hoͤle waͤre/ durch welche das Caſpiſche uñ ſchwaꝛ-
tze Meer unſichtbar ſich mit einander vereinbar-
ten. Wir hielten diß zwar fuͤr einen Traum der
einfaͤltigen Jberier/ bey denen wir uns nunmehꝛ
befanden; und glaubte ich dieſer zweyen Meere
Verbindung ſo wenig als vorhin/ daß der Grie-
chiſche Fluß Pyrꝛhus zu Syracuſa in den Bꝛun-
nen Arethuſa/ der Phrygiſche Fluß Meander in
dem Peloponeſiſchen Strome Aſopus/ der ſich
verſchlingende Phrat in dem Fluſſe Nilus ſeinen
Ausgang haben ſolte; wie wir aber gleichwohl
mehr aus Schertz als Ernſt nach dem Grunde
dieſer Meinung fragten/ berichtete uns ein Eiß-
grauer Mann/ daß man offtmahls in dieſem
Strudel eine gewiſſe Art Schilff/ welches nur
im Caſpiſchen Meere wuͤchſe/ und eine gewiſſe
Art Fiſche/ die nur im ſchwartzen Meere ſonſt zu
finden waͤren/ finge. Uber diß hatte er in ſeiner
Jugend auff ſeinen Reiſen ſelbſt angemercket/
daß das Caſpiſche Meer bey wehenden Weſt-
winden ſich hoch angeſchwellet/ hingegen das
ſchwartze bey dem Oſtwinde uͤberaus hefftig ſich
beweget und gebrauſet haͤtte. Welches keine an-
dere Urſache ſeyn koͤnte/ als daß der ordentliche
Ausfluß des Caſpiſchen Meeres durch die Weſt-
winde gehindert/ durch die Oſtwinde aber gewal-
tig befoͤrdert wuͤrde. Uberdiß nehme das Caſpi-
ſche rings um mit der Erde umfangenes Meer
funffzehn Haupt-Fluͤſſe ein/ gleichwol aber lief-
fe es nicht uͤber; alſo dieſe unbegreiffliche Menge
Waſſer ſich ja irgends wohin verlieren muͤſte.
Endlich waͤre ein unfehlbares Zeugniß dieſer
verborgenen Zuſam̃en fluͤſſung/ daß fuͤr etlichen
Jahren ein Fiſch im Caſpiſchen Meere waͤre ge-
fangen worden/ an deſſen Schwantze ein guͤlde-
ner Ring gehangen haͤtte/ mit dieſer Uberſchrifft:
Mithridates gab mir zu Sinope die
Freyheit und dieſes Geſchencke. Der
Feldherr fiel dem Fuͤrſten Zeno in die Rede/ mel-
dende: Es waͤre die Zuſammenverbindung der
Waſſer eines von denen groͤſten Wundern der
Welt/ und glaubte er: daß wie in dem menſchli-
chen Leibe keines der kleineſten Aederlein waͤre/
das nicht ſeinen richtigen Gang zum Hertzen
haͤtte; alſo waͤre auch in der Erdkugel kein Bruñ/
keine Bach/ keine See/ die nicht an dem groſſen
Welt-Meere hinge/ und daher muͤſten alle Fluͤſ-
ſe/ die nicht ins Meer ſich ergieſſen/ ſondern un-
ter die Erde ſich verſchlingen/ alle Meere und
Seen/ welche keine euſſerliche Einfarth ins
Meer haͤtten/ durch unterirrdiſche Vereinba-
rung an ſelbtes verknuͤpfft ſeyn. Ja ihn habe
ſein Lehrmeiſter aus wichtigen Gruͤnden bere-
det/ daß das Caſpiſche Meer nicht nur mit dem
Schwartzen/ ſondern gar mit dem Perſiſchen/
das rothe mit dem Mittel-Meere/ in ihrem
Deutſchlande die Weſt-mit der Oſt-See/ und
viel andere mit einander verborgene Gemein-
ſchafft haͤtten. Zu Alexandria habe ihm auch ein
Prieſter erzehlet/ daß ein ſchoͤner Delphin/ wel-
chem Ptolemaͤus eine guͤldene Taffel mit ſeinem
Namen angehenckt/ und wieder ins rothe Meer
verſetzt/ wenig Tage hernach bey dem Einfluſſe
des Nils im Mittel-Meere gefangen worden
waͤre. Fuͤrſt Zeno pflichtete dem Feldherrn bey/
und ſagte: die Natur waͤre freylich wohlder rech-
te Baumeiſter/ die Kunſt nur ein Pfuſcher/ oder
ein Affe. Denn ſie haͤtten unterweges noch die
ohnmaͤchtigſten Merckmahle derer von Selev-
cus Nicaner gefuͤhrter tieffen Graben geſehen/
in welchen er das Caſpiſche und Euxiniſche Meer
haͤtte zuſammen leiten wollen. Nach dieſer und
der Einwohner Anleitung waͤren ſie in Albani-
en zu dem Fluſſe Cyrus kom̃en/ auff ſelbigem zu
Schiffe hinunter gefahren/ auf der lincken Sei-
te die beruͤhmte Stadt Cyropolis laſſende/ biß wo
dieſer Fluß in den Arares faͤllt/ mit welchem er
ſich hernach durch einen Mund in das Caſpi-
ſche Meer ſtuͤrtzet. Weil mir aber bedencklich
war/ allzu tieff in das Mediſche Gebiete uns
zu
[589]Arminius und Thußnelda.
zu machen; reiſeten wir Nord-Oſtwerts zu Lande
zu der beruͤhmten Stadt Terebynth/ welche der
groſſe Alexander an das Caſpiſche Meer/ und
an das Ende des von dem Caſpiſchen Gebuͤrge
ſich dahin erſtreckenden Armes/ nebſt noch einer
Mauer uͤber das Gebuͤrge/ vierhundert Sta-
dien lang/ wider die Amazonen und andere
Nord-Voͤlcker gebauet hat. Allhier wurden
wir ſchluͤſſig uͤber das Caſpiſche Meer gegen
dem Fluffe Rha/ der mit ſiebenzehn Stroͤmen
in ſelbiges Meer faͤllt/ und auf ſelbtem biß da-
hin/ wo er ſich dem Tanais auf wenige Mei-
len naͤhert/ alsdenn auf dieſem Strome uͤber die
Meotiſche und das Euxiniſche Meer zum Bo-
riſthenes/ oder Hippanis als des Fuͤrſten Oropa-
ſtes und ſeiner Schweſter Syrmanis Vater-
land zu ſchiffen. Wir ſegelten anfangs mit
gutem Winde; des Nachts aber wurden wir
von dem ſtarcken hin und wieder ſchlagen des
Schiffes erwecket/ indem ſich ein harter Nord-
Weſt-Wind erhob/ welcher ſich in weniger Zeit
in den grauſamſten Sturm-Wind verwandel-
te. Das brauſende Meer hob uns mit ſeinen
Wellen bald biß an die Wolcken empor/ wel-
che uns theils mit einer neuen See zu beſaͤuffen/
theils mit unaufhoͤrlichem Blitze einzuaͤſchern
draͤueten; bald ſtuͤrtzte es unſer Schiff in den ab-
ſcheulichſten Abgrund/ an welchem in wenigen
Stunden der Maſt abbrach/ und zu unſerm
aͤrgſten Schrecken den umb die gemeine Wohl-
farth aͤuſerſt bemuͤhten und wohlerfahrnen
Schiffer toͤdtete. Das Steuer-Ruder ging
kurtz hierauf auch entzwey/ die Ancker waren
nicht zu gebrauchen/ und die Boots-Knechte
lieſſen aus Verzweifelung Haͤnde und Muth
ſincken; zumal ohne diß nichts mehr auf dem
Schiffe zu thun war/ als daß wir das darein
ſpritzende Waſſer ausplumpeten/ und hin und
wieder die Fugen der Schiffs-Taffeln verſtopf-
ten. Kein Menſch war zu ſagen auf dem
Schiffe/ welcher noch einige Hoffnung des Le-
bens uͤbrig behielt; ja ihrer viel wuͤntſchten nur
einen geſchwinden Untergang/ umb ſich nur der
mehr empfindlichen Todes-Furcht zu entbre-
chen/ welche allemal empfindlicher iſt/ als der
Tod ſelbſt. Ja die Fuͤrſtin Syrmanis ſelbſt
brach nach zweyer Tage Ungewißheit: Ob wir
lebendig oder todt waͤren/ die Gedult aus/ daß
ſie ſich uͤbers Verhaͤngnuͤß beſchwerete: War-
umb ſie die zornigen Goͤtter nicht lieber durch
Erdbeben unter den Promethiſchen Tempel be-
graben haͤtten/ als daß der Schlag iedweder
Welle ihr den Tod nicht anders als eine Schlag-
Uhr die Zeit andeutete? Jch redete ihr alſo ein:
Sie moͤchte doch ihr Klagen maͤſſigen/ um durch
Ungeduld den gerechten Zorn der Goͤtter nicht
mehr zu erheben. Dieſe muͤſten durch deroglei-
chen Sterbens-Glocken uns zuweilen unſerer
Sterbligkeit erinnern/ weil wir auf die Anzei-
gung der von der Natur in unſere Bruſt ge-
pflantzten Uhr ſo wenig Achtung gaͤben. Denn
ieder Schlag unſers Hertzens deutete uns nicht
weniger/ als die wuͤtenden Wellen die Naͤhe-
rung unſers Endes an. Jedwedes Athemho-
len ſolte nichts minder als der uns ſchreckende
Donner in Ohren klingen/ und uns zum Schiff-
bruche zubereiten. Welche Vorbereitung bey
den Sterblichen alle Augenblicke fertig ſeyn ſol-
te/ weil unſer Hertz und Lunge ein Compaß ohne
Nadel/ und eine Uhr ohne Weiſer waͤre/ nach-
dem wir weder Ort noch Zeit unſers Ablebens
vorſehen koͤnten. Wer aber derogeſtalt berei-
tet waͤre/ und durch die Tugend ſein Gewiſſen
beruhigt haͤtte/ der ſchwebete mit lachendem
Munde zwiſchen Donner und Sturmwind; er
blickte mit einerley Gebehrdung den Rachen des
Abgrunds und den Hafen des Lebens an; er
zwinckerte mit keinem Augenliede fuͤr dem To-
de/ und er veraͤnderte nicht einſt die Farbe fuͤr
dem Hencker. Fuͤrſt Oropaſtes ſtim̃te meinen
Troͤſtungen mehrmals bey/ und Syrmanis
entbrach ſich ja zuweilen ihrer Traurigkeit; aber
die Laͤnge der Gefahr/ und die Schwachheit ih-
res Geſchlechtes rieß ihr bey Zeite wieder ihre
Wunden auf. Sie haͤtte wohl/ ſagte ſie/ ehe-
mals mit unverwendetem Aug-Apfel dem To-
E e e e 3de das
[590]Fuͤnfftes Buch
de das blaue in Augen geſehen; aber diß waͤre
ja allzu ſchrecklich/ wenn man weder ſterben/ noch
geneſen koͤnte; wenn der Tod uns als ein Ge-
ſpenſte vor dem Geſichte herumb irrete/ das Le-
ben aber durch blaſſe Furcht uns beunruhigte.
Dieſes waͤre das grauſamſte aller ſchrecklichen
Dinge/ und ein unvermeidliches Fallbret der
beſtaͤndigſten Gemuͤther. Oropaſtes verſetzte
ihr: Die ſchon einmalige Beunruhigung ihres
Gemuͤthes ziehe ſo viel Duͤnſte niedriger Ein-
bildungen empor. Der klaͤreſte Brunn wuͤr-
de durch wenigſte Aufruͤhrung/ das edelſte Ge-
muͤthe durch geringe Ungedult truͤbe; und/ wie
ein Quell ſich durch nichts beſſer/ als wenn man
ſelbtes in Ruh lieſſe/ ausklaͤrete; alſo beſaͤnftigten
ſich Zorn/ Furch/ und andere truͤbe Gemuͤths-
Regungen nicht beſſer/ als mit der Zeit von ſich
ſelbſt. Die Gedult waͤre eine Mutter der
Hoffnung/ dieſe der Klugheit. Ein Kluger
aber ſiegete uͤber alles/ und er machte ſich zum
Meiſter uͤber Wellen und Sterne. Biß in
fuͤnften Tag waͤhrete dieſer elende Zuſtand/ als
ſich der Sturm nach und nach legte/ uns aber
noch zur Zeit ſchlechte Hoffnung unſerer Erloͤ-
ſung machte/ nachdem wir des Maſtes und des
Steuer-Ruders beraubt/ und alſo in der bloſſen
Willkuͤhr dieſes unguͤtigen Meeres lebten. Ob
wir uns nun derogeſtalt als ein aller Spann-
Adern beraubter Leib weder mit Segel noch
Rudern forthelffen konten; ſo vermerckten wir
doch aus dem hin- und wieder ſchwimmenden
See-Schiffe/ daß unſer Schiff durch den noch
ſtrengen Nord-Weſt-Wind ſtarck fortgetrieben
ward. Nach vier Tagen erblickten wir von
ferne ein Gebuͤrge/ iedoch unter zweifelhafter
Beyſorge: Ob es nicht Wolcken waͤren/ biß
wir nach der zwiſchen dem Angel der Furcht und
Hoffnung bingelegter Nacht uns nahe am Ufer
ſahen/ kurtz aber darauf mit unſerm Schiffe am
Boden feſte zu ſtehen kamen; welches denn auch
alſo fort von den Wellen zerſtoſſen ward/ und
ſanck/ alſo/ daß ein ieder nunmehr mit Schwim-
men ſich zu retten gezwungen ward. Oropa-
ſtes und ich/ haͤtten leicht ans Ufer kommen koͤn-
nen/ wenn die Vorſorge fuͤr die zwar ſonſt des
Schwimmens wohl erfahrne/ aber durch bißhe-
rigen Sturm und Kummer gantz abgemattete
Fuͤrſtin Syrmanis zuruͤck gehalten haͤtte; wel-
che/ ungeachtet unſerer Huͤlffe/ ſo viel Waſſers
eintranck/ daß wir ſie fuͤr todt ans Ufer/ und
durch viel Muͤh kaum wieder zum Athem-ho-
len brachten. Wir hatten uns bey einem ge-
machten Feuer kaum ein wenig abgetrocknet
und gewaͤrmet/ als wir einen Schwarm Reiter
mit verhencktem Zuͤgel dem Rauche nach auf
uns zurennen ſahen; Weil wir nicht wuſten/
an welchem Ende der Welt wir waͤren/ konten
wir auch von dieſen Leuten nichts urtheilen.
Jhre Kleidung aber verrieth ſie alſofort/ daß ſie
Nomades/ ein Scythiſch Volck waren. Dieſe
rechtfertigten uns alſo fort anfangs in ihrer/ her-
nach in der etwas veraͤnderten Parthiſchen
Sprache/ wer wir waͤren/ und wie wir dahin
kommen? Wie ſie nun unſern Schiffbruch/ und
daß wir Armenier waͤren/ (denn hierfuͤr hielte
ich rathſam/ uns auszugeben/ weil die Scythen
der von ihnen ausgetriebenen Parthen/ dieſe
aber der Armenier gleichſam angebohrne
Feinde ſind/) verwandelte ſich die ihnen von
uns zugedachte Raubſucht in Mitleiden.
Dahero verſtaͤndigten ſie uns/ daß wir in der
Landſchafft Sogdiana/ zwiſchẽ dem Fluſſe Oxus
und Japartes/ nicht ferne von der Stadt Za-
haſpa uns befindeten. Dieſes Land haͤtte fuͤr Ale-
xandern nebſt denẽ auf der linckẽ Hand des Fluſ-
ſes Oxus gelegenẽ Bactrianeꝛn Oxyartes beherꝛ-
ſchet/ deſſen Tochter Roxanen Alexander geehli-
chet. Nach Alexanders Tode haͤtte ſich Theodo-
tus uͤber tauſend Bactrianiſche Staͤdte/ und uͤber
alles/ was zwiſchen dem Oxus und Jaxartes lie-
get/ zum Koͤnige aufgeworffen. Dieſem haͤtte
ſein Sohn gleichen Nahmens/ und endlich En-
cratides gefolget/ welcher letzte wider den Jndia-
niſchen Koͤnig Demetrius unerhoͤrte Tapferkeit
ausgeuͤbet/ indem er 60000. Feinde/ welche ihn
in der
[591]Arminius und Thußnelda.
in der Feſtung Maracande 5. Monat belaͤgert/
mit 300. Reitern zernichtet/ hernach ſich Jndi-
ens biß an Ganges gar bemaͤchtiget haͤtte. Wie
aber des Encradites Sohn und Reichs-Geferte
Zariaſpes die Unterthanen allzu harte gehalten/
waͤren die Sogdianer von ihm abgefallen/ und
als Zariaſpes endlich gar ſeinen Vater ermor-
det/ uͤber ſeinen blutigen Leib/ gleich als uͤber ei-
nen beſiegten Feind mit den Pferden geſpren-
get/ und die Leiche zu begraben verboten/ haͤtten
die uͤber dem Jaxarthes wohnenden Nomades/
und Mithridates/ der Parther Koͤnig/ das Ba-
ctrianiſche Reich unter einander getheilet/ und
den unferne von dar fluͤſſenden Oxus zu ihrer
Reichs-Graͤntze gemacht. Jtzo beherrſchte dis
Land der groſſe Koͤnig der ſaͤm̃tlichen Scythen/
deſſen Gebiete ſich von dem Fluſſe Rha biß an
das Reich des Koͤnigs Sophites/ welcher ſich dem
groſſen Alexander ohne Schwerdt-Streich un-
terworffen/ erſtreckete. Hierauf deutete uns der
anſehlichſte unter dieſen Scythen an/ daß wir ih-
nen zu ihrem von dar nicht weit entfernten Fuͤr-
ſten folgen muͤſten; wordurch die mit uns ge-
ſtrandetẽ Gefaͤrthen nicht wenig erſchrecket wur-
den. Dieſes nahm vorerwehnter Scythe wahr;
daher redete er uns aufs freundlichſte zu: Wir
moͤchten kuͤhnlich alle Furcht und Verdacht ſin-
cken laſſen. Sie wuͤſten gar wohl/ daß einige
Auslaͤnder ſie nur fuͤr Halb-Menſchen hielten/
welche alle Frembdlinge ſchlachteten/ ſich mit ih-
rem geroͤſteten Fleiſche ſpeiſeten/ und aus ihren
Hirnſchaͤlen traͤncken. Alleine die Erfahrung
wuͤrde ihnen die Scythen nicht nur als vollkom-
mene Menſchen/ ſondern auch als die gerechteſtẽ
unter allen Sterblichen fuͤrbilden. Jnſonderheit
ſolten ſie nicht glaͤuben/ daß man daſelbſt wider
ſie grauſamer/ als die ihrer verſchonende wilde
Wellen ſeyn wuͤrde. Wir kamen nach ein paar
Stunden an den beruͤhmten Strom Oxus/ an
deſſen Ufer der Koͤnigliche Stadthalter uͤber
Sogdiana ſein Zelt aufgeſchlagen hatte. Dieſer
bewillkom̃te uns mit freundlichen Geberden/
und nachdem er unſer Vaterland und Unfall
verſtanden/ ließ er uns alſofort eine Trachtvoll
Speiſen/ unter denen geſaͤuerte Pferde-Milch
und gebratenes Cameel-Fleiſch die koͤſtlichſten
Geruͤchte waren/ auftragen. Hierauf tranck
er uns dreyen ſelbſt eine Schale Waſſer aus dem
See Kia zu/ wor aus der Fluß Ganges entſprin-
get/ welches alle Groſſen bey den Scythen holen
laſſen. Nach vielen erwieſenẽ Hoͤfligkeiten ſagte
er uns: Weil der groſſe Koͤnig der Scythen Hu-
hanſien gegen die Seren einen maͤchtigen Zug
fuͤr haͤtte/ zu dem er bey dem Urſprunge des Fluſ-
ſes Ganges zu ſtoſſen befehlicht waͤre/ muͤſten
wir zwar nach ihren Reichs-Geſetzen/ welche alle
ſtreitbare Frembdlingen in Koͤnigs-Dienſte noͤ-
thiget/ dem Koͤniglichen Heerlager folgen; er
verſicherte uns aber/ daß der Koͤnig/ als ein Lieb-
haber der Auslaͤnder/ uns gnaͤdig empfangen/
und ehrlich verhalten werde. Als wir nun aus
der Noth eine Tugend machen/ und alſo unſere
Freywilligkeit dem Zwange vorkommen muſte/
ließ er uns etliche ſchoͤne Pferde/ und einen Vor-
rath Scythiſcher Waffen herzu bringen/ wor-
durch wir uns nach eigener Wahl ausruͤſteten.
Wir reiſeten alſo drey Tage harte an dem Ufer
des Oxus/ aber weil wir alles Waſſer mit uns
fuͤhren muſten/ nicht ohne groſſe Beſchwerlig-
keit/ und derogeſtalt bey einem ſo groſſen Stro-
me in groſſer Armuth des Waſſers. Sintemal
das in dem Fluſſe Oxus ſo ſchwer und ſo truͤbe/
daß man von deſſen offterẽ Genuͤß gefaͤhrlich er-
krancket. Den vierdten Taglenckten wir uns
Nordwerts/ und reiſeten uͤber eine ſaͤndichte Flaͤ-
che/ welche aber durch unzehlich viel aus dem
Fluſſe Oxus abgeleitete Baͤche/ die ſeinen be-
ruͤhmten Strom ſo ſehr vermindern/ daß ſeine
gaͤntzliche Verſaͤndung mit der Zeit zu beſorgen/
bewaͤſſert/ auch ſein ſonſt untrinckbares Waſſer
durch ſo vielen Sand mercklich gelaͤutert und
verbeſſert ward. Den ſiebenden Tag lendeten
wir nicht ferne von dem Sogdianiſchẽ Steinfels
an/ welcher 30. Stadia hoch ſeyn ſoll/ und eine
unuͤberwindliche Feſtung auf ſich hat/ die Ale-
xander durch Verraͤtherey erobert. Wir uͤber-
nach-
[592]Fuͤnfftes Buch
nachteten in der Stadt/ oder/ vielmehr in dem
Steinhauffen der von Alexandern eingeaͤſchertẽ
Stadt Branchis; folgenden Tag aber erreichten
wir die beruͤhmte Stadt Buchara/ bey welcher
ſich ein ander Sogdianiſcher Fuͤrſt mit 10000.
Mann zu uns ſchlug. Nachdem wir einen
Tag ausgeruhet/ kamen wir nach dreytaͤgiger
Reiſe in der Sogdianiſchen Haupt-Stadt Sa-
marcanda an dem Fluſſe Jſarlo an. Allhier ſtieß
die gantze Sogdianiſche in mehr als 100000.
ſtreitbaren Maͤnnern beſtehende Macht zu-
ſammen/ welche der Koͤnigliche Stadthalter mu-
ſterte/ hernach der Lebensmittel halber/ die ohn dis
großen theils auf Kamelen mit gefuͤhret werden
muſte/ wieder in drey Hauffen vertheilte/ und ge-
gen die Landſchafft der Tacken ihren Zug einzu-
richten befehlichte. Wir reiſeten wohl zwantzig
Tage/ biß wir nach Caſcar unter das Gebuͤrge
Jmaus kamen/ welches ſich von dem Mitter-
naͤchtiſchen Welt-Meere an/ bis an das Gebuͤr-
ge Paropamiſis/ welches die Macedonier/ Ale-
xandern zu Ehren/ den Caucaſus hieſſen/ und von
dar biß uͤber den Fluß Oxus/ als ein Ruͤckgrad/
ſich erſtrecket/ auch endlich in Bactriana mit dem
Tauriſchen Gebuͤrge ſich verknuͤpfet. Allhier
ſtieß das Heer wieder zuſammen/ als welches
durch eine gefaͤhrliche Enge uͤber das Gebuͤrge/
von welchem etliche hundert fehltretende Camee-
le und Pferde in die tieffſten Abgruͤnde ſtuͤrtze-
ten/ ziehen muſte. Wir brachten hieruͤber zehn
Tage zu; iedoch nach dem das Heer an den Fluß
Caradrus kam/ auf welchem alles Heer-Geraͤ-
the zu Schiffe gefuͤhret werden konte/ ward ſelb-
tes einer groſſen Laſt entbuͤrdet/ und dadurch der
Zug mercklich beſchleuniget. Wo dieſer Strom
ſich nun mit dem Ganges vereinbaret/ traffen
wir den Koͤnig Huhanſien an/ welcher mit
200000. Scythen/ darunter aber auch viel
Sarmater und Deutſche waren/ an dem Fluſſe
Jaxarthes Strom-auf gezogen war. Dieſer
groſſe Koͤnig gab uns unter einem baumwoͤllenẽ
Gezelt Gehoͤre. Auf dem Haupte hatte er ſtatt
einer Krone einen guͤldenen Wieder-Kopf/ ſein
Kleid war ein purpurfaͤrbichter Seidenrock/ mit
ſchwartzen Fuͤchſen durchfuͤttert/ die Sebel hatte
allein einen guͤldenen Grieff und Beſchlaͤge mit
Edelgeſteinen verſetzt. Denn die Scythen
wuͤrdigen alleine zu den Waffen/ zu keiner an-
dern Uppigkeit dieſes ſeltzame Ertzt. Nach dem
er von uns ietzigen Zuſtand Aſiens/ und des Roͤ-
miſchen Reiches erforſchet/ auch von uns die Er-
klaͤrung ver nommen hatte/ daß wir unter ſeinen
Fahnen fechten wolten/ ordnete er uns einen
reichlichen Unterhalt an allerhand Lebens-Mit-
teln/ beſchenckte uns mit ſeidenẽ Roͤcken/ Sebeln
und Bogen/ und ſchwur bey dem Winde und
ſeiner Sebel/ daß er nach gluͤcklich verrichtetem
Feldzuge uns mit reichen Geſchencken in Ar-
menien liefern wolte. Er ließ noch ſelbige Nacht
an einer Bruͤcke uͤber den Ganges arbeiten/
welche zu unſer Erſtaunung folgendẽ Tag gegen
Abend fertig war. Wo der Ganges/ ſagte
Hertzog Arpus/ ſo groß als unſer Rhein iſt/ mag
Kaͤyſer Julius ſich verkriechen/ deſſen in zehn
Tagen uͤber unſern Strom geſchlagene Bruͤcke
die Roͤmer fuͤr ein halbes Wunderwerck halten.
Jn alle Wege/ antwortete Zeno. Denn der Gan-
ges iſt/ wo er am ſchmaͤleſten/ 100. Stadien breit/
und an dieſem Orte ſtaͤrcker als der Nil/ und der
Jſter zuſam̃en. Daher er des Huhanſiẽ Bruͤckẽ-
Bau fuͤr etwas wichtigers/ als Darius uͤber den
Thraciſchen Boſphorus/ und des Xerxes hielte/
welcher ſich dem Neptun Feſſel angelegt zu habẽ
geruͤhmet/ weil er uͤber den Helleſpont eine
Schiffbruͤcke geſchlagen; fuͤr Alexanders gegen
der Stadt Tyrus gebautem Tamme haͤtte ſich
zwar das Meer entſetzt/ und Neptun ſeine Wall-
fiſche darwider ausgeruͤſtet; aber es waͤre ein
Werck von 7. Monaten geweſt. Des Pyrrhus
und Varro Vorhaben von Apollonia aus Grie-
chenland nach Hydrunt in Jtalien/ uͤber das A-
driatiſche Meer einen Weg zu baͤhnen/ waͤre in
den erſten Knoſpen der Einbildung erſticket. Lu-
cullus haͤtte zwar die auf dem Lande abgetragene
Berge in die See geſenckt/ und Luſthaͤuſer drauf
geſetzt; oder vielmehr aus dem Meere Land/ und
aus
[593]Arminius und Thußnelda.
aus dem Lande Meer gemacht/ alſo den Nahmen
des langroͤckichten Xerxes bekom̃en; aber auch
dieſe Verſchwendung waͤre weder dem Nutzen/
noch der Geſchwindigkeit halber mit Huhan-
ſiens Wercke zu vergleichen/ welcher gleichwol
acht Tage mit Uberſetzung des Heeres theils
auf Schiffen/ theils uͤber die Bruͤcke zu thun hat-
te. Wiewol noch ein abſonderes Heer von de-
nen dem Huhanſien biß an das Nord-Meer un-
terthaͤnigen Scythen gegen die Serer anzog.
Wir ſetzten hierauf uͤber das Gebuͤrge des Pa-
ropamiſus unſere Reiſe ſchleunigſt fort/ und ka-
men nach zwey Monaten qver uͤber die lange
Sandwuͤſteney Lop nicht ferne von der Seri-
ſchen Graͤntze an. Wir konten in dieſer Ein-
oͤde/ welche weder Waſſer/ Laub noch Graß
hat/ ſondern hin und her nur etliche ſtachlichte
Kraͤuter und Hecken zeuget/ uns uͤber die Haͤr-
tigkeit der Menſchen und des Viehes nicht ge-
nungſam verwundern. Das mitgefuͤhrte
Waſſer reichte kaum fuͤr das Kriegesvolck/ alſo
muſten Pferde und Kamele ungetraͤnckt ſich mit
den duͤrren Kraͤutern/ die Scythen aber ſich mit
dem Pferde-Blute vergnuͤgen/ welches ſie aus-
ſogen/ wenn die Natur von ſich ſelbſt/ oder ſie ih-
ren zu ſehr erhitzten Pferden zur Ader lieſſen.
Hertzog Rhemetalces fiel ein: Die in dieſer
Wuͤſten reiſenden ſolten billich die Eigenſchafft
jenes Griechen von Argos haben/ den ſein Leb-
tage nie duͤrſtete/ auf der weiten Reiſe zu dem
Ammoniſchen Jupiter nur ſaltzichte Speiſen
aß/ und gar nicht/ ja auch ſonſt ſehr ſelten tranck.
Zeno ſetzte bey: Caſyrta Laſionius wuͤrde ſich e-
benfals gar wol zu uns geſchicket haben/ welcher
in dreißig Tagen nichts tranck/ auch nichts
feuchtes aß; gleichwol aber Waſſer von ſich ließ.
Es waͤre beydes viel/ ſagte der Feldherr/ und
duͤnckt mich/ es haben die Griechen beydes
nichts minder/ als die Hyperborier vergroͤſſert/
welche ihren Abaris niemals haben wollen eſſen
oder trincken ſehen. Die Natur waͤre zwar
mit wenigem vergnuͤgt; Aber der Menſch koͤn-
te ſo wenig als ein Cameleon/ der gemeinen
Sage nach/ von der Lufft/ noch von den Son-
nenſtrahlen leben. Sintemal die Erfahrung
dieſen Jrrthum verrathen/ und gezeigt haͤt-
te/ daß diß Thier Wuͤrmer und Fliegen
verzehrte. Zeno fuhr fort: Wir uͤberſtan-
den durch der oberſten Befehlhaber kluge Vor-
ſicht/ und ſparſame Austheilung der Lebens-
Mittel gleichwol dieſen beſchwerlichen Weg/
ohne ſonderbaren Verluſt/ an Menſchen oder
Vieh. Wiewol auch die Serer zwiſchen die-
ſer Wuͤſten und ihren Graͤntzen alles verſaͤngt/
verheeret/ und die Scythen verjagt hatten/ ſo
hatten dieſe doch ihren meiſten Vorrath unter
die Erde vergraben/ und ſich in die Gebuͤrge
verſtecket/ welche nunmehr herfuͤr ruͤckten/ und
dieſem Heere uͤberfluͤßige Lebens-Mittel entge-
gen brachten. Der Koͤnig ſchlug ſein Laͤger
an die zwey Seen/ durch welche der beruͤhmte
Saffran-Fluß fleuſt/ ſtellte es daſelbſt in zwey
Schlacht-Ordnungen; und es muſten beyde
Heere zu Bezeugung ihrer Tapfferkeit/ und
wie ſie ſich nunmehro bald gegen ihre Feinde
verhalten wolten/ durch ein blindes Treffen an-
deuten. Alſo muſten auch wir unſere Krieges-
Ubungen ſchauen laſſen/ welche den Koͤnig de-
rogeſtalt vergnuͤgten/ daß er iedem unter uns
tauſend Nomadiſche Scythen von ſeiner Leib-
wache unter gab. Jedoch hatte Huhanſien bey
unſerem Gefechte von der Syrmanis eine
Muthmaſſung gefaſt/ daß ſie nicht maͤnn-ſon-
dern weiblichen Geſchlechtes waͤre; daher er
nach und nach ſo viel mehr auf ihre Leibesgeſtalt
und Gebehrden Achtung gab/ und endlich mich
zur Rede ſetzte: warum wir fuͤr ihm ihr Ge-
ſchlechte verbergen wolten? Alſo ſolte ich ihm ge-
rade zuſagẽ/ wer ſie waͤre. Jch erſchrack uͤber die-
ſer unvermutheten Anſprache; wuſte alſo nichts
anders in der Eil zu ſagen/ als daß ſie Oropa-
ſtens Schweſter waͤre/ welche aus Anreitzung
der Tugend/ die Welt zu beſchauen/ und ſich
durch tapffere Thaten beruͤhmt zu machen ſich
ihnen zugeſellet haͤtte. Huhanſien fragte mich
etliche mal: Ob er auf meine Erzehlung trauen
Erſter Theil. F f f fdoͤrffte?
[594]Fuͤnfftes Buch
doͤrffte? mit der Erinnerung/ daß die Unwahr-
heit in eines Sclaven Munde eine Schande/
in eines Edelmannes eine unausleſchliche Un-
Ehre/ bey den Scythen aber ein ſterbens-wuͤr-
diges Laſter waͤre. Als ich ihm nun ſelbtes be-
theuerte/ Oropaſtes es auch nicht allein mit ſei-
nen Worten/ ſondern fuͤrnehmlich mit ſcheinba-
rer Ehrligkeit beſtaͤtigte; Ließ er die Syrma-
nis fuͤr ſich kommen/ erzeigte ſelbter uͤberaus
groſſe Ehrerbietung/ verordnete ihr eine Fuͤrſt-
liche Bedienung zu. Wir ſelbſt kamen hier-
durch in groͤſſeres Anſehen/ ob wir uns gleich
nur fuͤr Edelleute aus gaben/ auch die Urſache ſo
groſſer Gnaden nicht ergruͤnden konten. Al-
leine die Liebe hat die Aehnligkeit des Himmels.
Dieſer iſt ein verſiegeltes Buch fuͤr allen Gei-
ſtern; tauſend Weiſen haben mit ihren Fern-
Glaͤſern die Heimligkeit ihres Weſens noch
nicht zu erforſchen vermocht. Unterdeſſen
leuchtet doch ſeine Annehmligkeit in aller Au-
gen. Nicht anders war es mit der Liebe des
Scythiſchen Koͤnigs beſchaffen. Er muͤhte
ſich ſeine Neigung gegen der Syrmanis ſo ſehr
zu verbergen/ als die Beſchaffenheit der Liebe
an ihr ſelbſt unbekandt iſt. Gleichwol aber ver-
huͤllete ihr Band nur ſeine/ nicht aber unſere
Augen. Denn wir wurden bey Zeiten/ Syr-
manis aber noch zeitlicher inne/ daß Huhanſien
ein Auge auf ſie hatte. Seine Hoͤfligkeit ver-
wandelte ſich in wenig Tagen in Liebkoſung/
und nach und nach in eine inbruͤnſtige Liebe.
Denn ob zwar dieſe die Fluͤchtigkeit und Em-
pfindligkeit der Liebe in ſich hat/ und ihre Mut-
ter die Gewogenheit wie die Regenbogen in ei-
nem Augenblicke gezeuget wird/ ſo unterwerf-
fen ſie doch alle kluge Leute der Berathſchla-
gung/ und eroͤffnen ihr allererſt die Pforte des
Hertzens nach einem vernuͤnfftigen Urthel.
Die Schoͤnheit der Syrmanis legte hierzu
zwar den erſten Grundſtein; aber ihre Tugend
machte es vollends aus/ und den Koͤnig Huhan-
ſien zu einem Gefangenen/ als ſeine Gedancken
mit Uberwindung des Seriſchen Reiches
ſchwanger giengen. Weil aber nur die thum-
me Liebe ein verfuͤhriſches Jrrlicht; die ver-
nuͤnfftige aber ein Leitſtern zur Tugend/ und in-
ſonderheit ein Wetzſtein zur Tapfferkeit iſt;
vergaß Huhanſien nicht der Waffen. Denn
dieſer großmuͤthige Fuͤrſt meinte/ daß die Uber-
windung der Seren ein Werckzeug ſeyn wuͤr-
de/ auch der tugendhafften Syrmanis Hertze
zu gewinnen. Der Koͤnig ließ hiermit ſein
Heer uͤber das Damaſiſche Gebuͤrge fortruͤcken/
welches zu aller Verwunderung ſchlecht beſetzet
war/ und wir kamen faſt ohne Schwerdſchlag
in das Koͤnigreich Suchuen. Von dieſem er-
zehlte mir ein Scythiſcher Fuͤrſt/ daß nach dem
Koͤnige Sophites/ welcher ſich dem groſſen Ale-
xander ergeben haͤtte/ ſeine Nachkommen ſelb-
tes beherrſchet/ iedoch allezeit die Scythiſchen
Koͤnige fuͤr ihre Schutzherren erkennet haͤtten.
Fuͤr ungefehr zwey hundert und viertzig Jahren
aber haͤtte der großmaͤchtige Koͤnig der Serer/
der das Geſchlechte Tſchina auf den Koͤniglichen
Stul erhoben/ und ſein groſſes Reich mit dieſen
Nahmen genennt/ aus angebohrner Feind-
ſchafft gegen die Scythen (als welche ſchon fuͤr
zwey tauſend drey hundert Jahren unter dem
gluͤckſeligen/ in iedem Auge zwey Aug-Aepffel
habenden Koͤnige Xunus in das Hertze des Se-
riſchen Reiches eingebrochen waͤren) die damals
darinnen herrſchenden Fuͤrſten Pa und Cho
vertrieben/ und ſolches Volck/ welches aber noch
immer nach der viel gerechtern Herrſchafft der
Scythen ſeufzete/ bezwungen. Jch ward
durch dieſe Erzehlung uͤberaus begierig von der
Beſchaffenheit des Seriſchen Reiches/ und der
Urſache itzigen Krieges mehrern Grund zu er-
fahren. Daher dieſer leutſelige Fuͤrſt mir auf
mein Anſuchen erzehlte: Es waͤren ſchon bey
nahe 3000. Jahr/ als Fohius/ der erſte Koͤnig/
oder Himmels-Sohn (dieſen Rahmen gaͤben
ſie ihren Beherrſchern) das Seriſche Reich ge-
ſtifftet/ und mit heilſamen Geſetzen verſehen/
alſo
[595]Arminius und Thußuelda.
alſo verdient haͤtte/ daß die Serer ihm keinen
ſterblichen Vater zueigneten/ ſondern fuͤr gaͤ-
ben: Es waͤre ſeine Mutter/ als ſie im Lande
Xenſi in einen groſſen Fußſtapffen getreten/
von einem Regenbogen geſchwaͤngert worden;
Gleich als ein guͤtiger Fuͤrſt dem Leibe nach
zwar von einem Menſchen/ dem Gemuͤthe nach
aber vom Himmel/ als auf deſſen Lauff er ſich
auch uͤberaus wol verſtanden haͤtte/ ſeinen Uhr-
ſprung gehabt haben muͤſte. Nach ihm haͤtten
die Serer einen andern erwehlet/ welcher we-
gen erfundenen Ackerbaues und ausgeforſchter
Eigenſchafften aller Kraͤuter/ Ximumgi oder
der geiſtliche Ackersmann genennet/ von ſeinem
untreuen Unter-Koͤnige Hoangti aber nach
hundert und viertzig jaͤhriger guͤtigſter Herr-
ſchafft getoͤdtet worden waͤre. Ob nun wohl
Hoangti derogeſtalt durch Mord und Gewalt
ſich auf den Koͤniglichen Stul gedrungen/ ſo
haͤtte er doch hernach zu einem wunderwuͤrdigen
Beyſpiele gewieſen/ daß auch eine durch Laſter
erworbene Herrſchafft mit Tugend und Sitt-
ſamkeit behalten werden koͤnte. Denn er haͤt-
te Maaß/ Gewichte/ die Koͤniglichen Kleinode/
aus Anſchauung der Blumen die Mahler- und
Faͤrbe-Kunſt/ das Schnitzwerck/ die Toͤpffer-
Arbeit/ die Muͤntze/ die Sing- und Rechen-
Kunſt/ die Sineſiſche ſechzig jaͤhrige Kreiß-
Rechnung und Kriegs-Ubungen erfunden; ſich
in blau und gelbe/ als die Farben des Himmels
und der Erde/ gekleidet. Dieſes alles/ noch
mehr aber die Liebe ſeines Volckes/ haͤtte die
Flecken ſeines ſchlimmen Anfangs mit Golde
uͤberſtrichen/ die Gemuͤther der Unterthanen
ihm verknuͤpfft/ und verurſacht/ daß ſie ihnen zu
denen Unſterblichen lebendig verſetzt zu ſeyn
glaͤubten/ und zu ſeinem unvergeßlichen Ruh-
me alle Koͤnige ſeinen Nahmen Hoangti/ wie
des Arſaces alle Perſiſche/ und des Ptolemaͤus
alle Egyptiſche fuͤhrten. Dieſem waͤre gefol-
get ſein Sohn der friedſame Xaohavus/ deſſen
gluͤckliche Herrſchafft die Erſcheinung des ſeltza-
men Sonnen-Vogels angedeutet/ er auch deß-
halben der Weiſen Kleider mit darauf geſtuͤck-
ten Voͤgeln/ der Kriegsleute mit Loͤwen und
Tigeꝛn zu bezeichnen/ und derogeſtalt alle Wuͤr-
den und Staͤnde ſichtbarlich zu unterſcheiden
verordnet haͤtte. Wie aber keine Roſe ohne
Dornern/ kein groß Geſtirne ohne Flecken/ und
kein ſchoͤner Leib ohne Mahl waͤre; alſo haͤtte
dieſe reine Herrſchafft der Zauberer Kienli mit
erſchreckenden Nachtgeſpenſtern und Abgoͤtte-
rey beſudelt. Von welcher aber der folgende
Koͤnig Chuenhious/ des Hoangti Brudern
Sohn/ das Reich wieder geſaubert/ die Reichs-
Staͤnde nach dem Beyſpiele zu ſeiner Zeit ver-
einbaret-geweſter fuͤnf Jrrſterne mit einander
in Eintracht verſetzt/ und theils zu Befeſtigung
der Koͤniglichen Hohheit/ theils zu Verhuͤtung
einſchleichenden Aberglaubens ein Geſetze ge-
macht haͤtte/ daß niemand als der Koͤnig dem o-
berſten Himmels-Koͤnige opffern doͤrffte. Der
ſechſte Koͤnig waͤre geweſen ſein Vetter Cous/
der Vater des unvergleichlichen Yaus/ welcher
im vierdten Monden/ als ſeine Mutter kurtz
vorher im Traum einen rothen Drachen das
Zeichen groſſen Gluͤcks geſehen/ waͤre gebohꝛen
worden. Dieſer heilige Fuͤrſt haͤtte als ein klu-
ger Stern-verſtaͤndiger die Jahr-Rechnung
verbeſſert/ einen ſechs fachen hohen Reichs-
Rath geſtifftet/ das Geſpinſte der Seidenwuͤr-
mer/ und die Weberey aufbracht/ die erſaͤufften
Laͤnder getrocknet/ zu der Sineſiſchen Welt-
weißheit den erſten Stein gelegt/ durch ſeine
Froͤmmigkeit aller von der zehn Tage nie un-
tergehenden und alſo alles verſengenden Sonne
entſtehenden Noth abgeholffen; ja auf Einra-
then ſeines getreuen/ und die Koͤnigliche Wuͤr-
de ſelbſt verſchmaͤhenden Dieners Sungous den
tugendhafften Ackersmann Xunus/ ſeinen ei-
genen ob ſchon wolgerathenen Soͤhnen fuͤrge-
ſetzt/ und ihn anfangs zum Gefaͤrthen im Reich
angenommen/ hernach zu ſeinem Stul-Erben
verlaſſen. Hertzog Herrmann brach hier ein:
F f f f 2Jenes
[596]Fuͤnfftes Buch
Jenes waͤre ein Beweiß/ daß ein Weiſer auch
die Sternen bemeiſterte; dieſes aber ſo ein herr-
liches Beyſpiel/ daß es alles Gewichte des Ruh-
mes uͤberwiege. Denn da ein Fuͤrſt keine nuͤtz-
lichere Sorge fuͤrkehren koͤnte/ als ſich um einen
tauglichen Nachfolger bekuͤmmern; ſo waͤre diß
eine unver gleichliche Wolthat/ wenn man ſelb-
ten nicht aus ſeinem Geſchlechte/ ſondern nach
der Nothdurfft des Reiches erkieſete. Es ſey
ein bloſſer Zufall ein gebohrner Fuͤrſt ſeyn/ die
Geburt erſetzte den Mangel der Tugend nicht;
die Wahl aber eines Fuͤrſten haͤtte dieſen unver-
gleichlichen Fuͤrzug/ daß ſie keinen/ als einen
tauglichen auff den Stul heben koͤnne. Es iſt
beydes freylich wahr/ ſagte Zeno. Jnſonder-
heit haben kluge und fromme Fuͤrſten gleichſam
eine Botmaͤßigkeit ſelbſt uͤber den Himmel.
Und ruͤhmten die Serer von ihrem Koͤnige
Tangus dem Uhrheber des Stammes Xanga;
daß als es ſieben Jahr nie geregnet/ und die
Wahrſager angedeutet haͤtten/ daß durch eines
Menſchen Gebete und Tod der Himmel ver-
ſohnet werden muͤſte/ dieſer Vater des Reichs
ſich zum gemeinen Opffer angeboten/ aber durch
ſeine Andacht einen fruchtbaren Regen erbeten
haͤtte. Gleichergeſtalt waͤre der Jrrſtern
Mars durch des Koͤnigs Caus Andacht drey
Himmel-Staffeln weit zuruͤck getrieben wor-
den: wormit er nicht das himmliſche Zeichen
Sin/ unter deſſen Schutze ſie das Seriſche
Reich zu ſeyn glaͤuben/ beruͤhret haͤtte. Auff
dieſe Art/ fing Malovend an/ bedingen etliche
Voͤlcker des Atlantiſchen Eylandes ihnen bey
Erwehlung ihrer Koͤnige nicht ſo alber/ daß er
ihnen auch ſolle die Sonne ſcheinen/ und die
Wolcken regnen laſſen. Zeno fuhr fort: bey
dem Koͤnige Xunus waͤre dieſe Bedingung ſo
wenig vergebens geweſt/ als ſonſt alle von ihm
vorher gefaͤllete Urthel/ und geſchoͤpffte Hoff-
nungen eintraffen. Dieſer waͤre aus Liebe ſei-
nes Erblaſters drey Jahre nie von ſeinem Gra-
bekommen. Seine Herrſchafft koͤnte ein Vor-
bild aller andern ſeyn; Er haͤtte im Reiche oͤf-
fentlich verkuͤndigen laſſen/ man doͤrffte ſeinen
Befehlen nicht gehorſamen/ weil er Koͤnig/ ſon-
dern wenn ſie den Rechten gemaͤß waͤren; Sei-
ne Leibwache doͤrfften ihre Spitzen nuꝛ ſo lange/
als er ein Vater des Landes waͤre/ fuͤr ihn/ wenn
er aber iemanden unbilliche Gewalt anfuͤgte/
wider ihn kehren. Er haͤtte die einbrechenden
Scythen aus ſeinem in zwoͤlf Landſchafften ab-
getheilten Reiche geſchlagen/ die Graͤntzen er-
weitert/ die uͤberlauffenden und das Land erſaͤuf-
fenden Fluͤſſe mit Thraͤnen eingeſchraͤnckt/
Schiffreiche Stroͤme durch hohe Gebuͤrge ge-
leitet/ Seen ausgetrocknet/ trockene Laͤnder mit
Stroͤmen verſorget/ und fuͤr ſeinem Tode mit
gleichmaͤßiger Ausſchluͤſſung ſeiner Soͤhne Y-
rus/ einen Sohn des vorher am Leben geſtraff-
ten Qvenius zum Reichs-Erben benennet/ der
ſich zwar der Koͤniglichen Hoheit zu enteuſern
getrachtet; Aber/ weil die Ehre wie der Schat-
ten die darnach ſtrebenden fleucht/ den fliehen-
den aber nachfolget/ auf des Volck es Begehren
ſolche nur uͤbernehmen muͤſſen. Dieſer waͤre
dem Xunus nichts minder an Thaten/ als an
Wuͤrde gleich kommen. Denn er haͤtte zu un-
ſaͤglichem Nutzen durch das Reich viel herrliche
Fahrten gegraben/ groſſe Stroͤme durch Berge
geleitet/ See-Buſeme zu Acker gemacht/ die
Tingung derſelben gelehret/ ſeine Fehler ihme
zu ſagen verlanget/ und die im Reiche noͤthige
Verbeſſerungen zu erinnern/ gewiſſe Andeu-
tungen verordnet/ auch durch ſeine Wolthaten
verdienet/ daß die Serer ſich ſeinem Geſchlech-
te Hiaa als Erb-Unterthanen unterworffen.
Aus dieſem waͤren ſiebzehn tapffere Koͤnige
kommen/ welche vier hundert ein und viertzig
Jahr geherrſchet haͤtten. Hernach waͤre dieſe
Wuͤrde auf acht und zwantzig Koͤnige aus dem
von dem klugen und maͤßigen Fuͤrſten ent-
ſpringenden Stamme Xanga kommen/ und
bey ſelbten ſechs hundert Jahr blieben; Biß
Koͤnig Faus ein ſtreitbarer Held den Stamm
Cheva
[597]Arminius und Thußnelda.
Cheva ans Bret gebracht/ und mit ſieben und
dreißig Nachfolgern acht hundert und ſechs und
ſiebentzig Jahr ausgeſchmuͤckt haͤtte. Unter
dieſem Stamme waͤre der groſſe Alexander biß
an die Seriſche Reichs-Graͤntze eingebrochen/
als aber die groſſe Macht und Zuruͤſtung der
Serer in ſeinem Heere erſchollen/ ja daß A-
grammes ein Seriſcher Unter-Koͤnig alleine
mit zwantzig tauſend Reutern/ zwey hundert
tauſend Mann Fußvolck/ zwey tauſend Wagen/
und drey tauſend Elefanten die Graͤntzen be-
ſetzt haͤtte/ waͤre durch keine Bitte/ Zorn oder
Zurede ſein Kriegsvolck weiter zu bringen ge-
weſt/ und alſo an dem Ufer des Fluſſes Hypa-
nis/ ſo wie fuͤr ihm Semiramis und Cyrus in
dem Sogdianiſchen Lande/ Alexander auch
ſelbſt/ als er den erſten Fuß in Aſien geſetzt/ ge-
than/ zwoͤlf Altare mit hohen aus viereckichten
Steinen funfzig Ellenbogen hoch gebaueten
Thuͤrmen zum ewigen Gedaͤchtnuͤſſe aufgerich-
tet. Maſſen er/ Zeno/ denn ſelbſt an dem groͤ-
ſten zugeſpitzten Thurme dieſe von Alexander in
Stein gegrabene Schrifft geleſen haͤtte:
Es haͤtte aber ein Koͤnig aus dem Cheviſchen
Stamme/ nach dem er dem Androcot wider den
Koͤnig Seleucus Nicanor beygeſtanden/ und
Jndien von dem Macedoniſchen Reiche abge-
riſſen/ auf die andere Seite ſolchen Thurmes
eingraben laſſen:
Der vierdte Erb-Stamm waͤre Tſchina/
deſſen Haupt aber Koͤnig Tſchin/ oder Xius ge-
weſen/ der fuͤr zwey hundert Jahren die drey
hundert deutſche Meilen-lange/ dreißig Ellen
hohe/ funfzehn dicke und mit vielen Thuͤrmen
und Bollwercken verſehene Mauer in fuͤnf
Jahren von Oſt gegen Weſt/ und zwar bey dem
Einfluſſe des Stromes Yalo etliche Stadien
weit ins Meer auf viel mit Eiſen angefuͤllt- und
verſenckte Schiffe wider die offt einbrechenden
Scythen gebauet/ ihren Vorfahren auch groſ-
ſen Abbruch gethan haͤtte. Daher ob ſchon die-
ſer Stamm mit dreyen Koͤnigen in viertzig Jah-
ren verſchwunden/ der andere Nachfolger Cu
vom Hyangiod dieſer aber von einem Rauber
Lieupang/ welcher hernach den fuͤnfften Stam̃
Hanya aufgerichtet/ erwuͤrget worden waͤre; ſo
haͤtten doch des Xius herrliche Thaten ſolche
Kuͤrtze/ wie die Herrligkeit der auf einmal her-
ausſchuͤſſenden koͤſtlichen Blumen die eintzele
Fruchtbarkeit der hierauf verwelckenden Aloe
reichlich erſtattet. Nach dem Lieupang mit ſei-
nem niedrigen Stande auch alle Laſter wegge-
leget/ und die Serer als ein kluger Fuͤrſt lange
Zeit beherrſchet gehabt/ waͤre ſein Sohn Hyao-
xus das Haupt der Serer worden. Dieſer haͤt-
te das Reich Corea erobert/ hernach mit den
Scythiſchen Koͤnigen blutige Kriege gefuͤhret.
Zeno fuhre fort: Jch danckte dieſem Scythi-
ſchen Fuͤrſten fuͤr ſo umſtaͤndliche Nachricht;
Erſuchte ihn aber mir die Urſache des gegen-
waͤrtigen Krieges/ zwiſchen denen zwey maͤch-
tigſten Koͤnigen Huhanſien/ und Jven zu ent-
decken. Denn ob ich mich zwar beſcheide/ daß
Unterthanen ſich uͤber der Gerechtigkeit ihres
Herren Waffen zu bekuͤmmern kein Recht/ ſon-
dern nur ſchlechter Dinges ſeinen Heer-Fah-
nen zu folgen Urſach haͤtten; ſo ſchiene es doch
Auslaͤndern nicht anzuſtehen/ daß ſie wiſſentlich
einem ungerechten Kriege fremder Voͤlcker ſich
einmiſchten. Derogleichen er aber von einem
ſo guͤtigen Koͤnige/ als er den Huhanſien haͤtte
erkennen lernen/ nicht vermuthete. Tanian
der Scythiſche Fuͤrſt war hierzu ſehr willfertig;
F f f f 3fing
[598]Fuͤnfftes Buch
ſing alſo an: Es iſt die Feindſchafft gewiſſen
Voͤlckern wie etlichen Thieren angebohren.
Dieſe hat von etlichen tauſend Jahren/ oder viel-
mehr von ihrem Urſprunge her/ eine Trennung
zwiſchen den Serern und Scythen/ oder/ wie
ſie uns nennen/ den Tattern gemacht. Jch weiß
nicht/ ob dieſe Tod-Feindſchafft dem Unterſchei-
de der Laͤnder/ oder der Widerwertigkeit unſerer
Geſtirne zuzueignen ſey. Denn ſie iſt ſo groß/
daß man insgemein glaubt/ die Serer und Tat-
tern laͤgen nicht auf einerley Art in Mutterlei-
be/ wuͤrden auch auf zweyerley Weiſe gebohren.
Wenn auch die Serer iemals ſich einer Tatte-
riſchen Landſchafft bemaͤchtigt/ oder ſie gefan-
gen weg gefuͤhrt; haben dieſe aus Abſcheu fuͤr
den wolluͤſtigen und grauſamen Seren ſich ih-
rer Weiber enthalten/ daß ſie denen Serern
nur keine Sclaven zeugten. Wie nun der Un-
terſcheid der Geſtalt freylich wol eine augen-
ſcheinliche Anzeigung iſt/ daß die Natur ſelbſt
zwiſchen beyden Voͤlckern einen Unterſcheid
gemacht/ auch ſie durch Gebuͤrge/ groſſe Stroͤ-
me und Sandwuͤſten von einander geſondert
habe: Alſo tragen die einander faſt in allen Sa-
chen widrige Sitten/ und die Tracht/ beſon-
ders aber der Haare/ welche die Serer mit groſ-
ſer Sorgfalt hegen/ wir aber abſcheren/ ſehr
viel zu dieſer Zwytracht. Den groͤſten Haß a-
ber nicht nur der Tattern/ ſondern aller andern
Voͤlcker ziehen ihnen die Serer durch ihren un-
ertraͤglichen Hochmuth auf den Hals; indem
ſie alleine nur zweyaͤugicht ſeyn wollen/ die Eu-
ropeer fuͤr einaͤugicht/ alle andere Voͤlcker fuͤr
blind/ oder fuͤr Thoren halten. Sie verſper-
ren allen Fremden/ als ihrer Gemeinſchafft
Unwuͤrdigen/ den Eintritt in ihre Graͤntzen/
verſchrencken ihnen alles Gewerbe/ und heben
durch ihre Verſchluͤſſung alles unter den Voͤl-
ckern uͤbliche Recht auff. Dieſes iſt die erſte
wahrhaffte Urſache geweſt/ warum fuͤr zwey
und zwantzig hundert Jahren die Tattern un-
ter dem Koͤnige Xunus das erſte mal in das Se-
riſche Reich eingefallen. Die Gelegenheit
hierzu gab eine groſſe Menge aus dem Reiche
verbannter Serer. Sintemahl Xunus die
Landes-Verweiſung aus dem Reiche/ als eine
das Hals-Gerichte weit uͤbertreffende Straffe
einfuͤhrte. Dieſe Verjagten gaben den Tat-
tern alle Anleitung in das Seriſche Reich ein-
zufallen/ und ſich der Beute ihres Uberfluſſes zu
bereichern. Mit dieſen Einfaͤllen fuhren die
Tattern wider die Serer als Feinde des menſch-
lichen Geſchlechtes fort/ biß der kluge Koͤnig
Yvus/ unter deſſen gluͤckſeliger Herrſchafft es
drey Tage Gold geregnet haben ſoll/ den Tat-
tern alle Jahr eine Botſchafft zu ihm zu ſchi-
cken/ und daꝛbey ſich deꝛ Kauffmannſchafft zu ge-
brauchen erlaubte. Wiewol auch hernach ei-
nige Koͤnige ſolche Geſandſchafften ſtoͤrten; ſo
ließ ſie doch Koͤnig Js nicht alleine wieder zu/
ſondern er fuͤhrte auch ein/ daß die Tatteriſchen
Botſchafften durch ſein gantzes Koͤnigreich frey
gehalten wurden. Hierauf aber ereignete ſich
ein neuer Zwiſt zwiſchen beyden Voͤlckern/ weil
die Tattern dem aus dem Reiche verjagten
Kieus bey ihnen zu wohnen erlaubten. Wie-
wol es der kluge Koͤnig Tangus vermittelte/
daß es zu keinem Kriege kam. Nach dem aber
folgende Koͤnige denen Tattern abermahls
Thuͤr und Thore verſperreten; brachen ſie durch
das Damaſiſche Gebuͤrge in Suchuen ein/ und
verheerten auf beyden Seiten des groſſen Fluſ-
ſes Kiang/ biß an das Siangiſche Gebuͤrge al-
les; zohen aber/ als Koͤnig Chungting ihnen et-
liche maͤchtige Heere entgegen ſchickte/ mit un-
ſchaͤtzbarer Beute zuruͤck. Unter dem from-
men Koͤnige Uuting geriethen beyde Voͤlcker
abermahls mit einander in beſſer Verſtaͤndnuͤß;
ſonderlich/ als die Serer hernach mit denen
Nord-Tattern des Koͤnigreiches Niulhan und
Yen/ welche auff der Bruſt ſchuß-freye Kupf-
fer-Spiegel/ die Schwerdter auff dem Haupte
tragen/ zu ſchaffen kriegten/ welch letzteres
Reich auch Tiyeus durch ſeinen Feld-Haupt-
mann
[599]Arminius und Thußnelda.
mann Kileus eroberte/ und dem Seriſchen ein-
verleibte. Ja die Vertraͤuligkeit ward ſo groß/
daß zwey Weſt-Tatteriſche Bruͤder zu des Se-
riſchen Koͤnigs Cheus tapfferen Feld-Haupt-
manne Changus in Xenſi reiſeten/ und ſich ſei-
nem Ausſpruche unterwurffen; wer unter ih-
nen das vaͤterliche Reich beherrſchen ſolte?
Weil ieder es dem andern aufdringen wolte.
Rhemetalces fiel ſeufzende ein: O ein unver-
gleichliches Beyſpiel der Gemuͤths-Maͤßi-
gung! Laſſet uns alte herrſchſuͤchtige/ welche/
um einen Tag dieſer ſcheinbaren Dienſtbarkeit
zu genuͤſſen/ ſich der ewigen Unruh wiedmen/
oder ſich und ihr gantzes Geſchlechte aufopffern/
in die Sitten-Schule der vergnuͤglichen Scy-
then weiſen! Zeno verſetzte: Auch die Serer
haͤtten gleichmaͤßige Beyſpiele. Denn nach
des Koͤnigs im Reiche U Xenugkungs Abſter-
ben/ haͤtte der aͤlteſte Sohn Chufan dem juͤng-
ſten Cichaus mit Gewalt den Purpur angezo-
gen. Dieſer aber haͤtte ſich um der ihm nicht
zukommenden Wuͤrde zu entbrechen gefluͤchtet/
und insgeheim einen Ackersmann abgegeben;
alſo daß der aͤlteſte auff des Volckes Begehren
wider Willen haͤtte herrſchen muͤſſen. Jndem
des Koͤnigs Yven groſſer Feldherr Fanlius/
welcher faſt alle vom Reiche abgeſpaltene Laͤn-
der erobert/ waͤre zwey mal aus dem Hoffe ent-
lauffen/ und haͤtte bey Drehung einer Toͤpffer-
ſcheibe die Unbeſtaͤndigkeit des wanckelhafften
Gluͤcks-Rades ausgelacht: Eben ſo merck-
wuͤrdig waͤre geweſt/ daß die Sud-Tartern im
Koͤnigreiche Nankiao/ itzt Gannan genennet/
durch die Tugenden des Koͤnigs Faus/ und
Chingus bewogen worden durch eine Geſand-
ſchafft ſich der Seriſchen Botmaͤßigkeit freywil-
lig zu unter geben/ und zu deſſen Zeugnuͤſſe dem
Chingus eine weiſſe Faſan-Henne zu lieffern.
Hierauf kam Zeno wieder in des Scythiſchen
Fuͤrſten Tanian Erzehlung: Auf dieſe lange
Wetterſtille brach ein groſſes Ungewitter aus.
Denn Mous der fuͤnffte Koͤnig des Stammes
Cheva hatte bey ſeinen Tugenden eine unmaͤſ-
ſige Begierde zu reiten/ und auf dem Streit-
Wagen zu rennen. Weil nun die Tattern es
damals in beyden der gantzen Welt zuvor tha-
ten/ meinte er/ daß ſein Ruhm einen groſſen
Abbruch leiden wuͤrde/ wenn er nicht ſeine Kraͤf-
ten mit den Tattern gemaͤſſen haͤtte. Alſo fiel
er/ wie wol wider den trenen Rath ſeines klugen
Schweher-Vaters Cigung/ bey denen um die
Brunnen des Saffran-Fluſſes wohnenden
Weſt-Tattern mit einem maͤchtigen Heere
ein. Dieſe hoben ihre fluͤchtige Zelten mit al-
lem Vorrathe auf/ und zohen ſich damit zwi-
ſchen den Berg Jmaus/ und das Damaſiſche
Gebuͤrge; aus welchem ſie bald da/ bald dort/
den Serern in die Seite oder in Ruͤcken fielen/
und groſſen Schaden zufuͤgten; alſo daß Mous
mit Verluſt vielen Volckes und ſeines Anſehens
zuruͤck zu ziehen gezwungen ward/ und nichts
anders zum Vortheil hatte/ als daß hernach die
heilſamen Rathſchlaͤge des Cigungs bey ihm
mehr Anſehn gewahnen. Die Tattern waren
hierdurch ſo erbittert/ daß ſie hernach lange Jah-
re die Serer mit unzehlichen Einfaͤllen beun-
ruhigten. Wider den Koͤnig Jeus aber uͤbten
ſie eine merckwuͤrdige Rache aus. Dieſer ward
von einer ſchoͤnen Dirne Paouſa/ welcher Mut-
ter von dem Schaume eines Drachens ſoll ge-
ſchwaͤngert worden ſeyn/ ſo eingenommen/ daß
er ſeine Gemahlin aus dem Ehebette/ und ſei-
nen Sohn Jkieus vom Reichsſtuhle verſtieß.
Dieſer flohe zu ſeines Vatern Bruder Xin/ in
die Landſchafft Xenſi; wider welchen Koͤnig
Jeus/ weil er ihm ſeinen Sohn nicht ausfolgen
laſſen wolte/ die Waffen ergriff. Xin ruffte
die Weſt-Tattern zu Huͤlffe/ gegen welche Jeus
ohne diß zu Felde lag. Dieſer hatte/ um ſei-
ner niemahls lachenden Paouſa eine Luſt zu
machen/ durch ſeine Krieges-Loſung/ nehm-
lich das Feuer etliche mahl Lermen gemacht/
und ſein Krieges-Heer in die Waffen ge-
bracht. Unter dieſen Kurtzweilen ruͤckte
Xin
[600]Fuͤnfftes Buch
Xin und Jkieus mit dem Tatterſchen Heere an
des Koͤnigs Jeus Laͤger. Als dieſer nun gleich
durch die gewohnte Flamme ſein Heer auffor-
derte/ blieb doch ſelbtes in Meinung/ daß es a-
bermals der Koͤnigin zu Liebe angeſtellte Freu-
den-Feuer waͤren/ in ſeiner ſuͤſſen Ruh unbe-
weglich. Hieruͤber brachen die Tattern ins
Laͤger ein/ zertraten und zerfleiſchten/ was ih-
nen in voller Unordnung begegnete; erſchlugen
auch den Koͤnig ſelbſt mit ſeiner Paouſa. Xin
und Jkieus erſchracken zwar ſelbſt uͤber der groſ-
ſen Niederlage der Serer/ flohen alſo davon/
und boten den Tattern mit einem friſchen Heere
die Stirne. Alleine dieſe trieben den neuer-
wehlten Koͤnig Jkieus zuruͤcke/ bemaͤchtigten
ſich der groſſen Laͤnder Xenſi/ Suchuen/ Jnu-
nan und Qvecheu. Jkieus muſte ſich mit den
Oſt- und der andere Sohn des Jeus Pnigus
mit den Sudlaͤndern vergnuͤgen; ja das gantze
Seriſche Reich ward zerriſſen. Sintemal der
Koͤnigliche Stadthalter Tſchi in Xantung/ zu
in Huqvang und Kiangſi/ und Tſchyn in Xan-
ſi ſich zu Koͤnigen aufwarffen. Weil aber die
Tatterſchen Koͤnige die eroberten Laͤnder in viel
Theile zergliederten/ erſahe Siangkung ein
Nachkomme des Pferde-Hirten Ficius ſeinen
Vortheil und verſetzte denen Tattern einen un-
vermutheten Streich/ eroberte auch die Land-
ſchafft Xenſi/ mit welcher er ſich vergnuͤgte/ und
den Grund zu der folgenden Herrſchafft ſeines
Stammes Tſchina legte; alles andere aber/
was er einnahm/ dem Koͤnige Pingus abtrat.
Von dieſer Zeit an war nichts minder das allzu-
viel Haͤupter habendo Scythiſche/ als das zer-
gliederte Seriſche Reich uͤber drey hundeꝛt Jahr
lang in eitel innerliche Kriege zerſpaltet/ alſo/
daß beyde die uͤber Leſchung ihres eigenen Hau-
ſes beſchaͤfftiget waren/ kein fremdes anzuzuͤn-
den Zeit hatten. Unterdeſſen wuchs das Ge-
ſchlechte Cnia mit Huͤlffe der Tattern in Xenſi/
Xanſi/ und Honan ſo groß/ daß es allen Nach-
barn ſchrecklich ward. Die Furcht fuͤr dieſer
aufſteigenden Macht verband wider ihren Fuͤr-
ſten dem Seriſchen Koͤnige Xicin fuͤnf angraͤn-
tzende Seriſche Koͤnige zuſammen; er erlegte ſie
aber alle fuͤnffe auffs Haupt. Jn Suchuen
hatten zwey Tatteriſche Fuͤrſten Pa und Xo ſich
mit einander durch einen langwierigen Krieg
abgemergelt; ſuchten endlich ohne Erwegung/
daß die zwiſtigen Tauben der zu Huͤlffe geruffe-
nen Adler/ und die mit einander kaͤmpffende
See-Schnecke und Reiger der Fiſcher Beute
werden/ bey dem Ciniſchen Koͤnige Huͤlffe/ wel-
cher den letzten erlegte/ und den/ der geholffen/ zu
ſeinem Unterthanen machte. Weil nun dieſes
Tſchiniſchen Koͤnigs Sohn Chaoſiang den Se-
riſchen Koͤnig Tſchi/ und Gvei uͤberwaͤltigte/
und die maͤchtige Stadt Jyang einnahm/ hiel-
ten die Weſt-Tattern fuͤr rathſam dieſer an-
wachſenden Macht zu begegnen; fielen alſo in
Xenſi ein/ und machten obigen Seriſchen Koͤ-
nigen Lufft/ daß ſie nebſt dem Koͤnige Han ſich
wider ihn aufs neue ruͤſten konten/ und er ihnen
die Landſchafft Xanſi biß an den Saffran-Fluß
wieder abtreten muſte. Dieſe lieſſen zwar die
Tattern alleine im Stiche/ weil aber der Tſchi-
niſche Koͤnig dieſem ſtreitbaren Volcke wenig
abgewinnen konte/ auch auf das Seriſche Reich
ſein einiges Augenmerck hatte/ machte er mit ih-
nen gleichſam Frieden. Hingegen ſtreute er
unter die Seriſchen Koͤnige ſo viel Zwytracht/
daß ſie einander ſelbſt aufrieben/ und weil ſie ein-
tzelhafft mit ihm kriegten/ alle uͤberwunden
wurden; ja das oberſte Haupt der Serer fuͤr
ihm fußfaͤllig ward. Aber der Tod beſiegte den
Chaoſiang in ſeinem hoͤchſten Siegs-Gepraͤn-
ge/ und des Fous Bruder Cheukiung brachte mit
Huͤlffe der Tattern und der andern wieder ab-
fallenden Seriſchen Koͤnige wider ſeinen Sohn
Ching oder Xius ein maͤchtiges Heer auf. Al-
leine wie vieler Fuͤrſten Buͤndnuͤſſe/ weil ieder
nicht den gemeinen/ ſondern den Eigen-Nutz
ſucht/ wie die gezogenen Gewebe ſich leicht ver-
wirren; alſo diente der Serer und Tattern
Sieg
[601]Arminius und Thußnelda.
Sieg ihnen nur zur Uneinigkeit/ und zum Ver-
derben. Xius gebrauchte ſich dieſes Vortheils
in unvergleichlicher Geſchwindigkeit/ welche
eben ſo eine Mutter der Gluͤckſeligkeit/ wie die
Zeit ihre Stiefmutter iſt. Der Himmel ſelbſt
ſchien allenthalben ſein Beyſtand zu ſeyn; alſo/
daß er in weniger Zeit der Mitternaͤchtiſchen
Landſchafften Meiſter ward. Faſous/ der Koͤ-
nig in Zu oder in Hukwang und Kiangſi bot
ihm nur noch die Stirne. Aber des Xius
Feldhauptmann Vangcien gewan ihm eine
ſolche Schlacht ab/ daß die Balcken auf dem Fel-
de in Menſchẽ-Blute ſchwamen. Er ſelbſt ward
gefangen/ und nach Seriſcher Art mit ſeinem
gantzen Geſchlechte ausgerottet. Alſo ward
Xius der Uhrheber des Koͤniglichen Tſchiniſchen
Stammes fuͤr 200. Jahren ein vollmaͤchtiges
Haupt uͤber das Seriſche Reich/ welches er auch
nach ſeinem Geſchlechte Tſchina nennte/ und
umb aller vorigen Fuͤrſten Gedaͤchtnuͤſſe zu ver-
tilgen alle Seriſche Buͤcher verbreñen ließ/ wor-
durch er ihm aber bey den Nachkommen ewigen
Fluch/ und ſeinen Vorfahren mehr Ehre zuwe-
ge brachte. Weil aber Xius durch Muͤſſig-
gang ſeinen neuen Unterthanen nicht Luft ließ
auf Empoͤrungen zu gedencken/ und ſein Reich
wider die ſtreitbaren Tattern/ als von welchen
er nunmehr alleine Gefahr zu beſorgen hatte/
baute er aus der Landſchafft Xenſi von dem Ufer
des Saffran-Fluſſes an/ biß an das Oſt-Meer
obenerwehnte 10000. Seriſche Stadien lange
mit vielen Thuͤrmen verſtaͤrckte und ſo feſte
Mauer/ daß die Arbeiter/ wo man irgends einen
eiſernen Nagel einſchlagen konte/ zum Tode
verdam̃t wurden. Sie iſt ſo breit/ daß 8. Pferde
darauf neben einander gehen koͤnnen/ und wird
von 1000000. Menſchẽ bewacht. Dieſe Mauer
und der innerliche Krieg der Seren/ da nehmlich
Lieupang den Tſchiniſchen Stamm bald mit des
Xius Soͤhnen ausrottete/ hernach aber mit dem
Koͤnige in Zu und andern genung zu ſchaffen
hatte/ machte zwiſchen den Serern und Tattern
einen ziemlichen Stillſtand. Nachdem aber
Lieupang die Weſt-Tattern vollend aus Su-
chuen/ ja gar uͤber den gelben Fluß zu vertreiben
Anſtalt machte; brach ihr Bunds-Genoſſe der
Nord-Tartern Koͤnig in die Landſchafft Xanſi
durch die ungeheure Mauer mit 500000.
Mann ein. Lieupang ſchickte ihnen zwar ſeinen
gluͤcklichen Hanſin/ welcher aus einem armẽ Fi-
ſcher ein unvergleichlicher Feldhauptmann wor-
den war/ mit einem maͤchtigen Heere entgegen;
alleine die Tapferkeit der Tatteriſchen Reiterey
zertrennete nichts minder das Seriſche Fuß-
volck/ als des Hanſin Gluͤcke/ welches ihn nur
deshalben mit ſo viel Siegs-Kraͤntzen bereichert
hatte/ damit es auf einmal ihm eine deſto reichere
Beute abnehmen koͤnte. Denn er ward nicht
allein aus dem Felde geſchlagen/ ſondern auch in
der Stadt Maye belaͤgert/ und von dem hertz-
haften Koͤnige Maotun gezwungen/ daß er ſich
und die Uberbleibung ſeines Heeres den Tattern
ergeben muſte. Die Haupt-Stadt Taitung
und ihr gantzes Gebiete unterwarff ſich dieſen
Uberwuͤndern. Wie nun aber Maotun ver-
nahm/ daß Koͤnig Lieupang mit den meiſten
Kraͤfften des Seriſchen Reiches gegen ihn an-
zoh/ nahm er mit Fleiß eine furchtſame Anſtalt
an/ ſetzte ſich alſo in dem Thale Thai an den Fluß
Kiuto/ und verſteckte den Kern ſeines Heeres in
das Gebuͤrge Cinhi/ alſo/ daß die Seriſchen
Kundſchaffter dem Lieupang die einſtimmige
Zeitung brachten: Es beſtuͤnde das Tatteriſche
Heer in eitel halb-bewehrtem Rauber-Geſinde.
Ob nun wohl der erfahrne Leuking ihm die Tat-
tern anzugreiffen nachdencklich widerrieth/ ward
er doch als ein Verraͤther in Band und Eiſen
geſchlagen. Lieupang/ weil er dem verſchantz-
ten Tatteriſchen Heere nicht beykommen konte/
theilte ſein Heer in zwey Theile/ ließ mit dem ei-
nen den Koͤnig Maotun beobachten/ mit dem
andern aber ging er fort/ nahm Quanguu wie-
der ein/ und belaͤgerte Taitung. Maotun
ließ ein geringes Theil ſeines Heeres im Thale
Erſter Theil. G g g gThai
[602]Funfftes Buch
Thai ſtehen/ ging mit faſt allen ſeinen Kraͤfften
in aller Stille zuruͤck uͤber das Gebuͤrge/ und
kam unverhoffter als der Blitz dem Seriſchen
Koͤnige Lieupang auf den Hals/ jagte ihn mit
groſſem Verluſte von Taitung weg in das Ge-
buͤrge Peteng. Der darinnen belaͤgerte Lieu-
pang ward gezwungẽ von dem Maotun demuͤ-
thig Frieden zu bitten/ und ihn mit tauſend Cent-
nern Silber zu erkauffen. Weil aber die be-
truͤglichen Serer den Tattern in das Silber
viel Bley eingeſchmeltzt hatten/ brach Maotun
aufs neue ein/ und verſetzte dem Lieupang ein
ſolches Schrecken/ daß er ihm den Leuking mit
groſſen Geſchenckẽ entgegen ſchickte/ und ihm/ ſo
gut erkoͤnte/ Friedẽ zu ſchluͤſſen Vollmacht gab.
Dieſer ward derogeſtalt getroffen/ daß die Se-
rer noch ſo viel Silber zahlten/ und der Seriſche
Reichs-Erbe Hoejus des Maotuns Tochter
heyrathen ſolte. Das erſte ward gehalten;
die Tatteriſche Koͤnigs-Tochter aber ward be-
truͤglich/ wiewohl mit Unwillen der beyden
Feld-Hauptleute Hanſin und Chinhi/ einem
andern Seriſchen Fuͤrſten beygelegt. Wie
nun dieſer mit einem ſtarcken Heere ge-
gen die einen neuen Einfall draͤuenden Tat-
tern geſchickt ward/ redete er den Hanſin auf
wider den undanckbaren und betruͤglichen Lieu-
pang ſich zum Koͤnige aufzuwerffen. Aber
dieſer Anſchlag ward entdeckt/ und durch Han-
ſins Hinrichtũg der Anſchlag im kaͤumẽ erſteckt;
Chinhiaber zu den Tattern zu fliehen genoͤthigt/
mit derer Beyſtand er biß an ſeinen Tod den Se-
rern genung zu ſchaffen machte. Nach ſei-
nem Tode brachen die Nord - Tattern aufs
neue in Xamſi ein/ und muſte des Koͤnigs Hoe-
jeus Mutter Liuheva des Koͤnigs Maotun
Sohn mit Verlobung ihrer Tochter/ und ei-
nem reichen Braut-Schatze verſoͤhnen. Weil
aber diß letzte Verſprechen nicht voͤllig erfolgte/
ſchickte der Tatteriſche Koͤnig ſeine Braut der
Liuhera mit einem ſchimpflichen Schreiben
zuruͤcke. Dieſes ehrſuͤchtige Weib/ welche
nach ihres Sohnes Abſterben ſelbſt die Se-
riſche Herrſchafft an ſich zoh/ meynte zwar
Baͤume auszureiſſen/ und die Tattern mit
Strumpf und Stiel auszurotten; aber ihr
Feldhauptmañ Kipus daͤmpfte ihren unzeitigen
Eifer/ und verſicherte ſie: Wer an den Tattern
zum Ritter werden wolte/ muͤſte in iedweder
Bruſt ein Maͤnner-Hertze haben. Ungeach-
tet ſie nun ihrem Enckel Uen das Seriſche
Reich abzutreten gezwungen ward/ vergaſſen
doch die Tattern nicht ihrer Rache/ ſondern
uͤberſchwemmeten gantz Xanſi biß an des al-
ten Koͤnigs Jvus Geburts-Stadt und Koͤnig-
lichen Sitz Pingyang. Ob ſie nun zwar/ als
der Feldherr Siang mit ſieben hundert tauſend
Serern auf ſie loß ging/ fuͤr rathſam hielten/
mit ihrer Beute nach Hauſe zu kehren; ver-
knuͤpften ſie ſich doch mit den Weſt-Tattern/
und brachen dieſe in Xenſi/ jene in Xanſi ein.
Koͤnig Uen und ſein beruͤhmter Heerfuͤhrer
Afu zohen beydẽ mit 3. maͤchtigen Heeren entge-
gen/ gleichwol aber hatten ſie nicht das Hertze mit
ihnen zu ſchlagen/ ſondern ſie beſetzten alleine
die Paͤſſe/ ſchnidten ihnen alle Zufuhre ab/
noͤthigten alſo hierdurch nach dem Beyſpiele
des langſamen Fabius die Tattern/ daß ſie
nach aufgezehrtem Vorrathe und Einaͤſche-
rung beyder Laͤnder ſich zuruͤcke ziehen muſten.
Uen ſtarb kurtz hierauf/ und folgte ihm Hia-
cking; gegen dieſen brachen die Nord-Tartern
in das Land Ki oder Yen/ und die von Weſten
in Suchuen ein/ kehrten auch mit reicher Beu-
te nach Hauſe. Alleine hiermit ward auch
ihrem Gluͤcke ein Ziel geſteckt/ als welches nie-
manden noch ſeiner Beſtaͤndigkeit halber eini-
gen Buͤrgen geſetzt hat. Fuͤr Urſachen dieſer
Enderung laſſen ſich nicht ſo wohl die Ein-
fluͤſſe der Sternen/ als dieſe Umbſtaͤnde anzie-
hen/ daß die Tattern durch ihr ſtetes Kriegen
die vorhin weichen Seren abgehaͤrtet/ und
durch
[603]Arminius und Thußnelda.
durch lange Ubung zu Kriegesleuten gemacht
hatten/ dieſe auch an Vermoͤgen und Menge
des Volcks/ als denen zwey Spann - Adern
eines Reiches denen wegen ſteten Reitens zum
Kinderzeugen nicht ſo geſchickten Tattern
weit uͤberlegen waren; inſonderheit aber dieſe
durch Zertheilung ihres Reiches ſich allzu ſehr
geſchwaͤcht hatten. Jhr Unſtern aber ging ih-
nen mit des Hiaokings Sohne dem Koͤnige
Hiaovus auf/ wiewohl anfangs mit zweifel-
haftem Lichte. Denn weder das Gluͤcke noch
die Natur iſt gewohnt von einer aͤuſerſten
Spitze auf die andere einen Sprung zu thun.
Hiaovus hatte mit den Tattern bey Antre-
tung ſeines Reichs mit Verſprechung eines
jaͤhrlichen Soldes einen ewigen Frieden ge-
macht. Als er es aber nundurch Geſetze und
ſeine getreuen Landvoͤgte genungſam befeſtiget
hatte/ rieth ihm Quei/ oder vielmehr ſeine Ehr-
ſucht/ daß er nunmehr ein ſo ſchimpfliches
Buͤndnuͤß zerreiſſen moͤchte. Gleichwohl
traute er ſeinen Kraͤfften nicht zu/ durch offe-
nen Krieg dieſem behertzten Feinde einige Fe-
der auszuziehen; ſondern ſchickte den Ligvang
und Puve mit zweyen Heeren ab/ unter dem
Scheine/ die Wache an der langen Reichs-
Mauer abzuloͤſen/ und er ſelbſt folgte mit drey
hundert tauſend Mann biß nach Maye. Weil
aber die Tattern durch einen Gefangenen
hiervon Wind kriegten/ begegneten ſie ihnen
mit unerſchrockenem Muthe. Hiaovus
meynte die Tattern zwar durch Beſtraffung
des Quei zu beſtillen; alleine ſie hielten fuͤr
ſchimpfliche Kleinmuth der Seren Meyneid
ungeraͤchet zu laſſen. Hiermit trieben ſie
drey Seriſche Heere uͤber Hals und Kopf zu-
ruͤcke. Wie aber Ligvang/ welchen ſie denn
ſeiner Geſchwindigkeit halber den fluͤgenden
Heerfuͤhrer nennten/ mit noch einer ſtaͤr-
ckern Macht ankam/ riethen ihnen ihre Wahr-
ſager ſich zuruͤcke zu ziehen; Ohne daß die
Serer ſie auſſer der Mauer zu verfolgen das
Hertz hatten. Hierauf ſchickte Hiaovus den
Chenkiang/ das von dem Koͤnige Xius erober-
te/ aber inzwiſchen wieder abgefallene Reich
Junnan einzunehmen; welches er nicht allein
mit groſſem Gluͤcke verrichtete/ ſondern auch
noch darzu die zwey Reiche Tavon/ und Ta-
kiam zwiſchen denen Fluͤſſen Caor/ Coſmin und
Martaban eroberte/ und derogeſtalt die Seri-
ſche Herrſchafft biß an das Jndianiſche Sud-
Meer erweiterte. Dieſer gluͤckliche Streich
und die Einrathung des Feldhauptmanns
Gveicing/ welcher den Feind in ſeiner Graͤn-
tze erwarten fuͤr ſchaͤdliche Kleinmuth/ ſein
Pferd aber an des Feindes Zaum binden/ fuͤr
ruhmbare Klugheit hielt/ bewegte den Hiaovus
zu der Entſchluͤſſung die Tattern zu uͤberzie-
hen/ welche nur in ihrem Neſte wie Cacus in
ſeiner Hoͤle von einem Hercules erleget werden
koͤnten. Weil nun das Weſt-Tatteriſche Reich
Tibet unter dem Amaſiſchen Gebuͤrge alle Tat-
tern ſchier mit herrlichen Pferden ausruͤſtete/ de-
rer Wiegern nicht einſt die ſchlechten Seriſchen
Pferde vertragen kunten/ fiel der Schluß/ ihnen
am erſten dieſe Ruͤſt-Kammer abzuſchneidẽ. Alſo
zohen wider ſie durch Xenſi vier ſolche Kriegs-
heere auf/ derer iedes/ wie des Xerxes/ Berge
abzutragen/ und Fluͤſſe auszutrincken maͤchtig
war. Die Weſt-Tattern muſten fuͤr dieſer
Menge ſich theils in die Damaſiſchen Gebuͤr-
ge/ theils uͤber den Saffran - Fluß begeben.
Wormit nun die Seren in der Tatteriſchen
Flaͤche feſten Fuß ſetzen/ und im Fall der Noth
irgendswohin eine ſichere Zuflucht finden moͤch-
ten/ baute er in der Tarterey Tanyu etliche
Schantzen/ und an den Saffran - Fluß ein
groſſes viereckichtes/ und mit vielen Vorra-
then verſorgetes Laͤger. Weil nun die Tat-
tern wohl ſahen/ daß ihnen hierdurch ein ge-
waltiger Kapzaum angeleget ward/ verſuchten
ſie durch oͤfftere Uberfaͤlle das Werck zu hin-
dern; und als dis nicht verfing/ mit ihrem
gantzen Heere zu treffen. Alleine Gveicing
G g g g 2ver-
[604]Fuͤnftes Buch
verſetzte ihnen auf dem Berge Jn einen ſolchen
Streich/ als ſie noch keinen erlitten hatten.
Viertzig tauſend Tattern/ und der Koͤnig in
Tanyu mit allen Fuͤrſten blieben todt auf der
Wallſtatt/ und funfzig tauſend wurden gefan-
gen. Daher die Tattern auch noch zur
Zeit niemals ohne Thraͤnen ſelbigen Berg
uͤberſteigen. Der Seriſche Koͤnig kam fuͤr
Freuden ſelbſt dahin/ und ſtieg aus Vorwitz
auf die hohen Gebuͤrge zwiſchen Tanyu und
Tibet. Auf der Jagt fing er ein groſſes
Thier mit einem Naſenhorne/ welches die aber-
glaͤubigen Serer fuͤr eine Andeutung mehrer
Siege hielten; daher auch Hiaovus von dieſer
Zeit allererſt die Jahre ſeiner Herrſchafft zu
rechnen anfing/ und des erſchlagenen Koͤnigs
Hirnſchale brauchte er zum Trinck-Geſchirre.
Von dar ſchickte Hiaovus ein Heer gegen
Mitternacht/ welches die Tattern abermals
aus dem Felde ſchlug/ und ihr Land biß an die
Berge Yenchi und Kilien achthundert Stadien
weit verwuͤſtete/ und dẽ Koͤnig Hoenſieus zwang
ſich mit ſeinem Lande den Serern zu unter-
werffen. Wordurch die Landſchafft Xenſi un-
ter den vorhin graͤntzenden Saffran - Fluß
biß an die an der Weſtlichen Wuͤſten Xamo
liegende ſchwartze See/ und das Gebuͤrge Kin/
uͤber den Fluß He erweitert und mit der be-
ruͤhmten Stadt Socheu verſchen ward. Weil
nun die Herrſchens-Sucht wie das Feuer un-
erſaͤttlich/ und ein Sieg des andern Werck-
zeug iſt/ ſchickte Hiaovus auf einmal 3. maͤchtige
Heere aus. Queicing brachte auf der Oſt-Seite
des Berges Jmaus in Barolybien zweytau-
ſend Stadien weit biß an das Gebuͤrge Tien-
quen alles unter ſeine Gewalt; und ob er wohl
daruͤber ſich unter die weiten Sandflaͤchen
nicht wagen wolte; ſo erboten ſich doch alle
Tatterſche Fuͤrſten biß an das nordliche Welt-
Meer zur Zinsreichung. Kinping drang in
das Reich Barrapheliot/ uͤber die Sand-Wuͤ-
ſten Xamo und den Berg Lankius vier tauſend
Stadien weit/ und kriegte uͤber die erſchlage-
nen ſiebentzig tauſend Tattern gefangen; bau-
te auch daſelbſt die Staͤdte Jungya und Lieny-
ung. Liquang fiel in Nord-Oſt hinter das
Land Corea gegen Yeſſo ein; allwo er aber we-
gen des groſſen Sandes wenig oder nichts aus-
richtete/ und aus Eiferſucht gegen die andern
zwey Sieger ihm ſelbſt die Kehle abſchnidt.
Hiaovus machte dieſe 2. Heerfuͤhrer zu Koͤnigen
uͤber die eroberten Laͤnder/ welche aber den Koͤ-
nig der Serer fuͤr ihr Haupt erkennen muſten.
Weil aber den Tattern der Knechtiſchen Serer
eiſerne Hand unertraͤglich war/ fluͤchteten ſich
viel tauſend in das Koͤnigreich Tibet/ Uſußang/
Kiang/ und andere in Suchuen und Junnan
graͤntzende Tatteriſche Laͤnder. Nachdem nun
die Weſt-Tattern/ des Hiaovus Verlangen
nach/ ihnen nicht den Auffenthalt verwehren
wolten/ ſchickte er anfangs den Gveicing/ her-
nach den Cham gegen die Koͤnige U/ und Sum/
mit ſtarcker Heeres-Krafft/ welche ihre/ zwiſchen
den Fluͤſſen Tatu/ Kinxa/ und dem hohen Ge-
buͤrge Umuen liegende Laͤnder eroberten/ und
der Landſchafft Suchuen biß an das Gebuͤrge
Lin einverleibten. Er ſelbſt Hiaovus wendete ſich
gegen Sud/ fuͤhrte auf den Fluͤſſen Lukiang und
Lonſang 2. Heere mit ſich/ bemaͤchtigte ſich des
Reiches Laos/ und erweiterte ſein Reich nicht
nur mit Eroberung des Landes Tungking biß
an das groſſe Sud-Meer/ ſondern nahm auch
das Eyland Hainan ein/ und kam mit einem
groſſen Schatze von Perlen durch Fokien ſiegs-
prangende zuruͤcke. Dieſe groſſe Siege veran-
laßten den Koͤnig Hieutu in Tibet/ daß er ſich
ebenfalls dem Seriſchen Reiche unterwarff.
Deſſen Sohn Geli Hiaovus an ſeinen Hof
nahm/ ihn anfangs zu ſeinem oberſten Stall-
meiſter/ hernach zu ſeinem fuͤrnehmſten Rathe
machte/ und ihn fuͤr einen Eingebohrnen erklaͤr-
te/ und den Nahmen Kin gab. Hingegen ſtelen
die gefluͤchtetẽ Tattern aus dem Reiche Samahã
taͤglich den Serern in Tanyu ein/ worvon Hiao-
vus
[605]Arminius und Thußnelda.
vus den Koͤnig durch einẽ Geſandten Suvus ab-
mahnen/ und ihn aller guten Nachbarſchaft ver-
ſich ern ließ. Weil aber der zu ihm geflohene Se-
rer Gveli ihn als einen Kundſchaffter angab/
ward er auffdas Eiland Tarata in dem Nord-
Meer geſchickt/ und zu einem Schaaf-Hirten
gebraucht. Hiaovus zohe diß zu raͤchen mit
eylff ſtarcken Heeren durch die Sand-Wuͤſten
Xamo; die Tattern aber raͤumten das Feld/ ver-
ſchloſſen ſich in die Gebuͤrge/ und lachten den ſie
zum Streit ausfordernden Hiaovus aus/ wel-
cher aus Verdruß zuruͤcke zoh/ und dem tapffern
Feld-Hauptmanne Laus die Kriegs-Macht uͤ-
bergab. Dieſer drang in das Gebuͤrge Sinuck/
und brachte zwar den Koͤnig in Tanyu in die
Flucht; Weil aber der Koͤnig in Samahan hin-
ter ihm das Gebuͤrge einnahm/ und ihm alle Zu-
fuhr abſchnitt/ gerieth er in ſo groſſe Noth/ daß
Anfangs ſein Unter-Feldherr Qvoncan zu den
Tattern uͤberging/ und hernach Laus ſelbſt mit
ſeinem gantzen Heere ſich ergeben muſte. Hiao-
vus verlohr hiermit das Hertze die Tattern fer-
ner zu bekriegen; ſondern verwahrte nur die Flaͤ-
che zwiſchen der Seriſchen Mauer und dem
Gebuͤrge Kin. Der Koͤnig in Samahan oder
Samarkanda unſers Koͤnigs Huhanſien
Großvater erlangte hingegen unter allen Tat-
tern ein ſo groſſes Anſehen/ daß alle benachbar-
te Koͤnige ihn heimſuchten/ und als einem un-
uͤberwindlichen Helden zu Ehren Kuͤhe opffer-
ten/ ihn auch zu ihrem allgemeinen Schutz-
Herrn erkieſeten. Des Hiaovus Sohn und
Reichs-Erbe/ welchem der Vater den Tatter
Geli Kin zum oberſten Feldherrn verordnete/
machte uͤber dieſer zuſam̃enwachſerden Macht
der Tattern groſſe Augen/ und ſuchte unter dem
Scheine den Gefangenen Suvus zu loͤſen eine
Verneuerung des Friedens. Des Hiaovus
Enckel Koͤnig Siven kriegte zwar eine Luſt ſich
wie ſein Groß-Vater durch einen Tatteriſchen
Krieg beruͤhmt zu machen/ ſein oberſter Rath a-
ber widerrieth es ihm auffs beweglichſte und
hielt ihm ein: die wider die Tattern erhaltenen
Siege koſteten die Serer mehr edles Blut/ als
ſie Waſſer gewonnen haͤtten. Viel gluͤckliche
Streiche erwuͤrben einem Fuͤrſten wohl den ho-
len Schall des Nachruhms; aber ein unver-
nuͤnfftiges Beginnen waͤre genugſam ihn des
Reiches/ das Volck der Ruhe zu berauben/ und
den Fluch der Nachwelt ſeinem Gedaͤchtniſſe
auffzuhalſen. Derogeſtalt/ und weil Huhan-
ſiens Vater als ein gerechter Herr die andern
Tatterſchen Fuͤrſten zur Ruhe anleitete/ blieb
der Friede mit dem Koͤnige Siven/ und dem itzi-
gen Haupte der Serer Juen noch feſte ſtehen;
die Tattern mochten auch mit ihrer Wurtzel
Ginſe/ mit Mardern/ Bibern und Zobeln nach
Socheu frey handeln. Alldieweil aber itziger
Koͤnig Juen mehr gelehrt als klug iſt/ ſeiner Ge-
mahlin Cieyva alles verhaͤnget/ auch ſchon ihren
Sohn Gaus fruͤhzeitig zum Reichsfolger erklaͤ-
ret/ ſeinen treuen Lehrmeiſter Siaovang auff
Verleitung der Heuchler hat verderben/ und
die Landſchafften Quangſi und Hainan abfal-
len laſſen/ ja ſich ſelbſt ſeinem Diener Hien
zum Sclaven gemacht hat/ iſt mit dem Koͤnige
Huhanſien das Eintrachts-Band liederlich zer-
riſſen worden. Denn als fuͤr einem Jahre
zwey an die Landſchafft Xenſi graͤntzende Koͤni-
ge der Tattern in ihrem Gebuͤrge auff Biſam-
Ziegen jagten/ die Seriſchen Graͤntz-Bewah-
rer aber hiervon Kundſchafft erlangten/ fielen
ſie unvermerckt dahin aus/ und nahmen beyde
ſich keiner Feindſeligkeit verſehende Fuͤrſten ge-
fangen. Jhr Schutz-Herr Huhanſien ſchickte
eine Botſchafft ab ihre Befreyung in der Guͤte
zu ſuchen/ und ſich uͤber den Friedensbruch zu
beſchweren; Alleine ſie ward nicht einmal einge-
laſſen/ ſondern ihr ins Geſichte geſagt: Man waͤ-
re den Barbarn nicht laͤnger als es die Staats-
Klugheit erforderte/ Treu und Glauben zu hal-
ten ſchuldig. Die Gefangenen wurden auch
enthauptet/ und ihre Koͤpffe an den Weſtlichen
Anfang der Seriſchen Mauer auffgeſteckt.
G g g g 3Die-
[606]Fuͤnfftes Buch
unertraͤgliche Schmach haͤtte Huhanſien zu raͤ-
chen bey deꝛ Sebel und Nacht-Eule geſchworen/
welche die Tattern ſo klug uñ ſo heilig/ als die der
Pallas opffernden Athenienſer verehrten/ ſich
auch alsbald mit denen verhandenen Kraͤfften
auffgemacht/ die Serer nicht allein aus denen
in Tebet und Uſuſang habenden Orten getrie-
ben/ ſondern auch in Xenſi die Grentz-Feſtung
Socheu erobert/ folgends uͤber den Saffran-
Fluß geſetzt/ und auff dem Gebuͤrge Pexe den
belagerten Leanghoejus mit ſeinem halben Se-
riſchen Heere durch Durſt getoͤdtet. Weil a-
ber hieruͤber Juen ſeines gantzen Reiches
Macht auff gefuͤhret/ haͤtte nunmehr auch Hu-
hanſien alle ſeine Kraͤfften zuſammen geſucht/
und faſt alle Tatteriſche Koͤnige in ſein Buͤnd-
niß gebracht. Weil nun die Nord-Tattern
gleichfals in Xenſi oder Xanſi/ ſein anders Heer
aber durch Tibee einbrechen ſolten/ verſehen ſie
ſich eines erwuͤnſchten Fortganges; ſonderlich
weil die Gerechtigkeit der Sache ihrer Kriegs-
Wage den Ausſchlag gaͤbe. Dieſes/ ſagte Ze-
no/ waͤre die Erzehlung des Scythiſchen Fuͤrſten
geweſt.
Unſere Reiſe aber anreichend/ ſo bald das
Scythiſche Kriegs-Heer uͤber das Damaſiſche
Gebuͤrge an den Fluß Lu kam/ fuͤhrte Koͤnig
Huhanſien ſelbtes in ſo ſchneller Eyl auff etlich
tauſend kleinen Schiffen Strom ab/ und kam
uͤber den See Mahu (der dieſen Nahmen von
einem einſt darauff geſehenen Drachen-Pfer-
de bekommen haben ſoll) ſo unverſehens fuͤr die
vom Koͤnige Hiaovus erbaute Stadt Jangko/
daß die Einwohner meinten/ wir fielen ihnen
vom Himmel auff den Halß. Dieſes Schre-
cken oͤffnete uns alſobald die Pforten der Stadt/
und wir ſegelten nun mit allhier eroberten groͤſ-
ſern Schiffen auff dem ſtrengen Fluße Mahu
hinunter/ und kamen fuͤr die maͤchtige Stadt
Siucheu/ deſſen Mauern von dieſem und dem
Fluſſe Kiang beſtrichen werden. Dieſe ſtellten
ſich zwar Anfangs zu tapfferer Gegenwehr/ und
wir wuͤrden Noth gehabt haben/ dieſe von der
Natur ſo wohl befeſtigte Stadt zu erobern/ weñ
ſie nicht ein thoͤrichter Aberglaube/ welcher die
Furchtſamſten in Loͤwen/ die Hertzhafftigſten a-
ber in Haſen zu verwandeln vermag/ in deꝛ Scy-
then Haͤnde geliefert haͤtte. Dieſe Stadt/ ſagte
Zeno/ iſt uͤberlegt mit redenden Papagoyen und
andern Voͤgeln. Von dieſen kam drey Tage
nach einander ein Papagoy auff die Spitze
des fuͤrnehmſten Tempels zu ſitzen/ und rieff mit
heller Stimme: Wuͤrden ſie die Stadt nicht er-
geben/ ſo wuͤrde keine Seele den Scythiſchen
Schwerdtern entrinnen. Huhanſien erfuhr
dieſe Begebenheit von einem Uberlaͤuffer; Da-
her ſchickte er auff den Morgen eine Tafel/ dar-
auff eben dieſe des Papagoyens Worte geſchrie-
ben waren/ nebſt einer brennenden Fackel und
blutigem Schwerdte zum Zeichen ihrer Einaͤ-
ſcherung und Unter gangs in die Stadt. Weil
nun die Serer glauben/ daß die Seelen der ab-
ſterben den Menſchen in ein ihrem Leben gleich
geartetes Thier/ der Weltweiſen aber fuͤrnehm-
lich in ſolche beredſame Vogel fahren; Uber diß
die Ubereinſtim̃ung des Ausfoderungs-Schrei-
ben und des wahrſagenden Papagoyen merck-
wuͤrdig uͤberein traff/ ſchickten ſie noch ſelbigen
Tag zwoͤlff Mandarinen heraus/ welche dem
Huhanſien einen Fußfall thaten/ und ihm die
Stadt ergaben. Alſo iſt die Vernunfft auch
der ſcharffſichtigſten Weltweiſen/ wenn ſelbte
nicht von der goͤttlichen Verſehung geleitet
wird/ ein Compaßohne Magnet-Nadel. Hu-
hanſien zohe in die Stadt/ nicht als wie zu Fein-
den/ ſondern als ſeinen geliebten Unterthanen
ein; kein Scythe dorffte einigem Einwohner
ein Haar kruͤm̃en; er ver geringerte ihnen ihre
Schatzung/ und alles Thun dieſes guͤtigen Koͤ-
niges ſchien denen Uberwundenen ein Wun-
derwerck/ weil ſelbter ihnen mehr Wohlthaten
erzeigte/ als ſie von einem Lands-Vater haͤtten
hoffen koͤnnen. Wie nun Huhanſien von die-
ſer Stadt mit viel Koͤſtligkeiten/ als edlen Stei-
nen
[607]Arminius und Thußnelda.
nen/ Porcellanen/ Ambra/ dem rothen Adler-
Holtze/ der allein in Suchuen waͤchſet/ und
Tſchina-Wurtzel bewillkommet ward/ brach-
ten ſie auch zugleich oberwehnten Papagoyen
mit/ welchen der Koͤnig in ein guͤldenes Keficht
einſchloſſe/ und der Fuͤrſtin Syrmanis verehrte.
So bald dieſe ihn in ihre Haͤnde empfing/ rieff
der Papagoy uͤberlaut: Syrmanis wird den
Koͤnig Jven toͤdten. Jederman erſtaunte hier-
uͤber/ und ſelbſt Syrmanis/ zumahl er vor nie-
mahls ihren Nahmen gehoͤrt hatte; ſie verkehr-
te aber ihre Schamroͤthe in einen hoͤfflichen
Schertz. Der Ausgang aber wieß hernach/
daß dieſer verſtaͤndige Vogel nichts als die
Warheit geredet hatte. Jſt diß immermehr
moͤglich? fing Flavius an zu ruffen; ſo verwun-
dern ſich die Roͤmer nicht ohne verdiente Verla-
chung uͤber ihren Papagoyen/ welcher den Kaͤy-
ſer Auguſtus gegruͤſſet; und ſo muͤſſen die aus
Jrrthum fuͤr gantz unvernuͤnfftig gehaltene
Thiere zuweilen mehr/ als wir mit unſerer
Klugheit/ kuͤnfftige Dinge vorſehen/ weil ich
mich erinnere/ daß die Ameißen/ welche dem
ſchlaffenden Midas Weitzen-Koͤrner/ die Bie-
nen/ die dem noch kindlichen Plato Honig in
Mund getragen/ jenem ſein Reichthum/ dieſem
ſeine herrliche Weltweißheit angekuͤndiget. Rhe-
metalces fing an: Jch weiß nicht/ ob dieſer Pa-
pagoy durch andere Kunſt geredet haben moͤge/
als die Dodoniſchen Wahrſager-Tauben/ oder
die vier guͤldenen Voͤgel/ welche die Zauberer
zu Babylon auff das Koͤnigliche Schloß ange-
bunden/ dieſe aber das Volck durch eine abſon-
dere Krafft zur Gewogenheit gegen die Koͤni-
ge angelockt haben ſollen. Kuͤnfftiger Dinge
Wiſſenſchafft waͤre kein Werck der Vernunfft/
weniger der Thiere; ja die Goͤtter ſelbſt wuͤſten
nicht alle/ was kuͤnfftig geſchehen ſolte/ und ihre
Wahrſager irrten vielmahl. Die Vernunfft
aber waͤre eine Tochter des Himmels/ ein Fun-
cken des goͤttlichen Lichts/ und alſo nur dem
Menſchen verliehen; welche in ihm faſt diß/ was
Gott in der Welt wuͤrckte. Dieſemnach denn
nicht wenig Weiſen gar auff die Meinung kom-
men waͤren/ daß nur der Menſch eine Seele/
welcher eigentliches Weſen im Nachdencken be-
ſtuͤnde/ andere Thiere aber gar keine haͤtten/ ſon-
dern ſich nur durch den Trieb ihres Gebluͤtes/
wie die gezogenen Tocken durch den Drat be-
wegten. Ja wenn man auch ſchon in ſelbten
eine der Vernunfft aͤhnliche Unterſcheidung
wahrnehme/ waͤre ſelbte doch fuͤr nichts beſſers/
als die Bewegung der Uhren zu achten/ die bey
ihrer blinden Unvernunfft die Stunden richti-
ger/ als der kluͤgſte Menſch andeuteten. Hertzog
Arpus ſiel ein: ich weiß zwar nicht aus was fuͤr
einem Triebe dieſer Papagoy geredet haben
mag. Allen Thieren aber alle Wuͤrckungen/ ja
auch den Schatten der Vernunfft abzuſpre-
chen/ duͤnckt mich fuͤr ſie ein zu ſtrenges Urthel
zu ſeyn. Haͤtte Praxiteles ſeiner Marmelnen
Venus eine geheime Krafft alle Beſchauer zur
Liebe zu reitzen einpregen/ Archytas eine hoͤltzer-
ne Taube fluͤgend/ die Egyptier redende Bilder
durch Kunſt zubereiten koͤnnen/ muͤſte man der
groſſen Werckmeiſterin Gottes der Natur viel-
mehr zutrauen/ daß ſie denen lebendigen Thie-
ren/ welche der weiſe Epicur Spiegel Gottes
genennet/ etwas edlers eingepflantzt habe. Sie
befliſſe ſich allezeit das beſte zu zeugen/ und iedes
Ding zur hoͤchſten Vollkommenheit zu bringen.
Daher ereigneten ſich nicht nur in den Thieren
augenſcheinliche Anzeigungen der Vernunfft/
ſondern auch in den Pflantzen ſo klare Merck-
mahle des Fuͤhlens/ daß Empedocles nicht nur
in ihnen den Unterſcheid des Maͤnn- und Weib-
lichen Geſchlechtes verſpuͤret/ und wie ſo wohl
andere Gewaͤchſe/ als die Granat-Aepffelbaͤu-
me ohne Vermengung beyderley Geſchlechts-
Wurtzeln keine Fruͤchte braͤchten/ angemerckt;
ſondern es haͤtte Plato/ Anaxagoras/ Democri-
tus und Pythagoras ihnen/ als mit einer gewiſ-
ſen Seele verſorgten Thieren/ an ſtatt eines blin-
den Thieres/ eine vernuͤnfftige Neigung zuge-
eignet.
[608]Fuͤnfftes Buch
eignet. Sintemahl die Pflantzen nichts min-
der/ als die Thiere durch den Mund ihrer Wur-
tzeln Nahrung an ſich ſaugten/ ihre eingewur-
tzelte Feuchtigkeiten ſorgfaͤltig erhielten/ durch
die Rinden Hartzt und andere Unſauberkeiten
ausſchwitzten/ traͤchtig wuͤrden/ des Winters
gleichſam ſo lange als die Baͤren und Ratzen
ſchlieffen/ im Fruͤhlinge ſich ermunterten/ und
zu gewiſſer Zeit ihre Freude und Traurigkeit
bezeigeten. Zeno beſtaͤtigte diß/ und meldete:
Er haͤtte diß allzudeutlich in Jndien wahrge-
nommen/ allwo er den ſo genennten/ und einem
klein blaͤtterichten Pflaum-Baume nicht un-
aͤhnlichen Trauer-Baume mit Augen betrach-
tet; welcher auff iedem ſeiner woͤllichten Blaͤt-
ter einen roͤthlichen Stiel/ und darauff vier
rund blaͤttrichte Knoſpen haͤtte/ auff welchen
fuͤnff weiſſe/ der Granat-Aepffel-Bluͤthe nicht
ungleiche aber noch viel annehmlicher ruͤchende
Blumen/ und endlich Fruͤchte in Geſtalt gruͤner
Hertzen wuͤchſen. Mit dieſem Reichthume a-
ber prangte dieſer Baum nur des Nachts/ bey
auff gehender Sonne aber lieſſe er nicht nur al-
len Schmuck ſeiner Blumen fallen/ ſondern der
Baum ſelbſt ſtuͤnde den Tag uͤber mit ſei-
nen Blaͤttern gantz welck. Hingegen wuͤch-
ſe daſelbſt ein dem weiblichen Farren-Kraute
aͤhnlicher Dorn-Strauch/ welcher des Tages/
ie heiſſer die Sonne ſtaͤche/ ie ſchoͤner er gruͤnete/
und ſeine Blaͤtter allezeit dieſem beliebten Him-
mels-Auge zukehrete/ herentgegen fuͤr Traurig-
keit gleichſam in der betruͤbten Nacht erſtuͤrbe.
Daß aber die Pflantzen ein nichts minder em-
pfindliches Fuͤhlen/ als die Thiere an ſich haͤt-
ten/ wieſe der Jndianer mit gelben Blumen
prangendes und verſchaͤmtes Fuͤhl-Kraut/ deſ-
ſen Blaͤtter ſich bey einer nur naͤhernden Hand/
oder Beruͤhrung vom Staube welcken/ und
zuſammenſchluͤſſen. Welchem eine Krafft nicht
nur die Liebe einzupflantzen/ ſondern auch die
verlohrne Schamhafftigkeit zu erſtatten zuge-
eignet wird; ſeinem Geheimnuͤſſe aber ein Wei-
ſer in Jndien ſo fleißig nachgedacht/ daß er dar-
uͤber unſinnig worden. Ein ander Kraut in
Jndien laͤſſet von Anruͤhren die Blaͤtter gar
fallen; ja auff dem Eylande Taprobana lauffen
die von einem Baume gefallenen Blaͤtter/ wenn
man daran ſtoͤſſet/ auff zweyen kleinen Fuͤſſen
davon; Und die Blaͤtter der Staude Charito-
blepharon werden vom Anruͤhren gantz harte.
Hertzog Herrmann fuͤgte bey: Es haͤtten ihm
die Frieſen von eben derogleichen fuͤr dem An-
ruͤhren erſchreckenden Pflantzen/ und deren vom
Anfuͤhlen verwelckenden Gerſte-Stengeln des
Atlantiſchen Eylandes umſtaͤndliche Nachricht
ertheilet. Allein man doͤrffte das Fuͤhlen
der Kraͤuter nicht aus ſo fernen Landen holen/
in ſeinem Garten wuͤchſe eines/ deſſen Frucht
vom Anruͤhren zerſpringe/ und daher den Nah-
men haͤtte: Ruͤhre mich nicht an. De-
nen deutſchen Foͤrſtern wuͤrde man auch kuͤm-
merlich ausreden/ daß die Baͤume eine Em-
pfindligkeit haͤtten; als welche allein die Urſache
waͤre: warum in dem erſten unvermutheten
Hau die Axt viel tieffer in Baum dringe/ als
hernach/ da der leidende Baum ſich ſo viel moͤg-
lich verhaͤrtete. Fuͤr die Meinung aber/ daß die
Pflantzen beſeelte Thiere waͤren/ oder aber zum
minſten es zwiſchen den Thieren und Pflantzen/
wie zwiſchen den Menſchen und Thieren eine
Mittel-Gattung gaͤbe/ ſchiene nicht wenig zu
ſtreiten/ daß aus denen in das Meer fallen-
den Baum-Blaͤttern bey den Orcadiſchen Ey-
landen/ Endten; bey den Serern in dem See
Vo Schwalben; und in Griechenland aus den
Feigen Wuͤrmer wuͤchſen. Zeno ſagte: Jn
Scythien habe ich mit meinen Augen ein Ge-
waͤchſe mit einem Lamme/ und in Suchuen bey
der Stadt Chingung Baͤume geſehen/ welche
die Blume Thunghoa tragen/ auff derer ieder
ein vollkommener Vogel mit einem Zinoberfar-
benem Schnabel waͤchſt; aber mit der verwel-
ckenden Blume nichts minder ſein Leben/ als
Schoͤnheit einbuͤſt. Hertzog Arpus fing an:
Aus
[609]Arminius und Thußnelda.
Aus allem dieſem laͤſt ſich nun ſo vielmehr ſchluͤſ-
ſen/ daß die Natur in denen vollkommenern
Thieren ſo viel weniger eine Stieff-Mutter ge-
weſen/ und ſie mit einem gewiſſen Lichte des Ver-
ſtandes betheilet haben muͤſſe. Denn ob zwar
ſie keinesweges dem Menſchen/ welcher gegen
ſie ſeiner Weißheit halber fuͤr einen Gott zu hal-
ten/ zu vergleichen waͤren; ſo bliebe doch ein ge-
ringer Verſtand eben ſo wohl ein Theil der Ver-
nunfft/ als ein Zwerg ſo wohl ein Menſch/ als
die Rieſen. Man ſpuͤrte an ihnen den Ver-
ſtand/ das Gedaͤchtniß/ und die Wahl ihres Wil-
lens. Diß aber waͤren die ſaͤmtlichen Kraͤfften
der Vernunfft. Der Wolff fiele nicht zwey
mahl in eine Grube; der Fuchs kaͤme ſein Leb-
tage nicht wieder dahin/ wo ein Fußeiſen gele-
gen; die Hunde ſtritten biß auff den Tod fuͤr ih-
ren Herrn und Wohlthaͤter; die Tauben gaͤben
ſo wohl/ als jene verſchmitzte Kraͤhe des Koͤnigs
Martes/ in Egypten richtige Briefftraͤger ab;
die Huͤner warnigten ihre Jungẽ fuͤr dem Sper-
ber; die Ameißen verſorgten ſich uͤber Winter/
biſſen die Weitzkoͤrner an/ daß ſie nicht kaͤumen/
und begruͤben ihre Todten; die Kranche hielten
wechſelsweiſe Wache; die Ochſen uͤbten ſich vor-
her zum vorſtehenden Streite; die Loͤwen gin-
gen um den Jaͤgern zu entrinnen/ ruͤckwerts in
ihre Hoͤlen/ und zuͤgen im Gange ihre Kreilen
ein; die Ciliciſchen uͤber den Taurus fliegende
Gaͤnſe nehmen Kieſelſteine in die Schnaͤbel/
daß ſie ihr gewohntes Geſchrey nicht den auff-
wartenden Adlern verrathe; die Cretenſiſchen
Bienen machten ſich/ wenn es windicht/ mit
Sandſteinlein ſchwerer. Die Vogel bauten
ihre Neſter ſo kuͤnſtlich/ und nachdem ein Land
heiß oder regenhaft/ an einem Orte oben am an-
dern unten offen; die Papegoyen hiengen ſie/ um
ihre Jungen fuͤr den Schlangen zu bewahren/
mit Faͤdemen an die Baͤume; die Affen lernten
in Africa auff der Floͤten und Laute ſpielen; die
Kranche kuͤndigten den Winter/ die Stoͤrche
und Schwalben den Sommer an. Das
Schwein haͤtte das Ackern/ die Spinne das
Weben/ der Eſel das Hacken der Weinberge/
und viel Thiere die meiſten Artzeneyen erfunden.
Es ſind diß ſchon die Gedancken des Anaxago-
ras geweſt/ verſetzte Rhemetalces/ welcher aber
den Thieren nur einen in ihnen wuͤrckenden
Verſtand enthangen/ ſelbſt aber nachgeben muͤſ-
ſen/ daß ihnen keine Faͤhigkeit etwas mehrers/
als ihnen angebohren iſt/ zu begreiffen verlie-
hen ſey. Zu welchem letztern doch der Kern
der Vernunfft ſteckte; weil der Menſch ſelbſt
von der Geburt her einem ungehobelten Hol-
tze und ungeſchliffenem Steine aͤhnlich waͤre;
woraus der Fleiß als die rechte dem Prome-
theus an der Hand ſtehende Minerva allererſt
ein Bild des Mercur machen muͤſte. Jnſon-
derheit mangelt es den Thieren an dem vor-
nehmſten Werckzeuge der Vernunfft/ nehm-
lich der Sprache/ welche das einige Mittel iſt/
ſo wohl ſeine Gedancken zu entdecken/ als von
andern zu vernehmen. Hertzog Jubil begeg-
nete ihm/ beydes ſchiene ihm ſehr zweiffelhafft zu
ſeyn. Sintemahl die Thiere zwar keine Spra-
che der Menſchen/ aber doch eine ſolche haͤtten/
daß ſie einander verſtuͤnden; ja auch nach und
nach die Sprachen der Menſchen verſtehen
lernten/ und alſo mehr von der Vernunfft/ als
Anaxagoras wahrgenommen/ in ſich ſtecken ha-
ben muͤſten. Melampus/ Tireſias und Tha-
les haͤtten ſich geruͤhmt/ daß ſie die Rede der
Thiere verſtanden/ und hiervon kaͤme der Ruff/
daß die Schlangen vor Alters geredet haͤtten.
Daher lehrten ſo wol die Schwalben und Nach-
tigalen die Jungen ihren Geſang/ als die Stoͤr-
che und Adler ihren Flug; Wie ſollen ſie aber
nicht was anders zu begreiffen faͤhig ſeyn/ da ſie
ſelbſt fremde Sprachen lernen? wie die dem Pto-
lomaͤus aus Jndien geſchickte Hinde die Grie-
chiſche/ und der aus eben dieſem Vaterlande
kommende Papegoy die Britanniſche/ welcher
aus des Koͤnigs Fenſter in die Temſe fiel/ und
um zwantzig Pfund einen Kahn zu bringen ruf-
Erſter Theil. H h h hte;
[610]Fuͤnfftes Buch
te; hernach aber dem Schiffer nur einen Stie-
ber zu geben einrieth. Hanno und Apſephas
haben beyde allerley Voͤgel abgerichtet/ daß ſie
geruffen: Hanno iſt ein Gott/ Apſephas iſt ein
Gott. Jn Griechenland habe ich redende Kraͤ-
hen geſehen/ zu Rom Droßeln/ und in unſerm
Deutſchlande ſind die ſprechenden Stahre nicht
ungemein. Ja auch das Weinen und Lachen/ die
dem Menſchen alleine als was ſonderbares zu-
geſchriebene Eigenſchafften/ ſind etlichen Thie-
ren gemein. Nicht nur die Papagoyen/ ſon-
dern auch gewiſſe gelbe Voͤgel in Jndien lachen
ſo artlich/ daß es kaum vom Menſchlichen zu
entſcheiden iſt. Die Africaniſchen Eſel vergieſ-
ſen ſo wohl Thraͤnen fuͤr Muͤdigkeit/ als die
Crocodile aus Heucheley. Die Pferde haben
nicht nur fuͤr Wehmuth ihren todten Achilles/
ſondern auch den ermordeten Kaͤyſer Julius be-
weinet. Auch die Augen der Elephanten trief-
fen von dieſen Mitleidungs-Zehren/ welchem
Thiere fuͤr allen andern Vernunfft und Ver-
ſtand zugeeignet werden muͤſte/ wenn man ſie
ſchon allen andern abſprechen koͤnte. Es iſt
wahr/ ſagte Zeno; Jch ſelbſt habe von Elephan-
ten Dinge geſehen/ welche ich ſchwerlich glaubte/
wenn mich deſſen nicht meine Augen uͤber-
redet haͤtten. Daß ſie ihre Mutterſprache ver-
ſtehen/ und ſich darinnen zu allem anweiſen laſ-
ſen/ iſt das geringſte. Jch habe in Jndien ſie
etliche Worte/ dardurch ſie ihren Willen eroͤff-
net/ reden gehoͤret; ja auch in den Staub mit der
Schnautze ſchreiben ſehen. Daher ich nun
auſſer Zweiffel ſetze/ daß einer zu Rom Grie-
chiſch geſchrieben: Jch habe den Celtiſchen
Raub zur Einweihung getragen. Sie
laſſen ſich zum Kriege und allen andern Kuͤnſten
abrichten/ und einen Knaben mit einen kleinen
Eiſen nach Belieben leiten. Sie halten um die
Jndiſchen Koͤnige die Leibwache; fallen zu be-
qvemern Auff- und Abſteigen auff die Knie/ buͤ-
cken ſich fuͤr ihren Herren mit groſſer Ehrerbie-
tung; und wie hertzhafft ſie kaͤmpffen/ habe ich ſo
wol/ als der wider den Porus ſtreitende Alexan-
der erfahren. Ja auch die Wilden machen unter
ſich Schlachtordnungen gegen Thiere und Jaͤ-
ger/ nehmen die Schwachen in die Mitte/ ver-
laſſen keinmahl die Matten/ und ziehen die Pfei-
le aus den Wunden vorſichtiger/ als die erfah-
renſten Aertzte. Sie lernen die Fechter- und
Schwimmens-Kunſt/ ſpielen mit dem Balle/
ſchießen nach dem Ziele/ tantzen nicht nur nach
den Kreißen und fuͤrgemahlten Wendungen/
ſondern auch auff dem Seile/ und thun in den
Schauſpielen den Gaucklern alle Kuͤnſte nach/
oder zuvor. Sie vergeſſen in zehn und mehꝛ Jah-
ren nicht angethane Beleidigungen/ und ſparen
ihre Rache biß zu beqvemer Gelegenheit/ betruͤ-
ben ſich hingegen zuweilen uͤber ihrer Leiter Ab-
ſterben ſo ſehꝛ/ daß ſie ſich ſelbſt durch Enthaltung
vom Eſſen toͤdten. Sie wiſſen derer auff ſie be-
ſtellten Knechte Betruͤgereyen artlich zu entde-
cken; und wie keuſch ſie ſonſt nicht allein unter
ſich ſelbſt ſind/ ſondern auch denen Ehebrechern
alles Leid anthun/ verlieben ſie ſich doch in die
Menſchen auffs hefftigſte. Sie ſind ſo Ruhm-
begierig/ daß ich einen ſich auff des Koͤnigs An-
leitung in den Strudel des Ganges/ alſo in den
augenſcheinlichen Tod ſtuͤrtzen ſehen. Welcher
derogeſtalt ſo merckwuͤrdig zu achten/ als jener
Elephant Ajax des Koͤnigs Antiochus/ der aus
Scham mit Fleiß erhungerte/ weil er es ihm den
andern Elephanten in Uberſchwimmen eines
Fluſſes zuvor thun ließ/ und ihn hernach mit ſil-
bernem Zeuge ausputzen ſahe. Sie beerdigen ih-
re Todten/ und wormit gleichſam den Menſchen
weder Weißheit noch Andacht zum Vorrecht
bleibe/ ſo glaͤuben die Jndianer feſte/ daß die Ele-
phanten auch von dem/ was im Him̃el geſchehe/
Wiſſenſchafft haͤtten; Jch aber habe mit Augen
geſehen/ daß ſie die auffgehende Sonne und den
neuen Monden anbeten. Wer wolte nun nicht
nachgeben/ daß etliche Thiere nicht einen der
menſchlichen Vernunfft zwar nicht gleichkom-
menden-
[611]Arminius und Thußnelda.
menden-iedoch einen ihr nicht gantz unaͤhnlichen
Verſtand haben? Sintemahl diß/ wormit der
Menſch alle andere Thiere uͤbertrifft/ mehr was
goͤttliches/ als menſchliches iſt. Der Papegoy
unſerer Gethiſchen Fuͤrſtin Syrmanis redet
mir hierinnen noch ferner das Wort/ von dem
ich ſchier zu erzehlen vergeſſen haͤtte/ daß/ als er uͤ-
ber die Graͤntze des Seriſchen Reichs gefuͤhret
ward/ zu reden anfing: Jch bin ein Seriſcher
Vogel/ und ſchaͤtze auſſer meinem Vaterlande
keines wuͤrdig/ daß ſie meine Stim̃e hoͤren ſolle.
Woꝛauff er alſofort im Keſichte ſich erſtieß. Der
Feldherr fing an: dieſer Papegoy hat beſſer als
Alexanders Pferd und ſein Hund Peritas/ wel-
chen er zu Ehren 2. Staͤdte in Jndien gebaut/
ein Ehrenmahl/ und ein koͤſtlicher Begraͤbniß/
als nechſthin ein Rabe zu Rom/ verdienet. Die-
ſem Papegoyen muß ich einen von den Frieſen
aus der Atlantiſchen Jnſel gebrachten/ und mei-
nem Vater Segimer verehrten Vogel an die
Seite ſetzen/ welcher/ wo nicht der verſtaͤndigſte/
doch gewiß der ſchoͤnſte Vogel in der Welt iſt/
und daher beſſer als der Pfau ein außer wehlter
Vogel der Juno/ und des Koͤnigs der Mohren/
zwiſchen dem See Zaire/ und dem Meere zu
ſeyn verdienet/ in deſſen Gebiete niemand auſſer
ihm bey Verluſt des Lebens und der Guͤter eini-
gen Pfauen halten darff. Er war aber auff dem
Bauche und der Helffte der Fluͤgel morgenroth/
der Ruͤcken und das uͤbrige der Fluͤgel himmel-
blau/ der lange Schwantz fleiſchfarbicht/ mit
bleich-gruͤn und glaͤntzender Schwaͤrtze unter-
mengt. Der Kopff hatte wellicht und ruͤckwaͤrts
gekraͤuſelte Federn von Roſenfarbe/ und von ei-
nem gelb-rothen Feder-Puſche eine Krone/ die
wie gluͤende Kolen ſchimmerte/ die Augen breñ-
ten wie Rubinen unter ſchneeweiſſen Augenlie-
dern. Was aber das wunderwuͤrdigſte war/ ver-
ſtand uñ redete er in 3. Sprachen die Worte ver-
ſtaͤndlicher/ als die abgerichteſtẽ Papegoyen aus.
Nach aller Anweſenden hieruͤber geſchoͤpfften
Verwunderung und Urthel: daß dieſer Pape-
goy ihm ſein Grabelied gewiſſer/ als die Schwa-
nen zu ſingen gewuſt/ erzehlte Zeno ferner: Als
Koͤnig Huhanſien zu Siucheu alles in gute Ord-
nung geſtellt hatte/ waͤre er wegen der im Stre-
me Kiang befindlicher Strudel und Steinklip-
pen auff der lincken Seiten des Fluſſes zu Lan-
de/ gegen der Haupt-Stadt Chunking fortge-
ruͤckt. Nachdem das Heer den erſten und andern
Tag durch eine uͤberausfruchtbare Gegend biß
an den Fluß Chung kommen/ haͤtten ſie den drit-
ten Tag das Laͤger unter dem hohen Berge
Thunghuen auffgeſchlagen/ an dem er ſich da-
mals nicht ſatt ſehen/ noch itzo ohne hoͤchſte Ver-
wunderung zuruͤcke gedencken koͤnte. Denn ob
wohl die Serer insgemein auff den Gebuͤrgen
ihren Abgoͤttern und Helden zu Ehren koͤſtliche
Bilder aufſetzten/ uñ inſonderheit die aus Stein
gehauene Seule des Abgotts Fe/ ein Elefant/
ein Loͤw/ eine Glocke und Drommel auff dem
Berge Xepao in der Landſchafft Junnan be-
ruͤhmt und wuͤrdig zu ſchauen waͤren; Ob auch
wohl des beruͤhmten Baumeiſters Dinoſtratus
Erbieten/ daß er aus dem Berge Athos des groſ-
ſen Alexanders Bild/ welches mit einer Hand ei-
ne groſſe Stadt/ mit der andern einen Fluß oder
See faſſen wolte/ deſſen Waſſer den Einwoh-
nern zu taͤglichem Gebrauch auskommentlich
ſeyn ſolte/ insgemein fuͤr eine großſprecheriſche
Unmoͤgligkeit gehalten wuͤrde; ſo haͤtte doch aus
dem viel groͤſſern Berg Tunghuen ein alter Koͤ-
nig den Goͤtzen Fe mit geſchraͤnckten Beinen/
und in die Schooß gelegten Haͤnden gefertiget/
deſſen Hoͤhe und Groͤſſe daraus zu ermeſſen waͤ-
re/ daß man Augen/ Ohren/ Naßloͤcher und den
Mund daran uͤber 2. deutſcher Meilen davon
erkieſen koͤnte; alſo/ daß ihm weder der aus einem
Steine gehauene Egyptiſche Sphynx/ deſſen
Kopff 122. Fuͤſſe dick/ 143. lang/ und 162. hoch
ſeyn ſoll/ noch auch der Fuß in der andern Spitz-
Seule oder dem Begraͤbniſſe des Koͤnigs Ama-
ſis aus zweyen Steinen/ deren ieder 30. Fuͤſſe
dick/ und 1400. lang iſt/ und darein die Woh-
H h h h 2.nungen
[612]Fuͤnfftes Buch
nungen der Prieſter gehauen ſind/ einigerley
Weiſe den Schatten reichten. Auff dem Na-
gel der kleinen Zehe im rechten Fuſſe leſe man
folgende Uberſchrifft:
Der Koͤnig Huhanſien/ fuhr Zeno fort/ hielt
ſich theils um ſein Kriegs-Heer durch die Fruͤch-
te dieſer Gegend und die aus dieſem Goͤtzen ent-
ſpringende Baͤche zu erfriſchen/ theils dieſes
Wunderbild genau zu betrachten zwey Tage
darbey auff/ verrichtete fuͤr ihm ſeiner Lan-
des-Art nach ſein Opffer/ kriegte aber den drit-
ten von einem uͤberlauffenden Serer die Nach-
richt/ daß Koͤnig Juen/ welcher wegen falſcher
Kundſchafft ſeine gantze Macht in die Land-
ſchafft Xenſi gezogen hatte/ nach verlautetem
Einbruche in Suchuen/ nur ein Theil ſeines
Kriegs-Volcks alldar zur Beſchirmung ge-
laſſen/ er aber mit der groͤſten Macht ſich auff
den Strom Sung geſetzt/ und bey der Stadt
Chunking/ wo ſelbter in den Fluß Kiang faͤllt/
ausgeladen haͤtte/ alſo nun nahe an ihm mit dem
gantzen Heere in vollem Anzuge waͤre. Auf den
Abend ließ ſich ſchon der Serer Vortrab ſehen/
mit welchem die berittenſten Scythen nur etli-
che Scharmuͤtzel ausuͤbeten. Um Mitter-
nacht ſtellte Huhanſien und ſeine Feld-Oberſten
in der bey Piexan liegenden zwey hundert Sta-
dien langen Flaͤche das Kriegs-Heer ſchon in
Schlacht-Ordnung; iedoch derogeſtalt/ daß ein
groſſes Theil des Volcks hinter dem Berge
Chungpie verborgen ſtand. Als es begunte zu
tagen/ ſahen wir ſchon/ daß Koͤnig Juen mit ſei-
nen vier mahl hundert tauſend Serern in voller
Schlacht-Ordnung gegen uns ankam. Oropa-
ſtes/ ich und die als eine Amazone ausgeruͤſtete
Syrmanis muſten nahe bey dem Koͤnige blei-
ben. Es iſt unmoͤglich zu beſchreiben die grau-
ſame Blutſtuͤrtzung; Die Serer waren zwar
an Menge ſtaͤrcker/ und thaͤten durch ihre
vortheilhafftige Gewehre/ inſonderheit durch
viel von Gewalt des Feuers geſchoſſene Bley-
Kugeln groſſen Abbruch. Die in denen ſaͤn-
dichten Wuͤſteneyen/ aber mehr ausgehaͤrte-
ten Scythen/ waren doch denen durch Uber-
fluß ihres von Fruchtbarkeit ſchwimmenden
Landes/ und durch uͤbermaͤßige Ubungen der
Weltweißheit halb weibiſch gemachten Serern
uͤberlegen. Wie? ſagte Rhemetalces/ ſoll die
Weltweißheit/ welche das Gemuͤthe wider alle
Zufaͤlle befeſtiget/ welche einen erſt zum Man-
ne macht/ welche als eine unerſteigliche Mauer
durch keinen Ruͤſtzeug des Gluͤcks uͤbermeiſtert
werden kan; welche die Foltern der Hencker ver-
lachet/ fuͤr der Sichel des Todes und den ſchim-
mernden Klingen der Feinde kein Auge verwen-
det/ eine Mutter weibiſcher Zagheit/ und eine
Vorlaͤufferin des Untergangs ſeyn? Der Feld-
herr nahm ſich des Zeno an: die rechte und un-
verfaͤlſchte Weltweißheit/ welche das Gemuͤthe
durch Tugend ausarbeitet/ die Richtſchnur des
Lebens/ was zu thun oder zu laſſen ſey/ fuͤrſchrei-
bet/ bey dem Steuer-Ruder der Vernunfft ſitzet/
und durch die ſtuͤrmenden Wellen des truͤben
Welt-Meeres gluͤcklich durchfuͤhret/ iſt in alle-
wege ein eiſernes Bollwerck der Koͤnigreiche/
nicht ihre Verzaͤrtlerin. Aber insgemein tauch-
ten die Menſchen nur einen Finger in ihre Leh-
re/ weil dieſe im Anfange herber als Wermuth/
die liebkoſenden Wolluͤſte aber ihnen ſuͤſſer als
Zucker ſchmeckten. Alſo umbhuͤllten ihrer
viel ſich mit dem Mantel der Welt-Weiſen/
derer Gemuͤthe mit Uppigkeit angefuͤllt waͤ-
re. Uberdiß mengte man allerhand ſchein-
bare Waare unter ihre Wuͤrtzen/ welche
zwar
[613]Arminius und Thußnelda.
zwar an ſich ſelbſt nicht falſch/ aber zum Miß-
brauch uͤberaus diente. Dieſes waͤre die Be-
redſamkeit/ die Dichter - Bau - Stern- und
Meß-Kunſt/ ja alle dieſelben Wiſſenſchafften/
welche an ſich eine angeborne Liebligkeit haͤtten/
die Ruhe liebten/ dem Kriege und rauhen Arten
feind waͤren. Durch dieſe verlernte man die
Krieges-Ubungen/ der Leib wuͤrde verzaͤrtelt/
das Gemuͤthe eingeſchlaͤft/ das Volck zu Schau-
ſpielen und andern Kurtzweilen verliebet/ und
den tapferſten Leuten unvermerckt das Hertz aus
der Bruſt/ und das Schwerdt aus den Haͤnden
geriſſen. Durch dis Kunſt-Stuͤcke haͤtte Cy-
rus die Lydier/ Ariſtodemus die Cumaner ge-
baͤndiget/ indem jener ihnen Pferde und Waf-
fen genommen/ hingegen Wirths- und Huren-
Haͤuſer aufgerichtet; dieſer aber der Buͤrger
Soͤhne biß ins zwanzigſte Jahr im Frauen-
Zimmer unter Biſam und Balſam erzogen/
welche zuvor im zehnden ſchon in das ſtaubichte
Lager genommen worden. Denen Roͤmern
waͤre es bey Menſchen Gedencken mit den Bri-
tanniern/ welche ſie Tempel/ Raths-Haͤuſer/
und Baͤder zu bauen/ ſich in der Lateiniſchen
Beredſamkeit zu uͤben/ Luſt-Spielen und Ga-
ſtereyen zu ergeben angewoͤhnet/ gluͤcklich ange-
gangen/ daß ſie ihnen unter dem Schein der
Hoͤfligkeit das Seil der Dienſtbarkeit an die
Hoͤrner geſchlingt. Dieſes haͤtte ſeine Vorfahrẽ/
als ſie in Griechenland und Gallien eingebro-
chen/ beweget/ daß ſie von Verbrennung ihrer
Buͤcher abgelaſſen/ weil ſie nach und nach
wahrgenommen/ daß ſie daraus wohl gelehrt/
aber auch weibiſch worden. Und er erin-
nere ſich zu Rom gehoͤrt zu haben/ daß Cato ſtets
im Munde gefuͤhret: Rom haͤtte ſeine Freyheit
verlohren/ als die Kuͤnſte der Griechen bey ihnen
Buͤrger-Recht gewonnen. Ja er habe zuwege
gebracht/ daß drey beruffene Griechiſche Redner
alſofort wieder waͤren nach Hauſe geſchickt wor-
den. Rhemetalces verſetzte: Dieſes iſt nicht
die Schuld dieſer herrlichen Kuͤnſte und Wiſſen-
ſchafften/ ſondern derſelben/ die ſich ihrer ſchaͤnd-
lich mißbrauchen. Soll man aber darumb
alle Roſen-Straͤuche ausrotten/ weil die Spin-
ne Gift daraus ſauget; oder gar den Gottes-
Dienſt aufheben/ weil die Thorheit ihn zum
Aberglauben macht? Die Lehre der Tugend
und Sitten iſt freylich wohl der Kern der Welt-
weißheit/ die Tugend aber ſelbſt nicht ſo unbarm-
hertzig/ daß ſie dem menſchlichen Gemuͤthe alle
Anmuth mißgoͤnnen/ und iede Ergetzligkeit ver-
ſtoͤren ſolte. Die Oelbaͤume vertruͤgen neben
ſich die Myrthen/ der Wein - Stock das an-
nehmliche Blumwerck. Und ich moͤchte ſelbſt
in keiner Stadt wohnen/ in welcher alle Woh-
nungen Zeughaͤuſer oder Ruder-Baͤncke waͤ-
ren. Soll man aber dieſer Weißheit gram wer-
den/ weil der Mißbrauch ihr Leid anthut? Jch
meyne vielmehr/ daß ihre Unſchuld nichts min-
der zu beweinen ſey/ als eine Jungfrau/ welcher
die Geilheit Unehre zumuthet. Fuͤrſt Zeno ant-
wortete: Jch habe in meiner Erzehlung weder
die ſauerſehende/ noch auch die anmuthige Welt-
weißheit verdammet; ſondern allein die Serer
getadelt/ daß ſie dieſer allein umbarmet/ die
Kriegs-Kunſt aber zur Thuͤre hinaus geſtoſſen/
und hierdurch ihr maͤchtiges Reich/ fuͤr deſſen
Kraͤfften gantz Aſien zittern ſolte/ zum Raube
ſchwaͤcherer Voͤlcker gemacht. Wiewohl ich
geſtehe/ daß ſie dieſes mal ihren Mann noch ziem-
lich gewehret: Dahero denn auch die Schlacht
den halben Tag mit gleichem Gluͤcke abwechſel-
te/ biß Zingis ein Scythiſcher Fuͤrſt nebſt dreiſſig
tauſend auserleſenen Nomaden und Sarma-
tern hinter dem Berge Chungie herfuͤr kam/
und den Serern recht in Ruͤcken fiel; da denn
zwar jene einen Vortheil zu kriegen ſchienen/
iedoch brachte der tapfere Koͤnig Juen durch ſei-
ne Hertzhaftigkeit/ und die neue Huͤlffe des Se-
riſchen Hinterhalts alles wieder in gleiches Ge-
wichte. Weil nun der in gelben Kleidern allein
prangende Koͤnig Juen faſt allenthalben/ wo es
am gefaͤhrlichſten ſchien/ an der Spitze fochte/
H h h h 3und
[614]Fuͤnfftes Buch
und ſeine Haupt-Fahne dahin zudringen ließ;
hielt Koͤnig Huhanſien es ihm fuͤr eine unaus-
leſchliche Schande/ dieſem kuͤhnen Feinde nicht
ſelbſt die Stirne zu bieten. Alſo muſten die fuͤr
ihn fechtenden Voͤlcker Platz machen/ und er
drang mit ſeiner Leibwache gerade auf den Seri-
ſchen Koͤnig loß. Dieſe zwey Koͤnige fielen
einander ſelbſt als Loͤwen an/ gleich als ſie eine
abſonderliche Tod-Feindſchafft gegen einander
truͤgen. Oropaſtes und ich kamen auf zwey Fuͤr-
ſten des Gebluͤtes zu treffen/ worfuͤr wir ſie aus
ihren mit guͤldenen Drachen geſtuͤckten Kleidern
erkennten. Und ich hatte das Gluͤcke einen
mit meinem Sebel zu erlegen; Oropaſtes aber
ſeinen Feind mit einem Spieſſe vom Pferde zu
rennen. Jnzwiſchen hatte Koͤnig Juen/ ob
ihn ſchon Huhanſien mit einem Pfeile in die Len-
dẽ verwundet/ durch ein verborgenesFeuer-Ge-
wehr dem Koͤnig Huhanſien 2. Bley-Kugeln
in den rechten Arm geſchoſſen/ daß er nicht mehr
ſeine Sebel brauchen/ und alſo aus dem Streite
mit nicht geringem Schrecken der Scythen wei-
chen muſten. Die Fuͤrſtin Syrmanis/ als die
nechſte darbey/ hatte zu groſſem Gluͤcke den dem
Koͤnige Juen ſtets an der Seiten kaͤmpfenden
hoͤchſten Reichs-Rath/ der zu ſeinem Kennzeichen
eine Binde mit vielen Edelgeſteinen fuͤhrte/
durchrennet; Dahero als ſie den Koͤnig Juen
dem weichenden Huhanſien nachdringen ſahe/
brachte ſie mit einer unglaublichẽ Geſchwindig-
keit dem Juen einen toͤdtlichen Streich bey/ daß
er todt vom Pferde fiel. Die umb ihn fechten-
den Serer erſchracken hieruͤber ſo ſehr/ daß ſie
erſtarreten/ gleich als ſie alle der Blitz geruͤhret
haͤtte. Oropaſtes rieß bey dieſer Gelegenheit
dem Reichs-Faͤhnriche das einen guͤldenen Dra-
chen fuͤrbildende Koͤnigliche Reichs-Fahn aus/
und ſchmiſſe es zu Bodem. Hierdurch gerieth
das gantze Seriſche Heer in Unordnung/ und
nach dem die Leibwache noch wohl eine Stunde
lang umb die Fahn und die Koͤnigliche Leiche
verzweifelt/ aber vergebens gefochten hatte/ wor-
uͤber ich in die Achſel/ Syrmanis in die Hand
verwundet ward/ hingegen unſer aͤuſerſter Hin-
terhalt aufs neue den Serern in die Seite fiel/
gerieth alles in Verwirrung/ und weil die Furcht
auch die Tapferen/ wie der Krebs die geſunden
Glieder nach und nach einnim̃t/ bald darauf
in offentliche Flucht. Kein Scythe ſteckte die-
ſen Tag eine Sebel ein/ die nicht vor in Se-
riſchem Blute gewaſchen war/ und die Mitter-
nacht leſchte noch nicht dieſer verbitterten Feinde
brennende Mord-Begierde aus. Das einmal
einreiſſende Schrecken benim̃et den Augen das
Geſichte/ den Ohren das Gehoͤre/ und der Ver-
nunfft allen Verſtand; daher die Scythen nicht
allein die an denen zwey Haupt-Fluͤſſen Pa und
Kiang liegende herrliche Stadt Chunking ver-
lieſſen/ ſondern ſich auch des Vortheils dieſer
zwey Fluͤſſe/ an welchen ſie mit geringer Macht
noch einmal ſo viel Scythen haͤtten aufhalten
koͤnnen/ entaͤuſerten. Die Stadt Chunking
ſchickte mit der Morgen-Roͤthe dem Koͤnig Hu-
hanſien die Schluͤſſel zu den Stadt-Thoren ent-
gegen; welcher/ ungeachtet ſeiner Verwundung/
gegen Mittags zu Pferde ſeinen uͤberaus praͤch-
tigen Einzug hielt. Die Haͤuſer auf den Straſ-
ſen waren mit eitel Gold-geſtickten Teppichten
bekleidet/ die Spring-Brunnen ſpritzten eitel
eingeambert Waſſer aus/ die Straſſen waren
mit eitel hier haͤuffig wachſenden Blumen Meu-
tang beſtreut/ welches eine weißlichte mit Pur-
pur vermiſchte uͤberaus groſſe und aller Dornen
befreyte Roſe iſt/ und von den Serern fuͤr die
Koͤnigin der Blumen gehalten wird. Bey der
Koͤniglichen Burg uͤbergaben die Mandarinen
dem Koͤnige Huhanſien die daſelbſt befindliche
Koͤnigliche Krone/ und andere Zierrathen. Auf
den Morgen kam der Koͤnig ſelbſt in das Zim-
mer der Fuͤrſtin Syrmanis/ fuͤhrte ſie an der
Hand/ und ſetzte ſie nebſt ſich auf einen guͤldenen
von vier ſchneeweiſſen Pferden gezogenen Sie-
ges-Wagen/ und zohe mit noch groͤſſerer Pracht
auf den nahe bey der Stadt gelegenen Luſtberg
Lungmuen/ auf welchem ein von weiſſem Mar-
mel
[615]Arminius und Thußnelda.
mel gebauter inwendig mit dichtem Golde uͤber-
zogener und mit vielfaͤrbicht eingelegten Por-
phiren und Agathen gepflaſterter Tempel ſte-
het/ in welchem die Koͤnige dieſes Sophitiſchen
Reichs fuͤr Alters gekroͤnet/ und fuͤr dem Wuͤte-
rich Tein/ welcher/ umb aller ſeiner Vorfahren
Gedaͤchtnuͤß auszutilgen/ von ihm aber einen
Anfang aller Geſchichte zu ſtiften/ alle Schriff-
ten und Denckmahle verbrennen laſſen/ wohl
30000. Buͤcher von dem Prieſter Scyulo ver-
borgen und erhalten worden. So bald er da-
hin kam/ trat er mit der Fuͤrſtin Syrmanis fuͤr
das Altar/ auf welchem die Prieſter von eitel
wohlruͤchendem Adler- und Zimmet-Holtze/ das
ein Regenbogen beruͤhret hatte/ ein Feuer mach-
ten. Hierauf reichte er der Syrmanis eine
Agtſteinerne Schale mit Weyrauch/ und er-
mahnte ſie/ daß ſie dem groſſen Himmels-Koͤni-
ge darmit opfern ſolte. Syrmanis/ unwiſſende/
daß dieſes denẽ Koͤnigin dieſes Reiches allein zu-
kaͤme/ und ſelbte durch derogleichen Opferung
fuͤr das Haupt des Landes erklaͤret wuͤrde/ ſtreu-
te den Weyrauch freymuͤthig in die Flam̃e. Die-
ſes war kaum geſchehen/ als die mit Fleiß anher
gefuͤhrten theils gefangenen/ theils ſich ergebendẽ
Fuͤrſten und Mandarinen in Suchuẽ der Syr-
manis zu Fuſſe fielen/ ihre Haͤupter biß zur Er-
de neigten/ hernach ſie/ wiewohl mit helffenbei-
nernen Taffeln fuͤr dem Munde/ wormit ſie ihr
Athem nicht beruͤhrte/ fuͤr die Koͤnigin in Su-
chuen gruͤßten. Alſo nimmet man auch fremb-
de Herrſchafften/ nur weil ſie neu ſind/ mit Fro-
locken an. Dieſen folgten vier Scythiſche
Fuͤrſten/ welche die Syrmanis nahmen/ und
auf einen mit unzehlbaren Edelgeſteinen ſchim-
mernden Stul hoben. Koͤnig Huhanſien
ward von vier andern auf einen gleich uͤber ſte-
henden getragen. Der Tempel erbebte von
dem Frolocken des Volckes/ Syrmanis aber
wuſte nicht/ wie ihr geſchahe/ biß nach einem
Handwinck alles ſtille ward/ der Koͤnig aber zu
reden anfing: Das Gluͤcke/ das Recht der Waf-
fen/ und unſere Tugend hat uns zum Meiſter
in Suchuen gemacht. Man muß aber durch
Klugheit behalten/ was man durch Tapferkeit
erworben hat. Jene erfordert die Belohnung
groſſer Verdienſte/ und eine weiſe Einrichtung
der Ober-Herrſchafft. Beydes dieſes aber eignet
der unvergleichlichen Syrmanis die Krone Su-
chuens zu. Dieſe gebuͤhret dir/ weil du dem
groſſen Fuͤrſten der Scythen das Leben erhal-
ten/ dem Seriſchen aber hertzhaftig genommen
haſt. Du aber wirſt ſelber dich nicht entziehen/
weil das Verhaͤngnuͤß dir uͤbermaͤſſigen Ver-
ſtand ſolche zu tragen/ und einen Helden-Geiſt
ſie zu beſchuͤtzen verliehen hat. Freue dich aber
nunmehr erſt gluͤckſeliges Suchuen/ daß du ei-
ner Koͤnigin gehorcheſt/ welche Saltz im Gehir-
ne/ Zucker im Munde/ Feuer im Hertzen/ und
den Blitz in Haͤnden fuͤhret. Jſt ſie nicht von
Geburt eine Koͤnigin/ ſo hat ſie die Natur durch
ihre Faͤhigkeit/ und die Tugend durch Verdienſt
hierzu gemacht. Fuͤrſtliche Hoheit und Freund-
ligkeit aber ſind augenſcheinlich in ihr Antlitz ge-
praͤget. Dieſes annehmliche Anſehen verknuͤpft
durch eine geheime Krafft die Hertzen der Unter-
thanen ihr nicht allein zum Gehorſam/ ſondern
ſo gar die Seelen der Herrſchenden zur Vereh-
rung. Begluͤckſelige dich alſo/ Suchuen/ mit
deinem Schiffbruche/ welcher dir was beſſers
gegeben/ als genommen hat/ Die haͤrteſten
Donner-Schlaͤge/ wie ſchrecklich ſie ſcheinen/ zie-
hen nach ſich eine reiche Fruchtbarkeit. Ver-
gnuͤge dich aber/ groſſe Syrmanis/ an dieſem
Reiche. Einer Ceder iſt zwar ein kleines Ge-
faͤſſe/ einem groſſen Gemuͤthe aber der geringſte
Winckel der Welt ſeine Tugend auszuuͤben zu
enge. Nichts iſt fuͤr klein zu ſchaͤtzen/ wo ein
groſſer Nahme Raum finden kan. Die Fuͤr-
ſtin Syrmanis/ ob ſie zwar dieſer Begebenheit
ſich auf dieſen Tag am wenigſten verſehen hatte/
hoͤrete den Koͤnig Huhanſien mit unveraͤndertem
Geſichte/ und ſonder das geringſte Merckmal
eines verwirrt- oder frolockenden Gemuͤthes
aus. Jhre Geberden zeigten keinen Hochmuth/
und bey aller dieſer Neuigkeit ſchien an ihr nichts
neues/
[616]Fuͤnfftes Buch
neues/ gleich als ſie mehr herrſchen koͤnte/ als ver-
langte. Sie erklaͤrte ſich hierauf mit einer an-
nehmlichen Erbietung: Das weibliche Ge-
ſchlecht waͤre die Centner-Laſt eines Reiches auf
ſeine Schultern zu heben allzu unvermoͤgend;
ihre geringe Dienſte aber allzu unwuͤrdig/
daß ſie ihr den Siegs-Preiß zueignen ſolte/ wel-
chen die Tapferkeit des groſſen Huhanſien/ und
die Waffen der ſtreitbaren Scythen mit ihrem
Blute erworben haͤtten. Sie beſtaͤrckte in die-
ſer Meynung das Beyſpiel des in dieſem Reiche
ſo ſehr beruͤhmten Fuͤrſten Sungous/ welcher
dieſes Ampt ſeinem groſſen Verſtande uͤberlegen
zu ſeyn gemeynet. Bey ihrer Unfaͤhigkeit wuͤ-
ſte ſie doch dieſes: daß es einem Unvermoͤgenden
ruͤhmlicher waͤre/ ſich einer angetragenen Buͤr-
de zu entaͤuſern/ als einem Vermeſſenen die
uͤbernommene ſchimpflich einzubuͤſſen. Bey
ſolcher Beſchaffenheit wuͤrde ſie fuͤr eine Gnade
annehmen/ da der Koͤnig ſie ihre Schwachheiten
auf dem groſſen Schauplatze der Welt zu ent-
bloͤſſen nicht in Gefahr ſetzen/ ſeinen eigenen
Siegs-Preiß aber nicht in die Schantze ſchlagen
wuͤrde. Da aber der Befehl des Koͤnigs ſo un-
erbittlich/ als der Schluß des Verhaͤngnuͤſſes
unveraͤnderlich waͤre/ muͤſte ſie ſich beſcheiden/
daß wie den Goͤttern auch ſchlechte Opfer ange-
nehm waͤren/ und ſie ihre untuͤchtigen Werck-
zeuge geſchickt machten; alſo wolle Huhanſien
durch Erhoͤhung ihrer Niedrigkeit die Groͤſſe
ſeiner Gewalt zeigen/ ihren Gehorſam ſeinem
eigenen Vortheil vorziehen/ und durch ſeine Be-
ſchirmung eine Ohnmaͤchtige zu Beherrſchung
eines ſo groſſen Volckes faͤhig machen. Jedoch
wuͤrde ſie auf allen Fall unter dem Schatten
der Koͤniglichen Wuͤrde das Ampt einer weſent-
lichen Stadthalterin des groſſen Huhanſiens be-
kleiden. Die 4. Scythiſchen Fuͤrſten uͤberlie-
ferten der neuen Koͤnigin hierauf die Koͤnigli-
chen Kleinode/ welches war ein blau und gelber
Bund mit einem Puſch Reiger-Federn und
groſſen Diamanten ausgeſchmuͤckt/ ein mit
Rubinen uͤber und uͤber verſetzte Sebel/ ein goͤl-
dener Koͤcher und Bogen mit Smaragden gantz
bedeckt/ und das Koͤnigliche Siegel/ darein ein
Drache gegraben/ welchem alle/ die zu der Koͤ-
niglichen Verhoͤr gelangen wollen/ ja auch der
Koͤnig ſelbſt bey ſeiner Wahl tieffe Ehrerbietung
bezeugen muͤſſen. Das allerſchaͤtzbarſte aber
war eine kuͤpferne verguͤldete Kugel/ auf welcher
einen Helfte die Landſchafft Suchuen/ auf der
andern aber die Geſtirne/ welchen diß Land un-
terworffen/ ſehr kuͤnſtlich geſtochen waren. Die-
ſe Kugel war zwar nicht von denſelbigen 9. Ge-
faͤſſen/ welche Koͤnig Jvus ſchon fuͤr 2200. Jahrẽ
als Merckmale ſeiner 9. Laͤnder hatte bereiten
laſſen/ und wormit als einem heiligen Geheim-
nuͤſſe den Koͤnigen die Herrſchafft des Reiches
uͤbergeben ward. Alleine es war ein Gemaͤch-
te des Fuͤrſten Xius/ der allererſt fuͤr 200. Jahren
von dem Fuͤrſten Xo und Pei/ welche beyde mit
ihrem Vater ſich dem groſſen Alexander unter-
warffen/ Suchuen erobert/ und alſo des Yvus
Reichs-Geſchirre mit Vergroͤſſerung des Rei-
ches vermehret/ Huhanſien aber ſolche unter dem
Geraͤthe des Koͤnigs Juen erobert hatte. Alles
Volck/ welches die Eroberung dieſer Gefaͤſſe
fuͤr eine Goͤttliche Zuwerffung des Reiches hielt/
verwandelte bey Erhebung der Fuͤrſtin Syrma-
nis ſein Stillſchweigen in ein Frolocken/ und be-
gleitete den Koͤnig der Scythen und die neue
Koͤnigin mit hoͤchſter Pracht und Gluͤcks-Zu-
ruffungen wieder nach Chunking. Alſo zeitlich
verwandelte ſich das Traurẽ/ welches doch einem
ſo neuen Betruͤbnuͤſſe/ als der ſchmertzhafte Tod
ihres erſchlagenen Koͤniges war/ wohl anſtehet/ in
Freuden; ja/ weil ſo wohl die Serer als Perſen
ihre Reichs-Haͤupter nicht ohne Geſchencke be-
gruͤſſen/ ward die Koͤnigin Syrmanis in wenig
Tagen mit tauſenderley Gaben gleichſam uͤber-
ſchuͤttet. Maſſen denn auch den ſechſten Tag von
der an der Graͤntze des Reiches Huquang liegen-
genden Stadt Jungning/ und von der fuͤr-
nehmſten Haupt-Stadt Suchuens Chnigtu/
an dem Fluſſe Kin/ in welcher Gebiete ein
Brunn wie das Meer ab- und zunimmt/
und
[617]Arminius und Thußnelda.
und eine Bach von dem Berge Tafung ſechzig
Stadien hoch abfaͤllt/ nicht nur Zeitung/ daß ſie
die dahin geſchickten Scythiſchen Krieges-
Voͤlcker zur Beſatzung eingenommen hatten/
ſondern auch Geſandſchafften mit groſſen Ki-
ſten Biſam/ welcher an dem Nabel eines kleinen
Rehes waͤchſt/ ſeltzamen Affen/ und andern Koſt-
barkeiten ankamen. Das herrlichſte Geſchencke
unter allen aber waren zwoͤlf wunder-ſchoͤne
Knaben/ welche die Fuͤrſten des Reichs zu Be-
dienung der neuen Koͤnigin im Lande auserle-
ſen hatten. Dieſe waren aufs herrlichſte mit
den groͤſſeſten Perlen um den Hals und die Ar-
men/ auf dem Haupte mit einem von Diaman-
ten ſchimmernden Krantze ausgeputzt. Vier
derſelben waren mit Purpur bekleidet/ mit Koͤ-
cher und Bogen ausgeruͤſtet/ der eine uͤberliefer-
te der Koͤnigin Syrmanis eine Krone/ der an-
der einen Koͤnigsſtab/ der dritte eine groſſe guͤl-
dene Muͤntze/ auf welcher ſie mit einem neuen
Nahmen nemlich einer Tochter der guͤldenen
Abendroͤthe gepreget ſtand; der vierdte ein guͤl-
denes Zeit-Regiſter/ in welchem der Anfang der
Jahres-Rechnung von dem Tage ihrer Herr-
ſchafft angefangen ward. Dieſe vier waren
Lehrlinge aus der Schule des fuͤr fuͤnfftehalb
hundert Jahren bluͤhenden weltweiſen Confu-
tius; deſſen Lehren ſo unzweiffelbar/ als ein
goͤttlicher Ausſpruch verehret werden. Sie zie-
len fuͤrnehmlich auf eine gluͤckſelige Reichs-
Herrſchafft/ verehren kein Bild/ nur einen ei-
nigen Gott den Erhalter der Welt/ und halten
der Gottloſen Seelen fuͤr ſterblich. Die an-
dern vier Knaben waren blau angethan/ einer
trug in einem guͤldenen Korbe die wolruͤchenſten
Blumen/ der ander auf einer Porcellanen
Schuͤſſel die geſchmackteſten Fruͤchte/ der dritte
in einer Cryſtallenen Schale ein koͤſtliches Ge-
traͤncke/ der vierdte in einem Porphirenem Ge-
faͤſſe Ambra/ Zibeth und Biſam. Dieſe wa-
ren aus der Schule der Tauſi/ welcher Weltwei-
ſen Urheber Lauzu mit dem Confutius zu einer
Zeit gelebt/ und neun mal neun Jahr in Mut-
terleibe geweſen ſeyn ſoll; auch gelehret hat/ des
Menſchen hoͤchſtes Gut waͤre die Wolluſt/ weil
die Seele mit dem Leibe verſchwinde. Die
letztern vier Knaben hatten alle ein Rubinenes
Hertz auf der Bruſt hencken/ in den Haͤnden
guͤldene Zirckel/ und legten ſelbte wie vorige
Knaben zu der Koͤnigin Fuͤſſen. Sie waren
Lehrlinge der Bonzier/ die von dem klugen
Tſchaka herruͤhren/ welchen fuͤr weniger Zeit
des letztern Seriſchen Koͤnigs Vater durch An-
leitung eines Traumes aus Jndien holen laſ-
ſen/ und mit welchem ſeine Mutter im Traume
einen weiſſen Elefanten/ wie Olympias eine
Schlange ſehende/ ſoll ſchwanger worden ſeyn/
und ihn durch die Seite gebohren haben. Sie
glaͤuben mehr als eine Welt/ die Verſetzung der
Seelen aus einem Leibe in den andern; ſie ſind
bemuͤhet allein um die Vollkommenheit des
Geiſtes/ und ihr hoͤchſtes Gut iſt die Ruhe des
Gewiſſens. Dahero die Serer insgemein von
dieſen dreyen zu urtheilen pflegen: Die Gelehr-
ten beherrſchen das Reich/ die Tauſi den Leib/
die Bonzier das Hertze. Rhemetalces fiel dem
Fuͤrſten Zeno hier in die Rede: Jch wundre
mich/ wie die Lehre des unwiſſenden und wolluͤ-
ſtigen Epicurus der rechten verhaſten Nacht-
Eule unter den andern Weltweiſen auch zu den
Serern kommen ſey? Hertzog Herrmann ſetzte
ihm alſofort entgegen: Jch vertheidige nicht die
Serer und andere unvernuͤnfftige Ausleger die-
ſes Weltweiſen; aber ſeiner eigenen Unſchuld
habe ich mich billich anzumaſſen. Er hat geir-
ret/ wie alle Weltweiſen in andern Stuͤcken;
wo es anderſt wahr iſt/ daß er unſere Seelen fuͤr
ſterblich gehalten/ und keine goͤttliche Vorſe-
hung geglaubt; nicht aber vielmehr/ wie
ſich wider ſeinen Verleumder Nauſiphanes
aus vielen andern Lehren muthmaſſen laͤſt/ die
Eitelkeit der Griechiſchen Abgoͤtter verworf-
fen/ die Vielheit der Gottheiten als den Grund
aller ihrer Tempel und Andacht uͤber einen
Erſter Theil. J i i iHauf-
[618]Fuͤnfftes Buch
Hauffen zu werffen angezielet; der laſterhafften
Seelen kuͤnfftige Angſt aber durch ihre Sterb-
ligkeit angedeutet hat. Maſſen denn auch ei-
nige ſeiner Feinde geſtehen/ daß er nicht ſo wohl
die Verſehung Gottes/ als daß das ewige/ un-
ſterbliche und allerguͤtigſte Weſen einiger
Schwachheit der Sorgfalt unterworffen ſey/
geleugnet habe. Ja alle dieſelben/ welche ſeine
vielleicht unrecht-verſtandene Lehren verdam-
met/ oder ſeine drey hundert ſelbſt gemachte und
nir gends ausgeſchriebene Buͤcher vielleicht nie
gar/ und mit Bedacht geleſen haben/ ſeine tu-
gendhaffte und maͤßige Lebens-Art aller andern
Weltweiſen Wandel fuͤr gezogen. Denn E-
picurus hat zwar die Wolluſt auf den Koͤnigs-
Stul des hoͤchſten Gutes erhoben/ nicht aber die
uͤppige und ſchlammichte/ ſondern die ruhige/
welche aus dem Beſitzthum der Tugend und in-
ſonderheit aus der ſuͤſſen Erinnerung deſſen/
was man voriger Zeit gutes gethan hat/ ent-
ſpringet; alſo auch zwiſchen Feſſeln und Folter-
banck ihre unabtrennliche Gefaͤhrtin iſt. Die-
ſe Wolluſt iſt ſicher nichts anders/ als die Beru-
higung des Gemuͤthes/ und die Freude eines
guten Gewiſſens. Wenn es hagelt und ſtuͤr-
met/ wenn der Himmel einbricht/ und der Erd-
bodem berſtet/ bleibet ſodenn das Hertze der Un-
ſchuld unbeweglich/ und ein tugendhafftes Le-
ben balſamet in den ſtinckenden Kerckern die
verfaulte Lufft ein/ welche eine reine Seele durch
den Athem in ſich ziehen ſoll. Dannenhero
verhuͤllten Geilheit und Schwelgerey nicht al-
lein mit dem Mantel des Epicurus ihre Gifft-
Druͤſen/ ſondern ſie beſudelten auch mit ihrem
Unflate ſeine Reinligkeit. Er ſelbſt verſchmaͤ-
hete die weibiſche Wolluſt/ welche einige Reue
nach ſich ziehen koͤnte/ und ſehnte ſich nach den
Schmertzen/ deꝛ das Gemuͤthe erleichterte. Er
hielt die Angſt in dem gluͤhenden Ochſen des
Phalaris fuͤr Suͤßigkeit/ und das Feuer koͤnte/
ſeinem Urthel nach/ ihn zur Noth ja wol bren-
nen/ aber nicht uͤberwuͤnden. Es koͤnte ein
ſtreitbarer Arm ja wohl in Seide eingehuͤllet/
und ein unerſchrockener mit Sammet bekleidet
ſeyn. Das Gluͤcke habe keine Herrſchafft uͤber
einen Weiſen/ weniger Gewalt ſelbten umzu-
drehen. Dieſelben waͤren nichts minder ſtraf-
bar/ die ihren Tod wuͤnſchten/ als die ihn nicht
verlangten. Zumal jenes nothwendig von einem
boͤſen Leben den Urſprung haben muͤſte. Kurtz
zu ſagen: Epicurus waͤre die ſelbſtſtaͤndige
Maͤßigkeit/ aber die Verleumdung haͤtte ihm
ein Huren-Kleid angezogen/ und ihn auff das
Faß des ſchwelgeriſchen Bacchus geſetzt. Sei-
nem Urthel nach aber habe Epicurus nicht wei-
ter/ als Zeno/ welcher die rohe Tugend an ſich
ſelbſt zum hoͤchſten Gute gemacht/ vom Zwecke
gefehlet/ da doch ſolches aus beyder/ nehmlich
der Tugend und der daraus erwachſender Wol-
luſt Zuſammenfuͤgung beſtuͤnde. Bey welcher
Bewandnuͤß er dem Epicur als einem noch nie
Uberwundenen die Ertztene Ehren-Saͤule
nicht abbrechen helffen koͤnte/ die ihm ſein Va-
terland nach dem Tode aufgerichtet haͤtte.
Zeno fing an: Jch muß von dieſen Weltwei-
ſen nun wieder nach Chunking zu dem groſſen
Koͤnige der Scythen kehren/ fuͤr welchem/ nach
reicher Beſchenckung der Koͤnigin Syrmanis/
eine herrlich ausgeputzte Frau erſchien/ und zum
Zeichen/ daß ſie das Reich Suchuen abbildete/
deſſen Wapen auf ihrem Schilde fuͤhrte. Jhr
folgten zwoͤlf Jungfrauen/ alle mit entbloͤſten
Bruͤſten und wie Liebes-Goͤttinnen mit Roſen-
Kraͤntzen auf den Haͤuptern ausgekleidet. Das
Reichthum der an ihnen ſchimmernden Edel-
geſteine muͤhte ſich zwar der Zuſchauer Hertz zu
gewinnen/ aber ihre lebhaffte Schoͤnheit ſtach
die Pracht der todten Steine weit weg/ und ihre
anmuthige Gebehrdung gab ihnen noch darzu
eine herrliche Folge. Wie ſie alle fuͤr dem Koͤ-
nige Huhanſien nieder geſuncken/ redete ihre
Fuͤhrerin den Koͤnig an: Sie uͤbergaͤbe ihm
hiermit zwoͤlf Geſchoͤpffe der Natur/ an welchen
der Neid keinen Tadel/ und tauſend Augen
nicht
[619]Arminius und Thußnelda.
nicht ein Mahl eines Nadelknopfs groß finden
wuͤrden. Dieſe haͤtte Gott allein in Suchuen
darum laſſen gebohren werden/ wormit es einen
vollkommenen Koͤnig vergnuͤgen/ das Reich a-
ber ſich ihrem Uberwinder mit etwas ungemei-
nem verbinden koͤnte. Der Koͤnig Huhanſien
laͤchelte uͤber dieſem unvermutheten Geſchen-
cke/ und nach dem er ſie alle wol betrachtet/ gab
er der gegen uͤberſtehenden Syrmanis einen
freundlichen Anblick/ fing hierauf an: Jch er-
kenne zwar aus dieſem den Seriſchen Koͤnigen
zu bringen gewoͤhnlichen Geſchencke die Zunei-
gung ihrer Gemuͤther; Aber die Scythen ſind
gewohnet aus Liebe ihnen ihre Ehegatten zu er-
kieſen/ nicht ihrer Geilheit zu Gefallen einen
Menſchen-Zoll aufzurichten. Auch iſt bey ih-
nen das Band der Hertzen die Tugend/ nicht
die Geſtalt; denn der Purpur kroͤnet ſo wol Un-
kraut als Roſen; Die Heydechſe pranget nichts
minder mit Sternen/ als der Himmel. Und
die Natter niſtet am liebſten unter die Balſam-
Staude. Die Entweihung ſo ſchoͤner Kinder
duͤncket mich grauſamer zu ſeyn/ als das Gebot
des Scedaſus/ deſſen entleibtem Geiſte Pelopi-
das/ da er anders zu ſiegen vermeinte/ eine
Jungfrau aufopffern ſolte; und der aberglaͤubi-
gen Griechen/ die das Ungewitter mit der
Jphigenia Blute zu ſtillen vermeinten. Bey-
des aber haben die Goͤtter verwehret/ welche
dort eine Stutte/ hier einen Hirſch zum Loͤſe-
geld aufgenommen. Fuͤrſten ſind in der Welt
Ebenbilder Gottes; alſo ſtehet ihnen ſo wenig
zu die Entehrung keuſcher Seelen/ als der Tod-
ſchlag der Leiber. Welche ihrer tollen Brunſt
hierinnen den Zuͤgel verhengen/ machen ſich zu
Jndianiſchen Teuffels-Goͤtzen/ derer ſchand-
baren Hoͤltzern die Braͤute ihre Jungfrauſchafft
opffern muͤſſen. Die Geilheit hat den Sie-
gern insgemein den Siegs-Krantz aus den
Haͤnden gewunden/ und Koͤnige in Staub ge-
treten. Nicanor hat zu Thebe nicht ehe ſeine
gefangene Buhlſchafft/ als eine ſelbſt haͤndig-
ermordete Leiche umarmet. Jener uͤberwuͤn-
dende Macedonier hat mit den Kuͤſſen einer ge-
ſchaͤndeten Jungfrauen ſeine Seele durch eine
ins Hertz empfangene Wunde ausgeblaſen.
Unzucht hat Sardanapaln ins Feuer geſtuͤrtzt/
Troja eingeaͤſchert/ die Tarqvinier aus Rom
vertrieben/ und den Antonius zu Grunde ge-
richtet. Kehret dieſemnach nur zuruͤcke/ ihr
Ausbund der Jugend/ welche nicht ihr Vorſatz
verleitet/ ſondern die Mißbraͤuche des Vater-
landes verderben wollen. Trachtet durch Ver-
nunfft eure Gemuͤther ſchoͤner zu machen/ als
die Natur eure Glieder geſchmuͤckt hat; weil
auch eine Engliſche Helena ohne den Purpur
der Schamhafftigkeit heßlicher iſt/ als die runtz-
lichte Penelope. Eine keuſche Seele ſchreitet
begieriger in das Ehebette eines Schaͤffers/ als
in das Zimmer Koͤniglicher Kebsweiber. Denn
die Pracht der Welt und das Gluͤcke der Men-
ſchen hat ein falſches Licht/ an dem nichts tauer-
hafft/ als der Unbeſtand iſt. Die Tugend al-
leine hat Beſtand und Vergnuͤgung. Die
Keuſchheit hegt die empfindlichſte Ergetzligkeit;
Sie iſt der herrlichſte Aufputz der Schoͤnheit.
Wolluſt aber gebieret Reue und Eckel. Alſo
muſten nach gegebenem Zeichen zu hoͤchſter
Verwunderung aller Anweſenden dieſe hieruͤ-
ber zugleich verſtummenden irrdiſchen Goͤttin-
nen den Koͤniglichen Saal raͤumen. Jch ge-
ſtehe es/ ſagte Rhemetalces/ dieſe Enteuſerung
iſt hundertfach ruͤhmlicher/ als Xenocratens/ der
die geilen Umhalſungen der allgemeinen Phry-
ne ſo theuer nicht bezahlen wollen/ und des Sci-
pio/ der die zu neu Carthago gefangene Braut
ihrem Luccejus unverſehrt aushaͤndigte. Jn al-
le Wege/ verſetzte Zeno. Dannenher dieſe recht
Koͤnigliche Entſchluͤſſung nicht allein dem Hu-
hanſien die Gemuͤther der Serer/ welche der
Keuſchheit die Oberſtelle aller Tugenden zu-
eignen/ ihren Liebhabern nicht ſelten Ehren-
und Sieges-Vogen aufſetzen/ und den nach ſei-
ner Gemahlin Tode nicht wieder heyrathenden
J i i i 2Koͤnig
[620]Fuͤnfftes Buch
Koͤnig Chungting noch itzt nicht ſattſam zu ruͤh-
men wiſſen/ ihm aufs feſteſte verknuͤpffte ſondern
ſie ziehe auch eine kraͤfftigere Wuͤrckung als der
Blitz nach ſich/ welcher die gifftigen Thiere ent-
gifftet/ die nicht-gifftigen aber vergifftet. Denn
dieſe zwoͤlff Jungfrauen/ welche zum theil ſich
ſchon in Gedancken mit dem groſſen Huhan-
ſien inbruͤnſtig umhalſet hatten/ gelobeten ewi-
ge Jungfrauſchafft; Die zeither aber gegen des
Koͤnigs Liebkoſungen allzulaue Syrmanis
empfand augenblicklich eine Erweichung ihres
Hertzens/ hernach eine ungemeine Zuneigung/
und endlich die vollkommene Krafft der Liebe;
alſo/ daß ſie Noth hatte ſelbte zuverhoͤlen. Al-
leine weil es leichter iſt eine Schlange im Bu-
ſen/ das Feuer in der Hand/ als die Liebe im
Hertzen zu verbergen/ nahm der Koͤnig in we-
niger Zeit nichts minder die Veraͤnderung ih-
rer vorigen Unempfindligkeit/ als ihrer Blicke
und Bezeigungen wahr. Und weil nichts
mehr als die Liebe leichtglaͤubig macht/ ſo uͤber-
redete ihn ſeine Einbildung/ daß er ihre Zunei-
gung taͤglich mehr als den zunehmenden Mon-
den wachſen ſehe. Jn dieſer ſtillen Hoffnung
zohe der Koͤnig mit dem Groß ſeines Hee-
res/ nach dem er den Sogdianiſchen Unter-
Koͤnig bey deꝛ Stadt Qveicheu/ die Gꝛaͤntze Su-
chuens mit hundert tauſend Mann zu beobach-
ten/ und ferner in dem Reiche Huqvang einen
feſten Fuß zu ſetzen/ hinterlaſſen/ an dem Fluſ-
ſe Sung Strom-auf biß zu der luſtigen Stadt
Ganhan. Daſelbſt beluſtigte ſich der Koͤnig
in dem Gebuͤrge Co/ welches mit eitel Granat-
Aepffel- und Pomerantz-Baͤumen bedeckt iſt;
von dem man den zwoͤlf-ſpitzichten/ und mit
neun Saltz-Brunnen verſehenen Berg Nan-
min gleichſam zum Gegenſatz ſelbiger Frucht-
barkeit liegen ſiehet. Wie nun die Koͤnigin
Syrmanis ſich uͤber dem mercklichen Unter-
ſcheide dieſer Gegend uͤberaus wunderte/ hole-
te Huhanſien aus ſeinem tiefſten Hertzen einen
beweglichen Seuffzer/ und fing an: Ach voll-
kommenſte Syrmanis! Glaͤubet ſie wol/ daß
jener rauhe Fels/ und dieſe von Fruchtbarkeit
trieffende Huͤgel einander unehnlicher ſind/
als der Luſt-Garten ihres Antlitzes/ und die
Unbarmhertzigkeit ihres ſteinernen Hertzens?
Zweiffelt ſie/ daß jene Saltz-Brunnen von
ſo viel Waſſer/ als meine Augen uͤber ihr heim-
liche Thraͤnen vergoſſen/ nicht wuͤrden ſuͤſſe
gemacht worden ſeyn? Da doch ich noch zur
Zeit kein Kennzeichen einer Empfindligkeit
wahrnehmen kan. Unvergleichliche Syr-
manis! Jch erkenne ja wohl/ daß kein Sterb-
licher ihrer Liebe/ und die Herrſchafft der
Welt nicht ihrer Vollkommenheit faͤhig ſey;
Aber verſchmaͤhe nicht Huhanſien/ welcher in
ſeiner Seele dir einen Tempel gebauet/ in
welchem er dir ſein ſelbſteigenes Hertz aufopf-
fert/ und die Oberherrſchafft der Scythen un-
terwirfft/ derer Siegen die Goͤtter kein Ziel/
den Reichs-Graͤntzen die Natur kein Maß ge-
ſetzet hat. Syrmanis uͤberwand bey dieſer
zwar unvermutheten Anſprache alle empfind-
liche Aufwallungen ihres Gemuͤthes; ungeach-
tet ſie Huhanſien recht in ihre Bloͤſſe traf. Da-
her neigte ſie ſich mit tieffſter Ehrerbietung/
und antwortete dem Koͤnige ohne die mindeſte
Veraͤnderung des Antlitzes: Großmaͤchti-
ger Huhanſien/ ich wuͤrde dieſen Fuͤrtrag fuͤr
einen Schertz/ wo nicht fuͤr einen Traum anzu-
nehmen haben/ daß der/ deſſen Herrſchafft die
Welt zu enge/ deſſen Tugend der Himmel zu
niedrig iſt/ ſeine Gewogenheit auf die unwuͤr-
dige Syrmanis abſencket/ wenn ich nicht be-
reit erfahren haͤtte/ daß es dem Haupte der
Scythen ein geringes ſey/ Koͤnigreiche zu ver-
ſchencken/ und daß ſeine Gnade nicht mehr
auff ſeine Freygebigkeit als auff der beſchenck-
ten Wuͤrdigkeit ziele. Zwar benimmet der
niedrige Fuß einem hohen Coloſſen/ und ein
tieffes Thal einem ſpitzigen Felſen nichts
von ſeiner Groͤſſe/ und die Sonne ſtreicht auch
irrdiſchen Dingen ein Licht an. Aber Heyra-
then
[621]Arminius und Thußnelda.
then erfordern eine anſtaͤndige Gleichheit.
Die Natur ſelbſt bleibt bey ungleicher Vermi-
ſchung entweder unfruchtbar/ oder ſie gebieret
ſeltzame Mißgeburten. Wie viel gekroͤnte
Haͤupter haben durch niedrige Vermaͤhlung
den Haß der Koͤniglichen Bluts-Verwandten/
durch fremde den Auffſtand der Unterthanen/
beyde aber den Untergang ihres Reichs verur-
ſacht? Jedoch bekuͤmmert mich nicht der Man-
gel eines groſſen Braut-Schatzes. Denn
wer alle Tage eine halbe Welt gewinnen kan/
dem darff man keine Koͤnigreiche zubringen.
Aber ich beſitze auch nicht die Schoͤnheit Roxa-
nens/ die den groſſen Alexander bezauberte/
noch die Tapfferkeit einer Semiramis/ welche
dem Gemuͤthe Huhanſiens beyſtimmete/ das
den Donner des Himmels nicht fuͤrchtet/ und
das Gewichte der Erdkugel uͤberwieget. Wuͤr-
de nun nicht dieſe uͤbermaͤßige Wuͤrde den we-
nigen Zunder meiner Tugend/ wie allzu kraͤff-
tige Nahrung die natuͤrliche Waͤrmde eines
ſchwachen Magens erſtecken? Ziehe dannen-
hero/ Huhanſien/ deine Gedancken zuruͤcke/
welche insgemein unſere Vernunfft verſuchen/
und unſere Klugheit pruͤfen; Ob wir auch faͤ-
hig ſind gegen unſere Gluͤckſeligkeit genung-
ſam vorſichtig zu ſeyn. Hoͤre mich/ deiner ge-
gen mich tragender Liebe halber/ auf zu lieben;
wormit ſie bey dir nicht zum Eckel/ bey mir
zur Verachtung werde. Heyrathen ſind ohne
diß nichts minder ein Schwamm der Liebe/
als die Zeit der Wohlthaten. Nim diß nicht
an fuͤr ein Mißtrauen zu deiner Beſtaͤndigkeit.
Unverdiente Ehre fuͤhlet ihre eigene Schwaͤ-
che/ und erfuͤllet das Hertze der Unwuͤrdigen
mit dem Schatten der Furchtſamkeit. Und in
Warheit/ ich wuͤrde bey beſorglich herfuͤrbre-
chender Unfaͤhigkeit ſo wenig Gedult haben
meine Verſtoſſung zu verſchmertzen/ als ich
mich itzt eines Verdienſtes ruͤhmen kan/ den
Koͤnig der Scythen zu umarmen. Schilt nicht
dieſe meine Kleinmuth. Vorhergehende Furcht
vermindert die folgenden Ubel/ wenn ſie ſie
ſchon nicht ablehnet. Vorgeſehene Streiche
ſind weniger ſchmertzhafft/ und der muß ſtets mit
dem Bleymaſſe in der Hand/ und mit Miß-
trauen im Hertzen fortſegeln/ den das Gluͤcke in
ſeinen Nachen hebet. Koͤnig Huhanſien ward
durch dieſe Ablehnung nichts minder als die
Flamme durch Oel angezuͤndet. Dannenhero
wendete er all ſein Vermoͤgen an/ das Gemuͤ-
the der Syrmanis zu gewinnen/ und ſelbtes
von dem Nebel aller Bedenckligkeit auszuklaͤ-
ren; alſo/ daß ſie ſich laͤnger nicht uͤberwinden
konte/ ihre Gemuͤths-Regungen zu verdruͤ-
cken/ ſie fiel ihm alſo zu Fuſſe mit dieſen
Schluß-Worten: Hier lieget/ Huhanſien/
deine Syrmanis/ nichts minder zu deinem
Willen/ als zu deinen Fuͤſſen. Jch ſchuͤtze
nun nicht mehr fuͤr unſere Ungleichheit; Denn
der die Maͤchtigen unterdruͤcken/ die Hoffaͤrti-
gen ins Joch ſpannen kan/ vermag auch der
Veraͤchtligkeit ein Anſehn beyzulegen. Die
Liebe faͤngt bißweilen Zunder von unſern Ge-
brechen/ wie ein ſchoͤnes Antlitz herrlichen
Schein von gewiſſen Maalen. Jch bin zeit-
her durchs Verhaͤngnuͤß der Goͤtter deine
Magd und Gefangene geweſen; Jch will
von nun an ſeyn deine Braut auff deine An-
ſchaffung/ und ſodenn deine Gemahlin/ wenn
mein Vater der Gethen Koͤnig Cotiſon es er-
lauben wird. Glaube aber/ daß die/ welche
dich in ihrer Erniedrigung hertzlich geliebet hat/
dich auf dem hoͤchſten Throne der Welt allererſt
anbeten werde. Huhanſien unterbrach voller
Freuden ihre Rede: Was ſagſt du/ holdſeligſte
Syrmanis? Umarme ich hier die weltberuͤhm-
te Tochter des Cotiſon/ welche das Bette des
groſſen Auguſtus verſchmaͤhet/ und den unwuͤr-
digen Huhanſien erwehlet hat? Mit dieſen Wor-
ten konte er ſich laͤngeꝛ nicht maͤßigen ſie inbruͤn-
ſtig zu umarmen. Sie aber/ um ihn alles Zweif-
fels zu benehmen/ zohe herfuͤr etliche Schrei-
ben des Kaͤyſers Auguſtus/ ſein und ihr mit
J i i i 3Dia-
[622]Fuͤnfftes Buch
Diamanten neben einander koͤſtlich verſetztes
Bildnuͤß/ welches ſie ſtets an ihren Leib gebun-
den trug/ und daher noch aus dem Schifbruche
mit zur Ausbeute davon gebracht hatte. Der
Koͤnig wuſte ſeine Vergnuͤgung nun nicht mehr
zu begreiffen/ weniger ſeine Liebe zu verhelen;
Daher kehrte er nach etlichen Umarmungen
mit der Koͤnigin Syrmanis aus demſelben
Luſtſtuͤcke zuruͤcke an einem annehmlichen
Springbrunnen/ wo er ſeine Scythiſche Fuͤr-
ſten/ mich und Oropaſten verlaſſen hatte.
Sein erſtes Wort war/ ſie ſolten die Syrmanis
nicht mehr als Koͤnigin in Suchuen/ ſondern
als des Gethiſchen Koͤnigs Tochter/ das Haupt
der Scythen/ und als die Braut Huhanſiens
verehren. Wie ſeltzam nun dieſe geſchwinde
Verlobung Oropaſten und mir fuͤrkam/ ſo ge-
ſchwinde zohen die Scythiſchen Fuͤrſten ihre
Sebeln aus/ ſchrenckten ſelbte ſo artig gegen
einander zuſammen/ daß Syrmanis auf ihren
blancken Klingen einen ungefaͤhrlichen Sitz be-
kam. Maſſen ſie denn andere darauf Ehrer-
bietig erhoben/ ſie zu dem nicht weit entfernten
Heere trugen/ und ſonder einiges Wortverlie-
ren durch dieſe einige Landes-Art zu einer Koͤ-
nigin der Scythen erklaͤreten. Das wegen
allbereit ausgeuͤbter Tapfferkeit ihr uͤberaus ge-
wogene Heer empfing ſie mit unbeſchreiblichen
Frolocken. Jnzwiſchen umarmete ſich der
Koͤnig mit Oropaſten/ und endlich auch/ weil er
ihm meine Beſchaffenheit kuͤrtzlich zu entdecken
noͤthigte/ mit mir. Wir kehreten hiermit alle
gleichſam als gantz neue Menſchen in die Stadt
Ganhan; allwo der Koͤnig bald folgenden
Morgen den Unter-Koͤnig der Sacken mit
tauſend Pferden in Geſandſchafft an den Ge-
thiſchen Koͤnig Cotifon abfertigte/ und auff be-
wegliches Anſuchen endlich auch/ wiewol unter
verſicherter Zuruͤckkehr/ Oropaſten nach mehr
als Koͤniglicher Beſchenckung mit zu reiſen er-
laubte/ um durch ihn ſo viel mehr die vaͤterliche
Einwilligung zu ihrer Heyrath zu erlangen.
Nach dem dieſe Stadt der Syrmanis gehul-
digt hatte/ und die herum liegenden Feſtungen
beſetzt waren/ verfolgten wir unſern Zug zu der
an dem Fluſſe Kialing liegenden Stadt Paſi/
allwo die Geſandten der groſſen Stadt Jnping
an dem Fluſſe Feu/ welche ein rechter Schluͤſſel
des Reichs gegen das Scythiſche Reich Sifan
iſt/ nicht allein die Schluͤſſel ablieferte/ ſondern
auch eine Geſandſchafft des Koͤnigs in King/
welches mit eitel Bergen umfeſtigte Reich nie-
mals denen ſolches gantz umſchluͤſſenden Se-
rern gehorchet/ mit der Koͤnigin Syrmanis ein
Buͤndnuͤß ſchloß. Die Begierde die Herr-
ſchafft durch die Waffen zu erweitern/ und durch
Geſchwindigkeit die Mutter des Gluͤcks/ in
Kriegen ſich vollends des Reiches Xenſi zu be-
maͤchtigen/ ehe die Serer durch neue Heeres-
Krafft ſelbiges entſetzten/ verbot uns alle Ra-
ſtung; alſo muſte das Heer faſt Tag und Nacht
uͤber den Fluß Tung/ unter dem Gebuͤrge
Juntai/ das wegen ſeiner Hoͤhe den Nahmen
des Wolcken-Stuls bekommen/ und ſo ferner
forteilen/ biß es der Koͤnig auf der Xenſiſchen
Graͤntze unter dem fruchtbaren Gebuͤrge Ta-
pa ausruhen ließ. Denn Huhanſien erlangte
Kundſchafft/ daß zwar ſein durch die Wuͤſte Kal-
mack oder Xamo/ in das Koͤnigreich Xenſi/
welches zeither im̃er der Koͤnigliche Sitz geweſt/
ein gebrochenes Heer nach dem Abzuge Koͤnigs
Juen ſich der feſten Graͤntz-Stadt Xamheu
bemaͤchtigt/ hingegen die Serer in der von eitel
Felſen wie mit einer Mauer umgebenen Fe-
ſtung Ninghia/ und an dem gantzen Saffran-
Strome/ uͤber welchen bey Ninghia von einem
Berge zum andern die in einem einigen Bogen
beſtehende viertzig Ruthen lange/ und nur von
oben biß ans Waſſer funfzig Stangen tieffe
Wunder-Bruͤcke gehet/ feſte geſetzt/ wie nichts
minder nach verlautetem Anzuge der Scythen/
mit einem drittern Heere zwiſchen beyden Fluͤſ-
ſen Han/ und denen daran ſtoſſenden Gebuͤr-
gen verſchantzt haͤtten. Huhanſien traute ihm
ſonder
[623]Arminius und Thußnelda.
ſonder Krieges-Liſt hier ferner in Xenſi nicht
durchzubrechen; Daher gab er ſeinem Heer oͤf-
fentlich zu verſtehen/ daß er nicht mit Waſſer
und Klippen Krieg zu fuͤhren verlangte/ ſondern
linck- und weſt-werts gegen der herrlichen
Stadt Cungchang/ wo der beruͤhmte Koͤnig Fo-
hius gebohren und begraben iſt/ ſeine Mutter
aber einen Ehren-Tempel aus eitel Porphyr
hat aufrichten laſſen/ abzulencken und den
Feinden ſodenn in Ruͤcken zu gehen gedaͤchte.
Unter dieſem Vorwand ſchickte er zwantzig tau-
ſend Maſſageten biß an den Fluß Sihan vor-
an/ und durch etliche kleine Hauffen ließ er ge-
gen das feindliche Laͤger Kundſchafft einholen;
ja derer etliche mit Fleiß in die Haͤnde der Se-
rer verfallen. Weil nun nicht allein alle Ge-
fangenen einmuͤthig zuſammen ſtimmten/ ſon-
dern auch der Scythen Entſchluͤſſung der Ver-
nunfft ſehr ehnlich ſchien; hoben die Serer mit
hoͤchſt unvernuͤnfftiger Ubereilung mit Zuruͤck-
laſſung kaum zwantzig tauſend Mann ihr Laͤ-
ger auf/ um den Scythiſchen zwiſchen dem Ge-
buͤrge Poching/ auf welchem das unfruchtbar-
machende Kraut Hoaco waͤchſt/ und dem Berge
Loyo/ wo ein uͤberaus groſſer ſteinerner Loͤw aus
dem Rachen ein ſtarckes Qvell ausſpritzt/ fuͤr zu-
beugen. So bald dieſer Auffbruch dem Koͤni-
ge Huhanſien verkundſchafftet ward/ eilte er mit
ſeinem gantzen Heere auff die faſt unuͤberwindli-
che und von Biſam und Zinober uͤberaus reiche
Stadt Hanchung zu/ wo Lieupang der Stiffter
itzigen Koͤniglichen Geſchlechtes Hanya zum
erſten wider das Hauß Tſchina die Waffen er-
griffen/ ſchwemmte in Geſichte des hieruͤber er-
ſtarrenden Feindes/ der uͤber dieſen Fluß nur
mit Schiffen zu uͤberkommen moͤglich hielt/ mit
der Reuterey durch den Strom Han. Alles
was ſich widerſetzte/ fiel durch die Schaͤrffe der
Scythiſchen Sebeln. Ehe nun das Fuß-
Volck auff denen eroberten Schiffen auch uͤber-
geſetzt ward/ berennte er die Stadt/ um ihr alle
Huͤlffs-Voͤlcker abzuſchneiden/ rings herum.
Weil aber Pingli/ der Enckel des groſſen Hel-
den Changleang/ in ſelbter das Oberhaupt war/
ſetzte er ihm fuͤr ehe mit ſeinem Blute die gluͤen-
de Aſche der Stadt auszuleſchen/ als mit Zag-
heit die tapfferen Helden-Thaten ſeines Groß-
vaters zu beſudeln/ und daſelbſt eine Schand-
Saͤule zu erlangen/ wo jener den herrlichſten
Ehren-Tempel verdienet hatte. Ob nun zwar
Huhanſien anfangs durch ſorgfaͤltigſte Verſcho-
nung ſeiner hierum liegender Land-Guͤter und
Luſthaͤuſer den Pingli bey den Serern zu ver-
daͤchtigen vermeinte; Hernach als dieſer zu Ab-
lehnung ſolchen Fallſtricks/ wie fuͤr Zeiten Pe-
ricles zu Athen/ ſeine Guͤter dem gemeinen
Weſen zueignete/ gegen ihm ſeine groſſe Ver-
ſprechungen mit ſchrecklichem Draͤuen ver-
miſchte/ da er ſich ſeinen ſieghafften Waffen laͤn-
ger widerſetzte; entbot er ihm doch hertzhafft zur
Antwort: Worte waͤren nur ein Schatten von
den Wercken. Dieſe waͤren Maͤnner/ jene
waͤren Weiber; Er aber verſichert/ daß ſeine
ſiegende Tapfferkeit ihn entweder zum Helden/
odeꝛ ſein Tod zum Gotte machen wuͤꝛde. Huhan-
ſien ward hieruͤbeꝛ erbitteꝛt/ wiewol er endlich die
Tugend in ſeinem Feinde lieb gewinnen muſte;
ob ſchon ihm etliche Stuͤrme zu ſeinem groſſen
Schaden abgeſchlagen wurden. Die Scythen
wendeten alle Kraͤfften und Krieges-Wiſſen-
ſchafften an/ die Mauren zu zerſchmettern/ die
Stadt mit fliegendem Feuer zu aͤngſtigen/ die
Bollwercke zu untergraben; aber die Tapffer-
keit der Belaͤgerten trat als die feſteſte Mauer
iederzeit in die Luͤcke/ biß endlich faſt alle Weh-
ren zerſchellet waren/ und Koͤnig Huhanſien/ in
Meinung/ daß an dieſer Eroberung das gantze
Reich Xenſi/ an ſeiner Abtreibung aber auch der
Verluſt des eroberten Koͤnigreichs Suchuen
hienge/ oder weil das Feuer und das edle Laſter/
nehmlich die Begierde ſeine Gewalt zu erwei-
tern/ durch die Nahrung nur gereitzet/ nicht er-
ſaͤttigt wird/ und den Fuͤrſten insgemein nicht
diß/ was ſie beſitzen/ ſondern was ihnen abge-
het/
[624]Fuͤnfftes Buch
het/ beliebet/ in Perſon die Seinigen zum
Sturm anfuͤhrete/ den Feind durch unaufhoͤr-
liches Anlauffen abmattete/ und endlich ſich der
Stadt ſtuͤrmender Hand bemaͤchtigte. Jch
hatte das Gluͤcke der erſte auff der Mauer zu
ſeyn; aber den Unfall/ daß der verzweiffelte
Pingli/ weil er ſich alles Ermahnens unerach-
tet/ nicht ergeben wolte/ als gleich ſchon die ero-
berte Stadt in ihrer eigenen Beſchirmer Blute
ſchwam/ er aber fuͤr Mattigkeit und von em-
pfangenen Wunden laͤchſete/ von meinem De-
gen fiel. Huhanſien ſetzte mir in dem Geſich-
te des gantzen Heeres einen Lorber-Krantz/ dem
fuͤr der Zeitaber entſeelten Pingli eine Ehren-
Saͤule auf/ mit der Uberſchrifft:
Die Scythen waren noch in Blutſtuͤrtz- und
Pluͤnderung dieſer groſſen Stadt begriffen;
als dem Huhanſien angedeutet ward/ daß die
Serer/ welche die Belaͤgerung dieſer Stadt
von den Fluͤchtigen erfahren/ beym Berge
Tung zuruͤcke uͤber den Fluß Han geſetzt/ die
Scythiſche Vorwache zuruͤcke getrieben haͤt-
ten/ und in voller Schlacht-Ordnung gegen die
Stadt anzuͤgen. Der Koͤnig befahl mir alſo
fort mit denen noch im Laͤger auff allen Fall un-
verruͤckt gebliebenen Kriegs-Voͤlckern dem
Feinde die Stirne zu bieten. Jnzwiſchen
brachte er in der Stadt durch gewoͤhnliche
Kriegs-Zeichen ſein Volck unter ihre Fahnen.
Jch war kaum ein paar Stadien aus dem Laͤger
fortgeruͤckt/ als der Serer Vortrab auff mich
mit groſſer Ungeſtuͤm zu treffen kam. Sie ver-
folgten auch ihren Angriff mit einer ſo beſtaͤn-
digen Tapfferkeit/ daß einer nicht unbillich ge-
zweiffelt haͤtte: ob wir hier eine gantz andere Art
Feinde gefunden/ oder ein neuer Helden-Geiſt
nach ſo groſſem Verluſt in die Serer gefahren
waͤre. Alſo iſt die Verzweiffelung der rechte
Wetzſtein der Tapfferkeit/ und die euſerſte Noth
machet einen ungewaffneten wider vier ge-
harnſchte zu fechten faͤhig. Hingegen reitzte
der mehrmals erhaltene Sieg/ welcher auch die
Verzagten endlich behertzt macht/ die Scythen
zu groͤſſerer Tugend an. Jch drang nach blu-
tigem Gefechte endlich in die Mitte dieſes Vor-
zugs/ und riß dem Feinde die Haupt-Fahne/ an
welcher zweiffels-frey eine rechtmaͤßige Be-
ſchirmung anzudeuten/ ein mit einem Adler
kaͤmpffender Schwan nebſt dieſen Worten:
Jch fordere nicht/ aber ich ſchlags nicht
aus/ gemahlet war/ aus den Haͤnden. Aber
das groſſe Heer der Serer/ welches deserlegten
Koͤnigs Juen Bruder der unverzagte Zinem
fuͤhrete/ brachte den Vortrab bald wieder in
Ordnung und uns ins Gedraͤnge; alſo/ daß ich
zu rechter Zeit vom Koͤnige Huhanſien und der
ſtreitbaren Syrmanis entſetzt ward. Jn ſei-
ner Haupt-Fahne fuͤhrte Zinem einen gekroͤn-
ten Drachen der Seriſchen Koͤnige Kennzei-
chen/ welcher etliche ihn antaſtende Schlangen
verſchlang/ mit der Beyſchrifft: Ohne euch/
waͤre ich nicht/ was ich bin. Beyderſeits
war ſo grimmig gefochten/ daß ich geſtehe/ nie-
mals ſonſt auſer nechſthin unter dem Varus in
einem heiſſeren Bade geweſen zu ſeyn. Jch
kriegte fuͤr der Sonnen Untergange drey Wun-
den; Huhanſien und Syrmanis/ welche Wun-
der thaten/ und mehrmals unter den Feinden
verwickelt waren/ daß man ſie nicht wuſte/ wur-
den gleichfals verletzt; und dennoch vermochte
weder die Mattigkeit noch die Nacht die verbit-
terten Feinde von einander zu trennen/ biß ſich
nach Mitternacht entweder der Himmel beyder
erbarmte/ oder ſo vielem Blutvergieſſen nicht
laͤnger zuſchauen konte/ indem es mit einer kohl-
ſchwartzen Wolcke das Monden-Licht verhuͤll-
te/
[625]Arminius und Thußnelda.
te/ und alſo gleichſam ſelbtes Geſtirne ein Trau-
er-Kleid anzoh. Beyde Heere wichen alſo mit
einem verſtockten Stillſchweigen zuruͤcke. Auf
den Morgen aber wurden wir gewahr/ daß Zi-
nem ſich gar uͤber den Fluß Han zuruͤcke gezogen
hatte. Die leere Wallſtatt ſtellte uns allererſt
recht das grauſame Schauſpiel der Schlacht mit
mehr als 100000. Leichen fuͤr; etliche tauſend
gekoͤpfte Struͤmpfe wuſten ihre Haͤupter/ ande-
re ihre abgehackte Armen/ Haͤnde und Beine
nicht zu erkieſen: Viel hatten ihren Geiſt mit
den Eingeweiden ausgeſchuͤttet/ andere ihre
Seele unter den todten Pferden ausgeblaſen.
Nicht wenig waren von der raſchen Reiterey
zertreten/ oder unter der Laſt der auf ſie fallenden
Leichen erſticket. Etliche hielten noch mit den
Zaͤhnen die ſie entſeelende Feinde/ weil ihnen
keine geſchicktere Waffen uͤbrig blieben waren.
Zum Theil waren ſie lebendig von dem haͤuffigẽ
Staube begraben; viel biſſen fuͤr Verbitterung
in das Graß/ weil die Ohnmacht ſie verhinderte
ihren Feind zu erreichen; und eine Menge der
Verwundeten ſeufzete/ rechelnde nach der Zer-
trennung des Leibes und der Seele/ weil ſie bereit
mit allzu langen Schmertzen auf dem Scheide-
wege des Lebens und Sterbens geſchwebet hat-
ten/ und wegen jenes Bitterkeit dieſes fuͤr ihre
Wolfarth erkieſeten. Ja der Tod hatte allhier
faſt ſo vielerley Geſichter angenommen/ als die
Zahl der Todten oder noch Sterbenden aus-
machte; alſo/ daß Koͤnig Huhanſien und Syr-
manis ſich ſelbſt nicht von bittern Thraͤnen maͤſ-
ſigen konten; hieruͤber er auch ſeufzende anfieng:
Jhr entſeelten Leichen/ warumb verurſacht ihr
mich euch zu beweinen? laſſet vielmehr eure Gei-
ſter uͤber mich Thraͤnen auspreſſen/ der ich euch
ſelber der Wegweiſer zum Tode geweſen bin!
Alſo waren dieſe erlegten Krieges-Leute zum
minſten gluͤckſeliger/ als die Weichlinge des Xer-
xes/ indem dieſe noch bey Leben mit weibiſchen/
jene aber nach dem Tode mit edlen Thraͤnen be-
ehret wurden/ und zwey Koͤnigliche Haͤupter zu
ihren Klage-Weibern hatten. Unter den Tod-
ten/ welche der Koͤnig ohn Unterſcheid beerdigen/
theils aber denen in weiſſen Trauer-Kleidern
vom Fuͤrſten Ziſem abgeſchickten Serern/ wel-
che die Jhrigen im Vaterlande koſtbar zu begra-
ben pflegen/ zum Leichen-Gepraͤnge ausfolgen
ließ/ ward endlich auch Barcas der vermißte
Unter-Koͤnig der Sacken gefunden/ aber wegen
vieler Wunden kaum erkennet. Dieſer war
in ſeiner Kindheit eines ſeiner Bluts-Verwand-
ten umb kuͤnftig ſeinen Kindern ſein reiches Erb-
theil zuzuſchantzen ausgeſchnidten worden/ aber
hierdurch hatte er das minſte von ſeiner ange-
bohrnen Tapferkeit eingebuͤßt/ und durch ſeine
uͤberaus treue Dienſte ſich zu einẽ Schoß-Kinde
des Koͤnigs gemacht. Der Koͤnig konte ſich nicht
enthalten dieſe blutige Leiche zu umbarmen.
Nachdem ſie auch abgewaſchen war/ ließ er ſie
auf einem mit Purpur bedeckten Prang-Wa-
gen in die Stadt Hanchung fuͤhren/ in welcher
die eingefaͤlleten Mauern ergaͤntzet/ die faſt un-
zehlbaren Verwundeten aufs ſorgfaͤltigſte ge-
pflegt wurden. Jnzwiſchen lief Nachricht ein/
daß die Serer ſich gar zuruͤcke biß an das Ge-
buͤrge Poching gezogen hatten; dahero reiſete
Huhanſien/ Syrmanis und ich/ mit einem aus-
geleſenen Kriegs-Volcke den Strom Han hin-
auf/ den vom Feinde verlaſſenen vorthelhaften
Ort zu beſetzen/ und hierauf den Wunder-Berg
Yoniu/ oder die koͤſtliche Frau genennet/ zu be-
ſichtigen/ weil die Natur auf ſelbtem aus Mar-
mel ein ſo ſchoͤnes Weibsbild als immermehr
Praxiteles gebildet. Wir erſtarreten fuͤr die-
ſem Bildnuͤſſe/ und Huhanſien wolte ſich durch
viel Betheurungen nicht bereden laſſen/ daß
nicht ein Kuͤnſtler die Hand mit im Spiele ge-
habt/ wenn ich ihn nicht verſichert/ daß ich ſelb-
ſten viel Steine/ und inſonderheit Agaten geſe-
hen haͤtte/ in welchen Staͤdte/ Schloͤſſer/ Baͤu-
me/ Voͤgel/ Fiſche/ vierfuͤſſichte Thiere/ Schlan-
gen/ ja Menſchen aufs deutlichſte waͤren ausge-
pregt geweſt/ und daß in dem Lande Fokien/ bey
Erſter Theil. K k k kder
[626]Fuͤnfftes Buch
der Stadt Yecheu der von der Natur gleichſam
als einem kuͤnſtlichen Pinſel mit Bergen/ Fluͤſ-
ſen/ Baͤumen und Blumen durchmahlete Mar-
mel gantz gemein waͤre. Der Berg Apennin
bildete hin und wieder Bruſt-Bilder/ das Vor-
Gebuͤrge bey Scylla einen niedergeſchlagenen/
ein Melitenſiſcher Berg einen gehangenen
Menſchen/ ein ander bey Panormus eine Muͤn-
tze mit des Kaͤyſers Bildnuͤſſe/ das Gebuͤrge an
der aͤuſerſten Sud-Spitze in Africa ein deutli-
ches Antlitz ab/ welches entweder aus bloſſem
Zufalle durch die Krafft des fluͤſſenden Saltzes/
oder weil die Natur zuweilen ein rechtes Thier
(wie man denn in dem Reiche Huquang an dem
Berge Xeyen viel verſteinerte Schwalben fin-
det/ und ſie zur Artzney brauchet) durch ihre ver-
ſteinernde Krafft in einen wahrhaften Stein
oder etwas fluͤſſendes/ das etwan in einem wei-
chen Behaͤltnuͤſſe eine gewiſſe Geſtalt bekom-
men/ in Cryſtall oder Agt-Stein/ darinnen ohne
diß nicht gar ungemein Fliegen/ Spinnen und
Nattern herrlich begraben gefunden werden/
durch uͤberaus heftige Kaͤlte/ oder andere zuſam-
menziehende Magnetiſche Krafft/ die in allen
Dingen ſtecket/ und ſeines gleichen an ſich zeucht/
verwandelt werde. So koͤnten ſich auch in die
wachſenden Steine allerhand Saamen von
Baͤumen und Kraͤutern einmiſchen/ und zu ſol-
chen Abbildungen helffen/ wie man auf dem
hoͤchſten Gemaͤuer wegen des durch Wind und
Voͤgel dahin gebrachten Geſaͤmes allerhand
Gewaͤchſe/ ja ſtarcke Baͤume aufwachſen ſehe.
Hertzog Herrmann brach hier ein/ und meldete:
Daß in dem Hercyniſchen Walde ſehr offt artli-
che Steine mit gebildeten Thieren gefunden
wuͤrden; und an dem Norwegiſchen Gebuͤrge
ſtellte ein Berg einen verkappten Menſchen fuͤr.
Zeno fuhr fort: Es waͤre die Welt mit dieſen
Wundern ziemlich angefuͤllt/ ja die Wolcken
pflegten uns nicht ſelten gantze Geſchichte fuͤr-
zubilden; aber das erwehnte wunder-wuͤrdige
Frauen-Bild uͤbertraͤffe ſeinem Urtheil nach
alles Spielwerck der Natur. Jedoch gaͤben
demſelben wenig nach zwey Felſen im Reiche
Kiamſi/ da der hoͤchſte einen Drachen/ der nie-
drigere einen Tiger/ welche gegen einander zu
rennen ſcheinen/ der Berg Ky in Kiangſi bey der
Stadt Queilin einen Elefanten/ und der Berg
Packi in Xenſi einen Hahn/ der fuͤr dem Unge-
witter ein groſſes Gethoͤne von ſich gaͤbe/ den
Huͤgel Mainen bey Sangku zwey ſehr groſſe
Augen/ darm̃en der Apfel/ wie auch das ſchwartze
und weiſſe von der Natur vollkom̃en unterſchie-
den/ die Spitzẽ auf dem Gebuͤrge Lo bey Chiñing
aber ſieben und zwantzig vollkommene Men-
ſchen - Bilder eigentlich darſtellten. Dieſes
haͤtte auch den Koͤnig Huhanſien verurſacht/
daß er einen gegenuͤberſtehenden Berg durch
eine unglaubliche Menge Xenſiſcher Einwoh-
ner zu einer Spitz-Saͤule/ wie die Egyptiſchen
waͤren/ aushauen/ und aus koͤſtlichem Ertzt das
Bildnuͤß ſeines geliebten Barcas auf die Spi-
tze ſetzen/ darunter aber graben ließ:
Unten an dem Fuſſe des geſpitzten Berges
ſtand in den Fels eingegraben:
Die Freygebigkeit des Koͤnigs Huhanſien/
in Beehrung wohl - verdienter Helden/ ſagte
Hertzog Jubil/ iſt ein unfehlbares Kennzeichen/
daß er ſelbſt viel ruhmwuͤrdiges an ſich gehabt
habe. Denn dieſe zuͤnden der Tugend mit ei-
ner begierigen Freudigkeit Weyrauch an/ weil
ſie ſelber von ſo ſuͤſſem Geruche etwas mit ge-
nuͤſſen. Unverdiente Leute aber ſind hierinnen
die
[627]Arminius und Thußnelda.
die kaͤrgſten; ſintemal ſie das Lob der Tugend
dem Gelde gleich achten/ deſſen man ſo viel we-
niger behaͤlt/ als man davon ausgiebt. Weil
uͤber dieſem Ehren-Maale gearbeitet ward/
ſagte Zeno/ verfolgte der Koͤnig Huhanſien mit
dem groͤſten Theile ſeines Heeres den Feind/
machte auch ſeinem zeither durch tapfere Gegen-
wehr der Serer an dem Saffran-Fluſſe aufge-
haltenen Unter-Koͤnige in Tibet Lufft/ daß er
mit ſeinen 200000. Mann uͤber ſolchen Strom
ſetzen konte. Jnzwiſchẽ befahl mir der Koͤnig mit
100000. Mann mein Heil gegen dem Koͤnigli-
chen Sitze und der uͤberaus groſſen Haupt-
Stadt Sigan zu verſuchen. Wiewohl ich nun
nicht wuſte/ ob diß aus groſſem Vertrauen/
oder wegen ſcheinbarer Unmoͤgligkeit mich ins
Verderben zu ſtuͤrtzen geſchahe/ indem der Weg
von Hanchung dahin von des Koͤnigs Lieupang
welt - beruͤhmtem Feldherrn Changleang mit
vieler 100000. Menſchen unglaublicher Arbeit
durch die Himmel-hohen Stein-Kluͤffte gehau-
en worden/ welche nah auf beyden Seiten die
zwoͤlf Ellenbogen weite Straſſe derogeſtalt ver-
duͤſtern/ daß die Sonne niemals darein ſcheinen
kan. Uber diß beſteht das dritte Theil dieſer
30. deutſcher Meilen langen Straſſe an wun-
derwuͤrdigen Bruͤcken/ welche uͤber ſo hohe Thaͤ-
ler/ daß einem hinunter zu ſchauen grauſet/ von
einem Berge zum andern gebaut/ und von
hohen Pfeilern unterſtuͤtzt/ auf der Seiten aber
mit 7. faſt unuͤberwindlichen Feſtungen ver-
wahret ſind. Der Mangel einiger Beywege
noͤthigte mich dieſen Pfad auf des Koͤnigs Be-
fehl/ welche auſſer Augen zu ſetzen keine Todes-
Gefahr erlaubet/ inne zu halten. Jch fand
aber den erſten Tag alsbald zwar eine Feſtung
verlaſſen/ aber die Bruͤcke abgeworffen; alſo/
daß die Scythen mich fragten: Ob ich ihnen
Fluͤgel geben koͤnte uͤber dieſen Abgrund ſich zu
ſchwingen? Nichts deſto weniger ſprach ich ihnẽ
ein Hertz ein/ ſtellte ihnen fuͤr Augen: Wie die
Scythen ohne unausleſchliche Schande nicht
fuͤr unmoͤglich halten koͤnten/ was die Serer
vermocht haͤtten vorzuthun. Alſo legte alles/
was ſich nur regen konte/ Hand ans Werck/ die
Pfeiler zu ergaͤntzen/ die abgeworffenen Dielen
empor zu ziehen/ und hiermit ward zu meiner
ſelbſt eigenen Verwunderung eine Bruͤcke ei-
ner Meile lang ergaͤntzet. Noch ſchleuniger
ward ich mit der andern nicht viel kleinern Bruͤ-
cke fertig/ weil die Scythen ſchon die Handgrieffe
etwas beſſer gelernt/ auch aus der Stadt Han-
chung viel Bauzeug und Werckleute herzu ge-
ſchleppt hatten. Zu der drittern kamen wir
als die fluͤchtigen Serer/ die ſich hier ſicherer als
in der Schoß ihrer Schutz-Goͤtter ſchaͤtzten/
ſelbte abzubrechen allererſt den Anfang mach-
ten/ und ich mich alſo derſelben und etlicher
tauſend Serer bemaͤchtigte. Dieſen ließ ich
alſofort ihre Kleider aus- und den Scythen
anziehen/ mit welchen ich die vierdte Bruͤcke und
die darbey beſetzte Feſtung durch Krieges-Liſt/
indem ſie ihnen von keinem Feinde traͤumen/ die
halb-bewachten Pforten auch unverſchloſſen
lieſſen/ eroberte/ und in ſelbter des Unter-Koͤnigs
in Sigan Sohn/ als oberſten Befehlhaber/ ge-
fangen bekam. Zwey folgende Schloͤſſer und
Bruͤckẽ fanden wir gantz unbeſetzt; bey deraͤuſer-
ſten und groͤſten aber kam unſer Gluͤck ins ſte-
cken; denn da war nicht allein die uͤberaus lan-
ge Bruͤcke abgebrochen/ ſondern auch in das
Thal wie in den hoͤlliſchen Abgrund nicht ohne
Grauſen zu ſchauen/ und die gegen uͤber liegen-
de Feſtung mit viel tauſend Serern verwahret.
Weil ich nun die Unmoͤgligkeit geraden We-
ges aus dieſem Gedraͤnge zu kommen fuͤr Au-
gen ſahe; ließ ich einen Preiß von 10. Talent
Silbers ausruffen/ wenn iemand einen Sei-
ten-Weg ausſpuͤren wuͤrde. Dieſer Lohn ge-
wan alsbald einen gewinnſuͤchtigen Serer/
welcher meinem Volcke und hiermit auch mir
einen Fuß-Steig gegen der Stadt Linchang
uͤber den Berg Limon weiſete/ darauf ich ſelbſt
mit Verwunderung einen Brunn fand/ der
K k k k 2wie
[628]Fuͤnfftes Buch
wie der Albuniſche See bey Tibur oben eyß-
kalt/ unten aber ſiedend-heiß iſt. Daſelbſt
leitete mich eine entſpringende Bach bey naͤcht-
licher Zeit biß an das Ende des durchbrochenen
Gebuͤrges. Ob ich nun zwar der Haupt-
Stadt Sigan nur auͤf 30. Stadien entfernet
war/ hielt ich doch fuͤr rathſamer den noch in dem
Gebuͤrge befeſtigten Feind zu uͤberfallen/ und
alſo der Scythiſchen Reiterey den Weg zu oͤff-
nen. Dieſe Entſchluͤſſung geluͤckte mir bey
anbrechendem Morgen ſo wohl/ daß mein
Volck ſich ehe auf dem Walle befand/ ehe der
Feind zu den Waffen grieff/ und deswegen
auch die/ welche ſie in Haͤnden hatten/ entweder
aus Verzweifelung/ oder ihrem Andeuten nach/
weil ſie die Scythen bey ihrem Uberfalle nicht
mehr fuͤr Menſchen/ ſondern fuͤr Goͤtter zu hal-
ten angefangen hatten/ zu Bodem warffen.
Dieſe Gefangenen muſten nun ſelbſt die zer-
ſcheiterte Bruͤcke wieder bauen/ und ihrem
Feinde ſeinen Siegs-Weg baͤhnen. Allhier
hatte Koͤnig Lieupang dem Stiffter dieſes wun-
derwuͤrdigen Felſen-Bruchs Changleang zu
Ehren an den Gipfel des hoͤchſten Felſen mit
ſechs Ellen langen Buchſtaben folgende Reymen
eingraben laſſen:
Alſo verrichtet ein groſſes Hertz und ein klu-
ger Kopf wohl herrliche Wercke; aber eine be-
redte Zunge oder eine gelehrte Feder muß ſelb-
ten einen Firnuͤß anſtreichen; welchen denn
dieſes Wunderwerck meinem Urtheil nach
wohl verdienete/ als gegen welchem die Arl eit
des Xerxes/ der dem Berge Athos einen laͤcher-
lichen Draͤu-Brief/ daß er nehmlich ihn/ da er
ſich uͤbel durchgraben laſſen wuͤrde/ ins Meer
ſtuͤrtzen wolte/ geſchrieben/ und ihn hernach mit
einem nur 1500. Schritte langen Durchſchnitte
von dem feſten Lande abgeſondert; wie nichts
minder der vom Lucullus durch den Berg Pau-
ſilippus gehauene Weg/ welchem bey den Se-
rern einer durch den Mingyve gleichet/ fuͤr
einen bloſſen Schatten zu achten iſt. Ja wenn
ich an der Scythen Durchbruch uͤber dieſe
Klippen nicht Antheil haͤtte/ unterſtuͤnde ich
mich ihn des Hannibals Reiſe uͤber das Pyre-
neiſche Gebuͤrge weit fuͤrzuziehen. Daher ich
jener Uberſchrifft gegen uͤber an einen Fels
mit nicht kleinern Buchſtaben eingraben
ließ:
Hertzog Herrmann bezeugte uͤber dieſen Hel-
denmaͤſſigen Thaten eine ſonderbare Vergnuͤ-
gung/ und gab gegen dem Fuͤrſten Zeno zu ver-
ſtehen/ daß er in dieſem wichtigen Vornehmen
nichts minder einen vollkommenen Staats-
Klugen/ als einen tapfern Feldherrn abgebildet
haͤtte; da er zwar dieſes Gebuͤrge erobert/ in
dem ſeinem Koͤnige aufgerichteten Ehrenmahle
aber ſeiner ſo gar vergeſſen. Denn ein Die-
ner ſolte niemals aus ſeinen Thaten ihm einen
Ruhm erzwingen; ſondern das ihm zugeſtoſſe-
ne Gluͤcke alleine der vernuͤnftigen Leitung ſei-
nes Fuͤrſten zuſchreiben; in Erwegung/ daß auch
der geſchickſte Ruderknecht mit ſeinem Schweiſſe
nichts zu Umbwendung eines Schiffs helffe;
ſondern an der einigen Hand des Steuer-Man-
nes die Eiurichtung der gantzen Farth haͤnge.
Bey ſo geſtalten Sachen wird er durch ſeine
Tugend ihm gehorſamẽ/ durch die Entaͤuſerung
ſeines
[629]Arminius und Thußnelda.
ſeines Eigenruhms ſich zwar auſer Neid/ nicht
aber auſſer Ehre ſetzen. Hingegen iſt nichts
veraͤchtlicher/ als wenn ein Diener ſich eines ihm
etwan geluͤckten Streiches zur Eitelkeit miß-
braucht/ und ſeinem Ehrgeitze ſelbſt einen Lor-
ber-Krantz auffſetzt/ aus Unwiſſenheit/ daß der/
welcher ſich ſeines ruͤhmlichen Verhaltens am
wenigſten mercken laͤſt/ ſeinen Ruhm vergroͤſſe-
re; gleich als wenn der dieſes deßhalben ſelbſt
verdruͤckte/ weil er ihm noch weit ein mehrers
auszurichten getraute. Ein kluger Diener
hat hierinnen zu ſeinem Leit-Sterne und Vor-
bilde das Auge; welches zwar alles auſſer ihm/
ſich aber ſelbſt nicht ſehen kan; und des Spie-
gels/ der in ihm alles/ ſich aber ſelbſt nicht ab-
bildet. Aus dieſer Urſache ziehe ich unſer
deutſchen Ritters-Leute Abſehen allen andern
fuͤr. Denn ihre erſte Pflicht beſtehet in dem/
daß ſie das Vaterland beſchirmen/ fuͤr ihren
Fuͤrſten ihr Blut verſpritzen/ alle ihre Thaten
aber/ ja auch alle Gluͤcksfaͤlle ihm zueignen. Al-
ſo kaͤmpffen die Fuͤrſten fuͤr den Sieg/ die Rit-
terſchafft aber fuͤr den Fuͤrſten. Dieſe ſind in
ihrem Reiche/ was die erſte Bewegung unter
dem Geſtirne/ und das Gewichte in den Uh-
ren. Die Raͤder/ in denen das gantze Kunſt-
werck ſtecket/ ſind die Diener/ welche insgeheim
und im verbor genen die Zeit und die Geſchaͤf-
te abmeſſen ſollen. Ja wenn auch ein nachlaͤſ-
ſiger Fuͤrſt ſich aller Herrſchafft entſchlaͤgt/ und
nichts minder die Erfindung und Anſtalt als
die Ausuͤbung eines Wercks von einem Diener
herruͤhret/ ſo ſoll er doch ſeinen Fuͤrſten fuͤr
den Weiſer in der Reichs-Uhr achten/ welcher
oͤffentlich als die Richtſchnur der Menſchen die
Stunden anzeiget; ungeachtet er in ſich ſelbſt
keine Bewegung hat/ oder bey der Sache et-
was thut. Denn Diener ſind nur Gefaͤr-
then der Arbeit/ nicht der Gewalt und Ehre;
bloſſe und meiſt entbehrliche Werckzeuge/ nicht
Urheber; Schatten/ keine Sonnen/ welche al-
ſofort verſchwinden/ wenn ſie ſich unvorſichtig
ans Licht machen. Die helleſten Sterne und
der Monde das groſſe Nacht-Licht buͤſſet ſeinen
Glantz ein/ wenn ſie ſich an ihrer Finſterniß
nicht vergnuͤgen/ ſondern der Sonne zu nahe
kommen/ und ſich mit ihren Strahlen bekleiden
wollen. Koͤnig Hippon in Britannien ließ ſei-
nes hochverdienten Krigesoberſten Aletodobals
ruhmraͤthige Ehren-Seule abbrechen und zer-
ſchmeltzen/ die er aus ſeiner Feinde Ertzt hatte
gieſſen laſſen; und als er ihm gleich die Erobe-
rung Caledoniens anzuvertrauen ihn aus
Noth nicht uͤbergehen konte/ gewaͤhrte er ihn
doch aus Gramſchafft ſeiner Bitte nicht/ daß er
dem Koͤnige den Steigbuͤgel haͤtte kuͤſſen moͤgen.
Noch in tiefere Ungnade verfiel Cornelius
Gallus beym Auguſtus/ weil er ihm in Egy-
pten viel Ehren-Seulen auffſtellte/ ſeine Ge-
ſchichte in die Spitz-Seulen grub; ja die Unge-
dult zwang ihn ihm ſelbſt vom Leben zu helf-
fen. Hierentgegen ſtarb Agrippa in unver-
ſehrter Gnade/ der zwar der Urheber und
Werckzeug aller groſſen Siege und herrlichen
Gebaͤue war/ hierbey aber ſein gantz vergaß/
dem gemeinen Weſen den Vortheil/ dem Kaͤy-
ſer die Ehre zuſchrieb; offt auch gar/ um das
Gluͤcke zu maͤßigen und ſeinem Fuͤrſten nicht
zu ſehr in die Augen zu leuchten ſich ſeines
Vortheils nicht bediente; Alſo den Cneus
Pompejus zwar zur See ſchlug/ ihn aber gar
nicht verfolgte. Den gewiſſeſten Verderb a-
ber zeucht nach ſich/ wenn man die Liebe des
Volcks/ und den Zuruff des Poͤfels gegen ſich
erwecket. Daher ſoll ein Feld-Oberſter nach
erhaltenem Siege lieber des Nachts und einſam
nach Hofe kom̃en/ um die Ehrerbietung deꝛ Buͤr-
ger zu verhuͤten/ nach geendigtem Kriege ſich des
Hofes entſchlagen/ und ſich zur Ruhe begeben/
wormit er mit ſeinem Glantze andere muͤßige
nicht verblende/ hingegen aller ihrer Miß gunſt
gegen ſich errege. Ja wenn ein Fuͤrſt auch
ſelbſt einen Diener allzu hoch ans Licht ſtellen
will/ hat er ſo viel mehr Urſache ſich ſelbſt zu ver-
K k k k 3duͤſtern
[630]Fuͤnfftes Buch
duͤſtern. Denn die Sonne zeucht die niedri-
gen Duͤnſte der Erden keinmahl/ ja auch zu kei-
nem andern Ende empor/ als daß ſie ſelbte her-
nach wieder zu Bodem druͤcke. Wie viel Fuͤr-
ſten haben ihre treuen Diener zu Reichs-Ge-
faͤrthen erkieſet/ ihre Bilder den ihrigen gegen-
uͤber/ oder in die Reyhe ihrer erlauchten Vor-
fahren geſetzet/ ihre Thaten auff guͤldene Muͤn-
tzen gepraͤgt/ ſie fuͤr Vaͤter des Fuͤrſten/ fuͤr
Beſchirmer des gemeinen Weſens ausruffen
laſſen; ſelbte aber hernach aus einer bloſſen Ei-
verſucht in Staub und Koth getreten. Sin-
temal der Schatten ohnediß insgemein denſel-
ben Coͤrper/ worvon er faͤllt/ an Groͤſſe uͤber-
trifft/ und ihn daher ſo viel mehr in die Augen
ſticht. Dahero ſagte Cyaxares: Er koͤnte ehe
das ſeinen Meden angethane Unrecht ver-
ſchmertzen/ als fremden Wohlthaten zuſchauen/
die einer ſeinem Volcke erzeigte. Denn dieſes
ſolte nichts minder als eine Ehfrau alleine von
ihres Ehemannes und Fuͤrſten Liebe wiſſen/ alſo
nur auff ihn die Augen haben. Und hiervon
ruͤhret: warum Fuͤrſten meiſt mittelmaͤßige
Leute/ die den Geſchaͤfften gewachſen/ a-
ber nicht uͤberlegen ſind/ in hohe Aempter erhe-
ben/ die fuͤrtrefflichſten Koͤpffe aber entweder
nicht befoͤrdern/ oder hernach wenn ſie dem
Fuͤrſten das innerſte ihres Hertzens ausneh-
men/ oder ihre Klugheit zur Richtſchnur aller
Rathſchlaͤge eindringen wollen/ abſetzen. Ja
ein Diener ſoll nicht nur mit ſeinem eigenen
Thun ſeines Fuͤrſten Hoheit verduͤſtern/ ſon-
dern auch alles fremde Schattenwerck aus dem
Wege raͤumen. Daher dem Parmenion fuͤr
eine ungemeine Klugheit aus gedeutet wird/ daß
er in Morgenland alle alte Tempel des Jaſons
zerſtoͤrte/ wormit der Nachwelt nur ſeines A-
lexanders Gedaͤchtnißmahle im Geſichte blei-
ben moͤchten. Hertzog Arpus bekraͤfftigte die-
ſe Gedancken des Feldherrn nicht allein/ ſondern
erſtreckte ſelbte auch auff andere/ ja ſelbſt auff
Fuͤrſten/ daß ſie ihre Thaten zu keinen Wun-
derwercken/ und ihre Verdienſte zu keinen Rie-
ſen machen ſolten. Denn denen Ehrſuͤchti-
gen hinge nicht nur von ihren Oberherren/ ſon-
dern auch von ihres gleichen/ ja von denen ei-
nerley Werck fuͤrhabenden Gefaͤrthen Gefahr
zu. Der eifeꝛſuͤchtige Hercules haͤtte ſich uͤber
den bey Stuͤrmung der Stadt Troja unter
dem Koͤnige Laomedon zu erſt uͤber die Mauer
kommenden Talemon ſo verbittert/ daß er ihn
erwuͤrgt haͤtte/ weñ er nicht von dem verſchmitz-
ten Talemon durch Zuſammenleſung der Stei-
ne waͤre beguͤtigt worden; Aus welchem dem
groſſen Uberwinder Hercules ein Altar gebau-
et werden ſolte. Sich klein machen und groſſe
Dinge ausrichten/ waͤre eine zweyfache Tapf-
ferkeit/ und eine ſichere Schadloß-Buͤrgſchafft.
Marius haͤtte in dieſem Abſehen den Tempel
der Ehre zu Rom ſo niedrig gebaut/ als kein
anderer ſonſt daſelbſt waͤre. So demuͤthig ſol-
ten nun alle ſeyn/ welche nicht unwuͤrdig in ſelb-
ten gehen wolten. Die klugen Baumeiſter
ſetzten die vollkommenſten Seulen unten/ die
nur aus dem Groͤbſten gearbeiteten in die Hoͤ-
he; wormit ihre Ferne die Fehler/ und das Ur-
thel die Augen betruͤge. Die Maͤßigkeit des
Gemuͤthes aber waͤre das Kennzeichen einer
durchgehends vollkommenen/ und unauff-
geputzten Tugend. Der ſtinckende Rauch des
Ehrgeitzes fuͤhre mit Gewalt in die Hoͤhe. Die
reine Flamme der Hertzhafftigkeit brennte zu
unterſte. Die todten Leichen ſchwimmen auff
dem Meere oben; Die von Perlen und Pur-
pur reiche Muſcheln aber blieben in dem Grun-
de liegen. Jn der kleinen Welt ſchwebte das
Hertz unter der Lunge/ und in der groſſen die
Sonne unter dem unguͤtigen Saturn; da doch
beyde der Natur und dem Menſchen das Leben/
wie ein kluger Fuͤrſt ſeinem Volcke den Wohl-
ſtand gaͤben.
Fuͤrſt Zeno roͤthete ſich uͤber den ihm durch
dieſer Verachtung der Ruhmraͤthigkeit zuwach-
ſendem Lobe/ und ſagte: Er haͤtte bey Eroberung
dieſes
[631]Arminius und Thußnelda.
dieſes Gebuͤrges fuͤr ſich ſelbſt ſo wenig denck-
wuͤrdiges begangen/ daß er nicht ſo wohl aus ei-
ner ſo tieffſinnigen Klugheit/ als aus Mangel
der Verdienſte ſeines Nahmens in gedachter U-
berſchrifft vergeſſen haͤtte. Weil er aber ſich
darinnen nach dem Maaße ſeines Unvermoͤ-
gens beſchieden/ haͤtte ihm das Gluͤcke/ wel-
ches denen insgemein den Ruͤcken drehet/ die
ſeine Gutwilligkeit fuͤr eigene Weißheit ver-
kauffen/ den warhafften Preiß ſolcher Bemuͤ-
hung zugeworffen/ nehmlich die Eroberung
der drey Meil Weges groſſen Haupt-Stadt
Qvanchung oder Sigan/ welche der zweyen
Koͤniglichen Geſchlechter Chera und Tſchina/
und nun auch des drittern Hana Sitz geweſt.
Denn ob zwar dieſe maͤchtige und feſte Stadt
bey unſerer unvermutheten Ankunfft zu den
Waffen griff; die Einwohner auch weder
durch die Bedraͤuung der Scythen/ noch durch
das traurige Beyſpiel der durch Sturm uͤber-
gangenen Stadt Hanchung zur Ubergabe ſich
bewegen laſſen wolten; ſo fiel ſie doch entweder
durch Kleinmuth/ oder durch uͤbermaͤßige Va-
terliebe durch Schwerdtſchlag in unſere Haͤn-
de; indem der darinnen ſich befindende Un-
ter-Koͤnig mir ſelbſt in Geheim des Nach-
tes die eine Stadt-Pforte oͤffnete/ als ich gegen
dem Koͤniglichen Pallaſte ein hohes Creutz auf-
richten/ und ihn bedraͤuen ließ/ daß ich auff den
Morgen ſeinen im Gebuͤrge gefangenen Sohn
daran nageln wolte. Hertzog Herrmann
fing hieruͤber an zu ruffen: Ob er nicht auff
den Morgen dieſen verraͤtheriſchen Unter-Koͤ-
nig ſelbſt ans Creutz geſchlagen haͤtte? denn der/
welcher wider ſein eigenes Volck den Degen
auszuͤge/ ſetzte nicht nur ihm das Meſſer an
die Gurgel/ ſondern auch der/ welcher ſein Ge-
bluͤte oder ſich ſelbſt lieber als das Vaterland
haͤtte; und nicht lieber mit dem redlichen The-
miſtocles ſich durch getrunckenes Ochſen-Blut
auffopfferte/ als er ihm etwas zu Leide thaͤte.
Und ich weiß nicht/ ob die unbarmhertzigen
Muͤtter zu Carthago/ die wider Feind und Peſt
ihre unmuͤndige Kinder/ derer ſich auch die Fein-
de erbarmen/ auff die gluͤenden Opffer-Tiſche
geleget/ und durch derſelben Blut von den Goͤt-
tern Friede zu kauffen vermeinet/ um derer Le-
ben man ſie am andaͤchtigſten anrufft; mehr
ein grauſamer Laſter zu ihrer Artzney gebrau-
chet/ als die/ welche ein Kind zu erhalten ein gan-
tzes Volck ins Verderben ſtuͤrtzen. Uber diß
zweiffele ich/ daß es des Fuͤrſten Zeno Ernſt ge-
weſen ſey/ einem unerſchrockenen Helden wegen
ſeiner Treue ein ſo blutiges Trauer-Spiel fuͤr-
zubilden. Maſſen denn insgemein ſolche Dreu-
ungen nur Verſuchungen weibiſcher Gemuͤ-
ther/ nicht beſtaͤndige Entſchluͤſſungen ſind.
Marcomir bekam einesmahls den Fuͤrſten der
Hermundurer gefangen; Ob er ihn nun ſchon
auff eine Trauer-Buͤhne/ da ihm der Hencker
den Kopff fuͤr die Fuͤſſe legen ſolte/ ſteigen ließ/
vermochte er ihm doch keinen Befehl auszu-
preſſen/ daß ſich eine ſeiner Staͤdte ergeben ſol-
te. Und wie dieſe Beſtaͤndigkeit ihm damals
nicht den Kopff verſpielte; alſo gewan er zum
Vortheil noch einen unſterblichen Nahmen bey
der Nachwelt.
Zeno laͤchelte hieruͤber/ und meldete: Er waͤ-
re niemahls der Tugend ſo feind geweſt/ daß er
ſie an ſeinem Feinde mit einer ſo ungerechten
Rache haͤtte beſtraffen ſollen; hingegen waͤre die-
ſer kleinmuͤthige oder vielmehr verraͤtheriſche
Stadthalter den ſeinigen ein Greuel/ den Fein-
den eine Verachtung worden. Die Loßgebung
aber ſeines Sohnes erwarb uns nicht alleine
dieſe faſt unzwingbare Stadt/ ſondern den von
etlichen tauſend Jahren geſammleten Koͤnigli-
chen Schatz zum Loͤſegelde. Jch bin nicht
nur ohnmaͤchtig den unſchaͤtzbaren Reichthum
zu beſchreiben/ ſondern meine Erzehlung wuͤr-
de auch denen Leichtglaͤubenden verdaͤchtig
fuͤrkommen. Unter allen Schaͤtzen aber wur-
den fuͤr den koͤſtlichſten gehalten/ zwey groſſe
ſich nach Art des Monden-Steines nach dem
Zu-
[632]Fuͤnfftes Buch
Zu- und Abnehmen dieſes Geſtirnes an der
Farbe veraͤndernde Perlen; welche deßhal-
ben auch die Perlen des klaren Monden genen-
net werden/ und von dem Koͤnige Hiaovus
bey dem Eylande Hytan in einem Fiſch-Ne-
tze ſollen gefangen worden ſeyn/ nachdem er
vorher auff Anleitung ſeines Traumes einen
geangelten Fiſch frey gelaſſen. Und in War-
heit wer ſelbte Perlen geſehen/ wird ſie un-
zweiffelbar derſelben/ die Julius Caͤſar ſei-
ner Buhlſchafft Servilia des Brutus Mut-
ter theuer erkaufft/ und denen/ welche Koͤnig
Porus an ſeinen Ohren getragen/ welche die
verſchwenderiſche Cleopatra um den Antonius
an Koſtbarkeit zu uͤbertreffen/ im Eßige zer-
laſſen eingeſchluckt/ fuͤrziehen; und es duͤrff-
te ſelbte nicht nur Lucius Plancus einer noch
reichern Koͤnigin aus den Haͤnden reiſſen;
ſondern es wuͤrde der wolluͤſtige Clodius/ E-
ſopens Sohn bey ihrem Anſchauen ſein und
ſeiner Perlen - trinckenden Gaͤſte uͤppigen
Gaumen maͤßigen. Rhemetalces ſetzte all-
hier bey: Ob er zwar auff die Eitelkeit der
Perlen und Edelgeſteine/ welchen weder
Nutz noch Nothdurfft/ ſondern allein die
Verſchwendung einen ſo hohen Preiß geſetzt
haͤtte/ indem die ihnen zugeſchriebene Tugen-
den meiſt ertichtet/ der Demant zu dem gering-
ſten nuͤtze/ der ſo theure Bezoar in der Ar-
tzeney ein bloſſer Betrug waͤren/ wenig hiel-
te/ ſo moͤchte er doch dieſe Perlen ihrer Far-
ben Veraͤnderung halber wohl ſehen; wo
es anders ohne Zauberey geſchehe. Denn ob
er wohl einen Tuͤrckis einſt zu ſchauen
kriegt/ der bey ſeines Beſitzers Tode erblaſ-
ſet/ und mitten durch einen Ritz bekommen/
bey Uberkommung eines neuen Herrn aber
ſich wieder gefaͤrbet und ergaͤntzet haͤtte; und
einem zu Rom/ der eines Fuͤrſten in Gallien
geweſt/ ſo glaubte er doch nicht/ daß ſolches
aus naturlichen Urſachen geſchehen ſey. Nichts
weniger waͤren ihm verdaͤchtig zwey bey ei-
ner Fuͤrſtin aus Gallien gleichfals geſehene
Diamanten/ welche offt andere ihres gleichen
geheckt/ gleich als die Steine auch lebten/ und
ſich durch Vermaͤhlung vermehrten.
Zeno begegnete ihm: Es waͤre an dieſen
Perlen ſo wenig zauberiſches/ als an dem ſich
ebenfalls mit ſeinem zugeneigten Geſtirne
verwandelnden Monden-Steine; indem er
mit dem leuchtenden Monden nicht nur leuch-
tete/ ſondern auch nach dem Ab- und Zuneh-
men ſeine gantze und halbe Geſtalt abbildete/
und denen bey den Serern haͤuffig wachſen-
den Roſen gleichte/ welche alle Tage bald
ſchneeweiß/ bald Purpur-faͤrbig ſind. Uber
diß findet man in dieſem Reiche Xenſi noch
andere Steine/ die ſich mit dem Monden wie
das Meer vergroͤſſern und verminderen; wie
auch in dem Reiche Kiamſi auff dem Berge
Xangkiu einen Stein in Geſtalt eines Men-
ſchen/ der mit der Lufft ſeine Farben verwan-
delte/ und die Veraͤnderung des Gewitters
ankuͤndigte. Der Feld-Herr fing an: Jch
bin wohl kein Goͤtzen-Knecht todter Eitelkei-
ten; unterdeſſen halte ich dieſe zwey Perlen
fuͤr ein Meiſterſtuͤcke der Sonnen/ ja auch des
Monden/ und glaube/ daß nach derſelben
Fiſchung der Erdbodem mehr Reichthum be-
ſitze als das Meer/ deſſen Schaͤtze ſonſt alle
Koͤſtligkeiten der Gebuͤrge wegſtechen ſollen.
Jch bilde mir auch ein/ daß wenn die Jndia-
ner der alten und neuen Welt dieſe zwey Wun-
der-Perlen zu Geſichte bekaͤmen/ jene ihren
Affen-Zahn/ dieſe ihren Schmaragd unange-
betet laſſen wuͤrden/ ob ſchon dieſer die Groͤſſe
eines Strauß-Eyes haben ſoll.
Hoͤret aber/ fuhr Zeno fort/ wie das
Kriegs - Spiel auff der andern Seite mit
den Serern verwandelt hatte; indem Koͤnig
Huhanſien/ als er ſeinem im Gebuͤrge Po-
ching befeſtigtem Feinde nicht beykommen
koͤnnen/
[633]Arminius und Thußnelda.
koͤnnen/ uͤber den Fluß Sihan/ und Yao ge-
ſetzt/ daſelbſt ſein ander Heer uͤber den Saff-
ran-Fluß an ſich gezogen/ und mit dieſer
ſchrecklichen Macht die Stadt Lieyao ſtuͤrmen-
der Hand/ Thienxin aber die Begraͤbnuͤß-
Stadt des groſſen Fohius mit draͤuen/ welchem
eben zu ſelber Zeit der Berg Xecu oder die ſtei-
nerne Drommel genennt/ zum Zeichen eines
groſſen bevorſtehenden Ungemachs durch ſein
ſchrecklich Gethoͤne zu ſtatten kam/ eroberte/
und als die Serer ſelbte zu entſetzen/ wiewol zu
ſpaͤt/ ankamen/ ſelbige abermals aufs Haupt er-
legte. Allhier erlangte der Koͤnig Nachricht
von der Ubergabe der Hauptſtadt Quanchung;
Daher ließ er die Koͤnigin Syrmanis mit dem
groͤſten Theile des Heeres fuͤr die Stadt Ganti
an dem Fluſſe King ruͤcken/ und zugleich denen
fluͤchtigen Serern in den Eiſen liegen; Er a-
ber eilte nach der Stadt Fungziang an dem
Fluſſe Ping/ welche ihm die Schluͤſſel biß zu der
Stadt Lung entgegen ſchickte/ weil ſich ihr ge-
woͤhnlicher Gluͤcks-Vogel/ den ſie fuͤr den Ara-
biſchen Fenix halten/ abermals hatte ſehen laſ-
ſen/ und ihrer Auslegung nach unter dem
Schirme Huhanſiens ihnen groſſen Wolſtand
verkuͤndiget. Von dar kam er in wenig Ta-
gen nach Quanchung/ von dar ich inzwiſchen
mich der Feſtungen Hoa und Jao/ ja des gan-
tzen Strichs biß an den Saffran-Fluß bemaͤch-
tigethatte. Er umarmte mich allhier mit groſ-
ſer Vergnuͤgung/ ging auch mit mir nun nicht
mehr als mit einem fremden Fuͤrſten/ ſondern
wie mit ſeinem Bruder um. Aus dem Koͤni-
glichen Schatze hieß er mich nehmen/ was mir
gefaͤllig waͤre/ der Koͤnigin Syrmanis aber/
von welcher in etlichen Tagen die Eroberung
der Stadt Gante berichtet ward/ ſchickte er die
zwey koͤſtlichen Perlen oder Steine des hellen
Monden/ mit dieſen Zeilen:
Folgenden Tag/ als Huhanſien nach Qvan-
chung kam/ ward auch des in der Schlacht ge-
bliebenen Koͤnigs Juen Leiche mit Seriſchem
Gepraͤnge dahin gebracht/ nur daß die Ser-
then nicht/ wie es ſonſt bey Beerdigung der Se-
riſchen Koͤnige braͤuchlich war/ alle der Leiche
begegnende Menſchen/ und andere Thiere er-
mordet hatten/ gleich als wenn man durch ſo viel
Tode dem Volcke ihre Koͤnige ſo viel mehr zu
beweinen Urſache geben wolte; Jn welchem
Abſehn der Juͤdiſche Landvogt Herodes viel edle
Leute nach ſeinem Abſterben zu toͤdten im letzten
Willen nicht unbillich verordnete/ weil ſeine boͤ-
ſe Thaten ihm ſchon wahrſagten/ daß niemand
ſeinetwegen ein Auge naß machen wuͤrde. Her-
tzog Herrmann fing an: Es iſt diß eine abſcheu-
liche Erfindung/ das ohne diß unnuͤtze und wei-
biſche Weinen uͤber die Verſtorbenen zu erwe-
cken. Und ſind gegen dieſe verdammte An-
ſtalten noch dieſelben Voͤlcker/ welche mit den
ſterbenden Herren Pferde und Knechte begra-
ben; ja auch Alexander zu entſchuldigen/ wel-
cher aus einer uͤber Hepheſtions Tode empfun-
dener Unluſt ſeinen Artzt hencken/ alle Pferde
und Maul-Thiere beſcheren/ des Eſculapius
Tempel anzuͤnden/ das Ecbataniſche Schloß
verwuͤſten/ vieler Staͤdte Mauern umwerffen/
und noch mehr Voͤlcker ihm Thraͤnen und
Weyrauch opffern ließ. Zeno fuhr fort: ſo
viel zu thun haͤtte Huhanſien wol nicht Urſache
gehabt; Weil aber die Seriſche Koͤnige von
undencklicher Zeit zu Quanchung ihr Begraͤb-
nuͤß in einem von eitel Cypreß-Holtze gebauten
Tempel hatten/ befahl Huhanſien die koſtbar
eingebalſamte Leiche auffs allerpraͤchtigſte zu
ſeinen Vorfahren zu begraben. Rhemetalces
fing an: Es waͤre einem Sieger nichts ruͤhm-
licher/ als ſeinen gefangenen Feinden guͤtlich/
und den Todten ihren letzten Dienſt thun. Al-
ſo haͤtten der groſſe Alexander den Darius koͤni-
glich/ Anton den Brutus/ Annibal den Mar-
cell und Emilius ſtattlich beerdiget. Hinge-
Erſter Theil. L l l lgen
[634]Fuͤnfftes Buch
gen wuͤrde Cambyſes noch verſchmaͤht/ daß er
des Amaſis Leiche mit Ruthen peitſchen/ und
wider der Egyptier Gewohnheit zu Aſche bren-
nen laſſen. Ja/ ſagte Flavius/ es waͤre diß ei-
nes niedrigen/ jenes eines edlen Gemuͤthes
Merckmal. Denn auch die gerechteſte Rache
ſolte ſich nicht uͤber eines Feindes Tod erſtre-
cken. Alleine mehrmahls brauchte die Heu-
cheley die Einbalſamung der Leichen/ die Auff-
richtung herꝛlicheꝛ Ehren-Male/ und die ruͤhm-
lichſten Grabeſchrifften zu Bedeckung des
ſchwaͤrtzeſten Meuchelmords. Alſo haͤtte He-
rodes ſeinem ermordeten Schwager Ariſtobul/
Antigonus der von ihm hingerichteten Cleopa-
tra/ des groſſen Alexanders Schweſter/ ein
praͤchtiges Begraͤbnuͤß ausgerichtet; eine Bri-
tanniſche Koͤnigin haͤtte eine Tonne Goldes
zum Leichgepraͤnge einer Caledoniſchen Fuͤr-
ſtin hergegeben/ und aus Marmel ein Ehren-
Mal aufgebauet/ welche ſie doch ſelbſt haͤtte ent-
haͤupten laſſen. Hertzog Malovend verſetzte:
deſſen waͤre Huhanſien nicht zu beſchuldigen/
weil er den Koͤnig Juen als ſeinen Feind in oͤf-
fentlicher Schlacht vermoͤge des Kriegs-Rech-
tes getoͤdtet. Daß er auch das gantze Seriſche
Reich zu zerreiſſen nicht im Schilde gefuͤhret
haͤtte/ erſchiene daraus/ weil er ihn in ſein vaͤ-
terlich Grab legen laſſen. Sintemal Perdie-
cas der Macedoniſchen Herrſchafft alsbald das
Leichenbret geſtellt; weil man den groſſen Ale-
xander zu Alexandria/ nicht aber in Macedo-
nien begraben. Zeno antwortete: Die Serer
waͤren hierinnen mehr als kein ander Volck a-
berglaͤubiſch/ haͤtten ſich alſo uͤber die Guͤtigkeit
des Koͤnigs Huhanſien nicht genungſam ver-
wundern koͤnnen; Daher ſie auch unter gemei-
nen Leuten/ wenn ſie nicht den gantzen Leib/
zum wenigſten einen Zahn von der Leiche in ſei-
ner Ahnen Grab legten. Fuͤrſt Catumer fiel
ein: Warum nicht/ nach anderer Voͤlcker Ge-
wohnheit/ das Hertze? Sind die Zaͤhne bey
den Serern die edelſten Glieder? Flavius
antwortete: Bey der Beerdigung muͤſſen ſie/
ich weiß nicht/ ob darum/ daß ſie nicht leicht ver-
faulen/ oder aus einem andern Geheimnuͤſſe in
groſſem Anſehn ſeyn/ weil zu Rom/ und wo es
ſonſt braͤuchlich iſt/ die Leichen zu verbrennen/
die Kinder/ welche noch keine Zaͤhne haben/ die-
ſer Flamme nicht gewuͤrdiget werden. Zeno
antwortete hierauf ferner: Huhanſien haͤtte in
allem andern bey der Koͤniglichen Leiche die
Seriſchen Gewohnheiten beobachten/ inſon-
derheit ihr eine koͤſtliche Perle/ wie die Egy-
ptier eine guͤldene Muͤntze/ unter die Zunge ſte-
cken/ ſie in einen glaͤſernen Sarch legen/ und
neben ſeines Vaters Grabmal in eine Jaſpi-
ſche Taffel/ welchen Stein die Serer vor an-
dern hoch halten/ eingraben laſſen:
Dieſe Verehrung war am Huhanſien ſo viel
mehr zu ruͤhmen/ weil die Seren aus Beyſorge/
der erzuͤrnte Feind wuͤrde mit der Koͤniglichen
Leiche ſchimpflich gebahren/ ſie mit ſo viel wie-
gendem Golde auszuloͤſen erboͤtig waren. Wel-
chen ſtinckenden Gewinn aber Huhanſien groß-
muͤthig ausſchlug/ und fuͤr Schande hielt/ mit
der Schalen des menſchlichen Leibes Gewerbe
treiben/ oder von dem etwas anhalten/ den die
Natur bereit ausgeſpannet hat. Eben denſel-
bigen Tag kriegte der Koͤnig von dem Seriſchen
Fuͤrſten Zinem Schreiben/ darinnen er beklag-
te den zwiſchen den Serern und Scythen ent-
ſponnenen Krieg. Er entſchuldigte deſſen Ur-
ſachen ſo gut/ als er konte/ und/ da auch Koͤnig
Juen ſein Bruder hieran einige Schuld truͤge/
haͤtten ſo viel tauſend Seelen/ und er ſelbſt es mit
ſei-
[635]Arminius und Thußnelda.
ſeinem Leben gebuͤſſet. Huhanſiens Groß-
muͤthigkeit/ und die Tugend der vergnuͤglichen
Scythen verſicherten ihn/ daß ſie mehr umb
Ruhm/ als aus Begierde fremde Laͤnder einzu-
nehmen die Waffen ergrieffen. Jenen haͤtte
er uͤber alle ſeine Vorfahren bereit erworben.
Kriegsknechte ſuchten ihre Vergnuͤgung am
Siege/ kluge Fuͤrſten im Frieden. Die aber/
welche den Frieden aus Liebe des Krieges ſtoͤre-
ten/ legten ihn nur aus Begierde des Friedens
nicht weg. Er kriegte fuͤr itzt mit einem ſechs-
jaͤhrigen Kinde Ching/ des Juens Sohne; Rie-
ſen aber hielten ihnen verkleinerlich mit Zwer-
gen anzubinden. Er wuͤrde den Serern auch
ſo viel Laͤnder nicht abnehmen/ als die Ohn-
macht ſeines Feindes ſeinem erworbenen Ruh-
me Abbruch thun koͤnte. Die Serer waͤren
entſchloſſen den Scythen alles abzutreten/ was
der groſſe Xius ihnen fuͤr langer Zeit abgenom-
men. Die gerechten Goͤtter aber haͤtten fuͤr de-
nen eine Abſcheu/ welche auf billiche Bedingun-
gen denen Bittenden die Ruhe verweigerten/
und unerſaͤttlich nach Menſchen-Blute duͤrſte-
ten/ welches ſie als die Oberherren der Fuͤrſten
von ihren Haͤnden zu fordern haͤtten. Dieſem
Brieffe war beygefuͤgt eine Vorbitt-Schrifft
der friedliebenden Koͤnigin Syrmanis/ und
recht koͤnigliche Geſchencke. Dieſes bewegte den
ohne diß nicht blutduͤrſtigen Huhanſien/ daß er
die Stadt Jengan in Xenſi/ weil ſie fuͤr Zeiten
den Scythen zugehoͤrt/ zuꝛ Friedens-Handlung
beliebte/ auch mich und zwey andere Scythiſche
Fuͤrſten darzu vollmaͤchtigte. Wir wurden da-
ſelbſt aufs praͤchtigſte bewillkommt/ und nach
zweyen Tagen auſer der Stadt auf dem Berge
Chingleang in eine ihnen uͤberaus heilige und
fuͤr einen Tempel der Eintracht gehaltene Hoͤle/
in welcher 10000. ſteinerne-von einem einigen
in dieſe Einſamkeit ſich verkrichenden Koͤnige
aufgerichtete Goͤtzenbilder ſtanden/ begleitet;
nach zehntaͤgichter Unterhandlung auch der
Friede derogeſtalt beſchloſſen/ daß die beyden
Reiche Suchuen und Xenſi dem Koͤnige Hu-
hanſien voͤllig und ewig verbleiben/ deſſen Bru-
der/ der Koͤnig in Tibet/ des verſtorbenen Koͤnig
Juens Schweſter heyrathen/ und hiermit alle
zwiſchen beyden Voͤlckern erwachſene alte und
neue Anſpruͤche von Grund aus aufgehoben
ſeyn ſolten.
Demnach nun dieſer Friede von dem wiewol
noch ſo jungen Koͤnige/ und denen oberſten
Reichs-Raͤthen beſchworen werden ſolte; bat ich
mir bey dem Scythiſchen Koͤnige aus/ die Bot-
ſchafft dahin zu uͤbernehmen. Alſo ſchiffte ich auf
dem Strome Guei in den Saffran-Fluß/ und
von dieſem biß zu der Stadt Pu in dem Reiche
Xanſi/ allwo ich austrat das Gebuͤrge Lie zu be-
ſchauen/ auf welchem der fromme Ackersmann
Xuno/ der hernach der Serer Koͤnig worden/
das Feld gebauet/ darauf ſeiner Tugenden we-
gen ſeit derſelben Zeit kein Dorn/ kein Unkraut/
noch einige ſchaͤdliche Staude wachſen ſoll. Rhe-
metalces fragte alſofort: Ob er diß alſo wahr be-
funden? Denn auf ſolchen Fall hielte er es fuͤr ein
ungemeines Wunderwerck. Zeno verſetzte: das
Wachsthum dieſes Berges waͤre allerdinges
dem Ruffe gemaͤß; ob er aber fuͤr dem Koͤnige
Xuno was ſchaͤdliches getragen/ waͤre mehr be-
dencklich. Der Feldherr fuͤgte bey: Er hielte diß
nicht fuͤr ſo unglaublich/ nachdem es die unge-
zweiffelte Warheit waͤre/ daß die Froͤmmigkeit
eines Fuͤrſten einem gantzen Reiche Segen/ ſein
Laſter aber goͤttliche Straffe zuziehe. Dahero
haͤtten die Egyptier ihren Koͤnigen alle boͤſe und
gute Begebungen/ und alſo auch bloſſe Zufaͤlle
ſeiner Schuld beygemeſſen; die Maſſynecier ihꝛ
Oberhaupt/ wenn etwas mißgelungen/ einen
Tag lang mit Entziehung der Lebensmittel ge-
ſtraft. Bey welchem Verſtande deñ dieſelben Koͤ-
nige/ welche ſich Bruͤder der Sternẽ und Soͤhne
der Soñen; oder auch/ daß ſie ſich mit dem Mon-
den vermiſchten/ ruͤhmeten/ ſo ſehꝛ nicht zu verla-
chen waͤren; denn die Froͤmmigkeit waͤre ſicher
ein Schluͤſſel zum Himmel; eine Meiſterin der
L l l l 2Natur;
[636]Fuͤnfftes Buch
Natur; eine Verbindung des Gluͤckes/ und
der Sterblichen.
Der Fuͤrſt Zeno pflichtete dem Feldherrn
bey/ und vermeldete/ daß die Serer faſt alle
Wolthaten der Natur/ ihrer Koͤnige Tugenden
zueigneten/ und haͤtte er auff dieſer ſeiner Reiſe
hieruͤber unzehlbare Merckmahle der Danck-
barkeit an Marmel- und Ertzt-Saͤulen gefun-
den. Unter andern haͤtten ſie ihm auch in der
Landſchafft Hanan/ bey Vorbeyſegelung des
von ferne ſich zeigenden Gebuͤrges Tai nahe an
der Stadt Honui/ erzehlet/ daß unter eben ſelbi-
gem frommen Koͤnige ein entzwey ſpaltender
Felß eine Hoͤle von drey hundert Maͤß-Ruthen
geoͤffnet haͤtte/ daraus ein zehes Waſſer fluͤſſe/
welches man in vielen Dingen nuͤtzlich fuͤr Oel
brauchte. Auſer dieſen natuͤrlichen/ waͤre diß
Reich mit kunſtreichen Wolthaten ihrer Koͤnige
durch und durch uͤberfuͤllet. Die auf dieſer ſei-
ner Schiffarth angemerckte Verwahrung des
uͤbeꝛaus groſſen und ſchnellen Saffran-Fluſſes/
da nehmlich alle ſeine Ufer auff flachem Lande/
und inſondeꝛheit in dem viel niedrigeꝛ liegendem
Reiche Honan mit groſſen viereckichten Werck-
ſtuͤcken zu Beſchirmung des ſonſt leicht erſauf-
fenden Landes befeſtigt ſtuͤnden/ waͤre ein rech-
tes Wunderwerck; zugeſchweigen/ daß dieſer
Strom vor Zeiten durch das Reich Pecheli ge-
lauffen/ und durch Kunſt hieher geleitet worden.
Nichts minder waͤre der oberſten Reichs-Raͤthe
fuͤrnehmſte Sorge/ entweder durch ein nuͤtzli-
ches Gebaͤue oder eine kluge Erfindung dem
Vaterlande ihr Gedaͤchtnuͤß zu verlaſſen/ daß
ſie ihrer anvertrauten Wuͤrde werth geweſt.
Unter dieſen waͤre fuͤr andern beruͤhmt der fuͤr
1100. Jahren abgelebte Weltweiſe Cheucung/
deſſen Thurm zum Sternſehen nebſt allerhand
Maͤßzeuge ihm allhier in Honan gezeugt wor-
den. Dieſe Erfindung aber waͤre ihm nimmer-
mehr zu verdancken/ daß er den Serern gewie-
ſen/ wie der Magnet ſich gegen dem Mitter-
naͤchtigen Angelſterne aus eben der Urſache/ als
die Sonnen-Wende ſich der Sonnen zu wen-
de/ und alſo die darvon gemachte Weiſer oder
Magnet-Nadel einen klugen Wegweiſer aller
unbekandten Schiffarthen abgaͤbe. Welch
Geheimnuͤß ihm der Steuermann vertrauet/
und zu ſeiner Verwunderung gewieſen haͤtte.
Hertzog Herrmann fragte aus Begierde dieſes
herrliche Mittel recht zu erforſchen um alle Be-
ſchaffenheit; die ihm Zeno nicht allein umſtaͤnd-
lich auslegte/ ſondern denen Anweſenden auch
einen bey ſich habenden See-Compaß zeigte.
Dieſer gab ihnen nichts minder Vergnuͤg-als
Verwunderung/ und fing Rhemetalces an/
daß dieſer einigen Kunſt wegen/ da doch viel an-
dere herrliche Eigenſchafften in dieſem Steine
ſteckten/ der Magnet allen Perlen und Edel-
geſteinen weit fuͤrzuziehen waͤre/ der Erfinder
aber eine guͤldene Ehren-Saͤule verdienet habe.
Er hat ſie verdient/ ſagte Zeno; zumal er ſeinen
Landsleuten noch ein in der Landſchafft Qvan-
tung wachſendes Kraut gezeiget/ aus deſſen
Knoten zu erkennen ſeyn ſoll/ wie viel folgendes
Jahr Sturmwinde/ und um welche Monat-
Zeit ſie kommen wuͤrden; daher hat er ſie auch
erlangt. Denn mitten in dem Saffran-Fluſ-
ſe auf einer hohen Klippe ſtehet eine Marmel-
Saͤule/ und dieſes Erfinders aus Ertzt gegoſſe-
nes und vergoldetes Bild in Lebensgroͤſſe/ un-
ten aber am Fuſſe iſt zu leſen:
Mich wundert derogeſtalt/ fuhr Rhemetalces
fort/ daß dieſes Geheimnuͤß allen andern Voͤl-
ckern/ inſonderheit denen tiefſinnigen Egy-
ptiern/ welche doch den Magnet als einen Gott
verehret/ ſo lange verborgen blieben/ oder auch
durch eigenes Nachdencken nicht ergruͤbelt wor-
den
[637]Arminius und Thußnelda.
den ſey; alſo daß ſie ihre Schiffarthen mit ihrer
groſſen Gefahr und Zeitverlierung immer an
denen Ufern/ und nach der allzu entfernten
Richtſchnur etlicher Sterne/ oder aus dem
Schiffe loßgelaſſener Voͤgel vollfuͤhren muͤſten.
Der Feldherr fiel ein: Er wundere ſich nicht
von den Egyptiern/ weil ſie aus Veraͤchtligkeit
aller andern Voͤlcker die Schiffarthauſer ihrem
Reiche verboten/ und ſich gleichſam aus einer
Andacht gegen ihrem Nil/ des Meeres gaͤntz-
lich/ als eines vom Typhon herruͤhrenden
Schaumes/ enteuſert. Gleicherweiſe haͤtten
auch die Serer ſich aller fremden Voͤlcker mit
Fleiß entſchlagen/ und ihr einiges Reich fuͤr eine
fuͤr ſich ſelbſt vollkommene Welt geachtet; aber
aus den fernen Schiffarthen der Tyrier und
Carthaginenſer muthmaſte er/ daß ſie dieſe Kunſt
auch gehabt/ und waͤre glaublich/ daß der Ma-
gnet bey ihnen deßhalben dieſer Krafft halber
des Hercules Stein geheiſſen/ welchen ſie fuͤr
den allgemeinen Wegweiſer verehrten. Je-
doch waͤre dieſe Wiſſenſchafft hernach auſer Acht
gelaſſen worden/ und wie viel andere Kuͤnſte der
Alten in Vergeſſen kommen. Von den Frie-
ſen aber haͤtte er bereits etwas erzehlet/ was mit
dieſer Kunſt eine Verwandſchafft haͤtte. Uber
diß brauchten ſie auf ihren Schiffen ein gewiſſes
Eiſen/ welches in ſeiner Ader gegen Mittag ge-
legen/ daſſelbe beſtrichen ſie an der einen Seite
mit dem Magnet; alſo wieſe ihnen die ſich be-
wegende Spitze iederzeit den Mittagsſtrich.
Es ſcheinet/ ſagte Zeno/ beyderley Kunſt aus ei-
nerley Nachdencken entſprungen zu ſeyn/ ich
aber bin erſtaunet/ wie gewiß der Steuermann
auf dieſem ſtrengen Fluſſe auch bey ſtockfinſterer
Nacht das Schiff geleitet/ alſo/ daß unſere Reiſe
noch einſt ſo geſchwinde/ als ich mir eingebildet
hatte/ von ſtatten ging. Wir kamen alſo gluͤck-
lich in die Landſchafft Xantung/ fuhren den
Fluß Su hinauf zu der Stadt Sao uns zu er-
friſchen/ und ſodenn biß in den Pful Lui den aus
einem Steinfels gemachten Drachen mit einem
Menſchen-Kopff in deſſen Mitte zu beſchauen/
der/ wenn man auf ſeinen Bauch ſchlaͤgt/ ein
Gethoͤne wie der Donner von ſich giebt/ und
deßhalben der Donner-Geiſt genennet wird.
Von dar giengen wir zu Lande wieder in den
Saffran-Fluß. Weil aber aus dieſem biß in
den Strom Guei eine tieffe und breite Waſſer-
farth gegraben/ mit eitel geſchnittenen Steinen
beſetzt/ und mit zwantzig beqvemen Schleuſſen
verſehen iſt; vermochte ich mich von der Be-
ſchauung nicht zu enthalten/ theils aus Vor-
witz/ theils zum Unterrichte derogleichen viel-
leicht anderwerts darnach anzugeben. Wo der
Waſſer gang in den Fluß Guei bey Lincing
faͤllt/ ſtehet ein achteckichter Thurm mit neun
Umgaͤngen/ der von der Spitze biß zum Grun-
de neun hundert Ellen hoch/ auswendig mit
dem feinſten Porcellan inwendig mit Spiegel-
glattem Marmel bedeckt iſt/ oben aber einen
kuͤpffernen und ſtarck ver goldeten Goͤtzen ſtehen
hat. Wir kehrten von Lincing uͤber den Berg
Minaxe/ darauf eine Saͤule hundeꝛt Meß-Ru-
then hoch ſteht/ von dem geringſten Anruͤhren
wie ein Drommel klingt/ und von dar auff dem
Fluſſe Mingto uͤber die Haupt-Stadt Cinan
meiſt durch flache mit Roßmarin/ Hirſchen/ Re-
hen und Faſanen haͤuffig bedeckte Felder/ end-
lich auf dem Fluſſe Ven/ in die groſſe Waſſer-
farth/ und in den Saffran-Fluß zuruͤcke. Auf
dieſem kamen wir mit gutem Winde zu der uͤ-
beraus groſſen Handelſtadt/ Linchoai wo der
Saffran-Fluß und der groſſe Strom Hoai zu-
ſammen kommen/ und durch einen Mund in
das groſſe Oſt-Meer fallen. Von dar fuhren
wir durch eine praͤchtig gegrabene/ und mit eitel
weiſſen viergeeckten Steinen beſetzte Waſſer-
farth/ 60. Stadien lang/ bey dem groſſen See
Piexe vorbey zu der von dem Saltzhandel uͤber-
aus reichen/ und mit unzehlbaren Bruͤcken/ de-
rer viel vier und zwantzig auch dreißig ſteinerne
Bogen haben/ verſehenen Stadt Kiangtu; Jn
welcher das ſchoͤnſte Frauenzimmer gefunden/
L l l l 3aber
[638]Fuͤnfftes Buch
aber durch offentlichen Verkauff zur Geilheit
aͤrgerlich entweihet wird. Biß hieher kamen
mir zwey Reichs-Raͤthe entgegen/ dieſe fuͤhrten
mich auff ein uͤberaus praͤchtiges Schiff/ wel-
ches mit der Vorderſpitze einen ſchrecklichen
Schlangen-Kopff/ auf welchem ein vergoldeter
Goͤtze ſaß/ unten aber viel lebendige Endten
hiengen/ mit dem Hintertheile einen langen
Schlangenſchwantz/ an dem ein ſich ſchwen-
ckender Gauckler oben und unter dem Waſſer
allerhand Kurtzweil machte/ das Mitteltheil a-
ber mit gruͤn- und gelbichten Schuppen einen
Schlangen-Bauch abbildete. Uns bedeckte
ein ſchneeweiſſes Dach; auf der Seiten waren
goldgeſtuͤckte Vorhaͤnge fuͤrgezogen/ und an
wol zwantzig hohen Saͤulen weheten unzehlba-
re ſeidene Fahnen/ zwoͤlf Bootsknechte warf-
fen mit ihren nach Art der Loͤffel gehoͤleten Ru-
dern das geſchoͤpffte Waſſer ſo behende hinter
ſich/ daß das Schif wie ein Blitz bey denen gleich-
ſam verſchwindenden Ufern vorbey flog. Wir
kamen alſo in weniger Zeit auff der noch immer
waͤhrenden Farth in den uͤberaus groſſen Fluß
Kiang/ welcher wol den Nahmen eines Meer-
Sohnes verdienet. Allhier fuhren wir ſtrom-
ab bey der groſſen Stadt Changcheu auf die Jn-
ſel Zingkiang/ unter welcher dieſer Fluß nun
nicht mehr zu uͤberſehen iſt/ und ſich mit dem
groſſen Meere vermaͤhlet. An der euſerſten
Ecke ragen zwey Steinklippen aus dem Waſ-
ſer/ auff dieſen zweyen ſtehet das Bild des Fluſ-
ſes Kiang/ aus Ertzt/ achzig Ellen hoch/ alſo/
daß zwiſchen denen zwey Schenckeln ſo gut/ als
durch den Rhodiſchen Sonnen-Coloſſus/ wel-
cher noch um zehn Ellen niedriger geweſt/ die
Schiſſe durchſegeln koͤnnen. Dieſes Wun-
derbild/ gegen welches ohne diß der Apolloniſche
Apollo/ der Tarentiniſche Jupiter und Hercu-
les fuͤr Zwerge zu achten/ wird dardurch noch
mehr vergroͤſſert/ daß es aus einem guͤldenen
Kruge eine Bach ſuͤſſen Waſſers in das unten
ſtroͤmende Saltz-Waſſer ausgeuſt/ welches fuͤr
ſo koͤſtlich gehalten wird/ daß darvon alle Tage
dem Seriſchen Koͤnige ſeine Nothdurfft zu dem
geſunden Cha-Trancke aufgefangen/ und nach
Hoffe gebracht wird; weil im gantzen Reiche
ſich keines beſſer darzu ſchicken ſoll. Wie ich
nun alles dieſes/ ſagte Zeno/ erſtarrende anſah;
erzehlte mir einer von den Reichs-Raͤthen/ diß
waͤre gleicher geſtalt ein Werck des groſſen Xius/
der die lange Mauer gebauet haͤtte. Das her-
ausſchuͤſſende ſuͤſſe Waſſer habe er aus einem
ſtarcken Qvelle auf dem Berge Hoei/ den ſie mir
Sud-Oſt-waͤrts von ferne zeigeten/ ſteinernen
Roͤhren biß in dieſes Rieſen-Bild/ welches er
iederzeit hoͤher als die Mauer geſchaͤtzt/ mit un-
glaublicher Muͤh und Unkoſten geleitet. Weil
man mich nun ohne diß dieſes Wunder zu be-
ſchauen durch einen Umweg hieher gefuͤhret
hatte/ fuhren wir etliche mal unter dieſem Bilde
durch/ endlich ſtiegen wir gar aus/ und auff de-
nen in den Felß gehauenen Staffeln empor; da
ich denn unten an dem rechten Fuſſe dieſe aus
dichtem Golde geetzte Uberſchrifft zu leſen be-
kam:
Auf der andern Seite war an den in der ausge-
ſtreckten lincken Hand gehaltenen guͤldenen
Waſſer-Krug eingepraͤget:
Als ich mich an dieſem Wunder-Coloſſen faſt
muͤde geſehen/ fuhren wir recht aus dem groſſen
Munde des Fluſſes Kiang gegen das groſſe
Oſt-Meer/ endlich aber lieffen wir Sudwaͤrts
in eine gegrabene Waſſer-Farth/ und bey
Changxo in den Fluß Leuein/ welcher uns in die
von dreyen ſuͤſſen Stroͤmen ohne die in den Fluß
Kiang gegrabene Farth gleich als mit einem lu-
ſtigen See gantz umgebene Hauptſtadt Sucheu
leitete; von welcher das Sprichwort iſt: Was
der Himmel iſt oben/ iſt Sucheu auf Erden. Die
Ringmauer haͤlt wol fuͤnf/ die Vorſtadt aber ſie-
ben deutſche Meilweges/ ihr Reichthum die
Menge der Schiffe und die von vielerley Voͤl-
ckern hier ausgeladene Wahren ſind unbe-
ſchreiblich/ gegen Ukiang hat ſie eine Bruͤcke mit
300. ſteinernen Bogen. Nach ihrer Beſchauung
fuhren wir uͤber den groſſen See Tai/ und einen
daraus gefuͤhrten Graben biß in den Fluß
Kiang/ welcher daſelbſt zwiſchen zwey Himmel-
hohen Bergen/ die man auch deßhalden des
Himmels-Thor heiſt/ ſich durchreiſt. Wir ſchif-
ten zwiſchen der aus einem einigen Felſen beſte-
henden Jnſel/ und der ſchoͤnen Stadt Tanyang
durch/ und kamen endlich bey dem Koͤniglichen
Haupt-Sitze Moling an/ da eines der Koͤnigli-
chen Schiffe/ welches uͤber und uͤber verguͤldet/
und mit Drachen aus zuſammen geſetzten Per-
len und Edelſteinen gezieret war/ aus dem Fluſ-
ſe Kiang durch einen Arm in die Stadt fuͤhrte/
und in einem herrlichen Schloſſe abladete. Die-
ſe Stadt kan man wegen ihrer Groͤſſe/ da nehm-
lich das koͤnigliche Schloß faſt eine die innere
Stadt ſechs/ die euſerſte 20. deutſche Meilen
begreifft/ ein Land/ wegen ihrer vielen Einwoh-
ner einen Ameiß-Hauffen/ wegen ihrer praͤchti-
gen Gebaͤue ein Wunder der Welt/ wegen ge-
ſunder Lufft/ anmuthiger Gaͤrte/ Seen und faſt
auf allen Gaſſen hinrauſchender aus dem Fluſ-
ſe Kiang geleiteter und mit viel tauſend marmel-
nen Bruͤcken belegter Stroͤme/ einen Luſtgar-
ten; wegen Reichthums/ einen Begrieff des
Erdbodems/ wegen Hoͤfligkeit und gelehrter
Leute die hohe Schule der Weltweiſen/ und mit
einem Worte mit beſſerm Rechte/ als die Stadt
Rom ſich ruͤhmet/ ein Haupt der Welt/ und eine
Koͤnigin aller Staͤdte nennen. Alle dieſe Herr-
ligkeiten von oben zu beſchauen ſtehet darinnen
ein nichts mindeꝛ wunder-wuͤrdiger uͤberaus ho-
her Thurm/ auswendig von den edelſten gruͤn-
roth und gelben Porcellanen ſo kuͤnſtlich zuſam-
men geſetzt/ daß er aus einem Stuͤcke gebacken
zu ſeyn ſcheinet. Er hat neun zierliche mit gruͤ-
nen Daͤchern uͤberwoͤlbte Umgange; an derer
vielen Ecken eine groſſe Anzahl ſilberner Gloͤck-
lein hangt/ die vom Winde beweget ein uͤber aus
liebliches Gethoͤne machen. Auf der Spitze ſte-
het ein groſſer Granat-Apffel aus gediegenem
Golde. Dieſes Wunder ſoll gleicher geſtalt ein
Werck des groſſen Koͤnigs Xius ſeyn/ und un-
ten bey dem Eingange ſtehet uͤber dem Porphy-
renen Thuͤr geruͤſte/ in welchem das Thor aus
dem auf der Seriſchen Jnſel Aynan wachſen-
den theueren Adler- oder Roſen-Holtze gemacht
iſt/ in einer Agat-Taffel eingegraben:
Den dritten Tag/ als man uns zwiſchen die fuͤr-
nehmſten Seltzamkeiten der Stadt gewieſen/
waꝛd ich auf eineꝛ goldgeſtuͤckten Senffte/ welche
12. edle Serer trugen/ uͤber eine lange und breite
Straſſe/ welche wie faſt alle andere mit vier-
eckich-
[640]Fuͤnfftes Buch
eckichten blauen Steinen belegt war/ in das koͤ-
nigliche Schloß/ in das 12. eiſerne Pforten gehen/
getragen. Das Schloß iſt rings um mit einer
ſtarcken marmelnen Mauer beſchloſſen/ und an
ieder euſerſten Ecke ein Luſtgarten. Bey ieder
Pforte ſtanden drey Elefanten/ und in dem er-
ſten Vorhoffe die Leibwache zu Pferde. Jn dem
andern Hoffe/ in dem man uͤber einen ſchnellen
Strom auf einer herrlichen Bruͤcke und durch
eine noch ſtaͤrckere Mauer kommet/ ſtand die
Leibwache zu Fuſſe/ und an einer Alabaſternen
Saͤule hiengen drey guͤldene Drachen/ als das
koͤnigliche Wapen/ welchem ſonſt alle Geſand-
ten ſo groſſe Ehrerbietung als dem Koͤnige ſelbſt
erzeigen muͤſſen. Derogleichen mir aber nicht
zugemuthet ward. Der dritte Platz/ bey wel-
chem mich zwey Reichs-Raͤthe bewillkommten/
bildete einen vollkommenen Schauplatz zwi-
ſchen denen um und um von Golde ſchimmern-
den Gebaͤuen ab; der Bodem war mit weiß und
rothem Marmel gepflaſtert/ und iede Reye mit
einer Ziffer bezeichnet/ weil allhier die Botſchaf-
ten bey der Verhoͤr ihren Sitz haben/ und nach
ihrer Wuͤrde weiter oder naͤher gegen dem koͤni-
glichen Stule geſtellet werden; wiewol keiner
des Koͤnigs Antlitz zu ſchauen gewuͤrdigt wird.
Jch aber ward ſelbſt unter den mit eitel Perſi-
ſchen Tapezereyen bedeckten/ und um und um
offenen Luſt-Saal gefuͤhret/ wo der junge Koͤnig
Ching ſaß/ ein uͤberaus ſchoͤner Knabe auf einem
von eitel Diamanten ſich ſchuͤtternden Stuhle/
an dem die Lehnen zwey Drachen-Koͤpffe/ mit
Rubinen verſetzt waren. Drey Staffeln tief-
fer ſtanden zwoͤlf Reichs-Raͤthe in blau-ſamm-
tenen Roͤcken mit guͤldenen Drachen und
Schlangen geſtickt/ wie ſteinerne Bilder gantz
unbeweglich. Auf der zwey oberſten Reichs-
Raͤthe Bruſt war auff dem Kleide der Vogel
Fam geſtuͤckt/ der Koͤnig aller Seriſchen Vo-
gel/ deſſen Haupt zum Theil einem Pfauen-
zum Theil einem Drachen-Kopfe/ deꝛ Schwantz
eines Hahnes gleichet; die Fluͤgel ſind von fuͤnff
der ſchoͤnſten Farben vermiſcht. Er iſt bey ih-
nen nicht nur ein Fuͤrbild der fuͤrnehmſten Tu-
genden/ ſondern auch/ wenn ſelbter ſich verſteckt/
ein Zeichen eines bevorſtehenden Ungluͤcks.
Welche Freudentracht in der gantzen Koͤnigli-
chen Burg mich bey Andencken des fuͤr ſo weni-
ger Zeit verſtorbenen Koͤnigs Juen anfangs be-
fremdete; biß ich erfuhr/ daß der nicht allein den
Todt verwuͤrckte/ der in Trauer-Kleidern in
die Burg erſchiene/ ſondern auch der Koͤnig
trauerte um keinen Menſchen/ gleich als wenn
dieſe Schwachheit keinem Fuͤrſten anſtaͤndig/
oder ein Koͤnig mehr als ein Menſch uͤber ge-
meine Empfindligkeiten erhoben waͤre. Nichts
minder legte auch das Volck nach des neuen Koͤ-
nigs Kroͤnung die Klage weg/ die Jahr-Rech-
nung wuͤrde ſo wol als der alte Nahme des neuen
Koͤniges veraͤndert/ eine neue Art Muͤntze ge-
ſchlagen/ gleich als wenn nicht ſo wol ein neuer
Herrſcher auf den Stul/ als ein neues Reich auf
die Beine kaͤme. Eben dieſe Gewohnheit ha-
be ich hernach bey denen Jndianern wahrge-
nommen/ da niemand in ihrer blauen Trauer-
Tracht fuͤr dem Koͤnige erſcheinen/ ja den Tod
nicht einſt nennen darf. Mir war dem Koͤnige
recht gegen uͤber ein von Rubinen glaͤntzender
Stuhl/ an welchem die Lehnen Wieder-Koͤpf-
fe waren/ (denn roth iſt der Scythen Koͤnigs-
Farbe/ die Wieder ihr Wapen) geſetzt/ zwey
Staffeln hoch/ und alſo ſaß ich nur um eine nie-
driger als der Koͤnig/ der bey meiner Ankunfft
von dem Stuhle aufſtand/ biß ich auch zum ſi-
tzen kam. Nach dem ich meine Botſchafft/
welche an Gluͤckwuͤnſchung zum Reich/ und
dem Frieden/ wie auch an Verſicherung auff-
richtiger Freundſchafft des Scythiſchen Koͤ-
nigs beſtand/ abgelegt/ antwortete mir der Koͤ-
nig mit einer wunder-wuͤrdigen Freymuͤthig-
keit; erkundigte ſich um den Zuſtand Huhan-
ſiens/ und verſicherte mich/ daß wie er den ge-
ſchloſſenen Frieden aus Liebe ſeines Volckes/ un-
geachtet ſeines groſſen Verluſtes/ genehm haͤtte/
und
[641]Arminius und Thußnelda.
und folgenden Tag beſchweren wuͤrde; alſo
wolte er nichts vergeſſen/ was zu Hu-
hanſiens Vergnuͤgen/ und beyder Voͤlcker Ein-
tracht wuͤrde dienlich ſeyn. Hiermit endigte
ſich dieſe Verhoͤr; auf den Morgen aber kamen
abermals zwey Reichs-Raͤthe mit drey verguͤl-
deten Drachen - Schiffen fuͤr das mir einge-
raͤumte Schloß/ und fuͤhrten mich auf einem
Arm aus dem Fluſſe Kiang Nord-Oſtwerts fuͤr
die Stadt in einen uͤberaus groſſen umbmauer-
ten Tannen-Wald/ in welchem ein hoher Berg/
in deſſen Steinfels eine herrliche Grufft gehau-
en/ darinnen ebenfalls vieler alten Koͤnige Leiber
verwahrt werden/ noch mehrer Bilder aber dar-
innen theils aus verguͤldetem Ertzte/ theils aus
koͤſtlichen Steinen auf geſetzt ſtehen. Unter die-
ſen befand ſich auch bereit des letztern von der
Syrmanis erlegten Koͤnigs Juen Bild aus A-
labaſter/ welches eine guͤldene Himmels-Kugel
auf der lincken Achſel trug/ an der die Sonne
gleich an der Weſt-Spitze ſtand/ und alſo ihre
Straalen theils auf die Ober-Theils auf die
Unter-Welt warff. An dem ertztenen Fuſſe
ſtand eingeetzet:
Dieſen Begraͤbnuͤſſen gegen uͤber ſtehet auf
einem luſtigen und mit eitel fruchtbaren Baͤu-
men/ Blumen und Kraͤutern bedecktem Huͤgel/
ein viereckichter/ praͤchtiger und uͤberaus groſſer
Tempel/ welcher aus eitel Eben- und anderm
koͤſtlichem Holtz gebauet iſt. Umb denſelben
herumb ſihet man viel aus rothſtreiffichtem
Marmel-Steine der Sonne/ dem Monden/
den Bergen und Fluͤſſen zu Ehren gebaute Al-
taͤre/ aber ohne einiges Goͤtzen-Bild. Auf ie-
der Seite recht gegen den vier Winden gehet ei-
ne breite Stiege in Tempel/ da ieder Stuffen
ein Marmel-Stein iſt. Den Tempel theilen
vier Reyen aus Spiegel-glatten Ceder-Baͤu-
men aufgerichteten Pfeiler in fuͤnf Gewoͤlber/
welche ſo dicke/ daß ſie zwey Maͤnner nicht umb-
armen koͤnnen/ und ſo hoch/ daß ich nicht geglau-
bet haͤtte/ es waͤren in der gantzen Welt ſo ſchoͤn
und gleiche Gewaͤchſe aufzufinden. Recht in
der Mitten ſtehen zwey mit Edelgeſteinen reich-
lich verſetzte guͤldene Drachen-Stuͤle; auf derer
einen ſich der Seriſche Koͤnig/ nachdem er ſich
vorher in der Halle in einem alabaſternen
Spring-Brunnen gebadet hatte/ ſetzte/ und dem
unſichtbaren Schoͤpfer/ welcher den gegen uͤber
ſtehenden Stul zu beſitzen geglaubt wird; wie
auch dem Himmel/ der Sonne und dem Mon-
den durch Ausſtreuung Goldes/ Weyrauchs/
und allerhand Feld-Fruͤchte unter die armen
Leute opferte. Hierauf nahm er das ſeidene
Papier/ darauf der Friedens-Vergleich ge-
ſchrieben/ und mit beyden Reichs-Siegeln be-
kraͤfftiget war/ legte ſelbtes aufs Haupt/ und
hierauf ſtreckte er beyde Haͤnde aus/ mit heller
Stimme ruffende: Himmel/ Sonne und Mon-
de ſeyd Zeugen und Raͤcher dieſes von mir be-
liebten Frieden-Schluſſes. Euer Licht leuchte
dem/ der ihn bewahret/ und leſche meines aus/
ſo bald ich hiervon eines Nagels breit weiche.
Als diß vollbracht/ gab er den Frieden-Schluß
einem ſeiner Reichs-Raͤthe/ umb ſelbten mir/ der
ich ein wenig auf der Seite einen koͤſtlichen Stul
beſaß/ einzuhaͤndigen. Nach dieſem ward ich
in einen andern/ aber viel kleinern Tempel ge-
leitet/ worein mir die zwoͤlff oberſten Reichs-
Raͤthe folgten. Jn der Mitte ſtand der aus
Ertzt gegoſſene Waſſer-Brunn Lothus/ auf deſ-
ſen ausgebreiteter Blume ſaß in einer ernſt-
Erſter Theil. M m m mhaften
[642]Fuͤnfftes Buch
haften Frauen-Geſtalt die Goͤttin Puße aus
uͤberaus wohlruͤchendem Calambi-Holtze ge-
macht/ das in den Landſchafften Jnunan und
Chiamſi auf den allerhoͤchſten Steinklippen
waͤchſt. Jhr Rock war oben blau und feuer-
farbicht/ unten aber gruͤn und weiß; von wel-
chem aber allerhand mit Blumen und Sternen
geſtuͤckte Binden hin und her flatterten. Das
Haupt und die Schlaͤffe waren mit allerhand
Fruͤchten beſchattet. Aus ieglicher Seite gin-
gen acht Armen/ welche Schwerdter/ Spieſſe/
Kraͤuter/ Raͤder/ Flaſchen/ Buͤcher/ und andere
mir unkenntliche Zierrathen in Haͤnden hielten.
Fuͤr dieſem Bilde fielen die Reichs-Raͤthe nie-
der/ und beſchwuren gleichfalls den Frieden/ ſich
dieſer Goͤttin Huͤlffe entaͤuſernde/ da ſie ſelbtem
iemals widerkommen wuͤrden. Dieſe erzehl-
ten mir von dieſem Abgotte allerhand ſeltzame
Geſchichte/ inſonderheit daß ſie vom Himmel
auf Erden kommen/ von einer genoſſenen Frucht
ſchwanger worden waͤre/ und einen fuͤrtreffli-
chen Sohn gebohren haͤtte/ deſſen Nachkommen
das Seriſche Reich 1600. Jahr gluͤcklich beherr-
ſchet haͤtten. Jn dem groſſen Reiche Zipangri/
welches als eine Halb-Jnſel in dẽ groſſen Welt-
Meere noch weiter gegen Morgen liegt/ gegen
Nord aber an dem aͤuſerſten Ecke des Scythi-
ſchen Reiches henckt/ wuͤrde dieſe Goͤttin/ wie-
wohl in Geſtalt eines mit der Sonne bekleideten
ſchoͤnen Antlitzes verehrt/ welches im Waſſer
uͤber zuſammen gefuͤgten Kirſch - Staͤmmen/
ſchwartzen Elefanten-Zaͤhnen und guͤldenen
Blumen auf einer Muſchel ſtuͤnde/ und mit
Abſchlachtung eines Bocks verſoͤhnt wuͤrde.
Kurtz zu melden: Es ſcheinet mir hier durch der
Egyptier viel-gebruͤſtete Jſis und die durch un-
ſere Cybele abgebildete Zeuge-Mutter die guͤti-
ge Natur fuͤr geſtellet zu ſeyn. Nach dem nun
derogeſtalt der Friede beſtaͤtigt war/ ließ der Koͤ-
nig mir folgenden Tag unter dem Schein einer
ſonderbaren Hoͤfligkeit die Abſchieds-Verhoͤr
ſelbſt andeuten. Sintemal die arggedenckli-
chen Serer denen Auslaͤndern ſchwer ihre Ein-
kunft/ noch ſchwerer aber langen Aufenthalt er-
lauben. Nach meinem Abſchiede brachten mir
die Koͤniglichen Trabanten die dem Huhanſien
beſtim̃ten Geſchencke/ welches nebſt koͤſtlichen
Edelgeſteinen/ darunter einer/ der in des Se-
riſchen Feinxes oder des Vogels Fum Neſte/
auf dem Berge Fungſao gefunden worden/ fuͤr
unſchaͤtzbar gehalten wird/ an allerhand ſeltza-
men Thierẽ und Gewaͤchſen beſtand. Darunter
waren die fuͤrnehmften ein wohlruͤchender Hirſch
aus der Landſchaft Yuñan/ aus deſſen Nabel der
Muſch geſchnitten wird/ etliche rechte Schaf-
Wolle tragende Huͤner/ der ſchoͤne Vogel Fum/
und der oben ſchon beſchriebene fremde Wun-
der-Vogel/ welchen man Kanib hieß. Auch
waren hierbey eine Kiſte knorpelne Vogel-Ne-
ſter/ welche auf dem felſichten Geſtade der Land-
ſchafft Tungking/ und der Jnſel Aynan aus ei-
nem von ihnen ſelbſt ausgeſpeytem Talcke berei-
tet/ und fuͤr die niedlichſte Speiſe geſſen werden.
Unter denen Gewaͤchſen waren etliche ſeltzame
Roſen-Straͤuche/ etliche junge Stauden/ wor-
aus die Baͤume in Quangſi wachſen/ die ſtatt
des Kernes koͤſtliches Brodt-Meel haben; das
tauſend Jahr tauernde Kraut Puſu aus Hu-
quang/ welches alte Leute zu verjuͤngern/ und die
unſerm Alrau faſt aͤhnliche Wurzel Ginſeng aus
Leabtung/ welches denen Halb-Todten noch eine
empfindliche Lebens-Krafft zu geben maͤchtig
ſeyn ſoll; nichts minder das Kraut Yu aus Fokiẽ/
welches wie Seide gewebt/ aber viel koͤſtlicher ge-
haltẽ wird. Uber diß war eine Schachtel voll des
Krautes Quei/ das alſofort die Traurigkeit ver-
treibet; und etliche Kiſten von dem beſten Trinck-
Kraute Snuglocha/ das in Kiangnan bey der
Stadt Hoeicheu waͤchſt/ und wider den Stein/ die
Gicht und Schlafſucht eine unvergleichliche
Artzney iſt; endlich ſo viel der gelben Winter-
Wurtzel Rheubarbara/ die in rothẽ Leime an der
groſſen Mauer am beſten gezeugt wird. Alles
dieſes ließ ich auf dem Strome Kiang in der
Koͤni-
[643]Arminius und Thußnelda.
Koͤnigin Syrmanis Reich Suchuen fuͤhren.
Jch ſelbſt war gemeynet dieſen geraden Weg
auf dem weſtlichen Arme des Fluſſes Kiang uͤber
die reiche Stadt Nanling/ und den Schluͤſſel
dreyer Laͤnder Gangking/ wie auch uͤber die
Schiff- und Zoll-reiche Stadt Juchang in
dem Lande Kiangſi/ wo die koͤſtlichſtẽ Porcellanen
aus der in Kiangnan gegrabenen Erde gemacht
werden/ zuruͤck zu kehren. Jch kriegte aber fuͤr
meinem Aufbruche vom Koͤnige Huhanſien ei-
nen Edelmann mit Schreiben und Nachricht:
daß Huhanſien und Syrmanis zu Befeſtigung
ihres in Suchuen und Xenſi aufgerichteten
neuen Reiches die dem Poͤfel zeither in denen er-
oberten Staͤdtẽ mitzukommende Gewalt alleine
dem der Scythiſchẽ Herrſchafft mehr anſtaͤndigẽ
Adel zugeeignet; die Zahl derer Obrigkeitlichen
Perſonen vermindert/ hingegen auf dem Lande
die Ackers-Leute mit neuen Freyheiten verſehen/
die unverſchrenckte Gewalt ihrer Herrſchafft in
viel Wege geſchmaͤlert/ die alten Schatzungen
auf die Helffte abgeſetzt/ einen eingebohrnen aber
vom Koͤnige Juen nicht allein verjagten/ ſondern
auch durch ſeines Vaters ſchmaͤhliche Hinrich-
tung biß in die innerſte Seele beleidigten/ vom
Volcke aber beliebten Fuͤrſten aus Suchuen
daſelbſt zum Unter-Koͤnige beſtellt; die grauſa-
men vorhin gewoͤhnlichen Straffen durch
offentliche Geſetze gelindert/ die Richter-Stuͤle
mit redlichen und dem Geitze gehaͤſſigen Leuten
beſetzt/ alle wohl-verdienten Koͤniglich belohnet/
zu Einfuͤhrung des Scythiſchen Gottes-Dien-
ſtes fromme Geiſtlichen und Lehrmeiſter beſtellt/
hierbey aller gleichwohl die Gewiſſens-Freyheit
ungekraͤnckt zu laſſen befohlen/ keine Verbrechẽ
nachzuſehen/ die Groſſen aber nach ihrem
Maaß vorſichtig zu ſtraffen verordnet/ die Scy-
thiſche Sprache und Ritter-Spiele in Ubung
bracht; viel tauſend Scythiſche Bauern aus
den ſaͤndichten Wuͤſteneyen in die neuen Laͤn-
der vermenget/ denen Serern/ die Scythiſche/
und denen Scythen/ die Seriſche Weiber hey-
ratheten/ unterſchiedene Vortheil ausgeſetzt/
auch endlich die Graͤntz-Feſtungen mit ſtar-
cken Scythiſchen Beſatzungen verſehen haͤtte.
Nach dieſer klugen Reichs-Verfaſſung waͤren
Huhanſien und Syrmanis mit dem groͤſten
Theile ihres Kriegesheeres durch Suchuen/
und das Seriſche Reich Jungchang/ uͤber das
Gold-reiche Gebuͤrge Kinhoa/ auf welchem
der eine Gipfel gediegenes Gold ſeyn ſoll/ und
die Fluͤſſe Lanſang/ Lukiang und Pinglang gegen
das Reich des groſſen Koͤnigs Pirimals gezogen/
welcher/ von Taprobana an/ alles was zwiſchen
dem Fluſſe Jndus/ Ganges und Coßmin lieget/
unter ſeine Gewalt gebracht/ alſo hierauf den
gemeinen Nahmen der Jndiſchen Koͤnige Po-
rus angenommen/ und endlich uͤber den Fluß
Oxus in Sogdiana einen Einfall gethan haͤt-
te. Dahin ſolte ich ihm geraden Weges fol-
gen/ und weil er aus dem Reiche Xenſi und
Tibet ein abſonderes Kriegsheer an dem See
Tache ſich zuſammen zu ziehen befohlen/ ſolte ich
daſelbſt gegen dem Feinde einzubrechen trachten.
Uber dieſen Reden ward in des Fuͤrſten Zeno
Vorgemache die Taffel abermals gedeckt; da
denn dieſe annehmliche Verſam̃lung vom
Feldherrn zu Einnehmung der Abend-
Mahlzeit ermahnet ward; wormit ihr kran-
cker Geſchicht-Erzehler zugleich ein wenig ver-
blaſen moͤchte.
Die Mahlzeit ward zwar aus Begierde das
uͤbrige zu vernehmen kurtz abgebrochen/ allein
die darzu kommenden Aertzte wolten dem noch
ſchwachen Fuͤrſtẽ Zeno ſelbigen Tag nicht erlau-
ben/ ſich mit ferneren Reden abzumatten. Alſo
ward dieſer und anderer Hinderniſſe halber ſeine
Erzehlung biß nach Mittage folgenden Tages
verſchoben. Wie ſie ſich nun alle beym Zeno
wieder eingefunden; fing dieſer an: Nach er-
langtem Befehl des Scythiſchen Koͤnigs eilte
ich auf denen bequemen Waſſer-Fahrten uͤber
M m m m 2die
[644]Fuͤnfftes Buch
die reiche Handel-Stadt Uching an dem See
Tai zu der herrlichen Haupt - Stadt und
dem unſchaͤtzbaren Luſtgarten Chekiang/ an
dem uͤber eine deutſche Meile breiten Fluſſe
Cienthang/ welcher ſich darunter mit groſſem
Ungeſtuͤme ins Meer ſtuͤrtzt. Jch kam mit-
ten im Wein - Monat dahin/ und ſahe mit
Erſtaunung/ wie das Meer ſeiner Gewohn-
heit nach umb dieſe Zeit durch den Trieb des
Monden und Geſtirnes den Strom mit grauſa-
men Wellen als Berge aufſchwellete/ und die
groſſe Menge der als guͤldne Pallaͤſte auf
dem Fluſſe ſonſt liegender Schiffe in die in-
neren Waſſer-Armen/ und den an der Stadt
liegenden Cryſtallen - hellen See Sichu
trieb/ uͤber welchen etliche tauſend ſteinerne
Bruͤcken und praͤchtige Siegs - Bogen zu
zehlen ſind. Sie weicht an Groͤſſe faſt kei-
ner Stadt; die Straſſen ſind alle mit vier-
eckichten Steinen beſetzt/ und nach der Reye
mit fruchtbaren Baͤumen beſchattet. Die
Menge des Volckes iſt daher zu ermaͤſſen:
daß darinnen ſechzig tauſend Seiden-Weber
wohnen/ und alle Tage zehn tauſend Saͤcke
Reyß/ derer ieder hundert Menſchen ver-
gnuͤget/ verſpeiſet werden. Von dieſer
Stadt ſegelte ich mit gutem Winde den Fluß
Che hinauf biß an die Stadt Sintu/ bey wel-
cher der beruͤhmte Seriſche Weltweiſe Nien-
ſulin auf dem Berge Fuchung heimlich auf-
gehalten/ und vom Fiſchen ſich ernaͤhret/ umb
denen ihm angemutheten hohen Reichs-
Aemptern aus dem Wege zu treten; dahin
aber der Koͤnig nach ſeiner Ausſpuͤrung ge-
folgt/ und ſich eine Zeitlang neben ihm auf ſei-
nen haͤrenen Kutzen beholffen hatte. So
vergaͤllt war fuͤrzeiten die Ehrſucht/ und ſo
beliebt die Weißheit! Hier muſte ich durch das
bergichte Land/ welches ſich von dem Gebuͤrge
Kiming und Kinhoa abzeucht/ auf dem der
Liebes- und Kriegs - Stern umb die daſelbſt
wachſende uͤberaus wohl und viel edler als
unſere Jaſminen ruͤchende Blume Mogorin
geſtritten haben ſoll/ und da auf gewiſſen Baͤu-
men der beſte Talg zu weiſſen Lichtern/ und zu-
gleich Oel in die Ampeln waͤchſt/ zu Pferde
fortreiſen. Jch kan hierbey nicht verſchwei-
gen: daß als ich mich auf dem Berge Kutien
bey Kaihoa/ wegen uͤberfallender Nacht/ zur
Ruhe legen muſte; mit dem Tage erwachende
meine Glieder haͤuffig mit Schlangen umb-
ſchrenckt/ und ſieben Tieger ſpielende umb
mich ſahe. Jch ſprang fuͤr Schrecken auf/
und rieff meinen in gleicher Gefahr ſchwe-
benden Geferthen; alleine der hieruͤber erwa-
chende Koͤnigliche Poſtmeiſter benahm uns al-
ſobald zu unſerer Verwunderung alle Furcht/
mich verſichernde: daß auf dieſem Berge alle
Schlangen ihr Gifft/ und die hitzigſten Tyger
ihren Grimm verlieren. Nach dieſem ſetzte
ich mich unter Joxan auf den Fluß Yo/ und
fuhr Strom - ab biß nach Quecki an den
Drachen- und Tyger - Berg Lunghu/ und
ging zu Lande uͤber den Berg Yangkiu/ auf
dem ein mit der Lufft die Farbe veraͤnderndes
und das kuͤnftige Wetter andeutendes Men-
ſchen-Bild ſtehet/ auf die luſtige Stadt Vucheu.
Hier fuhr ich auf dem lincken Arme des ſo klaren
Fluſſes Lienfan/ daß man ſein Waſſer wegen
ſeiner unveraͤnderlichen Art zu Stunden-Glaͤ-
ſern braucht/ in den groſſen und felſichten
Strom Can in Kiangſi. Von dar ward das
Schiff den Strom hinauf durch abgewechſelte
Pferde Tag und Nacht mit groſſer Vehendig-
keit gezogen. Derogeſtalt kam ich nach Linki-
ang/ Vannungam/ bey welcher Stadt uͤberaus
kuͤnſtliche Stein-Klippen und Leim und Thon
durch Kunſt gemacht in die Lufft empor ragen;
und endlich umb Mitternacht zu der herrlichen
Stadt Changkan/ die wir im finſtern ziemlich
weit von ferne aus dem darbey liegen-
den Berge Tiencho erkieſeten; weil des
Nachts
[645]Arminius und Thußnelda.
Nachts darauff ein den gluͤenden Kohlen glei-
ches Feuer geſchen wird/ welches die einfaͤltigen
Einwohner fuͤr ſeltzame Schlangen oder Spin-
nen halten. Bey dieſer Stadt gingen wir uͤ-
ber die von hundert und dreißig Schiffen beſte-
hende/ und mit eiſernen Ketten befeſtigte Bruͤ-
cke/ und ſo denn auff dem Fluſſe Chang nach
Nangan. Allhier muſten wir uͤber das ſchwe-
re Gebuͤrge/ welches das Land Kiangſi von
Qvantung trennet/ vorhin das Koͤnigreich Na-
nive geheiſſen/ und vom Koͤnige Hiaovus er-
obert worden. Wir ſetzten uns aber bey der
erſten Stadt Hiungheu auff den Fluß Chin/
fuhren ſtromab/ und kriegten daſelbſt eine lu-
ſtige Landſchafft/ auff welcher viel hohe Stein-
klippen gerade hinauff wie Seulen gewachſen
waren/ nicht minder das ſeltzame Gebuͤrge der
fuͤnff Pferdekoͤpffe ins Geſichte. Bey der
ſchoͤnen Stadt Xaocheu/ wo der Fluß Chin und
Vu zuſammen fließen/ ſchifften wir vorbey/
und kamen durch das alles Augenmaß uͤber-
ſteigende Gebuͤrge Sangwonhab/ welches die-
ſer Strom durchſchneidet/ und auff dem Holtze/
ſo harte und ſchwer wie Eiſen waͤchſt/ endlich
in die Wunder-Stadt Qvangcheu/ wo der
Fluß Chin und Ta in das groſſe Sud-Meer
faͤllt. Dieſe vier deutſche Meilen groſſe Stadt
iſt auff der einen Seite mit dem breiten Stro-
me/ einer zweyfachen Mauer/ und zwey Waſ-
ſer-Feſtungen/ auff den andern Seiten in ei-
nem halben Zirckel mit Mauern/ fuͤnff Schloͤſ-
ſern und hohen Bergen verwahret/ mit koͤſtli-
chen Tempeln/ Palaͤſten auch Marmelnen
Siegs-Bogen geſchmuͤckt/ und durch groſſe
Kauffmannſchafft und Schiffarth bereichert.
Nachdem ich hie einen Tag ausgeruhet/ ſchiff-
te ich auff dem Fluſſe Ta gegen Abend/ kam
in die herrliche Stadt Nanhai/ um welche
das wohlruͤchende und von der Natur ſo ſchoͤn
gemahlte Adler-Holtz waͤchſt/ in das Land
Qvangſi zu der viel beſtroͤmten und von den
Meelbaͤumen Qvanglang beruͤhmten Stadt
Kiaocheu. Dieſes Landes Haupt-Stadt iſt
Queilni/ bey welchem ſieben Berge den Stand
des geſtirnten groſſen Baͤren eigentlich dar-
ſtellen. Von Nanhai ließ ich das Schiff a-
bermals mit Pferden nach der Stadt Qveping
ziehen/ in welcher Gegend wir etliche gehoͤrnte
Thiere/ derer Bein auch das Helffenbein uͤber-
trifft/ zur Erluſtigung durch ausgeſtreutes
Saltz fingen; ſintemahl dieſes unvernuͤnfftige
Fuͤrbild der an der verderblichen Wolluſt kle-
benden Menſchen lieber die Freyheit und das
Leben/ als das ihm ſo wohl ſchmeckende Saltz
einbuͤßet. Auff dieſe Art kam ich auch nach Yo-
lin/ ja auff den Fluͤſſen Luon und Puon in das
Reich Jnunan. Dieſes groſſe Land gehoͤrte
fuͤr Zeiten zu dem Koͤnigreiche Mung/ oder
Nanchao/ welches zwar vom Koͤnige Xius be-
meiſtert ward/ kurtz hernach aber wieder abfiel.
Als aber deſſelbten Koͤnig Sinulo ſein Volck/
zu Zeiten des Seriſchen Koͤnigs Hiaouv/ in
ſein Gebiete unterſchiedene Einfaͤlle thun/ und
Raub holen ließ/ Hiaouv aber ſich durch Ge-
ſandſchafft hieruͤber beſchwerte/ entbloͤßte Si-
nulo ſeine Sebel/ und hieb darmit ſechs Fuͤſſe
tieff in einen Stein/ welcher nah bey der Stadt
Chinkiang/ da ich zum erſten ankam/ zu ſehen iſt/
mit beygeſetzten Worten: gehet und ſagt eurem
Koͤnige/ was wir fuͤr Schwerdter haben. Hier-
uͤber ward Hiaouv ſehr erbittert/ brach daher
mit einem außerleſenen Heere unter ſeinem
Feldhauptmann Tangſienyv allhier ein/ er-
ſchlug den Koͤnig Sinulo mit zwey hundert
tauſend Jndianern bey der kleinen Stadt Chao/
derer Beerdigung man noch auff dem Berge
Fungy zeiget. Alſofielen des Sinulo ſaͤmtli-
che Laͤnder Tibet/ Laos/ Necbal/ Aracan/ biß wo
der Fluß Caßmin in den Gangetiſchen Seebu-
ſem faͤllt/ in der Serer Gewalt/ ja ſie verfolgten
ihren Sieg biß gar an den Fluß Ganges. Die-
ſemnach ging ich von Chingkiang zu der reichen
und luſtigen Haupt-Stadt Jnunan/ an dem
groſſen See Tien/ die ihr Eroberer Koͤnig
M m m m 3Hiaov
[646]Fuͤnfftes Buch
Hiaov ergroͤſſerte/ als er daſelbſt aus ſeltzamer
Veraͤnderung etlicher vielfaͤrbichter Wolcken
ihm ſein kuͤnfftig Gluͤck wahrſagte. Von hier
nahm ich meinen Weg zu der Stadt Yecheu an
dem groſſen Strome Moſſale/ welche Stadt/
ehe ſie Hiaouv eroberte/ unter den Koͤnigen des
Reiches Mung zu dem Volcke Kinchi mit den
verguͤldeten Zaͤhnen gehoͤrte. Maſſen die Ein-
wohner noch jaͤhrlich einen zehn Meßruthen ho-
hen Stein bey Nangan uͤber und uͤber mit Gol-
de/ von dem viel Berge und Fluͤſſe allhier ange-
fuͤllet ſind/ uͤberdecken und anbeten. Allhier er-
fuhr ich/ daß Koͤnig Huhanſien mit ſeinem Heere
ſchon uͤber die Fluͤſſe Lanßang/ Lukiang/ und
Pinglang kommen/ und dem gegen Bactriana
mit ſeiner Heeres-Krafft ſtehenden Koͤnige Pi-
rimal recht ins Hertze gegangen waͤre; wie auch/
daß um den See Tache ſich das beſtimmte Scy-
thiſche Kriegs-Heer verſammlete/ welches ich
fuͤhren ſolte. Weſthalben denn auch der Se-
riſche Unter-Koͤnig nicht ſo wol aus Liebe gegen
den Scythen/ und des neuen Verbindnißes/
als ihre zwey geſchworne Feinde die Scythen
und Jndianer zu ihrem Vortheil an einander
zu hetzen/ und alſo aus ihrer Abſchwaͤchung ſich
zu verſtaͤrcken/ uns den Durchzug durch ihr
Gebiete willig erlaubten/ mir zu Uberſetzung
der Fluͤſſe und Unterhaltung des Kriegsheers/
Schiffe/ Reiß/ Waffen und Geld anboten.
Sintemahl keine verſchmitztere Kriegs-Liſt iſt/
als durch unſern Vorſchub den Feind von un-
ſern Graͤntzen abhalten/ und durch fremde
Schwerdter ihm die Gurgel abſchneiden; Da-
her die Spartaner in ſolchem Falle dem Kriegs-
Gotte einen Ochſen/ wenn ſie aber dem Feinde
eine Schlacht abgewonnen/ nur einen Hahn zu
opffern pflegten. Mit dieſem mir dienlichen
Vorſchube/ und einer ziemlichen Anzahl des
freywilligen Adels aus Jnunan/ welche unter
den Scythiſchen Fahnen wider die Jndianer
ihr Heil verſuchen/ oder vielmehr jener Kriegs-
Art begreiffen wolten/ kam ich zu der vom Koͤ-
nige des Reichs Mung Nanchao erbauten
Stadt Jnſeng/ und uͤber die darbey aus lau-
ter eiſernen Ketten zuſammen geheffteten Bruͤ-
cke/ 140. Maͤß-Ruthen lang/ biß zu der
vom Koͤnige Sinulo gebauten Stadt Mun-
gre/ welcher Gegend und Lufft von dem uͤber-
fluͤßigen Biſame gleichſam eingebalſamt/ und
von denen zwey Bergen Fughoang/ auff dem
jaͤhrlich viel tauſend Voͤgel ihren daſelbſt ge-
ſtorbenen Fenix zu beklagen ſich verſammlen
ſollen/ und von dem Felſen Tienul/ der wegen
ſeines uͤberaus zarten Widerſchalls das Ohr des
Himmels genennet wird/ in der Welt beruͤhmt
iſt. Bey der Haupt-Stadt des Hertzogthums
Yecheu/ welche Hiaouv nach dieſem erober-
ten Jndien daſelbſt/ wo der Fluß Putoa in
den See Siul fleuſt/ in Grund legte/ begegnete
mir Ulaſſa ein Scythiſcher Feld-Oberſter/ mit
Bericht/ daß das Scythiſche Kriegs-Heer auff
etlich tauſend von den Serern hergegebenen
Schiffen den Strom Lukiang herunter kaͤme/
und bey der in waͤhrendem Scythen-Kriege
von den Serern abgefallenen Stadt Jung-
chang auszuſteigen gedaͤchten. Jch fuhr alſo
den Fluß He ſchleunig herunter in den Strom
Lanßang/ und traff endlich das gantze Heer in
beſter Verfaſſung unter dem Gebuͤrge Ganlo
an/ auff welchem zwey ſtarcke Qvelle aus einem
zweyen Naſenloͤchern gleich gebildeten Felſen
entſpringen. Jch machte alſobald Anſtalt die
groſſe und feſte Stadt Junchang/ welche fuͤr Zei-
ten zu dem maͤchtigen Koͤnigreiche Gailao ge-
hoͤret/ und Pugnei geheiſſen/ zu beſchluͤſſen/ und
an dem Fluſſe Lukiang durch eine Schiffbruͤcke
zu verhindern/ daß ihr aus ſelbtem uͤber den
daranſtoſſenden See Cinghoa keine Huͤlffe zu-
kaͤme. Weil aber dieſe Graͤntz-Stadt ſtarck
beſetzt/ die von den nunmehr mit den Scythen
verglichenen Serern abgefallene Buͤrgerſchaft
wegen beſorglicher ſchweren Strafe gantz ver-
zweiffelt war/ ſonderlich/ da ſie ſo viel Serer in
dem Scythiſchen Lager warnahmen; ließ die
Belaͤ-
[647]Arminius und Thußnelda.
Belaͤgerung ſich ſchwer an. Die Mauren
waren ſechtzig Ellenbogen hoch/ und noch mit
tieffen Graben umgeben; alſo/ daß/ ob wir
wol dieſe mit Reiſicht/ Saͤcken und Erde fuͤll-
ten/ wegen der Uberhoͤhung mit denen auff
Waltzen beweglichen Sturm-Thuͤrmen/ und
Fallbruͤcken wenig auszurichten war; und die-
ſelben/ welche wir auch endlich ſo hoch machten/
wurden durch unauffhoͤrliches Feuer-Einwerf-
fen zernichtet/ ob wir ſie ſchon vorwaͤrts mit ei-
ſernen Platten/ oben aber mit rohen Ochſen-
Ledern bedeckten. So ſchafften auch die eiſer-
nen Widderkoͤpffe an denen Stahl-feſten Stei-
nen der Mauer nicht viel; und wo ſie auch ir-
gendswo Schaden thun wolten/ lieſſen ſie von
der Mauer Stroh- und Woll-Saͤcke in den
Stoß fallen/ um ſelbten zu ſchwaͤchen/ oder ſie
zerdruͤmmerten die Stoß-Boͤcke mit herunter
geworffenen Steinen/ etliche fingen ſie auch mit
groſſen Seilen und Schlingen auff/ daß ſie oh-
ne groſſen Verluſt nicht konten zuruͤck gezogen
werden. Dieſer hertzhaffte Widerſtand ver-
bitterte die Serer mehr als mich; alſo brachten
ſie zu wege/ daß der Unter-Koͤnig mir von Mun-
gre drey groſſe aus Metall gegoſſene Roͤhren
ins Laͤger ſchickte/ mit erfahrnen Leuten/ welche
in ſelbten einen aus Schwefel/ Salpeter und
Kohlen vermengten Staub fuͤlleten/ und durch
deſſelbte Entzuͤndung eiſerne Kugeln eines
Kopffs groß mit einem donnernden Krachen
ſo hefftig an die Mauern ſchleuderten/ daß ſelb-
te endlich berſten und zerfallen muſten. Die
Belaͤgerten/ welche dieſes mir uͤber aus ſeltzame
Geſchuͤtze bey den Serern vorher mehrmahls
geſehen/ muͤheten ſich zwar die Loͤcher mit Stei-
nen und Balcken zu ergaͤntzen/ oder mit inn-
wendigen Abſchnitten uns zu begegnen; end-
lich aber ging die Stadt um Mitternacht durch
Sturmuͤber/ und es war mir unmoͤglich zu er-
wehren/ daß nicht alles von der Schaͤrffe der
Scythiſchen Sebeln niedergehauen/ und die
Stadt von denen rachgierigen Serern in die
Aſche gelegt ward. Jch raͤumte dieſe von Blut
und Feuer verſtellte/ dem Scythiſchen Reiche
aber wegen Entlegenheit ohne diß wenig nuͤtze
Stadt dem Seriſchen Unter-Koͤnige ein/ mit
der Andeutung: Jch waͤre von Huhanſien be-
fehlicht/ den Serern alles/ diß was ihnen die
Jndianer vom Fluſſe Pinglang und Knixa
als ihrer vorigen vom Koͤnige Hiaouv erſtreck-
ten Reichs-Graͤntze abgenommen haͤtten/ alſo-
fort abzutreten. Dieſe Erklaͤrung verband
mir nicht allein die Gemuͤther zu noch mehrerm
Vorſchube; ſondern ich hatte auch in weniger
Zeit ſo viel Seriſche Huͤlffs-Voͤlcker im Laͤger/
daß ich ein Theil derſelben zuruͤck ſenden mu-
ſte/ um nicht ſelbſt die Scythen an der Zahl zu
uͤberwachſen. Wormit aber dieſe etwas zu
thun bekaͤmen/ und die Jndianer an vielen Or-
ten zur Gegenwehr ſich zu zertheilen genoͤthigt
wuͤrden/ rieth ich dieſem Uberſchuſſe den Strom
Lukiang/ der wegen ſeiner Groͤſſe die Mutter der
Waͤſſer genennet wird/ hinunter zu ſchiffen/
und/ wo ſelbter ins Sud-Meer faͤllt/ ſich der an
dem Munde liegenden groſſen Stadt Siam/ in
welcher Gebiete jaͤhrlich mehr als anderthalb
hundert tauſend Hirſchen geſchlagen werden/ zu
bemeiſtern; darzu ich ihnen denn etliche verſtaͤn-
dige Scythen zu ihrer Anfuͤhrung verlieh. Mit
meinem Heere aber ſetzte ich uͤber den Fluß Lu-
kiang/ und fuhr ohne einigen Widerſtand auff
dem Strome Xinchuen/ biß wo er ſich mit dem
Fluſſe Pinglang vermaͤhlet; daſelbſt ſtieg ich
aus/ und belaͤgerte zu Waſſer und Lande die
vom Koͤnige Hiaouv erbaute/ vom Koͤnige Pi-
rimal aber eingenommene Graͤntz-Feſtung
Mien. Jch hatte dieſe Stadt durch die Sturm-
Boͤcke und das ertztene Geſchuͤtze ſchon ſo weit
gebracht/ daß die Belaͤgerten durch das trauri-
ge Beyſpiel der Stadt Jungchang von der Ubeꝛ-
gabe handelten/ als ich Kundſchafft kriegte/ daß
der Unter-Koͤnig in der guͤldenen Halb-Jnſel
Malacca die Serer bey Siam auch geſchla-
gen haͤtte/ die in Aracam/ Ava/ Coſmin und
Bacan
[648]Fuͤnfftes Buch
Bacan aber mit einem maͤchtigen Heere/ Mien
zu entſetzen/ im Anzuge waͤren. Jch ward al-
ſo genoͤthigt ein Theil des Heeres bey der
Belaͤgerung zu laſſen/ das groͤſte aber des
Nachts in aller Stille gegen den ankommen-
den Feind zu fuͤhren/ ob ſchon die Zeit/ da der
Fluß Pinglang ſich wie der Nil uͤber ſein Ge-
ſtade ergeuſt/ fuͤr der Thuͤr war: Ein des Landes
wohl erfahrner Serer aber wieß mich ſo gluͤck-
lich an/ daß ich den faſt zweyfach ſtaͤrckern/ und
mit vielen zum Streit abgerichteten Elephan-
ten ausgeruͤſteten Feind bey auffgehender Son-
ne/ als ſelbter ſich gleich nach durchreiſeter Nacht
zur Ruhe begeben hatte/ in voller Sicherheit uͤ-
berfiel/ den meiſten Elefanten durch etliche in
Jndianiſche Tracht verkleidete Waghaͤlſe die
Schnautzen mit langen Beilen abhauen ließ/
worvon dieſe und die andern ſich umkehrten und
auff die Jndianer/ als ihre vermeinte Feinde
wuͤteten/ das gantze Lager in Schrecken/ die in
Eil geſchloſſenen Hauffen in Unordnung ſetzten/
und mir mit Hinterlaſſung alles Kriegs-Ge-
raͤthes einen groſſen Sieg ohne Zuͤckung meines
Degens zuſchantzten. Der Todten waren uͤ-
ber dreißig-der Gefangenen uͤber zwantzig tau-
ſend/ denn die Scythiſche Reuterey holete die
ſich meiſt in Mangel der Pferde/ der ſchnellen
Ochſen gebrauchende Fluͤchtigen unſchwer ein/
und hierunter war der Aracaniſche Unter-Koͤ-
nig Abiſar ſelbſt/ welcher mich verſtaͤndigte/ daß
zwar der Scythen Koͤnig ſich groſſen theils der
Staͤdte an dem Fluſſe Coßmin bemaͤchtiget
haͤtte/ es waͤre aber der Koͤnig Pirimal mit ei-
nem unglaublich groſſen Kriegs-Heere ſchon uͤ-
ber den Fluß Ganges und Caor kommen/ um
den Scythen die Stirne zu bieten. Als dieſe
Auſſage mir von andern Jndianern mehr um-
ſtaͤndlich erzehlet ward/ ſchickte ich nur ein Theil
des Heeres mit denen eroberten Kriegs-Fahnen
und denen Gefangenen fuͤr die Stadt Mien zu
ruͤcke/ die ſich denn nach vernom̃enem Siege auff
Gnade und Ungnade bald ergab; Jch aber eilte
Tag und Nacht gegen dem Fluſſe Coſmin umb
fuͤr der Schlacht noch zum Koͤnige Huhanſien
zu ſtoſſen. Jch kam den zwantzigſten Tag an den
verlangten Strom zu der vom Huhanſien ero-
berten und beſetzten Stadt Tipora. Weil ich
denn vernahm/ daß die Scythen ſich bereit des
Stromes Caor und der Gangariden biß an das
Koͤnigreich der Pharraſier bemaͤchtigt/ die Jn-
dianer aber bey Dekaka ſchon fuͤr acht Tagen
mit ihrer gantzen Macht geſtanden hatten; ließ
ich durch ſchnelle Poſten dem Koͤnige meine An-
kunfft wiſſen; ich hingegen kriegte Nachricht/ daß
die Scythen bereit zwey Tage an dem Fluße
Sirote den Jndianern die Uberkunfft durch
unauffhoͤrliches Gefechte ſtrittig gemacht haͤt-
ten/ weil ſie ſich ihnen nicht gewachſen hielten.
Wie ich aber in das Koͤnigliche Laͤger kam/ hatte
ſelbige Nacht der Koͤnig Pirimal gleich durch-
gedrungen/ und alſo Huhanſien ſich in ein vor-
theilhafftiges Gebuͤrge ziehen muͤſſen. Huhan-
ſien und Syrmanis wuſten ihre Freude uͤber
meiner Aukunft nicht genugſam auszudruͤcken;
Gleichwohl aber wolte er mit dem ermuͤdeten
Volcke nicht bald die von den Jndianern ſo ſehr
verlangte Schlacht wagen/ nicht nur um ſein
Kriegs-Heer ausruhen zu laſſen/ ſondern auch
den Feind deſto unvorſichtiger zu machen; daher
er ſich zwiſchen den Bergen/ ungeachtet die Jn-
dianer ſich mehrmahls naͤherten/ und die zum
Reiten gleichſam gebohrnen Scythen oder viel-
mehr warhaffte Centauren auf ihren Pferden
mehr ausruhen/ als ermuͤdet werden/ gantz un-
beweglich hielt/ und hiermit ſeine Verſtaͤrckung
derogeſtalt verdruͤckte/ daß Pirimal von An-
kunfft einiger Huͤlffs-Voͤlcker das wenigſte er-
fuhr. Den andern Tag aber/ als die Mittags-
Hitze etwas vorbey war/ fuͤhrte Huhanſien das
Groß ſeines Heeres/ Syrmanis den rechten
und ich den lincken Fluͤgel in moͤglichſter Ge-
ſchwindigkeit/ aus dreyen Pforten des Gebuͤr-
ges in die darfuͤr liegende Flaͤche/ gegen die
Weſtwaͤrts liegenden Jndianer ins Feld/ und
ſtell-
[649]Arminius und Thußnelda.
ſtellten ſelbte in Schlacht-Ordnung. Pirimal/
der der Scythen Entſchluͤſſung nicht ſo wohl ih-
rer Hertzhafftigkeit als einem Mangel an Le-
bensmitteln zuſchrieb/ ordnete ungeſaͤumt auch
ſein unzehlbares Kriegsheer/ ob ſchon ſelbtes der
neundte Tag nach dem Neumonden waꝛ/ den die
Jndianer eben ſo wie den erſten/ da der Mond
zuruͤck bleibt/ fuͤr ſehr ungluͤckſelig halten/ und
dem Pirimal ein rother Sperber/ mit einem
weiſſen Ringe um den Hals/ von der lincken
Hand gegen der rechten/ uͤber ſein Zelt flog; ja
ſelbige Nacht ein Crocodil einen Elephanten/ fuͤr
dem er ſich ſonſt ſo ſehr gefuͤrchtet/ getoͤdtet hatte.
Fuͤr ieden Fluͤgel ſtellte er funffzig geuͤbte Ele-
phanten/ in der Mitten aber waren derer wohl
hundert/ und er ſelbſt als auch ſeine Schweſter/
die er nach der Jndianer Reichs-Geſetzen ge-
heyrathet hatte/ (die doch ſonſt die von dem erſten
Prieſter des Feuers Andsham/ bey den Baby-
loniern und Perſern als ein Heiligthum einge-
fuͤhrte Blutſchande ſo ſehr verdammen) lieſſen
ſich auff zwey uͤberaus groſſen und ſchneeweiſſen
Elephanten ſehen/ welche von Purpur/ Gold
und Edelgeſteinen an der Sonne gleich als ein
Feuer glaͤntzeten/ und einem die Augen ver-
blaͤndeten. Dieſe weiſſe Elephanten findet
man alleine und zwar ſelten an dem Strome
Lukiang/ die Jndianer halten ſie fuͤr Koͤnige der
andern/ ſie verehren ſie als etwas goͤttliches/ der
Koͤnig ſelbſt ſucht ſie offtmahls heim/ und ſie
werden aus eitel guͤldenen Geſchirren gefuͤt-
tert. Die ſonſt ſo behertzten Scythen bebten
anfangs fuͤr dieſen gethuͤrmten Thieren/ und de-
nen Sichel-Wagen/ welche mit ihrem Anſehen
und Erſchuͤtterung einem ein Grauen einjag-
ten. Koͤnig Huhanſien aber ſprach den ſeinen
ein Hertz ein/ und erinnerte ſie; wie dieſe Dinge
mehr das Auge fuͤlleten/ als Nachdruck haͤtten.
Zwey oder dreyer Elephanten Erlegung wuͤrde
die andern ſcheue/ und ihren Feinden zum Fall-
brete machen. Denn ſie gingen ſo lange auff
den Feind/ ſo lange ihr Leiter ihrer maͤchtig waͤ-
re; nach ihrem Schreckniſſe aber rennten ſie die
ihrigen als blind und raſend zu Bodem. Sie
ſolten ſich erinnern/ daß der groſſe Alexander wi-
der des Porus gleichmaͤßige Ruͤſtung die hertz-
hafften Scythen an die Spitze geſtellt/ und
durch ihre Tugend mit einer Schlacht dem gan-
tzen Kriege ein Ende gemacht haͤtte. Ja als die
Macedonier fuͤr ihnen die Haͤnde ſincken laſſen/
habe er mit den Scythen alleine durchzubrechen
getrauet. Jhm haͤtte es an Elephanten zum
Kriege ſo wenig gemangelt/ wenn er ſie fuͤr
dienlich geachtet; er haͤtte ſie aber als mehr
veraͤchtlich von ſich gelaſſen. Jhre Tugend
waͤre ſo vielen Voͤlckern obgelegen/ welche zum
Theil unter ihnen die Waffen truͤgen; wie moͤch-
ten ſie ſich nun fuͤr der langſamen Buͤrde unver-
nuͤnfftiger Thiere entſetzen. Die von Ertzt ſich
erſchuͤtternden Sichel-Wagen aber laͤgen mit
Zerbrechung eines Nagels/ oder mit Hinfal-
lung eines Pferdes zu Bodem. Endlich waͤren
dieſes ihrer verzweiffelten Feinde letzte Kraͤff-
ten/ nach derer Niederlage ſie nicht mehr um
den Sieg zu kaͤmpffen/ ſondern um die Ein-
theilung unſchaͤtzbarer Beute ſich zu bemuͤhen
haben wuͤrden. Wie nun beyde Kriegs-Heere
auffs beſte geordnet/ inſonderheit aber von mir
dieſelbigen/ welche bey Mien ſchon die Elephan-
ten zu faͤllen gelernet hatten/ hierauff abſon-
derlich beſtellt waren/ mit dem Befehl/ daß
ſie die auff dem Nacken ſitzenden/ welche dieſe
Thiere durch einen eiſernen Griffel leiteten/ mit
langen Hacken herunter zu ziehen/ die Elephan-
ten ſelbſt mit Wurff-Spieſſen hinter die Ohren
zu verletzen/ oder hinten unter dem Schwantze
in die weiche Haut die Degen zu ſtoſſen/ mit lan-
gen Beilen ihnen die Schnautzen abzuhauen/
und endlich ſie mit brennenden Fackeln zu blaͤn-
den trachten ſolten; gieng die Schlacht mit grau-
ſamen Blutſtuͤrtzen an. Die Scythen litten
anfangs von denen alles uͤber einen Hauffen
rennenden Elephanten die groͤſte Noth/ die Jn-
dianer aber blendete die Sonne/ und die ge-
Erſter Theil. N n n nſchwin-
[650]Fuͤnfftes Buch
ſchwinde Reuterey machte ihnen auf allen Sei-
ten genugſam zu ſchaffen. Derogeſtalt war das
Gluͤcke biß in die ſinckende Nacht durch beyder
Heere Tapfferkeit gefaͤßelt/ daß ſeine Wage
weder auf ein-noch das andere Theil einen Aus-
ſchlag gab/ ſondern/ nachdem iedes einen Bo-
genſchuß zuruͤcke gezogen/ auff der Wallſtadt
gegeneinander ſtehen blieben; wiewohl die Scy-
then durch Erlegung etlicher dreißig Elephanten
einen groſſẽ Vortheil erlangt zu haben vermein-
ten. Um Mitternacht begunte ein ſtarcker
Nordwind zu wehen/ daher wich Huhanſien
mit ſeiner Schlacht-Ordnung dahin ab/ theils
gegen den Feind den Wind zu gewinnen/ theils
auch die Morgen-Sonne aus den Augen zu
kriegen. Alle Serer aber verſteckte er in das
Gebuͤrge unter Scythiſchen/ wiewol auch Se-
riſch gekleideten Kriegs-Haͤuptern/ welche zu
rechter Zeit den Jndianern in die Seite fal-
len ſolten. Dieſe wurden noch des Nachts des
von den Scythen geſuchten Vortheils gewahr/
und alſo kam es/ ehe es noch tagete/ zum neuen
Gefechte. Alleine die Scythen behaupteten
den Wind/ der ihre Pfeile mit groͤſſerm Nach-
drucke auff die Jndianer zu; dieſer ihre aber auff
ſie ſelbſt zuruͤcke trieb. Ja er ſchmiß den haͤuf-
figen Sand und Staub ſo wohl den Menſchen
als Elephanten ſo ſehr in die Augen/ daß ſie ehe
die toͤdtlichen Streiche von den Scythiſchen Se-
beln empfunden/ als ihren Feind zu Geſichte be-
kamen. Nichts deſtoweniger that Pirimal und
ſeine hertzhaffte Gemahlin das euſſerſte die ihri-
gen mit ihrem Beyſpiel und Worten in feſtem
Stande zu erhalten/ und die Menge ihres
Krieges-Volcks vermochte allezeit mit friſchen
Hauffen die Luͤcken der Fallenden zu erſetzen.
Jnſonderheit kam dem Pirimal die von dem
Cyrus auch gegen den Croͤſus gluͤcklich ange-
wehrte Kriegs-Liſt nicht wenig zu ſtatten; da er
gegen die unvergleichliche Reuterey der Scy-
then/ welche bey vollem Rennen ſich biß zur Er-
de buͤcken/ und ihre verſchoſſene Spieſſe oder
Pfeile wieder auffheben kan/ etliche tauſend auff
Kamele geſetzte Bactrianer herfuͤr ruͤcken ließ.
Weil nun die Pferde die Kamele weder ruͤchen
noch ſehen koͤñen/ geriethen die Scythen in nicht
geringe Unordnung; deñ auch die edelſten Pfer-
de der Scythiſchen Fuͤrſten/ welche uͤber ihre
Ankunfft wie der Adel uͤber ſeiner Ahnen Ge-
ſchlechts-Regiſter halten; ja auch Huhanſien
ſelbſt konten ihre edelſten Pferde/ welche ſonſt mit
einem ſeidenen Faden zu leiten waren/ nicht baͤn-
digen/ und an der Schnure halten. Huhanſi-
en ließ zwar alſofort ein Theil des Seriſchen
Fuß-Volcks darzwiſchen ruͤcken; Aber dieſes
wuͤrde gegen die viel ſtaͤrckern Jndianer nicht
lange getauert haben/ wenn nicht ein Scythi-
ſcher Oberſter durch eine andere Kriegs-Liſt der
feindlichen abgeholffen/ und durch Herbeyho-
lung zweyer gezaͤhmten Loͤwen alle Kamele
ſchuͤchtern gemacht/ und in die Flucht getrieben
haͤtte. Hiermit kriegte die Reiterey wieder Lufft/
und gegen dem Mittag gerieth einem Scythen
im lincken Fluͤgel ein ſo gluͤcklicher Streich/ daß
er der Koͤnigin weiſſen Elephanten in rechten
Vorder-Schenckel verletzte/ worvon er zu Bo-
dem fiel. Wiewohl dieſer hertzhafte Edelmañ diß
Gluͤcke mit ſeinem Lebenbezahlen muſte. Denn
der Elephant ſchlug ihn mit der Schnautze zu
Bodem. Die Koͤnigin ſelbſt toͤdtete ihn durch ei-
nen Pfeil von ihrem Bogen; hingegen ſenckten
ſich alle bey dieſem Fluͤgel fechtende Elephanten
zu groſſem Ungluͤck der Jndianer auff die Erde/
ſintemahl ſie gewohnt waren/ dem weiſſen Ele-
fanten als ihrer Koͤnigin alles nachzuthun. Wel-
che Abrichtung ſeinem Beduͤncken nach ſo ſchaͤd-
lich waͤre/ als die uͤbrige Zubereitung der Pfer-
de; wordurch die Sybariten auff einen Tag
ſchier gar vertilget worden/ nachdem ihre ſchlau-
en Feinde mitten in der Schlacht die angewohn-
ten Saitenſpiele hoͤren lieſſen/ die Pferde aber
ſtatt des Kampffes zu tantzen anfingen. Die
Verwirrung des rechten Fluͤgels/ und die Ge-
faͤngniß der Koͤnigin/ welche die Jndianer ver-
gebens
[651]Arminius und Thußnelda.
gebens aus unſern Haͤnden zu reiſſen bemuͤhet
waren/ jagte dem andern Heere nicht ein ge-
ringes Schrecken ein/ die auff Huhanſiens Be-
fehl aber nunmehr aus dem Gebuͤrge herfuͤr
brechenden- und in die Seite des rechten Fluͤ-
gels einfallenden Serer/ welche die Jndianer
fuͤr ein gantz friſch ankommendes Heer hielten/
brachte in weniger Zeit alles in oͤffentliche
Flucht/ und der fuͤr Rache ſchaͤumende Pirimal
muſte wider ſeinen Willen nur auch mit ſeinem
weiſſen Elephanten umdrehen; welchem denn
alle uͤbrige Augenblicks folgten. Die Scythen
netzten nunmehr ihre Sebeln nur in der Fluͤch-
tigen Blute/ ich aber hielt mir fuͤr die groͤſte
Schande/ daß ein niedriger Scythe die Koͤni-
gin gefangen gekriegt hatte/ mir aber der Koͤnig
in meinem Geſichte entkommen ſolte. Alſo
drang ich nebſt meiner Leibwache durch unter-
ſchiedene noch um den Koͤnig fechtende Hauf-
fen durch/ ich kam aber in dem Gedraͤnge der
wuͤtenden Elephanten von den Meinigen ſo
weit ab/ daß in Mangel alles Entſatzes ich mit
dreyen Pfeilen verwundet/ mein Pferd zu Bo-
dem getreten; ich aber von der Schnautze des
Koͤniglichen Elephanten umfaßt/ und dem Koͤ-
nige oben auff ſeinen Thurm zugereicht ward.
Alſo ward ich nach ſo herrlichem Siege durch ſel-
tzames Ebentheuer ein Gefangener des Uber-
wundenen/ und in die Stadt Comotay/ dahin
die Fluͤchtigen zohen/ gebracht. Weil aber Piri-
mal ſich hier entweder nicht ſicher ſchaͤtzte/ oder
ein neues Heer auf die Beine zu bringen gedach-
te/ ſetzte er die Uberbleibung ſeines Heeres/ wor-
an die Jndianer ſelbſt 200000. Mann und 80.
Elephanten verlohren zu haben geſtanden/ uͤber
den Strom Caor/ und fuhr nach Hinterlaſſung
genugſamer Beſatzung ſelbigen Strand hinab/
biß zu der Stadt Sotagam; und von dar eilte
er biß an den wohl zwey deutſche Meil-weges
breiten Strom Ganges. So bald der Koͤnig
auf dieſen Strom kam/ fiel er mit allen den ſeini-
gen im Schiffe auff ſeine Knie/ hierauff ſchoͤpffte
er mit groſſer Ehrerbietung in einer breiten guͤl-
denen Schale Waſſer daraus/ wuſch damit
Haͤnd und Antlitz/ warff heꝛnach ſelbte zum Opf-
fer uñ ſeiner Verſoͤhnung in den Fluß. Deñ alle
Jndianer verehrten ihn als einen Gott/ und mit
groͤſſerer Ehrerbietung/ als die Egyptier ihren
Nil; glaͤubende/ daß zwar alles auſſer dem
Meer-Waſſer/ (welches die Jndianer fuͤr einen
unreinen Harn/ die Egyptier fuͤꝛ eytrichte Thraͤ-
nen des Saturnus halten/ auch deßhalben kein
Meer-Saltz/ ſondern nur das aus dem Brunn-
Waſſer des Ham̃ons gemacht wiꝛd/ gebrauchen)
am aller kraͤfftigſten aber des Ganges Waſſer/
oder auch/ weñ ein Abweſender nur daran geden-
cke/ ſolch Gedaͤchtniß die Menſchen von Suͤn-
den abwaſche/ und weñ die Aſche darein geworf-
fen wird/ die Todten aus der Hoͤllenpein erloͤſe;
weil es in dem Him̃el entſproſſen/ auf den Fuß
ihres Gottes Wiſtnou/ und das Haupt des Ab-
gotts Eßwara/ und hernach erſt auff die Welt
gefallen waͤre. Daher ſie auch alle die/ welche ſich
damit reinigen/ odeꝛ ſelbtes auf viel hundeꝛt Mei-
len zu ihren Opffern abholen wollen/ dem Koͤni-
ge vorher eine gewiſſe Schatzung erlegen muͤſ-
ſen. Bey dieſer Uberfarth ſahe ich mit groſſer Be-
ſtuͤrtzung/ wie Pirimal einen auf das Schiff zu-
ſchwim̃enden Crocodil durch Knuͤpffung etlicher
Knoten in ein Band unbeweglich/ und nach un-
ſer ziemlichẽ Entfernung durch ihre Wieder auf-
loͤſung beweglich machte. Der Koͤnig/ welcher
mich bald anfangs von meiner Ankunft/ und wie
ich zu den Scythen kommen waͤre/ ausgefragt/
und mich im̃er unter ſeiner Leibwache ſtets mit
gefuͤhret hatte/ trug mir bey ſeinen allhier ange-
ordneten neuen Kriegs-Werbungen eine Feld-
Hauptmañſchafſt an/ die ichaber mit Vorwand/
daß es wider ſeinen Wohlthaͤter/ als Koͤnig Hu-
hanſien waͤre/ ja auch wider den/ dem man ein-
mal Treu und Glauben zugeſagt/ die Waffen
zu eꝛgreiffen/ einem edlen Gemuͤthe unanſtaͤndig
waͤre/ hoͤfflich ablehnete/ zumal meine geliebte E-
rato mein Hertze hefftiger als der Nordliche An-
gelſtern die Magnet-Nadel nach ſich zoh/ und
mir alſo die ſo fernen Umirrungen von meinem
N n n n 2Bewe-
[652]Fuͤnfftes Buch
Bewegungs-Ziele empfindlich verſaltzte. Es
ging kein Tag/ ja zu ſagen kein Augenblick vor-
bey/ da ich nicht gewahr ward/ wie eine iede abge-
ſonderte Helffte eines Dinges in der Natur nach
Vereinbarung mit der andern verlange/ und
dadurch vollkom̃en zu werden begierig ſey. Diß
aber/ was wir lieben/ iſt ſicher eine Helffte von
uns/ und ein zu unſer Vergnuͤgung nothwendig
gehoͤriges Theil. Dieſemnach iſt eines Verlieb-
ten Hertz in einer unauffhoͤrlichen Unruh/ und
in muͤhſamer Bewegung; die Gedancken ren-
nen in ſteter Botſchafft; die Seele liegt in halber
Ohnmacht/ biß durch Vereinbarung der Leiber
die Gemuͤther auch in ihren richtigen Stand
und Weſen gedeyen. Mich anlangend/ die War-
heit eigentlich zu ſagen/ war ich nach ſo langer
Abweſenheit ſo unvermoͤgend uͤber mich/ oder
meine Kraͤffte ſo verfallen/ daß ich nicht ſo wohl
die Koͤnigin Erato als eine Helffte meiner Liebe
zu beſitzen/ als das wenige uͤbrige/ was ich mit
meinem Leibe in der Welt herum trug/ ihr vol-
lends zum Veſitz einzuraͤumen verlangte. Sin-
temal meine Seele fuͤrlaͤngſt aus meinem Her-
tzen die Wohnſtadt veraͤndert/ und ſich ſo wohl in
ihre Verwahrung oder Dienſtbarkeit geliefert/
oder klaͤrer zu ſagen/ von ihrer Liebe umfangen
zu ſeyn ſich geſehnet hatte. Denn ob es zwar nicht
ohne iſt/ daß eine ungefaͤlſchte Liebe ohne den Ge-
nuß der ergetzenden Anweſenheit beſtehen/ nichts
von ihrem Nachdrucke verlieren koͤnne/ ja der
entfernten Verlangen der Liebe noch mehrmals
eine Ubermaß beyſetze; ſo iſt doch die Zuſam̃en-
kunfft die Frucht und das hoͤchſte Gut der Liebe/
welche durch die verwechſelten Anblicke als
durch eine Kette beyde Seelen zuſam̃en knuͤpft/
und die vorhin truͤben und waͤſſerichten Tage al-
lererſt mit einem Sonnenſcheine begluͤckſeligt.
Die Fuͤrſtin Thußnelda fing an: Warlich/ Zeno
weiß die Bewegungen der Liebe ſo eigentlich zu.
beſchreiben/ daß es ſcheinet/ er habe ihr recht an
Pulß/ und ſie ihm recht an die Seele gegriffen.
Dahero wolte ich wenig Bedencken haben/ der
Koͤnigin Erato meine Buͤrgſchafft anzutragen/
daß ſeine Seele mehr in ihrem geliebten Leibe
wohne/ als in ſeinem/ welchen ſie doch beſeelen
muß. Jch kan es nicht laͤugnen/ antwoꝛtete Zeno/
daß diß die einige Urſache war/ warum ich Hu-
hanſien/ der mich inzwiſchen unter den Todten
mit tauſend Bejam̃erungen vergebens ſuchen
ließ/ meine Gefangenſchaft nicht zuwiſſen mach-
te/ von welchem ich verſichert bin/ daß er mich ge-
gen Ausfolgung der Jndianiſchen Koͤnigin aus-
geloͤſet haben wuͤrde. Die Koͤnigin Erato brach
ein: da Fuͤrſt Zeno eine ſo empfindliche Seele
hat/ wie hat er ſeine ſo holdſelige Reiſe-Gefaͤrthin
Syrmanis/ und den wohlthaͤtigen Huhanſien
mit ſeinem unter den Gnaden-Blicken eines ſo
maͤchtigen Welt-Beherrſchers ſo bald auſſer
Acht laſſen koͤnnen? Alleine was befꝛemdet mich?
daß Zeno ſich die Annehmligkeiten Jndiens nicht
hat anfeßeln laſſen. Deñ man wird des mildeſten
Him̃els/ und der Heſperiſchen Luſtgaͤrte endlich
uͤberdruͤßig/ aus einer eingepflantztẽ Sehnſucht
nach einer ſteinichten und wilden Heimath. Diß
abeꝛ iſt vielmehr bedencklich/ wie Zeno ſeinem im
Morgenlande auffgehenden Gluͤcke den Ruͤcken
und der ihn mit ſo viel Sturm und truͤben Wol-
cken verjagenden Mitternacht das Antlitz keh-
ren koͤnnen? Zeno verſetzte: Sie wuͤſte ſelbſt allzu
wohl/ daß Gewogenheit und Liebe von einander
ſo weit unterſchieden waͤren/ als der kleineſte
Stern in der Milchſtraſſe und die Sonne. Der
Syrmanis Freundſchafft und der Magnethaͤt-
ten beyde in ſich wohl einen Zug; aber dieſe Kraft
verliere ſich/ wenn der Glantz einer Erato und
eines Diamants ſich naͤherte. Das Gluͤcke haͤt-
te ihm zwar mit den Haͤnden des guͤtigen Hu-
hanſien liebgekoſet/ ſie kennte aber allzuwohl ſein
Gemuͤthe/ daß er dieſes unvernuͤnfftige Weib/
welches zwiſchen Geitz uñ Verſchwendung kein
Mittel wuͤſte/ welche zwar geil ſeyn/ aber nicht
lieben koͤnte/ niemals zu ſeiner Gemahlin erkie-
ſen ſolte; da ſie nicht einſt zu einem Kebs-Weibe
taugte. Sie wuͤrffe zwar Kronen und Fuͤr-
ſten-Huͤte auch Knechten zu/ und verwandelte
auch Thon/ wenn ſie ihn anruͤhrte/ in Gold;
ſie
[653]Arminius und Thußnelda.
ſie thaͤte beydes/ aber ihre Schoß-Kinder mehr
damit zu aͤffen als zu beſeligen. Sie waͤre ein
Weib ohne Fuͤſſe/ weil ſie nirgends ſtand hielte;
ſie haͤtte zwar Haͤnde und Fluͤgel/ aber mit jenen
ſpielte ſie nur aus der Taſche/ und dieſe lieſſe ſie
niemanden anruͤhren. Alſo doͤrfte es keines
Verwunderns/ daß er dieſem Jrrwiſche kein
Licht angezuͤndet; ſondern bey ſeinem einigen
Gluͤcks-Sterne der holdſeligen Erato den Mit-
tel-Punct ſeiner Ruh geſucht haͤtte. Alle Un-
ruhen waͤren hierumb nuͤtzlich angewehret;
denn die Bekuͤmmernuͤſſe gaͤben das Saltz der
nachfolgenden Vergnuͤgung ab; und die Wie-
derwertigkeit machte die Liebe zur Tugend.
Die/ welche nur immer mit gutem Winde ſe-
geln/ auf Roſen gehen/ ihr Haupt in der Schoß
des Gluͤckes liegen haben wolte/ waͤre eine Hof-
Poppe der Wolluſt. Hingegen haͤtte die wahr-
hafte Liebe nichts minder mehr Bewegung/ als
das helle Quell-Waſſer gegen dem ſuͤmpfichten.
Sie und die Geſtirne haͤtten einen muͤhſamern
Lauff als die Schwantz-Sternen/ und die Tau-
ben einen geſchwindern Flug als die Raben.
Jedoch fuͤhrte das Gluͤcke mit der Tugend nicht
einen ewigen Krieg. Es gebe im Lieben eben
ſo wohl Windſtillen/ als auf dem Meere; es
blieſſe nicht ſelten in die Segel deſſelben Schif-
fes/ worauf die Tapferkeit ruderte/ und huͤlffe
durch eine Gefaͤngnuͤß einem auf den rechten
Weg/ und zur Freyheit. Nicht anders ſpielte
es mit der gefangenen Koͤnigin und mit mir.
Denn der großmuͤthige Huhanſien ſchickte jene
dem Koͤnige Pirimal ohne Entgeld nach Hauſe;
welcher aber hingegen Huhanſien ſo viel Perlen
und Edelgeſteine zum Loͤſe-Gelde uͤberſendete/
als die Koͤnigin ſchwer war. Welchen die Jn-
dianer mehr als noch ſo viel freywillig zulegten.
Denn dieſe Fuͤrſtin hatte durch ihre Leutſeligkeit
ihr die Gemuͤther der Unterthanen ſo feſte ver-
knuͤpft/ daß ihrer etliche tauſend nach Jalama-
ka/ wo die Flammen aus einem Stein-Ritze
und einem eyßkalten Brunnen heraus ſchla-
gen/ und in den mit dichtem Golde gepflaſter-
ten Tempel des Abgotts Matta zu Nagracot
wallfartheten/ und fuͤr ihre Erloͤſung dort ihnen
ein Stuͤck von ihren Fingern abbrenneten/ oder
drey Zaͤhne an ſtatt des Opfers ausriſſen/ hier
aber ein Stuͤck von ihrer Zunge abſchnitten;
glaubende; dieſer Abgott laſſe es ihnen in kur-
tzem wieder wachſen. Andere trugen groſſe
Schaͤtze von Diamanten/ Rubinen/ Saphi-
ren/ und koͤſtlichen Perlen/ mit welchen dieſes
Reich gleichſam angefuͤllet iſt/ als ein Loͤſe-
Geld zuſammen. Ob nun wohl die Pracht
dieſes Hofes/ an welchem alle Tage durchs
gantze Jahr neue Koͤſtligkeiten gebraucht wer-
den/ im Anfange des Jahres aber der Koͤnig
ſich in einer Wag-Schale gegen Edelgeſteine/
Perlen/ Gold/ allerhand Fruͤchte abwiegen/
und hernach dieſe Gewichte den Armen aus-
theilen laͤſt; das Reichthum des Landes/ da die
Gebuͤrge Edelgeſteine/ und Balſam ſchwitzen-
de Baͤume/ die Fluͤſſe Gold-Sand und Per-
len-Muſcheln/ die Waͤlder alle Arten des Ge-
wuͤrtzes/ die unfruchtbaren Sand-Wuͤſten bey
Golconda die ſeltzamſten Diamanten tragen/
die Forſten mehr als 50000. Elefanten unter-
halten/ einen vollkommenen Auszug der Na-
tur fuͤrſtellete; ſo empfand ich doch uͤber aller
Annehmligkeit ich weiß nicht was fuͤr einen
Eckel/ und ich ſeufzete numehr hertzlich nach
meinem wiewohl verborgenem Vaterlande.
Zu meinem Gluͤcke beſchloß Koͤnig Pirimal
eine Botſchafft nach Rom zu ſchicken/ umb den
Kaͤyſer durch Geſchencke und noch groͤſſere Ver-
heiſſungen/ zu einem Kriege wider die Scythen/
als die allgemeinen Raͤuber der Welt zu bewe-
gen. Die Wiſſenſchafft der Roͤmiſchen und
Griechiſchen Sprache/ oder vielmehr ein guter
Stern/ der mir bey dem Koͤnige/ ich weiß nicht/
aus was fuͤr einer Zuneigung/ aufging/ erwarb
mir das Erlaubnuͤß mit zu reiſen. Wie wir
nun von dem Koͤnige Abſchied genommen hat-
tẽ/ und in dem Hafen zu Satigan ins Schiff tre-
ten woltẽ/ traffen wir auf dem daſelbſt bey einem
herrlichen Tempel ſich befindenden weiten Pla-
N n n n 3tze
[654]Fuͤnftes Buch
tze eine groſſe Menge Volcks an/ welches mei-
nen Vorwitz veranlaßte mich ſelbtem zu naͤhern.
Jch ſahe daſelbſt eine groſſe Anzahl der edelſten
und ſchoͤnſten Weiber/ welche in ihrem koͤſtlich-
ſten Schmuck nach allerhand Saiten-Spielen
umb unterſchiedene nur zum anzuͤnden fertige
Holtz-Stoͤſſe von Morellen-Aloe-Sandel-
und Zimmet-Holtz tantzten. Kurtz hierauf
brachte man eine Reihe eingebalſamter Leichen:
von denen mir die Umbſtehenden meldeten: Es
waͤren die vornehmſten in der Schlacht geblie-
benen/ und umb groſſe Koſten geloͤſeten Herren;
die Tantzenden aber ihre Wittiben/ welche ſich
nach ihren Landes-Geſetzen mit ihnen verbren-
nen wuͤrden. Jch naͤherte mich hiermit einer
in der Mitten ſtehenden/ und aus einem einigen
Marmel-Steine gehauenen Spitz-Saͤule/ auf
welcher oben aus Golde ein ſich verbrennender
Phoͤnix zu ſehen war. Unter dieſer Saͤule ſind
uͤberaus herrliche Grufften gebauet/ in welche
der verbrennten Aſche in koͤſtlichen Gefaͤſſern
aufgehoben wird. An dem Fuſſe dieſer Saͤule
war mit guͤldenen Buchſtaben eingeetzet:
So bald die Leichen oben auf die Holtz-
Stoͤſſe gelegt waren/ nahmen die nun dem
Sterben ſo nahe Frauen mit lachendem Mun-
de und annehmlichen Kuͤſſen von ihren Be-
freundeten/ unter die ſie noch ihren an ſich tra-
genden Schmuck austheilten/ behertzten Ab-
ſchied; wuſchen ſich hierauf in einem nahe dar-
bey mit Marmel umbſetzten Weiher/ ſtiegen
darmit in der einen Hand eine Pomerantze/ in
der andern einen Spiegel haltend/ auf die Staf-
felweiſe gebauten Holtz-Stoͤſſe/ ſetzten ſich auf
die Leichen ihrer mit Lorbeer-Kraͤntzen ge-
ſchmuͤckten Ehe-Maͤnner/ und machten ihnen
die Augen-Lieder auf/ unter tauſend Lob-Spruͤ-
chen der Umbſtehenden/ weil dieſer Tod ihnen
ſelbſt nicht nur zu kuͤnftiger Ehre/ ſondern ihren
Maͤnnern auch zu ewiger Freude dienen ſoll. Zu
geſchweigen: daß die zu dieſem Feuer allzu zaͤrt-
liche Wittiben Schandflecken ihres Geſchlech-
tes/ ein Spott des Poͤfels bleiben/ und ihre See-
le ſo wenig der andern Eh/ als ihr Haupt eini-
ger Edelgeſteine gewuͤrdiget wuͤrden. Dahe-
ro man die ſich weigernden Edlen auch wider
Willen mit in die Flamme ſtuͤrtzt/ wie man bey
etlichen andern Voͤlckern die Leibeigenen auf
ihrer Herren Graͤber abgeſchlachtet. Nach-
dem nun auf ihr gegebenes Zeichen man unten
die Holtz-Stoͤſſe anzuͤndet/ und die Flamme an
dem uͤberall angehefteten ſchnellen Zunder
empor ſtieg/ goſſen ſie aus einem Kruge ein
wohlruͤchendes Oel uͤber ihr Haupt/ welches
alſobald Feuer fing/ und dieſe hertzhaften Wei-
ber wie ein Blitz im Augenblick toͤdtete. Die
Koͤnigin Erato fing hieruͤber laut an zu
ruffen: O heiliges Geſetze! O loͤbliche Ge-
wohnheit! wolte Gott! es waͤre der gantzen
Welt allgemein/ daß kein Weib ihren Ehe-
mann uͤberleben doͤrffte! O des nur dieſer weib-
lichen Großmuͤthigkeit halber ruhmwuͤrdigſten
Jndiens! Rhemetalces wolte hierbey ſeiner
Thracier Lob nicht verborgen ſeyn laſſen/ ſondern
meldete: daß fuͤr Zeiten daſelbſt des verſtorbenen
Ehweiber mit einander gerechtet haͤtten/ welche
ſich mit ihm ſolte ins Grab ſcharren laſſen. Die
vernuͤnftige Thußnelda begegnete beyden mit
einem anmuthigen Laͤcheln: Jch wuͤrde der E-
rato Meynung Beyfall geben muͤſſen/ wenn
ich alleine die Heftigkeit meiner Liebe/ ſo wie ſie
die ihrige/ hierinnen zum Richter machte.
Dieſe gibet freylich den Verzweifelten Gifft
und Meſſer in die Hand; dieſe heiſſet uns die
Haare
[655]Arminius und Thußnelda.
Haare ausrauffen/ die Wangen zerkratzen’/ und
uͤber Stock und Stein ſich in den tieffſten Ab-
grund ſtuͤrtzen. Aber zu geſchweigen: daß der
uͤbermaͤſſige Schmertz allzu geſchwinde verrau-
chet/ und daß die erſte Hitze ſich in weniger Zeit
in Eyß verwandelt/ ja die/ welcher heute kein
Trauer-Kleid ſchwartz genung iſt/ oder fuͤr wel-
cher man die Brunnen zuſtopfen muß/ morgen
die Wangen anſtreicht/ und aus dem Trauer-
Flor Zierrathen ſchneidet/ ihr weiſſes Antlitz
darmit auszuputzen; ſo bin ich der Meynung:
Die Vernunft werde einer empfindlichen Wit
tib viel maͤſſigere Gedancken einrathen/ nemlich:
daß die Maͤnner wohl mit Thraͤnen zu bewei-
nen/ Weiber aber mit eigenem Blute nicht zu
beflecken ſind. Nein/ nein/ ſagte Erato/ laſſet
uns unſerer Schwachheit derogeſtalt nicht
Pflaumen ſtreichen. So wenig ohne Bluten
der Kopf von dem Halſe geſchnitten werden kan/
ſo wenig ſoll ohne derogleichen Strom eine Ehe-
Frau ſich von ihrem Haupte trennen laſſen. Die
Natur ſelbſt weiſet uns in ihren Geſchoͤpfen
die Fußſtapfen/ in welche wir bey ſolcher Bege-
bung treten ſollen; wenn ſie den weiblichen
Palmbaum gleichſam durch eine unheilbare
Traurigkeit verdorren laͤſt; wenn man ihm den
maͤnnlichen von der Seite geriſſen. Ja/ ver-
ſetzte Thußnelda/ dieſes aber geſchihet nicht
durch eine augenblickliche und gewaltſame Ver-
fallung/ ſondern nach und nach/ und gleichſam
unempfindlich. Jch gebe auch nach: daß ein
Weib die Helffte ihres Hertzens/ nemlich das
Behaͤltnuͤß der Freude mit auf ihres Ehe-
manns Holtzſtoſſe verbrennen/ dieſes Theil aber/
darinnen die Hertzhaftigkeit ſtecket/ der Welt
zum Beyſpiele/ und die Vernunft zu ihres Hau-
ſes Beſtem unverſehrt behalten ſoll. Sie mag
in ihrem Wittiben-Stande ſich wohl mit ihrer
Traurigkeit/ nicht aber mit ihrer Schwaͤche bloß
geben. Sie kan wohl ihre Gedancken/ doch
darff ſie nicht ihren Leib mit dem Schatten ihres
verblichenen Ehmanns vermaͤhlen. Sie muß
ſein Bildnuͤß in ihrem Gedaͤchtnuͤſſe/ ſeine Aſche
zu ihrem Heiligthume aufheben; aber nicht die
Verſorgung ihrer Kinder in Wind/ und ihrem
Geſchlechte auf einmal zwey Wunden ſchlagen.
Wenn der Monde durch Finſternuͤſſe von ſeiner
Sonne geſchieden wird; verlieret er zwar ſein
Licht und die Anmuth/ nicht aber ſeinen Lauff/
noch ſeine Wuͤrckung. Wie ſchwartz und trau-
rig er ſcheinet/ verirrt er ſich doch nicht aus ſei-
nem Circkel und er vergißt nicht mit der Zeit
auch ein helles Geſicht anzunehmen. Was iſt
aber bey Entfallung ihres Ehmannes ein Weib
in ihren vier Pfaͤlen anders/ als was der Mond
in Abweſenheit der Sonne in dem groſſen Hau-
ſe der Welt? Dieſemnach muß ſich jene ſo wohl
als dieſer dem gemeinen Weſen zum Beſten
thaͤtig erzeigen/ und ohne Entfallung der Hertz-
haftigkeit ſtatt ihres Ehmanns an die lincke tre-
ten. Denn die Schwachheit unſers Geſchlech-
tes entſchuldigt uns ſo wenig/ als die Blaͤfſe
das ſo nutzbare Nacht-Licht. Die Turtel-
Taube ſeufzet und girret ja wohl uͤber dem Ver-
luſt ihres Buhlen/ aber ſie verlaͤſt weder ihr Neſt/
noch vergißt ſie die Erziehung ihrer Jungen;
und die verwittibte Adlerin zeucht nichts min-
der auf die Jagt/ und wider die Schlangen in
Krieg aus. Alſo muß ſicher der Schmertz
ihrer Vernunft/ die Liebe aber der muͤtterlichen
Erbarmnuͤß aus dem Wege treten. Und da eine
Frau ja von einem ſolchẽ Streiche des Ungluͤcks
eine Schramme behalten ſoll/ muß ſelbte doch
keine Laͤhmde des Gemuͤthes nach ſich ziehen.
Die Koͤnigin Erato wolte ſich noch nicht geben/
ſondern ſetzte Thußnelden entgegen: Es waͤre
die groͤſte Hertzhaftigkeit/ keine Kleinmuth/ den
Tod umbarmen/ wenn er einem gleich den Ruͤ-
cken kehrte. Die Verſorgung der Kinder waͤ-
re fuͤr die Fruchtbaren/ oder vielmehr kleinmuͤ-
thigen Muͤtter ein ſcheinbarer Fuͤrwand; aber
im Wercke ein Mißtrauen zu den guͤtigen Goͤt-
tern; gleich als wenn dieſe/ die die Welt verſorgtẽ/
verwaͤyſeter Kinder Vater zu ſeyn/ allzu ohn-
maͤch-
[656]Fuͤnfftes Buch
maͤchtig waͤren. Dieſe haͤtten der hertzhaften
Entſchluͤſſung der tapferen Porcia ſelbſt die
Hand geboten. Denn als ihre kleinmuͤthigen
Freunde ihr alle Meſſer aus den Haͤnden geriſ-
ſen/ die Armbaͤnder abgeſtreifft/ und die Haare
abgeſchnitten/ daß ſie ſelbte nicht zu einem Stri-
cke gebrauchen/ und ihrem erblaßten Brutus
ſich vergeſellſchaften koͤnte; haͤtten ihr die Goͤt-
ter von ihrem Opfer-Tiſche gluͤende Kohlen zu-
gelangt/ ſo wohl ihrem Leben ein Ende/ als ihrer
Liebe ein Vergnuͤgen zu ſchaffen. Warlich/
verſetzte Thußnelda/ ich halte fuͤr ruhmwuͤrdi-
ger/ wenn eine Frau ihr Hertze mit ihres Ehe-
manns in einen Todten-Topf einſchleuſt; als
wenn ſie mit ſeiner ihre Aſche vermenget. Jn
meinen Augen iſt die Cariſche Koͤnigin Artemi-
ſia viel groͤſſer als die ungeduldige Porcia/ wel-
che dem Tode zu Hohne ſich von ihrem ſchon tod-
ten Mauſolus nicht trennen ließ/ in dem ſie ih-
rer beyder Bild aus einem Agat gemacht/ in
ein Wunderwerck der Welt/ ſeine Aſche in den
Tempel ihres eigenen Leibes/ ſein Gedaͤchtnuͤß
in das Heiligthum ihres ſteten Andenckens
verſetzte/ und ſeinem niemals aus ihrem Ge-
ſichte verſchwindenden Schatten ihr von un-
ausleſchlicher Liebe loderndes Hertze nicht etwan
zu einem bald verrauchenden Jrr-Lichte/ oder
einer in wenig Stunden vertrieffenden Be-
graͤbnuͤß-Fackel/ ſondern zu einem viel Jahre
mit gleichem Lichte ſcheinenden Geſtirne an-
zuͤndete; ja ihren eigenen Leib zu ſeinem leben-
digen Begraͤbnuͤſſe einweihte. Wiewohl ich
nicht weiß: Ob man Artemiſien nicht jene Mar-
ſingiſche edle Jungfrau fuͤrziehen ſoll/ welche
aus der Aſche ihres erblichenen Braͤutigams
eine Sand-Uhr machte/ nach welcher ſie ihre
Lebens-Zeit abmaß/ und nach ſeiner Beweg-
ligkeit die Unruh ihres Hertzens richtete/ oder
auch mit ihren thraͤnenden Augen die Geſchwin-
digkeit des auslauffenden Aſchen-Sandes zu
uͤbereilen ſich muͤhete.
Alle Anweſenden gaben Thußnelden Bey-
fall/ und nachdem Erato ſich uͤberſtim̃t ſehende/
nur die Achſeln einziehen muſte; fuͤgte Zeno
bey: daß auch bey denen Jndianern die Muͤt-
ter vieler Kinder ſich des Holtz-Stoſſes unnach-
theilig entzuͤgen; und erzehlte ferner: daß der
Jndianiſche Geſandte mit ſeinem Volcke und
ihm in der beruͤhmten Handels-Stadt Gan-
ges zu Schiffe gegangen/ und mit gutem Win-
de an der Deſarreniſchen und Paraliſchen Kuͤſte
bey den Staͤdten Sopatum und Poduca Sud-
werts ſo lange geſegelt haͤtten/ biß ſie die Jnſel
Taprobana/ welche wegen ihrer haͤuffigen
Zimmet- und anderer Gewuͤrtz-Waͤlder einen
annehmlichen Geruch etliche Meilen weit
in die See gegeben/ erreicht/ und daſelbſt in der
Stadt Cydara ſich zu erfriſchen ausgeſtiegen
waͤren. Jch muß geſtehen/ fuhr Zeno fort/
daß ich dieſes Eyland fuͤr den Luſtgarten und
die Schatz-Kammer der Welt/ und fuͤr den
edelſten Kreiß des Erdbodems halte. Die
Waͤlder verſorgen faſt alle Laͤnder mit Zimmet/
derer Baͤume deſto koͤſtlichere Rinde tragen/ ie
oͤffter ſelbte abgeſchelet wird. Hier iſt das rechte
Vaterland aller Elefanten/ welche an Groͤſſe
allen andern vorgehen. Die Berge ſtecken
voller Gold/ Rubine/ Smaragden und Sa-
phire. Jn dieſer Jnſel iſt auch der hoͤchſte Berg
Jndiens/ auf deſſen Gipfel in einen Fels ein
uͤberaus groſſer Fußſtapfen eingetreten iſt/ den
die Einwohner/ wie die Griechen Del-
phis/ fuͤr das Mittel des Erdbodems halten/
und nebſt einem Elefanten - Kopfe/ welcher
ihnen Weißheit verleihen ſoll/ Goͤttlich ver-
chren/ auch ihm daſelbſt einen Tempel und
Altar aufgebauet haben/ auf welchem ein
vollkommener Rubin ohne den geringſten
Flecken einer Hand breit lang/ drey Fin-
ger dicke zu ſehen iſt/ und des Nachts als
ein Licht ſcheinet. Von dieſer Jnſel erzehl-
te mir der Geſandte Maſulipat/ daß es
anfaͤnglich das einige Reich Koͤnig Pirimals
geweſt/ und nach Abdanckung ſeines Bruders
auf
[657]Arminius und Thußnelda.
auf ihn verfallen waͤre/ weil in Jndien nichts
minder als bey den Arabern die Bruͤder nicht
allein den Soͤhnen in der Reichsfolge/ ja auch
den Toͤchtern in gemeiner Erbſchafft vorgien-
gen/ ſondern auf der Jnſel Taprobana auch ein
altes Herkommen waͤre/ daß die Koͤnige/ ſo bald
ſie Erben bekaͤmen/ Zepter und Krone nieder-
legen muͤſten/ um das Reich nicht erblich zu ma-
chen. Hiervon aber waͤre das ſonſt die freye
Wahl habende Volck bey itzigem Koͤnige Piri-
mal abgewichen; indem ſie ihn nun nach etli-
cher Jahre Vererbung entweder aus Liebe ſei-
ner Guͤte und Tapfferkeit/ oder aus Furcht ſei-
ner ſo weit ergroͤſſerten Macht/ ohne Wiederre-
de behalten. Seine Tugenden und hingegen
die Laſter derer Koͤnige/ welche uͤber das vielfaͤl-
tig zertheilte Jndien geherrſchet/ haͤtten ihm
auch das ſo groſſe Reich erworben; in dem die
Voͤlcker meiſt ihre vorige aus Bartſcherern und
anderm Poͤfel auf den Stul erhobene/ und deß-
halben ſo viel mehr unertraͤgliche Fuͤrſten ver-
ſtoſſen/ und ſich dem ſo milden Pirimal freywil-
lig unterworffen; alſo/ daß er nicht nur die maͤch-
tigen Reiche der Gangariden und Praſier zwi-
ſchen dem Oſt-Meere und Ganges/ wider de-
rer Koͤnig Agrammes dem groſſen Alexander
ſein Heer nicht haͤtte folgen wollen/ ſondern
auch alle Laͤnder/ zwiſchen dem Ganges und
Jndus beherrſchete/ und derogeſtalt ſechs hun-
dert Koͤnigen zu gebieten gehabt haͤtte. Diß a-
ber/ was er uͤber dem Fluſſe Caor/ Coſmin und
Martaban beſaͤſſe/ haͤtte er als ein von Jndien
durch den Koͤnig Hiaouv abgeriſſenes Antheil
Jndiens denen Serern/ ingleichen das zwi-
ſchen dem Fluſſe Arabs/ Etymandrus/ und Jn-
dus gelegene Koͤnigreich Gedroſia den Parthen
durch die Waffen abgenommen. Als er nun
auch von den Scythen das eroberte Land Paro-
pamiſis und Arachoſien wieder zu ſuchen ver-
meinet/ waͤre er in dieſen ungluͤckſeligen Krieg
verfallen/ zu einer nachdencklichen Erinne-
rung/ daß das Rad des Gluͤckes am allerhefftig-
ſten loßſchlaͤgt/ wenn man vermeinel es am al-
lerfeſteſten angenagelt zu haben; und daß dieſer
allgemeine Abgott der Sterblichen auch dieſel-
bige Hand mit ſeinem Feuer verletzet/ die ihm
gleich den Weyrauch auf ſein Altar ſtreuet; ja
mit ſeinem uͤberrennenden Wagen zerqvetſchet/
die fuͤr ihm taͤglich zu Fuſſe fallen/ oder auff ihn
alle ihre Hoffnung anckern. Jedoch haͤtte Koͤ-
nig Pirimal ſich ſeines itzt ungluͤcklichen Krie-
ges halber weder uͤber ſeine Diener/ noch uͤber
die Goͤtter zu beſchweren. Sintemal jene ihm
iederzeit mit den ſtreitbaren Scythen zu kriegen
beweglich widerrathen; dieſe ihn auch/ als er in
das Paropamiſiſche Gebuͤrge einbrechen wol-
len/ deutlich genung gewarniget haͤtten. Denn
als er an dem Fluſſe Hyphanis bey denen da-
ſelbſt vom groſſen Alexander aufgerichteten ſtei-
nernen Altaͤren geopffert haͤtte; waͤren neun
den Scythen heilige Nacht-Eulen/ aber der
Jndianer verhaſte Ungluͤcks-Voͤgel von dem
Gebuͤrge hergeflogen kommen/ haͤtten ſich auff
die Spitzen der Altaͤre geſetzt/ und nicht allein
gegen den Koͤnig Pirimal ein heßliches Ge-
ſchrey angehoben/ ſondern auch ihren Koth in
ſeine Opffer-Feuer fallen laſſen. Er Maſuli-
pat ſelbſt haͤtte noch den Koͤnig erinnert/ daß er
an dieſem merckwuͤrdigen Orte nach dem Bey-
ſpiele des groſſen Alexanders/ wie auch des Bac-
chus/ des Hercules/ der Semiramis/ und des
Cyrus ſeinen Siegen ein Graͤntzmal/ ſeiner
Großmuͤthigkeit ein Maaß ausſtecken moͤchte.
Alleine Pirimal haͤtte ihm geantwortet: wenn
er Alexanders Vorbild ſolte ſeine Richtſchnur
ſeyn laſſen/ muͤſte er/ wie jener bey Betretung
Aſiens/ hier zwoͤlf Altaͤre/ als den Anfang ſeiner
Siege/ und an dem Geſtade des Scythiſchen
Nord-Meeres ſein Ziel mit zwoͤlf andern ſtei-
nernen Saͤulen bezeichnen. Sintemal er
noch viel zu erobern haͤtte/ was ſeiner Jndiani-
ſchen Vorfahren geweſt waͤre. Alſo deutete
der Himmel zwar allezeit kuͤnfftige Unfaͤlle an/
aber das Verhaͤngnuͤß verſtockte die Gemuͤther
Erſter Theil. O o o oderer
[658]Fuͤnfftes Buch
derer zum Ungluͤck verſehenen Menſchen/ daß
ſie entweder nichts ſaͤhen/ oder nichts glaͤub-
ten.
Wie nun wir auf Taprobana nicht ſo wohl
ausgeruhet/ als in hundert Luſtgaͤrten unſere
Luͤſternheit mit tauſenderley Wolluſt geſaͤttigt
hatten/ auch der gluͤckſelige Tag/ da der Mon-
de zum erſten herfuͤr kommt/ anbrach/ machten
wir uns alle zur Reiſe fertig; der Geſandte
Maſulipat aber ging mit den Seinigen baar-
fuͤßig/ und mit der rechten Hand zuvor in ein
unter dem hohen Verge liegendes/ und dem
Abgotte Annemonta/ oder dem Winde gewied-
metes Heiligthum/ um eine gluͤckliche Schif-
farth zu erbitten. Welche Verehrung/ wie
ſie mir an ſich ſo befremdet nicht fuͤrkam/ weil
auch die Phoenicier und Auguſtus in Gallien
dem Winde einen Tempel/ die von Athen auff
Befehl des Delphiſchen Apollo beym Anzuge
Xerxens ein Altar gebauet; Alſo wuſte ich nicht
zu begreiffen/ daß der Abgott unter der Ge-
ſtalt eines in Gold eingefaſten Affen-Zahnes
verehret ward; ungeachtet die Egyptier/ die
Pittecuſier und Araber ihren Anubis und
Mercur wie einen Affen abbilden und bedie-
nen. Wir ſegelten aus der Stadt Cydara mit
einem beſtaͤndigen Oſt-Winde unter dem Ey-
lande Leuce bey der Sud-Spitze Jndiens/ und
den Seſecrieniſchen Jnſeln vorbey/ und wie-
wohl ich durch meine Seriſche Magnet-Na-
del dem Schiffer ein gerader Wegweiſer ſeyn
wolte/ traute er doch nicht/ ſondern hielt ſich an
die Ufer bey Nelcynda/ Tyndis/ Tirannobas/
Cammoni/ Herone und Acabaris. Maſſen
wir denn auch in dem Baraciſchen Seebuſeme
auff dem Eylande Cilluta/ dem Einfluſſe des
Jndus gegen uͤber/ um friſche Lufft zu ſchoͤpf-
fen ausſtiegen/ hierauff an der Gedroſiſchen
Kuͤſte unter den Eylanden Crocala/ Bibracte/
Carmine/ biß an die der Sonne und dem Se-
rapis gewiedmete Jnſel Noſola fortſe gelten/ in
willens in den Perſiſchen Seebuſem einzulauf-
fen. Ein hefftiger Nord-Nord-Oſt-Wind a-
ber trieb uns wider Willen auff die Arabiſche
Kuͤſte gegen die Zenobiſchen Eylande hinauff.
Die annehmliche Unterredung mit dem Ma-
ſulipat verkuͤrtzte mir nichts minder den Weg
als die Tage/ und Zarmar/ ein mit ihm reiſen-
der Brahman gewan mich nach unterſchiedener
Tage Unterredungen ſo lieb/ daß/ ob dieſen Jn-
dianiſchen Weiſen zwar in ihrem uhralten Ge-
ſetzbuche die Geheimnuͤſſe ihres Glaubens und
Weißheit/ nichts minder als bey den Griechen
den Elevſiniſchen Gottesdienſt/ andern Jndia-
niſchen Staͤmmen/ noch mehr aber Fremden
zu entdecken verboten war/ ich taͤglich von ihm
etwas zu lernen bekam. Rhemetalces fing an:
Es iſt diß faſt allen Voͤlckern gemein/ daß ihre
Prieſter die Heimligkeiten ihres Glaubens und
Gottesdienſtes ſo verborgen halten. Die E-
gyptier haͤtten in dieſem Abſehn von ihrer Jſis
geruͤhmt/ daß kein Sterblicher ſich iemahls un-
terſtanden haͤtte ihr den Schleyer abzuziehen.
Sie haͤtten in alle ihre und des Serapis Tem-
pel das Bild des den Mund mit der Hand be-
deckenden Harpocrates geſetzt/ zur Erinne-
rung/ daß hier alles verſchwiegen ſeyn ſolte.
Die Juden haͤtten mit tauſend Fluͤchen den
Ptolomeus uͤberſchuͤttet/ daß er ihr Geſetzbuch
Griechiſch uͤberſetzen laſſen. Der Elevſini-
ſche Gottesdienſt doͤrffte in Griechenland bey
Lebens-Straffe nicht entdecket werden. Des
Pythagoras fuͤnffjaͤhriges Stillſchweigen/ und
ſein Gebot/ daß niemand an ſeinem Finger ei-
nen Ring tragen ſolle/ in welchen Gottes Bild
oder Nahmen gegraben waͤre/ zielete nirgends
anders hin/ als auff die Verhoͤlung des Got-
tesdienſtes. Zu Athen wuͤrde auff einem ge-
wiſſen Altare dem verborgenen Gotte geopf-
fert. Die Scythen bildeten zu dem Ende ih-
ren Anacharſis derogeſtalt/ daß er mit der lin-
cken Hand ſeine Geburts-Glieder bedeckte/
mit
[659]Arminius und Thußnelda.
mit der rechten ihm den Mund zuhielte. Und
vom Mercur ſagte man/ daß er eine ſtumme
Goͤttin geheyrathet haͤtte. Hertzog Herr-
mann fing an: Jch muß unſere Druyden auch
hierzu rechnen/ welche die ſich in ihre Gemein-
ſchafft begebende Edelknaben gantzer zwantzig
Jahr lang in geheim unterrichten; auch ihre
Geheimnuͤſſe gar nicht aufſchreiben/ ihre Lehr-
linge mit theuren Eyden faͤſſeln/ daß ſie nichts
von ihren hohen Lehren/ inſonderheit aber dem
Poͤfel nicht eroͤffnen doͤrffen; auſer diß/ was zu
der Tapfferkeit zu wiſſen noͤthig iſt/ nehmlich/
daß die Seelen unſterblich ſind. Maſſen denn
die Deutſchen durchgehends fuͤr heiliger halten/
Goͤttliche Geheimnuͤſſe glaͤuben/ als derſelben
Wiſſenſchafft ergruͤbeln wollen. Eben diß/
ſagte Zeno/ nehmen auch die Egyptier/ Seren
und Jndianer in acht; welche letztern fuͤr die
Gelehrten eine gantz abſondere Schreibens-
Art haben/ die erſten aber alle Weißheit unter
tunckele Sinnenbilder verſtecken/ fuͤr die Thuͤ-
ren ihrer Tempel einen Sphynx ſetzen/ beyde
aber ſich ſonderlich in acht nehmen ihren Wei-
bern nichts hiervon zu vertrauen. Weßwe-
gen ich mich ſelbſt noch verwundere/ daß dieſer
Weiſe mit mir Fremden ſo vertraͤulich ward.
Der Geſandte Maſulipat entdeckte mir an-
fangs/ als ich mich uͤber die Einſamkeit die Klei-
dung und Sitten dieſes Weiſen wunderte/ in-
ſonderheit/ daß er weder einiges Fleiſch aß/ noch
den Koͤniglichen Geſandten ſeiner Taffel wuͤr-
digte; Es haͤtten dieſe Weltweiſen ihren Nah-
men vom Brahma/ den unſer Plato das Wort
des einigen Gottes nennte/ welcher aus einer
waͤßrichten Blume/ die dem auff dem Waſſer
mit der Zehe im Munde ſpielenden einigen
Gotte aus dem Nabel gewachſen ſeyn ſolte/ ent-
ſproſſen waͤre/ und durch den ſo wohl als durch
den Geiſt und die Seele der Welt Gott Him-
mel/ Erde und Meer erſchaffen haͤtte. Der
erſte Brahman waͤre geweſt Kaßiopa/ den Gott
durch Brahma nicht vermittelſt einer Frauen/
ſondern nach ſeinem Willen aus Erde erſchaf-
fen. Dieſer Kaßiopa haͤtte mit ſeinem from-
men Weibe Diti die Brahminen gezeuget/
welche aus zweyen von ihr gelegten Eyern/ wie
die Kinder der Leda und die Syriſche Goͤttin
Atargatis waͤren ausgebruͤtet worden. Sie
haͤtten anfangs ihren Auffenthalt zwiſchen dem
Phrat/ Tiger und in Syrien biß auff Abram
gehabt; hernach aber waͤren ſeine und der
Chettura Kinder in Magulaba ein Theil Ara-
biens/ und ſo fort in Jndien kommen. Sie
haͤtten Wiſſenſchafft aller Geheimnuͤſſe im
Himmel und der Hoͤlle/ und deßhalben die Ser-
ge fuͤr die Seelen/ und die Verpflegung der
Todten. Sie waͤren als das angenehmſte Ge-
ſchlechte Gottes von aller Arbeit/ Auflage und
Dienſtbarkeit befreyet; Hingegen muͤſten alle
andere Geſchlechte ſie verſorgen/ und den drit-
ten Theil der Einkunfften vom Lande ihnen lie-
fern. Ja auch die Edlen waͤren begierig ihnen
zu dienen/ und fuͤr ſie das Leben zu laſſen/ weil
Gott jenes fuͤr einen ihm ſelbſt geleiſteten Dienſt
annehme; dieſes aber ſie nicht/ wenn die Son-
ne Sudwaͤrts laufft/ da nehmlich die Sterben-
den nicht in den freudigen Ort Surgam kom-
men koͤnten/ ſterben lieſſe/ ſondern ſie unzweif-
felbar in ſolch Paradiß nach dem Tode verſetzte.
Die Koͤnige erwieſen ſelbſt ihnen demuͤthige
Ehrerbietung/ welche Zepter und Krone zu
tragen ihrem Geſchlechte allzu veraͤchtlich hiel-
ten/ als welche alleine aus dem Haupte des
Brahma entſproſſen waͤren; dahingegen die
Edlen und andere nur aus ſeinen andern Glie-
dern den Uhrſprung haͤtten. Wiewol ſie gleich-
wol dem gemeinen Weſen zum Beſten ihre Ge-
ſandten und Raͤthe zu ſeyn nicht verſchmaͤheten.
Kein Richter haͤtte Macht uͤber ihr Haupt den
Stab zu brechen/ wenn ihre Verbrechen gleich
vielfaͤltig den Todt verſchuldet haͤtten. Hinge-
gen waͤre es eine der fuͤnf groͤſten Suͤnden einen
O o o o 2Brah-
[660]Fuͤnfftes Buch
Brahman toͤdten/ und der Todſchlaͤger muͤſte
mit entbloͤſtem Haupte/ ungewaſchenen Glie-
dern/ und zerriſſenen Kleidern zwoͤlf Jahr in
des Ermordeten Hirnſchale Allmoſen ſam̃len/
auch alles gebettelte daraus eſſen und trincken.
Welche Beſchreibung mir genungſam zu ver-
ſtehen gab/ daß dieſe Leute in Jndien hoͤher/ als
bey den Egyptiern die Prieſter/ bey den Per-
ſern die Weiſen/ bey den Galliern die Druy-
den/ bey den Spaniern die Turditanen am
Brete waͤren. Dieſemnach unterließ ich nicht
durch tieffe Ehrerbietung ſeine Gewogenheit
zu gewinnen/ und ſo wol durch Erzehlung unſe-
rer Weißheits-Lehren/ als durch Verwunde-
rung uͤber ihrer tieſſinnigen Geheimnuͤſſe ihm
ein und anders heraus zulocken. Meine erſte
Sorgfalt ließ ich uͤber ſeiner Kleidung und Auf-
zuge aus/ und erforſchte: warum ſie auch bey
rauhem Winde nichts als die Geburts-Glieder
mit Leinwand verdeckten? Warum ſie ein von
dreyen gezwirneten Schnuͤren zuſammen ge-
fuͤgtes Band uͤber die lincke Schulter gegen der
rechten Seiten unter dem rechten Arme truͤ-
gen/ und niemals ablegten? Der Brahman
Zarman laͤchelte/ und fing an: Mein Sohn/
warum binden die Prieſter des Jupiters zu
Rom/ welche nicht mit unbedecktem Haupte ge-
hen doͤrffen/ ihnen einen Fadem um das Haupt/
und bleiben zulaͤßlich unbedeckt? Und warum
hencken die Richter in Egypten einen Vogel
an Hals? Warum tragen die Prieſter eine
Muͤtze von duͤnner Leinwand auf dem Haupte?
Die auf dem Eylande Madagaſcar an denen
zwey voͤrderſtern Fingern lange Naͤgel wie Vo-
gelklauen? Wie ich nun ihm hieruͤber keinen
gewiſſen Beſcheid zu geben wuſte/ fuhr er fort:
Gott/ deſſen taͤgliche Prieſter wir ſind/ wollen
von uns Nackten die Opffer empfangen/ zur
Anzeigung/ daß unſere Andacht keine Huͤlle
irrdiſchen Beyſatzes haben/ ſondern die reine
Seele ſich ohne anhangenden Leim der Erde/
oder ohne den Firnuͤß der Heucheley zu Gott
ſchwingen ſolle. Daher einige unſerer Bruͤ-
der aus Jrrthum keinen Faden an ihrem Leibe
leiden. Aber wer wolte glauben/ daß Gott ei-
ne ſolche Bloͤſſe beliebete/ welche eine Decke der
Uppigkeit/ und eine Urſache der Aergernuͤß
ſeyn kan. Unſere Huͤlle iſt wie der Egyptiſchen
Prieſter nicht aus Wolle/ ſondern aus Lein-
wand bereitet. Denn jener Uberfluß der Thie-
re ſtehet der Prieſter Reinligkeit nicht an; wol
aber der Flachs/ der mit ſeiner blauen Blume
die Farbe des Himmels/ mit ſeinem aufwaͤrts
ſteigenden Staͤngel aber die Aufſchwingung
der Seele von irrdiſchem Staube fuͤrbildet.
Jedoch iſt dieſe meine Huͤlle aus einer gantz an-
dern vom Feuer unverſehrlichen Leinwand be-
reitet/ welche von ihren Flecken nicht durch
Waſſer/ ſondern durchs Feuer geſaubert wird.
Denn deſſen Gebrauch ziehen die Heiligen alle-
zeit dem Waſſer fuͤr; nicht zwar/ daß wir mit
denen albern Perſern und Chaldeern das Feuer
fuͤr einen Gott halten; Denn weder dieſer Voͤl-
cker Weiſen/ noch ihr Lehrmeiſter Zoroaſter/ der
in ihre Tempel/ Palaͤſte und Hoͤlen das Feuer
zum erſten eingefuͤhret/ hat dieſen Aberglauben
gehabt/ ſondern ſolches allein als ein Ebenbild
des alles verzehrenden Gottes andaͤchtig be-
trachtet/ und daher eingefuͤhret/ daß in den Opf-
fern des Horus von Pfirſchken/ in des Oſiris
vom Lorberbaume/ in der Jſis von Wermuth
das Holtz verbrennet/ und in den heiligen Oer-
tern viel Ampeln angezuͤndet werden muſten;
wiewol Gott/ der das Licht ſelber iſt/ dieſer Lich-
ter gar nicht bedarf. Dieſes Abſehen/ und daß die
Seele ſich noch fluͤchtiger/ als das mehr unreine
Feuer zu Betrachtung Gottes/ der ſich einem
unſerer Heiligen in einem Puſche in Geſtalt
des Feuers offenbaret/ empor heben ſolle/ ver-
anlaſſet mich mit dieſer feurigen Leinwand etli-
che Glieder zu verhuͤllen/ und meinen Leib zu
Erduldung gleichmaͤßiger Flammen geſchickt
zu machen. Das dreygezwirnte Band aber/
welches wir ſelbſt ohne Spinnrad aus freyer
Hand
[661]Arminius und Thußnelda.
Hand bereiten/ und wenn ſelbtes zerſchleiſt/ ehe
wir einige Speiſe zu uns nehmen/ ergaͤntzen/
jaͤhrlich auch im fuͤnfften Monate verneuern
muͤſſen/ iſt nicht nur unſers Geſchlechtes eigen-
thuͤmliches Kennzeichen/ ohne welches niemand
fuͤr einen Brahman erkennet werden darf/ und
daß wir ſchon den zwoͤlften Tag unſers Lebens
bey einem heiligen Opffer-Feuer anlegen/ ſo
bald uns die Eltern einen Nahmen geben/ und
zum Merckmale unſerer Gott ewig-ſchuldigen
Dienſtbarkeit die Ohren durchbohren laſſen.
Warum aber iſt dir/ mein Sohn/ nicht eben ſo
wol ſeltzam/ daß ich wider meine Landes-Art
meine Haare biß auf einen auf dem Wirbel be-
haltenen Puͤſchel abgeſchnitten; Zumahl die
Abſchneidung der Haare eine der ſchimpflichſten
Straffen der Ubelthaͤter iſt? Oder auch/ daß ich
meine Bruſt taͤglich mit Kuͤh-Koth beflecke/ und
darauf gewiſſe Ringe zeichne? Wie ich nun/
fuhr Zeno fort/ um die Urſache dieſer Geheim-
nuͤſſe demuͤthige Nachforſchung that; verfolgte
Zarmar ſeine Erklaͤrung: die Abſchneidung der
Haare habe ich durch ein Geluͤbde in dem Tem-
pel zu Tripeti fuͤrgenommen. Denn nach
dem ich in mir die Liebe gegen Gott allzu kalt-
ſinnig oder vielmehr erſtorben verſpuͤret/ hat
mich beduͤncket/ ich haͤtte uͤber dem Tode meiner
ſuͤndigen Seele mehr Urſache/ als uͤber das Ab-
ſterben eines Freundes dieſe denen Egyptiern/
Aſſyriern und Jndianern gewoͤhnliche Kla-
gens-Art anzunehmen/ oder mich deſſen zu ent-
bloͤſſen/ was die/ derer Leib nur erbleichen ſoll/
ihnen abſcheren laſſen/ und mich ſelbſt gegen
Gott fuͤr einen Ubelthaͤter zu erklaͤren; als von
ihm ein ſtrenges Verdammungs-Urthel zu er-
warten. Dieſe von geaͤſchertem Kuͤh-Koth
auf meinen Bruͤſten gemachte Ringe/ welche
insgemein fuͤr Schilde wider den hoͤlliſchen
Richter gehalten werden/ laſſe dich nicht als a-
berglaͤubiſche Zaubereyen aͤrgern. Denn ob
wol unſer Hiarchas und Teſpion/ ſo gut als
Budda bey den Babyloniern/ Hermes bey den
Egyptiern/ Zoroaſter bey den Perſen/ Zamol-
xes bey den Thraciern/ Abbaris bey den Nord-
Voͤlckern nicht nur durch ihre kraͤfftige Zeichen
Geiſter beruffen/ grauſamen Thieren den Ra-
chen zuſchluͤſſen/ Todten-Koͤpffe redend ma-
chen/ ſondern auch durch natuͤrliche Krafft hoͤl-
tzernen Gefluͤgel den Geſang und Flug/ kuͤpf-
fernen Schlangen das Ziſchen und die Bewe-
gung geben/ aus Aſche in wenig Zeit friſche
Blumen und Kraͤuter zeugen/ wie die Pſyllen
die Schlangen eines gantzen Landes auff einen
Hauffen zuſammen bringen/ und wie Orpheus
mit ihrem Geſange das Ungewitter ſtillen koͤn-
nen; ſo haben doch dieſe Merckmale viel ein
heiliger Abſehen. Wie die Egyptier durch ei-
ne ihren eigenen Schwantz anbeiſſende Schlan-
ge die ſtete Wiederkehr der Zeit fuͤrſtellen; alſo
erinnern uns unſere Zirckel des einigen We-
ſens/ welches weder Anfang noch Ende hat/
nehmlich des ewigen Gottes. Denn dieſer al-
lein iſt der unbegreifliche Kreiß/ deſſen Mittel-
punct allenthalben/ deſſen Umſchrenckung nir-
gends iſt/ welcher in allen Dingen iſt/ ohne daß
er darinnen beſchloſſen ſey/ und auſer aller Din-
ge/ ohne ausgeſchloſſen zu ſeyn. Er iſt hoͤher
als der Himmel/ tieffer als die Hoͤlle/ ausge-
ſtreckter denn die Erde/ und ausgegoſſener als
das Meer. Wie alle Zahlen in der Eines/
alle Striche im Mittelpuncte begriffen ſind/
alſo befinden ſich alle Sachen in ihm/ welcher al-
les in allem iſt. Welcher mit nichts/ als mit
unſerm Verſtande erblickt/ keinesweges aber
von der Vernunfft/ ſondern nur mit unſer An-
dacht umarmet werden kan/ iedoch derogeſtalt/
daß keine Weite vieler Welten ſeine unmaͤßbare
Groͤſſe/ keine Zeit ſeine Ewigkeit/ kein Geiſt
ſeine Weißheit/ keine Tugend ſeine Guͤte/ kein
Werck ſeine Macht nur mit Gedancken be-
greiffen koͤnne. Daß wir uns aber mit Koth
und Aſche bezeichnen/ haben wir ſterbliche Men-
ſchen/ die wir im Leben Koth/ nach dem Tode
Aſche ſind/ erhebliche Urſache. Jedoch kom-
O o o o 3met
[662]Fuͤnfftes Buch
met dieſes mit Fleiß von einem heiligen Thiere/
um uns zu erinnern/ daß dem groſſen Gotte
nichts/ was zu ſeinem Dienſte andaͤchtig ge-
wiedmet wird/ zu veraͤchtlich ſey/ und daß wir
das irrdene Gefaͤſſe unſers zerbrechlichen Lei-
bes mit einem frommen Leben einbalſamen ſol-
len. Zeno berichtete hierauf; Er habe den
Brahman gefragt: warum ſie denn die Kuͤhe
fuͤr ſo heilige Thiere hielten? indem er ihre Bil-
der nicht nur in ihren Tempeln haͤuſſig gefun-
den/ ſondern auch gehoͤrt/ daß ein Brahman e-
he ſterben/ ja lieber das Fleiſch ſeiner Eltern/
als von einer Kuh eſſen wuͤrde. Zwar haͤtten
die Athenienſer und Roͤmer fuͤr Zeiten bey Le-
bens-Straffe ein Rind zu ſchlachten verboten;
ja jene haͤtten ſie nicht einſt ihren Goͤttern zu
Opffern gegoͤnnet; aber diß waͤre nicht wegen
ihrer eingebildeten Heiligkeit/ ſondern ihrer
Nutzbarkeit halber geſchehen/ weil ſie nicht allei-
ne der Ackers-Leute Arbeits-Gefaͤrthen waͤren/
ſondern auch mit ihrem Miſte den Bodem tin-
geten/ und die Kuͤh ihre Milch den Sterblichen
gleichſam zur erſten Speiſe gegeben haͤtten.
Worauf aber Zarmar verſetzt: Warum von
den Lybiern die Boͤcke/ von den Voͤlckern in der
Atlantiſchen Jnſel die Schlangen/ von den
Egyptiern Zwiebeln/ Katzen und eben die Och-
ſen ſo hoch verehret wuͤrden? Zwar billigte er
nicht den Aberglauben des unverſtaͤndigen Poͤ-
fels/ welcher das Vorbild mit dem geheimen
Verſtande vermiſchten/ und wenn ſie die Heilig-
keit in das Fell und die Knochen dieſer Thiere
einſperreten/ die Spreu fuͤr den Weitzen erkie-
ſeten/ und daher auch dieſelben/ welche ſich zu
ihres Geſchlechtes Glauben bekenneten/ aus
einer allzu thummen Andacht ihre Speiſen
ſechs Monate mit Kuͤhmiſte vermiſchten. Aber
er ſolte die Brahminen/ von welchen die Egy-
ptier allererſt ihren Gottesdienſt/ wiewol mit
nicht geringer Verfaͤlſchung bekommen/ eben
ſo wenig fuͤr ſo alber anſehen/ daß ſie eine Kuh
fuͤr eine Goͤttin/ oder einen Ochſen/ wormit
bey den Jndianern Baſira/ bey den Egyptiern
Serapis/ bey den Juden Joſeph fuͤrgeſtellt
wuͤrde/ fuͤr einen Gott hielten/ als andere Voͤl-
cker/ welche noch veraͤchtlichere Thiere darfuͤr
verehret. Unter dieſen geringen Schalen
waͤre ein koͤſtlicher Kern verborgen; Nicht
zwar/ daß nach dem Aberglauben des Poͤfels ei-
ne Kuh mit ihren Hoͤrnern die Welt-Kugel un-
terſtuͤtzte/ ſondern mit dieſem Thiere haͤtten ſo
wol ihre Vorfahren/ als andere Voͤlcker die
Fruchtbarkeit der Natur abgebildet; alſo/ daß
wie ihm zu Memphis ein Prieſter erzehlet/ auch
die Roͤmer die Vorſicht des Korn-Vogts Mi-
nucius/ die Egyptier das Grab ihres Serapis
mit dem Bilde eines verguͤldeten Ochſen be-
ſchencket haͤtten. Und dem Egyptiſchen
Oſiris waͤre von Gott in einem Traume durch
ſieben magere und fette Kuͤh der Mangel und
Uberfluß kuͤnfftiger Jahre entdecket worden.
Warum ſolten ſie nicht das Bild des goͤttlichen
Segens in ihre Heiligthuͤmer ſetzen/ nach dem
es die Vorwelt nicht ohne Nachdencken unter
die zwoͤlf himmliſchen Zeichen geſtellet? Ge-
wiß/ dieſes Geheimnuͤß/ warum die Egyptier
allein einen rothen Ochſen opffern/ warum die
Juden allein mit der Aſche einer rothen Kuh/
die durch Anruͤhrung eines Todten ſich befle-
ckenden/ zu ihrer Reinigung beſprengen/ waͤre
durch kein Nachſinnen zu ergruͤnden; es wuͤrde
aber deſſen Auslegung in weniger Zeit kund
werden. Dannenhero muͤſte ein Weiſer aus
dem kalten Kieſelſteine eines rauhen Vorbildes
das Feuer eines heilſamen Verſtandes herfuͤr
bringen. Sintemahl bey ihnen und andern
Voͤlckern der blinden Vernunfft noch wol aͤr-
gerlicher zu ſeyn ſchiene/ daß die Egyptier und
Roͤmer an dem Feſte des Oſiris und Bacchus
das maͤnnliche/ die Syracuſier an ihrem Theſ-
mophoriſchen Feyer das aus Honig und Geſaͤ-
me gefertigte weibliche Geburts-Glied/ wir
beydes vereinbart in Tempel ſetzen/ zur Schaue
tragen und verehren; da man doch hier durch
theils
[662[663]]Arminius und Thußnelda.
theils die zeugende/ theils die empfangende
Krafft der fruchtbaren Natur andaͤchtig fuͤrbil-
dete. Am allerwenigſten aber waͤre ſich zu ver-
wundern/ daß ſie ſich ſo ſehr fuͤr Speiſung des
Rindfleiſches enteuſerten/ welches ſo vielen
Voͤlckern ein goͤttliches Vorbild gegeben haͤtte;
nach dem auch die Juden lieber ſtuͤrben/ als von
Schweinen nur wegen ihrer Unreinigkeit ſpei-
ſeten/ Soſtrates und andere haͤtten ihr Lebetage
ſich alles Fleiſches enthalten/ und mit Milch
vergnuͤget/ weil ſie geſehen/ daß weder das
Fleiſch zur Nahrung dienlich waͤre/ noch die
Natur uns mit einigen zum Fleiſch-Eſſen ge-
ſchickten Werckzeugen geſchaffen haͤtte. Zeno
berichtete hierauf: Er haͤtte bey dieſer Gelegen-
heit dem Brahman einen Einwurff gethan/
daß ſie aber auch keines andern Thieres Fleiſch
zu eſſen pflegten/ ob dieſe denn alle goͤttliche
Bilder waͤren? So koͤnte er auch nicht begreif-
fen/ warum die Brahminen des Tages nur ein-
mal/ und zwar mit keinem Menſchen/ ja ſo gar
mit ihren eigenen Ehweibern/ die eines an-
dern Geſchlechts waͤren/ nicht ſpeiſeten/ noch
ihre Gefaͤſſe brauchten/ oder doch im Nothfalle
das Waſſer daraus in ihren Mund ohne Be-
ruͤhrung der Lippen ſchuͤtteten/ und ſo gar den
Koͤnig ſelbſt ihrem Eſſen nicht zuſchauen lieſſen.
Worauf ihm Zarmar geantwortet haͤtte: Wol-
te Gott! unſere Natur vertruͤge/ daß wir gar
nicht eſſen doͤrfften/ wormit der Leib mit der Zeit
die Seele nicht wegen der ihm durch Ubermaß
angefuͤgten Feindſchafft verklagen doͤrffte/ hin-
gegen man Gott taͤglich mit Faſten dienen koͤn-
te. Denn wie Gott der Trunckenheit und
Schwelgerey todt-feind iſt/ alſo daß/ vermoͤge
eines alten Gefetzes/ ein iedes Weib bey uns ei-
nen trunckenen Koͤnig nicht allein unſtraͤflich
toͤdtet/ ſondern auch dem folgenden Koͤnige
zur Belohnung vermaͤhlet wird; alſo iſt Gott
ein nuͤchterner Mund/ und ein andaͤchtiges
Hertze das annehmlichſte Heiligthum. Wel-
ches auch euer Empedockes verſtanden/ welcher
allezeit zu faſten rieth/ ſo offt ein Menſch was
uͤbels gethan hatte/ oder in Noͤthen ſteckte. Ja
die bey euch das Feyer der reichen Ceres bege-
hen/ muͤſſen ihr fuͤr ihren Uberfluß mit Faſten
dienen. Zu dem hat Gott dem allererſten
Menſchen ein Geſetze gegeben/ daß er ſich des
Fleiſches enthalten/ und nur von Feldfruͤchten
leben ſolte. Unſere Einſamkeit aber ruͤhret aus
keiner Hoffarth her/ ſondern es dienet uns zu
ſteter Erinnerung/ daß die/ welche allein Gott
zu dienen gewiedmet ſeyn/ nicht viel Gemein-
ſchafft mit Weltgeſinnten haben ſollen. Denn
die Gemuͤther der Sterblichen bleiben leichter
an irrdiſcher Wolluſt/ als die Vogel an der
Leimruthe kleben. Die Muͤcke fleucht in das
Feuer/ ob ſie gleich darinn eingeaͤſchert wird/
und der Fiſch greiſſet nach der Angel/ ob gleich
nur ein Stuͤcke Aas daran klebt/ und es ihm
das Leben koſtet. Und warum halten auch bey
euch unterſchiedene Voͤlcker die fuͤr unrein/ die
nur eine Leiche anruͤhren? Warum doͤrffen die
Prieſter des Jupiters zu Rom die Bohnen/ weil
man ſie zu Todten-Mahlzeiten und Leichen-
beſtattungen gebrauchte/ weder anruͤhren noch
nennen? Glaube aber/ daß niemand mehr todt
ſey/ als in dem die Begierde Gott unaufhoͤrlich
zu dienen erkaltet iſt. Dannenhero muͤſſen un-
ſere ſuͤndigen Pereaes ihre Brunnen und Haͤu-
ſer mit Todtenbeinen bezeichnen; wormit ſelbte
iederman fliehe/ und niemand ſich auch nur
durch ihr Waſſer/ oder den Schatten ihres Da-
ches verunreinige. Und zu Memphis habe
ich ſelbſt wahrgenommen/ daß die/ welche mit
Schweinen umgehen/ weder die Tempel/ noch
die Wohnungen der Prieſter betreten doͤrffen.
Uberdiß vertraͤgt auch unſer bey der Mahlzeit
gewoͤhnlicher Dienſt ſo wenig/ als die Koſt keine
Gemeinſchafft der Unwiſſenden. Wir ſelbſt
muͤſſen uns mit Jſop und Springwaſſer
reinigen/ unſere Stirne zur Erinnerung
der
[664]Fuͤnfftes Buch
der Sterbligkeit mit Todten-Aſche bezeichnen/
unſern Leib waſchen/ unſere Glieder mit Wey-
rauch beraͤuchern/ den Mund ausſpuͤlen/ ein
ſauberes Kleid anlegen/ unſere Gebete verrich-
ten/ einander rechtfertigen/ wie viel ieder ſelbi-
gen Tag in Erkaͤntnuͤß Gottes und heiligem
Wandel zugenommen habe; die Nachlaͤßigen
aber von dem Tiſche hinweg und zur Thuͤre
hinaus ſtoſſen/ ja die Speiſen mit geriebenem
Holtze bitter machen/ oder uns auch gar mit die-
ſem Waſſer und Holtze vergnuͤgen; worfuͤr die
Zaͤrtlinge dieſer Welt/ denen auch offt fuͤr den
niedlichſten Speiſen eckelt/ eine Abſcheu oder
Verdruß haben wuͤrden. Hieraus kanſt du/
mein Sohn/ nun ſelbſt unſchwer ermeſſen:
warum wir uns des Fleiſches/ als der Wuͤrtze
menſchlicher Begierden/ enteuſern; ja auch die/
welche den Himmel ihnen ohne Umweg zu er-
langen gedencken/ entſchlagen ſich eines uns
ſonſt gewoͤhnlichen Feyers/ auf welchem ein
Vieh erſtecket/ und auff dem Feuer geopffert
wird/ weil die Opffernden das Hertze davon zu
zertheilen und zu eſſen pflegen. Zeno fuhre
fort/ und vermeldete/ daß Zarmar wegen des
Fleiſch-eſſens ihm nur einen blauen Dunſt fuͤr
die Augen zu machen gemeinet; daher er ihm
entgegen geſetzt: weil er glaubte/ daß die Opf-
fernden ſich ſo wol/ als bey ihnen die Prieſter bey
den Opffern der Hecate alles Eſſens enthalten
koͤnten/ und wahr genommen haͤtte/ daß die Jn-
dianer das Leben der Thiere mit Geld erkauff-
ten/ zu ihrem Unterhalt heilige Stifftungen
machten/ und auch denen veraͤchtlichſten/ oder
ſie verletzenden Thieren noch liebkoſeten/ die
verſtorbenen Rinder praͤchtig beerdigten; muth-
maſte er/ es muͤſſe eine andere geheime Urſache
hierunter verborgen ſeyn. Zarmar aber be-
gegnete mir: Jeder Gottesdienſt haͤtte ſeine be-
ſondere Eigenſchafft/ und auff ihrem Feſte muͤ-
ſte das Hertze des Thieres geſſen werden. Was
aber doͤrffte ich uͤber ihrer Speiſe ſo ſorgfaͤltig
ſeyn; ſtuͤnde doch zu Athen in dem Elevſiniſchen
Tempel unter den Geſetzen des Triptolemus in
Ertzt eingegraben: Man ſolle nicht Fleiſch
eſſen. Kein Egyptier/ auſer die von Lycopo-
lis/ eſſe von einem Schaffe/ ihre Prieſter zu hei-
ligen Zeiten von keinem Thiere/ ja ſo gar nicht
Eyer und Milch/ weil dieſe ihr Blut/ jene ihr
Fleiſch waͤren; die Prieſter des Jupiters zu
Rom von keiner Ziege/ die Britannier von kei-
nem Haſen/ Huhne oder Ganß. Und zur Zeit
des weiſen Ptolomeus habe ein Egyptier uͤber
ſeine eigene Mittel vom Koͤnige funfzehn Ta-
lent Silber geborgt/ und auf das Begraͤbnuͤß-
Gepraͤnge ſeiner fuͤr Alter geſtorbenen Kuh zu
Memphis verwendet. Zeno berichtete: Er
haͤtte ſich hiermit noch nicht abweiſen laſſen wol-
len/ ſondern um ihm recht auf den Puls zu fuͤh-
len/ dem Brahman Einhalt gethan: warum
aber die heiligſten unter ihnen wegen der auch
denen Kraͤutern eingepflantzten Seele ihnen
ein Gewiſſen machten/ ein Kraut mit ſeiner
gantzen Wurtzel oder Stengel auszureiſſen/
ſondern nur zu ihrem unentbehrlichem Unter-
halt die euſerſten Blaͤtter abbraͤchen? Er ſolte
ihm daher nur frey heraus ſagen: Ob ſie nicht/
wie Pythagoras/ die Wanderſchafft der See-
len in Thiere und Kraͤuter glaubten/ welcher da-
her lieber in die Haͤnde ſeiner Moͤrder verfal-
len/ als in die wachſenden Bohnen ſich verſte-
cken/ und die darinnen ruhenden Seelen haͤtte
beunruhigen wollen? Welches er darum ſo viel
leichter glauben muͤſte/ weil die Griechen dar-
fuͤr hielten/ daß die Jndianer ihren Pythagoras
als einen groſſen Heiligen/ unter dem Nahmen
des Brahma/ mit dreyen Antlitzen und ſechs
Armen abbildeten/ ja anbeteten; Uber diß ihm
der Buddas von Muziris geſagt haͤtte: Sie
hielten mit unſerm Parmenides/ Empedocles
und Democritus/ inſonderheit mit dem Pytha-
goras darfuͤr/ daß dem Weſen nach nur eine
eintzige Seele in der Welt waͤre/ und nichts
minder die Steine/ Kraͤuter und Thiere/ als
den
[665]Arminius und Thußnelda.
den Menſchen begeiſterte/ auch als ein kraͤfftiges
Band dieſe Glieder der Natur miteinander ver-
knuͤpfte. Hingegen beſtuͤnde eines ieden be-
ſeelten Weſens Fuͤrtreffligkeit in dem Leibe/ als
dem Werckzeuge/ wordurch die Seele herrlichere
oder geringere Kraͤfften auslaſſen koͤnte. Daß
nun die Kraͤuter nicht lauffen/ die Thiere nicht
reden koͤnten/ die Steine nicht fuͤhlten/ geſchehe
aus bloſſem Gebrechen des darzu benoͤthigten
Werckzeugs. Sintemal die mit einer ver-
nuͤnftigen Seele unſtrittig begabten kleinen
Kinder aus eben dieſer Uhrſache ihre Sprache
und Vernunft nicht gebrauchen koͤnten. Wel-
che Einbildung den Crates von Thebe ſo weit
verleitet haͤtte/ daß er keine Seele geglaͤubt/ ſon-
dern alle der Seele ſonſt zugeeignete Wuͤrckun-
gen den natuͤrlichen Kraͤfften des bloſſen Leibes
zugeeignet. Zarmar/ ſagte Zeno/ veraͤnderte
uͤber dieſem Vortrage etliche mal ſein Geſichte/
und fuhr endlich mit ziemlicher Entruͤſtung her-
aus: Es miſchen dieſe letztere die dreyer-
ley Seelen mit ſo groſſem Jrrthum unter
einander/ als die/ welche tichten: daß die erſte
Sprache in der Welt ſo wohl dem Vieh als den
Menſchen gemein geweſt waͤre/ und daß an ge-
wiſſen heiligen Oertern fremde Vieh auch ſelig
wuͤrde; oder daß die Fluͤſſe fuͤr Zeiten in menſch-
licher Geſtalt herumb gegangen waͤren; und die
den Leib zu einem bloſſen Kercker und Klotze/ in
welchen die Seelen ihrer Suͤnden wegen ver-
dammet wuͤrden/ und kein weſentliches Antheil
des Menſchen waͤre; ja zu einem kalten Grabe
machen/ darinnen dieſe Geiſter/ welche entwe-
der von Ewigkeit her ihr Weſen gehabt/ und aus
Gott/ wie das Licht aus der Sonnen ſonder des
Urſprungs Verminderung entſproſſen waͤren/
oder doch mit der Welt erſchaffen worden/ er-
frieren und erſtarren muͤſten. Denn/ da Gott
die Seelen nur zu ihrer Marter in die Leiber
einſperrete; wuͤrde die Natur nicht alle ihre
Kunſt zu ſo ſchoͤner Bildung eines grauſamen
Gefaͤngnuͤſſes anwenden. Es. wuͤrde ohne
groſſe Ungerechtigkeit keine heßliche Seele in
wohlgeſtalten Gliedern wohnen; noch auch
die veraͤchtliche Aſche unſerer Leiber von Gott
mit der Zeit gewuͤrdiget werden/ daß ſie wieder
zu einem viel verklaͤrtern Leibe werden/ und in
unausſprechlicher Freude mit ihrer durch den
Tod abgeſonderten Seele ewig vereinigt bleiben
ſolte. Welch Geheimnuͤß aber den Augen euerer
eitelen Weltweiſen gaͤntzlich verborgen iſt. Die
Egyptier hingegen habẽ einen Blick von dieſem
Lichte erſehen/ und die Leichen ſo fleiſſig mit Phe-
niciſchem Weine gewaſchen/ mit Myrrhen/ Aloe
und koͤſtlichẽ Hartzte eingebalſamet; daß die See-
le mit der Zeitdarein/ als in eine unverſehrte und
ihr anſtaͤndige Wohnung wieder einkehrẽ koͤnte.
Wormit die aber/ mein Sohn/ unſer Glaube
nicht ſo unglaublich fuͤrkomme; wil ich dir zeigen/
daß das Feuer den Dingen ſeine innerliche Ei-
genſchaften nicht benehme/ ſondern ſelbte mit ih-
rer Saamens-Krafft in der Aſche uͤbrig bleibe.
Hiermit nahm er ein an Blaͤttern und Wurtzeln
ſo duͤrres Kraut: daß man es mit den Fingern in
Staub zerreiben konte/ ſetzte es in ein Glas voll
kraͤfftigen Waſſers/ welches/ ſeinem Berichte
nach/ aus gewiſſẽ Berg-Gewaͤſſern gezogẽwar.
Es waren aber kaum drey Stunden verſtrichen;
als aus der Bein-duͤrren Wurtzel ein friſches
Kraut zu meiner hoͤchſten Erſtaunung herfuͤr
gruͤnete. Uber diß nahm er ein ander gantz fri-
ſches Kraut/ welches er zu ſeiner Speiſe mitge-
nommen hatte/ zerſchnitt ſelbtes zu Staube/ ver-
breñete es zu Aſche/ und ſaͤete es in ein mit friſcher
Erde gefuͤlltes Gefaͤſſe; mit der Verſicherung;
daß eben ſelbiges Kraut in wenig Tagen wieder
herfuͤr wachſen wuͤrde. Als es ſich auch hernach
wahrhaftig ereignete. Urtheile nun/ ſagte Zar-
mar/ ob es dem allmaͤchtigen Gotte ſchwerer ſeyn
werde/ die Aſche unſers Leibes in einen friſchen
Leib zu verwandeln/ als dem ohnmaͤchtigen
Menſchen ein Kraut aus ſeinem Staube/ oder
einem Seidenwurme ſich aus ſeinem Grabe le-
bendig heraus zu wickeln. Brenne/ verbrenne/
Erſter Theil. P p p pwan-
[666]Fuͤnfftes Buch
wandele Gold/ Queckſilber und ander Ertzt/ in
Getraͤncke/ Waſſer/ Oel und Staub; glaube
aber: daß du ihre Eigenſchafft nicht verwandelt/
weniger getoͤdtet haft. Denn ſie verſtecket ſich
nur fuͤr dem verzehrenden Feuer in ein ander
und ſicheres Kleid; und wenn du deinen kuͤnſtli-
chen Beyſatz wegnimmeſt/ wirſt du den Kern des
erſten Weſens unverſehrt finden. Meynet
ihr aber: daß nach dem Pythagoras mit ſeinen
Traͤumen euch verduͤſtert/ er uns derogeſtalt
verblendet habe: daß wir ihn als einen vorſetzli-
chen Verleiter oder unwiſſenden Verleiteten
fuͤr den Goͤttlichen Brahma den wahrhaften
Mitler zwiſchen Gott und den Menſchen er-
kennen ſolten? Jch erſchrecke fuͤr dieſer Laͤſte-
rung: daß Brahma/ von welchem die Welt/ kei-
nes weges aber nach der Meynung eueres Ari-
ſtoteles von andern Urſachen/ noch/ nach dem
Stoiſchen Jrrthume/ von einem blinden Noth-
Looße oder Verhaͤngnuͤſſe/ noch von dem Ein-
fluſſe der Sternen/ in Ordnung gehalten/ und
an ſtatt des Goͤttlichen Weſens/ welches nicht/
wie euer Epicurus ſchwermet/ ſo wohl ſeine als
irrdiſche Sachen unachtſam auſſer Augen ſetzt/
beherrſchet wird/ der ſonder den Zwang der Ge-
burts-Sternen allen Menſchen ihr Gluͤck und
Ungluͤck abmißt/ auch ihnen ihr Lebens-Ziel ſte-
cket/ der durch ſeinen Geiſt/ welchen euer Plato
die Seele der Welt heißt/ der gantzen Natur ih-
re Nahrung gibet/ etliche Voͤgel mit einem Tro-
pfen Waſſer/ die Schlangen mit dem Winde/
die Schnecken mit Thau/ etliche Thiere mit
Feuer/ andere mit der Lufft ſaͤttigt; daß/ ſag ich/
der groſſe Brahma/ das Wort/ oder wie Plato
nachdencklich redet/ der Sohn Gottes mit einem
aberwitzigen Weltweiſen vermenget werden
wil; denn wie zwar die Egyptier alle ihre Weiß-
heit von unſern Vor-Eltern erlernet; aber mit
groſſem Undancke ihre Lehrer nicht nur ver-
ſchwiegen/ ſondern die Lehre ſelbſt verfaͤlſchet/
und unter einem ertichteten Alterthume ihnen
ſelbſt den Urſprung zugeeignet haben/ vorge-
bende/ daß unter ihrer Zeit die Sternen zum
vierdten mal ihren Lauff vollbracht haͤtten/ wel-
ches nach eures Plato Rechnung uͤber hundert
vier und viertzig tauſend Jahr betraͤgt/ daß die
Sternen- Kunſt bey ihnen ſchon uͤber hundert
tauſend Jahre bekandt geweſt/ und ihr Reich ſie-
bentzig tauſend Jahre von Koͤnigen beherrſchet
worden waͤre/ daß Zordaſter ſechs tauſend Jahr
fuͤr dem Plato gelebet haͤtte; alſo hat Pythagoras
von dem Canupheiſchen Prieſter/ ſeinem Lehr-
meiſter/ viel falſchen Tand fuͤr gute Wahre er-
kaufft/ oder das noch aus Egypten/ oder vielmehr
aus dem Geſetz-Buche der Judẽ/ ſo wol von ihm
als vorher von dem Pythagoras und Ariſtobul
geſchoͤpfte reine Brunn-Waſſer der Weißheit
in den Suͤmpfen der Griechiſchen Weltweiſen
verfaͤlſchet/ weil er in natuͤrlichẽ Dingen den He-
raclitus/ in Sitten- und Herrſchaffts-Lehren den
Socrates/ in Schluß-Reden den Pythagoras zu
ſeinem Leiter erkieſet; alſo theils ſich/ theils ſeine
ohne diß eitele Griechen/ die auch ihr Athen neun
tauſend Jahr fuͤr dem Solon gebaut zu ſeyn tich-
ten/ darmit hinters Licht gefuͤhret hat. Eben
dieſe Flecken kleben dem Pythagoras an/ wel-
chen die Egyptier zwar am Fleiſche mit einem
ſteinernen Meſſer/ aber nicht in Jrrthuͤmern
mit der Schere vollkommener Wahrheit be-
ſchnidten/ oder doch der aberglaͤubige Morgi
des Cretenſiſchen Jupiters Prieſter/ welchen er
in ſchwartze Wolle gekleidet/ dreymal neun Ta-
ge in der Jdeiſchen Hoͤle bey dem Bilde des Ju-
piters gehoͤret/ wieder verunreiniget/ und den
Pythagoras bethoͤret hat: daß er ſich von ihm
am Tage mit Cerauniſchem Steine am Meere
reinigen/ des Nachts bey fluͤſſendem Waſſer mit
einem ſchwartzen Lamb-Felle kroͤnen/ und dar-
durch dem daſelbſt vergrabenen Zan oder Jupi-
ter einweihen laſſen. Dieſer Pythagoras hat
die unſchaͤtzbare Perle/ nemlich die Lehre von der
Seelen Unſterbligkeit in eine ſtinckende Auſter-
Schale verſteckt; da er aus der Seele eine vier-
fache ſich ſelbſt bewegende Zahl gemacht/ die Lufft
mit
[667]Arminius und Thußnelda.
mit viel tauſend umſchwermendẽ Seelen ange-
fuͤllet/ die Vielheit der Goͤtter gelehret/ und ſie in
Zahlen verwandelt; am allermeiſtẽ aber mit den
albern Egyptiern die Welt mit der Wanderung
der Seelen in andere menſchliche und viehiſche
Leiber bethoͤret hat; vorgebende: daß nachdẽ die
Seele ſich einmal aus dem Geſtirne in einen irr-
diſchen Leib herab gelaſſen haͤtte/ muͤſte ſie durch
allerhand andere Leiber herum wandern/ biß ſie
nach 3000. Jahrẽ/ oder dem groſſẽ Welt-Jahre/
wieder in ihren erſten Leib und vorigen Circkel
komme/ endlich aber nach einer ſehr langen Zeit
ſich mit ihren Fluͤgeln wieder zu ihrem Geſtirne
empor ſchwinge. Dieſe Wanderſchafft geſchehe
aber nach der Beſchaffenheit des guten und boͤſen
Verhaltens/ alſo: daß die From̃en entweder in
eine andere menſchliche/ oder in heiliger Thiere/
die Boͤſẽ aber in unreiner Thiere Leiber ſich ver-
fuͤgten. Alſo ruͤhmte ſich Pythagoras: Seine
Seele waͤre anfaͤnglich in einem Pfauen geweſt/
hernach in Euphorbus/ von dar in Homerus/
und ſo fort Pyrrhus/ Eleus/ endlich in ſeinen
damaligen Leib gefahren; weßwegen er auch zu
Delphis noch eigentlich ſcinen dahin gewiedme-
ten Schild erkennet haͤtte; und ſich erinnerte:
wie er in der Hoͤlle den an eine ertztene Saͤule
angefeſſelten Heſiodus/ und des Homerus an
einen Baum gehenckte und mit Schlangen um-
gebene Seele geſehen. Gleicher geſtalt waͤre
die Seele des Orpheus in einen Schwan/ des
Thamyras in eine Lerche/ des Telamoniſchen
Ajax in einen Loͤwen (in welcher Geſtalt auch
einſt Koͤnig Amaſis ſoll erkennet worden ſeyn)
Agamemnons in einen Adler gediegen. Der
Weltweiſen ihre kaͤmen in Bienen/ der Redner
in Nachtigaln/ umb ſich auch nach dem Tode an
der Anmuth und Suͤſſigkeit zu ſaͤttigen. Wel-
che aber nur dem Goͤttlichen Erkaͤntnuͤſſe obge-
legen/ wuͤrden unmittelbar zu Engeln. Auch
waͤre dieſe Umbirrung ihnen keine Straffe/
ſondern eine Ehre und Vergnuͤgung; nachdem
die heiligen Seelen auch in der wilden Thiere
Leibern ihrem Vaterlande wohlthaͤten/ die Erd-
Kugel umbreiſeten/ und das Thun der Men-
ſchen beobachteten/ ja die Goͤtter ſelbſt in heilige
Thiere ſich zu verfuͤgen nicht ſcheueten. Hin-
gegen wuͤrden die Zornigen in Schlangen/ die
Geitzigen in Woͤlffe/ die Betruͤger in Fuͤchſe/
die Hoffaͤrtigen in Pfauen/ die Neidiſchen in
Hunde/ die Unzuͤchtigen in Schweine/ die grau-
ſamen in Crocodile/ die Faulen in Eſel/ die
Rauber in Raub - Voͤgel/ einige Seelen auch
wohl gar/ nach der Lehre des Empedocles/ in
Baͤume und Pflantzen verdammet. Ob nun
wohl die Egyptiſchen Prieſter eben dieſes den
albern Poͤfel und die leichtglaubigen Auslaͤnder
uͤberredet/ alſo daß dieſer Jrrthum nicht nur
gantz Morgenland eingenommen/ auch unſere
Einfaͤltigen die gluͤckſeligſten Seelen in Kuͤh-
Haͤuten eingeſchloſſen zu ſeyn vermeynen/ ſon-
dern auch vom Zamolxis zu den Geten/ von den
Druyden in Gallien/ und auch in Deutſchland
gebracht worden; ſo haben doch die Prieſter ih-
nen etwas mit Fleiß weiß gemacht/ was ſie
ſelbſt nicht geglaubt/ auch von unſern Vor-
fahren nicht gelernet; oder ſie ſelbſt haben die
Lehre des Hermes und Zoroaſters als unſerer
Schuͤler uͤbel verſtanden; oder nachdem ſie die
Unſterbligkeit der Seelen/ und daß die From-
men nach dem Tode ergetzt/ die Boͤſen gepei-
nigt werden ſolten/ geſtehen muͤſſen/ nicht ge-
wuͤßt/ was ſie denen Seelen fuͤr einen Aufent-
halt zueignen/ oder einem Geiſte fuͤr aͤuſerlichen
Zwang anthun ſolten; diß/ was wir verbluͤm-
ter Weiſe geredet/ und die Griechen zum Theil
ſelbſt unter der Zauber-Ruthe Circens und der
Ulyſſiſchen Geferten fuͤrgebildet/ wie nehmlich
der Menſch durch ſeine unvernuͤnftige Begier-
den/ durch Unterdruͤckung der Vernunfft/ von
dem Kitzel aͤuſerlichen Sinnen ſich ſelbſt zum
Viehe mache/ weſentlich angenommen/ und die
Spreu fuͤr den Weitzen erkieſet/ wiewohl auch
einige unter ihnen nur die Wanderung der
Seelen in andere Menſchen/ nicht aber in das
P p p p 2Vieh
[668]Fuͤnfftes Buch
Vieh nachgegeben haben. Da ſie ſich doch
leicht haͤtten beſcheiden koͤnnen: daß die Seele
als ein Geiſt in und von ſich ſelbſt den Urſprung
ihrer Bewegung und Wuͤrckung habe/ und des
Leibes als eines unentbehrlichen Werckzeuges
keinesweges beduͤrffe. Welch Erkaͤntnuͤß auch
die Stoiſchen Weltweiſen zu glauben bewogen:
daß die tugendhaften Seelen umb den Mon-
den ſich an Beſchauung der him̃liſchen Dinge
erluſtigten/ die Laſterhaften aber umb die Erde/
oder gar umb die duͤſteren Graͤber ſo lange/
biß ſie nach und nach von ihren irrdiſchen Be-
gierden geſaubert wuͤrden/ herumb ſchwerme-
ten; ja Pythagoras ſelbſt hat geglaubt: daß die
alleraͤrgſten Seelen in uneingefleiſchte Teuffel
verwandelt wuͤrden. Jch geſtehe uͤbrigens
gerne: daß bey uns eben ſo wohl das gemeine
Volck viel Schatten fuͤr das Licht erwiſche/
und ihre Andacht eben ſo wohl als in Griechen-
land und Egypten mit Wahn vermiſchet ſey.
Alleine es iſt beſſer ſelbten bey irrigem Got-
tes-Dienſte unter der Furcht fuͤr dem gerech-
ten Gotte/ und dem Gehorſam ſeiner Obrigkeit
zu halten/ als ſelbten ohne einige Gottes-Furcht
in allerley Laſter ohne Scheu rennen zu laſſen.
Uber diß iſt Gott ein ſo verborgenes Weſen/
daß ie mehr wir ſelbtes zu ergruͤnden uns be-
muͤhen/ ie mehr unſere Gemuͤths-Augen/ wie
derer/ welche in die Sonne ſehen/ von uͤber-
maͤßigem Lichte verduͤſtert werden. Denn ob
wohl Gott ſein Weſen und Wuͤrcken auch durch
den veraͤchtlichſten Kaͤfer/ durch den niedrigſten
Jſop erhaͤrtet/ und alſo des Protagoras und
Diagoras Nachfolger/ welche nicht glaͤuben:
daß ein Gott ſey/ fuͤr Unmenſchen zu halten
ſind; ſo ſind doch ſeine Eigenſchafften ſo ver-
borgen: daß die Welt noch keinen ihm anſtaͤn-
digen Nahmen zu finden gewuͤſt/ ob man auch
ſchon mit unſern tauſend Nahmen ſeine All-
macht und Guͤte nicht ausſprechen kan.
Gottes Weißheit/ Macht/ Gerechtigkeit ſind
nur Worte und Erfindungen unſerer Einfalt;
diß aber/ was wir darmit meynen/ iſt ſeine
Gottheit ſelbſt/ welche ein einfaches Weſen hat/
und keine Zuſammenſetzung einiger Zahlen oder
Tugenden vertraͤget. Dannenher auch die
Weiſen dem unbekandten Gotte Tempel und
Altar aufzurichten veranlaſſet worden. Ver-
birget doch der geſtirnte Himmel mehr als die
Helfte ſeiner Lichter/ fuͤr unſern Augen; ja die
Kraͤfften der Kraͤuter/ die wir mit Fuͤſſen treten/
vermoͤgen wir durch unſer Nachſinnen nicht zu
erforſchen. Wie viel weniger werden wir das
Meer der ſo tieffen Gottheit erſchoͤpfen. Wo-
hin denn auch/ der Griechen Bericht nach/ des
Saturnus Geſetze/ daß man bey ſchwerer
Straffe die Goͤtter nicht nackt ſehen ſolte/
und das Gedichte: ſamb der die Diana nackt
ſehende Actaͤon von Hunden zerriſſen/ der die
badende Minerva ins Geſicht bekommende
Tireſias blind worden waͤre/ ihr Abſehen hat.
Alſo/ daß nach dem die Weiſen hier auch im blin-
den tappen muͤſſen/ einigerley Weiſe zu entſchul-
digen iſt: daß die Griechrn alle Geheimnuͤſſe
unter Gedichte verſtecket/ und den Poͤfel durch
ſolchen Aberglauben im Zaume gehalten haben.
Maſſen ohne diß Gott durch Unwiſſenheit am
meiſten erkennet; und mehr durch demuͤthiges
Gebet/ als durch ſpitzige Nachforſchung verehret
wird. Und wie das groſſe Auge der Welt ſei-
nen Glantz auch den Neben- Sonnen mitthei-
let; alſo mißgoͤnnet auch Gott nicht die Ehre ſei-
nem Schatten/ den bloͤde Augen fuͤr ihn als das
ſelbſtſtaͤndige Licht erkieſen
Mit dieſen und andern tieffſinnigen Ge-
ſpraͤchen/ ſagte Zeno/ verkuͤrtzten wir unſern
Weg und die Zeit/ wiewohl mir die Beyſorge:
Jch moͤchte durch allzu groſſen Vorwitz dieſen
weiſen Mann gar aus der Wiege werf-
fen/ verbot/ ein und anders Bedencken wider ſei-
ne Lehren aufzuwerffen; und inſonderheit zu er-
haͤrten/ daß weil Gott ſeine Ehre keinem an-
dern geben wolte/ ſondern er darumb
gerechteſt eiferte; der Einfalt ſo wenig
ein
[669]Arminius und Thußnelda.
ein falſcher Gottesdienſt/ als einer armen Mut-
ter fuͤr ihr Kind ein Wechſelbalg [un]terzuſtecken;
und ein Gottesdienſt ohne Warheit und Weiß-
heit fuͤr ein Geſpenſte/ einen S[c]hatten/ einen
blauen Dunſt und verfuͤhriſches Jrrlicht zu hal-
ten ſey; Ja daß der/ welcher fuͤr ein goͤttliches
Weſen nur eine neblichte Wolcke umarmet/ mit
dem Jxion nichts als Mißgeburten zeuge/ ſich
aber ſelbſt in den Abgrund abſtuͤrtze. Denn wie
einen Affen nichts garſtiger und laͤcherlicher
macht/ als daß er ſich den Menſchen gleichen
will; alſo iſt der Aberglaube nur eine abſcheuli-
che und verwerffliche Nachaͤffung des wahren
Gottesdienſtes.
Wir ſchifften/ fuhr Zeno fort zu erzehlen/ un-
ter halbem Sturmwinde nur mit einem Segel/
wiewohl ziemlich ſchnelle fort; weil der Wind a-
ber in unſerm Segelwercke ein und anders zer-
brochen hatte/ ſtiegen wir theils ſolches wieder
anzurichten/ theils uns zu erfriſchen auff dem
fruchtbaren Eylande Dioſcorida unter Arabi-
en aus/ welches die halbe Welt mit Aloe verſor-
get. So bald wir von dem Schiffe traten/ fiel
Zarmar gegen Morgen auff ſein Antlitz in den
Staub der Erde/ ruͤhrte kein Glied/ auſſer ſei-
ner Zunge/ mit welcher er unglaublich geſchwin-
de/ ſeinem Glauben nach/ tauſend Zunahmen
Gottes ausſprach/ den Bodem aber mit unzehl-
baren Thraͤnẽ netzte. So bald auch die Sternen
auffgingen/ machte er ein Feuer von Aloe-Hol-
tze/ trat hernach mit einem bloſſen Fuße nach
dem andern in den faſt gluͤenden Sand und
heiße Aſche/ ohne das geringſte Zeichen einiger
Empfindligkeit; betrachtete lange Zeit eine
gantz feurige Kugel/ und die uͤbrige Nacht ſahe
er einen groſſen weiſſen Stern mit unverwen-
deten Augen an/ biß ſelbter unter den Alends-
Zirckel abſanck. Wie nun Zarmar des an-
dern Tages in dem Garten des Koͤnigs Ele-
azes/ welchem dieſes Eyland und das Wey-
rauch bringende Theil Arabiens zuſtehet/ ſei-
ne die Nacht uͤber gepflogene Andacht auszu-
legen gebeten ward; antwortete er: Meinet
ihr denn/ daß die Wolthaten Gottes/ indem er
uns Wind und Wellen zu Liebe in Feſſeln ge-
halten/ nicht alle unſere Demuth und Danck-
ſagung uͤberſteige? Schaͤtzet ihr Gott nicht fuͤr
ſo hoch/ daß wir/ die wir Aſche ſind/ und zu
Staube werden/ alſo nicht einſt recht den Nah-
men ehrlicher Erde verdienen/ uns fuͤr ihm nicht
in den niedrigſten Staub zu verſcharren ſchul-
dig ſind? Meinet ihr/ daß tauſend Lobſpruͤche
ſeiner Herrligkeit ein mehrers beyſetzen/ als
wenn man einen Loͤffel voll Waſſer ins Meer
geuſt? Solten unſere verzaͤrtelte Glieder nicht
einen wenigen Schmertzen des Feuers ver-
tragen/ um in der Andacht gegen dem Schoͤpf-
fer unſerer Seelen/ dem wir unſer brennendes
Hertz taͤglich auffzuopffern ſchuldig ſind/ nicht
ſchlaͤffrig zu werden? Wiſſet ihr nicht/ daß
wenn das Meer keinen Dampff mehr uͤber
ſich werffen/ und die Sternen darmit traͤn-
cken wird/ ſelbte eingeaͤſchert herab fallen ſollen?
Warlich/ werden keine Seuffzer und Thraͤ-
nen der ſuͤndigen Menſchen den brennenden
Zorn Gottes abkuͤhlen/ ſo wird er die Welt wie
ein Schmeltz-Ofen die Spreu verzehren. Wie
aber hingegen ein Gaͤrtner ſich uͤber die bey ih-
rer Beſchneidung weinenden Reben als einem
Zeichen der Fruchtbarkeit erfreuet; Alſo ſind
Gott die Thraͤnen eine Anzeigung der reichen
Seelen-Erndte. Das Gebet hat nur die Ei-
genſchafft des Weyrauchs/ weil es Gott einen
ſuͤſſen Geruch abgiebt/ und den Geſtanck un-
ſer garſtigen Suͤnden vertreibet; die Thraͤnen
aber haben eine Krafft des Zwanges in ſich/
welche ſeinen gerechten Zorn faͤſſelt/ und ſein
mitleident[li]ch Hertze preſſet/ daß er unſer barm-
hertziger Erbarmer ſeyn muß. Da man nun
aber Gott aus Betrachtung aller Dinge er-
kennen ſoll; warum ſoll mir nicht eine Kugel/
als das vollkom̃enſte unter denen begreifflichen
Dinge[n]/ das Muſter der Welt/ und das Vor-
bild der alles begreiffenden Gottheit zu einem
P p p p 3Nach-
[670]Fuͤnfftes Buch
Nachſinnen dienen? Warum ſoll meine Fin-
ſterniß nicht aus dem Feuer ihr ein Licht anzuͤn-
den/ welches dem Himmel am aͤhnlichſten/ kei-
ner Faͤulniß unterworffen/ der Urſprung alles
Glantzes iſt; welches die todte Erde beſeelet/ zu
allen Geburten der Thiere und Pflantzen be-
huͤlfflich ſeyn muß/ die ſtaͤrckſte Wuͤrckungs-
Krafft in ſich hat/ und als das aller fruchtbar-
ſte Weſen ſich aus ſich ſelbſt zeuget/ und daher
von eurem Heraclitus die Natur fuͤr nichts an-
ders/ als fuͤr ein wuͤrckendes Feuer gehalten
worden iſt; ja welches die nachdruͤcklichſte Tu-
gend zu reinigen hat; alſo/ daß ſo viel Voͤlcker ſol-
ches als einen Gott angebetet/ alle es zu ihren
Opffern nehmen/ die feurigen Thiere fuͤr die e-
delſten halten/ und nicht wenig darum ihre Lei-
chen verbrennen: wormit die Glut dieſelben
Flecken vollends vertilge/ welche durch kein
Weyhwaſſer haben koͤñen abgewaſchen werden.
Am allermeiſten aber haben wir unſere Au-
gen und Gemuͤther an die Sternen zu nageln;
Deñ geben ſie gleich nicht nach vieler Meinung
lebhaffte und beſeelte Schutz-Engel der Men-
ſchen und Thiere ab/ ſo ſind ſie doch die helle-
ſten Spiegel der goͤttlichen Weißheit und All-
macht. Zeugen ſelbte aus ſich neue Sternen/
wie vielmehr gebieret ihre Betrachtung Kin-
der Gottes; ja ſie ſind nicht ſo wohl Lichter des
Tages und der Nacht/ als Wegweiſer zu Gott
dem unerſchaffenem Lichte.
Zwiſchen dieſen Geſpraͤchen vergaß Zar-
mar als ein erfahrner Gaͤriner nicht/ uns die
Eigenſchafften der ſeltzamſten Gewaͤchſe/ inſon-
derheit aber der unterſchiedenen Aloe zu zeigen
und auszulegen. Unter dieſen allen war die
koͤſtliche Holtz-Aloe/ wormit die Mo[r]genlaͤndi-
ſchen Koͤnige ihre Kleider und Bettge[w]and ein-
biſamen; welcher annehmlicher Ge[r]uch ſo
durchdringend war/ daß einige unſerer Leute
genoͤthiget wurden aus dem Garten zu wei-
chen. Es iſt/ ſagte Rhemetalces/ diß ein unfehl-
barer Beweiß eines ſehr durchdringend[e]n Ge-
ruchs; weil [d]er Menſch/ als welcher ſeiner
Groͤſſe nach d[a]s meiſte und feuchteſte Gehirne
haben ſoll/ u[nt]er allen Thieren den ſchwaͤchſten
Geruch hat; hingegen wie andere in andern
Sinnen; alſo die Raben und Geyer den Men-
ſchen hierinn[en] vielfaͤltig uͤbertreffen. Maſſen
denn alle dieſe Voͤgel von Athen/ und aus dem
Peloponeſus nach der Pharſaliſchen Niederla-
ge der Mede[n] von den ſtinckenden Leichen/ und
ein Habicht von einem Aaße aus der Damaſ-
kiſchen Gegend biß nach Babylon gelockt wor-
den. Zenobegegnete ihm/ es waͤre diß aller-
dings wahr; iedoch gaͤbe es auch Thiere/ welche
viel weniger ruͤchen/ als die Menſchen insge-
mein. Unter dieſe waͤre fuͤrnehmlich der Loͤ-
we zu rechnen; welcher wegen mangelnden Ge-
ruchs die Syriſche Katze/ als ſeine Wegweiſe-
rin mit auff die Jagt naͤhme/ und den Raub
mit ihr theilte. Hingegen haͤtten viel Men-
ſchen ein ſehr ſcharffen Geruch/ beſonders die
ſtumpffen Geſichts waͤren. Jubil ſetzte bey:
Auch die Albern ſolten eine duͤnnſchaͤlichte Na-
ſe/ ſcharffſinnige Leute aber einen ſchlechten
Geruch haben. Deſſen Beyſpiel man an dem
uͤberaus klugen Koͤnige Hippon in Britanni-
en haͤtte/ welcher weder Zibet noch Bibergeil/
weder Ambra noch Huͤttenrauch zu unterſchei-
den gewuͤſt. Rhemetalces antwortete: Jch ſol-
te vielmehr das Widerſpiel glauben/ weil nach
der Lehre des Heraclitus die den Geruch daͤmpf-
fende Feuchtigkeit auch den Kraͤfften der Ver-
nunfft ſoll Abbruch thun. So haͤtte auch der
ſcharffſinnige Phercydes einen ſo herrlichen
Werckzeug des Geruches/ er beſtehe nun gleich
an einem Beine/ oder an einem Fleiſche/ oder
an einer gewiſſen Spann-Ader/ gehabt/ daß
er aus Anruͤchung der Erde ein Erdbeben ge-
wahrſagt. Nichts minder haͤtte Democritus
bey der Unterredung mit dem Hippocrates
durch ſ[e]inen Geruch die ihnen gebrachte Milch
zu unt[er]ſcheiden gewuͤft/ daß ſie von einer ſchwaꝛ-
tzen Ziege waͤre. Der Hirte Agathion aber haͤtte
ſo
[671]Arminius und Thußnelda.
ſo gar in der Milch unterſcheiden koͤnnen: ob ſie
ein Weib oder Mann gemolcken? Unter wel-
chen die zwey erſten nicht nur fuͤr ſcharffruͤchen-
de/ ſondern auch fuͤr tieffſinnige W[e]iſen gelten
koͤnten. Flavius ſetzte bey: Er erinnerte ſich/
daß Koͤnig Juba in Africa bey ſeinem Heere
Kundſchaffter gehabt/ die das fette und ſandich-
te Land auff etliche Meilen ausſpuͤren muͤſſen.
Salonine ſagte: Wo die Trockenheit eine
Schaͤrffung des Geruchs/ wie die Feuchtigkeit
des Geſchmacks iſt/ muͤſſen die verbrennten
Mohren nothwendig am beſten ruͤchen. Jn
alle wege/ antwortete Zeno. Dahero waͤre der
ſtarcke Moſch denen heiſſen Babyloniern ein
rechtes Gifft/ und den Arabern ſtiege der Bal-
ſam/ wie uns die geriebene Brunnkreſſe oder
Senff in die Naſe. Die ſchwefflichten Ka-
tzen aber wuͤrden von ſtarckem Rauchwercke gar
raſend. Der Geruch der Roſen toͤdtete die Kaͤ-
fer/ die Salben- und Narden-Waſſer die Gey-
er. Rhemetalces fiel ein: die bey dem Urſprun-
ge des Ganges wohnenden Voͤlcker muͤſten bey
ihrem ſcharffen Geruche noch etwas gar beſon-
ders haben; wo ſie anders nur von ſuͤſſem Ge-
ruche der Blumen lebten/ von widrigem aber
ſtuͤrben. Zeno verſetzte: Jch bin bey dem Brun-
nen des in Scythen entſpringenden Ganges
wohl geweſt/ habe aber das minſte davon gehoͤ-
ret. Dahero dieſer eingezogene Bericht zweif-
fels frey ſo wenig wahr iſt/ als daß der Wuͤr-
mer und Fliegen freſſende Camelion nuꝛ von der
Lufft oder denen eingebieſamten Soñen-Stra-
len leben ſolle. Wiewohl ich nicht laͤugne/ daß
wohlruͤchende Sachen die Geiſter erqvicken/
und das Gehirne ſtaͤrcken; den Magen aber
zu vergnuͤgen ſind ſie wohl allzu duͤnne und zu
fluͤchtig. Weßwegen auch die kraͤfftigſten Val-
ſame in den Speiſen ſehr ungeſund ſeyn ſollen;
wiewohl itzt den luͤſternen Maͤulern keine ſchme-
cken wollen/ wo die Naſe ſich nicht ſo ſehr mit
Biſam/ als der Magen mit Wuͤrtzen ſaͤttigt.
Salonine warff ein: Sie koͤnte keine Urſache
ergruͤnden/ warum die wohlruͤchenden Spei-
ſen ungeſund ſeyn ſolten/ da die dem Menſchen
zur Speiſe und Artzney geſchaffene Kraͤuter/
Pomerantzen und Granat-Aepffel ſo herrlich
ruͤchen; ja die Bienen/ welche in ſo vielen Din-
gen der Menſchen Lehrmeiſter waͤren/ von eitel
wohlruͤchenden Blumen und Bluͤthen-Gei-
ſtern lebten. Es iſt wohl wahr/ antwortete Ze-
no; aber unſer Weyrauch/ Ambra und Moſch
iſt ihnen gantz zuwider/ ja wenn eine Biene de-
rogleichen Geruch an ſich gezogen/ wird ſie von
den andern gleich/ als wenn ſie ſich durch ein La-
ſter verunreinigt haͤtte/ geſtrafft. Vielleicht/
ſagte Flavius/ geſchiehet dieſes nur darum/ weil
dieſer kraͤfftige Geruch den ſchwaͤchern der Blu-
men zu ſehr daͤmpffet und erſteckt/ daraus ſie doch
ihre Nahrung ſaugen muͤſſen. Sintemal auch
das Pantherthier/ welches durch ſeinen ſtarcken
Geruch allerhand andere Thiere an ſich locket/
in Gegenwart des Menſchen dieſe Krafft ein-
buͤſſet. Denn ich traue denen edlen Bienen
nicht zu/ daß ſie ſchlechter Dings fuͤr ſo koͤſtlichen
Geſchoͤpffen der Natur einen Eckel; hingegen
einen Zug zum Geſtancke/ wie jener Verres
haben ſolten; welcher den dem Apronius aus
ſeinem Leibe und Munde auffdampffenden
Stanck fuͤr Suͤßigkeit hielt/ wormit er doch ſonſt
Menſchen und Vieh verjagte. Die holdſeli-
ge Fuͤrſtin Jſmene brach ein: Sie wuͤſte wohl/
daß noch mehr Menſchen lieber Knobloch/ als
Syriſchen Baum-Balſam ruͤchen; ſie hielte diß
aber fuͤr eine Eigenſchafft unreiner Seelen/ oder
zum minſten ungeſunder Menſchen. Denn
der Geſtanck waͤre eine Anzeigung eines Aaßes/
oder zum minſten einer Faͤulniß/ der gute Ge-
ruch aber eine Lebhafftigkeit. Der Himmel er-
oͤffnete ſeinen Zorn durch den Schwefel-Ge-
ſtanck des Blitzes; und/ der Griechen Be-
richt nach/ haͤtte Venus die Weiber auf Sta-
limene und Lemnos mit nichts aͤrgerm/ als daß
ſie nach einem Bocke geſtuncken/ zu ſtraffen ge-
wuͤſt. Welche Straffe ſo viel haͤrter waͤre/ weil
die
[672]Fuͤnfftes Buch
die alſo ruͤchenden Menſchen von dem Gebrau-
che wohlruͤchender Dinge nur noch aͤrger ſtin-
cken. Hingegen muͤſten alle Laͤnder den Ara-
bern ihren Weyrauch und Aloe zu ihrer An-
dacht abkauffen/ und Gott darmit einen ſuͤſſen
Geruch anzuͤnden. Die Fuͤrſtin Thußnelda
verſetzte: wir muͤſſen Arabien/ und der vom Ze-
no geruͤhmten Dioſcorida ihrer Wuͤrtzen und A-
loe halber den Vorzug geben/ und glauben/
daß ſelbte ſo wohl als Moſch und Zibeth nur
Kinder des heiſſen Himmels ſind; ich weiß aber
nicht/ ob nicht Deutſchlands Blumen ſo einen
kraͤfftigen Geruch/ als die Morgen- oder Sud-
laͤndiſchen haben. Zum minſten bin ich glaub-
hafft berichtet worden/ daß in dem doch ſo war-
men Egypten Kraͤuter und Blum-Werck den
unſrigen am Geruche nicht das Waſſer reichen.
Auch habe ich von unſern Blumen eine groͤſſere
Wuͤrckung geſehen/ als Zeno von der Arabi-
ſchen Aloe zu erzehlen gewuͤſt; nehmlich/ daß ei-
nige von dem Geruche ihrer hundert-blaͤtterich-
ten Dorn-Roſen ohnmaͤchtig worden ſind. Rhe-
metalces begegnete ihr mit einer hoͤfflichen Ehr-
erbietung; Er waͤre zu wenig dem fruchtba-
ren Deutſchlande ſeine Koͤſtligkeiten abzuſpre-
chen; auch wolte er nicht behaupten/ daß
dieſe Roſen nur fremde in dieſe Nordlaͤnder
verſetzte Gewaͤchſe waͤren; aber er muͤſte nur
geſtehen/ daß alle Blumen in Aſien ſtaͤrcker/
als in ſeinem doch vielmehr Sudlichen Thraci-
en/ oder auch in Griechenland ruͤchen. Wie
viel die Hitze den Geruch erhoͤhete/ wuͤrde man
auch in Deutſchland wahrnehmen; wo im heiſ-
ſeſten Som̃er am Mittage und beym Sonnen-
ſchein iede Blume einen ſtaͤrckern Geruch von
ſich gaͤbe/ als im Herbſte/ des Abends oder
beym Regenwetter. Wie dem aber waͤre/ ſchrie-
be er die ſeltzame Wuͤrckung nicht ſo wohl der
natuͤrlichen Krafft des Roſen-Geruchs/ als ei-
ner angebohrnen Entſetzung gewiſſer Men-
ſchen zu; indem auch die annehmlichſten Dinge
denen Kindern widrig waͤren/ worfuͤr eine
ſchwangere Mutter Eckel bekaͤme. Hertzog
Herꝛma[nn] beſtetigte es/ und meldete: Die geſuͤn-
deſten Gewaͤchſe wuͤrden ſo denn zu Giffte/ alſo/
daß ein Narſingiſcher Prieſter vom Geruche
der Roſen getoͤdtet worden waͤre. Eine Bri-
tañiſche Jungfrau haͤtte von heimlicher Aufbin-
dung dieſer heilſamen Blume Blattern bekom-
men; Und erkeñte einen ſtreitbaren Kriegsheld/
den er mit einem Puͤſchel geſunder Raute ehe/
als mit hundert blancken Sebeln in die Flucht
bringen koͤn[n]e. Jch bin/ ſagte Zeno/ eben dieſer
Meinung; aber viel ruͤhrt auch von der eignen
Krafft des Geruchs her. Wie viel Menſchen
werden wegen ihrer Schwaͤche des Hauptes bey
Perſepolis von den vielen Roſen/ in Spanien
von dem haͤuffigen Roſmarin/ in Taprobana
von der Menge des Gewuͤrtzes mit Hauptweh
geplaget? Und in Warheit dieſe Holtz-Aloe ge-
het allen Sabeiſchen wohlruͤchenden Gewaͤch-
ſen fuͤr; Dahero ihr Weſen auch in Oel/ als wor-
iñen der Geruch am beſtaͤndigſten tauret/ einge-
than/ und in die ferneſten Laͤnder verſchickt wird.
Am allerſchaͤtzbarſtẽ aber hielt Zarmar die Kraft
der Aloe die Leichen fuͤr Faͤule und Wuͤrmern/
derer Zahn ſonſt ſo gar der Felſen/ der Corallen
und Jaſpiße nicht verſchonet/ zu bewahren. Bey
welchem Berichte er uns ſeuffzende ermahnte
nicht allein nachzudencken: Ob Gottes Hand
unſere Leiber fuͤr gaͤntzlicher Zernichtigung in
der Aſche/ in Flammen/ Wellen/ und in dem
Magen der gefraͤßigen Thiere zu erhalten
maͤchtig ſeyn koͤnte; ſondern auch zu glauben/
daß der Menſch nichts minder aus ſeinem an-
dern Begraͤbniße in den Staub der Erde/ als
aus dem erſten Sarge/ nehmlich der Muͤtterli-
chen Schooß/ lebendig herfuͤr brechen wuͤrde.
Nebſt dieſem ſahen wir auch eine uͤberaus groſ-
ſe Menge doͤrnrichter Aloen; derer etliche in un-
ſerer Anweſenheit etliche Schuch hohe Staͤngel
ausſtieſſen/ ihrer viel aber auff zwoͤlff Ellen ho-
hen Stengeln mit etlichen tauſend rothgelben
Blumen prangeten. Sehet[ ]hier/ ſagte Zarmar/
ein
[673]Arminius und Thußnelda.
ein rechtes Bild der Eitelkeit/ indem beyde in
ihrem hoͤchſten Glantze verwelcken. Denn die-
ſe Blumen-Mutter wird wahrhaffter/ als die
Natter von ihren Kindern bey der Geburt ge-
toͤdtet. Oder/ weil dieſe ſchoͤne Blumen ſo
bald abfallen/ mag ihre Mutter fuͤr Hertzeleid
nicht laͤnger im Leben bleiben.
Nach dreyer Tage Erfriſchung ſetzten wir
unſere Reiſe fort/ und ſegelten endlich recht in
den Mund des rothen Meeres/ kamen auch
nach etlichen Tagen in den Gebanitiſchen See-
haven Ocila/ in Meinung/ daß der Arabiſche
Koͤnig Sabos/ deſſen Vater/ dem Kaͤyſer Au-
guſtus zu Liebe/ auff ſeines Syriſchen Land-
pflegers Qvintus Didius Anſtifftung die von
der Cleopatra im rothen Meer gebaute Schiffe
hatte verbrennen laſſen/ mit den Roͤmern in
gutem Vernehmen ſtuͤnde. Wir erfuhren a-
ber von einem Perlen-Fiſcher/ der von dem Ey-
lande Delacca zuruͤcke kam/ zu unſerm Gluͤcke
bey Zeiten/ daß Sabos mit den Roͤmern we-
gen der Graͤntzen/ und weil Auguſtus dem Jam-
blichus ſein vaͤterliches Reich wider den Sabos
in Arabien zugeſprochen hatte/ in offentliche
Feindſchafft verfallen/ und Elius Largus zwar
mit einem maͤchtigen Heere tieff in Arabien ein-
gebrochen waͤre. Allein nachdem die Araber
ſie mit Fleiß ſo tieff in ihre ſandichte Wuͤſteney-
en/ biß an die Stadt Athlula gelocket/ und al-
lenthalben die Brunnen verdecket/ waͤre das
groͤſte Theil des Heeres fuͤr Duꝛſt und an Haupt-
weh umkommen; Die uͤbrigen haͤtte Koͤnig Sa-
bos umringt und erſchlagen/ alſo/ daß kaum ein
Bote dieſer Niderlage zuruͤck kom̃en waͤre. Die-
ſem nach wir uns fuͤr Kauffleute von Oaracta/
welches dem mit den Arabern verbundenem
Koͤnige der Parthen gehorſamt/ ausgaben/
und nach nur geſchoͤpfftem friſchen Waſſer un-
ſern Lauff durch die Abalitiſche See-Enge in
den innerſten Buſem des rothen Meeres rich-
teten. Wir ſegelten zwantzig Tage ohne eini-
ge denckwuͤrdige Begebenheit/ auſſer daß ich
bey dem Gold-reichen Eylande Catacaumene
ein unſerm Schiffe ſich naͤherndes See-Weib/
welches beynahe die Groͤſſe eines Kamels/ einen
Ochſen-Kopff/ einen Fiſch-Schwantz/ vollkom-
mene Bruͤſte und Armen/ an ſtatt der Finger a-
ber rechte Endten Fuͤſſe hatte/ mit etlichen Pfei-
len zu groſſem Wehklagen meiner Gefaͤrthen
erlegte; welche vielleicht ſolche Mißgeburt fuͤr
eine Wohnſtatt einer groſſen Seele hielten. Der
Feldherr brach hier ein: bey ſolcher Beſchaffen-
heit hat unſer deutſches Meer ſchoͤnere Trito-
nes und Sirenen/ als das rothe. Denn ich
habe bey meinem Vetter dem Hertzoge in Co-
danonia ein paar der vollkommenſten Meer-
Wunder halb Fiſch und halb Menſch geſehen;
derer Obertheile nichts als die Sprache man-
gelte/ nur daß/ wenn man ſie gar nahe ſahe/ die
Haut mit weiſſen zarten Schupen belegt war.
Jhr Schwantz aber war in 2. Theile getheilet.
Dieſe hat er an dem Cimbriſchen Ufer gefan-
gen/ und verwahret ſie in einem annehmlichen
Weiher. Rhemetalces verwunderte ſich mit
Vermeldung: Er haͤtte zeither die Sirenen fuͤr
bloſſe Gedichte/ oder Geſpenſte gehalten; und
moͤchte er wohl wiſſen: Ob dieſes eine gewiſſe
Art der Fiſche oder nur Mißgeburten der Na-
tur waͤren/ oder aus Vermiſchung zweyerley
Thiere den Urſprung haͤtten. Hertzog Herr-
mann verſetzte: das letztere waͤre ſeines Beduͤn-
ckens unmoͤglich. Denn ob zwar die Vorwelt
uns bereden wolte/ daß die Hippo-Centauren
von den Centauriſchen Voͤlckern/ und den Ma-
gneſiſchen Stutten herkaͤmen; daß Pindarus
ein von einem Hirten und einem Mutter-
Pferde entſproſſenes Kind gehabt; Crathis mit
einer Ziege eine Tochter; ein ander Schaͤffer
darmit den Sylvan; ein Eſel ein ander ſchoͤnes
Maͤgdchen Onoſcelis gebohren haͤtte; ja die
Cimbriſchen Fuͤrſten ſich ruͤhmten/ daß ihres
Geſchlechtes erſte Stam̃-Frau von einem Baͤ-
ren geſchwaͤngert worden waͤre: ein Adelich
Geſchlechte in Spanien einen Waſſermann
zu ſeinem Anherrn machte/ ein gantzes Volck
Erſter Theil. Q q q qin
[674]Fuͤnfftes Buch
in Jndien an dem Fluſſe Kinxa von einer durch
Schiffbruch an den Seeſtrand geworffener
Jungfrau/ die ein Hund beſchlaffen haͤtte/ ent-
ſproſſen ſeyn wolte; ſo ſchiene ihm doch dieſes
alles unglaublich zu ſeyn/ und hielten die be-
wehrteſten Naturkuͤndiger darfuͤr/ daß aus
Menſchen und Vieh durch ordentlichen Lauff
der Natur kein Thier/ am wenigſten aber ein
Menſch gezeuget werden koͤnne. Daher die
Sirenen ungezweiffelt ſo wohl als die Saty-
ren (da es anders derer iemahls wahrhafftig ge-
geben) oder auch als die Affen fuͤr eine beſonde-
re Art der Thiere zu halten waͤren. Denn wie
in dem Meere Fiſche zu finden/ die von ihrer
Aehnligkeit den Nahmen des Monden und der
Sternen bekaͤmen/ die mit ihrem Fluge den
Vogeln ſich gleichten/ andere den Titel der Neſ-
ſel und anderer Kraͤuter fuͤhrten; in dem Meere
Baͤume und Stauden ſo wohl als auff der Er-
de wuͤchſen; viel See-Thiere den Loͤwen/ Kuͤhen/
Pferden/ Kaͤlbern und Woͤlffen/ ja auch die Af-
fen und andere Thiere dem Menſchen ſehr na-
he kaͤmen; alſo waͤre ſo vielmehr wunderns-
werth/ daß dieſe Meerwunder auch uns Men-
ſchen im Ober-Leibe ſo aͤhnlich ſchienen. Man
haͤtte derer in Griechen-Land/ Welſchland/ A-
frica und an vielen andern Orten geſehen. Ja
bey den Batavern waͤre fuͤr d[ri]ttehalb hun-
dert Jahren eine gefuͤßete Sirene/ welche ſo
gar am Rocken ſpinnen lernen/ und ein Meer-
Mann ohne Schwantz in dem Cimbriſchen
Meere fuͤr funffzig Jahren mit einem Seile
gefangen worden. Zeno betheuerte/ daß er in
Jndien derogleichen fuͤr die gewiſſeſte Wahr-
heit gehoͤret haͤtte; und in Griechenland wuͤſte
man auch viel von Sirenen/ welche im Un-
terleibe Voͤgel abbildeten/ zu ſagen. Hiermit
erzehlte er ferner/ daß ſie nach einer dreyßig taͤ-
gichten Schiffarth an der euſſerſten Spitze des
rothen Meeres in den Hafen der Stadt Arſi-
nde eingelauffen waͤren/ welche Stadt zwar
Landwaͤrts in einem unfruchtbaren Sand-
Meere laͤge/ aber wegen ſeines Handels mit
den Schaͤtzen der Morgenlaͤnder gleichſam an-
gefuͤllet waͤre. Dar haͤtte ſie der Kaͤyſerliche
Stadthalter anſehnlich bewillkommt/ und auff
einer Menge Kamelen nach Heliopolis fuͤhren
laſſen/ allwo Cornelius Gallus nebſt die zwoͤlff
erſten beruͤhmten Sonnen-Spitzen/ die Koͤnige
Manufftar/ Sotis/ Pſammetich und Seſo-
ſtris der Sonnen zu Ehren auffgerichtet/ und
mit vielen in ihren mit vielfaͤrbichten Tropffen
gleichſam beſprenckeltem Thebaiſchen Marmel
gegrabenen Sinnbildern ausgezieret hatten/
auch zu groſſem Wunder von dem wuͤtenden
Cambyſes nicht zerſchmettert waren/ eine gleich-
maͤßige ihm hatte auffſetzen/ ja in die glatte
Sonnen-Spitze die Manfenkur des Seſoſtris
Sohn auffgethuͤrmet/ ſein Bildnis hauen/ und
in den Fuß ſchreiben laſſen:
Hertzog Herrmann fing hieruͤber lachende
an: Es waͤre ſich uͤber die Pracht dieſer groſſen
Steine/ welche/ wie er ſelbſt zu Alexandria ge-
ſehen/ meiſt mit viererley Feuer/ Lufft/ Waſſer
und Erde gleichſam abgebildeten Flecken be-
ſtreuet/ und deſthalben der in dieſen vier Uhrwe-
ſen kraͤfftig wuͤrckenden Sonne gewiedmet waͤ-
ren; nichts minder auch uͤber die kuͤnſtliche Fort-
bringung/ da man nehmlich aus dem Nile ab-
ſonderliche Waſſerfarthen biß zu dem Thebai-
ſchen Gebuͤrge gegraben/ und Anfangs mit
Steinen zweyfach beladene Schiffe unter die
mit beyden Ecken am Ufer aufliegende Spi-
tzen gefuͤhret/ hernach durch die Erleichterten
auffgehoben/ und an den beſtimmten Ort ge-
bracht hat; am allermeiſten aber uͤber die ver-
meſſene Uberſchrifft des hochmuͤthigen Gallus
zu
[675]Arminius und Thußnelda.
zu verwundern. Dannenhero dieſe neblichte
Neben-Sonne/ welche ſo gar ihren Fuͤrſten uͤ-
berſcheinen wollen/ wohlverdient ſo geſchwinde
verſchwunden/ und zu Thraͤnen-Waſſer wor-
den waͤre. Aber warum hat Auguſtus nicht
auch das Gedaͤchtnis dieſes hoffaͤrtigen Knech-
tes vertilget? Zeno antwortete: Es haͤtte diß
ihn ebenfals befremdet; der Egyptiſche Land-
vogt Cajus Petronius aber haͤtte ihm gemeldet/
daß der Kaͤyſer ihm/ als er dieſes austilgen wol-
len/ zugeſchrieben haͤtte: Gallus waͤre nicht we-
gen ſeiner aberwitzigen Eitelkeit/ welche das
Gelaͤchter des Volckes/ die Erbarmung und
nicht die Rache des Fuͤrſten verdiente/ ſon-
dern wegen anderer Laſter bey ihm in Ungna-
de verfallen. Des Gallus bloͤdſinnige Uber-
ſchrifft wuͤrde folgenden Landvoͤgten zur War-
nigung dienen/ ſich fuͤr ſeinen Verbrechen zu
huͤten/ und an ſeinem Untergange zu ſpiegeln.
Ein Fuͤrſt waͤre das Haupt/ dieſes aber miß-
goͤnnte den andern Gliedern nichts. Der Fuͤr-
ſten Fuͤrbild ſolten ſeyn die Egyptiſchen Spitz-
Thuͤrme/ denn wie dieſe am Mittage wegen ih-
rer Breite keinen Schatten von ſich wuͤrffen/ al-
ſo ſolten jene aller Beneidung ſich enteuſern.
Daher dieſelben fuͤr ſo thoͤricht als Gallus zu
achten waͤren/ welche ihren Dienern mißgoͤn-
ten/ daß ſie beſſer tantzten/ oder auff der Laute
ſchluͤgen/ als ſie. Ein Fuͤrſt ſolte mit nieman-
den in nichts/ in dem aber mit der gantzen Welt
eifern/ da iemand ſich ihm an Tugend und
Guͤte vorzuͤcken wolte. Hingegen aber ſolten
ſich hochmuͤthige Diener an dem von denen E-
gyptiern verlaſſenen/ und bey hervorbrechen-
der Ungnade des Kaͤyſers verhoͤneten Gallus
ſpiegeln/ der ihm doch jene durch groſſe Wohl-
thaten zu ſeinen Schuldnern gemacht zu ha-
ben vermeinte; und ſich erinnern: daß Fuͤrſten
Sonnen/ Diener nur Sonnen-Uhren waͤren/
welche kein Menſch mehr einigen Anblicks
wuͤrdigte/ wenn die Sonne und die Huld des
Fuͤrſten ſie nicht mehr beſchiene.
Dieſer Petronius/ ſagte Zeno/ ließ uns von
Heliopolis nach Aphroditopolis/ und von dar
auff dem rechten Arme des Nilus hinab/ auff
dem lincken aber wieder hinauff/ und durch die
Arſinoitiſche Gegend/ auff dem gemachten groſ-
ſen Waſſer-Graben in die herrliche Krocodil-
Stadt fuͤhren/ und daſelbſt unter andern Sel-
tzamkeiten den ſehr groſſen Seeweiſen/ welchen
Koͤnig Meris funffzig Ellen tieff in Sand gra-
ben/ mit Marmel am Boden und Rande be-
ſetzen laſſen: daß bey hoch angeſchwollenem Nil
das Waſſer ſechs Monat hinein/ bey abfallen-
dem Strome aber ſechs Monat heraus lauffen/
und das duͤrſtende Egypten befeuchten koͤnne.
Jn der Mitte ſtehen zwey Marmel-Spitzen/
welche funffzig Ellen uͤber das Waſſer noch
in die Lufft ragen/ an der einen war der Fluß
Nil/ an der andern Koͤnig Meris auff einem
Stule ſitzende/ und einen Waſſer-Krug aus-
gieſſende/ gebildet. Auff des Nilus Waſſer-
Kruge ſtehen die geſtirnten Zwillinge und die
fuͤnff folgenden himmliſchen Zeichen; Auff des
Meris aber der Schuͤtz/ und die fuͤnff uͤbrigen.
Denn in jenen Zeichen iſt der Nil auffgeſchwel-
let/ theils von denen haͤuffigen Regen in Moh-
renland/ wo er in dem Lande Sakela auff der
Flaͤche eines mit Waſſer gantz angefuͤllten
Berges ſeine zwey Augen oder Brunnen hat/
und durch vielerley Schlangen-Wege durch
erſchreckliche Stein-Kluͤffte in Egypten abſtuͤr-
tzet; theils weil alſo denn/ wenn die Sonne faſt
am hoͤchſten ſteht/ ein Thau faͤllt/ welcher das
Waſſer und den Schlamm durch Beſeelung
ſeines von der Sonnen-Hitze erwaͤrmeten/ und
zu der Fruchtbarkeit alleine dienenden Saltzes
und Salpeters ſchwaͤngert/ und beydes jaͤhrend
macht. Weßwegen ſich nicht allein das Nil-
Waſſer vier oder fuͤnff Tage fuͤr ſeinem Wachs-
thume wie der junge Wein in Faͤſſern truͤbet/
ſondern auch die aus dem Bodeme geraffte Er-
de bey ſolcher Auffſchwellung ſchwerer wird;
alſo/ daß man nach ſolcher Schwerde die be-
Q q q q 2vor-
[676]Fuͤnfftes Buch
vorſtehende Vergroͤſſerung des Fluſſes urthei-
len kan. Welches Saltz im Fruͤhlinge eben-
fals der jaͤhrenden Erde gleichſam ihre
Schweiß-Loͤcher oͤffnet; nach ſeiner Verfluͤ-
gung aber ſich den Schlamm wieder ſetzen laͤſt/
alſo/ daß in viel tauſend Jahren die Ufer ſich
von ſelbtem nichts erhoͤhet/ und die Alten nur
getraͤumt haben/ wenn ſie geglaͤubet/ daß das
untere Egypten aus dem herunter geſchweif-
feten Lette zuſammen geſpielet/ fuͤr Zeiten a-
ber See geweſt waͤre. Die Tingung dieſes
Nil-Waſſers iſt ſo gut und uͤbermaͤßig/ daß die
Egyptier zu Daͤmpffung des uͤbermaͤßigen
Salpeters/ und daher ruͤhrender Fettigkeit bey
Saͤung der Melonen und Gurcken die Aecker
zuweilen beſaͤnden/ und zu derer Vermagerung
ſo viel Muͤh als andere zur Tingung anwen-
den muͤſſen. An dem Henckel des Alabaſter-
nen Kruges/ den Moeris ausgoß/ war das
Bild Egyptens und folgendes zu leſen:
Auff dem Ruͤckwege ſahen wir an dem aus
dieſem See gehenden Waſſergraben das wun-
derwuͤrdige Jrr-Gebaͤue/ welches Koͤnig Moe-
ris zu ſeinem Begraͤbniſſe angefangen/ andere
zehn Koͤnige vollfuͤhret/ und Pſammetich aus-
gebauet hat; deſſen Wunder alle Kraͤffte menſch-
lichen Verſtandes und Macht erſchoͤpffen/ und
allen Glauben uͤbertreffen; gegen welches das
Nachgemaͤchte des Dedalus auff dem Eylande
Lemnos nicht ſein hunderſtes Theil ausmacht.
Als ſich uns das Thor oͤffnete/ erbebte alles
von einem grauſamen Donnerſchlage. Es iſt ge-
theilt nach den zwoͤlff Egyptiſchen Landſchafften
in zwoͤlff Hoͤfe/ kein Egyptiſcher Gott iſt/ der
darinnen nicht ſeinen Tempel habe/ welche von
eitel Marmelnen Seulen unterſtuͤtzt ſind/ und
in ihnen eine groſſe Menge wohl vierzig Ellen
hoher Spitz-Thuͤrme haben. Auſſer dieſem iſt
eine groſſe Menge Luſtgaͤnge/ und Gemaͤcher/
wohl neunzig Staffeln hoch zu ſehen/ welche von
Seulen aus Porphir getragen werden; zwiſchen
denen der Koͤnige uñ Goͤtter Bilder in viehiſcher
Geſtalt/ aber aus koͤſtlichem Ertzte und ſeltza-
men Steinen auffgerichtet ſind. Dieſer Ge-
maͤcher werden vierdtehalb tauſend gezehlet/ de-
rer iegliche Seite ſo wol als die Bedachung von
einem gantzen Marmelſteine beſtehet. Die un-
terſten ſind Behaͤltniſſe der Koͤniglichen Leichen/
und der heiligen Krokodile/ die nicht wie die ober-
ſten Fremdankommenden gezeuget werden/ aus
derer irrſamen Umſchweiffen ſich Dedalus ſelbſt
nicht auszuwickeln gewuͤſt hat. Diß/ was ich
fuͤr das koͤſtlichſte hierinnen gehalten/ iſt die neun
Ellenbogen hohe Seule des Serapis aus einem
einigen Smaragde/ welcher die gleichmaͤßige
Keule in dem Tempel des Hereules zu Tyrus
weit uͤbertrifft/ und das Bild der Jſis aus de-
rogleichem Steine vier Ellen hoch/ welchen
Stein ein Koͤnig von Babylon dahin verehret
hat. Jedes Bild hatte zwar ſeine Beyſchrifft/
aber aus mir unleßlichen Ziffern/ darein al-
lerhand Thiere eingemiſcht waren. Uber dem
aus Ertzt gegoſſenem Thore ſtand ein Paradiß-
Vogel von allerhand Edelgeſteinen recht leb-
hafft zuſam̃en geſetzt/ welcher ihrem/ wiewol von
mir in Jndien irrig befundenen Glauben nach/
keine Fuͤſſe haben/ alſo niemahls ruhen/ nichts
eſſen/ keinmahl ſchlaffen/ und iederzeit in der Hoͤ-
he herum ſchweben ſoll. Dieſen brauchen die
Egyptier deßhalben zu einem Sinnbilde eines
Fuͤrſten/ weil er niemahls ruhen/ ſeiner Unter-
thanen Guͤter nicht verzehren/ aber wohl ſtets
fuͤr ſie ſorgfaͤltig wachen ſoll. Hier aber war
in gemeiner Egyptiſcher Sprache darunter zu
leſen:
Die Egyptier ſelbſt halten dieſes Gebaͤue ietzt
noch fuͤr das koͤſtlichſte/ nach dem Cambyſes das
Begraͤbnuͤß des Koͤnigs Oſymandyas groͤſten-
theils eingeaͤſchert/ ſein aus einem Steine gehau-
enes hundert und acht und ſechzig Schuch hohes
Bild zerſchmettert/ und den unſchaͤtzbaren guͤl-
denen Circkel umb das Grab/ welcher nach der
Zahl der Tage drey hundert fuͤnf und ſechzig
Ellen im Umbkreiſſe hatte/ und aller Ge-
ſtirne Lauff andeutete/ mit ſich weggefuͤhret
hat.
Von dar leitete uns der Nil-Strom ab nach
Memphis und beſahen wir in der Naͤhe die al-
ten Grabe-Spitzen/ welche wegen ihrer Koſt-
barkeit/ und beſtaͤndigen Alterthums/ danemlich
in etlichẽ 1000. Jahrẽ ſie an der Nord-Seite der
Regen/ und die Luft an denen hervorgehenden
Ecken der zuſammen gefuͤgten Marmel-Felſen
nur ein wenig belecken koͤnnen/ mit gutem Rech-
te unter die Wunder der Welt gezehlet werden.
Wir ſtiegen auswerts auf denen zwey hundert
und acht vier Fuͤſſe hohen Staffeln/ biß auf die
zugeſpitzte Flaͤche des groͤſten unter dieſen kuͤnſt-
lichen Marmel-Bergen; von dar niemand als
ich mit ſeinen Pfeilen uͤber den erſten Fuß rei-
chen konte. Unſer Vorwitz trieb uns auch dieſe
Grab-Saͤule inwendig zu beſchauen/ da wir
denn durch unterſchiedene niedrig-gewoͤlbte
Stiegen endlich zu einem leren Grabe kamen/
in welchem des uns anweiſenden Prieſters Be-
richte nach/ fuͤr tauſend Jahren ein Wuͤterich
ein koͤſtlich Smaragden-Geſchirre/ nebſt einer
ziemlichen Menge guͤldener Muͤntzen gefunden
haben ſoll; derer Menge gleich die Unkoſten be-
tragẽ/ die er auf die Durchbrechung der zwantzig
Ellen dicken Mauer/ oder des/ nach etlicher
Meynung/ daſelbſt gewachſenen und nur aͤuſer-
lich zugeſpitzten Felſens verwendet hatte. Dieſe
Grab-Stelle aber waͤre zwar dem Koͤnige
Chemmis/ der dieſen Bau in zwantzig Jahren
mit dreyhundert und ſechzig tauſend Menſchen
vollfuͤhret/ zugeeignet; er ſey aber darein nicht
geleget worden; weil er durch Abmer gelung ſei-
ner Unterthanen unverſoͤhnlichen Haß auf ſich
geladen/ und alſo fuͤr ihrer Rache unter ſo vielen
Felſen nicht ſicher zu bleiben beſorget. Der
Prieſter hatte dieſen Bericht uns kaum erſtat-
tet/ als ein Jndianiſcher Edelmann ſich nach al-
ler Laͤnge in das Grab ſtreckete/ und anfing: So
wil denn ich dieſes Grab ſeines Zweckes/ mich
aber durch ein ſo herrliches Grab eines unſterbli-
chen Gedaͤchtnuͤſſes faͤhig machen. Und hier-
mit ſtieß er einen Dolch ihm ſo tief ins Hertze:
Q q q q 3daß
[678]Fuͤnfftes Buch
daß er mit ſeinem hoch empor ſpritzenden Blute
Augenblicks ſeine Seele ausbließ. Wie ſehr
wir nun erſchracken/ ſo ſehr eiferte ſich der Prie-
ſter hieruͤber; alſo/ daß er fuͤr Ungedult heraus
brach: Leichen eigneten wohl den Graͤbern;
Graͤber aber nicht unwuͤrdigen Todten Ruhm
und Wuͤrde zu. Welchen ich aber zu beſaͤnfti-
gen bemuͤhte/ und endlich laͤchelnde beyſetzte:
Die von dem koͤſtlichen Agſteine umbronnenen
Nattern und Fluͤgen wuͤrden gleichwohl von
Koͤnigen werth geſchaͤtzt nur ihres praͤchtigen
Grabes willen/ welches an Herrligkeit alle
Egyptiſche Grabes-Spitzen weit uͤbertreffe.
Jnzwiſchen wolte doch niemand dieſe Leiche an-
ruͤhren; welche hernach auf des Geſandten Un-
koſten/ nach Egyptiſcher Art/ weil keine Seelen
die verfauleten Leiber mehr ſollen beywohnen
koͤnnen/ eingebalſamt ward/ indem der Land-
Vogt es allererſt an den Kaͤyſer gelangen ließ:
Ob dieſe Leiche alldar zu laſſen/ oder wegzuneh-
men waͤre.
Hierauf beſahen wir die andere vom Koͤnige
Cephren gebaute/ auch zwar eben ſo hohe aber
nicht ſo dicke/ auch gantz glatte/ und endlich die
dritte vom Koͤnige Mycerin aufgefuͤhrte Gra-
be-Spitze. Dieſe giebet zwar an Groͤſſe den er-
ſtern ein merckliches nach; aber die Bau-Kunſt
und die weiſſen Marmel-Steine daran ſind
viel koͤſtlicher. Denn an der Nord-Seite ſte-
het Koͤnig Mycerins Nahme/ und daß die Bau-
Leute darbey nur an Knobloch und Oel ſechs
hundert Talent Silber verzehret haͤtten/ einge-
graben. Die andern kleinern Grabe-Spitzen
zu beſchauen verhinderte uns die anbrechende
Nacht/ alſo betrachteten wir zum Beſchluſſe nur
den ungeheuren aus einem Marmel-Felſen ge-
hauenẽ Sphinx/ deſſen Kopf allein hundert drey
und vierzig Fuͤſſe lang/ und vom Bauche biß zur
Scheitel zwey und ſechzig hoch iſt. Der Leib
bildete einen Loͤwen/ das Haupt eine Jungfrau
ab; weil in dieſen zweyen him̃liſchen Zeichen
der Nil am hoͤchſten anſchwillt/ umb hierdurch
Egyptens Fruchtbarkeit fuͤrzuſtellen. Wie
wir uns nun in denen aus eitel gantzen Mar-
mel-Steinen gehauenen Wohnungen der Prie-
ſter/ daſelbſt zu uͤbernachten/ verfuͤgten/ fanden
wir eine Anzahl eingebalſamter/ und auf des
Largus Befehl dem Jndiſchen Geſandten zu
Liebe aus gegrabener Leichen oder Mumien/ wel-
che alle unter der Zunge eine guͤldene Muͤntze/
etliche auch am Halſe zum Kenn-Zeichen ihrer
gehabten Wuͤrde guͤldene Voͤgel/ oder andere
Thiere hengen hatten. Wiewohl nun meine
Geferthen nach ihrer Beſchauung und einge-
nommenem Nachtmahle ſich zur Ruhe verfuͤg-
ten/ trieb mich doch die Begierde denen Egypti-
ſchen Eitelkeiten meine Verachtung einzupre-
gen/ und daher erkauffte ich etliche der Mumien-
Graͤber/ daß ſie ſelbige Nacht bey brennenden
Fackeln mit ihren Pfrimern nach Anleitung
meiner Kohlen-Schrifft in einen glatten Stein
der groͤſten Grabe-Spitze folgende Reymen
eingruben:
Hertzog Herrmann brach allhier ein: Es waͤ-
ren dieſe Egyptiſche Grabe-Spitzen wohl Wer-
cke von groſſer Kunſt und Koſtbarkeit/ aber von
keinem Nutzen. Sie waͤren Beweißthuͤmer
reicher und ehrſuͤchtiger/ aber nicht gutthaͤtiger
Fuͤrſten. Sie haͤtten der Zeit einen Rang abge-
rennt/ und der Eitelkeit eine Scham-Roͤthe ab-
gejaget; aber ihren Uhrhebern ein Brandmahl
eingebrennt; welches ihre unbarmhertzige Un-
ter-
[679]Arminius und Thußnelda.
terdruͤckung des unter Schweiß und Laſt Athem-
loſen Volckes denen unnuͤtzen Marmel-Ber-
gen an die Stirne ſchreibet: daß ſie alle An-
ſchauer daran ſonder Erkieſung einigen Buch-
ſtabens leſen koͤnten. Dieſemnach er des Koͤ-
nigs Meris fruchtbaren See-Bau aller an-
derer Egyptiſchen Koͤnige Wercken/ inſonder-
heit aber dieſen ſpitzigen Bergen weit fuͤrzuͤge;
welche niemanden als den Leichen/ oder dem
Aberglauben zu ſtatten kommen koͤnten; wenn
er ſelbte entweder fuͤr Staffeln den Menſchen in
Himmel/ oder den ohnmaͤchtigen Goͤttern vom
Himmel auf die Erde halten wolte. Es ſtuͤnde
zwar Fuͤrſten nicht die Art des Scipio Emilius
an/ welcher ſein Lebtage nichts gebauet/ ſondern
vielmehr diß/ daß ſie die Bau-Kunſt unterhiel-
ten/ und durch anſehliche Gebaͤue der Nachwelt
ihr Gedaͤchtnuͤß lieſſen; wenn aber daran nicht
der gemeine Nutz zum Grund-Steine gelegt;
ſondern nur umb auf die Spitze das Fahn eite-
len Ruhmes zu ſtecken/ Sand und Kalck mit
Schweiſſe der verſchmachtenden Unterthanen
eingemacht; und die Werck-Stuͤcke mit abge-
preßtem Vermoͤgen oder anderem Blute der
Buͤrger zuſammen gekittet wuͤrden/ verwan-
delte ſich das geſuchte Lob in Fluch/ und das Ge-
daͤchtnuͤß in Abſcheu; oder das gelindeſte Urthel
der Nachwelt bezeichnete ſolche muͤhſame Rie-
ſen-Wercke mit dem Titul einer koſtbaren Thor-
heit. Noch einen aͤrgern Nahmen aber ver-
diente die nur zur Verſchwendung angezielte
Bau-Sucht derer/ die umb ihr Vermoͤgen nur
wegzuwerffẽ/ oder die Nachbarn zum Raube an-
zureitzen nach dem Beyſpiele der Meden das Ec-
bataniſche Schloß mit gantz guͤldenen Zuͤgeln
deckten/ oder mit dem Memnon in der Feſtung
zu Suſa das Gold an ſtatt des Eiſens zu Klam-
mern in die Steine brauchten. Jene haͤtten
zwar dieſen ſcheinbaren Vorwand: daß ſie durch
taͤgliche Bemuͤhung ihre arbeitſame Untertha-
nen von den Wolluͤſten abzuͤgen/ oder die uͤber-
wundenen ſtreitbaren Feinde durch Anleitung
zu Erbauung koſtbarer Schau-Plaͤtze/ Luſthaͤu-
ſer/ Gaͤrte/ und warmer Baͤder weibiſch mach-
ten; alleine es mangelte niemals einem klugen
Fuͤrſten an Gelegenheit was nutzbares zu bau-
en; welches ſo denn ein herrlicher Anſehen haͤtte/
als die Gefaͤngnuͤſſe der wolluͤſtigen Sardana-
pale mit den ſilbernen Gegittern und Berg-Cry-
ſtallenen Fenſtern. Daher gereichete es dem
groſſen Alexander zu keinem kleinem Ruhme:
daß er den Baumeiſter verlacht und abgewieſen;
welcher ſich erbot/ aus dem Berge Athos ſein
Bild zu fertigen. Und jener Arabiſche Koͤnig/
welcher auf zwoͤlf Tagereiſen weit in dreyen ab-
ſondern aus Leder gemachten Geleiten das Waſ-
ſer aus dem Fluſſe Coris fuͤhrte/ und ſein duͤrſten-
des Reich darmit traͤnckte/ iſt nicht unbillich dem
ſorgfaͤltigen Meris an die Seite zu ſetzen. Un-
ter den Roͤmiſchen Bau-Leuten aber ſchiene
Agrippa mit ſeinen nuͤtzlichen Waſſerleitungen/
und dem herrlichen Tempel am vernuͤnftigſten
Nutz und Anſehn mit einander vermaͤhlt zu ha-
ben. Denn er waͤre keines weges der Mey-
nung: daß der Menſch in Wohnungen nicht
von den Thieren/ und ſeine Haͤuſer nicht von
einſamen Hoͤlen oder duͤſternen Graͤbern unter-
ſchieden ſeyn ſolten. Es waͤre ſo wenig dem
Geſetze der Natur zuwider: daß man nicht mehr
unter einem uͤberhaͤngenden Felſen ſich fuͤr
Schnee und Regen deckte/ nicht mehr in hohlen
Baͤumen ſchlieffe/ nicht in geringen Laubhuͤtten
wohnte; als daß man etwas anders/ als Eicheln
und Waſſer zu ſeinem Unterhalte gebrauchte.
Die Noth haͤtte die Vernunft geſchaͤrffet/ daß
ſie die Axt und den Hammer erfunden/
und Haͤuſer zu bauen gelehrt. Ja die Natur
haͤtte die Voͤgel und Bienen dem Menſchen
gleichſam hierinnen zu Lehrmeiſtern fuͤrgeſtellet/
in dem jene ihre Neſter nach der allerbequemften
Gemaͤchligkeit; dieſe nach der allerfuͤrtreff lichſtẽ
Bau-Kunſt ihre waͤchſerne Zimmer zubereite-
ten. Zu was Ende haͤtte dieſe weiſe und nichts
umbſonſt ſchaffende Mutter ſo viel Ertzt/ Mar-
mel/ und Alabaſter in den Gebuͤrgen; ſo ſchoͤnes
und vielfaͤrbichtes Holtz in den Waͤldern wach-
ſen
[680]Fuͤnfftes Buch
ſen laſſen? warumb haͤtte ſie ſo viel Steine
gleichſam mit einem kuͤnſtlichen Pinſel gemah-
let? was waͤre nicht fuͤr Ordnung in den Schne-
cken-Haͤuſern/ fuͤr Glantz in den Perlen-Mu-
ſcheln; fuͤr Abtheilung in den Spinnweben/ fuͤr
Herrligkeit in den Zelten der Seiden-Wuͤrmer
zu ſehen? Wie viel mehr ſolten nun auch Fuͤrſten
ihrem Anſehn anſtaͤndige Haͤuſer haben. Gott
haͤtte ſein Zelt in dem allerſchoͤnſten Geſtirne/
nemlich in der Sonne aufgeſchlagen; warumb
ſolten denn ſeine Stadthalter auf der Welt ſich
in Schacht/ oder duͤſterne Winckel verſtecken?
Zumal da die Vollkommenheit eines Fuͤrſtlichen
Schloſſes nicht ſo wohl an Koſtbarkeit des Zeu-
ges/ als an bequemer Eintheilung des Raumes
laͤge; die Ordnung aber mehr zu Erſpar-als zu
Vergroͤſſerung der Unkoſten diente; und wenn
die Nothdurft aus rechten Orten/ nicht zur Un-
zeit herbey geſchafft/ ſelbte auch bald anfangs an
geſunde und feſte Stellen geſetzt/ nicht fluͤchtig
uͤberhin gemacht; ſondern auf beſtaͤndigen Fuß
gegruͤndet wuͤrden/ die Tauerhaftigkeit alle
Ausgaben reichlich erſtattete.
Wie wir auf den folgenden Morgen nach
Babylon am rechten Arme des Nils ankamen/
berichtete uns Petronius: daß der Kaͤyſer nach
Beſichtigung Aſiens auf dem Eylande Samos
waͤre/ daſelbſt aber nicht lange verbleiben wuͤrde.
Daher ging der Jndianiſche Geſandte alſofort
zu Schiffe/ fuhr mit uns bey den Staͤdten Buſi-
ris/ Bubaſtus und Phacuſa vorbey/ und auf
dem Peluſiſchen Strome hinab in das mittellaͤn-
diſche Meer mit einem erwuͤntſchten Sudwind.
Wir kamen auf dem Eylande Samos und zwar
in der Stadt Marmacus gluͤcklich an/fanden
auch zwar den Kaͤyſer/ der aber noch ſelbigen Tag
nach Athen ſegelte/ und uns ihm zu folgen erin-
nern ließ. Weil nun Zarmar vernahm: daß
dieſe Stadt des Pythagoras und ſeines Knech-
tes Zamolxis/ wie auch der Samiſchen Sybille
Vaterland waͤre/ lag er dem Geſandten an/ ein
paar Tage daſelbſt zu verharren. Wir lieſſen
uns durch einen luſtigen Wald von eitel Oelbaͤu-
men zu dem beruͤhmten Tempel der Ceres leiten/
worinnen der Kaͤyſer fuͤr etlichen Tagen ſelbſt ge-
opfert hatte. Jch erinnerte mich auf der
Schwelle der Lehre des Pythagoras: daß in Hei-
ligthuͤmern auch die Seelen der haͤrteſten Men-
ſchen geruͤhret wuͤrden; daher ich entweder durch
diß Andencken/ oder durch die Eigenſchafft die-
ſes Heiligthums eine beſondere Andacht in mir
empfand. Der Tempel war recht viereckicht
aus weiſſem Marmel gebaut. Jn der Mitte
ſtand auf einem Altare ein Vier-Eck aus dich-
tem Golde/ wormit Pythagoras eine einige
Gottheit bezeichnet; und die vierdte Zahl zur
hoͤchſten Betheuerung der Wahrheit gebraucht
hat. Der einigen Pforte gegen uͤber ſtand auf
einem marmelnen Altare ein ertztenes Bild/
welches auf einer Seite die Ceres/ auf der andern
den Pythagoras ausdruͤckte. Dieſes zweyfache
Bild hielt in ſeinen Haͤnden einen umb ſelbtes
herumb gehenden guͤldenen Circkel/ in welchen
eingeetzet war; auf der Seite der Ceres: Gott
ſpeiſet durch Gewaͤchſe den Leib. Auf
des Pythagoras Seite: Durch Weißheit
die Seele. An dem Fuſſe war auf des Py-
thagoras Seite zu leſen: Pythagoras der erſte
wahrhafte Weiſe; weil ſeine Demut der Fuß alleꝛ
Tugenden ſich dieſes Tituls entaͤuſert/ und ſich
mit dem eines Weißheit-Liebhabers vergnuͤget/
hat durch ſeine Geburt nichts minder diß Thal/
als Jupiter durch ſeine dẽ Berg Jda beruͤhmt ge-
macht. Was die Juden von Gott/ die Phoͤnicier
von Zahlen/ Egypten von der Natur/ Babylon
vom Himmel/ Creta und Sparta von vernuͤnfti-
gen Geſetzen/ Pherecydes von der Weißheit ge-
wuͤßt; was alle an guten Sitten gehabt/ war in
ihm in einem kurtzen Begriffe beyſammen. Er
war beſchnidten in ſeiner Vorhaut/ aber mehr in
Begierden; mehr ein Erfinderer der Meßkunſt/
als ihr Verbeſſerer. Gleichwohl aber eignete er
alles nicht ihm/ ſondern der Eingebung des erſten
Urſprungs zu; und opferte fuͤr ein ausgedachtes
Maͤßwerck den Muſen hundert; und ein ander
mal
[681]Arminius und Thußnelda.
mal einen von Mehl gebackenen Ochſen. Das
kleine Griechenland hat ihm ſein Gewichte/ das
groſſe ſeine Maͤßigkeit/ die Welt ihre Wiſſen-
ſchafft von dem Lauffe des Morgen- und Abend-
Sternes/ von der Unbewegligkeit und Runde
der Erdkugel zu dancken. Er gab die erſte
Nachricht von den Menſchen/ die uns die Fuͤſ-
ſe kehren/ und kehrte ſeine Gegen-Laſter und
Jrrthuͤmer. Er jagte die Wolluſt aus Cro-
ton/ und verlieh der Weißheit daſelbſt das Buͤr-
gerrecht. Die Maͤnner lerneten ſich von ihm
weibiſcher Luͤſternheit ſchaͤmen; die Weiber a-
ber nahmen maͤnnliche Tugenden an/ daß ſie
dieſen mehr ihre Hertzen/ als ihre Kleinodter der
Juno wiedmeten. Gleichwol aber hatte ſeine
Weißheit nichts raues an ſich; Denn das Mit-
tel/ wordurch er einen Zornigen beſaͤnfftete/ ei-
nen Neidiſchen beguͤtigte/ einen Verzweiffelten
troͤſtete/ einen Verliebten befreyte/ und die heff-
tigſten Gemuͤths-Regungen nieder ſchlug/ war
eben diß/ wormit er ſeine Lehrlinge einſchlaͤffte/
ihnen annehmliche Traͤume verurſachte/ nehm-
lich die ſuͤſſeſte Singe-Kunſt/ die er aus dem
Behaͤltnuͤſſe der eintraͤchtig mit einander ein-
ſtimmenden Geſtirne auf die Erden herab ge-
holet hat. Denn ſeine Sinnen drangen biß in
Him̃el/ ſeine Augen biß in die Tieffe des Meeres/
und durch die Eingeweide der Erde. Daher ließ
er einen im Monden leſen/ was er in einen ho-
len Spiegel ſchrieb/ ſagte die Erdbeben/ das
Ungewitter und die gifftigen Seuchen vorher.
Die Natur unterwarf ſich ſelbſt ſeiner Botmaͤſ-
ſigkeit/ in dem er den Flug der Adler in der Luft/
und den Grimm der wuͤtenden Tiger und Pan-
ther in Wuͤſteneyen zu hemmen wuſte. Erhat-
te ein Bein aus Golde/ das andere aus Helffen-
bein; denn ein ſo herrliches Ebenbild Gottes
konte nicht auff geringer Saͤulen ſtehen/ und der
Geiſt des dieſen Tempel benetzenden Fluſſes
Neſſus gruͤſte ihn ehrerbietig/ als er durch ihn
watete/ und eignete ihm viel zeitlicher/ als die
Nachwelt/ und die Uhrheber dieſes Heilig-
thums den Nahmen eines Gottes zu. Er ſelbſt
beſtaͤtigte ſeine Goͤttligkeit nicht nur durch tau-
ſend Heilige/ ſondern auch durch Wunderwer-
cke. Denn er erſchien in einer Stunde zu
Metapont in Jtalien/ und zu Tauromin in
Sicilien; Er lebte zu Metapont in dem Heilig-
thume der Muſen viertzig Tage ohne Speiſe
und Tranck/ und ſein gantzes Leben hatte an
ihm wenig menſchliches. Die Maͤßigung ſei-
nes Gemuͤthes ließ ihn niemals weinen/ auch
niemals lachen. Sintemal beydes eine Uber-
gieſſung derer uns von der Tugend ausgeſteck-
ten Ufer iſt. Er hat ſein Tage kein unnuͤ[tz]es
Wort aus ſeinem Munde gelaſſen/ und ſ[e]in
Stillſchweigen hat der Beredſamkeit aller an-
dern Weiſen den Vortheil abgerennt. Denn
alle ſeine Reden waren goͤttliche Lehren/ ied[w]e-
des Wort war ein Talent ſchwer/ und die
Sparſamkeit ſeiner Zunge ward ausgegleicht
durch Verſchwendung unzehlbarer guten
Wercke. Sintemal ſeine Weißheit nicht ein
unfruchtbares Nachdencken/ ſondern das ge-
meine Heil zum Abſehn; nicht die Einſamkeit
einer verbor genen Stein-Klufft/ ſondern das
Rathhauß und den Richterſtuhl zum Sitze hat-
te. Denn die Gerechtigkeit iſt das Saltz des
Lebens/ und einem Volcke klug und treulich
vorſtehen eine unverfaͤlſchte Weltweißheit/ ja
ein heiliger Gottesdienſt. Niemand war an-
daͤchtiger gegen Gott/ als er; aber er verbot von
ihm etwas abſonderes zu bitten. Denn diß
waͤre ſo viel/ als Gott die Unwiſſenheit unſer
Duͤrfftigkeit/ oder den Willen ſeiner Erbarm-
nuͤß abſprechen. Er war ein Todfeind der Luͤ-
gen/ und ſein hoͤchſter Schatz die Warheit/
durch welche der Menſch ſich Gott am aͤhnlich-
ſten machen koͤnte/ als deſſen Leib Licht/ deſſen
Seele die Warheit waͤre. Die Welt hat nie-
mals einen groͤſſern Verluſt gelitten als in ihm;
und dennoch hat er ihr ſo viel Weißheit hinter-
laſſen/ daß die Nachwelt keinen fuͤr reich an
Weißheit haͤlt/ der ſich nicht mit ſeinem Stuͤck-
wercke betheilet hat.
Wir laſen dieſe Taffel/ ſagte Zeno/ nicht al-
Erſter Theil. R r r rlein
[682]Fuͤnfftes Buch
lein etliche mal/ ſondern ich zeichnete ſie auch eil-
fertig in meine Schreibe-Taffel ab/ ohne daß
der uns anweiſende Prieſter einiges Wort hier-
zu redete; alſo durch ſein Stillſchweigen zu ver-
ſtehen gab/ daß er ein Nachfolger des Pythago-
ras waͤre. Gleichwol aber fragte ich ihn hier-
um/ und ob in Samos/ oder ſonſt irgends wo
noch Schulen dieſes groſſen Weiſen gefunden
wuͤrden? Der Prieſter beantwortete mich mit
dieſen Worten: Er und alle Prieſter in Sa-
mos pflichteten den Lehren des Pythagoras bey.
Denn ob zwar durch die Verraͤtherey des boß-
hafften Cylon/ welchen ſelbiger Weiſe ſeiner
vertraͤulichen Gemeinſchafft nicht wuͤrdigen
wollen/ drey hundert der fuͤrnehmſten Pytha-
goriſchen Weltweiſen in der Stadt Croton ver-
raͤthriſch verbrennet/ Pythagoras auch ſelbſt er-
mordet/ und ſeine Nachfolger durch gantz Jta-
lien von ſelbigem laſterhafften Schwarme eu-
ſerſt verfolget worden; ſo waͤre doch/ als ſolcher
Sturm uͤberhin geweſt/ ſeine Weißheit von
Euritus und Philolaus wieder in Schwung
gebracht/ ſein Hauß zu Croton ihm zu einem
Tempel eingeweihet/ und ſeine Lehren biß ins
zehnde Glied fortgepflantzet worden. Auf dem
Eylande Samos aber tauerten ſie noch/ unge-
achtet ihre Schwerde viel von der Nachfolge
abgeſchreckt haͤtte; indem Pythagoras alle Ge-
heimnuͤſſe durch Zahlen und in Doriſcher
Sprache gelehret; Plato und Ariſtoteles auch/
welche ſich mit ſeinen Federn geſchmuͤckt/ durch
Antichtung allerhand thoͤrichter Meinungen
ihn iederman verhaſt gemacht/ und hierdurch
den Brunn verſtopfft/ aus welchem ſie das edle
Waſſer ihrer Weißheit geſchoͤpfft haͤtten. Uber
diß haͤtte des Pythagoras Weißheit unter dem
Nigidius Figulus wieder herfuͤr zu kaͤumen
angefangen/ und mit dem Kaͤyſer waͤre allererſt
Publius Sextius/ Sotion und andere abgeſe-
gelt/ welche bey ihnen die Weißheit gelernet/
und in des Pythagoras Heiligthume die Wey-
he angenommen haͤtten. Jch forſchte ferner:
Ob ſie ihre Weißheit noch oͤffentlich/ und auch
Fremde lehrten? Welches der Prieſter verjah-
te/ und meldete/ daß ſie ohne die noch in den
fuͤnf Jahren des Stillſchweigens begriffene
Lehrlinge drey hundert Zuhoͤrer aus Griechen-
land/ Syrien/ Egypten/ Deutſchland und
Scythen haͤtten. Jch erkundigte mich ferner:
Ob ſie noch die ſtrenge Lebens-Art behielten/
daß ſie nichts/ was gelebt haͤtte/ ſpeiſeten? Der
Prieſter verſetzte: Pythagoras haͤtte auſer dem
Rind- und Schaff-Fleiſche/ den Fiſchen und
Bohnen alles andere ohne Unterſcheid geſſen;
dieſem folgten ſie nach/ und wuͤſten ſie auſer dem
von keiner Strengigkeit; es waͤre denn/ daß
man die Mutter der Freyheit und Vergnuͤ-
gung nehmlich die Tugend zu einem ſtrengen
Halsherrn machen wolte. Endlich fragte ich:
wer denn eigentlich des Pythagoras Vater ge-
weſt/ nach dem ſo viel unterſchiedene Meinun-
gen hiervon waͤren? Der Prieſter antwortete:
Demarat/ ein reicher Phoeniciſcher Kauff-
mann/ Veſiar ein Jude/ Mneſarchus ein Sie-
gelſtecher/ Tirrhenus und Marmacus haͤtten
ſich wol alle/ weil ein ieder eines groſſen Fluſſes
Uhrſprung ſeyn wolte/ fuͤr ſeinen Vater geruͤh-
met; ja man wuͤſte ſo gar ſeines Vatern Vater
Hippaſus/ und den Großvater Eutyphron/
wie nichts minder ſeinen Bruder Eurynomus
und feines Vatern Bruder Zoilus zu nennen/
welcher ihn auch dem Syriſchen Weltweiſen
Pherecydes zum Unterricht untergeben/ und
ihm drey ſilberne Schalen die Egyptiſchen
Prieſter damit zu gewinnen geſchenckt haͤtte.
Er waͤre aber ſicher des Mercur eigner Sohn
geweſt/ welcher ihn mit einem ſolchen Ge-
daͤchtnuͤſſe verſehen/ daß er ſein Lebtage nichts
vergeſſen/ was er gehoͤret oder geleſen. Nach
dem Pherecydes haͤtte er auf dieſem Eylande
den Hermodamas zum Lehrer gehabt. Hier-
auf haͤtte ihn der Samiſche Fuͤrſt Polycrates
mit einer fuͤrtreflichen Vorſchrifft zum Koͤnige
Amaſis in Egypten geſchickt/ dieſer aber ihn da-
ſelbſt
[683]Arminius und Thußnelda.
ſelbſt durch die Prieſter und zu Babylon durch
die Weiſen in den geheimſten Dingen unter-
richten laſſen/ hernach haͤtte er mit dem Epime-
nides viel Jahr auf der Jnſel Creta in der Jdei-
ſchen Hoͤle geſtecket und der Weltweißheit nach-
gedacht; endlich durch Griechenland ſeinen
Weg in Jtalien genommen/ und daſelbſt ſich zu
einem ſo groſſen Lichte der Welt gemacht. Jch
danckte dem Prieſter fuͤr ſo guten Unterricht/
ſtreute nach dieſes Ortes Gewohnheit dem Py-
thagoras zu Ehren eine Handvoll rothes Saltz
in das Feuer/ und hiermit nahmen wir von dem
Prieſter Abſchied/ ohne daß Zarmar ein einiges
Wort in unſer Geſpraͤche miſchte/ und alſo den
groͤſten Liebhaber des Stillſchweigens mit ei-
nem ſolchen Stillſchweigen verehrten/ daß es
ihm auch kein ſtummer Fiſch haͤtte koͤnnen zu-
vor thun.
Folgenden Tag giengen wir mit einem be-
qvemen Oſtwinde wieder zu Segel/ lieffen zwi-
ſthen denen faſt unzehlbaren Eylanden des
Griechiſchen Meeres gluͤcklich fort/ und kamen
den ſiebenden Tag des Abends an dem von vie-
len Marmel-Saͤulen beruͤhmten Vorgebuͤrge
des Attiſchen Landes Sunion an. Weil wir den
auf der Jnſel Paris die wunderwuͤrdigen Mar-
mel-Bruͤche beſchauenden Kaͤyſer uͤberfahren
hatten/ ſtiegen wir ans Land/ und beſchauten den
auf einem hohen Felſen liegenden Wunder-
Tempel der Pallas. Unter allen aber war diß
das merckwuͤrdigſte/ daß wir auf den Zinnen die-
ſes Tempels nicht nur das Schloß zu Athen/
ſondern auch das auf einem Thurn des vom Ly-
cophron gebauten Zeughauſes geſetzte Bild der
Minerva ſahen/ ja deſſen glaͤntzenden Helm
und Spiß deutlich erkieſen; alſo deſſen Groͤſſe
kaum begreiffen konten/ da dieſe Entfernung
ſieben und dreißig tauſend Schritte betraͤgt.
Die Begierde dieſer erblickten Stadt/ welche an
Alterthum Rom 800. Jahr uͤbertrifft/ und mit
Rechte die Mutter der Kuͤnſte/ ein Sitz der
Weißheit/ ein Schauplatz der Tapfferkeit/ und
der Augapffel Griechenlands genennt wird/
verſtattete uns nicht hier lange zuraſten. Alſo
giengen wir gegen Abende zu Schiffe/ und ka-
men folgenden Morgen fuͤr dem Munychiſchen
Seehafen/ bey welchem der Fluß Jliſſus ins
Meer faͤllt/ und ein koͤſtlicher Tempel der Dia-
na ſtehet/ an. Weil aber dieſer Hafen von den
Kaͤyſerlichen Schiffen gedruc[k]t voll war/ und
wir wegen des Gedraͤnges ſelbigen Tag durch
den engen Mund des Pyreiſchen Hafens ein-
zukommen nicht getrauten/ ſegelten wir auf das
Eyland Salimis/ als das alte Koͤnigreich des
Ajax/ und des Euripides Vaterland; Darinnen
wir etliche alte Gedaͤchtnuͤſſe/ und die 100. Hoͤ-
len beſahen/ darinnen er etliche ſeiner Schau-
ſpiele geſchrieben hat. Von einem Felſen konten
wir abermahls mit groſſer Vergnuͤgung die
Schloͤſſer zu Megara/ und den im Meere lie-
genden Steinfels Ceras erkieſen/ darauf Xer-
xes einen ſilbernen Koͤnigs-Stul geſetzt/ und deꝛ
See-Schlacht zwiſchen den Perſen und Grie-
chen zugeſehen hatte. Folgenden Tages fuhren
wir zwiſchen denen zweyen Felſen/ dar auf an ſo
viel Marmel-Saͤulen eine ihn ſchluͤſſende Ket-
te henckt/ und ein weiß marmelner Loͤwe gleich-
ſam Wache haͤlt/ in den Pyreiſchen Hafen ein.
Weil dieſer nun 400. Schiffe beherbergen kan/
machte derſelben Anzahl uns kein Gedraͤnge/
der Anblick aber ſo vieler vom grimmigen Syl-
la eingeaͤſcherter Gebaͤue verurſachte mich des
Sylla Raſerey zu verfluchen/ welcher nicht nur
wider die grauſamen Steine/ ſondern auch wi-
der die leutſeligen Goͤtter ſeine Rache aus geuͤbt/
und daſelbſt Jupiters/ Minervens und der Ve-
nus Tempel/ den Schauplatz des Bacchus/ das
unveꝛgleichliche Zeughauß des Philon/ den Rich-
terſtul Phreattys/ den praͤchtigen Hippodami-
ſchen Platz/ und den unſchaͤtzbaren Buͤcheꝛ-Saal
des Apollicon/ woriñen faſt aller alten Griechi-
ſchẽ Weltweiſen unver gleichliche Schriften ver-
rauchet/ durchs Feueꝛ zeꝛ nichtet hatte. Gleichwol
aber verhoͤhnte den Sylla gleichſam der noch
ſtehende viereckichte/ und mit Alaun uͤberfirnſte
Thurm/ den er bey waͤhrender Belaͤgerũg durch
R r r r 2keine
[684]Fuͤnfftes Buch
keine Kunſt-Feuer anzuͤnden konte. Weil wir ſo
herrlicher Dinge Grauß und Aſche auch vereh-
rens wuͤrdig hielten; betrachteten wir die zer-
druͤmmerten Marmel-Mauern/ die zerſtuͤck-
ten Porphyr-Saͤulen mit Seufzen. Von dar
wurden wir von zweyen der ſo genennten Ar-
chonten/ oder Atheniſchen Rathsherren in die-
ſelbige Stadt eingeholet; darinnen die Weiß-
heit/ der Gottesdienſt/ das Getreide/ die Geſe-
tze entſproſſen. Wir fuhren zwiſchen der zwey-
fachen im Peloponneſiſchen Kriege gebauten/
und vom Sylla gleichfals ſehr beſchaͤdigten
Mauer/ und lernten/ daß die viereckichten mit
Eiſen zuſammen geklammerten Marmelſtei-
ne wider die Steine und der Menſchen Raſerey
eine zu ſchwache Befeſtigung abgaͤbe. Unter-
weges ſahen wir des Theſeus Tempel/ das
Grab Menanders und des Euripides nur uͤ-
berhin. Als man uns aber zwiſchen vielen Oel-
baͤumen nebſt einem Brunnen das Heiligthum
des Socrates zeigte/ konte ſich Zarmar nicht
enthalten vom Wagen abzuſteigen. Wir folg-
ten ihm theils aus Antrieb ſeines Beyſpiels/
theils aus eigner Ehrerbietung gegen dieſem
Halb-Gotte. Jn der Mitte des rundten
Heiligthums ſtand auf einem ſchwartz-marmel-
nen Fuſſe Socratens Bild aus Egyptiſchem
Porphyr gemacht/ mit dem Gifft-Kelche in der
Hand. Jn den Fuß war mit weiſſen Buch-
ſtaben ſehr kuͤnſtlich eingelaſſen:
Der weiſe Zarmar kuͤſte vielfaͤltig mal Socra-
tens Bild/ nennte ihn den Heiligſten unter den
Griechen/ als welcher zwar als ein Gottes-
Verleugner waͤre verdammt worden/ mit ſei-
nem Tode aber die Warheit des einigen Got-
tes beſie gelt/ und darmit keinen irrdiſchen Krantz
verdienet haͤtte. Der Jndiſche Botſchaffter
und ich rupften neben dem Brunnen etliche
Handvoll Narciſſen und Hiacynthen ab/ und
ſtreuten ſie dieſem unvergleichlichen Weltwei-
ſen auffs Grab. Hierauf kamen wir endlich
durch die Pyreiſche Pforte in Athen/ und wur-
den auf der fuͤrnehmſten Ceramiſchen Straſſe
neben dem Grabe des Leos in ein praͤchtiges
Hauß eingelegt/ welcher wegen ſeiner fuͤrs ge-
meine Heil geopfferter Toͤchter ein in der Stadt
ſonſt ungewoͤhnliches Grabmahl verdienet
hatte.
Den andern Tag darnach hielt der im Pha-
leriſchen Hafen ausgeſtiegene Kaͤyſer in die
Stadt ſeinen Einzug/ nach dem er ſich vorher
auf dem Lande mit Jagten erluſtigt hatte. Es
leidet es die Zeit nicht das groſſe Gepraͤnge zu
beſchreiben/ wormit dieſe zwey hundert Sta-
dien im Umkreiß habende Stadt den Kaͤyſer
annahm. Denn das Bild der Minerva/ wel-
ches ſoll vom Himmel gefallen ſeyn/ und ſich da-
zumal/ als Auguſtus dieſer dem Antonius ge-
neigten Stadt das Eyland Aegina und Ere-
trea genommen/ von der Sonnen Aufgange ge-
gen Niedergang gewendet/ und Blut aus ge-
ſpien hatte/ ſolte ſich itzt wieder von Oſt gegen
Weſt gekehret/ und der darfuͤr hangende guͤlde-
ne Leuchter des Callimachus/ der gerade ſo viel
Oel in ſich laͤſt/ als er zum jaͤhrlichen Brennen
bedarf/ und drey Tage vorher ſolte aus gebren-
net ſeyn/ uͤber ſeine Zeit ſeinen unverzehrlichen
Zunder und Feuer behalten haben/ ob man
ſchon aus dem durch das Gewoͤlbe des Tempels
gehende meſſene Roͤhr keinen Rauch mehr aus-
dampffen geſehn haͤtte. Uberdiß ereignete ſich
dieſes Wunder/ oder die Heucheley hatte es er-
fun-
[685]Arminius und Thußnelda.
funden/ daß der auf dem Tritoniſchen Berge
befindliche und ſtets ſaltzichtes See-Waſſer in
ſich habende Brunn mit ſuͤſſem Waſſer ange-
fuͤllt war; gleich als wenn Auguſtens Gegen-
wart die geheimen Meer-Adern zu verſtopffen/
und ſuͤſſe zu eroͤfnen/ oder aber alle Bitterkeit zu
verzuckeꝛn maͤchtig waͤre. Dieſemnach hatten
ſie in Hoffnung groſſer Kaͤyſerlichen Gnade fuͤr
der zum Einzuge erkieſeten Stadt-Pforte Di-
pylon des Auguſtus und der Livia Bild/ jenes
in Geſtalt des Saturn/ dieſes der Aſtrea auff-
gerichtet/ und mit Golde daruͤber geſchrieben:
Die zwey Fuͤrſteher der guͤldenen Zeit.
Fuͤr dem nicht ferne vom Thore ſtehenden Tem-
pel des Theſeus ſtand abermals das Bild des
Kaͤyſers in Geſtalt des den Minotaurus toͤd-
tenden Theſeus/ mit der Uberſchrifft: Der
nur denen Ungeheuern ſchreckliche
Kaͤyſer. Darneben ſtand Liviens Bildnuͤß
in Geſtalt der Ariadne mit dem guͤldenen Fade-
me/ mit der Beyſchrifft: Die kluge Ver-
richterin aller Verwirrungen. Nicht
weit davon ſtand des Kaͤyſers Bild noch ein-
mal/ welches in der ausgeſtreckten Hand einen
Hut/ zu den Fuͤſſen eine zerbrochene Kette hat-
te/ mit dem Beyſatze: Der Uhrheber der
Freyheit. Liviens Bild ſtand gegen uͤber in
Geſtalt der Ceres/ welche aus einem Gefaͤſſe
Mehl ſchuͤttete/ mit der Uberſchrifft: Die
guͤtige Verſorgerin der Armen. Denn
in dieſen nach dem Marathoniſchen Siege ge-
bauten Tempel nahmen die von ihren Herren
uͤbel gehaltene Leibeigenen ihre Zuflucht/ und
man theilte darinnen den Armen Mehl aus.
Auff der andern Seite war fuͤr die aus Marmel
vom Koͤnige Ptolemeus gebaute Schule das
uͤberaus koͤſtliche Bild des Mercur geſetzt/ wel-
cher dem Auguſt gleichſam ſeinen Schlangen-
Stab reichte/ daran ein Zettel mit dieſer golde-
nen Schrifft hing: Dem wuͤrdigern Mer-
cur unſer Zeit. Auf einer Seite ſtand die
allhier denen freyen Kuͤnſten obliegende Roͤmi-
ſche/ auf der andern die Griechiſche und andere
fremde Jugend uͤber zehn tauſend ſtarck/ welche
ſich fuͤr Auguſten und Livien neigten/ und ihm
als einem Vater/ ihr als einer Amme der freyen
Kuͤnſte zurufften. Wie nun der Einzug durch
die Ceramiſche Straſſe fortruͤckte; alſo waren
fuͤr das uͤberaus koͤſtliche Pantheon/ oder den
Tempel aller Goͤtter zwar die Bilder der zwoͤlf
Goͤtter aufgerichtet/ des Jupiters und der Ju-
no aber weggenommen/ und an derer Stelle
Auguſtens und Liviens aus Gold/ da die andern
nur aus Ertzt waren/ hingeſtellt. Uber ihnen
ſtand eine herꝛliche Ehren-Pforte mit der Uber-
ſchrifft:
Auf dem Ceramiſchen groſſen Platze fuͤr dem
Tempel des Vulcan/ welchem Erfinder des
Feuers Athen die erſten Fackeln gewiedmet hat/
reichte ein Ertztenes Bild dieſes Gottes dem
Kaͤyſer eine brennende Fackel aus weiſſem
Wachſe zu; darumb war mit Golde geſchrie-
ben:
Hierauf wendete ſich der Zug aus der Cerami-
ſchen Straſſe auf die lincke Seite bey dem Spa-
tzier-Gange des Zeno/ und der ihm folgenden
Stoiſchen Weiſen vorbey. Weil nun in ſelb-
tem die groſſen Verrichtungen der alten He!-
den von denen fuͤrtrefflichſten Mahlern abge-
bildet waren/ und inſonderheit Polignotus ſei-
ne Meiſterſtuͤcke dahin gewiedmet hatte; wa-
ren daſelbſt auch die fuͤrnehmſten Geſchichte des
R r r r 3Kaͤy-
[686]Fuͤnfftes Buch
Kaͤyſers abgemahlt/ und zwar dergeſtalt abge-
mahlt/ daß in ieder Taffel Auguſt eine der Ge-
muͤths-Regungen uͤberwand. Weil dieſe
Weiſen ſolche gar vertil get wiſſen wollen/ und
daher alle andere Weißheit fuͤr weibiſch ſchelten/
ihre eigene aber nur fuͤr maͤnnlich achten. Die-
ſe Straſſe leitete den Einzug fuͤr den vom Cyr-
rheſtes aus Marmel gebauten achteckichten
Thurm/ auf deſſen ieder Seite ein daſelbſther
wehender Wind eingeetzt war. Die Oſtwin-
de hatten ein feuriges/ die Sudwinde ein irrde-
nes/ die Weſtwinde ein lufftiges/ die Nordwin-
de ein waͤßrichtes Drey-Eck zu ihrem Merck-
male. Der auf der Spitze dieſes Thurmes ſte-
hende/ und ſich mit iedem Winde herum dre-
hende Triton/ wendete ſich/ und weiſte mit ſei-
ner Ruthe gegen das auff der Straſſe in Geſtalt
des Eolus aufgerichtete Bild des Kaͤyſers/ wel-
ches ein Meerſchwein zu ſeinen Fuͤſſen hatte;
zweiffelsfrey darum/ weil die Haut von dieſem
Fiſche einem die Macht dieſen oder jenen Wind
wehen zulaſſen/ zueignen ſoll. Am Fuſſe war
eingeetzt:
Zu Ende dieſer Straſſe wendete ſich der Zug a-
bermals auff die rechte Hand fuͤr einem Tempel
des Jupiters fuͤrbey. Darfuͤr Auguſt in Ge-
ſtalt des Ammoniſchen Jupiters/ Livia in Ge-
ſtalt Amaltheens fuͤrgeſtellet ward. Jener ſpruͤtz-
te aus ſeinen Widder-Hoͤrnern Wein und Oel/
dieſe aus ihren Ziegen-Hoͤrnern Milch und Ho-
nig in vier unterſchiedene Marmel-Keſſel/ dar-
aus ieder nach Belieben ſchoͤpffen mochte. Auf
dem Fuſſe war in Marmel gegraben:
Fuͤr der Hoͤle des wahrſagenden Apollo ſtand
ein guͤldener Drey-Fuß/ auff welchem die Py-
thiſche Prieſterin dem vorbey fahrenden Kaͤyſer
zurief:
Fuͤr dem Tempel des Lyciſchen Apollo und der
Schule des Ariſtoteles ſtand das Bild des Kaͤy-
ſers in Geſtalt des auff einer Leyer ſpielenden
Apollo:
Darbey neigten ſich zwey tauſend der Welt-
weißheit befliſſene Juͤnglinge gegen den Kaͤy-
ſer und Livien. Nahe darbey kaͤmpfften hun-
dert paar Fechter und Ringer mit einander/
und fuͤr die Buͤrger zu Athen waren unter dem
ſeiner wunder wuͤrdigen Groͤſſe halber beruͤhm-
ten Maßholderbaume/ und um den koͤſtlichen
Brunn Diocharis drey hundert Taffeln gede-
cket; ob es zwar damals nicht eben einen Tag
traf/ da man in dieſem Luſt-Walde Peripatus
oͤffentlich zu ſpeiſen pflegte. Bey der Vorburg/
welche in dem ſpaꝛſamen Alterthume uͤbeꝛ 2000.
Talent gekoſtet hatte/ empfingen den Kaͤyſer
und Livien die fuͤnf hundert Areopagiten/ wel-
che nahe darbey das hoͤchſte Richter-Ampt in
Athen/ und zwar um deſto weniger geſtoͤrt zu
werden/ nur des Nachts verwalteten. Dieſe
Areopagiten legen in Athen alleine ihr Ampt
nicht ab/ da alle andere Richter es jaͤhrlich ver-
wechſeln. Jhr Richter ſtul iſt als der fuͤrnehm-
ſte mit dem erſten Buchſtaben bezeichnet. Sie
fuͤhren ihren Nahmen vom Mars/ weil ſie uͤber
ihn zum Richter erkieſet worden/ als er einen
Sohn des Neptun erſchlagen. Nichts weni-
ger ſind ſie wegen ihres uͤber Oreſten/ welcher
ſeine Mutter Clytemneſtra umbracht/ uͤber den
Cephalus wegen ſeines getoͤdteten Ehweibes
Procris/ und den Dedalus wegen des erſchlage-
nen Talus gefaͤllten Urthels beruͤhmt. Fuͤr
dem anſchnlichſten Thore unter den neunen/ die
in
[687]Arminius und Thußnelda.
in die Cecropsburg durch die Mauer Cimonia
giengen/ war zwiſchen dem aus Ertzt gegoſſe-
nen Meduſen-Haupte/ und dem Schilde Ae-
gys ein koſtbarer Siegesbogen; auf der einen
Seite ſtand Neptun/ und ruͤhmte gegen dem
Jupiter den der Stadt Athen verliehenen See-
hafen/ auf der andern Seite ſtriech Minerva ih-
ren der Stadt zum beſten erfundenen Oelbaum
heraus; iedes Theil wolte das Recht die Stadt
nach ſeinem Nahmen zu nennen behaupten.
Jn der Mitte aber zeigte ſich Auguſtus/ deſſen
Haupt mit einem Oel-Krantze/ die Hand mit
einem guͤldenen Apffel gezieret war. Jupiter
ſprach uͤber die Streitenden folgendes Urthel
aus:
Fuͤr dem vom Pericles an ſtatt des von den
Perſen eingeaͤſcherten Alten/ durch die beruͤhm-
ten Baumeiſter Jctinus und Callicratus nach
Doriſcher Baukunſt aus Marmel auf gefuͤhr-
tem Minerven-Tempel hatten ſie das Bild der
Livia in Geſtalt der Minerva aufgeſetzet; nur/
daß ſie an ſtatt der Nacht-Eule einen Phenix
auf der Hand ſitzen hatte. Unten war in Ertzt
eingeetzt:
Der Kaͤyſer und Livia ſtiegen allhier vom
Wagen/ und verfuͤgten ſich aus wahrer oder an-
gemaſter Andacht in Tempel; darinnen bey
dem uͤber die Zeit wunderſam brennenden
Leuchter des Callimachus ein Altar aufgerich-
tet/ auf ſolchem des Kaͤyſers Bild/ wie die Son-
ne ausgeſchmuͤcket; fuͤr dieſem aber ein geringes
Feuer zu ſehen/ und an dem Fuſſe des Opffer-
Tiſches zu leſen war:
Hinter dem ſich umkehrenden Bilde der Mi-
nerva/ welch Wunderwerck Phidias aus Gold
und Helffenbein gemacht hatte/ ſtand Livia aber-
mals wie die Pallas gebildet; nur/ daß ſie zu-
gleich einen Reben- und Oel-Krantz auff hatte/
und bey ihren Fuͤſſen auf einem Weinſtocke zu-
gleich Reben- und Oel-Zweige/ welche beyde
am erſten zu Athen ſollen gepflantzt worden
ſeyn/ mit Fruͤchten wuchſen. An dem Fuſſe
war in Marmel gegraben:
Aus dieſem Tempel verfuͤgten ſich beyde in den
andern der Poliadiſchen Minerva/ des Schutz-
Gottes Jupiters/ des Neptun/ der Venus/ den
Phedra um ſich der gegen den Hippolitus ent-
zuͤndeten Liebe zu befreyen gebaut hatte/ der
Aglaura und des Sieges da denn Auguſt als
oberſter Prieſter/ weil in allen auf dem Tritoni-
ſchen Felſen liegenden Tempeln/ wie auch auff
dem unter freyem Himmel ſtehenden Altare der
Freundſchafft/ der Schamhafftigkeit und Ver-
geſſenheit geopffert ward/ in iegliches Feuer eine
Handvoll Weyrauch ſtreute; hernach ſich auff
die vorragende Spitze des Felſen ſetzte/ darauf
Silenus ihm ſeinen Sitz erkieſet haben ſoll/ als
er mit dem Bacchus dieſen heiligen Ort beſu-
chet. Jnzwiſchen leiteten die Prieſter den
Kaͤyſer zu dem fuͤr ein groſſes Heiligthum ge-
haltenen Oelbaume/ welcher damals ſoll hervor
geſchoſſen ſeyn/ als Neptun und Minerva um
das an Athen habende Vorrecht geſtritten. Li-
via verfuͤgte ſich auch in das Hauß/ worinnen
der
[688]Fuͤnfftes Buch
der Minerva Prieſterinnen ihren Auffenthalt
haben/ und aß daſelbſt mit ihnen dicke Milch
aus dem Eylande Salamis/ auſer welcher ſie
keine ſonſt eſſen dorfften. Allenthalben em-
pfiengen Auguſt und Livia faſt goͤttliche Ehren-
bezeugungen; wordurch Athen aber ſo viel zu
wege brachte/ daß den Morgen darauf Auguſt
dieſer Stadt auf Liviens Vorbitte alles wieder
gab/ was er ihr vorher darum entzogen hatte/
daß ſie dem Antonius ſo ſehr waren zugethan ge-
weſt. Denn weil die Weiber insgemein am
herꝛſchſuͤchtigſten ſind/ geben ſie denen Liebkoſen-
den am liebſten Gehoͤre; ſintemal doch der Heu-
cheley das denen Herrſchenden angenehme La-
ſter der Dienſtbarkeit im Buſen ſteckt. Fol-
genden Tag wurden alle Tempel in Athen/
und darunter auch der des Bacchus/ welchen
man doch nur des Jahres einmal oͤffnete/ aufge-
ſperrt/ und in iedem ſein groͤſtes Feyer gehalten/
gleich als wenn alle auf dieſen Tag eingefallen
waͤren. Jn dem Tempel des Olympiſchen
Jupiters/ welcher ein Achttheil einer Meilwe-
ges im Umkreiſſe hat/ und zwar ſeiner Groͤſſe
halber in ſechs hundert Jahren nicht hat aus ge-
bauet werden koͤnnen/ aber wegen ſeiner un-
ſchaͤtzbaren Bilder/ und des an Gold und Helf-
fenbein verhandenen Uberfluſſes ein rechtes
Wunder der Welt iſt/ wurden hundert Ochſen/
in dem Heiligthume der Agroteriſchen Diana
fuͤnf hundert Boͤcke geopffert/ welches ſonſt nur
an dem Tage der erhaltenen Marathoniſchen
Schlacht geſchiehet. Jn einem vom Egeus
gebauten Tempel der himmliſchen Venus/ dar-
innen ihr vom Phidias gemachtes Wunderbild
ſtand/ ſchlachtete man hundert Pfauen/ im an-
dern fuͤnf hundert Tauben/ und zehn tauſend
Sperlinge/ im Tempel des Eſculapius zwey
hundert Haͤhne/ in dem des Mars hundert
Hunde/ in dem Heiligthume des Saturn und
der Rhea drey Scythiſche Knaben. Jn dem herr-
lichen Triclinion/ darinnen auf einer Seite ein
Gaſtmahl der Goͤtter/ auf der andern Seite der
alten Griechen in weiſſem Marmel aufs kuͤnſt-
lichſte erhoͤhet iſt/ ward allen Fremdlingen eine
offene Taffel gedeckt; in dem auff einem Ey-
rundten Huͤgel nach gleicher Art erbautem
Schauplatze/ welchen niemand ohne Verwun-
derung iemals geſehen hat/ wurden allerhand
Rennen gehalten. Jm Spatzier-Saale des
Elevtheriſchen Jupiters waren alle denen Per-
ſen fuͤr Alters abgenommene Waffen auffge-
henckt/ welche Sylla nicht mit nach Rom ge-
fuͤhret hatte. Jm Spatzier-Gange des Atta-
lus hegte man allerhand Spiele/ im Thraconi-
ſchen theilte man iederman Mehl aus. Jn dem
Schauplatze Odeon/ welches Ariſton fuͤr der
Syllaniſchen Belaͤgerung eingeriſſen/ Ario-
barzanes Koͤnig in Cappadocien aber auf eigene
Koſten wieder erbaut hatte/ kaͤmpfften die be-
ruͤhmteſten Saͤnger und Saiten-Spieler mit
einander um den Preiß. Jm groſſen Schau-
platze des Bacchus/ welcher der erſte in der Welt
geweſen ſeyn ſoll/ wurden die auserleſenſten
Luſtſpiele des Ariſtophanes/ des Alepis und
Cleodemus/ welche letztern zwey fuͤr Freuden
wegen erlangten Preiſſes ihrer fuͤrgeſtellten
Schauſpiele geſtorben/ geſungen. Der Schall
der Redend- und Singenden bethoͤrte aller Zu-
hoͤrer Ohren/ und die Lufft aller Zuſchauer Na-
ſen. Denn in etlichen Hoͤlen des Schaupla-
tzes waren in wol abgemeſſener Ferne ertztene
Gefaͤſſe geſetzt/ welche den darein fallenden
Schall annehmlich verſtaͤrckten. Und die o-
ben auf den Zinnen des Schauplatzes ſtehenden
Alabaſter-Bilder des Menanders/ welcher
hundert und fuͤnf/ Euripidens/ der funftzig
Schauſpiele geſchrieben/ und vieler anderer be-
ruͤhmten Tichter biſamten durch einen aus klei-
nen Silber-Roͤhren geſpritzten Thau den gan-
tzen Schauplatz ein. Bey der Jthoniſchen
Pforte neben dem von den Amazonen gebauten
Tempel/ wo Theſeus mit ihnen geſchlagen hat-
te/ wald auf Amazoniſche Art ein Kampf/ bey
dem Tempel des Vulcan und der blauaͤugich-
ten
[689]Arminius und Thußnelda.
ten Minerva/ wo man die junge Mannſchafft
zum Kriege muſterte/ ein Fackel-Rennen ge-
halten. Auf dem Prytaneon oder dem Rath-
hauſe waren die Bilder des Pericles/ des Mil-
tiades/ des Cimon und anderer Helden mit Lor-
ber-Kraͤntzen geſchmuͤckt/ das darauf verwahrte
ewige Feuer/ und Solons Geſetze oͤffentlich zur
Schaue geſtellt. Auf dem Marckte fuͤr dem
Altare der Barmhertzigkeit ward allen/ die das
Leben verwuͤrgt hatten/ Gnade angekuͤndigt.
Unter dem Kraͤuter-reichen Berge Pentelicus
hatte man das friſche und wohlſchmeckende
Waſſer des Brunnen Bryſis/ durch verbor-
gene Roͤhren weggeleitet/ und floß daraus Oel/
wie aus dem Ceramiſchen Quelle; bey dem Al-
tare der zwoͤlff Goͤtter Wein/ und aus denen
vom Piſiſtratus geſtifteten neun Marmel-Roͤh-
ren des beruͤhmten Brunnes Callirhoͤe Milch.
Nichts weniger raan aus dem neben des Eſcu-
lapius Tempel befindlichem Brunnen Hallir-
rhotius Honig/ welcher ſonſt mit dem Phaleri-
ſchen See-Buſen durch eine unterirrdiſche Ader
ſich vermengen/ und die in Brunn geworffene
Sachen daſelbſt ausſchuͤtten ſoll. Gegen den
Abend ſelbigen Tages verſam̃lete ſich gleichſam
gantz Athen an dem Fluſſe Jphiſſus bey dem
Tempel der Ceres. Denn Auguſt und Livia
kamen mit groſſem Gepraͤnge dahin/ dieſe zwar
ſich in den kleinen Elevſiniſchen Geheimnuͤſſen
der Proſerpina einweihen zu laſſen; jener aber
daſelbſt ſeinen bey der erſten Einweihung
empfangenen ſeidenen Rock/ den die Einge-
weihten/ biß er zerſchliſſen/ nicht aus ziehen
doͤrffen/ abzulegen. Jhnen kamen vierzehn
Prieſterliche Jungfrauen biß an den Fluß
entgegen; derer ſieben einen mit Blumen/ die
andern ſieben einen mit Weitzen-Aeren be-
deckten Korb trugen. Nach dem der Kaͤyſer
und Livia in Tempel kamen/ ward er feſte zu-
geſchloſſen; weil niemand ungeweihtes dem
Feyer beywohnen darff. Dieſes waͤhrete biß
umb Mitternacht. Da denn allererſt der
Kaͤyſer aus dieſem Tempel/ darinnen Livia zu-
ruͤck blieb/ durch die Hyeriſche Straſſe mit noch
groͤſſerem Gepraͤnge zwiſchen mehr als 20000.
Fackeln ſeinen Zug zum Elevſinion oder dem
Tempel der Elevſiniſchen Ceres hielt/ dariñen ihr
vom Praxiteles gemachtes unver gleichliche Bild
zu ſehen war. Fuͤr dem Kaͤyſer trug der oberſte
Prieſter das Bild des Schoͤpfers/ der Fackeltraͤ-
ger der Sonne/ der Altar-Aufſchauer des Mon-
den/ der heilige Herold des Mercur. Die Meliſſi-
ſchen Prieſterinnen trugen in einem verborge-
nen Kaͤſtlein das verborgene Heiligthum des
weiblichen Geſchlechtes. Jn dieſem Tempel
ließ ſich der Kaͤyſer zu dem groſſen Geheimnuͤſſe
der Ceres einweihen. Denn ob zwar vermoͤ-
ge eines alten Geſetzes/ kein Fremder dieſer
Weihe faͤhig war/ und daher dem Hercules zu
Liebe die kleinere Weihe geſtiftet ward/ hatte
doch der Rath zu Athen den Kaͤyſer fuͤr einen
Eingebohrnen/ ja fuͤr den Vater ihrer Stadt
erklaͤret; wie uns dieſes ein dem Geſandten zu-
gegebener Prieſter auslegte/ und auf unſere
Nachfrage ferner unterrichtete: Dieſe Einwei-
hung waͤre einerley mit der Egyptiſchen der
Jſis. Dieſe haͤtte Orpheus ſo wohl/ als die
Weihe des Bacchus/ welche mit der des Oſi-
ris uͤberein kaͤme/ aus Egypten in Griechen-
land gebracht. Bey der Elevfiniſchen Wei-
he wuͤrden alle dieſem Gottes-Dienſte bey-
wohnende/ inſonderheit aber die Neulinge ge-
badet/ ja auch die Bilder der Goͤtter gewa-
ſchen/ und die Straſſen/ wordurch ſie ihren
Umbgang hielten/ mit Weih-Waſſer beſpren-
get. Auch doͤrffte in Athen kein ander Waſ-
ſer als aus dem geweihten Fluſſe Jphiſſus
hierzu genommen werden. Hierdurch wuͤr-
den alle begangene Laſter getilget. Daher
haͤtte ſich ſelbſt Apollo/ wegen eines begange-
nen Todſchlages/ vom Carmanor; Hercules
nach erſchlagenen Centauren/ vom Orpheus;
und als er den Cerberus aus der Hoͤle holen
wollen/ vom Muſaͤus; Theſeus nach unter-
Erſter Theil. S s s sſchie-
[690]Fuͤnfftes Buch
ſchiedenen Todſchlaͤgen/ von Phytaliden; und
Bellerophon vom Pratus der Argiver Koͤnige
der Ceres einweihen laſſen. Die aber dieſer
Goͤttin ſich vollkommen wiedmeten/ wuͤrden
durch ein Hemde der Ceres von oben an
durchgeſteckt/ gleich als wenn ſie von dieſer
Goͤttin gleichſam wiedergebohren wuͤrden.
Auf welche Art auch Juno den Hercules an
Kindesſtatt angenommen haͤtte. Sie muͤſten
uͤber diß gewiſſe Zeit faſten/ und inſonderheit
ſich Brodt und Weines/ am meiſten aber des
Beyſchlafs enthalten/ und ihre Geburts-Glie-
der dieſer Maͤſſigkeit halber mit Saffte vom
Zieger-Kraute netzen. Maſſen der Ceres
Prieſter durch einen ſolchen Tranck ſich gar
zu entmannen verbunden waͤren. Dieſe Ein-
weihung haͤtte die Krafft die Seelen gleichſam
von den Hefen irrdiſcher Dinge abzuſpuͤlen/ die
Geiſter zum Nachſinnen in Goͤttlichen Sachen
zu erhoͤhen. Sie kriegten einen Zug zu einem
gerechtern Leben/ und haͤtten deswegen in al-
len Gefaͤhrligkeiten die Goͤtter zu ihren Bey-
ſtaͤnden. Nach dem Tode wohnten die Ein-
geweyhten/ wenn ſich andere im Schlamme
ſieleten/ im Finſtern herumb ſchwermeten/ bey
den Goͤttern/ und haͤtten ihre abſondere Son-
ne und Geſtirne ſtets in Augen/ das Gemuͤthe
aber voller Freuden. Dieſemnach haͤtten die
beruͤhmſten Helden Jaſon/ Caſtor/ Pollux/ Her-
cules/ Orpheus/ Koͤnig Philipp in Macedoni-
en/ und nunmehr auch Auguſt ſich zu Athen ein-
ſegnen laſſen. Jn Samothracien waͤren auch
zwey ſolche alte Heiligthuͤmer; da man nemlich
denen Cabiriſchen und Curetiſchen Goͤttern ein-
geweihet wuͤrde. Von dar waͤren ſie vom Co-
rybas Jaſions und der Cybele Sohne in Phry-
gien/ und endlich unter dem Nahmen des
Cybeliſchen Gottesdienſtes nach Rom gebracht
worden.
Nach dreyen Tagen ward der Jndianiſche
Geſandte in die Cecropsburg zum Kaͤyſer mit
groſſem Gepraͤnge abgeholet. So bald der
weiſe Zarmar an der uͤberaus praͤchtigen Stir-
ne des Minerviſchen Tempels die guͤldene U-
berſchrifft: Dem unbekandten Gotte/
erblickte/ fiel er auf ſein Antlitz in Staub dar-
nieder/ und brachte bey nahe eine Stunde in
ſeiner gewohnten Andacht zu. Die Prteſter
der Minerva ſahen Zarmarn mit Verwunde-
rung zu/ wuſten uns aber dieſe alte Uberſchrifft
nicht recht zu erklaͤren; auſſer: daß ſelbte ver-
muthlich von einem zu Phalera in Elis befind-
lichen Altare genommen waͤre/ darein Epime-
nides zu Solons Zeiten eben diß geſchrieben
haͤtte. Jedoch waͤre die Zeit der Wahrſagung
gleich vorbey/ da dieſer unbekandte Gott ſolte
offenbart werden. Weil nun der Geſandte
ohne Zarmarn ſeinen Dolmetſcher nicht in die
Koͤnigliche Burg fortruͤcken wolte/ zeigten ihm
inzwiſchen die Prieſter des Praxiteles Diana/
die vom weiſen Socrates gebildeten Gratien/
des Dedalus/ Cleetas/ Endeus und Calamis
unvergleichliche Arbeit in Bildern/ Saͤulen
und der Bau-Kunſt/ wie nichts weniger viel
unſchaͤtzbare Gemaͤhlde des Micon/ des Par-
rhaſius/ und Timenettus. Mecenas empfing
ihn in dem letzten Vor-Gemache/ und fuͤhrte
ihn zur Verhoͤr in das Kaͤyſerliche Gemach.
Fuͤr dem Geſandten trugen acht nackte Jndia-
ner die an koͤſtlichen Edel-Geſteinen/ Perlen
und Ambra beſtehende Geſchencke vorher.
Hierbey lieff ein Juͤngling ohne Achſeln und
Armen/ welcher mit den Fuͤſſen den Bogen
ſpannen/ Pfeile abſchuͤſſen/ und alle ſonſt den
Haͤnden obliegende Arbeit geſchicklich verrich-
tete. Von denen andern Geſchencken/ welche
an vielen vorher in Griechenland noch nie geſe-
henen Tigern/ an zehn Ellen langen Schlangen/
dreyellichten Schnecken/ an einem Rebhune/
welches groͤſſer als ein Geyer war/ beſtanden/
ward dem Kaͤyſer ein Verzeichnuͤß nebſt einem
Grichiſchen Schreiben vom Koͤnige Pirimal
einge-
[691]Arminius und Thußnelda.
eingehaͤndigt. Der Kaͤyſer nahm den Both-
ſchaffter mit angebohrner Freundligkeit an/
hoͤrte ihn mit Gedult/ beantwortete ihn/ nach
dem der vorhin lange Zeit in Egypten und
Griechenland gereiſete Brahman Zarmar
des Jndianers Sprache Griechiſch erklaͤret
hatte/ mit ſonderbarer Anmuth/ fragte umb
den Wohlſtand ſeines Bruders des Koͤnigs
Pirimal/ und verwieß ihn voͤllig an den Me-
cenas/ der mit ihm handeln und einen gewiſ-
ſen Schluß machen wuͤrde. Nach geendig-
ter Verhoͤr fuͤhrte Mecenas ihn und uns auff
Kaͤyſerliche Verordnung zu einem herrlichen
Gaſtmahle/ welches in einem koͤſtlichen Spa-
tzier-Saale des vom Lycurgus erbauten Zeug-
hauſes bereitet war; bey welchem ſich fuͤr Zeiten
Egeus herab geſtuͤrtzet hatte/ als er das den
Theſeus nach Creta uͤberfuͤhrende Schiff mit
ſchwartzen Segeln zuruͤck kommen ſah/ und ihm
einbildete: er waͤre vom Minotaurus aufgerie-
ben worden. Jn dieſem Gaſtmahle vergnuͤg-
te uns nicht ſo wohl die Pracht aller ſeltzamen
von vielen Enden des Roͤmiſchen Reiches und
denen entlegenſten Eylanden zuſammen ver-
ſchriebener Speiſen und Getraͤncke/ als das
Ausſehen auf das mit Jnſeln gleichſam beſaͤe-
te Meer/ und die uns von daher anwehenden
Luͤffte; am meiſten aber die unvergleichliche
Annehmligkeit des Mecenas. Und kan ich in
Wahrheit ſagen: daß auf des Mecenas Taffel
Samos ſeine Pfauen/ Phrygien die Haſelhuͤ-
ner/ Tarpeſſus die Murenen/ Peſſinunt ſeine
Zante/ Tarent ſeine Auſtern/ Cilicien ſeine
Scarus/ Colchis ſeine Faſanen gezinſet hatten.
Seine Freundligkeit aber war die edelſte Wuͤr-
tze dieſer Speiſen/ oder vielmehr das beſte Ge-
richte. Denn darmit uͤbertraff er alle De-
muth derer/ die ihn gleichſam fuͤr Verwunde-
rung anbeteten; die Redligkeit aber ſahe ihm
aus den Augen/ und uͤberredete alſo fort einen
ieden: daß dieſe Anmuth keine Larve eines fal-
ſchen Hertzens/ noch ſeine Beredſamkeit eine
Schmincke betruͤglicher Anſchlaͤge waͤre. Jch
hatte ihn zwar vorhin vor den redlichſten Mann
in der Welt/ ja fuͤr ein Meiſter-Stuͤcke der Na-
tur und der Kunſt ruͤhmen hoͤren; aber ich er-
kennte ihn allererſt fuͤr ein Wunderwerck/ als
ich an ihm alle Annehmligkeiten des Hofes/
keines aber ſeiner Laſter fand. Zumal da er
ſo viel Jahre auf dieſer gefaͤhrlichen Hoͤhe ge-
ſtanden/ und bey ſo vielfaͤltiger Abwechſelung
des Gluͤckes gantz unveraͤndert geblieben war.
Er hatte niemals eine andere Flacke aufgeſte-
cket/ als die er zum erſten bey ſeinem Eintritte
in die Burg gefuͤhret; und der Hof/ welcher
ſonſt auch die Heiligen verfuͤhret/ vermochte biß
auf dieſen Tag ihn mit ſeinen Kohlen nicht zu
beraͤmen. Er konte in ſeiner gelehrten Ein-
ſamkeit/ und bey ſeiner Muſen-Geſellſchafft
wohl des Hofes/ aber der Hof nicht ſeiner ent-
behren. Dieſer ſehnete ſich nach ſeinen Luſt-
Gaͤrten/ der Kaͤyſer ward luͤſtern nach ſeinem
Vorwerge; und alle dieſe nahmen daſelbſt ſei-
ne unſchuldige Sitten an/ und legten ſo wohl
ihre Laſter als Sorgen ab; aber Mecenas blieb
bey Hofe was er in ſeinen vier Pfaͤlen war.
Denn ſein Gemuͤthe war ſo feſte geſetzet: daß
es die Verdruͤßligkeiten ſo wenig herbe; als ſo
viel Fluͤſſe das ſaltzichte Meer ſuͤſſe machen
kunten. Verleumbdung und Heucheley wa-
ren bey ihm unbekandte Ungeheuer. Denn
ſeine Zunge machte niemand weiſſes ſchwartz/
und ſeine Geberden nichts ſchwartzes an ihm
ſelbſt weiß; ſondern ſeine Redligkeit bemuͤhte
ſich vielmehr mit Fleiſſe aͤuſerlich zu zeugen/
was er inwendig war. Seine Geburts-Art
ſchien von ſolcher Guͤte zu ſeyn: daß wenn er
gleich ſeinen Gemuͤts-Bewegungen den freyen
Zuͤgel ließ/ ſelbte doch nirgendshin als auf das
Mittel der Tugend verfielen. Er beging nie-
mals keinen Fehler/ weder aus Schwachheit
noch aus Vorſatz. Seine Aufrichtigkeit ließ
S s s s 2ihn
[692]Fuͤnftes Buch
ihn niemanden/ ſeine Vorſicht aber ſich nicht
betruͤgen. Sein Verſtand uͤberſah alsbald
ſeine Tieffen oder Dinge; ſeine Geſchickligkeit
faͤdmete die Geſchaͤffte mit einer beſondern
Art ein. Jenes Licht iſt das Auge/ dieſer Hand-
griff aber der Werckzeug eines groſſen Staats-
Klugen. Sein einiges Abſehen war dem Kaͤyſer
das rechte Maß in Entſchluͤſſungen; dem Vol-
cke aber den Ruhm des Gehorſams einzuloben.
Und in Wahrheit/ dem Auguſtus ward nirgends
ein Tempel gebauet/ den Mecenas nicht vor-
her in denen Hertzen der Unterthanen in Grund
gelegt hatte. Er hatte bey Hofe keinen Dienſt/
wormit er die Freyheit iedermann zu dienen
nicht verlieren moͤchte. Jn Rom wolte er
weder das Burgermeiſter-Ampt/ noch ander-
werts einige Land-Vogtey uͤbernehmen; denn
er ſagte: Die Hoͤhe verurſachte an ſich ſelbſt
einem den Schwindel; alleine im Wercke war
er der Stadt und des Reiches Vormund; und
weil er durch ſeine Wohlthaten iedermann ge-
wan/ ja den Neid ſelber ſchamroth und ihm ge-
neigt machte/ verdiente er: daß das Volck ihn
ſeinen Vater/ der Rath ſeinen Leitſtern/ der Kaͤy-
ſer ſeinen Freund und Bruder hieß. Seine
Treue war der erſte Prieſter/ der den noch le-
benden Kaͤyſer vergoͤtterte. Denn ob zwar
der unermuͤdliche Agrippa wegen ſeiner vielen
Siege und groſſen Krieges-Dienſte beym Au-
guſtus hoch am Brete war; wie denn Mece-
nas dem Kaͤyſer ſelbſt rieth: Er muͤſte Agrip-
pen entweder toͤdten/ oder zu ſeinem Eydame
machen; ſo hatte der Kaͤyſer doch den Mece-
nas mehr im Hertzen; jenen ſchaͤtzte/ dieſen aber
liebte er mehr; als welchem einiger Menſch
in der Welt nicht vermochte gram zu ſeyn.
Denn die Wolluͤſtigen fanden bey ihm ihre
Ergetzligkeit/ die Tugendhaften ihre Vergnuͤ-
gung. Welchen er des gemeinen Beſtens
wegen etwas abſchlagen muſte/ die beſchenckte
er mit dem Seinigen; oder er wuſte auch ſein
Nein derogeſtalt zu uͤber guͤlden/ daß er darmit
mehr Gemuͤther gewaan/ als andere mit ihrer
Verſchwendung. Ja ſeine Worte waren bey
iedermann ſo wichtig/ daß er darmit haͤtte alle
ſeine Schulden bezahlen koͤnnen. Agrippa
rieth dem Kaͤyſer/ was zu ſeiner Herrſchafft
nuͤtzlich/ Mecenas aber/ was ruhmwuͤrdig war.
Jener demuͤthigte ſeine Feinde/ dieſer beſchirm-
te die Unſchuld. Jener machte/ daß Augu-
ſtus aus den Schlachten niemals ohne Sieg
zuruͤcke kam; dieſer aber: daß er vom Richter-
Stule allezeit ohne Blut aufſtund. Agrippa
hatte Theil an des Kaͤyſers Armen/ Mecenas
aber an ſeinem Hertzen. Mit einem Worte;
Auguſtus hatte eine Bothmaͤſſigkeit uͤber die
Welt/ Mecenas aber uͤber den Kaͤyſer.
Dieſer war ein Schoß-Kind des Gluͤckes/
Mecenas der Tugend/ des Gluͤckes und des
Kaͤyſers.
Ob nun wohl gegen den Abend Mecenas
den Geſandten und uns von ſich ließ; ſo be-
hielten wir ihn doch in unſerm Gedaͤchtnuͤſſe.
Maſulipat hatte ſich in ihn derogeſtalt verlie-
bet: daß er die halbe Nacht ſich mit mir ſei-
nethalben unterredete. Des Morgens war
die Sonne ſo fruͤh nicht in unſerm Hauſe/ als
die koͤſtlichſten Erfriſchungen/ wormit Mece-
nas uns beſchenckte. Gegen den Mittag
ſuchte er uns ſelbſt heim/ und noͤthigte uns in
eines ſeiner unter dem Berge Corydalus am
Meere gelegenen Luſt-Haͤuſer zur Taffel.
Bey welchem Marcus Antonius von eitel
koͤſtlichem Laube die Hoͤle des Bacchus auf-
gebauet/ den Bodem biß an die Knie mit
eitel hundertblaͤttrichten Roſen uͤberſchuͤt-
tet/ und unter der Geſtalt des Bacchus gantz
Athen uͤberfluͤſſig bewirthet hatte. Die Na-
tur hielt am ſelbigem Orte einen Be-
griff ihrer Wunderwercke/ nehmlich wohlruͤ-
chende Waͤlder/ fruchtbare Gaͤrte/ luſtige
Steinklippen/ erfriſchende Hoͤlen/ warme Baͤ-
der
[693]Arminius und Thußnelda.
der/ rauſchende Baͤche/ geſunde Brunnen in ei-
nem Kreiß verſammlet; die Kunſt aber muͤhte
ſich mit Einpfropffung allerhand auslaͤndiſcher
Gewaͤchſe/ zierlicher Eintheilung des Baum-
wercks und Blumenſtuͤcke/ mit Bereitung ſel-
tzamer Felſen und Kluͤffte/ von den hoͤchſten Gi-
pfeln abſtuͤrtzender Waſſer/ ſpielender Waſſer-
Kuͤnſte der Natur ihrer Mutter einen Rang ab-
zurennen. Das Luſthaus war aus weiſſem Mar-
mel gebaut/ die Decken waren mit Helffenbein
uͤbertaͤffelt/ die Fenſter aus Berg-Kriſtallen/ die
Tiſche aus flaſernem Zitron- und Zeder-Holtze/
welche meiſt gleichſam mit Augen eines Pfauen-
Schwantzes beworffen waren. Die Boͤdeme
waren mit Aßyriſchen/ die Waͤnde mit Seri-
ſchen Teppichten/ oder Perſiſchen Goldſtuͤcken
bekleidet/ welche noch darzu von Perlen ſtarrten/
und mit Edelgeſteinen flammeten. Wiewol nun
dieſe mehr als Koͤnigliche Pracht aller Augen
gleichſam verblendete/ ſo hatte doch Mecenas in
dieſem ſeinem Eigenthume alles Anſehen ſeiner
Wuͤrde/ und alles Gepraͤnge des Hofes von ſich
weggeleget; uñ dahero ſchiene die Wolluſt hier ſo
wenig ſchaͤdlich/ als die Schlangen auff Cypern
gifftig zu ſeyn. Seine Hoͤffligkeit machten ſeine
unuͤberfirnſte Gemuͤths-Gaben deſto ſcheinba-
rer/ alſo/ daß wir bey Hofe nur die Helffte des
Mecenas/ in dieſer Einſamkeit aber ſeine gantze
Vollkommenheit geſehen zu haben uns beduͤn-
cken lieſſen. Denn ſeine vorige Freundligkeit
verwandelte er nunmehr in eine offenhertzige
Vertraͤuligkeit. Er hatte von den Groſſen des
Hofes keinen bey ſich/ ob ſchon ſeine Taffel taͤg-
lich iedermann offen ſtand; indem er mit dem E-
picur eine einſame Mahlzeit fuͤr eine Zerflei-
ſchung roher Thiere/ und eine Lebens-Art der
Loͤwen und Woͤlffe hielt. Gleichwol waͤre ſeine
Taffel dißmal auch fuͤr den Kaͤyſer ſelbſt nicht zu
geringe geweſt/ ſo wohl wegen der koſtbaren Zu-
bereitung/ als wegen Seltzamkeit der Gerichte;
unter welchen aber zu unſerer Verwunderung
ein Viertel von einem jungen Eſel befindlich
war; welches Mecenas ſeinen Gaͤſten allezeit
fuͤrzuſetzen ſoll gewohnt geweſen ſeyn. Maro uñ
Horatz waren wie ſonſt taͤglich/ alſo auch dißmal
ſeine Gaͤſte; wormit er durch Anleitung ihrer
Getichte auch bey annehmlichem Zeitvertreib
unvermerckt zu der Liebe deꝛ Tugend und Weiß-
heit auffgemuntert wuͤrde. Aller dieſer meiſte
Unterredungen waren eitel Lobopffer des Kaͤy-
ſers; oder Lehren/ wie man durch Tugend ein Le-
ben bey der Nachwelt erhalten ſolte. Unter die-
ſer Vertraͤuligkeit nahm ich wahr/ wie Mecenas
ihm ſelbſt ein Stuͤcke von dem Eſel-Viertel ab-
ſchnitt/ und bey deſſen begieriger Verzehrung al-
ler andern Koͤſtligkeiten vergaß. Dieſemnach
ich von dem Vorſchneider ſelbſt ein Theil von
dieſem neuen Gerichte verlangte; welches mir/
ich weiß nicht ob aus einem Zuge gegen dem Me-
cenas/ oder ſeiner Guͤtigkeit halber uͤberaus wol
ſchmeckte; und daher anfing: Jch wuͤnſchte mir
nun auch auf eine kurtze Zeit einen Kranchs odeꝛ
Kamel-Hals mit dem Philoxenus; oder daß ich
wie Pithyllus meine Zunge in ein Futter einge-
ſchloſſen gehabt haͤtte/ um dieſe Suͤßigkeit ſo viel
eigentlicher zu ſchmecken. Mecenas veranlaſte
den Jndianiſchen Geſandten hiervon auch et-
was zu genieſſen; aber er war hierzu nicht zu be-
reden; weßwegen ich ihn ſchertzweiſe entſchuldig-
te: Jn Jndien aͤße man keine Haſen/ daher muͤ-
ſte der Geſandte auch der Aehnligkeit halber ſich
der Eſel enthalten. Horatius begegnete mim weñ
des Roͤmiſchen Frauen zimmers Glaube wahr
waͤre: daß das Haſenfleiſch ſchoͤn machte/ muͤſte es
in Jndien Mangel an ſchoͤnem Frauenzim̃er ge-
beñ. Der Geſandte antwortete mit einem gleich-
maͤßigen Schertze: die Jndianer wuͤſten zwar
die Eigenſchafft beyderley Fleiſches; alleine wie
die Einwohner der Atlantiſchen Eylande kein
Schwein/ aus Beyſorge/ ſie moͤchten kleine Au-
gen bekom̃en/ wie auch keine Schildkroͤte aͤßen/
aus Furcht nicht ſo ſchlammig zu werden; alſo
S s s s 3ent-
[694]Fuͤnfftes Buch
enthielten ſich die Jndianer der Haſen und Eſel/
um von ihren langen Ohren befreyet zu bleiben.
Uber dieſem Schertz-Geſpraͤche ward eine
Schuͤſſel voll Phaſan- und Pfauen-Gehime auf
den Tiſch geſetzt/ daher Maro anfing: Er merckte
wohl/ daß ſie zu Athen waͤren/ wo man kein Ge-
hirne aͤße/ weil man deſſen ſo einen groſſen Uber-
fluß auffzutragen haͤtte; iedoch wuͤſte er nicht/ ob
nicht etwan ein Artzt oder ein Nachfolger des
Pythagoras gegenwaͤrtig waͤre/ indem die er-
ſten das Gehirne fuͤr eine ungeſunde/ die letzten
fuͤr eine unreine Speiſe hielten. Mecenas wol-
te ſeine Tracht vertheidigen/ und verſetzte: wenn
diß waͤre/ warum nennte man deñ die Skarus-
Lebern und andere niedliche Gerichte des Jupi-
ters Gehirne? Es ſolten aber ſeine Gaͤſte ſich ja
deꝛ Freyheit diß zu erwehlen/ was ihnen ſchmeck-
te/ gebrauchen. Denn uͤber den Geſchmack haͤtte
man keinen Richter/ und es waͤre nichts mehr
als die Speiſe dem Aber glauben unterworffen.
Die Roͤmer enthielten ſich weiſſer Haͤhne/ der
Koͤpffe und Geburts-Glieder von den Thieren/
der Eyer/ der Bohnen/ des Viehes/ welches kei-
nen Schwantz haͤtte/ aller vom Tiſche gefallenen
Speiſen/ und niemand wuͤſte eine Urſache zu ſa-
gen. Andere wolten von Haſen/ Barben/ und
Maulbeer-Baͤumen nicht eſſen/ weil ſie ihren
Monatlichen Fluß haben ſolten. Jch/ ſagte Ze-
no/ beſtaͤtigte es mit beygeſetzter Nachricht/ daß
wider die Gewonheit der Juden die Einwohner
des Eylandes Madagaſcar die von den Schild-
kroͤten gemaͤſteten Faͤrcklein fuͤr das koͤſtlichſte/
und andere Jndianer fuͤr das geſuͤndeſte Gerich-
te hielten. Die Seythen hingegen enthielten ſich
alles Getreides und Gegraͤupes als einer Nah-
rung fuͤr das Vieh/ das Fleiſch aber alleine fuͤr
den Unterhalt der Menſchen. Endlich mangel-
te es nicht an ſo wilden Leuten/ welche rohe Daͤr-
mer/ klein geſchnittene Haare in Honig/ und das
Baͤren-Unſchlit/ ja die Menſchen ſelbſt verzeh-
reten/ und von dieſen die Bruͤſte oder die Fuͤſſe/
wie von den Vaͤren die Klauen/ ihren Oberſten
als Leckerbißlein fuͤrlegten. Fuͤr welchem allem
andere Leute ein Grauen und Abſcheu haͤtten.
Pythagoras haͤtte alle Fiſche verboten; Apicius
hingegen haͤtte die Sardellen allen Speiſen in
der Welt fuͤr gezogen/ und ſie dem Bithyniſchen
Koͤnige Nicomedes in denen ſonſt ſo verachteten
Ruͤben aufftragẽ laſſen. Bey den Colchiern haͤtte
die Schulter/ bey den Galliern das dicke Bein võ
den Thieren den Vorzug; denen ſonſt ſchwerlich
iemand einſtim̃te. Als wir gleich am beſten hier-
von redeten/ trat der Kaͤyſer unverſehens in das
Zimmer/ welcher nur nebſt Livien und der ſchoͤ-
nen Terentien/ als des Mecenas Ehefrauen
auff einem Nachen ſich an dem Meerſtrande in
dieſen Garten hatte fuͤhren laſſen. Als wir nun
alle uͤber dieſer unverſehenen Ankunfft auff fuh-
ren/ ermahnte uns Auguſtus unſere Reye und
Geſpraͤche nicht zu verruͤcken. Denn es kaͤme
nicht der Kaͤyſer/ ſondern nur Oetavius zu ih-
nen. Dieſer Erinnerung beqvemten ſich alſo-
fort Mecenas/ Maro/ und Horatz/ welchen des
Kaͤyſers Art ſchon kundig war/ und endlich auch
wir Fremdlinge nach ihrem Beyſpiele. Jn
Warheit/ Auguſtus hatte mit ſeiner Reichs-Laſt
allen Schein eines ſo groſſen Welt-Beherr-
ſchers derogeſtalt auff die Seite gelegt/ daß ich
ihn ſelbſt ehe fuͤr einen Buͤrger/ als fuͤr einen ſo
groſſen Fuͤrſten angeſehen haͤtte/ und ich mich
itzt ſo viel weniger wundere/ wie die freyen Roͤ-
mer ſich einem ſo freundlichen Fuͤrſten ſo leicht
dienſtbar gemacht haben. Weil der Kaͤyſer a-
ber gleichwohl vermerckte/ daß ſeine Anweſen-
heit unſerer Freyheit einigen Eintrag thaͤt/ in-
dem doch Fuͤrſten und Geſtirne ſich niemahls ih-
res Glantzes gar enteuſſern koͤnnen; wolte er
uns in unſerer Luſt nicht laͤnger ſtoͤren/ ſondern
nahm nach unterſchiedenen Schertz-Geſpraͤ-
chen von uns mit ſeinem Frauenzimmer Ab-
ſchied; Livia aber ſagte ſchertzende zum Mecenas/
daß ihre Vermaͤhlung mit Terentien allererſt
zu
[695]Arminius und Thußnelda.
zu Rom ſich endigte/ und ſie alſo ihm ſeine Bey-
ſchlaͤfferin noch nicht zuruͤcke laſſen koͤnte. Wel-
ches ſie meines Beduͤnckens mehr uns frem-
den zum Anhoͤren redete/ den erſchollenen
Verdacht vom Kaͤyſer abzulehnen/ daß er mit
Terentien heimlich zuhielte. Wiewohl zu ſa-
gen Weltkuͤndig iſt/ daß Livia anfangs mit Te-
rentien geeyfert/ und der Schoͤnheit halber ſich
gezancket habe/ biß ſie hernach nicht alleine mit
mehrer Klugheit zu dieſer geheimen Buhlſchaft
ein Auge zugedruͤckt/ ſondern auch andere
Frauenzimmer dem Kaͤyſer an ihre Stelle ins
Bette gelegt/ und durch dieſe verſtattete Frey-
heit den Kaͤyſer ihr auffs feſteſte verknuͤpfft hat.
Hierbey aber konte ich dem Mecenas nichts
weniger als einen Unwillen oder Eyverſucht
anmercken/ von welchem man mir vorher er-
zehlet hatte/ daß er mit Terentien deßhalben
in taͤglichem Gezaͤncke lebte/ mehrmahls ge-
wuͤnſcht haben ſolte Terentia/ nicht Mecenas
zu ſeyn; und daß die Roͤmer deßwegen von
ihm ſchertzweiſe ſagten: Er haͤtte zwar nur eine
Ehfrau/ aber ſie mehr als tauſend mahl gehey-
rathet. Wie wir nun den Kaͤyſer biß an den
Meer-Strand begleitet hatten/ fuͤhrte uns
Mecenas durch einen langen Gang/ der auff
ieder Seite mit hohen Palmbaͤumen beſetzt/
auff der einen Hand mit dem ſaltzichten Mee-
re/ auff der andern mit einem ſuͤſſen Weyher/
in welchem die Feuerrothen Fiſche wie fallende
Sternen ſchimmerten/ angefriſchet war/ in ei-
nen praͤchtigen Saal voller herrlichen Seulen
und Ertzt-Bilder. Wir betrachteten ſie alle/
ſo viel es die Zeit vertrug/ und Mecenas noͤ-
thigte uns zu urtheilen/ welches ieder fuͤr das
beſte Stuͤcke hielte. Der Geſandte erwchlte
die Andromeda aus ſchwartzem Marmel/ viel-
leicht wegen Aehnligkeit ſeiner Farbe/ ich das
Bild der Verzweiffelung aus Corinthiſchem
Ertzte/ weil dieſe Unholdin wegen meiner ver-
lohrnen Erato ohne diß meine taͤgliche Gefer-
thin war/ Zarmar aber das Vildniß des Todes
aus Helffenbeine. Hierauff wieſe Mecenas
auff das Bild der Gemuͤths-Ruh/ aus Alaba-
ſter/ meldende: dieſes aber gebe ich nicht fuͤr al-
le Bilder und Edelgeſteine der gantzen Welt.
Jch geſtehe es/ ſagte Zarmar/ daß die Gemuͤths-
Ruh oder ein gutes Gewiſſen der groͤſte Schatz
der Welt ſey/ ich aber halte einen ſeligen Tod
noch weit hoͤher; denn jene iſt zwar das Para-
diß des Zeitlichen/ dieſer aber die Pforte zu der
unvergaͤnglichen Gluͤckſeligkeit. Jch hoͤre
wohl/ ſagte Mecenas/ Zarmar ſey kein Schuͤ-
ler des Dicearchus und Epicurus/ welche glaͤub-
ten/ daß die Seelen mit dem Leibe vergehen/
ſondern vielmehr der Meinung/ welche Phe-
recydes zu erſt in Griechenland gelehret/ Tha-
les/ Pythagoras/ Plato/ und Socrates aber
bekraͤfftigt haben/ daß der Tod nur eine Ver-
aͤnderung/ aber keine Verderbung der Seelen
ſey. Oder pflichtet er dem Cebes/ Zeno/ und
denen Stoiſchen Weltweiſen bey/ daß die Seele
allererſt mit Einaͤſcherung der Welt verſchwin-
den/ oder mit Gott ihrem Urſprunge wieder
wuͤrde vereinbaret werden? Zarmar antwor-
tete: Er waͤre derer keinem zugethan. Die
erſtern waͤren nicht fuͤr Menſchen/ ſondern fuͤr
Vieh zu halten; ja nicht werth/ daß ihnen Gott
eine unſterbliche Seele eingefloͤſt/ wenn ſelbte
ihnen nicht zur ewigen Pein dienete. Denn
haben ſie nie mit Augen geſehen/ wie es den
Frommen in der Welt ſo uͤbel/ die Boßhaff-
ten aber auff Roſen gehen? Waͤre diß nun
nicht der Gerechtigkeit Gottes zuwider/ da in
dem andern Leben die Seelen der Frommen
nicht ſolten erqvicket/ der Laſterhafften gepei-
niget werden? Haben ſie nie wahrgenommen/
daß die Seele ein eigenbewegliches Weſen und
ein Geiſt/ der Leib aber nur von verweßlichem
Talck zuſammen gekleibet ſey? Solte nun jener
herrliche Kern mit dieſer leichten Spreu zer-
nichtet werden? Was ſage ich aber zernichten?
Auch
[696]Fuͤnfftes Buch
Auch der Leib kan durch keine Kunſt/ durch
keine Gewalt zernichtet; ſondern nur in was
anders verwandelt werden. Sintemal eines
Weſens Verterbung eines andern Geburt iſt.
Wie moͤgen dieſe Blinden die himmliſche See-
le der Zernichtung unterwerffen? haben ſie nie
beobachtet: daß ihre eigene Seele das vergan-
gene gedencke/ das Gegenwaͤrtige verſtehe/ und
eine freye Herrſchafft uͤber den Leib als ſeinen
Dienſtboten ausuͤbe/ und ſeine viehiſche Regun-
gen unterdruͤcke? Wer wolte nun glauben/
daß dieſe Gebieterin der vergangenen/ gegen-
waͤrtigen/ und kuͤnfftigen Zeit eines Augen-
blicks Einaͤſcherung unterworffen ſey? daß die-
ſe gewaltige Frau aus ihres Knechtes Munde
den lebenden Athem ausblaſen ſolle? Haben
ſie mit ihrer Seele nie begriffen/ was in die
Sinnen des Leibes nicht fallen kan; hat ſie nie
gebillicht/ was dem Auge unglaublich ſchei-
net; Als daß der kleineſte Stern groͤſſer als
der Erdbodem; hat ſie die Wolluſt nie ver-
fluchet/ derer Kuͤtzel doch dem Leibe ſo wohl thut?
Wie mag ihnen denn ihre Zertrennung bey der
Erblaſſung des Leibes ſo unmoͤglich ſcheinen?
Die letztern Weltweiſen aber ſind wenig beffer;
weil ſie die Seele einem irrdiſchen Leibe wie den
Leib einem umbmaͤßlichen Orte anbinden/ und
ſelbte gleichſam nur fuͤr eine Bewegung/ oder
fuͤr ein Gewichte des Leibes halten/ welches ihn
als eine Uhr fort treibe; ja wohl gar uns bereden
wollen: daß das Waſſer das feurige Weſen der
Seele erſaͤuffen/ oder eine groſſe Laſt ſelbte wie
einen Rauch zertheilen koͤnne. Da ſie ſelbſt doch
geſtehen: ihr Urſprung ruͤhre von Gott/ wie
der Tag von der Sonnen her/ und dahero ſey
ſie nichts minder als Gott/ der nichts leibliches
an ſich hat/ fuͤr ein von der Glieder irrdiſchen
Huͤtten abſonderliches Weſen zu halten/ wel-
ches ohne den Werckzeug des Leibes in und
von ſich ſelbſt genugſame Krafft zu wuͤrcken
habe. Die mitlern haben durch erblickte E-
wigkeit der Seelen zwar ein groſſes/ iedoch
lange noch nicht vollkommenes Licht der War-
heit erkieſet. Mecenas hoͤrte ihm begierig
zu/ und fing nach einem langen Nachdencken
an: Jch bin zwar auch der Meinung: daß
die Seele durch den Tod ſich aus ihrem Ker-
cker des Leibes in vergnuͤglichere Freyheit ent-
reiſſe; Aber warum ſoll ich nicht die Ruhe
des Gemuͤthes/ die eingebohrne Tochter der
Unſchuld/ die warhaffte Gebaͤrerin kuͤnffti-
ger Ergetzung/ als den Lebens-Balſam des
gegenwaͤrtigen Lebens dem Tode fuͤrziehen?
Jſt dieſer nicht nur der Scherge/ der uns
die Feſſel loß macht; jene aber die Befehlha-
berin Gottes/ welche unſere Erloͤſung anord-
net? ja der Vorſchmack des Himmels/ wie
ein boͤſes Gewiſſen der Hoͤlle? Denn wie die-
ſes allezeit die Furcht der Straffe in ſeinem
Buſem traͤgt; alſo ſchmecket die ihr bewuſte
Unſchuld ſchon die Freude ihrer Vergeltung.
Zarmar verſetzte: Jch gebe allem dieſem Vey-
fall; ja ich weiß: daß ein laſterhafftes Leben
nicht ſo wohl ein Leben/ als ein Trauren ſey.
Der Geiſt/ der es beſeelet/ iſt eine bloſſe Ein-
bildung; dieſe aber ſchon ſein Hencker und
ſeine Folterbanck. Die Furcht verfolget ei-
nen Boßhafften aͤrger/ als der Schatten den
Leib. Seine Luſt-Haͤuſer/ koͤnten ſie gleich
ſchoͤner/ als dieſes ſeyn/ ſind ſeine Kercker/
welche der gantzen Welt/ nur ihm nicht gefal-
len. Von ſeinen Blumen-Beethen genuͤſſen
andere die Roſen/ er nur die Dornen. Da auch
dieſe gleich zuweilen eine unvorſichtige Hand
verwunden/ ſo durchſtechen ſie aber ihm ſei-
ne Seele. Seine bangſamen Seuffzer ver-
jagen den kraͤfftigen Geruch/ wormit die Bluͤ-
then der Granat-Aepffel/ und die Jaſminen
die Lufft einbalſamen. Das Rauſchen ſeiner
Springbrunnen ſchreyet ihm in die Ohren: daß
alle ſeine Eitelkeiten wie das Waſſer zerrinnen/
ſeine Marter aber unvergaͤnglich ſeyn werde.
Der
[697]Arminius und Thußnelda.
Der fuͤr Augen ſchwebende Verluſt macht ihm
ſein Reichthum zur Uberlaſt/ und auf das Altar/
welches die Heuchler ſeiner Wuͤrde anzuͤnden/
liefert er ſein Hertze ſelbſt zu einem brennenden
Opffer. Ja wer an der Hoͤllenpein zweiffelt/
frage ein boͤſes Gewiſſen/ ſo wird er vernehmen/
daß es Hencker und Foltern/ die man nicht ſehe/
und ein Leben gaͤbe/ welches aͤrger als der Tod
iſt. Herentgegen/ weil ein ruhiges Gemuͤthe
unaufhoͤrlich auf Gott/ wie die Magnet-Nadel
nach dem Angelſterne zielet/ muß ſelbtes in ei-
nem Meer voll Ergetzligkeiten ſchwimmen;
auch nichts anders/ als diß/ die unvermeidliche
Noth zu ſterben verzuckern; ja ſeine bitterſte
Galle zwiſchen gluͤenden Zangen annehmlich
machen: alſo daß/ wie ſchwartz und grauſam er
denen Laſterhafften fuͤrkommt/ er dennoch von
jenen als ein liebreicher Braͤutigam umarmet
wird. Aus welchem Nachdencken der Mei-
ſter dieſes Todtenbildes vielleicht das annehmli-
che Helffenbein zu einem ſonſt ſo abſcheulichen
Geſpenſte erkieſet hat. Alleine es iſt nicht
moͤglich/ daß ein Menſch entweder aus einem
tieffen Schlaffe der Unachtſamkeit/ oder aus ei-
ner falſchen Eigenliebe ihm eine Gewiſſens-
Ruh mache/ und bey ſeiner gefaͤhrlichſten
Kranckheit gleichwol keine Schmeꝛtzen empfin-
de? Pflegen nicht die/ welche aus ihren Laſtern
ein Handwerck gemacht/ alle Stachel des Ge-
wiſſens zu verlieren; ja ſich uͤber ihrer begange-
nen Boßheit noch zu kitzeln? Oder ſchweben wir
elende Menſchen nicht allhier auf ſo glattem Ei-
ſe/ daß wer heute ſtehet/ morgen zu Bodem faͤllt?
Einen Ringer aber kroͤnet nicht der gute An-
fang/ ſondern ein herrliches Ende; Einen
Menſchen nicht ſeine eigene Beruhigung/ ſon-
dern ein ſeliger Tod. Mecenas begegnete ihm:
Jch vertheidige ein gutes Gewiſſen/ welches
keine andere/ als einen tugendhafften Wandel
zur Mutter hat; nicht die Schlaffſucht derer/
die in dem Schlamme der Suͤnden ohne einige
Empfindligkeit ſtecken. Dahero muͤſſen dieſe
Mahblumen nicht mit wohlruͤchenden Roſen
vermengt werden. Jch kenne auch zwar nicht
die menſchlichen Schwachheiten; Aber die Ab-
ſetzung von einem guten Abſehen klebet nur fah-
ſelnden Buhlern/ oder Gleißnern an. Denn
in der Tugend ſteckt eine kraͤfftige Anmuth/ daß
wer ſie nur einen Augenblick wahrhafftig lieb
gewonnen hat/ ſelbte ſie ſein Lebetage nicht haſ-
ſen kan. Vollkommentlich aber kan niemand
was lieben/ der es nicht vorher eigentlich erken-
nen lernen. Die Tugend aber erkennen iſt ei-
ne Verbuͤndnuͤß mit Gott/ ein Ancker der Se-
ligkeit/ ein Geſchmack uͤber alle Suͤßigkeiten
der Wolluſt/ und alle Bitterkeiten des Lebens.
Dieſemnach der weiſe Epicur zu ſagen gepflegt
hat: Ein Weiſer wuͤrde nicht des Lebens uͤber-
druͤßig/ und verlangte nicht zuſterben/ wenn
man ihm ſchon beyde Augen ausſtaͤche. Und
er wuͤrde allezeit den Goͤttern fuͤr Erhaltung
des Lebens danckbar ſeyn/ wenn ſie ihn ſchon
nach ſo vielen Liebkoſungen laͤhmeten/ verſtell-
ten/ zum Kriepel werden und am Kreutze ſtehen
lieſſen. Zarmar begegnete ihm: Er waͤre wol
ſelbſt kein Weichling/ noch auch ihr Vertheidi-
ger/ ſondern er hielte es fuͤr die groͤſte Tugend in
einem preßhafften Leibe einen freudigen Geiſt
behalten. Alleine diß waͤre eine allzu ſtrenge
Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt/ aus Haß gegen
dem Tode/ erbaͤrmlich zu leben wuͤnſchen; wie-
wol diß nicht ein Leben/ ſondern eine Tauerung
der Pein/ ja vielmehr ein langſames Sterben
waͤre. Es ſchiene eine ſchnoͤde Bettelung der
Furcht zu ſeyn/ wenn man lieber die Seele
gleichſam Tropffen- oder Stuͤckweiſe/ und durch
eine langſame Schwindſucht/ als auf einmahl
behertzt auszublaſen wuͤnſchte. Er hielte die
Nothwendigkeit zu ſterben eben ſo wol fuͤr eine
Wolthat der Natur/ als ein Gefangener einem
zu dancken Urſach haͤtte/ der ihm die Feſſel auff-
loͤſete. Dannenhero muͤſte man ſich der Be-
gierde zu leben enteuſern/ weil es doch insge-
mein befleckt oder beſchwert waͤre; den Tod aber
Erſter Theil. T t t tam
[698]Fuͤnfftes Buch
am wenigſten fuͤrchten. Denn es waͤre doch
wenig daran gelegen/ wenn man diß uͤberſtuͤn-
de/ was man endlich einmal uͤberſtehen muͤſte.
Es haͤtte nichts auf ſich/ wie lange; wol aber/ ob
man wol lebte. Ja vielmal beſtuͤnde die Guͤte
des Lebens darinnen/ daß es kurtz waͤre. Me-
cenas antwortete: Es waͤre wol eine Thorheit
zu leben/ um vom Schmertze gefoltert zu wer-
den/ aber eine groͤſſere Zagheit/ des Schmer-
tzens halber zu ſterben. Denn wer um dieſes
Henckers ſich zu entſchlagen ihm das Leben ver-
kuͤrtzte/ oder ſich nur nach dem Tode ſehnete/
ſtuͤrbe nicht/ ſondern wuͤrde als ein Zaͤrtling von
Kleinmuth uͤberwunden. Es waͤre eine groſſe
Vergnuͤgung lange mit ſich ſelbſt umgehen/
wenn man anders ſich durch Tugend wuͤrdig ge-
macht haͤtte ſein zu genuͤſſen. Und daher doͤrf-
ten nur die Laſterhafften fuͤr einem aͤngſtigen
Alter Eckel haben/ und eine ſtinckende Leiche zu
werden wuͤnſchen. So lange aber euſerliche
Ungemach/ und der kraͤnckliche Leib das Gemuͤ-
the nicht entkraͤfftet/ und einem nicht nur die
Seele/ ſondern das Leben uͤbrig bliebe/ ſolte ein
Weiſer das Tagelicht erfreuet anblicken/ und
nach der Abendroͤthe des Todes keinen Seufzer
ſchicken. Jch/ ſagte Zeno/ fiel hier ein/ weil der
Abend einbrach/ und ich wahrnahm/ daß Mece-
nas vom Kaͤyſer einen Zettel bekam. Beyde
Meinungen kaͤmen einander ſo nahe/ daß ſie
ſchwerlich mehr unterſchieden werden koͤnten.
Und ich hielte darfuͤr/ daß wenn Mecenas die
Ruhe ſeines Gemuͤthes lange mit dem Leben be-
halten/ Zarmar aber nach ſeiner verlangten Art
ſterben wuͤrde; beyde von dem allgemeinen
Zwecke des hoͤchſten Gutes nicht entfernet ſeyn
koͤnten.
Alſo nahmen wir mit groͤſter Vergnuͤgung
vom Mecenas Abſchied/ fanden aber in unſerm
Hauſe zu hoͤchſter Verwirrung die drey koͤſtli-
chen Stuͤcke/ welche wir gegen dem Mecenas/
als die ſchaͤtzbarſten/ geruͤhmet/ ſchon als ſein Ge-
ſchencke fuͤr uns ſtehen. Dieſemnaͤch wurden
wir ſchluͤßig auf den Morgen uns in den Gar-
ten des Mecenas zu verfuͤgen/ und an die ledige
Stellen etliche Seltzamkeiten/ die wir aus Mor-
genland mit gebracht/ zu verſetzen. wir fanden
aber die Luͤcken ſchon durch drey koͤſtliche Bilder/
nemlich einen Kopf Hannibals aus Berg Cry-
******ſtallen/ einen Liedes-Gott aus Magnet- und ei-
ne Helena aus Agſteine erſetzt/ und den Maro
darbey/ um ſelbten eine anſtaͤndige Uberſchrifft
beyzuſetzen. Wie wir nun dieſes verſtunden/ gab
lch dem Maro zu verſtehen/ daß wir die Freyge-
bigkeit des Metenas durch geringe Erkaͤntnuͤſ-
ſe zu begegnen vermeinet haͤtten; wir ſaͤhen aber
wol/ daß unſerm guten Willen ſchon eine ſinn-
reichere Hand zuvor kommen waͤre. Denn mei-
nes Beduͤnckens haͤtte der Bildhauer zu dem
Kopfe des gluͤck- und ungluͤckſeligen Hannibals
nichts geſchickters als zerbrechliches Glaß/ zu
der Liebe/ welche den rauheſten Stahl an ſich
zeucht/ nichts beſſers als dieſen Stein/ und zu
Helenen/ welche Griechenland und Aſien ange-
zuͤndet/ und ſo viel tauſend Augen-Thraͤnen auͤs-
gepreſt/ nichts beqvemers/ als den brennenden
und aus denen Thraͤnen der Sonnen-Toͤchter
zuſammen geronnenen Agſtein nehmen koͤnnen.
Jedoch hofften wir/ es wuͤrde Mecenas unſer
geringes Opffer der Danckbarkeit/ oder viel-
mehꝛ ein veraͤchtliches Gedaͤchtnuͤß-Mahl nicht
verſchmaͤhen. Hiermit ließ der Geſandte ihm
ein breites Becken aus Agat/ darinnen von Na-
tur ein gruͤnlicher Froſch gewachſen war/ rei-
chen/ und legte des Hannibals Haupt darein.
Dem Cupido hieng er einen mit Diamanten
verſetzten Koͤcher um/ mit Andeutung: weil der
Magnet bey Diamanten ſeine Krafft verlieren
ſolte/ wolte er durch dieſen Beyſatz auch die Heff-
tigkeit der Liebe etwas maͤßigen. Jch hatte in
Egypten das Bild des Paris erkaufft/ welches
Euphranor aus Thebaiſchem Steine ſo kuͤnſt-
lich gehauen hatte/ daß es ihn zugleich als einen
Richter der drey Goͤttinnen/ als einen Liebha-
ber
[699]Arminius und Thußnelda.
beꝛ Helenens/ und einen Erlegeꝛ des Achilles fuͤr-
ſtellte. Dieſes ließ ich nebſt die Agſteinerne He-
lena ſetzen/ als welche fuͤrlaͤngſt Liebe und Ver-
haͤngnuͤß zuſammen vermaͤhlet haͤtte. Maro
verwunderte ſich uͤber unſere ſo wol eintreffende
Geſchencke/ konte ſich auch kaum bereden laſſen/
daß wir von dieſen neuen Bildern des Mecenas
keinen Wind kriegt haben ſolten/ ſondern dieſe
Einſtimmung aus bloſſem Zufalle herruͤbren
ſolte. Nebſt dieſem meldete er/ weil er in dieſem
Garten nichts zu befehlen haͤtte/ koͤnte er uns
unſern Geſchencken zwar nicht den Raum ver-
ſchrencken/ iedoch zweiffelte er/ daß Mecenas ſich
wuͤrde uͤberwinden koͤnnen ſelbte anzunehmen.
Deñ wir moͤchten glauben/ daß es gefaͤhꝛlich waͤ-
re/ bey ihm etwas zu loben/ daß man es nicht ſel-
bige Stunde noch in ſein Hauß bekaͤme. Ja wie
groß gleich die Freygebgkeit des Kaͤyſers gegen
den Mecenas waͤre/ ſo verwendete doch Mece-
nas diß und ein mehrers zu nichts anderm/ als
dem Auguſtus hierdurch die Gemuͤther tapffe-
rer Leute zu erkauffen; alſo/ daß der Kaͤyſer mit
ſeinen Geſchencken mehr ein Kauffmann/ Me-
cenas aber mehr des Kaͤyſers guter Haußhalter/
als ſein Schoßkind zu ſeyn ſchiene. Hierentge-
gen vermoͤchten ihm gantze Laͤnder/ denen er
gleich die Freyheit von allen Schatzungen erbe-
ten/ nicht ein Cryſtallen Gefaͤß einzunoͤthigen;
weil er theils die Verbindligkeit der Gemuͤther
aller Welt Schaͤtzen vorziehe/ theils ſeine Wol-
thaten nicht mit dem Schatten des geringſten
Eigennutzes verduͤſtern wolte. Niemals aber
haͤtte ihn der Kaͤyſer ſelbſt bewegen koͤnnen/ ei-
niges Ampt oder Ding/ das ein Verdam̃ter be-
ſeſſen/ und zu der Kaͤyſerlichen Schatzkammer
eingezogen worden/ anzunehmen/ gleich als
wenn des vorigen Beſitzers Laſter hiermit auch
auf ihn verfielen. Maro hatte diß letzte Wort
noch im Munde/ als Mecenas ſelbſt in den Saal
trat/ und nach unſerer freundlichſten Bewill-
kommung auf des Maro Winck unſerer Ge-
gengeſchencke gewahr ward. Worauf er denn
alſofort ſich als beſchaͤmt zu ſeyn beklagte/ daß
wir durch unſere uͤbermaͤßige Vergeltung ihm
nicht allein ſein Unvermoͤgen uns nach Ver-
dienſt zu beſchencken/ fuͤr Augen ſtellten/ ſondern
auch/ da wir uns nicht erbitten lieſſen ihn dieſer
allzu ſchaͤtzbaren Gaben zu uͤberheben/ ihm ein
Verbrechen wider ſein Ampt aufnoͤthigten. Ge-
genwaͤrtige an den Ecken der Blumenſtuͤcke ſte-
hende Bilder erinnerten ihn ſeiner Schuldig-
keit/ daß eines Fuͤrſten Diener zwar Augen/ um
die Fruͤchte ſeines Herren zu bewachen/ nicht a-
ber Haͤnde ſelbte abzubrechen haben ſolte. Die
anfaͤngliche Uberwuͤndung anfangs was von ei-
nem guten Freunde anzunehmen/ ziehe leicht ei-
ne Begierde nach ſich auch diß/ wormit die Boß-
heit den redlichſten Richter zu beſtechen verſu-
chet/ nicht zu verſchmaͤhen. Denn der Geitz und
das Feuer wachſe von dem/ wormit ſich beydes
ſaͤttigen ſolte. Alleine ſolche Diener/ wenn ſie ſich
mit dem Raube des Volckes uͤber alle Maaß uͤ-
berleget/ wuͤrden hernach nicht unbillich als
Schwaͤmme von ihren Fuͤrſten ausgedruͤckt/ o-
der ſie wuͤrden auch ein fettes Schlacht-Opffer
des aus geſogenen Poͤfels/ und erfuͤhren mit ih-
rem Untergange zu ſpaͤt/ daß ſie wie die Holtz-
wuͤrmeꝛ ihnen zwar in groſſe Baͤume ihre Woh-
nungen gebauet haͤtten/ mit dem ausgefreſſenen
Stamme aber endlich zu Grunde giengen. Am
aͤrgſten aber waͤre/ daß ſolche unerſaͤttliche Leute
mit ihrem Laſter noch den unſchuldigen Fuͤrſten
beſudelten/ in dem das Volck ſelbten entweder
fuͤr unachtſam/ der ſeiner Diener Schalckhei-
ten uͤberſehe/ oder fuͤr eben ſo boßhafft hielte/ der
an ſolchem Raube theil haͤtte. Wir hinge-
gen baten: unſere Geringigkeiten nicht durch
den Nahmen einer Vergeltung noch mehr zu
vergeringern. Denn/ ob wir wol durch ſeine
Wolthaten uns von Natur hierzu verbindlich
erkennten/ ſo uͤberſtiegen ſie doch das Maaß un-
ſerer Kraͤfften. Uberdiß hielten wir darfuͤr/
daß die Danckbarkeit alleine mit dem Her-
tzen/ die Zahlung aber durch Liefferung eines
T t t t 2gleich-
[700]Fuͤnfftes Buch
gleichgiltigen Dinges geſchehe. Mecenas
ſolte erwegen/ daß die Geſetze der Freundſchafft
nicht nach der Richtſch nur des Eigennutzes ab-
zumaͤſſen waͤren/ und bey ſo geſtalten Sachen
haͤtten ſie auch des Mecenas ſo auſehnliche Ga-
ben zuruͤck ſenden ſollen. Von iederman Ge-
ſchencke annehmen waͤre Geitz/ von vielen eine
Niedrigkeit des Gemuͤthes/ von niemanden ei-
ne Grauſamkeit. Unſer Abſehen waͤre allein
die Ehre zu haben/ daß unſere Scherben an dem
Orte ſtehen doͤrfften/ wohin der Kaͤyſer etwas zu
ſetzen fuͤr ein Gluͤck ſchaͤtzte/ und wohin alle Voͤl-
cker ihre Seltzamkeiten/ als einen der Tugend
ſchuldigen Zinß zu lieffern verbunden waͤren.
Ja da er dem wenigen den Raum nicht erlaub-
te/ lieſſe ſeine Hoͤfligkeit es zwar fuͤr keine Ver-
achtung ausdeuten; allein es wuͤrde zu Athen
nebſt ſeiner Wolthat/ unſer Undanck ruchbar
werden. Niemand aber ſolte aus dem Ehre
ſuchen/ was zu eines andern Verkleinerung ge-
reichte. Mecenas zohe die Achſeln ein/ und
vermeldete: Es waͤre zwar einer Verwerffung
des Geſchenckes nicht unehnlich/ wenn ſelbtem
ein groͤſſeres auf der Ferſen zuruͤck folgte; allei-
ne er muͤſte nur der Ubermaſſe unſer Hoͤfligkeit
ſich unter werffen/ und bey ſeiner Schamroͤthe
troͤſten/ daß gute Gemuͤther zwar Wolthaten
nicht ver geſſen koͤnten/ wol aber zuweilen dar-
fuͤr muͤſten Schuldner bleiben. Die Erkaͤnt-
nuͤß der Schuld aber waͤre ſchon ein Theil der
Vergeltung/ vielmal auch einer Vergeltung
fuͤrzuziehen. Hiermit kam Mecenas zu ge-
nauer Betrachtung unſerer Geſchencke/ welche
er uͤber ihren Werth nicht genung zu ſchaͤtzen
wuſte. Als er aber in dem Agathenen Becken
den gruͤnlichten Froſch erblickte/ vermochte er
ſeine Gemuͤths-Regungen nicht mehr im
Schrancken zu halten/ brach dannenhero her-
aus: Jhr Goͤtter! haͤttet ihr unter irrdiſchen
Dingen mir ſelbſt wohl ein annehmlicher Ge-
ſcheneke zu liefern vermocht? Oder habt ihr
nichts minder den Pinſel der Natur/ als das
Gemuͤthe des Maſulipats gereget/ daß ſie die-
ſes beliebte Bild in die Adern dieſes edlen Stei-
nes eingepreget? Wie wir nun einander anſe-
hende uns bekuͤmmerten/ was den Mecenas ei-
gentlich zu dieſer Regung verurſacht/ wieſe er
uns an ſeiner Hand den Petſchir-Ring/ in wel-
chem auf einen vielfaͤrbichten groſſen Opal ein
Froſch gegraben war. Sehet/ fing er an/ hier
den Stein/ weſſentwegen Marcus Antonius
den Nonius von Rom verjaget/ und welchen zu
erhalten Nonius lieber ſein Vaterland verlaſ-
ſen wollen. Dieſen aber hat Nonius hernach
fuͤr groſſe Wolthaten dem Kaͤyſer freywillig/
der Kaͤyſer aber mir geſchencket/ und weil ich
mir zum ewigen Wapen meines Geſchlechtes
einen Froſch erwehlet/ ſolchen darein graben
laſſen. Wie hoch ich dieſen zeither geſchaͤtzet/
kan Maro zeugen; alſo laſſe ich ſie allerſeits ur-
theilen/ wie viel hoͤher ich dieſes mein von der
Natur ſelbſt gemahltes Wapen zu ſchaͤtzen habe.
Mit dieſen annehmlichen Abwechſelungen
brachten wir ſchier biß an Mittag zu/ als
Mecenas zum Kaͤyſer beruffen ward. Maro
erzehlte uns hierauf/ daß als Auguſtus den
Sphinx/ als ſein muͤtterliches Wapen/ mit dem
Bilde des groſſen Alexanders verwechſelt/ haͤtte
Agꝛippa/ wie fuͤr Zeiten Agamemnon/ einen Loͤ-
wen-Kopf/ Mecenas aber einen Froſch erkieſet.
Dieſer habe ſeine Erfindung von den Egy-
ptiern/ welche mit dem Froſche auf einer Waſ-
ſerblume die menſchliche Unvollkommenheit
fuͤrbilden/ entlehnet/ und zu ſeiner Erinne-
rung ihm dieſes veraͤchtliche Thier fuͤrgeſtellet/
daß/ wie ein Froſch mit ſeinem Vordertheile aus
dem todten Schlamme ſich zu reiſſen bemuͤhet/
wenn gleich ſein unbeſeelter Hinterleib noch Er-
de iſt; alſo die Seele des Menſchen nicht in dem
Kothe irrdiſcher Dinge/ oder unter der Buͤrde
ſeines beſchwerlichen Leibes verſtarren/ ſondern
ſich zu Gottempor zu ſchwingen bemuͤhen ſolte.
Maro weiſte uns hier auf in einem Luſthauſe al-
lerhand von Froͤſchen genommene Sinnenbil-
der.
[701]Arminius und Thußnelda.
der. Uber einem von der Erde ins Waſſer
ſpringenden war geſchrieben: Allenthalben;
um anzuzeigen/ des Froſches Geſchickligkeit im
Waſſer und auf der trockenen Erde zu leben/
waͤre eine Anweiſung/ daß ein vernuͤnfftiger
Menſch in Gluͤck und Ungluͤcke einerley Ge-
ſichte behalten folte; Darneben hatte ein-gegen
einer den Rachen aufſperrenden Schlange
huͤpffender Froſch ein Stoͤcklein qver uͤber im
Maule/ mit der Uberſchrifft: Mit Ver-
nunfft/ nicht durch Staͤrcke; Zur An-
weiſung/ daß man durch Fleiß und Klugheit ſei-
ner Schwaͤche zu Huͤlffe kommen ſolte. Fer-
ner hatte ein auf dem Ruͤcken mit Bienen beſeſ-
ſener Froſch dieſe Uberſchrifft: Gegen das
empfindlichſte unempfindlich; wordurch
ange zielet war/ daß wie die Froͤſche die ſchaͤrff-
ſten Stiche der feindlichen Bienen nicht fuͤhl-
ten; alſo ſolte ein Tugendhaffter ſich die Verfol-
gungen des Gluͤcks/ und die Anſte chungen der
Verleumder nichts anfechten laſſen. Auff ei-
ner andern Taffel lag ein auffgeſchnittener
Froſch/ mit zweyen heraus hangenden Lebern
auf einem Altare. Daruͤber war zu leſen:
Solch Gluͤcke in der Veraͤchtligkeit;
Um anzudeuten/ daß wie die Froͤſche zwar ge-
ringe Thiere waͤren/ und doch zwey Lebern haͤt-
ten; alſo die Demuth eine Mutter des Gluͤckes
waͤre. Sintemal bey den Opfferungen fuͤr
das ſchlimmſte Zeichen gehalten ward/ wenn
das dazu beſtimmte Vieh keine Leber/ fuͤr das
gluͤckſeligſte aber/ wenn es zwey Lebern hatte.
Jenes befand ſich alſo/ als Marcellus vom An-
nibal erſchlagen ward; dieſes aber begegnete
dem Auguſt zu Spolet. Deßwegen ihm auch
der Prieſter auf ſelbiges Jahr die Erlangung
einer zweyfachen Herrſchafft ankuͤndigte/ wohin
dieſes Sinnbild vielleicht auch zielen mochte.
Ferner war auf einem Kupffer-Blatte ein-an
einer Angel ins Waſſer gehenckte Froſch ge-
mahlet/ an welchen ſich zwey Purpur-Mu-
ſcheln hingen/ ſonder einige Beyſchrifft. Ma-
ro erzehlte/ der Kaͤyſer haͤtte diß Gemaͤhlde dem
Mecenas gegeben/ und/ ſo viel er urtheilen koͤn-
te/ ihm darmit zu verſtehen geben wollen/ daß
wie die Purpur-Schnecken eine ſonderbare
Neigung haͤtten ſich mit Froͤſchen zu ſpeiſen;
alſo haͤtte auch er und Livia am Mecenas eine
ſonderbare Vergnuͤgung. Viel andere da-
ſelbſt befindliche Sinnbilder/ ſagte Zeno/ moͤch-
te er nicht erzehlen/ auſer noch eines/ wie nehm-
lich ein gegen der Sonne aufgeſtellter Froſch
ſein Maul in den Schlamm ſteckte/ mit beyge-
ſetzten Worten: Eine ſtillſchweigende
Verehrung; welches lehren ſolte/ daß wie
die des Nachts lauten Froͤſche gegen dem Tage
verſtum̃ten; alſo ſolte ein vernuͤnfftiger Staats-
Diener ſeinem Fuͤrſten nie widerſprechen.
Hertzog Herrmann fing an: Er haͤtte den Me-
cenas gekennt/ und er wuͤrde nicht nur ſeiner
Gewogenheit/ ſondern auch ſeiner Tugenden
halber ſein Gedaͤchtnuͤß allezeit hoch halten.
Allein er haͤtte dem Mecenas gewuͤnſcht/ daß
ſelbter noch zweyerley Anmerckungen von de-
nen ſo beliebten Froͤſchen genommen haͤtte; von
welchen man glaubte/ daß wenn man einem le-
benden Froſche die Zunge ausriſſe/ ihn fort-
ſchwimmen lieſſe/ und ſie einem ſchlaffenden
Weibe aufs Hertze legte/ ſie alle ihre Heimlig-
keiten/ darum ſie gefraget wuͤrde/ eroͤffnete.
Weñ man aber mit einem Schilffe einen Froſch
zum Geburts-Gliede hinein/ und zum Maule
heraus ſtaͤche/ dieſes aber hernach in ihr Mo-
nats-Gebluͤte ſteckte/ kriegte ſie fuͤr Ehbruche
eine Abſcheu. Haͤtte nun diß letztere Mecenas
gethan/ wuͤrde ihm ſeine Terentia keinen ſo boͤ-
ſen Nahmen/ und ihm keinen Spott zugezogen
haben. Haͤtte er auch Terentien/ und ſie nicht
ihm die Heimligkeit ſeines Herrſchens heraus
gelockt/ ſo haͤtte er nie vom Kaͤyſer wegen ihr
entdeckter Mureniſchen Verſchwerung ge-
T t t t 3ſchol-
[702]Fuͤnfftes Buch
ſcholten werden doͤrffen. Zeno antwortete:
Es iſt diß ſehr kluͤglich erinnert/ und ich weiß/
wenn Mecenas noch lebte/ und es ſelbſt hoͤrete/
wuͤrde er fuͤr ſo aufrichtige Lehren danckbar
ſeyn/ und ſie ſeinen Sinnebildern noch beyſe-
tzen. Nach derſelben Betrachtung/ fuͤhrte er
uns bey der ſich vergroͤſſernden Mittags-Hitze
in eine mit vielen kuͤnſtlichen Springwaſſern
erfriſchete Hoͤle/ darinnen wir wieder unſer
Vermuthen die Taffel aufs koͤſtlichſte zugerich-
tet antraffen. Weil nun Mecenas ſich ſelbſt
nicht vom Kaͤyſer entbrechen konte/ kamen auff
ſein Erſuchen Cneus Calpurnius Piſo/ der fuͤr
Jahren ſchon Buͤrgermeiſter geweſt war/ Lici-
nius Nerva Silanus/ und Marcus Furius/ al-
le Roͤmiſche Rathsherren/ uns die Zeit zu ver-
kuͤrtzen. Etliche folgende Wochen brachte Me-
cenas mit dem Geſandten meiſtentheils in gehei-
men Handlungen/ ich aber theils in Beſchauung
der denckwuͤrdigen Sachen zu Athen/ theils
auch mit Ergetzligkeiten auf dem Lande/ und mit
Durchleſung des vom Mecenas ſcharfſinnig
beſchriebenen Prometheus zu; welch Buch mir
Maro in Vertrauen geliehen/ und mich da-
durch nicht wenig vergnuͤgt hatte. Sintemal
er anfangs darinnen die Geſchichte des Prome-
theus/ wie er einen Erfinder der Sternen-Bild-
hauer- und anderer Kuͤnſte/ ein Artzt/ einen
Ertzt- und Kraͤuter-Verſtaͤndigen/ einen
Wahrſager abgegeben; hernach ihn als ein
herrliches Fuͤrbild des Kaͤyſers Auguſt/ und deſ-
ſen gantze Herrſchafft in Sinnbildern beſchrie-
ben hatte. Kaͤyſer Julius war in der Geſtalt
des Japetus/ als ſein Vater/ und das Bild der
Themis/ als ſeine Mutter/ Antonius in der Ge-
ſtalt des vermeſſenen Epimethus fuͤr geſtellet/
welcher aus Cleopatrens Wolluſt-Gefaͤſſen/
wie aus der Schachtel Pandorens alles Boͤſe
heraus fliegen ließ. Jnſonderheit war nach-
dencklich zu ſehen/ wie der Kaͤyſer als der andere
Prometheus das thoͤnerne Bild deꝛ Stadt Rom
von Stuͤck zu Stuͤck in Marmel verwandelte/
und die herum in einem Kreiſſe abgebildeten
Voͤlcker der Welt allerhand koſtbare Edelge-
ſteine/ Perlen/ Gold/ Ertzt und andere Schaͤtze
zu Auszierung dieſes Bildes zulangeten; weil
er derogeſtalt ſein Vaterland verbeſſert zu haben
ſich ruͤhmte; an einem andern Orte/ wie er die-
ſem Roͤmiſchen Bilde die Hertzhafftigkeit der
Loͤwen/ die Scharfſichtigkeit deꝛ Adler/ die Klug-
heit der Schlangen/ die Froͤmmigkeit der Stoͤr-
che durch Einhauchung dieſer Thiere einfloͤſte/
und dardurch den erſten Prometheus weit uͤber-
treffe/ als welcher ſeines mit der Furcht der Ha-
ſen/ der Argliſt der Fuͤchſe/ der Maulwuͤrffe
Blindheit/ mit der Hoffart der Pfauen/ und
der Grauſamkeit der Tyger ausgeruͤſtet haͤtte.
Ferner war der Kaͤyſer abgebildet/ wie ihm Mi-
nerva biß an den Wagen der Sonnen empor
half/ daran er die Fackel der Weißheit anzuͤnde-
te/ und dieſes edle Feuer nach Rom brachte. Der
Adler/ welcher dem Prometheus auf dem Ge-
buͤrge Paropamiſus die Leber fraß/ war auf die
Roͤmiſche Herrſchafft ausgedeutet/ welche Au-
guſt ihrer Beſchwerligkeit halber niederzulegen
offt entſchloſſen war; gleichwohl aber auff des
Mecenas Einrathen dem gemeinen Weſen
zum beſten/ dieſe Sorge taͤglich an ihm nagen
ließ.
Nach dem nun Maſulipat mit dem Mece-
nas zum Schluſſe kommen war/ kam folgenden
Tages Mecenas ſehr fruͤh zu uns/ und fuͤhrte
uns in Athen herum/ unter dem Vorwand die
Seltzamkeiten dieſer beruͤhmten Stadt zu zei-
gen. Wir fuhren durch die heilige Pforte/ und
traten zu erſt im Anaccon/ oder dem beruͤhmten
Tempel des Caſtor und Pollux ab/ darinnen
Piſiſtratus die Buͤrgerſchafft verſam̃lete/ als er
ſie zu entwaffnen vor hatte. Neben dem Tem-
pel iſt der Marckt leibeigener Knechte. Von
dar fuhren wir uͤber eine Hoͤhe in den luſtigen
Garten des weiſen Melanthius/ darinnen des
beruͤhmten Redners Lycurgus Grab/ und ein
Marmel-Bild des wider den Rieſen Polybotes
kaͤmpf-
[703]Arminius und Thußnelda.
kaͤmpffenden Neptunus wuͤrdig zu ſehen war.
Hernach betrachteten wir den Spatzier-Gang
und den Ubungs-Platz des Mercur/ wie auch
den Tempel des Bacchus/ wo vorher des Poly-
tion Hauß geſtanden hatte/ darinnen die Elev-
ſiniſchen Geheimnuͤſſe vom Alcibia des waren
entweihet worden. Wir fuhren hierauf zu dem
Grabe des Deucalion/ und dem Graben/ wor-
innen das letztere Waſſer der Suͤndfluth ver-
ſuncken ſeyn ſoll. Nach dieſem betrachteten
wir den Tempel des Saturn und der Rhea;
fuͤrnehmlich aber den des Olympiſchen Jupi-
ters/ welcher als der groͤſte Tempel der Welt
die Groͤſſe dieſes Gottes abbilden ſol. Hier-
auff leitete uns Mecenas durch die Egeiſche
Pforte in das praͤchtige Hauß und die Gaͤrte
des Egeus/ darinnen das vom Phidias gemach-
te Bild der Venus alle andere Koſtbarkeiten
uͤbertraf. Weil es nun bereit uͤber den Mit-
tag war/ lieſſen wir auf der rechten Hand den
Tempel der himmliſchen Venus/ Jſocratens
Grab/ der Cyniſchen Weltweiſen Schule lie-
gen/ und beſahen allein in der Eyl den Tempel
des Hercules/ und ſein Bild/ des Gelades
Meiſterſtuͤcke/ den Phidias zum Lehrmeiſter
gehabt. Die Huren-Kinder wurden allhier ge-
uͤbt/ und verehrten den nicht beſſer gebohrnen
Hercules. Hierauff ließ Mecenas in vollen
Buͤgen auff einen dem Tritoniſchen Fels ge-
gen uͤber liegenden Huͤgel rennen/ auf welchem
fuͤr Zeiten Muſeus ſeine Gedichte abgeleſen/
die Athenienſer/ als Theſeus mit den Amazo-
nen ſtritt/ ihr Laͤger geſchlagen/ und endlich
die Macedonier um Athen im Zaume zu hal-
ten/ eine Feſtung gebaut hatten/ woraus ſie
aber hernach vom Olympiodor getrieben wur-
den. Allhier traffen wir unter dem Schat-
ten der Oelbaͤume eine praͤchtig-bereitete Taf-
fel an; worbey nach den auserleſenſten Saiten-
Spielen des Muſeus Gedichte abgeſungen/
und zwar die Orte/ wo eines oder das andere
geſchehen ſeyn ſolte/ von dieſer das Auge weit
uͤber Land und Meer tragenden Hoͤhe durch
den Maro gewieſen wurden. Gegen Abend
fuͤhrte uns Mecenas in den Tempel des Bac-
chus/ darinnen taͤglich vierzehn Prieſterinnen
den Gottesdienſt verrichteten. Wir laſen an
einer in der Mitte ſtehenden Marmel-Saͤule
die alten Heyraths-Geſetze der Athenienſiſchen
Koͤnige/ welche nur eine in Athen gebohrne
und auferzogene Jungfrau heyrathen dorff-
ten. Von dar fuhren wir in den Schauplatz
des Bacchus/ in den Spatzier-Saal des Eu-
menicus/ in den Tempel der Proſerpina/ der
Lucina/ und den uͤber aus praͤchtigen der guͤlde-
nen Dreyfuͤſſe/ darinnen wir den unver gleich-
lichen Satyrus/ welchen Praxiteles nebſt dem
der Phryne geſchenckten Cupido fuͤr ſein Mei-
ſterſtuͤcke hielt/ und daher dem Bacchus wied-
mete/ nicht genung betrachten konten. End-
lich als es ſchon daͤmmerte/ kamen wir in den
Tempel des Serapis. Unterweges erzehlte
uns Mecenas/ daß Auguſtus zum Gedaͤcht-
nuͤſſe und zu Danckſagung fuͤr die ihm in E-
gypten wider Cleopatren/ und die Mohren-
Roͤnigin Candace erhaltenen Siege daſelbſt
ein marmeln Altar haͤtte aufſetzen laſſen/ wel-
ches ſelbigen Abend der Jſis eingeweihet wer-
den ſolte. Der Tempel war hin und her
mit einer Ampel ein wenig erleuchtet. Wie
viel Volck gleich darinnen ſich befand/ ſpuͤt-
te man doch ein allgemeines Still ſchweigen.
Kurtz nach unſer Ankunfft ward ein Alaba-
ſternes Bild der Jſis auf einem guͤldenen Wa-
gen mit zwey zahmen Loͤwen in den Tempel
bracht/ welchem Auguſtus/ Livia und Terentia
auf dem Fuſſe folgten; die denn auch nebenſt den
Prieſtern ſelbſt mit Hand anlegten/ ſolches auf
das Altar zu heben. Das Bild ſtellte ein Frauen-
zimmer fuͤr. Das Haupt kroͤnten drey uͤber
einander geſetzte Thuͤrme; das Haar war wel-
licht ausgebreitet/ mit Korn-Achren untermen-
get/
[704]Fuͤnfftes Buch
get/ und mit einem Schleyer bedeckt; Uber den
Schlaͤffen ragten zwey gekruͤmte Schlangen
herfuͤr; am Halſe ſtand das Zeichen des Krebſes
und Steinbocks/ darunter aber Hercules mit
einem Palmzweige/ und Apollo mit einem Lor-
ber-Krantze. Die Armen waren mit vier Loͤ-
wen beſetzt und ausgeſtreckt. Jn der rechten
Hand hatte ſie eine Leyer/ in der lincken einen
Waſſer-Eymer/ daran die gleicher geſtalt zu
Sais in Egypten befindliche Uberſchrifft zu le-
ſen war: Jch bin alles/ was geweſt iſt/
und ſeyn wird. Kein Sterblicher hat
meinen Schleyer noch auffgedeckt.
Meine erſte Frucht/ die ich gezeuget/
iſt die Sonne. Und alles diß war mit ei-
nem Krantze aus Fruͤchten und Blumen um-
fangen. Die Vruſt und der Leib bis an Nabel
ſtrotzte von eitel Bruͤſten/ und ihr Guͤrtel war
mit dem halben Monden und vielen Sternen
beſetzt. Der Unter-Leib biß uͤber die Knichel
ſteckte in einem engen Keſſel; An dem Ober-
theile auf der einen Seite Diana/ auf der an-
dern Ceres; zwiſchen dieſen drey gehoͤrnte
Hirſchkoͤpffe/ und zwey Bienen eingeetzet wa-
ren. Jm mitlern Theile ragten auf der Seite
zwey Drachen/ im unterſten zwey Loͤwen her-
fuͤr/ zwiſchen beyden aber waren drey Ochſen-
Koͤpffe zu ſchauen. Die Beine um die Knichel
deckte ein zartes Hemde/ die Fuͤſſe aber waren
bloß/ der eine ſtand auf der Erde/ der ander auff
Waſſer. Jn das Altar war eingegraben:
Der einigen Jſis/ welche alles iſt.
Wie dieſes Bild nun feſte geſetzt war/ brachte
man ein Meerkalb/ und eine Gans herbey/ wel-
che ein Egyptiſcher Prieſter Choeremon/ den
der Kaͤyſer von Memphis her zu dieſem neuen
Gottesdienſte beſtellt hatte/ ſchlachtete/ und
aufopfferte. Bey dieſem Beginnen zohe mich
Zar mar der Brahman auf die Seite/ und ſagte
mir in ein Ohr: Laſſet uns dieſes beſudelten
Gottesdienſtes/ oder vielmehr dieſer unzuͤchti-
gen Gottes-Spoͤtter entbrechen! Jch verſetzte/
daß diß ohne Aergernuͤß des Volckes/ und ohne
Beleidigung ſo wol des Kaͤyſers/ als des Mece-
nas nicht geſchehen koͤnte. Gott ſtraffte auch
die Verſehrer eines irrigen Gottesdienſtes/ als
welcher beſſer/ als keiner waͤre. Zu dem hielte
ich dieſes Heiligthum fuͤr eine Verehrung der
Ceres oder Cybelens/ welche er von Kind auff
verehret/ die Vorwelt aber damit die goͤttliche
Erhaltung der gantzen Welt/ oder die Natur
fuͤrgebildet haͤtten. Die Thuͤrme bedeuteten
die Schloͤſſer der Geſtirne/ das Haar ihr Licht/
der Schleyer ihre verborgene Wuͤrckung/ die
Aehren/ Blumen und Fruͤchte die Fruchtbar-
keit/ die Schlangen den veraͤnderlichen Lauff
des Monden/ der Krebs und Steinbock die
zwey euſerſten Ziele der Sonnen; Hercules und
Apollo die Schutz-Goͤtter dieſer zwey Ende/
die Loͤwen die Staͤrcke der Natur/ die Leyer ih-
re Eintracht/ der Waſſer-Eymer den Regen/
die Bruͤſte vielerley Art der Ernaͤhrung/ der
Guͤrtel die rundte Bewegung des Geſtirnes/
Diana die Waͤlder und Gaͤrte/ Ceres die Land-
Fruͤchte/ die Hirſchgeweihe die Sonnenſtralen/
die Drachen Gottes ſcharfſichtige Wathſam-
keit/ die Ochſen den Ackerbau/ die Loͤwen den
Beſtand/ das Hemde ihre Bekleidung/ die
nackten Fuͤſſe die Geſchwindigkeit/ die Bienen
die Ordnung der goͤttlichen Vorſorge. Jch
verſtehe diß alles wol/ antwortete mir Zarmar.
Aber ſieheſt du nicht/ daß Auguſtus ſeine unzuͤch-
tige Liebe unter dieſem Gottesdienſte verbluͤme/
und nach dem Beyſpiele des Laſterhafften Ju-
piters/ welcher ſeine Kebsweiber unter die Ge-
ſtirne verſetzt haben ſoll/ ſeine Ehbrecherin auff
Altaͤre hebet/ und aus einer geilen Venus eine
heilige Jſis macht. Jch trat hierauf etliche
Schritte naͤher zum Altar/ und als ich bald die
Jſis/ bald die Terentia genau betrachtet hatte/
ward ich gewahr/ daß beyde einander/ wie ein
Ey
[705]Arminius und Thußnelda.
Ey dem andern aͤhnlich waren. Jch wandte
mich hierauf wieder zum Zarmar/ meldende:
Jch ſehe nunmehr die Urſache deines Unwil-
lens; Ob ich nun wohl weder die Geilheit Au-
guſtens/ noch die Verhaͤngung der blinden Livia
entſchuldige; ſo laßt uns doch lieber dieſe Laſter
verdecken/ als durch ihre Eroͤffnung ſo viel tau-
ſend Einfaͤltige aͤrgern. Bildnuͤſſe ſind ohne
diß keine Abdruͤckungen der nichts leibliches an
ſich habenden Goͤtter/ ſondern nur ein Schatten
ihrer Eigenſchafften; welche Prometheus er-
funden/ die Perſer allemal verdammet/ und aus
gleichmaͤſſigem Aergernuͤſſe Diagoras Melius
des Hercules Saͤule auf einem Holtz-Stoſſe
verbrennet haben ſoll. Denn da man nicht
einſt die menſchliche Seele mit Ertzt und Stein
abzubilden vermag/ wie viel weniger laͤſſet ſich
Gott/ der uͤber die Seele/ ja uͤber die Natur iſt/
derogeſtalt nachpregen. Daher haben die Grie-
chen von den Phoͤniciern die Bilder ziemlich
langſam bekommen/ und Rom hat hundert und
ſechtzig Jahr ihre Goͤtter ohn einiges Bild ver-
ehret. Ja Zenon verdam̃te die/ welche auſſer-
halb ihres Hertzens/ Gott zu ſeiner Wohnung
einigen Tempel bauten/ als welche ebenfalls
von Anfang aus Grabe-Staͤdten ihren Ur-
ſprung erhalten. Laß uns daher dieſen Alaba-
ſter-Stein nicht als ein Ebenbild/ ſondern als
ein bloſſes Denckmal der Jſis anſchauen. Ha-
ben doch die Goͤtteꝛ nicht nur in Egypten Geſtal-
ten wilder Thiere/ ſondern bey den Brahman-
nen ſelbſt habe ich das Bild Goͤttlicher Weißheit
mit einem Elefanten-Kopfe angetroffen. Die
Goͤtter ſehen ohne diß nicht die Herrligkeit ihrer
Goͤtzen/ ſondern die Andacht der Betenden an.
Wie viel derer haben bey der Anadyomeniſchen
und bey der Gnidiſchen Venus Huͤlffe gefun-
den; da doch der erſten Bild Apelles nach ſein
und des groſſen Alexanders Buhlſchafft Pan-
caſta gemahlet/ die andern aber Praxiteles nach
der uͤppigen Phryne/ wie ſelbte an dem Elevſini-
ſchen Feyer ſich fuͤr dem verſam̃leten Griechen-
lande entbloͤſſete/ gebildet hat. Die Stadt Ty-
rus ſoll denſelben Jahrs-Tag an groſſen Ale-
xander uͤbergegangen ſeyn/ als die Carthaginen-
ſer das groſſe ertztene Bild des Apollo zu Gala
aus dem Tempel geraubet/ und nach Tyrus ge-
ſchickt/ die Tyrier aber/ als wenn es fuͤr den
Feind kaͤmpfte/ ſchimpflich verſpeyet; ungeach-
tet ſelbtes nach dem Ebenbilde des groſſen Wuͤ-
terichs Phalaris in Sicilien ſoll gegoſſen wor-
den ſeyn. Mit dieſer Einredung hielt ich den
unwilligen Zarmar ſo lange auf/ biß das Opfer
ſich endigte/ und wir alſo aus dem Tempel zu
kommen Gelegenheit bekamen. Gleichwohl
blieb Zarmar voller Unwillen/ alſo; daß er her-
aus brach: Er wuͤntſchte und hoffte von der
Gottloſen Terentia ein eben ſo erbaͤrmliches En-
de zu erfahren/ als der Spoͤtterin Pharſalia be-
gegnet/ welche ſich zwar nicht geſcheuet die von dẽ
Philomelus aus einem Tempel geꝛaubte und ihꝛ
als ſeiner Buhlſchafft geſchenckte guͤldene Krone
der Daphne zu tragen/ welche die Lampſacer hin-
ein gewiedmet haͤtten; aber hernach von denen
daruͤber unſinnig werdenden Prieſtern zerriſſen
worden waͤre. Terentia aber waͤre ungleich
ſtraffbarer/ welche nicht nur einen heiligẽ Krantz
ſtehle/ ſondern ſich ſelbſt zu einer Gottheit machte.
Beym Abſchiede fuͤr dem Tempel erſuchte
uns Mecenas/ wir moͤchten folgenden Tag ihm
in Beſchauung der Stadt ferner vergnuͤgliche
Geſellſchafft leiſten. Dieſem zu folge machten
wir uns umb dem hoͤflichen Mecenas vorzukom-
men mit dem Tage auf. Er begegnete uns
aber ſchon an der Ecke/ wo man gegen dem Rich-
ter-Stule des Polemarchus faͤhrt/ von welchem
ſo genennten dritten Raths-Herren vor Zeiten
die Atheniſchen Kriege gefuͤhrt/ und der Aus-
laͤnder Strittigkeiten gerichtet wurden. Nach
einer freundlichen Beſchwerde: daß wir ihm die
Ehre uns abzuholen nicht gegoͤnnet haͤtten/
fuͤhrte er uns alsbald nahe darbey in den Tem-
pel des Lycus/ welcher Pandions Sohn geweſt
war/ und darinnen ein Marmel-Bild in Geſtalt
eines Wolffes hatte. Wie wir uns hieruͤber
verwunderten/ fing der die Wanderung
Erſter Theil. U u u umenſch-
[706]Fuͤnfftes Buch
menſchlicher Seelen in Thiere feſtiglich glauben-
de Maſulapat an: Lycus hat zu Athen mehr
als einen Tempel verdienet/ wenn er nur die
Helfte Wolff geweſt/ und die andere Helfte
Menſch blieben iſt. Denn der ſoll noch ge-
bohren werden/ der nicht was viehiſches an ſich
hat. Die meiſten Menſchen aber verwandeln
ſich nicht nur in wilde Thiere/ ſondern bemuͤhen
ſich auch noch Woͤlffe und Baͤren an Grauſam-
keit zu uͤbertreffen. Wir haben nahe hierbey/
ſagte Mecenas/ deſſen ein klares Beyſpiel;
fuͤhrte uns alſo zu dem Grabe des Koͤnigs Ni-
fus/ welchem ſeine Tochter Scylla das mit ſei-
nem Reiche verlobte Haar abgeſchnitten hat/
wormit ſie die Herrſchafft ihrem liebgewonne-
nen Minos zuſchantzte. Hierauf fuͤhrte er uns
uͤber den Agoriſchen Platz/ da das Volck umb
einen in der Mitte ſtehenden/ und mit dicken
Leinen umbſpannten Richter-Stul verſam̃let
wird/ fuͤr welchem Demoſthenes und andere
groſſe Redner ihre gelehrte Beredſamkeit un-
zehlbare mal gepruͤfet haben. Daſelbſt traten
wir in den Tempel der Muſen ab/ darein Me-
cenas das vom Fulvius aus Ambracia nach
Rom gebrachte Marmel-Bild der Muſen ver-
ehrt hatte. Als wir dieſen Tempel/ und die vom
Anarimander daran gemachte kuͤnſtliche Son-
nen-Uhr genung betrachtet/ und darbey Cimons
und Elpinicens Haus beſehen hatten/ fuhren
wir durch die drey ſo genennten Theile der
Stadt Colytos/ darinnen nicht nur Plato ge-
bohren iſt/ ſondern die Kinder auch ſchoͤner ſeyn/
und ehe als anderwerts in Athen reden lernen
ſollen/ wie auch durch Melite und Kolonos ge-
rade durch/ und ſtiegen allererſt bey dem Brun-
nen Paropis ab/ beſahen daſelbſt die gleichſam an
einander ruͤhrenden Tempel der Eume[ni]den/
der Minerva/ des Prometheus/ der Venus/ wie
auch die Ehrenmaale des Theſeus/ des Oedi-
pus/ des Pyrithous und Adraſtus; welche aber
von den Spartanern uͤbel zugerichtet waren.
Das Grab des Plato war allein entweder we-
gen Anſehen dieſes Goͤttlichen Mannes/ oder
wegen Einfalt des Werckes unverſehrt blieben.
Gleich als wenn die Menſchen ſo wohl als die
Zeit dieſer nicht ſo ſehr als dem Gepraͤnge auf-
ſaͤtzig waͤren. Denn es war allein auf einer
Porphyrenen Taffel folgendes zu leſen:
Wir beſtreuten dieſen Grabe-Stein uͤber
und uͤber mit Blumen/ Zarmar aber kuͤtzte ihn
vielmal und betheuerte: daß unter den Grichen
nach Socraten keiner ſo hoch als Plato waͤre er-
leuchtet geweſt. Von dar begaben wir uns zu
der Academia oder der Schule des Plato. Die
Gebaͤue hatten noch ihren alten Glantz. Denn/
als gleich die Spartaner umb dieſe Gegend das
meiſte ver wuͤſteten/ ſchonten ſie doch dieſer Schu-
le/ weil ein Buͤrger zu Athen Academus/ von
dem ſie den Nahmen hat/ dem Caſtor und Pol-
lur in geheim entdeckt hatte/ wo die vom Theſcus
aus Sparta entfuͤhrte Helena verſteckt war. Die
alten vom Cimon gepflantzten Luſtwaͤlder aber
waren noch nicht in dem erſten Anſehn; indem
Sylla die groſſen Staͤmme zu Sturm-Boͤcken/
Sturm-Leitern/ und anderm Werckzeuge des
Krieges verbraucht hatte. Unterdeſſen wen-
dete nicht nur Auguſt/ ſondern auch Mecenas
ein ergebiges [dar]auf/ alles wieder in guten
Stand [z]u bringen. Maſſen denn auch die al-
t[en] Helden Harmodius/ Ariſtogiton/ Pericles/
Thraſtbulus und 100. andere/ welche in dieſer
Vor-
[707]Arminius und Thußnelda.
Vorſtadt/ oder vielmehr umb den Wohn-Platz
der verewigenden Weißheit begraben zu wer-
den fuͤr Ehre ſchaͤtzten/ dieſen zwey Wohlthaͤtern
zu dancken haben: daß ihre verſehrte Gedaͤcht-
nuͤß-Maale wieder ergaͤntzt/ die Verfallenen
aufgerichtet/ die Verlohrnen verneuert worden.
Daher dieſe Gegend ſchier einem ſteinernẽ Wal-
de voll Marmel-Saͤulen und Bilder gleichet;
alſo: daß der/ welcher der alten Athenienſer groſſe
Thaten zu wiſſen verlangt/ nur allhier die herr-
lichen Grab-Schriften leſen darff. Unter dieſen
laſſen ſich fuͤr andern neben einem kleinen Tem-
pel des befreyenden Bacchus/ und einem der Ca-
liſtiſchen Diana in einem marmelnen Umbkreiß
des Theſeus/ Oedipus und Pirithous Grabma-
le wohl ſehen. Welche alle aber an Pracht nicht
ferne davon gegen dem Berge Pentelicus die
Ehren-Pforte uͤbertrifft/ die Koͤnig Antigonus
dem weiſen Zenon neben ſeine daſelbſt gehabte
Schule uͤber ſeiner Grufft hat aufrichten laſſen/
daran war mehr nicht geſchrieben/ als:
Auf der andern Seite gegen des Theſeus Tem-
pel ward auch das Grab des Artztes Toxaris/
als ein fuͤr das Feber helffendes Geneſungs-
Mittel verehret. Der marmelne Lehr-Saal
des Plato war mit den Altaͤren der Muſen/ der
Minerva/ des Vulcan/ des Neptun und Pro-
metheus/ wie auch der Liebe gleichſam gantz um-
geben; welches letztere alldar ihr aͤlteſtes Hei-
ligthum iſt/ darauf der dem Piſiſtratus ſo beliebte
Knabe Charmus ihr zum erſten geopfert hat.
Als wir auſſerhalb dem mit Fleiß verſchloſſenen
Saale der Weißheit dieſe merckwuͤrdige Ge-
gend/ und ich zwar nicht ohne innerliche Regung
und geheime Ehrerbietung gegen die mir gleich-
ſam fuͤr den Augen ſchwebenden Todten betrach-
tet hatten/ fuͤhrte uns Mecenas nebſt zweyen
der fuͤrnehmſten Weltweiſen unter den Berg
Pentelicus zu dem Brunnen Bryſis und einer
daſelbſt abermals nach ſeiner Art bereiteten Taf-
fel/ welche uns von denen tieffſinnigen Geſpraͤ-
chen des Zarmars und dieſer zweyer Platoni-
ſchen Weltweiſen noch mehr verſuͤſſet ward.
Dieſe erzehlten unter andern von dem bey der
Academia ſtehenden Altare des Cupido: daß aus
ſolchem Socrates im Traume einen jungen
Schwan in ſeine Schoß fliegen/ hernach ſich ge-
gen den Himmel ſchwingen geſehen haͤtte/ durch
deſſen Geſang Goͤtter und Menſchen waͤren be-
zaubert worden; welchen Traum er alſofort auf
ſeinen Schuͤler Plato ausgedeutet; den ihm ſel-
bigen Tag Ariſto in die Lehre gebracht hatte. Da-
ſelbſt entdeckte er uns; wie der Kaͤyſer folgenden
Morgen den mit nach Athen gebrachten Prieſteꝛ
Cheremon in der Schule der Platoniſchen
Weltweiſen einfuͤhren wolte: alſo haͤtte er ihm
befohlen auch den Brahmann Zarmar hierzu
einzuladen. So wenig uns nun anſtaͤndig war
dieſe Gnade des Kaͤyſers auszuſchlagen/ ſo ſehr
reitzte uns die Begierde/ uns unter die Verſam̃-
lung der weiſen Griechen einzufinden.
Fruͤh ſchickte der Kaͤyſer dem Zarmar ein
Kleid von koͤſtlicher Leinwand/ einen helffenbei-
nernen Stab/ und einen guͤldenen Stuhl/ dar-
auf er in die Verſam̃lung getragen ward. Me-
cenas folgte kurtz hierauf/ und fuͤhrte auf ſeinem
Wagen den Geſandten Maſulipat/ und mich
in den nunmehr eroͤfneten Weißheits-Saal der
Academia; gegen Morgen ſtand darinnen ein
Altar der Liebe/ hinter dieſem das Bild des Py-
thagoras/ des Pherecides/ und des Goͤttlichen
Plato. Fuͤr dieſen aber ſaſſen alle Platoniſche
Weltweiſen mit breiten Achſeln/ zu welchen ſich
auch Cheremon geſetzt hatte. Gegen Mittag
ſtand ein Altar der Goͤttlichen Verſehung; als
welcher die Stoiſchen Weltweiſen das meiſte zu-
ſchreiben. Darneben ſtand das Bild des Zeno
aus Cypern/ wie auch ein Altar und eine guͤlde-
ne Krone; welches beydes die Stadt Athen ihm
gewiedmet hatten; wie auch die Thor-Schluͤſſel/
U u u u 2die
[708]Fuͤnfftes Buch
die ſie bey zweifelhaften Zeiten ihm anvertraute.
Nach ihm war der ſpitzfindige Chryſippus zu ſe-
hen; an der Ecke Crates/ Antiſthenes und Dio-
genes mit ſeinem Faſſe. Fuͤr ihnen ſaſſen die
großbaͤrtichten Weltweiſen ihre Nachfolger.
Gegen Mittag ſtand das Altar/ welches die
Stadt Stagira dem Ariſtoteles zu Ehren auf-
richten laſſen; darneben ſein Bildnuͤß aus Co-
rinthiſchem Ertzte/ die ſein Schuͤler Theophra-
ſtus ihm zu gieſſen in ſeinem letzten Willen ver-
ordnet/ und auf ſelbtem der guͤldene Krantz/
wormit ihn der groſſe Alexander verehret hatte.
Weiter hin ſahe man den Theophraſtus. Fuͤr
ihnen ſaſſen die ihnen anhaͤngigen Weltweiſen/
die an der Anzahl alle andere uͤbertraffen. Nord-
werts ſtand ein Altar der Wolluſt/ welches Jdo-
meneus anfgerichtet/ darneben des Epicurus
Bild/ welches Theodorus gemahlet hat/ und
von ſeinen Nachfolgern an ſeinem Geburts-
Tage jaͤhrlich verehret/ auch ſo wohl durch ihre
Schlaf-Gemaͤcher/ als die Gaͤrte/ die er unter-
halb der Stadt Athen zum erſten angegeben/
mit allerhand Freuden-Zeichen herumb getra-
gen wird. Neben dem Epicurus ſtand Ari-
ſtippus und Laertius; fuͤr ihnen ſaſſen die wohl
aufgeputzten Epicuriſchen Weltweiſen/ mit
freundlichen Geſichten und froͤlichen Geberden.
Zarmar aber ſaß alleine bey dem an einer Ecke
ſtehenden Bilde des Socrates; welches die ihn
zu unrecht verdammende/ hernach aber aus all-
zu ſpaͤter Reue verg[oͤt]ternde Stadt Athen
ihm aus Ertzte durch den Lyſippus hatten auf-
richten laſſen. Der Kaͤyſer fragte Zarmarn:
Warumb er ſich zu keiner gewiſſen Schule derer
hernach vollkommener gewordenen Weltwei-
ſen/ und inſonderheit zu den Platoniſchen/ wel-
che zum theil vom Socrates ihre Lehre haͤt-
ten/ ſchluͤge? Zarmar antwortete dem Kaͤyſer:
Seines Beduͤnckens waͤre nach dem Socrates
die Weltweißheit wohl ſpitziger/ aber auch aͤrger
worden. Der Rath zu Athen haͤtte ihn zwar
dem Pythagoras nach/ ihr eigener Gott Apollo
aber allen klugen Leuten vorgeſetzt. Seine
Lehren von Gott waͤren ſo weiſe: daß man
nicht unbillich von ihm ruͤhmte: Er haͤtte ſeine
Weißheit vom Himmel bekommen. Sein Le-
ben waͤre nichts minder ſo gut geweſt: daß aller
weiſen Leute Fuͤrnehmen billich ſein Nach-Ge-
maͤhlde ſeyn ſolte. Gott wuͤrdigte ihn durch
einen guten Geiſt ſtets zur Tugend zu leiten;
wo man anders nicht die Klugheit fuͤr Socra-
tens und aller Weiſen Leitſtern halten ſoll.
Uber diß traͤffen die Jndianiſchen Weiſen auch
ſonderlich in dem mit dem Socrates uͤberein:
daß ihnen verleumdiſche Ariſtophanes antichte-
ten; ſie beteten nur Nebel und Wolcken an;
da ſie doch den allein ewigen Gott verehreten/
auſſer dem aber nichts ewig/ nichts Anbethens
wuͤrdig ſchaͤtzten. Anitus und Melitus haͤt-
ten ihn zwar als einen/ der keinen Gott glaͤub-
te/ angeklagt; da er doch in Athen nur alleine
ein Verehrer des wahren/ ſeine Anklaͤger und
Richter aber deſſelbten Veraͤchter geweſt waͤ-
ren/ da ſie drey hundert Jupiter/ drey und vier-
tzig Hercules/ und dreiſſig tauſend andere Goͤt-
ter angebetet haͤtten. Man haͤtte ſein Haus
mit ſeinem Haushalter Choͤrephon verbrennt;
da jenes doch der heiligſte Tempel in Athen/
dieſer nach dem Socrates das wuͤrdigſte in
Griechenland geweſt waͤre. Jedoch waͤre ſich
hieruͤber nicht zu verwundern. Denn man
finde eine ungemeine Tugend ſo wenig ohne
Mißgunſt/ als eine Lerche ohne Puͤſchel auf
dem Kopfe. Alleine er haͤtte keine vollkom-
menere Vertheidigung ſeiner Unſchuld ihm
ſelbſt wuͤntſchen koͤnnẽ/ als daß ſeine eigene Ver-
urth eiler den einen Anklaͤger verwieſen/ den
andern zum Tode verdammet; und Athen mit
Aufrichtung einer guͤldenen Saͤule zu ſeinem
Gedaͤchtnuͤſſe/ Socraten verewigt/ und ihre
Schuld bereuet haͤtten. Hieruͤber erhob ſich ein
allgemeines Gemuͤrmel unter allen verſamle-
ten
[709]Arminius und Thußnelda.
ten Weltweiſen; ja wenn des Kaͤyſers Anwe-
ſenheit nicht Zarmarn beſchirmet haͤtte/ beſorge
ich: man haͤtte ihn als einen Aberglaͤubigen in
des Socrates Kercker und zu ſeinem Gift-
Trancke verdammet. Cheremon/ welcher in
dieſer Zuſammenkunfft der Jſis eingefuͤhrten
Gottes-Dienſt rechtfertigen ſolte/ ſtand hiermit
auf; und an ſtatt ſeines fuͤrgeſetzten Zweckes
ſchaͤrffte er ſeine Zunge wider Zarmarn/ durch
deſſen Widerlegung er ſich fuͤr allen Weiſen
gantz Griechenlands meynte ſehen zu laſſen.
Dieſemnach fing er mit einer hochtrabenden
Stimme an: Jch halte nicht noͤthig die der gan-
tzen Welt kuͤndige Gottheit der groſſen Jſis/
der Tochter des Saturnus/ die den maͤchtigen
Oſiris zum Ehmanne/ Bruder/ und Sohne
gehabt/ auszufuͤhren. Sie iſt es/ welche die
Menſchen mit Getreide/ Artzneyen und Gefe-
tzen am erſten beſeliget/ und der Welt zum be-
ſten die Glieder des vom Tiphon zerriſſenen
Oſiris mit hoͤchſter Sorgfalt zuſammen geſucht
hat. Sie iſt es/ welcher Krafft in den Stra-
len des gluͤenden Hunds-Sternes zu pruͤfen
iſt. Weſſentwegen die weiſen Egyptier die
aͤlteſten aller Voͤlcker/ unter welcher Herrſchaft
die Sonne viermal ihren groſſen Lauff veraͤn-
dert hat/ und zwey unterſchiedene mal im
Abende aufgegangen iſt/ bey die zwey Goͤtter-
Bilder des Oſiris und Jſis allezeit die Seule
des Horus geſetzet; welcher mit dem Finger
auf dem Munde gewarniget: daß niemand
dieſe Goͤtter Menſchen nennen ſolte. Dieſer
Unwiſſende aber unterfaͤngt ſich durch Fuͤrbil-
dung eines einigen Gottes/ nicht nur die un-
vergleichliche Jſis/ ſondern ſo viel Goͤt-
ter Griechenlands von ihrem Throne zu ſtuͤr-
tzen; und auſſer ſeinem Gotte allen andern/
ja der Welt/ woruͤber Jſis die Gebieterin iſt/
die Ewigkeit abzuſprechen. Meyneſt du
wohl: daß eine ſo weitlaͤufftige Aufficht/ als
Himmel/ Erde/ Meer/ und ſo viel tauſenderley
Arten Thiere beduͤrffen/ von einem Gotte
moͤglich zu beſtreiten ſind? Glaͤubeſt du? daß dem
hoͤchſten Gotte ſich aller geringen Haͤndel an-
zumaſſen anſtaͤndig ſey; welches auch ein mit-
telmaͤſſiger Haus-Vater ihm zu veraͤchtlich
ſchaͤtzt? Benim̃ſt du deinem Gotte alle Frucht-
barkeit ſeines gleichen zu zeugen; welche denen
auf dem Bauche kriechenden Thieren doch nicht
mangelt? Oder benim̃ſt du ihm die den Goͤt-
tern ſonſt gemeine Art des maͤnn- und weibli-
chen Geſchlechtes? Entzeuchſt du der aufrichti-
gen Vorwelt allen Glauben/ derer Augen ſich
mehr als eine Gottheit offenbaret hat/ derer
Vielheit aus dem Unterſcheide widerwertiger
Wuͤrckungen erhellet/ und derer Eigenſchaften
ſie mit ſo viel hundert Nahmen offenbaret? da
du aber Gott ſelbſt fuͤr ewig haͤltſt/ mit was fuͤr
Vernunft entzeuchſt du die Ewigkeit der Welt/
welche ein Schatten iſt des ewigen Lichtes; ein
ſichtbares Bild des unſichtbaren? Auſſer wel-
cher Gott vorher in nichts haͤtte wuͤrcken koͤn-
nen? Was fuͤr ein Talg ſoll denn fuͤr der Welt
geweſen ſeyn/ aus welchem ſie ihren Urſprung
gewonnen? Oder was eigneſt du ihr fuͤr ein
anſtaͤndiges Alter zu/ nach dem der einige Vo-
gel Fenix ſieben tauſend Jahr lebet? Wie
oder glaͤubeſt du: daß eine Welt aus der an-
dern/ wie der Fenix aus ſeiner eigenen Aſche
entſpringe? Zarmar hoͤrete den hitzigen Che-
remon ohne einige Gemuͤths-Bewegung aus/
und antwortete: Mein lieber Cheremon/ der
allein ewige Gott erleuchte dich: daß du deine
heilige Jſis/ welcher Prieſter du ſeyn wilſt/ beſ-
ſer/ und nach dem Verſtande deiner kluͤgern
Vorfahren erkennen lerneſt; welche unter ih-
rem Nahmen keine abſondere/ ſondern meiner
einigen Gottheit Weißheit und Verſehung
verehret haben. Siheſt du die alten Griechen
aber fuͤr ſo alber an: daß ſie ſo viel Goͤtter
geglaͤubt/ als ſie des einigen Gottes Wuͤr-
ckungen Nahmen gegeben; welcher/ ob er
zwar keinen eigenen Nahmen hat/ und
deshalben allhier zu Athen auch auf
U u u u 3dem
[710]Fuͤnfftes Buch
dem Altare des unbekandten Gottes am heilig-
ſten angebetet wird/ doch mit tauſend Zungen
nicht ausgeſprochen werden kan. Betrachte
ſelbſt nur etwas tieffſinniger das Bild und die
Eigenſchafften der Jſis; ſo wirſtu handgreifflich
wahrnehmen: daß deine Jſis wegen ihrer Weiß-
heit der Griechen Minerva/ wegen Fruchtbar-
keit/ die Venus/ wegen ihrer Herrſchafft in der
Lufft/ die Juno/ wegen ihrer unterirrdiſchen
Kraͤfte/ Proſerpina/ wegen Erfindung des Wei-
tzens/ Ceres/ wegen ihrer Waldſorge/ Diana/
wegen Beſeelung der Erde/ Rhea/ wegen ihrer
himmliſchen Wuͤrckung Cynthia; dieſes alles
aber nur eine Jſis ſey. Frage Roͤmer und
Griechen/ warum ſie bey Anruffung ihres Ju-
piters das Haupt/ der Minerva die Augen/
der Juno die Armen/ des Neptun die Bruſt/
anruͤhren? Ob ihre Andacht nicht dadurch auf
ein einiges Goͤttliches Weſen/ wie ihr Finger
auff einen einigen Leib ziele? Haſtu von dem
Lehrmeiſter des Plato Sechnuphim nicht geler-
net: daß wie der Zirckel nur einen Mittelpunct/
alſo der Kreiß der gantzen Welt nur ein einiges
Goͤttliches Weſen habe/ welches aber alle Thei-
le bewohne und beſeele? Frage deine Platoni-
ſche Weiſen: Ob die Vielheit der Goͤtter nicht
nur ein Glaube des Poͤfels/ Gottes Einigkeit
aber ein Geheimnis der Weiſen ſey? Ob nicht
Plato nur aus Furcht fuͤr dem Volcke mehrern
Goͤttern geopfert/ woꝛmit eꝛ nicht ſelbſt/ wie So-
crates/ ein Opffer ihrer Grauſamkeit wuͤrde.
So gehe zu deinen Landsleuten nach Thebe und
frage: Ob ſie nicht allein den Gott Kneph/ wel-
chen wir Wiſtnou und Eßwara/ die Roͤmer Ju-
piter neñen/ fuͤr einen Gott ohne Urſprung und
Ende anbetẽ. Wiewol auch dieſe Nahmen nicht
ſeinem Weſen/ ſondern nur unſer Schwach-
heit gemaͤß ſind; und daß wie ein Menſch nach
unterſchiedenen Abſehen drey und mehrerley
Perſonen fuͤrſtellet; alſo das an ſich ſelbſt einige
Goͤttliche Weſen nach dem Unterſcheide ſeiner
Huͤlffe und Wuͤrckungen vielerley Goͤtter; und
daher von den Unwiſſenden auch ſo viel Nah-
men bekommen habe. Laſſe dich nur berichten:
daß/ als der kluge Euripides die Soñe den groſ-
ſen Allmoſen-Meiſter Gottes nicht fuͤr einen
Gott erkennet/ ſondern einen guͤldenen Erd-
ſchollen genennet/ er vom Pericles kaum aus den
Haͤnden des Poͤfels errettet worden. Frage
die Griechen: Ob nicht ihre Hermeſianax oͤffent-
lich gelehrt: daß Pluto/ Proſerpina/ Ceres/ Ve-
nus/ Cupido/ Triton/ Nereus/ Thetis/ Neptun/
Mercur/ Vulcan/ Pan und Apollo alles ein
Gott ſey? Pythagoras und Socrates hat zwar
mehr dienſtbare Geiſter Gottes als Mitteldin-
ge zwiſchen ihm und den Menſchen/ welche die-
ſen die Goͤttliche Gaben/ jenem die Menſchliche
Seuffzer zubraͤchten/ aber nur einen wahren
Gott geglaubt. Ja mein lieber Cheremon/
laſſe nur das Licht der Natur dir hierinnen den
Weg zeigen: Haͤlteſtu nicht Gott fuͤr das voll-
kommenſte Weſen aller Dinge? Kan aber die
Vollkommenheit alſo zerſtuͤcket ſeyn? Raubſtu
nicht Gott ſeine Eigenſchafft der Vollkommen-
heit/ wenn du ſelbte nicht der gantzen Welt Herꝛ-
ſchafft gewachſen zu ſeyn glaͤubeſt/ und dardurch
der Vollkommenheit Maͤngel ausſtelleſt; wenn
du ihm unnoͤthige Gehuͤlffen beyſetzeſt? Warum
ſetzeſtu dem ſichtbaren Spiegel Gottes der
Sonne/ nicht eine andere an die Seite? Mei-
neſtu deinem Schiffe beſſer zu rathen/ wenn du
ihm noch ein Steuerruder anſetzen wirſt? Wilſtu
Gott/ welchen die Egyptier einen unbegreiffli-
chen Zirckel heiſſen/ ſeiner Unbegreiffligkeit be-
rauben; wenn du ſeine Macht in ſo viel zerthei-
leſt/ da doch die Unbegreiffligkeit alles begreiffet/
nichts ausſchleuſt/ und alſo nichts unbegreiffli-
ches neben ſich vertragen kan. Laſſe dir aber auch
nicht traͤumen/ daß der Schoͤpffer der Welt/ der
in ſich aller Dinge Bilder wie in einem Spiegel
behaͤlt/ zu ſeiner Auffſicht einige Muͤhe beduͤrffe.
Deſſen bloſſer Wille genug zum Saamen aller
Geſchoͤpffe geweſt; darff auch nichts beſchwerli-
chers zu ihrer Leitung. Huͤte dich auch ſo wohl in
ſeiner
[711]Arminius und Thußnelda.
ſeiner vaͤterlichen Fuͤrforge/ als in denen irrdi-
ſchen Dingen gewiſſe Staffeln zu machen. Gott
iſt der Mittelpunct; alle Dinge machen um ihn
einen Zirckel/ und ſtehet eines ſo weit als das an-
dere von ihm entfernet. Sterne ſind ſo wohl
als der Erdbodem ſein Fußſchem̃el; und du/ der
du dich in ſeinen Augen vielleicht duͤnckeſt Gold
zu ſeyn/ biſt vielleicht geringer/ als zerbrechlicher
Thon. Alles iſt Aſche fuͤr ſeinem unverzehr-
lichen Feuer; eine Aſche aber duͤncket ſich ver-
geblich koͤſtlicher/ als die andere zu ſeyn. Denn
der koͤſtlichſten Dinge Werth verraucht mit der
Flamme. Eingeaͤſcherte Seide und Purpur
iſt von verbreñtem Stroh und Bettlers-Maͤn-
teln nicht zu unterſcheiden. Was hebſtu aber
deine Maulwurffs-Augen zu der unerforſchli-
chen Fruchtbarkeit Gottes herfuͤr? Haͤtteſtu ein
Theil von dem Schatten/ den Plato aus dieſem
Lichte von der ewigen Zeugung des allergoͤttlich-
ſten Wortes/ das die Welt erſchaffen/ das den
Lauff der Sterne ordnet/ und des auf dem Waſ-
ſer ſchwebenden Geiſtes/ oder der Seelen der
Welt/ erwiſchet; du wuͤrdeſt keine ſo duͤſterne
Meinungen hegen. Warlich dein Plato/ wel-
chen Griechenland nicht ohne Uꝛſach ſeiner Tief-
ſinnigkeit halber fuͤr den Adler/ und wegen der
Beredſamkeit fuͤr den Schwan ſeiner Welt-
weiſen haͤlt/ hat hieruͤber viel heilſamere Ge-
dancken gehabt. Erforſche vorher genauer/
wohin ſeine Zahlen und ſeine Abmaͤſſungen ei-
gentlich gezielet. Erinnere dich: daß die Uber-
ſchrifft ſeiner Schule iederman den Eingang
verbot/ der nicht vollkommen die Maͤß- und
Rechen-Kunſt verſtand. Was unterſteheſtu
dich deñ von der Eigenſchafft der Gottheit zu re-
den; da du noch in der Zahl nicht gegruͤndet
biſt/ und nicht weiſt: daß wie die Eines die
Wurtzel aller Zablen/ alſo der einige Gott
der Uhrſprung aller andern Dinge ſey? Zeuch
den Parmenides deines Plato zu rathe/ daß er
dich unterweiſe: der einige Gott ſey allein et-
was/ was warhaftig und weſentlich ſey; alles an-
dere habe nur eine von dieſem einigen Weſen
herruͤhrende Tauerung. Alles vergangene/
alles kuͤnfftige ſey nichts/ Gott allein aber von
Ewigkeit zu Ewigkeit/ ein gegenwaͤrtiges/ kein
geweſenes/ auch kein kuͤnfftiges Weſen; ſondern
ein Ende des vergangenen/ und ein Anfang
des kuͤnfftigen. Denn durch ihn verleſchet al-
les/ und von ihm entſpringet alles. Laſſe dich
darum/ o du elender Menſch! nicht geluͤſten/
in hoͤhere Geheimniſſe zu blicken. Jſt dir unbe-
greifflich: daß der einige und unſichtbare Gott
ſich unſerm bloͤden Geſichte nicht in vielerley
Geſtalten zeigen koͤnne? Haſtu aus dem Ka-
nuphim nicht gelernet/ in wie vielerley Thiere
eure Goͤtter ſich verkleidet? Wie Oſiris und J-
ſis bald als ein Loͤwe/ bald als ein Hund/ bald
als eine Katze/ bald als ein Habicht ſich den
Sterblichen gezeigt/ und ihnen ihre Wohltha-
ten mitgetheilet haben? Soll eure Jſis ſich nicht
in einen Fiſch verſtellet haben? Unſere Weiſen
halten ſicher diß fuͤr die erſte Erſcheinung des
ewigen Wiſtnou. Haben deine Egyptier nicht
die Schildkroͤten in die Zahl der Goͤtter gerech-
net? Dieſes iſt bey uns ſeine andere Erſcheinung;
und auff ihrem Schilde ruhet die Laſt der gan-
tzen Welt ſicherer/ als auff den Achſeln des At-
las. Jch uͤbergehe mit Fleiß unſere uͤbrige
Erleuchtung. Denn ein Blinder ſiehet bey
tauſend Fackeln ſo wenig/ als bey keiner. Ein
Tropffen Thau/ der zu beqvemer Zeit in eine
Muſchel faͤllt/ wird zur Perle; faͤllt er aber auff
ein gluͤendes Eiſen/ verraucht er ohne Nutz.
Nichts anders iſt es mit dem Balſame hei’ſa-
mer Lehre. Denn da du nicht begreiffen kanſt
die Eigenſchafften der Welt/ wie ſoll dein Ver-
ſtand ihren Schoͤpffer erreichen? Wie aber
biſtu deinen eigenen Lehrern ſo abtruͤnnig wor-
den? Welche die Welt aus nichts durch das
Wort Gottes geſchaffen zu ſeyn glaͤuben. Ha-
ſtu das Ey der Welt/ in welchem der Himmel
die Schale/ der Totter die Erdkugel abbildet/
in den Egyptiſchen Spitz-Seulen nirgends
aus
[712]Fuͤnfftes Buch
aus dem Munde eurer Gottheit hervor ſchuͤſſen
ſehen? Frage den Plato und Zenon: Ob jener
nicht Gott/ als den Schoͤpffer aller Dinge/
auſſer ſich verehret/ und der Tauerung der
Welt ein gewiß Ziel ſteckt; dieſer aber ihre
Geburt dem Sonnen-Staube zueigne? Be-
trachte ihr verterbliches Weſen/ und daß wir
Sternen gebohren werden/ und wieder erſter-
ben ſehen. Jſt es aber wohl moͤglich: daß et-
was verterbliches von Ewigkeit her ſey/ und
in Ewigkeit tauere? Unterſteheſtu dich aber
Gott einem Drechßler zu vergleichen; der ohne
Bein oder Holtz nichts verfertigen kan? O du
alberer Menſch! Siehe die elende Spinne/ den
ohnmaͤchtigen Seiden-Wurm an; wie jene ihr
Netze/ dieſes ſein Gewebe aus ſich ſelber ſpin-
net. Du aber wilſt den/ der alles in ſich begreif-
fet/ dieſen geringen Wuͤrmern nachſetzen/ und
den/ der ohne Anfang iſt/ nach dem Maße der
Zeit meſſen/ und die Wercke deſſen/ fuͤr dem tau-
ſend Jahre keinen Augenblick machen; durch
deine Getichte in Zweiffel ziehen; ja wohl dem/
der mit einem Atheme zehn ſolche Welten er-
ſchaffen kan/ und derer Vielheit nicht nur die
Jndianiſchen Weiſen/ ſondern auch Epicurus
und Metrodorus geglaubet/ die Haͤnde bin-
den? Wormit du aber an der Warheit meiner
Lehre ſo viel weniger zu zweiffeln haſt; ſo will
ich ſelbte morgen fuͤr dem Altare des dir unbe-
kandten Gottes mit einem ſolchen beweglichen
Grunde beſtetigen: daß du mir nicht einmahl
wirſt widerſprechen koͤnnen; Euch aber allen
theils ein Beyſpiel der Nachfolge laſſen/ theils
ein Geheimniß eroͤffnen/ an welchem unſer
und der Welt Wohlfarth henget. Jederman
hoͤrte dem Zarmar/ den man anfangs fuͤr einen
Barbarn gehalten/ nunmehro aber ſo wohl in
der Griechen als Egyptier Weißheit genug-
ſam erfahren zu ſeyn befand/ mit Vergnuͤ-
gung zu; Jedoch waren aller Augen und Oh-
ren auff den Cheremon gewendet; was dieſer
Zarmarn entgegen ſetzen wuͤrde. Nachdem
er aber gaͤntzlich verſtummte; machte er ſich
allen Anweſenden zum Gelaͤchter/ und dieſer
Verſammlung ein Ende. Zarmar hinge-
gen nahm mit groſſem Anſehen ſeinen Ab-
ſchied; iedoch verlohr er ſich in dem Gedraͤn-
ge des Volckes aus unſern Augen: daß wir
ihn biß an den Morgen auff dem beſtimmten
Platze fuͤr dem Heiligthume des unbekandten
Gottes nicht zu Geſichte bekamen. Gantz
Athen drang ſich mit anbrechendem Tage da-
hin; und als Maſulipat/ Mecenas/ und ich
dahin aus Begierde eine ſonderbare Neuig-
keit zu vernehmen ankamen/ fanden wir ihn
in ſeiner Jndianiſchen Tracht fuͤr dem Alta-
re/ auff welchem kein Bild/ ſondern allein ein
Dreyeck/ und dariñen die Worte: Dem un-
bekanten Gotte/ in Stein eingegraben
zu ſehen war/ auff dem Antlitze im Staube
ligen. Wie er nun ſeine Andacht vollendet;
richtete er ſich mit freudigem Antlitze empor/
und ſtieg auff einen nah darbey auffgethuͤrm-
ten Holtzhauffen. Auff dieſem ſahe er ſich ei-
ne gute Weile um/ biß er unter der groſſen
Menge Volckes den Kaͤyſer/ und uns auff
einer Seiten an etlichen Fenſtern erblickte.
Hirmit fing er mit erhobener Stimme an:
Es iſt heute gleich neun mahl neun Jahre/
da mich der einige und ewige Gott in dieſe
vergaͤngliche Welt hat laſſen gebohren werden.
Dieſes Ziel des Alters halten viel Weiſen fuͤr
das vollkommenſte des menſchlichen Lebens;
welche aus der ſiebenden Zahl dem Leibe/ aus
der neundten dem Gemuͤthe ſonderbare Ge-
heimniſſe ausrechnen. Aller Voͤlcker Welt-
weiſen/ die damahls in Griechenland waren/
haben euren Plato fuͤr goͤttlich gehalten/ und
ihm Opffer geſchlachtet/ weil er in eben dem Ge-
burtstage ſeines ein und achzigſten Jahres die
Huͤlſen ſeines ſterblichen Leibes abgelegt. Era-
toſthenes/ und Xenocrates haben in eben dieſem
Jahre zu erblaſſen das Gluͤck gehabt. Dionyſius
Hera-
[713]Arminius und Thußnelda.
Heracleotes wolte durch Hunger/ Diogenes
durch rauhe Speiſen um dieſe Zeit Gotte den
Tod abzwingen. Jch werde zwar auff dieſem
Holtzſtoſſe meinen geaͤſcherten Leib der Erde/
meine Seele ihrem Schoͤpffer wieder zuwen-
den. Glaubet aber: daß ich zu dieſer Entſchluͤſ-
ſung weder aus Aberglauben/ noch aus Veꝛdruß
zu leben gebracht werde. Die verlebten oder er-
kranckten Heruler ſollen eine Gewonheit/ die
uͤber ſechzig Jahr alten Einwohner des Eylan-
des Chio ein Geſetze haben/ durch den Tod ihrem
kindiſchen Leben vorzukommen. Die Maßilier
heben in einem Tempel Gifft fuͤr dieſelben auf/
welche zu ſterben rechtmaͤßige Urſachen anzei-
gen. Jn meinem Vaterlande Taprobana iſt es
einem gewiſſen Volcke aufferlegt: daß ſie nach
dem ſiebzigſten Jahre zwiſchen toͤdtenden Kraͤu-
tern einſchlaffen muͤſſen. Die Getiſchen Welt-
weiſen halten es fuͤr ein Theil ihrer Weißheit/
wenn ſie zu leben muͤde ſind/ mit gekraͤntztem
Haupte und lachendem Munde von abſchuͤſſi-
gen Klippen ſich in das Meer ſtuͤrtzen. Jch weiß
auch wol: daß die Stoiſchen Weltweiſen fuͤr gut
halten/ die Seele aus einem abgemergelten Lei-
be gleichſam als aus einem verfaulten/ und den
Einfall draͤuenden Hauſe zu reiſſen; und fuͤr
ruͤhmlicher Abſchied nehmen/ als aus dieſem
morſchen Gebaͤue geſtoſſen weꝛden. Allein haben
wir das Haus unſers Leibes gebauet/ welches
wir einbrechen wollen? Oder gehoͤret es nicht
vielmehr Gott eigentlich zu/ und hat uns die Na-
tur nicht nur Mietungs-weiſe darein geſetzt? So
muͤſſen wir es ja auch ihm unverſehrt wieder
abtreten; wenn die beſtimmte Zeit verfloſſen
iſt. Darum halte ich es mit eurem Epicu-
rus nicht nur fuͤr laͤcherlich/ aus Uberdruß
des Lebens dem Tode entgegen rennen/ ſon-
dern fuͤr eine zaghaffte Schwachheit aus Un-
gedult einiger Schmertzen ihm den Tod an-
thun. Alſo ſterben iſt nicht die Schmertzen
uͤberwinden/ ſondern von ſelbten uͤberwun-
den werden. Beydes iſt der Weichlinge Ei-
genſchafft; Ohne Noth ſterben/ und ſich fuͤr
dem Tode entſetzen. Daher verdiente ſolch
Selbſt-Mord den Nahmen einer Viehiſchen
That/ wenn das Vieh hierinnen nicht kluͤger
als die Menſchen waͤre. Bruder- und Va-
ter-Mord iſt gegen dem ein ſo viel grauſamer
Laſter/ als wir uns ſelbſt uͤber Vater und
Bruder lieb zu haben ſchuldig ſind. Dieſes
entſchuldigt auch nicht die Schmach eines an-
dern fuͤr Augen ſchwebenden Todes. Denn
es iſt beſſer dem Hencker den Nacken darſtre-
cken/ als unſere Hand mit einem Mord-Ei-
ſen ausruͤſten. Wir ſollen dem Verhaͤngniſſe
gerade ins Geſichte ſehen/ und behertzigen: daß
es die hoͤchſte Unvernunfft ſey/ darum ſterben;
daß man nicht ſterbe. Ja wir verdammenſo gar/
die aus Begierde der Seligkeit ihnen das Leben
nehmen. Denn Gott hat/ nach euers Pla-
to Meynung/ uns Menſchen in die Welt dem
Verhaͤngniſſe zur Verwahrung gegeben/ wel-
cher wir uns eigenmaͤchtig zu entbrechen nicht
befugt ſind. Wir ſind nach unſer Willkuͤhr
nicht gebohren worden; wie viel weniger koͤn-
nen wir alſo ſterben; und die Wohnſtatt un-
ſers Leibes ausleeren/ die uns Gott zu ver-
wahren anvertrauet hat. Daher ich die Sit-
ten derſelben Voͤlcker lobe/ die die Selbſt-Moͤr-
der entweder gar nicht/ oder die Hand/ die den
verzweiffelten Streich veruͤbet/ als ein feind-
liches Glied des andern Leibes abſonderlich be-
erdigen/ oder die Selbſt-Moͤrder gar keines
Grabes wuͤrdigen. Deñ weil ſie durch diß Laſter
dem Willen des ewigen Vaters widerſtreben/
ſind ſie nicht werth: daß ſie die Mutter/ nehmlich
die Erde in ihre Schoß auffnehme. Am aller-
wenigſten aber habe ich zu ſterben Urſach. Deñ
mein Alter iſt noch ohne Schwachheit/ mein
Leib ohne Gebrechen/ mein Gewiſſen ohne Na-
gung. Ein unbeſudeltes Leben aber hat ſo we-
nig als ein abgelaͤuterter Wein in der Neige
Hefen. Alleine ich kriege einen beſondern Bo-
then von Gott/ der mich aus dieſem Leben ruf-
Erſter Theil. X x x xfet.
[714]Fuͤnfftes Buch
ſet. Denn wie kan einer gluͤckſeliger ſterben;
als der mit ſeinem Tode die Warheit verſie-
gelt/ deſſen Todten-Fackeln andern ein Licht
ihres Lebens abgeben? Mag ein Kriegsknecht
fuͤr Erhaltung ſeines Vaterlands oder Fuͤr-
ſten/ oder auch nur ſeines Befehlhabers ſein
Leben in die Schantze ſetzen? Mag einer fuͤr
eines andern Freyheit ſein Leben zur Geiſſel
verpfaͤnden? Warum ſoll ich nicht ſo viel See-
len aus der Finſterniß zu reiſſen den uͤbrigen kuꝛ-
tzen Faden meines Lebens abſchneiden: daß er ih-
nen ein Wegweiſer aus ſo verderblichem Jrr-
Garten ſey? Cheremon/ Cheremon/ haſtu auff
die Vielheit deiner Goͤtter/ auff die Ewigkeit
der Welt ein ſolches Vertrauen/ daß du deine
Meinung mit der Tinte deines verſpritzten
Blutes/ oder mit den Kohlen dieſes Holtzſtoßes
auffzeichnen wilſt? Jſt dir dein Leben nicht zu
lieb/ durch deſſen Verachtung die Jrrenden zur
Warheit zu leiten? Hoffeſtu fuͤr ſo heilige Ent-
ſchluͤſſung von deinen Goͤttern nicht einen un-
verwelckenden Siegs-Krantz zu bekommen?
Mißgoͤnneſtu mir nicht die Ehre: daß ich durch
dieſe Flam̃en die Eitelkeit deiner/ und die Weiß-
heit meiner Lehre erhaͤrte? Hieruͤber ſchwieg Zar-
mar eine gute Weile ſtille/ und ſahe mit ſtarren
Augen den nicht ferne vom Holtzſtoß ſtehenden
Cheremon an; welcher aber ſein Antlitz beſchaͤ-
met zu Bodem ſchlug. Worauff Zarmar fort
fuhr: Jch erfreue mich/ liebſter Cheremon/ daß
du deinen Jrrthum erkenneſt. Es iſt menſch-
lich/ irren; aber Viehiſch/ ſeinem Jrrthume hart-
naͤckicht nachhaͤngen. Hingegen nichts ſeliger/
als Gott zu Dienſte und der Warheit zu ſteu-
er ſterben. Warlich/ Cheremon/ ein tugendhaf-
tes Leben und ein ſolcher Todt iſt der Zweck eures
Hierocles/ und die Bahn zur Vergoͤtterung.
Dieſe/ Cheremon/ iſt noch weit uͤber der geſtirn-
ten Milchſtraſſe/ uͤber dem Zirckel des Monden
und der Sonnen; wo Egyptens und Griechen-
lands Weiſen ihrer Vorgaͤnger Seelen zu fin-
den vermeinen. Aber ach! was unterwindet
ſich meine Blindheit den Griechen fuͤr ein Licht
auffzuſtecken! Jch ſehe die ſiebende Erſcheinung
Gottes unter dem groſſen Ramma und Kriſtna
fuͤr Augen/ und allen Voͤlckern ein Licht auffge-
hen; fuͤr welchem unſer Verſtand Finſterniß/
unſere Weißheit Thorheit ſeyn/ der aber allhier
als unbekannt verehrte Gott offenbahr werden
wird. Nehmet zum Beweiſe dieſer Warheit
nicht meine todten Worte/ ſondern die voͤllige
Verſtummung eurer Wahrſager-Geiſter an.
Deñ von dieſer Stunde an wird in der Welt kei-
ner mehr reden/ die gleich noch in ungebundener
Rede gleichſam nur noch gelallet haben. Es
wird keiner auch hinfort/ wie der zur Zeit des
Xeꝛxes ſeine Antwoꝛt einziehende Branchidiſche
Apollo/ zu Alexanders Zeit wieder zu reden an-
fangen. Denn der Mund/ und das ewige Wort
Gottes bindet ihnen ſeine Zunge. Dieſemnach
laſt euch nicht bereden: daß die Geiſter durch ei-
nen uͤbrigen Regen erſaͤufft/ durch hefftigen
Donner ertaͤubt/ durch Erdbeben verjagt/ durch
Peſten getoͤdtet/ durch Auffdampffungen der
Erde verſtopft/ durch Verruͤckung der Geſtirne
entkraͤfftet/ durch Verachtung erzuͤrnet/ oder
ihre Prieſter beſtochen ſind. Sie verſchwinden
fuͤr dem neuen Lichte der Voͤlcker/ wie die Ster-
nen fuͤr der auffgehenden Sonne. Mit dieſen
Worten griff er gleichſam gantz von allem Jrr-
diſchen entzuͤckt nach der hinter ihm liegenden
Fackel/ fuhr damit unter ſich in den mit vielem
Hartzt angefuͤllten Holtzſtoß/ goß hierauff einen
Krug voll koͤſtlichen Oels und Balſams uͤber
ſein Haupt/ worvon alles in einem Augenblicke
in die Flamme gerieth/ die den nichts minder
hertzhafft als weiſen Zarmar in den Augen ſo
vieler tauſend ſich verwundernden Zuſchauer zu
Aſchen verbrennte. Alles Volck preiſete ihn
nicht nur als einen Weiſen/ ſondern als einen
Heiligen/ der Kaͤyſer ließ die Aſche fleißig in ein
Gefaͤſſe von Porphir zuſammen leſen/ als ein
beſonderes Heiligthum in dem Tempel der Ce-
res verwahren/ und darbey in einen Marmel
graben:
[715]Arminius und Thußnelda.
graben: Hier iſt verwahrt die Aſche des
Jndiſchen Prieſters Zarmar von Bar-
goſa/ der nach ſeiner Landes-Art zu
Beſtetigung der Warheit ſich ſelbſt le-
bendig verbrennet.
Jch gerieth hieruͤber in die Liebe der Ein-
ſamkeit/ und baute dieſem groſſen Weltweiſen
taͤglich in meinem Gemuͤthe ein neues Ehren-
mahl. Jch betrachtete: wie ein Weiſer ſo
wohl in ſeinem Abſterben/ als die Sonne/
wenn ſie zu Golde gehet/ ſeinen Glantz behal-
te. Wie ein tugendhafftes Leben einem froͤli-
chen Tode ſo annehmlich zu Grabe leuchte.
Abſonderlich aber dachte ich dem Geheimniße
nach/ welches der ſterbende Zarmar bey ſeinem
Tods/ ich weiß nicht/ ob entdeckte oder verhoͤle-
te. Jch ſeuffzete nach dem Erkaͤntniße der-
ſelben Warheit/ welche er mit ſeinem Tode be-
ſtetigte. Jch verehrtt ſelbte/ wiewohl voller
Unwiſſenheit/ als eine Gottheit. Denn mich
beduͤnckte; daß ich nunmehr erſt ein wenig
Licht uͤber des Pythagoras Lehre bekommen;
welche dem groſſen Oromaſdes/ oder dem all-
maͤchtigen Gotte das Licht zu einem Leibe/ und
die Warheit zur Seele zueignet; Und daß ich
einen Blick in des Plato Meinung gethan/
der der Warheit ihre Wohnſtatt nicht in dieſer
irrdiſchen/ ſondern in einer andern Welt ein-
raͤumet; oder ſo viel ſagen will: daß ſie weſent-
lich nur in GOtt/ ihr Schatten aber nur bey
Menſchen gefunden werde. Sintemal doch
auch der weiſeſten Leute vernuͤnfftigſte Schluͤſſe
nur einen Schein der Warheit haben. Je
laͤnger ich aber hieruͤber nachſann; iemehr mu-
ſte ich dem Democritus beypflichten: daß die
Findung der Warheit in einem tieffen Brun-
nen/ nehmlich der menſchlichen Bloͤdigkeit
verborgen laͤge; und daß derſelben Offenbah-
rung von GOtt dem hoͤchſten Weſen zu er-
bitten/ und mit der Zeit zu erwarten waͤre. Jn
welchem Abſehen vielleicht die Alten dem hoͤch-
ſten Jrr-Sterne dem Saturn als dem Schutz-
Geiſte der Warheit eitel Koͤpffe geopffert ha-
ben.
Nach etlichen Wochen ward Maſulipat
vom Kaͤyſer mit guter Verrichtung abgefer-
tigt/ welcher ſich denn auch nach Rom erhob.
Jch aber blieb nach allerſeits genommenem
Abſchiede/ ungeachtet mich Zarmar in Jndien/
Mecenas nach Rom mit Maſulipat bewegen
wolte/ zu Athen/ und machte mit denen be-
ruͤhmteſten Weltweiſen Kundſchafft. Denn
es hatte die Gemeinſchafft und der Tod dieſes
Jndiſchen Weltweiſen mir gleichſam alle Luſt
zu irrdiſchen Dingen vergaͤllet. Von dar
durchreiſete ich gantz Griechenland/ und ſuchte
meine Vergnuͤgung in der Weltweißheit. Aber
das ſtete Andencken meiner Erato war mir ei-
ne ſtete Unruhe des Lebens/ und ein Fuͤrbild
meiner Traͤume. Endlich verwickelte mich
das Verhaͤngniß mit meinem Unwillen in den
Dalmatiſchen/ und folgends in den deutſchen
Krieg. Aber der erfreute Ausgang hat mich
auch in meinem Ungluͤcke und in meiner Ge-
faͤngniß unterwieſen: daß der Maͤßſtab un-
ſers Verſtandes/ wenn er unſern kuͤnfftigen
Wohlſtand abzirckeln wil/ ein krummes Richt-
ſcheit/ und das Licht unſerer Seele/ wenn ſie in
die Sonne des Verhaͤngniſſes ſehen will/ eine
ſchwartze Finſterniß ſey. Jch lache der Men-
ſchen/ die einen gluͤckſeligen Streich fuͤr eine
Frucht ihrer Klugheit ruͤhmen; da doch alles
unſer Beginnen ſich nur mit dem erſten Bewe-
gungs-Zirckel der Goͤttlichen Verſehung her-
um drehet. Wir koͤnnen ja wohl die Segel
ausſpannen/ aber nicht den Wind machen; der
uns bey allen Klippen vorbey in den verlangten
Hafen fuͤhret. Jene muß ſo wohl uns vom
Strande treiben/ als einen Leitſtern abgeben.
X x x x 2Und
[716]Fuͤnfftes Buch Arminius und Thußnelda.
Und alſo iſt wohl der An-nicht aber der Aus-
ſchlag unter der Menſchen Botmaͤßigkeit.
Hingegen wenn uns das Verhaͤngniß ſchon
uͤber Stock und Stein fuͤhret/ muͤſſen wir nicht
verzweiffeln; ſondern nur die Augen zudruͤ-
cken/ und uns troͤſten: daß wir in den Armen
einer ſolchen Wegweiſerin ſind/ welcher nicht
ein Tritt mißlingen kan. Hiermit beſchloß
Fuͤrſt Zeno ſeine Erzehlung/ und ſo wohl
die Muͤdigkeit als der ſchon ſpaͤte Abend
beruffte ſie allerſeits zu der noͤthigen
Nacht-Ruh.
Ende des fuͤnfften Buchs.
DEm Hertzog Arpus und Fuͤrſten Cattumer wird
die Ankunfft ihrer beyden Gemahlinnen Erd-
muth als der Fuͤrſtin Thußnelde nahen Bluts-
Freundin/ und Rhamis durch einen Cattiſchen
Edelmann kund gemacht; der gantze Hoff aber
daruͤber in ungemeine Freude verſetzet/ Fuͤrſt
Adgandeſter wird inzwiſchen durch den beſchaͤff-
tigten Feldherrn befehliget dieſe uͤbrige frem-
den Gaͤſte auffs annehmlichſte zu unterhalten.
Welcher ihnen alle Zubereitungen des bevorſte-
henden Beylagers zeiget/ und nach dem ſie auff
X x x x 2der
[716[718]]Sechſtes Buch
der Rennbahn ſich zur Gnuͤge beluſtiget/ verfuͤgen ſie ſich in den
Luſt-Garten/ allwo ſie ſich mit der alldar gefundenen Koͤnigin
Erato/ Saloninen und uͤbrigem von der Fuͤrſtin Thußnelde zuruͤck
gelaſſenen Frauenzimmer auffs freundlichſte beſprechen. Der Koͤni-
gin Erato ſonderbare Begierde die beyden Cattiſchen Hertzoginnen
bald zu umarmen; wie nicht weniger die Liebes-Beſchaffenheit zwiſchen
dem Feldherrn und der Fuͤrſtin Thußnelde/ und die von ihrem Vater
dem Segeſthes daruͤber geſchoͤpffte Gramſchafft vom Fuͤrſten Adgande-
ſter als einem Schoos-Kinde und Gefaͤrthin aller Heimligkeiten des
Hertzog Herrmanns zu vernehmen/ Fuͤrſt Adgandeſter ſtillet dies
Verlangen/ wohlwiſſende: daß der Vertrauligkeit zwiſchen Thußnel-
den und der Koͤnigin Erato ohne dem nichts verborgen bleiben/ und
jener reine Liebe allen Liebhabern wohl ein Licht/ niemanden aber auſ-
ſer dem Segeſthes ein Aergerniß abgeben koͤnte. Rhemetalces vergnuͤ-
get ſich uͤber dieſer Entſchluͤſſung/ und erſuchet mit Gutheißen der Koͤ-
nigin Erato dem Adgandeſter die deutſchen Geſchichte und des Feld-
Herrns Helden-Thaten zu erzehlen. Adgandeſter beziehet ſich diß-
fals zwar aus gewohnter Hoͤffligkeit auff den mehr erfahrnen an-
weſenden Malovend/ und den ihm vielleicht anklebenden Argwohn/
weil die Warheit der Kern und die Seele eines Geſchicht ſchreibers ſeyn
muͤſte; laͤſt endlich doch nach allen ihm abgeſchnittenen Ausfluͤchten in
einem umſchloſſenen Creiße ſich darzu bewegen. Es habe mit den
Laͤndern in der Welt und dem Meere oder Wolcken einerley Beſchaf-
fenheit aus angefuͤhrten hochwichtigen Vernunffts-Gruͤnden. Der
Egyptier und Scythen naͤrriſche Embildung/ der alten Deutſchen
hingegen viel vernuͤnfftigeres Urtheil vom Urſprung des Menſchen.
Der kalten Nordlaͤnder Fruchtbarkeit gegen die heißen Sudlaͤnder/ die-
erſten auch dannenhero nicht unrecht die Scheide aller Voͤlcker genen-
net. Die entſtandene Unaͤhnligkeit der Voͤlcker und Kriege der Deut-
ſchen. Dieſer Luͤſternheit nach den Fruͤchten Welſchlands durch kei-
ne Stein-Klippen/ noch die aufſichtigen Thuſcier und Tauriner auf-
zuhalten. Jhr Leben unter allen Voͤlckern das tugendhaffte/ ihr Krie
gen das ernſth affteſte. Jhre Erweiterung zwiſchen den Fluͤſſen Tiein
und Addua. Die vom Belloveſus nach der deutſchen Art gebauete
Stadt Meyland. Sein Nachfolger Elitoro der Alemaͤnner Her-
tzog/ von deſſen Tapfferkeit der Nahme Cenomaͤnner herkommen.
Deſſen Kriege und erbaute Staͤdte die Thuſcier aus ihrem Lande
in die ſteilen Klippen des Obiniſchen Sees getrieben. Fluͤße und Laͤn-
der
[717[719]]Arminius und Thußnelda.
der wie lange ſie beyde ihr Anſehen behalten. Hertzog Medons Sieg wider Welſch-
land/ ſein allda dem Kriegs-Gotte mehr zum Schein als aus Andacht gebauete Tempel.
Sein Volck die Saalier oder Saal-Laͤnder ihrer Eintraͤchtigkeit halber die Libitier/ er ein
Bundsgenoß der Roͤmer genennet. Der zwiſchen dem Hercyniſchen Gebuͤrge allzu
enge eingeſchrenckten Bojen Ausbreitung biß uͤber den Po. Hertzog Lingo wegen ſei-
ner Laͤnge Licinius genennet/ ſeine/ durch ein ſonder bares mit des Tuiſco Haupt gebilde-
tes Feldzeichen/ ausgeuͤbte Krieges-Liſt. Der Deutſchen ungemeines Fechten/ erhal-
tener Sieg/ der Feinde Flucht biß an den Fluß Gabellus und Berg Sicinima; Gewiſſer
Roͤmer ruͤhmliche Nachfolge. Des Lingo ebenmahlig am Fluß Scultenna wider die
Umbrier aus einem unvermutheten Donnerſchlag zu ſeinem Vortheil gedeuteter Sieg
und deſſen glaͤublicher Erfolg. Der Deutſchen und Gallier Zuſtand in Welſchland/
dieſer ihr Einbruch uͤber den Rhein/ der Deutſchen Geſandtſchafft an der Gallier Koͤnig
Catmund/ deſſen Hochmuth und darauf erfolgter Friedensbruch und Uberfall der um
die Brunnen der Donau wohnenden Celten. Des um Huͤlffe angeruffenen Hertzogs
der Semnoner oder edelſten Schwaben Brennus verrichteter Gottesdienſt bey threm
zwiſchen der Oder und dem Bober habenden Heiligthume. Deſſen Hochhaltung/ ſon-
derbare Beſchaffenheit und Opffer/ des Celtiſchen Abgeſandtens dabey geſchehene Be-
gnaͤdig- und Abfertigung. Des Brennus und ſeines Brudern Baſan Einfall in Gal-
lien. Der durch der Maßilier Sitten und Wolluͤſte verzaͤrtelten Gallier Flucht/ Hatu-
mands und ſeines friſchen Heeres fernere Niederlage/ ſein theuer erkauffter Friede/ des
Brennus und der Celten Ausbeuthe Ehrſucht und Begierde mehr zu gewinnen. Sein
und ſeiner Schwaben beſchwerlich doch gluͤckliche Zug uͤber die Alpen biß an das am A-
driatiſchen Meer liegende Gebiethe der Veneter und uͤber den Po an das Apeniniſche
Gebuͤrge. Der in einem vortheilhafften Orte noch wohnenden Umbrier vergeblicher
Widerſtand und durch betriegeriſche Wahrſagerey aufgerichtete Tempel-Bau von des
Brennus Tapfferkeit und dem Verhaͤngnuͤße zerſtoͤret. Turnus der Hertzog der Um-
brier faͤllt als ein Stern vor der blitzenden Sonne dem Brennus zu Bodem/ Sold und
Liebe aber kaͤmpffet im Soldaten um das Vorrecht. Tugend in Feinden zu loben/ und
einem groſſen Sieger zu Theil werden dem beſiegten beſter Troſt. Des Brennus am
Meerſtrande bey dem Miſus-Fluße zum Gedaͤchtnuͤß erbaute Stadt Semnogallien;
Jngleichen ſeine durch Gerechtigkeit und Anſehen in Welſchland befeſtigte Herrſchafft.
Klage wider die Stadt Cluſtum. Jhre veraͤchtliche Antwort/ neue Eydsgenoſſen-
ſchafft und feindlicher Aufſtand. Klugheit hencket ihre Schilde lieber in der Feinde
Zaͤune/ als daß ſie die feindlichen in den ihrigen ſiehet. Der Semnoner Niederlage zum
Schimpf aufgerichteter Steinhauffen das Begraͤbniß der Gallier genennet. Des
Brennus Kriegs Behendigkeit/ und Zug uͤber die hoͤchſten Berge nebſt der ſchleinigen
Eroberung Aretium/ eignet ihm bey den Cluſtern Fluͤgel zu. Zur Unzeit eine Schlacht
lieffern die ſchlimſte Thorheit eines Vermeſſenen/ ohne Schwerdſtreich aber uͤberwin-
den/ ein Meiſterſtuͤck der Klugen. Der Semnoner durch Einnehmung der Staͤdte
Croton und Cortona zweyfacher Sieg. Lars Niederlage und Tod. Aruntes gerech-
te Rachelehret das Vaterland hoch und heilig halten. Die Belaͤgerten in der Hetruri-
er Haupt Stadt Cluſtum verſuchen den Brennus durch Liefferung des ſchuldigen Lu-
X x x x 3cumars
[718[720]]Sechſtes Buch
cumars zu beſaͤnfftigen/ ſeine Verweigerung bringet ſie nebſt einem darzu kommenden
Vogelgeſchrey zu verzweiffelter Gegenwehr. Aberglauben bemeiſtert viel Voͤlcker.
Der Cluſter bey den Roͤmern mit allerhand angefuͤhrten Bewegungs-Gruͤnden geſuch-
te Huͤlffe. Dieſer Geſandſchafft an den Brennus; deſſen beſcheidentliche Antwort ge-
gen der hitzigen Fabier Anmuthen und Rechtfertigung/ der Geſandten vergeſſenes
Voͤlcker-Recht/ und die deßwegen zu Rom gefuͤhrte Beſchwerfuͤhrung. Das dem
Brennus zu einer Friedens-Bedingung angetragene Geld als eine den Deutſchen ver-
aͤchtliche Wahre ausgeſchlagen/ die Belaͤgerung Cluſtum aufgehoben/ und der Zug des
gantzen Krieges-Heeres auf Rom gerichtet/ die Roͤmiſchen Legionen aufs Haupt ge-
ſchlagen/ von der abgeſchnittenen Feinde Koͤpffen vor Rom ein Thurm erbauet/ die
Stadt ſelbſt eingenommen/ und biß aufs Capitolium wegen eines eiferſichtigen Grei-
ſens uͤber Antaſtung ſeines Barths/ als eines unberuͤhrlichen Heiligthums vieler Voͤl-
cker/ zu Staub und Aſche worden. Des Brennus mit dem Sulpitius getroffener Frie-
de; der Hetrurier mit Huͤlffe der Veneter neuer Anfall; die Eroberung Soßina und
Belaͤgerung der Stadt Croton; Frauen-Geſchmeide zu Aufbringung des verſproche-
nen Loͤſegeldes nicht zulaͤnglich; der Roͤmer Hinterliſt. Des Brenniſchen Geſandtens
ſcharffer Wortwechſel mit dem Roͤmiſchen Feldherrn Camillus/ ſein und des Fuͤrſten
Bei ſo tapffere Gegenwehr; des letztern Heldenmuͤthiger Tod/ jenes liſtige und vor-
theilhaffte Zuruͤckziehung uͤber die Tiber biß an des Brennus Lager/ die Stadt Croton
von der Belaͤgerung der Cluſter erloͤſet und die Roͤmer zu einem neuen Frieden gezwun-
gen. Des Brennus biß in Sicilien/ Africa und Grichenland ſich ausbreitende Siege.
Sein und des Koͤnigs in Sicilien Dionyſius hoher Ruhm beyder in der Stadt Corinth
auf dem Rathhauße aufgerichtete ertztene Bilder. Brennus als ein ander Hercules
von allen deutſchen Fuͤrſten benachfolget/ Hertzog Antenor bekommt wegen ſeiner Rit-
termaͤßigen Tugenden Koͤnig Belins Tochter Cambratur zur Ausbeuthe. Der Cat-
ten Hertzog Batto nebſt ſeinem Sohne treten dem Vetter das Erbtheil ab in Hoffnung
ein anders durch den Degen zugewinnen. Beyder Einfall uͤber den Rhein/ ihr Sieg
wider die Gallier; die Eroberung des zwiſchen dem Rhein und Meer gelegenen Eylan-
des; ihr angenommener Nahme und erbaute Stadt Nimmegen. Der von den Alle-
maͤnnern uͤber dem Pyreneiſchen Gebuͤrge zwiſchen dem Fluß Durias und Sucra neu
gegruͤndetes Reich. Die Deutſchen wegen ihrer Tapfferkeit und Treue bey frembden
Voͤlckern zu Kriegs-Obriſten/ und Leibwache angenommen. Brennus Tod und ſeines
Sohnes Ludwigs ruͤhmliche Nachfolge; Sein denen bekriegten Veliterern wider die
Roͤmer gluͤcklicher Beyſtand. Der Roͤmer vortheilhaffte Zuruͤckzichung; ihres Kriegs-
Ob. Furius Vorwand ſeiner verweigerten Schlacht. Seiner Thaten ungleicher Bericht
bey den Geſchichtſchreibern. Dieſer angewohnte Heucheley mit Unterdruckung der
Warheit. Wenn und wie dieſe zu entſchuldigen/ auch aus verlohrnen Schlachten vor-
theilhaffte Siegezu machen? Hertzog Adolphs mit denen von ſeinem Bruder Hertzog
Ludwigen anvertrauten Deutſchen Annaͤherung bey Rom. Des Roͤm. Feldherrn
Qvintius Pennus entgegen geſetztes Lager/ und einiger Roͤmiſcher Edelleute ungluͤck-
und ſchimpflicher Zweykampff. Der Deutſchen Zuruͤckkehr gegen die Stadt Tibur
biß uͤber den Fluß Livis wider die die Hernicier bekriegenden Campanier. Dieſer Ver-
luſt/
[719[721]]Arminius und Thußnelda.
luſt/ der Staͤdte Alliſa/ Teleſia/ Calatia und anderer Ubergabe. Des Buͤrgermei-
ſters Petilius Libo und Fabius Ambuſtus neuer Anfall/ welche Hertzog Adolph biß in
Rom verfolget/ und ſich an die Colliniſche Pforten der Stadt ſetzet. Daraus entſtan-
dener großer Schrecken nebſt des neuen Feld-Obriſten Servilius Ahala und Titus
Qvintius verlohrner Schlacht und Niederlage. Hertzog Adolphs Aufbruch aufwerts
der Tiber gegen die Tiburtiner beaͤngſtigenden Buͤrgermeiſter Petelius/ dieſes fluͤcht-
und laͤcherliches Sieges-Gepraͤnge zu Rom. Der Roͤmer erneuertes Bindniß mit
den Lateinern und Betruͤgung der Tarqvinier. Der Deutſchen, als aller damahligen
bedraͤngten Zuflucht/ fruchtbare Huͤlffe. Des Roͤmiſchen Feldherrn Cajus Sulpitius
Schimpff/ ſein abgenoͤthigtes zweiffelhafftiges Troffen und Siegs-Gepraͤnge zu Rom.
Des Fabius durch den Ritter Sultz erlittene Niederlage/ beyder Voͤlcker Verhoͤhn- und
granſame Abſchlachtung vieler gefangenen Edelleute. Der deutſchen Prieſter Liſt wi-
der den Popilius Lenas. Der Deutſchen und Tarqvinier Uneinigkeit uͤber erlangter
Beuthe. Popilius Lenas auf dem kalten Berge vortheilhaffte Verſchantzung. Eines
deutſchen Ritters faſt uͤbernatuͤrliche doch blutige Beſtuͤrnung erwirbt ihm einen neu-
en Ehren-Nahmen. Die Beſiegung der Grichiſchen Seeraͤuber und Gewinnung der
Lateiner zu groſſem Nachtheil der Roͤmer. Der Buͤrgermeiſter Camillus erkieſet zu
ſeiner Sicherheit die Pomptiniſchen Geſuͤmpfe. Ein auf dem beyde Laͤger von einan-
der ſcheidenden Fluße Amaſen an einem alten Weibe ſich ereignetes ſeltzames Begebnuͤß/
ihre Anrede/ an den Deutſchen inſonderheit an dem wider den Marcus Valerius im
Zweykampf fechtenden Udalrich ausgeuͤbte Zauberey nebſt dergleichen mehrern Befol-
gungen. Aberglaube die heßlichſte Larve der Vernunfft. Die Roͤmer und Deutſchen/
nach dem ſie uͤberfluͤßig gegen einander ihre Kraͤffte gemeſſen/ muͤſſen beyderſeits eine
Verblaſung ſuchen. Dem ſtreit baren Hertzog Ludwig folgt der friedliebende Alarich.
Ein neuer Schwarm der um den Berg Abuoba und den Brunnen der Donau wohnen-
den Allemaͤnner unter dem Hertzoge Arnolff ziehet ihm durch ſeine allzuweite Ausbrei-
tung den am Strome Tyros wohnenden Sarmatiſchen Koͤnig nebſt fremder Huͤlffe
auf den Hals. Der Deutſchen und des Macedoniſchen Koͤnig Philipps verneuerte
Bundsgenoſſenſchafft. Seines Sohnes und Nachfolgers des groſſen Alexanders
Siege den Deutſchen verdaͤchtig. Derer an ihn abgefertigte Geſandſchafft. Alexan-
ders aus ihrer Hertzhafftigkeit geſchoͤpfftes ſonderbare Vergnuͤgen/ mit ihnen gemach-
tes Buͤndnuͤß/ und geſetzte Graͤntz Maale. Deren vom Thraciſchen Stadthalter
Zopyrion aus Ehrſucht wider die Gothen und Deutſchen vor genommene Erweiterung
ihm Spott und Todt zu wege bringet. Der Deutſchen abermalige Geſandſchafft nach
Babylon zum Alexander/ ihr vor andern hohes Anſehen/ Treue und Tapfferkeit nebſt
der ſchoͤnen und anſehnlichen Leibesgeſtalt vom Alexander geprieſen. Schoͤnheit die ge-
heimſte Zauberey der Gemuͤther Fuͤrſten und Geſandten anſtaͤndig; die Heßligkeit da-
gegen ein unabtrennlicher Vorbothe der Verachtung. Weiße Farbe den Nordlaͤn-
dern eigenthuͤmlich. Der Geſandten angefuͤhrtes Vorzugs-Recht von des Alexanders
Ausſpruch und der Deutſchen eigene Klugheit und Tapfferkeit behauptet. Alexanders
und ſeines Sohnes Hercules Meichelmoͤr deriſcher Tod von den Deutſchen beklaget/ der
gefangene Lyſimachus auf des Meineydigen Caſſanders Tod ohne Entgeld loßgegeben.
Der
[720[722]]Sechſtes Buch
Der Deutſchen Gluͤcks-Sonne gehet in Griechenland auf/ in Welſchland unter. Der
Semnoner eingeſchlaͤffte Tapfferkeit. Zwietracht eine Beſiegerin der ſtreitbarſten
Voͤlcker. Neuer Krieg zwiſchen den Samnitern/ Campantern und Marſten. Der wi-
der die Samniter zu Huͤlffe geruffenen Roͤmer Friedens-Bruch. Hertzog Siegfrids
vergebliche Abmahnung; ſein und ſeines Schwagers Pontius entgegen geſtellte Krie-
ges-Liſt; der Roͤm. Buͤrgermeiſter Veturius und Poſthumius erlittener Schimpff;
der deßwegen erzuͤrnten Roͤmer Rache. Neues Buͤndniß der Semnoner/ Samniter
und Hetrurier. Die zu Rom deßwegen vorgenommene Muſterung und erkieſte Heer-
fuͤhrer; Scipio vom Hertzog Clodomar zwiſchen denen vortheilhaffteſten Felßen und
Klippen aufgeſucht/ und aufs Haupt geſchlagen. Nichts iſt der Tugend unuͤberwind-
lich. Der Semnoner Gebiethe von beyden Buͤrgermeiſtern Decius und Fabius be-
fallen; Jhr mit dem Clodomar zweiffelhafftes und blutiges Treffen; gluͤcklicher Wa-
gen-Kampf; der vielen Bundsgenoſſen/ als vieler Koͤpffe/ entſtehendes Unheil. Boß-
heit und Zauberey ſoll den Roͤmern zum Sieg dienen/ wird von dem neuen deutſchen
Hertzoge Wittekind ſtattlich gerochen. Deſſen ſcharffes Aufboth unter dem Verluſt
Sporn und Degens. Davon der Ort nachgehends ſeinen Nahmen bekommen. Fa-
bius ſchluͤſſet Friede und ziehet nach Rom zum Siegs-Gepraͤnge. Die geſchlagenen
Samniter bemaͤchtigen ſich durch Huͤlffe Hertzog Britomars und ſelner Semnoner des
Roͤmiſchen Lagers. Des Buͤrgermeiſters Atilius Verluſt und Niederlage bey der
Stadt Lucuria; ſeine Verſtaͤrckung; dem Jupiter gethanes Geluͤbde und darauf geen-
detes Kriegs-Spiel. Des Buͤrgermeiſters Papirius neuer Uberfall; des Semnoni-
ſchen Fuͤrſten Cajus Pontius Herennius ſcharffes Aufboth nach Sirpium; Seiner
Kriegsleute vor einem blutigen Altare geſchehene eidlichr Zuſam̃enverſchwerung; Jhre
Bemaͤchtigung der Stadt Aqvilonia. Der beeden Buͤrgerineiſter Corvillius und Papi-
rius Kriegs-Liſt mit einer großen Niederlage vergolten. Des juͤngern Fabius Verſe-
hen vom Vater gerechtfertiget/ ſeine Entſchuldigung zu Rom und verzweiffelter Streich
gegen dem Fuͤrſt Pontius/ deſſen Gefangenſchafft und ſchimpflicher Tod. Des Raths zu
Samnium Kleinmuth und Abſchwerung aller fremden Buͤndnuͤße. Der daruͤber
klagenden Semnoner ſchlechte Verhoͤr. Der Deutſchen Beyſtand und Belaͤgerung der
Stadt Aretium. Des Junius Geſandſchafft an den deutſchen Hertzog Britomar;
Seine Bedraͤuung und dar auf empfundene Rache. Der Geſandſchafft Wuͤrde heilig/
und das dabey ſtehende Voͤlcker-Recht unverletzlich. Britomar deßwegen vom Buͤr-
germeiſter Dolabella rachgirig angefallen/ gefangen/ erbaͤrmlich gehandelt/ und gantz
Umbrien grauſamlich verheeret. Hartmanns ergrinimte Bruder-Rache an der mit
Sturm eroberten Stadt Aretium ausgeuͤbet. Seine gluͤckliche Kriegs-Liſt wider den
zum Entſatz kommenden Coecilius und davon entſprungener Nahme Anhalt. Die ed-
le Freyheit und das Joch der Roͤmiſchen Dienſtbarkeit vereinbart aller deutſchen Fuͤr-
ſten Gemuͤther die Waffen wider Rom/ als ein ihnen leicht angehendes Werck zu ergreif-
fen; Rom dagegen und die herrſchenden Buͤrgermeiſter den ihrigen zu Beſtegung der
Deutſchen der Roͤmer Gewalt als einen Schrecken der gantzen Welt vorſtellend. Anhalt
laͤſt der gefangenen Roͤmer Koͤpffe ins Roͤmiſche Lager ſchleudern/ verurſacht dar durch
großes Schrecken. Beyder Laͤger hitziges Treffen. Die Roͤmer vom Dolabella ver-
ſtaͤrcket;
[721[723]]Arminius und Thußnelda.
ſtaͤrcket; Anhalt nach euſerſter Gegenwehr durch den Vadimoniſchen See ſich zu retten
genoͤthiget. Gluͤcks und Sonnenrads Gleichſtimmigkeit. Des deutſchen Fuͤrſtens
in Pannonien Cambaules herrlicher Sieg und Beuthe in Myſten und Thracien. Des
großen Belgius Schrecken bey den Nachbarn. Der Koͤnigin in Pontus und Thracien
Arſinoe an ihn abgefertigte Geſandſchafft/ ihr in Geſtalt der Dianen zugleich mit kom-
mend herrliches Bildniß. Des Koͤnigs daraus geſchoͤpffte Liebe und Heyraths-Ent-
ſchluͤßung. Ptolomeus verſchmitzte Ablehnung ſeines eigenen Vortheils wegen. Sein
im Tempel des Jupiters gethanes Geluͤbde und Liebkoſungen gegen Arſinden zu Caſ-
ſandrea. Beyder praͤchtiges Beylager in der Stadt Epidamus; des juͤngern Ptolo-
meus Flucht zum Koͤnige Belgius. Arſinoens und ihrer beyden juͤngſten Soͤhne er-
baͤrmlicher Zuſtand zu Caſſandrea ihrer eigenen Stadt. Des Koͤnigs Belgius Ge-
ſandſchafft zu dieſem Wuͤterich; ſeine hochmuͤthige Antwort und fruchtloſe Abferti-
gung/ aber bald dar auf von der verkleideten Arſinoe empfundene rechtmaͤßige Rache.
Arſinoens und ihres Sohnes Ptolomeus Zuſammenkunfft und hertzliches Umarmen.
Des Belgius und Koͤnigin Arſinoe Heyrath; des Wuͤterichs Ptolomeus Enthaup-
tung/ und beſchimpfter Kopf in Macedonien. Der ſich widerſetzenden Macedoniſchen
Fuͤrſten Meleagers und Antipaters Niederlage; dagegen des juͤngern Ptolomeus Er-
hoͤhung zum vaͤterlichen Thron. Der unedle und von einem Ackersmanne gezeugte
Soſthenes erlangt durch ſeine Tapfferkeit den Nahmen eines Koͤnigs in Macedonien.
Maͤßigung der Ehre die groͤſte Koͤnigs-Wuͤrde. Sein tapfferes aber ungluͤckliches
Fechten wider den dem Belgius zu Huͤlffe kommenden Brennus den Tectoſager Her-
zog. Der Deutſchen dardurch mercklich vergroͤſſerte Siege. Des Brennus und eines
bey ſich habenden Ritters beſondere Liſt zu Durchſchwemmung des Stromes Sperchi-
us. Brennus beſtuͤrmet Thermophylen. Unterſchiedener deutſchen Ritter dabey er-
wieſene Heldenthaten und davon uͤberkommene Nahmen und Wappen. Der Grichi-
ſche Feldherr Calippus vom deutſchen Fuͤrſten Acichor eigenhaͤndig erlegt. Die Deut-
ſchen von der Athenienſer Schiff-Flotte mit Pfeilen als mit Hagel uͤberſchuͤttet. Bren-
nus hertzhaffte Anfuͤhrung ſeiner Tectoſager biß an den auf einer hohen Klippe liegen-
den Tempel der Minerva. Der Fuͤrſten Oreſtes und Combut Zug wider die Etolier/
endlich des Brennus ſelbſt durch der Heracleer Wegweiſung uͤber den Berg Oeta/ und
mit gefaͤhrlicher Verwundung des tapffern Calippus biß an Athen. Falſches Gedich-
te vom Brennus wegen Beraubung des Delphiſchen Tempels. Aber glauben ſetzet ſein
Volck in Furcht und Schrecken. Sonn- und Monden-Finſternuͤße darzu behuͤlfflich.
Brennus Tod und die hier auf erfolgte Unruhe. Cammontors des Belgius Sohns in
Aſia und Europa Siege und Heldenthaten. Des Brennus Soͤhne und ihre ungleiche
Erbtheile. Verraͤtherey wider des Brennus Sohn den Koͤnig Hunn durch des groͤſten
Verraͤthers Gemahlin entdeckt und geſtrafft. Kampff zwiſchen des Vaterlands und
der ehelichen Liebe/ Tugenden und Laſtern. Theſſalors des Scordiſker Fuͤrſtens Flucht
zum Antigonus. Des Koͤnig Hunns Geſandſchafft an deſſen Hoff und erfolgter Be-
trug. Der beyden deutſchen Hertzoge Leonar und Luthar herrlicher Sieg zu Waſſer
und Lande. Der ſichern Tectoſager Niederlage durch Antigonus Schiff-Flotte. Koͤ-
nigs Pyrrhus Ankunfft aus Sicilien. Sein und ſeines Sohnes des ſtreitbaren Pto-
Erſter Theil. Y y y ylomeus
[722[724]]Sechſtes Buch
lomeus Sieg wider den Antigonus. Verkehrtes Krieges-Spiel. Des Pyrrhus und
Ptolomeus Tod/ des zweyten Sohnes Selenus Gefangenſchafft und Loßlaſſung. An-
tigonus Undanck gegen die Deutſchen; dieſer Hertzhafftigkeit und blutiger Kampf. A-
lexander von des Antigonus Sohne Demetrius des Koͤnigreichs Macedonien entſetzet;,
von den Scordiskiſchen Deutſchen aber bald wiederum eingeſetzet. Der Deutſchen
Siege in Grichenland. Beyder Fuͤrſten Leonars und Luthars Ehren-Nahmen in Aſien
und Entſatz der vom Zipetes von wegen der Deutſchen irrig benennten Galater bedraͤng-
ten Pruſaburg. Deſſen Tod/ und zertheiltes/ nachgehends Galatien benahmtes Reich.
Blutiger Krieg zwiſchen Antiochus Sohne und Nachfolger Seleucus mit dem Koͤnige
Ptolomeus in Egypten von wegen jenes Stief-Mutter deſſen Schweſter vorgenomme-
nen Hinrichtung. Antiochus Sieg vermittels der deutſchen Huͤlffe wider den Seleu-
cus und Kroͤnung auf der Wallſtat. Sein den Deutſchen verweigerter Sold/ und da-
her erlittene Niederlage. Des Zela Fuͤrſtens in Bythinien ſchaͤndliche Liſt wider den
Fuͤrſten Luthar beraubet ihn ſeiner Herrſchafft und ſeines Lebens. Phileterus eines
gemeinen Mannes Sohn wirfft ſich zum Koͤnige in Pergamus auf. Sein genomme-
ner Vortheil aus anderer Blutſtuͤrtzung/ und gluͤcklicher Anfall des Siegers Antio-
chus. Ptolomeus in Egypten rufft die Deutſchen wider den ihn bekriegenden Cyrenni-
ſchen Koͤnig Megas zu Huͤlffe. Entſtandenes Mißtrauen unter ihnen. Argwohn und
Ehrſucht die betruͤglichſten Wegweiſer. Der Roͤmer Wachsthum gegen der auslaͤn-
diſchen Nachbarn Macht/ inſonderheit die Stadt Carthago. Andacht aller Kriege
Firniß. Berg Etna wegen ſeiner Hoͤhe die Seule des Himmels genennet. Der Stadt
Rom und Carthagens Untergang durch eine ſilberne Schaale bedeutet. Aberglauben
der Betrug Larve. Carthagens blutiger Krieg durch des Berges Etna hefftig ſpeien-
des Feuer und Erdbeben bedeutet. Der beruͤhmten Deutſchen angeflehete Huͤlffe. Sel-
zamkeiten der Sicilianiſchen Stadt Agrigent. Des Hanno ungluͤckliche Opfferung/
und anderer ihm von den Goͤttern bezeigter Unwille. Der Deutſchen in der grauſamen
Belaͤgerung Agrigent bezeigte Tapferkeit vom Feldherrn Hanno ſchlecht belohnet. Un-
gemeiner großer Drache in Africa vom Buͤrgermeiſter Atilius Regulus erleget; deſſen
vom neuen deutſchen Feldherrn Xantippus erlittene Niederlage. Des Uberwinders
Sieg zu Carthago; jenes aus Unmuth und Betruͤbnuͤß erfolgter Tod. Seines Ehe-
weibes unrechtmaͤßige Rache. Wohlthaten wie ſie beſchaffen ſeyn ſollen/ und was vor
Danck ihnen gebuͤhre? Xantippus von den undanckbaren Carthaginenſern ins Meer
geſtuͤrtzet/ bald dar auf gerochen. Der Deutſchen Treu bey Belaͤgerung der wegen der
Cumaniſchen Sibylle Grabe beruͤhmten Stadt Lilybenm. Der Sibylle Weiſſagung
verlieret ihren Glauben bey den Jnnwohnern. Jhre Kleinmuth. Zweyer behertzten
Ritter Aufrichtigkeit und Rache gegen die Verraͤther der Stadt. Strabo ein ſcharff-
ſichtiger Marckmann verſichert die Kleinmuͤthigen ankommender Huͤlffe; Himilco da-
gegen zuͤndet durch Erfindung eines Semnoniſchen Edelmanns der Roͤmer erhoͤhete
Thuͤrne an. Jener herrliche Belohnung und erlangte Sieges-Kraͤntze. Die ziemlich
ins Gedraͤnge gebrachten Roͤmer bekommen durch den goldenen Widder Daͤdalus und
veraͤnderten Taubenflug wiederum ein Hertze/ zernichten der Carthaginenſer Schiff-
Flotte/ und uͤberkommen durch einen Frieden-Schluß das fruchtbare Sicilien zur Aus-
beute.
[723[725]]Arminius und Thußnelda.
beute. Fuͤrſt Narvans juͤngſte Soͤhne uͤberlaſſen dem aͤlteſten das Recht der Erſtge-
burt/ und ſuchen ihnen andere ihrer Tugend anſtaͤndige Laͤndereyen. Agtſteins
Wachsthum/ Eigenſchafft und Wuͤrckung. Saturniſcher Abgott und Menſchen-
Opfferung an Bomilcars Sohne Jmilio/ des von der leiblichen Mutter liſtiger Weiſe
untergeſteckten Printz Narvas ungeachtet/ veruͤbet. Carthagens von Tag zu Tag
ſich vergroͤſſerndes Elend. Agathocles verwechſelt ſeine Krone mit einer Prieſter-
Muͤtze/ bringet dardurch das wuͤtende Volck zum Gehorſam/ und ſeine Herrſchafft zu
neuer Ruhe. Bomilcars ungluͤcklicher Ausſchlag wegen ſeines aufgeopfferten Sohnes
und angemaſten Herrſchafft. Bloſſer Argwohn der angemaſten hohen Gewalt ziehet
den Tod nach ſich. Des Koͤnigs Aphelles und Agathocles große Vertrauligkeit bey
Carthago. Herrſchensſucht verleitet dieſen gegen jenen zum Meuchelmord/ und Ver-
wuͤſtung aller ſeiner Laͤnder. Fuͤrſt Narvas wider ſetzet ſich dem hochmuͤthigen Agatho-
cles/ erobert den Carthaginenſern viel verlohrne Staͤdte wieder/ wird endlich von den
Numidiern und Mohren gefangen und zu Merde zum Schlacht-Opffer denen goͤttlich
verehreten Affen verurtheilet. Seine ungluͤckliche Flucht; doch endliche Erhaltung durch
Huͤlffe der Koͤnigl. Tochter Andraſte/ und der Affen ſelbſt eigene Aufreibung. Seine von
der Stadt Carthago inzwiſchen erbetene Freyheit; der Affen-Prieſter daruͤber entſtan-
dener Grimm und Verwegenheit gegen ihren Koͤnig Ergamenes; ihre rechtmaͤßige Ab-
ſchlachtung; Eingefuͤhrtes neues Prieſterthum und Gottesdienſt. Koͤnigs Ergame-
nes Elephanten-Jagt. Des Koͤnigs und der Koͤniglichen Princeßin. Andraſte vom
Fuͤrſten Narvas Errettung aus ihrer augenſcheinlichen Lebens-Gefahr/ und den geilen
Prieſter-Haͤnden/ wordurch er hohe Wuͤrden und die Liebe der Andraſte ihm erwirbet/
beyder Vermaͤhlung unter eitel Frolocken. Fuͤrſt Narvas mit Adraſten gezeugte drey
Soͤhne. Des juͤngern Fuͤrſten Narvas hurtige Jugend; ſeine und Autaritus Eifer-
ſucht um der Sophonisben Liebe. Autaritus Erbitterung und Wuͤten wider ſeinen
Nebenduhler den Geſcon und viel edle Carthaginenſer. Fuͤrſt Narvas erhaͤlt die So-
phonisbe zur Ausbeute. Sein/ Hannibals und Amilcars Sieg wider den Mathos/
Spendius und den von Liebe und Rache brennenden Autaritus. Beyder Feinde gegen
einander ausgeuͤbte unmenſchliche Grauſamkeit. Des Hanno erbaͤrmliche Abſchlach-
tung. Des Narvas Vermaͤhlung mit Sophonisben/ und deſſen Unbeſtand. Der
Roͤmer Hochmuth gegen ihre Nachbarn/ und Furcht vor den Deutſchen aus der Sibyl-
liniſchen Propheceyung entſtanden. Der unter den Deutſchen um Sold fechtenden
Gaͤſaten Kriegs-Art. Unterſchiedener vornehmer Deutſchen wie auch des Heerfuͤhrers
Concoletans Niederlage. Koͤnig Aneroeſts hertzhaffter Tod zum Beyſpiel: wie weit
der Vermeſſenheit das Goͤttliche Verhaͤngniß die Geluͤbde verſtatte. Wunderzeichen
den Roͤmern erſchrecklich/ wie weit ſolche zu fuͤrchten und ihnen zu glauben. Der Deut-
ſchen erſchreckliche Geſtalt und verachteter Zierath als ein denen Kriegsleuten gefaͤhrli-
ches Kennzeichen vor dem Feinde. Der Roͤmiſche Marcelluslehnet des deut ſchen Fuͤr-
ſten Viridomar Zweykampf mit Liſt ab/ welchen ſtat ſeiner Klodomir ein Sicambri-
ſcher junger Fuͤrſt mit großem Vortheil und ſeines Gegeners blutigem Untergange ver-
folget. Das allgemeine Heil auf die Spitze eines einzigen Degens zu ſetzen/ nicht min-
Y y y y 2der
[724[726]]Sechſtes Buch
der verargen/ als verdammlich. Der Deutſchen Gluͤcksſtern in Welſchland unterge-
hend. Carthagens Macht und Groͤße mit der Roͤmer bald in gleicher bald ungleicher
Waage ſtehend. Amilcars und ſeiner Gemahlin der Arimene Todfeindſchafft wider
die Roͤmer; Beyder Geſchlecht verſchworner Haß wider dieſe ihre Feinde. Asdrubals
hinterliſtige Hinrichtung. Der junge Annibal zum Haupte der Stadt Carthago/ al-
len aber zum Beyſpiel geſetzet: daß das Alter nicht die Meßſchnure der Klugheit; inglei-
chen: daß das Thun eines Klugen und Thoren nicht ſo wol aus ſeinem Weſen/ als aus
der Zeit und Unzeit zu unterſcheiden ſey. Hannibals Großmuͤthigkeit wider die po-
chenden Roͤmer/ und Beweißthum: daß die Draͤuungen im Kriege nur Blitze ohne Don-
nerkeule. Der Stadt Sagunt vom Amilcar erlittene harte Belaͤgerung und der Jñ-
wohner Verzweiffelung. Der Roͤmiſchen Geſandten Hochmuth vor dem Rath zu
Carthago; dieſer großmuͤthige Antwort von der Deutſchen Huͤlffe unterſtuͤtzet. Der
Roͤmer Niederlage. Annibals ſchwerer Zug uͤber die Alpen; deſſen Penniniſcher Gipf-
fel die Seule der Sonnen genennet; Sein dem Jupiter darauf gethanes Geluͤbde. Al-
bert ein bey den Roͤmern gefangener Deutſcher Fuͤrſt macht im Roͤmiſchen Lager einen
Aufftand/ gehet zum Annibal uͤber und wird herrlich empfangen. Der Roͤmer große
Niederlage zwiſchen den Fluͤſſen Mela/ Po und Atheſis unter dem unvorſichtigen Buͤr-
germeiſter und Heerfuͤhrer Tiberius/ wordurch dieſer in hoͤchſte Verachtung; die Stadt
Rom aber in groͤſtes Schrecken gerathen. Des Buͤrgermeiſters Flavius große Nie-
derlage mit einem Erdbeben begleitet. Die Roͤmer verliehren durch des Annibals ſon-
derbareKriegs-Liſt viel Rathsherren und Adler. Annibal wird ſeinem Gluͤck mißtrau-
lich. Die Roͤmer aber durch der Deutſchen und Africaner Zwietracht wieder ermun-
tert; bald wieder aufs ſchaͤrffſte angefallen und aus ihres Heerfuͤhrers Poſthumius ab-
geſchlagenem Haupt oder Hirn-Schaͤdel ein Trinck-Geſchirr gefertiget/ und als ein
großes Heiligthum aufgehoben. Koͤnig Philipps in Macedonien mit dem Annibal
getroffene Buͤndniß und Geſandſchafft. Wolluſt die Verderbniß der groͤſten Kriegs-
Helden. Agathoclia bezaubernde Liebe bringet ihren Buhlen den Koͤnig Ptolomeus
Philopater ums Leben; Annibaln in Haß und nicht viel geringere Gefahr. Liebes-
Streit zwiſchen dem Vater und Vaterlande ſich an Porelle ereignet. Verkehrter
Gluͤcks-Haafen/ daraus der Argwohn eitel Mißgeburten gebieret. Annibals ange-
ſtellter herrlicher Aufzug und ſuͤndhaffte Garten Luſt traurig geendigt/ und wie Un-
ſchuld ſelbſt mit Rache und Tod an der frommen Chlotildis von den Laſtern befallen;
alſo dieſe letztere mit Ach und Weh an der Schlangenbrut Agathoclia belohnet; ſelbſt
Annibals Gluͤck und das gemeine Heil dardurch zu Grabe gehen. Gertrudis/ Erd-
munds des Neretiſchen Hertzogs Tochter gefangen/ als ein Wunder der Schoͤnheit zum
Scipio gebracht von dieſem ihrem Braͤutigam unverletzt wieder ausgehaͤndigt. Anni-
bals Thraͤnen uͤber ſeines enthaupteten Bruders Asdrubals Haupt/ uͤber deſſen und
der Stadt Carthago Verhaͤngniß. Deſſen unveraͤnderlich und unerforſchliches We-
ſen. Koͤnig Syphax tritt von den Carthaginenſern zu den Roͤmern/ wird von Maſa-
nißa geſchlagen. Maſanißens Schweſter-Sohn Maßiva/ ſeine Tapfferkeit in den er-
ſten Jahren/ ſeine Gefangenſchafft und Loßgebung vom Scipio. Kunſtſtuͤck ihm ſeine
Feinde
[725[727]]Arminius und Thußnelda.
Feinde zu verbinden. Koͤnigs Gada Nachfolger ſamt ſeinen Bruͤdern vom herrſchens-
ſichtigen Fuͤrſt Mezetul erwuͤrget. Maſanißa mit jenes hoͤchſtem Verdruß von den
Reichs-Staͤnden zum Koͤnige erklaͤret. Maſanißens ſcheiterndes Gluͤck und Leben an
dem maͤchtigen Syphax und an einem wuͤtendem Strohme; ſeine wunderbahre Erloͤ-
ſung und freudige Bewillkommung in ſeinem Koͤnigreich. Koͤnigs Syphax und Sopho-
nisbens Gefangenſchafft in der Haupt-Stadt Cyrtha. Carthagens große Gefahr.
Des Scipio und Hannibals zweiffelhaffte Schlacht und daraus entſtandener Friede
zwiſchen dem eiferſichtigen Rom und Carthago. Den Deutſchen wird zugeeignet:
daß Annibal Jtaliens/ Scipio Hiſpaniens/ Maſanißa Africens Meiſter worden; das
Haupt aber habe unter allen Gliedern den Vorzug. Die Roͤmer verlieren bey ihrem
Nothſtande weder Witz noch Hertz. Carthagens Undanck gegen Hannibaln den groͤ-
ſten Helden der Welt gereichet ihr zu eigenem Verderb. Tapfferkeit und Wiſſenſchafft
ſchicken ſich wohl unter einen Helm. Annibals und Scipio ſchlaue Kriegs-Raͤncke; bey-
der Tugenden und Fehler/ Mißgunſt und Verfolgung. Hannibal ein beſſer Kriegs-
mann als Scipio/ Scipio ein beſſer Buͤrger als Hannibal. Adgandeſter vollfuͤhret
ſeine unterlaſſene Rede/ bewundert bey der Roͤmer ſich numehr ſelbſt uͤberwachſenem
Gluͤcke das alle menſchliche Rathſchlaͤge bemeiſternde Verhaͤngnuͤß. Die Roͤmer zie-
hen ihre ſieghaffte Waffen wider den mit dem Annibal im Buͤndniß ſtehenden Koͤnig
Philipp in Macedonien. Die Eroberung Thebe/ Eubaͤa und Sparta durch ein vorher-
gehendes Sieges-Zeichen bedeutet. Amilcar nebſt vielen deutſchen Fuͤrſten ſtirbet vor
die edle Freyheit/ denen uͤbrigen ziehet die vor Augen ſchwebende Dienſtbarkeit/ unter
dem Corolan/ ſeinem Bruder Ehrenfried dem Bojiſchen Fuͤrſten Dorulach/ ziemlich
gluͤcklich den Harniſch an/ biß endlich Carthago ſich ſelbſt ohne Noth zu der Roͤmer Fuͤſ-
ſen leget/ und den blutigen Krieg dem Annibal aufbuͤrdet. Koͤnigs Antiochus Zaͤrtlig-
keit und Zagheit bey ſeinen großen Kraͤfften ſich mit dem Annibal gegen die Roͤmer zu ſe-
zen. Die Roͤmer ſuchen bey dem Antiochus den Annibal verdaͤchtig zu machen. Har-
tes Gefechte der Roͤmer mit den Deutſchen/ Hertzog Ehrenfrieds und Darulachs dabey
bezeigte Tapfferkeit; Jener große Niederlage. Die Deutſchen von Micipſa des Maſa-
nißa Sohn ſchaͤndlich hinter gangen/ woruͤber Fuͤrſt Bojorich fuͤr Kummer geſtorben/
Darulach aber in Deutſchland beruffen wird. Koͤnigs Antiochus weibiſches Gemuͤthe;
Seines Heeres Flucht und große Niederlage; ſein ſchimpflicher Friede; der Roͤmer
Sieg und herrliche Beuthe/ Scipio praͤchtiges Siegs-Gepraͤnge zu Rom. Der Deut-
ſchen verwirrter Zuſtand und Nothzwang vom Koͤnig Philipp in Macedonien in der
belaͤgerten Stadt Abydas. Jhre Widererholung und erhaltene See-Schlacht auf
Seiten des Koͤnigs Peruſias entgegen den Eumenes durch wunderbare in die Perga-
meniſchen Schiffe geworffenen Schlangen-Toͤpffe nebſt Eroberung der Haupt-Stadt
Pergamus und des goldenen Bildes Eſculapius. Der Deutſchen Anſehen in Syrien
verurſachet: daß der große Antiochus ſie zu ſeiner Leibwache und ihrem Koͤnige Mendis
ſeine Tochter Arſinoe zur Braut antraͤget. Hannibals Siege verurſachen zu Rom a-
bermaliges großes Schrecken. Antiochus den Macedoniern bezeigter Liebes Dienſt
vom Koͤnig Philipp als ein Zanckeiſen und Friedensbruch angenommen. Antigonus
Y y y y 3ver-
[726[728]]Sechſtes Buch
verfaͤllt in ſeine vorige Furcht/ Wolluͤſte/ ſchimpfliche Verheyrathung und erkaufften
knechtiſchen Friede; die von aller Huͤlffe entbloͤſten deutſchen in Krieg und eigene Zwie-
tracht. Jhre Großmuͤthigkeit im Ungluͤck. Des Mannlius Ehrſucht. Jhre unver-
ruͤckte Treu und Glauben in Erfuͤllung des verſprochenen Loͤſegeldes. Aufrichtigkeit
der alten Deutſchen Eigenthum/ vieler anderer Voͤlcker inſonderheit der Groͤſten auf der
Welt Gauckelſpiel/ und die Verſprechnuͤße zu erfuͤllen eine knechtiſche Dienſtbarkeit.
Neues Verbindnuͤß wider die Roͤmer theils durch Furcht/ theils durch Geſchencke der
Bundsgenoſſen zerriſſen. Der tapffere Hannibal muß der Treuloſigkeit zum Schlacht-
Opffer werden. Der Roͤmer hier aus entſtehender Hochmuth durch die Aqvaner/ Ale-
maͤnner/ den zur Macedoniſchen Cron kommenden Koͤnig Perſes/ und die wieder auf
Rache ſinnende Carthaginenſer gedemuͤthiget. Perſes Zagheit von der deutſchen
Fuͤrſten Carſignat und Goͤzonor Tapfferkeit abgeholffen. Carſignats hefftige Ver-
wundung. Der Deutſchen groͤſter Sieg/ und der Roͤmer gaͤntzliche Aufreibung durch
den Meuchelmoͤr deriſchen Evander verhindert. Hertzog Goͤtzonors daraus geſchoͤpfte
Ungedult. Des Roͤmiſchen Raths Geſchencke an den deutſchen Koͤnig Cincibil. Jener
Grauſamkeit in Grichenland und bald darauf von der Stadt Uſcana erlittene Nieder-
lage. Koͤnig Gentius nimmt die Roͤmiſchen Geſandten mehr als Kundſchaffter denn
Bothſchaffter in Verhafft/ worunter Pompejus der Roͤmer Unergruͤndligkeit mit der
Feuer-Pruͤfung beſtaͤtiget. Koͤnig Perſes von den Roͤmern uͤberfallen/ ſeine ſchaͤndli-
che Flucht nach Pella/ endlich nach Samothracien in Tempel zum Heiligthume der Ve-
nus und Phaetons/ derer Freyheit er als ein Meuchelmoͤrder unwuͤrdig geſchaͤtzet/ und
nebſt ſeinen Soͤhnen nach Rom zum Siegs-Gepraͤnge gefuͤhret wird. Koͤnigs Genti-
us nicht ungleiches Trauerſpiel wegen ſeines/ durch Anhaltung der Roͤmiſchen Geſand-
ten/ und herrſchensſichtige Hinrichtung ſeines Bruders/ verletzten Voͤlcker- und Bru-
der-Rechts. Keine menſchliche Vernunfft kan dem Verhaͤngnuͤße in die Speichen tre-
ten/ noch einigen Riegel vorſchieben. Rom faſt von aller Welt angebetet/ die Deut-
ſchen allein vor ein freyes Volck erkennet/ und in Friedens-Bund genommen. Des Koͤ-
nigs Eumenes Eiferſucht/ Unrube und Tod/ deſſen Nachfolger ſein Bruder Attalus.
Sein Krieg mit dem Pruſias und Deutſchen. Pruſias wegen Pluͤnderung der bey-
den Tempel Apollo und Diane von ſeinen Bundsgenoſſen verlaſſen/ und wegen ſeines
vorhabenden Kinder-Mords von ſeinem Sohne Nicomedes zu Nicomedien in Jupiters
Tempel nicht ohne Goͤttliche Rache ermordet. Jn Syrien wird nach des alten Antio-
chus Tode ſein Sohn Antiochus durch den Demetrius verdrungen/ der untergeſteckte
falſche Alexander verjaget/ und der junge Demetrius von den deutſchen Fuͤrſten
auf den vaͤt erlichen Thron geſetzet. Die in Ligurien zeither ſtill gelegene Deutſchen wa-
chen wider die Roͤmer auf/ halten ihnen auch ſo lange die Waage/ biß ſie in voriger Frey-
heit gelaſſen/ nachgehends aber durch die Wolluͤſte Welſchlands und der Roͤmer liſtige
Raͤncke eingeſchlaͤffert werden. Rom ſtifftet nicht nur aufs neue den Koͤnig Maſanißa
wider Carthago zum Krieg an/ ſondern beſchwehret auch in voller Raths-Verſamm-
lung dieſer Neben-Sonne gaͤntzlichen Untergang. Carthago mit allen erſinnlichen
Friedens-Vorſchlaͤgen abgewieſen/ belaͤgert/ durch der deutſchen Tapfferkeit in ver-
zweif-
[727[729]]Arminius und Thußnelda.
zweiffelte Gegenwehr gebracht/ endlich aber doch vom Seipio erobert/ und zum andern
Troja gemacht. Asdrubals Ehfrau uͤbet wegen ihres knechtiſchen Gemahls grauſa-
me Verwegenheit aus; die noch lodernde Aſche aber dieſer maͤchtigen Stadt wahrſa-
get Rom den gleichmaͤßigen Untergang/ an deſſen Tugend ſie ſich zeither/ wie ein Wetz-
oder Feuerſtein an dem andern/ geuͤbet. Der Roͤmer laſterhaffte Blindheit in ſchaͤndli-
cher Einaͤſcherung der ſchoͤnen Stadt Corinth. Neuer Anfall der Deutſchen mit Auf-
ſuchung der Sibylliniſchen Buͤcher. Viriath eines deutſchen Fuͤrſten Olonichs Sohn
von den Roͤmern/ als ein Kind verfolgt/ auf den ſteileſten Klippen von Gemßen geſaͤu-
get/ endlich von einem Hirten gleich dem Cyrus erzogen. Seine hurtige Jugend ver-
wandelt ſeinen Hirtenſtab wider die Roͤmer in einen blutigen Degen; Sein herrlicher
Sieg und Anſehen bey den Celten. Er wird der Luſtianier Obriſter/ ſchlaͤget die Roͤ-
mer abermal aufs Haupt/ und richtet auf dem Gipfel des Venus-Gebuͤrges ein von der
Roͤmer herrlichen Beuthe beſtehendes Sieges-Zeichen auf. Seine Ankunfft und Opf-
ferung; Sein an Tag kommendes Herkommen und Geſchlecht nebſt der wuͤrcklichen
Beſteigung des vaͤterlichen Stuhls. Seine Verheyrathung an Algarbe eines Celti-
ſchen Fuͤrſten Tochter/ mit Verweigerung aller uͤbrigen Pracht. Neues Treffen mit
den Roͤmern und dabey bezeigte Kriegs-Liſt. Die zum Friede gezwungene Roͤmer
werden Eydbruͤchig und muthen den Luſitaniern ungewohnte Dienſtbarkeit zu/ ver-
hetzen zwey ſeiner Landsleute zum Meuchelmord des tapffern Viriaths. Dieſer der
Hiſpanier Romulus genennet. Seine Gemahlin Algarbe behaupter durch ihre und
der uͤbrigen Celtiſchen Weiber ungemeine Tapfferkeit die von den Roͤmern beaͤngſtigte
Stadt Numantia. Zweyer Numidier Liebe gegen ſie/ beyder Entſchied/ die Roͤmer
werden gezwungen der Stadt Numantia ewige Freyheit zu beſchweren/ werden aber
bald Eydbruͤchig. Jhre Kriegs- und Ehrſucht uͤber die Alpen zu gehen. Des Arver-
ner Koͤnigs Luens Reichthum und Uberfluß ihre mehrere Zulockung. Sein Sohn
Bituit wirfft ſich zwiſchen den hochmuͤthigen Roͤmern und Allobrogen zum Schieds-
Richter/ auf deren Verweigerung zu ihrem Feinde auf. Der Roͤmer am Rhodan
aufgerichtete Sieges- und Ehren-Maale. Der Sarunter Furcht und Verzweiffe-
lung vor der Roͤmiſchen Dienſtbarkeit/ worunter ſich auch die Chemnoner neigen/ die
Deutſchen aber einen gewaltigen Riegel vorſchieben. Die Uberſchwemmung des Cim-
briſchen und Tritoniſchen feſten Landes verurſachet die Jnnwohner inſonderheit die oh-
ne dem ziemlich gedrange wohnende Deutſchen ihnen einen andern Sitz zu ſuchen mit
Verdruß und Furcht der Roͤmer. Dieſer vom Hertzoge Bojorich und Brinno erlitte-
ne Niederlage. Koͤnig Teutobach erkennet die Celtiberier fuͤr alte deutſche Landsleute
und wuͤrdig aus der Roͤmer Dienſtbarkeit zu erloͤſen. Koͤnig Teutobachs Geſand-
ſchafft zu Rom mit ſcheinbaren und leeren Worten abgeſpeiſet/ an den Roͤmern ſchimpf-
lich gerochen. Des Roͤmiſchen Caßius Kopf von Langerta des Cimbriſchen Hertzogs
Tochter abgehauen/ und zu Bojorichs Fuͤſſen geworffen. Die Goͤtter ſtraffen an den
Roͤmern den Raub des Apolliniſchen Tempels zu Teloſa. Jugurtha vom Maurita-
niſchen Koͤnige den Roͤmern in Band und Eiſen gelieffert. Der Roͤmiſchen Feldherren
Zwietracht dienet den Deutſchen zu groſſem Vortheil. Einem Cimbriſchen Ritter
ver-
[728[730]]Sechſtes Buch
verbeſſert ſeine Tapferkeit das Wappen; dahingegen unrechtmaͤßigem Verhalten der
Verluſt der Ehre und des Adels folget. Die Deutſchen ſehen ihr Geluͤbde an der Roͤ-
mer Beuthe erfuͤllet/ und Bojorich richtet den Roͤmern zum Schimpf uͤber die Erſchla-
gene ein Grabmaal auf. Scaurus Hochmuth mit dem Leben beſtrafft. Marius
opffert auf Eingeben einer Syriſchen Wahrſagerin in Hoffnung kuͤnfftigen Sieges ſei-
ne Tochter Calphurnien; dieſer ihre Standhafftigkeit und ruͤhmliches Grabmaal.
Der Deutſchen zugemutheter Zweykampf vom Marius mit kluͤgſter Beſcheidenheit
abgelehnet. Des Marius Liſt vermittels zweyer von der Wahrſagerin loßgelaſſener
Geyer. Der Deutſchen Weiber Hertzhafftigkeit gegen die Roͤmer am Fluße Canus.
Die Deutſchen fechten vor ihre Freyheit; Die Roͤmer aus Begierde des Sieges ver-
zweiffelt/ woruͤber die Heldin Landgerta ihr Leben einbuͤſſet/ Koͤnig Teutobach aber
nach ausgerichteten Rieſen-Thaten und vielen empfangenen Wunden halb tod vom
Feinde aufgehoben wird. Der Deutſchen Niederlage und aufgethuͤrmte Todten-Kno-
chen machen den Marius zum fuͤnfften mahl Buͤrgermeiſter. Große Anſtalt in Rom
zu ſeinem Siegs-Gepraͤnge. Die aller Arbeit gewohnte Deutſchen werden durch der
Veneter fruchtbares Land in Wolluſt/ nach Art der wachſamſten Helden nach einem
großen Wercke in Schlafſucht/ wie das Meer nach hefftigem Sturme in eine Windſtille
geſetzet. Bojorichs Geſandten durch Koͤnig Teutobachs unvermuthete Gefangen-
ſchafft hoͤchſt beſtuͤrtzt. Seine Ausforderung zum Kampff und darauff erfolgte
Schlacht. Das mit allen Elementen vor die Roͤmer kaͤmpffende Verhaͤngnuͤß kan
die Deutſchen kaum uͤberwinden. Ceſorichs Gefangenſchafft; des ſieghafft ſterben-
den Bojorichs vom Marius erlangter Ehren-Ruhm; der Koͤnigin Hatta und vielen
andern Fuͤrſtlichen Frauen den wuͤttenden Roͤmern entgegen geſetzter großmuͤthiger
Tod und davon erlangte Ehren-Maale. Des Marius uͤber dieſem Sieg zu Rom
erlangter Ehren-Tittel und Triumph/ Koͤnig Teutobachs aber dabey erlittener
Schimpf. Catulus des Roͤmiſchen Feld-Herrns mit ſeinem Nahmen bezeichnete
und den Deutſchen den groͤſten Schaden gethane Pfeile. Des Marius auf dem Ber-
ge Vogeſus vom Roͤmiſchen Rath aufgerichtete Siegs-Tempel/ nebſt ſeiner alldar
geopfferten Tochter Calphurnia mit eitel ſinnreichen Uberſchrifften befindlichem Bild-
niß. Hertzog Merodachs gleichmaͤßige Rache in Aufopfferung der Roͤmer. Die
Einaͤſcherung des Gluͤcks-Vogels Phoͤnix Rom nachdencklich. Das in Wolluͤſte
verfallene Rom; Jhr Undanck gegen die Marſen und Sermiter bringet beyde wider
ſich ſelbſt in Harniſch. Des Fuͤrſtens der Marſer Silo Liſt und Sieg gegen den un-
vorſichtigen Cepio. Der Roͤmer verfallenes Anſehen in Aſien/ und der Saluvier
Aufſtand in Gallien durch den Marius geſtillet. Seine abgelegte Feld-Herrſchafft.
Der tapffern Judacils eigenmaͤchtige Verbrennung und deſſen Urſache. Des Sylla
Opfferung und dabey ſich ereigneter Zufall machet die Roͤmer groß-das Pel-
giniſche Heer aber kleinmuͤthig. Rom wird genoͤthiget den Deutſchen in
Jtalien das laͤngſt verfochtene Buͤrger-Recht zu geben/ ſich aber ſelbſt
durch des Sylla und Marius buͤrgerlichen Krieg in eigenem Blute zu ſe-
hen. Wunderbares Begebnuͤß zwiſchen dem zum Tode verdammten Marius
und
[729[731]]Arminius und Thußnelda.
und einem Marſingiſchen Ritter. Des erſtern wieder erlangte Wuͤrde und darin-
nenruͤhmlich erfolgter Tod. Des großen Pontiſchen Koͤnigs Mithridatens Geburt
durch einen Schwantz-Stern bedeutet; ſeine Tugend und Großmuͤthigkeit denen be-
nachbarten Voͤlckern bedencklich/ dem Bedraͤngten erfreulich. Des deutſchen Hertzog
Herrmanns am Fluße Pſychrus nach ſeinem Nahmen gebaute Stadt Hermanaſſo.
Mithridatens unzehlbare Eroberungen und Uberwindung des Cherſomeſiſchen Koͤ.
nigs Scilurus nebſt ſeinen achzig Soͤhnen. Seine groſſe Kriegs und Seemacht. Die
unter dem andaͤchtigen Vorwand der Heiligthuͤmer erbaute Feſtungen den Nachbarn
ein Kapzaum. Des Marius dem Mithridates gegebene Staats-Lehre. Die klugen
Deutſchen entziehen ſich dem Schatten dieſes allzu groß wachſenden Rieſens/ und ge-
hen mit den Roͤmern einen Bund ein. Der junge Koͤnig Ariarathes unter dem Vor-
wand der Freundſchafft vom Mithridates eigenhaͤndig entleibet/ und ſein Sohn un-
ter jenes Nahmen vorgeſtellet. Nicomedes Liſt durch eine dergleichen verrathen.
Die Cappadocier mehr des Gehorſams als der Herrſchafft faͤhig. Der Deutſchen
gutes Verſtaͤndnuͤß mit den Roͤmern dem Mithridates ein Dorn in Augen; Seine
Begierde ſie von ihnen abzuziehen; Seine Klage zu Rom wider den Koͤnig Nicomed
und Eroberung des Koͤnigreichs Cappadocien. Des erſtern Niederlage und der Roͤ-
mer zugeſchickte Huͤlffe. Mithridatens Sieg und Freygebigkeit gegen ſeine gefangene
Feinde baͤhnet den uͤbrigen zur freywilligen Ergebung/ den ſeinigen aber ſeine hertzhaffte
Ermahnung den Weg nach Rom als eine Wolffin aller Voͤlcker. Dem Uberwinder
Mithridates leget des Mileſiſchen Philipemanes Tochter Minoma durch ihre Schoͤn-
heit die Liebes-Faͤſſel an. Der Aberglaube tritt ſeinem Gluͤcke in Weg und ziehet ihn
von der Stadt Rhodis und Patana/ des Pergamus Wolluͤſte und der Minoma Lieb-
koſungen aber die Huͤlffs-Voͤlcker von ihm ab. Destapffern Archelaus und eines deut-
ſchen Ritters in dem Eylande Delos/ ſo die Griechen der Goͤtter Vaterland nennen/
heldenmaͤßige Verrichtungen vom Gluͤcks-Kinde Sylla unterbrochen. Deſſen denck-
wuͤrdige Belaͤgerung der Stadt Athen/ und Feſtung Pyrennium nebſt beyder Erobe-
rung und Blutſtuͤrtzung. Seine Schlacht und Sieg wider den Archelaus; deſſen fal-
ſche Verlaͤumdung uͤber die deutſche Fuͤrſten. Mithridatens ſchaͤndlicher Undanck und
Grauſamkeit gegen ſie zu Pergamus ausgeuͤbet. Des noch erretteten Dejotars Ra-
che am Archelaus und Mithridates. Sylla traͤgt einen Leuen und Fuchs im Hertzen
Rom und allem Volcke zum Schrecken. Seine uͤber die Roͤmer bekommene Gewalt.
Mithridates bemuͤhet ſich die Deutſchen wieder auff ſeine Seite zu bringen/ toͤdtet
ſeinen Sohn aus einem falſchen herrſchensſuͤchtigen Wahn. Der groſſe Sylla
beiget ſich vor der am Pompejus neu aufgehenden Sonnen/ und leget nunmehr ſei-
ne mit viel Schweiß und Gefahr geraubte Wuͤrde mit ſeinem Leben nieder. Sein
herrliches Begraͤbnuͤß und Grabſchrifften. Grauſamer Krieg des vom Sylla
verbannten Sertorius mit Zuziehung eines groſſen Theils des Roͤmiſch- und
Deutſchen Adels. Sein neu auffgerichteter Rath und Leibwache. Seine herr-
liche Thaten und Rache wider die Stadt Lauran. Pompejus von den Deutſchen
ausgeſtandene Gefahr/ und der nach der Meuchelmoͤrderiſchen Hinrichtung des
Erſter Theil. Z z z zSer-
[730[732]]Sechſtes Buch
Sertorius aufgerichtete Vertrag/ ingleichen der unter des deutſchen Fuͤrſten Dejotars
Anfuͤhrung dem Mithridates gethane Abbruch. Pompejus ſeltzames Krieges-Spiel/
ſeine Flucht/ der ſeinigen Verzweiffelung und ſeines Sohnes Machars Verhaͤngnuͤß.
Mithri[dat]es als ein Stief-Kind des Gluͤcks von ſeinem eigenen Gemahl der Strato-
nice vertaufft und verrathen. Seine Leiche von ſeinem leiblichen Sohne Pharmaces
dem Pompejus zugeſendet. Sein herrliches Begraͤbnuͤß/ Grabſtaͤtt und praͤchtige
Uberſchrifft. Pompejens nach Rom gebrachte koſtbare Beuthe und Siegs-Gepraͤnge.
Der Roͤmer daraus erwachſener Ubermuth und Grauſamkeit gegen ihre gefangene
Auslaͤnder. Dieſer ihre hertzhaffte Entſchluͤſſung und vor die Freyheit aufgerichtete
Kriegs-Fahnen/ zu deren Haupt und Heerfuͤhrer Spartacus ein deutſcher Ritter aus
vorhergehender Wahrſagerey gewehlet wird. Seine Tapfferkeit und Sieg wider die
ihn aufſuchende Roͤmer mit ſein und ſeiner Feinde Blut beſiegelt. Der Deutſchen ver-
neuerte Treue durch keine Verhetzung und Verfprechnuͤß von Rom abwendig zu ma-
chen. Der Roͤmer dagegen ſchlechte Vergeltung und Undanckbarkeit bringet ſie wieder
in Harniſch/ und machet ihren Hertzog Catugnat mehrmals wider ſie ſieghafft/ letzt
aber dem wanckelbaren Kriegs-Spiele unterwuͤrffig. Dieſe des Malovends Erzeh-
lung heiſſet die natuͤrlich untergehende Tages- und die dem Hertzog Herrmann an Thuß-
neldens Hochzeit-Feyer aufgehende Liebes-Sonne endigen/ und die fernere Erzehlung
der Deutſchen und Roͤmer inſonderheit des Kaͤyſers Julius und ſeines Nachfolgers Au-
guſtus aufskuͤnfftige verſchieben.
DJe Sterne ſtunden noch am
Him̃el/ und der gantze Hoflag
noch zur Ruh/ als ein Catti-
ſcher Edelmann dem Hertzog
Arpus und Fuͤrſten Catumer
zu wiſſen machte: daß beyder
Gemahlinnen Erdmuth und
Rhamis nur drey Meilen von dannen auf ei-
nem Luſthauſe des Feldherrn ankommen waͤ-
ren; derer erſtere/ als der Fuͤrſtin Thußnelda
nahe Bluts-Freundin/ bey dieſer Vermaͤhlung
die Mutter-Stelle vertreten ſolte. Dieſe Poſt
erweckte anfangs dieſe zwey Cattiſche Fuͤrſten;
Hernach aber/ als Fuͤrſt Adgandeſter hiervon
Nachricht kriegte/ und dem Feldherren bey-
brachte/ alle Groſſen. Denn iederman war
uͤber dieſer Ankunfft erfreuet. Alſo ward von
allen Deutſchen Fuͤrſten Befehl ertheilet fertig
zu machen/ dieſe annehmliche Gaͤſte zu bewill-
kommen. Der Feldherr alleine blieb zuruͤck/
und verſchloß ſich wegen wichtiger Schreiben
in ſein Zimmer/ befahl aber dem Fuͤrſten Ad-
gandeſter: daß er bey faſt einſamen Hoffe die
fremden Fuͤrſten inzwiſchen annehmlich unter-
halten ſolte. Wie nun das hertzogliche Schloß
derogeſtalt von allen Haͤuptern gleichſam aus-
geleeret ward/ fuͤhrte Adgandeſter die fremden
Gefangenen/ oder vielmehr annehmlichen Gaͤ-
ſte/ auf die neue Rennebahn/ und zeigte ihnen
alle Anſtalten/ die der Feldherr zu herrlicher
Begehung ſeines Beylagers angeordnet hatte.
Nachdem ſie auch mit unterſchiedenen Rennen
ſich erluſtigt/ verfuͤgten ſie ſich in den Luſtgarten;
da ſie die Koͤnigin Erato mit Saloninen und et-
lichem andern Frauenzimmer/ welches die Fuͤr-
ſtin Thußnelda zuruͤck gelaſſen hatte/ antraffen;
und
[731[733]]Arminius und Thußnelda.
und nach gegen ſie bezeugter tieffer Ehrerbie-
tung erkundigten: mit was fuͤr Annehmligkeit
ſie einander in dieſer Einſamkeit unterhielten.
Die holdſelige Erato berichtete hierauf: daß ſie
ihr die Ankunfftund Beſchaffenheit der beyden
Cattiſchen Hertzoginnen; denen der gantze Hoff
entgegen gezogen waͤre/ haͤtte erzehlen laſſen;
und von ihnen ſo viel gutes vernommen: daß ſie
eine groſſe Begierde haͤtte ſie nur bald zu umar-
men/ und ſich um ihre Gewogenheit zu bewer-
ben. Jhr Vorwitz haͤtte ſie auch ferner getrie-
ben den Uhrſprung der Liebe zwiſchen dem
Feldherren und der auserwehlten Fuͤrſtin
Thußnelda/ wie nichts minder der von ihrem
Vater hieruͤber geſchoͤpfften Gramſchafft zu er-
forſchen. Worvon ihr die anweſende Naſſauin
zwar ein Theil zu eroͤfnen Vertroͤſtung/ hier-
nebſt aber dieſe Anweiſung gethan haͤtte: daß ſie
alle Umſtaͤnde von niemanden beſſer/ als dem
Fuͤrſten Adgandeſter/ welchem Hertzog Herr-
mann iederzeit ſein Hertze mit allen Heimligkei-
ten vertraut haͤtte/ ja ein treuer Gefaͤrthe ſeines
Gluͤcks geweſt waͤre/ vernehmen koͤnte. Aber
ſie truͤge nicht unbilliches Bedencken ihm nicht
nur eine ſo beſchwerliche Bemuͤhung/ ſondern
auch die Eroͤffnung derſelben Heimligkeiten an-
zumuthen; welche die Liebhaber insgemein ver-
borgen wiſſen wolten; weil ſie davon den Aber-
glauben haͤtten: daß wie die Sonne den Glantz
den Sternen/ alſo die Wiſſenſchafft den Zucker
der Liebe benehme. Jedoch koͤnte ſie ihn wohl
verſichern: daß die holdſelige Thußnelda ihr
ſelbſt nichts hiervon zu verſchweigen Vertroͤ-
ſtung gethan haͤtte. Adgandeſter bezeugte ge-
gen die Koͤnigin ein abſonderes Verlangen ihr
zu gehorſamen/ und truͤge er ſelbte zu eroͤffnen
kein Bedencken. Sintemal er wol wuͤſte: daß
er hierdurch nichts/ was ſein Herr und Thuß-
nelde fuͤr ihnen verſchwiegen haben wolte/ ent-
deckte. Nicht zwar/ weil ihnen vieler Eitelkeit
anklebte/ welche ihre Liebe fuͤr unvollkommen/
oder nicht fuͤr genung eingezuckert hielten/ wenn
nicht auch andere darvon wuͤſten; und gleichſam
an ihrer Ergetzligkeit theil haͤtten; ſondern viel-
mehr/ weil beyder Liebes-Fackeln alles Rauches
befreyet waͤren; alſo: daß ſie allen andern Lieb-
habern wol ein Licht/ niemanden aber kein Aer-
gernuͤß abgeben koͤnten. Und irrete ihn nichts:
daß Segeſthes ſelbſt dieſe reine Gluth nicht nur
auszuleſchen/ ſondern auch zu ſchwaͤrtzen ſich auf
alle Weiſe bemuͤhete. Denn wie die von der
Erden aufſteigenden Duͤnſte es die Sonne zu
beflecken nicht endeten/ gleichwol aber durch ih-
re Zerrinnung der angefeuchteten Erde wider
ihr Abſehn Nutzen ſchafften; Alſo benaͤhme die
Verleumdung denen Stralen der Tugend
nicht den geringſten Funcken; ja ſie verurſachte
mit ihrem Schatten vielmehr: daß ſie deſto hel-
ler leuchtete/ und ihren Lauf mit ſo viel mehr
Ehre vollendete. Hertzog Rhemetalces fiel
ein: Er wolte wol nicht gerne der Koͤnigin Ver-
langen/ und ihrem aus Anhoͤrung einer ſo
merckwuͤrdigen Liebes-Geſchichte bereit durch
den Vorſchmack der Hoffnung geſchoͤpfften
Vergnuͤgen den minſten Abbruch thun; weil er
aber bereit dieſe Nachricht hiervon haͤtte: daß
die Erzehlung in andere wichtige Reichs- und
Kriegs-Begebenheiten Deutſchlands einfallen
wuͤrde; ſtellte er zu der Koͤnigin Entſchluͤſſung:
Ob nicht Fuͤrſt Adgandeſter zu vermoͤgen waͤre/
ihnen vom Uhrſprunge an der Deutſchen Ge-
ſchichte/ und inſonderheit die mit denen Roͤmern
und Griechen gehabte Vermengungen vorher
entwerffen/ und dardurch des Feldherrn Herr-
manns Thaten ein Licht geben wolte. Erato
verſetzte: ſie waͤre fuͤr dieſe gute Erinnerung
dem Fuͤrſten Rhemetalces hoch verbunden/ noch
hoͤher aber wuͤrde ſie es gegen den Fuͤrſten Ad-
gandeſter ſeyn; wenn er ſie alle mit einer hoch-
verlangten Nachricht zu begluͤckſeligen erbitt-
lich ſeyn moͤchte. Adgandeſter antwortete: Er
waͤre ſo begierig als ſchuldig hierinnen zu gehor-
ſamen; Sein einiges Bedencken waͤre nur:
daß ſeine Erzehlung einer ſo lieblichen Geſell-
Z z z z 2ſchafft
[732[734]]Sechſtes Buch
ſchafftmehr Eckel als Anmuth verurſachen/ er
auch in einigen Umſtaͤnden/ die dem Fuͤrſten
Malovend zweiffelsfrey beſſer kundig waͤren/
irren/ und alſo ſeine uͤbrige Berichte verdaͤchtig
machen doͤrffte. Alle Anweſende nahmen ſei-
ne Erklaͤrung fuͤr bekandt auf/ und verſicherten
ihn ihrer hohen Vergnuͤgung; da er ihnen von
Grund aus und umſtaͤndlich alles fuͤrtragen
wuͤrde; weil dieſer ihnen freygelaſſene Tag
durch keine beſſere Luſt zu verkuͤrtzen waͤre/ ih-
nen auch dieſe Gelegenheit nicht ſo bald wieder
kommen moͤchte. Adgandeſter erinnerte hier-
auf: Man moͤchte ſeine Erzehlung deßhalben
nicht bald als unwahrhafft verdammen; wenn
ſelbte nicht in allem mit den Roͤmiſchen Ge-
ſchichtſchreibern/ welche ihrem Volcke bißwei-
len zu ſehr geheuchelt/ uͤbereinſtimmete. Die
aufrichtige Entdeckung der Deutſchen Fehler
und Niederlagen wuͤrden hoffentlich ihm auch
im uͤbrigen deſto mehr Glauben erwerben. Ze-
no begegnete ihm: Er moͤchte deßhalben den
minſten Kummer haben; weil nicht nur die
Deutſchen/ ſondern auch die Griechen und an-
dere Voͤlcker hieruͤber eine gleichmaͤßige Klage
fuͤhrten/ und ein uͤberaus groſſer Unterſcheid zu
leſen waͤre/ von dem/ was die Roͤmer und Frem-
de von ihren Africaniſchen und Parthiſchen
Kriegen aufgezeichnet haͤtten. Da doch die
Warheit der Kern und die Seele eines Ge-
ſchichtſchreibers/ die Heucheley aber ein ver-
gaͤnglicher Firnuͤß waͤre/ welchen die Zeit nichts
minder von ſcheltbaren Thaten/ als das Alter die
Schmincke von runtzlichten Wangen abwiſch-
te. Fuͤrſt Malovend ſetzte auch dieſe abſondere
Vertroͤſtung bey: daß er mit ſeinen Erinnerun-
gen ihm auf den unverhofften Nothfall nicht ent-
fallen wolte; weil er zumal dem Fuͤrſten Zeno
und Rhemetalces noch in der Schuld waͤre/ die
Begebenheiten der beyden Feldherren Aem-
brichs und Segimers zu erzehlen. Adgande-
ſtern waren hiermit alle ohne diß nur von ſeiner
Hoͤfligkeit eingeworffene Ausfluͤchte abgeſchnit-
ten; dahero er denn/ nach dem die Koͤnigin E-
rato/ Salonine nebſt dem andern Frauenzim-
mer/ Fuͤrſt Zeno und Rhemetalces ſich in einem
anmuthigen Geſtraͤuche in einen Kreiß nieder-
gelaſſen hatte; folgende Erzehlung anfing.
Es hat mit den Laͤndern in der Welt und
dem Meere/ oder denen Wolcken einerley Be-
ſchaffenheit. Die Fluͤſſe/ die das Meer in ſich
verſchlinget/ giebet es durch geheime Waſſer-
Roͤhren aus den Gebuͤrgen wieder von ſich; die
ſchwaͤmmichten Wolcken druͤcken ihre Feuch-
tigkeit wieder auf den Erdbodem aus/ woher ſie
empor gedampfft waren. Und die vor ander-
waͤrts her bevoͤlckerten Laͤnder uͤberſtroͤmen
und beſaͤmen hernach andere. Denn ob zwar
insgemein geglaubet wird/ daß Menſchen und
Thiere von Anfang nicht anders als die Piltze/
oder die Egyptiſchen Maͤuſe aus dem Erdbo-
dem/ und zwar anfangs nicht in ſolcher Voll-
kommenheit/ ſondeꝛn heßlich und gebrechlich ge-
wachſen waͤren; Weßwegen die Egyptier aus
ihres Landes annehmlicher Fruchtbarkeit/ die
Scythen aber aus der Hoͤhe ihrer Gebuͤrge zu
behaupten vermeinet: daß die erſten Menſchen
bey ihnen aus dem fetten Leime gewachſen/ oder
doch von denen im Nil ſchwimmenden Waſſer-
Leuten gezeuget worden waͤren; ſo iſt doch bey
uns Deutſchen eine beſtaͤndige von unſern Ah-
nen herruͤhrende Sage: daß Gott in Aſien nur
einen Mann/ nemlich den Tuiſto und ein Weib
Hertha aus einem Erdſchollen erſchaffen habe.
Deſſen Sohn waͤre Mann/ ſein Enckel Aſce-
nas geweſt; welcher aus Phrygien uͤber die
Meer-Enge und den Jſter-Strom zum erſten
Deutſchland beſeſſen/ und durch ſeiner dreyen
Soͤhne Jugaͤvon/ Hermion und Jſtevon Nach-
kommen derogeſtalt erfuͤllet haͤtte: daß ſie her-
nach viel andere Laͤnder zu beſetzen genungſa-
men Uberſchuß gehabt. Sintemal die Natur
die kalten Nordlaͤnder fuͤr dem heiſſen Sud-
Striche mit mehrer Fruchtbarkeit beſchencket/
alſo:
[733[735]]Arminius und Thußnelda.
alſo: daß Mitternacht die Scheide der Voͤl-
cker genennet zu werden verdienet hat. Un-
ter dieſen Deutſchen Propfreiſern ſind die er-
ſten geweſen die Gallier; welcher Sprache
noch ein Kennzeichen iſt: daß ſo wol ſie als das
Volck ſelbſt von uns/ nicht aber von Galaten/
dem getraͤumten Sohne des Hercules entſproſ-
ſen. Ja von den alten Griechen und Roͤmern
alles/ was zwiſchen dem Pyreneiſchen Gebuͤr-
ge biß an das ſchwartze Meer und die Oſt-See
lieget/ mit dem Nahmen Galliens belegt/ und
alſo die Deutſchen insgemein fuͤr Gallier gehal-
ten/ dieſe aber zu Nachbarn der Scythen ge-
macht worden; da doch der Rhein die eigentli-
che Graͤntze der Gallier und Deutſchen iſt.
Wiewol nicht zu leugnen: daß anfangs auch ein
Theil von des Javans Nachkommen aus de-
nen Egeiſchen Eylanden/ und hernach die fuͤr
dem Perſiſchen Joche ſich fluͤchtenden Pho-
caͤer/ nach dem ſie vorher mit dem Roͤmiſchen
Koͤnige Tarqvinius ein Buͤndnuͤß gemacht/
an dem Rhodan nieder gelaſſen haͤtten. Und
eben dieſe Vermiſchung iſt hernach die Urſache
der zwiſchen dieſen beyden verſchwiſterten Voͤl-
ckern itzigen ſo merckwuͤrdigen Unaͤhnligkeit
und vieler andern Verenderungen geweſt. Es
iſt bekandt: daß die Einwohner der Nordlande/
ungeachtet ſie ſich mit einem Weibe vergnuͤgen/
viel fruchtbarer als die des heiſſen Sudſtrichs
ſind. Aus dieſer Urſache ward Deutſchland/
Sarmatien und Gallien ſeinen Voͤlckern end-
lich zu klein/ und daher entſtanden zwiſchen de-
nen Deutſchen/ und denen nicht minder frucht-
baren Sarmatern der Graͤntzen halber die er-
ſten Kriege; Wiewol dieſe zwey ſtreitbare Voͤl-
cker ſich auch mehrmals mit einander vereinbar-
ten/ und der uͤbrigen Welt gegen einander ein
Schrecken einjagten. Jnſonderheit kam Ga-
lathes/ der Deutſchen Koͤnig/ zur Zeit des zu
Troja herſchenden Jlus/ ſeiner Macht und
Tapfferkeit wegen in groſſes Anſehen; und was
die aus Deutſchland entſproſſenen Amazonen in
Aſien und Africa fuͤr Wunder gethan/ iſt ohne
diß Weltkuͤndig. Weil nun die ſich in Gallien
vermehrenden Voͤlcker wegen der ihnen im
Wege ſtehenden zweyen Meere und Gebuͤrge
nicht ſo wol ausbreiten konten/ wurden die aus
Deutſchland in Gallien gekommenen/ und
ziemlich ins Gedrange gebrachten Bojen unter
dem Gebiete des Koͤnigs der Biluriger Ambi-
gat genoͤthigt/ die Deutſchen anzuflehen: ſie
moͤchten ihnen ein Stuͤcke Landes in ihrem al-
ten Vaterlande einraͤumen. Worauf ſich ih-
rer viel tauſend unter dem Heerfuͤhrer Sigove-
fus/ des Koͤnigs Schweſter Sohne/ in dem ih-
nen angewieſenen Hercyniſchen Walde an dem
Muldau-Strome niederlieſſen/ auch alldar
blieben ſind/ biß ſie unlaͤngſt der Marckmaͤnner
Koͤnig Marobod uͤber die Donau vertrieben
hat. Weil aber die Bojen nicht alle in dem
volckreichen Deutſchlande raum hatten/ traf
des Sigoveſus Bruder/ den Belloveſus/ das
Looß/ uͤber denen Himmel-hohen Alpen/ wel-
ches fuͤr ihm kein Menſch als Hercules uͤberſtie-
gen haben ſolte/ eine Wohnſtadt zu ſuchen. Zu
den Bojen ſchlugen ſich viel tauſend Schwaben
und Alemaͤnner; iedoch ſchiene der gantzen
Welt Macht nicht genung zu ſeyn/ durch die
Mauern Jtaliens/ nemlich die ſo ſteilen und von
der Natur mit unvergaͤnglichem Schnee ver-
wahrten Gebuͤrge einen Weg zu brechen. Sie
verſuchten an vielen Orten/ aber vergebens.
Endlich fand ſich zum Belloveß ein Helvitiſcheꝛ
Schmied/ welcher gleich aus Jtalien kam/ und
getrocknete Feigen/ friſche Weintrauben/ Oel/
und andere denen Deutſchen unbekandte und
fuͤr ein Meer-Wunder gehaltene Fruͤchte mit
brachte/ und darmit den Bojen und Deutſchen
die Zaͤhne ſehr waͤßricht machte. Die Luͤſtern-
heit nach ſo ſuͤſſer Koſt/ und nach einem ſo gluͤckli-
chen Lande ſchloß ihnen die Alpen auf; ungeach-
tet ſonſt der vom Elico gewieſene Fußſteig fuͤr ein
ſo groſſes Volck viel zu enge oder zu beſchwerlich
geweſt waͤre. Alſo fanden ſie durch die Taurini-
ſchen Steinkluͤffte den Eingang gleichſam in ei-
ne neue Welt; und zwar zu der Zeit: als Tarqvi-
Z z z z 3nius
[734[736]]Sechſtes Buch
nius Priſcus zu Rom herrſchte/ und die Pho-
caͤer gleich ſich an dem Rhodan niederlieſſen.
Die Thuſcier kamen ihnen zwar an der Cicini-
ſchen Bach mit volckreicher Heeres-Krafft ent-
gegen; alleine der Deutſchen erſter Anblick
ſtreute ihren Vortrab von ſammen; und die da-
mals den Vorzug habenden Allemaͤnner traf-
fen auf in den lincken Fluͤgel geſtellten Vieberer
und Lepontier mit ſolcher Gewalt: daß ſie im
erſten Anſatze alsbald verwirret/ und kurtz hier-
auff in voͤllige Flucht gejagt wurden. Die
Thuſcier und Tauriner erwarteten nicht einſt
der andringenden Celten/ Helvetier und
Marckmaͤnner; und kamen in wenig Stun-
den uͤber zwantzig tauſend Feinde meiſt im Waſ-
ſer und in Abſtuͤrtzung uͤber die Steinklippen
um. Denn wenn in einer Schlacht-Ordnung
nur ein Fadem zerreiſt/ gehet unſchwer ihr gan-
tzes Gewebe auf; und das Schrecken macht die
Fluͤchtigen ſo alber oder ſo blind: daß ſie/ umb
einem verzweiffelten Tode zu entrinnen/ dem
Gewiſſen ſelbſt ſpornſtreichs in die Armen ren-
nen. Mit dieſer einigen Schlacht war es
auch gleichſam ausgemacht. Denn als die Be-
ſiegten erfuhren: daß die Deutſchen im Kaͤmpf-
fen aͤrger/ als wuͤtende Thiere/ im Leben aber
tugendhaffter und gerechter als andere Voͤlcker
waren/ raͤumten ſie ihnen zwiſchen dem Fluſſe
Ticin und Addua ein Stuͤcke Landes ein/ und
Belloveſus baute zu ſeinem Sitze die Stadt
Meyland; wiewol nach deutſcher Art ohne ei-
nige Befeſtigung. Wie nun eines Vorgehers
Fußſtapffen richtige Wegweiſer/ und anderer
Gluͤckſeligkeiten annehmliche Lock-Baͤren
ſind; Alſo folgte nach 76. Jahren ein abgefun-
dener Hertzog der Allemaͤnner Elitoro mit ſei-
nen uͤbrigen Landsleuten dem Belloveſus auf
der Spure nach/ welche zwiſchen denen Cotti-
ſchen Alpen durch ihre Verwegenheit ihnen ei-
nen Weg baͤhneten; und weil Elitoco im Ge-
fechte ihnen allezeit zurief: Fechtet ihc kuͤhnen
Maͤnner/ den Nahmen Cenomaͤnner erwar-
ben. Dieſe ſetzten mit des noch lebenden Bel-
loveſus geheimer Einwilligung uͤber die Stroͤ-
me Ticin/ Lamber und Addua/ und bemaͤchtig-
ten ſich nach wenigem Wiederſtande zwiſchen
den Fluͤſſen Humatia/ Ollius/ Cleuſis und Min-
cius biß an dem Po des gantzen Landſtriches;
und bauten daſelbſt die Staͤdte Brixia/ Bero-
mum und Bedriach. Die alten Einwohner
die Thuſcier wurden durch die Deutſchen dero-
geſtalt verdrungen; und muſten ſie ihr fettes
Land nur mit dem Ruͤcken anſehen/ und Feuer
und Herd zwiſchen denen ſteileſten Gebuͤrgen
oberhalb dem Sebiniſchen See um den Uhr-
ſprung des Fluſſes Zen/ Atheſis und Ollius auf-
ſchlagen/ da ſie von ihrem Fuͤhrer Rhetus die
Rhetier genennt wurden/ und nach und nach
aus einer halb gebrochenen Sprache alle Arten
ihres Vaterlandes verlernten. Weil nun auch
der tiefſte Fluß nur ſo lange ſein Anſehn behaͤlt/
biß man einmal einen Furth dardurch gefun-
den; und ein zwey mal uͤberſtie gener Zaun zum
gemeinen Fußſteige wird; nahm Hertzog Me-
don/ von welchem der fromme Metellus ſein
Sprichwort entlehnet: Wenn er wuͤſte: daß
ſein Hemde ſeine Anſchlaͤge wuͤſte/ wolte er es
verbrennen; mit zwantzig tauſend Deutſchen
von dem Saal-Strome her/ durch denſelbigen
Weg ſeinen Zug in Jtalien. Er ſtellte ſich
anfangs/ als wenn er uͤber den kleinern Fluß
Duria gegen die Brunnen des Po einbrechen
wolte; ließ auch gegen ſelbigem Landſtriche den
Ritter Eberſtein mit ſeiner Reuterey allenthal-
ben Lermen machen; weßwegen die Feinde faſt
alle ihre Macht an ſelbigen Strom legten.
Uber welche er oberhalb der Stadt Ocelum ei-
nen herrlichen Sieg wider die viel ſtaͤrckeren
Feinde erhielt/ und mehr zum Scheine als aus
Andacht/ hernach dem Kriegs-Gotte daſelbſt
einen Tempel baute. Medon aber wendete
ſich mit ſeiner rechten Heeres-Krafft gegen dem
Fluſſe Orgus/ und dem groͤſſeren Duria/ und
behauptete nach etlichen wenigen Treffen ſeine
Herr-
[735[737]]Arminius und Thußnelda.
Herrſchafft von dem Uhrſprunge des Fluſſes
Arcus und Durentia biß an den Strom Seßi-
tes. Sein Volck/ welches anfangs von ihrem
vaͤterlichen Fluſſe die Salier oder Saal-Laͤn-
der genennet ward/ erwarb von ihrer Eintracht
und gegen einander bezeigten Liebe den Nah-
men der Liebitier; ſein zwoͤlfter Nachkomme
Cottius pregte ſelbigem Gebuͤrge ſeinen Nah-
men ein/ erweiterte ſeine Herrſchafft/ und er-
warb nichts minder in Jtalien ein groſſes An-
ſehen und den Titel eines Koͤniges/ als bey den
Roͤmern eines Bundgenoſſen. Unterdeſſen
ward das zwiſchen dem Krantze der Hereyni-
ſchen Gebuͤrge begriffene Land den fruchtba-
ren Bojen/ und der Strich zwiſchen der Weich-
ſel und Oder denen Logionen und Lygiern auch
zu klein/ daher erhob ſich beyder Voͤlcker Uber-
ſchuß unter dem Lingo und ſetzte uͤber den Rhein/
erlangte bey den Helvetiern aus Freundſchafft/
bey den Rhetiern aus Furcht freyen Durchzug/
kam alſo uͤber die Penniniſchen Alpen in Jta-
lien; Und weil die lincke Seite an dem Po ſchon
mit Deutſchen angefuͤllet war/ ſetzte er nach Er-
bauung der Stadt Laus an dem Fluſſe Lamber
durch ihrer Landsleute Vorſchub bey dem Ein-
fluſſe des Mincius mit den Floͤſſen uͤber den
Po. Die Hetrurier und Umbrier hielten
zwar das Ufer mit viel tauſenden beſetzet. Her-
tzog Lingo aber/ welchen die Jtaliaͤner ſeiner
Laͤnge halber einen Storch oder Liconius hieſ-
ſen/ warf bey dem zweiffelhafften Gefechte das
Kriegs-Zeichen/ darauf des Thuiſco Haupt ge-
bildet/ und als ein heiliges Gluͤcks-Bild aus ei-
nem Hercyniſchen Heyne an der Moldau mit
genommen war/ auf das feindliche Ufer mitten
unter die Umbrier. Die Deutſchen/ welche
tauſend mal lieber ihr Leben/ als diß Heiligthum
zu verlieren gemeinet waren/ fingen hieruͤber
nicht mehr als Menſchen/ ſondern als wuͤtende
Baͤren an zu fechten; alſo: daß die Feinde ſie an-
fangs am Lande muſten laſſen feſten Fuß ſetzen/
hernach gar das Feld raͤumen. Die Fluͤchti-
gen wurden biß an den Berg Sicimina/ und an
den Fluß Gabellus verfolgt. Welches kurtz
hernach Servius Tullius in ihrer Schlacht ge-
gen die Sabiner/ Furius Agrippa/ als er wider
die Hernicher/ und Qvintus-Capitolinus/ als er
wideꝛ die Phalisker kaͤmpfte/ ihm gluͤcklich nach-
thaͤten. Nach dem die Bojen ſich zwiſchen dem
Fluſſe Tarius/ Nicia und Gabellus feſte ge-
ſetzt hatten; und ihnen noch wol 10000. ihrer
Landsleute nachkamen/ ruͤckten ſie ferner. Die
Umbrier begegneten ihnen abermals an dem
Fluſſe Scultenna. Wie nun Hertzog Lingo ſei-
ne Bojen und Logionen in die Schlacht-Ord-
nung geſtellt hatten/ ſchlug der Donner nahe fuͤr
ihm in eine uͤber dem Strome ſtehende Eiche.
Welches die Umbrier nicht wenig erſchreckte/
Lingo aber deutete dieſen Zufall fuͤr ein gewiſſes
Zeichen des Sieges aus; redete hiermit ſein
Volck an: Sehet ihr wol: daß der Himmel uns
ſelbſt den Weg weiſet/ und wider unſere Feinde
zu kaͤmpfen den Anfang macht. Worauf denn
nicht nur ſeine Reuterey behertzt durch das Waſ-
ſer ſetzte; ſondern das Fußvolck ſchwã mit entbloͤ-
ſten Waffen durch den Strom; und es waͤhrete
keine Stunde/ waren die Umbrier in der Flucht/
ihr Hertzog gefangen; Das Ende der Ver-
folg- und Niedermachung aber endigte ſich al-
lererſt auff die ſinckende Nacht/ und an dem
Fluſſe Rhenus. Rhemetalces brach allhier
ein/ und fing an: Es iſt ein Meiſterſtuͤcke/
wenn ein Heerfuͤhrer ſolche Zufaͤlle zu ſeinem
Vortheil brauchen kan; und erinnere ich mich:
daß Chatrias/ als fuͤr ſeiner zum Treffen ferti-
gen Schiff-Flotte der Blitz gleichfals nieder-
ſchlug/ er auff des Lingo Art ebener maſſen ſein
Kriegsvolck anfriſchte. Und Epaminondas/
als des Nachts eine brennende Fackel mitten in
ſein Heer fiel; fing zu ſelbten an: Freuet euch/
die Goͤtter ſtecken uns ſelbſt Lichter auf. Ja/
ſagte Zeno/ dieſes aber iſt noch ruͤhmlicher/
wenn ein ſcharfſinniger Feldherr aus Un-
gluͤcks-Zeichen zu ſeinem Beſten verdrehen
kan;
[736[738]]Sechſtes Buch
kan; wie eben dieſer Epaminondas; welcher/
als der Wind von einer aufgeſteckten Lantze ſei-
ne Hauptbinde in eines Spartaners Grab we-
hete/ und hierdurch ſeine Thebaner hefftig er-
ſchreckt wurden/ daruͤber dieſe Auslegung mach-
te: Fuͤrchtet euch nicht/ den Spartanern hengt
der Untergang zu. Denn die Zierden der Graͤ-
ber ſind Leichen. Und als ein ander mahl der
Stul unter ihm zerbrach/ ſprang er freudig auf/
und ſagte zu ſeinen ſolches uͤbel-deutenden Krie-
gesleuten: Auf/ auf! denn ich ſehe/ wir ſollen
nicht ſtille ſitzen. Nicht ungluͤcklicher deuteten
Scipio/ und Kaͤyſer Julius ihre Faͤlle vom
Schiffe auff die Erde aus; als jener anfing:
Gott lob! ich erdruͤcke Africa; und dieſer: Jch
umfaſſe die Erde unſere guͤtige Mutter. Ad-
gandeſter ſetzte bey: daß ein Celtiſcher Feld-O-
berſter bey einem ſich in der Schlacht ereignen-
den Erdbeben ſein erſtarrendes Kriegsvolck mit
dieſen Worten: Nun die Erde fuͤr uns bebet/
wie moͤgen die Feinde gegen uns ſtehen/ auff-
munterte; und der Feldherr Marcomir erhielt
ſein Heer/ als gleich der rechte Fluͤgel in die
Flucht gerieth/ mit dieſer Zuſprache: Jch ſehe
wol: daß wie im Menſchen/ alſo auch in mei-
nem Heere das Hertze nur in der lincken Seite
ſey/ im Stande/ und darmit den Sieg. Un-
ſer Hertzog Lingo aber ſchlug die Umbrier zum
dritten mal bey dem Fluſſe Vatrenus/ und er-
weiterte zwiſchen dem Po und Apennin ſein
Gebiete vom Fluſſe Tarus an/ biß an den Ru-
bieon. Dieſes war der Deutſchen und Gallier
Zuſtand in Jtalien/ biß nahe in die zwey hun-
vert Jahr/ nach des Belloveſus erſtem Einbru-
che. Unterdeſſen aber lieſſen ſich die nunmehr
halb entfremdeten Gallier mehrmals geluͤſten
ohne der Deutſchen Einwilligung ihr uͤbriges
Volck/ welches ihre Graͤntzen nicht mehr zu be-
herbergen vermochte/ uͤber den Rhein zu ſetzen;
auch wol offt ſonder einige Noth aus bloſſer
Leichtſinnigkeit allerhand Raub zu holen. Die
Deutſchen begegneten den Galliern anfangs
mit Glimpf/ und vergnuͤgten ſich an wieder-
Abnehmung des Raubes/ oder lieſſen auch die
Gallier unverſehrt uͤber den Rhein und die
Graͤntze zuruͤck fuͤhren. Hierbey vermahne-
ten ſie die Haͤupter der Gallier: ſie moͤchten die
ihrigen im Zaume halten; auſer dem wuͤrden ſie
Gewalt mit Gewalt ablehnen/ und gegen die
der alten Verwandſchafft vergeſſen/ welche vor-
her den gemeinen Frieden/ und das Voͤlcker-
Recht verletzten. Der Gallier Koͤnig Katu-
mand entbotden Deutſchen hochmuͤthige Ant-
wort: der Furchtſamen Eigenſchafft waͤre ſich
mit dem Seinen vergnuͤgen/ ſtreitbare Voͤlcker
und großmuͤthige Koͤnige pflegten um fremdes
Gut zu kaͤmpffen. Zu dem koͤnten die Deut-
ſchen den Galliern nicht uͤbel auslegen/ was ſie
unter einander ſelbſt ausuͤbten. Es waͤre un-
laugbar: daß die Deutſchen wilde Thiere zu ja-
gen/ und ſchwaͤchere Menſchen/ welche gleich-
ſam zum Gehorſam gebohren waͤren/ zu rau-
ben/ oder ihm unterthaͤnig zu machen fuͤr ein
gleichmaͤßiges Recht/ ja einen andern/ der nicht
ein Glied ſeines Gebietes/ oder mit ihnen im
Buͤndnuͤſſe waͤre/ zu toͤdten fuͤr einen Helden-
Ruhm/ die um ſein Land aber rings herum ge-
machte Wuͤſteney fuͤr eine lobwuͤrdige Befeſti-
gung der Graͤntzen hielten. Dieſe Gewohnheit
waͤre nichts minder bey den alten Griechen und
Hiſpaniern im Schwange gegangen/ und dero-
gleichen Einfall waͤre ſonſt der mehr als bruͤder-
lich-vertraͤglichen Triballier taͤgliches Hand-
werck. Die Rhetier rechtfertigten durch dieſes
Voͤlcker-Recht ihre mehꝛmals in Jtalien veruͤb-
te Raubereyen. Krieg waͤre ſo wol der Menſchen
als dereꝛ ohn Unteꝛlaß gegen einandeꝛ kꝛiegendeꝛ
Fiſche erſteꝛ und natuͤrlicheꝛ Zuſtand; die Furcht/
nicht aber die gegen einander tragende Liebe und
Verwandſchaft die Urſache derer Gemeinſchaf-
ten und Buͤndnuͤſſe. Wenn auch ſchon benach-
barte und unverbundene Voͤlcker einander nicht
ſtets in Haaren laͤgen/ waͤre diß fuͤr keine ange-
bohrne oder ihrer menſchlichen Art gemaͤſſe
Ein-
[737[739]]Arminius und Thußnelda.
Eintracht/ ſondern nur fuͤr einen aus verwech-
ſelter Furcht entſpringenden Stilleſtand zu hal-
ten; indem einen nur entweder ſeine Schwach-
heit und heimliche Wunden/ oder des Nachbarn
Kraͤffte oder Buͤndnuͤſſe vom Angriffe zuruͤcke
hielten. Deshalben haͤtte die Natur den Men-
ſchen nicht allein gleicherley Waffen gegeben/
und ins gemein des einen Schwaͤche in Gliedern
mit der Geſchickligkeit zu ſeiner noͤthigen Be-
ſchirmung erſetzt/ ſondern auch die Ehre einen
andern in etwas zu uͤbertreffen/ oder ihm zu
gebieten/ als einen rechten Zanck-Apfel in der
Welt aufgeworffen. Des einen Vorzug aber
ziehe nach ſich des andern Verachtung/ und alſo
eine rechtmaͤſſige Urſache der Beleidigung. So
ſtrebte des Menſchen Gemuͤthe auch von Natur
nach dem beſten/ und alſo nach einerley Dinge;
welches aber ſelten theilbar waͤre/ alſo ein unver-
meidliches Zanck-Eiſen abgeben muͤſte. Die
mehr tapferen als Rachbegierigen Deutſchen
kamen ungerne daran: daß ſie mit ihren Bluts-
Verwandten brechen; und durch eigene Schwaͤ-
chung der aufachtſamen Nachtbarn Uberfall
ihnen auf den Hals ziehen ſolten. Dieſemnach
ſchickten ſie drey ihres Alters/ Heiligkeit/ und
Beredſamkeit halber in groſſem Anſehn ſich be-
findende Prieſter an den Koͤnig Catumand/ wel-
che ihn von Veruͤbung mehrer Feindſeligkeit
abwendig machen ſolten: dieſe hielten ihm be-
ſcheidentlich ein: Unzeitige Begierde frembden
Gutes ziehe meiſt nach ſich den Verluſt des eige-
nen. Der Gallier ungerechtes Recht vermoͤch-
te zwar nicht ihre/ aber wohl die Waffen der
Deutſchen wider ſie zu rechtfertigen. Treffe
ihre Beſchuldigung einen oder den an-
dern/ ſo haͤtten doch die meiſten und vernuͤnftig-
ſten Deutſchen ohne Begierde fremden Reich-
thums/ ohne blinde Rachgier oder eitele Ehr-
ſucht durch Gerechtigkeit in ihrem Anſehn zu
bleiben getrachtet; ihre Großmuͤtigkeit mit
Ruhme beſaͤnftiget/ keinen unnoͤthigen Krieg
angehoben/ und den Nachbarn vorſetzlich keinen
Schaden gethan. Hingegen hielten ſie fuͤr das
einige Merckmal der Tugend und Staͤrcke/ ih-
re Ober-Herrſchafft durch kein Unrecht befeſti-
gen; den Beleidigern alſofort die Spitze bitten/
und bey ſeiner Ruhe gleichwohl fuͤr einen nur
ſchlafenden Loͤwen gehalten werden. Wir Men-
ſchen waͤren alle eines Vaters Kinder/ und alſo
das gantze menſchliche Geſchlechte einander mit
Blut-Freundſchafft verknuͤpft. Die wilden
Thiere kaͤmpften nicht leichtlich wider ihr eige-
nes Geſchlechte. Die den Menſchen verliehe-
ne Gleichheit der Kraͤfften riethe ihnen die Be-
leidigung vernuͤnftig ab; daher waͤre derer Frie-
de/ welche mit einander noch nicht die Kraͤfften
gemeſſen haͤttẽ/ und alſo gleicher Staͤrcke zu ſeyn
ſchienen/ der beſtaͤndigſte; die Eintracht aber in
alle Wege der natuͤrliche Zuſtand der Men-
ſchen; und der geſunden Vernunft nichts aͤhn-
licher: als niemanden beleidigen/ iedermann bey
dem Genieſſe des Seinigen laſſen; und was er
ihm nicht gethan wiſſen wil/ an andern nicht aus-
uͤben. Ehrſucht/ Geitz/ und Mißtrauen als
Urſachen des Krieges waͤren keine Eigenſchafft
aller/ ſondern eine Miß-Geburt vieler menſch-
lichen Gemuͤther; welche die Vernunfft/ die den
Menſchẽ von dem Vieh unterſcheidete/ in der er-
ſten Bluͤthe/ als ſchaͤdlich und unanſtaͤndig/ toͤdtẽ
ſolte. Zu dem koͤnten dardurch wohl etliche/ nicht
aber das gantze Geſchlechte beleidigt werden.
Herentgegẽ empfinde ieder Menſch in der ſicher-
ſten Einſamkeit/ wo er das minſte nicht zu fuͤrchtẽ
haͤtte/ gleichwohl eine Begierde nach ſeines glei-
chen. Dieſe Zuneigung wuͤrde noch mehr ge-
reitzet von der allgemeinen Duͤrftigkeit; und
haͤtte die Natur nicht aus Mißgunſt/ ſondern
um uns durch Wolthatẽ aneinander zu verknuͤ-
pfen/ den Menſchen ohne Zaͤhne der Wald-
Schweine/ ohne Klauen der Panther/ ohne
Schnautze der Elefanten/ ohne Harniſch der
Crocodile/ ſchwach und nackt geſchaffen. Seine
Waffen waͤren Vernunfft und Gemeinſchafft.
Dieſe verliehe ihm die Herrſchafft uͤber alle
Erſter Theil. A a a a aThie-
[738[740]]Sechſtes Buch
Thiere; dieſe thue ihm in Kranckheiten noͤthige
Handreichung/ dieſe ſey ſein Gehuͤlffe im Alter;
ſein Troſt bey empfindlichſten Schmertzen. Al-
ſo koͤnneder Menſch ſich ſelbſt nicht/ ſondern zu-
gleich auch andere lieben. Welcher Vater zie-
het den Nutzen der Kinder nicht ſeinem eigenen
fuͤr? Welche Mutter fuͤrchte ihren Untergang/
umb ihr Kind zu erhalten? Uber diß haͤtte wegen
anderer/ nicht ſeiner ſelbſt halben die Natur dem
Menſchẽ eine Sprache/ und die Geſchickligkeit
einen andern zu unterweiſen verliehẽ. Das Vieh
ergoͤtzte ſich in Einoͤden/ Hoͤlen und Raub; der
Menſch aber geniſſe die Suͤſſigkeit ſeines Gutes
erſt in der Mittheilung/ und vergaͤſſe ſeines Un-
gluͤcks unter der Geſellſchaft und huͤlfbarer Bey-
ſpringung. Ja da Ertztnud Steine/ Kraͤuteꝛ und
Baͤume aus einer verborgegen Zuneigung ſich
mit einander verknuͤpften/ lieffe der Vernunfft
zuwider: daß nicht auch dieſe/ ſondern vielmehr
widrige Furcht der Urſprung menſchlicher Ge-
meinſchafft ſeyn ſolte. Alſo ſolten ſie ſich des
allgemeinen Voͤlcker-Rechts beſcheiden/ ſich ih-
res gemeinen Urſprungs erinnern/ und verſi-
chert leben: daß es den Deutſchen weder an
Hertze noch Kraͤfften fehle Gewalt mit Gewalt
abzulehnen/ und durch die Waffen den Frieden
zu befeſtigen/ zu dem die Gallier nicht durch ver-
nuͤnftiges Einreden ſich verſtehen wolten. Allei-
ne die Gallier gaben nicht nur ein Lachen drein/
ſondern Katumand/ nach dem er mit den Maſſi-
liern Friede und Buͤndnuͤß gemacht/ brach mit
einem ſtarcken Heere bey denen umb die Brun-
nen der Donau wohnenden Celten ein/ derer
Hertzoge des Semnoner Hertzogs Brennus
Schweſter zur Ehe hatte; und thaͤt mit Raub
und Brand unſaͤglichen Schaden. Dieſe
Celten machten es dem damals ſeiner Tapferkeit
wegen beruͤhmten Hertzoge der Semnoner
Brennus zu wiſſen. Dieſes Volck iſt das aͤl-
teſte und edelſte unter den Schwaben/ und iſt
von der Elbe an Oſtwerts an der Spreu/ der
Oder und Waꝛte uͤber hundert Doꝛfſchaften ein-
getheilet. Wie die Geſandten beym Brennus
ankamen/ verfuͤgte er ſich alsbald mit den fuͤr-
nehmſten Semnonern in den zwiſchen der Oder
und dem Bober ihrem Gotte geweihetẽ/ und bey
ihren Vor-Eltern vieler Wahrſagungen wegen
hoch verehrten Wald. Alle trugen an Fuͤſſ- und
Beinen Feſſel; umb anzudeuten: daß an dieſem
heiligen Orte/ als dem Uhrſprunge ihrer Macht/
niemand als Gott herrſchete/ fuͤr welchem ſie alle
Knechte und Sclaven/ auſſer dem aber keinem
Menſchẽ in der Welt unterworffen waͤren. Weñ
auch in dieſem Walde ungefehr iemand zu Bodẽ
faͤllt/ darff er weder ſelbſt aufſtehen/ noch iemand
anders ihm aufhelffen/ ſondern er muß/ gleich
als er allhier Gott in ſeine Haͤnde gefallen waͤre/
umbkommen. Brennus ließ allhier alſofort
einen Gefangenen zum Opfer abſchlachten; und
nachdem der Prieſter groſſes Gluͤck zu ſeinem
Fuͤrnehmen ankuͤndigte/ grieff er auf ſein
Haupt/ welches mit einem von empor geſteckten
Pfeilen gemachten Krantze umbgeben war/ zoh
einen daraus/ und gab ſelbten dem Geſandten
zum Wahrzeichen und Verſicherung: daß er
mit ſeinen Semnonern ihnen unverlaͤngt zu
Huͤlffe kommen wolte. Brennus uͤbergab ſei-
nem Sohne die Herrſchafft/ und zohe mit ſeinem
Bruder Baſan und zweymal hundert tauſend
Schwaben in Gallien. Koͤnig Katumand be-
gnete ihnen mit einem maͤchtigen Heere/ welches
aber im erſten Treffen ſonder groſſe Muͤh in die
Flucht geſchlagen ward. Denn die Gallier
waren durch die Wolluͤſte und Sitten der Maſ-
ſilier ſehr verzaͤrtelt/ und alſo ihre erſte Tapfer-
keit nicht wenig vergeringert worden. Katu-
mand aber brachte in Eil durch Huͤlffe der Maſ-
ſilier/ und des Biſuntſchen Koͤnigs Sigirin ein
friſches Heer auf; welches die Semnoner aber-
mals aufs Haupt erlegten/ und die Gallier und
Maſſilier noͤthigte ihnen den Frieden theuer ab-
zukauffen; auch dem Brennus die Stadt A-
gendicum mit ihrem Gebiete/ denen Zelten aber
zwiſchen dem Rhodan und dem Pyreneiſchen
Gebuͤr-
[739[741]]Arminius und Thußnelda.
Gebuͤrge einen Kreiß Landes einzuraͤumen.
Dahingegen ſetzte ſich ein Theil der Semnoner
umb den Berg Abnoba an der Celten ſtatt unter
dem Nahmen der Marckmaͤnner nieder. Denn
der Biſuntiſche Koͤnig Sigwin muſte ſeine Toch-
ter dem Hertzog Brennus vermaͤhlen/ und ihm
die Stadt Aventicum mit dem Landſtriche zwi-
ſchen dem Fluſſe Arola und Urbe zum Heyraths-
Gute abtreten. Des Brennus Ehrſucht ward
durch die wider die Gallier und Maſſilier erhal-
tene Siege ſo wenig als das Feuer durch groſſe
Klufften Holtz erſaͤttiget. Sein voriger Ge-
winn war nur ein Zunder der Begierde mehr zu
gewinnen; und weil in Deutſchland alle Lieder
des Belloveſus/ des Elitoco/ des Medon und
Lingo Helden-Thaten eben ſo/ wie des Tuiſco
und des Hercules heraus ſtrichen/ hielte er ſich
unwerth den Fuͤrſten-Nahmen zu fuͤhren/ und
ſeine Schwaben nicht werth: daß ſie Deutſchen
hieſſen; wenn ſie nicht auch uͤber die Alpen ſtie-
gen. Welches dazumal in Deutſchland eben
ſo hoch; als bey den Griechen/ wenn ſie nach Col-
chis ſegelten/ geachtet ward. Ja es war ihm
veraͤchtlich in anderer Fußſtapfen zu treten/ und
daher ſuchte er ihm mit drey hundert tauſend
Schwaben einen neuen Weg/ ſetzte uͤber die
Donau/ ging durch das nunmehr auch mit
Deutſchen beſaͤmete Norich/ und uͤber den Berg
Alpius; von dem er an dem Strome Plavis
herab/ folgends durch das Gebiete der von Tro-
ja an das Adriatiſche Meer gekommenen Vene-
ter uͤber den Po fortging; und weil er es bey ſei-
nen Landesleuten nicht gedrange machen wolte/
am allererſten das Apenniniſche Gebuͤrge
uͤberſtieg. Die allhier ohne diß ins Gedraͤnge ge-
brachten Umbrier/ welche nunmehr nicht mehr
Land/ ſondern alleine dieſen letzten Winckel ih-
res vorhin weiten Gebietes nebſt der Freyheit
und dem Leben zu verlieren hatten; boten mit ih-
rer euſerſten Macht ihm an dem Fluſſe Piſaurus
die Stirne/ gelobten auch dem Gluͤcke an dem
Adriatiſchen Meer auf Einrathen ihrer Wahr-
ſager einen Tempel. Alleine die Tapferkeit uͤber-
wieget aller Oerter Vortheil/ und das Verhaͤng-
nuͤß den Aberglauben. Die Semnoner ſetzten
im erſten Anfalle an dreyen Orthen uͤber den
Fluß/ und zwangen die Semnoner zu weichen.
Turnus/ der Umbrier Hertzog/ hielt zwar an-
fangs am Ruͤcken ſeines Heeres/ und draͤute den
als ſeinen Feind zu empfangen/ welcher ihm das
Antlitz/ und dem Feinde den Ruͤcken kehren wuͤr-
de. Aber die Noth zwang ihn bey Zeite fuͤr ſeinem
wanckenden Heer ſich an die Spitze zu ſtellen. Er
ſelbſt ergrieff einen ſeiner Faͤhnriche/ als er gegen
die Deutſchen fortzuruͤcken ſtutzte/ bey dem Ar-
me/ und fuͤhrte ihn an; einen fluͤchtigen Kriegs-
Oberſten erſtach er mit eigner Hand. Und
weil alle Umbrier fuͤr dem bloſſen Anblicke des
wie der Blitz alles zu Bodem ſchlagenden
Brennus zuruͤcke wiechen/ begegnete er ihm
mit dem Kerne ſeines Adels/ mit einer Ruhms-
wuͤrdigen Hertzhaftigkeit. Allein es giebet unter
den Geſtirnen ſechſerley/ unter den Helden aber
noch mehr unterſchiedene Groͤſſen. Jeder Stern
hat ſeine Vollkommenheit; gegen der Sonnen
aber zeigen ſie durch Verſchwindung ihre Ge-
brechen. Nicht anders ereignete ſich zwiſchen
dem Brennus und Turnus/ indem dieſem von
jenem nach einem merckwuͤrdigen Kampfe das
Licht ausgeleſcht ward. Mit dieſem Strei-
che wurden dem Umbriſchen Heere zugleich
alle Spann-Adern verſchnitten. Denn die
hurtigſten hielten noch die Flucht fuͤr das euſerſte
Merckmal ihrer Treue; die meiſten aber/ und
inſonderheit die umb Sold geworbenen/ warf-
fen die Waffen weg/ und fielen dem Sieger zu
Fuſſe/ und bothen ihm als einem gluͤcklichen
Uberwinder ihre Dienſte an. Sintemal die/
welche nicht aus Liebe des Vaterlandes/ noch
aus einem Eifer fuͤr den Wohlſtand ihres Her-
ren/ und aus Begierde der Ehre fechten/ ſich
nicht bekuͤmmern/ wem ſie dienen/ ſondern nur
fuͤr was. Es iſt nicht ohne/ fing Zeno an:
daß geworbene und umb Sold dienende
A a a a a 2Kriegs-
[740[742]]Fuͤnfftes Buch
Kriegsleute ins gemein mehr auf ihren Ge-
winn/ als auf ihren Ruhm/ und des Volckes
Heil ihr Abſehn haben/ und bey umbſchlagen-
dem Gluͤcke den Mantel nach dem Winde
haͤngen; aber ſie laſſen ſich hingegen leichter im
Zaum halten; und koͤnnen durch lange Ubung
beſſer ausgewuͤrckt werden/ als die des Zwan-
ges ungewohnte/ und ſelten beſtaͤndig dienende
Freywillige/ oder die/ welche meiſt wechſelsweiſe
von den Laͤndern als ein Außſchuß in Krieg ge-
ſchickt werden. Adgandeſter verſetzte: Kein
Kriegs-Zwang/ keine Waffen-Ubung traͤgt ſo
viel zum Siege/ als die Liebe des Vaterlandes
bey; welche ich bey denen/ die aus dem Kriege
eine Handlung machten/ und mit ihrem Ge-
fechte wucherten/ nicht antreffe. Daher/ wenn
einige Zufaͤlle/ oder auch das Unvermoͤgen der
durch den Krieg ausgeſogenen Laͤnder verhin-
derte: daß geworbenem Kriegs - Volcke der
Sold nicht auf die Stunde bezahlt wuͤrde/
laſſen ſie aus Traͤgheit anfangs die Haͤnde
ſincken; hernach gerathen ſie ins Luder; und
wenn man ihrer Traͤgheit und Muthwillen
nicht durch die Finger ſihet/ machen ſie gar
einen Aufſtand/ legen die Hand an ihre Befehl-
haber/ pluͤndern ihre Laͤnder/ die ſie beſchuͤtzen ſol-
len/ und verkauffen dem Feinde ſich und ihre
anvertrauten Feſtungen. Durch welchen
Fehler Carthago in groͤſſere Gefahr eines gaͤntz-
lichen Untergangs gerieth/ als es in dem Roͤ-
miſchen Kriege kurtz vorher geweſt war. Jch
bin/ verſetzte Zeno/ eben der Meynung; wenn
Fuͤrſt Adgandeſter die Werbung der Auslaͤn-
der verwirfft/ welche freylich wohl mehr ſelbſt
zu fuͤrchten ſind/ als ſich auf ſie zu verlaſſen iſt.
Jnſonderheit ſtehet ein Reich ſchon auf dem
Fallbrete/ wenn man eitel oder groͤſten theils
fremdes Kriegs-Volck auf den Beinen hat/
und mit dem Schweiß und Blute eigener
Unterthanen beſolden ſoll. Alleine man muß
Buͤrger und Eingebohrne werben/ und alſo ein
Heer mit der Liebe des Vaterlandes/ und mit
der Schaͤrffe der Kriegs-Geſetze vereinbaren;
Auslaͤnder aber nur in ſolcher Anzahl/ welcher
man zum minſten dreyfach uͤberlegen iſt/ zur
Unterſpickung in Dienſte ziehen. Wenn ein
Fuͤrſt dieſes wahrnim̃t/ wird es ihm niemals
an geuͤbtem und treuem Kriegs-Volcke/ auch
nie an willigem Beytrage der Kriegs-Koſten
fehlen; dahingegen es ſchlaͤfrig hergehet/ wenn
ein Kriegs-Mann ſich ſelbſt verpflegen/ oder
ein Land ſeinen durchs blinde Looß oder unver-
nuͤnftige Wahl in Krieg geſchickten Ausſchuß
beſolden ſoll. Das Heer ſihet ſo denn mehr
auf das Volck/ als den Fuͤrſten; und hat dieſer
ſo wenig Anſehn/ als Vermoͤgen groſſe Strei-
che zu thun. Daher die Roͤmer die erſten
vierdtehalb hundert Jahr/ als die Buͤrger ohne
Sold kriegten/ kaum etlicher geringen Land-
Staͤdte ſich bemaͤchtigten; nach dem ſie aber
bey Anxur dem Fuß-Volcke/ und im Vejenti-
ſchen Kriege der Reiterey einen wiewohl ge-
ringen Sold an ſchlechtem Kupfer - Gelde
reichten/ ſpielten ſie in der Helfte ſo vieler Zeit
in dreyen Theilen der Welt des Meiſters.
Adgandeſter antwortete: Jch ſtelle dahin: Ob
der Kriegs-Sold des Roͤmiſchen Wachsthum/
oder nicht vielmehr die erſte Schwaͤche der Roͤ-
miſchen Kindſchafft/ und die Schwerigkeit
alles Anfangs die Hindernuͤß zeitlichern Auf-
nehmens geweſen ſey. Jch glaube auch wohl:
daß die Beſoldung des Kriegsvolcks dem
Kriegs-Haupte mehr Gewalt zueigne; aber
hiermit gehet auch die Freyheit auf Steltzen.
Denn es iſt kein ſicherer Mittel einem Volcke
das Seil an die Hoͤrner zu legen/ als den
Adel von der Nothwendigkeit in Krieg zu zie-
hen entheben/ und die Buͤrger mit geworbe-
nen Kriegsleuten beſchirmen. Weswegen die
alten Deutſchen/ Sarmater und Scythen nie-
mals zu bereden geweſt waͤren/ zu Hauſe zu ſitzen/
und die Gemaͤchligkeit ſuͤſſer Ruhe der Be-
und
[737[743]]Arminius und Thußnelda.
ſchwerligkeit des Kriegs fuͤrzuziehen; oder viel-
mehr ihre guͤldne Freyheit um den faulen
Schlamm eines ſtinckenden Muͤßiggangs zu
verkauffen. Welchen Griffs ſich Kaͤyſer Ju-
lius meiſterlich zu gebrauchen gewuͤſt/ als er
fuͤr dem ihm bereit im Kopffe ſteckenden Buͤr-
ger-Kriege den Kriegs-Sold um des Heeres
Gewogenheit zu gewinnen/ noch einmal ſo hoch
geſetzt. Und Auguſt haͤtte es ihm ebenfals nachge-
than. Gleichwohl aber waͤre das hierdurch ver-
wehnte Roͤmiſche Kriegs-Volck darmit nicht
veꝛgnuͤgt/ ſondeꝛn es haͤtte ſchon mehrmals duꝛch
Auffſtand des Soldes Vergroͤſſerung geſucht.
Uber diß hieraus erwachſende Ubel waͤre der
Kriegs-Sold nicht nur ins gemein auch den
vermoͤgenſten Laͤndern unerſchwinglich/ welche
mit Herbeyſchaffung des Kriegs-Geraͤthes und
der Lebensmittel genug zu ſchaffen haͤtten; ſon-
dern er waͤre auch der Verkuͤrtzung der Zahl-
meiſter/ der Verſchwendung der Kriegs-O-
berſten/ und andern ſo vielen Unterſchlieffen
unterworffen: daß die ſcharffſichtigſte Auffſicht
der redlichſten Befehlhaber ſelbten zu ſteuern
viel zu unvermoͤgend waͤre. Das alleraͤrgſte a-
ber waͤre: daß ſo denn unter denen Fahnen un-
zehlbare blinde Luͤcken blieben/ und dem Feld-
herrn tauſend nie in der Welt geweſte Und in-
ge/ oder die Nahmen der laͤngſt Verſtorbenen
fuͤr Kriegsleute verkaufft/ derſelben Sold in
fremde Beutel geſtrichen/ und durch dieſe
Blendung die Fuͤrſten eines auff den Rollen
ſtarcken/ im Felde aber ſchwachen Heeres zu
unvernuͤnfftigen und hoͤchſtſchaͤdlichen Ent-
ſchluͤſſungen verleitet wuͤrden. Welcher Be-
trug hingegen mit Benehmung der Gelegen-
heit von dem Solde ſchnoͤden Gewinn zu ma-
chen hinfiele/ und alſo viel heilſamer waͤre: weñ
ein Kriegs-Heer nur mit auskommentlichen Le-
bensmitteln Kleidern und Waffen verſorgt;
die tapffern aber wegen ihrer Verdienſte an-
ſehnlich belohnet; und derogeſtalt nichts min-
der die feigen von den Hertzhafften unterſchie-
den/ als die tugendhafften durch andereꝛ Hervor-
zuͤckung zu Nachthuung gleichmaͤßiger Hel-
denthaten angereitzt werden. Dieſe Eyver-
ſucht iſt der beſte Sporn zu groſſen Verrich-
tungen/ und die Ehre der wuͤrdigſte Sold der
Kriegs-Leute; unter denen die Edelſten ſo begie-
rig nach einem Krantze von eichenem Laube o-
der Lorber-Zweigen geſtrebt haben: daß ſie auch
vergeſſen die zu ihrem Begraͤbniſſe noͤthige Un-
koſten zu hinterlegen. Auff dieſe Art zahlete
auch der großmuͤthige Brennus ſein ſiegendes
Kriegs-Volck aus/ durch welches er ihm nach
obiger Niederlage mit weniger Muͤh nicht nur
das Land vom Fluſſe Utis biß an den Strom
Aeſis/ ſondern auch die Umbrier unterwuͤrf-
fig machte; welche einem ſo groſſen Helden zu
gehorſamen ehe fuͤr Gluͤck als Verluſt hielten.
Alſo iſt auch in Feinden die Tugend ein Ma-
gnet der Gewogenheit/ und eine Bezauberung
der Seelen. Brennus baute zum Gedaͤcht-
niſſe an dem Meer-Strand bey dem Einfluſ-
ſe des Miſus-Stroms/ eine Stadt/ und nennte
ſie nach ſeinem Volcke Semnogallien; befe-
ſtigte ſeine neue Herrſchafft mit Gerechtigkeit/
und erlangte in Jtalien fuͤr allen andern Haͤu-
ptern das groͤſte Anſehen. Dieſes veranla-
ſte einen Hetruriſchen Edelmann aus der
Stadt Cluſium/ Aruntes: daß er zum Bren-
nus kam/ und ſo wohl wider den Rath wegen
verſagten Rechtes/ als wider ſeinen Pflege-
Sohn Lucumon/ der ſein Ehebette beſudelt
hatte/ Rache und Huͤlffe ſoderte. Brennus
aͤrgerte ſich nach ſeiner deutſchen Art ſo wohl
uͤber ein-als dem andern Laſter; als bey wel-
chem die Straffe der verſehrten Keuſchheit auf
der Ferſen folget/ und unnachlaͤßlich iſt; und
niemand wie die zu Cluſium/ aus dem Ehe-
bruche ein Gelaͤchter macht. Gleichwohl a-
ber ſchickte er nach Cluſium/ und verlangte
den Lucumar entweder nach aller Voͤlcker Rech-
ten zu ſtraffen/ oder ihn ihm ausfolgen zu laſ-
A a a a a 3ſen.
[742[744]]Sechſtes Buch
ſen. Weil aber niemand daſelbſt im Rathe
ſaß/ der nicht mit dem Ubelthaͤter befreundet
oder geſchwaͤgert war; wieſen ſie die Botſchaft
mit veraͤchtlicher Antwort ab: daß ſie nicht wuͤ-
ſten/ wer den Brennus zu ihrem Ober-Richter
beſtellt haͤtte. Sie klagten auch alſofort denen
andern eilf mit ihnen in einer Eyd-Genoſſen-
ſchafft ſtehenden Hetruriſchen Staͤdten: daß
Brennus ſich mit Gewalt an ſie riebe/ und nur
Gelegenheit auch die Hetruꝛier unter ſein Joch
zu bringen ſuchte; alſo moͤchten ſie bey Zeiten
nicht nur auff ihre allgemeine Beſchirmung
vorſinnen; ſondern auch ihre Waffen verein-
baren um dieſe Raͤuber wieder uͤber die Alpen
zu jagen. Sintemal es doch nichts minder
beſſer als ruͤhmlicher waͤre/ ſein Pferd an ſeines
Feindes Zaum binden. Und der/ welcher des
Feindes zu Hauſe wartete/ bekennte ſchon: daß
er ihm nicht gewachſen/ auch nichts zu gewin-
nen/ ſondern nur nicht zu verſpielen geſinnt
waͤre. Hiermit zohen die Hetrurier unter
dem Fuͤrſten Lars zu Cluſium (als welche un-
ter denen zwoͤlff verbundenen Staͤdten damals
gleich die Reye der Ober-Herrſchafft traff) in
Eil ihre Macht zuſammen/ und beſetzten gegen
Umbrien auff dem Apennin nicht nur alle Ein-
gaͤnge; ſondern uͤberfielen auch unterhalb des
Aeſiſchen Brunnen drey hundert die Graͤntze
bewachende Semnoner; richteten an dem Or-
te der Niederlage einen Steinhauffen auf/ und
nennten ihn das Begraͤbniß der Gallier.
Brennus ſchickte ein Theil ſeines Heeres da-
ſelbſthin; theils der Hetrurier Einbruch zu ſteu-
ern/ theils ſich anzuſtellen/ als ob die Semno-
ner gegen Helvillum einbrechen wolten. Er
hingegen ließ in Umbrien ein Auffbot an den
Fluß Metaurus ausruffen/ auff welches alle
ſtreitbare Mannſchafft bey Verluſt des Lebens
zu erſcheinen verbunden iſt; ſo gar: daß auch die
zuletzt oder zu ſpaͤt ſich ſtellenden in aller An-
geſichte durch allerhand Pein auffgeopffert wer-
den. Aus dieſen machte Brennus einen ſtar-
cken Ausſchuß/ wendete ſich mit der groͤſten
Macht gegen dem Urſprunge des Arnus/ all-
wo ihm Aruntes einen Weg uͤber den Apen-
nin zeigte/ durch welchen er bey Aretium ſo un-
verhofft ankam: daß als die Cluſier hiervon
Zeitung kriegten/ ſie hieruͤber lachten/ und frag-
ten: Ob die Semnoner ſich in Kranche/ wie
die Ripheiſchen Voͤlcker in Woͤlffe verwan-
deln/ und uͤber die Berge fluͤgen koͤnten. Der
Glaube aber kam ihnen zeitlich in die Hand.
Denn ſie erfuhren wenig Stunden darnach:
daß Aretium mit Sturm uͤbergegangen/ und
alle Einwohner durch die Schaͤrffe der Deut-
ſchen Schwerdter gefallen waͤren. Lars ver-
ließ hieruͤber die Engen des Apennin/ und eil-
te uͤber Hals und Kopff ſeinem brennenden
Vaterlande zu. Er traff auff den gerade ge-
gen Cluſium anziehenden Brennus bey Cor-
tona. Der bereit empfundene Verluſt reitzte
ihn zu einer geſchwinden Rache/ und er meinte:
weil das Amt eines Kriegs-Mannes ſchlagen
waͤre; muͤſte nicht ſchlagen ein Merckmal eines
Feigen ſeyn. Da doch zur Unzeit eine Schlacht
liefern/ die ſchlimmſte Thorheit eines Vermeſ-
ſenen; und ohne Schwerdtſtreich uͤberwinden
ein Meiſterſtuͤcke der Klugen iſt. Weil nun
Brennus dem Lars an Kriegs-Wiſſenſchafft
die Semnoner den Hetruriern an Tapfferkeit
uͤberlegen/ jene auch noch ausgeruhet/ dieſe muͤ-
de waren/ und einen vortheilhafften Ort mit
dem Winde bereit eingenommen hatten/ war
es den Deutſchen unſchwer ſich des Sieges zu
bemeiſtern. Mit denen fluͤchtigen Hetruri-
ern drangen die Uberwinder mit in die von den
Lydiern erbaute Stadt Croton oder Cortona/
und erlangten derogeſtalt in einem Tage einen
zweyfachen Sieg. Lars zahlte ſelbſt ſeine U-
bereilung mit Einbuͤßung ſeines Lebens; A-
runtes aber ward von ſeinen eingeholeten
Deutſchen im Gedraͤnge durch die Pferde zer-
treten. O eine gerechte Straffe der Goͤtter!
fing Zeno an uͤberlaut zu ruffen/ daß der/ wel-
cher
[743[745]]Arminius und Thußnelda.
cher ſein Vaterland durch fremde Macht in
Kloß treten wollen; ehe er dieſe grauſame
Freude erlebt/ ſelbſt ſo ſchaͤndlich in Koth ge-
druͤckt worden! Rhemetalces fiel ein: hat denn
nicht Aruntes eine billiche Urſache ſich an dem
undanckbaren Lucumar/ und ſeinem ungerech-
ten Vaterlande zu raͤchen gehabt? Hat nicht
Lucumar ein Laſter begangen/ deſſen Flecken
durch keine andere Seiffe als durch Blut ab-
zuwaſchen ſind? Haben nicht die Cluſier durch
ihr Unrecht das Recht der Voͤlcker verletzt; und
ſich dem beleidigten Aruntes zu einem Stieff-
Vater gemacht? Es iſt beydes wahr/ verſetzte
Zeno. Aber hat ſich gantz Cluſium am Arun-
tes verſuͤndigt? Jſt er verſichert geweſt: daß
keine Seele ſeine Beleidigung unbillige? Sol-
len die nun leiden/ die ihm im Hertzen recht
gaben/ und ſeine Richter verdammten? Wenn
aber auch ſchon eine gantze Stadt verbricht;
iſt doch nicht ein ieglicher zu ſtraffen. Am we-
nigſten aber iſt ein beleidigter Buͤrger berech-
tigt ſein Unrecht gegen ſein Vaterland zu raͤ-
chen. Man muß wie wohlgearthete Kinder
auch die unverdienten Streiche der Eltern ver-
ſchmertzen. Denn die Liebe gegen das Va-
terland ſoll reichlicher abgemaͤſſen werden/ als
die gegen die Bruͤder/ oder gegen die Eltern;
und der gegen die Goͤtter am nechſten kom̃en.
Sintemal wir wohl ohne unſere Blutsfreun-
de/ nicht aber nach untergehendem Vaterlande
beſtehen koͤnnen. Dieſemnach der von Rom
verwieſene Camillus nicht ruͤhmlicher ſein
undanckbares Vaterland beſchaͤmen konte/ als
da er es von den Galliern errettete. Und der
ins Elend gejagte Themiſtocles uͤbte zugleich
gegen ſein Vaterland eine Wohlthat und Ra-
che aus/ da er ſich um nicht wider ſelbtes den
Perſen zu dienen durch geopffertes Ochſen-
Blut toͤdtete; indem er durch ſich ſelbſt Athen
zwar eines groſſen Feindes/ aber auch eines
unvergleichlichen Sohnes beraubte. Cimon
vergalt die ihm und ſeinem wohlverdienten
aber im Kercker erſtickten Vater angehenck-
ten Feßel mit unvergeltbaren Wohltha-
ten. Als auch gleich der unſchaͤtzbare Hanni-
bal ſein vergeßliches Carthago mit dem Ruͤcken
anzuſehen gezwungen ward/ hieng und neigte
er ihm doch biß in ſeinen Tod das Hertze zu/
und bemuͤhete ſich die gantze Welt wider Rom
in Harniſch/ und durch deſſen Fall ſein Va-
terland wieder empor zu bringen. Wenn
man aber auch gar ſich zu uͤberwinden ent-
weder nicht vermoͤgen/ oder zu raͤchen allzu
groſſe Urſache hat; ſoll unſere Empfindligkeit
nicht zu des Vaterlandes Verderb/ ſondern
nur zu ſeinem Erkaͤntniße angeſehen ſeyn. Auf
dieſe Art raͤchte Scipio ſonder Schaden ſich
an Rom; als er ſeine Todten-Aſche lieber den
geringen Lintern/ als dem Haupte der Welt
goͤnnte/ und zu einem ewigen Verweiß auf ſein
Grab ſchreiben ließ: Undanckbares Va-
terland! Es iſt dir nicht ſo gut wor-
den meine Gebeine zu beſitzen. Die-
ſe Rache erfolgte erſt nach ſeinem Tode/ als er
dieſer Stadt nicht mehr wohlzuthun maͤchtig
war. Gleichwohl aber war dieſe ſanfftmuͤthi-
ge Rache nachdruͤcklicher/ als des Coriolans/
der ſein Vaterland fuͤr Furcht gleichſam in
ein Bocks-Horn jagte. Er entzoh Rom nichts/
als ſeine Aſche/ ſie zu erinnern: daß ſie ſelbſt
nicht zu Aſche worden; und daß der Roͤmi-
ſchen Buͤrger Augen der Gluͤckſeligkeit nicht
wuͤrdig waͤren/ ſeine Todten-Aſche mit ihren
Thraͤnen anzufeuchten. Gleichwol aber ſtachen
dieſer Grabeſchrifft wenige Buchſtaben tieffer
in der Roͤmer Hertzen/ als keine Spieße einiger
Verraͤther zu thun vermocht haͤtten; und er
vergroͤſſerte ſich durch Verachtung ſeiner
Schmach mehr; als da er Rom zur Frau-
en/ und Africa zu einer ihrer Maͤgde machte.
Brennus zohe nach erobertem Siege mit dem
groͤſten Theile des Heeres gerade nach Cluſi-
um/ um ſich des Hauptes der Hetrurier im er-
ſten
[744[746]]Sechſtes Buch
ſten Schrecken zu bemaͤchtigen/ nach welchem
ſo denn die andern Glieder ſich gleichſam von
ſich ſelbſt legen muͤſten; das andere Theil aber
ſetzte uͤber den Cluſiſchen See/ eroberte Betur-
gia/ und einen groſſen zwiſchen dem Fluße
Umbro gelegenen Landſtrich. Die Belaͤger-
ten meinten den Brennus nunmehr durch Lie-
ferung des ſchuldigen Lucumar zu beſaͤnfftigen;
lieſſen ihn daher durch eine Geſandtſchafft ge-
bunden ihm einhaͤndigen; und um Friede An-
ſuchung thun. Brennus waͤre beynahe da-
mit vergnuͤgt geweſt/ wenn nicht der uͤber ſei-
nem Laſter vernommene Lucumar fuͤrgeſchuͤtzt
haͤtte: daß er durch ſeinen Ehebruch nichts
wider die Sitten der Hetrurier und anderer
Tyrrhener gehandelt haͤtte/ bey welchen ihre
Kinder von der Wiegen an aufs zaͤrtlichſte er-
zogen und zur Geilheit abgerichtet/ auch die
welche in der Wolluſt am ſinnreichſten und ver-
moͤgend waͤren/ fuͤr die Edelſten verehret wuͤr-
den. Sie lieſſen ſich bey Tiſche nichts anders
als von nackten Dirnen bedienen; alle Weiber
waͤren gemein; und die/ welche man gleich fuͤr
Ehweiber erkieſete/ moͤchten andere Maͤnner
in der erſten Anweſenheit ohne Scheu zulaſſen.
Den Beyſchlaff verrichteten ſie offentlich in al-
ler Augen/ und hielten ihnen noch Seitenſpiele
darzu. Daher auch die Kinder wegen Ungewiß-
heit ihrer Vaͤter gemein waͤren/ und aus den
Einkuͤnfften des gemeinen Weſens erzogen
wuͤrden. Nur der Adel und Poͤfel waͤren hierin-
nen unterſchieden; weil jener nur mit dieſem ſich
zu vermiſchen fuͤr Laſter hielte. Daher weder
der gramhaffte Aruntes wider ihn ſo eiferſuͤchtig
zu ſeyn/ noch die nicht reineren Cluſier ihn zur
Straffe auszulieffern Urſach gehabt haͤtten.
Brennus hoͤrte dieſe abſcheuliche Lebens-Art
nicht ohne Entſetzung an/ fragte daher die Clu-
ſiſchen Gefandten: Ob ſich alles erzehlter maſ-
ſen verhielte. Dieſe meinten ihre Unart zwar
zu vermaͤnteln/ unter dem Vorwande: daß fuͤr
Alters es zwar alſo geweſt/ und dieſe Lebens-Art
mit vom Fuͤrſten Tyrrhenus/ oder Tarchon
nach Croton aus Lydien/ woher die Hetrurier
entſproſſen/ gebracht worden waͤre/ nunmehr a-
ber die Sitten ſich um ein merckliches gebeſſert
haͤtten; und wuͤrde nur noch nach eingefuͤhrtem
Spartaniſchen Geſetze/ denen heyrathenden
Alten auffgelegt: daß ſie zu Bedienung ihrer
jungen Frauen einen hurtigen Juͤngling un-
terhalten/ und ihre Kinder fuͤr die eigenen an-
nehmen muͤſten. Brennus ward uͤber ſo aͤr-
gerlichen Geſetzen und Sitten auffs hefftigſte
entruͤſtet; Befahl alſo: daß die Geſandten ſelbi-
gen Augenblick ſich aus dem Lager in die Stadt
zuruͤck ziehen ſolten. Denn er waͤre nicht ge-
meint fuͤr eines gantzen Volckes ſo abſcheuliche
Boßheit den einigen Lucumar Gott zu einem
Verſoͤhn-Opffer abzuſchlachten; ſondern die
Miſſethaͤter alle zu ſtraffen. Der Cluſier Schre-
cken ward durch dieſe Bedraͤuung in eine Ver-
zweiffelung verwandelt; alſo: daß ſie ſich biß auf
den letzten Blutstropffen zu wehren entſchloſ-
ſen; ſonderlich da die andern Hetruriſchen zehn
Staͤdte ſie des Entſatzes in geheim verſicher-
ten/ und die Oberſten der Stadt/ derer keiner
allhier ſo wenig als zu Sparta ohne die Wiſ-
ſenſchafft aus dem Vogel-Geſchrey zu wahrſa-
gen in Rath kommen konte/ das Volck verſi-
cherten: daß Cluſium nicht eingenommen/ Rom
aber fuͤr ſie ein Soͤhnopffer werden wuͤrde, ſin-
temal ein Falcke/ welcher einer Taube/ die
Cluſium und die Lydier zu ihrem Zeichen fuͤhr-
ten/ nacheilte/ ſelbte fahren ließ/ und ſich uͤber ei-
nen ihm in Wurff kommenden Adler machte/
und ſelbten zerfleiſchte. Rhemetalces fing an:
Es hat dieſe Weiſſagung/ ſo viel ich weiß/ auch
hernach eingetroffen/ und iſt die Begebenheit
derſelben nicht unaͤhnlich/ da aus des Brutus
des Kaͤyſers und Antonius zweyen gegeneinan-
der ſtehenden Laͤgern zwey Adler gegen einan-
der empor flogen; und der auff des Brutus
Seite verſpielende auch des Brutus Niederla-
ge andeutete. Erato brach ein: Sie waͤre wol
des
[745[747]]Arminius und Thußnelda.
des Geſchlechts/ welches man insgemein des
Aberglaubens beſchuldigte; aber es waͤre ihr die
Art aus der Vogel unvernuͤnfftigem Beginnen
kuͤnfftige Zufaͤlle vorzuſehen allezeit ſehr ver-
daͤchtig fuͤrkommen. Denn woher ſolten die
Vogel fuͤr andern Thieren/ inſonderheit aber
fuͤr den Menſchen/ welche Gott mit der Ver-
nunfft als einem Funcken ſeines Lichtes be-
theilt/ ein Vorrecht haben? Malovend ant-
wortete: Es iſt diß nichts unglaubliches; weil die
Natur auch in vielen andern Dingen/ als in
Schaͤrffe der euſſerlichen Sinnen/ und in Laͤn-
ge des Lebens denen Thieren fuͤr dem Men-
ſchen einen Vortheil gegoͤnnet. Jnſonder-
heit aber ſcheinen die Voͤgel eine Eigenſchafft
zu haben: daß ihre Augen eben ſo wohl fuͤr
uns in Goͤttliche Verſehung als die Adler in
die Sonne einen Blick thun koͤnnen. Die
Fincke kuͤndigt uns das Winter-Wetter/ die
Schwalbe den Fruͤhling/ der Kuckuck den
Sommer/ die Schnepffe den Herbſt/ der
Hahn mit ſeinem offt und zur Unzeit geſchehe-
nem Kraͤhen den Regen/ der Sperling mit ſei-
nem Morgengeſchrey Ungewitter/ die hoch aber
ſtille fluͤgenden Kranche heimlich Wetter/ die
gleichſam bellenden Raben Wind/ die im San-
de ſich badenden Reiger/ und die ſchnatterden
Gaͤnſe Platzregen an. Zeno warff ein: diß
waͤren alles natuͤrliche Dinge/ welche aus Ver-
aͤnderung der Lufft/ aus Auffſchwellung des
Waſſers/ und Auffdampffung der Duͤnſte nicht
nur von den Thieren/ ſondern auch von einfaͤl-
tigen Ackersleuten durch die Erfahrung wahr-
genommen werden koͤnten. Kuͤnfftige unge-
wiſſe Zufaͤlle aber vorſehen/ wo weder Sinnen
noch Scharffſinnigkeit einigen Einfluß oder
Urſache ergruͤnden kan/ iſt was goͤttliches. Da-
her auch er auff der Vogel Flug/ Geſchrey oder
Speiſe einiges Abſehen zu ſetzen fuͤr gefaͤhrlich/
oder auch gar fuͤr eiteln Aberglauben hielte. Rhe-
metalces begegnete ihm: wie kommts denn: daß
ſo viel nachdenckliche Anzeigungen der Voͤgel
ſo genau eingetroffen? Jſt es ungefehr geſchehen:
daß der Rabe auff des Cicero Vorwerge bey Ca-
jeta den eiſernen Weiſer an der Uhr fortruͤckte/
an dem Saume ſeines Rockes nagte/ da er bald
darauff ermordet ward? Deutete nicht ein auff
dem Dache ſitzender Adler durch allerhand Ge-
behrdung deſſelbigen nahen Einfall an? Such-
ten nicht drey Raben durch Abwerffung eines
Dach-Ziegels den Tiberius von Beſuchung des
Capitolium abwendig zu machen; auff dem er
vom Prieſter Scipio Naſica erſchlagen ward?
Kuͤndigten nicht die aus dem Gebauer zu gehen
ſich weigernden Huͤner dem Junius den Ver-
luſt ſeiner Schiffleute an? Zwangen nicht zwey
Raben durch ihre gewaltſame Widerſetzung
den Prieſter Metellus zu Hauſe zu bleiben: daß
er aus dem kurtz darauff brennenden Tempel
der Veſta das Bild der Pallas rettete? Zeno
verſetzte: Es kan wohl ſeyn: daß zuweilen ein-
und andere Muthmaſſungen hierinnen eintref-
fen. Aber laſſen ſich wohl dieſelben/ welche fehl
geſchlagen haben/ zehlen? Wie viel haben ſolche
Zeichen veraͤchtlich in wind geſchlagen/ gleich-
wohl aber ihr Fuͤrnehmen gluͤcklich ausgefuͤhrt?
Kaͤyſer Julius verlachte alle ſolche Andeutun-
gen/ welche ihm den Zug wider den Scipio und
Juba/ wie auch die Farth in Aſien widerriethen;
gleichwohl aber war er niemals gluͤcklicher als
ſelbige mahl. Und der groſſe Alexander ließ
ſich Ariſtanders Ungluͤcks-Zeichen von deꝛ gluͤck-
lichen Erlegung der Scythen nichts irre ma-
chen. Am allerkluͤgſten aber halff der beym groſ-
ſen Alexander befindliche Jude Moſomachus
dem auff dem Zuge nach Babylon ſtutzenden
Heere fort/ als er den ſtille ſitzenden Vogel/ mit
welchem/ der Wahrſager Geſetze nach/ es auch
unbeweglich bleiben ſolte/ mit einem Pfeile vom
Baume ſchoß/ und den erzuͤrnten Wahrſagern
einhielt: Sie ſolten doch nicht glaͤuben: daß der
Vogel/ welcher nicht ſein eigenes Ungluͤck vor-
geſehen haͤtte/ fremdes haͤtte wiſſen koͤñen. Was
kan hierunter nicht fuͤr Betrug fuͤrgehen; und
Erſter Theil. B b b b bhat
[746[748]]Sechſtes Buch
hat nicht jener Carthaginenſer ſich durch abge-
richtete Voͤgel gar fuͤr einen Gott ausruffen laſ-
ſen? Ja wie ſoll diß auff was beſtaͤndiges zu
gruͤnden ſeyn/ das ſo gar widrig ausgedeutet
wird? Die Hetrurier geben bey dem Vogel-
Fluge auff Oſt/ die Roͤmer auff Weſt/ die Deut-
ſchen auff den Nord acht. Die Eule iſt den A-
thenienſern ein Gluͤcks-den Roͤmern ein Un-
gluͤcks-Vogel; und ſie ſolte ihre Niederlage bey
Numantia angekuͤndigt haben. Die auff des
Hiero Spieß ſitzende Nacht-Eule ſoll ihm die
Koͤnigliche Wuͤrde angedeutet; und des Aga-
thacles Heer als ein Siegs-Zeichen auffgemun-
tert/ hingegen aber/ als ſie ſich auff des Pyrrhus
Lantze geſetzet/ ihm den Tod bedeutet haben. Die-
ſemnach ſich Cato wunderte: daß die Wahrſa-
ger/ welche auff die Voͤgel acht haͤtten/ nicht ſelbſt
uͤber ihre Eitelkeiten oder Betruͤgereyen lachen
muͤſten. Und Hannibal verwieß es dem Koͤ-
nige Pruſias ins Antlitz: daß er einem Stuͤcke
Kalbfleiſche/ und einer unvernuͤnfftigen Eule
mehr/ als einem erfahrnen Feldhauptmanne
Glauben beymaß. Hingegen wurden Ma-
mertius und Amilcar von den Vogeln und de-
nen/ welche ihre Sprache zu verſtehen/ und aus
fremdem Gehirne mehr als aus eigenem zu veꝛ-
ſtehen meinten/ hefftig betrogen; indem jener
zwar ins feindliche Laͤger/ dieſer in Siracuſa/
beyde aber als Gefangene darein kamen. Der
Mißbrauch eines Dinges/ antwortete Adgan-
deſter/ macht die Sache und den rechten Ge-
brauch nicht alſofort verwerfflich. Der Unter-
ſcheid in Auslegungen ſolcher Zeichen hat auch
nichts zu bedeuten. Sintemal die Voͤgel nicht
aus ihrer eigenen Wahl die Menſchen leiten/
auch nicht des albern Poͤfels Meinung nach/ ih-
res hohen Fluges halber die goͤttlichen Rath-
ſchluͤſſe ausforſchen; ſondern Gott leitet die Vo-
gel: daß ſie nach der Auslegung ein oder andern
Volckes ihren Flug oder ihr Geſchrey zur Nach-
richt kuͤnfftiger Begebniſſe einrichten. Sind al-
ſo die Voͤgel auff eben die Art/ als die Traͤume/
oder die Wahrſager-Bilder/ wie auch die weiſſa-
genden Tauben zu Dodona Werckzeuge goͤttli-
cher Offenbarungen. Dieſer haͤtte ſich das tieffſte
Alterthum/ und faſt alle Voͤlcker der Welt/ Deu-
caleon auch ſchon in der groſſen Waſſer-Ergieſ-
ſung einer Taube und eines Rabens bedienet.
Wiewohl auch die Deutſchen aberglaͤubiſchen
Dingen ſehr unhold ſind; ſo haben ſie doch nichts
minder die Wahrſagung der Voͤgel von un-
dencklicher Zeit hoch gehalten/ und in dieſer
Weißheit ſich geuͤbet. Und ob unſere weiſen
Frauen zwaꝛ auch aus dem Geraͤuſche des Waſ-
ſers kuͤnfftig Ding zu ſagen wiſſen; verdient doch
jene Weiſſagung groͤſſern Glauben/ und weicht
keiner andern/ als die/ welche aus dem Wiegern
und der Bewegung der weiſſen heiligen Pferde
angemerckt wird. Zeno begegnete ihm: Es be-
fremdet mich: daß die in Glaubens-Sachen
ſonſt ſo maͤßigen Deutſchen hierinnen ſo leicht-
glaͤubig ſind; indem doch darbey ſo wenig Ge-
wißheit zu finden und kein Alterthum die Jrr-
thuͤmer zur Warheit macht. Jch widerſpreche
zwar nicht: daß die Goͤtter nicht offtmahls den
Menſchen kuͤnfftige Dinge zu ihrer Warni-
gung offenbaren; aber den Vorwitz von ſich ſelbſt
in die Geheimniſſe des ewigen Verhaͤngnißes
zu ſehen/ weiß ich wohl nicht zu billichen. Denn
die Wiſſenſchafft kuͤnfftiger Begebniſſe iſt ein
Vorrecht der Goͤtter. Und unſer Polemon hat
durch ſein trauriges Ende dieſe Vermeſſenheit
augenſcheinlich gebuͤſſet/ der Welt aber ein Bey-
ſpiel gelaſſen: daß die/ welche hierinnen Luchs-
Augen zu haben vermeinen/ weniger als die
Maulwuͤrffe ſehen. Adgandeſter fing hierauf
mit einer laͤchelnden Beſcheidenheit an: Gleich-
wohl aber traff der Hetruriſchen Wahrſager An-
deutung ein. Denn die belaͤgerten Cluſier/ welche
fuͤrtreffliche Kuͤnſtler und Baumeiſter waren/
alſo: daß ſie die Roͤmer darmit verſorgten/ hiel-
ten die Semnoner mit Fallbruͤcken/ groſſen
Schleudern/ und inſonderheit mit unglaublich
geſchwinder Ausbeſſerung der zerſchelleten
Mau-
[747[749]]Arminius und Thußnelda.
Mauren ſo lange auff: biß die Hetruriſchen
Bundsgenoſſen bey der Stadt Herbon eine an-
ſehnliche Macht wieder zuſammen zohen. Jn-
zwiſchen war die Geſandtſchafft der Stadt Clu-
ſium auch zu Rom ankom̃en/ welche um Huͤlffe
bewegliche Anſuchung that/ und fuͤr ſich anfuͤhr-
te: Ob ſie ſchon mit einander nicht in Buͤndniße
ſtaͤnden/ haͤtten ſie ſich doch mit den Roͤmern ie-
derzeit in Freundſchafft zu leben befliſſen; alſo:
daß ſie auch den Vejentern ihren Bluts-Ver-
wandten nicht wieder ſie beyſtehen wollen; in
welchen Faͤllen auch unverbundenen Freunden
wider ungerechte Gewalt beyzuſtehen das Recht
der Voͤlcker erlaubte/ weñ ſchon die Huͤlffe nicht
ausdruͤcklich waͤre verſprochen worden. Uber-
diß haͤtten die Roͤmer aus ſelbſteigener Staats-
Klugheit Urſache/ dem Wachsthume dieſer wil-
den Voͤlcker/ welche gleichſam zu Ausrottung
des menſchlichen Geſchlechtes gebohren zu ſeyn
ſchienen/ und den Maßiliern als Roͤmiſchen
Bundgenoſſen ſo groſſes Leid angethan haͤtten/
bey zeite zu begegnen. Denn es ſtuͤnde nicht nur
die Stadt Cluſium/ ſondern gantz Hetrurien in
Gefahr; welchem die Stadt Romihren Gottes-
dienſt/ ihre Kuͤnſte/ und den fuͤrtrefflichen Koͤnig
Tarqvinius zu dancken haͤtte. Die Roͤmer ſchlu-
gen der Stadt Cluſium die gebetene Huͤlffe
zwar ab/ weil die Semnoner ſie noch mit nichts
beleidigt/ mit den Maßiliern Friede gemacht
hatten/ und des Nachbars bloſſe Vergroͤſſerung
keine genugſame Urſache waͤre ſelbten zu bekrie-
gen; iedoch ſchickten ſie des Marcus Fabius Am-
buſtus drey Soͤhne in Botſchafft an den Bren-
nus um ſelbten zu bewegen: daß er von Bekrie-
gung der Cluſier/ welche ihres Wiſſens die Sem-
nonier nicht beleidiget haͤtten/ abſtehen moͤchten.
Brennus empfing in dem praͤchtigen Jrrgar-
ten/ welchen Koͤnig Porſena an dem See bey
Cluſium zu ſeinem Begraͤbniß-Mahle aus ei-
tel viereckichten Marmelſteinen gebaut/ und mit
Wunderholen Seulen beſetzt hatte/ die Roͤmi-
ſchen Geſandten auffs hoͤfflichſte/ hoͤrete ſie mit
Gedult an/ und antwortete ihnen: die Roͤmer
waͤren ihm zwar ein unbekandter Nahme/ ie-
doch hielte er ſie fuͤr tapffere Leute/ weil die Clu-
ſier in ihrer hoͤchſten Noth auff ihren Beyſtand
ſo groſſes Vertrauen geſetzt/ und ſie nicht alsbald
aus blindem Eifer die Waffen ergriffen/ ſondern
vernuͤnfftiger ihren Freunden durch dieſe Ge-
ſandſchafft an der Hand geſtanden haͤtten. Jn
Anſehung ſolcher Vermittelung wolte er den
Cluſiern/ welche wieder die Semnoner nicht nuꝛ
den Maßiliern/ ſondern auch den Umbriern
Huͤlffe geleiſtet/ auch ſie zum erſten beleidigt
haͤtten/ den Frieden goͤnnen/ mit dem Bedinge:
daß die biß an den Fluß Umbro/ und denen neu-
en Saͤulen gelegene Aecker/ welche ſie ihren Fein-
den durch Kriegsrecht abgewoñen/ ihnen veꝛblei-
ben muͤſte. Stuͤnde diß aber den Cluſiern nicht
an/ wolte er in Anweſenheit der Geſandten/ mit
ſeinen Feinden ſchlagen/ wormit ſie zu Rom be-
richten koͤnten/ wie weit die Semnoner andere
Sterblichen an Tapfferkeit uͤbeꝛtreffen. Die all-
zu hitzigen Fabier verſetzten mit ziemlichen Un-
geberden: Was die Semnoner in Hetrurien zu
ſchaffen haͤtten? Woher ſie ihnen fremde Aecker
zueignen koͤnten? Ob ſie nicht ſich mit den Maſ-
ſiliern und Umbriern verglichen? Ob unter dem
Frieden nicht auch die Bunds-Genoſſen ſtill-
ſchweigend eingeſchloſſen waͤren? Wer dem
Brennus einen Gerichts-Zwang uͤber den Lu-
cumar und andere Buͤrger zu Cluſium verlie-
hen? Brennus lachte nur uͤber der Unbeſchei-
denheit dieſer Geſandten/ und ſchlug auff ſein
Degen-Gefaͤße/ ſagende: Jn dieſer Scheide ſte-
cket meine Berechtſamkeit; und die gantze Welt
iſt ſtreibarer Helden Eigenthum.
Folgenden Tag naͤherte ſich das zu Pallia
verſam̃lete Hetruriſche Heer/ welchem Brennus
mit ſeinen Belaͤgerern hertzhafft die Stirne bot.
Die Fabier aber lieſſen ſich wider die Wuͤrde ih-
res tragenden Amts/ wider aller Voͤlcker Recht/
das allen Geſandten alle Feindſeligkeiten wider
den/ zu dem ſie geſchickt ſind/ auszuuͤben verbeut/
B b b b b 2zu
[748[750]]Sechſtes Buch
zu Heerfuͤhrern der Cluſier brauchen; ja einer
unter ihnen hatte das Gluͤcke einen Oberſten der
Semnoner/ Brand geneñt/ als dieſer dem Fein-
de die Haupt-Fahne auszureiſſen bemuͤht war/
mit einer Lantze zu durchrennen/ und ihn ſeiner
Waffen zu berauben; woruͤber dieſer Roͤmer
von Semnonern auch erkeñet ward; indem ein
Semnoniſcher Edelmann herzu rennte/ und
den Fabius nicht allein den Raub im Stiche zu
laſſen zwang/ ſondern ihm auch ſeine Streitaxt
auswand. Weßwegen ihm Brennus wegen
eines darauff gemahlten goldenen Ochſens den
Nahmen Gold-Axt/ und den Ochſen zu ſeinem
Krieges-Zeichen gab. So bald nun die Cluſier
ſich theils in die Stadt/ theils auff die Schiffe in
den Cluſiſchen See gefluͤchtet hatten/ ſchickte
Hertzog Brennus eine Botſchafft nach Rom/
durch welche er ihm die Fabier/ als Verletzer des
Voͤlcker-Rechts/ auszufolgen verlangte. Ob
nun wohl der Roͤmiſche Rath ihr Beginnen we-
der loben noch entſchuldigen konte/ ſo brachte es
doch das Geſchlechte der Fabier durch ihr Anſe-
hen und Reichthum bey dem Volcke ſo weit:
daß der Rath dem Brennus nicht allein kein
Recht verhalff/ ſondern die Semnoner mit ei-
nem Stuͤcke Geldes befriedigen wolte; welches
die Geſandten als eine bey den Deutſchen ver-
aͤchtliche Wahre anzunehmen weigerten; als bey
denen es ungewoͤhnlich waͤre/ die gerechte Ra-
che um unnuͤtzes Ertzt zu verkauffen. Ja der
Roͤmiſche Poͤfel/ welcher insgemein die hitzigſten
Entſchluͤſſungen fuͤr die kluͤgſten/ und Wagehaͤl-
ſe fuͤr die groͤſten Helden haͤlt/ erklaͤrte die Fried-
brecheꝛ auf folgendes Jahꝛ gaꝛ zu Kriegsoberſten.
Alſo verblendet das Gluͤcke die Gemuͤther der
Menſchen/ wenn es iemanden ſeinem beſtim̃ten
Untergange nicht wil entkommen laſſen. Die
hieruͤber nicht unbillich verbitterten Semnoner
hoben auf dieſe Zeitung alsbald die Belaͤgerung
der Stadt Cluſium auff/ und nachdem ſie vorher
des Porſena praͤchtiges Grabmal eingeaͤſchert/
zohen ſie den geraden Weg auff Rom zu/ ſetzten
aber unvermerckt unter dem Berge Soracte uͤ-
ber die Tiber. Den dritten Tag/ als inzwiſchen
das gantze fluͤchtige Latium mit Schrecken der
Stad zueilte/ uñ von der Feinde Ankunft Nach-
richt brachte/ welche die Goͤtter durch den Mar-
cus Coͤditius zwar vorher geweißagt/ die Roͤmer
aber veraͤchtlich in Wind geſchlagen hatten/ be-
gegneten die Fabier/ Sulpitius Longus/ Qvin-
tus Servilius und andere mit dem Roͤmiſchen
Heere bey dem Fluße Allia den Semnonern.
Jene ſtellten ihre Legionen mitten in die Flaͤche/
die Huͤlffs-Voͤlcker aber an beyden Seiten auff
erhobene Huͤgel. Der Kriegsverſtaͤndige Bren-
nus trieb zum erſten mit ſeiner deutſchen Reute-
rey/ welche in der gantzen Welt damals ſchon/
wie das Spaniſche Fuß-Volck/ fuͤr andern be-
ruͤhmt war/ den Feind von den Huͤgeln/ wormit
ſie bey dem Treffen ihm nicht konten in die Sei-
ten fallen; welche aber bald die Ferſen kehrten.
Hirmit fielen die Semnoner in die Roͤmiſchen
Legionen auff allen Seiten ein; allein weder
Fuͤhrer noch Kriegsknechte vermochten die bloſ-
ſen Geſichter der ergrimmten Semnoner ver-
tragen; ergriffen alſo ohne einige Gegenwehre
eine ſo blinde Flucht: daß ſie ihren eigenen Hin-
terhalt uͤber Hauffen rennten/ ja daß das groͤſte
Theil verzweiffelt durch die Tiber ſchwem̃te/ und
in die feindliche Stadt der Vejentier ſich zu be-
geben nicht ſcheuete. Der gantze lincke Fluͤgel
warff fuͤr Schrecken die Waſfen weg/ und ſtuͤrtz-
te ſich in den Tiber-Strom; alſo: daß die Sem-
noner anfangs nicht wiſſende: Ob die Roͤmer
aus Zagheit oder einer Kriegsliſt ſo ſchimpfflich
wichen/ ſie zu verfolgen Bedencken trugen/ her-
nach aber die ereileten Fluͤchtigen nur zu ſchlach-
ten hatten/ und von dem Heere nicht ein Bothe
nach Rom kam. Die Semnoner ſchnitten den
Todten dreißig tauſend Koͤpffe ab/ hingen ſie an
die Maͤnen ihrer Pferde/ und bauten hernach fuͤꝛ
der Stadt Rom einen abſcheulichen Thurm dar-
von. Folgenden Morgen kamen ſie mit dem
Vordrab fuͤr Rom/ funden ſelbte zwar offen/ uñ
unverwachet/ ſcheueten aber aus Beyſorge eines
verborgenẽ Hinterhals ſich derſelben zu bemaͤch-
tigen.
[749[751]]Arminius und Thußnelda.
tigẽ. Wie nun aber die gantze Macht dar ankã/
ſie auch ſich nirgendswo das minſte ruͤhren hoͤr-
ten/ drangen ſie durch die Colliniſche Pforte mit
groſſem Geſchrey in die Stadt; fanden aber al-
lenthalben eine wuͤſte Einſamkeit/ in dem ſich alle
Weiber und Kinder des Nachts vorher an ande-
re Orte/ die ſtreitbare Mannſchafft aber un-
ter dem Manlius aufs Capitolium gefluͤchtet
hatten. Jn den innerſten Gemaͤchern alleine
fanden ſie die alten verlebten Greiſſe/ welche ſich
den oberſten Prieſter Marcus Fabius fuͤr das
gemeine Heil den Goͤttern hatten zu Verſoͤhn-
Opfern einweihen laſſen/ auf helffenbeinernen
Stuͤlen gantz unbeweglich ſitzen; welche die
Semnoner anfangs fuͤr Geſpenſter anſahen/
hernach aber als Marcus Papirius einen
Deutſchen/ der ihm ſeinen langen Bart ſtrei-
chelte/ den helffenbeinernen Stab auf den Kopf
ſchlug/ in Stuͤcken zerhieben. Hat Papirius/
fing Rhemetalces an/ die Anruͤhrung ſeines
Bartes fuͤr eine unertraͤgliche Beſchimpfung
angenommen? Oder hat er der Deutſchen Zorn
durch ſeinen Eifer mit Fleiß erregen wollen:
wormit ihr Vorhaben fuͤr das Vaterland ſich
aufzuopfern nicht zernichtet wuͤrde? Es mag
eines und das andere wohl die Urſache geweſen
ſeyn/ ſagte Adgandeſter. Sintemal der/ wel-
cher ſich ſchon einmal alſo zu ſterben verlobt hat-
te/ wenn er nicht ſtarb/ keinen Gottes-Dienſt
mehr abwarten dorffte. Andern theils wur-
den die Haare/ und inſonderheit der Bart nicht
nur bey den Roͤmern und Lacedemoniern/ ſon-
dern auch bey faſt allen Voͤlckern in Ehren/ und
deſſen Betaſtung ſo wohl/ als derſelbten Abſche-
rung fuͤr eine Beſchimpfung gehalten. Wes-
wegen auch bey den Rhodiern ein Geſetze die
Abſcherung des Bartes und der Haare verbot;
und inſonderheit die Weltweiſen mit langen
Baͤrthen prangten; ja auch die alten Bildnuͤſſe
der Goͤtter mit langen Baͤrten gezieret ſind;
und Jupiter von denen Tichtern/ wie er bey ſei-
nem unverſehrlichen Barte ſchwere/ mehrmals
eingefuͤhret wird. Daher/ und weil der Bart
fuͤr eine Zierde der Maͤnner und Goͤtter gehal-
ten wird/ ungeachtet er ſonſt wenig nuͤtze iſt/ bey
den Griechen und Roͤmern die baͤrtichte Gluͤcks-
Goͤttin umb das Wachsthum der Haare an-
geruffen wird. Hingegen werden die Leibei-
genen/ und die Ruder-Knechte auch noch ietzt
gleichſam zur Schmach glatt beſchoren/ gleich-
ſam als wenn dieſe Leute nicht in das Geſchlech-
te der Maͤnner/ ſondern der glatten Weiber
und der Verſchnittenen zu rechnen waͤren. Ze-
no fiel ein: Von dieſen alten Sitten aber ſchei-
nen die Griechen/ Roͤmer/ inſonderheit auch die
Deutſchen/ ja bey nahe alle Voͤlcker groſſen
theils abgewichen zu ſeyn/ welche die Baͤrte ab-
ſcheren laſſen/ und derſelben Hegung entweder
fuͤr ein Kennzeichen der Verdam̃ten/ oder der
euſerſt Betruͤbten brauchen. Alſo haben die
Catineer in Sicilien durch Geſandten/ welche zu
Bezeigung ihres Nothſtandes ihnen die Baͤrte
derogeſtalt verwildern laſſen/ zu Athen Huͤlffe
geſucht. Und der blut gierige Attalus gab auf ſol-
che Weiſe ſeine Beſtuͤrtzung uͤber ſeiner Mord-
Thaten zu erkennẽ. Kaͤyſer Julius ließ nach der
Titurianiſchen Niederlage ihm Bart und Haare
lange wachſen; und des Flavius Berichte nach
hat Auguſt nach des Varus Erlegung ihm kein
Schermeſſer wollen anſetzen laſſen. Ja in
Griechenland laſſen ihnen nach dem uhralten
Beyſpiele des Theſeus die Juͤnglinge ihre er-
ſten Bart-Haare abnehmen/ und wiedmen ſelb-
te an ihrem Geburts-Tage zu Delphis dem
Apollo. Zu Troetzen/ und in andern Orten
Griechenlands opfern die Braͤute ihre abge-
ſchnittenen Haare dem Hippolitus. Jn Si-
cyonien ſoll das Bild der Geſundheit kaum
fuͤr daran gehenckten Haaren zu ſehen ſeyn.
Zu Rom habe ich geſehen: daß nicht nur die
edlen Juͤnglinge/ ſondern auch aͤltere/ ihre in
Gold und Edelgeſteine verwahrte Haare fuͤr
des gantzen Leibes Wohlſtand dem Capitolini-
ſchen Jupiter geweihet haben. Jch erinnere
B b b b b 3mich
[750[752]]Sechſtes Buch
mich auch allhier gehoͤrt zu haben: daß kein Cat-
te fuͤr Erlegung eines Feindes ſich nicht doͤrffe
beſcheren laſſen. Es iſt nicht ohne/ verſetzte Ad-
gandeſter: daß bey vielen Voͤlckern andere Ge-
wohnheiten aufkommen; iedoch bleibet die gaͤntz-
liche Abnehmung der Haare allenthalben ein
Schandmaal. Und werdẽ bey uns Deutſchẽ de-
nen Ehebrecherinnen die Haare zum hoͤchſten
Schimpf gantz abgeſchnittẽ. Auſſer dem pflegen
wir Deutſchen zwar aus eben der Urſache/ als es
der groſſe Alexander bey ſeinem Heere einfuͤhr-
te/ den unterſten Bart abzuſchneiden/ wormit er
beym Gefechte denen Kriegsleuten keine Hin-
derung/ denen Feinden aber einen Vortheil
ſelben zu faſſen abgebe. Uber diß tragen wir
Deutſchen einen ſtarcken Knebel-Bart/ und
lange kraͤußlichte Haare/ welche wir aber nur in
Schlachten uͤber dem Haupte in einen Knoten
zuſammen knipfen/ wormit ſiẽ uns nicht fuͤr die
Augen ſtuͤgen/ und wir den Feindẽ deſto ſchreck-
licher ausſehen. Malovend brach hieruͤber ein:
Es iſt allerdings wahr/ daß alle Voͤlcker die An-
taſtung der Haare und Baͤrte fuͤr eine Beſchim-
pfung halten; ich glaube aber: daß der deutſche
des Papirius Bart mehr aus Vorwitz/ und
umb zu erfahren: Ob die unbeweglichen Alten
lebten/ als ſelbten zu ſpotten angeruͤhret habe.
Haͤtte alſo Papirius wohl nicht Urſache gehabt
ein zweydeutig Ding ſo uͤbel aufzunehmen/ und
durch unzeitigen Eifer die Sieger zu verbittern.
Zumal daß die Betaſtung deß Bartes offt als
eine Liebkoſung gebraucht wird. Und haͤtte
er ſich erinnern ſollen: daß Caſtor und Pollux
den Enobarbus eben ſo geſtreichelt/ und ihm
ſeinen ſchwartzen Bart geroͤthet haben.
Adgandeſter fiel ein: Man kan ſolche Sa-
chen hin und wieder verwerffen; unterdeſſen
gerieth Rom hieruͤber wider des Hertzogen
Brennus Verbot aus vermuthlicher Rache in
Brand/ und in die Aſche. Die Semnoner
belaͤgerten das Capitolium/ und durchſtreifften
das Land biß an den Fluß Vulturus. Jenes
wuͤrden ſie unſchwer erobert haben/ wenn nicht
die Semnoner des Lucius Albinus Frau und
Tochter/ welche auf ſeinen Befehl vom Wagen
abſteigen/ und ſelbten denen ſich baarfuͤſſig-
fluͤchtenden Veſtaliſchen Jungfrauen einraͤu-
men muͤſſen/ gefangen bekommen haͤtten. Denn
Hertzog Brennus verliebte ſich ſo ſehr in die letz-
tere: daß er ihr zu Liebe das Capitolium nicht
zu ſtuͤrmen/ und alſo ihre Bluts-Verwandten
zu toͤdten/ ſondern nur durch Abſchneidung der
Lebens-Mittel zur Ubergabe zu noͤthigen an-
gelobte. Welches er ſo treulich hielt: daß als
einsmals in der Nacht die Semnoner ſtillſchwei-
gend ſchon biß auf die Mauren geſtiegen/ die
ſchlafenden Roͤmer aber viel zu ſpaͤt von dem
Geſchnater der Gaͤnſe erweckt waren/ Bren-
nus die Uberſteigung zu verfolgen verbot. Jn-
zwiſchen brachte er gleichwohl die Roͤmer durch
Hungers-Noth und ſein mit dem Koͤnige Dio-
nyſius aus Sicilien gemachtes Buͤndnuͤß/ der
damals gleich mit den Locrenſern in Jtalien
Krieg fuͤhrte/ ſo weit: daß ſie die Aufhebung
der Belaͤgerung/ und die Einraͤumung der
eingeaͤſcherten Stadt mit tauſend Pfund Gol-
des abzukauffen willigten. Brennus verließ
ſich auf den mit dem Sulpitius abgehandelten
Frieden; zohe alſo mit dem groͤſten Theile ſei-
nes Heeres zuruͤck. Denn die Hetrurier hat-
ten mit vielem Golde und noch groͤſſern Ver-
troͤſtungen die Veneter beredet: daß ſie denen
Semnonern ins Land gefallen waren/ auch be-
reit an dem Fluſſe Sapis/ Saſſina erobert hat-
ten. Gleicher geſtalt belaͤgerten die Hetrurier
ihre verlohrne Stadt Croton/ und draͤuten zu-
gleich einen Einfall gegen Seſtin. Jnzwiſchen
blieb der oberſte Eiſenberg zu Rom/ und warte-
te auf die verſprochenen tauſend Pfund Gol-
des/ welches die damals arme Stadt/ ungeach-
tet das Frauenzimmer alle ihr guͤldenes Ge-
ſchmeide beytrug/ ohne Angreiffung der Hei-
ligthuͤmer nicht zuwege bringen konte. Da-
hero ſie anfangs die Deutſchen im Gewichte zu
bevor-
[751[753]]Arminius und Thußnelda.
bevortheiln trachteten/ hernach aber/ als Eiſen-
berg dieſes inne ward/ ſie bedreuten: daß wo ſie
ſich nicht darmit vergnuͤgten/ ihnen an ſtatt des
Goldes geſchlieffenes Eiſen zuwiegen wolten.
Eiſenberg lachte hierzu/ legte ſeinen Degen auf
die Wage/ ſie ſolten ſo viel Goldes ihm noch zur
Zugabẽ herbey ſchaffen. Uber dieſer Wort-
wechſelung trat der von Rom verwieſene/ aber
nunmehr mit einem ziemlichen von Veje und
Ardea zuſammen geleſenen Heere beruffene
Camillus mit hundert geharnſchten Maͤnnern
in den Saal/ und befahl das Gold auf die Sei-
te zu ſchaffen; weil ſein Vaterland mit Stah-
le/ nicht mit Golde zu loͤſen waͤre. Die zwan-
tzig daſelbſt befindlichen Deutſchen ſchuͤtzten den
getroffenen Vertrag fuͤr. Aber Camillus
verſetzte: Er waͤre erwehlter Roͤmiſcher Feld-
herr/ und ohne ihn haͤtte weder Manlius/ noch
Sulpitius was nachtheiliges eingehen koͤnnen.
Alſo waͤre er der Semnoner Feind/ und daher
ſolten ſie ſich nur zur Gegenwehr fertig machen.
Eiſenberg drang mit den Seinen ſich hierauff
eilends zur andern Pforte hinaus; und machte
Lermen. Ehe er aber ſein Kriegs-Volck zuſam-
men bringen konte/ fielen die Vejer/ Ardeater/
und Roͤmer durch 3. Pfortẽ in die Stadt/ Man-
lius auch aus dem Capitolium; gleichwohl aber
wehrten die nicht das vierdte Theil ſo ſtarcken
Semnoner ſich als umbſtrickte Loͤwen/ und
ſchlugen ſich durch zwey Thore durch. Bey
dem achten Meilen-Steine von der Stadt be-
gegnete ihnen eine neue zuſammen gezogene
Macht/ und Camillus lag ihnen ebenfalls in
den Eiſen; alſo: daß ſie faſt allenthalben von
Feinden umbringet wurden. Eiſenberg aber
munterte ſeine Semnoner ſo wohl mit ſeinem
Arme/ als mit ſeiner Zunge zu einer behertzten
Gegenwehr auf; und befahl: daß ſie ſich nach
und nach an den nicht weit entfernten Fluß
Anio/ und unter das darbey ſtehende Dorff
ziehen ſolten. Das Beyſpiel ihres Oberſten/
und die euſerſte Noth/ welche der maͤchtigſte
Werckzeug des Sieges iſt/ zwang denen weni-
gen Deutſchen ungemeine Helden-Thaten ab.
Jnſonderheit uͤbte Briſo ein junger Semno-
niſcher Fuͤrſt gegen die Roͤmer Wunderwercke
aus. Weil er aber keinen Fußbreit Erde wei-
chen wolte/ ward er von den Feinden umbrin-
get/ und nach unglaublicher Gegenwehre und
vielen empfangenen Wunden endlich vom
Manlius getoͤdtet. So bald aber Eiſenberg
das verlangte Ziel erreichte/ ließ er das erlangte
Dorff an allen Ecken anzuͤnden; und nach dem
er bey nahe tauſend Mann verlohren/ gleich-
wohl aber auch die Roͤmer nicht Seide darbey
geſponnen hatten/ ſetzte und ſchwemmte er unter
dem Dampf und Rauche uͤber den Strom/
warff die Bruͤcke hinter ſich ab/ daß der Feind
ihn nicht weiter verfolgen konte. Von dar
kam er ſo unverhofft nach Fidene: daß er die
Pforten offen fand. Dieſes zuͤndete er an/
gieng nach etlicher Stunden Erfriſchung da-
ſelbſt uͤber die Tiber/ und kam/ ohne daß ſich ei-
niger Feind an ihn ferner wagen wolte/ in He-
trurien; allwo Brennus bereit die Cluſier von
Belaͤgerung der Stadt Croton abgetrieben/
und ſeinen Sohn gegen die Veneter voran ge-
ſchickt hatte. So bald er nun durch das Ge-
ſchrey von der Roͤmer Friedens-Bruche gehoͤrt
hatte; wendete er ſeine Deichſel wieder gegen
Rom/ begegnete alſo ſeinem von Rom kom-
menden Volcke bey dem ſo genanten Koͤnigs-
Bade. Brennus ward uͤber der Roͤmer Be-
truge aufs eifrigſte verbittert; verheerete daher
biß nach Nepete alles mit Feuer und Schwerdt.
Und das Geſchrey brachte nach Rom ein ſolches
Schrecken: daß Camillus ſich vergebens be-
muͤht haͤtte die nach Veje allbereit beſtim̃te
Flucht des gantzen Roͤmiſchen Volckes zu hin-
tertreiben; wenn nicht die Roͤmiſchen Ge-
ſandten zu Nepete ihn durch Entgegenbringung
der tauſend Pfund Goldes/ welche inzwiſchen
die umb die Roͤmiſche Verwuͤſtung im Trau-
ren gehenden Maſſilier als treue Bundsge-
noſ-
[752[754]]Sechſtes Buch
noſſen nach Rom geſchickt hatten/ und Ent-
ſchuldigung ihrer aus Mißverſtande entſprun-
genen Thaͤtligkeiten beſaͤnftiget/ oder vielmehr
andere geheime Urſachen zu Beliebung eines
neuen Friedes bewegt haͤtten. Denn weil er
die Hetrurier und Veneter noch hinter ſich
als einen beſchwerlichen Dorn im Fuſſe hatte/
die uͤber dem Po wohnenden Deutſchen auch
mit einander in Krieg geriethen/ und die ver-
triebenen Rhetier auch denen Bojen eingefallen
waren/ hielt er nicht rathſam mit ſo vielen Fein-
den auf einmal ſich in beſtaͤndigen Krieg zu ver-
tieffen; als in welchen Faͤllen man nicht ſtets hin-
ter ſich ſehen kan; und der Schild der Klugheit die
feindlichen Streiche ſicherer/ als ein gewaffneter
Arm ablehnet. Uber dis hatten es die
Roͤmer durch ein neues mit den Maſſiliern
aufgerichtetes Buͤndnuͤß/ krafft deſſen alle Maſ-
ſilier das Roͤmiſche Buͤrger-Recht/ die Zoll-
Freyheit/ und ihren Geſandten ein Sitz im
Roͤmiſchen Rathe verliehen ward/ ſo weit ge-
bracht: daß ſie mit andern gegen die Deutſchen
ergrim̃ten Galliern/ weil Hertzog Marcomir
biß an die Maaß die deutſche Herrſchafft erwei-
tert hatte/ des Brennus zu Aventicum zum
Hertzoge der Semnoner eingeſetzten Bruder
bekriegten; welchen Bren nus nicht huͤlff-loß
laſſen konte; daher er zehn tauſend Deutſchen
ihm uͤber die Alpen zuſchickte; und hierdurch
die Feinde zum Frieden zwang. Als Bren-
nus derogeſtalt auf beyden Seiten der Alpen
ſieghafft war/ flog auch ſeiner Semnoner Ruhm
in Sicilien/ Africa und Griechenland. Denn
es hatte Koͤnig Dionyſius in Sicilien mit dem
Hertzoge Brennus ein Buͤndnuͤß gemacht/
und von ihm zwoͤlf tauſend deutſche Huͤlfs-Voͤl-
cker bekommen. Denn er eroberte durch ihre
Tapferkeit die von den Cartha ginen ſern erbau-
te See-Stadt bey dem Lilybeiſchen Vorgebuͤr-
ge Motya; zwang den Jmilco: daß er umb
freyen Abzug aus Sicilien bitten muſte. Ja
bemaͤchtigte durch ſie ſich in Jtalien des groſſen
Griechenlands. Fuͤnff tauſend dieſer Semno-
ner ſchickte Dionyſius auch der von den Beoti-
ern belaͤgerten Stadt Corinth zu Huͤlffe/ welche
des Nachts in aller Stille in den Lecheiſchen
Hafen einlieffen; und bald daraus in einem
Ausfalle das gantze Beotiſche Laͤger gegen dem
Tempel des Priapus auſſchlugẽ; alſo den Feind
die gantze Belaͤgerung aufzuheben noͤthigten.
Weswegen die Stadt Corinth dem Brennus
und Dionyſius zwey ertztene Bilder auf dem
Rathhauſe aufrichteten. Die Corinther und
Carthaginenſer beehrten den Brennus auch
hernach mit Geſandſchafften/ und bewarben
ſich ſo wohl/ als die Nachbarn in Jtalien umb
ſeine Freundſchafft. Als nun derogeſtalt in
Griechenland und Deutſchland des Brennus
Thaten nicht anders als des Hercules geſungen
wurden; hielten es alle andere Deutſchen darfuͤr:
daß ihnen/ wenn ſie es ihm nicht nachthaͤten/ ſo
viel Schande/ als ihm Ruhm zuwuͤchſe. Daher
faſt alle deutſche Voͤlcker damals zu ſchwermen
anfingen. Hertzog Antenor ſegelte mit etlichen
1000. Deutſchen in Britannien; hielt ſich daſelbſt
ſo tapfer: daß ihm Koͤnig Belin ſeine Tochter
Cambra vermaͤhlte; von welcher ſeine Voͤlcker
noch ietzt die Sicambrer genennet werden. De-
nẽ Cattẽ war ohne diß ihr bergicht und unfrucht-
bares Land zu enge/ alſo: daß ſie ſelbſt einander
in die Haare geriethen. Endlich entſchloß ſich
Fuͤrſt Batto und ſein Sohn Heß ihrem Vetter
ihr Erbtheil abzutreten/ und wie Brennus eines
mit dem Degen zu erwerben. Dieſe beyde Her-
tzoge zohen mit 30000. Catten den Rhein hinab/
ſchlugen die Gallier/ und bemaͤchtigten ſich des
zwiſchen denen zwey Armen des Rheines und
dem Meere liegendẽ Eylandes/ nennten ſich auch
nach ihrẽ Fuͤrſten die Bataver/ welcher die Stadt
Nimegen erbaute. Bathanat machte ſich eben-
falls mit 100000. an dem Oder-Strome
gelegenen Oſen und Marſingern auf/ ſetzte uͤber
die Donau/ und eroberte zwiſchen dieſem Fluſſe
und der Sau ein groſſes Gebiete. Die noch in
Deutſch-
[753[755]]Arminius und Thußnelda.
Deutſchland und Gallien gebliebenen von de-
nen Allemaͤnnern aber gedruͤckten Celten gien-
gen ſo gar uͤber das Pyreneiſche Gebuͤrge/ und
gruͤndeten um den Fluß Durias und Sucra
ein neues Reich der Coltiberier. Alle in Grie-
chenland kriegende Voͤlcker muͤhten ſich einige
Deutſchen zu ihren Kriegs-Oberſten/ und die
Koͤnige ſie zu ihrer Leibwache zu bekommen/
und inſonderheit nach etlicher Zeit Koͤnig Phi-
lip in Macedonien. Jnzwiſchen aber ſtarb
Brennus/ und ließ ſeine Herrſchafft ſeinem
Sohne Ludwig; ſein Gedaͤchtnuͤß aber der
Nachwelt zu einem Beyſpiele der Tapfferkeit.
Hertzog Ludwig war ſeines Vaters Ebenbild
nichts minder an Geſtalt als an Gemuͤthe. Da-
her nam die von den Roͤmern bekriegte Stadt
Velitre zu ihm Zuflucht; und beklagten ſich/ daß
Rom die minſte Urſache einiger Feindſeligkeit
gegen ſie haͤtte/ ſondern aus bloſſer Herſchens-
ſucht ſich als eine Woͤlffin alle andere Staͤdtein
Jtalien als Schaffe zu verſchlingen berechtigt
hielte. Weil nun die Roͤmer die Velitrer aus
dem Felde ſchlugen und ihre Stadt belaͤgerten/
es alſo nicht Zeit war mit der Feder/ ſondern
mit dem Degen zu fechten; machte er ſich mit
40000. Semnonern auf/ und ruͤckte ſo eilfertig
fort: daß die Roͤmer von ihrem Anzuge nicht
che Kundſchafft kriegten: als biß ſie zu Cruſtu-
merium uͤber die Tiber geſetzt hatten. Sie er-
klaͤrten hierauf den Marcus Furius zu ihrem
Feldherrn/ ſchrieben an alle ihre Bundgenoſſen
um Huͤlffe/ niemand aber wagte ſich in diß
Spiel zu miſchen/ aus Beyſorge: daß ſodenn
die Deutſchen die Kriegs-Laſt ihnen ſelbſt auff
den Hals weltzen wuͤrden. Wie nun Hertzog
Ludwig bey Collatia uͤber den Fluß Anio gieng/
und biß nach Alba kam; hoben die Roͤmer die
Belaͤgerung fuͤr Velitre uͤber Hals und Kopff
auf/ ſetzten ſich darmit an einen vortheilhafftigen
Ort; aus welchem ſie durch keine Ausforderung
der Semnoner zu locken waren; unter dem
Vorwande: daß das Bild des weiblichen Gluͤ-
ckes an dem Waſſer Crabra bey Rom nunmehr
zum dritten mal geredet/ und ihnen zu ſchlagen
verboten haͤtte. Rhemetalces fiel ein: Er haͤt-
te ja in den Roͤmiſchen Geſchichtſchreibern ge-
leſen: daß Marcus Furius die Semnoner da-
mals bey Alba aufs Haupt geſchlagen; deßwe-
gen zu Rom ein Siegs-Gepraͤnge erlangt/ und
der Deutſchen wenige Uberbleibung ſich in A-
pulien gefluͤchtet haͤtte. Adgandeſter antwor-
tete: Die Griechiſchen Geſchichtſchreiber rede-
ten hierinnen den Deutſchen ihr Wort; und
waͤre aus dieſem unverdaͤchtigen Zeugnuͤſſe zu
urtheiln: wie viel in andern Faͤllen der Roͤmer
Groß ſprechen Glauben verdiente. Und zweif-
felte er nicht: Rhemetalces wuͤrde diß/ was er
erwehnte/ aus dem Livius haben/ welchen Kaͤy-
ſer Auguſtus ſelbſt wegen geſparter Warheit/
und daß er allzu ſehr Pompejiſch waͤre/ beſchul-
digte; wie man hingegen den Dion fuͤr all-
zu gut Kaͤyſerlich/ den Fabius fuͤr zu gut Roͤ-
miſch/ den Philinus fuͤr allzu Carthaginen-
ſiſch hielte. Es iſt diß/ ſagte Zeno/ der groͤ-
ſte Schandfleck eines Geſchichtſchreibers/ wel-
cher/ wie koͤſtlich er ſonſt iſt/ hierdurch alleine die
Wuͤrde geleſen zu werden einbiſt; und nicht un-
billich einem Thiere vergliechen wird/ dem man
die Augen ausgeſtochen hat. Daher auch die ſonſt
ſo ruhmswuͤrdige Liebe des Vaterlandes al-
leine in einem Geſchichtſchreiber verwerflich iſt.
Rhemetalces verſetzte: Es iſt freylich wol wahr;
ich glaube aber: daß es ſo wenig Geſchichtſchvei-
ber ohne Heucheley/ als Menſchen ohne Maa-
le gebe. Wolthat und Beleidigung zeucht uns
gleich ſam unempfindlich zu ungleichem Urtheil;
wie der Strom des Helleſponts auch bey der
Windſtille die Schiffe gegen das Griechiſche
Meer. Daher Callias von Syracuſe ſich
nicht maͤßigen konte/ alles Thun des ihn be-
ſchenckenden Agathocles zu rechtfertigen/ der
von ihm aus Sicilien verwieſene Timeus aber
alles zu verdammen. Ja nach dem Berichte
des Aſinius Pollio/ hatte Kaͤyſer Julius in ſei-
Erſter Theil. C c c c cnen
[754[756]]Sechſtes Buch
nen Schrifften ſelbſt ſo wenig Warheit gefun-
den: daß er ſelbte zu verbeſſern durch Schamroͤ-
the bewogen/ durch ſeinen Tod aber verhindert
worden. Zugeſchweigen daß einige nach der
Art des Zevxes/ welcher alle Menſchen groͤſſer
machte/ als ſie wahrhafftig waren/ auch ihre Ge-
ſchichte derogeſtalt vergroͤſſern/ gleich als wenn
die Warheit ein zu ſchlechter Firns der Schriff-
ten/ und dieſe ohne Erzehlung ungemeiner
Wunderwercke nicht leſens-wuͤrdig waͤren. Ad-
gandeſter nahm das Wort von ihm/ und ſagte:
Die denen Schlachten oder andern Staats-
Haͤndeln ſelten beywohnenden Geſchichtſchrei-
ber ſind noch ehe zu entſchuldigen; als welchen
ſelbſt zuweilen entweder das unwahrhaffte Ge-
ſchrey/ oder der Jrrthum eines anbindet. Viel
ſchaͤdlicher aber iſt es/ wenn ein Feldherr oder
Volck entweder nichts ausrichtet; und gleich-
wol nach Roͤmiſcher Gewohnheit groſſe Siegs-
Gepraͤnge haͤlt; oder gar ſeinen Verluſt fuͤr ei-
nen groſſen Gewinn in der Welt ausruffen laͤſt.
Zeno verſetzte: Es erforderte es vielmal die eu-
ſerſte Noth aus einem Schatten einen Rieſen
machen; und es waͤre die groͤſte Klugheit ſeine
Wunden mit den Pflaſtern des Eigenruhms
nicht minder verhoͤlen/ als heilen. Denn welche
Freundſchafft hielte bey verkehrtem Gluͤcke die
Farbe? Das Elend zuͤge denen Bundgenoſſen
die Treue/ wie die Sonne hohe Farben aus; und
kein Eydſchwur/ keine Bluts-Freundſchaft/ kei-
ne genoſſene Wolthat verhinderte: daß man
nicht ſich fremder Gefahr entzuͤge; ja denen Be-
draͤngten ſelbſt Spinnenfeind wuͤrde; und wor-
mit es nicht ſchiene: als wenn man es iemals mit
ihnen gehalten/ ſie ſelbſt vollends ins Verderben
ſtuͤrtzen huͤlffe. Alſo waͤre das Ungluͤck des groſ-
ſen Pompejus Hencker/ Achillas aber nur ſein
Scherge geweſt. Bacchus waͤre dem Jugur-
tha erſt/ als ihm das Gluͤcke den Ruͤcken gekeh-
ret/ feind worden; und Koͤnig Pruſias haͤtte
nicht ehe ſeine Larve gegen den Hannibal vom
Geſichte gezogen; als biß jene Naͤrrin ſie vorher
abgenommen. Adgandeſter begegnete ihm: Jn
zweiffelhafften Begebnuͤſſen waͤre es freylich ei-
ne Klugheit ſeinen ſchlechten Zuſtand ſo viel
moͤglich beſchoͤnen; aber wider die kundbare
Warheit Falſchheiten ausſprengen ſehr unver-
ſchaͤmt. Gleichwol aber haͤtten die Roͤmer diß
unzehlbare mal gethan; und haͤtten ihre uͤber-
wundenen Heerfuͤhrer offt/ ja Marcus Furius
und Petilius ieder Siegs-Gepraͤnge gehalten/
ohne daß einer iemals einen Feind geſchlagen.
Welches der mit denen Galliern verbundenen
Stadt Tibur nicht unbillich ſo laͤcherlich vor-
kam; daß ſie nach Rom ſchickten/ und den uͤber ſie
ſiegprangenden Petilius fragen lieſſen: Ob er
mit ihren Muͤcken/ oder mit ihrer Verſtorbenen
Geiſtern geſchlagen haͤtte? Denn 9. Jahr nach
der Zeit/ da Hertzog Ludwig Velitre entſetzt/ und
aus dem Roͤmiſchen Gebiete groſſen Raub in
Umbrien zuruͤck gebracht hatte/ uͤberfielen die
Roͤmer die Hernicier/ und folgendes Jahr das
Gebiete der uͤber fuͤnftehalb hundert Jahr aͤlte-
ren Stadt Tibur. Weil nun die Semnoner
zu Rom vergebens ihre von beyden Voͤlckern
geſuchte Vermittelung fuͤrſchlugen/ ſchickte
Hertzog Ludwig ſeinem Bruder Adolph dreißig
tauſend Deutſche beyden zu Huͤlffe/ welche biß
an den dritten Meilenſtein an Rom anruͤckten/
und alſo die Roͤmer/ welche die Stadt Ferentin
erobert/ der Hernicier Gebiete zu verlaſſen/ und
ihrem eigenen Feuer zuzulauffen noͤthigten.
Hertzog Adolph gieng/ um die Stadt Tybur zu
bedecken/ zu Antenna uͤber die Tiber/ und ſetzte
ſich an dem Fluſſe Anio auf der Saltzſtraſſe dem
neuerwehlten Roͤmiſchen Feldherrn Ovintius
Pennus recht gegen uͤber. Die Roͤmer muͤh-
ten ſich durch vielfaͤltige Anfaͤlle die daſelbſt zwi-
ſchen beyden Laͤgern uͤber den Fluß Anio gebau-
te Bruͤcke zu gewinnen/ wurden aber allemal
mit groſſem Verluſte zuruͤck geſchlagen; alſo:
daß Ovintius durch keine Draͤuung oder Ver-
ſprechen ſie zu fernerm Angriffe bewegen konte;
alſo genoͤthiget ward die euſerſten Kraͤfften aus
Rom
[755[757]]Arminius und Thußnelda.
Rom an ſich zu ziehen/ und die junge Mann-
ſchafft mit einem ſchaͤrffern Eyde zu verfaſſen.
Die Semnoner kamen hierauf nach und nach
einzel-weiſe auf die Bruͤcke/ tummelten ſich da-
ſelbſt und forderten die Roͤmiſchen Edelleute
zum Zweykampf aus. Nach vielem Ruffen
erſchien endlich gegen einem Deutſchen Edel-
manne Gergelaſe der junge Licinius; welcher a-
ber/ als der Deutſche auf ihn an drang/ im̃er wie
ein Krebs zuruͤcke wich/ und endlich die Flucht
nahm/ weßwegen ihm jener hernach zum Ge-
daͤchtnuͤſſe einen Krebs auf den Schild mahlen
ließ. Dieſe Scharte auszuwetzen ſtellte ſich des
Buͤrgermeiſter Sulpitius Sohn wider Mo-
rien einen Deutſchen Edelmann ein; nach ei-
nem kurtzen Gefechte aber verſetzte Morien dem
Sulpitius einen toͤdtlichen Streich in Halß/
daß er zu Bodem fiel. Morien nahm ihm nichts/
als ſeinen Schild mit einem guͤldenen Sterne;
Hingegen beſchenckte ihn Hertzog Adolf mit ei-
nem koͤſtlichen Schilde/ darauf er die Saltz-
Bruͤcke und einen guͤldenen Stern pregen ließ.
Eben ſo ungluͤcklich gieng es dreyen folgenden
Roͤmern/ welche gegen ſo viel Semnonern zu
fechten ſich erkuͤhnten. Als nun dieſe keinen
Roͤmer durch die ſchimpflichſte Ausforderung
zum Kampffe mehr bewegen konten/ kam end-
lich ein unbekandter Deutſcher Juͤngling in ei-
nem blau-gelben ſeidenen Rocke auf die Bruͤcke;
mit bloſſem Haupte und nur mit einem Degen
und ſchmalem Schilde geruͤſtet. Dieſer ruffte
den Roͤmern zu: Es ſolte doch der tapfferſte un-
ter ihnen/ wo anders einer noch ein Hertz im
Leibe haͤtte/ mit einem ungewaffneten/ oder
wenn die Roͤmer ja alle zu Weibern werden/
mit einem Deutſchen Weibe ſich ſchlagen.
Worauf denn Ovintius aus dem Roͤmiſchen A-
del mit Noth den Titus Manlius mit der
Erinnerung: daß ſein Geſchlechte vom Ver-
haͤngnuͤſſe den Semnonern zu widerſtehen er-
kieſet waͤre/ noch beredete: daß er aufs ſorgfaͤl-
tigſte mit einem groſſen Schilde/ einem Spa-
niſchen Degen/ und unter dem Rocke mit einem
Pantzer-Hemde aus geruͤſtet/ gegen den Deut-
ſchen ſich ſtellte. Das Gefechte beginnte bey-
derſeits mit einer freudigen Tapfferkeit; iedoch
erlangte der Deutſche den Vortheil: daß er
dem Manlius drey hefftige Streiche anbrach-
te/ welche aber wegen des verborgenen Pan-
tzers nicht durchgiengen. Dieſe uͤber dieſen
Betrug erwachſende Verdruͤßligkeit verleitete
den Deutſchen: daß er dem Manlius einlief/
ſelbten faſte und zu Bodem warf. Jn dieſem
Ringen aber ſtieß Manlius dem Deutſchen ei-
nen verborgenen Dolch beym Nabel in den
Leib; worvon er mit haͤuffiger Blutſtuͤrtzung
zu Bodem ſtel. Manlius ſprang hieruͤber
auf/ rieß dem Deutſchen ſein guͤldenes Hals-
band ab/ henckte es ihm um/ und kehrte darmit
eilfertig ins Roͤmiſche Laͤger; welches hieruͤ-
ber/ als einer gewonnenen Schlacht/ ein groſ-
ſes Freuden geſchrey erregte/ und den Manlius
mit dem Zunahmen Torqvatus beehrte. Her-
tzog Arnold ließ den Deutſchen alsbald von der
Bruͤcke abholen/ befanden aber: daß ſelbte ei-
nes Semnoniſchen Edelmanns Tochter war;
Daher ſie die Roͤmer mit ihrem Siege nur ver-
hoͤhnten/ und noch ſelbigen Tag Lochau ein
Edelmann/ biß an den Wall des Roͤmiſchen Laͤ-
gers ritt/ und dreyen auff ſeine Ausforderung
ſich geſtellenden Roͤmern die Koͤpffe abhieb;
welche er hernach zum Gedaͤchtnuͤſſe auff ſeinen
Schild mahlen ließ. Nach dem nun beyde
Heere zwantzig Tage gegen einander/ iedoch
das Roͤmiſche wegen der im Ruͤcken habenden
Stadt in mercklichem Vortheil gelegen hatte/
diß aber zu keiner Schlacht zu bringen war/
denen Deutſchen aber die Lebensmittel abgien-
gen/ zuͤndete Hertzog Adolf ſein Laͤger an/ zohe
ſich gegen der Stadt Tibur; und weil die Cam-
panier auff Anſtifftung der Roͤmer die Her-
nicier mit offtern Einfaͤllen bedraͤngten/
ruͤckte er an dem Fluſſe Anio biß zu ſeinem
Brunnen fort. Hierauff gieng er bey Sora
C c c c c 2uͤber
[756[758]]Sechſtes Buch
uͤber den Fluß Livis/ uͤberfiel bey der Stadt Ar-
pin die Campanier und ſchlug ſelbte mit ſeiner
bloſſen Reuterey aus dem Felde. Die Stadt
Atina ſperrte ihm ſelbſt die Thore auf; die in
dem fruchtbaren Oel-Lande aber gelegene
Stadt Venafrum eroberte er mit Sturme/
und zwar durch die Reuterey; welche/ als an bey-
den Seiten das Fußvolck anfiel/ auff dem die
Stadt zertheilenden Fluſſe Vulturnus unver-
merckt darein ſchwemmte/ die Gatter zerhieb/
alles was in Waffen war erlegte/ und die Pfor-
ten dem Fußvolcke eroͤffnete. Alliſa/ Teleſia
und Calatia begaben ſich hier auf in der Deut-
ſchen Schutz/ richtete alſo Adolph hier eine neue
Herrſchafft auf. Die ſem nach ruͤckte der Buͤr-
germeiſter Petilius Libo/ um den Campaniern
Lufft zu machen/ fuͤr die Stadt Tibur/ Fabius
Ambuſtus aber ſtel denen Herniciern ein. Her-
tzog Adolph aber trieb mit dem bloſſen Nahmen
ſeiner Ankunfft den Fabius aus dem Hernici-
ſchen Gebiete/ trieb ihn von Preneſte weg/ ver-
wuͤſtete in den Gegenden um Lavicum/ Tuſcu-
lum und Alba alles/ was den Roͤmern anhing;
und jagte endlich den Fabius in Rom/ und ſetzte
ſich eines Bogenſchuſſes weit von der Collini-
ſchen Pforte. Es bebeten die ſieben Berge uͤ-
ber dem Heulen und Angſtgeſchrey des eine neue
Eroberung beſor genden Volckes. Der Rath
machte den Servilius Ahala zu einem neuen
Feldherren/ und was nur Waffen tragen kon-
te/ muſte ſich in die Kriegs-Rollen ſchreiben laſ-
ſen. Titus Ovintius fuͤhrte die Reuterey zu
erſt hinaus/ welchem Hertzog Arnold Platz zum
Treffen machte. Die Schlacht beginnte erſt
gegen den Abend/ wormit die Roͤmer bey widri-
gem Gluͤcke ohne allzu groſſe Unehre ſich zuruͤck
weichen koͤnten. Aber die Sonne gieng noch
nicht zu Golde/ als das Roͤmiſche Heer ſchon
zertrennet/ und biß an die Stadtmauer gejagt
ward. Die Roͤmiſchen Weiber/ alten Greiſe
und Kinder/ ſtanden zwar auf den Thuͤrmen/
rufften den ihrigen aufs beweglichſte zu; ſie
moͤchten ſich als Maͤnner halten/ und ihr Va-
terland retten; durch die Colliniſche und Vimi-
naliſche Pforte kriegten ſie auch eine ſtarcke
Huͤlffe von friſchem Volcke; ja die Roͤmiſchen
Weiber ſelbſt wurden zu Beſetzung der Mauern
gebracht/ aber es war alles umſonſt; und muſte
Servilius nur das voͤllige Feld raͤumen/ und
ſich in die Stadt nach uͤberaus groſſem Verluſte
retten. Weil nun in dreyen Tagen ſich kein
Roͤmer fuͤr denen geſchloſſenen Thoren mehr ſe-
hen ließ/ Arnold aber weder Volck genung/
noch Sturmzeug die Stadt Rom anzugreiffen
bey der Hand hatte/ und die Tiburtiner wider
den Petelius bewegliche Huͤlffe ſuchten; eilte
er an der Tiber hinauf. Sein Vortrab kam
mit dem Buͤrgermeiſter zwiſchen Nomentum
und Tibur zu ſchlagen; die Nacht aber ſcheidete
ſie von ſammen; in welcher Petelius zu No-
ment uͤber die Tiber gieng/ das Deutſche Heer
nicht erwarten wolte/ ſondern nach Rom kehrte/
gleichwol aber daſelbſt zwey laͤcherliche Siegs-
Gepraͤnge hielt. Folgendes Jahr verneuer-
ten die Roͤmer ihr altes Buͤndnuͤß mit den Latei-
nern/ zohen alſo viel tauſend Kriegsleute an
ſich/ griffen hierauf die Tarqvinier mit Krieg
an; aber Hertzog Adolf kam ihnen mit ſeinen
Deutſchen/ die damals aller Bedraͤngten Zu-
flucht waren/ zeitlich zu Huͤlffe; und brachen bey
Preneſte und der Stadt Pedum ein. Die Roͤ-
mer machten aus beyder Buͤrgermeiſter Heere
eines/ und den Cajus Sulpitius zum Feld-
herrn. Dieſer aber verſchantzte ſich an einem
feſten Ovte/ und war weder durch der Deutſchen
ſchimpfliche Ausforderung/ noch durch ſeines
eigenen Volckes Schmachreden zu einigem
Treffen zu bewegen/ ſondern er verbot vielmehr
bey Lebens Straffe/ wenn einer ohne Befehl
kaͤmpffen wuͤrde. Als er endlich ſich ohne eu-
ſerſte Verkleinerung nicht laͤnger enthalten kon-
te/ und ein groſſes Theil des Deutſchen Heeres
ſich Romnaͤherte/ und ihr Gebiete mit Feuer
und Schwerd verwuͤſtete/ verſteckte er des
Nachts
[757[759]]Arminius und Thußnelda.
Nachts allen mit Waffen aus geruͤſteten Troß
nebſt hundert Reutern in ein Gepuͤſche auf ei-
nem Tuſculaniſchen Huͤgel/ und ſtellte des
Morgens ſein Heer fuͤr dem Lager in Schlacht-
Ordnung. Die Deutſchen waren ſo begierig
zum Fechten: daß ſie die Roͤmer ehe anfielen/
ehe Hertzog Arnold ſeine Schlacht-Ordnung
gemacht/ oder das Zeichen gegeben hatte. Sie
brachten auch den rechten Fluͤgel/ darinnen doch
der Feldherr ſelbſt fochte/ und das Ampt eines
tapffern Kriegs-Mannes verwaltete/ zum
weichen in Verwirrung. Der lincke Fluͤgel
aber hielt mit dem Marcus Valerius den
Semnonern die Wage; iedoch muſte der noth-
leidende Sulpitius ſeinem Troß ein Zeichen
geben: daß ſelbter auf der Seite gegen die Deut-
ſchen herfuͤr brach. Durch welche Blaͤndung
denn die Deutſchen ſtutzig gemacht wurden.
Weil nun ſich der Wind zugleich wendete/ und
den Deutſchen den Staub recht in die Augen
wehete/ zohe Hertzog Arnold ſein Heer mit einer
ſo klugen Art zwiſchen die Berge: daß der Ver-
luſt beyder ſtreitbaren Theile gleiche war; unge-
achtet die Roͤmer dem Sulpitius ihrer Mei-
nung nach ein wahrhafftes/ nicht aber wie vor-
mals andern falſch ertichtete Siegs-Gepraͤnge
erlaubten. Hingegen gewan Ritter Sultz/
welcher mit 10000. Semnonern denen Tar-
qviniern beyſtand/ dem Fabius einen herrlichen
Sieg ab/ welche/ weil die Roͤmer vorher etliche
Gefangene dem Mars geopffert hatten/ 307.
gefangene Roͤmiſche Edelleute ebenfals ab-
ſchlachteten. Dieſen Verluſt einzubringen
ward das Jahr hernach der Buͤrgermeiſter Po-
pilius Lenas wider die Tarqvinier und Deut-
ſchen geſchickt; welcher aber mit einer ſchweren
Niederlage abgefertigt war; worzu die Deut-
ſchen Prieſter nicht wenig halffen/ welche fuͤr
dem Tarqviniſchen rechten Fluͤgel mit brennen-
den und mit Schlangen umwundenen Fackeln
vorher lieffen/ und die uͤber dieſem neuen Aufꝛu-
ge beſtuͤrtzten Roͤmer verwirrten/ denen Tar-
qviniern aber ein Hertze machten. Es wur-
den aber die Deutſchen mit denen Tarqviniern
wegen der Beute uneines; weßwegen jene ihre
Huͤlffs-Voͤlcker nach Hauſe berufften/ dieſe alſo
unterſchiedene mal groſſen Schiffbruch liedten.
Weil die Roͤmer aber aufs neue die Tiburtiner
uͤberfielen/ ſchickte Hertzog Ludwig/ Erdmann/
ſein Schoßkind einen jungen Semnoniſchen
Ritter/ wieder mit einem friſchen Kriegs-Heere
ins Latium; gegen welchen der Buͤrgermeiſter
Popilius Lenas mit einem ſtarcken Heere auf-
zoh; weil er aber den Deutſchen ſich gleichwol
nicht gewachſen zu ſeyn/ oder die Langſamkeit
einem Feldherren anſtaͤndiger als die Vermeſ-
ſenheit hielt/ ſich auff dem kalten Berge ver-
ſchantzte. Dem jungen und hitzigen Erdmann
ward die Zeit zu lang/ und die Gedult zu kurtz
den Feind an einem gelegnern Orte anzugreif-
fen/ daher entſchloß er wider die Einrathung/
welche entweder von Art oder Alter zum Ver-
zuge geneigt waren/ den Berg und das befeſtig-
te Laͤger zu ſtuͤrmen; und zwar unter dieſem
Vorwand: daß der Feind ſich nur auff ſeinen
Wall/ er ſich aber auf die Hertzen ſeiner Deut-
ſchen verlieſſe/ welche lieber ſtuͤrben/ als etwas
unuͤberwindlich hielten. Zu dem waͤren ſie ſo
fruchtbar: daß ihrem Hertzoge alle Nacht ein
Heer gezeugt wuͤrde. Er ſelbſt fuͤhrte anfangs
den Sturm an; und ob die Deutſchen gleich aus
dem Athem kamen/ ehe ſie des Berges Hoͤhe er-
ſtiegen/ oben auch noch zweyfache Graben und
Waͤlle fuͤr ſich hatten/ und es augenſcheinliche
Unmoͤgligkeit war das Lager einzunehmen/
ſtuͤrmte er doch mit ſtets abgeloͤſten Voͤlckern
Tag und Nacht durch; eroberte auch zwar den
euſerſten Wall/ und warf dem Buͤrgermeiſter
einen Spieß durch die lincke Achſel; alſo: daß
das Roͤmiſche Lager nun mehr in Gefahr ſtand;
aber das Blat wendete ſich unverhofft/ indem
Erdmann mit einem Steine ſo harte am Kopf-
fe verwundet war: daß er fuͤr todt zu Bodem fiel.
Worauf die andern Kriegs-Oberſten nicht fuͤr
C c c c c 3ver-
[758[760]]Sechſtes Buch
verantwortlich hielten dieſes ſo vermeſſene
Werck zu verfolgen; ſondern von Sturme ab-
blaſen lieſſen; ihr Laͤger anſteckten/ und ſich
nach Alba zohen/ ſondern daß ſich die Roͤmer ſie
zu verfolgen wagten. Erdmann kam den drit-
ten Tag erſt wieder zu ſich ſelbſt; und als die O-
berſten ſich uͤber dem allzu hitzigen Fuͤrnehmen
beklagten/ nur die Achſeln einzoh/ und antwor-
tete: Es war wol eine harte Ecke. Worvon
er hernach den Zunahmen Harteck bekam; ie-
doch dieſe Scharte hernach durch einen herrli-
chen Sieg gegen die Griechiſchen See-Raͤu-
ber/ welche bey Laurentum/ wo vor Zeiten
Eneas ausgeſtiegen war/ ausſetzten und das
Land verheereten. Sintemal er dieſe nicht nur
mit groſſem Verluſt in die Schiffe jagte/ ſondern
auch die Lateiner dadurch gewan: daß ſie den
Roͤmern aufs neue den Bund aufkuͤndigten.
Hieruͤber ward Rom ſo beſtuͤrtzt: daß ſie ein
Heer von zehn Legionen/ iede zu fuͤnftehalb tau-
ſend Mann aufrichteten; mit deſſen groͤſtem
Theile der Buͤrgermeiſter Camillus gegen die
Deutſchen in das Pomptiniſche Gebiete auf-
zoh; welcher aber durch Langſamkeit die zum
kaͤmpffen eifrige Deutſchen gleichfals abmatten
und durch Verdruͤßligkeit zu einem unvernuͤnf-
tigen Treffen verleiten wolte; alſo ſich allezeit/
wann der Feind auf ihn drang/ zwiſchen die
Pomptiniſchen Suͤmpffe verſteckte. Der Fluß
Amaſen ſcheidete beyde Laͤger von einander/ uͤ-
ber dieſen kam um Mitternacht ein altes Weib
auff einem Hunde mit einem Krantze von Eiſen-
Kraute auf dem Haupte/ und mit einer bren-
nenden Fackel in der Hand geſchwommen;
machte mit ſelbter einen Kreiß in die Hand; und
nach vielen gemahlten Zeichen und ſeltzamen
Gebehrden fing ſie gegen das Deutſche Laͤ-
ger mit heiſerer Stimme aus allen Kraͤfften zu
ruffen: Jſt irgends ein Gott/ eine Goͤttin/ o-
der Geiſt/ der die Deutſchen beſchuͤtzet/ ſo ver-
ehre und bitte ich euch: verlaſſet der Deutſchen
Land/ Staͤdte und Laͤger. Jaget ihnen Schre-
cken/ Zagheit und Vergeſſenheit ein. Kommt
nach Rom; erwehlet unſere Heiligthuͤmer/ und
ſtehet unſerm Heere fuͤr; ſo geloben wir euch
Tempel zu bauen/ Opffer zu liefern und Spie-
le zu halten. Die Deutſche Wache ward hier-
uͤber verbittert/ ſchoſſen daher mit Pfeilen auff
ſie/ welche aber alle fuͤr dem Kreiſſe niederfielen.
Sie ließ ſich auch in ihrer Gauck eley nicht hin-
dern/ ſondern machte einen Hauffen waͤchſerne
Bilder und zerſchmeltzte ſie in der Fackel; zuletzt
ſteckte ſie einen Stab in die Erde in einen A-
meiß-Hauffen; an welchem die Ameiſſen hin-
auf lieffen; an der Spitze ſich in Raben verwan-
delten/ und davon flohen. Hierauf fing ſie ſo
ein jaͤmmerliches Geheule an: daß den Deut-
ſchen die Haare zu Berge ſtunden/ und ſprang
in den Fluß/ uͤber welchen dieſe Zauberin ihr
Hoͤllen-Hund an dem Roͤmiſchen Ufer ausſetz-
te. Zeno fing an: Es iſt diß eine Zauber-Art/
wie ſie in Pannonien aus den Ameiſſen Staare
machen/ und ihrem Nachbar in die Weinber-
ge die Trauben abzufreſſen ſchicken ſollen.
Aber ich glaube/ daß diß alles aberglaͤubiſche
Blaͤndungen ſind. Adgandeſter verſetzte:
Der Deutſche Heerfuͤhrer Leuchtenberg war in
eben dieſer Meinung; daher er die Deutſchen/
welche zu Abwendung dieſer Zauberey drey mal
in die Schooß den Speichel ausſpien/ verlach-
te/ die in ſeinem Heere befindlichen Tiburtiner
aber/ die dem Neptun und der Nemeſis opf-
fern/ oder in dem Laͤger des Priapus Bildnuͤß
auffrichten wolten/ wie nichts minder denen
Kriegsleuten viel mit Raute/ Knaben- und Fa-
ſelwurtz gefuͤllte Kniſpel an Hals zu hencken
mittheilten/ auch ihm das Laͤger zu verruͤcken
riethen/ mit hartem Verweiß abfertigte; allei-
ne der Aus gang wieß gleich wol: daß das goͤttli-
che Verhaͤngnuͤß doch der Zauberey zuweilen
etwas entraͤume; und daß die ſchwartzen Ra-
ben den Deutſchen ſo viel Boͤſes/ als die weiſſen
denen
[759[761]]Arminius und Thußnelda.
denen Beotiern in Theſſalien Gutes bedeute-
ten. Denn Udalrich ein deutſcher Edelmann
ſetzte uͤber den Fluß/ und forderte den hertzhaff-
teſten der Roͤmer zum Zweykampffe aus. Die
Roͤmiſchen Wahrſager brachten es bey dem Ca-
millus wider vorige Gewohnheit der Roͤmer/
welche ſonſt ſchwer hierzu kamen; in dem ein
gantzes Heer meiſt aus ſolchen Gefechten den
Ausſchlag des gantzen Krieges urtheilte/ durch
groſſe Vertroͤſtungen dahin: daß einem Kriegs-
Oberſten Marcus Valerius mit dem Deut-
ſchen zu kaͤmpffen erlaubt ward. Wie der
Streit nun angehen ſolte/ kam uͤber das Deut-
ſche Laͤger ein Rabe von ungemeiner Groͤſſe
mit grauſamen Geſchrey geflogen/ ſetzte ſich
dem Valerius auff den Helm/ und beym An-
binden flohe er dem Udalrich ins Geſichte/ hack-
te und kratzte ihm die Augen aus; alſo daß Va-
lerius bey dieſer ſeiner Blaͤndung ihm leicht et-
liche toͤdtliche Stiche beybringen konte. Die
Deutſchen ſchmertzte dieſer zauberiſche Be-
trug/ und die Bezauberung des Todten ſo ſehr:
daß die Vorwache ohne Verlaub durch den
Fluß ſchwemmte und den Valerius mit ſeinen
Gefaͤrthen verfolgte/ unter denen waren zwey
Hermunduriſche Edelleute; welche dem Va-
lerius nicht nur die abgenommenen Waffen ab-
jagten/ ſondern ihm auch den Helm von dem
Kopffe ſchlugen/ und eroberten; weßwegen
der eine hernach den Zunahmen Rabe/ und ei-
nen mit einem Raben aus geputzten Helm/ der
andere Rabenſtein mit einem Raben im Schil-
de fuͤhrte. Uber dieſem Gefechte aber dran-
gen aus beyden Laͤgern ſo viel Kriegsleute nach
und nach herzu: daß beyde Feldherren endlich
um nicht ihre bereit kaͤmpffenden Leute im Sti-
che zu laſſen/ gezwungen wurden mit vollen
Kraͤfften loß zu gehen. Camillus munterte
die Seinigen darmit auf: daß der dem Vale-
rius zu Huͤlffe gekommene Rabe den Roͤmern
zur rechten/ den Deutſchen zur lincken Hand
geflogen waͤre; alſo jenen den Sieg/ dieſen den
Untergang angekuͤndigt haͤtte. Dieſem ih-
rem Gluͤcks-Vogel und Wegweiſer ſolten ſie
nur behertzt nachfolgen. Die Goͤtter ſchick-
ten den Menſchen mehrmals Thiere zu Ge-
huͤlffen und zu Leitern. Alſo haͤtten die Tau-
ben den Chalcidenſern uͤber das Meer an den
Ort/ wo ſie hernach Cuma hingebaut/ eine
Schlange der Antinoe nach Mantinea/ eine
Kuh dem Cadmus nach Thebe/ ein Widder dem
Bacchus in Africa den Weg gewieſen. Leuch-
tenberg hingegen redete diß den Deutſchen aus;
und meldete: daß der Aber glaube die heßlichſte
Larve der Vernunfft/ und eine Ohnmacht des
Gemuͤthes waͤre. Jedoch hatten die Deut-
ſchen/ welche durch den Fluß Amaſen theils
ſchwimmen/ theils waten/ und in dem Waſſer
biß an die Achſel ſtehende gegen die an dem fe-
ſten und meiſt hohem Ufer fechtenden Roͤmer
kaͤmpffen muſten/ einen ſchweren Stand.
Nichts deſto weniger ſetzten ſie endlich feſten
Fuß/ und erfolgte beyderſeits eine grauſame
Blutſtuͤrtzung ſo lange/ biß die wieder Gewohn-
heit ſtockfinſtere Nacht die gegen einander ra-
ſende Feinde von einander ſonderte/ und ieden
in ſein Laͤger zu kehren zwang; alſo: daß ſich
kein Theil mit Warheit eines Sieges ruͤhmen
konte/ beyde aber wol den verlohrnen Kern ih-
res Volckes zu betrauren/ und nur die hoͤlliſchen
Geiſter uͤber ihrer Mordſtifftung ſich zu er-
freuen hatten. Camillus zohe hierauff nach
Rom/ die Deutſchen aber erfriſchten ſich in A-
pulien; und machte dieſe geſchehene Pruͤfung
beyderſeitiger Kraͤfften zwiſchen ihnen einen
ſtillſchweigenden Stilleſtand; welchen die Roͤ-
mer hernach mit vielen Geſchencken und Liebko-
ſungen unterhielten; wormit ſie bey dieſer Ein-
ſchlaͤffung die Samniter und Lateiner unter ihre
Botmaͤßigkeit bringen konten. Dieſe Ruhe un-
terhielte von ſeiten der Deutſchen auch theils die
zwiſchen denen Semnonern/ Bojen und andern
uͤber die Alpen geſtiegenen Voͤlckern erwach-
ſende Unruh/ theils daß den ſtreitbaren Hertzog
Lud-
[760[762]]Sechſtes Buch
Ludwig der friedliebende Alarich folgte/ welcher
mehr mit guten Geſetzen ſeine Herrſchafft zu
befeſtigen/ als ſie mit dem Degen zu erweitern
trachtete. Alſo endern auch die Voͤlcker/ wie
die Gewaͤchſe unter einem andern Himmel ihre
erſte Eigenſchafften.
Unterdeſſen bewegte ſich ein neuer Schwarm
der um den Berg Abnoba und den Brunnen
der Donau wohnenden Allemaͤnner unter dem
Hertzoge Arnolff; gieng nach dem Beyſpiele der
Marſinger und Oſier in Pannonien/ und brei-
teten ſich von dar biß an den innerſten Seebu-
ſem des Adriatiſchen und Jllyriſchen Meeres/
die Marſinger und Oſier aber biß uͤber den Fluß
Mariſus aus; alſo: daß der um den Strom Ty-
ras wohnende Sarmatiſche Koͤnig Athea wi-
der ſie den Macedoniſchen Koͤnig Philip zu
Huͤlffe beruffte. Die Deutſchen erinnerten ſich
ihrer alten mit den Sarmatern gepflogenen
Freundſchafft und Buͤndnuͤſſe. Sintemahl
ſchon zur Zeit des zu Troja herſchenden Jlus
der Deutſche Koͤnig Galathes und Gothard
mit der Sarmater Koͤnige Lauthim wider den
Darius Hiſtaſpides zuſammen gekrieget/ und
dieſen/ weil er ſich die uͤberſchickte Mauß/
Froſch und Pfeile nicht zuruͤcke halten ließ/ mit
Verluſt 90000. ſtreitbarer Maͤnner wieder uͤ-
ber den Jſter getrieben/ hernach aber nach ge-
troffenem Frieden dem Xerxes unter ſeinem
Bruder Ariomard wider die Griechen gedienet
hatten. Daher ſie denn auch dißmal den Sar-
matern wider den herrſchſuͤchtigen Philip bey-
zuſpringen fuͤr recht und ruͤhmlich hielten; wel-
cher nach aufgehobener Belaͤgerung der Stadt
Byzanz von dem Koͤnige Athea unter dem hei-
ligen Scheine: daß er an dem Jſter dem Hercu-
les eine gelobte Saͤule aufrichten wolte/ uͤber die-
ſen Strom zu ſetzen/ Erlaubnuͤß bekam/ die ein-
faͤltigen Sarmater aber uͤberfiel/ und groſſe
Beute machte. Bey Ankunfft der Deutſchen
aber muſte Philip nur weichen/ und ſeiner vor-
angeſchickten Beute nach ziemlichem Verluſte
folgen; ja als die Deutſchen ſich mit denen Tri-
ballen vereinbarten/ ihnen die Beute gar im
Stiche laſſen/ und nach empfangener gefaͤhrli-
chen Wunde die Flucht ergreiffen. Weil nun
dieſer der Deutſchen Tapfferkeit genungſam ge-
pruͤfet hatte/ hielt er fuͤr rathſamer ſie zu Ge-
huͤlffen in ſein Schiff zu nehmen/ als es an die-
ſen Klippen zu zerſtoſſen. Daher er denn ihrer
ſich in dem Kriege wider Athen fruchtbarlich be-
diente/ und derer inſonderheit damals/ als er zu
Corinth von gantz Griechenland zum Feldherrn
wider die Perſen erkieſet ward/ 10000. in Be-
ſtallung nahm. Nach dem aber Philip hieruͤ-
ber getoͤdtet war/ und ſein Sohn der groſſe Ale-
xander nicht nur die Thracier/ Jllyrier/ Tri-
baller und Peonier uͤberwand; ſondern auch uͤ-
ber den Jſter ſetzte/ und wider den Syrmus den
Koͤnig der Geten/ welche vorzeiten Hertzog
Berich und Philomar aus dem mitternaͤchtigen
Deutſchlande an den Jſter und Tibiſcus gefuͤh-
ret haben ſollen/ zohen die Deutſchen die Hand
ab/ und ſperrten die Augen gegen dieſen Sie-
gen weit auf; ſchickten alſo die Allemaͤnner/
Marſinger und Oſier Geſandten an Alexan-
der/ welche ihn von Bekriegung ihrer Ver-
wandten und Bunds genoſſen der Geten ab-
mahnten/ ihm auch rund heraus andeuteten:
daß ſie ſeine Herrſchafft ſich uͤber den Jſter und
die Sau zu erweitern gar nicht entraͤumen koͤn-
ten. Alexander verwunderte ſich nichts min-
der uͤber ihrer Freyheit der Gemuͤther/ als uͤber
den Kraͤfften ihrer Leiber; fragte daher die Ge-
ſandten: fuͤr was ſich die Deutſchen am meiſten
fuͤrchteten? An ſtatt der verhofften Erklaͤrung:
daß ſie die Macedoniſche Macht anziehen wuͤr-
den/ kriegte er von ihnen zur Antwort: Jn den
Hertzen der Deutſchen haͤtte keine Furcht raum.
Solten ſie aber ja fuͤr etwas Sorge tragen/ koͤn-
te es nichts anders ſeyn/ als daß der Himmel ih-
nen auf den Hals fiele. Sonſt aber unterhiel-
ten ſie mit hertzhafften Leuten gerne Freund-
ſchafft. So wil denn auch ich/ verſetzte Alexan-
der/
[761[763]]Arminius und Thußnelda.
der/ ſolche mit euch befeſtigen/ euch zu Liebe noch
heute des Syrmus Gebiete raͤumen/ und zwi-
ſchen uns den Jſter das Graͤntzmahl bleiben laſ-
ſen. Hierdurch erhielt er: daß nicht allein die vo-
rigen Deutſchen unter ſeinem Heere blieben/ uñ
denen Jllyriſchen Koͤnigen Clitus und Glauci-
as wider ihn keinen Beyſtand leiſteten/ ſondern
auch etliche tauſend ſich unter ihm in den Per-
ſiſchen Krieg beſtellen lieſſen/ welche ein nicht ge-
ringer Werzeug ſeiner unglaublichen Siege
waren. Wie nun Alexander als ein Blitz gantz
Perſien unter ſeine Fuͤſſe gelegt hatte/ kuͤtzelte
die Ehꝛſucht auch ſeinen in Pontus und in Thra-
eien hinterlaſſenen Stadthalter Zapyrion: daß
er mit dreißig tauſend Macedoniern und Thra-
ciern/ nebſt einer groſſen Menge Moͤſiſcher
Huͤlffs-Voͤlcker uͤber den Jſter ſetzte/ und alſo
auch gegen Nord das Macedoniſche Reich zu
erweitern trachtete. Aber Zapyrion erfuhr zeit-
lich wie wahr der Epiriſche Koͤnig Alexander ge-
urtheilet: daß in Europa Maͤñer/ in Aſien Wei-
ber wohnten. Sintemal die Geten und Deut-
ſchen ihn mit ſeinem Heere umringten und er-
ſchlugen: daß nicht einer davon die Zeitung uͤber
den Jſter brachte. Nachdem aber Alexander
die Welt biß an den Ganges bemeiſtert hatte/
und alle Voͤlcker entweder aus Furcht oder aus
Heucheley ihn mit Geſandſchafften ehrten/ hieltẽ
auch die Deutſchen/ mit welchen der Landvogt in
Macedonien Antipater inzwiſchen Friede ge-
macht hatte/ es ihnen anſtaͤndig zu ſeyn/ durch ei-
ne Botſchafft ihr altes Buͤndnis zu verneuern.
Die deutſchen Geſandten/ nehmlich der Ritter
Roſenberg und Sternberg zohen biß nach Ba-
bylon/ allwo der aus Jndien ſiegprangend zu-
ruͤckkommende Alexander aller Voͤlcker Both-
ſchaffter ſeiner zu warten befohlen hatte. Unge-
achtet nun die Chaldeer ihn die Stadt Babylon/
wie andere Wahrſager dem Epiriſchen Alexan-
der den Fluß Acheron/ als das Ziel ſeines Lebens
zu meiden/ beweglich warnigten/ hielte er doch
das einige groſſe Babylon ſeiner Groͤſſe uñ dem
Gepraͤnge ſo viel Bothſchaffter zu empfangẽ ge-
maͤß zu ſeyn/ zohe alſo/ ungeachtet er ſchon uͤber
den Phrat kom̃en war/ auf des weiſen Anachar-
chus Einrathen nach Babylon zuruͤcke. Jn die-
ſer Stadt oder vielmehr kleinen Welt waren
von mehr als fuͤnff hundert gekroͤnten Haͤuptern
Botſchaffter verhanden; welche bey verlauteter
Ankunfft des groſſen Alexanders ſich mit unbe-
ſchreiblichem Pracht/ inſonderheit die Jndiani-
ſchen und Africaniſchen mit unſchaͤtzbaren Per-
len und Edelgeſteinen ſich ausgeputzt/ und mit
Beyfuͤhrung unzehlbarer Elephanten/ Naſen-
horn-Thiere/ Kamelen und Mauleſeln ausge-
ruͤſtet hatten. Sie eilten meiſt fuͤr der Zeit aus
Babylon/ und wolte ein ieder den Vorzug ha-
ben. Der Deutſchen Auffzug war mehr maͤnn-
lich/ als wolluͤſtig/ iedoch auch nicht heßlich. Die
faſt alle andere uͤberragende Laͤnge/ die wohl ab-
getheilten Glieder/ die weiſſen Antlitzer/ und
Haarlocken der zweyen deutſchen Bothſchaff-
ter und ihrer hundert Edelleute aber nahm al-
len andern gefirnſten Zierꝛathen bey weitem den
Preiß weg/ alſo: daß ſie aller Zuſchauer Augen
an ſich zohen/ welche gleichſam wie Mauern die
Straſſen der Stadt und der Felder beſetzten.
Es iſt wahr/ fing die Koͤnigin Erato an: die
weiſſe iſt die vollkom̃enſte unter den Farben/ und
daher die Deutſchen auch die ſchoͤnſten unter allẽ
Voͤlckern. Daher wuͤrde ich mich zu Babylon
nicht ſehr nach den ſchwartzen Jndianern und
Africanern/ noch auch nach den gelben Aſiatern
umgeſehen haben. Die Fuͤrſtin Jſmene verſetz-
te: Sie ſehe wol: daß die Koͤnigin noch nicht mit
ihnen zu ſchertzen/ und ihnen den Ruhm der
ſchwartzen Farbe abzunoͤthigen vergeſſen koͤn-
te. Die Natur antwortete Erato/ waͤre die
Rednerin fuͤr ſie/ welche nur weiße Perlen/ lich-
te Sternen/ ja nichts merckwuͤrdiges ſchwartzes
geſchaffen haͤtte. Je mehr auch ein Leib lichtes
an ſich haͤtte/ ie mehr waͤre ſein Weſen von Un-
ſauberkeit gereiniget/ welche der Anfang der
Finſterniß/ dieſe aber eine Vertilgung der
Erſter Theil. D d d d dSchoͤn-
[762[764]]Sechſtes Buch
Schoͤnheit/ oder die Heßligkeit ſelbſt waͤre. Die
weiſſe Farbe waͤre nichts anders als ein Glantz
des reinen Gebluͤtes und des Geiſtes/ und das
Licht nichts anders als eine thaͤtige Weiſſe. Ja
die Goͤtter ſelbſt koͤnten nicht ſchwartz ſeyn; und
daheꝛ koͤnten die welche die Faꝛbe der Perlen oder
Sternen und des heiteren Himmels an ſich haͤt-
ten/ ſich mit gutem Fug ruͤhmen: daß ſie den
Goͤttern aͤhnlicher als ſchwartze Leute waͤren.
Thußnelde war bereit geſchickt der Koͤnigin zu
begegnen; als Zeno ihr mit Fleiß vorkam und
ſagte: Die Schoͤnheit ſtuͤnde zwar allen Men-
ſchen wohl an/ aber niemanden beſſer als Fuͤr-
ſten und Geſandten; als welche durch ihre ge-
heime Zauberey die Gemuͤther der Menſchen
zu gewinnen am meiſten vonnoͤthen haͤtten.
Daher die Serer/ welche aus der Schoͤnheit
gleichſam einen Abgott machen/ noch auch die
Voͤlcker/ die den Schoͤnſten zum Koͤnige erweh-
len/ ſo wenig als die Spartaner fuͤr Thoren zu
halten waͤren/ welche ihren Koͤnig Archidamus
verhoͤneten/ weil er ihm eine Zwergin heyrathe-
te. Und die Hiſpanier haͤtten kein verwerffli-
ches Geſetze; daß ihre Koͤnige ſchoͤne Gemah-
linnen ehlichen ſolten. Die anſehnliche Ge-
ſtalt des Marius/ und die Anmuth des Kaͤyſers
Auguſtus haͤtte zweyen ſie zu toͤdten ſchon im
Wercke begriffenen Moͤrdern Arm und Stꝛeich
zuruͤcke gezogen. Hingegen waͤre die Verach-
tung der unabtrennliche Nachfolger der Heß-
ligkeit; und waͤre einsmahls ein nur mit einem
Auge ſehender Geſandter bey Hofe gefragt
worden: Ob er von denen einaͤugichten Cyclo-
pen geſchickt waͤre? Und der ſonſt zum Schertz
ungeneigte Cato haͤtte von denen Bithyniſchen
abgefertigten Geſandten/ derer einer den
Schwindel/ der ander die Gicht/ der dritte we-
nig Witz gehabt/ geurtheilt: daß die Roͤmiſche
Botſchafft weder Haupt/ noch Fuͤße noch Hertz
haͤtte. Wiewohl auch der Agrigentiſche Geſand-
te Gellias/ als die Centuripiner ihn als ein Un-
geheuer zu hoͤren nicht wuͤrdigten; ihnen ſpitz-
finnig begegnete: daß ſeine Oberen zu ſchoͤnen
ſchoͤne/ zu heßlichen heßliche Geſandten ſchick-
ten; ſo vergnuͤgte er zwar durch dieſe Rache ſeine
Empfindligkeit/ aber nicht in der Verrichtung
ſeine Buͤr ger.
Adgandeſter verfiel in ſeine Erzehlung/ und
ſagte von ſeinen deutſchen Bothſchafftern: Jhre
Verrichtung haͤtte ihrer Geſtalt nichts zuvor-
gegeben. Denn als alle Geſandten an den
Fluß Phrat kamen/ uͤber welchem Alexander in
tauſend von Golde ſchimmernden Zelten/ ſo
wohl der Bothſchafften/ als anderer zu ſeinem
Einzuge verordneten Anſtalten erwarte; wolte
keiner dem andern weichen; indem die Scythen
ihr Alterthum/ die Serer ihre Macht/ die Car-
thaginenſer ihre Reichthuͤmer/ die Jndianer ih-
re Buͤndniſſe/ die Epiriſchen ihre Anverwand-
niß/ die Sarmater ihre Tapfferkeit/ andere was
anders vorſchuͤtzten; alſo: daß es beynahe zu den
Waffen kommen waͤre/ wenn nicht Perdiccas
darzu kommen/ und denen Bothſchafften ihre
Reyhe angedeutet haͤtte. Weil nun die Deut-
ſchen vernahmen: daß die Serer die erſten/ die
Jndianer die andern/ die Scythen die dritten/
die Deutſchen die vierdten ſeyn ſolten; und die
verhandenen Schiffe zur Uberfarth der Serer
beſtellt wurden; fing der Ritter Roſenberg an:
es iſt niemand an Treue und Tapfferkeit uͤber
die Deutſchen; und ſie wiſſen von keinem Vor-
zuge/ als den man ihnen mit dem Degen macht.
Hiermit ſprengte er Spornſtreichs in den
Strom/ ihm folgte Ritter Sternberg und alle
ihre Edelleute; welche zu vieler tauſend Men-
ſchen hoͤchſten Verwunderung alle gluͤckſelig
durchſchwemmeten/ und alſo allen Geſandten
den Ruhm ablieffen; von dem ſolches anſchau-
enden Alexander auch uͤberaus geneigt empfan-
gen/ und hernach bey dem Einzuge unmittelbar
fuͤr ihm zu reiten gewuͤrdigt wurden. Die Sar-
mater folgten dem Beyſpiele der Deutſchen/
und jener die Scythen; ſo denn folgten allererſt
der andern Voͤlcker Geſandten auff den Schif-
fen
[763[765]]Arminius und Thußnelda.
fen nach. Rhemetalces brach ein: dieſer Deut-
ſchen Entſchluͤſſung uͤberſtiege allen Ruhm.
Sintemahl es gewiß in ſolchen Faͤllen/ da man
einem Geſandten/ und ſeinem durch ihn vorge-
bildeten Fuͤrſten etwas verkleinerliches zumu-
thete/ Witz und Tapfferkeit erforderte/ ſeinem
Fuͤrſten nichts vergeben/ und gleichwohl den/ zu
dem man geſchickt wuͤꝛde/ nicht beleidigen. Denn
der Vorzug iſt ein Augapffel der Fuͤrſten; wel-
chen ſie mit groͤſſerer Empfindligkeit beruͤhren/
als ihnen ſonſt groſſen Schaden zufuͤgen laſſen.
Daher haͤtte Arſaces ſeinen Geſandten Oroba-
zes enthaupten laſſen/ weil er dem Sylla gewi-
chen/ und der Rath zu Athen den Derogoras har-
te geſtrafft/ weil er den Perſiſchen Koͤnig wider
ihre alte Art verehret. Es waͤre zwar eine gemei-
ne Art ſich der Zuſammenkuͤnffte zu enteuſſern/
wo man in Gefahr ſtuͤnde nicht ſeine gebuͤhren-
de Ehre zu genuͤſſen; zuweilen wuͤrde auch die
Oberſtelle durch Gewalt behauptet; und waͤren
wohl ehe der Britannier und Gallier Geſand-
ten von ihren eingenommenen Stuͤhlen geſtoſ-
ſen worden; aber jenes hielte ſchon ſelbſt ein eige-
nes Mißtrauen/ und ein halbes Nachgeben in
ſich; und diß waͤre nicht nur eine Verſehrung
der Hoͤffligkeit/ ſondern auch offt ein Zunder
ſchrecklicher Kriege. Zuweilen pfleget man
ſich auch wohl dem ungewiſſen Looße zu unter-
werffen; nach welchem Antonius/ Auguſt/ Lepi-
dus und Pompejus nach Abredung ihres Buͤnd-
nuͤßes ihre Stellen nahmen; oder man erkieſet
zum Sitz runde Taffeln/ miſſet gegen einander
die Tritte ab/ redet zuſammen einander begeg-
gnende; ſucht den andern/ wenn er zu Bette liegt/
heim; giebt ſtehende Verhoͤr: daß auch der an-
dere nicht ſitzen doͤrffe. Allein diß alles ſind
Kuͤnſte nichts zu vergeben/ aber auch nichts zu
gewinnen. Daher denn die Roͤmiſchen Ge-
ſandten in dem Etoliſchen Reichs-Tage viel kluͤ-
ger thaten: daß als ſie fuͤr dem Macedoniſchen
Geſandten nicht zur Verhoͤr kommen konten/
ſie auch denen geringern Athenienſern freywil-
lig den Vorzug lieſſen; und dardurch den Vor-
theil der vorhergehenden Gruͤnde zu wiederle-
gen erlangten; und doch vorſchuͤtzten: daß bey
den Roͤmern der/ welcher zuletzt ginge und re-
dete/ der Vornehmſte waͤre. Des Koͤnigs Per-
ſeus verſchmitzter Diener Philip machte durch
einen annehmlichen Schertz: daß Perſeus ohne
Verkleinerung zu dem Roͤmiſchen Buͤrgermei-
ſter Qvintilius als einem Aelteren uͤber die Bach
zur Unterredung kommen konte. Eben ſo ver-
ſchmitzt machte es der Thebaniſche Geſandte
Jſmenias; welchem der Perſiſche Koͤnig ohne
Beugung ſeines Hauptes zur Erde keine Ver-
hoͤr geben wolte; da er beym Eintritte mit Fleiß
ſeinen Ring fallen ließ/ und ihm alſo Urſache den
Ring auff zuheben machte/ gleichwohl aber den
Verhoͤrgeber vergnuͤgte. Ein Perſiſcher Both-
ſchaffter aber/ welcher durch eine mit Fleiß ernie-
drigte Pforte zu dem Jndianiſchen Koͤnige ein-
geleitet ward/ erhielt ruͤckwerts hineingehen-
de das Anſehen ſeines maͤchtigen Herrſchers.
Und des Deutſchen Feldherrn Marcomirs
Bothſchaffter/ als der Scythiſche Koͤnig ihm in
dem Verhoͤr-Saale keinen Sitz-Teppicht auf-
breiten laſſen/ machte aus ſeinem Mantel einen
Sitz/ und aus der Noth eine Tugend.
Adgandeſter fuhre fort: Es waͤre darbey nicht
blieben/ ſondern als die Botſchaffter hernach bey
dem Einzuge Alexanders abermahls mit ein-
ander zwiſtig wurden/ und inſonderheit die
ſich eindringenden Serer und Jndianer ver-
lauten lieſſen: Sie wolten die wenigen Deut-
ſchen in Stuͤcken hauen; zohen dieſe augen-
blicks von Leder/ und der Geſandte Roſen-
berg ſagte ihnen unter Augen: Sie wuͤſten
vielleicht nicht: daß der in dem Amaſiſchen
Gebuͤrge wachſende Stahl zwar der ſchoͤnſte/
und am Glantze bey nahe dem Golde und Sil-
ber gleich/ der Hercyn- und Abrobiſche aber
in Deutſchland der ſchaͤrffſte waͤre/ und der
Deutſchen Bruͤſte die Haͤrtigkeit der Amboße/
ihre Streit-Haͤmmer aber die Eigenſchafft
D d d d d 2der
[764[766]]Sechſtes Buch
der alles zermalmenden Muͤhl-Steine haͤt-
ten. Alſo waͤren ſie fertig ihre Klingen ge-
geneinander zu verſuchen. Aber Alexander lies
diß Unvernehmen unterbrechen/ und verfuͤgen:
daß der Vorzug im Einzuge nach der Ordnung
der geſchehenẽ Empfangungen eingerichtet wer-
den ſolte. Zeno bezeugte ein ſonderbares Ver-
gnuͤgen uͤber der Deutſchen ſo fertiger Ent-
ſchluͤſſung/ und ſo ſtachlichter Antwort; als
durch welche er ſeinem hochmuͤthigen Gegen-
theil ſo gut/ wo nicht beſſer begegnet waͤre/ als
der Parthiſche Geſandte Vagiſes dem Craſ-
ſus/ da dieſer jenen zu Selevcia zu beantwor-
ten beſcheidete/ jener aber mit Lachen ihm den
Hand-Teller wieß/ und verſetzte: Es wuͤrden
auff ſelbtem ehe Haare wachſen/ als ſeine Au-
gen Selevcia ſehen. Und als der Tauromi-
niſche Fuͤrſt Andromachus/ fuͤr welchem der
Carthaginenſiſche Geſandte die Hand umdre-
hete/ und andeutete: Wuͤrde er nicht aus
ihrem Gewaͤſſer die Corinthiſche Schiffs-
Flotte abziehen/ wolten ſie Tauromin/ wie er
ſeine Hand zu oberſte zu unterſte drehen; wor-
auff Andromachus mit der Hand gleiche Ge-
berdung machte und dem Geſandten ſagte:
Er ſolte bey Sonnen-Schein von dar weg/
oder er wolte es ſeinem Schiffe auff dieſe Art
mitſpielen. Adgandeſter kam wieder in ſei-
ne Erzehlung/ und meldete: daß die Deut-
ſchen beym Alexander von Tage zu Tage im-
mer in groͤſſer Anſehen kommen; und die erſten
geweſt waͤren/ mit welchen er das Buͤndniß
verneuert haͤtte. Sie hingegen gewannen
Alexandern ſo lieb: daß ſie ſeinen kurtz darauf
folgenden Tod zwar nicht ſo weibiſch/ als die
Perſen beweineten/ aber ſein Gedaͤchtniß wer-
ther/ als ſeine Macedonier hielten. Denn
dieſe konten den meineydigen Caſſander/ welcher
Alexandern bey Aufffriſchung ſeines Tran-
ckes alles auſſer Pferde-Huff zerbeitzendes
Gifft einſchenckte/ und ſeines wohlthaͤtigen
Koͤnigs gantzes Geſchlechte ausrottete/ zu ih-
rem Koͤnige; jene aber nicht wohl zu ihrem
Nachbar leiden. Dahero ſie mit einem Kriegs-
Heere uͤber die Donau ſetzten/ um des Ale-
xanders Sohn Hercules mit Huͤlffe des Po-
lyperchon auff den Macedoniſchen Stul zu er-
heben. Weſtwegen auch Caſſander ſein ei-
gen Feuer zu leſchen gezwungen/ und zu fol-
ge des mit dem Ptolomeus in Egypten und
Lyſimachus in Thracien getroffenen Buͤnd-
niſſes wider den Antigonus auffzuziehen ver-
hindert ward. Haͤtte auch Polyperchon
ſich nicht vom Caſſander beſtechen/ und den
Hercules Meuchelmoͤrderiſch hinrichten laſ-
ſen; wuͤrde Caſſandern ſeine Krone auff dem
Haͤupte gewaltig gewackelt haben. Gleich-
wohl aber war er den Deutſchen und der mit
ihnen verbundenen Koͤnige der Sarmater Dro-
michetes nicht gewachſen; ſondern es muſte
ihm Lyſimachus mit allen ſeinen Kraͤfften zu
Huͤlffe kommen/ welcher aber auffs Haupt
geſchlagen/ ſelbſt gefangen/ aber/ als die Deut-
ſchen nur des Caſſanders Tod vernahmen/ von
ihnen ſeiner Tapfferkeit halber ohne Loͤſe-Geld
großmuͤthig freygegeben ward.
Alſo beginnte in Griechenland den Deut-
ſchen ihr Gluͤcks-Stern auff-in Jtalien a-
ber/ weil das Verhaͤngniß Rom nunmehr em-
por zu heben anfing/ allgemach nieder zu ge-
hen. Denn es kriegten die Semnoner etliche
friedliebende Fuͤrſten zu ihren Herrſchern/ wel-
che zwar anfangs von ihrem kriegeriſchen Vol-
cke denen von Rom bedraͤngten Voͤlckern zu ſte-
hen gleichſam gezwungen wurden; Hernach a-
ber nam das Volck auch die Art ihrer Fuͤrſten
an/ die der ſuͤſſen Ruh gewohnten/ und ſich die
Liebkoſungen der Roͤmer einſchlaͤffen lieſſen/ und
als ſie die tapfferen Samniter verſchlungen/
nichts mindeꝛ blinde Zuſchaueꝛ ihres eigenen/ als
unbarmhertzige fremden Unterganges abga-
ben. Jedoch gaben die Semnoner/ wie die aus-
leſchen-
[765[767]]Arminius und Thußnelda.
leſchenden alten Lichter in den eroͤffneten Grabe-
Hoͤlen noch einen Glantz ihrer Tapferkeit von
ſich; und fielen wie die durch ihren Fall viel
Stauden zerſchmetternden Eich-Baͤume. Wie
aber dieſe von innen zum erſten faulen/ oder von
Wuͤrmern gefreſſen werdẽ; alſo begiñte auch der
Deutſchen Ungluͤck von ihrer eigenen Zwy-
tracht/ als welche ſich allein eine Beſigerin ſtreit-
barer Voͤlcker zu ruͤhmen hat. Der Anfang
aber hierzu war: daß/ als Siegfried der Semno-
ner Herrſchafft antrat/ ein neuer Schwarm
Voͤlcker/ welches groͤſten theils die von den Bru-
cterern vertriebenen Marſen waren/ in Jtalien
eindrang; woruͤber die umb den Po wohnenden
Gallier aus Beyſorge: ſie wuͤrden von Deut-
ſchen endlich gar verdrungen werden/ nicht we-
nig Eiferſucht ſchoͤpften/ und mit den Roͤmern
ius geheim Verſtaͤndnuͤß machten. Gleich-
wohl aber vermittelte es Hertzog Siegfried: daß
die Marſen ſich mit verlaubtem freyen Durch-
zuge der Bojen und Gallier vergnuͤgten. Al-
ſo kamen dieſe in Hetrurien/ und von dar ruͤck-
ten ſie uͤber die Tiber. Weil auch die Roͤmer
ſonſt alle Haͤnde voll zu thun hatten/ muſten ſie
geſchehen laſſen: daß ſie umb den Fuciniſchen
See in dem Apenniniſchen Gebuͤrge ein Stuͤ-
cke Landes einnahmen. Gantz Hetruriens
Raub ward faſt ihnen zur Beute; aber ſo
wohl die Gallier als Semnoner ſchoͤpften hier-
aus Neid und Mißtrauen; iedoch blieb der
Zunder der Mißgunſt und Feindſchafft noch
unter der Aſche glimmend. Wenige Zeit dar-
nach ward Herennius der Samniter Fuͤrſt/ deſ-
ſen Tochter Siegfried geheyrathet hatte/ mit den
Campaniern und Marſen uneines. Die Cam-
panier aber erkaufften mit groſſem Gelde die
Roͤmer: daß ſie mit den Samnitern ohne einige
Urſache den Frieden brachen. Wiewohl nun
Siegfried ſich ins Mittel ſchlug/ und den Roͤ-
mern einhielt: daß es nicht allein verkleinerlich
waͤre aus dem Kriege ein Gewerbe zu machen/
ſondern auch ihr Friedens-Bruch wider die ge-
meine Ruh Jtaliens lieffe/ ſich auch erboth die
Samniter mit den Campaniern und Marſen
zu vereinbarn; verfing doch bey denen Roͤmern/
welche wider die Samniter fuͤr laͤngſt Gelegen-
heit zu kriegen geſucht/ dieſes alles das minſte.
Dieſemnach fuͤhrte Pontius des Fuͤrſten He-
rennius Sohn die Samniter; Siegfried aber
wegẽ veraͤchtlich ausgeſchlagener Vermittelung
ſeine Semnoner den Roͤmiſchen Buͤrgermei-
ſtern Veturius und Poſthumius/ welche mit
dem Roͤmiſchen Heere bey der Stadt Calatia
ihr Laͤger geſchlagen hatten/ biß zu der Stadt
Caudium entgegen/ und beſetzten daſelbſt aufs
heimlichſte die zwey Engen des Caudiniſchen
Gebuͤrges. Von dar vertheilten ſie zehn in
Pferde-Hirten verkleidete Kriegs-Knechte/ wel-
che denen Roͤmiſchen Streiff-Rotten einmuͤthig
berichteten: daß der Feind zwiſchen den Fluͤſſen
Cerbalus und Frento die Stadt Luceria in Apu-
liẽ ſtarck belaͤgerte. Die Roͤmer ſetzten noch ſelbi-
ge Nacht uͤber den Fluß Vulturnus/ und eilten
den geraden Weg gegen Luceria mit ihrem gan-
tzen Heere unvorſichtig in das erſtere Thor in
das Caudiniſche Gebuͤrge/ deſſen Ausgang ſie
aber mit Baͤumen verhauen/ mit abgeweltzten
Stein-Felſen verſchloſſen/ und als ſie wieder zu-
ruͤck kehren wolten/ den erſten Eingang von
den Semnonern ſtarck beſetzt/ und ſchon auch
groͤſten theils verhauen fandẽ. Nach dem ſie nun
aus dieſem Gefaͤngnuͤſſe durch keine Gewalt
weder hinter ſich noch vor ſich konten/ muſte das
gantze Roͤmiſche Heer auf Befehl des Pontius/
wiewohl Siegfried und Herennius ſie ohne ſol-
chen Schimpf loß zu laſſen/ oder gar zu toͤdten
rieth/ die Waffen und Kleider niederlegen/ und
nach der Ordnung ihrer Wuͤrde/ alſo die Buͤr-
germeiſter zum erſten halbnackt unter einem Jo-
che durchgehen/ und einen Frieden belieben/ wir
es ihnen fuͤrgeſchrieben ward. Alleine wie die
Roͤmer das ihnen geſchenckte Leben fuͤr keine
Wohlthat/ den angethanen Schimpf fuͤr eine
Urſache der Todfeindſchafft annahmen/ alſo
D d d d d 3wolte
[766[768]]Sechſtes Buch
wolte der Roͤmiſche Rath den gemachten Frieden
nicht genehm haben; ſondern die Buͤrgermeiſter
wurden zuruͤck geſchickt/ die ſechs hundert zur
Geiſſel gelaſſene Roͤmiſche Edelleute in Wind
geſchlagen/ unter dem Papirius ein neues
Heer/ und darunter die durchs Joch gegangenen
als verzweifelte und raſende Leute wider die
Samniter angefuͤhret; welche/ weil ſie der
Semnoner Huͤlffe nicht erwarten wolten/ ge-
ſchlagen/ Pontius und andere Gefangene aus
gleichmaͤſſiger Rache ebenfalls durchs Joch ge-
trieben wurden. Dieſe Unbilligkeit/ und des
Fabius Maximus durch den Ciminiſchen Wald
in Hetrurien gemachte Einfall nebſt Abziehung
der Stadt Aretium von dem gemeinen Buͤnd-
nuͤſſe ſtiftete zwiſchen den Semnonern/ Samni-
tern/ und Hetruriern ein neues Buͤndnuͤß; und
die Belaͤgerung der Stadt Aretium. Ob nun
wohl die Roͤmer ſolche entſetzen wolten/ wurden
ſie doch aufs Haupt/ und der Burgermeiſter Lu-
cius zugleich mit erſchlagen. Dieſer Sieg aber
ward den Samnitern kurtz darauf durch etliche
Niederlagen/ welche ſie von dem Buͤrgermeiſter
Volumnius und Appius erlitten/ mercklich
vergaͤllet. Weswegen der Samnitiſche Fuͤrſt
Gellius Egnatius abermals zu den Hetruriern
und Semnonern ſeine Zuflucht nahm; jenen die
Helden-Thaten des Porſena/ dieſen des Bren-
nus/ beyden die Gefahr unter das Roͤmiſche
Joch zu fallen beweglich einhielt. Weil nun
die zwiſchen Stahl und Waffen gebohrnen Se-
mnoner die Hetrurier ſelbſt aufmunterten/
brachten ſie dieſe/ wie auch die uͤber dem Fluſſe
Aeſts wohnenden Umbrier wider die Roͤmer in
Harniſch. Zu Rom ward nicht nur alle ſtreit-
bare Jugend und Mannſchafft/ ſondern auch
die verlebten Alten gemuſtert; die zwey Buͤr-
germeiſter Quintus Fabius/ Publius Decius/
wie auch der Stadt-Vogt Appius Claudius
und Lueius Volumnius zu Heerfuͤhrern erkie-
ſet. Ehe dieſe aber Hetrurien erreichten/
kam Hertzog Clodomar mit ſeinen Semnonern
dem Scipio bey Cluſium auf den Fluß/ und
jagte ihm ein ſolch Schrecken ein: daß er ſich im
befeſtigten Laͤger nicht ſicher ſchaͤtzte/ ſondern in
der Nacht auf einen zwiſchen der Stadt und
dem Laͤger liegenden Berg zoh. Weil aber
die Deutſchen ihnen und der Tugend keinen
Weg unwegbar zu ſeyn hielten/ grieffen ſie die
Roͤmer an dem flaͤcheſten Theile des Berges
behertzt an/ und hielt von Seiten der Roͤmer der
vortheilhafte Ort/ von Seiten der Deutſchen
die Begierde zu ſiegen die Schlacht ſo lange in
gleicher Wage; biß der Ritter Kyburg mit 500.
Semnonern auf der einen Seiten/ und der
Ritter Homberg mit ſo vielen recht in Ruͤcken
uͤber dieẽ ſteilen Felſen empor geſtiegen waren;
und die Roͤmer daſelbſt gantz unvermuthet an-
fielen. Scipio thaͤt zwar das aͤuſerſte; aber
der Nachdruck der Semnoner verwirrete alle
gute Anſtalt/ urd hiermit auch ſein Heer/ welches/
weil ſelbtem auf dem Berge alle Flucht abge-
ſchnitten ward/ eine ſolche Niederlage erlitt:
daß kein Roͤmer die Botſchafft hiervon bringen
konte. Unterdeſſen eilten die zwey Buͤrger-
meiſter Decius und Fabius in Umbrien/ und
brachen in der Semnoner eigenes Gebiete ein/
wormit dieſe ihr eigen Feuer zu leſchen genoͤthigt/
und die Roͤmer nicht gar aus Hetrurien zu trei-
ben verhindert wuͤrden. Die Semnoner ruͤck-
ten mit einem Theile der Samniter alſofort uͤber
den Berg Apennin; und bothen den Roͤmern
bey der Stadt Sentin die Stirne/ trieben auch
alle ihnen begegnende Hauffen mit groſſem
Verluſt in das am Fluſſe Aeſis geſchlagene Laͤ-
ger; darinnen ſie ſich zwey Tage wegen widri-
ger Wahrſagungen feſte eingeſchloſſen hielten.
Den dritten Tag aber ſtellten ſie mit der erſten
Tagung beyde Heere gegen einander in
Schlacht-Ordnung; zwiſchen welcheꝛ ein Wolf
und eine Hindin in vollen Buͤgen gerennt kam.
Die Roͤmer machten dem Wolfe als einem bey
ihnen heiligen Thiere durch alle geſchloſſene
Glieder Platz/ die Samniter aber erlegten zu
groſſem
[767[769]]Arminius und Thußnelda.
groſſem Unwillen des Fuͤrſten Clodomar die
Hindin mit Pfeilen; welcher es nicht minder
fuͤr ein Boͤſes/ wie Fabius fuͤr ein gutes Zeichen
auslegte. Clodomar traf mit ſeinem rechten
Fluͤgel der Semnoner auf den Decius/ Egna-
tius mit ſeinen Samnitern auf den Fabius.
Den gantzen Tag biß an den ſinckenden Abend
ward beyderſeits mit einer ſolchen Hartnaͤckig-
keit gefochten: daß keiner dem andern einen
Fuß breit Erde abgewan. Wenn nun die
Hetrurier und Umbrier dem Verlaß nach ge-
folgt/ und den Feind oder ſein Laͤger im Ruͤcken
angegriffen haͤtten/ waͤren die Roͤmer ſonder
Zweifel aufs Haupt erlegt worden. Aber es
ging allhier wie insgemein im Kriege vieler
Bundsgenoſſen; da ſo viel Koͤpfe ſo viel Abſehen
das allgemeine Gluͤcke hindern; indem Buͤnd-
nuͤſſe nur einerley Zweck/ wie ein Kreiß einen
Mittel-Punct haben muͤſſen; wenn ſelbte nicht
ſollen verterbt und verfaͤlſcht werden. Die
Hetrurier und Umbrier hielten ihnen fuͤr thuli-
cher: daß die Semnoner und Samniter mit
ihren Klauen alleine in die heiſſe Aſche greiffen/
und die Aepfel des Sieges und Friedens dar-
aus ziehen ſolten. Aber ihre abſondere Scho-
nung war aller Untergang; und da ſie unſchwer
alle zuſammen haͤtten ſiegen koͤnnen/ machte ihre
ſchlimme Klugheit: daß ein ieder uͤberwunden
ward. Denn der verzweifelte Decius hatte
ein Geluͤbde gethan daſelbſt zu ſiegen/ oder be-
graben zu ſeyn. Daher redete er dem Kern des
Roͤmiſchen Adels beweglich zu: daß ſie ihre aͤu-
ſerſte Kraͤffte vollends daran ſetzen/ und behertzi-
gen ſolten: daß nach dem Reitze der Natur es
zwar ſuͤſſe zu leben/ aber nach dem Urtheil der
Vernunfft viel ſuͤſſer waͤre fuͤrs Vaterland zu
ſterben. Mit dieſen traff er gleichſam unſin-
nig auf den die deutſche Reiterey fuͤhrenden
Ritter Mannsfeld/ welcher bereit acht Kriegs-
Fahnen den Roͤmern abgenommen hatte; noͤ-
thigte ihn auch zweymal ſich an das deutſche
Fußvolck zu ſetzen. Hertzog Klodomar machte
hiermit zwiſchen dem Fuß-Volcke eine Straſſe;
durch welche der Ritter Falckenſtein hundert
zweyraͤdrichte Sichel - Wagen anfuͤhrte/ auf
welchen eitel Semnoniſche Edelleute ihre
Wurff-Spieſſe gleichſam wie Donner-Keile
auf die Roͤmer ausſchuͤtteten/ oder ſie zu Bodem
rennten. Das bloſſe Geſchwirre der eiſernen
Raͤder jagte vielen ein Schrecken ein/ infonder-
heit brachte es die Pferde in Verwirrung. Nach
der Flucht der Reiterey ward auch die fuͤnfte und
ſechſte Legion zertrennet/ und was nur die Ver-
meſſenheit hatte uͤber Hauffen geriſſen/ zerquet-
ſchet und geraͤdert. Die deutſche Reiteꝛey und
das Fuß - Volck ſaͤumte nun auch nicht den
Roͤmern auf den Hals zu dringen/ und auf die
Ferſen zu treten; alſo: daß der gantze lincke Fluͤ-
gel der bebenden Roͤmer in offene Flucht gedieg.
Decius ſchaͤumte fuͤr Zorn gegen ſeine Fluͤchti-
ge/ und fuͤr Rache gegen die Deutſchen. Jene
fragte er: Fuͤr was ſie fliehen? Ob ſie in denen
vom Romulus nach dem Raube des Sabini-
ſchen Frauenzimmers angeſtellten Spielen kei-
nen Wagen-Kampf geſehen haͤtten/ welcher
mehr Geraͤuſche/ als Wercks haͤtte? Ob ſie
weicher/ als die weibiſchen Aſier waͤren/ welche
bey der Stadt Elis mit dieſer Kurtzweil noch des
Oenomaus/ als des Erfinders Gedaͤchtnuͤß jaͤhꝛ-
lich feyerten? Als aber alles diß nicht helffen
wolte/ rieff er mit aufgehobenen Haͤnden ſeinem
Vater Decius/ der bey Veſeris ſich auch fuͤr
ſein Heer geopfert hatte. Hierauf befahl er dem
Prieſter Livius: weil er ſich der Erde und der
verſtorbenen Geiſtern abſchlachten/ und das
feindliche Heer zu verfluchten entſchloſſen haͤtte/
ſolte er ihm die grauſame Entſegnung vorſpre-
chen. Nach dem diß verbracht/ verhuͤllte er
ſein Haupt/ und rennte Spornſtreichs unter die
Deutſchen/ welche ihn denn Augenblicks/ ehe
Klodomar es verbieten konte/ mit unzehlbaren
Wunden toͤdteten. Es iſt Wunder zu ſagen/
und ſchier unglaublich zu hoͤren: daß den Augen-
blick/ als Decius fiel/ den Semnonern aller
Muth
[768[770]]Sechſtes Buch
Muth/ und den Roͤmern alle Furcht entfiel; ſon-
derlich: da der Prieſter Livius ſich umbwendete/
und rieff: Die Roͤmer haben geſiegt/ der Feind
iſt der Erde und den hoͤlliſchen Geiſtern gewied-
met. Die Seele des Decius ruffet ihnen ſchon
ihm zu folgen; kehret umb/ und ſchlachtet die
ſchon Erſtarrenden ab. Hiermit wendeten ſich
die Roͤmer/ die Semnoner lieſſen Hertz und
Haͤnde ſincken/ auſſer daß ſie von Schilden
gleichſam eine Bruſtwehre fuͤr ſich machten. Klo-
domar ſelbſt ſtand als verruͤckt oder bezaubert;
und ließ ſich ohne Gegenwehre vom Cajus Ju-
nius erſchlagen. Der Semnoner Bruſtweh-
re ward auch bald durchbrochen/ und weil ſie zu
fliehen ungewohnt waren/ wurden ſie gleicher
Weiſe erlegt. Fabius/ welcher inzwiſchen dem
ſiegenden Jupiter ein Heiligthum gelobt hatte/
ward nun mehr durch Eiferſucht auch gleichſam
zu ſiegen/ und die nichts minder beſtuͤrtzten als
muͤden Samniter zu weichen genoͤthiget/ zumal
da ihr Fuͤrſt Egnatius an der Spitze hertzhafft
fechtende erſchoſſen ward. Als nun die Samni-
ter das Feld geraͤumt/ die Roͤmer das Laͤger ero-
bert hatten; ermunterte Manßfeld/ Falcken-
ſtein/ Werdẽberg/ Metſch/ und andere noch uͤbri-
ge Kriegs-Oberſten die Deutſchen: daß ſie nicht
wie todte Stoͤcke ſich aufreiben/ ſondern weil es
zu ſtehen mehr nicht rathſam waͤre/ ſich gegen
das Gebuͤrge und den Urſprung des Fluſſes
Metaurus zuruͤck ziehen ſolten. Welches ſo
viel leichter geſchah/ weil die Roͤmer kaum mehr
athmen/ und ihrer wenig einen Leib ohne Wun-
den zeigen konten. Falckenſtein ward wegen
ſeines tapferen Wagen-Gefechtes mit einem
zweyraͤdrichten Schilde/ Mannsfeld mit acht/
und Kneßbeck mit fuͤnf Fahnen beſchenckt.
Zehn tauſend Deutſche/ und funfzehn tauſend
Samniter blieben todt auf der Wallſtatt liegen/
acht tauſend Samniter und Umbrier wurden
gefangen; hingegen waren in des Decius Fluͤgel
ſieben tauſend/ und in des Fabius zwoͤlf hundert
Roͤmiſche Buͤrger/ und ſonſt uͤber zwoͤlf tauſend
Campaner und Lateiner todt. Ungeachtet nun
wenig Tage darnach Cneus Fulvius die Peru-
ſiner und Cluſier ſchlug/ die Samniter auch aufs
neue von Pelignern beſchaͤdiget wurden/ traute
doch Fabius bey den Deutſchen nicht weiter ein-
zubrechen; weil ihr neuer Hertzog Wittekind
an dem Fluſſe Metaur auf einem Berge eine
Fackel und eine bloſſe Sebel aufſteckẽ/ und in ſei-
nem Gebiete ausruffen ließ: Daß wer in fuͤnf
Tagen ſich daſelbſt nicht geruͤſtet ſtellte/ ſolte das
Recht Degen und Sporne zu tragen verlohren
haben; worvon hernach dieſer Ort zum Degen
genennet ward. Wormit nun Fabius die
Deutſchen nicht aufs neue ſchwuͤrig machte/
ging er mit ihnen einen Frieden ein; worinnen
ſie aber deutlich ausdungen: daß wenn der Krieg
gegen die Samniter noch laͤnger tauern
ſolte/ ſie ihnen/ als alten Bunds-Genoſſen un-
beſchadet des Friedens mit zehn tauſend Mann
beyſtehen moͤchten. Hierauf zohe Fabius mit
ſeinem Heere nach Rom/ und hielt dar ſein
Siegs-Gepraͤnge. Weil aber Appius Clau-
dius und Volumnius in einer Schlacht ſechs-
zehn tauſend Samniter erſchlug/ und Atilius
Regulus mit einem ſtarcken Heere aufs neue
gegen Samnium anzoh/ welches ohne fremde
Huͤlffe nunmehr verlohren zu ſein ſchien/ ſchickte
Hertzog Britomar den Grafen Eichelberg mit
zehn tauſend Semnonern den Samn[o]itern zu/
welche an der Graͤntze ihr Laͤger harte an das
Roͤmiſche ſchlugen. Weil nun den dritten Tag
ein ſehr dicker Nebel fiel/ ſtuͤrmte der Samniti-
ſche Kriegs-Oberſte Gellius an einer/ Eichelberg
an der andern Seite das Roͤmiſche Laͤger. Die-
ſer drang auch zu der einen Pforte hinein/ be-
maͤchtigte ſich der Kriegs-Gelder/ toͤdtete den
Zahlmeiſter Opimius Panſa/ und erregte im
gantzen Laͤger kein geringes Schrecken. Wenn
auch der dritte Samnitiſche Kriegs-Oberſte
nicht in einen Sumpf gediegen/ und der Nebel
nicht verſchwunden waͤre/ haͤtte Atilius eine voͤl-
lige Niederlage erlitten; ſo aber muſte Eichelberg
der
[769[771]]Arminius und Thußnelda.
der auf ihn dringenden gantzen Macht und in
das Samnitiſche Laͤger weichen. Die Roͤmer
durfften ſich gleichwohl nicht ruͤcken/ ſondern
muſten im Laͤger als in einẽ Gefaͤngnuͤſſe leben;
weil die geſchwinden Semnoner alle auf Fuͤtte-
rung ausreitende Roͤmer erſchlugen/ und ihnen
den Vorrath abnahmen. Dahero der Buͤr-
germeiſter Lucius Poſthumius ihnen mit einem
neuen Heere und friſchen Lebens-Mitteln zu
Huͤlffe eilen muſte. Weil nun die Samniter
alldar alles aufgezehret hatten/ zuͤndeten ſie ihr
Laͤger an/ und zohen ſich an einen bequemen
Ort zuruͤcke. Die Deutſchen aber/ weil der
Buͤrgermeiſter Attilius dahin ruͤckte/ eilten in
Apulien zu denen die alte vom Diomedes erbau-
te Stadt Luceria belaͤgernden Samnitern.
Daſelbſt kam es zu einer hitzigen Schlacht/ dar-
innen die Roͤmer von den hertzhaften Deutſchen
und erhitzten Samnitern geſchlagen/ und mit
Verluſt ſieben tauſend Mann in ihr Laͤger ge-
trieben wurden; in welchem die Roͤmer wie ein
Aſpen - Laub bebten/ und aus ſelbtem ſonder
Zweifel geflohen waͤren/ wenn die Samniter
nur dem tapfern Eichelberg gefolgt/ und in der
Nacht das Laͤger geſtuͤrmt haͤtten. Weil aber
dieſe den Roͤmern Lufft lieſſen/ ſprach Attilius
ihnen wieder ein Hertze zu/ und ſie wurden auf
den Morgen mit friſchen Voͤlckern verſtaͤrckt;
alſo: daß ſie folgenden Tag den Samnitern
aufs neue die Spitze bothen. Ob ſie nun zwar
anfangs wieder zum weichen und ins Gedrange
gebracht wurden; alſo: daß Attilius ſich an die
Pforte des Laͤgers mit bloſſem Degen ſtellen/
und die Eindringenden zuruͤcke treiben/ auch
dem ſtehenden Jupiter einen Tempel geloben
muſte; ſo verkehrte ſich doch nach ſolchem Ge-
luͤbde abermal das Spiel/ alſo: daß die Samni-
ter mit ziemlichem Verluſte zuruͤcke weichen
muſten; gleich als wenn die Feinde der Roͤmer
nicht ſo wohlmit Menſchen als Goͤttern zu fech-
ten haͤtten. Nachdem auch folgendes Jahr die
Samniter vernahmen: daß der Buͤrgermeiſter
Papirius noch mit einem maͤchtigern Heere ſie
auszurotten in Samnium einbrechen ſolte; be-
ſchrieb ihr Fuͤrſt Cajus Pontius He-
rennius alle uͤber achtzehn und unter ſechzig
Jahren ſich befindende Mannſchafft nach Sir-
pium/ mit der Bedraͤuung: daß der auſſenblei-
benden Koͤpfe dem Jupiter geopfert werden
ſoltẽ. Alſo kamen viertzig tauſend Kriegsleute
zuſammen/ aus dieſen wurden ſechzehn tauſend
ausgeleſen/ und mit leinen Kitteln angethan/
nach allerhand ſchrecklichen Opfern von dem
Prieſter Ovius Paccius eingeweiht/ und fuͤr
einem blutigen Altare eydlich zu betheuern ge-
zwungen: daß er aus der Schlacht nicht fliehen/
ſondern die Fluͤchtigen ſelbſt toͤdten/ und ein ieder
einen abſondern Mann aus dem Feinde zu er-
legen erkieſen wolte. Mit dieſen ruͤckten ſie in
der Hirpiner Landſchafft/ und bemaͤchtigten ſich
der Stadt Aquilonia. Beyde Buͤrgermeiſter
Carvillius und Papirius zohen mit zwey ſtarckẽ
Heeren dahin; jener belaͤgerte Cominium/ die-
ſer lieferte bey Aquilonia den Samnitern eine
Schlacht; welche er wegen unvergleichlicher
Gegenwehre der Semnoner ſonder Zweifel
verlohren haͤtte; wenn nicht Papirius in der
groͤſten Hitze des Treffens die Samniter durch
eine ſonderbare Kriegs-Liſt in die Flucht bracht
haͤtte/ in dem Spurius Nautius mit etlichen
hundert Reitern und dem Troß auf der Seite/
unter dem Scheine/ als wenn es das andere un-
ter Cominium ſtehende Heer waͤre/ einfiel.
Woruͤber der Samniter dreiſſig tauſend/ und
darunter der biß auf den letzten Mann fechten-
de/ und der Samniter Flucht zu hemmen be-
muͤhte Eichelberg mit vier tauſend Semnonern
erſchlagen wurden. Pontius mit ſeinen Sa-
mnitern/ und Graf Habſpurg mit ſeinen uͤbri-
gen Deutſchen raͤchte ſich zwar an dem jungen
Fabius/ und gewan ſelbtem einen ſo herrlichen
Sieg ab: daß der Buͤrgermeiſter Fabius nach
Rom ſeiner Unvorſichtigkeit halber gefordert
ward/ und er ein ſchimpfliches Urtheil zu erwartẽ
Erſter Theil. E e e e egehab-
[770[772]]Sechſtes Buch
gehabt haͤtte/ wenn nicht ſein Vater durch an-
gezogene Verdienſte ſeines Geſchlechtes/ und
ſein Verſprechen ſelbſt wider die Samniter in
Krieg zu ziehẽ den Rath verſoͤhnet/ und das Volk
beſaͤnftigt haͤtte. Sie brachten auch zwar bey-
de Fabier noch einmal in die groͤſte Verwirrung/
und Pontius hatte den jungen Fabius ſchon
gantz umbzuͤngelt; aber der verzweifelte Vater
that ein Werck uͤber ſeine Kraͤfften/ ſprengte den
Fuͤrſten Pontius an/ verwundete ihn/ und er-
rettete nicht allein ſeinen Sohn/ ſondern nahm
den Pontius auch ſelbſt gefangen; der ſtreitbare
Habſpurg fochte zwar noch etliche Stunden
als ein Loͤw/ und zehlte man ihm ſo viel Wunden
als Streiche nach/ endlich aber fiel er auf das
Bette der Ehren/ und hiermit das gantze Hertze
des noch kaͤmpfenden Heeres; welches in die
Flucht/ Pontius aber zu Rom unter das Beil
des Scharffrichters; der Rath zu Samnium
durch die gluͤcklichen Waffen des maͤſſigen Cu-
rius in ſolche Kleinmuth gerieth: daß er zu Rom
Friede bat/ und auf ſchwere Bedingungen er-
hielt/ unter denen war: daß ſie alle Fremde/ in-
ſonderheit der Semnoner Buͤndnuͤß abſchwe-
ren muſten. Dieſe konten ihnen hieraus leicht
an den Fingern ausrechen: daß dieſer Ver-
gleich auf ihren Untergang gemuͤntzt waͤre; in-
ſonderheit/ da die Roͤmer vorher auch der Deut-
ſchen Bunds-Genoſſen in Hetrurien/ nemlich
die Vulſinier/ die Staͤdte Peruſia und Aretium
von ihnen abtruͤnnig gemacht/ und in ihren
Schutz genommen hatten. Dieſemnach be-
ſchwerten ſich die Semnoner gegen die Roͤmer/
als ſie aber ſchlechte Antwort erhielten/ ruͤckten
die Deutſchen fuͤr Aretium. Die angefleheten
Roͤmer ſchickten den Coͤcilius Metellus mit ei-
nem Heere der belaͤgerten Stadt zu Huͤlffe; weil
ſie aber ungerne mit den Deutſchen zerfielen/
den Junius in Geſandſchafft vorher an den
Hertzog Britomar. Dieſer nahm die Abſen-
dung des Junius/ als der ſeinen Vater Klodo-
marn erſchlagen hatte/ alsbald uͤbel und fuͤr eine
Kriegs-Ankuͤndigung auf. Gleichwohl aber
uͤberwand er ſich: daß er ihn hoͤrte. Weil aber
Junius von den Semnonern veraͤchtlich redete/
Britomarn einen Eydbruͤchigen ſchalt; und
ihn zwingen wolte: daß er/ ehe er von ſeinem
Stule aufſtand/ ſich erklaͤren ſolte: Ob er die
Belaͤgerung der Stadt Aretium mit Erſtat-
tung alles Schadens aufheben wolte; ja ihm in
die Augen ſagte: daß er den Degen an der Sei-
te fuͤhrte/ wormit er ſeinem Vater Klodomarn
das Licht ausgeleſcht haͤtte/ ſolcher auch nicht
ſtumpfer als fuͤr ſiebzehn Jahren waͤre; entruͤſte-
te ſich Britomar ſo ſehr: daß er das Roͤmiſche
Buͤndnuͤß fuͤr des Junius Augen in tauſend
Stuͤcke zerrieß/ und ihn wegzufuͤhren befahl.
Die Leibwache aber ward uͤber den Juius ſo ver-
bittert: daß ſie ihn in ebẽ ſo kleine Stuͤcke zerkerb-
te? Zeno brach ein: Dieſe Verletzung des Roͤ-
miſchen Geſandten iſt gewiß ein Vortrab eines
ungluͤcklichen Kriegs geweſt; nach dem nicht nur
das Recht der Voͤlcker/ ſondern die Goͤtter ſelbſt
hierdurch verletzt und zur Rache bewegt wuͤrden.
Malovend antwortete: Jch wil dieſer That
nicht das Wort reden/ welche freylich ein boͤſer
Ausſchlag verdam̃t hat. Aber es iſt auf der
Roͤmer Seiten auch groſſe Unvernunft/ wo
nicht eine vorſetzliche Beleidigung geweſt: daß
ſie nicht nur einen ſo trotzigen/ ſondern auch we-
gen ſeiner That ſo verhaßten Geſandten abge-
ſchickt. Sintemal dieſer Ampt iſt auch die
herbſten Befehl durch eine freundliche Beſchei-
denheit zu verzuckern. Eines verhaßten Bot-
ſchafters Anmuth aber iſt verdruͤßlich/ die ver-
nuͤnftigſten Liebkoſungen werden in ſeinem
Munde zur Galle/ die hoͤchſte Billigkeit ſeines
Vortrages ſcheinet eine unrechtmaͤſſige Forde-
rung zu ſeyn; und daher nicht wegen ihr ſelbſt/
ſondern nur ſeinethalben verworffen; hingegen
das verworffene/ ſo bald es nur aus einem an-
dern Munde fleuſt/ nicht anders/ als wenn es
wie die durch die Ertzt - Adern gequollenen
Brunnen einen gantz andern Geſchmack und
Kraͤffte
[771[773]]Arminius und Thußnelda.
Kraͤffte an ſich gezogen haͤtte/ mit beyden Haͤn-
den angenommen. Rhemetalces billigte diß
und ſetzte bey: Die Roͤmer haͤtten ſich ſelbſt er-
innern ſollen; wie das wegen der verlebten Vir-
ginia auf den Aventiniſchen Berg entwichene
Volck des Valerius und Horatius Vortrag
ſo begierig angenommen/ vorher aber den unan-
genehmen Julius/ Sulpitius und Tarpejus
mit ihren vortheilhaftigern Vorſchlaͤgen nicht
einſt zu hoͤren gewuͤrdigt haͤtten. Die Gewo-
genheit rennte hierinnen der Beredſamkeit/ und
ein gutes Anſehen dem ſonſt ſo angenehmen
Nutzen den Vortheil ab. Daher die Spar-
taner einmal einen ſehr heilſamen/ aber von ei-
nem laſterhaften Menſchen gegebenen Rath ſo
lange verwarffen/ biß ihn einer aus dem Rathe
fuͤrtrug. Und der ſtammelnde Menenius
Agrippa ſtillte mit wenig halb verbrochenen
Worten den Aufſtand des Roͤmiſchen Volckes
auf dem heiligen Berge. Jnſonderheit aber
legt die Verwandnuͤß/ oder die mit dem Ge-
ſandten gepflogene Gemeinſchafft ſeinem Ge-
ſuch ein groſſes Gewichte bey. Daher richtete
der Redner Archelaus bey dem die Stadt Rho-
dis belaͤgernden Caſſius/ welchen er Griechiſch
gelehrt hatte/ ſo viel aus. Die geraubte Sabi-
nerin Herſilia leſchte mit wenig Thraͤnen die des
Weiber-Raubes halber zwiſchen den Roͤmern
und Sabinern unausleſchliche Kriegs-Flam̃e.
Etliche Seufzer der Mutter Veturia und des
Ehweibs Volumnia trieben den grimmigen
Coriolan von der Belaͤgerung der Stadt Rom
ab. Und die Stadt Carthago wuſte keinen ge-
ſchicktern Friedens-Werber als den gefangenen
Regulus nach Rom zu ſenden.
Adgandeſter fuhr fort: Es waͤre freylich ſo
wohl auf der Roͤmer als Semnoner Seiten ge-
fehlt worden; wiewohl einige dem Hertzoge
Britomarn riethen: daß er die/ welche ohne ſei-
nen Befehl den Junius umbgebracht hatten/
den Roͤmern zur Beſtraffung ausliefern/ und
dardurch nichts minder ungleiche Nachre-
de/ als die Rechtfertigung des Roͤmiſchen Frie-
den-Bruchs ablehnen ſolte. Weil aber boͤſe
Rathſchlaͤge ſo ſelten zuruͤcke gehen/ als Unkraut
vertirbt; drang derſelben Meynung/ die des
Junius Erlegung billigten/ und die Ausliefe-
rung widerriethen/ darmit fuͤrnemlich durch:
daß die Roͤmer auch die Fabier/ welche bey Clu-
ſium die Deutſchen verletzt/ ebenfalls nicht haͤt-
ten ausliefern wollen. Dieſemnach ließ der
Buͤrgermeiſter Dolabella Hetrurien Hetru-
rien ſeyn/ und eilte mit einem zweyfachen
Heere aber tauſendfacher Rachgier durch das
Sabin- und Piceniſche Gebiete in die Semno-
niſche Landſchafft. Der verwegne Britomar
raffte von ſeinen Semnonern/ derer Kern Are-
tium belaͤgerte/ mehr eine Menge Land - als
Kriegs-Volck zuſammen; und lieferte/ unge-
achtet es ihm ſeine alte Kriegs-Oberſten wider-
riethen/ bey der Stadt Atidium dem zwey- oder
dreymal ſtaͤrckern Dolabella eine Schlacht.
Anfangs ſtanden die erſten Glieder der wehr-
haften Semnoner wohl als Mauren/ Brito-
mar wieß auch durch ſeine Tapferkeit: daß es
ſeinem Leibe weniger am Hertze/ als ſeinem Kopfe
an Klugheit mangelte. Nach dem aber die un-
geuͤbtẽ Bauers-Leute zum Treffen kamẽ/ brach-
ten ſie die Roͤmer alsbald in Verwirrung und in
die Flucht; Britomar und ſein Adel ward vom
Feind umbringet/ dieſer meiſt geſchlagen/ jener
aber gefangen; auch alle Tage als ein Knecht
gepruͤgelt/ und wie ein Ubelthaͤter gepeinigt;
gleichwohl aber ihm alle Mittel zu ſterben abge-
ſchnitten/ welche Freyheit doch dem Vieh un-
verwehret iſt; und diß zwar; weil die Rache ſich
an ſeinem Leiden/ und der Ehrgeitz an ſeiner Ein-
fuͤhrung nach Rom im Siegs-Gepraͤnge zu
vergnuͤgen vorhatte. Dolabella durchſtreiffte
hierauf gantz Umbrien; das gantze Land rauchte
von denen eingeaͤſcherten Staͤdten und Doͤrf-
fern; noch abſcheulicher aber von dem verſpritztẽ
E e e e e 2Blu-
[772[774]]Sechſtes Buch
Blute. Denn alles was vierzehn Jahr alt
war/ fiel durch die Klingen der wuͤtenden Roͤmer;
Weiber und Kinder wurden nackt wie das Vieh
in Heerden fortgetrieben/ und allenthalben un-
menſchliche Grauſamkeit ausgeuͤbt. Denn
Dolabella muͤhte ſich ſo gar alle Fußſtapfen:
daß iemals Menſchen alldort gewohnt haͤtten/
zu vertilgen/ umb ſeinen Nahmen durch Ver-
wuͤſtung unſterblich zu machen. Weil aber das
Gluͤcke mit den Orten ins gemein ſein Geſichte
verwandelt; lief es bey Aretium viel anders ab.
Denn Lucius Coͤcilius wolte ſelbige Stadt mit
Gewalt entſetzen. Hertzog Britomars Bru-
der Hartmann hoͤrte ſeines Volckes Niederlage
und die Verheerung des Landes zwar/ aber die
Rache/ welche andere Gemuͤts-Regungẽ/ wie die
Koloquinten alle andere Kraͤuter toͤdtet/ erlaubte
ihm nicht dem Vaterlande zuzulauffen; ſondern
reitzte ihn und ſein Volck/ welches er an Beſtuͤr-
mung der Stadt Aretium anzuhalten beweglich
ermahnte/ vorher ſeinen Eifer an derer Blute zu
kuͤhlen/ welche durch ihre Hartneckigkeit den
Semnonern ſo groſſes Ungluͤck auf den Hals ge-
zogen hattẽ. Weil er nun vernahm: daß Coͤcilius
ſchon mit dem Entſatz zu Peruſia ankommen
war/ ſtellte er alsbald ein Theil ſeines Heeres in
Ordnung/ und machte den gantzen Tag bald
dar bald dort durch falſche Stuͤrme Lermen in
der Stadt. Auf die Nacht aber grieff er mit
ſeinem wohl ausgeruhten Volcke das den Tag
uͤber abgemattete Aretium an fuͤnf Orten mit
allem Ernſt an; eroberte ſie mit Sturm; und
er konte die erhebten Semnoner nicht erhalten:
daß ſie nicht nur alles was Waffen trug/ ſondern
auch ſich in die Tempel fluͤchtete/ mit denen
opfernden Prieſtern fuͤr denen Altaͤren nieder-
hieben/ gleichſam mit dieſem Blut den Geiſt
des inzwiſchen zu Rom erwuͤrgten Britomars
zu verſoͤhnen. Daher der Krieg wohl recht ein
Kind des Goͤttlichen Zornes/ weil man darinnen
offt aus Noth und wider Willen ſuͤndigt/ die
Unſinnigkeit aber eine Tochter/ und die Blind-
heit eine Schweſter der Rache; alſo nicht allein
unerbittlich iſt/ ſondern ſie ſinnet auch nicht nach/
wen ſie zu Bodem rennt. Wenn ſie ein Menſch
beleidiget/ muͤſſen es tauſend andere/ ja die Un-
ſchuld ſelbſt und die Heiligthuͤmer der Goͤtter
entgelten. Gleichwohl aber war die Liſt all-
hier noch eine Gefaͤrtin der Rachgier. Denn
Hertzog Hartmann verboth bey Leibes-Straf-
fe: daß kein Menſch ohne ſeine abſondere Zu-
laſſung auſſer der Pforten des befeſtigten Laͤ-
gers kommen dorffte; wormit die Roͤmer nicht
die Eroberung der Stadt vernehmen moͤchten.
Wie Coͤcilius auch mit ſeinem Heere nahe an
das Lager ankam/ machte er allerhand blinde
Stuͤrme/ und Ausfaͤlle aus der Stadt/ gleich
als wenn ſie ſich noch wohl hielte; ſchickte auch
durch falſche Kundſchafter ertichtete Briefe dem
Coͤcilius zu; lockte hingegen auch andere von
ihm heraus/ und dardurch verleitete er ihn: daß
er in Hoffnung eines abgeredeten Ausfalls das
Lager an dem allerfeſteſten Orte ſtuͤrmte; und
ſich in etliche rechte Fallen locken ließ; und/ un-
geachtet daſelbſt die Roͤmer gleichſam wider die
Unmoͤgligkeit ſtritten/ dennoch durch das gegen
der Stadt von dem Troß mit Fleiß erregte
Waffen-Gethoͤne zu hartnaͤckichter Verfol-
gung des thoͤrichten Sturmes verlei-
ten ließ. Als dieſer Sturm ſechs Stunden
mit groſſem Verluſt der Stuͤrmenden geweh-
ret; kam Hertzog Hartmann/ welcher ſich
auf der andern Seite des Laͤgers mit dem Ker-
ne ſeines Heeres heraus gezogen hatte/ uͤber
die gegen Tifernum liegenden Huͤgel in voller
Schlacht - Ordnung heran geruͤckt. Die
Reiterey ließ er vorwerts das gantze Fuß-
Volck/ welches er ohne diß auf Hetruriſche
Art angekleidet und ausgeruͤſtet hatte/ bedecken/
und durch ſelbte einen heftigen Staub erre-
gen/ wormit Coͤcilius nicht die Groͤſſe der Macht/
und was es fuͤr Volck waͤre/ erkieſen konte.
Coͤci-
[773[775]]Arminius und Thußnelda.
Coͤcilius erſchrack hieruͤber nicht wenig; Jedoch
weil ein Feldhauptmann nichts mehr fuͤrchten
ſoll/ als daß es nicht ſcheine/ ſamb er was fuͤrch-
tete/ ſprach er den ſeinen ein Hertz zu/ und bot
mit einem Theile der umgewendeten Deut-
ſchen/ welche er fuͤr Hetrurier anſahe/ denen ſich
naͤhernden die Stirne. Als er aber ſich die
Reuterey gegen ihn in zwey Hoͤrner austhei-
len/ und das geſchloſſene Kriegs-Volck andrin-
gen ſahe/ ließ er vom Sturme abblaſen. Die-
ſes geſchahe nicht ohne groſſe Unordnung und
ſo bald: daß die Deutſchen denen weichenden
Roͤmern aus zweyen Pforten und gar uͤber
den Walldes Laͤgers in die Hacken gingen; und
ſie alſo an zweyen Orten mehr aus Verzweif-
felung/ weil ſie wegen des hinter ſich haben-
den Arnus-Stroms und Cluſiniſchen Sees
nirgendshin weichen konten; als aus Hertzhaf-
tigkeit fochten. Hierzu kam noch das dritte U-
bel/ indem Segger/ Bothmar/ Surſee/ Gro-
tov/ Weißlav/ und andere Deutſche Edelleute/
die hernach eitel Schiffe auff ihren Schilden
fuͤhrten/ auff funfftzig Schiffen von der Stadt
Aretium theils als Roͤmer/ theils als Samni-
ter gekleidet auff dem Cluſiniſchen See herab
fuhren/ den Roͤmern recht in Ruͤcken kamen/
und mit Pfeilen/ Steinen/ Wurffſpießen un-
auffhoͤrlich auff ſie hagelten. Derogſtalt ging
es recht an ein metzgen; und weil die Deutſchen
keinen Roͤmer gefangen nehmen wolten/ ſondern
in der That ihꝛ Loſungs-Wort: Schlag todt/ aufs
ſtrengeſte ausuͤbten/ ſtachen viel edle Roͤmer ein-
ander ſelbſt todt/ gleich als wenn der Freunde
Klingen nicht ſo weh als der Feinde thaͤten/ o-
der es troͤſtlicher waͤre von jenen als dieſen ſter-
ben. Coͤcilius zohe den noch uͤbrigen Kern der
aͤlteſten Kriegsleute an ſich/ und meinte mit der
Haupt-Fahne gegen Croton ſich durch die ein-
gebildete Hetrurier/ denen er ſeine Kriegs-Gel-
der und bey ſich habende Koſtbarkeiten zur Beu-
the fuͤrſtreuen ließ/ durchzuſchlagen. Aber der
allenthalben als ein wuͤttender Baͤr um ſich reiſ-
ſende Hartmann war ihm bald ſelbſt in Eiſen/
und rieff ihm mehrmals nach: Halt an/ halt an!
kam auch endlich ſelbſt an ihn/ und ſchlug ihn
mit ſeiner Streit-Axt vom Pferde/ von denen
er bald zertreten/ und die Haupt-Fahne vom
Ritter Zorn erobert ward. Hiermit war es
nun auch faſt umb das gantze Heer gethan/
worvon wenig durch Huͤlffe der finſtern Nacht
und durch ihr Schwimmen uͤber den Arnus
davon kamen. Dreyzehn tauſend Roͤmer wur-
den ohne die Ertrunckenen/ und die erſchlage-
nen Huͤlffsvoͤlcker/ und darunter ſieben Kriegs-
Oberſten/ zweyhundert Hauptleute auff der
Wahlſtadt gezehlet/ und ihre Koͤpffe rings um
den Cluſiniſchen See auff Pfaͤhle geſteckt. Rom
zitterte auffs neue uͤber dieſer Zeitung/ ſonder-
lich da ſie hoͤrten: daß Hertzog Hartmann/ wel-
chem man nunmehr den Zunahmen Anhalt
gab/ ſeinen Zug gerade nach Rom einrichtete.
Denn dieſer hielt ſeinen Deutſchen ein: Die
Roͤmer haͤtten eine gantz widrige Art/ als der
vom Hercules erlegte Rieſe Antius; auſſerhalb
ihrer Stadt waͤren ſie mehr als Maͤnner/ in
ihrem Neſte aber weniger als Weiber. Daher
haͤtten die Deutſchen ſehr geirret: daß ſie nur
die euſſerſten Glieder dieſer Raubvoͤgel bezwickt/
nicht aber ihnen ans Hertz gegangen waͤren.
Denen Schlangen wenn ſie ſterben ſolten/ muͤ-
ſte man den Kopff zerqvetſchen. Der nicht we-
niger kluge als hertzhaffte Brennus haͤtte hier-
innen das Eiß gebrochen/ und ihnen den Weg
gewieſen. Dieſem ſolten ſie nachfolgen/ er wol-
te ihr unerſchrockner Vorgaͤnger ſeyn. An e-
ben dieſem See haͤtte Brennus eine Urſache ge-
funden/ und den Schluß gemacht/ Rom zu zer-
ſtoͤren. Beydes treffe auch itzt ein/ die Urſachen
aber waͤren viel groͤſſer/ als damals. Denn zu
ſelbiger Zeit haͤtten die Fabier etwan drey Sem-
noner getoͤdtet; itzt haͤtte Dolabella ihr Land/
und beynahe ihre gantze Voͤlckerſchafft vertilget.
Der Deutſchen itziger Sieg aber waͤre herrli-
cher/ als alle vorige; und daher ein gewiſſer
E e e e e 3Werck-
[774[776]]Sechſtes Buch
Werckzeug vieler folgenden. Ja die Noth
zwinge ſie einen neuen Sitz zu ſuchen; weil ihr
Umbrien wohl einem feurigen Steinhauffen/
aber keinem Lande mehr aͤhnlich ſehe. Sie ſelbſt
wuͤrden in wenig Jahren vollends verloſchen
ſeyn/ wenn ſie nicht ihre nach Rom geſchleppten
Weiber und Kinder wieder holeten/ fuͤr welche
auch wilde Thiere lieber ihr Leben/ als ſie im
Stiche lieſſen. Hierbey ließ es Hertzog An-
halt nicht; ſondern er ſchickte an die Bojen/ He-
trurier/ Samniter/ Lucaner und Brutier Ge-
ſandten; und ermahnte ſie wider den in Jtalien
um ſich freſſenden Krebs/ nehmlich die Herrſch-
ſucht der Roͤmer mit geſamter Hand Eiſen und
Brand zu brauchen/ und die ſelten zweymahl
kommende Gelegenheit ſie mit Strumpff und
Stiel auszurotten nicht aus Haͤnden zu laſſen.
Ehe er nun noch von dieſen die hernach erfolgten
guten Vertroͤſtungen bekam/ ſetzte er ſeinen
Zug fort/ weil er einem erſchrockenen Feinde
keine Lufft zu laſſen fuͤr rathſam/ und die Ge-
ſchwindigkeit fuͤr die Amme der Gluͤckſeligkeit
im Kriege hielt. Die Roͤmer hingegen bothen
in ihrem gantzen Gebiethe Mann fuͤr Mann
auff/ lieſſen allenthalben die Waͤlder verhauen/
die Bruͤcken abwerffen/ diehohlen Wege ver-
fuͤllen/ die Lebensmittel verbrennen/ und den
in Umbrien ſeng- und brennenden Dolabella
zuruͤcke ruffen. Zu allem Ungluͤcke machten
die hefftigen Regen die Wege bey nahe unweg-
bar/ die Tiber und Clanis ergoſſen ſich ſo ſehr:
daß die Semnoner zehn Tage auff den Peruſi-
ſchen Bergen Hunger une Noth leiden muſten.
So bald aber das Waſſer nur ein wenig gefal-
len war/ ſetzte er uͤber den Fluß/ und ruͤckte durch
das feindliche Gebiete und viel ihm in Weg ge-
legte Hinderniſſe gerade gegen Rom zu. Bey
Polimartium begegnete den Deutſchen der
Buͤrgermeiſter Domitius/ mit welchem es/
weil der deutſche Vorzug aus allzuhefftiger Hi-
tze ſich zu ſehr vertieffte/ wider Hertzog Anhalts
Willen zur Schlacht kam. Ungeachtet nun
die Semnoner vom Reiſen und vielem Unge-
mache ſehr abgemattet waren/ fochten ſie doch
gegen die ausgeruhten und viel ſtaͤrckern Roͤ-
mer biß in den ſinckenden Abend ſo hertzhafft:
daß ſich kein Theil einigen Vortheils zu ruͤh-
men hatte. Von beyden Seiten wurden et-
liche hundert gefangen; welche Anhalt aber auff
des Domitius Verlangen nicht austauſchen
wolte; weſtwegen die Deutſchen durch eigene
Auffreibung den Todt fuͤr der Dienſtbarkeit
erkieſten/ Anhalt aber der gefangenen Roͤmer
abgeſchlagene Koͤpffe auff Lantzen ſtecken/ und
ins Roͤmiſche Laͤger ſchleudern ließ. Dieſes
erregte darinnen ein ſolches Schrecken: daß
Domitius ſich biß an den Vadimoniſchen See
zuruͤcke zoh. Hertzog Anhalt hingegen erhielt
unter dem Ritter Freyberg fuͤnff tauſend Bo-
jen/ und acht tauſend Hetrurier zu Huͤlffe; mit
welchen er die Roͤmer verfolgte/ und den Domi-
tius zwang an dem Vadimoniſchen See Stand
zu halten. Nach fuͤnff-ſtuͤndiger Schlacht kam
das Roͤmiſche Heer in Verwirrung/ und ſchien
ſchon alles verlohren zu ſeyn; als Dolabella mit
ſeinem maͤchtigen Heere zu dieſem Treffen kam/
und anfangs mit der voranhauenden Reuterey
des Domitius Heer von offenbarer Flucht er-
rettete/ hernach aber mit den Legionen der Sem-
noner rechten Fluͤgel angriff; und nach zweyer
Stunden tapfferer Gegenwehr zertrennte.
Der lincke muſte hieruͤber ſeinen uͤber die Roͤmer
habenden Vortheil vergeſſen/ und dem rechten
zu Huͤlffe kommen. Worbey Hertzog Anhalt
unglaubliche Heldenthaten ausuͤbte. Weil es
aber augenſcheinliche Unmoͤgligkeit war zwey-
en/ und darunter einem friſchen Heere gewach-
ſen zu ſeyn; zumal die Hetrurier die Flucht nah-
men/ vom rechten Fluͤgel auch wenig mehr uͤ-
brig/ er ſelbſt auch ſchon gantz umringt war/
ſprengte er zum erſten in den Vadimoniſchen
See; welchem bey nahe noch tauſend Semno-
ner folgten; und/ weil ihm kein Roͤmer durch zu
ſchwemmen getraute/ in der Nacht nach Po-
limar-
[775[777]]Arminius und Thußnelda.
limartium entkamen. Hertzog Anhalt war
daſelbſt voller Ungedult/ und haͤtte nach einge-
buͤſtem Heere ſich ſelbſt auffgerieben; wenn nicht
ſo wohl Semnoner/ Bojen und Hetrurier/ de-
rer ſich daſelbſt noch ungefehr ſieben tauſend zu-
ſammen rafften/ ihn mit Thraͤnen von einer ſo
kleinmuͤthigen Entſchluͤſſung zuruͤck gehalten
haͤtten. Er wich daher biß an den Fluß Me-
taurus zuruͤck/ verſtaͤrckte ſich daſelbſt mit etli-
chen tauſenden; Und weil die Roͤmer ſeiner
Vorfahren Fuͤrſtlichen Sitz Senogallien mit
Roͤmiſchen Einwohnern zu volcken vorhatten;
wolte er daſſelbte verhindern; aber der Buͤrge-
meiſter Emilius Papus zwang ihn mit einem
vierfach ſtaͤrckern Heere zuruͤcke zu weichen.
Gleichwohl brachte er es durch ſeine Tapf-
ferkeit noch dahin: daß die Roͤmer ihm und ſei-
nen wenigen Uberbleibungen die Gegend zwi-
ſchen dem Fluße Rubico und Utis lieſſen; gantz
Umbrien und Hetrurien aber mit deutlichem
Beyſtande des unerbittlichen Verhaͤngnißes
ihnen unterthaͤnig machten. Unterdeſſen be-
hielt doch Hertzog Anhalt in dieſem engen Kreiſ-
ſe ſein voͤlliges Anſehen/ zu einem merckwuͤrdi-
gen Beyſpiele: daß die Tugend ſo wenig als die
Natur ihre Vollkommenheit an Rieſen-Ge-
ſchoͤpffe gebunden habe; ſondern ein groſſer Fuͤrſt
ſich ſo wohl in einem kleinen Gebiete; als die
koͤſtliche Balſam-Staude in einem engen Ge-
faͤſſe ſehen laſſen koͤnne.
Es iſt aber das Rad des Gluͤckes eben ſo wohl
dem Lauffen/ als das der Sonne unterworffen.
Beyde gehen niemahls unter: daß ſie nicht zu-
gleich an einem Orte auffgehen. Jnſonder-
heit traff es dieſe Zeiten bey denen Deutſchen ein.
Denn als ihr Gluͤcks-Stern in Jtalien ſo ſehr
verduͤſtert ward/ klaͤrte er ſich anderwerts ſo viel
heller aus. Jch wil nicht die Siege der Sicam-
briſchen Fuͤrſten Diocles und Baſan wider die
Gothen/ und die Erweiterung ſeiner Herrſchafft
uͤber den Rhein erwehnen; weil beyder Vor-
theil wider Deutſche erhalten ward/ und die Be-
meiſterung ſeiner eigenen Landsleute mehr fuͤr
Verluſt/ als Gewin zu halten iſt. Der erſte
deutſche Fuͤrſt in Pannonien/ welcher die benach-
barten Voͤlcker in Furcht und Schrecken ver-
ſetzte/ war Cambaules. Denn dieſer drang durch
Myſien biß in Thracien/ und brachte ein un-
glaubliches Reichthum an Beute zuruͤck. Nach-
dem aber Hertzog Belgius mit zweymal hundert
tauſend Marſingern/ Lygiern/ Gothonen und
Herulen verſtaͤrckt ward/ jagte er durch dieſe
ſtreitbare Voͤlcker/ und ſeine Tapfferkeit allen
benachtbarten Koͤnigen ein ſolches Schrecken
ein: daß auch die/ denen er gleich keine Gewalt
andreutete/ den Frieden mit groſſem Gelde von
ihm erkaufften. Unter andern Geſandſchaff-
ten kam auch eine von der Koͤnigin in Pontus
und Thracien Arſinoe/ des groſſen Lyſimachus
Wittib/ der dem weiſen vom groſſen Alexander
unſchuldig verſtimmelten Calliſthenes durch ge-
reichtes Gifft von ſeinem erbaͤrmlichen Leben
geholffen/ und den Loͤwen/ welchem er auff Ale-
xanders Befehl vorgeworffen ward/ zerriſſen/
den Pyrrhus auch aus Macedonien getrieben
hatte/ nachmahls aber vom Selevcus in einer
Schlacht erſchlagen worden war. Unter den
Geſchencken war ein groſſer Carniolſtein/ aus
welchem der fuͤrtreffliche Bildhauer und Bau-
meiſter Soſtratus Gnidius/ der den Egyptiſchen
Pharos gebauet/ dem Lyſimachus in Geſtalt der
Diana Arſinoen gehauen hatte. Dieſes Bild
veranlaſte den Koͤnig Belgius zu fragen: Ob er
trauen doͤrffte: daß Arſinoe in dieſem Steine oh-
ne Heucheley abgebildet/ und nach dem Leben ge-
troffen waͤre. Wie ihn nun die Geſandten deſſen
veꝛſicherten/ ließ eꝛ ſie mit herꝛlichen Geſchencken
von ſich; und alsbald ſo wohl bey Arſinoen ſelbſt/
als beym Koͤnige Ptolomeus in Macedonien ih-
ren Bruder um ſie zu werben. Ptolomeus
fertigte die Botſchafft geſchwinde/ und mit Be-
zeugung groſſer Gewogenheit von ſich; ſchrieb
aber dem Koͤnig Belgius: Wie ſehr er Arſi-
noen
[776[778]]Sechſtes Buch
noen ihm goͤnnte/ und mit einem ſo maͤchtigen
Koͤnige in Verwandniß zu kom̃en verlangte; ſo
muͤſte er doch aus auffrichtigem Gemuͤthe ihm
dieſe Heyrath wiederrathen. Denn ob ſie wol
ſeine Schweſter/ und ihrer Schoͤnheit halber ein
Meiſterſtuͤcke der Natur waͤre; bliebe doch ihre
Seele ein Begriff aller Laſter/ und ein Ebenbild
der hoͤlliſchen Unholden. Sintemal ſie nicht
nur die meiſten aus den funffzehn Kindern des
Lyſimachus/ und darunter ihren Stieff-Sohn
Agathocles/ der in ſo vielen Kriegen ſeine Tapf-
ferkeit erwieſen hatte/ und vom Lyſimachus zum
Reichs-Erben beſtimmt war/ ſondeꝛn auch ihren
Ehherrn ſelbſt durch Gifft getoͤdtet haͤtte. Arſi-
noen aber ſchrieb er in geheim: Sie moͤchte dem
Belgius/ welcher einem Raͤuber aͤhnlicher als ei-
nem Fuͤrſten waͤre/ und deſſen Volck von keinen
Geſetzen wuͤſte/ ſich nicht vermaͤhlen/ und dar-
durch ſo wohl ihr Reich als ihre Kinder/ darum
es ihm allein zu thun waͤre/ nicht in augenſchein-
liche Gefahr ſetzen/ noch auch ihr den Haß aller
wohlgeſitteten Voͤlcker/ welche fuͤr den rauhen
Deutſchen eine Abſcheu haͤtten/ auff den Hals
ziehen. Wiewol auch nun Arſinoe mit ihrem
Bruder eine zeitlang Krieg gefuͤhrt hatte/ ihr
auch ſein herrſchſuͤchtiges Gemuͤthe nicht unbe-
kant war/ nahm ſie doch ihres Bruders Rath-
ſchlag als wohlgemeint danckbar auff/ und ver-
ſprach dem Belgius die Eh abzuſchlagen/ wenn
ſie nur ein Mittel wuͤſte ſich gegen einem ſo
maͤchtigen Feinde in Sicherheit zu ſetzen. Pto-
lomeus ſchickte alſofort eine praͤchtige Botſchafft
an ſie zuruͤcke/ welche ihr ſeine Macht/ nachdem
er den Antigonus aus Macedonien vertrieben/
durch Verheyrathung ſeiner Tochter Antigone
aber den maͤchtigen Koͤnig Pyrrhus in Epirus
ihm verknuͤrfft haͤtte/ noch vielmehr aber ſeine
zu ihr tragende Liebe ſcheinbar heraus ſtriech/
und alſo ihre Bluts-Freundſchafft noch durch
ein engeres Band der Ehe zu befeſtigen an-
trug. Arſinoe ward uͤber dieſer Werbung
noch mehr bekuͤmmert/ und zweiffelhafft; ſon-
derlich da ihr aͤlteſter Sohn Ptolomeus ihr fuͤr-
bildete; wie durch dieſe Eh nur ſeiner Bruͤder
Untergang/ als gegen welche Ptolomeus ſchon
einmahl den Degen gezuckt haͤtte/ geſucht wuͤr-
de. Den Geſandten aber hielt er ſelbſt ein:
daß ihren Oheim die angebohrne Schande und
die Abſcheu wohlgeſitteter Voͤlcker/ fuͤr ſo na-
her Vermaͤhlung ſeiner vollbuͤrtigen Schwe-
ſter Eh zuruͤck halten ſolte. Alle Heyrathen
zwiſchen dem Geſchwiſter haͤtten einen klaͤgli-
chen Ausgang gewonnen; Thyeſtes und Ma-
careus/ die mit ihnen heimlich zugehalten/ waͤ-
ren durch eigenhaͤndigen Tod umkom̃en. Der
Geſandte aber redete Arſinoen ein: Ptolomeus
wolte mit ihren Soͤhnen ſein eigenes Reich thei-
len; gegen welche er zeither zwar gekriegt/ kei-
nesweges aber ſie ihres vaͤterlichen Reichs zu
berauben/ ſondern nur die Ehre zu erlangen
getrachtet haͤtte: daß ſie es von ſeinen Haͤnden
empfingen/ und ihm deſthalben ſo viel mehr
verbunden wuͤrden. Dieſes alles waͤre Pto-
lomeus im Angeſichte der vaͤterlichen Goͤtter
mit einem kraͤfftigen Eyde zu erhaͤrten erboͤ-
tig. Wider des jungen Ptolomeus Beden-
cken ſetzte er: der Geſchwiſter Vermaͤhlung
waͤre der Natur nicht zuwider; die etlicher
Menſchen hieruͤber gefaſte Abſcheu waͤre ei-
ne von Kindauff eingefloͤſte Einbildung; und
weil ſelbte durch die Gewonheit insgemein be-
ſtaͤtigt wuͤrde/ haͤtte ſie ſich in ein angebohr-
nes Geſetze verkleidet. Nichtnur die beruͤhm-
teſten Helden/ ſondern ihre eigene Goͤtter
haͤtten ihre Schweſtern geehlicht/ Saturnus
die Opis/ Neptun die Thetys/ Jupiter die
Juno; Artemiſia waͤre des Mauſolus/ Me-
caſiptolema des Archetolis Schweſteꝛ und Eh-
Weib geweſt. Cimon haͤtte alſo geheyra-
thet; Solons Geſetze haͤtten es zu Athen
verſtattet/ die Egyptiſchen aber wegen gluͤck-
licher Heyrath des Oſiris und der Jſis/ wie
auch
[777[779]]Arminius und Thußnelda.
wie auch die Cariſchen/ nach dem Beyſpiele des
Hidrieus ſolches gar geboten. Der junge
Ptolomeus begegnete nun zwar dem Geſand-
ten: Die angezogenen Geſetze und Einwen-
dungen haͤtten alleine ihr Abſehn auf halbbuͤrti-
ges Geſchwiſter/ das zweyerley Muͤtter haͤtte;
welches auf Arſinoen nicht zu ziehen waͤre. Der
Geſandte aber lachte hieruͤber/ fragende: Ob
der Vater zu Zeugung eines Kindes nicht ein
mehrers beytruͤge als die Mutter/ derer Zuthat
wol arbeitſamer/ nicht aber edler waͤre. Ob
nicht der meiſten Voͤlcker Recht deßhalben die
Kinder der Gewalt der Vaͤter/ nicht aber der
Muͤtter unterwuͤrffe? Ob deßhalben die klu-
gen Spartaner wegen eines Vaters/ nicht a-
ber einer Mutter Kindern die Heyrathen ver-
boten haͤtten? Ob Ptolomeus nun nicht die
Verweigerung deſſen/ was dem gemeinen Poͤ-
fel frey gelaſſen/ fuͤr eine Verachtung aufzuneh-
men haben wuͤrde? Dieſer letzte Donnerſchlag
bewegte die nicht ſo ſehr wegen ihrer ſelbſt/ als ih-
rer Kinder halber aͤngſtige Arſinoe: daß ſie ih-
ren getreuen Chodion in Macedonien zu Ab-
nehmung des angebotenen Eydes abſchickte/ in
Meinung: daß ihre Eh ihre Kinder ſie mehr
als die Waffen fuͤr dem Grimme eines ſo maͤch-
tigen Feindes beſchirmen wuͤrde. Ptolomeus
umfaſte in dem Tempel des Jupiters/ welchen
die Macedonier fuͤr den heiligſten und aͤlteſten
hielten/ die Hoͤrner des Altares/ und das Bild-
nuͤß Jupiters/ ſchwur alſo mit unveraͤndertem
Geſichte: Er ſuchte die Heyrath ſeiner Schwe-
ſter von treuem Hertzen; Er wolle ſie nebſt ſich
auf den Reichs-Stul ſetzen/ keine aber nebſt ihr
in ſein Ehbette/ auch niemanden anders als ih-
re Kinder zum Macedoniſchen Zepter erheben.
Er kam hierauf ſelbſt mit nur etlichen Edelleu-
ten nach Caſſandrea/ und bethoͤrte Arſinoen
mehr mit ſeinem Liebkoſen/ als vorher mit ſei-
nem Meineyde; fuͤhrte ſie alſo in ſeine Stadt
Epidamus/ allwo das Beylager mit groſſen
Freuden und unbeſchreiblicher Pracht vollzo-
gen/ ja Arſinoen die Krone Macedoniens auf-
geſetzt ward. Allein alles diß/ was Arſinoens
Hertze als ein Magnetſtein an ſich zoh/ enteu-
ſerte als eine Veſchwerung des jungen Ptolo-
meus Gemuͤthe von ſeinem neuen Stiefvater.
Daher er ſich auch bey Zeiten aus dem Staube
machte/ und zu dem uͤber dieſer Heyrath ſchaͤu-
menden Koͤnige Belgius in Sicherheit verfuͤg-
te. Die einfaͤltige Arſinoe/ welche das gefaͤhr-
liche Wetterleuchten fuͤr die angenehme Mor-
genroͤthe anſah/ meinte ſie haͤtte mit der Krone
nun auch vom Donner unverſehrliche Lorbern
auf ihr Haupt geſetzt; und es koͤnte kein Gifft ei-
nes falſchen Hertzen mit einer ſo heiſſen Liebe be-
biſamt werden; alſo wolte ſie die ihr zu Epida-
mus wiederfahrne Anbetung zu Caſſandrea mit
einem gleichwichtigen Opffer abſchulden. Sie
reiſete daher vorher/ ließ alle Straſſen mit Per-
ſiſchen Tapeten/ die Koͤnigliche Burg mit Edel-
geſteinen/ die Thuͤrme mit Freuden-Feuern/
die Altaͤre mit brennendem Weyrauch erhellen/
ſchickte auch ihren ſechzehn jaͤhrigen Sohn Ly-
ſimachus/ und den zwoͤlf jaͤhrichten Philip mit
Myrthen gekroͤnet dem eingeladenen Ptolo-
meus entgegen. Allein der Unter gang greifft
insgemein ſchon nach uns/ wenn leichtglaͤubige
Sicherheit ſo wol Furcht als Fuͤrſicht aus dem
Hertzen gejagt hat. Welcher zwar ſie auffs
freundliche umarmte/ und mit vielem Kuͤſſen be-
thoͤrete; ſo bald er aber in Caſſandrea kam/
Stadt und Burg mit ſeinem Kriegsvolcke be-
ſetzte/ der Arſinoe Kinder aber toͤdten hieß. Die-
ſe fluͤchteten ſich in ihrer Mutter Zimmer und
Schoß/ aber ſie vermochte weder mit Entbloͤſ-
ſung ihrer Bruͤſte/ noch auch mit Fuͤrwerffung
ihrer Armen und Glieder den unmenſchlichen
Ptolomeus von ſo grauſamem Morde ihrer
Kinder abhalten. Ja ihr ſelbſt ward nicht er-
laubet ſie zu begraben/ ſondern ſie ward mit zer-
riſſenen Kleidern/ zerſtreuten Haaren aus der
Stadt geſtoſſen/ und mit zweyen Knechten in
Samothracien ins Elend verjagt; welches
Erſter Theil. F f f f fdurch
[778[780]]Sechſtes Buch
durch nichts mehr vergaͤllet ward/ als daß ſie
mit ihren Kindern nicht ſterben konte. Als
Ptolomeus allhier ſo abſcheulich wuͤtete/ fiel der
erzuͤrnte Belgius mit einem maͤchtigen Heere
in Macedonien ein; iedoch ſchickte er eine neue
Botſchafft an den Ptolomeus/ die ihm andeute-
te: daß er zwar ſein eigen Unrecht gegen Erſtat-
tung verurſachter Kriegs-Koſten vergeſſen wol-
te; die an der Arſinoen Hauſe veruͤbte Grau-
ſamkeit aber anders nicht/ als durch Abtretung
der Stadt Caſſandrea und des vaͤterlichen Rei-
ches an den ſich zu ihm gefluͤchteten Ptolomeus/
beygelegt werden koͤnte. Allein/ er bildete ihm
ein: es waͤre nicht ſchwerer einen groſſen Krieg/
als grauſame Laſter zu endigen; daher wieß er
dieſe Geſandſchafft ſchimpflich und mit dieſer
Antwort ab: Er koͤnte mit dem Belgius kei-
nen Frieden ſchluͤſſen/ als biß zwoͤlf Deutſche
Fuͤrſten ihm zur Verſicherung/ und alle ihre
Waffen ausgeliefert wuͤrden. Ja die ihn zu
ſtuͤrtzen beſchluͤſſende Rache Gottes bethoͤrte ihn
ſo gar: daß er die von den Dardanern ihm ange-
botene zwantzig tauſend Huͤlffs-Voͤlcker ver-
aͤchtlich ausſchlug/ vorwendende: daß ſeine
Kriegsleute der Macedonier Soͤhne waͤren/ die
unter dem groſſen Alexander die gantze Welt uͤ-
berwaͤltigt haͤtten. Koͤnig Belgius/ und der
junge Ptolomeus/ konten ſich uͤber des Ptolo-
meus hochmuͤthiger Antwort nicht genungſam
verwundern/ und ſich des Lachens enthalten;
drangen daher mit ihrem Kriegs - Heer uͤber
das Skandiſche Gebuͤrge und den Fluß Axius
in das Hertze Macedoniens; und nach dem
Ptolomeus mit allen ſeinen Kraͤfften ihnen bey
der Stadt Aedeſſa eine Schlacht lieferte/ wur-
den die Macedonier/ entweder weil es ihnen des
Ptolomeus auch zu ihres Reichs Auffnehmen
gereichende Laſter zu verfechten kein Ernſt war/
oder weil ſo denn/ wenn das Verhaͤngnuͤß die
Hand abzeucht/ die Hertzhafftigſten ihre Tu-
gend verlernen/ in weniger Zeit zertrennet/ und
aus dem Felde geſchlagen. Unter den Ver-
wundeten ward Ptolomeus ſelbſt/ und ein mit
Macedoniſchen Waffen angethaner Kriegs-
Knecht gefunden/ der dem halb todten Koͤnige
auf dem Halſe lag/ und mit ſeinem Degen ihm
ſchon ſieben Wunden verſetzt hatte. Wie nun
Koͤnig Belgius dieſen weg zu reiſſen/ und den
Ptolomeus aufzurichten befahl/ gab Arſinoe
durch Abziehung ihres Helmes ſich zu erken-
nen/ welche ihr anweſender Sohn Ptolomeus
alſobald thraͤnende umhalſete/ Belgius nach
groſſer Verwunderung aufs freundlichſte be-
willkommte; Sie aber erzehlte: daß ſie um ge-
gen ihrem Todfeinde verdiente Rache auszuuͤ-
ben/ bey vernommenem Kriege ſich in einen
Kriegsknecht verkleidet/ unter der Macedonier
Heer den Tag fuͤr der Schlacht ſich vermenget/
und durch die unvergleichliche Tapfferkeit der
Deutſchen/ als ſie den Ptolomeus in der Flucht
vom Pferde gerennet/ ihren Vorſatz gluͤckſelig
auszuuͤben Gelegenheit gefunden haͤtte. Ptolo-
meus oͤffnete uͤber dieſer Erzehlung ſeine ſchon
halb gebrochene Augen/ und ſahe mit einem tief-
fen Seufzer ſeine ſiegende Arſinoe an. Bel-
gius redete ihn hieruͤber mit ernſter Gebehr-
dung an: Dieſes iſt noch nicht genung dir dei-
nen Tod zu verbittern/ ſondern wiſſe: daß in
dreyen Tagen Belgius mit Arſinoen auff dei-
ner Koͤniglichen Burg ſein Hochzeit-Feyer hal-
ten wird. Ptolomeus ſeufzete hierauff/ noch
mehr aber/ als noch ſelbigen Tag ſich Aedeſſa;
und den dritten die Stadt Pella ergab/ und er
mit ſchaͤlen Augen/ und vergifftetem Hertzen ſo
wol den Macedoniſchen Stul/ als das Bette
Arſinoens vom Belgius betreten ſahe. Pto-
lomeus lief mit dem Kopffe wieder eine marmel-
ne Saͤule; worauf Belgius um ihn eines ſo
muͤhſamen Todes zu uͤberheben/ ihm das Haupt
abſchlagen/ und auff eine Lantze ſtecken ließ/ wel-
ches hernach zum Schrecken der Feinde durch
gantz Macedonien herum gefuͤhret ward. Mit
dieſem Schluͤſſel oder vielmehr mit dem Schre-
cken ſeiner blutigen Sebel eroͤffnete ihm Bel-
gius
[779[781]]Arminius und Thußnelda.
gius viel Staͤdte/ und erſchuͤtterte gantz Grie-
chenland. Die zwey Macedoniſchen Fuͤrſten
Meleager und Antipater unterſtunden ſich
zwar die Macedonier vom Wehklagen und
Verfluchung des laſterhafften Ptolomeus zur
Gegenwehr anzuleiten/ aber jener verlohr nach
ſechzig/ dieſer nach fuͤnf und vierzig Tagen mit
ſeiner zerſtreueten Macht die Koͤnigliche Wuͤr-
de; welche hingegen der junge Ptolomeus durch
der Deutſchen Huͤlffe/ und der Thracier Auff-
ſtand gegen die Macedoniſchen Landvoͤgte wie-
der erlangte. Endlich brachte der unedle
Soſthenes/ welcher eines Ackermannes Sohn/
und durch ſeine Tapfferkeit ein Oberſter uͤber
zweytauſend Kriegsknechte worden war/ das
Macedoniſche Weſen ein wenig in Stand/ ſin-
temal die von dem Marſingiſchen Fuͤrſten Ce-
rethrius vorher gedemuͤthigten Geten und Tri-
ballen den Deutſchen nach ſeinem fruͤhzeitigen
Abſterben hinterruͤcks eingefallen waren/ und
alſo Koͤnig Belgius ſeine Macht zuruͤcke ziehen
muſte. Soſthenes ward derogeſtalt zwar fuͤr
den Koͤnig in Macedonien ausgeruffen/ wie-
wol er nach dem Beyſpiele des groſſen Philip-
pus nur den Nahmen eines Feldherren an-
nahm; Alleine es kam Brennus der von dem
Necker aus dem Schwartzwalde in Pannonien
gezogener Tectoſager Hertzog/ welcher ſich in-
zwiſchen zum Meiſter in Jllyris biß an den
Fluß Drilon gemacht hatte/ auff bewegliches
zuſchreiben des Koͤnig Belgius mit einem fri-
ſchen Heere in Macedonien/ zu welchem Bel-
gius noch dreißig tauſend an der Oſt-See um
die Weichſel/ um die Agſtein-Jnſeln wohnende
Herulier und Skirer unter dem Fuͤrſten Aci-
chor ſtoſſen. Soſthenes begegnete zwar dem
Brennus bey Heraclea an dem Fluſſe Erich-
ton/ und verſuchte alles/ was einem tapfferen
Heerfuͤhrer moͤglich war; inſonderheit ſprengte
er aus: daß Brennus von ihm erlegt waͤre/ wor-
mit er denen Macedoniern einen Muth/ viel
Deutſchen auch irre machte; alleine der feurige
Brennus ließ ſich um dieſen ſchaͤdlichen Jrr-
thum zu wiederlegen/ bald als ein Blitz an der
Spitze ſehen/ und band mit dem auch unerſchre-
ckenen/ und fuͤr ein gantzes Koͤnigreich fechten-
den Soſthenes tapffer an. Dieſer aber hatte
mehr Hertze denn Gluͤcke. Denn er ward vom
Brennus aus dem Sattel gehoben/ von Pfer-
den ertreten/ das durch Verluſt ſeines Hauptes
verſtimmelte Heer in die Flucht/ und nicht al-
lein das von den Deutſchen uͤberſchwem̃te Ma-
cedonien groſſen Theils erobert/ ſondern auch
des Brennus Siegs-Fahnen biß an den Berg
Cytheron/ und die Corinthiſche Land-Enge
ausgebreitet. Denn weil die Griechen dem
Soſthenes Huͤlfsvoͤlcker zugeſchickt/ die Deut-
ſchen aber ſchon gute Zeit die beruͤhmten Herr-
ligkeiten Griechenlands im Kopffe hatten/ be-
ſchloß Brennus mit dem Fuͤrſten Acichor Grie-
chenland zu bekriegen. Das Geſchrey hiervon
erſchuͤtterte diß mehr/ als fuͤr Zeiten Xerxes mit
ſeinen unzehlbaren Perſen; daher auch der
Griechen Zuruͤſtung nunmehr zwey mal ſo groß
war. Ja alle benachbarte Koͤnige ſchickten ih-
nen Huͤlfsvoͤlcker/ inſonderheit Antiochus aus
Aſien den Teleſarchus/ und der inzwiſchen nach
dem Soſthenes in Macedonien auffkommende
Koͤnig Antigonus den Ariſtodemus. Der o-
berſte Feldherr war der Stadt Athen Kriegs-
Hauptmann Callippus. Gleichwol aber hiel-
ten ſich alle Kraͤfften Griechenlands zu ſchwach
den Deutſchen in freyem Felde zu begognen.
Anfangs ſetzten ſich zwar die Griechen an den
Fluß Peneus in Theſſalien; als aber ein ſchwa-
cher Vortrab von tauſend leichte berittenen Ly-
giern unter dem Berge Olympus bey Lariſſa
durchſchwem̃te/ hoben die Griechen uͤber Hals
und Kopff ihr Laͤger auf/ giengen uͤber den Fluß
Sperchius und warffen hinter ſich alle Bruͤcken
ab. Alſo erobeꝛte Brennus die Laͤndeꝛ Magneſia/
Theſſalien und Phtiothis ohne einigẽ Schwerd-
ſtreich. An dem Strome Sperchius aber hemm-
te ſich etlicher maſſen der Lauf ſeines Sieges.
F f f f f 2Denn
[780[782]]Sechſtes Buch
Denn dieſer floß nicht allein mit groſſem Unge-
ſtuͤmme vom Berge Pindus herab/ und hatte
allenthalben hohe felſichte Ufer; ſondern war
noch darzu vom Regen ſehr angelauffen/ und
von den Griechen beſetzt. Der nichts minder
ſchlaue als kuͤhne Brennus laß darum zehn tau-
ſend der laͤngſten Deutſchen aus ſeinem gantzen
Heere aus/ und ſchickte ſie unter dem den Nah-
men mit der That habenden Ritteꝛ Unverzagt in
aller Stille biß unterhalb Thebe den Strom
hinab/ welcher daſelbſt wegen ſeiner Ausbrei-
tung einem ſtehenden See aͤhnlicher als einem
Fluſſe iſt. Unverzagt muſte um nicht entdeckt
zu werden bey finſterer Nacht/ und zwar entwe-
der biß in den Hals watende/ oder ſchwimmende
uͤberſetzen; worzu ihm denn ein treuer Hund/
welchen er hernach auch auf ſeinen Schild mah-
len ließ/ zu einem guten Wegweiſer/ und vielen
Deutſchen ihre Schilde zu Kahnen dienen.
Cephiſſodor der Beotier Heerfuͤhrer hatte in ſel-
biger Gegend ſeinen Stand; Erkonte aber der
Deutſchen Antlitzer/ weniger ihre Schwerdter
vertragen; fluͤchtete ſich alſo auf den Berg Oe-
pta/ wiewol fuͤnf hundert uͤbereilte Beotier im
Stiche blieben. Critobul der Phocenſer/ Mi-
dias der Locrer/ und Polyarchus der Etolier
Feld-Hauptleute giengen ebenfals durch/ und
ſetzten ſich an die Thermopyliſche Berg-Enge
an den Maliakiſchen See-Buſem. So bald
die Phtiotier die Bruͤcke uͤber den Fluß Sper-
chius wieder gelegt hatten/ gieng Brennus mit
ſeinem gantzen Heere uͤber/ und wormit er den
Griechen ſo viel eher ans Hertz kaͤme/ wolte er
ſich mit Belaͤgerung der wolbeſetzten Stadt
Heraclea nicht auſhalten. Ungeachtet nun die
Eroberung der Thermopylen mehr als ein
menſchliches Werck zu ſeyn ſchien; und die
Deutſchen ſelbſt ſelbige Unmoͤgligkeit wieder-
riethen; ſagte doch Brennus: haͤtten die Grie-
chen das Meer und die Felſen/ ſo haͤtten die
Deutſchen ihr kuͤhnes Hertz zur Mauer; ließ al-
ſo folgenden Tag mit aufgehender Sonne da-
ſelbſt zu Sturme lauffen. Keine Reuterey war
in dieſen felſichten und noch darzu wegen vieler
Qvelle ſchluͤpfrichten Orte zu brauchen. Den
erſten Angrief thaͤt Ritter Sultz mit unglaubli-
cher Tapfferkeit/ eroberte auch gegen den Ober-
ſten der Megarenſen Megareus die erſte Hoͤhe
des Gebuͤrges. Jhn entſetzte der Ritter Schlick/
und bekam den Felſen ein/ auff welchem eine
Ertztene Saͤule des Hercules ſtand; die er auch
hernach in ſeinem Schilde fuͤhrte. Auff der
dritten Hoͤhe bemeiſterte Ritter Schwartzen-
berg zwey feſte Thuͤrme/ und trieb den Lyſander
mit ſeinen Beotiern daraus. Die oberſte Spi-
tze dieſes Berges behauptete zwar der Ritter Ho-
henlohe; er ward aber in die Bruſt toͤdtlich ver-
wundet; gleichwol aber rieß er den Pfeil grim-
mig aus ſeiner Wunde/ und erſchoß mit ſelbtem
noch der Beotier Oberſten Thearidas. Die
den Berg hinab gehenden Verſetzungen verlief-
fen die Griechen ohne Gegenwehr/ und wur-
den die Deutſchen des an dem Meere liegenden
engen Thales Meiſter. Wie nun Fuͤrſt Aci-
chor den andern Berg zu beſtuͤrmen anfing/ wel-
chen der Griechiſche Feldherr Callippus ſelbſt
nebſt dem Midias/ Diogenes/ Lacrates/ und dem
tapfferen Cydias vertheidigten/ dieſer letzte auch
vom Acichor eigenhaͤndig erlegt ward; kam der
Athenienſeꝛ Schif-Flotte herfuͤr/ und uͤberſchuͤt-
tete von der Seite die Deutſchen mit ihren Pfei-
len wie mit einem Hagel; alſo: daß nach dem ſie
dieſen Sturm zwey Stunden ausgeſtanden/
und gleichwol dem Callippus genung zu ſchaf-
fen gemacht/ ſie nur auf den erſten Berg zuruͤ-
cke weichen muſten. Brennus wuͤtete fuͤr Un-
muth: daß er daſelbſt nicht durchbrechen konte;
daher ließ er den Fuͤrſten Acichor alldar die
Griechen unaufhoͤrlich mit blinden Lermen be-
unruhigen; Er ſelbſt aber zohe mit dem groͤſten
Theile ſeines Heeres ſich unter dem Berge Oe-
ta weſtwerts hin; und verſuchte durch die Tru-
chiniſche Berg-Enge; wo nur zwey Menſchen
neben einander gehen koͤnnen/ durchzukommen.
Er
[781[783]]Arminius und Thußnelda.
Er ſelbſt war nicht zu erhalten: daß er nicht ſei-
ne Tectoſager anfuͤhrte. Er erlegte mit ſeiner
eignen Hand zwar auch den Oberſten Teleſar-
chus/ und drang biß zu dem auf einer hohen
Klippe liegenden Tempel der Minerve durch;
aber die Klippen waren daſelbſt Thuͤrme hoch:
daß nur Brennus an ihnen den Kopf zu zerbre-
chen vernuͤnfftig unterlaſſen muſte. Weil a-
ber unter allen Griechen die Etolier den Deut-
ſchen am hartnaͤckigſten begegneten/ ſchickte
Brennus die Fuͤrſten Oreſter und Combut mit
40000. Mann uͤber den Fluß Sperchius/ wel-
che durch Theſſalien uͤber den Berg Callidro-
mus in Etolien einbrachen; alles mit Feuer und
Schwerd verheerten/ und hierdurch die Etolier
zu Beſchirmung ihres Eigenthums von Ther-
mopylen wegzohen; welche aber nebſt ihren
Gehuͤlffen den Patrenſen nur in den Gebuͤr-
gen ſich aufhalten/ und nach etlichen Treffen/
und verbrennter Stadt Callium mit reicher
Beute muſten abziehen laſſen. Unterdeſſen
weil die Heracleer und Aeniater der Deutſchen
Laſt uͤberdruͤßig waren/ weiſeten ſie nicht zwar
aus Haß gegen die Griechen/ ſondern um ſich
zu entbuͤrden dem Hertzog Brennus ſelbſt einen
leichten Weg uͤber den Berg Oeta/ auf welchem
fuͤr Zeiten der Mede Hydarnes den Leonides uͤ-
berfallen/ und Ephialtes die Perſen in Phocis
geleitet hatte. Die Phocenſer hatten dieſen
Eingang zwar auch beſetzt; aber der zu ſelbiger
Zeit fallende Nebel verbarg die Deutſchen ſo
lange: daß die Griechen dieſer nicht ehe/ als biß
ſie gantz umringt waren/ gewahr wurden. Da-
her wurden ſie faſt alle erſchlagen oder gefangen;
und brachten wenig entflohene dem Callippus
von der Ankunfft der Deutſchen die traurige
Zeitung. Callippus wendete ſich zwar gegen den
Brennus/ aber nach einem zweyſtuͤndigem Ge-
fechte gieng bey den Griechen alles uͤber einen
Hauffen/ ſonderlich/ da der tapfere Callippus ge-
faͤhrlich verwundet ward. Daheꝛ fluͤchtete ſich al-
les/ was noch den Deutſchen Schwerdtern ent-
ran/ auf die Athenienſiſchen Schiffe; von denen
aber eine ziemliche Anzahl uͤberladen ward/ und
in dem Schlamme ſtecken blieb; alſo von denen
ins Meer watenden Deutſchen noch erobert
wurden. Fuͤrſt Acichor ruͤckte hiermit unver-
hindert durch die Thermopylen; gantz Phocis
und Achaien ſelbſt biß an Athen muſte ſich dem
Brennus ergeben und fuͤr ihm demuͤthigen.
Der gantze Peloponneſus aber die Corinthiſche
Land-Enge beſetzen/ das Cytheriſche Gebuͤrge
verhauen/ und die holen Wege mit abgeſtuͤrtzten
Klippen verriegeln/ um der Deutſchen Einfall
zu verhindern. Mir iſt hierbey das Gedichte
nicht unbekandt; als wenn Brennus kein gerin-
gerer Gottes-Spoͤtter wie Dionyſius geweſt
waͤre; welcher bey Beraubung der Tempel fuͤr-
gegeben: daß der guͤldene Mantel dem Apollo
im Sommer zu ſchwer/ im Winter zu kalt waͤ-
re; und die guͤtigen Goͤtter ihme ſelbſt ihre guͤl-
dene Kraͤntze zulangten/ und daß ſelbter den
Delphiſchen Tempel auf dem Berge Parnaſ-
ſus/ darinnen ein aus einer unterirrdiſchen Hoͤ-
le aufſteigender Wind die Prieſter zum Wahr-
ſagen begeiſtern ſoll/ ſeines dahin gewiedmeten
Reichthums zu berauben vor gehabt haͤtte/ vom
Erdbeben und anderm Ungluͤck aber/ nach dem
er ihm vorher einen Dolch ins Hertz geſtoſſen/
ſamt ſeinem gantzen Heer aufgerieben/ und kein
einiger Menſch errettet worden waͤre. Alleine
dieſes Gedichte werden nicht allein nachfolgen-
de Thaten des Brennus wiederlegen; ſondern
es wiederſprechen ihnen die Geſchichtſchreiber
ſelbſt/ da ſie theils bekennen muͤſſen: Es waͤre
dieſer Tempel im heiligen Kriege von den Pho-
cenſern lange vorher aller Schaͤtze beraubt wor-
den/ theils fuͤr gegeben: Es haͤtten die unter de-
nen Tectoſagern vermiſchte Toliſtobogier die
Schaͤtze wuͤrcklich erobert und zum theil in ihr
Heiligthum nach Toloſa geliefert/ zum theil da-
ſelbſt in einen See geworffen/ welches hernach
der Roͤmiſche Heerfuͤhrer Coͤpio zu ſeinem groſ-
ſen Ungluͤcke heraus gefiſchet haͤtte. Es ruͤh-
F f f f f 3ret
[782[784]]Sechſtes Buch
ret aber dieſes falſche Geſchrey daher: Hertzog
Brennus ſchickte einen aus dichtem Golde ge-
machten Spieß/ derogleichen die Tectoſager
nach der aͤlteſten Voͤlcker Art fuͤr ein goͤttliches
Bild verehrten/ in den Delphiſchen Tempel zu
einem Geſchencke. Die aberwitzigen Prieſter
aber/ welche dieſes Kriegriſche Gewehre fuͤr ei-
ne Andeutung des Krieges hielten; da doch die
Saͤulen des Apollo ſelbſt Lantzen und Pfeile
fuͤhren/ weigerten ſich nicht alleine ſelbte anzu-
nehmen/ unter dem Vorwand: daß Gold und
andere unnuͤtze Schaͤtze der Tempel nur Anlaß
zu ihrer Entweihung und zum Kirchen-Raube
gebe/ wie ſie es ſchon vom Philomelus/ und an-
dere reiche Tempel Griechenlands vom Phi-
lippus/ des Belus oder Didymeiſchen Jupi-
ters vom Antiochus und die Egyptiſchen Hei-
ligthuͤmer vom Cambyſes erfahren haͤtten; ſon-
dern ſie lieſſen auch einem ſo maͤchtigen Fuͤrſten
hoͤchſt unzeitig entbieten: daß ihr Gott am Ge-
ſchencke geraubter Guͤter kein Gefallen haͤtte.
Welches den Brennus derogeſtalt verbitterte:
daß er uͤber die Prieſter Rache auszuuͤben mit
ſeinem Heere dem Tempel ſich naͤherte. Es
traf ſich aber ungefaͤhr: daß als ſelbtes den Tem-
pel im Geſichte hatte/ die Sonne ſich verfinſter-
te; welches/ wie ieder zeit dem unwiſſenden Poͤ-
fel/ alſo auch dißmal den Tectoſagern nicht ein
geringes Schrecken einjagte; die Delphiſchen
Prieſterinnen aber zum Aberglauben meiſter-
lich zu gebrauchen wuſten; in dem ſie gleichſam
als verzuͤckt mit zerſtreuten Haaren und mit
Schlangen in Haͤnden/ unter das zu Beſchir-
mung des Tempels verſammlete Volck lieffen/
vorgebende: Sie haͤtten den Apollo in Geſtalt
eines ſchoͤnen Juͤnglings mit zwey gewaffneten
Jungfrauen/ welches Diana und Mineꝛva ſeyn
muͤſte/ vom Himmel in den Tempel abſteigen
geſehen; ſie haͤtten gehoͤrt das Schwirren der
Waffen und der geſpanneten Bogen; die Gei-
ſter des laͤngſt verſtorbenen Pyrrhus Hypero-
chus und Laodocus waͤren ihre Vorgaͤnger; al-
ſo moͤchten ſie nicht die Gelegenheit verſaͤumen
mit denen vorgehenden Goͤtteꝛn die vom Schre-
cken ſchon halb todte Feinde anzufallen. Fuͤr
dieſen wuͤtenden Leuten waͤre der angefallene
Vortrab aus einer aberglaͤubiſchen Beſtuͤrtzung
zuruͤck gewichen/ und von ſelbtem an ſtatt des
Fechtens mit ſeinen Waffen um der verfinſter-
ten Sonne zu helffen/ ein groſſes Gethoͤne ge-
macht worden. Rhemetalces fing an: Es iſt
nichts ungemeines: daß die tapfferſien Leute
durch ein ſolch unverſehenes Schauſpiel er-
ſchreckt/ oder durch eine aber glaubiſche Andacht
in die Flucht bracht worden. Alſo zerſtreuten
die Valisker und Tarqvinier/ wie auch die Ve-
jenter und Fidenater zwey mal das Roͤmiſche
Heer durch eine Menge als Prieſter angeklei-
deter Kriegsleute/ welche mit Schlangen und
Fackeln in Haͤnden ſie gleichſam raſende anfie-
len. Adgandeſter verſetzte: Brennus aber ließ
ſich dieſe Larven nicht ſchrecken; ſondern ſprach
ſeinem fortzuruͤcken ſich weigerndem Heere/
welches ihr Fuͤrnehmen fuͤr ein Gott widriges
Erkuͤhnen gehalten/ und ihm ſelbſt den Unter-
gang wahrgeſagt/ durch ſeine mit ſich gefuͤhrte
Prieſter/ welche hierinnen beym Poͤfel vermoͤ-
gender als Obrigkeiten ſind/ vernuͤnfftig zu/ und
verſicherte es: daß dieſe aus natuͤrlichen Urſachen
entſtandene Finſternuͤß in einer Stunde uͤber-
hin ſeyn wuͤrde. Worauf er denn auch bey der
darauf folgenden ſchoͤnen Ausklaͤrung des Him-
mels/ welche die Sonnen-Finſternuͤſſe wie der
Wind die Monden-Finſternuͤſſe insgemein zu
begleiten pflegt/ die ihm entgegen raſenden
Hauffen unſchwer zerſtreuete/ etliche ſchuldig
befundene Prieſterinnen toͤdtete/ die andern abeꝛ
beſchenckte/ in dem Tempel ſeine Andacht ver-
richtete/ ja zwey in ſeinem Heere befindliche Fuͤr-
ſten aus Theſſalien/ welche ein Marmelnes
Siegsbild aus dem Delphiſchen in einen Theſ-
ſaliſchen Tempel gebracht hatte/ ſtraffte/ und an
ſeinen erſten Ort ſetzen ließ. Ob auch wol die
Phocenſer hernach aus einem blinden Eyver
und Aberglauben dem Brennus unter der
Stadt Ambryſus einfielen; wurden ſie doch mit
bluti-
[783[785]]Arminius und Thußnelda.
blutigen Koͤpffen abgewieſen/ und ihr Heerfuͤh-
rer Aleximachus ſelbſt getoͤdtet. Fuͤrſt Zeno
brach hier ein: Es wunderte ihn nunmehr weder
die Ausſprengung von des Brennus erdichtetem
Untergange/ noch auch des Deutſchen Heeres
Schrecken uͤber der Sonnenfinſternuͤß; Nach
dem auch die Affen und andere wilde Thiere ſich
daruͤber entſetzten/ und vielen tapfern Kriegsleu-
ten mehrmals das Schwerd aus den Haͤnden
gefallen waͤre. Alſo waͤre des groſſen Alexanders
Heer an dem Fluſſe Tigris bey der Mondenfin-
ſternuͤß faſt verzweiffelt/ haͤtte auch um keinen
Fuß breit wider der Goͤtter Willen fortzuſetzen
einen Aufſtand gemacht; welchen Alexandeꝛ ſelbſt
zu ſtillen nicht getraut/ ſondern die Beſtuͤrtzten
durch die Egyptiſchen Warſager beredet haͤtte:
daß der Monde der Perſer Sonne waͤre/ und
ſeine Verfinſterung ihnen allezeit Ungluͤck be-
deutete. Niccas haͤtte bey ereigneter Finſternuͤß
mit ſeiner Schiffflotte aus dem Hafen in die See
zu lauffen ſich nicht erkuͤhnet/ und dardurch der
Stadt Athen unfaͤglichen Schaden zugefuͤget.
Koͤnig Archelaus in Macedonien haͤtte fuͤr
Furcht die Burg verſchloſſen/ und zum Zeichen
ſeiner Beſtuͤrtzung ſeinem Sohne die Haare ab-
ſcheren laſſen. Der vorhin nie erſchrockene Han-
nibal haͤtte ſich fuͤr ſeiner mit dem Scipio zuletzt
gehaltenen Schlacht uͤber Verfinſterung der
Sonnen ſo ſehr; als Koͤnig Perſeus/ da er gegen
die Roͤmer ſchlagen ſolte/ uͤber der Mondenfin-
ſterniß entſetzt. Welches alles daheꝛ gefloſſen: daß
nicht nur der Poͤfel/ welchem man die Urſachen
der Finſternuͤſſe mit Fleiß verſchweiget/ ſondern
auch die Weltweiſen ieder zeit ſehr ſeltzame Mei-
nungen hiervon gefuͤhret haben. Anaximander
meinte/ der Sonnen und dem Monden wuͤrde
bey ihrer Verfinſterung das Loch verſtopft/ wor-
aus ſie ihr Feuer und Licht ausſchuͤtteten; Hera-
cletus: Es kehrten ſich ihre nur auf einer Seiten
leuchtende Kugeln um; Xenophanes: Es gebe
viel Sonnen/ welche nach und nach verleſchten;
biß Thales endlich die Warheit gelehrt: daß der
zwiſchen die Sonne und die Erdkugel tretende
Monde der Sonnen/ die Erde aber mit ihrem
Schatten des Monden Finſternuͤß verurſache.
Die ſonſt genungſam geſcheuten Brahmaͤnner
glaubten aber noch viel thoͤrichter: Sonn und
Monde wuͤrden von zweyen Schlangen ge-
freſſen; die Serer: dieſe zwey Geſtirne verlieren
ihren Schein aus Furcht fuͤr einem Hunde und
Drachen/ der ſie zu verſchlingen draͤute; andere
Jndianer: ſie wuͤrden von dem geſtirnten Dra-
chen gebiſſen. Rhemetalces fing an: Dieſe Wiſ-
ſenſchafft iſt vielen eine Handhabe ihres Gluͤ-
ckes/ wie deꝛ erſten aber glaͤubiger Unverſtand ei-
ne Urſache ihres Verderbens geweſt. Denn der
in Africa ſegelnde Agathocles machte durch Aus-
legung der damals ſich ereignenden Sonnenfin-
ſternuͤß ſeinem Kriegsvolcke ein groſſes Hertz; in
dem er ihre boͤſe Bedeutung artlich auf die/ wi-
der welche er zog/ abweltzte. Und der die natuͤrli-
che Urſache des verfinſterten Monden anzeigen-
de Sulpitius Gallus half der Beſtuͤrtzung des
Roͤmiſchen Heeres ab. Unterſchiedene Heerfuͤh-
rer haben hierdurch ihr auffruͤhriſches Kriegs-
volck beſaͤnftiget. Niemand/ ſagte Adgandeſter/
hat ſich der Vorſehung der Finſternuͤſſe nuͤtzli-
cher/ als Hanno gebraucht/ welcheꝛ in dem Atlan-
tiſchen Eylande mit ſeinem gantzen Heere haͤtte
erhungeꝛn muͤſſen; weñ er nicht die wilden Ein-
wohner daſelbſt mit einem in wenig Stunden
bevorſtehenden Finſternuͤſſe erſchreckt/ und ſie zu
Lieferung reichlicher Lebensmittel bewegt haͤtte.
Sintemal dieſe einfaͤltigen Wilden ſo denn das
Ende der Welt beſorgen und darfuͤr halten: die
Geſtirne wuͤrden von einem hoͤlliſchen Geiſte
verſchlungen; oder Sonn und Monde waͤren
auf die Menſchen ergrim̃et; oder auch: ſie wuͤr-
den von boͤſen Leuten bezaubert; dahero ſie ins-
gemein mit klingendem Ertzte/ Kieſelſteinen und
andern Dingen ein Geraͤuſche machten/ etliche
auch ihre Wangen zerkratzten/ und ihre Haare
ausraufften. Die Deutſchen pflegten ſich auch
der gleichen Gethoͤnes aber mehꝛ aus angenom̃e-
ner Gewohnheit von andern Voͤlckern/ als aus
Aberglauben zu gebrauchẽ. Ob nun wol freylich
die
[784[786]]Sechſtes Buch
die Finſternuͤſſe der zwey groſſen Welt-Lichter
ſo wol ihre ordentliche Urſachen als ihre Geſetze
Zeit haben; ſo iſt deßhalben es der goͤttlichen
Verſehung unverſchrenckt: daß ſie hierdurch
groſſe Enderungen/ und inſonderheit die Ver-
duͤſterung groſſer Welt-Lichter/ wie der Schat-
ten an den Sonnen-Uhren die Stunden an-
deute. Maſſen denn wenige Zeit hernach ſo
wol Brennus als Belgius ihrem Leben und
Siegen ein Ende machten. Bey dieſen To-
desfaͤllen ereigneten ſich unter den Deutſchen
Fuͤrſten allerhand Zwytrachten; welche die groͤ-
ſten Reiche auch biß zu der euſerſten Ohnmacht
zu entkraͤfften maͤchtig ſind. Bey welcher Un-
ruh Antigonus ſich wider gantz Macedoniens
bemaͤchtigte. Gleichwol aber behauptete des
Belgius Sohn Commontor nebſt dem halben
Pannonien ein Stuͤcke von Dacien/ Myſien
und Thracien/ zwiſchen dem ſchwartzen Meere
und dem Fluſſe Athyras/ nach dem er vorher die
Geten und Treballen in etlichen Schlachten
aufs Haupt erleget hatte. Dieſer Fuͤrſt erlang-
te durch ſeine Helden-Thaten in Europa und
Aſien einen ſo ſtarcken Nahmen: daß alle ferne
Koͤnige an ſeinen neuen Reichs-Sitz die Stadt
Tube ſchickten/ und den Hertzog Commontor
um Huͤlffe und Buͤndnuͤß erſuchten. Denen
Byzantiern nahm er nach etlichen Treffen ihre
fetten Aecker/ und brachte ſie derogeſtalt ins Ge-
drange: daß ſie ihm und ſeinen Nachkommen
jaͤhrlich 80. Talent zum Geſchencke ſenden mu-
ſten. Unter dieſem ehrlichen Nahmen verhuͤl-
len die ſchwaͤchern Herrſchafften die ſchimpfli-
chen Schatzungen. Jn dieſem Zuſtande blieb es/
biß Fuͤrſt Cavar von den Thraciern uͤber wun-
den ward. Brennus verließ unterſchiedene
Soͤhne/ und zwar ſeinem Sohne Hunn Pan-
nonien/ den andern beyden Leonor und Luthar
nebſt einer ſchlechten Abſtattung ſeine zwey beſte
Sebeln/ mit der Erinnerung: daß dieſe/ die
Tugend und das Gluͤcke ſchon maͤchtig genung
waͤren/ ſie mit einem Erbtheile etlicher Reiche
zu verſehen. Koͤnig Hunn aber eignete ſeines
Vaters Feld-Hauptmanne Theſſalor ein Her-
tzogthum zwiſchen dem Jſter und der Sau zu/
welcher die ihm untergebenen Voͤlcker nach ſei-
nem Vater die Scordißker nennte. Dieſer ließ
anfangs zwar in ſeinem Reiche ihm nichts mehr/
als den Ruhm ſeiner Gelindigkeit angelegen
ſeyn; nach dem er aber durch allerhand Kuͤnſte
die Gemuͤther ſeiner Unterthanen und die Ge-
wogenheit der Nachbarn gewonnen hatte/ ver-
leitete ihn die einmal gekoſtete Suͤßigkeit der
Herrſchafft ſo weit: daß er ſo gar auff den Pan-
noniſchen Zepter ein Auge warf/ unterſchiedene
Pannoniſche Fuͤrſten/ welche der Deutſchen
Herrſchafft uͤberdruͤßig und der Neuigkeit be-
gierig waren/ auf ſeine Seite/ die Geten und
Triballen aber wider die Deutſchen in ein
Buͤndnuͤß brachte. Nach dem dieſen verſchwor-
nen nun unterſchiedene Anſchlaͤge den Koͤnig
Hunn durch Gifft hinzurichten fehl ſchlugen/
beſchloſſen ſie ihn auf der Jagt/ welche Sinadat
einer ſeiner geheimſten Raͤthe anſtellte/ aufzur ei-
ben. Hunn war ſchon auf dem Wege/ als ein
Deutſches Weib ſich qver uͤber einen engen
Weg legte/ wordurch der Koͤnig reiten ſolte/ und
mit aufgehobenen Haͤnden bat/ er moͤchte keinen
Schritt ferner reiten/ ihm auch von des Sina-
dats eigenem Weibe ein verſchloſſen Schreiben
einhaͤndigte/ welches das Geheimnuͤß der Ver-
raͤtherey umſtaͤndlich entdeckte; von welchem ſie
ihren Ehmann abwendig zu machen nicht ver-
mocht haͤtte. Hunn entſetzte ſich uͤber iedem
Worte/ weil er die/ denen er die groͤſte Treue
zu- und das Hefft ſeines Reiches anvertraut hat-
te/ unter dem Verzeichnuͤſſe der ſchlimmſten
Verraͤther fand. Alſo kehrte er ſtillſchweigend
zuruͤcke/ ließ ihre Schrifften durch ſuchen/ und/
nachdem er darinnen augenſcheinlichen Be-
weiß fand/ ſelbte an ſtatt des Wildes auf der an-
geſtellten Jagt fangen/ und denen zwey fuͤr-
nehmſten Raͤdelsfuͤhrern Sinadat und Jrenitz
die Koͤpffe abſchlagen. Jhr Goͤtter! fing die
Koͤni-
[783[787]]Arminius und Thußnelda.
Koͤnigin Erato an zu ruffen/ mit was fuͤr Em-
pfindligkeit iſt dieſer Schlag nicht des Sinadats
Weibe durchs Hertz gegangen? Hat ſie einen
Augenblick den Tod ihres Ehmanns uͤberlebt/
dem ſie eh als der Hencker das Meſſer an die
Gurgel geſetzt? Oder haben die/ welche ihre Eh-
maͤnner aufrichtiger lieb gewonnen/ nicht ſie als
eine Unholdin/ die den Eyd der Treue/ und das
heilige Band der Ehe zerriſſen/ verfluchet? Fuͤrſt
Rhemetalces laͤchelte/ und bat/ ſie moͤchte dieſe
Ruhms-wuͤrdige Heldin/ welcher Pannonien
einen Ehren-Krantz ſchuldig blieben waͤre/ nicht
unverhoͤrter Sache durch ein ſo ſtrenges Urtheil
verdammen. Denn ob zwar die Liebe eines
Ehweibes alle andere uͤbertreffen ſolte/ waͤre
ſelbte doch dem Maͤß-Stabe der Vernunfft
unterworffen/ ohne welchen alle Tugenden zu
Laſtern wuͤrden. Sie koͤnte ihr Hertz
zwar mit keinem Nebenbuhler theilen/ aber ſie
waͤre nicht befugt es ihrem Vaterlande zu ent-
ziehen; welches uͤber uns mehr Gewalt haͤtte/ als
Vaͤter uͤber ihre Kinder/ und Maͤnner uͤber
ihre Weiber. Der Ehleute Liebe waͤre ange-
nommen/ des Vaterlands aber angebohren.
Ja auch die angebohrne muͤſte des Vaterlands
Liebe aus dem Wege treten. Daher haͤtte A-
geſilaus zu unſterblichem Nachruhme ſeinen
Sohn Pauſanias der Spartaner Fuͤrſten/ weil
er ſein Vaterland dem Xerxes fuͤr 500. Talent
verrathen wollen/ durch Hunger getoͤdtet/ ſeine
Mutter aber die Leiche unbegraben weggeworf-
fen. Brutus und Caſſius haͤtten dieſe Zaͤrtlig-
keit ihnen aus dem Gemuͤthe geſchlagen/ als ſie
beyde ihre wider das Vaterland aufgeſtandene
Soͤhne zum Tode verurtheilet; und Fulvius/
als er ſeines Sohnes Kopf ſpringen ſahe/ geſagt:
Er haͤtte ihn nicht dem Catilina wider das Va-
terland/ ſondern dem Vaterlande wider Catili-
nen gezeuget. Das Vaterland koͤnte wohl be-
ſtehen/ wenn ein Geſchlechte zu Grunde ginge/
dieſes aber nicht/ wenn jenes fiele. Da nun ih-
rer ſo viel ihre ſelbſteigene Liebe des Vaterlands
nachgeſetzt/ und deſſen Wohlſt and mit ihren Lei-
chen unterſtuͤtzet haͤtten/ wie waͤre des Sinadats
Ehfrau ohne ſich der Verraͤtherey ſelbſt theil-
hafft zu machen ihres verraͤtheriſchen Ehmanns
zu ſchonen/ und das gemeine Heil in Grund
zu ſtuͤrtzen berechtigt geweſen? Sintemal ja die
Eh ein Verbuͤndnuͤß der Hertzen/ nicht aber der
Laſter ſeyn ſolte. Erato begegnete dem Rheme-
talces: Sie gebe gerne nach: daß ein Weib ihren
Ehmann von boͤſen Entſchluͤſſungen abzuleiten
bemuͤht ſeyn; aber ihn doch nicht ſelbſt angeben
ſolte. So wenig einer ſich ſelbſt anzuklagen
ſchuldig waͤre/ ſo wenig laͤge es ſeiner unzertreñ-
lichen Gefaͤrtin in allem Ungluͤck und zweifel-
hafften Faͤllen ob. Calliroe/ welche ihres Va-
ters Lycus abſcheuliche Menſchen-Opferung
ihrem Liebhaber Diomedes entdecket/ haͤtte ſich
hernach mit einem Stricke erhencket; Byſatia
die eben dis von dem Maſſyler Koͤnige dem Craſ-
ſus offenbart/ ihr die Kehle abſchneiden muͤſſen.
Alſo wuͤrde ſie ſich nimmermehr uͤberwinden/
aus Liebe des Vaterlandes dem Ehmanne treu-
loß zu weꝛden/ welchen der meiſten Voͤlcker Recht
uͤber ihre Weiber die Gewalt des Lebens und
des Todes zueignet. Adgandeſter ward erſucht/
hieruͤber den Ausſchlag zu geben/ aber er lehn-
te ſein begehꝛtes Uꝛtheil mit allerhand Unterſchei-
dungen der Umbſtaͤnde ab; wolte des Sinidats
Ehweib wedeꝛ gaͤntzlich veꝛtheidigẽ noch veꝛdam-
mẽ; vorwendende: Es gebe ſolche Thaten; welche
nach der Eigenſchafft der auf dem Lande und
im Waſſer lebender Thiere gewiſſer maſſen zu
den Tugenden und Laſtern gerechnet werden
koͤnten. Jedoch/ ſagte er/ fragte Koͤnig Hunn
nach der Zeit wenig nach ihr; ſie ſelbſt brachte ihr
uͤbriges Leben mit Einſamkeit hin/ ihren Kin-
dern aber nur die Ungenoſſenheit der nichts
minder fallenden Straffen zuwege. Der
Skordisker Fuͤrſt Theſſalor fluͤchtete ſich zum
Antigonus/ und erhaͤrtete durch ſein Beyſpiel:
daß ein beleidigter Freund mehr als tauſend
Feinde Unheil ſtiften koͤnten. Denn nach dem
Erſter Theil. G g g g galle
[784[788]]Sechſtes Buch
alle Deutſchen alle innerliche Unruh geſtifftet/
die Geten und Treballen gezaͤhmt hatten/ wur-
den ſie/ und inſonderheit Leonor und Luthar luͤ-
ſtern/ das verlohrne Macedonien wieder zu er-
obern. Der Koͤnig Hunn ſchickte deshalben zum
Antigonus eine Bothſchafft/ oder vielmehr
Kundſchaffer die Beſchaffenheit Macedoniens
anszuſpuͤren; welche Antigonus aufs koſtbarſte
unterhielt/ und ihnen ſeine groſſe Gold- und
Silber-Klumpen/ als die Spann-Adern der
Kriege/ nebſt den Elefanten zeigte. Dis aber/
was die Deutſchen vom beſor glichen Kriege ab-
ſchrecken ſolte/ reitzte ſie nur mehr zur reichen
Beute an; zumal die Geſandten berichteten:
daß das Macedoniſche Laͤger gar nicht befeſtigt/
fahrlaͤſſig bewacht wuͤrde; das Eiſen lieſſe man
daſelbſt verroſtern; gleich als wenn ſie durch ih-
ren Uberfluß des Goldes ſchon genungſam ſicher
waͤren. Dieſemnach ſetzten beyde Hertzoge
Leonor und Luthar in moͤglichſter Eil uͤber den
Fluß Strymon/ und eilten dem oberhalb Hera-
clea geſchlagenen Laͤger zu. Antigonus aber
traute nicht der Deutſchen Ankunfft zu erwar-
ten/ ſondern ließ das volle Laͤger ſtehen/ und flohe
mit ſeinem Heere in das Bertiskiſche Gebuͤrge/
theils in die See-Stadt Arethuſa/ umb die in
dem Strymoniſchen See - Buſem liegende
Kriegs-Flotte zu verſtaͤrcken. Weil nun da-
zumal in Griechenland die bereit fuͤr hundert
Jahren geſchehene Phaenniſche Weiſſagung in
groſſem Ruffe war: daß die Deutſchen in Aſien
ein maͤchtiges Reich aufrichten wuͤrden; zohen
Leonor und Luthar gerade dem Meere zu/ uͤber-
fielen auch die bey Arethuſa liegende Schiffe
wie ein Blitz. Als aber die Deutſchen ihnen
von keinem Feinde was mehr traͤumen lieſſen/
ſondern nur in den Schiffen Beute machten;
kam die bey Stagira liegende Schiff-Flotte des
Antigonus mit vollem Segel angelauffen/ und
erlegtẽ in den Schiffẽ beynahe 3000. Tectoſager.
Nichts deſto weniger behaupteten ſie etliche 20.
Schiffe/ mit welchen ſie lange auf dem Aegei-
ſchen Meere herumb kreutzten/ biß ſie von denen
eroberten Schiffen eine ſtarcke Kriegs-Flotte
zuſammen brachten; und bald dar bald dort in
Aſien reiche Beute holeten; inſonderheit aber
die Attaliſchen Laͤnder ſehr aͤngſtigten. Jnzwi-
ſchen kam Koͤnig Pyrrhus/ nach dem er gute
Zeit mit allerhand Zufaͤllen iu Jtalien und Si-
cilien Krieg gefuͤhret hatte/ unverhofft in ſeinem
Koͤnigreiche Epirus an/ zohe zehn tauſend deut-
ſche Huͤlffs-Voͤlcker von denen Skordiskern an
ſich; und weil ihm Antigonus ſeiner Vertroͤ-
ſtung zuwider kein Volck in Jtalien zu Huͤlffe
geſchickt hatte/ fiel er in Macedonien ein. Anti-
gonus ward hierdurch gezwungen mit den
Deutſchen Friede zu machen/ und dem Fuͤrſten
Leonor und Luthar jaͤhrlich hundert Talent zu
verſprechen; worgegen ſie ihm mit fuͤnf tauſend
Tectoſagern beyſtunden. Beyder Koͤnige
Heere traffen an dem Fluſſe Aliacmon unter
dem Berge Citarius auf einander; und thaͤten
die unter dem Ritter Eberſtein auf die Spitze
geſtellten Deutſchen denen Epiroten groſſen
Abbruch. Als aber Koͤnig Pyrrhus ſeine
Deutſchen auch herfuͤr ruͤcken ließ; lieſſen die
dem Antigonus ohne diß nicht allzu geneigte
Deutſchen ihre Haͤnde ſincken; welche ſie nicht
in ihrer Landsleute Blut waſchen wolten.
Hiermit geriethen die Macedonier in Unord-
nung/ und in die Flucht; und es waͤre Antigo-
nus/ deſſen gantzes Heer biß aufs Haupt erlegt
ward/ ſelbſt nicht entronnen/ wenn nicht die
Deutſchen noch ſo ehrlich an ihm gehandelt/ und
ihn/ wiewol mit Verluſt etlicher hundert tapfern
Kriegsleute nach Theſſalonich gebracht haͤtten.
Wiewohl nun Antigonus daſelbſt mit vielem
Golde die Deutſchen erkauffte: daß ſie/ iedoch
mit der ausruͤcklichen Bedingung nicht wider
die Deutſchen zu kaͤmpfen/ denen Epiroten bey
Apollonia noch einmal die Spitze bothen; ſo er-
hielt doch des Pyrrhus ſtreitbarer Sohn Ptolo-
meus wider den Antigonus einen ſo groſſen
Sieg: daß er nebſt ſechs Pferden mit genauer
Noth
[785[789]]Arminius und Thußnelda.
Noth entkam/ und ſich von Argos fluͤchtete.
Gantz Macedonien und Theſſalien ergab ſich
hierauf dem Pyrrhus; weil er aber ſo wohl der
erlegten Deutſchen eroberte Schilde in den Jto-
niſchen Pallas-Tempel; wie die Macedoniſchen
in des Dodoneiſchen Jupiters Heiligthum den
Deutſchen gleichſam zur Verkleinerung auf-
hencken ließ; zohen des Pyrrhus deut che
Huͤlffs-Voͤlcker wieder in Pannonien. Wor-
auf denn ſein Sohn Ptolomeus in der Stadt
Sparta von Weibern erlegt/ Pyrrhus ſelbſt
aber bey Stuͤrmung der Stadt Argos mit ei-
nem Steine erworffen/ iedoch ſein gefangener
Sohn Helenus vom Antigonus frey/ und in ſein
Koͤnigreich Epirus gelaſſen ward. Alſo mach-
te ſich Antigonus durch Beyſtand der Deutſchen
nicht nur zum Herren in Macedonien/ ſondern
auch uͤber ein Theil des Peloponneſus. Weil
aber Antigonus uͤber dem Uberfluſſe ſo vielen
Gluͤckes hochmuͤthig ward/ und den Deutſchen
ihren verſprochenen Sold hinterhielt; fielen ſie
acht tauſend ſtarck in Pierien ein. Antigo-
nus/ welcher dieſen Feind mehr als keinen an-
dern fuͤrchtete/ ließ den Spartanern und dem
Ptolomeus/ mit welchen er damals kriegte/ ger-
ne Lufft/ und eilte mit allen ſeinen Kraͤfften wi-
der die Deutſchen/ ſchnitt auch ihnen zwiſchen
dem Fluſſe Aliacmon und Pharibus den Ruͤck-
Weg zur See ab. Weil ſie nun gegen einer ſo
groſſen Macht ihren Untergang fuͤr Augen ſa-
hen/ ihre bey ſich habende Weiber und Kinder
nicht in die Dienſtbarkeit fallen laſſen wolten/
rieben ſie ſich nach vielen Thraͤnen und Kuͤſſen
durch ihre eigene Schwerdter auf; fielen hier auf
mit blutigen Faͤuſten die Macedonier ſo verzwei-
felt an: daß wenn dieſe ihnen nicht zehnmal an
der Zahl uͤberlegen geweſt waͤren; ſie ſchwerlich
ihren Sturm ausgeſtanden haͤtten. So aber
wurden die Deutſchen/ derer keiner gefangen
ſeyn wolte/ biß auf wenige ſich in das Citariſche
Gebuͤrge und von dar in Epirus entkommende/
iedoch nicht ungerochen erſchlagen; weil der
Macedonier uͤber zwoͤlff tauſend auf der Wall-
ſtadt blieben. Die geſluͤchteten friſchten Ale-
xandern den Koͤnig in Epirus an/ ſo wohl ſeines
Vaters Pyrrhus Tod/ als ihr Unrecht am An-
tigonus zu raͤchen; welcher denn mit der Deut-
ſchen Zuthat den Antigonus nicht nur Macedo-
niens/ ſondern auch des Lebens beraubte. Bald
aber drauf wendete ſich mit der Deutſchẽ hin und
wieder fallenden Huͤlffe das Blat des Gluͤckes/
gleich als wenn es mit ihnen im Buͤndnuͤſſe
ſtuͤnde. Denn durch ſie vertrieb des Antigonus
Sohn Demetrius ein minderjaͤhriger Knabe
Alexandern aus Macedonien und Epirus zu
den Acarnanen; die Skordiskiſchen Deutſchen
aber ſetzten ihn bald wieder in ſein vaͤterlich Koͤ-
nigreich ein.
Unterdeſſen als ein kleines Theil der Deut-
ſchen in Griechenland Kronen nach Belieben
nahm und aufſetzte; beſtim̃te das Verhaͤngnuͤß
ſolche in Aſien denen tapfern Fuͤrſten Leonor
und Luthar aufzuſetzen; welche man daſelbſt
recht der Hochmuͤthigen Schrecken/ der Be-
draͤngten Zuflucht nennen konte. Sie hatten
ſich an dem Aſcaniſchen Fluſſe und See feſte
geſetzt/ als der Koͤnig in Bithynien Nicomedes/
deſſen Groß-Vater wider des groſſen Alexan-
ders Feldhauptmann Calantes der Bithynier
Freyheit ſo herrlich beſchirmet hatte/ von ſeinen
aufruͤhriſchen Unterthanen und ſeinem Bruder
Zipetes auf des Koͤnigs in Syrien Antigonus
Anſtiftung ſehr bedraͤngt/ und in der Burg zu
Pruſa belaͤgert; alſo die Deutſchen umb Huͤlffe
anzuruffen genoͤthigt ward. Hertzog Leonor
und Luthar waren mit ihrem Heere zeitlicher in
dem Geſichte der Belaͤgerer/ als ſie es ihnen
traͤumen lieſſen; weil ſie den Fluß Sagar gegen
ſie ſtarck beſetzt hatten. Wie die Deutſchen
aber dieſe Beſatzung im erſten Angriffe auf die
Flucht bracht hatten/ alſo hoben die Bithynier
auch uͤber Hals und Kopf die Belaͤgerung auf;
welchen aber Hertzog Luthar in die Eiſen ging/
ſie biß aufs Haupt ſchlug/ und ſechs tauſend ge-
G g g g g 2fangen
[786[790]]Sechſtes Buch
fangen nahm; aus denen Nicomedes die Raͤ-
delsfuͤhrer auslaß/ und ihre Koͤpfe auf die Pruſi-
ſchen Mauern ſtecken ließ. Sein Bruder Zi-
petes entran mit genauer Noth uͤbers Meer in
Macedoniẽ; welchẽ die Byzantier zwar hernach
zu ihrem Heerfuͤhrer wider ſeinẽ Bruder-Sohn
den Koͤnig Pruſias berufftẽ/ aber ihn ehe von ſei-
ner Kꝛanckheit erbleichen/ als ſeinen Degen wideꝛ
ſein Blut und Vaterland zuͤcken ſahen. Dem
Fuͤrſten Leonor und Luthar aber Paphlagonien
und die zwiſchen dem Fluſſe Parthenius und
Halys gelegene Helfte ſeines Gebietes einraͤum-
te; darinnen die Tectoſager die Stadt Peſſinus/
die Trogimer Ancyra/ die Toliſtobogier Tobia
erbauten/ und dardurch ſich nichts minder als
gute Wirthe als ſtreitbare Helden bezeugten.
Dieſes neue Reich bekam den Nahmen Gala-
tiens/ weil die Deutſchen in Aſien Galater/ wie
in Griechenland Gallier irrig genennt wurden.
Alle Koͤnige in Aſien bewarben ſich umb ihre
Freundſchafft/ gruͤndeten ihre Hoheit auf ihre
Achſeln/ und die Voͤlcker legten ihre Freyheiten
in ihre Armen. Kurtz nach gegruͤndetem Galati-
ſchen Reiche entſtand nach des Koͤnigs in Syrien
Antiochus Tode zwiſchẽ ſeinẽ Sohne und Nach-
folger Seleucus/ und dem Koͤnige Ptolomeus in
Egyptẽ ein blutiger Kꝛieg/ weil jener ſeine Stief-
mutter Berenice des Ptolomeus Schweſter mit
ihrem Sohne auf Anſtiften ſeiner rechten Mut-
ter Laodice getoͤdtet hatte. Als nun wegen ſeiner
Grauſamkeit viel Staͤdte von ihm abfielen/ er
durch Schiffbruch und eine verlorne Schlacht 2.
ſchwere Niederlagen erlitte/ ruffte er ſeinen Bru-
der Antiochus Hierax zu Huͤlffe; und nach dem
das Verhaͤngnuͤß ſich entweder an ihm ausgeraͤ-
chet/ oder das Ungluͤck ermuͤdet hatte/ alſo ſein
ihm vorher gehaͤſſiges Volck aus Mitleiden ge-
neigt zu werden anfing/ zwang er dem Ptolo-
meus den Frieden ab. Weil aber Selevcus
dem Antiochus das Theil Aſiens/ das zwiſchen
dem. Tauriſchen Gebuͤrge lieget/ und er ihm
verſprochen hatte/ nicht abtreten wolte/ zohe die-
ſer mit groſſen Vertroͤſtungen die Deutſchen
oder Galater an ſich; durch derer Tapferkeit er
ſeinen Bruder Selevcus aufs Haupt er-
legte/ alſo: daß er ſelbſt kaum mit hundert Pfer-
den ſich durch einen Fluß rettete; Antiochus
ſich aber auf der Wallſtatt kroͤnen ließ. Wie
aber Antiochus den Deutſchen den verſproche-
nen Sold zu reichen weigerte/ ſchlugen ſie ſein
Heer/ toͤdteten ſeinen Feldhauptmann Patro-
clus/ umbringten ihn ſelbſt in ſeinem Gezelt/
und noͤthigten ihn ſolchen zweyfach zu bezah-
len. Unterdeſſen kam das Koͤnigreich Bithy-
nien vom Nicomedes auf den Fuͤrſten Zela/ bey
welchem die alten Wohlthaten der Deutſchen
ſchon ihren Geruch verlohren hatten. Daher
er das Koͤnigreich Galatien nicht mehr als ein
Kauff-Geld des erhaltenen Bithyniens/ ſondern
als einen Verluſt ſeiner Krone miß guͤnſtig an-
ſah. Gleichwohl aber hatte er weder Hertze noch
Kraͤfften mit den Deutſchen anzubinden; ließ
alſo den Hertzog Luthar unter dem Scheine
das vaͤterliche Buͤndnuͤß zu verneuern auf die
Graͤntze einladen. Jhre Zuſammenkunfft
geſchahe auf einer in dem Fluſſe Sagar liegen-
den Eylande; ieder hatte nur hundert Edelleute
bey ſich. Koͤnig Zela ließ nichts an Pracht
und herrlicher Bewillkommung mangeln.
Ehe man ſich aber zur Taffel ſetzte/ trug man
ein Getraͤncke herumb; darunter diß/ was man
dem Fuͤrſten Luthar brachte/ mit dem aͤrgſten
Gifte angemachet war. Dieſer aber hat-
te wegen ſchon einmal empfangenen Giftes
die Gewohnheit: daß ſein Mund-Schencke
alles vorher uͤbertrincken muſte. Wie nun dieſe
Vorſicht auch dißmal beobachtet ward; fiel er
Augenblicks ſteintodt zu Bodem. Eben diß be-
gegnete einem andern daraus trinckenden Deut-
ſchen. Daher denn auf des Fuͤrſten Luthars
Winck die uͤbrigen ihre Sebeln bloͤſten/ und den
Koͤnig Zela mit faſt allen anweſenden Bi-
thyniern in Stuͤcke hieben. Sein Bruder Pru-
ſias war froh uͤber der an ihn verfallenden
Herr-
[787[791]]Arminius und Thußnelda.
Herrſchafft/ verdammte des Zela Argliſt/ und
machte ſo wohl mit dem Fuͤrſten Luthar/ als
dem in Thracien gebietenden Cavar Freund-
ſchafft; welcher ihm die Byzantier ſo enge: daß
ſie nicht vor die Stadt-Pforten durfften/ ein-
ſperren/ und hernach einen vortheilhafften
Frieden machen halff. Ein viel groͤſſer Unge-
witter aber zohe aus dem Attaliſchen Myſien
auff. Denn Phileterus eines gemeinen Man-
nes und einer Pfeifferin Sohn hatte ſich aus ei-
nem Stadthalter zum Koͤnige zu Pergamus
auffgeworffen/ und ſeine Herrſchafft ſeines
Bruders Sohne Eumenes hinterlaſſen. Die-
ſer ſahe denen zwiſchen dem Selevcus/ Antio-
chus und Deutſchen entſtandenen Blutſtuͤr-
tzungen mit groſſer Vergnuͤgung zu/ und zehl-
te alle ihre Niederlagen unter ſeinen Gewinn.
Wie er nun meinte: daß ſich die Syrier und
Deutſchen genug abgemergelt haͤtten; und in-
ſonderheit dieſe ſo wol in dem mit dem Selevcus
als Antigonus gehaltenen Schlacht viel er-
litten hatten; griff Evmenes den Sieger An-
tiochus/ und die von ihren Wunden noch nie
geneſenen Deutſchen bey Sardes mit einer
groſſen Macht an; und ſpielte in dem nach Sy-
rien gehoͤrigen und gleichſam keinen Beſitzer ha-
benden Aſien allenthalben den Meiſter. Gleich-
wohl aber behielten die Deutſchen ihre neue
Reichs-Graͤntzen unverſehret; ob ſchon ſonſt
die noch nicht feſte-beraaſete Herrſchafften leicht
zerfallen. Ja Ptolomeus in Egypten/ wider
welchen der Cyrenniſche Koͤnig Magas auff-
ſtand/ und mit einem Heere in Egypten einzu-
brechen vorhatte/ bath vom Hertzog Luthar
vier tauſend Deutſche zu Beſchirmung ſeiner
Graͤntzen aus. Welche ſeinem Vorzuge ei-
nen gewaltigen Streich verſetzten; und weil uͤ-
berdiß die Marmariden von hinten zu in Cy-
rene einfielen/ verurſachten: daß Magas un-
verrichteter Sachen von Egypten abzoh. Weil
nun dieſer tapfferen Leute Wohlthaten groͤſſer
waren/ als ſie Ptolomeus zu bezahlen hatte/
konten ſie anders nicht als mit Undanck vergol-
ten werden. Die Erkentnuͤß ſeiner Schuld
gebahr in ihm Haß/ dieſer aber vermaͤhlte ſich
gleichſam zu ſeiner Rechtfertigung mit einem
wiewohl der Warheit gar nicht aͤhnlichem Vẽr-
dachte/ ſamb die Deutſchen oder Galater ſich
Egyptens zu bemaͤchtigen im Schilde fuͤhi ten.
Weil nun keine betruͤglichere Wegweiſer als
Argwohn und Ehrſucht ſind/ ſetzte er ſie auff
der Mareotiſchen See zu Schiffe/ und fuͤhrte
ſie auff dem Fluſſe Lycus uͤber den Maͤriſchen
See den Nil hinauff; ließ ſie auff einem ober-
halb Thamiat liegenden wuͤſten Eylande aus-
ſteigen/ die Schiffe des Nachts heimlich abſtoſ-
ſen/ und erhungern. Welches aber die Deut-
ſchen in Aſien nicht ungerochen lieſſen/ ſonderu
den Koͤnig in Syrien dem Ptolomeus auf den
Hals hetzten/ und mit Beyſetzung ihrer Waf-
fen ihm alle ſeine Ehrſuchts-Zirckel verruͤck-
ten.
Der in Aſien auffkommende Nahme/ und
der ſich ausbrei tende Ruhm der Deutſchen
diente denen Semnonern und andern in Jta-
lien zu einem Vorwand ihre Haͤnde in die
Schooß zu legen/ und dem ſich mit Gewalt
auff der Roͤmer Seite ſchlagenden Gluͤcke zu-
zuſchauen. Denn ungeachtet ſie ihnen die Rech-
nung leicht machen konten: daß durch eintzelen
Krieg alle uͤberwunden/ und die groſſe Laſt der
ſieben ſich alle Tage vergroͤſſernden Berge
ſie mit der Zeit auch uͤberſchuͤtten wuͤrde; ſo hat-
ten ſie doch ſchon mit Schaden erfahren: daß
das Verhaͤngniß denen ſelbſt auff die Zeen
trete/ welche das Roͤmiſche Wachsthum zu
hindern ſich erkuͤhnten; und dahero hielten ſie
fuͤr Klugheit Zeit zu gewinnen/ und das ihm zu-
hengende Verterben noch auffzuſchleben. Nach
dem nun Hetꝛurien und Samnis gedemuͤthigt/
Pyrrhus aus Jtalien vertrieben/ Rhegium er-
obert war/ und ſich nichts mehr wider die Roͤ-
mer ruͤhrte; fingen ſie an gegen auslaͤndiſcher
Nachbarn Macht eifferſuͤchtig zu werden; ſon-
G g g g g 3derlich
[788[792]]Sechſtes Buch
derlich aber ſtach ſie die Stadt Carthago in die
Augen; welcher Macht ſie rings um ſich her/
und inſonderheit in dem benachbarten Sicili-
en anwachſen ſahen. Weil nun Andacht faſt
aller Kriege Firnß ſeyn muß/ ſchickten ſie in
dem dem Vulcanus zugeigneten Herbſt-Mo-
nathe einen ihrer Prieſteꝛ mit einer groſſen Plat-
te Gold/ darauff die Stadt Rom gepreget
war/ auff den Berg Etna/ welcher ſeiner Hoͤ-
he wegen die Seule des Himmels genennet
wird. So bald ſie der Prieſter in ſeinen feu-
rigen Keſſel warff/ ward ſie augenblicks ver-
ſchlungen. Jn des Vulcanus Tempel aber
lieſſen ſie einen guͤldenen Amboß lieffern/ da
denn die Hunde den abgeſchickten Prieſter lieb-
koſende bewillkommten/ und alle ſeine Fuß-
ſtapffen leckten. Weil beydes nun fuͤr gewiſſe
Zeichen kuͤnfftigen Gluͤcks in Sicilien ange-
nommen ward/ fertigten ſie den Buͤrgermeiſter
Appius ab/ der belaͤgerten Stadt Meſſana zu
Huͤlffe. Die Carthaginenſer wurden nicht al-
leine die Belaͤgerung auffzuheben gezwungen/
ſondern der Koͤnig zu Syracuſe Hiero ſchlug ſich
auch zu den Roͤmern; weil der groſſe Brunn A-
rethuſa/ der auff dem an Syracuſa liegenden
Eylande Ortygia aus einem Steinfelſen ent-
ſpringet/ eine ſilberne Schale auffgeſtoſſen
hatte/ auff der gepreget war/ wie ein Wolff ein
Pferd zerfleiſchte/ welches die Prieſter in dem
darbey ſtehenden Tempel der Alpheiſchen Di-
ana dahin auslegten: daß Rom die Stadt Car-
thago zerſtoͤren wuͤrde/ und alſo den Hiero ſich
der Ungluͤckſeligen zu entſchlagen/ und an der
Roͤmer Gluͤcks-Bild zu lehnen verurſachte.
Wiewohl dieſes eben ſo wohl fuͤr einen Betrug
der Prieſter gehalten ward; als dieſes: daß eine
in Arcadien zu Olympia in Fluß Alpheus ge-
worffene Schale/ wie auch die Merckmahle
von denen daſelbſt geſchlachteten Opffer-Thie-
ren aus dieſem Brunnen ſolten hervor kom̃en/
ja vom Delphiſchen Apollo ſelbſt dem Archias
gerathen worden ſeyn: daß er da/ wo der unter
dem Meere unvermiſcht durch dringende Alphe-
us ſich mit dem Brunnen Arethuſa vermaͤhlte/
ſeine angezielte Stadt/ nehmlich Syracuſen er-
bauen ſolte. Wie nun die Carthaginenſer de-
rogeſtalt einen ſchweren Krieg/ deſſen Grau-
ſamkeit der Berg Etna mit Ausſtoſſung unge-
woͤhnlicher Hartzt und Schwefel-Baͤche/ mit
Abſtuͤrtzung zerſchmoltzener Stein-Klippen in
das vom unterirrdiſchen Feuer ſiedende Meer/
und das gantze Eyland durch grauſame Erd-
beben ankuͤndigte/ fuͤr Augen ſahen/ hingegen
der Deutſchen Tapfferkeit nicht nur in der gan-
tzen Welt beruffen war/ ſondern die Semno-
ner/ welche Brennus dem Koͤnige Dionyſius
zugeſchickt hatte/ in denen Siciliſchen Kriegen/
und die Celten in den Spaniſchen ihre Tugend
genugſam hatten ſehen laſſen/ beſchloſſen ſie ſo
viel Semnoner/ Celten oder andere Deutſchen/
als ihrer moͤglich auffzubringen waͤren/ in ihre
Kriegs-Dienſte zu ziehen. Weil nun die zwey
Koͤnige der Alemannier Concoletan und Ane-
roeſt ihrem zwiſchen dem Rhein/ Meyn und
der Donau liegendes Gebiete alle denen Hel-
vetiern zuſtehende Landſchafften zwiſchen den
Alpen und dem Gebuͤrge Jura beygeſetzt/ die
Jnſubrer und Ligurier aber/ welche mit den
Maßiliern der Roͤmer Bunds-Genoſſen in
Krieg verfallen waren/ ihnen die Staͤdte Anti-
polis und Nicea abgenommen/ und Britomarn
der Catten Hertzog wegen ſeiner Tapfferkeit
zu ihrem Koͤnige erwehlet hatten; ſchickten ſie
an dieſe Koͤnige eine Geſandtſchafft; und brach-
ten eine anſehnliche Huͤlffe von Alemaͤnnern/
Jnſubrern und Liguriern zuwege/ die ſie auff
dem Rhodan herab/ von dar in Sardinien/
und endlich in Sicilien nach Agrigent fuͤhrten;
welche Stadt nicht allein ihrer Feſtung halber/
ſondern auch wegen allerhand natuͤrlichen Sel-
tzamkeiten beruͤhmt iſt/ inſonderheit wegen des
Saltzes/ das beym Feuer zerfleuſt/ beym Waſ-
ſer wie anders von der Flamme zerplatzet/ we-
gen des Brunnen/ aus welchem alle/ inſonder-
heit
[789[793]]Arminius und Thußnelda.
heit aber das fuͤnffte Jahr eine groſſe Menge
Erde hervor qvillet/ und daß daſelbſt aus ei-
nem Felſen des Sommers Waſſer/ des Win-
ters Feuer ſpringet; ja ein kaum eines Schil-
des groſſer Pful/ wenn Badende hineinſprin-
gen/ ſich ſo weit ausdehnet: daß ihrer wol funf-
zig darinnen Raum haben/ und ſo wenig Men-
ſchen als Holtz unterſincken laͤſt. Nach dem
auch die Carthaginenſer durch ihre Schiffarth
mit den Frieſern/ Chauzen/ und Cimbern ver-
trauliche Freundſchafft gemacht/ ja den aus Jn-
dien vom Sandrcot verjagten/ bey dem Ptolo-
meus Lagida in Egypten/ und dem Lyſima-
chus in Thracien unter zu kommen vergebens
ſuchenden Friſo/ Bruno und Sax mit ihren
Schiffen biß an die Weſer uͤbergefuͤhret hat-
ten/ brachten ſie daſelbſt gleicher Geſtalt eine
anſehnliche Menge Huͤlffs-Voͤlcker auff; wel-
che dem uͤberaus bekuͤmmerten Hanno zu He-
raclea/ wohl zu ſtatten kamen. Denn dieſer
war halb verzweiffelt; weil wider des Orts
Gewonheit ſeine auff dem Vulcaniſchen Huͤ-
gel uͤber Reben-Holtz gelegte Opffer ſich von
ſich ſelbſt entzuͤnden wolten; ja in dem beruͤhm-
ten Oel-Brunnen bey dem Blumen-reichen
Berge Gonius das Oel verſieg/ als es Hanno
nach empfangener Weihung zu ſeinem Got-
tesdienſte ſchoͤpffen wolte/ und alſo die Goͤtter
ihm ihren Unwillen genugſam zu verſtehen ga-
ben/ welchen er auch in der That verſpuͤrte/ in-
dem der die Stadt Agrigent belaͤgernde Poſt-
humius und Manlius ſeinen Entſatz mit
groſſem Verluſt zuruͤcke ſchlug. Jhre erſte
Tapfferkeit erwieſen die Deutſchen in der grau-
ſamen Belaͤgerung der Stadt Agrigent/ indem
dieſe nicht nur durch ihre Tapfferkeit/ ſondern
auch durch ihre Maͤßigkeit den Mohren und
Siciliern ein Beyſpiel die faſt unmenſchliche
Hungers-Noth auszutauern abgaben; auch
zuletzt den in Agrigent beſchloſſenen Hanni-
bal des Nachts mitten durch das Roͤmiſche Laͤ-
ger mit dem Degen in der Hand gluͤcklich durch-
brachten; nachdem die Roͤmer uͤber dreißig
tauſend Mann fuͤr dieſer Stadt hatten ſitzen
laſſen. Jedoch wurden ihnen ihre treue Dien-
ſte ſchlecht belohnt. Denn als ſie ihren ſo lang
entbehrten Kriegs-Sold forderten/ vertroͤſtete
ſie der Feldherr Hanno: daß er ihnen folgende
Nacht der gantzen Stadt Entella reiche Beu-
te zu ihrer Belohnung lieffern wolte; ſchickte ſie
auch gerade darauff zu. Jnzwiſchen hatte Han-
no durch einen Uberlaͤuffer den Buͤrgermeiſter
Ottacilius benachrichtiget: daß die Carthagi-
nenſer in der Stadt Etellan Verſtaͤndniß haͤttẽ/
und ſelbige Nacht ſie uͤberfallen wuͤrden. Da-
her wartete Ottacilius mit ſeinem halben Heere
jenen auff den Dienſt; umringte ſie auff allen
Seiten; und erlegte vier tauſend tapffere Deut-
ſchen/ derer keiner von einiger Ergebung hoͤren
wolte; noch ſeine Haut ungerochen verkauffte.
Jedoch blieb dieſeꝛ dꝛeißig tauſend Roͤmeꝛ ſchaͤnd-
liche Undanck des Hanno verdruͤckt/ und ka-
men ſechs tauſend friſche Deutſchen unter den
Heruler Fuͤrſten Avtarit den Carthaginenſern
zu Huͤlffe; welche unter dem Boodes/ als er dem
Cnaͤus Cornelius mit der Roͤmiſchen Schiffs-
Flotte in dem Hafen zu Lipara beſchloß/ alles
gefangen nahm; und unter Amilcarn/ als er
zwiſchen der Stadt Paropos und denen Hime-
riſchen warmen Brunnen vier tauſend Roͤmer
erlegte. Als auch Atilius Regulus in Africa
ausſetzte/ nach erlegtem abſcheulichen Drachen/
(deſſen hundert und zwantzig Fuͤße lange Haut
hernach zu Rom in des Saturnus Tempel ge-
henckt ward) und nach eroberter Stadt Clupea
Adin belaͤgerte/ die Caꝛthaginenſeꝛ aber in dẽ Ge-
buͤrgen mit ihren Elephanten und Reuterey gar
nichts ausrichten konten/ und die gantze Laſt der
Roͤmer den Deutſchen Huͤlffsvoͤlckern auff dem
Halſe lag/uͤbten dieſe unglaubliche Helden-Tha-
ten aus/ und trieben die erſte Legion mit groſſem
Verluſt zuruͤcke. Weil ſie aber die Africaner al-
lein im Stiche lieſſen/ litten ſie ziemlichen Ver-
luſt; alſo: daß ſie unter damaligen Heerfuͤhrern
dem
[790[794]]Sechſtes Buch
dem Asdrubal/ Boſtar und Amilcar/ nach dem
vorher Annibal wegen uͤbel gefuͤhrten Krieges
gekreutziget worden war/ laͤnger zu fechten ſich
weigerten. Dieſes verurſachte: daß Xantip-
pus/ der aus Griechenland mit friſchen gewor-
benen Huͤlffs-Voͤlckern von Celten und Spar-
tanern ankam/ zum Feldherrn erwehlet ward/
welcher denn auch durch ſeine vortheilhafftige
Schlacht-Ordnung und der deutſchen Tapffer-
keit/ die an den Spitzen beyder Fluͤgel wie Loͤ-
wen fochten/ und auff der Seite die Roͤmiſchen
Hauffen durchbrachen/ biß auff wenige ſich nach
Clupea fluͤchtende erlegte/ und die/ welche nicht
in der Flucht von Elephanten und Pferden zer-
treten wurden/ mit dem Buͤrgermeiſter Attilius
Regulus nach Carthago zum Siegs-Gepraͤnge
fuͤhrte; und alſo wahr machte: daß auch mit Loͤ-
wen/ wenn ſelbte einen Haſen zum Fuͤhrer ha-
ben/ nichts ruhmwuͤrdiges auszurichten/ ein
kluger Kopff aber viel tauſend Haͤnden uͤberle-
gen ſey. Dieſe Schlacht jagte den Roͤmern ein
ſolch Schrecken ein: daß ſie etliche Jahre ſich al-
lezeit nur an bergichten Orten ſetzen/ und mit
dieſem Feinde nicht in falſchem Felde treffen
wolten/ biß Aßdrubal bey Panormus vom Coͤ-
cilius die groſſe Niederlage erlidt/ und alle ſeine
Elefanten einbuͤſte. Attilius ſtarbhier auff zu
Carthago fuͤr Betruͤbnis/ nicht aber durch der
Feinde Grauſamkeit/ wie des Attilius ergrim̃-
tes Ehweib zu Rom faͤlſchlich ausſprengte/ um
ihre unmenſchliche Rache/ da ſie nehmlich den
zu ihrer Verwahrung anvertrauten gefangenen
Baſtar durch Hunger getoͤdtet/ Amilcar auch
ſchon das letzte auff der Muͤhle hatte; der aber
durch des Roͤmiſchen Raths Vorſorge noch
kuͤmmerlich erhalten ward/ mit etwas be-
ſchoͤnigen moͤchte. Hoͤret aber/ wie der Un-
danck nicht alleine einen ausgepreßten Gra-
nat-Apffel auf den Miſt wirft/ ein ſatter Mund
dem ſuͤſſeſten Qvell den Ruͤcken kehrt; ſondern
wie nichts gefaͤhrlicher ſey/ als einen durch groͤſ-
ſere Wolthaten ihm verknuͤpffen/ als ſelbtem zu
vergelten/ entweder ſein Vermoͤgen oder ſeine
Gemuͤthsart erlaubet. Jener Mangel machet
einen anfangs ſchamroth/ hernach verrauchet
das Gedaͤchtniß durch Vergeſſenheit. Dieſes
aber ſauget aus einer ſo koͤſtlichen Frucht das
aͤrgſte Gifft/ wordurch er ſeinem Wohlthaͤter
vom Leben hilfft/ wormit ieder ſeiner Anblicke
ihm nicht ſeine Undanckbarkeit ſtets auffruͤcke.
Bey welcher Beſchaffenheit es ſich niemanden
ſicherer Wolthaten erzeigen laͤſt; als dem/ der ih-
ren Werth gar nicht zu ſchaͤtzen weiß/ und gegen
einem Pfund Ambra ein Loth Saffran zuruͤcke
wiegt. Die boßhaften/ aber auch zugleich blinden
Carthaginenſer wurden nicht allein durch dieſen
gluͤckſeligen Streich ſo hochmuͤthig/ als wenn ſie
mit dieſem Heere allen Roͤmern das Licht ausge-
leſcht/ oder die Mohꝛen ſo viel ſchon in deꝛ Kꝛiegs-
Kunſt begriffen haͤtten: daß ſie des Xantippus
gar wohl entbehren koͤnten; denen abgeſetzten
Heerfuͤhrern aber ſchien es nicht allein verklei-
nerlich zu ſeyn: daß der Carthaginenſiſche Adel/
und der uhralten Barcken-Stam̃ einem Spar-
taniſchen Buͤrger nachgehen/ oder gehorſamen/
dieſer herrliche Sieg ein Werck eines unedlen
Spartaners ſeyn ſolte; ſondern es waͤre auch ei-
ne groſſe Unvernunfft einem Auslaͤnder das
Hefft der Dinge zu vertrauen; dem alle fremde
Huͤlffs-Voͤlcker auff einen Winck zu Gebote
ſtuͤnden/ und den ihr eigner Poͤfel als einen Ab-
gott verehꝛte. Daheꝛo ſtelltẽ ſich die Carthaginen-
ſer an/ als wenn ſie mit den Roͤmern einen Frie-
den ſchluͤſſen wolten/ beſchenckten den Xanthip-
pus und etliche mit ſich gebrachte Kriegs-Haͤup-
ter anſehnlich/ gaben ſelbten ſie in Griechenland
uͤber zu fuͤhren 10. Kriegs-Schiffe zu/ den Moh-
ren aber Befehl: daß ſie auff der hohen See den
Xanthippus mit den ſeinigen ins Waſſer ſtuͤrtz-
ten; hernach tichtende: daß ſein Schiff auff ei-
nem Steinfelſen zerborſten waͤre. Die Deut-
ſchen und andere Huͤlffs-Voͤlcker wurden hier-
uͤber unwillig/ und Carthago buͤſte alsbald durch
den Verluſt der See-Schlacht bey dem Herme-
tiſchen
[791[795]]Arminius und Thußnelda.
tiſchen Vorgebuͤrge ſeine Thorheit und Boßheit/
ja es waͤre ſchon damals um Carthago geſchehen
geweſt/ wenn der Schiffbruch den unvor-
ſichtigen Roͤmern nicht zweyhundert und drey-
und ſiebzig Schiffe mit allem Volck und Vorra-
the verſchlungen/ auch nicht nach eroberter
Stadt Panormus ihre Flotte bey der kleinern
Syrte auff den Grund kommen/ und in der Si-
ciliſchen Meerenge ihnen abermals durch Ver-
waꝛloſung andeꝛthalb hundert Schiffe zu Grun-
de gegangen waͤren. Der Alemaͤnner/ Frieſen/
Chauzen/ Semnoner und Celten Treue und
Tapferkeit ward doch endlich bey der beruͤhmten
Belaͤgeꝛung deꝛ von dem Grabe deꝛ Cumaniſchẽ
Sibylle beruͤhmten Stadt Lilybeum wieder ans
Licht gebracht. Denn ob wol die Sibylla dieſer
feſtẽ Stadt wahr geſagt hatte: daß ſo lange ſie ihre
Aſche unverſehrt auff heben wuͤrden/ kein Feind
mit Gewalt ſie uͤbermeiſtern wuͤrde; ſo wurde
doch dieſer Glauben nach und nach ſehr vermin-
dert/ und in Kleinmuth verwandelt/ als etliche
Griechen nach langer Gegenwehr und vielem
verſpritztem Blute alle Huͤlffs-Voͤlcker zu den
Roͤmern aus der Feſtung uͤber zu gehen beredet
hatten/ ſie auch ſchon im Laͤger mit dem Buͤrger-
meiſter die Bedingungen abhandelten. Allein
es war Alexon/ ein in Achaien gebohrner Celti-
ſcher/ und Delmenhorſt ein Chauziſcher Ritter ſo
redlich: daß ſie dem Himilcon ſolches nicht allein
eꝛoͤffneten/ ſondeꝛn auch nebſt dem bey den Deut-
ſchen ſehr beliebten jungen Hannibal die wan-
ckenden Kriegsvoͤlcker durch groſſe Vertroͤſtun-
gen in beſtaͤndiger Treue erhielten/ ja ſie zu Nie-
derſebelung derer vom Feinde zuruͤckkommen-
den Verraͤther bewegten. Uberdiß war unter
den Huͤlffs-Voͤlckern Strabo ein ſtreitbarer
und ſcharffſichtiger Marckmann/ deſſen Geſich-
te von einer Hoͤhe der Stadt Lilybeum biß an
das Hermetiſche Vorgebuͤrge in Africa trug;
und denen Kleinmuͤthigen andeutete: daß er aus
ſelbigem Hafen 50. Schiffe auslauffen ſehen.
Maſſen denn auch den dritten Tag der hernach
ſo groſſe Annibal Amilcars Sohn mit ſo viel
Schiffen im Angeſichte der fuͤr dem Hafen lie-
genden feindlichen Schiffs-Flotte darein gluͤck-
lich einlieff. Wiewol nun der Ausfall auff des
Feindes Belaͤgerungs-Wercke von den Roͤ-
mern behertzt abgetrieben/ und Annibal ſchon
nach Depanum dem Adherbal zu Huͤlffe gezogẽ
ja die Roͤmer den Hafen zu verſencken bemuͤhet/
und mit ihren Sturm-Thuͤrmen den Belaͤger-
ten biß ans Hertz kommen waren; nahm doch ein
Semnoniſcher Edelmann die Zeit wahr/ da von
der Stadtab gegen das feindliche Laͤger ein ge-
waltiger Sturmwind bließ/ und gab dem Hi-
milco eine Erfindung an die Hand des Fein-
des Gebaͤue einzuaͤſchern. Himilco vertraute die
Ausfuͤhrung dem Erfinder und denen Deut-
ſchen/ die er ihm ſelbſt auslaß; welche denn umb
Mitternacht ſich an Stricken uͤber die Mau-
ern lieſſen/ uͤber die Graben ſchwammen/ und
ehe der Feind ihrer inne ward/ ihre die Mauer
weit uͤberhoͤhenden Thuͤrme an dreyen Orten in
Brand brachten. Die von dem Winde auffge-
blaſene Flamme nahm in einem Augenblicke
derogeſtalt uͤberhand: daß alles Leſchen vergebe-
ne Arbeit/ und dieſe Gebaͤue etlicher tauſend Roͤ-
mer Holtzſtoͤſſe und Todtenbahren waren. Hi-
milco that hierauff einen Ausfall/ da denn der
Wind nicht allein Feuer und Rauch/ ſondern
auch die feindlichen Pfeile den Roͤmern mit Ge-
walt in die Augen trieb/ und ſo viel Schaden
that: daß denen Belaͤgerern alle Hoffnung der
Eroberung entfiel/ und von Rom zehn tauſend
friſche Roͤmer in Sicilien muſten geſchickt wer-
den. Der Angeber dieſes Brandes erlangte ei-
nen koͤſtlichen Siegs-Krantz/ und andere koſtba-
re Geſchencke; zwey Frieſiſche Edelleute aber/
welche den durch Abſtuͤrtzung eines abbrennen-
den Thurmes rings herum mit gluͤenden Braͤn-
den umſchuͤtteten Himilco aus dem Feuer und
augenſcheinlicher Lebens-Gefahr retteten/ eben
zwey ſolche Seulen in dem Lilybeiſchen Tempel
der Ceres/ wie ſie denen 2. frommen Juͤnglin-
Erſter Theil. H h h h hgen
[792[796]]Sechſtes Buch
gen Anapius und Amphinamus in dem Carta-
neiſchen Felde auffgerichtet ſahen/ die Vater und
Mutter aus dem feurigen Hartzte des Berges
Etna getragen haben. Als die Frieſen nun auch
in der Seeſchlacht bey Drepanum unterm Ad-
herbal ſich ſo tapffer hielten/ daß drey und neun-
zig Roͤmiſche Schiffe erobert wurden/ und Pu-
blius mit dreißig Schiffen zur Noth entrann/
auch eben dieſe unter dem Carthalon die fuͤr Lily-
beum liegende Roͤmiſche Schiff-Flotte anzuͤn-
deten/ den Buͤrgermeiſter Junius aber bey dem
Pachiniſchen Vorgebuͤrge an Strand jagten/
und zwey Roͤmiſche von einander getrennte
Kriegs-Flotten/ dem Winde und Wellen auff-
opfferten/ ward hinfort ſonder der Deutſchen Zu-
that kein wichtiger Anſchlag mehr fuͤr genom̃en.
Welche denn auch dem kuͤhnen Hamilcaꝛ Barca
an die Hand gaben: daß der zwiſchen der Stadt
Panormus und Hyccara der Lais Vaterlande
dem Berge Ercta an einem feſten und fruchtba-
ren Orte/ wovon er mit Schiffen die Jtaliaͤni-
ſchen Kuͤſten taͤglich unſicher machen konte/
zu groſſem Abbruch ſein Laͤger ſchlug/ die Roͤ-
mer in groſſe Hungers-Noth brachte/ welche
der Eryciniſchen Venus Tempel eingenom̃en
hatten/ den Aeneas auff dem Gipfel des Ber-
ges Eryx gebaut/ und darein ſeinen Vater An-
chiſes nebſt der Venus Sohn Eryx begraben
hat. Die Roͤmer kamen hierdurch derogeſtalt
ins Gedrange: daß ſie dieſes Heiligthum/ und
vielleicht gantz Sicilien verlaſſen haͤtten/ wenn
nicht der wunderwuͤrdige guͤldene Wideꝛ/ dẽ Daͤ-
dalus der Venus gegoſſen/ ſich Landwerts um-
gekehrt/ und derogeſtalt die Roͤmer daſelbſt noch
zu bleiben erinnert/ hingegen die Tauben/ welche
von der dar in Geſtalt einer rothen Taube vor-
fluͤgenden Venus jaͤhrlich nach Africa nachfluͤ-
gen ſollen/ ihren Flug gegen Jtalien veraͤndert/
und gleichſam gegen dieſes ihre Gunſt/ gegen je-
nes ihre Abneigung angedeutet haͤtten. Das
Blat wendete ſich auch etliche Tage hernach; in-
dem etliche tauſend unter dem Hertzog Narvas
ſtreitende/ von den Mohren aber uͤbel gehaltene
Deutſchen zu den Roͤmern uͤbergegangen waͤ-
ren/ wodurch denn die Roͤmer nicht alleine aus
dieſem Gedrange errettet/ ſondern auch der Ab-
gang dieſer tapfferen Leute kurtz hierauff in der
Seeſchlacht bey Drexana zwiſchen dem Hanno
und Lutetius mercklich gemißet/ den Carthagi-
nenſern funffzig Schiffe in Grund gebohrt/ ſie-
benzig mit zehntauſend Mann gefangen wur-
den; und Carthago derogeſtalt durch den an
Klugheit und Tapfferkeit keinem nachgeben-
den Feldherrn Hamilcar mit den Roͤmern ei-
nen Frieden ſchluͤſſen/ das fruchtbare Sicilien
aber im Stiche laſſen muſte.
Kurtz erwehnter Fuͤrſt Narvas war ein En-
ckel des Bructerer Hertzogs Narvas/ deſſen zwey
juͤngere Soͤhne theils wegen ihres Brudern
Erſtgeburt/ theils wegen ihres allzu volckrei-
chen Vaterlandes mit ſeinem Theile Volckes
ein fremdes Land zu ſuchen gezwungen wuꝛden.
Der eine Sohn Bagan ließ ſich in Gallien zwi-
ſchen der Schelde und Maaß an dem Fluſſe
Sabis nieder; von welchem die Stadt Bagen-
heim/ von deſſen Vater aber das Volck den
Nahmen der Naͤrvier hat. Der andere Sohn
Eſtion verdrang ein Theil der Veneteꝛ/ und be-
meiſterte ſich des Seeſtrandes an dem Venedi-
ſchen Seebuſem von dem Fluſſe Chronus und
Rubo an biß an den Strom Turnutum; an wel-
chem er nach ſeines Vatern Nahmen die Stadt
Narva erbaute. Nach ſeinem Tode noͤthigte
der aͤlteſte Sohn Hirus ſeinen juͤngern ſechzehn-
jaͤhrigen Bruder Narvas ſein Vaterland zu
raͤumen. Dieſer junge Held hielt es ihm an-
ſtaͤndiger zu ſeyn/ bey den Fremden durch Tu-
gend ein Lorberreiß zu verdienen/ als ſeinem
Bruder durch Traͤgheit Uberlaſt/ und ſeiner
Vor-Eltern Reichs-Apffel zum Zanck-Apffel
zu machen; dahero ſegelte er mit etlichen Cartha-
ginenſiſchen Kauffſchiffen/ welche auffdem Ey-
lande Glaßaria Agſtein/ den das Meer haͤuffig
an dieſe Ufer anſpielet/ einkaufften/ nach Cartha-
go.
[793[797]]Arminius und Thußnelda.
go. Die Koͤnigin Erato fuhr hieruͤber heraus:
was hoͤre ich? Jſt Deutſchland das rechte Va-
terland des edlen Agtſteines? und wird der
haͤuffig im Meerſtrande gefunden; welcher in
Morgenland den Edelgeſteinen vorgezogen
wird/ zu Rom und in Aſien nicht nur ein herrli-
cher Schmuck/ ſondern auch eine koͤſtliche Artz-
ney fuͤr das Anlauffen der Mandeln und ande-
re Fluͤſſe; ja weil er Stroh an ſich zeucht/ eben
ſo wohl/ als der Magnet ein Wunder der Na-
tur iſt? Die Naſſauin antwortete: der reine und
wohlruͤchende Agſtein wuͤrde nirgends als bey
den Gothonen und Eſtiern an der Oſt-See um
die Weichſel und den Fluß Rodan gefunden;
welchen letztern die Griechen aus Jrrthum oder
vielleicht deßhalben Eridan hieſſen; weil ihren
Getichten nach die fuͤr den vom Him̃el geſtuͤrtz-
ten Thraͤnen der Sonnen-Toͤchter in Agſtein
ſolten verwandelt werden. Salonine fing an:
Es iſt diß Getichte nicht ſo ungeſchickt. Sinte-
mal es zweifelsfrey den Urſprung und die Koͤſt-
ligkeit des Agſteins auszudruͤcken erfunden/ und
er hierdurch bey weitem dem Weyrauche/ wel-
cher aus des in eine Staude verwandelten
Juͤnglings Libanus Thraͤnen entſproſſen ſeyn
ſoll/ fuͤrgezogen worden. Erato verſetzte: Es iſt
freylich diß Getichte geſchickter/ als des Sopho-
cles und Demonſtratus thoͤrichte Meynungen;
in dem jener den Agſtein fuͤr der Jndianiſchen
Hennen Zaͤhren haͤlt/ dieſer aber glaͤubt; daß er
aus dem Harne der Luchſe entſpringe. Sonſt
aber iſt der Agſtein in meinen Augen ſo ſchoͤn:
daß die ihn gebaͤhrenden Baͤume von den Deut-
ſchen mit Rechte den Arabiſchen Weyrauch- und
Myrrhen-Baͤumen/ uñ denen Syriſchen Bal-
ſam-Stauden entgegen geſetzet werden koͤnnen.
Daher in Aſien ein Stuͤcke Agſtein/ darinnen
eine Heydechſe von der Natur begraben worden
war/ fuͤr etliche Talent/ und zu Rom ein kleiner
Agſteinerner Cupido theuerer/ als ſchwerlich ein
lebendeꝛ Menſch waͤꝛe zu verkauffen geweſt/ mei-
nem Beduͤncken nach nicht zu theuer verkaufft
worden. Wie nun die Graͤffin von Naſſau laͤ-
chelte/ fragte die Koͤnigin Erato: Ob ſie die Liebe
aus Agſtein wol oder uͤbel gebildet zu ſeyn glaub-
te? Jhrer Einbildung nach haͤtten beyde mit ein-
ander eine vielfache Aehnligkeit; indem beyde
zum brennen geſchickt waͤren/ und einen Ma-
gnetiſchen Zug an ſich haͤtten. Die Graͤfin ent-
ſchuldigte ſich: daß ſie daran nicht gedacht/ ſon-
dern nur theils ſich uͤber der uͤbermaͤßigen Koſt-
barkeit des Agſteins verwundert haͤtte/ welcher
bey den Gothonen ſo gemein waͤre: daß ſie ihn
zum Raͤuchern und zu den Opffern an ſtatt des
Weyrauchs/ ja zur Kitte brauchten/ auch der E-
ſtier Hertzog der Fuͤrſtin Thußnelde unlaͤngſt
ein Stuͤcke dreyzehn Pfund ſchwer geſchenckt
haͤtte; theils aus der Koͤnigin Rede eine Billi-
gung des gemeinen Jrrthums zu ſpuͤren geweſt
waͤre/ ſamb deꝛ Agſtein ebẽ diß an gewiſſen Baͤu-
men/ was das Hartzt an den Kiefern und Tan-
nen/ und das Gummi an den Kirſchbaͤumen waͤ-
re. Verhaͤlt ſichs denn nicht alſo? verſetzte die
Koͤnigin: daß der fette von gewiſſen Baͤumen
ins Meer trieffende Schweiß von dem Meer-
ſaltze durchbeitzet und gereinigt/ von den Son-
nen-Stralen aber gleichſam zu einem durchſich-
tigen Ertzte gehaͤrtet/ und von den Fiſchern ent-
weder an dem von der See beſpielten Strande
auffgeleſen/ oder aber aus gewiſſen Graͤben/
darein es das Meer auswirfft/ gefiſchet werde?
Die Naßauiſche Graͤfin antwortete: Es wird
zwar der Agſtein auff ſolche Arten geſammlet;
er iſt aber weder der Safft noch das Hartzt/ we-
niger die Frucht eines Baumes/ ſondern ei-
ne Fettigkeit der ſchwefflichten Erde/ welche
die Kaͤlte und das Saltz des Meer-Waſ-
ſers wie der Froſt die Verg-Kriſtallen verſtei-
nert; und daher auch diß auff denen zweyen
laͤnglichten an der Oſt-See in der Eſtier Gebie-
te liegenden Eylanden mehrmahls herrliche
Marck aus ſeiner Mutter der Erde gegraben
wird. Zeno fuͤgte bey: derogeſtalt wird nun-
mehr der zeither verworffene Bericht des Phi-
H h h h h 2lemons
[794[798]]Sechſtes Buch
lemons gerechtfertiget: daß der Agſtein auch wie
Ertzt aus der Erden komme. Allerdings/ ſag-
te die Naſſauin; aber der gegrabene gleicht dem
nicht/ den das Meer-Waſſer und die Sonnen-
Stralen geleutert haben. Zeno nam das Wort
von ihr und meldete: Es muß das Meer-Waſ-
ſer eine wunderwuͤrdige Krafft haben/ ungeach-
tet es ſonſt/ ſeiner Fruchtbarkeit unbeſchadet/ ſo
veraͤchtlich gehalten wird. Denn ſein Saltz und
ſeine Bewegung bereitet auff gleiche Weiſe den
ſeines Geruchs halber unvergleichlichen Am-
bra/ welcheꝛ/ wie ich in Jndien ſelbſt wahr genom-
men/ nichts/ als ein von dortigen Fliegen oder
Bienen in denen am Meer liegendẽ Steinkluͤf-
ten zuſam̃engetragenes/ hernach herunter ge-
fallenes uñ von den Meereswellen ausgearbei-
tetes Wachs und Honig eben ſo wenig aber der
meiſten Meinung nach/ als der Agſtein eine
Baum-Frucht/ viel minder Schaum der Meer-
ſchweine/ oder eine von dem Meere ausgearbei-
tete Fettigkeit der Erde/ noch Miſt/ gewiſſer nur
koͤſtliche Wuͤrtze eſſender Voͤgel iſt. Vielleicht
aber fiel Salonine ein/ hat der Agſtein in Galli-
en Hiſpanien/ Britannien und Mohrenland ei-
nen andern Urſprung. Die Graͤfin verſetzte:
dieſe Laͤnder haben zwar etwas/ das dem Agſtei-
ne gleicht/ keines weges aber den rechten ausge-
klaͤrten Agſtein/ welcher nirgends in der Welt
als in dem deutſchen Gebiete der Gothonen und
Eſtier gefunden/ daſelbſt ſeiner Durchſichtigkeit
halber Glaß genennt/ von dar nach Carmut/ und
folgends in Jtalien/ Griechenland und Aſien
gebracht wird. Seinen erſten Werth aber ha-
ben ihm die Carthaginenſer gegeben/ welche ihn
mit ihren Schiffen in Africa brachten; woraus
vielleicht der Ruff kommen: daß in Mohren-
land an dem Oꝛte/ wo Phaethon umkommen/
des Ammons Wahrſagung und das Wachs-
thum des Agſteins zu finden ſey. Adgande-
ſter beſtetigte diß/ und fuhr in ſeiner Erzehlung
derogeſtalt fort: Als Narvas auff eben ſol-
chen Schiffen nach Carthago gebracht ward/
fuͤhrte gleich dieſe Stadt mit dem Koͤnige A-
gathocles dem beruͤhmten Toͤpffer-Sohne/ von
welchem/ als er noch in Mutter-Leibe war/ A-
pollo wahrgeſagt hatte: daß er in Sicilien und
Africa groß Elend ſtifften wuͤrde/ Krieg. Die-
ſer war zwar mit genauer Noth aus der belaͤ-
gerten Stadt Syracuſe entronnen/ und mit ei-
nem Theile ſeines Heeres in Africa kommen/
hatte die Staͤdte Magna und Tunis unver-
ſehens eingenommen/ und eingeaͤſchert; und
Hanno war mit etlichen tauſenden theils durch
Agathocles Liſt/ indem er bey waͤhrender
Schlacht eine Menge Nacht-Eulen/ als ein
Siegs-Zeichen deꝛ Griechen fluͤgen laſſen/ theils
durch des andern Feldherrn Bomilcars verraͤ-
theriſches Weichen erſchlagen/ viel Staͤdte und
Feſtungen in Africa erobert; ja auch ihr Heer/
welches Syracuſa belaͤgerte/ von Antandern des
Agathocles Brudern unverſehens aufgeſchla-
gen/ und der Feldherr Amilcar/ des Giſcons
Sohn/ lebendig gefangen/ hernach zu tode gepei-
nigt worden. Jn dieſem Gedraͤnge war Cartha-
go/ als das Schiff/ auff welchem der junge Fuͤrſt
Narvas war/ in den Hafen lieff; welchen aber die
Meyneidiſchen Kauffleute unteꝛweges als einen
Gefangenen gebunden hatten/ und aus Begier-
de eines ſchnoͤden Gewiñes des Bomilcars Ge-
mahlin fuͤr einen Knecht verkaufften/ um ſelbten
fuͤr die Wolfarth ihres noch nicht in die Stadt
zuruͤcke gekommenen Ehherꝛns dem Saturnus
auffzuopffern; deſſen ertztenes Bild mit zweyen
Antlitzern/ unter ſich geſtreckten Armen die ihm
darauff gelegten Menſchen unter ſich in einen
gluͤenden Schmeltzofen abſtuͤrtzet; und alſo hier
von dieſem grauſamẽ Abgotte/ mit welchem doch
die Vorwelt nur die ſich ſelbſt verzehrende Zeit
fuͤrgeſtellet hat/ in Warheit abgebildet ward: daß
er ſeine Kinder freſſe. Folgenden Tag aber ruͤckte
Agathocles mit ſeinen beyden Soͤhnen Aꝛchaga-
thus und Heraclidas gar fuͤr Carthago; und ein
Grieche ritt mit dem blutigen Kopfe Amilcars
biß unter den Wall den Feinden ſelbten recht ei-
gentlich
[795[799]]Arminius und Thußnelda.
gentlich zu zeigen/ welches die Behertzten auf die
Mauern die Kleinmuͤthigen aber in die Tempel
trieb/ von ihren Goͤttern Huͤlffe zu bitten. Die
blutduͤrſtigen Prieſter des Saturnus und Her-
cules aberſchrieben die Urſache alles Elendes der
kaltſiñigen Andacht zu/ indem ſie ihrem Hercu-
les nach Tyrus in vielen Jahren keine Zehnden
geſchickt/ dem Saturnus aber keine Kinder/ oder
doch nuꝛ ungeartete uñ Fꝛemdlinge geopfert hat-
tẽ. Weil nun erſchrockene Gemuͤther leichte zum
Aberglauben bewegt werden/ fuͤllten die Frau-
en mit ihren guͤldenen Geſchmeiden/ Perlen/
und Edelſteinernen Ohr gehencken ein ziemlich
Schiff voll/ und ſchickten es noch ſelbigen Tag
nach Tyrus. Drey hundert edle Geſchlechter
brachten freywillig ſo viel ihrer Soͤhne in den
Tempel des Eſculapius zum Saturnus-Opfer.
Der Poͤfel aber/ welcher beym Ungluͤcke zugleich
verzagt und grauſam wird/ war noch grauſa-
mer/ als dieſer Mord-Geiſt. Denn er noͤthig-
te noch zwey hundert edle Haͤuſer; und unter
ſelbten auch Bomilcars eines ihrer Kinder zum
Opfer herzugeben. Wiewohl nun Bomilcar
nur einen einigen Sohn hatte/ muſte er doch in
einen ſauren Apfel beiſſen/ und lieber ſeinen
Sohn als den Schein des Vaterlandes miſſen.
Aber ſeine Gemahlin Hipſicratea konte es nicht
uͤbers Hertze bringen ſich eines ſo unſchaͤtzbaren
Pfandes zu berauben. Daher nahm ſie den
gekaufften Fuͤrſten Narvas/ ſchnitt ihm ſeine
ſchneeweiſſe Haare ab/ und erſtattete ſelbte durch
falſche ſchwartz-gekraͤuſelte; ſchmierte ſein Ant-
litz und gantzẽ Leib mit allerhand faͤrbendẽ Kraͤu-
tern und Seſam-Oel ein: daß ihn nunmehr die
braunen Africaner/ nicht aber die weiſſen Eſtio-
ner fuͤr ihr Lands-Kind annehmen konten. Wel-
ches der dienſtbare Narvas/ dem Hipſicratea hie-
bey auf alle erſinnliche Weiſe liebkoſete/ auch ihn
anders nicht als ihren Sohn nennte/ deſto willi-
ger vertrug; weil er ihm nicht traͤumen ließ: daß
man ihn zu einer ſo abſcheulichen Abſchlachtung
maͤſtete. Wie nun die beſtim̃te Zeit erſchien/
fuhren die Muͤtter auf koͤſtlichen von Maul-
Thieren gezogenen Sieges-Wagen mit ihren
in aſcherfaͤrbichten Silber-Stuͤcke gekleide-
ten/ und mit Cypreſſen/ welche mit Onichen/
Jaſpiſſen und Topaſſen umbwunden waren/
gekraͤntzten Soͤhnen gegen Mitternacht in den
von allerhand Paucken und Saiten-Spielen
bebenden Tempel/ und alſo auch Hipſicratea
mit ihrem aufgeputzten Narvas/ den ſie uͤberte-
dete: daß ſie in dem Heiligthume die Banden
ſeiner Dienſtbarkeit aufloͤſen/ und wahrmachen
wolte: daß er an ihr eine natuͤrliche Mutter
uͤberkommen haͤtte. Das Kinder-Opfer ge-
wan nicht nur im Angeſichte des groſſen Ra-
thes/ ſondern ihrer ſelbſteigener Vaͤter den An-
fang/ und die Muͤtter muſten mit lachendem
Munde ihre Soͤhne ſelbſt dem freſſenden Sa-
turnus auf die Armen legen/ oder vielmehr ihr
Mutter-Hertze in einen giftigen Hoͤllen-Pful
verwandeln/ und ihre Haͤnde den Werckzeug
der unempfindlichſten Hencker uͤbertreffen.
Der behertzte Fuͤrſt Narvas wuſte anfangs
nicht/ was mit ſo viel edlen Knaben geſpielet
ward/ ob er ſchon von ferne beym Abfall eines
oder des andern einen feurigen Strahl auf-
ſchieſſen ſahe/ biß ihm die bey etlichen Kindern
aus den Augen rinnende Thraͤnen die Sache
verdaͤchtig machten. Es waren ihrer wohl
ſchon 200. von dem zerſchmoltzenen Bley ver-
ſchlungen; als die Reye an ihn kam/ und die
Opfer-Knechte ihn binden/ und Hipſicrateen in
die Haͤnde liefern wolten. Er erblickte aber den
feurigen Pful/ ſprang alſo zuruͤcke/ und als die
Opfer-Knechte ihn gleichwohl antaſten wolten/
zohe er einem edlen Carthaginenſer die Sebel
aus der Scheide/ und ſtellte ſich zur Gegenwehr.
Hipſicratea ward hieruͤber uͤberaus verwirret/
und das zuſchauende Volck wendete nunmehr
die Augen auf Bomilcarn/ was ſelbter bey Ent-
weihung dieſes Opfers gegen ſeinem widerſpen-
ſtigen Sohne entſchluͤſſen wuͤrde. Denn ihm
lag nunmehr vermoͤge der vaͤterlichen Geſetze
H h h h h 3ob/
[796[800]]Sechſtes Buch
ob/ ſelbſt an ſein Kind Hand anzulegen. Bomil-
car/ welcher ſelbſt nicht anders wuſte/ als Narvas
waͤre ſein rechter Sohn/ ſtand hierauf von dem
Altare des Eſculapius/ fuͤr welchem er kniete/
auf/ umb dem Gottes-Dienſt ſein Recht zu thun;
und das Gethoͤne verwandelte ſich auf gegebenes
Zeichen in ein tieffes Stillſchweigen. Wie nun
Bomilcar den Fuͤrſten Narvas anredete: Mein
Sohn/ wilſt du dem Willen der Goͤtter und dei-
ner Eltern widerſtreben? Wilſt du dein Vater-
land lieber/ als deinen ohnmaͤchtigen Leib einge-
aͤſchert wiſſen? Narvas verſetzte: Verraͤtherey
hat mich zwar zu deinem Knechte/ nicht aber zu
deinem Sohne gemacht; und meine eigene
Sprache zeiget: daß ich Carthago fuͤr mein Va-
terland nicht zu ruͤhmen habe. Hiermit rieß er
die falſchen Haare vom Kopfe/ ſtreiffte den guͤlde-
nen Rock von der lincken Schulter ab/ und zeigte
unter dem Arme einen Fleck der weiſſen Haut/
zum Kennzeichen: daß ſein Leib nur waͤre ange-
faͤrbt worden. Bomilcar verſtum̃te/ und ſahe
nur die gleichſam in einen Stein verwandelte
Hipſicratea an. Das Volck aber ward gegen
Bomilcarn und ſeine Gemahlin uͤberaus er-
bittert/ rannten zum Theil in ſeinen Pallaſt/ und
ſchleppten ſeinen Sohn Jmilco in Tempel; wel-
chen die ungluͤckſelige Mutter nunmehr nicht ſo
wohl fuͤrs Vaterland/ als fuͤr den Vater und
ſich ſelbſt aufopfern muſte/ da ſie nicht von den
Klauen des erboſten Poͤfels wolten zerfleiſchet
werden. Das Opfer ward hierauf vollendet/
Fuͤrſt Narvas aber auf Befehl des Rathes im
Tempel verwahret; welcher/ als er auf den Mor-
gen ſich fuͤr dem Rathe rechtfertigte/ und durch
Einziehung ſeiner Verkaͤuffer ſein Zuſtand ent-
decket war/ nicht allein auf freyen Fuß/ ſondern
auch in der Stadt Krieges-Dienſte kam. Jn die
Stadt kamen hingegen taͤglich ſchlimmere Zei-
tungen/ wie nemlich Agathocles die Neuſtadt
und Adryneet/ ja wohl zwey hundert Staͤdte er-
obert/ mit dem Numidier Koͤnige Elymas wider
Carthago/ welche zeither gantz Africa gedruͤckt
und ſich alſo verhaßt gemacht hatte/ in ein Buͤnd-
nuͤß getreten/ auch mit einem Theile des Heeres
biß in das innere Libyen gedrungen waͤre. Wie-
wohl nun hierauf den Carthaginenſern ſich ein
Sonnen-Blick zeigte/ indem Agathoclens Heer/
weil ſein Sohn Archagathus einen tapferen und
beliebten Kriegs-Obeꝛſten Lyciſcus/ der ihn unge-
buͤhrlichen Zuhaltens mit ſeiner Stiefmutter
Alcia beſchuldigte/ ermordet hatte/ einẽ Aufſtand
machte/ und den Koͤnig/ weil er ſeinen Sohn zur
Straffe aushaͤndigen wolte/ in der Feinde Haͤn-
de zu liefern vor hatte/ ſo verwandelte ſich doch
ſelbter bald wieder in eine Donner-Wolcke.
Denn/ als Agathocles fuͤr dem gantzen Heere den
Purpuꝛ ablegte/ die Prieſteꝛ-Muͤtze/ welche er an
ſtatt einer Koͤniglichen Krone zu tragen gewohnt
war/ zu ihren Fuͤſſen warf/ eines gemeinẽ Kriegs-
Knechtes Kleid anzoh/ und durch ſelbſthaͤndige
Hinrichtung ſeiner Gefaͤngnuͤß fuͤrkom̃en wol-
te/ ließ das vorhin wuͤtende Volck durch den Auf-
ruht/ wie das ſtuͤrmende Meer in dem weichen
Sande von ſeinem Brauſen ab/ und noͤthigte
ihn/ ſich der Koͤniglichen Wuͤrden wieder anzu-
maſſen/ verdiente alſo von ihnẽ aufs neue wieder
gefuͤrchtet zu werden/ weil er fuͤr ihrem Draͤuen
und dem Tode ſelbſt keine Furcht hatte. Rhe-
metalces fiel hier ein: Es waͤre bey aͤuſerſter
Gefahr kein beſſerer Rath als die Verwegenheit/
ſonderlich bey dem gemeinen Volcke/ welches fuͤr
allen Mittel-Dingen ein Grauen hat/ und von
dem aͤuſerſten Ende frecher Grauſamkeit bey
einer unvermutheten Entſchluͤſſung zu der Er-
barmnuͤß und Dienſtbarkeit verfaͤllt/ gleich als
wenn die Schamroͤthe uͤber ihr Verbrechen an-
ders nicht als durch uͤbermaͤſſige Demuth vertil-
get werden koͤnte. Und daher habe auch einer
ſeiner Vorfahren Antigonus Koͤnig in Macedo-
nien durch ebenmaͤſſige Wegwerffung der ihn
vom Volcke angefochtenen Krone nicht nur
ſelbte/ ſondern auch die Beſtraffung der Aufwie-
gler erhalten. Ja/ ſagte Adgandeſter/ und Aga-
thoclens Heer bemuͤhete ſich von Stund an durch
Tapfer-
[797[801]]Arminius und Thußnelda.
Tapferkeit ihre Scharte auszuwetzen. Maſ-
ſen ſie denn die Carthaginenſer/ welche aus Si-
cilien mit etwas waren verſtaͤrckt worden/ und
den Koͤnig Elymas durch Geſchencke und Ver-
troͤſtungen wieder auf ihre Seite brachten/ aus
dem Felde biß indas Laͤger unter die Stadt trie-
ben/ den Koͤnig Elymas aber mit einem ſeiner
Soͤhne und anſehlichem Heer erſchlugen. An
dieſen Ungluͤcken war es noch nicht genung;
denn ſie hengen meiſt wie die Ketten-Glieder
an einander. Es kam in die Stadt Zeitung:
daß Aphellas/ der ein geweſener Kriegs-Ober-
ſter des groſſen Alexanders geweſt war/ und an-
fangs das Koͤnigreich Cyrene dem Tyrannen
Thimbro aus den Haͤnden gewunden/ dem Koͤ-
nige Ptolomeus unterthaͤnig/ hernach aber ſich
aus einem Unter-Koͤnige zu einem eigenmaͤchti-
gen Herren gemacht/ mit den Athenienſern ſich
verbunden/ von dar eine Enckelin des beruͤhm-
ten Miltiades Euthydica geheyrathet hatte/ mit
einem maͤchtigen Heere von Cyrenern und Grie-
chen durch Marmarica dem Agathocles zu
Huͤlffe im Anzuge waͤre. Weswegen von Car-
thago ein ziemliches Heer gegen der Stadt
Leptis ſo wohl dem Aphellas fuͤrzubeugen/ als
die Abtruͤnnigen Numidier wieder an ſich zu zie-
hen abgeſchickt war. Bey dieſer Gelegenheit
entſchloß ſich Bomilcar eines gefaͤhrlichen Vor-
nehmens/ als welcher nicht allein lange Zeit
ſich zum Ober-Herren der Stadt Carthago zu
machen im Schilde gefuͤhrt/ ſondern auch die ab-
gezwungene Opferung ſeines einigen Sohnes
zu raͤchen beſchloſſen hatte; er hatte fuͤnf hundert
Buͤrger/ und zwar meiſtentheils die/ derer Kin-
der auch wider Willen waren geopfert worden/
wie auch tauſend geworbene Kriegsleute auf ſei-
ne Seite bracht/ mit dieſen nahm er fruͤh mor-
gens den groſſen Marckt ein/ erklaͤrte ſich da-
ſelbſt fuͤr einen Koͤnig/ ließ hierauf alle auf den
Straſſen ungewaffnet befindliche Buͤrger nie-
derhauen. Wie nun aber die Stadt ver-
ſtand: daß kein auslaͤndiſcher Feind/ ſondern
Bomilcar derogeſtalt wuͤtete/ grieffen die Buͤr-
ger/ und zwar der dem Hauſe des Bomilcars/
gehaͤſſige Fuͤrſt Narvas am erſten zun Waffen/
fuͤhrte auch ſelbte ſo behertzt an: daß dieſe Auf-
ruͤhrer zerſtreuet/ und Bomilcar/ welchen Nar-
vas ſelbſt mit einem Spieſſein die Seite verletz-
te/ lebendig gefangen ward. Folgenden Tag
ward Bomilcar auf dem Marckte/ als dem
Schau-Platze ſeiner Wuͤrden und Verbrechens
an ein Creutze genagelt/ welches er behertzt erdul-
dete/ und der Zuſchauenden Menge beweglich
zuredete: daß ihn die Grauſamkeit ihrer bluti-
gen Opfer und ihr Undanck gegen wohlverdien-
te Helden zu ſolcher Entſchluͤſſung gebracht haͤt-
te; indeme er wahrgenommen: daß nach dem
ſie ihn ſeines einigen Sohnes beraubet/ es ihm
nicht beſſer gehen wuͤrde/ als dem Hanno/ welchẽ
ſie aus bloſſem Argwohn angemaßter Oberherr-
ſchaft getoͤdtet; oder dem unſchuldig vertriebenẽ
Giſgo/ und denen zweyen Amilcarn/ derer einem
ſie verlaͤumderiſch beygemeſſen: daß er mit dem
Agathocles unter dem Hute ſpielte; den andern
gleichſam aber gezwungen haͤtten: daß er bey
vernommener Flucht ſeiner Voͤlcker ſich ſelbſt in
ſein eigenes Opfer-Feuer lebendig geſtuͤrtzet. Ob
ſie ihn nun hernach ver goͤttert/ waͤre doch diß ein
merckwuͤrdiges Beyſpiel: daß ſie die Guͤte einer
Sache allererſt nach ihrem Verluſte ſchaͤtzten;
der Tugend aber im Leben Spinnen-feind waͤ-
ren. Wie aber diß alles bey vergaͤllten Gemuͤ-
thern wenig Mitleiden ſchaffte; alſo kam der
noch junge Fuͤrſt Narvas in groſſes Anſehen ſei-
ner Tapferkeit halber. Jnzwiſchen war Koͤ-
nig Aphellas den Carthaginenſern ſchon zuvor/
und in Agathocles Laͤger ankommen/ daſelbſt
zwiſchen beyden groſſe Vertraͤuligkeit gemacht/
und des Agathocles Sohn Heraclidas vom A-
phellas zum Sohne angenommen worden.
Weil aber deſſen ſein Abſehn und Buͤndnuͤß da-
hin ging: daß Agathocles ſich mit Sicilien und
einem Stuͤcke Jtaliens vergnuͤgen/ gantz Africa
aber des Aphellas Beute ſeyn ſolte; uͤberrede[t]e zu
gelegener Zeit/ als das Cyreniſche Heer theils auf
der Fuͤtterung auſſen/ theils in der Ruhe war/
Aga-
[798[802]]Sechſtes Buch
Agathocles ſein Heer: daß Aphellas ihm mit
Gift nachgeſtellet haͤtte; worauf die Cyrener al-
ſofort uͤberfallen/ Aphellas getoͤdtet/ die meiſten
aber ſich unter die Sicilier unterzuſtellen ge-
zwungen wurden. Mit dieſem vereinbarten
Heere ruͤckte er fuͤr Utica/ und nahm ſelbtes ſtuͤr-
mender Hand ein; weil die Belaͤgerten ihre an
die Spitzen geſtellten Mit-Buͤrger und Bluts-
Freunde/ die Agathocles vorher gefangen be-
kommen hatte/ zu beleidigen eine lange Zeit an-
ſtunden/ alſo durch eine unzeitige Barmhertzig-
keit die gantze Stadt ins Verterben ſtuͤrtzten.
Hierauf ergabe ſich des Agathocles Sohne Ar-
chagathus/ und ſeinem Feldhauptmanne Eu-
machus die groſſe Stadt Tocas/ Phellnia/ Mo-
ſchala/ die Pferde-Burg/ und Acris mit einem
groſſen Theile Numidier und Aſphodeloder.
Und es waͤre alles vollends von den Siciliern
uͤberſchwemmet worden/ wenn nicht Fuͤrſt Nar-
vas/ welcher inzwiſchen in die Stadt Miltine
mit einem Theile Celten zur Beſatzung war ge-
legt worden/ den hochmuͤthigen Feind mit uͤber-
aus groſſem Verluſt abgetrieben haͤtte. Dieſer
gluͤckliche Streich/ und achtzehn aus Hetrurien
mit Semnoniſchen und Bojiſchen Huͤlffs-Voͤl-
ckern ankommende Schiffe verſetzte gantz Afri-
ca in einen andern Zuſtand/ und ermunterte die
Carthaginenſer: daß ſie mit dreyen Heeren ge-
gen ihre Feinde aufzohen. Darunter das mit-
lere unter dem Hanno den Siciliſchen Feld-
hauptmann Eſchrion erlegte; das aͤuſerſte aber
fuͤhrte Jmilco gegen Numidien. Wie nun
Eumachus gegen ſelbtes anzoh/ rieth der darzu
kommende Fuͤrſt Narvas/ er ſolte die Helffte
jenes Heeres unter ihm zum Hinterhalte laſſen/
und bey Zeite ſich anſtellen/ als wenn er die Flucht
nehme. Als nun hierauf Eumachus den mit
Fleiß weichenden Jmilco unvorſichtig verfolgte/
fiel Fuͤrſt Narvas mit der andern Helfte des Hee-
res dem Feinde in den Ruͤckẽ/ und machte eine ſo
groſſe Niederlage: daß von drey und zwantzig
tauſend Mann Fuß-Volck mehr nicht als dreiſ-
ſig/ und von acht hundert Reitern nur viertzig da-
von kamen. Mit dem dritten Heere ſchnitt
Artabas dem Feinde an der Seite gegen das
Meer alle Zufuhr ab. Endlich als in dem
Mohriſchen Lager bey ihrem Opfer ein heftiger
Brand entſtand/ und viel Carthaginenſer ver-
zehrte/ kam des Nachts in der Sicilier Laͤger ein
unvermuthetes Schrecken: daß ſie alle die
Flucht ergriffen/ und hieruͤber wohl viertzig tau-
ſend Mann einbuͤßten. Welches den Agatho-
cles ſo verzweifelt machte: daß er heimlich ent-
wiech/ und ſeine Soͤhne im Stiche ließ/ welche
das Kriegs-Volck ermordete/ den Carthaginen-
ſern alle eroberte Staͤdte verkauffte/ und ſich
ſelbſt groſſen Theils in ihre Dienſte begab.
Fuͤrſt Narvas aber gerieth inzwiſchen in einen
klaͤglichen Zufall; denn als er nach erobertem
Siege wider den Eumachus dem noch feindli-
chen Koͤnige der Numidier und Mohren Erga-
menes einfiel/ dieſer aber mit Fleiß den Nar-
vas biß in die innerſten Sand-Wuͤſteneyen ver-
leitet hatte/ beſetzten die Mohren alle Paͤſſe; al-
ſo: daß die Carthaginenſer/ welche ſchon die
Helffte theils vom Durſte/ theils von Schlangen
verlohren hatten/ dem zehnmal ſtaͤrckern Heere
des Ergamenes nur die Stirne bitten muſten.
Die Verzweifelung zwang ihnen unglaͤubliche
Helden-Thaten ab/ und fuͤgte den Mohren
nicht geringen Schaden zu/ indem keiner unge-
rochen ſtarb; endlich aber ward die Menge doch
ihr Meiſter/ Fuͤrſt Narvas nach zwantzig em-
pfangenen Wunden gefangen/ und mit etlichen
wenigen Semnonern und Celten nach Cirtha
gefangen bracht/ endlich gar nach Merve ge-
fuͤhrt. Zu ihrem groͤſten Ungluͤcke hatten dieſe
in der Schlacht zwey Affen umbbracht/ welchen
die Numidier und Pithecuſier/ ſo wie die Egypti-
er den Hunden Goͤttliche Ehre erweiſen/ und
ſie als ihre Helffer in alle Schlachten mit neh-
men; die aber/ welche ſich an ihnen vergreif-
fen/ unnachlaͤßlich am Leben ſtraffen. Die
Gefangenen wurden von den Numidiern und
Mohren zwar wohl gepflegt/ aber zu ihrem
Tode; welcher ihnen denn auch angeſagt ward.
Zu
[801[803]]Arminius und Thußnelda.
Zu welchem Ende ſie den Tag vorher der Ge-
wohnheit nach an die Stadt von beyden Seiten
beruͤhrenden Nil-Strom gefuͤhret wurden/ ſie
daſelbſt abzuwaſchen. Narvas/ welchem der
Kerckermeiſter in geheim aus Erbarmnuͤß ver-
traut hatte: daß ſie auff den Morgen ſolten von
grimmigen Affen/ welchen man die Gefange-
nen zu opffern pflegte/ zerriſſen werden/ nahm
die Gelegenheit in acht/ und entſchwam ſeinen
Huͤtern uͤber den wol eine halbe Meile breiten
Fluß. Ob nun wol iederman verzweiffelte:
daß er es das andere Ufer zu erreichen ſchaffen
wuͤrde/ ſo entkam er doch aus dem Waſſer und
durch einen bloſſen Zufall in den an dem Ufer
liegenden Koͤniglichen Garten; als die Koͤnigin
Eliſa ihre Tochter Andraſte/ und ihr Sohn der
junge Fuͤrſt Syphax gleich daſelbſt friſche A-
bendlufft ſchoͤpffte. Sie hatten dem ſchwim-
menden Narvas lange von ferne zugeſehen/ als
ſie einen ſo ſchneeweiſſen Waſſermann aus dem
Fluſſe ſteigen ſahen; welcher aber fuͤr Muͤdig-
keit ſo viel Kraͤfften nicht hatte ihre Frage/ wo er
dahin kaͤme/ zu beantworten; biß Koͤnig Erga-
menes ſelbſt auch darzu kam/ und Fuͤrſt Narvas
fuͤr einen Gefangenen erkennt/ alſo auf inſtaͤn-
diges Anhalten eines blutbegierigen Affen-
Prieſters wieder gefangen in die Stadt gefuͤh-
ret/ und auf den Morgen in den grauſamen
Mord-Tempel zum Opffer gefuͤhret ward.
Jm hingehen druͤckte ein Numidier ihm eine
kleine Schachtel in die Hand; welche Narvas
bey der ihm verſtatteten Entkleidung eroͤffnete;
und darinnen nebſt etlichen eingebiſamten Ku-
geln dieſes zu leſen fand: Die/ welche an unſchul-
diger Aufopfferung einer liebens-wuͤrdigen
Schoͤnheit ein groſſes Mißfallen hat/ uͤberſen-
det dir ein ſicheres Mittel aller Affen Zaͤhne und
Klauen ſtumpff zu machen. Narvas wuſte
nicht/ ob er dieſer Nachricht Glauben zuſtellen/
oder dieſes ihm gleichſam vom Himmel gefalle-
nen Mittels ſich bedienen ſolte. Wie nun a-
ber er in den Schauplatz/ welchen der gantze Koͤ-
nigliche Hoff/ und eine unglaubliche Menge
Volck anfuͤllte/ gebracht/ die hungrigen Affen
auch/ welche mit ihren Gebehrden ihre Blutbe-
gierde genungſam entdeckten/ aus ihren gegit-
terten Kefichten gebracht waren/ und ſie alſo
grimmig auf ihn zurennten/ ſchuͤttete Narvas
unvermerckt die Kugeln an Erdbodem; nach
welchen die Affen Augenblicks ſchnapten/ hier-
uͤber aber einander ſo grimmig in die Haare fie-
len: daß derer etliche zwantzig todt auff dem
Pflaſter liegen blieben/ die uͤbrigen aber ſo ver-
wundet und abgemattet waren: daß Narvas zu
groſſer Verwunderung des Volckes/ und Ver-
bitterung der Abgoͤttiſchen Prieſter unverſehret
blieb. Die Tunckelheit des Ortes hatte dieſe
Zanckkugeln aller Zuſchauer Augen verborgen;
und alſo urtheilte nicht nur das Volck/ ſondern
der Koͤnig ſelbſt: daß die Goͤtter an dem Tode
dieſes ſchon zweymal wunderſam erretteten
Menſchen ein Mißfallen haben muͤſten; daher
wolte er den Prieſtern kein Gehoͤre mehr geben;
welche unter dem Scheine der Andacht ſeine
Hinrichtung ſo eifrig ſuchten. Dieſer Verhin-
dernuͤß legten die nach und nach einlauffenden
Zeitungen ein groß Gewichte bey: daß Cartha-
go nicht nur wieder allein Meiſter in Africa
worden/ ſondern des Agathocles Feldhaupt-
mann Paſiphilus in Sicilien wider ihn aufge-
ſtanden waͤre/ und zum Dinocrates zum Hau-
pte derer von Syracuſe vertriebenen Buͤrger
ſich geſchlagen haͤtte. Endlich hielt den Erga-
menes von aller grauſamen Entſchluͤſſung eine
Botſchafft der Stadt Carthago zuruͤcke/ welche
dem Fuͤrſten Narvas und etlichen noch uͤbrigen
Gefangenen die voͤllige Freyheit erbat/ und das
alte Buͤndnuͤß mit Carthago wieder befeſtigte.
Die Affen-Prieſter wurden hieruͤber ſo erbit-
tert: daß ſie dem Koͤnige durch einen ſchlechten
Boten anbefehlen lieſſen: Er ſolte ſich alſofort
ſelbſthaͤndig hinrichten. Denn dieſe Gewalt
zu befehlen hatten von Alters her die Mohri-
ſchen Prieſter uͤber ihre Koͤnige. Ergamenes
Erſter Theil. J i i i iaber
[802[804]]Sechſtes Buch
aber ergrimmte uͤber dieſer Vermeſſenheit ſo
ſehr: daß er den unverſchaͤmten Boten durch-
ſtach/ mit gewaffneter Hand zu dem gantz guͤlde-
nen Tempel eilete/ alle Prieſter toͤdtete/ ſich zum
oberſten Prieſteꝛ erklaͤrte und einen gantz neuen/
der Koͤniglichen Herrſchafft beſſer anſtaͤndigen
Gottesdienſt aufrichtete. Koͤnig Ergamenes
fuͤhrte hierauf die Geſandten und den Fuͤrſten
Narvas auf eine Elefantẽ-Jagt/ in eine mit eitel
Oel- und Myrthen-Baͤume bewachſene Wild-
nuͤs gegen dem Fluſſe Nubia/ auf welcher Fuͤrſt
Narvas das Gluͤcke hatte/ nicht allein einem E-
lefanten/ deꝛ den Koͤnig nach empfangeneꝛ Wun-
de mit ſamt dem Pferde zu Bodem rennte/ unter
dem Schwantze einen Wurfſpieß in Leib zu ja-
gen/ ſondern auch einer Schlange Minia/ wel-
che auch einen Hirſch zu toͤdten und zu ver-
ſchlingen maͤchtig iſt/ auch dißmal die mit ihrem
Pferde bey Verfolgung eines Elefanten in ei-
nen Graben ſtuͤrtzende Fuͤrſtin Adraſte ſchon
umwunden hatte/ den Kopf abhieb/ alſo beyde
aus augenſcheinlicher Todes-Gefahr errettete.
Bey welchem Zufalle Adraſte dem Fuͤrſten
Narvas eroͤfnete: daß ſie ihm aus Erbarmnuͤß
die von Panterthieren ausgezogene Biſam-Ku-
geln/ welche nicht nur die Affen durch ihren an-
nehmlichen Geruch bethoͤrten/ ſondern auch die
Schlangen toͤdteten/ heimlich haͤtte zuſchieben
laſſen; Fuͤrſt Narvas hingegen ihr ſeine inbruͤn-
ſtige Liebe/ welche ihn bey ihrem erſten Anblicke
eingenommen/ bey itzt vernommener Errettung
aber ihn voͤllig bezaubert haͤtte/ eroͤfnete. Adraſte
wuſte ihre Liebe durch ihre Mutter Eliſa auch
ſo kluͤglich einzurichten: daß Ergamenes ſelbſt
ſeine Tochter Adraſte dem Fuͤrſten Naꝛvas nebſt
dem Koͤnigreiche Maſſeſyler anbot. Die Prie-
ſter der Stadt Mulucha aber/ welche daſelbſt/
wie zu Argib/ den Erretter der Andromeda
Perſeus goͤttlich verehren/ ſchickten nach ver-
nommener behertzter Erloͤſung Adraſtens als-
bald an den Fuͤrſten Narvas/ und erklaͤrten ihn
bey Uberreichung einer guͤldenen Muͤtze/ eines
helffenbeinernen Stabes/ und eines ertztenen
Schildes/ worauf die an den Felſen bey Joppe
gebundene Andromeda/ und der ihr zu Huͤlffe
kommende Perſeus kuͤnſtlich geetzet war/ zu ei-
nem Prieſter des Perſeus und Andromedens.
Wiewol nun dieſe unvermuthete Wuͤrde dem
Fuͤrſten Narvas anzunehmen ziemlich bedenck-
lich war/ ſo dorffte er doch in dem Lande/ wo er
nunmehr den Grundſtein ſeines Gluͤckes zu le-
gen vermeinte/ diß/ was bey iederman in ſo groſ-
ſem Anſehen war/ nicht veraͤchtlich wegwerffen.
Jnzwiſchen kam der gantze Hof nach der Stadt
Nigira/ (welche an dem See/ wo der achzehn
Meilweges unter der Erden gekrochene Fluß
Nigir wieder hervor kommt/ gelegen iſt/) allwo
das Hochzeit-Feyer mit groſſer Pracht und Fro-
locken des Volckes vollzogen ward. Wie nun
aber Fuͤrſt Narvas ſeiner Braut in dem zum
Beylager beſtim̃ten Zimmer mit hoͤchſtem Ver-
langen erwartete/ ſagte ihm einer ſeiner Ver-
trauten: daß die Prieſter ſie fuͤr etlicher Zeit in
den Tempel der Derceto abgeholet haͤtten; weil
alle/ und ſo gar die Koͤniglichen Braͤute daſelbſt
ihre Jungfrauſchafft denen Prieſtern aus einer
beſondern Andacht aufopffern muͤſſen. Narvas
ward uͤber dieſer thoͤrichten Zeitung halb raſend/
ergrief daher ſein Schwerd/ und rennte mit ſei-
nem einigen Anſaͤger durch die ſtockfinſtern Gaſ-
ſen dem Tempel zu; allwo er die in Thraͤnen
ſchwimmende und aus einer Ohnmacht in die
ander fallende Adraſte unter den Armen der gei-
len Prieſter antraf; welche ſie zu entkleiden/ und
hernach in das daſelbſt bereitete heilige Bette zu
legen bemuͤht waren. Dieſe Weichlinge wur-
den des Fuͤrſten ehe nicht gewahr/ biß er dem ei-
nen die vorwitzige Hand abgehauen/ des andern
Bruſt durch und durch geſtochen hatte. Dieſer
Anblick zerſtreute in einem Augenblicke die
Prieſter; und verſtattete dem fuͤr Eiferſucht
ſchaͤumen den Braͤutigam ſeine halb verzweiffel-
te Adraſte durch den Garten der Burg unver-
merckt in ſein Gemach zu bringen. Er hatte a-
ber kaum etliche mal ſeine wieder zu ſich kom-
mende Braut umarmet/ als ſich fuͤr der Burg
anfangs
[803[805]]Arminius und Thußnelda.
anfangs ein Geraͤuſche/ hernach ein ie laͤnger ie
mehr wachſendes Getuͤmmel des Volckes mit
unzehlbaren Windlichtern ſpuͤren ließ. Kurtz
hierauf kam Koͤnig Ergamenes und die Koͤni-
gin Eliſa gantz erblaſt ins Zimmer/ berichteten
den Aufruhr des Volckes; und daß ſie wegen
Beleidigung der Prieſter und der alten Sitten
in hoͤchſter Lebensgefahr ſchwebten. Nach lan-
ger Berathſchlagung und einlauffendem Be-
richte: daß der raſende Poͤfel ſchon das eine Thor
des Hofes aufgewogen/ und man alſo keine Aus-
flucht mehr zu finden haͤtte/ ſetzte Narvas die zu
Thirmida bekommene guͤldene Muͤtze auff/
nahm den Helffenbeinernen Stab in die rechte/
den Schild der Andromeda in die lincke Hand;
guͤrtete aber ſein Schwerd unter ſeinen Pur-
pur-Mantel/ und trat in Begleitung wol 100.
Wachsfackeln an der innerſten Pforte dem Vol-
cke entgegen. Dieſe unverhoffte Begegnung
hemmete den erſten Sturm des Volckes; als
er aber ihnen noch ferner einhielt/ durch was
Verdienſte er die Wuͤrde des Prieſterthums
erworben; mit was Unrechte ihm derogeſtalt die
Prieſter ſeine Braut entfuͤhret; mit was Aer-
gernuͤſſe ſie ihre Geilheit unter dem Scheine der
Andacht bekleideten/ und die Bluͤten der Jung-
frauſchafften denen keuſcheſten Seelen weg-
raubten/ verwandelte das leicht bewegliche
Volck nicht alleine ihre Raſerey in jauchzende
Gluͤckwuͤnſche/ ſondern ſie brachten es auch da-
hin: daß denen unzuͤchtigen Prieſtern dieſes
ſchandbare Vorrecht durch ein Reichs-Geſetze
abgeſchafft ward. Fuͤrſt Narvas aber lebte in
hoͤchſter Vergnuͤgung mit ſeiner tugendhafften
Gemahlin/ uͤbte wider den feindlichen ſchwar-
tzen Koͤnig groſſe Heldenthaten aus/ erweiterte
ſein Maſſeſyliſches Koͤnigreich durch kluge Krie-
ges- und Friedens-Kuͤnſte/ zeugte mit Adraſten
drey tapffere Soͤhne/ Narvas/ Gala/ Deſal-
ces/ und erfuͤllte gantz Africa mit ſeinem Ruh-
me.
Dieſer junge Fuͤrſt Narvas begab ſich im
ſiebzehnden Jahre ſeines Alters in der Stadt
Carthago Kriegsdienſte; brachte ſich auch durch
ſeine Tapfferkeit nach kurtzer Zeit in ſolches An-
ſehen: daß er in Sicilien zum Oberſten uͤber die
Numidiſchen Huͤlffsvoͤlcker gemacht ward. Es
ereignete ſich aber: daß als der kuͤhne und ver-
ſchmitzte Amilcar Barca ſeine wunderſchoͤne
Tochter Sophonisbe nach Lilybeum mit uͤber-
brachte/ und Autaritus der Celten Heerfuͤhrer
ſich zugleich in ſie verliebten/ und ieder durch ſei-
ne behertzte Herfuͤrzuͤckung beym Amilcar ſich
in Anſehen/ bey Sophonisben in Gewogenheit
zu ſetzen trachtete. Amilcar gab beyden ein ge-
neigtes Auge/ theils weil ieder dieſer Liebhaber
ſein Eydam zu ſeyn verdienten/ theils daß er ſie
anreitzte durch heldenmaͤßige Thaten einander
das Vortheil abzurennen. Gleichwol ſchien
endlich Fuͤrſt Narvas bey Sophonisben/ Fuͤrſt
Autaritus beym Amilcar den beſten Stein im
Brete zu haben. Hieruͤber machte Rom und
Carthago mit einander Friede/ und Amilcar/
deſſen Macht und Gluͤcke ohne diß viel in die
Augen geſtochen hatte/ legte ſeinen Stab nieder/
und zohe mit Sophonisben nach Hauſe. Der
Rath zu Carthago beſchloß zwar kluͤglich bey ſo
verdaͤchtigem Frieden kein geworbenes Kriegs-
volck abzudancken/ noch durch Erſparung der
Verpflegungs-Koſten die allgemeine Sicher-
heit in Gefahr zu ſetzen; Weil aber der Stadt-
halter zu Lylibeum Geſcon vernuͤnfftig uͤberleg-
te; wie gefaͤhrlich es ſey fremde Voͤlcker zu Huͤlf-
fe zu ruffen/ indem noch in friſchem Andencken
war/ wie die Carier vom Cyrus/ Rhegium und
Meſſana neulich von Roͤmern/ Griechenland
von Philippen unter das Joch geſpannet wor-
den; ja daß fremde Kriegsvoͤlcker entweder ſtets
wider den Feind gefuͤhret/ oder ihre Kraͤfften und
Laſter wie die ſchwermenden Bienen durch den
Rauch zertheilet werden muͤſſen; ſo ſchickte
Geſcon ſie auff einzelen Schiffen nach und nach
in Africa. Allhier aber fing Amilcar ſo
wohl den Narvas als Autaritus uͤber Achſel
anzuſehen; theils weil der Barckiſche Stamm/
ſo ſich noch von der Koͤnigin Dido herrechnete/
J i i i i 2aller
[804[806]]Sechſtes Buch
aller andern Geſchlechter zu Carthago/ viel-
mehr aber fremder ſich zu gut achtete; theils weil
ſich Geſcon ſelbſt Sophonisben zu heyrathen
anmeldete. Fuͤrſt Narvas erfuhr inzwiſchen
nicht nur von der ihm geneigten Sophonisbe
die Urſache ſolcher Veraͤnderung; ſondern auch:
daß Amilcar an dem Adel des Fuͤrſten Narvas
und Autaritus gezweiffelt hatte. Dieſes be-
wegteihn dem Amilcar ſeine Vertroͤſtungen deꝛ
Heyrath wegen ſchrifftlich einzuhalten/ auch ihn
zu verſichern: daß er ſein Fuͤrſtliches Geſchlech-
te von ſolchem Alter/ als der Barkiſche Stamm
immermehr haͤtte/ ausfuͤhren koͤnte. Allein er
begehrte ſich mit den verroſterten Schilden ſei-
ner Vorfahren nicht zu behelffen/ weil Amilcar
in Sicilien ſelbſt geſehen: wieviel er ihrer ſelbſt
den Feinden abgeriſſen haͤtte. Vermeinten die
Mohren ſeine Neuigkeit veraͤchtlich zu halten/
ſo muͤſte er derſelben Zagheit verlachen/ derer
Eltern ſich ſelbſt ſolcher Kinder ſchaͤmen/ ihn a-
ber zu ihrem Sohne wuͤnſchen wuͤrden/ wenn
ſie aus ihren Graͤbern aufſtuͤnden. Alſo moͤch-
te er ſein Anſuchen nicht verſchmaͤhen. Haͤtte
er das Gluͤcke des groſſen Amilcars Tochter zu
heyrathen/ ſo wuͤrde Amilcar ſich des unver-
gleichlichen Tuiſco und des maͤchtigen Hiem-
pſals Enckel zum Eydame zu haben ſich nicht
ſchaͤmen doͤrffen. Autaritus verſuchte gleich-
fals ſein Heil aufs beſte; aber die Freundſchafft
des Geſcon uͤberwog ſie endlich: daß Sopho-
nisbe zu hoͤchſter Verbitterung beyder Fuͤrſten
jenem verſagt/ durch ſolchen Verluſt aber des
Fuͤrſten Nervas und Autaritus durch die Ei-
ferſucht eine zeitlang zertrennte Vertrauligkeit
wieder er gaͤntzet ward. Dieſes geſchah/ als deꝛ
Rath zu Carthago aus Mangel Geldes zuꝛ Be-
zahlung alle fremde Huͤlfsvoͤlcker mit Sack und
Pack hoͤchſt unvernuͤnfftig in der Stadt Sicca
ſich zuſammen ziehen/ daſelbſt eine zeitlang
ſchaͤdlicher Ruhe genuͤſſen ließ; welche anfangs
in Muthwillen/ hernach in Verwegenheit den
ruͤckſtaͤndigen Sold mit Ungeſtuͤm zu ſuchen
ſich verwandelte. Jedoch bildete der Rath ihm
nichts weniger ein/ als daß ſo viel durch Spra-
chen und Sitten von einander unterſchiedene
Voͤlcker ſo bald wieder Carthago unter einen
Hut gebracht werden koͤnten/ daher meinten ſie
durch den Hanno ihnen die Helffte ihres ſauer
verdienten Lohnes und den Werth der eingebiß-
ten Pferde abzudingen. Welch Anmuthen
aber ihnen ſo beſchwerlich nicht fiel/ als daß ſie
dieſe Unterhandlung durch keinen Feldherren/
der in Sicilien ihre Kriegs-Thaten geſehen
hatte/ bewerckſtelliget ward; daher ſetzten ſie ſich
mit 20000. Mann zu groſſem Schrecken der
Stadt Carthago fuͤr Thunis; fluchten inſon-
derheit auf Amilcarn/ als welcher um ſich ſeiner
betheurlichen Verſprechungen guͤldener Berge
loß zu machen ſein Ampt abgelegt/ und die zwey
tapffern Fuͤrſten Narvas und Autaritus/ derer
Tugend die Herrſchafft der gantzen Welt ver-
diente/ durch Verſagung ſeiner Tochter be-
ſchimpfthaͤtte. Nach dem aber Geſcon in Si-
cilien bey dem Kriegsvolcke ſehr angenehm ge-
weſt war/ ſchickte der Rath von Carthago ihn
dieſe Voͤlcker zu beſtillen; Als inzwiſchen ſie
dem Fuͤrſten Narvas und Autaritus die Ober-
Gewalt uͤber ſich aufgetragen/ und bey dieſer
ihrer Verweigerung einen Africaniſchen Edel-
mann Mathos und einen Campanier von Ge-
burt Spendius zu ihren Haͤuptern erwehlt hat-
ten. Geſcon muͤhte ſich zwar auf alle weiſe ſie
zu beſaͤnfftigen; wie ſie aber um Bezahlung des
ruͤckſtaͤndigen Getreides anhielten/ und Geſcon
aus unzeitiger Ubereilung ſolche bey ihrem
Mathos zu ſuchen nicht allein ſie anverwieß/
ſondern auch einen frechen Balearier mit ſei-
nem Degen verwundete; fielen die nechſten den
Geſcon an/ welcher unzweiffelbar von der er-
grimmten Menge waͤre erwuͤrgt worden/ wenn
nicht Fuͤrſt Narvas ſeinen Nebenbuhler zu be-
ſchirmen ſich unterwunden haͤtte. Gleichwol
konte er nicht verwehren: daß er in Banden ge-
ſchloſſen und ins Gefaͤngnuͤß gelegt ward; und
Ma-
[805[807]]Arminius und Thußnelda.
Mathos durch Botſchaſſten faſt alle Voͤlcker
zum Aufſtande wider die Carthaginenſer/ als die
Feinde der allgemeinen Freyheit bewegte.
Sintemal dieſe mit ſo viel Unrecht zeither belei-
digten Voͤlcker kaum ſo geſchwinde die Poſt
hier[v]on bekamen/ als ſie die Carthaginenſiſchen
Gewalthaber und Zoͤllner toͤdteten/ den Huͤlffs-
voͤlckern ihren voͤlligen Ruͤckſtand zahlten/ groſ-
ſes Geld zu Fortſetzung des Krieges fuͤrſchuſſen/
und ſelbſt mit 70000. Mann ins Feld ruͤckten.
Hiermit kamen Utica und Hippacrita in euſer-
ſte Gefahr; ſie beſchloſſen auch die in einem hal-
ben Eylande zwiſchen dem Meere und einem
See liegende Stadt Carthago/ und erlegten
den Hanno nach angeſtellter Flucht mit vielen
Elefanten und faſt den letzten Kraͤfften der ſo
maͤchtigen Stadt in zweyen Schlachten. Wel-
ches verurſachte: daß Amilcar wieder zum
Kriegshaupte erwehlet ward; welchem Fuͤrſt
Autaritus durch einen Gefangenen anbot/ mit
ſeinen Celten und Semnonern von den Abtrin-
nigen ab- und zu ihm zu treten; da er ihm So-
phonisben vermaͤhlen wolte; weil er an dieſem
Aufſtande kein Gefallen truͤge/ auch ſeine Se-
bel noch nie wieder Carthago gezuͤckt haͤtte.
Hiernebſt ſchickte er zugleich mit eine ſchrifftli-
che Verzicht des gefangenen Geſcons/ welcher
um ſeine Freyheit zu erlangen gerne ſeine Buhl-
ſchafft vergeſſen wolte. Weil aber Amilcar ſo
wol von Roͤmern als dem Koͤnige Hiero zu Sy-
racuſa eine anſehnliche Huͤlffe bekam/ ſchlug er
dieſes veraͤchtlich in Wind; welches den Fuͤrſten
Autaritus ſo ſehr bitterte: daß er endlich in das
lange Zeit hinterhaltene Verlangen des Spen-
dius/ nehmlich in den Todt des Geſcons willig-
te; welchem wie auch ſiebtzig andern Edlen Car-
thaginenſern die Haͤnde abgehackt/ die Beine
zerbrochen/ und ſie noch lebend in die Erde ge-
ſchorren wurden; mit gemachtem Schluſſe:
daß es hinfort allen Gefangenen nicht beſſer er-
gehen ſolte. Alſo verwandelt hefftige Liebe ſei-
ne Anmuths-Blicke in grauſame Baſilisken-
Augen; Und die Geſchwuͤre der Gemuͤther
ſind viel ſchaͤdlicher/ als die Gifftdruͤſen der Lei-
ber. Ja Autaritus und Spendius bewegten
die zur Beſatzung Sardiniens gelaſſene Libyer
und Hiſpanier ſo weit: daß ſie den Stadthalter
Boſtar mit allen Carthaginenſern todt ſchlu-
gen/ den mit neuer Huͤlffe ankommenden Han-
no aber kreutzigten; und alſo dieſes gantze Ey-
land ihrer Gewalt entrieſſen. Fuͤr dieſer Grau-
ſamkeit aber hatte Fuͤrſt Narvas eine ſolche Ab-
ſcheu: daß er um Mitternacht mit ſeinen Nu-
midiern heimlich aus dem Laͤger wich/ und am
tagenden Morgen fuͤr Amilcars Lager kam;
ſeine Waffen freywillig von ſich gab/ und als
man ihn auf ſein Begehren zum Amilcar fuͤhr-
te/ ihn folgenden Jnhalts anredete: Seine Lie-
be gegen der unver gleichlichen Sophonisbe/ die
Wolthaten der Stadt Carthago gegen ſeinem
Vater haͤtten ihn zeither zuruͤcke gehalten den
Degen zu zucken/ wider die Stadt/ welche die
Beherrſcherin ſeiner Seele zum Vaterlande/
ſein Vater aber zu ſeiner erſten Aufnehmerin
gehabt; wiewol er darfuͤr hielte: daß der Rath
durch angefuͤgtes Unrecht ſo viel tapffere Kriegs-
leute wider ſich in Harniſch bracht haͤtte. Nach
dem aber Spendius durch unmenſchliche Grau-
ſamkeit das Recht der Voͤlcker verletzt/ und des
feindlichen Heeres Sache boͤſe gemacht/ triebe
ihn ſein Gewiſſen und der Reitz der Tugend un-
ter einem ſo behertzten Feldherren die Waffen
fuͤr Carthago zu fuͤhren. Weder der Tod des
ungluͤckſeligen Geſcons/ noch ſein Verdienſt
machten ihm einige Hoffnung zuꝛ Beſitzung der
unſchaͤtzbaren Sofonisbe; weniger hielte er ihm
fuͤr anſtaͤndig ihre Heyrath durch ihres Vater-
landes Nothſtand und durch bedungene Huͤlffe
auszuwuͤrcken. Er haͤtte nunmehr ſein Ge-
muͤthe derogeſtalt beruhigt: daß ſein Verlan-
gen mit dem Verhaͤngnuͤſſe in voͤlliger Ein-
tracht lebte/ ſeinen Vorſatz aber dahin gerichtet:
daß Carthago zwiſchen ihm und einem einge-
bohrnen Buͤrger/ Amilcar aber zwiſchen dem
J i i i i 3Fuͤr-
[806[808]]Sechſtes Buch
Fuͤrſten Narvas und einem wuͤrcklichen Eyda-
me keinen Unterſcheid finden wuͤrden. Wie
der Sternſeher Rechnung eintreffe/ ſie ſetzten
gleich die Vewegung der Sonne und die Unbe-
wegligkeit der Erde/ oder die Unbewegligkeit
der Sonne und die Herumdrehung der Erde zu
ihrem Grunde; alſo waͤre es einem vernuͤnffti-
gen einerley Gluͤckſeligkeit: Ob er alles haben
koͤnte/ was er verlangte; oder nichts verlangte/
was er nicht haben koͤnte. Daher waͤren mit
ihm alle Klugen gluͤckſelig/ weil ſie nichts un-
moͤgliches ſuchten; alle Unvernuͤnfftige aber
ungluͤcklich/ weil ſie alle fremde Guͤter in die Au-
gen ſtaͤchen. Amilcars Gemuͤthe ward durch
ſolche Freymuͤthigkeit dieſes Fuͤrſten/ und die
der Stadt Carthago zuwachſende Huͤlffe bey die-
ſer erſten Umarmung bewogen/ demſelben nun
nicht mehr ſeine Tochter vorzuhalten/ oder ſich
ſelbſt und ſein gantzes Gluͤcke einer fremden
Stadt zuzueignen/ ſondern ſelb[t]e vielmehr dem
Fuͤrſten Narvas durch einen theuern Eyd zu
verſprechen. Welche Entſchluͤſſung eine un-
maͤßige Freude in beyder fuͤrlaͤngſt verliebter
Hertzen/ und die demuͤthigſte Ehrenbezeugung
gegen Amilcarn verurſachte. Denn es koͤnnen
auch die beſtaͤndigſtẽ Seelen eine unvermuthete
Freude ſo wenig in ihrem Hertzen/ als die tief-
ſten Bette der Stroͤme einen ploͤtzlichen Wol-
ckenbruch in ihren Ufern beſchluͤſſen. Wie nun
Amilcar ſeine erſte Krieges-Klugheit darinnen
erwieß: daß er an dem Einfluſſe des Fluſſes
Macar ins Meer wahrnahm/ wie ſelbter zu
gewiſſer Tages-Zeit gleichſam gantz verſaͤndet
war/ und daher uͤber dieſen Sand und das Schilf
ſein gantzes Heer zu hoͤchſter Veſtuͤrtzung des
Mathos uͤberſetzte/ als welcher den Strom und
das Gebuͤrge allenthalben ſtarck beſetzt hielt/ ja
dem Spendius bey der verſchantzten Bruͤcke in
Ruͤcken gieng/ ſechs tauſend Mann erlegte/
zwey tauſend gefangen nahm/ die vom Mathos
neugebaute/ und mehr andere verlohrne Staͤd-
te wieder eroberte; alſo beſiegelte Fuͤrſt Narvas
ſeine Treue mit klugem Rathe und unglaubli-
cher Tapfferkeit/ als Amilcarn die Africaner
vor-die Numidier hinterwaͤrts/ Spendius aber
auf der Seite umſetzte. Denn er machte mit
ſeinen Edlen Numidiern Amilcarn einen ſol-
chen Muth: daß er mit ſeinen wol zweyfach ſtaͤr-
ckern Feinden eine Schlacht wagte/ in welcher
ihrer 10000. auf der Wallſtatt blieben/ 4000.
gefangen/ Autaritus von Amilcarn/ Spendius
vom Narvas gefaͤhrlich verwundet wurden.
Alleine dieſes herrlichen Sieges Furcht ver-
derbte die zwiſchen Amilcarn und dem neidiſchen
Hanno ſich entſpinnende Zwytracht/ die Miß-
geburt der ruhmwuͤrdigſten Thaten/ und die
Stiefmutter des geneigten Gluͤckes. Denn
Mathos und Spendius erholeten ſich nicht al-
leine bey dieſer Windſtille/ ſondern der von Lie-
be und Rache brennende Fuͤrſt Autaritus brach-
te durch ſeine durchdringende Annehmligkeit die
zwey vorhin getreueſten Staͤdte Utica und Hip-
pacrita zum Abfall; ja Carthago ward vom
Mathos Spendius/ und denen Africanern/
welche der Koͤnig des innern Libyens Zarxas
aufs neue zu Huͤlffe bracht hatte/ belaͤgert. Als
aber Hanno zuruͤck geruffen/ und Hannibal A-
milcarn zugegeben ward/ wandte ſich das Gluͤ-
cke abermals. Denn Fuͤrſt Narvas ſchnitt mit
ſeiner Reuterey den Belaͤgerten alle Zufuhr ab/
alſo: daß ſie ſelbſt mehr fuͤr belaͤgert zu achten wa-
ren/ und die Gefangenen und Knechte ſelbſt fuͤr
Hunger aufffraſſen/ und endlich ſich Autaritus/
Zarxas und Spendius bey der Stadt Prion
Amilcarn mit Bedingung: daß er zehn Raͤdels-
fuͤhrer nach Belieben ſtraffen/ alle andere aber
mit ſchlechten Kitteln fortſchicken moͤchte/ erge-
ben muſten. Weil aber das feindliche Heer/ wel-
ches von dieſer Behandlung nichts wuſte/ zu den
Waffen grief/ die noch uͤbrigen wenigen Sem-
noner und Celten auch die Gefaͤngnuͤß ihres
Fuͤrſten Autaritus nicht erdulten konten/ grief-
fen ſie zur Unzeit nach den Waffen; ihrer aber
ward wol 40000. theils von den Elefanten und
Pfer-
[807[809]]Arminius und Thußnelda.
Pferden zertreten/ thells durch die Schaͤrffe der
Sebeln in die Pfanne gehackt. Amilcar/ Nar-
vas und Hannibal ruͤckten hierauf fuͤr Tunis;
und weil dieſe Stadt ſich nicht ergeben wolte/
ließ Amilcar/ wie beweglich ſich gleich Narvas
hierwieder lehnte/ den Fuͤrſten Autaritus und
Spendius unter der Stadtmauer an hohe
Kreutze anpfloͤcken. Dieſes traurige Schau-
ſpiel rechnete der belaͤgerte Mathos in einem
unverſehnem Ausfalle in des unachtſamen Han-
nibals Laͤger mit etlicher tauſend Carthaginen-
ſer Hinrichtung; ja er ließ den gefangenen Han-
nibal ſelbſt an die Stelle des abgenommenen
Spendius anhefften/ und 30. der Edelſten Fein-
de dem Autaritus zu einem Verſoͤhnungs-Opf-
fer durch hunderteꝛley Qval abſchlachtẽ. Gleich-
ſam als wenn es beyden Kriegenden nicht ſo wol
um den Sieg/ als den Vorzug in der Grauſam-
keit zu thun waͤre. Hanno kam hierauf aus der
abermals bebenden Stadt Carthago mit 30.
Rathsherren ins Laͤger/ welche durch des Fuͤr-
ſten Narvas Vermittelung den Hanno mit A-
milcarn ausſoͤhnte. Der verzweiffelte Mathos
forderte mit ſeinen letzten Kraͤfften Amilcarn
endlich zu einer Schlacht aus/ darinnen er aber
den Kuͤrtzern zog/ ſelbſt gefangen nach Carthago
zum Siegs-Gepraͤnge gefuͤhret/ daſelbſt mit
gluͤenden Zangen zerriſſen/ Sophonisbe und
Narvas mit hoͤchſtem Frolocken vermaͤhlet/ und
durch Unterwerffung Afrikens dieſer Krieg ge-
endiget ward/ zu einem unver geßlichen Denck-
male: daß einheimiſche Kriege nicht nur die
ſchaͤdlichſten/ ſondern auch die grauſamſten
ſind.
Wie aber die irrdiſche Gluͤckſeligkeit an Zer-
brechligkeit dem Glaſe/ an Veraͤnderung der
Lufft uͤberlegen iſt; alſo genaß Fuͤrſt Narvas
wenige Jahre ſeiner ſuͤſſen Eh/ und nach ſeinem
verſtorbenen Vater der koͤniglichen Herrſchafft.
Ob nun wol er einen dreyjaͤhrigen Sohn Lacu-
marn nach ſich verließ; ſo verfiel doch nach den
Africaniſchen Reichs-Geſetzen das Reich auff
des Narvas aͤlteſten Bruder Gala.
Als dieſes derogeſtalt in Africa erfolgte/ ge-
riethen hingegen die Deutſchen in Jtalien ie
laͤnger ie mehr ins Gedraͤnge. Denn das Gluͤ-
cke gleichet ſich mit ſeinen Umwechſelungen dem
wuͤtenden Meere; welches an einem Orte neue
Eylande gebieret/ am andern aber ſo viel den U-
fern abſpielet. Oder das von ſo vielen Siegen
aufgeblaſene Rom wolte nunmehr als ein groſ-
ſes Meer alle Laͤnder uͤberſchwemmen/ und alle
Nachbarn in ſeinen Rachen verſchlingen. Maſ-
ſen die Roͤmer nicht alleine wider die Ligurier
und Jnſubrier eine Kriegs-Urſache vom Zau-
ne brachen/ ſondern auch Publius Valerius ei-
genmaͤchtig/ und ohne einige Kriegs-Ankuͤndi-
gung die Semnoner uͤberfiel/ aber von ihnen
derogeſtalt empfangen ward: daß er vierdtehalb-
tauſend Roͤmer an dem Fluſſe Sapis ſitzen ließ.
Und ob er zwar hernach mehr aus einer blin-
den Verzweiffelung als aus einer vorſichti-
gen Tapfferkeit den Semnonern einen Ab-
bruch that; hielt der Roͤmiſche Rath doch des
Valerius Vortheil ſo geringe: daß ihm das ver-
langte Siegsgepraͤnge verweigert ward. Viel
gluͤcklicher uͤberfiel Grachchus ohne die gering-
ſte Urſache/ und unter erdichtetem Vorwand:
daß etliche Roͤmiſche Handelsleute waͤren berau-
bet/ und ins Meer geworffen worden/ die un-
ſchuldigen Ligurier/ und die durch innerliche Un-
ruh entkraͤftete Carthaginenſiſche Beſatzung auf
den Eylanden Sardinien und Corſica. Denn
nach dem ſie auf dieſen unglaublichen Raub ge-
macht hatten/ Carthago aber die abtrinnigen
Sardinier zum Gehorſam bringen wolte/ nah-
men ſich die Roͤmer der Aufruͤhrer an/ und
zwangen dieſe ohnmaͤchtige Stadt ihnen den
Frieden durch Abtretung Sardiniens und
zwoͤlff hundert Talent abzukauffen; denen
Semnonern/ Celten und Bojen aber befah-
len ſie gantz Jtalien zu raͤumen. Weil nun
die Semnoner Jtalien nicht raͤumen wolten/
ſondern mit den Bojen und Liguriern wider
den allgemeinen Feind ſich verbanden; zo-
hen die Buͤrgermeiſter Lucius Cornelius und
Qvin-
[808[810]]Sechſtes Buch
Qvintus Fulvius mit zweyen vereinbarten
Heeren ins Feld; mit derer groſſen Macht die
Deutſchen zu ſchlagen nicht trauten/ ſondern ſich
ſtets in vortheilhaffte Oerter zwiſchen Suͤmpffe
und Gebuͤrge ſetzten: daß ihnen die Roͤmer
zwar nichts abgewinnen konten/ aber muͤde und
verdruͤßlich gemacht wurden. Wie nun die
Buͤrgermeiſter ihre Heere zertheilten in Mei-
nung der Semnoner Gebiete gaͤntzlich zu ver-
heeren/ und dem Feinde alle Lebensmittel ab-
zuſchneiden/ oder gar uͤber den Po zu ſetzen; fiel
Hertzog Ates des Nachts unverſehens des Ful-
vius Lager an/ bemeiſterte ſich der einen Pforte/
erlegte etliche tauſend Roͤmer/ waͤre auch des
gantzen Laͤgers Meiſter worden/ wenn er nicht
auf erhaltene Nachricht: daß Cornelius dem
Fulvius zu Huͤlffe eilte/ mit guter Ordnung ſich
zuruͤcke gezogen haͤtte. Nach dem ihm auch Koͤ-
nig Galatus mit 12000. Bojen/ und 20000.
Allemaͤñern aus Deutſchland zu Huͤlffe kamen/
raͤumten beyde Buͤrgermeiſter der Deutſchen
noch uͤbriges Gebiete/ und wiechen in Hetru-
rien. Ungeachtet nun der Buͤrgermeiſter Len-
tulus ihre Bundsgenoſſen die Ligurier ſchlug;
ſchickten doch Hertzog Ates und Galatus zu
dem Cornelius und Fulvius/ und lieſſen mit
groſſer Bedraͤuung die Wieder-Abtretung des
Ariminiſchen Gebietes als ihres alten Eigen-
thums fordern. Weil dieſe nun den Deutſchen
nicht gewachſen waren/ verwieſen ſie ſie mit gu-
ten Vertroͤſtungen an den Roͤmiſchen Rath;
und machten mit ihnen einen Stilleſtand. Bey
dieſer Gelegenheit ſtreuten die Roͤmer unter die
Semnoner und Bojen allerhand Saamen des
Mißtrauens/ beredeten die Bojen: daß die
Alemaͤnner von Semnonern nicht ſo wol wider
die Roͤmer/ als der Bojen fruchtbares Land ein-
zunehmen beruffen haͤtten. Hieraus entſtand
ein grauſamer Aufruhr; und/ weil Koͤnig Ga-
latus und Ates dieſe Zwytracht zu ſtillen/ und
den ihrigen den Verdacht auszureden bemuͤht
waren/ wurden ſie beyde als Verraͤther von ih-
rem eigenen Volcke erwuͤrget. Alle drey Voͤl-
cker kamen hieruͤber einander in die Haare/
ſchnitten alſo den Roͤmern zum beſten ihnen mit
ihrem eigenen Meſſer die Spann-Adern ſelbſt
entzwey. Die undanckbar belohnten Alemaͤn-
ner zohen wieder nach Hauſe; die Semnoner
muſten Arimin/ und die Bojen alles/ was ſie uͤ-
ber dem Po hatten/ fahren/ und beyde die Ligu-
rier den Roͤmern zur Beute laſſen. Dieſes
Friedens genoſſen die Deutſchen etliche Jahr/
weil die Roͤmer mit denen Liguriern/ Sardern
und Lorfen/ denen ihr Joch unertraͤglich war/
alle Haͤnde voll zu thun hatten. Nach dem die-
ſe aber ziemlich gedemuͤthiget waren; rieben ſich
die Roͤmer aufs neue wider die Deutſchen. Der
Zunfftmeiſter Flaminius/ wormit er ſie zur Un-
gedult bewegte/ zwang dem Rathe ein Geſetze
ab: daß die Piceniſchen und Semnoniſchen
Aecker nach Anzahl der Koͤpffe unter das Roͤmi-
ſche Volck vertheilet werden ſolte. Als die
Deutſchen diß verſchmertzten; fuͤhrten die Buͤr-
germeiſter Emilius und Junius ihr wider die
Ligurier beſtimmtes Heer in einem ungeſchick-
ten Umwege mitten durch das noch uͤbrige Ge-
biete der Semnoner. Der Rath zu Rom ver-
bot keinem Deutſchen einiges Gold oder Silber
zukommen zu laſſen; weil ſie deſſen fuͤr verkauff-
te Leibeigene ſehr viel zu bevorſtehendem Kriege
wider die Roͤmer verſammlet haͤtten; und im
Schilde fuͤhrten Rom aufs neue zu uͤberfallen/
wenn das Roͤmiſche Heer in Ligurien ſich ver-
wickelt haben wuͤrde. Die Deutſchen muſten
fuͤr ſo viel Unrecht nicht nur die Augen zudruͤ-
cken/ ſondern noch durch Anbietung ihrer Dien-
ſte die Gnade der Roͤmer unterhalten; Gleich-
wol aber kochte das Gebluͤte in ihren Hertzen ei-
tel Galle; und ſuchten ſie unter der Hand uͤber
den Alpen in Deutſchland neue Huͤlffe. Weil
aber die Roͤmer gleichwol hiervon Wind krieg-
ten/ oder zum minſten Argwohn ſchoͤpfften;
trauten ſie nicht mit denen in Hiſpanien ſich uͤ-
beraus vergroͤſſernden Carthaginenſern/ wie
ſehr
[809[811]]Arminius und Thußnelda.
ſehr es ihnen gleich darum zu thun war/ nicht zu-
brechen/ ſondern vergnuͤgten ſich mit dem Vor-
trage: daß die Carthaginenſer nicht uͤber den
Fluß Jber ſchreiten/ und Sagunt in Frey-
heit laſſen ſolten. Unterdeſſen verlautete in
Rom: Es ſtuͤnde in den Sibylliniſchen Buͤ-
chern: daß um ſelbige Zeit die Deutſchen und
Griechen Rom einnehmen wuͤrden; worvon all-
dar ein ſolches Schrecken entſtand: daß der Rath
in Griechenland zu den Etoliern/ Acheern/ nach
Corinth und Athen Both ſchafften ſchickten/ und
mit ihnen Freundſchafft machten; dem Poͤfels
Aberglauben aber abzuhelffen zwey Deutſche
und zwey Grichen zu Rom auff dem Ochſen-
Marckte lebendig vergraben ließ; gleich als
wenn hierdurch die Sibylliniſche Wahrſagung
erfuͤllt waͤre. Nach dem aber der ſtreitbaren
Deutſchen ſo nahe Macht der ſchon in fremde
Laͤnder ausgeſtreckten und nach Eigenſchafft
des Feuers ſtets nach mehrerm Zunder duͤr-
ſtenden Herrſchſucht der Roͤmer allein im We-
ge ſtand/ beſchloſſen ſie ihr euſſerſtes zu thun/
um dieſen beſchwerlichen Dorn aus dem Fuſ-
ſe zu ziehen. Dieſes zu vollziehen machten ſie
einen Uberſchlag ihrer Kriegs-Macht/ und be-
fanden: daß ſie mit ihren in Waffen ſtehen-
den Huͤlffs-Voͤlckern uͤber 700000. ſtreibare
Fußknechte/ und 70000. Reuter auff den Bei-
nen hatten. Sie richteten uͤberdiß mit den Vene-
tern und Cenomannen ein Buͤndniß auff/ wel-
che den Roͤmern zu Liebe 20000. Mann auff
den Fuß ſtellten/ und auff erfolgten Friedens-
Bruch den Bojen einzuhalten fertig ſtunden.
alles deſſen unbeſchadet/ ruͤſteten die Deutſchen
ſich zum Kriege. Wie nun auff ihr bewegli-
ches Anſuchen der Alemaͤnner Koͤnig Aneroeſt/
der Catten Hertzog Concoletan mit groſſer
Macht uͤber die Alpen kamen/ und der Jnſu-
brer Fuͤrſt Brito mar mit den Bojen ſich ver-
einbarte/ hielten die Deutſchen es nunmehr
rathſam zu ſeyn/ der Roͤmer nicht zu erwarten/
ſondern ihre Pferde an einem fremden Zaum
zu binden. Die Bojen blieben unter ihrem
Fuͤrſten Gondomar gegen die Veneter und
Cenomaͤnner zu Beſchirmung ihres Landes ſte-
hen; Aneroeſt/ Concoletan/ und Britomar a-
ber drangen mit funffzig tauſend Mann zu
Fuße/ und zwantzig tauſenden zu Roſſe in He-
trurien. Weil aber kein Roͤmer Stand hielt/
ruͤckten ſie biß nach Cluſium; all wo ſie Nachricht
bekamen: daß ein Roͤmiſches Heer ihnen auf
dem Fuße folgte. Dahero dreheten die Deutſchen
alſo fort ihre Deichſel um/ und kriegten beyde
Heere einander mit der Sonnen Untergange
ins Geſichte. Des Nachts aber zuͤndeten die
Deutſchen ihr Laͤger an/ und wiech Aneroeſt
mit dem Fußvolcke mit Fleiß zuruͤcke. Wie
die Roͤmer nun auff den Morgen nur die feind-
liche Reuterey fuͤr ſich/ und zwar gleicher Ge-
ſtalt weichen ſahen/ meinten ſie: die Deutſchen
trauten ſich nicht mit ihnen zu ſchlagen; alſo zo-
hen ſie ihnen uͤber die neuen Seulen/ und Be-
tur gia/ ja gar uͤber den Fluß Arnus nach. Wie
ſie aber den Feind in voͤlliger Flucht zu ſeyn ver-
meinten/ trafen ſie bey der Stadt Feſula gantz
unvermuthet auff das vom Aneroeſt in voͤllige
Schlacht-Ordnung geſtellete Fußvolck/ und
ein Theil der Reuterey/ welche der Sohn Ane-
roeſts fuͤhrte. Der Strom auff einer/ das Ge-
buͤrge auff der andern/ und Aneroeſt auff der
dritten Seite ſchnitten den Roͤmern alle Aus-
flucht ab/ und alſo wurden ſie gezwungen ſich
aus dem Steigereiffen einer Schlacht zu ent-
ſchluͤſſen. Allein das ſchreckliche Anſehen die-
ſer grim̃igen Feinde/ welche kolſchwartze Schil-
de/ gemahlte Leiber hatten/ und mit ihrem bloſ-
ſen Schatten ſchon den Todt oder die Hoͤlle vor-
bildeten/ wie auch die ſchon anbrechende Nacht/
uͤberwunden erſtlich der Roͤmer Augen; ihr er-
ſter Angriff trennte ihre Glieder/ und der von
hinten zu mit der meiſten Reuterey einfallen de
Koͤnig Concoletan brachte ſie in hoͤchſte Ver-
wirr- und Blutſtuͤrtzung. Denn der Flucht
waren alle Wege verrennet. Sechs tauſend
Erſter Theil. K k k k kRoͤmi-
[810[812]]Sechſtes Buch
Roͤmiſche Edelleute blieben auf der Wallſtatt/
vier tauſend wurden gefangen/ der Uberꝛeſt kroch
bey der duͤſtern Nacht gleichwohl in das Apen-
niniſche Gebuͤrge gegen dem Thale Mugella/
und ſetzte ſich auff einem hohen Felſen feſte. Die
Beute war an Gelde/ Zierrathen/ Pferden/ Ge-
wehꝛe/ Wagen und anderm Geraͤthe ſo gꝛoß: daß
darmit das gantze Deutſche Heer belaſtet ward.
Wiewohl nun dieſes die Roͤmer auff dem Ge-
buͤrge beſetzte/ ſo kriegten dieſe doch alsbald
Lufft/ weil der gegen die abſonderlich einfal-
lenden Semnoner geſchickte Buͤrgermeiſter
Lucius Emilius von Ariminum mit einem fri-
ſchen Heere gegen die nach Rom ihren Zug
richtende Deutſchen angezogen kam. Nach-
dem Koͤnig Aneroeſt aber ihn zu keiner Schlacht
bringen konte; die ſchwere Beute ihnen auch
uͤber aus hinderlich war/ hielt er fuͤr rathſam
ſelbte uͤber dem Po bey ihren Bunds-Genoſ-
ſen einzulegen/ und hernach dem Feinde mit
leichten Haͤnden wieder die Stirne zu bieten.
Wormit aber dieſe Entſchluͤſſung ſo viel we-
niger einer Flucht ehnlich ſehe/ und ſo viel
ſicherer bewerck ſtelliget wuͤrde/ ſetzten die Deut-
ſchen uͤber den Fluß Arnus/ und richteten ihren
Zug gerade gegen Rom. Wie ſie aber den
Fluß Umbro erreichten/ zohen ſie an ſelbtem
gegen das Meer hinunter/ in Meinung an
deſſen Geſtade ſich zuruͤcke zu ziehen. Lucius
folgte gleichwohl dem Feinde auff der Ferſen
nach/ biß an das Telamoniſche Vorge buͤrge/
allwo die Deutſchen den Weg von einem neu-
en Krieges-Heere/ welches der andere Buͤrger-
meiſter Cajus Atilius aus Sardinien nach Pi-
ſa uͤbergeſchifft hatte/ auff einem vortheilhaff-
tigen Huͤgel beſetzt fanden/ und alſo unvermu-
thet zwiſchen Thuͤr und Angel verfielen. Die
Deutſchen Heerfuͤhrer geriethen hieruͤber gleich-
wohl in keine Zagheit/ als welche der klugen
Rath/ und des Poͤfels Unvernunfft durch ein-
ander vermiſcht/ und alſo der aͤrgſte Feind ei-
nes Kriegs-Heeres iſt/ ſondern ſie machten aus
der Noth eine Tugend/ fuͤhrten ihre Beu-
te auff einen ſichern Huͤgel/ und ſtellten ihr
Heer mit zweyen Stirnen in Schlacht-Ord-
nung/ alſo: daß Concoletan mit ſeiner dem Ca-
jus/ Aneroeſt mit ſeiner gegen dem Emilius
zu ſtehen kam; die Ruͤcken aber hinten an ein-
ander ſtieſſen/ und alſo kein Heer/ ſondern
das andere gegen den Feind anzutreiben wei-
chen konte. Mit den Wagen aber umſegel-
ten ſie die Spitzen oder Hoͤrner ihrer Heere:
daß die Roͤmer auff der Seite nicht einbre-
chen konten. Dieſe ob ſie zwar zweymahl
ſtaͤrcker waren als die Deutſchen/ grieffen ſie
ſelbte gleichwohl nicht ohne geringen Zweiffel
am Siege an. Jnſonderheit war ihnen ſchreck-
lich anzuſehen: daß die Goͤſaten/ welche unter
denen Deutſchen fuͤr ein gewiſſes Geld Kriegs-
Dienſte leiſteten/ alle nackend fochten/ umb
von denen hinn und wieder ſtehenden Hecken
und Geſtrittig durch ihre abhenckende Kleider
nicht verhindert zu werden. Ja in den er-
ſten Gliedern ſtand keiner/ der nicht guͤldene
Ketten und Armbaͤnder umgewunden hatte;
und ihre Tapfferkeit war ſo groß: daß die Roͤ-
mer Fauſt fuͤr Fauſt gegen ſie zu fechten ſich
weigerten/ ſondern nur von der Hoͤhe die Bo-
gen-Schuͤtzen ſie mit Pfeilen uͤberſchuͤtten lieſ-
ſen. Wordurch ihrer denn ſehr viel verwun-
det wurden/ weil ihre Schilde ſie allenthalben
zu verdecken nicht zulangten; alſo: daß ſie halb
raſende den Berg hinauff renneten/ und ihren
fuͤr Augen ſchwebenden Tod durch Niederſe-
belung vieler Schuͤtzen rochen. Wo aber die
Deutſchen auff der Flaͤche Mann fuͤr Mann
fechten konten/ ſtanden ſie wie die Mauern;
ungeachtet die Roͤmer ihrer breiten Schilde
und zum Stoß und Hau geſchickter Degen
halber fuͤr den Deutſchen/ die mit ihren
Schwerdtern nur hauen konten/ einen groſ-
ſen Vortheil hatten. Ja Koͤnig Concoletan
machte mit ſeiner Leibwache von dreyhundert
Cattiſchen Edelleuten durch den Blitz ihrer
Spieße
[811[813]]Arminius und Thußnelda.
Spieße und Schwerdter einen Weg biß an
den Roͤmiſchen Adler; den der Graff zu Wir-
tenberg von der Stange riß/ und zu Bodem
warff. Wie nun der Buͤrgermeiſter Cajus
dieſem Hauffen entgegen drang/ durchrennte
ihn Koͤnig Concoletan mit ſeiner Lantze; wel-
chem der Graff Mansfeld vollends den Kopff
abhieb/ ſelbten auff eine Lantze ſpießte/ und
zum Schrecken der auff der andern Seite
kaͤmpffenden Roͤmer Aneroeſten zubrachte.
Weil aber die Roͤmer beym Verluſt dieſes Ad-
lers und Buͤrgermeiſters eine gantz friſche Le-
gion an ſelbigem Ort anfuͤhrten/ und Conco-
letan nicht zuruͤcke weichen wolte/ ward er al-
lenthalben umringet/ und vom Lutatius Ca-
tulus/ der dem Kriege wider Carthago ein
Ende gemacht hatte/ ihm das Pferd erlegt;
welchen aber der Graff von Hochberg zu Bo-
dem rennte/ und ſeinem Koͤnige auff des Ca-
tulus Pferd halff. Allein nachdem Wirtem-
berg/ Durlach/ Eichelberg/ Kyburg/ Hoch-
berg/ Fuͤrſtenberg/ Doghenburg/ Lentzburg/
Grimmenſtein/ Utzingen/ und faſt alle des
Alemanniſchen Adels nach unvergleichlicher
Gegenwehr erlegt waren/ Concoletan auch
nach etlichen zwantzig empfangenen Wunden
zu Bodem fiel/ ward er endlich gefangen. A-
neroeſt that auff der andern Seite zwar das
beſte/ und raͤchete durch des geweſenen Buͤr-
germeiſters Fulvius Flaccus Tod die von ihm
vorher untergedruͤckten Ligurier. Alleine
nach dem Concoletan gefangen/ und ſein Heer
faſt/ wie es geſtanden/ gliederweiſe nach ein-
ander erlegt war/ alſo drey Roͤmiſche Heere
auff Aneroeſten ſtieſſen/ raffte er ſeine euſſer-
ſte Kraͤfften zuſammen/ ſchlug ſich mit etwan
drey tauſend Pferden durch/ und kam mit
Huͤlffe der Nacht biß an den Fluß Umbro.
Nachdem er aber uͤber ſelbten ſo wohl wegen
auffgeſchwellten Waſſers/ als daß die Ein-
wohner der Stadt Ruſelle ſelbten mit Volcke
ſtarck beſetzt hatten/ nicht ſchwemmen konte/
ihm auch Nachricht zukam: daß Concoletan
nicht todt/ ſondern gefangen/ ihm auch die
gantze Roͤmiſche Reuterey ſchon im Ruͤcken
waͤre/ munterte er ſeinen Uberreſt zu hertz-
hafftem Sterben auff; er waͤre bereit ſich fuͤr
ſie ſelbſt auffzuopffern/ nachdem die Goͤtter
ihn ſeines Geluͤbdes: krafft deſſen er ſeinen
Harniſch ehe nicht/ als biß ers Capitolium er-
obert haͤtte/ auffloͤſen wollen/ zu gewehren nicht
fuͤr gut befunden haͤtten. Ein behertzter Tod
haͤtte nicht die Helffte der Bitterkeit in ſich;
die einer einen Augenblick im ſchimpfflichen
Siegs-Gepraͤnge empfinde. Hiermit renn-
te er ſpornſtreichs voran mitten unter die Roͤ-
mer. Dieſe aber muthmaſſende: daß es Koͤ-
nig Aneroeſt waͤre/ wolten ihn nicht beleidigen/
ſondern lebendig fangen. Nachdem er aber
etliche Feinde durchſtochen/ faͤllten ſie ihm das
Pferd; gleichwohl wehrte er ſich mit dem
Degen in der Fauſt/ biß ſelbter mitten ent-
zwey ſprang; wormit er aber nicht leben-
dig in der Roͤmer Haͤnde kaͤme/ ſchnitt er ihm
mit dem uͤbrigen Stuͤrtzel die Gurgel ab/ und
bließ alſo mit der Feindſchafft gegen ſie ſeine
Seele aus. Die uͤbrigen Deutſchen folgten
dem Beyſpiele ihres Koͤniges/ und bezeugten
durch Erleg- und Verwundung vieler Roͤmer:
daß ein verzweiffelter Feind mit zweyen
Schwerdtern fechte/ und mit ſeiner Leiche
meiſt drey andere zu Bodem druͤcke. Denn
ob wohl viertzig tauſend todt blieben/ zehn tau-
ſend gefangen wurden/ mißten die Roͤmer doch
uͤber ſechzig tauſend Mann; und kein Deut-
ſcher ward ſo wenig/ als ihr halb todter Koͤnig
Concoletan und Britomar vom Buͤrgermei-
ſter in Rom zum Siegs-Gepraͤnge gefuͤhret/
aus der Beute aber Jupitern ein guͤldenes
Siegs-Zeichen geweihet/ welches Aneroeſt von
den Roͤmiſchen ſeinem Kriegs-Gotte gelobet
hatte. Rhemetalces fing hieruͤber an den Un-
fall zweyer ſo behertzter Fuͤrſten zu beklagen/
auch zu billichen: daß ein Kriegender aus An-
K k k k k 2dacht
[812[814]]Sechſtes Buch
dacht den Goͤttern zur Danckbarkeit gewiſſe
Geluͤbde thue. Alleine wenn man aus Ver-
meſſenheit auff ſeine eigene Kraͤffte dem un-
auff haltbaren Rade der goͤttlichen Verſehung
gleichſam in die Speichen faͤllt; und ehe diß o-
der jenes mit unſern ſchwachen Armen aus-
gerichtet ſey/ ſeine Haare/ wie Semiramis/
nicht auffflechten/ oder ſie/ wie die Catten/ fuͤr
Erlegung des Feindes nicht abſcheeren laſſen/
wie Amilcar auff eine gewiſſe Zeit in belaͤger-
ten Staͤdten ſpeiſen/ oder fuͤr ihrer Erobe-
rung kein weiſſes Hemde anlegen will/ und
ſeinen eigenen Kopff zum Verluſt durch Ge-
luͤbde verknuͤpfft; verwirret Gott nicht unbil-
lich der Klugen Rathſchlaͤge/ und entkraͤfftet
die Staͤrcke der Rieſen. Uberdiß uͤberlegen
die/ welchen kein Anſchlag krebsgaͤngig wer-
den ſoll/ gar nicht: daß es ſelbſt ihr euſſerſtes
Ungluͤck waͤre/ wenn die Goͤtter die thoͤrich-
ten Begierden der Menſchen allezeit mit ge-
wuͤnſchtem Ausſchlage beſeligten. Denn groſ-
ſes Gluͤcke ſcheinet uns zwar wie die Schwantz-
Sternen herrlich in die Augen; aber ſie zie-
hen nach ſich ihre geſchwinde Einaͤſcherung
und anderer Finſterniß. Es iſt wahr/
ſagte Adgandeſter; und hat nicht nur Koͤnig A-
nerdeſt/ ſondern nach ihm viel andere einen
groſſen Schiffbruch ihrer allzuverheuchelten
Hoffnung gelitten/ welche insgemein alle Fruͤch-
te einerndet/ ehe ſie reiff werden/ und ſie daher
auch ehe verfaulen/ als eßbar werden ſiehet;
fuͤr etlicher Zeit Marcus Craſſus im Parthi-
ſchen/ Democritus im Etoliſchen/ und Anto-
nius im Cretiſchen Kriege ein ſchimpffliches
Beyſpiel abgegeben. Derer erſter dem Qvin-
tius an der Tyber/ wenn er daſelbſt ſein Lager
auffſchlagen wuͤrde/ der andere den Parthen/
erſt in der Stadt Selevcia antworten wolte/
beyde aber ſelbſt gefangen oder erſchlagen wur-
gen/ der dritte mehr Ketten als Waffen in
ſeinen Schiffen mit fuͤhrte/ aber ſolche ſchimpff-
lich einbuͤſte; und die auff fremder Armen und
Beine geſchmiedete Feſſel ſeinen Roͤmern muſte
am Halſe hencken ſehen. Wenn aber ſolch Ge-
luͤbde nur eine Erinnerung tugend haffter Ent-
ſchluͤſſung/ nicht aber die Unterdruͤckung der Un-
ſchuld zu ihrem Zwecke hat/ iſt ſolcher Reitz ſon-
der Zweifel ſo wenig/ als eine Spieß gerthe in der
Hand eines vernuͤnfftigen Reuters zu tadeln.
Alleine die Vielheit deſſen/ was mir noch
zu erzehlen oblieget/ noͤthiget mich hier abzu-
brechen/ und noch zu erwehnen: daß Emilius
mit ſeinem Heere in der Bojen Gebiete ein-
fiel/ zwiſchen dem Rhein und dem Fluſſe Scul-
tenna reiche Beute machte/ und die gefange-
nen Deutſchen in voller Ruͤſtung zu Rom im
Siegs-Gepraͤnge auffs Capitol fuͤhrte; wor-
mit ſie ihres gethanen Geluͤbdes ſich entſchuͤt-
ten moͤchten/ weil ſie geſchworen haben ſolten
nicht eher als im Capitolium ihren Guͤrtel
auffzuloͤſen. Die Furcht der Roͤmer fuͤr den
Deutſchen war durch dieſen gluͤcklichen Streich
zwar abgethan/ die Begierde der Rache aber
nur vermehret. Daher fielen die Buͤrgermei-
ſter Manlius und Torqvatus auffs neue bey
den Bojen ein; und weil bereit der Kern ihres
Volckes von Roͤmern und Cenomannen er-
legt war/ die andern Deutſchen auch durch ei-
gene Zwytracht ihnen beyzuſtehen verhindert
wurden; unterwarffen ſich die Bojen zwiſchen
den Fluͤſſen Gabellus und Jdex biß an den Po
der Roͤmiſchen Bothmaͤßigkeit. Die Roͤmer
waren zwar auch im Wercke uͤber den Po zu ſe-
tzen/ und die Jnſubrier zu demuͤthigen/ ſie konten
es aber dißmahl wegen ſtarcker Gegenwehr und
Ungewitter nicht ſchaffen. Dieſer vergebene
Verſuch war folgenden Buͤrgermeiſtern/ nehm-
lich dem Cajus Flaminius und Furius Philus
der hefftigſte Reitz die Ehre zu erlangen: daß
ſie die erſten Roͤmer waͤren/ welche die Siegs-
Fahnen auff dem lincken Ufer des Po auff-
ſteckten. Sie verſuchten zwar alle Mittel und
Kriegs-Liſt uͤber dieſen Strom zu kommen; a-
ber die nichts minder vorſichtigen/ als ſtreit-
baren Deutſchen hielten mit ihrer Gegen-
wehr die Roͤmer drey Tage auf; biß ſie endlich
wehr
[813[815]]Arminius und Thußnelda.
ein Theil ihres Heeres weit den Strom hinab
ſchickten/ und wo der Fluß Paduſa oder der Meſ-
ſaniſche Graben von den andern Stroͤmen des
Po ſich abſondert; ehe die Deutſchen daſelbſt ſich
in voͤllige Verfaſſung ſtellen konten/ durchdran-
gen; woruͤber aber gleichwohl uͤber zehntauſend
Roͤmer umbkamen; die Stadt Rom auch ſo
bekuͤmmert ward: daß nachdem es im Pice-
niſchen Blut geregnet/ in Hetrurien der Him-
mel gebrennet/ zu Arimin 3. Monden geſehen/
und der Rhodiſche Coloſſus durch Erdbeben um-
geſtuͤrtzt worden war/ ſie alle Wunderzeichen fuͤr
ſich zum aͤrgſten ausdeutete/ und der Rath den
Buͤrgermeiſtern mit gab mit den Jnſubriern ei-
nen Stilleſtand zu machen; krafft deſſen ſie auch
ihr Gebiete raͤumten. Wie aber die Alberen
alles ungemeine fuͤr Wunderzeichen leicht an-
nehmen; die eitele Furcht auch mehrmals eine
Betruͤgerin der Augen und Ohren iſt; die Boß-
haften durch ſie in ungemeine Zagheit ver-
ſetzt werden; alſo macht derſelben offtere Begeb-
nuͤß ſie entweder ungewiß/ oder veraͤchtlich; die
Ehr- und Herrſch-Sucht aber ein Gelaͤchter;
oder eine Erfindung der Staats-Klugheit; die
Mißgunſt ein ihr dienendes Geſpenſte daraus.
Welches letztere auch der Buͤrgermeiſter Furius
den Flaminius dißmal beredete/ und ihn verſi-
cherte: daß ihnẽ aus bloſſem Neid in dẽ Zuͤgel ih-
rer Siege wider die Deutſchẽ gefallẽ wuͤrde. Wie
der Thebaniſche Rath ſeine Buͤrger die Schlacht
bey Luctres zu wagen dardurch beredet: daß des
Hercules Waffen ſich aus ſeinem Tempel ver-
lohren haͤtten; alſo muͤſten dem Roͤmiſchen Ra-
the/ ſo offt es ihnen gefiele/ die Ochſen reden/ die
Maul-Thiere gebaͤren/ Menſchen und Thiere
ihr Geſchlechte verwandeln/ die Bilder der Goͤt-
ter weinen/ die Saͤulen Blut ſchwitzen/ die Ster-
nen ſich vermehren oder verfinſtern/ der Himmel
brennen oder Schlachten fuͤrſtellen. Hierdurch
brachte es Furius ſo weit: daß Flaminius mit
ihm und denen von Cenomaͤnnern und Bojen
erkaufften Huͤlffs-Voͤlckern den Stillſtand bra-
chen/ und uͤber den Fluß Cluſius den Deutſchen
einfielen/ und alles mit Feuer und Schwerdt
verwuͤſteten. Die Jnſubrier wurden hierdurch
aufs heftigſte verbittert/ lieffen in den Tempel
Minervens/ darein ſie den mit den Roͤmern ge-
machten Vergleich verwahrt hatten; nahmen
drey ihrer guͤldenen ſonſt fuͤr unbeweglich ge-
ruͤhmten Bilder daraus/ zohen mit dieſen/ und
funfzig tauſend Kriegsleuten den Roͤmern unter
die Augen. Beyde Heere ſtanden ſchon in
Schlacht-Ordnung gegen einander/ als vom
Roͤmiſchen Rathe Briefe ankamen; welche
zwar den Buͤrgermeiſtern alle Feindſeligkeit
verbothen/ aber auf des Flaminius Einrathen
fuͤr der Schlacht nicht eroͤffnet werden wolten.
Wiewohl ſie auch den Bojen und Cenomannen
nicht trauten/ und ſie durch den Fluß Cluſius
von ſich abſonderten; ſo war doch des Flaminius
Schluß entweder zu ſiegen/ oder alles einzubuͤſ-
ſen; weswegen er auch ſein Heer mit dem Ruͤ-
cken harte an das hohe Ufer des Fluſſes ſtellte;
alſo: daß es entweder als eine Mauer ſtehen/
oder mitdem geringſten Weichen in Strom ſtuͤr-
tzen muſte. Gleichwohl fiel nach einem ſehr
blutigen Treffen aus Schickung des auf der
Roͤmer Seite ſich ſchlagenden Verhaͤngnuͤſſes/
und durch ihre vortheilhaftere Waffen der Sieg
den Roͤmern zu. Und blieben neun tauſend
Deutſche auf der Wallſtadt. Worauf Flami-
nius allererſt die Briefe laß/ ſich uͤber des Ra-
thes Mißgunſt beſchwerte/ und nach Rom
ſchrieb: Sie moͤchten aus ſeinem Thun die Ei-
telkeiten der Wahrſagungen verachten lernen/
und aufhoͤrẽ aberglaͤubig zu ſeyn. Er verwuͤſte-
te zwar auch hierauf das platte Land/ nahm eine
ihrer beſten Staͤdte ein; weil aber Furius nicht
laͤnger wieder den Rath ihm beyfaͤllig ſeyn wol-
te/ kehrte er mit ihm nach Rom/ hielt auf des Poͤ-
fels Verlangen ein Siegs-Gepraͤnge/ und rich-
tete aus der Deutſchen Raube und inſonderheit
ihren guͤldenen Waffen und Ketten/ die ſie in den
Schlachten an den Hals zu hencken gewohnt
K k k k k 3ſind/
[814[816]]Sechſtes Buch
ſind/ dem Kriegs-Gotte ſo/ wie ſie es dem Jhri-
gen gelobt hatten/ ein Kriegs-Zeichen auf.
Zeno fing an: So ſind die Deutſchen in Jta-
lien von denen diſſeits der Alpen mercklich zu
unterſcheiden geweſt; in dem meine Augen und
Glieder erfahren: daß dieſe mehr auf ſcharffe/
als glaͤntzende Waffen bedacht ſind. Jnſonder-
heit habe ich unter dem Hertzoge Jubil etliche
Geſchwader Reiter geſehen; welche nicht nur
an Geſtalt/ ſondern auch in Grimme den kohl-
ſchwartzen hoͤlliſchen Geiſtern aͤhnlich waren.
Adgandeſter antwortete laͤchelnde: Es waͤren
diß die ſtarcken Arier/ ein Theil derer zwiſchen
der Oder und Warte angeſeſſenen Lygier; wel-
che ihre Schilde und Glieder ſchwaͤrtzten; die fin-
ſterſten Naͤchte auch am liebſten zu ihrem
Kampfe erkieſeten/ und gleichſam mit ihrem
Schatten die Feinde jagten. Die uͤbrigen Deut-
ſchen/ bey welchen zumal auslaͤndiſche Zierrathẽ
noch nicht ſo gemein wordẽ waͤrẽ/ waͤren freylich
wohl auch gewohnt in Luchs-Wolff- und Baͤ-
ren-Haͤuten mit Puͤffel-Hoͤrnern mehr grau-
ſam/ als praͤchtig auf den Kampf-Platz zu er-
ſcheinen; iedoch verwuͤrffen die Fuͤrſten und
der Adel nicht eben alle Kriegriſche Auf-
putzung. Sintemal ſie umb dem andern Vol-
cke ein gutes Beyſpiel zu geben lieber wolten
durch ihren Glantz kentlich und in Gefahr/ als
verborgen und ſicher ſeyn. Rhemetalces hob
an: Es iſt diß ein ruͤhmliches Abſehn; welches
mir mein ſonſt deshalben habendes Bedencken
benim̃t: daß viel Fuͤrſten an ihren mit guͤldenen
Blumen beſtreuten Waffen; an ihren aufge-
thuͤrmten Feder-Puͤſchen erkennt/ und vom
Feinde fuͤr andern getroffen; etliche auch durch
dieſes eitelen Uberfluſſes Beſchwerde ander Ge-
genwehre gehindert/ und in Noth verſetzt wor-
den. Zeno fiel ihm bey; und lobte darumb
nichts minder den Deutſchen Feldherrn Herr-
mann/ welcher in der Schlacht an ſeinen Waf-
fen ſtets auch in die Ferne waͤre zu erkennen ge-
weſt; als den Griechiſchen Heerfuͤhrer Philo-
poͤmen/ und den Kaͤyſer Julius; die ihre Kriegs-
leute zur Schlacht/ wie zum Tantz-Bodem und
Hochzeit Feyer aufgeputzt haͤtten. Adgandeſter
ſetzte bey: Der beruͤhmte Hertzog Viridomar/
mit dem die Jnſubrier geſtanden und gefallen
waͤren/ haͤtte auch durch den Glantz ſeiner Waf-
fen zwar ſeinen Tod beſchleunigt; aber auch ſei-
ne Helden - Thaten ſichtbar gemacht. Denn
als die Roͤmer denen abgemergelten Jnſu-
briern ſo gar Geſaͤtze des Friedens fuͤrzuſchrei-
ben/ und ſie ohne Uberwindung in Gehorſam zu
nehmen weigerten; berufften ſie erwaͤhnten Vi-
ridomar einen jungen Fuͤrſten der Hermundu-
rer zu ihrem Hertzoge/ und uͤberkamen mit ihm
eine ergebige Huͤlffe. Dieſer empfing die Roͤ-
mer an dem Fluſſe Addua/ durch welchen ſie ſe-
tzen wolten; derogeſtalt: daß ſie das dritte Theil
ihres Heeres mit allem Kriegs-Geraͤthe im Sti-
che laſſen muſtẽ. Ob ſie nun zwar uͤber Hals und
Kopf gegen der Cenomaͤnner Graͤntze abſacktẽ/
ſo uͤberfiel ſie doch bey Schlagung ihres Laͤgers
der wachſame Viridomar noch einmal; erlegte ſie
biß aufs Haupt; alſo: daß die zwey Buͤrger-
meiſter mit Noth uͤber den Bach Cluſius entra-
nen; und weil ſie beſorgten: daß die Deutſchen
wiederumb biß an das hieruͤber zitternde Rom
fortruͤcken wuͤrden; machten ſie mit Virido-
marn einen Frieden/ krafft deſſen denen Jnſu-
briern auf beyden Seiten des Po biß an die
Stadt Acerre alles eigenthuͤmlich verbleiben
ſolte. Der hochmuͤthige Marcus Marcellus
aber brachte durch ſeinen Anhang zuwege: daß
Manlius und Flaminius auf Angeben der von
ihm beſtochener Wahrſager/ wie auch bald dar-
auf Scipio Naſica und Cajus Martius des
Buͤrgermeiſter-Amptes/ wie nichts minder Cor-
nelius Cethegus und Quintus Sulpitius/ weil
ſie hierzu nicht allerdings ſtim̃ten/ der Prieſter-
Wuͤrde/ unter dem Schein: jener haͤtte die
Opfer nicht recht dargereicht/ dieſer aber die
Jnfel vom Haupte fallen laſſen/ entſetzt ward;
ſondern er brach auch/ als er Buͤrgermeiſter war/
den
[815[817]]Arminius und Thußnelda.
den Frieden/ weil untuͤchtige Heerfuͤhrer nichts
verbuͤndliches haͤtten ſchluͤſſen koͤnten. Hier-
mit ſam̃lete er alle Roͤmiſche Kraͤfften zuſam-
men/ ſchickte den andern von ihm ſelbſt erkieſe-
ten Buͤrgermeiſter Cneus Cornelius mit einem
ſtarcken Heere die Stadt Acerra zu belaͤgern;
er abeꝛ fiel ohne einige Kriegs-Ankuͤndigung mit
einem noch ſtaͤrckern Heere in ihr flaches Land
ein/ und muͤhte ſich dieſen fruchtbaren Garten
Jtaliens in eine Wuͤſteney zu verwandeln.
Die ſich dieſes Uberfalls am wenigſten verſehen-
den Jnſubrier ſchickten dem Marcellus entge-
gen/ und erboten ſich zu aller Billigkeit/ da ſie
die Roͤmer in etwas unwiſſende beleidigt haͤt-
ten; aber er wuͤrdigte die Geſandten nicht anzu-
hoͤren. Wie nun Viridomar von ſeinen ver-
wandten Fuͤrſten etliche tauſend an dem Rhein
und Rhodan angeſeſſene Marckmaͤnner/ Rau-
racher/ und Helvetier/ welche ihrer langen
Spieſſe halber in Gallien Geſaten/ in Deutſch-
land Lands-Knechte genennet wurden/ zu Huͤlffe
bekommen hatte/ er aber gleichwohl wegen al-
lenthalben ſtarck verwahrter Zugaͤnge die Stadt
Acerra nicht entſetzen konte/ ruͤckte er fuͤr die
Roͤmiſche Stadt Claſtidium/ umb den Feind von
Acerra abzuziehen. Marcellus folgte ihm mit
ſeiner gantzen Macht alſofort nach; und ließ
Viridomarn veraͤchtlich zuentbittẽ: daß er ſeine
Waffen/ die er ihm abnehmen wuͤrde/ ſchon dem
Feretriſchen Jupiter gewiedmet haͤtte. Viri-
domar antwortete: Er haͤtte des Marcellus
Harniſch und Schwerdt ſchon dem Vulcan ge-
lobt/ oder vielmehr zum Feuer verdam̃t; weil die
Deutſchen niemals dieſen Abgott verebrt haben.
Da nun Marcellus ſo behertzt fechten/ als Groß-
ſprechen koͤnte/ wolten ſie mit einander im An-
geſicht beyder Heere umb dieſen Siegs-Preiß
alleine ſpielen. Weil dem Marcellus ſeine
Eltern vielleicht wuͤrden verſchwiegen haben;
wie vielen Roͤmiſchen Heerfuͤhrern die Deut-
ſchen ihre Koͤpfe abgeſchnitten haͤtten/ wolte er
derer ihm etliche zeigen; befahl auch alſofort et-
liche mit Ceder - Oel eingebalſamte hervor zu
bringen. Hierauf ſprengte Koͤnig Virido-
mar/ welcher nach der Deutſchen und Gallier
Gewohnheit des Zweykampfs begierig war/ ei-
nen ziemlichen fernen Fleck fuͤr ſeinem Hecre
herfuͤr; gegen welchen Marcellus ſich auch zwar
hervor zuͤckte. Wie er aber den ſo wohl von
ſeiner Leibes-Geſtalt/ als denen Gold-ſchim-
mernden Waffen anſehlichen Viridomar gegen
ſich mit angelegter Lantze in vollen Buͤgen an-
kommen ſahe/ und die Jnſubrer zugleich ein
Feld-Geſchrey erhoben; drehte Marcellus ſein
Pferd um/ und rennte mit verhangenem Zuͤgel
ſeinem Heere zu; vorwendende: daß er durch
ſolche Umbdrehung nur der Sonnen eine an-
daͤchtige Ehrerbietung erwieſen haͤtte. Es war
aber unter den Cenomaͤnnern/ welche denen Roͤ-
mern dißmal Beyſtand leiſteten/ Klodomir/ ein
junger Sicambriſcher Fuͤrſt/ Hertzog Baſans
Sohn/ deſſen Schweſter der Cenomaͤnner Koͤ-
nige vermaͤhlet war/ und dieſe Huͤlffs - Voͤlcker
fuͤhrte. Dieſer lag dem Marcellus ſo lange an:
biß er ihm den Zwey-Kampf gegen Virido-
marn erlaubte; darzu Klodomirn Marcellus
umb ſeine eigene Scharte auszuwetzen in ſeinem
Gezelte ſeine eigene Waffen anziehen ließ. Klo-
domir und Viridomar fielen hierauf einander
wie zwey Loͤwen an; und nachdem ſich beyde biß
auf den aͤuſerſten Athem miteinander ohne eini-
gen Vorſchein des Sieges oder Verluſtes
abgemergelt/ ſtrauchelte Viridomars Pferd/
wei es in ein Gleiß trat; worauf denn Klodo-
mir als ein geſchwinder Falcke zufuhr/ und mit
ſeiner Lantze Viridomarn durch die Fuge
des Harniſches in die Bruſt verletzte; und eh er
ſein Pferd wieder zu Stande bringen konte/ ihm
noch zwey toͤdtliche Stiche mit dem Degen ver-
ſetzte; worvon er vollends todt zur Erden fiel.
Die Jnſubrer/ oder vielmehr die Geſaten wolten
den Tod ihres Koͤniges raͤchen; fielen daher die
Roͤmer zwar behertzt an; aber der Mangel ei-
nes Hauptes/ ohne welches das tapferſte Heer
fuͤr einen Bien-Schwarm ohne Koͤnig zu ach-
ten iſt; und der Mißverſtand unter denen
Krie-
[816[818]]Sechſtes Buch
Krieges-Oberſten ſpielte den Roͤmern/ wiewohl
nicht ohne viel Schweiß und Blut/ den Sieg/
wie auch die Stadt Acerra und Meyland in die
Haͤnde; nach dem inſonderheit bey denẽ Geſaten
nicht nur mit dem Koͤnige Viridomarn die Ge-
wogenheit zu den Jnſubrern erkaltete/ ſondern
ſie auch dieſe beſchuldigten: daß ſie in der
Schlacht ſich nicht tapfer genung gehalten haͤt-
ten; alſo uͤber das Gebuͤrge wieder zuruͤck an
den Rhodan und den Rhein kehreten; nach dem
ſie gleichwohl vorher ein Theil des Roͤmiſchen
Heeres erlegt/ und in die Flucht bracht hatten.
Jnzwiſchen trug Marcellus den unverdienten
Ruhm darvon: daß er ſelbſthaͤndig Virido-
marn erlegt hatte; da doch dieſer deutſche Held
von niemanden/ als einem Deutſchen uͤberwun-
den werden konte. Viridomars guͤldene Waf-
fen wurden auf einem eichenen Stocke fuͤr dem
Marcellus zu Rom her gefuͤhret/ und ausgeruf-
fen: Er waͤre nach dem Romulus und Corneli-
us Coſſus/ derer erſter den Koͤnig Acron/ der an-
der den Volumnius getoͤdtet/ der dritte/ welcher
dem feindlichen Heerfuͤhrer ſelbſt Leben und
Waffen abgenommen haͤtte. Die Jnſubri-
ſchen Fuͤrſten verlohren mit ihrem deutſchen Koͤ-
nige und den Geſaten ſo wohl Hertze als Frey-
heit; die Roͤmer aber ſchaͤtzten dieſen Gewinn ſo
groß: daß ſie dem Delphiſchen Apollo eine
Schale aus dichtem Golde hundert Pfund
ſchwer zuſchickten. Zeno fiel ein: Dieſes Bey-
ſpiel dienet allen Kriegs-Haͤuptern zu einer
Warnigung: daß der Zwey-Kampf mehr ein
Handwerck der vermeſſenen Jugend/ als eine
Verrichtung einer vorſichtigen Tapferkeit;
an Fuͤrſten aber ein Wahnwitz/ und ein Unter-
gang der Reiche ſey. Denn ob zwar Pittacus
einer aus den ſieben Weiſen/ und der Oberherr
zu Mytilene bey zweifelhaftem Kriegs-Aus-
ſchlage mit dem Fuͤrſten Phrynon/ welchen er
mit einem Netze beſtrickte und toͤdtete/ auf dieſe
Art ſich gluͤcklich auswickelte; die drey fuͤr das
Roͤmiſche Volck fechtende Horatier ihrem Va-
terlande die Herrſchafft uͤber die Stadt Alba er-
warben; ſo hat doch der mit ſeinem Bruder Ar-
taxerxes anbindende Cyrus durch ſeine Hitze
das gantze Spiel verlohren; ungeachtet die ihm
beyſtehenden Griechen auf ihrer Seite den
Sieg erhielten. Ja die verſpielten Schlachten
ſind nicht zu erzehlen/ welche nur darumb ver-
lohren worden/ weil ihre Haͤupter oder vielmehr
die Hertzen der Kriegsheere durch unvorſichtige
Kuͤhnheit zu zeitlich gefallen. Daher ich faſt
anſtehe: Ob jener Athenienſiſche Feldhaupt-
mann nicht mehr Ruhms als Scheltens werth
ſey; welcher einem ſich mit ſeinen empfangenen
Wunden auf blaſenden Heerfuͤhrer einhielt: Er
haͤtte nie keinen aͤrgern Fehler/ als durch unzei-
tige Naͤherung einer belaͤgerten Stadt began-
gen/ da ihm ein Pfeil fuͤr ſeine Fuͤſſe gefallen
waͤre. Hingegen wuͤrde am Scipio hochge-
ſchaͤtzt: daß er bey Belaͤgerung der Stadt Car-
thago allezeit drey groſſe Schilde ihn fuͤr allem
Geſchoß zu bedecken haͤtte vortragen laſſen; und
der ſo kuͤhne Hannibal haͤtte nicht nur ſein Leben
ſorgfaͤltig geſparet; ſondern auch dem von ihm
uͤberwundenen Buͤrgermeiſter Marcellus dieſe
ſchlechte Grab-Schrifft gemacht: daß er als ein
tapferer Kriegsmann/ aber als ein unvernuͤnfti-
ger Feldherr geblieben waͤre. Wiewohl Han-
nibal bey Belaͤgerung der hartnaͤckichten Stadt
Sagunt und bey Placentz ſeiner und dieſer
Klugheit ſelbſt vergaß; als er dort auf der
Sturmleiter/ hier bey Uberrumpelung einer
Feſtung verwundet/ und beyde mal ſein gantzes
Heer in beſtuͤrtzte Verwirrung geſetzt ward.
Des groſſen Alexanders Kriegsheer/ fuͤr wel-
chem vorher die gantze Welt gebebet hatte/ ward
nach ſeinẽ Tode zu einem geblaͤndeten Cyclopen/
und bewaͤhrte dardurch: daß ein Feldherr ſei-
nes Heeres Auge und Leitſtern; alſo ſein Leben
ohne aͤuſerſte Noth nicht in die Schantze/ und
als ein Spielball dem blinden Gluͤcke aufzuſe-
tzen ſey. Es iſt wahr/ ſagte Adgandeſter; und
ward in der Schlacht bey Cannas vom Roͤmiſchẽ
Rathe
[817[819]]Arminius und Thußnelda.
Rathe dem Buͤrgermeiſter Varron nicht aus
Heucheley/ ſondern mit gutem Rechte gedanckt:
daß er ſich zu rechter Zeit aus dem Staube ge-
macht/ und an Erhaltung des Vaterlandes
nicht verzweifelt hatte. Und der fluͤchtige An-
tigonus entſchuldigte ſeine Flucht durch dieſen
Schertz gar ſcharffſinnig: Er waͤre nur umb-
gekehrt/ umb ſich des zuruͤck gelaſſenen Heiles
zu verſichern. Noch kluͤger aber haben etliche
Fuͤrſten gehandelt; welche nach dem Vorbilde
des gegen Viridomarn kriegenden Marcellus/
umb durch ihre vermeynte Gegenwart ihr Heer
zu beſeelen; und gleichwohl ſich und das gantze
Reich auſſer Gefahr zu halten/ einem andern
treuen und tapfern Kriegs-Oberſten/ welcher
fuͤrs Vaterland ſein Blut zu verſpruͤtzen/ und
im Wercke die Stelle eines Vaters und Fuͤrſten
zu vertreten fuͤr Ehre geſchaͤtzt/ ihre Waffen an-
gelegt/ und durch einen heilſamen Betrug nie-
manden als dem Feinde geſchadet haben. Allei-
ne wo ein Fuͤrſt eines ſolchen Dieners nicht ver-
gewiſſert iſt/ und umb ſeine gantze Krone geſpie-
let wird/ muß er nur auch ſelbſt/ ein ander Feld-
herr aber/ ſo offt ein Hauptwerck unter der
Hand/ und ſein Volck in zweifelhafter Furcht
iſt/ ſein eigen Leben aufſetzen/ und wie Hannibal
zuletzt in Africa/ da er mit dem Scipio und Ma-
ſiniſſa Mann fuͤr Mann zu fechten kam; wie
Scipio/ als er an Jlliturgis ſelbſt die Sturm-
leiter anlegte; wie Kaͤyſer Julius in den Phar-
ſaliſchen/ Auguſt in der Philippiſchen Schlacht;
in der er wegen ſeiner Kranckheit ſich doch auf deꝛ
Saͤnfte herumb tragen ließ; und unſer Hertzog
Herrmann letzthin allenthalben an der Spitze
fechten/ ſich getroͤſtende: daß Fuͤrſten auch Fuͤrſt-
liche Schutz-Geiſter haben; und daß fuͤr uner-
ſchrockenen Helden ſich entweder das Ungluͤcke
ſelbſt entſetze/ Pfeil und Kugeln ſie zu verletzẽ ſchaͤ-
men/ ja das Verhaͤngnuͤß ſie mit Gewalt dem
Tode aus dem Rachẽ reiſſe/ wie der in deꝛ Mallieꝛ
Stadt ſich halb verzweifelt ſtuͤrtzende Alexander
ein herrliches Beyſpiel abgibt; oder: daß wenn
ihre heldẽmaͤſſige Entſchluͤſſung auch gleich miß-
linget/ ſie dennoch von viel tauſenden beklagt/
von niemanden aber/ der die Guͤte des An- und
Ausſchlags zu unter ſcheiden weiß/ getadelt wer-
den. Unter dieſe war nun auch der hertzhafte
Viridomar zu rechen; mit welchem der Deut-
ſchen und der Gallier Gluͤcks-Stern in Jtali-
en gleichſam gar verſchwand; die Roͤmer aber
deſſen voͤllige Meiſter wurden. Die Bojen/
Jnſubrier/ und uͤbrige Deutſchen gewohnten
auch nach und nach den Roͤmern zu gehorſamen.
Sintemal die Noth der nachdruͤcklichſte Lehr-
meiſter iſt; und die Erhaltung ſeines Vermoͤgens
den Verluſt der Freyheit gleichſam unempfind-
lich macht. Nach dem aber die Roͤmer der Deut-
ſchen eigenthuͤmliche Guͤter/ als den Aug-Apfel
des gemeinen Volckes antaſteten/ nemlich nach
Placentz und Cremona mit etlichen tauſend Roͤ-
miſchen Einwohnern bevolckten; und alſo die
alten Beſitzer von ihren Haͤuſern und Aeckern
verdrangen; fuͤhlten ſie allererſt ihre Dienſtbar-
keit; ihr Gebluͤte fing hieruͤber an ihnen in den
Adern zu jaͤhren/ ihr Hertze nach der alten Frey-
heit zu laͤchſen/ und ihre Augen ſich nach einem
Helffer umb zuſehẽ. Hiezu ereignete ſich durch ein
von Mittag uͤber Rom aufziehendes Gewitter
Gelegenheit. Denn Carthago hatte bey dem ge-
machten Frieden den Roͤmern zwar das fette
Sicilien/ niemals aber den Vorſatz ſich deſſelbten
bey ereigneter Gelegenheit wieder zu bemaͤchti-
gen/ abgetreten. Es war dieſer herrſchſuͤchtigen
Stadt unentfallen/ was Rom vormals fuͤr ein
klein Licht gegen ihr geweſt waͤre/ als ſie in dem
mit dem Junius Brutus/ und Marcus Hora-
tius/ beyden Buͤrgermeiſtern gemachten erſtern
Buͤndnuͤſſe/ die Roͤmer derogeſtalt einſchraͤnck-
ten: daß ſie uͤber das bey Carthago liegende
ſchoͤne Vorgebuͤrge nicht ſchiffen/ oder wenn ſie
durch Ungewitter weiter getrieben wuͤrden/ da-
ſelbſt kein Gewerb treiben/ auch den fuͤnften
Tag zuruͤck ſegeln muſten. Welches Verbot
Carthago auch hernach auf Maſtia und Tarſe-
Erſter Theil. L l l l lſium
[818[820]]Sechſtes Buch
ſium erſtreckten; ja denen Roͤmern in gantz
Africa und Sardinien alle Handlung unter-
ſagten. Alles dieſes aber ward durch den Si-
ciliſchen Frieden verlohren/ und ſo gar gantz
Sicilien; in welches vorher die Roͤmer mit ge-
nauer Noth anlenden durfften. Der tapfere
Amilcar trug den Roͤmern damals zwar mit
einem beliebten Geſichte aus Noth die Ablegung
der Waffen an; aber ſein fuͤr Ungedult ſchaͤumẽ-
des Hertze legte den Harniſch niemals ab/ und
ſein Gemuͤthe ſaan Tag und Nacht auf fuͤgliche
Rache. Aber der inerliche Krieg mit den
Huͤlffs - Voͤlckern hielt nichts minder ſeine
Meynung verdeckt/ als die Schwerdter in der
Scheide. Zu dem verhielt die Aufbrechung
dieſer nur von auſſen zugewachſenen/ inwendig
aber nie zugeheilten Wunde das von den Roͤ-
mern vernuͤnftig gebrauchte Kuͤhl-Pflaſter/ da
ſie nemlich der Stadt Carthago wider den Ma-
thos und Spendius etwas Huͤlffe ſchickten.
Als aber die Roͤmer hernach ohne einige gege-
bene Urſache ihnen Sardinien abdruͤckten/ und
noch darzu eine jaͤhrliche Schatzung von zwoͤlff
hundert Talenten aufbuͤrdeten; wolte zu Car-
thago und bey Amilcarn die Ungedult ausreiſ-
ſen; alleine die Klugheit hieß ſie ihrer durch
den letzten Krieg entkraͤffteten Stadt gerin ge/
hin gegen der Roͤmer vergroͤſſerte Macht gegen
einander auf die Wage legen; und alſo lieber
zu ihrem empfangenen Unrechte ein Auge
zudruͤcken/ als durch unzeitige Rache zu Grun-
de gehen. Der Staats-verſtaͤndige Amilcar
rieth dannenher: daß Carthago/ ehe es mit den
Roͤmern wieder anbinde/ die Numidier/ als
gleichſam im Buſem ſitzende Feinde demuͤthigẽ/
und ſich in Hiſpanien vor groß machen ſolte.
Welches beydes er mit groſſer Tapferkeit aus-
richtete; aus Hiſpanien ein groſſes Reichthumer-
oberter Beute nach Carthago ſchickte/ dardurch
alle von ihm abgeneigten Gemuͤther gewan/ und
ſeinem Vaterlande die Hoffnung der Begierde
gantz Hiſpanien zu bemeiſtern einpflantzte.
Dieſen Zweck zu erlangen war uͤberaus vor-
traͤglich: daß Amilcar noch in Sicilien des Cel-
tiberiſchen Koͤnigs Salonichs Tochter die ſchoͤ-
ne Arimene geheyrathet/ und mit ſelbter zum
unſchaͤtzbaren Braut-Schatze der Celtiberier
Zuneigung gegen Carthago/ und den Haß wi-
der die Roͤmer bekommen hatte; als welche biß
auf den letzten Athem gleichſam in unverruͤck-
ter Treue fuͤr jene wider dieſe verharreten;
und den Lauff des Roͤmiſchen Gluͤcks-Rades
lange Zeit hemmeten. Die Stadt Sagunt und
andere Griechen/ welche in Hiſpanien feſten Fuß
geſetzt hatten/ nahmen bey Vergroͤſſerung dieſer
neuen Macht zwar nach Rom ihre Zuflucht/
und vertrauten ſich ihrem Schutze; aber die
damals anderwerts von den Deutſchen fort
fuͤr fort beunruhigten Roͤmer muſten den ſieg-
haften Waffen Amilcars nur den Lauff laſſen;
welchen nicht allein die Liebe ſeines Vaterlan-
des und angebohrne Tugend/ ſondern auch ſei-
ne aus deutſchem Gebluͤte entſproſſene und da-
her den Roͤmern von der erſten Mutter-Milch
abholde Gemahlin/ die behertzte Arimene un-
aufhoͤrlich wider dieſe allgemeine Feinde anreitz-
te. Dieſe hatte Amilcarn fuͤnf Kinder geboh-
ren/ Elißen/ Hermegilden/ Annibaln/ Aßdru-
baln/ und den Mago. Hermegilde ward
dem zu Carthago hochangeſehenen Asdrubal/
derer Tochter Sophonisbe nachmals den Nu-
midiſchen Koͤnig Syphax zur Eh nahm/ Elißa
dem groſſen Hanno vermaͤhlet/ welcher beyder
Tochter Dido hernach dem Maßeſyler Koͤnige
Deſalces heyrathete. Wie nun die Vermaͤh-
lung geſchehen ſolte/ fuͤhrte Arimene
ihre Tochter Hermegildis fuͤr das Altar der
gewaffneten Venus/ oder Derceto; und noͤ-
thigte ſie in Anweſenheit Amilcars ihr eyd-
lich zu verſprechen: ſie wolte ihrem Koͤnige
Asdrubaln Tag und Nacht in Ohren liegen
Carthago wider die Roͤmer in Waffen zu bringẽ.
Amilcar war uͤber dieſe Verbitterung gegen
ſeine Tod-Feinde nichts minder beſchaͤmet/ als
er-
[819[821]]Arminius und Thußnelda.
erfreuet/ und daher ergrieff er den damals nur
9. jaͤhrigen Annibal bey der Hand/ fuͤhrte ihn fuͤr
das Altar des raͤchendẽ Jupiters/ um ihm bey ſei-
nẽ Opfern die benoͤthigte Handreichung zu thun.
Nach vollbrachtem Gottes-Dienſte umbhalſete
und kuͤßte er ſeinen Sohn/ fragende: Ob er
wohl Luſt haͤtte mit ihm in Krieg nach Hiſpanien
abzuſegeln? Wie ein von dem muͤtterlichen
Gebluͤte noch naſſer Loͤwe ſchon ſeine Klauen
zeigt; ja Helden-Kinder in der Wiege Schlan-
gen zu zerreiſſen begierig ſind; alſo brach beym
noch ſo zarten Hannibal mit ſeinen Freuden-
Thraͤnen ſchon das Feuer ſeines Gemuͤthes
fuͤr. Er umbarmte die Knie ſeines Vaters/
und kuͤſſete den Staub ſeiner Fußſtapfen/ mit
Bitte: Er moͤchte ihn ja nicht zuruͤck laſſẽ. Amil-
car kuͤßte Annibaln mit noch mehrer Bruͤnſtig-
keit/ nahm ſeine rechte Hand/ legte ſelbte auf
das Bild Jupiters/ ſprach ihm einen Eyd fuͤr/
in welchem Annibal der Roͤmer Tod-Feind zu
ſterben angeloben muſte. Dieſen ſprach er
nicht nur mit tauſend Freuden nach; ſondern
er war in Hiſpanien die neun Jahr uͤber ein
unabtrennlicher Geferte in den Kriegs-Zelten
ſeines ſieghaften Vaters/ der durch ſeine Tha-
ten den erſten Stein zu einem neuen Reiche
legte/ und ſeinen Nachfolgern den Weg zu noch
groͤſſern Wercken baͤhnte. Auf der einen
Seite des Fluſſes Jberus war alleine der tapfe-
re und maͤchtige Koͤnig Oriſſo noch uͤbrig/ der
ſein Haupt fuͤr Amilcarn nicht beugte. Da-
her kamen beyde mit einander zum Haupt-
Treffen. Wie nun die Jberier uͤberaus hart-
naͤckicht fochten/ drang Amilcar aus Ungedult
mit einer wunderwuͤrdigen Kuͤhnheit auf das
Haupt der Feinde zu/ durchrennte den Koͤnig
Oriſſo; verfiel aber in ſolchem Gedraͤnge mit
ſeinem Pferde in einen Sumpf/ und muſte dar-
innen mit ſeinem Leben auch die unerſaͤttliche
Begierde der Ehren ausblaſen. Der achzehn-
jaͤhrige Hannibal aber ließ ſich weder die An-
zahl der Feinde/ noch ſeines Vaters Tod irre
machen; ſondern gewan durch ſeine Tapferkeit
die Schlacht. Asdrubal/ der bißher uͤber die
Kriegs-Flotte beſtellt war/ kam in Amilcars
Stelle; welches bey Annibaln ſchon etlicher
maſſen Schaͤlſucht erweckte. Alſo duͤncket ein
ruhmſuͤchtiger Geiſt niemals einen zu kurtzen
Degen/ und zu wenig Jahre zu haben/ wenn er
groſſe Unterfang ungen im Schilde fuͤhrt. As-
drubal ſtand ſeinem hohen Ampte mit groſſem
Fleiſſe und Klugheit acht Jahr fuͤr/ erweiterte
der Carthaginenſer Graͤntzen ſehr weit/ und
zwar nicht ſo wohl durch die Waffen/ als ſeine
Leutſeligkeit/ wormit er der meiſten Hiſpani-
ſchen Fuͤrſten Gemuͤther an ſich zoh. Denn
es laſſen ſich durch keine Wuͤnſchel-Ruthe ſo
wohl die heimlichen Ertzt-Adern erforſchen/
als menſchliche Hertzen durch den Trieb der
Freundſchafft; und keine Zauber-Gaͤrthe kan
ſo wohl die Geſpenſter/ als Freundligkeit und
Wohlthun die Gemuͤther an ſich ziehen. Er
erbaute die maͤchtige und uͤberaus wohlgelege-
ne Stadt Neu-Carthago; welche die Roͤmer ſehr
ins Geſichte ſtach/ und ſie gleichſam aus einem
tieffen Schlafe gegen Carthago aufweckte.
Alldieweil ſie ſich aber noch nicht voͤllig aus dem
Jllyriſchen Kriege mit der Koͤnigin Teuta aus-
gewickelt/ auch von denen Deutſchen und Celten
einen neuen Anfall zu gewarten hatten/ mach-
ten ſie zwar einen groſſen Ruff/ als auf deſſen
Gewichte die Kriege offtmals mehr als auf der
Schwerde der Waffen beſtehen: daß von Oſtia
und Cajeta ein maͤchtiges Heer nach Hiſpanien
uͤberfahren ſolte; ihr groͤſtes Abſehn aber hatten
ſie auf ihre an Asdrubaln mit vielen Geſchen-
cken abgehende Geſandſchafft. Wiewohl
nun die in Jtalien noch ſeßhaften Deutſchen/
Koͤnig Aneroeſt und Viridomar Asdrubaln
durch vertroͤſteten Beyſtand beweglich in
Ohren lagen/ nunmehr die Waffen wider
Rom und Sagunt zu ergreiffen; ließ er
ſich doch die Roͤmiſche Kriegs-Ruͤſtung ent-
weder ſchrecken/ oder ihre Geſchencke blenden:
daß er ohne des Raths zu Carthago Vor-
bewuſt/ und zum Nachtheil des Vaterlands
L l l l l 2den
[820[822]]Sechſtes Buch
den Roͤmern durch ein neues Buͤndnuͤß ver-
ſprach uͤber den Fluß Jberus ſeine Bothmaͤſſig-
keit nicht zu erſtrecken. Dieſe Zeitung kam
kaum ſo geſchwinde nach Rom/ als die Roͤmer
ihre voͤllige Macht gegen die Deutſchen an- und
uͤber dem Po fortruͤcken lieſſen. Durch welche
Kleinmuth/ und einen dem Asdrubal begegnen-
den Unfall; da er nemlich einen der Geſandten
auf der Jagt mit einem Pfeile toͤdtlich iedoch
zufaͤllig verwundete/ ein in der Deutſchen Ge-
ſandſchafft ſich befindender Edelmann deroge-
ſtalt erbittert ward: daß er ſich umb ſeine Rache
auszuuͤben in Asdrubals Leibwache beſtellen
ließ; als aber in wenigen Tagen des Nachts die
Reye der Schildwache fuͤr ſeinem Hauſe an ihn
kam/ er ſich unvermerckt in das Schlaf-Ge-
mach ſpielte/ und ihm den Degen durchs Hertze
ſtach. Kurtz vorher war zu allem Gluͤcke Anni-
bal wieder bey dem Kriegesheere in Hiſpanien
ankommen/ welcher eine Zeitlang in Gallien
ſich umbgeſehen/ auch mit den vermeſſenen Gal-
liern wider Koͤnig Klodomirn uͤber den Rhein
geſetzt; bey damaliger Niederlage anfangs zwar
ſeine Freyheit verlohren/ hernach aber durch
ſeine vielfach erwieſene Kriegs-Wiſſenſchafft
Klodomirs wunder-ſchoͤne Tochter Chlotildis
erworben hatte. Das Kriegsheer erklaͤrte den
wiewohl ſehr jungen doch hertzhaften Annibal in
Hiſpanien alſofort zum Haupte/ der Rath zu
Carthago beſtaͤtigte ihm ſeine Wuͤrde; und der
Ausſchlag wieß: daß das Alter ſo wenig die
Maͤß-Schnure der Klugheit/ als ein Rieſen-
Geſchoͤpfe das eigentliche Wohn-Haus der Tu-
gend ſey. Weil nun Volck und Poͤfel viel
Augen hat neuer Haͤupter Fehler zu uͤberſehen/
und viel Zungen ihn zu laͤſtern; entſchloß er ſich
mit einem herrlichen Anfange ihm ein Anſehen
zu machen. Denn ein ungleicher Ruff findet
den beſten Glauben/ und es iſt leichter ſelbtem
durch etwas ruͤhmliches vorzukommen/ als
deſſelbten einmalige Flecken durch viel tugend-
haftes Beginnen zu tilgen. Weil nun auch
die allergeraͤumſten Umbſchrenckungen be-
ſchwerlich ſind; Hannibals Gemuͤthe aber ei-
nen groͤſſern Umbſchweiff als die Welt hatte;
war ihm der letzte Roͤmiſche Vertrag ein uner-
traͤgliches Feſſel; daher beſchloß er bey numehr
erholten Kraͤfften die Stadt Carthago lieber
frey und todt/ als gebunden zu ſeyn/ und ſei-
nes Vaterlandes Herrſchafft uͤber den Fluß
Jberus zu erweitern. Zumal ſeine fuͤr Rache
gluͤende Gemahlin Chlotildis/ welcher Bruder
Concoletan von Roͤmern erſchlagen worden
ward/ Annibaln Tag und Nacht in Ohren lag
mit den Roͤmern zu brechen/ ſie ihm auch von
unterſchiedenen Deutſchen Fuͤrſten ſchrifftliche
Verſicherung ihres Beyſtandes fuͤrzeigte.
Weil nun diß ohne mit den Roͤmern wieder
ins Handgemenge zu kommen nicht geſchehen
konte; hierzu aber das gemeine Volck zu Car-
thago nicht Luſt hatte; ja der Adel die groͤſte
Gewalt des zur Kriegs-Zeit am meiſten uͤber-
wiegenden Barkiſchen Geſchlechtes mit ſchaͤlen
Augen anſah/ ſtand er an/ dieſen Vorſchlag
ſelbſt aufzuwerffen. Denn ein Kluger ſoll
ſo viel moͤglich ſich huͤten/ nicht allein andern zu
widerſprechen/ als welches eine Verdammung
ihres Urtheils iſt; ſondern auch/ daß er nichts
vorſchlage/ welches andere beſorglich widerſpre-
chen werden. Sintemal dieſes gleichſam heiſt
wider den Strom ſchwimmen; und nichts min-
der zu eigener Gefahr/ als zu Verminderung des
Anſehens gereichet. Alſo muß ein Kluger offt
mit ſeiner Erklaͤrung zuruͤck halten/ und wenn er
es gleich mit den wenigern haͤlt/ doch mit den mei-
ſten reden. Uber diß erinnerte ihn der gemeine
Lauff menſchlicher Dinge: daß ſelten der Aus-
ſchlag das Ziel der alles erleichtern den Einbil-
dung erreichet/ dieſer ihr Urtheil hingegen auch
das ſchwerſte Fuͤrhaben nach der Maͤß-Ru-
the des Verlangens urtheilet; und die Groͤſſe
der Roͤmiſchen Macht aber: daß er mit
nicht allzu uͤbermaͤſſiger Hoffnung diß wich-
tige Werck unterfangen ſolte. Zumal ihm
Amil-
[821[823]]Arminius und Thußnelda.
Amilcar noch dieſe heilſame Lehre hinterlaſ-
ſen hatte: mit den Roͤmern nicht ehe zu bre-
chen/ biß er gantz Hiſpaniens Meiſter wor-
den waͤre. Dieſemnach ſtifftete er durch die
dritte und vierdte Hand an: daß ſeine un-
tergebene viel von der Begierde der Deut-
ſchen gegen die in Jllyricum abgematteten und
bey ſelbigen Voͤlckern verhaßten Roͤmer auff-
zuziehen/ von Beſchwerde der Sardinier uͤber
das Roͤmiſche Joch und die Grauſamkeit des
Manlius/ von deren rechtmaͤßigen Urſachen
wider die Roͤmer zu kriegen/ von der erwuͤnſch-
ten Gelegenheit ſich der nicht ſo wohl unertraͤg-
als ſchimpfflichen Schatzung zu befreyen. Wel-
ches alles ſo wohl dem Adel/ als Poͤfel lieblich
in Ohren klang. Annibal beſtaͤrckte inzwi-
ſchen dieſe ſcheinbare Urſachen mit maͤnnlichen
Thaten. Denn er nahm die reiche Stadt Al-
thea ſtuͤrmender Hand ein; worfuͤr Chlotildis
das Kriegs-Volck auff einer Seite ſelbſt behertzt
anfuͤhrte. Das gantze Volck der Olcader er-
gab ſich hiermit unter Carthago. Hierauff be-
maͤchtigte er ſich der Stadt Salmantica mit
Liſt/ der groſſen Stadt Arbucala mit Gewalt/
uñ folgends des gantzen Vacceiſchen Landſtrichs.
Hundert tauſend der maͤchtigen und ſo wol vier-
fach ſtaͤrckern Carpetaner erlegte er/ als ſie gegen
ihn durch den Fluß Tagus durch ſetzten/ auffs
Haupt; machte ſie auch kurtz hierauff ihm gar
unterthaͤnig. Und derogeſtalt war nichts mehr
uͤbrig/ als die von Zazynthiern erbaute/ in der
Graͤntze der Jberier und Celtiberier tauſend
Schritte vom Meere liegende/ und mit den
Roͤmern verbundene reiche Stadt Saguntus
im Tarraconen ſiſchen Hiſpanien; welche wegen
fuͤr Augen ſchwebender Gefahr Poſt uͤber Poſt
nach Rom um Huͤlffe ſchickte. Hannibal/ nach
dem er ſo gluͤcklich ſeinen Zweck und hiermit ſo
groſſes Anſehen zu Carthago erlangt/ und ſei-
nes Beduͤnckens den die Tugend ſonſt unter-
druͤckenden Nebel des Neides uͤberſtiegen hatte/
meinte nunmehr es Zeit zu ſeyn: daß er ſein
Vorhaben zu Carthago auff den Teppicht
wuͤrffe/ ehe das Gedaͤchtniß ſeiner Siege und
zugleich derſelben Werth veralterte. Denn
wie die Wercke eines Klugen und Thoren nicht
ſo wohl in ihrem Weſen/ als daß jene zur rech-
ten/ dieſe zur Unzeit geſchehen/ unterſchieden
ſind; alſo iſt es ein groſſer Vortheil ſich ſeiner
Neuigkeit bedienen. Sintemal ein heutiges
Loth unſerer Thaten einen jaͤhrichten Centner
groſſer Verdienſte uͤberwieget. Wie er nun
ſo wohl die Gemuͤther des Volcks gewonnen/
als ſelbtem den Eckel fuͤr dem Kriege durch die
reichen Beuten verzuckert hatte; ſchrieb er alle
erſinnliche Urſachen: warum Carthago den Roͤ-
mern nunmehr auff den Hals gehen/ oder nur
Sagunt antaſten ſolten; wormit Rom fuͤr ſich
ſelbſt loß ſchlagen wuͤrde; als welches ohne diß die
Hiſpanier heimlich zum Aufſtand veꝛhetzte. Die-
ſer Meinung auch einen groͤſſern Nachdruck zu
geben/ reiſete ſeine Gemahlin Chlotildis mit
vielen Nachrichten/ und ihr Vetter Magilus
der Bojen Hertzog um ſein und ſeiner benach-
barten Voͤlcker Gemuͤther dem Rathe ſo viel
kraͤfftiger zu eroͤffnen ſelbſt nach Carthago; da-
ſelbſt bearbeitete ſich auch des Koͤnigs Deme-
trius Pharius aus Macedonien Geſandter/ um
ein Buͤndniß wider die Roͤmer; welche er uͤber
dem Fluße Liſſus anzutaſten verſprach. Amil-
car war kaum drey Tage zu Carthago in ſei-
ner Winterraſt; da auff einen Tag Chlotildis
und Magilus mit freyer Gewalt fuͤr Anni-
baln zuruͤcke kam; wie auch eine Roͤmiſche
Botſch afft mit Verwarnigung/ weder Sagunt
anzutaſten/ noch uͤber den Jberus zu ſetzen/ bey
ihm ſich einfanden. Hannibal gab dieſer Both-
ſchafft auff Chlotildens Einredung zur Ant-
wort: daß die Draͤuungen im Kriege nur ſchaͤd-
liche Warnigungen waͤren/ als wie Blitz und
Knall zugleich kommen muͤſte; Gleichwohl be-
ſchweꝛte eꝛ ſich uͤbeꝛ die Roͤmer: daß ſie zu Sagunt
etliche den Carthaginenſern verwandte Adeli-
che Geſchle chter durch ſchimpfflichen Tod hin-
L l l l l 3gerich-
[822[824]]Sechſtes Buch
gerichtet; die Saguntiner aber in ihrem Gebiete
die Torboleter beraubet/ auch wider dieſer noch
anweſenden Beſchwerfuͤhrung ſeine billiche
Vermittelung veraͤchtlich ausgeſchlagen haͤt-
ten. Nach zweyen Monaten ſchied die Bot-
ſchafft von ihm nach Carthago/ daſelbſt gewiſ-
ſe Enſchluͤſſung zu holen. Amilcar aber/ der
mit Sagunt den Roͤmern alle Gelegenheit in
Hiſpanien feſten Fuß zu ſetzen abſchneiden wol-
te/ kam mit ſeiner Macht unverſehens fuͤr Sa-
gunt an; beſchloß ſelbte rings um mit einem
Walle/ daran Annibal und Chlotildis ſelbſt als
gemeine Kriegs-Knechte Hand anlegten/ bey
ieder Gefahr ſich in die Spitze ſtellten; und nach
acht Monatlicher Belaͤgerung die nunmehr veꝛ-
zweiffelten Saguntiner/ als ſie ſich von den
kleinmuͤthigen Roͤmern verlaſſen/ alle euſſerſte
Beſchirmung aber verſpielet ſahen/ dahin
brachten: daß ſie alles Gold und Silber auff
dem Marckte mit Ertzt und Bley unter ein-
ander verſchmeltzten; hier auff des Nachts einen
Ausfall thaͤten/ alle aber biß auff den letzten
Mann erſchlagen wurden/ ihre Weiber ſich
theils erhenckten/ theils von der Mauer ſtuͤrtz-
ten; auſſer welche durch Vorbitte Chlotil-
dens erhalten blieben. Alſo war Saguntus nicht
ſo wohl die Urſache/ als der Anfang des Krie-
ges. Wie aber dieſe Eroberung den Roͤ-
mern bey ihren Bunds-Genoſſen uͤbele Nach-
rede verurſachte/ beſchloſſen ſie alſobald und
ohne Berathſchlagung den Krieg; und daß
der Buͤrgermeiſter Tiberius mit Kriegs-Macht
Carthago ſelbſt belaͤgern/ der ander aber wi-
der Annibaln auffziehen ſolte. Weil ſie aber
mit dem Demetrius in Jllyricum noch ge-
nung zu ſchaffen hatten/ ſchickten ſie ihren
Schluß biß zu voͤlliger Ausruͤſtung zu ver-
bluͤmen/ eine Botſchafft nach Carthago/ un-
ter dem Schein die Zwiſtigkeiten zu verglei-
chen. Dieſe beſchwerte ſich: daß Hannibal
wider das mit Asdrubaln gemachte Abkom-
men uͤber den Jber geſetzt/ und Sagunt ih-
re Bunds-Genoſſen ausgerottet haͤtte. Da-
her im Fall der Rath ſich nicht ſolchen Frie-
den-Bruchs theilhafftig machen wolte/ muͤſte
er Hannibaln und alle ſeine Rathgeber zu der
Roͤmer Beſtraffung aushaͤndigen. Der Rath
verſetzte: Ob wohl die Roͤmer ſchon durch Ab-
dringung Sardiniens und Abheiſchung einer
jaͤhrlichen Schatzung den Lilybeiſchen Frieden
gebrochen haͤtten/ wolten ſie doch ſolch Unrecht
vergeſſen/ und den Frieden unterhalten. Die
Saguntiner aber haͤtten durch Uberfall der
Torboleter ſich an den Hannibal gerieben/ und
ihren Untergang verurſacht. Zu dem waͤren
dieſe bey oberwehntem Frieden der Roͤmer
Bunds-Genoſſen noch nie geweſt; ſondern
nur um der Stadt Carthago einen Dorn in
die Augen zu ſetzen/ hernach in ihren Schutz
gezogen worden. Endlich wuͤſten ſie von neu-
em Buͤndnuͤſſe Asdrubals nichts/ der den Rath
ohne ihre Einwilligung zu nichts kraͤff-
tig verbinden koͤnnen. Aus welchem Grun-
de die Roͤmer vorher den zwiſchen Carthago
und dem Roͤmiſchen Buͤrger meiſter Luctatius
in Sicilien gemachten Frieden verworffen/
ihnen aber ſchwere Bedingungen auffgehalſet
haͤtten. Was aber Asdrubal fuͤr ſich geſchloſ-
ſen/ waͤre mit ſeinem Tode erloſchen. Der
Roͤmiſche Geſandte/ an ſtatt: daß er dem Ra-
the noch haͤtte einhalten koͤnnen: die Sardini-
ſche Sache waͤre durch Erlegung der Scha-
tzungen in der That beliebt/ der Friede vom Lu-
ctatius auff Genehmhabung des Roͤmiſchen
Raths/ Asdrubals aber ohne Bedingung ge-
ſchloſſen/ und darinnen alle/ alſo auch die kuͤnffti-
gen Bundgenoſſen begriffen worden/ oͤffnete den
Rock auff der Schoß; fuhr hitzig und entruͤſtet
heraus: Wir ſind hieher nicht zum Wortge-
zaͤncke erſchienen; ſondern wir fordern Anni-
baln und andere Friedbruͤchige. Hier ſtecket
Krieg und Friede; was ihr ausleſen werdet/
will ich heraus geben. Der Koͤnig oder O-
berſte im Rath verſetzte: Carthagens Wuͤrde
erfor-
[823[825]]Arminius und Thußnelda.
erfordert diß anzunehmen/ was ihr her aus zie-
hen wollt. Hier auff zohe der elteſte Geſandte
ein blanckes Schwerd herfuͤr/ mit dem Bey-
ſatze: Diß iſt es/ was uns anſtehet. Der
Rath rieff hier auff einhellig: wir nehmen es
an/ weil es euch gut duͤnckt. Wormit die/
derer Gemuͤther viel Jahr vorher getrennt wa-
ren/ gleichſam fuͤr Zorn ſchaͤumende vonſam-
men ſchieden. Wie nun nach zerriſſenem
Buͤndniſſe Hannibal freye Hand bekam gantz
Hiſpanien ihm in weniger Zeit theils durch
Gewalt/ theils durch Draͤuung/ theils Ver-
heiſſungen zu unterwerffen/ und an Roͤmern
ſein Heil zu verſuchen/ ließ Hertzog Magilus
nicht ab ihn durch Herausſtr eichung der frucht-
baren Laͤnder/ ſtreitbaren/ und den Roͤmern ge-
haͤßiger Voͤlcker am Po zum Einfalle in Jta-
lien durch Gallien zu bereden. So kam̃ eben
zu rechter Zeit Matalus und Dietrich zwey
Bojiſche Fuͤrſten/ als Geſandten/ von den um
die Alpen wohnenden Deutſchen an/ welche
dem Annibal ſelbiger Voͤlcker bereitete Huͤlffe
anboten; andern Kriegs-Haͤuptern aber den
Traum benahmen; als wenn uͤber ſolch Alpen-
Gebuͤrge noch kein ander Kriegs-Heer als fuͤr
Zeiten des Hercules zu ſteigen vermocht haͤtte.
Da doch die Gallier und Deutſchen mit Weib
und Kindern ſo vielmahl ſelbtes durchreiſet
haͤtten. Ja ſie ſelbſt waͤren uͤber diß Schnee-
Gebuͤrge nicht geflogen/ ſondern itzt gleich uͤ-
ber ſelbtes/ und zwar zur Winteꝛs-Z[e]it kommen/
wolten alſo ihre ſelbſteigne Wegweiſer ſeyn.
Der kuͤhne Hannibal wolte dieſe Gelegenheit
nicht aus den Haͤnden laſſen; ſondern handel-
te mit ihnen ein gewiſſes Buͤndniß ab; in wel-
chem unter andern merckwuͤrdig verſehen war:
Es ſolten die Deutſchen den Carthaginenſern:
daß ſie Kriegs-Oberſten/ dieſe aber jenen/ daß ſie
Weiber zu Richtern und Rathgebern haͤtten/
nicht fuͤrruͤcken. Dieſemnach hielt Hannibal
fuͤrs rathſamſte den Feind im Hertzen anzugreif-
fen; ſchickte alſo unverzuͤglich das Hiſpaniens
gewohnte Kriegs-Volck in Africa; das Afri-
caniſche aber verlegte er in Hiſpanien zur Ver-
ſicherung/ allwo er ſeinen Bruder Aſdrubal
zum Kriegs-Haupte beſtellte/ und ihm wider der
Roͤmer beſorglichen Einfall heilſame Lehren
gab. Nach ſo guter Anſtalt zohe er im erſten
Fruͤhlinge mit neuntzig tauſend Mann zu
Fuße/ und zwoͤlff tauſend Reutern uͤber
den Jber/ brachte alle biß an das Pyreneiſche
Gebuͤrge durch das Aqvitaniſche Narboniſche
Gallien mit funffzig tanſend zu Fuß/ und fuͤnff-
tehalb tauſenden zu Roſſe alles alten abgehaͤr-
teten Kriegs-Leuten. Die auff Roͤmiſche Sei-
te hengenden Gallier gewan er mit Schrecken/
die andern mit Geſchencken und Vertroͤſtung:
Er kaͤme dahin nicht als ein Feind/ ſondern
Gaſt/ wolte auch den Degen nicht eher/ als in
Jtalien zuͤcken. Hertzog Magilus aber reiſete
eilfertig voran; und verſicherte die Jnſubrier/
Bojen/ und andere Deutſchen der anziehenden
Huͤlffe; welche/ weil zumahl die Roͤmer am Po
durch Auffricht- und Beſetzung der neuen Stadt
Placenz dieſen freyen Voͤlckern ein Gebiß ins
Maul legten/ Annibals nicht erwarten konten/
ſondern die Waffen ergriffen; aus denen ab-
genommenen und denen Roͤmiſchen Buͤrgern
vertheilten Aeckern die neuen gewaltſamen
Beſitzer vertrieben/ den Lutatius/ Servilius/
Annius und andere dahin geſchickte Feld-Maͤſ-
ſer in Mutina belaͤgerten/ und als ſie heim-
lich daraus ſich fluͤchten wolten/ erlegten. Man-
lius eilte mit einem ſtarcken Heere herzu die
Stadt zu entſetzen; Magilus aber zohe ſelb-
tem entgegen/ verſteckte ſein Heer in einen
Wald/ und uͤberfiel die daſelbſt nichts min-
der als einen Feind beſorgenden Roͤmer mit
ſo groſſem Vortheil: daß wenig von dem gan-
tzen Heere auffs Gebuͤrge entrannen. Ob
nun wohl Manlius mit friſchen Voͤlckern
ihm begegnete/ ſo ſchlugen ihn die Deut-
ſchen doch abermahls mit groſſem Verluſt
in die Flucht; eroberten ſechs Fahnen/ und belaͤ-
gerten
[824[826]]Sechſtes Buch
gerten in der Stadt Tannetum die gantze vierd-
te Legion/ und die Roͤmiſch geſinnten Brixiani-
ſchen Gallier; biß Lucius Atilius mit ſeiner Le-
gion und viel Galliern an-/ die Deutſchen a-
ber mit groſſer Beute ſich zuruͤck zohen. Weil
nun aber die Maſſilier den Roͤmern Anni-
bals Siege in Hiſpanien zu wiſſen machten;
ſchiſfte der Buͤrgermeiſter Publius Scipio mit
einem anſehlichen Heere von Piſa ab an dem
Liguſtiſchen Meer-Strande biß nach Maßili-
en/ in Meinung biß in Hiſpanien zu ſegeln.
Er erfuhr aber daſelbſt mit Erſtaunung: Anni-
bal habe nicht nur das Pyreneiſche Gebuͤrge
hi[n]te[r] ſich gelegt/ auch die ihm widerſtehenden
Narboniſchen Gallier zerſtreuet/ ſondern ſey
auch ſchon begriffen uͤber den Rhodan zu ſetzen.
Sintemal die zwey deutſchen Fuͤrſten Mata-
lus und Dietrich die auff der Weſt-Seite des
Rhodans wohnenden Ardyes/ wie auch die
Deutſchen an dem Fluß Araris ſchon ver-
mocht hatten: daß ſie Hannibaln eine groſſe
Menge Nachen zu Fertigung einer Schiffbruͤ-
cke den Strom herab brachten. Die Kriegsvoͤl-
cker hoͤleten auch unzehlich viel Baͤume zu Na-
chen aus. Die Volcaiſchen Gallier alleine zohen
ſich mit allen ihrigen auff die Oſt-Seite des
Fluſſes/ und bothen mit der Maßilier Huͤlffe
Annibaln an dem Strande die Stirne. Da-
hero fuͤhrte Fuͤrſt Dietrich ein Theil des Hee-
res unter dem jungen Hanno Bomilcars Soh-
ne unvermerckt eine Tagereiſe am Rhodan
hinauff; allwo der Rhodan in ſich ein kleines
Eyland macht. daſelbſt machten ſie des Nach-
tes in dem anliegenden Walde eine Menge
Floͤſſen zuſammen/ kamen alſo unverhindert uͤ-
ber den Fluß; hiermit ruͤckten ſie auff der Oſt-
Seite Stromwerts wieder ab/ berichteten ih-
re Uberkunfft und Anzug Annibaln; welcher
denn alle Schiffe mit Volck beſetzte/ und dar-
mit uͤberzukommen verſuchte. Als nun die
Maßilier und Gallier dieſes zu verwehren cuſ-
ſerſt arbeiteten; fiel Hertzog Dietrich mit neu-
en deutſchen Huͤlffs-Voͤlckern und Hanno mit
ſeinen Mohren ihrem Feinde in Ruͤcken; er-
legten derer viel tauſend; alſo kam Hannibal
mit einem groſſen Siege uͤber den Rhodan.
Wiewohl er mit Uberſetzung der das Waſſer
uͤberaus fliehenden Elephanten/ denen er eine
Schiffbruͤcke bauen/ und ſelbte mit Raſen be-
ſetzen muſte/ unglaubliche Muͤhe anwendete;
derer etliche zwar auch bey Loßtrennung eines
an die am oberſten Ufer ſtehenden Baͤume an-
gebundenen Schiffes in Fluß ſtuͤrtzten/ aber mit
empor gereckten Schnautzen doch herdurch wa-
teten. Allhier kam der tapffere Magilus mit
Bericht ſeiner Siege und zum Wegweiſer wie-
der bey Annibaln; Publius Scipio aber mit
ſeinem Heere am Rhodan wiewohl zu ſpat an/
weil Annibal ſchon drey Tage vorher am Rho-
dan hinauff/ uͤber den durch der Vecontier Land
fluͤſſenden gefaͤhrlichen Strom Druentia gedie-
gen war. Das vierdte Nachtlager ſchlug Anni-
bal in der Tricaßnier Gebiete am Fluße Jſara
auff; Allwo zwey Allobrogiſche Fuͤrſten uͤber ih-
rem zwiſchen dem Rhodan und Jſar in Geſtalt
eines Eylandes liegenden Erbtheile mit einan-
der zwiſtig waren/ Annibaln aber ihren Streit
zu entſcheiden unter gaben. Annibal ſprach wi-
der Bertholden fuͤr den Brancus/ als welcher
auch fuͤr ſich das Recht der Erſtgeburt hatte/ und
Annibaln an Volck und noͤthigem Vorrathe al-
len moͤglichen Vorſchub zur Reiſe that. Allhier
ſtieſſen zu Annibaln etliche tauſend Alemaͤnner
und Nemeter unter dem Fuͤrſten Hulderich der
Chlotildis juͤngſten Bruder; Fuͤrſt Ber-
thold aber nahm ſeine Zuflucht zu denen be-
nachbarten Fuͤrſten der Centroner und Ve-
ragrer/ brachte auch durch ſeine klaͤgliche Be-
ſchwerden es ſo weit: daß dieſe Voͤlcker in aller
Eil alle Luͤcken der Alpen gegen Annibaln
beſetzten/ der zwiſchen dem Rhodan und dem
Jſar ſeinen Weg unſaͤumbar verfolgte. Ber-
thold aber war allzuhitzig/ ließ ſich mit ſei-
nen im Vortheil ſtehenden Voͤlckern fuͤr
der
[825[827]]Arminius und Thußnelda.
der Zeit ſehen; da er hingegen bey derſelben
Verdeckung Annibals Heer in den tieffen Thaͤ-
lern mit ſchlechter Muͤh ſonder einige Gefahr
durch Abweltzung der Steine haͤtte ausrotten
koͤnnen. Hingegen kundſchaffte Fuͤrſt Hulde-
rich von etlichen Galliern aus: daß ſie des
Nachts dieſe Berg-Engen unbeſetzt lieſſen/ und
ſich theils nach Axima/ theils nach Novima-
gum zuruͤck zuͤgen. Annibal brach hierauf in
hoͤchſter Eil des Nachts aus ſeinem Laͤger auff/
bemaͤchtigte ſich dieſer felſenen Pforten/ und
fuͤhrte das gantze Heer Berg auf. Am Mor-
gen fielen die Gallier und Allobroger Annibaln
grimmig an/ thaͤten ihm aber nicht ſo viel Scha-
den/ als das abſchuͤßige und enge Gebuͤrge; von
welchem ihrer viel und inſonderheit Pferde und
andere Thiere mit groſſer Menge abſtuͤrtzten.
Endlich aber ward Fuͤrſt Berthold vom Hertzo-
ge Magilus von einem Pfeile toͤdtlich verwun-
det/ und nicht alleine der Feind verjaget/ ſondern
auch die Stadt Axima mit groſſem Vorrathe
erobert/ allwo er drey Tage ſein abgemattetes
Heer erfriſchte; die benachbarten Gallier aber
derogeſtalt erſchreckte: daß ſie von allen Orten
mit Oelzweigen ihm entgegen kamen/ um ſeine
Freundſchafft baten/ und alles noͤthige reichlich
zufuͤhrten. Zwey Tage reiſete Annibal dero-
geſtalt friedlich durch das Centroniſche biß in das
Veragriſche Gebiete/ da ihn denn in einem tief-
fen um und um mit ſteilen Klippen umgebenen
Thale die mißtraͤulichen Gallier abermals an-
ſielen; alſo: daß es hier um ſein gantzes Heer ge-
than geweſt waͤre/ wenn der ſchlaue Annibal aus
einem vernuͤnfftigen Mißtrauen nicht die Ele-
fanten und alles Kriegs-Geraͤthe mit der Reu-
terey allezeit zu voran geſchickt/ den Kern des
Fußvolckes/ und inſonder heit die der Felſen ge-
wohnte Deutſchen aber im Ruͤcken behalten haͤt-
te. Gleichwol war es ein hartes Treffen/ und
muſte nach des gantzen Tages Gefechte An-
nibal auf einem kahlen Berge uͤbernachten; er
erreichte auch allererſt folgende Nacht ſeinen
Vortrab. Folgenden Tag machten die Gal-
lier zwar hin und wieder Lermen/ aber ohne
Nachdruck. Denn ſo bald ſie die ihnen gantz
fremden Elefanten erſahen/ trieb ſie die Furcht
zuruͤcke. Den neundten Tag erreichte Anni-
bal den laͤngſt gewuͤnſchten hoͤchſten Pennini-
ſchen Gipffel/ von welchem man gegen Weſt
Gallien/ gegen Sud-Oſt aber das luſtige Jta-
lien uͤberſehen kan. Dieſen Berg verehren die
Gallier nichts minder/ als die Syrier den Car-
melus; nennen ihn auch die Saͤule der Sonne.
Auf dem Gipffel ſtehet der Verager Gott Pen-
nus in Riſen-Groͤſſe in Marmel ausgehauen.
Auf ſelbtem entſpringt der Fluß Dranſe/ und
noch ein ander/ jener laufft gegen Mitternacht
in den Lemanniſchen See/ dieſer gegen Sud-
Oſt in den Strom Duria; welcher Annibaln
gleichſam einen Wegweiſer biß an den Fluß Po
abgab. Weil nun Annibaln das Wetter fug-
te/ lag er zwey Tage auf dieſer Hoͤhe ſtille; nicht
ſo wol: daß ſein Heer daſelbſt ausruhte; als daß
er ihm die Zaͤhne nach denen Herrligkeiten des
im Geſichte liegenden Jtaliens waͤßricht mach-
te. Nach dem Andacht und Gottesdienſt auch
das feſteſte Band der Geſetze/ der ſicherſte Kap-
zaum des Volckes iſt/ ver gaß Hannibal nicht
auf dieſem alle andere Berge uͤberragenden und
deßhalben ſo viel heiligern Berge dem Jupiter/
dem alle Gipffel gewiedmet ſind/ zu opffern;
ſetzte auch dem Pennus das Bild des Ammoni-
ſchen Jupiters gegen uͤber. Auff der Seiten
aber grub er in einen Steinfelß: Annibal der
Carthaginenſer Feldherr/ welcher am allerer-
ſten mit einem Heere uͤber dieſe Hoͤhe in Jtalien
gedrungen/ leget dem Jupiter und dem Schutz-
Gotte dieſes Gebuͤrges ein heiliges Geluͤbde
ab: daß/ da ſie ihn die beſchworne Zerſtoͤrung der
Stadt Rom bewerckſtelligen laſſen/ er auff die
Spitze dieſes Berges einen groͤſſern Tempel/
als in Rom keiner iſt/ bauen/ und don Capitoli-
niſchen Jupiter drein ſetzen wolle. Ob nun
wol auch Annibal beym Aufbruche ſeinem Hee-
Erſter Theil. M m m m mre
[826[828]]Sechſtes Buch
re die nicht mehr allzu ferne Gegend der Stadt
Rom/ als welcher Stadt Mauern ſie ſo wol/ als
Jtaliens mit dieſen Bergen uͤberſtie gen/ unge-
faͤhꝛ anwieß; ſo grauſete doch allen fuͤꝛ dem gaͤhen
und engen Abwege; zumal der die Nacht vorher
haͤuffig-gefallene Schnee Berge und Thaͤler
ausge gleicht hatte; alſo: daß viel nur einmahl
fehltretende Menſchen oder Thiere von den
Abgruͤnden verſchlungen wurden/ und nicht
einſt eine Spure zu anderer Verwarnigung
hinter ſich verlieſſen. Die gewohnte Muͤh des
abgehaͤrteten Heeres uͤberwand gleichwol alle
Beſchwernuͤſſe/ ungeachtet die wegen gewohn-
ten Schnee und Eiſes an die Spitze geſtellten
Deutſchen Fuß fuͤr Fuß mit Schauffeln ſich
durchſcharren muſten. Endlich aber geriethen
auch die Hertzhafftigſten in Verzweiffelung/ weil
die Natur ihnen ſelbſt einen Rigel vorgeſchoben/
und tauſend Schuch hoch einen Felß von dem
Wege abgeſpalten hatte; alſo: daß uͤber dieſe
Tieffe zu kommen nicht Fuͤſſe/ ſondern Fluͤgel
von noͤthen ſchienen. Der hieruͤber zwar aͤng-
ſtige/ aber ſich doch euſerlich unerſchrocken ge-
behrdende Annibal fuchte anfangs zwar einen
Umweg uͤber ein von viel-jaͤhrigem Schnee an-
gefuͤlltes Thal; aber die ſchweren Thiere und
Menſchen traten durch den neuen oben nur ge-
frornen Schnee bald durch/ und verſancken in
den unterhalb waͤßrichten Sumpf; alſo: daß
nach ziemlichem Verluſt Annibal ſelbſt faſt nicht
wuſte/ wo er ſich hinwenden ſolte. Gleichwohl
ließ er ſeinen Kummer nicht mercken; entſchloß
ſich alſo die Unmoͤgligkeit ſelbſt zu uͤberwinden/
und uͤber die abſchuͤßige Hoͤhe ihm einen Weg
zu baͤhnen; wol wiſſende: daß auch eine verzweif-
felte Ausrichtung beſſer/ als eine nichts ent-
ſchluͤſſende Sorgfalt ſey. Zumal Elefanten
und andere Thiere auf dieſen rauen Klippen
ſchon halb verhungert waren. Die ſemnach ließ
er alle in der naͤhe ſtehende Baͤume abhauen/
Schnee und Erde herzu ſchleppen/ auff Anlei-
tung der Deutſchen die Klippen mit Feuer und
Eiſen zerſprengen/ alles diß aber von der Hoͤhe
hinab ſtuͤrtzen/ und alſo einen Weg ausgleichen:
daß er den vierdten Tag erſtlich das Vieh/ her-
nach die Menſchen herunter fuͤhren konte/ und
nach dreytaͤgiger Ruhe endlich im fuͤnfften Mo-
nat der Reiſe die erwuͤnſchte Flaͤche Jtaliens er-
reichte/ und nach hinterlegtem Salaßiſchem
Gebiete zwiſchen den fruchtbaren Fluͤſſen Du-
ria und Seßites bey denen ihn mit Freuden be-
willkommenden Libiciern an Kraͤfften ſich erho-
lete; ſintemal er nach Verluſt der Helffte ſeiner
eigenen Voͤlckeꝛ mehr nicht als zwantzig tauſend
zu Fuſſe/ und ſechs tauſend Reuter allhier uͤbrig
hatte/ aber alsbald mit zehn tauſend auserleſe-
nen Deutſchen verſtaͤrckt ward; welche aus Hel-
vetien uͤber das Aduliſche Gebuͤrge/ und ſo fort
auf dem Fluſſe Ticin und uͤber den Verbani-
ſchen See vermoͤge des mit Annibaln gemach-
ten Buͤndnuͤſſes dahin an- und ihm wol zu ſtat-
ten kamen. Denn weil die Roͤmer den Atilius
mit einer ſtarcken Macht dem Manlius wider
die Bojen und Deutſchen am Po zu Huͤlffe ge-
ſchickt hatten/ die mit denen Jnſubrern kriegen-
de Tauriner auch die Roͤmiſche Seite hielten/
und Cneus Scipio mit einem noch maͤchtigern
Heere im Abzuge war; ſcheuten ſich dieſe mehr-
mals gewitzigten Voͤlcker/ ehe ſie von Hanni-
baln was merck wuͤrdiges ſaͤhen/ ſich oͤffentlich zu
ihm zu ſchlagen. Weil die Tauriner aber ſich
fuͤr Feind erklaͤrten; fiel ihnen Hannibal als ein
Blitz uͤber den Hals/ belaͤgerte ihre am Po und
dem obern Fluſſe Duria gelegene Hauptſtadt;
eroberte ſelbte auch den dritten Tag ſtuͤrmender
Hand. Welches nicht allein ihm den Zufall
der Jnſubrer/ ſondern ſelbiger gantzer Gegend
erwarb/ auch verurſachte: daß die Roͤmer den
nach Afri a befehlichten Buͤr germeiſter Tibe-
rius vom Lilybeiſchen Vorgebuͤrge zuruͤck for-
derten. Wie nun aber Annibal am Po herab
zoh/ ward ihm angeſagt: daß der von Maßilien
zuruͤck ſchiffende Publius Cornelius S[c]ipio mit
ſeinem Heere bereit oberhalb Placentz uͤber den
Po
[827[829]]Arminius und Thußnelda.
Po geſetzt haͤtte/ und uͤber den Fluß Ticin eine
Bruͤcke ſchluͤge. Wenig Tage hernach bege-
gneten beyder Heere Vortrab einander harte
am Po; da aber die Roͤmer von Annibals Reu-
terey bald zertrennet/ von den Numidiern um-
geben/ und meiſtentheils erlegt wurden. Fuͤrſt
Magilus verwundete den Buͤr germeiſter ſelbſt/
haͤtte ihm auch gar den Reſt gegeben/ wenn ihn
nicht ſein Sohn ein tapfferer Juͤngling von
ſiebzehn Jahren/ der hernach der Africaniſche
Scipio genennet ward/ bey aller andern Roͤ-
mer Zagheit beſchirmet/ und ihm ſich der Ge-
fahr zu entziehen Lufft gemacht haͤtte. Publius
muſte derogeſtalt nicht nur den Fluß Ticin ver-
laſſen/ ſondern auch uͤber den Po zuruͤcke wei-
chen. Hannibal aber lag dem Feinde fort fuͤr
fort in Eiſen/ bekam ſechs hundert bey der abge-
brochenen Bruͤcke gelaſſenen Roͤmer gefangen/
und nunmehr die um den Po wohnende Deut-
ſchen Voͤlcker Hauffenweiſe zu ſich; gieng dar-
mit auf einer Schiffbruͤcke uͤber ſelbten Fluß biß
fuͤr das Roͤmiſche Lager bey Placentz. Nach
dem Annibal auch den Publius vergebens zur
Schlacht aus gefordert hatte; redete im Roͤmi-
ſchen Lager Albert ein Deutſcher Fuͤrſt/ welcher
von den Roͤmern unters Joch gebracht/ und ih-
nen zu dienen gezwungen war/ ſeine unterha-
bende Voͤlcker auf: daß ſie durch ihre Tapffer-
keit ſich wieder in Freyheit ſetzen ſolten. Dieſe
uͤberfielen des Nachts die neben ihnen liegenden
Roͤmer in ihren Zelten/ ſchnitten wol vier tau-
ſenden die Koͤpffe ab/ brachen/ ehe Publius wideꝛ
dieſen Anfall genungſame Anſtalt machte/ durch
ein Thor aus dem Laͤger/ und kamen des Mor-
gens/ als zugleich die Bojen mit denen voriges
Jahr gefangenen Roͤmern ſich einfanden/ zu
Hannibaln/ welcher alle mit ſchaͤtzbaren Koͤſt-
ligkeiten beſchenckte; und theils ſeine Freyge-
bigkeit auszubreiten wieder von ſich nach Hau-
ſe ließ. Publius Scipio ward durch den Ab-
fall der Bojen und anderer Deutſchen euſerſt
erſchreckt; daher brach er des Nachts ſtill ſchwei-
gend auff/ ſetzte uͤber den Bach Trebia/ und ver-
ſchantzte ſich auff einem darbey liegenden vor-
theilhafften Huͤgel. Die Numidiſche Reute-
rey aber ereilte den Roͤmiſchen Nachzug/ und
hieb alles zu Bodem. Annibal ſchlug nahe
darbey ſein Laͤger auf/ kauffte vom Roͤmiſchen
Hauptmanne Brunduſin ihr Kornhauß die
Stadt Claſtidium; alſo: daß er durch dieſe Ver-
raͤtherey und derer Deutſchen Zufuhre im feind-
lichen Lande mehr Vorrath als die Roͤmer hat-
ten. Jnzwiſchen ſtieß Tiberius Sempronius
mit ſeinem maͤchtigen Heere zum Seipio; wel-
cher durch etliche Scharmuͤtzel ſo hochmuͤthig
ward: daß ihn der noch von ſeiner Wunde bett-
laͤgrige Scipio die Liefferung einer Schlacht
nicht erwehren konte/ welche Hannibal/ weil die
Roͤmiſchen Krieges-Leute noch ungeuͤbet/ die
Deutſchen aber noch in der erſten Hitze waren/
und durch eine groſſe That in Jtalien den
Grund des Krieges zu legen fuͤr noͤthig hielt/
auffs ſehnlichſte verlangte. Sintemal die
Sternſeher nicht ſo genau aus denẽ bey der Ge-
burt ſcheinenden Sternen/ als Kriegsleute aus
dem erſten Gefechte eines Feldherren den kuͤnff-
tigen Gluͤcks-Lauff wahrſagende urtheilen.
Hierinnen nun keinen Fehltritt zu thun/ raffte
er alle ſeine Kriegs-Kuͤnſte zuſammen/ und ver-
ſteckte auff der zwiſchen beyden Laͤgern befindli-
chen Flaͤche ſeinen Bruder Mago mit tauſend
auserleſenen Reutern/ und den Fuͤrſten Die-
trich mit tauſend Deutſchen Fußknechten zwi-
ſchen die ziemlich tieffen Ufer einer daſelbſt rin-
nenden mit hohem Schilf und Senden bewach-
ſenen Bach; ließ auch des Nachts das gantze Hee-
erqvicken/ und zur Schlacht ſich ruͤſten; mit dem
erſten Morgen aber 2000. Numidier biß unter
den Roͤmiſchen Wall ſtreiffen. Tiberius hingegẽ
mit ſeiner Reuterey und 6000. Bogenſchuͤtzen
alsbald auf ſie einen Ausfall thun/ auch die mit
Fleiß fliehen den durch den des Nachts vom zer-
ſchmoltzenẽ Schnee und gefallenem Regen ange-
ſchwollenen Strom Trebia verfolgen/ ob ihnen
M m m m m 2ſchon
[828[830]]Sechſtes Buch
ſchon das Waſſeꝛ biß an die Bruſt gieng. Añibal
wolte dieſe er wuͤnſchte Gelegenheit/ welche nach
einmal gekehrtem Ruͤcken niemanden leicht
wieder das Antlitz zukehrt/ nicht aus Haͤnden
laſſen/ ſchickte daher den Numidiern die Balea-
riſchen Schuͤtzen/ und der Bojen leichte Reute-
rey 8000. Mann ſtarck alsbald zu Huͤlffe. Weil
dieſe ſich an den Feind hiengen/ fuͤhrte er 6000.
Africaner/ 6000. Hiſpanier/ 4000. Alemaͤn-
ner/ 2000. Catten/ und 2000. allerhand andere
Deutſchen/ alles auserleſenes Fußvolck aus
dem Laͤger/ und ſtellte ſie in einer Reyhe in
Schlacht-Ordnung/ auf iede Seite 5000. Reu-
ter/ meiſt Hiſpanier/ Africaner und Deutſchen;
derer rechten Fluͤgel Fuͤrſt Magilus/ den an-
dern Matalus fuͤhrte; Er aber ſelbſt und ſeine
gewaffnete Chlotildes beobachteten die Mitte.
Tiberius haͤtte auf des Seipio ungedultiges Zu-
reden ſein hungriges Volck zwar gerne zuruͤck
gezogen/ aber er hatte ſich zu tief eingelaſſen; al-
ſo/ da er ſeine acht biß 10000. Mann nicht
muthwillig in die Schantze ſetzen wolte; weil
die Bach und die Geſchwindigkeit der Numi-
dier keine vernuͤnfftige Zuruͤckweichung verſtat-
tete/ muſte er mit dem uͤbrigen Heere nur auch
aus dem Laͤger ruͤcken; welches in 36000. Fuß-
Knechten/ und 4000. Mann Reuterey beſtand;
unter welchen 20000. Huͤlffs-Voͤlcker/ und
zwar meiſt zwiſchen denen Fluͤſſen Mele/ Po
und Atheſis wohnende/ und faſt alleine nur
noch den Roͤmern treuverbliebene Cenomaͤnner
waren. Dieſe Macht war wol an der Zahl
ſtaͤrcker/ als Annibals. Aber ſeinen Fuͤhrer
Tiberius machte ſein erſtes Verſehen ſchon
kleinmuͤthig/ und diß: daß er wider Willen
ſchlagen muſte/ verdammte alles/ was er oder
die Seinigen hernach gleich gutes ausrichteten.
Uber diß ließ ſich der Anfang der Schlacht bald
zum aͤrgſten an. Denn das Fußvolck beyder
Heere war noch nicht voͤllig an einander/ als die
Roͤmiſche Reuterey in ſchimpfliche Flucht ge-
rieth. Als dieſe Magilus verfolgte/ brach
Fuͤrſt Matalus mit den Elefanten in die ſchwe-
re Ruͤſtung der Roͤmer zur Seiten ein. End-
lich ſiel Mago mit ſeinen verſteckten Reutern/
und Fuͤrſt Dietrich mit ſeinem Fußvolck den
Roͤmern in Ruͤcken; worvon das gantze Roͤmi-
ſche Heer auf einmal verwirret/ zertrennet/ von
Elefanten und Pferden zertreten/ die fluͤchtigen
in den Strom Trebia getrieben/ und erſaͤufft
wurden; alſo von 50000. Mann nicht der fuͤnf-
te Theil nach Placentz entran. Hingegen war
auf Annibals Seite der Verluſt geringe; und
hatten die Deutſchen und Bojen in dieſem fro-
ſtigen Treffen die meiſte Hitze ausgeſtanden; in-
ſonderheit aber: weil ſie 10000. gegen Placentz
durchbrechende Roͤmer mit euſerſter Gewalt
aufhalten wolten/ durch ihr Blut faſt alleine den
herrlichen Sieg erkaufft; welchen der unvor-
ſichtige Tiberius ver gebens zu verbluͤmen ſuch-
te/ da er den Roͤmiſchen Rath wiſſen ließ: der
Winter haͤtte ihm den Sieg aus den Haͤnden
gewunden. Alleine die darauf erfolgende Ero-
berung des Roͤmiſchen Lagers/ der Abfall gan-
tzer Voͤlcker/ die Umſchluͤſſung der entflo henen
Roͤmer/ welchen aller Vorrath mit genauer
Noth vom Adriatiſchen Meere auf dem Po zu
Schiffe muſte gebracht werden/ verrieth alsbald
die Warheit der Sache/ und erregte zu Rom ein
ſo groſſes Schrecken: als wenn Annibal ſchon
fuͤr den Pforten waͤre. Annibal hingegen ließ
alle gefangene Jtaler loß/ vorgebende: daß er
nur wider die Roͤmer zu kriegen/ denen von ih-
nen unters Joch geſpanneten Voͤlckern aber die
Freyheit wieder zu geben in Jtalien kommen
waͤre. Hierauf zerſtreute Fuͤrſt Matalus mit
4000. Deutſchen/ und 500. Numidiern/
35000. auf der Roͤmer Seiten ſtehende Anama-
ner/ eroberte die Feſtung Vicumnia; Annibal a-
beꝛ hielt nicht fuͤꝛ thulich die Deutſchen und Gal-
lier/ als die Werckzeuge ſeines Sieges mit lan-
ger Winter-Verpflegung zu bebuͤrden; weil
die Laſt der Bunds genoſſen beſchwerlicher/ als
des Feindes; alſo mehrmals eine Urſache ſchaͤd-
licher
[829[831]]Arminius und Thußnelda.
licher Trennung iſt. Daher belegte er nur die
Tauriner/ und die/ welche ihm die Spitze gebo-
ten hatten/ und zohe im erſten Fruͤhlings-An-
fange/ entweder weil er von Natur zu beſchwer-
licher Muͤhſamkeit geneigt/ oder hierdurch ſein
Kriegsvolck fuͤr der Verzaͤrtelung zu bewahren
gemeint war/ den zwar kuͤrtzeſten und daher von
Roͤmern am wenigſten beſetzten/ an ſich ſelbſt a-
ber ſchlimſten Weg uͤber das Apenniniſche Ge-
buͤrge/ und hernach durch eitel vom uͤbergieſſen-
den Fluſſe Arnus gemachte Pfuͤtzen und
Suͤmpffe in Hetrurien; in welcher das Heer
gantzer vier Tage warten muſte; worvon vielen
Pferden das Horn von Fuͤſſen fiel/ Annibal a-
ber ſelbſt vom Winde und Platz-Regen ums
Geſichte eines Auges kam; ja er den Galliern
mißtrauende durch Verwechſelung der Kleider
und fremd-angenommener Haare ſich mehr-
mals verſtellte. Jnzwiſchen hatte der Buͤr-
germeiſter Flaminius ein neu maͤchtiges Heer
verſam̃let/ ihm auch der Koͤnig in Sicilien Hie-
ro eine anſehnliche Huͤlffe zugeſchickt. Mit
dieſem ruͤckte er biß an Aretium; hatte auch noch
den andern Buͤrgermeiſter Servilius mit einer
groſſen Macht zu erwarten. Annibal ſpuͤrte
alsbald des Flaminius Hochmuth aus; der aus
allzu gewiß eingebildetem Siege eine groſſe
Menge Ketten und Feſſel die Feinde in Eiſen
zu ſchlagen mit ſich fuͤhrte; daher brach er aus
der Feſulaniſchen Gegend auf/ durchſtreiffte
mit Raub und Brand das Land/ zohe bey des
Flaminius Laͤger vorbey/ und zwiſchen der
Stadt Cortona und dem Thraſimeniſchen See
gerade auf Rom zu. Flaminius ſchaͤumte fuͤr
Zorn: daß ihn Annibal ſo veraͤchtlich am Ruͤ-
cken gelaſſen hatte; daher verfolgte er Annibaln
blind und unvorſichtig biß an den See; welcher
dieſes vernehmende des Nachts am Thraſime-
niſchen See alle Huͤgel mit Deutſchen beſetzte;
Er ſelbſt aber mit den Mohren und Hiſpaniern
an dem innerſten Huͤgel ſich in Schlacht-Ord-
nung ſtellte. Wie nun Flaminius des Mor-
gens/ ungeachtet des dichten Nebels das groͤſte
Theil ſeines Heeres in das rings um beſetzte
Thal fortruͤcken ließ/ bot Annibal ihnen unver-
ſehens die Stirne. Als ſie nun in dieſem Ge-
draͤnge ſich vorwaͤrts in Schlacht-Ordnung zu
ſtellen bemuͤht waren/ fielen die Fuͤrſten Magi-
lus/ Dietrich und Matalus auf dreyen Seiten
mit ihren ſtreitbaren Deutſchen wie der Hagel
uͤber die Roͤmer; alſo: daß die rings umgebenen
Roͤmer bey ſo dickem Nebel nicht wuſten: ob die
Feinde aus den Wolcken ihnen uͤber den Hals
kaͤmen. Die Roͤmer wurden im erſten An-
grieffe in Unordnung bracht; viel konten wegen
des Gedraͤnges nicht einſt die Schwerdter zuͤ-
cken/ keiner aber einige Lantze brauchen. Ein
Deutſcher Ritter Ducario/ welcher tauſend Jn-
ſubrer fuͤhrte/ erkennte den Flaminius; und
weil er ſeine Schweſter ihm in vorigem Kriege
weggefuͤhret hatte/ drang aus abſonderer Rache
gegen ihm durch die ihren Buͤrgermeiſter ver-
gebens verfechtenden Roͤmer wie ein Blitz
durch/ rennte ſeinen Waffentraͤger zu Bodem/
den Flaminius aber mit der Lantze durch und
durch; hernach hieb er ihm nach Verdienſt den
Kopff ab; weil er das Haupt eines ſo tapffern
Heeres zu ſeyn unwuͤrdig war. Funfzehn tau-
ſend Roͤmer/ welche weder ihre Kriegs-Geſetze/
noch die Beſchaffenheit des Ortes fliehen ließ/
wurden in Stuͤcken gehauen oder zertreten.
Mago und Maharbal traffen inzwiſchen auff
das zwiſchen dem See und den Bergen fortzie-
hende Roͤmiſche Heer mit einem ſolchen Unge-
ſtuͤm: daß die meiſten ihr Heil in dem Waſſer
ſuchten/ aber entweder von Schwerde der Waf-
fen in Grund geriſſen/ oder von der Reuterey zu
Bodem gerennt wurden. Viel kamen durch
eigenhaͤndigen Tod der Grauſamkeit ihrer
Feinde fuͤr. Am merckwuͤrdigſten aber war:
daß die Hitze der Sieger/ und das Schrecken
der Uberwundenen allen die Wahrnehmung
des ſich bey waͤhrender Schlacht zutragenden
Erdbebens entzoh/ welches doch Staͤdte uͤber
M m m m m 3einen
[830[832]]Sechſtes Buch
einen Hauffen warf/ gantze Fluͤſſe verleitete/
und Berge abſtuͤrtzte. Rhemetalces fiel ein:
Jch wundere mich nicht: daß Furcht und
Schrecken die Beſiegten ſo unempfindlich ge-
macht habe; weil ich weiß: daß dieſe henckeriſche
Gemuͤths-Regung etlichen in einer Nacht
graue Haare heraus getrieben/ ja blutigen
Schweiß ausgepreſt/ oder auch viel gar auf der
Stelle getoͤdtet habe. Daß aber die Uberwuͤn-
der/ welche die Vernunfft beſſer zu rathe halten
koͤnten/ ſo wenig gefuͤhlt haben ſolten/ waͤre was
gar ungemeines. Malovend antwortete: diß
iſt nichts ſeltz amers/ als jenes. Denn die Tapf-
ferkeit iſt kein ſo hefftiges Feuer/ welches ſo we-
nig fuͤhlet/ ſo ſehr es von andern gefuͤhlet wird.
Sie ſiehet nichts uͤber ihrem Haupte/ alles aber
erſchuͤttert ſich unter ihren Fuͤſſen. Es iſt wahr/
ſagte Adgandeſter. Und daher antwortete je-
neꝛ Feldhauptmann Hertzog Marcomirs einem
Fragenden: Ob bey waͤhrender Schlacht die
Sonne/ wie bey Zeugung des Hercules der
Monde am Himmel ſtille geſtanden haͤtte? gar
recht: Er haͤtte auf der Erde ſo viel zu ſchaffen
gehabt: daß er nicht Zeit gehabt ſich nach Wun-
der zeichen umzuſehen. Alleine in der Thraſi-
meniſchen Schlacht waren die Schwerdter der
Africaner und Deutſchen bey den beſtuͤrtzten
Roͤmern empfindlicher/ als das Erdbeben.
Denn ihrer 6000. fluͤchteten ſich dar fuͤr/ erreich-
ten auch zwar die Hoͤhe der Berge/ und endlich
nach dem ſie bey fallen dem Nebel die Abſchlach-
tung des gantzen Heeres wahrnahmen einen ge-
gen Tifernum zuliegenden Flecken; Alleine
dieſer ward vom Fuͤrſten Magilus und Mahar-
bal bald umrennet/ und die Fluͤchtigen ſich auff
Gnade und Ungnade zu ergeben gezwungen.
Aus 20000. Gefangenen ließ Annibal alle La-
teiner frey in ihr Vaterland ziehen/ die Roͤmer
aber wurden unter die Sieger vertheilet. An-
nibal hatte in allem nur 1500. Mann verloh-
ren/ meiſt Gallier und Deutſchen; darunter
dreißig hertzhaffte Edelleute/ inſonder heit aber
Fronßberg/ Reynach/ Polheim/ Arberg/ Fro-
burg/ Heuſenſtein/ Mettburg/ Eyzing/ Mal-
zan/ Windeck/ Pogrel und Greiffenberg ihrer
Heldenthaten halber beruͤhmt waren/ die An-
nibal deßhalben auff ſo viel Huͤgeln beerdigen/
und iedem ein Grabmal aus Marmel auffrich-
ten ließ. Des Flamin[iu]s Leib wolte er gleichfals
begraben/ aber weil die Deutſchen ihrer Ge-
wohnheit nach etlich tauſenden die Koͤpffe abge-
hauen hatten/ war er nicht zu erkennen. Darbey
Annibal denen/ die ſeine Leiche vergebens ſuch-
ten; nachdencklich dieſes Merckmal andeutete:
Sie wuͤrden nicht irren/ wenn ſie einen von
Windſucht aufgeſch wellten Leichnam unter den
Todten antraͤffen. Dieſer herrliche Sieg war
kaum vorbey/ als ein Deutſcher am Fluſſe Sa-
pis beguͤterter Ritteꝛ Loſenſtein Annibaln ſporn-
ſtreichs die Poſt brachte: daß der in Umbria an
dem Fluſſe Ariminus ſtehende Buͤrgermeiſter
Cneus Servilius von ſeinem Heere 4000. aus-
erleſene Reuter dem Flaminius zu Huͤlffe ſchick-
te. Maharbal zohe mit ſeinen Numidiern/ Fuͤrſt
Dietrich mit der Deutſchen Reuterey dieſen al-
ſofort entgegen/ umringten ſie unverſehens bey
dem Brunnen des Fluſſes Metaurus/ erlegten
anfangs die Helffte/ hernach zwangen ſie die uͤ-
brigen gefluͤchteten auf den Berg/ unter welchem
die Tiber entſpringt: daß ſie ſich mit ihrem Fuͤh-
rer Centronius ergeben muſten. Annibal ließ
hierauf ſein Heer allenthalben freye Beute ma-
chen/ ſetzte bey Vettona uͤber die Tiber/ bey Spo-
let fuͤrbey und an dem Fluſſe Nar unter dem
Berge Fiſcellus in die Piceniſche der Praͤtutier/
Marruciner/ Peligner und Ferentaner Land-
ſchafft/ darinnen ſo viel Raub zuſam̃en gebracht
ward: daß ſelbten das ſich taͤglich von Deutſchen
und Galliern vergroͤſſernde Heer kaum ſchlep-
pen konte. So groß das Schrecken nun zu Rom
war/ und daher Servilius mit ſeinem Lager nur
zu Beſetzung der Stadt Rom eilte/ ſo weit brei-
tete Annibal ſeine ſie greiche Waffen aus/ drang
in Apulien/ und verheerte die Daunier/ Peuce-
ter
[831[833]]Arminius und Thußnelda.
ter und Meſapier biß an das euſerſte Sallenti-
niſche Vorgebuͤrge. Wie er aber vernahm: daß
zu Rom Qvintus Fabius Maximus zum ober-
ſten und vollmaͤchtigen Kriegs-Haupte/ Mar-
cus Minucius zum oberſten Befehlhaber uͤber
die Reuterey gemacht war/ beyde auch mit des
Servilius Kriegs-Heere und vier neuen Legio-
nen bey den Dauniern gegen ihn ankamen; zo-
he er ihnen entgegen/ und ſtellte bey der Stadt
Aece an dem Fluſſe Cerbalus ſein Heer in voller
Schlacht-Ordnung fuͤr das Roͤmiſche Lager
dem Fabius unter Augen. Weil aber der lau-
ſchende Fabius zu keinem Treffen zu bewegen
war/ noch auch/ als Fuͤrſt Magilus/ Dietrich
und Matalus ihn zum Zweykampfe ausforder-
ten/ er einige Entruͤſtung von ſich ſpuͤren ließ; al-
ſo: daß ihn nicht allein der gemeine Mann/ ſon-
dern auch der hitzige Minucius als einen Zag-
hafften verachtete/ ruͤckte er uͤber den Apennin in
das fette und unerſchoͤpfliche Samnium/ nahm
Benevent und Venuſia ein/ und drang endlich
uͤber die Berg-Enge Eribanus in Campanien/
nehmlich in den rechten Luſtgarten und in die
Schmaltzgrube nicht nur Jtaliens/ ſondern der
gantzen Welt/ biß an den Fluß Vulturnus in
das Falerniſche Gebiete. Wiewol auch Fabius
allezeit eine Tagereiſe weit ihm auf der Seite uͤ-
ber den Berg Maßicus nachfolgte/ ſo ließ ſich
Annibal doch an Durchſtreiffung gantz Campa-
niens nicht hindern. Fabius meinte zwar hier auf
durch Beſaͤtzung deꝛ Eribaniſchen Berg-Enge/
wordurch der in dem Caſalliniſchen Thale ſte-
hende Annibal mit ſeiner reichen Beute aus dem
nunmehr eingeaͤſcherten alſo zum Winterlager
undienlichen Campanien den Ruͤckweg zu neh-
men an zielte/ Annibaln ins Gedꝛange zu bringẽ.
Dieſer aber ließ bey Anbrechung der Nacht As-
drubaln 2000. Ochſen gegen den Beꝛg Callisula
antreiben/ und alsdenn die an iedes Hoꝛn gebun-
dene Fackeln oder duͤrres Rebenholtz anzuͤnden.
Wie nun dieſe Ochſen an dem Gebuͤrge hinauf
ſteigen/ und von feꝛne viel tauſend hin und wiedeꝛ
lauffender Menſchen fuͤrbildeten; verlieſſen die
zaghaften Roͤmer die beſetzte Berg-Enge/ theils
aus Furcht umringt zu werden/ theils in Mei-
nung dem uͤber den Berg ſteigenden Feinde zu
begegnen/ und lieſſen nicht nur durch ſelbte An-
nibals gantzes Heer entwiſchen/ ſondern die Hi-
ſpanier erſchlugen auch auff den Morgen tau-
ſend Roͤmer. Annibal ſtellte ſich hierauff/ als
wenn er durch Samnium nach Rom wolte/
gieng aber durch die Peligniſche Landſchaft wie-
der in Apulien/ nahm die Stadt Gerion ein/ be-
feſtigte darbey ſein Laͤger/ und verlegte zwey
Drittel ſeines Heeres von dem Fluſſe Aufidus
an biß an den Strom Freuto. Fabius hingegen
reiſete aus gewiſſer Andacht nach Rom/ uͤbergab
das an dem Fluſſe Tifernus eingelegte Heer
dem Minucius; welcher nach etlichen gluͤckli-
chen auff die ſtreiffenden Mohren gethanen
Streichen Annibaln im Lager gar zu belagern
ſich erkuͤhnte; von ſich aber ruhmraͤthig nach
Rom ſchrieb: Ein kluger Feldherr/ welcher die
Vernunfft im Kopffe haͤtte/ fuͤhrte das Gluͤcke
zugleich in den Haͤnden/ und trete alle widrige
Zufaͤlle unter die Fuͤſſe. Annibal zohe ſich endlich
gar unter die Mauern der angefuͤllten Stadt
Geryon; Die hieruͤber allzu fruͤh frolockenden
Roͤmeꝛ abeꝛ machten den Minutius zum andeꝛn
gevollmaͤchtigten Feldherrn/ als mit welchem
der zuruͤck kommende Fabius das Heer theilen
muſte. Annibal nahm hieruͤber zu ſeinem Vor-
theil die Zwiſtigkeit der Roͤmiſchen Feldherrn/
und die Vermeſſenheit des Minutius wahr/ ver-
ſteckte daher des Nachts Maharbaln mit 500.
Reutern/ den Mago und Fuͤrſten Matalus mit
5000. Deutſchem und Hiſpaniſchem Fußvolcke
in zwey und drey hunderten hinter die zwiſchen
beyden Laͤgern aufſchuͤſſende Huͤgel; fruͤh aber
ließ er Asdrubaln mit etlich tauſend Galliern
und Africanern eine ſichtbare Hoͤhe des Berges
einnehmen. Minutius ließ alsbald die leichten
R[e]uter und unlaͤngſt darnach den ſchweren Rei-
ſigen Zeug auff den Feind loß gehen/ er ſelbſt
folg-
[832[834]]Sechſtes Buch
folgte auch mit den Legionen nach. Hingegen
ſchickte Annibal Asdrubaln die Numidier zu
Huͤlffe; als aber beyde Theile hitzig auf einander
traffen/ fiel Mago/ Maharbal und Matalus
den Roͤmern in Ruͤcken und in die Seiten/
brachten alſo das gantze Heer des Minutius in
Verwirrung. Waͤre nun der verachtete Fa-
bius dem vermeſſenen Minutius nicht zum
Entſatze kommen/ ſo wuͤrde es abermals um das
gantze Roͤmiſche Heer gethan geweſt ſeyn; wie-
wol Minutius ohne diß uͤber 6000. Mann im
Stiche ließ. Daher er ſich und ſein gantzes
Heeꝛ freywillig dem Fabius unterwarf/ und mit
allgemeinem Schaden lernte: daß im Kriege
oͤffter durch Ubereilung/ als durch Langſamkeit
gefehlt werde. Nach Auswinterung des Hee-
res/ da inzwiſchen die Roͤmer unter den neuen
Buͤrgermeiſtern Lueius Emilius/ und Cajus
Terentius/ wie auch dem Cneus Servilius oh-
ne die Huͤlffsvoͤlcker acht Legionen zuſammen
gezogen hatten/ uͤberrumpelte Magilus das
Schloß zu Canna an dem Fluſſe Aufidus/ in
welches die Roͤmer aus der Stadt Canuſium al-
len Vorrath gefuͤhrt hatten. Weil nun dero-
geſtalt der Roͤmer Bundgenoſſen vom Feinde
gaͤntzlich ausgeſogen/ und nunmehr durch ſo
langſamen Krieg zu wancken veranlaſt wurden/
ſchickte der Rath beyde Buͤrgermeiſter ins Feld/
mit Befehl zu ſchlagen. Emilius und Teren-
tius/ welche einen Tag um den andern Befehl
ertheilten/ zwiſteten ſich aber alsbald/ weil jener
im flachen Felde mit dem Feinde nicht treffen
wolte; dieſer aber an ſeinem Tage das Heer
harte fuͤr des Feindes Laͤger fuͤhrte/ und mit ſelb-
tem ein ziemlich gluͤckliches Gefechte hielt.
Weil nun Emilius folgenden Tag/ wie gerne
er gewolt/ ſein Heer nicht zuruͤcke ziehen konte/
verſchantzte er ſein Laͤger nicht weit vom Fluſſe
Aufidus. Annibal hingegen wolte ſich der fuͤr
ſeine Reuterey ſo vortheilhafften Flaͤche in alle
wege bedienen/ ſtellte am Strome ſein des
Nachts wol gewartetes Heer in Schlacht-Ord-
nung. Als aber die Roͤmer in ihrem Lager
blieben/ ließ er durch die ſchnellen Numidier die
waßerholenden Roͤmer unaufhoͤrlich anfallen.
Terentius/ welchen die Begierde zu ſchlagen/
oder vielmehr das Verhaͤngnuͤß zu verſpielen
wie eine Natter im Buſen nagte/ fuͤhrte folgen-
den Tag mit dem erſten Lichte ſein Heer/ wel-
ches in 80000. Mann Fußvolck/ und 6000.
Reutern beſtand/ aus beyden Roͤmiſchen Laͤ-
geꝛn/ ſtellte ſelbtes recht gegen Sud in Schlacht-
Ordnung/ die Roͤmiſche Reuterey ſetzte er un-
term Emilius am Fluſſe Aufidus in rechten/ die
Huͤlffsvoͤlcker unter ſich ſelbſt in lincken Fluͤgel;
Marcus und Cneus die geweſten Buͤꝛgermeiſteꝛ
fuͤhrten in der Mitte das Fußvolck. Der freu-
dige Hannibal hingegen ſtellte unter dem Fuͤr-
ſten Magilus und Asdrubal die Spaniſche/
Deutſche und der Gallier Reuterey im lincken
Fluͤgel/ und ihnen an die Seite die Mohren.
Jm rechten Fluͤgel fuͤhrte Hanno und Mahar-
bal die Numidier. Jn der Mitte ſtellte er das
Deutſche und Hiſpaniſche Fußvolck unter dem
Mago und Matalus in eine Spitze/ die Afri-
caner aber hinter denſelbten fuͤhrte er Dietrich/
und die hertzhaffte Chlotildis in einer dienlichen
Breite; welche alle nunmehr mit Roͤmiſchen
Waffen verſehn waren; wiewol gleichwol eine
ziemliche Menge Deutſchen und Gallier gantz
nackt fochten. Jm lincken Fluͤgel ſtritt die
Reuterey mit unverwendeten Pferden unab-
laͤßlich Mann fuͤr Mann gegen einander; ja
auch denen die Pferde erlegt wurden/ ſtanden
wie Mauern/ und fochten aufs grauſamſte zu
Fuſſe; alſo: daß nach dem die Deutſchen und
Hiſpanier die Oberhand erhielten/ von den Roͤ-
mern ſchier nicht ein Reuter entran. Das Roͤ-
miſche Fußvolck hingegen drang nach einer
tapfern Gegenwehr und weil ſo wol Fuͤrſt Ma-
talus hefftig verwundet ward/ zwiſchen die zu-
geſpitzte Schlacht-Ordnung durch das Deut-
ſche und Hiſpaniſche Fußvolck. Alleine ſie
verfielen hier allererſt auf Hannibals/ Dietrichs
und
[833[835]]Arminius und Thußnelda.
und Chlotildens vortheilhaftig geſtelltes Kern-
Volck; alſo: daß als die Deutſchen und Hiſpanier
ſich in der Mitte zwar trennten/ auf den Seiten
aber wieder zuſammen ſchloſſen/ die Roͤmer vor-
werts von friſchem Volcke und auf beyden Sei-
ten von Deutſchen und Hiſpaniern aufs neue
angegriffen wurden. Emilius war aus der
geſchlagenen Reiterey des rechten Fluͤgels
gleichwohl entronnen/ und weil nunmehr alles
ſein Heil auf den Legionen beſtand/ ſprengte er
mit ſeinem Pferde dahin gegen Annibaln/ wel-
che als zwey ergrim̃te Loͤwen gegen einander
fochten und die Jhrigen anfuͤhrten. Jnzwi-
ſchen war die deutſche Reiterey vom lincken
Fluͤgel den Numidiern im rechten zu Huͤlffe
kommen/ derer anfangs fuͤnf hundert zu den
Roͤmern uͤbergelauffen waren/ und ihre Schil-
de/ Spieſſe und Bogen zu der Roͤmer Fuͤſſe ge-
worffen/ hernach aber in dem hitzigſten Treffen
ihre unter dem Ruͤcken verborgene Degen her-
fuͤr gezogen/ und zu groſſem Schrecken der Roͤ-
mer Ruͤcken angefallen hatten; hieruͤber gerieth
Terentius mit ſeiner Reiterey in die Flucht;
welchen Asdrubal die Numidier alleine verfol-
gen ließ. Er aber und Fuͤrſt Magilus fielen
mit dem ſchweren reiſigen Zeuge den Roͤmiſchen
Legionen in Ruͤcken/ und rennten die Behertzte-
ſten zu Bodem. Uber diß ſtach die Sonne die
Roͤmer nicht nur ins Geſichte/ ſondern der ſich
vom Vulturniſchen Gebuͤrge und Fluſſe zu er-
heben gewohnte Wind jagte ihnen auch allen
Staub in die Augen; welches der ſchlaue
Annibal alles vorher geſehen hatte/ und dieſen
Tag wahr machte: daß vorſichtige Erkieſung
des Kampf-Platzes eines Feldhauptmanns
Meiſter-Stuͤcke ſey. Ob nun zwar die Roͤ-
mer derogeſtalt rings umb von den Feinden um-
ſchloſſen waren/ thaten doch ſie durch tapfere
Gegenwehre das aͤuſerſte; alleine: nach dem
Asdrubal den in Jllyricum ſo ſieghaften Buͤr-
germeiſter Emilius mit einem Spieſſe durch-
bohrte/ Magilus den Marcus/ und die kuͤhne
Chlotildis dem vorher von einem Hiſpaniſchen
Edelmanne aus dem Sattel gehobenen Cneus
den Kopf zerſpaltete; wurden die Roͤmer dero-
geſtalt verwirret: daß ſie weder Freund noch
Feind mehr unterſcheideten/ und alſo viel ein-
ander ſelbſt verletzten/ ſie auch ſelbſt ihren auf ei-
nem Steine in Ohnmacht liegenden Buͤrger-
meiſter vollends ertraten; die meiſten aber wie
wildes Vieh abgeſchlachtet wurden. Teren-
tius Varro entkam mit nicht mehr als ſiebzig
Roͤmiſchen Reitern in die Stadt Venuſia/ 300.
andere nach Heꝛdonia und Aquilonia/ und etwan
3000. Fuß-Knechte verlieffen ſich ins Gebuͤrge;
welche Caꝛthalo mit ſeinen Numidiern aber auch
nach und nach aufſuchten und hinrichteten.
10000. Mann/ welche Lucius Emilius in ſei-
nem Laͤger mit Fleiß zu Anfallung des feindlichẽ
Laͤgers zuruͤck gelaſſen hatte/ wurden gefangen;
ſiebzig tauſend aber erſchlagen. Unter den
Todten waren achzig Rathsherren/ und viel
andere Wuͤrden bekleidende Leute; als Cajus
Minutius/ Numatius/ Lucius Attilius/ Furi-
us Bibaculus/ wie auch ein und zwantzig Kriegs-
Oberſten; ja zu Rom war kein Adelich Ge-
ſchlechte/ das nicht etliche gebliebene An-
verwandten zu betrauren hatte. Auf Anni-
bals Seiten blieben funfzehn hundert Mohren
und Hiſpanier/ zwey tauſend Gallier/ 2000.
Deutſche/ und darunter ſtarb der hertzhafte Fuͤrſt
Matalus an ſeinen Wunden; welcher gleichwol
noch die Freude des Sieges erlebte/ welches die
annehmlichſte Verzuckerung eines Helden-
Todes iſt; und zu Salapia ein herrliches Be-
graͤbnuͤß-Mal erlangte. Magilus rieth nach
ſo groſſem Siege Annibaln: Er ſolte unver-
wendten Fuſſes mit dem gantzen Heere nach
Rom eilen/ und der Bothſchafft von ſo groſſer
Niederlage zuvor kommen/ welchem Maharbal
beyfiel; mit Verſicherung: daß er den fuͤnften
Tag im Capitoliniſchen Schloſſe Taffel halten
wuͤrde. Alleine Annibaln verblaͤndete ent-
weder das Verhaͤngnuͤß/ welches der Stadt
Rom die Oberherrſchafft der Welt beſtimmet
hatte; oder eine der Stadt Carthago abgeneigte
Erſter Theil. N n n n nGott-
[334[836]]Sechſtes Buch
Gottheit: daß er beyden antwortete: Dieſe
Hoffnung waͤre groͤſſer/ als ſie ihm ein Kluger
einbilden koͤnte. Da doch Rom in ſolches
Schrecken verfiel: daß Coͤcilius Metellus/ und
Furius Philus oͤffentlich riethẽ/ die Stadt zu veꝛ-
laſſen/ und aus Jtaliẽ zu fliehẽ; alſo: daß der jun-
ge Scipio dieſen boͤſen Vorſatz mit dem Degen
in der Fauſt zu hintertreiben noth; hingegen es
das Anſehen hatte: als wenn Annibal dem
Siege ſeine Fluͤgel abgeknipft/ das fluͤchtige
Gluͤck angeknipft/ und in deſſen Rade das Vier-
eck ſeines Kreiſſes gefunden haͤtte. Alſo benim̃t
die Goͤttliche Weißheit/ umb ihren beſtim̃ten
Zweck zu erreichen/ den Ohren das Gehoͤre/
den Augen das Geſichte/ und der Klugheit die
geſunde Vernunft: daß ſie auch denen treulich
warnenden keinen Glauben geben; und was ſie
mit Haͤnden greiffen nicht umbfaſſen wollen.
Fuͤrſt Magilus ward hieruͤber ſo unwillig:
daß er die Worte ausſtieß: So ſehe ich wohl:
daß Annibal wohl ſiegen/ des Sieges aber
nicht gebrauchen koͤnne. Annibal gab inzwi-
ſchen ſeinem Heere alle Beute frey/ und ließ
die Leichname in den Fluß Aufidus/ und in die
Bach Vergellus werffen; welche ihrer Men-
ge halber eine rechte Bruͤcke daruͤber machten;
denen Edlen aber ließ er alle goldene Ringe
von Fingern ziehen/ und ſchickte nebſt denen
eroberten acht Adlern derer drey gantze Maß
voll zum Zeugnuͤſſe ſeines Sieges nach Car-
thago. Woruͤber die deutſchen Fuͤrſten/ wel-
che an dieſen Ehren-Gedaͤchtnuͤſſen auch Theil
zu haben vermeynten/ mit Annibaln abermals
in Zwytracht verfielen; und Hertzbg Dietrich
ihm unter Augen ſagte: Die Deutſchen
haͤtten die drey groſſen Siege mit ihrem Blu-
te erworben; ſie ſaͤhen aber wohl: daß die
Mohren ihnen den Ruhm allein zueigneten.
Alſo wurden die Gemuͤther der Deutſchen
und Africaner nach und nach zertrennet/ und
hiermit der beſte Grund-Stein des bißherigen
Gluͤckes loß gebrochen. Denn in Wahr-
heit die Goͤtter haͤtten den Roͤmern keine beſſere
Huͤlffe als die Zwytracht ihrer Feinde zuſchi-
cken koͤnnen. Sintemal es dißmal menſchli-
cher Vernunft nach umb Rom gethan war;
denn als die Kwaden/ Oſen/ Marſinger/ und
Burier an den Fluͤſſen Marus/ Guttalus/
oder der Oder den gluͤcklichen Lauff der Waf-
fen ihrer Landsleute in Jtalien vernahmen/
machten ihre Hertzoge einen Ausſchuß junger
Mannſchafft zuſammen/ ihr Heil auch auſſer
Landes zu ſuchen; zumal dieſen Voͤlckern die
Reiſe-Begierde ohne diß von Natur angeboh-
ren iſt. Dieſe ſetzten bey Carmuntum uͤber die
Donau/ zohen durchs Noricum uͤber die Rhe-
tiſchen Alpen in Jtalien. Sie ſtanden bereit
an dem Fluſſe Atheſis bey Verruccia/ als die
Bojen ihnen entgegen ſchickten/ und ſie ihnen
zu Huͤlffe rufften/ weil die Roͤmer/ als der Bo-
jen Hertzog mit dem Kerne ihres Volckes beym
Annibal in Apulien ſtuͤnde/ ihr und der Nach-
barn Laͤnder gantz entbloͤſſet ſtuͤnden/ den
Stadt-Vogt Lucius Poſthumius Albinus mit
zwey Legionen und 12000. Campaniſchen und
Siciliſchen Huͤlffs-Voͤlckern wider ſie abge-
ſchickt haͤtten/ dieſes Heer auch bereit durchs
Mugelliſche Thal uͤber den Apennin zuͤge.
Briegant der Deutſchen Hertzog eilte aus Be-
gierde mit den Roͤmern anzubinden am Fluſſe
Atheſis herunter/ ſetzte bey Verona und Hoſti-
lia uͤber die Stroͤme/ und vereinbarte bey Mu-
tina mit ſechs tauſend Bojen ſeine zwantzig
tauſend Kriegsleute. Jnzwiſchen naͤherte ſich
Poſthumius; Hertzog Brigant aber/ als er
ihm die Gelegenheit der Oerter/ worauf die
Roͤmer ihren Zug richteten/ theils beſchreiben/
theils anweiſen ließ/ und er daraus wahrnahm:
daß der zwiſchen dem Fluſſe Gabellus und
Scultena abkommende und ſich keines Wider-
ſtands beſorgende Feind durch den Littanniſchen
Wald ziehen muſte; beſetzte vorwerts hinten
und am Ende den Wald/ iedoch auf der Sei-
ten derer beyden dardurch gehenden Straſſen/
ließ an demſelben die Baͤume ſo weit: daß ſie
mit genauer Noth ſtehen blieben/ und durch
ge-
[835[837]]Arminius und Thußnelda.
geringen Anſtoß umbgefaͤllet werden konten/
abſaͤgen/ und ſelbte mit verborgenen Seilen um-
ſchlingen. Poſthumius/ dem noch kein ge-
waffneter Mann begegnet/ alles mit Schre-
cken erfuͤllet hatte/ ließ ihm von einigem Fein-
de nichts traͤumen/ ruͤckte alſo mit allen fuͤnf
und zwantzig tauſend Mann in den Litanni-
ſchen Wald. Der Nachzug aber war kaum
tauſend Schritte hinein kommen/ als hinter ih-
nen die von den Deuͤtſchen gezogenen Baͤu-
me/ nicht anders/ als wenn ſelbte der Blitz oder
ein Sturm-Wind niederſchluͤge/ niederfielen/
und alſo ihnen den Weg zur Ruͤckkehr abſchnit-
ten. Nicht anders wurden auch fuͤr dem Roͤ-
miſchen Vortrab die Baͤume gefaͤllet; alſo:
daß ſelbter nicht wiſſend/ durch was fuͤr Zau-
berey ſolches geſchehe/ anhalten muſten. Aber
als die Roͤmer hieruͤber einander erſtaunet an-
ſahen/ kam das Gewitter in der Mitten uͤber
ſie ſelbſt; indem die niedergeriſſenen Baͤume
ihrer wohl zwey tauſend erbaͤrmlich zerſchmet-
terten/ ehe ſie gewahr wurden: daß die Baͤu-
me abgeſaͤgt/ und von ſo nahen Feinden uͤber
ſie gefaͤllet wuͤrden. Es war ſchrecklch anzu-
ſchauen; indem/ wo ſie auf der Seite auf die
Feinde loß gehen wolten/ ſie nur ſelbſt in ihren
Tod renneten/ und in wenigen Stunden das
gantze Roͤmiſche Heer biß auf etwan zwoͤlf hun-
dert/ die ſich theils in Wald noch verlieffen/
oder unter die bereit verfallenen Baͤume ver-
krochen/ erſchlagen und zerquetſcht wurden.
Die halblebenden aber/ welchen nur etwan
Arm oder Bein zerbrochen waren/ den wieder-
ſchallendeu Wald mit aͤngſtigem Klag-die
Deutſchen aber mit gewohntem Kriegs-
Geſchrey erfuͤllten. Alleine auch die/ derer
die unempfindlichen Baͤume verſchont hatten/
wurden von denen rings umb den Wald auf
die Wache geſtellten Bojen erlegt/ und die noch
lebenden unter den Baͤumen herfuͤr geſucht;
und weil die Deutſchen auch am Ruͤcken die
Bruͤcke uͤber den Fluß Gabellus eingenom-
men und beſetzt hatten/ den Roͤmern allenthal-
ben die Flucht abgeſchnitten; alſo: daß nicht
zehn Mann entrunnen/ von denen Deutſchen
aber mehr nicht als zehn todt blieben/ welche
aber nicht die Roͤmer/ ſondern weil ſie allzu-
begierig in die Baͤume geriſſen/ ebenfalls die
Baͤume erſchlagen hatten. Unter den Todten
ſuchten die Bojen mit Fleiß den Poſthumius
herfuͤr; dieſem ſchnitten ſie den Kopf ab/ loͤſten
das Fleiſch darvon ab; und nach dem ſie den
Hirnſchaͤdel aufs ſauberſte ausgekocht hatten/
faßten ſie ſelbten in Gold/ und ſchickten ſelbten
als ein groſſes Heiligthum in Deutſchland in
der Bojen heiligſten Tempel; welchen Koͤnig
Sigoveſus auf dem Sudetiſchen Gebuͤrge/
welches der Bojen alten Landſitz von Marſin-
gern unterſcheidet/ an dem Neiß-Strome auf
einen Berg gebauet hatte/ und dahin auch die
in Jtalien wohnenden Bojen aus Andacht offt
ihre Wallfarthen verrichteten. Dieſen Kopf
brauchten die Prieſter hernach nicht alleine zu
einem Trinck-Geſchirre/ ſondern auch zu einem
Opfer-Gefaͤſſe. Die Deutſchen aber erlang-
ten hierdurch eine uͤber aus reiche Beute; da hin-
gegen dieſer Unfal bey dem nun faſt gar verzwei-
felnden Rom ein neuer Donner-Schlag war.
Wiewohl nun Annibal darinnen ſehr an-
ſtieß: daß er das Hauptwerck/ nemlich die Zer-
ſtoͤrung der nunmehr ohnmaͤchtigen und un-
bewaffneten Stadt Rom/ allwo aus Noth wi-
der das alte Herkommen acht tauſend furcht-
ſame Knechte zu Beſetzung der Mauern ge-
waffnet wurden/ unterließ; ſo zohe doch ſein
Sieg die freywillige Untergebung des groſſen
Griechenlandes/ Campaniens/ und faſt gantz
Jtaliens nach ſich. Der maͤchtige Koͤnig
Philippus in Macedonien ſchickte ſeinen Ge-
ſandten Xenophanes zu Hannibaln in Jtalien/
ſchloß mit ihm ein Buͤndnuͤß; krafft deſſen er mit
200. Kriegs-Schiffen/ und einem Heere zu Lan-
de ihm Rom und Jtalien/ Annibal hingegen
dem Philippus Griechenland uͤbermeiſtern
N n n n n 2helffen
[836[838]]Sechſtes Buch
helffen ſolte. Hierzu kam noch diß: daß als
Hiero der Roͤmer geſchworner Feind ſtarb/ ſein
Sohn Gelo/ und nach deſſen Tode ſein Enckel
Hieꝛonymus ſich zu den Carthaginenſeꝛn ſchlug.
Hertzog Rhemetalces ſiel hier ein: Es waͤre der
Wind die Richtſchnure der Schiffleute das Gluͤ-
cke der Fuͤrſten/ nach dem ſie ihre Segel umb-
ſchwenckten. Annibaln aber/ als einem welt-
beruͤhmten Feldherrn traute er den ihm zuge-
ſchriebenen Kriegs-Fehler nicht zu/ noch weniger
wolte er der Goͤttlichen Verſehung eine folche
Verblaͤnd- oder Bethoͤrung zueignen; ſondern
glaubte vielmehr: Er haͤtte/ wie ins gemein die
Kriegs-Haͤupter/ weder durch Einrathung des
Friedens/ noch durch deſſelbten voͤllige Ausma-
chung das Heft nicht gerne aus den Haͤnden ge-
ben wollen. Denn Amilcar hatte nicht ſo wohl
mit den Roͤmern Friede gemacht/ als nur auf
eine Zeitlang die Waffen niedergelegt. Anni-
bal aber/ der aus Begierde des Krieges die Ein-
tracht der Stadt Rom und Carthago zerſtoͤret/
konte aus Liebe des Friedens nicht auf das Ende
des Krieges ſinnen. Zumal der Adel bey Frie-
dens-nicht ſo hoch als bey Krieges-Zeiten geſe-
hen/ noch ſich durch groſſe Verdienſte hoch ans
Bret zu heben; ſondern vielmehr ſelbten zu druͤ-
cken Gelegenheit verhanden iſt; ja der Friede
denen tapferen und feigen einerley Ehren-Stel-
len einraͤumet. Zu geſchweigen: daß die Ritter-
ſchafft durch den Krieg alleine/ wenn ſelbter ſchon
mit Raub und allen Laſtern ausgeuͤbt worden/
empor zu kommen fuͤr ruͤhmlich; durch Friedens-
Dienſte aber/ ob gleich ſelbte vom Vaterland
zehn Kriege und tauſenderley Ungluͤck abgewen-
det/ geadelt zu werden fuͤr veraͤchtlich hielte. Da-
her auch die tapferſten Leute/ welche dem Kriege
den Anfang zu machen am geſchickſten waͤren/
den Frieden am laͤngſamſten riethen. Aus die-
ſem Abſehn haͤtte ſeines Beduͤnckens Annibal
Rom nicht nur unangetaſtet gelaſſen/ ſondern
auch der Barchiniſche Adel zu Carthago des
Hanno wohl gemeynte Anſchlaͤge hintertrieben.
Adgandeſter antwortete: Wer wil in ſolchen
Faͤllen die Schluͤſſel zu denen mit Fleiß verſteck-
ten Hertzen der Menſchen finden? inſonderheit
aber zu Hannibals; welcher zwar in ſeinen An-
ſchlaͤgen den Kopf voller Gehirne/ in ſeinem
Thun den Blitz in der Hand/ aber in Geheim-
nuͤſſẽ keine Zunge im Munde hatte. Daher weiß
ich kein uͤber ihn gefaͤlltes Urtheil zu ſchelten/ auch
keinem beyzufallen. Gewiß aber iſt: daß uͤber-
maͤſſiges Gluͤcke eine zaubriſche Verwand-
lungs-Ruthe groͤſter Klugheit ſey; gleichwohl
aber viel vernuͤnftige Entſchluͤſſungen von denẽ/
die in derſelben Grund nicht ſehen/ und die ent-
gegen ſtehenden Hindernuͤſſe nicht wiſſen/ als
tum̃ verdammet werden. Zumal allen Rath-
ſchlaͤgen ein Werth nicht nach ihrer innerlichen
Guͤte/ ſondern nach dem Ausſchlage beygelegt
wird; wie das Geld/ nicht nach Schrott und
Korn; ſondern nach der gemeinen Wuͤrdigung
guͤltig iſt. Diß aber kan nicht verneint werden:
daß Annibal und ſein Heer/ welches in den rau-
hen Alpen beſtanden/ in dem fetten Campanien
vertorben; und daß den Roͤmern nicht ſo ſehr
Canna/ als den Mohren dieſer Luſtgarten ſchaͤd-
lich geweſen ſey. Denn diß/ was in brennenden
Neſſeln friſch bleibet/ verwelcket in weichen Ro-
ſen-Blaͤttern. Annibal ſelbſt verſanck nach dem
nunmehr faſt gantz eroberten Jtalien in Sicher-
heit und Wolluͤſte. Die Tage brachte er zu Ca-
pua in Luſt-Gaͤrten/ die Naͤchte mit geilen Wei-
bern zu. Welche herrliche Stadt wegen ihrer
fruchtbaꝛen und luſtigen Gegend dem beꝛgichten
Rom weit her fuͤr zu ziehen war/ an Groͤſſe und
Reichthum ſelbtem wenig entraͤumte/ uͤbrigens
mit Corinth und Carthago umb den Vorzug
kaͤmpfte; und weil ſie Annibal zum Haupte
Jtaliens zu machen vertroͤſtet hatte/ freywillig
in ſeine Haͤnde verfallen war. Weswegen
die ſchlauen Roͤmer eine groſſe Anzahl der
ſchoͤnſten Dirnen mit Fleiß nach Capua
ſchicktẽ/ um Annibaln und die andern Kriegs-
Oberſten/ welche ins gemein auch die verterbten
Sit-
[837[839]]Arminius und Thußnelda.
Sitten ihres Hauptes anzunehmen fuͤr Tu-
gend halten/ durch ihre Gifft einzunehmen.
Sintemahl ſie gar zu wol wuſten: daß die Tapf-
ferkeit/ wie der Stahl dem Eiſen widerſtuͤnde/
aber von Wolluſt und linder Feuchtigkeit roſtig
wuͤrde; und daß viel unuͤberwindliche Helden
ihren im Felde erworbenen Ruhm im Zimmer
eingebuͤſt haͤtten; unterſchiedene maͤchtige Herr-
ſcher Leibeigne im Frauenzimmer/ Uberwin-
der der Ungeheuer/ Seidenſtuͤcker worden waͤ-
ren; und die/ welche vorher groſſen Voͤlckern
ihre Freyheit erhalten oder erworben/ ſich gei-
le Maͤgde wie Sclaven beſcheeren laſſen. Un-
ter andern hatte ſich Agathoclea/ das beruͤhmte
Kebsweib des Koͤnigs Ptolomeus Philopator
in Egypten nach Rom gefluͤchtet/ welche ſelb-
ten Koͤnig gantz bezaubert/ ihn zu Ermordung
ſeiner Schweſter und Gemahlin Eurydice ver-
leitet/ endlich aber den Ptolomeus ins euſſer-
ſte Verderben/ indem er von ſeinem eigenen
Volcke erdruͤckt ward/ geſtuͤrtzt hatte. Dieſe
war zwar mit ihrem Bruder fingernackt dem
raſenden Volcke zum Opffer geliefert/ aber
auff des jungen Koͤnigs Befehl/ den ſie geſaͤugt
hatte/ und durch Argliſt eines in ſie verlieb-
ten Edelmannes aus des Volckes und Todes
Klauen errettet worden/ und entronnen. Wie
aber die Egyptiſche Geſandſchafft/ welche die
Roͤmer um des jungen Ptolomeus Epipha-
nes Vormuͤndſchaffts-Verwaltung anlangte/
von Agathocleen Nachricht bekamen/ und
bey dem Roͤmiſchen Rathe ihres Laſters/ und
wie ſie aus den Koͤniglichen Kebsweibern dem
verdienten Stricke entkommen waͤre/ entdeck-
ten/ muſte ſie bey Sonnenſchein aus der Stadt.
Dieſe Zauberin kam zu allem Ungluͤcke nach
Capua/ und ward in weniger Zeit Hannibals
ſo ſehr/ als vorhin Ptolomaͤus maͤchtig. Alle
Gewalt beſtand in ihren Haͤnden/ ſie vergab
alle Kriegs-Aemter/ und kein Verdienſt war
ſo groß etwas zu erlangen/ wenn man nicht bey
ihr einen Stein im Brete hatte. Dieſes kraͤnck-
te die Kriegs-Haͤupter ſo ſehr; als Chlotildis
hieruͤber eiferſuͤchtig war. Uberdiß gab Aga-
thoclea Hannibaln eine Kuplerin ab/ verfuͤhr-
te die edelſten Weiber in Capua/ und brachte ſie
durch Geſchencke oder wohl zauberiſche Kuͤnſte
zu Annibals Willen. Unter dieſen waren
fuͤrnehmlich zwey Weiber Servilia und Po-
linice/ welche fuͤr die zwey ſchoͤnſten in Jtalien
gehalten wurden. Jene war des Perolla Eh-
weib/ deſſen Vater Pacuvius Calavius mit ſei-
nem Anhange die Stadt Capua Annibaln uͤ-
bergeben hatte; dieſe des Magius Decius/ wel-
che beyde in der Schlacht bey Canna wider die
Mohren tapffer gefochten hatten/ und unter
den Leichen halb todt herfuͤrgezogen und von
Annibaln in Fedis ihr Vaterland gelaſſen
wurden waren. Dieſe beyde verfluchten in
ihren Hertzen der Campaner/ und in ſonderheit
des Calavius Untreu gegen die Roͤmer; als a-
ber die eiferſuͤchtige Chlotildis beyden noch dar-
zu anfangs verbluͤmt zu verſtehen gab: ſie
moͤchten auff die Spur ihrer Ehweiber ach-
tung geben; hernach ſie durch eine geheime
Thuͤre in einen Luſtgang des Gartens fuͤhr-
te/ daraus ſie in eine Hoͤle ſehen konten/ wie An-
nibal in einer groſſen Marmelſteinernen Mu-
ſchel/ welche das Qvell eines warmen Brun-
nen in ſich faſte/ mit Agathocleen/ Servilien
und Polinicen badete/ wurden ſie fuͤr Rache
beynahe wuͤtend; und wenn Ehlotildis ſie nicht
zuruͤcke gehalten/ haͤtten ſie Annibals in dieſer
geilen Weiber Blut mit den Ehryſtallen dieſes
edlen Brunnen vermiſchet. Gleichwohl aber
blieb dieſer Dorn dem Porella und Magius im
Fuße. Daher Magilus mit denen gut Roͤ-
miſch-geſinnten Rath hielt/ wie ſie Annibaln
und die Beſatzung in Capua uͤberfallen/ und
die in Bauern verkleideten Roͤmer durch Er-
oͤfnung einer gewiſſen Pforte einlaſſen moͤchten.
Zu allem Ungluͤck ward das Antwort-Schrei-
ben des Marcellus an den Magilus auffgefan-
gen/ und Annibaln zugebracht. Dieſer verfuͤgte
ſich alſo fort in den Tempel/ wo der Capuani-
ſche Rath verſammlet war/ forderte von ihnen
N n n n n 3uͤber
[838[840]]Sechſtes Buch
uͤber des Magilus Verbrechen zu erkennen/
und ihn zu beſtraffen. Magilus erſchien/ und
bekandte freywillig: daß er ſeinem Vaterlande
die unter dem Roͤmiſchen Schirme genoſſene
Freyheit wiederzugeben; an Annibaln aber die
Befleckung ſeines Ehebettes zu raͤchen noch ent-
ſchloſſen waͤre. Annibal ſchaͤumete fuͤr Grim̃;
befohl alſo unerwartet des Urthels dem Magi-
lus Ketten anzulegen/ ihn ins Laͤger zu ſchlep-
pen/ und zu einer grauſamen/ den Campaniern
aber nicht ſo in die Augen fallenden Straffe
nach Carthago zu ſchicken; Sintemal es gefaͤhr-
liche Unvernunfft iſt/ Halsgerichte in derſelben
Augen ausuͤben/ die entweder Theil an des
leidenden Schuld haben; oder da auch das bloſ-
ſe Mittleiden ihre Sache beſſer/ und das Volck
[r]achgierig machen kan. Das Meer aber hat-
te Mitleiden mit des Magilus Unſchuld/ trieb
alſo das Schiff durch Ungewitter nach Cyrene;
allwo Magilus ſich zu der am Hafen ſtehenden
Schutz-Seule des Ptolomeus fluͤchtete/ von
dar er nach Alexandrien gebracht/ und nach ver-
hoͤrter Sache auff freyen Fuß geſtellet/ gegen
Annibaln aber ein unverſoͤhnlicher Feind von
der Kette loßgelaſſen ward. Wie nun bey ſol-
cher Ubereilung Annibals des Magilus Mit-
verſchwornen verſchwiegen blieben/ oder Anni-
bal ſelbſt fuͤr rathſamer hielt/ die Menge der
Schuldigen nicht zu wiſſen; alſo hielt Perolla
den feſten Fuͤrſatz Annibaln das Licht auszu-
leſchen. Wie nun ſein Vater Calavius/ Ju-
bellius und Taurea die fuͤrnehmſten Herren
in Campanien/ und Porella einft bey Anni-
baln in einem Luſthauſe ſpeiſeten/ und vom
Mittage an biß zur Sonnen Untergange ſich
auff allerhand Art erluſtigt hatten; Calavius a-
ber in einen Luſtgang ſich abſonderte/ folgte
ihm Porella/ und fing an: Vater/ ich weiß ei-
nen Anſchlag die Scharte unſers Abfalls von
Rom nicht allein auszuwetzen/ ſondern auch
Campanien in hoͤchſtes Anſehen zu bringen. Ca-
lavius fragte: was es denn waͤre? Porella hob
den Mantel auff/ zeigte dem Vater ein bloſſes
Schwerd/ und ſagte: Jtzt gleich will ich durch
Annibals Blut das neue Buͤndniß mit Rom
verſiegeln. Dir Vater/ habe ichs allein ſagen
wollen/ wormit du dich koͤnneſt auff die Seite
machen/ da du nicht einen Zuſchauer einer ſo
heilſamen That abgeben wilſt. Calavius fiel
dem Sohne mit vielen Thraͤnen um den Hals/
und beſchwur ihn bey ſeiner kindlichen Pflicht
den dem Hannibal fuͤr ſo kurtzer Zeit geſchwor-
nen Eyd nicht zu brechen; Annibals Wohl-
that durch ſo grauſamen Undanck nicht zu ver-
gelten/ im Antlitze des Vaters keinen Meuchel-
mord zu beginnen/ noch ſelbſt mutwillig in ſo
vieler gewaffneter Schwerdter zu rennen. Ja
wenn auch niemand Annibals Leib beſchirmete/
wuͤrde er ſeine eigene Bruſt ihm zum Schilde
fuͤrwerffen; wiewohl Annibals bloſſer Anblick
maͤchtig waͤre einem das gezuͤckte Eiſen aus der
Hand zu winden; fuͤr deſſen Antlitze ſo viel ge-
harniſchte Legionen erzittert haͤtten; fuͤr deſſen
Draͤuen das groſſe Rom bebete. Porella er-
ſeuffzete hieruͤber etlichmahl/ und fing an: Jhr
Goͤtter! wem bin ich mehr verbunden/ dem Va-
ter/ oder dem Vaterlande? Soll ich das mir
angethane Unrecht verſchmertzen/ um den Va-
ter nicht in Gefahr zu ſetzen? Hierauff warff
er ſein Schwerdt uͤber die Garten-Mauer/ und
fuͤgte ſich mit dem Vater an die Taffel; auff
welche Annibal einen Gluͤcks-Topff hatte
bringen laſſen; aus welchem ein ieder fuͤr ſich ei-
nen Zettel zu dem auff folgenden Tag beſtimm-
ten Goͤttermahle heben muſte. Annibal zohe
heraus den Mars/ Munius Jupitern/ Celer
den Saturn/ Carthalo ward Apollo/ Jubel-
lius Pan/ Taurea Bacchus/ Calavius Neptun/
Stenius Pluto/ Barcellon ein Hiſpaniſcher
Fuͤrſt Mercur/ und Porella Vulcan. Die
hierzu beruffene Agathoclia muſte fuͤr das ihr
vom Annibal auffgezeichnete Frauenzimmer
greiffen. Sie ſelbſt ward Juno/ des Porella
Schweſter/ in welche Barcellon verliebt war/
Ceres/
[839[841]]Arminius und Thußnelda.
Ceres/ Polinice Diana/ Servilia Venus/ des
Jubellus Frau Thetys/ des Taurea zwey Toͤch-
ter Cybele und Pallas/ des Stenius Frau Flo-
ra/ des Munius Frau das Gluͤcke/ Aglaja eine
edle Frau von Neapolis ward Nemeſis. Porel-
la konte die gantze Nacht fuͤr Ungedult nicht
ſchlaffen; inſonderheit fraß ihm ſein Hertze: daß
das Loß ihn zum Vulcan/ ſeine Frau zur Venus/
und Annibaln zum Mars erkieſet hatte. Denn
weil der Argwohn lauter Mißgeburten gebie-
ret/ kam ihm unauffhoͤrlich fuͤr: als wenn entwe-
der Annibal durch ein unbegreiffliches Kunſtſtuͤ-
cke das Loß zu ſeiner Beſchimpffung derogeſtalt
eingerichtet haͤtte/ oder ſich das Veꝛhaͤngnis ſelbſt
uͤber ſeinem Ungluͤcke kuͤtzelte. Gleichwohl fand
er ſich folgenden Tag der Abrede gemaͤß mit
dreyen Cyclopen/ welche er aus ſeinen treueſten
Knechten nahm/ und auff den Fall guter Bedie-
nung ihnen die Freyheit verſprach/ in dem be-
ſtim̃ten Luſtgarten ein/ der zwiſchen denen zwey
groſſen Maͤrckten Albana und Seplaſia gele-
gen war/ auff derer erſterm nichts als Perlen/ E-
delgeſteine und Purpur/ auff dem andern eitel
koͤſtlicher Balſam und andere wohlruͤchende
Waſſer verkaufft wurden. Die Pracht ihrer
Ausputzung/ und die koſtbare Zubereitung iſt
unbeſchreiblich. Aller Welt ſeltzame Speiſen/
aller Meere Perlen/ aller Gebuͤrge Edelgeſtei-
ne/ gantz Morgenlands Balſame ſchienen in
dieſen Garten zuſammen geronnen ſeyn. Alle
andere aber uͤbertraf Agathoclia/ welche die Goͤt-
tin des Reichthums und eine Himmels-Koͤni-
nig ſelbſtſtaͤndig abbildete. Dieſer hielt die Wage
Servilia/ an welcher Leibe nichts verborgen
war/ als was Perlen und Diamanten verdeck-
ten. Denn ihr von ſeidenem Flor gewuͤrck-
tes Kleid war duͤnner als Spinnenweben/ und
durchſichtiger als Glaß. Sie bedienten nebſt
drey finger-nackten Gratien ſechs ſchnee-weiſſe
und ſechs Mohren-Knaben/ alle wie Liebes-
Goͤtter ausgeruͤſtet. Annibal aber hatte einen
uͤber und uͤber von flammenden Rubinen ſchim-
mernden Rock an. Dieſe irrdiſchen Goͤtter wur-
den unauffhoͤrlich von denen aus den kuͤnſtlich
bereiteten Wolcken mit wolruͤchendem Naꝛden-
und Biſam-Waſſer bethauet; die edelſten Wei-
ne Campaniens von Creta und Alba wurden wie
gemein Waſſer eingeſchluckt. Die Speiſen
dampfften nichts als Zibeth und Ambra von ſich;
aus einem ſilbernen Spring-Brunnen ſpruͤtzte
eitel Zimmetwaſſer und Syriſcher Balſam aus.
Wie nun nichts/ was ein Sardanapal zu Aus-
uͤbung ſeiner Uppigkeiten haͤtte ausſinnen koͤn-
nen/ abgieng; alſo vergaſſen Wirth und Gaͤſte
nichts/ ihre angenommene Perſon meiſter lich zu
ſpielen. Nach vollbrachter Mahlzeit brachten
12. geile Satyren einen kuͤnſtlichen Tantz; worzu
ihnen zwoͤlff nackte Waſſer-Goͤttiñen mit weiß-
waͤchſernen Windlichtern leuchteten/ zwoͤlff in
gruͤnen Damaſt gekleidete Schaͤfferiñen aber ſie
mit ihren Seitenſpielen bedieneten. Dieſen folg-
te im Reygen der von Wein und Brunſt erhitzte
Annibal; und nach ſeinem Beyſpiele muſte ieder
Gott ſeine ihm zugeeignete Goͤttin erkieſen; alſo
kam Annibal als Mars mit Serpilien/ der wol-
luͤſtige Campaner Taurea mit der Ceres des Pe-
rolla Schweſter/ Stenius mit Agathoclien al-
lerhand geile Begebniſſe/ und die unzuͤchtigſten
Getichte der verliebten Goͤtter zu tantzen. So
viel Muͤh und Kunſt wendet man an die Laſter;
und ſo ſauer laͤſt man ſichs werden: daß man mit
Geſchicke und guter Ordnung ſuͤndige. Dieſe
alle lieſſen durch ihre unkeuſche Gebehrdungen
genugſam blicken: daß ſie keinen Funcken Tu-
gend im Hertzen/ keine Schamroͤthe im Geſichte
und keine Scheu fuͤr andern Anweſenden hat-
ten; alſo: daß die Fuͤrſtin Chlotildis/ Magilus/
und Dietrich ſich hochvernuͤnfftig dieſer Ver-
ſammlung entſchlagen hatten. Sintemal Laſter
gifftiger als Baſilißken ſind. Denn dieſe toͤdten
nur durch ihre Blicke; jene aber/ wenn man ſeld-
ten nur die Augen goͤnnet. Perolla und Bar-
cellon kochten inzwiſchen im Hertzen eitel Galle;
dieſer gegen den Taurea/ weil er ſeiner Buhl-
ſchafft
[840[842]]Sechſtes Buch
ſchafft mehrmals die Bruͤſte betaſtete; jener ge-
gen Annibaln/ der mit Servilien nicht viel an-
ders umgieng/ als ein Ehbrecher mit einer ge-
meinen Dirne im Hurenhauſe. Denn die un-
keuſche Liebe iſt nicht nur/ weil ſie anfangs offt ei-
ne heßliche Eule fuͤr einen Par adiesvogel erkie-
ſet/ ſondern auch/ weil ſie ihr ein bildet: daß andere
Leute ihre offenbare Laſter nicht ſehen/ fuͤr blind
zu ſchelten. Aber die hundertaͤugichte Eiverſucht
machte Porellen und den Barcellon allzu ſcharf-
ſichtig. Denn wie Barcellon dem Taurea ſeine
eiſerne Ruthe/ welche er als Mercur fuͤhrte/ duꝛch
den Leib trieb/ alſo ſtieß Porella in eben ſelbigem
Augenblicke/ gleich als haͤtten ſie es mit einander
abgeredet/ Servilien einen Dolch in die Bruͤſte;
daß beyde todt zur Erden fielen. Porella war
auch ſchon in vollem Stoſſe Annibaln eines zu
verſetzen/ ſein Vater Pacuvius Calavius aber
verruͤckte ihm den Stich. Hieruͤber fielen alle
anweſende Africaner den Porella an; Ob nun
wohl ihm ſeine drey Cyclopen zu Huͤlffe ka-
men/ und etliche Mohren verletzeten/ wurden ſie
doch von der Menge bald erſchlagen/ und nicht
nur Porella/ ſondern auch der zwar hieran/ aber
nicht an Verrathung der Stadt Capua unſchul-
dige Calavius mit mehr als hundert Stichen er-
mordet. Alſo ſind die Strafen der goͤttlichen Ra-
che allezeit gerecht/ wenn ſelbte ſchon fuͤr menſch-
lichen Augen die Unſchuld zu treffen ſcheinen.
Weil alles Annibaln zulieff/ hatte Barcellon in-
zwiſchen Zeit ſich bey der finſtern Nacht aus dem
nunmehr ſo traurigen Luſtgarten zu ſpielen/ und
ins Laͤger zu ſeinen untergebenen Hiſpaniern zu
fliehen; weil doch Hannibal ſein Begiñen fuͤr ein
mit dem Porella abgeredetes Werck auffneh-
men; die Verſtoͤrung ſeiner Luſt/ und den Mord
des bey ihm hoch am Brete ſitzenden Taurea mit
grauſamen Strafen raͤchen wuͤrde. Die gantze
Verſam̃lung kam hieruͤber in Beſtuͤrtzung/ die
gantze Stadt in Unruh/ alſo: daß Annibal alle
Kreutz-Gaſſen mit Kriegsvolcke beſetzen muſte.
Wie die Mohren nun die Leichen aus dem Gar-
ten ſchlepten/ und alſo ihre Kleider durchſuchten/
fand einer zu allem Ungluͤcke beym Porella ei-
nen Zettel mit dieſen Worten: Biſtu denn mit
ſehenden Augen blind; daß du deiner Ehebreche-
rin ſo viel Luft zu ihren Laſtern laͤſt? Meineſtu
nicht: daß es die Goͤtter fuͤr keine geringere Suͤn-
de aufnehmen/ Laſter verhaͤngen/ als ſelbte be ge-
hen. Oder haſtu kein Manns-Hertze in dir/ eines
ſo unreinen Brandes Licht auszuleſchen? Der
Mohr lieff mit dieſer Handſchrifft/ welche er we-
der zu leſen noch zu erkennen wuſte/ alsbald zu
Agathocleen; als durch welche alles zu gehen
pflegte/ was zu Annibaln kom̃en ſolte. Dieſe er-
kennte ſie beym erſten Anblicke fuͤr der Fuͤrſtin
Chlotildis eigene Hand; daher ging ſie unver-
wandten Fuſſes zu Annibal; verhetzte ihn wider
die ihr mehr als Spiñen verhaſte Chlotildis/ als
welche nicht nur die Mordſtiffterin des geſchehe-
nen Trauer-Falls waͤre/ ſondern auch den Po-
rella zu Hinrichtung Annibals ihres eigenen
Ehgemahls angefriſcht haͤtte. Annibal wolte
alsbald mit dem Degen in der Fauſt in Chlotil-
dens Zimmer eilen/ und ſie in ihrem Bette ſeiner
Rache auffopffern. Agathoclea aber hielt ihm die
Gefahr/ den Haß/ den er ihm bey allen Deut-
ſchen zuziehen/ und die uͤbele Nachrede bey der
gantzen Welt/ welche von ſeiner Gemahlin
ſchwerlich eine ſo grauſame Miſſethat glauben
wuͤrden/ beweglich ein; und daß nichts alberers
waͤre/ als eine plumpe Rache/ welche alle
Augen ſehen/ und dem Raͤcher ſelbſt Schaden
thaͤte. Sie verſicherte ihn: daß Chlotildis den
folgenden Untergang der Sonnen nicht erle-
ben/ die Scharffſichtigſten aber des Todes Urſa-
che nicht er gruͤnden ſolten. Hiermit gingen ſie
zwar zur Ruhe; wiewohl ihrer wenigen der
Schlaff in die Augen kam. Auf den Morgen gab
Agathoclia achtung/ als der Chlotildis Cammer-
Jungfrau der Gewohnheit nach aus dem
Springbruñen friſches Waſſer zu Begieſſung
der Jeſminſtraͤuche hohlete; welche Chlotildis
fuͤr dem Fenſter ihres Zimmers ſtehen hatte.
Dieſer
[841[843]]Arminius und Thußnelda.
Dieſer begegnete Agathoclia auff der Stiege/
nahm ihr den Krug aus den Haͤnden/ vorwen-
dende: daß ſie wegen Durſtes gleich ſelbſt ſich
zum Springbrunnen haͤtte verfuͤgen wollen.
Unter dieſem Geſpraͤche ſchuͤttete ſie/ als die
Traͤgerin nur einen Blick auf die Seite thaͤt/
das hefftigſte Gifft in den Krug; dieſe aber dar-
auf es auf die Jeſminen. Kurtz hierauf beſuch-
te Fuͤrſt Magilus und Dietrich Chlotilden in
ihrem Zimmer; welche uͤber des vorigen Tages
Trauerfaͤllen uͤberaus bekuͤmmert waren. Chlo-
tildis legte nach etlichen Unterredungen ſich an
ihr Fenſter/ und brach etliche Zweige von Jeſ-
minen ab/ in willens ſelbte beyden Fuͤrſten zu
reichen. Sie hatte aber kaum den Geruch die-
ſer Blumen recht empfunden/ als ſie im Augen-
blicke ſtein todt zur Erden ſanck. Alle Reib-
und Kuͤhlungen waren vergebens; die Fuͤrſtin
und der gantze Hof derogeſtalt erſchreckt: daß ſich
faſt niemand wagte den Mund aufzuthun/ ſon-
dern nur eines dem andern mit ſtummen Ge-
behrden das gemeine Leid klagte. Niemand
war zwar: der nicht Agathoclien in Verdacht
zohe; aber weil weder dieſe noch iemand von ihr
in etlichen Tagen ihr Zimmer betreten/ Chlotil-
dis auch ſeit des vorhergehenden Tages weder
Speiſe noch Tranck zu ſich genommen hatte/
war wider Agathoclien der geringſte Grund ei-
nes billichen Argwohns aufzufinden; auſer:
daß ſo wohl bey ihr als bey Annibaln eine groſſe
Schwermuͤthigkeit zu ſpuͤren war. Denn die
Erinnerung lieſet in den Gewiſſen der Boß-
hafften ohne einige Schrifft ihre eigene Laſter/
ſie redet davon ohne Stimme/ und ſie peitſchet
ſie biß aufs Blut ohne Ruthe. Jhr eigen [b]ang-
ſames Antlitz iſt wie der Zeiger an den Uhren ein
Verraͤther der inwendigen Unruh: daß die
Angſt ihnen die Ruh aus dem Hertzen/ den
Schlaff aus den Augen reiſſe/ die Furcht ihren
Geiſt und die Vernunfft verwirre/ die Reue
Marck und Bein ausſauge/ und die Verzweif-
felung ihnen Athem und Sprache verhalte.
Nach zweyen gleichſam in einer Hoͤle hinterleg-
ten Tagen/ eroͤfnete Annibal der Chlotildis
Schreibetiſch; und fand in ſelbtem zu ſeiner
hoͤchſten Erſtaunung folgendes an Chlotilden
abgelaſſenes Schreiben: Jch flehe die Goͤtter
unaufhoͤrlich an um Daͤmpffung meiner auff-
ſchwellenden Gemuͤths-Bewegungen/ ſeit ich
Annibaln mit meinem Ehbrechriſchen Ehweibe
in der Hoͤle baden geſehen: daß ich ihrem Befeh-
le gehorſamen koͤnne/ Annibaln das mir zuge-
fuͤgte Unrecht zu verzeihen. Denn wiewol ſei-
ne Beleidigung einem edlen Gemuͤthe faſt un-
verſchmertzlich faͤllt; ſo wil ich doch lieber eine
unauffhoͤrliche Seelen-Marter erdulden/ als
von einer ſo tugendhafften Fuͤrſtin beſchuldigt
werden: daß ich mit ihres Ehmannes geringſter
Wunde das Mittel ihres Hertzen durchbohrete.
Jch werde meine Rache nur mit dem Blute
meiner Ehbrecherin abkuͤhlen; wormit ich An-
nibaln ſo viel leichter vergeben koͤnne; und dero-
geſtalt von ihrem ſtrengen Urthel: daß ich ihren
und Annibals Hof nicht mehr betreten ſolle/ loß-
zuſprechen ſeyn. Wie nun dieſe Zeilen nicht
nur Chlotildens Unſchuld/ ſondern auch ihre fuͤr
Annibals Wolſtand gepflogene Fuͤrſorge au-
genſcheinlich ans Licht ſtellten; alſo war iedes
Wort eine gluͤende Zange/ welche des grauſa-
men Annibals ſich ſelbſt verdammendes Gewiſ-
ſen zerfleiſchte. Bald war er entſchloſſen ſich
ſelbſt/ bald die Mordſtiffterin Agathoclia eigen-
haͤndig hinzurichten. Er warf ſich auf ſein Bet-
te/ mit Befehl: daß ihn kein Menſch auch we-
gen der wichtigſten Angelegen heit beunruhigen
ſolte; Gleich als wenn ſein Gemuͤthe nicht
mehr/ als das bey groͤſtem Ungewitter ſtuͤrmen-
de Meer unluſtig geweſt waͤre. Dieſe See-
len-Marter zwiſchen tauſend zweiffelhafften
Entſchluͤſſungen trieb er den gantzen Tag/ und
die Nacht durch. Folgenden Morgen rief er
und befahl beyde Fuͤrſten Magilus und Dietrich
zu ruffen; ihm aber ward zur Antwort: daß bey-
de Fuͤrſten ſchon vorhergehenden Tag nach an-
Erſter Theil. O o o o ogemerck-
[842[844]]Sechſtes Buch
gemerckten Gifftzeichen an Chlotildens Leiche
mit allen Deutſchen zu Pferde geſeſſen/ und aus
Capua fort geritten waͤren; vorgebende: daß ſie
ſich eines ſo vergifteten Hofes zu enteuſern wich-
tige Urſache haͤtten.
Demnach nun Annibal bereit bey ſich ent-
ſchloſſen hatte/ Agathoclien ins geheim abzu-
thun/ aus dieſer Begebenheit aber leicht muth-
maſſen konte: daß der Verdacht des Gifftes auf
ihn fiele; entſchloß er durch oͤffentliche Beſtraf-
fung Agathocliens ſich fuͤr aller Welt rein zu
brennen. Daher ließ er Agathoclien in Ker-
cker werffen/ und uͤber der Vergifftung Chlotil-
dens anfangs in der Guͤte; als ſie aber leugnete/
und inzwiſchen ein Edelknabe vom Anruͤhren
des Jeſmins gleichfals getoͤdtet/ alſo die Urſache
des Todes erkundiget/ von der Kammer-Jung-
frau die Begebenheit mit dem Waſſerkruge ent-
decket worden war/ ſcharf befragen. Die Mar-
ter druͤckte endlich ihr das Bekaͤntnuͤß der War-
heit aus; ſie ſchuͤtzte aber zu ihrer Entſchuldi-
gung fuͤr: daß ſie es Annibaln vorher entdeckt/
und Chlotilden mit ſeiner Genehmhabung ver-
gifftet haͤtte. Die Richter fragten nach dem
Beweiſe ihres Einwands. Agathoclia bezohe
ſich auf Chlotildens Schreiben/ welches ein ge-
wiſſer Mohr in des Perolla Kleidern gefunden
und ihr gebracht/ ſie aber Annibaln eingehaͤn-
digt haͤtte. Annibal/ welchem zu Behauptung
ſeiner Herrſchafft in Jtalien an Verfuͤhrung
ſeiner Unſchuld viel gelegen war/ widerſprach
Agathocliens Fuͤr wand als eine grauſame Ver-
laͤumdung/ ſchickte auch an ſtatt des erſtern/ der
Chlotildis letzteres Schreiben den Richtern; um
dardurch zu beſcheinigen: daß er Chlotilden deß-
halben mehr zu lieben/ als ihren Mord zu willi-
gen Urſache gehabt haͤtte. Dieſe faͤllten daher
Agathoclien/ welche zu Alexandria dem Pfal
entronnen war/ ein verdientes Urthel/ krafft deſ-
ſen ſie ruͤck waͤrts auf einen raͤudichten Eſel ge-
ſetzt/ an den Ecken der Stadt mit gluͤenden Zan-
gen gezwickt/ hernach mit vier Pferden zerriſ-
ſen/ verbrennt/ und die Aſche in den Fluß Vul-
turnus geſtreut ward. Alſo entrinnen die La-
ſterhafften zwar zuweilen aus der Hand des
weltlichen Richters/ niemals aber der goͤttlichen
Rache; welche/ wenn ſie einem Boßhafften mit
langſamen Bleyfuͤſſen nacheilet/ ihn auch mit ei-
ner deſto ſchwerern Hand zu Bodem druͤckt.
Das grauſamſte an dieſer zwar verdienten
Straffe war: daß Annibal nicht nur dieſem
Trauerſpiele zuſah/ ſondern auch ſelbſt mit einer
Gerte das eine nicht anziehende Pferd aufmun-
terte um denſelben Leib zu zerfleiſchen/ den er ſo
viel mal inbruͤnſtig umarmt hatte. Die Koͤni-
gin Erato fing hieruͤber laut an zu ruffen: O des
merckwuͤrdigen Beyſpiels! daß eine viehiſche
Liebe nichts als Minotauren gebaͤhre; und ihr
Engliſches Antlitz ſich mit einem Schlangen-
Schwantze endige. Freylich wol/ ſagte Thuſ-
nelde. Denn wie das Mittel der Tugend Ei-
genſchafft iſt; alſo haben die Laſter nur in dem
euſerſten ihren Auffenthalt. Jene richtet ihr
Thun nach/ dieſe wider die Geſetze der Natur
ein; welche zwiſchen Kaͤlte und Hitze/ zwiſchen
Sturm und Meerſtille/ zwiſchen Tag und
Nacht ein gewiſſes Mittel beobachtet. Sinte-
mal die Sonne aus den Fiſchen in Loͤwen/ vom
Mittage in Mitternacht keinen gaͤhen Sprung
thut; ſondern zwiſchen Winter und Sommer
den lauen Fruͤhling und kuͤhlen Herbſt; zwi-
ſchen Licht und Finſternuͤß eine annehmliche
Daͤmmerung einruͤckt. Die geile Brunſt hin-
gegen verkehrt ſich im Augenblicke in bitterſten
Haß; und ſpruͤet in einem Atheme Liebkoſen/
Gifft und Galle heraus. Sie hat zwar die Art
des hartnaͤckichten Epheu/ welcher alles umar-
met/ was er nur erreichet; Aber ihre Tauerung
iſt vergaͤnglicher als der Mertz-Schnee/ der
insgemein eh/ als er die Erde erreicht/ zu Waſ-
ſer wird. Sie raſet grimmiger als loderndes
Pech und brennender Schwefel; haͤlt eingeaͤ-
ſcherte Laͤnder fuͤr ihre koſtbare Siegszeichen/
und das geronnene Blut erwuͤrgter Voͤlcker fuͤr
ſuͤſſe
[843[845]]Arminius und Thußnelda.
ſuͤſſe Opffer. Jhr grauſet fuͤr ihren eigenen
Flammen/ die ſie fuͤr reiner haͤlt als die Sternen
ſind; weil ſie nunmehr einem gifftigen Nebel
gleichen. Die neue Gluth des Zornes ſchwaͤrtzet
ſie mit ſtinckendem Rauche/ und erſtaͤckt ſie; wel-
che vorher ihre Seufzer aufzublaſen/ und ihre
Augen mit dem Saltze bitterer Thraͤnen zu er-
friſchen aͤngſtig bemuͤht waren. Wenn ſie aber
auch ihr unreines Feuer unkeuſcher Brunſt im-
mer fuͤr ſchoͤn anſieht; ſo erſteckt doch ihr Huͤtten-
Rauch alles Licht der Seele/ damit ſie nicht die
Pforte der Tugend finde/ noch Gebluͤte und
Freundſchafft unterſcheide. Denn ihre Schande
und Mord-Luſt ſind Eltern und Feinde eines/
und der Bruder-Mord nicht ſchwaͤrtzer als der
unſchuldige Todſchlag des Wildes. Ja ihrer
ſchnoͤden Luſt und unſinnigen Rache iſt nicht zu
viel mit eigener Hand ſein Geſchlechte auszurot-
ten/ und mit ſeinen Nachkommen die Hoffnung
ſeines andern Lebens zu erſtecken. Jhre Freude
iſt/ wenn ſie andern viel Todte zu beweinen/ und
viel Braͤnde zu leſchen laͤſt. Sonderlich aber
verlernt ſie alle menſchliche Empfindnuͤſſe ge-
gen der/ welche ſie vorher fuͤr ihren Abgott anbe-
tete. Sie wandelt ſich gegen der in einen Wuͤ-
terich/ welcher Leibeigner ſie vor war; und die
vorhin ſo beliebten Haare in Stricke; um dar-
mit ihren Kerckermeiſter zu erwuͤrgen. Die Ra-
che reitzet ſie ein Hencker derſelben Gottheit zu
werden/ welcher Prieſter er vor war; und der ſie
vorher ihr Hertz an ſtatt des Weyrauchs anzuͤn-
dete/ wuͤnſcht er in ihrem eigenen Tempel einzu-
aͤſchern; weil er ſie fuͤr ſeinen Gluͤcksſtern/ itzt
fuͤr die erſte Bewegung ſeines Ubels haͤlt. Jhre
wenige Funcken der Vernunfft/ die ſie nicht gar
vertil gen kan/ braucht ſie nur zu einem Jrrlichte
und Wegweiſer in die Suͤmpffe der Wolluſt/
und zum Werckzeuge ihren Laſteꝛn einen Glantz
zu geben. Jch hoͤre wol: brach Salonine ein/
wem die Koͤnigin durch diß ſchoͤne Gemaͤhlde ſo
heßlich einzubilden bemuͤht iſt. Aber ſie muß an
ihrem frechen Lieb haber ſeine Pein und ſchimpf-
lichen Untergang auch zu entwerffen nicht ver-
geſſen. Es iſt wahr/ verſetzte die Koͤnigin. Der
Apffel der Wolluſt iſt allezeit wurmſtichig; und
die Stiche des Gewiſſens verſaltzen ihre aller-
ſuͤſſeſte Kuͤtzelung. Wenn aber dieſe ihrer Ver-
gaͤngligkeit nach endlich verſchwindet/ uͤberfaͤllt
ſie eine ſo grauſame Abſcheu ihrer Laſter: daß
wenn der erzuͤrnte Him̃el iemanden anders fuͤr
ſeinen Scharfrichter zu gut haͤlt/ ein ſo tolleꝛ Lieb-
haber an ihm ſelbſt zum Hencker wird; und alſo
das ſchrecklichſte Laſter wider ſich ſelbſt ausuͤbt.
Adgandeſter hob ab: So ungluͤckſelig war
auch leider der ſterbende Hannibal. Jnzwiſchen
aber war ſeine Brunſt auch das Fallbret ſeiner
Siege/ und hatte er nach Chlotildens Tode mehꝛ
wenig Stern oder Gluͤcke. Denn als das luſti-
ge Capua ein Schauplatz ſo vieler Trauerſpiele
ward; kam Annibaln zu voriger Unluſt noch die
betruͤbte Zeitung zu: daß Barcellon mit tauſend
Hiſpaniſchen Reutern zu den Roͤmern uͤber ge-
gangen/ die Fuͤrſten Magilus und Dietrich aber
alle Bojen und Deutſchen aus dem Laͤger an ſich
gezo gen/ und ihren Weg nach Hauſe genommen
haͤtten. Mit derer Abzuge der Carthaginenſer
Macht nicht allein eine groſſe Verminderung/
ſondern auch Annibals Siege einen gewaltſa-
men Stoß bekamen. Denn die Roͤmer borgten
nach der Canniſchen Niederlage in Mangel der
Waffen ſelbte aus den Tempeln; und weil das
Ungluͤck ſie zwang aus der Noth eine Tugend zu
machen/ nahmen ſie/ nach dem Beyſpiele der
Spartaner/ als der Athenienſer Feldherr und
lahme Tichter Tyrteus ſie drey mal aufs Haupt
geſchlagen hatte/ und Agathoclens/ als die Moh-
ren ihn ſo ſehr in Sicilien bedraͤngten/ acht
tauſend Knechte zu freyen Kriegs-Leuten an.
Das Roͤmiſche Frauenzimmer riß ihren
Schmuck vom Halſe/ die Edlen ihrer Vor-El-
tern Gedaͤchtnuͤſſe aus ihren Zimmern/ und
warffen ſie zu Kriegs-Koſten in Schmeltzofen.
Jnſonderheit aber brauchten ſie ſich des zwi-
ſchen Annibaln und den Deutſchen entſtande-
nen Mißverſtaͤndnuͤſſes; Und/ ob ſie zwar vor-
her ohne Frucht den Stadtvogt Lucius Poſthu-
O o o o o 2mius
[844[846]]Sechſtes Buch
mius zu den Deutſchen und Galliern geſchickt
hatten; ſo lieſſen ſie doch eine koſtbare Geſand-
ſchafft an Magilus/ Dietrich/ Briegant und an-
dere Deutſche Fuͤrſten abgehen; welche ihnen
der Roͤmer Buͤndnuͤß mit der Verſicherung an-
trug: daß die Roͤmer ohne der Deutſchen und
Gallier Einwilligung uͤber den Fluß Po nicht
ſatzen/ ſondeꝛn auch/ was ſie noch diſſeits beſeſſen/
ihnen ewig und eigenthuͤmlich verbleiben ſolte.
Dieſe Fuͤrſten/ und inſonderheit den Hertzog
Briegant/ welcher nun mit 20000. Qvaden/
Marſingern und Oſen in Hetrurien einzubre-
chen fertig ſtand/ beſchenckten ſie Koͤniglich. Al-
len aber ſtellten ſie der Mohren Laſteꝛ und Uber-
muth fuͤr Augen/ wie ſie unter dem Schein der
Jtalien gebrachten Freyheit/ alle freywillig auf
ihre Seite gefallene Voͤlcker/ und inſonderheit
die Campaner unter die Fuͤſſe getreten/ der
Deutſchen und Gallier Landſchaften verheeret/
und nach dem ſie mit den Macedoniern und
Syrern ſich verknuͤpfft/ durch Verachtung und
boͤſe Thaten den gerechten Haß ihrer treuſten
Bundgenoſſen ihnen auf den Hals gezogen haͤt-
ten. Dieſe Botſchafft gieng ſo gluͤcklich ab:
daß alle Deutſchen und Bojen/ auſer wenig
Galliern/ welche noch auf der Africaner Seite
blieben/ den Degen einſteckten/ und auff keiner
Seite zu ſtehen ſich verbuͤndlich machten. Hier-
auf erfolgte: daß Titus Manlius in Sardinien
die Mohren ſchlug/ den Mago und Hanno ge-
fangen nahm/ Claudius Marcellus Annibals
Heer von Belaͤgerung der Stadt Nola mit
groſſem Verluſt abtrieb/ Titus Sempronius
mit ſeinen gewaffneten Knechten die Mohren
und den Hanno bey Benevent in die Flucht
brachte/ Claudius Marcellus mit Eroberung
der faſt unuͤber wuͤndlichen Stadt Syracuſa das
faſt gantz abgefallene Sicilien zum Gehorſam
brachte/ nach dem ſich der neue Koͤnig daſelbſt
Hieronymus vom Annibal durch ſeine zwey
ſchlaue Geſandten Hippocrates und Epicydes
unter dem Scheine: daß er de[s] Nereis der Pyr-
rhiſchen Tochter Sohn waͤre/ und zum gantzen
Sicilien Recht haͤtte/ bereden laſſen auf der Car-
thaginenſer Seite zu fallen/ mit dem Bedinge:
daß Sicilien nach ausgetriebenen Roͤmern halb
ihm/ und halb der Stadt Carthago zugehoͤren/
und der Fluß Himera ihre Graͤntze machen ſolte.
Ferner uͤberfiel Valerius bey der Stadt Apol-
lonia des Nachts den Koͤnig Philip/ und trieb
ihn in ſein Macedonien zuruͤcke; Er demuͤthig-
te die Acarnanes/ machte mit denen Etoliern ein
Buͤndnuͤß. Publius und Cneus Scipio nah-
men faſt gantz Hiſpanien ein; weil Asdrubal
wider den Numidiſchen Koͤnig Syphax/ der
wider Carthago mit einem maͤchtigen Heere an-
zog/ in Africa beruffen ward. Und ob wol Car-
thago nach gemachtem Frieden mit dem Sy-
phax/ beyde Asdrubal und den Mago mit
30000. Mann und 30. Elefanten in Hiſpanien
ſchickten/ Publius Scipio auch von Asdrubals
Reuterey erſchlagen/ Cneus auf einem Thurme
verbrennet ward/ ja Marcellus und Claudius
faſt alles biß an das Pyreneiſche Gebuͤrge ver-
ſpielten/ die maͤchtige Stadt Tarent durch Ver-
raͤtherey des Jaͤgers Philemenes/ und Tapffer-
keit zweyer tauſend noch zuruͤck gebliebener
Deutſchen und Gallier an Annibaln uͤber gieng/
ſo ſetzte doch der junge Cornelius Scipio alles in
beſſern Stand; eroberte die maͤchtige Stadt
Neu-Carthago den erſten Tag ſeiner Belaͤge-
rung durch Sturm/ darinnen ſich Mago mit
10000. Mann ihm ergeben muſte; ſchlug As-
drubaln/ zwang viel Staͤdte zur Ubergabe/ die
Stadt Aſtapa aber zu ihrer eigenhaͤndigen Ein-
aͤſcherung/ zog durch ſeine Freundligkeit und
Keuſchheit ein groſſes Theil Hiſpaniens/ und
inſonderheit das groͤſte Theil der ſtreitbaren Cel-
tiberier durch Gewinnung ihres Fuͤrſten Allu-
cius an ſich. Denn ſeine Braut Gertrudis
Erdmunds des Nevetiſchen Hertzogs Tochter/
welche mit ihrer Schoͤnheit aller Anſchauer
Hertzen verwundete/ war uͤber die Cottiſchen
Alpen in Ligurien kommen/ und von dar nach
Neu-
[845[847]]Arminius und Thußnelda.
Reu-Carthago uͤbergeſchifft; alſo gefangen und
als ein Wunderwerck der Natur zum Scipio
gebracht worden. Dieſer aber/ wie ſehr er
durch den erſten Augenblick in ſie verliebt ward/
ließ ſie dem Fuͤrſten Allucius unverſehrt ausfol-
gen/ und ſchenckte die fuͤr ſie zum Loͤſegelde ge-
brachte Gaben dem Braͤutigam zum Heyrath-
Gute. Tarent kam inzwiſchen auch in Roͤmi-
ſche Gewalt. Qvintus Fulvius und Appius
Claudius uͤber meiſterten den Hanno/ und ero-
berten nach mehrmals vergebens verſuchter
Entſaͤtzung durch eine hartnaͤckichte Belaͤge-
rung die Stadt Capua nunmehr Annibals an-
ders Vaterland/ und darinnen die zwey Krie-
ges-Oberſten Anno und Boſtar. Ob auch wol
Annibal um ſeinen Feind von ſolcher Belaͤge-
rung abzuziehen/ fuͤr die faſt aller Mannſchafft
entbloͤſte Stadt Rom an den Fluß Anien ruͤck-
te; ſolche auch fuͤr ſeiner Macht bebte/ die
Mauern mit Weibern/ welche vorher mit ihren
abgeflochtenen Haaren das Pflaſter der Gottes-
haͤuſer abgeſaubert hatten/ beſetzte; ja Annibal
des Nachts mit dreyen ihn biß an die Pforten
begleitenden Wahrſchauern/ und 3000. im Ruͤ-
cken habenden Reutern das inwendige Wehkla-
gen ſelbſt hoͤrete; ſo traute er ſich doch nicht Rom
mit Gewalt anzugreiffen; ſonderlich/ da nicht
allein Claudius Flaccus mit einem Theile des
fuͤr Capua liegenden Heeres ihm ſtets auff der
Ferſen folgte/ ſondern auch die ungemeinen
Platzregen und Sturmwinde/ die nicht ſo wol
vom Himmel/ als den Roͤmiſchen Mauern ih-
ren Uhrſprung zu haben ſchienen/ Annibaln von
Rom ab- und/ nach dem er des Flaccus Laͤger
vergebens durch Argliſt zu uͤberfallen ſich be-
muͤht hatte/ in Lucanien vertrieben. Ungeach-
tet ihm auch das Gluͤcke hernach etliche holde
Blicke gab/ in dem er den Buͤrgermeiſter Ful-
vius mit 8000. Roͤmern erſchlug/ den Claudius
Marcellus einmal aus dem Felde jagte/ hernach
ihn gar toͤdtete/ den Qvintius Criſpinus aber in
die Flucht brachte/ ſo kehrte dieſe wanckelmuͤthi-
ge Buhlerin doch denen Mohren bald wieder
den Ruͤcken. Denn ob wol Asdrubal des Han-
nibals Bruder mit einem maͤchtigen Heere aus
Hiſpanien durch das Aqvitaniſche Gallien der
Arverner Gebiete/ der Allobroger Eyland bey
der Stadt Mantala uͤber den Fluß Jſara ſetzte/
an dem Fluſſe Arcus hinauf/ und uͤber den Berg
Ciniſius/ auf die Stadt Seguſio/ und bey der
Tauriner Hauptſtadt mit beſſerem Gluͤcke als
Annibal in Jtalien kam/ und mit denen ihm zu-
fallenden und zu allem Vorſchube nunmehr
willigen Liguriern ſein 56000. Mann ſtarckes
Heer biß auf 70000. vergroͤſſerte; auch/ unge-
achtet des ihm entgegen ſtehenden Buͤrgermei-
ſters Marcus Livius die Stadt Placentz belaͤ-
gerte; ſo zohe doch der im Brutiſchen Gebiete
gegen Annibaln liegende Buͤrgermeiſter Clau-
dius Nero mit einem Theile ſeines Heeres ſo
heimlich: daß es der ihm auf dem Halſe liegende
Annibal nicht einſt erfuhr/ aus dem Laͤger/ ſtieß
bey dem Fluſſe Sena in Umbrien zu dem Li-
vius gleichfals unvermerckt/ und noͤthigte As-
drubaln zur Schlacht/ in welcher er zwar das
Ampt eines klugen und unverzagten Feldher-
ren ruͤhmlich ver waltete; aber weil die Gallier
und Arverner fuͤr Muͤdigkeit kaum die Waffen
tragen kunten/ von der groſſen Roͤmiſchen
Macht/ darunter nunmehr auch 8000. wolver-
ſuchte Deutſchen und Hiſpanier/ und etliche
hundert Numidiſche waren/ uͤbermannet/ und
weil er ſterben oder ſiegen wolte/ alſo bey Zer-
trennung ſeines Heeres gegen dem Nero wie
ein Blitz in die Roͤmiſchen Hauffen ſprengte/
nach dem er wol zehn edle Roͤmer eigenhaͤndig
erlegt hatte/ von Volckensdorff/ einem Aleman-
niſchen Ritter/ der hernach den zu Pferde ſitzen-
den Asdrubal in ſeinen Schild machen ließ/
durchſtochen ward. Mit ihm fielen uͤber 50000.
Africaner und Gallier/ auff Roͤmiſcher Seite
8000. Uber diß wurden fuͤnfftehalb tauſend
von den Siegern gefangen/ Asdrubaln das
Haupt abgeſchlagen/ und/ als Nero wieder in
O o o o o 3ſein
[846[848]]Sechſtes Buch
ſein altes Laͤger kam/ ſelbtes Annibaln fuͤr den
Wall geworffen/ und durch zwey loßgelaſſene
Mohren ihm die groſſe Niederlage zu wiſſen ge-
macht. Woruͤber Annibal ſeines Brudern
Haupt mit Thraͤnen netzte/ und ſeufzende ruff-
te: Jch ſehe leider! den weder durch Witz noch
Tapfferkeit ablehnlichen Untergang der un-
gluͤcklichen Stadt Carthago fuͤr Augen. Jch
ſehe leider! wol das aufziehende Gewitter/ aber
den Ungluͤcks-Streich weiß ich nicht zu verhuͤ-
ten. So wenig dient kuͤnfftiger Dinge Wiſ-
ſenſchafft zur Gluͤckſeligkeit; ob ſchon ſolche der
Kern der Klugheit iſt. Zwar dieſer Ohnmacht
iſt der ſtaͤrckſte Grundſtein: daß Goͤtter ſind;
welche ein Volck beſchirmen/ das andere verfol-
gen. Aber diß iſt mir noch verborgen: Ob ſie
ſelbſt an eine Nothwendigkeit des Verhaͤngnuͤſ-
ſes angebunden/ oder unerbittlich ſind. Denn
ſonſt wuͤrden ja auch der Africaner Opffer und
Andacht etwas fruchten; welche gleichſam in ei-
nem Tage fruͤh den Gluͤcksſtern uͤber ihrem
Wirbel; des Abends unter ihrer Fußſole/ ihre
Tugend auch von der Roͤmiſchen Ehrſucht zu
Bodem getreten ſehen. Jch habe zeither nicht
geglaubt: daß Klugheit als ein unnuͤtzes Ding
zu verwerffen/ Tapfferkeit als ein ungluͤckliches
nur zu beweinen/ beyde alſo ſchlechte Zwergdin-
ge ſind; wenn ſie nicht dem Gluͤcke auf der Ach-
ſel ſtehen. Wie viel gluͤcklicher aber ſind die/
welche nie ſo hoch geſtiegen/ als die von dieſer
wanckelmuͤthigen wie ich zu Bodem geſtuͤrtzt/
und mit Fuͤſſen getreten werden. Hannibal
verfiel hierauf in eine ſo groſſe Schwermuth:
daß er ſchier aller Kriegs-Sorgen vergaß; und
ihn Reichhold ein Cattiſcher Fuͤrſt/ welcher nur
noch beym Hannibal ſtand hielt/ aus ſeiner tief-
fen Bekuͤmmernuͤß aufrichten/ und ihm einhal-
ten muſte: Es waͤre keine Schande/ wenn ei-
nem das Gluͤcke/ aber wol/ wenn man der Tu-
gend den Ruͤcken kehrte/ dieſe waͤre ihr eigener
Lohn/ nicht der ungewiſſe Ausſchlag. Wenn
Gott alle unſere verſchmitzten Rathſchlaͤge ge-
rathen lieſſe/ wuͤrden wir uns ſelbſt zu Goͤttern
machen; wenn uns aber alle fehl ſchluͤgen; wuͤr-
de man glauben: daß entweder alles ungefaͤhr
geſchehe/ oder das Verhaͤngnuͤß mit Vernunfft
und Tugend eine Todfeindſchafft hegte. So
aber geriethe eines/ das andere ſchluͤge fehl; wor-
mit man lernte: daß ein Weſen auſer uns ſey; in
welchem alles iſt. Dieſem ſolte er den Lauf des
Krieges heimſtellen. Denn dieſer handelte nie-
mals und nirgends unrecht; ſintemal er aller
Sterblichen Leben ſeiner Guͤte und Boßheit
nach auf die Wagſchale legte; auch niemals un-
vorſichtig. Denn Gotte waͤre nichts verſchloſ-
ſen. Er wohnte in den Seelen der Menſchen/
und pruͤfete ihre Gedancken. Nebſt dem ſolte
er das zeither ruͤhmlich bewegte Steuer-Ruder
nicht aus der Hand laſſen. Denn Gott ver-
kauffte um Muͤh unb Fleiß ſeinen Segen; Er
ſtuͤnde nicht Weibern/ ſondern den Tapfferen
bey; und fiele der Sieg wie die weiſſe Henne mit
dem Oelzweige der wachenden und unerſchro-
ckenen Livie nicht den Muͤßigen in die Schoß.
Alſo muͤſte man ihm in Unfaͤllen ſelbſt eine Huͤlf-
fe geben/ nicht aber durch eigene Verzweiffelung
ſeine Schwaͤche zeigen; oder ſich dem Ungluͤcke
zum Fußhader machen: daß es mit uns das
Garaus ſpiele. Jn groſſen Noͤthen waͤre kein
beſſer Gefaͤrthe/ und kein bewehrter Beyſtand/
als ein gut Hertze/ dieſes verminderte das Ubel/
es kaͤme der Schwachheit zu Huͤlffe/ alſo daß
man aus allem Gedraͤnge darvon kaͤme/ und ſo
gar die unguͤtigen Sterne bemeiſterte. Aber
Annibal mißtraute nunmehr nicht weniger ihm
ſelbſt/ als den Goͤttern; wich alſo in die euſerſte
Spitze Jtaliens/ nemlich in die Landſchafft der
Brutier zuruͤcke. Mago machte zwar mit den
Liguriern ein neu Buͤndnuͤß wider die Roͤmer/
und eroberte Genua; Hingegen bemaͤchtigten
dieſe ſich faſt gantz Hiſpaniens/ erlegten den von
Rom wieder abgetretenen Judibilis und Man-
donius. Alles diß waren noch ertraͤgliche
Wunden fuͤr Carthago/ weil ſie nur die euſerſten
Glie-
[847[849]]Arminius und Thußnelda.
Glieder traffen. Nunmehr aber griff das Ver-
haͤngnuͤß dieſer groſſen Herſcherin ins Hertze;
und die im weſtlichen Hiſpanien aufgegangene
Gluͤcks-Sonne der Roͤmer kam in dem Mit-
tagichten Africa ihnen auch am hoͤchſten; und
zwar anfangs durch des Numidiſchen Koͤnigs
Syphax/ hernach durch des Maſſaſyliſchen
Koͤnigs Maſaniſſa Zufall und Beyſtand. Denn
die zwey Geſchwiſter Kinder Syphax und Ga-
la bekamen mit einander einen Graͤntz-Stritt;
dieſen gaben ſie dem Rathe zu Carthago zur
Entſcheidung heim/ welcher aus groſſer Unbe-
dachtſamkeit der ihm aus dieſem Richter-Ampte
erwachſenden Gefahr entweder wegen Gerech-
tigkeit der Sache/ oder zur Danckbarkeit fuͤr die
von ſeinem Vater und Bruder Narvas geleiſte-
ten treuen Dienſte fuͤr den Koͤnig Gala ſprach.
Dieſer Ausſchlag verbitterte den Syphax ſo
ſehr: daß er wider dieſe mit den Roͤmern in
Krieg eingeflochtene Stadt die Waffen ergrief/
und mit denen an ihn aus Hiſpanien uͤberſchif-
fenden Roͤmiſchen Geſandten ein Buͤndnuͤß
ſchloß/ von ihnen den Kriegs-Oberſten Qvintus
Staborius/ der die Numidier in denen vorhin
ungewohnten Kriegs-Ubungen unterrichtete/
zu ſich bekam; Hinge gen durch ſeine Botſchafft
in Hiſpanien alle den Carthaginenſern dienen-
de Numidier nach Hauſe beruffte/ und wider
Carthago einen herrlichen Sieg erhielt. Die
ſchuldige Danckbarkeit/ und der Carthaginenſer
bewegliche Einredung: daß Syphax ein ge-
ſchworner Feind des Deutſchen/ und alſo frem-
den Narvaſiſchen Hauſes waͤre/ auch allem Ver-
muthen nach den jungen Narvas des Gala
Bruder mit Gifft hingerichtet/ und ein Auge
auf das Maſſaſyliſche Koͤnigreich/ als ein altes
Antheil Numidiens haͤtte/ brachten den Koͤnig
Gala unſchwer dahin: daß er ſeinen ſiebzehn
jaͤhrigen Sohn Maſaniſſa mit einem maͤchti-
gen Heere wider den Syphax ſchickte/ welcher
mit Huͤlffe der zu ihm ſtoſſenden Carthaginenſer
den Syphax mit Verluſt 30000. Numidier
aus dem Felde ſchlug. Syphax flohe biß an
die Gaditaniſche Meer-Enge zu denen ihm
unterthaͤnigen Mauruſiern/ verſtaͤrckte ſich da-
ſelbſt mit Mohren und denen nunmehr auf Roͤ-
miſche Seite getretenen Celtiberiern. Ma-
ſaniſſa aber hielt mit ſeinen eigenen Kraͤfften
dem Syphax derogeſtalt die Wage: daß er ſchon
an dem Roͤmiſchen Bunde zu wancken anfing-
Der Roͤmiſche Rath aber ſchickte den Lucius
Genutius/ Publius Petellius und Popilius
mit einem Purpernen Rock und Mantel/ ei-
nem helffenbeinernen Stuhle/ einer guͤldenen
Schale von fuͤnf Pfunden zu ihm/ und erhielt
durch Vertroͤſtung gewiſſer Huͤlffe den Sy-
phax noch auf ſeiner Seite. Hingegen blieb
Maſaniſſa nicht allein in Waffen wider den
Syphax/ ſondern er zohe auch mit 10000. Reu-
tern in Hiſpanien Asdrubaln zu Huͤlffe. Er
hatte bey ſich im Laͤger ſeiner Schweſter Sohn
Maßiva einen Knaben von 14. Jahren. Die-
ſer hatte aus einer ruͤhmlichen Ehrſucht ohne
Maſſaniſſens Vorbewuſt nicht alleine in Hi-
ſpanien uͤbergeſetzt/ ſondern auch in dem Tref-
fen zwiſchen Asdrubaln/ und dem jungen Sci-
pio die Waffen ergrieffen/ der aber nach tapffe-
rem Gefechte in der Flucht der Mohren mit
dem Pferde geſtuͤrtzt/ und alſo gefangen ward.
Scipio/ als er ſeinen Uhrſprung und Zufall
vernommen/ beſchenckte ihn mit einem golde-
nen Ringe/ verguͤldeten Waffen/ koͤſtlichen
Kleidern/ einem ſchoͤnen Pferde/ und ſchickte ihn
mit ſicherer Begleitung dem Maſaniſſa in ſein
Zelt. Dieſe Großmuͤthigkeit gebahr bey Ma-
ſaniſſen eine unvermerckte Zuneigung gegen
den Roͤmern. Alſo weiß ein Kluger ihm ſeine
Feinde mehr/ als ein Unvernuͤnfftiger ſeine
Bundsgenoſſen nuͤtze zu machen. Hingegen
beobachteten die Roͤmer nicht: daß Freunde ha-
ben/ unſer halbes Weſen ſey; und daß die/ wel-
che der Mund mit guten Worten gewonnen/
das Hertze mit redlichem Beginnen zu erhalten
habe. Denn ſie ſuchten nur ihren Eigennutz;
und
[848[850]]Sechſtes Buch
und lieſſen den Syphax in Africa alleine baden.
Welches zwar ein gemeiner Streich der Bund-
genoſſen/ aber auch die Urſache ihrer Trennun-
gen iſt. Alſo machte auch der dieſes wahrneh-
mende Syphax mit Carthago Friede und
Buͤndnuͤs. Welcher Botſchafft es dahin ver-
mittelte: daß Koͤnig Gala alles dis/ was er und
ſein Sohn Maſaniſſa eingenom̃en hatten/ dem
Syphax/ wiewol nicht ohne Unwillen erſtatten
muſte. Wordurch Carthago eben ſo wol ver-
ſtieß; Sintemal ſie zwaꝛ einen laulichten Freund
am Syphax erwarb/ behielt aber einen der ihm
ihre Wolfarth mit Ernſt angelegen ſeyn ließ/
wo nicht alsbald in Waffen/ doch im Gemuͤthe
am Gala verlohr. Dieſes ſpuͤrte der ſchlaue
Scipio aus; ſchickte daher den Loelius nach Cir-
tha zum Syphax/ welcher ihn durch reiche Ge-
ſchencke auf guten Weg/ iedoch/ weil er ſich mit
iemand anderm als dem Roͤmiſchen Feldhaupt-
mann einen Bund zu ſchluͤſſen/ viel zu hoch
deuchtete/ zu keinem voͤlligen Schluſſe brachte.
Scipio und Loͤlius ſetzten ſich auf zwey Kriegs-
Schiffe/ und fuhren mit ſo groſſer Verwegen-
heit als Gefahr nach Cirtha/ weil ſie kaum etliche
Augenblicke fuͤr Asdrubaln/ der auf der andern
Seite mit fuͤnff Kriegs-Schiffen eben dahin ſe-
gelte/ in Hafen einlief. Syphax bewillkom̃te
beyde Kriegs- Haͤupter mit gleicher Ehre;
brachte es auch ſo weit: daß Scipio und Asdru-
bal nicht allein an einer Taffel mit ihm ſpeiſeten/
ſondern auch in einem Bette lagen; Hingegen
Scipio mit ſeiner gleichſam aller Menſchen
Gemuͤther bezaubernden Freindligkeit ſo weit:
daß der die neue Wolthat/ aber nicht die alte Be-
leidigung vergeſſende Syphax Asdrubaln mit
leeren Worten ſpeiſete/ mit dem Scipio aber ein
Buͤndnuͤß machte/ und ſelbtem/ wenn er in Afri-
ca ausſetzen wuͤrde/ maͤchtigen Beyſtand ver-
ſprach. Gleichwol aber ward ſo wol auff ein-
als der andern Seite das Spiel durch neue Zu-
faͤlle verruͤckt. Denn als Maſaniſſa noch in
Hiſpanien fuͤr Carthago Krieg fuͤhrte/ ſtarb ſein
Vater Koͤnig Gala; dieſem folgte im Reiche
ſein Bruder Deſalces/ des Deutſchen Fuͤrſten
Narvas juͤngſter Sohn. Er ſtarb aber kurtz
hierauf; und kam ſein aͤlteſter Sohn Capuſa zur
Krone. Es war aber in ſelbigem Reiche ein
ziemlich maͤchtiger Fuͤrſt Mezetul/ des Koͤnigs
Ergamenes Tochter Sohn/ welcher dem ge-
genwaͤrtigen Koͤniglichen Geſchlechte Spin-
nen-feind war. Dieſer mahlte dem Adel die
Schande: daß ein Auslaͤnder mit ſeinen Kin-
dern uͤber die Edlen Numidier herrſchen ſolte/
dem Poͤfel aber die bisher ertragene Kriegs-Be-
ſchwerden fuͤr; brachte es auch ſo weit: daß das
Reich ſich ſpaltete. Das aber fuͤr den Fuͤrſten
Capuſa ſtehende ſchwaͤchere Theil ward mit
ſamt ihm und den andern Soͤhnen des Koͤnigs
Deſalces erwuͤrget. Wiewol er nun mehrmals
ſich verlauten ließ: daß er/ als Koͤnigs Ergame-
nes Enckel/ der nechſte Stul-Erbe waͤre; ſo
gaben dieſem Ausſpruche doch die Reichs-
Staͤnde ſchlechtes Gehoͤre/ ſondern ſie zielten
auf den ſeiner Tapfferkeit halber ſo beruͤhmten
Maſaniſſa. Mezetul erſchrack hieruͤber nicht
wenig; daher ſuchte er in Wahrnehmung: daß
er es ſchweꝛlich ſchaffen wuͤꝛde/ ſich ſelbſt zum Koͤ-
nige zu machen/ durch eine andere Argliſt das
Hefft in die Haͤnde zu kriegen; ſchlug ſich alſo
auf die Seite des funffzehn-jaͤhrigen Fuͤrſten La-
cumaces/ und weil dieſer des Fuͤrſten Narvas/
als aͤlteſten Bruders Sohn war/ behauptete er:
daß er Maſaniſſen/ als des juͤngern Bruders
Gala Sohne/ von Rechtswegen fuͤrzuziehen
waͤre. Uber diß vermaͤhlte er ihm zu Unter-
ſtuͤtzung ſeines Reiches des Koͤniges Deſalces
Wittib/ Amilcars Tochter und Annibals
Schweſter Dido/ verband ſich mit ſeinem
Schwager Syphax aufs feſteſte. Maſaniſſa/
als er ſeines Vettern Deſalces und Capuſa Tod
vernahm/ ſetzte aus Hiſpanien in Mauritanien
uͤber; und bat bey deſſelbten Koͤnige Bochar
4000. Mann zu Einnehmung des vaͤterlichen
Koͤnigreichs aus. An der Graͤntze bewillkom̃-
ten
[849[851]]Arminius und Thußnelda.
ten ihn alſofort fuͤnffhundert edle Numidier/
durch derer Huͤlffe er bey der Stadt Tapſus
den Fuͤrſten Lacumacen in die Flucht trieb/
ſich der Stadt bemaͤchtigte/ und im Koͤnigrei-
che einen ziemlichen Beyfall uͤberkam. Ob
nun wol Lacumaces vom Syphax ohne die Reu-
terey funffzehn tauſend Fußknechte/ Mezetul
zehntauſend Reuter wider Maſſaniſſen ins
Feld fuͤhrte; uͤberwog doch deſſen Krieges-Wiſ-
ſenſchafft in der Schlacht die Menge; alſo: daß
Lacumaces und Mezetul mit wenigen Gefer-
then nach Carthago entkamen. Wiewohl nun
Maſaniſſa ſeines Koͤnigreichs Meiſter ward/ ſo
ſahe er doch aus des maͤchtigen Koͤnigs Syphax
Zorn-Wolcken ein grauſames Gewitter uͤber
ihn auffziehen. Daher ſchrieb er ſeinem Vet-
ter Lacumaces auffs freundlichſte zu/ trug
ihm an die Nachfolge im Reiche/ und daß er
ihn wie Koͤnig Gala ſeinen Bruder Deſalces
unterhalten; dem Mezetul aber alle Erb-Guͤ-
ter einraͤumen wolte. Beyde waren damals
aus Koͤnigs Syphax Hofe/ und haͤtten ſie die-
ſe Anerbietung nicht allein angenommen/ ſon-
dern auch Syphax geſchehen laſſen: daß Ma-
ſaniſſa der Maſeſyler Koͤnig bliebe; wenn nicht
Aſdrubal ihm eingehalten: wie viel ihm und
der Stadt Carthago daran gelegen waͤre die-
ſen ſtreitbaren und Roͤmiſch geſinneten Fuͤr-
ſten bey ſeiner noch nicht befeſtigten Macht als
ein ſchaͤdliches Feuer bey erſter Entglimmung
zu daͤmpffen. Der ohne diß herrſchſuͤchtige
Syphax war wieder einen ſchwaͤchern Koͤnig
leicht auffzubringen; ruͤckte daher mit ſeinem
Heere in daſſelbige Stuͤcke Landes/ welches
der Rath zu Carthago voꝛmahls zwar dem Ga-
la zuerkennet hatte/ nunmehr aber unter dem
Scheine neu auffgefundener Urkunden dem
Syphax zueignete/ und als Maſaniſſa ſich wi-
der das Urthel der von ihm nie beliebter Rich-
ter und die Gewaltchat des Syphax beſchwer-
te/ in das Hertze des Maſeſyliſchen Reichs; ſchlug
auch den ihm begegnenden Maſaniſſa aus
dem Felde; alſo: daß er mit Noth auff das Bal-
biſche Gebuͤrge entran/ Syphax aber nicht La-
cumacen/ ſondern ihm ſelbſt das Reich zueigne-
te. Maſaniſſa ſtreiffte von ſelbtem Gebuͤrge
nicht nur in Numidien/ ſondern auch in der
Stadt Carthago Gebiete/ und verkauffte die
Beute am Meer-Strande denen anlaͤnden-
den Handels-Leuten. Syphax hingegen ſchick-
te ſeinen Feldhauptmann Bochar mit vier-
tauſend Mann dieſen Raͤuber auszuſpuͤren;
welcher Maſaniſſen derogeſtalt in die Enge
brachte: daß er mit wenigen auff den Gipffel
des Berges weichen/ endlich aber aus Mangel
der Lebensmittel mit ſeinen uͤbrigen ſieben-
hundert Mann in ein Thal abkommen mu-
ſte. Bochar aber lag ihm alsbald in Eiſen; er
ſchlug biß auff vier Reuter und den gefaͤhr-
lich verwundeten Maſaniſſa alle; welche in ei-
nen ſtrengen Fluß abſtuͤrtzten; von denen ih-
rer zwey alsbald vom Fluße verſchlungen/
Maſaniſſa aber vom Strome aus der Numi-
dier Augen geriſſen/ gleichwohl endlich mit
ſeinen zwey Geferthen ans Ufer getrieben
ward; da er denn/ den nunmehr Bochar und
Syphax unfehlbar fuͤr todt hielt/ ſeine Wun-
den ihm in einer Hoͤle mit Kraͤutern aushei-
lete. Hierauff wagte er ſich wieder in ſein
Reich; bekam auff der Graͤntze mehr nicht
als vierzig Reuter/ kurtz hierauff aber ſechs tau-
ſend Mann; welche ihn als einen vom Himmel
gefallenen mit unglaublichem Frolocken bewill-
kommten/ zu ſich/ nahm das groͤſte Theil ſeines
Koͤnigreichs ein/ und verheerte noch darzu ſeiner
Feinde Laͤnder. Syphax kam alsbald mit
zwey maͤchtigen Heeren gegen ihm ab; derer
eines er ſelbſt vorwerts/ das andere aber ſein aͤl-
teſter Sohn Vermina anfuͤhrte; und durch die-
ſe Ubermannung Maſaniſſens gantze Macht
in Stuͤcken hieb; alſo: daß er kaum mit ſiebenzig
Pferden zu der kleinern Syrte/ und von dar zu
den Garamanten entran. So bald aber Laͤlius
in Africa kam/ fand Maſaniſſa mit zwey hun-
Erſter Theil. P p p p pdert
[850[852]]Sechſtes Buch
dert Numidiſchen Edelleuten ſich zu ihm/ ſchlug
auch den andern Tag mit ſonderbarem Gluͤcke
etliche hundert Carthaginenſer in die Flucht.
Scipio kam kurtz hernach auch an/ bewillkomte
Maſaniſſen/ belaͤgerte Utica; und als Amilcars
Sohn Hanno bey der Stadt Salera ſich gegen
die Roͤmer ſetzte/ ſchlug Maſaniſſa ihn mit drey
tauſend Reutern todt/ unter denen zwey hundert
Carthaginenſiſche Edelleute waren. Der juͤn-
gere Aſdrubal zohe hier auff zwar mit drey und
dreyßig/ Syphax mit funffzig tauſend Mann
auff/ noͤthigten auch den Scipio die Belaͤgerung
auffzuheben. Aber nach dem Maſaniſſa mehr
als zwanzig tauſend ihm zufallende Maſeſyler
und Numidier an ſich zoch/ ſchlug Scipio/ oder
vielmehr Maſaniſſa Aſdrubaln und den Koͤnig
Syphax/ wiewohl wegen der ſtreitbaren Cel-
tiberier unglaublicher Gegenwehr nicht ohne
ſelbſt eigenen groſſen Verluſt/ etliche mahl aus
dem Felde/ eroberte zwey/ iedoch unter dem
Schein angezielter Friedens-Handlung argli-
ſtig angezuͤndete Laͤger. Ja Maſaniſſa nahm
den Syphax gar gefangen/ noͤthigte Sophonis-
ben zur Ubergabe der Hauptſtadt Cyrtha. End-
lich belaͤgerte Scipio die Stadt Carthago/ und
zwang den Rath nicht nur den Mago aus Li-
gurien/ welcher kurtz vorher in einer blutigen
Schlacht wider den Qvintilius Varus/ und
Marcus Cornelius toͤdtlich verwundet worden
war/ und auff der Ruͤckreiſe ſtarb/ ſondern auch
den neunzehn Jahr in Jtalien ſiegenden Anni-
bal nach Hauſe zu ruffen; welcher ſo lange Zeit
mit ſeinem Heere niemahls das Feld geraͤumt/
nicht ohne Wunderwerck ſo vielerley Voͤlcker/
aus welchem ſein Kriegsvolck beſtand/ in un-
verruckter Eintracht erhalten hatte/ und da-
her nicht unbillich bey Empfahung dieſes Be-
fehls fuͤr Ungedult mit den Zaͤhnen knirſchte;
gleichwohl aber dem Brande ſeines Vaterlan-
des zulauffen muſte. Jn Africa muͤhte er ſich
durch perſoͤnliche Unterredung mit dem Sci-
pio/ ſelbtem einen nuͤtzlichen Frieden durch Vor-
ſtellung des in Schlachten am meiſten wanckel-
baren Gluͤckes zu erwerben. Aber der Ehr-
ſuͤchtige Scipio wolte vorher den Ruhm haben
den Beſieger ſeines Vaters und den beruͤhmſten
Kriegs-Held der Welt zu uͤberwinden. Maſ-
ſen denn beyde ihre Heere/ zu welchem Annibal
den Numidiſchen Fuͤrſten Tycheus mit zwey
tauſend außerleſenen Pferden bekam/ ſo kluͤg-
lich in Schlachtordnung ſtellten/ und ſo ritter-
lich gegen einander fochten: daß Annibal we-
der dem Scipio/ noch Scipio Annibaln den ge-
ringſten Fehler auszuſtellen wuſte. Alleine bey
gleicher Tugend gab gleichwohl die groͤſſere
Macht der Roͤmer/ der groſſe Beyſtand Maſa-
niſſes/ und das auff ihre Seite henckende Gluͤ-
cke fuͤr den Scipio den Ausſchlag; indem zwan-
zig tauſend Mohren erſchlagen/ faſt auch ſo viel
gefangen wurden/ Annibal auch mit genauer
Noth nach Adrumet und ſo fort nach Carthago
entrann. Scipio meinte nunmehr ſeiner Ehren
ein Genuͤgen gethan; und mit dieſem Siege ei-
nen Grundſtein zu Eroberung der Welt gelegt
zu haben; ſcheuete auch die Belaͤgerung einer
ſo maͤchtigen Stadt/ am meiſten aber die An-
kunfft eines Nachfolgers/ welcher ihm ſo denn
den Preiß des geendigten Krieges entzuͤge. Die-
ſemnach gab er dem vom Verhaͤngniſſe augen-
ſcheinlich gedruͤckten Carthago nach uͤberwun-
denem/ und nunmehr ſo ſehr nach der Ruhe
ſelbſt ſeuffzendem Annibal einen Frieden/ den er
denen noch ſo ſtarck gewaffneten kurtz vorher
verſagt hatte. Alſo trennte die gifftige Anſpin-
nerin dieſes Krieges/ nehmlich die Mißgunſt/
auch ſein ſo ſchaͤdliches Gewebe entzwey; und
ward dißmahl zu einer wohlthaͤtigen Friedens-
ſtiffterin. Der ſonſt ſo kriegeriſche Hannibal
bewehrte die Nothwendigkeit der Ruh durch ei-
ne kuͤhne aber redliche Vermeſſenheit/ in dem
er den Kriegrathenden Giſco von ſeinem
Raths-Stule zwar wider die Geſetze einer frey-
en Stadt/ iedoch aus einem wohl gemeinten Ei-
ver herab zoh. Mit dieſem Frieden blieden ei-
ne
[851[853]]Arminius und Thußnelda.
ne ziemliche Zeit die Waffen zwiſchen den Deut-
ſchen/ Galliern und Roͤmern aufgehenckt;
Maſſen denn die Deutſchen damals auch unter
dem Fuͤrſten Marcomir die Weltweißheit/
Tichter und andere Kuͤnſte in Schwung brach-
ten.
Fuͤrſt Zeno/ als er ohne diß warnahm: daß
Adgandeſter ermuͤdet/ und in dem nechſten Zim-
mer des Luſthauſes zur Mittags-Mahlzeit zu-
bereitet ward; ſiel ihm ein: Jch vernehme hier-
aus genugſam: daß weder die Mohren die
Wunderthaten Annibals in Jtalien; noch auch
Scipio die Demuͤthigung der Stadt Carthago
den Roͤmern/ ſondern beyde groͤſtentheils ihre
Siege der ſtreitbaren Deutſchen Tugend zuzu-
ſchreiben haben. Adgandeſter antwortete: Ob
ich zwar fuͤr meine Landsleute ein verdaͤchtiger
Zeuge zu ſeyn ſcheine/ die Roͤmiſchen Geſchicht-
ſchreiber auch ſo wol unſer/ als ander Auslaͤnder
Heldenthaten mit Fleiß verdruͤcken; ſo iſt es doch
die lautere Warheit: daß ſonder der Deutſchen
Huͤlffe weder Annibal mit ſeiner Hand voll Vol-
cke Jtaliens/ noch Scipio ohne den Beyſtand
der von uns entſproſſener Celtiberier Hiſpani-
ens/ weniger aber ohne den aus deutſchem Ge-
bluͤte kommenden Maſaniſſa Africens Meiſter
worden waͤre. Worinnen die Grichiſchen Ge-
ſchichtſchreiber den Roͤmern die Warheit zimlich
unter die Augen ſagen; wiewol ſie alle auſſer J-
talien wohnenden Nordvoͤlcker irrig unter dem
Nahmen der Gallier aufffuͤhren/ und wie die
Graͤntzen/ alſo auch die Thaten der Deutſchen
mit unter der Celten Nahmen verdecken. Her-
tzog Rhemetalces antwortete: Es iſt ein allge-
meiner Brauch der Voͤlcker: daß daſſelbte/ wel-
ches die Oberhand hat/ ihme den Verdienſt aller
ſeiner Gehuͤlffen zueigne. Es iſt nichts ſeltza-
mes fremdes Waſſer auff ſeine Muͤhle leiten/
und anderer Schweiß zur Farbe ſeiner Siegs-
Fahnen brauchen. Dahero/ wie vieler tugend-
haffter Wuͤrde vom Neide vergaͤllet/ oder von
dem Staube der Vergeſſenheit vergraben wird;
alſo iſt der Nachruhm offt mehr ein Geſchencke
des Gluͤckes/ als der Tugend/ und er kehret ei-
nem Laſterhafften ſo bald das Antlitz/ als einem
tapffern die Ferſen. Gleichwol aber wird ein
groſſes Werck dem nicht unbillich zugeſchrieben/
der ſelbtes angegeben/ und andern die Hand ge-
fuͤhret. Das Haupt behaͤlt in allen Anſtalten
den Vorzug; ob ſchon der Werckzeug der Ar-
men und anderer Glieder das meiſte bey der
Sache zu thun ſcheinet. Ein groͤſſerer Strom
beraubet hundert andere einfallende Fluͤſſe ih-
rer Nahmen/ ob ſein eigen Waſſer gleich kaum
das hunderſte Theil austraͤgt. Ein Feldherr
hat mehrmals nicht den Degen gezuckt; gleich-
wohl wird ihm nicht unbilliger nachgeruͤhmet:
daß er den Feind aus dem Felde geſchlagen; als
einem Steuermanne: daß er das Schiff in den
gewuͤnſchten Hafen bringe. Dannenhero der
tapfferen Deutſchen Beyſtand dem Ruhme des
klugen Annibals und der Roͤmiſchen Feldherrn
nicht allen Ruhm entziehen kan. Adgandeſter
verſetzte: Es ſey diß ſeine Meinung niemahls
geweſt; aber doch haͤtten ihre Geſchichtſchreiber
der Deutſchen nicht ſo gar vergeſſen/ ſondern ſich
des nachdencklichen Getichtes ihꝛes Menannius
eriñern ſollen; wie uͤbel es denen edlern Gliedern
deß menſchlichen Leibes bekom̃en ſey/ als ſie den
in ihren Augen ſo veraͤchtlichen Bauch allzu veꝛ-
kleinerlich gehalten. Das Haupt haͤtte billich den
Vorzug; aber die Armen verdientẽ auch ihr Lob.
Die Sonne verduͤſterte zwarmit ihrem Glantze
die andern Geſtirne; ſie leſchte ihnen aber nicht
gar das Licht aus; ja ſie theilte ſtets mit ihnen den
Himmel/ und vergnuͤgte ſich mit der Helffte ſei-
nes Umkreißes; wormit nicht nur der Monde/
ſondern auch die kleineſten Sternen ſich der hal-
ben Erde koͤnnen ſehen laſſen. Zeno ſetzte nach:
es iſt wahr: daß die Tugend der Roͤmer niemals
hoͤher kommen ſey/ als in dieſem Roͤmiſchen Krie-
ge/ ungeachtet hernach ihr Gluͤcke allererſt zum
Rieſen worden. Vorher war ihre Tugend allzu-
rau/ hernach ihre Groͤſſe zu uͤbermaͤßig; damals
P p p p p 2aber
[852[854]]Sechſtes Buch
aber ihre Verdienſte unſchaͤtzbar. Ohne den
Brutus wuͤrde Rom vielleicht niemahls frey;
und ohne den Camillus ein Steinhauffen oder
eine Magd der Gallier worden ſeyn; dißmahl
abeꝛ nahm nicht nur ein oder ander Buͤrger/ ſon-
dern gantz Rom wider die Mohren ſeiner Pflicht
wahr. Nach der groſſen Niederlage bey Canna
entfiel dem Rathe nicht ſeine Klugheit/ keinem
Roͤmer das Hertze/ ja der Poͤfel vergaß ſeiner
Schwachheiten; und kein Menſch hatte einige
nicht dem gemeinen Heile nuͤtzliche Gedancken.
Das Frauenzimmer wiedmete ſelbtem ihren
Schmuck/ der Geitz verſchwendete zu der ge-
meinen Wolfahrt ſeine Schaͤtze; die am wenig-
ſten Vermoͤgen hinter ſich behielten/ ſchaͤtzten
ſich am reichſten zu ſeyn. Die Juͤnglinge ertheil-
ten ſo kluge Rathſchlaͤge/ als graue Haͤupter.
Die freygelaſſenen Knechte verfochten mit ei-
nem edlen Helden-Geiſte die ſaͤmtliche Freyhett.
Fuͤrnehmlich aber uͤberſteiget der Roͤmer getro-
ſte Hertzhafftigkeit allen Ruhm: daß als Rom
ſelbſt in vieler tauſend Augen verlohren zu ſeyn
ſchien/ ſie doch in Sicilien und Spanien Huͤlfs-
Voͤlcker/ der Stadt Neapolis aber ihr angebo-
tenes Volck und Geld zuruͤcke ſchickte/ und nur
das Getreyde von ihrem Geſchencke behielt.
Sintemal dieſes edle Volck auch in der groͤſten
Noth nicht ſeine Schwaͤche blicken laſſen wolte;
weil niemand gerne ſich an einen zerbrochenen
Stab lehnet; und das Gluͤcke ſelbſt zuweilen luͤ-
ſtern iſt einen an den rohen Ort zu ſtechen/ wo
es am weheſten thut. Uberdiß trug Rom die
Stirne ſchon ſo hoch: daß es fuͤr ehrlicher hielt/
gar zu Grunde zu gehen/ als eines Nagels weit
von ſeiner Hoheit zu verfallen/ und fuͤr einerley
Ungluͤck nicht mehr anderer Voͤlcker Herr/ o-
der gar nicht mehr ſeyn. Es iſt nicht ohne/ fing
Adgandeſter an: daß die Roͤmer damals nichts
verſehen/ was Tugend und Klugheit zu Erhal-
tung eines Reichs beyzutragen vermag. Mei-
nes Erachtens aber wuͤrde alles verlohrne Ar-
beit geweſt ſeyn; wenn Carthago nicht ſelbſt aus
Unvernunfft ſein Gluͤcke mit Fuͤſſen von ſich ge
ſtoſſen haͤtte. Unter denen die fuͤrnehmſte war:
daß Hanno dem ſiegenden Annibal graͤmer als
den feindlichen Roͤmern war; und daß er lieber
Carthago eingeaͤſchert/ als ſeinen Feldherrn ſieg-
hafft zuruͤcke kommen geſehen haͤtte; nur daß ſei-
ne den Krieg widerrathende Meinung nicht ge-
tadelt werden koͤnte. Da hingegen die Roͤmer
den aus der Canniſchen Niederlage entflohenen
Buͤrgermeiſter viel kluͤger Danck ſagten/ daß er
nicht gar an der Erhaltung Roms verzweiffelt
haͤtte. Annibals gantz Jtalien erſchuͤtternde Sie-
ge wurden zu Carthago entweder nicht geglaubt/
wenn er zumal ſein Heer mit Volck und Gelde
zu verſtaͤrcken bath; oder man ſchalt ihn gar fuͤr
einen eigennuͤtzigen Raͤuber der feindlichen Beu-
te; und unterbrach alle ſeine klugen Anſtalten/
gleich als wenn er nicht der Mohren Feldherr/
ſondern der Roͤmer Bundsgenoſſe waͤre. Nichts
deſtoweniger uͤberwand Annibal ſo wohl die ein-
heimiſchen als fremden Feinde/ und verdiente
den unzweiffelbaren Nachruhm: daß er der groͤ-
ſte Kriegsmann geweſt ſey/ den iemahls die Er-
de getragen hat.
Es iſt nicht ohne/ ſagte Zeno: daß Hannibal
einer der groͤſten Helden der Welt geweſen ſey.
Alleine wie die Natur daſelbſt/ wo das Meer am
grauſamſten ſtuͤrmet/ denen Laͤndern zum beſten
ihm die hoͤchſten Steinfelſen gleichſam als Rie-
gel vor geſchoben hat; alſo ſetzet die goͤttliche Ver-
ſehung insgemein auch einem groſſen Helden
einen andern entgegen/ welcher ſelbtem die
Stange biete/ und die Herrſchafften der Welt
in gleicher Wage halte. Hector und Achilles;
Sylla und Marius; Pompejus und Julius;
Anton und Auguſt hatte der Himmel gleichſam
außerleſen: daß ſie ihre Kraͤfften an einander
eichten ſolten. Und dem Annibal war der un-
ver gleichliche Scipio gleichſam wie ein Angel-
ſtern dem andern entgegen geſetzt. Sie waren
in viclen Dingen einander zu vergleichen.
Anni-
[853[855]]Arminius und Thußnelda.
Annibal war aus dem edlen Stamme Barcha/
Scipio aus dem der Cornelier. Jener kam als
ein neunjaͤhriges Kind ins Lager/ und ſchwur der
Roͤmer Feind zu ſterben; ward im fuͤnf und
zwantzigſten Jahre ſeines Alters oberſter Feld-
herr; dieſer erhielt im ſiebzehnden Jahre in der
Schlacht bey Ticin ſeinem verwundeten Vater
das Leben; zwang hernach die Roͤmer/ welche
aus Jtalien zu fliehen fuͤr hatten/ mit bloſſem
Degen zu ſchweren: daß ſie nimmermehr ihr
Vaterland verlaſſen wolten; und nahm/ als er
24. Jahr alt war/ als Feldherr Spanien zu be-
ſchuͤtzen auf ſich. Beyde lagen auch in dem Laͤ-
ger gelehrten Dingen ob; Hannibal hatte den
Philenius und Soſilus/ Scipio den Ennius bey
ſich. Beyde waren befliſſen ihrem Feinde nicht
nur durch unverzagte Tapferkeit/ ſondern auch
durch ſchlaue Kriegs-Raͤncke Abbruch zu thun/
und nichts minder mit Klugheit als Waffen zu
kaͤmpfen. Hannibal wuſte des hitzigen Sem-
pronius Gemuͤthe ſo liſtig aufzureitzen: daß er
wider die Vernunft die Schlacht bey Trebia
wagte und verſpielte. Des hoffaͤrtigen Flami-
nius Gemuͤthe reitzte er durch Einaͤſcherung des
Landes ſo ferne: daß er aus Ungedult wider ſei-
nen Willen ſchlug/ und Heer und Leben einbuͤß-
te. Den fuͤrſichtigen Fabius machte er durch
Verſchonung ſeiner Land-Guͤter den Roͤmern
verdaͤchtig; dem verwegenen Minutius verhing
er einen kleinen Sieg/ wormit ſeine Eitelkeit ihn
in den Verluſt einer Haupt-Schlacht ſtuͤrtzte.
Denen geitzigen Cretenſern/ zu denen er ſich und
ſein Vermoͤgen gefluͤchtet hatte/ ſpielte er es mei-
ſterlich aus ihren raͤuberiſchen Haͤnden; in dem
er viel mit Bley gefuͤllte Faͤſſer im Spunde mit
Golde bedeckt/ und als ſeinen Schatz in der Di-
ane Tempel verwahret/ das Gold aber in die ho-
[l]en Ertzt-Bilder verſtecket und weggefuͤhret.
Den viel ſtaͤrckern Koͤnig Eumenes jagte er mit
in Toͤpfe verſchloſſenen Schlangen aus der See.
Nichts weniger ſchlau war Scipio; als er die
Roͤmer glauben ließ: daß er im Capitoliniſchen
Tempel von den Goͤttern geheime Offenbarun-
gen empfangen/ und den Apollo zum Vater
haͤtte; als er bey Belaͤgerung der neuen
Stadt Carthago in Spanien bey ſich ereignen-
den Eppe ſein Kriegs-Volck beredete: daß Ne-
ptun ſelbſt wider die Feinde ſtritte. Als er
Kriegsverſtaͤndige in Knechte der Roͤmiſchen
Geſandten verkleidete/ und des Syphax Laͤger
ausforſchte/ auch hernach anzuͤndete. Beyde
Helden ſind auch von dem Neide und Undancke
der Jhrigen mehr/ als von der Gramſchafft ih-
rer Feinde verfolgt worden. Sintemal Han-
no Hannibaln durch ſeine Vergaͤllung nicht nuꝛ
Huͤlff-loß machte; ſondern ſeine eigene Numi-
dier trachteten ihn nach verlohrner Schlacht bey
Zama zu toͤdten. Der Rath zu Carthago ſchaͤm-
te ſich nicht zu entſchluͤſſen/ den in die Haͤnde der
Roͤmiſchen Bothſchafft zu liefern/ deſſen Ver-
moͤgen einzuziehen/ und ſein Haus abzubrechen/
welcher ſein Blut ſo viel mal fuͤr ihre Freyheit
aufgeſetzt hatte. Antiochus und Pruſias meyn-
ten nicht viel anders ſeine Wohlthaten zu
belohnen; alſo: daß er durch ſeine eigene
Vergiftung ſeiner eigenen Gefangenſchafft
vorzuziehen gezwungen ward. Eben ſo war
dem Scipio Fabius uͤber Achſel; man maß ihm
des Pleminius wider die Locrenſer veruͤbte
Grauſamkeit zu; der Rath durchgruͤbelte alle
ſein Beginnen/ als eines verdaͤchtigen Ubelthaͤ-
ters. Er verfiel in den Haß des gantzen Vol-
ckes; weil er in dem Schauplatze die Geſtuͤle
der Rathsherren abſonderlich ſetzen ließ. Und
der/ welchen man vorher fuͤr den Fuͤrſten des
Raths erklaͤrt hatte/ ward auf Anſtiften des Ca-
to an eben dem Tage/ da er etliche Jahr vorher
Carthago beſiegt hatte/ verklagt: daß er ſich vom
Koͤnige Antiochus mit Geld haͤtte beſtechẽ laſſen.
Wiewohl Scipio darinnen noch gluͤcklicher/ als
Hannibal war: daß/ als er aus Verachtung die-
ſer Anklage aufs Capitolium ging/ von ſeinem
Feinde Tiberius Gracchus ſeine Unſchuld ver-
theidigt ward. Ob ihm auch wohl Rom keine
Nothwendigkeit zu ſterben auf buͤrdete; zwang
ihn doch Mißgunſt und Verlaͤumdung ſeines
P p p p p 3Vater-
[854[856]]Sechſtes Buch
Vaterlandes/ ohne welchen es zum andern mal
waͤre erobert worden/ ſich in einen geringen
Winckel bey Linternum zu verkriechen/ und da-
ſelbſt den Acker zu graben. Weil aber Scipio
entweder der Roͤmiſchen Freyheit/ oder dieſe dem
Scipio nachtheilig war/ und entweder er oder
ſie von Rom entfernet ſeyn muſte/ bezeugte er
mehr Großmuͤthigkeit durch Verlaſſung/ als
durch Beſchirmung ſeines Vaterlandes; wie-
wohl er durch eine auf ſeinen Grabe-Stein ein-
gehauene ſelbtes mit Beerdigung ſeiner Gebei-
ne zu beehren verbot. Beyde Helden aber wa-
ren darinnen gluͤckſelig: daß ſie auch in ihrem
Elende hochgeſchaͤtzt; und zwar Annibal vom
Scipio ſelbſt fuͤr der Schlacht bey Zama/ und
hernach zu Epheſus umbarmet/ von den Roͤmern
gefuͤrchtet/ Scipio von den See-Raͤubern als
ein Halb-Gott angebetet/ von fremden Voͤl-
ckern bejammert ward; daß beyder Vaterland
ihre Aſche hernach mit Thraͤnen benetzte/ ihr
Gedaͤchtnuͤß mit Ehren-Saͤulen beehrte/ und
ihr Geiſt mehrmals mit viel tauſend Seufzern
zuruͤck gewuͤntſcht/ ja von den Roͤmern geglaubt
ward: daß ein Drache des Scipio Geiſt in einer
Hoͤle unter ſeinem Linturniſchen Vorwerge be-
wachte. Jn ſo vielen waren dieſe zwey Helden
einander aͤhnlich. Gleichwohl aber duͤncket
mich: daß dem Scipio aus vielen erheblichen
Gruͤnden die Ober-Stelle gebuͤhre. Adgan-
deſter verſetzte: Dieſe aber hat Scipio zu Ephe-
ſus dem Annibal ſelbſt entraͤumet. Zeno ant-
wortete: Eben damals hat Scipio mit ſeiner
Hoͤfligkeit Annibaln uͤberwunden/ wie er ihm
ſonſt mit ſeiner annehmlichẽ Geſtalt und Sanft-
muth uͤberlegen war. Jene war ſo anlockend:
daß niemand/ der ihn anſahe/ ſein Geſichte ſaͤtti-
gen konte. Mit dieſer glimpf- und guͤtigen Be-
zeugung uͤberwand Scipio faſt mehr Feinde/ als
Hannibal mit ſeinen Waffen. Die Freylaſ-
ſung der in Neu-Carthago uͤberkommener
Geiſſel/ die Aufnehmung des abtruͤnnigen
Mandonius und Jndibilis machte ihm halb
Spanien unterthaͤnig. Die Ubergebung ſei-
ner gefangenen Braut verknuͤpfte mit dem Lu-
cejus ihm die Celtiberier. Die Loßlaſſung der
dem Asdrubal abgeſchlagener Spanier machte:
daß ſie den Scipio fuͤr ihren Koͤnig ausrufften.
Fuͤr den wiedergegebenen Knaben Maſſiva
ward Koͤnig Maſaniſſa der Roͤmer getreuſter
Bunds-Genoſſe/ und hertzhafteſter Beyſtand.
Durch ſeine guten Worte zohe er den zweifelhaf-
ten Koͤnig der Bithynier auf der Roͤmer Seite.
Adgandeſter verſetzte: Es waͤre nicht ohne: daß
Scipio an Geſtalt und Freundligkeit Annibaln
uͤbertroffen haͤtte. Beydes aber ruͤhrte von dem
gantz unterſchiedenen Land-Striche ihrer Ge-
burts-Stadt her. Wiewohl denen Mohren/
welche die Schwaͤrtze fuͤr eine Zierrath/ und die
Ernſthaftigkeit fuͤr eine Tugend hielten/ den
Scipio vielleicht weit hinteꝛ Annibal geſetzt habẽ.
Gleichwohl aber haͤtte Annibal auch nicht alle-
mal ſauer geſehen/ ſondern/ wenn er es ihm vor-
traͤglich zu ſeyn befunden/ haͤtte ſein kluges Ab-
ſehen iederzeit die ihm angebohrne Neigungen
verdruͤcket; und er inſonderheit gegen die Roͤmi-
ſchen Bunds-Genoſſen ſo viel Glimpf und
Guͤte; als gegen die Roͤmer ſelbſt Grauſamkeit
gebrauchet; hierinnen auch viel kluͤger/ als
Pyrrhus gebahret; der denen gefangenen
Roͤmern liebkoſete/ ihre Bunds-Genoſſen mit
Schwerdt und Feuer verfolgte. Nichts min-
der haͤtte Annibal des in der Schlacht erlegten
Marcellus Leiche aufs beſte ſchmuͤcken/ und ver-
brennen/ ſeine Gebeine in einen ſilbernen Topf
ſchluͤſſen/ mit einer guͤldenen Krone beehren/ und
ſeinem Sohne zuſchicken laſſen. Daß aber er
gegen die Seinigen ſich zuweilen einer Stren-
gigkeit gebraucht/ haͤtte ihm ſein eigner Zuſtand
abgenoͤthigt; weil er meiſt allerhand fremde
Voͤlcker in ſeinem Kriegs-Heere gefuͤhret; ſelbte
ohne Geld und Vorrath in feindlichem Lande
im Gehorſam halten muͤſſen; wiewohl alle dieſe
mehr aus Ehrerbietigkeit/ als Furcht ihre Pflicht
gegen ihm niemals verſehret haͤtten. Wegen
wel-
[855[857]]Arminius und Thußnelda.
welcher Urſache ſeine Siege aller andern Helden
vorgezogen zu werden verdienten. Sintemal
Alexander mit eitel Griechen/ welche der Perſen
Tod-Feinde/ und meiſt ſeine Unterthanen wa-
ren/ und mit des Darius unſchwer eroberten
Schaͤtzen; Scipio und Kaͤyſer Julius mit eitel
Roͤmern und Feinden der Stadt Carthago;
Annibal aber mit eitel geworbenen und uͤbel be-
ſoldeten Auslaͤndern Krieg gefuͤhret. Mit ei-
nem Worte: Annibal haͤtte die Arbeitſamkeit/
die Gedult/ die Hertzhaftigkeit/ die Wiſſenſchaft
und alle Tugenden eines Feldherren gleichſam
in Ubermaſſe gehabt. Sein Feldzug aus
Spanien; wo es umb Carthago mißlich und
zweifelhafft ſtand; durch das feindliche Gallien/
da er alle Tage mit neuen Voͤlckern ſchlagen
muͤſſen; uͤber das unwegbare Alpen-Gebuͤrge/
da die Natur und der Himmel gleichſam ſelbſt
wider ihn zu Felde lag; in Jtalien/ da er weder
Vorrath/ Huͤlffe/ noch Sicherheit der Ruͤckkeh-
rung zu hoffen hatte/ uͤberſteiget ſchier den Glau-
ben der Nach-Welt. Wiewohl/ wenn man
Annibals allenthalben gepruͤfete Faͤhigkeit beob-
achtet/ muß man ſich mehr uͤber Annibaln/ als
ſeinen Zug verwundern/ und dieſen noch
fuͤr etwas wenigers/ als ein Werck dieſes Hel-
den anſehen. Der Verluſt ſeines Auges/ die
Begegnung faſt unzehlbarer Heere waren viel
zu ohnmaͤchtig den Lauff ſeiner Siege von einem
Ende Jtaliens bis zum andern zu hemmen.
Ja ſo lange er in dieſem Lande geweſt/ hat nie-
mand in Schlachten ihm die Wage halten/ und
nach der Canniſchen Niederlage kein Roͤmiſches
Heer ſich gegen ihm in freyem Felde lagern koͤn-
nen. Zeno begegnete Adgandeſtern: Scipio
haͤtte in allem dem Annibaln kein Haar breit ge-
wichen; weil er neu Carthago in einem Tage be-
laͤgert und erobert/ in vier Jahren das etliche mal
groͤſſere Spanien bemeiſtert/ darinnen vier
Carthaginenſtſche Heere und Feldherrn erſchla-
gen/ den maͤchtigen Koͤnig Syphax/ und endlich
den Jtalien zu verlaſſen gezwungenen Annibal
ſelbſt uͤberwunden. Da hingegen Hannibal
ſchier die geringſte ſich rechtſchaffen waͤhrende
Stadt zu bemeiſtern/ der Siege zwar durch
Wolluͤſte zu genuͤſſẽ/ ebẽ ſo wenig aber/ als Pom-
pejus/ derſelben durch ihꝛe Veꝛfolgung ſich zu ge-
brauchen/ am wenigſten/ wie Alexander/ Scipio
und Julius/ ein Werck voͤllig auszumachen ge-
wuͤſt haͤtte. Welche letztere alle ihre Thaten/ ſo
lange noch etwas zu thun uͤbrig war/ fuͤr unge-
than hielten. Alſo waͤre Annibal zwar andern
Kriegsleuten Fehler aufzubinden/ ſich aber von
ſelbten zu befreyen nicht faͤhig geweſt. Wie
hitzig er ſonſt ſeinen Feind anzugreiffen/ auch ihn
uͤber Hals und Kopf zu verfolgen gewuͤſt; ſo un-
zeitig haͤtte er nach dem Canniſchen Siege ihm
unnoͤthige Schwerigkeiten mehr aus eingebilde-
ten Hindernuͤſſen/ als aus Wichtigkeit des Wer-
ckes gemacht/ durch eine falſche Vorſichtigkeit
die Eroberung der Stadt Rom und die Stunde
verſaͤumet; darinnen er den gantzen Krieg aus/
dem Roͤmiſchen Reiche ein Ende/ und Carthago
zum Haupte der Welt machen koͤnnen; indem
entweder ſein Verſtand nicht ſo weit ſehend/ odeꝛ
ſein Gemuͤthe ein ſo groſſes Gluͤcke zu begreiffen
zu engbruͤſtig/ der Roͤmer beraaſeter Ruhm und
Macht ihm gar zu groß/ ihr erſchlagenes Heer
in ſeinen Gedancken noch lebend/ und der ſchon
uͤberwundenen Kriegsleute Geſpenſter ihm ein
blindes Schrecken geweſt waͤre. Alſo haͤtte er
ehe ſeinen Muͤhſeligkeiten/ als dem Kriege ein
Ende zu machen gedacht; und endlich/ nachdem
er nur einmal die vorhin unbekandte Wolluͤſte
geſchmecket/ von ſelbten ſich bezaubern und ſtuͤr-
tzen laſſen. Adgandeſter ſetzte dem Fuͤrſten Ze-
no abermals entgegen: Fuͤr den Scipio haͤtte
augenſcheinlich mehr das Gluͤcke/ fuͤr Anni-
baln aber die Tugend geſtritten. Von jenem
waͤre zwar bey Zama der Mohren viel geringe-
res Heer/ aber nicht Annibal uͤberwunden wor-
den. Denn an eben ſelbigem Tage haͤtte dieſer
durch kluge Stellung ſeines Heeres/ durch hertz-
hafte Gegenwehre ſich ſelbſt und alle Krieges-
Kuͤnſte
[856[858]]Sechſtes Buch
Kuͤnſte uͤberſtiegen. Scipio waͤre uͤber Anni-
bals Anſtalten ſelbſt erſtaunet; und bey ſeinem
herrlichen Siege haͤtte den uͤberwundenen An-
nibal ſeiner groſſen Faͤhigkeit halber beneidet/ deꝛ
fluͤchtige Annibal aber ihm noch eingebildet: daß
er es dem Uberwinder zuvor gethan haͤtte. Die-
ſer waͤre nicht nur ein Meiſter im Felde geweſt;
ſondern: daß er auch Staͤdte einzunehmen ge-
wuͤſt; gebe ihm die Aſche der hartnaͤckichten
Stadt Sagunt ein Zeugnuͤß. Daß er aber
von Spolet und noch einer kleinern Stadt abge-
zogen/ haͤtte vom Mangel des Fuß-Volckes/ des
Geldes und des Sturmzeuges hergeruͤhret.
Welches nebſt dem/ daß er eine Stadt am Mee-
re/ umb auf allen Fall Huͤlffs-Voͤlcker an ſich
zu ziehen noͤthiger gehalten/ ihn vermuthlich an
der Stadt Rom Belaͤgerung gehindert haͤtte.
Wiewohl nichts ſeltzamers waͤre: daß nach dem
das Verhaͤngnuͤß allen Menſchen ein Ziel ge-
ſteckt haͤtte/ ſich in den groͤſten Helden Gedult/
Hertzhaftigkeit und Beſtaͤndigkeit erſchoͤpfte;
und alſo Annibal/ weil er allzu viel uͤberſtanden/
nichts mehr auszuſtehen vormocht; ſein vorhin
allzu kuͤhner Geiſt mit uͤbriger Beyſorge ſich ab-
zukuͤhlen genoͤtigt geweſt waͤre/ und der im Un-
gluͤcke unuͤberwindliche Held mit dem liebkoſen-
den Gluͤcke zu buhlen nicht verſtanden haͤtte.
Zwar waͤre er zu Capua in die Wolluͤſte mehr
als ein Weiſer eingeſuncken; welcher ſelbte nicht
weiter/ als zu ſeiner Erholung gebrauchen ſoll.
Aber es ſchiene eine gemeine Art der ernſthaften
Leute zu ſeyn: daß ſie ſich zwar langſam/ a[b]er ſo
viel heftiger von ihren Suͤſſigkeiten einnehmen
lieſſen. Denn das Stroh finge zwar augen-
blicklch Feuer/ das Eiſen aber wuͤrde langſam
gluͤend; hingegen verſchwinde jenes auch
bald/ dieſes aber tauerte ſo viel laͤnger. Zu
dem hatte Annibal/ als die Noth wieder waͤre
an Mann kommen/ genungſam erwieſen: daß
er der alte Annibal waͤre; und ob wohl freylich
ſein Heer von der Wolluſt allzu ſehr verzaͤrtelt
worden; ſo haͤtten doch nur die Noth und die
Beruffung der Stadt Carthago/ nicht aber die
Gewalt der Roͤmeꝛ ihn aus dem Hertzen Jtali-
ens zu reiſſen vermocht. Adgandeſter haͤtte
noch weiter ſeinem Annibal das Wort geredet/
wenn nicht Hertzog Herrmann/ welcher an dem
Eingange ihnen eine Weile zugehoͤret hatte/
hinein getreten waͤre/ und durch ſeinen Aus-
ſpruch dieſem feindlichen Zwiſte derogeſtalt ein
Ende gemacht haͤtte: daß Annibal ein groͤſſerer
Krieges-Mann als Scipio geweſen ſeyn wuͤr-
de; wenn es moͤglich geweſt waͤre groͤſſer zu ſeyn
als Scipio. Dieſer aber waͤre ein beſſer Buͤr-
ger geweſt/ als Annibal.
Weil nun in dem Saale ſelbigen Luſthauſes
die Taffel mit Speiſen bereit beſetzt war/ fuͤhrte
der Feldherr die Koͤnigin Erato/ und ihnen folg-
ten alle Anweſenden zu der Mittags-Mahlzeit/
welche mit eitel luſtigen Schertz-Reden verkuͤrtzt
ward; wiewohl die begierigen Zuhoͤrer ſelbter
ohne diß abbrachen; und Adgandeſtern/ welcher
mit fernerer Erzehlung ihnen den uͤbrigen Tag
beſchwerlich zu fallen Bedencken trug/ durch ih-
re Hoͤfligkeit die Verfolgung ſeiner Geſchicht-
Beſchreibung abnoͤthigten.
Adgandeſter erſeufzete/ und hob an: Jhr
zwinget mich nunmehr unſerer Deutſchen groſſe
Wunden zu entdecken/ welche ich als ein treuer
Sohn ſchuldig zu verhuͤllen waͤre! Jedoch ha-
ben dieſe nicht nur uns/ ſondern die halbe Welt
getroffen. Denn nach beſiegtem Carthago
ſchaͤmte ſich nun niemand mehr von den Roͤmern
uͤberwunden zu werden. Jch miß goͤnne dieſem
Volcke nicht ihren Ruhm der Tapferkeit; aber
ſie ſelbſt wagen ſich nicht ſo viel Siege ihrer
Tugend zu zueignen; wenn ſie enthaͤngen: daß
ſie das Gluͤcke wie ein Platz-Regen/ oder eine
Berg-Bach uͤberſchuͤttet habe. O Anbethens
wuͤrdiges Verhaͤngnuͤß! wie thoͤricht opfern
die Sterblichen der Tugend und dem Gluͤcke!
Deine unerforſchliche Weißheit theilet alleine
Siegs-Kraͤntze aus/ und gebieret Schoß-Kin-
der des Gluͤckes. Wie vielmal haſt du denen/
welchen
[857[859]]Arminius und Thußnelda.
welchen die Natur einen Riegel vorgeſchoben/
wo menſchliche Klugheit nirgends aus gewuͤßt/
ein Licht angeſteckt/ und einen Weg uͤber Meer
und durch Felſen gewieſen! Wie offt biſt du dem/
der aus der Wiege der Morgen-Roͤthe biß zum
Sarche der Sonnen in einem Athem zu rennen
vermeynt/ beym erſten Anſprunge in Zuͤgel ge-
fallen; und haſt die Vermeſſenheit menſchlicheꝛ
Rathſchluͤſſe mit einem grauſamen Untergange
beſtrafft! Wir elende Menſchen koͤnnen ja wohl
den erſten Abrieß eines Gebaͤues entwerffen;
nimmermehr aber ſelbtes ausbauen; wenn die
Goͤttliche Verſehung nicht den erſten Grund-
Stein legt. Dieſe iſt die Sonne/ welche die
Jrrwiſche der alberen Vernunfft zernichtet;
dieſe iſt der Wegweiſer zu Lande/ und ſie ſitzet
beym Steuer-Ruder auf dem bittern Meere
dieſer Welt/ umb uns entweder in die Strudel
des Verderbens zu ſtuͤrtzen/ oder bey den Schiff-
bruchs-Klippen des Untergangs vorbey zu fuͤh-
ren. Dieſe iſt die oberſte Gebieterin/ welcher
Geſetzen wir unterworffen; in welcher Gebiete
wir eingeſchraͤnckt ſind; welche der halben Welt
Kraͤfften dem einigen Rom unterworffen hat.
Der Fortgang der Roͤmiſchen Siege geſcha-
he wider die Macedonier; welch Volck ſich vor-
her der Herrſchafft des Erdbodems angemaßt;
deſſen Koͤnig Philipp aber ſich mit Annibaln
verknipft hatte. Ja das Verhaͤngnuͤß ſpielte
den Roͤmern nicht nur eine ſcheinbare Urſache
des Krieges/ nemlich den Schirm der bedraͤng-
ten Stadt Athen in die Hand; ſondern es kuͤn-
digte ihnen auch durch ein auf dem oberſten
Kriegs-Schiffe wachſendes Lorber-Reiß den
ungezweifelten Sieg an. Ja nicht nur Phi-
lip/ ſondern Thebe/ Euboͤa und Sparta wurden
bezwungen. Dieſes Gluͤcke konten die zwey
hertzhaften Helden Annibal und Amilcar/ denen
ihres Vaterlandes Unterdruͤckung durchs Her-
tze ging/ ohne ſchaͤle Augen nicht anſehen; weil
ſie aber weder eigene Kraͤfften was hauptſaͤchli-
ches zu unterfangen hatten/ noch auch Carthago
aufs neue in Gefahr ſetzen wolten; ging Amil-
car zu den Deutſchen/ Annibal zum maͤchtigen
Koͤnige Antiochus uͤber. Jener brachte die
nunmehr unter dem Joche der hochmuͤthigen
Roͤmer ſchwitzenden Jnſubrier/ Bojen/ Ceno-
maͤnner/ und Ligurier dahin: daß als Cajus
Appius mit gewaffneter Hand in das Gebiete
der Bojen einfiel/ und ihre Land-Fruͤchte ge-
waltſam abmeihete/ ſie ihn mit ſieben tauſend
Roͤmern erſchlugen/ die uͤbrigen mit dem Buͤr-
germeiſter Elius nach Rom jagten/ und ſie ſich/
in Hoffnung: Es wuͤrde Antiochus den Roͤ-
mern biß ins Hertze kommen/ mit einander in
Buͤndnuͤß einlieſſen/ und den Roͤmern den Ge-
horſam aufkuͤndigten/ die Roͤmiſche Stadt Pla-
centz mit Sturm einnahmen/ ſelbte einaͤſcherten/
und mit viertzig tauſend Mann Cremona belaͤ-
gerten; alſo: daß der Buͤrgermeiſter Aurelius
und der Landvogt Lucius Furius mit einem
maͤchtigen Heere zum Entſatz eilen muſten. Ob
nun zwar die Deutſchen allhier uͤbermannet/
Amilcar getoͤdtet/ und ſie uͤber den Po zuruͤcke zu
weichen genoͤthigt wurden; ſo unterhielten doch
die deutſchen Fuͤrſten und der junge Amilcar
ſelbige Voͤlcker noch in den Waffen; wormit
ſie ihre Freyheit biß auf den letzten Bluts-Tro-
pfen zu vertheidigen entſchloſſen waren. Aber
weil der furchtſame Antiochus Annibals klugen
Rathſchlaͤgen langſames Gehoͤre gab/ zohen als-
bald beyde Buͤrgermeiſter mit maͤchtiger Hee-
res-Krafft gegen die Deutſchen und Gallier auf.
Quintus Minutius fiel bey den Liguriern ein/
eroberte die Staͤdte Claſtidium und Libubium;
hierauf ruͤckte er gegen die Bojen; der andere
Buͤrgermeiſter Cornelius gegen die am Fluſſe
Mincius ſtehenden Jnſubrier und Cenomaͤn-
ner: daß ſelbte bey erfolgender Schlacht von den
Deutſchen nicht nur ab; ſondern/ weil ſie zum
Hinterhalte geſtellt waren/ ihnen gar in Ruͤcken
fielen/ und alſo den ſonſt zweifelhaften Sieg
durch ihren Meineyd den Roͤmern zuſchantzten/
in welchem drey deutſche Fuͤrſten und der junge
Erſter Theil. Q q q q qAmil-
[858[860]]Sechſtes Buch
Amilcar/ als vier Loͤwen fechtende umbkamen.
Dieſe Niederlage ſchreckte die Bojen: daß ſie
mit dem Minutius/ dem ſie doch bereit groſſen
Abbruch gethan hatten/ nicht zu ſchlagen getrau-
ten/ ſondern dieſe Voͤlcker mit den Roͤmern/ ſo
gut ſie konten/ ſich verglichen. Nachdem aber
die Roͤmer die Deutſchen wie Knechte hielten/
vorgebende: daß vermoͤge ihrer Sitten ſie die-
ſelben/ welche ſich auf Treu und Glauben ihnen
ergeben/ in Band und Eiſen zu ſchlagen/ uͤber ihꝛ
Leben und Guͤter zu gebieten berechtiget waͤren/
inſonderheit auch der gefangẽ geweſene/ und gegẽ
gleichwiegendes Silber ausgeloͤſete Fuͤrſt Coro-
lam ſeinen Bojen und Jnſubriern erzehlte: wie
er in dem Siegs-Gepraͤnge vom Cornelius Ce-
thegus mit Fuͤſſen getreten; die edelſten Deut-
ſchen an einander gekoppelt fuͤr ſeinem Wagen
wie eine Heerde Vieh hergetrieben/ in den Ker-
ckern halb von Hunger/ halb von Geſtanck ge-
toͤdtet worden waͤren/ endlich ſie von ihren alten
Landsleuten den Celtiberiern aus Hiſpanien
Nachricht bekamen: daß ſie wegen ebenmaͤſſiger
Dienſtbarkeit den Sempronius Tuditanus mit
ſeinem gantzen Heere erſchlagen haͤtten; zwang
die aͤuſerſte Ungedult die Deutſchen abermals
den Harniſch anzulegen. Der erſte Streich
geluͤckte dem Fuͤrſten Corolam auch: daß er den
Sempronius Gracchus/ Junius Sylvanus/
Ogulnius und Publius Claudius mit drey tau-
ſend Roͤmern aufopferte. Marcellus gerieth
hierauf bey der Stadt Comum mit ihm in ein
Haupt-Treffen; wiewohl nun Corolam die er-
ſten Hauffen zertrennte/ der Sieg auch einen
halben Tag auf gleicher Wag-Schale lag/ ſo
ſchlug ſelbter doch endlich auf der Roͤmer Seite/
weil Corolam wegen empfangener gefaͤhrlicher
Wunde ſich aus der Schlacht begeben muſte.
Sein Bruder Ehrenfried begegnete inzwiſchen
dem andern Buͤrgermeiſter Furius Purpureo
bey dem Schloſſe Mutilum ſo hertzhafft: daß er
die Flucht nehmen/ und ſich zum Marcell fuͤgen
muſte. Beyde Buͤrgermeiſter fielen hierauf
bey den Liguriern ein; Fuͤrſt Ehrenfried aber
folgte mit ſeinem wiewohl viel ſchwaͤchern Lager
ihnen ſtets an der Seiten/ und thaͤt den Roͤmern
mercklichen Abbruch; gleichwohl aber zohe zu-
letzt ein Theil ſeines mit allzu vieler Beute uͤber-
ladenen Heeres den kuͤrtzern; alſo: daß er ſich in
die Bojiſchen Graͤntzen zuruͤck ziehen muſte. Fu-
rius folgte ihm zwar mit dem gantzen Heeꝛe/ abeꝛ
die Bojen beſetzten ihre Graͤntzen ſo wohl: daß er
in Jnſubrien zuruͤck bleibẽ muſte. Wie nun dieſe
uͤber die Raubereyen der Roͤmer beweglich klag-
ten/ und die Bojen umb Huͤlffe anfleheten/ ſchick-
ten ſie einen jungen Hertzog der Nemeter Doru-
lach/ der beyden Bojiſchen Fuͤrſten Schweſter
Sohn mit zehn tauſend Pferden den Jnſubri-
ern zu Huͤlffe; aber weil die bedraͤngten Jnſu-
brier mit ihrem Fuß-Volcke nicht zu ihm ſtoſſen
konten/ weil Valerius Flaccus mit einem maͤch-
tigen Heere ihm ſtets die Stirne both; muſte er
nach ziemlichem Verluſte nur umbkehren; zu-
mal er Nachricht kriegte: daß der Buͤrgermei-
ſter Titus Sempronius mit einem friſchen Hee-
re ſchon an den Bojiſchen Graͤntzen ſtuͤnde; wel-
chem Fuͤrſt Bojorich zwar entgegen geſchickt;
aber allem Anſehen nach nicht gewachſen waͤre.
Jnzwiſchen hatte Bojorich und Sempronius
beyde Laͤger harte gegen einander geſchlagen;
und erwartete dieſer den andern Buͤrgermeiſter/
jener aber den Fuͤrſten Dorulach mit mehr Vol-
cke; gleichwohl aber entſchloß ſich Bojorich/ aus
Beyſorge: es moͤchte der Eifer ſeines Volckes
lau werden/ Flaccus auch endlich an einer an-
dern Seite einbrechen/ zwey Tage nach einan-
der ſein Heer in Schlacht-Ordnung zu ſtellen.
Als aber die Roͤmer in ihrem Lager unbeweglich
blieben/ fuͤhrte er ſein Volck biß unter den Wall/
und zu Beſtuͤrmung des Laͤgers an. Sempro-
nius wolte dieſen Spott nicht vertragen/ oͤffnete
alſo zwey Pforten/ und drang mit zweyen Legio-
nen heraus. Die Deutſchen aber ſtanden ge-
gen ſie wie Mauern/ und verhinderten durch
ihre maͤnnliche Gegenwehr: daß die Roͤmer
nicht aus dem Lager zu kommen vermochten; ob
ſchon Quintus Victorius und Cajus Arinius
den
[859[861]]Arminius und Thußnelda.
den Faͤhnrichen die Roͤmiſchen Kriegs-Fahnen
aus den Haͤnden rieſſen/ ſelbte unter die Feinde
warffen/ umb das Kriegs-Volck zu derſelben
Wiedereroberung aufzufriſchen und vorwerts
durchzudringen. Aber dieſe verwegene/ wie-
wohl vormals gluͤcklich ausgeuͤbte Kriegs-Liſt
wolte dißmal nicht gelingen. Denn Bojorich
fochte an der Spitze wie ein Loͤwe mit unver-
wendetem Fuſſe; und muͤhte ſich nicht allein ſei-
nen Deutſchen ein Beyſpiel hertzhafter Gegen-
wehr zu geben; ſondern gar in das Laͤger zu
dringen. Dieſer blutige Kampf hatte ſchon ei-
nen halben Tag gewaͤhret/ als Hertzog Dorulach
mit ſeiner Huͤlffe ankam. Weil aber theils das
Gedraͤnge der Streitenden/ theils die holen
Wege ihn verhinderten auf dieſen beyden Sei-
ten an Feind zu kommen/ fuͤgte er mit ſeiner Rei-
terey und wenigem Fuß-Volcke ſich zur dritten
Pforte/ ſprang vom Pferde/ thaͤt den erſten Hau
ins Thor; und ungeachtet es gleichſam Pfeile
auf ihn regnete/ ließ er doch mit ſeinen Neme-
tern/ die er ſtets zur Leibwache umb ſich hatte/
nicht ab/ biß er ins Laͤger gebrochen war. Die
drey Kriegs-Oberſten Lucius Poſtumius/ Mar-
cus Atinius und Titus Sempronius bothen
ihm zwar hertzhaft die Spitze; aber die erſten
zwey erlegte er mit eigner Hand/ den letztern ein
Nemetiſcher Edelmann Solms/ und blieben
mehr als fuͤnfhundert Roͤmer bey dieſem Thore
todt; ja Dorulach ward Meiſter des Laͤgers.
Sehet aber/ was fuͤr ein Zufall den Deutſchen
die Vollkommenheit eines herrlichen Sieges
zernichtete! Es ließ ein Theil Roͤmiſcher Reite-
rey/ das fuͤr das Laͤger allerhand Nothdurfft ein-
zuholen ausgeſchickt war/ ſich auf der nechſten
Hoͤhe ſehen/ ꝛathſchlagende: Ob es bey vermeꝛck-
ter Verwirrung im Roͤmiſchen Laͤger fortruͤ-
cken ſolte. Der Buͤrgermeiſter aber gebrauch-
te ſich dieſer ſchlechten Huͤlffe durch Kriegs-Liſt
zu einem groſſen Vortheil; kleidete alsbald etli-
che Marſen nach deutſcher Art aus; welche zu
den Deutſchen uͤberlieffen/ und dem Fuͤrſten
Bojorich faͤlſchlich entdeckten: daß der ander
Roͤmiſche Buͤrgermeiſter/ deſſen Vortrab ſchon
auf der Hoͤhe ſtuͤnde/ mit zwantzig tauſend
Mann keine Meil weges weit mehr entfernet
waͤre. Die er ſcheinbare Betrug verleitete
den Bojorich: daß er dem Fuͤrſten Dorulach das
Roͤmiſche Laͤger zu verlaſſen/ dem gantzen Heere
aber ſich mit geſchloſſenen Hauffen wieder in das
deutſche Laͤger zu ziehen anbefahl. Hertzog
Dorulach ſchaͤumte fuͤr Zorn hieruͤber; ſonder-
lich: da die ausgeſchickte Kundſchafft entdeckte;
wie ſo leicht ſie ſich die ſchlauen Roͤmer haͤtten
hinters Licht fuͤhren laſſen. Dieſe hingegen
wurden ſo hochmuͤthig: daß ſie folgenden Tag
durch Stuͤrmung des deutſchen Laͤgers den vor-
hergehenden Schimpf abzuleſchen vermeynten.
Bojorich aber fiel zu einer/ Hertzog Dorulach
zur andern Pforte heraus/ und griffen die Roͤ-
mer mit ſo groſſer Tapferkeit an: daß ihrer fuͤnf
tauſend auf dem Platze blieben/ und ſie ſich an-
fangs mit genauer Noth ins Laͤger/ hernach gar
biß nach Placentz zuruͤcke ziehen muſten. Sci-
pio vermeynte mit einem abſondern Heere zwar
bald bey den Bojen/ bald bey den Liguriern ein-
zubrechen; aber er muſte nur/ wegen Wachſam-
keit des Fuͤrſten Ehrenfrieds/ allenthalben un-
verrichteter Sache zuruͤck weichen. Jnzwi-
ſchen berichteten die furchtſamen Carthaginen-
ſer/ welche hierdurch die ihnen vom Maſaniſſa
abgedrungene Stadt Leptis/ und die darzu ge-
hoͤrige Landſchafft wieder zu erlangen vermeyn-
ten/ nach Rom: daß deꝛ von ihnen fluͤchtige Anni-
bal/ auf den ſie vorher auch die Schuld des andern
Puniſchen Krieges beym Scipio und zu Rom
gelegt hatten/ wie auch Thoas der Etolier Fuͤrſt
den Antiochus zum Kriege wider Rom aufgewi-
ckelt/ er auch durch dẽ Ariſto vom Tyrus Cartha-
go einzuflechtẽ ſich bemuͤhet haͤtte. So knechtiſch
waꝛ Carthago durchs Ungluͤck worden; Annibal
aber haͤtte es fuͤr ein Gluͤcke zu achten gehabt/
wenn ſeine Wohlthaten verraucht/ nicht aber ſo
undanckbar belohnt worden waͤren. Alleine
Q q q q q 2dieſe
[860[862]]Sechſtes Buch
dieſe waren von derſelben Art/ derer Eigenſchaft
es iſt aus ſich ſelbſt Haß und Undanck zu hecken;
nemlich: Sie waren von ſolchem Gewichte:
daß Carthago ihr keine Hoffnung machen konte
weder ſie zu vergelten/ noch ihre Fehler/ da ſie
Annibaln muthwillig im Stiche lieſſen/ auszu-
leſchen. Denn weil der Menſch ihm verklei-
nerlich haͤlt Wohlthaten zu empfangen/ und dar-
durch ſeine Schwaͤche ſehen zu laſſen/ als ſelbſt
wohlzuthun; nim̃t ein freyes Gemuͤthe niemals
gerne fremde Huͤlffe an; wird ſchamroth uͤber
der empfangenen; muͤht ſich ſelbſt zweyfach zu
vergelten; wenn es diß aber nicht vermag/ ver-
wandelt die hieruͤber geſchoͤpfte Verdruͤßligkeit
ſolch zartes Erkaͤntnuͤß in bittern Haß und Ver-
folgung/ wie wenige Saͤure die fuͤſſeſte Milch in
Matten und Molcken. Antiochus regte ſich
hierauf zwar/ als wenn er die Roͤmer bekriegen
wolte: aber ſeine groſſe Kraͤfften machten mehr
Geſchrey als Werckes. Er weigerte Anni-
baln ein Theil des Heeres umb in Jtalien einzu-
fallen/ und mit den Deutſchen ſich zu verein-
baren; da doch die Wahl kluger Heerfuͤhrer fuͤr
die Beſelung eines Krieges zu achten/ weil dieſe
ſonder Zweifel ihr Hertz ſind. Der eitele An-
tiochus vergnuͤgte ſich an dem Griechiſchen Ge-
ſtade ſeine von Gold und Purpur ſchimmernde
Zelten uͤber kuͤhle Baͤche aufzuſpannen; die mit
edelſtem Weine ſchaͤumende Cryſtall-Glaͤſer zu
tauſenderley Uppigkeiten ſeinem maͤchtigem
Heere gleichſam die Spann-Adern zu verſchnei-
den. Gleichwohl waren hieruͤber die Roͤmer
nicht wenig bekuͤmmert; zumal auch Fuͤrſt Na-
bis zu Sparta/ und die Acheer ſich gegen Rom
Feind erklaͤꝛten; inſonderheit aber die Deutſchen
mit viertzig tauſend Mann biß nach Piſa fort-
ruͤckten. Daher ſie den Africaniſchen Scipio
nicht nur zum Antiochus ihn vom Kriege abzu-
halten/ als nach Epheſus zum Annibal/ deſſen
Klauen ſie ſchon mehr als zu viel empfunden
hatten/ ihm entweder die eingebildete Tod-
Feindſchafft der Roͤmer gegen ihn auszureden/
oder zum minſten ihn beym Antiochus zu ver-
daͤchtigen/ abſchickten. Alleine er richtete auſ-
ſer dem letztern Abſehen wenig aus; hingegen
ſperreten die Fuͤrſten Corolam und Bojorich den
Buͤrgermeiſter Minutius mit dem gantzen wi-
der ſie auf gefuͤhrten Heere zu Piſa ein; und weil
er zu keinem Treffen zu bringen war/ holeten ſie
reiche Beute durch gantz Hetrurien. Der
Buͤrgermeiſter Cornelius Merula holete mit
ſeinem Heere zwar einen Raub aus der Bojen
Gebiete; aber Hertzog Ehrenfried und Doru-
lach ſchnitten ihm bey Mutina den Weg ab/
und noͤthigten ihn zu einer blutigen Schlacht.
Es war in vielen Jahren nicht grimmiger als
allhier gefochten worden. Fuͤrſt Dorulach
brachte den lincken Fluͤgel der Roͤmer/ welchen
Titus Sempronius vorigen Jahres Buͤrger-
meiſter fuͤhrte/ bald anfangs in Verwirrung;
aber Marcus Marcellus entſetzte ihn mit einer
gantzẽ Legion. Livius Salinator brachmit ſeiner
Reiterey zwar durch die erſten Hauffen des deut-
ſchen rechten Fluͤgels/ aber Fuͤrſt Ehrenfried er-
gaͤntzte mit ſeiner Vorſicht und Tapferkeit als-
bald die Luͤcken. Die Schlacht tauerte biß in die
ſinckende Nacht; da denn Finſternuͤß und Muͤ-
digkeit beyde wiewohl ſich des Sieges ruͤhmende
Theile zwang/ ihrer Blutſtuͤrtzung ein Ende
zu machen; wiewol Dorulach mit ſeinen zwey
groſſen auf dem Helme ſtehenden Hoͤrnern ſich
auch im duͤſtern ſichtbar/ durch die Schaͤrffe ſei-
nes Schwerdtes empfindlich machte/ und die
Wallſtatt behauptete; hernach aber beym Lich-
ten ſchwerer als vorher zu erkennen war; weil
er allenthalben von Blute troff/ gleich als
er ſich darinnen gebadet haͤtte. Auf deut-
ſcher Seite blieb des Dorulachs Bruder Budo-
ris/ auf Roͤmiſcher/ die Kriegs-Oberſten Mar-
cus Genutius und Marcus Martius/
drey und zwantzig Hauptleute/ fuͤnf tauſend
Roͤmer/ und zweymal ſo viel Huͤlffs-Voͤlcker.
Kurtz
[861[863]]Arminius und Thußnelda.
Kurtz hierauff traff auch Minutius mit dem
Fuͤrſten Corolam; als Hertzog Bojorich mit ei-
nem Theile des Heeres gegen dem Fluſſe Au-
ſer die Liguriſche Graͤntze fuͤr der Roͤmer Ein-
fall beobachtete. Dieſe Gelegenheit und der
Mangel an Lebensmitteln zwang den Minu-
tius: daß er wiewohl mit ziemlichem Verluſt
durch die Bojen durchſchlagen/ und uͤber den
Fluß Coͤcina zuruͤck weichen muſte. Welches
alles zu Rom ſchlechtes Vergnuͤgen gab/ weil ſie
gemeinet durch dieſe zwey maͤchtige Heere alle
Bojen auszurotten; wiewol Marcus Fulvius
in Hiſpanien dieſe Scharte mercklich ausge-
wetzt hatte; weil von ihm die Celtiberier geſchla-
gen/ und ihr Koͤnig Hilerm gefangen worden
war. Folgendes Fruͤh-Jahr zohen die Buͤr-
gemeiſter Lucius Qvintius/ und Domitius E-
nobarbus mit zwey maͤchtigen Heeren wider
die Bojen und Ligurier auff. Aber ſie gerie-
then in euſſerſte Noth und Gefahr. Denn
Fuͤrſt Dorulach uͤberfiel die Roͤmiſche Reuterey
bey Turſena/ und ſchlug ſie aus dem Felde. Co-
rolam und Bojorich aber ſtuͤrmten gar das Roͤ-
miſche Laͤger an dem Fluſſe Auſſer; deſſen ſchnel-
le Ergieſſung alleine die Eroberung verhinder-
te. Gleichwohl aber traute Qvintius nicht den
andern Sturm der ergrimmten Deutſchen zu
erwarten; ließ alſo allen Vorrath im Stiche/
und machte ſich des Nachts ſtillſchweigend uͤber
ein Theil des Gebuͤrges. Nachdem aber ein
Uberlaͤuffer ſolches verkundſchaffte/ ſchwemmte
Fuͤrſt Dorulach mit einem Theile der Reuterey/
und einer Anzahl hinten auff die Pferde geſetz-
ten Fußvolcks durch den Fluß Auſer/ deſſen
Waſſer ſich ehe in der Mitten empor woͤllet/ ehe
er ſein Ufer uͤbergeuſt; kam alſo den Roͤmern
nicht allein zuvor/ ſondern verhieb und beſetzte
auch den Ausgang des Forſtes/ durch welches
Qvintius unvermeidlich ziehen muſte. Her-
tzog Corolam ließ ein Theil ſeines Volckes zu
Bewahrung des verlaſſenen Roͤmiſchen Laͤgers/
folgte den Roͤmern auff der Ferſe nach und be-
ſetzte den Eingang des Waldes. Fuͤrſt Bojo-
rich beobachtete die Seiten und Fuß-Steige.
Alſo waren die Roͤmer im Sacke; und menſchli-
chem Anſehen nach/ muſten ſie entweder erhun-
gern oder ſich ergeben. Qvintius ſelbſt wuſte
mehr weder Huͤlffe noch Rath/ und wolte ihm
ſchon ſelbſt verzweiffelnde das Schwerd in
Bauch ſtoſſen; als Maſaniſſens Sohn Mi-
cipſa/ welcher mit acht hundert Numidiern den
Roͤmern allhier Beyſtand leiſtete/ ihm das
Schwerd aus den Haͤnden wand/ die Thor-
heit der das Laſter des Bruder- und Vater-
Mords uͤbertreffenden eigenen Entleibung fuͤr
Augen ſtellte/ und ihm aus dieſer Fallgrube zu
gelangen Hoffnung machte. Micipſa erwehl-
te hierauff einen gemeinen ihm nicht unehnli-
chen Numidier/ zohe ihm ſeine von Gold und
Edelgeſteinen ſchim̃ernde Kleider und Ruͤſtung
an; gab ihm etliche der treueſten Numidier zu ſei-
ner Bedienung zu/ und beredete ihn durch groſ-
ſe Verheiſſungen: daß er unter ſeinem Nah-
men folgende Nacht zu den Deutſchen uͤberge-
hen/ und den freyen Abzug/ oder nur zum min-
ſten eine ertraͤgliche Gefaͤngnis biß zu ihrer
Ausloͤſung erbitten ſolte. Dieſer Numidier
wuſte dieſen Betrug meiſterlich zu ſpielen/ ließ
zwey ſeiner Geſellen zu der euſſerſten Wache
der Deutſchen kriechen/ und ſeine Ankunfft be-
richten. Fuͤrſt Bojorich hoͤrte dieſe zwey Uber-
laͤuffer vergnuͤgt an/ ſchickte auch alſofort den ei-
nen zuruͤck/ mit Vermeldung: daß/ weil die
Deutſchen nur der Roͤmer/ nicht der Numidier/
und inſonderheit des aus deutſchem Gebluͤte ent-
ſproſſenen Maſanißa Feinde waͤren/ ſolte Mi-
cipſa nicht nur gerne geſehen/ ſondern auch
Fuͤrſtlich gehalten werden. Kurtz hierauff fand
ſich der falſche Micipſa ein/ mit Bericht: daß
ſeine Numidier/ ſo bald ſie ſich nur wuͤrden weg-
ſpielen koͤnnen/ insgeſamt nachfolgen/ und zwar
zu mehrer Verſicherung alle ihre Waffen weg-
werffen wuͤrden. Die Sonne war kaum
auffgegangen/ als der Numidiſche Schwarm
Q q q q q 3ſich
[862[864]]Sechſtes Buch
ſich gegen den euſſerſten Wachen der Deutſchen
ſehen ließ/ ſich auch anſtellte: als wenn ihre Flucht
verrathen waͤre/ und ſie von Roͤmern verfolgt
wuͤrden. Wie ſie denn auch im Angeſichte der
deutſchen Wachen ihre Sebeln und Bogen
wegwarffen/ und alſo auff des Fuͤrſten Bojo-
richs ohne diß vorher ertheilten Befehl unver-
hindert durchgelaſſen wurden. So bald ſie a-
ber zwiſchen dieſen Wachen und dem deut-
ſchen Laͤger das freye Feld bekamen/ rennten
ſie ſpornſtreichs auff der Seite weg/ ohne daß
ſie einiger Deutſche verfolgte/ weil ſie mit ih-
rem Fuͤrſten Micipſa ein genugſames Pfand
ihrer Treue in Haͤnden zu haben vermeinten.
Alleine ſie zertheilten ſich alſobald in unterſchie-
dene Hauffen/ durchſtreifften Ligurien biß an
den Fluß Macra/ zuͤndeten Bondelia/ Turſe-
na und etliche hundert unbeſetzte Flecken an/
hieben auch mit ihren unter denen langen Roͤ-
cken verborgenen Sebeln alles nieder. Nicht
nur der Rauch und die Flammen/ ſondern das
Wehklagen der armen Ligurier eroͤffneten als-
bald der Numidier Betrug/ und wolte Bo-
jorich das gantze fuͤr Schrecken bebende Liguri-
en nicht gar in die Aſche legen laſſen; ſo muſte
er ein groſſes Theil ſeines Heeres dort und dar-
hin dieſen Moꝛd brennern zu ſteuern von ſich laſ-
ſen. Ja weil ieder Ligurier fuͤr ſein Haus und
Hoff Sorge trug; lieffen ſie auch ohne des Her-
tzogs Zulaſſung ihren eigenem Brande zu; alſo:
daß Bojorich kaum fuͤ[n]ff tauſend Bojen bey
ſich behielt. Dieſes nahmen die Roͤmer fleiſ-
ſig wahr; brachen daher mit ihrer groſſen Macht
an dreyen nicht halb beſetzten Wegen durch; al-
ſo: daß Bojorich mit hoͤchſtem Unwillen ſich in
das Roͤmiſche Laͤger ziehen/ und das Roͤmiſche
Laͤger ſeitwaͤrts ab-nach dem Piſiſchen Gewaͤſ-
ſer muſte entkommen laſſen. Weßwegen er
denn auch im erſten Grimme den falſchen Mi-
cipſa mit ſeinen Geferthen ans Kreutze nageln
ließ/ wiewohl er dieſe Schaͤrffe hernach ſelbſt
bereuete/ und die Treue dieſer Numidier dem
Unterfangen des edlen Zopyrus gleich ſchaͤtz-
te/ welcher mit abgeſchnittener Naſe und Oh-
ren zu den Babyloniern uͤberlieff/ um ſeinem
Koͤnige Darius ſelbige Stadt in die Haͤnde zu
ſpielen. Nachdem aber die Roͤmer die Aus-
rottung der ſtets ſchwuͤrigen Deutſchen in Jtali-
en fuͤr den Grundſtein ihrer Wolfahrt hielten;
ja ſich ſo lange nicht recht ſicher in Rom ſchaͤtzten/
fuͤhrte Qvintus Minutius voriges mit noch
zehn tauſend Mann verſtaͤrcktes Heer gegen ſie
an; Bojorich und Dorulach aber zohen ihm biß
unter Piſa entgegen; und kam es da abermahls
zu einem hitzigen Gefechte; weil aber den Deut-
ſchen Wind und Sonnenhitze in das Geſichte
ging/ beyde Fuͤrſten auch verwundet wurden/
muſten ſie das Feld raͤumen; und weil ſich die
Roͤmer noch taͤglich durch Huͤlffs-Voͤlcker
verſtaͤrckten/ alſo daß ſie zu beforgen hatten: es
doͤrffte ihnen der Ruͤckweg uͤber den Fluß Au-
ſer abgeſchnitten werden/ ſich aus dem Laͤger
heimlich in Ligurien ziehen. Wiewohl dieſer
Schade nun zu verſchmertzen war; ſo war doch
dieſer unſchaͤtzbar: daß Fuͤrſt Bojorich nicht nur
fuͤr Kummer ſtarb/ ſondern auch Fuͤrſt Doru-
lach von ſeinen Nemetern/ wegen Abſterben
ſeines Vaters Budoris/ in Deutſchland zuruͤck
beruffen ward. Hingegen brach der Buͤrger-
meiſter Lucius Qvintius bey den Liguriern/ Cne-
us Domitius bey den Bojen mit zwey maͤch-
tigen Heeren ein. Ob nun wohl hier Fuͤrſt
Corolam/ welcher aber wegen vieler Wunden
mehrmahls auff dem Siech-Bette bleiben mu-
ſte/ do[r]t Hertzog Ehrenfried tapffern Wider-
ſtand that; ſo uͤberwog doch die Roͤmiſche Macht
und das Gluͤcke die deutſche Tapfferkeit; und
muſten ſie/ nachdem der weibiſche Koͤnig An-
tiochus ſie lange genug vergebens mit vertroͤ-
ſteter Huͤlffe geſpeiſet hatte/ einen Frieden
ſchluͤſſen/ alle Roͤmiſche Gefangenen auslief-
fern/ und noch etliche feſte Plaͤtze abtreten;
ja
[863[865]]Arminius und Thußnelda.
ja auch ein groſſes Stuͤcke Geldes bezahlen;
worvon zu Rom ein vierſpaͤnniger guͤldener
Wagen nebſt zwoͤlff mit Golde uͤberzogenen
Schilden gefertigt/ und zum Siegs-Zeichen
uͤber die hierdurch auffs neue verbitterte
Deutſchen/ dem Jupiter auffgehencket wur-
den. Hiermit erklaͤrete allererſt Antiochus auff
bewegliches Einreden Annibals den Krieg wi-
der die Roͤmer; aber ſo bald er nur hoͤrte: daß
der Buͤrgermeiſter Acilius Glabrio wieder ihn
im Anzuge war/ flohe er. Sein Heer aber
ward bey der beruͤhmten Enge zwiſchen Pho-
cis und Theſſalien ereilet/ geſchlagen/ und ſei-
ne Macht aus gantz Grichenland verjaget.
Dieſe gluͤcklichen Streiche machten die Roͤ-
mer uͤbermuͤthig; alſo: daß ſie die Deutſchen
und Gallier in Jtalien zu vertilgen nunmehr
ungezweiffelte Hoffnung ſchoͤpfften. Minu-
tius brach alſo mit einem f[r]iſchen Heere in Li-
gurien ein. Die Einwohner/ als ſie ſahen/
daß es nun nicht allein um ihre Freyheit/ ſon-
dern um ihr Leben zu thun waͤre; verſchwu-
ren ſich zuſammen bey einander vollends
Gutt und Blut auffzuſetzen. Die wenige
Hoffnung gegen die Roͤmiſche Macht laͤnger
zu beſtehen/ und die Ungedult ihres Hertzogs/
welcher eine boͤſſe Entſchluͤſſung fuͤr beſſer
hielt/ als keine; verurſachte: daß ſie des
Nachts des Minutius Laͤger ſtuͤrmeten/ wel-
ches er mit der Helffte ſeines Heeres leicht be-
ſchirmete. Als nun er die Ligurier uͤberaus
abgemattet ſahe; fiel er bey anbrechendem
Tage mit ſeinem ausgeruheten Volcke zu zwey
Pforten heraus; aber er fand nichts deſtomin-
der maͤnnlichen Widerſtand; wiewohl end-
lich die viel ſchwaͤchern Deutſchen nach Ver-
luſt vier tauſend Mann das Feld raͤumen/
und ſich in die Gebuͤrge ziehen muſten. Zwey
Monat darnach traff der Buͤrgermeiſter Pu-
blius Cornelius Scipio mit einem noch ſtaͤr-
ckern Heere gegen die Bojen vom Morgen
biß in die ſinckende Nacht. Weil denn die-
ſe ſo hartnaͤckicht fochten: daß ſie Vermoͤge
ihres gethanen Geluͤbdes lieber alle ſterben
als flichen wolten; blieben ihrer fuͤnff und zwan-
zig tauſend todt; unter dieſen alle Bojiſche Fuͤr-
ſten/ und der gantze Adel; alſo: daß die ver-
lebten Alten und die unvermoͤgenden Kinder
ſich ſchlechterdinges der Roͤmiſchen Botmaͤſ-
ſigkeit unterwarffen; auch die Helffte ihrer Ae-
cker Roͤmiſchen Einwohnern abtreten muſten.
Ob nun wohl auff Roͤmiſcher Seite auch uͤber
zehntauſend Mann blieben waren/ hielt doch
Scipio ein praͤchtiges Siegs-Gepraͤnge/ in
welchem er tauſend ſchoͤne Pferde/ fuͤnff hun-
dert beſpannte Streit-Wagen/ etliche tauſend
Ertztene Geſchirre/ funffzehn hundert goldene
Ketten/ die die Edlen uͤber ihren Waffen zu
tragen pflegten/ zweyhundert fuͤnff und vier-
zig Pfund ungeſchlagenes Gold/ zwey tauſend
drey hundert und vierzig Pfund Silber ihm
fuͤr fuͤhren ließ. Bald hierauff ſchlug Emi-
lius Regillus mit Huͤlffe der Rhodier des An-
tiochus Schiff-Flotte/ und mit ſelbter den un-
gluͤcklichen Annibal aus der See; Lucius Cor-
nelius Scipio ſetzte unter allen Roͤmern zum
erſten mit Kriegs-Macht in Aſien uͤber; und
das Verhaͤngniß ſtrit hier ebenfals fuͤr die
Roͤmer. Denn bey darauff folgender Schlacht
fiel ein hefftiger Platz-Regen; und machte die
Seenen an den Perſiſchen Bogen/ und das
Leder an den Schleudern/ welches der Aſia-
tiſchen Voͤlcker beſte Waffen ſind/ unbrauch-
bar. Dieſe groſſe Niederlage/ und des Koͤ-
nigs Eumenes Beyſtand zwang dem weibi-
ſchen Antiochus einen ſchimpfflichen Frieden
ab; indem er ſich alles Gebietes in Europa
und in Aſien diſſeits des Tauriſchen Gebuͤr-
ges verzeihen/ alſo Lycaonien/ Phrygien/ My-
ſien/ Jonien/ Lycien/ Carien abtreten/ fuͤnff-
zehn tauſend Talent den Roͤmern/ fuͤnff hun-
dert nebſt einer Menge Getreydes dem Koͤni-
ge Eumenes bezahlen/ den Annibal nebſt etli-
chen Grichiſchen Herren auszulieffern ver-
ſpre-
[864[866]]Sechſtes Buch
ſprechen muſte. Der Fall eines ſo groſſen Bau-
mes verurſachte die Zerſchmetterung der an
ihm hangender Aeſte/ deßhalben wurden des
Antiochus Bundgenoſſen die Etolier und Jſtri-
er ebenfalls leicht unters Joch bracht/ und der
letzte Koͤnig Apulo gefangen.
Weil nun das Verhaͤngniß in der Welt ein
neues Reich auffzuthuͤrmen beſtimmt hat-
te; ſolches auch die Natur etliche Zeit hernach
durch Gebehrung eines neuen Eylandes zwi-
ſchen Theramene und Theraſia ankuͤndigte;
miſchte ſich der Deutſchen Gluͤcke in Griechen-
land und Aſien auch greulich durch einander.
Denn nachdem ſie anfangs den Koͤnig in Sy-
rien Callinicus/ hernach den ſie fuͤr ſolchen Sieg
uͤbel belohnenden Antiochus geſchlagen hatten/
verſetzte der Pergameniſche Koͤnig Attalus
Eumenes denen noch von voriger Schlacht muͤ-
den und blutigen Deutſchen einen ſolchen
Streich: daß ſie eine Zeit ſich zu erholen be-
durfften; ſonderlich da ihr Bundgenoſſe Anti-
ochus endlich noch vom Seleveus uͤberwunden/
und zum Koͤnige Artamenes in Cappadocien/
endlich in Egypten zu fliehen gezwungen ward.
Gleichwohl aber wolten ſie dem Attalus das
zwiſtige Aſien nicht gar zur Beute laſſen; ſon-
dern nahmen ſich der ſchwaͤchern Voͤlcker wider
ihn an/ und ergaͤntzten alſo durch die Stuͤcke
fremden Schiffbruchs ihr zerſchleudertes Reich.
Jnzwiſchen zohe Antigonus Gonatas/ der
durch Wegwerffung Kron und Zepter das ſei-
nem Muͤndlein geraubte Reich Macedonien
behauptete/ die in Griechenland gebliebenen
Deutſchen mit vielen Vertroͤſtungen an ſich;
und uͤberwaͤltigte durch ſie das vor nie erober-
te Sparta. Jn Aſien breitete Attalus ſeine
Herrſchafft noch immer aus/ und war ſelbtes
diſſeits des Tauriſchen Gebuͤrges voͤllig unter-
worffen. Daher kam Selevcus Ceraunus uͤ-
ber dieſen Berg mit einem maͤchtigen Heere
um die ſeinem Vater Selevcus Callinicus ab-
genommene Laͤnder wieder einzunehmen. Die-
ſes zwang den Attalus mit den Deutſchen ein
Buͤndniß zu machen/ und die zeither ſtrittige
Landſchafft abzutreten. Hingegen ſtieß ihr
Hertzog Apatur zu ſeinem Feldhauptmanne
Nicanor; welche an dem Fluße Melas das Sy-
riſche Heer mit ſamt ihrem Koͤnige Selevcus er-
ſchlugen. Acheus ſein Blutsfreund aber brachte
in ſo geſchwinder Eil ein maͤchtiger Heer auf die
Beine/ und ruͤckte ſo unvermerckt den Feinden
auff den Hals: daß ſie ehe den Anfall als die
Ankunfft erfuhren. Die Per gamener nahmen
ſchier alle/ auſſer Nicanor mit tauſend Edel-
leuten die Flucht. Hertzog Apatur ſtand mit
ſeinen Deutſchen Mauer-feſte/ und hielt einen
halben Tag die wohl zehnmahl ſtaͤrckern Sy-
rier hertzhafft auff. Nachdem aber er mit ei-
nem Pfeile durchs Hertz getroffen/ und Nicanor
vom Pferde gerennt und zertreten ward/ kam al-
les in Verwirrung und in die Flucht. Weil
Acheus aber zwey Feinde zu haben nicht fuͤr
rathſam hielt/ und die im Stiche gelaſſenen
Deutſchen ohne diß gegen die Pargoner verbit-
tert waren/ ließ er alle ihre Gefangene loß/ und
machte mit ihnen Frieden. Hingegen verfolg-
te er die Pergamener mit Feuer und Schwerdt/
und brachte ſie allenthalben ins Gedraͤnge.
Weßwegen die Syrer ihm ihre Krone antru-
gen; welche er aber großmuͤthig des Selev-
cus Sohne als dem rechtmaͤßigen Reichs-Er-
ben auffſetzte. Nachdem aber Acheus alles
verlohrne in Aſien wieder einnahm/ ja den Atta-
lus ſelbſt in der Stadt Pergamus belaͤger-
te/ vermochte ſeine Gemuͤths-Maͤßigung ſo
groſſes Gluͤcke nicht mehr zu verdeyen/ und
daher eignete er ihm alles diſſeits dem Tau-
rus zu/ und warff ſich zum Koͤnige auff. An-
tiochus in Syrien meinte diß Verluſts hal-
ber ſtch an dem in Wolluſt ſchwimmenden Va-
ter-Moͤrder Ptolomeus zu erholen; kauffte da-
her ſeinem uͤbelbelohnten Stadthalter Theodo-
tus die Staͤdte Selevcia und Ptolomais ab/ ruͤ-
ſtete ſich auch gar in Egypten einzubrechen.
Pto-
[865[867]]Arminius und Thußnelda.
Ptolomeus aber zog aus Griechenland und
Galatien 20000. Deutſche an ſich; ſchlug dar-
mit bey der Stadt Raphia in Syrien den viel
ſtaͤrckern Antiochus aus dem Felde/ und zwang
ihm den Frieden mit Abtretung alles verlohr-
nen ab. Unterdeſſen ruffte Attalus die in Thra-
cien wohnenden Deutſchen uͤber den Helleſpont
wider den Archeus zu Huͤlffe/ und eroberte durch
ſie Smyrna/ Phocea/ Colophon und Myſien.
Wie ſie aber uͤber den Fluß Lycus/ das Pelecan-
tiſche Gebuͤrge biß an den Strom Megiſtus ih-
ren Sieg ausbreiteten/ wurden ſie durch eine
Finſternuͤß erſchrecket weiter zu gehen. Da-
her ſie Attalus zuruͤcke ließ/ und ihnen am Hel-
leſpont eine Landſchafft einraͤumte. Weil ſie
aber hernach als Leibeigene gedruͤckt wurden;
warffen ſie des Attalus Joch von ſich ab/ und be-
laͤgerten Jlium. Die Phrygier aber trieben
ſie unter dem Fuͤrſten Themiſta von Jlium und
aus gantz Troas aus. Die Deutſchen ſetzten
hierauf in der Abideniſchen Landſchafft feſten
Fuß/ und eroberten die Stadt Arisba. Es war
aber ihnen Koͤnig Pruſias mit einem friſchen
Heere bald auff den Dache; welcher nach einem
blutigen Gefechte/ darinnen alle Maͤnner mit
dem Degen in der Hand fielen/ auch durch Nie-
derhauung ihrer Weiber und Kinder/ auſer de-
nen/ welche in der Stadt Abydus ſich als Buͤr-
ger niedergelaſſen hatten/ ſie mit Strumpf und
Stiel ausrottete. Nicht viel gluͤcklicher wa-
ren die Deutſchen in Abydus; ſintemal ſie vom
Koͤnige Philip in Macedonien/ weil ſie ſeine
Geſandten nicht in die Stadt laſſen wolten/ be-
laͤgert/ und um nicht in des grimmigen Siegers
Haͤnde zu fallen/ ſich und die ihrigen wie die
Saguntiner ſelbſt aufzureiben genoͤthigt wur-
den; welcher aber kurtz hernach an den Roͤmern
und den Grichiſchen Bundgenoſſen um 4000.
Pfund Goldes geſtrafft/ ſeinen Sohn Deme-
trius nach Rom zur Geiſſel zu ſchicken/ und die
eroberte Griechiſche Staͤdte in Freyheit zu ſe-
tzen gezwungen ward. Sintemal ſeine vor-
hin gebrauchten Werckzeuge vieler Siege die
Thraciſchen Deutſchen von ihm abſatzten. Jn
Galatien aber behielten die Deutſchen noch ſo
wol ihr Anſehn als Kraͤffte unverſehret; alſo:
daß zwiſchen dem Pergameniſchen Koͤnige At-
talus/ und dem Bithyniſchen Pruſias ſie gleich-
ſam die Zunge in der Wagſchale waren: daß/
wo ſie/ alſo auch ihr Gluͤcke hinhieng. Daher
ſie und die Rhodier bey Chius auch dem fluͤchti-
gen Attalus/ hernach aber/ als ſie auf Annibals
Beredung ſich zu dem Pruſias ſchlugen/ wi-
der des Attalus Nachfolger Eumenes mit ihm
eine herrliche See-Schlacht/ und zwar durch
viel in die Pergameniſchen Schiffe geworffe-
ne Schlangen-Toͤpffe erhielten; hernach auch
ſeinen Bruder den dritten Attalus aufs Haupt
erlegten/ die Hauptſtadt Pergamus einnah-
men/ und das angebetete guͤldene Bild des
Eſculapius zur Beute bekamen/ und dem Pru-
ſias verkaufften. Eben ſo hoch waren ſie mitt-
ler Zeit beym groſſen Antiochus in Syrien ge-
ſehen; alſo: daß er 500. Deutſche Edelleute zu
ſeiner Leibwache erkieſete/ ihrem Koͤnige Men-
dis eine jaͤhrliche Schatzung zahlte/ ja ſeine
Tochter Arſinoe/ als ſie der Pergameniſche Koͤ-
nig Eumenes aus Furcht fuͤr den Roͤmern/ nicht
wie Ptolomeus in Egypten Cleopatren/ und
Ariarathes in Cappadocien/ die Antiochus an-
nehmen wolte/ ihm vermaͤhlte. Als dieſer nun
dem Annibal beyſtimmte/ ſich denen in Grie-
chenland bereit zu Acro-Corinth/ Chalcis und
Demetrias eingeniſteten/ und durch den Atta-
lus und Eumenes in Aſien einſpielenden Roͤ-
mern bey zeite die Stirne zu bieten; ſetzte An-
tiochus mit dem Mendis und Annibaln uͤber
den Helleſpont/ nahm viel Staͤdte in Thracien
ein/ verband ſich mit Byzantz. Ob nun wohl
hierauf der Krieg durch die Roͤmiſche Botſchafft
eine weile aufgeſchoben/ und durch den Africani-
ſchen Scipio Annibal beym Antiochus verdaͤch-
tig gemacht ward; ſo trieb doch Nicanor und
Amynander der zwiſchen Acarnanien und Eto-
Erſter Theil. R r r r rlien
[866[868]]Sechſtes Buch
lien wohnenden Deutſchen oder Athamaner
Koͤnig/ wie auch der Etolier Fuͤrſt Democritus
mit ſeinen Kriegs-begierigen Deutſchen das
Werck ſo weit: daß Antiochus endlich mit
10000. Mann meiſt Deutſchen in dem Eylan-
de Euboa ausſtieg/ darauf Annibal Ehalcis/
Mendis alle uͤbrige Plaͤtze einnahm. Diß er-
regte zu Rom ein ungemeines Schrecken/ weil
der Rath beſorgte: daß nach Annibals und Ni-
canors Gutachten des Antiochus Aſiatiſches
Heer in Jtalien anlenden wuͤrde; Weßwegen
zu Tarent ein groſſes Heer zuſammen zog/ und
die Schiffs-Flotte ſelbige Kuͤſte bedeckte. An-
nibal ſpielte es inzwiſchen auch ſo kuͤnſtlich: daß
der Macedoniſche Koͤnig Philip aus alter ge-
gen die Roͤmer tragenden Gramſchafft mit dem
Antiochus ſeine Waffen zu vereinbaren fertig
ſtand. Alleine das unerforſchliche Verhaͤng-
nuͤß/ welches die Hand allenthalben mit im
Spiel hat/ ſchickte es ſo ſeltſam: daß diß/ wel-
ches Philip vom Antiochus fuͤr einen Liebes-
Dienſt aufzunehmen Urſache hatte/ zu einem
Zanck-Eiſen ward. Denn als dieſer die von
Roͤmern bey Cyno-Cephala erſchlagenen Ma-
cedonier begraben ließ/ deutete jener es fuͤr einen
ſchimpflichen Verweiß aus: daß er der Seini-
gen Beerdigung vernachlaͤßigt haͤtte; ſchlug
ſich alſo wider ihn zu den Roͤmern. Appius
Claudius kam nur mit 2000. Mann in Theſ-
ſalien; dieſe aber erſchreckten den weibiſchen
Antiochus ſo ſehr: daß weder Annibal noch Ni-
canor ihn von Verlaſſung der belaͤgerten Stadt
Lariſſa abwendig machen konte. Weil er nun
gar nach Chalcis floh/ und daſelbſt eine gemeine
Dirne Eubia heurathete/ ſein Heer in allen
Wolluͤſten erſauffen ließ/ auff den Fruͤhling aus
Acarnanien nur fuͤr dem Ruffe: daß die Roͤmer
uͤber das Joniſche Meer ſetzten/ drehte Mendis
mit ſeinen Deutſchen die Deichſel in Aſien/ um
an der vorgeſehenen Schande des Antiochus
kein Theil zu haben; welcher bald darauff von
dem Manius Acilius in der ſo vortheilhafftigen
Thermopyliſchen Enge geſchlagen/ und in
Cherſoneſus zu fliehen gezwungen ward. Nach
dem aber auch ſich Pruſias und die Rhodier zu
den Roͤmern ſchlugen/ Diophanes des Antio-
chus Sohn/ Selevcus von Pergamus abtrieb/
verließ Antiochus auch den Cherſoneſus und die
Stadt Lyſimachia mit unglaublichem Vorra-
the. Wie nun die Deutſchen der Roͤmer Ein-
bruch in Aſien vernommen/ ſtieſſen ſie um die
allgemeine Freyheit zu vertheidigen aus Noth
bey dem Berge Sipylus in Lydien zu dem
fluͤchtigen Antiochus; und bewegten ihn: daß
er in den Thyatireniſchen Feldern mit ſeiner zu-
ſam̃en gezohenen Macht der bey Sardis ſtehen-
den Roͤmer wartete. Hier kam es zu der beruͤhm-
ten Schlacht/ welche die Herrſchafft Aſiens ent-
ſchied. Mendis fochte mit 5000. gepantzer-
ten Deutſchen in dem Hertzen des Syriſchen
Heeres neben der Koͤniglichen Phalanx; die
andern Deutſchen ſtanden unter dem Selevcus
nebſt den Cappadociern im lincken Fluͤgel; An-
tiochus ſelbſt fuͤhrte den rechten. Seinerſeits
aber war diß das erſte Ungluͤck: daß Koͤnig Ev-
menes durch anbefohlne Erlegung der Pferde
die Syriſchen Streitwagen verwirrete/ und
mit ſelbten die auf Kamelen fechtende Araber in
Unordnung brachte. Die gantze feindliche
Reuterey traf hierauff gegen die wie Loͤwen fech-
tende Deutſchen/ welche auch/ weil ſie von den
Syriern nicht entſetzt ward/ und die allzu enge
geſtellte Macedoniſche Phalanx ſich kaum ruͤh-
ren konte/ faſt alle ritterlich auf dem Platze blie-
ben. Worauf der lincke Fluͤgel in oͤffentliche
Flucht gerieth; die Phalanx aber nebſt dem
Deutſchen Fußvolcke von Roͤmern umringt
ward/ gleichwol aber nicht zertrennet werden
konte/ biß ihre in die Mitte genommene eigene
Elefanten ſie zertheilten/ und Domitius dis-
ſeits voͤlliger Sieger ward. Hingegen aber
durchbrach Koͤnig Antiochus die Roͤmiſchen Le-
gionen/ und drang biß an ihr Laͤger; ward aber
von dem uͤbrigen ſiegenden Heere/ und inſon-
derheit
[867[869]]Arminius und Thußnelda.
derheit dem mit ſeiner Reuterey ihm begegnen-
den Attalus nach vernommener Niederlage des
lincken Fluͤgels nach Sardes zu weichen ge-
zwungen; Von dar er ſich nach Apamea/ dahin
auch ſein Sohn Selevcus durch Huͤlffe ſeiner
Deutſchen Leibwache entronnen war/ und end-
lich in Syrien fluͤchtete/ einen ſchimpflichen
Frieden um 2000. Talent kauffte/ gantz Aſien
biß an das Calycadniſche und Sarpedoniſche
Vorgebuͤrge den Roͤmern abtrat/ ſeine Bunds-
genoſſen aber die Deutſchen und den Cappado-
cier Koͤnig Ariarathes liederlich im Stiche ließ.
Dahingegen der Buͤrgermeiſter Domitius den
Rhodiern/ Lycien und Carien/ dem Evmenes
faſt alles eroberte in Aſien abtraten. Ariara-
thes kaufte ihm noch mit Gelde Ruh; den Deut-
ſchen aber kuͤndigte Cneus Manlius alsbald
mit thaͤtlicher Feindſeligkeit einen unverſoͤhnli-
chen Krieg an. Die wahrhaffte Urſache war:
daß die Roͤmer keine ſichere Beſitzung des ero-
berten Aſiens ihnen einbildeten; ſo lange dieſes
ſtreitbare Volck nicht auch gezaͤmet waͤre; und
der Bithyniſchen Koͤnige eingewurtzelter Haß
wider dieſe Auslaͤnder trieb den Eumenes: daß
er die Roͤmer gegen ſie auffs eifrigſte verhetzte.
Hierzu kam noch die Zwytracht des Deutſchen
Koͤniges Orgiagon/ und Epoſſognat; welcher
allezeit auf Eumenes Seite gehincket/ auch bey
erſter Ankunfft der Roͤmer in Aſien/ mit ihnen
ein Buͤndnuͤß aufgerichtet hatte/ durch deſſen
Wegweiſ- und Anleitung Manlius denen
Deutſchen ſo viel leichter einen gluͤcklichen
Streich anzubringen hoffte. Alſo zohe Man-
lius mit dem gantzen Roͤmiſchen Heere/ zu wel-
chem noch des Eumenes Attalus und Atheneus
mit etlichen tauſenden ſtieſſen/ durch Aſien; un-
terwarf ihm die Alabander/ Gorditicher/ den
geitzigen Fuͤrſten Moageten/ ja gantz Pamphi-
lien und Carien. Endlich kam er in die Graͤn-
tzen der Toliſtobogier/ welche nebſt den Tectoſa-
gern und Trocmiern die drey fuͤrnehmſten Voͤl-
cker der Deutſchen und Semnoner ſind. E-
poſſognat bereuete zwar nunmehr/ aber zu ſpaͤt:
daß er ſeinen Landesleuten und Bluts-Freun-
den ſolche Gefahr auf den Hals ziehen helffen;
und alſo bemuͤhte er ſich auch auf einer Seite die
Roͤmer zu beſaͤnfftigen: weil der Deutſchen ei-
nem alten Bundsgenoſſen aus Pflicht geleiſtete
Beyſtand keine ſolche Feindſchafft verdiente/
zumal wenn man ſich mit dem/ welchem man
Huͤlffe geſchickt/ ſchon verglichen haͤtte; Andern
Theils wolte er die Deutſchen bereden/ ſich un-
ter den Schirm der Roͤmer zu begeben/ oder
wenigſtens eine jaͤhrliche Schatzung zu willi-
gen. Aber jenes Abſehen verruͤckte die Ehr-
ſucht des Manlius/ dieſes die Großmuͤthigkeit
der Deutſchen; welche Schatzung zu nehmen/
niemanden aber zu geben/ weniger ihrer Frey-
heit ein ſolch Brandmal einzubrennen gewohnt
waren. Daher fielen die Toliſtobogier dem
Manlius bey der Feſtung Kuball zum erſten
ein; erlegten alle Vorwachen/ und zohen ſich
uͤber den fiſchreichen Fluß Sangar zuruͤcke.
Wie nun aber die Roͤmer uͤber eine Schiffbruͤ-
cke mitaller Macht folgten/ die drey Koͤnige der
Deutſchen/ nehmlich Orgiago/ Combolomar
und Gaulot wegen der Beſchirmungs-Art ſich
nicht mit einander vergleichen kunten; Nahm
Orgiago mit den Toliſtobo giern den Berg O-
lympus/ Combolomar mit denen Tectoſagern
den Berg Magana ein; Gaulot aber blieb mit
den geſchwinden Trocmiern zu Felde/ mit Ver-
troͤſtung/ denen/ die die Roͤmer auff den Ge-
buͤrgen angreiffen wuͤrden/ beyzuſpringen.
Aber der Unſtern der Deutſchen gab dieſem
Rathſchluſſe einen betruͤbten Ausgang. Denn
weil die Roͤmer viel Cretenſiſche und Triballi-
ſche Bogenſchuͤtzen bey ſich/ die Roͤmer auch
ſelbſt vielerley Art Waffen hatten/ wormit ſie
die darmit nicht ſo wol verſehenen und ohne diß
meiſt nackend fechtende Deutſchen verwunde-
ten/ brachen ſie an dem einen Orte mit Gewalt
durch/ nach dem Attalus an zweyen andern
Seiten durch etliche dieſes Gebuͤrges kundige
R r r r r 2Per-
[868[870]]Sechſtes Buch
Pergameniſche Schuͤtzen uͤber die Steinklip-
pen geleitet ward; und alſo die Toloſtobogier
ihre Macht an viele Orte zertheilen muſten.
Alſo ward das Gebuͤrge mit groſſer Beute ero-
bert/ und blieben biß an 10000. ſtreitbare Maͤn-
ner; welche aber groͤſten Theils ſich von den
Klippen herab ſtuͤrtzten/ um der Schande der
Dienſtbarkeit zu entfliehen. Die wenigen a-
ber/ die in der Feinde Haͤnde fielen/ biſſen fuͤr
Ungedult mit den Zaͤhnen in die ſie ſchluͤſſen den
Ketten/ reckten ihre Gurgeln begierig den Stri-
cken und Schwerdtern dar/ und fleheten ihre
Waͤchter um ihre Hinrichtung mit Thraͤnen
an. Gleichwol ſchlug ſich Koͤnig Orgiago mit
etwan 7000. Mann durch; Alleine ſeine Ge-
mahlin Chiomara ward mit noch wol 40000.
Weib und Kindern gefangen. Dieſe/ als Man-
lius wider die Tectoſager fortruͤckte/ ward in der
Stadt Ancyra einem Hauptmanne Helvius
zu verwachen anvertrauet; welcher ihrer un-
vergleichlichen Schoͤnheit halber in ſo tolle
Brunſt verfiel: daß/ als er durch keine Liebkoſ-
und Vertroͤſtungen ihre keuſche Seele zu ſei-
nem geilen Willen bewegen konte/ ſie in Feſſel
ſchloß/ und mit Gewalt nothzuͤchtigte. Uber
diß verleitete ihn der Geitz: daß er ihr gegen ein
Attiſch Talent Goldes heimlich aus dem Ge-
faͤngnuͤß zu helffen mit ihr eines/ auch einer ihrer
Knechte von ihrem Ehherren das Loͤſegeld ab-
zuholen abgeſchickt ward. Dieſer kam mit ei-
nem Gefaͤrthen/ und dem Golde auf beſtimmte
Zeit; Helvius und ſeiner Kriegsknechte einer
an dem Fluſſe Hylas an. Die Koͤnigin Chio-
mara befahl in ihrer Sprache alsbald ihren
Knechten: daß ſie/ wenn Helvius das Gold ab-
waͤgen wuͤrde/ ihn durchſtechen ſolten. Wel-
ches gluͤcklich vollzogen/ dem andern Roͤmer a-
ber gleichwol das Loͤſegeld gefolgt/ und die Ur-
ſache ſolcher Rache zu verſtehen gegeben ward.
Chiomara er grif hier auff ſelbſt die Sebel/ hieb
dem Helvius den Kopf ab; huͤllte ihn in ihr
Kleid; und legte ihn hernach zu den Fuͤſſen ihres
Koͤniges; welchem ſie mit Thraͤnen ihre Ver-
unehrung eroͤffnete; welche ſie mit nichts als des
Schaͤnders Blute abzuwiſchen gewuͤſt haͤtte.
O der unvergleichlichen Heldin! fing die Koͤni-
gin Erato an; in welcher Keuſchheit/ Großmuͤ-
thigkeit und Redlichkeit mit einander um den
Siegs-Krantz ſtreiten. Verkriecht euch ihr
Roͤmer mit euer Lucretien; und laſſet ſie als eine
beſchaͤmte Dienerin dieſer Deutſchen Fuͤrſtin
den Schirm nachtragen. Jener verzagte
Seele willigte aus Furcht des doch hernach er-
wehlten Todes in des Tarqvinius Veruneh-
rung; bey der Chiomara aber leiden des Helvius
Schand-That nur die in Stahl/ und Eiſen ſich
nicht zu ruͤhren maͤchtige Glieder. Jhre feu-
rige Augen/ ihre ſpruͤende Zunge/ ihre knir-
ſchende Zaͤhne/ ihr ſich windender Leib/ duͤnckt
mich/ geben noch ihre Abſcheu fuͤr dem un-
menſchlichen Laſter zu verſtehen. Lucretie
ſchaͤmt ſich ihres Fehlers; ja ſie laͤſt ſich die
Schande ſo gar in eine unvernuͤnfftige Ver-
zweiffelung ſtuͤrtzen: daß ſie das Laſter nicht an
deſſen Uhrheber/ ſondern an ihr ſelbſt ſtrafft;
und ihre Schamroͤthe mit ihrem eigenen Blute
abwaͤſcht. Wie viel hertzhaffter aber raͤchet
Chiomara an dem Ehrenſchaͤnder Helvius ihr
Unrecht. Der Himmel verleihet ihr uͤber ihn
einen ſo herrlichen Sieg: daß ſie ſeine ſtinckende
Leiche zu ihres beleidigten Ehmanns Fuͤſſen le-
gen; und ſeine Schandflecken zum Wahrzei-
chen ihrer unbeſudelten Keuſchheit angewehren
kan. Lucretie zwinget ihren Ehmann und
Vater durch einen Eyd ihre Beſchimpffung an
denen Tarqviniern/ und alſo auch an denen zu
raͤchen: die an ſolcher That keine Schuld hatten.
Die aufrichtige Chiomara aber haͤlt auch ihren
Feinden Treu und Glauben; und zaͤhlet das
dem Nothzuͤchtiger zum Loͤſegelde verſprochene
Gold auch in ihrer Freyheit aus. Es iſt wahr/
verſetzte Zeno: daß Chiomara ein Beyſpiel ſey/
das nicht ſeines gleichen habe. Wie hochſchaͤtz-
bar nun ihre Keuſchheit und Hertzhafftigkeit iſt;
ſo
[869[871]]Arminius und Thußnelda.
ſo duͤnckt mich doch: daß ihr letzteres Beginnen
das aller merckwuͤrdigſte/ und eine rechte Fuͤrſt-
liche Tugend ſey. Sintemal Treu und Glau-
ben das heiligſte Gut des menſchlichen Ge-
ſchlechtes; ein Ancker des gemeinen Weſens/
ein Band aller Voͤlcker/ ein Ehren-Krantz der
Fuͤrſten/ eine Schweſter der Gerechtigkeit/ und
eine in den Seelen ingeheim wohnende Gott-
heit iſt. Weßwegen die Roͤmer billich ihr Bild
harte neben den Capitoliniſchen Jupiter geſetzt
haben; weil ſie ſo wol als er ein Schutz-Gott
der Sterblichen iſt; ohne welche keine Gemein-
ſchafft unter den Menſchen beſtehen/ und keine
Zwytracht geſchlichtet werden kan. Die Koͤ-
nigin Erato brach ein: Ob ich wol meines Ge-
ſchlechtes halber ihrer Keuſchheit das Wort re-
den ſolte; bezwingen mich doch die Umſtaͤnde
des Fuͤrſtin Zeno Urthel beyzupflichten. Sin-
temal niemand der Fuͤrſten Chiomara uͤbel aus-
gedeutet haben wuͤrde; wenn ſie gleich bey ihrer
erlangten Freyheit das ihr in Band und Eiſen
zu verſprechen abgezwungene Loͤſegeld hinter-
halten haͤtte. Die Fuͤrſtin Jſmene ſetzte ihr
entgegen: Jch bin gantz widriger Meinung;
und halte mit meinen Landesleuten darfuͤr: daß
man auch untreuen Leuten/ und diß/ was man
aus euſerſter Furcht verſprochen/ zu halten
ſchuldig ſey. Sintemal ein gezwungener Wil-
len dennoch eine Verwilligung/ und das ver-
ſprochene beſchwerliche in Anſehung des uͤber-
hobenen groͤſſern Ubels nichts minder als die
Auswerffung der Waaren ins Meer gegen
dem Verluſte des Lebens und Schiffes etwas
gutes und verlangliches iſt. Rhemetalces nahm
ſich der Koͤnigin an: Er beſcheidete ſich wol: daß
diß/ was in oͤffentlichem Kriege ein Feind den
andern verſpraͤche/ das Voͤlcker-Recht heilig ge-
halten wiſſen wolte; und zwar auch gegen den/
der ſchon einmal Bund- und eydbruͤchig worden
waͤre. Helvius aber waͤre in ſeinem Thun
nur fuͤr einen Raͤuber und Moͤrder zu halten/
derogleichen Leute des allgemeinen Voͤlcker-
Rechts nicht faͤhig waͤren. Malovend fiel Jſ-
menen zu: Jch weiß wol: daß dieſer Fuͤrwand
eines der Schliploͤcher ſey; dardurch eine aus
den Schlingen ihrer Angeloͤbnuͤſſe ſich ſchein-
bar zu reiſſen gedencken. Alleine wenn ſolche
Leute keines Rechtes genuͤſſen ſolten/ wuͤrde an
eines Raͤubers Ehweibe kein Ehbruch/ und an
ſeinem rechtmaͤßigen Gute kein Diebſtal be-
gangen werden koͤnnen. Rhemetalces fiel ein:
Eben ſo wenig/ als an ihm ſelbſt ein ſtraffbarer
Todſchlag. Sintemal ich dem vielmehr Eh-
re und Vermoͤgen zu nehmen berechtiget bin/
uͤber deſſen Leben ich Gewalt habe. Malovend
antwortete: Es iſt diß ein zu ſtrenger und ge-
faͤhrlicher Schluß. Denn ob zwar zwiſchen
einem offentlichen Feinde/ und einem Raͤuber
ein groſſer Unterſcheid/ auch zweyerley Recht
iſt; ſo hat doch dieſer nicht ſo gleich den Men-
ſchen ausgezogen/ noch ſich aller in der Natur
gegruͤndeten Rechte verluſtig gemacht. Das
Voͤlcker-Recht eignet den Herren uͤber ihre
Leibeigene das Recht des Lebens und Todes zu.
Gleichwol aber war keiner/ der nicht denen in
den Paſikiſchen Tempel geflohenen Knechten
ſein Wort hielt. Hingegen ſtraffte die goͤttli-
che Rache ſichtbarer der Spartaner an denen
Tenarenſiſchen Leibeigenen wider ihren Ver-
gleich veruͤbte Mordthat. Soll ich einem Raͤu-
ber ſein mir anvertrautes Gut wieder zuſtellen?
Soll ich einem Moͤrder/ der mir den rechten
Weg weiſt/ den verſprochenen Lohn nicht geben?
Jn alle wege/ meine ich. Denn er hoͤret gegen
mir auf ein Ubelthaͤter zu ſeyn. Und das un-
rechte Beſitzthum eines andern eignet mir nicht
bald eine Berechtſamkeit ihm ſolches zu entfꝛem-
den zu. Rhemetalces verſetzte: Hier aber hat
Helvius/ der mit Gewalt der Chiomara Ver-
ſprechen erzwungen/ das Loͤſegeld abgeheiſchen.
Ja/ ſagte Malovend/ aber auch gegen eben dieſe
ſind wir es zu halten ſchuldig; weil es in unſerm
Willen und Vermoͤgen geſtanden ſolches zuzu-
ſagen. Denn ob wol die Obrigkeit einen ſol-
R r r r r 3chen
[870[872]]Sechſtes Buch
chen Gewaltthaͤter zu ſtraffen/ ihm auch das er-
zwungene wieder abzunehmen Recht hat; ſo
kan doch der Verſprecher ſelbſt ſeine anfaͤngliche
Beſchaffenheit nicht aͤndern/ und ſich wider den/
mit dem er das Verſprechen vollzogen/ zum
Richter machen. Daher nicht allein Lucullus
dem Fuͤhrer der Fluͤchtlinge Apollonius ſein
Wort gehalten; und Auguſtus dem ſich ſelbſt
geſtellenden Raͤuber Crocotas den auff ſeinen
Kopff geſetzten Lohn bezahlet; ſondern auch der
Roͤmiſche Rath gar des Pompejus mit den See-
und des Julius mit den Pyreneiſchen Berg-
Raͤubern gemachten Vergleich genehm gehabt
hat. Rhemetalces begegnete ihm: Aber Hel-
vius hat die Verſprechung des Goldes von der
Chiomara durch angedraͤute Unzucht erzwun-
gen. Soll nun das bindig ſeyn/ was aus einer
Gewalt herruͤhret/ welche das Recht der Natur
und der Voͤlcker verdammet? Malovend ant-
wortete: Wenn was ſo verdam̃liches verheiſſen
wuͤrde/ waͤre es unkraͤfftig und zu halten ſchelt-
bar. Je verdam̃licher aber diß iſt/ was durch
das Verſprechen verhuͤtet wird; ie mehr iſt man
wegen ſo einer wichtigen Bewegungs-Urſache
das Verheiſſene zu halten ſchuldig. Wiewol
die Deutſchen auch das Verſprochene/ was
gleich an ſich ſelbſt ſcheltbar iſt/ nicht inne zu hal-
ten fuͤr Schande achten/ und daher/ wenn ſie ih-
re aufgeſetzte Freyheit verſpielen/ ſich ohne ge-
ringe Weigerung dem Gewinner leibeigen ge-
ben. Ja unter uns iſt auch der Poͤfel ſo gear-
tet: daß er lieber einen Zentner an ſeinem Ver-
moͤgen/ als ein Loth an ſeinen Worten einbuͤſſen
wil; weil dieſe ein Vorbild des Gemuͤthes ſind;
und wenn jene leichtſinnig ſind/ dieſes liederlich
ſeyn muß. Wiewol dieſe Aufrichtigkeit uns
Deutſchen in denen mit den verſchlagenen Roͤ-
mern gefuͤhrten Kriegen ſehr ſchaͤdlich geweſt;
in dem wir gar zu genau Wort gehalten/ und ih-
ren zweydeutigen Reden zu viel getraut haben.
Wiewol es ruͤhmlicher iſt/ durch Redligkeit
Schaden leiden/ als durch Unwahrheit Scha-
den thun. Zeno fing hieruͤber laut an zu ruffen:
Nun erfahre ich: daß kein Volck an Treu und
Glauben uͤber die Deutſchen ſey; und daß in
andern Laͤndern nur dieſer Tugend Schatten/
hier aber ihr Weſen und Uberfluß zu finden ſey!
Ja/ ſagte Malovend: dieſes reichen Beſitz-
thums haben wir uns zu ruͤhmen; inſonderheit
aber iſt ſie eine ſo noͤthige Eigenſchafft des Adels
und der Fuͤrſten: daß wer darwider handelt ſei-
ner Wuͤrde verluſtig wird; vorher aber weder
Fuͤrſt noch Edler etwas mit einem Eyde be-
theuern darf. Weßwegen unſer Hertzog Mar-
comir nicht nur nichts hoͤher/ als: ſo wahr er ein
ehrlicher Mann waͤre/ zu betheuern/ und daß er
diß waͤre/ fuͤr ſeinen hoͤchſten Ruhm zu ſchaͤtzen/
ja zu ſagen pflegte: diß waͤre mehr als Kaͤyſer
ſeyn. Zeno fiel ein: Dieſe Eydes-Freyheit ha-
ben zu Rom nur die Veſtaliſchen Jungfrauen/
und Jupiters Prieſter. Und Xenocrates hat-
te ſie ſeiner Redligkeit halber in Griechenland
fuͤr allen Richter-Stuͤlen. Wolte Gott aber/
daß alle Menſchen oder doch nur zum wenig-
ſten Fuͤrſten ſolcher zu genuͤſſen wuͤrdig waͤren!
welche aber leider! insgemein Treu und Glau-
ben halten nur fuͤr eine Tugend der Kauff-Leu-
te/ fuͤr einen Fehler der Staats-Klugen/ und
fuͤr Gebrechen der Fuͤrſten; die theuerſten Ey-
de fuͤr Spielbeine halten/ die Albern damit
zu betruͤgen. Rhemetalces nahm das Wort
von ihm: Jch gebe gerne nach: daß da ein
Menſch/ ſo viel mehr Fuͤrſten als Gottes Bil-
der auff Erden die Warheit lieben ſollen.
Weßwegen Marcus Antonius ihm den Ti-
tel des Wahrhafftigſtens als den fuͤrnehmſten
unter allen zueignete. Alleine ſeinem Be-
duͤncken nach waͤre die Welt nunmehr auff ſo
viel Fallſtricke abgerichtet: daß ein Fuͤrſt mit
ſeinen Worten leicht koͤnte gefangen werden.
Solte er in ſolchen Faͤllen nicht auch eine ver-
ſchmitzte Ausflucht zu ſuchen/ und Liſt mit Liſt zu
vernichten befugt ſeyn? Solte er ſeinen Feind
nicht mit Worten in einen Jrrthum verleiten
moͤ-
[871[873]]Arminius und Thußnelda.
moͤgen/ den er zu toͤdten Recht hat? Warlich/
wer in Staats-Sachen gar zu gerade zugehet/
wird dem gemeinen Weſen viel Unheil verurſa-
chen/ und ſich zum Gelaͤchter der Boßheit ma-
chen. Und duͤnckt mich: daß die/ welche mit
gar zu groſſem Eyver hierinnen verfahren/ eben
ſo ſehr verſtoſſen/ als der Bildhauer Demetrius;
welcher ſeine Saͤulen gar zu aͤhnlich nach dem
Leben machte/ hierdurch aber alle Annehmlig-
keit verderbte. So edel die Warheit an ihr
ſelbſt gleich iſt/ ſo laͤſt doch weder die eigene noch
die gemeine Wolfarth/ (welche erſtere der Na-
tur/ die andere das hoͤchſte buͤrgerliche Geſetze
iſt) allezeit zu mit der Warheit zur Thuͤre nein
fallen. Sie thut mehrmals groͤſſern Scha-
den/ als eine zwar gute/ aber zur Unzeit ge-
brauchte Artzney. Denn ſie iſt eine unter de-
nen drey guten Muͤttern/ welche ſo ungerathe-
ne Kinder zur Welt bringen; nemlich: ſie ge-
biehret Haß/ wie die Vertraͤuligkeit Verach-
tung/ und der Friede Unachtſamkeit. Malo-
vend antwortete: Ein kluger Fuͤrſt iſt wol nicht
ſchuldig alles zu ſagen/ was er im Schilde fuͤhrt;
Aber nichts ſoll er ſagen oder verſprechen/ was
nicht wahr/ oder er zu halten willens iſt. Durch
ſeine Verſchwiegenheit moͤgen ſich andere/ er
aber niemanden durch ſeine Worte betruͤgen;
noch er ſeiner Unwahrheit durch eine fpitzfin-
nige Auslegung eine Farbe der Wahrheit
anſtreichen. Dieſe haben die Alten mit einem
weiſſen Schleyer abgebildet; weil ſie keine Lar-
ve vertraͤgt. Daher auch diß/ was ohne lan-
gen Bedacht unvermuthet verſprochen wird/
nicht zuruͤck gezogen werden kan. Daher Aga-
memnon das unbedachtſame Geluͤbde ſeine
Tochter Jphigenia zu opffern nicht wiederruf-
fen wolte; und Cydippe ward von dem Wahr-
ſagungs-Geiſte verurtheilt diß zu halten/ was
Acontius auf eine Qvitte geſchrieben/ und ſie un-
vorſichtig nachgeleſen hatte. Rhemetalces ant-
wortete: Jch kan mich ſchwer bereden laſſen:
daß/ wo kein rechter Vorbedacht und Vorſatz
ſich zu verbinden geweſt/ man ſo unaufloͤßlich
verknipft ſey; und daß das Geſetze ſein Wort zu
halten keinen Abſatz leide. Ja ich glaube viel-
mehr: daß deſſelben Zuruͤck ziehung offtmals ei-
ne zulaͤßliche Klugheit/ zuweilen auch ruhms-
wuͤrdig ſey. Solte jener Fuͤrſt wohl getadelt
werden koͤnnen/ der bey Belaͤgerung einer ſich
hartnaͤckicht wehrenden Stadt auch biß auff die
Hunde Rache auszuuͤben ſchwur/ hernach aber
nur dieſe toͤdten/ die Menſchen aber leben ließ?
Malovend begegnete ihm: Wenn ein Geluͤbde
und Verſprechen auf was an ſich ſelbſt boͤſes zie-
let/ und ſich derogeſtalt ſelbſt zum Laſter macht/
bleibt ſolches ſo billich als eine Unmoͤgligkeit zu-
ruͤcke; wie hingegen man nach dem Beyſpiele
der ihre Bitterkeiten verguͤldender Aertzte durch
eine nuͤtzliche Unwarheit einem andern wol helf-
fen mag. Denn dieſe iſt alsdenn ſo wenig fuͤr
eine Luͤge/ als des Junius Brutus mit Gold er-
[f]uͤllter Stab fuͤr geringes Holtz/ und ſeine dem
Vaterlande zu Liebe angenommene Bloͤdſin-
nigkeit fuͤr Betruͤgerey zu halten. Auſer dem
wiſſen wir Deutſchen von keinem zulaͤßlichen
Abſatze; und verdammen fuͤrnehmlich auch die
ſcheinbarſten Ausfluͤchte/ wenn es der/ mit dem
wir handeln/ anders verſtanden und angenom-
men hat. Daher darf ſich bey uns der fried-
bruͤchige Amaſis nicht ruͤhmen: daß er ſeinen
Eyd gehalten/ dardurch er geſchworen mit den
Barſeern ſo lange ruhig zu leben/ ſo lange die
Erde/ darauf ſie ſtuͤnden/ unbeweglich ſeyn wuͤr-
de/ ungeachtet er ſelbten Platz hernach unter-
graben ließ/ daß ſie unter ſich fallen muſte. E-
ben ſo unverantwortlich fuͤhrten die Locrenſer
die Sicilier hinters Licht; da ſie in ihre Schuh
Erde/ und uͤber ihre Achſeln unter die Kleider
Zwiebel-Haͤupter verſteckten/ und ſchwuren ih-
re Freunde zu bleiben/ ſo lange ſie die Erde un-
ter ihren Fuͤſſen/ und die Koͤpffe auf den Achſeln
haben wuͤrden. Und der Cyreniſche Ariſtoto-
les meinte ſich ſeines der Lais gethanen Ange-
loͤbnuͤſſes liederlicher/ als ſie ſelbſt war/ loß zu
ma-
[872[874]]Sechſtes Buch
machen; da er an ſtatt ihrer ihr Buͤndnuͤß mit in
ihr Vaterland nahm. Maſſen denn/ wenn
ſ[o]lche Auslegungen guͤltig waͤren/ unſchwer alle
Verſprechungen erſitzen bleiben wuͤrden/ wie
des Palanthus in Rhodis Schiffe; welche ihm
Jphiclus bey Ubergabe ſeiner Feſtung zu ſeiner
Abreiſe zwar ihrem getroffenen Vergleiche
nachgab/ aber Seile/ Segel und Steuer-Ru-
der vorher davon nehmen ließ. Adgandeſter/
welcher inzwiſchen Athem geſchoͤpft hatte/ brach
hier ein/ und meldete: daß Qvintus Fabius La-
beo es dem Antiochus nicht beſſer mitgeſpielt
haͤtte/ da er wider ihr Abkommen: daß dieſer die
Helffte ſeiner Schiffe behalten ſolte/ ſie ſaͤmtlich
mitten entzwey hauen ließ/ darmit er ihn um al-
le braͤchte. Noch betruͤglicher lieſſen die Roͤ-
mer den ſchlaffenden Koͤnig Perſeus/ dem ſie
das Leben zugeſagt hatten/ erwuͤrgen/ unter
dem thoͤrichten Vorwand: daß der Schlaff des
Todes Bruder/ und ein ſchlaffender nicht lebend
waͤre. Und auf dieſe Art haben dieſe argliſtige
Leute/ welche nur in kleinen Dingen Treu und
Glauben halten: daß ſie ihnen den Weg baͤh-
nen/ andere Voͤlcker uͤber den Stock zu ſtoſſen/
wenn es ihnen fuͤr die Muͤh lohnet/ die leicht-
glaͤubigen Deutſchen unzehlich mal bevortheilt.
Maſſen ſie ſonderlich etliche ſolche Streiche in
Galatien gegen die Toloſtobogier gluͤcklich an-
brachten. Nachdem dieſe nun derogeſtalt ziem-
lich den kuͤrtzern gezogen hatten/ traffen etliche
Hauffen der Roͤmer auff die Tockmier mit ab-
wechſelndem Gluͤcke; endlich aber erlitten die
Tectoſager an dem Berge Magana eine harte
Niederlage; alſo: daß ſie auf bewegliches Weh-
klagen ihrer Weiber mit den Roͤmern einen
wiewol noch ertraͤglichen Frieden zu ſchluͤſſen
gezwungen wurden; krafft deſſen ſie nur ein ge-
gen Capadocien liegendes Theil Galatiens im
Stiche laſſen/ und ihre Graͤntzen nicht gewaf-
net zu uͤber ſchreiten Macht hatten.
Diß denen Galatern zugefuͤgte Unrecht/
und die denen zwiſchen der Donau und der Sau
nieder gelaſſenen Deutſchen nach Bedraͤngung
Griechenlands immer naͤher kommende Ge-
ſahr/ da zumal Acilius den Athamantiſchen Koͤ-
nig Aminander verjagte/ ſeine Deutſchen der
Botmaͤßigkeit des Macedoniſchen Koͤnigs Phi-
lip unterwarf/ Cato die Etolier demuͤthigte/ ver-
urſachte dieſe Freyheits-liebende Voͤlcker: daß
ſie den Koͤnig im Pontus Pharnaces den Groß-
vater des groſſen Mithridates/ wie auch den
Koͤnig in Armenien Artaxias/ und der Sarma-
ter Koͤnig Galatus/ der vom Antiochus aber
fluͤchtige Annibal den Bithyniſchen Koͤnig Pru-
ſias/ den von Roͤmern ſo groß gemachten Eume-
nes auff den Hals hetzten. Des Artaxias Feld-
hauptmann ſiel in Capadocien/ Galatus in
Griechenland/ Leocritus des Pharnaces Heer-
fuͤhrer in das verlohrne Galatien/ Pharnaces in
Paphlagonien/ die Deutſchen Fuͤrſten Carſi-
gnat und Goͤzotar theils in Phrygien/ theils in
Capadocien/ Pruſias in Myſien ein. Dieſer
verlohr zwar zu Lande eine Schlacht; ſolches a-
ber raͤchete der aus Creta zum Pruſias fliehende
Annibal bald darauff durch einen herrlichen
Sieg zur See. Die Sarmater ſpielten in
Griechenland den Meiſter; in Paphlagonien
nahm Pharnaces die Feſtung Tejum ein/ und
fuͤhrte groſſe Beute und viel tauſend Gefangene
heim; Aus Capadocien ward Ariarathes gar
vertrieben und der Koͤnigliche Schatz erobert.
Die Lycier lehnten ſich auch wider Rom und die
Rhodier auf. Nichts deſto weniger ließ ſich Pru-
ſias das Draͤuen der Roͤmiſchen Geſandten
ſchrecken: daß er nicht nur von Bundsgenoſſen
abſetzte/ ſondern auch Annibaln ausliefern wol-
te/ alſo ihn ſich ſelbſt zu vergifften noͤthigte/ und
wie ein Leibeigener in Geſtalt eines beſchor-
nen Knechtes der Botſchafft entgegen zoh.
Dem Pruſias folgte der Sarmater Koͤnig Ga-
talus/ nach dem ihnen die Roͤmer koſtbare
Geſchencke ſchickten/ Philippus in Macedo-
nien fuͤr Unmuth wegen ſeines unſchuldig ge-
toͤdteten Sohnes Demetrius ſtarb/ und ſein
Nach-
[873[875]]Arminius und Thußnelda.
Nachfolger Perſeus ihnen die Dardaner auf
den Hals hetzte. Weil nun die Roͤmer ihre in
Griechenland gegen den ihnen verdaͤchtigen
Philip habende Waffen alle in Aſien
uͤberſetzten/ machte Pharnaces und Mithrida-
tes Friede/ gaben alles eroberte aus Furcht wie-
der/ und muſte jener noch neuntzig/ dieſer drey-
hundert Talent bezahlen/ beyde auch des mit den
Deutſchen gemachten Buͤndnuͤſſes ſich entaͤu-
ſern. Die Deutſchen Fuͤrſten Carſignat und
Goͤzotor aber konten als unverſoͤhnliche Feinde
keinen Frieden erlangen. Daher ſie ſich ſo lan-
ge tapfer wehreten/ biß der vom Perſeus wieder
Rom erhobene Krieg ihnen ein wenig Lufft
machte. Jn Ligurien machten zwar die Deut-
ſchen mit offtern Streiff-Rotten die Roͤmer
fort fuͤr fort muͤde/ und zohen ſich bey andringen-
der Macht hierauf in ihre verhauene Gebuͤrge:
daß es alſo eine gute Zeit zu keinem Haupt-
Treffen kam. Endlich aber mergelte doch der
Buͤrgermeiſter Cajus Flaminius die Britina-
ten derogeſtalt ab: daß ſie ihm die Waffen aus-
haͤndigen muſten; wiewohl ſie/ ſo bald ſie nur
Lufft kriegten/ auf das Auginiſche Gebuͤrge ent-
kamen. Jedoch drang ihnen Flaminius uͤber
den Apennin nach/ und zwang ſie zur Ubergabe
alles Jhrigen. Hierauf grief er die zwiſchen
dem Fluſſe Arnus und dem Vor-Gebuͤrge woh-
nenden Apuaner an/ und noͤthigte ihnen einen
Frieden und Verſprechen ab: daß ſie in die Bo-
noniſche und Piſiſche Landſchafft nicht mehr
ſtreiffen wolten. Der Buͤrgermeiſter Emilius
aber ſetzte gar uͤber den Fluß Macra/ brennte
daſelbſt an den Baͤchen Labonia und Sturla alles
aus/ hernach lockte er die auf den Schweinberg
und das Gebuͤrge Balliſta gefluͤchteten Deut-
ſchen und Gallier herab/ erſchlug derer etliche
tauſend/ und brachte ſie hernach gleichfalls zum
Gehorſam. Marcus Furius aber nahm de-
nen ſtets in unverruͤckter Treue auf Roͤmiſcher
Seite geſtandenen Cenomaͤnnern zwiſchen dem
Fluſſe Atheſis und Mincius/ als ſie ihnen keine
Feindſeligkeit traͤumen lieſſen/ alle Waffen ab.
Nach dem nun die in den Gebuͤrgen gebliebenen
Ligurier ſich nicht gutwillig unters Joch einſin-
den woltẽ/ ward Quintus Martius mit einẽ neu-
en Heere wider die Apuaner abgefertigt. Die-
ſelockten ihn mit allem Fleiß in ihre innerſte Be-
haͤltnuͤſſe; und als ſie die Roͤmer in ein bruͤchiges
Thal verleitet hatten/ fielen ſie ſie vor und hinter-
werts an/ erſchlugen vier tauſend Roͤmer/ ſechs
tauſend Lateiner/ nahmen jenen einen Adler
und drey andere/ dieſen eilf Fahnen/ und eine
unzehlbare Menge Waffen ab; alſo: daß wenig
durch die Waͤlder in Hetrurien entkamen. Wel-
cher Sieg denen Alemaͤnnern aufs neue Anlaß
gab: daß ſie uͤber die Tridentiniſchen Alpen ſtie-
gen/ zwiſchen den Fluͤſſen Liquentia/ Sontius
und dem Adriatiſchen Meere feſten Fuß ſetzten;
und etliche Staͤdte an den Fluͤſſen Tilavemptus/
Alſa und Natiſo bauten. Unterdeſſen laͤchel-
ten den Koͤnig Perſes in Macedonien ſeiner
Vorfahren Thaten auf ſich und auch durch
Krieg in der Welt anſehlich zu machen. Des
die Roͤmer zu bekriegen im Schilde fuͤhrenden
Philippus verſam̃lete Kriegs-Vorrath/ der un-
ter dem Roͤmiſchen Joche ſchmachtenden Grie-
chen Ungedult/ der Stadt Carthago/ welche ſei-
ner Botſchafft des Nachts Verhoͤr gaben/ in
geheim kochender Groll/ und ſeine auf die gegen
Rom verbitterte Deutſchen geſetzte Hoffnung
waren alles gewaltiger Zunder zu dieſem Feuer.
Dieſemnach verband er ſich mit dem deutſchen
Fuͤrſten Goͤzonor in Galatien/ und mit dem
Koͤnige der Odryſen Cotys in Thracien; durch
derer Huͤlffe er den mit den Roͤmern verknuͤpften
Thraciſchen Koͤnig Abrypolis aus ſeinem Lan-
de vertrieb/ den eben ſo geſinnten Jllyriſchen
Koͤnig Aretas gar erlegte; den Koͤnig Pruſias
dahin brachte: daß er den Roͤmern keine Huͤlffe
zu leiſten verſprach; die Beotier ihm verband.
Mit einem Worte: Perſes hatte Bunds-Ge-
noſſen/ Mittel/ Anſehn und Volck genung;
nemlich: neun und dreiſſig tauſend Fuß-
Erſter Theil. S s s s sKnechte/
[874[876]]Sechſtes Buch
Knechte/ und drey tauſend Reiter auf den Bei-
nen; alſo: daß er ſich ſpielende gantz Griechen-
lands Meiſter haͤtte machen koͤnnen. Sinte-
mal keine Roͤmiſche Macht bey der Hand/ Egy-
pten in einen Krieg mit dem Antiochus in Syri-
en eingeflochten/ Eumenes zwar gegen den Per-
ſes/ der ihn zu Delphis wollen ermorden laſſen/
verbittert/ aber die Roͤmiſche Macht zu vergroͤſ-
ſern nicht gemeynet/ Maſaniſſa in Numidien/
weil er Carthago ſiebzig abgenommene Staͤdte
wieder geben muſie/ den Roͤmern nicht mehr ſo
geneigt war. Aber Perſes verſaͤumte die Ge-
legenheit und den Anſprung/ verſpielte die Zeit
und Kriegs-Koſten; ließ ſich auch den Geſand-
ten Martius theils durch Draͤuen erſchrecken/
theils durch gemachte Friedens-Hoffnung ums
Licht fuͤhren; biß die Roͤmer die Haupt-Stadt
in Theſſalien einnahmen/ der Buͤrgermeiſter
Licinius mit einem maͤchtigen Heere/ und der
Stadt-Vogt Lucretius mit einer Kriegs-Flotte
in Griechenland einbrach. Der ſchlaͤfrige Per-
ſes haͤtte ihm die Roͤmer biß in Macedonien auf
den Hals kommen laſſen; wenn nicht Koͤnig Co-
tys mit tauſend Thraciſchen/ Hertzog Goͤzonor
mit tauſend Edelleuten uͤber die unter dem Feld-
hauptmanne Aſcleopiadiot voran geſchickte zwey
tauſend Deutſche zu Pella ankommen waͤren/
und den Perſes den Roͤmern entgegen zu ziehen
ermahnet haͤtten; weil im Kriege der Angriff ein
Zeichen eines hertzhaften Vertrauens/ und ſein
Pferd an einen fremden Zaum binden kein ge-
ringer Vortheil waͤre. Perſes ruͤckte alſo ge-
gen Theſſalien fort; Hertzog Goͤzonor ſelbſt
fuͤhrte den Vortrab/ und ruͤckte uͤber den Fluß
Aliacmon/ nahm die Staͤdte Azor/ Py-
thoum/ Doliche und Pertebe mit Schrecken/
Creta durch Gewalt/ Myle mit Sturm ein.
Hierauf ſetzte ſich Perſes mit ſeinem gantzen
Heere bey der Stadt Sycurium unter dem Ber-
ge Oſſa an dem Eingange des Tempiſchen Tha-
les/ und durchſtreiffte das gantze flache Theſſali-
en mit der Deutſchen und Thraciſchen Reiterey.
Licinius hingegen konte ſich mit Noth durch
Epirus und das bergichte Athamarien durch-
arbeiten; erreichte aber endlich den Fluß Pe-
neus; ſtieß daſelbſt zu dem Theſſaliſchen Fuͤrſten
Hippias; und ob wohl Evmenes/ Attalus und
Phileterus die drey Pergameniſchen Bruͤder
und der Deutſchen Galater Fuͤrſt Carſignot mit
7000. zu ihm ſtieſſen/ wagte er ſichdoch nicht dem
Perſeus unter die Augen zu ziehen/ ſondern
ſetzte ſich unter die Stadt Lariſſa/ und
verſchantzte ſein Laͤger an dem Fluſſe Peneus.
Ob nun wohl Perſes der Pherer Gebiete taͤglich
mit Raub und Brand beſchaͤdigte; lagen die
Roͤmer doch ſtille/ biß Perſes mit einem Theile
ſeines Heeres biß ins Geſichte des Laͤgers ruͤck-
te/ Goͤzonor aber und Cotys mit fuͤnf hundert
Deutſchen und Odryſiſchen Reitern unter den
Wall kamen/ und die Roͤmer ausforderten.
Der Deutſche Fuͤrſt Carſignat hatte mit ſeinem
Vetter Goͤzonor mit Fleiß abgeredet: daß eineꝛ
dem Perſes/ der ander den Roͤmern beyſtehen
ſolte/ um durch ein oder des andern Theiles Ver-
luſt die deutſche Herrſchafft zu unterſtuͤtzen. Die-
ſer und Attalus konten den Schimpf nicht ver-
ſchmertzen/ ruͤckten alſo mit ihrer Reiterey her-
aus/ und geriethen mit einander in ein hitziges
Gefechte; darinnen aber Hertzog Carſignat
ſelbſt von einem deutſchen Ritter toͤdtlich/ und
Attalus vom Fuͤrſten Goͤzonor verwundet
ward. Nach faſt gleichem Verluſte trennte
ſie die Nacht. Nach etlichen Tagen ſtellten
beyde Theile endlich ihre Heere gegen einander
in Schlacht-Ordnung. Der Koͤnig Cotys
grief mit ſeinem rechten Horne die Roͤmiſche/
Perſes und Goͤzonor aber die Griechiſche und
Aſiatiſche Reiterey an. Ob nun wohl des Car-
ſignats zwey hundert deutſche Reiter ihr beſtes
thaten/ ſo brach doch Goͤzonor mit ſeinen meh-
rern Deutſchen durch. Die Etolier geriethen
fuͤr ihrem Geſchrey in die Flucht. Evmenes
nahm zwar ſein Volck ein/ und brachte die Fluͤch-
tigen wieder zu Stande; es tauerte aber nicht
lan-
[875[877]]Arminius und Thußnelda.
lange/ ſonderlich als Cotys auch die Roͤmiſche
Reiterey zertrennete. Koͤnig Perſes drang zu-
gleich mitten in die Roͤmiſche Schlacht-
Ordnung; und Bereus ſein Feldhauptmann
trennte mit der Phalanx die eine Legion: daß
auf Roͤmiſcher Seiten nun alles verſpielet zu
ſeyn ſchien. Zu allem Ungluͤcke kam Evander
aus Creta/ welchen Perſes nach Delphis den
Evmenes zu ermorden geſchickt hatte; machte
dem Perſes den Ausgang der Schlacht zweifel-
haft/ er ſolte durch Heftigkeit die Roͤmer nicht
unverſoͤhnlich machen; und erhielt: daß der
Perſes abblaſen/ die Krieges-Fahnen umbdre-
hen/ und durch einen betruͤgeriſchen Meuchel-
Moͤrder ihm den in den Haͤnden habenden voͤl-
ligen Sieg auswinden ließ. Hertzog Goͤzonor
aber hatte kein Gehoͤre/ ſondern verfolgte die
feindliche Reiterey biß in den Fluß Peneus; all-
wo er bey uͤberkommendem Befehle des Perſes
den blutigen Degen ins Waſſer warff/ und fuͤr
Ungedult anfing: Wenn wir Weiber ſeyn muͤſ-
ſen/ ſind uns die Waffen nichts nuͤtze. Gleich-
wohl blieben auf Roͤmiſcher Seiten zweytauſend
Fuß-Knechte/ zwey hundert Reiter; auf Ma-
cedoniſcher Seiten zuſammen kaum ſechzig. Jn
dem Roͤmiſchen Laͤger zitterte alles fuͤr Schreckẽ;
alſo: daß der Buͤrgeꝛmeiſter es des Nachtsin alleꝛ
Stille uͤbeꝛ den Fluß veꝛſetzẽ muſte. Wiewol nun
Perſes hernach ſeinen ihm vom Fuͤrſten Goͤzo-
nor eingehaltenen Fehler erkennte/ und auf die
Hoͤhe Mopſelus zwiſchen der Stadt Lariſſa und
dem Tempiſchen Thale ruͤckte; ſo wiechen doch
die Roͤmer noch an einen ſichern Ort zuruͤcke;
haͤtten auch Zweifels-frey Theſſalien gar ver-
laſſen; wenn nicht Miſagenes Koͤnigs Maſa-
niſſa Sohn mit tauſend Reitern/ tauſend Fuß-
Knechten und zwey und zwantzig Elefanten an-
kommen/ und dem Roͤmiſchen Heere ein Hertze
gemacht haͤtte. Wie dieſe ſich aber unterſtun-
den in den Phalanneiſchen Feldern das Getrei-
de abzumeyen; kam Koͤnig Cotys und Goͤzonoꝛ
ihnen mit tauſend Thraciern/ ſo viel Deutſchen/
und Cretenſern als ein Blitz auf den Hals/ nahm
tauſend Wagen/ und ſechs hundert Kriegsleute
gefangen; und der darzu kommende Perſes
umbſaͤtzte den Oberſten Lucius Pomponius mit
acht hundert Roͤmern auf einem Huͤgel. Wie
nun Licinius/ Evmenes/ Attalus und Miſage-
nes nur ihr Laͤger beſetzt lieſſen/ und mit dem
gantzen Heere dieſe entſaͤtzten; kam es zu einem
blutigen Treffen; in dem auf Macedoniſcher
Seite drey hundert Fuß-Knechte/ und Antima-
chus mit vier und zwantzig Rittern aus dem hei-
ligen Geſchwader erlegt wurden. Welches den
Perſes ſo kleinmuͤthig machte: daß er das Ge-
buͤrge beſaͤtzte/ und wider Goͤzonors Rath in
Macedonien wiech. Daſelbſt kriegte Cotys
Zeitung: daß Atlesbius ein Thraciſcher Fuͤrſt/
und Corragus des Evmenes Statthalter ihm
eingefallen und die Landſchafft Marene einge-
nommen haͤtten. Daher Cotys umb das Sei-
nige zu beſchuͤtzen/ Goͤzonor aber aus Verdruß
uͤber des Perſes Zagheit/ nach Hauſe kehrten.
Weil der Winter den Roͤmern den bergichten
Eingang verhinderte/ nahm der Buͤrgermeiſteꝛ
etliche Staͤdte in Jllyricum ein; und Cajus
Caſſius unterſtand ſich durch dieſes lange Land
mit einem Heere in Macedonien einzubrechen.
Weil aber er die Hiſtrier/ Kaͤrnter und andere
Deutſchen an dem Carvankiſchen Gebuͤrge fuͤr
ihre Gutthaten als Feinde handelte; begegnete
ihm Koͤnig Cincibil mit einer ſohertzhaftẽ Gegen-
wehr: daß Caſſius nach erlittenem groſſem Ver-
luſte zuruͤcke weichen/ und einen andern Weg in
Macedonien erkieſen muſte. Cincibil beſchwer-
te ſich uͤber ſo unrechte Gewalt bey dem Rathe zu
Rom/ und forderte eine Erklaͤrung: Ob er die
Roͤmer hinfort fuͤr Feinde oder Freunde halten
ſolte. Der Rath entſchuldigte alles/ als ein oh-
ne ihren Willen erkuͤhntes Beginnen/ draͤuten
den Caſſius zu ſtraffen/ ſchickten den Cajus Le-
lius und Emilius Lepidus zum Koͤnige Cincibil
und ſeinen Bruder mit 2. fuͤnf Pfund Goldes
ſchweren Ketten/ mit viel koſtbarem Silber-Ge-
ſchirre/ 2. aufs praͤchtigſte ausgeputzten Pfer-
den/ guͤldenen Waffen und herrlichen Kleidern/
S s s s s 2umb
[876[878]]Sechſtes Buch
umb dieſe ſtreitbare Voͤlcker nicht wider ſich in
Harniſch zu jagen. Der Roͤmer in Jllyris und
Griechenland veruͤbte Grauſamkeit verurſach-
te: daß als die Stadt Uſcana des Appius Clau-
dius Ankunft mit 8000. Kriegsleuten an dem
Lycheidiſchẽ See auf der Macedoniſchen Graͤn-
tze vernahm/ ſie die benachbarten Scordiskiſchen
Deutſchen umb Beſchirmung erſuchten/ und
4000. Mann zur Beſatzung erhielten. Clau-
dius der hiervon nichts wuſte/ eilte dahin/ in
Meynung ſie des Nachts unverſehens zu uͤber-
fallen. Wie die Roͤmer aber nur einen Bogen-
Schuß von der ihrer Einbildũg nach eingeſchla-
fenen Stadt waren; erhob ſich auf den Mauern
von Geſchrey der Weiber/ vom Schwirren des
Ertzts ein jaͤmmerliches Getuͤmmel. Die Deut-
ſchen fielen durch 2. Thore auf die ſo wohl muͤden
als ſicheren Roͤmer beraus; brachten ſie auch al-
ſofort in Unordnung und in die Flucht; alſo:
daß Appius nicht fuͤr voll 2000. zuruͤck nach Ly-
chindus brachte/ die uͤbrigen alle erſchlagen odeꝛ
gefangen/ alle an Rom haͤngende Staͤdte aber
hierdurch in Schrecken geſetzt/ und die Roͤmer
ihre Macht in Griechenland zu verſtaͤrcken ge-
noͤthigt wurden. Deſſen ungeachtet ſetzte Ce-
phalus der Fuͤrſt in Epirus von Rom ab; Cotys
erobeꝛte mit Huͤlffe deꝛ Deutſchen/ und ſonderlich
Hertzog Goͤzonors alles verlohrne in Thracien/
machte daſelbſt mit ſeinen Feinden einen vor-
theilhaften Frieden. Dem Perſes kam gleich-
ſam die alte Macedoniſche Tugend wieder in ſein
Hertze; ſintemal er mit dem durch den Koͤnig
Cotys wieder verſoͤhnten Fuͤrſten Goͤzonor die
Dardaner uͤberwand; die von den Jllyriern den
Roͤmern veꝛkauffte Stadt Uſcana zur Ubergabe
zwang/ und darinnen allein viertauſend Roͤmer
gefangen bekam/ und die faſt unuͤberwindliche
Feſtung Oeneum mit Sturm eroberte. Hier-
auf ſchickte Perſes anfangs den Jllyrier Pleu-
ratus/ hernach auch nebſt ihm den Glaucias uͤbeꝛ
das Skordiſche Gebuͤrge nach Liſſus an den Koͤ-
nig Gentius umb ihn zu einem Buͤndnuͤſſe wi-
der die Roͤmer zu bewegen/ welcher denn auch
hiezu gute Neigung zeigte; wenn ihm vom Peꝛ-
ſes mit noͤthigen Kriegs-Mitteln unter die Ar-
men gegriffen wuͤrde. Aber der Geitz oder das
Verhaͤngnuͤß band dem Perſes die Haͤnde: daß
er einen ſo ſtreitbaren Bunds-Genoſſen zu er-
langen in Wind ſchlug. Hingegen aber lieſſen
ſich die Roͤmer nichts gutes traͤumen; ſonderlich:
da Lucius Coͤlius mit groſſem Verluſt und
Schimpfe von der Stadt Uſcana abgeſchlagen
ward; und die Rhodiſchen Geſandten zu Rom
dem Rathe mit nachdencklichen Draͤuungen ei-
nen Frieden mit dem Perſes zu machen aufdrin-
gen wolten. Bey dieſen und andern aufziehen-
den truͤben Wolcken/ und da der Baſtarnen Koͤ-
nig mit dem Hertzog Goͤzonor ſich verknuͤpfte/
fertigten ſie von Rom den Aulus Poſtumius/
Marcus Perpenna/ Lucius Petillius und Mar-
cus Pompejus ab. Der erſte ſolte die Darda-
ner wider den Perſes aufhetzen/ der andere die
Baſtarner und Dacier in Ruh erhalten/ der
dritte die Dalmatier und Thracier gegen ihre
Feinde erregen/ der vierdte des Koͤnigs Gentius
Fuͤrhaben ausforſchen. Pompejus brachte den
Perpenna und Petilius ohne einige vorher er-
langte Geleits-Briefe nach Scodꝛa an den Koͤ-
niglichen Hof. Weil nun der Roͤmiſche Rath voꝛ-
her auf der Jſſeer Vergaͤllung des Gentius
Botſchafft/ ſonder ertheilte Verhoͤr ſchimpflich
abgewieſen hatte/ und Gentius erfuhr: daß
Pompejus mehr als ein Kundſchafter denn ein
Botſchafter dahin kam/ ließ er den Perpenna
und Petilius in Hafft nehmen; den Pompejus
aber fragte er bey deꝛ Verhoͤr: Zu was Ende und
wohin Perpenna und Petilius verſchickt waͤren;
weil er ſelbſt aus Rom fuͤr ihren gefaͤhrlichen
Rathſchlaͤgen waͤre gewarnigt worden. Pompe-
jus trat auf dieſe Befraguug zu dem neben des
Koͤnigs Stule geſetzten Tiſche/ hielt ſeinen Fin-
geꝛin eine deꝛ daſelbſt brennenden Wachsfackeln
ſo lange/ biß er gaͤntzlich verſehrt war. Hernach
antwortete er: Die Roͤmer ſind gewohnt ſich ehe
einzuaͤſchern/ als ihre Geheimnuͤſſe zu verra-
then. Gentius ward hieruͤber beſtuͤrtzt/
ſchickte
[877[879]]Arminius und Thußnelda.
ſchickte den Pompejus auf ſeine Reichs-Graͤn-
tze/ und ließ den; Roͤmiſchen Rath wiſſen:
Er behielte die zwey andern als Stiffter gefaͤhr-
licher Anſchlaͤge bey ſich/ biß er der Roͤmiſchen
Freundſchafft verſichert/ und ihm wegen Be-
ſchimpffung ſeiner Geſandtſchaft Vergnuͤgung
verſchafft wuͤrde. Die Roͤmer verſtellten eine
Weile ihre hieruͤber geſchoͤpffte Empfindlichkeit;
ſchickten aber den Qvintus Martius mit neuen
Voͤlckern in Theſſalien; welcher durch einen faſt
unwegbaren Weg des von dem Hippias mit
zwoͤlff tauſend Kriegs-Leuten verwahrten Vo-
luſtan- und Capathiſchen Gebuͤrges mit un-
glaublicher Muͤh einbrach/ und bey Libethrum
dem Koͤnige Perſes unvermuthet auff den Hals
kam: daß er weder Rath noch Huͤlffe wiſſende/
bald dar bald dorthin floh/ aus der feſten Stadt
Dion alle guͤldene Bilder wegfuͤhren ließ/ und
dem Feinde alle Paͤſſe/ inſonderheit den gar en-
gen unter dem Berge Olympus an dem Stro-
me Baphyrus gegen der Stadt Dion oͤffnete/
und nach Pydna floh; ſeine Schiff-Flotte zu
Theſſalonich aus ſchaͤndlicher Furcht anzuͤnden
und ſeine uͤbel aufgehobene Schaͤtze zu Pella ins
Meer werffen/ iedoch ſolche hernach wieder her-
aus fiſchen ließ. Martius ſegelte hierauff mit
der Roͤmiſchen Kriegs-Flotte von Heracle ab/
ſetzte bey Theſſalonich/ Ania/ Antigonea und
Pallene aus/ verwuͤſtete das Land/ und belaͤger-
te die maͤchtige Stadt Caſſandrea; haͤtte ſie auch
erobert/ wenn ſich nicht auff zehn Schiffen tau-
ſend außerleſene deutſche Kriegsleute des Nachts
darein geſpielet/ und durch ihre bloſſe Ankunfft
die Roͤmer abzuziehen verurſacht haͤtten. Der
Roͤmiſche Buͤrgermeiſter belaͤgerte inzwiſchen
Melibea/ und Martius machte ſich auch an die
Stadt Demetrias. Weil aber die Roͤmer
bey ihrem Gluͤcke hochmuͤthig/ und dem Koͤnige
Eumenes ihre taͤgliche wachſende Kraͤfften ver-
daͤchtig wurden/ brachte es Perſes oder vielmehr
Goͤzonor durch den Cydas und Antimachus ſo
weit: daß er mit ſeinen Huͤlffs-Voͤlckern ſich von
den Roͤmern abſonderte/ und in Aſien kehrte; ja
ſich nicht erbittten laſſen wolte ſeine in Beſtal-
lung habende fuͤnff hundert deutſchen Reuter
den Roͤmern zu hinterlaſſen. Dieſe Veraͤnde-
rung und ſo wohl des Koͤnigs Pruſias als der
Rhodier fuͤr den Perſes auffs neue gethane Frie-
dens-Werbung brachte die Roͤmer zu glimpffli-
cher Anſtalt; und daß ſie den deutſchen Fuͤrſten
beſſere Worte gaben; unter denen ſie den gegen
die Baſtarnen graͤntzenden Hertzog Balanos
durch Uberſchickung einer guͤldenen Kette von
zwey-einer guͤldenen Schale von vier Pfun-
den/ eines ausgeputzten Pferdes/ und koͤſtlicher
Waffen gewanen: daß er die Baſtarnen von
der dem Perſes verſprochenen Huͤlffsleiſtung
abhielt. Nachdem auch Perſes durch erlang-
te neue Huͤlffe der Deutſchen ſich wieder erho-
lete/ und in Pierien an dem Fluße Enipeus
die Roͤmer lange Zeit auffhielt/ ja ihnen faſt al-
le Lebensmittel abſchniet; lieſſen ſie durch den
Cneus Servilius uͤber dem Po ſechs hundert
deutſche Reuter werben/ welche mit dem Buͤr-
germeiſter Emilius Paulus und einer anſehn-
lichen Macht in Griechenland uͤberſaͤtzten. Der
aͤngſtige Perſes ſchickte auch ſeinen getreueſten
Pantaucus an Koͤnig Gentius/ und dieſer den
Olympius an Perſes; durch welche nicht nur
zwiſchen ihnen ein gemeiner Schirm-Bund
geſchloſſen ward/ ſondern ſie ſendeten auch ins
geheim zu den Rhodiern und dem Koͤnige Eu-
menes ſie auff ihre Seite zu bringen; welches
auch erfolgt waͤre: wenn nicht des Eumenes
Geitz abermahls das Spiel verderbet/ und er
die verſprochenen Huͤlffs-Gelder nicht ander-
werts/ als in ſeinen Samothraciſchen Tempel
haͤtte niederlegen wollen. Dieſe Wurtzel alles
boͤſen/ und die Gifft der gemeinen Wohlfahrt
that auch noch groͤſſern Schaden. Denn es
hatte Perſes durch eine Bothſchafft den Koͤni[g]
der Qvaden Clondich beredet: daß er mit einer
anſehnlichen Macht von zehn tauſend Reu-
tern und ſo viel Fußvolcke uͤber den Jſter und
die Sau geſaͤtzt war/ und bey der Stadt De-
ſudaba unter dem Orbitaiſchen Gebuͤrge von
S s s s s 3dem
[878[880]]Sechſtes Buch
dem Perſes den verſprochenen Sold und die
Geiſſel erwartete. Perſes eilte zwar von dem
Fluße Enipeus an den Strohm Axius biß zu
der von den Deutſchen gebauten Stadt Ale-
mana dem Koͤnige Clondich entgegen/ ſendete
auch ihm und den Heerfuͤhrern etliche Pferde
und Zierathen durch den Antigonus zum Ge-
ſchencke; mit Vertroͤſtung einer mehrern Frey-
gebigkeit/ die Perſes zu Bylazor bey ihrer
Zuſammenkunfft wuͤrde ſpuͤren laſſen. Allei-
ne Clondich wolte wegen bewuſter Kargheit
des Perſes fuͤr erlangter Zahl- und Verſiche-
rung nicht weiter ruͤcken; und der thoͤrichte
Perſes kriegte uͤber einer ſo groſſen deutſchen
Macht ſelbſt Argwohn; oder verhuͤllte auffs
wenigſte ſeinen Geitz mit einer eben ſo ſchlim-
men Furcht; ließ alſo dem Clondich melden:
daß er mehr nicht als fuͤnff tauſend Huͤlffs-
Voͤlcker brauchte. Wie nun auch auff Clon-
dichs Nachforſchung fuͤr ſo viel kein Geld ver-
handen war/ kehrete er mit ſeiner Macht/ wel-
che die Roͤmer aus Griechenland zu vertrei-
ben maͤchtig geweſt waͤre/ wieder an den J-
ſter. Nichts beſſers ſpielte er es dem Gentius
mit; indem er ihm dreyhundert Talent zuruͤ-
cke hielt; weil er ihn durch Anhaltung der Roͤ-
miſchen Geſandten ſchon tieff genung in Krieg
eingewickelt zu ſeyn vermeinte. Der Aſiati-
ſchen Deutſchen Beyſtand buͤſte er auch vol-
lends durch dieſe Grauſamkeit ein. Evme-
nes ſchickte um nicht gar von den Roͤmern ab-
zuſetzen tauſend deutſche Reuter auff fuͤnff und
dreißig unbewehrten Schiffen dem Attalus
zu. Dieſe geriethen zwiſchen dem Eylande
Chios und Erythra unverſehens unter der Ma-
cedoniſchen Schiffs-Flotte/ welche die ſchlech-
ten Plaͤtten theils zur Ubergabe zwangen;
theils an Strand trieben/ und die dem Waſ-
ſer entkommenden auff dem Lande vollends er-
ſchlugen. Dieſe an ihren Bluts-Freunden
veruͤbte Blut-Begierde machte: daß Hertzog
Goͤtzonor mit ſeinen Deutſchen wieder in Aſi-
en kehrte; und Perſes an dem Fluſſe Eni-
peus vom Emilius Paulus auffs Haupt er-
legt/ zwantzig tauſend Macedonier erſchlagen/
fuͤnff tauſend fluͤchtige unter Weges/ und ſechs
tauſend nach Pydna entkommene gefangen
wurden. Perſes kam kaum mit drey Gefer-
then in die Haupt-Stadt Pella. Allein ein
Verzagter ſchaͤtzt ſich auch nicht in der Schoß
des Jupiters/ weniger in einer Feſtung ſi-
cher. Daher ſpielte ſich Perſes noch ſelbige
Nacht aus Pella/ und flohe nach Amphipo-
lis/ von dar mit zwey tauſend nur fuͤr die Fein-
de erſparten Talenten in das Eyland Samo-
thracien. Denn des Perſes ſchaͤndliche Flucht
war dem Emilius ein Schluͤſſel zu den Staͤd-
ten Beroe/ Theſſalonich/ Pella/ Pydna/
Melibo[e]/ Amphipolis und gantz Macedo-
nien. Zu Pella fand er noch die dem Gen-
tius hinterhaltene dreyhundert Talent. Cne-
us Octavius ſegelte auch gerade nach Samo-
thracien/ und begehrte des Perſes und ſeines
Sohnes Ausfolgung. Beyde aber umarm-
ten die vom Cephiſſodor gefertigte und alldar
hochheilig verehrte Bilder der Venus und des
Phaetons. Weil nun dieſer Ort die unver-
ſehrlichſte Frey-Stadt war; hielt Attilius dem
Samothraciſchen Fuͤrſten Theondas ein: daß
Perſes wegen ſeines an dem Koͤnige Eumenes
in dem Delphiſchen Heiligthume fuͤrgehabten
Meuchel-Mordes keiner Goͤttlichen Beſchir-
mung faͤhig waͤre. Theondas verſprach hier-
uͤber Recht zu hegen; und Perſes muſte ſei-
nen gebrauchten Werckzeug Evandern ho-
len laſſen. Evander geſtand ſein Fuͤrhaben;
und weil Perſes von ihm als Anſtiffter ver-
rathen zu werden beſorgte/ ließ er ihn toͤdten.
Alſo entweyhte Perſes zum andern mahl das
Heiligthum mit Blute. Wiewohl er nun den
Theondas beſtach: daß er ſagte: Evander haͤt-
te ſich ſelbſt getoͤdtet; ſo verdammte doch den
Perſes ſchon ſein Gewiſſen. Daher redete
er mit einem Cretiſchen Kauffmanne Oroandes
ab:
[879[881]]Arminius und Thußnelda.
ab: daß er ihn nach Thracien zum Cotys fluͤch-
ten ſolte; ließ auch einen ziemlichen Schatz in
ſein Schiff bringen. Wie aber Perſes des
Nachts aus dem Tempel in Demtriſchen Ha-
fen kam; war Oroandes ſchon nach Creta ent-
flohen. Perſes verſteckte ſich hierauff zwar
am Ufer/ hernach in einen finſtern Winckel
des Tempels; endlich aber ergab er ſich und
ſeinen Sohn Antiochus dem Octavius; und
Emilius fuͤhrte hernach den Perſes mit drey-
en Soͤhnen/ wie auch des Koͤnigs Cotys ge-
fangenen Sohn Bitis zu Rom im Siegs-
Gepraͤnge ein. Anitius ſpielte eben dieſes
Trauer-Spiel mit dem Koͤnige Gentius/ wel-
chem zu ſeiner Entſchuldigung nichts halff:
daß Alexander die Thebiſchen und Sparta-
niſchen Geſandten an Darius; die Roͤmer
des Koͤnigs Philips Geſandten an Annibal;
die Sicilier der Stadt Syracuſa; die Argi-
ver der Athenienſer; die Epiroter der Etoli-
er an verdaͤchtige Oerter gehende Botſchafften
angehalten/ und alſo er das Voͤlcker-Recht
weder verletzt/ noch einige andere Urſache zum
Kriege gegeben haͤtte; zumahl/ da dieſen Koͤ-
nig auch Lucius Duronius beſchuldigte: daß
er auff dem Adriatiſchen Meere See-Rau-
berey veruͤbte; und zu Corcyra viel Roͤmiſche
Buͤrger in Band und Eiſen hielte. Der An-
fang des Krieges geſchahe zur See; indem A-
nitius viel Jllyriſche Schiffe eroberte; und un-
geachtet Gentius an Klugheit in der Kriegs-
Anſtalt/ an Tapfferkeit in den Schlachten
nichts erwinden ließ; wurden doch alle ſeine
Anſchlaͤge krebsgaͤngig; und ſchien es: daß
die goͤttliche Rache ſelbſt wider ihn mit zu Fel-
de laͤge. Sintemahl er ſeinen vollbuͤrtigen
Bruder Plator nur um deſto ſicherer zu herr-
ſchen; oder aus Unwillen: daß er des Darda-
niſchen Fuͤrſten Honun Tochter Etuta hey-
rathen wolte/ durch Gifft hingerichtet hatte.
Die Schlachten wurden verſpielet. Die zwi-
ſchen den Fluͤſſen Clauſula und Barbana lie-
gende feſte Haupt-Stadt Scodra erobert. Die
alten Jllyrier fielen von ihm ab; und Gentius
in Hoffnung ſein Land wieder zu bekommen
verleitet: daß er nach vergebens erwarteter
Huͤlffe von ſeinem Bruder Karavant aus der
Sicherheit des Labeatiſchen Sees ſich auff
Gnade und Hoͤffligkeit in der Roͤmer Haͤnde
gab; allwo ihn Anitius zwar hoͤfflich empfing/
ihm ſeine Gemahlin Leva/ ſeine Soͤhne
Sterdilet und Pleurat/ wie auch den Bru-
der Karavant an ſeine Tafel ſetzte; beym Auf-
ſtehen aber ihm den Degen abheiſchen/ und alle
gefangen nehmen ließ; von dar er und ſeine
Soͤhne nach Rom zum Siegsgepꝛaͤnge gefuͤhrt;
kurtz hierauff vom Emilius Paulus ſiebenzig
Jllyriſche Staͤdte/ die ſich gutwillig ergeben/
auch bereit die Pluͤnderung mit vielem Gold
und Silber abgekaufft hatten/ auff einen Tag
mit Raub und Brand verzehret wurden. Ob
nun zwar die abtrinnigen Ardieer und Pala-
rier dieſes Unrecht zu raͤchen vermeinten; die
Japoder und Segeſtaner auch auff Freylaſ-
ſung des Koͤnigs Gentius drangen; wurden
doch jene vom Fulvius Flaccus/ dieſe vom
Sempronius und Tiberius Panduſius nach
etlichen Schlachten uͤbermannet. Wiewohl
auch die Dalmatier ihre Freyheit anfangs wi-
der den ſie ebenfalls anfallenden Marcus Fi-
gulus hertzhafft vertheidigten/ und ein Theil
ſeines Heeres biß uͤber den Fluß Naro zuruͤck
trieben; ſo ſchlug doch das Gluͤcke bald umb.
Denn er jagte ſie bey der Stadt Delmin in
die Flucht; und noͤthigte dieſe faſt unuͤberwind-
liche Feſtung durch Einwerffung brennender
Pech- und Schwefel-Fackeln ſich zu ergeben.
Popilius ſchreckte mit ſeinen rauhen Worten
die Rhodier: daß ſie alle/ welche iemahls wi-
der Rom etwas gethan/ oder gerathen/ zum
Tode verdammten; und den Koͤnig in Syri-
en Antiochus mit einem um ihn mit Staub
geſtrichenen Kreiße: daß er dem Ptolomeus
alles/ was er in Egypten erobert hatte/ wie-
der
[880[882]]Sechſtes Buch
dergeben muſte. Epirus/ gantz Griechenland
und Jllyricum ſtrich fuͤr den Roͤmern ſeine
Segel; die Koͤnige aus Africa/ Aſien und
Europa ſtritteu mit einander ſich durch Gluͤck-
wuͤnſchungen und andere Heucheleyen bey den
Roͤmern einzulieben. Ja Pruſias und ſein
Sohn Nicomedes ſchaͤmten ſich nicht die
Schwelle des Roͤmiſchen Rathhauſes zu kuͤſſen/
den Rath ihre Erhaltungs-Goͤtter/ ſich aber
ihre Freygelaſſene zu nennen. Welche ſeltza-
me Faͤlle allzu deutlich erhaͤrten: daß das ewige
Geſetze der Gottheit von alleꝛ Ewigkeit heꝛ allen
Dingen einen gewiſſen und unveraͤnderlichen
Lauff beſtim̃et habe; alſo weder die menſchlichen
Geſchichte ungefaͤhr/ ſondern vielmehr aus ver-
borgenen Urſachen ſich zutragen/ noch iemand
das Rad des Verhaͤngniſſes auff die Seite
abwenden koͤnne/ wenn die Vernunfft es ſchon
von ferne erſiehet/ und die Tugend beyde Ar-
men vorwirfft. Jnsgemein aber verblendet
dieſe Nothwendigkeit auch die ſonſt von Thor-
heit entfernte Gemuͤther: daß ſie weder ihren
Rathſchlaͤgen genugſam nachdencken/ oder be-
vorſtehender Gefahr nicht kluͤglich vorbeu-
gen.
Ungeachtet nun derogeſtalt die halbe Welt
nicht nur die Roͤmiſche Macht anbetete/ ſondern
auch fuͤr dem Eumenes und Pruſias/ als den
Werckzeugen ſo ferner Dienſtbarkeit die Ach-
ſeln einzoh; ſo lieſſen ſich doch die Deutſchen
in Galatien zu nichts knechtiſchem Verlei-
ten. Sie ſchickten keine Botſchafft nach Rom;
und als ihnen Pruſias ein Stuͤcke Landes ab-
ſtreiten wolte/ welches des Syriſchen Koͤnigs
Antiochus geweſen/ und von den Roͤmern ihm
ſolte geſchenckt worden ſeyn; lieſſen ſie dem Pru-
ſias zu entbieten: der Degen waͤre bey den
Deutſchen das Grabſcheit/ wenn man ihnen
etwas von ihrem Eigenthume abgraͤntzen wol-
te. Ob auch ſchon Pruſias hernach zu Rom
von dem Rathe ſolch Land als eine Vergeltung
fuͤr ſeine treue Verdienſte verlangte; ward er
doch durch dieſe Antwort abgewieſen: Wenn
das Land der Deutſchen waͤre/ muͤſte er nicht
uͤbel auffnehmen: daß der Rath ſie mit Weg-
gebung fremden Gutes nicht beleidigen/ und
dem Eigenthums-Herren Unrecht thun koͤn-
te. Mit dem Koͤnige Evmenes aber banden
die Deutſchen gar an. Denn Hertzog Solo-
vet/ des in Theſſalien gebliebenen Fuͤrſten Car-
ſignat Sohn/ welcher aus einer beſondern
Staats-Klugheit ſtets auff der Roͤmer Seite
geſtanden hatte/ beſchuldigte den Evmenes:
daß er die ihm geſchickten tauſend Deutſchen
Reuter mit Fleiß der Macedoniſchen Schiffs-
Flotte in die Haͤnde geſchickt haͤtte; und Her-
tzog Goͤzonor goß bey verneuertem Buͤndniſ-
ſe mit dem Solovet mehr Oel ins Feuer; al-
ſo: daß ſie mit geſammleter Macht in ſein
Gebiete einfielen/ auch ihm etliche harte Strei-
che verſaͤtzten. Welche dem zu Rom ſich be-
findenden Attalus ſo tieff zu Gemuͤthe ſtie-
gen: daß er bey dem Rathe die Helffte ſeines
bruͤderlichen Reichs fuͤr ſeine Verdienſte aus-
zubitten unterließ/ indem er wohl ſahe: daß
ſeine und des Evmenes Zwytracht die Deut-
ſchen gar zu Meiſtern uͤber das Pergameni-
ſche Reich machen wuͤrde. Alſo ſuchte er nur
bey den Roͤmern wider dieſe hefftigen Feinde
Huͤlffe; welche aber nur Geſandten zur
Vermittelung eines Friedens dahin ſchick-
ten. Dieſe brachten es zwar ſo weit: daß
die Deutſchen/ weil der Winter ohne diß fuͤr
der Thuͤr war/ einen drey-monatlichen Stille-
ſtand willigten; mit dem erſten Fruͤh-Jahre aber
fielen ſie uͤber den Berg Didymus wieder ein/
und eroberten die Stadt Siniada. Publius
Licinius eilte mit dem Attalus dahin/ weil
inzwiſchen Evmenes bey Sardes an dem Fluße
Pactol ſein Heer zuſammen zoh. Licinius bat
und dreute nicht ferner zu ruͤcken; die beyden
deutſchen Fuͤrſten aber gaben ihm nur lachen-
de zur Antwort: Sie waͤren der Roͤmer gute
Freunde/ aber kein Antiochus; welcher ſich wie
eine
[881[883]]Arminius und Thußnelda.
eine Schlange in einem Kreiſſe bezaubern/ und
mit Draͤu-Worten ihm einen ſchaͤdlichen Frie-
den abpochen lieſſe. Licinius muſte alſo unver-
richteter Sachen zuruͤcke ziehen; und weil die
Deutſchen allenthalben den Meiſter ſpielten/
reiſete Eumenes ſelbſt nach Jtalien um Huͤlffe
zu bitten. Weil aber er im Verdacht war: daß
er mit dem Perſes unter dem Hute geſpielt haͤt-
te/ machte der Rath nicht nur ein Geſetze: daß
kein Koͤnig nach Rom kommen ſolte; ſon-
dern ſchickten ihm auch entgegen/ und lieſſen
fragen: Was er verlangte; haͤtte er aber nichts
anzubringen/ moͤchte er nur alſofort umkehren.
Diß verdroß den Eumenes ſo ſehr: daß er um-
kehrte und antwortete: Er waͤre bettelns halber
nicht kommen; ſondern nur zu fragen: Ob diß
der Danck fuͤr ſo viel Dienſte waͤre: daß die Roͤ-
mer ihm den ihrenthalben ihm zugezogenen
Deutſchen Krieg allein auf dem Halſe/ und die
edelſten Pergamener/ welche in Macedonien
fuͤr ſie die Waffen gefuͤhret/ vom grauſamen
Solovet unmenſchlich aufopffern lieſſen. Kurtz
nach ihm kam von den Deutſchen eine Geſand-
ſchafft nach Rom/ welche den Rath ihrer
Freundſchafft verſicherte/ und die Urſachen ih-
res Krieges wider den Eumenes ausfuͤhrte;
auch erhielt: daß ſie fuͤr ein freyes Volck und Roͤ-
miſche Bundgenoſſen erklaͤrt wurden. Der
von Furcht und Zorn unruhige Eumenes zohe
nach Hauſe/ verband ſich mit dem Antiochus in
Syrien/ und begegnete nicht allein den Deut-
ſchen/ ſondern fiel auch dem Pruſias in Bithy-
nien ein. Weswegen dieſer den Python nach
Rom ſchickte/ und dieſen Uberfall nur ſeinem
mit den Roͤmern habenden Buͤndnuͤſſe zu-
ſchrieb. An ſtatt der verhofften Huͤlffe aber gab
der Rath nur zur Antwort: Er ſolte mit den
Deutſchen pfluͤgen/ die waͤren zweyen Eume-
nen gewachſen. Pruſias folgte dieſem Rathe;
und verband ſich mit denen Fuͤrſten Goͤzonor
und Solovet in Galatien/ heyrathete auch des
in Thracien wohnenden Deutſchen Koͤniges
Diegyl Tochter; mit denen er gegen den Eu-
menes mit umwechſelndem Siege und Verluſt
Krieg fuͤhrte. Weil aber Pruſias dieſen noch
immer zu Rom verdaͤchtigte/ der Rath auch den
Tiberius Grachus um ſo wol des Antiochus/
als Eumenes heimliches Beginnen auszugruͤ-
beln; ſchickte dieſer ſeine Bruͤder Attalus und
Atheneus nach Rom/ ihn von allen Verlaͤum-
dungen weiß zu brennen. Gleichwol aber kon-
ten ſie ſich ſo rein nicht waſchen: daß nicht Cajus
Sulpitius/ als ein Kundſchaffter aufs neue da-
hin geſchickt ward. Jnzwiſchen ſtarb Eumenes;
und ließ ſeinen den Roͤmern beliebtern Bru-
der Attalus zum Erben. Jedoch machten die
Deutſchen und Pruſias dem Kriege kein Ende;
ſondern ſchlugen den Attalus aus dem Felde/
und bemeiſterten faſt die Helffte ſeines Reiches.
Attalus klagte durch den Andronicus und her-
nach ſeinen Bruder Atheneus es zwar zu Rom;
Aber des Pruſias Geſandter Antiphilus und
ſein Sohn Nicomedes lehnten alles durch fuͤr-
geſchuͤtte Gegenwehr ab; biß die dahin geſchick-
ten Apulejus und Petronius ein anders berich-
teten. Daher der Rath den Pruſias durch ei-
ne Geſandſchafft zur Ruh ermahnten. Lucius
Hortenſius kehrte zwar allen Fleiß an ſie zu
vergleichen; aber die Deutſchen riethen dem
Pruſias ſeinen Vortheil nicht aus den Haͤnden
zu geben. Nach dem ſich auch die Handlung
zerſchlagen/ und Pruſias den Deutſchen kaum
aus den Haͤnden entwiſchte; ruͤckten ſie fuͤr die
Hauptſtadt Pergamus/ und belaͤgerten darin-
nen den Attalus. Weil die Stadt aber allzu
wol beſetzt war/ pluͤnderte Pruſias in der Vor-
ſtadt des Eſculapius/ bey Hiera der Diane/
und bey Temnos des Apollo Tempel. Weß-
wegen ſich die Deutſchen vom Pruſias trenn-
ten; Attalus hingegen kriegte vom Cappadoci-
ſchen und Pontiſchen Koͤnige Huͤlffe; Die Roͤ-
mer kuͤndigten dem Pruſias auch den Bund
auf; hetzten ihm die Rhodier und Cyzizener auff
den Hals; auf derer Schiffen er in Bithynien
Erſter Theil. T t t t tein-
[882[884]]Sechſtes Buch
einfiel/ und den Pruſias nicht wenig ins Ge-
drange brachte. Die Roͤmiſchen und Deutſchen
Geſandten aber vermittelten bald einen Frie-
den. Dieſer vertiefte den Pruſias in allerley
Laſter; alſo: daß er auch ſeinen Kindern anderer
Eh zu Liebe ſeinen zu Rom ſich befindenden
Sohn Nicomedes zu ermorden beſchloß/ wo er
nicht vom Rathe die Erlaſſung der dem Pruſias
verſprochenen fuͤnf hundert Talent erhielte.
Der hierzu beſtellte Menas aber entdeckte es
nicht allein dem Nicomedes; ſondern brachte
auch ein Theil des Bithyniſchen Kriegsvolckes
auf ſeine Seite. Attalus nahm den Nicome-
des mit Freuden auf/ und brach mit ihm in Bi-
thynien ein; deſſen Staͤnde haͤuffig zum Nico-
medes fielen. Pruſias ſuchte vergebens zu
Rom Huͤlffe; in das Niceiſche Schloß nahm er
500. Thraciſche Deutſche von ſeinem Schwe-
hervater Diegyl ein. Endlich flohe er nach Ni-
comedien; und als die Buͤrger die Stadt aufga-
ben/ in Jupiters Tempel; darinnen ihn aber
ſein Sohn Nicomedes ermorden/ und das Altar
mit vaͤterlichem Blute beſpruͤtzen ließ. Atta-
lus kriegte inzwiſchen den dem Pruſias zu Huͤlf-
fe kommenden Koͤnig Diegyl gefangen; ließ ihn
aber auf Hertzog Solovets Vorbitte wieder loß.
Alſo erhielten die Deutſchen unter ſo viel Ver-
aͤnderungen gleichwol ihren Stand und Anſe-
hen; und inſonderheit bey denen in Syrien.
Denn ob zwar nach des Antiochus Tode der ſich
von Rom wegſpielende/ und wieder den jungen
Antiochus das Reich behauptende Demetrius/
welcher den jungen Koͤnig Ariarathes wegen
verſchmaͤhter Heyrathung ſeiner Schweſter
aus Cappadoeien vertrieb/ und den von ſeiner
Mutter untergeſteckten Orophernes einſetzte/
von dem Koͤnige Ptolemeus/ Attalus und Aria-
rathes aus Syrien vertrieben/ und ein gemei-
ner Juͤngling unter dem Nahmen Alexanders
eines Antiochiſchen Sohnes eingeſetzt; ja auch
Demetrius durch Huͤlffe der Juden vom Ale-
xander erſchlagen ward; ſo erbarmten ſich doch
die Deutſchen Fuͤrſten des von dem Demetrius
nach Gnidus zur Sicherheit geſchickten und in
Creta bey dem Fuͤrſten Laſthenes ſich aufhalten-
den Sohnes Demetrius; und ſetzten ihn nach
Verjagung des uͤppigen Alexanders/ mit Huͤlf-
fe des Ptolomeus Philometors in Syrien auff
den vaͤterlichen Thron.
Bey dieſem Wachsthume der Deutſchen in
Aſien/ muͤhten ſich auch die in Jtalien nach der
von den Bojen erlittenen groſſen Niederlage
ihr Haupt wieder empor zu heben. Maſſen die
Ligurier den in Hiſpanien ziehenden Stadt-
Vogt Bebius angrieffen/ ſein Volck erlegten/
ihn biß in Maßilien jagten/ da er den dritten
Tag von den empfangenen Wunden ſtarb; ja
ſie machten ſich ſo breit: daß der Roͤmiſche Rath
beyden Buͤrgermeiſtern auftrug die Deutſchen
zu ſtillen. Sie gaben ihnen aber genung zu
ſchaffen/ biß Flaminius die Friniatiſchen/ Emi-
lius die Apuaniſchen Ligurier endlich uͤberwaͤl-
tigte/ und ihnen die Waffen abnahm. Marcus
Furius uͤberfiel hierauf auch die ſich keines Krie-
ges verſehenden Cenomannen/ und entwaffnete
ſie; der Rath aber gebot ihm einen Stilleſtand;
und Emilius gab ihnen alles abgenommene
wieder. Als die Roͤmer nun alle Deutſchen in
Ligurien fuͤr todte Leute hielten/ krochen die A-
puaniſchen wieder hinter ihren Klippen und
aus ihren Hoͤlen herfuͤr/ und ſtreifften biß nach
Bononien. Qvintus Martius zohe mit ei-
nem Heere gegen ſie; welche/ als ſie ihn durch ſte-
tes weichen in die aͤngſten Thaͤler zwiſchen die
hoͤchſten Klippen gelockt hatten/ ihn rings um-
her anfielen/ 4000. Roͤmer erſchlugen/ von der
andern Legion drey-von den Lateinern eilf Fah-
nen eroberten; und ſie nicht ehe zu verfolgen/ als
die Roͤmer zu fliehen aufhoͤreten.
So viel Empoͤrungen der Deutſchen aber
waren kein Werck einer Leichtſinnigkeit; ſon-
dern eitel Rachen angethanen grauſamen Un-
rechts. Sintemal die nunmehr in Wolluͤſten
erſoffenen und daher auch ſo viel grimmigern
Roͤmer
[883[885]]Arminius und Thußnelda.
Roͤmer andere Voͤlcker mehr fuͤr Vieh als Men-
ſchen hielten. Maſſen denn ſelbige Zeit Qvin-
tius Flaminius aus dem Rathe geſtoſſen ward/
weil er am Po einen zu ihm abgeſchickten Boji-
ſchen Ritter einem mißbrauchten Schandbu-
ben/ und zu Placentz einen edlen Ligurier ſeiner
Hure zu Liebe und zur Ergetzligkeit ermorden
laſſen/ und Tiſch und Bette mit ſo unſchuldigem
Blute beſpruͤtzt hatte. Zu eben dieſer Zeit kam
aus Deutſchland ein neuer Schwarm derer an
der Donau wohnenden Voͤlcker uͤber die Alpen/
ließ ſich am Adriatiſchen Meere um die Fluͤſſe
Turrus und Tilavent nieder. Wider dieſe
ward Lucius Julius geſchickt ſie daſelbſt wegzu-
treiben. Weil ſie aber uͤbel/ oder gar nicht be-
wehret waren/ machten ſie mit den Roͤmern ei-
nen Vergleich/ und zohen mit ihrem Geraͤthe
wieder uͤber die Alpen/ und ſetzten ſich um den
Fluß Aniſus. Folgendes Jahr zohen abermals
beyde Buͤrgermeiſter in Ligurien; da ſich denn
2000. dem Marcellus gutwillig ergaben; die
andern aber verſteckten ſich in ihre Gebuͤrge
und Feſtungen: daß ihnen die Roͤmer nicht bey-
kommen konten/ ſondern ihr Heer von einander
laſſen; ſolches aber bald wieder zuſammen zie-
hen/ und auff alle Faͤlle fertig halten muſten;
Weil ein Geſchrey kam: daß in Deutſchland
viel tauſend junger Mannſchafft ſich zuſammen
zuͤge/ und irgends wo in Jtalien einbrechen
wolte. Die Ligurier machten auch die See
unſicher/ und thaten den Maßiliern nicht gerin-
gen Schaden; muſten alſo die Roͤmer eine Schif-
Flotte in das Liguſtiſche Meer ſchicken. Das
nechſtfolgende Fruͤhjahr zohe der ſonſt allenthal-
ben ſo ſieghaffte Emilius Paulus wider die Jn-
guaniſchen Ligurier auf. Weil er aber von kei-
nem andern Vergleiche/ als daß ſie ſich auf Gna-
de und Ungnade ergeben ſolten/ hoͤren wolte;
ſtuͤrmten und belaͤgerten ſie das Roͤmiſche Laͤger;
Alleine ſie erlitten von denen wegen auſſenblei-
bender Huͤlffe faſt verzweiffelt ausfallenden Roͤ-
mern eine ſchwere Niederlage; indem 15000. er-
ſchlagen/ drittehalb tauſend gefangen wurden;
zur vernuͤnfftigen Warnigung: daß eines ver-
zweiffelten Feindes Degen drey anderen beſte-
he. Die Jnguaner ergaben ſich hierauff ohne
Schwerdſchlag. Wiewol nun dieſe abgemer-
gelten Voͤlcker gantz ruhig ſaſſen/ wolten doch
Publius Cornelius/ und Marcus Boͤbius/ weil
ſie in ihrem Buͤrgermeiſter-Ampte nichts denck-
wuͤrdiges verrichtet hatten/ an ihnen den Muth
kuͤhlen/ und Ehre einlegen; Alſo durchforſchten
ſie mit zweyen maͤchtigen Heeren das gantze A-
nidiſche Gebuͤrge/ zwangen ſie alle auff die
Flaͤchen zu verfuͤgen; und waren weder Ge-
ſchencke noch Thraͤnen ſo maͤchtig die Roͤmer zu
bewegen: daß ſie in ihren Geburts-Staͤdten er-
ſterben/ und ihre Gebeine in den Grabeſtaͤtten
ihrer Vor-Eltern ruhen moͤchten; ſondern es
wurden ihrer 40000. in Samnium fortge-
ſchleppet. Weil nun beyde ſich hierdurch zu
Rom ſo ſehr verdient hatten: daß ihnen/ die doch
gegen keinem Feinde einigen Degen gezuͤckt/
ein Siegs-Gepraͤnge erlaubt ward/ machte ſich
Poſthumius uͤber den Schweißberg/ und das
Gebuͤrge Baliſta; zwang dieſe armen Leute
durch Abſchneidung aller Lebens-Mittel zur U-
bergabe; nahm ihnen alles Gewehre/ und ließ
ihnen mit genauer Noth ſo viel Eiſen uͤbrig/ als
ſie zu Pflugſcharen und dem Ackerbau dorfften.
Fulvius kroch an dem Fluſſe Maora in den Hoͤ-
len/ noch 7000. Apuaner aus/ welche ihren
Landesleuten in Samnium folgen muſten. Ca-
jus Claudius beraubte hierauf aus bloſſer Ver-
muthung des Krieges die Epanterier/ und ſiegte
uͤber den Jſtrier Koͤnig Epulo und dieſe Ligurieꝛ;
welche abeꝛ fuͤꝛ Ungedult nicht alleine ins Muti-
nenſiſche Gebiete einfielen/ und es mit Schwerd
und Feuer verheerten/ ſondern auch dieſe Stadt
ſelbſt eroberten. Alleine Claudius ruͤckte mit
einem noch ſtaͤrckern Heere fuͤr Mutina/ erober-
te es mit Sturm; in welchem 10000. Roͤmer/
und 8000. Ligurier blieben; ſchlug hierauff ſie
beym Fluſſe Skulteña/ trieb ſie vom Verge Letus
T t t t t 2und
[884[886]]Sechſtes Buch
Letus und Baliſta. Worauf Claudius hochmuͤ-
thig nach Rom ſchrieb: Seine Tugend und Gluͤ-
cke haͤtte nunmehr zu wege gebracht: daß Rom
disſeits der Alpen keinen Feind mehr haͤtte.
Gleichwol aber reckten dieſe Untergedruͤckten
aus Liebe der Freyheit bald wieder ihre Hoͤrner
empor/ erſchlugen den Buͤrgermeiſter Petilius
mit etlichen tauſend Roͤmern. Der Buͤrger-
meiſter Popilius wolte dieſe Schande an denen
allezeit Roͤmiſch-geſinnten Statellatiſchen Li-
guriern raͤchen/ und gerieth bey der Stadt Ca-
riſtum mit ihnen in eine blutige Schlacht; alſo:
daß er ſich zwar des Sieges/ aber ſchlechten
Vorthels zu ruͤhmen hatte; Wie denn auch der
Roͤmiſche Rath dieſes Unrecht ihres Buͤrgers
verdammten/ und die Ligurier in ihre Freyheit
zu ſetzen befahl. Aber bey Verwechſelung der
Aempter blieb es nach; iedoch empfand es das
Roͤmiſche Volck ſo ſehr: daß es in dem Heilig-
thume Bellonens den Buͤrgermeiſter Popilius
ſchimpflich fragte: Warum er die durch ſeines
Bruders Betrug unter gedruͤckte Deutſchen in
Ligurien nicht wieder in Freyheit geſetzt haͤtte?
Welche Maͤßigung denn hernach die Ligurier
und Deutſche ziemlich beruhigte; biß die wegen
des eroberten Macedoniens des durch eigene
Zwytracht entkraͤffteten Syriens und zur
Dienſtbarkeit geneigtens hoffaͤrtigen Roͤmer in
Ligurien den Krieg ohne einige andere Urſache/
als aus Begierde ſich durch viel Siege beruͤhmt
zu machen den Krieg erneuerten; und die Buͤr-
germeiſter wegen etlicher vortheilhafften Tref-
fen nebſt dem Publius Scipio/ welcher mit der
Stadt Delmin gantz Dalmatien zum Gehor-
ſam gebracht hatte/ ein Siegs-Gepraͤnge hiel-
ten. Weil die Deutſchen nun von den Maßi-
liern der Roͤmer geſchwornen Gefaͤrthen lange
Zeit Uberlaſt/ und beym Kriege Abbruch gelit-
ten hatten/ fielen ſie in Gallien in ihr Gebiete
ein; eroberten die Seeſtadt Nica/ ſetzten uͤber
den Fluß Varus/ und belaͤgerten Antipolis.
Wie nun die Maßilier zu Rom hieruͤber klag-
ten/ reiſten alſofort Flaminius/ Popillius Le-
nas und Pupius dahin/ ſtiegen zu Egitica/ wel-
che Stadt den Oxybiſchen Liguriern gehoͤret/
aus; und befahlen ihnen die Belaͤgerung aufzu-
heben. Die Ligurier hingegen befahlen den
Roͤmern ihre Graͤntze zu raͤumen; und als ſie
von Draͤuen und Scheltworten nicht ablieſſen/
trieben ſie ſie mit Gewalt in die Schiffe/ und
verwundeten den Flaminius. Hierauf folgte
alsbald der Buͤrgermeiſter Qvintus Opinius
mit einem maͤchtigen Heere; drang uͤber alle
Gebuͤrge biß an den Strom Acro/ nahm die
Stadt Egitra ein/ und ſchickte die Fuͤrnehmſten
in Band und Eiſen nach Rom. Dieſes ver-
bitterte die Oxybier: daß ſie unerwartet der ih-
nen zu Huͤlffe anziehenden Deciaten die wol
viermal ſtaͤrckern Roͤmer aus blinder Rachgier
aber mit groſſem Verluſt anfielen. Die De-
ciaten kamen zwar noch zum Treffen/ und ſtrit-
ten mit groſſer Hertzhafftigkeit wider den allge-
meinen Feind; der ihnen aber uͤberlegen war/
ihnen ein Stuͤck Landes abnahm/ und den
Maßiliern gewiſſe Geiſſel zu geben aufbuͤrdete.
Folgendes Jahr kriegte der Buͤrgermeiſter Ti-
tus Annius abermals mit den Galliern uͤber
dem Po. Und durch dieſe unauffhoͤrliche Be-
draͤngung wurden alle Kraͤffte der Deutſchen in
Jtalien/ wie die Schliefſteine von dem Eiſen
unempfindlich verzehret: daß ſie nur ihre Ach-
ſeln/ wie andere entferntere Voͤlcker unter ihr
Joch beugen muſten. Jedoch waren nicht ſo
wol der Roͤmer Waffen als ihre Argliſt/ und der
Deutſchen ſelbſteigene Veraͤnderung die fuͤr-
nehmſte Urſache ihrer ſcheiternden Freyheit.
Sintemal jene bald dieſen/ bald einen andern
Deutſchen Fuͤrſten durch einen verguͤldeten
Schild/ ein zugerittenes Pferd/ einen mit fal-
ſchen Edelgeſteinen verſetzten Degen/ oder durch
eine gemahlte Lantze bethoͤrten; den Kern ihrer
ſtreitbaren Jugend zu Uberwindung anderer
Voͤlcker oder der Deutſchen ſelbſt an ſich zohen/
und durch oͤfftere Botſchafften die Beſchaffen-
heit
[885[887]]Arminius und Thußnelda.
heit ihrer Laͤnder auskundſchafften; die Deut-
ſchen abeꝛ nach Eigenſchaft der verſetzten Pflan-
tzen unter dem viel ſanfftern Himmel Jtaliens
gleichſam ihre erſte Geburts-Art vergeſſen; und
den Safft vieler in dem rauern Deutſchlande
unbekandten Wolluͤſte an ſich gezogen hatten.
Weil aber die Celtiberier in Hiſpanien noch
nicht ſo lange von ihrem Vaterlande entfernet
waren; tauerte ihre Hertzhafftigkeit noch im-
mer; und machten ſie den Roͤmern nach denen
aus Hiſpanien vertriebenen Carthaginenſern
doch unaufhoͤrlich zu ſchaffen; und die Kriege ſo
ſauer: daß es Marcus Marcellus daſelbſt nicht
mehr auszuſtehen getraute/ und die junge
Mannſchafft zu Rom fuͤr Schrecken ſich nicht
mehr gegen die ſtreitbaren Celtiberier wolte
brauchen laſſen. Dahero ſie auch der Rath fuͤr
freye Voͤlcker zu erkennen/ ihnen ihre eigene
Geſetze zu laſſen/ auch ſie fuͤr Freunde und
Bunds-Genoſſen anzunehmen gezwungen
ward.
Bey ſolcher Beſchaffenheit brachen die Roͤ-
mer eine Urſache vom Zaune die Stadt Cartha-
go als den groͤſten Dorn in ihren Augen auffs
neue zu bekaͤmpffen; weil anfangs Koͤnigs Sy-
phax Enckel Archobarzanes Maſaniſſen beun-
ruhigte/ und hernach deſſen ſein Sohn Guluſſa
angab: daß Carthago nicht ſo wol wider ihn als
wider die Roͤmer ſelbſt eine Kriegs-Flotte aus-
ruͤſteten; alſo: daß Scipio Naſica ſelbſt dieſen
unrechtmaͤßigen Krieg beweglich wiederrieth.
Jnzwiſchen veꝛfiel Carthago mit Maſaniſſen in
Krieg; weil er ihre Stadt Oroſcopa belaͤgerte.
Seine Heerfuͤhrer Anaſis und Juba giengen
auch mit 6000. Numidiern zu Asdrubaln uͤber;
welcher Maſaniſſen anfangs ziemlichen Ab-
bruch that/ hernach aber in Anweſenheit des von
einem Berge zuſchauenden Scipio Emilianus
in einer blutigen Schlacht geſchlagen/ auff ei-
nem Berge belagert/ und den ſchimpflichſten
Vergleich einzugehen gezwungen ward. Wor-
bey denn die Roͤmer Maſaniſſen anzureitzen
nicht vergaſſen: daß er ſich ſeines Gluͤckes ge-
brauchen ſolte. Ungeachtet nun Carthago durch
zwey Botſchafften ſich fuͤr den Roͤmern demuͤ-
thigte/ Asdrubaln in Elend vertrieb/ ſo kriegten
ſie doch keine andere Antwort; als: ſie ſolten
Rom Vergnuͤgung geben; daruͤber aber/ was
hierunter gemeint wuͤrde/ konten ſie keine Aus-
legung erbitten. Jnſonderheit drang Porcius
Cato mit hefftigſter Ungeſtuͤm auff den Krieg;
und ruffte wol tauſendmal auf dem Rathhauſe:
Carthago werde vertilget! zeigte zugleich eine
friſche Feige/ welche allererſt fuͤr drey Tagen zu
Carthago uͤberbracht worden war; noͤthigte alſo
gleichſam dem Roͤmiſchen Rathe wider den Na-
ſica ab: daß ihre Einaͤſcherung beſchloſſen/ und
das von Carthago abfallende Utica begierig an-
genommen ward. Wiewol ſich nun Cartha-
go durch anerbotene freywillige Ergebung das
ihnen aufgebuͤrdete Vorhaben der Feindſelig-
keit genungſam ablehnte/ ſie auch dem Roͤmi-
ſchen Befehle nach fuͤr Abſchiffung der zum
Kriege befehlichter Buͤrgermeiſter 300. edle
Geiſſel nach Lilybeum lieferten; ſo ſchifften doch
die Buͤrgermeiſter nach Utica/ und zwangen die
Carthaginenſer: daß ob ſie ſchon Asdrubal be-
kriegte/ ſie doch ihre Schiffe verbrennen/ und
alle Waffen aushaͤndigen muſten/ welche zu Be-
waffnung gantz Africens genung geweſt waͤren.
Als ſie diß wuͤrcklich vollbracht/ faͤllte Lucius
Martius noch dieſes harte Urthel uͤber ſie: Sie
ſolten ihre Stadt abbrechen/ und vom Meere
weg eine andere bauen. Welches die Geſand-
ten in eine Raſerey/ nach vergebener flehentli-
cher Bitte aber dieſes edle Volck in Verzweiffe-
lung/ und in grauſame Wuͤtung wider die/ wel-
che zu Ausliefferung der Geiſſel und Waffen ge-
rathen hatten/ endlich in die Waffen/ worzu die
Frauen ihre Geſchmeide verſchmeltzten/ ihre
Haare abſchnitten/ brachte; welches auch eine
lange Zeit maͤnnlich und wider alle menſchliche
Vernunfft die Belaͤgerung austauerte/ in wel-
cher 500. in Sold genommene/ und 300. aus
T t t t t 3der
[886[888]]Sechſtes Buch
der Dienſtbarkeit freygelaſſene Deutſchen in
Ausfaͤllen/ Zernichtung der Sturmboͤcke und
anderer Gegenwehr gleichſam Wunderwercke
ausuͤbten/ und denen ſchier ihrer Vernunfft be-
raubten Carthaginenſern zu Wegweiſern dien-
ten. Maſſen denn auch durch des verachteten
Maſaniſſa Abſetzung/ und des wieder verſoͤhnten
Asdrubals Naͤherung das Roͤmiſche Heer in
groſſe Noth gerieth/ und die Belaͤgerung haͤtte
aufheben muͤſſen/ wenn nicht Publius Scipio/
deſſen Geſchlechte gleichſam vom Verhaͤngnuͤſ-
ſe zum Unter gange der ſo maͤchtigen/ und ſieben
mal hundert tauſend Einwohner beherbergen-
den Stadt Carthago verſehen war/ darfuͤr kom-
men waͤre. Denn Asdrubal/ welcher mit
20000. Africanern/ und 2000. vom Andriſeus
aus Macedonien empfangenen Deutſchen die
Belaͤgerer mit taͤglichem Lermen und Abſchnei-
dung der Lebensmittel aͤngſtigte/ begegnet nach
Maſaniſſens Tode ſeinem Sohne mit anſehnli-
cher Numidiſchen Reuterey ſo eꝛ an ſich gezogen/
und nach ihm aufgetragenem Buͤrgermeiſter-
Ampte anfangs das Theil Megara erobert/
hernach den Seehafen verſtopfft/ den neuerbau-
ten Hafen und das Theil der Stadt Cothon/ end-
lich auch nach ſechstaͤgichter Stuͤrmung das
Schloß Byrſa eingenommen haͤtte. Der Eſcu-
lapiſche Tempel war allein noch uͤbrig; darin-
nen ſich Asdrubal zwar eine zeitlang wehrete/ a-
ber endlich doch kleinmuͤthig ergab. Die aus
Deutſchem Gebluͤte allein erſproſſene Ehfrau
des Asdrubals konte ſich ſo wenig/ als vorher
Sophonisbe uͤberwuͤnden in der Roͤmer
Dienſtbarkeit zu fallen. Dahero/ nach dem
ſie ihrem zu des Scipio Fuͤſſen ſitzenden Eh-
manne von dem Eſculapiſchen Tempel hefftig
verwieſen hatte/ ſchlachtete ſie ſeine zwey Soͤh-
ne/ und ſtuͤrtzte ſie mit ſich nach dem Beyſpiele
der Koͤnigin Dido in die unter ihr raſenden
Flammen. Scipio ſelbſt konte ſich nicht ent-
halten mit ſeinen Thraͤnen die nach ſiebentaͤ-
gichten Flammen gluͤenden Braͤnde dieſer ſieben
hundert Jahr/ (welches ſchier das laͤngſte Ziel
langer und groſſer Reiche zu ſeyn pflegt) gebluͤ-
heten/ und nun in der Aſche liegenden Stadt
auszuleſchen. Und wie Naſica vorher die gaͤntz-
liche Vertilgung beweglichſt wiederrathen hat-
te: wormit Rom aus Scheue dieſer maͤchtigen
Nachbarin nicht in ſichere Wolluſt verfiele; alſo
wahrſagte nunmehr Scipio in Erwehnung des
Trojaniſchen Brandes auch der Stadt Rom ih-
ren Untergang.
Hertzog Zeno fing hieruͤber an: ihn bedeuch-
tete: es habe Naſica nicht alleine kluͤglich gera-
then Carthago ſtehen zu laſſen/ ſondern auch
Scipio uͤber ihrer Einaͤſcherung billich gewei-
net; wo anders die Thraͤnen nicht wie in dem
mittaͤgichten Theile des Atlantiſchen Eylan-
des/ ein Merckmal der Freude/ oder ein Firnß
der rachgierigen Vergnuͤgung beym Kaͤyſer
Julius geweſt/ als dieſer des Pompejus blutigen
Kopf in die Haͤnde bekam. Denn in Warheit
nicht nur eintzele Perſonen werden durch des
Nachbars Tugend aufgemuntert/ oder viel-
mehr durch eine Scheue fuͤr anderer Aufſicht
von Laſtern zuruͤck gehalten; wie an dem Roͤ-
miſchen Adel/ ſo lange als der verjagte Tarqvi-
nius noch lebte/ anzumercken war/ in dem dieſer
nach ſeinem Tode bald das Volck zu druͤcken
anfing; ſondern es bleiben auch gantze Voͤlcker
nur ſo lange tugendhafft und ſtreitbar; ſo lange
die benachbarte Tugend ſie im Zaum haͤlt. Die
Feuerſteine geben nur ſo denn Feuer von ſich/
wenn man einen andern ſchlaͤgt. Daher hielt
es der kluge Cleomenes fuͤr rathſam die uͤber-
wundenen Argiver nicht gar auszurotten; wor-
mit ihre Jugend noch iemanden behielte/ an
dem ſie ihre Tapfferkeit ausuͤbten. Hingegen
verfiel mit dem Thebaniſchen Fuͤrſten Epami-
nondas nicht nur ſeiner Landesleute/ ſondern
auch ſeiner Feinde der Athenienſer Tapfferkeit.
Hertzog Herrmann hat mir ſelbſt bekennet: daß
der zwiſchen den Cherußkern und Catten ſtritti-
ge Vorzug ein Wetzſtein beiderſeitiger Tapffer-
keit
[887[889]]Arminius und Thußnelda.
keit geweſen ſey. Ja ich glaube: daß/ wie nach
eingeaͤſchertem Carthago/ nach uͤberwundenem
Aſien Rom zwar in ſeinem Leibe mehr Fleiſch/
aber nicht ſtaͤrckere Spann-Adern bekommen
habe; alſo es durch ſeine eigene Laſter verfaulet
waͤre; wenn nicht die rauen Winde/ welche ih-
nen zeither aus der kalten Mitternacht in die
Augen gegangen ſind/ ſelbtes noch erhalten haͤt-
ten. So konte ihm auch Scipio leicht die Rech-
nung machen: daß die geruͤhmte Ewigkeit der
Stadt Rom ein Traum der Uhrheber waͤre/
und groſſes Gluͤcke wegen ſeiner ſchweren Laſt
nicht lange Zeit auf einem Beine ſtehen koͤnte.
Dahero ſprachen die Scythen beym groſſen A-
lexander dieſer Abgoͤttin gar alle Beine ab; als
welche nur Haͤnde und Federn an ſich haͤtte;
welche letztere ſie mit den erſtern keinmal ergreif-
fen lieſſe/ wormit ſie iederzeit die Freyheit be-
hielte ihren Flug anderwaͤrts hin zu nehmen.
Uber diß behertzigte Scipio/ mit was Unrecht
Rom diß Kriegs-Feuer durch die halbe Welt
ausgeſtreuet hatte; und daß die goͤttliche Rache
insgemein den in dem gluͤenden Ochſen brate/
der ſolchen fuͤr andern gegoſſen hat. Jnſon-
derheit aber ungerechtem Gute wie des Adlers
von dem Opffer-Tiſche geſtohlnen Fleiſche eine
gluͤende Kohle anhencke/ welche hernach des
Raubers gantzes Neſt in Brand ſteckt.
Adgandeſter fuhr hierauf wieder fort: Er
wuͤſte nicht: ob Scipio/ als der ſelbſteigene
Werckzeug ſo unrechter Grauſamkeit oder eini-
ger anderer Roͤmer damals mehr in ſeinem Ge-
muͤthe eine ſo zarte Empfindligkeit gefuͤhlet haͤt-
te; weil ſie hierauff gleichſam ſtockblind in den
Pful der aͤrgſten Laſter gerennt/ und nach zer-
ſtoͤrtem Carthago dem Meere vollends das an-
dere Auge/ nemlich die ſchoͤne Stadt Corinth/
und zwar ehe/ als ſie unter die Zahl der Feinde
gerechnet worden/ ausgeſtochen; ja bey ſpielen-
dem Freuden-Gethoͤne dieſes Wunder der
Staͤdte angezuͤndet/ und die Steine in koſtba-
ren Staub verwandelt. Worbey aber mehr
der Roͤmer Unverſtand als ihre Grauſamkeit
zu bejammern war. Sintemal ſie die edel-
ſten Marmel-Saͤulen aus Kurtzweil/ oder um
etwan ein darein zur Befeſtigung eingelaſſenes
Stuͤcke Ertzt zu bekommen zerſchmetterten;
Die Ertztenen Bilder zerſchmeltzten/ und unter
andern den vom Ariſtides gemahlten Bacchus
zu einem Spielbrete brauchten/ fuͤr welchen Koͤ-
nig Attalus hernach 6000. Silber groſchen bot/
Mummius aber ſelbten zu Rom in der Ceres
Tempel ſetzte. Wie nun ein ſchon einmal be-
flecktes Kleid nicht mehr in Acht genommen
wird; Alſo hielt es Rom nach einmal an Car-
thago ſo offenbar veruͤbten Ungerechtigkeit nicht
mehr fuͤr Schande ſich taͤglich mit neuen Laſtern
zu beſudeln/ und durch ihre Macht der Boßheit
das Anſehn und die Zulaͤßligkeit der Tugend zu
geben. Denn eben ſo betruͤglich verfuhr der
Ehrſuͤchtige Buͤrgermeiſter Appius Claudius
wider die Salaßier/ welche ſich von der Saale
unter die Goͤroͤjiſchen Alpen in ein Thal an dem
Fluſſe Duria niedergelaſſen hatten. Dieſer
ward vom Rathe geſchickt ſie mit ihren Nach-
barn zu vergleichen; welche ſich beſchwerten:
daß die Salaßier ihnen den Strom Duria ver-
bauten/ und zum Nutzen ihrer Goldbergwercke
anderwaͤrts hin verleiteten; alſo ſie ihre unter-
halb habende Wieſen und Aecker nicht bewaͤſ-
ſern konten. An ſtat deſſen aber fiel Appius bey
den Salaßiern mit Kriegs-Macht ein/ und ver-
heerete alles mit Feuer uñ Schwerd. Dieſe warẽ
nichts minder hertzhafft als unſchuldig; grieffen
alſo den Appius an/ und erſchlugen 5000. von
ſeinem Heere. Der Rath zu Rom hoͤrte zwar des
Appius Unrecht und Ungluͤck; aber ſie trachte-
ten nicht jenes zu verbeſſern/ ſondern diß nur zu
raͤchen. Jedoch waren ſie daruͤber ſo bekuͤmmert:
daß ſie die Sibylliniſchen Buͤcher aufſchlugen/
und belernt wurden: daß ſie allezeit/ wenn
ſie mit den Deutſchen kriegen wolten/ auff der-
ſelben Graͤntzen ihren Goͤttern opffern ſolten.
Hier-
[888[890]]Sechſtes Buch
Hierauf grieffen die Roͤmer die Salaßier auffs
neue an; und weil dieſer ein Mann gegen zehn
fechten muſte/ wurden ſie geſchlagen/ 5000. er-
legt/ und den Roͤmern das flache Land nebſt den
Goldgruben abzutreten gezwungen. Gleich-
wol aber ſchaͤtzten die Roͤmer den Appius keines
Siegs-Gepraͤnges wuͤrdig. Und als er ſich
deſſen eigenmaͤchtig anmaſte/ haͤtten ſie ihn mit
Gewalt vom Wagen gezogen/ wenn nicht ſeine
Tochter als eine Veſtaliſche Jungfrau ihn be-
ſchirmet haͤtte. Noch viel aͤrger ſpielten es die
Roͤmer dem unvergleichlichen Helden Viriath
mit; deſſen Deutſcher Uhrſprung und Thaten
nicht nur allhier/ ſondern in der gantzen Welt
erwehnt zu werden wuͤrdig ſind. Es iſt bekandt:
daß mit denen Carthaginenſiſchen Kauffleuten
viel Deutſche in Hiſpanien uͤbergeſetzt ſind; Und
nicht nur an dem euſerſten Weſtlichen Land-
Ende/ ſondern auch an dem Fluſſe Anas unter
dem Gebuͤrge der Venus einen ziemlichen
Strich unter dem alten Deutſchen Nahmen
der Celten bewohnt haben. Dieſe waren ge-
ſchworne Feinde der Carthaginenſer; und der
Werckzeug ihrer meiſten Siege in Hiſpanien.
Daher ſie auch nach dem andern Puniſchen
Kriege/ da Carthago Hiſpanien im Stiche laſ-
ſen muſte/ keine Gelegenheit verſaͤumten den
Roͤmern Abbruch zu thun. Unter dieſen war
ein Fuͤrſt der Celten am Fluſſe Anas Olonich/
welcher dem Macedoniſchen Koͤnige Perſes zu
liebe auf heimliche Anſtifftung der Carthaginen-
ſer die Waffen wider die Roͤmer ergrief; aber
von ihrer Macht uͤberdruͤckt/ und nach hertzhaf-
ter Gegenwehr in einer Schlacht getoͤdtet
ward. Sein Großvater ein Sidiniſcher Fuͤrſt
an dem Jader oder Oder-Strome war mit et-
lich tauſend Deutſchen uͤbers Meer dahin kom-
men/ und hatte ſelbiges Gebiete von Carthago
zum Geſchencke bekommen. Weil nun die Roͤ-
mer allen Celten die Haͤnde abſchnitten/ ja Wei-
ber und Kinder toͤdteten/ flohe Olonichs Wittib
mit ihrem halbjaͤhrigen Kinde Viriath/ wel-
chen Nahmen ihm Olonich nach der Sidini-
ſchen Fuͤrſten Hauptſtadt in Deutſchland gege-
ben/ in das Gebuͤrge der Venus. Die Roͤmer
aber verfolgten ſie auch in dieſen Klippen; alſo:
daß dieſe edle Fuͤrſtin entweder unverſehens/ o-
der auch vorſaͤtzlich/ um nicht in der Roͤmer
Haͤnde zu fallen von einem Felſen abſtuͤrtzte.
Aller andern Flucht verurſachte: daß dieſes
Kind im Gebuͤrge liegen blieb; iedoch/ weil es
der menſchlichen Vorſorge entbehren muſte/ von
den Gemſen geſaͤuget ward. Sechs Monat
genaß es aus ſonderbarer Verſehung Gottes
dieſer unartigen Mutter-Milch/ ehe ein in das
Gebuͤrge huͤtender und einer geſchoſſenen
Gemſe nachklettender Ziegen-Hirte das Kind
fand/ ſolches in ſeine Huͤtte trug/ und als ſein
eignes auferzoh. Dieſe Wildnuͤß aber konte
ſo wenig die hohe Ankunfft dieſes Fuͤrſten/ als
des groſſen Cyrus verbergen. Er ward der
ſchoͤnſte und geſchickteſte unter den Hirten-Kna-
ben; und keiner war ſo Ehrſuͤchtig: daß er nicht
dieſem verborgenen Fuͤrſten den Vorzug ent-
raͤumte/ und ihn fuͤr ſeinen Fuͤhrer erkennte.
Er machte ihm und ſeinen Gefaͤrthen ſelbſt Bo-
gen und Pfeile/ und leitete ſie mehr zu Verfol-
gung des Wildes/ als zu Huͤtung ihres Viehes
an. Die Alten fragten ihn mehrmals als ei-
nen Knaben noch um Rath/ und die Zwiſtigen
nahmen ihn fuͤr ihren Richter an. Hierdurch
machte er ihm in der Bluͤthe ſeiner Jugend ein
Anſehn eines Alten; und durch Freygebigkeit
verknipffte er ihm aller Gemuͤther. Denn wenn
er auff die Gemſen oder ander Wild ausgieng/
behielt er von ſeinem Geſchoſſenen das gering-
ſte/ und theilte das uͤbrige unter die Gefaͤrthen
aus/ die gleich nichts getroffen hatten. Jn die-
ſem Stande blieb er/ biß Marcellus den Celti-
beriern die Stadt Ocelis und Nertobriga/
Marcus Atilius aber denen Luſitaniern die
Stadt Oxthraze und etliche Vettoniſche Staͤd-
te abdrang. Weil nun die Roͤmer das Land mit
Rauben durchſtreifften/ und alſo auch dem Cel-
tiſchen
[889[891]]Arminius und Thußnelda.
Gebuͤrge ſich naͤherten/ machte ſich Viriath mit
den andern Hirten an etliche dieſer Raͤuber/ und
eroberte nach ihrer Erlegung/ zu ſeiner hoͤchſten
Vergnuͤgung/ ihre Waffen/ und hiermit fing deꝛ
in ſeinẽ Hertzen verborgene Zunder der Tapfer-
keit Feuer: daß er nach einmal in die Hand be-
kommenem Degen den Hirten-Stab wieder an-
zuruͤhren fuͤr unausleſchliche Schande hielt.
Hierzu kam die allgemeine Verbitterung der
Hiſpanier uͤber den Lucullus/ welcher mit der
am Fluſſe Tagus gelegenen Stadt Cauca einen
Frieden machte; hernach ſich und ſein Volck be-
truͤglich hinein ſpielete; alle Mannſchafft uͤber
vierzehn Jahr meineydig erwuͤrgte/ Weiber
und Kinder aber verkauffte. Wie nun Lucullus
die Stadt Jntercatia belaͤgerte/ und Sergius
Galba in Luſitanien einbrach; gab ſich Viriath
nicht nur ſelbſt in Krieg/ ſondern redete auch
zwey hundert junge Hirten auf nebſt ihm wider
ſo falſche Feinde die Waffen zu ergreiffen. Das
Heer der Luſitanier ward vom Galba in die
Flucht bracht. Wie aber Viriath mit ſeinen
Gefaͤrthen auf einem Huͤgel wahrnahm/ wie
ſparſam und langſam die muͤden Roͤmer ſie ver-
folgten/ faßte er ihm einen friſchen Muth einem
feindlichen Hauffen die Stirne zu bieten. Wie
dieſer nun wegen ermangelnden Nachdrucks
zuruͤcke wiech; nahmen anfangs die Celten/ her-
nach auch die Luſitanier von dieſen Hirten ein
Beyſpiel ſich zu wenden. Woruͤber die zer-
ſtreuten Roͤmer in Schrecken und Flucht gerie-
then/ ja aufs Haupt geſchlagen wurden; alſo:
daß ihrer 7000. todt auf dem Platze liegen blie-
ben/ und Galba mit der Reiterey kuͤmmerlich
nach Carmelis entraan/ und ſich gar nach Coni-
ſtorgis zuruͤck ziehen muſte. Die Stadt Pal-
lantia ward hierdurch auch aufgefriſcht: daß ſie
den Lucullus tapfer zuruͤck ſchlug; Viriath aber
mit einem Pferde/ einer guͤldenen Kette/ und ei-
nem koͤſtlichen Schwerdte beſchenckt/ auch zum
Hauptmann uͤber fuͤnf hundert Celten gemacht.
Dem Galba that dieſer Streich in der Seele
weh; daher ſchaͤmte er ſich nicht aus Mißtrauen
zu ſeiner Tapferkeit ſich des Betruges zur Rache
zu bedienen; ließ derhalben den Luſitaniern ei-
nen Vergleich antragen; ſintemal er ſelbſt wohl
wuͤſte: daß ſie mehr ihr Mißwachs an Oele/
Wein und Weitzen/ an Ablieferung ihres Zin-
ſes gehindert; als ſie aus Untreu die Waffen er-
griffen haͤtten. Der Vertrag ward auf leidli-
che Bedingungen gemacht; und die Luſitanier
ſtellten ſich zu Beſchwerung des neuen Bundes
beym Galba ein; welcher ſie mit Roͤmiſchem
Kriegsvolcke umbſetzte/ und nach gutwillig nie-
dergelegten Waffen ihrer 10000. erbaͤrmlich
niederhauen ließ. Zu allem Gluͤcke kriegten
die auf den folgenden Tag verſchriebenen Cel-
ten/ als ſie gleich in das Roͤmiſche Laͤger einziehen
ſolten/ durch einen Entronnenen/ Wind von
der verraͤtheriſchen Blutſtuͤrtzung. Daher
Viriath ſein Pferd zum erſten umbwendete/
und nicht nur den Celten ein Wegweiſer zu ihre[ꝛ]
Erhaltung war/ ſondern auch die ihm nachſe-
tzenden Roͤmer mit blutigen Koͤpfen/ und in we-
niger Anzahl zuruͤck ſchickte. Weil nun Gal-
ba auf dem flachen Lande theils mit Ermor-
dung/ theils mit Verkauffung der Gefangenen
gleichſam ſeine Kraͤfften pruͤfete: Ob ſie in Geitz
oder Grauſamkeit am hoͤchſten kommen koͤnten;
verhieb ſich Viriath im Gebuͤrge/ und thaͤt durch
oͤftere Ausfaͤlle den Roͤmern mercklichẽ Abbruch.
Sein Ruhm wuchs hieruͤber durch gantz Hiſpa-
nien; die Noth aber/ und ſeine in Austheilung
der Beute erzeigte Freygebigkeit vergroͤſſerte
ſeinen Hauffen ſo ſehr: daß er/ nach dem die groͤ-
ſte Macht der Roͤmer wider Carthago in Africa
uͤber geſetzt war/ ſich mit fuͤnf tauſend Kriegsleu-
ten herfuͤr machte/ und in das den Roͤmern
beyflichtende Turdetanien einfiel/ und biß
an den Fluß Betis mit Flucht und Schre-
cken alles erfuͤllte. Cajus Vetilius ſam̃lete
zwar wider ihn ein ſtarckes Heer; und die
bekuͤmmerten Luſitanier ſtunden ſchon auf
dem Schluſſe ſich dem Vetilius zu unterge-
ben; als Viriath durch Aufmutzung vieleꝛ
Roͤmiſchen Meineyde die Handlung abbrach/
Erſter Theil. U u u u uund
[890[892]]Sechſtes Buch
und ſich mit denen Geſandten nach Tribola
fluͤchtete; hernach die Roͤmer durch dort und dar
gedraͤute Einfaͤlle und geſchwinde Zuꝛuͤckziehun-
gen matt und muͤde machte. Vetilius ward
hieruͤber verdruͤßlich; und dardurch verleitet:
daß er in Meynung dieſen verwegenen Hirten
mit Strumpf und Stiel auszurotten/ ſich in ei-
nen ſumpfichten Wald nachzuſetzen verleiten
ließ; darinnen ihn die verſteckten Celten auf al-
len Seiten angriffen/ und mit ſeinem in dem
Schlamme ſich kaum zu ruͤhren vermoͤgenden
Heere erſchlugen. Die ſechs tauſend nach Tar-
teſſus entkommenden Roͤmer wurden zwar mit
fuͤnf tauſend friſchen Voͤlckern verſtaͤrckt/ und
gegen dem Viriath gefuͤhrt; aber von ihm dero-
geſtalt bewillkom̃t: daß kein Bothe uͤbrig blieb
ihre Niederlage zu berichten. Dieſe herrliche
Siege machten: daß gantz Luſitanien ihn fuͤr ih-
ren Hertzog erklaͤrten/ und ihre Kriegs-Fahnen
ſeiner Bothmaͤſſigkeit untergaben. Viriath/
umb mit dieſer neuen Wuͤrde auch ſeinen Ruhm
zu vergroͤſſern/ und durch ſeine Regung auch die
Celtiberier zu beſeelen/ wendete ſich von dem Ga-
ditaniſchen Meere gegen dem Tagus; trieb alle
Roͤmer aus Carpetanien/ und bereicherte ſein
Kriegs-Volck mit vieler Beute. Cajus Plau-
tius eilte mit vierzehn tauſend Roͤmern ohne die
Huͤlffs-Voͤlcker dahin/ umb das ſchon wancken-
de Tarraconenſiſche Hiſpanien im Gehorſam zu
erhalten. Der ſchlaue Viriath eilte uͤber Hals
und Kopf aus Carpetanien/ umb durch ſeine
angenommene Furcht die Roͤmer in Vermeſ-
ſenheit zu ſetzen. Plautius meynte/ der Sieg
wuͤrde ihm mit denen entrinnenden Luſitaniern
entfluͤgen; daher ſchickte er vier tauſend Mann
eilfertig nach; welche ſich an den Feind haͤngen/
und ihn biß zu ſeiner Nachfolge aufhalten ſol-
ken. Viriath aber wendete ſich bey Libora;
umbringete und erſchlug ſie: daß kaum hundert
Roͤmer entraanen. Gleichwohl aller wiech
Viriath noch immer zuruͤcke/ welchem Plautius
aus Begierde der Rache uͤber den Tagus folgte/
und unter dem Gebuͤrge der Venus ſein Laͤger
ſchlug. Dieſe diß Gebuͤrge bedeckende Oel-
und Friedens-Baͤume aber verwandelten ſich
dem Viriath in Lorbern/ dem Plautius in Cy-
preſſen. Denn dieſer ward von jenem aufs
Haupt geſchlagen; welcher/ weil die Roͤmer mit
wenigen kaum darvon kamen/ ihr Gebiete weit
und breit unter Schatzung ſetzte; und die uͤber
einem Opfer beſchaͤftigte Stadt Segebrige
durch ſchnellen Uberfall eroberte. Nicht beſ-
ſer machte er es dem Cajus Nigidius/ und dem
einhaͤndichten Stad-Vogte Claudius; derer er-
ſtern er mit Strumpf und Stiel auf einmal ver-
tilgte; in dem wider den andern fuͤrhabenden
Zuge aber gerieth er fuͤrhabender Ausſpuͤrung
des Feindes mit drey hundert Celten unter tau-
ſend Roͤmiſche Reiter; iedoch hielt er ſich mit
den Seinen ſo ritterlich: daß er nur ſiebzig ein-
buͤßte; die Roͤmer aber nach Verluſt drey hun-
dert und zwantzig Mann die ſchimpflichſte
Flucht nahmen. Das allermerckwuͤrdigſte
aber war: daß ein in dem Gepuͤſche von ſieben
Roͤmern uͤberfallener Ritter Gußmann ſelbi-
gen die Stange both; und nach dem er des erſten
Pferd mit der Lantze erlegt/ dem andern den
Kopf mit dem Schwerdte zerſpalten/ die uͤbrigen
in die Flucht brachte. Diß aber war nur ein
Vorſpiel der dem Claudius bald darauf bege-
gnenden voͤlligen Niederlage. Welchen Sieg
er ſo hoch hielt: daß er auf dem hoͤchſten Gipfel
des mehrmals erwehnten Venus-Gebuͤrges ein
marmelnes Sieges-Zeichen aufrichtete/ der er-
legten Roͤmiſchen Feldherren Waffen und Pur-
pur-Roͤcke daran hing; und den Goͤttern da-
ſelbſt ſieben Tage nach einander auf Hiſpaniſche
Art eitel rechte denen Roͤmern abgehauene Haͤn-
de opferte. Wie nun Viriath daſelbſt in voller
Andacht fuͤr dem Altare lag; trat aus dem groſſen
Hauffen des daſelbſt verſam̃leten Volckes eine
edle gantz ſchwartz gekleidete Frau herfuͤr; wel-
che/ nach dem ſie den Hertzog Viriath eine gute
Weile mit ſtarren Augen betrachtet hatte/ drey
Hand-
[891[893]]Arminius und Thußnelda.
Handvolln rothes Saltz in das heilige Feuer
warff/ und laut zu ruffen anfing: O ihr Goͤtter!
eroͤfnet mir meine Augẽ: daß ich dis/ was ich mir
feſtiglich einbilde/ recht erkennen moͤge! Hierauf
redete ſie den Viriath getroſt an: Wo mich
das Verhaͤngnuͤß nicht ſelbſt verblendet/ biſt du
nicht Jndibil und ein Hirten-Kind; (alſo hatte
man ihn zeither geheiſſen) ſondern Viriath des
tapfern Celtiſchen Fuͤrſten Olonich Sohn. Denn
du ſiheſt ihm ſo gleich/ als wenn du ihm aus den
Augen geſchnitten waͤreſt; und das kleine Feu-
er-Mal in dem rechten Schlafe/ welches ich ge-
nau wahr genommen/ als ich dich geſaͤuget/ iſt
mir ein gewiſſes Merckmal. Wormit aber
weder du noch iemand anders an dieſer Wahr-
heit zweifeln darffſt/ ſo entbloͤſſe deine rechte
Bruſt; damit man auf ſelbter das Merckmal
der Sidiniſchen Fuͤrſten/ nemlich die eigentliche
Baͤren-Tatze erkenne. Viriath empfand ſich
zu ſeiner groſſen Vergnuͤgung uͤberwieſen/
und aus einem Hirten in einen gebohrnen Fuͤr-
ſten verwandelt. Daher rieß er ſeinen Rock
auf/ und zeigte allem Volcke das angedeutete
Baͤren-Zeichen. Bald dar auf ward auch Vi-
riaths vermeynter Vater ein alter Ziegen-Hir-
te aus einer Huͤtte herbey geholet; welcher be-
kante: daß er fuͤr ein und zwantzig Jahren nach
dem Einfalle der Roͤmer und des Fuͤrſten Olo-
nichs Erlegung ihn als ein Kind im Gebuͤrge
gefunden habe. Alles Volck fing hieruͤber ein
ſo groſſes Freuden-Geſchrey an: daß das Ge-
buͤrge erbebte/ und die tieffen Stein-Kluͤffte
durch ihren Wieder-Schall gleichſam auch ihr
Jauchzen beyſetzten. Gantz Luſitanien ließ
ihn hier auf fuͤr ihren Fuͤrſten und Ober-Haupt
ausruffen; welchen die Tapferkeit vorher ſchon
zu ihrem Feldherꝛn gemacht hatte. Er aber
ſelbſt aͤnderte mit ſeinem Stande das mindeſte
ſeiner Sitten; ſondern er ging mit ſeinen
Kriegsleuten wie mit ſeinen Bruͤdern umb;
ließ ihnen alle Beute/ und vergnuͤgte ſich mit der
Ehre. Sein Schild war ins gemein ſeine
Taffel; welche meiſt nur mit Brodt und Waſ-
ſer angerichtet ward. Er ſchlief niemals un-
gewaffnet/ noch uͤber fuͤnf Stunden. Wolluͤ-
ſte waren ihm ſo fremde/ als Hiſpanien die Cro-
codile; alſo: daß er auch ſich zu verheyrathen
ſchwerlich zu bereden war. Mit einem Wor-
te: Er zeigte ſich in allem ein ausbuͤndiger Fuͤrſt
zu ſeyn/ wenn er es ſchon nie waͤre gebohren ge-
weſt. Der Rath zu Rom ward uͤber dieſer neu-
en Zeitung noch mehr bekuͤmmert/ ſchickte daher
den Buͤrgermeiſter Quintus Fabius Emilianus
mit ſiebzehn tauſend friſchen Voͤlckern in das
Betiſche Hiſpanien. Die Uberbleibung der
vormals geſchlagenen Heere aber machte durch
Herausſtreichung des unuͤberwindlichen Vi-
riaths die Roͤmer ſo beſtuͤrtzt: daß ſie Fabius
nicht uͤber den Fluß Betis zu fuͤhren getraute;
ſondern ſie bey der Stadt Orſona durch Kriegs-
Ubungen vor abzuhaͤrten/ auch ſelbſt in dem Ey-
lande Gades dem Hercules auf Celtiſche Art zu
opfern fuͤr noͤthig hielt. Unterdeß aber ſetzte
Viriath ſelbſt uͤber den Fluß Betis; nahm den
Roͤmern vier hundert nach Holtz fahrende Wa-
gen mit fuͤnf hundert Reitern weg; und als des
Viriaths Befehlhaber ihn verfolgte/ ſchlug er
ſein Heer aus dem Felde/ und eroberte eine un-
ſaͤgliche Beute. Ob nun wohl Fabius zuruͤck
eilte und verſtaͤrckt ward/ traute er doch nicht mit
dem Viriath zu ſchlagen. Nach dem die Roͤ-
mer mit ihrem Schaden des Viriaths Kriegs-
Streiche endlich lernten/ erlangte Fabius zwar
in etlichen Scharmuͤtzeln einigen Vortheil; al-
leine er wetzte bald dieſe Schart an dem ihm
gleichſam zum Gluͤcks-Steine erkieſeten Ge-
buͤrge der Venus durch Uberwindung des
Quintius/ und Eroberung der Stadt Jtuca
aus. Hierdurch brachte er nicht allein die
ſtreitbaren Arvacker/ Titther und Beller umb
den Strom Sucro auf ſeine Seite; ſondern
auch die Stadt Numantia dahin: daß ſie gegen
die ungerechten Roͤmer großmuͤthig die Waffen
zuͤckten/ welche ſie als Sclaven niederlegẽ ſolten;
U u u u u 2weil
[892[894]]Sechſtes Buch
weil ſie die von den Roͤmern verjagten Segulen-
ſer beherbergten/ und fuͤr ſie eine Vorbitte ein-
legten. Weil nun Metellus gegen dieſe
zu Felde lag/ durchſtreiffte Viriath das Land
Baſtetanien biß an den Verg Oroſpeda. Seine
beſte Beute aber war Algarbe eines Celtiberi-
ſchen Fuͤrſten Tochter/ welche er in dem Oroſpe-
diſchen Tempel der Minerve zu Geſichte be-
kam/ und wider ſeinen erſten Vorſatz gleichſam
aus einem Goͤttlichen Eingeben heyrathete.
Die Hochzeit war zwar mit groſſem Gepraͤnge
angeſtellt; die Taffel mit koͤſtlichen Speiſen be-
deckt; aber er war nicht zu bereden ſich daran zu
ſetzen/ am wenigſten aber nach ſelbiger Landes-
Art aus wohlruͤchenden Waſſern zu waſchen;
ſondern er aaß nur ſtehende ein Stuͤcke Brodt
und Fleiſch; alles andere uͤberließ er ſeinen Ge-
faͤrthen. Die koſtbaren Tapezereyen ſtrich er
im Zimmer und Bette mit ſeiner nie aus der
Hand gelegten Lantze weg/ mit Vermelden: daß
dieſe allein eines Fuͤrſten Zierrath waͤre. Nach
weniger Stunden Verlauff/ als nur die Prie-
ſterliche Einſegnung geſchehen war/ nahm er oh-
ne Ubernachtung ſeine Braut/ ſetzte ſie auf ein
Tiegerfleckichtes Pferd/ und ritt mit ihr ſeinem
Heere und dem Gebuͤrge zu. Der Buͤrger-
meiſter Quintus Fabius Servilianus kam gleich
damals mit zwantzig tauſend Mann von Rom
dahin/ umb gegen den Viriath ſein Heil zu ver-
ſuchen. Ungeachtet er nun nur ſechs tauſend
Mann ſtarck war/ verbeugte er doch dem gegen
Jtuca eilenden Fabius den Weg; und vertrau-
te ſeiner der Waffen laͤngſt gewohnten Gemah-
lin Algarbe die Helfte ſeines Heeres; welche
umb den Roͤmern mit einem ungewoͤhnlichen
Aufzuge zu begegnen/ alle ihre Kriegsleute wie
Weiber bekleiden/ ihre Haar-Zoͤpfe aufflechten/
und die Locken uͤber Antlitz und Achſeln abhen-
cken ließ. Hierauf traff ſie und Viriath auf
der andern Seite mit einem ſo abſcheulichen
Geſchrey gegen die Roͤmer: daß dieſe erſtarre-
ten/ gleich als wenn ſie von hoͤlliſchen Unholden
angefallen wuͤrden. Fabius hatte alle Haͤnde
voll zu thun ſein dort und dar verwirrtes und
weichendes Heer auffzurichten/ und ſo lange im
Stande zu behalten/ biß die Nacht ſie/ wiewohl
mit groſſem Verluſt der Roͤmer/ ſcheidete. Fa-
bius als er folgenden Tag von einem Gefange-
nen die Schwaͤche des Viriaths/ und daß ſein
Heer fuͤr einem Weibe erzittert waͤre/ vernahm/
haͤtte ſich fuͤr Verdruß in die Finger beiſſen moͤ-
gen; gleichwohl aber wagte er ſich nicht noch ein-
mal an den Feind/ biß er vom Koͤnige Micipſa
zehn tauſend Africaner und zehn Elefanten be-
kam. Hierauf band er mit dem ſich verſtaͤr-
ckenden Viriath abermals an; welcher Fuß fuͤr
Fuß zuruͤcke wiech/ biß er den Fabius an einen
Puſch brachte/ aus welchem ſein Hinterhalt den
Roͤmern in die Seite ging/ ſie trennte/ drey tau-
ſend Roͤmer/ vier tauſend Africaner und Hiſpa-
nier erlegte/ alle Elefanten eroberte/ und den Fa-
bius uͤber Hals und Kopf ins alte Laͤger trieb;
welches auch zugleich eingenommen worden
waͤre/ wenn nicht Cajus Fannius es noch hertz-
haft verfochten haͤtte. Unterdeſſen ſetzte Quin-
tus Metellus den Celtiberiern heftig zu/ ſchlug
mit Bedraͤuung: daß er alle ohne Sieg zu-
ruͤck kommende Roͤmer als Feinde toͤdten wol-
te/ die Arvacker/ und belaͤgerte die Stadt
Nertobriga an dem Fluſſe Salo. Weil aber
die Belaͤgerten des zu den Roͤmern uͤberge-
gangenen Rhetogenes Kinder in dem Sturm-
Loche an die Spitze ſtellten; ließ Fabius/
ungeachtet der grimmige Vater ihn ermahn-
te uͤber ſeiner Kinder Leichen den Sieg zu
verfolgen/ vom Sturme abblaſen; und als
er des Viriaths Anzug vernahm/ hob er
die Belaͤgerung gar auf. Folgendes Jahr
hatte zwar Fabius das Gluͤcke denen Luſi-
taniſchen Oberſten Curius und Apulejus
die Staͤdte Eſcadia/ Gemella und Obul-
cula abzudringen; aber Viriath hemmete
alsbald ſein Gluͤcks-Rad/ und trieb ihn von
der Stadt Baccin weg. Quintus Pompejus
kam
[893[895]]Arminius und Thußnelda.
kam mit zwey und dreißig tauſend alten Kriegs-
leuten in Celtiberien/ und erregte daſelbſt ſo
groſſes Schrecken: daß die zwey maͤchtigen
Staͤdte Numantia und Termes an dem Fluſ-
ſe Durius ſchon auff dem Sprunge geſtan-
denſich den Roͤmern zu unterwerffen. A-
ber der als ein Blitz dahin eilende Vi-
riath verdrehete das ſchon bey nahe verlohrne
Spiel; in dem er die ihnen anbefohlne Aus-
folgung der Waffen fuͤr ein aͤrger Brandmahl
auslegte; als wenn ihnen die Haͤnde abgehackt
wuͤrden. Eines hertzhafften Helden Geiſt iſt
ſo wohl faͤhig hundert tauſend Menſchen zu be-
ſeelen/ als ein Funcken gantze Laͤnder anzuzuͤn-
den. Daher machte Viriaths Auffmunterung:
daß Pompejus beyde Belaͤgerungen der Staͤd-
te Numantia und Termes nach eingebuͤſtem vie-
lem Volcke ſchimpfflich auffheben/ in Seditani-
en zuruͤcke weichen/ und ſeine Rache an dem
Raͤuber Tangin/ und an den furchtſamen Lan-
cinern ausuͤben muſte. Fabius Servilian be-
laͤgerte inzwiſchen die Stadt Eriſane; Viriath
aber ſpielte ſich des Nachts hinein/ thaͤt fruͤh auf
die Roͤmer einen gluͤcklichen Ausfall und ſchlug
nicht allein ſie dar weg/ ſondern brachte ſie auch
im Gebuͤrge derogeſtalt ins Gedraͤnge: daß Fabi-
us mit dem Fuͤꝛſten Viriath einen Frieden ſchluͤſ-
ſen/ und alles gewonnene Land ihm laſſen muſte.
Durch diß Mittel entrann Fabius und das
umzuͤngelte Roͤmiſche Heer aus Viriaths Haͤn-
den; aber der Roͤmiſche Rath/ deſſen Ehrſucht
nunmehr weder Eyde noch Buͤndniſſe weiter
zu halten gewohnt war/ als ſie ihm Nutzen
brachten; erklaͤrte insgeheim dieſen ſchimpffli-
chen Frieden fuͤr unguͤltig; und ſchickte den
Buͤrgermeiſter Coͤpio in das Betiſche Hiſpa-
nien; welcher den ſich ehe des Himmel-Falls
als eines Frieden-Bruchs ſich verſehenden Vi-
riath in der Stadt Arſa zu uͤberfallen ver-
meinte. Aber Viriath entwiſchte ihnen unter
den Haͤnden in Carpetanien; und weil er da ſo
geſchwinde ſein Kriegs-Volck nicht zuſammen
ziehen konte/ uͤber den Fluß Tajus. Weil nun
Coͤpio ihm auff dem Fuße folgte/ und ſo wohl
den Vettonern als Galliern groſſen Brand-
ſchaden zufuͤgte/ machte Viriath mit dem Coͤ-
pio einen neuen Frieden/ trat ihm etliche Plaͤ-
tze ab/ und haͤndigte ihm viel Uberlaͤuffer aus.
Als diß geſchehen/ brachte Coͤpio ein unertraͤg-
liches Friedens-Geſetze auffs neue auff die
Bahn; nehmlich: die Luſitanier ſolten alle ihre
Waffen aushaͤndigen. Viriath verlachte dieſe
kaum Weibern anmuthliche Bedingung; ver-
fluchte der Roͤmer Betrug und ſeine Leichtglaͤu-
bigkeit/ ruͤſtete alſo ſich auffs neue wider den Coͤ-
pio zum Kriege/ und fuͤgte durch Abzwackung
der nach Holtz und Lebensmitteln ausgeſchick-
ten Reuterey groſſen Abbruch zu; woruͤber die
Roͤmer ſo erbittert wurden: daß ſie den fried-
bruͤchigen Buͤrgermeiſter ſelbſt in ſeinem Zelte
verbrennt haͤtten; weñ er nicht durch die Flucht
ſich aus dem Staube gemacht haͤtte. Dieſe Ge-
fahr und das Mißtrauen am Viriath zum Rit-
ter zu werden/ verleitete den Coͤpio zu neuer
Argliſt/ und einem Friedens-Vorſchlage. Un-
ter denen Geſandten des Fuͤrſten Viriaths wa-
ren zwey Luſitanier Ditalco und Minurus. Die-
ſe gewann er durch Verſprechung der Luſitani-
ſchen Ober-Herrſchafft und anderer guͤldenen
Berge: daß ſie ihren Fuͤrſten zu toͤdten gelob-
ten; welches ſie auch die dritte Nacht/ als der den
Tag vorher in einem gluͤcklichen Treffen er-
muͤdete Viriath in voller Ruͤſtung in ſeinem
Zelte ſich auff die Erde geſtreckt hatte; Meu-
chelmoͤrderiſch ausuͤbten/ und dieſem unver-
gleichlichen Helden die Kehle abſtachen/ welcher
ſo wohl wegen ſeiner Aufferziehung und Tapf-
ferkeit ſelbſt von den Roͤmern mit Rechte der Hi-
ſpanier Romulus genennt/ und von den Nach-
kommen fuͤr eine Saͤule des Vaterlandes vereh-
ret war/ mit welchem Hiſpanien geſtanden und
gefallen iſt. Maſſen denn der ihm nachfolgen-
de Fuͤrſt Tautan Sagunt vergebens belaͤgerte/
an dem Fluſſe Betis vom Coͤpio ſo ſehr geaͤnſti-
U u u u u 3get
[894[896]]Sechſtes Buch
get ward: daß er ſich und ſein Heer den Roͤmern
ergab; aus welchem aber Viriaths Gemahlin
Algarbe mit fuͤnffhundert Celten nach Numan-
tia entran; und mit ihr gleichſam des entleibten
Viriaths Geiſt zum Schutz-Gotte dahin bꝛach-
te. Sintemal dieſe Stadt den Pompejus zum
andern mahl von der Belaͤgerung abtrieb/ und
ihn zu einen Frieden zwang; welchen die Roͤmer
aber wieder brachen; Jedoch als Popilius Nu-
mantia zum dritten mahl belaͤgerte/ mit Einbuͤſ-
ſung ihres gantzen Heeres den Fiedens-Bruch
buͤſſeten. Cajus Mancinius belaͤgerte bernach
Numantia zum vierdten mahl; die Numanti-
er aber/ und inſonderheit die dahin gefluͤchteten
ſtreitbaren Weiber der Celten/ wit welchen die
Fuͤrſtin Algarbe aber/ welche kurtz vorher dem
Buͤrgermeiſter Decius Brutus an dem Fluße
Durius lange unglaublichen Widerſtand ge-
than hatten/ thaten in Ausfaͤllen ſo gꝛoſſen Scha-
den/ und jagten den Roͤmern ſolche Furcht ein:
daß ſie mehr weder das ſchreckliche Geſchrey/
noch die feurige Augen der Numantier vertra-
gen konten/ ſondern Mantius des Nachts ſtille
abziehen und das Laͤger verlaſſen muſte. Die
Fuͤrſtin Algarbe zohe durch ihre Tapferkeit
zweyer Numantiſchen Fuͤrſten Augen auf ſich:
daß ſie beyde um ihre Liebe in Zwiſt geriethen.
Sie aber entſcheidete ſie derogeſtalt: daß der/
welcher ihr die erſte rechte Hand eines edlen
Roͤmers zur Morgengabe lieffern wuͤrde/ ihr
Braͤutigam ſeyn ſolte. Beyde lieſſen ſich noch
ſelbige Nacht uͤber den Wall/ funden aber die
Lauffgraben/ das Feld und endlich das gantze
Roͤmiſche Laͤger leer. Die von ihnen zuruͤck
gebrachte Nachricht munterte alsbald vier tau-
ſend Numantier/ und darunter viel maͤnnliche
Weiber auff/ den Roͤmern zu folgen. Die
Nacht/ die Geſchwindigkeit/ und die Kundſchafft
der Oerter halff den Numantiern: daß ſie das
gantze Roͤmiſche Heer in den Engen des Cauni-
ſchen Gebuͤrges umſetzten/ und zwantzig tau-
ſend Roͤmiſche Buͤrger/ und zehn tauſend an-
dere Kriegs-Leute fuͤr dem fuͤnfften Theile der
Numantier die Waffen nieder zu legen. Als a-
ber Mancinus/ Tiberius Gracchus und die an-
dern Roͤmiſchen Haͤupter einen Frieden und
darinnen der Stadt Numantia ewige Freyheit
beſchworen hatten/ gaben ſie ihnen die Waffen/
und ein Theil der im Laͤger eroberten Beute
wieder. Als Numantia derogeſtalt in Ruhe war/
Brutus aber in Luſitanien biß an das groſſe
Meer kam/ uͤber den Fluß der Vergeſſenheit uñ
den Strom Minius ſaͤtzte/ eilte die großmuͤthige
Fuͤrſtin Algarbe denen Bracariſchen Voͤlckern
zu Huͤlffe; aus denen ſtreitbaren Weibern ſie ein
abſonderlich Heer zuſammen zoh/ und des Bru-
tus Waffen behertzt/ ja verzweiffelt die Spitze
bot. Sintemahl die gefangenen Weiber/ um
der Dieſtbarkeit zu entkommen/ ſich und ihre
Kinder ſelbſt hinrichteten/ und den Tod fuͤr die
edelſte Art der Freylaſſung ruͤhmten. Wie a-
ber Brutus in einer Schlacht funfftig tauſend
Luſitanier durch eine beſondere Liſt erlegte/ ward
ſie gezwungen mit ihren Weibern in die Stadt
Pallantia zu weichen/ daraus ſie bey der vom
Marcus Emilius vorgenommenen Belaͤge-
rung ihre Anweſenheit durch unzehlbare Hel-
den-Thaten bekand machte/ und bey des Emi-
lius Abzuge eins der fuͤrnehmſten Werckzeuge
war/ welche den Roͤmern einen nicht geringern
Streich als die Numantiner verſetzten. Deſſen
ungeachtet erklaͤrte der Roͤmiſche Rath den Nu-
mantiſchen Frieden fuͤr nichtig/ ſchickten den
Mancius nach Numantia; welche Stadt ihn
aber als eines betruͤgeriſchen Friedens allzuun-
wuͤrdiges Opffer anzunehmen verſchmeheten.
Wie nun Qvintus Piſo in Hiſpanien ebenfals
nichts ausrichtete/ ward endlich Publius Sci-
pio zum Buͤrgermeiſter und Hiſpaniſchen Feld-
herrn erkieſet; gleich als wenn er und ſein Ge-
ſchlechte nur zu Zerſtoͤrung maͤchtiger Staͤdte
vom Verhaͤngniße gewuͤrdigt waͤre. Er kam
in Hiſpanien/ ergaͤntzte die verfallne Kriegs-
Zucht/ vertrieb die Warſager/ ſchaffte alle da-
hin
[895[897]]Arminius und Thußnelda.
hin zielende Opffer ab/ ruͤckte an Numantia/
verwuͤſtete alles um die Stadt herum/ zohe des
Maſaniſſa Enckel Jugurtha mit zwoͤlff Ele-
phanten und vielen Huͤlffs-Voͤlckern an ſich:
daß er ſechzig tauſend ſtreitbare Kriegs-Leute
zuſammen brachte/ ſchniet den Numantiern
alle Zufuhre ab/ enteuſſerte ſich mit denen ihn
ausfordernden Feinden zu ſchlagen/ fuͤhrte ei-
nen ſtarcken Wall und tieffen Graben um die
Stadt herum/ verhinderte durch ſtachlichte Bal-
cken die Schiffarth auff dem Fluße Durius/
und alle Ausfaͤlle; noͤthigte alſo dieſe mit Ge-
walt unuͤberwindliche Stadt durch grauſamen
Hunger beym Scipio durch den Fuͤrſten Abaꝛus
zu bitten: Er moͤchte ihre Ergebung entweder
auff hertzhafften Leuten anſtaͤndige Bedingun-
gen annehmen/ oder ſie ſtreitende ſterben ſehen.
Weil aber Scipio nur auff Gnade und Un-
gnade ſie verlangte/ ſtuͤrmten ſie verzweiffelt
den Roͤmiſchen Wall/ erhielten ſich hernach
noch eine Weile vom Graſe/ Maͤuſen und
Menſchen-Fleiſche. Endlich vermahnte die
Fuͤrſtin Algarbe und ihr ander Ehmann Rhe-
togenes die Numantier durch tapfferen Zwey-
kampff ihrem Leben und Qvaal ſelbſt abzuhelf-
fen. Maſſen zuletzt beyde ſich auch ſelbſt in die
Flamme ihrer angezuͤndeten Burg ſtuͤrtzen;
durch welche gantz Numantia derogeſtalt einge-
aͤſchert ward: daß nicht eine lebendige Seele/
nicht ein Stuͤcke Gutes/ was nach Rom zu brin-
gen verdient haͤtte/ in der Roͤmer Haͤnde gerieth.
Alſo hatte ſich das Kriegsvolck uͤber keiner Beu-
te zu freuen; der groſſe Scipio aber ſich nichts
beſſers zu ruͤhmen: dann daß er uͤber den Nah-
men der Stadt Numantia ein Siegs-Gepraͤn-
ge gehalten haͤtte.
Gleichwol aber ward durch Vertilgung die-
ſer Stadt das zwey hundert Jahr bekriegte Hi-
ſpanien gedemuͤthiget; die achzig Jahr beſtritte-
nen Ligurier ruͤhrten ſich nicht mehr. Die in
Macedonien einfallenden Skordiſkiſchen
Deutſchen wurden beſtillet. Der den Roͤmern
des Attalus Erbſchafft ſtrittig machende Ari-
ſtonicus vom Perpenna gefangen und erwuͤr-
get; und dem Kriege der auffruͤhriſchen Knechte
in Sicilien auch ein Ende gemacht.
Weil nun das in ſich ſelbſt ſchon zwiſtige Rom
ſo wenig als ein groſſer Leib die Ruhe laͤnger ver-
tragen konte; ward es luͤſtern die Zwirbelwin-
de ſeiner Ehrſucht uͤber den lufftigen Alpen aus-
zuwehen. Hierzu gab ihnen eine erwuͤnſchte Ge-
legenheit die Klage der mit den Roͤmern von Al-
ters her verbundener Maßilier uͤber die an dem
Rhodan wohnenden Saluvier an die Hand; wel-
che ſie mit beyden Haͤnden ergriffen/ und ihren
Buͤrgermeiſter Marcus Fulvius/ um nur die-
ſes unruhigen Kopffes in der Stadt loß zu wer-
den/ wieder ſie mit Heereskrafft ſchickten. Ob
er nun wohl wieder die Saluvier wenig ausge-
richtet/ ſondern nur etliche Rotten ihm einfal-
lender Ligurier und Vecontier vertrieben hat-
te; ſo ward ihm doch/ weil er zum erſten die
Alpen uͤberſtiegen/ auff kuͤnfftig gutes Gluͤck
ein Siegs-Gepraͤnge verwilligt. Dieſen An-
fang konten die Roͤmer ohne Schande nicht er-
ſitzen laſſen; und ſie erlangten hierzu noch mehr
Anlaß durch die zwiſchen den Deutſchen und
Galliern erwachſene Kriege; indem gleich zu
ſelbiger Zeit die Sicambrer wider die Sveßio-
ner zu Felde lagen/ und den Tod des von ihnen
erſchlagenen Fuͤrſten Clodius zu raͤchen ſuchten;
des Cattiſchen Koͤnigs Sohn Bateph aber we-
gen innerlicher Unruhe mit einem maͤchtigen
Heere ſich des Eylandes zwiſchen denen zwey
Ausfluͤſſen des Rheins bemaͤchtigte/ die alten
Gallier daraus vertrieb/ und ſich mit denen
Menapiern beſchwaͤgerte. Die an dem Ur-
ſprunge der Fluͤſſe Vigenna und Elaver woh-
nenden Arverner/ druͤckten die zwiſchen der
Ligeris und Arar wohnenden Heduer auch ſo
ſehr: daß ſie mit den Roͤmern ein Buͤndnis
machten. Die Heduer machten hierbey den
Roͤmern die Zaͤhne nach der Arverner Reich-
thuͤmern waͤßrig; von deſſen letzt verſtorbenem
Koͤnige
[896[898]]Sechſtes Buch
Koͤnige Luer ſie erzehlten: daß er mehrmahls
uͤbers Feld zu fahren/ und dem Volcke Hauf-
fenweiſe Gold- und Silberne Muͤntze ausge-
ſtreut/ ja einen funffzehn hundert Schritte im
Umkreiß habenden Teich mit koͤſtlichem Ge-
traͤncke erfuͤllet/ und unzehlbare Geruͤchte zum
Genuͤß der Arverner viel Tage nach einander
auffgeſetzt haͤtte. Dieſer Uberfluß und die in-
nerliche Unruh der Gallier war den hungrigen/
oder vielmehr unerſaͤttlichen Roͤmern ein heffti-
ger Reitz ſich ihrer zu bemaͤchtigen; wiewohl ih-
nen auch nicht wenig bedencklich war: daß die
Arverner alleine uͤber zwey hundert tauſend
Maͤnner ſolten in Krieg ausfuͤhren koͤnnen.
Aber Geitz und Ehrſucht tilgte bald diß Be-
dencken. Alſo rieben ſie ſich auffs neue an Teu-
tobaln der Salyer Koͤnig/ deſſen Gebiete an
dem Fluſſe Druentia und Canus ſich in die
Alpen erſtreckte/ und zwiſchen den Maßiliern
und Liguriern gelegen war. Cajus Sextius
und die Maßilier kamen ihm ſo unvermuthet
mit zwey maͤchtigen Heeren auff den Hals; daß
er mit Noth zehn tauſend Mann zuſam̃en brin-
gen konte. Mit dieſen muſte er gegen ſeine
Feinde ehe treffen/ ehe er die Urſache des Krie-
ges erfuhr; welche hernach eine Beleidigung
der Maßilier ſeyn ſolte. Wiewohl der Staͤr-
ckere fuͤr eine neue Beleidigung annimmt/
wenn man nach dem Rechte ſeiner Feind-
ſeligkeit fragt. Gleich als wenn die Rieſen von
der Natur ſchon das Erlaubniß erhalten haͤtten
mit den Zwergen ihre Kurtzweil zu haben/ und
Schwaͤchere zu unterdruͤcken. Wie tapffer
nun zwar die Salyer und Sentier ihren Fein-
den begegneten/ muſte doch endlich Teutobal/
welcher noch darzu von ſeinem Vetter Crantor
verkaufft und verrathen ward/ das Feld und ſein
Reich/ in welchem Sextius an dem Fluſſe Ca-
nus eine neue Stadt baute/ ſelbte von denen an-
nehmlichen kalten und warmen Brunnen die
Sextiſchen Waſſer hieß/ und mit eitel Roͤmern
beſetzte/ raͤumen/ und zu ſeinem Schwaͤherſohne
Hulderich der Allobroger Koͤnige fliehen. Daß
Huldrich den Koͤnig Teutobal auffnahm/ war
dem Cneus Domitius dem rothbaͤrtigen/ wel-
chem Cicinius Craſſus einen eiſernen Mund/
und ein eiſernes Hertz zueignete/ eine genug-
ſame Urſache die Allobroger zu uͤberziehen; diß
aber nur ein Vorwand: daß die Allobroger uͤber
den Fluß Arar geſetzt/ und zwiſchen der Ligeris
und Arar bey den Heduern einen Raub geholet
haͤtten. Wie nun aber Hulderich der Roͤmer An-
zug wider ſich vernahm; ruͤckte er mit dem Koͤ-
nige Teutobal biß in die Graͤntze Jtaliens/
nehmlich an den Fluß Varus dem Domitius
entgegen. Domitius muͤhte ſich uͤber den Strom
zu ſetzen/ Hulderich aber ſolches zu verhindern;
woruͤber die Roͤmer denn etliche mahl den kuͤr-
tzern zohen. Nachdem aber die von den Roͤmern
zuvor uͤberwaͤltigten Deceaten und Neruſier
dem Domitius allen Vorſchub thaͤten/ kam er
endlich bey Glanate uͤber/ und alſo es beyder-
ſeits zu einer ſo hefftigen Schlacht: daß der
Fluß von dem Blute der Erſchlagenen ange-
roͤthet ward. Und weil weder ein noch an-
der Theil weichen wolte/ die finſtere Nacht bey-
de trennen muſte. Jedes ruͤhmte ſich des Sie-
ges. Weil aber Domitius in Ligurien/ Hulde-
rich in ſein Reich zuruͤcke wich/ war die Rech-
nung leicht zu machen: daß weder einer noch
der ander Seide geſponnen hatte. Der Ar-
verner Koͤnig Bituit Luers Sohn ſchickte zwar
eine Geſandſchafft an den Domitius; welcher
ſich zwiſchen den Roͤmern/ Allobrogen und
Salyern zu einem Mitler anbot. Dieſe war
theils wegen ihrer an Huneen beſtehenden Leib-
Wache/ theils wegen eines bey ſich habenden
weiſen Bardens zwar mit Verwunderung an-
genommen/ aber mit ſchlechter Verrichtung
abgefertigt. Denn Rom hielt es nunmehr
nicht nur ihres Ortes fuͤr Schande/ ſondern
andern theils fuͤr die hoͤchſte Beleidigung/ wenn
ein angetaſtetes Volck nicht alsbald die Waf-
fen niederlegte. Daher ſetzte der Buͤrger-
meiſter Qvintus Fabius Maximus zu Egitna
im Hafen ein maͤchtiges Heer aus/ und zohe
durch
[897[899]]Arminius und Thußnelda.
durch der Adunicater/ Sentier und Vecontier
Gebiete recht gegen die Allobroger. Domitius
folgte auf der rechten/ die Maſſilier auf der lin-
cken Seiten mit einem maͤchtigen Heere. Die-
ſes letztere aber uͤberfiel Bituit der maͤchtige Koͤ-
nig der Arverner bey der Stadt Arauſio; und
erlegte ſelbtes derogeſtalt: daß denen Maſſiliern
und dem Fabius kaum die Zeitung ſolcher Nie-
derlage zukam. Fabius eilte daher deſto mehr
gegen dem Fluſſe Jſara/ umb zu verhindern:
daß die Arverner nicht zu den Allobrogen ſtoſſen
koͤnten. Koͤnig Hulderich ſtand mit ſeinem La-
ger bey der Stadt/ wo die Vecontier ihre Goͤttin
in einem praͤchtigen Tempel verehren. Wie
er aber vernahm: daß Fabius und Domitius
mit zweyen Heeren gegen ihm im Anzug waͤren/
beſorgte er: Es moͤchte ihm eines in Ruͤcken
kommen/ und ihn von ſeinem Reiche abſchneiden.
Doch ſchickte er den Koͤnig Teutobal mit einem
Theile ſeines Heeres dem Domitius biß an den
See/ aus welchem der Fluß Sulgas entſpringt/
entgegen. Aber Teutobal war zum andern
mal ungluͤckſelig gegen den Domitius. Denn
ſie traffen zwar gegen einander faſt mit gleichem
Verluſt des Volckes; aber die Allobroger mu-
ſten das Feld raͤumen. Domitius ſelbſt ward
heftig verwundet; aber Teutobal gar erſchla-
gen. Bey ſolcher Beſchaffenheit wiech Koͤnig
Hulderich biß an ſeine Stadt Cularo an den
Jſer-Strom zuruͤcke; allwo ein Fuͤrſt der Tri-
bocer ihm mit etlichen tauſend Deutſchen zu
Huͤlffe kam. Fabius und Domitius ſtieſſen bey
der Stadt Drachenbach zuſammen; und es kam
daſelbſt abermals zu einer blutigen Schlacht.
Koͤnig Hulderich/ welcher mit ſeinem rechten
Fluͤgel auf des Domitius lincken traff/ brachte
ſelbten/ hingegen Fabius mit ſeinem rechten des
Tribociſchen Fuͤrſten Siegfrieds lincken Fluͤgel
in die Flucht; weil allhier etliche dreiſſig ge-
thuͤrmte Elefanten durch die Deutſchen brachen;
welche derogleichen Thiere vorher nie geſehen
hatten/ und daher ſo viel mehr Schrecken mach-
ten. Der Abend/ welcher in einem engen Um-
kreiſſe zwantzig tauſend Todte zu beerdigen be-
kam/ beſchloß abermals auf beyden Seiten die
Verfolgung des Feindes; und lernten die Roͤ-
mer aufs neue die Tapferkeit der Deutſchen/ und
daß ins gemein die Gemuͤther der Menſchen
der Beſchaffenheit ihres Himmels und Bodems
nacharthen/ erkennen. Jnzwiſchen hauſete
Koͤnig Bituit in der Marſilier Gebiete nach
Gefallen/ zerſtoͤrte die Sextiſchen Gewaͤſſer/
eroberte den herrlichen See-Hafen Telo Mar-
tius; er ward aber vom Koͤnige Hulderich durch
inſtaͤndigſte Schreiben genoͤthiget/ ihm zu Huͤlf-
fe zu kommen; zumal ſchon ein friſches Roͤmi-
ſches Heer zu Seguſium uͤber den Fluß Duria
gegangen war/ und bey Ocelum ſich gegen ein
Theil ſeines Heeres gelagert hatte. Weil
nun Fabius/ ungeachtet dieſe letztere Macht zu
ihm ſtieß/ doch uͤber die Jſer nicht einbrechen kon-
te/ nahm er ihm fuͤr uͤber den Rhodan zu ſetzen/
und mit Huͤlffe der Heduer in die Landſchafft deꝛ
Arverner einzubrechen. Aber Koͤnig Hulde-
rich und Bituit/ welche bey der Zuſammenfluͤſ-
ſung des Rhodans und Jſar ſich gleichfalls ver-
einbarten/ verbeugten der gantzen Roͤmiſchen
Macht den Weg/ und kamen unter dem Berge
Cemmenus in eine ſo blutige Schlacht/ als bey
Menſchen Gedencken nicht geſchehen war.
Nach zwoͤlfſtuͤndigem Gefechte/ darinnen aber-
mals die Elefanten zu dem Roͤmiſchen Siege
die Bahn brachen/ war dieſes der traurige Aus-
ſchlag: daß zehn tauſend Roͤmer/ und dreiſſig
tauſend ihrer Huͤlffs-Voͤlcker; hingegen Koͤnig
Hulderich mit zwoͤlf tauſend Allobrogern todt
blieben; Koͤnig Bituit aber wohl hundert tau-
ſend Arverner verlohr; welche meiſt wegen ein-
brechender Bruͤcke in dem Rhodan erſoffen;
wiewohl die Roͤmiſchen Geſchicht-Schreiber die
Zahl der erlegten Feinde auf hundert funfzig
tauſend erſtrecken; ja ſich zu tichten nicht ſchaͤ-
men: daß auf ihrer Seite mehr nicht als funf-
zehn Kriegesleute blieben waͤren. Fabius er-
warb hierdurch ein Siegs-Gepraͤnge/ und den
Zunahmen des Allobrogers; welches dem Do-
Erſter Theil. X x x x xmitius
[898[900]]Sechſtes Buch
mitius ſo ſehr verdroß: daß er durch ein knechti-
ſches Laſter/ als der den Tempel der Diane an-
zuͤndende Heroſtratus/ ſein Gedaͤchtnuͤß zu ver-
ewigen ſich entſchloß. Denn er machte mit
dem Arverner Koͤnige Bituit einen Frieden;
und verleitete ſelbten unter dem Scheine ver-
traͤulicher Freundſchafft: daß er mit ſeinem
Sohne Congentiat ihn zu Valentia beſuchte.
Nach dem er ihn etliche Tage herrlich unterhal-
ten/ muͤhte er ſich den Koͤnig zu bereden: Er ſolte
nach Rom ziehen. Als aber Bituit diß hoͤflich
ent[ſ]chuldigte/ nahm Domitius ihn und ſeinen
Sohn verraͤtheriſch gefangen/ ſchickte beyde zu
Schiffe nach Oſtia/ von dar ſie hernach auf ihren
ſilbernen Streit-Wagen mit ihren vielfaͤrbich-
ten Ruͤſtungen in die Stadt Rom vom Domiti-
us zum Siegs-Gepraͤnge gefuͤhrt/ und Bituit
zu Alba gefaͤnglich gehalten/ der nach Roͤmiſchen
Sitten erzogene Congentiat aber nach guter
Zeit wieder aus einer beſondern Staats-Klug-
heit in ſein Koͤnigreich eingeſaͤtzt ward.
Alſo hatte Koͤnig Hulderich mit ſeinen Allo-
brogern ihren Tod fuͤr ein Gluͤcke zu halten;
nicht nur/ weil von ihnen diß/ was ſie dem Va-
terlande und der Natur ſchuldig waren/ abge-
golten/ ſondern auch weder der Untergang ihres
Reiches/ noch die Schmach der Dienſtbarkeit er-
lebet ward. Wiewohl nun Hertzog Siegfried
in der Allobroger Haupt-Stadt Ebrodun an
dem Rhodan ſich mit ſeinen wenigen Deutſchen
ſetzte/ ward er doch von den Roͤmern/ Maſſiliern
und Heduern derogeſtalt bedraͤnget: daß er noth
hatte ſeine und etlicher edlen Allobroger Uber-
bleibung uͤber den Rhodan zu bringen. Alſo
ward das gantze Gebiete der Allobroger zwiſchen
der Jſer und dem Rhodan ins Roͤmiſche Joch
geſpannet. Die Roͤmer ſelbſt ſchaͤtzten dieſen
Gewinn ſo wichtig: daß/ ob ſie wol zeither auſſer
der zu Rom in den Tempeln geſchehenen Auf-
hengung der eroberten Waffen keinen uͤbeꝛwun-
denen Feind veraͤchtlich gehalten/ und aus ſei-
nem Verluſte Gedaͤchtnuͤß-Maale geſtiftet hat-
ten; ſie auf denen Sieges-Staͤdten aus Mar-
mel und Alabaſter hohe Thuͤrme und praͤchtige
Siegsbogen auf baueten/ und die gewonnenen
Waffen daran heftetẽ; Domitius auch nicht nuꝛ
auf der Wallſtadt ihm ein großſprecheriſch Eh-
ren-Maal aus Marmel/ dem Mars und Her-
cules zwey Tempel aufrichtete/ ſondern zwiſchen
dem ihn als einen Sieger mit groſſem Geſchrey
begleitenden Kriegs-Volcke auf einem Elefan-
ten das gantze Land durchreiſete. Dieſen Sieg
begleitete die Unterdruͤckung der Stoͤner und
Sarnuter; welche unter dem Berge Adula/
aus welchem die vier Haupt-Stꝛoͤme/ der Rhein/
der Rhodan/ der Ticin und Arula entſpringen/
wohnen; von dem unter Antonach in den Rhein
fallenden Saar-Fluſſe dahin gezogen; durch
die Roͤmer aber darumb bekriegt waren: daß ſie
ihnen wider die Allobroger nicht genungſamen
Vorſchub gethan hatten. Weil nun der Roͤ-
miſche Buͤrgermeiſter Qvintus Martius die in
der erſten Schlacht Gefangenen ſo ſtrenge hielt/
richteten ſie ſich ſelbſt durch Entaͤuſerung der
Speiſen dahin; die uͤbꝛigen Sarnuteꝛ abeꝛ ſebel-
ten ſelbſt ihre Weibeꝛ und Kinder darnider/ ſtuͤrtz-
ten ſich hieꝛauf ſelbſt ins Feuer umb der Roͤmiſchẽ
Dienſtbarkeit vorzukommen; welche nunmehr
durch Erbauung einer neuen und mit eitel Roͤ-
miſchem Volcke beſetzten Stadt/ wo der Fluß
Arauraris ins Meer fleuſt/ Gallien ein rechtes
Hals-Eiſen anlegten. Gleicher geſtalt uͤber-
fielen die Roͤmer die an dem Sau-Strom von
einem deutſchen Fuͤrſten Segeſthes gebaute
Stadt Segeſthe ſonder Ankuͤndigung des Krie-
ges; und aus keiner andern Urſache/ als: weil
dieſe Stadt vermoͤgend/ und zu Unterdruckung
der Pannonier fuͤrtrefflich gelegen war. Und
in Dalmatien fing Coͤcilius nur darumb einen
Krieg an; wormit er nicht muͤſſig ſaͤſſe/ und nicht
ohne Siegs-Gepraͤnge ſterben doͤrffte. Mar-
cus Emilius S[c]aurus noͤthigte ſich gleicher ge-
ſtalt zu denen in den Alpen wohnenden Karnen
und Gantiskern/ und fuhr uͤber ihrer Fuͤrſten
Leichen
[899[901]]Arminius und Thußnelda.
Leichen ins Capitolium. Die Gallier ſahen
dem Untergange ihrer Nachbarn mit blinden
Augen und ohne Nachdencken: daß die ſich naͤ-
hernde Flamme auch ihre Haͤuſer auffreſſen
wuͤrde/ zu; und hatten alleine das Auge auf die
ihnen nunmehr allzu ſchrecklichen Deutſchen/
welche/ nach dem der Sicambriſche Hertzog Klo-
domir an der Maaß uͤber hundert tauſend Gal-
lier erſchlagen/ ein groſſes Theil des Belgiſchen
Galliens in Beſitz nahmen. So vieler Roͤmi-
ſchen Siege Freude ward alleine vergaͤllet durch
die niedergeſeſſenen Skordiskiſchen Deutſchen.
Dieſe Uberbleibungen des Brennus waren noch
die einigen Schutz-Saͤulen der von den Roͤmern
bedraͤngten Voͤlcker; und nahmen ſo wohl die
Karner als Dalmatier zu ihnen Zuflucht; mit
denen ſie die Roͤmer durch oͤfftere Einfaͤlle in
Macedonien/ Theſſalien und Jllyrien beunru-
higten. Die Roͤmer hatten wohl Bedencken
mit dieſem ſtreitbaren Volcke ſich zu verwickeln;
ſonderlich/ weil die Nachbarn gleichſam un-
menſchliche Grauſamkeiten von ihnen erzehl-
ten: daß ſie die Gefangenen mit Feuer und
Rauche ermordeten/ aus ihren Hirn-Schaͤdeln
Blut trincken/ und die unzeitigen Fruͤchte aus
Mutter-Leibe zu ſchneiden fuͤr Kurtzweil hieltẽ.
Gleichwohl zohe der Buͤrgeꝛmeiſter Cajus Poꝛ-
tius Cato wider ſie; ließ ſich aber durch dieſe in
das guͤldene Gebuͤrge aus angenommener
Furcht zuruͤck weichende Deutſchen derogeſtalt
in die verhauenen Waͤlder und Klippen verlei-
ten: daß beynahe ſein gantzes Heer erſchlagen
ward. Gantz Griechenland und alle Laͤnder
ſtanden hiermit den Deutſchen biß an das Adri-
atiſche Meer zum Raube offen; darein ſie ihre
Pfeile aus Verdruß abſchoſſen; nach dem es die
Natur zum Aufenthalt ihrer Siege ihnen in
Weg geſetzt hatte. Die Roͤmer ſorgten allein
ihre feſten Staͤdte zu bewahren; wiewohl ſie in
Macedonien unter dem Bertiskiſchen Gebuͤrge
mit Hinwegtreibung des Viehes den Lucullus
aus der Stadt Heraclea lockten/ hernach ihm
den Ruͤckweg abſchnitten/ ihn mit acht hundert
Roͤmern erlegten und die Stadt eroberten.
Jedoch hielten ſie ſich wenige Zeit heꝛnach wiedeꝛ
in ihren Graͤntzen/ weil folgendes Jahr der
Buͤrgermeiſter Livius Druſus/ und abermals
Titus Didius/ wie nichts minder Marcus
Druſus ihnen einen ſchweren Gegenſtreich ver-
ſetzte. Zu eben ſelbiger Zeit aber ſchienen die
Deutſchen der allgemeinen Herrſchafft der Roͤ-
mer/ welche in dreyen Theilen der Welt Meiſter
ſpielte/ einen Riegel fuͤrzuſchieben.
Es liegt von hier gegen Mitternacht ein hal-
bes Eyland/ welches mit etlichen andern neuen
Eylanden die Cimbern und Teutoner bewoh-
nen/ und wordurch die Oſt- und Weſt-See von
einander unterſchieden werden. Wie der
Weltweiſe Hipparchus einen gantz neuen Steꝛn
an dem Himmel wahrnahm/ und daraus den
Roͤmern die voͤllige Unterdruͤckung des Grie-
chiſchen Reiches wahrſagte/ ſchwellete ſich das
Meer durch einen grauſamen Sturm; und
weil der Geſtirne Wuͤrckungen in dem Meere
am ſichtbarſten ſind/ vermuthlich durch eine be-
ſondere Regung des neuen Sternes derogeſtalt
empor: daß der Cimbrer und Teutoner feſtes
Land groſſentheils uͤberſchwemmet/ und in un-
terſchiedene Eylande zergliedert wurden. Die-
ſe enge Einſchrenckung oder auch die Ruhms-
Begierde dieſer ſtreitbaren und uͤberaus frucht-
baren Voͤlcker/ welche ſchon lange Zeit vorher
nicht nur biß zu der Meotiſchen Pfuͤtze/ ſondern
biß in Lydien zum Croͤſus gedrungen waren/
veranlaßte ſie: daß zwar Koͤnig Juta ſeiner
Voreltern Herrſchafft behielt/ dreymal hundert
tauſend Mann aber zur Zeit des groſſen Ale-
xanders umb anderwerts einen Sitz zu gewin-
nen/ und ihren Freunden Lufft zu machen das
Vaterland verlieſſen. Ein Theil derſelben
ſatzten uͤber die Oder/ Weichſel und Bori-
ſthenes/ gingen an dem Fluſſe Gerrhus hinauf/
und lieſſen ſich in dem Tauriſchen Cherſoneſus
X x x x x 2nie-
[900[902]]Sechſtes Buch
nieder. Nach der Zeit aber ſetzten ſie uͤber ſelbige
Meer-Enge/ welche von ihnen den Nahmen
des Cimmeriſchen Boſphorus behaͤlt; nahmen
ein an Colchis ſtoſſendes Theil Scythiens ein;
bauten daſelbſt eine lange Mauer und etliche
Staͤdte. Ein Theil darvon drang auch unter
dem Fuͤrſten Lygdanis in Lydien und Jonien/
nahm Sardes ein/ zuͤndete den Epheſiſchen
Tempel an/ baute am Euxiniſchen Meere die
Stadt Cherſoneſus. Endlich als ſie in Cilicien
eine ziemliche Niederlage erlitten/ vereinbarten
ſie ſich mit denen in Aſien kommenden Deut-
ſchen des Brennus Nachkommen in Galatien.
Die andere Helffte der wandernden Cimbern
zohe mit gutem Willen der Chautzen/ Frieſen
und Bructerer uͤber den Rhein/ und die Maaß/
vertrieben daſelbſt die alten Gallier/ und ſetzten
ſich zwiſchen der Maaß/ dem Fluſſe Sabis und
der Schelde feſte. Aber diß war ein viel zu en-
ger Raum fuͤr eine ſo fruchtbare Menge/ und
ein ſo kriegeriſches Volck. Daher machten ſie
mit den benachbarten Belgen eine richtige
Graͤntzſcheidung/ lieſſen nur ſo viel/ als zu Be-
ſetzung ſelbiger Landſchafft Volckes von noͤthen
war/ unter dem Nahmen der Aduaticher hinter
ſich/ und etliche aus Jtalien von den Roͤmern
vertriebene Deutſchen ſich bereden: daß ſie mit
geſamletem Hauffen uͤbeꝛ die Alpen in das gluͤck-
ſelige Jtalien einzubrechen beſchloſſen. Hier-
mit theilten ſie ſich in zwey groſſe Heere; das eine
fuͤhrte Hertzog Bojorich an dem Rheine hinauf
biß zu den Trebozen/ zohe unter Weges noch
viel Catten und Nemeter an ſich; hernach ſetzte
er uͤber den Rhein/ und folgends uͤber die Doh-
nau in Noricum. Weil er aber vernahm: daß
die Alpen allenthalben von denen hieruͤber erzit-
ternden Roͤmern ſtarck beſetzt waren/ kam er
biß in Jllyricum/ umb durch Anleitung der
Skordiskiſchen Deutſchen ſo viel leichter durch-
zubrechen. Das andere Heer fuͤhrte Hertzog
Teutobach durch die Laͤnge des Lugdunenſiſchen
Galliens gegen dem Rhodan zu; welcher aber
an dem Fluſſe Matrona und der Seene/ inſon-
derheit aber bey denen Heduern allerhand Wi-
derſtand fand; und daher ſo geſchwinde als
Hertzog Bojorich nicht fortruͤcken konte. Aber
Teutobach zaͤhlte ſeine Siege wider die Gallier
nach ſeinen Tage-Reiſen; jagte ihnen auch ein
ſolches Schrecken ein: daß ſie den Cimbern alle
Wege oͤffneten; oder/ wenn ſie ſich ſchon einmal
in Feſtungen zur Gegenwehr geſetzt hatten/
aus Verzweifelung alles aͤuſerſte erduldeten/
ja ſich mit derer zum Kriege untauglicher Men-
ſchen abgeſchlachteten Leibern ſpeiſeten/ ehe ſie
ſich gutwillig ergaben. Dem Hertzoge Bojo-
rich ließ Papirius Carbo ins Norich zuentbit-
ten: Er ſolte die Noricher als befreundete Nach-
barn der Roͤmer unbelaͤſtigt laſſen. Bojorich
antwortete: Er haͤtte ſich ſo genau umb die
Buͤndnuͤſſe der ihm unbekandten Voͤlcker uͤber
der Donau nicht bekuͤmmert; ſondern die Noth
ihn aus der aͤuſerſten Mitternacht gezwungen
ihm irgendswo einen Sitz zu ſuchen. Dieſer
von allen Voͤlckern zeither durch ihr Thun be-
ſtaͤtigtes Geſetze lehrte ihn: daß alle Dinge der
Maͤchtigen/ nichts aber deſſelbten Eigenthum
waͤre/ der es nicht mit den Waffen zu behaup-
ten wuͤſte. Maſſen/ ſeines Wiſſens/ die Roͤ-
mer aus keinem beſſern Rechte zu ſo groſſen
Herrſchern worden waͤren. Ob er nun zwar
ſich fuͤr keinem Menſchen/ und keines Volckes
Waffen fuͤrchtete; ſo ſchaͤtzte er doch der ſo be-
ruͤhmten Roͤmer Freundſchafft hoͤher als den
uͤber die Noricher erlangten Vortheil; wolte
alſo in der weiten Welt ihm einen Raum aus-
ſuchen; weil die Natur ihm einen unter
dem Himmel zu geben ſchuldig/ ſein Degen
auch einzunehmen maͤchtig waͤre. Daher
hoffte er: daß die Roͤmer ſich in keine mit
einem andern Volcke angeſponnene Haͤn-
del miſchen wuͤrden. Hiermit wendete ſich
Koͤnig Bojorich gegen das Gebiete der Tau-
risker
[901[903]]Arminius und Thußnelda.
riſker und Karner; lagerte ſich auch an dem
Fluße Tilavemptus bey der Stadt Noreja.
Der durch einen viel kuͤrtzern Weg dem Bojo-
rich zuvor gekommene Carbo meinte die Deut-
ſchen des Nachts im Schlaſſe zu uͤberfallen.
Dieſe aber niemahls entkleidet ſchlaffende Voͤl-
cker griffen behertzt zu ihren keinmahl von der
Seite kommenden Waffen; trieben die Roͤmer
mit unglaublicher Hertzhafftigkeit zuruͤcke/ er-
ſchlugen zwantzig tauſend Roͤmer/ alſo: daß Car-
bo mit wenigen entraan und ſich nach Ravenna
fluͤchtete. Ja es waͤre von ihm kein Bein ent-
ronnen/ wenn nicht ein hefftiger Platzregen die
Deutſchẽ an Verfolgung des Feindes gehindert
haͤtte. Carbo zohe zwar aus denen umliegenden
Landſchafften alle Roͤmiſche Kraͤfften zuſam-
men/ aus Begierde durch Rache ſeinen Schimpf
abzuwiſchen/ und durch einen Sieg ſeinen un-
rechtmaͤßigen Krieg zu rechtfertigen. Beyde
Heere kamen in Rhetien an dem Fluſſe Plavis
gegeneinander zu ſtehen. Dem bey Erblickung
dieſer ſauerſehenden Feinde ſchwindelnden Car-
bo fiel alſofort der Muth; daher haͤtte er ſich ger-
ne durch einen Vergleich loß gewunden; ließ al-
ſo fragen: Was der Deutſchen Begehren waͤre?
Bojorich/ und ein zu ihm geſtoſſener Hertzog der
Qvaden Brinno lieſſen dem Carbo wiſſen: Sie
kaͤmen alle von den Roͤmern ihren deutſchen
Vor-Eltern abgenommene Aecker wieder in
Beſitz zu nehmen. Auff dieſen weit ausſehen-
den Vortrag lieſſen Carbo und Silan den Deut-
ſchen entbieten: Rom haͤtte vor ſie wohl geſchlif-
fene Schwerdter/ aber keinen Fuß breit Erde.
Ehe ſie nun mit einander anbunden/ fragte Bo-
jorich ſeine mit ſich genommene Wahrſagerin-
nen um den Ausſchlag der Schlacht. Dieſe
waren alte greiße/ in weiſſe Leinwand gekleidet/
mit breiten eiſernen Spangen umguͤrtete baar-
fuͤßige Weiber/ welche uͤber einem groſſen Ertz-
tenen Keſſel etliche Gefangenen abſchlachteten/
theils auch aus denen Eingeweiden ihrer Fein-
de kuͤnftige Begebenheiten erkundigten/ und bey
waͤhrender Schlacht auff uͤber die Wagen aus-
geſpanneten Fellen ein groß Gethoͤne machten.
Weil ſie ihm nun alle einmuͤthig gewiſſen Sieg
verſprachen/ ſetzte er freudig uͤber den Fluß Pla-
vis; ungeachtet er vernahm: daß noch den Tag
vorher dem Carbo vom Po zwey gantze Legio-
nen zukommen waren. Beyde Heere kamen
an der Burg mit groſſem Ungeſtuͤmme gegen
einander zu treffen. Aber die Roͤmer vermoch-
ten kaum zwey Stunden denen weder durch
Zaͤrtligkeit ihres rauhẽ Vaterlandes/ noch durch
angewoͤhnte Wolluͤſte verunartheten Deutſchen
die Wage zu halten. Denn in dieſer Zeit zer-
ſchniet die Schaͤrffe ihrer Schwerdter alle
Schlachtordnungen. Alle Hauffen wurden
zertrennt; der faſt verzweiffelt fechtende Carbo
vom Qvaden Hertzoge ſelbſt toͤdtlich verwun-
det/ zwey Haupt-Fahnen erobert/ und dreiſ-
ſig tauſend Roͤmiſche Kriegsvoͤlcker erſchlagen.
Rom bebte hieꝛuͤbeꝛ nicht viel wenigeꝛ als vorhin
fuͤr Hannibaln. Jedoch begieng Bojorich eben
des Hannibals Fehler/ indem er nicht geraden
Weges nach Rom/ ſondern gegen Helvetien und
Gallien aus einem unergruͤndlichen Abſehen
fortruͤckte/ und ſich daſelbſt um eine beſtaͤndige
Wohnung umſah.
Jnzwiſchen hauſete Koͤnig Teutobach in Gal-
lien nach ſeinem Belieben; und nach dem ihm
die Gallier den Weg uͤber die von den Roͤmern
ſtarck beſetzten Alpen ſo ſchwer machten; als in
welchen Annibal mehr als die Helffte ſeines
Heeres verlohren haͤtte; gleichwohl aber ihn
durch groſſe Gaben beredeten Gallien zu raͤu-
men/ ſetzte er bey Nemoßus uͤber den Ligerſtrom/
und zohe theils durch das Aqvitaniſche/ theils
durch das Narboniſche Gebiete biß an das Py-
reneiſche Gebuͤrge. Es ſchickten aber die Cel-
tiberier zwey ihrer Fuͤrſten an Teutobach; wel-
che ihm einhielten: daß ſie von Urſprung eben-
falls Deutſche waͤren/ alſo ſich von ihren Landes-
leuten keines feindlichen Einbruchs verſehen.
Sie haͤtten einẽ allgemeinen gewaltigen Feind/
mit dem ſie ſchon anderthalb hundert Jahr
X x x x x 3Krieg
[902[904]]Sechſtes Buch
Krieg gefuͤhret. Zuletzt aber waͤren ſie vom
Cato Cenſorius etliche mahl geſchlagen/ vom
Gracchus ihnen wol anderthalb hundert Staͤd-
te eingeaͤſchert/ und des itzigen Celtiberiſchen Koͤ-
nigs Salonticus verraͤtheriſch erſchlagen wor-
den; fuͤr deſſen ſilberner ihm von den Goͤttern
aus dem Himmel geworffener Lantze die Roͤmer
hundert mahl vorher gebebt haͤtten. Dieſem-
nach moͤchte Koͤnig Teutobach lieber in Jtalien
ſeine Bluts-Freunde aus der Dienſtbarkeit er-
loͤſen/ die ihnen geraubten Laͤnder einehmen;
als ſie mit ungerechtem Einfall/ welches die
Goͤtter ſo wohl mit Donner und Blitz/ als ſie
mit ihren Degen verwehren wuͤrden/ bekraͤnckẽ.
Sie woltẽ inzwiſchen mit denen Luſitaniern den
Roͤmern in Hiſpanien genug zu ſchaffen ma-
chen; und dem in Africa wider Rom aufgeſtan-
denen Jugurtha moͤglichſt an der Hand ſtehen.
Sintemal zwar Jugurtha den Calpurnius Be-
ſtia mit Gelde beſtochen: daß er unverrichteter
Sachen abgezogen; den Aulus Poſthumius Al-
binus durch bloſſes Schrecken verjaget/ ſein Laͤ-
ger erobert/ ihm auch einen ſchimpflichen Frie-
den abgezwungen haͤtte; es waͤre aber dieſer
vom Roͤmiſchen Rathe gebrochen/ und Coͤcili-
us Metellus mit einem neuen Heere in Numi-
dien geſchickt worden. Dieſer Vortrag und Er-
bieten bewegte die Deutſchen ihren Fuß zuruͤcke
zu ſetzen/ und durch das Narboniſche Gallien
in der Maßilier Gebiete einzufallen. Dieſe
hielten dem Teutobach ein: daß ehe er wider die
Roͤmer ſich feindlich erklaͤrte; moͤchte er vorher
ſeinen Anſpruch ihnen eroͤffnen. Daher er
den auff einem Maßiliſchen Schiffe Geſand-
ten nach Rom ſchickte/ und eben diß/ was Koͤ-
nig Bojorich verlangt hatte/ von den Roͤ-
mern forderte/ auch auff ſolchen Fall den Roͤ-
mern wider Jugurthen Beyſtand verſprach.
Der Rath/ welcher wohl wuſte: daß die Roͤmer
mit den Deutſchen nicht Ruhms-ſondern ihrer
Wohlfahrt halber zu fechten haͤtten/ erwieß den
Geſandten groſſe Ehre/ zeigte ihnen alle denck-
wuͤrdige Sachen der Stadt/ und unter andern
die unſchaͤtzbaren Bilder und Gemaͤlde/ welche
Mum̃ius aus der eingeaͤſcherten Stadt Corinth
nach Rom bracht hatte; unter welchen ein auff
einen alten Stab ſich lehnender Hirte uͤberaus
hochgehalten ward. Wie nun der eine Geſand-
te gefragt ward: was fuͤr einen Preiß er dieſem
Bilde zueignete? gab er zur Antwort: Er moͤch-
te auch ihn lebendig nicht umſonſt haben. Denn
denen Cimbern waͤre nur mit friſcher Mann-
ſchafft/ welche ihre Schwerdter zu brauchen
wuͤſten/ und ſich auf die Leichen ihrer Feinde leh-
nete/ gedienet. Wie ſie nun die Geſandten lan-
ge/ und biß Marcus Junius Silanus uͤber die
Alpen mit einem maͤchtigen Heere kommen/
und zu den Maßiliern und Heduern geſtoſſen
war/ durch allerhand Vertroͤſtungen auffge-
halten hatten/ lieſſen ſie ſie mit leeren Haͤnden
von ſich; meldende: Es waͤre wider die Hoheit
und Gewonheit der Roͤmer: daß ſie ſich ihre
Feinde einiges Land abtrotzen laſſen ſolten; da
Jtalien ihnen ſelbſt zu enge waͤre/ und ſie mit ſo
viel Aecker-Geſetzen kaum die Landleute in
Ruh und in ihren Graͤntzen erhalten koͤnten.
Zu dem waͤren ſie alle ihren Feindẽ fuͤr ſich ſelbſt
uͤbrig genung gewachſen. Hiermit kam es zwi-
ſchen beyden Theilen zuꝛ Schlacht; abeꝛ die an die
Spitze geſtellten Maßilier und Heduer/ welche
nicht einſt die grim̃igen Geſichter der Deutſchen
vertragen konten/ kamen mit dem erſten An-
griffe in die Flucht/ und verurſachten unter
den Lateinern eine Unordnung. Die Roͤmi-
ſchen drey Legionen hielten ein paar Stunden;
biß Enano/ ein Hertzog der zwiſchen der Elbe
und der Edora wohnenden Sachſen mit ſeiner
Reuterey auff der einen/ und Holſtein/ ein Her-
tzog der Angeln zwiſchen dem Fluſſe Chaluſus
und der Varne/ auff der andern Seite durch-
brach. Alles Fußvolck ward zerhauen oder
zertreten; die Roͤmiſchen Fahnen mit welchem
Tockenwercke die Deutſchen damahls einiges
Gepraͤnge zu machen ſich ſchaͤmeten/ zerbro-
chen/
[903[905]]Arminius und Thußnelda.
chen/ der Buͤrgermeiſter Silan ſelbſt von Ran-
tzauen einem Cimbriſchen Ritter durchſtochen.
Das uͤber dieſer Niederlage abermahls ſich er-
ſchuͤtternde Rom ſchoͤpffte zwar einiger maſſen
einen Troſt durch einlauffende Zeitung: daß
Marcus Minutius in Thracien an dem Fluſ-
ſe Hebrus die Scordiſkiſchen Deutſchen/ die Tri-
ballen und Dacier durch eine beſondere Kriegs-
Liſt geſchlagen haͤtte; da er nehmlich bey waͤh-
render Schlacht ſeinen Bruder mit wenig
Kriegs-Volcke/ aber vielen Drommelſchlaͤgern
und Pfeiffern das Gebuͤrge uͤberſteigen/ dem
Feinde in Ruͤcken fallen/ und ſie derogeſtalt ir-
re machen laſſen. Alleine zwey hernach kom-
mende hinckende Bothen vergaͤllten alſofort
dieſen Troſt. Sintemahl die Scordiſker die
ſie unvorſichtig verfolgenden Roͤmer wieder ge-
ſchlagen/ uͤber den zugefrornen Strom Hebrus
zuruͤck getrieben; und weil das Eiß gebrochen/
etliche tauſend darinnen erſaͤufft hatten. Koͤ-
nig Bojorich aber hatte nach ſeinem Siege ſich
in zwey Theile getheilet; das eine ging unter
dem Qvadiſchen Hertzog Brinno und dem
Marckmaͤnniſchen Fuͤrſten Schleß an dem
Fluße Plavis hinab in das Gebiete der Ve-
neter; er aber ſelbſt machte ſich auff Bitte der
Tugurnier und Ambroner/ welche uͤber dem
Brigantiniſchen See zwiſchen dem Rheine und
dem Fluſſe Arola aus Deutſchland ſich geſetzt
hatten/ uͤber den Fluß Atagis/ und die grau-
ſamſten Gebuͤrge um die Allobroger des Roͤ-
miſchen Joches zu entbuͤrden. Unterdeſſen
hatte der Tigurnier Hertzog Divico biß an den
Einfluß des Rhodans ins Meer alle Roͤmi-
ſche Beſatzungen auffgeſchlagen; daher der
Buͤrgermeiſter Lucius Caßius mit einem fri-
ſchen Heere dahin eilte. Hertzog Divi-
co wiech mit ſeinen Tugurniern und Ambro-
nen ſo lange hinauff/ biß er ihn an die Allobro-
giſche Graͤntze brachte/ und ſich unvermerckt
mit dem Koͤnige Bojorich und denen Tugenen
unter dem Koͤnige Bolus vereinbarte. Wie
nun Devico aus angeſtellter Muͤdigkeit ſeines
Volckes ſtand hielt; ſtellte Caßius das Roͤmiſche
Heer gegen ihn in Schlacht-Ordnung. Sie
hatten aber kaum die Schlacht angehoben; als
ſich auff einer Seite das Cimbriſche/ auf der an-
dern das Teutobogiſche Heer ſeyen ließ. Die-
ſer bloſſe Anblick benahm den Roͤmern den
Muth und die Gegenwehr; alſo: daß ſie durch
offenbahre Flucht in ihr bey der Stadt Umben-
num verſchantztes Laͤger zu entkommen ſich ent-
ſchloſſen. Aber der wenigſte Theil hatte diß
Gluͤcke. Denn der Buͤrgermeiſter Caßius/
und ſein Stadthalter Lucius Calphurnius Piſo
wurden mit zwey und dreißig tauſend ſtrei-
tenden erſchlagen. Unter denen kriegenden Cim-
bern war Langerta Hertzog Waldemars zu La-
viburg ſtreitbare Tochter; welche im Treffen
das Gluͤck gehabt/ dem Caßius den Kopff ab-
zuhauen/ ſolchen auff eine Lantze zu ſpieſſen/ und
zu Bojorichs Fuͤſſen zu legen. Cajus Popi-
lius war zwar mit zehn tauſend Mann ins Laͤ-
ger entkommen; aber auff allen Seiten beſetzt/
und gezwungen/ ſich auff Gnade und Ungnade
zu ergeben/ und mit ſeinem gantzen Heere un-
ter dem Joche dreyer uͤber einander geſteckten
Lantzen durch zu gehen/ auch allen Vorrath ein-
zuhaͤndigen. Bojorich ließ gleichwohl mit den
hoͤchſten Kriegs-Haͤuptern den Popilius loß;
welcher aber auff Anhalten des Zunfftmeiſters
Coͤlius verwieſen ward. Die Gefangenen wur-
den theils in Deutſchland zum Zeichen der Sie-
ge geſchickt/ theils in Gallien verkauft; und ſpiel-
ten die Deutſchen in denen von den Roͤmern ero-
berten Gebuͤrgen allenthalben den Meiſter; veꝛ-
urſachtenauch zu Rom ein ſolches Schrecken: als
weñ die Deutſchen mit einem neuen Brennus
ſchon fuͤr den Stadtpforten waͤren. Die an dem
Fluſſe Garomna gelegene Stadt Toloſa/ dar-
ein ſich die Roͤmer argliſtig geſpielt hatten/ ſahe
ſich bey dieſer Begebniß wieder nach ihrer Frey-
heit um; ſchickte an Koͤnig Teutobach um Huͤlf-
fe/ und erlegte mit dieſer die gantze Roͤmiſche Be-
ſatzung.
[904[906]]Sechſtes Buch
ſatzung. Welch Leid gleichwohl durch die Zei-
tung gelindert ward: daß Cajus Marius den
Koͤnig in Numidien Jugurtha/ und den Mau-
ritaniſchen Koͤnig Bochus auffs Haupt geſchla-
gen/ die dem Hercules zu Ehren faſt mitten in
Africa gelegene/ von Sand-Wuͤſteneyen und
Drachen gleichſam bewahrte Stadt Capſa/ und
die auff einem hohen Steinfelſen faſt unuͤber-
windlich geachtete Feſtung Mulucha durch
Verwegenheit eines Liguriers erobert/ der Buͤr-
germeiſter Servilius Coͤpio aber durch heimli-
che Verſtaͤndniß in Gallien die Stadt Toloſa
wieder eingenommen/ und aus des Apollo Tem-
pel tauſend Pfund Goldes und hundert und
zehn tauſend Pfund Silber/ als einen von Del-
phis dahin gebrachten Schatz erobert haͤtte.
Wiewohl dieſes heilige Reichthum hernach al-
le/ die an dieſem Schatze Theil hatten/ in Un-
tergang ſtuͤrtzte; zu einem merckwuͤrdigen Bey-
ſpiele: daß geraubte Guͤter/ wenn ſelbte gleich
in vom Feuer unverzehrlichem Golde beſtehen/
ſo wohl die ſchaͤdliche Wuͤrckung/ als die Fluͤch-
tigkeit des Qveckſilbers an ſich haben. Die al-
lergroͤſte Vergnuͤgung aber ſchoͤpffte Rom/ als
es erfuhr: daß der Mauritaniſche Koͤnig Bo-
chus ſeinen eignen Eydam Jugurtha argliſtig
in Band und Eiſen geſchlagen/ und dem Lucius
Cornelius Sylla uͤberantwortet hatte. Hin-
gegen ward ihnen dieſe Freude bald wieder ver-
ſaltzen durch die Niederlage des Manlius; wel-
cher die Deutſchen aus dem Gebiete der Ve-
neter vertreiben wolte/ aber von dem Hertzoge
Brinno und Schleß an dem Fluſſe Madua-
cus auffs Haupt erleget ward; alſo: daß er ſelbſt
mit Noth kaum entraan. Dieſemnach wolten
die Roͤmer den Krieg wider ſo maͤchtige Feinde
nicht mehr einem Feldherrn vertrauen; ſondern
ſchickten zum Servilius Coͤpio noch den Cneus
Mallius mit einem Heere in Gallien. Aber
dieſe zwey von Ehrſucht harten Steine waren
nicht faͤhig was gutes abzumahlen. Jhr taͤgli-
cher Zwiſt brachte ſie endlich zu dieſem ſchaͤdli-
chen Vertrage: daß ſie ihre Kriegs-Heere ab-
ſonderten/ den Rhodan zu ihrem Graͤntz-Mah-
le erkieſeten/ die Gallier durch ihre Grauſam-
keit ihnen auffſaͤtzig/ die Deutſchen aber ſelbte
durch Glimpff und Gerechtigkeit ihnen geneigt
machten. Uber diß bezeigten dieſe eine abſon-
dere Gottes furcht und Andacht; und thaͤten al-
le ihre Fuͤrſten ein Geluͤbde: daß alle Gefangene
und Beute heilig ſeyn ſolte. Bojorich verſetz-
te den erſten Streich des Buͤrgermeiſter Mal-
lius Stadthaltern/ nemlich dem Aurelius
Scaurus; erſchlug ſechs tauſend Roͤmer/ und
kriegte ihn ſelbſt lebendig gefangen. Mallius
beruffte den Coͤpio hierauff zur Huͤlffe; kriegte
aber zur Antwort: ein ieder haͤtte ſein ihm ver-
trautes Land zu beſchirmen. Gleichwohl aber
ſetzte Coͤpio bald darauff an die lincke Seite des
Rhodans uͤber; iedoch mehr in Meinung dem
Buͤrgermeiſter den Ruhm des Sieges wegzu-
fiſchen/ als ihm beyzuſtehen. Daher er auch
zwiſchen den Mallius und die Cimbern ſein Laͤ-
ger ſchlug. Bojorich/ welcher den entfernten
Teutobach nicht ſo bald an ſich ziehen konte/
ward uͤber die Vereinbarung beyder Roͤmi-
ſchen Heere bekuͤmmert; ſchlug alſo durch eine
Botſchafft einen Frieden fuͤr. Weil aber dieſe
nur mit dem Buͤrgermeiſter zu handeln befeh-
licht war/ grief ſie Coͤpio mit hefftigſten Schmeh-
Worten an/ und fehlte wenig: daß die Cimbri-
ſchen Geſandten nicht in Coͤpions Laͤger er-
mordet wurden. Dieſer vereinbarte hierauff
zwar mit dem Mallius ſein Laͤger/ aber gar
nicht ſeine Meinungen; alſo: daß die Deutſchen
ſich ihrer taͤglich mehrenden Zwytracht zu ge-
brauchen/ und nunmehro zu treffen ſchluͤßig
wurden. Bojorich ſtellte noch fuͤr aufſgehen-
der Sonne ſeine Deutſchen in Schlacht-Ord-
nung; Mallius und Coͤpio hingegen zanckten
ſich noch uͤber Stellung der ihrigen; als Hertzog
Schleß ſchon mit ſeiner Reuterey einbrach. Wie
nun das Gluͤcke einem Feinde keinen groͤſſern
Vortheil als die Zwytracht der Kriegs-Ober-
ſten
[905[907]]Arminius und Thußnelda.
ſten zuſchantzen kan; alſo hatten die Deutſchen
an ihrer guten Verſtaͤndnis einen anſehlichen
Vortheil/ an ihrer wohl geſchloſſenen Stellung
einen guten Vorſprung; und da dem Koͤnige
Bojorich weder an Vorſicht noch Tapfferkeit
was abgieng/ gewonnen Spiel. Sein von ihm
ſelbſt gefuͤhrter rechter Fluͤgel traff auff den Kir-
chen-Raͤuber Coͤpio; welchen ſein eigen Gewiſ-
ſen ſchon verklagt/ und die goͤttliche Rache zum
Unterga[n]ge verderbt hatte. Daher in einer
Stunde ſein lincker Fluͤgel zertrennt/ in die
Flucht bracht/ und uͤber Hals und Kopff an Rho-
dan gejagt ward; da ſie entweder von der Schaͤr-
fe der deutſchen Schwerdter/ oder von dem reiſ-
ſenden Strome auffgefreſſen wurden. Coͤpio
entkam ſelbſt dritte auf einem kleinen Nachen uͤ-
ber den Rhodan; der tapffere Qvintus Serto-
rius aber ſchwamm nach verlohrnem Pferde in
voller Ruͤſtung daruͤber/ und brachte alleine ſei-
nen Schild aus der Schlacht. Bojorich ſahe
ihm verwundernd nach; und verboth einige
Pfeile auff ihn abzuſchieſſen. Ein Theil die-
ſes Fluͤgels fluͤchtere ſich zwar in des Coͤpio Laͤ-
ger; aber ein ſie auff dem Fuſſe verfolgender und
vom Ritter Oſten maͤnnlich angefuͤhrter Cim-
briſcher Hauffen drang zum Thore mit hinnein;
welchem ihr Fuͤhrer immer zurieff: Eines hertz-
hafften Degen waͤre ein alle Schloͤſſer auffma-
chender Schluͤſſel. Daher ihn auch Koͤnig Bo-
jorich hernach mit einem guͤldenen Schilde be-
ſchenckte/ worauff ein Schluͤſſel geetzet war. Ein
anderer Hauffen der Cimbrer bemaͤchtigte ſich
des Walles/ ehe ſelbter noch recht beſetzt werden
konte/ und hieben das andere Thor auff; wor-
durch die deutſche Reuterey einbrach/ und alles/
was ſich noch entgegen zu ſtellen vermeinte/ uͤber
einen Hauffen rennte. Die erſten Eroberer
dieſes Walles waren Kwal und Brockdorff
zwey Cimbriſche Edelleute; und in der Schlacht
eroberte Alefeld das erſte/ Bockwald das andere/
und Powiſch das dritte Roͤmiſche Kriegs-Zei-
chen. Gegen den Buͤrgermeiſter Mallius traff
Brinno der Qvaden Hertzog mit dem lincken
Fluͤgel/ und einem erſchrecklichen Geſchrey.
Den erſten Angriff thaͤten fuͤnff hundert mit
kohlſchwartzen Ruͤſtungen verſehene Arier; wel-
che ſich fuͤr den Hertzog Brinno zum Tode ver-
lobet hatten. Dieſe drangen ſich zwiſchen beyde
Roͤmiſche Fluͤgel ein; und verhinderten: daß ei-
ner den andern nicht entſetzen konte; wiewol iedeꝛ
alsbald mit ſich ſelbſt genug zu ſchaffen kriegte.
Die Roͤmiſchen Reuter ſchienen gegen die dem
Winde gleichſam zuvorkommende Deutſchen
nur Fußknechte zu ſeyn; und alſo entbloͤſten ſie
bey zeite die Legionen. Mallius that zwar bey
dieſen das euſſerſte/ ſie im Stande zu erhalten;
und erſtach einen/ der ihm von der Flucht des
Coͤpio Poſt brachte/ wormit es nicht auch ſein
Kriegs-Volck von ihm vernehme und verzagt
wuͤrde; aber wie war es moͤglich den Deutſchen
in die laͤnge zu widerſtehen; welche unter einan-
der ein Geſetze gemacht hatten: daß wer einen
Fußbreit Erde aus Zagheit zuruͤck ſetzen wuͤrde/
ſeiner Ehre und Adels verluſtig ſeyn ſolte. Da-
her wurden durch der Cimbern nichts minder
kluge/ als hartnaͤckichten Angriffe die Roͤmiſchen
Glieder durchbrochen; und Mallius ſelbſt vom
Ritter Oldenburg durchrennet. Des Buͤrger-
meiſters Fall war das Loß einer allgemeinen
Flucht; welche ein Theil ebenfalls in die Wir-
bel des Rhodans/ das andere ins Laͤger trieb;
welches aber noch ſelbige Nacht geſtuͤrmet und
erobert ward. Ein Theil meinte ſich in die Ge-
buͤrge zu verkriechen; aber die Eingaͤnge waren
von den Tigurinern beſetzt; und alſo fielen die
Fluͤchtigen aus dem Regen in die Trauffe. Drey
Tage und Naͤchte waͤhrte das Wuͤrgen und
Schlachten; indem die Roͤmer aus allen Hoͤlen
und Puͤſchen auffs fleißigſte herfuͤr geſucht; und
zu Folge des gethanen Geluͤbdes alle Gefange-
nen mit Stricken an die Baͤume gehenckt; von
der unbeſchreiblichen groſſen Beute/ die koͤſtlich-
ſten Kleider zerſchnitten und in Koth getre-
ten/ alles Gold in Rhodan geworffen/ Harniſche
Y y y y yund
[906[908]]Sechſtes Buch
und Schilde zerbrochen/ die ſchoͤnſten Hiſpan-
und Mauritaniſchen Pferde in Suͤmpffen er-
ſteckt; ja zwey Gallier/ derer einer des Buͤrger-
meiſters Purpur-Mantel/ der andere einen
Kniſpel guͤldener Muͤntze zu verſtecken ver-
meinte/ mit auffgehenckt wurden. Von
beyden Roͤmiſchen Heeren entkamen nicht
mehr/ als zehn Menſchen; und wurden auf der
Deutſchen Seite dreyzehn hundert/ auff Roͤmi-
ſcher achzig tauſend Todte/ ohne den in vierzig
tauſend Menſchen beſtehenden und meiſt auff-
gehenckten Roͤmiſchen Troß gezehlet. Nachdem
alle Beute zernichtet/ die gebliebenen Deut-
ſchen herrlich begraben/ und von den Cimbern
ein groſſes Siegs-Feyer mit vielen Opffern ver-
richtet ward/ ließ Vojorich alle Leichen auff ei-
nen Hauffen uͤber einander ſchleppen/ und dieſen
Berg voll Menſchen mit Erde beſchuͤtten; dar-
auff aber in eine Marmelne Saͤule eingraben:
Hier iſt das Begraͤbnuͤs achzig tauſend
Roͤmer; von welchen Koͤnig Bojorich
ihrer zehn entkommen ließ/ umb nach
Rom die Zeitung zu bringen: daß ſie
nicht der Blitz/ ſondern die Cimbern
erſchlagen haͤtten.
Dieſer herrliche Sieg machte die Deutſchen
nicht ſchlaͤffrig/ ſondern vielmehr nach Roͤmi-
ſchem Blute und Ruhme durſtiger. Daher be-
ſchloß Koͤnig Bojorich im Kriegs-Rathe/ nun-
mehr geraden Weges uͤber die Alpen und nach
Rom zu ruͤcken. Befahl auch den gefangenen
Aurelius Scaurus zu hohlen; und ermahnte
ihn gegen dieſe Wohlthat des ihm gelaſſenen Le-
bens den leichteſten Weg in Jtalien zu entde-
cken. Scaurus antwortete hierauff: wenn er
nicht diß einzurathen gedaͤchte/ was ſo wohl ſei-
nem Vaterlande/ als den ſtreitbaren Cimbern
vortraͤglich waͤre; wolte er lieber die Warheit
verſchweigen/ wenn er ſchon wie Marcus Re-
gulus zu Carthago am Creutze ſtehen ſolte. Koͤ-
nig Bojorich haͤtte durch bißherige Siege ſo
viel Ruhm an den Roͤmern erjagt/ als kein
Menſch fuͤr ihm. Wenn er aber in Jtalien
einbraͤche/ wuͤrde die Nachwelt ſein Thun mehr
fuͤr keine Tugend ruͤhmen; ſondern als eine Ver-
wegenheit ſchelten. Denn ſeine Einbildung
waͤre ein betruͤglicher Jrrthum: daß der Kern
der Roͤmer umkommen waͤre. Jhr Thun
verriethe die Uberwundenen: daß ſie die gering-
ſte Spreu geweſt/ und kaum den Nahmen der
Roͤmer verdienet haͤtten. Die beſten Kraͤff-
ten ſtecken in Rom/ wie das Leben im Her-
tzen. Jnſonderheit haͤtten die Roͤmer dieſe
Eigenſchafft: daß bey wachſender Noth ihnen
der Muth/ und bey abnehmenden Kraͤfften
ihre Tapfferkeit wuͤchſe. Welches Pyrrhus
und Hannibal zwar ſo wenig/ als itzt Bojo-
rich geglaubt/ endlich aber mit Schaden erfah-
ren haͤtte. Daher thaͤten die Cimbern kluͤger
und ruͤhmlicher: wenn ſie diß/ was jene zu
langſam/ vorher ſaͤhen. Widrigen Falls
wuͤrde man ſie fuͤr uͤberſichtiger als jene hal-
ten/ weil Rom damahls nicht viel mehr/ als
eine Zwergin geweſt/ nunmehr aber durch
Eroberung ſo vieler Laͤnder zu einer unuͤber-
windlichen Rieſin ausgewachſen; ja vom Ver-
haͤngniſſe dieſe Stadt zum Haupte der Welt
erkieſet waͤre/ an der alle Feinde ihre Hoͤrner
und Koͤpffe zerſtoſſen muͤſten. Uber dieſem
fuͤr einen Gefangenen allzu hochmuͤthigen
Großſprechen uͤberlieff dem hertzhafften Bojo-
rich die Galle: daß er des Scaurus unzeitige
Wahrſagung mit einem toͤdtlichen Streiche
beſtraffte. Gleichwohl ſtarb Scaurus ruͤhm-
licher/ als es dem furchtſamen Coͤpio gieng;
welchem zu Rom ſeine Guͤter/ und ſein Amt
genommen wurden/ welches nach dem hoffaͤr-
tigen Tarqvinius niemanden noch begegnet
war. Den ſechſten Weinmonats-Tag/ an
welchem die Cimbern geſiegt/ ſchrieb man als
ungluͤckſelig mit ſchwartzer Farbe zum ewigen
Ge-
[907[909]]Arminius und Thußnelda.
Gedaͤchtniſſe ins Jahr-Buch/ und machte auſ-
ſer der Zeit den in Africa noch abweſenden
Marius zum Buͤrgermeiſter; welcher aber bald
hierauff nach Rom kam/ den Koͤnig Jugurtha
nebſt ſeinen zwey Soͤhnen im Siegs-Gepraͤn-
ge einfuͤhrte/ und in dem Tullianiſchen Ge-
faͤngniſſe unter der Erde/ und zwar mit einer
erbaͤrmlichen Begierde zu leben verſchmachten
ließ. Das Roͤmiſche Volck empfing ihn mit
unbeſchreiblichen Frolocken/ nennte ihn die
Zierde ſeiner Zeit/ und den Wiederbringer der
durch den Adel verfallener Tugend. Maſ-
ſen ſie ihm denn auch bald darnach die Both-
maͤßigkeit uͤber Gallien/ die Wahl der Kriegs-
Heere uͤbergaben/ ihn auff folgendes Jahr
ſchon wieder zum Buͤrgermeiſter erklaͤrten;
und zwar mit dieſem den Edlen verkleinerli-
chen Beyſatze: daß die Tugend die Art des ie
laͤnger ie ſchoͤner glaͤntzenden Marmels/ der
Adel aber des mit der Zeit veralternden Hel-
fenbein und Agſteins an ſich habe; alſo die fri-
ſche Tugend des unedelgebohrnen Marius an
die Luͤcke des verwegenen Sylanus/ des ver-
zagten Coͤpio/ der geilen Fabier/ der auffge-
blaſenen Appier/ und anderer durch Wolluͤſte
abſetzender Geſchlechte treten/ und man die-
fen das uͤbrige Reichthum/ als nur zu La-
ſtern dienende Schwung-Federn ausrauffen
muͤſte.
Bojorich ließ hierauff zwar auff der ſeini-
gen Gutachten an den Koͤnig Teutobach mu-
then: daß er uͤber den Rhodan/ und mit ihm
in Jtalien fortruͤcken moͤchte. Dieſer ver-
ſprach auch ſolches kam aber ſelbtem langſam
nach; weil er ſich ſeine unzeitige Empfindlig-
keit/ oder vielmehr die Begierde mit eigener
Hand etwas denckwuͤrdiges auszurichten uͤber
das Pyreneiſche Gebuͤrge zu ziehen verleiten
ließ. Die Urſache/ oder doch der Vorwand
war: daß die Celtiberier ihn geaͤffet haͤtten/ und
ihrem Verſprechen gegen die Roͤmer auffzu-
ſtehen nicht nachkommen waͤren. Er drang
auch zwar biß an den Fluß Jberus/ und erober-
ten viel Plaͤtze; aber die mit dem Roͤmiſchẽ Stadt-
Vogte Fulvius vereinbarten Celtiberier wieſen
ihnen; daß ſie nicht wie die weichen Gallier von
der ſtreitbaren Art ihrer Deutſchen Voreltern
gewiechen/ noch aus dem Geſchirre geſchlagen
waͤren. Daher muſte Ulfo nach etlichem Ver-
luſt wieder in Gallien weichen. Gleichwol
ließ erden Luſitaniern etliche Huͤlffs-Voͤlcker;
mit derer Beyſtand ſie den Roͤmern einen em-
pfindlichen Streich verſetzten. Koͤnig Teuto-
bach wendete ſich hierauff wohl von dem Pyre-
neiſchen Gebuͤrge gegen den Rhodan/ in wil-
lens mit ihm in Jtalien zu dringen; jagte faſt
alle Roͤmer aus dem Narboniſchen Gallien/
und ſetzte darinnen Kopiln zum Koͤnige ein.
Bojorich ſtand auch ſchon unter dem hoͤchſten
Berge der Penniniſchen Alpen/ die Sonnen-
Saͤule genant/ und Teutobach bey Secuſter
an dem Fluße Druentia; es lieff aber unver-
muthet die Zeitung ein: daß Lucius Sylla vom
Marius/ welcher inzwiſchen zum Kriege ſich
ciffrigſt ruͤſtete/ mit einem Heere voran nach
Narbo geſchickt; dieſer aber mit Huͤlf-
fe des Galliſchen Fuͤrſten Egritomar/ wel-
cher hernach den Junius Silanus als einen
Urheber alles von den Cimbern entſponnenen
Unheils angab/ der Tectoſagiſchen Gallier
Koͤnig Kopill geſchlagen und gefangen bekom-
men haͤtte. Daher Teutobach nicht fuͤr rath-
ſam hielt fort zu ruͤcken/ und einen ſolchen
Feind im Ruͤcken zu laſſen. Dem Koͤnige Bo-
jorich ward nichts minder von den Marſen ein
Stein in den Weg geworffen. Denn dieſes
zwiſchen dem Rheine und der Jſel wohnende
Volck ward auff einer Seite von den Sicam-
bern/ auff der andern von den Bructerern ſo
enge eingeſperret: daß ſie ihr Vaterland nicht
beherbergen konte. Daher ſetzte die Helffte ih-
ren Fuß in das fruchtbare Gallien fort/ zohe
an der Moſel hinauff/ an der Arar aber hin-
unter/ machte mit dem Koͤnige Bojorich ein
Y y y y y 2Buͤnd-
[908[910]]Sechſtes Buch
Buͤndniß/ und ſchlug ſich theils zu den Cim-
bern/ theils ließ es ſich zwiſchen der Arar und Li-
ger nieder. Nachdem aber der ſchlaue Sylla
den Kopill erlegt/ und im Narboniſchen Galli-
en eine halbe Wuͤſteney gemacht hatte/ trug er
denen von den Ambarren und Vadikoßiern be-
unruhigten Marſen durch die Heduer ein Stuͤ-
cke Landes an; da ſie mit den Roͤmern das von
den Heduern vorher beliebte Buͤndniß einge-
hen wolten. Die Marſen nahmen diß Aner-
bieten nicht nur mit beyden Haͤnden an; ſondern
rufften auch ihre zum Bojorich geſtoſſene/ von
den mehrern Cimbern aber geringſchaͤtzig gehal-
tene Landsleute zuruͤcke; welche mit den Roͤ-
mern freudig ihre Waffen vermengten; alſo:
daß Bojorich gleichſam zwiſchen Thuͤr und An-
gel/ wie nichts minder in Zweiffel gerieth: Ob
ſie in Jtalien fortruͤcken/ oder hinter ſich ihnen
vorher in Gallien dieſen gefaͤhrlichen Dorn aus
dem Fuße ziehen ſolten. Uber dieſen Verwi-
ckelungen verſpielten ſie zwey gantzer Jahre;
welche Marius ebenfals mit bloſſer Kriegs-
Ruͤſtung zubrachte; wiewohl dieſe einen neuen
Krieg in Sicilien anzuͤndete. Denn als der
Bithyniſche Koͤnig Nicomedes ſich von Zu-
ſchickung der verlangten Huͤlffs-Voͤlcker da-
mit entſchuldigte: daß die Roͤmiſchen Zoͤllner
gar zu viel Leute in Dienſtbarkeit verſchlept
haͤtten; befahl der Roͤmiſche Rath: daß im gan-
tzen Roͤmiſchen Gebiete alle frey gebohrne Leu-
te derer mit ihnen verbundener Voͤlcker loß-
gelaſſen werden ſolten. Als nun einige Knech-
te frey gegeben wurden/ empoͤrten ſich die an-
dern; wehlten den Salvius und Athenio zu
Koͤnigen/ bauten zu Triocola einen Koͤnigli-
chen Sitz; und machten ihrer mehr als dreiſ-
ſig oder vierzig tauſend den Roͤmern/ und de-
nen ihnen unter dem Fuͤrſten Gomon aus
Mauritanien zukommenden Huͤlffs-Voͤlckern
genug zu ſchaffen. Denn ob wohl Lucullus
ihrer zwantzig tauſend erſchlug; lieſſen ſie d[o]ch
weder Muth noch Waffen ſin[c]ken. Hiſpa-
nien muſten die Roͤmer faſt gar vergeſſen/ und
den Gehorſam gleichſam in die Willkuͤhr ſelbi-
ger Voͤlcker ſtellen. Wiewohl Piſo nun in
Macedonien gegen die Deutſchen und Thraci-
er gluͤcklich fochte; und ihnen biß uͤber Rhodo-
pe nachſetzte; Marius auch mit zweyen Hee-
ren unter den Alpen ſtand; ſo wagte er ſich doch
auch im dritten Jahre ſeines Buͤrgermeiſter-
Amtes nicht die Cimbern anzugreiffen; ſon-
dern vergnuͤgte ſich als mit einem auskomment-
lichen Gewinne: daß ſie ihn und Jtalien un-
angetaſtet lieſſen. Zu deſſen Merckmahle er
auch itzt allererſt ſeinen eiſernen Ring vom Fin-
ger nahm/ und einen guͤldenen anſteckte. Nach
dem Bojorich und Teutobach nun inzwiſchen
ein- und andere Hinderniſſe aus dem Wege
geraͤumt/ und etliche Paͤſſe wohl beſetzt hatten;
zohen ſie auffs neue den Alpen zu; Teutobach
zwar an dem Meere gegen Ligurien; Bojo-
rich aber mehr Nordwerts. Auff deſſen von
den Maßiliern ſchleunigſt gethane Nachricht
ward Marius zum vierdten mahl/ und neben
ihm Luctatius Catulus Buͤrgermeiſter. Bey-
de fuͤhrten zwey maͤchtige Heere und faſt aller
bekandten Voͤlcker Huͤlffen mit ſich; und war
die Abrede: daß Catulus die Alpen bewah-
ren/ Marius aber ſelbſt in Gallien die Deut-
ſchen angreiffen ſolte. Dieſer muſterte in
ſeinem Heere alle andere zu Kriegs-Zeichen
gebrauchte Thiere aus/ und behielt alleine
die Adler. Die Nacht fuͤr dem Abzuge
traͤumte dem Marius: wie ihm die Goͤt-
tin der Siege auff dem Berge Veſulus ei-
nen Lorber-Krantz reichte; iedoch haͤtte er
ihr vorher ſein Hertz auffopffern muͤſſen. Die-
ſen Traum eroͤffnete er alsbald einer Syri-
ſchen Wahrſagerin Martha; welche er auff ei-
ner koͤſtlichen Saͤnffte allenthalben hin mit ſich
fuͤhrte; und nach ihrem Rathe ſeinen Gottes-
dienſt und anderes Fuͤrnehmen einrichtete. Die-
ſe verſprach ihm den Sieg wider die Deut-
ſchen/ wenn er ſeine einige Tochter Calphur-
nia/
[909[911]]Arminius und Thußnelda.
nia/ welche ſein anderes Hertz waͤre/ aufopfer-
te. Marius entſchloß ſich alſofort ſein
Blut zum Loͤſegeld fuͤr ſein Vaterland hin-
zugeben; nahm alſo wider der Roͤmer Ge-
wohnheit zu aller Verwunderung Calphurni-
en mit ſich zu Felde. Wie er nun unter die
Meer-Alpen kam/ ließ er ſein Heer uͤbergehen/
er aber ſtieg nebſt Calphurnien/ der Martha/ ei-
nem Prieſter/ und wenigen edlen Roͤmern auf
die Spitze des Berges Veſulus; richtete daſelbſt
von zuſammen geleſenen Steinen einen Altar
auf/ ließ ſelbtes dem ſiegenden Jupiter weihen.
Hierauf deutete er ſeiner ſich ehe des Himmel-
falls verſehenden Tochter an: daß ſie das fuͤr
ihr Vaterland auf dieſes Altar beſtim̃te Opfer
waͤre; alſo ſolte ſie ſich nicht mit vergebenen
Thraͤnen bemuͤhen; ſeinen ſo wenig als des
Verhaͤngnuͤſſes unerbittlichen Schluß zu hin-
terziehen/ noch den Zorn der Goͤtter auf ſich zu
laden; ſondern vielmehr durch hertzhafte Gedult
ſich als eine nicht miß gerathene Tochteꝛ des Ma-
rius bezeugen. Calphurnia fiel dem Vater zu
Fuſſe/ umbarmte ſeine Knie/ kuͤßte ſeine Hand/
und erklaͤrte ſich den Streich des Prieſters mit
unverwendeten Augen/ und unverzagtem Her-
tzen zu erwarten; weil ihr kein groͤſſeres Gluͤck
begegnen koͤnte; als daß ſie ein den Goͤttern ge-
faͤlliges Opfer/ ein Loͤſegeld ihres Vaterlandes;
ihre Handvoll Blut aber ein Brunn ſeyn ſolte:
aus welchem ein gantzes rothes Meer/ welches
aus ſo viel rauer Voͤlcker Adern abſtroͤmẽ wuͤr-
de/ ſeyn ſolte. Marius kuͤßte ſie hier auf; und be-
fahl dem hieruͤber erſtaunenden Prieſter ſein
Ampt zu verrichten. Ob er nun zwar anfangs
bey ſich anſtand ein ſo grimmiges Menſchen-
Opfer zu vollziehen; ſagte doch Martha: Es
waͤre der Wille der Goͤtter; und Marius gab
ihm einen ſo nach druͤcklichen Blick: daß er mehꝛ
aus Furcht als Andacht das Schlacht-Meſſer
ergrieff/ und der auf das Altar gelegten Cal-
phurnia die Gurgel abſchnitt; hernach ihre
Bruſt eroͤffnete/ und die Ein geweide alle gut be-
fand; woraus Martha ihre vorige Wahꝛſagung
nochmals bekraͤfftigte. Der entſeelte Leib/
(deſſen ausgeſchnittenes und eingebalſamtes
Hertze der Prieſter nach Rom fuͤhrte/ und dem
Tarentiniſchen Sieges-Bilde in einer guͤldenen
Schachtel wiedmete/) ward aus dem Brunnen
des daſelbſt entſpringenden Po abgewaſchen/ auf
einen inzwiſchen aufgerichteten/ und mit aller-
hand Arabiſchem Rauchwercke angefuͤllten
Holtz-Stoß geleget und verbrennet. Der hier-
uͤber mehr als der eigene Vater beſtuͤrtzte Prie-
ſter meynte ſein grauſames Opfer durch ein Ge-
daͤchtnuͤß-Mal zu entſchuldigen; kratzte alſo in
dem an ſtatt eines Altars gebrauchten Stein-
Fels der die Jphigenia weit beſchaͤmenden Cal-
phurnia zu Ehren dieſe Grab-Schrifft ein:
Hier auf eilte Marius ſeinem theils auf der
See/ theils zu Lande voran gegangenem Heere
nach. Und weil die Deutſchen ins geſam̃t ſich
weit gegen Mitternacht gewendet hatten/ Teu-
tobach durch die Cottiſchen/ Bolus der Helvetieꝛ
Hertzog durch die Norichiſchen/ Bojorich durch
die Vindelicher Alpen einzubrechen/ und an dem
ihm ſchon bekandten Fluſſe Athefis herunter zu
gehen willens war/ kam Marius ohne alle Hin-
dernuͤß am Strande des Meeres an den Rho-
dan. Seine erſte Sorge war bey noch entfern-
tem Feinde die Krieges-Zucht wieder zu ergaͤn-
tzen/ das durch Muͤſſiggang und Wolluͤſte ver-
zaͤrtelte Volck durch taͤgliche Arbeit und Krieges-
Y y y y y 3Ubun-
[910[912]]Sechſtes Buch
Ubungen abzuhaͤrten: dem Feinde aber am
Ruͤcken die Lebens-Mittel abzuſchneiden; und
durch angenommene Langſamkeit entweder die
wachſamen Deutſchen einzuſchlaͤfen/ oder we-
nigſtens die hitzige Heftigkeit der feurigen Nord-
Voͤlcker abzukuͤhlen. Wormit aber ſeinem
H[eere] nichts gebraͤche; blieb er an dem Meere
ſtehen umb der Zufuhr zur See zu genuͤſſen;
ließ auch/ weil der Mund des Rhodans ſich
mercklich verſchlemmet hatte/ von dem Tempel
der Epheſiſchen Diana gegen dem Aſtromeli-
ſchen See einen zur Schiffart dienlichen Gra-
ben aus dem Rhodan in das Meer fuͤhren/ umb
dardurch nicht allein ſeine muͤhſame Kriegsleute
von den traͤgen zu unterſcheiden/ ſondern auch
ihnen ins gemein mehr Kraͤfften beyzuſetzen.
Weil die Deutſchen aber ſich in ihrem Zuge we-
nig irre machen lieſſen/ zohe Marius endlich an
dem Rhodan hinauf/ und veꝛſchantzte ſich daſelbſt/
wo die Jſer hinein faͤllt. Hierdurch machte er
den Koͤnig Teutobach ſtutzig; und verurſachte:
daß er an dem Fluſſe Varus umbkehrte/ in dem
Gebiete der Allobroger die Tuguriner und Am-
bronen mit ihrem Koͤnige Bolus an ſich zoh/ und
ſein Laͤger dem Marius gegen uͤber ſchlug. Wie
ſich Marius aber nicht ruͤckte/ ſtellte er etliche
mal unter dem Walle des Roͤmiſchen Laͤgers
ſein Heer in Schlacht-Ordnung; und ließ dem
Marius ſagen: Dafern die Roͤmer das Hertze
haͤtten/ den Deutſchen das blaue’ in Augen zu
ſehen; ſtuͤnde er dar fertig mit ihnen anzubinden.
Marius ließ ihm hingegen zur Antwort wiſſen:
Die Roͤmer lieferten Schlachten/ wenn es ih-
nen/ nicht aber dem Feinde anſtaͤndig waͤre.
Hierauf forderte Koͤnig Bolus den Marius zum
Zwey-Kampfe aus. Dieſer aber verſetzte:
Wenn er ſeinem Leben ſo gram waͤre/ und
es nicht beſſer anzuwehren wuͤſte/ koͤnte
er ſelbtem ohne wenigere Muͤh durch
einen Strick abhelffen. Er waͤre ein Feld-
herr/ kein Fechter; meynte nun Bolus mit ei-
nem dieſer Art ſich zu ſchlagen/ wolte er gegen
ihn einen ſchicken/ der ſchon zwantzig andere
Fechter erwuͤrgt haͤtte. Und da ihn Bolus be-
meiſterte/ ſo denn nachdencken: Ob fuͤr die Stadt
Rom rathſam waͤre/ daß ihr Buͤrgermeiſter mit
einem frechen Juͤnglinge anbinde. Wie nun
die Deutſchen hieruͤbeꝛ ſo veꝛwegen wurden: daß
ſie einzelich unter den Wall des Lagers renneten/
und mit ſpoͤttiſchẽ Wortẽ die Roͤmer zum Kampf
ausforderten; alſo murreten dieſe fuͤr Ungedult:
daß Marius zwaꝛ auf dem Walle ihnẽ die Deut-
ſchen und ihre Art zu ſtreiten zeigte/ keinen aber
aus dem Lager einen Fuß ſetzen ließ. Sie hiel-
ten ihm nicht ohne Vermeſſenheit ein: daß ein
Feldherr durch Verbittung des Angriffs ſein
Heer ſelbſt verzagt/ ſeinen furchtſamſten Feind
aber hertzhaft machte. Alleine Marius/ der
dieſe Begierde ihm wohlgefallen ließ/ ſchuͤtzte
fuͤr: Es waͤre vortheilhaftiger mit einem ver-
maͤſſenen als furchtſamen Feinde zu thun haben.
Eines Feldherren Ampt waͤre die Zeit zum
Streite erkieſen/ der Kriegsleute/ nichts minder
gehorſam als tapfer zu ſeyn. Die weiſe Mar-
tha riethe noch nicht zum ſchlagen; durch wel-
cher Mund die Goͤtter ſchon ſelbſt ihnen den
Weg und die Zeit ihren hochmuͤthigen Feind zu
daͤmpfen zeigen wuͤrden. Ja ungeachtet Ma-
rius von Rom Erinnerung zu ſchlagen kriegte;
weil man in Umbria in den Wolcken zwey feu-
rige Heere fechten/ und das fremde herab ſtuͤrtzen
geſehen; die Goͤttin Cybele auch ihrem Prieſter
Bathabates den unzweifelbaren Sieg angekuͤn-
digt haͤtte; ſo ließ er ſich doch nichts irren; ſon-
dern verleitete die Deutſchen durch angeſtellte
Zagheit: daß ſie das uͤberaus ſtarck befeſtigte
Laͤger mit Gewalt ſtuͤrmeten; aber durch den
Hagel der abgeſtoſſenen Roͤmiſchen Pfeile zu-
ruͤck getrieben wurden/ und etliche tauſend in den
Graben ihr Begraͤbnuͤß funden. Koͤnig Teu-
tobach entſchloß hier auf den Marius in ſeinem
Neſte zu laſſen; und in das Hertze Jtaliens zu
dringen; fuͤhrte alſo gantzer 6. Tage lang harte
unter dem Roͤmiſchen Lager ſein Heer gegen die
Alpen
[911[913]]Arminius und Thußnelda.
Alpen zu; welches fort fuͤr fort denen Roͤmern
zuruffte: Was ſie ihren Weibern und Kindern
zu Rom von ihnen fuͤꝛ Zeitung bringen ſolte?
Marius/ welcher keines weges mehr rathſam
befand dem Feinde zuzuſehen/ ließ/ als die Deut-
ſchen vorbey waren/ zwey von der Zauberin
Martha abgerichtete Geyer mit meſſenen Hals-
baͤndern des Nachts aus ihrer Verwahrung/
welche mit dem Aufgange der Sonnen zu groſ-
ſem Frolocken des Heeres ſich uͤber dem Laͤger
herumb ſchwungen/ hernach dem deutſchen Hee-
re nachzohen. Marius ließ alſofort die Thore
des Laͤgers oͤffnen/ und friſchte ſein ausziehendes
Heer zur Tapferkeit an; meldende: Sie ſolten
nun ihr beſtes thun; nach dem ihnen die Goͤtter
duꝛch dieſe zwey Gluͤcks-Voͤgel/ welche ihm auch
ſchon in Africa etliche Siege angezeigt haͤtten/
den Weg wieſen. Er erreichte noch ſelbigen
Tag den aus eitel Ambronen beſtehenden Nach-
trab der Deutſchen; und erlegte derſelben an ei-
nem Furthe uͤber tauſend. Weil nun der erſte
Ausſchlag entweder Zuverſicht oder Furcht ge-
bieret/ diente dieſer Vortheil den Roͤmern zu ei-
ner mercklichen Huͤlffe kuͤnftigen Sieges. Wie
das deutſche Heer nun an die Sextiſchen Waſſeꝛ
und alſo nahe unter die Alpen kam; uͤber welche
Koͤnig Teutobach ſich durchzuarbeiten nicht fuͤr
rathſam hielt/ da das Roͤmiſche Heer ihm in den
Eiſen/ der Buͤrgermeiſter Catulus abeꝛ im We-
ge lag; alſo muſte er daſelbſt ſtand halten; und
an dieſem luſtigen Orte ſein Laͤger ſchlagen.
Marius hingegen lagerte ſich ein gutes Stuͤcke
von dem Fluſſe Canus weg auf ein duͤrres Feld.
Wie nun ſein Kriegsvolck uͤber Waſſer klagte/
wieß er ihnen den von den Deutſchen beſetzten
Strom; meldende: Seyd ihr nicht Maͤnner;
dort holet euch Waſſer. Wordurch er nicht nur
die Krieges-Knechte/ ſondern ſo gar den Troß
zum Gefechte angewehnete. Hierauf wolten
die auf der Roͤmer Seite ſtehenden Ligurier/ de-
nen Marius einhielt: daß der Deutſchen Ein-
fall ihr Land am erſten treffen wuͤrde/ ſich fuͤr
andern ſehen laſſen; ſetzten daher mit acht tau-
ſend Mann auf zehn tauſend Ambronen an;
welche auſſerhalb des deutſchen Laͤgers an dem
Fluſſe Canus ſtanden/ und den Roͤmern das
Waſſer abſchnitten. Aber Hertzog Harald be-
gegnete ihnen mit ſo tapferer Gegenwehr: daß
etliche tauſend Ligurier das Waſſer-Trincken
vergaſſen/ und Blut laſſen muſten; alſo/ daß
Marius ſeinen Sohn mit einer gantzen Legion
denen nothleidenden Liguriern zu Huͤlffe ſchicken
muſte. Da denn endlich nach einem blutigen
Treffen/ wordurch nicht allein der Fluß angeroͤ-
thet/ ſondern auch eine breite Bruͤcke von todten
Leichen daruͤber gemacht ward/ ſich gegen das
deutſche Laͤger zuruͤck ziehen muſten. Wie die
Roͤmer ſie aber verfolgten/ fielen der weichenden
Deutſchen mit Aexten und Schwerdtern ge-
waffnete Weiber aus einer Wagenburg mit un-
glaublichem Geſchrey den Roͤmern in Ruͤcken/
und taſteten ſelbte wie raſende Unholdinnen ſo
verzweifelt an: daß nach dem die Deutſchen ſich
aufs neue gegen ſie ſetzten/ und ein neues Heer
ſich aus dem deutſchen Lager hervor thaͤt/ die Roͤ-
mer wieder uͤber den Strom weichen/ und dieſen
ſtreitbaren Weibern/ welche gleichſam ohne
Empfindligkeit den Roͤmern in ihre Schwerdter
grieffen/ und mit blutendẽ Faͤuſtẽ ihnen die Waf-
fen auswunden/ viel Krieges-Zeug und Todte
hinterlaſſen muſten. Folgende Nacht hielten die
Weiber/ derer Maͤnner den Tag vorher geblie-
ben waren/ rings umb das noch nicht gar ver-
ſchantzte Roͤmiſche Laͤger ein ſo jaͤmmerliches
Mord-Geſchrey: daß nicht nur dem Roͤmiſchen
Kriegsvolck die Haare zu Berge ſtunden/ und
ſie fuͤr Schrecken die gantze Nacht nicht ruhen
konten/ ſondern auch Marius/ als er fort fuͤr
fort ein groſſes Geraͤuſche der Waffen/ und die
Baꝛden darzu ihre Heldenliedeꝛ/ (welche ſie ſonſt
fuͤr den Schlachten zu ſingen pflegen) mit un-
termiſchen hoͤrte/ ſelbſt in Sorge ſtand: es wuͤrde
ſein noch ſchlecht verwahrtes Laͤger geſtuͤrmt
werden. Zu ſeinem Gluͤck aber fiel bey den
Deut-
[912[914]]Sechſtes Buch
Deutſchen ein Feyertag der Goͤttin Hertha ein;
den ſie in ihrem Laͤger ruhig auſſer mit dem er-
zehlten Gethoͤne begingen. Bey dieſer Gele-
genheit; und weil dem Marius aus dem Nar-
boniſchen Gallien ſechs tauſend Marſen zu
Huͤlffe kamen/ ließ er den Marcus Claudius
Marcellus mit der Helffte der Marſen/ drey
tauſend auserleſenen auf deutſche Art gekleide-
ten Roͤmern/ nebſt einer groſſen Menge gewaff-
neten Troſſes eine puͤſchichte Hoͤhe Seitenwerts
gegen das deutſche Laͤger einnehmen; mit Be-
fehl: daß er bey der nunmehr entſchloſſenen
Schlacht trachten ſolte dem Feinde in Ruͤcken zu
kommen. Auf den Morgen fuͤhrten beyde
Theile ihre Kriegsheere aus dem Laͤger. Die
Deutſchen aber waren ſo hitzig: daß ſie die Roͤ-
mer in der zur Schlacht bequemen Flaͤche nicht
erwarten wolten; ſondern den von einem Ber-
ge abkommenden Feind bergaufwerts fechtende
angrieffen. Wiewohl nun die Beſchaffenheit
des Ortes den Roͤmern ſehr vortheilhaftig/ den
Deutſchen nachtheilig war; ſo ſtanden ſie doch
wie Felſen; und fochten drey Stunden lang/ ehe
fie die Roͤmer auf die Flaͤche kommen lieſſen.
Beyderſeits Kriegs-Haͤupter thaͤten nicht allein
das aͤuſerſte/ und ergaͤntzten mit ihrer klugen
Anſtalt alle Luͤcken; ja auch die im Hinterhalt ſte-
henden Weiber kamen ihren Maͤnnern mit
Zuruff und eigner Tapferkeit zu Huͤlffe/ wo ſie
irgends Noth leiden wolten. Als aber Mar-
cellus den Deutſchen mit ſeinen verkleideten
Roͤmern und Marſen in Ruͤcken fiel; wurden
ſie uͤberaus verwirret; in dem ſie nicht wuſten:
durch was fuͤr Verraͤtherey ihnen ihre Lands-
leute zu Feinden worden/ oder/ ob ſie ihnen vom
Himmel auf den Hals gefallen waͤren. Die
Tugenen lidten hierbey unter dem Koͤnige Bo-
lus die groͤſte Noth; und begonte der lincke Fluͤ-
gel in nicht geringe Unordnung zu kommen.
Aber Koͤnig Teutobach/ welcher nebſt ſeinen
drey hundert zur Leibwache habenden Rieſen
uͤber alle andere Streitenden mit dem Kopfe
fuͤrragte/ drang dahin/ rennte den Marcellus
ſelbſt zu Bodem/ und brachte die Seinigen/ wel-
che endlich die Roͤmiſche Verkleidung wahrnah-
men/ wieder zu Stande. J[n]zwiſchen aber
hatte Marius im rechten Fluͤgel wider den Her-
tzog Harald einen maͤchtigen Einbruch gethan;
alſo: daß Teutobach dort abermals fuͤrbeugen
muſte. Wiewohl nun die Deutſchen/ inſon-
derheit welche fingernackt fochten/ die unge-
wohnte Hitze ſelbigen Tages mehr als die Waf-
fen der Feinde abmattete/ zum Theil kaum mehꝛ
lechſen konten/ ja fuͤr Schweiß und Staube
kaum mehr Menſchen aͤhnlich waren; hielten
ſie doch biß zur Sonnen Untergange aus.
Da denn Teutobach/ ſonderlich als Koͤnig Bo-
lus heftig verwundet/ Fuͤrſt Harald aber getoͤd-
tet ward/ den Seinigen ins Laͤger zu weichen
ein Zeichen gab. Marius blieb zwar zum Zei-
chen des Sieges etliche Stunden auf der Wall-
ſtatt ſtehen; hernach aber fuͤhrte er das groͤſte
Theil ſeines Volckes ins Laͤger/ und ließ alle
aufs beſte ſich erfriſchen. Mit etlichen einan-
der abloͤſenden Hauffen aber machte er durch vie-
les Geraͤuſche und Geſchrey die gantze Nacht
Lermen; alſo: daß die im Laͤger ſtehenden und
einen Sturm beſorgenden Deutſchen durch ſte-
tes Wachen vellends abgemattet wurden. Deſ-
ſen ungeachtet fuͤhrte Koͤnig Teutobach/ als er
bey angehendem Tage die Roͤmer ſich wieder zu
einer neuen Schlacht ſtellen ſahe/ und uͤber diß
die Lebens-Mittel gebrechen wolten/ ſein Heer
aus dem Lager. Es iſt uͤber menſchlichen Glau-
ben: mit was fuͤr Heftigkeit die Deutſchen all-
hier fuͤr ihr Leben und Freyheit/ die Roͤmer fuͤr
den ihnen eingebildeten Sieg gefochten. Die
Krieggs-Schaaren ſtieſſen an einander wie Fel-
ſen; und gleichwohl hatte biß an den hohen
Mittag kein Theil dem andern einigen Vor-
theil/ oder nur einen Fuß breit Erde abgewon-
nen. Jnſonderheit aber trat und ſchlug Koͤnig
Teutobach mit ſeiner Rieſen-Wache alles was
ihm begegnete/ zu Bodem; und es blieben dieſen
halben
[913[915]]Arminius und Thußnelda.
halben Tag etliche dreiſſig Roͤmer von des Teu-
tobachs eigener Fauſt. Am Mittage aber kam
die Sonne den Roͤmern abermals zu Huͤlffe;
und die groſſe Hitze/ derer die Nord-Voͤlcker
nicht gewoh net/ ſtritt mit groſſem Vortheil wideꝛ
die Deutſchen; derer Leiber im Schweiß gleich-
ſam wie der Schnee zerſchmoltzẽ. Daher fing ihr
lincker Fluͤgel/ gegen welchen Marius die Sei-
nigen mit bloſſem Degen antrieb/ zu wancken.
Alleine die ihm zu Huͤlffe kommenden deutſchen
Weiber brachten ihn wieder zu Stande; wel-
che die Fuͤrſtin Landgertha als eine ergrim̃te
Loͤwin anfuͤhrte/ einem Roͤmiſchen Hauptman-
ne zu erſt die Hand mit ſam̃t dem Degen abhieb/
und die Kraͤffte ihres Geſchlechtes uͤberſteigende
Helden-Thaten ausuͤbte; alſo: daß die Schlacht
noch wohl eine gute Stunde auf gleicher Wage
lag; biß der junge Marius/ den hernach der
Koͤnig in Numidien Hiempſal bey ſich in ſo groſ-
ſem Werth hielt/ Landgerthen einen verwegenen
Stoß beybrachte; worvon ſie ihre edle Seele mit
dem Blute ausſtroͤmete; aber mit dieſer Helden-
Dinte auch in den verweßlichen Staub ihren
unſterblichen Nahmen aufzeichnete. Der Deut-
ſchen Hertzeleid uͤber dieſer Fuͤrſtin Tode war ſo
heftig: daß ſie an ſtatt der Rache in Kleinmuth
verfielen. Denn gemeiner Schmertz iſt ein
Wetz-Stein/ uͤbermaͤſſiger aber ein Feind der
Tugend. Alſo begonte der lincke Fluͤgel aufs
neue zu weichen. Und weil Koͤnig Teutobach/
der bereit aufs ſechſte Pferd kommen war/ bey
dem rechten mehr als zu viel gegen den eingebro-
chenen Marcellus zu thun hatte/ war ihm un-
moͤglich dem lincken zu Huͤlffe zu kommen.
Wie aber auch in der Mitten die Schlacht-
Ordnung brechen wolte/ entſchloß er ſich durch
eine verzweifelte Erkuͤhnung der Gefahr zu ra-
then; ermahnte alſo ſeine Rieſen/ und zwey hun-
dert umb ihn ſtreitende Edelleute: ſie ſolten ihm
behertzt folgen; und hiermit drang er wie ein
Blitz der Roͤmiſchen Haupt-Fahne zu. Alles
was ſich widerſetzte/ ward zu Bodem getreten/
oder erlegt; und brachte es der nunmehr gleich-
ſam wuͤtende Teutobach ſo weit: daß ein Ale-
manniſcher Ritter Fuͤrſtenberg den Roͤmiſchen
Haupt-Adler dem Faͤhnriche aus den Haͤnden
rieß/ ihn zerbrach und zu Bodem warff. Wie
groſſe Verbitterung dieſer Schimpf bey den
Roͤmern erweckte; alſo ließ Marius nur ein
Theil gegen den ſchon gantz zertrenneten lincken
Fluͤgel der Deutſchen fechten; er aber kam mit
dem noch friſcheſten Volcke auf einer/ und Cne-
us Domitius auf der andern Seite mit einer
ausgeruheten und zum Hinterhalte gelaſſenen
Legion gegen den Teutobach an; welcher gleich-
wohl mit ſeinem Adel und Rieſen wie ein Fels
gegen die heftigſten Wellen aushielt. Endlich
aber/ nach dem auch der haͤrteſte Marmel-Stein
durch weiche Regen-Tropfen abgenuͤtzet wird;
muſte er einen neuen Schluß faſſen/ ſich gegen
ſein Heer durch zuſchlagen; welches beyderſeits
viel Blut/ und den Koͤnig Teutobach abermals
drey Pferde und wohl die Helfte ſeiner Leibwa-
che koſtete. Gleichwohl erreichte er ſein nun-
mehr aller Orten weichendes Heer; welchem er
ſo viel moͤglich Anleitung gab: gegen Mitter-
nacht in das Gebuͤrge ſich zu ziehen/ umb von
dar uͤber den Strom Druentia in das Vulgen-
tiſche Gebiete zu entkommen. Wormit er auch
den Seinen ſo viel mehr Lufft machte; both er
in dem nechſten Forſte den Roͤmern bey ſchon
ſpaͤtem Abende noch einmal die Spitze; und die
Liebe ſeines Volckes war bey ihm ſo groß: daß
er ſich als ihre Schutz-Saͤule hier lieber wolte
zermalmen/ als ihre Beſchirmung fahren laſ-
ſen. Daher er biß umb Mitternacht an einem
Furthe Stand hielt; endlich aber umbringet/
uͤbermannet/ und alle bey ihm ſtehende erſchla-
gen wurden. Er ſelbſt ward ſo verwundet: daß
er biß auf den Morgen unter den Todten lag;
welchen aber Marius ſo denn aufheben/ bey
verſpuͤrtem Athemholen erfriſchen/ und die
Wunden zu groſſem Veꝛgnuͤgen dieſes großmuͤ-
thigen Koͤniges heilen ließ; dem ſein Leben ein
Erſter Theil. Z z z z ztaͤgli-
[914[916]]Sechſtes Buch
taͤglicher Tod war; weil ſelbtes nicht mehr zum
Theil ſeines Volckes/ ſondern zum Schauſpiele
ſeiner Feinde dienen ſolte. Gleichwohl halff
ſeine Tapferkeit ſo viel: daß uͤber zwantzig tau-
ſend Teutoner und Ambroner uͤber den Fluß
Druentia entkamen/ und ſich mit denen zu Be-
ſetzung des Allobrogiſchen Gebuͤrges gelaſſenen
Tugurinern ſtieſſen; alſo: daß ungeachtet der
Deutſchen beyde Tage ſechzig tauſend blieben/
auch zwantzig tauſend gefangen wuꝛden/ (welche
wahrhafte Zahl aber die Roͤmer etliche mal ver-
groͤſſern) Marius ſie zu verfolgen Bedencken
trug; vorwendende: Es waͤre Ehre genung:
daß der Kern der Deutſchen erlegt waͤre; die
uͤbrigen die Flucht im Hertzen und die Wunden
auf dem Ruͤcken mit ſich fuͤhrten. Sintemal
jene ihr Leben nicht umbſonſt verkaufft/ und die
Roͤmer gleichfalls uͤber viertzig tauſend verloh-
ren/ Marius/ und alle Kriegs-Obeꝛſten genung-
ſame Wunden an ſich zu verbinden hatten; der
Roͤmiſche Rath auch auf des Quintus Metellus
Einrathen den Verluſt ſo vieler Buͤrger durch
ein den Ehſtand aufnoͤthigendes Geſetze zu erſe-
tzen ſchluͤſſen muſte. Marius ließ von den feind-
lichen Leichen und Waffen zwey groſſe Berge
zuſa mmen tragen/ auf einen Holtz-Stoß zwoͤlff
der ſchoͤnſten deutſchen Jungfrauen ſetzen/ und
im Angeſichte des gantzen mit Lorbern bekraͤntz-
ten Heeres von dem Prieſter zum Gedaͤchtnuͤſſe
ſeiner geopferten Calphurnia lebendig verbren-
nen. Jn welche Flamme ſich noch viel andere
deutſche Frauen freywillig ſtuͤrtzten; die in der
Schlacht gefangen worden waren; umb mit
der Keuſchheit auch ihre Freyheit durch den Tod
zu erkauffen. Den Bergvoll Leichen aber ver-
ſchleppten die Maſſilier; brauchten der Deut-
ſchen Fleiſch und Vlut zu Tingung der Aecker/
ihre Gebeine aber zu Umbzaͤunung der Wein-
Berge. Marius ward dieſes Sieges halber/
wordurch gleichſam ſchon auch die Cimbern und
Helvetier uͤberwunden zu ſeyn ſchienen/ mit un-
zehlbaren Gluͤckwuͤntſchen uͤberſchuͤttet; zu Rom
abweſende das fuͤnfte mal zum Buͤrgermeiſter
erwehlet/ und zu ſeinem Siegs-Gepraͤnge un-
gemeine Anſtalt gemacht.
Alleine dieſe Freude und Siegs-Gepraͤnge
verſtoͤrte bald dar auf der Ruff von Koͤnig Bojo-
richs Anzuge. Quintus Catulus hatte zwar
alle Paͤſſe des Tridentiniſchen Gebuͤrges beſetzt
und verſchantzt. Bojorich aber/ nach dem er
ſich mit dem Hertzoge der Angeln Ceſorich/ dem
Longobardiſchen Hertzoge Claudicus/ und der
Variner Fuͤrſten Lucius verſtaͤrckt/ arbeitete
ſich mitten im Winteꝛ durch Schnee und Eiß
uͤber den hoͤchſten Gipfel der Tridentiniſchen
Alpen zu aller Menſchen Verwunderung
durch; ob wohl die Cimbern wegen der abſchuͤſſi-
gen und von dem Eiſe Spiegel-glatten Berge
mehrmals ſich herunter kugeln/ oder auf ihren
groſſen Schilden wie auf Schlitten herunter
rennen muſten. Quintus Lutatius Catulus ent-
ſetzte ſich uͤber dieſem Einbruche eines gleichſam
uͤber die Berge geflogenen Feindes derogeſtalt:
daß er uͤber Hals und Kopf biß nach Verruca zu-
ruͤcke wiech/ und ſich auf einem Berge verſchantz-
te. Aber die Furcht trieb ihn/ ehe er einen Deut-
ſchen zu Geſichte bekam/ bey nur verlautendem
Anzuge biß uͤber den Fluß Atheſis nach Vero-
na/ allwo ſie das Ufer dieſes Fluſſes als eine rech-
te Feſtung mit einem Walle belegten. Deſſen
ungeachtet hielt Koͤnig Bojorich zu groſſem
Schrecken des Feindes/ ihn/ wo er am ſicherſten
zu ſeyn meynte/ anzugreiffen. Daher laß er die
groͤſten Kriegs-Knechte aus ſeinem Laͤger zuſam-
men/ ließ ſelbte in den Fluß waten/ mit Befehl
die Gewalt des Stromes denen unterhalb fech-
tenden Deutſchen aufzuhalten. Welch Begin-
nen zu Rom ein Geſchrey machte: Die Cimbern
waͤren ſo thum̃kuͤhn; daß die Fluͤſſe mit ihren
Schwerdtern wie Xerxes das Meeꝛ mit Ruthen
ſchluͤgen; und gleich als wenn auch das Waſſer
eine Fuͤhle haͤtte/ ſolchen zu verwunden meynten.
Da doch nach ihrer Erfindung Pompejus her-
nach ſein Heer durch den Fluß Cyrus/ Kaͤyſer
Julius ſein Volck durch den Rubico fuͤhrte.
Als diß aber wegen Heftigkeit des von dem zer-
gange-
[915[917]]Arminius und Thußnelda.
gangenen Schnee angelauffenen Fluſſes nicht
anging; ließ er eine Menge Baͤume abhauen/
oder mit ſam̃t den Wurtzeln ausreiſſen/ und un-
geachtet der feindlichen Pfeile quer uͤber den
Strom einwerffẽ; oder ſie von oberhalb herunteꝛ
ſchwemmen; die ſich hernach an den unterſten
Quer-Baͤumen hemmeten; und alſo ſonder fer-
nere Muͤh den Deutſchen eine feſte Sturmbruͤ-
cke baute. Als nun die Roͤmer ſich die
Deutſchen zum Sturm fertig machen ſahen/
geriethẽ ſie in ein ſolches Schrecken: daß Catulus
weder mit Worten noch mit bloſſem Degen ſie
von der Flucht zuruͤcke halten konte; gleich als
ob ihnen aus dem Siege kein Ruhm/ aus der
Flucht kein Laſter zuwuͤchſe. Wie nun bey dẽ Roͤ-
mern kein haltẽ mehr war; ließ Catulus ſelbſt den
Adler aushebẽ; rennten daꝛmit ſpornſtreichs voꝛ-
an; umb die Schmach lieber auf ſich/ als auf
das Roͤmiſche Heer zu ziehen; wormit d ß mehr
ihrem Feldherrn zu folgen/ als fuͤr dem Feinde
zu fliehen ſcheinen ſolte. Wie denn auch die
Zagheit der Fluͤchtigen eine gantze ihnen zu
Huͤlffe eilende Legion eilends mit zuruͤck uͤber
den Fluß Mincius und Cluſius biß nach Ba-
driacum rieß. Ja ein Theil ſetzte bey Hoſtilia
gaꝛ uͤbeꝛ den Po/ und kam biß an Rom an; alſo:
daß Marcus Scaurus ſeinem auch entflohenen
Sohne ſein Antlitz verbieten; und daß er ſeinen
Gebeinen mit Freuden entkommẽ wolte/ ankuͤn-
digen ließ; hierdurch auch denſelben dahin
brachte: daß er ſein Schwerdt hertzhafter wider
ſich ſelbſt als den Feind gebrauchte. Nichts
deſto weniger blieb die fuͤnfte Legion mit zwey
tauſend Baleariſchen Schuͤtzen unter dem Di-
dius zu Beſchirmung des Ufers unverruͤckt ſte-
hen; aber die Menge und Tapferkeit der Deut-
ſchẽ uͤbermañeten ſie in weniger Zeit; und wurdẽ
8000. Roͤmer und Huͤlffs-Voͤlcker gefangẽ. Die
andere abſonderlich verſchantzte Legion aber
brachte Cneus Petrejus ein Hauptmann/ wie-
wohl nicht ohne groſſe Verwegenheit und Ver-
luſt davon; indem er den ſich durch einen Aus-
fall zu retten weigernden Oberſten eigenhaͤndig
erſtach/ ſich durchs Cimbriſche Laͤger des Nachts
durchſchlug/ und deshalben von dem Kriegs-
Volcke mit einem Belaͤgerungs-Krantze be-
ſchenckt ward. Koͤnig Bojorich aber hatte an
ihrer hertzhaften Gegenwehr ein ſolches Gefal-
len: daß ob wohl bey den Roͤmern und den mei-
ſten Voͤlckern kein Geſetze der Gefangenen ſcho-
nen/ noch ihre Straffen auf gewiſſe Art ein-
ſchraͤncken beiſt/ er alle ohne Entgeld frey ließ/
nach dem ſie vorher nach der Cimbrer Ge-
wohnheit uͤber einen ertztenen Ochſen ge-
ſchworen hatten: daß ſie ihre Lebetage wider
die Deutſchen keinen Degen zuͤcken wolten. Bo-
jorich verfolgte hierauf den Catulus/ welcher in-
zwiſchen uͤber den Fluß Mela/ Humantia und
Addua gediegen war/ mit einer ſo unglaublichen
Geſchwindigkeit: daß die Deutſchen in einem
Tage mit dem Catulus uͤbeꝛ dieſen letzten Strom
kamen. Dieſer ſahe hierdurch nicht ohne Be-
kuͤmmernuͤß ihm den fuͤrgenommenen Weg zu
den Jnſubriern abgeſchnitten; uͤber den Po abeꝛ
zu ſetzen und den Feind ihm in das Hertz Jtaliens
nachzuziehen hielt er nicht fuͤr rathſam. Sinte-
mal Rom ſicherlich dißmal nicht in viel geringere
Gefahr/ als zur Zeit des Brennus verfallen ſeyn
wuͤrde: wenn Koͤnig Bojorich nicht des Deut-
ſchen Nachzugs ohne Noth erwartet/ ſein vorhin
unter freyem Himmel zu ſchlafen/ rohes Fleiſch
zu eſſen/ in Fluͤſſe Schweiß und Staub abzuwa-
ſchen gewohntes Kriegsvolck nicht in dem fꝛucht-
baren Gebiete der Veneter durch die weichen La-
ger-Staͤdte/ wohlruͤchende Zimmer/ niedliche
Speiſen/ warmen Baͤder die vorhin unverſehr-
lichen Kraͤffte eingebuͤſſet; ſondeꝛn den fluͤchtigen
Catulus haͤtte ſeyn laſſen/ und geraden Weges
auf Rom zugeruͤckt waͤre. Wie aber Bojorich
dem Catulus allzu geſchwind uͤber den Hals kam/
zwang ihn die Noth mit dem gantzen Heere wie-
der uͤber den Strom Addua zuruͤcken; allwo
Hertzog Lucius nur noch mit 10000. Mann
ſtand. Beyde ſtellten ſich auch wohl/ als wenn
ſie daſelbſt auf einem Berge ihr Lager befeſtigen
wolten; lieſſen aber weder abſatteln/ noch das
Z z z z z 2Kriegs-
[916[918]]Sechſtes Buch
Kriegs-Geraͤthe abſacken. Wie nun Bojo-
rich hierdurch verfuͤhret ward/ und folgenden
Tages ſein Heer gleichfalls zuruͤcke gehen ließ/
ging Catulus des Nachts in aller Stille uͤber
des Aureolus Bruͤcke/ und kam nach Mogrun-
tiacum an den Fluß Lamber; ehe die muͤden
Deutſchen des Aufbruchs inne wurden. Bojo-
rich ward hieruͤber unwillig: daß der Feind nir-
gends ſtand halten wolte; ließ alſo den Hertzog
Ceſorich und Claudicus ſelbten verfolgen; er
aber ſchlug oberhalb Placentz eine Bruͤcke uͤber
den Po/ und ſtreiffte biß an das Apenniniſche
Gebuͤrge gegen Hetrurien; ja der Sicambri-
ſche Fuͤrſt Merodach kam biß unter die Stadt-
Mauer zu Ravenna. Alſo verfiel dieſer ſonſt
kluge Fuͤrſt durch einen geheimen Trieb des Ver-
haͤngnuͤſſes in die Fehler des Annibals; welcher
hernach zu langſam beklagt: daß er nach der Can-
niſchen Schlacht nicht Rom geſtuͤrmt hatte.
Allein es uͤberfaͤllt zuweilen auch die wach-
ſamſten Kriegs-Helden nach einem groſſen
Wercke eine Schlafſucht/ wie das Meer nach
heftigem Sturme eine Windſtille. Entwe-
der/ weil ſie die Geſchwindigkeit fuͤr eine Uber-
eilung der Unvorſichtigen; die Langſamkeit abeꝛ
fuͤr eine Schweſter der Klugheit/ und eine Gefer-
tin der Gluͤckſeligkeit haltẽ; oder: weil ſie die uͤber-
ſtandene Gefahr und die noch uͤbrigẽ Schwerig-
keiten durchs Vergroͤſſerungs-ihr Vermoͤgen
durchs Verkleinerungs-Glaß anſehen; und den
Sieg mehr fuͤr einen Zuwurff des Gluͤckes; als
deſſelbtẽ Ausmachung fuͤr ein moͤgliches Werck
ihrer Tugend haltẽ; und am fuͤglichſtẽ denen Voͤ-
geln zu vergleichẽ ſind: welche wol Eyer legẽ/ aber
ſie nicht ausbruͤtten. Nach welcher Art auch der
Athenienſiſche Feldherr Nicias in Sicilien/ und
der Spartaner Braſidas durch ſeine Langſam-
keit den Sieg aus den Haͤnden verſpielte/ und
ſein Thun eine unzeitige Frucht bleiben; hinge-
gen aber Kaͤyſer Julius nichts unausgemacht
ließ. Gleich als wenn nichts gethan waͤre/ wenn
noch was zu thun uͤbrig bliebe. Alſo war auch
Hermocrates mit ſeinem Vaterlande nicht ver-
gnuͤgt: daß die von Athen die Belaͤgerung der
Stadt Syracuſa aufheben muſten; ſondern er
ließ nicht nach/ biß er ſie aus gantz Sicilien ver-
jagt/ und dem gantzen Kriege ein Loch gemacht
hatte. Wie nun der einmal ins ſtecken kom-
mende Fortgang der Waffen den Siegenden
ſelbſt den Glauben ihrer Oberhand zweifelhaft;
den Feinden aber Lufft/ und den Furchtſamſten
ein Hertze macht; alſo kam auch das uͤber Bojo-
richs Einbruche bebende Rom/ als die Cimbern
nicht gleich den Apennin uͤberſtiegen/ wieder zu
ſich; und zu dieſer heilſamen Entſchluͤſſung: daß
ſie den Marius ſein Sieges-Gepraͤnge verſchie-
ben/ und mit einem maͤchtigen Heere ſich gegen
den Bojorich aufmachen lieſſen; von dem ihm
im Mogelliſchen Thale eine Geſandſchafft be-
gegnete/ welche den Roͤmern gegen Einraͤu-
mung eines auskommentlichen Erdreichs fuͤr
ſein und Koͤnig Teutobachs Volck Frieden an-
trug. Marius laͤchelte uͤber dem Vortrage der
Deutſchen; und antwortete ihnen: Die Roͤmer
haͤttẽ fuͤr ſie nichts uͤbrig; fuͤr den Teutobach und
ihre Bruͤder aber moͤchten ſie auſſer Sorgen ſte-
hen. Denn dieſe haͤtten ſchon Erde genung; wuͤꝛ-
den ſelbte auch immer behalten. Wie er nun zu-
gleich den Teutobach und etliche andere gefange-
ne Fuͤrſten ins Zelt fuͤhren ließ; erſtauneten die
von ſolcher Niederlage nichts wiſſenden Geſand-
ten ſo ſehr: daß ſie ohne fernere Wortwechſelung
zuruͤck ins Laͤger kehrten/ und dem Koͤnige Bo-
jorich hiervon die traurige Zeitung brachten.
Bojorich ſchaͤumte hieruͤber fuͤr Zorne; friſchte
ſein Kriegsheer zu gerechter Rache ihrer erwuͤr-
gten Bruͤd[e]r auf; ruͤckte dem Marius/ welcher
nun uͤber das Apenniniſche Gebuͤrge kommen
war/ entgegen/ und forderte ihn zur Schlacht
aus; mit der Andeutung: Es waͤre der Deutſchẽ
Art/ ohne Verzug umb die Oberhand zu kaͤm-
pfen; nicht aber zum Vortheil der Kriegs-Ober-
ſten/ zum Verterb des unſchuldigen Landman-
nes den Krieg zu ſchleppen/ die gemeinen Schatz-
Kammern zu erſchoͤpfen/ und ſo [d]enn aller-
erſt/ wenn beyde Theile mit ihrer Grauſamkeit
muͤde/
[917[919]]Arminius und Thußnelda.
muͤde/ die Laͤnder aber Wuͤſteneyen worden/
einen klaͤglichen Frieden zu machen. Aber
Marius hatte fuͤr/ die hurtigen Deutſchen muͤ-
de/ und ſeine Hitze durch Verzug laulicht zu
machen; wie auch den Feind wieder uͤber den
Po zu locken/ und des Catulus Heer an ſich
zu ziehen; ungeachtet den Ehrſuͤchtigen Ma-
rius nicht wenig biß: daß der von ihm ſich zum
Catulus ſchlagende Sulla etliche aus den Alpen
einfallende Voͤlcker gluͤcklich ſchlug/ und des
Catulus Heer mit ſo auskommentlichen Le-
bensmitteln verſorgte/ welche auch dem noth-
leidenden Marius aushelffen konten. Sin-
temal Ehrgeitz fremde Wolthat als einen Vor-
ruck ſeiner Duͤrfftigkeit haſſet; und daher ſie
mit mehrer Gramſchafft/ als Rache die Belei-
digung verfolget. Dem Bojorich ließ er auf
ſeine Forderung entbieten: Es waͤre der Roͤ-
mer Brauch nicht ſich feindlichen Rathes zu
bedienen; ſondern er wuͤrde nach ſeinem Gut-
beduͤncken ſchlagen. Hiermit lenckte er Nord-
weſtwerts gegen den Po ab; lagerte ſich alle-
zeit ſo vortheilhafftig: daß ihm die Deutſchen
nicht beykommen konten; gieng bey Dertona
uͤbeꝛ; und weil er ſich ſtellte: als wolte er den
Ceſorich und Claudicus zwiſchen beyde Roͤmi-
ſche Heer einſchluͤſſen; folgte ihm Bojorich uͤ-
ber den Po; und nachdem beyde Roͤmiſche und
beyde deutſche Heere zuſammen geſtoſſen wa-
ren/ both Bojorich noch einmahl dem Mari-
us den Kampff an; welches er auff den dritten
Tag/ und zwar auff dem groſſen Raudiſchen
Felde zwiſchen den Baͤchen Novaria und Seßi-
tes nicht ferne von Vercell beliebte. Weil er
aber folgenden Tag Wind- und neblicht befand;
ließ er in aller Eil das Roͤmiſche Heer ſich er-
qvicken/ zur Schlacht ſich anſchicken/ und mit
anbrechendem Tage auff das beſtimmte Feld
ruͤcken; allwo er ſein Heer Sudoſtwerts in
Schlacht-Ordnung ſtellte; alſo: daß wenn die
Sonne den Nebel unterdruͤcken wuͤrde/ ſelbte
den Deutſchen recht ins Geſichte ſchiene/ und
ſie zugleich der Wiederſchein von den glaͤntzen-
den Schilden blendete/ ja der Wind ihnen auch
den Staub unter die Augen wehete. Hierauf
ließ er dem Streitbegierigen Bojorich wiſſen:
Er wartete ſein auff dem beſtimmten Felde; al-
ſo verlangte er zu vernehmen: ob er ſo tapffer
fechten als großſprechen koͤnte? Die Deut-
ſchen/ ob ſie wohl weder ihreꝛ Pferde recht ge-
pflegt hatten/ hielten fuͤr aͤrgſten Schimpff auf
ſolche Ausfoderung ſich nicht zu ſtellen; ſonder-
lich: da der bey ihnen als ein Galliſcher Uber-
laͤuffer ſich einfindende Qvintus Sertorius ſie
hierzu verleitete/ und dem Marius alle ausge-
fiſchte Anſchlaͤge der Deutſchen verkundſchaffte-
te. Daher fuͤhrten ſie uͤber einen beſchwerli-
chen Berg ihr Heer dahin. Ehe nun Bojo-
rich ſeine Schlacht-Ordnung recht gemacht hat-
te; ſtieſſen die Deutſchen ſchon bey dem dicken
Nebel auff die wider ihre Einbildung nahen
Roͤmer; allwo Marius den rechten/ Sylla
den lincken Fluͤgel fuͤhrte; Catulus mit ſeinem
Volcke in der Mitten/ iedoch mercklich zuruͤ-
cke ſtand. Denn Marius hatte mit Fleiß
die Schlacht-Ordnung ſo ſehr eingebogen/ und
die aus ſeinen Legionen beſtehenden Fluͤgel ſo
weit herfuͤr geruͤckt; weil er entweder dieſen we-
gen ſchon wider den Teutobach befochtenen
Sieges mehr trauete; oder weil er den Ruhm
der Uberwindung ihm und den ſeinigen allein
zuziehen wolte. Sintemahl dieſe Auslegung
des Marius Ehrſucht/ jene ſeine Kriegs-Er-
fahrung an Tag giebt. Wie denn ſeine An-
ſtalt bald anfangs machte: daß Hertzog Clau-
dicus eine gute Zeit die erſte Hitze der Roͤmer
allein aushalten muſte/ biß das voͤllige Deut-
ſche Heer uͤberkam/ und in richtige Ordnung
gebracht ward. Bojorich kam gegen den Ma-
rius/ Ceſorich gegen den Sylla/ Hertzog Lu-
cius und Claudicus gegen den Catulus und
Marcellus zu fechten. Bojorichs Helm hat-
te nur einen/ ſein Schild drey Loͤwen; Ceſo-
richs Helm einen Greiff/ ſein Schild einen Och-
ſen-Kopff mit einem eiſernen Rincken; des
Claudicus Helm einen Drachen/ der
Z z z z z 3ein
[918[920]]Sechſtes Buch
Schild ein auffgelehntes Pferd; des Lucius
Helm einen weiſſen Adler/ der Schild einen
Goldgekroͤnten Loͤwen mit einem guͤldenen
Halsbande auff ſich/ die Ritters-Leute auch ins
geſamt hatten ſich mit Loͤwen-Baͤr-Luchs und
Wolffs-Haͤuten umhangen/ und ihre gefluͤgel-
ten Helme mit grimmiger Thiere Rachen auß-
geputzt; die Leiber mit Panzern/ die lincken Ar-
men mit weiß-glaͤntzenden Schilden/ die Haͤn-
de mit Lantzen/ groſſen Schwerdtern/ und zwey-
fach hauenden Aexten ausgeruͤſtet. Das deut-
ſche Fußvolck war drey tauſend ſieben hundert
und funffzig Schritte breit/ und zwar viereckicht
geſtellt. Die Helffte der in funffzehn tauſend
Mann beſtehenden Reuterey/ welche bey denen
Roͤmern in hoͤchſtem Anſehen war/ und derſel-
ben zum Gedaͤchtniße auch nach erlangtem Sie-
ge die Stadt Eporedia erbauet ward/ fuͤhrte Bo-
jorich hoͤchſt kluͤglich nicht gerade auf die Stir-
ne der Roͤmer/ ſondern rechtwerts/ die andere
Helffte Ceſorich linckwerts ab; um das Roͤmi-
ſche Heer gleichſam zu umſchluͤſſen/ und in die
Mitte zu bekommen. Der ſchlaue Marius
aber merckte bald dieſe Kriegs-Liſt; daher ruff-
te er den gerade vorwaͤrts dringenden zu: der
Feind fliehe; ſie ſolten ihm alſo auff der Fer-
ſen folgen. Beſſer aber gluͤckte es dem Ceſo-
rich; welcher den Sylla zwiſchen ſich/ und das
deutſche Fußvolck bekam; und ſo hefftig zuſetz-
te: daß wenn ihm nicht die Numidiſche Reute-
rey mit zwoͤlff Elefanten zu Huͤlffe kommen waͤ-
re; welche in der deutſchen Reuterey nicht weni-
ge Unordnung verurſachten; waͤre das Spiel
zweiffelsfrey gantz verkehrt ausgeſchlagen. Deñ
ob wohl der verſchmitzte Bojorich aus zuſam-
mengeneheten Ochſenhaͤuten deꝛogleichen unge-
heure Thiere hatte nachbilden/ ſelbige durch dar-
unter verſteckte Kamele bewegen/ und durch ih-
re Fuͤhrer gegen die Reuterey anfuͤhren laſſen/
wormit die Pferde ihrer gewohnten; ſo uͤber-
traff doch dieſe Warheit jene Nachaffung; und
inſonderheit war der ſtarcke Geruch der Elefan-
ten den Pferden zu wider/ und machten ſie un-
baͤndig. Gleichwohl meinten dieſem Ubel zwey
Bruͤder und deutſche Ritter zu begegnen; wel-
che von ihren Voreltern ſchon wegen einer tapf-
fern Huͤlffs-leiſtung den Nahmen Helffenſtein
uͤberkommen/ und in dem Jugurthiſchen Krie-
ge gedienet hatten. Dieſe ſprangen bey dieſer
Gefahr von Pferden/ ergriffen zwey daſelbſt
ungefaͤhr liegende Wipffel von abgehauenen
Baumen/ blaͤndeten damit die erſten zwey Ele-
phanten/ und hieb der aͤltere dem einen die
Schnautze ab; alſo: daß er alſofort umkehrte/
unter den Roͤmern ſelbſt Trennung machte.
Der juͤngere Helffenſtein ſtach dem andern
ſein Schwerd unter dem Schwantze biß ans
Hefft hinein: daß er mit ſeinem Thurme uͤber
einen Hauffen ſtuͤrtzte. Dieſer Beyſpiele folg-
ten zwey Norichiſche Ritter Dietrichſtein und
Wagensberg; welche mit vorwerts/ nach Art
der Wein-Meſſer oder Sicheln gekruͤmmten
Degen oder halben Sicheln zwey andern Ele-
fanten die Schnautzen abhackten; derer einer a-
ber von dem ergrimmten Thiere zertreten ward.
Hieruͤber/ und nachdem etliche Elefanten-Lei-
ter mit Pfeilen erlegt wurden/ kamen dieſe
Thiere in Verwirrung/ die deutſche Reute-
rey aber wieder in ihre Glieder; das Fußvolck
auch beyderſeits an einander; alſo: daß dieſe
zwey/ oder vielmehr vier maͤchtige Heere an-
fangs ein Rauſchen des brauſenden Meeres/
hernach aber ein Gethoͤne etlicher hundert
Schmieden und Eiſen-Haͤmmer fuͤrbildeten.
Zwey Stunden waͤhrete die Schlacht: da die
ſtreitenden Hauffen fuͤr Nebel und Staube
einander kaum erkieſen/ auch ein Fluͤgel/
was in dem andern fuͤrgieng/ ſchwerlich erfah-
ren konten. Hernach aber druͤckte die Son-
ne zu groſſem Vortheil der Roͤmer den Nebel
gleichſam in einem Augenblicke unter ſich/ und
eroͤffnete beyden Voͤlckern ein jaͤmmerliches
Schauſpiel; weil ihnen beyderſeits ſo viel tau-
ſend blutige Leichen von Menſchen und Thie-
ren
[919[921]]Arminius und Thußnelda.
ren ins Geſichte fiel; und alſo die Rachgier in
ihren ohne diß verbitterten Gemuͤthern ver-
groͤſſerte. Bojorich unterließ nichts/ was ein
kluger Feldherr/ und ein hertzhaffter Held aus-
uͤben kan; und Marius bezeigte ſich als ein
Wunder in der Kriegs-Wiſſenſchafft. Drey
Stunden lang blieben beyde Schlacht-Ord-
nungen noch unverruͤckt; ungeachtet der Wind
mit erregtem Staube/ und zugleich die Sonne
die Deutſchen eine gute Zeit blendete. Denn
Bojorich ließ den Hertzog Ceſorich wiſſen: daß
er mit dem lincken Fluͤgel und dem mittelſten
Heere etwas gegen Weſten weichen wolte/ um
halben Wind und Sonne zu gewinnen. Da-
her ſolte er mit dem rechten Fluͤgel feſte ſtehen
bleiben; welcher Anſchlag auch gluͤckte; und
wuͤrden die Roͤmer wie die Sonne/ welche die
der Hitze ungewohnten Cimbern hefftig plag-
te/ den Staub ins Geſichte bekommen haben:
wenn nicht der Wind ſich/ gleich als wenn ſelb-
ter unter der Botmaͤßigkeit der Roͤmer/ und das
Gluͤcke ihr angebohrnes Erbgut waͤre/ ſich aber-
mahls gewer det/ und aus Oſt ſo ſtarck zu wuͤ-
ten angehoben haͤtte: daß die Deutſchen faſt
kein Auge auffthun konten; ſondern gleichſam
blinde Fechter abgeben muſten.
Ob nun wolder Staub der deutſchen Helden
Augen verduͤſterte/ verſehrte er doch nicht ihre
Hertzen. Bojorich durchſtach einen Roͤmiſchen
Oberſten Lucius Druſus; welchen er wegen ſei-
ner guͤldenen Ruͤſtung fuͤr den Marius anſahe/
Hertzog Merodach verwundete den Catulus;
und der verzweiffelte Fuͤrſt Lucius riß einen Roͤ-
miſchen Adler zu Bodem; ward aber zu groſſem
Ungluͤck erſtochen. Aber welche Großmuͤthig-
keit mag gegen dem donnernden Verhaͤngniſſe
beſtehen? Welche Rieſen-Armen ſind dem Win-
de gewachſen; welcher auch hundertjaͤhrige Ei-
chen mit ihren Wurtzeln ausreiſſet. Wer kan
denen Pfeilen fuͤrbeugen/ die der Himmel ſelbſt
von ſeinen Bogen abſcheuſt/ und uns ins Hertze
richtet? Wer wil die Augen des Leibes und des
Gemuͤthes gegen die uns ſelbſt blaͤndende Gott-
heit auffthun? Daher ſtuͤrtzte Hertzog Ceſorich
ohne ſeine Verwahrloſung mit dem Pferde in
einen Graben/ und ward gefangen. Sylla
erlegte mit eigener Fauſt ſeinen Bruder Uffo/
einen zwar hertzhafften Fuͤrſten; von welchem
aber noch die beſten Fruͤchte zu hoffen waren.
Koͤnig Bojorich/ welcher ihm vorgeſaͤtzt hatte
zu ſterben/ oder den Wind noch einmahl zu ge-
winnen/ drang durch drey Roͤmiſche Hauffen
wie ein Blitz/ und erlegte ſelbigen Tag eigen-
haͤndig zwey und dreißig Feinde; aber er ward
doch endlich durch eben ſo viel Wunden erleget.
Worbey Marius das Gluͤcke hatte: daß er ihm
die letzte/ und hiermit auch ſelbten vom Pferde
ſetzte; welchem aber dieſer Roͤmiſche Feldherr
nachruͤhmte: Bojorich haͤtte wie ein Loͤw ge-
fochten/ und ſeine Haut theuer verkaufft. Bey
Entfallung dieſer drey fuͤꝛnehmer Haͤupter mu-
ſten die von dem duͤrren Winde/ und der uner-
traͤglichen Hitze der damahls im Loͤwen bren-
nenden Sonne faſt verſchmachtenden und zer-
ſchmeltzenden Deutſchen nicht ſo wohl der Tu-
gend der Roͤmer/ als dem Winde/ der Sonne
und dem Verhaͤngniße aus dem Wege tre-
ten/ und ſo gut ſie konten ſich in ihr Laͤger ziehen.
Ein Theil derſelben fluͤchtete ſich auch in eine
Wagenburg; in welche die Koͤnigin Hatta/ des
Fenniſchen Koͤnigs Tochter/ die Fuͤrſtin Leut-
garde/ Kumißa/ Adela/ und etliche tauſend ed-
le Frauen und Jungfrauen ohne die gemeinen
ſich unter einem rauhen Berge engeſchloſſen
hatten. An dieſe ſetzten zwey Roͤmiſche Legi-
onen mit etlich tauſend Baleariſchen Schuͤtzen
an; weil Marius in einem Tage dem Cimbri-
ſchen Kriege ein Ende machen wolte/ ſie wur-
den aber nicht ſo wohlvon der wenigen Mann-
ſchafft/ als denen behertzten Weibern/ und
zugleich denen ſtarcken Hunden dreymahl zu-
ruͤck getrieben. Als aber Marius endlich durch
Pech/ Hartzt und Schwefel die Wagenburg in
Brand brachte/ und ſie ſich verlohren ſahen;
ſchickte
[920[922]]Sechſtes Buch
ſchickte die Koͤnigin Hatta an Marius/ und er-
klaͤrte ſich: daß/ da er ihre Keuſchheit zur Ent-
weihung beſchirmen; ſie auch zu Rom in dem
Heiligthume der Veſtaliſchen Jungfrauen be-
wahren wolte; waͤren ſie erboͤthig ſich zu er geben/
und ſich allen Veſtaliſchen Geſetzen zu unter-
werffen. Denn das deutſche Frauenzimmer
ſetzte die Freyheit dem Leben/ die Keuſchheit a-
ber beyden fuͤr; welche/ wie ſie hoͤrten/ zu Rom
unter dem Nahmen der Veſta goͤttlich verehret
wuͤrde. Ohne dieſer Verunehrung koͤnte er
ihrem an dem Kriege keine Schuld habendem
Geſchlechte ihre Bitte nicht abſchlagen; welches
er ohne diß nach uͤberwundenen Maͤnnern oh-
ne Schimpff nicht bekriegen koͤnte. Zumal er
ohne diß ſich nur ihrer Leiber bemaͤchtigen koͤn-
te. Denn dieſe waͤren nur in ihrer eigenen Ge-
walt/ und ihrer Tugend kein Vortheil abzuja-
gen. Derogeſtalt waͤre es ein weniges/ was er
ihnen lieſſe; wenn er ihnen aber nichts gebe; wuͤr-
de ihm auch von ihnen nichts zu ſtatten kommen.
Aber der rauhe Marius antwortete ihnen: die-
ſes Heiligthum waͤre fuͤr ſo wilde Weiber nicht
gewiedmet. Dieſes verurſachte; daß ſie im An-
geſichte der Roͤmer ihre zarten Kinder an die
Felſen und Wagen ſchmetterten; dieſelben auch/
welche nicht zum fechten geſchickt waren/ ſich
an die Baͤume auffhingen/ und hierzu an
ſtatt der Stricke ihre abgeſchnittene Haare
brauchten. Unter andern war eine edle Frau/
welche ihre zwey kleinen Soͤhne an ihre Fuͤße/
und ſich mit ihnen an eine Deichſel hing; vor-
gebende: daß nichts/ waran ihre Kinder hen-
cken ſolten/ als diß/ worvon ſie ihr Leben be-
kommen/ wuͤrdig waͤre. Die uͤbrigen Frauen
aber fielen die Roͤmer wie wuͤtende Thiere an;
und geſelleten ihren abſcheidenden Geiſtern
noch nicht wenig feindliche zu; halffen auch hier-
durch: daß Hertzog Merodach/ weil Claudicus
in der Flucht ebenfalls gefangen ward/ mit noch
dreißig tauſend Mann in die Lepontiſchen und
Penniniſchen Alpen entrann. Deꝛ Deutſchen
waren ſiebzig tauſend eꝛſchlagen/ dreißig tauſend
gefangen. Auff Roͤmiſcher Seite blieben etli-
che dreißig tauſend; alſo ſich uͤbeꝛ die Roͤmiſchen
Geſchichtſchreiber zu verwundern; die ſich nicht
ſchaͤmen die deutſche Niederlage noch zweymal
groͤſſer zu machen; hingegen zu tichten: daß
der Roͤmer nicht vor voll dreyhundert erlegt
worden waͤren; da doch ihrer mehr als zweytau-
ſend von Weibern erſchlagen worden. Die Koͤ-
nigin Hatta ſtach ihr ſelbſt/ weil die Roͤmiſchen
Befehlhaber ſie nicht zu toͤdten/ ſondern gefan-
gen zu nehmen verordneten/ ihr eigenes
Schwerd in die Bruͤſte. Jhr Leib ward her-
nach von denen gefangenen Barden mit Er-
laubnis des Marius in eine nahe dabey befind-
liche Hoͤle begraben; und zu ihrem Gedaͤchtniße
in einen Felſen eingehauen:
Zu Rom war uͤber dieſem Siege/ von dem
die Roͤmer hernach aberglaͤubiſch getichtet ha-
ben: daß ſelbten eben ſelbigen Tag zwey mit
Lorbern gekraͤntzte Juͤnglinge bey dem Heilig-
thume des Caſtors und Pollux zu Rom ver-
kuͤndiget haͤtten/ ſo groſſe Freude: daß das Volck
nicht nur den Goͤttern/ ſondern auch dem Ma-
rius opfferten; ja bey ankommender Zeitung
kein Buͤrger in Rom war/ der ihn nicht unter
die Zahl der Goͤtter rechnete. Der Rath mu-
ſte ihn aufs neue zum Buͤrgermeiſter beſtaͤtigen;
ſein Geſchlechte/ weil er eines Tageloͤhners
Sohn war/ unter die Edelſten zehlen; ihn nach
dem Romulus und Camillus den dritten Vater
der Stadt Rom nennen/ und ein zweyfaches
Siegs-Gepraͤnge ihm zueignen; wiewol er ſich
an einem/ darzu er auch den Catulus zum Ge-
ferthen nahm/ vergnuͤgte; und dadurch etlicher
maſſen die Verduͤſterung des Catulus entſchul-
digte/ deſſen Heer ein und dreißig/ des Marius
aber
[921[923]]Arminius und Thußnelda.
aber nur zwey deutſche Kriegs-Fahnen erobert
hatten. Uber diß weiſeten des Catulus Kriegs-
Leute den Geſandten von Parma auf der Wall-
ſtatt: Daß faſt alle Todten mit ihren Schuß-
und Wurff-Pfeilen erleget waren; als welche
ſie mit des Catulus ihres Feld-Herrn Nahmen
vorher bezeichnet hatten. Gleichwol aber ſchien
es nicht wenig hochmuͤthig zu ſeyn: daß Ma-
rius nach dem Beyſpiele des uͤber Jndien ſieg-
prangenden Bachus bey ſeinem Einzuge in
Rom eine Kanne in der Hand fuͤhrete; und den
zehn Fuͤſſe hohen/ und ſich unter ſeiner Ruͤſtung
buͤckenden Koͤnig Teutobach mit guͤldenen Feſ-
ſeln fuͤr ſeinem Wagen herjagte. Hingegen
baute er der Ehre und Tugend nur aus gemei-
nen Steinen und auff baͤueriſche Art/ gleich-
ſam der Bau-Kunſt und den edlen Steinen/ o-
der vielmehr dardurch gemeinten alten Ge-
ſchlechten zu Hohne; Catulus aus Marmel/ a-
ber ohne mindere Ehrſucht dem Gluͤcke einen
Tempel; gleich als ob diß mehr/ als ihre Ta-
pferkeit die Uhrheberin dieſes Sieges waͤre.
Wiewol ſonſt iederman insgemein die gluͤckli-
chen Streiche ſeinem Witze/ die ungluͤcklichen
dem Verhaͤngniße zuſchreibt; und daher die ſie-
genden Feld-Herren ſtets fuͤr klug geprieſen
werden; Die verſpielenden aber durch tauſend
Zeugen nimmermehr ablehnen koͤnnen/ daß ſie
nicht was verſehen haͤtten. Wormit nun der
Adel ſich bey dem gluͤcklichen Marius ſo viel
mehr einliebte/ ließ der Roͤmiſche Rath auff den
Berg Vogeſus/ und zwar auff den Felß/ dar-
auff Calphurnia geopffert worden war/ einen
Ey-rundten Siegs-Tempel bauen; in deſſen
Mitte das Bild des Cimbriſchen Sieges aus
Corinthiſchem Ertzt auf einem marmelnen Fuß
ſtand/ unter welchem der Brunn des Fluſſes Po
herfuͤr qvall. Auff der Abend-Seite des Tem-
pels ſtand das Bild ſeiner Tochter Calphurnia
aus Alabaſter/ auf einem ertztenen Begraͤbnuͤß-
Maale; daran auswendig ihre Auffopfferung
geetzt/ inwendig aber in einem guͤldenen Ge-
ſchirre ihre Todten-Aſche verwahrt war. Auff
der Seite war im Ertzte zu leſen:
Gegen Oſt ſtand auff einem ſchwartz-mar-
melnen Fuße das Bild des Marius aus weiſſen
Marmel gehauen; in welchem der Bildhauer
durch ein beſonder Kunſt-Stuͤcke eine rothe Adeꝛ
zu dem ſein Haupt umflechtenden Lorber-Cran-
tze gebraucht hatte. Die drey Schlachten des
Marius wider den Jugurtha/ die Teutoner und
Cimbern/ wie auch die Auffopfferung ſeiner
Tochter Calphurnia waren unten in Corinthi-
ſches Ertzt gegoſſen; in den marmelnen Fuß
aber eingegraben:
Am allermerckwuͤrdigſten aber war: daß die
edelſten Geſchlechter/ welche den Marius vor-
her bey dem Jugurthiniſchen Kriege wegen
ihm auffgetragener hohen Gewalt auffs euſſer-
Erſter Theil. A a a a a aſte
[922[924]]Sechſtes Buch
ſte angefeindet hatten/ ihm ihre erſte Stimme
gaben: daß er ſolche Ehren-Maale durch ſeine
Tugend verdient haͤtte. Alſo ſteiget dieſe end-
lich ſo hoch: daß dem Neide das Geſichte ver-
gehet; wenn er ſelbter nachſehen wil. Denn
weil die Mißgunſt nichts himmliſches an ſich
hat; ſondern als ein geringer Dunſt von der Er-
den/ und aus niedrigen Thaͤlern entſpringet;
wird ſelbte von denen kraͤfftigen Sonnenſtrah-
len der Tugend bald untergedruͤckt. Ja wie
der Schatten der Erde mit ſeiner Verfinſte-
rung nur den niedrigen Monden/ nicht die hoͤ-
hern Geſtirne erreichet; alſo muß die Miß-
gunſt auch alle die unverſehret laſſen: welche
durch ihr Verdienſt ſich in ſo hohen Stand ver-
ſetzt haben: daß mit ihnen ſich niemand verglei-
chen kan.
Wie nun die Uberbleibung von des Koͤnig
Teutobachs Heere; welche ſich in den Alpen zu
verſtaͤrcken vermeinten/ auch die ungluͤckliche
Schlacht Koͤnig Bojorichs vernahmen; lieſſen
ſie die Hoffnung den Roͤmern einiges Land ab-
zuzwingen fahren; kehrten ſie zuruͤcke an den
Rhein/ an welchem ſie ſechstauſend Mann mit
ihrem ſchwerſten Geraͤthe zuruͤcke gelaſſen hat-
ten. Alldieweil aber ihnen die Deutſchen/ in-
fonderheit aber die Bojen keinen Sitz erlauben
wolten; ſondern man allenthalben ihnen mit
Heereskrafft begegnete: nahmen ſie ihren Weg
an der Maaß hinunter; und ſetzten zwiſchen
der Schelde und dem Fluße Sabis bey ihren
daſelbſt vorhin ſchon eingeſeſſenen Landes-Leu-
ten denen Adualichern feſten Fuß. Ein Theil
darvon aber ward von denen Celtiberiern auff-
genommen; welche hernach den Roͤmern in Hi-
ſpanien genung zu ſchaffen machten. Denn ſie
redeten die Luſitanier auff: daß ſie wider den
Cornelius Dolabella die Waffen ergriffen/ als
auch ſie geſchlagen/ und etliche hundert nach
Rom gefangen gefuͤhrt; und in den Schauplatz
wieder Loͤwen und Elefanten zu kaͤmpffen ge-
bracht wurden; redete ſie ein einiger darunteꝛ be-
findliche Deutſche auf: daß ſie durch freywilligen
Kampff einander ſelbſt aufrieben. Nichts min-
der lehnten ſich die Celtiberier mit ihnen gegen
die Roͤmer auf; und uͤberfielen ſie in der Stadt
Caſtulo. Daher die Roͤmer zehn Geſandten in
Hiſpanien zu ſchicken genoͤthiget wuꝛden. Wie-
wol auch Titus Didius wieder die Vacceer und
Termeſtiner gluͤcklich fochte; ſo hem̃ten doch die-
ſe gewaltig den Lauff ſeiner ſiegenden Waffen;
und ſtrafften die an der Stadt Colenda verraͤ-
theriſch ausgeuͤbte Mord-Luſt. Naſica wuͤtete
zwar nach ihm auff etliche Gefangene/ und aͤ-
ſcherte unterſchiedene Staͤdte ein; goß aber dar-
durch nur mehr Oel ins Feuer; biß Cajus Va-
lerius durch Erlegung wol zwantzig tauſend
Celtiberier ſolches auff eine zeitlang ſtillete. Ein
Theil der Deutſchen ward auch von den Ten-
eterern bewirthet; welches an dem Rheine un-
terhalb dem Fluſſe Segus eine Stadt nach dem
Nahmen der Teutoner baute.
Hertzog Merodach aber zohe mit des erſchla-
genen Koͤnigs Bojorich uͤber die Penniniſchen
Alpen entronnenen Cimbern zu ihren Landes-
Leuten denen Scordiskiern in Pannonien und
Thracien; welche die Roͤmer in verwichenen
Kriegen entweder aus Jllyricum vertrieben/ o-
der ſie zum Pfluge verdam̃t hatten. Durch dieſe
neue Verſtaͤrckung aber ſtreckten die Scordis-
kiſchen Deutſchen abermahls die Hoͤrner von
ſich; unterwarffen ihnen die Avtariaten/ die Tri-
ballier/ alle Eylande in Jſter/ und erweiterten
die zwey Haupt-Staͤdte Heorta und Capedun.
Ja Hertzog Merodach/ deſſen Hertze von un-
ausloͤſchlicher Rache gegen die Roͤmer kochte/
nahm den Roͤmern die Stadt Syrmium ab/
ſchlug den Cajus Geminius auffs Haupt; und
eroberte alles/ was die Deutſchen zwiſchen der
Sau und Drave verlohren hatten/ verwuͤſtete
Macedonien mit Feuer und Schwerdt. Und/
weil Marius unter denen zwoͤlff der Calphur-
nia geopfferten Jungfrauen auch ſeine Schwe-
ſter mit verbrennt/ und zu Rom dem Jupiter
ſieben edle Deutſchen geſchlachtet hatte; ließ er
hundeꝛt gefangenen edlen Roͤmern uͤber einem
Keſſel
[923[925]]Arminius und Thußnelda.
Keſſel gleicher Geſtalt die Gurgel abſchneiden;
das Blut auff die Altaͤre gieſſen; aus ihren mit
Gold eingefaſten Hirnſchaͤdeln aber Trinck ge-
ſchirre bereiten. Weßwegen zu Rom nicht nur
ein Rathſchluß gemacht ward: daß weder eini-
ge Roͤmer noch ihꝛe Bundgenoſſen Menſchen-
Blut opffern ſolten; ſondern es erregte auch des
Geminius Niedeꝛlage abeꝛmals groſſes Schre-
cken; ſonderlich: weil kurtz vorher der Rathsherꝛ
Manilius angedeutet hatte: daß der zeither ge-
lebte Gluͤcks-Vogel Phoͤnix ſich eingeaͤſchert;
und darmit die Eintretung eines neuen und
groſſen Welt-Jahres angekuͤndigt haͤtte/ wel-
ches die merckwurdigſten Veraͤnderungen nach
ſich ziehen wuͤrde.
Die empfindlichſte Wunde aber verſetzten
den Roͤmern die vierzigtauſend Deutſchen; wel-
che Marius in dem mit dem Koͤnige Teutobach
und Bojorich gefuͤhrten Kriege gefangen/ und
hernach durch gantz Jtalien fuͤr Knechte ver-
kaufft hatte. Denn nach dieſen Siegen verfiel
Rom in Wolluͤſte und Laſter; gleich/ als weñ ihr
gluͤcklicher Wolſtand keiner Tugend mehr be-
noͤthiget waͤre; oder bey dem Wechſel des groſ-
ſen Welt-Jahres die Boßheit nicht nur die Far-
be/ ſondern auch die Guͤte der Tugend uͤberkom-
men haͤtte. Daher ermordete Malleolus ſeine
Mutter. Der thoͤrichte Apulejus warff ſich fuͤr
einen Koͤnig wieder den Roͤmiſchen Rath auff.
Der grauſame Rabirius ſetzte ſein vom zerſtuͤck-
ten Leibe geriſſenes Haupt auff etlichen Gaſt-
mahlen zum Schau-Gerichte auff. Der hof-
faͤrtige Claudius fuͤhrte grauſame Schauſpiele
und Streite wieder Elefanten; und Sylla ein
Gefechte von hundert Loͤwen ein. Craſſus und
Domitius brachten durch uͤbermaͤßige Zah-
lung der Haͤuſer/ Trinck geſchirre und Baͤume/
wie auch durch Betrauerung fremder Fiſche
nichts minder die Verſchwendung/ als Eitelkeit
in Schwung. Am meiſten aber druͤckte der Ehr-
ſuͤchtige Marius durch ſeine uͤbrige Gewalt die
Buͤrger. Der redliche Metellus muſte ihm aus
Rom weichen. Der ehrliche Rutilius ward ins
Elend verjagt; und ihm ſein Vermoͤgen un-
rechtmaͤßig abgeſprochen. Derunruhige Dru-
ſus erſchoͤpfte dem Marius zu Liebe durch Ein-
fuͤhrung des Gracchiſchen Acker- und Brodt-
Geſetzes die gemeinen Einkuͤnffte; brachte duꝛch
das verſprochene/ hernach aber nicht gewehrte
Roͤmiſche Buͤrger-Recht die meiſten Voͤlcker
wieder Rom in Harniſch. Denn dieſe/ inſonder-
heit aber die von den Deutſchen entſprungenen
Marſen/ und die mit den Vojen/ Liebiciern und
andern Deutſchen fuͤr Alters verbundenen und
befreundeten Samniter ruͤhmten ſich: daß ſie
durch ihr Blut die Cimbern und Teutonen zu-
ruͤck getrieben/ das Roͤmiſche Reich ſo groß ge-
macht/ nichts anders aber zu Lohne haͤtten: als
daß man ſie veraͤchtlicher/ deñ einen Roͤmiſchen
Freygelaſſenen hielte; welches die redlichſten uñ
verſtaͤndigſten Buͤrgeꝛ in Rom ſelbſt als Unrecht
verdammten. Pompedius Silo der Marſen
Fuͤrſt/ und der fuͤꝛnehmſte Uhrheber dieſes Weꝛ-
ckes hatte deßhalben mit den Zunfftmeiſtern in
Rom vertrauliches Verſtaͤndniß; ſchrieb ihnen
als eine heilſame Eriñerung zu: daß die Roͤmer
niemahls uͤber/ auch nie ohne die Marſen einen
hauptſaͤchlichen Sieg erlangt haͤtten; beſchwer-
te ſich zum erſten bey den Nachbarn hier uͤber; uñ
daß man den ihrer gerechten Sache beypflich-
tenden Druſus deßhalben mit einem Schuſter-
kneip meuchelmoͤrderiſch erſtochẽ haͤtte. Hieꝛmit
bꝛachte er es ſo weit: daß die Peligniſche Gꝛaͤntz-
Stadt Corfinium zum Haupte Jtaliens erklaͤ-
ret/ zwey gemeine Buͤrgermeiſter/ zwoͤlff Voͤg-
te/ und ein groſſer Rath von fuͤnff hundert Glie-
dern erwehlet ward. Dieſer erklaͤrte alsbald alle
dienſtbare Deutſchen auff den Fall/ wenn ſie
einen aus den Feinden erlegt haben wuͤrden/
frey; und gewannen dardurch uͤber zwantzig
tauſend ſtreitbare/ und fuͤr den Gewinn der
Freyheit begierig aufopffernde Kriegs-Leute.
Das erſte Merckmal ihrer Danckbarkeit zeig-
ten ſie zu Aſculum an dem Fluſſe Truen-
tus. Denn als Cneus Pompejus ſolche Stadt
mit Gewalt ſtuͤrmte/ und die Einwohner
A a a a a a 2ſich
[924[926]]Sechſtes Buch
ſich mit Fleiß einer verzagten Gegenwehr ge-
brauchten/ und nur ſchwache alte Greiſe auff
die Zinnen ſtellten; fielen tauſend Deutſche und
tauſend Aſculaner heraus/ und jagten die Roͤ-
mer mit Verluſt alles Sturm-Zeuges und vie-
len Volckes hinweg. Die Lucaner nahmen
den Sulpitius Galba gefangen; Aus dem Roͤ-
miſchen Laͤger ward dem Fuͤrſten Selo alles
verkundſchafftet. Und ob wol die Lateiner/
Hetrusker und Umbrier auff Roͤmiſcher Seite
blieben; Aus Aſien auch Huͤlffs-Voͤlcker anka-
men; ſo legte doch der einigen deutſchen Bey-
ſatz denen Marſen und Samnitern ein ſolch
Gewichte bey: daß jene den Buͤrgermeiſter
Rutilius Lupus/ Judacilius/ Afranius und
Ventidius den Pompejus Vettius Cato mit
den Samnitern den Buͤrgermeiſter Lucius
Julius aus dem Felde ſchlugen/ ſie belaͤgerten/
die Stadt Venafruno und Nola einnahmen/
und den Licinius Craſſus zu weichen/ ja noch
viel bey den Roͤmern ſtehende Voͤlcker abzu-
fallen noͤthigten. Der Buͤrgermeiſter Ruti-
lius trennte ſich zwar vom Marius; und mein-
te denen ihm an dem Fluſſe Telonius gegen uͤ-
ber liegenden Marſen einen gewaltigen
Streich zuverſetzen. Vettius Cato aber krieg-
te hiervon Nachricht; verſteckte alſo vier tauſend
Deutſche in ein Thal; welche/ nach dem er vor-
her dem Rutilius eine zeitlang tapffer gefoch-
ten/ den Roͤmern theils in Ruͤcken gehen/ theils
die Bruͤcke abbrachen; und den Buͤrgermeiſter
mit acht tauſend Roͤmern erſchlugen; ohne die
in der Flucht im Strome erſoffen. Der Roͤmi-
ſche Rath ließ hierauff zwar den Marius die
Helffte ſeines Heeres dem Cepio zutheilen; der
Marſen Fuͤrſt Silo aber verleitete dieſen un-
vorſichtigen Juͤngling durch Uberlieferung
zweyer gemeiner/ aber fuͤr ſeine Kinder ausge-
gebener Knaben/ wie auch durch vieler mit
Gold und Silber uͤberzogeneꝛ Bley-Platten in
ſein geſtelltes Netze; darinnen Cepio mit zehn-
tauſend Roͤmern von den Deutſchen und Mar-
ſen gleichſam als Vieh abgeſchlachtet wurden;
Weil die Roͤmer wegen der ſie auff allen Sei-
ten anfallenden Feinde ihre Waffen zu zuͤcken
weder Raum noch Zeit hatten. Die daruͤber
bekuͤmmerten Roͤmer folgten hierauf dem Bey-
ſpiele ihres Feindes; machten daher aus denen
gefangenen Deutſchen auch zehen tauſend
Kriegs-Leute; und lieſſen ſie nebſt ſo viel Africa-
niſchen Reutern zu des Buͤrger meiſters Lucius
Julius Caͤſars Legionen ſtoſſen. Hingegen
putzte der Samniter Fuͤrſt Papius den zu Ve-
nuſia verwahrten Sohn des Jugurtha Oxyn-
ta als einen Koͤnig aus; und verurſachte: daß
das Africaniſche Kriegs-Volck meiſt zu ihm uͤ-
berlieff; Worauff er denn auch die Stadt Eſer-
nia eroberte. Julius wolte die vom Papius be-
laͤgerte Stadt Acerre zwar entſetzen; Marius
Egnatius aber erſchlug ihm daruͤber dreyßig
tauſend Roͤmer. Jedoch raͤchete ſolches Ma-
rius und Sylla an den Marſen; welche der
erſtere wegen allzugroſſer Sicherheit uͤberfiel
und zertrennte/ der andere aber in ihrer Flucht
ihnen noch groͤſſern Schaden zufuͤgte. So bald
aber Fuͤrſt Silo nur die fuͤr Acerre geweſenen
Cimbern wieder zu ſich bekam; both er nicht al-
lein dem Marius wieder die Stirne; ſondern
beſchloß ihn auch in ſeinem Laͤger/ ritt unter den
Wall an die Pforte/ und ruffte ihm zu: daß weñ
er ein ſo groſſer Feld-Herr waͤre/ ſolte er heraus
ruͤcken. Welchem Marius nur antwortete:
Wenn Silo ein kluger Feld-Herr waͤre/ wuͤr-
de er ihn nicht noͤthigen wider Willen zu ſchla-
gen. Durch welchen Krieg alſo die Roͤmer nicht
nur zu Hauſe gekraͤnckt; ſondern auch faſt all
ihr Anſehen in Aſien ausgeleſcht/ und die Sa-
luvier in Gallien wider Rom auffzuſtehen ver-
anlaßt; iedoch dieſe vom Cajus Coͤcilius wieder
beſtillt wurden. Marius wagte zwar endlich
denen Marſen und Deutſchen eine Schlacht
zu lieffern; er ward aber mit Verluſtin ſein Laͤ-
ger getrieben; Und waͤre diß zugleich erobert
worden: Wenn die Peligner die ſchon den Wall
behaupten-
[925[927]]Arminius und Thußnelda.
behauptenden Deutſchen nicht allein im Sti-
che gelaſſen haͤtten. Weſtwegen Marius den
Roͤmern nicht nur ihre Zagheit mit dieſen Wor-
ten verwieß: Die Marſen haͤtten nicht der Roͤ-
mer Ruͤcken/ dieſe aber nicht jener Antlitz ver-
tragen koͤnnen; ſondern auch bey ſeinem dero-
geſtalt verwaltenden Geluͤcke mit vorgeſchuͤtzter
Unpaͤßligkeit abdanckte. Weil nun ie laͤnger ie
mehr Voͤlcker in Jtalien von Rom abfielen;
muſte der Roͤmiſche Rath ſein Heer mit Frey-
gelaſſenen verſtaͤrcken; und durch einen Rath-
ſchluß/ welcher allen in unverruͤckter Treue
verbliebenen das Roͤmiſche Buͤrger-Recht ver-
lieh/ dem gantzen Abfalle Jtaliens einen Riegel
vorſchieben. Julius ſchlug hierauff zwar die
Samniter/ Cneus Pompejus die Marſen/ Boͤ-
bius belaͤgerte Aſculum/ und der ſolchen durch
das Roͤmiſche Lager zu Huͤlffe hinein dringende
tapffere Kriegs-Held Judacil/ welchen aus den
gefangenen Cimbern die Apulier und Picentes
zu ihrem Heerfuͤhrer gemacht hatten/ verbrenn-
te ſich nach ausgetrunckenem Giffte in dem
herrlichſten Tempel daſelbſt; weil er unter den
zaghaften Aſculanern laͤnger zu leben uͤberdruͤſ-
ſig ward. Allein die Bundgenoſſen der Latei-
ner/ Marſen und Deutſchen wurden dardurch
nur mehr verbittert als geſchwaͤchet/ und die
Roͤmer gezwungen durch den Plautius und
Carbo ein neu Geſetze zu machen: daß alle zu
denen mit Rom verbundenen Staͤdten gehoͤri-
ge Einwohner Jtaliens/ die ſich in ſechzig Ta-
gen anmelden wuͤrden/ fuͤr Roͤmiſche Buͤrger
angenommen werden ſolten. Diß aber halff
noch wenig zur Sache. Die Skordisker und
Thraeier hauſeten in Macedonien nach Gefal-
len. Die Krieges-Zucht verfiel in den Roͤmi-
ſchen Heeren. Jhr Gebieter auff der Kriegs-
Flotte Poſthumius Albinus ward von gemei-
nen Knechten ermordet; Gleichwol aber muſte
Sylla durch die Finger ſehen. Jedoch erlang-
te er durch das ihm gleichſam vermaͤhlte Geluͤ-
cke wider die Peligner und Samniter zwey
herrliche Siege; zu derer erſtern die Vermeſ-
ſenheit eines trunckenen Cimbers; welchen auff
ſeine oͤfftere Ausforderung ein Mohr mit ei-
nem Pfeile erſchoß; und dardurch als eine An-
deutung kuͤnfftiger Niederlage das gantze Pe-
ligniſche Heer kleinmuͤthig machte. Zum an-
dern aber der Aberglaube Urſache gab: weil/
als Sylla opfferte/ unter dem Altare eine
Schlange herfuͤr kroch; welches die Roͤmer als
ein gewiſſes Sieges-Zeichen zur Tapfferkeit
nicht wenig auffmunterte. Hingegen aber
ward der Buͤrgermeiſter Lucius Portius/ als er
der Marſen und Deutſchen Lager an dem Fu-
ciniſchen See ſtuͤrmte/ und Aulus Gabinius
von Lucanern erſchlagen. Und ob wol die Hir-
pnier und Samniter hin und wieder einbuͤßten;
Aſculum auch an die Roͤmer uͤbergieng; gieng
doch der unverzagte Selo mit ſeinen Deutſchen
dem Mamercus Emilius tapffer unter die Au-
gen/ und nahm die Stadt Boviam ein. Weß-
wegen ihm faſt gantz Jtalien ein herrliches
Siegs-Gepraͤnge bereitete. Die Bundsge-
noſſen ſuchten zwar durch eine Bothſchafft den
Pontiſchen Koͤnig Mithridates mit in ihr
Buͤndniß wieder Rom zu ziehen/ aber ſie konten
von ihm keine gewiſſe Entſchluͤſſung erhalten;
Gleichwol aber legten ſie zu ſeiner hernach ge-
gen Rom ausgeuͤbten Feindſchafft gleichſam den
erſten Stein. Sintemahl er dem Sothimus
der Scordiskiſchen deutſchen Koͤnige heimlich
in Ohren lag/ und durch Geſchencke ihn dahin
brachte: daß er die Roͤmiſchen Kraͤffte durch un-
auffhoͤrliche Einfaͤlle in Macedonien zertheilte.
Durch dieſes und die zwiſchen dem Sylla und
Marius erwachſende grauſame Zwytracht
ward Rom endlich genoͤthiget anfangs den ta-
pferen Marſen/ und denen mit ihnen vermiſch-
ten Cimbern und Teutonern/ hernach allen
Voͤlckern Jtaliens das durch ſo vieles Blut be-
fochtene Roͤmiſche Buͤrger-Recht zu geben; wel-
ches aber bald mit viel blutigen Stroͤmen ver-
ſaltzen und beſudelt ward. Denn in dem durch
A a a a a a 3den
[926[928]]Sechſtes Buch
den Sylla und Marius entſponnenen buͤrger-
lichen Kriege ward vom Morden nicht ehe auf-
gehoͤret/ als biß niemand faſt zu erſchlagen uͤbrig
war; weil beyder Ehrſucht von ſo vielem Blute
mehr erhitzet; ihr Rachgier aber nicht geſaͤttiget
ward. Dahero tranck Sylla das Blut der Roͤ-
miſchen Buͤrgermeiſter aus guͤldenen Geſchir-
ren; Marius aber ſetzte die Koͤpffe der Raths-
Herꝛen zu Schau-Gerichten auff ſeine Tafel.
Catulus verſchlang gluͤende Kohlen; und der
Prieſter Merula beſpritzte mit dem Saffte ſei-
ner zerkerbten Adern die Augen des Jupiters.
Mucius Scevola der hohe Prieſter aͤſcherte ſei-
nen Leib uͤber dem Veſtaliſchen Feuer ein; ehe
ſie den Grimm dieſer Tiger erwarteten; welche
das Rath-Hauß zu einer Schlacht-Banck/ die
Tempel zu Mord-Gruben/ das Capitolium
zum Stein-Hauffen machten. Alſo: daß dieſes
mahl/ da die Roͤmer nicht in ihre eigene Glieder
aͤrger als wuͤtende Woͤlffe raſeten; ja die Raſe-
rey nicht auffhoͤrte/ als die zwey Tod-Feinde
Sylla und Marius gleich in zwey feindliche
Graͤber/ jener nehmlich ins Feuer/ dieſer ins
Waſſer verſcharret war; die Deutſchen ihre Ra-
che gegen die Roͤmer durch ihre gaͤntzliche Ver-
tilgung unſchwer haͤtten ausuͤben koͤnnen; wenn
nicht die Deutſchen theils mit den Galliern/
theils unter ſich ſelbſt taͤglich einander in Haaren
gelegen/ und inſonder heit zwiſchen dem Cherus-
kiſchen Hertzoge Aembrich/ und dem Alemaͤn-
ner Koͤnige Arioviſt ein grauſamer Krieg ent-
brant waͤre. Gleichwol mag ich nicht verſchwei-
gen: daß unter beyden kriegenden Theilen der
Roͤmer/ die Deutſchen die Hand mit im Spie-
le gehabt haben. Unter welchen ich alleine er-
wehnen wil eines Marſingiſchen Ritteꝛs Schoͤ-
neich; welcher vom Marius in der mit dem Koͤ-
nige Teutobach gehaltenen Schlacht gefangen/
und nach der Stadt Minturne an dem Fluſſe
Liris verkaufft worden war. Dahin fluͤchtete
ſich auch der aus Rom vom Sylla vertriebene
Marius; welchen der Roͤmiſche Rath durch of-
fene Befehl zu toͤdten bey Verluſt des Lebens
anſchaffte. Als dieſe Verordnung nach Min-
turne/ wo Marius ſich in einer geringen Huͤt-
te aufhielt/ ankam; war der Stadt-Rath zwi-
ſchen Thuͤr und Angel; weil dieſer dem Befehl
zu wiederſtreben/ gleichwol aber den ſo hoch ver-
dienten Marius/ der ſechsmahl Buͤrgermeiſter
geweſt war/ hinzurichten billich anſtand. Daher
verſprach der oberſte Raths-Herr zu Mintur-
ne/ der den Deutſchen leibeigen gekaufft hatte/
ihm die Freyheit; da er einen vom Roͤmiſchen
Rathe verdam̃ten Menſchen in der ihm gezeig-
ten Huͤtte ins geheim niedermachen wuͤrde.
Schoͤneich/ der in denen Gedancken lebte: daß
dieſer ein frecher Ubelthaͤter waͤre/ welchen ſie
anzutaſten fuͤrchteten/ ging behertzt in die Huͤt-
te/ und fand den Marius ſchlaffend. Weil er a-
ber ſein verdecktes Antlitz vorher ſehen wolte;
polterte er mit Fleiß um ihn zu erwecken. Wie
nun der Schlaffende hieruͤber aufffuhr/ und der
Ritter ihn fuͤr den groſſen Marius erkennte;
warff er ſeinen Degen zu Boden; lieff ohne
einiges Wort zuruͤcke/ und meldete ſeinem Her-
ren an: Er begehrte ſeine Freyheit durch den
Meuchelmord eines ſo tapffern Heldens nicht
zu erkauffen; noch ſich mit deſſelben Blute zu
beſudeln/ aus deſſen Augen feurige Strahlen
gegangen/ und etwas mehr/ als Menſchliches
geleuchtet haͤtte. Dieſes bewegte den Rath: daß
ſie den Marius/ welchem ohne diß aus ſieben in
die Schoß gefallenen jungen Adlern gewahr-
ſagt worden war: er wuͤrde ſiebenmahl zu Rom
Buͤrgermeiſter ſeyn/ aus der Stadt zwiſchen
die Minturniſchen Pfuͤtzen fuͤhrten/ von dar er
auff einem Fiſcher-Kahne entkam; und in dem
Abraume der eingeaͤſcherten Stadt Carthago
den Wechſel des ungetreuen Gluͤckes ſeuffzende
uͤberlegte. Von dar er aber/ als Sylla wider den
Mithridates kriegte/ wieder nach Rom kam/
zum ſiebendenmal Buͤrgermeiſter ward/ in die-
ſer Wuͤrde ſtarb/ und die Nachwelt zweiffelhafft
ließ: Ob er im Kriege mehr genutzt/ oder im
Friede mehr geſchadet habe.
Bey dieſen gefaͤhrlichen Anſtoͤſſen hatten die
Deutſchen
[927[929]]Arminius und Thußnelda.
Deutſchen in Galatien zwar fuͤr den Roͤmern
Ruh; allein es gieng ihnen in der Naͤhe/ und
faſt uͤber ihrem Wirbel am groſſen Pontiſchen
Koͤnige Mithridates ein grauſamer Schwantz-
Stern auff. Dieſe ſeine Eigenſchafft ward
durch einen ſo wol ſeiner Geburt/ als Herr-
ſchafft vorleuchtenden Schwantz-Stern von
dem Himmel ſelbſt angedeutet; der wol ſiebzig
Tage mit ſeiner feurigen Rutte der Welt ge-
draͤuet/ ja das vierdte Theil des Himmels ein-
genommen/ und den Glantz der Sonne ſelbſt
unter gedruͤckt haben ſoll. Sein Vater Mi-
thridates hatte den Roͤmern wider den Ariſtoni-
cus Beyſtand geleiſtet/ und dardurch den Nah-
men eines Roͤmiſchen Bundgenoſſen/ wie auch
das groͤſſere Phrygien erworben; ward aber in
der von ſeinem Vater Pharnaces eroberten
Stadt Sinope von den Seinigen ermordet.
Dem jungen nuꝛ eilfjaͤhrigẽ Mithridates ward
von ſeinen Vormuͤnden ſelbſt mit Gifft und
Schwerdt nachgetrachtet; welches ihm die Er-
lernung der Kraͤuter-Wiſſenſchafft die Erfin-
dung eines kraͤfftigen Gegengiffts an die Hand
gab; und verurſachte: daß er vier Jahr unter
keinem Dache ſchlieff; ſondern in Waͤldern und
Gebuͤrgen wohnte/ alſo Leib und Gemuͤthe zur
Arbeit und Tugend abhaͤrtete. Hiernechſt lernte
er wol zwey und zwantzig Sprachen; fuͤr welche
Wiſſenſchafft ihm ſein vom Fluſſe Halys biß an
Armenien ſich erſtreckendes Reich viel zu en ge
war. Daher er bey angetretener Herrſchafft
ſich zum Herren aller der Voͤlcker zu machen
luͤſtern ward/ mit welchen er reden konte. Wor-
mit er nun weder denen maͤchtigen Roͤmern/
noch den Aſiatiſchen Nachbarn keinen Arg-
wohn wieder ſich erregte/ machte er mit dieſen
Buͤndniße/ verknuͤpffte ſich mit den Deutſchen
in Galatia/ Thracien/ und denen Baſtarnen;
ſetzte hierauff uͤber das Euxiniſche Meer in das
Aſiatiſche Sarmatien/ nahm daſelbſt die Stadt
Gorgippia/ Hierus/ ja alles diſſeits des Berges
Corax von dem Fluſſe Jcaruſa biß an die Cim-
meriſche Meer-Enge in einem Sommer ein.
Der Galatiſchen Deutſchen Fuͤrſt Herrmann/
welcher zum erſten feſten Fuß geſetzt hatte/ baute
daſelbſt am Munde des Fluſſes Pſychrus nach
ſeinem Nahmen die Stadt Hermonaſſa. Fol-
genden Feldzug richtete er wieder den Antipa-
ter Siſis den Fuͤrſten in Colchis/ zwang ihn
auch ihm ſein gantzes Gebiete abzutreten. Als
er ſich nun derogeſtalt von ſeiner Pontiſchen
Graͤntze an biß an den Fluß Corar Meiſter
gemacht hatte; brachte er es durch den Ruhm
ſeiner Tapfferkeit dahin: daß die in dem Tau-
riſchen Cherſoneſus bey dem Partheniſchen
Vorgebuͤrge von denen aus der Pontiſchen
Stadt Heraclea uͤberfahrenden Handels-Leu-
ten erbaute/ und von den Scythen erweiterte
Stadt Cherſoneſus ihn als ihren Schutzherren
zu Huͤlffe rufften; weil ſie der Scythen Ge-
walt nicht mehr gewachſen war. Wie nun der-
gleichen Beruff der ſcheinbarſte Vorwand/ und
das ſicherſte Mittel iſt/ ſich fremder Laͤnder zu
bemaͤchtigen. Alſo wuſte der verſchmitzte Mi-
thridates ſich auch unter dem Scheine anderer
Beſchirmung ſein Gebiete meiſterlich zu ver-
groͤſſern. Der Cherſoneſiſche Koͤnig Scilurus
mit ſeinen 80. ſtreitbaren Soͤhnen machte ihm
zwar eine Weile ziemlich zu ſchaffen; Aber nach
dem er den Fuͤrſten Palack auffs Haupt geſchla-
gen/ und wol dreyßig ſeiner Bruͤder gefangen/
muſte nur dieſes Reich ſich unter Mithridatens
Bothmaͤßigkeit niederſencken. Der benachbaꝛte
Boſphoriſche Koͤnig Periſades hatte nicht ein-
mal das Hertze den Degen zu zuͤcken; ſondern er-
keñte alſofoꝛt Mithridaten fuͤr ſeinẽ Oberherꝛen.
Der ſich aus der Schlacht fluͤchtende Palack
brachte zwar zu wege: daß der zwiſchen dem Ri-
pheiſchen Gebuͤrge deꝛ Meotiſchen See/ denen
Fluͤſſen Buges und Poꝛytus herꝛſchende Koͤnig
der Roxolaner Taſius mit 50000. außerleſenen
Kriegsleuten biß an die Land-Enge des Cherſo-
neſus einbrach/ und die Stadt Taphre eroberte;
ſo hegegnete ihnen doch Mithridatens Feld-
Oberſter
[928[930]]Sechſtes Buch
Oberſter Diaphantus mit zwantzigtauſend wol-
gewaffneten Maͤñern/ gegen welche der Roxo-
laner Ochſen-haͤutene Helme/ und von Wieten
geflochtene Schilde nicht den Stich hielten/ de-
rogeſtalt: daß Tanſius kaum mit tauſend Pfer-
den entkam. Diophantus baute hierauff dem
Mithridates zu Ehren an den Tamyraciſchen
Seebuſem die Stadt Eupatorium; und von
ſolchem Buſeme in der Enge eine Mauer biß
an den Byceſiſchen See; wordurch den Roxo-
lanen und andern Scythen aller Einfall ge-
nungſam verwehrt ward. Mithridates ſelbſt
ſegelte uͤber die Meotiſche See/ und nahm an
dem Einfluſſe des Tanais die beruͤhmte Han-
dels-Stadt Tanais/ an der See die Staͤdte
Patarre/ Azara/ Tyrambe/ Geruſa und Cim-
merium ein; wordurch er gleichſam beyder
Meere/ und des Aſiatiſchen Thraciens Mei-
ſter ward/ ja gleichſam die Brodt- und Saltz-
Kammer fuͤr Grichenland und Aſien in ſeine
Haͤnde bekam. Sintemahl alleine der Cher-
ſoneſus ihm jaͤhrlich hundert und achzig Mal-
ter Getreyde und zweyhundert Talent Silber
zinſete. An Schiffen und Volcke aber ward
er ſo reich: Daß er nunmehr funffzig tauſend
Reuter/ und drittehalb hundert tauſend Fuß-
Knechte auff den Beinen/ vier hundert Kriegs-
Schiffe im Waſſer hatte; welche biß an die
Saͤulen des Hercules die Meere durchkreutz-
ten/ und viel Orte mit Hunger und Raub plag-
ten. Die Tauroſcythen zwiſchen dem Fluße
Pacyris und Pantycapes wurden zwar uͤber
dieſer maͤchtigen Nachbarſchafft eyverſuͤchtig/
und banden mit dem Mithridates an; Aber er
ward derſelben durch den Vortheil der Waf-
fen und die Kriegs-Wiſſenſchafft ſeines geuͤb-
ten Heeres/ welches Neoptolemus fuͤhrte/ nach
zweyen Schlachten maͤchtig. Dieſe faſt uneꝛhoͤꝛ-
te Siege verſtaͤrckten ſeine ererbte Macht wol
zehenfach; noch mehr aber vergroͤſſerte ſie der
Ruhm von dem groſſen Mithridates bey allen
Nord-Voͤlckern. Sintemahl alle zwiſchen
dem Boryſthenes und dem Thraciſchen Bos-
phorus wohnenden Voͤlcker mit ihm ſich in
Buͤndniß einlieſſen. Dieſer ſeiner Herrſch-
ſucht aber ſtrich er eine ſcheinbare Farbe durch
angenommene Andacht an; indem er nicht nur
in das eroberte Eyland Macra des Achilles;
ſondern mit Zulaſſung ſeiner Bundsgenoſſen
an dem ſich mit dem Hippanis vermaͤhlend en
Boriſthenes der Ceres/ und an des Axiaces Ein-
fluſſe des Neoptolemus Tempel erbaute; wel-
che aber Feſtungen aͤhnlicher/ als Heiligthuͤ-
mern waren; Dadurch er denen benachbarten
Voͤlckern einen Kapzaum anlegte. Weil nun
ſein endlicher Zweck war die Roͤmiſche Macht
als die bißherige Schiffbruchs-Flotte aller
Machten uͤber einen Hauffen zu werffen; ſchick-
te er einen Fuͤrſten der Galatiſchen Deutſchen
in Deutſchland und Gallien/ machte mit ſelbten
ein geheimes Buͤndniß: daß wenn er mit den
Roͤmern brechen/ und in Griechenland einfal-
len wuͤrde/ ſie uͤber die Alpen dringen ſolten.
Wie er diß alles derogeſtalt auff feſten Fuß ge-
ſetzt; inſonderheit die ſtreitbaren Scythen und
Deutſchen unter ſeinen Krieges-Fahnen hatte/
meinte er es nun Zeit zu ſeyn gegen ſeine Nach-
barn loß zu brechen. Zumahl die Koͤnige in
Syrien und Egypten durch innerlichen Krieg
und Mord ſich ſelbſt derogeſtalt abmergelten:
daß dieſe vorhin ſo groſſe Sternen nunmehr
ſchlechte Lichter in aller Nachbarn Augen wa-
ren. Damit die Roͤmer ihm auch nicht bald
in die Karte ſehen moͤchten/ ſchickte er eine
Bothſchafft mit vielem Gelde nach Rom/ dar-
durch er die meiſten Raths-Glieder beſtach.
Und weil Apulejus Saturninus ſolches merck-
te/ die Geſandten auch nicht hoͤflich genung em-
pfing; waͤre er ſeines Kopffs verluſtig worden;
wenn nicht der Poͤfel ihn dem Urthel des Raths
durch Dreuung entriſſen haͤtte. Unterdeſſen
machte er mit dem Koͤnige Nicomedes einen
Vertrag; daß ſie Paphlagonien einnehmen
und mit einander theilen wolten; welches denn
auch
[929[931]]Arminius und Thußnelda.
auch wegen ermangelnden Hauptes auszuuͤben
ſie wenig Muͤh und Zeit koſtete. Biß hieher
waren die deutſchen Mithridates treue Werck-
zeuge ſeiner vielen Siege geweſt; als er aber ſo
nahe Galatien graſete/ fingen ſie an den groſſen
Schotten zu empfinden/ mit dem dieſer maͤch-
tige Rieſe ſie zu daͤmpffen anfing/ und alſo ihrer
Schantze durch klugen Argwohn wahrzuneh-
men. Marius kam hieruͤber unter dem Scheine
eines der Cybele im Cimbriſchen Kriege zu bau-
en gelobten Tempels in Aſten; ſein wahrer
Zweck aber war die Gemuͤther und Verfaſſun-
gen der Aſiatiſchen Koͤnige auszuk und ſchafften.
Und weil er nun im Friede ſein Anſehen ver-
welcken ſahe/ daſelbſt Drachen-Zaͤhne zum
Wachsthume eines neuen Krieges auszuſaͤen.
Dieſer kam auch nach Sinope zum Mithrida-
tes; da er denn nach genoſſenen vielen Ehren
und bezeugter groſſer Vertrauligkeit dem Koͤni-
ge in ein Ohr ſagte: Er muͤſte entweder lernen
den Roͤmern gehorſamen/ oder ſich maͤchtiger
machen als ſie waͤren. Mithridaten war diß ge-
nung. Daher hielt er nun nicht mehr fuͤr rath-
ſam ſeine Klauen zu zeigen/ und wolte vielmehr
denẽ ſeine Heimligkeiten ausſpuͤrenden Roͤmern
zuvor kom̃en. Daher fiel er als ein Blitz in Cap-
podocien ein/ erlegte ſeiner Schweſter Laodice
Mann den Koͤnig Ariarathes/ und bemaͤchtig-
te ſich des gantzen Reiches. Ehe er aber diß
voͤllig einnahm/ kamen auff der Deutſchen
heimliche Nachricht Roͤmiſche Geſandten in A-
ſten/ welche ſo wol Mithridaten als Nicome-
den alles gewonnene wieder abtreten hieſſen.
Nicomedes erklaͤrte ſich zu gehorſamen; Gab
aber halb Paphlagonien ſeinem Sohne und zu-
gleich einen neuen Nahmen Pylemenes Allein
Mithridates ſagte: Paphlagonien waͤre ſchon
ſeinem Vater zugefallen; Daher ſie ihm zu ſpat
ſeine Erbſchafft ſtreitig machten. So bald auch
er mit Cappadocien fertig war/ fiel er mit gan-
tzer Macht in Galatien ein; weil die Deutſchen
ihre Huͤlffs-Voͤlcker zu Hauſe geruffen/ und ſei-
nem Verdachte nach bey den Roͤmern geklagt
hatten. Die Deutſchen begegneten zwar mit
weniger Macht aber mit unverzagtem Muthe
dem Mithridates/ biß eine neue Bothſchafft von
Rom kam; welche ihn aus Galatien zu weichen/
und denen Scythen die am Boriſthenes mitler
Zeit abgenommene Stadt Olbia/ wie auch den
Tempel der Ceres zu raͤumen durch von ferne
gezeigte Waffen bewegte. Die Deutſchen
wurden hiermit nicht allein der Roͤmer/ ſondeꝛn
auch Nicomedens Bundsgenoſſen; und Mi-
thridaten ſo viel mehr ein Dorn in Augen. Ni-
comedes heyrathete hierauff Laodicen Ariara-
thens Wittib; Und weil er mit dieſer etliche fe-
ſte Schloͤſſer bekam; bemaͤchtigte er ſich mit
Huͤlffe der Deutſchen der Staͤdte Saralus/
Landoſia und Senatra. Aber Mithridates
kam als ein Falcke dahin geflogen; eroberte
das verlohrne/ und ſetzte des durch den Cappa-
dociſchen Uberlaͤuffer Gordius erlegten Koͤ-
nigs Ariarathes Sohn daſelbſt zum Koͤnige ein.
Nicomedes muſte dieſen edlen Fuͤrwand des
Mithridates ihm belieben laſſen; nach zweyen
Monathen aber ruͤckte er mit neuer Heeres-
Krafft wieder in Cappadocien; weil der junge
Ariarathes dem Gordius nicht das halbe Koͤ-
nigreich abtreten wolte. Dieſer aber kriegte
von Deutſchen/ Bithyniern und Baſtarnen in
kurtzer Zeit ſo viel Huͤlffe: daß Mithridates mit
achzigtauſenden zu Fuß/ zehntauſenden zu Roſ-
ſe und ſechs hundert Streit-Wagen nicht zu
ſchlagen getraute; Beſonders da fuͤnff hundert
deutſche Reuter wol zwey tauſend ſeines Vor-
trabs in die Flucht gejagt hatten. Daher nahm
er ſeine Zuflucht zur Argliſt; und nach dem er
Ariarathen unter einer freundlichen Unterre-
dung vom Frieden bewegt hatte/ ſtach er ihm
im Angeſichte beyder Heere einen Dolch in
Bauch. Dieſer Fall des Hauptes nahm denen
ohne diß unter einander zwiſtigen Cappadoci-
ern das Hertze: daß ein Theil die Flucht ergriff/
das andere zum Mithridates freywillig uͤber-
Erſter Theil. B b b b b bgieng.
[930[932]]Sechſtes Buch
gieng. Daher die Deutſchen und Baſtarnen
auch ihre Schwerdter einſteckten; Und/ weil ih-
nen Mithridates ein groſſes Stuͤcke Geldes
auszaͤhlte/ wieder nach Hauſe kehrten. Mi-
thridates aber machte ſeinen achtjaͤhꝛigen Sohn
zum Koͤnige/ und gab ihm den Nahmen Aria-
rathes/ und den Gordius zum oberſten Staats-
Diener zu; Gleich als wenn die Annehmung
eines Cappadociſchen Nahmens/ und die Be-
ſtellung eines eingebohrnen Dieners auch den
Beſitz ſelbiger Krone rechtfertigte. Wie aber
nicht nur Gordius/ ſondern Mithridates die
Cappadocier mit Schaͤtzungen zu ſehr erſchoͤpf-
te/ und wider ſie als uͤberwundene Feinde/ nicht
als Unterthanen verfuhr/ machten ſie einen all-
gemeinen Auffſtand/ berufften des ermordeten
Ariarathes Bruder aus Aſien zu ihrem Koͤnige.
Alleine Mithridates gewann durch eine einige
Schlacht gantz Cappadocien wieder; der ent-
ronnene Koͤnig aber ſchoͤpffte daraus ſolchen
Unmuth: daß er kurtz darnach ſo wol den Geiſt
als die Sehnſucht nach ſeinem vaͤterlichen Rei-
che ausbließ. Nicomedes ward hieruͤber Blat-
ſcheu/ und bekuͤmmert fuͤr ſein Bithynien;
ſchickte alſo einen ſchoͤnen Knaben mit ſeiner
Gemahlin Laodice nach Rom/ welche daſelbſt
dieſ[e]n ihren dritten mit dem Ariarathes erzeug-
ten Sohn ausgab/ und um Einſetzung in Cap-
padocien anhielt. Mithridates begegnete durch
ſeinen Geſandten Pelopidas dieſer Unwahr-
heit mit einer andern/ und gab ſeinen in Cap-
padocien zum Koͤnige gemachten Sohn fuͤr ein
Kind des Artarathes aus/ der den Roͤmern wi-
der den Ariſtonicus in Macedonien beygeſtan-
den haͤtte. Der Rath zu Rom aber wieß bey-
de mit ihrem Geſuch ab/ und erklaͤrte auff der
Deutſchen in Galatien Gutachten ſo wol die
Paphlagonier/ als Cappado ier fuͤr freye Voͤl-
cker. Welche letztern aber ſich fuͤr die zwar an
ſich ſelbſt unſchaͤtzbare/ ihnen aber/ die zum Ge-
horſam gebohren/ und zum Herrſchen unfaͤhig
waͤren/ unanſtaͤndige Freyheit bedanckten/ und
um einen Koͤnig baten/ ohne dem ſie zu leben
nicht getrauten. Hierauff ſetzten die Roͤmer
einen Cappadociſchen Fuͤrſten Ariobarzanes
durch der Deutſchen Koͤnig in Galatien zum
Koͤnige ein. Mithridates muſte diß geſchehen
laſſen; und/ um nicht mir Rom und den Deut-
ſchen welchen die Roͤmer ein Theil des groͤſſern
zwiſchen dem Fluſſe Meander und Hermus
gelegenen Phrygiens/ wie auch den beruͤhmten
Saltz-See Tatta verehrte/ zur Unzeit zu bre-
chen/ ein Auge zuthun. Gleichwol kochte ſein
Hertz Rache; und daher vermaͤ[h]lte er ſeine
Tochter Cleopatra dem Armeniſchen Koͤnige
Tigranes; welcher durch ſeine Heerfuͤhrer Mi-
thra as und Bagoas den friedſamen Ariobarza-
nes uͤber Halß und Kopff aus Cappadocien
trieb; und Mithridatens Sohn Ariarathes
wieder darein einſetzte. Weil nun durch un-
auffhoͤrliches Blutver gieſſen der Selevkiſche
Stamm gleichſam gar vertilget war; er wehlten
die Syrier den Tigranes zu ihrem Koͤnige.
Dieſe zwey Begebnuͤſſe verurſachten: daß der
Roͤmiſche Rath den gluͤcklichen Sylla in Cili-
cien ſchickte/ ſo wol den Tigranes/ als Mithri-
dates zu beobachten. Weil aber die uͤber beyder
Koͤnige Verwandniß und Macht ſorgfaͤltige
Deutſchen dem Sylla mit aller Macht unter
die Armen zu greiffen ſich erboten/ und dem Ti-
granes bey Zeite zu ſteuern in Ohren lagen/ fiel
er mit wenig Roͤmern/ und meiſt Deutſchen in
Cappadocien ein/ ſchlug den ihm begegnenden
Gordius/ hernach den Bagoas mit ſeinen Ar-
meniern aus dem Felde/ und machte den nach
Rom geflohenen Ariobarzanes weider zum Koͤ-
nige; und war der erſte Roͤmer/ der mit ſeinen
Waffen biß an den Fluß Euphrates drang-
Der Parthiſche Koͤnig Arſaces ſchickte dahin
Oro[b]azen in Bothſchafft zum Sylla/ machte
mi[t] den Roͤmern Freundſchafft; da denn Sylla
das Gluͤcke hatte auff einem erhobenen Stuhle
zwiſchen dem Koͤnige Ariobarzanes und des
maͤchtigſten Koͤnigs Bothſchafftern zu ſitzen;
wiewol
[931[933]]Arminius und Thußnelda.
wiewol dieſer ſeinen Nach-Sitz zu Hauſe mit
dem Kopffe gelten muſte. Hierauff aber krieg-
ten die Roͤmer in Jtalien genung zu ſchaffen;
und Nicomedes ſtarb mit Verlaſſung zweyer
Soͤhne. Der aͤltere Nicomedes maſte ſich mit
Belieben der Roͤmer des Reichs an; der juͤng-
ſte Socrates Chreſtus aber flohe zum Mithri-
dates um Huͤlffe; weil ſein aͤlteſter nur von der
Taͤnzerin Nyſa gebohrner Bruder zu herrſchen
nicht faͤhig waͤre. Mithridates ergriff dieſe
erwuͤnſchte Gelegenheit mit beyden Haͤnden/
fiel unter dem Nahmen des Socrates/ welcher
die Deutſchen mit vielen Geſchencken ihm zu
helffen/ oder zum wenigſten ſtille zu ſetzen an-
gieng/ in Bithynien/ und ward deſſen unter ei-
nem ſo ſcheinbaren Vorwandte zeitlich Mei-
ſter; weil die meiſten Feſtungen dem Sohne
der Laodice Socrates die Schluͤſſel entgegen
brachte. Weil nun Mithridates ſich der Zeit
zu bedienen/ und das Eiſen/ weil es noch gluͤet/
zu ſchmieden fuͤr rath ſam hielt/ brach er auf ei-
ner/ und Tigranes auff der andern Seite in
Cappadocien/ und vertrieben mit eben ſo leich-
ter Muͤh den Ariobarzanes zum andern mahl
daraus. Der Roͤmiſche Rath ſchickte den Aqvi-
lius hierauff in Aſien zum Mithridates; wel-
cher aber ſich uͤber viel von den Roͤmern ange-
thanes Unrecht und ausgeſogenes Geld be-
ſchwerte; iedoch endlich auff keinem Theile zu
ſtehen ſich erklaͤrte. Hierauff ruͤckte Caßius
mit wenigen Roͤmern und Phrygiern/ der Ga-
latier Koͤnig Amyntas aber mit einer anſehnli-
chen deutſchen Macht in Bithynien/ und hier-
auff in Cappadocien/ ſetzten dort den Nicome-
des/ hier Ariobarzanen wieder auff den Stul.
Mithridates und Tigranes richteten aus Ver-
druß uͤber der Roͤmer Beginnen ein Buͤndniß
wieder ſie auff/ mit der Abrede: daß jener alles
Land/ dieſer alles bewegliche zur Beute haben
ſolten. Mithridates ſetzte auch eine groſſe Men-
ge Volckes aus ſeinem volckreichen Scythien
und Sarmatien uͤber; nahm viel Phoͤniciſche
und Egyptiſche Schiffer und Schiff-Zimmer-
Leute in Beſtallung/ ſchickte Bothſchafften zu
den Baſtarnen/ Thraciern/ Geten/ Daciern/
Sarmaten/ Deutſchen/ ja gar biß zu den Cim-
bern/ und friſchte ſelbte mit reichen Geſchen-
cken/ und Verſprechung noch herrlicher Beute
wider die Roͤmer als die allgemeinen Feinde des
menſchlichen Geſchlechtes/ und die unerſaͤttli-
chen Raͤuber der Welt auff. Am allermeiſten
lag er den Deutſchen in Galatien in Ohren;
welche ohne diß auff die Roͤmer und den Nico-
medes unwillig waren; weil ſie fuͤr die Erobe-
rung Bithyniens und Cappadociens ihnen mit
Verſprechung guͤldener Berge das Maul auf-
geſperret/ aber nichts als Wind gelieffert hat-
ten; brachte ſie auch durch alle nur erſinnliche
Mittel/ inſonderheit aber durch die aus Jtalien
an ihn geſchickte Geſandtſchafft der Marſen/
Samniter und Lateiner/ welche der Roͤmer La-
ſter auffs ſchwaͤrtzeſte abmahlten/ ſo wol als die
an Colchis ſtoſſende Jberier auff ſeine Seite/
und Tigranes die Meden in ihr gemeines
Buͤndniß. Zumahl dieſe augenſcheinlich war-
nahmen: daß die Roͤmiſchen Befehlhaber in A-
ſien aus Begierde zum Kriege/ und Hoffnung
reicher Beute ſich an Mithridates mit Gewalt
rieben/ ja der Roͤmiſche Rath ihn/ ungeachtet er
ſtille ſaß/ durch eine Bothſchafft ſchimpflich be-
dreute/ ihn mit Strumpff und Stiel auszurot-
ten/ da er mehr einem Nachbar zu nahe kommen
wuͤrde. Der junge Nicomedes ward auch durch
der Roͤmer Verhetzung ſo kuͤhn: daß er in das
Pontiſche Reich einfiel/ und biß an die Stadt
Amaſtris mit Raub und Mord ſtreiffte; welches
der Mithridates ungeachtet der bey der Hand
habenden Waffen mit Fleiß vertrug/ und zu
Rom durch den Pelopidas ſich daruͤber be-
ſchwerte/ um ſeinem vor haben den Kriege ſo viel
mehr Farbe der Gerechtigkeit anzuſtreichen.
Nicomedes hingegen rechtfertigte ſeinen Ein-
fall mit dem Nahmen einer billichen Rache fuͤr
angethanes Unrecht; gab fuͤr einen Frieden-
B b b b b b 2bruch
[932[934]]Sechſtes Buch
bruch an: daß Mithridates den Tauriſchen
Cherſoneſus beſaͤſſe; weil die Roͤmer allen Aſia-
tiſchen Koͤnigen in Europa uͤberzuſetzen verbo-
ten hatten; und durch ſo viel Buͤndniße nichts
anders als Rom zu bekriegen anzielte. Wie nun
Pelopidas keine Aus richtung erhielt/ ſondern
nach zweydeutiger Antwort aus dem Rathhau-
ſe zu gehen genoͤthiget ward; waffnete Mithri-
dates auf erhaltene Nachricht in ſeinem gantzen
Reiche; ſchickte ſeinen Sohn Ariarathes in Cap-
padocien und entſetzte wie ein durchdringender
Blitz den Ariobarzanes zum dritten mahl ſelbi-
gen Reiches; den Pelopidas aber und Nican-
dern nach Rom/ zum Roͤmiſchen Feld-Herrn
Maltinus/ mit der Andeutung: Sie ſolten ih-
rer gleißneriſchen Freundſchafft ein Ende ma-
then/ ihm wieder Nicomeden Recht verhelffen/
oder er wuͤrde es ſelbſt thun. Seine Hoheit
litte es nicht: daß er nach ihm abgenommenen
Phrygien/ welches ſein Vater fuͤr die den Roͤ-
mern geleiſtete Huͤlffe/ oder vielmehr fuͤr viel
Gold bekommen/ Cappadocien/ welches ſeinen
Vor Eltern zugeſtanden/ endlich das durch
Kriegs-Recht gewonnene Bithynien noch im-
mer mehr ihm auf den Fuß treten ließe. Der
Geiſt ſeines tapffern Vaters Evergetes/ der
ihm ein zwantzig-hundeꝛt-tauſend Schritte lan-
ges Gebiete verlaſſen/ wuͤrde ihn beunruhigen;
die von ihm bezwungenen Colchier/ Scythen
und Sarmater an dem Euxiniſchen Meere
wuͤrden ihn mit Rechte nicht laͤnger zu ihrem
Haupte erdulden/ wenn er ſich zum Gauckel-
Spiele eines weibiſchen Bithyniers machen
lieſſe. Sie moͤchten alſo entweder mit der
Rechts-Huͤlffe einen redlichen Frieden/ oder den
Krieg eꝛwehlen/ da ſie nicht nuꝛ mit ihm/ ſondeꝛn
mit Parthern/ Armeniern/ Thraciern/ Baſtar-
nen/ Scythen/ Tauriskern/ Deutſchen und al-
len zwiſchen dem Tanais und Jſter wohnenden
Voͤlckern mehr/ als ſie meinten/ zu thun bekom-
men wuͤrden. Die Pontiſchen Geſandten aber
wurden ſchimpflich abgewieſen; und derogeſtalt
beyderſeits die eifrigſte Kriegs-Ruͤſtung fuͤr die
Hand genommen. Lucius Caßius brachte aus
ſeinem Pergameniſchen Aſien/ Phrygien/ und
des Galatiſchen Fuͤrſten Teporgis deutſchen
Huͤlffs-Voͤlckern viertzig tauſend Mañ zuſam-
men/ und theilte ſie mit dem Aqvilius und Ap-
pius Claudius. Minutius Rufus hatte im
Pamphiliſchen Meere eine Schiffs-Flotte bey
der Hand; und Cajus Popillius verwahrte mit
einer andeꝛn den Mund der Thraciſchen Meeꝛ-
Enge. Nicomedes fuͤhrte abſonderlich ſechs und
funffzig tauſend Kriegs-Leute ins Feld. Mi-
thridatens zwey tapfere Feld-Hauptleute Neo-
ptolemus und Archelaus begegneten ihm am
Fluſſe Amnia mit dem an dem leichteſten
Kriegs-Volcke beſtehenden Vortꝛabe; Mithri-
datens Sohn Arcathias fuͤhrte darbey fuͤnff tau-
ſend Armeniſche/ und Nordbert drey tauſend
deutſche Reuter. Dieſer und Archelaus blieb in
einem Thale mit hundert Sichel-Wagen zum
Hinterhalte ſtehen; Neoptolemus und Arcathi-
as aber nahmen wegen der ihnen an Menge uͤ-
berlegenen Bithynier eine felſichte Hoͤhe ein.
Nach eines halben Tages vortheilhaffter und
tapferer Gegenwehr aber trieb Nicomedes die
Pontiſchen Voͤlcker vom Berge/ und in die
Flucht. Alleine Archelaus und Nordbert gien-
gen den Bithyniern ſo ernſtlich in die Seite: daß
es ſie vergieng die Fluͤchtigen zu verfolgen; ſon-
dern Nicomedes muſte gegen dieſe ſtrengen
Feinde eine neue Schlacht-Ordnung machen.
Hieruͤber brachen die hundert Streit-Wagen
ein; welche mit denen ſich an Sicheln und Raͤ-
dern anhaͤngenden zerfleiſchten Menſchen noch
mehr Schrecken als Schaden verurſachten.
Neoptolemus und Ar[c]athias triegten inzwi-
ſchen Lufft ſich wieder zu ſetzen; gin gen auch den
Bithyniern ſo heꝛtzhaft in Ruͤcken: daß Nicome-
des/ nach dem er unterſchiedene mahl die Luͤcken
ſeines getreñten Heer es gaͤntzt hatte; zuletzta-
ber alle Verfaſſung uͤber einen Hauffen geworf-
fen ward/ muſte er nur mit wenigem Adel ſeiner
Leib-
[933[935]]Arminius und Thußnelda.
Leibwache die Flucht nehmen/ und ſein gantzes
Kriegs-Volck im Stiche laſſen; worvon aber
Mithridates alle Gefangenen mit Verehrung
eines Zehrpfennigs loß ließ/ um den Anfang ſei-
nes Sieges mit dem Ruhme ſeiner Guͤtigkeit
deſto herrlicher zu machen. Die Roͤmiſchen
Heerfuͤhrer wurden durch dieſen Verluſt/ da
nicht einſt der Kern des Pontiſchen Heeres eine
viel ſtaͤrckere Macht erlegt hatte/ heftig beſtuͤrtzt;
ſonderlich/ da die Zeitung zugleich kam: daß die
Thracier und die am Jſter wohnenden Voͤlcker
Macedonien verwuͤſteten. Der Roͤmiſche Rath
erklaͤrte hierauf den Marius zum Feld-Herrn
wider Mithridaten/ Sylla aber weigerte ſich
ihm das Kriegs-Heer abzutreten; und ruͤhmte
ſich: daß dieſer Zug ihm gehoͤrte. Sintemal ihm
die zu Rom nach Cappadociſcher Art verehrte
Kriegs-Goͤttin im Traume den Blitz zuge-
reicht/ und beyzuſtehen verſprochen haͤtte. Allein
Mithridates wartete dem blutigen Buͤrger-
Kriege dieſer zweyer verbitterten Raub-Voͤ-
gel nicht aus; ſondern kam dem Koͤnige Pylaͤ-
menes in Paphlagonien mit anderthalb hun-
dert tauſend Mann ſo geſchwind auf den Hals:
daß er nicht einſt Zeit hatte/ ſeine Kriegs-macht
zuſammen zu ziehen; ſondern die den Vortrab
habenden Deutſchen hatten nur genug mit Be-
ſetzung der verlaſſenen oder ſich ergebenden
Oerter zu thun. Mithridates richtete ſeinen
Zug dergeſtalt gerade gegen dem Fluſſe San-
gar und Bithynien. Aqvilius Maltinus/ und
der entroñene Nicomedes hattẽ ſich am Scobo-
riſchẽ Gebuͤrge verſchantzt. Weil aber ein Sar-
matiſcher Fuͤrſt Radzivil mit hundert ſeiner
Reuter acht hundert ihm bege gnende Bithyni-
ſche Reuter in die Flucht ſchlug/ zwey hundert
gefangen brachte/ welche Mithridates aber mals
mit Geſchencken in ihr Vaterland ſchickte/ ging
Nicomedes des Nachts heimlich durch/ und eilte
zum Lucius Caßius uͤber den Fluß Sangor. Als
Maltinus auf den Morgen diß erfuhr; brach er
ebenfalls auf mit Vorſatze ſich in das Lindyni-
ſche Gebuͤrge zu ziehen. Allein Neoptolemus
Mithridatens und Menophanes der Armeni-
ſche Feldherr ereilten ihn an einer Bach/ zwan-
gen ihn zu ſchlagen; und erlegten ihm zehntau-
ſend ſeiner beſten Kriegs-Leute. Aqvilius ver-
ließ nach erlangter Nachricht ſein Laͤger mit al-
lem Vorrathe zur Beute der ihm auf der Ferſen
folgenden Deutſchen; und entkam mit genauer
Noth uͤber den Fluß Sangar/ und von dar nach
Pergamus. Weil nun Mithridates abermahls
alle Aſiatiſche Gefangenen mit ſeidenen Roͤcken
und andern Gaben von ſich ließ/ ihnen die Frey-
heit und die Loßlaſſung von dem Roͤmiſchen Jo-
che verſprach/ gewann er in Aſien mehr durch
ſeine Leitſeligkeit/ denn durch Waffen. Mehr
als hundert groſſe Staͤdte ſchickten ihm Ge-
ſandten und die Schluͤſſel zu ihren Feſtungen
entgegen/ hieſſen ihn ihren Erhalter/ opferten
ihm wie einem Gotte; alſo: daß nach vergebens
geſuchter Huͤlffe in Phrygien Caßius nach A-
pamea/ Maltinus nach Rhodis/ Nicomedes
nach Pergamus/ ja endlich gar nach Rom ſich
fluͤchtete. Die am Munde der Thraciſchen
Meer-Enge liegenden Schiffe giengen theils
durch/ theils zum Mithridates uͤber. Die Bi-
thyniſchen Staͤdte ſtritten mit einander gleich-
ſam um die Ehre und den Vorzug/ welche ſich
dem groſſen Mithridates am erſten ergeben
haͤtte. Alſo ward er in wenig Tagen Herrſcher
in Bithynien; Und nachdem er durch Erlaſ-
ſung aller Schulden aller Gemuͤther gewoñen/
alle Kriegs-Leute reichlich beſchenckt hatte; hielt
er ſeinem Heere fuͤr: Sie haͤtten nunmehr durch
ihre Siege gelernet: daß die Roͤmer keine unuͤ-
berwindliche Goͤtter; ſondern Menſchen/ ja ge-
gen Helden feige Leute waͤren. Pyrrhus haͤtte
mit 5000. Macedoniern ſie dreymal geſchlagen.
Añibal 16. Jahr ſie im Hertzen Jtaliens beaͤng-
ſtiget; uñ daß eꝛ Rom nicht gewoñen/ haͤtten nicht
der Roͤmer Kraͤſten; ſondern ſeine miß guͤnſtige
Landsleute verhindert. Die Deutſchen haͤtten
Rom gar eingenom̃en/ und verbꝛeñt; und die nuꝛ
B b b b b b 3noch
[934[936]]Sechſtes Buch
noch uͤbrige Spitze eines Berges waͤre durch ein
Loͤſe geld erhalten worden. Die bey ihm ſtehen-
den Galatiſchen Deutſchen waͤren eben ihres
Urſprungs; ja ihre Tapfferkeit durch die in Jl-
lyrien/ Thracien und Aſien gefuͤhrte Kriege
noch mehr geſchaͤrfft worden. Was haͤtten ih-
nen nicht die Cimbern und Marſen fuͤr em-
pfindliche Wunden geſchlagen? Wenn nun ſo
viel ſtreitbare Voͤlcker den gemachten herrlichen
Anfang mit ihm hertzhafft verfolgen wolten;
traute er in kurtzer Zeit ſein ihm durch Berau-
bung ſo vieler Laͤnder/ durch Verwerffung des
tapffern Gordius zum Cappadociſchen Koͤnige/
durch Auſſwie gelung des Tantzmeiſters Nico-
medes angethanes Unrecht zu raͤchen; und ihre
wieder alle Koͤnige der Welt hegende Todfeind-
ſchafft auszuleſchen. Sintemahl ſie alle ihnen
nach der Unart ihrer gehabten Koͤnige fuͤrbil-
deten; als welche entweder nur der Aborige-
ner Hirten/ der Sabiner Wahrſager/ oder ver-
wieſene Corinthier/ ja Leibeigene der Thuſcier
geweſt waͤren; und keiner keinen ehrlichern Zu-
nahmen als eines Hoffaͤrtigen verdient haͤtten.
Jhre Uhrheber aber haͤtten nichts minder die
Grauſamkeit als die Milch aus den Wartzen
einer Woͤlfin geſogen; welche wilde Art das
gantze Volck durch unerſaͤttlichen Blutdurſt/
Geitz und Herrſchſucht angenommen/ oder viel-
mehr uͤberſtiegen haͤtten. Seiner Herrſchafft
aber wuͤrde ſich hoffentlich kein Volck zu ſchaͤ-
men haben/ weil er vom Vater des groſſen Cy-
rus und Darius/ von der Mutter des noch groͤſ-
ſern Alexanders und Nicanors Enckel waͤre.
Das von Alexandern gar nicht oder ungluͤcklich
beruͤhrte Scythien haͤtte er noch in ſeiner Kind-
ſchafft ihm unterworffen. Das viel mildere A-
ſien laͤchſete unter dem Roͤmiſchen Joche/ und
Jtalien ſelbſt ſeuffzete gleichſam nach ſeiner
Herrſchafft. Das gantze Heer gab mit Zuſam-
menſchlagung der Schilde und einem Feldge-
ſchrey ihre Beypflichtung zu verſtehen. Tibor-
gis/ der das Didymiſche Gebuͤrge bewohnen-
den Deutſchen Fuͤrſt verließ nunmehr auch den
furchtſamen Aqvilius. Mithridates aber ruͤckte
mit geſamter Macht in das den Roͤmern un-
mittelbar unterwuͤrffige Phrygien/ und ſchlug
zum gluͤcklichen Zeichen ſein erſtes Laͤger an
dem Orte/ wo es der groſſe Alexander gehabt
hatte. Das Geluͤcke lieh gleichſam ſeinem Sie-
ge die Fluͤgel; und die Ausbreitung ſeiner Herꝛ-
ſchafft kam ſeiner Einbild- und Hoffnung zuvor.
Er ſelbſt nahm Phrygien und Myſien ohne
Verluſt einigen Schweiſes oder Blutes ein.
Neoptolemus bemeiſterte Carien und Lycien;
Archelaus Pamphylien; der Deutſchen Koͤnig
Lydien und alles biß an Jonien und Epheſus.
Ja als er nur die maͤchtige Stadt Laodicea an
dem Fluſſe Lycus durch einen Herold auff for-
dern/ und auff erfolgende Ausliefferung der
Roͤmer alle Gnade ankuͤndigen ließ; banden die
Einwohner den Roͤmiſchen Stadthalter Qvin-
tus Oppius mit allen Roͤmern/ uͤberliefferten
ſie dem Amyntas/ und oͤffneten ihm die Stadt-
Thore. Jn Jonien meinte Maltinus/ Ma-
nius Aqvilius in dem Eylande Lesbos Mithri-
daten die Stirne zu bieten; aber beyde wurden
gefangen/ und ihr Volck erſchlagen; Oppius
zwar hoͤflich/ aber Aqvilius/ als der Uhrheber
des Pontiſchen Krieges/ ſcharff gehalten/ an-
fangs an einer Kette von einem fuͤnff Ellen
langen Baſtarnen hinter dem Pferde nachge-
ſchleppt/ hernach den uͤber ihn erzuͤrnten Mi-
tylenern uͤbergeben; Manius ſeines Geitzes
halber taͤglich gepruͤgelt/ auff einem Eſel her-
um gefuͤhret/ und zu Pergamus ihm zerſchmol-
tzen Gold in Hals gegoſſen. Hierauff ergab
ſich auch bald Magneſia und Epheſus/ all wo al-
ler Roͤmer Bilder abgeſtuͤrtzt/ und aus ſelbten
Mithridatens gegoſſen wurden. Stratoni-
cea in Carien wiederſetzte ſich zwar noch dem
Neoptolemus; Aber Mithridatens Ankunfft
jagte ihr ein ſolch Schrecken ein: daß ſie ſich er-
gab; iedoch dieſen groſſen Koͤnig bald zu ihrem
eigenen Gefangenen bekam. Denn er verliebte
ſich
[935[937]]Arminius und Thußnelda.
ſich in die ſchoͤne Minoma des Mileſiſchen Phi-
lopemenes Tochter; welche er auch/ als ſie ihm
nicht um funff zehen tauſend Pfund Goldes den
Beyſchlaff verſtatten wolte/ gar ehlichte/ und
zur Koͤnigin erklaͤrte. Mithridates/ weil er
nunmehr ſchon die Roͤmer fuͤr unverſohnlich/
auch ſich von ihnen mehrmahls beſchimpfft und
beleidiget hielt; auch auffs neue erfuhr: daß
man ſeinem Geſandten Pelopidas zu Rom die
Verhoͤr und den Einzug verſagte/ auch etliche
ſeiner Bedienten in der Tiber erſaͤufft hatte/ ſan
auff eine ihm zugleich die wanck elmuͤthigen A-
ſiater verſichernde Rache; Befahl alſo einiger
Meynung nach/ auf des Rutilius eines zu Mi-
tylene gefangenen Roͤmers Einrathen/ in gantz
Aſien den dreyßigſten Tag alle Roͤmer zu er-
ſchlagen. Welches wegen der auf den einen
oder andern Fall darauf geſetzten Preiße und
Straffen mit ſolchem Eyver vollzogen ward;
daß die Trallianer dieſe Abſchlachtung einem
Paphlagonier Theophilus veꝛdingten/ und we-
der der Tempel der Diane zu Epheſus/ das
Bild des Eſculapius zu Pergamus noch das
Heiligthum der Cybele zu Peßimut von Roͤmi-
ſchem Blute unbeſpritzt blieb. Wordurch denn
Aſien ſich mit Rom zu verſohnen gleichſam alle
Hoffnung benommen/ und dem Mithridates
treu zu bleiben gefaͤſſelt wurden. Dieſer ruͤſte-
te ſich nunmehr maͤchtig zur See aus/ um die in
der Schiffarth allen uͤberlegene und wieder-
ſpenſtige Rhodier zu bezwingen/ hier durch aber
andere entfernte Eylande ſo viel leichter zur
Unterwerffung zu bringen. Der Wind oder
das Gluͤck trieb ihn vielmehr auff das benach-
barte Eyland Caus; auff welch[e]m er des Egy-
ptiſchen Koͤnig Alexanders Sohn uñ einen von
ſeiner Groß-Mutter Cleopatra dahin gefluͤch-
teten unglaublichen Schatz/ wie auch der Aſia-
tiſchen Juden ver ſamml[e]ten und nach Jeruſa-
lem zu ſchicken beſtim̃ten Reichthum/ und dar-
durch die rechten Spann-Adern des Krieges
in ſeine Gewalt bekam. Hier auf griff er zwar
die Stadt Rhodos zur See und zu Lande an;
ihre Geſchickligkeit aber uͤberwog ſeine Macht;
und ruͤhmten ſie ſich: daß die Goͤttin Jſis die
nahe an ihrem Heiligthum zu Sturme lauffen-
den Feinde mit Feuer und Blitz zuruͤck getrie-
ben haͤtte. Pelopidas belaͤgerte inzwiſchen die
in Lycien noch uͤbrige Stadt Patana/ in wel-
cher Apollo durch die ſechs Winter-Monathe
wahrſagen ſoll. Wie nun ſein Volck zum
Sturmzeuge in dem denen Unholden gewied-
meten Heyne etliche Baͤume umhieben/ ward
es durch ein daraus erſchallen des Gelaͤchter ab-
geſchreckt; und als Pelopidas auff der Wahr-
ſager Rath ihnen eine Jungfrau opfferte; wel-
che nach ihrer Abſchlachtung nicht weniger zu
lachen anfteng. Alſo trat gleichſam das Ver-
haͤngniß des Mithridatens Siegen in Weg.
Er ſelbſt brachte zu Pergamus die beſte Zeit mit
Liebkoſung der Monoma zu; und die deutſchen
Fuͤrſten/ welche ihrer Thaten halber ſich nicht
hoch genung geſchaͤtzt achteten/ zohen meiſt mit
Unwillen nach Hauſe/ andere waren der Pon-
tiſchen Herrſchafft/ und dieſes hochmuͤthigen
Koͤniges/ welcher ſich nunmehr den jun gen Ba-
chus nennen ließ/ ſchon uͤberdruͤßig/ und unter-
hielten heimliches Verſtaͤndnuͤß mit den Roͤ-
mern; ja ſtellten ihm gar nach dem Leben. Das
Verhaͤngniß ſelbſt kuͤndigte durch unterſchie-
dene Ungluͤcks-Zeichen dem Mithridates eine
Umwechſelung ſeines Gluͤcks an. Jnſonder-
heit ſchreckte ihn und das Volck: daß die von
den Pergamenern durch Kunſt gefluͤgelte und
gleichſam vom Himmel kommende Siegs-
Goͤttin/ welche dem einziehenden Mithrida-
tes eine Krone auffſetzen ſolte/ durch Zerreiſſung
des Drates ſtecken blieb/ die Krone aber zu Bo-
den und in Stuͤcken warff. Gleichwol aber
bemaͤchtigte der tapffere Archelaus aller Cycla-
diſchen Eylande biß an das Peloponneſiſche
Vorgebuͤrge Malea/ der Stadt Chalcis/ gantz
Euboͤens und in Theſſalien der See S[t]adt E-
retria; und erſchlug in Beſatzungen mehr als
zwantzig
[936[938]]Sechſtes Buch
zwantzig tauſend Roͤmer. Daswegen ſeiner
Heiligkeit unbefeſtigte Eyland Deles/ welches
die Griechen der Goͤtter Vateꝛland hieſſen/ und
darauf weder ein Weib gebohren/ noch einige
Leiche begraben lieſſen/ nahm Wartenberg ein
deutſcher Reuter mit ſeinen Deutſchen Huͤlffs-
Voͤlckern ohne einigen Wiederſtand ein. Weil
nun dieſe nur einen unſichtbaren GOtt verehr-
ten/ nahmen ſie alle Schaͤtze aus dem Tempel
des Apollo/ und trugen ſie in das Heiligthum
der Goͤttlichen Verſehung: welche aber hernach
theils Metrophanes/ theils Ariſtion daraus
raubte/ und mit ſelbten ſo gar Brunnen anfuͤll-
te. Hingegen weil ſie an der Grichen Abgoͤt-
tern Abſcheu trugen/ warffen ſie alle ihre Bil-
der zu Boden und machte Wartenberg mit dem
groſſen fuͤr des Apollo Tempel ſtehen dem ertzte-
nen Drachen den Anfang; daraus er tauſend
Schilde gieſſen/ und zum Gedaͤchtnuͤſſe an ſelb-
te einen ſie umflechtenden Drachen etzen ließ;
ſie aber hernach in Deutſchland ſchickte. Das
beruͤhmte guͤldene Bild des Apollo/ warff ein
Deutſcher/ weil es ihm nicht wie fuͤr Zeiten der
Ptoiſche Apollo ſeinem Lands-Manne Myn
antworten wolte/ gar ins Meer. Die hieruͤ-
ber ſich entſetzenden Grichen aber tichteten: daß
diß Bild durchs Meer geſchwommen/ und im
Peloponneſus bey der Stadt Boaͤ angelendet
waͤre; dahin hernach dem Epideliſchen Apollo
ein Tempel gebaut ward. Der von Athen beym
Mithridates befindliche Geſandte Ariſtion ließ
ſich entweder ſein Gluͤcke/ oder ſeine Geſchencke
blaͤnden; daß er die Stadt Athen durch den
thummen Poͤfel auf Mithridatens Seite/ und
ihre Herrſchafft unter ſich brachte. Archelaus
machte hierauf Athen gleichſam zu ſeinem
Kriegs-Schloſſe; und bewegte daraus die A-
cheer/ Spartaner/ Thebaner/ und gantz Beo-
tien zum Beyfalle; haͤtte auch mehr ausgerich-
tet/ wenn nicht Bruttius Sura ihm die Wage
gehalten haͤtte; und das Gluͤcks-Kind Sylla
mit fuͤnff Legionen Roͤmern/ und wol noch ſo
viel Huͤlfs-voͤlckern/ darunter auch drey tauſend
Deutſche waren/ in Grichenland ankommen
waͤren. Dieſer gewann durch ſeine vorange-
hende Oberſten Thebe und Beotien ohne
Schwerdſchlag wieder/ er ſelbſt brach in Attica
ein/ und ſchlug den Feind aus dem Felde; Alſo:
daß Ariſtion ſich nach Athen/ Archelaus in die
den Attiſchen Meer-Hafen bewahrende Fe-
ſtung Pyraͤeum fluͤchten muſte. Jene umſetz-
te er/ um ſie durch Hunger zu zwingen; dieſe
aber/ welche Pericles mit einer aus groſſen vier-
eckichten Steinen erbauten Mauer faſt unuͤ-
berwindlich gemacht hatte/ belaͤgerte er ſelbſt/
und ließ von Thebe alleine auff zehntauſend
Maul-Thieren Sturm-Zeug dahin bringen.
Weil aber diß noch nicht zulangte/ wurden alle
heilige Waͤlder und Puͤſche abgehauen/ welche
den Goͤttern geweihet waren/ oder die hohen
Schulen der alten Weltweiſen ziereten. Sein
Armuth/ in dem der zu Rom wuͤtende Cinna uñ
Marius nur auf Abſchlachtung der Buͤrger/
nicht Erlegung der Feinde dachten/ zwang ihn
alle Kirchen-Schaͤtze zu Olympia/ Epidaurus
und Delphis anzugreiffen; worbey der Aber-
glaube oder die Heucheley aus ſprengte: daß A-
pollo mit einem aus der Delphiſchen Hoͤle er-
ſchallenden Lauten-Gethoͤne ſeinen Raub ge-
billiget haͤtte. Weil nun ſo wol Sylla zu Be-
ſtuͤrm-als Archelaus zu Vertheidigung des Py-
raͤeum alle Kriegs-Kuͤnſte hervor ſuchten/ ja viel
neue erfunden/ viel ungeheure Thuͤrme gegen
einander erbauten/ und ſelbte durch Kunſt-Feu-
er anzuͤndeten/ oder nach dem ſie durch Alaun
fuͤr dem Brande verſichert wurden/ durch Un-
ter grabungen uͤber einander warffen/ Archelaus
auch zur See offt mit friſchem Volcke/ und
ſonderlich tauſend außerleſenen Deutſchen/ wel-
che der Galatiſche Fuͤrſt Toredorich aus Gala-
tien dahin ſchickte/ verſtaͤrckt ward/ und die Roͤ-
mer mit unauf hoͤrlichen Ausfaͤllen beunruhig-
te; Hinge gen zwey Attiſche Leibeigene in her-
aus geſchoſſenen bleyernen Kugeln alle inwen-
dige
[937[939]]Arminius und Thußnelda.
dige Anſtalt dem Sylla verriethen; war diß ei-
ne ſo merckwuͤr dige Belaͤgerung/ welche allen
vorher gehenden die Wage hielt/ und ein Mu-
ſter aller kuͤnfftigen abgeben konte. Unter-
deſſen gieng die von Hunger auffs euſſerſte ab-
gemer gelte Stadt Athen/ welche aus Mangel
Oels ſo gar der Minerva ewiges Feuer ausle-
ſchen ließ/ durch einen unvermutheten Anfall
bey dem unbeſetzten Heptachalcum durch
Sturm uͤber/ und hielt Sylla uͤber die abgebro-
chene Stadt-Mauer ſeinen Einzug; worbey ſo
viel Blut vergoſſen ward: daß es Strom-weiſe
biß in die See floß. Die beym Sylla ſich auf-
haltende zwey verwieſenen Midias und Calli-
phon verbaten mit Noth diß ihr Vaterland: daß
er es nicht gar vertilgte. Endlich nahm Sylla
auch nach unglaublicher Muͤh und Durchbre-
chung ſechs neuer Mauern/ die Archelaus bey
waͤhrender Belaͤgerung hinter einander aufge-
fuͤhrt hatte/ die Feſtung Pyreaͤum ſtuͤrmender
Hand ein; welche aber Archelaus bey verſpiel-
ter Sache mit des Philo beruͤhmten Zeug-Hau-
ſe anzuͤndete/ und ſich mit ſeinem uͤbrigen Vol-
cke in das befeſtigte Eyland Munychia zuruͤck
zoh. Mitler Zeit verſetzte Munatius bey Chal-
cis fuͤrnehmlich durch Tapfferkeit der Deut-
ſchen Reuterey dem Neoptolemus einen harten
Streich; hingegen nahm Arcathias mit Huͤlffe
des deutſchen Fuͤrſten Dejotar und Dromiche-
tes ſamt ihren theils in Galatien/ theils in
Thracien wohnenden Deutſchen/ welche Mi-
thridates wieder auf ſeine Seite gebracht hatte/
die Stadt Amphipolis/ gantz Macedonien den
Roͤmern ab; ja ſie drangen gar in Epir/ zuͤnde-
ten den Delphiſchen Tempel an/ und zerſtoͤrten
des Dodoniſchen Jupiters Heiligthum. Arca-
thias ſtarb hieruͤber; alſo ward Taxiles Ponti-
ſcher Feldherr/ welcher die Phociſche Stadt E-
latea belaͤgerte/ und mit hundert tauſend Fuß-
Knechten/ zehntauſend Reutern/ neunzig Si-
chelwagen uͤbeꝛ den Fluß Cephißus gegen Athen
fortꝛuͤckte. Sylla ruͤckte ihm mit der meiſten Roͤ-
miſchen Macht funff zehnhundert Deutſchen/
und acht tauſend Grichen in Beotien entgegen;
weil ohne diß die unfruchtharen Attiſchen Ge-
buͤr ge ihn kaum laͤnger bewirthen konten. Bey-
de Heere kamen nicht weit von Elatea unter
dem Dauliſchen Gebuͤrge gegen einander zu
ſtehen; iedoch muſte Sylla/ ob ſchon der den
Berg Parnaßus uͤberkletternde Hortenſius zu
ihm ſtieß/ wegen weniger Reuterey ſich in einer
dem/ mit dem Fluſſe Aßus ſich veymengenden
Cephißus nahen Flaͤche verſchantzen/ und den
von Munychia hieher zuvor gekommenen Ar-
chelaus die Staͤdte Panopeus und Lebadea in
ſeinem Geſichte einnehmen laſſen. Nach dem die
Pontiſchen Voͤlcker ihn mehrmals zuꝛ Schlacht
ausgefordert/ ruͤckte Archelaus gegen die Stadt
Cheronea zu/ in willens ſich nach Chalcis zu zie-
hen; Gabinius aber kam ihm mit einer Legion
in Cherea zuvor; Sylla folgte; und als er wahr-
nahm: daß Archelaus zwiſchen ſelbigem ber gich-
ten Orte weder ſein Heer ausbreiten/ noch die
Reuterey brauchen koͤnte; ſtellte er nach dem
Murena ſein Heer gegen den Archelaus in
Schlacht-Oꝛdnung. Als dieſeꝛ nun auch daꝛmit
umgieng/ ſiel Ericius und Gabinius/ welchen
Homolerich und Anaxidamus zwey Cheronen-
ſer einen geheimen Steig uͤber den Berg Thu-
rius gewieſen hatte/ denen Aſiatiſchen Voͤlckern
ſo unvermuthet uͤber den Hals: daß ſie daſelbſt
3000. ſitzen lieſſen/ und theils gegen des Arche-
laus Laͤger/ theils gegen den Roͤmiſchen lincken
Fluͤgel getrieben wurden/ und dort ihre eigene
Schlachtordnung zerꝛuͤtteten hieꝛ abeꝛ uͤbel em-
pfangen wurden. Archelaus ließ zwar gegen die
andringenden Roͤmer 60. Sichel-Wagen loß;
weil ſie aber aus Mangel des Raubes all zulang-
ſam fortrenneten; oͤffneten dieſe ihre Schlacht-
Ordnung/ und lieſſen ſich ſelbte ſonder einigen
Schaden verreñen; wur den alſo ihre Pferde uñ
Fuͤhrer von dem mit den Grichẽ im Hinter halte
ſtehen den Sulpitius leicht erlegt. Fuͤrſt Dejotar
bot zwar auch mit ſeiner deutſchen Reuterey
Erſter Theil. C c c c c cdem
[938[940]]Sechſtes Buch
dem Sylla eine weile die Spitze; aber die Zag-
heit der Aſiaten/ der Vortheil des Roͤmiſchen
Fuß-Volcks/ und der abſchuͤßige Streit-Platz
machte: daß ihrer viel bey ſolchem Gedraͤnge
uͤber die Felſen ſtuͤrtzten; und weil ſie nicht ent-
ſetzt wurden/ nicht wenig Noth litten; ſonder-
lich/ weil Murena funffzehn tauſend vom Ar-
chelaus freygelaſſene Grichiſche Knechte mit
Schleuderern und Vogenſchuͤtzen leicht in Ver-
wirrung brachte. Dejotar wickelte ſich mitler
Zeit zwar aus dem Gedraͤnge/ und rieth dem
Archelaus ſich in ſein vortheilhafftes Laͤger zu
ziehen; aber er wolte lieber alles/ als etwas ver-
lieren; ſtreckte daher ſeinen rechten Fluͤgel um
einen Berg herum; damit er die Roͤmer gleich-
ſam mit ſeinem viel ſtaͤrckern Heere umſchluͤſſen
moͤchte. Galba und Hortenſius bothen ihm
wol die Spitze; alleine Dejotar und Dromi-
chetes ſchnitten ſie von dem Roͤmiſchen Heere
gantz ab; machten nicht allein alles nieder; ſon-
dern verurſachten auch den Sylla: daß er mit
der Roͤmiſchen Reuterey ſelbſt dahin eilen mu-
ſte. Archelaus welcher das feindliche Haupt zu
erdruͤcken haͤtte bemuͤht ſeyn ſollen/ verließ die-
ſen Platz; und meinte bald des verlaſſenen Roͤ-
miſchen Fluͤgels Meiſter zu werden. Alſo kam
es dort wie der zu gleichem Gefechte; und weil
Murena inzwiſchen friſche Huͤlffe kriegte/ ge-
rieth Taxiles in die Flucht. Die faſt gantz im
Stiche gelaſſenen Dejotar und Dromichetes
kamen nach euſſerſter Gegenwehre mit Noth
davon. Jedoch haͤtte noch ein groſſes Theil
des Pontiſchen Heeres gerettet werden koͤnnen/
wenn nicht Archelaus fuͤr den Fluͤchtigen die
Pforten des Laͤgers verſchloſſen/ und bey ſchon
gantz verlohrnem Spiele ſie mehr hitzig als ver-
nuͤnfftig mit blanckem Degen zum Fechten zu-
ruͤck getrieben haͤtte. Endlich oͤffnete er zwar
das Laͤger/ aber zu ſpaͤt; indem die Roͤmer zu-
gleich mit eindrangen/ und ſelbtes eroberten.
Alſo verlohr Mithridates dieſen Tag wol ſech-
zig tauſend Kriegs-Leute; wiewol die Roͤmer
die Zahl wol auf hundert tauſend ver groͤſſerten;
hingegen ſich nicht zu ſchaͤmen tichteten: daß
nur zwoͤlff Roͤmer todt blieben waͤren; Da doch
Fuͤrſt Dejotar ihrer mehr mit ſeiner Hand er-
legt hatte; und uͤber zehntauſend edlen Grichen
Begraͤbnuͤß-Male auf gerichtet wurden. Ar-
chelaus entrann mit zehntauſenden nach Chal-
cis; die uͤber des Archelaus ſchlimmer Anfuͤh-
rung aber verdruͤßlichen Fuͤrſten Dejotar und
Dromichetes fuͤhrten ihre Deutſchen durch
Theſſalien/ und Macedonien in Thracien;
welches dem Archelaus Gelegenheit gab/ durch
Verleumdung der Deutſchen/ ſamb ſie ihn ver-
laſſen haͤtten/ ſein Verſehen zu entſchuldigen/
und auf ſie Mithridatens Zorn und Galle ab-
zuleiten. Weil nun dieſer ohne diß ihnen ſo
wenig als denen uͤberwundenen Aſiaten traute;
entbot er mit vielen Verheiſſungen unter dem
Scheine mit ihnen geheimen Rath zu halten/
die Fuͤrſten Dejotar/ Toredorich/ und wol noch
ſechzig der fuͤrnehmſten aus dem Adel nach Per-
gamus. So bald ſie dahin kamen/ verbot er
keinen aus der Stadt zu laſſen/ ließ auch ihre
Gemahlinnen und Kinder unter dem Scheine
der Ehren dahin erbitten. Dieſe Gewalt und
Undanck barkeit gieng ihnen ſo ſehr zu Hertzen:
daß ſie Mithridatens Tod beſchloſſen; und haͤtte
Toredorich ihn in dem Richt-Saale hingerich-
tet/ wenn nicht ein Grichiſcher Leibeigener den
Anſchlag verrathen haͤtte. Woruͤber der furcht-
ſame Mithridat derogeſtalk verbittert ward: daß
er noch ſelbigen Abend alle/ auſſer dem durch
Huͤlffe eines Frauen-Zimmers entkommenden
Dejotar/ und zwey andern Rittern/ mit ihren
Frauen und Kindern enthaupten/ und ihre Lei-
chen den Hunden fuͤrwerffen; das theils durch
bißherige Kriege geſchwaͤchte/ theils ihrer Haͤu-
pter entbloͤſte Galatien aber durch ſchnellen U-
berfall des Eumachus einnehmen/ und ſeiner
Herrſchafft unter werffen ließ. Dejotar flohe
in Thracien/ und ſchlug ſich mit ſeinen daſelbſt
gelaſſenen Deutſchen zum Sylla; welcher deñ/
als
[939[941]]Arminius und Thußnelda.
als Mithridatens neuer Feld-Herr Dorylaus
mit achtzig tauſend Kriegs-Leuten nach Chalcis
uͤberſetzte/ und Beotien durchſtreiffte/ den Roͤ-
mern groſſe Dienſte that. Wie auch Archelaus
nach ſeiner See-Rauberey/ und vergebens be-
laͤgerter Stadt Zacynthus zum Dorylaus
ſtieß; ermunterte er den Sylla: daß er bey der
Stadt Orchomenus im flachen Lande denen
Mithridatiſchen eine Schlacht zu lieffern wag-
te; nach dem er vorher des Nachts auf beyden
Seiten ſeines Heeres einen tieffen Graben ge-
fuͤhrt/ an der Stirne aber hinter denen vorder-
ſten Gliedern des Fuß-Volcks ſtarcke Pfaͤle
den Einbruch der Pontiſchen Reuterey und der
Sichel-wagen zu verhindern eingegraben hat-
te. Dejotar ſelbſt erwehlte mit ſeiner deutſchen
Reuterey hinter dem dreyfach geſtellten Fuß-
Volcke in einer Tieffe zu ſtehen. Die Ponti-
ſchen Streit-Wagen blieben zwiſchen den Pfaͤ-
len ſtecken/ oder trennten gar ihre eigene
Schlacht-Ordnung. Die Reuterey ſtutzte an
dem unvermutheten Graben. Hingegen fey-
erten die Roͤmer mit ihren Bogen und
Schwerdtern nicht; biß Archelaus/ nach dem
ein Stuͤcke des Grabens mit Leichen gefuͤllet
war/ mit ſeiner Reuterey durchbrach/ und zwey
Legionen zertrennte; Alſo: daß Sylla ſelbſt
vom Pferde ſpringen/ und durch Zuruffung:
Sie moͤchten ihren Feldherrn nicht ſo ſchimpff-
lich im Stichelaſſen/ ſie mit Noth zu Stande
bringen muſte. Welches aber wegen des dar-
zu kommenden Dorylaus nicht lange getauert
haͤtte; weñ nicht die durch das ihnen Raum ma-
chende Volck herfuͤr ſprengende/ und den Fein-
den gleichſam vom Himmel auf den Hals fal-
lende Reuterey vom Fuͤrſten Dejotar beyden
Heerfuͤhrern tapffer unter die Augen und in die
Hacken gegangen waͤre. Dejotar durchrennte
ſelbſt des Archelaus Stieff-Sohn Diogenes/
und er ſelbſt muſte weichen. Weil nun Sylla
hierdurch Lufft kriegte/ die Pontiſche Phalanx
zu zertrennen; gerieth endlich alles in die Flucht.
Funffzehn tauſend Aſiaten biſſen ins Graß;
Acht tauſend wurden gefangen; Den dritten
Tag darauf das vom Archelaus beſetzte Laͤger
geſtuͤrmet/ erobert/ und alles nieder gemacht;
alſo: daß der Fluß Cephißus von den Leichen
angeſchwellet/ der Copaiſche See auch von dem
Blute ſoll gefaͤrbt worden ſeyn. Der uner-
bittliche Sylla ließ nur zwantzig tauſend aus
den Suͤmpffen hervor gezogene ermorden; aus
denen aber der drey Tage verſteckte Archelaus
noch nach Chalcis entkam. Wie nun hierauf
Grichenland wieder Roͤmiſch ward/ und in A-
ſien die Stadt Epheſus den Zenobius ermorde-
te/ welcher zu Chios zwey tauſend Talent er-
preßt und die Einwohner als Sclaven nach
Colchos geſchickt hatte; andere Staͤdte wegen
Mithridatens Grauſamkeit abfielen/ viel ſich
ihn zu toͤdten verſchwuren; die Deutſchen auch
wieder unter dem ſich uͤber das Euxiniſche
Meer in Galatien ſpielenden Dejotar Mithri-
datens Beſatzungen austrieben; der in Aſien uͤ-
berſetzende Roͤmiſche Feld-Herr Flavius Fim-
bria auch den jungen Mithridates in Bithyni-
en zweymahl/ ja den Koͤnig Mithridates ſelbſt
aus dem Felde ſchlug/ die Stadt Pitane/ dar-
aus Mithridates kaum durch des Lucullus ver-
wahrloſung entſchlipte/ wie auch Pergamus
und Jlium/ Lucullus das Eyland Chios ero-
berte/ und den Neoptolemus bey Tenedos aus
der See trieb; ließ dieſer endlich durch den Ar-
chelaus mit dem Sylla auf ſolche Bedingun-
gen einen Frieden behandeln: daß Mithridates
ſich Galatiens/ Aſiens und Paphlagoniens ent-
euſſern/ Bithynien dem Nicomedes/ Cappado-
cien dem Ariobarzanes abrreten/ den Roͤmern
zwey tauſend Talent und ſi[e]bentzig geſpitzte
Schiffe abtreten ſolte. Ob nun wol Mithri-
dates ſo ſchwere Geſetze genehm zu haben eine
weile Bedencken trug/ und den Archelaus we-
gen Verluſt zweyer ſo maͤchtiger Heere ver-
daͤchtig hielt; ſonderlich/ weil Sylla mit ihm
als ein Bruder mit dem andern umgieng/ ihn
C c c c c c 2einen
[940[942]]Sechſtes Buch
einen Roͤmiſchen Freund und Bund genoſſen
hieß und ihm in Eubea zehntauſend Huben A-
ckers ſchenckte; ſo zohe doch dieſer ungluͤckliche
Koͤnig dem Sylla biß zur Stadt Dardanus
entgegen/ und beliebte nach einer langen Unter-
redung den geſchloſſenen Frieden. Worauff
denn beyde/ gleich als wenn ſie niemahls gegen
einandeꝛ den Degen gezuͤckt haͤtten/ als veꝛtrau-
te Freunde einander umhalſeten und kuͤßten;
die Deutſchen alſo unter dem Fuͤrſten Dejotar/
nach dem ſie ſich zwiſchen der Roͤmiſchen und
Pontiſchen Macht ſeltzam durch geſchraubtha-
ten/ zwar wieder zur Ruh/ aber nicht zu ihren
alten Kraͤfften und Anſehen kamen.
Sylla hingegen ſaß dem Fimbria auff den
Hals/ und zwang ihn: daß er zu Pergamus ſich
in dem Tempel des Eſculapius ermordete; gleich
als diß Laſter verzweiffelter Zagheit eine den
Heiligthuͤmern anſtaͤndige Andacht waͤre. Wie-
wol/ wenn es einigen Schein der Tugend an-
nehmen kan/ es ihm ſein Knecht zuvor that/ der
des Fimbria Leben und Schmertzen durch ſei-
nen Dolch vollends abhalff/ und hernach ſein ei-
gen Blut deſſen Leiche aufopfferte; Deſſen Le-
ben er ſeine Dienſte ſo treulich gewiedmet hatte.
Hierauf baute Sylla Jlium wieder auf/ ließ
ſich zu Athen in dem Elevſiniſchen Heiligthume
ein weihen; behandelte vom Tejus Apelicon/
das Ariſtoteles und anderer weiſen Grichen
halb vermoderte Handſchrifften; und ließ den
Murena mit zwey Legionen in Aſten/ und den
Lucullus in der vergebenen Belaͤgerung der
Stadt Mytilene zuruͤcke. Hierauf erklaͤrte
ſich der in Jtalien kommende Sylla zwar: daß
er ſich dem Rathe unterwerffen wolte/ wenn al-
le vom verſtorbenen Cinna verjagten Buͤrger
wie der nach Rom beruffen wuͤrden; aber der
Buͤrgermeiſter Carbo verderbte alles Spiel/
und zuͤndete den grauſamen Buͤrger-Krieg an;
in welchem etliche tauſend Deutſche abermahls
das Blut-Bad muſten vergroͤſſern helffen.
Denn der Roͤmiſche Rath/ welcher nach des
Carbo Urthel mit einem in des Sylla Hertzen
wohnenden Loͤwen und Fuchſe zu thun hatte/
dorffte bey nahe keinem Roͤmer recht trauen/
nach dem Metellus/ Cethegus/ Verres/ Piſo/
der junge Pompejus/ und der Kern des Roͤmi-
ſchen Adels dem Sylla zufielen; Daher ließ er
den Junius Brutus/ die Helvetier/ Noricher
und andere Deutſchen mit groſſen Vertroͤſtun-
gen wieder den Sylla um Huͤlffe anflehen. Ein
Tribociſcher Fuͤrſt brachte ihm auch in Eyl drey
tauſend Reuter zu/ mit welchen er dem jun-
gen Cneus Pompejus/ der gleichſam als ein
neuer Gluͤcks-Stern aufgieng/ und mit der U-
berbleibung ſeines vaͤterlichen Heeres zum
Sylla ritte/ den Weg verbeugen wolte. Allein
des Brutiſchen Heeres Muͤdigkeit/ und die gar
zu hefftige Hitze des Tribociſchen Fuͤrſten/ wel-
cher zu eiffrig dem Pompejus ſelbſt auff den
Hals drang; und weil ſeine Lantze auff des
Pompejus Schilde zerbrach/ von ihm durch-
rennt ward/ oder vielmehr das fuͤr den Sylla
ſelbſt fechtende Geluͤcke waren Urſache: daß die
Deutſchen und das gantze Heer des Brutus ge-
ſchlagen ward. Worauff denn auch des Buͤr-
germeiſters Scipio Heer ihn verließ/ und zum
Sylla uͤbergieng; Pompejus aber/ der kaum
aus dem Piceniſchen Schul-Staube gediegen
war/ vom Sylla praͤchtig bewillkommet/ ein
Roͤmiſcher Feld-Herr begruͤſſet/ und am Po
denen anziehenden Deutſchen zu begegnen ver-
ſchickt ward. Der junge Marius zohe hierauff
zwar ein friſches Heer meiſt von Samnitern/
Marſen und Deutſchen zuſammen/ und grieff
den Sylla bey der Stadt Signia tapffer an;
weil aber im hitzigſten Treffen ſieben Roͤmiſche
Fahnen die Waffen niederwarffen/ und zum
Sylla flohen/ ward ſelbtes geſchlagen; und
entkam Marius mit genauer Noth nach Pre-
neſte. Pompejus und Metellus ſchlugen bald
darnach auch den Carbo/ und Rom ſperrte dem
Sylla ſelbſt das Thor auff. Ob nun wol dero-
geſtalt alles ſich fuͤr dem Sylla buͤckte; ja der
Buͤrger
[941[943]]Arminius und Thußnelda.
Buͤr germeiſter Carbo ſelbſt aus Jtalien lieff/ uñ
dreyßig tauſend Mann im Stiche ließ; ſo ließ
doch allein der Samniter tapfferer Fuͤrſt Pon-
tius Teleſius und Sultz ein deutſcher Ritter mit
ſeinen Huͤlffs-Voͤlckern den Muth nicht gar
ſincken/ ſondern munterten den zu ihnen ſtoſ-
ſenden Carnias/ Damaſippus und Marcius
auf: daß ſie zwiſchen des Sylla und Pompejus
Heeren durch/ und gerade nach Rom ruͤckten;
und ſich auf dem Albaniſchen Berge im Ge-
ſichte der Stadt laͤgerten/ und den ausfallenden
Appius Claudius mit vielem Adel erſchlugen.
Sylla eilte gleichfalls nach Rom/ und liefferte
ihnen fuͤr der Collatoniſchen Pforte eine
Schlacht; in welcher der den rechten Fluͤgel fuͤh-
rende Marius Craßus zwar des Carinas lin-
cken Fluͤgel geſtellten Samnitern und Deut-
ſchen ſo warm: daß der ſchon halb verzweiffeln-
de Sylla ein aus dem Delphiſchen Tempel ge-
raubtes/ und in einen Rubin gegrabenes Bild
des Apollo herfuͤr zoh/ und ſelbtes kniende um
den Sieg anruffte. Hierauff rennte er zwar
auf einem weißen Pferde allenthalben hin/ wo
die Noth am groͤſten war/ hielt die Fluͤchtigen
mit eigner Hand auf; und hielt da feſten Fuß/
wo niemand mehr ſtehen konte; ſo/ daß Teleſin
einen/ und Sultz den andern Wurffſpieß ihm
nahe am Leibe vorbey ſchmieſſen/ aber alles
war umſonſt; und konte niemand gegen den
ſchaͤumenden Sultz und Teleſin ſtehen; welcher
immer rieff: Man muͤſſe dieſe fuͤr Augen ſte-
hende Stadt als Jtaliens Wald ausrotten/
wenn man wolte der Woͤlffe loß werden. Alſo
gerieth der gantze Fluͤgel in die Flucht; die Roͤ-
mer lieſſen an den Stadt-Thoren die Fall-
Gatter nieder. Dieſer Auffenthalt zwang die
fliehenden Roͤmer ſich wie der zu wenden; und
ihre Verzweiffelung verneuerte das Gefech-
te; welches biß in die ſinckende Nacht waͤhrte;
alſo: daß beyde Theile biß auff eine geringe U-
berbleibung von des Sylla Volcke einander
im Finſtern gleichſam blind aufrieben; und
funffzig tauſend Leichen auf der Wallſtatt ge-
zehlet wurden. Darunter war Sultz/ Carnias/
Damaſippus/ und der noch unter den Todten
athmende Teleſin/ welchen Sylla die Koͤpffe
abſchlagen/ und ſie dem den Marius in Prene-
ſte belaͤgernden Lucretius zubringen ließ. Hier-
auf verfiel Sylla in ſo unmenſchliche Grauſam-
keit: daß er bey Ermordung acht tauſend Erge-
bener nur im Rathe laͤchelte/ den Marcus Ma-
rius nach aus geſtochenen Augen/ gepruͤgeltem
Ruͤcken/ tauſenderley Pein auf des Catulus
Grabe zerfleiſchen/ durchgehends alle Samni-
ter vertilgen/ alle vermoͤgende in die Acht er-
klaͤren ließ; ſo/ daß auch der dreyzehnjaͤhrige
Knabe Cato ſeiner Raſerey durch einen Dolch
abgeholffen haͤtte/ wenn es nicht ſein Lehrmei-
ſter Sarpedo verhindert. Nach dieſem erklaͤr-
ten die Roͤmer ihn zu ihrem ewigen Feldherrn/
raͤumten ihm auch uͤber ſich eine ſo unver-
ſchraͤnckte Macht ein: daß er Staͤdte bauen
und einaͤſchern/ Koͤnigreiche nehmen und ge-
ben/ auch ohne Rechts-weg verdammen und
toͤdten moͤchte/ wen er wolte. Und endlich
beſchloß er mit einem praͤchtigen Siegs-Ge-
praͤnge wegen des beſiegten Mithridates; dar-
innen unter ſo einer unſaͤglichen Menge Gol-
des und Silbers/ und ſo viel unzehlbaren Sel-
tzamkeiten wol nichts beſſers zu ſehen war: als
daß die vom Marius vertriebenen Buͤrger ſei-
nem Siegs-Wagen folgten/ und den Sylla
ihren Vater und Erhalter/ das Volck aber den
Gluͤckſeligen ausrufften.
Mitler Zeit wendete Mithridates allen moͤg-
lichſten Fleiß an die Gemuͤther der Deutſchen in
Galatiẽ wieder zu gewiñen/ mit derer Beyſtand
er unſchwer die beym Roͤmiſchen Kriege abge-
fallenen Colchier uͤberwand/ und auf ihre Bitte
ihnẽ ſeinen Sohn Mithridates zum Koͤnig gab.
Weil ſie dieſem jungen Fuͤrſten aber zu ſehr lieb-
koſten/ argwohnte er: ſein Sohn waͤre ihres Ab-
C c c c c c 3falls
[942[944]]Sechſtes Buch
falls Uhrheber geweſt; entbot er ihn freundlich
zu ſich/ ſchlug ihn in guͤldene Feſſel/ und ließ ihn
endlich durch den Rauch einer vergiffteten Fa-
ckel toͤdten; zu einem traurigen Merckmahle:
daß herrſchſuͤchtige Eltern nicht nur ihr Leben
aufopffern den Kindern Kronen zu erwerben;
ſondern auch Kinder ſchlachten/ um Kronen
nicht zu verlieren. Bald darauf ruͤſtete er et-
liche hundert Schiffe uͤber hundert tauſend
Kriegs-Leute aus/ ſolche wieder die aufruͤhri-
ſchen Boſphoraner zu fuͤhren. Weil aber Ar-
chelaus darbey keinen Dienſt bekam/ flohe er
zum Murena/ und brachte unter dem Vor-
wandte: daß Mithridatens allzugroſſe Ruͤſtung
nicht wider die ſchwachen Sarmater/ ſondern
die Roͤmer angeſehen waͤre/ zu wege: daß der
Kriegs-begierige Muvena in Cappadocien
ruͤckte/ und alles/ was noch Mithridatiſch war/
einnahm; ja die Stadt Cumana durch Sturm
eroberte. Mithridates ſchickte hierauf zwar
drey Grichiſche Weltweiſen an Murena; dieſe
aber riethen verraͤtheriſch mehr zum Kriege als
davon ab. Daher auch Sylla das gantze Land
durchſtreiffte/ und mit Raub und Brand ſo gar
nicht der Heiligthuͤmer ſchonte. Mithridates
ſchickte zwar auch eine Bothſchafft an den Syl-
la/ und den Roͤmiſchen Rath/ welche ſich uͤber
dieſen unverſchuldeten Friedenbruch beſch wer-
te; mit Bitte: Es moͤchten die Roͤmer doch un-
ter Feinden und Bundgenoſſen einen Unter-
ſcheid machen; Aber Murena ließ ſich nichts
irren; ſondern ſetzte uͤber den Fluß Halys/ raub-
te/ pluͤndetzte und kehrte mit groſſer Beute durch
Galatiẽ in Phꝛygien. Ungeachtet auch Callidius
von Rom kam/ und dem Murena einen Stille-
ſtand gebot; ſo kehrte er ſich doch wenig hieran/
und bedraͤngte ſo wol die Deutſchen als den Mi-
thridates. Wie nun jene zu den Waffen griffen;
wagte es endlich auch Mithridates; und jagte
beyder vereinbarte Macht nicht allein den Mu-
rena uͤber den Fluß Parthenius/ ſondern gar
in Phrygien. Viel des Roͤmiſchen Geitzes uͤ-
berdruͤßige Voͤlcker in Aſien fielen dem Mi-
thridates wieder zu; und in weniger Zeit ero-
berte er die von den Roͤmern beſetzte Oerter in
Cappadocien. Welchen Sieges halber er nach
dem Beyſpiele der auf des Cyrus Begraͤbnuͤß-
Berge bey der Stadt Paſargada opffernden
Perſen/ von welchen er entſproſſen war/ auf die
Spitze des Lyndiniſchen Gebuͤrges ſelbſt Holtz
trug/ und in einem auff hundert und dreyßig
Meilen ſichtbaren Feuer dem Kriegs-Gotte
Milch/ Honig und Oel opfferte. Nach dieſem
Verluſte kriegte Murena durch den Gabinius
von Syllen auffs neue Befehl den Mithrida-
tes und die Deutſchen nicht ferner zu reitzen;
zumahl den Roͤmern die einige Stadt Mytile-
ne ſo viel zu ſchaffen machte: daß ſie ſie nicht er-
obern konten. Gleich wol aber ward ihm zu
Rom ein Siegs-Gepraͤnge erlaubt. Mithri-
dates verglich ſich inzwiſchen mit dem Ariobar-
zanes; Und damit er die Cappadociſchen Fe-
ſtungen in ſeinen Haͤnden behalten konte/ gab
er ihm eines ſeiner Kinder zur Geißel. Hierauf
ſetzte er nach Colchis uͤber; uͤberſtieg den Cauca-
ſus/ und er weiterte ſein Gebiete biß an den Fluß
Cyrus. Hernach zaͤhmete er die noch unru-
higen Boſphoraner. Bey denen zwiſchen dem
Fluſſe Jcaruſa und Neſus unter dem Caucaſus
liegenden Acheern aber buͤſte er theils durch
Argliſt der Feinde/ theils durch Einbrechung
des Eyßes bey nahe zwey Theil ſeines Heeres
ein. Zu Rom hatte Sylla zeither als ein Herr
uͤber ſeine Leibeigene gebahrt/ den Lucretius
und andere zu hoch empor wachſende Koͤpffe ab-
geſchnitten/ Egypten einen Koͤnig gegeben/
zehntauſend Knechte frey gelaſſen/ und ſie alle
nach ſeinem Vornahmen genennet; nunmehr
aber ſchien ihm der aus Africa ſieghafft zuruͤck-
kommende Pompejus zu Kopffe zu wachſen;
welcher daſelbſt Hiempſaln das Reich Numidi-
en eingeraͤumt hatte; weßwegen ihm Sylla
ehrerbietig entgegen zoh/ ihn den groſſen Pom-
pejus hieß/ und ihm wieder die Geſetze ein
Siegs-
[943[945]]Arminius und Thußnelda.
Siegs-Gepraͤnge entraͤumte; ja/ vieler Mey-
nung nach/ um von dieſer aufgehenden Sonne
nicht ſchimpflicher verduͤſtert zu werden; ſich
ſelbſt in dem einſamen Schatten ſeines Cuma-
niſchen Vorwergs einſchloß/ und in einem Au-
genblicke ſich aller ſeiner Gewalt/ nach dem er
vorher viel Tage nach einander dem Roͤmiſchen
Volcke ein koſtbares Abſchiedsmahl gegeben/
und viertzig-jaͤhrigen Wein aufgeſetzt hatte/
enteuſſerte. Der groͤſte Trieb dieſer Entſchluͤſ-
ſung aber ruͤhrte von einem Cimbriſchẽ Prieſter
her/ welcher dem Sylla in der mit dem Koͤnige
Bojorich gehaltenen Schlacht aus den Gefan-
genen zu kommen/ und in ſeinem Hauſe zeither
blieben war. Dieſer hatte den Sylla zeither
theils durch Ruͤhrung ſeines Gewiſſens wegen
ſo viel vergoſſenen Blutes/ und ſeinem Vater-
lande geraubter Freyheit/ theils durch Ver-
nichtigung der Oberſten Gewalt/ welche nichts
als eine edle Dienſtbarkeit/ und ein Kreyß oh-
ne Mittel-Punct einiger Ruhe des Gemuͤthes
waͤre/ endlich ſo mirbe gemacht; daß er die mit
ſo viel Schweiß und Gefahr geraubte Wuͤrde
nunmehr als einen eitelen Dunſt verſchmehe-
te; und derogeſtalt derſelbe/ welcher fuͤr erlang-
tem Siege nicht genung zuloben/ nach ſelbtem
nicht ſattſam zu ſchelten war; die Neige ſeines
Alters klaͤrer und herrlicher machte als ſein
Mittel geweſt; ja hierdurch verdiente: daß
wie er beym Leben des Todes/ alſo in ſeinem
Tode des Lebens wuͤrdig zu ſeyn geſchaͤtzt wer-
den muſte; ungeachtet er an der denen Wuͤtte-
richen faſt eigenen Laͤuſe-Kranckheit ſolches mit
unſaͤglichen Schmertzen beſchloß. Daher ihm
auch bey ſeinem praͤchtigen Begraͤbnuͤße zwey
tauſend guͤldene Kronen fuͤrgetragen; ſeine A-
ſche und Gebeine in die alte Koͤnigliche Grufft
beygeſetzt wurden. Seine Leiche ward ſeinem
Befehle gemaͤß verbrennt; da doch alle Edlen
zeither in Rom ſich hatten beerdigen laſſen; viel-
leicht aus Beyſorge: Es moͤchte aus gerechter
Rache ſeinen/ wie des Marius Gebeinen ge-
hen/ die er hatte ausgraben und in den Fluß A-
nien ſchuͤtten laſſen. Daher fand man in des
Sylla Holtz-Stoſſe eine Zypreſſen-Tafel/ in
welche nachfolgendes kuͤnſtlich eingeſchnitten
war:
Hierauff entſpan ſich in Hiſpanien der grau-
ſame Krieg des vom Sylla verbannten Ser-
torius; in welchen gleichſam die Seele des Ma-
rius und Annibals gefahꝛen zu ſeyn ſchien. Deñ
als zu Rom durch ein Geſetze allen/ die auf des
Marius Seite geſtanden waren/ mit ſamt ih-
ren Nachkommen alle Staffeln der Ehren ver-
ſchrenckt worden/ zohe er nicht allein einen
groſſen Roͤmiſchen Adel an ſich; ſondern ver-
band ſich auch mit denen Celtiberiern/ und de-
nen von Koͤnig Teutobachs Heere in Hiſpanien
gekommenen Deutſchen/ welche um das E-
duliſchc Gebuͤrge ihren Sitz genommen hatten.
Dieſe begegneten in den Pyreneiſchen Berg-
Engen dem durch das Narbonniſche Gallien
anziehenden Cajus Annius ſo tapffer: daß drey
tauſend Roͤmer daſelbſt ins Graß biſſen. Allein
Calpurnius Lanarius ermordete den Livius
verraͤtheriſch/ ſchlug ſich zum Annius/ und er-
oͤffnete ihm allenthalben die Pforten; welches
den Sertorius verurſachte mit drey tauſend
vertriebenen Roͤmern nach neu Carthago/ und
in Mauritanien zu fliehen. Nach erlittenem
Schaden und Schiffbruche ſetzte er wieder o-
berhalb des Fluſſes Betis aus/ und traff alldar
etliche aus den gluͤckſeligen und Atlantiſchen
Eylanden zuruͤckkommende Schiff-Leute an.
Daher er die Seinigen in die Ruhe dieſer ſo
fruchtbaren Laͤnder uͤberzuſchiffen bemuͤht war;
wie ſie aber ihm zu folgen weigerten/ und die
Luſi-
[944[946]]Sechſtes Buch
Luſitanier ihn zu ihrem Heerfuͤhrer berufften/
ſegelte er dahin/ ſchlug ſich durch des Cotta
Schiffs-Flotte durch/ und den Furſidius im
Betiſchen Hiſpanien aus dem Felde. Wiewol
auch der erfahrne Metellus wieder ihn geſchickt
ward/ mergelte er ihn doch ſonder Gefechte euſ-
ſerſt ab/ ſchlug den Domitius und Thorius.
Hirtulejus mit den Celtiberiern und Cimbern
erlegten dem aus Gallien kommenden Lucius
Manilius fuͤnff gantze Legionen; alſo: daß er
ſelbſt uͤber den Fluß Sicovis ſchwemmende mit
Noth nach Jlerda entran. Worauf Serto-
rius einen Roͤmiſchen Rath von dreyhundert
edlen Roͤmern/ eine Leib-Wache/ aber meiſt von
fuͤnffhundert Deutſchen/ und zwar nach der aus
Deutſchland von den Celtiberiern in Hiſpanien
gebrachten Gewonheit aufrichtete: daß dieſe
ſeine Gefehrten ihr Leben vor ihren Fuͤrſten
verloben muſten. Mit denen Ciliciſchen See-
Raͤubern machte er einen Bund; welche allent-
halben zur See den Meiſter ſpielten. Den
Metellus trieb er von der Stadt Laccobrige
Belaͤgerung mit groſſem Verluſt weg; Die
Charocitaner trieb er durch hinein geweheten
Staub aus ihren Hoͤhlen. Ja ſeine Klugheit
und Tapfferkeit bemaͤchtigte ſich mit des Cim-
briſchen Fuͤrſten Siwalds/ und der Celtiberier
treuem Beyſtande faſt gantz Hiſpaniens; und
Sertorius hatte bereit fuͤr in Jtalien einzufal-
len; wenn nicht Cnejus Pompejus/ der in A-
frica den Cneus Domitius und den Numidi-
ſchen Koͤnig Hiera uͤberwunden/ auch deßhalben
im vier und zwantzigſten Jahre ſeines Alters zu
Rom ein Siegs-Gepraͤnge gehalten ha[t]te/ mit
einem maͤchtigen Heere uͤber die Lepontiſchen
Alpen durch einen neugeſuchten Weg/ um es
dem Annibal nachzuthun/ in Gallien angezo-
gen waͤre; Allwo ihm aber die Alemaͤnner/ wel-
che das Penniniſche Thal/ und das Gebuͤrge
Jura bewyhnten/ aller hand Hindernuͤße mach-
ten/ und ſeinen Nachtrab groſſen theils zernich-
teten. Pompejus kam gleichwol mit einer groſ-
ſen/ uñ vom Fontejus nach verſtaͤrckten Macht
das Narboniſche von den Roͤmern ſchon mei-
ſtentheils beſetzte Gallien uͤber das Pyreneiſche
Gebuͤrge in Hiſpanien. Er ward aber bald
uͤbel bewillkommt. Denn als er die vom Ser-
torius belaͤgerte Stadt Lauron entſetzen wolte/
verlohr er zehntauſend Roͤmer und die Stadt
Lauron darzu; welche Sertorius ſchleiffte/ und
eine gantze Roͤmiſche Fahne niederhauen ließ;
weil aus ſelbter vom Servilius einem Roͤmi-
ſchen Edelmanne bey Eroberung der Stadt ei-
ne edle deutſche Jungfrau mißbraucht worden
war; ungeachtet ſie ihm mit den Fingern dar-
uͤber die Augen aus gegraben hatte. Metellus
verſetzte hierauff zwar dem Hirtulejus und de-
nen Luſitaniern einen gewaltigen Streich; a-
ber Sertorius war ein Meiſter ſich nur nicht
alleine ſelbſt fuͤr Fehlern zu huͤten/ ſondern auch
fremde zu verbeſſern. Wie er denn durch ei-
genhaͤndige Erſtechung des Boten dieſe Nie-
derlage fuͤr ſeinem Kriegs-Volcke gantz ver-
druͤckte. Maſſen denn der groſſe Ruff vom
Sertorius den Mithridates wieder gleich ſam
aus dem Schlaffe erweckte/ und anreitzte: daß
er den Tigranes in Cappadocien zu fallen bere-
dete; darinnen er zwoͤlff von den Grichen be-
wohnte Staͤdte veroͤdete/ und dreyhundert tau-
ſend Einwohner in ſeine neue Stadt Tigrano-
certa gefangen wegfuͤhrte. Eben ſelbiges Jahr
nahm Pompejus den Celtiberiern die Stadt
Segida/ und nach Erlegung des Herennius an
dem Fluß Durius Valentia weg; daher eilte
Sertorius den Deutſchen zu Huͤlffe; und ka-
men beyde gantze Machten bey dem Fluſſe Su-
cro an einem zwar hellen/ aber unaufhoͤrlich-
blitzenden Tage zu einer Haupt-Schlacht; in
welcher Afranius des Perpenna und der Celti-
berier/ Sertorius aber und Hertzog Siewald
der Roͤmer rechten Fluͤgel in die Flucht ſchlug/
und Sertorius mit eigner Fauſt dem Pompe-
jus einen Spieß durch das dicke Bein jagte;
Ein Deutſcher zu Fuſſe kaͤmpffender Ritter
Gußmann
[945[947]]Arminius und Thußnelda.
Gußmann aber ihn gar vom Pferde rieß; alſo:
daß/ weil die andern Deutſchen ſich mit dem
Gußmann um das mit Golde und Edelgeſtei-
nen reich aufgeputztes Pferd zwiſteten/ Pom-
pejus gleichſam durch ein Wunderwerck ent-
ran. Sertorius trieb hierauf auch den Afri-
canus mit groſſem Verluſt zuruͤcke; alſo: daß
zehntauſend Roͤmer ſitzen blieben; Er haͤtte
auch fruͤh dem Pompejus ſein letztes vollends
verſetzt; wenn nicht Metellus ihm zu Huͤlffe
kommen waͤre. Hierauff hielt ſich Sertorius
alles ihm bevorſtehenden Vortheils ungeach-
tet/ in ſeinem Lager gantz ſtille; biß ſeine weiße
Hindin/ die ſich in die Waͤlder verlauffen hat-
te/ zuruͤck kam. Da er denn/ gleich/ als wenn
ihm die Goͤtter durch ſelbte diß/ was er fuͤrneh-
men ſolte/ andeuteten/ auszoh/ und das Roͤmi-
ſche Heer an dem Fluſſe Salo bey Seguntium
erreichte; mit ſelbigem vom Mittage biß in die
Nacht ſchlug/ und ſechs tauſend Roͤmer dem
Pompejus erlegte; folgenden Tag auch des
Metellus Lager ſtuͤrmte/ und bey nah eroberte.
Weil nun die Celtiberier und Deutſchen hierin-
nen ſo tapffere Helden-Thaten ausuͤbten; er-
kieſete Sertorius ihm ſolche zur Leib-Wache;
die Deutſchen aber ruͤckten den Roͤmern fuͤr:
daß ſie bey Stuͤrmung des Metelliſchen Laͤ-
gers ihre Pflicht nicht gethan haͤtten. Welches
die Roͤmer hoch empfunden; und als ſonderlich
Pompejus mit zwey friſchen Legionen ver-
ſtaͤrckt ward/ hauffenweiſe zu ihm und dem Me-
tellus uͤber giengen. Gleichwol hielt ein Theil
nebenſt denen Deutſchen beym Sertorius
ſtand/ entſetzte die vom Pompejus belaͤgerte
Stadt Palantia/ und erlegte bey Calaguris
abermals drey tauſend Roͤmer; ja er brachte den
Metellus und Pompejus in ſolche Furcht: daß
keiner ihm mehr Stand hielt/ und ſo ins Ge-
drange: daß jener in einen Winckel Jtaliens/
dieſer ins Narboniſche Gallien ſich verkrichen
muſte; ja Rom ſelbſt ſchon fuͤr dem ankommen-
den Sertorius und den ſtrengen Deutſchen zit-
terte. Zu eben dieſer Zeit ſtarben Nicomedes und
Appio/ welche das Roͤmiſche Volck zu Erben
ihrer Koͤnigreiche Bithynien und Lybien einſetz-
te; daher Mithridates mit ſeinem im Hertzen
verborgenen Kriege laͤngeꝛ zuꝛuͤck zu halten/ und
die Roͤmiſche Macht ſich vergroͤſſern zu laſſen
nicht rathſam hielt. Derhalben ſchickte er zwey
vertriebene Roͤmer/ nemlich den Fannius und
Magius durch Jtalien zum Sertorius; wel-
che/ iedoch weil dieſer gleichwol nichts zu Ab-
bruch des Roͤmiſchen Reichs fuͤꝛnehmen/ ſondeꝛn
nur des grauſamen Sylla Uberbleibung/ und
die gewaltſamen Herrſcher aus dem Sattel he-
ben wolte/ mit Noth zu einem Buͤndnuͤße be-
wegte/ Krafft deſſen Mithridates zwar Cappa-
docien und Bithynien haben; das uͤbrige Aſien
aber den Roͤmern bleiben; Sertorius Mithri-
daten einen Feldhauptmañ mit gewiſſem Vol-
cke/ dieſer aber jenem drey tauſend Talent und
viertzig Schiffe ſchicken ſolte. Mithridates
brach hierauf alſofort mit den Roͤmern; welcher
alleine hundert-ſechs- und funffzig tauſend
Huͤlffs-voͤlcker von Deutſchen/ Scythen/ Sar-
matern/ Thraciern/ und inſonderheit Baſtar-
nen/ vierhundert groſſe Schiffe/ wie auch hun-
dert und funffzig Sichelwagen zuſam̃en brach-
te. So bald nun Fannius und Magius mit dem
geweſenen Rathsherrn Marcus Varius/ wel-
chem Mithridates ſelbſt die Oberſtelle gab/ in
Aſien ankam/ ſchickte er den Diophantus mit
hundert tauſend Mann in Cappadocien; er ſelbſt
ruͤckte mit anderthalb hundert tauſend Fuß-
Knechten und zwoͤlff tauſend Reutern durch das
Timonitidiſche Paphlagonien und Galatien in
Bithynien/ und bemaͤchtigte ſich der Stadt He-
raclea. Daher beyde Buͤrgermeiſter Lucullus
uñ Cotta wieder den Mithridates geſchickt wur-
den. Alleine der ehrſuͤchtige Cotta/ welcher dem
Lucullus den Ruhm des Sieges wegnehmen
wolte/ ward bey Chalcedon von denen einigen
Baſtarnen und andern Deutſchen auffs Haupt
geſchlagen; Lucullus Manlius mit ſechſtehalb
tauſend Roͤmern getoͤdtet/ und die Uberbleibung
in Chalcedon eingeſperrt. Mithridates ſelbſt
Erſter Theil. D d d d d dſegelte
[946[948]]Sechſtes Buch
ſegelte mit einem ſchnautzichten Schiffe die ei-
ſerne Kette im Hafen entzwey/ erſchlug im
See-Gefechte acht tauſend Roͤmer/ und Rho-
dier/ zuͤndete vier Schiffe an/ und ſchlepte die
uͤbrigen ſechzig mit fuͤnffthalb tauſend Gefan-
genen weg. Daher uͤber Rom aus Aſien und Hi-
ſpanien zwey ſchreckliche Ungewitter aufzogen.
Aber das ſich dieſer Stadt gleichſam verſchwor-
ne Gluͤcke zohe ihr bald zwey ſchaͤdliche Doͤr-
ner aus den Fuͤſſen. Denn weil Sertorius
auf der Celtiberier Beſchwerde dem Perpenna
beweglich verwieſen hatte: daß er in etlichen
Treffen dieſe ſtreitbare Bunds-Genoſſen allein
baden laſſen; erſtach der rachgierige Perpenna
den trunckenen Sertorius unverſehens in ſei-
nem Speiſe-Saale. Welch Meuchelmord
des Perpenna/ den doch Sertorius zum Erben
eingeſetzt hatte/ die Celtiberier und Deutſchen
verurſachte: daß ſie ſich mit dem Pompejus
vertrugen/ den Perpenna im Stiche lieſſen;
der hierauf leicht uͤberwunden und erſchlagen
ward; wiewol die Roͤmer noch genung zu thun
fanden/ ehe ſie die Stuͤdte Oſ a/ Terme/ Tutia/
Valentia/ Auxima und Cale guris; in welcher
die Belaͤgerten aus dringender Hungers-Noth
ihre geſchlachteten Weiber und Kinder verſpei-
ſeten/ und das uͤbrige von ihnen einſaltzten/ wie-
der zum Gehorſam brachten. Der Roͤmer an-
der Gluͤcke war: daß Appius Claudius die mit
den Dardanern verbundene Skordiskiſchen
Deutſchen/ welche auf Mithridatens heimliche
Verhetzung gantz Macedonien durchſtreifften/
und zu groſſem Schrecken der Roͤmer/ aus al-
ler Erſchlagenen Hirnſchaͤdeln Trinck geſchirre
machten/ zweymahl aus dem Felde ſchlug/ und
ſie biß an die Donau verfolgte; wie auch denen
mit dem Sertorius und Mithridates verbun-
denen Ciciliſchen See-Raͤubern einen heftigen
Streich verſetzte; Publius Servilius aber
gantz Cilicien eroberte/ am erſten unter den Roͤ-
mern den Berg Taurus uͤberſtieg/ und in dem
mittagichten Galatien dem mit dem Hertzoge
Dejotar ſtrittigen Fuͤrſten Konnachorich die
Stadt Jſara ab- und ſelbigen Deutſchen ſo wol
als denen Lycaoniern eine Schatzung aufdrang/
und durch ſein in Cilicien und Pamphilien ver-
legtes Heer dem Mithridates alle verdaͤchtige
Gemeinſchafft mit den See-Raͤubeꝛn abſchnitt.
Den groͤſten Abbruch aber that Hertzog Dejo-
tar dem Mithridates. Denn weil dieſer bey
ſeinem Durchzuge ſeine Galatiſche Deutſchen
gleichſam als Feinde gedruͤckt hatte/ auch die
deutſchen Huͤlffs-Voͤlcker allenthalben zu ver-
zweiffelten Verrichtungen gebrauchte; und
wenn er ſie mit dem Feinde ver wickelt hatte/ mit
Fleiß im Stiche ließ; gleich als wenn es ihm
nuͤtzlicher waͤre: daß die Deutſchen von Roͤmern/
als dieſe von jenen erlegt wuͤrdẽ; lehrte der ver-
ſchmitzte Dejotar bey Zeite den Rock um; und
verfuͤgte ſich/ ſo bald er des Lucullus Ankunfft zu
Pergamus vernahm/ zu ihm. Erkam gleich
den Abend an: als das in Geſtalt eines groſſen
ſilbernen Faſſes vom Himmel fallende Feuer
des Lucullus/ und des Marcus Varius mit ein-
ander ſchlagendes Heer bey Otrye in Phrygien
von ſammen getrennt hatte. Lucullus empfing
Dejotarn mit offenen Armen/ dieſer aber gab
ihm von Mithridatens Macht und Anſchlaͤgen
heilſame Nachricht; und ſo bald dieſer mit ſei-
ner gantzen Macht die in dem Bebryciſchen
Meere gantz vertieffte/ und uͤberaus feſte Stadt
Cycicus belaͤgerte/ ſtieß Dejotars gantze deut-
ſche Macht zum Lucullus. Und weil beyde Mi-
thridatens unzehlbares Heer ehe mit Hunger
als Fechten zu uͤberwinden getrauten/ ruͤckten
beyde jenem an den Ruͤcken; und ſpielte es De-
jotar ſo kuͤnſtlich: daß er den Magius mit dem
Lucullus verſoͤhnte; dieſer aber Dejotarn zu
Eroberung eines zwiſchen beyden Bebryciſchen
Meer-Spitzen gelegenen Berges halff; durch
deſſen Befeſtigung und Beſetzung dem Ponti-
ſchen Heere auf einmahl alle Zufuhre zu Lande
abgeſchnitten ward. Die Stadt ward inzwi-
ſchen zu Lande und Waßer vom Mithridates
auffs
[947[949]]Arminius und Thußnelda.
auffs euſſerſte bedraͤngt und beſtuͤrmet; Aber Pi-
ſiſtratus vertheidigte ſelbte faſt uͤber menſchliche
Vernunfft; und zwar durch dieſen den Ein-
wohnern beygebrachten Aberglauben: daß die
ihm im Schlaffe erſcheinende Proſerpina ver-
ſprochen haͤtte wieder die Pontiſchen Pfeiffer
einen Africaniſchen zu ſchicken. Maſſen denn
folgenden Tag ein hefftiger Sud-Wind von
Africa herſtrich; und Mithridatens Sturm-
Thuͤrme alle uͤber einen Hauffen warff. End-
lich aber waͤre doch die Stadt aus Verzweiffe-
lung uͤber gegangen; wenn nicht ein Deutſcher
ihm unter die Armen Blaſen gebunden/ an die
Fuͤſſe Bley gehenckt/ und uͤber das Meer durch
die Pontiſchen Schiffe in den Cycikiſchen Ha-
fen geſchwommen/ und durch berichtete Anwe-
ſenheit des Lucullus und Dejotars ſie zu tapffe-
rer Gegenwehr aufgemuntert haͤtte. Wie nun
bey herruͤckender Winters-Zeit dem Mithri-
dates auch zur See die Zufuhre entfiel/ zwang
der Hunger ihn ein groſſes Theil/ und faſt alle
Reuterey ſeines Heeres weg zu ſchicken; Alleine
Dejotar war ihnen mit ſeiner Reuterey bald in
Eiſen/ und zwang ſie an dem Fluſſe Rhynda-
cus Stand zu halten; Lucullus folgte mit einem
Theile des Heeres; und erſchlug daſelbſt eine
groſſe Menge/ funffzehntauſend Kriegs-Leute/
ſechs tauſend Pferde/ und eine unglaubliche
Menge Vieh ward gefangen. Wenig Tage
darnach ſchlug Mamercus den Fannius und
Methrophanes in Moͤſien. Weil aber Eu-
machus Mithridatens Feld-Hauptmann im
Piſidien/ und bey den Jſauriern den Meiſter
ſpielte; eilte Dejotar ſeinen Deutſchen zu Huͤlf-
fe/ und traff das zerſtreute Heer des Eumachus
unter dem Berge Didymus in voller Sicher-
heit an/ ſchlug ſelbtes in die Flucht/ ehe es ſich
recht ſetzen konte; funffzehntauſend muſten uͤber
die Klinge ſpringen/ und nicht weniger wurden
mit unſchaͤtzbarer Beute gefangen. Hieruͤber
verlohr Mithridates alle Hoffnung die Stadt
Cycicus zu erobern; ließ alſo den Hermeus und
Fannius dafuͤr/ er aber ſchiffte des Nachts dar-
von. Die zuruͤckgelaſſenen wu[r]den theils von
dem ausfallenden Piſiſtratus im Laͤger/ theils
vom Lucullus am Fluſſe Eſepus und zwar in
ſo groſſer Anzahl erſchlagen: daß dieſer und der
Fluß Granicus ſich von ihrem Blute faͤrbte.
Alſo koſtete dieſe Belaͤgerung Mithridaten uͤ-
ber dreyhundert tauſend Menſchen; ſein See-
Hauptmann Ariſtonicus ward hierauff gefan-
gen/ viel Schiffe ihm durch Ungewitter zer-
ſchmettert/ Apamea und Pruſa erobert; und auf
Anleitung eines zu Troas in dem Tempel der
Venus habenden Traumes/ bemeiſterte Lu-
cullus bey Tenedos vollends die feindliche
Schiff-Flotte; und endlich kriegte er nebſt an-
dern Pontiſchen Fuͤrſten auch den Rathherrn
Varius gefangen/ welchem er alſofort den Kopff
abſchlagẽ ließ. Ja weñ Poconius nicht mit dem
Samothraciſchen Aberglaubẽ die Sache unzei-
tig verſaͤumt haͤtte/ waͤre ihm Mithridates mit
deꝛ Stadt Ni[c]omedia ſelbſt in die Haͤnde gefallẽ.
Mithridates flohe von dar zur See nach Hau-
ſe; verlohr aber wieder durch Schiffbruch ſech-
zig Schiffe/ und zehntauſend vom Kerne ſeines
Krieges-Volckes; gleich als wenn Himmel/
Erde und Meer ſich ihn zu vertilgen verſchwo-
ren haͤtte. Bey welcher Menge Ungluͤcks
dieſer kleine Sonnenſchein hervor blickte: daß
die Stadt Heraclea dieſen fluͤchtigen Koͤnig ein-
ließ/ und unter den Deutſchen von den Roͤmern
aus Jſaura vertriebenen Fuͤrſten Konnachorich
mit vier tauſend Mann zur Beſatzung ein-
nahm. Mithridates aber lidt noch einmahl
Schiffbruch/ und kam auf einem gedungenen
Raub-Schiffe ſelbſt kaum nach Sinope. Von
dar reiſete er nach Aniſus/ beſprach ſich daſelbſt
mit dem Koͤnige Tigranes/ endlich zu ſeinem
uͤber die Boſphoraner herrſchenden Sohne
Machar. Den Diocles ſchickte er mit einem
groſſen Schatze zu den Scythen um Huͤlffe;
dieſer aber flohe darmit zum Lucullus/ welcher
Amiſus und Eupatoria/ durch den Dejotar a-
D d d d d d 2ber
[948[950]]Sechſtes Buch
ber Emiſcyra einnahm; nach dem dieſe Stadt
ſich lange nicht allein durch Menſchen/ ſondern
auch von den Mauern gelaſſene Baͤren und
Bienen-ſchwaͤrme vertheidigt hatte. Gleichwol
aber zoh Mithridates bey Cabira dem Lucullus
mit viertzig tauſend aus Jberien/ Albanien/ und
Scythien verſammleten Fuß-Knechten und
viertzig tauſend Reutern abermahls unter Au-
gen. Seine Reuterey ſchlug auch die Roͤmi-
ſche; und ward Pompejus ſelbſt gefangen/ aber
vom Koͤnige ſelbſt wieder Gewalt beſchuͤtzet; ja
er brachte den ſich fuͤr der Reuterey in die Ge-
buͤrge veꝛſteck enden Roͤmer bey nahe in ſo groſ-
ſe Noth/ als der Koͤnig bey Cycicus gelitten. Al-
lein das Blat wendete ſich alsbald; in dem nach
einem geringen Verluſt ſein Heer aus einem
blinden Schrecken in eine ſolche Flucht gerieth:
daß dreyßig tauſend im Stiche blieben; er auch
ſelbſt ſich kaum durch von ſich Werffung aller-
hand koſtbarer Beuten aus den geitzigen Haͤn-
den der Roͤmer in die Comaniſche Landſchafft
tettete. Von dar flohe er mit zwey tauſend Pfer-
den zu ſeinem Eydame Tigranes in Armenien;
weil dieſeꝛ aber ihn nicht einſt voꝛ ſich ließ/ ſchick-
te er den Bacchus nach Sinope um ſeine Ge-
mahlinnen/ Schweſtern und Kinder durch den
Tod aus der Roͤmiſchen Dienſtbarkeit zu retten;
ſie aber erſparten durch eigene Meſſer/ Strick
und Gifft ihm die Muͤhe. Hiermit ſiel faſt
alles vom Mithridates ab; Amaſtris und He-
raclea ergaben ſich ohne Zuͤckung eines De-
gens; Sinope aber ward nach tapfferer Ge-
genwehr ihrem Erbauer Autolycus zu Ehren
fuͤr eine freye Stadt erklaͤret. Ja Mithrida-
tes eigener Sohn Machar ſchickte dem Lucul-
lus eine guͤldene Krone/ und machte mit ihm
Buͤndnuͤß. Denn die Kinder wollen auch kei-
nen Ungluͤcklichen zum Vater haben. Lucullus
ruͤckte hier auf in Armenien. Dejotar gieng
mit ſeinen Deutſchen voran; und ſchlug den
Mithrobarzanes mit dem Vortrabe. Sextilius
helaͤgerte Tigranocerta. Tigranes ſelbſt be-
gegnete dem Lucullus mit dritthalb-hundert
tauſend Fuß-Knechten/ und funffzig tauſend
Reutern/ liefferte auch wieder Mithridatens
Rath ihm alſofort eine Schlacht. Alleine die
Deutſche und Roͤmiſche Reuterey verwirrten
mit dem erſten Anfalle dieſe ſich ſelbſt zu fechten
verhindernde weibiſche Menge; alſo: daß die
Roͤmer hundert und zwantzig Stadien weit
nur zu ſchlachten hatten. Manceus in Tigra-
nocerta entwaffnete aus Mißtrauen alle Gri-
chen/ wolte ſie auch gar aufopffern; dieſe unbe-
waffneten aber wurden der Armenier Meiſter/
und halffen den Roͤmern zur Eroberung dieſer
reichen/ und unglaublich befeſtigten Stadt.
Mithridates und Tigranes ſammleten zwar
dort und dar neue Heere/ zohen aber meiſt alle-
zeit den kuͤrtzern/ und in einer harten Schlacht
an dem Fluſſe Jris mit dem Fabius ward Mi-
thridates mit einem Steine auffs Knie/ und mit
einem Pfeile unter das Auge verwundet; gleich-
wol aber von den Agarenern aus Scythien mit
Schlangen-Pflaſtern geheilet. So bald er ge-
heilet war/ eilte er dem Triarius gegen Sada-
gena entgegen; alleine ein erſchrecklicher Wir-
bel-Wind trennte nach einem hefftigen Ge-
fechte beyde Heere von ſam̃en. Ungeachtet nun
Triarius wenig Seide geſponnen hatte/ verlei-
tete ihn doch die Begierde dem aus Armenien
ſich naͤhernden Lucullus den Sieg wegzuneh-
men: daß er folgenden Tag auffs neue mit dem
Mithridates anband. Beyde Heere ſtunden
zwar drey Stunden gleichſam in gleichem Ge-
wichte gegen einander; alleine Mithridates/
welcher hier entweder ſterben oder ſiegen wolte/
drang mit ſeinem Fluͤgel durch/ und jagte den
Triarius mit allem Fuß-Volcke in einen
Sumpff/ darinnen ſie ſich nicht bewegen kon-
ten/ und alſo wie das Vieh durch das Geſchoß
erlegt wurden. Allem Anſehen waͤre kein Roͤ-
mer davon kommen; wenn nicht Wittig/ ein
auf Roͤmiſcher Seite fechtender deutſcher
Hauptmann unter dem Scheine: daß er zum
Mithri-
[949[951]]Arminius und Thußnelda.
Mithridates gehoͤrte/ dem Koͤnige auf der Fer-
ſen gefolgt/ und ihm einen Wurff-Spieß durch
das dicke Bein gejagt haͤtte. Woruͤber Mi-
thridatens Gefaͤhrten ihn zwar in Stuͤcken hie-
ben/ aber aus unzeitigen Schrecken dem ſiegen-
den Heere ein Zeichen ſich zuruͤck zu ziehen ga-
ben; welches den Tod des Koͤniges vermuthe-
te/ und nicht ehe/ biß der Artzt Timotheus nach
Stillung des Blutes den Koͤnig hoch empor
wieß/ zu ſtillen war. Gleichwol blieben uͤber
zwantzig tauſend vom Roͤmiſchen Kriegs-Hee-
re; und unter den Todten wurden vier und
zwantzig Oberſten/ anderthalb hundert Haupt-
Leute gefunden. Ja/ weil der Roͤmiſche Rath
auch dem ſeine Kriegs-Gewalt uͤber die Zeit
verlaͤngernden Lucullus das Heer ferner zu ge-
horſamen verbot/ auch es ſelbſt aus Uberdruß ei-
nes ſo beſchwerlichen Krieges groſſen Theils
ausriß/ und die Roͤmer von den See-Raͤubern
ſehr beaͤngſtigt wurden; ruͤckte Mithridates in
Cappadocien/ und eroberte faſt ſein gantzes
Reich wieder. Dem Hertzoge Dejotar lag
nunmehr die gantze Laſt des Krieges auff dem
Halſe; biß der groſſe Pompejus nach ausgerot-
teten See-Raͤubern durch Cilicien in Cappa-
docien kam; da denn Mithridates nur mit der
Reuterey die Feinde beunruhigte; mit dem Hee-
re aber alles hinter ſich verheerte und verbrenn-
te; wormit der Mangel die Verfolgung der
Roͤmer hinderte. Alleine Pompejus gab nichts
minder einen verſorgenden Hauß-Vater/ als
einen tapffern Feld-Herrn ab. Und inſonder-
heit fuͤhrten die Deutſchen aus Galatien alles
reichlich zu; waren auch nichts minder des
Pompejus Vorfechter als Wegweiſer. Beyde
Heere geriethen nach etlichen ſchlechten Schar-
muͤtzeln allererſt uͤber den Eufrates/ daruͤber
Pompejus die erſte Roͤmiſche Bruͤcke ſchlug/
mitten in Armenien/ und zwar des Nachts in
ein Haupt-Treffen; in welchem ſein gantzes
Heer aus einem bloſſen Jrrthume in die Flucht
gerieth/ und meiſtentheils durch Abſtuͤrtzung uͤ-
ber die Stein-Klippen vergieng. Mithrida-
tes kam durch das Gebuͤrge mit wenigen davon
nach der Feſtung Sinorex/ daraus er ſechstau-
ſend Talent nahm/ darmit gegen dem Brun-
nen des Eufrates eilte/ endlich uͤber dieſen und
den Fluß Abſarus und Phaſis ſetzte/ und in der
Stadt Dioſcorias allererſt auf Ergaͤntzung des
Krieges dachte. Die benachbarten Heniocher
boten ihm ſelbſt allen Vorſchub an; die grim-
men Acheer/ welche die Griechen ihren Goͤt-
tern zu ſchlachten pflegen/ ſetzten ſich ihm zwar
entgegen; wurden aber bald von ihm gedemuͤ-
thiget; ja ſein undanckbarer Sohn Machar der
Boſphoraner Koͤnig zu eigener Entleibung
gezwungen. Er ſelbſt durchreiſete bey nahe
gantz Scythien/ und brachte faſt alle Nord-
Koͤnige/ theils durch Geſchencke/ theils durch
Verheyrathung ſeiner Tochter auff ſeine Sei-
te; mit feſtem Vorſatze/ mit den Scythen und
Baſtarnen durch Thracien/ Macedonien/ und
Pannonien in Jtalien einzubrechen. Pompe-
jus ward inzwiſchen vom Dejotar biß in Col-
chis/ und uͤber das Caucaſiſche Gebuͤrge gefuͤh-
ret; allwo er den Colchiſchen Koͤnig Orthaces
gefangen bekam/ mit dem Albaniſchen Koͤnige
Orezes/ und dem Jberiſchen Arocus/ an dem
Fluſſe Cyrus und Araxes/ und zugleich mit de-
nen ſtreitbaren Amazonen zu ſtreiten bekam.
Dejotar aber vermittelte zwiſchen ihnen einen
Frieden; und Stratonice Mithridaten Eh-
Weib des Xipharis Mutter verrieth und uͤber-
gab dem Pompejus alle in einer Hoͤle in kuͤpfer-
nen Faſſen verborgene Schaͤtze. Pompejus
kehrte alſo zuruͤcke in Armenien; allwo ſich Koͤ-
nig Tigranes mit ſechs tauſend Talenten ihm
ergab/ alle Roͤmiſche Kriegs-Leute beſchenckte/
und von Eufrates an gantz Syrien den Roͤ-
mern abtrat. Pompejus baute im kleinern
Armenien auf die Wallſtatt des uͤberwundenen
Mithridates die Stadt Nicopolis; ſchlug die
Comagen-Mediſche und Arabiſche Koͤnige/
nahm Jeruſalem und gantz Syrien biß in E-
D d d d d d 3gypten
[950[952]]Sechſtes Buch
gypten ein/ ſchenckte dem Ariobarzanes Cappa-
docien/ dem Attalus Paphlagonien/ Colchis
dem Ariſtarchus; den Archelaus machte er zum
groſſen Comaniſchen Prieſter/ und ſeinem treu-
en Gehuͤlffen ſo groſſer Siege Dejotarn/ und
dreyen noch wolverdienten deutſchen Fuͤrſten
gab er Lycaonien und Piſidien; alſo: daß die
Deutſchen zwar die Graͤntzen/ nicht aber die
Hoheit ihrer Aſiatiſchen Herrſchafft erweiter-
ten. Sintemahl Aſien nunmehr eigentlicher
Roͤmiſche Landvoͤgte/ als eigenmaͤchtige Koͤni-
ge hatte. Mithridates unterdeſſen bildete ein
rechtes Stieff-Kind des Gluͤckes ab. Denn
die B[o]ſphoraniſche Stadt Phanagoria/ und
hernach der Scythiſche Cherſoneſus fiel von
ihm ab; die Scythen lieſſen ihre huͤlffbare Hand
ſincken; ja er muſte ſeine Fauſt in ſeiner eigenen
Kinder Blute waſchen. Dieſem nach er ent-
ſchloß mit ſeinem noch uͤbrigen Krieges-Volcke
in Deutſchland zum Koͤnige Arioviſt zu ziehen/
mit dem er vorher ſchon durch Bothſchafften
Freundſchafft gemacht hatte; ja nach Hanni-
[b]als Beyſpiele die Alpen zu uͤberſteigen; und
ſich mit dem durch Geſandtſchafft eben ſo wol
verehrten Spartacus zu vereinbaren. Zumahl
der tapffere deutſche Fuͤrſt Bituit Mithridatens
unabtreñlicher Geferthe ihm den Weg zu wei-
ſen/ und inehr deutſche Fuͤrſten ihm zu verbin-
den verſprach. Mithridates war mit ſeinem
Heere ſchon biß an den Fluß Hippanis fortge-
ruͤckt; als es uͤber eine ſo ferne Reiſe zu ſeuffzen
anfieng. Daher reitzte ſein Sohn Pharna-
ces ſelbtes nicht alleine zum Aufſtande/ ſondern
ſtand ihm gar nach dem Leben; brachte es
auch durch Geſchencke und Vertroͤſtungen da-
hin: daß ſie den Pharnaces fuͤr ihren Koͤnig
ausrufften/ und aus Mangel einer beſſern ihm
eine papierne Krone auffſetzten. Welches die-
ſem großmuͤthigen Helden ſo tieff zu Hertzen
gieng: daß er aus Beyſorge: ſein Sohn moͤch-
te ihn fangen und den Roͤmern zuſchicken/ Gifft
tranck/ nach dem ſeine dem Egyptiſchen und
Cypriſchen Koͤnige verlobte zwey Toͤchter Mi-
thridatis und Nyßa vorher aus ſelbigem Glaſe
den Tod gezogen hatten. Weil aber das Gifft
bey ihm nichts wuͤrcken wolte; beſchwor er den
getreuen Bituit: daß er durch ſeinen ſo offt huͤlff-
baren Helden-Degen ihm und zugleich dem
Ungluͤcke das Licht ausleſchen moͤchte. Welches
er endlich auch/ iedoch mit zitternder Hand und
thraͤnenden Augen verrichtete/ hernach mit ſei-
nen uͤbrigen Deutſchen uͤber den Fluß Hippa-
nis ſchwemmte/ und in ſein Vaterland kehrte.
Der ungerathene Pharnaces ſchickte ſeines
Vaters Leiche mit vielen gefangenen Roͤmern
und Grichen dem Pompejus uͤber das Euxini-
ſche Meer nach Sinope. Ob nun zwar die
Roͤmer uͤber dieſes Feindes Tode tauſend Freu-
den-Feuer anzuͤndeten/ und groſſe Feyer hiel-
ten/ ließ doch Pompejus den Mithridates in
der Koͤniglichen Grufft koſtbar begraben/ ihn
uͤber die fuͤnff fuͤr ihm geweſenen Pontiſchen
Koͤnige ſetzen/ von Marmel eine Grabe-Spitze
aufrichten/ und daran ſchreiben:
Pharnaces behielt zur Belohnung ſeiner
Untreu das Boſphoraniſche Reich; die Stadt
Phanagoria aber ihre Freyheit. Pompejus
brachte faſt alle Schaͤtze und Seltzamkeiten
gantz Aſiens/ unter andern alleine zwey tauſend
aus Onyx geſchnittene Trinck geſchirre/ und ſo
viel Edelgeſteine nach Rom: daß man dreyßig
Tage
[951[953]]Arminius und Thußnelda.
Tage mit der Gewehr zubrachte. Er ſelbſt
fuhr in einem ſo praͤchtigen Siegs-Gepraͤnge/
als niemand fuͤr ihm/ auf einem mit Edelgeſtei-
nen glaͤntzenden Wagen/ mit des groſſen Ale-
xanders Kriegs-Rocke angethan/ ein; fuͤr ihm
giengen der junge Tigranes/ Koͤnig Olthaces/
und Ariſtobulus/ Artaphernes/ Cyrus/ Opa-
thres/ Darius/ Xerxes/ fuͤnff Soͤhne/ wie auch
Oſabaris und Eupatra zwey Toͤchter des Mi-
thridates; deſſen aus Golde gegoſſenes ſieben
Ellen langes Bild nebſt vielen Uberſchrifften
der Pompejiſchen Siege vor getragen ward.
Die Ubermaſſe ſo vielen die Roͤmer gleich-
ſam uͤberſchneienden Gluͤckes/ war eine Mutter
des Ubermuthes/ und der ſich taͤglich bey der
Waͤrmbde nach Art der Fliegen und Kaͤfer
mehrenden Laſter/ verurſachte alſo: daß die Roͤ-
mer die in Jtalien noch gefangen habende Gal-
lier/ Scordisker/ Teutonen/ Cimbern und an-
dere Deutſchen uͤbel und grauſam hielten/ ſie/
wenn ſie etwan ein Glaß zerbrachen/ zu Maͤ-
ſtung der Murenen abſchlachteten; inſonder-
heit fingernackt des Morgens Loͤwen und Baͤ-
ren zu zerreiſſen fuͤrwarffen; nach Mittage aber
ſie taͤglich in die Schau-Plaͤtze einſchloſſen: daß
ſie wieder ihre Landes-Leute und Blut-Ver-
wandte nur dem Poͤfel zur Kurtzweil um Leib
und Leben fechten muſten; welcher/ wenn ſie
nicht geſchwinde genung einander in die
Schwerdter renneten/ ſie mit Peitſchen ſchlug/
mit gluͤenden Zangen brennte/ und zum Tode
gleich einem Freuden-Spiele antrieb. Daher
ward endlich dieſer hertzhafften Leute Gedult
in Verzweiflung verwandelt; ſonderlich/ als
ſie hoͤrten: daß bey des Lucullus uñ andern kuͤnf-
tigen Siegs-Gepraͤngen ſie nun nicht mehr
einzelich; ſondern hundert gegen hundert fech-
ten ſolten. Worzu denn ſie bereit zu tauſenden
in die unterſten Gemaͤcher des groſſen Capua-
niſchen Schau-Platzes/ allwo Lentulus dem
Roͤmiſchen Volcke allerhand Luſtſpiele zu ge-
ben entſchloſſen war/ eingeſperret ſaſſen. Es
traff ſich aber: daß Spartacus ein Skordiski-
ſcher Deutſcher aus Thracien/ welcher ſelbſt et-
liche Jahre den Roͤmern wieder ihre Feinde
gedient hatte/ Granicus ein Frieſe/ Oenomaus
ein Noricher/ und Crixus ein Cimbriſcher Edel-
mann in ein Gefaͤngnuͤß kamen; und ſich mit
ihren Gefaͤhrten verſchwuren/ lieber biß in Tod
fuͤr ihre Freyheit/ als dem Roͤmiſchen Poͤfel zur
Ergetzligkeit zu fechten. Hiermit erbrachen
ſie den Kercker/ erwuͤrgten ihre Huͤter/ und ent-
kamen ihrer ſiebenzig von denen Hunderten
in Campanien; da ſie denn unter weges nie-
manden als die Roͤmer inſonderheit ihrer Waf-
fen beraubten/ ſich auf dem Berge Veſuvius
feſte ſetzten/ daſelbſt eine groſſe weiſſe Fahne/ in
welcher auf einer Seite ein Loͤwe/ mit einem
blutigen Klauen ein eiſernes Gegitter zermal-
mete; mit der Uberſchrifft: Wolangewehr-
tes Blut. Auf der andern Seite ein Adler/
der in dem Schnabel einen guͤldenen Apffel
hatte/ aus einem Kefichte empor flohe; mit der
Uberſchrifft: Die guͤldene Freyheit/
abwehen lieſſen; wordurch ſie in weniger Zeit
uͤber dreyßig tauſend unter der Roͤmiſchen
Dienſtbarkeit ſchmachtende Deutſchen/ und
noch zwantzig tauſend andere auslaͤndiſche
Knechte an ſich zohen/ und die Landſchafft
Campanien unter ſich brachten; ſonderlich;
weil ihre vier Kriegs-Oberſten fuͤr ſich keinen
Vortheil ſuchten/ ſondern alle eroberte Beute
gleich eintheileten. Dieſe alle erwehlten den
Spartacus ſeiner Klugheit und Tapfferkeit/
wie auch deßhalben zu ihrem Hertzoge: weil ſich
zu Rom um des Schlaffenden Haupt ein Dra-
che wie ein Krantz gewunden; eine edle Wahr-
ſagerin auch ihm daher eine groſſe Herrſchafft
geweiſſagt/ und ihn deßhalben in ſeiner Dienſt-
barkeit geheyrathet hatte. Claudius Pulcher
meinte dieſe veraͤchtlichen Fluͤchtlinge mit
ſchlechter Muͤh zu erdruͤcken; ſie jagten ihn a-
ber in die ſchimpflichſte Flucht. Welch gluͤck-
licher
[952[954]]Sechſtes Buch
licher Streich dem Spartacus alsbald einen
groſſen Zulauff der Leibeigenen zu wege brach-
te. Die Roͤmer ſchickten alſofort den Varinius
Glaber mit zwey Legionen und vielen Huͤlffs-
Voͤlckern gegen ſie nicht ſo wol als Feinde/ als
wieder Raͤuber; welche den Furius mit ſeinem
in zwey tauſend Roͤmern beſtehenden Vortrab
ſchlugen; iedoch ſich einer Flucht anmaſten/ und
auf den Berg Veſuvius ſich wieder verbargen.
Als ſie aber der Stadtvogt Glaber darauf be-
laͤgerte/ ließ ſich Granicus mit zwey tauſend
Deutſchen an langen aus Wieten zuſammen
geknuͤpfften Stricken des Nachts von denen
ſteileſten Klippen herunter. Wie nun Spar-
tacus und die andern Heerfuͤhrer nach Mitter-
nacht vorwerts das Roͤmiſche Laͤger/ und den
ſicher ſchlaffenden Glaber anfielen/ kam ihm
Granicus hinterruͤcks ſo unverhofft/ als wenn
ein Feind vom Himmel ins Laͤger fiele/ auf den
Hals; und brachte alles/ ehe ſich die Roͤmer
einſt recht zur Gegenwehr ſtellten/ in die
Flucht. Spartacus erwiſchte auch den Stadt-
Vogt ſchon beym Rocke; alſo: daß er mit ge-
nauer Noth/ und Hinterlaſſung ſeines Pferdes
ſich nach Herculaneum auffs Tyrrheniſche
Meer fluͤchtete; ſein gantzes Heer aber dem
Feinde zum Raube und Abſchlachtung im Sti-
che ließ. Nicht beſſer gieng es dem Publius
Valerius/ welcher mit genauer Noth nach Ca-
pua entran. Nach dieſen Siegen/ und vielen
taͤglich zuwachſenden Verſtaͤrckungen/ theilten
ſie ſich unter ihren Heerfuͤhrern in vier Theil;
eroberten die Staͤdte Cora/ Nola/ Nuceria/
Metapont/ der Thurier Stadt; ja Spartacus
uͤberfiel in Lucanien bey Saline den Coßimius
ſo unvermuthet: daß er ihn bey nahe im Bade
erwiſcht haͤtte. Wie er denn ſamt ſeinem mei-
ſten Volcke gefangen/ und das Lager erobert
ward. Den Varinius ſchlug er auch zum an-
dern mahl/ und eroberte das Pferd mit denen
Buͤrgermeiſter-Beilen/ und andern Kennzei-
chen ſeiner Wuͤrde; welche Spartacus hernach
fuͤr ſich gebrauchte. Dem Crixus aber/ welcher
in Apulien einbrach/ und ſich des Seehafens
Agaſus bemeiſtern wolte/ begegneten beyde
Roͤmiſche Buͤrgermeiſter mit einem ſtarcken
Heere unter dem Gebuͤrge Garganus/ auf deſ-
ſen hoͤchſter dem Prieſter Calchas gewiedmeten
Spitze Crixus einen ſchwartzen Wieder opfer-
te; und als er auf deſſelben Felle einſchlieff/ traͤu-
mende ſahe/ wie ihn ein Adler auf ſeinen Fluͤ-
geln biß ins Geſtirne fuͤhrete. Weil er denn
wieder die Eigenſchafft dieſer Wahrſagung
durch des Prieſters heuchleriſche Veranlaſſung
dieſen Traum auf einen vorſtehenden Sieg aus-
deutete/ die Deutſchen und Gallier auch mit
Gewalt auf eine Schlacht drangen; entſchloß
er ſich mit den Feinden zu ſchlagen; da doch ſein
Kriegs-Volck nur mit ſchlechten ledernen oder
aus zuſammen geflochtenen Rutten gemachten
Schilden/ und aus ſchlechtem Eiſen der Feſſel
umgeſchmiedeten Degen/ die Reuterey aber nuꝛ
mit gemeinen Feld- und Acker-Pferden verſe-
hen war. Gleichwol wehrte ſich Crixus auffs
euſſerſte; er ward aber endlich mit der Helffte
ſeines Heeres erlegt; wiewol keiner faſt unge-
rochen ſtarb/ ſechs tauſend Roͤmer tod blieben/
und wol zweymahl ſo viel verwundet wurden.
Spartacus/ Granicus/ und Oenomaus zohen
ſich hierauf mit des Crixus Uberbleibung zu-
ſammen. Und weil es ihnen an tauglicher Ruͤ-
ſtung/ ja nunmehr an Lebens-Mitteln gebrach/
ſie auch leicht wahrnahmen: daß ſie in dieſem
engen Winckel Jtaliens nicht in die Laͤnge den
Schwall der groſſen Roͤmiſchen Macht aus-
tauern/ weniger die nunmehr der gantzen Welt
zu Kopffe wachſende Macht der Roͤmer/ an der
ſo viel maͤchtige Koͤnige die Hoͤrner zerſtoſſen
haͤtten/ uͤber einen Hauffen werffen wuͤrden;
entſchloſſen ſie ſich uͤber das Apenniniſche Ge-
buͤrge in Gallien/ und von dar in ihr Vaterland
zu eilen. Weil diß abeꝛ wegen des ihnen auf dem
Halſe ſitzenden Varinius nicht ohne groſſe Ge-
fahr oͤffentlich zu vollziehen war; ſtellte er auff
dem
[953[955]]Arminius und Thußnelda.
dem Walle ſeines Laͤgers lauter todte Leich-
name an Pfaͤlen empor; ließ auch etliche Pfeif-
fer und Drommelſchlaͤger nach gewoͤhnlicher
Art darinnen die Umgaͤnge halten; er aber zohe
um Mitternacht in ſolcher Stille davon: daß
die Roͤmer erſt bey hellem Tage und alſo allzu
ſpat ſolches gewar wurden. Wiewol auch der
Buͤrgermeiſter Cneus Cornelius Lentulus in
dem Mugelliſchen Thale ihnen vorbeugen wol-
te/ ſchlugen ſie doch das Roͤmiſche Heer daſelbſt
auffs Haupt; und bey Mutina erſtuͤrmten ſie
das Laͤger des Cajus Caßius; ſchlachteten auch
des erlegten Crixus erblaſtem Geiſte zu Liebe
drey hundert edle Roͤmer ab; und noch etliche
hundert andere Gefangene wurden gezwun-
gen bey dem Holtzſtoſſe des Crixus auf Leib und
Leben mit einander zu fechten/ oder andere
Schauſpiele fuͤrzuſtellen. Wie nun Sparta-
cus ſein Heer mit denen eroberten Roͤmiſchen
Waffen ziemlich ausgeruͤſtet hatte/ ſchoͤpffte
diß verbitterte Kriegs-Volck mehr nach dem
Maͤß-Stabe ihrer Rachgier/ und des ihnen
heuchelnden Gluͤckes/ als nach Uberlegung ih-
rer und der Roͤmiſchen Kraͤfften hoͤhere Ge-
dancken; und muſte Spartacus wegen Hart-
neckigkeit des Granicus und des gantzen Hee-
res ſeine vorhin heilſame Gedancken wieder
Willen aͤndern/ und mit hundert und zwantzig
tauſend Mann gerade auf Rom zu ziehen.
Weil aber beyde Roͤmiſche Buͤrgermeiſter mit
allen euſſerſten Kraͤfften den Apenninus beſetzt
hatten/ lenckte er durch Umbrien in die Piceni-
ſche Landſchafft. Als nun jene ihm mit ge-
ſammleter Macht folgten/ verfielen ſie bey A-
ſculum an dem Fluſſe Truentus in eine ſo heff-
tige Schlacht: daß auf Roͤmiſcher Seiten uͤber
viertzig-auf deutſcher Seiten zwantzig tauſend
Mann ins Graß biſſen. Ja als die Buͤrger-
meiſter noch einſt ihnen die Stirne boten/ ſchlu-
gen ſie ſie abermahls auffs Haupt/ und Grani-
cus ſelbſt rennte den Caßius uͤber einen Hauffen;
wegen welchen Verluſtes zu Rom der zehnde
Mann aller fluͤchtigen Roͤmer zum Tode ver-
urtheilt ward. Die uͤberbleibenden ſtieß Mar-
cus Licinius Craßus zu ſechs friſchen Legionen
und allen nur aufzutreiben moͤglichen Kraͤfften
des Reiches/ mit welchen er den mit zehn tauſend
Mann bey dem Fuciniſchen See gelagerten
Granicus umringte; welche zwar alle Mittel
der Klugheit und Tapfferkeit herfuͤr ſuchte ſich
durchzuſchlagen; welches einem dritten Theile
ſeines Heeres auch geluͤckte; er aber buͤſte mit
denen meiſten/ derer keiner ſich den Roͤmern ge-
fangen geben wolte/ ſein Leben ein; welchen
ihr eigener Feind das Zeugnuͤß geben muſte:
daß keiner nichts knechtiſches begangen/ ſondern
durch ihre Tapfferkeit viel Edle beſchaͤmthaͤt-
ten. Hierauf kamen beyde gantze Heere in dem
Harpiniſchen Gebiethe zu einer Haupt-
Schlacht; welche mit der aufgehenden Son-
nen anfieng/ mit der untergehenden ſich endig-
te. Jn dieſer blieb Oenomaus mit viertzig tau-
ſend Mann; Hingegen zwantzig tauſend auff
Seiten der Roͤmer. Spartacus muſte ſich in
ſein Laͤger ziehen; und behielten die Roͤmer
zwar das Feld; die Knechte aber den Ruhm.
Als nun Spartacus in Samnium/ und ſo fort
in Gallien durchbrechen wolte; kam es bey
Tauraſium abermahls zu zwey harten Treffen;
da denn Spartacus nach Verluſt zehn tauſend
Mann in Lucanien/ weil ihn Craßus unauff-
hoͤrlich verfolgte/ biß an die euſſerſte Ecke des
Brutiſchen Winckels weichen/ und ſich an der
Rheginiſchen Meer-Enge verſchantzen muſte.
Damit nun ſein Kriegs-Volck aus keiner
Hoffnung der Gnade ſich ergeben moͤchte/ ließ
er den fuͤrnehmſten gefangenen Roͤmer fuͤr dem
Lager aufhencken; thaͤt auch durch oͤfftere Faͤl-
le dem Craßus mercklichen Abbruch; welcher
endlich/ nach dem Spartacus auf Faͤſſern/ Na-
chen und Floͤſſen in Sicilien uͤberzuſetzen ſich
muͤhte/ und der aus Hiſpanien zuruͤck kommen-
de Pompejus dem Craßus zu Huͤlffe ziehen ſol-
te/ das Laͤger mit aller Macht ſtuͤrmte und zum
Erſter Theil. E e e e e eTheil
[954[956]]Sechſtes Buch
Theil eroberte. Gleichwol aber entkam Spar-
tacus mit dem groͤſten Theile ſeines Krieges-
Volckes biß an die innerſte Spitze des Taren-
tiniſchen Seebuſens an den Fluß Bradanus/ in
willens Brunduſium zu uͤberrumpeln/ und von
dar uͤbers Meer zu entkommen. Als er aber
hoͤrte: daß daſelbſt Lucullus mit einem Theile
ſeines ſieghafften Heeres aus Aſien ankommen/
alſo ihm alle Ausflucht verhauen war/ machte
er die Noth zur Tugend/ liefferte dem Craßus
die verlangte Schlacht; in welcher er/ ungeachtet
ſo vieler empfangenen Wunden: daß ſeine Lei-
che hernach unter den Todten nicht zuerkennen
war/ ſeine Tapfferkeit und Feindſchafft wieder
Rom nicht ehe/ als mit ſeinem letzten Lebens-
Athem/ als einer der edelſten Feld-Herren aus-
bließ; ja alle Deutſchen nicht anders als wie
Schlangen/ die nach zerknicktem Kopffe ſich
doch noch mit dem Schwantze wehren/ biß auf
den letzten Blutstropffen fochten; und den Roͤ-
mern den Sieg theuer genung verkaufften.
Craßus ließ auf der Wallſtatt eine marmelne
Seule aufrichten; und ließ durch ſeines uͤber-
wundenen Feindes Lob auch ſein eigenes dero-
ſtalt darein graben:
Es iſt nicht muͤglich auszudruͤcken/ wie die
in Jtalien und zwiſchen den Alpen uͤbrig ge-
bliebenen Deutſchen von denen theils dieſer
empfangenen Wunden halber rachgierigen/
theils wegen der Mithridatiſchen Siege hoch-
muͤthigen Roͤmern nach der Zeit gedruͤckt wur-
den. Weil aber kein Volck unter der Sonnen
den Deutſchen an Treue uͤberlegen iſt; lieſſen
dieſe in der Meynung: daß die Tugend ſo wol
den Undanckbaren/ als die Sonne gifftigen
Thieren wohl thue/ durch kein angethanes Un-
recht der Roͤmer ſelbte auch nur eines Haares
breit verſehren; hielten ſich auch bald darauf/ als
ihr Untergang an einem ſeidenen Faden hieng/
ſo ehrlich: daß Rom ſeine Erhaltung ihnen zu
dancken hatte. Denn/ als unter dem groſſen
Pompejus die Roͤmiſchen Heere in fremden
Landen wieder den Mithridates zerſtreut wa-
ren/ Lucius Catilina aber mit einem groſſen
Theile des Roͤmiſchen Adels ihr Vaterland zu
vertilgen ſich verſchworen/ und dieſen grauſa-
men Bund mit eines abgeſchlachteten edlen
Juͤnglings/ auf den das Loß gefallen war/ auf-
gefangenen mit Wein vermiſchten/ und nach
der Reye begierig ausgetrunckenem Blute be-
ſtaͤtigt; ja er nicht allein in Hetrurien ein groſ-
ſes Heer verſammlet/ ſondern auch Lentulus zu
Rom die Stadt an zwoͤlff Orten anzuzuͤnden/
und den Rath zu ermorden Anſtalt gemacht
hatten; kamen vom Hertzoge Catugnat der Al-
lobroger/ wie auch von dem Alemanniſchen
Herzoge Vocion Arioviſtens Brudern/ welcheꝛ
die Helvetier beherrſchte/ eine anſehliche Ge-
ſandſchafft nach Rom/ theils ſich uͤber die Grau-
ſamkeit und den Geitz des Roͤmiſchen Land-
vogts zu Vienne zu beſchweren/ theils fuͤr die
Allobroger als der Alemaͤnner Bluts-Freun-
de eine Erleichterung ihres Joches zu bitten.
Lentulus/ welcher dieſe Beſchwerden leicht er-
fuhr/ ließ ſich alsbald den ſchlauen Publius Um-
brenus/ der in Gallien viel Jahre Handlung
getrieben hatte/ und alſo die Geſandten gar wol
kennte/ an dieſe Beleidigte/ und ſeinem Beduͤn-
cken nach leicht bewegliche Allobroger machen;
zu verſuchen: Ob ſie dieſes ſtreitbare/ und unter
dem Joche ſchmachtende Volck zu des Catilina
Anhange machen koͤnte. Umbrenus redete ſie
auf
[955[957]]Arminius und Thußnelda.
auf dem groſſen Platze/ wie ſie auf des Satur-
nus Tempel noch daſelbſt in den gemeinen
Schatz-Kaſten der Stadt Rom gelieferten
Schatzung auffs Capitolium gehen wolten/
freundlich an; erkundigte ihr Anliegen; be-
zeugte ein hertzliches Mitleiden mit ihrer Be-
draͤngung; und als ſie auf ſeine Frage: Was
ſie denn fuͤr ein Ende ihres Elendes/ zu welchem
der Rath taube Ohren haͤtte/ erwarteten; ihm
antworteten: den Tod; fieng er ſeuffzende an:
Jch aber/ wenn ihr anders noch Maͤnner ſeyd;
wolte euch wol ein beſſers an die Hand geben.
Die Geſandten begegneten dem Umbrenus
nicht anders als ihrem Schutz-Gotte; und
fleheten ihn um Eroͤffnung ſeiner vertroͤſteten
Huͤlffe an. Dieſer leitete ſie alſofort in das nahe
darbey liegende Hauß des Brutus zum Gabi-
nius Capito; welcher das Unrecht des Roͤmi-
ſchen Rathes mit tauſend Fluͤchen verdammte;
des Marius und Sylla Raſereyen/ das Wuͤten
des Cinna/ des Pompejus Hochmuth ſcharff-
ſinnig durchließ/ und wie der meiſte Roͤmiſche
Adel vom Buͤrgermeiſter Cicero/ und andern
Neulingen; derer Vaͤter Kohlenbrenner/ die
Muͤtter aber Ammen abgegeben/ unterge-
druͤckt; die ehrlichen Deutſchen und viel andere
freye Voͤlcker wieder aller Voͤlcker Recht aus-
geaͤdert/ und zu Leibeigenen gemacht wuͤrden/
nichts minder verfluchte/ als ſcheinbar erzehlte/
endlich eroͤffnete: daß dieſe Unterdruͤckung ſie
ſich aus Liebe der unſchaͤtzbaren Freyheit mit
dem edlen Catilina wieder den grauſamen Rath
zu verknuͤpffen/ und die Einaͤſcherung des
Raub-Neſtes der Welt/ des Noth-Stalles al-
ler Voͤlcker der blutigen Stadt Rom zu be-
ſchluͤſſen gezwungen haͤtte. Da ſie nun ihre
Freyheit wieder zu erlangen/ denen ſie ausmer-
gelnden Schindern die Haͤlſe zu brechen ent-
ſchloſſen waͤren; wolten ſie ihnen darzu alle
Handreichung thun. Die Geſandten hoͤrten
den grauſamen Anſchlag dieſer Un-Menſchen
wieder ihr Vaterland/ deſſen Liebe die Muͤt-
terliche/ ja ſeine ſelbſteigene mit aller Welt
Reichthum weichen ſoll/ nicht ohne Erſtau-
nung/ gleichwol aber mit angenommener Ver-
gnuͤgung an; danckten dem Gabinius fuͤr ſein
Mitleiden und Vertraͤuligkeit; baten aber
Friſt/ hierzu die Geſandten Hertzog Vocions
gleichfalls zu bereden; als ohne welche ſie ohne
diß nichts zu ſchluͤſſen befehlicht waͤren. Wie
nun die Allobroger dieſes des Vocions Ge-
ſandten eroͤffneten/ und ſie einmuͤthig mit einer
ſo ſchwartzen Verꝛaͤtherey der Deutſchen Ruhm
zu beſudeln fuͤr unthulich hielten; berieffen ſie
alsbald ihnen zu Rom habenden Schirms-
Mann Fabius Sanga; und entdeckten durch
ihn dem Cicero alles Haar-klein; welcher ohne
diß in hoͤchſtem Kummer lebte; weil Gallien
und Jtalien vom Catilina ſchon in nicht germ-
ge Verwirrung geſetzt war. Dieſer wuſte
ſeine Danckbarkeit gegen der Deutſchen Red-
ligkeit nicht genung auszudruͤcken; riethauch:
daß ſie ihre Beypflichtung zu ſolchem Buͤndniße
auffs beſte beſcheinigen und denen Verſchwor-
nen alle ihre Geheimnuͤße moͤglichſt ausholen
ſolten. Wie nun alle deutſche Geſandten
folgende Nacht ſich bey dem Stadtvogte Len-
tulus einfunden/ ward von denen in groſſer
Menge verſammleten Verſchwornen beſchloſ-
ſen: Catilina ſolte durch das Feſulaniſche Ge-
biete eilends gegen Rom anruͤcken; alſo denn
der bevorſtehende Zunfft-Meiſter Lucius Be-
ſtia in ſeiner gewoͤhnlichen Antritts-Rede bey
dem Feyer des Saturnus des beſten Buͤrger-
meiſters Cicero uͤbele Herrſchafft anklagen; fol-
gende Nacht Statilius/ Gabinius und Lucius
Caßius die Stadt an zwoͤlff Enden anzuͤnden/
Cethegus den Cicero/ und der andere Hauffen
alle Raths-Herren/ derer viel doch der ver-
ſchwornen leibliche Vaͤter waren/ ermorden;
und hierauf dem Catilina zurennen; die Ge-
ſandten aber eilfertig nach Hauſe reiſen/ die ih-
nen fuͤr geſetzte Befehlichshaber erwuͤrgen/ und
mit ihrer Macht zum Catilina ſtoſſen. Dieſe
E e e e e e 2verſpra-
[956[958]]Sechſtes Buch
verſprachen nichts an ihrem Fleiße erwinden zu
laſſen; alleine muͤſten ſie ins geheim aus der
Stadt gebracht/ ihnen auch dieſes Buͤndniß von
allen Beſchwornen unterſchrieben und beſiegelt
ausgehaͤndigt werden; als ohne welches ihr
Fuͤrtꝛag bey ihren Landes-Leuten keinen Glau-
ben verdienen wuͤrde. Die anfangs fuͤrſichtige
Boßheit wird nach und nach vermeſſen und be-
kommet Maulwurffs-Augen: daß ſie andere
Leute in ihrer Auffſicht ſo blind zu ſeyn ſchaͤtzet/
als ſie in Ausuͤbung gewohnter Laſter iſt. Die-
ſemnach unterſchrieben die Verſchwornen ohne
alles Bedencken den vom Cethegus entworffe-
nen Schluß; und befehlichten den Vulturcius:
daß er folgende Nacht die Geſandten zum Cati-
lina begleiten ſolte; welchem Lentulus ein hierzu
dienendes Schreiben einhaͤndigte. Die Ge-
ſandten lieſſen diß alles den Cicero wiſſen; aber
auf die beſtimmte Zeit der Reiſe die Milviſche
Bruͤcke an der Flaminiſchen Straſſe mit Krie-
ges-Volcke beſetzen; welches die deutſchen Ge-
ſandten und den Vulturcius gefangen in Rom
brachte. Worauf Cicero die Verſchwornen nach
und nach ins Heiligthum der Eintracht brin-
gen ließ/ ſie mit ihrer Hand und Siegel uͤber-
zeugte/ hernach im Gefaͤngniße behielt/ und al-
ſo Rom von ſo nahem Untergange errettete.
Sintemahl die Gefangenen/ wie ſehr gleich Ci-
cero fuͤr ſie bat/ auf des Cato Gutbe finden im
Kercker erwuͤrget; ja viel mitverſchworne
Soͤhne von ihren Vaͤtern nach dem Beyſpiele
des ihnen vorgehenden Aulus Fulvius eigen-
haͤndig getoͤdtet/ Catilina aber mit ſeinem Hee-
re biß auf den letzten Mann nach unglaublicher
Gegenwehr vom Antonius erſchlagen; iedoch
ihm von ſeinen Uberwindern nachgeruͤhmet
ward: daß/ wenn er fuͤrs Vaterland gefallen;
Niemand fuͤr ihm eines ſchoͤnern Todes geſtor-
ben waͤre. Wer ſolte aber Rom eine ſolche Un-
dan[ck]barkeit zutrauen: daß ſie zwar die Geſand-
ten mit helffenbeinernen Stuͤlen/ guͤldenen
Staͤben/ und anderem Tocken-Wercke haͤtten
beſchencken; den ſo treuen Allobrogern aber
nicht ein Loth ihrer unertraͤglichen Zentner-
Laſt abnehmen ſollen? Welches dieſes hertzhaff-
te Volck zu einer halbverzweiffelten Entſchluͤſ-
ſung brachte: daß ſie die Roͤmiſchen Geldaͤgeln
erwuͤrgten/ in das Narboniſche Gallien einfie-
len/ und fuͤr ihre Freyheit alles euſſerſte zu wa-
gen entſchloſſen. Aber Cajus Pomptinius/ der
doch mit den Geſandten ſelbſt ihrer Treue hal-
ber Unterhandlung an der Milviſchen Bruͤcke
gehabt hatte; kam ihnen unter dem Scheine ei-
nes Vermitlers ſo geſchwinde mit einem maͤch-
tigen Heere auf den Hals; und die Heduer gien-
gen ihnen mit aller ihrer Macht in Ruͤcken; al-
ſo: daß ſie die Allobroger auf einmahl zu ver-
ſchlingen ſchienen. Aber Noth und Tugend
rennen nicht ſelten auch der Unmoͤgligkeit einen
Rang ab. Dahero ihre tapffere Gegenwehr
den Pomptinius noͤthigte/ an einem vortheil-
hafften Orte bey der Stadt Acunum ſein Laͤger
zu befeſtigen. Wie nun aber Pomptinius ver-
nahm: daß der Hertzog Catugnat/ nach dem er
die Roͤmer nicht aus dem Laͤger zu locken ver-
mocht hatte/ bey Bantiana uͤber den Rhodan
mit dem halben Heere geſetzt hatte um ins Nar-
boniſche Gallien einzubrechen/ blieb er mit we-
nigem Volcke zur Beſatzung im Laͤger/ ließ das
gantze Heer unter dem Manlius Lentinus des
Nachts in moͤglichſter Stille uͤber den Rhodan
gehen/ uñ hinter einem Walde den Allobrogern
wegelagern. Dieſe aber kriegten noch ſelbige
Nacht durch einen Uberlaͤuffer von allen Um-
ſtaͤnden des Anſchlags Nachricht. Daher zohe
Hertzog Catugnat uͤber Hals uͤber Kopff ſein
gantzes Heer an ſich/ ruͤckte darmit recht gegen
das ihm geſtellte Fallbret; ſtifftete auch etliche
leichte Reuter an: daß ſie voran gegen die Roͤ-
mer ſtreifften/ ſich mit Fleiß fangen ließen/ und
einmuͤthig ausſagten: daß Catugnat nicht ſelbſt
bey denen kaum zehntauſend Mann ſtarcken
Allobrogern waͤre; ſondern ſie des Vocions
Sohn ein noch unerfahrner kuͤhner Juͤngling
fuͤhrte/
[957[959]]Arminius und Thußnelda.
fuͤhrte/ von den Roͤmern auf ſelbiger Seite des
Rhodans das minſte wuͤſte. Catugnat theilte
hierauf ſein Heer in drey Theil; den Vortrab/
der auf die Roͤmer gleichſam unvorſichtig ver-
fallen ſolte/ vertraute er dem jungen Vocion/
das andere ſeinem Sohne; mit welchem er durch
einen Umweg den Roͤmern in Ruͤcken gehen
ſolte. Er ſelbſt blieb mit dem Kerne ſeines Vol-
ckes/ und etlichen tauſend Helvetiern in voller
Schlacht-Ordnung ſtehen/ um den Roͤmern/
weñ ſie den Vocion verfolgen wuͤrden/ die Spi-
tze zu biethen. Dieſe der Liſt entgegen geſetzte Liſt
ſchlug gluͤcklich aus. Denn ſo bald die Roͤmer
den Vocion erſahen/ fielen ſie vorwerts und auf
beyden Seiten ihn an; welcher nach laulichter
Gegenwehr zu weichen/ und endlich zu fliehen
anfieng/ alſo mit ihm die Roͤmer auf des Catu-
gnats Heer verleitete. Wie nun dieſer ihn ſo be-
hertzt als unvermuthet unter Augen gieng/ des
Vocions Volck aber ſich zugleich gegẽ die durch
die Veꝛfolgung in nicht geringe Unordnung ge-
brachten Roͤmer wendete; ſahen ſie wol: daß der
Steller in ſein eigenes Garn verfallen war.
Weil es aber ſich dem in Eiſen habenden Fein-
de zu entziehen unmoͤglich war/ muſten ſie aus
der Noth eine Tugend machen/ und alſo ſich zu
behertzter Gegenwehr anſtellen. Eine Stunde
waͤhrete die Schlacht/ ehe die Roͤmiſche Reute-
rey zum weichen gebracht war/ und die Allobro-
ger die Roͤmer zur Seite antaſten konten; hier-
mit aber gerieth Catugnats Sohn/ und der vom
Mithridates aus Scythien in Deutſchland an-
gekommene Fuͤrſt Bituit mit acht tauſend Mañ
den Roͤmern in Ruͤcken; alſo in weniger Zeit die-
ſe in Unordnung; und endlich/ nach dem zumahl
Lentinus hefftig verwundet/ und zwey Roͤmiſche
Adler genommen waren/ in die Flucht; welche
aber ihnen faſt allenthalben verſchrenckt/ und
das Roͤmiſche Heer durchgehends wie Vieh ab-
geſchlachtet ward. Der nahe Wald und die
Nacht/ inſonderheit aber ein erſchreckliches Ha-
gelwetter/ welches nicht drey Schritte weit vor
ſich ſehen ließ/ halff dem Lentinus mit drey oder
viertauſenden theils nach Acunum/ theils zu den
Heduern darvon; da ohne dieſen Zufall von de-
nen dreyßig tauſend Roͤmiſchen Krieges-Leu-
ten allem Anſehen nach kein Gebeine davon
kommen waͤre. Der hieruͤber zitternde Pom-
ptinius ſchaͤtzte ſich im Laͤger nicht ſicher; brach
daher eilfertig auf/ und wiech am Rhodan biß
zur Stadt Vindelium zuruͤcke. Der eine denen
Roͤmern nicht allzuwol wollende Fuͤrſt der He-
duer Convictolitan brachte bey Erfahrung die-
ſes herrlichen Sieges es auch dahin: daß ſie un-
ter dem Vorwand: Es waͤren die Alemaͤnner
und Helvetier wieder ſie im Anzuge/ ſich aus der
Allobroger Gebiethe zuruͤcke zohen. Nach dem
aber Lucius Marius/ und Sergius Galba mit
zwey neuen Heeren/ wie nichts minder die Maſ-
ſilier/ und die leichtſinnigen Heduer den Pom-
ptinius mit groſſer Macht verſtaͤrckten/ ſetzte er
uͤber den Rhodan/ verheerte der Allobroger Ge-
biethe; und gewañ die eine Seite der Stadt So-
lonium; nach dem ſie der junge Fuͤrſt Vocion
vergebens zu entſetzen verſucht hatte. Die ande-
re Seite der Stadt aber hielt zehn Stuͤrme
aus; biß Pomptinius nach erlangter Nachricht
von des Herzogs Catugnat voͤlligem Anzuge die
Belaͤgerung aufzuhebẽ/ das eingenom̃ene Theil
der Stadt Solonium aber einzuaͤſchern noͤthig-
te. Die Roͤmiſchen Heere eilten dieſemnach de-
nen Allobrogern entgegen/ die Heduer giengen
ihnen auch mit einem friſchen Heere in Ruͤcken/
und zwungen den Hertzog Catugnat durch Ab-
ſchneidung aller Lebensmittel zu Lieferung eineꝛ
Schlacht wieder ſeine wol dreymahl ſtaͤrckere
Feinde. Sintemal die Zwytracht der Alemaͤñeꝛ
uñ Helvetier ihm alle vorige Huͤlfe benom̃en hat-
te. Ob nun zwar die Verbindligkeit zu ſchlagen
ſchon halb verſpielt iſt; ſo wehrte doch das Treffen
von der erſten Tagung an biß in die ſinckende
Nacht; endlich aber erlangten die Roͤmer einen
wiewol blutigẽ Sieg; deſſen ſie ſich wenig zu er-
freuen/ weniger aber zu ruͤhmen hatten. Catu-
E e e e e e 3gnats
[958[960]]Sechſtes Buch
nats Sohn blieb ſelbſt todt; Er aber und der
Vocion ſchwamen mit etwan hundert Edelleu-
ten durch den Fluß Araris/ und entkamen mit
genauer Noth in die Stadt Genf/ an den Le-
maniſchen See und der Helvetier Graͤntze.
Die groſſe Niederlage und der gemeine Ruff:
Es waͤre der Hertzog in der Schlacht umkom-
men/ verurſachte: daß die uͤbrigen Allobroger
die Waffen niederlegten/ alle Feſtungen den
Roͤmern einraͤumten/ und Catugnat zu den
Helvetiern ſich fluͤchten muſte. Herentgegen
erliedt Cajus Antonius von den Skordiskiſchen
Deutſchen in Thracien; welche nebſt denen
Baſtarniſchen Deutſchen noch immer mit des
Mithridates Soͤhnen wieder die Roͤmer ihr
Verſtaͤndniß unterhielten/ und in Macedoni-
en Beute holeten/ eine anſehnliche Niederlage.
Dieſe Erzehlung des Fuͤrſten Adgandeſters
ward nicht nur durch die zu Golde gehende
Sonne; ſondern auch durch die Ankunfft eines
Edelmannes unterbrochen; Der dem Fuͤrſten
Adgandeſter Nachricht brachte: daß wegen der
beyden Cattiſchen Hertzoginnen/ Erdmuth und
Rhamis von der eilfertigen Reiſe empfundener
Ungemaͤchligkeit der Einzug biß uͤber den an-
dern Tag verſchoben; Gleichwol aber die Graͤ-
fin von der Lippe/ der Fuͤrſtin Thußnelde Hof-
meiſterin mit ankommen waͤre/ um von Sei-
ten ihrer die gehoͤrige Anſtalt des Beylagers zu
machen. Adgandeſter war hieruͤber erfreuet;
und vermeldete alſobald: daß dieſe Tugendhaffte
Frau/ welcher kein Geheimnuͤß von der Fuͤrſtin
Thußnelde verborgen/ und ein wahres Eben-
bild der ſelbſt-ſtaͤndigen Dienſtfertigkeit waͤre/
ihn einer groſſen Vuͤrde verſprochener Erzeh-
lung uͤberheben wuͤrde. Malovend fiel ihm
ein: So werde ich meine Unfaͤhigkeit auch vie-
ler Fehler entziehen; Er aber/ nach dem ich
gleich die Haͤndel/ die die Deutſchen außerhalb
ihrer Graͤntzen mit den Roͤmern eigentlich ge-
habt/ beſchloſſen; die ihm Haar-klein bekanten
Vegebnuͤße umſtaͤndlich fuͤrzutragen wiſſen/
wie nehmlich der fuͤr Ehrſucht in dem Gadi-
ſchen Tempel des Hercules bey dem Bilde des
groſſen Alexanders bittere Thraͤnen vergiſſen-
de Julius Caͤſar aus einem Traume/ darinnen
er ſeine Mutter zu beſchlaffen ſich beduͤncken
ließ/ ihm die Herrſchafft der Welt; und/ weil
ſein geſpaltene Klauen habendes Pferd nie-
manden als ihn aufſitzen ließ/ Alexandern glei-
che zu werden habe traͤumen laſſen; und zu dem
Ende in das Hertze Galliens/ uͤber den Rhein
in Deutſchland/ ja uͤber das Meer in Britan-
nien eingebrochen/ ſein Nachfolger Auguſt auch
ſeinen Fußſtapffen nachgefolgt ſey. Die Graͤfin
von der Lippe aber wird ihr ſelbſt fuͤr ein Gluͤck
achten/ dieſer hochanſehnlichen Verſamlung
durch Abmahlung der finſteꝛen Liebes-Wolcken
zwiſchen dem Feldherrn Herrmann und der
Heldin Thusnelde den Sonnenſchein des na-
hen Hochzeit-Feyers deſto annehmlicher zu ma-
chen. Bey dieſen Reden kam die Graͤfin ſelbſt
zur Stelle; mit welcher ſich alle Anweſenden
auffs hoͤflichſte bewillkom̃ten; und nach dem ſie
ins geſam̃t die Abend-Tafel durch hunderterley
annehmliche Geſpraͤche abgekuͤrtzt hatten/ von
ihr ſelbſt die Vertroͤſtung einer umſtaͤndlichen
Ausfuͤhrung ihrer Zufaͤlle/ zugleich aber dieſe
nachdenckliche Erinnerung bekamen: daß ob
wol die Welt ſelten auf die/ welche in der Ren-
nebahn der Tugend ſchwitzten/ acht haͤtten/
dennoch die Sternen endlich ſelbſt gegen dieſel-
ben ihre Augen aufſperreten; welche nunmehr
den einen Fuß auf den verlangten Zweck ſetzten.
Sie wiſſe die Freude ihres Hertzens nicht voll-
kommen auszuſchuͤtten: daß ſie die Tugend und
Liebe des Fuͤrſten Herrmanns/ und der nichts
minder hertzhafft-als keuſchen Thusnelde auff
einmahl mit Lorbern und Myrthen herrlich
gekraͤntzt ſehe; und wie alle ihre Neider nun-
mehr erkennen muͤſten: Es ſey alberer an ge-
rechtem Ausſchlage der goͤttlichen Verſehung
zweiffeln; als von der Sonne Zeugniß ihres
Lichtes fordern.
DJe Begierde ruͤhmliche Thaten nach zu thun/ und die Beſchrei-
bung derſelbten/ als eine Wegweiſerin zur Tugend/ was ſie wuͤr-
cke und worzu ſie den Hertzog Zeno/ Rhemetalces/ Malovend Ad-
gandeſter und die uͤbrige Geſellſchafft verleite? Malovends fer-
nere Erzehlung. Der Gottesdienſt und prieſterliche Wuͤrde als
der ſicherſte Kappzaum der Unterthanen bey dem alten Deutſchen
mit der Koͤniglichen vermaͤhlet geweſen. Jener vielfaͤltige und
nutzbare Verrichtung. Der Brittanniſchen Weiſen oder Druyden
Lebens-Art und Anſehen der Koͤniglichen vorgezogen. Jhres Haupts Verehrung/ Un-
terricht der Jugend und Eydes-Pflicht. Jhre Sprache und Schrifft/ Speiſe faſten
und Keuſchheit/ ingleichen ihrer Seckte Unterſcheid. Des deutſchen Frauen-Zimmers
ſonderbare Klugheit/ Anſehen/ Wahrſagungen und Zauberey. Der Druyden Opffer/
Heiligthum und Verehrung gewiſſer Baͤume; Jhre Lehre allzu heilig was ver-
gaͤngliches zu ſchreiben. Jhre Leichen-Gedaͤchtniße und Meynung von der menſchli-
chen Seele. Der Aberglaube und Veraͤnderung des Gottesdienſts gefaͤhrlich/ die Ge-
meinſchafft einem Reiche nuͤtzlich. Blinder Gehorſam ein Werck unvernuͤnfftiger
Thiere/ wie die Pruͤfungen der Warheit ein Thun der Menſchen. Unter dem Theut
oder Thuiſto der Schoͤpffer der Welt oder Mercur angedeutet/ welchen die alten Deut-
ſchen nebſt dem Hercules und vielen andern zu Schutz-Goͤttern erwehlet. Der Mond
in beſonderer Betrachtung unter ihnen. Furcht und Einbildung die groͤſte Gemuͤths-
Kranckheit. Allerhand aberglaubiſche Urtheile uͤber Sonn und Mond die groͤſten
Lichter der Welt und derer mehr mahlige Verfinſterungen. Des erſten Druys Sera-
pio in Deutſchland mit nachdencklichen Reymen eingegrabene Wahrſag- und Prophe-
ceyungen. Der klugen und weltweiſen Herrſchafft nicht allezeit die gluͤcklichſte. Gluͤcks-
maͤßigung aber die ſchwerſte. Der Druyden anfaͤngliche Andacht in Scheinheiligkeit/
ihre von außen-glaͤntzende Tugenden in Laſter/ ihre vorgegebene Einigkeit in Zwytracht
verwandelt/ biß ſolche einer der tieffſinnigſten Druyden Divitiack ans Licht geſtellet und
verdammet. Seine daruͤber ausgeſtandene Verfolgung. Eine neuere mehr auf die
Vernunfft gegruͤndete Lehre verurſachet unter den hoͤchſten Haͤuptern Deutſchlands
groſſe Unruhe. Groſſe Niederlage der Eubagiſchen Gallier auf ihres ungluͤcklichen
Fuͤrſtens Rubonors Beylager. Der Samnitiſchen Weiber frevelhaffter Gottesdienſt
geduldet. Der Bataver und Menapier durch den Degen erworbene Freyheit. Vier
an Tugend und Tapfferkeit zu einer Zeit herrſchenden Fuͤrſten Deutſchland ſo ſchaͤd-
lich/ als vier Sonnen dem Himmel. Unter denen der Cheruskiſche Hertzog Aembrich
die Wuͤrde der Feld Herrſchafft davon traͤgt. Des Hertzogs der Alemaͤnner Ario-
viſts kluges Urtheil uͤber ſolcher ausgeſchlagenen Wuͤrde. Des von ſeiner Herrſchafft
verfallenen Fuͤrſtens Orgetorichs wieder den Arioviſt ungluͤcklicher Auffſtand zum
Feuer
[960[962]]Siebendes Buch
Feuer verdammet/ aber vom Poͤfel mit Gewalt erloͤſet. Seine und ſeines Eydams
Domnorichs und Fuͤrſten Darico Entſchluͤſſung vom ſchlauen Julius Caͤſer mit ihrem
groſſen Verluſt hintertrieben. Des Julius und eines Roͤmiſchen Adlers von den Hel-
vetiern ausgeſtandene Gefahr/ und darauf erfolgter Friede. Des Julius neue Kriegs-
Flucht wieder die Deutſchen und dem Koͤnige Arioviſt gethanes hochmuͤthiges Anmu-
then. Deſſen hertzhaffte Antwort vom Roͤmiſchen Rath wieder Caͤſarn ſelbſt gebilli-
get. Beyder Zuſammenkunfft und Unterredung. Caͤſar bedienet ſich wieder den A-
rioviſt theils der Leuen-Haut/ theils des Fuchsbalges/ ſo ſich endlich mit uͤbelausſchla-
gender Verraͤtherey endiget. Arioviſts nebſt ſeiner bey ſich habenden Deutſchen und
ihres in der Wagenburg gelaſſenen Frauen-Zimmers bezeigter blutiger Kampff/ und
einiger Ritter dabey empfangener Geſchlechts-Nahmen. Der Gefangenen Auswech-
ſelung und Friede durch den zwiſchen dem Cherusker Hertzog Aembrich und der Catten
Hertzoge Arabarn entſtandenen Krieg befoͤrdert. Hertzog Aembrichs vergroͤſſerte
Herrſchafft durch Beſiegung der Quaden und Unterdruͤckung der Barden und Euba-
gen Deutſchland beſorglich. Der Diener mißbrauchte Gewalt ihrem Herrn und Un-
terthanen gefaͤhrlich. Des Koͤnigs Arioviſts vor ſeinen vertriebenen Vetter Arabar
beym Feld-Herrn Aembrich vergeblich eingelegte Vorbitte. Der beyden Cattiſchen
Fuͤrſten Roßna und Cimbers dardurch erꝛegter Aufſtand und Anfall des Cheruskiſchen
Gebiets/ welchem Coßibellin der Brit annier Hertzog mit einem maͤchtigen Heere/ der
Cimbern Hertzog Friadlev mit ſeinem Beyfall folget. Seine Stuͤrtzung mit dem
Pferd/ und ſeine vom Donner abgeworffene Geſchlechts-Seule eine Vorſagung ſei-
ner und deſſen Bundsgenoſſen erfolgten Ungluͤcksfaͤlle. Aembrichs befeſtigte Macht in
Deutſchland. Auſſer Landes gehet ein der Deutſchen und Belgen Freyheit nachtheiliger
Comet am Caͤſar wieder auf. Undanck und Verraͤtherey bereitet ihm bald da bald dort
einen Sieges-Krantz/ dem Vaterlande aber die Feſſel der Dienſtbarkeit. Boduognats
des Hertzogs der Belgen tapffer verfochtene und durch erwuͤnſchete Friedens-Vor-
ſchlaͤge behauptete Freyheit/ deren Verluſt mehr die eigenen Spaltungen als der Roͤ-
mer Tugend befoͤrdert. Verraͤtherey ſein eigener Hencker am boßhafften Ufo. Neuer
Krieg in Deutſchland uͤber der den Druyden eingeraͤumten groſſen Gewalt zwiſchen
dem Feld-Herrn Aembrich/ dem Hemunderer Hertzoge Brittan/ dem Longobardiſchen
Fuͤrſten Siegbrand/ dem Svioner Koͤnige und uͤbrigen Bundsgenoſſen. Aembrichs
und der Seinigen groſſe Niederlage. Gothors vielfaͤltige Siege/ Arabars Erholung.
Caͤſars hierbey in Gallien geſuchter Vortheil; der Deutſchen vernuͤnfftige Warni-
gung erfolget. Eines deutſchen Ritters Heldenmaͤßige Entſchluͤſſung beym erzuͤrnten
Caͤſar vor ſeine Landes-Leute ein Schlacht-Opffer zu werden. Caͤſars an zweyen deut-
ſchen Fuͤrſten vergeſſenes Voͤlcker-Recht vom Roͤmiſchen Rath hoͤchſt empfunden. Caͤ-
ſar ſuchet bey den Sicambern dreuende die Ausfolgung der gefluͤchteten Uſipeter und
Teneterer. Sein ſeltzamer aber ungluͤcklicher Bruͤcken-Bau uͤber die Moſel. Seine
Ehr und Kriegsſucht ziehet ihn nach der Deutſchen tapffern Wiederſtande in das unter
buͤrgerlichem Kriege ſeuffzende Britannien. Des Feld-Herrn Aembrichs aus ſon-
derbarer Staats-Klugheit verworffene Huͤlffe der maͤchtigen Roͤmer. Caͤſars aus-
geruͤſtete Kriegs-Flotte von Feind und Wellen/ inſonderheit von Bondicea einer Koͤni-
glichen
[961[963]]Arminius und Thußnelda.
glichen Britanniſchen Jungfrau gluͤcklich beſtritten und zuruͤck in Gallien gejagt.
Verwirrter und in voller Kriegsflam̃e ſich befindender Zuſtand in Deutſchland/ worin-
nen der Gottesdienſt zwar der Vorwand/ das Abſehen aber der hohen Haͤupter die O-
ber-Herrſchafft iſt. Was Fuͤrſten/ was klugen und treuen Dienern gelegen/ und wie
jene mit dieſen die Bemuͤhungen/ nicht aber die Wuͤrde theilen ſollen; des Feld-Herrn
Aembrichs und Koͤnig Arioviſts/ Gotharts und Hertzog Brittons gegen einander ge-
ſtellte Kriegs-Macht; des allzuhitzigen Koͤnigs Gotharts toͤdliche Verwundung dienet
zur Lehre: daß ein Krieges-Haupt nicht in der Spitze ſtehen/ ſondern wie das Hertze im
Leibe zum allerletzten ſterben/ und ihr Tod moͤglichſt zu verhoͤlen ſeyn ſolle. Des Feld-
Oberſten Terbals Verraͤtherey wieder den Feld-Herrn Aembrich. Seine Straffe.
Thorheit zuweilen eine Gefaͤrthin der Klugheit. Ob der Fuͤrſten Hoheit von keinen
Geſetzen umſchraͤncket/ und einen Ubelthaͤter ohne Verhoͤr zu verdammen zu entſchuldi-
gen ſey? Schlacht zwiſchen dem Feld-Herrn Aembrich und dem Koͤnige Arioviſt eine
Befoͤrderung des Friedens/ mit Maͤßigung der Druydiſchen Macht und Ertheilung
der den Barden und Eubagen zeither verſchraͤnckten Freyheit ihres Gottesdienſt. Vie-
ler Fuͤrſten Beſchwerfuͤhrung beym Feld-Herrn Aembrich uͤber Caͤſars Thaͤtligkeiten.
Deſſen verſicherte Freundſchafft. Aembrich weiß der Roͤmer Beleidigungen durch ſei-
ne Vernunfft zu maͤßigen/ und durch ſeine Klugheit ſeinen Sohn Segimer noch bey
Leb-Zeiten wieder das ſonſt gewoͤhnliche Wahl-Recht zum Nachfolger zu erklaͤ-
ren. Aembrich raͤchet der Deutſchen und Belgen Unrecht durch Caͤſars Niederlage
am Rhein; ziehet ſich hier auff ſeinem eigenen Brande zu. Jnduciomar der Hertzog
der Trevirer belaͤgert den Roͤmiſchen Labienus/ wird aber in einem Ausfall erſchoſſen.
Die den Feld-Herrn Aembrich nicht erwartenden Trevirer werden durch feindliche Hin-
terliſt an der Moſel meiſt erleget/ die uͤbꝛigen unter das Roͤmiſche Joch gebracht und vom
Cingetorich beherrſchet. Die Entlegenheit bey Nachbarn der Nagel daran ihre Freund-
ſchafft hencket. Die Roͤmer uͤberfallen den gantz ſichern Feld - Herrn Aembrich und
Cattivolck ſeinen Bruder auf einem Luſt-Hauſe; der erſte kommet durch die Flucht/ die-
ſer durch ſeinen erkieſten Tod dem Caͤſar aus den Haͤnden. Caͤſar laͤſt den ihm verdaͤch-
tigen Fuͤrſten Acco nebſt viel Semnonern und Carnuten zu tode pruͤgeln/ durch welche
Grauſamkeit er wieder ſich die Gallier und andere Bundsgenoſſen aufwiegelt/ und dan-
nenher mit dem Feld-Herrn und uͤbrigen Deutſchen einen gewiſſen Frieden eingehen
muß/ um die Gallier im Zaume und Gehorſam zu halten. Des Galliſchen Adels und
der Bellowackiſchen Jungfrauen Heldenmaͤßiges Geluͤbde gegen den Caͤſar. Deſſen und
alle Klugheit Kraͤffte werden fuͤr der himmliſchen Verſehung zur Ohnmacht. Dem Caͤ-
ſar ſtehen die Deutſchen wieder die Gallier bey. Die in der Feſtung Aleſie ausgeſtan-
dene Hungers-Noth ſo groß: daß auch ein Menſch des andern Speiſe werden und ſelbſt
die Natur der euſſerſten Noth aus dem Wege treten muß. Menſchen-Fleiſch eine un-
natuͤrliche und im Gebluͤt nichts als Faͤulnuͤß nach ſich ziehende Speiſe/ ſo ſchaͤdlich als
Gifft. Die Ubergabe Aleſiens ſtuͤrtzt den Vercingetorich zu Bodem/ Gallien aber un-
ter den Fußſchemel der Roͤmer. Caͤſars Grauſamkeit in Ugellodun wieder den Fuͤr-
ſten Guturvat und uͤbrige Gefangene. Caͤſars und Pompejus Ehrſucht ſucht ſeinen
Zunder durch buͤrgerliche Kriege; der erſte aber ſeine Siege wieder dieſen in der Deut-
Erſter Theil. F f f f f fſchen
[962[964]]Siebendes Buch
ſchen und ihrer Fuͤrſten Erdmunds und Acrumers Huͤlffe. Eines Bruckeriſch- und
Chaſnariſchen Ritters ungemeine Helden-That und Treue mit einem herrlichen Ge-
daͤchtniß-Maale von Ertzt und Marmel verehret; Jenes in Gefangennehmung des De-
jotars; deſſen in Uberdeckung des Caͤſars von den feindlichen Pfeilen. Des groſſen
Pompejus ſchimpflicher Tod; Caͤſar befeſtigt ſeine Herꝛſchafft uͤber Rom und die hal-
be Welt durch Huͤlffe der Deutſchen/ biß ſolche endlich der Neid und das Verhaͤngniß
zerdruͤmmert. Sein zu Rom gehaltene vielerley Siegs-Gepraͤnge ſchlaͤget die vom
Antonius ihm unter dem Bilde des gefeſſelten Rheins zugemuthete Heuchleriſche Eh-
re/ als einen unertraͤglichen Schimpff der Deutſchen ab. Der Ruhſtand in Deutſch-
land ihm ſelbſt ſchaͤdlich. Die Todfeindſchafft der Catten und Cherusker wo ſie her-
ruͤhrend? ob von einem wiedrigen Einfluſſe der Geſtirne oder einer andern geheimen
Wuͤrckung der Natur/ oder aber von Eigen-Nutz als dem Zanck-Apffel aller Thiere?
Heucheley bey Hofe die dienſtbarſte Sclavin. Der Fuͤrſten Fehler und Gebrechligkei-
ten als Tugend und Zierathen von Unterthanen nachgeaͤffet. Die Gemuͤther des
weiblichen Geſchlechts unergruͤndlich/ ihre Herꝛſchafft uͤber die Maͤnner unerſaͤttlich.
Fuͤrſtliche Heyrathen haben nicht die Liebe/ ſondern des Landes Wolfarth zum Zweck.
Segimers Vorhaben ſeine unfruchtbare Gemahlin Asblaſte zu verlaſſen uñ Vocionen
zu heyrathen. Jener Flucht und nachdencklicher Abſchieds-Brieff bringet dieſe in hoͤch-
ſte Raſerey: Dem Feld-Herꝛn Aembrich als Vatern ziehet die hier aus und aus andern
Ungluͤcks-Faͤllen geſchoͤpffte Bekuͤmmernuͤß den Tod zu. Seines erlauchteten Hau-
ſes und zerritteten Reiches letzte und ruhmbare Vorſorge durch Befeſtigung des edlen
Friedens. Neue Kriegs-Flamme zwiſchen Koͤnig Arabarn und den Cheruskern. Des
Kayſers Auguſtus mit diſen wieder die Rhetier und Vindelicher gemachtes Buͤndniß/
deren Weiber unmenſchliche Tapfferkeit. Des Auguſtus Lebens-Gefahr bey Belaͤge-
rung der Stadt Mebulun; der Jnnwohner verzweiffelte Gegenwehr/ ihr und der ih-
rigen ſelbſt eigene Einaͤſcherung. Was eines Uberwinders Ruhm ſey: Nicht vieler
Leichen und Steinhauffen Meiſter zu werden/ ſondern ſeinem uͤberwundenen Feinde
vergeben/ damit dieſer verlohrne Hoffnung der Gnade ſich nicht in Verzweiffelung ver-
wandele? Kayſers Auguſtus Sieg wieder die Pannonier und Feinde mit den Cherus-
kern. Dieſer ſamt ihrer Bundsgenoſſen der Quaden vom Cattiſchen Heerfuͤhrer
Stordeſton und Koͤnig Arabars Sohne erlittene Niederlage. Den Roͤmiſchen Huͤlffs-
Voͤlckern und ihren Adlern wird aus Mißtrauen der Fluguͤber den Rhein geweigert.
Auguſtus zerfaͤllt auffs neue mit dem Antonius/ und alſo Rom wieder Rom. Die U-
bier und Uſipter Hertzoge werden bey nahe der gantzen Herrſchafft entſetzet; dem Che-
ruskiſch bebenden Hauſe gehet am tapffern Segimer ein neuer Gluͤcks-Stern; dem
gantzen Deutſchland aber die erwuͤntſchete Friedens-Sonne auf. Hierbey erlangen
die Barden und Eubagen ihre Gewiſſens-Freyheit. Der tugendhafften Asblaſte und
ihres Vaters Surena am Koͤniglichen Hofe Orodes veraͤnderlicher Zuſtand lehret:
daß die Entziehung verdienter Ehre dem beſchimpffeten nur zu groͤſſerm Ruhm gerei-
che; Und jener am meuchelmoͤrderiſchen Maxorthes ausgeuͤbte gerechte Rache: daß
das ſonſt ſchwaͤchere Geſchlecht das ſtaͤrckere an Tugend und Waffen beſiegen koͤnne.
Die
[963[965]]Arminius und Thußnelda.
Die verkleidete Asblaſte vor Gerichte gebracht/ aber wunderbarer Weiſe vom Feld-
Herrn Segimer erloͤſet. Surena des an ſeiner Tochter verweigerten Richter-Amts
halber hingerichtet. Segimer wegen der entheiligten Perſiſchen ewigen Flamme in
Kercker geworffen/ zum Feuer verdammet/ von Asblaſten ſeiner Gemahlin erken-
net/ auff gleiche Art errettet/ endlich doch alle beyde gefaͤnglich behalten wor-
den. Die Liebe hat weder Geſetze noch Meß-Stab. Phraatens des Koͤniglichen
Perſiſchen Printzens blinde Liebe gegen die tugendhaffte Asblaſte. Dieſer ehliche
Treue und erſonnene Liſt bringet den Segimer aus dem Gefaͤngniß/ folgends als
das Haupt der deutſchen Huͤlffs-Voͤlcker unwiſſend der Roͤmer/ wieder die Parther
in Krieg/ darinnen dieſe geſchlagen/ des Labienus Kopff zu Athen vom Antonius
den Grichen zum Schau-Eſſen auffgeſetzet. Pacors Niederlage verlieret die eitele
Einbildung: daß das Gluͤcks-Rad den Lauff der Sonnen/ und der Sieg gewiſſe
Oerter und Zeiten halten muͤſſe. Das Geſchlecht Rittberg woher es den Nahmen?
der Frieden zwiſchen dem Antonius und denen Parthern bringet dem Segimer
beym Roͤmiſchen Rathe viel Ehren-Bezeugungen/ aber deſto weniger Hoffnung zu
ſeiner noch gefangenen Asblaſte zu wege. Segimer bekommt durch eine Kriegs-Liſt
Orodens zwey Schoß-Kinder Pharnabazes und Oroßmanes zur Ausloͤſung Asbla-
ſtens gefangen/ welche letztere Phraates mit Gifft hinzurichten befiehlet/ von der
in den Pharnabatz verliebten Ternamenen aber durch ſeltzames Begebniß erloͤſet
wird. Phraates wirfft ſich zum Koͤnige wieder ſeinen Vater auff/ gebraucht ſich
hierzu gewiſſe Zauber-Kuͤnſte. Groſſe Laſter durch groͤſſere ausgefuͤhret vor Tu-
gend/ die Herꝛſchafft ohne Wolluſt vor unvollkommen geyalten. Asblaſtens und
Segimers unverhoffte und ſo viel erfreulichere Zuſammenkunfft. Die Freyheit der
beyden Parthiſchen Fuͤrſten Pharnabazes und Oroßmanes wird beym wuͤtenden
Phraates zum Todten-Bret. Phraates dardurch von Freund und Feinden ver-
haſt. Deutſchland wird gleichſam durch Segimers und Asblaſtens Zuruͤckku[n]fft
aus einer befallenen Ohnmacht erwecket; alle benachbarten Voͤlcker in Ruhſtand ge-
ſetzet. Des Janus Tempel vom Auguſtus zu Rom geſperret. Fuͤrſt Herꝛmann der
Erhalter der deutſchen Freyheit von Asblaſte gebohren. Der Menſchen eigene Tha-
ten ſetzen gute und boͤſe Sterne in den Creiß ihrer Geburts-Lichter. Auguſtus Be-
gierde alle ſeine Vorfahren wie an Pracht und Herꝛligkeit/ alſo an Grauſamkeit und
Undanck gegen ſeine Huͤlffs-Voͤlcker die Celten und Dacier zu uͤbertreffen. Des
Feld - Herrn Geſandten hieruͤber geſchoͤpffte Empfindligkeit; Der Dacier und Ba-
ſtarnen Auffſtand. Eroͤrterte Staats - Regel: ob die Unterthanen durch Uberfluß
oder uͤberhaͤuffte Schatzungen im Zaum und Gehorſam zu halten? Alle zur Pracht
und Hoffart gereichende Dinge ſollen mit groſſen Zoͤllen beleget/ die unentbehrlichen
Lebens-Mittel aber dem Armuth zum beſten davon befreyet werden. Auguſtus darin-
nen begangener Fehler. Gewiſſe Mittel den Fuͤrſten bey Liebe/ den Diener bey Ehren/
die Laͤnder beym Gehorſam zu erhalten. Auguſtus neu-aufgerichtetes Gewerb und
Niederlage am Rhein den Deutſchen nachtheilig/ den Catten unertraͤglich. Der Hand-
lung und Kauffmannſchafft Werth und Unwerth/ ob/ und wie weit ſolche dem Adel
anſtaͤndig? die Roͤmiſche Grauſamkeit wieder die Catten ziehet ihnen von deren Lands-
F f f f f f 2Leuten
[964[966]]Siebendes Buch
Leuten einen neuen Krieg auf den Halß/ darinnen dem Roͤmiſchen Marcus Vinicius
der Sieg zugeſchrieben/ und vom Kayſer Auguſt ein Siegs-Bogen aufgerichtet wird.
Staats-Klugheit der Fuͤrſten/ dem vergaͤnglichen Rauch und die leeren Huͤlſen eitler
Ehre theuer zu verkauffen. Mecenas des Auguſtus geheimſter Staats-Rath hat an
Verſtand und Treue keinen ſeines gleichen. Sein Urtheil vom Agrippa und ſeinen
groſſen Verdienſten. Jngviomer des Feld-Herrn Segimers Bruder nimt ſich wieder
die Roͤmer und den Heerfuͤhrer Agrippa der Gallier Freyheit an. Verwirrter Zuſtand
in Spanien wieder ihre Uberwinder die Roͤmer. Jngviomer gehet durch Vermitte-
lung des Segeſthes/ durch Befoͤrderung des Printzens Divitiaks zur Roͤmiſchen
Raths-Wuͤrde/ und alſo zu ſeinem groͤſten Vortheil mit dem Agrippa einen Frieden
ein. Jngviomer vom Auguſtus hochgehalten/ ſeiner deutſchen Leibwache vorgeſetzt/
letzt auch mit herrlichen Geſchencken wieder in ſein von Kriegs Flamme loderndes
Deutſchland gelaſſen. Der Hermunderer groſſer Freyheits-Eyver und Umſchraͤnckung
ihrer Hertzoglichen Gewalt. Jhres Hertzogs Brittons Vermaͤhlung mit des Koͤnigs
der Baſtarnen Deldo Tochter denen Eubagen wegen ihres der Druyden zugethanen
Gottesdienſts/ verhaſt und zum Auffſtand urſachlich. Eigen-Nutz des Menſchen Aug-
apffel. Brittons Staats-Fehler. Gemeine Wohlfarth das groͤſte Geſetz. Hertzog
Britton wird genoͤthiget ſeiner beyden Reichs Raͤthe Blut-Urtheil zu unterzeichnen.
Koͤniglicher Purper vor dem Anruͤhren/ Fuͤrſtliche Hoheit vor Gewalt und Aufruhr
zu bewahren. Der Druyden Auffſtand wieder die Eubagen unter dem Hertzog Brit-
ton. Deſſen verfehltes Mittel in Begnaͤdig- und Beſtraffungen. Marbods Zuruͤck-
kunfft von Rom in ſein Vaterland. Seine Ankunfft/ Aufferziehung und Anſehen bey
den Roͤmern/ inſonderheit bey dem Tiberius und des Kayſers Tochter Julia Agrip-
pens Ehfrau. Jhre entbrandte Liebe gegen ihn. Die Liebe eine Schwaͤche der groͤ-
ſten Leute und die Roͤthe ihr Verraͤther. Die Entdeckung eigener iſt der Schluͤſſel frem-
der Geheimnuͤße. Juliens/ Tiberius und Marbods Gluͤck-Spiel in dem Aponiſchen
Brunnen mit dem guͤldenen Wuͤrffel. Juliens unkeuſche Liebe wird verrathen; Der
unſchuldige Marbod der dringenden Zeit aus dem Wege zu treten/ und Rom zu verlaſ-
ſengenoͤthiget; bey denen Hermundurern und Marckmaͤnnern zum Kriegs-Obriſten
wieder den Britton erklaͤret/ auch bald hier auf wegen ſeines erhaltenen Sieges vor ei-
nem Erhalter ihrer Freyheit ausgeruffen. Des Marckmaͤnniſchen Adels groͤfter Glantz
und Hochhaltung die Geryoniſche Weiſſagung. Fackſarifs und Marbods beydeꝛ Kriegs-
Obriſten Hertzhafftigkeit und Sieg wieder den Britton und ſeine ihn verfuͤhrende Ge-
mahlin. Das Gluͤck iſt der Apffel im Auge der Klugheit und die Hertz Ader in der
Tapfferkeit. Britton wegen ſeines Argwohns von den Seinigen vollends verlaſſen
faͤllt in die euſſerſte Knechtſchafft. Der Ehr-Geitz kan keinen uͤber noch neben ſich lei-
den. Harneckigkeit iſt ſo wenig als ein kollernd Pferd durch einen allzuharten Zaum
zu baͤndigen. Marbods Staats-Kuͤnſte ihm das Volck und Kriegs-Heer zu verbin-
den. Auffruhr das ſchaͤdlichſte Gifft und Mord-Schlange raubet dem Britton das
Leben. Ob und wie weit gekroͤnte Haͤupter den Geſetzen und des Volcks Urtheil un-
terwuͤrffig? der Cheruskiſche und viel andere Geſandten bemuͤhen ſich das bey aller
Welt
[965[967]]Arminius und Thußnelda.
Welt uͤber den Fuͤrſten verhaſte Blut-Urtheil mit allerhand Staats- und Rechts-
Gruͤnden zu hintertreiben. Der Saamen der Verraͤtherey unaustilglich. Deſſen
Wachsthum unbeſtaͤndig/ der die Stauden ſeines Gluͤcks mit Blute tinget/ und auff
Graͤber pflantzet. Fuͤrſtliche Geſchlechter gleichen der Keule Hercules und dem Spiſſe
Romulus/ wie und auf was Weiſe? Fuͤrſtliche Kinder durch Verzaͤrtelung/ wie die Al-
ten durch der Hoͤflinge Heucheley verterbet. Ehrſucht der Fuͤrſten Leit-Stern zu allen
Laſtern/ der Purpur ihr Deck-Mantel. Die buͤrgerliche Herrſchafft vor die Freyheit die
ſicherſte/ hat zum Angel-Stern den Wohlſtand des Volcks. Freyheit dem Poͤfel mehr
ſchaͤdlich als nuͤtzlich. Die Anmaſſung der Gewalt uͤber Fuͤrſten als wahre Ebenbilder
Gottes auf Erden ein Raub des Himmels. Ein der Koͤniglichen Hoheit an die Seite
geſetzter Reichs-Rath ſoll wie der Mond von der Sonnen ſeinen Glantz; Nicht aber
von jenem die Verfinſterung erwarten. Fackſarifs Gemahlin heiliger doch vergebli-
cher Eyver in Erloſung des zum Tode verdammten Brittons. Deſſen hertzhaffte Ent-
ſchluͤſſung: daß ohne Schuld gewaltſam ſterben ein bloſſer Zufall/ das Leben aber mit
ſchimpflichen Bedingungen erretten/ ein ſelbſt Mord der Ehre ſey: der Maͤrckmaͤnniſche
Adel gedruͤckt/ und ihnen das Recht der Erſtgeburt/ wie auch die Reichs-Raths-Wuͤr-
de entzogen. Fuͤrſt Jubile Brittons Sohn von den Maͤrckmaͤnnern und Seduſiern
zum Oberhaupt erwehlet. Marbods Wiederſtrebung und ſeine ſieghaffte Waffen ma-
chen ihn zum Landvogt und hoͤchſten Kriegs-Haupte. Jubils Niederlage und genoth-
draͤngte Flucht in der Burier Land. Marbod befeſtiget durch Vertilgung der groͤſten
im Koͤnigreiche ſeine Herꝛſchafft. Fuͤrſtliche Hoheit hat das Gebiete uͤber alle Voͤlcker/ uͤ-
ber die Fuͤrſten der Vortheil. Marbods Staats-Regel ein Reich ruhig zu beherꝛſchen.
Der Fuͤrſten gewaffnetes Heer der beſte Sach-Redner. Der Degen das einige Meſſer
alle Gordiſche Zweiffels-Knoten aufzuloͤſen. Durch Erweiterung der Landes-Graͤn-
tzen werden nicht allezeit deſſen Kraͤffte vergroͤſſert. Das im Kriege vergoſſene Men-
ſchen-Blut eine Tinte der Ehrſucht/ daraus die Kriegs-Leute ihre Siegs-Fahnen faͤr-
ben. Kriegs-Leuten eine Schande durch Schweiß erwerben/ was ſie durch Blut ha-
ben koͤnnen. Fuͤrſten ſind ſterblich/ nicht aber ihre Voͤlcker und Reiche. Marbod wie-
gelt das Kriegs-Heer wieder den Reichs-Rath auf/ bemaͤchtiget ſich dadurch des Brit-
toniſchen Stuhls mit ſcheinbarer Verweigerung des Koͤniglichen Titels/ und entſchleuſt
den Krieg wieder die Bojen. Hohe Ankunfft und Gebluͤt muß der Tugend weichen.
Der Freyheit beſter Sitz nebſt des Volckes groͤſtem Heil die einkoͤpfichte Herꝛſchafft.
Marbods geheimes Verſtaͤndnuͤß mit etlichen der vornehmſten Bojen; Sein gluͤckli-
ches Vornehmen verjaget ihren nicht ſonderlich daruͤber bekuͤmmerten Hertzog Cri-
taſirn aus dem Lande. Die Unempfindlichkeit uͤber den Verluſt ſo ſchaͤdlich/ als die uͤ-
bermaͤßige Herꝛſchensſucht. Die Empfindligkeit dagegen das eintzige Erhaltungs-
Mittel aller Thiere. Erb- und Wahl-Koͤnigreiche nebſt deren Vorzug. Marbods
allzu groſſer Eyver wieder die Bojen verblaͤndet ihm den Verſtand/ wie allzu groſſer
Glantz die Augen. Sein mit einem Bojiſchen Ritter heſſtiger Kampff und Niederla-
ge. Urſprung der beyden Geſchlechter Nothhafft und Tannenberg. Marbods ſeltza-
mes Begebniß in einer Hoͤle mit einem alldar gefundenen wohlthaͤtigen alten Greiße
F f f f f f 3und
[966[968]]Siebendes Buch
und Einſiedler. Der Menſch das grimmigſte der Thiere und ſeine in der Boßheit zu-
nehmende ausgetheilte Jahre. Abbildung der Zeit und Vergaͤngligkeit. Tugend-
hafftes Leben der ſicherſte Ancker und der vollkommenſte Gluͤcks-Stern/ auſſer dieſem
alles Eitelkeit. Des Einſiedlers Lehre von der Ruhe des Gemuͤths und wahren Gluͤck-
ſeligkeit. Die Weißheit ein ſelbſt-ſtaͤndiges Weſen keines euſſerlichen Glantzes benoͤ-
thigt. Die Ehrſucht das unerſaͤttlichſte Laſter unter allen. Die Herꝛſchafft die be-
ſchwerlichſte Dienſtbarkeit. Die Freyheit des Gemuͤths ein ander Himmelreich. Jeder
Grundzeug der Natur ein Auffenthalt menſchlicher Gebrechen. Die Ehre der Tugend
Zunder/ des Lebens Kleinod. Des Leibes/ des Hertzens und des Gemuͤths Wachsthum.
Die unvernuͤnfftigen Thiere den vernuͤnfftigen an Jahren und Alter uͤberlegen. Des
Volcks Eigenthum iſt das Seinige bewahren/ eines Fuͤrſten ſeine Herꝛſchafft vergroͤſ-
ſern. Das Alterthum gebieret gegen der gegenwaͤrtigen Zeit eitel Rieſen- und Wun-
derwercke. Die Hertzen und Gemuͤther der danckbaren Nach-Welt ſind vor der ruͤhm-
lich verſtorbenen Aſche die herꝛlichſten Todten-Koͤpffe. Unterſcheid zwiſchen einem un-
ſterblichen Nach-Ruhme und einer ewigen Schande. Ein tugendhafft Leben balſamt
allhier unſern Athem/ nach dem Tode die Aſche ein. Ubermaͤßige Ruhmſucht wem ſie
gleiche? Schatten der Ehre fliehet die Verfolgenden/ und folget den Fliehenden. Ruhm-
Spruͤche ohne Verdienſte Schattenwerck ohne Leib/ und Grab-Schrifft auf leeren
Graͤbern. Marbod nimt des Einſiedlers Lehre und Warnigung als eine goͤttliche
Wuͤrckung mit Thraͤnen an/ verflucht dagegen den Hoff mit ſeiner heuchleriſch- und be-
truͤglichen Ehre. Der Menſch hat in andern Fehlern Luchs-in ſeinen eigenen Maul-
wurffs-Augen. Der ſelbſt-Erkaͤntniß Nutzbarkeit. Die viehiſchen Neigungen im
Menſchen verborgen. Seine Fehler erkennen/ ſchon eine halbe Vollkommenheit. Das
Gewiſſen die Meß-Ruthe unſers Lebens. Die euſſerlichen Sinnen und Glieder die
Abbildungen der Seele/ das Haupt alleine der Sitz des Verſtandes. Ein Reich von
zweyen Fuͤrſten die groͤſte Mißgeburt. Die eintzele Zahl zum Herꝛſchen; Die Viel-
heit zu gehorſamen nur geſchickt. Kluge Raͤthe der Fuͤrſten Augen. Des Hertzens
und der Augen genaue Verknipffung. Der rechtmaͤßige Ohren-Gebrauch bey Fuͤr-
ſten. Der Wolluſt ein Engliſches Antlitz/ aber ein Drachen-Schwantz zugeeignet.
Ein guter Nahme der beſte Geruch der Gemuͤther und ein tugendhaffter Fuͤrſt ein
Spiegel ſeiner Unterthanen. Der Mund ein Pinſel des Gemuͤths und eine Schrei-
be-Feder der Gedancken. Die Zunge das ſchaͤdlichſte und nuͤtzlichſte Glied des Haupts/
der Fuͤrſten Steuer-Ruder im Schiffe der Reiche. Fuͤrſten eine erhobene Glocke/ der
Klang ihr Verraͤther. Kuͤrtze der Redner Meiſterſtuͤcke/ eines Fuͤrſten Eigenthum.
Der Donner die Sprache Gottes und ſein Bild auf Erden. Fuͤrſten muͤſſen ſich die Ver-
nunfft/ am meiſten aber das Licht der goͤttlichen Verſehung leiten laſſen; Alle Men-
ſchen auf dem Welt-Meer GOtt zum Angel-Sterne/ das Gewiſſen zur Magnet-Na-
del haben. Des Einſiedlers dem Marbod gethane Offenbahrung: daß er Arioviſt
der Alemanner Hertzog ſey. Unterſchiedene Geburts-Maale ein und anderer gekroͤn-
ter Haͤupter. Das Abſtuͤrtzen von Koͤnig-Stuͤhlen ruͤhret von Laſtern/ wie das frey-
willige Abſteigen von Tugend her. Das Gluͤcke der Jugend Schoß-Kind/ der Alten
Wechſelbalg. Der Einſiedler oder vielmehr Arioviſt erzehlet dem Marbod ſeiner und
anderer
[967[969]]Arminius und Thußnelda.
anderer Fuͤrſten Staats-Fehler/ und das mit einem vermeintlichen naͤchtlichen Ge-
ſpenſte oder ſeinem guten Geiſte gehaltene Geſpraͤche. Dieſer ihre Lebens-Art. Kunſt
recht zu leben/ wol zu herꝛſchen und ſelig zu ſterben. Der Kindheit/ Jugend und Alters
Eigenſchafften. Das Gluͤck eine Buhlerin der lebhafften/ eine Stieff-Mutter der ver-
lebten. Je vollkommener der Fuͤrſt/ ie mehr der Verleumdung unterworffen. Der
Unterthanen Pflicht gegen die Obern. Sterbe-Kittel dem Purper vorzuziehen. Des
menſchlichen Lebens Elend und Nichtigkeit. Kein Unterſcheid zwiſchen Fuͤrſten- und
Betlers-Knochen. Praͤchtige Grabmaͤhle machen nicht ſo wol der Verſtorbenen
Thaten/ als ihre Eitelkeit beruͤhmt. GOtt der eintzige Angel-Stern unſerer See-
len-Ruhe wie und wo er zu finden? Einſamkeit ein Vorſchmack des Himmels mit einer
des Greißen Hoͤhle uͤberſchriebenen ſinnreichen Denckſchrifft. Deſſen und Arioviſts
Vergeſellſchafftung. Marbods ihm bezeigte Ehrerbietigkeit und Folge zu ſeiner Hoͤ-
le. Beyder inzwiſchen erfolgtes Begebniß und Unterhalt. Der Menſch das uner-
ſaͤttlichſte aller Thiere. Sonderbare Schaͤtzbar- und Herrligkeit der erlangten Hoͤhle/
und das darinnen dem gantzen Deutſchland verborgene Reichthum. Der Goldgru-
ben und Aertzte Unterſcheid und Eigenſchafft. Mißbrauch des herꝛlichſten Goldes der
ſchaͤdlichſte Huͤtten-Rauch. Dieſer Wunder-Hoͤhle verborgene Qvellen/ Waͤſſer und
Stroͤme. Jm Menſchen der kleinen Welt alle Wunderwercke der groſſen befindlich.
Spring-Brunnen den Frauen-Bruͤſten zu vergleichen. Das Meer auf gewiſſe Art
der Urſprung der Brunnen; die Brunnen in einer andern der Urſprung des Meeres.
Das Meer der Eßig der Welt genennet. Deutſchlands vielfaͤltige Sauer-Saltz-Feuer-
und andere Brunnen. Ein des Fuͤrſten Thuiſco unverweſeten Coͤrper in ſich haben-
des Chriſtallinenes Rieſen-Feld das groͤſte Wunder der offt angezogenen Hoͤhle/
und vornehmſtes Grabmaal der gantzen Welt. Natter findet in weichem Agtſtein ihr
Grab. Graͤber vom Donner und Erdbeben befreyet/ doch ſo wol als die Leichen der
Verweßligkeit unterworffen. Der Eitelkeit Herꝛſchafft hat ſo wol unter als uͤber der
Erden ihr Gebiete/ ja uͤber Sonn und Sterne. Dieſer verſpuͤrte Verminder-Vermehr-
und Vergroͤſſerung. Alles was nicht die Tugend zum Grunde/ die Ewigkeit der See-
le zum Abſehen hat/ iſt vergaͤnglicher Rauch. Die Sonne der gerechten Seelen Kleid.
Thuiſcons Ruhm und Grabeſchrifften. Sein Schatz und Schutz-Bild Deutſchlands/
wie bey andern Voͤlckern andere. Der Eintracht Rieſen-Wercke. Nichts kan dem
Geitz als eine Hand-voll kalte Erde ſaͤttigen. Hochmuͤthige Fuͤrſten dem Egyptiſchen
Memnons-Bilde gleich wie und auf was Weiſe? Die Erkaͤntniß ſeiner eigenen Nich-
tigkeit iſt die Helffte ſeiner Verewigung. Vergnũgung der Welt ſind eitel zur Schaue
ausgelegte betruͤgeriſche Waaren und Blendungen. Marbods Zuruͤckkehr aus der
Hoͤle/ Arioviſts Begleitung und dabey uͤberfallener ſchneller Tod/ daruͤber ſein ver-
trauter Baͤr ſich vom Felſen ſtuͤrtzet. Arioviſts Beerdigung nach Art der alten Deut-
ſchen/ welche die uͤbrigen Zierathen nur eine Beſchwer der Todten gehalten. Marbod
und ſeine Gefaͤrthen nehmen hierauf mit Thraͤnen Abſchied/ werden von einem
Wald- und Waſſer-Geiſte erſchrecket; von einem Lufft-Geiſte uͤbel; endlich von ei-
nem fuͤnff hundert jaͤhrigen Wurtzel-Manne wol empfangen. Urſache ſeines hohen
Alters. Seine Vergnuͤgligkeit und Abſchen vor allen Welt-Haͤndeln und der
Menſchen
[968[970]]Siebendes Buch
Menſchen Boßheit. Zwey bey der Zackenbach befindliche Warmebrunnen. Allerhand
mit dem Wurtzel-Manne uͤber gewiſſer Thiere Eigenſchafften und Geſpenſtern gefuͤhr-
te Reden. Rieſengebuͤrge von Geſpenſtern beſchrien. Des Wurtzel-Manns ihnen
denckwuͤrdig eroͤffnete Geheimnuͤße/ Verehrung und Abſchied. Der Deutſchen inſon-
der heit der Marſinger Gewonheit im Heyrathen nebſt der Frea Feyer und Straffe der
Ehbrecher. Die am Rieſengebuͤrge befindliche zwey warme Brunnen nebſt denen dar-
innen badenden Schoͤnheiten/ aller erſinnlichen Luſt- und Liebes-Spielen/ worbey die
Schaͤfferey das Kleinod erlanget. Der Bober-Fluß das Vaterland der Deutſchen Tich-
ter-Kunſt. Des Ritter Schaffs mit des Marſingiſchen Fuͤrſten Leutholds Tochter herꝛ-
liches Beylager und dabey gehaltene Turnier- und andere Spiele/ worbey der Frembd-
ling Marbod erkennet/ verfolget/ und von einem ihn vergeſellſchafftenden unbekand-
ten Ritter Vannius noch errettet wird. Marbods unverhoffte Zuruͤckkunfft in ſein
Land erwecket Schrecken und Freude. Bringet die Alemanniſche Fuͤrſtin Vocione durch
einen ihrem Vater dem Arioviſt in der Hoͤhle abgezogenen Ring in ein Buͤndnuͤß. Mar-
bods Sieg wieder die Meineydigen Bojen und Koͤniglicher Einzug in die Stadt Bovio-
ſinum. Des uͤberwundenen Critoſirs Hertzhafftigkeit; Seiner Gemahlin hoͤchſtver-
nuͤnfftige Demuth. Koͤnig Marbods oͤffentliche Kroͤnung. Der Bojen Abſchwerung
und Raͤumung des Maͤrckmanniſchen Gebiets. Der Stadt Bovioſinum Nahmen
in Marbods Stadt veraͤndert. Der Lygier und ſchwartzen Arier Verfechtung ihres
vermeinten Gottesdienſts wieder den Marbod. Hermegildis die Hertzogin der Na-
harvoler Großmuͤthigkeit in Vertheidigung Corradun. Der Gothunen Einfall; Ju-
bils Auffenthalt beym Feld-Herꝛn Segimer. Marbod macht viel neue Ritters-Leu-
te. Des Vannius Herkunfft von den Koͤnigen der Quaden; Seine Verdienſte gegen
den Marbod; behauptet durch deſſen Huͤlffe ſeiner Vorfahren Koͤnigreich zu Trotz und
Verdruß der Cherusker und Roͤmer. Des Druſus Tod. Auguſtus Rache. Tiberius
Nero ſtatt jenes an Kindes Statt angenommen. Ubermaͤßig groſſe Weinſtoͤcke und
Trauben am Fluße Lixus. Hertzog Arnolds Gemahlin Gertruds Schoͤnheit und Be-
kuͤmmerniß uͤber ein von ihr gebohren Mohren-Kind. Der Schwangern Einbildung
eine ſeltzame Mahlerey und Bildſchnitzerey: kein Schild der Unſchuld wieder die Eiver-
ſucht bewaͤhrt. Das Band der Mutter- und Kinder-Liebe unzertrennlich. Die Bruͤ-
ſte von Natur nicht zu Aepffeln der Wolluͤſte/ ſondern zu heiligen Lebens/ Wunder- und
Nahrungs-Brunnen erſchaffen. Unterſcheid zwiſchen der natuͤrlichen Muͤtter- und
Ammen-Schaaffs und Ziegen-Milch. Die Natur muß der Vernunfft und dem goͤtt-
lichen Verhaͤngnuͤße weichen. Wolluſt und Heucheley des Hoffes ſchaͤdliche Lock-Voͤgel.
Kinder und Pflantzen arthen mehr nach der Beſchaffenheit ihrer Pflegung/ als nach
dem Einfluſſe der Geburts-Sternen. Gertrudens Mohren-Kind wird unter fremder
Auffſicht erzogen; deſſen veraͤnderte Farbe und tugendhafftes Wachsthum/ Nahme
und Erkaͤntniß. Dieſes jungen Bethoniſchen Fuͤrſtens Gottwalds Anſehen beym Mer-
ſingiſchen Hertzoge Bolcko. Des Vaters Hertzog Arnolds Tod. Des Sohnes Gott-
walds Todes-Gefahr von Gertruden wunderbahrer Weiſe abgewendet/ an ſeinen na-
tuͤrlichen Merckmahlen erkennet/ und zu des Reiches rechtmaͤßigem Nachfolger erklaͤ-
ret. Seiner wieder ihn verhetzten Schweſter Mormeline Verheyrathung an den maͤch-
tigen
[969[971]]Arminius und Thußnelda.
tigen Marbod. Der Deutſchen unruhiger Zuſtand ziehet ihnen des Kayſers Auguſtus
Roͤmiſche Waffen unter dem Heerfuͤhrer Tiberius Nero auf den Halß. Des Deutſchen
oder Cheruskiſchen Feld-Herꝛn Tod. Fuͤrſten Tod ſelten der allgemeinen Zerbrechlig-
keit/ ſondern ins gemein gewaltſamen Urſachen zugeſchrieben. Des Roͤmiſchen Sen-
tius Siegs-Gepraͤnge. Dem Tiberius der Nahme eines deutſchen Feld-Herꝛn zuge-
eignet. Der Grund-Stein des Eigen-Nutzes ein Fallbret des gemeinen. Des Tibe-
rius ſich vergroͤſſernde Siege in Deutſchland. Der Longobarder Sitten und Gebraͤu-
che/ Unerſchrockenheit in Worten und Wercken. Tiberius bedreuet den mit den Lon-
gobardern im Buͤndniß ſtehenden Marbod mit Krieg. Seine den Roͤmiſchen Geſand-
ten gethane hertzhaffte Antwort und gezeigte Gegenwehr bringet den Tiberius auff
beſſere und friedlichere Gedancken. Das auf den deutſchen Feld-Herꝛn Hertzog Her-
mann zu Rom vom Tiberius aufgeblaſene Kriegs-Feuer wird vom Kayſer Auguſt wie-
der den allzumaͤchtig werdenden Marbod fruchtloß und zum Schimpff der Roͤmer aus-
geſchuͤttet. Die Dalmatier und Pannonier vom Marbod verlaſſen. Der Fuͤrſten
Buͤndniße auf kein ander Hefft als den Vortheil; des Poͤfels Anſchlaͤge aber auf eitel
Blutſtuͤrtzungen gerichtet. Aller und ieder Voͤlcker ſonderbare Gemuͤths-Neigung.
Marbods vorſichtige Herꝛſchens-Kunſt. Staats-Klugheit hat alles zu ergruͤbeln/ nicht
auszuuͤben. Vorbereitungen zu des Feld-Herꝛn Herꝛmanns angeſtellten Beylager;
der Cheruskiſchen Halb-Rieſen und anderer dabey beſindlichen Voͤlcker; vornehmlich
aber des Feld-Herꝛn ſelbſt hoͤchſt-praͤchtiger Ein- und Aufzug zu Deutſchburg.
WEil die Begierde ruͤhm-
liche Thaten nachzu-
thun ein edles Gemuͤ-
the nicht ruhen laͤſt;
ſondeꝛn ein todteꝛ Maꝛ-
mel dem Alcibiades den
Schlaff/ ein leichter
Schatten dem Alexan-
der die Ruh verſtoͤret;
ſo empfindet ſelbtes nichts minder als der hung-
rige Magen nach der Speiſe einen bewegli-
chen Trieb ſich mit anderer Helden Beginnen
zu ſaͤttigen/ und ſelbte ihm zum Vorbilde tu-
gendhaffter Nachartung fuͤrzuſtellen. Weßwe-
gen die Geſchicht-Beſchreibungen nicht nur ein
Behaͤltniß des Alterthums/ ein Licht der War-
heit; ſondern auch eine Speiſe der Seele/ und
eine Wegweiſerin zur Tugend und Klugheit
genennt zu werden verdienet; Nach dem in
Wahrheit viel groſſe Helden ohne das Licht
ruͤhmlicher Vorgaͤnger die Rennebahn der Eh-
ren verfehlt haͤtten. Denn wie die Augen ſich
ſelbſt nicht ſchauen; alſo muß der Menſch nicht
aus ſeinem/ ſondern fremdem Thun die Richt-
ſchnur kluger Entſchluͤſſungen ziehen. Dieſem-
nach ſich nicht zu verwundern iſt: daß Hertzog
Zeno/ Rhemetalces/ Malovend/ Adgandeſter/
Solonine/ und die Graͤfin von der Lippe der
Morgenroͤthe zuvor kamen/ und ſich/ ihrem
Verlaß nach/ in dem Zimmer der Koͤnigin Era-
to einfanden. Adgandeſter erſuchte alsbald
den Fuͤrſten Malovend: daß er ſeiner Vertroͤ-
ſtung nach den Fadem der Deutſchen und Roͤ-
miſchen Geſchichte abwinden/ und durch ſeine
Geſchickligkeit die Fehler ſeiner unannehmli-
chen Erzehlung verbeſſern moͤchte. Malovend
meinte ſich zwar anfangs loß zu wuͤrcken; vor-
wendende: daß Fuͤrſt Adgandeſter nur deßhal-
Erſter Theil. G g g g g gben
[970[972]]Siebendes Buch
ben ſich dieſer Ehre entſchuͤtten wolte; wormit
er nach Art des ſchoͤnen Frauen-Zimmers/ wel-
ches durch angekleibte Mahle ihre ſchneeweiſſe
Haut zeigen wil/ durch eines andern Maͤngel
nur ſeine Vollkommenheit deſto herrlicher ma-
chen moͤchte. Nach dem aber Hertzog Rheme-
talces und Zeno ihn ſeines Verſprechens erin-
nerten/ Adgandeſter fuͤrſchuͤtzte: daß ſeine Erzeh-
lung fuͤr den Cheruskiſchen Stamm/ unter deſ-
ſen Schatten er ſo viel Gutes genoſſen haͤtte/
vielleicht in einem und dem andern verdaͤchtig
fallen duͤrffte; und die Graͤfin von der Lippe
des Feld-Herrn und der Heldin Thusnelde
Liebes-Geſchichte beyzuſetzen einheiſchig ward;
ſchickte ſich Malovend darein/ und/ nach dem
ſie ſich alle in einen Kreyß nieder gelaſſen/ fieng
er folgende Erzehlung an:
Der Gottesdienſt iſt bey den alten Deut-
ſchen von denen Fuͤrſten verrichtet worden/ und
im Tuiſco mit der Koͤniglichen auch die Prie-
ſterliche Wuͤrde vermaͤhlet geweſt. Nach der
Zeit aber hat entweder die unachtſame Sicher-
heit der Herrſcher/ oder die Ubermaß der Ge-
ſchaͤffte den Prieſterlichen Stab/ den ſo feſten
Ancker der Koͤniglichen Hoheit in andere Haͤn-
de kommen laſſen; alſo: daß der Feld-Herr A-
lemann ſich zwar aber vergebens bemuͤhte/ mit
der andern Hand den hohen Prieſter-Stab
wieder zu umfaſſen. Mit dieſer geiſtlichen Wuͤꝛ-
de bekamen anfangs die Prieſter/ welche ſie
Barden hieſſen/ und von allem Volcke fuͤr ſehr
heilig geachtet wurden/ zwar die Freyheit von
allen buͤrgerlichen Beſchwerden in Gaben und
Aemptern/ den Vorſitz uͤber den Adel/ die Un-
verſehrligkeit auch unter den Feinden/ und die
Gewalt ſtrittige Rechts-Haͤndel zu entſcheiden.
Ja die Fuͤrſten brauchten ſie zu Reichs-Raͤthen/
zu Geſandten; lieſſen durch ſie Buͤndnuͤße be-
handeln/ Aufruͤhrer beſaͤnfftigen/ ihre Kinder
in der natuͤrlichen und Sitten-Weißheit un-
terrichten; uͤber die Laſter Straffen ausſetzen;
Zwiſtigkeiten der benachbarten Fuͤrſten unter-
nehmen/ und das Kriegs-Volck in Schlachten
zur Tapfferkeit anfriſchen. Wiewol nun die-
ſe Macht allbereit der Weltlichen groſſen Ab-
bruch that; ſo blieb ſie doch noch in den Schran-
cken der Ertraͤgligkeit; und/ weil ſie ſich mit ed-
len Jungfrauen verehlichen mochten/ verknipf-
ten ſie ihnen hierdurch ſo wol das Gebluͤte als
die Gewogenheit des Adels; durch die Andacht
aber den Poͤfel. Denn der Gottesdienſt iſt
nicht nur der ſicherſte Kapzaum/ wormit Fuͤr-
ſten ihre Unterthanen in einem Faden leiten;
ſondern auch die Prieſter das Volck zu dienſt-
baren Knechten machen koͤnnen.
Es war aber in Britannien eine Art gewiſ-
ſer Weiſen/ die ſich Druyden nennen/ und aus
Aßyrien ihren Uhrſprung haben/ aus Britan-
nien aber/ oder Calidonien/ wo der Koͤnig Fyn-
nan ſelbte zum erſten unterhalten haben ſoll/ in
das benachbarte Gallien kommen ſind. Jhre
Tracht iſt zwar einfaͤltig und arm/ ihre Gebaͤhr-
den demuͤthig/ nachdem ſie baarfuͤßig auf fuͤnff-
eckichten hoͤltzernen Schuhen/ und mit bloſſem
Haupte/ in einem haͤrenen weißen Rocke/ eine
Taſche an der Seite/ einen gekruͤmten Stab in
der Hand/ und einen getheilten Bart biß unter
den Nabel/ in welchem ein ſonderlich Pfand ih-
rer Verſchwiegenheit verſteckt ſeyn ſoll/ anher
ziehen/ allezeit die Stirne ernſthafft runtzeln/
die Augen nieder zur Erde ſchlagen/ und ſich
meiſt in Eich-Waͤldern aufhalten; welches
Holtz die Griechen nur alleine zu den Bildern
der Goͤtter/ die Herulen und Gothen zu Auf-
henckung ihrer Leichen/ die Druyden aber allei-
ne zu Verbrennung der Opffer/ und die Zwei-
ge zum Spreng-Waſſer und Zierath der Altaͤ-
re brauchen/ weil ſie ſich den Menſchen durch
das Anſchauen eines einigen hohen oder alten
Baumes/ ja ſeines bloſſen Schattens uͤberzeugt
zu ſeyn achten: daß ein GOtt ſey/ und ihr Geiſt
in der Einſamkeit am leichteſten zu GOtt ent-
zuͤckt wuͤrde. Alleine ihre Gewalt uͤberſteiget
dort die Koͤnigliche. Denn nicht nur alles
Volck/
[971[973]]Arminius und Thußnelda.
Volck/ ſondern die Koͤnige ſelbſt muͤſſen ihnen
zu Gebote leben. Sintemahl dieſe mehr ver-
wechſelt/ und bey ſich ereignendem Mißwachſe
oder Ungewitter/ gleich als wenn er daran
Schuld truͤge/ von den Prieſtern abgeſetzt wer-
den; jene aber bleiben hingegen unveraͤndert.
Und ungeachtet die Druyden auf dem Raaſen/
Fuͤrſten auf Gold und Helffenbein ſitzen/ jene
in holen Baͤumen/ dieſe zwiſchen Seyde und
Perlen wohnen/ dennoch ihre Knechte ſeyn.
Sie ſind im Kriege von ſo groſſem Anſehen: daß
wenn ſie bey ihren Voͤlckern zwiſchen zwey
ſtreitende Heere lauffen; ſelbte nichts minder
als bezauberte Thiere oder unbewegliche Mar-
mel-Bilder vom Gefechte nachlaſſen. Fuͤr ih-
ren Hoͤlen ſtecken ſie einen gruͤnen Lorber-
Zweig empor/ in welchen auch die zum Tode
verdammten Sicherheit finden. Ja wenn der-
gleichen Miſſethaͤter ihnen ungefaͤhr begegnen;
ſind ſie aller Straffe frey/ und duͤrffen ſie nicht
allererſt wie die Veſtaliſchen Jungfrauen zu
Rom beſchweren: daß ſie nicht vorſaͤtzlich dem
Verdammten entgegen kommen. Sie ſelbſt
ſind weder den Zufaͤllen des Gluͤcks/ noch der
Bothmaͤßigkeit einiges Richters unterworffen;
außer ihres einigen Oberhauptes in Britanien;
welcher nicht/ wie ſonſt weltliche Fuͤrſten/ nur
in den Graͤntzen ſelbigen Reiches/ ſondern auch
uͤber alle Druyden/ die ſich in die gantze Welt
vertheilet haben/ zu gebieten hat. Sintemahl
der Verſamlung nicht unverborgen iſt: daß
ſelbte nicht allein in Gallien kommen/ und in
denen Carnutiſchen Eich-Waͤldern ihr groͤſtes
Heiligthum geſtifftet haben/ ſondern auch in Hi-
ſpanien/ Aſien/ Africa/ und nach Rom gedrun-
gen ſind; allwo Kayſer Auguſt fuͤr etlichen 20.
Jahren den Roͤmiſchen Buͤrgern der Druyden
Gottesdienſt/ weil ſie in ſelbtem die Gefange-
nen zu opffern eingefuͤhrt/ bey Lebens-Straffe
verboten hat. Wormit auch das Anſehn ihres
Oberhaupts ſo viel mehr unverruͤckt bliebe/ rei-
ſenalle Druyden/ theils daſelbſt die Geheim-
nuͤße deſto beſſer zu begreiffen/ theils durch ſeine
demuͤthigſte Verehrung eine beſondere Heim-
ligkeit zu erlangen in die Stadt Cantium; all-
wo die andern Druyden ihm den neunden
Theil aller ihrer Einkuͤnffte ſenden; und zu ih-
rer erſten Einſegnung einen eichenen Stab
um ſo viel Goldes erkauffen muͤſſen. Das O-
berhaupt wird nicht von Koͤnigen eingeſetzt/ ſon-
dern von den oberſten Druyden erwehlet. Wie-
wohl die Wahl offt auf zwey und mehr ſaͤllt; al-
ſo: daß einer zu Cantium/ der ander in dem Car-
nutiſchen Walde/ der dritte zu Londen ſeinen
Sitz erkieſet; die Druyden aber/ welche doch
ſonſt nicht mit in Krieg ziehen/ hieruͤber ſelbſt
gegen einander die Waffen ergreiffen. Wo
dieſe Weiſen einmahl ans Bret kommen/ darff
außer ihnen niemand die Weißheit lehren; und
alſo halten ſich allezeit eine unglaubliche Men-
ge der geſchickſten Juͤnglinge in ihren Hoͤlen
auf; welche bey ihnen gantzer zwantzig Jahr in
der Lehre bleiben muͤſſen. Wiewol ſie auch kei-
nen aus dem Poͤfel/ ſondern alleine den fuͤr-
nehmſten Adel ihrer Weißheit wuͤrdig ſehaͤtzen.
Und es kan in Britannien und Gallien ſo we-
nig als in Perſien und Egypten einer zur Kro-
ne kommen/ der nicht vorher ein Lehrling dieſer
Weiſen geweſt iſt. Jhre Schuͤler muͤſſen ei-
nen theuren Eyd ablegen: daß ſie die Geheim-
nuͤſſe keinem Weltlichen entdecken/ der Druy-
den Aufnehmen mehr als ihr eigenes befoͤrdern/
ihre Lehrmeiſter mehr als ihre Eltern ehren/
mit ihnen Leben und Vermoͤgen theilen wol-
len. Sie ſind inſonderheit auch in der Grichi-
ſchen Sprache erfahren/ und brauchen ihre
Buchſtaben in zu ſchreiben zulaͤßlichen Sachen
auch in der deutſchen Mutter-Sprache; unge-
achtet die Deutſchen noch ehe/ als ſelbte Cad-
mus in Grichenland/ und Evander in Jtalien
gebracht/ die von ihrem Thuiſco erfundene eige-
ne Schrifft gehabt; welche bey den Gothen an
vielen Stein-Felſen und Leichſteinen von etli-
chen tauſend Jahren her zu ſehen iſt. Jhrer
G g g g g g 2Heilig-
[972[974]]Siebendes Buch
Heiligkeit geben ſie einen groſſen Schein durch
ihre oͤfftere Faſten/ durch den Genuͤß der bloſſen
Kraͤuter und Wurtzeln/ durch ihr hartes Lager
entweder auf Steinen/ oder rauen Haͤuten/
und durch Gelobung ewiger Keuſchheit; wie-
wol ſie unter ihnen gewiſſe Orden und Staf-
feln haben/ derer einer ſtrenger als der ander iſt;
derer fuͤrnehmſte die Samotheer/ und Sema-
neer ſind; welche letztern nichts als Baum-
Fruͤchte eſſen; alle aber ins geſamt entſchlagen
ſich der Ehe/ ob ſie ſchon anfangs in Britanni-
en geheyrathet hatten. Jedoch iſt keiner/ der
nicht ſeine Maͤnnligkeit hat/ faͤhig bey ihnen
einzukommen. Dahero ſie der alten Gallier/
und der Goͤttin Rhea Prieſter/ welche ſie ihnen
ausſchnitten/ und die Prieſter Dianens/ die ſie
zerqvetſchten/ ingleichen auch die Athenienſi-
ſchen/ welche die Geburts-Glieder durch Zie-
gerkraut ſchwaͤchten/ verhoͤnen; weil ſie aus
Mißtrauen ihre Begierden zu zaͤhmen der Na-
tur Gewalt anthaͤten. Der alten Barden Ge-
wonheit aber/ welche neun Tage fuͤr dem bevor-
ſtehenden Gottesdienſte ſich auch ihrer Ehwei-
ber enthielten/ hielten ſie fuͤr zu geringe Be-
meiſterung der Begierden; trachteten alſo die-
ſe mit ewiger Gelobung zu beſchaͤmen. Da-
mit auch ihr Ehloſer Stand nicht aus einer Ab-
ſcheu odeꝛ Gramſchafft gegen das Frauen-Zim-
mer/ wie bey denen Brachmanen in Jndien/
herzuruͤhren ſchiene/ lehren ſie: daß ſelbte ein
GOtt angenehmes Geſchlechte ſey/ und in ſich
viel Heiligkeit und Klugheit habe. Daher auf
der Druyden Veranlaſſung ſelbtes von denen
Deutſchen nicht allein zu Rathſchlaͤgen/ ſondern
auch zu Wahrſagungen/ inſonderheit fuͤr den
Schlachten/ gezogen wird; wie denn auch durch
ihr Zuſprechen nicht ſelten groſſe Schlachten
gewonnen; ja deßhalben von denen Herulen/
Polabern und Varinen an dem Codaniſchen
See-Buſem der Koͤnigin Syeba/ des groſſen
Anthyrius Gemahlin; von eben ſelbigen und
denen Sarmatern der Oraja des Heruliſchen
Fuͤrſten Anara Gemahlin/ und der Heldin Au-
rinia herrliche Ehren-Seulen aufgerichtet/
und/ wiewol nicht als Goͤttinnen/ verehret wor-
den. Fuͤrnehmlich erheben die Druyden die
Alironiſchen Weiber; welche ſich in weiße Lein-
wand kleiden/ mit ausgebreiteten Haaren und
baarfuͤßig gehen/ um den Leib einen groſſen
meſſenen Guͤrtel tragen; fuͤr den Schlachten
aus dem Geraͤuſche und Umdrehung des Waſ-
ſers kuͤnfftige Zufaͤlle andeuten; bey waͤhren-
dem Treffen auf denen uͤber die Wagen ausge-
ſpannten Ledern mit Kloͤppeln ein grauſames
Gethoͤne machen/ hernach denen Gefangenen
die Kehle abſchneiden/ ihr Blut in einen ertzte-
nen Keſſel auffangen/ und endlich aus ihren
Eingeweyden den Ausſchlag des Krieges weiſ-
ſagen; zuweilen auch Geiſter beſchweren/ und
ſelbte denen kuͤnfftiger Dinge begierigen Feld-
Oberſten erſcheinen und wahrſagen laſſen.
Sie pflegen auch in die Aſche/ ohne Beobach-
tung der Zahl/ Striche zu machen/ und hernach
aus der gleichbefundenen Zahl Gluͤcke/ aus der
ungleichen/ Ungluͤck anzudeuten. Sie ver-
miſchen auch kleine theils weiß gelaſſene/ theils
ſchwartzgezeichnete Hoͤltzer; ſtreuen ſelbte auffs
Altar/ oder in ihre Schoß/ und laſſen ſie entwe-
der einen Prieſter oder Knaben erkieſen
zur Nachricht kuͤnfftiger Begebnuͤße. Viel-
mehr aber gelten der Druyden ſelbſt eigene
Wahrſagungen. Denn dieſe haͤlt das Volck
fuͤr unzweiffelbare Ausleger des goͤttlichen Wil-
lens/ Befoͤrderer ihres Gebetes/ und Ankuͤndi-
ger kuͤnfftiger Dinge. Es verrichtet alleine
durch ſie alle Opffer; iedoch iſt dieſe Opfferung
an kein gewiſſes Geſchlechte/ wie der Ceres
Opffer zu Athen an des Eumolpus/ des Hercu-
les zu Rom an des Pinarius Geſchlechte ange-
bunden. Sie verehren keine Bilder; außer/
in ihrem innerſten Heiligthume ſtehet ein Bild
einer gebaͤhrenden Jungfrauen; deſſen Ausle-
gung aber von ihnen nicht zu erbitten iſt; außer:
daß ſie einen zu der Perſiſchen Weiſen Ausle-
gung
[973[975]]Arminius und Thußnelda.
gung verweiſen: was derſelben Jungfrau/ die
ein Kind ſaͤuget/ und in beyden Haͤnden eine
Weitzen-Aehre haͤlt/ bedeute? oder auch nach-
ſinnen heiſſen: was die Sonne in der geſtirnten
Jungfrau wuͤrcke. Jhre Lehren ſchreiben ſie
in keine Buͤcher/ ungeachtet ſie fremder Spra-
che gute Wiſſenſchafft haben; weil ſie Rinde und
Leder zum Behaͤltnuͤße ihrer Weißheit allzu
unwuͤrdig achten; oder vielmehr ihre Geheim-
nuͤße mehr zu verbergen. Dahero muß ihre
Jungend alle in tunckele und zweydeutige Rey-
me verfaſte Lehren auswendig lernen/ und taͤg-
lich ihr Gedaͤchtnuͤß uͤben. Darinnen ſtecken
die Eigenſchafft des goͤttlichen Weſens/ die Be-
deutungen der Opffer/ die Beſchwerungen der
Geiſter/ die Wahrſagungen aus dem Fluge des
Gefluͤgels/ aus dem Falle und Eingeweiden
der geſchlachteten Menſchen; welche ſie mit
groſſen Beilen Creutz-weiſe uͤber die Rippen o-
der die Bruſt ſchlagen/ der Lauff des Geſtirnes/
die Beſchreibung der Erd-Kugel/ die Unſterb-
ligkeit und Wanderſchafft der menſchlichen
Seelen/ wiewol nicht in viehiſche/ ſondern nur
menſchliche Leiber. Welche letztere Heimlig-
keit ſie allein dem gemeinen Manne nicht ver-
ſchweigen/ um durch die Verſicherung: daß die
Seele nicht mit dem Leibe verſchwinde/ ſie zur
Tapfferkeit aufzufriſchen. Weßwegen ſie auch
denen Sterbenden offtmahls Geld einhaͤndi-
gen/ um ſelbtes der abgelebten Seelen zu uͤber-
bringen. Sie beten zwar nur einen GOtt an;
und bilden ſelbten weder in Holtz/ Stein noch
Ertzt/ ſie wiedmen aber ihm gewiſſe Baͤume/
die keine Axt beruͤhren/ in ihre heilige Heynen
auch niemand ungebunden kommen/ kein fal-
lender wieder aufſtehen darff/ ſondern er muß
ſich mit gantzem Leibe heraus weltzen. Sie mei-
nen: daß auf ſolche heiligen Baͤume kein Vogel
ſitzen/ ſelbte kein Wind zerbrechen/ kein Blitz
zerſchmettern koͤnne; ſie auch des Nachts ohne
einige weſentliche Flamme einen Schein von
ſich geben. Zu gewiſſer Zeit ziehen ſie an einem
ſchoͤnen Baume die ausgebreiteten Aeſte an den
Stamm/ und binden ſie an den Wipffel/ ſchrei-
ben unten den Nahmen Gottes/ in einem Aſt
aber des Tharamis/ in den andern des Belen
ein/ um in der goͤttlichen Einigkeit doch einen
naͤhern Begrieff tieffſinnig zu entwerffen. Uber
diß verehren ſie die abgelebten Seelen/ welche
entweder ein heiliges Leben gefuͤhret/ oder dem
Vaterlande groſſen Nutzen geſchafft haben.
Nebſt denen Menſchen-Opffern/ aus derer
Eingeweiden/ Adern und Blute ſie wahrſagen;
wiewol ſie zuweilen auch die Menſchen nicht
ſchlachten/ ſondern nur biß auffs Blut peitſchen/
ſchlachten ſie zwey unter einen Eich-Baum an-
gebundene weiße Stiere; auf welchem ein weiß-
gekleideter Prieſter ſelbte mit einem guͤldenen
Beile abhaut; Derer getrunckenes Blut ſo
denn wieder alle Unfruchtbarkeit und Gifft
helffen ſoll. Jm Beten legen ſie die rechte Hand
auf den Mund/ und drehen ſich rings herum.
GOtt opffern ſie bey aufgehender Sonne; der
Todten Gedaͤchtnuͤß feyern ſie/ wenn ſie zu
Golde geht. Sie fangen allezeit von der Nacht
anzurechnen; alſo: daß die Tage ein Anhang
der Finſternuͤß ſind; weil ſie aller Menſchen
Uhrſprung von dem Gotte der Erden und
Nacht herrechnen; oder auch die Nacht ehe als
der Tag geweſt iſt. Sie eignen den frommen
Seelen/ wenn ſie unterſchiedene Leiber durch-
wandert/ eine ewige Ergetzligkeit/ den boßhaff-
ten theils eine zeitliche Abbuͤßung/ theils eine
ewige Pein zu. Jhrer Uhrheber Geſetze hal-
ten ſie zwar fuͤr eine Richtſchnure ihres Gottes-
dienſtes; Sie ſchaͤtzen aber die Auslegung ihres
Oberhaupts fuͤr unfehlbar und jenem gleich;
ohne deſſen Vorbitte die Goͤtter niemanden er-
hoͤreten; weil ihm die Schluͤſſel des Himmels
und der Hoͤllen anvertrauet waͤꝛen. Sie ver-
werffen die Vielheit der Goͤtter/ und die E-
wigkeit der Welt; als welche von GOtt aus
nichts in ſieben Tagen/ wie der Menſch aus der
Erde erſchaffen ſey. Jedoch ſetzen ſie zwiſchen
G g g g g g 3GOtt
[974[976]]Siebendes Buch
Gottund den Menſchen gewiſſe Schutz-Gei-
ſter; glauben auch: daß das Ende des Menſchen
ein Anfang zu kuͤnfftiger Vergoͤtterung ſey.
Denen irrdiſchen Dingen/ ja ſelbſt denen Ge-
ſtirnen eignen ſie ſo wol einen Anfang als ein
Ende bey; weil kuͤnfftig ſie vom Feuer und
Waſſer wuͤrden verzehret werden/ weñ ſie ſechs
tauſend Jahr geſtanden. Sie halten darfuͤr: daß
die goͤttliche Verſehung niemanden verlaſſe/
wer nicht vorher GOtt verlaͤſt; und wie der
Menſch boͤſes thue aus eigner Willkuͤhr/ ſonder
Zwang; alſo habe GOtt die Macht boͤſes zu
hindern/ aber ohne Verbindligkeit. Sie ſchaͤ-
tzen alle Seelen fuͤr verflucht/ welche nicht ih-
rem Glauben beypflichten/ und das Oel des Le-
bens aus dem Balſame ihrer Weißheit ſchoͤpf-
fen. Den auf den Eichen wachſenden Miſpel
halten ſie fuͤr die heiligſte Pflantze der Welt/ fuͤr
ein Merckmahl eines von GOtt erwehlten
Baumes. Denn ſie glaͤuben: daß der Miſpel-
Saame nicht von den Droſſeln kommen/ ſon-
dern vom Himmel gefallen ſey; daß dieſes Ge-
waͤchſe alle Kranckheiten heile/ die Thiere
fruchtbar mache/ und dem Giffte wiederſtehe;
ſonderlich/ wenn ſelbtes im ſechſten Monden/
da ſie ihr Jahr anfangen/ gefunden wird. Sie
verrichten ohne dieſes keinen Gottesdienſt/ he-
gen auch kein Gerichte. Ob ſie auch wol das
Urthel uͤber des gantzen Volckes Leben in ihren
Haͤnden haben/ Straffen und Belohnung
nach ihrem Gutduͤncken ausſetzen/ der Gerech-
tigkeit die Tauerung eines Reiches/ den Be-
ſtraffungen der Todſchlaͤger die Fruchtbarkeit
des Erdbodens zurechnen; ſchaͤtzen ſie doch die
Ausſchluͤſſung von ihrem Gottesdienſte fuͤr ei-
ne viel aͤrgere Straffe/ als Galgen/ Strick/
Raͤder und Holtzſtoß. Dahero ſich ihrer/ als von
der Erde getragen zu werden unwuͤrdiger Leu-
te/ derer Seele nichts minder als der Leib zum
Aaße/ und vom Feuer oder Waſſer verzehret
werden ſoll/ iederman entbricht/ mit ihnen nicht
ſpeiſet noch redet/ ja ſie nicht allein aller Ehren
unfaͤhig ſchaͤzt/ ſondeꝛn ihnen auch nicht zu recht
verhilfft/ noch ehrlicher Beerdigung wuͤrdigt.
Sie maßen ſich auch der Artzney oder vielmehr
Zauberey an; in dem ſie das Samoliſche Kraut/
welches den Tamarisken aͤhnlich ſieht/ nichtern/
mit der lincken Hand/ ſich nicht umſehende auf-
leſen/ und wieder Kranckheiten des Viehes
austheilen; ein anders aber mit rein gewaſche-
nen bloſſen Fuͤſſen in einem weißen Kleide mit
der rechten Hand ohne Schaͤrffe des Eiſens/
nach geopffertem Brod und Weine abbrechen/
und darmit vielen Kranckheiten helffen/ inſon-
derheit aber mit einem Ey eines Apffels groß/
welches die im Sommer uͤber einander liegen-
de Schlangen durch ihren Speichel und
Schaum fertigen/ ein Mann aber/ wenn ſie es
mit ihrem Ziſchen empor blaſen/ mit einem Tu-
che/ daß es die Erde nicht beruͤhre/ auffangen/
und ſpornſtreichs davon bringen; ſolches aber
ſo denn/ ob es ſchon in Gold eingefaſt waͤre/
Strom-aufwerts ſchwimmen ſoll. Ferner
machen ſie ein fuͤnffeckichtes Zeichen/ um dar-
mit die Geſpenſter zu vertreiben. Uber diß le-
ſen die Druyden bey Aufgehung des Hunds-
ſterns zwiſchen Tag und Nacht/ wenn weder
Sonne noch Monde ſcheint/ wenn ſie vorher
das Erdreich mit Honig/ welches auch die Roͤ-
mer ihren Bothſchafften zu den Feinden mit
gaben/ benetzet/ und mit Stahle einen Kreiß
darum gemacht/ das Eiſen-Kraut mit der lin-
cken Hand; heben es empor/ trocknen Wur-
tzel/ Stengel und Blaͤtter iedes abgeſondert am
Schatten; ſalben ſich darmit ein/ und vermei-
nen alsdenn faͤhig zu ſeyn allerhand Verbuͤnd-
nuͤße zu ſtifften/ alle Kranckheiten zu heilen;
weßwegen auch Jupiter darmit ſeine Zimmer
ausfegen laſſen/ wo es herum geſprengt wird/
die Gaͤſte luſtig machen/ mit Weine aber ver-
miſcht die Schlangen vertreiben ſoll.
Diß ſind die Sitten der Druyden; von wel-
chen ſchier unglaublich iſt/ in wie ſo weniger Zeit
ſie in Gallien ſo feſte eingewurtzelt ſind; ent-
weder
[975[977]]Arminius und Thußnelda.
weder weil dieſelben/ welche aus dem Aberglau-
ben ihren Vortheil zu ſuchen vermeinen/ der
Neuerung eines Glaubens alle Handreichung
thun; oder/ weil die Gemuͤther ja ſo gar die
euſſerlichen Sinnen eines Volckes durch nichts
leichter als durch einen ſcheinbaren Gottes-
dienſt verruͤckt werden. Daher die verblaͤnde-
ten Hiſpanie[r] denen Phoͤniciern mit ſehenden
Augen zugelaſſen: daß ſie unter dem Schein
eines dem Hercules gewiedmeten Tempels eine
Feſtung gebauet; Die Trojaner aber das Ge-
raͤuſche der geharniſchten Grichen/ welche in
das der Pallas gewiedmete hoͤltzerne Pferd ge-
ſteckt waren/ nicht gehoͤret haben/ als ſie es uͤber
den Grauß ihrer eingebrochenen Mauern
muͤhſam in die Stadt ſchlepten. Mit einem
Worte: der ſcheinheilige Fuͤrwand des Gottes-
dienſtes iſt die ſchoͤnſte Schmincke der Stirne/
und das ſchaͤdlichſte Gifft der Seele. Jhren
erſten Grund legten die Druyden ſo wol in
Gallien als Deutſchland/ allwo man doch fuͤr
heiliger hielt von Gott etwas gewiſſes zu glau-
ben/ als deſſen Grund zu ergruͤbeln/ auf die
Freyheit dieſer Voͤlcker; welche nicht nur in
zeitlichen/ ſondern auch in Gewiſſens-Sachen
keinem weltlichen Zwange unterworffen ſeyn
koͤnte. Zumahl auch kein Erb-Fuͤrſt uͤber ſeine
Unterthanen/ kein Herr uͤber ſeinen Knecht ſich
dieſer GOtt allein zuſtehenden Herrſchafft an-
zumaſſen berechtigt waͤre.
Hierwieder warffen zwar einige weitſchende
ein: kein Feldmaͤſſer ließe ihm die Gruͤnde ſei-
ner Kunſt zweiffelhafft machen; mit was fuͤr
Fug doͤrffte ſich denn ein Unterthan erkuͤhnen
ſeines Koͤnigs Gottesdienſt zu verwerffen? Die
Natur pflantzte gleichſam die Liebe des vaͤterli-
chen Gottesdienſtes ein; deſſelbten Unterſchied
verurſachte Zwytracht des Volckes/ und Auf-
ſtand gegen die Obrigkeit. Ja ein vom Aber-
glauben eingenommenes Gemuͤthe koͤnte der
Gottesfurcht nicht hold ſeyn. Daher alle kluge
Voͤlcker/ inſonderheit die Roͤmer die Vereh-
rung fremder Goͤtter/ oder auch nur der Alten
auf eine neue Art ſorgfaͤltigſt verhuͤtet; nach der
Niederlage bey Canna die aberglaͤubiſchen
Frauen aus den Tempeln getrieben; alle Buͤ-
cher des Egyptiſchen und Juͤdiſchen Gottes-
dienſtes verbrennet haͤtten; wolwiſſende: daß
der Aberglaube niemahls ruhig ſeyn koͤnne;
und die Veraͤnderung des Gottesdienſtes ins
gemein Aufruhr/ und die Verkehrung der
Herrſchafft nach ſich ziehe; ſelbter aber ſchwerer
als tieff-eingewurtzelte Hecken mit Schwerdt
und Feuer auszurotten waͤre/ ja ſeine Hartne-
ckigkeit von dem verſpruͤtzten Blute nicht an-
ders als der Anteiſche Rieſe von Beruͤhrung der
Erde neue Kraͤfften bekaͤme. Es waͤre GOtt
ein einiges unveraͤnderliches Weſen. Daher
muͤſſe aus zweyen wiedrigen Verehrungen
ihm eine als irrig mißfallen. Die Gemein-
ſchafft eines Gottesdienſtes waͤre der feſteſte
Leim/ der die Gemuͤther eines Reichs zuſam-
men kleibete/ und eine unzerbrechliche Kette/
welche die Kraͤfften einer Herrſchafft beyſam-
men hielte; hingegen zerſpaltete der Unterſcheid
nicht nur die Liebe der Landes-Leute/ ſondern
des Vaterlandes und der Eltern. Sintemahl
ein gewiſſenhaffter mit dem keine vertraͤuliche
Freundſchafft machen kan/ den er fuͤr einen
Feind und Veraͤchter ſeines Gottes haͤlt. Weß-
wegen einige Staatskluge die Duldung vieler-
ley Gottesdienſtes fuͤr einen Fallſtrick derſelben
Fuͤrſten gehalten haͤtten/ welche ihrem freyen
Volcke durch erregte Trennung den Kapzaum
ſtrenger Dienſtbarkeit anlegen wollen. Alleine
es uͤberwog alle dieſe Erinnerungen die wiedri-
ge Meynung: daß der Glaube freyer ſeyn ſolte/
als der Wille. Denn ein gezwungener Wille
waͤre wol ein Wille; aber eine gezwungene An-
dacht nichts weniger als ein Gottesdienſt; ja ei-
ne Gott-verhaſte Heucheley; weil er ſo wenig als
Menſchen von gezwungenen Leuten verehret
wiſſen wil. Auf welche Heuchleꝛ und halb-Men-
ſchen ſonder Zweifel der Juͤdiſche Geſetzgeber
Moſes
[976[978]]Siebendes Buch
Moſes gezielet haͤtte/ als er den Huren-Kin-
dern und Verſchnittenen/ als derer Andacht
aus kein em hertzlichen Triebe entſpringet/ und
derer Gebet nichts maͤnnliches in ſich hat/ den
Eintritt in das Heiligthum verboten. Denn
ihr gleißneriſcher Gottesdienſt waͤre ſchlimmer
als Zenons gaͤntzliche Verachtung der Goͤtter/
und als die Boßheit des Spoͤtters Diogenes;
welcher Dianen einen Floch opfferte; weil er
ein Gottesdienſt ſeyn wolte/ und doch keiner
waͤre; ſo wie die Affen und Meer-Katzen deß-
halben ſo abſcheulich und laͤcherlich ausſaͤhen/
weil ſie Menſchen aͤhnlich ſchienen/ und doch
nichts menſchliches an ſich haͤtten. Daher
braͤchten die/ welche aus Furcht fuͤr dem Scharf-
richter Weyrauch auffs Altar ſtreuten/ GOtt
an ſtatt ſuͤſſen Geruchs einen abſcheulichen Ge-
ſtanck. Jhre Froͤm̃igkeit gleichte den Schwan-
Federn/ welche das ſchwartze Fleiſch dieſes Vo-
gels verſteckten/ deßwegen ihn auch kein Volck
iemahls ſeinen Goͤttern zu opffern gewuͤrdigt
hat. Pythagoras/ den der Fluß Caucaſus ſei-
ner Weißheit halber gegruͤſt haben ſoll/ als er
daruͤber geſetzt/ haͤtte deßhalben der Warheit
des Glaubens/ und der Reinigkeit des Gottes-
dienſtes zu unterſuchen/ und daruͤber zu ſtreiten
freygelaſſen. Denn ein blinder Gehorſam waͤ-
re ein Werck unvernuͤnfftiger Thiere; die in
den tieffen Brunnen der Ungewißheit verſaͤnck-
te Warheit aber zu erforſchen/ und die Pruͤfun-
gen der Meynungen ein Thun der Menſchen.
Uber diß hielten einige dafuͤr: daß man zum
Geheimnuͤße der Gottheit nicht durch einen
Weg kommen koͤnte; oder auch die unterſchie-
denen Meynungen endlich im Zwecke wie die
unterſchiedenen Striche in dem Mittel eines
Kreyßes zuſammen kaͤmen. Es ſey vernuͤnff-
tiger der Gewiſſens-Freyheit etwas durch die
Finger ſehen/ und die Hitze etlicher Glieder
verrauchen laſſen/ als durch allzuſtarcke Artz-
neyen alle ſchaͤdliche Feuchtigkeiten des gantzen
Leibes rege machen. Die Grichen und Roͤmer
ſchmuͤckten mit Perſiſchen und Seriſchen Tep-
pichten ihre Tempel aus; die Deutſchen rau-
cherten mit dem Weyrauche der Araber auf ih-
ren Opffer-Tiſchen ſonder Verunehrung ihres
gantz andern Gottesdienſtes. Warum ſolte
man denn alle etwas anders glaubende Men-
ſchen aus unſerm Lande und Heiligthuͤmern
verſtoſſen? Jnſonderheit kuͤtzelte bey den Druy-
den der ſo hoch geſchaͤtzte Adel die Ohren der
Fuͤrſten; fuͤr welchen hingegen der Abbruch und
die Umſchraͤnckung ihrer Gewalt fuͤrſichtig
verhoͤlet ward/ mit ſcheinbarer Fuͤrbildung: daß
wenn das Volck durch unterſchiedene Glauben
zerſpaltet wuͤrde/ haͤtte ihr Haupt gut machen/
und ein Fuͤrſt die beſte Gelegenheit den Mei-
ſter zu ſpielen. Weßwegen die Egyptiſchen
Koͤnige die Geheimnuͤße ihres Glaubens dem
Volcke mit Fleiß verborgen/ und ieden was ihn
gut deuchtete zu glauben freygelaſſen haͤtten/
wormit ſie ſo viel weniger ſich wieder ihr Haupt
vereinbaren koͤnten. Endlich wuͤſten die Fuͤr-
ſten ihren Unterthanen nichts ſo ſchweres auff
die Achſel zu buͤrden; welches ſie nicht bey Frey-
laſſung ihres Gewiſſens gedultig ertragen wuͤr-
den. Die fuͤrnehmſte Urſache aber dieſer Rath-
geber war das Abſehen auf ihr eigenes Aufneh-
men/ welches die/ ſo von ihres Fuͤrſten Gluͤcke
rathſchlagen/ ſelten außer Augen ſetzen. Denn
nach dem ſie die Druyden von dem andaͤchtigen
Volcke mit dem Kerne der fruchtbarſten Guͤter
uͤberſchuͤtten/ ſie als Ausleger des Goͤttlichen
Willens in den Rath-Stuben der Koͤnige den
Oberſitz nehmen/ den Poͤfel ſelbte halb-goͤttlich
verehren/ und ihre Geſchlechter auf die hoͤchſten
Staffeln der Ehren empor klimmen ſahen/ ga-
ben die edelſten Gallier/ und alſo hernach auch
die Deutſchen/ inſonderheit derer Vermoͤgen
entweder durch Unfaͤlle/ oder durch Zerthei-
lung in viel Kinder vermindert ward/ und zu
Erhaltung des Geſchlechtes nicht auskom̃ent-
lich war/ ihre geſchickſten Soͤhne anfangs in
ihre Lehre/ hernach in ihre Gemeinſchafft/ deſ-
ſen
[977[979]]Arminius und Thußnelda.
ſen drittes Geluͤbde ohne diß vermochte/ nicht
nur alle Kraͤffte/ ſondern ſo gar das Leben mit
Hindauſetzung eigenen Gebluͤtes fuͤr das Auf-
nehmen der Druyden anzuwenden. Dieſe auf-
gehende Sonnen verduͤſterten unnachbleiblich
die vorigen Sternen. Daher ob wol die Gal-
lier uͤber tauſend Jahr eine andere Art Prieſter
gehabt/ und inſonderheit die neun geiſtlichen
Jungfrauen verehret hatten/ welche auf dem
denen Oſiſmiſchen Ufern gegen uͤber liegenden
Eylande Sena ſich aufhielten/ und/ ihrer Ein-
bildung nach/ Wind und Meer an einer
Schnur fuͤhrten/ ja wie der Proteus in aller-
hand Thiere verwandeln konten; verſchwand
fuͤr den Druyden anfangs ihr Anſehen/ her-
nach faſt ihr gantzes Weſen. Die alten Bar-
den in Deutſchland verlohren nach und nach
faſt allen Glantz ihres Prieſterthums/ und blieb
ihnen faſt nichts anders uͤbrig; als daß ſie die
Thaten der alten und neuen Kriegs-Helden mit
ihren nachdencklichen Reymen im Gedaͤcht-
nuͤße der Nach-Welt behielten; bey denen
Schlachten mit ihren Geſaͤngen/ welche ſie ge-
gen die fuͤr den Mund gehaltenen Schulden
kraͤfftig heraus ſtieſſen/ das Kriegs-Volck zur
Tapfferkeit anfriſchten/ oder auch darmit den
kuͤnfftigen Ausſchlag wahrſagten. Die/ denen
Druyden verſtattete Freyheit ſperrte zugleich
andern auslaͤndiſchen Gottesdienſten Thuͤr
und Thor auf; entweder: daß ſelbte gantz neu-
erlich einſchlichen/ oder dem alten eine unan-
ſtaͤndige Auslegung machten. Alſo ward der
unter dem Theuth oder Thuiſto verehrte
Schoͤpffer und Anfaͤnger der Welt auf den
Mercur gedeutet; und ihm zu Ehren die Ab-
ſchlachtung der Menſchen Opffer eingefuͤhrt;
ja von den Deutſchen ſo gar in Hiſpanien ge-
bracht; endlich dieſer Teutates oder Mercur/ wie
bey den Syriern Aſtartes/ bey den Arabern
Dyſares/ fuͤr Deutſchlands Schutz-Gott ge-
halten. Der aus der Erde geſchaffene erſte
Mann/ und die Fuͤrſtin Aurinia ward mehr als
ein Held und menſchlich/ wiewol minder als ein
GOtt verehret. Die Gallier brachten zu den
Deutſchen die Anruffung ihres Hercules/ deſſen
Bilder/ fuͤr welchem doch als einer den Goͤttern
unanſtaͤndigen Verkleinerung die Deutſchen
vorher eine Abſcheu hatten/ in der Hand mit ei-
ner Keule/ auf der Achſel mit einer Loͤwenhaut/
die aus dem Munde geſteckte Zunge mit unzehl-
baren guͤldenen Ketten gemahlet wurden. Von
denen Phoͤniciern ward der Egyptiſchen Jſis
Gottesdienſt durch die Schiffarth zu den Frie-
ſen und Cimbern/ und von dar zu den Schwa-
ben und Vindelichern bracht; welche gleichwol
ihr Bild anzunehmen Bedencken trugen/ ſon-
dern nur zu ihrem Andencken entweder einen
Tannzappen und Korn-Aehre/ derogleichen
Keñzeichen in der Licatier Hauptſtadt Damaſia
zu ſehen ſind/ ein leichtes Rennſchiff auf einen
Fichten-Baum ſetzten; entweder/ weil auch die
Egyptier die Jſis auf einem Schiffe fahrende
abbilden/ ihr Sichelmonde auch einen Namen
abbildet/ oder zum Gedaͤchtnuͤße der in Deutſch-
land geſchehenen Uberfarth. Dahero auch die
Deutſchen des Monden Schein in allem Fuͤr-
nehmen genau beobachteten; und wie fuͤr Zeiten
Agamemnon fuͤr dem Voll-Monde ſeine Jphi-
genia nicht verehlichen wolte/ nur zu ſelbiger
Zeit zu heyrathen; und wie die Lacedemonier
nicht fuͤr dem voll-alſo die Deutſchen nicht
fuͤr dem Neumonden Schlachten zu liefern fuͤr
rathſam halten. Bald darauf niſtete auch die
Verehrung des Kriegs-Gottes unter dem Na-
men Heſus/ wie nichts minder eines andern des
Hercules ein; und waꝛd dem eꝛſten von den Her-
mundurern an der Sale ein Tempel; dem an-
dern von den Cheruskern ein Wald an der We-
ſer gewiedmet. Wiewol die Deutſchen alles diß/
was die Grichen und andere Voͤlcker vom Her-
cules ruͤhmten/ auf ihren Aleman den Vater uñ
Uhrheber der Bojen/ welcher nicht nur in ſei-
nem Schilde/ ſondern auch an der Hand ſtets
einen lebendigen Loͤwen fuͤhrte/ deuteten; und
daher ruͤhmten: daß Hercules bey ihnen nicht
nur geweſen/ ſondern auch entſproſſen waͤre.
Erſter Theil. H h h h h hJa
[978[980]]Siebendes Buch
Ja dieſer Kriegs-GOtt ward endlich bey
den Teneterern und Sveonen der Oberſte
aller Goͤtter/ alſo: daß da er anfangs nur mit
Hund und Woͤlffen/ oder mit der von ihren
Fremden eroberten Beute verſohnt ward/ ſie
ihm hernach die gefangenen Menſchen ſchlach-
teten. Uber diß erſchoſſen ſie die ertapten Diebe
uñ Moͤrder mit Pfeilen/ hiengen ſelbte in ihren
Heynen an die Baͤume/ oder flochten aus Wie-
ten groſſe Rieſen/ ſteckten die Glieder zerfleiſch-
ter Menſchen oder wilder Thiere darein/ und
verbrennten ſie als heilige Opffer. Jn Man-
gel der Miſſethaͤter aber muſten auch die Un-
ſchuldigen looſen/ und nach Art der Phoͤnieier
und Locrenſer eine gewiſſe Zahl Jungfrauen
oder Knaben zur Schlacht-Banck liefern. Die
Noricher erkieſeten die Sonne unter dem Nah-
men des Belen oder Belatucad; die Celten un-
ter dem Tharamis den Jupiter zu ihrem
Schutz-Gotte. Die zwiſchen der Elbe und
Oder an der Oſt-See gelegenen Angeln/ Var-
nier/ Eudoſen/ Schwardoner und Nuithoner
lernten die Erde unter dem Nahmen der Goͤt-
tin Ertha anbeten; welche den Menſchen ihren
Unterhalt verſchaffe/ und wie die Ceres ein
Volck nach dem andern heimſuche. Dieſer
Goͤttin ward auf dem Ruͤgiſchen Eylande ein
Wald und praͤchtiges Heiligthum gewiedmet.
Jn demſelben ſtehet ein guͤldeneꝛ mit einem gꝛuͤ-
nen Teppichte bedeckter Wagen/ auf welchem
ſie mit zweyen weißen Kuͤhen zu gewiſſer Zeit
unſichtbar herum gefuͤhrt/ von keinem Men-
ſchen aber/ als dem einiges Gewehr/ biß dieſe
Friedens-Goͤttin ſich mit Anſchauung der
Menſchen genung geſaͤttigt hat/ und wieder in
Tempel bracht iſt/ niemahls aber der Wagen
von iemanden anders/ als dem Prieſter ange-
ruͤhret wird. Ja die Knechte/ welche denen
Prieſtern bey dieſer Umfarth Handreichung
gethan/ werden von dem darbey liegenden See/
welcher weder Fiſcher-Netze noch Schiffe lei-
det/ und in dem der Wagen und der Teppicht
iedesmahl gewaſchen wird/ ja ſich ſelbſt die Goͤt-
tin darinnen baden ſoll/ verſchlungen. Weß-
wegen dieſer gantze Wald von niemanden ohne
innerliches Schrecken angeſehen/ in einer hei-
ligen Unwiſſenheit angebetet wird/ deſſen Ge-
heimnuͤße nur die/ welche bald umkommen ſol-
len/ zu Geſichte kriegen. Die um den Weichſel-
Fluß gelegenen Gothonen und Eſtier haben
von denen fremden Handels-Leuten/ die wegen
des an ſelbigem Meerſtrande befindlichen Ag-
ſteins haͤuffig dahin reiſen/ die Mutter der Goͤt-
ter anruffen lernen; welcher Staͤrcke ſie entwe-
der durch das Bild eines wilden Schweines
abbilden; als welche ihre Liebhaber auch mit-
ten unter den Feinden wieder die ſchaͤrffſten
Waffen beſchirmen ſoll; oder auch auf das den
Adonis toͤdtende Thier zielen. Uber diß iſt bey
den Deutſchen auch unter dem Nahmen des
Vulcan der Sonnen und des Monden Got-
tesdienſt eingeſchlichen; welchen ſie bey ereig-
nenden Finſternuͤßen mit vielem Ertz-Gethoͤne
zu Huͤlffe kommen. Nicht ferne von der Elbe
bey einem Saltz-Brunnen/ bildet ein Mann/
welcher vorwerts mit beyden Haͤnden ein feuri-
ges Rad haͤlt/ die Sonne in der Marians-
Stadt an dem Waſſer Leyn bey gleichmaͤßigen
Saltz-Brunnen/ ein Mann mit langen Oh-
ren/ der in den Haͤnden einen goldenen Mon-
den haͤlt; und bey denen Wenden und Rhugi-
ern/ wo der Oder-Strom ſich mit dem Meere
vermaͤhlet/ der Goͤtze mit drey Antlitzen und ei-
nem halben Monden/ dieſes Nacht-Geſtirne
ab. Der Grichen und Roͤmer uͤbrige Goͤtter
ſind in Deutſchland zwar vom Nahmen nicht
bekandt; doch ſcheinet dem Saturn nicht un-
gleich zu ſeyn das Bild eines alten Greiſen auff
dem Schloſſe Hartzburg beym Melibokiſchen
Gebuͤrge; welcher auf einem Perßken in ei-
nem weißen Kittel baarfuͤßig ſtehet/ mit einer
leinwandtenen Binde umguͤrtet iſt/ in einer
Hand ein Rad/ in der andern ein Gefaͤße voll
Roſen/ Aepffel und anderer Fruͤchte haͤlt. Welch
Sinnenbild auf die Zeit leicht auszudeuten iſt.
Auf den Jupiter kan unſchwer auch gezogen
werden
[979[981]]Arminius und Thußnelda.
werden der an der Elbe oberhalb der Stadt
Statio von dem Koͤnige Gambriv aufgerich-
tete und auf einen Stul geſetzte Abgott/ der in
der rechten Hand ein Schwerdt/ in der lincken
Hand einen Koͤnigs-Stab fuͤhret; dem auff der
rechten Hand aus dem Munde ein Donner-
Keil/ auff der lincken Blitz und Flamme faͤhret;
auf deſſen Haupte ein Adler ſitzet/ die Fuͤſſe aber
einen Drachen zertreten. Jn der Stadt Me-
ſovium iſt zwar ein mit einem Myrten-Krantze
gekraͤntztes Weib/ welche auf der Bruſt eine
brennende Fackel/ in der rechten Hand die
Welt-Kugel/ in der lincken drey guͤldene Aepf-
fel haͤlt; und alſo die natuͤrliche Venus/ welcher
noch darzu drey Holdinnen Aepffel hinreichen/
zu ſehen; aber es iſt diß nur eine Ehren-Seule
der holdſeligen Vandala der Uhrheberin aller
Amazonen. Die zwiſchen der Weichſel/ Warte
und dem Aſcibur giſchen Gebuͤrge wohnenden
Lygier und Naharvaler haben von denen Col-
chiern und Amazonen den Gottesdienſt des Ca-
ſtors und Pollux erlernet; welchen ſie alle Jah-
re zwey Elend-Thiere opffern; iedoch ſelbten
keine Bilder aufrichten. Die Sitones/ Svio-
nes und Fennen an der Rubeiſchen euſſerſten
Nord-Spitze beten die Sonne an/ ſchlachten
ihr und andern Abgoͤttern jaͤhrlich/ wenn der
Tag beginnet zu zunehmen/ neun und neunzig
Menſchen/ mit ſo viel Hunden und Haͤhnen;
Sie betheuern darbey: daß ſie daſelbſt das Ge-
raͤuſche der fuͤr ihrem Wagen ſchaͤumenden
Pferde des Morgens eigentlich hoͤren; ja auch
ihr ſtrahlendes Haupt genau erkennen koͤn-
nen.
Rhemetalces konte ſich allhier des Lachens
nicht enthalten; und fieng an: Es lohnte fuͤr
die Muͤh dieſen Weg dahin zu thun; wenn wir
anders verſichert waͤren: daß wir nicht ſtumpfe-
re Augen/ als dieſe Nord-Voͤlcker haͤtten. Fuͤrſt
Adgandeſter antwortete: Er beſorgte ſich gleich-
falls dieſe Reiſe umſonſt zu thun; und hielte die-
ſes eben fuͤr eine thumme Einbildung des Aber-
glaubens; welches die ſchlimſte Kranckheit des
Gemuͤthes waͤre; welche dem Menſchen alle
Sinnen verruͤckte/ und ihn auf einmahl ſo wie-
derwaͤrtige als unmoͤgliche Dinge beredete.
Denn da eine bloſſe Furcht offt etliche Straͤu-
che fuͤr gantze Krieges-Heere/ einen Schatten
fuͤr Geſpenſter anſiehet; ja die Gallier wol ehe
ihnen in der Schlacht eingebildet haben: daß
aus den Augen der Roͤmer Feuer-Strahlen
fuͤhren; da die Einwohner der Atlantiſchen Jn-
ſel die zu Pferde ſitzenden Frieſen fuͤr Centauꝛen
gehalten; da ein Miltz-ſuͤchtiger ihm aus Ein-
bildung: daß er eine gantze Stadt erſaͤuffen
wuͤrde/ das Waſſer nicht laſſen wollen/ biß man
ihn die Gefahr eines groſſen Brandes uͤberre-
det; da Thraſyllus aus Einbildung: es waͤren
alle zu Athen an- und ablauffende Schiffe ſein
Eigenthum/ ſelbte taͤglich bewillkommt und
geſegnet; ein ander Argiver in dem leeren
Schau-Platze die ſchoͤnſten Spiele zu ſchauen
ſich beduͤncken ließ; da ein Traum einem die ſel-
tzamſten Ungeheuer fuͤrzumahlen; ja die Mond-
ſuͤchtigen zu Uberkletterung der hoͤchſten Thuͤr-
me anzureitzen maͤchtig iſt. Was iſt es Wun-
der: daß wenn der Aberglauben die Vernunfft
einſchlaͤfft/ wenn die Augen des Leibes und des
Gemuͤthes verblendet ſind; der nicht einſt in
die Sonne zugeſchweigen in das unermaͤßliche
Licht der Gottheit zu ſehen vermoͤgende Menſch
ihm mehrmahls was laͤcherliches traͤumen laͤſt.
Jch wil zwar meinen Landes-Leuten nicht das
Wort reden; aber ich halte den Grichen Ana-
xagoras fuͤr blinder; da er die Sonne fuͤr einen
Stein angeſehen; wie nichts minder die Scy-
then/ welchen kein Menſch ausreden wird: daß
ſie Sonn und Monde auf Pferden reiten/ die
andern Sternen aber an guͤldenen Ketten hen-
cken ſehen; die aber fuͤr thoͤrichter/ welche ihnen
grauſame oder um uns unbekuͤmmerte Goͤtter
einbilden/ als welche ihre Aehnligkeit in Wachs/
Ertzt/ Bein und Marmel ausdruͤcken wollen.
Athanas und Agave/ welche gemeinet/ ihre Kin-
H h h h h h 2der
[980[982]]Siebendes Buch
der waͤren Hirſche und Loͤwen/ ſind mehr Ent-
ſchuldigens werth/ als des groſſen Alexanders
und Scipions Muͤtter/ welche ſich von Schlan-
gen geſchwaͤngert zu ſeyn hielten; Als Midas/
welcher aus Aberglauben durch Ochſenblut/ und
der Mileſiſche Koͤnig Ariſtodemus/ der wegen
eines an ſeinem Hauſe gewachſenen Krautes
durchs Schwerdt ſich hinrichtete. Und ich weiß
nicht: was ich vom Nicias und ſeinem gantzen
Heere urtheilen ſoll; welches in waͤhrender
Schlacht bey ſich ereignendem Monden-
Finſternuͤße Degen und Haͤnde ſincken/ und
ſich ohne Gegenwehr niedermachen ließ? Hin-
gegen trugen die Einwohner der Atlantiſchen
Jnſel unſern faſt erhungerten Frieſen reichliche
Lebens-Mittel zu; als dieſe die bevorſtehende
Monden - Finſternuͤß vorſehende jenen den
Unter gang draͤuten/ und durch Verfinſterung
dieſes Geſtirnes hierzu den Anfang machen
wolten.
Aber ich muß/ ſagte Malovend/ nun wieder
zu unſers Vaterlandes Gottesdienſte kehren;
welcher zwar durch der aberglaͤubiſchen Nach-
barn Traͤume ſehr verfaͤlſcht; iedoch derogeſtalt
nicht vertilgt ward: daß aus den Schlacken
nicht das eingebohrne Gold herfuͤr leuchtete.
Sintemahl die Deutſchen außer den Eſtiern
und Hieren/ die denen Schlangen Eyer und
Huͤner opfferten/ und ſie zu beleidigen fuͤr Tod-
Suͤnde hielten/ kein Geſchoͤpffe niemahls fuͤr
GOtt den Schoͤpffer angenommen. Denn
der Druyden Einweihung der Baͤume/ des
ſtreitbaren Bojus Andacht bey zweyen Eichen
an der Donau machte ſie ſo wenig/ als die Go-
then ihre Berge zu Goͤttern/ wenn ſie auf ihnen/
wie die Syrier auf ihrem Berge Karmel ihrer
Andacht abwarteten. Sintemahl dieſe ſo
wol/ als faſt alle andere Voͤlcker/ hierdurch
nur die Hoͤhe ihrer angebeteten Gottheit
andeuten wollen. Des Tuisko/ des Her-
cules/ der Aurinia Verehrung ſtehet noch
in den Schrancken eines danckbaren Anden-
ckens/ und in einer heiligen Anweiſung ihrem
ruͤhmlichen Beyſpiele zu folgen. Die Anbetung
geſchiehet allein einer einigen/ ewigen/ und un-
ſichtbaren Gottheit; ob ſchon die Art der Anbe-
tung und der Opffer unterſchieden iſt. Unter
dieſen iſt nunmehr die Weiſe der Druyden die
gemeinſte; und hat ihr Glantz von etlichen hun-
dert Jahren her allen andern verduͤſtert/ und
ſelbte in die ſteileſten Gebuͤrge/ oder in die fin-
ſterſten Hoͤlen und Kolhuͤtten eingeſperꝛt. Hier-
zu iſt ihnen nicht wenig behuͤlflich eine Wahr-
ſagung/ welche der erſte in Deutſchland kom̃en-
de Druys Serapio noch ehe/ als Rom vom
Brennus eingeaͤſchert worden/ im Herziniſchen
Walde in einem Felſen eingegraben; ſo in fol-
genden Reymen noch nicht ſerne von der Elbe
zu leſen iſt:
Weil nun die Menſchen diß/ was ſie ſelbſt
wuͤnſchen/ oder ihnen einbilden/ leicht glauben;
uͤber diß nach und nach ein und anders von den
Roͤmern eintraff/ ward es gleichſam fuͤr eine
Miſſethat gehalten/ an der Druyden Mey-
nung zu zweiffeln. Die Fuͤrſten lieſſen ſelbſt ih-
re juͤngſten Soͤhne/ um den aͤlteſten ihre Laͤn-
der unzertheilet zu laſſen/ Druyden werden; ja
die Cimbern wehlten ihrer zwey nemlich den
Sciold und Hiarn zu ihren Koͤnigen; in Mey-
nung: daß weil eines Fuͤrſten herrlichſtes Vor-
recht fuͤr niedrigeꝛn Leuten dariñen beſtehet: daß
er mehr/ als alle andere Gutes ſtifften kan; es
wuͤrden
[981[983]]Arminius und Thußnelda.
wuͤꝛden dieſe kluge und heilige Leute dem gemei-
nen Weſen am nuͤtzlichſten fuͤrſtehen.
Rhemetalces brach ein: Eure Cimbern ſchei-
nen deſſelbten Weltweiſen Meynung geweſen
zu ſeyn/ daß daſſelbe Reich nur gluͤck ſelig zu ach-
ten waͤre/ darinnen die Weltweiſen herrſchten.
Alleine dieſe Hoffnung hat nicht ſelten Schiff-
bruch gelitten; und haben offt die gelehrteſten
Fuͤrſten die einfaͤltigſten Fehler begangen; oder
das Gluͤcke muͤhet ſich zum minſten ehe dieſen/
als andern/ welche nicht ihre Vernunfft/ ſon-
dern alleine ſie zu ihrer Leiterin erkieſen/ ein
Bein unterzuſchlagen. Unter den Griechiſchen
Helden fuͤr Troja waͤre keiner gelehrter/ aber
auch niemand ungluͤcklicher als Palamedes ge-
weſt. Er war wol geſchickt vier neue Buchſta-
ben zu erfinden; aber nicht ſich aus der ihm vom
Ulyßes faͤlſchlich angetichteten Verraͤtherey zu
wickeln. Etliche andere haben ſich durch Be-
trachtung der Geſtirne im Himmel ſo verſtie-
gen: daß ſie die Erde aus dem Geſichte/ und den
Wolſtand in ihrem Reiche verlohren. Grie-
chenland hat keine grimmigere Wuͤtteriche ge-
habt/ als die/ welche aus den ſieben Weltweiſen
geherrſcht haben. Athen und Sparta hat al-
lemahl geblutet oder geſeuffzet; wenn einer mit
dem Mantel des Pythagoras oder des Plato
auf dem Stule geſeſſen. Daher Diocles der
ſchlauſte Hertzog der Sicambern ſeinen Sohn
mehr nicht als dieſen Griechiſchen Spruch: der
Fuͤrſten Wille iſt ihr Recht/ lernen ließ; und
dem Prieſter Theocalus/ dem ſein Groß-Vateꝛ
faſt die Helffte ſeiner Gewalt eingeraͤumet hat-
te/ ſeine Macht gaͤntzlich beſchnitt. Koͤnig An-
tiochus und Lyſimachus wolten die Weiſen nicht
einſt zu Buͤrgern haben/ jagten ſie aus ihrem
Reiche/ und hieſſen die freyen Kuͤnſte ein Gifft
des gemeinen Weſens. Und die Scythen uͤber
dem Rypheiſchen Gebuͤrge koͤnnen noch nicht
geſtatten: daß ihre Unterthanen mehr/ als ihre
unwiſſende Herrſcher verſtehen ſellen. Ob ich
nun zwar das letzte nicht billiche/ und wol weiß:
daß die Weißheit an ihr ſelbſt nichts boͤſes hat;
ja ohne ihre Huͤlffe ſchwerlich ein Reich beſtehen
kan; Weil die Unwiſſenheit nicht nur ein Man-
gel des Guten/ ſondern weſentlich etwas boͤſes;
und ein unverſtaͤndiger Fuͤrſt ein lahmer Ober-
Herr iſt; fuͤr welchem der wahrſagende Apollo
die Stadt Sparta ſo ſehr gewarniget hat; uͤber
diß die gluͤcklichen Fuͤrſten Pericles/ Alcibia-
des/ Epaminondas/ Numa/ Philip in Mace-
donien/ und Kayſer Julius nicht geringere
Weltweiſen als Helden geweſen; So bin ich
doch der beſtaͤndigen Meynung: daß die/ welche
von Kuͤnſten und Wiſſenſchafften gleichſam ein
Handwerck machen/ oder ſchon ihr Leben gleich-
ſam der nachdenckenden Welt-Weißheit ge-
wiedmet haben/ ſich zur Herrſchafft nicht ſchi-
cken. Sintemahl ſie daraus eine ſolche Suͤſ-
ſigkeit ſchmecken; welche ihnen die Sorgen fuͤr
das gemeine Heil zu Wermuth und Galle
macht. Daher Prometheus/ Empedocles und
Heraclitus ihre Fuͤrſten-Huͤte eigenbeweglich
abgenommen/ um in einer Einſamkeit der
Weltweißheit unverhindert abzuwarten. Zeno
antwortete: dieſe wolgegruͤndete Meynung
des Fuͤrſten Rhemetalces hielte nichts mehres/
als eine Verdammung des Mißbrauchs/ nicht
aber der Weltweißheit ſelbſt in ſich; von welcher
Koͤnig Phraotes recht Fuͤrſtlich geurtheilet haͤt-
te: Es waͤre nichts Koͤniglicher als die Weiß-
heit; ja ihre Beſitzer waͤren noch etwas mehr
als Koͤnige. Allein es ſtuͤnde nicht die Weiß-
heit/ ſondern andere wichtige Urſachen den
Geiſtlichen am Wege; warum man ſelbten die
Oberherrſchafft einzuraͤumen billich anſtehen
ſolte. Denn weil ſie eines ſtrengen Lebens
vorher gewohnt/ wolten ſie aller Unterge-
bener Sitten und Leben nach ihrem Maͤß-
Stabe richten; und daher verfielen ſie in
eine gefaͤhrliche Schaͤrffe der Herrſchafft.
Sie legten mit ihrem erſten Stande nie-
mahls die Liebe gegen denſelben ab;
und deßhalben entraͤumten ſie nicht nur
H h h h h h 3der
[982[984]]Siebendes Buch
der Geiſtligkeit allzuviel; ſondern vergroͤſſer-
ten auch noch ihre Freyheiten und Guͤter; wel-
che doch beyde in einem Reiche ihr Mittelmaß
haben ſolten; wormit weder die Buͤrgerſchafft
Schatzung zu geben/ der Adel im Kriege zu die-
nen geſchwaͤcht/ noch auch das Anſehen und die
Gewalt des Koͤniges durch ſie verduͤſtert wer-
de/ wie in Comagene ſich durch die uͤbermaͤßige
Gewalt ſelbigen Prieſters ereignet hat. Adgan-
deſter verſetzte: Es haben diß die Cimbern nach
ihrer Wahl/ aber zu langſam erfahren; ja auch
uns uͤbrigen Deutſchen ſind die Druyden/ wo
ſie gleich nie den Fuͤrſten-Hut aufgeſetzt/ zu
Kopffe gewachſen.
Malovend fuhr fort: Jch weiß nicht: Ob
ſie mehr ſich zu erhoͤhen/ oder wir uns mehr un-
ter ihre Fuß-Sohlen zu kriechen bemuͤht ge-
weſt. Daher wir nicht ſo wol ſie/ als uns ſelbſt
zu ſchelten Urſache haben. Sintemahl der
Menſch von Natur mehr zur Herrſchafft/ als
Dienſtbarkeit geneigt; und es faſt mehr als
menſchlich iſt/ bey uͤbermaͤßigem Gluͤcke lange
Zeit die erſte Gemuͤths-Maͤßigung behalten.
Es gehoͤret ein groſſes Hertze darzu/ welches
das Gold und das Eiſen beyderley Gluͤcks-
Faͤlle verdaͤuen ſoll. Denn das Hertze iſt ge-
gen das Gluͤcke/ was der Magen gegen die
Speiſen. Es ſey nun aber ſchuld daran/ wer
da wolle; ſo verwandelte ſich der Druyden er-
ſte Beſcheidenheit in Herrſchſucht; ihre Ge-
nuͤßligkeit in Wolluſt/ ihre anfaͤngliche An-
dacht in Scheinheiligkeit; welche auf der Welt
jener den Preiß abrennt/ und nicht ohne Wun-
derwercke Himmel und Hoͤlle mit einander ver-
ſchwiſtert; ja die Laſter fuͤr Tugenden anweh-
ret. Unter dem Schein heilſamer Warni-
gungen verſteckten ſie ihre Rache; unter dem
Vorwand des Glimpfes ſahen ſie allen Laſtern
durch die Finger; mit dem Mantel des gemei-
nen Heiles verhuͤlleten ſie ihren Ehrgeitz; die
Gerechtigkeit muſte ihren Geitz/ ein gerechter
Amts-Eiver ihren Neid/ die erbauende Unter-
redung ihre Geilheit verdecken. Jhre Enteuſ-
ſerung alles Eigenthums diente ihnen zur
Herrſchafft uͤber aller/ ja der Koͤnige Guͤter;
und welche keine Huͤtte haben wolten/ wohnten
nunmehr in eitel Fuͤrſtlichen Schloͤſſern. Es
war letzlich ihren Uhrhebern an ihnen nichts
als das Kleid aͤhnlich. Dieſe Veraͤnderung
gebahr bey vielen tugendhafften einen heimli-
chen Unwillen; aber/ weil ſich niemand dieſen
boͤſen Sitten des Vaterlandes zu begegnen ge-
wachſen ſahe/ muſten ſie nur mit andern La-
ſtern ihre Schwachheit beſeuffzen. Endlich
kriegten die Druyden durch diß/ welches alle
unuͤberwindliche Machten zu Boden wirfft/
nehmlich durch eigene Zwytracht einen gewal-
tigen Stoß. Denn zur Zeit des groſſen Feld-
Herrn Marcomirs/ thaͤt ſich Divitiak einer der
tieffſinnigen Druyden herfuͤr; welcher in dem
Semaniſchen Walde zwiſchen der Elbe und
der Weſer gebohren war/ aber in Britannien/
Egypten/ und bey den Juden ihm eine groſſe
Weißheit zu wege gebracht hatte. Deſſen
Froͤmmigkeit nahm anfangs der Druyden La-
ſter und Mißbraͤuche/ ſeine Scharffſinnigkeit
aber ihre Jrrthuͤmer wahr. Daher fieng er
an jene mit einem hertzhafften Eiver zu ſchelten/
dieſe mit ſonderbarer Klugheit zu wiederlegen.
Er ſtraffte den Wucher der Prieſter; verdam̃te
ihre uͤbermaͤßige Gewalt in weltlichen Din-
gen; eroͤffnete die fuͤr dem gemeinen Volcke
verſteckten Geheimnuͤße des Glaubens/ ver-
fluchte die Vergoͤtterung der Menſchen/ zohe
die Gruͤnde der Warheit dem Sagen der
Druyden und dem Anſehen ihres Hauptes
fuͤr; Gruͤndete den Wolſtand der unſterblichen
Seelen auf die einige Erbarmnuͤß des ewigen
Schoͤpffers; verwarff alle aber glaͤubiſche Zei-
chen und Tage-Wehlungen; wiederlegte die
Wanderung der Seelen aus einem Leibe in
den andern; und brachte mit einem Worte den
alten Gottesdienſt der Deutſchen wieder ans
Licht. Ob nun wol die hitzigen Druyden ihm
mit
[983[985]]Arminius und Thußnelda.
mit Feuer und Schwerdt draͤueten/ die ver-
nuͤnfftigen ihn erinnerten: Er moͤchte die Lehre
der Druyden nicht gar verwerffen/ ſondern die
Spreu von dem Weitzen abſondern; ſo fuhr er
doch mit einem rechten Helden-Muthe fort;
brachte die auf dem Melibokiſchen Gebuͤrge
wohnenden Druyden ſelbſt/ ja auch die Fuͤrſten
der Hermundurer/ Alemaͤnner und Catten auf
ſeine Seite. Allem Anſehen nach waͤre es um
die Druyden damahls gar geſchehen geweſt;
ſonderlich/ weil Divitiack ſeine Nachfolger zur
alten Armuth anverwieß/ und ſich der weltli-
chen Herrſchafft anzumaſſen verbot; alſo die
Fuͤrſten nicht nur ihre erſte Gewalt/ ſondern
auch die unter dem Scheine der Andacht ihnen
entzogene Guͤter zuruͤck bekamen. Alleine die-
ſer ſcheinbare Anfang kriegte einen gewaltigen
Stoß durch den tieffſinnigen Eubages; welcher
zwar in den meiſten Sachen dem Divitiak wie-
der die Druyden beypflichtete; aber alle Ge-
heimnuͤße nach dem allzuſchwachen Maͤßſtabe
der Vernunfft ausecken; alle Zufaͤlle denen
natuͤrlichen Urſachen zueignen; dem Menſchen
den freyen Willen entziehen/ und ſelbten der
Nothwendigkeit des einfluͤſſenden Geſtirnes
unterwerffen wolte. Alſo ſpalteten ſich die/
welche dem Divitiak und Eubages anhiengen/
gleicher Geſtalt/ und nahmen jene den Nahmen
der alten Barden an; dieſe aber nennten ſich
alle Eubagen/ oder auch Vaties. Jedes Theil
erlangte gleichwol von vielen maͤchtigen Fuͤr-
ſten in Deutſchland/ Gallien und Britannien
eine Beypflichtung; alſo: daß es faſt allenthal-
ben zu buͤrgerlichen Kriegen ausſchlug/ und viel
tauſend Seelen unter dem Scheine der Andacht
der blutbegierigen Rache aufgeopffert wurden.
Denn ſo offt als der Ancker des Gottesdienſtes
bewegt wird; ſo offt erſchuͤttert ſich das gantze
Schiff eines Reiches; weil mit dem Glauben
ins gemein die Art und das Gemuͤthe eines
Volckes veraͤndert wird. Der kluge und guͤ-
tige Marcomir pflichtete im Hertzen ſelbſt Di-
vitiaks Meynungen bey/ ungeachtet er aus
Staats-Klugheit ſolches nicht oͤffentlich mer-
cken laſſen dorffte. Gleichwol aber hielt er ihm
wieder die Gewalt der Druyden Schutz brach-
te es auch zu einem Frieden. Aber weil die
Einheimiſchen Zwytrachten ſelten von Grund
aus geheilet werden/ brachen dieſe Wunden
nach ſeinem Tode bey den Celten in Gallien
wieder grauſamer auf; indem ſein Sohn Hip-
pon den Druyden auffs allereifrigſte beypflich-
tete/ und nicht nur viel tauſend dem Divitiak
beypflichtende Barden hinrichten; ja auch den
Druys/ in deſſen Armen Marcomir geſtorben
war/ aus Verdacht gleichmaͤßigen Glaubens
verbrennen ließ; zu geſchweigen: daß etliche
Druyden ihn verhetzten: Er ſolte ſeines Vaters
eigene Gebeine ausſcharren/ und in Aſche ver-
wandeln laſſen. Nichts minder verfolgten die
Druyden in Gallien die Eubagen als Tod-
Feinde; wordurch/ den Roͤmern ſich taͤglich da-
ſelbſt zu vergroͤſſern/ Thuͤr und Thor aufgeſper-
ret ward. Jnſonderheit wurden die an dem
Fluße Alduaria liegenden Heduer/ bey denen
Divitiak/ und hernach Eubages ſich lange auf-
gehalten und ihren Gottesdienſt eingefuͤhrt hat-
ten/ auf der Sudweſten Seite von den Arver-
nern/ gegen Nord-Oſt von denen an dem Fluſ-
ſe Alduaria gelegenen Sequanern derogeſtalt
beaͤngſtiget: daß ſie ſich unter der Roͤmer Schutz
begeben muſten. Worzu ihnen denn die Vor-
ſchrifft des weiſen Divitiak an den groſſen Rod-
ner hernach Buͤrgermeiſter Cicero/ mit wel-
chem er in Gallien vertraͤuliche Freundſchafft
gemacht hatte/ ſehr behuͤlflich war; wordurch
denn die von ihren Feinden in die Enge we-
niger Feſtungen getriebene/ aller Kriegs-
Macht und Aecker beraubte Heduer/ welche der
Alemaͤnner Koͤnig Arioviſt gezwungen hatte
ihm Geißeln und jaͤhrliche Schatzung zu ge-
ben/ durch die Tapfferkeit ihres Fuͤrſten Pfer-
derichs und den Beyſtand der Roͤmer wieder
Lufft ſchoͤpfften/ ihre vorige Unterthanen und
Lehns-
[984[986]]Siebendes Buch
Lehns-Leute die Seguſianer zwiſchen dem
Rhodan und Arar/ die Ambarren zwiſchen der
Arar und Ligeris/ und die Brannovier wieder
unter ſich brachten; ja weil ſie hingegen den Roͤ-
mern in den Alpen gegen ihre Feinde treulich
beyſtanden/ ihre Bruͤder und Bundsgenoſſen
zu werden verdienten. Noch aͤrger gieng es
denen Eubagen im Aquitaniſchen Gallien.
Die Fuͤrſtin der Aquitanier Jrmingardis ma-
ſte ſich daſelbſt unter ihren dreyen nach einan-
der herrſchenden Soͤhnen/ welche nichts min-
der ihres Ungluͤcks/ als ihrer Uppigkeit halber
beruffen ſind/ der Herrſchafft an; und ihre
Herrſchſucht machte ſie nichts minder/ als ihrer
Kinder Unfaͤhigkeit auch nach ihrer Muͤndig-
keit zu ihrer Vormuͤndin. Anfangs zwar ſchlug
ſie ſich bald zu ihren Druyden/ bald zu den Bar-
den und Eubagen; und ließ bald dieſer bald je-
ner Wind in die Segel ihrer Ehrſucht wehen.
Endlich aber machte die Staatsſucht: daß ſie
mit den Druyden ein Sinn und ein Hertze
ward. Daher ſie alle Klugheit/ alle Laſter/ ja
auch die Zauberey ſelbſt zum Verderben der
Barden und Eubagen zu Huͤlffe nahm. Sie
reiſete mit dreyhundert der ſchoͤnſten Weiber
ſtets das Land durch; welcher einiges Abſehen
und Meiſterſtuͤcke war/ den Adel wie die Spin-
nen die Fliegen/ in ihr Gewebe der Wolluſt und
dardurch zu Verleugnung des Divitiakiſchen
Gottesdienſtes zu bringen. Ja dieſer geſchoͤpff-
et Haß verleitete ſie ſo weit: daß ſie mit ihrem
vorigen Todfeinde Hevinſerich einem Fuͤrſten
der Mediomatri[k]er ſich auffs vertraͤulichſte ver-
knuͤpffte; ungeachtet dieſer ſo wol/ als ſein er-
mordeter Vater das Aquitaniſche Reich ihm
zuzuſchantzen bemuͤht war. Mit dieſem mach-
ten ſie in einem Zimmer/ darinnen Hevinſerich
aber hernach aus gerechter Rache Gottes wie-
der ermordet ward/ einen feſten Schluß/ alle
Barden und Eubagen mit Giffte/ Feuer und
Schwerdt zu vertilgen. Um diß ſo viel gluͤck-
licher zu voll ziehen/ machten ſie mit den Barden
und Eubagen Frieden/ verlobten dem Fuͤrſten
der Bigerrionen Rubonor ihrem Haupte in
Gallien der Jrmingardis Tochter; und ſchlach-
teten ſieben Tage lang viel tauſend ſich zum
Fuͤrſtlichen Beylager eingefundene Gallier
ab. Ja die ſaͤugenden/ oder in Mutterleibe
noch athmenden Kinder wurden nicht ver-
ſchonet/ ſondern eh ermordet/ als gebohren.
Hevinſerich fuͤhrte die Meuchel-Moͤrder ſelbſt
eiffrig an; und war unter ſeinen Getreuen ei-
ner/ der ſich in einer Nacht vierhundert Euba-
giſche Gallier zerfleiſcht zu haben ruͤhmte. Die
wilde Jrmingardis ſtach ſelbſt einigen/ die in
ihrem Schloſſe ſchlieffen/ mit den Fingern die
Augen aus; und weidete die Augen an den
nackten Leichen der Ermordeten/ die ſie Hauf-
fen-weiſe fuͤr ihr Burg-Thor brachten. Unter
andern ließ ſie das abgeſchlagene Haupt des
tapffern Krieges-Helden Cigolin einbalſamen/
und ſchickte es dem Oberſten Druys in Bri-
tannien/ zu einer vermeinten Verſicherung:
daß mit dieſem Kopffe den Eubagen alle
Spann-Adern zerſchnitten waͤren. Jrmin-
gardis weltzte die Schuld dieſer von der gantzen
Welt/ ja vielen Druyden ſelbſt verdam̃ten Ver-
raͤtherey zwar auf den Hevinſerich; um ſelbten
ſchwartz zu machen/ ſich aber weiß zu brennen.
Sie draͤuete an dem Uhrheber dieſes Blut-Ba-
des den Entſeelten ein Rach-Opffer zu lieffern/
und die verbitterten Eubagen zu beſaͤnfftigen.
Aber ſie trauten nicht mehr auf dieſe Fallbruͤ-
cke zu treten/ ſondern er griffen zu ihrer Be-
ſchirmung die Waffen/ und machten ſich bey
nahe in gantz Aquitanien zum Meiſter; brach-
ten auch nach der Jrmingardis und ihrer Soͤh-
ne Tode den Bigerrioniſchen Fuͤrſten zur Herꝛ-
ſchafft. Nach dem aber dieſer ſich endlich ſelbſt
zu den Druyden ſchlug/ nahm der Barden und
Eubagen Macht von Tag zu Tag ab/ biß ſie
endlich nach vielen Verfolgungen und Blut-
ſtuͤrtzungen in die Haupt-Stadt der Ageſinaten
verſchloſſen daſelbſt mit Huͤlffe der Veneter die
Einfahrt
[985[987]]Arminius und Thußnelda.
Einfahrt im Meer zwiſchen den Eylanden Vi-
lar und Antros durch eingeſenckte Schiffe ver-
ſtopfft/ alſo ihnen der Hibernier Huͤlffe abge-
ſchnitten/ und ſie alſo durch unmenſchlichen
Hunger zuꝛ Ubergabe gezwungen wurden. Die
Druyden ſchaften ihnen ihren Gottesdienſt mit
groſſer Schaͤrffe ab; da ſie doch den Greuel de-
nen Samnitiſchen Weibern erlaubten/ welche
die Eylande des Aquitaniſchen Meeres bewoh-
nen/ daſelbſt gleichſam raſende dem Bacchus
opffern/ ihren Maͤnnern auf den Eylanden zu
wohnen nicht verſtatten/ ſondern zum Bey-
ſchlaffe ans feſte Land uͤberfahren; alle Jahr
das Dach ihres Tempels abbrechen/ und noch
ſelbige Nacht fuͤr der Sonnen Aufgange wie-
der erbauen; worzu iedes Weib eine gewiſſe Laſt
herbey ſchleppen muß/ und die es fallen laͤſt/
von denen andern gleichſam zum Opffer mit ih-
ren Naͤgeln zerriſſen wird. Wiewohl auch her-
nach der großmuͤthige Koͤnig der Sveſſoner
Divitiak denen Eubagen beypflichtete/ und
durch ſeine Tapfferkeit nicht nur gantz Galli-
en/ ſondern auch ein groſſes Theil Britanniens
unterwarff; ward er doch durch einen Druys
Meuchelmoͤrderiſch aufgerieben; ſein unwuͤr-
diger Sohn Galba aber von ſeiner denen
Druyden zugethanen Mutter ihnen zur Un-
terweiſung untergeben. Jnzwiſchen fuͤhrten
auch die Bellovaker/ Ambianer/ und Vero-
manduer wieder die Bataver und Menapier/
welche aus Deutſchland kommen/ ſich an der
Schelde/ Maaß und zwiſchen dem Rheine nie-
dergelaſſen/ und in dem Meguſianiſchen Her-
cules-Tempel ihren Gottesdienſt eingefuͤhret
hatten/ einen ſo grauſamen Krieg: daß in die-
ſem mehr durch die Haͤnde des Henckers/ als
durchs Schwerdt hinfielen. Weil uͤber den
zwiſchen den Batavern und Galliern einge-
pflantzten Haß die Gallier die Entweihung ih-
rer Heiligthuͤmer/ und ſonderlich obigen Tem-
pels zu unmenſchlicher Rache verhetzte; welche
ſie ſo weit verleitete: daß ſie zwey Moriniſchen
Fuͤrſten/ nur weil ſie mit den Menapiern und
Batavern einen billichen Vergleich zu treffen
einriethen/ und deßhalben mit ihrem Fuͤrſten
Julius Tutor/ deſſen Enkel gleiches Nahmens
hernach auch mit dem Civilis wieder die Roͤmer
aufſtand/ Brieffe gewechſelt hatten/ oͤffentlich
die Koͤpffe abſchlagen lieſſen/ fuͤr denen vorher
etliche mahl der Gallier Feinde erzittert waren.
Wiewol die Bataver und Menapier mit Huͤlf-
fe ihrer Blutsverwandten der Tribozer und
Catten/ wie auch des Cheruskiſchen Hertzogs
Aembrichs/ deſſen Bruder Cattivolck ſie bey
ihm zu ihrem Feld-Herrn ausbaten/ mit dem
Degen ihre Freyheit behaupteten; ja Aembrich
es ſo weit brachte: daß die in dieſen Krieg mit
eingeflochtenen Eburoner ſeinen Bruder Cat-
tivolck zu ihrem Hertzoge erkieſeten.
Jn Deutſchland aber daͤmpfften theils die
Klugheit der Feldherren und anderer glimpff-
lichen Fuͤrſten/ theils die mit denen Daciern
und Sarmatern gefuͤhrten Kriege das einhei-
miſche unter der Aſchen glimmende Feuer zwi-
ſchen den Druyden/ Barden und Eubagen.
Denn wie euſſerliche Kaͤlte innerliche Waͤrm-
de beyſammen haͤlt; alſo iſt die auswerts ſich naͤ-
hernde Gefahr auch das kraͤfftigſte Mittel die
gegen einander verbitterten Buͤrger zur Ein-
tracht zu bringen.
Als aber der deutſche Feld-Herr Malorich
bey ziemlichem Friede ſtarb/ ſeinen Vetter
Aembrich der Cherusker Hertzog unſers Feld-
Herrn Herrmanns Groß-Vater zum Feld-
Herrn fuͤrſchlug; gerieth gantz Deutſchland in
ein grauſames Krieges-Feuer. Denn ein groſ-
ſes Reich kan ſo wenig als ein groſſer Leib lange
in Ruh beſtehen; indem/ wenn es euſſerlich kei-
nen Feind hat/ ihm einen in ſich ſelbſt machet.
Die groͤſte Urſache aber war: daß auf einmahl
in Deutſchland vier Fuͤrſten lebten/ derer ieder
wuͤrdig war/ das gantze zu beherrſchen; nehm-
lich Aembrich der Cherusker und Quaden/ A-
rioviſt der Alemaͤnner/ Arabar der Catten und
Erſter Theil. J i i i i iVan-
[986[988]]Siebendes Buch
Vangionen/ und Briton der Hermundurer
Hertzog. Denn wie die mehrern Sonnen im
Himmel nichts gutes bedeuten; alſo ziehet
auch die Zuſammenkunfft vieler großmuͤthigen
Fuͤrſten in einem Reiche tauſenderley Unge-
mach nach ſich; in dem zwar in einem kleinen
Gefaͤſſe viel kleine Pflantzen/ aber auch in dem
groͤſſeſten nicht zwey oder mehr Palmbaͤume
und Zedern Raum haben; ſondern eine die an-
dere verdaͤmmet/ oder durch allzuſtarcken Trieb
das Gefaͤße gar zerſprenget. Bey ſolcher Be-
ſchaffenheit ſchaͤtzte ein ieder ſich den wuͤrdigſten
zum oberſten Feld-Herrn Deutſchlandes. Und
ob wol Hertzog Aembrich fuͤr ſich das Wort des
verſtorbenen Hertzog Malorichs hatte; ſo war
dieſes doch vielmehr ein Rath/ als eine Wahl/
welche nicht bey dem Erblaßer/ ſondern in der
bloſſen Willkuͤhr der deutſchen Fuͤrſten beſtehet.
Uber diß ſtach dieſe die groſſe Macht der Che-
rusker/ und die Nachfolge ſo vieler Feldherren
aus dieſem einigen Hauſe nicht wenig in die Au-
gen; zugeſchweigen: daß Arioviſt/ Briton und
Arabar/ welche theils denen Barden/ theils den
Eubagen beypflichteten/ dem es mit den Druy-
den haltenden Fuͤrſten Aembrich allem Ver-
muthen nach das Hefft in die Haͤnde zu geben
nicht allerdings ſicher hielten. Die aller groͤſte
Hinderniß aber brach allererſt herfuͤr durch den
Auffſtand der Quaden; welche meiſt denen
Barden beypflichteten/ ſich aber von den Druy-
den gedruckt zu ſeyn beklagten/ uͤber diß dem
Hertzoge Aembrich kein Erb-Recht uͤber ſie zu
entraͤumen vermeinten/ anfangs ſich dem be-
nachbarten Briton/ und/ als dieſer es aus einer
Heldenmaͤßigen Großmuͤthigkeit ablehnte/
dem Cattiſchen Fuͤrſten Arabar ſich unterga-
ben. Arabar verband ſich mit dem Koͤnige der
Dacier Decebal/ welcher von dem Fluſſe Cuſus
biß zu denen Baſtarnen alles beherrſchte; Die
Marſinger/ Gothiner/ und Pannonier traten
auf ſeine Seite; der Britannier Koͤnig Caßi-
bellin/ und der Cimbern Koͤnig Friedlev ver-
troͤſteten ihn groſſer Huͤlffe. Auf welchen letz-
ten gantz Deutſchland ein groſſes Abſehen hatte;
weil er die Kriegeriſche Jungfrau der Gothen
und Rieſin Ruſila/ welche mit zweyen Fingern
das ſtaͤrckſte Hufeiſen zerreiſſen/ einen mittel-
maͤßigen Baum mit den Wurtzeln ausreiſſen
konte/ im Zweykampffe erlegt; den Hillevio-
ner Hertzog Huirvill im Kriege uͤberwunden/
die Orcadiſchen Eylande und die Haupt-Stadt
in Hibernien Duflin durch Krieges-Liſt ero-
bert; auch/ als er daſelbſt von der Menge ſeiner
Feinde gantz umringt war/ ſich dennoch durch
Auffſtellung ſeiner vorhin erlegten Kriegs-
Leute gluͤcklich an den Seeſtrand und nach
Hauſe gezogen hatte. Fuͤr aller Menſchen
Augen ſchien Hertzog Aembrich verlohren zu
ſeyn; aber dieſer Held erlangte mit Huͤffe der
Ubier bey der Stadt Boviaſinum einen ſo herꝛ-
lichen Sieg: daß Arabar mit Noth entran/ und
ſich in Gallien fluͤchtete. Die Dacier zwang
er auch alſofort Friede zu machen; nach dem der
Koͤnig der Cimbern Friedlev ſein Reich wegen
der Svioner/ Sitoner und Fennen Koͤnigs
Gotar ſeiner Macht nicht entbloͤſſen dorffte/
welcher zu einem groſſen Kriege ſich ruͤſtete/ nie-
mand aber ſeinen Feind erforſchen konte. Wie
nun kein kraͤfftiger Magnet iſt der Menſchen
Gemuͤther an ſich zu ziehen/ als Tugend und
Gluͤcke; alſo ward Hertzog Aembrich ohne ei-
niges Wiederſprechen zum Feldherrn erklaͤret;
ja Briton ſelbſt vereinigte mit ihm ſeine Waffen
wieder ſeine Feinde/ und Aembrich raͤumte der
Ubier Hertzoge Dorulac ein Theil der vom A-
rabar verlohrnen Landſchafften ein. Die Roͤ-
mer aber ſchickten ihm eine guͤldene Krone/ ei-
nen Purpur-Mantel/ und einen Helffenbei-
nernen Stul/ nennten ihn ihren Freund/ Bru-
der und Bundgenoſſen.
Der Alemaͤnner Hertzog Arioviſt ſchlug zwaꝛ
ſein erſteres Abſehen dieſe Wuͤrde zu erlangen
aus der Acht. Zumahl er vernuͤnfftig wahr-
nahm: daß ſie eine groſſe Uberlaſt/ aber nur ei-
nen
[987[989]]Arminius und Thußnelda.
nen betruͤglichen Schein eiteler Ehre an ſich
haͤtte; ließ ſich noch bey offener Tafel heraus: Es
wuͤrde ihm bey der Nachwelt ruͤhmlicher ſeyn/
wenn ſelbte fragen wuͤrde: aus was Urſachen
er nicht/ als warum er zu ſolcher Hoheit gelangt
waͤre. Jedoch vergaß er nicht unter der Hand
unvermerckt ſeine Vergroͤſſerung zu beobach-
ten. Denn/ nach dem die Bojen/ welche denen
Barden beypflichteten/ von denen Druyden in
ihrem erſten Sitze/ den ihnen anfangs Alemañ
zugeeignet/ hernach Segoveſus auffs neue be-
hauptet hatte/ nicht gelitten werden wolten/ zo-
he ihrer ein ziemliches Heer theils wieder in
Gallien/ und ſetzten ſich in der Arverner Lande
um die Feſtung Gergovia/ bauten auch an dem
Fluße Ligeris die Stadt Boja/ theils uͤber die
Donau an den Lech/ vertrieben die Noricher/
und nahmen den Hertzog Arioviſt zu ihrem
Schutz-Herrn an. Bey dieſer allgemeinen
Glaubens-Strittigkeit trieb auch Divitiak der
Heduer Hertzog alle die/ welche des deutſchen
Divitiaks und der Barden Gottesdienſte an-
hiengen/ aus dem Lande; welche aber von ihren
Glaubensgenoſſen denen Arvernern und Se-
quanern willig aufgenommen wurden. Weil
nun zwiſchen dieſen Voͤlckern ohne diß eine alte
Feindſchafft eingewurtzelt war/ verfielen ſie
hieruͤber ſo viel leichter mit einander in Krieg.
Die Heduer zohen alſofort die Roͤmer an ſich;
welche ohne diß bereueten: daß ſie nach Uber-
windung des Koͤnigs Luer und Einſperrung
des Koͤnigs Bituit in die Stadt Alba ſich der
Arverner nicht gar bemaͤchtigt hatten. Hinge-
gen rufften die Arverner und Seqvaner/ derer
Fuͤrſt Catamantales ein groſſer Freund und
Bundgenoſſe der Roͤmer gleich ſtarb/ und ſei-
nen Sohn Caſticus zum Erben hinterließ/ den
beruͤhmten Fuͤrſten Arioviſt zu Huͤlffe; welcher
denn in etlichen Schlachten den gantzen Adel/
Ritterſchafft/ und Oberen der Heduer erlegte/
dieſes gantze Volck auch derogeſtalt ins Ge-
draͤnge brachte: daß ſie die noch wenig uͤbri-
gen vom Adel den Sequanern zur Geiſſel ein-
haͤndigen/ ſich auf ewig ihnen unterthaͤnig ge-
ben/ und mit denen Roͤmern nimmermehr
keine Gemeinſchafft zu pflegen/ ſich eydlich
erklaͤren muſten. Der Fuͤrſt Divitiak aber/
ob er wol eben diß zu leiſten dem Hertzoge Ario-
viſt an die Hand gelobte/ entflohe mit ſeinen
Kindern heimlich nach Rom. Wie nun Ario-
viſt verlangte: daß ſeinen Kriegs-Leuten/ und
inſonderheit denen zwiſchen der Donau und
dem Kocher ziemlich enge eingeſchrenckten Ha-
ruden/ die ſich in dieſem Kriege ſehr tapffer ge-
halten hatten/ das verſprochene dritte Theil von
der uͤberwundenen Heduer Aeckern/ oder auch
bey denen Sequanern ein austraͤglicher Platz
fuͤr vier und zwantzig tauſend Mann einge-
raͤumt werden moͤchte/ brachte es Divitiak
durch ſeine Kuͤnſte dahin: daß die Sequaner zu
hoͤchſtem Undancke ſich wieder den Beſchirmer
ihrer Freyheit/ wiewol ungluͤcklich auflehnten.
Denn er uͤberfiel ſie wie ein Blitz bey der Stadt
Amagetrobia/ und erlegte ſie auf einmal biß
auffs Haupt; alſo: daß ſie ſich ſeiner Herr-
ſchafft unterwerffen/ und die fuͤr nehmſten ihre
Kinder ihm zur Verſicherung ihrer beſtaͤndigen
Treue einlieffern muſten. Weil auch die He-
duer ſich in dieſen Auffſtand nicht gemiſcht hat-
ten; ſprach Arioviſt ſelbte aus einer ruhmbaren
Großmuͤthigkeit von ſeiner und der Sequaner
Dienſtbarkeit frey; außer: daß ſie denen bereit
eingeſeſſenen Alemaͤnnern ihre zugeeigneten
Aecker laſſen muſten. Hingegen weil die alten
zwiſchen dem Berge Jura und dem Fluſſe A-
rola gelegenen Helvetier oder Urbigener nicht
nur vorhin denen der Helvetier groͤſtes Gebiete
beſitzenden Alemaͤnnern/ die Arioviſtens Bru-
der den Koͤnig der Noricher Vocion zu ihrem
Schutz-Herrn erkieſt hatten/ wiederſtrebten/
ſondern auch ohne Urſache mit den Sequanern
die Waffen gegen den Fuͤrſten Arioviſt verein-
bart hatten/ grieff er die Urbigener behertzt an/
und brachte ſie nach zweyen Treffen dahin:
J i i i i i 2daß
[988[990]]Siebendes Buch
daß ſie ihn fuͤr ihr Oberhaupt erkennen mu-
ſten.
Wiewol nun die Helvetier unter dem
Schirm des Fuͤrſten Arioviſts/ der ſich nun-
mehr einen Koͤnig nennen ließ/ in gutem Wol-
ſtande lebten/ ſo thaͤt es doch dem Adel weh: daß
zu denen Aemptern meiſt Alemaͤnner befoͤrdert
wurden. Sintemahl ins gemein zwar fremde
Gewaͤchſe/ nicht aber auslaͤndiſche Befehlichs-
haber angenehm ſind; und der Neid oder die
Ungedult ſodenn der Vollkommenheit ſelbſt
Maͤngel auszuſtellen weiß. Jnſonderheit fraß
die Ehrſucht dem Fuͤrſten Orgetorich das Hertz
aus; welchem die Thraͤnen uͤber die Backen
lieffen/ ſo offt er ſeiner Vorfahren Bilder anſa-
he/ und darmit ſich erinnerte: daß er zwar aus
einem des Herrſchens gewohntem Hauſe ge-
bohren waͤre/ nunmehr aber muͤſte gehorſamen
lernen. Gleichwol aber hielt die groſſe Macht
des Koͤnigs Arioviſts den Degen des Orgeto-
richs in der Scheide; und veranlaſte ihn auff
ein ander Mittel zu ſinnen: wie er das Hefft
wieder in die Hand bekaͤme. Weil nun die A-
lemaͤnner ſich taͤglich in Helvetien verſtaͤrckten/
und es ie laͤnger ie mehr gedraͤnger machten/
ſchlug er den Fuͤrnehmſten und Vertrauteſten
vom Adel fuͤr/ ihnen einen neuen Sitz in dem
fruchtbaren Gallien um den Fluß Garumna
einzunehmen; welches aller Muthmaſſung
nach Arioviſt nicht hindern/ ſondern vielmehr
befoͤrdern wuͤrde/ wormit ſeine Alemaͤnner ſich
ſo viel mehr auszubreiten Lufft bekaͤmen. Nach
dem er durch ſeine ſcheinbare Fuͤrſchlaͤge den
meiſten Adel auf ſeine Seite gebracht hatte; er-
oͤffnete er dieſen Anſchlag auch dem Caſticus/
welcher gleicher Geſtalt unter Arioviſtens Bot-
maͤßigkeit und nach der Sequaniſchen Herr-
ſchafft ſeines Vaters ſeuffzete. Hierauf brachte
er es auch an des Divitiaks Bruder Dumno-
rich/ der die hoͤchſte Wuͤrde bey den Heduern
vertrat/ aber aus Begierde der Freyheit dem
Arioviſt nicht hold/ denen Roͤmern aber Spin-
nen-feind war. Der Schein der Freyheit
brachte alle drey unſchwer in ein eydliches
Buͤndniß; und die groſſe Zuverſicht zu ihren
Kraͤfften verhieß ihnen in weniger Zeit die Be-
herꝛſchung des gantzen Galliens. Dieſes groſſe
Werck aber brach fuͤr der Zeit durch die unge-
woͤhnliche Zuruͤſtung des Fuͤrſten Orgetorich/
und hernach durch etliche Edelleute/ denen ihr
Vaterland zu lieb war/ aus. Das Volck/ wel-
ches lieber in Sicherheit gehorſamen/ als aus
Hartneckigkeit ſich in Gefahr und Verterben
ſtuͤrtzen wolte/ uͤberfiel den ſichern Orgetorich
unverhofft/ ſtellten ihn auch in Band und Eiſen
fuͤr ein Gerichte; das ihn als einen Aufwiegler
und Stoͤrer der gemeinen Ruh zum Feuer
verdammte. Er lag ſchon gebunden auf dem
Holtzſtoſſe/ der Scharffrichter hielt ſchon die
Fackel an den Zunder/ als mehr als tauſend
Mann zuſammen gerottetes/ und dem reichen
Orgetorich aus Pflicht/ oder wegen genoſſener
Wolthaten zugethanes Volck herfuͤr brach/ die
Nachrichter zerſtreute/ den Holtzhauffen von
ſammen rieß/ und den Verdammten aus dem
Rachen der Flammen errettete. Dieſer Fre-
vel aber ward von der Obrigkeit durch Huͤlffe
der Alemanniſchen Beſatzungen mit vielem
Blute bald gerochen/ und Orgetorich deroge-
ſtalt ins Gedrange bracht: daß er ihm ſelbſt mit
Giffte vom Leben halff. Die Helvetier aber
befanden in der Hoͤle/ darein er ſich verſteckt
hatte/ eine ſo bewegliche Betheuerung: wie er
durch ſein Vorhaben drey freye Voͤlcker in den
Glantz der alten Freyheit/ ſich aber keines we-
ges auf den ihm zugedachten Stul zu ſetzen an-
gezielt haͤtte: daß auf des Fuͤrſten Divico ver-
nuͤnfftiges Einreden das ihn vorhin zu verbren-
nen entſchloſſene Volck/ welches zwiſchen euſ-
ſerſter Liebe und Haß kein Mittel weiß/ ihn
nunmehr von dem Scheiter-Hauffen in Him-
mel erhob; und des Orgetorichs Fuͤrhaben
auszufuͤhren durch ſchaͤrffſte Eyde ſich ver-
ſchwor/ ja viel tauſend Rauraker/ und Tulin-
ger
[989[991]]Arminius und Thußnelda.
ger unter dem Rhetiſchen Gebuͤrge am Rhei-
ne/ wie auch faſt alle um den Uhrſprung des
Rhodans wohnende Latobriger/ und endlich
zwey und zwantzig tauſend derer wegen ihrer
Menge auswandernde Bojen mit in das
Buͤndniß zoh; alſo: daß ob wol dem Fuͤrſten
Caſticus/ und Dumnorich mit denen Sequa-
nern und Heduern zu den Helvetiern zu ſtoſſen
allerhand wichtige Hindernuͤße in Weg traten/
weder Koͤnig Arioviſt noch Hertzog Vocio dieſe
ſchwermende Voͤlcker aufzuhalten/ ſondern
vielmehr zu Beruhigung ihrer eroberten
Laͤnder den Willen zu laſſen ſchluͤßig wurden.
Wie ſie ſich nun alle mit viel tauſend Wagen/
Vieh und anderm Vorrathe bey den Staͤdten
Sedun und Tarnada am Rhodan zu Ende des
Merzens verſammlet/ und nach langer Bera-
thung: Ob ſie uͤber das Gebuͤrge Jura durch
der Sequaner Land/ oder der denen Roͤmern
noch nicht allerdinges holden Allobroger Ge-
biete/ uͤber die denen Helvetiern ohne diß zuſte-
hende Bruͤcke zu Genf ihren Zug nehmen wol-
ten/ den letztern Weg als den leichſten erwehlt
hatten; eilte Julius Caͤſar mit einer Legion und
vielen tauſend denen Roͤmern unterthaͤnigen
Narbonenſiſchen Galliern nach Genf/ brach
daſelbſt die Bruͤcke ab/ um denen Helvetiern
den Weg zu verbeugen/ unter dem Scheine
zwar: daß er dieſem feindlichen Volcke/ welches
den Buͤrgermeiſter Lucius Caßius durchs Joch
getrieben hatte/ nichts gutes zutrauen koͤnte/ ie-
doch vielmehr aus Abſehen/ durch Erwegung
eines ſchweren Krieges das Roͤmiſche Kriegs-
Volck zu ſeinen Dienſten zu bekommen. Die
Helvetier ſchickten alsbald den Fuͤrſten Divi-
co zum Julius Caͤſar/ beſchwerten ſich uͤber Ab-
brechung ihrer eigenthuͤmlichen Bruͤcke/ und
baten zugleich um einen freyen Durchzug in
das Aquitaniſche Gallien/ mit Erbietung Geiſ-
ſel zu geben: daß denen Roͤmiſchen Untertha-
nen kein Huhn verſehret/ ſondern alles ums
Geld gekaufft werden ſolte. Der ſchlaue Caͤ-
ſar gab dem Divico ziemliche Vertroͤſtung/ ie-
doch bat er Bedenck-Zeit auff zehen Tage/ in
welchen er von dem Lemanniſchen See/ biß an
das Ende des Berges Jura einen neunzehn
tauſend Schritte langen/ ſechzehn Fuͤſſe hohen
Wall mit einem tieffen Graben und vielen
Bollwercken auffuͤhrte/ hernach dem wieder-
kommenden und verhaßtem Geſandten Divi-
co/ als welcher der Tuguriner Heerfuͤhrer bey
Erlegung des Caßius und Lucius Piſonius ge-
weſt war/ abſchlaͤgliche Antwort gab/ und den
Helvetiern die Spitze bot. Dieſe kehreten alſo-
fort ihre Deichſel gegen die Sequaner/ und
brachte es Orgetorich durch ſeinen Eydam
Dumnorich ſo weit: daß dieſe ihnen den Durch-
zug erlaubten. Wie nun die zwey und neun-
tzig tauſend ſtreitbare Helvetier/ welche mit
Weib und Kindern ſich auff dreyhundert acht
und ſechtzig tauſend Menſchen belieffen/ ſich
langſam durch die ſteinerne Pforte des Berges
Jura durcharbeiteten/ ſetzte Caͤſar den Labienus
uͤber das Heer/ rennte in Jtalien/ zohe von A-
quileja bey der Stadt Ocelum an dem Fluſſe
Duria in den Cottiſchen Alpen fuͤnff Legionen
an ſich/ und kam mit ſelbten durch der mit denen
Helvetiern in guter Vertraͤuligkeit ſtehender
Garoceler und Centroner Gebiete/ nach etli-
chen mit ihnen gehaltenen Treffen/ uͤber die
Grajiſchen Alpen in ſieben Tagen in der Ve-
contier und durch der Allobroger Land uͤber den
Rhodan in das Seguſianiſche Gebiete; als die
Helvetier gleich uͤber den langſamen Fluß Atar
eine Bruͤcke ſchlugen. Wie nun etliche dem
Divitiak zugethane und dem Dumnorich wie-
drige Heduer und Ambarrer/ die den Helveti-
ern ſich wiederſetzt und daher Schaden erlitten
hatten/ bey Caͤſarn ſich beſchwerten und Rache
baten; inſonderheit Divitiak und Liſcus ſchon
lange Zeit Caͤſarn wieder die Helvetier und
Deutſchen verhetzt hatten/ ruͤckte er alſofort
gegen die Helvetier/ und uͤberfiel mit drey Le-
gionen ihr vierdtes Theil/ nehmlich die Tugu-
J i i i i i 3riner/
[990[992]]Siebendes Buch
riner/ welche nur noch uͤber die Bruͤcke nicht
kommen waren. Wiewol ihnen nun von den
Roͤmern kein Krieg angekuͤndigt war/ und ſie
ſich alſo ehe des Himmels-als eines feindlichen
Einfalls verſehen hatten/ alſo der wenigſte
Theil der Schlaffenden zu den Waffen kom-
men konten; ſo ſtarben ſie doch nicht gaͤntzlich
ungerochen; in dem auch etliche tauſend Roͤmer
auf dem Platze blieben; ein Theil der Tuguri-
ner noch ſich uͤber die Bruͤcke rettete/ die meiſten
aber im Fluſſe umkamen/ weil ſie es rathſamer
hielten/ ſich in dieſen zu ſtuͤrtzen/ als in des rach-
gierigen Caͤſaꝛs Haͤnde zu fallen/ deſſen Schwe-
hers Großvatern Piſo dieſes Volck erlegt hat-
te. Nach erlangtem Siege ſetzte er den Di-
vitiak und Luſcus den Heduern und Ambarren
zu Haͤuptern fuͤr/ ſchlug auch noch ſelbigen Tag
eine Bruͤcke uͤber die Arar. Wiewol nun die
Helvetier durch den Fuͤrſten Divico ſich des li-
ſtigen Uberfalls halber beſchwerten/ die Un-
rechtmaͤßigkeit ſeines Krieges/ und die Streit-
barkeit der Deutſchen fuͤrhalten lieſſen; iedoch
ſich zum Frieden/ und daß ſie das Roͤmiſche Ge-
biete in Gallien nicht beruͤhren wolten/ erbo-
ten; ſo forderte doch Caͤſar hochmuͤthig die Er-
ſetzung alles denen Heduern/ Ambarren und
Allobrogern zugefuͤgten Schadens/ ihre Ruͤck-
kehrung und Geißel als Buͤrgen/ fuͤr alles diß/
was ſie zuſagten. Daher Divico Caͤſarn ant-
wortete: die Helvetier waͤren gewohnt Geißel
zu bekommen/ nicht zu geben; und von denen/ die
ſie wol ehe uͤberwunden/ nicht als beſiegte Ge-
ſetze anzunehmen; ſchickte alſo die Geſandſchafft
unverrichteter Sachen zuruͤck. Folgenden
Tag ließ Caͤſar den Conſidius mit zwey tauſend
Roͤmiſchen und den mit den Haaren in dieſen
Krieg gezogenen Fuͤrſten Dumnorich mit drey
taũſend Heduern ſich an der Helvetier Nach-
trab hencken; welchen aber der junge Fuͤrſt Or-
getorich mit fuͤnff hundert Pferden ſo grimmig
begegnete: daß nach zweyer Stunden Ge-
fechte/ und nach Verluſt vier hundert Mann
anfangs der unwillige Dumnorich/ und hier-
auff Labienus die Flucht nehmen muſten. Caͤ-
ſar ward hieruͤber beſtuͤrtzt/ verbot alſo den Sei-
nigen ſich ohne Noth in ferners Gefechte einzu-
laſſen; ſondern gieng den Helvetiern funffzehn
Tage lang immer an der Seite/ und bemuͤhete
ſich/ die wegen noch nicht reiffer Saaten ohne
diß ſparſame Lebens-Mittel und Fuͤtterung
ihnen abzuſchneiden. Weil aber auch die He-
duer ihm nicht genungſam zufuͤhrten/ und Lis-
cus den Fuͤrſten Dumnorich beſchuldigte: daß
er durch ſeine Gemahlin des Orgetorichs Toch-
ter/ ſeine Mutter eine Fuͤrſtin der Bituriger/
ſeine Schweſter und Neffen/ welche an maͤchti-
ge Fuͤrſten in Deutſchland und Gallien ver-
heyrathet waͤren/ und dem Stieff-Bruder Di-
vitiak die wieder erlangte Hoheit mißgoͤnne-
ten/ verleitet wuͤrde/ das ihm geneigte Volck
unter dem eingebildeten Scheine bevorſtehen-
der Dienſtbarkeit von den Roͤmern abwendig
zu machen; oder auch Caͤſar wegen des un-
gluͤcklichen Treffens mit den Helvetiern ihn
verdaͤchtig hielt/ ließ er den Dumnorich in Ver-
wahrung nehmen. Den ſechzehenden Tag ließ
er den Labienus mit zwey Legionen einen
Berg/ unter welchem die Helvetier ſich gelagert
hatten/ einnehmen/ zohe auch mit dem gantzen
Heere gegen ſie; aber der mit der gantzen Reu-
terey vorangeſchickte Conſidius kam ſporn-
ſtreichs zuruͤcke/ und berichtete aus eingebil-
deter Furcht: Er haͤtte aus denen Wolffshaͤu-
ten und Federpuͤſchen wahrgenommen: daß
der Feind den Berg fuͤr den Labienus einge-
nommen und beſetzt haͤtte; da doch Caͤſar Mit-
tags erfuhr: daß Labienus unvermerckt den
Berg behauptet; alſo der durch Zagheit ſeiner
Leibes- und Gemuͤths-Augen beraubte Conſi-
dius durchs Blaſter geſehen; Und weil inzwi-
ſchen die Helvetier fortgeruͤckt/ dieſen Vor-
theil zu ſiegen verſpielet hatte. Daher auch
Caͤſar
[991[993]]Arminius und Thußnelda.
Caͤſar die gegen dem Fluſſe Ligeris abſackenden
Helvetier verlaſſen/ und aus Mangel der Le-
bens-Mittel ſich recht und Oſtwerts gegen Bi-
bracte wenden muſte. Die Helvetier wendeten
hiermit ihre Deichſel um/ verfolgten die Roͤ-
mer/ die Caͤſar auf einem zu erſteigen ſchweren
Berge in vortheilhafftige Schlacht-Ordnung
geſtellt hatte. Gleichwol brachte der junge
Fuͤrſt Orgetorich der Roͤmer und Heduer
Reuterey in die Flucht. Die fuͤnff Roͤmiſchen
Legionen aber thaͤten mehr verzweiffelte als
hertzhaffte Gegenwehr; und konte Labienus
mit Forwerffung eines Roͤmiſchen Adlers
Caͤſarn mit genauer Noth aus den Haͤnden der
ihn umringenden Bojen erretten. Die
Schlacht waͤhrete vom Morgen biß drey
Stunden fuͤr Abend mit ſolcher Hartnaͤckigkeit:
daß kein Theil dem andern einen Fuß breit Er-
de einraͤumete. Nach dem aber die Roͤmer
an einem allzuvortheilhafftigen Orte fochten/
da die Reuterey ihnen nicht bey konte/ durch
der Helvetier hoͤltzerne oder lederne Schilde
hingegen die Roͤmiſchen Wurff-Spieſſe meiſt
durchdrangen/ und ſich darinnen das Eiſen
kruͤmmete: daß ſie ſelbte nicht heraus ziehen/
ſondern die Schilde wegwerffen und unbe-
deckt fechten muſten/ lieſſen ihre Krieges-Ober-
ſten ſie ſich mit Fleiß gegen einem andern Ber-
ge zuruͤcke ziehen. Wie nun die Roͤmer ih-
nen aus eingebildeten Siege folgeten/ fielen
funffzehn tauſend Bojen und Tulinger ihnen
in die Seite; verwundeten den Labienus; und
hielten beyde Heere biß in den ſinckenden Abend
derogeſtalt einander die Wage: daß kein Theil
des Sieges; oder daß er ſeinen Feind ihm haͤt-
te den Ruͤcken drehen ſehen/ ſich ruͤhmen dorff-
te. Um Mitternacht ſtuͤrmeten beyde Thei-
le einander das Laͤger; woruͤber aber zu groſ-
ſem Nachtheile der Helvetier der ſich allezeit
unter die Feinde wagende Orgetorich mit ei-
nem Sohne und einer ſtreitbaren Tochter Li-
ſanue/ welche den Tag vorher zehn Feinde er-
legt hatte/ gefangen ward. Weil nun Caͤſar
in Sorgen ſtand: daß die Helvetier fruͤh auffs
neue mit ihm anbinden wuͤrden/ erkauffte er
einen Gallier: daß er zu den Helvetiern uͤber-
lieff/ und als wenn er vom Fuͤrſten Dumno-
rich geſchickt waͤre/ ſie warnigte: daß den [a]n-
dern Tag zwey friſche Legionen Roͤmer und
zwantzig tauſend Narboniſche Gallier zum
Caͤſar ſtoſſen wuͤrden; der Fluß Ligeris auch
allbereit gegen ſie ſtarck beſetzt waͤre. Dieſes
bewegte die Helvetier: daß ſie ihren Zug in
der Lingoner Gebiete gegen die Stadt Ando-
matum an dem Brunnen des Fluſſes Matro-
na einrichteten. Weil aber die Lingonen auf
Divitiaks Beredung ſo/ wie die Heduer/ mit
den Roͤmern in Buͤndniß getreten waren/ und
ſich fuͤr der Helvetier Unterdruͤckung beſorg-
ten/ verhieben ſie ihnen die Waͤlder/ beſetzten
alle Wege; alſo: daß ſie nunmehr in nicht
geringe Hungers-Noth verfielen; iedoch weil
Caͤſar mit einem verzweiffelten Feinde noch
einmahl zu ſchlagen Bedencken trug/ auch die
ihm verdaͤchtigen Alemaͤnner und Helvetier
an einander zu hetzen vermeinte/ mit ihnen
einen Vergleich machte: daß ſie uͤber den Fluß
Arar durch der Rauraker Landſchafft wieder
ihren alten Sitz einnehmen mochten/ die Al-
lobroger ihnen auch einen groſſen Vorſchub
an Gecreide verſchaffen muſten. Ein Theil
derer/ die an dem Fluſſe und bey der Stadt Ur-
ba gewohnt hatten/ nahmen das Vogeſiſche
Gebuͤrge ein/ machten ihnen mit dem Schwer-
te einen Weg durch der Leutzer Land/ und
lieſſen ſich am Rheine nieder; Die Heduer a-
ber baten die wegen Enge ihres Landes ausge-
wichenen Bojen: daß ſie ſich zu ihren Landes-
Leuten um Gergovia niederlaſſen/ und wie-
der die bey den Sequanern eingeniſteten
Deutſchen auff den Nothfall beyſtehen moͤch-
ten.
Die theils fuͤr den Deutſchen/ theils den Roͤ-
mern zitternden Aquitaniſchen und Lugdunen-
ſiſchen Gallier ſagten durch koſtbare Geſand-
ſchafften Caͤſarn nicht alleiu Danck: daß er ſie
fuͤr der Suͤndfluth der ſchwermenden Helvetier
errettet haͤtte; ſondern der durch Ehrgeitz gantz
verblaͤndete Divitiak lobte ihnen das Roͤmiſche
Joch ſo ſehr ein: daß ſie aus Haß gegen den
Koͤnig Arioviſt ihm zu Fuße fielen; ſich dem
Roͤmiſchen Schutze unterwarffen; und/ weil ſie
beſorgten: es wuͤrden die rauen Deutſchen ſie
nach und nach aus dem fetten Gallien vertrei-
ben; wieder ſie Schutz baten; worunter denn
etliche entwichene Sequaner Caͤſarn durch al-
lerhand weibiſches Wehklagen zu Mitleiden
bewegten.
Wiewol nun Caͤſar den ſo maͤchtigen Koͤnig
Arioviſt zu bekriegen weder Urſache/ noch auch
anfangs das Hertze hatte/ ja auch ſeinem Ruh-
me verkleinerlich hielt den anzutaſten/ deſſen
Freundſchafft der Roͤmiſche Rath durch koͤſtliche
Geſchaͤncke und Ehren-Titel geſucht; ja den
Caͤſar ſelbſt als Buͤrgermeiſter fuͤr einen Freund
und Bundsgenoſſen der Roͤmer eingezeichnet
hatte; uͤber diß der Buͤrgermeiſter Bibulus
ihm zuſchrieb: daß er mit den Deutſchen keinen
unnuͤtzen Krieg anfangen ſolte; ſo vertilgte doch
Caͤſars Ehrſucht alle Bedencken/ welche alle
Schrancken der Moͤgligkeit uͤberſprenget/ und
die Geſetze der Maͤßigkeit in Koth tritt. Gleich
wie aber die Laſter ihre Heßligkeit ſelbſt erken-
nen/ und daher ihnen ſelbſt ſtets die Larve der
Tugend fuͤrmachen; und niemand dem Un-
rechte ſo unverſchaͤmt beypflichtet: daß er ſelb-
tem nicht einen Mantel umgebe; alſo ſaan Caͤ-
ſar Tag und Nacht auff einen Fuͤrwand des
Krieges. Solchen zu erlangen ſchickte er ei-
nen niedrigen und trotzigen Krieges-Bedien-
ten zu dieſem maͤchtigen Koͤnige/ und ließ ihn
nicht ſo wol erſuchen/ als befehlichen: daß er in
das Sequaniſche Gebiete zu ihm kommen ſolte/
und daſelbſt denen Beſchwerden/ die die He-
duer und Sequaner wieder ihn haͤtten/ abhelf-
fen. Arioviſt ließ den geringen Geſandten nicht
fuͤr ſich; ſondern ließ Caͤſarn melden: weil er ſich
nicht geringer als Caͤſar ſchaͤtzte/ ließe es weder
ſeine Koͤnigliche Hoheit/ noch/ weil er ohne ein
maͤchtiges Heer zu reiſen ihm anſtaͤndig hielte/
dieſes aber ohne groſſe Koſten nicht geſchehen
koͤnte/ die Liebe ſeiner Unterthanen nicht zu/ ei-
nen ſo fernen Weg zu thun. Haͤtte Caͤſar von
ihm etwas zu begehren/ verpflichtete ihn die
Gewonheit der Voͤlcker: daß er ſich zu ihm be-
muͤhete; wiewol er nicht begreiffen koͤnte: was
ſich Caͤſar ſeiner Unterthanen der Sequaner/
und ſeiner Lehns-Leute der fuͤrlaͤngſt bezwun-
genen Heduer anzumaſſen haͤtte. Caͤſar ent-
bot Arioviſten alsbald hochmuͤthig zu: Es waͤre
eine Antwort dem gar unanſtaͤndig/ der ſich um
ſoer Roͤmer Freundſchafft ſo embſig beworben/
und von ihnen ſo viel Gutthat genoſſen haͤtte.
Da er nun nicht als Feind wolte gehandelt
werden/ ſolte er uͤber den Rhein keine Deut-
ſchen mehr in Gallien ſchicken/ den Heduern/
als Roͤmiſchen Bundgenoſſen/ die jaͤhrliche
Schatzung nachlaſſen/ ihnen ihre Geißel zuruͤck
ſenden; den Sequanern eben diß befehlen; de-
nen Entwichenen/ und inſonderheit dem Divi-
tiak ihre Guͤter einraͤumen; und: daß er weder
ein noch andern Gallier mehr bekriegen wolte/
Buͤrgen ſtellen. Arioviſt lachte zu dieſem un-
verſchaͤmten Zumuthen/ und antwortete Caͤ-
ſarn: Sieger pflegten wol Beſiegten/ nicht a-
ber einer ſeines gleichen Geſetze fuͤrzuſchreiben.
Rom haͤtte uͤber ihn ſo wenig/ als Arioviſt uͤber
Rom zu gebieten; weniger ihr bloſſer Ampt-
mann als Caͤſar waͤre. Dem Roͤmiſchen Rath
aber berichtete er Caͤſars Zunoͤthigung/ und
daß er in Gallien geruffen worden; die Heduer
durchs Kriegs-Recht erobert/ aus bloſſer Gut-
willigkeit gegen einer leidlichen Schatzung
freygelaſſen haͤtte; alſo koͤnte er nicht glauben:
daß
[993[995]]Arminius und Thußnelda.
daß Caͤſar auff des Roͤmiſchen Raths Befehl
ihm ſein Recht abzwingen/ und ihre Freund-
ſchafft zertrennen ſolte. Wolten ſie aber ſich
an ihn reiben; muͤſte er mit ſeinen Deutſchen/
derer Handwerck ohne diß der Krieg waͤre/ und
die ſchon vierzehn Jahr unter freyem Himmel
geſchlaffen/ nur Gewalt mit Gewalt ableh-
nen. Der Roͤmiſche Rath konte Caͤſars Be-
ginnen nicht billichen; ja/ weil kurtz hierauff
nach Rom verlautete: daß Caͤſar in Arioviſtens
Gebiete feindlich eingefallen waͤre; riethen
Bibulus/ Cato/ Lucius Domitius/ Cicero/ Ra-
birius und Metellus: man ſolte den unruhigen
Kopff Caͤſarn/ welcher ohne diß nicht mit Wil-
len des Raths/ ſondern durch Unterſchlieff/ und
das Vatiniſche Geſetze Galliens Verwaltung
an ſich gezogen haͤtte/ wegen unrechtmaͤßigen
Krieges Arioviſten zur Straffe lieffern. Sei-
ne Freunde/ und das Abſehen auf das in ſeinen
Haͤnden ſtehende Hefft der Kriegs-Macht mil-
derte es ſo weit: daß Caͤſarn allein dieſer Krieg
verboten ward. Aber Caͤſar hatte ſchon der
Sequaner zwar wegen des ſie faſt gar umſtroͤ-
menden Fluſſes Alduasdubis/ und einer natuͤr-
lichen Berg-Mauer feſte/ aber unbeſetzte
Stadt Veſontio uͤberrumpelt; Daher ſchrieb
er nach Rom: das Spiel waͤre ſchon/ wiewol
anfangs durch Arioviſten/ angefangen; welcher
auffs neue zwantzig tauſend Haruden aus
Deutſchland bey der Stadt Arboroſa zu hoͤch-
ſter Gefahr der Seguſianer eingeſetzt/ und
durch ſie von den Heduern die alte Schatzung
erpreſt haͤtte. So haͤtten ihm auch die Trevi-
rer Kummer-hafft geklagt: daß Arioviſtens
Vettern Naſua und Cimber mit hundert tau-
ſend Catten bey ihnen einzubrechen am Rheine
fertig ſtuͤnden. Alſo wuͤrde bey laͤngerer Nach-
ſicht nicht nur das Narboniſche Gallien/ ſon-
dern Jtalien ſelbſt abermahls dieſer unbaͤndi-
gen Voͤlcker Raub werden.
Jnzwiſchen kam das Geſchrey nach Veſon-
tio: daß Koͤnig Arioviſt mit einem maͤchtigen
Heere im Anzuge waͤre; die Fuͤrſten Naſua und
Cimber aber mit einem nicht geringern den Roͤ-
mern auflauerten. Wie nun die Heduer und
andern Gallier der Alemaͤnner Groͤſſe und
Streitbarkeit/ derer Angeſichter ſie nicht einſt
haͤtten vertragen koͤnnen/ heraus ſtriechen; in
dem wie der Mittag dem kalten Saturnus/
der die Menſchen tieffſinnig machte/ alſo der
kalte Nord dem feurigen Kriegs-Gotte unter-
worffen waͤre/ und durch die euſſerliche Kaͤlte
die innerliche Hitze beyſammen hielte; kam die
Roͤmer eine ſolche Furcht an: daß die Edlen
aus allerhand Fuͤrwand/ und inſonderheit/ weil
der Roͤmiſche Rath den Krieg wieder die Deut-
ſchen nie beliebt/ Arioviſt nichts verbrochen haͤt-
te/ und eines unrechten Krieges Ausſchlag
nichts als Verterben ſeyn koͤnte/ das Laͤger ver-
lieſſen; die aus Noth oder Scham zuruͤck blei-
benden aber ſich weibiſcher Thraͤnen nicht ent-
halten konten/ und ihren letzten Willen verſie-
gelten; die vernuͤnfftigſten ihre Zagheit mit der
gefaͤhrlichen Reiſe/ dicken Waͤldern/ und Ab-
gang der Lebens-Mittel verkleideten; ja end-
lich die zitternden Kriegs-Knechte ihren Obern
nicht mehr gehorſamten. Ob nun wol Caͤſar
durch allerhand Schein/ und fuͤrnehmlich: daß
der Rath ihm uͤber vier Legionen auf fuͤnff Jahr
lang die Verwaltung anvertrauet; alſo wieder
wen er zu kriegen fuͤr Recht und rathſam hielte/
heimgeſtellt/ Arioviſt zwar noch keine thaͤtliche
Feindſchafft wieder Rom veruͤbt; aber/ wie aus
ſeiner verweigeꝛten Unterꝛedung leicht zu ſchluͤſ-
ſen waͤre/ Gall und Gifft im Hertzen gekocht/
und durch ſein Mißtrauen ſeine Beleidigung
erkennet/ ja durch ſein bloſſes Auſſenbleiben ei-
nen Roͤmiſchen Feldherꝛn zu ſehr beſchimpfft/
und Rom beleidiget haͤtte/ ſein Beginnen zu
rechtfertigen; ſeinem Heere aber dadurch ein
Hertz einzureden verſuchte: daß die von ihnen
uͤberwundenen Helvetier mehrmahls denen A-
lemaͤnnern ob geſiegt haͤtten; die Gallier aber
bey der Stadt Amagetrobia von dem lange
eingeſchloſſenen und bey nahe zur Verzweife-
lung gebrachten Arioviſt mehr durch Argliſt als
Erſter Theil. K k k k k kTapfer-
[994[996]]Siebendes Buch
Tapfferkeit geſchlagen worden waͤren; ſeine
Unterthanen ihm wegen ſeiner Grauſamkeit
gram/ die Nachbarn wegen beſagter Unterdruͤ-
ckung heimlich feind/ die Deutſchen im fechten
groſſen theils nackt/ die Roͤmer gewaffnet waͤ-
ren; jene im Grimm/ dieſe mit Vernunfft ihren
Feind antaſteten/ und ihre groſſe Leiber zu Em-
pfahung/ der Roͤmer geſchickte Glieder aber zu
Beybringung der Wunden geſchickter waͤren;
ſo hoͤrten ſie ihn doch mit tauben Ohren/ und
gefrornem Hertzen; alſo: daß er theils die/ auff
welche er ein ſo groſſes Vertrauen ſetzte/ zu
großmuͤthiger Entſchluͤſſung mehr entzuͤndete/
theils die als fuꝛchtſam ihnen nachgeſetzten duꝛch
Scham zu Leiſtung ihrer Pflicht braͤchte/ ſich
verlauten ließ: Er wolte mit der einigen zehen-
den Legion Arioviſten die Stirne bieten/ und
entweder den Sieg erwerben/ oder das Leben
einbißen. Alles dieſes aber haͤtte nicht vermocht
denen/ die ſchon ein Haſen-Hertzim Buſem hat-
ten/ Bezeugungen der Loͤwen einzureden; weñ
nicht der Verraͤther ſeines Vaterlandes Divi-
tiak mit zwoͤlff tauſend Bojen/ Liſcus mit ſo viel
Heduern/ Divico mit zwantzig tauſend Helve-
tiern/ welchen die Alemaͤnner in ihrem Vater-
lande keinen Sitz hatten einraͤumen wollen/
Cavarin mit dreyßig tauſend Leuzern/ Lingo-
nen und Semnonern Caͤſarn zu Huͤlffe kom-
men waͤren; ja auch Divitiak ihn verſichert
haͤtte: daß er einen der fuͤrnehmſten Kriegs-
Oberſten des Koͤnigs Arioviſts durch die Liebe
ſeiner Tochter derogeſtalt gefaͤſſelt haͤtte: daß er
wieder ſie kein Glied regen/ ja ihnen vielmehr
ſelbſt den Sieg in die Haͤnde ſpielen wuͤrde.
So waͤre auch Arioviſtens eigener Bruder A-
dolf in die gefangene Tochter Orgetorichs
Theudelinda ſo ſehr verliebet: daß er ſie zu ei-
nem bequemen Werckzeuge ſeines Sieges ge-
brauchen koͤnte. Uber diß waͤren ihm in dieſen
Laͤndern/ ja in den tieffſten Wildnuͤßen alle
Fußſteige und Loͤcher ſo bekandt: daß ihnen
leicht niemand unverſehens uͤber den Hals kom-
men koͤnte. Mit dieſer verſammleten Macht
ruͤckte Caͤſar/ Divitiaks Wegweiſung nach/ A-
rioviſten entgegen; welcher den ſiebenden Tag
bey Naͤherung beyder Heere Caͤſarn wiſſen ließ:
Er waͤre nun dar/ entweder durch Unterredung
den Frieden zu unterhalten/ oder durch den
Degen den unrechtmaͤßigen Einfall abzuleh-
nen. Caͤſar/ ob er wol keine Eintracht/ ſondern
alleine den Krieg im Schilde fuͤhrte/ beliebte in
der Mitte beyder Heere auf einem in einer
Flaͤche liegenden Huͤgel eine Zuſammenkunfft/
Arioviſt nahm um keinem dem andern an Treu
und Tapfferkeit nachzuſetzen/ zu ſeiner Verſi-
cherung zehn aus ſo viel ihm gehorchenden Voͤl-
ckern erleſene Ritter/ Caͤſar aber ſo viel Roͤmer/
die er alle aus der zehenden Legion auslaaß und
zu Pferde ſetzte/ zu ſich; er ſtellte aber aus Miß-
trauen zwey hundert Schritte hinter einen Huͤ-
gel ſelbige gantze Legion. Wie nun Caͤſar bey
der Zuſammenkunfft ſich zwar uͤber der herꝛli-
chen Geſtalt Arioviſtens verwunderte; Gleich-
wol aber ſeinen vorigen Anmuthungen etwas
abzunehmen ihm verkleinerlich hielt; hingegen
Koͤnig Arioviſt ſich auf ſeine Hoheit und Recht/
und daß er die ihn daſelbſt zum erſten mit Kriege
antaſtenden Gallier durchs Kriegs-Recht be-
zwungen/ theils die ihn zum Schutzherꝛn frey-
willig erkieſenden ſich ihm unterwoꝛffen haͤtten/
gruͤndete. Dahero er ſeine Unterthanen ſo
wenig/ als die Roͤmer die nur unter ihren
Schirm genommenen/ ihm koͤnte abſpenſtig
machen laſſen. Waͤren die Heduer der Roͤmer
Bundsgenoſſen geweſt; haͤtten ſie ſelbte von
ſeiner Beleidigung abhalten ſollen; und waͤre
ihm nicht unbekandt: daß ſelbiger Bund mehr
in Worten als Wercken beſtanden/ beyde Voͤl-
cker auch ihre Freundſch afft vielmahl an Nagel
gehenckt haͤtten. Es waͤre genung: daß er der
Roͤmer den Heduern heimlich geleiſtete Huͤlffe
fuͤr keinen Friedens-Bruch auffgenommen; al-
ſo koͤnte er ohne ſeine Verkleinerung mehr Un-
recht nicht verſchmertzen; und da Caͤſar nicht
ſein
[995[997]]Arminius und Thußnelda.
ſein Gebiete raͤumte/ ihm anders nicht als ei-
nem Feinde begegnen; mit deſſen Blute er in
Rom viel Freundſchafften erwerben und beſie-
geln wuͤrde. Welche Stadt ohne diß mehr
ſeine nicht buͤrgerliche Gewalt einzuziehen/ als
auf Erweiterung des Reiches vorzuſinnen haͤt-
te/ und wol verſtuͤnde: daß durch Vergroͤſſerung
ein Reich nicht allezeit maͤchtiger/ ſondern wie
ein Schiff durch uͤbermaͤßige Groͤſſe unbeweg-
lich wuͤrde; und was man nicht umarmen koͤn-
te/ ſchwer zu behalten waͤre. Aber Caͤſar hat-
te hierzu taube Ohren/ und verfiel in die ſeltza-
men Gedancken: daß weil Quintus Fabius
lange fuͤr Arioviſten den Arverner und Rute-
ner Koͤnig Bituit geſchlagen haͤtte; waͤre den
Roͤmern fuͤr ihm ein Vorrecht uͤber Gallien
zugewachſen. Daher beyde mit groͤſſerm Eyver
von ſammen ſchieden; und der Fuͤrwand des
Friedens ſich in offenbaren Krieg erledigte.
Gleichwol aber trauete Caͤſar ihm nicht zu ſon-
der Argliſt mit Arioviſten anzubinden; ſondern
ſchickte auf Einrathen Divitiaks einen Fuͤrſten
des Narboniſchen Galliens Cajus Valerius
Procillus/ deſſen Vater Cajus Valerius Ca-
bur wegen Verkauffung ſeines Vaterlandes
vom Cajus Valerius Flaccus das Roͤmiſche
Buͤrger-Recht erworben hatte/ und den Mar-
cus Mettius/ welchem an Arioviſtens Hofe
groſſe Ehre wiederfahren/ und der gleichſam
fuͤr einen vom Hauſe gehalten worden war/ an
Arioviſten ab/ zwar unter dem Vorwand einen
Vertrag zu verſuchen/ in Wahrheit aber Si-
walden durch Divitiaks Schreiben/ darinnen
er ihm fuͤr Verrathung ſeines Herꝛen und Koͤ-
niges ſeine Tochter zur Eh und Belohnung
verſprach; des Koͤnigs eigenen Bruder A-
dolff aber/ durch Anreitzung Theudelindens/
Orgetorichs Tochter; welche um ihren Vater
aus der Dienſtbarkeit zu erretten/ in des geilen
Julius Willen hatte willigen muͤſſen/ zur Un-
treue zu verleiten. Denn nach dem die Laſter
wie Ketten an einander haͤngen; oder ein boß-
haffter Menſch/ der einmahl in Fall gerathen/
ſich ſelbſt nicht mehr hemmen kan; ſo verlernete
Theudelinde nach verl[o]hrner Keuſchheit auch
alle andere Tugenden; ſchrieb alſo dem Fuͤrſten
Adolff: Er ſolte nunmehr die Betheurung ſei-
ner unverfaͤlſchten Liebe im Wercke bezeugen;
und nach dem zeither Arioviſt der einige Ver-
hinderer ihrer Vergnuͤgung geweſt waͤre/ de-
nen Roͤmern den Sieg helffen zuſpielen; als
unter welcher Schatten ſie ihrer ſuͤſſen Liebe
nicht ohne Glantz der Ehre wuͤrden genuͤßen
koͤnnen. Alſo iſt die Geilheit eine rechte Zau-
bergerthe der Circe/ welche die Menſchen in
grauſamſte Raub-Thiere verwandelt; und die
Pforte zum Pfule aller andern Laſteꝛ. Procillus
und Mettius brachten den Heerfuͤhrer Siwald
durch ſeine blinde Liebe leicht in das Garn der
Verꝛaͤtherey; zu dem Fuͤrſten Adolff aber lieff
ein Helvetier uͤber/ und berichtete ihn: daß Caͤ-
ſar mit der in Manns-Tracht dem Laͤger fol-
genden Liſanue in einem Zelt ſchlieffe/ ſich in ei-
ner Saͤnffte tragen ließe/ und beyde wie Mann
und Weib zuſammen lebten. Uber diß haͤtte
er von einem Phoͤniciſchen Kauffmann zu
Maßilien fuͤr zwoͤlff tauſend Seſtertier zwey
Schnuren Perlen gekaufft/ derer eine er der
Servilia ſeiner heimlichen Buhlſchafft nach
Rom geſchickt/ die andere Theudelinden vereh-
ret. Wie nun Procillus auch dem Fuͤrſten A-
dolff an Puls fuͤhlete/ und bald von Liſanuen/
bald von der Guͤtigkeit Caͤſars/ von Gluͤckſe-
ligkeit der Roͤmiſchen Bundgenoſſen/ viel zu ſa-
gen wuſte/ der ſchlaue Adolff aber die Hefftig-
keit ſeiner Liebe/ die Haͤrte ſeines Bruders A-
rioviſtens gegen ihm beruͤhrte/ um den Procil-
lus deſto mehr auszuholen/ uͤberreichte er ihm
ein Schreiben von Theudelinden; und nach
dem dieſer es ohne einige Veraͤnderung des
Geſichtes ſchier durchleſen hatte/ brach er un-
vernuͤnfftig heraus: Caͤſar waͤre entſchloſſen
ihn zum Koͤnige uͤber die Alemaͤnner zu machen;
da er ihm zum Siege wieder Arioviſten verhelf-
K k k k k k 2fen
[996[998]]Siebendes Buch
fen wuͤrde. Hiermit konte ſich Adolff laͤnger
nicht enthalten; ſondern redete den Procillus
mit ernſthaffter Gebehrdung an: Verraͤther!
iſt es nicht genung: daß du und dein Vater
dein Vaterland verkaufft? giebſtu noch einen
Kupler des Hurenbalgs Theudelindens ab?
Meineſtu: daß Caͤſars Kebs-Weib einem deut-
ſchen Fuͤrſten zur Gemahlin wol tauge? und
traueſtu dir wol zu mich nicht nur zum Verraͤ-
ther Deutſchlandes/ ſondern auch zum Bruder-
Moͤrder zu machen? Adolff befahl auch alsbald
den Procillus in Hafft zu nehmen/ gieng zum
Koͤnige/ erzehlte ihm des Procillus Anmuthen/
und beſtaͤrckte es durch das Schreiben Theu-
delindens; in welchem ſie Adolffen fuͤrmahlete:
daß ſie ohne Arioviſtens Unter gang ihrer Liebe
nicht genuͤſſen; mit ſelbtem aber er zugleich den
Alemanniſchen Reichs-Stab in die Hand be-
kommen koͤnte. Arioviſt ward hieruͤber ſo er-
bittert: daß er den Procillus und Mettius in
Band und Eiſen ſchlagen; ihre Bedienten a-
ber in das Roͤmiſche Laͤger ſicher bringen ließ-
Ob nun wol Caͤſar durch einen andern Geſand-
ten ſolches fuͤr eine Verletzung des Voͤlcker-
Rechts/ welches die Geſandten fuͤr heilig und
unverſehrlich hielte/ auffnahm/ und mit Dreu-
en ihre Erledigung ſuchte; ſo antwortete doch
Arioviſt: das Recht ſeiner ſelbſt eigenen Be-
ſchirmung wieder Verraͤther und Meuchel-
Moͤrder waͤre viel aͤlter/ als die Freyheit der
Geſandten; darunter dieſe nicht waͤre: daß ſie
ohne Gefahr den Untergang eines Fuͤrſten ſu-
chen moͤchten; zu welchem ſie ſich unter dem
Schein angezielter Friedenshandlung einſpie-
leten. Auskundſchaffer und Verraͤther hoͤr-
ten den Augenblick/ als ſie wieder das natuͤrli-
che Recht etwas anfiengen/ auf Geſandten zu
ſeyn. Und da das Voͤlcker-Recht erlaubte wie-
der die Feinde eigene Rache auszuuͤben; lieffe
wieder die Vernunfft: daß man einem wieder
die viel aͤrgeren Verraͤther und Meuchelmoͤr-
der die Gewalt Urthel und Recht zu hegen/ be-
nehmen wolte. Arioviſt brach auch noch ſelbige[n]
Tag auf; und ſchlug ſein Laͤger zwey tauſend
Schritte unter einem Berge neben dem Fluſ-
ſe Alduadubis/ wo er ſich mit dem Allius ver-
einbart; zwey tauſend Schritte hinter Caͤſars
zwey verſchantzten Laͤgern; umb ihm die von
denen Sequanern und Heduern zukommende
Lebens-Mittel abzuſchneiden. Aus welcher
Urſache/ und weil ſeine. Wahrſagerinnen ihm
wiederriethen: daß er fuͤr dem neuen Monden
nach Art der Spartaner/ welche nicht fuͤr dem
Voll-Monden ihr Heer ins Feld fuͤhrten/ mit
dem Feinde nicht ſchlagen wolte/ er denn fuͤnff
Tage ſein Heer innen hielt/ nur aber taͤglich
durch die tapfferen Ritter Baden/ Artenberg
und Fryburg mit ſechs tauſend außerleſenen
Reutern/ und ſo viel hinten auff die Pferde ge-
nommenen Fuß-Kneꝛhten/ welche beym An-
fall von Pferden ſprungen/ und zu Fuße ihren
Feind antaſteten; hierauff/ wenn es noͤthig
ſchien/ ſich wieder auff die Pferde ſchwungen/
oder auch ſich mit einer Hand an den Meyn der
Pferde anhielten/ und ſelbten gleiche lieffen/
den Roͤmern und Galliern groſſen Schaden
zufuͤgte/ und daher den wegen verhinderter Zu-
fuhre bekuͤmmerten Caͤſar noͤthigte; daß er et-
liche Tage nach einander ſein Heer/ wiewol ver-
gebens/ in Schlacht-Ordnung ſtellte/ auch ei-
nes ſeiner Laͤger zuruͤcke fortruͤcken muſte. Wie
nun den ſiebenden Tag Caͤſar gegen den Abend
ſein Heer wieder in die Laͤger fuͤhrte/ fiel Her-
tzog Adolff/ die Grafen Habſpurg/ Kyburg/ E-
bersberg/ Solms und Falckenſtein mit dreyſ-
ſig tauſend Mann das kleinere Laͤger der Roͤ-
mer/ in welcher zwey Legionen und zwantzig
tauſend Gallier unter dem Divitiak waren/ ſo
grimmig an: daß nach Erlegung beyder Roͤ-
miſchen Oberſten und Verwundung Diviti-
aks/ wenn nicht der verraͤtheriſche Siwald mit
Fleiß die zehende Legion mit ſechs tauſend Lin-
gonen haͤtte durch/ und in das beſtuͤrmte Laͤger
kommen laſſen/ ſelbtes unzweiffelbar erobert
worden
[997[999]]Arminius und Thußnelda.
worden waͤre. Wie aber Caͤfar mit dieſen maͤch-
tigen Entſatz ſelbſt dahin kam/ muſte Fuͤrſt A-
dolff mit ſeinen durch langes Stuͤrmen abge-
matteten Kriegs-Leuten ſich nur zuruͤcke zie-
hen/ und das ſchon eroberte eine Thor mit groſ-
ſem Unwillen verlaſſen. Caͤſar/ welcher wol
ſahe: daß nichts/ als eine Schlacht die Roͤmer
aus ſo groſſer Gefahr erretten koͤnte; auch be-
ſorgte: daß aus Siwalds Verſehen endlich die
Verraͤtherey gemuthmaſt werden doͤrffte/ fuͤhr-
te den dritten Tag ſein Kriegs-Heer in einer
dreyfachen Schlacht-Ordnung biß unter das
deutſche Laͤger; welches den von vorigen gluͤck-
lichen Streichen allzuvermeſſenen Koͤnig A-
rioviſt/ ungeachtet es Hertzog Adolff und ande-
re Fuͤrſten beweglich wiederriethen/ und die
Wahrſagerinnen ihnen hieruͤber die Haare
ausraufften/ alſo das Kriegs-Volck wegen an-
gedeuteten Ungluͤcks nicht wenig beſtuͤꝛtzt mach-
ten/ bewegte: daß er ſein Heer zur Schlacht
aus dem Laͤger fuͤhrte. Jn die Mitte ſtellte
er die Marckmaͤnner/ und die von dem Fich-
telberge biß an die Donau wohnenden Haru-
der unter dem Grafen Salm des Tongriſchen
Hertzog Kolengs Brudern/ der Arioviſtens
Tochter Klotilde zur Eh hatte; welchem/ als
Kriegs-Oberſten/ die Grafen Habspurg/ E-
berſtein/ Sultz/ Leuchtenberg und Nellenburg
an der Hand ſtunden. Jn rechten Fluͤgel ka-
men zu ſtehen/ die zwiſchen dem Kocher/ Necker
und dem Meyn angeſeſſenen Seduſcer/ und
acht tauſend Catten/ unter den Grafen Loͤwen-
berg/ Lupf/ Sultzbach/ Dagsberg und Zerin-
gen; in lincken die uͤber dem Rheine wohnen-
den Tribozer/ Vangionen und Nemeter/ un-
ter den Grafen Pfyrt/ Brigantz/ Arberg/ Eich-
heim/ Dockenburg und Rangweil. Bey iedem
Hauffen waren zehn tauſend Alemaͤnner. Den
erſten fuͤhrte Arioviſt/ und der Herudiſche
Lehns-Fuͤrſt Gundomar; den andern Hertzog
Adolff/ und ein Cattiſcher Fuͤrſt Erpach/ deſ-
ſen Schweſter Arioviſt zur Eh hatte; den drit-
ten Siwald und Dornberg/ Arioviſtens Ober-
ſter Stallmeiſter. Hinter das Kriegs-Heer
machte er eine Wagenburg/ in der alles Geraͤ-
the und Frauen-Zimmer/ welches mit gefalte-
nen Haͤnden das Kriegs-Volck erſuchte: Es
moͤchte ſie nicht in Roͤmiſche Dienſtbarkeit ver-
fallen laſſen/ verwahret/ auch zugleich die Ge-
legenheit auszureiſſen verſchraͤnckt ward. Da-
ſelbſt ſtanden noch zehn tauſend Alemaͤnner un-
ter Arioviſtens Schweſter Sohne dem Fuͤrſten
Teck/ welcher den Tecktoſagen zu gebieten hat-
te/ zum Hinterhalt. Auff der Roͤmiſchen Sei-
ten hatte hingegen Caͤſar mit allem Fleiße ſich
gegen den lincken Fluͤgel und den Verraͤther
Siwald/ den Labienus Divitiak und der Lin-
gonen Hertzog dem Koͤnige Arioviſt/ Hertzog
Adolfen/ den Cotta/ Decimus Brutus/ und
der Leutzer Fuͤrſten entgegen geſtellet/ dem
Publius Craßus aber die Reuterey anver-
traut. Die Schlacht fieng mit groͤſter Ver-
bitterung beyder Theile an/ und dauerte mit
faſt verzweiffelter Hartnaͤckigkeit drey Stun-
den lang/ ſonder ein oder des andern Theiles
Vortheil. Denn ob wol die voran geſtellten
Gallier dort und dar in Unordnung gebracht
wurden; ſo verhinderten doch die hinter ihnen
ſtehenden Roͤmer ihre Flucht/ und traten mit
groſſer Hertzhafftigkeit in die Luͤcke. Hinge-
gen/ ob wol Siwald durch allerhand wiedrige
Anordnungen die Seinigen irre machte; ſo er-
ſetzte doch Dornbergs Tapfferkeit und kluge
Anſtalt ſeines Fuͤhrers Gebrechen; oder viel-
mehr Boßheit. Hierauff aber brach Her-
tzog Adolf mit ſeinem rechten Fluͤgel gegen
den Cotta und Brutus ſo gewaltig ein: daß
dieſe in gaͤntzliche Verwirrung geriethen.
Denn ob wohl die Roͤmer durch eine Krie-
ges-Liſt dieſem Fuͤrſten ein Bein unter-
zuſchlagen vermeinten; Da ſie nehmlich
einen ſtarcken Juͤngling zu Pferde ge-
ſetzt/ demſelben des Fuͤrſten Orgetorichs Helm
mit einem gekroͤnten See-Hunde hatten
K k k k k k 3auff-
[998[1000]]Siebendes Buch
auffſetzen/ in den Schild aber ein Venus-Bild
mahlen laſſen/ welche mit einem Fuſſe auff ei-
nen ſich empor windenden Drachen/ mit dem
andern auf eine Himmels-Kugel trat/ um wel-
ches zu leſen war: Liebe iſt ſtaͤrcker als
Neid und Ehrſucht; Da denn ieden Wor-
tes erſter Buchſtabe mit Gold und groͤſſer ge-
mahlt war/ daß der Liſanue Nahmen ſo viel
leichter ins Geſichte fallen koͤnte; ſo hatte doch
bey ihm die Eyverſucht gegen Caͤſarn alle Fun-
cken der Liebe vertilget; und opfferte ſein grim-
miges Schwerdt die vermeinte Liſanue ſeiner
grimmigen Rache auff. Cotta ward vom Gra-
fen Kalb/ Brutus vom Luͤtzelſtein verwundet;
der Ritter Werdenberg/ Cilien und Leuningen
eroberten drey Fahnen; ja der gantze Roͤmiſche
lincke Fluͤgel ward biß an das groſſe Laͤger ge-
trieben. Arioviſtus hatte in der Mitte ſchon
auch durch den Grafen Hanau einen Roͤmi-
ſchen Adler gewonnen/ und den von dem Ritter
Sarwerden verwundeten Labienus ſo ins Ge-
drange bracht: daß ſeine Ordnung auf allen
Seiten zu wancken anfieng. So bald Siwald
dieſes inne ward/ befahl er: daß die Helffte ſei-
nes lincken Fluͤgels ſich des Roͤmiſchen kleinern
Laͤgers bemaͤchtigen/ und alſo dem bereit fluͤch-
tigen Feinde die Entkommung uͤber den
Strom Alduasdubis abſchneiden ſolte. Er gab
ſelbſt dem Pferde die Sporne/ und enbloͤſte den
gantzen lincken Fluͤgel aller Reuterey. Und
nach dem er ſein Volck ohne Wiederſtand in
das mit Fleiß unbeſetzte Roͤmiſche Laͤger zum
Pluͤndern gebracht/ gieng er ſelbſt mit etlich
hundert Pferden zum Feinde uͤber. Alſo ward
der hertzhaffte Dornberg vom Caͤſar umringet;
uñ nachdem er nach empfangenen vielen Wun-
den nebſt den Rittern Rheinfeld/ Rappers-
weil/ Verlingen/ Beutelsbach/ Suſenberg/
Nidow/ Witgenſtein/ Sonnenberg/ Veldentz
und Jſenburg todt blieb/ der lincke deutſche Fluͤ-
gel zertrennet. Bey dieſer Gelegenheit kriegte
Publius Craßus Lufft: daß er mit fuͤnff tau-
ſend Reutern dem Cotta und Brutus zu Huͤlffe
kam/ alſo den Roͤmiſchen lincken Fluͤgel nicht
allein wieder zu Stande; ſondern auch/ weil
der verraͤtheriſche Siwald unter dem Scheine
ihm zubringender Huͤlffe den tapffern Fuͤrſten
Adolff mit einem Wurff-Spieſſe toͤdtete/ und
Erpach vom Craßus zu Boden gerennt ward/
die andern Kriegs-Oberſten Dachau/ Egens-
heim/ Zeringen/ Urach/ Waldburg/ Klin-
genberg/ Burgdorf/ Braunfels/ Leuchtenberg
und Wittelsbach nach hertzhaffter Gegenwehre
auch umkamen/ dieſen gantzen Fluͤgel in voller
Verwirrung biß an die Wagenburg trieb. All-
dieweil nun der Fuͤrſt Teck/ die Grafen Andey/
Thaley/ Schyr/ Moßbach/ Rietenberg und
Loͤwenſtein mit ihren zum Hinterhalt gelaſſenẽ
Alemaͤnnern dem deutſchen lincken Fluͤgel wie-
der Caͤſarn zu Huͤlffe kommen waren/ und alſo
daſelbſt alles bloß ſtand/ ergriffen Arioviſtens
zwey Gemahlinnen/ nehmlich Hatta des Cat-
tiſchen Hertzogs Arabar/ und Ermildis Koͤnig
Vocions Tochter/ wie auch Klotilde Salms
Gemahlin/ und Arioviſtens ſeine zwey unver-
maͤhlte Toͤchter Eunoͤe und Metha mit drey-
tauſend andern edlen Frauen die in der Wa-
genburg zur Verwahrung gelaſſenen Waffen;
fielen die dem fluͤchtigen rechten Fluͤgel in den
Eiſen liegende Roͤmer ſo verzweiffelt an: daß
ſie mit Huͤlffe derer herzu rennenden Ritter
Randeck/ Abensberg/ Hitpoltſtein/ Schaum-
burg/ Orlemund/ und Honſtein die Deutſchen
wieder zum Stande brachten/ und daſelbſt das
Treffen noch zwey Stunden waͤhrte. Endlich
aber wurden beyde Gemahlinnen Arioviſtens
durchſtochen/ Metha von Pferden zertreten/
Eunoͤe/ welche fuͤr Muͤdigkeit den Degen nicht
mehr halten konte/ wie auch nach Verluſt drey-
er Pferde der Hertzog Teck/ Graff Haßban/
Goͤrtz/ Waltey/ Simmern/ Bogen/ Kyrburg/
Spanheim/ Pfulendorff/ und Heiligenberg
gefangen; und alſo beyde Fluͤgel zu weichen ge-
zwungen/
[999[1001]]Arminius und Thußnelda.
zwungen/ iedoch Klotilde von ihrem ſich faſt
verzweiffelt durchſchlagenden Ehherꝛn geret-
tet. Arioviſt behielt nur noch ſeinen erſtẽ Stand/
welcher mit eigener Hand zehn Gallier/ und
darunter Divitiaks Sohn/ wie auch fuͤnff Roͤ-
mer erlegt hatte. Weil aber er auf beyden Sei-
ten bloß ſtand/ und Craßus auf einer/ Quintus
Titurius Sabinus auf der andern Seiten mit
der Reuterey einbrachen/ hierunter auch die
Grafen Wertheim/ Zweybruͤck/ Lengfeld/
Ror/ Buͤburg/ Julbach/ Pleßenburg/ Sinß-
heim/ Schildach/ Wandelburg/ Dilling/ Se-
yn/ Keßelberg/ und Thierſtein erlegt wurden/
beginnte die Schlacht-Ordnung nun auch zu
zerreiſſen. Gleichwol aber wolte Arioviſt lieber
ſterben als fliehen. Woruͤber er mit ſeinen hun-
dert Alemaͤnniſchen auff ſeinen Leib beſtellten
Grafen/ welche der Graf Fuͤrſtenberg/ Hohen-
loh/ Henneberg/ und Zimbern fuͤhrten/ deroge-
ſtalt ins Gedrange: daß er eine halbe Stunde
lang von ſeinem Heere gantz abgeſondert fechten
muſte/ und vier Pferde verlohr/ die ihm Noth-
hafft/ Werdenberg/ Wildenſtein/ und Juſtin-
gen vier tapfere Ritter mit Verluſt ihres Lebens
darreichten; Endlich aber brachen die Ritter
Wolckenſtein/ und Heydeck mit zwey tauſend
Pferden durch; und brachten/ iedoch mit Ver-
luſt der Ritter Beilſtein/ Ranßbergs/ Schwa-
becks/ Achalms/ Druchburgs/ Mindelheims/
Weißenhorns/ Bitſches/ und vieler tapfferer
Helden beyderſeits den Koͤnig zu ſeinem wei-
chenden Heere; welchem er ja endlich auff be-
wegliches Zureden der Seinen die Wagenburg
oͤffnen ließ/ und mit der itzt anbrechenden Nacht
den Roͤmern wiewol ohne offenbare Flucht/ und
mit ſtets gekehrtem Antlitze und beharrender
Gegenwehr das Feld raͤumte/ und ſich an das
Vogeſiſche Gebuͤrge gegen die Brunnen des
Fluſſes Lugnon ſetzte; allwo er von ſeinem Hee-
re funffzig tauſend Mann/ ungeachtet die Roͤ-
mer noch dreyßig darzu ſetzen/ mißte; am mei-
ſten aber ſeine zwey Gemahlinnen/ Toͤchter
und Bruder beklagte/ und ſeinen Weg durch
der Rauracker Aecker zuruͤck uͤber den Rhein
ſetzte. Wiewol ihm nun die Roͤmiſche Reute-
rey biß an ſelbigen Fluß folgte; geſchahe es doch
mehr zur Ruhmraͤthigkeit/ als daß ſie Ariovi-
ſten in ſeinem Hertzen anzutaſten entſchloſſen
waren. Bey welchem Verfolg ein Marck-
maͤnniſcher Ritter mit hundert Pferden an ei-
nem Furthe tauſend Roͤmiſche Reuter drey
Stunden lang aufhielt/ und von Arioviſten
deßhalben den Zunahmen Wolfarthshauſen;
der Ritter aber/ der der Gallier fuͤrnehmſtes
Kriegs-Zeichen noch davon brachte/ den Zu-
nahmen Rothfahn bekam. Die meiſten geblie-
benen Deutſchen waren die/ welche auf Si-
walds Verleitung das Roͤmiſche Laͤger pluͤn-
derten/ und unter der Laſt ihrer Beute das Le-
ben oder die Freyheit verlohren; wiewol ſie ſich
noch groſſen theils zu hunderten in einen Kreiß
zuſammen ſtellten/ mit ihren Schilden gleich-
ſam eine Mauer um ſich machten/ und theils
dem Feinde ihr Leben theuer verkaufften/ theils
auch ſich zu den ihrigen durch ſchlugen; und alſo
auff Seiten der Roͤmer und Gallier nicht we-
niger Todten als auf der Deutſchen Seite zu
zehlen waren. Daher auch Caͤſar/ und weil er
vernahm: daß die zwey Cattiſchen Fuͤrſten Na-
ſua und Cimber mit hundert tauſend Catten uͤ-
ber den Rhein ſetzten und denen Roͤmern die
Stirne bieten wolten/ nicht alleine mitten im
Sommer ſein abgemattetes Heer bey den Se-
quanern zur Winter-Raſt einlegte/ er aber am
Po zwey neue Legionen/ und durch die in Gal-
lien gewonnene Beute die Gemuͤther der Roͤ-
miſchen Buͤrger warb; ſondern auch/ weil er
vom Labienus vernahm: daß die Gallier des
Roͤmiſchen Jochs ſchon uͤberdruͤßig waren; und
inſonderheit die im Belgiſchen Gallien woh-
nenden Voͤlcker gegen ſo maͤchtige und ver-
daͤchtige Nachbarn ſtarcke Kriegs-Ruͤſtung an-
ſtellten/ und er derogeſtalt mit zweyen maͤchti-
gen Feinden ſich zu verwickeln nicht rath-
ſam
[1000[1002]]Siebendes Buch
ſam hielt/ Arioviſten einen Frieden antragen
ließ.
Weil nun inzwiſchen der Cherusker Hertzog
Aembrich mit der Catten Hertzoge Arabarn in
Krieg gerathen war/ alſo nicht nur Fuͤrſt Na-
ſua und Cimber mit ihrem Heere zuruͤck beruf-
fen wurden; die Ubier denen Catten auch be-
reit ins Land gefallen waren; uͤber diß Arioviſt
ſahe: daß er in den einheimiſchen Krieg wuͤrde
eingeflochten werden; hatte er wenig Beden-
cken den angebotenen Frieden mit Caͤſarn auff
die Bedingung zu ſchluͤſſen: daß er alleine des
Rechtes auff die Sequaner und Heduer ſich
verzeihen; alles uͤbrige/ was er in Gallien biß
an das Vogeſiſche Gebuͤrge gehabt/ behalten/
und die Gefangenen gegen einander ausge-
wechſelt werden ſolten. Alles ward auch voll-
zogen; auſſer: daß Caͤſar/ welcher alle Tage
neue Buhlſchafften ſuchte/ und mit dem erſten
Anblicke ſich in die gefangene Eunoͤe verliebt
hatte/ ſie in Jtalien vertuſchte; welche er hernach
durch tauſend Erfindungen zu ſeiner Liebe be-
wegte/ endlich ſie dem Mauritaniſchen Koͤnige
Bogud verheyrathete. Uber diß verneuerte
Caͤſar mit Hertzog Aembrichen ſein Buͤndnuͤß/
um den in Deutſchland entglimmenden Buͤr-
ger-Krieg ſo viel mehr zur Flamme zu bringen.
Denen Heduern halff er wieder zu der alten
Hoheit uͤber die Gallier; hingegen druͤckte er
die Sequaner/ welche vorher jenen lange Zeit
die Wage gehalten/ und endlich durch der
Deutſchen Huͤlffe den Meiſter geſpielet hatten.
Ob auch wol Fuͤrſt Taſget die an der Ligeris ge-
legene Stadt Genab und die darum wohnen-
den Carnuter/ Procillus die Caducker/ Cinge-
torich die Trevirer/ Comius die Atrebater/ Ol-
lovico die Nitiobriger/ und mehr andere ihre
Lands-Leute aus Ehrgeitz und Eigennutz zu
der Roͤmiſchen Dienſibarkeit verleiteten; ſo
wurden doch allen andern Galliern die Rhemeꝛ
fuͤr gezogen/ den Heduern faſt gleiche geſchaͤtzet;
weil ſie durch ihre drey Fuͤrſten den Jccius/ An-
tebrog/ und Vertiſcus bald nach Arioviſtens
Niederlage ſich auf Treu und Glauben Caͤſarn
untergaben; alſo: daß faſt alle andere Celtiſche
und Aquitaniſche Gallier/ die wegen alter
Feindſchafft mit den Heduern keine Gemein-
ſchafft hatten/ nunmehr ſich des Schirms der
Rhemer bedienten.
Jnzwiſchen kam zu Caͤſars mercklichem
Vortheil in Deutſchland die Kriegs-Flamme
wieder zu Schwunge. Denn ob wol Aembrich
nach uͤberwundenem Cattiſchen Hertzoge Ara-
bar ſeine Feld-Hauptmannſchafft uͤber die Qua-
den befeſtigte; ſo waren doch ſeine allzugroſſen
Siege die Urſache ihm groͤſſerer zuwachſenden
Noͤthen. Er verliebte ſich bey ſo wol gelun-
genen Streichen in ſein Gluͤcke: daß er weder
ſeinem Uberwinden/ noch ſeiner Rache ein Ziel
ſetzte; da doch das Gluͤcke niemahls weniger/
als bey Vermengung der Waffen die Farbe
haͤlt. Wie nun derogeſtalt Hertzog Aembrich/
ungeachtet des Britanniſchen Koͤnigs Caßibel-
lin/ ja ſelbſt des Hermunduriſchen Fuͤrſten Bri-
to beweglicher Vorſchrifft/ unerbittlich war A-
rabarn ein Theil ſeiner Laͤnder wieder einzu-
raͤumen; ja er nicht allein auf der ihm Tag und
Nacht in Ohren liegender Druyden unabſetzli-
ches Anhalten ihnen alle vorhin gewiedmete
Eichwaͤlder bey den Catten und Vangionen
einraͤumete/ ſondern auch eben dieſe dem Fuͤr-
ſten Brito/ welcher doch zu ſeinen Siegen ein
groſſes beygetragen hatte/ anſprach; die Bar-
den und Eubagen aber allenthalben druͤckte
und vertrieb; lud er deßwegen nicht allein des
halben Deutſchland Haß auf ſich; ſondern auch
die/ welche denen Druyden beypflichteten/ und
denen Catten keinen andern Fuͤrſten ihres Ge-
bluͤtes fuͤrſetzen ſahen/ faſten einen Argwohn:
daß Aembrich uͤber gantz Deutſchland eine un-
verſchraͤnckte Gewalt zu erlangen im Schilde
fuͤhrte. Gleichwol aber hielt die Furcht fuͤr dem
in Deutſchland und Gallien ſo ſieghafften U-
berwinder alle Schwerdter in der Scheide;
und
[1001[1003]]Arminius und Thußnelda.
und ihre Ungedult muſte ſich allein mit heimli-
chen Seuffzern abkuͤhlen. Die Druyden wur-
den hierbey uͤbermuͤthig/ und wuͤteten wieder
die Barden und Eubagen mit Schwerdt und
Feuer. Die Cheruskiſchen Befehlhaber ent-
ſetzten nicht nur die/ welche Arabarn angehan-
gen/ ihrer Stamm-Guͤter; ſondern ſie zaͤhle-
ten auch die unter die Aufruͤhrer/ derer Ver-
moͤgen ſie in die Augen ſtach. Wiewol nun
der Feld-Herꝛ Aembrich von dieſen Bedraͤng-
nuͤßen wenig wuſte; ſo ward doch dem Fuͤrſten
alle Schuld nicht anders/ als der verfinſterten
Sonne Mißwachs und Kranckheiten zuge-
ſchrieben. Jnſonderheit fiel die Beſchwer wie-
der Terbaln einen Marcomanniſchen Edel-
mann/ welchem Hertzog Aembrich die gantze
Kriegs-Macht mit der Gewalt Krieg zu fuͤh-
ren/ Frieden und Buͤndnuͤße zu ſchluͤſſen/ mit
denen Uberwundenen nach eigner Willkuͤhr
zu gebahren anvertrauet hatte. Denn die-
ſer maͤßigte ſein Thun nicht nach den Schran-
cken eines Dieners; ſondern um den ihm an-
vertrauten Kreiß eines Fuͤrſten zu erfuͤllen
drehte er alles oberſte zu unterſte. Hertzog
Zeno fieng an: Er hielte es fuͤr den groͤſten
Fehler eines Fuͤrſten; wenn er einem Diener
ſo Treu und Glauben-verdienet er gleich waͤ-
re/ das Hefft ſeiner Herrſchafft/ und diß/ was
einen zum Fuͤrſten macht/ in die Hand gaͤbe.
Denn/ nach dem die oberſte Gewalt ſo wenig
unvermindert in zweyen Haͤuptern/ als die Er-
leuchtung der Welt in zweyen Sonnen beſte-
hen koͤnte/ machte ein ſolcher Fuͤrſt ſich zum
Leibeigenen ſeines Knechtes. Dieſer aber zuͤ-
ge die Gemuͤther der Unterthanen an ſich/ ver-
ſteckte fuͤr dem Fuͤrſten alle Reichs-Geſchaͤff-
te; und brauchte ſich deſſelbten nur als eines
Schattens; welcher ſeinen Glantz mehr ſicht-
bar machte. Unter dem Scheine ſuͤſſer Ruh
ſperrete er ihn in den Kercker der Ziergaͤrte
ein; und kein Menſch doͤrffte ſich erkuͤhnen
bey ihm Verhoͤr zu ſuchen/ kein anderer Die-
ner ihn einiges Jrrthums zu erinnern. Frem-
de Geſandten verehreten taͤglich die Thuͤr-
Schwelle eines ſo maͤchtigen Knechtes; und
vergaͤſſen dabey dem Koͤniglichen Stule die
geringſte Ehrerbietung zu erzeigen. Der
Fuͤrſt verliebte ſich ſelbſt ſo unmaͤßig in dieſen
unaͤchtigen Fuͤrſten; wie ein geiler Ehmann
in ſein Kebs-Weib. Da doch dieſer/ ie groͤſ-
ſer und ſtaͤrcker er wird/ ſeine Zuneigung
vom Fuͤrſten/ wie der erſtarrende Eppich die
Aeſte von dem Stamme/ daran er ſich bey ſei-
ner Schwaͤche gehalten/ abzeucht/ entweder
aus Beyſorge: daß ſein annahender Fall ihn
nicht zu Bodem reiſſe; oder aus Haß: weil
er durch uͤbermaͤßige Wolthaten ſein Feind
worden. Und daher ihn anfangs bey ſei-
nem Volcke vergaͤllet; hernach wohl gar den
Degen gegen ihm gezuͤcket. Dieſemnach
denn ein Fuͤrſt auch die bloſſen Eitelkeiten/
welche ihm zugeeignet waͤren/ mit ſeinem
Diener nicht gemein machen ſolte. Denn der
Fuͤrſten Ehre wuͤrde nichts minder durch glei-
che Ehrerbietung der Heuchler; als das groſ-
ſe Auge der Welt durch aus lauter Duͤnſten
beſtehende Neben-Sonnen verſtellet. Fuͤrſt
Malovend gab dem Zeno alſofort Beyfall;
und erzehlte ferner: Der Unwillen erwuchs
hieruͤber nicht nur bey dem gedruͤckten Adel/
ſondern auch bey dem unbeſonnenen Poͤfel/
welcher weder kuͤnftige Gefahr wahrnim̃t/ noch
ſeine Gemuͤths-Regungen lange veꝛbeꝛgen kan;
alſo: daß ſolche alſofort in einen Auffſtand aus-
ſchlugen. Wiewol nun dieſeꝛ ohne ein taugliches
Haupt erregte Schwarm zeitlich gedaͤmpfft
ward; ſo war doch denẽ Haͤuptern Deutſchlands
ihr Argwohn uñ Mißgunſt gegen den Feldherꝛn
Aembrich nicht zu benehmen; ſonderlich: da des
Koͤnigs Arioviſt/ des Hermunduriſchen und
Longobardiſchen Hertzogs bewegliche Bitte fuͤr
ihren vertriebenen Vetter Arabar ſo gar nichts
Erſter Theil. L l l l l lfruchte-
[1002[1004]]Siebendes Buch
fruchtete/ ſondern ſeine Laͤnder und Wuͤrden
der Ubier Hertzoge eingeraͤumet wurden. Die
zwey uͤber gangenen Cattiſchen Fuͤrſten Naſua
und Cimber zohen Hertzog Aembrichs Begin-
nen nicht fuͤr eine Beſtraffung des Fuͤrſten A-
rabar/ ſondern fuͤr eine gaͤntzliche Unterdru-
ckung des Cattiſchen Hauſes an/ welches ieder-
zeit mit dem Cheruskiſchen um das Alterthum
und die Hoheit geſtritten haͤtte. Und weil ſie
ſo viel truͤbe Wolcken ſich gegen den Feldherꝛn
Aembrich zuſammen ziehen ſahen/ wurden ſie
ſchluͤßig ihnen mit dem Degen Recht zu ver-
helffen/ und das Cattiſche Hauß in den alten
Glantz zu erheben. Sie hatten zeither dem
Spiele in Deutſchland mehr zugeſehen/ als ſich
eingemiſcht/ und die unter ihren Fahnen ſte-
henden Catten zu dem beſtim̃ten Einbruche in
Gallien fertig gehalten. Nunmehr aber ſchlu-
gen ſie loß/ und brachen in Hoffnung der Che-
rusker Macht zu zertheilen und ſo viel mehr
Anhang zu bekommen/ an zweyen Orten in des
Hertzogen Aembrichs Gebiete ein. Caßibel-
lin der Britannier Hertzog ſammlete auch ein
maͤchtiges Heer/ um ſelbtes an der Emſe dem
Hertzoge Arabar ſeinem Eydame zu Dienſte
wieder die Cherusker auszuſetzen. Es verliebte
ſich aber des Koͤnigs Sohn Segonach zu Her-
tzog Aembrichs groſſem Gluͤcke in ſeines Bru-
ders/ des Eburoniſchen Hertzogs/ Cativulck
Tochter; welcher denn/ wie wenig Zuneigung
er gleich zum Fuͤrſten Segonach trug; ihn mit
langweiligen Heyraths-Bedingungen auf- und
alſo den Einfall in Deutſchland zuruͤck hielt;
endlich aber/ als Caßibellin die Wiedereinſe-
tzung ſeines Eydams Arabars bey denen Cat-
ten mit einzuſchluͤſſen verlangte/ des Fuͤrſten
Heyraths-Unterhandlung auf einmahl ab-
brach. Weil nun derogeſtalt Naſua und Cim-
ber auf beyden Seiten bloß ſtanden/ hingegen
Hertzog Aembrich den Naſua/ der Ubier Her-
tzog Cimbern mit groſſer Krieges-Macht auff
den Halß drungen; muſten ſie nach ziemlichem
Verluſt unverrichteter Sachẽ zuꝛuͤcke weichen.
Koͤnig Caßibellin in Britannien/ und Fried-
lev/ der Cimbern Hertzog/ verbanden ſich hier-
auf zwar wieder Aembrichen auffs neue; jener/
weil er durch den Cattivulck ſich und ſeinen
Sohn geaͤffet zu ſeyn klagte; dieſer/ weil Go-
tar der Svioner Koͤnig wieder die Hirren und
Eſtier ſeine Kriegs-Macht uͤbergeſchifft hatte.
Alleine der Feldherr verband ihm den Hertzog
der Chautzen/ welche des Caßibellins Anlen-
dung mit tapfferer Gegenwehr verhinderten;
und nach dem er theils durch Sturm/ theils
durch Unerfahrenheit der Schiffs-Leute/ wel-
che mit vielen Schiffen auf den Chauziſchen
Sandbaͤncken bey der Epp ſitzen blieben/ einen
groſſen Schaden gelitten/ unverrichteteꝛ Sache
zuruͤck ſegeln muſte. Der tapffere Koͤnig Fried-
lev nahm zwar oͤffentlich nicht die Sache des
Fuͤrſten Arabars auf ſich; weil die meiſten Fuͤr-
ſten Deutſchlands endlich ſeine Verſtoſſung ge-
billiget hatten; ſondern er beſchwerte ſich allei-
ne: daß Aembrich Sarmatiſche Huͤlffs-Voͤl-
cker in Deutſchland gefuͤhret; und ungeachtet
ſich wieder ihn kein Feind ſehen lieſſe; Arabar/
Naſua und Cimber auch aus Deutſchland ver-
trieben waͤren/ er dennoch ſeiner befreundeten
Fuͤrſten der Varinen Angeln/ Cavionen/ Cha-
maver und Angrivarier Laͤnder mit ſchweren
Beſatzungen plagte; derer Treue gegen das
Cheruskiſche Hauß keine ſolche Buͤrde/ ihr
Nothſtand aber ſein Mitleiden verdiente. Wie
nun Aembrich als Feldherꝛ ihm in Deutſchland
in dem/ was er zu Verſicherung des Reichs an-
gezielt meinte/ nichts vorſchreiben laſſen/ alſo
die Beſatzungen nicht abfuͤhren wolte/ kam es
zu oͤffentlichem Kriege. Alleine das Verhaͤng-
nuͤß/ oder die aberglaͤubiſche Ausdeutung zufaͤl-
liger Dinge wahrſagte dem hertzhafften Fried-
lev einen traurigen Ausgang des Krieges; in
dem er mit ſeinem Pferde des Nachts in einen
tieffen Graben ſtuͤrtzte; darinnen das Pferd um/
er aber allererſt nach zweyen Tagen wieder zu
ſeinem
[1003[1005]]Arminius und Thußnelda.
ſeinem Verſtande und Sprache kam. Denn
ob wol das leichtglaͤubige Volck zufaͤllige und
natuͤrliche Begebenheiten ins gemein fuͤr nach-
denckliche Zeichen annimmt; gleich als wenn
Fuͤrſten nicht allein uͤber den Staub des gemei-
nen Volckes/ ſondern auch uͤber Zufaͤlle und
Schwachheiten erhoben waͤren; ſo iſt doch nicht
gaͤntzlich zu verwerffen: daß die goͤttliche Fuͤr-
ſorge mehrmahls die Menſchen durch unge-
meine Begebenheiten fuͤr Schaden warnige/
und zur Vorſicht aufmuntere. Der Ausgang
machte dieſes mahl die Auslegung wahr. Denn
der ſonſt ſo kluge Friedlev hatte in dieſem Kriege
weder Stern noch Gluͤcke. Die vernuͤnfftig-
ſten Rathſchlaͤge giengen den Krebsgang; und
denen hurtigſten Entſchluͤſſungen hieb die Na-
tur oder ein Zufall einen Span ein. Gleichen
Unſtern hatten auch die zwey Cattiſchen Fuͤrſten
Naſua und Cimber; welche bey dieſer Gele-
genheit mit zweyen neuen Heeren in Deutſch-
land einbrachen. Naſua ward von Terbaln
einem Marckmaͤnniſchen Edelmanne/ dem
Aembrich ſeiner Kriegs-Wiſſenſchafft halber
eines ſeiner Krieges-Heere anvertrauet hatte/
als er uͤber die Elbe zu den Marſingen und O-
ſen dringen/ und von dem Koͤnige der Dacier
Decebaln Huͤlffe an ſich ziehen wolte/ geſchla-
gen. Wiewol er ſich gleichwol wieder erholte/
und biß zu denen Jazygen durchbrach/ allwo
der ihm nachfolgende Terbal durch Hunger
und Kranckheiten ſein gantzes Heer/ Naſua a-
ber ſein Leben einbuͤſte. Der kuͤhne Fuͤrſt Cim-
ber/ nach dem er die Cherusker durch oͤfftere
Einfaͤlle abgemattet hatte/ kam auch fruͤh zeitig
durch eine gifftige Seuche ins Grab. Koͤnig
Friedlev aber verfiel mit dem Feldherrn Aem-
brich unter dem Semanniſchen Walde in eine
blutige Schlacht/ in welcher die Cherusker
zweymahl zum Weichen gedrungen wurden/
gleichwol aber endlich durch die Tapfferkeit ih-
res Fuͤrſten den Sieg erhielten. Dieſem Ver-
luſte folgte eine neue Niederlage der bey den
Lygiern eingeſeſſenen Cimbern/ welche Ter-
bal ſo gar uͤber die Peuciniſchen Graͤntzen ver-
folgte; Der Cimbriſche Koͤnig aber ward von
dreyen maͤchtigen Heeren des Aembrichs in die
Graͤntzen ſeines Gebietes zwiſchen den groſſen
und Codaniſchen Meere getrieben; allwo der
Donner zu einem neuen Schrecken ſeiner drey
und zwantzig Vorfahren auffgerichtete Ge-
daͤchtnuͤß-Saͤulen auf den Bodem warff und
zerſchmetterte. Welcher Zufall nicht wenig
zu einem Frieden zwiſchen den Cheruskern und
Cimbern halff; durch welchen Aembrich ſich
nichts minder in der Welt in groſſes Anſehen;
als in Deutſchland ſeine Macht auf feſten Fuß
ſetzte.
Der Rauch von dieſer Krieges-Flamme ver-
duͤſterte die Augen der Deutſchen derogeſtalt:
daß ſie nicht ſahen/ was mit denen Roͤmern in
Gallien ihnen fuͤr eine gefaͤhrliche Nachbar-
ſchafft zuhieng; und was uͤber ihre Lands-Leu-
te im Belgiſchen Gallien fuͤr ein Gewitter auf-
zoh. Denn die Belgen/ welche meiſt alle aus
Deutſchland dahin kommen waren/ und die al-
ten Gallier vertrieben hatten/ ſahen wol: daß
der herꝛſchſuͤchtige Caͤſar nach uͤberwundenen
Galliern auch ſie antaſten wuͤrde; zumahl er
uͤber vorige ſechs/ noch zwey Legionen in dem
nunmehr willig dienenden Gallien werben/
und aus denen uͤberwundenen Gallieꝛn die hur-
tigſten Juͤnglinge zu Huͤlffs-Voͤlckern ausmu-
ſtern und unterſtecken ließ. Boduognat der
tapffern Nervier Hertzog am Fluſſe Sabis/
welcher wie die Catten und nach dem Beyſpiele
der Locrenſer/ und dem Geſetze ihres Zalevcus
in ſein Gebiete keinen fremden Kauffmann/ we-
niger Wein/ Gewuͤrtze/ Balſam/ oder einige
zur Uppigkeit dienende Wahren kommen ließ/
und der mit dem deutſchen Uhrſprunge auch die
Liebe der Feꝛyheit behielt/ waꝛ der eꝛſte/ der nicht
allein auf allen Fall ſich in Kriegs-Verfaſſung
ſtellte; ſondern auch den Hertzog der Bellova-
ken/ welche von ihren alten Bundsverwandten
L l l l l l 2den
[1004[1006]]Siebendes Buch
den Heduern ſich in Roͤmiſchen Schutz zu geben
beredet werden wolten/ und den Hertzog Gal-
ba der Sveſſoner/ welche die Rhemer zu gleich-
maͤßiger Dienſtbarkeit zu verleiten vermeinten/
wieder auf beſſere Gedancken und zu einem ge-
meinen Buͤndnuͤße fuͤr die Freyheit brachte.
Dieſe uñ kein andeꝛ Abſehen veꝛknuͤpfte alle ein-
ander vormals oft wiedrige zwiſchen der Maaß
und dem Rheine wohnenden Deutſchen/ nem-
lich die Condruſer/ Eburoner/ Cereſer und Paͤ-
maner/ wie auch die Mornier/ Atrebaler/ Am-
bianer/ Menapier/ Caleter/ Velocaſſer und
Veromanduer. Denn die guͤldne Freyheit
iſt nir gends/ als in Deutſchland zu Hauſe; bey
andern Voͤlckern reiſet ſie nur durch/ oder wo
ſie nicht gar eine Fremdlingin iſt/ verkleidet ſich
die Dienſtbarkeit nur in ihren Rock. Daher
war auch niemand/ derſich anderes Abſehen o-
der Vortheil von Beſchirmung dieſes herrli-
chen Kleinodes abhalten ließ; weil ſie wol wu-
ſten: daß ſelbtes nach einmahligem Verluſte ſo
wenig als die Jungfrauſchafft wiederbringlich
waͤre. Dieſe zu ihrer Sicherheit angeſehene
Vereinigung verriethen die Senoner Caͤſarn/
und der Rhemer zwey Fuͤrſten Jecius und An-
tebrog; machten ihm die Uberwindung der
Deutſchen/ welche ohne diß dieſe Laͤnder mit
Unrecht beſaͤſſen/ gantzleichte; alſo: daß er die
bloſſe Beyſorge eines Uberfalls fuͤr eine erheb-
liche Urſache hielt die Belgen zu bekriegen. Di-
vitiak gieng mit viertzig tauſend Heduern und
Galliern uͤber die Seene/ und verheerte mit
Feuer und Schwerdt der Bellovaker Gebiete.
Jccius und Antebrog fielen mit viertzig tau-
ſend Rhemern und Senonern den Sveſſonern
ein; Caͤſar aber folgte mit acht Legionen/ und
hundert tauſend Galliern. Hiermit grieffen
die Belgen zu denen abgenoͤthigten Waffen/
und machten der Sveſſoner Hertzog Galba
wegen ſeiner Gerechtigkeit und Klugheit zu ih-
rem Feldherꝛn. Weil nun der Bellovaken Her-
tzog mit ſeinem Kriegs-Volcke zu dem allgemei-
nen Heere geſtoſſen war/ hauſete Divitiak nach
Belieben; Galba aber begegnete denen zur
Dienſtbarkeit nicht nur gebohrnen/ ſondern
auch nun zu ihrem Werckzeuge gebrauchten
Galliern bey Minaticum derogeſtalt: daß Fuͤrſt
Antebrog mit zwantzig tauſend Mann auff
dem Platze blieb/ zehn tauſend gefangen wur-
den/ und Jccius mit Noth ſich nach Bibrach
fluͤchtete. Jn dieſer ward er von den Belgen
belaͤgert/ und nun faſt zur Ubergabe gebracht;
als inzwiſchen Caͤſar von dem Fluſſe Axona mit
ſeinem gantzen Heere ankam/ die Bruͤcke bey
Murenna durch den Titurius Sabinus beſetz-
te/ den Belaͤgerten aber tauſend Numidiſche
Reuter/ zwey tauſend Cretenſiſche Bogenſchuͤ-
tzen/ und ſo viel Baleariſche Schleuderer zu-
ſchickte/ welche durch die Rhemiſchen Wegwei-
ſer um Mitternacht gluͤcklich in Bibrach ge-
bracht wurden; worvon Hertzog Galba ohne
diß ſchon gegen Caͤſars Laͤger abgezogen war/
und nur zwoͤlff tauſend Sveſſoner zur Belaͤge-
rung hinterlaſſen hatte; Nach erlangtem Ent-
ſatz zohen die Belaͤgerer zwar ab; iedoch verwuͤ-
ſteten ſie das Rhemiſche Gebiete um den Roͤ-
mern die Lebens-Mittel zu vermindern. Gal-
ba/ Boduognat/ und die andern Fuͤrſten ſetzten
ſich hierauff fuͤr Caͤſars Laͤger/ welches er mit
vielen Bollwercken/ tieffen Graͤben und Thuͤr-
men befeſtigte/ und zu Lieferung einer Schlacht
nicht zu bewegen war. Nach dem die Belgen
auch uͤber den allenthalben ſtarck beſetzten Fluß
Axona ſonder groſſen Venluſt nicht durchbre-
chen/ noch Caͤſarn die von denen Galliern auff
allen Seiten zugefuͤhrten Lebens-Mittel ab-
ſchneiden konten; uͤber diß die Deutſchen denen
unter ihnen vermengten Galliern/ von derer
heimlichen Verſtaͤndnuͤß allbereit nachdenckli-
che Muthmaſſungen ſich ereigneten/ nicht trau-
ten/ und die Bellovaken Diritiaks Einfall in
ihr Land vernahmen; ward beſchloſſen ſich zu-
ruͤck zu ziehen; und dem/ welcher von Caͤſarn
am erſten wuͤrde angetaſtet werden/ mit ſchleu-
niger
[1005[1007]]Arminius und Thußnelda.
niger Huͤlffe beyzuſpringen. Caͤſar wagte ſich
nicht aus Beyſorge einer Kriegs-Liſt die Bel-
gen zu verfolgen; außer: daß Pedius und Cot-
ta mit der Reuterey ein Theil des Troſſes ereil-
te. Wie er aber des gaͤntzlichen Abzuges ver-
ſichert war/ und die einfaͤltigen Trevirer ſich
nicht nur vom Jccius den Roͤmern ſich zu erge-
ben bereden lieſſen; ſondern auch Caͤſarn ſechs-
tauſend wol ausgeruͤſtete Reuter zu Huͤlfe ſchick-
ten/ ruͤckte er uͤber den Fluß Aeſia/ welchen des
Galba mit Roͤmiſchen Golde beſtochener
Kriegs-Oberſter Sambom mit zehen tauſend
Mann zu beſchirmen beſtellt war/ aber unter
dem Fuͤrwand eines erlangten Befehles ſchaͤnd-
lich verließ/ in der Sveſſoner Land fuͤr die Stadt
Novidun/ in welcher des Galba zwey tapffere
Soͤhne ſich biß auf den letzten Bluts-Tropffen
zu wehren entſchloſſen; ungeachtet die Belaͤ-
gerten mit Verwunderung anſchauten/ wie die
Roͤmeꝛ eine Menge beweglicher und die Stadt-
Mauern weit uͤberhoͤhender Thuͤrme anſcho-
ben. Alleine die von Caͤſarn und den Rhemern
entweder beſtochene oder verzagte Kriegs-Ober-
ſten brachten den furchtſamen Poͤfel dahin: daß
ſie nicht nur dem Feinde die Thore oͤffneten/
ſondern auch des hertzhaften Galba zwey Soͤh-
ne in Eiſen ſchlugen/ und ſich mit ihnen in die
Dienſtbarkeit liefferten. Gleicher Meyneyd
ſpielte auch die Haupt-Stadt der Bellovaker
Bratuſpantium Caͤſarn in die Haͤnde. Denn ob
ſchon dieſer Stadt Einwohner den Divitiak
mit ſeinen Heduern aus dem Felde geſchlagen/
und ihn bey Rhotomagus uͤber die Seene zu
weichen gezwungen hatten/ wuſte doch der Ver-
raͤther ſeines Vaterlandes Torgo die Einwoh-
ner durch ſeine Kuͤnſte ſolcher Geſtalt zu bethoͤ-
ren: daß ſie Caͤſarn zwantzig taufend Schritte
weit die Schluͤſſel der Stadt entgegen trugen/
die Weiber und aufgeputzten Knaben ihren
Feind mit Streuung Gebluͤmes/ und entgegen
geſtreckten Armen gleich als ihren Erloͤſer be-
willkom̃ten. Alſo ſetzet die Heucheley Raͤubern
Kraͤntze von Lorbern/ wie der Undanck ihren
Wolthaͤtern von Eiben Laube auf. Die Ver-
raͤtherey aber weiß die Feſſel der Dienſtbarkeit
ſo zu verguͤlden: daß die Bethoͤrten ſie ihnen
ſelbſt als koͤſtliche Geſchmeide mit Freuden an
den Hals haͤngen. Auf dieſe Art ergaben ſich
auch die einfaͤltigen Ambianen; welche in Gal-
lien nichts minder die Liebe der Freyheit verler-
net/ als ihren deutſchen Uhrſprung vergeſſen
hatten. Die nichts minder ſcharffſichtigen/ als
tapfferen Bellovaken aber wolten weder des
knechtiſchen Divitiaks Schmeichel-Worten
trauen/ noch dem Roͤmiſchen Joche ihre Achſeln
unterwerffen. Daher fiel der gantze Schwall
der Roͤmiſchen und Galliſchen Macht ihnen
auf den Hals. Caͤſar grieff ſie an dem Fluſſe
Phradis an. Weil ſie nun ein viel zu ſchwacher
Tamm waren den reiſſenden Strom der gan-
tzen Roͤmiſchen Macht aufzuhalten; hielten ſie
fuͤr beſſer das gewonnene Land als die Freyheit
einzubuͤßen/ und daher fluͤchteten ſie ſich uͤbers
Meer in Britannien/ und zernichteten alles/
was ſie nicht mitnehmen kunten.
Wiewol nun ſo viel Untreue und Verraͤthe-
rey die Belgen in hoͤchſte Verwirrung ſetzten;
in dem faſt niemand mehr einen treuen Lands-
Mañ oder Todfeind zu unteꝛſcheiden wuſte; ließ
doch der tapffere Boduognat weder Hertze noch
Hand ſincken; deſſen Vor-Eltern aus dem
Fuͤrſtlichen Cattiſchen Gebluͤte auch die Nervieꝛ
aus Deutſchland an den Fluß Sabis gebracht/
und wieder die Unterdruͤckung der Celten und
Britannier mit Darſetzung ihres Blutes ver-
theidigt hatten. Dieſer verſetzte alle unwehr-
bare Weiber und Kinder zwiſchen die Suͤmpfe/
ſtellte ſich mit ſeinen Nerviern nebſt etlichen tau-
ſend Atrebatern uñ Veromanduern an den Fluß
Sabis in einen Wald; umzaͤunete die heꝛum lie-
gende Gegend mit dickẽ Hecken: daß keine Reu-
terey ihn leicht ausſpuͤren konte. Wie nun Caͤſar
nicht weit darvon ſich lagerte/ und ſein Heer in
Befeſtigung des Lagers beſchaͤfftiget war/ fiel
L l l l l l 3Hertzog
[1006[1008]]Siebendes Buch
Hertzog Boduognat mit groſſer Tapfferkeit
und Geſchwindigkeit an dreyen Orten ſeinen
Feind an: daß Caͤſar/ ob er vor die Schlacht-
Ordnung machen/ oder den Haupt-Adler auf-
ſtecken/ oder das Wort geben ſolte/ nicht wuſte/
die Oberſten ihre Federn/ die Haupt-Leute ihre
Helme nicht auffſetzen/ die Faͤhnriche ihre Baͤ-
ren-Haͤute umzunehmen/ die Kriegs-Knechte
die Decken von Schilden abzunehmen nicht
Zeit hatten; ſondern ieder nicht ſeinem/ ſondern
zu dem nechſten und beſten Fahne zulauffen/
und/ wie es der Zufall traff/ fechten muſte. Die
Atrebater/ welche Graf Egmont fuͤhrte/ hatten
zwar anfangs den haͤrtſten Stand/ und traffen
auf die neundte und zehende Legion/ als welche
in Bereitſchafft geſtanden hatten/ und von Caͤ-
ſarn ſelbſt angefuͤhrt wurden. Gleicher Ge-
ſtalt machte Labienus mit der eilfften und ach-
ten Legion denen unter des Ritters Areſchott
Anfuͤhrung ſtreitenden Veromanduern nicht
wenig zu ſchaffen; alſo: daß jene ſo gar uͤber den
Fluß/ dieſe biß zwiſchen die Hecken zuruͤck wei-
chen muſten. Alleine Fuͤrſt Boduognat traff
wie ein Blitz auf Caͤſars Vettern den Quintus
Pedius/ trieb ihn und die Roͤmiſche Reuterey
in die Flucht; machte ſich alſofort auch an die
zwoͤlffte Legion/ und der Ritter Croy an die ſie-
bende; wiewol der erſte ein Theil der Nervier
denen Atrebatern/ der andere denen Veroman-
duern zu Huͤlffe ſchicken konte und beyde wieder
zu rechtem Stande brachten. Ob nun wohl
Caͤſar der nunmehr vom Hertzoge Boduognat/
der ihren Fuͤhreꝛ Sextius Baculus ſelbſt durch-
ſtochen hatte/ am meiſten bedraͤngten zwoͤlfften
Legion ſelbſt mit einem Kern der zehenden zu
Huͤlffe kam/ vom Pferde ſprang/ einem gemei-
nen Kriegs-Knechte den Schild vom Arme
rieß/ und ſich gegen den/ einem Loͤwen gleich-
fechtenden Boduognat hervor zuͤckte; die Roͤ-
mer auch im Antlitze Caͤſars ſo verzweiffelte
Gegenwehr thaten: daß faſt alle ihre Haupt-
Leute todt blieben; ſo drang doch die Tapffer-
keit der Nervier durch: daß der Ritter Brede-
rode nach durchſtochenem Faͤhnriche den Roͤ-
miſchen Adler zu Boden rieß; und Caͤſar ſelbſt
ſich aus dem Staube machen/ die zwoͤlffte und
ſiebende Legion auch mehr fliehen als weichen
muſte. Jnzwiſchen hatte der Ritter Horn und
Hochſtraten die faſt unzehlbaren Gallier in die
Flucht bracht; und/ nach dem die Huͤlffs-Voͤl-
cker der Trevirer an ſtatt des Gefechtes ohne
Schwerdſtreich ſich nach Hauſe gewendet/
ſtuͤrmte und eroberte er das Laͤger/ ungeachtet
die darinnen gebliebenen zwey Legionen/ wie
auch die Cretenſiſchen und Baleariſchen Schuͤ-
tzen ſolches euſſerſt verfochten. Als nun dieſe
ſich durch zwey Pforten heraus draͤngten/ wur-
den ihrer etliche tauſend von denen grimmigen
Uberwindern abgeſchlachtet. Gegen die Atre-
bater und Veromanduer ſtand die Roͤmiſche
Schlacht-Ordnung zwar noch feſte; iedoch kon-
ten ſie es in die Laͤnge gegen die erhitzten Deut-
ſchen nicht ausſtehen. Denn wenn einer gleich
fiel/ trat ein ander bald in die Luͤcke; ja die Ner-
vier trugen aus denen todten Leichen Berge
zuſammen/ wormit ſie von der Hoͤhe mit ihren
Waffen deſto gewiſſer ihren Feind treffen kon-
ten. Wie nun die Roͤmiſchen Kriegs-Haͤupter
ſahen: daß die meiſten Gallier und die Reute-
rey entlauffen/ vier Legionen groſſen theils zer-
nichtet waren/ und es endlich um ihr gantzes
Heer gethan ſeyn wuͤrde; flehten ſie den Kayſer
an: er moͤchte dißmahl dem Gluͤcke und denen
verzweiffelten Deutſchen aus dem Wege tre-
ten. Caͤſarn ſchoſſen fuͤr Grimm hieruͤber
die Thraͤnen aus den Augen; und er wuſte nicht
vernuͤnfftig zu entſchluͤſſen: was er heilſamlich
thun ſolte. Als er nun auf einer Hoͤhe ſich eine
gute Weile nach einem ſichern Orte ſeiner Zu-
flucht umgeſehen hatte; ließ Labienus ihn wiſ-
ſen: daß Cotta hinterwerts einen Weg in der
Nervier wol befeſtigtes aber ſchlecht beſetztes
Laͤger gefunden haͤtte. Worauff Caͤſar ihm
befahl ſein euſſerſtes zu thun in ſelbtes einzubre-
chen.
[1007[1009]]Arminius und Thußnelda.
chen. Er ließ alſofort auch die andern Adler
gegen ſelbige Seite wenden; er aber bedeckte
mit der zehenden Legion an einem engen Orte
das uͤbrige Heer ſo lange/ biß Labienus Meiſter
des feindlichen Laͤgers ward/ die Uberbleibung
der andern Legionen ſich darein gezogen hat-
ten/ und er endlich nach empfangenen breyen
Wunden daſelbſt ſeine Sicherheit fand; alſo
nach einem ſo blutigen Tage iedes Theil in dem
feindlichen Laͤger ausruhete; keines aber ſelbige
Nacht auf des andern Antaſtung/ ſondern nur
auf die Beerdigung ihrer Todten/ und Ver-
bindung ihrer Wunden bedacht war. Denn
auf beyden Theilen war kein hoher Kriegs-O-
berſter/ ja auch ſelbſt Fuͤrſt Boduognat nicht
unbeſchaͤdigt; fuͤnff Haͤupter der Roͤmiſchen
Legionen/ Egmont/ Areſchot und Eroy auf der
Belgen Seite nebſt vielen Kriegs-Oberſten
todt. Ob nun zwar auf der Roͤmer und Gal-
lier Seiten zweymahl ſo viel Volck/ als auf der
Belgen blieben war; ſo waren dieſe doch fuͤr ſich
ſelbſt noch kaum halb ſo ſtarck/ als ihre Feinde;
das eroberte Roͤmiſche Laͤger nicht nach dem
Vortheil der Deutſchen Waffen befeſtigt; durch
Verluſt ihres Laͤgers ihnen der Vortheil des
Fluſſes Sabis/ und die Gelegenheit mehr
Huͤlffs-Voͤlcker an ſich zu ziehen abgeſchnitten.
Uber diß brachten die Kundſchaffter der Nervi-
er noch ſelbige Nacht Gefangene ein/ mit
Schreiben vom Fuͤrſten der Rhemer Vertiſ-
cus: daß er nicht allein mit zwantzig tauſend
Galliern/ ſondern auch Sergius Galba mit
den in Jllyricum gelegenen Legionen von ſechs-
tauſend außerleſener Romiſcher Mannſchafft
im Anzuge waͤre. Dieſe Zeitung bekuͤmmer-
te den Hertzog Boduognat nicht wenig; inſon-
derheit aber trug er Beyſorge: daß ſelbte nicht
unter ſeinem Heere ruchbar wuͤrde/ und ſie zu
einer glimpflichen Flucht veranlaſſete. Gleich-
wol aber befahl er die im Roͤmiſchen Lager er-
oberte beſte Beute aufzupacken/ und das gantze
Heer auf folgenden Tag ſich ſo wol zur Schlacht
als zum Fortzuge fertig zu machen. Jnzwi-
ſchen krie[g]te Caͤſar ebenfalls Kundſchafft: daß
dreyßig tauſend ſtreitbare Aduatiker/ welche ein
Theil von denen in Jtalien einbrechenden
Cimbern waren/ denen Nerviern zu Huͤlffe kaͤ-
men. Welche Zeitung Caͤſarn derogeſtalt
ſchreckte: daß er dem ſchon zu naͤchtlicher Zu-
ruͤckweichung entſchloſſenem Boduognat einen
Friedens-Vergleich anbieten ließ; der auch/
weil iedem Feinde zwar ſeine/ nicht aber ſeines
Feindes Wunden bekandt waren/ nach kurtzer
Unterredung dahin geſchloſſen ward: daß die
Nervier/ Atrebater/ und Veromanduer in ih-
rer Freyheit ohne einige Schatzung bleiben/
hingegen ſie Caͤſars andern Feinden keine Huͤlf-
fe leiſten ſolten. Wiewol nun dieſe Voͤlcker fuͤr
ſich nach gegenwaͤrtigem Zuſtande einen vor-
traͤglichen Frieden erlangt zu haben ſchienen;
ſo war ſelbter doch der gemeinen Wolfarth der
Belgen uͤber aus ſchaͤdlich; und hatten die Ner-
vier hiervon keinen andern Vortheil/ als daß
die Reye der Dienſtbarkeit an ſie zum letzten
kommen wuͤrde. Sintemahl die Roͤmer nicht
ſo wol ihre Tugend/ als der Mißverſtand de-
rer nicht zuſammen haltender Voͤlcker zu Mei-
ſtern des Erdbodens gemacht hat. Denn wenn
auch die tapfferſten eintzelich kaͤmpffen/ werden
alle nach und nach uͤberwunden; und die bey-
ſammen ſtehenden Zwerge werden auch der ein-
zelen Rieſen maͤchtig. Welchen Fehler die
Deutſchen von dem unter gedruͤckten Grichen-
lande laͤngſt haͤtten lernen ſollen; deſſen ſaͤmtli-
che Staͤdte dardurch ihre Herꝛſchafft eingebuͤſt;
weil eine iede herꝛſchen wolte; indem ſie nicht
alleine ſelbſt einander ein Bein unterzufchla-
gen und zu Kopffe zu wachſen bemuͤht waren;
ſondern auch lachende zuſahen und die Haͤnde
in die Schoß legten; als die Macedonier und
Roͤmer bald dieſer bald einer andern die Dienſt-
barkeit aufhalſeten; biß ſie endlich alle es ehe
am Halſe fuͤhleten als ſahen. Dieſes Ungluͤcke
traff zum erſten die ſtreitbaren Aduaticher; wie-
der
[1008[1010]]Siebendes Buch
der welche die anſehnlich verſtaͤrckte gantze
Macht der Roͤmer anzoh. Die N[e]vier dorff-
ten ihnen nicht helffen; die angraͤntzenden
Nachtbarn aber wolten nicht. Denn theils wa-
ren ihnen nicht gruͤn/ weil ſie ſich mit Gewalt
zwiſchen ſie eingedrungen hatten; theils wol-
ten ſich in ihr Ungluͤcke nicht einwickeln/ wel-
ches leichter zum Erbarmen als zum Abhelffen
bewegt. Weil es nun denen Aduatichern un-
moͤglich ſchien der Roͤmiſchen Macht im Felde
zu begegnen/ zohen ſie alle ſtreitbare Mann-
ſchafft in ihre auf der Hoͤhe und faſt um und um
in Suͤmpffen liegende Haupt-Stadt Aduatu-
ca zuſammen. Denn wie es nicht kluͤglich ge-
handelt war alle Kraͤfften in eine Mauer ein-
ſperren/ und dem Feinde das gantze Land zum
Raube uͤbergeben; alſo fand die Verraͤtherey
auch mehr denn zu geſchwinde einen Schluͤſſel
zu dieſer Feſtung; aus welcher von Anfang
durch ſiete Ausfaͤlle den Roͤmern und Galliern
empfindlicher Abbruch gethan ward. Ver-
mund/ der Aduaticher Heꝛtzog/ hatte zwey Soͤh-
ne Huglet und Uffo verlaſſen; von denen der
erſtere die Herꝛſchafft bekam; der andere aber
des Piſo/ eines Fuͤrſten im Aquitaniſchen Gal-
lien Tochter/ geheyrathet; und mit ſelbter der
Druyden Gottesdienſt angenommen hatte.
Durch dieſes Ehrſuͤchtige Weib brachte Divi-
tiak den Fuͤrſten Uffo unter der Verſicherung:
es wuͤrde Caͤſar ihn ſeinem aͤltern Bruder fuͤr-
ziehen/ und zum Lands-Fuͤrſten machen/ dahin:
daß/ als der Feind auf funffzehn tauſend Schrit-
te weit in einen mit vielen Bollwercken befe-
ſtigten Wall die Stadt einſchloß/ und ungeheu-
re Sturm-Thuͤrme an die zweyfache Mauer
anſchob/ Uffo dieſe Ruͤſtungen/ als Wercke der
Goͤtter/ dem albern Poͤfel fuͤrſtellte; und/ un-
geachtet Fuͤrſt Huglet nebſt dem Adel das Volck
zu ſtandhaffter Gegenwehr ermahneten/ ſelb-
tes beredete: daß ſie ohne einige Bedingung die
Waffen zum Zeichen ihrer Ergebung uͤber die
Mauer warffen; und/ wie ſehr gleich die Ver-
ſtaͤndigern uͤber dieſer zaghafften Untreu fluch-
ten/ den Roͤmern ein Thor einraͤumten. Eine
ſolche Krafft hat die aber glaͤubiſche Einbildung:
daß ſie den tapfferſten Leuten nicht nur des
Hertzen/ ſondern auch der Vernunfft beraubet.
Wie nun hierauf Fuͤrſt Huglet bey Caͤſarn ver-
gebene Anſuchung thaͤt/ daß ſie aus freywillig
Ergebenen nicht zu Knechten gemacht/ inſon-
derheit aber ihnen wegen ihrer untreuen Nach-
barſchafft nicht die Schutzwehren ihres Lebens
und Vermoͤgens abgenommen werden moͤch-
ten; brachte die Ungedult ihn und den zu den
Waffen gebohrnen Adel/ der mit deꝛſelben Be-
nehmung ſich auch ſeiner Maͤnnligkeit beraubt
zu ſeyn ſchaͤtzte/ in ſolche Verzweiffelung: daß
ſie des Nachts mit einem Theile den Uffo uͤber-
fielen/ und mit ſeinem gantzen Hauſe zu ge-
rechter Rache der Verraͤtherey erwuͤrgten/ mit
dem andern die Roͤmiſche Beſatzung von dem
eingeraͤumten Thore wegſchlugen/ und hierauf
mit hellem Hauffen und verzweiffelter Grau-
ſamkeit das Roͤmiſche Laͤger anfielen. Hertzog
Huglet/ weil er nichts hoffen konte/ wolte doch
auch an nichts verzweiffeln; und die eufferſte
Noth zwang dem ohne diß allem Anſehen nach
verlohrnen Adel die euſſerſte Tapfferkeit ab; ja
die/ welche bey zweiffelhafftem Ausſchlage ihre
Waffen aus Furcht weggeworffen hatten/ faß-
ten aus der verzweiffelten Erkuͤhnung ein
Hertze; weil ſie doch ihre Schuld ſchon mit in
die Straffe verwickelt haͤtte. Weil nun die
Finſternuͤß alle Ordnung/ der unvermuthete
Uberfall alle kluge Anſtalt verhinderte; war
dieſes Treffen mehr einer viehiſchen Abſchlach-
tung/ als einer Schlacht aͤhnlich. Jeder er-
wuͤrgte den/ der ihm begegnete; weil weder der
Grimm noch das Geraͤuſche der Waffen er-
laubte ſelbten als einen Feind oder Freund zu
rechtfertigen. Dieſe blinde Raſerey waͤhrte biß
der Tag anbrach; da die Roͤmer/ welche ſo wol
von ihren eigenen/ als den feindlichen Schwer-
tern unglaublichen Schaden erlitten hatten/
die
[1009[1011]]Arminius und Thußnelda.
die uͤbrigen Aduatiker leicht uͤbermanneten und
zuruͤck in die Stadt trieben. Nach dem nun
Hertzog Huglet nebſt dem Ritter Wachten-
danck und Kulenburg zu der Roͤmer hoͤchſten
Verwunderung kaum drey Schritte von Caͤ-
ſars eigenem Zelte zwiſchen erlegten Feinden
tod gefunden wurden/ und die in der Stadt oh-
ne ein Oberhaupt in zwiſtige Meynungen ver-
fielen/ die verbitterten Roͤmer aber auf allen
Seiten zu Sturme lieffen/ erbrachen ſie endlich
den dritten Tag ein Thor/ und hieben alle ge-
waffnete zu Bodem. Die unbewehrten aber
wurden alle mit Weib und Kindern bey aufge-
ſteckter Lantze dem/ der das hoͤchſte Gebot thaͤt/
verkaufft.
Ob nun wol dieſe Niederlage in Gallien ein
ſolches Schrecken verurſachte: daß die an der
euſſerſten Weſt-Spitze am Britañiſchen Mee-
re gelegenen Gallier dem Publius Craßus
Geißel einliefferten/ zohen doch die Moriner/
Menapier und Bataver eine ſolche Kriegs-
Macht an der Schelde zuſammen Caͤſarn den
Kopff zu bieten: daß er ſich an ſelbte zu reiben
Bedencken trug; ſondern ſein Heer in Gallien
hin und wieder vertheilte.
Als Caͤſar derogeſtalt in Gallien den Meiſter
ſpielte/ verkehrte ſich das Spiel in Deutſchland
gantz und gar. Der Feldherꝛ Aembrich mein-
te nun nicht alle in alle ſeine Feinde gedaͤmpft
zu haben; alſo: daß wieder ihn niemand den
Kopff empor zu heben ſich unterwuͤnden/ oder
maͤchtig genung ſeyn wuͤrde; ſonderlich: weil
er mit den maͤchtigen Roͤmern ein feſtes Buͤnd-
nuͤß gemacht/ ja ſo gar ſeinen ſechzehnjaͤhrigen
Sohn Segimer mit tauſend Edelleuten ihnen
im Kriege zu dienen/ oder vielmehr ihre Kriegs-
Wiſſenſchafft zu erlernen zugeſchickt hatte.
Weil es nun ſchwerer iſt/ der Gluͤckſeligkeit
maͤßig zu gebrauchen/ als ſelbter gar entbehren
koͤnnen/ entſchloß er ſich nunmehr die Druyden
in alle vorhin beſeſſene Eichwaͤlder einzuſetzen/
und durch gewaffnete Hand ſolches in gantz
Deutſchland zu vollſtrecken. Allein wie nich-
tig und eitel iſt die Rechnung/ in der man die
Ziffern der Goͤttlichen Verſehung auſſen laͤſt!
Weil nun die Barden und Eubagen diß fuͤr den
Anfang ihrer angezielten gaͤntzlichen Ausrot-
tung anzohen; des Gottesdienſts Ancker aber
niemahls geruͤhret werden kan: daß ſie nicht das
Schiff einer gantzen Herꝛſchafft erſchuͤttere;
machte gantz Deutſchland hierzu groſſe Augen.
Jnſonderheit beſchwerte ſich der um die Cherus-
ker ſo wol verdiente Hermundurer Hertzog
Briton: daß der Feldherꝛ Aembrich ihm hier-
durch ans Hertz grieffe. Wie er aber dieſen
Schluß einmahl nicht abbitten konte; ſondern
Aembrich mit einem maͤchtigen Heere uͤber die
Saale/ und Terbal mit einem andern bey de-
nen Varinen und Eudoſen einbrach; Grieff
Briton uñ Siegbrand/ der Longobaꝛden Fuͤrſt/
nicht allein zu den Waffen/ ſondern Gotart der
Svioner Koͤnig wolte dieſe Gelegenheit nicht
verſaͤumen ſich an Hertzog Aembrichen zu raͤ-
chen; weil dieſer den Eſtiern wieder ihn anſeh-
liche Huͤlffe geſchickt/ Terbal ſeine Geſandten
von der Friedens-Handlung mit dem Koͤnige
Friedlev abgewieſen/ ja ſeine Bluts-Freunde
der Variner und Eudoſer nichts minder/ als
Arabarn aus Deutſchland vertrieben hatte. Er
kam alſo mit einem anſehnlichen Heere bey de-
nen Swardonen an/ ſchlug die Cherusker aus
dem der Hertha gewiedmeten Eylande/ und
dem gantzen Gebiete der Variner/ Eudoſer
und Cavionen. Sintemahl ſie durch Gotarts
erſtern hertzhafften Anfall/ oder vielmehr durch
eine ihnen von Gott eingejagte Furcht deroge-
ſtalt erſchreckt wurden: daß ihrer Kleinmuth
keine Feſtung ſicher zu hoffen ſchien. Weil nun
auch Koͤnig Gotart ſein Kriegsvolck ohne einige
Beſchwerde der Einwohner unterhielt; welche
die Cherusker vorher ſchier biß auffs Marck
aus gemergelt hatten/ gewann er die Gewogen-
heit des Volckes/ und damit ſo viel Werck zeu-
ge ſeiner Siege/ als Menſchen. Die Fuͤrſten
Erſter Theil. M m m m m mder
[1010[1012]]Siebendes Buch
der Nuithoner und Sidiner ſperrten ihm Thuͤr
und Thor auff. Wo auch gleich Terbal und
andere Kriegs-Haͤupter des Feldherrn einigen
Wiederſtand thaͤten/ gieng alles durch Sturm
uͤber; und das Verhaͤngnuͤß ſelbſt baͤhnete durch
allerhand ſeltzame Zufaͤlle Gotarn und ſeinem
Heere unwegbare Klippen und Fluͤſſe. Wie-
wol nun der Feldherꝛ Aembrich in der Her-
mundurer Gebietefaſt nach eigenem Wunſche
gebahrte/ die Hertzoge der Tencterer/ Sicam-
brer/ und Uſipeter/ welche den Druyden gleich-
falls beypflichteten/ den Cheruskern zu Huͤlffe
kamen/ und die ſchoͤne Stadt Calegia einaͤſcher-
ten; ſo zohen doch Koͤnig Arioviſt mit ſeinen A-
lemaͤnnern/ die Hertzoge der Bructerer und
Longobarden nunmehr auch die Larve vom
Geſichte/ und machten mit dem Koͤnige Go-
tarn ein Buͤndniß wieder den Feldherꝛn Aem-
brich; und die Catten ſtreifften das ihnen vor-
hin angelegte Seil zugleich von den Hoͤrnern/
und rufften den vertriebenen Fuͤrſten Arabar
wieder ein. Beyde verſamlete maͤchtigen Heere
ruͤckten unterhalb dem Gabretiſchen Gebuͤrge
gegen einander. Und ob wol die groſſe Ver-
bitterung in Buͤrgerlichen Kriegen die Men-
ſchen faſt in reiſſende Woͤlffe verwandelt/ ſo
wolte doch der kluge Feldherꝛ Aembrich/ wel-
cher noch von dem Hertzoge der Marckmaͤnner
und Lygier mehr Volck erwartete/ ſein Gluͤcke
nicht auf die Spitze einer Schlacht ſetzen. Hin-
gegen ſetzte der Feind ſich nicht weit von dem
Laͤger in volle Schlacht-Ordnung. Koͤnig
Gothart fuͤhrte den rechten/ Arioviſt und Her-
tzog Briton den lincken Fluͤgel/ der Longobar-
den und Variner Fuͤrſten waren uͤber die Reu-
terey/ und der Bructerer zum Hinterhalte be-
ſtellt. Der Uſipeter Hertzog nahm vier tau-
ſend Reuter um des Feindes Staͤrcke und An-
ſtalt zu erforſchen/ verfiel aber auf den Variner
Hertzog/ und ward alſobald derogeſtalt umzuͤn-
gelt: daß er dem Feldherren wiſſen ließ: Er
traute ohne viertauſend neue Reuter ſich nicht
durch den Feind zuruͤcke zu ſchlagen. Wiewol
nun der Feldherꝛ mit Unwillen dieſe wieder-
rathene Vergehung vernahm; wolte er doch
den Kern ſeiner Reuterey nichtim Stiche laſ-
ſen; ſchickte alſo ihm Litoperten/ den Fuͤrſten
der Foſen/ mit noch viertauſend außerleſenen
Reutern zu Huͤlffe. Dieſen aber gieng der Lon-
gobarden Hertzog nicht allein in Ruͤcken/ ſon-
dern durchſtach den Litpert/ und ward allen
acht tauſend Mann alle Moͤgligkeit ſich zuruͤ-
cke zu ziehen abgeſchnitten; der Feldherꝛ aber
gezwungen nunmehr ſein gantzes Heer zur
Schlacht aufzufuͤhren; welcher Zwang einem
ſchon den Sieg ſelbſt halb abſpricht. Er ſelbſt
traff mit ſeinen Cheruskern und Quaden auff
den Koͤnig Arioviſt und den Hertzog Briton/
brachte ſie auch durch ſeine kluge Tapfferkeit
zum weichen; Hingegen ſchlug Koͤnig Gotart
den Hertzog der Ubier mit ſeinem lincken Fluͤ-
gel; und weil von Anfang alsbald die Cherus-
kiſche Reuterey groſſen Verluſt erlitten hatte/
ward der Teneterer Fuͤrſt mit der uͤbrigen
Reuterey auch in die Flucht bracht. Jnzwi-
ſchen kamen die Bructerer Arioviſten zu Huͤlffe
wieder den ſtreitbaren Aembrich; welcher wie
ein Blitz allenthalben durchdrang. Nach dem
aber die feindliche Reuterey auff beyden Sei-
ten ihn anfiel/ und er ſelbſt ſo gefaͤhrliche drey
Wunden bekam: daß er ſich kaum mehr zu
Pferde erhalten konte/ muſte er nur das Feld/
und ſeinem Feinde einen herꝛlichen Sieg ent-
raͤumen. Sintemahlallhier der Kern des Che-
ruskiſchen und Quadiſchen Adels/ die Fuͤrſten
der Foſen und Uſipeter mit zwantzig tauſend
Mann todt blieben/ zehn tauſend mit allem
Kriegs-Geraͤthe gefangen wurden. Dieſer
Sieg war ein Werckzeug vieler andern. Denn
weil die Barden und Eubagen Koͤnig Gotar-
ten fuͤr den Schutz-Gott ihrer Freyheit hielten/
thaͤten ſie ihm allen Vorſchub ſelbte zu befeſti-
gen. Alle Kriegs-Macht der Cherusker ward
vom Hertzog Briton aus dem Gebiete der Her-
mundu-
[1011[1013]]Arminius und Thußnelda.
mundurer vertrieben. Und weil die Bojen des
Feldherꝛn Seite gehalten/ brach er bey ihnen
ein/ und eroberte ein anſehnliches Theil mit der
Haupt-Stadt Boviaſinum. Koͤnig Gotart
gieng als ein Blitz durch gantz Deutſchland/
und zermalmete alles was ihm den Kopff bot.
Der Catten Hertzog Arabar hob nun auch ſein
Haupt wieder empor; und fiel in der Uſipeter
und Tencterer Hertzogthuͤme; erlegte an dem
Sieg-Strome den Fuͤrſten Lilith/ eroberte al-
le feſten Plaͤtze/ und noͤthigte dieſe zwey an-
ſehnliche Voͤlcker: daß ſie fuͤr dem Grimme der
rauen Catten ſich uͤber den Rhein zu fluͤchten
ſchluͤßig wurden. Zumahl ihnen von denen
bedraͤngten Galliern Land und Unterhalt an-
geboten ward. Weil aber die Menapier mit
den Catten in Buͤndnuͤß ſtunden/ ſich alſo von
denen uͤberkommenden Uſipeten und Tencte-
rern nichts gutes verſahen; beſetzten ſie den
Strom ſo ſtarck: daß jene ſich zwiſchen Thuͤr
und Angel ſehende bey entfallender Macht
durch Liſt ſich zu retten vorſiñen muſten. Daher
zohen ſie drey Tage-Reiſen weit zuruͤcke; gleich
als wenn ſie bey verzweiffelter Uberkunfft bey
denen Chaßuariern einbrechen wolten. So
bald ſie aber vernahmen: daß die Menapier
ihre Beſatzung vom Rheine weg gefuͤhrt hat-
ten/ kamen ſie mit unglaublicher Geſchwindig-
keit in einer einigen Nacht an ſolchen Fluß.
Und weil im Ungluͤcke die Noth kraͤfftiger/ als
menſchliche Klugheit iſt/ kamen ſie ehe uͤber den
Strom und den Menapiern auf den Hals/ als
ſie von ihrer Ruͤckkehr einige Nachricht erlang-
ten; alſo: daß ſie ihrer Wohnungen entſetzt/
und ferner in Gallien ihren Auffenthalt zu ſu-
chen gezwungen wurden. Hingegen ruͤckte A-
rabar zu den Ubiern; welche’zwar bey voriger
Zeit der Catten Zinßgeber geweſt/ von dem
Feldherꝛn Aembrich aber nicht alleine hiervon
befreyet/ ſondern auch uͤber die Catten weit er-
hoben worden waren. Die Catten ruͤgten mit
Huͤlffe der Alemaͤnner allhier ihr altes Recht/
und behaupteten es mit der nachdruͤck lichſien
Beredſamkeit/ nemlich dem Degen. Weil der
Feldherꝛ Aembrich wieder den Koͤnig Gatar-
ten alle Haͤnde voll zu Beſchuͤtzung ſeiner Che-
rusker und Quaden zu thun/ den Ubiern aber
zu helffen weder Zeit noch Kraͤffte hatte; nah-
men ſie mehr rachgierig/ als vorſichtig zu einem
viel gefaͤhrlichern Feinde/ nemlich den Roͤmern
Zuflucht/ und baten Schutz wieder die Be-
draͤngung der unerbittlichen Catten. Weil
denn dieſe mit den Roͤmern alles Gewerbe ver-
boten/ alſo ihren Haß wieder ſie genungſam an
Tag gegeben/ die Ubier hingegen mit den Roͤ-
miſchen Kauff-Leuten ſchon lange Zeit Gewer-
be getrieben hatten/ Caͤſarn auch zu Uberſetzung
des Roͤmiſchen Heeres genungſame Schiffe
anboten; hemmete nicht Caͤſars Gemuͤths-
Maͤßigung/ ſondern nur allerhand wichtige
Bedencken die augenblickliche Ausuͤbung ihres
Begehrens. Denn er uͤberlegte: daß das Spiel
in Gallien noch nicht ausgemacht/ der Gallier
Gemuͤther zur Wanckelmuth/ wie ihre Lufft
zum Winde geneigt; Die Deutſchen aber das
ſtreitbarſte Volck waͤren/ mit welchem die Roͤ-
mer noch gekriegt haͤtten. Er beſorgte zu-
gleich: daß ſeine Einmiſchung in die deutſchen
Haͤndel zwiſchen ihnen nur die Eintracht be-
foͤrdern/ und den Roͤmern zweyerley Kriege uͤ-
ber den Hals ziehen wuͤrde. Seine Herꝛſch-
ſucht hingegen hielt ihm ein: was fuͤr unſterbli-
chen Ruhm es ihm bringen wuͤrde; wenn er/
als der erſte Roͤmer/ ſeine Siegs-Fahnen uͤber
den Rhein ſchwingen koͤnte. Weil er aber oh-
ne der Deutſchen Beyſtand ſolches fuͤr unmoͤg-
lich hielt/ waͤre nicht rathſam mit der Ubier An-
erbieten eine ſo herrliche Gelegenheit aus den
Haͤnden zu laſſen. Gallien wuͤrde ohne
diß von den Deutſchen nicht unbeunriget
bleiben/ als biß ihnen die Fluͤgel verſchnitten
waͤren. Sintemahl die von den Uſipetern und
Tencterern vom Rheine vertriebene Menapi-
er gleichſam in ſeinen Augen ſich auff beyden
M m m m m m 2Seiten
[1012[1014]]Siebendes Buch
Seiten der Maaß/ wo vorhin nur ein geringer
Theil ihrer Landes-Leute unter der Moriner
und Bataver Schutz lebten/ nunmehr feſten
Fuß geſetzt haͤtten; die des Roͤmiſchen Jochs
ſchon uͤberdruͤßige Trevirer aber mit denen U-
ſipetern und Tencterern verdaͤchtige Handlun-
gen pflegten; ja nunmehr der Cheruskiſchen
Freundſchafft mit entfallendem Gluͤcke ver-
gaͤſſen/ und in der Eburoner und Condruſer
Gebiete/ derer Hertzog Cattivolck/ des Aem-
brichs Bruder/ mit Caͤſarn ſich verglichen hat-
te/ taͤglich ſtreifften. Hierzu kam: daß Caͤſar
faſt ſchleuniger/ als er ihm traͤumen laſſen kon-
te/ die Veneter und die Armoriſchen Staͤdte
im euſſerſten Gallien am Britanniſchen Mee-
re uͤberwand. Daher entſchloß er dem ihn
gleichſam mit der Hand leitenden Gluͤcke zu
folgen/ mit ſechs Legionen wieder die Uſipeter
und Tencterer auffzuziehen/ und ſie wieder
uͤber den Rhein zu treiben. Er war nur noch
zwey Tage-Reiſen weit von ihren Graͤntzen
entfernet; als bey ihm eine Bothſchafft ankam/
und fuͤrtrug: Die Deutſchen waͤren zwar
nicht gewohnt bey dem/ der ſich an ſie noͤthigte/
um Friede zu bitten/ am wenigſten aber die U-
ſipeter und Tencterer/ welche an Tapfferkeit
keinem Volcke/ auſſer denen Catten/ was bevor
gaͤben. Jedoch kaͤmen ſie alleine Caͤſarn zu
erinnern: daß ſie ihn mit nichts beleidiget/ ihre
Freundſchafft auch den Roͤmern mehr als der
Krieg vortraͤglich ſeyn koͤnte. Denn es waͤre
kein feſteres Vorgebuͤrge/ als der benachbarten
Fuͤrſten Freundſchafft; welche/ wenn ſie ein-
mahl zerbrochen/ ſo wenig als das Glaß zu er-
gaͤntzen waͤre/ ſondern allezeit Ritze des Arg-
wohns/ und Narben des Verdachts behielte.
Dieſe wolten ſie ſorgfaͤltig unterhalten/ wenn
er ſie das Land ruhig bewohnen ließe/ welches
ſie aus Noth als Vertriebene ein- und de-
nen ihm wenig holden Menapiern abgenom-
men haͤtten. Caͤſar aber gab ihnen zur Ant-
wort: Es haͤtte der/ welcher ſeine Schwaͤche
ſchon anderwerts ſehen laſſen/ wenig Urſache
gegen andere groß zu ſprechen. Zwiſchen den
Roͤmern und ihnen waͤre vergebens von
Freundſchafft zu reden/ ſo lange ſie in dem
durch die Waffen eroberten Gallien/ darauff
die Roͤmer ſchon fuͤr laͤngſt ein beſtaͤndiges
Recht erworben haͤtten/ einen Fuß breit Erde
zu behaupten vermeinten. Jedoch wolte er
ſie bey denen Ubiern/ welche ohne diß Huͤlffe
wieder die Catten/ ihre gemeine Feinde/ brauch-
ten/ und ſeinen Beyſtand gegen Einliefferung
gewiſſer Geißel ſuchten/ verbitten: daß ſie ſie in
ihre Gemeinſchafft aufnaͤhmen/ auch ihnen
auskommentliche Aecker an dem Tauniſchen
Gebuͤrge zwiſchen dem Mayn/ und dem Sie-
ge-Fluſſe einraͤumten. Die Geſandten er-
boten ſich dieſen Vorſchlag/ und die Caͤſarn
von fremdem Gute zu ſchencken nicht ſchwer
ankommende Freygebigkeit denen Uſipetern
und Tencterern fuͤrzutragen; erſuchten ihn
auch nur drey Tage ſtille zu ſtehen. Alleine
weil Caͤſar allen Verzug nicht nur fuͤr einen
Verluſt der Zeit und des Sieges/ ſondern auch
fuͤr eine Gefaͤrthin des Zweiffels und der
Furcht; ja fuͤr eine Unholdin der Tapfferkeit
hielt/ war keines von Caͤſarn zu erbitten; ſon-
dern er befahl noch ſelbige Stunde: daß Gal-
ba mit einer Legion und der halben Reuterey
etliche tauſend/ die uͤber die Maaß und den De-
mer Fluß geſetzt hatten/ zu verfolgen; er aber
ruͤckte gegen den Rhein gerade zu. Wie er
nun kaum eine halbe Tage-Reiſe von ihnen
war/ begegnete ihm vorige Bothſchafft; und
erklaͤrte ſich: daß beyde Voͤlcker erboͤtig waͤ-
ren zu den Ubiern zu ziehen; mit Bitte: Caͤ-
ſar moͤchte ſo lange zuruͤck halten/ biß bey den
Ubiern ihr Unterkommen eingerichtet waͤ-
re. Aber Caͤſar behielt die weder durch Zwang
noch Argliſt auffhaltbaren Geſandten ohne
Antwort bey ſich; wiewol er Vertroͤſtung that:
daß
[1013[1015]]Arminius und Thußnelda.
daß er ſelbigen Tag weiter nicht/ als biß an
den Urte-Strom ruͤcken wolte. Wie nun
die Uſipeter und Tencterer Nachricht krieg-
ten: daß Galba bereit an der Maaß ihre Reu-
terey angetaſtet haͤtte/ der Ritter Loͤwenſtein a-
ber/ der mit acht hundert Pferden den Strom
bewachte/ mit anbrechendem Tage gewahr
ward: daß Craßus/ Piſo und Virodich zwey
Aquitaniſche Fuͤrſten/ welche fuͤr Verrathung
ihres Vaterlandes vom Roͤmiſchen Rathe mit
dem Nahmen Roͤmiſcher Freunde beehret wur-
den/ des Nachts mit mehr als fuͤnff tauſend
Pferden wieder Caͤſars Verſprechen uͤber den
Fluß geſetzt hatten; fiel er die Roͤmiſche/ wie-
wol ſiebenmahl ſtaͤrckere Reuterey mit einer ſo
groſſen Hertzhafftigkeit an: daß ſie ſelbte mit
dem erſten Angriffe in Verwirrung/ nach Ver-
wundung des Virodichs und Erlegung des Pi-
ſo/ in die Flucht/ die Helffte vom Leben zum
Tode brachten; die uͤberbleibenden aber uͤber
den Strom biß in Caͤſars Laͤger verfolgten.
Das gantze Roͤmiſche Heer erzitterte uͤber die-
ſer ſchimpflichen Niederlage; alleine des Uſipe-
tiſchen Fuͤrſten Mißtrauen gegen die Roͤmer es
auszudauern/ verterbte nicht allein alle Frucht
des erſten Sieges/ ſondern auch das gantze
Spiel. Denn auch das beſte Beginnen/ wenn
es nicht von der Hoffnung geſtaͤrckt und genaͤh-
ret wird/ verſchmachtet wie ein ungebohrnes
Kind einer todten Mutter; und erliſcht wie ei-
ne Ampel/ welcher das Oel entgehet. Und
der allerhertzhaffteſte wird kleinmuͤthig/ wenn
er ihm gewiß einen uͤbeln Ausſchlag einbildet.
Bey ſolcher Beſchaffenheit verſiel der Uſipe-
ten Fuͤrſt in mittelmaͤßige/ und alſo in die ge-
faͤhrlichſten Rathſchlaͤge; nehmlich/ gegen Caͤ-
ſarn das Treffen durch Jrrthum zu entſchul-
digen/ und ſeinen Grimm durch Zuruͤckruf-
fung der deutſchen Reuterey zu miltern. Jhr
Fuͤhrer Lowenſtein kam mit Verdruß ins deut-
ſche Laͤger zuruͤcke; und beklagte: daß man ihn
zwar haͤtte ſiegen/ aber ſeinen Sieg nicht
brauchen laſſen. Als er aber durch kein Ein-
reden die Fuͤrſten der Uſipeter und Tencterer
zu Verfolgung des Krieges bewegen konte;
trug er aus Liebe ſeiner nunmehr zwiſchen
Thuͤr und Angel ſtehenden Lands-Leute ſich
ſelbſt zu einem Soͤhn-Opffer an; ließ ſich alſo
fuͤr das gemeine Heyl/ als einen Stoͤrer des
gemeinen Heyles/ welcher ohne ſeiner Obern
Befehl die Gallier und Roͤmer angetaſtet haͤt-
te/ binden und Caͤſarn zur Rache uͤberlieffern.
Ob nun wol beyde Fuͤrſten ſich ins Roͤmiſche
Laͤger einfunden/ das ohne ihren Befehl gehal-
tene Treffen betheuerlich entſchuldigten/ und
den Ritter Loͤwenſtein zu ihrem Feg-Opffer
uͤbergaben; ließ ſie doch Caͤſar wieder der Voͤl-
cker Recht in Band und Eiſen ſchluͤſſen/ das
Laͤger der gantz ſicheren Deutſchen an dreyen
Orten anfallen/ und darinnen viel tauſend un-
bewaffnete Weiber und Kinder hinrichten.
Sintemahl die Maͤnner nach einer hin und
her zwiſchen den Wagen geleiſteten tapfferen
Gegenwehr mit Huͤlffe der Nacht ſich meiſten-
theils in einen nahen Wald verſteckten/ ſelbten
verhieben/ und ſich endlich bey dem zuſammen-
fluͤſſenden Rheine und der Moſel zu denen Si-
cambrern fluͤchteten. Wiewol nun der Roͤmi-
ſche Rath die gefaͤhrliche Beleidigung der
Deutſchen Geſandtſchafft verdammte/ Caͤ-
ſarn/ um hierdurch die erzuͤrnten Goͤtter zu
verſoͤhnen/ verfluchte/ und viel Raths-Herꝛen
ihn den Deutſchen zu eigener Beſtraffung zu
uͤbergeben einriethen; ſo fragte doch der ge-
waffnete Caͤſar wenig nach den glaͤſernen Don-
ner-Keilen des zwiſtigen Rathes; ſondern um
eine Urſache vom Zaune zu brechen; wormit
er in Deutſchland einfallen koͤnte/ forderte er
von den Sicambern mit vielen Dreuungen
die Ausfolgung der zu ihnen entkom̃ener Uſipe-
ter und Tencterer. Die Sicambrer aber ant-
worteten Caͤſarn: Die Uſipeter und Tencterer
M m m m m m 3haͤtten
[1014[1016]]Siebendes Buch
haͤtten ſich nicht allein unter ihren Schirm be-
geben; ſondern ſie waͤren auch ihre alte Freun-
de und Bundsgenoſſen; alſo koͤnten ſie ohne
Schimpff und Untreu ſelbte ihren Feinden
nicht auslieffern. Caͤſar haͤtte wegen der den
Roͤmern zugethanen Heduer wieder den Koͤnig
Arioviſt einen Krieg angehoben; wie moͤchte er
denn denen Sicambern anmuthen: daß ſie die
ſich unter ihren Schutz begebenen Anver-
wandten ausantworten ſolten? zumahl da die
Uſipeter nicht mit den Roͤmern/ ſondern dieſe
mit jenen zu erſt angebunden haͤtten; in wel-
chen Faͤllen die Geſetze der Natur/ welche un-
ter allen Menſchen eine Verwandſchafft ſtiff-
teten/ und die Gewonheiten der Voͤlcker einem
ieden die Huͤlffs-Leiſtung auch mit ſeiner ſelbſt
eigenen Gefahr aufbuͤrdeten. Sie koͤnten zwar
leiden: daß die Gefluͤchteten ſich aus ihren
Graͤntzen erhieben; ſie haͤtten auch gerne geſe-
hen: wenn ſie ihre Zuflucht anderwertshin ge-
nommen haͤtten; Nach dem aber das letzte nicht
zu aͤndern/ zum erſten aber die Bedraͤngten
nicht zu zwingen waͤren/ wuͤrde Caͤſar ihnen
nicht aufbuͤrden denen nunmehr die Klauen zu
zeigen/ welche ſich mit ihren Fluͤgeln zu decken
geſucht haͤtten. Caͤſar ſolte bey ſich ſelbſt er-
maͤſſen: ob er ſich einer Botmaͤßigkeit uͤber dem
Rheine anzumaſſen befugt waͤre; da er der Uſi-
peter Niederlaſſung in einem Theile des von
ihm noch nicht gantz bezwungenen Galliens fuͤꝛ
eine genungſame Urſache des Krieges gehal-
ten. Ja es heiſchte nicht nur die Ehre der Deut-
ſchen/ ſondern auch die eigene Sicherheit: daß
ſie die Uſipeter und Tencterer nicht gaͤntzlich
vertilgen lieſſen/ weil der Sicambrer Wolſtand
in dieſer Voͤlcker Erhaltung derogeſtalt einge-
flochten waͤre: daß wenn ſie dieſer Verterben
mit muͤßigen Haͤnden zuſchauten/ ſie zugleich
mit auf ihr Fallbret traͤten. Alleine der Ubier
bewegliches Anhalten/ und der Ehrgeitz/ wel-
cher zwiſchen der Tugend und der euſſerſten
Boßheit kein Mittel weiß/ verleitete Caͤſarn:
daß er ſich weder in den Graͤntzen Galliens/
noch in den Schrancken der Billigkeit zu hal-
ten vermochte. Dannenher ließ er ſein gantzes
Heer in dem Gebiete der Condruſer unterhalb
dem Einfluſſe der Moſel aber uͤber der Siege
gegen dem Berge Rhetico aus dem Rheine drey
ſtarcke Stroͤme ableiten; um dem Fluſſe ſeine
Tieffe und Staͤrcke zu benehmen; und/ weil er
uͤberzuſchiffen ihm weder anſtaͤndig noch ſicher
hielt/ eine hoͤltzerne Bruͤcke in zehn Tagen dar-
uͤber legen. Denn er ſtieß die Pfaͤle mit keiner
Ramme ein/ ſondern ließ derer bey iedem Joche
immer zwey und zwey auf ieder Seite neben
einander/ und zwar nicht gerade hinab nach
dem Bleymaße/ ſondern die Oberſten gegen die
unterſten abwerts vom Strome biß in den
Grund des Fluſſes/ legte quer uͤber zwiſchen
die oberſten Ende einen ſtarcken Balcken/ und
verband deſſen euſſerſte Vorgaͤnge mit feſten
Riegeln; alſo: daß ie mehr ſelbiger Balcken be-
ſchwert ward/ ie feſter ſtunden die Pfaͤle im
Waſſer. Die Liebe der Freyheit und die ge-
meine Gefahr machte in wenig Tagen einen
Vergleich und ein Buͤndniß mit geſammter
Hand den Roͤmern zu begegnen/ zwiſchen de-
nen vorhin zwiſtigen Catten und Sicambern.
Wormit ſie aber Caͤſarn verleiten/ und ihm den
Rhein hinter dem Ruͤcken abſchneiden koͤnten/
wiechen ſie beyde ſechs Meil-Weges hinter ſich.
Die Ubier ſtieſſen zwar hierauf mit ihren uͤbri-
gen Kraͤfften zu den Roͤmern/ und Caͤſar ſchick-
te ſechstauſend Ubiſche/ drey tauſend Roͤmiſche/
vier tauſend Galliſche/ tauſend Numidiſche
Reuter/ und fuͤnff hundert Baleariſche Schuͤ-
tzen die Catten auszuſpaͤhen; Aber ſie traffen auf
Arabars Sohn/ den Fuͤrſten Catumer/ welcher
vier tauſend Reuter von Catten/ tauſend von de-
nen Uſipetern/ und tauſend Sicambrer fuͤhrte;
und die Roͤmiſche Reuterey mit ſolchem Grim̃
anfiel: daß ſie nicht einſt ihr Geſichte zu vertra-
gen/ weniger ihre Waffen zu erwarten wuſten;
ſondern durch die ſchimpflichſte Flucht gegen
dem
[1015[1017]]Arminius und Thußnelda.
dem Rhein umkehrten; und etliche tauſend im
Stiche lieſſen. Caͤſar ward uͤber ſo ſchlimmen
Anfange ſtutzend; ſonderlich/ da die Entkom-
menen nicht genung die Staͤrcke und Tapffer-
keit der Catten zu ruͤhmen wuſten. Sintemahl
die Furcht ohne diß alles vergroͤſſert um dar-
durch ſeine Fehler zu vermindern. Daher ließ
er bey verlautender Ankunfft der Deutſchen/ in
Meynung: daß eines ſchwaͤchern Heeres Ab-
zug ohne erlittenen Abbruch einem Feldherꝛn
Ehre genung/ ja im Wercke ſo viel als ein
Sieg waͤre/ den funffzehenden Tag nach ſeiner
Uberkunfft aufpacken/ und Tag und Nacht ſein
Heer zuruͤcke uͤber den Rhein gehen. Jedoch
uͤbereilten die Catten noch eine zur Beſetzung
der Bruͤcke gelaſſene Legion/ nebſt etlichen tau-
ſend Ubiern und Galliern/ die ſie meiſtentheils
in Stuͤcken hieben/ alſo ſie mit vielen Stroͤmen
Blutes die Braͤnde ihrer vom Feinde eingeaͤ-
ſcherter Haͤuſer ausleſchten. Ja der Catten U-
berfall geſchahe ſo ſchnell: daß Caͤſar Noth hat-
te die Bruͤcke abzubrechen. Dieſe noch auf der
rechten Seite des Rheins gebliebene Ubier mu-
ſien als einheimiſche/ und alſo verhaſtere Feinde
hierauf das Bad ausgieſſen/ und entweder uͤber
die Klinge ſpringen/ oder ſich der Catten Herꝛ-
ſchafft unterwerffen. Denen aber/ welche mit
Caͤſarn uͤber den Rhein flohen/ raͤumte er in der
Condruſer Gebiete unter dem Fluſſe Abrinca
gewiſſe Aecker ein.
Caͤſar hatte in ſeinen Gedancken ſchon gantz
Deutſchland uͤberwunden; und daher hielt er
alles fuͤr Verluſt/ was ſeiner unerſaͤttlichen
Ehrſucht abgieng. Von ſeinem empfangenen
Streiche aber ergoß ſich die Galle ſo ſehr: daß
er Tag und Nacht nachſaan dieſe Scharte aus-
zuwetzen/ und dardurch nicht ſo ſehr die Freude
der Deutſchen/ als ſeiner Wiedrigen in Rom
zu verſaltzen/ oder vielmehr Gelegenheit zu ei-
nem neuen Kriege zu ſuchen/ wormit er vom
Roͤmiſchen Rathe das Hefft ſo vieler Legionen
aus den Haͤnden zu geben nicht genoͤthiget wuͤr-
de. Sintemahl ſo wol Heerfuͤ[hrer]/ als Kriegs-
Leute lieber Sieg/ als Friede wuͤnſchen; weil
mit dem letztern jenen das Anſehen/ dieſen der
Sold entfaͤllt. Mit den Deutſchen traute er
es ſo bald nicht wieder zu wagen; weil ſeinem
Heere nichts minder noch das Schrecken im
Hertzen als die Narben auf den Gliedern wa-
ren. Zu ſeinem Fuͤrhaben aber gaben ihm die in
Britannien handelnden Kauff-Leute durch ih-
ren Bericht eine andere Gelegenheit an die
Hand: daß die Britannier mit einander in ei-
nem ſteten buͤrgerlichen Kriege lebten; und
durch faſt angebohrne Blutſtuͤrtzungen ſich uͤ-
beraus geſchwaͤcht; ja den Fuͤrſten Praſutag
aus Verdacht: daß er den Venetern wieder
Caͤſarn mit denen dahin geſendeten Huͤlffs-
Voͤlckern nicht treulich beygeſtanden/ ermor-
det haͤtten. Dieſe Nachricht erfriſchte in dem
Hertzen des von Caͤſarn zum Fuͤrſten der Atre-
bater gemachten Comius den alten Groll/ den
er gegen dem Britanniſchen Koͤnige Caßibelin
wegen verſagter Tochter bißher getragen hat-
te. Seine Rachgier verkleidete ſich alſofort in
eine Staats-Klugheit/ welche Caͤſarn den er-
ſten Vorſchlag that in Britannien zu ſegeln;
durch welchen Zug ihm nicht allein groſſer
Ruhm/ ſondern auch Rom eine nicht geringe
Vergroͤſſerung ihres Reichs/ ohne ſonderbare
Schwerigkeit zuwachſen wuͤrde. Alſo wird von
Raͤthen mehrmahls nicht allein haͤußliche
Gramſchafft mit dem Mantel des gemeinen
beſten bekleidet/ ſondern auch eigner Haß mit
dem Glantze ihrer Treue/ und ruͤhmlicher Ent-
ſchluͤſſungen ihres Fuͤrſten beſchoͤnet. Caͤſarn
ſtaͤrckte in ſeinem Fuͤrnehmen auch die Both-
ſchafft des Feldherꝛn Aembrich/ welcher zwar
mit den Catten in ſchwerem Kriege lag/ dennoch
die maͤchtigen Roͤmer in Deutſchland zu ſeinen
Gehuͤlffen nicht begehrte; beſorgende: daß die
Deutſchen nicht von dem im truͤben Waſſer fi-
ſchenden Caͤſar/ wie fuͤr Zelten die Selevcier
von Parthen/ die Carier vom Cyrus/ die Gri-
chen
[1016[1018]]Siebendes Buch
chen vom Koͤnige Philip/ die Sicilier von Roͤ-
mern/ unter dem Scheine der Huͤlffe/ moͤchten
um ihre Freyheit gebracht werden/ oder er ihm
doch mehr als die oͤffentlichen Feinde beſchwer-
lich fallen. Zumahl wie fuͤr Alters Athen/ alſo
neulich Rom durch nichts mehr als durch ihre
willfaͤrtige Huͤlffs-Leiſtungen ſo hoch ans Bret
kommen waren. Weil nun der Bundsgenoſ-
ſen entfernter/ und auſſer ſeinem eignen Lande
geleiſtete Beyſtand der ſicherſte iſt; Caßibellin
aber iederzeit ſich an die Catten gehenckt/ und
ſeinem Eydame Arabarn mehrmahls Huͤlffe
geſchickt hatte/ hielt der Feldherꝛ fuͤr rathſamer/
ſonder eigene Gefahr dieſen Zugang den Catten
abzuſchneiden/ und die denen Cheruskern alle-
zeit zugethan geweſenen Uſipeten Tencterer
und Sicambrer aus dem Roͤmiſchen Kriege zu
wickeln/ als mit ſelbter dieſen groͤſſern Abbruch
zu thun. Wie nun Caͤſar in Gallien alle An-
ſtalt zu einer groſſen Schiff-Flotte machte/ die
Catten aber hiervon Wind kriegten/ warnigten
ſie nicht allein den Koͤnig Caßibelin/ ſondern
ſtiffteten auch die Moriner und Menapier an/
nach Caͤſars Uberfarth den Roͤmern in Galli-
en einzufallen. Caßibelin ließ/ ſo bald er ver-
nahm: daß Voluſenus mit etlichen Kriegs-
Schiffen auf der Britanniſchen Kuͤſten kreutz-
te/ und Gelegenheit zum Anlenden ſuchte/ den
von Caͤſarn zu ihm mit groſſen Freundſchaffts-
Vertroͤſtungen abgeſchickten Comius/ als ei-
nen Kundſchaffter/ in Verwahrung nehmen.
Caͤſar hatte hierauf mit dem unwilligen Mee-
re und dem Winde den erſten Kampff; welche
von denen acht und neunzig Schiffen bey nahe
die Helffte zerſtreuten/ ein Theil derſelben in
den Abgrund verſenckten/ ein Theil auch auff
die Moriniſchen Sand-Baͤncke zuruͤcke trie-
ben/ oder auf den Britanniſchen Klippen zer-
ſchmetterten. Wiewol auch Caͤſar mit zwey
Legionen anfangs in den Fluß Tameſis einzu-
lauffen vermeinte/ aber Sudwerts um das Can-
tiſche Vorgebuͤrge getrieben ward/ uñ an einem
bergichten Meerſtrande anzulaͤnden bemuͤht
war/ ſo rennte doch Boudieea eine Heldenmaͤſ-
ſige Jungfrau des ſtreitbaren Wakon Tochter
und Koͤnigin ſelbigen Gebietes/ (welche/ wegen
ihrer aus Verdacht begangenen Ehbruch ent-
haupteten Mutter ein Geluͤbde gethan hatte/
nicht zu heyrathen) eilends dahin/ und ſchoß eine
ſolche Menge Pfeile auf die ausſteigenden Roͤ-
mer: daß ſie wieder zuruͤcke in die Schiffe lauf-
fen/ und Caͤſaꝛ auſſer dem Geſchoß Ancker werf-
fen muſte. Des Nachts ſegelte er mit der Helffte
der Schiff-Flotte und faſt aller Mannſchafft
acht Meilweges ferner gegen Weſt/ an ein fla-
ches Ufer; lendete auch mit den Schiffen und
vielen Nachen an/ aber Boudicea eilte mit ihrer
Reuterey daſelbſt hin; und ließ ihr Fuß-Volck
gegen die zuruͤck gelaſſenen und bald dar bald
dort blinden Lermen machenden Schiffe ſtehen.
Ob nun gleich die Roͤmer mehr als zehnmahl
am Ufer feſten Fuß ſetzten; ſo ſchlug ſie doch
die großmuͤthige Boudicea allezeit mit groſſem
Verluſte in den Schlam und das Meer zuruͤ-
cke; alſo: daß derer mehr als zwey tauſend dar-
innen erſtickten/ und faſt niemand mehr auff
Befehl der Krieges-Oberſten anſetzen wolte.
Deſſen ungeachtet wolte Caͤſar hier lieber ſelbſt
umkommen/ als mit Abweichung allen vorigen
Ruhm verſpielen. Daher befahl er dem/ der
den guͤldenen Adler der zehenden Legion fuͤhr-
te: Er ſolte mit ſelbtem aus dem Schiffe ſprin-
gen; oder da er kein Hertz haͤtte/ ſelbten gegen
dem Ufer werffen/ um zu ſchauen: Ob die Roͤ-
mer diß heilige Merckmahl ihres ewigen Rei-
ches den Feinden verraͤtheriſch in Haͤnden laſ-
ſen wolten. Wie nun der Faͤhnrich voran/
Caͤſar auch ſelbſt nachſprang/ drang ſich alles
mit Gewalt aus den Schiffen; und wenn ſchon
die Vorgaͤnger von Britanniern erlegt wur-
den/ traten dennoch die nachfolgenden ver-
zweiffelt an ihre Stelle. Weil auch gleich
zwoͤlff mit Reuterey verſchlagene Schiffe Caͤ-
ſarn zu Huͤlffe kamen/ muſte Boudicea/ nach
dem
[1017[1019]]Arminius und Thußnelda.
dem ſie einen gantzen Tag mit acht tauſend
Mann leichten Reutern die Roͤmiſche Macht
aufgehalten hatte/ Caͤſarn die Anlendung ent-
raͤumen. Ob nun wol achtzehn andere mit
Reuterey beladene Schiffe aus Gallien Caͤſarn
folgten; ſo erregte ſich doch ein neuer Sturm/
und bey damahligem Vollmonden ward die
Flut ſo ungewoͤhnlich groß: daß jene Schiffe
abermahls zerſtreuet/ die an dem Strande zu
kurtz angebundenen aber entweder eingeſenckt/
oder von den Wellen zerſchlagen wurden. Caͤ-
ſar lernte hieꝛdurch: daß die Hertzhaftigkeit nicht
allzeit die Maͤß-Schnure unſerer Siege und
Gluͤcks waͤren/ ward alſo hieruͤber nicht wenig
bekuͤm̃ert/ ſonderlich als er vernahm: daß Bon-
dicea ſich in der Naͤhe verſtaͤrckte/ und auf ihn
loß zu gehen ſich anſchickte. Gleichwol ließ er
Tag und Nacht an Befeſtigung des Laͤgers/
und an Ausbeſſerung der zerſchmetterten
Schiffe arbeiten. Boudicea that inzwiſchen
bey Erwartung des zum Sturm noͤthigen
Fuß-Volcks den Roͤmern/ welche auf Fuͤtte-
rung ausritten/ taͤglich groſſen Abbruch/ end-
lich ſtuͤrmte ſie gar das Laͤger. Weil aber ſelb-
tes wegen der tieffen Graͤben/ groſſen Bollwer-
cke/ vielen Thuͤrme/ und mangelnden Sturm-
Zeuges/ wie dieſe ihnen gantz neue Art der
Befeſtigung bedorffte/ allzuviel Volckes zu be-
doͤrffen ſchien/ hielt ſie als eine nicht weniger
kluge Landes-Mutter/ als eine großmuͤthige
Heldin fuͤr rathſamer/ den Feind nur ins Laͤ-
ger einzuſchlieſſen/ und durch Abſchneidung
aller Lebens-Mittel zum Abzuge zu noͤthigen;
denn durch unerſaͤtzliche Verſchwendung vie-
len Menſchen-Blutes den eitelen Ruhm einer
verwegenen Eroberung zu erwerben. Caͤſar
kriegte hierauf Nachricht: daß Koͤnig Caßibe-
lin haͤtte den Comius auf einem Nachen an das
Galliſche Ufer fuͤhren/ und daſelbſt ausſetzen
laſſen; zugleich auch ein Schreiben: Darinnen
der Koͤnig ſeine Beſtraffung ſelbſt heimſtellte;
weil er durch unrechtmaͤßige Beſtechungen ſei-
ne Diener verleiten/ ſeine Geheimnuͤße aus-
kundſchafften/ ſeine Unterthanen zu Aufruhre
bewegen wollen; und dardurch nicht weniger
das Recht der Voͤlcker verletzt/ als ſein heiliges
Amt verunehret haͤtte. Caͤſar lachte zwar hier-
zu; und ſagte: Bothſchaffter waͤren die fuͤr-
nehmſten Kundſchaffter/ und einen andern uͤber
den Stock ſtoſſen ihr Handwerck; gleichwol a-
ber brauchte er die Loßlaſſung des Comius zu
einem ſcheinbaren Vorwandte ſeiner Beſtil-
lung. Wie nun das ungeſtuͤme Meer ſich
nur etlicher maſſen beſaͤnfftigte; gieng er um
Mitternacht in aller Stille zu Schiffe/ und
zwar mit groſſem Verluſt der Schiffe und
Volckes; ſegelte aber mit keinem andern Ge-
winn zuruͤcke/ als daß die Roͤmer Britannien
geſehen hatten; und lieff theils in dem Jcciſchen
Hafen/ theils in dem Munde des Fluſſes Can-
cius zu Lutomagus ein.
Caͤſar aber fand Gallien auch in ziemlich
verwirrtem Zuſtande; Denn die Moriner und
Menapier waren nicht nur denen Atrebatern
eingefallen; ſondern der Trevirer Hertzog Ju-
duciamor empfand auch ſehr hoch: daß Caͤſar
ohne einige Urſache ſeiner Schweſter Tochter
die Koͤnigin Boudicea uͤberzogen hatte. Daher
er nicht nur mit dem Eburoner Hertzoge Cat-
tivolck/ ſondern auch mit dem Feldherꝛn Aem-
brich Rath hielt/ wie ſie ſaͤmtlich ihrer nahen
Bluts-Freundin/ wie auch denen Galliern/
welche von allen Seiten die deutſchen Fuͤrſten
um Entbuͤrdung des Roͤmiſchen Jochs anfle-
heten/ zu Huͤlffe kaͤmen. Weil aber der Feld-
Herꝛ Aembrich noch mit denen Catten/ Her-
mundurern und Svionen alle Haͤnde voll zu
thun hatte/ dorffte er gegen die Roͤmer nichts
hauptſaͤchliches entſchlieſſen.
Jnzwiſchen ſchickte Caͤſar den Labienus mit
zweyen Legionen gegen die Moriner; den Ti-
turius und Cotta aber mit ſo vielen/ und den Co-
mius mit etlichen tauſend Galliern wieder die
Menapier. Alleine beyde Voͤlcker verlieſſen
Erſter Theil. N n n n n nihre
[1018[1020]]Siebendes Buch
ihre geringe Wohnungen/ brachten ihre beſte
Sachen in die mit vielen Suͤmpffen umgebe-
ne Waͤlder; und fuͤgten den Roͤmern/ welche
ſich unterſtunden die verhauenen Forſte zu oͤff-
nen/ groſſen Schaden zu; alſo: daß ſie endlich
ihnen die Freyheit laſſen/ und mit ihnen einen
billichen Vergleich treffen muſten.
Unterdeſſen ſtand Deutſchland noch in vol-
ler Verwirrung; und nichts minder die Hertzen
voller Rachgier/ als das Land voller Kriegs-
Flamme. Der Gottesdienſt war zwar der Vor-
wand; das Abſehen aber ſeiner Fuͤrſten war die
Ober-Herꝛſchafft. Das Volck ward hieruͤber
theils mit gaͤntzlichem Unglauben/ theils mit A-
berglauben eingenommen; welcher letzte die
Seele uͤberſuͤchtig macht/ der erſte aber ſie gar
verblaͤndet. Die kluͤgſten entzogen bey dieſer
Verwirrung dem Vaterlande ſo wol ihre Ach-
ſeln/ als ihre Rathſchlaͤge; wiewol dieſe Ent-
ziehung ſo gefaͤhrlich als anderer Anmaſſung
war. Die buͤrgerliche Zwytracht hob an vie-
len Orten den noͤthigen Unterſchied der Gebie-
tenden und Gehorchenden auf; alſo: daß dieſe
ſich wieder jene/ wie zu Rom an dem Feyer des
Saturnus die Knechte uͤber ihre Herren der
Bothmaͤßigkeit anmaſten. Der Feldherꝛ Her-
tzog Aembrich ſelbſt gerieth bey vielen in ſo
ſchlechtes Anſehen: daß etliche Pannoniſche
Ritter ihn in ſeinem Zimmer uͤbertraten; und
ihm die Wiederruffung ſeiner wieder die Eu-
bagen gemachten Schluͤſſe aufdringen wolten.
Jhrer viel unter denen Groſſen umarmeten ſich
mit den Aemptern ſeiner Hoheit/ wie die Gri-
chen an dem Plyntheriſchen Feyer mit den Bil-
dern der Minerva und wie die wuͤtenden Prie-
ſter des Kriegs-Gotts/ welche an ſeinem Feyer
zu Rom wie thumme Leute mit den Anciliſchen
Schulden herum ſchwaͤrmten. Mit einem
Worte: das Gewebe der Herꝛſchafft in Deutſch-
land war derogeſtalt verfitzet: daß es weder der
kluge Feldherꝛ/ noch iemand anders durch or-
dentliche Mittel zu vernichten faͤhig war. Er er-
kennte ſodenn allererſt/ wie viel er durch Lin-
digkeit gefehlet; da er auf Beſchwerfuͤhrung
der Ubier und anderer Bundsgenoſſen ſeinen
Feld-Oberſten Terbal ſeiner Aempter entſetzt
hatte; und daß ein Fuͤrſt ihm ſelbſt ein Auge
ausreiſſe/ wenn er einen in Treue und Klug-
heit lange gepruͤfften Diener von ſich laͤſt. Da-
her er dieſen verſtoſſenen nunmehr gleichſam
wieder alle Geſetze der Staats-Klugheit; ja faſt
mit unverſchraͤnckter Gewalt ſeinem Kriegs-
Heere fuͤrſetzen muſte. Denn ob zwar dieſer
kluge Fuͤrſt wol verſtand: daß man ſeinen Die-
ner zum Gefaͤhrten ſeiner Bemuͤhungen/ nicht
aber ſeiner Wuͤrde machen/ ihn mit ſeinem
Schatten bedecken/ nicht aber mit ſeinem
Purpur umhuͤllen/ am wenigſten aber man
mit ſeinem Diener verbindliche Bedingungen
machen/ ihn aller kuͤnfftigen Rechenſchafft zu-
vor aus erlaſſen/ und denen Unter gebenen ihre
Zuflucht an den Fuͤrſten verſchrencken ſolte; ſo
war doch nicht ſo wol die Klugheit/ als die Noth
dißmahl das Geſetze der Zeit/ und eine Richt-
ſchnur ſeiner Entſchluͤſſung. Terbal beſiegelte
auch alſobald ſeine Treue mit einem gluͤcklichen
Anfange; da er nemlich den Koͤnig Arioviſt/
welcher bey denen Hermundurern ſein ver-
ſchantztes Laͤger ſtuͤrmte/ mit groſſem Verluſt
abtrieb. Beyde groſſe Kriegs-Machten ka-
men hierauf nicht ferne von der Elbe abermals
an einander. Denn ob wol der Feldherꝛ Aem-
brich daſelbſt in Eil um ſein Heer einen zweyfa-
chen Graben aufwerffen ließ; ſo trieb doch den
Koͤnig Arioviſt die Rachgier wegen vorigen
Verluſtes/ Gotarten das Vertrauen auff ſein
Gluͤcke/ und die Tapfferkeit ſeines ſo vieler
Siege gewohnten Kriegs-Heeres/ den Hertzog
Briton das Verlangen die feindliche Macht
auſſer ſeinen Laͤndern zu bringen dahin: daß ſie
das Cheruskiſche Heer/ ungeachtet des fuͤr ſich
habenden groſſen Vortheils/ gleichſam ver-
zweiffelt angrieffen. Zu ihrem groſſen Ungluͤcke
aber ward der allzuhitzige Fuͤrſt Gotart an dem
andern Graben von einem Buriſchen Ritter
bald
[1019[1021]]Arminius und Thußnelda.
bald im Anfange des Treffens mit einem Pfei-
le toͤdtlich verwundet; zu einer Verwarnigung
aller Kriegs-Haͤupter: daß ſie ſich die Begierde
eitelen Ruhmes nicht zur Vermeſſenheit verlei-
ten laſſen/ noch mit einem gemeinen Krieges-
Knechte das Ampt verwechſeln/ ſondern viel-
mehr erwegen ſollen: daß ein Feldherꝛ nichts
minder in ſeinem Heere/ als das Hertz im Leibe
zum allerletzten ſterben doͤrffe. Es iſt wol wahr/
ſagte Zeno; daß ein Fuͤrſt/ als die Seele ſeines
Reiches ſich nicht in allen Traͤffen befinden/ we-
niger in Schlachten ſich an die Spitze ſtellen
ſolle. Wenn es aber um das Hefft der Herr-
ſchafft zu thun iſt/ oder Kron und Zepter mit
dem Heile und der Wolfarth des Volcks auff
der Wagſchale liegen/ ſcheinet der des Sieges
kaum wuͤrdig zu ſeyn/ der ſich nicht zugleich der
Gefahr theilhafftig macht. Das Verlangen
ſein Reich zu erweitern reitzte den Koͤnig Philip
in Macedonien: daß er ſeine Vergnuͤgung
ſuchte/ wo es am ſchaͤrffſten zugieng. Den Ver-
luſt ſeines Auges hielt er nach Erlegung ſeines
Feindes fuͤr Gewinn; und die Schrammen
ſeiner Glieder fuͤr Ehren-Maale. Sein noch
groͤſſerer Sohn Alexander ſuchte allenthalben
die Gefahr/ wo ſich ſonſt niemand wolte finden
laſſen. Und es ſcheinet: daß ſo denn der Tod
ſich fuͤr denſelbigen ſcheue/ die ihm ſo hertzhafft
unter die Augen gehen. Wenn aber auch ja
das Verhaͤngnuͤß ein anders uͤber ihn beſtim-
met; iſt es beſſer: daß einer als ein Fuͤrſt ſterbe;
als ein Verjagter der Welt ein Schauſpiel des
Ungluͤcks abgaͤbe. Zumahl auch Codrus fuͤr ſein
Vaterland vorſetzlich dem Tode in die Armen
rennte. Es iſt nicht ohne/ verſetzte Malovend.
Aber damahls war es Gotarten nicht um die
Herꝛſchafft/ ſondern um eine fremde Wuͤrde zu
thun; auch war die Noth ſo noch nicht an Mann
kommen: daß Gotart ſelbſt ſich in die Gefahr
ſetzte; oder auch die Verrichtung ſo beſchaffen:
daß kein ander Kriegs-Oberſter ſelbte haͤtte uͤ-
bernehmen koͤnnen. Jedoch verbeſſerte der
tapffere Gotart dieſe Ubereilung durch eine ver-
nuͤnfftige Erinnerung; da er nehmlich wegen
Unvermoͤgenheit zu reden ſeine Hand auf den
Mund legte/ und dardurch ſeinen Tod geheim
zu halten anbefahl. Aber die Beſtuͤrtzung ſeiner
Leute/ oder das gewaͤſchige Geſchrey verrieth
ſeinen Fall in kurtzem durch das gantze fechten-
de Heer; wiewol es ſelbtes mehr zur Rache reitz-
te/ als einige Kleinmuth verurſachte. Denn als
Koͤnig Arioviſt mit dem Feldherꝛn ſelbſt; Her-
tzog Briton mit Terbaln/ der die Quaden/ Ly-
gier und Semnoner fuͤhrte/ nichts minder das
Gluͤcke/ als die Streiche verwechſelte/ erlegten
die verbitterten Svionen den Chaßuarier
Hertzog/ und brachten den ihm unter gebenen
lincken Fluͤgel in die Flucht. Gleichwol blieben
die andern Heerfuͤhrer unverruͤckt gegen einan-
der in blutigem Gefechte biß in die ſinckende
Nacht ſtehen; da deñ der Feldherꝛ ſeinem Fein-
de fuͤr den Verluſt eines ſo tapfferen Fuͤrſten die
Ehre eines theuer bezahlten Sieges einzuraͤu-
men gezwungen ward. Hertzog Aembrich buͤſte
dißmahl mehr als die Helffte ſeines Heeres/ a-
ber nichts von ſeinem Hertzen ein. Ja ſeine
Tapfferkeit war niemahls ſichtbarer/ als wenn
es ihm uͤbel gieng. Die finſteren Wolcken der
Unruh erleuchteten gleichſam ſeinen Verſtand;
und die Gefaͤhrligkeiten befeſtigten ſeine Hertz-
hafftigkeit. Daher verſtaͤrckte er ſein Heer nicht
mehr durch neue Kriegs-Scharen/ als mit ſei-
nem muthigen Beyſpiele. Seinen Feinden
hingegen verſchwand durch Zwytracht der
Heerfuͤhrer nicht allein die Frucht alles Sieges
aus den Haͤnden; ſondern ihre Kraͤfften verge-
ringerten ſich auch unempfindlich/ und ohne
Wahrnehmung einiger Urſache. Sinte-
mahl der Zwiſt der Aertzte nicht mehr Lei-
chen zu Grabe ſchickt/ als Uneinigkeit der
Haͤupteꝛ denen maͤchtigen Heeren heim
hilfft/ oder wenigſtens ihnen ihre Spann-
Adern verſchneidet. Der Hermundurer Her-
tzog Briton hatte ſchon fuͤr geraumer Zeit auf
ſeiner Bundsgenoſſen anwachſende Gewalt ein
ſcheles Auge gehabt; welche dieſen ſo wenig zu
N n n n n n 2ſeinen
[1020[1022]]Siebendes Buch
ſeinen Gebietern als den Feldherrn Aembrich
zu ſeinem Herrn/ ſondern beyde zu ſeines glei-
chen haben wolte. Uber diß empfand er: daß
nach Gotarts Tode/ welcher allein eine einige
Tochter in ſeiner Herꝛſchafft hinterlaſſen hatte;
nicht ihm/ ſondern einem Svioniſchen Edel-
manne Rixeſton die oberſte Kriegs-Verwal-
tung anvertraut ward. Denn Fuͤrſten vertra-
gen neben ſich ſo ungerne niedrige Gefaͤrthen/
als das Auge der Welt neblichte Neben-Son-
nen. Dieſer Gelegenheit bediente ſich der
Feldherꝛ Aembrich zu ſeinem anſehnlichen
Vortheil/ bot dem Hertzoge Briton anſtaͤndige
Friedens-Vorſchlaͤge an; wol wiſſende: daß
ſeine Verſoͤhnung ihm leicht vieler andern
deutſchen Fuͤrſten Gemuͤther gewiñen wuͤrde.
Er haͤtte auch unſchwer ſeinen Zweck erreicht;
wenn nicht ſein Feldhauptmann Terbal aus
Beyſorge: daß der Feldherr ihn zum andern
mahl ſeiner Wuͤrde entſetzen/ und ſeinen eige-
nen aus Perſien ruhmwuͤrdigſt zuruͤckgekom-
menen Sohn Segimern darzu erheben wuͤr-
de/ mit ſeinen Feinden in ein heimliches Ver-
ſtaͤndniß getreten/ und ſeine Verraͤtherey mit
der Liebe des Vaterlandes/ welchem der Feld-
herꝛ die Feſſel euſſerſter Dienſtbarkeit anzule-
gen im Schilde fuͤhrte/ verdecket/ alſo den auff
Aembrichs Seite ſchon geneigten Fuͤrſten der
Hermundurer irre gemacht haͤtte. Wie nun
Terbal mit dem Koͤnige Arioviſt ſchon zum
Schluſſe eines heimlichen Buͤndnuͤßes kom-
men war; unterſtand er ſich die Gemuͤther der
andern Cheruskiſchen Kriegs-Oberſten theils
durch Wolthaten ihrem Herꝛn abzuſtehlen;
theils durch Fuͤrſtellung ſeiner zweyten Abdan-
ckung gegen ſich zum Mitleiden zu bewegen;
oder vielmehr ihnen fuͤrzubilden: daß ſie fuͤr ih-
re treue Dienſte von einem undanckbaren Fuͤr-
ſten keinen beſſern Lohn/ von dem tapffern Koͤ-
nige Arioviſt aber als einem/ der die Tugend
hoͤher zu ſchaͤtzen wuͤſte/ zuerwarten/ auf des
Feldherꝛn Untergang aber eine beſſere Herꝛ-
ſchafft des Vaterlandes und ihre eigene Wol-
farth zu ergruͤnden haͤtten. Alſo faͤnget niemand
an ſeinen Fuͤrſten vorſetzlich zu beleidigen: daß
er hernach darmit aufhoͤren wolle; und weder
Ehrſucht nach Rache wiſſen in ihrem Begin-
nen Maaß zu halten. Terbal wuſte ſeinem
Meyneyde eine ſolche Farbe anzuſtreichen: daß
er nicht nur die gemeinen Knechte/ welche zwar
anfangs wie das Meer unbeweglich ſind/ her-
nach aber/ wenn der Wind ſie einmahl erreget
hat/ auch/ wenn dieſer ſich ſchon leget/ nicht auf-
hoͤren zu ſchaͤumen; ſondern auch etliche der
Kriegs-Obeꝛſten blaͤndete. Denn/ weil die Ehr-
ſuͤchtigen bey verwirrtem Zuſtande Wuͤrden
zu erlangen ihnen einbilden/ die ſie ihrer Ver-
dienſte halber bey ruhigem zu uͤberkommen ih-
nen ſelbſt nicht getrauen; die Eitelen aber ſich
nicht ſo wol uͤber einem abgeſehenen Preiße der
auf ihre Hoͤrner genommenen Gefahr/ als uͤ-
ber der Gefahr ſich ſelbſt erfreuen/ oder dem ge-
genwaͤrtigen Gewiſſen das kuͤnfftige ungewiſſe
vorziehen; ſo faͤllt es einem verfchlagenen Auf-
wiegler nicht ſchwer anfangs die boßhafften/
hernach die leichtſinnigen zu gewinnen/ und
endlich auch die wenigen Klugen an das allge-
meine Seil zu bringen. Gegen dieſe letztere
bediente er ſich ſonderlich des Vorwands: daß
die eingefuͤhrte Wuͤrde der Feldherꝛſchafft mit
der Deutſchen Freyheit ſich nicht allerdings
vertruͤge; welche dadurch verewigt wuͤrde/ wenn
alle Fuͤrſten einander die Wage hielten; ſelbi-
gen Augenblick aber Schiffbruch lidte/ wenn
einer auch nur eine Staffel die andern uͤberſtie-
ge. Gleichwol aber nahm die Treue und Klug-
heit etlicher Cheruskiſchen Feld-Oberſten Ter-
bals Boßheit zeitlich wahr/ welche dem Feld-
herꝛn die groſſe Gefahr eilends entdeckten; und
ſich zu Werckzeugen ſelbter zu begegnen willig
anerboten/ inzwiſchen aber theils Terbals An-
muthungen ausdꝛuͤcklich beypflichteten/ wormit
ſie ſeine Geheimnuͤſſe nicht nur beſſer ausforſch-
ten/ ſondern auch durch den Beytrag ihrer
Rath-
[1021[1023]]Arminius und Thußnelda.
Rathſchlaͤge den offentlichen Abfall etwas ver-
zuͤgerten; theils als wenn ſie ſein Abſehen nicht
erkieſeten/ ſich mit Fleiß alber anſtellten. Rhe-
metalces fieng an: Jch werde hierdurch in mei-
ner Meynung beſtaͤrckt: daß die Thorheit nicht
allezeit eine Tochter der Unwiſſenheit/ noch eine
Kranckheit der Seele/ ſondern eine Gefaͤrthin
der Klugheitſey. Sonder allen Zweiffel ant-
wortete Zeno. Denn wenn Brutus ſich nicht
mit dieſer Naͤrrin vermaͤhlt haͤtte; waͤre Rom
unter dem Joche der Tarquinier vollends ver-
ſchmachtet. Ulyſſes iſt niemahls verſchlagener
geweſt/ als da er ſich unſinnig geſtellt. Ja ich
will noch wol mehr ſagen; nehmlich: daß die
Narrheit eine Erhalterin der Welt/ und eine
Saͤug-Amme vieler tauſend Menſchen ſey.
Denn wenn der Krieg/ als der Raͤdelsfuͤhrer
aller Thorheiten/ nicht ſo viel Menſchen auf-
fraͤſſe; unſere Boßheit nicht den erzuͤrnten Him-
mel zu Schickung der Peſt/ der Erdbeben und
anderer Ungluͤcke reitzte/ wuͤrde die Erde kaum
die Helffte der Menſchen verpflegen koͤnnen.
Wie viel tauſend erhalten ſich nicht vom Spie-
le/ Tantze/ Gezaͤncke/ von Bereitung des
Werckzeuges unſerer Wolluͤſte; welchem allem
unſere Thorheit ſeine Bewegung giebt. Ja
das Siech-Hauß dieſer unheilbaren Krancken
hat einen ſo groſſen Umſchweiff/ als die Erde.
Daher ſich nicht zu verwundern: daß zu Rom
alle Jahr das Feyer des Quirinus den Narren
zu gefallen gehalten ward. Malovend fuhr
fort: die alberen Kriegs-Oberſten waren auch
in unſerer Geſchichte des Feldherꝛn Aembrichs
kluͤgſte Rathgeber; ja ſeine und des Cheruski-
ſchen Hauſes Erhalter. Denn weil es in Ver-
raͤthereyen gefaͤhrlicher iſt/ als gifftigen Fleck-
febern lange uͤber Wahl der Artzney Rath zu
halten; er auch wol wuſte: wie das Kriegsvolck
an Terbaln ſo ſehr hienge/ ſchickte er dieſen ge-
treuen Einfaltigen einen Befehl zu: Sie ſolten
mit dem Kopffe denen Auffruͤhrern die Adern
verſchneiden; und mit dem Blute des einigen
Terbals die Schuld aller Mitverſchwornen
ausleſchen. Dieſe uͤbten den Befehl nicht we-
niger kluͤglich als hertzhafft aus. Denn als
Terbal des Abends vorher ſeinem Anhange ein
koͤſtliches Gaſt-Gebot ausgerichtet hatte/ uͤber-
fielen ſie ihn des Nachts in ſeinem Gezelt; alſo
daß dem Heere nicht ehe ſein Tod lautbar/ als
dem Heere der ruͤckſtaͤndige Sold bezahlet/
Terbals Schrifften undurchleſen verbrennt/
und zugleich allen angedeutet ward: Weil von
Terbaln allein alles Gifft des Meyneydes her-
ruͤhrte/ begehrte der Feldherꝛ nach keinem Mit-
ſchuldigen zu fragen. Dieſe kluge Anſtalt
ſchreckte die Boßhafften/ beruhigte die Ver-
fuͤhrten/ vergnuͤgte die Duͤrfftigen/ verſicherte
die zweiffelnden; alſo: daß die derogeſtalt lin-
de gehandelten Glieder nicht einmahl zuckten/
als gleich ihrem Haupte das kalte Eiſen durch
die Gurgel fuhr; ſondern vielmehr kurtz hier-
auf den Fuͤrſten Segimer zu ihrem neuen
Kriegs-Haupte mit Freuden annahmen. Zeno
brach ein: Jch unterſtehe mich nicht dieſen gluͤck-
lichen Streich des Fuͤrſten Aembrichs zu ſchel-
ten; weil ich alle Umſtaͤnde nicht weiß/ derer
eine einem gantzen Wercke ein gantz ander Ge-
ſichte zueignen kan. Jch wuͤrde auch den Fuͤr-
ſten ihre uͤber die Schrancken der Geſetze erho-
bene Macht ſtrittig machen/ wenn ich von ſei-
nem Urthel Rechenſchafft fordern wolte/ wel-
ches die Perſer fuͤr eine ungereimte uñ Koͤnigen
unanſtaͤndige Umſchraͤnckung auslegten; als
ihr Cambyſes ſie fragte: Ob er ſeine Schweſter
ehlichen moͤchte. Allein ich beſcheide mich doch:
daß die Deutſchen wie die vernuͤnfftigſten Voͤl-
cker ſolche Fuͤrſten haben/ welche mehr fuͤr Ehre/
als Zwang halten/ ſich der Vernunfft zu unter-
werffen/ und/ um denen Unterthanen den Ge-
horſam zu erleichtern ihren Willen eigenbe-
weglich unter der Richtſchnur der Geſetze zu
beugen; die gleich von ihrer Willkuͤhr ihre
Seele und Krafft bekommen. Welche Ge-
muͤths-Maͤßigung ihrer Gewalt ſicher ſo we-
N n n n n n 3nigen
[1022[1024]]Siebendes Buch
nigen Abbruch thut/ als der Goͤttlichen All-
macht; wenn ſelbte ins gemein ihre Wege nach
dem Lauffe der Natur einrichtet; und der Wun-
derwercke ſich ſelten/ niemahls auch auſſer in
den allerwichtigſten Verhaͤngnuͤſſen gebrau-
chet. Bey welcher Bewandnuͤß mir denn ſehr
bedencklich faͤllt gegen einen Beſchuldigten oh-
ne Verhoͤr und Verantwortung zu verfahren.
Denn wenn es genung iſt einen begangener
Laſter halber anklagen/ wer wird fuͤr den Ver-
laͤumdern unſchuldig bleiben? Wil man einem
keinen Beyſtand erlauben/ ſo kan man ihn doch
nicht ohne Richter verdammen. Fuͤrſten/ ja
Wuͤtteriche koͤnnen einem Sterbenden kaum
dieſe Barmhertzigkeit abſchlagen: daß er vorher
die Urſache ſeines Todes erfahre/ und die Gna-
de der Verdammung genuͤße. Gewiß/ auch
der guͤtigſte Fuͤrſt wird bey einer ſolchen Ver-
fahrungs-Art niemahls ſeine Haͤnde von den
Flecken zu unrecht verſpruͤtzten Blutes wa-
ſchen; und die aͤrgſten Ubelthaͤter die Nahmen
unſchuldiger Maͤrterer zum Gewinn haben.
Ein zu ſtrenges Urthel uͤber einen leichten Feh-
ler hat keinen ſo groſſen Schein einer Grau-
ſamkeit/ als eine linde Beſtraffung einer uner-
wieſenen Miſſethat. Beym einaͤugichten Koͤni-
ge Philip war es Halsbꝛuͤchig eines Cyclopen ge-
dencken; und beym verſchnittenen Hermias ein
Beſchneide-Meſſer nennen. Bey einem an-
dern kahlkoͤpfichten Fuͤrſten muſten die uͤber die
Klinge ſpringen/ welche einer Platte erwehn-
ten. Aber alle dieſe verfielen beym Volcke nicht
in ſo uͤbele Nachrede/ als Alexander/ da er den
durch nichts/ als ſein ausgepreßtes Bekaͤntnuͤß
uͤberwieſenen Philotas hinrichten ließ. Zumahl
auch mit der Zeit die Rachgier wieder die aͤrg-
ſten Ubelthaͤter veraltert/ und der Zorn ſich eben
ſo in Mitleiden verwandelt; wie gegen der an-
faͤnglichen Verbitterung ſich keine Unſchuld
ausfuͤhren kan. Ja es verrichtet ſelten der
Scharffrichter ſein Ampt: daß nicht das Volck
das Urthel fuͤr ein zu ſcharffes Gerichte haͤlt.
Dieſemnach iſt es einem Fuͤrſten nit nur anſtaͤn-
diger/ ſondern auch rathſamer hundert ſchuldige
zu verſchonen/ als einen unſchuldigen zu toͤdten.
Denn es hat die Straffe mehr mit der Hoͤlle/ die
Begnadigung aber mehr mit dem Himmel
Verwandſchafft; welcher durch ſeinen Blitz
zwar offt ihrer viel tauſend ſchrecket/ aber ſelten
einen beſchaͤdigt; alſo gar: daß das Alterthum
geglaubet: Jupiter koͤnne zwar fuͤr ſich alleine
zum Schrecken donnern; aber ohne der andern
Goͤtter Einwilligung keinen treffenden Don-
ner-Keil auf die Menſchen herab fahren laſſen.
Ja die Natur ſelbſt ſcheinet aus keiner andern
Urſache das Blut in den muͤtterlichen Bruͤſten
in Milch zu verwandeln/ als damit die ſaͤugen-
den Kinder nicht dardurch zum Blutdurſte an-
gewehnet wuͤrden. Am allerwenigſten aber ſte-
het die Eigenſchafft der Aegln Fuͤrſten an/ wel-
che Vaͤter des Landes/ und Saͤug-Ammen des
Volckes ſeyn ſollen. Ja dieſelben/ welche aus
Verdacht ohne Urthel und Recht uͤber ihre Die-
ner ein ſo ſtrenges Hals-Gerichte gehegt; ha-
ben meiſtentheils einen verzweifelten Untertha-
nen zu ihrem Richter und Hencker erdulden
muͤſſen. Daher Fuͤrſt Segimer/ als einer in
ſolcher Berathſchlagung ſtatt ſeiner Meynung
fuͤrbrachte: Des Pompejus Tod war Caͤſars
Leben; ſelbigem vernuͤnfftig antwortete: Es
iſt wahr; aber diß mangelt noch zur Geſchichte:
Des Pompejus Tod war Caͤſars Untergang.
Rhemetalces begegnete ihm: Jch bin eben ſo
wol kein Freund der Grauſamkeit; und halte
darfuͤr: daß einem Fuͤrſten viel Hals-Gerichte
ſo wenig/ als einem Artzte viel Leichen ruͤhmlich
ſind. Es iſt auſſer Zweiffel auch mehr viehiſch
als menſchlich einen verdammen/ deſſen Ber-
theidigung man nicht gehoͤret hat. Denn die
Verlaͤumdung ſcheuet ſich nicht auch die reinſte
Unſchuld zu ſchwaͤrtzen. Keine Blume hat ſo
geſunde Krafft in ſich: daß ſie nicht der Kroͤte zu
einer Nahrung ihres Gifftes diene; und der
Verdacht iſt ſo wol ein verdaͤchtiger Zeuge als
ein
[1023[1025]]Arminius und Thußnelda.
ein ſchielender Richter. Alleine dieſer Rechts-
weg iſt keine ſichere Bahn in den hohen Ver-
brechen wieder den Staat und die Hoheit eines
Fuͤrſten. Beyde ſind unleidlicher anzuruͤhren
als die Augen/ ja auch ſorgfaͤltiger zu verwah-
ren. Den Fiſcher/ der den dem Alexander vom
Haupte gewehten und in einen ſchilfichten
Sumpff neben eines alten Koͤniges Grab ge-
worffenen Krantz aufhob/ koſtete ſeine Dienſt-
barkeit den Hals. Und Cambyſes hielt einen
Traum fuͤr genungſame Urſache ſeinem Bru-
der das Licht auszuleſchen. Ob ich nun zwar
in die Fußſtapffen dieſer ſcharffen Richter zu
treten nicht rathe; ſo kan ich doch den nicht ta-
deln/ der in den Laſtern wieder den Staat das
Recht von Vollziehung des Urthels anhebt/
wenn entweder derer zu viel iſt/ die ſich wieder
das gemeine Weſen verſchworen haben/ und
der Schlag gleichſam ſchon uͤber dem Nacken
ſchwebt/ oder wo der Verraͤther die Waffen in
Haͤnden hat. Jn dieſen Faͤllen erlaubet das
oberſte Geſetze/ nehmlich das allgemeine Heyl/
auch wieder die Geſetze gegen einen Verbrecher
zu verfahren/ und den Kopff der Schlange un-
verſehens zu zerquetſchen/ ehe ſie ſticht. Alſo
ließ Alexander den bey ſeinem Heere allzuhoch
angeſehenen Parmenio durch ſeinen beſten
Freund Polydamas abſchlachten. Nicht an-
ders halff Dion dem gewaffneten Heraclides
zu Syracuſa vom Leben. Zwar es kan geſche-
hen: daß zuweilen die Unſchuld hierdurch Noth
leidet. Denn die mit einer Larve der Ver-
laͤumdung verſtellte Tugend ſieht vielmahl
dem Laſter ſo aͤhnlich: daß ſie auch der ſcharff-
ſichtigſte nicht unterſcheiden kan. Aber die ge-
meine Wolfarth muß dieſen Schaden erſetzen.
Auch die beſten Aertzte laſſen geſunden Glie-
dern zur Ader/ um das krancke Haupt zu er-
halten/ und dem bedraͤngten Hertzen Lufft zu
machen. Wenn der zehende eines ſeiner Pflicht
vergeſſenden Kriegs-Volcks durchs Loß zum
Tode erkieſet wird/ trifft es mehrmahls die
tapfferſten. Ja in den Laſtern wieder den
Staat und die Fuͤrſten machen die Geſetze der
meiſten Voͤlcker Kinder und Bluts-Freunde/
ja auch die ſtraffbar/ welche Alters halber zu
fuͤndigen nicht faͤhig ſind. Alleine alle groſſe
Beyſpiele haben etwas ungerechtes/ wie die
kraͤfftigſten Artzneyen ein wenig Gifft bey
ſich. Dieſen Schaden aber muß die Erhal-
tung des Reiches und eines Fuͤrſten erſetzen.
Denn dieſer iſt der Steuer-Mann/ an dem
das meiſte gelegen iſt; und der in ſolchen Faͤl-
len ſich eines andern Compaſſes in der Nacht/
eines andern des Tages gebrauchen; ja bey ſich
naͤherndem Schiffbruche auch diß/ was er am
liebſten hat/ uͤber Port werffen muß. Ma-
lovend brach ein: Hertzog Aembrich kam eben
ſo ungerne dran; iedoch zwang ihn die Noth
ſich des ihm nichts minder beliebten als benoͤ-
thigten Terbals zu entſchlagen; den er faſt al-
leine der Feld-Hauptmannſchafft gewachſen
hielt. Alleine der ſeinen erledigten Platz ver-
tretende Fuͤrſt Segimer erfuͤllte nichts minder
ſein Ampt/ als den Platz; und kam ſo wol des
Vaters Vertrauen und des Volckes Hoff-
nung/ als ſeinen Jahren zuvor. Er ſetzte
ihm alsbald fuͤr durch einen ruͤhmlichen An-
fang ſich bey den Seinen beliebt/ bey dem
Feinde anſehnlich zu machen; wol wiſſende:
daß wie die Sternſeher aus dem einigen
Geburts-Geſtirne des menſchlichen Le-
bens/ alſo die Kriegs-Leute als ihres Heer-
fuͤhrers erſtem Streiche ſein gantzes kuͤnff-
tiges Gluͤck und Ungluͤck wahrſagen.
Weil nun durch lange Ruhe das Kriegs-
Volck nur in allerhand Schwachheiten
verfaͤllt; taͤgliche Bemuͤhung aber ſelb-
tes auff nichts boͤſes gedencken laͤßt; ruͤck-
te er mit ſeinem Heer denen Alemaͤn-
nern ins Hertz/ und belaͤgerte die Stadt
Alzimoen. Wie nun Arioviſt und Ara-
bar
[1024[1026]]Siebendes Buch
bar der Catten Hertzog ſelbter zu Huͤlffe eilte/
kam es daſelbſt zu einer hefftigen Schlacht/ in
welcher Segimer zwar verwundet/ die Ale-
maͤnner und Catten aber auffs Haupt erlegte;
der Feinde zwoͤlff tauſend erſchlagen/ ſechs tau-
ſend gefangen wurden. Dieſer Sieg brachte
den zwiſchen dem Feldherꝛn Aembrich und dem
Hertzoge der Hermundurer ſchon ziemliche Zeit
verſuchten Frieden zu ſeiner Vollkommenheit/
darinnen der Druyden Anforderungen ziemlich
gemaͤßiget/ den Barden und Eubagen auch die
Freyheit ihres Gottesdienſtes verſtattet ward;
wordurch der ſiegende Feldherꝛ nicht alleine
das alte Anſehen des Cheruskiſchen Hauſes befe-
ſtigte; ſondern auch diß/ was er aus erfahrner
Unbeſtaͤndigkeit des Gluͤckes zu thun ihm hoch
noͤthig hielt; fuͤr eine ungemeine Gemuͤths-
Maͤßigung ausgelegt ward. Alle Klugen wu-
ſten ihn darum ſo wenig genungſam zu ruͤh-
men/ als die Unterthanen ihm zu dancken.
Sintemal ein ſeine unmaͤßige Gedancken zaͤh-
mender Fuͤrſt einen unerſaͤttlichen Laͤnderſtuͤr-
mer/ wie ein gewandtes Pferd einen Laͤuffer/
und wenn es mehr dem Zuͤgel als dem Sp[o]rne
gehorſamt/ vielfaͤltig uͤbertrifft. Jn dem dieſer
nur entſeelet und verwuͤſtet; jener aber mit dem
guͤldenen Frieden bauet und lebhafft macht;
welchen Phielemon ſo unſtrittig fuͤr das hoͤchſte
Gut hielt; daß er alle als aberwitzig verlachte/
welche es in was anderm zu finden meinten.
Hertzog Aembrich ſelbſt meinte nun nicht al-
leine Deutſchland guten theils in Ruh/ ſondern
auch ſeine Hoheit in alten Stand geſetzt/ und
ſeine Herꝛſchafft durch ihre Mittelmaß genung
befeſtigt zu haben; welche eben ſo wenig von
allzugroſſem Wachsthume/ als der Leib von uͤ-
bermaͤßiger Speiſe Kraͤffte bekommt; indem
beyderſeits die Verdaͤuung/ nicht die Uberfuͤl-
lung vortraͤglich iſt. Alleine das Verhaͤngnuͤß
goͤnnte dieſem Fuͤrſten nicht lange dieſe Erqui-
ckung/ und Deutſchlande die ſuͤſſe Ruh. Denn
kurtz darauf benachrichtigte ihn die Koͤnigin
Boudicea: daß Caͤſar in dem Jcciſchẽ Seehafen
bey nahe ſieben hundert Schiffe ſegelfertig lie-
gen/ auch zu einem grauſamen Kriege aus gantz
Gallien faſt alle Mannſchafft aufgeboten; der
Heduer Fuͤrſt Dumnorich ſie aber in Vertrau-
en ihrer Schantze wahrzunehmen gewarniget
haͤtte. Gleicher Geſtalt fanden ſich bey dem
Feldherꝛn vom Fuͤrſten Dumnorich/ vom Her-
tzoge der Trevirer Jnduciomar/ von den Car-
nutern und andern Galliern Geſandten ein/
die wehmuͤthigſt klagten: Wie ſie nicht nur ſelbſt
in der Roͤmiſchen Dienſtbarkeit verſchmachte-
ten; ſondern nunmehr wieder ihre eigne Bluts-
verwandten/ die Britannier/ ihre Schwerdter
zuͤcken und ſchaͤrffen ſolten. Jnſonderheit be-
ſchwerte ſich Jnduciomar: daß Caͤſar ihm ſei-
ne Gewalt uͤberaus geſchmaͤlert haͤtte/ und dem
abgefundtnen Fuͤrſten Cingetorich/ welchem
Koͤnig Gotarts Tochter vermaͤhlet waͤre; die
Herꝛſchafft uͤber die deßhalben unwilligen Tre-
virer in die Haͤnde zu ſpielen vorhaͤtte. Wenige
Zeit hierauf lieff auch Nachricht ein: Wie Jn-
duciomar ſich wegen des mit ſechs Legionen an-
ziehenden Caͤſars in dem Arduenniſchen Walde
haͤtte verhauen; ja als er allenthalben ſich um-
ringet geſehen/ endlich ſich fuͤr Caͤſarn demuͤthi-
gen/ und mit dem Cingetorich ſeine Gewalt
theilen/ auch erlauben muͤſſen: daß Cingetorich
den noch nicht beſtillten Catten wieder die Che-
rusker acht tauſend Mann zu Huͤlffe geſchickt;
Dieſer ſchlimmen Zeitung folgte in wenigen
Tagen dieſe betruͤbtere auf der Ferſen. Nach
dem Fuͤrſt Dumnorich weder durch den Vor-
wand ſeiner Verwandnuͤß/ noch ſeiner Geluͤb-
de ſich von dem Britanniſchen Zuge bey Caͤſarn
haͤtte loß bitten koͤnnen/ waͤre er zwar mit ſeinen
Heduern heimlich durchgegangen/ in willens
bey dem Feldherꝛn Aembrich unterzukommen/
alleine Caͤſar haͤtte deßwegen ſeine Abfarth ver-
ſchoben/ und ihm mit der gantzen Reuterey
nachjagen/ auch nach tapfferer Gegenwehr das
Leben mit der Liebe der Freyheit benehmen laſ-
ſen.
[1025[1027]]Arminius und Thußnelda.
ſen. Der Feldherꝛ Aembrich meinte hierdurch
zwar genungſame Urſache mit den Roͤmern zu
brechen uͤberkommen zu haben; iedoch weil er
ſeiner einheimiſchen Feinde ſich noch nicht gar
entledigt hatte/ und er ohne gruͤndliche Nach-
richt von der Roͤmer Abſehen/ aus bloſſem Ver-
dacht wieder ſie einen Krieg anzufangen dem
Rechte der Voͤlcker nicht gemaͤß zu ſeyn achtete;
ſchickte er eine Geſandſchafft an Caͤſarn ſeine
Beſchwerden ihm einzuhalten. Dieſer aber
verſicherte den Feldherꝛn ſeiner beſtaͤndigen
Freundſchafft: daß er nichts wieder die Koͤnigin
Boudicea/ ſondern ſeinen ſelbſt eigenen Feind
Caßibelin/ und auf Bitte des vertriebenen Fuͤr-
ſten Mandubrat/ deſſen Vater Jmanuent vom
Caßibelin unſchuldiger Weiſe waͤre durchs
Beil hingerichtet worden/ einen Zug in Bri-
tannien fuͤr haͤtte; daß er ſich des Cingetorichs
Fuͤrhaben nicht anmaſte; daß Dumnorich duꝛch
Antrieb ſeines Ehweibes des Orgetorichs Toch-
ter viel Verraͤtherey wieder die Roͤmer ange-
ſponnen/ ſein Bruder Divitiak ihm auch ſelbſt
ſchon etliche mahl den Hals abgeſprochen/ ja er
wieder Caͤſars Willen im Scharmuͤtzel das Le-
ben eingebuͤßt haͤtte. Nicht ſo wol die Erheb-
ligkeit dieſes Vorwands/ als die noch innerli-
che Unruh hielt Hertzog Aembrichs Schwerdt
in der Scheide; und er fuͤr eine unvergebliche
Suͤnde wieder die Herꝛſchens-Kunſt/ wenn
auch der maͤchtigſte Fuͤrſt ohne Noth mit zwey-
en Feinden zugleich anbindet. Welchen Feh-
ler die vermeſſene Stadt Athen allzutheuer be-
zahlte; in dem ſie in Sicilien einzufallen ſich
wagte/ da ſie doch in den Pelopoñeſiſchen Krieg
eingewickelt war. Es reitzte ihn zwar ſein Hertze
an den Roͤmern die Beleidigung zu raͤchen; ſei-
ne Vernunfft aber ſagte ihm: daß empfangenes
Unrecht der Beleidigten Untergang ſey/ wenn
ſie den Eyver fuͤr ihre Ehre nicht mit der Klug-
heit vereinbaren; das ſchon vergangene Ubel
raͤchen wollen/ ſich aber in neues Elend ſtuͤrtzen/
und aus einem Fehler/ den ſie verbeſſern wol-
len/ tauſend machen. Nebſt dem uͤberlegte er:
daß Fuͤrſt Dumnorich nicht wieder lebendig ge-
macht werden koͤnte. Denn wer unwieder-
bringliche Sachen wieder in erſten Stand zu
ſetzen meinet/ mißt ihm mehr Gewalt zu/ als
GOtt hat; und verſpielet Muͤh und Koſten
daruͤber mit Schaden/ was keiner Gluͤckſelig-
keit mehr als der Vergeſſenheit faͤhig iſt. Bey
dieſer Entſchluͤſſung brachte er nicht alleine faſt
gantz Deutſchland auff ſeine Seite; ſondern die
Fuͤrſten erklaͤrten auch auf ſeinen Todesfall de[n]
tapfferen Segimer zu ſeinem Nachfolger; un-
geachtet ſonſt freyen Voͤlckern nichts unge-
woͤhnlicher/ oder dem Wahl-Rechte abbruͤchi-
ger iſt; als bey Lebzeiten ihres erwehlten Haup-
tes ſich ſchon einem kuͤnfftigen unterwerffen;
ſonderlich wenn dieſer jenem mit Gebluͤte zu-
gethan iſt/ oder viel Herrſcher aus einem Hauſe
genommen werden.
Als aber Caͤſar nach Verluſt vieler Schiffe
und Volcks ſonder andere Frucht/ als daß er
den verjagten Mandubrat denen Trinobanten
wieder zum Fuͤrſten eingeſetzt hatte/ in Gallien
zuruͤck kam; legte er den Quintus Cicero den
Nerviern/ den Fabius den Morinern/ den La-
bienus den Trevirern mit einer/ den Sabinus
und Cotta den Eburonen mit zwey Legionen
auf den Hals. Wie nun der Feldherꝛ Aembrich
Caͤſarn auf Anhalten ſeines Bruders Catti-
volck und des Fuͤrſten Jnduciomar vergebens
um Entlaſtung ſeiner Freunde anflehete/ die
Carnuter/ welche den ihnen von Caͤſarn auff-
gedrungenen Fuͤrſten Taßget erſchlagen/ die
Senones/ welche gleichfalls den Cavarin aus
dem Lande gejagt/ und andere Gallier den
Feldherꝛn Aembrich um Errettung von den
grauſamen Roͤmern/ welche doch auch ſchon
Deutſchland zu uͤberziehen im Schilde fuͤhrten/
anfleheten; gieng er endlich mit zwantzig tau-
ſend Mann uͤber den Rhein/ zohe ſeinen Bru-
der Cattivolck an ſich; und nach dem dieſer den
Sabinus und Cotta durch Liſt aus der Feſtung
Erſter Theil. O o o o o oAntua-
[1026[1028]]Siebendes Buch
Antuatuca und dem Laͤger gelocket/ erlegten
die Deutſchen beyde Legionen mit ihren Haͤup-
tern; alſo: daß mit genauer Noth zwey Kriegs-
Knechte durch die Waͤlder entkamen/ und dem
Labienus die traurige Zeitung brachten. So
tapffer und klug raͤchete Hertzog Aembrich der
Deutſchen und Belgen Unrecht; welches auch
die edelſten Gemuͤther aus Hoffnung kuͤnffti-
ger Vergeltung verſchmertzen. Denn es iſt
ſo wol ein Streich der Klugheit die Empfindlig-
keit nicht mercken/ als eine Zagheit ſie verrau-
chen laſſen. Wie es am ſchlimmſten iſt/ die Be-
ſchimpffung vergeſſen; alſo iſt nichts kuͤnſtli-
chers/ als ſie vergeſſen zu haben ſcheinen laſſen.
Caͤſarn ſchmertzte dieſer Streich mehr/ als ſein
Verluſt. Denen Atuatikern und Nerviern
aber wuchs durch Aembrichs Sieg ſo weit das
Hertze: daß ſie den Cicero in ſeinem Laͤger belaͤ-
gerten; in Meynung: daß Jnduciomar mit
den Trevirern den Labienus/ und die Armori-
ſchen Staͤdte den Roſcius/ der Abrede nach/ an-
greiffen wuͤrden. Aembrich und Cattivulck
fuͤhrten ſelbſt die Deutſchen hertzhafft an/ lieſſen
die Graͤber mit Reiß-Heltze fuͤllen/ die auf Roͤ-
miſche Art gefertigten Sturm-Thuͤrme an-
ſchieben; aber die verzweiffelte Gegenwehr der
Roͤmer ſchlug zwey hefftige Stuͤrme ab. Da-
hero ſie bey erlangter Nachricht: daß Caͤſar be-
reit unterſchiedene Legionen zuſammen ziehe/
[ſic]h entſchloſſen ihr Laͤger gleichfalls zu um-
ſchantzen. Den ſiebenden Tag ließ der Feld-
Herr bey entſtehendem ſtarcken Winde eine
groſſe Menge thoͤnerne Kugeln gluͤend ma-
chen/ und ſelbte aus den Schleudern in das Roͤ-
miſche Laͤger werffen/ w[e]lches die mit Stroh-
und Schilff-Schoben bedeckten Haͤuſer leicht
in Brand brachte. Der Feldherꝛ fuͤhrte hierauf
zwar den dritten Sturm/ und fiel an vier Or-
ten das Roͤmiſche Laͤger auffs grimmigſte an.
Allein weil kein Roͤmer dem Feuer zulieff; ſon-
dern ieder mit unverwendetem Geſichte auff
dem Walle gegen die ſtuͤrmenden ſtehen blieb/
die Sturm-Thuͤrme auch durch brennende
Pech-Kraͤntze in die Glut geriethen/ zwey
Sturm-Bruͤcken zerbrachen/ Cicero auch das
ohne diß uͤberaus feſte Laͤger mit vielen vortheil-
hafften Abſchnitten verſehen hatte/ muſten nach
ſechsſtuͤndigen Sturme die Deutſchen doch wie-
der ablaſſen/ ungeachtet die Cherusker und Ner-
vier an zweyen Orten uͤber den Wall kommen
waren; allwo zwey Roͤmiſche Hauptleute Va-
renus und Pulfio/ welche ihre noch von den El-
tern ererbte Feindſchafft nicht allein in eine
ruhmwuͤrdige Eyverſucht/ wie einer den an-
dern durch ritterliche Heldenthaten verkleinern
moͤchte/ verwandelten; ſondern auch ieder dem
andern dieſen Tag das Leben erhielt; und dero-
geſtalt aus hartnaͤckichten Feinden zu vertrau-
ten Freunden wurden; um nur nicht dem Va-
terlande zu Schaden boͤſe Kriegs-Leute abzuge-
ben. Welche vernuͤnfftige Gemuͤthsmaͤßigung
auch des Themiſtocles Verſoͤhnung mit Ariſti-
den/ noch den Emilius Lepidus/ und den Livi-
us Salinator nimmermehr ver geſſen laſſen/ die
jener gegen den Fulvius Flaccus/ dieſer gegen
den Nero ausuͤbte/ als die Gemeinſchafft eines
Amptes ſie zuſammen verband. Denn ob zwar
die langſame Ablegung einer gefaſten Gram-
ſchafft eines gerechten Zornes Kennzeichen ſeyn
ſoll; ſo iſt doch die geſchwinde ein Merckmahl ei-
nes großmuͤthigen Hertzens/ und eines redlichen
Buͤrgers. Die Deutſchen muſten zwar dißmahl
dieſer beyder Roͤmer Tugenden weichen; gleich-
wol aber waren der Roͤmer ſo vielblieben/ und
die uͤbrigen derogeſtalt abgemattet: daß nicht der
zehende Mann ohne Wunden war/ und ſie ſich
folgenden Morgen ergeben haͤtten; wenn nicht
eine Schildwache an einem Thurme zwey ein-
geſchoſſene Pfeile mit zweyen daran gebunde-
nen Briefen wahr genommen/ dieſer aber durch
Caͤſars eigene Handſchrifft dem Cicero theils in
Grichiſcher Sprache/ theils mit Ziffer-Buch-
ſtaben/ welche Tullius Tiro des Cicero Freyge-
laſſener unlaͤngſt erfunden hatte/ ſeine Ankunfft
zu wiſſen gemacht haͤtte. Welche Nachricht Caͤ-
ſar deñ noch ſelbigen Abend mit Anzuͤndung vie-
ler Feuer/ und durch ein abermahliges Schrei-
ben/ das ein Gallier Vertico durchbꝛingen ließ/
bekraͤff-
[1027[1029]]Arminius und Thußnelda.
bekraͤfftigte. Der Feldherꝛ Aembrich ruͤckte Caͤ-
ſarn alſofort entgegen/ und ſchlug ein Theil ſei-
ner Reuterey aus dem Felde. Dahero er den
Deutſchen eine Schlacht zu liefern ſich nicht
wagte; ſondern in einem vortheilhafften Orte
verſchantzte. Ob nun wol die Deutſchen das Roͤ-
miſche Laͤger fort fuͤr fort beunruhigten/ durch
die Suͤmpfe biß an den Wall etliche Wege
machten/ die ausfallenden auch etliche mahl zu-
ruͤck trieben/ und daher die Deutſchen ſelbtes in
Caͤſars Augen zu erobern Hoffnung hatten; ſo
ſtoͤrte doch eine Menge boͤſer Zeitungen/ oder
vielmehr das Verhaͤngnuͤß alle gute Anſtalt.
Denn Cingetorich hatte ſich ſeinen Schweher
Jnduciomar wegen des angezielten Krieges bey
denen Trevirern wiederſetzt; die andern Gallieꝛ
aus Zagheit und Furcht fuͤr Caͤſarn ihre verſam̃-
leten Kriegsvoͤlcker wieder von ſam̃en gelaſſen/
die Semnoner durch Vermittelung der Heduer
die Carnuter durch die Rhemer ſich mit Caͤſarn
auffs neue verglichen/ die ſich wieder erholenden
Catten und Aleinaͤñer aber die maͤchtige Feſtung
Utunte am Rhein/ nach dem ſie etliche mahl die
zum Entſatz kommenden Cherusker und Qua-
den abgeſchlagen/ erobert/ dieſe auch durch Hun-
ger und Peſt bey den Eudoſen und Swardonen
bey nahe dreyßig tauſend Mañ eingebuͤſt. Weil
nun der Feldherꝛ Aembrich wol ſahe: daß im
Kriege die Armen vieler Bundsgenoſſen mehr
zur Verwickelung/ als zum Siege dienten; und
ihr Thun wie die Striche/ welche gleich auf ei-
nen Mittelpunct zielten/ ins gemein durch und
wider einander gienge; hielt er den Galliern
und ſeiner Ehre genung gethan zu haben/ nun
aber fuͤr noͤthig dem Brande ſeines eigenen Feu-
ers zueilen. Daher verließ er beyde Roͤmiſche
Laͤger/ und uͤberwaͤltigte bey ſeiner Ruͤckkehr die
bey Zuſam̃enfließung des Rheines und der Mo-
ſel auf einen hohen Fels gelegte Feſtung der Cat-
ten. Caͤſar aber ward froh: daß er ſo wol ſich er-
halten/ als den Cicero befreyet hatte. Weil aber
faſt alle Gemuͤther der Gallier gleichſam wider
Rom im Jaͤhren waren/ traute er ſich nicht die
Nervier und Atuaticker zu verfolgen oder mehr
zu verbittern/ ſondern blieb den Winter uͤber bey
der Feſtung Samarabruͤck ſtehen; iedoch war
ſein eines Auge ſtets gegen Deutſchland wach-
ſamer/ als das andere uͤber Gallien.
Jnduciomar hob inzwiſchen zwar ſeinen Roͤ-
miſch-geſinnten Eydam Cingetorich auf einem
allgemeinen Landtage/ da alle mannbare Mañ-
ſchaft erſcheinen muß/ und der Letzte als ein Opf-
fer abgeſchlachtet wird/ aus dem Sattel/ noͤthig-
te ihn zum Labienus zu flichen; zohe auch ein
Theil der Nervier und Atuaticker an ſich/ und
beunruhigte des Labienus Laͤger; er ward aber
in einem Ausfalle erſchoſſen/ und ſein Haupt
ins Roͤmiſche Laͤger bracht. Gleichwol ließen
die Trevirer den Muth nicht fallen/ ſondern be-
wegten mit Geld und großen Verheißungen
den Herzog Aembrich zu abermaligem Beyſtan-
de. Hingegen bekam Caͤſar aus Jtalien drey
neue Legionen; alſo: daß er derer nunmehr zehn
in Gallien hatte. Uber diß ſtießen nach gemach-
tem Buͤndnuͤße zu Caͤſarn ſechs tauſend Catten
und Alemaͤñer/ ja Cavarin und Comius ſuͤhrten
unter ihm noch dreyßig tauſend Galliſche Reu-
ter. Dahero ſchickte er zwey Legionen und den
Cavarin dem Labienus wider die Trevirer zum
Entſatz; Er und Comius aber brachen mit fuͤnf
Legionen unverſehens bey denen Menapiern/
mit derer etlichen Comius heimliche Verſtaͤnd-
nuͤß hatte/ ein/ und noͤthigte ſie zu einem Ver-
trage/ Krafft deſſen ſie verſprochen den Comius
fuͤr einen Stadthalter des Roͤmiſchen Rathes zu
erkennen/ und deſſen Feinden nicht bey zuſtehen.
Jnzwiſchen verleitete Labienus die Trevirer
durch angenom̃ene Flucht: daß ſie unerwartet
des im Anzuge begriffenen Feldherrn Aemb-
richs uͤber die Moſel ſchwemmeten; welche aber
Labienus/ als die Helfte uͤberkom̃en war/ aus ei-
nem Walde uͤberfiel/ und alles/ was nicht in Eil
zuruͤcke ſchwam̃/ erlegte. Welch unvernuͤnftig
Beginnen den Feldherꝛn ſo verdrießlich mach-
te: daß er wieder uͤber den Rhein zuruͤck kehr-
te. Dahero der ſieghafte Caͤſar die Trevirer
nicht allein leicht zum Gehorſam brachte/
und ihnen den Cingetorich fuͤrſetzte; ſon-
O o o o o o 2dern
[1028[1030]]Siebendes Buch
dern/ weil die Ubier ihm auch allen Vorſchub
verſprachen/ ſchlug er dreyßig tauſend Schritte
oberhalb der erſten eine neue Bruͤcke uͤber den
Rhein. Weil aber dieſe Uberkunfft denen Cat-
ten uͤberaus verdaͤchtig war; Zumahl da nach
Abſterben des Fuͤrſten Winemars ſein Kriegs-
Volck Caͤſarn die maͤchtige Feſtung Utente ver-
kaufft hatte; zohe Hertzog Arabar in dem Bace-
niſchen Walde eine groſſe Macht zuſammen/
und ließ Caͤſarn wiſſen: daß ihre Freundſchafft
laͤnger nicht beſtehen koͤnte; da er uͤber dem
Rhein feſten Fuß zu ſetzen vermeinte. Sinte-
mahl er ſelbſt wol wuͤſte: daß vieler Voͤlcker
Freundſchafft/ und alſo auch ihre/ keinen andern
Nagel haͤtte/ der ſie hielte/ als die Entlegenheit.
Daher muͤſte ſie durch die Naͤherung nothwen-
dig zerriſſen werden. Dieſe unvermuthete Zu-
entbietung; der beſorgliche Abgang der Lebens-
Mittel/ und die Nachricht: daß Hertzog Aem-
brich mit etlichen tauſend Deutſchen bey ſeinem
Bruder Cattivolck an der Maaß ankommen
waͤre/ noͤthigte Caͤſarn zuruͤck uͤber den Rhein
zu kehren/ die Bruͤcke groſſen theils abzubre-
chen/ und durch den Arduenniſchen Wald ge-
gen Hertzog Aembrichen aufzuziehen. Nach
zweyen Tage-Reiſen kriegte Caͤſar vom Cinge-
torich Nachricht: daß Hertzog Aembrich und
Cattivolck nichts wiſſende von der Roͤmer An-
naͤherung ſich im Arduenniſchen Walde faſt
gantz einſam auf einem Luſt-Hauſe aufhielten/
und daſelbſt den Fuͤrſten der Arverner Verein-
getorich/ deſſen Vater Celtillus faſt uͤber gantz
Gallien Feldherꝛ geweſt/ aber wegen angema-
ſter allzugroſſen Gewalt enthauptet worden
war/ um zwiſchen ihm und ſeiner Tochter eine
Heyrath zu ſtifften/ wie auch den Fuͤrſten der
Semnoner Acco erwarteten/ um ein gemeines
Buͤndniß wieder die Roͤmer zu treffen. Dieſes
hatte ihm ein vertrauter Gallier durch einen
eigenen Reuter zu wiſſen gemacht. Caͤſar laß
alsbald tauſend der berittẽſten aus den Roͤmern
und Ubiern aus/ ließ ſie aber ſich ſo wol auff
deutſche Art kleiden/ als ruͤſten/ und ſchickte ſie
unter dem Minucius Bibulus dieſe ſicheren
Feinde zu uͤberfallen. Dieſer hatte das Gluͤcke
die andere Nacht unvermerckt an diß Luſthauß
zu kommen/ und/ ehe es iemand gewahr ward/
rings um zu beſetzen. Aembrich war nach den
Hunden der einbrechenden Roͤmer am erſten
innen. Daher weckte er den Cattivolck/ ruffte
ſeinen Edelleuten auf/ und ſprang dem Thore
zu der Gewalt zu begegnen. Weil aber nicht
dreyßig gewaffnete Leute auf dem Luſt-Hauſe
waren/ der groſſe Lermen hingegen die Menge/
die Sprache die Roͤmer bey Zeite verrieth/ ba-
ten ihn die Seinigen ſich durch den Garten uͤ-
ber einen engen Tamm zu fluͤchten; welches er/
wiewol ſchwerlich/ willigte; ſonderlich weil er
ſeinen krancken und bettlaͤgerichten Bruder im
Stiche laſſen ſolte. Wie er nun kein ander
Mittel ſahe/ machte er ſich mit zweyen Rittern
nach genommenem klaͤglichen Abſchiede von
ſeinem Bruder/ der ſich um nicht lebendig in
die Haͤnde der Roͤmer zu kommen mit Eiben-
ſaffte hinrichtete/ und als ſeine getreue Cherus-
ker inzwiſchen die Roͤmer an der Pforten hertz-
hafft aufhielten/ gluͤcklich darvon/ und durch
den Wald an die Schelde zu denen noch nicht
den Roͤmern unterworffenen Menapiern/ da-
hin ſich die meiſten Cherusker und Eburoner
bey erſchallendem Anzuge Caͤſars gleich falls
fluͤchteten. Wie nun Caͤſar alle gefangene E-
buroner niederhauen ließ/ und ihr gantzes Ge-
biete denen angraͤntzenden Voͤlckern zur freyen
Beute erklaͤrte/ wagte ſich gleichwol Aembrich
mit etlichen tauſend Reutern denen Roͤmern
bald dar bald dort einzufallen/ und ihnen nicht
geringen Abbruch zu thun. Zuletzt kriegte er
auch zwey tauſend auf den Raub uͤber den
Rhein gegangene Sicambrer an ſich; mit wel-
chen er durch die Waͤlder unvermerckt biß an
die von Roͤmern beſetzte Stadt Atuatuca
kam/ daſelbſt herum in der Vorſtadt etliche
hundert Roͤmer erlegte/ viel Roͤmiſche Kauff-
Leute
[1029[1031]]Arminius und Thußnelda.
Leute mit reichen Beuten gefangen bekam/ ja
biß in die Feſtung drang/ welche er auch be-
hauptet haͤtte/ wenn nicht Caͤſar mit fuͤnff Le-
gionen herbey geruͤckt waͤre. Worauf ſich al-
ſo Hertzog Aembrich mit ſeinen uͤbrigen Cherus-
kern/ Eburonen und Sicambrern zuruͤck uͤber
den Rhein zoh; und nach dem die feigen Gal-
lier bereit etliche mal die ihnen zu Huͤlffe geruf-
fenen Deutſchen alleine baden laſſen/ mit dem
Vorſatze ihrentwegen keinen Degen mehr zu
zuͤcken/ dem ungluͤckſeligen Gallien mit Un-
willen den Ruͤcken kehrte; welches Caͤſar nun-
mehr viel haͤrter als vorher druͤcken; den ihm
verdaͤchtigen Fuͤrſten Acco auch mit vielen ed-
len Semnonern und Carunten zu tode pruͤgeln
und hernach ihre Koͤpfe auf die Thuͤrme ſtecken
ließ. Zumal die Catten und Alemaͤnner nicht
nur abermals durch unterſchiedene Siege das
Haupt uͤber die Cherusker empor hoben/ alſo
der Feldherꝛ alleine auff ſich und ſeiner Deut-
ſchen Bundsgenoſſen Erhaltung bedacht ſeyn
muſte; ſondern auch mit Caͤſarn ihr Buͤndniß
verneuerten/ und ihm auf den Nothfall mit et-
lichen tauſend Reutern wieder die abtrinnigen
Gallier beyzuſpringen; hingegen aber die Roͤ-
mer nicht uͤber den Rhein zu ſetzen/ noch den
Batavern/ Menapiern/ und denen andern
aus deutſchem Gebluͤte entſproſſenen und mit
den deutſchen verbundenen Voͤlckern einig
Leid zu thun verſprachen. Nach dem auch Ver-
cingetorich nach des Feldherꝛn Ruͤckkehr die
Heyrath mit ſeiner Tochter abbrach/ und ſich
mit des Comius Schweſter vermaͤhlte; brachte
der um die Roͤmer ſo hoch verdiente Fuͤrſt Se-
gimer zwiſchen Caͤſarn und ſeinem Vater einen
Vergleich zu wege. Hingegen riß Caͤſar durch
ſeine am Fuͤrſten Acco veruͤbte Grauſamkeit
das Band der Liebe in aller Gallier Hertzen
entzwey; alſo: daß faſt gantz Gallien/ und dar-
unter ſelbſt die Heduer/ Allobroger/ Comius
und andere den Roͤmern vorhin zugethane auf
einmahl abfielen/ den Vercingetorich zu ihrem
Feldherꝛn erwehlten/ und nunmehr ihr euſſer-
ſtes fuͤr die verlohrne Freyheit thaten; zu einer
Erinnerung: daß Reiche zwar mit der Spitze
der Waffen gewonnen/ nicht aber mit der
Schaͤrffe erhalten werden. Alleine entweder
die Unvorſichtigkeit der Gallier/ oder ein uͤber
ſie wuͤrckender Unſtern machte: daß alle ihre
Anſchlaͤge wie unzeitige Fruͤchte in ihrer Ge-
burt verſchmachteten/ alle tapffere Entſchluͤſ-
ſungen krebsgaͤngig giengen; und ihrer viel
Edle/ wie Acco/ in Caͤſars Blut-Gerichte/ gantz
Gallien auch in die euſſerſte Knechtſchafft ver-
fiel. Worbey nicht zu leugnen iſt: daß die Deut-
ſchen entweder aus allzugroſſem Vertrauen auf
ihre Kraͤfften; oder aus dem Triebe des Ver-
haͤngnißes zu ihrem ſelbſteigenen Schaden
nicht wenig Zunder zu dem Holtzſtoſſe/ worauf
der Gallier Freyheit eingeaͤſchert ward/ getra-
gen haben. Denn als Vercingetorich die vom
Caͤſar belaͤgerte Stadt der Bituriger Novio-
dun entſetzte/ ward die Roͤmiſche Reuterey von
Galliern voͤllig in die Flucht geſchlagen; ja
wenn damahls nicht der Chaßuarier Fuͤrſt Erd-
mund/ des Segeſthes Vater mit vierhundert
deutſchen Edelleuten die Gallier gehemmt haͤt-
te/ welche jener Anfall niemahls auszuſtehen
getrauen/ waͤre/ allem Anſehen nach/ das gan-
tze Roͤmiſche Laͤger/ als in welches ohne diß die
Gallier an zwey Orten einbrachen/ aufgeſchla-
gen worden. Nichts minder haͤtte Caͤſar we-
gen Hungersnoth die Belaͤgerung der ſchoͤn-
ſten Stadt Avaricum aufheben muͤſſen; wenn
er nicht von der deutſchen Reuterey mit Vor-
rath waͤre verſorgt worden/ weil Vercingeto-
rich in der Naͤhe alles verbrennt und verheeret
hatte. Eben ſo trieb Acrumer des Cattiſchen
Hertzog Arpus Groß-Vater mit fuͤnff hundert
Catten bey die Belaͤgerung der Stadt Gergo-
via/ die Gallier aus dem Roͤmiſchen Laͤger/ wo-
riñen Caͤſar nur mit zwey Legionen den Fabius
gelaſſen hatte; Als auch kurtz hierauf den Roͤ-
mern ein Haupt-Sturm ab- und in ſelbtem
ſechs und viertzig Hauptleute erſchlagen wur-
den/ Vercingetorich aber das Laͤger zugleich an-
O o o o o o 3fiel
[1030[1032]]Siebendes Buch
fiel/ muſte auf einer Seite Caͤſar mit der zehnden
Legion/ auf der andern Erdmund und Acrumer
mit ihren Deutſchen das beſte thun; namen hier-
auf die Heduer den Roͤmern Bibracte und No-
viodun weg; Camulogen ſam̃lete an der Seene
ein maͤchtig Heer wider ſie/ die ſtreitbaren Bel-
lovacker brachten den Labienus zum weichen/ die
Trevirer/ welche an Streitbarkeit allen Galli-
ern uͤberlegen ſeyn wollen/ ruͤckten mit dreyßig
tauſend Mann zum Vercingetorich nach Bi-
bracte; und alſo ſchien die Roͤmiſche Bothmaͤßig-
keit in Gallien auf Truͤbſande und zerbrechli-
chem Grund-Eiße zu ſtehen. Allein ich weiß
nicht: ob das Verhaͤngnuͤß oder das Ungeluͤcke
die Deutſchen verblendet hatte. Denn dieſes
macht auch die Kluͤgſten unbedachtſam; und der
Verlierende krieget eben ſo ſchlim̃/ als ein ein-
biſſender Spieler. Fuͤr eine ſo ſchaͤdliche Ent-
ſchluͤſſung halte ich: daß der Catten Hertzog Ara-
bar den Trevirern einſiel/ und ſie zwang ihrem
eigenen Ungeluͤcke zuzulauffen. Deñ hierdurch
ward den Roͤmern Luft/ der Gallier Bund abeꝛ
ſchwach gemacht. Jedennoch war Caͤſarn nicht
wenig kummerhaft: daß die Allobroger durch
ſtarcke Beſaͤtzung des Rhodans ihm alle Ge-
meinſchaft mit Jtalien abſchnitten; und als er zu
denen zweifelhaften Sequanern fortruͤckte/ den
Vercingetorich mit einem maͤchtigen Heere in
Ruͤcken bekam/ deſſen Reiterey allezeit der Roͤ-
miſchen uͤberlegen waren. Dieſe Noth machte
Caͤſarn die Larve eines großen Freundes der
Deutſchen fuͤr. Er beehrte ſie mit einer anſehli-
chen Geſandſchaſt/ mit Uberſendung vieler koͤſt-
lichen Geſchencke/ und bot ſich zum Mittler ih-
rer Zwiſtigkeiten an. Die redlichen Deutſchen
haͤtten ſich fuͤr einem verſohnten und ſo herſch-
ſuͤchtigen Feinde huͤten und gedencken ſollen:
daß uͤbrige Weiße und Roͤthe nicht eines natuͤr-
lichen ſondern geſchminckten Antlitzes/ allzu-
großes Liebkoſen aber eines falſchen Hertzens
Farbe ſey. So aber ließen ſie ſich nicht allein be-
reden: daß Caͤſar es gar aufrichtig meinte; ſon-
dern meinten auch ihrer Schuldigkeit zu ſeyn/
nach gegen einander gepruͤfeten Kraͤften und
beygelegtem Unvernehmen ihn nicht huͤlfloß zu
laſſen. Dieſemnach ſchickten ihm die Alemaͤnner
Catten/ und Ubier ſechs tauſend leichte Reiter zu;
welche bald zu Pferde/ bald zu Fuße kaͤmpften.
Dieſen hatte Caͤſar dißmal ſonder Zweiffel ſeine
Erhaltung zu dancken. Deñ der gantze Adel der
Gallier gelobte dem Vercingetorich durch ei-
nen theuren Eid an: ſie wolten ihren Kindern/
Eltern und Ehweibern nicht wieder ins Geſich-
te kom̃en/ ſie haͤtten ſich denn zweymal durch die
Feinde geſchlagen; ja unter ihnen war eine An-
zahl Bellovakiſcher edler Jungfrauen/ welche
ihre deutſchen Muͤtter mit der Bedreuung in
dieſen Zug geſchickt: daß/ welche nicht eines er-
legten Feindes Kopf zuruͤcke braͤchten/ nimmer-
mehr ſolten vermaͤhlet werden. O des Helden-
maͤßigen Geluͤbdes! fieng die Koͤnigin Erato an
zu ruffen. Bey welchem ich nicht weiß: Ob die
Toͤchter oder die Muͤtter eines groͤſſern Ruh-
mes wehrt ſind. Dieſe/ weil ſie ihrer Toͤchter edle
Geburt und ihre haͤußliche Tugenden nur fuͤr
die Helfte eines Frauenzimmers/ die Tapferkeit
aber fuͤr ihr beſtes Theil achten; und weil ſie
durch die Hertzhaftigkeit ihrer Toͤchter gleich-
ſam den Fehler der Natur zu verbeſſern gedenk-
ken: daß ſie dem Vaterlande nichts maͤnnliches
gebohren. Jene aber; weil ſie ſich nicht ehe einem
Manne zu vermaͤhlen wuͤrdig ſchaͤtzẽ/ als biß ſie
mit der Tugend Verlobung gehalten; auch ei-
nen andern Braut-Krantz als von erfochtenen
Lorbern aufſetzen/ und ihren Braͤutigamen eine
recht blutige Jungfrauſchaft liefern wollen!
Malovend verſetzte: Jch wuͤrde der Tugend ih-
ren Preiß ſtrittig machen/ welches ihre aͤrgſten
Feinde noch nie gethan; wenn ich dieſem Ge-
luͤbde einen Maͤngel ausſtellte. Aber ach! daß
es nicht ſo wol in unſer Macht ſtehet/ gluͤcklich/
wie hertzhaft ſeyn. Wiewol auch diß weder in
unſer Bothmaͤßigkeit zu beſtehen/ noch eine Ei-
genſchaft der Natur zu ſeyn ſcheinet. Denn die-
ſe iſt ihr allezeit aͤhnlich. Daher wuͤrde der/ der
einmal hertzhafft geweſt/ es im̃er/ wie das Feuer
allemal
[1031[1033]]Arminius und Thußnelda.
allemal heiß ſeyn muͤſſen. So aber ſehen wir
auch die manchmal fuͤr einem Schatten/ oder
einer Maus zittern; fuͤr welchen ehmals Mau-
ern und Heerſchaaren gebebt haben. Daher iſt
es GOtt/ der den Menſchen das Hertze giebet
und nim̃t; und das Verhaͤngnuͤß bindet zwar
alles an ſein Geſetze; es kan aber nicht vertra-
gen: daß wir ſelbtes an unſers/ noch den Sieg
an menſchliche Geluͤbde binden ſollen. Ja Kraͤf-
te und Klugheit zuſam̃en werden fuͤr der ewigen
Verſehung zur Ohnmacht und Fehlern. Ver-
cingetorich theilte ſeine Reiterey in drey Theil;
den erſten fuͤhrte Cotus/ den andern Cavaril/
zwey Fuͤrſten der Heduer/ den dritten Epore-
dorich. Dieſe griffen den an dem Fluße Alduaria
ſich endlich ſetzenden Caͤſar ſo hertzhaft an: daß
die Roͤmiſche Reiterey nicht alleine zwiſchen die
Legionen weichen muſte/ ſondern auch dieſe be-
reit Noth lidten; weil die Gallier ſie auf allen
Seiten anreñeten/ mit Pfeilen und Wurfſpieſ-
ſen uͤberſchuͤtteten/ und denen annahenden Roͤ-
mern/ welche mit ihnen zum Schwerd-Gefech-
te kom̃en wolten/ wieder auswichen. Vercinge-
torich ſtand inzwiſchen mit ſeinem Fußvolcke an
einem feſten Orte ſtille/ in Meinung nach der
Roͤmer gaͤntzlicher Abmuͤdung ſo denn allererſt
mit deſto kraͤftigerm Nachdrucke einzubrechen.
Die Noth war nun recht an Mann kom̃en/ als
auf einem Berge ſich ein neues Heer Reiterey ſe-
hen ließ; welches anfangs die Roͤmer wegen ih-
rer langen Spieße gleichfals fuͤr feindliche Gal-
lier anſahen/ und daruͤber bey nahe in Verzweif-
lung geriethen. Alle Glieder wanckten ſchon im
Roͤmiſchen Heere/ und Caͤſar hatte alle Haͤnde
voll zu thun ſie in Ordnung zu halten. Sie er-
kennten ſie aber bald darauf mit deſto groͤſſern
Freuden fuͤr deutſche Huͤlfs-Voͤlcker; welche
zwar wegen angenommener Gefahr die gantze
Nacht und den halben Tag ohne Fuͤtterung ge-
ritten waren; dennoch auf die Galliſche Reite-
rey mit eingelegten Lantzen loß giengen. Der
Ritter Sultz fuͤhrte den Vortrab/ und traf auf
den Fuͤrſten Cotus ſo gluͤcklith: daß er ihn aus
dem Sattel hob/ und vom Ritter Waldburg ge-
fangen ward. Ein abgefundener Fuͤrſt der Cat-
ten Palland band mit dem Fuͤrſten Cavarill an/
und machte der Roͤmiſchen Reiterey Luft ſich
wieder an den Feind zu hencken. Reifferſchied/
und Weſterburg aber zwey erfahrne Kriegs-O-
berſten der Ubier hatten das Geluͤcke den Fuͤr-
ſten Eporedorich von einem hohen Felſen/ wor-
von er die Roͤmer mit Pfeilen als wie mit einem
Hagel uͤberſchuͤttete/ und beaͤngſtigte zu treiben;
und hierdurch das gantze Kriegs-Spiel zu ver-
ruͤcken. Denn ob zwar Eporedorich und Cara-
ril das euſerſte thaten/ Teutomat der Hertzog deꝛ
Nitiobriger/ und Comius der Atrebater/ auch
den Galliern mit dem Hinterhalt der Reiterey
zu Huͤlffe kamen; Jn ſonderheit aber die Bello-
vakiſche Fuͤrſtin Hadmudis mit ihren gewafne-
ten Jungfrauen/ welche aus ihren Augen hier
ſo viel Grim̃/ als ſonſt Liebe ausließen/ durch ih-
re maͤnnliche Thaten den Deutſchen und Roͤ-
mern gute Zeit den Sieg/ und die Flucht der
Gallier aufhielten/ wuꝛden ſie doch endlich/ wie-
wol nicht ungerochen/ uͤbermannet; alſo: daß
nach dem Cavaril vom Ritter Tautenberg und
Eporedorich vom Ritter Brandenſtein gefan-
gen ward; die Gallier mit Verluſt mehr als
ſechs tauſend der beſten Reiterey die Flucht neh-
men/ und nebſt dem Vercingetorich anfangs in
ihr Laͤger/ hernach gar an den Arar-Strom un-
ter die Haupt-Feſtung Aleſia/ die auf einem ho-
hen Felſen vom Fluße Armaneon auf beyden
Seiten umgeben wird/ weichen muſten. Wie
nun Caͤſar nach an ſich gezogenen zwey Legio-
nen hierauf mit dem gantzen Heere folgte/ und
die Stadt Aleſia/ ungeachtet des unter der
Stadt verſchantzten Vercingetorichs/ zu
belaͤgern entſchloß/ hielten die Deutſchen
nicht allein die gantze Macht der Galli-
er auf: daß die Roͤmer ſich ringsherum ver-
ſchantzen konten; ſondern als Vercingetorich
auch mit ſeiner gantzen Reiterey die Roͤmi-
ſchen Arbeiter uͤberfiel/ und abermals ihre
Wachten in die Flucht trieb; begegneten ihm
die
[1032[1034]]Siebendes Buch
die Deutſchen abermahls ſo harte: daß ihrer
zweytauſend ins Graß biſſen; verfolgten ſie biß
unter den Wall und an die Pforten des Galli-
ſchen Laͤgers; ſchnitten ſelbtem auch durch taͤg-
liches Streiffen alle Zufuhr ab; alſo daß Ver-
cingetorich gezwungen ward unterm Comius
alle Reiterey des Nachts zu Einholung mehrer
Huͤlffe von ſich zu laſſen/ ſich aber mit allem
Fußvolcke in Aleſia einzuſchlieſſen. Die Gal-
lier kamen mit ihren euſerſten Kraͤften uͤber
zweymal hundert tauſend Mann ſtarck zwar
unter dem Comius/ Viriomar/ Vergaſilan ih-
ren oberſten Kriegs-Haͤuptern der in euſerſte
Hungers-Noth von Caͤſarn gebrachten Feſtung
Aleſia zum Entſatz/ und verſchantzten ſich nur
fuͤnffhundert Schritte vom Roͤmiſchen Laͤger.
Gleich wol aber war es keine Moͤgligkeit durch
zu brechen. Jnzwiſchen nam der Hunger/
welchen allein die ſonſt alles zernichtende Zeit
vergroͤſſert/ in Aleſia ſo ſehr uͤberhand: daß de-
nen meiſten Kriegs-Leuten ſchon davon die
Schenckel zerſchwalen/ und daher der darinnen
befindliche Critognat/ ein Fuͤrſt der Arverner/
alle alte und zum Kriege untuͤchtige Leute zu der
ſtreitbaren Speiſe abzuthun unmenſchlicher
Weiſe einrieth. Rhemetalces fiel ein: Es waͤ-
re freylich wol mehr als viehiſch zur Wolluſt
Menſchen-Fleiſch verſpeiſen; weil wenig auch
der grimmigſten Thiere auf ihr eigen Geſchlech-
te wuͤteten. Dahingegen unter den Scythen
und etlichen andern Voͤlckern ſo abſcheuliche
Leute gefunden wuͤrden/ welche Menſchen-
Fleiſch zu feilem Kauffe auslegten/ und auf ihre
Gaſt-Maale die Gefangenen maͤſteten. Wie-
wol auch dieſe noch gegen dem Pollio zu Rom
fuͤr heilige Leute zu achten waͤren/ der ſeine Mu-
renen in Haͤltern mit Menſchen-Fleiſch maͤ-
ſtete/ und in des Keyſers Auguſtus Anweſenheit
ſeinen ein Glaß zerbrechenden Leibeigenen zu
ihrer Speiſe zerſtuͤcken hieß. Alleine die eu-
ſerſte Noth iſt das oberſte Geſetze/ welchem al-
le andere Satzungen der Voͤlcker ja der Natur
unterworffen ſind; welchem die Menſchen nur
blinden Gehorſam leiſten muͤſſen/ ja die Goͤtter
es ſelbſt nicht verſehren koͤnnen. Dieſemnach in
der euſſerſten Hungers-Noth Menſchen zu
ſchlachten und zu eſſen fuͤr keine unmenſchliche
Grauſamkeit mit Rechte geſcholten werden koͤn-
te. Denn GOtt ließe alles zu/ was noͤthig/
und das Recht/ was unvermeidlich waͤre; nach
der einem Prieſter des Hercules von der Pythia
eroͤfneten Wahrſagung. Die erwaͤhnte Noth
hiebe alles andere Recht auf/ ſie benehme an-
dern ihr Eigenthum/ und erlaubte fremdes Gut
beym Ungewitter ins Meer zu werffen/ beym
Brande des Nachbars Hauß einzureißen/ ja ſie
rechtfertigte den Diebſtal; die Goͤtter vertruͤ-
gen den Kirchen-Raub/ und die Entweihung
ihrer Heiligthuͤmer. Daher gantz Grichen-
land der Stadt Athen wider die Thebaner recht
gab/ die ſie ſchmaͤheten/ weil ſie das heilige Waſ-
ſer in dem Delphiſchen Tempel zu ihrer Noth-
durft/ ja ſo gar zum Handwaſſer verbraucht
hatten. Denn wenn die Goͤtter iemanden ei-
ne Nothwendigkeit auf buͤrden; bezeuget der/
welcher ſich ihr ohne Wiederſpenſtigkeit unter-
wirfft: daß er mit den Goͤttern nicht Krieg fuͤh-
ren/ noch durch gezwungenes Thun von der
Bahn eines Weiſen abſetzen wolle; welcher
zuweilen der Zeit/ allemal der Noth aus dem
Wege tritt/ und mit dem willig zu frieden iſt/
worzu ſie ihn doch zwingen wuͤrde. Die/ wel-
che das Loos/ oder eine vernuͤnftige Wahl zur
Speiſe anderer beſtimmet/ haben ſich auch ſo
viel weniger uͤber Unrecht zu beklagen; weil der
Hunger ſie ohne diß ſchmertzhafter aufreiben
wuͤrde; und die wenigere Geſellſchaft im Ster-
ben den Tod ihnen nicht ſchwerer macht/ ihre
zeitlichere Abſchlachtung aber vielen andern das
Leben; ja das Vaterland im Stande erhaͤlt.
Da es nun nicht allein zulaͤßlich/ ſondern ruͤhm-
lich iſt dieſen zu Liebe ſein Blut in Schlachten
verſpritzen/ dem Codrus mit Fleiß in die feindli-
chen Spiße zu rennen/ dem Themiſtocles durch
getrun-
[1033[1035]]Arminius und Thußnelda.
getrunckenes Ochſen-Blut ſich hinzurichten/
den Philenen ſich lebendig in Sand zu ver-
ſcharren/ dem Curtius ſich in die gifftige Klufft
zu ſtuͤrtzen/ den Deciern ſich dem Tode zu ver-
loben/ warum ſoll es bedencklich ſeyn fuͤrs Va-
terland ſeiner Freunde Speiſe zu werden? Da
die Eltern bey ſo viel Voͤlckern ihre Kinder den
Goͤttern fuͤrs gemeine Heil aufopffern; da ein
Feldherꝛ ſeine Kriegs-Leute an einen Ort zu be-
fehlichen Recht hat/ wo der Tod ſeiner mit offe-
nem Rachen wartet; da es ruͤhmlicher iſt ſich mit
der anvertrauten Feſtung durch die Glut in
die Lufft ſchicken/ ſein Schiff in Grund boh-
ren/ als dem Feinde uͤbergeben; warum ſoll es
unrecht heiſſen auch die Wiedrigen zur Erhal-
tung mehrer und nuͤtzlicher Buͤrger abzu-
ſchlachten? Jſt es denn vortheilhafftiger des
Feuers/ der Faͤule/ und der ſtinckenden Wuͤr-
mer/ vielmahl auch der Fiſche Speiſe werden;
als ſeiner hungernden Landes-Leute oder
Blutsverwandten? Geben ſich doch die Reb-
Huͤner den Habichten willig zur Saͤttigung
hin/ daß nur ihre Jungen entrinnen; warum
ſollen die unnuͤtzeren Menſchen fuͤrs Vater-
land verſpeiſet zu werden Abſcheu tragen?
Dem Harpagus ſchmeckte an des grauſamen
Aſtyages Taffel das gebratene Fleiſch ſeines
eigenen Sohnes gut; warum ſoll uns in euſ-
ſerſter Noth/ die uns offt Hunde/ Katzen/ Maͤu-
ſe/ Graß/ Miſt/ und abſcheulichere Dinge
einnoͤthiget/ fuͤr anderer Menſchen Fleiſche
grauen? Welches die Natur fuͤr andern zur
Nahrung dienlich gemacht hat. Sintemahl
doch dieſe unſere Mutter eben ſo begierig fuͤr
Erhaltung des Leibes Unterhalt/ als das Feu-
er Zunder verlanget; und uns zwar die Liebe
unſers gleichen eingepflantzt/ aber auch ein
Geſetze gegeben hat uns in gleicher Noth
mehr/ als andere zu lieben/ und wie ſie durch-
gehends aus eines Dinges Verterb das ande-
re gebieret/ alſo auch mit anderer Untergang
uns durch anderer Menſchen Verterben dar-
fuͤr zu bewahren geboten hat. Die Geſetze
erlauben den Eltern in ſo groſſem Mangel ih-
re Kinder zu verkauffen/ und der Willkuͤhr
fremder Grauſamkeit heimzugeben. Haben
denn nun dieſe durch gekaufftes Recht beſſere
Gewalt/ als wir uͤber ſie? Jch finde nir-
gends: daß einige ihr Kind eſſende Eltern ha-
ben muͤſſen fuͤr Recht ſtehen; zweiffelsfrey
darum: weil der Hunger alles Anſehen der
Natur wegnimmt/ keines Schreckens achtet/
die Empfindligkeit der zaͤrteſten Muͤtter toͤd-
tet: daß ſie nach deſſen Blute luͤſtern wird/
was ſie mit ihrem geſaͤugt hat; ihre Frucht
mit ihren Zaͤhnen zerfleiſchet/ die ſie mit ih-
ren Armen und Hertzen umfangen/ und in
ihren Magen vergraͤbt/ was in ihren Einge-
weiden lebendig ward. Daher die tapfferen
Saguntiner ihnen das geringſte Bedencken
gemacht/ ſo wol lebende Menſchen zu ſchlach-
ten/ als Leichen zu eſſen/ um der Treue ih-
rer Bundsgenoſſen keinen Abbruch/ und fuͤr
Erhaltung ihres Vaterlandes alles euſſerſte
zu thun. Malovend verſetzte: Jch weiß wol:
daß dieſe letzte Schuldigkeit allen andern das
Vor-Recht nehme/ und die Liebe unſers Blu-
tes/ ja das Recht unſer Leben zu erhalten uns
benehme. Daher mag ich nicht hartnaͤckicht
die Verſpeiſung der wol mehrmahls liederli-
cher verſchwendeten Menſchen nicht gaͤntzlich
wiederſprechen. Gleichwol aber nicht ohne
erhebliche Bedingungen/ wenn nehmlich die
euſſerſte Noth alle andere Erhaltungs-Mit-
tel abſtrickt; und einige Hoffnung der Er-
haltung aus ſo grauſamen Beginnen her-
fuͤr blicket; wie es ſich in etlichen Schif-
farthen verirrten/ oder Schiffbruch-lei-
denden begegnet iſt. Wenn aber an un-
ſer Erhaltung das Heil des Vaterlandes
nicht gaͤntzlich haͤnget; ſondern man mit
dem Feinde auff leidentliche Bedingungen
abkommen kan/ oder wenn ſo grauſame
Verfahrung nur eine Friſtung/ nicht
Erſter Theil. P p p p p peine
[1034[1036]]Siebendes Buch
eine Abwendung des Unterganges verheiſſet;
halte ich ſelbte weder fuͤr vernuͤnfftig/ noch fuͤr
verantwortlich. Zumahl da der bewehrten
Aertzte Meynung nach/ das Menſchen-Fleiſch
eine ſchaͤdliche Nahrung giebt/ und das gantze
Gebluͤte anzuͤndet/ hernach faulend macht.
Maſſen dieſe Kranckheit bey denen Menſchen-
freſſenden Voͤlckern ſehr gemein iſt; ja eins-
mahls ein gantzes Heer der Gallier darmit an-
geſteckt worden/ welchem boßhaffte Kauff-Leu-
te gedoͤrrtes Fleiſch erſchlagener Mohren fuͤr
Stockfiſch verkaufften. Ja in den Atlantiſchen
Eylanden wird das ſchaͤdlichſte Gifft aus Men-
ſchen-Fett und Blute bereitet. Wenn es
aber auch an ſich ſelbſt nicht ſo ſchaͤdlich waͤre/ iſt
doch deſſen Gebrauch ſelten iemand viel zu ſtat-
ten kommen. Maſſen denn die zu Sagunt und
Aſtapa eben ſo wenig/ als die Gallier in Aleſia/
nach ihren ſo blutigen Mahlzeiten weder ſich
noch ihr Vaterland/ ſondern alleine diß erhal-
ten: daß ſie der Flammen und des Todes Spei-
ſe/ oder ein Opffer ihrer gegen einander mehr/
als viehiſch ausgeuͤbten Grauſamkeit worden.
Denn es ſcheinet: daß das Gluͤcke denen ſein
Antlitz nicht zuwenden koͤnne/ welche der Na-
tur verzweiffelt Gewalt anthun. Daher ich
auch in dem Falle/ da ſich die Verſpeiſung der
Menſchen rechtfertigen laͤſt/ mir lieber die
Speiſe/ als der Gaſt zu ſeyn erwehlen wuͤrde.
Jn Aleſia hielt des Fuͤrſten Critognat blutiger
Vorſchlag nicht lange den Stich/ ſondern die
Noth verbitterte ſich gleichſam ihnen alle Huͤlf-
fe/ und was der letzte Spar-Pfennig der Elen-
den iſt/ die Hoffnung abzuſtricken. Vercin-
getorich trieb zwar durch ſeine leichte Reuter
und darunter vermiſchte Bogenſchuͤtzen die zu
Bedeckung des Laͤgers auff einer vortheilhaff-
tigen Hoͤhe ſtehende Roͤmiſche Reuterey ab; al-
leine die deutſchen Huͤlffs-Voͤlcker ſchlugen mit
einer unglaublichen Tapfferkeit/ zu ſelbſt eige-
ner Verwunderung der Roͤmer/ die Gallier
wieder herunter. Auch koͤnnen die Roͤmer nicht
genung ihre Tugend heraus ſtreichen/ die ſie in
denen drey Hauptſtuͤrmen gegen die Gallier er-
wieſen. Jnſonderheit aber im letzten/ als Ver-
cingetorich und Critognat mit ſechzig tauſend
Mann ausfielen/ und Viriomar an zweyen
Orten das Roͤmiſche Laͤger ſtuͤrmeten; ja Ver-
gaſulaun auff der Nordſeite von einem hohen
Berge in das niedrige Laͤger durch den Wall
ſchon eingebrochen/ Labienus verwundet/ und
alles voller Schrecken war; wuſte Caͤſar ihm
keinen Rath/ als daß er mit der Deutſchen Reu-
terey auf der einen Seiten einen Ausfall thaͤt;
welche dem Vergaſulaun in Ruͤcken gieng; da
denn der Ritter Blanckenberg dem Fuͤrſten der
Lemovicher den Kopff zerſpaltete/ der Ritter
Beuchlingen aber den Hertzog Vergaſulaun
ſelbſt gefangen bekam. Wordurch nicht allein
die Roͤmer aus euſſerſter Gefahr errettet/ die
Gallier Aleſia zu verlaſſen/ Vercingetorich a-
ber den Belaͤgerten einzurathen gezwungen
ward: daß ſie ihn todt oder lebendig Caͤſarn ein-
liefern/ und darmit ſeinen Grimm beſaͤnfftigen
ſolten. Wie nun dieſer Angrieff als des ſter-
benden Galliens letzter Biß/ Caͤſars eigenem
Bekaͤntnuͤße nach/ der gefaͤhrlichſte war; alſo
war die Ubergabe Aleſiens der letzte Schlag/
welcher den Vercingetorich zu Bodem/ und
Gallien unter den Fußſchemel der Roͤmer ſtuͤꝛtz-
te. Denn ob wol Comius/ und Correus mit
den Bellovaken die Deutſchen um Huͤlffe in-
ſtaͤndigſt anfleheten/ und ihr Heil zum letzten
mahl verſuchen wolten/ ſo brachten ſie doch mehr
nicht/ als fuͤnff hundert Sicambrer und Chau-
zen auff; welche die mit dem Caͤſar wieder ſie
auffziehenden Rhemer in die Flucht brachten/
und ihren Fuͤrſten Vertiſch todt ſchlugen. Allei-
ne Caͤſar ſetzte dieſen Deutſchen alsbald ihre ei-
gene Lands-Leute in groͤſſerer Menge entge-
gen; welche jene ohne ſonderbahre Muͤh in der
Gallier Laͤger trieben/ und hernach in unter-
ſchiedenen Treffen den Galliern groſſen Ab-
bruch thaͤten/ ja endlich den Fuͤrſten Correus in
Deutſch-
[1035[1037]]Arminius und Thußnelda.
Deutſchland zu fliehen noͤthigten; welchem
Fuͤrſt Comius gleichfalls folgte/ nach dem ſich
Voluſenus ihn meuchelmoͤrderiſch hinzurichten
vergebens bemuͤht hatte. Als auch Caninius
die Feſtung Uxellodun belaͤgerte/ die Fuͤrſten
Drapes und Luterius aber in ſelbte einen groſ-
ſen Vorrath zu bringen bemuͤht waren/ ſchlug
die deutſche Reuterey dieſem nicht allein alle
Wagen ab/ ſondern eroberte auch das Laͤger der
Gallier/ und kriegte der Ritter Waldenburg
den Drapes ſelbſt gefangen; welcher ſich her-
nach durch Abbruch der Speiſen ſelbſt entſeelte;
als er vernahm: daß Caͤſar den Carnutiſchen
Fuͤrſten Guturvat hatte zu tode pruͤgeln/ allen
Gefangenen in Uxellodun aber die Haͤnde ab-
hauen laſſen; wormit zugleich allen Galliern
der Degen/ oder vielmehr gar das Hertze ent-
fiel.
Gallien war derogeſtalt wol uͤberwaͤltigt/ a-
ber Caͤſars Hertze nicht geſaͤttigt. Denn die
Herꝛſchſucht iſt geartet wie das Feuer/ das von
ſeinem Zunder nur mehr hungrig wird. Sie
iſt weder mit ſich noch mit andern vergnuͤgt; und
haͤlt ſelbſt die Zeit fuͤr ihren Feind/ weil ſie ſich
zwiſchen ſeine Begierde und den Beſitz verlang-
ter Dinge eindringet/ und zwiſchen beyden eine
Entfernung macht. Die Wehen ihrer Sehn-
ſucht laſſen niemahls nach. Denn ihre Miß-
geburten laſſen immer Affter-Buͤrden der ohn-
maͤchtigen Ehrſucht hinter ſich. Weil nun Caͤ-
ſar nach uͤberwundenem Gallien keinen Ober-
herꝛen/ der groſſe Pompejus nach untergedruͤck-
tem Aſien aber nicht mehr ſeines gleichen ver-
tragen konte/ ſuchte das nunmehr allzugroſſe
Rom aus Mangel eines auslaͤndiſchen Feindes
ihm einen in ſich ſelbſt. Ein Ehrſuͤchtiger haͤlt
diß ſchon fuͤr einen Raub/ wenn er nicht bekom̃t/
was ſeine Hoffnung ſeinen Verdienſten zuge-
ſagt hat. Daher war es Caͤſarn zu Anſpinnung
des buͤrgerlichen Krieges ſchon genung: da der
Rath ihm die Buͤrgermeiſter-Wuͤrde verſagte/
und nach geendig[t]em Kriege die Waffen nie-
derzulegen ermahnte; gleich als wenn dieſe im
Kriege wieder die Feinde/ im Friede wieder die
Buͤrger zu brauchen waͤren: daß ſie niemahls
verroſteten. Beyde Uhrheber des grauſamen
Buͤrger-Krieges Caͤſar und Pompejus mein-
ten ſolchen allzu kaltſinnig anzufangen/ wenn
ſie nicht die hertzhaffteſten Auslaͤnder mit ins
Spiel wickelten. Dieſemnach nahm Caͤſar alle
in Gallien gepruͤffte Deutſche Kriegs-Voͤlcker
mit in Jtalien; Pompejus aber zohe deßhalben
Dejotarn mit ſeinen in Aſien eingeſeſſenen
Deutſchen an ſich. Dieſer allem Anſehen nach
nicht ſo wol aus Kurtzweil des Gluͤckes/ welches
durch unterſchiedene Unfaͤlle Caͤſars Siege ſo
viel herꝛlicher machen wolte/ als Dejotarn zu
Liebe er aus dem beſetzten Brunduſiſchen See-
Hafen mit genauer Noth auf einem lecken Na-
chen entkam/ durch deſſen Huͤlffe er ſeine Sa-
chen wieder zu Stande brachte/ dem Dolabella
und Antonius groſſen Abbruch that/ in Epirus
Caͤſarn friedſame Gedancken abnoͤthigte/ und
ihn mit groſſem Verluſt von der Stadt Dyr-
rhachium abſchlug. Hingegen halffen die Deut-
ſchen bey Eroberung der Stadt Maßilien/ bey
Uberwindung des Petrejus und Afranius in
Hiſpanien/ nicht wenig zu Caͤſars Siegen;
weßwegen auch in dem Caͤſarn auf dem Pyre-
neiſchen Gebuͤrge aufgerichteten Siegs-Mah-
le auf der einen Seite des Cattiſchen Fuͤrſten
Acrumers Nahme mit in Marmel eingegra-
ben ward. Den Gewinn aber der Pharſali-
ſchen Schlacht/ da nicht nur der Stadt Rom
und der beyden unerſaͤttlichen Kriegs-Haͤup-
ter/ ſondern gleichſam der Welt und des menſch-
lichen Geſchlechtes Verhaͤngnuͤß auf der Wag-
Schale lag/ hat Caͤſar niemanden/ als denen
dreytauſend deutſchen Reutern unter denen
Fuͤrſten Erdmund und Acrumern ohne Wie-
derrede zu dancken. Denn nach dem P[o]mpejus
faſt zweyfach ſtaͤrcker/ als Caͤſar war/ inſonder-
heit aber dreymahl mehr Reuterey hatte/ wor-
mit er Caͤſars Kriegs-Volck auf allen Seiten
P p p p p p 2anfiel/
[1036[1038]]Siebendes Buch
anfiel/ mit ſolcher auch den rechten Fluͤgel/ in
welchem Caͤſar wieder den Pompejus ſtand/
faſt gantz umringte; muſten die Deutſchen
das beſte thun/ welche nicht nur mit ſolcher
Geſchwindigkeit an allen Orten Caͤſarn zu
Huͤlffe kamen; daß alle andere Reuterey gegen
jenen langſame Fuß-Knechte zu ſeyn ſchienen;
ſondern wenn der Feind meinte/ er ſtritte mit
einem Reuter/ ſprangen die Deutſchen in ei-
nem Augenblicke von Pferden/ und durch-
ſtachen die feindlichen uͤber ſich: daß ſie mit ih-
ren Auffſitzern zu Bodem ſtuͤrtzten; oder ſie ziel-
ten mit ihren Lantzen recht in die Augen ihrer
zaͤrtlichen Feinde; welchen alſo durch eine gerin-
ge Verwundung das Geſichte verblaͤndet/ und
der Muth laͤnger in der Schlacht zu bleiben
benommen ward. Daher die Reuterey des
lincken Fluͤgels/ nach dem Fuͤrſt Erdmund den
Thraciſchen Koͤnig Sadal uͤber einen Hauf-
fen gerennt/ der Alemaͤnniſche Ritter Zim-
mern aber den Ciliciſchen Koͤnig Tarcondi-
mot nach hefftiger Verwundung gefangen be-
kommen hatte/ zum erſten in die Flucht be-
kam. Wiewol nun des Pompejus rechter
Fluͤgel wieder den Antonius eine gute Stunde
laͤnger Stand hielt; ſonderlich weil Koͤnig
Dejotar als ein Loͤwe mit ſeiner Reuterey al-
lenthalben fuͤr den Riß ſtand; ſo hatte doch der
Ritter Leiningẽ anfangs das Gluͤcke ihm durch
Verwundung den rechten Arm unbrauchbar
zu machen; Endlich drang Koͤnigſtein/ ein
Bructeriſcher Ritter/ welcher bey angehender
Schlacht Caͤſarn des Sieges/ und daß er ihm/
er ſtuͤrbe gleich/ oder bliebe lebendig/ zu dan-
cken Urſache haben wuͤrde/ gleich einem wuͤ-
tenden Menſchen durch ſeine Leib-Wache
durch/ riß ihn mit Gewalt vom Pferde/ und
kniete ihm auff den Hals. Woruͤber Koͤnig-
ſtein zwar mit vielen Wunden getoͤdtet/ Dejo-
tar aber gefangen/ und daher jenem von Caͤ-
ſarn auff der Wallſtatt ein koͤſtliches Gedaͤcht-
nuͤß-Mahl von Ertzt und Marmel auff gerich-
tet ward. Fuͤr dieſen Schatten wurden die
Deutſchen luͤſtern nicht nur ihr Blut zu ver-
ſchwenden/ ſondern auch durch Uberwindung
anderer ſich ſelbſt Caͤſarn uͤberwunden zu ge-
ben. Mit Dejotars/ und des Marcus Bru-
tus Gefaͤngnuͤße/ welchen Ritter Salm in ſei-
ne Haͤnde bekam/ entfiel allen Streitenden
das Hertze; ja weil Caͤfar allenthalben nicht ſo
wol aus Erbarmnuͤß/ als ſeine Feinde zu tren-
nen ruffen ließ: Schonet der Buͤrger; und al-
le Macht aber auf die Aſiatiſchen Huͤlffs-Voͤl-
cker andrang/ lieſſen die Roͤmer/ die zeither
mehr fuͤr ihr Leben/ als des Pompejus Sieg
gefochten hatten/ nunmehr die Haͤnde/ wie
vorher den Muth ſincken. Hierdurch ward
nicht allein die Schlacht/ ſondern auch das Laͤ-
ger gewonnen; Pompejus aber/ der hier durch
keines Edlen Klinge fallen wolte/ in Egyp-
ten zu fliehen genoͤthiget/ wormit er ſeine Gur-
gel einem entwandten Knechte/ und dem Meſ-
ſer eines verzagten Uberlaͤuffers darreckte.
Uber dieſes iſt des Chaßuariſchen Ritters
Tapfferkeit und Treue unſterblich; deſſen
Nachkommen hernach den Nahmen Stein-
furth bekommen; weil er Caͤſarn/ als Ptolo-
meus zu Alexandria ihn mit groſſer Macht in
das Meer trieb/ nicht nur wegen ſeiner
Schwimmens-Kunſt unterſtuͤtzte/ und durch
die verborgenen Steinklippen zu denen Roͤmi-
ſchen Schiffen gleichſam einen Furth fand; ſon-
dern auch mit Fleiß ſich in ſeinen Purpur-
Mantel huͤllete; wormit die feindlichen Pfeile
nicht Caͤſarn/ ſondern ihn ſelbſt treffen moͤch-
ten. Wie er denn auch zwar dardurch ſeine
Grufft in den Wellen/ aber auch hernach ein
Ehren-Mahl an dem Egyptiſchen Seeſtran-
de/ und die Unſterbligkeit ſeines Ruhmes bey
der Nach-Welt bekommen hat. Alleine hatten
die Deutſchen Caͤſarn bey Pharſalus den
Sieg/ bey Alexandria das Leben erhalten; ſo
halffen ſie bey Munda in der gefaͤhrlichſten
Schlacht mit den jungen Pompejen/ da Caͤ-
ſarn
[1037[1039]]Arminius und Thußnelda.
ſarn ſein Gluͤcke ſelbſt nunmehr verdaͤchtig
fuͤrkam/ und ihm eine traurige Abwechſelung
ahnete/ ſeiner eignen Verzweifelung ab. Denn
Caͤſar ward daſelbſt gleichſam ſelbſt zum Stei-
ne/ als beyde Heeꝛe mitten in dem hizigſten Tod-
ſchlagen/ da iedem ſchier der Jaͤſcht fuͤr dem
Munde ſtand/ in einem Augenblicke als todte
und ſtumme Bilder gegen einander erſtarrten/
und die ſchon halben Streiche zuruͤcke hiel-
ten. Ob er ſich nun zwar und ſein Heer wie-
der ermunterte/ und beyderſeits der aus Goͤtt-
licher Regung erwachſene Stilleſtand ſich wie-
der in Wuͤrgen verwandelte/ hielten doch Caͤ-
ſars aͤlteſte Krieges-Leute wieder die verzweif-
felten Pompejen mehr aus Schande als Tu-
gend Stand. Der Kern ſeines Heeres die
zehende Legion kam zum weichen/ ungeach-
tet der gleichſam raſende Caͤſar Augen/ Haͤn-
de und Stimme ſie auffzuhalten brauchte. Da-
her er ihm ſelbſt den Degen an die Bruſt ſetz-
te/ wormit er nicht dem groſſen Pompejus im
Tode gleich wuͤrde/ dem er an Macht ſchon zu
vor kommen war. Aber nicht ſo wol ein Roͤ-
mer/ der ihm den Degen ausrieß; als Sar-
ganß/ ein Alemaͤnniſcher Kriegs-Oberſter/ der
mit zwey tauſend Mann in das Pompejiſche
Laͤger einfiel/ lehnte von Caͤſarn nichts min-
der die Schande der Zagheit/ als ſeine und
ſeines Heeres Niederlage ab. Denn als La-
bienus dem Laͤger drittehalb tauſend Mann
zu Huͤlffe eilen ließ/ legte Hertzog Acrumer es
der Roͤmiſchen Reuterey fuͤr eine Flucht des
Feindes aus; waren alſo die Deutſchen die
Urſache eines herrlichen Sieges. Ja weil
eine ziemliche Anzahl der deutſchen Ritter-
ſchafft todt blieben/ nagelten ſie bey Belaͤge-
rung der Stadt Munda aus Verbitterung
ihrer Feinde Leichen mit Spießen zuſammen;
machten davon um die Stadt fuͤr ſich eine
Bruſtwehre/ und bauten durch ſo viel Siege
Caͤſarn einen herꝛſchafftlichen Stul in Rom
uͤber die halbe Welt/ wiewol zugleich ein Ziel
des Neides/ und eine abſchuͤßige Stiege zu ſei-
ner Grufft.
Als die Roͤmer derogeſtalt mit ihren Waf-
fen ihre eigene Eingeweide zerfleiſchten; Dach-
te kein Roͤmer mehr den Deutſchen einigen Ab-
bruch zu thun. Caͤſar hielt zwar zu Rom auf
einmahl fuͤnfferley Siegs-Gepraͤnge. Jn
dem uͤber Gallien ließ er alle eroberte Staͤdte
und Siegs-Bilder aus Citronat-Holtze; uͤber
das Pontiſche Reich/ alle aus dem rothen E-
gyptiſchen Acanthus-Holtze/ uͤber Egypten
aus Meer-Schnecken/ uͤber Africa aus Helf-
fenbein/ uͤber Hiſpanien aus gedrieſeltem Sil-
ber fuͤrtragen. Er vertrug auch: daß der Roͤ-
miſche Rath ſeine Seule zwiſchen die Bilder
der ſieben Roͤmiſchen Koͤnige ſetzte; ja ein Theil
deſſen ihm die Gewalt aller Roͤmiſchen Frau-
en nach Belieben ſie zu bedienen zueignete. Als
aber der heuchelnde Antonius nebſt einem Koͤ-
niglichen Krantze und Stabe ihm aus dichtem
Golde das Bild des gefeſſelten Rheines fuͤr-
ſtellte/ und Caͤſarn bereden wolte jene Koͤni-
gliche Zeichen nicht allein zu tragen/ ſondern
auch dieſes mit auffzuthuͤrmen/ ſchlug Caͤſar
beydes ab/ vorwendende: daß das erſte ihm zu
wenig/ das letztere zu viel waͤre. Denn er wol-
te mit keinem Getichte die Warheit der uͤbri-
gen Siege verdaͤchtig/ noch die Deutſchen un-
willig machen; ſondern er rieth den Roͤmern
vielmehr: daß ſie mit dieſem unuͤberwindli-
chen Volcke lieber gute Vertraͤuligkeit pfle-
gen; als durch vergebliche Antaſtung ihre
Schwaͤche verrathen ſolten. Wiewol auch
ſeine vertrauteſte ihm in Ohren lagen: daß er
die Buͤrgerliche Ruh in Rom nicht beſſer/ als
durch euſſerlichen Krieg/ erhalten/ und durch
oͤffters Aderlaſſen das Haupt fuͤr allen be-
ſchwerlichen Duͤnſten verwahren koͤnte; war
er doch nicht zu bereden durch Krieg wie-
P p p p p p 3der
[1038[1040]]Siebendes Buch
der die Deutſchen ſeinen Ruhm noch einmahl in
Gefahr zu ſetzen; ſondern als er ermordet ward/
berathſchlagte er ſich gleich/ wie er den Parthen
und Geten eines verſetzen moͤchte.
Derogeſtalt hatten die Deutſchen nunmehr
wol die Hand in den Roͤmiſchen/ die Roͤmer a-
ber nicht in den Deutſchen Haͤnden. Alleine
wie die Sommer-Waͤrmde die gifftigen Feuch-
tigkeiten in die Lufft empor zeucht; welche die
Kaͤlte des Winters in der Erde verſchloſſen
hielt; als oͤffnete die verſchwundene Gefahr fuͤr
den Roͤmern in Deutſchland die alten Regun-
gen der Herꝛſch und Eyverſucht. Die Cat-
ten waren den Cheruskern niemahls auffſetziger
geweſt/ als itzt; da ihr Gluͤck und Anſehen
gleichſam wieder ſichtbarlich zunahm. Denn
der Neid hat die Eigenſchafft der nur den vol-
len Mohnden anbellenden Hunde; und iſt ein
Gifft/ welches nicht wiꝛcket/ wo es keine Waͤrm-
de findet. Denn ob zwar einige die Todfeind-
ſchafft der Catten und Cherusker/ wie auch etli-
cher andern Voͤlcker einem wiedrigen Ein-
fluße der Geſtirne/ oder einer andern geheimen
Wuͤrckung der Natur zueignen; auch etliche
gar getichtet haben: daß beyder Blut in einem
Becken ſich wie der Rhodan in dem Lemanni-
ſchen See nicht mit einander vermiſchten; da-
her auch ſelbte mit der Mutter-Milch gleich-
ſam denen Kindern eingefloͤßet wuͤrden; ſo iſt
doch der Warheit vielmehr gemaͤßer: daß die
Ober-Herꝛſchafft in Deutſchland der Cherus-
kiſch- und Cattiſchen Haͤuſer Zanck-Eiſen/ und
die Uberſchlagung der Zunge in der Wage
Deutſchlandes ſtets der Uhrſprung eines neuen
Krieges/ wie fuͤr Zeiten zwiſchen den Grichen
und Perſen/ Aſien/ zwiſchen Rom und Cartha-
go das Mittellaͤndiſche Meer mit ſeinen Ey-
landen der Zanck-Apffel geweſt waͤre. Dieſer
Eigen-Nutz waͤre das Geheimnuͤß/ das die
Naturkuͤndiger nicht zu nennen wuͤſten; und
das nicht nur die Menſchen/ ſondern auch Thie-
re und Gewaͤchſe gegen einander zwiſtig mach-
te. Die Feindſchafft zwiſchen der Eiche und
dem Oel-Baume/ zwiſchen Kohl und dem
Weinſtocke/ zwiſchen Roſen und Knoblauch/
ruͤhret aus nichts anderm her/ als daß eines dem
andern die Nahrung raubt. Der Adler und
Drache fuͤhren einen ewigen Krieg der Schlan-
gen halber mit einander/ die beyde zu ihrer
Speiſe/ wie die Catten und Cherusker die Deut-
ſche Herꝛſchafft allein haben wollen. Weil aber
weder ein noch das andere Hauß wegen der an-
dern Deutſchen Fuͤrſten Eyverſucht ihm nach
dieſem Biſſen die Zaͤhne darff laſſen waͤſſericht
werden; iſt inzwiſchen die Feldherꝛſchafft die
Braut/ darum beyde tantzen. Denn ob ſelbte
zwar mehr Schatten der Ehre/ als weſentliche
Macht an ſich hat; ſo iſt doch die Ehrſucht nach
einem Lorber-Blate offt luͤſterner/ als nach ei-
nem Granat-Apffel; und der Adler um die
Herꝛſchafft der Lufft alleine zu behaupten/ ver-
folget den ohnmaͤchtigen Schnee-Koͤnig nur
ſeines ihm verdaͤchtigen Nahmens halber biß
auff den Tod. Daher ruͤckten die Catten dem
Cheruskiſchen Hauſe auff: daß ſelbtes nicht ſo
wol durch Tapfferkeit/ als durch vortheilhaff-
tige Heyrathen ſich vergroͤſſert/ und in Deutſch-
land ſo viel Leut und Laͤnder unter ſich gebracht
haͤtte; deſſen ungeachtet verſchmaͤheten nun-
mehr von geraumer Zeit her die Cheruskiſchen
Fuͤrſten andere aͤltere Geſchlechter/ und ver-
maͤhlten ſich entweder nur mit ihren Bluts-
verwandten/ oder gantz fremden Weibern. Se-
gimer haͤtte ſo gar eines Parthiſchen Leibeige-
nen des Surena Tochter geheyrathet; da doch
voriger Zeit die deutſchen Fuͤrſten auch ſelbſt de-
nen Perſiſchen Koͤnigen ihre Kinder verſagt
haͤtten. Uber diß ſtellten ſie Asblaſten/ Segi-
mers Gemahlin eine uͤbrige Zaͤrtligkeit zum
Mangel aus/ wordurch der Morgenlaͤnder
weichliche Sitten und Lebens-Art in Deutſch-
land unvermerckt eingeſchleppt/ und der alten
Tugend/ welche unter Schweiß und Staub
einen ſicheren Auffenthalt haͤtte/ als Balſam
und
[1039[1041]]Arminius und Thußnelda.
und Seide/ nicht geringer Abbruch gethan
wuͤrde. Daher haͤtte der groſſe Alexander auffs
ſchaͤrffſte verboten einige Aſiatiſche Weiber/ o-
der nur die mit ihnen erzeugten Kinder mit in
Macedonien zu nehmen; um durch ſie nicht die
vaͤterlichen Sitten anzuſtecken. Unver gleich-
lichern groͤſſern Schaden aber thaͤte eine ſolche
Fuͤrſtin; welche nicht nur uͤber das Volck/ ſon-
dern uͤber den Fuͤrſten ſelbſt zu herꝛſchen ge-
wohnt waͤre. Andere Menſchen koͤnten zwar
Verraͤther der Koͤnige ſeyn/ ihre Gemahlin-
nen aber verleiteten ſie ins gemein: daß ſie Vet-
raͤther ihrer ſelbſt wuͤrden; und die/ welche ih-
nen nach Leben und Reiche ſtuͤnden/ rechtfer-
tigten und belohnten. Da nun Fuͤrſten ſelbſt
der Weiber Selaven wuͤrden; und ſie ihnen in
Abgoͤtter verwandelten; wer wolte zweiffeln:
daß nicht auch das Volck nach dem Beyſpiele
der Thebaner/ die des Koͤnigs Demetrius Bey-
ſchlaͤfferin Lana zu Sicyon der Lamiſchen Ve-
nus Tempel einweihten/ ſie fuͤr ihre Herꝛſche-
rin verehren/ und fuͤr ihres Lebens Richtſchnur
annehmen ſolte? Die Heucheley waͤre bey Hofe
eine ſo dienſtbare Sclavin: daß ſie die Fehler der
Fuͤrſten fuͤr Tugenden/ und die Gebrechlig-
keiten fuͤr Zierden anbetete; mit dem Cliſophus/
dem einaͤugichten und hinckenden Philip zu
Liebe/ ihr das eine Auge verbinde/ und hinckte;
ja mit ſelbtem das Maul rimpffte; mit dem
Chiriſophus dem Koͤnige Dionyſius ſonder be-
wufte Urſache lachte/ ſeinen eingeſchluckten
Speichel fuͤr ſuͤſſer als Honig preiſte/ und mit
dem Antlitze ſelbten auffienge; mit andern Tel-
lerleckern dem Hiero zu gleichen ſich bey der Ta-
fel uͤberſichtig ſtellte; mit andern dem groſſen
Alexander zu gleichen den Kopff auf die Seite
hienge; ja mit dem Cambalus dem Selevcus/
oder auch gar einem ſolchen Hofeſchrantzen zu
Liebe ſich verſchneiden lieſſe; und um eine Hand
voll ſchnoͤder Gunſt zu erhalten begierig die
Maͤnnligkeit einbuͤſte. Man haͤtte fuͤr we-
niger Zeit in der Nachbarſchafft wahr genom-
men/ wie nach zweyer Fuͤrſten Beyſpiele ihnen
gantze Laͤnder ihre Koͤpffe kahl geſchoren/ derer
einer wegen Hauptweh/ der ander wegen em-
pfangener Wunde die Haare abſcheren laſſen.
Ein vertorbener Hut-Kraͤmer haͤtte ſich durch
Beſtechung eines Hoͤflings wieder in Stand
geſetzt; der ſeinen Koͤnig beredet einen von ſei-
nen veralterten Huͤten zu tragen; weil er die uͤ-
brigen in einem Tage um zehnſach Geld an-
wehren koͤnnen. Noch viel anfaͤlliger aber waͤ-
ren die Laſter der Fuͤrſten. Denn iederman
meinte ſo denn durch ihre Nachthuung ans
Bret/ und in die Gnade ſeines Herꝛn zu kom-
men. Die zaghaffteſten der Suͤnden wuͤrden
ſo denn behertzt. Und mit einem Worte/ das
Ubel fiele aus dem Haupte auf die Lunge eines
gantzen Volckes/ und daher muͤſte daraus eine
toͤdtliche Verzehrung folgen. Jedoch waͤre diß
noch alles Kinderſpiel gegen dem/ wie eine wol-
luͤſtige Fuͤrſtin das gantze weibliche Geſchlechte/
ja das gantze Reich gleichſam im Augenblicke
an ihr Seil bringen/ oder vielmehr bezaubern
koͤnte. Keine edle Frau in einem Lande wird
fuͤr geſcheut gehalten/ welche nicht eine Aeffin
ihrer Koͤnigin iſt. Denn alle laſſen gedultiger
ihren guten Sitten und Tugenden auf den
Fuß/ als jene Cariſche Weiber beym Artaba-
zes auf den Ruͤcken treten/ welche dem auf die
Wagen ſteigenden Frauen-Zimmer bey Hofe
zum Fuß-Schemmel dienten. Eine fremde
Koͤnigin haͤtte unlaͤngſt das benachbarte Sar-
matien aller ſeiner Schaͤtze beraubt/ den Koͤnig
wie einen Zeidel-Baͤr an der Kette gefuͤhret/ al-
len Reichs-Raͤthen guͤldene Ringe durch die
Naſe gezogen/ die alten Geſaͤtze und Sitten in
ihre Landes-Art verkehret; und es waͤre um der
Sarmater ſo beruffene Freyheit gethan geweſt;
wenn der mitleidende Tod nicht mit dem Fade-
me ihres Lebens zugleich das Seil ihrer Dienſt-
barkeit entzwey geſchnitten haͤtte. Nichts beſſers
haͤtte ſich Deutſchland von Segimers Gemah-
lin zu verſehen/ in welcher Vaterlande die
Dienſt-
[1040[1042]]Siebendes Buch
Dienſtbarkeit eine Tugend/ ihr Geſchlechte
niemahls zu herꝛſchen gewohnet/ derer aus Koͤ-
niglichem Uhrſprunge zur Herꝛſchafft gelan-
gender Leute Eigenſchafft aber waͤre/ in der
Bothmaͤßigkeit keine Maaß halten/ und ihrer
Hoffart kein Ziel ſtecken. Auch muͤſte man
ſich nicht Asblaſtens angenommene Tugenden
irre machen laſſen. Denn die Laſter waͤren
niemahls gefaͤhrlicher/ als in dieſem Kleide;
und wie es ſchwer waͤre der Maͤnner Gemuͤtheꝛ
zu ergruͤnden; alſo hielte er es fuͤr Unmoͤglig-
keit die weiblichen ausnehmen. Dieſer ſchlaue
und ſcheinbare Vorwand ſchaffte nicht nur eine
groſſe Verbitterung bey den alten Feinden der
Cherusker/ ſondern auch eine nicht geringe Ab-
neigung bey ihren Bundsgenoſſen; zumahl der
Hermundurer Hertzog Briton ſeine Tochter an
Segimern zu vermaͤhlen vergebens ſich ver-
ſpitzt/ der Catten Hertzog Arabar aber die Hey-
rath mit der Alemaͤnniſchen Fuͤrſtin Vocione
als ein dienliches Band des allgemeinen Frie-
den in Deutſchland vorgeſchlagen hatte. Ja
in denen Cheruskiſchen Ohren ſelbſt gewan die-
ſer Vorſchlag einen ſo ſuͤſſen Klang: daß ſie dem
Fuͤrſten Segimer anmutheten/ entweder die
ohne diß unfruchtbare Asblaſte gar zu verſtoſ-
ſen/ oder/ Vermoͤge der denen Fuͤrſten in
Deutſchland vor Alters her zukommender
Freyheit noch eine Gemahlin zu erkieſen. Her-
tzog Segimer nahm dieſe Meynung uͤbel auff;
ſahe die ſich hiervon nur etwas aufzuwerffen er-
kuͤhnenden ſauer an; und hielt ihnen ein: Fuͤr-
ſten haͤtten wol Macht ihren Unterthanen/ ob
und wen ſie heyrathen ſolten/ Geſetze vorzu-
ſchreiben/ damit nicht des Vaterlandes Guͤter
in die Fremde kaͤmen/ oder verdaͤchtige Aus-
laͤnder einniſteten; dieſe aber koͤnten die Ehen
der Fuͤrſten eben ſo wenig ohne Unvernunfft/
als die Sternſeher die Vereinbarungen der
Geſtirne tadeln. Gleichwol verbarg er dieſes
Unvergnuͤgen des Volckes fuͤr ſeiner ſo hertz-
lich geliebten Asblaſten auffs moͤglichſte: Allei-
ne es iſt kein Ritz ſo enge/ durch welchen nicht
die Heucheley den Fuͤrſten die verborgenſten
Heimligkeiten zuſtecken koͤnne. Wiewol all-
hier das Mitleiden einer an dem Cheruskiſchen
Hofe lebender Dulgibiniſchen Fuͤrſtin dieſe be-
kuͤm̃erte Zeitung Asblaſten am erſten zubrach-
te/ wormit ſie durch ihre Klugheit dieſer Gefahr
ſo viel leichter/ und ehe das Ubel mehr Wurtzel
faſte/ vorbeugen koͤnte. Als nun ein und an-
dere Frauen-Zimmer nach und nach eben diß
erwehnten/ Hertzog Segimer aber hiervon ge-
gen ſie das geringſte nicht mercken ließ; verfiel
ihr heimlicher Kummer in einen empfindlichen
Argwohn: daß er unter der Hand mit der nicht
nur ſchoͤnen/ ſondern auch uͤberaus reichen und
verſtaͤndigen Fuͤrſtin Vocione eine Heyrath
abhandeln lieſſe/ und daß man ihr erſt nach ge-
ſchloſſener und unhintertreiblicher Sache hier-
von Meldung thun/ um ihr auff einen Schlag
alle Wiederſprechung abzuſchneiden. Es iſt
noch zur Zeit ungewiß: ob die uͤbermaͤßige Be-
gierde Asblaſtens ihren Eh-Herꝛn auch mit ih-
rer euſſerſten Seelen-Kraͤnckung zu vergnuͤ-
gen/ oder die unrechte Tochter der Liebe/ nem-
lich die Eyverſucht ſie eine ſeltzame Entſchluͤſ-
ſung zu faſſen bewegt habe. Denn als Segimer
von dem Feldherꝛn ſeinem Vater mit etlichen
tauſend Edelleuten gegen die Alemanniſche
Graͤntzen wieder den beſorgten Einbruch ge-
ſchickt ward/ bildete ihr Asblaſte ein: es waͤre
unter dieſen Schalen viel ein ander Kern/
nehmlich die gaͤntzliche Vollziehung einer neu-
en Heyrath mit Vocionen verborgen. Daher
machte ſie ſich in maͤnnlicher Tracht mit zwey-
en ihrer getreueſten und lebhaffteſten aus Par-
then gebrachten Jungfrauen heimlich aus dem
Staube. Der Feldherꝛ Aembrich ließ ihr ver-
gebens auff allen Straſſen nachſetzen/ weil ei-
ne ihrer Jungfrauen unter vorgewendeter Un-
paͤßligkeit ihre Entrinnung drey Tage verhoͤ-
lete; der zuruͤckkommende Segimer aber/ wel-
cher etliche Bojiſche Oerter wieder erobert/ und
den
[1041[1043]]Arminius und Thußnelda.
den Alemanniſchen Aufzug durch bloſſe Kriegs-
Liſten vernichtet hatte/ fand an ſtatt eines
Siegs-Gepraͤnges dieſe traurige Zeilen in ſei-
nem geheimſten Schrancken:
Die den Tod fuͤr die groͤſte Wuͤrckung der
Liebe halten/ haben entweder ihre edelſte Kraft
nicht ergruͤndet/ oder ihr groſſe Unvollkom-
menheit zugeeignet; wo nicht gar ein Jrrlicht
fuͤr einen Stern erkieſet. Es iſt leichter/ und
darff nur einen behertzten Schnitt/ oder die
Pein eines Augenblicks fuͤr den geliebten ſein
Blut abzoͤpffen; die Ausſtehung aber vieler
der Seele zuſetzenden Gemuͤths-Regungen iſt
etwas uͤbermenſchliches. Dieſes traue ich mir
ausgeuͤbt zu haben/ wenn ich der tugendhafften
Vocione das nur zur Helffte verlangte Bette
meines unſchaͤtzbaren Segimers gantz einraͤu-
me/ ihm aber durch meine Anweſenheit keine
Unmoͤgligkeit auffbuͤrde ſeine Liebe ſo zu thei-
len: daß die Wagſchale nicht hier oder dort uͤ-
berſchlage. Der Natur iſt es unmoͤglich mit
Feuer zu leſchen/ und mit Waſſer anzuzuͤnden/
aber nicht der Liebe. Dieſe verzehret in mir
ſelbſt die lodernden Flammen; und meine an-
genommene Kaͤlte ſtecket das Hertze meines un-
vergleichlichen Segimers gegen der Fuͤrſtin
Vocione an; welcher ich deßhalben nicht gram
ſeyn kan/ weil ſie der liebet/ dem ich mein Hertze
fuͤrlaͤngſt tauſendmahl aufgeopffert habe. Lebe
dieſemnach wol/ Segimer! und betheile Vocio-
nen mit deiner gantzen Liebe/ deine ungluͤckſe-
lige Asblaſten aber nur mit einem wenigen dei-
nes Andenckens.
Die erſte Nachricht von Asblaſtens Entwei-
chung hatte Segimern in Verzweiffelung ver-
ſetzt; dieſer Brieff aber machte ihn gleichſam
gantz raſend. Endlich als alle menſchliche
Mittel ſein Gemuͤthe zu beſaͤnftigen vergebens
waren/ verlohr ſich Fuͤrſt Segimer zu ſeines
verlebten Vaters und des unruhigen Vater-
landes hoͤchſter Beſtuͤrtzung nicht nur vom Ho-
fe/ ſondern aus gantz Deutſchland.
Bey Entfallung dieſer Seule/ welche des
nunmehr verlebten Feldherꝛn Aembrichs
ſchwache Achſeln unterſtuͤtzte/ fiengen die Che-
ruskiſchen Kraͤften wieder an zu ſincken; die un-
ter ihres Gebluͤtes Fuͤrſten zeither geſtandene
Eburoner und Moriner fielen durch einen ge-
waltſamen Aufſtand ab/ und erwehlten jene
ein Kind von drey Monaten Arabars Sohn/
dieſe aber einen Fuͤrſten/ der nur dem muͤtterli-
chen Stamm-Baume nach von Cheruskiſchem
Gebluͤte herkam/ zu ihrem Oberhaupte. Aem-
brich gerieth ſelbſt mit vielen Fuͤrſten Deutſch-
landes auf einer Reichs-Verſammlung in der
Stadt Caſurgis in nicht geringe Gefahr; weil
die Catten mit einem maͤchtigen Heere ſelbte
unverhofft umgaben. Wiewol nun dieſe un-
gemeine Noth alle Kraͤfften der Cherusker und
Ubier eilfertig zuſammen brachte/ und den
Feind nicht allein aus dem gantzen Bojiſchen
und Hermunduriſchen Gebiete trieb; ſo wen-
dete ſich doch bald das Blat. Obymal der Che-
ruskiſche Feldhauptmañ ward von Arabarn in
dem Gebiete der Uſipier geſchlagen/ er ſelbſt
gefangen. Aribert/ ein Hertzog der Angeln/
welcher nach des Fuͤrſten Gotarts Tode auf die
Cheruskiſche Seite getreten war/ weil man ihm
in der Feldhauptmannſchafft den Ritter Stor-
deſten fuͤrgezogen hatte/ ward unter dem Su-
detiſchen Gebuͤrge mit ſeinem gantzen Heere er-
legt; und kurtz darauff Loͤwenmuth Aembrichs
ander Sohn auff eben der Stelle/ wo Koͤnig
Gotart ſeinen erſten Sieg erlangt hatte/ mit
faſt nicht geringerm Verluſt aus dem Felde ge-
ſchlagen. Alſo bindet das Verhaͤngnuͤß nicht
nur einerley Zufaͤlle an gewiſſe Tage und Na-
men; ſondern auch an etliche Oerter. Hertzog
Aembrich legte hieruͤber mit ſeinem Leben auch
die Sorgen ſeiner Herꝛſchafft und die Bekuͤm-
mernuͤß uͤber ſein zerruͤttetes Vaterland und
die Entfernung des Fuͤrſten Segimers ab; ver-
ließ alſo inzwiſchen die Verwaltung des Reichs
und die Aufferziehung ſeines nur einjaͤhrigen
Erſter Theil. Q q q q q qSoh-
[1042[1044]]Siebendes Buch
Sohnes Jngviomers dem Fuͤrſten Loͤwen-
muth. Seinen letzten Athem wendete er noch
zu einer beweglichen Ermahnung gegen ſeine
umſtehende Raͤthe an: daß ſie die Beruhigung
Deutſchlandes dem Glantze ſeines eigenen
Hauſes/ und allen andern Staats-Geſetzen fuͤr-
ziehen ſolten. Denn der Friede waͤre der einige
Balſam/ durch welchen ein verwundetes Reich
wieder geheilet; das Horn des Uberflußes/ aus
welchem die erſchoͤpfften Laͤnder wieder erfuͤllet;
ein Labſal/ mit welchem ohnmaͤchtige Voͤlcker
wieder erquicket; ein Oel-Baum/ von welchem
Vaͤter des Vaterlandes alleine bekraͤntzet wer-
den koͤnten. Wie hertzhafft und ſorgfaͤltig nun
dieſer Fuͤrſt dem Reiche fuͤrſtand; ſo war doch
das blinde Gluͤcke in ſeinem wiedrigen Rennen
durch keine Tugend nicht auffzuhalten. Gleich-
wol aber brachte es ſeine Vorſicht ſo weit: daß
weil die Catten die Alemaͤnniſche Fuͤrſtin Vo-
cione und die uͤbrigen Bundgenoſſen den durch
den Koͤnig der Cimbern Frotho fuͤr geſchlagenen
Frieden gaͤntzlich ausſchlugen/ dieſer tapffere
Fuͤrſt wegen verſchmaͤheter Vermittelung/ oder
weil der Catten und Svionen durch ſo viel Sie-
ge taͤglich anwachſende Gewalt ihm verdaͤch-
tig ward/ ſich den Cheruskern zu helffen ruͤſtete.
Aber ſo bald Stordeſton von dieſer nach denck-
lichen Krieges-Ruͤſtung Wind bekam/ ruͤckte er
und die Fuͤrſtin Vocione dem Cimbriſchen Koͤ-
nige Frotho auff einer/ und Gunholm mit ei-
nem abſonderlichen Krieges Heere der Svio-
ner auf der andern Seite uͤber den Hals; brach-
ten es auch durch zwey zu Lande/ und eine zur
See gewonnene Schlacht dahin: daß er noch
ſelbiges Jahr einen nachtheiligen Frieden
ſchluͤſſen/ und dem Cheruskiſchen Buͤndnuͤße
abſchweren muſte. Als derogeſtalt der groͤſte
Krieges-Schwall ſich zwiſchen die Oſt- und
Weſt See gezogen hatte/ kriegte Fuͤrſt Loͤwen-
muth zwar Lufft/ etliche von den Svionen und
Catten in dem Quadiſchen Gebiete beſetzte Plaͤ-
tze wieder zu erobern; aber Arabar hetzte denen
Cheruskern alsbald einen neuen Feind/ nemlich
die Koͤnige der Pannonier und Japyden auff
den Hals; welche durch ihren ſchleunigen Ein-
fall den Lauff ihres vorigen Sieges hemmeten.
Uber diß kriegte Vocione eine anſehnliche
Huͤlffe von denen Rhetiern und Vindelichern.
Weil aber die Cherusker nach Caͤſars Tode mit
dem Octavius ſich verbunden/ und ihm bey dem
buͤrgerlichen Kriege wieder den Antonius und
Sextus Pompejus mit anſehnlicher Reuterey
aus geholffen hatten; dieſer auch nach uͤberwun-
denem Lepidus/ und als Antonius in den Mor-
genlaͤndern beſchaͤfftiget war/ zu Rom den Mei-
ſter ſpielte; ſchickte Octavius Caͤſar/ oder der
hernach genennte Auguſt den Cheruskern zu
Liebe den Tiberius wieder die Rhetier und Vin-
delicher. Ob dieſer nun zwar theils wegen des
tieffen Schnees/ theils wegen dieſer Voͤlcker
ja auch ihrer behertzten Weiber/ die nach ver-
ſchoſſenen Pfeilen ſo gar ihre zerfleiſchten Kin-
der dem Feinde ins Antlitz ſchlugen/ mit dem
Degen wenig ausrichtete; machte er doch den
Cheruskern Lufft; weil die Rhetier und Vinde-
licher von den Catten und Alemaͤnnern ihre
Huͤlffs-Voͤlcker abzufordern genoͤthiget wur-
den. Wieder die Japydes/ ein aus Deutſchland
gleichfalls entſproſſenes zwiſchen dem Duri-
ſchen und Claviſchen Gebuͤrge gelegenes Volck
aber ruͤckte Auguſtus ſelbſt mit fuͤnff Legionen.
Die Flaͤche und die an der Sau gelegene Stadt
Segeſtica verlieſſen die Japydes gutwillig; im
Gebuͤrge aber hatten ſie ſich derogeſtalt ver hau-
en: daß in ſelbtes einzubrechen kein ander Weg/
als ein zwiſchen zweyen ſteilen Bergen abſchuͤſ-
ſender Strom zu finden war. Weil es aber dem
Roͤmiſchen Krieges-Volcke unmoͤglich ſchien
dem rauſchenden Waſſer entgegen biß an die
Achſeln zu waten/ und uͤber die Klippen zu klet-
tern/ von welchen dieſer Fluß vielfaͤltig abſtuͤrtz-
te/ wie nichts minder ſich fuͤr den Pfeilen derer
auf den Bergen wachſamen Feinde ſich zu be-
ſchirmen; ſtutzten ſie ſo lange/ biß Auguſt ſelbſt
einem
[1043[1045]]Arminius und Thußnelda.
einem gemeinen Kriegs-Knecht den Schild
vom Arme rieß/ und durch Waſſer und Felſen
ihnen vorgehende den Weg baͤhnete; biß es an
einer engen Tieffe/ woruͤber die Japyder hat-
ten die Bruͤcke abgeworffen/ zu einem ſchweren
Gefechte kam/ in welchem Auguſt mit ſeinen an
beyden Haͤnden und Schienbeinen empfange-
nen Wunden ſelbigen Strom und ihm zugleich
ſeine Ehren-Fahn anroͤthete. Wie nun die Ja-
pydes alldar der Roͤmiſchen Macht laͤngeꝛ nicht
die Wage halten konten/ zohen ſie ſich in ihre
Haupt-Stadt Mebulum/ aus welcher ſie denen
belaͤgernden Roͤmerñ durch Abſchlagung vieler
Stuͤrme/ und Verbrennung ihres Sturmzeu-
ges unglaublichen Schaden zufuͤgten. Ja Au-
guſt ſelbſt/ als er im zehnden Sturme von einem
angeſchobenen hoͤltzernen Thurme die Mauer
beſteigen wolte/ ward mit einem Wurffſpieße
in die Seite derogeſtalt verwundet: daß man
ihn ohnmaͤchtig ins Zelt brachte. Alleine Auguſt
ließ ſich diß ſo wenig/ als ein veꝛlezteꝛ Loͤwe ſchre-
cken/ der/ weñ er ſein Blut ſiehet/ nichts minder
ſeine Kraͤfften/ als Grimm vergroͤſſert. Er ver-
ſchrieb noch zwey friſche Legionen darfuͤr/ und
draͤute keines Kindes in Mutterleibe zu verſcho-
nen/ wenn der Ort mit Sturm uͤbergienge.
Weil nun die Tugend endlich wie die Brunnen
erſchoͤpfft/ und die groͤſte Hertzhafftigkeit durch
ein erbarmendes Mitleiden weich gemacht
wird/ ließ der eine Japydiſche Fuͤrſt ſich das
Winſeln der Einwohner verleiten: daß er wie-
der des andern Willen ſeine Helffte der Stadt
mit einem Schloſſe den Roͤmern auffgab; und
Roͤmiſche Beſatzung einnahm/ welche aber fol-
gende Nacht von dem andern Fuͤrſten unverſe-
hens uͤberfallen und erſchlagen ward. Hierauff
vertheidigten die verzweiffelten Japyden beyde
Staͤdte mit faſt unmenſchlicher Hartnaͤckigkeit/
ja als alle Lebens-Mittel aufgezehret/ die Mau-
ern zerſprengt/ die Waffen zerbrochen waren/
ſchlachteten ſie ihre Weiber und Kinder ſelbſt
ab/ zuͤndeten die Stadt an allen Ecken an/ ver-
gruben ſich alſo ſelbſt mit der Aſche ihres Vater-
landes; und wunden den Roͤmern den Ruhm/
ja alle Kennzeichen des geringſten Sieges aus
den Haͤnden. Jedoch betrauerte Auguſt nicht
ſo ſehr: daß er nur eines Steinhauffens/ und et-
licher Leichen Meiſter worden war/ als daß die
Verzweiffelten ihm den beſten Ruhm/ den ein
Uberwinder erlangen kan/ mit ihrem Leben ab-
geſchnitten hatten; welcher iſt/ ſeinem Feinde
vergeben. Derogeſtalt ſind dieſe Japyden/ fieng
Salonine an/ ein bewehrtes Beyſpiel: daß der
Menſch ſein ſelbſt eigener groſſer Feind/ ja ſei-
nes Ungluͤckes Schmid ſey. Sintemahl ſie aus
Furcht eines ungewiſſen Todes wieder die Ge-
ſetze der Goͤtter dem Verhaͤngnuͤſſe das Meſſer
und die Fackel aus den Haͤnden geriſſen; und ſo
wol ihnen als ihrem Vaterlande ein ſolch Un-
recht angethan/ was der aͤrgſte Todfeind wie-
der beyde nicht haͤtte grim̃iger ausuͤben koͤnnen.
Dieſemnach hielte ſie es mehr fuͤr ein Werck ra-
ſender Thiere ſich lieber ſelbſt ins Verterben
ſtuͤrtzen/ als dem Feinde ſich ergeben; welcher
ohne Verletzung des Voͤlcker-Rechts die Erge-
benen nicht toͤdten koͤnte. Der Menſch alleine
haͤtte von der guͤtigen Natur die Hoffnung in
Beſitz bekommen. Daher ſolte er niemahls was
verzweiffeltes entſchlieſſen/ ſondern noch allezeit
des beſten gewaͤrtig ſeyn. Rhemetalces begegne-
te ihr: Jch wil die Hoffnung nicht ſchlechter
Dings verwerffen/ noch ſie mit einigen fuͤr den
Luſtgarten der Narren/ und eine Kurtzweil der
Einfaͤltigen ſchelten. Denn wenn ſelbte die
Vernunfft zum Grunde hat/ verdienet ſie/ das
Merckmahl eines groſſen Geiſtes genennet zu
werden. Wenn man aber/ wie hier die Ja-
pyden/ von einem verbitterten Feinde nichts
als Schmach und Pein zu gewarten/ ſondern
um das armſelige Leben zu betteln hat/ iſt es
ja beſſer dem ohne diß unvermeidlichen To-
de etliche Schritte entgegen gehen; als
durch vergebene Ausweichung dem Fein-
de eine Freude’ machen/ umb dem ohn-
maͤchtigen Leben mehr Weh zu thun/ der
von GOTT entſproſſenen und niemahls
Q q q q q q 2veral-
[1044[1046]]Siebendes Buch
veralternden Seele aber die verdruͤßlichen
Binden des Leibes nicht loß zu binden/ ſondern
ihre Vereinbarung mit den Sternen zu ver-
hindern. Malovend brach ein: Es hatten die
Japyden freylich wol wenig Urſache vom Au-
guſt einiger Gnade ſich zu verſehen; und iſt
aus ſeiner letzten Erklaͤrung ihr Thun nicht
bald als ein Jrrthum oder Laſter zu verdam̃en.
Denn auch die grauſamſten Wuͤtteriche ſtreben
nach dem Ruhme der Guͤtigkeit/ und wiſſen
von ihrer Gnade viel Werckes zu machen/ weñ
die Gelegenheit gnaͤdig zu ſeyn ſchon verſpielt
iſt. Wormit aber Auguſt nicht ohne Sieg nach
Rom kehrete/ grieff er die Pannonier an/ und
belaͤgerte die zwiſchen dem Fluſſe Sau und
Colops gelegene Stadt Sciſcia; die aber ſo wol
zu Lande/ als zu Waſſer den Roͤmern groſſen
Abbruch thaͤt. Der fuͤrtrefliche Kriegs-Ober-
ſte Menas ward ſelbſt erſchlagen. Endlich aber
als ihre Mauren faſt allenthalben von den
Sturmboͤcken zerſtoſſen waren/ muſten ſie ſich
auf ertraͤgliche Bedingungen dem Kayſer er-
geben. Dieſer warff alle eroberte Waffen ins
Waſſer/ um den andern Pañoniern ein Schre-
cken einzujagen; Welches denn auch ſo ferne
geluͤckte: daß ſie mit ihm und denen Cherus-
kern Friede machten.
Alleine dieſer Sonnenſchein ward bald von
einem grauſamen Ungewitter verſtellet. Denn
Stordeſton uͤberfiel mit ſeinem von ſo viel Sie-
gen muthigen Krieges-Heere den Cheruski-
ſchen Feldhauptmann Salgal einmahl an dem
Fluße Chaluſus/ das ander mahl auf der Flucht
bey der Stadt Meſovium. Arabars Sohn/
welcher von ſeinem nunmehr auch abgelebten
Vater die Herrſchafft und den Haß gegen die
Cherusker geerbt hatte/ nahm denen Ubiern
und andern Cheruskiſchen Bundgenoſſen die
beſten Oerter weg. Und ob zwar der Ubier
Hertzog die Catten einmahl in die Flucht brach-
te/ wetzten ſie doch bald die Scharte mit einer
groͤſſern Niederlage der Ubier und ihres tapfer-
ſten Feldhauptmanns aus. Einen noch groͤſ-
ſern Sieg erlangte Stordeſton uͤber die Cherus-
ker und Quaden bey der Stadt Boviaſmum;
welches die Hermundurer vollends gar von ih-
nen abzuſetzen/ und die Pannonier auffs neue
in der Cherusker Gebiete einzufallen bewegte;
wiewol dieſe Fulvius Geminus nach etlichen
blutigen Schlachten/ Meßala aber ihre Ge-
faͤrthen die Saloßier/ Agrippa und Auguſt
ſelbſt die Dalmatier wieder zur Ruh brachte;
nach dem er vorher denen Ubiern und Cherus-
kern durch ſeine Anweſenheit in Gallien/ von
dar er mit einer Schiffs-Flotte nach dem
Beyſpiele des Kayſers Julius in Britannien
uͤberzuſetzen vermeint/ durch bloſſe Naͤherung
ſeiner Waffen Lufft gemacht/ und in Gallien
dem Zwirbel-Winde/ der ihn in Britannien
dißmahl zu ſchiffen hinderte/ einen Tempel ge-
baut hatte. So ferne bediente ſich der kluge
Aembrich des Roͤmiſchen Bundes; wolte aber
dem darnach ſeuffzenden Auguſt keines Weges
erlauben: daß die Roͤmiſchen Adler ihnen zu
Huͤlffe uͤber den Rhein fliegen ſolten. Hieruͤ-
ber zerfiel Auguſt mit dem Antonius aufs neue;
und geriethen die Roͤmer ſelbſt wieder einander
in die Haare. Daher ſaſſen die Pannonier den
Quaden wieder auf den Hals. Die Catten/
Alemaͤnner und Svioner ſpielten gleichfalls
wieder den Meiſter; und entſetzten die wan-
ckenden/ aber hernach wieder beſtaͤndig bleiben-
den Fuͤrſten der Ubier und Uſipier faſt ihrer
gantzen Herꝛſchafft/ namen auch durch Kriegs-
Liſt ein Theil der maͤchtigen Stadt Boviaſ-
mum ein.
Die Herꝛſchafft des Cheruskiſchen Hauſes
hieng gleichſam nunmehr nur noch an einem
ſeidenen Fademe; als der faſt fuͤr verlohren ge-
ſchaͤtzte Fuͤrſt Segimer Deutſchlande gleichſam
als ein neuer Gluͤcksſtern aufgieng. Jede Zeit
iſt geſchickt die Kraͤfften gemeiner Leute zu pruͤ-
fen; die Noth aber nur einen Fuͤrſten/ wie das
Ungewitter einen Steuermañ. Alſo hatte Se-
gimer
[1045[1047]]Arminius und Thußnelda.
gimer nun Gelegenheit genung/ ſich als einen
Fuͤrſten ſehen zu laſſen. Wie man nun ſchon
das Licht und Wuͤrckung der aufgehenden
Sonnen erkieſet/ ehe man ſie ſelbſt zu Geſichte
kriegt/ alſo erhielt der bloſſe Ruff von Segi-
mers Zuruͤckkunfft die ſchon um ihre Ergebung
handelnde Stadt Boviaſmum. Sein erſter
Streich aber war die Niederlage eines Catti-
ſchen Heeres in dem Gebiete der Ubier; ja ehe es
ſchier menſchliche Vernunfft begreiffen konte;
brachte er unter ſeinem Schilde den Oelzweig
des guͤldenen Friedens herfuͤr; nach welchem
das ſeuffzende Deutſchland ſo lange Zeit verge-
bens ſeine Armen ausgeſtreckt hatte; ungeach-
tet ihre Einwohner ſonſt nichts minder zum
Kriege geneigt/ als geartet ſind. Denn Men-
ſchen beruhigen ſich ſo denn am leichteſten/ weñ
ſie ſich auf ihrem eigenen Wagen muͤde gemacht
haben. Ja die nach Krieg lechſenden werden
ehe nicht witzig; als wenn ſie ihres getraͤumten
Zwecks verfehlet/ und mit Schaden gelernet
haben: daß der Krieg/ was fuͤr ſchoͤne Farbe er
immer hat/ nichts anders/ als ein hitziges Feber
der Reiche/ der Friede aber ihre wahrhaffte Ge-
ſundheit ſey. Die Catten und Alemaͤnner ver-
gnuͤgten ſich an ihren elterlichen Laͤndern/ und
an der denen Barden und Eubagen beſtaͤtigten
Freyheit ihres Gottesdienſtes. Die Svionen
wurden mit gewiſſen denen Druyden abge-
nommenen Gebieten beſtillet; dieſe alle aber er-
kennten nunmehr den klugen und großmuͤthi-
gen Segimer fuͤr den wuͤrdigſten Feldherꝛn
der Deutſchen; und waren hemuͤht der tugend-
hafften Asblaſten gleichſam die Haͤnde unter zu-
legen; welche ſie nunmehr wegen ihrer bewehr-
ten Liebe und Treue fuͤr eine Halb-Goͤttin ver-
ehrten. Denn dieſe Fuͤrſtin hatte zwar ihrem
Eh-Herꝛn zu Liebe Deutſchland verlaſſen; in
Meynung: es wuͤrde ihr Vaterland ihr einen
andern Mittelpunct der in Deutſchland ver-
lohrnen Gemuͤths-Ruh zeigen: Alleine/ weil
der Kreiß unſers Lebens nur einen hat/ und weñ
dieſer verruͤckt/ alle unſere Abmaͤſſungen verfeh-
len; hatte Asblaſte wol den Himmel/ aber nicht
ihren Zuſtand geaͤndert; ja ſie verfiel in Per-
ſien in einen Pful der empfindlichſten Bekuͤm-
mernuͤße. Sie traff zwar ihren Vater Su-
rena noch an dem Parthiſchen Hofe des Koͤ-
nigs Orodes/ aber weder auf der Staffel ſeiner
Wuͤrde/ noch in dem Anſehen an/ das ſeine
Dienſte in dem Kriege wieder den Craßus ver-
dient hatten. Denn die uͤbermaͤßigen Wol-
thaten hatten den Orodes dem Surena zu ei-
nem ſo groſſen Schuldner gemacht: daß/ weil
er ſelbte nicht vergelten konte/ er ſie nothwen-
dig als groſſe Laſter haſſen muſte. Gleichwol
aber konte Surena auch nicht von Hofe weg
kommen; weil Orodes ihm nicht einbildete:
daß Surena ſich nicht wuͤrde mit eigner Hand
bezahlt machen/ nach dem es allerdinges in ſei-
ner Gewalt ſtund dem Orodes zu ſchaden. Alſo
lebte Surena zu Hofe/ aber wie in einem Ge-
faͤngnuͤße/ oder vielmehr in einer Hoͤlle; weil
er ſich aus dem geheimen Rathe ausgeſchloſſen/
nicht wenig Unwuͤrdige ihm vorziehen/ und ſich
ſeiner angeſtammeten Wuͤrden entſetzt ſahe.
Jedoch/ weil groſſen Gemuͤthern eine ſolche Er-
niedrigung ſo wenig als denen Jrr-Sternen
ihr Eintritt in einen niedrigern Himmels-
Kreiß oder in ein ſchlechteres Hauß abbruͤchig;
haͤtte Surena dieſe Verachtung leicht ver-
ſchmertzet. Sintemahl er leichter des Hofes/
als der Hoff ſeiner entbehren konte. So aber
ſtand er alle Augenblicke zwiſchen Thuͤr und
Angel; denn der Grimm des Orodes und der
verlaͤumderiſche Hof/ welcher gegen iederman
eine zweyfache Zunge und ſelten ein Hertze hat/
draͤuten allen ſeinen Tritten: daß ſie auff ein
Fallbret treten wuͤrden. Die Fuͤrſtin Asblaſte
kam gleich nach Hecatompylus/ als Orodes ſei-
nen Sohn Pacor zum Nochfolger des Reichs
erklaͤrte. Wiewol nun das Sureniſche Ge-
ſchlechte von Alters her berechtiget war denen
Parthiſchen Koͤnigen die Krone aufzuſetzen;
Q q q q q q 3ward
[1046[1048]]Siebendes Buch
ward doch des Craßus Meuchelmoͤrder Ma-
xarthes ihm hierinnen fuͤr gezogen. Alſo ſind
manche Fuͤrſten geartet: daß ſie ehe Laſter be-
lohnen/ oder wahre Beleidigungen verzeihen;
als ſie das Leid ver geſſen/ welches ihnen ein ge-
ſchickter Diener anzuthun faͤhig iſt; ob er ſchon
nie dran gedacht hat. Surena muſte dieſes Un-
recht verſchmertzen/ und dem ſich an ihn zu rei-
ben ſuchenden Orodes noch wegen uͤberhobener
Muͤh Danck ſagen; ob er ſchon ſonſt in ſeinem
Thun und Reden auch bey ſeiner Unterdruͤ-
ckung die Wuͤrde ſeiner Ankunfft derogeſtalt in
acht nahm: daß ſich niemand ihn veraͤchtlich zu
halten erkuͤhnete. Wie er denn ſelbſt das Her-
tze faſte gegen den Koͤnig die angemuthete
knechtiſche Aufwartung zu entſchuldigen/ da
der/ welchen der Koͤnig ſeinen Freund nennt/
unter die Taffel kriechen/ und was ihm her ab
geworffen wird/ wie ein Hund abnagen/ ja
noch darzu von Peitſchen blutige Striemen
verſchmertzen muß. Zeno fiel ein: Meinem Ur-
thel nach hat Maxarthes hierdurch weniger ge-
wonnen/ als Surena verlohren. Denn die
Entziehung verdienter Ehren gereichet dem
Beſchimpfften nur zu groͤſſerm Ruhme. Da-
her meinte Cato: es wuͤrde ihm ruͤhmlicher ſeyn/
wenn die Nachwelt nach ſeiner unſichtbaren
Ehren-Seule fragen wuͤrde/ als wenn die Un-
achtſamkeit ſelbte zwar fuͤr Augen/ niemahls a-
ber im Gedaͤchtnuͤße haͤtte. Hingegen ver-
ſchwinde der Glantz denen verunehrten Wuͤr-
den. Sintemahl dieſe ſodenn nicht nur ihr
Weſen/ ſondern auch den Nahmen einbuͤſten/
wenn ſie Unwuͤrdigen zu theile wuͤrden. Daher
haͤtte fuͤr etlicher Zeit ein Roͤmer/ als Auguſt
ſeinem Knechte Menas einen guͤldenen Ring
gegeben/ ſeinen Ring vom Finger genommen/
in die Tiber geworffen/ und angehoben: Dieſe
waͤren vormahls Merckmahle tapfferer Ritter
geweſt; nunmehr wuͤrden ſie Kennzeichen der
Freygelaſſenen. Jedoch machten die Fuͤrſten
nicht allezeit Wuͤrden und Ehren-Mahle aus
Unverſtande und Leichtſinnigkeit gemein/ ſon-
dern es ſteckte zuweilen ein groſſes Staats-Ge-
heimnuͤß darhinter. Denn es waͤre der kluͤgſte
Handgrieff die Gewalt des Adels zu maͤßigen/
wenn ſelbter vielen/ und zwar auch denen/ die
ihn ſo ſehr nichtver dienten/ zukaͤme. Daher haͤt-
te Auguſt ſo viel fremde mit dem Roͤmiſchen
Buͤrger-Rechte betheilt/ und ſo viel Freygelaſ-
ſene zu Edelleuten gemacht. Es iſt wahr/ ſagte
Malovend. Und ich erinnere mich: daß Her-
zog Aembrich dardurch ihrer viel von der Euba-
gen Gottesdienſte ablenckte: daß er nicht wenig
denen Druyden anhaͤngende in hohe Aempter
und uͤber die Eubagen ſetzte; die gleich wenig
Geſchickligkeit hatten. Sintemahl nichts mehr
als der Verdruß einem Unwuͤrdigen nachge-
ſetzt zu werden/ einem ſeltzame Entſchluͤſſungen
abnoͤthigen kan. Aber Surena behielt bey ſeiner
Beſchimpffung ein freudig Geſichte/ und ein
ruhiges Gemuͤthe. Nach dem aber zarte Seelen
der ihrigen Unrecht mehr als ihr einiges fuͤhlen/
war es der Fuͤrſtin Asblaſte/ welche in Deutſch-
land gelernt hatte: daß Beſchimpffungen nur
durch Blut ausgetilget werden/ unmoͤglich/ ih-
res Vaters Unrecht ungeahntet zu laſſen. Da-
her/ als folgenden Tag Pacor allerhand Ritter-
ſpiele anſtellte/ fand ſich Asblaſte in unbekandter
Deutſchen Ruͤſtung auch auf die Rennebahn.
Und nach dem ſie durch ihre Geſchickligkeit un-
terſchiedene Preiße erhalten; derer einen ihr
Maxarthes reichen ſolte/ weigeꝛte ſie ſich ſolchen
aus ſeinen/ als eines Meuchel-Moͤrders Haͤn-
den/ anzunehmen; ja ſie ſagte ihm in die Augen/
ſie hielte ihn ſo lange fuͤr keinen Edlen/ biß er ihr
zeugte: daß er auch vorwerts einen zu beleidigen
das Hertz haͤtte. Der dem Maxarthes wenig
guͤnſtige Adel gebaͤhrdete ſich bey dieſer Gele-
genheit derogeſtalt: daß Maxarthes Schande
halber mit Asblaſten fechten muſte. Aber bald im
erſten Rennen ſprang Asblaſte nach Deutſcher
Art mit ſolcher Geſchwindigkeit vom Pferde/
und durchſtach Maxarthen: daß er ſich ehe auff
dem
[1047[1049]]Arminius und Thußnelda.
dem Bodem liegen fuͤhlte/ als deſſen Urſache
wahrnahm. Gleichwol ließ ſie ihm Lufft wie-
der auf die Fuͤſſe zu kommen/ und ſich gegen ih-
rem Degen zu vertheidigen. Alleine nach kur-
tzem Gefechte verſetzte ſie ihm einen ſolchen
Streich in den Hals: daß Maxarthes nicht
nur todt zu Bodem fiel/ ſondern der Kopff nur
mit weniger Haut an dem Leibe haͤncken blieb;
welchen ſie vollends abloͤſete/ und mit tieffer
Ehrerbietung gegen dem Koͤnige zufoͤrderſt
auffs Schau-Geruͤſte legte. Wenig Zuſchauer
waren/ die dem aufgeblaſenen Maxarthes nicht
dieſen Trauerfall goͤnneten/ und dieſes unbe-
kandten Ritters Tapfferkeit ruͤhmten; Oroden
alleine bieß dieſer Unfall ſo ſehr: daß er zwar die
Freyheit der Rennebahn ſchonte; ſo bald aber
Asblaſte nach geendigten Schauſpielen ab-
wiech/ ſie von der Koͤniglichen Wache in Hafft
nehmen/ und als einen Ubelthaͤter fuͤr das
ſtrengſte Blut-Gerichte ſtellen ließ. Der ein-
ſame Surena/ welcher bey den Schauſpielen
nicht geweſt war/ weniger von der Rache ſeiner
Tochter das geringſte wuſte/ ward vom Koͤnige
ſelbſt zum Ober-Richter ernennet; als welchen
er zu keinen andern/ als nur zu verhaſten Ver-
richtungen gebrauchte. Surena/ welcher gleich-
ſam mit den Haaren zu einem Gerichte gezo-
gen ward/ in welchem er entweder den Koͤnig
oder ſein Gewiſſen beleidigen muſte/ verlohr
Sprache und alle Sinnen/ als er ſeine Tochter
in Band und Eiſen fuͤr den Richter-Tiſch treten
ſahe. Nach dem man ihn aber durch Kuͤhlung
wieder ein wenig genung ermannet hatte/ fieng
er ſeuffzende an: Grauſamer Orodes/ zwingeſtu
mich nun auch uͤber mein Blut ein Blut-Richteꝛ
zu ſeyn! Alle Anweſenden ſahen Asblaſten hier-
auff mit ſtarren Augen an; aber ehe ſie ſich noch
auf ſie beſiñen konten/ fieng ſie ſelbſt an: Zweifelt
nicht/ ihr Richter: daß die/ welche des Surena
Beleidigung und ſo viel Laſter am Maxarthes
gerochen hat/ Surenens Tochter Asblaſte ſey.
Dieſe Begebung ward zwar fuͤr den Koͤnig ge-
bracht; aber ſie entzuͤndete mehr ſeine Rachgier
gegen Asblaſten/ als daß ſie ihn haͤtte erweichen
ſollen/ Surenen eines ſo unanſtaͤndigen Rich-
ter-Amptes zu uͤbergehen. Ja/ weil Orodes
dieſen Fallſtrick nicht gern außer Haͤnden laſſen
wolte/ ließ er Surenen andeuten: die Gerech-
tigkeit haͤtte keine Augen/ und daher kennte ſie
ihr eigenes Kind nicht. Jn Wercken des Ober-
keitlichen Amptes muͤſte alles Anſehen natuͤrli-
cher Verwandſchafft weichen. Denn wer jenes
annehme/ zuͤge einen gemeinen Menſchen aus.
Ja die Goͤtter ſelbſt haͤtten rechtmaͤßige Hals-
Gerichte ſo lieb: daß ſie ſolche nicht uͤbel auf-
nehmen/ wenn man gleich darbey der Natur
ſelbſt Gewalt anthaͤte. Daher ſolte er das Blut-
Gerichte hegen; oder als ein Ungehorſamer fuͤr
ſelbigem ſelbſt fuͤrtreten. Surena/ welcher lieber
ſeinen Kopff/ als ſein Vater-Hertze verlieren
wolte/ er wehlte ohne einiges Bedencken das letz-
tere; und die fuͤr Furcht zitternden Richter mu-
ſten um ihre eigene zu erhalten dem Wuͤtterich
zu Gefallen/ beyden das Leben abſprechen. Der
Feldherꝛ Segimer kam gleich nach Hecatom-
pylus an dem zu Vollziehung des Urthels be-
ſtim̃ten Tage an. Das allenthalben zulauffende
Volck leitete ihn fuͤr die Trauerbuͤhne/ als dem
tapfferen Surena ſein Kopff von den Achſeln
geſpaltet ward. Dieſer Streich haͤtte Segimern
bey nahe mit entſeelet/ wenn nicht die Erbli-
ckung ſeiner Liebſten Asblaſte ihm eine neue Re-
gung verurſacht haͤtte. Dieſe brachte man nun
auch auf das Todten-Geruͤſte; woruͤber ein nie-
driges Gemuͤthe zweiffelsfrey ver gangen waͤre.
Aber der kluge und hertzhaffte Segimer/ welcheꝛ
vorheꝛ die Parthiſchen Sitten wol begꝛiffen hat-
te; als er gegen der Trauerbuͤhne den Koͤnig O-
rodes erblickte/ und alſo ihm die Rechnung leicht
machen konte: daß dieſe Grauſamkeit auf ſeinen
Befehl geſchehen muͤſte/ lieff augenblicks und
ſchoͤpfte mit ſeinem Schilde Waſſer aus dem
naͤheſten Springbrunnen/ hier auf er grieff er ei-
nen Brand aus dem in der Koͤniglichen Burg
unauff-
[1048[1050]]Siebendes Buch
unaufhoͤrlich brennenden Feuer. Mit dieſen
zweyen wiedrigen Dingen trat er fuͤr Oraden/
und ruffte ſelbtem mehr Draͤuungs-als Bitt-
weiſe zu: Er moͤchte die unſchuldige Asblaſten
der Todes-Straffe entziehen/ oder er wolte
der Parther heiliges Feuer durch das geſchoͤpf-
te Waſſer ausleſchen. Die umſtehenden Per-
ſen/ welche zeither nach menſchlicher Gewon-
heit mehr zum Mitleiden/ als zu Abbelffung
ſich geneigt erwieſen hatten/ billigten nunmehr
mit Augen und Gebehrden ſeine Hindernuͤß.
Die zu ihrer Hinrichtung beſtellten Hencker
erſtarrten und lieſſen nicht allein alſobald die
Haͤnde ſincken/ ſondern der grauſame Orodes
ward Vermoͤge der Parthiſchen Grund-Ge-
ſetze hierdurch gezwungen die durch das Feuer
geſchehene Bitte nicht zu verweigern/ und As-
blaſten frey zu ſprechen/ aber er befahl dieſen
verwegenen alſofort in den tieffſten Kercker zu
werffen; welcher denn auch ſo geſchwinde da-
hin geriſſen ward: daß die uͤber ihrer ſo fremden
Erloͤſung erſtaunende Asblaſte nicht einſt ihren
Erretter zu Geſichte bekam. Gleichwol war
ſie um ſelbten zu erfahren euſſerſt bekuͤmmert/
ſonderlich da ſie erfuhr: Es habe Orodes befoh-
len: daß dieſer Verunehrer des Feuers folgen-
den Mittag dem Feuer ſolte geopffert werden.
Asblaſte war folgenden Tag die erſte auff dem
Berge/ in deſſen Hoͤle das ewige und ihrem
Glauben nach vom Himmel gefallene Feuer
verwahrt/ und auf deſſen Gipffel demſelben ge-
opffert ward. Jn dem heiſſeſten Mittage ward
der mit Roſen gekraͤntzte Fuͤrſt Segimer auf ei-
nem mit vier ſchneeweißen Pferden gezogenem
Wagen als das beſtimmte Opfer herbey bracht;
und ſo wol von dem gantzen Hofe/ als vielen tau-
ſend Menſchen begleitet. Die Opfferknechte
ſchaͤleten alsbald die Rinde von dem mitge-
brachten Ceder- und Lorber-Holtze/ der oberſte
Prieſter aber verfuͤgte ſich in die Hoͤle/ und zuͤn-
dete mit groſſer Andacht eine Wachs-Fackel
an; von welcher hernach der zum Opffer berei-
tete Holtzſtoß angeſteckt ward. Die Prieſter
faſten bereit Segimern/ bunden ihn/ und legten
ihn zur Zertheilung auf den Opffer-Tiſch; als
die ſich herzu dringende in einen Parthiſchen
Krieges-Mann verkleidete Asblaſte den/ der
geſchlachtet werden ſolte/ fuͤr ihren hertzgelieb-
teſten Eh-Herꝛn erkennte; und mit dem erſten
Anblicke rieff: Nicht beflecket euch mit dem
Blute des vollkommenſten Fuͤrſten der Welt!
Weil ſie aber ihre Wiederſprechung fuͤr ein all-
zu ſchwaches Mittel hielt/ des Koͤniges Willen
zu hintertreiben/ ſprang ſie zum Opffer-Feuer/
und weil ſie dieſe grauſame Opfferung zu ſtoͤren
ſo bald nichts unſauberes zur Hand hatte/ nahm
ſie ein Meſſer/ kerbte ſich etliche mahl in den
Arm/ und ließ das haͤufig herfuͤr dringende
Blut ins Feuer lauffen; wormit die gantze Opfe-
rung gehemmet ward. Der hieruͤber erbit-
terte Orodes ſchaͤumete fuͤr Zorn/ und befahl
beyden den’ grim̃igen Nachen-Tod anzuthun.
Die Koͤnigin aber brachte nach abgekuͤhletem
erſten Eyver ihn dahin: daß er vorher die Urſa-
che ſolcher Entweihung erforſchen ſolte. Daher
ward Segimer und Asblaſte/ welche inzwiſchen
einander mit tauſend Kuͤſſen umarmeten/ fuͤr
das Koͤnigliche Zelt gefuͤhrt. Da denn Asblaſte
auf erforderte Rechtfertigung antwortete: Jch
bin Asblaſte des Surena Tochter/ dieſer mein
Eh-Herꝛ/ der um das Perſiſche Reich ſo hoch
verdiente Fuͤrſt Segimer. Dieſer hat geſtern
mich aus dem Rachen des Todes geriſſen; ur-
theilet demnach: Ob ich heute ihn zu retten nicht
euer heiliges Feuer entweihen muͤſſen; wo ich
nicht die viel heiligern Flammen der ehlichen
Liebe in mir habe erſtecken ſollen. Jch habe
geſuͤndiget; aber gedencket: daß die Liebe keinen
Maͤß-Stab/ die Noth kein Geſetze leide. Se-
gimer aber bat alleine: daß das ſtrenge Recht an
ihm/ als einem Fremdlinge aus geuͤbet/ die tu-
gendſame Asblaſte aber moͤchte freygelaſſen
werden. Woruͤber Asblaſte und Segimer ſelbſt
mit einander zwiſtig wurden; in dem iedes fuͤr
das
[1049[1051]]Arminius und Thußnelda.
das andere wuͤnſchte ein Soͤhn-Opffer zu ſeyn.
Jederman lobte beyder ungemeine Liebe; und
ob ſich zwar niemand wagte fuͤr ſie ein gut Wort
einzulegen; redeten doch theils die Gebaͤhrden/
theils die mitleidenden Thraͤnen fuͤr ſie. Dem
ſauerſehenden Orodes aber ward weiter nicht
ſein Gemuͤthe erweichet/ als daß er beyde in ei-
nen Kercker zu verwahren befahl; weil die Guͤ-
tigkeit entweder mit ſeiner Geburts-Art unver-
traͤglich war; oder daß ſeine Aenderung ſeinen
gefaſten Zorn keines Unrechts beſchuldigen
moͤchte. Hingegen hatte die Schoͤnheit der Fuͤr-
ſtin Asblaſten dem juͤngern Sohne des Koͤnigs
Orodes Phraaten die Seele derogeſtalt ver-
wundet: daß/ als des Caßius und Brutus zu
den Parthen abgefallener Gefaͤhrte Labienus
und Pacor mit einem maͤchtigen Kriegs-Heere
in Syrien/ Orodes auch ſelbſt/ um dem Kriege
naͤher zu ſeyn/ nach Edeßa in Meſopotamien
verreiſet war/ er ſie heimlich aus dem Gefaͤng-
nuͤße auff eines ſeiner Luſt-Haͤuſer zu bringen
vorſaan. Wormit er nun ſeinen Anſchlag ſo
viel geſchickter ausuͤbte/ entſchloß er ſich Asbla-
ſten vorher ſeine Zuneigung zu entdecken; weil
er ihm nicht einbilden konte: daß ſie nicht lieber
in den Armen eines ſo groſſen Fuͤrſten ſchlaffen/
als in ſo ſchweren Feſſeln wuͤrde verſchmachten
wollen. Dieſes Schreiben vertraute er einem
theils durch Gaben beſtochenen/ theils durch
Draͤuung genoͤthigten Hauptmanne uͤber die
Kercker-Wache; welcher ſolches Asblaſten ab-
liefferte. Dieſe laß mit hoͤchſter Beſtuͤrtzung
dieſe unvermuthete Zeilen; erholete ſich aber
alsbald/ und ſagte mit freyem Gemuͤthe: Sie
wuͤrde dahin willig folgen/ wohin Fuͤrſt Phraa-
tes befehlen/ und der Hauptmann ſie leiten
wuͤrde. Phraates ward uͤber ſo gewuͤnſchter
Antwort erfreuet; und ließ durch den Haupt-
mann mit ihr abreden: daß folgende Nacht die
Wache mit gewiſſen vertrauten Leuten beſaͤtzt/
und ſie unvermerckt aus dem Kercker ſolte ge-
holet werden. Asblaſte bat unter dem Fuͤrwand
einiger Unpaͤßligkeit biß auf die dritte Nacht
Auffſchub. Jnzwiſchen beredete ſie unter dem
Scheine: daß ſie in ihrem tieffen Gofaͤngnuͤße
von den Feuchtigkeiten um ihr Leben kaͤme/ mit
vielen Thraͤnen und Geſchencken den Kercker-
meiſter dahin: daß er ihr und Segimers Ge-
faͤngnuͤß verwechſelte/ ihn in ihr unteres/ ſie
aber in ſein oberes einſchloß. Auf die beſtimte
Nacht kam der vom Phraates beſtellte Haupt-
mann/ ſchloß Segimern die Feſſel auffs leiſeſte
auff; und nach dem er ihm alle Wortwechſe-
lung verboten/ fuͤhrte er ihn im Finſtern unver-
merckt aus dem Kercker/ und liefferte ihn an-
dern beſtellten Leuten ein/ die ihn zu Pferde ſaͤtz-
ten/ und biß zu anbrechendem Tage ſporn-
ſtreichs mit ihm fortjagten. Nach dem ſie des
Tages uͤber in einem unbewohnten Jaͤger-
Hauſe ausgeruhet/ ritten ſie die gantze Nacht
wieder mit ihm fort/ und kamen ein wenig fuͤr
dem Tage an ein praͤchtiges Gebaͤue; da ihnen
in aller Stille die Garten-Thuͤre eroͤffnet/
Fuͤrſt Segimer allein hinein genommen/ und
die Thuͤre wieder verſperret ward. Segimer/
dem diß alles nicht anders als ein Traum fuͤr-
kam/ ward in ein oben von Golde/ auf den
Seiten mit Helffenbeine/ unten von denen koͤſt-
lichſten Perſiſchen Tapezereyen glaͤntzendes/
und mit wolruͤchendem Balſam durchzogenes
Zimmer bracht; allwo ihm eine praͤchtig-ge-
kleidete Perſon um den Hals fiel/ und dem Kuͤſ-
ſen kein Ende machte. Segimer wuſte durch
kein Nachſinnen ihm dieſen Traum oder Raͤtzel
auszulegen; biß Phraates ſelbſt den Nahmen
Asblaſte heraus ſtieß; und die Stimme ſo wol
den Fuͤrſten Phraates als ſeinen Anſchlag ver-
rieth. Segimer entbrach ſich hiermit alſofort
aus Phraates Armen/ und um ſeinem Jrrthum
abzuhelffen/ ſagte er: Jch bin Segimer/ nicht
Asblaſte. Es iſt leicht zu erachten/ wie Phraa-
tes nicht nur uͤber ſeiner betrogenen Liebe/ ſon-
dern auch der unbeſonnenen Verrathung ſei-
ner blinden Liebe veraͤndert worden ſey. Gleich-
Erſter Theil. R r r r r rwol
[1050[1052]]Siebendes Buch
wol erholete er ſich/ und fragte Segimern: wie
er denn an dieſen Ort kaͤme? Segimer ver-
ſetzte: Phraates muͤſte es beſſer wiſſen/ als er/
den man um Mitternacht aus dem Kercker ge-
nommen/ und dahin gefuͤhret haͤtte. Phraates
verſtand hieraus leicht den Jrrthum des Haupt-
manns/ und ſagte: Jch wil deiner Asblaſte zu
Liebe dir gleichwol die Freyheit goͤnnen. Hier-
mit machte er Anſtalt: daß Segimer von zwan-
tzig Parthern durch Meden biß auf die Arme-
niſche Graͤntze gefuͤhrt ward. Fuͤrſt Segi-
mer/ deſſen Hertze bey ſeiner gefangenen As-
blaſte noch zu Hecatompylus eingekerckert
ward/ hielt dieſe Freyheit fuͤr was aͤrgers als ei-
ne Dienſtbarkeit. Daher war ihm ſo unmoͤg-
lich als unverantwortlich das ihm doch ſo un-
holde Perſien ſchlechter Dinges mit dem Ruͤ-
cken anzuſehen. Weil er nun in Armenien er-
fuhr: daß Labienus und Pacor den Roͤmiſchen
Feldhauptmann Saxa geſchlagen/ Antiochien/
Apamea/ Jeruſalem und gantz Syrien biß
auff die Stadt Tyrus/ Cilicien biß auff die
Stadt Stratonicea eingenommen hatte/
und Koͤnig Artabazes dem Ventidius/ welchen
Antonius mit Kriegs-Macht in Cilicien ſchick-
te/ etliche tauſend Reuter zuſendete/ zohe Segi-
mer mit dieſen Huͤlffs-Voͤlckern auch dahin.
Flavius ein Cheruskiſcher Ritter/ welcher tau-
ſend deutſche Reuter fuͤhrte/ empfing ſeinen
Herꝛn mit unglaublichen Freuden; und ob wol
Segimer vom Flavius nicht entdeckt ſeyn wol-
te/ trat er ihm doch unter anderm Vorwand die
Botmaͤßigkeit uͤber die Deutſchen Huͤlffs-Voͤl-
cker ab. Labienus flohe aus Cilicien biß an
das Tauriſche Gebuͤrge/ ehe er einen Roͤmer zu
Geſichte bekam. Wie aber Pacor mit der gan-
tzen Perſiſchen Macht zu ihm ſtieß/ hielt er
Stand/ und Ventidius ſchlug ſein Laͤger aus
mit Fleiß angenommener Furcht auf einem
hohen Berge; wormit er die durch vorige Sie-
ge verwegen gemachte Parthen verleitete: daß
ſie das Roͤmiſche Laͤger ſtuͤrmten. Dieſe aber
lieſſen ſie ſo nahe ankom̃en: daß ſie keinen Platz
hatten ſich der fernen Bogenſchuͤſſe zu bedienen.
Hierauf fielen die Roͤmer aus allen Pforten ſo
grimmig die Parthen an: daß ſie ſchier keine
viertel Stunde feſten Fuß hielten/ ſondern die
Flucht nahmen/ und durch Herabſtuͤrtzung von
den Hoͤhen ihnen ſelbſt mehr als die Roͤmer
Schaden thaͤten. Segimer war mit ſeinen
Deutſchen und zweytauſend Armeniern unter
das Gebuͤrge geſtellt/ welche denen fluͤchtigen
Parthen maͤchtig in die Eiſen giengen/ und de-
rer etliche tauſend in der Flucht aufrieben. Pa-
cor entkam mit genauer Noth in Syrien/ und
beſetzte mit dem Pharnabates die Ciliciſchen
Pforten an dem Amaniſchen Gebuͤrge/ Labie-
nus aber flohe mit der groͤſten Uberbleibung
des Parthiſchen Heeres in Cilicien; welches ſich
aber fuͤr dem folgenden Ventidius hin und wie-
der zerſtreute/ nach dem Labienus verkleidet ſich
deſſelbten entbrach und verſteckte/ aber vom
Demetrius einem Freygelaſſenen des Kayſers
ausgeſpuͤrt/ erſchlagen/ ſein Kopff dem Anto-
nius nach Athen geſchickt ward/ allwo er es bey
einem praͤchtigen Gaſtmahle den Grichen zu
einem Schau-Eſſen auffſaͤtzte. Nach wieder-
gewonenem Cilicien wehrte ſich zwar Phar-
nabates in ſeiner Enge wieder den Silo tapfer;
aber die darzu kommende Macht des Ventidi-
us/ und die durch den groͤſten Schnee uͤber das
Amaniſche Gebuͤrge ſich durchſcharrenden
Deutſchen umringten die Parthen/ und brach-
ten ſie ins Gedrange. Ja Segimer hatte das
Gluͤcke: daß er dem Pharnabates ſelbſt einen
toͤdtlichen Streich verſetzte. Ob nun zwar die
Parthen ſich mit Huͤlffe des Nabatheiſchen Koͤ-
nigs Malchus wieder verſtaͤrckten/ muſten ſie
doch fuͤr der Roͤmiſchen Macht bald gantz Sy-
rien raͤumen. Hiermit ruͤckte Ventidius ſon-
derlich auff Veranlaſſung des Fuͤrſten Segi-
mers gegen dem Fluſſe Phrat zu/ welchem aber
Pacor mit einem uͤberaus maͤchtigen Heere
entgegen zoh; alſo: daß wenn er nicht durch ei-
nen
[1051[1053]]Arminius und Thußnelda.
nen in ſeinem Lager ihm bekandten Parthiſchen
Auskundſchafter Pharneus des Pacors Anzug
durch Einrathung eines fernen Umweges auf-
gehalten/ und inzwiſchen ſich zu verſtecken
Lufft bekommen haͤtte/ die Roͤmer dißmahl in
nicht geringere Gefahr als Craßus verfallen
waͤren. Ventidius ließ hierauff den Pacor
mit ſeinem gantzen Heere unverhindert uͤber
den Phrat ſetzen/ und verleitete durch angema-
ſte Furcht dieſen hitzigen Fuͤrſten zum andern
mahl: daß er an eben dem Tage/ als Craßus
geſchlagen worden war/ unter der eitelen Ein-
bildung: Es hielte das Rad des Gluͤckes einen
ſo richtigen Lauff als die Sonne innen/ das in
der Hoͤhe verwahrte Roͤmiſche Laͤger ſtuͤrmte.
Alleine der Ausſchlag lehrte ihn: daß der Sieg
ein Geſchaͤncke des Verhaͤngnuͤßes/ nicht ge-
wiſſer Zeiten ſey. Zwantzig tauſend Parthen
biſſen ins Graß/ und Pacor ſelbſt ward auf der
Flucht an einem ſteilen Berge von der deutſchen
Reuterey uͤberritten/ von einem Frieſiſchen Rit-
ter/ welcher hernach hiervon den Nahmen Ritt-
berg bekam/ durchſtochen/ und der Kern des
Parthiſchen Adels/ welche ſeine Leiche noch zu
erfechten vermeinten/ erlegt. Ja die Deutſchen
ſchnitten ſo gar den fluͤchtigen Parthen die Bruͤ-
cke uͤber den Phrat ab: daß die uͤberbliebenen
ſich nach Samoſata in das Comageniſche Sy-
rien fluͤchten muſten. Ventidius/ der des Fuͤr-
ſten Pacor Kopff zu einem Zeichen ſeines Sie-
ges/ und einem Schluͤſſel aller mit Parthen
noch beſetzten Feſtungen brauchte/ hatte zwar
Luſt nunmehr gar in Perſien einzubrechen; aber
der uͤber ſo viel Siegen eiferſuͤchtige Anton ſetz-
te durch einen uͤber Hals uͤber Kopff mit den
Parthern gemachten Frieden ihm allhier ein
Ziel/ dem Fuͤrſten Segimer aber ſchob er einen
Riegel fuͤr ſich ſeiner gefangenen Asblaſte wei-
ter zu naͤhern; und muſte ſich jener an einem
Siegs-Gepraͤnge/ dieſer an einem Lorberkran-
tze/ einem guͤldenen Halsbande/ einem mit Tuͤr-
kißen verſetzten Sebel und Bogen/ einer blau-
en Fahne/ und einer goldgeſtuͤckten Roßdecke/
die ihm der Roͤmiſche Rath liefern ließ/ vergnuͤ-
gen. Alſo naget der Neid nichts minder an der
Tugend; als die Kefer an den edelſten Blumen
und Aehren; ja er ſchlaͤget ſelbter oͤffter als der
Feind ein Bein unter; und faͤllet ſo wol dem
Gluͤcke als der Tapfferkeit in die Speichen:
daß ſie nicht das voͤllige Ziel erreichen kan. Al-
leine Segimers Liebe erregte taͤglich in ſeinem
Gemuͤthe ein ſolches Ungeſtuͤm: daß es ſich mit
ſo eitelen Geſchencken/ als mit welchem Rauche
der Roͤmiſche Rath ſonſt meiſterlich zu handeln/
und ihre Bundsgenoſſen zu verblenden wuſte/
nicht beruhigte. Dieſemnach nahm er acht
hundert ſeiner Deutſchen/ und zweyhundert
Armenier der Parthiſchen Sprache wol erfahr-
ne Kriegs-Leute/ ließ ſie der erſchlagenen Par-
then/ theils auch Comageniſche Kleider und
Ruͤſtung nehmen; und ſtreiffte ſonder einigen
Menſchens Verletzung oder Wiederſtand un-
ter dem Schein/ als wenn ſie ein Theil des ge-
ſchlagenen Parthiſchen Heeres waͤren/ biß un-
ter die Stadt Edeßa. Daſelbſt kriegte er Kund-
ſchafft: daß folgenden Tag Koͤnig Orodes ge-
gen der Stadt Carra aufbrechen wuͤrde; nach
dem ein Theil der Hoffſtadt und der meiſte
Reiſige-zeug ſchon fuͤr zwey Tagen voran waͤ-
re. Daher ſtellte ſich Segimer mit ſeinem Vol-
cke in einen Wald/ fiel hier auff die ſich ehe des
Himmelfalls/ als eines Feindes verſehende
Parther ſo grimmig an: daß Orodes mit ge-
nauer Noth wieder in die Stadt Edeßa ent-
ran/ ſeine zwey liebſten Soͤhne Pharnabazes
und Oroſmanes aber/ welche er mit des Coma-
geniſchen Koͤnigs Antiochus Tochter gezeuget
hatte/ vom Fuͤrſten Segimer nach Zeugma/
allwo er die Bruͤcke uͤber den Phrat beſetzt ge-
laſſen/ gefangen hinweg gefuͤhret wurden. O-
rodes meinte uͤber dieſem Verluſte zu verzweif-
feln/ ſonderlich weil er nach des Fuͤrſten Pacor
Tode Pharnabazen zum Reichs-Erben be-
ſtimmt hatte. Er ſchickte deß halben nach Zeug-
R r r r r r 2ma
[1052[1054]]Siebendes Buch
ma ſich uͤber dieſen Raub und Friedens-Bruch
zu beſchweren; aber Hertzog Segimer ließ ihn
wiſſen: daß er mit ſeinen Deutſchen ſein in Per-
ſien erlittenes Unrecht geraͤchet/ und Orodens
Soͤhne fuͤr ſeiner Gemahlin Asblaſte erlangter
Freyheit nicht loß zu laſſen beſchloſſen haͤtte.
Koͤnig Orodes ſchickte hiermit auf der Poſt nach
Hecatompylus/ um Asblaſten zur Auswechſe-
lung nach Zeugma zu lieffern. Aber Phraa-
tes hatte inzwiſchen daſelbſt den Kercker mit
Gewalt erbrochen/ den ſich wiederſetzenden
Stadthalter Moneſes aus der Stadt verjagt/
und Asblaſten nach Rhodis/ wo im Fruͤhlinge
pflegte die Hof-Statt zu ſeyn/ gefuͤhret. Sin-
temahl nunmehr/ da Orodes durch Alter und
Hertzeleid uͤber des Pacorn Niederlage gantz
verfiel/ iederman am Phraates die aufgehende
Sonne anbetete. Wiewol nun Asblaſte Phraa-
tens unzuͤchtigen Anmuthungen durch tau-
ſenderley kluge und hertzhaffte Begegnungen
hintertrieb/ und er nach allen theils ſelbſt/ theils
durch die dreyhundert Frauen-Zimmer/ die ihn
nach Koͤniglicher Gewonheit des Nachts bewa-
chen muſten/ vergebens angewendeten Verſu-
chungen an ihrer Gegen-Liebe zu zweifeln hat-
te; konte er ſich doch nicht uͤberwinden/ dieſen
Schatz aus ſeinen Haͤnden und Hertzen zu laſ-
ſen; ob ihm ſchon Orodes die Koͤnigliche Ge-
walt abzutreten Vertroͤſtung thaͤt; entweder/
wei[l] Phraates ſchon das Hefft in Haͤnden zu
haben vermeinte/ oder ihm anſtaͤndiger hielt
Kron und Zepter zu nehmen als zu uͤberkom̃en;
Ja weil er vielmehr in ſeinen Kram dienlich zu
ſeyn erachtete: daß Orodens zwey Schooß-
Kinder Pharnabazes und Oroſmanes entwe-
der in Segimers Dienſtbarkeit verſchmachte-
ten/ oder durch ſeine Rache aufgerieben wuͤrden/
uͤberwand ſeine Ehrſucht die Liebe/ oder dieſe
verwandelte ſich nach langer Verſchmaͤhung in
eine Unholdin. Sintemahl er Asblaſten mit
Giffte hinzurichten ſchluͤßig ward. Dieſes zu
vollziehen befahl er Ternamenen ſeiner Schwe-
ſter und geheimſten Rathgeberin; welche ſolchen
Meuchel-Mord an Asblaſten zu vollbringen/
theils wegen angebohrner Grauſamkeit/ theils
aus Beyſorge: es moͤchte Asblaſte ſich einſt von
Phraaͤten erweichen laſſen/ und ihr alſo zu
Kopffe ſteigen/ kein Bedencken gehabt haͤtte;
wenn ſie nicht in Pharnabazes verliebt geweſt
waͤre/ und durch die Hinrichtung Asblaſtens
auch ihrem Pharnabazes das Meſſer an die
Gurgel zu ſetzen beſorgt haͤtte. Weil ſie aber
auch gegen den grimmigen Phraates vorſichtig
verfahren muſte/ ließ ſie Asblaſten zu ihrer Ta-
fel beruffen/ und an ſtatt des Gifftes ihr einen
Safft von gewiſſen Kraͤutern beybringen; wel-
cher ſie im Augenblick aller euſſerlichen Siñen
beraubte: daß ſie fuͤr tod auf den Bodem ſanck.
Ternamene ließ alsbald Phraaten erfordern
ihm die Wuͤrckung des Giffts zu zeigen; welcher
denn ſeine Grauſamkeit mit vielen Thraͤnen be-
deckte/ iedoch nicht wiſſende: daß ſeiner Blaͤn-
dung vielmehr ein blauer Dunſt fuͤr die Augen
gemacht ward. Ternamene ließ zu deſto mehrer
Beſcheinigung: daß Asblaſte todt waͤre/ ſie in
einem Cypreſſenen Sarche in das Koͤnigliche
Begraͤbnuͤß tragen/ welches Koͤnig Arſaces in
einem Luſtgarten nach Art des alten Paſarga-
diſchen vom Cyrus aufgefuͤhrten/ iedoch mit viel
hoͤhern Saͤulen und weitern Bogen hatte auf-
fuͤhren/ und die Waͤnde uͤber und uͤber mit hertz-
faͤrbichten Perſiſchen Fleckſteinen kuͤnſtlich be-
ſetzen laſſen; in willens ſie folgende Nacht von
dar weiter zu bringen; wie ſie denn gegen den
Abend/ da ſie muthmaſte: es wuͤrde die todte As-
blaſte nun allbereit anfangen wieder Athem zu
ſchoͤpffen/ ſich unter dem Scheine der Andacht/
und des Arſaces auf einem guͤldenen Stule auf-
gethroͤnten Leiche mit neuem Balſame der Per-
ſer Gewonheit nach zu erfriſchen/ ſelbſt in das
Begraͤbnuͤß verfuͤgte/ durch kraͤftige Staͤrckun-
gen Asblaſten wieder zu rechte halff/ und ſelbter
das gantze Geheimnuͤß ihrer angezielten Erloͤ-
ſung entdeckte. Asblaſte wuſte mit nicht ge-
nung-
[1053[1055]]Arminius und Thußnelda.
nungſamen Thraͤnen Teꝛnamenen zu dancken;
verſicherte ſie auch: daß ihr Eh-Herꝛ Segi-
mer den gefangenen Pharnabazes dahin/ wo
ſie nur verlangte/ unverſehrt liefern wuͤrde.
Dieſe gab Asblaſten auch ein in Ariana wach-
ſendes Feuer-rothes Kraut; welches das Oel
anzuͤndet/ dafern es abgebrochen worden/
wenn die Sonne im Loͤwen iſt; wormit ſie auf
die Nacht bey ihrer angeſtellten Abholung als-
bald Licht machen/ und aus denen ſo weit
ſchweifigen Gewoͤlbern ihren Abholern ein
Zeichen geben koͤnte/ wo ſie zu finden waͤre. Hoͤ-
ret aber/ wie das Verhaͤngnuͤß dieſe kluge An-
ſtalt bey nahe verruͤckt haͤtte. Phraates/ wel-
cher durch die Hinrichtung Asblaſtens und ſei-
ne Wiederſetzligkeit ſich vom Koͤnige Orodes
nichts anders/ als ſeines hefftigen Zornes zu
beſorgen hatte/ entſchloß ſich nunmehr die Lar-
ve gar vom Geſichte zu ziehen/ und wieder ſei-
nen Vater Orodes ſich zum Koͤnige aufzuwerf-
fen; weil doch groſſe Laſter andeꝛs nicht/ als durch
groͤſſere auszufuͤhren waͤren; auch ſo denn wie
die groſſen Schlangen zu Drachen wuͤrden/ den
Nahmen der Tugenden erwuͤrben. Daher
er denn das Koͤnigliche Zimmer bezog/ wo die
zwey groſſen Schaͤtze verwahret waren/ die
man des Roͤnigs Haupt-Kuͤſſen und Fußſchem-
mel hieß; auch ſich in das Bette legte/ welches
der guͤldene Weinſtock mit denen Trauben aus
Edelgeſteinen uͤberſchattete/ und mit dreyhun-
dert ſchoͤnen fuͤr den Orodes verwahrten Dir-
nen ſich ergoͤtzte. Gleich als wenn die Herꝛ-
ſchafft ohne Wolluſt eine unreiffe Frucht waͤ-
re; und der Ehrgeitz dem/ welchen man vom
Stule ſtuͤrtzt/ in der Liebe Eintrag thun muͤſte.
Dieſen Schluß nun ſo viel gluͤcklicher auszuuͤ-
ben/ hatte ihn ein Zauberer beredet: daß er um
Mitternacht dem Geiſte des Arſaces opffern/
ſeinen Siegel-Ring/ in welchem auff einen
groſſen Rubin ein Pferd eingegraben war/ ab-
ziehen und tragen ſolte. Alſo kam Phraates
mit dem Zauberer des Nachts in die Grufft.
Ob nun wol ieder eine Fackel in der Hand hat-
te/ und wegen ihrer aberglaͤubiſchen Gebaͤhr-
den einer und der ander bald hin bald her lieff;
wolte doch Asblaſte/ dem Verlaß nach/ auch
ihr Feuer-Zeichen von ſich geben. Hiermit
ergrieff ſie eine bey dem Grabe des Pharna-
ces/ (welcher aus Liebe des gemeinen Weſens
ſeinen Bruder Mithridat/ mit Nachſetzung
ſeiner Kinder/ zum Reichs-Erben ſetzte/) mit
Oel und Balſam gefuͤllte Schale/ beruͤhrte ſie
mit dem Arianniſchen Feuer-Kraute; welches
augenblicks eine helle Flamme bekam. Dar-
mit gieng ſie geraden Weges auf Phraaten
zu. Dieſer und ſein Zauberer erſchracken uͤber
der ſchnellen Glut: daß ſie unbewegter/ als
die aufgeſtellten Leichen der verſtorbenen Koͤ-
nige blieben. Wie aber Phraates die ſich ihm
naͤhernde Asblaſte erkieſete/ meinte er/ es waͤre
ihr Geiſt; welcher kaͤme an ihm als dem
Moͤrder Rache auszuuͤben. Denn ein boͤſes
Gewiſſen buͤcker ſich auch fuͤreinem Schatten/
und meinet: daß die Goͤttliche Straffe die
Hand ihn zu peitſchen ſchon gezuͤckt habe. Da-
her warff er die Fackel von ſich/ und flohe mit
Zittern und Zagen nebſt dem ihm auff der
Ferſe folgen den Zauberer aus den Gruͤfften.
Asblaſte erkennte hieruͤber allererſt Phraaten;
und wie ſie nach der ihr bevorſtehenden Ge-
fahr nachſaan/ ward ſie in der Ferne eines neu-
en ſich naͤhernden Lichtes gewahr; welches ihr
endlich Ternamenen zu erkeñen gab; die ſie deñ
nach angehoͤrtem Ebentheuer aus der Grufft
und durch den Garten leitete/ an der Pforte ihr
maͤnnliche Kleider durch einen Parthiſchen E-
delmann Mithridat/ des Moneſes Vetter/ rei-
chen ließ; und nach dem ſie ihm Asblaſten auffs
beſte befohlen hatte/ von ihr Abſchied nam. Die-
ſer brachte ſie in Begleitung etlicher 20. Parthẽ/
unter dem Vorwand: daß er bey dem Comage-
niſchẽ Koͤnige was wichtiges zu verꝛichten haͤtte/
R r r r r r 3gluͤcklich
[1054[1056]]Siebendes Buch
gluͤcklich nach Samoſata; wie ihn denn Ter-
namene auch mit Briefen an den Antiochus be-
gleitet/ und ihn um die Befreyung der Parthi-
ſchen Fuͤrſten auffs beweglichſte erſucht hatte.
Wie aber Mithridat alldar erfuhr: daß die
Gefangenen des Fuͤrſten Segimer nach Ty-
rus waͤren gebracht worden/ reiſete er unter ſi-
chern Geleits-Briefen dahin/ und uͤbergab dem
fuͤr Unmuth ſchier halb todten Segimer ſeine
Asblaſte. Die Freude hem̃ete eine gute Weile
beyder Zungen/ und die bißherigen Trauer-
Wolcken verwandelten ſich in einen Thraͤnen-
Regen; worauf allererſt der Sonnenſchein
tauſend Ergetzligkeiten ihre Gemuͤther erleuch-
tete/ und ſie mehr mit annehmlichen Kuͤſſen/
als hierzu viel zu kaltſinnigen Worten ihre
Vergnuͤgung gegen einander ausdruͤckten.
Hertzog Segimer ließ alsbald nicht alleine
Pharnabazen/ und den Oroſmanes loß; ſon-
dern beſchenckte auch Mithridaten und die an-
dern Parther Koͤniglich. Wiewol dieſe Frey-
heit beyder Parthiſchen Fuͤrſten und ihres Va-
ters Todten-Bret war; in dem der wuͤtende
Phraates ſie beyde an ſeinem Geburts-Tage
durch Gifft in gewiſſen beſtellten koͤſtlichen
Speiſen/ welche gegen ausgeſetztem Preiße
von den Perſen auf die Koͤnigliche Taffel pfleg-
ten geliefert zu werden/ hinrichtete; und als
beym Orodes die anfangs in Waſſer/ aus dem
Fluße Choaſpes in Chalydoniſchem Weine/
welchen die Perſiſchen Koͤnige allein trancken/
ihm beygebrachte Wolffs-Milch ohne Scha-
den durchgieng/ ſeinen Vater mit eigenen Haͤn-
den erwuͤrgte. Als die Parther derogeſtalt in
ihre eigene Glieder raſeten/ und Antonius
durch ſeiner Feld-Hauptleute des Soſius und
Canidius Siege/ welche durch Jberien und Al-
banien biß an das Gebuͤrge Caucaſus ſeine
Herꝛſchafft erweiterten/ luͤſtern gemacht ward/
des Craßus verlohrne Adler dem verhaſten
Phraates abzugewinnen/ ließ Hertzog Segi-
mer ein gutes Theil ſeiner Deutſchen unter
dem Flavius zuruͤcke; welcher denn auch durch
der Seinigen Tapfferkeit den Antonius von ei-
ner des Craßus gleichen Niederlage errettete/
hieruͤber aber durch vier toͤdtliche Bogenſchuͤße
ſeinen Helden-Geiſt ausbließ. Segimer aber
kam durch Grichenland und Pannonien mit
ſeiner Asblaſten zu allem Gluͤcke in ſein zerruͤt-
tetes Vaterland/ um durch das Steuer-Ruder
ſeiner Klugheit ſelbtes aus dem fuͤr Augen
ſchwebenden Schiffbruche zu etretten. Denn
nach dem ein Reich ohne Fuͤrſten einer des
Kopffes beraubten Natter gleichet/ welche ſich
wol hin und wieder wendet/ aber nicht von der
Stelle kommt/ hatten die Cherusker in Segi-
mers Abweſenheit gleichſam in einer Ohnmacht
gelegen/ biß ſie dieſer Fuͤrſt durch ſeine Hertz-
hafftigkeit/ ja gantz Deutſchland mit dem Son-
nenſcheine des edlen Friedens wieder beſeelte.
Ob auch wol die Trevirer und Moriner nach
der Zeit wieder die Roͤmiſchen Landvoͤgte einen
Auffſtand machten/ und die Catten durch ihre
Huͤlffs-Voͤlcker in ſolchen Krieg ſchienen einge-
flochten zu werden; weßwegen Nonius Galli-
us oberhalb der Moſel/ und Cajus Carinas o-
berhalb der Maaß mit etlichen Legionen biß an
den Rhein kam; ſo vermittelte doch der Feldherꝛ
Segimer dieſen Zwiſt/ und traff ſich alſo nicht
ohne Nachdencken: daß als Auguſtus nach
uͤberwundenem Antonius zu Rom den Tempel
des Janus zuſperrete/ Segimer nicht nur
Deutſchland/ ſondern alle Nord-Voͤlcker zu
Einſteckung ihrer Sebeln bewegte. Wiewol
auch Segimer Deutſchland nicht mit ſo viel
Gold und Edelgeſteinen anfuͤllte/ als Auguſt
derſelben in ſeiner reichen Beute aus Egypten
und Syrien nach Rom brachte; ſo nahm jenes
doch fuͤr einen unſchaͤtzbaren Reichthum auff:
daß folgendes Jahr die holdſelige Asblaſte einen
Sohn gebahr/ welcher ſchon in der Wiege
Merckmahle der vaͤterlichen Tugend und der
muͤtterlichen Holdſeligkeit von ſich blicken ließ;
nemlich den Fuͤrſten Herrmann/ welcher nechſt
hin
[1055[1057]]Arminius und Thußnelda.
hin den Ruhm verdienet ein Erhalter der Deut-
ſchen Freyheit genennt zu werden. Alleine wie
die Freude zu Rom bald als ein Schatten ver-
ſchwand/ oder die Erfahrung den Roͤmern die
Augen oͤffnete: daß Kayſer Auguſt zwar die
Ketten/ an denen er ſeine Gefangenen im
Siegs-Gepraͤnge zu Rom einfuͤhrte/ ſehen laſ-
ſen/ die aber/ welche er denen Roͤmern ſelbſt an
Hals zu werffen Sinnes war/ in dem Siegs-
Wagen verſteckt hatte; alſo verſtellte der Wol-
ſtand in Deutſchland auch bald ſein annehmli-
ches Geſichte; Gleich als wenn in der Welt ſo
wenig eine Gluͤckſeligkeit ohne Unluſt ſeyn koͤn-
te/ als die Natur Roſen ohne Dornen zu zeugen
faͤhig waͤre; und das Betruͤbnuͤß der Ergetz-
ligkeit ſo nothwendig/ als der Sturm auff die
Windſtille und auff den helleſten Tag dennoch
eine tunckele Nacht folgen muͤſte. Wiewol man
endlich nach geben muß: daß wir ins gemein
ſelbſt unſers Ungluͤckes Uhrheber ſind/ und un-
ſere eigene Thaten boͤſe Sternen in den Kreiß
unſerer Geburts-Lichter ſetzen.
Kayſer Auguſt ließ ſich beduͤncken: daß ſeine
Gewalt und Siege aller vorigen Roͤmer uͤber-
treffe/ deßwegen hielt er es auch fuͤr eine Noth-
wendigkeit in Pracht und Schau-Spielen es
allen Vorfahren vorzuthun. Er weihete der
Minerva einen koͤſtlichen Tempel/ ſeinem Va-
ter Julius ein Rath-Hauß und ein Heiligthum
ein. Beyde erfuͤllte er mit unſchaͤtzbaren Sel-
tzamkeiten Egyptens. Aus des Jupiters/ der
Juno und anderer Goͤtter Tempeln raͤumte er
alle alte Zierrathen/ unter dem Scheine: daß
ſie vermodert oder allzu befleckt waͤren; wormit
ihm alle ihren neuen Reichthum zu dancken
haͤtten. Auff das Altar der Venus ſetzte er
Cleopatrens Bild aus dichtem Golde. Mit
Loͤwen/ Tygern und Elefanten dem Volcke
Luſt-Spiele zu halten/ war ihm ſchon allzuge-
mein. Denn Lucius Marcellus hatte ſchon
bey nahe fuͤr zweyhundert Jahren hundert und
zwey und viertzig den Mohren in Sicilien ab-
genommene Elefanten in dem groſſen Spiel-
Kreiße von den Buͤrgern mit Pfeilen erſchieſſen
laſſen. Der groſſe Pompejus hatte mit vielen
bey Einweihung ſeines Schauplatzes/ ein an-
dermahl mit ſechshundert Loͤwen/ wie auch
Scipio Naſica zwiſchen Elefanten und Baͤꝛen/
Mucius Scaͤvola mit Loͤwen einen Kampf an-
geſtellt. Sylla hatte nur als Stadtvogt hun-
dert groſſe Loͤwen von Mohriſchen Bogenſchuͤ-
tzen erlegen/ und hernach Elefanten und wilde
Ochſen mit einander eine blutige Schlacht hal-
ten laſſen. Vom Kayſer Julius waren eine
groſſe Menge fremder Thiere in eitel ſilbernen
Kefichten/ vierhundert Loͤwen/ ein Camelpar-
del und zwantzig gethuͤrmte wieder Menſchen
fechtende Elefanten; vom Aurelius Scaurus
die erſten/ und zwar hundert und funffzig Pan-
therthiere/ etliche Krocodile und Waſſerpferde/
ja auch die Gebeine von dem Meerwunder/
welchem in Syrien Andromede fuͤr geſtellt ge-
weſt/ aufgeſtellet worden. Mit allem dieſem
zuſammen und noch mehrerm erluſtigte Auguſt
das Roͤmiſche Volck. Nun waͤren zwar ſeine
verordnete Schlachten zwiſchen Loͤwen und
Tigern/ zwiſchen Panthern und Baͤren/ zwi-
ſchen Waſſerpferden und Krocodilen/ zwiſchen
Elefanten und denen vorhin nie zu Rom geſe-
henen Thieren/ die von dem Horne auf ihrer
Naſen einen Nahmen bekommen; ja endlich
das Gefechte des hierzu freywilligen Raths-
Herren Vintelius hingegangen. Allein dieſes
war unverantwortlich: daß er die in dem Par-
thiſchen Kriege ſo hoch verdienten/ in der
Schlacht bey Accium aber gefangenen edlen
Catten und Dacier zwang: daß ſie nicht alleine
unter ſich ſelbſt/ ſondern auch ſo gar wieder die
grimmigſten Thiere fechten/ zuletzt aber doch
von den Pfeilen Roͤmiſcher Knaben ſterben
muſten. Ob auch wol drey deutſche Ritter in
dem groſſen Spiel-Kreiße auf die in der Mit-
ten erhobene Marmelnen Gelaͤnder die heili-
gen Bilder/ als einer der Goͤttin Cybele/ der
ander
[1056[1058]]Siebendes Buch
ander die groſſe Sonnen-Seule/ der dritte den
Schutz-Geiſt der Stadt Rom umfaſte/ wurden
ſie doch von denen Schergen herab geriſſen/
und auf ſie die grimmigſten Tyger loß gelaſ-
ſen. Woruͤber des Feldherꝛn Segimers an-
weſender Geſandte mit denen Zaͤhnen knirſch-
te/ und denen ihm zugegebenen zweyen Roͤ-
mern ausdruͤcklich zu vernehmen gab: daß ſein
Fuͤrſt dieſe Grauſamkeit nicht verſchmertzen
wuͤrde. Am allermeiſten aber wurden hieruͤ-
ber die Catten erbittert/ welche an den Roͤmern
ſich auf gleiche Art/ wie ſie es ihren Bluts-
Freunden mitgeſpielt hatten/ zu raͤchen ſich ver-
lobten. Hierzu kam: daß die Roͤmer nun auch
auf der Sud- und Oſt-Seiten allzu nahe graſe-
ten; in dem Marcus Craßus wieder die Dacier/
und die von Deutſchen entſproſſenen Baſtar-
nen mit einem maͤchtigen Heere geſchickt ward
ſelbte unters Joch zu bringen. Nicht weniger
machte es in gantz Deutſchland ein groſſes
Nachdencken: daß die Sarmatier Geſandten
nach Rom ſchickten/ und mit dem Kayſer ein
Buͤndnuͤß machten; inſonderheit aber: daß er
mit einem maͤchtigen Heere in Gallien ankam/
unter dem Scheine in Britannien uͤberzuſe-
tzen und bey den Galliern eine Gleichheit der
Schatzungen einzufuͤhren; oder vielmehr durch
Erhaltung alles Uberflußes die Gallier ruhig
und feige zu erhalten; weil Klagen nach Rom
kamen: daß nicht das zehende Theil in die Kay-
ſerliche Schatz-Kammer gebracht/ ihr Schweiß
und Blut aber von denen uͤppigen Landvoͤgten
durch Wolluͤſte verzehret wuͤrden/ und alſo ſie
durch Armuth mit der Zeit zu hertzhafftern
Entſchluͤſſungen gebracht werden doͤrfften.
Rhemetalces bat den Fuͤrſten Malovend um
Verlaub ſeine Meynung zu erforſchen: Ob er
denn mit dem Kayſer das Reichthum fuͤr eine
Urſache der Zagheit und fuͤr rathſam hielte:
daß ein Fuͤrſt ſeine Unterthanen durch ihre Be-
reicherung im Zaume halten ſolte. Seinem
Beduͤncken nach ſchiene es ihm fuͤr den unbaͤn-
digen Poͤfel ein haͤrter Kapzaum zu ſeyn/ wenn
er ihnen durch ſchwere Schatzungen die
Schwung-Federn verſchnitte; und ihnen die
Fluͤgel ihrer Kraͤffte und Vermoͤgens nicht lieſ-
ſe zu lang werden. Da man aber auch gleich
alten Unterthanen/ derer Treue von vieler Zeit
gegen ihre Fuͤrſten eingewurtzelt waͤre/ deroge-
ſtalt muͤſte Pflaumen ſtreichen/ ſchiene es doch
bey denen nicht thulich/ derer unwillige Haͤlſe
man allererſt unters Joch geſteckt haͤtte. Dieſen
nehme man ja die Waffen aus den Haͤnden;
das Vermoͤgen aber waͤre die Spann-Adern/
ohne welche jene nicht koͤnten gebraucht wer-
den. Cyrus habe deßhalben die uͤberwundenen
Babylonier durch aufferlegten Krieges-Sold
mit Fleiß erſchoͤpffet/ und die Roͤmer haͤtten
durch uͤbermaͤßige Schatzung den Demetrius
in Syrien ſo gar zum Kirchen-Raube genoͤthi-
get. Ja auch bey getreuen Unterthanen waͤre
uͤbermaͤßiges Reichthum mehr ſchaͤdlich als
nuͤtzlich/ weil es geitzig und verzagt/ die Nach-
barn aber darnach luͤſtern machte. Aus wel-
chem Abſehen die Satarchiſchen Scythen Gold
und Silber aus ihrem Gebiete wie Gifft ver-
bannt haͤtten. Und nach dem diß Ertzt den Her-
cules in Hiſpanien gelocket/ waͤre ſelbtes lange
Jahre ein verbotenes Beſitzthum der Einwoh-
ner geweſt; alſo gar: daß die Hiſpanier/ welche
der Stadt Carthago im Kriege dienten/ ihren
Sold nicht nach Hauſe bringen/ ſondern zu Er-
kauffung Africaniſcher Weiber verwenden mu-
ſten. Maſſen denn auch die Roͤmer mit den
aͤrmſten Voͤlckern am meiſten zu thun bekom-
men/ der reichſten aber am erſten Meiſter wor-
den. Weder in einem noch dem andern Fal-
le/ verſetzte Adgandeſter/ halte ich es fuͤr gut ſein
Volck verarmen zu laſſen. Die Natur iſt wie
in allem/ alſo auch in der Herrſchens-Kunſt die
kluͤgſte Lehrmeiſterin. Die Ackersleute behauen
zu ihrer Nothdurfft nur die Baͤume/ rotten ſie
aber nicht gar aus. Ein Schaͤfer zoͤpfet ſeiner
Heerde kein Blut ab/ ſondern vergnuͤget ſich
an
[1057[1059]]Arminius und Thußnelda.
an der uͤbrigen Milch und Wolle. Und Fuͤr-
ſten muͤſſen die Brunnen ihrer Unterthanen
derogeſtalt ſchoͤpffen: daß ſie ſelbſt nicht darbey
erduͤrſten. Denn auf ſolchen Fall werden auch
die getreueſten unwillig; und ihrer viel werden
ehe einen Stich in ihrem Leibe/ als die Abdruͤ-
ckung ihres Vermoͤgens verſchmertzen. Das
den Leuten angebohrne oder durch Ungluͤck ver-
urſachte Armuth druͤcket zwar die Gemuͤther zu
Bodem; welches aber von dem/ der ihr Schutz-
Herꝛ ſeyn/ und als ein hoher Berg ſie wie Thaͤ-
ler ſelbſt waͤſſern ſoll/ entſtehet/ bringet ſie
zu verzweiffeltem Auffſtande wieder ihre Ober-
Herꝛen. Daher das Roͤmiſche Volck zwar al-
lemahl ſeine mit dem Rathe habende Zwiſtig-
keiten wegen Verwaltung der Aempter bey-
legte/ als aber dieſer jenes durch das Acker-Ge-
ſaͤtze in ſeinem Vermoͤgen druͤckte/ gieng die
gantze Herrſchungs-Art zu Grunde/ und ward
in eines eintzelen Menſchen Botmaͤßigkeit ver-
wandelt. Denn der/ welcher nichts mehr/ als
das nothleidende Leben zu verlieren hat/ ſetzet
ſelbtes leicht vollends in die Schantze; ſonder-
lich/ wenn er ſeinen Biſſen Brodt anderwerts
liederlich verſchwenden/ oder Fremden zum be-
ſten anwenden ſieht. Die Mediſchen Staͤdte
entbꝛachen ſich wegen ſolcheꝛ Bedraͤngung vom
Gehorſam gegen den Cyrus/ und Alcibiades
bewegte unter dieſem Schein die Aſiatiſchen
Staͤdte zum Abfalle von ſeinem Vaterlande.
Halb Africa blieb den Carthaginenſern treu
auch bey denen ungluͤckſeligſten Laͤufften; biß
ſie durch unerſaͤttliche Blut-Egeln den Ein-
wohnern ihren halben Zuwachs abpreſten. Aus
gleichmaͤßiger Urſache fielen von ihnen die Hi-
ſpanier/ und von Athen die Bundsgenoſſen ab.
Herentgegen empfindet ein Volck nicht einſt
die Koppel der Dienſtbarkeit an ſeinem Halſe/
welches von Uberfluſſe wol ausgemaͤſtet wird;
es bekuͤmmert ſich nicht um die Zerdruͤm̃erung
der alten Geſetze/ weñ es taͤglich vom Wolleben
angefuͤllt iſt. Es fraget nicht nach der Tichtig-
keit ſeines Fuͤrſten; Alſo ward von den Perſi-
ſchen Weiſen durch die Freyheit von den Gaben
der an des Mergis Stelle auf den Stul geſetz-
te Orpaſta etliche Jahr nicht gerechtfertiget/ biß
ihn endlich der Mangel der Ohren verrieth: Es
vergiſſet endlich ſeiner angebohrnen Tapffer-
keit: Alſo ſind die Gallier/ von welchen wir re-
den/ als von Uhrſprung Deutſche/ fuͤr Zeiten ſo
ſtreithar/ als wir geweſt; aber unſers Wiſſens
durch nichts anders/ als ihren Uberfluß ſo wei-
biſch worden. Fuͤrnehmlich aber hatte Kayſer
Auguſt Urſache Gallien nicht allzuſehr mit zu
nehmen; weil ſie die euſſerſte Graͤntze des Rei-
ches halten; weßwegen auch Darius von Moh-
ren und Colchiern keine Schatzung nam. Deß-
halben befreyte der Kayſer auch alle Edlen/ den
Poͤfel aber ließ er zinſen/ was er am leichſten
aufbringen konte/ als die Frieſen Leder/ die Si-
cilier Getreyde/ die Corſen Wachs. Wormit
aber jene unempfindlich das ihrige beytruͤgen/
ſetzte er auf Edelgeſteine/ Perlen/ Wuͤrtzen groſ-
ſe Zoͤlle; die unentpehrlichen Lebens-Mittel
waren dem Armuth zum Schaden mit nichts
belegt. Ja er ließ den Galliern ſelbſt die Ver-
waltung des Zinß-Kaſtens/ und beſtellte daruͤ-
ber ihre Prieſter zu Auffſehern. Rhemetalces
verſetzte: von dieſer Gelindigkeit haͤtte Auguſt
kurtz hernach ſelbſt abgeſetzt/ und den Galliern
durch den zwar eingebohrnen aber ſcharffen
Knecht Licinius/ welchen Kayſer Julius frey-
gelaſſen/ eine bleyerne Hand aufgelegt; wel-
cher des Jahrs vierzehen Monate rechnete/
um ſo viel oͤffter die monatliche Schatzung zu
erheben/ das Gold- und Silber-Gewichte in
der Einnahme der Rentmeiſter erhoͤhete/ auſſer
dem es aber in vorigem Stande ließ; Die
Verkauffung alles Saltzes an ſich zoh; auf den
Rauch/ Lufft/ Waſſer und die Begraͤbnuͤß-Er-
de/ ja auff die Ergetzligkeiten des Ehſtandes;
inſonderheit aber auff eines bey den Morinen
noch vom Kayſer Julius gepflantzten Ahorn-
Baumes Schatten-Genuͤß/ einen anſehnli-
chen Zoll ſchlug. Und ob ſchon gantz Gallien
uͤber ihn Ach und Weh ſchrieh/ beſaͤnfftigte
Erſter Theil. S s s s s ser
[1058[1060]]Siebendes Buch
er doch durch die Auslieferung des erpreßten
Gutes den Kayſer nicht allein; ſondern trug
auch den Ruhm davon: Er haͤtte denen Galli-
ern dem Kayſer zum beſten die uͤbrigen
Schwung-Federn wol ausgezogen. Malo-
vend begegnete ihm: Fuͤrſten muͤſſen zu ihrer
Diener Fehlern offt wieder Willen ein Auge
zudruͤcken/ um ſich der eigenen Schande zu
entbrechen: daß ſie in Beſtellung der Aempter
nicht vorſichtiger geweſt. Denn es verſoͤhnet
zwar kein Opffer ſo kraͤfftig des unwilligen
Volckes ver gaͤllte Gemuͤther/ als das Blut ei-
nes verhaſten Dieners; ja ſelbſt-ſchuldige Fuͤr-
ſten koͤnnen ſich offt hierdurch weiß brennen. A-
ber es benimmet doch einem Fuͤrſten nichts min-
der das Anſehen/ wenn er Diener ihrer Boß-
heit halber abſetzen muß; als einem Leibe/ dem
man wegen des Krebſes ein Glied abſchneidet.
Gleichwol abeꝛ ließ Auguſt den Licinius nicht in
Gallien; ſondern verſetzte ihn nach Art gewiſ-
ſer Kraͤuter/ welche ſich in allzu fettem Bodem
in Unkraut verwandeln/ in das ſaͤndichte Ara-
bien. Welch Mittel den Fuͤrſten bey Liebe/
den Diener bey Ehren/ die Laͤnder beym Ge-
horſam behaͤlt. Alleine dieſe Erleichterung
Galliens wahrſagte den Deutſchen eine groſſe
Buͤrde. Denn nach dem die Britannier durch
Botſchafften und Geſchaͤncke den Kayſer be-
guͤtigten; mit ihm auch der Handlung wegen
einen gewiſſen Vergleich trafen/ richtete er auch
bey dem Altare der Ubier am Rheine eine Nie-
derlage auff; von dar er Wein/ Gewuͤrtze/ Sei-
de/ und andere zur Uppigkeit dienende Waa-
ren haͤufig in Deutſchland verfuͤhren ließ. Weil
nun die Catten nicht alleine in ihrem Lande kei-
ne Handlung verſtattet hatten/ ſondern auch
augenſcheinlich wahr nahmen: daß die Roͤmer
durch dieſes Gewerbe die Haͤrte der Deutſchen
weich und weibiſch zu machen anzielten/ ließen
ſie auf den Graͤntzen bey Leib- und Lebens-
Straffe allen Eintritt fremder Handels-Leute
verbieten. Der Kayſer nahm diß zwar uͤbel/
und gleichſam fuͤr eine Fehde auf. Sintemahl
nicht nur das Recht der Voͤlcker/ ſondern die
Natur zwiſchen allen Menſchen eine Gemein-
ſchafft aufgerichtet; und ihr getroffener Friede
ſo wol die Deutſchen/ als Roͤmer zur Freund-
ſchafft gegen einander verknipfft haͤtte. Die
Catten aber antworteten: Es waͤre andern Roͤ-
mern/ auſſer Kauff-Leuten/ ihr Land unver-
ſchloſſen. Jedes Volck aber waͤre berechtiget/
die auſſer ſeiner Graͤntze zu halten/ die den in-
nerlichen Wolſtand verterben koͤnten. Uber diß
waͤre ihr Verbot nicht neu/ gienge auch nicht
nur die Roͤmer/ ſondern alle Voͤlcker an. Denn
ſie haͤtten niemahls dieſe Art Menſchen bey ih-
nen gelitten/ auch noch neulich Sarmatiſche
Handelsleute wieder zuruͤck gewieſen/ und de-
nen Svioniſchen Fuͤrſten das Verlangen ihren
Handelsleuten der beruͤhmten Stadt Wisbye
auf dem Eylande Gothland Gewerbe zu ver-
ſtatten abgeſchlagen. Wenn der Kayſer ſich
erinnern wuͤrde: daß er keinem Raths-Herrn
aus Jtalien/ inſonderheit in Egypten zu reiſen/
ſein Vater Julius keinem uͤber zwantzig Jahr
alten Buͤrger zu Rom laͤnger/ als drey Jahr
auſſer Jtalien zu leben verboten haͤtte; daß die
Serer und Ripheer keinen Einwohner auſſer
Landes reiſen lieſſen/ koͤnte er auch das Verbot
der Cattiſchen Fuͤrſten/ welche in ihren Laͤndern
diß/ was Auguſt zu Rom/ waͤren/ keiner Feind-
ſeligkeit beſchuldigen. Zeno fieng an: die Cat-
ten haben hierinnen wol Recht gehabt. Sinte-
temahl es ſo gar in eines Fuͤrſten Willkuͤhr ſte-
het: Ob er von fremden Fuͤrſten einige Bot-
ſchafft einlaſſen wolle. Alleine nach dem die
Handlung uns nicht nur mit Wuͤrtzen der Wol-
luſt; ſondern auch mit vielen zum Leben noͤthi-
gen Dingen verſorget/ und gleichſam der
Sparſamkeit der Natur oder den Maͤngeln
der Laͤnder aushilfft; kan ich kaum glauben: daß
die einige Beyſorge einſchleichender Wolluͤſte
die Cattiſchen Fuͤrſten zum gaͤntzlichen Verbote
der Handlung bewegt haben ſolle. Nach dem
auch
[1059[1061]]Arminius und Thußnelda.
auch kein Land alles nothwendige zeuget/ und
derogeſtalt ſonder Armuth ſchwerlich leben kan;
weiß ich nicht: Ob diß Geſetze den Catten heil-
ſam ſeyn koͤnne. Malovend antwortete: die
der Natur gemaͤß lebenden/ und alſo mit weni-
gen voꝛ lieb nehmenden Catten halten die Kauf-
mannſchafft allerdinges fuͤr ein ſchaͤdliches
Ding; welches nicht ſo viel fremde Waaren als
ſchaͤdliche Sitten einfuͤhrte/ und die Gemuͤther
mit Geitz und Betrug vergifftete. Ja ich kan
verſichern: daß unter dieſem Volcke ihrer viel
ſeyn/ welche ſich mit dem Zerſtoͤrer der Staͤdte
Numantia und Carthago Scipio Emilius ruͤh-
men koͤnnen: daß ſie ihr Lebtage nichts gekaufft
noch verkaufft haben. Welches mir keine ge-
meine Gluͤckſeligkeit/ ja das handeln mit der
Deutſchen Aufrichtigkeit faſt nicht vertraͤglich
zu ſeyn ſcheinet. Sintemahl der Kaͤuffer und
Verkaͤuffer gleichſam fuͤr eine Tugend und
Geſchickligkeit/ oder fuͤr eine Eigenſchafft ihres
Gewerbs halten/ wenn dieſer ſeine Wahre zu
theuer/ jener ſein Geld zu hoch anwehret/ und
einer den andern vervortheilt; Gleich als wenn
die Klugheit verpflichtet waͤre der Gerechtigkeit
ein Bein unterzuſchlagen. Denn es wird
ſchwerlich mehr ein Quintus Scevola gefun-
den/ der fuͤr einen Acker ſeines Werths mehr
giebt/ als er ihm geboten wird. Wiewol nun
dieſe Maͤngel freylich nur Mißbraͤuche der
Handlung ſind; ſo laſſen ſie ſich doch durch kei-
ne menſchliche Vorſicht davon abſondern. Da-
her Anacharſis uͤber dem zu Athen gemachten
Geſetze/ welches alle Luͤgen auf oͤffentlichem
Marckte auffs ſchaͤrffſte verbot/ auch zu ſeiner
Beobachtung abſondere Richter hatte/ lachen
muſte; weil nirgends unverſchaͤmter/ als auff
eben dem Marckte gelogen wuͤrde. Plato haͤtte
zwar auch alle Schwuͤre/ und das Uberbieten
der Waare/ Ariſtonicus die ungleiche Ver-
kauffung einerley Dinges verboten/ aber bey-
de Geſetze waͤren ſchier eher ab/ als aufkommen.
Nebſt dieſem haͤtten die Catten wol freylich eini-
ge abſondere Bedencken hierbey. Denn der
Adel waͤre bey ihnen ſo ſtarck/ als faſt in keinem
andern Lande. Daher wolte dieſer die Hand-
lung keines Weges aufkommen laſſen; entwe-
der/ weil er ſelbter als einem verkleinerlichen
Fuͤrhaben gram iſt/ oder dem Poͤfel groͤſſeres
Reichthum/ welches die Handlung zu wege
bringt/ den Glantz des Adels aber verduͤſtert/
mißgoͤnnet. Zeno verſetzte: Jch weiß wol:
daß in den meiſten Laͤndern nicht nur die gerin-
ge Kraͤmerey/ ſondern auch koſtbare Stuͤck-
handlung den Adel anſtincket; da er ſich doch
beym Land-Leben mit ſchlechterem Kramern zu
verunreinigen nicht ſchaͤmet. Jch erinnere
mich auch: daß zu Rom anfangs den Raths-
Herren einig Gewerbe zu treiben unanſtaͤndig/
und zu Thebe Kaufleuten einig hohes Ampt zu
verwalten durch ein Geſetze verſchrenckt war.
Alleine die Herrſchſuͤcht- und argwoͤhniſchen
Herrſcher haben dieſer herꝛlichen und nuͤtzlichen
Nahrung eine ſo ſchwartze Farbe angeſtrichen;
wormit der Adel dardurch entweder nicht zu
reich/ oder von Ubung der zu Vertheidigung
des Landes noͤthiger Waffen abgezogen wuͤr-
de; ſo gar: daß bey etlichen Voͤlckern das han-
deln ſchimpflich/ Morden und Rauben aber A-
delich iſt. Alleine an ihr ſelbſt iſt die Handlung
ein unſchaͤtzbares Weſen/ welches die Spann-
Adern des Krieges/ und den Uberfluß des Frie-
dens verſchafft; kleine Laͤnder maͤchtiger/ als
weit umſchweiffige Reiche macht; alſo: daß der
groſſe Alexander mit Bezwingung der Handel-
Stadt Tyrus mehr/ als mit dem Perſiſchen
Reiche/ Rom mit Carthago laͤnger/ als mit dem
uͤbrigen Theile der Welt zu ſchaffen gehabt hat.
Dieſer zwey Staͤdte Seele aber war die Hand-
lung; ihre Kaufleute Fuͤrſten; und der Adel
trieb daſelbſt ſonder einige Beſudelung faſt al-
leine das Gewerbe. Die Grichen hielten es
eben ſo wenig fuͤr verkleinerlich; und der vom
Jaſon aus Colchis geholete guͤldene Wider deu-
tete nichts/ als die Handlung/ und das unter
S s s s s s 2die
[1060[1062]]Siebendes Buch
die Sternen geſetzte Schiff die Fuͤrtrefligkeit
der Schiffarth an. Endlich war auch Rom kluͤ-
ger/ und Pompejus ſchaͤmte ſich deſſen nicht/
woraus die Parthiſchen Koͤnige gleichſam ein
Handwerck machen. Malovend antwortete:
Alle Dinge gleichen faſt den gemahlten Glaͤ-
ſern/ welche ſo viel Farben zeigen/ ſo viel mahl
man die Stelle ſie anzuſchauen aͤndert. Der
Unterſcheid der Herꝛſchafft iſt meines Beduͤn-
ckens hierbey nicht auſſer Augen zu ſetzen. Deñ
bey der Buͤrgerlichen ſcheinet die Handlung
dem Adel noch etlicher maſſen anſtaͤndig zu ſeyn;
aber nicht bey der Fuͤrſtlichen. Eines Volckes
Sitten ſchicken ſich auch beſſer darzu/ als des
andern. Daher ich glaube: daß/ wenn in der
gantzen Welt der Adel handelte/ der Deutſche
doch/ ich weiß nicht/ aus was fuͤr einer Abſcheu/
ſich hierzu ſchwerlich verſtehen wuͤrde. Deß-
wegen auch die Catten/ als die Roͤmiſchen Kauf-
Leute wieder gethanes Verbot/ entweder aus
Begierde des Gewinns/ oder auf Anſtifftung
ihrer Vorſteher/ im Cattiſchen Gebiete einen
Marckt aufrichteten/ ſie erſchlugen/ ihre Wah-
ren aber ins Waſſer warffen. Hierzu kam die
Nachricht: daß viel edle Catten zu Rom im
Schau-Platze von wilden Thieren waͤren
zerriſſen worden; und daß Auguſt in Hiſpani-
en todt krancklaͤge/ dahin ihn die auffſtehenden
Salaßier/ Cantabrer/ und Aſturier zu ziehen
genoͤthigt haͤtten. Daher ein Theil der Catten
[i]hrer Bluts-Freunde ſchmaͤhlichen Tod zu raͤ-
chen in Gallien einfiel/ und alle nur zu ereilen
moͤgliche Roͤmer todt ſchlug. Dieſer Einfall
brachte das Schrecken biß nach Rom; und ward
Marcus Vinicius mit drey Legionen/ und
zwantzig tauſend Huͤlffs-Voͤlckern wieder ſie
geſchicket. Die Catten/ ob ſie zwar nicht halb
ſo ſtarck waren/ hielten es doch fuͤr eine Schan-
de zu weichen/ alſo kamen ſie an dem Fluſſe
Sara mit einander zu ſchlagen. Wiewol nun
die Catien mit dem Abende ſich zuruͤcke zohen;
blieb auff Roͤmiſcher Seiten doch viel mehr
Volcks auff dem Platze; gleichwol aber ſchaͤtz-
te der Kayſer dieſe Schlacht ſo hoch: daß er
dem Vinicius zu Rom ein Siegs-Gepraͤnge
anordnete; und als dieſer um nicht Liviens
und Agrippens Neid zu erwecken ſolches anzu-
nehmen weigerte/ weil der Niedrigern Ehren-
Kraͤntze den Groͤſſern nur Dornen in Augen
ſind/ ließ der Kayſer ihm auf den Alpen einen
Marmelnen Sieges-Bogen aufrichten; gab
ihm auch die Freyheit alle erſten Tage des Jah-
res einen Krantz und Siegs-Kleid zu tragen.
Zeno fiel ein: Es iſt dieſes eine ſeine Art des
Rauches/ welchen zwar gemeine Leute auch
um nichts anwehren koͤnnen/ kluge Fuͤrſten a-
ber theuer genung zu verkauffen wiſſen. Jn-
ſonderheit aber hat Auguſt ſich auf dieſe Kauff-
mannſchafft wol verſtanden. Alſo belohnet er
des Agrippa nach der bey Sicilien gewonne-
nen groſſen See-Schlacht mit nichts mehr/
als einer blauen Fahne; ſein dem Kayſer zu
Ehren gebautes Pantheon/ und des Neptu-
nus Luſt-Gaͤnge mit der Freyheit beym Kay-
ſer in denen ohne diß uͤbrigen Zimmern zu
wohnen. Der groͤſten Koͤnige Geſandten eig-
nete er als eine groſſe Wuͤrde in dem Schau-
Platze einen Sitz nach denen ſechshundert
Raths-Herren ein. Eines der edelſten Ge-
ſchlechter verehrte er mit der Freyheit ihm ſein
Getraͤncke einzugieſſen; ein anders unange-
meldet in ſein Zimmer zu kommen; das dritte
ihm das Rauchfaß bey den Opffern; und etliche
Aſiatiſche Koͤnige ihm den Steigereiff zu hal-
ten. Welche Blaͤndungen alle ſo viel mehr ge-
ſchaͤtzt wurden/ weil er gegen ſich ſelbſt in Eh-
renbezeugungen ſparſam war/ und viel ihm
vom Rathe angetragene Wuͤrden anzunehmen
weigerte. Ja/ ſagte Malovend: Alles dieſes
that der Kayſer aus gewiſſer Staats-Klugheit.
Denn er ſchlug gleichwol nichts aus/ was nicht
etwan leere Huͤlſen eiteler Ehre/ ſondern den
Kern der Obmaͤßigkeit in ſich hielt. Den Agrip-
pa ſelbſt ſetzte er endlich zum Steuer-Ruder des
Reiches
[1061[1063]]Arminius und Thußnelda.
Reiches; weil er ſich nicht allenthalben hin ſelbſt
traute; ja auch in den Rath niemahls ohne Pan-
tzer kam. Wiewol ich geſtehe: daß Agrippa/
und nebſt ihm Mecenas ſich um den Kayſer ſo
hoch/ als noch zur Zeit kein ander Staats-Rath
um ſeinen Fuͤrſten verdient/ und das Gewich-
te aller Vergeltung uͤberwogen/ alſo dieſer von
jenem dem Kayſer nicht weniger klug/ als ge-
treu eingerathen habe: Er muͤſſe den Agrippa
entweder toͤdten oder zum Eydame machen.
Wie es denn Auguſt zu ſeiner Verbindung
nicht genung hielt: daß er vorher mit ſeiner
Schweſter Tochter vermaͤhlt war/ ſondern er
muſte dieſe verſtoſſen/ wormit er des Kayſers ei-
gene Tochter Julia heyrathen konte. Er ver-
zuckerte den der Freyheit gewohnten Roͤmern
die neue Dienſtbarkeit; er ſetzte durch ſeine
Siege des Kayſers Waffen in Anſehen bey den
Bundgenoſſen/ und gieng gleichwol mit denen
Uberwundenen ſo um: daß der Welt die ſo ſehr
gefuͤrchtete Gewalt annehmlich ward. Jn
Rathſchlaͤgen zeigte er eine durchtriebene
Scharffſichtigkeit/ und einen feurigen Eyver in
derſelben Ausuͤbung. Wo er des Kayſers Zu-
neigung befoͤrdern ſolte; ſahe er ſein Abſehen
ihm in Augen an. Wo es um ſein Anſehen zu
thun war/ grieff er nichts ohne ſeinen Befehl
an/ wormit nicht er/ ſondern der Kayſer die Eh-
re davon truͤge; wo ein zweiffelhaffter Ausſchlag
zu beſorgen/ nahm er die vermutheten Ent-
ſchluͤſſungen des Kayſers auff ſeine Achſel und
Gefahr. Eben dieſes wagte er/ wie ihm Auguſt
die Verwaltung uͤber gantz Gallien anvertrau-
te. Denn wiewol der Kayſer mit den Deutſchen
anzubinden Luſt hatte; ſtand er doch wegen des
ungewiſſen Ausſchlags an/ dieſes gefaͤhrliche
Feuer aufzuruͤhren. Daher nahm es Agrippa
auf ſich; wormit/ wenn es mißriethe/ ihm die
Schande/ wenn er aber ſeinen Zweck erreichte/
dem Kayſer der Ruhm zuwuͤchſe. Der auſſer
dem Narboniſchen Gallien wohnende Adel/
und inſonderheit die um die Roͤmer ſo hoch ver-
dienten Heduer nahmen es uͤbel auf: daß nur
aus jenen/ nicht aber aus ihnen einige zu Roͤ-
miſchen Raths-Herren erkieſet wurden/ und
daher gaben ſie dem vom Geld ſchmeltzenden
Licinius ohne diß ausgemergelten Volcke ins
Geheim Anlaß zum Auffſtande; welches vorhin
uͤberaus ſchwuͤrig war: daß der Kayſer ſo viel
Roͤmer in Gallien verſetzte/ denen ſie ohne Ent-
gelt und Wiederrede ihr vaͤterlich Erbtheil ab-
treten muſten; da ſie doch ſonſt nichts verſchuldet
hatten/ als daß ſie fruchtbares Erdreich beſaͤſ-
ſen. Alſo mangelte ihnen nichts als ein Haupt
den Roͤmern die Stirne zu bieten. Dieſes
fanden ſie endlich an des Feldherrn Segimers
Bruder/ dem Fuͤrſten Jngviomer/ einem jun-
gen abgefundenen Herrn; welcher/ um die Che-
ruskiſchen Kraͤffte durch Theilung nicht zu
ſchwaͤchen/ ſich ſelbſt ſeines vaͤterlichen Erb-
theils verzieh/ und mit dem Degen ſein Gluͤcke
zu ſuchen ſich entſchloß. Wie er nun der Gal-
lier Gemuͤther ausgeholet; kam er mit fuͤnfhun-
dert jungen Edelleuten und etlichen tauſend dort
und dar zuſammen geleſener Mannſchafft in
Gallien; brachte von Heduern/ Trevirern/ Se-
quanern und Mediomatrichern unter dem jun-
gen Fuͤrſten Divitiack ein ziemliches Heer zu-
ſammen/ mit dem Vorſatze den Galliern ihre
Freyheit wieder zu erwerben. Agrippa hielt diß
anfangs fuͤr eine gewuͤnſchte Gelegenheit den
Deutſchen in die Haare zu kommen; er erfuhr
aber bald: daß noch etliche tauſend Catten zu
den Galliern geſtoſſen/ und alſo die Feinde ſtaͤr-
cker waͤren als die Roͤmiſchen Kraͤfte in Gallien
zu beſtreiten vermoͤchten. Daher muſte er mit
ſeinen dreyen Legionen durch allerhand Kriegs-
Lift den Jngviomer aufhalten; biß er aus Hi-
ſpanien und Jtalien mit noch drey andern ver-
ſtaͤrckt ward. Worauff es denn bey der Stadt
Divodur zu einer blutigen Schlacht kam/
in welcher Jngviomer die Hertzhafftigkeit
S s s s s s 3eines
[1062[1064]]Siebendes Buch
eines Loͤwen/ und den Witz eines alten Feld-
hauptmanns fuͤr den Jahren derogeſtalt ausuͤb-
te: daß kein Theil ſich des Sieges zu ruͤhmen
hatte; ſondern iedes auf eine Tage-Reiſe zuruͤ-
cke wiech. Agrippa ſchaͤtzte dieſes gleiche Ge-
fechte gleichwol fuͤr einen nicht geringen Ver-
luſt/ nicht allein wegen ſeiner ſelbſt/ ſondern auch
der Roͤmiſchen Waffen/ welche nunmehr in
dem Ruffe waren: daß kein Volck ihnen zu be-
gegnen mehr maͤchtig waͤre. Noch mehr aber
ward er durch die Zeitung aus Hiſpanien be-
kuͤmmert: daß die vorhin uͤberwundenen und
verkaufften Cantabrer ihre Roͤmiſche Herren
erwuͤrget/ ſich nach Hauſe gewendet/ und da-
ſelbſt bereit unterſchiedene Feſtungen den Roͤ-
mern abgenommen hatten. Zu allem Gluͤcke
kam Segeſthes der Chaßuarier und Dulgibi-
ner Hertzog/ welcher in dem Kriege wieder den
Antonius dem Kayſer groſſe Dienſte geleiſtet/
auch deßwegen von ihm das Roͤmiſche Buͤrger-
Recht erlangt hatte/ zum Agrippa/ mit wel-
chem er in Egypten vertraͤuliche Freundſchafft
gemacht. Durch dieſen bewegte er Jngviomern
durch Einraͤumung eines Stuͤcke Landes an
der Moſel/ und den Divitiak durch Verſpre-
chung der Roͤmiſchen Raths-Wuͤrde: daß ſie
mit Agrippen einen Vergleich eingiengen. Ja
Jngviomer zohe ſelbſt mit Agrippen wieder die
Cantabrer/ fuͤr welcher Nahmen die Roͤmer
gleichſam zitterten/ hielt ſich auch mit ſeinen
Deutſchen ſo tapffer: daß die edlen Cantabrer
ſich aus Verzweiffelung mit Giffte hinrichte-
ten/ die gemeinen ſich ergaben und von denen
Gebuͤrgen ins flache Land verſaͤtzt wurden. Ze-
no fieng an: Es iſt diß eine harte Art/ ſich der
Uberwundenen zu verſichern. Sintemal nichts
empfindlichers ſeyn kan/ als ſein Vaterland mit
dem Ruͤcken anſehen/ und das alte Volck auff-
hoͤren zu ſeyn. Daher ich den Saguntinern
und Carthaginenſern nicht fuͤr uͤbel habe: daß
beyde ſichlieber eingeaͤſchert wiſſen/ als jene auf
Hannibals/ dieſe auf der Roͤmer Befehl den al-
ten Sitz/ die heilige Behaͤltnuͤß ihrer Groß-
vaͤterlichen Aſchen verlaſſen wollen. Malo-
vend verſetzte: Es iſt dieſe Wanderung mehr
ſchmertzhafft als grauſam; weil ieder Ort der
Welt einem vernuͤnfftigen Menſchen zum
Vaterlande dienet; und ſo viel Voͤlcker frey-
willig ihre erſten Wohnungen verlaſſen/ die
Scythen in Parthen/ die Amyoler in Pelopon-
neſus/ die Athenienſer in Aſien/ die Phoͤnicier
in Africa/ die Phrygen in Jtalien/ die Celten in
Hiſpanien/ die Deutſchen in Grichenland und
Galatien einen annehmlichern Himmel geſucht
haben. Uber diß iſt es ja eine groſſe Guͤtig-
keit des Uberwinders/ wenn er denen Uber-
wundenen durch Veraͤnderung ihres Sitzes
weh thut/ als ſeine durch das Kriegs-Recht uͤ-
ber ſie erlangte Gewalt des Todes durch gaͤntz-
liche Vertilgung ausuͤbet. Zumahl wenn er ſie
nicht als Knechte/ wie Dionyſius es denen Ca-
marinen/ die Perſen den Juden mitſpielten/
vertheilet und unterſteckt; ſondern ſie nur an ei-
nem neuen Orte das alte Volck ſeyn/ und nach
ihren alten Geſetzen leben laͤſt. Maſſen denn
auf dieſe Art den Feinden gleichſam aus Vor-
theilhafftigkeit des Ortes die Gelegenheit zu
ſuͤndigen/ und ſich ungluͤcklich zu machen be-
nommen ward; ſolches auch fuͤr ihm Pompejus
mit denen unter dem Caucaſus zu wandern ge-
noͤthigten Colchiern/ ſonder einige uͤbele
Nachrede/ nicht beſſer gemacht hat. Jch zweif-
fele auch faſt: daß Auguſt mit den Cantabrern
ſo gelinde verfahren haͤtte/ wenn es nicht dem
fuͤr ſie bittenden Jngviomer zu Liebe geſchehen
waͤre/ welchen der Kayſer mit herrlichen Ge-
ſchaͤncken empfieng/ und ihn uͤber ſeine deutſche
Leib-Wache ſetzte/ der er auch mit groſſem An-
ſehen fuͤrſtand/ biß der Kayſer nach zweyen
Jahren mit Terentien in Gallien kam. Da
ihn denn der gemeine Wechſel des Hofes und
des Gluͤckes/ welche beyde ſich ins gemein vor-
werts weiß/ auf dem Ruͤcken ſchwartz kleiden/
aus des Kayſers zu ſeines Vaterlandes ruͤhm-
lichern
[1063[1065]]Arminius und Thußnelda.
lichern Dienſten brachte; weil er von Teren-
tiens Reiſe ein wenig zu frey geurtheilet hatte.
Denn Fuͤrſten/ welche auf ihrer Diener Feh-
ler ein Luchs-Geſichte haben/ wollen: daß dieſe
ihre mit Maulwurffs-Augen anſehen/ oder
doch ſelbte wie die Flecken in der Sonne und
dem Mohnden zu was beſſerm machen ſollen/
als ſie an ſich ſelbſt ſind. So bald nun Jngvio-
mer von des Kayſers Unwillen Wind kriegte/
und er wol verſtund: daß Fuͤrſten dieſelben nicht
gerne im Geſichte/ welche durch bloſſes An-
ſchauen ihnen ihre Gebrechen verweiſen/ ſaan
er fuͤr/ ſolche Empfindligkeit ihm in eine Gna-
de zu verwandeln. Sintemahl man nicht leicht
mit iemanden/ weniger mit Fuͤrſten gar zerfal-
len ſoll; weil zwar wenig einem helffen/ alle a-
ber/ ja die ſchwachen Kaͤfer dem Adler ſchaden
koͤnnen. Dieſemnach erſuchte Jngviomer den
Kayſer um ſeine Erlaſſung; weil ſein Bruder
Segimer ſeiner bey denen innerlichen Unru-
hen Deutſchlandes benoͤthigt waͤre. Welche
kluge Zuvorkommung er ſo wol aufnahm: daß
er ihn nicht ohne koſtbare Geſchencke weg ließ/
und alſo bezeugte: daß ſeine Gewalt zwar groß/
ſein Gemuͤth aber noch groͤſſer waͤre.
Hertzog Jngviomer kam zu hoͤchſter Noth
wieder in ſein Vaterland/ welches in eine aͤrge-
re Kriegs-Flamme/ als iemahls verſuncken
war. Denn der Hertzog der Hermundurer
Britton war fuͤr etlichen Jahren verſtorben/
und hatte ſeinem Sohne eben dieſes Nahmens
zugleich die zwiſchen dem Necker/ Kocher und
der Donau gelegenen Hertzogthuͤmer der
Marckmaͤnner und Seduſier verlaſſen; welche
nach des ohne Soͤhne verſchwundenen Koͤnigs
Arioviſts Tode/ Vermoͤge einer zwiſchen bey-
den Fuͤrſtlichen Haͤuſern aufgerichteten Erb-
verbruͤderung dem alten Briton heimgefallen/
und alſo mit der Hermundurer Laͤndern ver-
einbart worden waren. Dieſe Voͤlcker bezeug-
ten ſich fuͤr andern Deutſchen uͤberaus genaue
Eyverer fuͤr ihre Freyheit zu ſeyn. Jhre Her-
tzoge doͤrffen ohne Verwilligung des Adels und
des Volckes keinen Krieg anfangen/ keinen
Frieden ſchluͤſſen/ keine Buͤrde dem Volcke auf-
legen/ noch fuͤr ſich allein in wichtigen Reichs-
Geſchaͤfften etwas entſchluͤſſen. Gleichwol
aber enthiengen ſie dem Britton ihrem neuen
Hertzoge aus einer beſondern Zuneigung an-
fangs mehr/ als ſeinen Vorfahren; alſo: daß
ſie ihm auch nach ſeiner Willkuͤhr zu heyrathen
erlaubten; da das Volck voriger Zeit ſeinen
Fuͤrſten nach dem Vortheil des gemeinen We-
ſens ihre Gemahlinnen erkieſete; ja etliche
Marckmaͤnniſche Edelleute fuͤr achtzig Jahren
in der Fuͤrſtin Sartuda Armen ihren Eh-
Herrn erſtachen/ den ſie wieder des Landes
Willen geehlicht hatte/ ſie auch kurtz hierauff
den zu nehmen noͤthigten/ der zum erſten den
Degen auf ihren vorigen Gemahl gezuͤckt hat-
te. Alſo ſind die Unterthanen niemahls an-
ders/ als gewaltſam zu herrſchen/ und der vor-
hin demuͤthigſte Poͤfel die grauſamſten Geſetze
fuͤrzuſchreiben gewohnet. Hertzog Britton
vermaͤhlte ſich mit des Koͤniges der Baſtarnen
Deldo Tochter/ deſſen Vater gleichen Nah-
mens vom Craßus erſchlagen worden war.
Dieſe aber/ als eine Auslaͤnderin/ ob ſchon die
Baſtarnen ſich vom Uhrſprung ebenfalls
Deutſche ruͤhmen/ und weil ſie der Druyden
Gottesdienſte beypflichtete/ dem Volcke/ und
inſonderheit den Eubagen verhaſt; welche in
dieſen Laͤndern noch die Oberhand hatten. Als
er aber ſeiner Gemahlin gar etliche zwantzig
Druyden/ und ihren oͤffentlichen Gottesdienſt
in der Stadt Calegia verſtattete/ ſich auch derer
ie laͤnger ie mehr in ſein Gebiete ſpielten/ und
viel ihren zeither vermummten Beyfall oͤffent-
lich erklaͤreten; ſeuffzeten die Staͤnde/ inſonder-
heit die Marckmaͤnner oͤffentlich nach der vori-
gen Alemaͤnniſchen Herrſchafft/ ob ſie ſchon mit
Arioviſten auch nicht allerdings waren zu Frie-
de geweſt/ kamen auch in den Argwohn: es
muͤſte Hertzog Britton im Hertzen ſelbſt den
Druyden
[1064[1066]]Siebendes Buch
Druyden beypflichten; und nunmehr nach dem
Beyſpiele des Cheruskiſchen Fuͤrſten Aem-
brichs der Barden und Eubagen Gottesdienſt
vertilgen wollen. Denn der Verdacht in Glau-
bens-Sachen brauchet ſich eines Schau-Gla-
ſes/ welches nicht allein in andern Hertzen mehr
zu ſehen zeiget/ als ſie ſelbſt gedencken/ ſondern
auch die Spinnweben vergroͤſſert; daß ſie fuͤr
Ketten und Banden angeſehen werden. Daher
machten die Marckmaͤnner einen Auffſtand
wieder die Stadthalter des Fuͤrſten Britton/
unter dem Scheine: daß ſie ihnen in ihrem
Gottesdienſte etliche aberglaͤubiſche Gebraͤu-
che der Hermundurer aufbuͤrden wolten. Die
andern Urſachen aber waren: daß die Marck-
maͤnner voriger Zeit/ ehe ſie unter die Aleman-
niſche und folgends die H[e]rmunduriſche Bot-
maͤßigkeit verfallen waren/ eigene Hertzoge ge-
habt hatten; nunmehr aber denen Hermundu-
rern gehorſamen/ und unter dieſer Nahmen
verſteckt gleichſam erleſchen muſten. Jedoch
waͤre dieſe ihr gemeines Weſen treffende Wun-
de noch verſchmertzt worden/ und das Feuer
noch eine Weile unter der Aſche verborgen blie-
ben/ wenn nicht Koͤnig Britton eine Unterſu-
chung verordnet haͤtte: Aus was fuͤr Recht ei-
ner oder der ander ſeine Guͤter beſaͤſſe. Sinte-
mahl die in vorigem Kriege denen Druyden
abgenommene Laͤndereyen Vermoͤge Landes-
Schluſſes dem Reichs-Vermoͤgen einverleibt
werden ſolten/ derer viel aber der Adel entweder
eigenmaͤchtig an ſich gezogen/ oder die der alte
Britton etlichen auf Lebetage zu genuͤſſen ver-
guͤnſtigt/ als ihr Eigenthum behalten hatten.
Wie er denn auch von einem Theile ſolcher Be-
ſitzer ein groſſes erpreſte/ hiermit aber nichts
minder den Adel/ als Poͤfel ihm aufſaͤtzig mach-
te. Denn der Eigen-Nutz iſt ſo ein fuͤrnehmes
Theil am Menſchen/ als Feuer und Waſſer.
Daher er auch die dem gemeinen Weſen biß
ans Hertz gehende Wunden ſo nicht fuͤhlet/ als
die bloſſen Anruͤhrungen dieſes ſeines Augapf-
fels. Uber diß verſtieß Britton darinnen: daß
das unwillige Volck durch Abſonderung/ wie
die Bienen durch unter ſie geworffenen Staub
zu trennen ſind/ er bey denen Hermundurern
dieſem Ubel zu ſteuern einen Land-Tag aus-
ſchrieb. Denn die Land-Boten ſtaͤrckten die
Marckmaͤnner ins gemein in ihrem Vorha-
ben; und veranlaſten das Volck ſich wieder die
Kriegs-Steuer zu beſchweren/ welche Britton
zwar ohne ihre Einwilligung/ doch aus hoch-
dringender Noth angelegt hatte/ um die Graͤn-
tzen gegen die Semnoner zu beſetzen/ welche
ihm das Eigenthum des Elbe-Stroms ſtrittig
machten. Wiewol nun die Hermundurer ih-
rem Hertzoge wenig zu Willen waren/ brachte
er doch durch der Baſtarniſchen Druyden/ und
inſonderheit ihres Oberhaupts in Brittannien
Vorſchub/ weil die Koͤnigin ſie der freyen U-
bung ihres Gottesdienſtes verſicherte/ wie auch
durch der meiſt den Druyden beypflichtenden
Seduſier Huͤlffe ein Kriegs-Heer auf die Bei-
ne/ und ſchickte es fuͤr Vorkehrung anderer ſi-
cherer Mittel wieder die Marckmaͤnner; wel-
che noch zur Zeit weder unter einander einig/
noch ſo vermeſſen geweſt waren/ ſich oͤffentlich
wieder ihren Fuͤrſten auffzulehnen; nunmehr
aber durch die Noth leicht unter einen Hut ge-
bracht wurden/ und den ſcheinbarſten Vor-
wand bekamen/ ihrer natuͤrlichen Beſchirmung
halber die Waffen zu ergreiffen. Vorher aber
hatte Britton ſchon zwey Fehler begangen;
einmahl: daß er die Raͤdelsfuͤhrer/ ohne die das
Volck eine ſo gefaͤhrliche Schantze nie gewagt
haben wuͤrde/ nicht bey den Koͤpffen genom̃en
hatte; weil derogleichen Empoͤrungen wie die
Fluͤſſe/ ie weiter ſie lauffen/ ſich vergroͤſſern; und
die anfaͤngliche Furcht ſich nach und nach in
Kuͤhnheit verwandelt; andern theils: er ſeinen
nicht allerdinges unſchuldigen Stadthaltern
allzuviel Recht gegeben; da doch dieſe ihres
Verſehens halber billich; ja/ wenn die gemei-
ne Ruh durch diß Feg Opffer/ wie das wuͤten-
de
[1065[1067]]Arminius und Thußnelda.
de Meer beſtillt werden kan/ auch zu Unrechte
etwas zu leiden ſchuldig ſind. Sintemahl dieſes
durch die gemeine Wolfarth reichlich erſtattet/
auch beym Auffruhre/ welcher in einem Lande
eben diß/ was der Krebs in menſchlichen Lei-
bern iſt/ ein Glied zu Erhaltung des Leibes oh-
ne Unbarmhertzigkeit abgeſchnitten wird. Uber
diß entbot er nach ergriffenen Waffen alle die/
welche nicht zugleich fuͤr Aufruͤhrer gehalten
werden wolten/ bey Verluſt ihrer Guͤter und
Koͤpffe zu ſich; da doch treue Diener ihrem Fuͤr-
ſten keinen groͤſſern Dienſt thun koͤnnen; als
wenn ſie ſich ſelbſt zu Haͤuptern oder Werck-
zeugen der Auffruͤhrer gebrauchen laſſen; alſo
nicht allein ihre Anſchlaͤge entdecken; ſondern
die Abtrinnigen auch leicht wieder zu rechte
bringen koͤnnen. Zu dieſen Fehlern kam noch
die Untreue des Hermunduriſchen Feldhaupt-
mannes Monatil/ welcher denen Marckmaͤn-
nern keinen Abbruch that/ wie er wol Kraͤffte
und Gelegenheit genung hatte/ ſondern mit
ihnen einen Frieden ſchloß/ welcher denen Auf-
ruͤhrern zwar ihre Verbrechen ließ ungenoſſen
ausgehen/ dem Fuͤrſten aber keinen Vortheil
noch Sicherheit brachte; ſondern vielmehr ihm
die Waffen unvermerckt aus den Haͤnden
wand; wormit ſie hernach deſto freyer ſuͤndi-
gen konten. Denn ſie verſtieſſen bald hierauf
die Prieſter aus dem gemeinen Rathe/ welche
doch von undencklicher Zeit die erſte Stimme
noch fuͤr den Fuͤrſten gehabt/ darinnen das Re-
den und Stillſchweigen verfuͤget/ und die Feh-
ler verwieſen hatten. Sie beſchloſſen auch:
daß bey ihnen niemand anders/ als ein Marck-
mann von Geburt und Gebluͤte einiges Ampt
zu verwalten faͤhig ſeyn ſolte/ alſo dem Fuͤrſten
Britton faſt alle Gelegenheit einige treue und
vertraute Leute einzuſetzen entzogen ward. Jn-
zwiſchen blieben auch die Hermundurer wieder
das alte Herkommen und den Willen ihres
Fuͤrſten auf ihrem Land-Tage Jahr und Tag
beyſam̃en; uñ an ſtatt: daß Herzog Britton durch
ſie die Marckmaͤñer zu demuͤthigen vermeinte;
ſonderlich/ weil die Sebuſier gegen verſproche-
ne Wiedererſtattung aller Guͤter/ die zu ſeiner
Vor-Eltern Zeit denen Druyden und ihrem
Anhange waren abgenommen worden/ ihm
eine anſehnliche Kriegs-Huͤlffe gewilligt hat-
ten/ lernten ſie von jenen auch die Banden des
Gehorſams zerreiſſen; in dem einige oͤffentlich
zu ſagen nicht ſcheuten: die alten Hermundu-
rer haͤtten nichts minder/ als andere Deutſchen
ihre Fuͤrſten aus dem Kerne des Adels/ ihre
Heerfuͤhrer aus denen erfahrnen Kriegsleuten
erwehlet; jene haͤtten das Volck nicht nach
Willkuͤhr/ ſondern durch vernuͤnfftige Anlei-
tung/ dieſe das Heer durch ihr Beyſpiel zur
Folge bewegt.
Jnzwiſchen brachen die Marckmaͤnner in
der Hermundurer Gebiete ein/ trieben das zu
Beſaͤtzung der Graͤntzen verlegte Kriegsvolck
uͤber den Kocher; unterhielten aber gleichwol den
Hertzog mit demuͤthigen Bittſchrifften und
Friedens-Vorſchlaͤgen; und erlangten einen
Stilleſtand der Waffen/ wiewol ihr Kriegs-
Heer aus des Hertzogs Gefaͤllen verpflegt wer-
den muſte. Dieſer ſuchte die Hermundurer
nochmahls um Beyſtandan/ aber ſie verſchoben
ſelbten durch den Vorwand: daß vorher der
Marckmaͤnner Beſchwerden unterſucht/ und
ihren eigenen abgeholffen werden muͤſte; ja der
Rath drang auch auf die Verhafft der zwey
treuſten Staats-Raͤthe des Brittons/ den einen
anklagende: daß er die Eubagen bey den Se-
buſiern ermorden/ zwey der fuͤrnehmſten auch/
welche von der Hertzogin uͤppigen Sitten
ſtachlicht geredet/ nach Abſchneidung der Na-
ſen ewig verweiſen laſſen; den andern/ als er mit
dem Oberhaupte der Druyden um eine hohe
jaͤhrliche Beſoldung heimliches Abkommen ge-
troffen haͤtte. Sie wurden auch als Verraͤther
des Vaterlandes/ welche die Grund-Geſetze uͤ-
ber einen Hauffen zu werffen angezielet/ und
das Gemuͤthe des Fuͤrſten wieder ſeine treue
Erſter Theil. T t t t t tUnter-
[1066[1068]]Siebendes Buch
Unterthanen vergaͤllet haͤtten/ angeklagt/ bey-
de zum Tode ver dammt/ ja Hertzog Britton
ſelbſt das Blut-Urthel zu unterzeichnen genoͤ-
thigt. Denn ob er wol durch ſeinen eigenen
Sohn den Rath um das Todes-Urthel in ewige
Gefaͤngnuͤß zu verwandeln anſuchte/ ward
doch jenes vollſtreckt/ und beyden der Kopff/
mit dieſem aber dem Fuͤrſten gleichſam ſeine
rechte Hand und die Hertzogliche Gewalt ab-
geſchlagen. Den Marckmaͤnnern ward all
ihr Begehren/ ja auch die Befriedigung ihres
Kriegs-Volckes von dem Rathe der Hermun-
durer gewilligt/ welche ihnen ſelbſt nur darum
wehe thaten: wormit ihr Fuͤrſt unrecht bliebe/
und ſeine Unterthanen gehorſamen muͤſten.
Alſo wenn ein Fuͤrſt ſeinen Unterthanen ſchon
verlaubet den Saum ſeiner Hoheit und Ge-
walt anzuruͤhren/ reiſſen ſie ihm den Purper
gar von dem Halſe. Weil das Volck/ welches
ſchon einmahl die Suͤßigkeit nach eigner Will-
kuͤhr zu leben geſchmecket/ alſo fort auch nach
dem Herrſchen luͤſtern/ und zu Gehorſamen
ungeſchickt wird. Dahero ich mehr fuͤr ein
tieffſinniges Lehrſtuͤcke/ als eine Hoffart der
Perſiſchen Koͤnige halte: daß bey Lebens-
Straffe kein Menſch das ſo genennte guͤldene
Waſſer koſten darff/ welches aus denen ſieben-
tzig nur fuͤr den Koͤnig und ſeinen aͤlteſten Sohn
gewiedmeten Brunnen geſchoͤpfft ward; wie
auch: daß der Koͤnig bey der Taffel einen Vor-
hang fuͤr ſich hat: daß er zwar die Gaͤſte/ kein
Gaſt aber ihn ſehen kan. Jnſonderheit aber
muß ein Fuͤrſt uͤber ſeinen treuen Dienern die
Hand halten/ und ſich nicht durch ihre Seite
verwunden laſſen. Denn ob er zwar jene fuͤr
das gemeine Heil als ein Verſohnungs-Opffer
auch ohne Schuld auf die Schlacht-Banck lie-
fern kan; wenn nehmlich des Volckes Grimm
auff ſie/ nicht auf den Fuͤrſten zielet; ſo ſtuͤrtzet
ſich doch ein Fuͤrſt ſelbſt in Grund/ wenn er
zwar ſiehet: daß es auff ſein Haupt ſelbſt ge-
muͤntzt ſey; gleichwol aber ſich durch Abſchnei-
dung ſeiner Glieder verſtimmeln/ und mit Un-
ter grabung ſeiner Pfeiler ſeinen Stul ſelbſt mit
zu Bodem reiſſen laͤſt. Sintemahl auch einem
Zwerge nicht ſchwer faͤllt einen ſtarcken Eich-
Baum auff den Bodem zu reiſſen/ dem man
vorher alle Wurtzeln verſchnitten hat. Zum
wenigſten machet die Furchtſamkeit des Fuͤr-
ſten auch die treueſten Diener verzagt: daß ſie
entweder den Mantel nach dem Winde hen-
cken/ oder ihre Achſeln der gefaͤhrlichen Herr-
ſchens-Laſt entziehen. Welches letztere denn
des Fuͤrſten Britton meiſte hohen Befehlhaber
thaten; als ſie ſahen: daß der zwey hoͤchſten
Treue ſie um den Hals gebracht hatte; und al-
le freye Entſchluͤſſungen nicht fuͤr einen Willen
des frommen oder vielmehr alberen Fuͤrſten/
ſondern fuͤr eine Erfindung der Staats-Raͤthe
angenommen ward. Die Staͤnde maſten ſich
nunmehr ſelbſt an/ die vornehmſten Reichs-
Aempter zu beſetzen/ und ihrem Oberhaupte zu
gebieten. Hieruͤber machten die Sebuſier/ wel-
che noch groſſen Theils den Druyden beypflich-
teten/ unter dem Vorwand des Hertzogs be-
leidigte Hoheit und ihre in Gefahr geſetzte Ge-
wiſſens-Freyheit zu vertheidigen/ einen Auff-
ſtand/ und wuͤteten mit unmenſchlicher Grau-
ſamkeit wieder die Eubagen. Wiewol nun
Britton ſie fuͤr Aufruͤhrer erklaͤrte/ und ſelbte zu
unter druͤcken alle Kraͤfften hervor ſuchte; wol
wißende: daß die Seduſier ſich gar von Her-
mundurern abzutrennen/ und zu den Buriern
zu ſchlagen im Schilde fuͤhrten; ſo war jenen
doch der Verdacht nicht auszureden: daß er mit
den Seduſiern unter einer Decke laͤge. Einige
der Land-Boten unterwunden ſich hierbey den
Poͤfel zu erregen: daß er fuͤr Hertzog Brittons
Schloſſe nicht ihn und ſeine geheimen Raͤthe
die abſcheulichſten Schmaͤhungen ausſtieß/ in
der Reichs-Verſamlung aber auffzuwerffen:
Ob es nicht rathſam waͤre dem Fuͤrſten die O-
ber-Anſtalt zum Kriege zu entziehen/ und ihm
ſelbſt andere Raͤthe an die Seite zu ſetzen. Brit-
tons
[1067[1069]]Arminius und Thußnelda.
tons Gedult konte dieſe Frevel-That nicht laͤn-
ger verdeyen; befahl alſo die Raͤdelsfuͤhrer feſte
zu machen/ verfuͤgte ſich ſelbſt in die Reichsver-
ſamlung/ beklagte ſich uͤber dieſe Beleidiger ſei-
ner Hoheit/ und begehrte ihre verdiente Be-
ſtraffung. Dieſe aber nahmen diß fuͤr eine Ver-
letzung ihrer Freyheit auff/ die Beklagten unter
ihren Schirm/ das verhandene Krieges-Volck
unter ihre Pflicht/ und das Schloß zu Calegia
in ihre Gewahrſam; die wieder obige Auffruͤh-
rer geſchickte Wache in Hafft; alſo: daß Hertzog
Britton mit ſeiner Gemahlin und zweyen
Soͤhnen ſich fuͤr andraͤuender Gewalt von Ca-
legia in das Gebuͤrge Gabreta wegzufluͤchten
gezwungen ward.
Jnzwiſchen warffen ſie die der Hertzogin er-
laubte Druyden in Kercker/ ihnen/ wiewol nicht
gar ſonder Grund/ beymaͤſſende: daß ſie ihren
Hertzog mit groſſen Verſprechungen zu An-
nehmung ihres Gottesdienſtes zu bereden ge-
trachtet haͤtten. Der Reichs-Rath ſchickte dem
Britton gleichwol nach/ und forderten in einer
ſo benahmten Bittſchrifft das Kriegs-Heer und
den jungen Fuͤrſten Jubil zu ihrer eigenen Auf-
ſicht; und als diß Britton abſchlug/ nahmen ſie
eigene Kriegs-Haͤupter auf/ fuͤhrten ein Heer
zuſammen/ beſetzten etliche Feſtungen mit ih-
rem eigenen Volcke/ ſchloſſen ſelbte dem Her-
zoge fuͤr den Augen zu/ erklaͤrten ſeine Gewalt
dem Reichs-Rathe unterwuͤrffig zu ſeyn; und
daß er zwar nichts ohne ſie/ ſie aber alles ohne
ihn kraͤfftig ſchluͤſſen und urtheilen koͤnten; hier-
mit augenſcheinlich bezeugende: daß das einmal
jaͤhrende Gebluͤte des Volckes durch keine ge-
linde Artzney zu ſtillen ſey; des Poͤfels Ent-
ſchluͤſſungen aber weder Maaß noch Ziel ha-
ben. Hiermit kam es zu einem oͤffentlichen
Kriege/ in welchem iedes Theil des andern
Feld-Hauptleute fuͤr Verraͤther verdammte/
und durch ſolche hitzige Ubereilungen die Wege
zu gemeiner Ruh wieder zu kommen gleichſam
gar verſchrenckte/ Britton aber oͤffentlich ver-
kuͤndigen ließ: daß er nichts wieder den Reichs-
Rath noch ſein Volck/ ſondern nur wieder die
Uhrheber dieſer Unruh zu Beſchirmung ſeiner
Hoheit/ ihrer Freyheit und Glaubens die Waf-
fen ergrieffen haͤtte; der Reichs-Rath hingegen:
daß ihre Ruͤſtung fuͤr ihren Fuͤrſten/ wieder die/
welche ſich ſeiner Gewalt mißbrauchten/ und
die Erhaltung des Vaterlandes angeſehen waͤ-
re. Alſo hat ſich niemahls kein ſo unrechter Krieg
entſponnen/ deſſen Urſache nicht durch einen
ſcheinbaren Vorwand uͤberfirnſet worden.
Beyde Kriegs-Heere kamen gegen einander
ins Feld/ und ob wol einige dem Hertzog Brit-
ton riethen: Er ſolte durch allerhand Verzoͤge-
rungen den Feind muͤde/ die Reichs-Glieder
zwiſtig/ die Heerfuͤhrer verdaͤchtig/ das leiden-
de Volck ungedultig machen; weil dieſes die
beſte Krieges-Kunſt waͤre/ welche Fuͤrſten wie-
der kriegende Staͤnde ausuͤben koͤnten; traute
er doch zu viel ſeiner gerechten Sache/ und ſeiner
Kriegs-Macht; alſo kam es zu einer blutigen
Schlacht/ in welchem nicht der Sieg/ ſondern
die Macht das Ende machte. Jedoch ſchlug
ein Fuͤrſt der Narisker Patalin Hertzog Brit-
tons Vetter die Reuterey des Reichs-Raths im
lincken Fluͤgel in die Flucht; und haͤtte er nicht
den Feind allzu eiffrig verfolgt/ waͤre Britton
vermuthlich dieſen Tag nicht allein Meiſter im
Felde/ ſondern auch ein voͤlligeꝛ Uberwinder ſei-
ner Feinde bliebẽ. Alleine ſo buͤſte er ſeinen Feld-
Hauptmann/ und eine ziemliche Anzahl des A-
dels ein/ welche alle wie Loͤwen fochten; alſo:
daß ob wol auff der feindlichen Seite etliche
tauſend Mann mehr blieben/ es dennoch das
Anſehen gewann: als haͤtte Britton gegen
Erbſen Perlen aufgeſetzt. Gleichwol bemaͤch-
tigte er ſich etlicher Staͤdte/ und erſchreckte
durch ſeine Naͤherung gegen die Stadt Cale-
gia ſeinen Feind dermaſſen: daß ſie demuͤthi-
ger als iemahls an ihn ſchrieben/ und Friedens-
Vorſchlaͤge thaͤten. Aber hiermit meinten ſie
den Britton nur einzuſchlaͤffen. Denn er hatte
T t t t t t 2ſich
[1068[1070]]Siebendes Buch
ſich kaum alles gutes erboten; als der Feind
mit einem verſtaͤrckten Heere auf ihn andrang.
Den groͤſten Fehler aber begieng Britton dar-
innen: daß ob er zwar bey ſich einen eigenen
Reichs-Rath auffrichtete/ auch viel Glieder
aus dem zu Calegia ſich zu ihm ſchlugen/ den-
noch dieſen letztern fuͤr den rechten Reichs-Rath
nicht nur in der That/ weil er mit ſelbtem Frie-
den behandelte/ ſondern auch endlich durch eine
ausdruͤckliche Erklaͤrung erkennte/ weil er an-
derer Geſtalt mit dem Fuͤrſten Britton nichts
abhandeln wolte. Gleichwol vergroͤſſerte ſich
Hertzog Britton auch/ und ereignete ſich/ wie-
wol ohne einen Haupt-Streich/ allerhand ab-
wechſelnde Treffen/ worinnen aber Britton/
und ſonderlich Fuͤrſt Patalin meiſtentheils den
Vortheil erhielten. Der Staͤnde Feldhaupt-
mañ Sekkes aber in groſſen Verdacht der Un-
treue fiel/ und ihm zwey andere Kriegs-Auffſe-
her Lerwall und Fackſariff an die Seite geſetzt
wurden. Weil der Poͤfel gewohnt iſt Rathſchlaͤ-
ge nicht nach ihrer Guͤte/ ſondern nach dem
Ausſchlage zu maͤſſen/ und Zufaͤlle in eine
Schuld oder Boßheit der Obrigkeit zu verwan-
deln. Unterdeſſen maßte ſich der Reichs-Rath
eines Oberherꝛſchafftlichen Sieges an/ zerbrach
die Hertzoglichen Zierrathen; er buͤſte aber hier-
auff drey groſſe Feld-Schlachten ein; und ge-
wann Britton das groͤſte Theil ſeines Landes
durch Huͤlffe der Seduſier wie der; ja die mei-
ſten Glieder des Reichs-Raths enteuſſerten ſich
des Bundes wieder ihren Fuͤrſten/ und demuͤ-
thigten ſich fuͤr ihm. Daher die uͤbrigen Auf-
ruͤhrer gezwungen wurden ſich mit den Marck-
maͤnnern durch einen vortheilhafftigen Bund
auffs neue zu verknuͤpffen; welcher ihnen auch
mit einem maͤchtigen Heere zu Huͤlffe erſchie-
nen. Das Kriegs Spiel wechſelte hierauff
ſeltzamer Weiſe ab; und das Gluͤcke kehrte
bald einem bald dem andern das Antlitz oder die
Ferſen. Alleine kurtz hierauff ſchien es den
Hertzog Britton wieder auff den Stul ſeine[r]
erſten Hoheit und Gluͤck ſeligkeit zu ſetzen/ in
dem er anfangs den Lerwall/ hernach den Feld-
Hauptmann Sekkes nach veraͤchtlich ausge-
ſchlagenem Friedens-Vergleiche auffs Haupt
ſchlug. Alleine Britton uͤbte gegen das gefan-
gene Heer durch Freylaſſung aller derer/ die
ihm nieht gutwillig dienen wolten/ eine uͤber-
maͤßige Guͤte/ gegen ſich ſelbſt aber eine unver-
antwortliche Grauſamkeit aus. Denn wie es
erbaͤrmlich iſt/ weñ man in einem Reiche nichts
ohne Gefahr thun kan; alſo iſt nichts ſchaͤdli-
chers/ als wo ieder ohne Furcht der Straffe
thun mag/ was er wil. Es iſt einem Fuͤrſten
freylich zwar ruͤhmlich Schuldige begnaͤdigen/
aber nicht wenn ſie dem gemeinen Weſen auffs
neue ſchaden koͤnnen/ und ihre Unſtraffbarkeit
andere zur Miſſethat verleitet. Denn in die-
ſen Faͤllen muß man den Aufruͤhrern wo nicht
die Koͤpfe/ doch die Haͤnde/ und damit das Ver-
moͤgen ſchaͤdlich zu ſeyn/ abſchneiden. Alleine
Britton brauchte ſich eines gantz andern Maſ-
ſes/ ſo gar: daß er auch nicht zu rechter Zeit draͤu-
en konte. Sintemahl er nach erlangtem Sie-
ge auffs beweglichſte an den Reichs-Rath
ſchrieb: Sein Kriegs-Gluͤcke waͤre viel zu ohn-
maͤchtig ihn wieder ſeine Beleidiger zur Rache
zu reitzen/ weil ſein Vater-Hertze ihn fort fuͤr
fort zur Erbarmnuͤß uͤber ſein Volck reitzte. Sie
hingegen haͤtten nun eine Weile mit ihrer
Pflicht und dem Verhaͤngnuͤße gerungen/ bey-
des aber haͤtte ihnen zeither ein Bein unterge-
ſchlagen/ und ſie dahin bracht: daß ſie Mangel
an Kraͤfften/ und einen Uberfluß an Wehkla-
gen eingeerndtet haͤtten. Alſo ſolten ſie nun-
mehr die Hand nicht von dem Sieger zuruͤck
ziehen/ der ihnen den Friedens-Oelzweig ſelbſt
zulangte; und da er koͤnte/ ſie nicht mit dem
Schwerdte baͤndigen wolte/ um ihnen die Eh-
re freywilligen Gehorſams/ ihm aber den
Ruhm: daß ſeine Guͤte doch das Gewichte ih-
rer
[1069[1071]]Arminius und Thußnelda.
rer Schuld uͤberwiege/ nicht zu entziehen. Al-
leine der Haß gegen dieſen Fuͤrſten war in de-
nen hartnaͤckichten Voͤlckern derogeſtalt einge-
wurtzelt; oder ihre Einbildung: Britton koͤnte
weder ſtraffen noch zornig ſeyn/ verhaͤrtete ſie:
daß ſie allen Vergleich ausſchlugen; ſonderlich
weil Britton nicht geraden Weges nach Cale-
gia fortruͤckte/ ſondern mit Einnehmung ande-
rer geringern Oerter ſich auffhielt/ und ins ge-
mein mittelmaͤßige/ als die ſchaͤdlichſten Ent-
ſchluͤſſungen erkieſete; Da doch die Haupt-
Staͤdte das Hertze eines Reiches ſind; welche
allen andern Theilen gleichſam Geiſt und Le-
ben geben. Daher wie ein Fuͤrſt ſie nicht ohne
euſſerſte Noth verlaſſen ſoll; alſo hat er alle
Kraͤfften anzuſpannen ſich der Verlohrnen
wieder zu bemaͤchtigen; weil offt in einer Stadt
das gantze verlohrne Reich erhalten/ oder mit
ihr wieder gewonnen worden. Sintemahl
auch in belebten Dingen nach Uberwaͤltigung
des Hauptes/ die andern Glieder ſich fuͤr ſich
ſelbſt legen.
Als der Hermundurer Zuſtand derogeſtalt
ziemlich ins Gedrange bracht ward/ kam Mar-
bod von Rom in ſein Vaterland zu Hauſe. Die-
ſer Marbod war eines Marckmaͤnniſchen E-
delmannes/ nehmlich des Flavius Sohn/ wel-
cher in dem Zuge des Antonius wieder die Par-
then ſo groſſe Heldenthaten ausgeuͤbt/ und fuͤr
der Roͤmer Wolfarth ſein Leben ritterlich auff-
geſetzt/ vorher aber ſich unter dem Ventidius
ſchon in ſo groſſes Anſehen geſetzt hatte: daß
ihm der Parthiſche Fuͤrſt Moneſes zu Larißa/
welche Stadt nebſt Arethuſa und Hierapolis
ihm vom Antonius geſchenckt war/ ſeine Toch-
ter vermaͤhlte. Welche Freundſchafft denn auch
hernach dem Antonius zu wege brachte: daß ihr
Bruder Marius ein Parthiſcher Feld-Ober-
ſter durch ſeine treue Warnigungen denen Roͤ-
mern aus dem unzweiffelbaren Untergange
halff. Marbod war nur ein Kind von zwey
Jahren/ als ſein Vater Flavius blieb/ ward alſo
von ſeines Vaters Bruder mit ſeiner Mutter in
Deutſchland geſchickt/ und in allerhand Kriegs-
Ubungen erzogen. Wie er aber nur ſechzehn
Jahr alt war/ begab er ſich unter der Catten
Kriegs-Volck/ welches wieder den Vinicius
in Gallien zoh. Die groſſe Hitze der Jugend/
und die Begierde der Ehre verleitete ihn aber:
daß er bey allzu eivriger Verfolgung der Roͤmi-
ſchen Reuterey gefangen ward. Nach dem aber
Vinicius erfuhr: daß er des ſo hoch verdienten
Flavius Sohn waͤre/ beſchenckte er ihn mit ei-
nem Arabiſchen Pferde/ einer verguͤldeten Ruͤ-
ſtung/ und ſchickte ihn dem deutſchen Feldhaupt-
manne zuruͤck. Dieſe Wolthat reitzte den ruhm-
ſichtigen Marbod: daß nach geſchloſſenem deut-
ſchen Frieden er ſich als ein freywilliger in das
Roͤmiſche Kriegs-Heer begab/ welches Agrip-
pa wieder die Cantabrer in Hiſpanien fuͤhrte.
Daſelbſt zeigte er durch vielfaͤltige tapffere und
kluge Thaten: daß der Apffel nicht weit von ſei-
nem Stamme gefallen/ er alſo ein wuͤrdiger
Sohn des behertzten Flavius waͤre. Jnſon-
derheit erſtieg er des Nachts eine Spitze des
Medulliſchen Gebuͤrges/ in welchem ſich die
Cantabrer verhauen/ Agrippa ſie aber mit ei-
nem Graben funffzehn Meilen im Umkreiße
beſchloſſen hatte; von welchem ſie nicht alleine
mit dem Geſchoß hefftig beſchaͤdiget/ ſondern
auch alle ihr Beginnen uͤberſehen werden kon-
ten. Dahero die Cantabrer auch nach dieſem
Verluſte/ worbey einer ihrer zweyen Haͤupter
vom Marbod eigenhaͤndig erlegt worden war/
ſich alſofort ſelbſt verzweiffelnde aufrieben; A-
grippa aber den Marbod mit nach Rom nahm/
und ihn beym Kayſer derogeſtalt einliebte: daß
er ihm das Roͤmiſche Buͤrger-Recht verlieh/ und
auf dem Feyer der Tugend und der Ehren/ an
welchem er Agrippens zwey Soͤhne Cajus und
Lucius zu Kindern annahm/ in dem von dem
Marius nach dem Cimbriſchen Siege der Tu-
gend und Ehre gebautem Heiligthume/ von de-
nen um des Marius Bild geflochtenen Lorber-
T t t t t t 3Kraͤntzen
[1070[1072]]Siebendes Buch
Kraͤntzen einen loß machte/ ſelbten dem Mar-
bod auffſetzte/ und ihn noch darzu mit dem De-
gen des damahls erlegten Koͤnig Bojorichs be-
ſchenckte; meldende: Er und ſein Vater haͤtten
ſich um Rom ſo ſehr verdient: daß er billich die-
ſes ſeines großmuͤthigen Landes-Mannes De-
gen zuruͤck bekaͤme. Er ward hierauf ein Haupt-
mann uͤber die Deutſche Leib-Wache/ und mu-
ſte wegen ſeiner Annehmligkeit taͤglich bey
Hofe ſeyn. Jnſonderheit aber ſtand er mit dem
Tiberius in vertraͤulicher Freundſchafft/ weil
er ihn in dem Cantabriſchen Kriege/ darinnen
er die erſte Kriegs-Wuͤrde/ als Oberſter/ er-
langte/ aus augenſcheinlicher Lebens-Gefahr
errettet hatte. Bey dieſer Gemeinſchafft ge-
rieth Marbod auch in Kundſchafft mit des Kay-
ſers Tochter Julia/ damahls des Agrippa Eh-
Weibe. Dieſe entbrannte durch hefftige Liebe
gegen den ſchoͤnen und tapfferen Marbod de-
rogeſtalt: daß als Agrippa einsmahls des Kay-
ſers Geburts-Tag in denen von ihm dem Nep-
tunus zu Ehren gebauten Spatzier-Saͤlen be-
gieng/ ſie ihr Gelegenheit nahm den Marbod
zu der Argonauten in Alabaſter kuͤnſtlich ge-
hauenen Geſchichten zu fuͤhren; und mit mehr-
mahls entfaͤrbtem Antlitze ihn um ſein Gut-
achten uͤber der Bildung Jaſons und Medeens
zu befragen. Wie dieſer nun ſo wol die Erfin-
dung/ als den Meißel des Bildhauers uͤberaus
lobte/ und meldete: daß er dieſes Bild weit uͤber
die unvollkommene Medea des Timimachus
ſchaͤtzte/ welche Kayſer Julius fuͤr achzig Talent
gekaufft/ und in der gebaͤhrenden Venus Tem-
pel geſetzt haͤtte; fieng ſie an: Es iſt wol wahr:
daß mein ſonſt ſo baͤueriſcher Ehmann dieſe
Medea von den Cyzizenern viel theuerer er-
kaufft; Meine wenigſte Sorge aber iſt um die-
ſe todten Steine. Alleine was urtheileſtu von
der Liebe dieſer ſchoͤnen Fuͤrſtin? Marbod nahm
zwar Juliens Veraͤnderung in ihrem feurigen
Antlitze wahr/ ließ ihm aber ihr Abſehen nicht
[tr]aͤumen; antwortete alſo: Er hielte ſie fuͤr eine
der treuſten und hefftigſten dieſer Welt; ſon-
derlich/ da ſie den Glantz der vaͤterlichen Krone
und Zepters auſſer Augen geſetzt haͤtte/ und ei-
nem unbekandten Auslaͤnder uͤber Klippen und
Wellen gefolget waͤre. Julia zwang hieruͤber
alle ihr Annehmligkeiten zuſammen/ und fieng
mit einem gleichſam zauberiſchen Liebreitze an:
Glaube mir/ Marbod/ wenn ich auch wuͤſte:
daß du mir eine Glauce an die Seite legen/ oder
mit mir grimmiger als Jaſon handeln wolteſt;
wuͤrde ich meines Vaters Kayſerthum und
meines Ehmanns Gluͤcke doch in Wind ſchla-
gen/ und durch Flammen und Schnee dir in
dein raues Deutſchland nachziehen. Marbod
ward durch dieſe unvermuthete Erklaͤrung
nicht nur ſeiner Sprache/ ſondern gleichſam der
Vernunfft beraubet. Weil aber Tiberius an
einer/ Terentia und Vipſania Agrippina des
Tiberius Ehfrau an der andern Ecke des Spa-
tzier ganges eintraten/ gieng Julia dieſen/ Mar-
bod aber jenem entgegen. Dieſer konte ſeine
Gemuͤths-Veraͤnderung derogeſtalt nicht ver-
decken: daß Tiberius ſie ihm nicht alſo gleich
an Augen angeſehen haͤtte. Daher lenckte er
alſofort in das nechſte Blumenſtuͤcke des Gar-
tens mit ihm ab/ und erſuchte ihn: Er moͤchte
ihm die Urſache ſeiner Verſtellung nicht ver-
ſchweigen. Marbod machte ſie ihm anfangs
zwar gantz fremde; hernach bediente er ſich ei-
nes andern Vorwands; aber der ſchlaue Tibe-
rius wolte ſich weder eines noch das andere be-
reden laſſen; ſondern/ als er wol merckte: daß
Marbod ſchwerlich ſelbſt mit einer ſo gefaͤhrli-
chen Eroͤfnung wuͤrde heraus wollen/ beſchwur
er ihn bey ihrer beyder Freundſchafft: daß/ da-
fern er es erriethe/ Marbod ihm die Warheit
nicht verſchweigen wolte. Als dieſer es ihm in
Meynung der Unmoͤgligkeit auff ſo ſeltzame
Begebenheit zu kommen angelobte/ fieng Ti-
berius an: Die Liebe iſt eine Schwaͤche der groͤ-
ſten Leute/ und die Roͤthe ihr Verraͤther; da-
her muthmaſſe ich: es werde Julia dir was von
ihrer
[1071[1073]]Arminius und Thußnelda.
ihrer Liebe entdecket haben. Marbod ſtutzte
uͤber ſo ſchleuniger Aufloͤſung ſeines Raͤthſels;
und fragte: gegen wem ſoll Julia verliebt ſeyn:
daß ſie ihr Hertz fuͤr mir ausſchuͤtten ſolte? Tibe-
rius verſetzte: Gegen wem pflegen wir diß eher
zu thun/ als gegen den/ der ſich deſſelbten ſchon
bemaͤchtigt hat? Sicherlich/ Marbod/ du trau-
eſt mir allzu bloͤde Augen und eine allzu gerin-
ge Kentnuͤß Juliens zu/ da du mir dieſe meine
Gedancken ausreden wilſt. Wormit du aber
ſo wol meiner Vertraͤuligkeit/ als des Grundes
in dieſer Sache ver gewiſſert ſeyn moͤgeſt; ſo
glaube: daß ich auch fuͤr dir auf dieſem Kampff-
Platze von Julien einen ſolchen Anfall uͤber-
ſtanden; als ſie nach dem Marcellus verheyra-
thet war; welcher ſie doch mit mehren Ergetz-
ligkeiten unterh ielt/ als der ernſte Agrippa. U-
ber diß iſt Julia gewohnet todte Bilder gleich-
ſam zu Rednern fuͤr ihre Liebe zu machen. Deñ
ſie hat mir in dem uͤber des Pompejus Schau-
Platze gebautem Heiligthume der Venus/ bey
Beſchauung der Gemaͤhlde ſo viel zugemuthet;
als die Venus iemahls dem Adonis gewehret.
Marbod/ welcher ihm zwar fuͤrgeſetzt hatte/ die-
ſes Geheimnuͤßes Wiſſenſchafft ihm allein vor-
zubehalten/ um es weder fremdem Urthel nach
Verrath zu unterwerffen/ ward durch dieſe
Vertraͤuligkeit verleitet dem Tiberius endlich
zu bekennen: daß Julia eine Zuneigung gegen
ihm haͤtte blicken laſſen. Denn die Entdeckung
eigener/ iſt der Schluͤſſel fremder Geheimnuͤſ-
ſe. Kurtz darauf begab ſich: daß der Kayſer
in Gallien reiſete; da denn Julia/ Tiberius
und Marbod ihn begleitende/ bey Patavium
des Geryons Wahrſagungs-Heiligthum be-
ſuchten/ und in dem Aponiſchen Brunnen mit
dem guͤldenen Wuͤrffel ſpielten. Dieſer heil-
ſame Brunn war durchſichtig wie ein Spiegel/
unten mit Marmel gepflaſtert/ und mit viel-
faͤrbichten Steinen/ darein allerhand Thiere
eingelegt. Julia warff zum erſten einen Wirf-
fel/ in welchem zwar anfangs eine ſechs oben
kam/ aber er wendete ſich am Bodem um/
kam auf einem See-Krebſe zu liegen/ und zeu-
gete den Hund/ als den geringſten Wurff. Ti-
berius und Marbod warffen beyde das beſte/
nehmlich die Venus; jener Wirffel aber kam
auff einer Schnecke/ dieſer auf einer Syrene
zu ſtehen. Der Prieſter des dreykoͤpſichten
Geryons/ oder der dardurch abgebildeten drey-
fachen Zeit/ weßwegen ſein aus Porphir ge-
hauenes Bild auch am Ruͤcken Fluͤgel/ an den
Fuͤſſen Renne-Schuh/ in der Hand eine Si-
chel hatte/ legte die Wuͤrffe derogeſtalt aus: daß
ſich Juliens Gluͤcks-Blat wenden/ und ſie auff
einem vom Meer umgebenen Eylande in Ein-
ſamkeit ihr Leben beſchluͤſſen/ Tiberius lang-
ſam/ Marbod zeitlich zu der hoͤchſten Wuͤrde
gelangen/ mit dieſem es aber am Ende auch
ſchlecht ablauffen wuͤrde. Dieſe Wahrſagung
machte Julien fuͤr Liebe gantz blind: daß/ wo
ſie nur einen Augenblick Zeit hatte/ dem Mar-
bod anlag mit ihr in Deutſchland zu fliehen.
Weil nun Marbod ſie ſchlechter Dings durch
eine abſchlaͤgliche Antwort zu erzuͤrnen Beden-
cken trug/ ſondern mit annehmlicher Bezeu-
gung ſtets allerhand Schwerigkeiten machte/
ſchrieb ſie ihm endlich einen Brieff/ welcher
umſtaͤndlich berichtete: wie ſie zu ihrer Flucht
alles beſtellet/ und ſeine bißherige Schwerig-
keiten aus dem Wege geraͤumet haͤtte. Dieſen
gab ſie ihrer freygelaſſenen Phoͤbe dem Mar-
bod zu uͤberbringen. Weil dieſe aber/ als Ju-
liens vertraute Kuplerin/ den Jnnhalt und An-
ſchlag wol wuſte/ aber in einen Freygelaſſenen
der Vipſania verliebt war/ entdeckte ſie ihm ihr
gantzes Vorhaben/ um ihn zur Nachfolge
gleichfalls zu bereden. Alleine ſeine Treue uͤ-
berwog dißmahl ſeine Liebe. Denn er eroͤffnete
alles der Vipſania/ dieſe dem Tiberius/ mit
Andeutung: daß ſie Juliens Untreue und
Marbods Undanck ihrem Vater Agrippa
nicht verſchweigen koͤnte. Weil nun Tibe-
rius Vipſanien das letztere nicht auszureden/
noch
[1072[1074]]Siebendes Buch
noch den Marbod des zugedachten Raubes ent-
ſchuͤtten konte; eilte er zu ihm/ eroͤffnete ihm be-
vorſtehende Gefahr; und wie ſehr gleich Mar-
bod ſeine Unſchuld betheuerte/ und derogeſtalt
durch die Flucht ſich ſchuldig zu machen an-
ſtund; ſo heredete ihn doch endlich Tiberius: daß
er bey ſeinem zwar guten Gewiſſen/ diß mahl
dem Gluͤcke als einer Stieff-Mutter einen
Schlag verzeihen/ der dringenden Noth und
der Zeit aus dem Wege treten muͤſte; weil die
Unſchuld ein genungſamer Schild wieder Ver-
dacht und Eyverſucht/ niemahls aber in den
Haͤnden der Erzuͤrnten ſicher waͤre. Alſo muſte
Marbod nur Rom mit dem Ruͤcken anſeben/
wiewol Tiberius durch ſeine Entfernung end-
lich Vipſanien bewegte: daß ſie Juliens An-
ſchlag Agrippen verſchwieg; welche ſich hieruͤ-
ber kranck einlegte/ und endlich ihre verachtete
Liebe gegen den Marbod/ welchen ſie vorſaͤtzlich
weggereiſet zu ſeyn glaubte/ in Gall und Gifft
verwandelte.
Marbod kam derogeſtalt in ſein Vaterland/
als der Hermundurer und Marckmaͤnner
Kriegs-Zuſtand gegen dem Hertzoge Britton
ziemlich ſchlecht beſchaffen war. Alleine weil
es der Marckmaͤnniſche Adel fuͤr den hoͤchſten
Glantz eines Geſchlechtes haͤlt/ wenn ihrer viel
aus ſelbtem den Degen wieder Fuͤrſten gezuͤckt
haben/ wenn ſchon ſelbte hieruͤber den Hals un-
ter das Beil des Scharffrichters buͤcken muͤſſen/
uͤber diß die Geryoniſche Weiſſagung ihm ei-
nen Muth machte auff was hohes zu dencken;
ſchlug er ſich auff die Seite des Volckes; und
ward ein Oberſter uͤber zwey tauſend Marck-
maͤnner. Fackſariff ruͤckte hierauf mit einem
verſtaͤrckten Heere fuͤr die Stadt Samulocen/
und als der Narisker Fuͤrſt Patalin ſolches ent-
ſetzen wolte/ geriethen beyde Heere in eine bluti-
ge Feld-Schlacht/ Fackſariff mit allem Kriegs-
Volcke in die Flucht; aber Marbod hielt mit
ſeinen zweytauſend Marckmaͤnnern Stand;
ſonderlich als Patalin abermahls den lincken
Fluͤgel allzuweit verfolgte/ und ſein uͤbriges
Volck der Hermundurer Geraͤthe zu pluͤndern
anfieng. Dieſes Beyſpiel des behertzten Mar-
bods/ welcher hieruͤber gleichſam Meiſter im
Felde blieb/ bewegte die Fluͤchtigen: daß ſie ſich
wieder erholeten/ ihre Feinde angriffen/ und uͤ-
ber ſie einen Haupt-Sieg erhielten. Hierauff
gieng Samolucen/ und alle Staͤdte zwiſchen
der Donau und dem Meyn uͤber; Marbod a-
ber ward fuͤr einen Erhalter der Freyheit aus-
geruffen. Sekkes ſchlug unter dem Hercini-
ſchen Gebuͤrge mit dem Fuͤrſten Britton ſelbſt
nicht obne Vortheil; gleichwol aber verließ er
etliche Plaͤtze/ die Britton beſetzte. Woruͤber
der Reichs-Rath den Sekkes aus geſchoͤpftem
Verdachte: daß er es heimlich mit dem Fuͤrſten
hielte/ ſeine Feldhauptmannſchafft nieder zule-
gen zwange; hingegen Fackſariff an ſeine
Stelle/ und Marbod ihm an die Seite geſetzt
ward. Dieſemnach zohen beyde Theile ihre
euſſerſte Kraͤfften zuſammen. Britton ward
von denen Seduſiern/ derer Druyden ſeine
Gemahlin guͤldene Berge verſprochen hatte/
die Hermundurer aber von Marckmaͤñern an-
ſehnlich verſtaͤrcket. Hierauf ruͤckten ſie ſchwer-
muͤthig zuſammen; gleich als wenn dieſer einige
Tag den Ausſchlag der Sache geben ſolte. Die
Kriegs-Haͤupter konten fuͤr Grimm ihre Voͤl-
cker nicht einſt zur Tapfferkeit ermahnen; aber
die Verbitterung reitzte einen ieden ſchon zur
Rache und Blutſtuͤrtzung an. Der hitzige Streit
gab ein Gethoͤne von ſich/ als wenn Felſen ge-
gen Felſen rennten/ und ſich auf einander zer-
ſcheuterten. Der kuͤhne Fuͤrſt Patalin und
ſein Bruder Zomir fochten im rechten Fluͤgel
wie zwey grimmige Tiger-Thiere/ jener ſtieß
dem Grafen Onethier/ der des Reichs-Raths
lincken Fluͤgel fuͤhrte/ einen Spieß durch das
dicke Bein; dieſer aber ſchmieß ihm eine lange
Hacke ins Geſichte: daß er zu Bodem fiel und
gefangen ward; woruͤber der lincke Fluͤgel in
offenbare Flucht gerieth. Hertzog Britton
ſetzte
[1073[1075]]Arminius und Thußnelda.
ſetzte in der Mitte dem Fackſariff als ein groß-
muͤthiger Loͤwe ſo hefftig zu: daß ſeine Glieder
ſchon hin und her zu wancken anfiengen. Dahe-
ro denn Fack ſariff einen Faͤhnrich/ welcher ſich
mit ſeinem Fahne umwendete/ bey der Gurgel
ergrieff/ und herum drehete/ mit der Hand aber
auf den Britton wieß/ meldende: Hier iſt der/
gegen den du dich wenden und fechten ſolſt.
Durch welche ſcharffe Ermahnung eines eini-
gen Kriegs-Mannes Fackſariff eben ſo ruͤhm-
lich/ als Kayſer Julius in der Africaniſchen
Schlacht wieder den Scipio/ die Zagheit denen
ſaͤmtlichen Hauffen benahm/ und die ſchon halb
Uber wundenen uͤberwinden lehrte. Gleichwol
waͤre die Schlacht unzweiffelbar verlohren ge-
weſt; wenn nicht Marbod mit ſeinem rechten
Brittons lincken Fluͤgel zertrennet/ und als ein
Blitz allenthalben durchgedrungen/ auch den
Fackſariff mit ſeiner Huͤlffe entſetzt haͤtte. Pa-
latin kam hier auff zwar zuruͤcke/ und brachte ei-
ne Weile Brittons Heer wieder zu Stande; ja
beyde waren ſo abgemattet: daß ſie/ gleich als
wenn ſie mit einander einen Stilleſtand abge-
redet haͤtten/ gegen einander ſtille hielten/ und
eine gute Weile verblieſen/ hernach aber ihre
Grauſamkeit ſo viel ſchaͤrffer erneuerten. Allei-
ne das Verhaͤngniß hatte beſchloſſen dieſen Tag
alle Vorſicht und Tapferkeit des Fuͤrſtens Brit-
ton durch die Kuͤhnheit und Hartnaͤckigkeit ſei-
ner Unterthanen in Staub zu legen. Dieſer
Fuͤrſt muſte ſelbſt die Tugend dieſer ſeiner Fein-
de ruͤhmen/ als welche mit ihrem Beyſpiele dem
gantzen Heere gleichſam ihre Hertzhafftigkeit
einblieſſen; und nach dem er ſein Heer zu erhal-
ten alles vergebens verſucht hatte/ jenen das
Feld und den Sieg entraͤumen; ja nicht nur
alles Fuß-Volck/ ſeine Haupt-Fahne mit ei-
nem gekroͤnten Loͤwen und Kriegs-Geraͤthe/
ſondern alle heimliche Nachrichten im Stiche
laſſen. Welcher letztere Verluſt zugleich bey
viel tauſenden die noch gegen dem Britton
glim̃ende Liebe der Hermundurer und Marck-
maͤnner vollends ausleſchte; weil aus denen uͤ-
berkommenen Nachrichten erhellete: daß
Britton denen Seduſiern den Gottesdienſt der
Druyden beſtetiget; von denen Fuͤrſten der Bu-
rier und Lygier fremde Huͤlffs-Voͤlcker bedun-
gen; die Druyden dieſe Fuͤrſten wieder den
Reichs-Rath beweglichſt verhetzet; Brittons
Gemahlin auch die gaͤntzliche Ausrottung des
Reichs-Raths eingerathen; hingegen Britton
vorher deßwegen ſeine Koͤnigin hochbetheuer-
lich verredet/ und unterſchiedene allhier ſich an-
ders befindende Dinge nicht nur dem Reichs-
Rathe/ ſondern ſeinem eigenen Heere fuͤrgebil-
det hatte. Weßwegen ſie ihm oͤffentlich fuͤrruͤck-
ten: daß wer mit GOtt ſpielte/ kein Gewiſſen
haben koͤnte Menſchen hinters Licht zu fuͤhren.
Wiewol es nun ihm auch bey denen ſchlim̃ſten
Zufaͤllen niemahls an Rath und Hertze mangel-
te; er auch bald dar/ bald dort kleine Kriegs-
Heere zuſammen raffte; ſchien doch aller Stern
und Gluͤcke/ welches der Apffel im Auge der
Klugheit und die Hertz-Ader in der Tapferkeit
iſt/ verſchwunden zu ſeyn/ und eine Niederlage
der andern die Hand zu bieten. Marbod nahm
gleichſam ſpielende die feſteſten Oerter/ und
Fackſariff die faſt unuͤberwindliche Stadt Bri-
gobanna ein/ ungeachtet Fuͤrſt Patalin ſolche
ſelbſt vertheidigte/ und wegen der Ubergabe
beym Britton in nicht geringen Verdacht fiel.
Woruͤber dieſer Fuͤrſt und ſein Bruder nebſt
vielen andern tapfern Kriegs-Leuten unwillig
waren/ ſo wol den Britton/ als ſeine Laͤnder ver-
lieſſen; und durch ihr Beyſpiel erhaͤrteten/ wie
ſchwer es ſey einem leicht argwoͤhniſchen Fuͤr-
ſten zu dienen; beſonders bey ungluͤcklichen
Laͤufften; da ſelbter nach Art der Krancken auch
fuͤr denen beſten Speiſen Eckel kriegt. Ja
Britton verlohr in drey Monaten mehr/ als er
in drey Jahren gewonnen hatte. Denn ob
wol der Ritter Roſenberg bey den Marckmaͤn-
nern unterſchiedene Siege fuͤr ihn erhielt/
ſchien doch das Gluͤcke ihn nur zu aͤffen. Denn
das Blat wendete ſich bald wieder; und
Britton ſelbſt entkam mit genauer Noth in das
Erſter Theil. U u u u u uNa-
[1074[1076]]Siebendes Buch
Nariskiſche Gebuͤrge. Ja endlich ward er
gantz wehrloß/ und in einem Schloſſe belaͤgert/
aber durch etliche Marckmaͤnner verleitet: daß
er verkleidet in Knechtiſcher Tracht mit abge-
ſchnittenen Haaren ſich zu dem Marckmaͤnni-
ſchen Kriegs-Heere fluͤchtete/ und von dar ſei-
nen Kriegs-Oberſten Befehl zuſchickte: daß ſie
die noch uͤbrigen Feſtungen dem Reichs-
Rathe abtreten ſolten. Mit welchen denn
auch das Hertzogliche Schwerdt/ das Sie-
gel und andere Kleinodien in ihre Haͤnde
kamen/ und ſchimpflich zerbrochen wurden.
Denn ſo bald ein Fuͤrſt dem Volcke ſeine
Schwaͤche des Gemuͤthes zeiget/ giebt er ihm
Gewalt ihn zu beſchimpffen. Britton hatte
zwar gemeint/ bey den Marckmaͤnnern ſichere
Schutz-Fluͤgel zu finden; er erblickte aber zeit-
lich ihre Klauen. Denn wie dieſe ihn bald
anfangs nicht viel beſſer als einen Gefangenen
hielten; alſo deuteten die Hermundurer ſeine
Flucht zu ihrer Verkleinerung aus/ und um
dieſe Schmach zu raͤchen/ brachten ſie theils mit
Geſchencken/ theils mit Draͤuungen Brittons
Ausfolgung zu wege/ und ihren Fuͤrſten ins
Gefaͤngnuͤß. Bey welcher ſeltzamen Veraͤn-
derung unſchwer zu ermeſſen iſt; was fuͤr Bit-
terkeit dieſer groſſe Fuͤrſt aus ſo herben Trach-
ten des Gluͤckes zur Nahrung muͤſſe an ſich ge-
zogen haben. Denn Fuͤrſtliche Gemuͤther ſind
eben ſo wenig/ als andere aus unempfindlichem
Kieſelſteine; ja weil ſie von Geburt viel zaͤrter/
und ins gemein des Elendes ungewohnter ſind/
iſt unſchwer zu ermeſſen: daß ſolche Gallen-
Traͤncke ihnen eine unver deuliche Speiſe ſeyn
muͤſſen.
Marbod hatte durch dieſen Krieg nunmehr
einen Uberfluß von Ruhm/ und eines ſeiner
Abſehn/ nehmlich die Entwaffnung des ſo
maͤchtigen Fuͤrſten erreichet. Allein es lagen
ihm noch zwey ſchwere Steine auff dem Her-
tzen. Denn weil der Ehrgeitz ſich auch mit
demſelben erlangten Wuͤrden-Maße nicht er-
ſaͤttigt/ welches er doch nur anfangs in ſeinem
hoͤchſt unverſchaͤmten Wunſche angezielet hat-
te; inſonderheit aber neben ſich keinen ſeines
gleichen/ und uͤber ſich keinen hoͤhern vertragen
kan; ſo ſaan Marbod Tag und Nacht den Feld-
Hauptmann Fackſariff aus dem Sattel zu he-
ben/ und zu verhindern: daß Britton nicht al-
les/ was ihm der Reichs-Rath fuͤr mahlte/ un-
terſchrieb/ und er hierdurch wo nicht die Ge-
walt/ doch den Schatten eines Fuͤrſten erlang-
te; auf welches Fackſariff zu zielen ſchien/ wor-
mit er im Wercke das Hefft in Haͤnden behalten
moͤchte. Welches dem Fackſariff ſo viel leich-
ter vorkam/ weil Fuͤrſt Patalin dem Hertzoge
Britton ohne diß fuͤr laͤngſt gerathen hatte: Er
ſolte alles/ was nur ſein Volck verlangte/ wie
unrecht und ſchimpflich es auch ſchiene/ auf eine
Zeit eingehen. Denn hartnaͤckichte Gemuͤther
wuͤrden ſo wenig/ als kollernde Pferde durch ei-
nen Zaum und ſtarckes Anhalten gebaͤndigt/
ſondern man muͤſte beyden den Zuͤgel ſchuͤſſen
laſſen. Und ein Feind/ der einem zu maͤchtig
waͤre/ muͤſte durch Ruh und Friede entkraͤfftet/
ſein Kriegs-Volck durch Muͤßiggang und
Wolluͤſte verzaͤrtelt/ die Wiederſpenſtigen
durch Geſchencke und Befoͤrderung auff ſeine
Seite; die Verfuͤhrten durch die beſte Lehrmei-
ſterin die Zeit zu rechte gebracht/ denen Bund-
genoſſen ſich ſelbſt zu zancken Lufft gemacht/ und
ihnen die Suͤßigkeit einer Fuͤrſtlichen Herꝛ-
ſchafft gegen die Drangſal vieler Oberherren
gezeuget werden. Das gemeine Volck muͤſte
man ſeine Hefftigkeit ausdampffen/ und ihre
erſte Hitze abkuͤhlen laſſen. Denn es waͤre wie
die Hirnßen beſchaffen/ welche mit ihrem erſten
Stiche zugleich den Stachel einbuͤſten. Es waͤ-
re ſo leichtſinnig ſeinen Vorgaͤnger zu verlaſ-
ſen/ als ſeinem Verleiter vorher zu folgen. Es
bewegte ſich von einem Athem wie das Meer
von einem kleinen Luͤfftlein; und erſtecke die/
welche ſich ihm vertrauten. Alſo haͤtte Auguſt
den maͤchtigen Seeheld Sextus Pompejus
durch
[1075[1077]]Arminius und Thußnelda.
durch einen ſcheinbaren Frieden geſchwaͤchet:
daß er kaum auf einem Nachen entkommen; A-
gathocles und Antigonus aber ihre Koͤnigliche
Gewalt dardurch behauptet; da ſie Kron und
Zepter dem aufruͤhriſchen Volcke fuͤr die Fuͤſſe
geworffen.
Marbod hatte gleichwol ſeinen endlichen
Zweck zu erlangen einen ziemlichen Grundſtein
gelegt/ in dem er ſich durch Freygebigkeit und
Befoͤrderung der Wolverdienten bey dem Hee-
re/ durch fuͤrgebildete Einfuͤhrung aber einer
Buͤrgerlichen Herꝛſchafft bey dem gantzen Vol-
cke uͤberaus beliebt gemacht. Denn Geſchen-
cke und Freyheit ſind die zwey Klammern/ wel-
che die Kronen auch auf eines Wuͤtterichs
Haupte befeſtigen. Keine andere Tugend eines
Fuͤrſten iſt allen Unterthanen beliebt. Denn
die Rachgierigen wuͤnſchen einen grauſamen/
die Wolluͤſtigen einen uͤppigen/ die Ehrgeitzi-
gen einen albern/ die Boßhafften einen unge-
rechten Fuͤrſten. Allen dieſen aber gefaͤllt ein
Wolthaͤtiger. Ja die Freygebigkeit macht alles
Thun eines Fuͤrſten reiff/ das boͤſe gut/ das gute
beſſer. Sie entſchuldiget alle Fehler im Leben/
und bereichert auch den Tod mit Thraͤnen der
Unterthanen. Mit dieſer Angel hatte Marbod
ſchon die meiſten Gemuͤther gefangen/ als ſich
ihm die Gelegenheit das Hefft alleine zu behal-
ten in die Hand ſpielte. Denn der Reichs-Rath
ſahe vernuͤnfftig: daß er nunmehr allererſt ſich
fuͤr dem groͤſten Feinde fuͤrzuſehen haͤtte/ da kein
Feind zu bekaͤmpffen mehr verhanden war.
Denn weil das Kriegs-Volck zwar den Sieg/
nicht aber den Frieden gerne hat/ machet es ihm
auch gegen ſeine Freunde was zu thun. Daher
beſchloß der Rath ein Theil deſſelbten abzudan-
cken/ und dardurch ſo wol das Volck der Ver-
pflegung/ als ſich der Sorgen zu entbuͤrden;
vorher aber ſelbte zu zertheilen. Alſo ergieng
ein Befehl: daß die Helffte wieder die aufruͤhri-
ſchen Seduſier ziehen ſolten. Marbod ließ durch
ſeine Vertrauten diß nicht allein dahin deuten:
daß man fuͤr ihre treue Dienſte und den ruͤck-
ſtaͤndigen Sold ſie auſſer Landes auf die
Schlachtbanck lieffern wolte/ ſondern auch aus-
ſtreuen: es ſolten die Kriegs-Voͤlcker unterge-
ſteckt/ die Befehlhaber abgedanckt werden.
Hieruͤber kam das Kriegs-Volck mit vielem
Wehklagen an Marbod; Sintemahl es ſelbtem
weher thut von den Seinigen veraͤchtlich gehal-
ten/ als vom Feinde uͤberwunden werden.
Marbod machte ihm des Reichs-Raths Vor-
haben zwar fremde; vorgebende: Er koͤnte ſelb-
tem ſo grauſamen Undanck nicht zutrauen: daß
ſie ſo wol verdiente Kriegs-Leute/ welche die
Merckmahle ihrer Tapfferkeit mit ſo viel Nar-
ben zeigeten/ derogeſtalt beleidigen ſolte; er bließ
aber unter der Hand das Feuer ſo weit auf: daß
das gantze Heer ſich verſchwor/ ſich nicht tren-
nen/ noch auſſer Landes ſchleppen zu laſſen;
ſondern es drang vielmehr auf Befriedigung;
und erinnerte den Rath nunmehr des Volckes
Glauben und Freyheit zu befeſtigen. Der
Reichs-Rath hielt dieſes Beginnen fuͤr eine
Kuͤhnheit weniger unruhigen Koͤpffe; ſonder-
lich/ weil Fackſariff und etliche andere Haͤupter
nichts hierum wiſſen wolten; erklaͤrte ſie daher
fuͤr Verraͤther. Welches das Kriegs-Volck
ſo verbitterte: daß ſie geraden Weges nach
Calegia ruͤcken und Rache uͤben wolte. Mar-
bod zohe hiermit die Larve vom Antlitz/ pflich-
tete dem Buͤndnuͤße des Kriegs-Volckes bey;
iedoch beſaͤnfftigte er ein wenig ihre allzuwilde
Entſchluͤſſung; Hingegen brachte er den Fuͤr-
ſten Britton aus der Verwahrnuͤß des Reichs-
Raths in die Haͤnde des Kriegs-Volckes; und
endlich auch den Feldhauptmann Fackſariff auf
ſeine Meynung; die Einwohner aber dahin:
daß ſie ihnen viel tauſend Beſchwerden wieder
unterſchiedene Glieder des Raths einhaͤndig-
ten. Hierauff ruͤckte das Kriegs-Heer gegen
Calegia zu/ und begehrte obige Glieder aus
dem Rathe zu ſtoſſen. Denn dieſes iſt das Mei-
ſterſtuͤcke aller verſchmitzten Aufruͤhrer: daß ſie
U u u u u u 2nicht
[1076[1078]]Siebendes Buch
nicht der Obrigkeit ſelbſt/ wenn ſie es ſchon im
Schilde fuͤhren; ſondern nur etlichen Gliedern
oder Beampteten derſelben die Stirne bieten/
da ſie anders einen Beyfall der Gemeine ver-
langen. Sintemahl dieſes nicht behertzigt:
daß Jrrthuͤmern und Schwachheiten unter-
worffene Menſchen in Aemptern ſitzen/ und
die Amptleute durch Auffruhr oder auch durch
ihre Verwechſelung ſelten verbeſſert werden;
ja die Haͤupter des Aufruhrs meiſt die laſter haff-
teſten Leute ſind/ welche durch dieſe gifftige Artz-
ney andern ab/ und ihnen in Sattel helffen wol-
len; wormit ſie wie der Scorpion im Himmel
dem Lande ſo viel mehr Schaden anfuͤgen koͤn-
nen. Dahero ſelten ein Wuͤtterich geſtuͤrtzt
worden; es haben die Werckzeuge hernach ſich
ſelbſt um ſeinen Stab gezancket/ und einen
Bluthund ausgebruͤtet. Wenn nun aber die
Aufruͤhrer das Volck ſo weit verleitet: daß ſie ih-
ren Fuͤrſten ihm durch ſchwere Mißhandlung
unverſoͤhnlich gemacht; ſo greiffen ſie ihm als-
denn ſelbſt nach der Gurgel. Dieſes erfolgte
auch bey dem Reichs-Rathe der Hermundurer.
Denn als gleich die beſchuldigten Glieder ſich
aus dem Staube machten; weil ſie mehrmahls
ſelbſt im Rathe gehoͤrt hatten: Wie ein Menſch/
der ſich ſelbſt zu erhalten im Gewiſſen verbun-
den iſt/ nichts minder fuͤr einen Selbſt-Moͤrder
zu halten waͤre/ wenn er nicht das von dem kal-
ten Brande angeſteckte Glied abſegete; als der
ſich durch Hunger toͤdtet; alſo verwahrloſete
auch eine Obrigkeit/ bey welcher das gemeine
Heil das oberſte Geſetze waͤre/ das gemeine We-
ſen/ wenn ſie einen oder den andern darfuͤr ab-
zuſchlachten allzu barmhertzig waͤre/ nichts
minder als die in einem Schiffe lieber ins ge-
ſamt er hungerten/ als einen einigen Menſchen
zur Speiſe verbrauchten. Dennoch war das
Kriegs-Heer mit dieſer fluͤchtigen Unrathe
nicht vergnuͤgt; ſondern ie mehr es ſich von dem
Rathe gefuͤrchtet/ oder ſeinem Begehren gewill-
fahret ſahe; ie hoͤher ſpannte es den Bogen ſei-
ner Forderungen; ſuchte der in der Stadt Ca-
legia liegenden Beſatzung ihre eigene Kriegs-
Haͤupter fuͤrzuſetzen/ und ruͤckte endlich ſelbſt
darfuͤr; alſo: daß der Reichs-Rath/ um zwiſchen
dem Hertzoge Britton und dem Kriegs-Heere
Argwohn und Zwytracht zu ſtifften/ Brittons
andern Sohn Obiak zu ſeinem Haupte erklaͤrte.
Das Kriegs-Heer aber lachte uͤber dieſem
Kunſt-Stuͤcke/ und loͤſete dieſen Zweifels-Kno-
ten mit der Schaͤrffe ſeiner Degen auf; brachte
es alſo dahin: daß die Stadt dem Fack ſarif ſelbſt
die Schluͤſſel entgegen brachte/ und die Feſtung
darbey einraͤumte. Alſo zohe das gantze Heeꝛ mit
Sieges-Zweigen in die Stadt/ ſeine Haͤupter
vernichteten was der Rath eine zeitlang geſchloſ-
ſen hatte/ eꝛwehlten einen gantz neuen Rath/ und
ſetzten viel Glieder des vorigen in Gefaͤngnuͤß/
ſchaͤtzten die Buͤrgerſchafft/ und richteten alles
nach ihrer Willkuͤhr viel anders ein. Hertzog
Britton/ dem das Kriegs-Heer anfangs in ſeine
erſte Hoͤhe und Gewalt zu ſetzen weiß gemacht/
und der ſeine Kinder zur Hand geſchafft hatte/
ward inzwiſchen von Fackſarif und Marbod/
welche beyde von dem Fuͤrſtlichen Hauſe der
Hermundurer Vaͤter des Reiches und Erloͤſer
des Fuͤrſten waren ausgeſtrichen worden/ mit
leerer Hoffnung eines Vergleiches geſpeiſet/ ſei-
ne getreue Diener ihm von der Seite geriſſen;
und deßwegen er von einigen Vertrauten ge-
warniget: daß er ſich gegen das Kriegs-Volck/
als einem tauben und hartnaͤckichten Thiere/
nichts guts noch friedliches zu verſehen haͤtte/
ſondern Fackſariff und Marbod nunmehr um
ſeinen Kopff ſpielten. Daher er ſich auf die
Flucht in das Herciniſche Gebuͤrge begab; aber
von dem/ bey dem er ſeine Sicher heit zu erlan-
gen verhofft hatte/ ſelbſt angehalten ward. Hier-
auf brach der neue Rath und das Heer mit grau-
ſamen Beſchuldigungen herſuͤr/ hinter welche
man allererſt kommen waͤre; nemlich: Britton
haͤtte ſeinen Vater durch Gifft hingerichtet; die
Barden und Eubagen von den Cheruskern
nicht
[1077[1079]]Arminius und Thußnelda.
nicht allein unterdruͤcken laſſen/ ſondern auch
die Seduſier zu ihrer Vertilgung angeſtifftet.
Daher waͤre er weder der Wiedereinſetzung
und Fuͤrſtlichen Wuͤrde faͤhig/ noch der Her-
mundureꝛ Freyheit mehr anſtaͤndig einem eini-
gen Menſchen uñ ſeinen ungleichen Gemuͤths-
Kranckheiten ſich zum Knechte zu machen. Deñ
weil die Kriegs-Haͤupter ihm ſeine Wiederein-
ſetzung ſo hoch betheuert hatten; Treu und
Glauben brechen aber ein ſo heßliches Laſter iſt/
deſſen ſich auch Moͤrder und Diebe ſchaͤmen/
muſten ſie ihre Untreu mit ſolchen Beſchwaͤr-
tzungen entſchuldigen. Wiewol nun dieſer letz-
te Schluß dem Volcke wie ein Donnerſchlag
durchs Hertze gieng/ in dem es ihm nie hatte
traͤumen laſſen: daß der Vorwand der Frey-
heit auf die gaͤntzliche Ausrottung der Fuͤr ſtli-
chen Gewalt gemuͤntzt waͤre/ und deßwegen die
Hermundurer hin und wieder die Waffen fuͤr
ihren Hertzog er grieffen/ war ihnen doch Mar-
bod allenthalben/ ehe ſie ſich vereinbarten/ als
ein geſchwinder Falcke den ohnmaͤchtigen Tau-
ben auf dem Halſe; welche hernach meiſt als
Verraͤther von dem Scharffrichter abgethan
wurden. Gleichwol aber ſtieg den Marck-
maͤnnern die gemeine Beſchuldigung: Sie
haͤtten ihres Fuͤrſten Blut um Geld verkaufft/
und Brittons ihren Geſandten gegebene Ant-
wort: daß er ſich bey ſeinen Kaͤuffern werthge-
ſchaͤtzter hielte/ als bey ſeinen Verkaͤuffern/ dero-
geſtalt zu Hertzen: daß ſie unter dem Fuͤrſten
Namiloth ein Kriegs-Heer von zwantzig tau-
ſend Mann fuͤr den Hertzog Britton wieder die
Hermundurer fuͤhrten. Alleine Marbod/ wel-
cher gleichſam das Gluͤcke an einer Schnure
fuͤhrte/ ſchlug ſie nicht allein auffs Haupt/ ſon-
dern kriegte auch den Namiloth gefangen; ja er
drang biß in das Hertze der Marckmaͤnner/ und
zwang ſie alles diß/ was das Hermunduriſche
Kriegs-Heer und der neue Rath beſchloſſen hat-
te/ zu belieben. Hiermit kam Fackſariff und
Marbod mit Siegs-Gepraͤnge nach Calegia/
und wiewol etliche von Marbods Geſchoͤpffen
einriethen/ um die Hertzogliche Gewalt zu be-
graben den Fuͤrſten Britton durch Gifft hin-
zuꝛichten/ fiel doch endlich der Schluß dahinaus:
Man ſolte wie wieder alle Verbrecher/ alſo auch
wieder den Herzog ſelbſt durch Urthel und Recht
verfahren/ und ſeinen mit der Mutter zu denen
Buriern gefluͤchteten Sohn Jubill bey Verluſt
ſeines Erbrechts fuͤr den Reichs-Rath betagen.
Der Blut-Rath ward alſofort beſetzt/ und zwar
meiſt aus dem Poͤfel und von eitel ſolchen Leu-
ten/ die den Hertzog vorher auffs euſſerſte belei-
digt hatten/ und ihm dannenher auch Spiñen-
feind ſeyn und ſein Emporkom̃en aͤrger als den
Tod fuͤrchten muſten. Weßwegen auch/ oder
weil niemand einer Miſſethat und grauſamen
Miß geburt Mutter ſeyn wil/ und die/ welche
ein Laſter am meiſten eingeruͤhrt/ doch den Na-
men nicht haben wollen/ ſondern am erſten die
Haͤnde waſchen/ Fackſariff nicht zu bereden
war: daß er bey dem Blutgerichte eine Stelle
bekleidet haͤtte. Seine Anklage beſtand darin-
nen: daß er aus einem mit gewiſſen Richtſchnu-
ren umſchraͤncktem Fuͤrſten/ ſich zu einem nach
eigner Begierden herꝛſchendem Wuͤtterich ge-
macht/ den alten Gottesdienſt/ die Freyheit und
die Grundgeſetze des Reiches zerſtoͤren wollen/
wieder den Rath und das Volck einen blutigen
Krieg gefuͤhret/ fremde Voͤlcker ins Land beruf-
fen/ und wieder die Eubagen die Seduſier zu
Brand und Mord gereitzet haͤtte. Britton hoͤr-
te die Anklage mit unveraͤndertem Geſichte/
ſchuͤtzte aber vor: daß er als Hauptund Fuͤrſt der
Hermundurer keinen hoͤhern unter der Soñen
uͤber ſich; und ſeine Unterthanen nicht fuͤr ſeine
Richter erkennte. Fuͤrſten waͤren uͤber alle Ge-
ſetze/ koͤnten alſo nicht ſuͤndigen; da aber auch das
Volck uͤber ihr Oberhaupt/ und die Gewalt uͤbeꝛ
ſeinen Kopf zu urtheilen kein mit dem ſchuldigen
Gehorſam vertraͤgliches Ding waͤre/ haͤtte nicht
das hunderſte/ weniger das meiſte Theil ſeine
Feinde zum Richter erkieſet. Alſo wuͤrde
durch dieſe Gewalt-That nicht nur er/ ſondern
die Freyheit des Volckes auch wieder die
U u u u u u 3grau-
[1078[1080]]Siebendes Buch
grauſamſten Laſter ihren Unwillen zu bezeugen
beleidiget; welches letztere doch den knechtiſchſten
Voͤlckern unverſchrenckt waͤre. Alleine der
Ober-Richter antwortete ihm: Ein Fuͤrſt waͤ-
re wegen des Volckes/ nicht ein Volck wegen
des Fuͤrſten; dieſer koͤnte nicht ohne jenes/ aber
jenes wol ohne den Fuͤrſten ſeyn; und alſo waͤre
er zwar hoͤher/ als ieder vom Volcke/ aber nicht
uͤber alles Volck. Dannenher haͤtten Fuͤr-
ſten/ inſonderheit in dem freyen Deutſchlande
GOtt/ das Geſetze und den Reichs-Rath uͤber
ſich; welcher das gantze Volck/ wie der Fuͤrſt
nur ſeinen Verwalter fuͤrſtellte. Alſo haͤtten
die Stadt-Voͤgte zu Rom/ die Auffſeher zu
Sparta/ der oberſten Vorſteher Thun unter-
ſucht und geurtheilt. Ein Fuͤrſt bleibe ſo lange
das Haupt eines Volckes/ ſo lange er deſſen
Schutz-Herꝛ waͤre. Er entſetzte ſich aber ſeiner
Wuͤrde ſelbſt/ wenn er ſich zum Wuͤtterich
machte; denn darmit hoͤret die Einwilligung
des Volckes auff/ welche allezeit dieſe Bedin-
gung in ſich begrieffe. Nach dem nun Britton
auff ſeiner keinem Richter unterwuͤriffigen Ho-
heit beruhete/ und auff die Anklage ſich nicht
hauptſaͤchlich einlaſſen wolte/ ward von dem o-
berſten Richter/ der bey des Hertzogs Abtritte
ein blutrothes Kleid angezogen hatte/ wieder ihn
zu einem denckwuͤrdigen Beyſpiele der Nach-
Welt des Todes Urthel gefaͤllt.
Die Cheruskiſchen/ Frieſiſchen und Burier
Geſandten/ derer Fuͤrſten ſich in dieſen Jnn-
laͤndiſchen Krieg theils wegen der zwiſchen den
Catten und Cheruskern entſtandenen Unruh/
theils aus Beyſorge nicht mehr Oel ins Feuer
zu gieſſen/ mit Fleiß nicht eingemiſcht hatten/
muͤhten ſich nunmehro das zeither unglaubliche
Fuͤrnehmen der Hermundurer wieder ihren
Fuͤrſten zu hintertreiben. Sintemahl kein de-
nen Fuͤrſten ſchaͤdlicheres Geheimnuͤß iemahls
ans Licht kommen koͤnte; als daß ein Volck
Macht habe uͤber ſein Oberhaupt ein Blutge-
richte zu hegen. Es erlangte hierauff der Che-
ruskiſche beym Fackſariff/ der Frieſiſche beym
Marbod/ und der Buriſche beym Ober-Richter
wiewol mit ſchwerer Muͤh Verhoͤr. Fackſariff
zohe uͤber allem dem/ was ihm eingehalten
ward/ die Achſeln ein; und wiewol er ſich nicht
wagen dorffte das Blut-Gerichte zu unbilli-
chen/ gab er doch zu verſtehen: daß ſeine im
Felde gehabte Gewalt nach geendigtem Kriege
mercklich verfallen waͤre; und bey ihm itzt mehr
der Schatten/ als die Macht uͤber das Kriegs-
Volck beſtuͤnde. Gleichwol aber blieb er im
Verdacht: daß er die Herꝛſchens-Wuͤrde/ als
ein durch ſo viel Heldenthaten beruffener Her-
cules mit ſeinen Achſeln zu unterſtuͤtzen vorhaͤt-
te/ wenn dieſe ſchwere Kugel den Fuͤrſten Brit-
ton wuͤrde zermalmet haben. Daher der Che-
ruskiſche Geſandte auf eine weitlaͤufftige Aus-
fuͤhrung verfiel: daß niemand auf demſelben
Eiſe koͤnne feſte ſtehen bleiben/ wo er einem an-
dern das Bein unter geſchlagen haͤtte. Fuͤrſten
haͤtten nicht nur ihre Nachfolger/ ſondern auch
das Volck/ welches anfangs mit zuſammen ge-
ſchlagenen Haͤnden uͤber ſie frolockte/ verfluch-
te ſie hernach/ und brauchte ihre eigene Werck-
zeuge wieder ſie zu Raͤchern. Denn die letztern
lernten ſie wegen ihrer ſelbſt eigenen Gefahr
erſtlich fuͤrchten; hernach aber haſſen und endlich
toͤdten. Das neubegierige Volck hielte ohne diß
die Gramſchafft gegen die Obern fuͤr eine Art
ihrer Freyheit und fuͤr Ergoͤtzligkeit auff ihre
Haͤupter wuͤten. Weil es das Gute nicht
zu unterſcheiden wuͤſte/ nuͤtzete keine Tugend;
weil es ein vielkoͤpfichtes Ungeheuer/ huͤlffe
keine Gewalt; und weil es ein Thier/ welches
entweder eitel Schlangen-Gaͤnge hat/ oder gar
keine Spure nach ſich laͤſt/ waͤre keine Klugheit
genung ſelbtes im Zaume zu halten/ und ſich zu
verſichern. Die ermangelnde Gelegenheit
ihren Grimm auszuuͤben verdeckte nur/ aber
vertilgte nicht ihre Verbitterung/ wie die Win-
ter-Kaͤlte das Leben der Fliegen/ Froͤſche und
Schwalben. Muth und Eiſen koͤnten wol ein
Land
[1079[1081]]Arminius und Thußnelda.
Land zur Einoͤde machen; aber nicht den Sa-
men der Verraͤtherey austilgen. Eine in hun-
dert Stuͤcke zerkerbte Schlange waͤre durch
Zuthat des Regen-Waſſers und der Sonnen-
Hitze/ der Safft einer zerquetſchten Raupe ein
Saam-Werck tauſend anderer. Jn den Aeſ-
ſern unſchaͤdlicher Storche ſteckte ein Nattern-
Brut; aus Weſpen wuͤchſen gifftige Wuͤrmer/
aus Huͤnern Spinnen. Alſo waͤre das Blut
der Verraͤther durch die Krafft der Verbitte-
rung ein Saamen viel hitziger Meuchelmoͤr-
der. Ja der gewaltſamen Herꝛſcher eigene
Bluts-Freunde wuͤrden durch des Poͤfels Heu-
cheley und eigene Ehrſucht angeſteckt; daß ſie
wie das Blut der mit Fleckfebern oder Peſt be-
haffteten Menſchen in eigenen Adern Wuͤr-
mer gebaͤhren/ die den Drat des Lebens und der
Herꝛſchafft mit einander zerbieſſen. Dieſem-
nach ſolte ihm ja keiner traͤumen laſſen: daß er
ſich auff Brittons zerſchmettertem Stul wuͤr-
de feſte ſetzen koͤnnen; oder auch: daß der lange
bluͤhen koͤnte/ der die Staude ſeines Gluͤckes
mit Blute tingete/ und auf Graͤber pflantzte.
Fackſariff aber beruhete bey Fuͤrſchuͤtzung ſei-
ner Unvermoͤgenheit/ mit der Betheuerung:
daß er ſo wenig ſeine Erhoͤhung/ als Brittons
Untergang ſuchte. Denn er wuͤſte wol: daß
Fuͤrſtliche Geſchlechter der Keule des Hercules/
und dem Spieſſe des Romulus gleich waͤren.
Denn wie dieſe mit friſchen Hayn-Buchen/ je-
ne mit Oelzweigen ausgeſchlagen/ als ſie ieder-
man laͤngſt fuͤr verdorrt geſchaͤtzt; alſo kaͤmen
Fuͤrſtliche Reyſer mehrmahls empor/ wenn
man meinte/ der Stamm-Baum waͤre mit
Strumpff und Stiel ausgerottet. Marbod
ſetzte allen Gruͤnden der Frieſiſchen Geſandten
entgegen: das gemeine Heil waͤre das oberſte
Geſetze/ welchem die Hoheit aller Koͤnige muͤſte
nachgeben. Die Hermundurer haͤtten nun
lange genung unter dem Joch ihrer blutgieri-
gen Fuͤrſten geſchmachtet; alſo muͤſten ſie nun-
mehr/ da ihnen GOtt die Macht und das
Recht verliehen haͤtte/ itzige Gelegenheit ſich in
die edle Freyheit zu ſetzen nicht aus den Haͤn-
den laſſen. Britton muͤſte entweder herꝛſchen/
oder ſterben/ weil ſeine Geburts-Art kein Mit-
tel vertragen koͤnte; alſo: daß er ſich lieber des
Lebens/ als der Herꝛſchafft verzeihen/ oder auch
ſeine Enteuſſerung durch verzweiffelte Ent-
ſchluͤſſungen den andern Augenblick zuruͤck zie-
hen wuͤrde. Sein Sohn Jubill habe von ihm
den Ehrgeitz geerbet/ von der Mutter das
Gifft der Druyden in ſich geſogen/ und wuͤrden
ſie durch ſeine verwechſelte Herꝛſchafft das Bet-
te/ nicht die Kranckheit aͤndern. Fuͤrſten von
ſo hohem Gebluͤte wuͤrden meiſt durch uͤbermaͤſ-
ſige Liebe ihrer Eltern oder durch Einbildung:
daß auch die Flecken ſo hoher Sonnen die Welt
zu erleuchten tuͤchtig waͤren/ verzaͤrtelt/ oder die
Hoͤflinge/ durch derer Augen und Ohren ſie al-
lein ſaͤhen und hoͤrten/ verterbten ſie/ weil ihre
Heucheley und die Begierde ſich einzulieben
ihre Boßheiten als Tugenden preiſete/ ihr Ehr-
Geitz ihn mehr ungeſchickt als klug zu machen
bemuͤht waͤre/ wormit ſeine Scharffſichtigkeit
nicht ihre Tuͤcken ergruͤnde/ noch ihnen durch
Anmaſſung eigener Herꝛſchafft das Hefft aus
den Haͤnden winde. Wenn nun die Wurtzel
der Untugend derogeſtalt bey ihnen erſtarrt/
waͤre durch keine Klugheit auff ſo wilde Staͤm-
me eine ſuͤſſe Frucht zu pfropffen. Die Ehr-
ſucht/ welche die Niedrigen auf die Bahn der
Tugend leitete/ waͤre Fuͤrſten ein Leit-Stern
zu allen Laſtern/ ja ſie ſchaͤmten ſich auff einer
dem Poͤfel erlaubten Mittelbahne zu gehen/
und durch Beobachtung der Geſetze ſich einem
Buͤrger zu vergleichen. Gleich als wenn die
Fuͤrſtliche Hoheit in dem beſtuͤnde: daß ſie nicht
was gutes; ſondern was ihr beliebte/ ausuͤben
doͤrffte. Und ob zwar es eine Seltzamkeit waͤre/
wenn ſelbte nicht einen niedrigern Geiſt/ als
Knechte haͤtten/ hielten ſie doch die groͤſſeſten
Gemuͤther fuͤr Leibeigene: daß ihre Macht in
der Ohnmacht uͤber ihre Begierden beſtuͤnde;
und
[1080[1082]]Siebendes Buch
und daß den Willen im Zaume zu halten die al-
lerſch impflichſte Dienſtbarkeit waͤre. Dieſem-
nach denn die Herꝛſchafft eines einigen ſolchen
Menſchen nichts anders/ als das Elend des
gantzen Volckes nach ſich ziehen koͤnte; als mit
deſſen Unluſt er alleine ſeine Luſt zu buͤſſen ver-
meinte. Zwar weil bey einer gemeinen Herꝛ-
ſchafft die Belohnungen ſo groß nicht waͤren/
als bey der Fuͤrſtlichen/ findete dieſe mehr/ als
jene Lobſprecher; und/ weil allhierkeine ſo groſſe
Abgoͤtter ans Bret kaͤmen/ wie an den Hoͤfen/
in dieſen auch den Laſtern mehr durch die Fin-
ger geſehen/ und mehr das Gebluͤte als die Tu-
gend in acht genommen/ ja durchgehends da-
ſelbſt/ wo beym Volcke die Gewalt beſteht/ man
minder das Gute empfindete/ als des Boͤſen
entuͤbrigt waͤre/ ſo waͤren die Ehrſuͤchtigen
meiſt nach der einkoͤpfichten Herꝛſchafft luͤſtern;
und zwar meiſt darum/ weil ſie mit ihrem
Wachsthum andere Buͤrger zu verdaͤmpffen
hofften. Ja ſo gar ein vernuͤnfftiger und von
Natur guter Fuͤrſt muͤſſe ſeiner Sicherheit hal-
ber gleichſam aus dem Geſchirre ſchlagen/ und
dahin arbeiten: daß niemand ſo reich und maͤch-
tig werde/ fuͤr dem er ſich zu fuͤrchten habe; daß
niemand durch Tugend ſich beym Volcke be-
liebt/ und auf den Nothfall einen Anhang ma-
che; daß kein treuer Stadthalter lange einem
Orte fuͤrſtehe/ und keine Stadt unzwingbar
werde. Weßwegen ſo viel tugendhaffte Leute
Zepter und Krone mit Fuͤſſen von ſich geſtoſſen/
wormit ſie mit ſelbten nicht eine boͤſe Unart an
ſich nehmen/ und aus fetten Oel-ſuͤſſen Feigen-
baͤumen und erquickenden Weinſtoͤxken/ ſich in
unfruchtbare und ſtachlichte Dorn-Hecken ver-
wandeln/ mit ihrem Schatten ſo viel Unkraut
bedecken/ und ins gemein Gifft zu ihrer Erhal-
tungs-Artzney brauchen doͤrfften. Denn Fuͤr-
ſten ſehen ihren Dienern durch die Finger; wor-
mit ſie denen Unterthanen das ihnen verhaſte
Vermoͤgen wie Blutaͤgeln ausſaugten. Weil
auch die am geſchickſten zum Gehorſam waͤren/
die nicht recht ihre gemeinen Sinnen verſte-
hen; druͤckten ſie alle Wiſſenſchafften um halb
viehiſche Unterthanen zu haben; ja die Unwiſ-
ſenheit muſte ihren eigenen Kindern ein Kap-
Zaum ſeyn: daß ſie nicht zu zeitlich die Suͤßig-
keit des Herꝛſchens erkennten. Vielmahl fin-
gen ſie ohne Noth und Hoffnung des Obſieges
Krieg an/ nur: daß ſie ihren Unterthanen koͤn-
ten zur Ader laſſen. Aber Leute/ welche ihrer
Begier den Meiſter waͤren/ ſchmecken die Suͤſ-
ſigkeit der gemeinen Freyheit und der durch-
dringenden Gleichheit. Alle Beſchwerden waͤ-
ren hier gleiche und unempfindlich; denn der
ſie auflegte/ muͤſte ſie eben ſo wol auf ſeiner Ach-
ſel tragen. Die Kraͤfften eines Reiches naͤh-
men durchgehends zu/ wie Rom nach Austrei-
bung ſeiner Koͤnige/ Athen nach Befreyung
vom Piſiſtratus/ und die Frieſen ſelbſt/ ſeit dem
ſie mit ſo viel Blut ihre Freyheit erfochten/ dien-
ten zum herꝛlichen Beyſpiele/ allen Nachbarn
zu ruͤhmlicher Nachfolge. Bey buͤrgerlicher
Herꝛſchafft waͤre ein ieder ſeines Beſitzthums
verſichert. Die Wuͤrden und Aempter wuͤrden
abgewechſelt; alſo haͤtte keiner Zeit ſich maͤchti-
ger zu machen/ als das Volck waͤre. Die Kuͤnſte
und Handlungen waͤren hier in der Bluͤte; deñ
ſie wuͤrden nicht vom Adel gedruͤckt; und aller
Gewiñ kaͤme dem arbeitenden/ nicht dem Fuͤr-
ſten heim. Zum Gewinnen Krieg zu fuͤhren
waͤre freyen Voͤlckern nicht anſtaͤndig/ aber ſich
zu beſchirmen pflegten ſie nach Art der Sagun-
tiner und Numantier wie Loͤwen zu fechten/
weil es um das edelſte Kleinod der Freyheit zu
thun waͤre. Und weil allhier ieder was zu ver-
lieren haͤtte/ eckelte allen fuͤr Unruh; alſo genuͤſ-
ſen ſie des guͤldenen Friedens deſto laͤnger. Alle
Rathſchlaͤge zielten hier auf den Wolſtand des
Volckes; dort aber waͤre des Fuͤrſten Vergroͤſ-
ſerung der einige Angel-Stern/ wohin alle
Rathſchlaͤge wie Magnet-Nageln ſich wende-
ten. Der Frieſiſche Geſandte wendete zwar
ein: daß ſchlimmer Fuͤrſten und eines tugend-
hafften
[1081[1083]]Arminius und Thußnelda.
hafften Volckes Herꝛſchafft nicht gegen einan-
der auf die Wage zu legen waͤre. Aus dem be-
ſten Weine wuͤrde der ſchaͤrffſte Eßig. Zwar die
freye Herꝛſchafft eines Volckes waͤre nach ih-
rer Einrichtung und in ihrer erſten Bluͤte wol
ein herꝛliches Ding/ aber ſelten gar/ niemahls
auch ohne Blutſtuͤrtzung in ihr Weſen zu ſetzen;
ja endlich veralterte ſie doch/ und braͤchten an-
fangs etliche das Volck/ endlich einer den Adel
und das Volck unter ſeinen Gehorſam. Rom
haͤtte ſich fuͤr der Dienſtbarkeit genungſam ge-
wehret; aber endlich haͤtte doch Auguſt das
durch buͤrgerliche Kriege abgemattete Volck
unter dem ſcheinbaren Fuͤrſten-Nahmen unter
ſeine Gewalt bracht. Brutus und Caßius haͤt-
ten zwar ihr euſſerſtes gethan der Freyheit auff
die Beine zu helffen; aber ſie waͤren unter einem
ſo baufaͤlligen Gebaͤue erquetſchet worden; und
haͤtten mit ihren Leichen viel tauſend ihrer lieb-
ſten Freunde erdruͤckt. Marius und Caͤſar
haͤtten zwar ihre Herrſchensſucht mit ihrem
Blute ausgeſpien; die Freyheit aber waͤre deß-
wegen nicht wieder lebendig worden. Ja aus
der Aſche eines gantzen herꝛ/ chenden Geſchlech-
tes komme doch ein neuer Herꝛſcher empor/
wenn ſchon irgendswo die Sitten der Buͤrger
verterbt/ und eine allzugroſſe Ungleichheit ein-
geriſſen waͤre. Daher wuͤrde mit dem ſprin-
genden Kopffe Brittons nicht der einkoͤpfichten
Regierung das Haupt abgeſchlagen werden/
ſondern der Strumpff nicht anders als die
Schlange in der Pfuͤtzen Lerna ſtets neue Koͤpfe
gebaͤhren. Zumahl Fuͤrſt Jubill ein Herꝛ von
groſſer Hoffnung/ und ſo vielen groſſen Haͤu-
ſern verwandt waͤre/ alſo Himmel und Erden
vermiſchen wuͤrde/ ſeines Vaters Blut zu raͤ-
chen/ und ſeine andere Seele nemlich die Herꝛ-
ſchafft zu erhalten. Endlich wenn auch ſchon
eine andere Herꝛſchens-Art an ihr ſelbſt beſſer
waͤre; ſolte doch redlichen Leuten dieſe die liebſte
ſeyn/ unter welcher ſie gebohren worden. Mar-
bod antwortete laͤchelnde: Er hielte des Geſand-
ten Vortrag mehr fuͤr eine abgenoͤthigte Vor-
bitte/ als fuͤr ein ernſthafftes Begehren der
Frieſen. Denn weil dieſe bey dem Feuer der
einhaͤuptigen Herꝛſchafft haͤtten verbrennen
wollen/ wie moͤchten ſie die Hermundurer bere-
den ſich darbey zu waͤrmen. Uber diß ſchiene
es mehr eine Staats-Larve/ als ein Ernſt zu
ſeyn: daß die Frieſen fuͤr den Britton ein Wort
verlieren/ und alſo was ſie ſelbſt geſtern gethan/
heute tadeln ſolten. Sie haͤtten aber nunmehr
Zeit beyde Augen aufzuſperren: daß ihnen nicht
einer einen Rincken an die Naſe legte/ deſſen
Groß-Vater ihnen eines andern loß gemacht
haͤtte. Auf welchen Fall bey bevorſtehender
Noth ſie von der genoſſenen Huͤlfe der Hermun-
durer ſie ſo bloß ſtehen doͤrfften/ als die Vejen-
tier/ welche die Toſcaner unwuͤrdig ſchaͤtzten fuͤr
ihre Freyheit wieder die Roͤmer einen Degen
zu zuͤcken/ weil ſie ſich ſelbſt einem Koͤnige un-
terworffen hatten. Der Burier Botſchafft ge-
rieth mit dem Ober-Richter in Streit: Ob ein
Volck uͤber ſeinen Koͤnig Urthel und Recht he-
gen koͤnte. Dieſer zohe an: daß wie viel ein
Brunn edler waͤre/ als die daraus rinnende
Bach; ſo viel hoͤher waͤre auch das Volck/ als
ein Fuͤrſt. Koͤnige koͤnten nicht ohne ein Volck/
dieſes aber wol/ ja beſſer ohne jene ſeyn; Und
weñ eines unter beyden ſolte zu Grunde gehen/
waͤre der geſunden Vernunfft zu wieder: daß
das Volck hierinnen ſolte das Nachſehen ha-
ben. Weil nun Tyrannen deſſen Untergang
ſuchten/ muͤſte jenen ja ein Mittel ſich zu er-
halten uͤbrig ſeyn. Niemand haͤtte Gewalt
uͤber ſich ſelbſt zu wuͤten; wie viel weniger koͤn-
te ein gantz Volck ſolche einem Wuͤtterich ein-
raͤumen. Die aͤlteſte Herꝛſchafft haͤtte dieſe
End-Urſache gehabt: daß alle Glieder unter
dem Schirme eines Oberhauptes der Gerech-
tigkeit genoßbar wuͤrden; dieſe waͤre das Band/
das Fuͤrſten und Unterthanen zuſam̃en knuͤpfte;
wenn dieſes zerriſſe/ waͤren Reiche nichts an-
ders/ als groſſe Mord-Gruben. Weßwegen
Erſter Theil. X x x x x xdas
[1082[1084]]Siebendes Buch
das Recht und die Geſetze allezeit dem verwil-
ligten Gehorſame mit eingedrungen/ und die
Gewalt zwiſchen dem Volcke und dem Fuͤr-
ſten gleichſam wechſelweiſe eingetheilet/ alſo ein
boͤſer Fuͤrſt nichts minder/ als ein ſchaͤdlicher
Vormuͤnde ſeines Amptes zu entſetzen waͤre.
Ja die Voͤlcker/ welche ihrer Herꝛſcher Laſtern
ſelbſt fahrlaͤßig den Zuͤgel ſchuͤſſen lieſſen/ und
durch die Finger ſaͤhen/ machten ſich derſelben
theilhafftig; und haͤtten mehrmahls die Goͤtt-
liche Rache fuͤr ihre Fuͤrſten empfinden muͤſſen.
Zu dem aͤnderten ſich mehrmahls die Beſchaf-
fenheiten der Menſchen; und die/ welchen eine
natuͤrliche Dienſtbarkeit angeboren geweſt/
zeugten mehrmahls freye Gemuͤther. Solten
dieſe darum in der Knechtſchafft ihrer Eltern
verſchmachten? oder ſich einen Menſchen im
ewigen Kercker halten laſſen/ dem GOtt und
die Natur ſelbſt die Feſſel abgenommen haͤtte?
dieſe zeigte den Menſchen ſelbſt eine Richtſchnur
in dem Geſtirne/ derer zwey hoͤchſte Fuͤrſten/
nehmlich die Sonne von dem weit niedrigern
Mohnden/ dieſer aber von der unterſten Erde
verfinſtert wuͤrden. Nach dieſem himmliſchen
Beyſpiele haͤtten alle Voͤlcker wieder ihre un-
tuͤchtigen Haͤupter den Kopff empor gehoben/
und ihnen das Licht/ wenn ſie ſelbtes zur Einaͤ-
ſcherung ihrer Laͤnder mißbrauchen wollen/
ausgeleſcht. Ungeachtet die Perſen ihre Koͤ-
nige gleichſam als Goͤtter anbeteten; haͤtten ſie
doch den Smerdes vom Stule geſtoſſen/ und
den ungluͤcklichen Xerxes hingerichtet. Die
Mohren machten zwiſchen GOtt und ihrem
Koͤnige ſchier keinen Unterſcheid; Gleichwol
muͤſte er auf des Prieſters Befehl ihm ſelbſt das
Licht ausblaſen. Die Argiver haͤtten uͤber O-
reſten ein ordentlich Blut-Gerichte gehegt;
Thraſybulens Bildnuͤß waͤre in dem Tempel/
und des Brutus auffs Rath-Hauß geſetzt wor-
den; weil jener ſein Vaterland von dem grau-
ſamſten Critias/ dieſer vom hoffaͤrtigen Tarquin
errettet haͤtte. Eben dieſen Preiß wuͤrden alle
Richter uͤber den Britton bey der Nach-Welt
verdienen; wenn gleich die gegenwaͤrtige ihnen
fuͤr erlangte Freyheit keinen Danck wiſſen ſol-
te. Der Burier Geſandte verſetzte: Wenn
ein Volck einmahl ein Haupt erkieſete/ haͤtte
ſelbtes ſich nichts minder/ als ein Knecht/ der
ſich in die Dienſtbarkeit verkaufft/ aller Frey-
heit enteuſſert; und ſtuͤnde ihm nichts weniger
zu/ als ſeines Herꝛn Fuͤr nehmen zu unterſu-
chen. Eines Ehweibes Willkuͤhr waͤre es zwar
anfangs einen Mann zu erwehlen/ hernach abeꝛ
der Nothwendigkeit ihm zu gehorſamen. Zu
dem waͤre Britton vom Volcke nicht erkieſet/
ſondern durch Erbrecht zu der Herꝛſchafft kom-
men. Es lieffe wieder ſich ſelbſt: daß das Volck
ein Herꝛ ſeines Herꝛen ſeyn ſolte. Alle Herꝛ-
ſchafften haͤtten nicht allein ihr Abſehen auf den
Nutzen des Volckes/ ſondern zugleich/ oder
auch zuweilen nur auf des Fuͤrſten. Das er-
ſtere geſchehe mit Rechte/ wenn ein ſchwaches
Volck eines maͤchtigen Fuͤrſten Schutz erweh-
let; das letztere/ wenn er durch rechtmaͤßigen
Krieg es ihm unterworffen. Vormuͤnde waͤ-
ren zwar auch nicht zum eigen-ſondern zu ihrer
Muͤndlein Nutz beſtellt; Gleichwol haͤtten jene
nur dieſen/ dieſe aber jenen nichts zu befehlen;
weniger ſie abzuſetzen/ ſondern nur ein hoͤhereꝛ/
welchen ein Fuͤrſt nicht haͤtte. Kein ſo grimmi-
ger Wuͤtterich haͤtte auch noch gelebt; weniger
haͤtte Britton es angezielt das Volck gaͤntzlich
aus zutilgen; und auf ſolchen Fall ſtuͤnde dieſem
doch beſſer ein Schild/ als das Rach-Schwerdt
an. Denn Fuͤrſten haͤtten ihre Unſchuld nur
gegen dem Himmel zu verantworten. Uber das
Volck waͤre die Obrigkeit; uͤber die Obrigkeit
der Fuͤrſt/ uͤber Fuͤrſten GOtt allein Richter;
ohne deſſen Wahl keiner den Stul betraͤte. Kein
Volck beſudelte durch Gehorſam ſich mit ſeines
Koͤniges Laſtern/ wenn ſelbter ſich nur nicht
zum Werckzeuge brauchen lieſſe; der aber greif-
fe GOtt in Richter-Stab/ der uͤber die Goͤtter
dieſer Welt ihm eine Botmaͤßigkeit zueignete.
Fuͤrſten
[1083[1085]]Arminius und Thußnelda.
Fuͤrſten muͤſſen zwar ihre Art zu gebieten nach
den Gemuͤthern des Volckes nichts minder als
ein kluger Reuter den Zaum und die Stangen
nach dem Maule des Pferdes richten. Aber den
Zaum gar weg zu werffen waͤre beyden unan-
ſtaͤndig; ja ihr ſelbſt eigner Untergang. Deñ ein
Land koͤnte ſo wenig ohne ein Obeꝛhaupt/ als ein
Schiff ohne Steuer-Ruder und die Welt ohne
Soñe ſeyn. Ja weñ ſich auch dieſe Verbindung
zu weilen unteꝛ dem Poͤfel zergliedere/ ſo ziehe ſie
ſich doch ſo begierig wieder in wenig Koͤpffe zu-
ſammen/ als das Feuer empor zu glimmen be-
muͤht waͤre. Der Himmel zeugte durch den
Vorſitz der Sonne/ durch den wunderlichen
Lauff der Jrr-Sternen/ durch die vorgehende
Groͤſſe und Klarheit ein und des andern Ge-
ſtirnes: daß auch auff der Erde/ als im Spie-
gel des Himmels/ unter den Menſchen muͤſſe
ein Unterſcheid/ und uͤber die Geringern ein
Haupt ſeyn; welchem alle andere ſeinen Glantz
und Weſen zu dancken haͤtten. Die zwey groſ-
ſen Lichter des Tages und der Nacht wuͤrden
keinmahl in ihrem Weſen/ ſondern nur in den
Augen der Menſchen verfinſtert. Sie verduͤ-
ſterten mit ihrer Gegenwart zwar alle andere
Sternen/ alle Geſtirne zuſammen aber waͤren
nicht maͤchtig/ einen Sonnen-Staub an ihnen
zu verſehren/ oder den geringſten Strahl ihres
Glantzes zu vertilgen. Die Ameißen und Bie-
nen verſchmachteten lieber fuͤr Hunger/ ehe ſie
ihren Koͤnig Noth leiden lieſſen. Keine Herꝛ-
ſchafft koͤnte ohne Beſchwerde ſeyn. Die voll-
kommenſten Sternen waͤren nicht ohne Fle-
cken/ und der helleſte Tag nicht ohne Wolcke.
Man muͤſte aber nicht die Beſchwerligkeit Fuͤr-
ſten aufmutzen/ und ihre Wolthaten auſſer Au-
gen ſetzen. Waͤren zuweilen Voͤlcker ihren
Fuͤrſten zu Kopffe gewachſen/ weil die Men-
ſchen in gemein des gegenwaͤrtigen Zuſtandes/
wie gut er auch waͤre/ uͤberdruͤßig wuͤrden; haͤt-
ten Ehrſuͤchtige Leute an Goͤtter dieſer Welt
thaͤtliche Hand gelegt/ um ſich in ihre Stelle zu
ſchwingen/ oder auch ein Volck ſich nicht ſo wol
in Freyheit geſetzt/ als an ſtatt eines ſich vielen
Herꝛſchern dienſtbar gemacht; waͤre meiſt
die Reue auf dem Fuße gefolgt; und haͤtte die-
ſes nach dem verworffenen Zuſtande geſeuffzet/
die Uhrheber aber ſolcher Neuerungen haͤtten
ins gemein ihre Koͤpffe daruͤber im Stiche ge-
laſſen. Hingegen pflegten vernuͤnfftige Voͤl-
cker tauſend mahl oͤffter ihre Haͤupter/ wie ſie
ihnen das Verhaͤngnuͤß fuͤr geſetzt/ zu vertra-
gen/ und ihre Schwachheiten wie andere irrdi-
ſche Zufaͤlle zu verſchmertzen. Die dißfalls klu-
gen Cappadocier haͤtten deßwegen die ihnen
von den Roͤmern angebotene und dem Poͤfel ſo
annehmliche Fꝛeyheit nicht auszuſtehen getrau-
et/ und nach dem ſie frey geſtanden: daß ſie ohne
einen Koͤnig nicht leben koͤnten/ ihnen den Ario-
barzanes erkieſet. Denen Armeniern waͤre die
fuͤr guͤlden beſchriene Freyheit ein unbekandter
Traum/ oder ein fuͤrgebildeter Bleyklumpen.
Weil die verhaſte Freyheit auch allemahl un-
nachbleiblich gedruͤckt werden muß/ in dem
nichts minder die Dienſtbarkeit Gunſt und
Befoͤrderung/ als die Herꝛſchafft tauſend Er-
getzligkeiten zu ihrer Belohnung hat; haͤtten fuͤr
Zeiten die dem Eumenes unterthaͤnigẽ Staͤdte
mit keiner Freyheit ihr Gluͤcke vertauſchẽ wol-
len; und ihrer viel aus dem freyen Grichenlande
ſich unter die Koͤnigliche Gewalt des Evagoras
nach Salamis gewendet. Zu Rom waͤre fuͤr
laͤngſt das Joch ihrer blutigen Freyheit ver-
dammet; und Auguſten die abzulegen gemein-
te Herꝛſchafft aufgenoͤthigt worden. Weil denn
nun wieder des Volckes eigene Wolfarth lieffe:
daß ein Fuͤrſt ſelbtem uͤber ſein Thun/ welches
die Staats-Geſetze in geheim zu halten noͤthig
erachteten/ Rechenſchafft geben; und der/ wel-
cher Geſetze zu geben und aufzuheben Macht
haͤtte/ ſelbten unterworffen ſeyn ſolte; machte
ſich das Volck ſelbſt zu einem Wuͤtterich/ und
zerſtoͤrte das erſte Grund-Geſetze/ nehmlich den
Gehorſam; wenn es ſich uͤber den Hoͤchſten ei-
X x x x x x 2ner
[1084[1086]]Siebendes Buch
ner hoͤhern Gewalt anmaſte. Die Voͤlcker haͤt-
ten mehrmahls ein ſtummes Geſetze zu ihrem
Ab gotte gemacht; Da die Thaſier die Todtes-
Straffe dem ausgeſetzt/ welcher mit Athen in
Buͤndnuͤß zu treten/ Athen demſelbten/ der zur
Behauptung des Eylandes Salamis/ die
Thurier den Strick ſelbtem/ der ihre Geſetze zu
veraͤndern rathen wuͤrde. Ein Fuͤrſt aber waͤre
das lebendige/ ja uͤber alle Geſetze. Der Ober-
Richter antwortete: Es wuͤrde ihm nicht ſchwer
fallen alle wieder der Voͤlcker Freyheit und die
allen Thieren von der Natur erlaubte Gewalt
ungerechte Gewalt durch eigene Beſchirmung
abzutreiben ſtreitende Einwuͤrffe zu wiederle-
gen; aber/ wenn er alles nachgaͤbe/ was von ei-
nem durch keine gewiſſe Geſetze und ſeinen Eyd
umſchraͤnckten Oberhaupte waͤre auf die Bahn
gebracht worden/ lieſſe ſich doch auf die nur un-
ter gewiſſen Bedingungen angenom̃ene Fuͤr-
ſten der Hermundurer kein Schluß machen.
Dieſe waͤren nicht uͤber/ ſondern unter das
Geſetze und den Reichs-Rath geſtellt/ auch/
auſſer der entraͤumten Gewalt/ nichts anders
oder beſſers/ als ein ander Buͤrger; welches der
Geſandte fuͤr keine Miß geburt aufnehmen ſol-
te. Denn Theſeus haͤtte zu Athen/ Ageſilaus
zu Sparta/ die Kinder des Ciſus zu Argos/ E-
vander in Jtalien/ Hanno zu Carthago in weni-
gen Dingen die Gewalt/ im meiſten aber nur
den Koͤniglichen Nahmen beſeſſen. Vercinge-
torich habe in Gallien zwar den Titel eines
Fuͤrſten gehabt; als er aber ſich der Herꝛſchafft
bemaͤchtigen wollen/ waͤre er mit dem Leben
auch ums erſte kommen. Denn weil es ſchwer
waͤre bey groſſem Gluͤcke ſeinen Begierden ei-
nen Riegel fuͤrſchieben; weil der Jrrthum den
Menſchen mehr/ als der Schatten das Licht
verfolgte/ haͤtten/ wie viel andere Voͤlcker/ alſo
auch die Hermundurer ihren Fuͤrſten Ziel und
Maaß fuͤr geſchrieben; zu Verhuͤtung beforg-
licher Verſchwendung ihm nur gewiſſe Ein-
kunfften ausgeſetzt/ zu Hemmung der unerſaͤtt-
lichen Herꝛſchensſucht fuͤr ſich ſelbſt Krieg an-
zufangen verwehret. Welche Beſchraͤnckung
mit gutem Recht geſchehe; weil das Volck ihn
aus Freywilligkeit nicht aus Schuld er wehlet/
dem beruffenen Fuͤrſten aber frey ſtuͤnde/ ſich
ſolcher Bedingung mit der angebotenen Herꝛ-
ſchafft zu enteuſſern. Und nach dem nieman-
den mehr/ als einem Fuͤrſten daran: daß einem
Angeloͤbnuͤße nachgelebet wuͤrde/ gelegen waͤ-
re/ erforderte die hoͤchſte Noth: daß er keines
Nagels breit von ſeinem Verſprechen abſetzte.
Dieſeꝛ Umſchraͤnckung benaͤhme gaꝛ nichts: daß
Britton durch Erbrecht uͤber die Hermundu-
rer zu herꝛſchen vermeinte. Denn diß eignete
dem Sohne nichts mehr zu/ als was der Va-
ter gehabt; verſtelle aber nicht die anfangs be-
liebte Herꝛſchens-Art. Die Hofemeiſterſchafft
zu Sparta waͤre zwar erblich; aber enge einge-
ſpannt geweſt. Jnſonderheit aber waͤren Koͤ-
nigen die Fluͤgel beſchnitten; wenn das Volck
ihm einen Reichs-Rath an die Seite geſetzt/
und die Noth ſelbten jaͤhrlich oder zu wichtigen
Sachen zu verſchreiben aufgebunden haͤtte/ und
ſeine Verknipffung nicht in das gemeine Ange-
loͤbnuͤß dem Volcke loͤblich fuͤrzuſtehen/ ſondern
in gewiſſe Verbuͤndligkeit eingepfloͤckt/ ihm a-
ber ſelbſt die Freyheit wiedrigen Falls nicht zu
gehorſamen vorbehalten/ oder gar: daß ein
Haupt ſeines Reiches verluſtig ſeyn ſolte/ be-
dungen haͤtte. Alſo haͤtten die Sabeer ihrem
Koͤnige die Burg nicht alleine zu ſeiner Woh-
nung/ ſondern auch zum Ende ſeiner Herꝛ-
ſchafft eingeraͤumt; und wenn er aus ſelbter nur
einen Fuß geſetzt/ ihn geſteiniget. Die Egyp-
tiſchen Koͤnige vereydeten ſelbſt ihre Richter:
daß ſie dem unrecht urtheilenden Koͤnige nicht
gehorſamen wolten. Die Taprobaner haͤtten
Erkaͤntnuͤß uͤber ihres Koͤniges Urthel; und ob
er ſchon keine Gewalt haͤtte einem andern den
Hals abzuſprechen; buͤſte er doch ſeinen eigenen
ein/ wenn er das Volck beleidigte. Von der
Roͤmiſchen Koͤnige Ausſpruche haͤtte man ſich
mit Rechte an das Volck ziehen koͤnnen; und
Servius Tullius ſelbſt ihm und folgenden Koͤ-
nigen
[1085[1087]]Arminius und Thußnelda.
nigen Geſetze fuͤrgeſchrieben. Zugeſchweigen:
daß wenn auch ein Volck nicht mit Gewalt un-
ters Joch gebracht/ ſondern einem die hoͤchſte
und unverſchraͤnckte Gewalt auftruͤge; nicht ſo
wol das bey dem Volcke verbleibende und ein-
gewurtzelte/ auch ſeinem Weſen nach viel edlere
Eigenthum/ als der bloſſe Genuͤß der ſelbten auf
eine zeitlang/ oder nur ein Theil der hoͤchſten
Gewalt ihm anvertrauet wuͤrde. Ja da wieder
die hoͤchſte Gewalt der Welt Niedrigen ſich zu
beſchirmen verſtattet/ ein rechtmaͤßiger Krieg
aber ein zulaͤßiges Mittel waͤre/ fremde Voͤlckeꝛ
und Koͤnige ihm unterthaͤnig zu machen/ koͤnte
man keine Urſache finden; warum nicht ein
Volck wieder den Fuͤrſten/ der durch Eyd und
Pflicht ſich den Geſetzen nach zu herꝛſchen be-
theuert haͤtte/ ſelbte aber zerdruͤm̃erte/ ſich ver-
theidigen/ und ihn deſſen zu entſetzen trachten
ſolte/ was er durch Meineyd ſelbſt gleichſam
mit Fuͤſſen von ſich ſtieſſe.
Der Burier Geſandte aber verſetzte: wie ein
unverſchraͤncktes Reich einem Fuͤrſten nicht die
Gewalt zueignete/ ein Theil oder das gantze
Volck aufzureiben; ieden ohne Urſache ſeiner
Guͤter zu ber auben; alſo waͤre eine mit Geſetzen
umſchraͤnckte Herꝛſchafft bey ein oder anderm
Abwege nicht ſtracks dem Volcke unterwuͤrffig
oder gar erloſchen. Bey Fuͤrſten ſtuͤnde es zu un-
terſcheiden/ was zu der Wolfarth des Reiches
diente; dieſe aber waͤre das hoͤchſte Geſetze/ wel-
che alle vorher gehende aufhieb. Zugeſchwei-
gen: daß kein Volck mit Rechte ſeinem von
GOtt fuͤr geſetzten Koͤnige etwas von dem
Maaße ſeiner Gewalt entziehen koͤnte; ohne
welche er ſeinem hohen Ampte nicht auskom-
mentlich fuͤrzuſtehen vermoͤchte. Weñ aber auch
gleich Fuͤrſten ſonder gaͤntzliche Zerruͤttung ih-
rer Hoheit/ und daß ihnen die bloſſe Schale des
Nahmens uͤbrig bliebe; auch mit den haͤrteſten
Bedingungen umſchraͤnckt werden koͤnte; be-
naͤhmẽ ihm doch dieſe nicht die hoͤchſte Gewalt/
weniger ſetzten ſie die Unterthanen uͤber ihn; al-
ſo: daß ſelbtes uͤber ihn; ob er mit Recht oder Un-
recht von denen Geſetzen ab gewichen/ erkennen
koͤnten. Auch der Poͤfel ſelbſt lieſſe ſich nicht den
verurtheiln/ der ihn einer Handlung wieder ſein
Verſprechen beſchuldigte. Die Gerechtigkeit
ſaͤhe vielen Fehltritten der Unterthanen durch
die Finger; warum nicht auch dieſe denen Fuͤr-
ſten; welche/ wie gut ſie auch waͤren/ unmoͤglich
allemahl recht zu thun vermoͤchten. Man ver-
ſchmaͤhte nicht alsbald einen/ der einẽ von Wind
aufgeblaſenen Ball fehlete; mit was Recht moͤ-
ge man nun gegen dem ſo ſtrenge verfahren/ der
den Zentner-ſchweren Klumpen eines Volckes
nicht allzeit in der Schnure haͤtte. Einige aber-
witzige Voͤlcker haͤtten zwar auf gewiſſe Faͤlle
ihren Fuͤrſten ein Ziel ihrer Herꝛſchafft geſetzt;
aber es waͤren nur ſolche handgreifliche und von
den euſſerlichen Sinnen zu entſcheiden leichte
Aufſaͤtze geweſt; welche keine Zweydeutung ver-
ſtattet/ noch allererſt eine Rechtshegung erfor-
dert haͤtten. Deñ die Anmaſſung einer Gewalt
uͤber Fuͤrſten waͤre ein Raub des himmliſchen
Feuers/ welche Jupiter am Prometheus ſo har-
te geſtrafft haͤtte. Weßwegen die klugen Egyp-
tier fuͤr eine unvernuͤnftige Greuelthat gehalten
haͤtten/ ihre mit den ſchaͤrffſten Geſetzen umpfaͤ-
lete Koͤnige ihrer Verbrechen halber im Leben
zu rechtfeꝛtigen; ſondern es waͤꝛe allein nach dem
Tode ihr Gedaͤchtnuͤß verdammt/ die Leiche der
Beerdigung beraubet/ und derogeſtalt zwar den
Laſtern eine Straffe/ der Fuͤrſtlichen Hoheit a-
ber nichts un gebuͤhrlich entzogen worden. Der
Reichs-Rath waͤre in alle wege befugt einem
Koͤnige bey bedencklichen Entſchluͤſſungen ein-
zureden; aber nicht ihm ſeine Meinungen auf-
zunoͤthigen; als welche ohne des Fuͤrſtens Ge-
nehmbabung keine Krafft haͤtten; ſondern wie
der Mohnde ſein Licht von ihm/ als der Son-
nen entlehnen muͤſten. Zwar waͤre der
Reichs-Rath in dem hoͤher als die eigenen
Raͤthe des Koͤnigs: daß er dieſer Gutachten
mit gutem Fug/ jener aber nicht ohne Beleidi-
gung ſeines Gewiſſens verwerffen koͤnte; aber
nur diß/ nicht der Rath waͤre deßhalben ſein
X x x x x x 3Richter-
[1086[1088]]Siebendes Buch
Richter-Stul. Die Seriſchen Koͤnige naͤhmen
mit gebogenen Knien von ihren Weiſen ihre
heilſame Erinnerungen an/ aber dieſe hielten
fuͤr hoͤchſte Thorheit ſich weiſer zu duͤncken/ als
ihr Koͤnig/ der das Ebenbild Gottes auf Erden
waͤre. Endlich moͤchten die Hermundurer wol
erwegen: daß ſie nicht nur uͤber Brittons/ ſon-
dern uͤber aller Fuͤrſten Haͤupter dem Volcke
eine Botmaͤßigkeit zuzueignen ſich erkuͤhneten;
welches Aergernuͤß alle die zu raͤchen bemuͤhet
ſeyn wuͤrden/ derer Haͤupter man mit Ent-
hauptung Brittons erſchuͤtterte/ oder gar wa-
ckelnd machte. Und ſein maͤchtiger Fuͤrſt der
Burier wuͤrde der erſte ſeyn/ der den Degen zuͤ-
cken/ und dem ermordeten Britton mit den
Flammen ſeines Landes zu Grabe leuchten
wolte.
Alleine weder dieſes Einreden noch Draͤuen
verfieng bey denen etwas; welche bereit in die-
ſem Wercke ſo weit kommen waren/ deſſen Aus-
fuͤhrung ihnen keine groͤſſere Gefahr zuzoh/ als
der bereits gemachte Anfang/ und die nicht ſo
wol dem Fuͤrſten Britton/ als der Freyheit des
Volckes den Hals abzuſchneiden beſchloſſen
hatten.
Ein ſchwaches Weib haͤtte gleichwol bey na-
he den letzten Tag das gantze Trauerſpiel ver-
aͤndert. Denn des Fackſariff Eh-Frau/ wel-
che von weitem dem Hertzoge Britton verwand
war/ und auf die ſelbter bey ihrem freyledigen
Stande ein Auge geworffen hatte; zohe ihr
ſeine bevorſtehende Ermordung tieff zu Her-
tzen; beredete auch zwey der Kriegs-Haͤupter
dahin: daß wenn anders ihr Eh-Herꝛ darein
ſtimmte; ſie durch Verwechſelung des zu dem
Blutgeruͤſte beſtimmten Kriegs-Volcks den
Hertzog Britton auf die Seite zu bringen/ und
zu denen Baſtarnen zu fluͤchten huͤlffreiche
Hand verſprachen. Als ſie dieſe gewonnen/
ſetzte ſie des Nachts mit denen beweglichſten Lie-
besbezeugungen/ und Vorſtellung/ daß er ſei-
ne bißherigen Siege durch Errettung des ver-
dammten Fuͤrſten allererſt herꝛlich machen/ und
den groͤſten Ruhm der Nachwelt erwerben wuͤr-
de/ an Fackſariff. Wiewol dieſer nun einwarff:
Es ſtuͤnde ſo wol ſein/ als des Reiches Unter-
gang auf der Wiedereinſetzung Brittons; er-
klaͤrte ſie ſich doch: daß ſie bloß um ſein Leben/
nicht um ſeinen Fuͤrſten-Hut baͤte; deſſen letztern
ſich Britton entweder ſelbſt willig begeben/ oder
Vermoͤge der Reichs-Geſetze verluſtig machen
wuͤrde/ wenn er mit des Kriegs-Volckes Vor-
ſchub ſich aus den Reichs-Graͤntzen verfuͤgte.
Fackſariff ward von der Liebe/ als der hoͤchſten
Geſetzgeberin in Helden Gemuͤthern/ gezwun-
gen ſich dem Flehen ſeines mitleidenden Eh-
Weibes zu bequemen. Allein es ward dieſes
gute Abſehen abermahls gaͤntzlich verruͤckt.
Denn Britton/ welchen Fackſariff durch an-
geſtifftete Kriegs-Leute ausforſchen ließ: Ob er
wol gegen Gewinn ſeines Lebens ſich der Her-
zoglichen Wuͤrde zu enteuſſern entſchluͤſſen koͤn-
te; verwarff dieſe Vorſchlaͤge/ fuͤrſchuͤtzende:
Ohne Schuld gewaltſam ſterben/ waͤre ein
bloſſer Zufall; ſein Leben aber mit ſchimpflichen
Bedingungen retten/ ein Selbſt-Mord ſeiner
Ehre. Welche Entſchluͤſſung den Fackſariff
etwas ſtutzig machte. Nichts deſto weniger
gieng er noch fuͤr Tage nach Hofe/ und fragte
die zwey oben von ſeiner Ehfrauen gewonnene
Kriegs-Oberſten: was ſie von dem bevorſtehen-
den Trauer-Spiele hielten? Dieſe unwiſſende:
Ob ſeme Eh-Frau bey ihm fuͤr den Hertzog
was ausgerichtet haͤtte/ antworteten allein:
Es waͤre alles zur Hinrichtung fertig; und/ wie
in ſeiner Hand Brittons Leben und Tod beſtuͤn-
de; alſo wartete man nur auf ihn/ wenn er die
Loſung geben wuͤrde. Fackſariff/ welcher nicht
in einer ſo lange berathenen Sache zum erſten
eine Veraͤnderung zeigen wolte; verſetzte: daß er
niemals was ohne ſie geſchloſſen haͤtte; und alſo
Brittons Tod nichts minder von dem Fademe
ihres/ als ſeines Willens hienge. Einer der
Kriegs-Oberſten begegnete ihm: das Urthel
waͤre
[1087[1089]]Arminius und Thußnelda.
waͤre geſprochen/ nun fragte es ſich um die
Vollziehung. Fack ſariff/ dem ſeine hierinnen
allzu vorſichtige Eh-Frau nicht vertrauet hatte:
daß ſie dieſe zwey Oberſten auf ihre Seite ge-
bracht haͤtte/ fieng aus geſchoͤpfftem Mißtrau-
en ſein Vorhaben durchzubringen; und weil
er ohne diß den Marbod in Saal treten ſahe/
aus Verdruß an: So ſterbe er denn.
Fuͤgte ſich hiermit ins innere Gemach; Die
zwey Oberſten aber wuſten nichts ferner zu
thun; kamen auch daruͤber in Gedancken: Es
waͤre Gottes Wille nicht: Daß Britton bey
Leben bliebe. Daher ward Britton alsbald
auf eine ſchwartz beſchlagene Trauer-Buͤhne
geſtellt/ und auf einen [ſ]eidenen Stul geſetzt/ den
toͤdtlichen Streich zu empfangen. Gleich als
wenn das Gepraͤnge Laſter zu rechtfertigen
vermoͤchte/ oder die aufgeputzte Grauſamkeit
weniger eine Unholdin waͤre/ als die nackte/ und
der Blutſchreyer auf Tapezereyen eine an-
nehmlichere Stimme/ als auf Stein oder Ra-
ſen haͤtte. Britton verlohr alſo mit einem Strei-
che ſeine Herꝛſchafft und ſein Haupt/ aber nicht
die Obmaͤßigkeit ſeines Hertzens/ und den
Muth itzt ſo ſtandhafft dem Tode/ als vorher
dem Gluͤcke in die Augen zu ſehen. Sein Leib
ward zwar gebalſamt und koſtbar begraben;
Gleichwol aber zu ſeiner mehrern Beſchimpf-
fung/ als mit aͤrgerlichen Seuchen behafftet/
ausgeſchrien. Nach ihm wurden noch fuͤnff
Marckmaͤnnern hoher Ankunfft/ die fuͤr ſeine
Errettung die Waffen ergrieffen hatten/ gleich
als wenn ein ſo groſſer Baum nicht ohne Zer-
ſchmetterung vieler Aeſte fallen koͤnte/ zugleich
die Haͤupter abgeſchlagen. Wiewol nun ihrer
viel den itzt erblaſten Fuͤrſten Britton fuͤr dem
Streiche des Scharffrichters mit den Augen
getoͤdtet hatten; vermochte doch die Grauſam-
keit nicht zu verhindern: daß das meiſte Volck/
dem das Schwerdt ehe durch die Seele/ als dem
Britton durch den Hals gieng/ mit bittern
Thraͤnen ſeinen Fuͤrſten beweinte/ die Moͤrder
aber bey der Goͤttlichen Rache verklagte. Ja
Fackſarif ſelbſt muſte wiedeꝛ ſeine Einwilligung
hierbey in der Klage gehn. Denn ſeine Gemah-
lin/ welche fuͤr den Hertzog Britton umſonſt ſich
bemuͤhet hatte/ graͤmte ſich uͤber ſeiner Hinrich-
tung zu tode. Hingegen ließ der Reichs-Rath
fuͤr hoͤchſte Verraͤther ausruffen: Da iemand
ſich wuͤrde geluͤſten laſſen nur in Berathſchla-
gung zu ziehen: Ob ein ander Fuͤrſt uͤber die
Hermundurer herꝛſchen ſolte. Nach dem auch
viel aus dem Poͤfel ſich der hoͤchſten Gewalt
theilhafftig gemacht hatten/ dieſe aber wol wu-
ſten: daß der Adel nicht allein neuen Leuten/
wie tugendhafft ſie ſich auch erzeigen/ allezeit
uͤber Achſel; ſondern auch nach der Koͤniglichen
Gewalt ins gemein luͤſtern waͤren; ſtieſſen ſie
allen hohen Adel aus dem Reichs-Rathe; und
beſetzten den neuen groͤſten theils mit denen ge-
weſenen Kriegs-Haͤuptern; hoben auch theils
um ſeine Kraͤfften zu vermindern/ theils aller
abgeſtatteten Gewogenheit zu gewinnen das
Vorrecht der Erſtgebohrnen in Erbſchafften
auf. Welche hefftige Veraͤnderung zwar an-
fangs von den Staats-klugen fuͤr eine Mutter
eines buͤrgerlichen Krieges gehalten/ endlich a-
ber befunden ward: daß das Volck/ welches ins
gemein aus allen Neuerungen ihm guͤldene
Berge verheiſſet/ mit hoͤchſtem Frolocken die
neue Herꝛſchens-Art billigte.
Viel anders aber nahmen die Marckmaͤn-
ner und Seduſier dieſe Neuerung auf. Denn
ſie erklaͤrten den funfzehnjaͤhrigen Fuͤrſten Ju-
bill Brittons Sohn fuͤr ihr Oberhaupt. Alleine
das Verhaͤngnuͤß ſchien ſich gleichſam gantz
wieder Brittons Hauß verſchworen zu haben.
Denn Marbod/ deſſen groͤſte Sorgfalt nun-
mehr war das Hefft des Kriegs-Volckes aus
ſeinen Haͤnden in keine fremde mehr kommen zu
laſſen/ brach bey den Seduſiern ein; eroberte
ihre beſte Feſtung mit ſtuͤrmender Hand; und
ließ alles/ was Waffen tragen konte/ erwuͤrgen.
Dieſer gluͤckliche Streich eroͤffnete alle andere
Feſtun-
[1088[1090]]Siebendes Buch
Feſtungen. Alſo machte ihn das Gluͤcke zum
Meiſter/ der Staats-Rath aher zum Landvogt
uͤber alle Laͤnder der Seduſier/ ja zum hoͤchſten
Haupte uͤber der Hermundurer Kriegs-Heere/
und hiermit auch uͤber den Staats-Rath ſelbſt.
Denn wer einem andern die Waffen uͤber gie-
bet/ enteuſſert ſich zugleich ſeiner Herꝛſchafft.
Nach dem aber inzwiſchen Hertzog Jubil mit
denen Marckmaͤnnern voͤllig verglichen war/
und ſie zu ihrer und Jubils Verſicherung eine
ziemliche Kriegs-Macht verſamlet hatten/ fiel
Marbod mit ſeinem des Sieges gewohntem
Heere bey den Marckmaͤnnern ein; welche er
deßwegen fuͤr Feinde der Hermundurer zu er-
klaͤren ſich berechtigt hielt; weil ſie des alten
Bundes vergeſſen/ ihren Tod-Feind Jubil in
ihre Schoos aufgenommen/ und denen Her-
munduren aufzuhalſen ſo viel Waffen verſam̃-
let haͤtten. Marbod aber haͤtte bey nahe durch
ſeine aus vielem Gluͤcke erwachſene Verwegen-
heit ſeine gantze Schantze verſehen. Denn weil
er zu tieff ins Feindes Land ruͤckte/ ward er in
einem Thale rings um von den Marckmaͤn-
nern umſetzt/ und ſein Heer in verzweiffelte
Hungers-Noth geſtuͤrtzt. Alleine dieſe war die
Urſache ſeiner Wolfarth. Denn es iſt kein zum
Siege dienlicher Gewehre/ als die Nothwen-
digkeit zu Siegen. Hingegen war die Sicher-
heit der Marckmaͤnner Verterben. Denn als
dieſe ſich es am wenigſten verſahen/ machte
Marbod an der einen Enge des beſetzten Ge-
buͤrges einen blinden Lermen/ fiel aber an der
andern mit ſo groſſer Tapfferkeit an: daß er
nicht alleine mit ſeinem Heere aus dem Ge-
draͤnge kam/ ſondern auch die Marckmaͤnner
aus dem Felde ſchlug/ und faſt alles Fuß-Volck
mit dem Kriegs-Geraͤthe in ſeine Haͤnde be-
kam. Als Marbod nun hierauf mit Einneh-
mung der Staͤdte beſchaͤfftiget war/ zohe der
tapffere Jubil die euſſeꝛſten Kraͤften der Marck-
maͤuner zuſammen. Mit dieſen ruͤckte er zwar
dem Marbod entgegen; aber er ließ ſich in kein
Treffen ein; ſondern ſuchte vielmehr Gelegen-
heit bey ihm vorbey zu gehen/ und bey denen
Hermundurern einzudringen/ in Hoffnung:
daß er daſelbſt groſſen Anhang finden wuͤrde.
Alleine ihm begegnete ein friſches Kriegs-Heer/
und Marbod gieng mit ſeinem ihm in Ruͤcken;
Hingegen verſchmeltzte ſein Volck wie der
Schnee. Wie er ſich nun dergeſtalt zwiſchen
Thuͤr und Angel ſahe/ muſte er dem Feinde ge-
zwungen eine Schlacht lieffern. Welcher
Zwang ſchon eine Erkaͤntniß ſeiner Schwaͤche/
und eine Wahrſagung des Verſpielens iſt.
Gleichwol fochte er ſo tapffer: daß er an ſeiner
Spitze den Feind zweymahl in Unordnung
brachte/ und den Marbod in Schenckel ver-
wundete. Der Marckmaͤnniſche Adel that
gleichfals das euſſerſte; weil nichts minder die
Verzweiffelung als die Tapfferkeit in ihren
Haͤnden die Waffen ſchaͤrffte. Aber endlich
wurden ſie doch uͤbermannet; und wiewol ihrer
wenig von der Wallſtatt entkamen/ entrann
doch Hertzog Jubil nach dreyen in der Schlacht
eingebuͤſten Pferden durch eine wunderſeltzame
Flucht und viel Wildnuͤße in das Gebiete der
Burier. Dieſem Hauptverluſte folgte auf des
klugen und wachſamen Marbods Seiten die
Uberwaͤltigung des gantzen Marckmaͤnniſchen
Gebietes; und muſten alle groſſe Gefangenen
zum grauſamen Schrecken der kleinern uͤber
die Klinge ſpringen; Gleich als wenn Mar-
bods Haupt ohne Abhauung aller hohen Koͤpfe
nicht genung ſichtbar ſeyn koͤnte. Ja dieſe un-
gemeinen Siege Marbods ſetzten die Macht
der Hermundurer in ſo groſſes Anſehen: daß/
ob wol Fuͤrſten freyen Herꝛſchafften ſtets einen
heimlichen Haß nachtragen; und ſo viel be-
nachbarte Herzog Jubils nechſte Bluts-Fꝛeun-
de worden/ die Cherusker und Catten auch in-
zwiſchen dem Druſus einen gewaltigen Streich
verſetzt hatten/ keiner doch das Hertze hatte fuͤr
ihn einigen Degen zu zuͤcken. Die Alemaͤnner
verehrten den Staats-Raath zum erſten mit
einer
[1089[1091]]Arminius und Thußnelda.
einer praͤchtigen Geſandtſchafft. Dieſen folgten
[a]uch die Catten/ und inſonderheit der maͤchtige
Koͤnig der Lygier/ der nach gehaltener langen
Berathſchlagung ihm ſo gar Bruder und Vet-
ter zuſchrieb. Weil die Staats-Klugheit nur
die Gluͤckſeligen kennet; und bey abgeſehenem
Nutzen auf gewiſſe Zeit auch derer Bluts-
Freund ſich ruͤhmet/ die ihr mit keiner Ader zu-
gethan ſind/ und dieſelben umhalſet; derer Hals
gleich Morgen an die Kette/ der Kopff aber auff
den Pfal kommen ſoll. Die Cherusker und Bo-
jen alleine hatten Bedencken ſich derogeſtalt zu
verkleinern; wiewol ihre Beſchaffenheit ſie auch
hemmete gegen den Marbod einen unzeitigen
Eyfer auszulaſſen. Alſo iſt das Gebluͤte gegen
dem Feuer der Ehrſucht Eyß-kalt; und der ab-
geſehene Vortheil iſt der Grund und die Zer-
treũung der meiſten Freundſchafft; ja die Spil-
le/ um welche ſich alles Thun der Menſchen
windet und verwickelt. Jnſonderheit aber ha-
ben Fuͤrſten keine Bluts-noch andere Freunde.
Denn wie ſie uͤber Voͤlcker gebieten/ alſo gebeut
der Vortheil uͤber die Fuͤrſten. Ja dieſem groſ-
ſen Thiere gehorſamen alle Menſchen.
Wiewol nun die Hermundurer derogeſtalt
ohne Feind waren/ wolte doch Marbod nicht
ohne Kriegs-Macht ſeyn; ließ ſich auch oͤffent-
lich im Staats-Rathe aus: daß wenn eine Herꝛ-
ſchafft des Volckes nicht in ihren eigenen Ein-
geweiden wolte Wuͤrmer hecken; muͤſte ſie ſelb-
te den Nachbarn in Buſem ſetzen. Weil nun
nichts leichters iſt/ als eine Urſache des Krieges
zu finden; rieth er: daß/ nach dem die Bojen
von etlicher Zeit her ſich des denen Hermundu-
ren zuſtaͤndigen Hercyniſchen Gebuͤrges ange-
maſt/ denen Roͤmern das Goldwaſchen in denen
Baͤchen/ und die Ertzt-Gruben theuer vermie-
tet haͤtten; ſie dieſen Eingriff den Bojen unter-
ſagen/ und den Vortheil ſelbſt an ſich ziehen ſol-
ten. Critaſir der Bojen Hertzog wolte dieſen
Nutzen ſo ſchlechter Dings nicht aus den Haͤn-
den laſſen; ſchuͤtzte alſo der Bojen alten Beſitz
und Genuͤß des Hercyniſchen Gebuͤrges fuͤr/
und daß ſie dieſe verborgene Schaͤtze der Natur
als die erſten Erfinder ihnen mit Rechte zueig-
neten. Marbod aber verſetzte: Die Hermun-
durer haͤtten das Nordweſtliche Theil des Her-
ciniſchen Gebuͤrges lange fuͤr den Bojen be-
holtzet/ befiſchet/ bejaget; und mit allen ſeinen
offenbaren und verborgenen Nutzbarkeiten ei-
genthuͤmlich beſeſſen; daher waͤre ihr juͤngerer
Beſitz ein Eingriff; und koͤnte die Erfindung
einer ſchon von einem andern beſeſſenen Sache
ſelbten nicht rechtfertigen. Hierbey aber b[e]-
ruhte Marbod nicht/ ſondern weil er wol wuſte:
daß zwiſchen Fuͤrſten ein gewaffnetes Heer der
beſte Sach-Redner/ und der Degen das einige
Meſſer waͤre den Zanck-Apffel recht zu theilen/
oder den Gordiſchen Knoten aufzuloͤſen/ ver-
ſam̃lete er alle Kriegs-Macht zuſammen. Weil
aber gleichwol in dem Staats-rathe noch einige
waren/ welche den Schatten ihrer Freyheit al-
lererſt erblickten/ als ihꝛ Bild ſchon fuͤr ihꝛen Au-
gen veꝛſchwundẽ war/ uñ wahrnahmen: daß mit
dieſem Kriege mehr ihre/ als der Bojen gaͤntzli-
che Unterdruͤckung angezielet wuͤꝛde; und Mar-
bod nunmehr mehr als den Koͤnig ſpielte; lieſ-
ſen ſie an ihn eine Bittſchrifft ab: Er moͤchte das
durch langen Krieg abgemer gelte Volck ein we-
nig verblaſenlaſſen/ und mit ihren treuen Nach-
barn und alten Bund genoſſen den Bojen lieber
einen billichen Vergleich treffen/ darzu ſie ſich
ſchon mehrmahls erboten haͤtten. Die Hofnung
viel zu gewinnen/ oder ein uhraltes Beſitzthum
waͤre keine rechtmaͤßige Urſache. Deñ ſo wuͤrde
keine Herꝛſchaft in der Welt ohne Anſpruch/ und
dieſe nie ohne Krieg ſeyn; weñ die Verjaͤhrung
nicht ſo wol in Laͤndeꝛn/ als in Gꝛuͤnden der Un-
terthanen ſtatt finden ſolte. Auch wuͤrden Reiche
mit ihrer Erweiterung nicht allezeit verſtaͤrcket;
ſondern zwar ihre Graͤntzen/ nicht aber ihre
Kraͤfften vergroͤſſert. Sonderlich aber ſtuͤnde
der Zuſatz mehrer Laͤnder freyen Voͤlckern nicht
an; welche ohne Wachsthum ihren Nachbarn
Erſter Theil. Y y y y y yſchon
[1090[1092]]Siebendes Buch
ſchon gewachſen waͤren. Denn weil die uͤber-
wundenen Staͤdte groſſe Beſatzungen/ dieſe a-
ber anſehnliche Mittel doͤrfften; waͤre dieſer
Gewinn den Uberwindern eine Buͤrde/ und
eine Ausſaugung der Unterthanen/ welche vor-
her ſchon ſo viel Gut und Blut zu dem verterb-
lichen Obſiege beygetragen haͤtten. Selten ſtuͤn-
den die reichſten Landſchafften/ die man dem
Feinde abnaͤhme/ fuͤr die Muͤh und Koſten/ am
wenigſten fuͤr das theure Menſchen-Blut/ wel-
ches nicht gegen Gold auszuwaͤgen/ auch mehr
eine Tinte der Ehrſucht/ daraus die Krieges-
Haͤupter ihre Siegs-Fahnen faͤrben/ als eine
Tingung der Reiche/ und ein Schmaltz der
Laͤnder waͤre. Jhr Beſitz ziehe bey den Nach-
barn Neid/ bey den Uberwundenen Haß/ bey
den Freunden Mißtrauen/ bey den Buͤrgern
Argwohn nach ſich. Derſelben Erhaltung er-
ſchoͤpfte das Vaterland an Volck und Mitteln;
waͤren alſo krebsfraͤßige Glieder/ welche man
von dem Leibe des Reiches abſchneiden ſolte; o-
der dem jenigen Fiſche gleich/ der dem/ welcher
ihn mit dem Hamen fienge/ die Hand ſtarrend
machte. Ja endlich waͤre ihr Verluſt koſtba-
rer/ als die Gewinnung. Die Landvoͤgte ver-
gaͤſſen bey ihrer Botmaͤßigkeit: daß ſie Buͤrger
waͤren/ und verlernten die noͤthigſte Tugend des
Gehorſams. Da aber Marbod ja auf ſeiner
Meynung beſtuͤnde; ſolte man zum minſten
nach der unter dem Fuͤrſten gewoͤhnlichen Art
vor die Landſtaͤnde daruͤber vernehmen/ als wel-
che im Kriege zwar das meiſte zu verlieren/ aber
das wenigſte zu gewinnen haͤtten. Marbod
trug dieſe wolgemeinte Erinnerung als eine
Verraͤtherey den Kriegs Haͤuptern fuͤr/ durch
welche der Rath ſie eines ruhmwuͤrdigen Sie-
ges/ das Vaterland eines anſehnlichen Auff-
nehmens/ die Kriegs-Leute der fetten Bojiſchen
Aecker/ wegen welcher ihre Vor-Eltern zu
kriegen iederzeit fuͤr Recht gehalten haͤtten/ be-
rauben; ja durch den Frieden ihnen die Waffen
aus den Haͤnden ſpielen/ und weil der gemeine
Kriegs-Mann ſelten was mehres/ als Narben
des Leibes/ und Laͤhmde der Glieder mit aus
dem Kriege braͤchte/ ſie zu armſeligen Tageloͤh-
nern machen wolte. Kriegs-Leuten waͤre die
aͤrgſte Schande durch Schweiß er werben/ was
ſie durch Blut haben koͤnten. Welches ſie aber
wenig koſten wuͤrde; weil die Bojen in ihrem
fruchtbaren Lande bey dem Wolleben alle
Kriegs-Ubungen vergeſſen; der hohe Adel die
gemeine Ritterſchafft/ die beſten Vormauern
eines Reiches mit ihren Guͤtern gleichſam ver-
ſchlungen haͤtten; ja ſie ſelbſt mit einander in ei-
tel Mißverſtaͤndnuͤße lebten. Einem ſchlaf-
fendem Loͤwen und einem abgedanckten Sol-
daten traͤten auch die Haſen auf die Ferſen/ und
der geringſte aus dem Poͤfel wolte an ihnen
zum Ritter werden. Fern und ungelege[n]e
Laͤnder zu bemeiſtern waͤre freylich wol nicht
rathſam; und haͤtte ſo wol Carthago mit Beſe-
tzung ſo vieler fernen Laͤnder/ als Athen durch
Anfallung Siciliens ſeine dem Hertzen noͤ-
thige Lebens-Geiſter in die euſſerſten Glieder
unvorſichtig zertheilet/ und dardurch jene ih-
ren Untergang befoͤrdert/ dieſe auf einmahl ih-
ren achzigjaͤhrigen Gewinn verſpielet; hinge-
gen waͤren beyde Meiſter in der See/ und in
hoͤchſter Bluͤte geweſt/ als Athen ſich mit den
Grichiſchen Eylanden/ Carthago mit den fe-
ſten Lande in Africa vergnuͤget haͤtten. Die
Roͤmer haͤtten ihrer Ausbreitung kein Ende
gemacht; wiewol ſie Fuß fuͤr Fuß fortgeruͤckt/
uͤber Jtalien vierhundert Jahr zubracht/ und
bey der ſcheinbarſten Gelegenheit nichts uͤber-
ſprungen. Dieſe haͤtten bey ihrer buͤrgerlichen
Herꝛſchafft das meiſte/ und mehr als niemahls
kein Koͤnig gewonnen. Fuͤrſten waͤren ſterb-
lich/ Voͤlcker aber blieben ewig/ waͤren keiner
unwiſſenden Minderjaͤhrigkeit/ keinem ohn-
maͤchtigen Alter/ wegen Vielheit der Augen
keinen blinden Jrrthuͤmern unter worffen; haͤt-
ten zwar/ wie Koͤnige uͤber ihre Bedienten/ aber
nicht uͤber ihre herꝛſchſuͤchtige Kinder zu eyfern.
Weil
[1091[1093]]Arminius und Thußnelda.
Weil nun denen Hermundurern und Marck-
maͤnnern nichts vortraͤglicher und leichter waͤ-
re/ als das faſt rings herum mit einem Krantze
feſte Gebuͤrge umgebene/ und biß an den groſ-
ſen Donau-Strom reichende Land der Bojen
einzunehmen/ ſtellte er zu der Kriegs-Haͤupter
Nachdencken: was ſie wieder den ſchaͤdlichen
Rath fuͤr ſich und das Vaterland gutes ent-
ſchluͤſſen wolten. Die Kriegs-Haͤupter/ welche
freylich wol den Sieg/ niemahls aber Friede
verlangen/ ſtimmten nicht allein in den Krieg
wieder die Bojen; ſondern weil ſie doch kein an-
ſtaͤndiger Oberhaupt als den Kriegriſchen
Marbod zu hoffen hatten/ machten ſie unter ſich
ein eydliches Buͤndnuͤß ihn auf den Stul des
ermordeten Brittons zu heben; weil doch die
Sitten der Hermundurer und Marckmaͤnner
die buͤrgerliche Herꝛſchafft nicht vertragen koͤn-
ten. Marbod vernahm ihren Schluß mit der
hoͤchſten Gemuͤths-Vergnuͤgung; gleichwol
aber verhuͤllete er ſeine Begierde mit dem
Scheine einer beſtaͤndigen Weigerung eine
ſolche Laſt zu uͤbernehmen/ welche ſeinen Ach-
ſeln zu ſchwer/ vielen Zufaͤllen unterworffen/
ſeinen Feinden zur Verlaͤumdung/ und tauſend
Neidern zum Ziel ausgeſteckt waͤre; ja auch bey
vielen ſeiner Freunde einen Schein gewinnen
doͤrffte/ ſamt er zeither nicht fuͤr das Volck/ ſon-
dern fuͤr ſeinen Ehrgeitz gefochten/ und nur mit
Emporſchwingung ſeiner Niedrigkeit ihre
Freyheit ſelbſt zu unterdruͤcken ſuchte. Die
Kriegs-Oberſten aber hielten ihm ein: Seine
Achſeln waͤren allein faͤhig dieſe Laſt zu uͤber-
nehmen. Daher ſolte er dem gemeinen Weſen
nicht miß goͤnnen/ was ſeine Thaten ſelbtem fuͤr-
laͤngſt ver ſprochen haͤtten. Es waͤre keine groſſe
Sache ein Fuͤrſt gebohren ſeyn; aber wol/ durch
Tugend ſich zum Fuͤrſten machen. Niedrige
Ankunfft waͤre nichts verkleinerliches; ſondern
nur/ wenn man ſich aus derſelben nicht empor
heben wolte. Der waͤre ſchon zum Aufſteigen
faͤhig und groß genung/ der nur die/ welche ſei-
nes Standes waͤren/ uͤbertraͤffe. Ein groſſer
Berg wuͤrde fuͤr klein geachtet gegen einem
groͤſſern/ und ein Weitzen-Korn groß gegen
andere gemeiner Groͤſſe. Die Freyheit lidte
unter einem tugendhafften Fuͤrſten wenigern
Abbruch/ als unter hundert zwiſtigen Raths-
Herren. Daher waͤre es des Volckes Heil/
wenn einer die Herꝛſchafft an ſich riſſe/ welche
von vielen Gebietern in Verwirrung miß-
braucht und zerſtuͤckt wuͤrde. Diß waͤre kein
Werck eines Wuͤtterichs; ſondern eine Unter-
werffung gemeiner Zwytracht unter die Einig-
keit eines Fuͤrſten. Es nehme dem Volcke nicht
ſeine Freyheit/ ſondern es wickelte ſie nur aus
den Verwirrungen vieler herꝛſchſuͤchtiger Len-
te. Den Unterthanen waͤre leichter einem/ als
vielen gehorſamen; und denen Geſetzen waͤre
mehr geholffen durch einen/ der ſie ausuͤbte/ als
durch hundert/ die ſie durch ihre Auslegung
vertunckelten. Alſo dorffte es noch viel Bit-
tens und heiſſer Thraͤnen/ den Marbod zu dem
zu ber eden/ was er wieder Willen des Volckes
ſchon fuͤr laͤngſt an ſich geriſſen hatte. Das
Kriegs-Heer ruͤckte hierauf alſofort nach Cale-
gia/ hob den Staats-Rath auf/ erklaͤrte den
Marbod nicht nur fuͤr einen Fuͤrſten/ ſon-
dern/ weil der alten Hertzoge Titel ihm zu
verkleinerlich war/ fuͤr einen Koͤnig der Her-
mundurer/ Marckmaͤnner und Seduſier. Al-
les diß geſchahe mit groͤſſerm Gepraͤnge/ als
vorhin keinem Fuͤrſten geſchehen war; welches
dardurch nicht geringen Glantz bekam: daß
Kayſer Auguſt ihm zugleich eine guͤldene Kro-
ne/ einen Purpur-Rock/ einen Helffenbeiner-
nen Stul/ und einen mit edlen Steinen ver-
ſetzten Degen uͤberbringen ließ. Marbod/
nach dem ihm alle Staͤnde den Eyd der Treue
abgelegt/ alle hohe Aempter mit ſeinen Ge-
ſchoͤpffen/ und denen/ welche zur Dienſtbarkeit
die groͤſte Zuneigung bezeugten; in ſonderheit a-
ber mit ſeinen Landesleuten den Marckmaͤn-
nern beſetzt hatte/ brach an zweyen Orten bey
Y y y y y y 2den
[1092[1094]]Siebendes Buch
den Bojen ein. Hertzog Critaſir lebte daſelbſt
mit den Bojiſchen Staͤnden in hoͤchſtem Miß-
verſtaͤndnuͤße; weil er ſeiner Gemahlin
Gangoza einer Fuͤrſtin der Lygier gleichſam
alle Gewalt eingeraͤumt/ und inſonderheit alle
Ehren-Aempter zu verkauffen verſtattet hatte.
Dahero waren ſie weder durch den Ruff der ſich
naͤhernden Gefahr/ noch durch ihres Fuͤr ſten
bewegliche Erinnerung zur Gegenbereitung
zu bewegen; alſo: daß es einem geheimen Ver-
ſtaͤndnuͤſſe zwiſchen dem Koͤnige Marbod und
den Bojen nicht unaͤhnlich ſchien. Welche
Muthmaſſung dardurch mercklich beſtaͤrckt
war: daß Marbod einen der fuͤrnehmſten Bo-
jen bey ſich zum geheimen Rathe hatte/ welcher
deßwegen aus Critaſirs Gebiete gewichen war;
weil der Koͤnig ihn: daß er mit ſeiner Gemah-
lin Gangoza/ hingegen Gottſchalck/ alſo hieß
dieſer Ritter/ Critaſirn beſchuldigte: daß er mit
ſeiner Frauen allzu vertraͤulich lebte; fuͤrnehm-
lich aber: daß ſo bald Marbod uͤber das Hercy-
niſche Gebuͤrge ohne den geringſten Wieder-
ſtand kam/ nicht nur etliche tauſend von dem
hohen Adel unter gedruͤckte Ritters-Leute/ ſon-
dern auch viel der groͤſten Herren zum Mar-
bod ins Laͤgeꝛ kamen/ und ſich unter ſeine Kriegs-
Fahnen ſtellten. Ja der Bojen Zulauff mehr-
te ſich derogeſtalt: daß ſie an der Zahl ſtaͤrcker/
als ſeine eigne Kriegs-Leute waren; und daher
er jene guten theils ausmuſtern/ und ſie unter
allerhand Schein dort und darhin verbr auchen
muſte. Alle feſte Plaͤtze brachten ihm die Schluͤſ-
ſel entgegen; die Haupt-Stadt Boviaſmum
wehrte ſich allein acht/ und die Stadt Caſur gis
fuͤnff Tage. Hertzog Critaſir ſelbſt gieng ent-
weder aus Verdruß: daß ihn ſeine Untertha-
nen gantz huͤlfloß lieſſen/ oder weil er ohne diß
alt war/ und keinen Reichs-Erben/ ja wol gar
ſeine Herꝛſchafft niederzulegen im Sinne hat-
te/ aus dem Lande in das dem Feldherꝛn Segi-
mer zuſtehende Gebiete der Quaden; und fahe
aus der Stadt Celemantia der Uberwindung
ſeines Landes gleichſam ohne Empfindligkeit
des Gemuͤthes und ohne Ruͤhrung einiger
Hand zu. Alſo iſt die Unempfindligkeit eines
Fuͤrſten einem Reiche eben ſo ſchaͤdlich/ als die
uͤbermaͤßige Herꝛſchensſucht. Denn wie dieſe
die Laͤnder einaͤſchert; alſo laͤſſet ſie jene durch
Erfrierung vergehen. Wie die Natur die Em-
pfindligkeit/ als ein Erhaltungs-Mittel/ allen
Thieren eingepflantzet hat; alſo eignet ſie die
Staats-Klugheit den Fuͤrſten ein. Denn wel-
chen nicht der Verluſt ſeiner Unterthanen in
der innerſten Seelen beiſt/ deſſen Reiche faͤllet
ein Glied nach dem andern/ als erfroren weg/
der kalte Brand aber frißt endlich biß zum Her-
tzen/ und reibet es gar auf. Welche Kranckheit
ins gemein in Wahl-Koͤnigreichen/ oder wo ein
Fuͤrſt nicht vererbt iſt/ uͤberhand nimmt. Denn
viel/ welche gleich nicht aus innerlicher Groß-
muͤthigkeit fuͤr ihre Laͤnder wache waͤren/ wecket
die Kinder-Liebe auf: daß ſie mit ihrem Erb-
theile auch fuͤr das Vaterland ſorgen.
Marbod hingegen wol wiſſende: daß ge-
ſchwinder Einfaͤlle gantze Krafft in der erſten
Hefftigkeit beſtehe/ und daß die Spitzen/ welche
nicht durchgehen/ nur ſtumpff werden; ſchmie-
dete das Eiſen weil es warm; und ſeiner Fein-
de Hertz kalt von Furcht war; ruhete Tag und
Nacht nicht/ ſondern machte ſich in wenigen
Wochen zum voͤkligen Meiſter uͤber die Bojen.
Er ſelbſt wuſte ſich in die Ubermaaß ſeines Gluͤ-
ckes nicht zu finden; deſſen Hefftigkeit nichts
minder den Verſtand/ als allzugroſſer Glantz
die Augen verblaͤndet. Daher er denn in Befe-
ſtigung ſeiner Herꝛſchafft nicht allenthalben ſei-
ne gewohnte Klugheit fuͤrkehrte; inſonderheit
aber denen freymuͤthigen Bojen allzu ſcharffe
Geſetze aufbuͤrdete; und durch Erbauung eines
ſtarcken Schloſſes zu Boviaſmum und Caſur-
gis entweder ſein Mißtrauen zu ihnen/ oder ſei-
ne Anſtalt ihnen ein Gebieß anzulegen vermer-
cken ließ. Weil ihm einer ſeiner Kriegs-Ober-
ſten rieth: Es ſey ſicherer einem die Haͤnde bin-
den:
[1093[1095]]Arminius und Thußnelda.
den: daß er nicht ſchaden koͤnne/ als ſein Ge-
muͤthe gewinnen: daß er uns gewogen werde.
Da doch ein Uberwinder neue Voͤlcker durch
nichts beſſer/ als wenn er alles im alten Stande
laͤſt/ im Zaum halten kan; weil ſie ſodenn nicht
ſo wol eine neue Herꝛſchafft empfinden/ als des
vorigen Fuͤrſten Geiſt in einem andern Leibe
ſehen. Weil nun in edlen Gemuͤthern die groß-
muͤthigen Regungen mehr ſchlafen als geſtor-
ben ſeyn/ und bey euſſerſter Noth wie die im
Winter erſtarrten Schlangen am Fruͤhlinge
lebhafft werden; ſtanden in einem Tage die Bo-
jen durch ihr gantzes Land wieder den Marbod
auf; uͤberfielen ſeine Beſatzungen; ja ihn ſelbſt
umringten ſie unter dem Sudetiſchen Rieſen-
Gebuͤrge/ dahin er unter dem Scheine den
Brunnen der Elbe zu beſchauen/ in Warheit a-
ber der benachbarten Marſinger Zuſtand aus-
zuforſchen verreiſet war. Marbod haͤtte ſich
ehe des Himmelfalls/ als eines Feindes verſe-
hen/ als Gottwald/ ein junger und hertzhaffter
Ritter mit tauſend Mann ihn in einem Walde
an einem Furth uͤberfiel. Ob er nun wol mehr
nicht/ als hundert bewehrte Leute bey ſich hat-
te/ munterte er doch durch ſeinen Zuruff und
Beyſpiel die Seinigen zu einer hertzhafften
Gegenwehr auf. Marbod und Gottwald
geriethen ſelbſt an einander. Wie nun jener
die gemeinen Schrancken menſchlicher Tugend
zu uͤbertreffen ſich bemuͤhte/ um den erlangten
Ruff: daß er mehr/ als ein Menſch waͤre/ zu [be]-
halten/ und in einer Stunde nicht zu verlieren/
was er durch ſo viel Jahre durch Schweiß und
Blut kaum erworben hatte; alſo hatte der kuͤh-
ne Gottwald bey ſich beſchloſſen: daß dieſen
Tag ſein Schild entweder ſein Grabe- oder der
Freyheit Grund-Stein fuͤr die Bojen/ ihm
aber eine Staffel der Ehren und Gluͤckſelig-
keit ſeyn ſolte. Marbod verletzte Gottwalden
zwar mit einem Wurff Spieße in den rechten
Schenckel; aber dieſe Wunde nahm ihm nicht
ſo viel Kraͤfften/ als der Eyver hieruͤber ſeiner
Tapfferkeit beyſetzte. Dahero traff er den Mar-
bod mit einer Lantze ſo hefftig: daß ſelbte zwiſchen
dem Gelencke des Harniſches durch die lincke
Achſel gieng. Marboden entgieng zwar hier-
uͤber nicht wenig Blut/ aber das wenigſte von
ſeiner Hertzhafftigkeit. Jnzwiſchen aber/ weil
die Bojen durch das Gehoͤltze denen Hermun-
durern und Marckmaͤnnern in Ruͤcken kom-
men waren/ lidten ſie wegen ihrer Wenigkeit
allenthalben Noth; alſo: daß Marbod/ der nun
ſeinen Unter gang fuͤr Augen ſahe/ noch einmal
ſein euſſerſtes wagte; und nach dem er zwey
Bojen zu Bodem geſchlagen/ einen verzweiffel-
ten Streich auf den Ritter Gottwald thaͤt/ und
ihm ſeinen Schild mitten entzwey theilte/ ihm
auch vollends noch was gefaͤhrlichers beybracht
haͤtte/ wenn ein Bojiſcher Edelmann/ der her-
nach hiervon den Nahmen Nothhafft bekam/
ſelbten nicht verſetzt/ und alſo fort Gottwalden
ſeinen Schild eingehaͤndigt haͤtte. Hieruͤber
aber verlohr Marbod ſein Pferd; ein Marck-
maͤnniſcher Ritter aber/ den Marbod hernach
von dem Orte dieſes Gefechtes zum ewigen
Gedaͤchtnuͤße Tannenberg hieß/ verſetzte in-
zwiſchen alle feindlichen Streiche: daß er wie-
der auf die Fuͤſſe kam. Marbod/ Tannenberg/
Lichtenſtein/ und etliche andere Marckmaͤnner
machten ihnen durch das Gedraͤnge mit dem
Degen gleichwol einen Weg zu einer dicken
Hecke; wohin es mit den Pferden zu kommen
unmoͤglich war; aber Marbod bekam hieruͤber
noch drey gefaͤhrliche Wunden. Endlich kam
die finſtere Nacht ihnen zu Huͤlffe; Tannenberg
und Lichtenſtein aber; als inzwiſchen die uͤbri-
gen Marckmaͤnner biß auff den letzten Bluts-
Tropffen zwiſchen den Hecken die Bojen
auffhielten/ kletterten an einem gaͤhen Berge
hinauff/ und brachten ihn um Mitternacht zu
einer felſichten Hoͤle. Wiewol ſie ſich nun
nicht allerdings ſicher ſchaͤtzten/ in dem ſie
um den Berg etliche hundert brennende Kien-
Fackeln wie Jrr-Lichter ſchwermen ſahen/
Y y y y y y 3alſo
[1094[1096]]Siebendes Buch
alſo muthmaſten: daß die Bojen den Koͤnig
Marbod oder ſeine Leiche ſuchten/ muſten ſie
doch daſelbſt verblaſen/ weil der hald-tode und
ohnmaͤchtige Marbod unmoͤglich weiter zu
bringen war. Daher ſchlepten ſie den Koͤnig
Marbod in die Hoͤle/ zohen ihm ſeine Waffen
aus/ und erquickten ihn mit etlichen Hand-
volln Waſſer aus einem dabey abrinnenden
Quelle. Alſo iſt doch niemand/ wie viel tau-
ſend ihn gleich fuͤrchten muͤſſen/ nicht immer
der Furcht befreyet; und der maͤchtigſte hat
nichts minder von einem ſchwaͤchern Gefahr/
als aus einer kleinen Wolcke ein hefftiger Don-
nerſchlag kommet/ und ein verſchloſſener Wind
gantze Gebuͤrge umdrehet. Der veraͤchtliche
Gottwald brachte es derogeſtalt ſo weit; daß
auf dieſem hohen Gebuͤrge der maͤchtige Koͤnig
Marbod ſo tieff verfallen muſte. Und alſo er-
eignet ſich mehrmahls: daß dieſelben ſich kaum
mit einem Loͤffel Waſſer laben koͤnnen/ welche
kaum vorher der Beſitz etlicher Meere und hun-
dert Fluͤſſe nicht zu ſaͤttigen vermocht hat. Bey
anbrechendem Tage wolte Lichtenſtein aus der
Hoͤle kriechen/ um den euſſerlichen Zuſtand zu
erkundigen/ und fuͤr ihre/ beſonders aber Mar-
bods Wunden einige Kraͤuter aufzuſuchen.
Wie er hiermit zuruͤck in die Hoͤle kam/ erblick-
te er zu hinterſte einen groſſen ſich empor he-
benden Baͤren/ woruͤber er nach dem Degen
grieff/ und einen hellen Gall anzuruffen fieng/
um den nicht ferne davon liegenden Tannen-
berg zu ermuntern. Dieſer ſprang hieruͤber
auch auf/ und wolten ſie beyde ſich an dieſes wil-
de Thier machen. Es kroch aber ein Eysgrauer
mit einer Baͤren-Haut bekleideter Mann/ deſ-
ſen Bart ihm biß unter den Guͤrtel gieng/ hin-
ter einem Felſen herfuͤr; und gab ihnen zu ver-
ſtehen: daß wo ſie fuͤr keinem Menſchen ſich et-
was zu befahren haͤtten/ waͤren ſie fuͤr dieſem
ſonſt grimmigen Thiere allerdings ſicher. Wie
nun aber Lichtenſtein und Tannenberg ihre
Degen nicht bald einſteckten; fuhr der Alte
fort: Stehet auſſer Sorgen/ ihr Fremdlinge/
wer ihr auch ſeyd/ ich ſtehe fuͤr aller Gefahr und
Schaden. Denn nach dem die Menſchen ge-
lernet haben grimmiger zu ſeyn/ als wilde
Thiere/ fangen dieſe an zahmer zu werden als
die Menſchen. Die dem Alten aus dem leb-
hafften Antlitze ſehende Redligkeit/ und ſeine
andaͤchtige Gebaͤhrden verurſachten bey beyden
alsbald ein Ehrerbietiges Anſehen; und der
Baͤr ſelbſt ſtreckte ſich auf ſein gegebenes Zei-
chen demuͤthigſt zu Lichtenſteins Fuͤſſen. Die-
ſer hingegen gruͤſte den Alten nunmehr mit
tieffer Verehrung als einen Halb-GOtt/ und
bat um die Auslegung ſeiner vorigen Worte.
Der Alte verſetzte: Er ſehe ſie theils fuͤr ſeinen
Fuͤſſen/ theils truͤge er ſie an ſeinem Leibe. Denn
ſeine Kleider deuteten eine nicht geringe Ver-
wundung an; ſolche aber haͤtte ſchwerlich ein
reiſſender Baͤr oder Wolff/ ſondern ein viel
blutbegieriger Thier verurſacht. Dieſes waͤre
der Menſch/ welcher biß zum zehenden Jahre
einen Affen/ biß zum zwantzigſten einen Pfau-
en/ biß zum dreyßigſten einen Loͤwen/ ins vier-
zigſte einen Fuchs/ ins funffzigſte eine Schlan-
ge/ biß ins Grab einen unerſaͤttlichen und alles
Ertzt verdauenden Strauß abbildete; oder viel-
mehr iederzeit die Laſter aller Thiere beſaͤſſe/
zehn Baͤren aber ſich kaum mit der Grauſam-
keit eines Menſchen betheilten. Ja weil kein
Thier in ſein eigen Geſchlechte ſo wuͤtete/ wuͤrde
die Welt ſicher friedlicher/ die Erde weniger
blutiger ſeyn/ wenn gleich Loͤwen/ Panther/ und
Tiger-Thiere die Oberherꝛſchafft der Welt be-
haupteten. Es iſt wahr/ antwortete Lichten-
ſtein. Denn da wir in dieſer Baͤren-Hoͤle nicht
mehr Erbarmnuͤß finden/ wird die Grauſam-
keit gewiß noch unſern uͤbrigen Lebens-Athem
ihr aufopffern. Erbaͤrmlicher Zuſtand der
Menſchen! ruffte dieſer holdſelige Alte/ wel-
chem zugleich die milden Zaͤhren uͤber die Ba-
cken lieffen/ und an ſeinem Barte wie Morgen-
Thau haͤngen blieben. Warlich! wenn die
Sonne
[1095[1097]]Arminius und Thußnelda.
Sonne ſo wol Ohren als Augen haͤtte; wuͤrde
ſie mehrmahls in ihrer eyffrigen Renn[e]bahn
den Lauff hemmen/ und dem auf dem Miſte
dieſer Welt winſelnden Elende der Menſchen
Gehoͤre geben/ vielmahl auch auf ihre teuffeli-
ſche Boßheit an ſtatt der fruchtbaren Stralen
Hagel und Blitz ausſchuͤtten muͤſſen. Jhr ver-
dammten Halb-Menſchen/ die ihr unter Eng-
liſchen Geſichtern gifftige Scorpionen-
Schwaͤntze und raſende Panther-Klauen ver-
decket; die ihr vom Himmel deßwegen die
Waffen der Vernunfft uͤberkommen zu haben
vermeinet: daß ihr ſie zu anderer Betrug und
Blutſtuͤrtzung gebrauchen koͤntet; gleich als weñ
euch die Natur zu Prieſtern des Todes gezeu-
get haͤtte! Wiſſet ihr nicht: daß die Welt ein
angefuͤllter Kercker von Miſſethaͤtern ſey/ wel-
che das Verhaͤngnuͤß noch fuͤr ihrer Geburt
durch ein unwiederrufliches Geſetze zum Tode
verdammt hat; in dem ieder alle Augenblicke
die Ausuͤbung des Urthels und die Art ſeiner
Hinrichtung zitternde erwarten muß? Jſt euch
verborgen: daß die Zeit ſelbſt der Scherge oder
der Todten-Graͤber iſt/ der euch auf dem vom
Verhaͤngnuͤße ausgeſteckten Wege uͤber Hals
uͤber Kopff zum Grabe fortſchleppet; und daß
ſie zwar zum Merckmahl/ wie geſchwinde unſer
Leben verrauchet/ eine Sand-Uhr in der ei-
nen; eine Sichel aber in der andern Hand traͤ-
get/ welche uns unfehlbar abmeyet/ ehe wir es
uns verſehen; weil wir ſchon in der Wiege reiff
zum Tode ſind. Aber laſſet mich durch meine
Traͤgheit nicht auch in verdammliche Grau-
ſamkeit verfallen. Hiermit machte der Alte dem
noch ſprachloſen Marbod die Kleider auf/ be-
ſahe ſeine Wunden/ wuſch ſie aus/ holete Kraͤu-
ter/ zerquetſchte ſie zwiſchen zwey Steinen/ und
verband ſie darmit. Nichts anders verfuhr er
mit dem Ritter Lichtenſtein und Tannenberg.
Um den Mittag brachte er ihnen zur Mahl-
zeit allerhand Wurtzeln/ und in einem ausge-
hoͤlten Steine ein annehmliches Waſſer/ wel-
ches er nahe darbey aus einem Sauerbrunnen
geſchoͤpfft hatte; den lechſenden Marbod aber
erquickte er mit Himpel- und andern annehm-
lichen Beeren; welche in Menge und unge-
woͤhnlicher Groͤſſe auf dieſem Gebuͤrge wuch-
ſen. Seinen Baͤren ſchickte er auf die Jagt
aus/ welcher taͤglich etwas von Wildpret ein-
brachte; ſo der gute Einſiedler nach der erſten
Welt Einfalt zurichtete; uͤbrigens aber ſeine
Gaͤſte derogeſtalt unterhielt: daß ſie ihn fuͤr ih-
ren Artzt/ ihren Verpfleger/ ihren Lehrer/ ja
fuͤr ihren Vater ruͤhmen muſten. Tannenberg
und Lichtenſtein geneſeten in drey/ Marbod a-
ber zu aller hoͤchſter Verwunderung in acht Ta-
gen von ihren gefaͤhrlichſten Wunden. Wor-
auf der Einſiedler allererſt nach ihrem Zuſtan-
de/ und wie ſie in diß Ungluͤck verfallen waͤ-
ren/ fragte; weil er es anfangs zu thun deßwe-
gen anſtand: daß ein Menſch nach dem Bey-
ſpiele der Sonnen/ welche uͤber Wolffs-Milch
und Weitzen/ ſo wol uͤber die ſie verfluchende
Mohren als die ſie anbetenden Perſen ihre
Strahlen ausſchuͤttet/ ohne einigen Unter-
ſcheid Boͤſen und Guten wolthun ſolle. Mar-
bod/ welcher gleichwol nicht trauen wolte/ wer
er waͤre/ zu entdecken; berichtete ihn: Sie waͤren
Marckmaͤnniſche Edelleute/ welche in Beglei-
tung ihres Koͤniges von denen Bojen verraͤ-
theriſch waͤren uͤberfallen/ und alſo zugerichtet
worden. Sehet ihrs nun/ ſagte der Einſiedler:
daß die Boßheit mit demſelben Meſſer verwun-
det werde/ welches ſie vorher auf andere Haͤlſe
geſchliffen hat. Marbod und ihr habt euch dieſes
Uberfalls halber weder zu verwundern noch zu
beſchweren. Denn habt ihrs den Bojen nicht
vorhin aͤrger mitgeſpielet? Perill brennet nicht
unbillich im gluͤenden Ochſen; den er vorher
andern zur Pein erſonnen hatte. Wer aber ſein
Thun nach der Wagſchale der Gerechtigkeit
abwiegt/ hat ſich fuͤr ihrem Schwerdte nicht zu
fuͤrchten. Unſere ungezaͤhmte Begierden ſtuͤr-
tzen uns nur von den Steinkluͤfften ſolcher ent-
ſetzlichen
[1096[1098]]Siebendes Buch
entſetzlichen Zufaͤlle. Haͤtte Marbod/ deſſen
Leib der Himmel nicht begreiffen wuͤrde/ wenn
er mit ſeinem Ehrſuͤchtigen Gemuͤthe gleicher
Groͤſſe waͤre/ ſich nicht zum groͤſten Raͤuber der
Welt/ und einem Moͤrder ſeines Herꝛen ge-
macht; ſo haͤtte das erreitzete Verhaͤngnuͤß ihm
keinen ſo ſauern Blick gegeben. Ein tugend-
hafft und vergnuͤgliches Leben iſt der ſicherſte
Ancker und der vollkommenſte Gluͤcks-Stern.
Wie tieffſinnig aber iſt die Ehrſucht der Men-
ſchen um ihr ſelbſt weh zu thun; wenn ſie alle
Kreiße der Vergnuͤgung uͤberſteigt/ und alle
Augenblick ihr in den Gedancken eine ſo hohe
Gluͤcks-Staffel fuͤrbildet; die ſie gar nicht/ oder
nur mit ihrer Einaͤſcherung erreichen kan! Wie
zwinget ſie ihr Verlangen ſo viel hoͤher/ als ihre
Augen tragen/ und ihre Kraͤfften reichen. Ja
wenn ein Herꝛſch ſuͤchtiger auch ſchon den erſten
Tag auf dem Wagen der Sonne zu ſitzen kaͤ-
me; wuͤrde er doch Morgen ſchon in dem aller-
hoͤchſten Kreiße die unbeweglichen Geſtirne mit
ſeinen Fuͤſſen zermalmen wollen. Deñ ehe man
ſich einer Herꝛſchafft bemaͤchtiget/ ſcheinet eine
kleine groß/ nach ihrer Uberkommung aber
auch die groͤſte klein zu ſeyn. Dannenher GOtt
gar billich der menſchlichen Unerſaͤttligkeit
durch ſo viel ohnmaͤchtige Schwaͤchen die Fluͤ-
gel verſchnitten und verhangen hat: daß ein
Knecht einem Fuͤrſten offt zum Meiſter werde;
und eine Hand mit einem Funcken Feuer in ei-
nem Augenblicke verterben koͤnne/ was hundert
tauſend in hundert Jahren gebaut haben. Jhr
blinden Sterblichen! Wenn wird euch die Zeit
oder euer Nachdencken die Larve vom Geſichte
ziehen? wenn werdet ihr ſehen: daß in der Tu-
gend/ nicht in euſſerlichem Gepraͤnge unſere
Gluͤckſeligkeit beruhe? daß wie viel leichter in
einem kleinen Zirckel unſer Augen-Maß den
Mittel-Punct zu erkieſen wuͤſte; alſo in nie-
drigem Stande ehe/ als auf denen geſchwancken
Gipffeln hoher Wuͤrden die Ruhe des Gemuͤ-
thes zu finden ſey! Wenn werdet ihr das We-
ſen fuͤr den Schatten ergreiffen; und euer Ge-
muͤthe mit Koſt/ nicht mit Winde ſpeiſen? Jſt
es nicht Thorheit oder vielmehr Boßheit: daß
der Menſch den Glantz der Tugend/ welcher
die Stralen der Sonnen vertunckelt/ darum
veraͤchtlich haͤlt; weil ſelbter eine Selbſtſtaͤn-
digkeit zum Grunde hat; und ſich mit der Blaͤn-
dung der Laſter vergnuͤget; weil ſie das Nichts
der Eitelkeit zum Fuſſe haben. Die Weißheit
haͤlt fuͤr das hoͤchſte/ wenn ſie was iſt; darmit a-
ber kein Gepraͤnge macht/ ſondern ihre Dia-
manten mit rauen Steinen/ ihren koͤſtlichen
Kern mit geringen Schalen verhuͤllet. Was
nichts iſt/ und nichts zu ſeyn ſcheinet/ wird bil-
lich von Tugend und Boßheit verworffen. Aber
in der Welt/ weil ſelbte voll von eitel leeren
Dingen iſt/ und eitel Einwohner hat/ die nir-
gends weniger/ als in derſelben wohnen/ haͤlt
man fuͤr nichts/ was gleich ſcheinet/ und wahr-
hafftig etwas iſt; hingegen fuͤr das voll kommen-
ſte Weſen/ was nicht iſt/ und nur einen Schein
hat/ als wenn es etwas waͤre. Weil der Pape-
goy zu reden ſcheinet/ hencken ihn Koͤnige in
guͤldenen Kefichten in ihre herꝛlichſten Zim̃er/
und ſpeiſen ihn mit Zucker; wenn aber Epictet
einen Redner abgeben wil/ ſchleuſt man ihm
die euſſerſten Pforten fuͤr der Naſe zu. Der
groſſe Alexander fand zwar beym Diogenes die
Gluͤckſoligkeit/ und ſein Faß warff den Schat-
ten weit uͤber die Egyptiſchen Spitz-Seulen;
dieſer groſſe Weltbezwinger aber wuſte keinen
Glantz dieſem armen Weiſen beyzuſetzen;
ſondern er entzog ihm vielmehr die Stralen der
Sonnen/ und beeintraͤchtigte die Vergnuͤgung
ſeiner Niedrigkeit. Wenn Marbod in ſeinem
erſten Stande blieben waͤre/ oder mit mir in
dieſer Hoͤle gleich ſeine Vergnuͤgung ſehe; wuͤr-
de er doch lieber nach der Lufft eiteler Ehre
ſchnappen/ und inwendig gerne ein grauſames
Ungeheuer vieler Laſter werden: daß er nur in
den Augen der Eitelen ein Wunderwerck der
Gluͤcks-Kinder ſeyn moͤge. Es iſt zu erbarmen:
daß
[1097[1099]]Arminius und Thußnelda.
daß Menſchen ſich vernuͤnfftige Thiere zu ſeyn
ruͤhmen; da ſie doch ſelten der Richtſchnur der
Vernunfft folgen; ſondern ins gemein den Ab-
ſaͤtzen ihrer raſenden Begierde nachhaͤngen;
Unter welchen die Ehrſucht die grauſamſte iſt.
Alle andere Laſter haben ihren Stilleſtand; die
Schwelgerey wird erſaͤttigt/ die Wolluſt uͤber-
druͤßig/ die Grauſamkeit ermuͤdet/ der Zorn
abgekuͤhlet; die Ehrſucht aber iſt das Feuer/
welches von ſeiner Nahrung wol vergroͤſſert/
keinmahl aber ſatt wird. Da doch eine weite
Herꝛſchafft die beſchwerlichſte Dienſtbarkeit iſt;
und die/ welche uͤber viel tauſend gebieten/
nicht Herꝛen uͤber ſich ſelbſt ſind; in welchem
letztern doch die eigentliche Herꝛſchafft beſtehet.
Der Wolluͤſtige iſt ein Sclave eines Antlitzes/
der geitzige eines glaͤntzenden Erd-Klumpens/
der Ehrſuͤchtige ein Knecht der Knechte; fuͤr
welchen ſich dieſelben demuͤthigen/ welche uͤber
Herꝛen gebieten wollen. Das groͤſte Koͤnigreich
aber iſt die Freyheit ſeines Hertzens; welches an
nichts/ als an ſeinem Uhrſprunge dem Him̃el
hengt; welches keinen Menſchen beleidiget/
Gott nicht erzuͤrnet; welches alle andere Staͤn-
de ihm fuͤr unanſtaͤndig haͤlt; darein ihn das
Verhaͤngnuͤß nicht geſetzt hat/ und den Begier-
den alsbald einen Riegel fuͤrſcheubt; wenn ſich
ihnen irgendswo ein Abweg zeiget; auf wel-
chem die Luͤſternen Hals und Kopff brechen; ob
er ſchon im Eingange mit Lilgen und Jaſmi-
nen beſtreuet iſt; wie euch das Beyſpiel eures
Marbods den geſtrigen Tag fuͤrgebildet hat; o-
der/ welches mir glaublicher/ der kuͤnfftige
durch einen viel merckwuͤrdigern Fall aller
Welt fuͤr Augen ſtellen wird. Sintemahl die
durch Laſter an ſich gezogene Gewalt eben ſo
wenig/ als der Schnee an der Sonnen/ und
das Wachs im Feuer tauern kan. Marbod
faͤrbte und entfaͤrbte ſich unterſchiedene mahl
uͤber der nachdruͤcklichen Gewiſſensruͤhrung
dieſes frommen Alten; er ſahe bald den Tan-
nenberg/ bald den Lichtenſtein an/ ſie gleichſam
fragende: ob ſie auch in ihrem Gemuͤthe die
Stiche fuͤhleten/ welche ſo empfindlich ſein Hertz
traͤffen. Woruͤber der Einſiedler alsbald eine
Muthmaſſung faſte: daß diß Koͤnig Marbod
wol ſelbſt ſeyn doͤrffte. Sintemahl eben ſo
wenig eine Larve einen Fuͤrſten/ als eine
Wolcke die Sonne voͤllig bergen kan. Lichten-
ſtein aber/ um entweder ſeinen Fuͤrſten ſo viel
moͤglich zu rechtfertigen/ oder dem Alten mehr
Anlaß zu fernerm Unterricht zu geben/ ſaͤtzte
ihm entgegen: Es gebe ſo wenig Menſchen oh-
ne Fehler/ als Tiger ohne Flecken. Jeder
Grundzeug der Natur waͤre ein Behaͤltnuͤß
wilder Thiere/ und ein Auffenthalt menſchlicher
Gebrechen. Die Hoffart haͤtte ihr Leben gleich-
ſam in der Lufft/ der Zorn im Feuer/ der Geitz
in der Erde/ die Selbſt-Liebe im Waſſer; Die
Ehrſucht aber ſchluͤge ihr Gezelt ſchier unter
den Sternen auf/ und haͤtte an ſich etwas him̃li-
ſches/ und darum ſo viel weniger Rauch und
ſcheltbares. Alle Arten der Thiere haͤtten unter
ſich gifftige/ und fuͤrnehmlich die Kriechenden.
Keinem Vogel alleine klebte einig Gifft an.
Daher hielter die/ welche ſich von dem Miſte
des Poͤfels erhieben/ und uͤber andere durch
groſſe Thaten empor ſchwingen/ fuͤr die reineſte
Suͤnde/ wormit ſich Menſchen befleckten. Jhm
waͤre zwar etlicher Weiſen Meinung nicht un-
bekandt: daß man aus bloſſer Liebe der Tu-
gend/ nicht aus Begierde der Ehren gutes thun
ſolte; und daß die letztere ſonſt die Tugend in Ei-
telkeit verwandelte; ja daß die Tugend ſodeñ ihr
hoͤchſtes Ziel erreichte; wenn ſie nicht nur alles
Ruhms entbloͤſt/ ſondern gar mit Schmach/
Schande und Verachtung verſtellet wuͤrde. Er
wuͤſte wol: daß einige den Pithias beſchuldigten/
ſeine Freundſchafft gegen den Damon haͤtte
nicht die Liebe/ ſondern Eitelkeit zum Grunde
gehabt. Scipio haͤtte ſich der ſchoͤnen Gefan-
genen nicht aus Liebe/ ſondern aus Staats-
ſucht; Curius der Eitelkeiten aus Eitel-
keit enthalten. Alleine heiſt das nicht Helf-
fenbeinerne Bilder mit Kohlen uͤberfirn-
ſen/ und die Sonne mit Gewoͤlcke ſchoͤner
Erſter Theil. Z z z z z zmachen
[1098[1100]]Siebendes Buch
machen wollen; und der Tugend ihre Anmuth
nehmen/ wormit ſie ſo viel weniger Buhler be-
kom̃e. Sintemahl die Menſchen durch gehends
ſo kalt gearthet waͤren: daß der Zunder der Eh-
re ihre todten Geiſter aufwecken muͤſſe. Daher
nichts gewiſſers/ als daß der/ welcher Ruhm
und Ehre verachtet/ der Tugend ſchwerlich hold
ſeyn koͤnne. Maſſen denn den Menſchen die
Ehre faſt allein von andern Thieren abſonder-
te/ und zu GOtt naͤherte. Ja ſie waͤre ein viel
edler Kleinod als das Leben. Denn diß moͤchte
man wol fuͤr jene/ niemahls aber jene fuͤr dieſes
einbuͤſſen. Zumahl die Ehre das von der Na-
tur in ſo enge Schrancken der Zeit eingeſperrte
Leben ſodenn/ wenn es ruͤhmlich eingebuͤßt
waͤre/ verewigte; und das Verlangen beym
Leben hochgeſehen/ nach dem Tode bey der
Nachwelt beruͤhmt ſeyn/ einen ſichern Beweiß
abgaͤbe: daß die Seele unſterblich ſey. Denn
wenn ſie mit dem Leibe zu ſeyn aufhoͤrte/ was
haͤtte ſie fuͤr Genuͤß vom Nachruhme? dieſem-
nach lieſſe ſich keine Ubermaße leichter entſchul-
digen/ als wenn das Verlangen nach einem ſo
herꝛlichen Dinge uͤber die Schnure rennte.
Der Leib wuͤchſe nur fuͤnff und zwantzig Jahr/
das Hertz aber funffzig/ und das Gemuͤthe wie
der Krocodil ſo lange man lebte; zu einer nicht
unklaren Andeutung: daß die Ergetzligkeiten
des Leibes ein zeitliches; tapffere Entſchluͤſſun-
gen ein langſames/ das Verlangen uͤber andere
zu herꝛſchen gar kein Maß noch Ziel haben ſolle.
Der zerbrechliche Menſch wuͤrde wilden Thie-
ren in vielem nachgeben/ beſonders den Raben;
derer Jugend allein hundert Jahr austruͤge/
und den Adlern/ welche biß uͤber die Wolcken
fluͤgen/ wenn er nicht durch Helden-Thaten ſich
bey den Nachkommen verewigen/ und mit der
Herꝛſchafft uͤber die heben koͤnte/ welche in der
Verachtung bey den Lebenden/ und in der
Vergeſſenheit der noch ungebohrnen vergra-
ben liegen. Britton haͤtte zwar wie ein kleiner
Stern fuͤr der aufgehenden Sonne des Fuͤr-
ſten Marbods erbleichen muͤſſen; aber dieſes
Geſetze waͤre nicht nur in dem Reiche der
Staats-Klugheit/ ſondern auch der Natur
Herkommens; worinnen eines Dinges Ge-
burt des andern Vernichtigung nach ſich zuͤge.
Das geringe Gewuͤrme des Poͤfels krieche nur
in dem Staube/ die ohnmaͤchtigen Schnecken
truͤgen ſich nur mit ihren engen Huͤtten; Groſ-
ſe Gemuͤther aber zuͤgen mit den Habichten und
den Loͤwen auf den Raub aus. Und wie es dem
Volcke wol anſtuͤnde das Seinige verwahren;
alſo Fuͤrſten um fremde Guͤter kaͤmpffen.
Muͤhte ſich doch die Fettigkeit der ſtinckenden
Moraͤſte in empor ſteigende Duͤnſte/ und dieſe
ſich in Lufft-Sternen zu verwandeln. Und
ob ſie zwar endlich wieder verlodeꝛten; waͤre doch
ihre Aſche nicht unedler/ als der Uhrſprung.
So viel weniger waͤre dem von edlem Ge-
ſchlechte entſprungenen Marbod zu verargen:
daß er nach der Eigenſchafft der beſten Sterbli-
chen ihm die hoͤchſte Pforte der Ehren/ ſeinen
Nachkommen der Wuͤrde/ andern Edlen der
Nachfolge geoͤffnet haͤtte. Weil ſo viel Rieſen-
Vaͤter Zwerge; groſſe Koͤnige unedle Knechte
zeugten/ und ihr Geſchlechte in Abfall braͤch-
ten; muͤſten andere hingegen in Aufnehmen
kommen. Wie einerley Ding unterſchiedene
Farben zu haben ſchiene/ nach dem man es ge-
rade oder ſeitenwerts anſehe; alſo waͤre nichts
ſeltzames: daß ein Menſch von einem erhoben/
vom andern geſcholten wuͤrde. Die alten Hel-
den deuchteten uns Wunderwercke/ die gegen-
waͤrtigen nichts zu ſeyn. Wie verkleinerlich
man itzt vom Marbod redete; ſo groß wuͤrde die
Nachwelt von ihm ſprechen. Dahero wenn
ſchon ihn der Neid oder das Ungluͤcke unter ſei-
ner Laſt erdruͤckte/ koͤnte doch ſeine Einaͤſche-
rung ihn zu nichts geringerm/ als er geweſt
waͤre/ machen; die Welt wuͤrde ſodenn auf ihn/
wie auf die verfinſterte Sonne/ mehr Augen
wenden/ als da er in vollem Lichte geſtanden.
Denen itzt ſein Schweiß ſtinckte/ wuͤrde ſeine
Leiche
[1099[1101]]Arminius und Thußnelda.
Leiche koͤſtlicher/ als Ambra ruͤchen; Und wenn
ſeine Aſche ſchon nicht in guͤldene Todten-
Toͤpffe ſolte verwahret werden; wuͤrde ſie die
Nachwelt doch in ihre unverſehrliche Hertzen
aufheben.
Der Einſiedler hoͤrte den Ritter Lichtenſtein
wol aus; ſieng hierauf an: Es iſt wahr: daß
man deßhalben lebe/ wormit man nimmer-
mehr ſterbe. Jch gebe nach: daß die nach dem
Tode nicht leben koͤnnen; die/ ehe ſie geſtorben/
wie Todte gelebt haben. Aber wie es ein groſſer
Unterſcheid iſt zwiſchen einem unſterblichen
Nachruhme/ und einer ewigen Schande; alſo
wird Marbod durch ſeine Ehrſucht zwar in
dieſe verfallen/ jene aber mit keinem Finger er-
reichen. Ein tugendhafft Leben balſamt allhier
unſern Athem/ nach dem Tode die Aſche ein;
wormit jener uns taͤglich erquicke; dieſe aber
unverweßlich ſey/ ſo gar auch den Verlaͤumdern
nicht ſtincken moͤge; wie die/ welche ſich lebend
im Blute gebadet/ mit Winde geſpeiſet/ im
Kothe der Laſter geweltzet/ und weil ſie die Peſt
der Lebenden geweſen/ nichts als ein Aaß unter
den Todten ſeyn koͤnnen. Marbod/ Marbod/
laſſe dir dieſen Zufall eine Warnigung ſeyn/
und uͤberrede dich ſelbſt nicht: daß deine Macht
ſo vielen Feinden gewachſen ſey; und daß
menſchlicher Witz die Streiche des Verhaͤng-
nuͤßes verſetzen koͤnne. Sey nur verſichert:
daß kein Orion ſo groß und maͤchtig ſey/ welchen
nicht ein kleiner Scorpion entſeelen koͤnne.
Waͤreſtu in deiner Mittelmaͤßigkeit blieben/
wuͤrdeſtu ſo wenig/ als Anteus/ ſo lange er mit
ſeinen Fuͤſſen die Erde erreichte/ uͤberwunden
worden ſeyn. So aber hat die Eitelkeit der
Erhoͤhung beyden einen toͤdtlichen Streich
verſetzt. Trachteſtu dich zu verewigen; ſo wiſſe:
daß alle nach der Erde ruͤchende Thaten mit
ins Grab verſcharrt; die aber alleine verewiget
werden; welche der Tugend verwand/ und
dem Brunnen der Ewigkeit angenehm ſind.
Ubermaͤßige Ruhmſucht iſt eine groͤſſere
Schwachheit/ als jenes Menſchen/ der ſich uͤber
der Kuͤrtze ſeines Schattens betruͤbte/ uͤber der
Laͤnge aber erfreute. Darzu weiſtu nicht: daß
dieſer Schatten die Verfolgenden fleucht/ denen
fliehenden aber nachfolgt. Bilde dir nicht ein:
daß die Ehre allezeit der Tugend Schatten ſey.
Es giebt offt Schattenwerck ohne Leib/ und
Ruhmſpruͤche ohne Verdienſte; welche keinem
Dinge aͤhnlicher ſind/ als denen auf leere Graͤ-
ber geetzten Grabe-Schrifften. Das Gluͤcke
ſetzet mehrmals die Unwuͤrdigſten auf die hoͤch-
ſte Staffel der Ehren und Gewalt/ wie die ver-
ſchmitzten Baumeiſter die unvollkommenſten
Bilder in die oberſten Gadem/ und auſſer dem
genauern Urtheil naher Augen. Warlich/ es
iſt dein groſſer Schade: daß die Welt ſo viel von
dir weiß. Denn hierdurch haſtu dein eigen
Erkaͤntnuͤß vergeſſen. Waͤreſtu nicht ſo maͤch-
tig worden/ ſo haͤtte dich niemahls eine ſolche
Ohnmacht deines Gemuͤthes entkraͤfftet; und
du waͤreſt der lobwuͤrdigſte Herr in der Welt
blieben/ wenn du uͤber dich die Gewalt behalten
haͤtteſt niemanden unrecht zu thun. Als dieſer
Ehrwuͤrdige Alte ſolches mit unverwendeten
Augen gegen den Koͤnig Marbod ausredete;
kam dieſer in die Gedancken: es muͤſſe eine in
ihm ſteckende Goͤttliche Wuͤrckung ihm/ wer er
waͤre/ offenbaret haben; fiel dieſemnach dem
Einſiedler mit thꝛaͤnenden Augen um den Hals;
und nach dem er ihn eine gute Weile gekuͤſſet;
ſagte er: Es iſt wahr/ Vater/ ich bin Marbod/
der durch die Kriegs-Flamme ſo viel Laͤnder
angeſteckt hat/ dem ſo viel Voͤlcker tauſenderley
Freuden-Feuer angezuͤndet/ kein Menſch aber
noch ein ſolch Licht aufgeſteckt hat; als ich durch
deine Guͤte in dieſer tunckeln Hoͤle in meinem
Gemuͤthe aufgehen ſehe. Oerbaͤrmlicher Zu-
ſtand der Fuͤrſten! welche zwar durch ihre
Botmaͤßigkeit uͤber ihre Unterthanen herr-
ſchen; ihre Diener aber durch Heucheley uͤber
ſich muͤſſen wuͤten laſſen! Derer blinde Eigen-
Liebe das toͤdtliche Gifft unverdienter Lobſpruͤ-
Z z z z z z 2che
[1100[1102]]Siebendes Buch
che fuͤr Treue und Zuneigung annimmt; da es
den Fuͤrſten doch nur in ſeinen Laſtern einſchlaͤ-
fet/ und auf Vergroͤſſerung der Heuchler ange-
zielet iſt. Dieſe oͤffnen die Ohren ihres Fuͤrſten
gegen die Sirenen-Lieder der reitzenden Wol-
luͤſte/ verſtopffen ſie aber gegen dem Schalle der
heilſamen Warheit. Sie ſind die Spinnen/
welche mit ihrem Kothe die Tugend beſudeln/
mit ihrem Gewebe den Abgrund des Verter-
bens uͤberſpinnen/ mit ihrem Giffte die Seele
des Koͤnigs und den Wolſtand der Voͤlcker toͤd-
ten. Wie viel heilſamer iſt es den Fuͤrſten ge-
haſt/ als geliebkoſet zu ſeyn. Denn der Haß iſt
ein aufrichtiger Spiegel/ welcher uns unſere
Flecken deutlich fuͤr Augen ſtellt/ und ſie abzu-
wiſchen uns erinnert. Die Heucheley aber ver-
deckt ſie nicht nur/ ſondern uͤberfirnſet ſie auch
mit dem Kleiſter groſſer Helden-Tugenden;
fuͤr welche ich Verleiteter auch vielmahl die
grauſamſten Tugenden angeſehen habe. Aber/
weiſer Vater/ wuͤrdige den nun auch einer heil-
ſamen Artzney/ deſſen Gemuͤths-Wunden du
ihm auffs Lebendige geruͤhret/ und deſſen Seu-
chen du ihm entdeckt haſt. Dem Einſiedler gefiel
dieſes Erkaͤntnuͤß ſo wol: daß er Mitleiden mit
Marbods Verbrechen hatte/ und ihm antwor-
tete: Er waͤre bereit auf dem rechten Wege ſein
Huͤlffs-Mittel zu finden. Aber Marbod ver-
ſetzte: Er wuͤrde ſelbtes dennoch verfehlen/ wenn
er ihn nicht mit der Hand darzu leitete. Denn
wie die Natur in den Augen einen nicht gerin-
gen Fehler begangen haͤtte: daß ſie alles andere/
ſich alleine ſelbſt nicht ſehen koͤnten; alſo wiſſe
der ſtets irrende Menſch ihm auch ſelten ſelbſt zu
rechte zu helffen; und wie er uͤber andere Feh-
ler Luchs-Augen haͤtte/ alſo waͤre er in ſeinen
eigenen blinder/ als ein Maulwurff. Daß er
derogeſtalt die Heßligkeit ſeiner viehiſchen Ver-
ſtellung/ der Zornige nicht ſeine verdrehte Au-
gen/ der Wolluͤſtige nicht ſeine thoͤrichte Ge-
behrdung; weniger aber ſein Heil erkennen kan.
Der Einſiedler fieng an: Jch ſpuͤre dieſe Blind-
heit mehr denn zu viel an dir. Denn du haſt das
Kraut zu deiner Geneſung in Haͤnden/ und ſie-
heſt es gleichwol nicht. Wolte GOtt! antwor-
tete Marbod; es waͤre nicht allein ſo nahe bey
mir/ ſondern auch nicht unſichtbar. Sich ſelbſt
kennen/ fieng der treuhertzige Einſiedel an; iſt
die Artzney wieder alle Gemuͤths-Schwachhei-
ten; und ſo allgemein: daß ſie Koͤnigen und
Kohlbrennern anſchlaͤgt/ die Wurtzel aller
Vergnuͤgung/ und der Pfeiler unſer Gluͤckſe-
ligkeit iſt. Denn/ was hilfft es alle andere Din-
ge kennen; wenn man ihm ſelbſt unbekandt iſt?
wiewol auch der ſchwerlich was anders kennen
kan; der ſich ſelbſt nie betrachtet/ oder ſeiner ver-
geſſen hat. Alle andere Thiere kennen ſich; und
ihr eingebohrner Trieb leitet ſie zu allem/ was
ihre Erhaltung erfordert. Der ſchaͤdliche Scor-
pion fleucht das Scorpionen-Kraut/ die
Schlange den Schatten der Eſchbaͤume/ als ihr
toͤdtliches Gifft. Die verwundete Gemſe kennet
ihr Wund-Kraut; und der Hirſch weiß ein
Mittel: daß ihm die Natter nicht ſchade; welche
er mit ſeinem Athem aus den Steinritzen gezo-
gen hat. Der elende Menſch allein kennet we-
der ſich/ noch ſein Gutes; ſondern erquicket ſich
am Giffte/ rennet in ſein eigen Verterben/
verwundet ſich mit ſeinem eigenen Meſſer; weil
er den Funcken der Goͤttligkeit/ nehmlich die
Vernunfft nicht zu Rathe nimmt/ und das edle
Kleinod des freyen Willens ſo ſchaͤndlich miß-
braucht; und ſich dardurch derogeſtalt verſtel-
let: daß Socrates/ welchen doch die Goͤtt-
liche Wahrſagung fuͤr den weiſeſten Men-
ſchen erklaͤrt hatte/ an ihm ſelbſt nicht ohne
Urſache zweiffelt: ob er ein rechter Menſch
oder ander Thier ſey; und daß der ſo weiſe
Lehrmeiſter des Achilles Chiron ſich nur fuͤr
einen Halb Menſchen gelten laͤſt; ſein nie-
driges Theil aber zum Pferde macht; ja
die Weiſen gar artlich die viehiſchen Nei-
gungen des Menſchen dardurch fuͤr gebil-
det haben: daß Prometheus bey Bildung
des
[1101[1103]]Arminius und Thußnelda.
des erſten Menſchen die Leber vom Wolf-
fe/ das Hertze vom Tiger/ die Nieren vom
Schweine/ die Naſe vom Naſen-Horn-Thieꝛe/
die Zunge von der Schlange/ die Zaͤhne vom
Hunde/ die Augen vom Baſilisken/ das Geſich-
te vom Affen/ die Haͤnde vom Geyer/ den Ma-
gen vom Strauße geborget habe. Bey welcher
Bewandnuͤß Pythagoras wol Urſache gehabt
hat ſeinen Nachfolgern alle Abend die Pruͤfung
ihrer Geſtalt/ und die Unterſuchung des ver-
uͤbten Boͤſen/ oder des unterlaſſenen Guten ſo
nachdruͤcklich einzuhalten. Sintemahl ſeine
Fehler erkennen ſchon eine halbe Vollkommen-
heit iſt. Denn wie nur die/ welche erwacht
ſind/ ihre Traͤume erzehlen koͤnnen; alſo ver-
mag auch niemand ſeine Gebrechen wahrneh-
men/ als der ihnen gram wird/ und ſich ſchon
der Tugend befleißigt. Deßhalben band Plato
in ſeinen Geſetzen nach anbefohlner Verehrung
Gottes/ die Ehrerbietung gegen ſeine eigene
Seele ſo ſehr ein/ und daß ein ieder ſie fuͤr ſeine
Zeugin alles ſeines Thuns; ja gegen ſeinen ei-
genen Leib verſchaͤmt ſeyn ſolte. Denn hier-
durch ſtellet man ſich fuͤr den Richter-Stul des
Gewiſſens/ welches niemahls ohne Erleuch-
tung ſeines Verſtandes/ und ohne Beſſerung
ſeines Willens abgehet. Dieſe Pruͤfung un-
ſers Lebens iſt die Maͤß-Rute/ welche uns be-
nachrichtiget/ wie viel Schritte wir uns der
Tugend genaͤhert haben/ und wie ferne wir
noch von dem Angel-Sterne der Gluͤckſeligkeit
entfernet ſind; welche in der Ruhe des Gemuͤ-
thes beſtehet. Sintemahl einen Laſter hafften
ſeine Begierden nie ruhen/ ſeine Sorgen nie
ſchlafen laſſen. Der Verdruß uͤberfaͤllet ihn
in der Einſamkeit/ in Gemeinſchafften iſt er mit
niemanden weniger zu frieden/ als mit ihm
ſelbſt; er erzittert fuͤr einem [r]auſchenden Blate/
und ſeine ihm einkommende Boßheiten machen
ihm alle Wolcken von Blitze traͤchtig; ja wenn
alle andere ihn fuͤr unſchuldig erkennen/ ver-
dammet ihn ſein eigen Hertze. Denn ſein Ge-
wiſſen weiß mehr/ als kein Zeuge/ und hat mehr
geſehen/ als ſeine ihn Tag und Nacht bewa-
chende Trabanten. Hingegẽ iſt der/ welcher ſich
kennen lernt/ nicht nur ſelbſt/ ſondern auch alle
andere mit ihm zu frieden. Denn weil er ſieht:
daß er nicht beſſer/ als andere ſey/ thut er an-
dern auch nichts anders/ als ihm ſelbſt. Er be-
muͤht ſich deßhalben zweymahl ſo viel gutes zu
ſtifften; weil er unſtraffbar koͤnte boͤſes thun; ja
weil wilde Thiere aus Furcht das verbotene un-
ter laſſen/ ſchaͤtzte er ſich unwuͤrdig ein Menſch
zu ſeyn/ wenn er ſich deſſen aus einem andern
Triebe enthielte/ als weil er vernuͤnfftig iſt.
Dergeſtalt iſt ein ſich ſelbſt kennender Menſch
ihm allezeit gleich; wie unterſchieden gleich ſei-
ne Verrichtungen ſind. Daher ihm Alcibia-
des niemahls unaͤhnlich wird/ ob gleich ſeine
Klugheit ihn zu Athen anſehnlich/ zu Thebe ar-
beitſam/ zu Sparta ſparſam/ in Perſen einen
Jaͤger ſeyn heißt. Und Cato veraͤndert in dem
veraͤnderten Rom niemahls ſein Antlitz/ weni-
ger ſein Gemuͤthe; wenn ſchon andere nicht
nur/ wie die Feldhuͤner in Paphlagonien/ zwey
Hertzen haben/ ſondern einem ieden ihnen belie-
benden Dinge eines zueignen. Da ihr Erkaͤnt-
nuͤß ihnen doch ſagen wuͤrde: daß ihr einiges nur
dem einigen Gotte zu wiedmen ſey. Weß wegen
die weiſen Griechen dieſe Artzney der Selbſt-
Erkaͤntnuͤß billich mit Gold uͤber die Pfoſten
des Delphiſchen Tempels geſchrieben/ ich aber
zu meiner ſteten Erinnerung in dieſen Felß uͤ-
ber den Eingang der Hoͤle gegraben habe/ wor-
mit es ſo wol ich/ als ieder Kluger ihm in ſein
Hertz prege. Sintemahl diß der Delphiſche
Apollo fuͤr den Kern menſchlicher Klugheit er-
kennet hat. Lieber Marbod/ weil du dich nun
ſelbſt nicht kenneſt; magſtu dich wol unterſte-
hen/ denen Goͤttlichen Gliedern den Augen;
welche nicht ohne Wunderwercke alle Dinge
der Seele abbilden/ oder ſie gleichſam erſchaf-
fen/ hierdurch aber ſelbſt der Natur der Hand-
langerin Goͤttlicher Allmacht Maͤngel auszu-
Z z z z z z 3ſtellen?
[1102[1104]]Siebendes Buch
ſtellen? Allerdinges ſind wol die euſſerlichen
Sinnen und Glieder die Abbildungen der
Seele/ und Ausleger ihrer Eigenſchafften: daß
aber die Augen ſich ſelbſt nicht ſehen/ iſt eine klu-
ge Behutſamkeit der Natur/ welche dar durch
den Menſchen anweiſen wollen: daß er durch
ſtetes Anſehen ſeiner ſelbſt ſich ihm nicht ſelbſt
zum Abgotte mache; und wegen ſo geſchaͤfftiger
Eigen-Liebe nichts fremdem ſeine Augen goͤn-
ne. Jch mag von allen Gliedern des Men-
ſchen dir nicht die Richtſchnuren deiner Selbſt-
Erkaͤntnuͤß zeugen; ſondern weil du ein Haupt
ſo vieler Voͤlcker biſt/ und dieſe Larve wol nicht
ehe/ als mit Verwechſelung des Sterbekittels
abzulegen denckeſt; dich allein an die Betrach-
tung deines Hauptes weiſen; welches allerdin-
ges ein Auszug der Welt/ ein Ebenbild der
himmliſchen Stern-Kreiße/ ein Schloß der
Seelen/ und das Zeug-Hauß ihrer Bewegun-
gen iſt; zur Anleitung: daß im Fuͤrſten das gan-
tze Volck gleichſam begrieffen; ſeine Verrich-
tungen der himmliſchen Reinligkeit zugethan;
ein Herꝛſcher der Schutz ſeiner Unterthanen/
und die Staͤrcke ſeines Reiches ſeyn ſolle. Ein
Fuͤrſt iſt ſo wol/ als das Hauptuͤber alle Glie-
der empor geſetzt/ ſeines Anſehens und Amptes
wegen; welches letztere ihm die ſorgfaͤltige Auf-
ſicht uͤber die Niedrigen; das erſtere aber: daß
er ihm niemanden zu Kopffe wachſen laſſe/ kei-
nen Diener ſo groß/ als er ſelbſt iſt/ mache/ ein-
bindet. Weßwegen ein Reich mit zweyen Fuͤr-
ſten fuͤr eine ſo groſſe Miß geburt zu halten/ als
ein Leib mit zweyen Koͤpffen. Sintemal die ein-
zele Zahl zum Herꝛſchen/ die Vielheit aber nur
zum gehorſamen geſchickt iſt; ja die Bewegung
des Himmels ſelbſt aus einem Uhrſprunge
fleuſt. Jm Haupte haben alle fuͤnff Sinnen
ihre Wohnſtatt; der uͤbrige Leib/ deſſen Adern
doch noch niemand gezehlet/ deſſen Gebeine mit
den Tagen des Jahres einerley Zahl halten/ iſt
allein mit dem irrdiſchen Fuͤhlen begabet. Nach
deſſen Beyſpiele ein Fuͤrſt ſo vielmahl ſeines
gantzen Volckes Gaben uͤbertreffen ſoll. Fuͤr-
nemlich aber hat der Verſtand allein im Haup-
te den Sitz; weil ein Fuͤrſt mit ſeiner Klugheit
den Gebrechen eines gantzen Landes/ und den
Jrrthuͤmern vieler Voͤlcker abzuhelffen ge-
wachſen ſeyn ſoll. Das Gedaͤchtnuͤß ruhet im
Hintertheile des Hauptes/ wie der Verſtand in
dem voͤrderſten; weil dieſer auf das gegenwaͤr-
tige und kuͤnfftige Auffſicht haben/ jenes aber
auf das vergangene zuruͤck ſehen/ und aus dem
Menſchen gleichſam einen zweyfachen Janus
machen muß. Ein Fuͤrſt muß nichts minder
ſeiner Vorfahren Thun und Zufaͤlle; und
du Marbod inſonderheit Brittons Fehler im
Geſichte behalten/ und aus ſelbten die zukuͤnff-
tigen urtheilen. Denn das Leben der Men-
ſchen iſt ein bloſſes Schauſpiel; in welchem
zwar die Perſonen veraͤndert werden; das Spiel
aber einerley iſt/ und von vornen wieder ſeinen
alten Anfang nimmt. Das Haupt kan nicht
ohne Augen; ein Fuͤrſt nicht ohne Raͤthe ſeyn;
weil es nicht rath ſam iſt: daß er die ſchwere Ku-
gel der Herꝛſchafft allein auf ſeine Hoͤrner neh-
me. Denn ihm allein alles zutrauen iſt mehr
eine Vermeſſenheit/ als klug gethan. Deß-
halben verdienten die obern Staats-Diener
bey den Perſen ſchon den Nahmen der Augen;
nach dem kluger Rath nichts anders/ als ein auf
kuͤnfftige Begebenheiten gerichtetes Auge iſt.
Das Hertz und die Augen ſind an einander ſo
genau verknuͤpffet: daß dieſe ſich ſeiner Freude
und Leid alſofort theilhafftig machen. Ein
Fuͤrſt muß nichts minder ſeiner Diener em-
pfindlichen Zuneigung verſichert ſeyn; und kei-
ne andere erkieſen; als welche wie die Augen
keinen Sonnenſtaub des Eigen-Nutzes in ſich
vertragen; welche durch die geringſte Beta-
ſtung nicht ihres Fuͤrſten Heimligkeiten erfor-
ſchen laſſen; und ob ſie zwar gleichſam durch
einen Tamm unterſchieden ſind/ dennoch mit
einander uͤbereinſtim̃en/ einerley Augenwerck
nehmlich die Ehre ihres Fuͤrſten und den Wol-
ſtand
[1103[1105]]Arminius und Thußnelda.
ſtand des Volckes fuͤr ſich haben. Ja der Fuͤrſt
ſelbſt muß ſo wenig/ als die Augen in ſeiner
Wachſamkeit muͤde werden/ die hefftigen Ge-
muͤths-Regungen ihm keinen Nebel/ die Arg-
liſt keinen blauen Dunſt fuͤr die Augen machen
laſſen/ noch einerley Ding mit dem einen Auge
ſchwartz/ mit dem andern weiß anſchauen; wo
eben die Augen nicht hernach diß beweinen ſol-
len/ was ſie vorher verkehrt an- oder gar uͤber-
ſehen haben. Weil aber die Warheit vor-
werts einem begegnet/ der Betrug aber uns auf
der Seite beykommen wil/ hat die Natur am
Haupte das Geſichte vor die Ohren ſeitwerts
zu Waͤchtern beſtellt. Ein Fuͤrſt muß nichts
minder auf beyden Seiten wachſam ſeyn; und
wie die Ohren/ welche nicht wie die Augen mit
Augenliedern/ noch wie die ungezaͤhmte Zunge
mit zweyerley Zaͤunen verſchloſſen werden koͤn-
nen/ ſondern Tag und Nacht offen ſtehen/ ieder-
man und allezeit hoͤren. Denn der iſt nicht
werth/ daß er Koͤnig iſt/ dem das Hoͤren ver-
druͤßlich faͤllt. Wenn der gantze Leib ſchlaͤfft/
halten die Ohren Schildwache/ um ſelbten fuͤr
der ſich naͤhernden Gefahr zu warnigen. Ein
Fuͤrſt aber ſoll deßhalben wachen: daß die Un-
terthanen ſicher ruhen koͤnnen. Alle Thiere
heben und ſencken ihre Ohren/ des Menſchen
alleine ſind unbeweglich und ſtets in einem
Stande. Ein Fuͤrſt ſoll iederzeit ſolche Aufacht
haben: daß ſelbter niemahls was beyzuſetzen
ſey/ noch er bey andraͤuender Gefahr die Ohren
ſpitzen doͤrffe/ und ſeine Feinde ihm niemahls
unvermuthet auf den Hals kommen/ wenn ſie
gleich geſchwinder/ als der Blitz loß ſchlagen.
Wiewol die Ohren nicht wie die Augen die
Sachen ſuchen/ ſondern von den Sachen ge-
ſucht werden/ ſtehen ſie doch/ wie der Mund
mit zwey Mauern verſchloſſen iſt/ mit zweyfa-
chen Pforten offen/ um die Dinge deſto beſſer in
ſich zu faſſen/ weil diß/ was man ſiehet/ beſtehet;
was man aber hoͤret/ alsbald verſchwindet. Ein
Fuͤrſt muß keine Ohrenblaͤſer halten/ noch nach
Ver gaͤllung der Unſchuld trachten; aber fuͤr
nichts/ was auch nur das leichte Geſchrey ſei-
nem Reiche gefaͤhrliches andeutet/ die Ohren
verſtopffen; ja in allem zum minſten zweymal
ſo viel hoͤren als reden. Weil aber unſer Ge-
hoͤre niemand anderm in die Augen und em-
pfindlich faͤllt; muß ein Fuͤrſt ſich mehrmahls
anſtellen; als wenn er nicht hoͤrte/ und wegen
geringer Beleidigung ſein Reich nicht in Krieg
verwickeln/ noch allenthalben mit der Stirne/
daran die Natur ihm nicht ohne Urſache/ wie
etlichen grimmigen Thieren kein Horn wach-
ſen laſſen/ durchfahren. Jnſonderheit aber muß
er nach Art der den Zaubereꝛ hoͤrenden Schlan-
ge/ gegen die Heuchler bey Vernehmung un-
zeitigen Lobes das eine Ohr mit Erde in Erwe-
gung ſeiner irrdiſchen Unvollkommenheit/ bey
wolluͤſtigen Anreitzungen aber das andere mit
dem Schwantze durch Behertzigung des heß-
lichen Endes zuſtopffen; und wiſſen: daß die
Wolluſt zwar ein Engliſches Antlitz/ aber einen
Drachen-Schwantz habe; und ihr Anfang ein
Himmel/ ihr Ausgang eine Hoͤlle ſey. Die Na-
tur hat dem Menſchen zwey Ohren/ und zwar
in Geſtalt eines Jrrgartens oder Schnecken-
Hauſes mit gekruͤmmten Eingaͤngen gemacht;
wormit diß/ was er hoͤret/ an unterſchiedenen
Orten anſchlage/ und derogeſtalt wie das Ertzt
aus dem Klange/ alſo die Erzehlungen aus
dem Schalle erkennet werden; inſonderheit a-
ber ein Fuͤrſt/ als das lebendige Geſetze/ gegruͤn-
dete Anklagen von Verleumdungen/ redliche
Gemuͤths- Ausſchuͤttung von betruͤglichen
Schein-Worten unterſcheiden/ und wenn die
Falſchheit das eine Ohr beſeſſen/ er das andere
der meiſt zuletzt kommenden/ und das Nachſe-
hen habenden Warheit/ als eine unverſehrliche
Jungfrau/ vorbehalten moͤge. Dieſemnach
denn ein Fuͤrſt auch eine dinnſchaͤli htere Naſe/
als ein ſcharffruͤchender Geyer haben/ und nicht
nur alles in ſeinem Reiche/ ſondern biß in die
Staats-Cammern ſeiner Nachbarn ruͤchen;
keines
[1104[1106]]Siebendes Buch
keines Weges aber nach Art des Geyers ſich
mit den Aeſſern der ſtinckenden Laſter er quicken/
noch wie einige ungezaͤhmte ſchwangere Wei-
ber fuͤr Zibeth Eckel/ nach Bibergeil Begierde
haben/ oder nach blutigen Fleiſchbiſſen/ ſondern
mit dem Fenix nach dem koͤſtlichen Balſam der
Tugend/ welche alles Nabateiſche Rauchwerck
uͤbertrifft/ als der ſuͤſſeſten Seelen-Speiſe luͤ-
ſtern ſeyn/ und durch gehends Muſchziegen
von ſtinckenden Boͤcken; Amber-Bienen von
Hirnſen/ Syriſche Balſam-Aepffel von So-
doms Aepffel-Baͤumen/ Jaſmin von Napel/
Roſen von Sammet-Blumen und Aloe von
Teuffels-Koth/ nemlich den tugendhafften Adel
von dem albern Poͤfel/ tapffere Helden/ welche
mit dem Geruche ihrer ruhmwuͤrdigen Tha-
ten die Welt erfuͤllen/ von ungeartheten Zaͤrt-
lingen/ derer Leiber nach Biſam ruͤchen/ die
Gemuͤther aber nach Unſchlit ſtincken/ treue
Diener von Verraͤthern/ Ehre von Schande/
und Redligkeit von Boßheit unterſcheiden muß.
Denn dieſes Urthel iſt mit einem klugen Fuͤr-
ſten wie der Athem mit dem Leben/ der Geruch
mit dem Athem unzertrennlich vereinbaret;
Ein leichtglaͤubiger aber/ und der ihm Maͤuſe-
Koth fuͤr Pfeffer verkauffen laͤſt/ liegt ſchon in
der Ohnmacht ſeines Unterganges/ und ſein
Reich ſtehet auf der Bahre des Verterbens. Ja
ſein gantzes Leben muß durch eitel Unſchuld die
Lufft einbalſamen; wormit ſein Gewiſſ[en] mit
iedem Athemholen nicht allein dieſe anmuthige
Erquickung an ſich ziehe/ und ſein Ruhm ſich
uͤber ſeine Reichsgraͤntzen ausbreite; ſondern
durch dieſe heilſame Krafft in ſeinem Reiche al-
ler Geſtanck des Unrechts und boͤſer Sitten ge-
daͤmpffet werde. Sintemahl doch/ ihm ſelbſt
wol bewuſt ſeyn/ die Speiſe des Gewiſſens/ ein
guter Nahme der beſte Geruch der Gemuͤther
iſt/ und ein Fuͤrſt durch Geſetze und Straffen
nicht ſo ſehr/ als durch ſein gutes Beyſpiel ſeine
Unterthanen vom Unflate der Untugenden
ſaubern kan. Denn wie der allerweiſeſte
Schoͤpffer des Menſchen einerley Glied mit
dem Geruche/ und der Eigenſchafft nicht nur
das Haupt/ ſondern ſo gar die Glieder des an-
dern Leibes von unnuͤtzen Feuchtigkeiten zu rei-
nigen verſehen; alſo hat er die Haͤupter der Er-
den angewieſen: daß ſie nicht nur ſich ſelbſt/ ſon-
dern auch ihr Volck/ als ihre Glieder/ des Rau-
ches aller hefftigen Begierden/ des Windes
ſchnoͤder Eitelkeit/ aller Feuchtigkeiten ſchlaͤff-
riger Traͤgheit entſchuͤtten ſollen. Ja wormit
ein Fuͤrſt das denen leiblichen Augen unſichtba-
re Bild ſeiner Seele ſeinen Unterthanen zum
Spiegel ihres Lebens fuͤrſtellen koͤnne/ hat die
kluge Mutter dieſes allen/ durch den Mund ei-
ne Pforte geoͤffnet: daß das Gehoͤre darein
ſchaue; einen Werckzeug ihm beygelegt/ wel-
cher die Seele aus ihrem verborgenen Behaͤlt-
nuͤß herfuͤr bringe/ und ihre weiſen Vernunfft-
Schluͤſſe offenbare. Denn der Mund iſt ein
Pinſel des Gemuͤthes/ und eine Schreibefeder
der Gedancken; Alle andere Thiere haben den
Mund nur zum eſſen/ der Menſch zum reden/
ein Koͤnig aber nur zur Weißheit. Ungeachtet
die Speiſe gantz irrdiſch/ die Sprache gantz
geiſtig iſt/ ſind doch Eſſen und Reden in einem
Gliede des Hauptes vereinbart; nicht weil
Zunge und Mund allein um den Leib beſchaͤff-
tigt ſeyn/ ſondern ihre meiſte Bemuͤhung im
Dienſte der Seele zubringen ſollen/ ein Menſch
auch nichts zu reden hat/ als was er gleichſam
vorher gekaͤuet/ wormit die Rede nicht zu Hil-
ſen leerer Worte/ ſondern zum Kern heilſamer
Lehren werde. Und nach dem die Zunge nichts
minder das ſchaͤdlichſte als nuͤtzlichſte Glied des
Hauptes iſt; hat wegen des letztern die Natur
ihm eine gelencke Bewegligkeit verliehen/ we-
gen des erſtern aber ſie ſo enge eingeſperret.
Dieſemnach ſoll ieder Menſch allezeit nicht an-
ders/ als in einem letzten Willen/ ein Fuͤrſt aber
nur wie aus einem wahrſagenden Dreyfuſſe
reden. Denn dieſer iſt eine zu alles Volckes
Nachricht und Richtſchnur empor gehobene
Glocke;
[1105[1107]]Arminius und Thußnelda.
Glocke; ie ſeltner ſelbte laͤutet/ ie mehr erwe-
cket ſie Aufmerckung; wenn ſie aber uͤbel klingt/
verraͤthet ſie entweder die Geringſchaͤtzigkeit
des Ertztes; oder daß ſie zerbrochen ſey. Weß-
wegen Kayſer Auguſt mehr ſchrifft-als muͤnd-
lich ſeine Meynungen entdecket. Schmincke
und Verhuͤllung ſind Kennzeichen eines unge-
ſtalten Antlitzes/ uͤbrige oder geſchmierte Wor-
te eines heßlichen Gemuͤthes; deſſen Antlitz die
Rede iſt. Kuͤrtze iſt der Redner Meiſter-Stuͤcke/
eines Fuͤrſten Eigenthum. GOtt redet gar
nicht/ ein kluger Fuͤrſt wenig/ ein Thor zu viel;
welcher doch keine geſchicktere Larve der Weiß-
heit hat/ als das Schweigen. Auch aus unge-
faͤhrlichen Worten eines Fuͤrſten erzwingen die
Zuhoͤrer Geheimnuͤſſe. Der Donner iſt die
Sprache Gottes; und ſein Bild auf Erden.
Ein Fuͤrſt ſoll nichts/ als Zentner-Worte fuͤr-
bringen; welche kein Verleumder verdrehen;
kein Spoͤtter uͤbel auslegen/ kein Boßhaffter
verdruͤcken kan. Alles/ was er in Geſchaͤfften re-
det/ ſollen Befehle/ in Rechts-Sachen Beſchei-
de/ in Verheiſſungen Verbindligkeiten/ in Ge-
ſpraͤchen Nachdenckligkeiten/ im Schertze
Raͤthſel/ und alle Bejahungen ſo heilig/ als
wuͤrckliche Eyde ſeyn: Das kleine Glied der
Zunge iſt das Steuer-Ruder/ wormit Fuͤrſten
das groſſe Schiff der Reiche mit geringer Muͤh
lencken und umwenden. Auf dieſem beruhet
die Ehre und Verkleinerung des Fuͤrſten; das
Heyl und Verterben/ ja das Leben und der Tod
der Unterthanen. Weßwegen der Mund des
Menſchen nicht mit vorragenden Wolffs- oder
Elefanten-Zaͤhnen ausgeruͤſtet iſt; wormit
Draͤu- und Ausuͤbung der Rache entfernet ſey.
Ein Fuͤrſt aber ſoll gar nicht draͤuen; ſondern/
wenn er auch beleidiget wird/ ein Lachen darein
geben; biß die Gelegenheit ihm nichts minder
zu ſicherer und gerechter Rache die Hand biete.
Jnzwiſchen aber/ weil nicht nur das Haupt al-
lenthalben an ſich eine Fuͤhle; ſondern auch an
Empfindligkeit des Leibes Theil hat; ſoll er ge-
ſchwinder/ als die Spinne ſo wol diß/ was das
Gewebe ſeines Reiches beunruhigen/ als den
Aug-Apffel ſeiner Hoheit verletzen will/ ihm zu
Gemuͤthe ziehen. Denn der iſt kein Vater des
Volckes/ der ſeine Wunden nicht in ſeiner See-
le empfindet; der aber kein großmuͤthiger Loͤ-
we/ der von Haſen ihm laͤſt die Haare ausrauf-
fen. Dieſes/ Marbod/ iſt das wenigſte/ was
ein Fuͤrſt zu ſeiner Selbſt-Erkaͤntnuͤß nur aus
Betrachtung der euſſerlichen Sinnen zu lernen
hat. Denn eln Menſch iſt ihm ſelbſt ein ſo groſſes
Buch/ das er ſein Lebtage nicht ausleſen kan;
Die innerlichen Kraͤfften der Seele aber ſo hoch:
daß kein Weltweiſer ihre voͤllige Wiſſenſchafft
erreicht hat. Uber diß glaube: daß mehr zu ei-
nem vollkommenen Menſchen/ als zu dem
groͤſten Welt-Beherꝛſcher gehoͤre. Dieſes allein
habe ich dich noch zu erinnern: daß ob zwar ein
Fuͤrſt das Haupt des Volckes/ er dennoch kaum
ein Fußſchemmel Gottes ſey; und daß Koͤnige
ſich zwar an die Richtſchnur der Vernunfft hal-
ten/ die Zeit ihnen nuͤtze machen/ die Gelegen-
heit mit beyden Haͤnden erwiſchen/ iedoch alle-
zeit fuͤr dem Lichte der Goͤttlichen Verſehung
mit einer Ehrerbietigen Furcht die Augen zu-
druͤcken muͤſſen. Denn dieſe iſt in der Reichs-
Uhr das Gewichte/ unſere Vernunfft nur der
Weiſer; und wenn wir gleich alle Segel unſe-
rer Klugheit ausſpannen/ alle an denen Ru-
dern unſer Muͤhſamkeit ſchwitzen; kommen wir
doch nirgendshin anders/ als wo uns der Com-
paß der ewigen Verſehung hinleitet; indem ſie
uns entwedeꝛ ſonder Zwang unſers freyen Wil-
len ihr Abſehen erkieſen laͤſt; oder auch durch
Sturm auf ihrem unerforſchlichen Wege da-
hin verwirfft/ wohin wir auch Traums-weiſe
nie gedacht hatten. Gleichwol aber kan der
nicht ſcheitern/ noch eines Hafens fehlen; der
auf dieſem Meer der Welt GOtt zu ſeinem
Angel-Sterne/ ſein Gewiſſen zur Magnet-
Nadel hat.
Marbod hoͤrte gleichſam als verzuͤckt dieſen
Erſter Theil. A a a a a a anichts
[1106[1108]]Siebendes Buch
nichts minder klugen/ als heiligen Alten aus;
und nach einem tieffen Seuffzer fieng er an:
Warlich/ Vater/ dieſe Perlen ſindin der Mu-
ſchel dieſer Hoͤle nicht gewachſen! Denn wie
mag die Einſamkeit eine Schule des Hofes/ und
ein Einſiedel ein Staats-Verſtaͤndiger ſeyn?
Dannenher wie wir zwar fuͤr dieſen heilſamen
Unterricht dir ungeltbaren Danck ſchuldig ſind/
werden ſelbte doch in unſern Hertzen ſo viel mehꝛ
Nachdruck haben; wenn die Wiſſenſchafft ihres
herrlichen Uhrſprungs ihren Werth noch ver-
groͤſſern/ und Marbod erfahren wird/ wer beu-
te ſein ſo groſſer Lehrer geweſen ſey. Der Alte
blieb eine gute Weile voller Nachdencken ſte-
hen/ endlich aber redete er den Marbod alſo
an: Wenn das Reichthum meiner Einſamkeit
ſo ſichtbar/ als der Menſchen Begierde frem-
des Gut zu beſitzen gemein/ oder auch meiner
Vergnuͤgung Abbruch zu thun iemanden
moͤglich waͤre; wuͤrde ich billich Bedencken
tragen euch zu entdecken: daß ihr fuͤr euch einen
Koͤnig ſehet/ der fuͤr Jahren zwar uͤber viel
Voͤlcker/ nunmehr aber uͤber ſich ſelbſt eine viel
herrlichere Herrſchafft fuͤhrt; der nunmehr al-
lererſt ihm ſelbſt lebt/ nach dem er in aller Ge-
dancken geſtorben iſt. Aber weil mein Gluͤcke
hoͤher geſtellet iſt; als daß es der Neid mit ſei-
nem gifftigen Atheme ſolte koͤnnen anhauchen/
oder die Ehrſucht mit ihren Pfeilen erzielen;
ſo wiſſe Marbod: daß du reden hoͤreſt den wey-
land ungluͤcklichen/ nunmehr aber ſeligen Ario-
viſt. Koͤnig Marbod fiel alſofort mit tieffſter
Ehrerbietung zu Bodem/ umarmte Arioviſten
mit dieſen langſam heraus geſtoſſenen Worten:
Darff ich mir wol das Gluͤcke traͤumen laſſen
heute den groſſen Arioviſt zu ſehen; und laͤſſet
ſich mit Gedancken begreiffen: daß ein ſo groſ-
ſer Fuͤrſt fuͤr den Glantz ſo vieler Kronen das
Finſternuͤß dieſer Hoͤle/ fuͤr die fußfaͤllige Bedie-
nung hundert Voͤlcker dieſe langſame Einſam-
keit erkieſet habe? Arioviſt hob ihn auf/ und hieß
ihn von der ſeinem itzigen Zuſtande gar nicht
anſtaͤndigen Verehrung abſtehen/ an der
Warheit ſeiner Erzehlung aber nicht zweif-
feln; und an ſeinem entbloͤſten Arme das an-
gebohrne Kennzeichen der Alemanniſchen
Fuͤrſten/ nemlich einen geſichelten Mohnden/
wahrnehmen/ wie Selevcus auf der Schulter
einen Ancker/ Kayſer Auguſt den geſtirnten
Baͤr auf der Bruſt/ ſeine Mutter Atia einen
Drachen uͤber dem Nabel gehabt haben ſolte.
Das Abſtuͤrtzen von Koͤnig-Stuͤlen/ ſagte er/
iſt zwar gemeiner/ als das freywillige herunter
ſteigen; jenes aber ruͤhret meiſt von Laſtern/
dieſes von Tugend und Klugheit her. Jenes
zeucht den Untergang/ dieſes eine Erhoͤhung
der Seele und der Gemuͤths-Vergnuͤgung
nach ſich. Es iſt ja wol an Fuͤrſtlichen Hoͤfen
ein unbekandtes Wunderwerck/ nicht herꝛſchen
wollen/ wenn man kan; aber in der Schule des
Weiſen ein noch ſeltzamer die zur Herrſchafft
beſtimmte Vernunfft denen wuͤtenden Begier-
den unterwerffen; und ſich ſelbſt zum Knechte
machen; wormit uns andere gehorſamen. Mein
Vater Arbogaſt hatte mir eine ziemliche Anzahl
Voͤlcker zu Unterthanen hinterlaſſen: denn der
Ehr geitz hat nun auch der Menſchen Dienſt-
barkeit erblich gemacht; aber das Gluͤcke warff
noch viel mehr Laͤnder unter meine Botmaͤßig-
keit; wormit es durch den Raub ſeines zuge-
worffenen Reichthums mit der Zeit einen deſto
groͤſſern Raub gewinnen moͤchte. Caͤſar hieb
mir in das Rad meiner Siege den erſten Span
ein; und ich lernte dazumahl allererſt: daß das
Gluͤcke ſo wenig Buͤrgen uͤber ſeine Beſtaͤndig-
keir/ als Tapfferkeit in der Welt nicht ihres
gleichen habe. Mit meinen Gemahlinnen und
Toͤchtern verlohr ich mehr/ als die Helffte mei-
ner ſelbſt. Denn ich wuſte nicht: daß alles irr-
diſche nur geborgtes Gut/ die Ruhe des Ge-
muͤthes aber allein unſer ſchaͤtzbaꝛes Eigenthum
waͤre. Die Eintracht kehrte hierauf Deutſch-
lande/ alles Gluͤcke aber ſchier mir den Ruͤcken;
zum Merckmahle: daß ſelbtes ein Weib waͤre/
welches
[1107[1109]]Arminius und Thußnelda.
welches nur mit jungen Leuten zuhielte/ und
die welche in der Jugend ihre Schoos-Kinder
geweſt/ mit der Zeit muͤſten zu ihren Wechſel-
baͤlgen werden. Das Verhaͤngnuͤß flochte mich
in den Buͤrgerlichen Krieg mit ein; um mein
Gemuͤthe nicht allein mit allerhand Zufaͤllen
zu beunruhigen/ ſondern auch mehr meine
Seele/ als die Haͤnde mit Blute des Vaterlan-
des zu beſudeln. Mein Verlangen ſelbtes wie-
der mit Friede zu ſegnen/ erſchoͤpffte faſt meinen
Lebens-Athem; ſonderlich/ weil ich wol ſahe:
daß die Siegs-Fahne nicht allezeit auf der Sei-
te der gerechten Sache wehete. Der fruͤhzei-
tige Tod aber meines einigen Sohnes ſcharrete
mich nahe mit ihm in den Sarch. Zum wenig-
ſten war mit ihm alle Vergnuͤgung erloſchen;
und wie etlichen Krancken auch ſo gar der Zu-
cker bitter ſchmeckt; alſo daͤuchtete mich alle Er-
getzligkeit Wermuth zu ſeyn. Es eckelte mir
nichts minder fuͤr meinem eigenen Thun/ als fuͤꝛ
derſelben Anſtalt/ die es mit miꝛ am beſten mein-
ten. Jch verwandelte meine Reichs-Sorgen
in eine verdruͤßliche Einſamkeit; alſo: daß die
Ehrſuͤchtigen Diener durch Anmaſſung der
Herrſchafft mir zum Theil an das Hefft des Koͤ-
nigs-Stabs grieffen; die treueſten meine Ver-
fallung beſeuffzeten; keiner aber mir meine Feh-
ler fuͤrhielt. Denn ob zwar der Fuͤrſten Ge-
brechen nichts minder/ als die Verfinſterung
der groſſen Geſtirne ſichtbarer ſind/ als der klei-
nern; ſo wird ſelbte doch nicht der verfinſterte/
ſondern nur fremde gewahr. Sintemahl nur
anderer Augen der Werckzeug ſind unſere
Splitter zu fuͤhlen/ und das Schau-Glaß uns
ſelbſt kennen zu lernen. Aber dieſes bekommen
zwar gemeine Leute/ ſelten aber Fuͤrſten zum
Gebrauch. Denn entweder die Heucheley/
oder die Furcht wollen Koͤnigen nichts ins Ohr
ſagen/ was ſie nicht im Hertzen kuͤtzelt. Meine
eigene Tochter Vocione erinnerte mich noch zu-
weilen an ein und anderm; alſo: daß ich bey ſol-
cher Beſchaffenheit/ da meine Schwachheit
auch gegen einem Weibe und Kinde zu verſte-
cken war/ mich entſchloß/ ihr die Herꝛſchafft ab-
zutreten. Jch ſchlug mich mit dieſen Gedan-
cken etliche Zeit; Biß endlich auf meinem
Schloſſe Solicin am Necker um Mitternacht
bey hellem Monden-Scheine ein vermeintes
Geſpenſte fuͤr mein Bette trat/ mich mit dem
Arme zohe; und weil ich ohne diß allerdings
munter war/ auf meine Befragung: wer es
waͤre; antwortete: Jch bin dein guter Geiſt;
und habe Mitleiden an deinem Unvergnuͤgen.
Du wirſt aber in kurtzer Zeit nicht nur deine
Ruhe/ ſondern deine wahre Gluͤckſeligkeit fin-
den. Jch/ fuhr Arioviſt fort/ ſahe dieſem Geiſte
mit unverwendetem Auge ins Geſichte; und
haͤtte geſchworen: Jch haͤtte mich ſelbſt fuͤr mir
ſtehen ſehen; Gab ihm alſo/ weil er ſich nach und
nach entfernet/ zur Antwort: Jch wuͤrde die Zeit
mit unerſchrockenem Hertzen abwarten. Denn
ich machte meine Rechnung und Auslegung
auf nichts anders/ als den Tod/ welcher auch die
in Ruhe verſetzt/ die im Leben keine gehabt; und
niemanden mehr begluͤckſeliget/ als die Un-
gluͤcklichen. Auf den Morgen beredete mich
meine Tochter Vocione einer von ihr angeſtell-
ten Jagt beyzuwohnen. Denn ſie unterließ kei-
ne Erfindung: daß ich mich meiner Schwer-
muͤthigkeit entſchlagen moͤchte. Bey Verfol-
gung eines Hirſchens kam ich zu einem Brun-
nen/ bey welchem ein Stein-alter Greiß auf ei-
nem Felſen ſaß; mich aber bey meinem erſten
Anblicke mit dem Nahmen nennte/ und auffs
freundlichſte gruͤfte. Wie ich nun/ ſagte Ario-
viſt/ nach ſeiner Beſchaffenheit fragte; antwor-
tete mir dieſer Alte: Jch wundere mich nicht:
daß ich dir itzt ſo unbekandt bin; nach dem die
wenigſten Menſchen ſich ſelbſt kennen. Jch bin
aber einer von denen Samothiſchen Weiſen/
welche von deinem Uhran-Herꝛ Thuiſcon den
Uhrſprung haben; und zwar derſelbe/ welchen
dein Vater der tapffere Arbogaſt zu einem Leh-
rer deiner Kindheit erkieſet hatte; und der kein
A a a a a a a 2groͤſſer
[1108[1110]]Siebendes Buch
groͤſſer Gluͤcke erleben koͤnte; als wenn er dich
nunmehr auch koͤnte ſterben lehren. Jch konte
mich nicht enthalten/ fuhr Arioviſt ferner fort/
dieſen guten Alten auffs empfindlichſte zu um-
armen; als welcher ein weiſer Leiter meiner
Jugend geweſt war/ und nicht nur die Griechi-
ſche Sprache/ ſondern alles diß/ was ich iemals
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.
Er hatte nicht nur unteꝛ den Celten den Grund
ſeiner Weißheit gelegt; ſondern auch bey denen
Zamolxiſchen Prieſtern unter den Geten/ und
in Egypten ſelbte durch viel heilſame Lehren
befeſtigt. Wiewol dieſe Samothiſche Weiſen
nun von allem Geitz und Ehrſucht entfernet
ſind/ auch ſich nur mit Haar bedecken/ und
von Baumfruͤchten leben/ haben ſie doch die A-
lemanniſchen Koͤnige iederzeit an ihren Hoff zu
Aufferziehung ihrer Fuͤrſten gezogen; wolwiſ-
ſende: daß gantze Voͤlcker zwar von einem Fuͤr-
ſten koͤnnen beherrſcht; ein junger Fuͤrſt kaum
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden
aber beſſer/ als einem Weiſen auffer zo gen wer-
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr
wiſſen/ ſondern auch mehr gutes thun ſoll/ als
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit ſa-
gen: daß ich dieſem Lehrer mehr als Alexander
ſeinem verbunden/ iedoch in dieſem mit ihm be-
ſchaͤmt bin: daß keiner ſeiner Ehrſucht ein rech-
tes Maaß zu ſetzen gelernet hatte. Dieſemnach
ich denn unter meinen bethraͤnten Umhalſun-
gen dieſen Weiſen erſuchte mir ſeine vertroͤſtete
Unter richtung zu der Zeit/ da ich fuͤr meinen
Jrrthuͤmern mehr/ als in der unvorſichtigen
Kindheit und in der verwegenen Jugend
Sorge truͤge/ nicht zu entziehen; welcher denn
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thraͤ-
nen anfieng: Die Kunſt recht zu leben iſt zwar
die groͤſte der Menſchen/ wol zu herrſchen der
Fuͤrſten; ſelig zu ſterben hat an ſich etwas Goͤtt-
liches; denn an dieſer haͤnget unſere Ewigkeit.
Weßwegen unſer Leben von der blinden Kind-
heit den Anfang/ und mit dem weiſen Alter
den Abſchied nimmt; wor mit man allhier keinen
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichſam alle
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit
ſelbtes ſo viel vorſichtiger dem beſorglichen Falle
zuvor komme. Zwar iſt nicht ohne: daß die
Herrſchens-Kunſt in einem klugen Kopfe/ nicht
in jungen Rieſen den Sitz habe. Mehrmahls
haben gantze Heere fuͤr zitternden Haͤnden ge-
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das
Hertze von unziemenden Begieꝛden/ das Haupt
von Unwiſſenheit erlediget/ der Verſtand auch
ins gemein zunim̃t/ wenn die euſſerlichen Sin-
nen ins Abnehmen kommen/ ſiehet ein bejahr-
ter Fuͤrſt offt mit einem Blicke weiter; als die
ſcharffſichtigſten Juͤnglinge mit ihren eingebil-
deten Adlers-Augen. Jhre Rathſchlaͤge rich-
ten mehr aus als der hitzigen Jugend geſchlif-
fene Spieſſe. Gleichwol aber iſt ins gemein
das Alter bey Fuͤrſten eben ſo wol eine Kranck-
heit/ als beym Poͤfel. Der Stab/ fuͤr welchem
gantze Laͤnder gebebt haben/ ver wandelt ſich in
eine Stuͤtze ohnmaͤchtiger Armen. So viel man
in der Jugend ſchwitzet/ ſo viel muß man im
Alter huſten; jenes aber gebieret Zuneigung des
Volckes/ dieſes Abſcheu; alſo: daß auch die Ju-
gend mit ihren gefaͤhrlichen Annehmligkeiten
wie eine Sirene die Gemuͤther an ſich zeucht/
das Alter aber mit ſeinen heilſamen Warnun-
gen als ein Geſpenſte die verwegenen ſchichtern;
und nach dem der bejahrten Eigenſchafft iſt alles
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit
des Menſchen gleichet ſich einem Qvelle/ wel-
cher zwiſchen dem unbefleckten Sande faſt un-
empfindlich herfuͤr rieſelt/ und bey ſeiner Ein-
falt auch ſeine Reinigkeit behaͤlt; Die Jugend
wird ſchon eine rauſchende Bach/ welche uͤber
Stock und Stein abſtuͤrtzet/ von Gemuͤths-Re-
gungen ſchaͤumet/ und mit dem Kothe der Wol-
luſt ſich truͤbet; die maͤnnlichen Jahre gleichen
einem vollkommenen Fluſſe/ der zwar tieff/ aber
ſittſam fortſtroͤmet/ das Erdreich waͤſſert/
Schiffe
[1109[1111]]Arminius und Thußnelda.
Schiffe traͤget/ Staͤdte befeſtigt/ und hunder-
terley Nutzen ſchafft; Das traurige Alter aber iſt
ein geſaltzenes Meer/ ein Abgrund der Gebre-
chen; wo alle Suͤßigkeit der Gebehrden ſich in
bittere Verdruͤßligkeit/ die nutzbare Hurtigkeit
ſich in keichende Schwachheiten verwandelt/
das Schiff unſers Lebens leck wird/ und allge-
mach in die Tieffe des Grabes zu ſincken an-
faͤngt. Dieſemnach wundere dich nicht/ mein
lieber Arioviſt: daß du bey dem Alter ablegſt/ und
das Volck dir itzt ein ander Geſichte macht/ als
fuͤr dreyßig Jahren. Kinder/ die viel Muͤtter
haben/ nehmlich der unartige Poͤfel/ weiß auch
unzeitigen Kindern die grauen Haare her aus zu
treiben. Er wieget alle Entſchluͤſſun gen nach
dem Ausſchlage des Gluͤckes ab; dieſes aber iſt
eine Stieff-Mutter der verlebten/ eine Buhle-
rin der Lebhafften. Geſetzt aber/ Arioviſt: daß
ein Fuͤrſt bey ſeinem Alter alle Kraͤfften in-/ al-
les Gluͤcke neben ſich erhielte. Wie man fuͤr den
niedlichſten Speiſen einen Eckel bekommt/ alſo
werden Unterthanen ihrer beſten Fuͤrſten uͤber-
druͤßig. Je hoͤher ein Berg/ ie mehr bedeckt ihn
Schnee; ie vollkommener ein Fuͤrſt/ ie mehr
klebet ihm Verleumdung an. Denn das Maul
ſtincket dem luͤſternen Volcke im̃er nach Neuig-
keit; und die ſtaͤrckſten Beine ſind zu ſchwach in
die Laͤnge gute Tage zu vertragen. Man betet
die mehrmahls Regen und Koth nach ſich zie-
hende Morgenroͤthe an/ und verſchmaͤhet die zu
Golde gehende Sonne/ ob ſelbte gleich Purpur
und Perlen von ſich ſchuͤttet/ und einen erfreuli-
chen Morgen aukuͤndiget. Ja wenn Fuͤrſten
auch ſchon Vermoͤgen und Anſehen behalten;
haben ſie doch endlich zu behertzigen: daß ſie
zwar ein groſſes Theil ihres Lebens dem Va-
terlande ſchuldig/ aber alles ihnen ſelbſt zu ent-
ziehen nicht berechtigt ſind. Bey gemeinen
Menſchen ſoll die Liebe bey ſich ſelbſt anfangen/
bey Fuͤrſten aber ſich endigen. Jch weiß wol:
daß ihrer viel mit weniger Beſtuͤrtzung den
Sterbe-Kittel an-als den Purpur aus ziehen;
aber ſie verſtehen nicht: daß in Koͤniglicher Ho-
heit die wahre Vergnuͤgung keines Weges ſte-
cke; weil die Unſchuld darinnen nicht weniger
ſeltſam iſt/ als neue Sternen im Himmel. Kro-
nen bezeichnen nur prangende Knechte/ und
hoffaͤrtige Elenden. Ja alle von der Einbil-
dung nur begreifliche Wolluſt iſt Wind und
am Ende Schmertz; ihre erſte Trachten ſind
zwar aus eingeambertem Zucker-Teige berei-
tet/ aber inwendig ſtecket Gifft/ und das letzte
Gerichte ſchmecket nach Faͤulnuͤß; wenn ſelbte
was liebliches an ſich kleben/ ihre Ergetzlig-
keit aber nicht zum Grund-Steine die Ewig-
keit hat. Denn tauſend Jahre unſers Lebens/
weñ ſie vergangen/ ſind weniger als ein Schat-
ten; und tauſendmahl tauſend Jahre laſſen ſich
doch nur mit einer Ziffer und vielen Nullen
ſchreiben/ auch im Augenblick zertheilen; in
welchen wir meiſt ſo viel Seuffzer eingezogen/
als Athem geſchoͤpfft haben. Und die von der
Natur in unſere Lunge geſetzte Hauß-Uhr er-
innert uns durch ihre alle Augenblicke ſchlagen-
de Unruh: daß die Stunde unſers Abſchieds ſich
naͤhere/ und/ ehe wir es uns einbilden/ ſchla-
gen werde. Hiermit zerrinnet alles irrdiſche
durch den Tod in nichts/ welcher ſchon in unſer
Geburt mit uns anfaͤngt zu ringen. Alsdenn
laͤſſet ſich die Todten-Aſche eines Weltbezwin-
gers/ der wie ein Blitz hundert Laͤnder eingeaͤ-
ſchert hat/ von deſſelbten/ der in dem engen
Kreiße eines Faſſes ſeine Begierden endigte/
und voͤllige Vergnuͤgung ſchoͤpffte/ nicht unter-
ſcheiden. Die Fuͤꝛſten und Bettleꝛ-Knochen ſind
nichts minder als ein Ey dem andern aͤhnlich.
Der Ruhm von unſeꝛm Tode/ uñ die Pracht un-
ſers Begraͤbnuͤßes giebt der Sache auch nichts.
Dieſes blendet etlicher Augen jenes klinget eine
Weile in Ohren/ beydes aber verſchwindet/ ehe
man es gedacht haͤtte; und der Tode ſelbſt hat
den geringſten Genuͤß darvon. Die Marmel-
nen Graͤber/ welche Koͤnige ihnen ſetzen/ machen
nicht ſo wol ihre Thaten/ als ihre Eitelkeit
A a a a a a a 3beruͤhmt;
[1110[1112]]Siebendes Buch
beruͤhmt; und ob ſie zwar die Nachwelt biß wei-
len zu ihren Ab goͤttern macht; ſo bleiben ſie doch
ins gemein laͤnger ein Denckmahl koͤſtlicher
Steine/ als derer/ welche ſie haben bereiten laſ-
ſen. Nach dem aber die Beſchaffenheit der
Seele uns klar genung zeiget: daß nicht alles
in uns vergaͤnglich ſey/ uns gleichſam mit den
Fingern auf ein Weſen weiſet/ welches ewig
bleibet; wohin zu gelangen die Ablegung deſ-
ſen/ was an uns ſterblich iſt/ eine Pforte ab-
giebt; ſo befiehlet uns die Vernunfft/ wo nicht
alle/ doch wenigſtens die letzte Zeit dahin anzu-
wenden: daß wir anders/ als Vieh ſterben; zu-
mahl ohne Verſicherung eines ſeligen Todes
kein Leben vergnuͤget ſeyn kan; und weil der
Menſch mehr nicht/ als ein mahl ſtirbt/ alſo ſich
der hierbey begangene Fehler nicht mehr ver-
beſſern laͤſt; muß hierum die euſſerſte Sorgfalt
fuͤr gekehrt werden; wormit unſere Unachtſam-
keit nicht unſer eingebildetes Leben mit einem
wahrhafften Tode; unſere gegenwaͤrtige Mar-
ter aber nicht vollends mit einer Hoͤlle verwech-
ſele. Daher muͤſſen wir unſere Eigen-Liebe
in eine Selbſt-Erkaͤntnuͤß verwandeln/ die
glaͤntzenden Schalen aller irrdiſchen Guͤter/
und mit ihnen die Begierde ſie zu erlangen/ als
auch die Furcht ſie zu verlieren/ wegwerffen;
wormit die ſonſt unaufhoͤrlich zitternde Mag-
net-Nadel unſers Gemuͤthes unverhindert
GOtt/ den einigen Angel-Stern unſerer See-
le erkieſe/ und in der Welt zur Ruhe/ nach dem
Tode aber zum wahren Leben gelange. War-
lich/ Arioviſt/ dieſes iſt dir keine neue Lehre; ich
habe ſie dir mit der erſten Milch eingefloͤſt. Jch
habe dir als ein ander Euclides eingehalten: daß
ein Kind nur einen Punct/ ein Knabe einen
ziemlichen Strich/ ein Juͤngling die voͤllige
Breite guter Kuͤnſte und Wiſſenſchafften be-
greiffen/ ein Mann die Tieffe der Klugheit/ ein
Greiß aber den Mittel-Punct und den Zweck
des gantzen Lebens-Kreißes/ nemlich Gott und
den Grundſtein ſeiner Seelen-Ruhe ergruͤn-
den ſolle. Aber ich weiß: daß die ewige Be-
wegligkeit der Staats-Sorgen/ und das Ge-
tuͤmmel des unruhigen Hofes deinem Leibe
nicht einſt die noͤthige Ruh/ noch in deinem
dreyßig-jaͤhrigen Fuͤrſten-Stande eine Vier-
telſtunde dieſer Weißheit nach zu dencken er-
laubt haben. Dieſemnach iſt es Zeit: daß du
dich der mehr von Eitelkeit/ als dem Lebens-
Geiſte beregſamen Menſchen/ und alſo dieſer
Hindernuͤße entſchuͤtteſt. Es iſt Zeit: daß du
alle irrdiſche Anſchlaͤge fahren laͤſt; wo du nicht
die willkuͤhrliche Gewalt des Gluͤckes uͤber dich
verlaͤngern/ und den grauſamſten Zufaͤllen dich
ſelbſt zu einem Ziele fuͤrſtellen wilſt. Verlaſſe
dieſemnach das vergaͤngliche/ ehe es dich ſelbſt
verlaͤſt; und kehre dem den Ruͤcken/ was dir im
Leben noch viel Empfindligkeit verurſachen/
nach dem Tode nicht wenig von deinem Ruhme
benehmen kan. Die Schoͤnheit muß den
Spiegel zerbrechen/ ehe ſie veraltert/ ein Fuͤrſt
den Zepter weglegen/ ehe er ihm aus den Haͤn-
den faͤllt. Mache dein Ende dir derogeſtalt
nuͤtze: daß es mehr einem Siege/ als einer Ver-
fallung aͤhnlich ſey; und das groſſe Auge der
Welt/ die Sonne/ dir zu einem Vorbilde/ wel-
che ihren Untergang meiſt mit einer Wolcke
verhuͤllet/ um die Welt im Zweiffel zu laſſen:
ob die Sonne noch uͤber- oder unter unſerer Er-
den-Flaͤche ſey. Es iſt freylich wol kein gerin-
ges fuͤr das Heil der Voͤlcker/ und die Ruhe
der Laͤnder ſorgen; aber ein Augenblick dieſer
Einſamkeit iſt herrlicher und vergnuͤglicher. Al-
les iſt friedſam in der Seele; alle ſonſt wieder-
ſpenſtige Gemuͤths-Regungen gehorſamen der
Vernunfft auf einen Winck. Muͤh und Ver-
druͤßligkeit verſchwinden; Neid und Ungem ach
tritt man mit den Fuͤſſen; wir unterbrechen das
Spiel des Gluͤckes; ja wir feſſeln es ſelbſt an/
wie ſtarck es ſonſt iſt/ und wie krumme Gaͤnge
es ſonſt zu gehen weiß. Die Unruh ſelbſt findet
hier ihre Ruh; die Naͤchte ſind aller verdruͤßli-
chen Finſternuͤß/ das Leben der falſchen Welt/
und
[1111[1113]]Arminius und Thußnelda.
und ungelegenen Uberlauffs entuͤbrigt. Wir
halten allhier taͤglich Siegs-Gepraͤnge; man
ſetzet der Tugend’ alle Augenblicke friſche Eh-
ren-Kraͤntze auff; Der Himmel und unſer Ge-
wiſſen ruffet unſerer Unſchuld tauſend Lobſpruͤ-
che zu; und wir verwandeln die Hefen des ſonſt
beſchwerlichen Alters in das vollkommenſte
Theil unſers Lebens/ welches nunmehr weder
Jahr noch Monat/ weder Ende noch Anfang
zu unterſcheiden/ fuͤr keinem Geraͤuſche zu er-
ſchrecken/ nach keiner Glocke ſich zu richten/ und
ſo wenig als die Ewigkeit ſelbſt einer Uhr von
noͤthen/ die Geſtirne zu ſeinem Zeitvertreib/ die
Welt zu ſeinem Garten/ ſeine reine Gedancken
zu ſeiner Speiſe hat. Mit einem Worte; Un-
ſere Lebens-Art ſtehet reinen Seelen/ wie das
Waſſer den Fiſchen/ die Lufft dem Gefluͤgel
an/ ſie iſt ein Muſter des Lebens im Himmel;
und ein Vorſchmack ſeiner Suͤßigkeit.
Nach dieſen Worten leitete er mich zum
Eingange ſeiner Hoͤle; da er die Lob-Spruͤche
ſeiner beliebten Einſamkeit mit folgenden Rey-
men in eine von dem gruͤnen Moße geſauberte
Stein-Klippe muͤhſam eingegraben hatte:
Durch dieſe/ und mehr bewegliche Zuredung
des Samothiſchen Weiſen/ ſagte Arioviſt/ ward
ich derogeſtalt eingenommen; oder/ wenn ich zu
einer ſo heilſamen Wuͤrckung ein ſo gefaͤhrliches
Wort brauchen doͤrffte/ bezaubert: daß meine
Koͤnigliche Wuͤrde und alles irrdiſche mich an-
ſtanck; die gelobte Einſamkeit aber mein Ge-
muͤthe mit einem anmuthigern Geruch/ als
Balſam und Jaſmin anhauchete; alſo: daß ich
von Stund an meinem Pferde den freyen Lauf
verſtattete/ meinen Degen/ Kleider und Jaͤger-
Geraͤthe wegwarff/ mich mit dieſer Haut deck-
te; und um von den Meinigen nicht ausge-
ſpuͤret zu werden/ mit meinem Lehrer mich in
eine nahe darbey verdeckte Hoͤle verbarg. Jn
welcher wir folgende Nacht und biß in dritten
Tag ein unaufhoͤrliches Gethoͤne von Jaͤger-
Hoͤrnern vernahmen; weil dem Vermuthen
nach ich von den Meinigen geſucht; und nach
vergebener Muͤh/ Zweiffels-frey fuͤr tod gehal-
ten ward. Nach dem ich mich aber in dieſer Naͤ-
he nicht allerdings genung verborgen zu ſeyn
achtete/ beredete ich meinen Lehrer: daß er mit
mir durch die dickſten Harudiſchen Waͤlder
biß auf den Fichtelberg/ und als wir da eine
Zeit uns aufgehalten/ auf das Hercyniſche Ge-
buͤrge; und um ſelbtes herum biß auf gegenwaͤr-
tigen Berg ſich entfernte. Welchen ſich deß-
wegen fuͤr den herrlichſten Ort in der Welt hal-
te; weil ich von dem Samothiſchen Weiſen die
vollkommene Ruhe des Gemuͤthes gelernet/
mich darauf uͤber alle irrdiſche Sorgen erhoͤhet
zu ſeyn befinde; und bey meiner Gluͤckſeligkeit
die Thorheiten der Menſchen/ davon mir zu-
weilen ein oder ander Wurtzelmann zu erzehlen
weiß; verlachen/ und itzt mit deiner Eitelkeit/
lieber Marbod/ Erbarmnuͤß haben; nichts aber
an deiner eingebildeten Hoheit beneiden kan;
ja ich traute dir in meineꝛ Einſamkeit/ oder viel-
mehr in der mir erkieſeten Todten-Hoͤle/ ſolche
Reichthuͤmer zu zeigen; welche wenige Welt-
beherrſcher ihr Lebetage zu ſehen/ weniger zu
beſitzen bekommen; und da Auguſt nichts min-
der als du mein Grabmahl ſchwerlich ohne
Mißgunſt wuͤrden betrachten/ und wie itzt von
mir: daß die Natur/ wenn ſich die aufblehende
Ehrſucht wiederſetzet/ leicht zu ihrem erſten
Stande und Kleinigkeit komme; alſo von er-
waͤhnter
[1112[1114]]Siebendes Buch
waͤhnter Hoͤle lernen koͤnnen: daß die Kunſt ei-
ne bloſſe Magd oder Affe der Natur/ der Men-
ſchen Wunderwercke gegen dieſer Gebaͤuen
weniger/ als Ameis-Hauffen ſind; beyde aber
endlich nichts/ als dem Feuer eine koſtbare A-
ſche; dem Winde einen theuren Staub abge-
ben.
Koͤnig Marbod muͤhte ſich mit aller nur er-
ſinnlichen Ehrerbietung dem ſo beruͤhmten A-
rioviſt an die Hand zu gehen; und ob er zwar
unter ſchiedene Einwuͤrffe thaͤt: daß die Ein-
ſamkeit eine boͤſe Rathgeberin/ und eine bang-
ſame Geferthin waͤre; und daher zu untadel-
hafter Selbſtgelaſſenheit eine ungemeine Voll-
kom̃enheit gehoͤrte; die Gemeinſchafft zwar ein
Verlangen nach ſich/ die Einſamkeit aber nach
andern [v]erurſachte; daß ein angebohrner Trieb
die Menſchen zuſammen vereinbarte/ und die
Freundſchafft dem Leben ſo noͤthig/ als die Son-
ne der Welt; der Fuͤrſtliche Stand aber nichts
minder dem gemeinen Weſen/ als das Steuer-
Ruder dem Schiffe unentpehrlich; und wegen
ſeiner Sorgen und Gefaͤhrligkeit ſo wenig/ als
die Roſe wegen ihrer Dornen verwerflich; kein
under Stand auch ohne Schwachheiten waͤre;
ſondern iede Fackel ihren Rauch haͤtte/ und ieden
Menſchen ſein Schatten begleitete; ſo eignete
ihm Marbod doch ſelbſt ſo bloͤde Augen/ und ei-
nen ſo albern Verſtand zu: daß er in das Licht
einer ſo hohen Gemuͤths-Erleuchtung nicht oh-
ne Verblendung ſehen/ noch ſein Urthel uͤber
die Meinungen des weiſeſten Arioviſts erſtre-
cken koͤnte. Hingegen lag er ihm mit beweg-
lichſten Bitten ſo lange an: biß er ihm die er-
wehnte Hoͤle zu zeigen Vertroͤſtung that. Maſ-
ſen ſich denn Arioviſt den dritten Tag/ als er den
Koͤnig Marbod und ſeine Geferthen die Zeit
uͤber mit Gemſen-Fleiſch/ Erdbeeren/ und
Kraͤutern/ mehr aber mit vielen klugen Ge-
ſpraͤchen unterhalten hatte/ mit ihnen auff den
Weg begab; und biß in die ſinckende Nacht
durch etliche finſtere Thaͤler uͤber viel raue
Stein-Klippen fuͤhrte; alſo: daß dieſe ſich in
beſten Jahren befindenden Nachfolger ihm mit
genauer Noth gleich kom̃en/ und daher ſich nicht
nur uͤber der Hurtigkeit des Stein-alten Ario-
viſts verwundern; ſondern auch ſeiner gegebe-
nen Urſache beypflichten muſten: daß der Ehr-
geitz nur nach vielen und ſeltzamen Speiſen luͤ-
ſtern/ der Hunger mit wenigem vergnuͤgt/ der
ſchlechteſte Unterhalt der Geſundheit und den
Leibes-Kraͤſten am vortraͤglichſten waͤre. Gan-
tze Heerde Ochſen waͤren mit einer engen Wey-
de; eine ziemliche Menge Elefanten mit einem
Walde vergnuͤgt; ein uͤppiger Menſch aber
haͤtte in ſeinem Zwerg-Leibe einen unerſaͤttli-
chen Straus-Magen; welcher mit ſeiner Ta-
fel die Lufft erſchoͤpffte/ gantze Meere ausfiſch-
te/ groſſe Wildbahnen veroͤdete/ den Erdboden
arm machte; und/ ob ſchon die Natur um ſei-
nem Eckel vorzukommen das Jahr uͤber ſo viel-
mahl ihre Zeit/ und darmit ihre Fruͤchte veraͤn-
derte/ ihn darmit nicht ver gnuͤgte; ſondern ei-
ues Menſchen Leben das Jahr uͤber mit etlichen
tauſend Leichen unter halten muͤſte. Dahero ſo
viel weniger wunderns werth waͤre: daß ſolche
Schwelger ihnen durch ſo viel Tode den Weg
zu Kranckheiten baͤhneten/ und die Farth zum
Grabe beſchleunigten.
Sie erreichten aber ſelbigen Tag den ver-
langten Ort nicht; ſondern uͤbernachteten bey
einem Brunnen/ aus welchem die beruͤhmte
Elbe den Uhrſprung nimmt. Uber welchen
ſich Koͤnig Marbod mehr als Alexander bey
Erfindung ſeines Oelbrunnen ergetzte; weil
die Elbe einer der Haupt-Stroͤme ſeines Ge-
bietes war. Dahero er ſich auch beduͤncken ließ:
daß ihm ſein Lebtage kein Wein ſo gut/ als das
aus dieſem Bruñen mit den Haͤnden geſchoͤpfte
Waſſer geſchmeckt haͤtte. Nach genoſſener Ruh
auff einem mit hunderterley koͤſtlichen Kraͤu-
tern bewachſenem Raſen/ machten ſie ſich/ als es
nur zu tagen anfieng/ uͤber eine ziemliche Flaͤ-
che/ von welcher etliche Kryſtallen klare Baͤche
Nord-
[1113[1115]]Arminius und Thußnelda.
Nordwerts in der Marſinger Gebiete mit groſ-
ſem Geraͤuſche abſtuͤrtzten/ auf den hoͤchſten
Gipfel des Sudetiſchen Rieſen-Gebuͤrges/ von
welchem man nicht nur der Bojen/ ſondern der
Marſinger und Burier Landſchafften weit und
fern uͤberſehen kan/ lenckten aber hernach in ein
ziemlich tieffes Thal/ und kletterten durch aller-
hand Verdrehungen uͤber viel Felſen biß in die
ſinckende Nacht. Den dritten Tag ſchlieffen
ſie wegen ihrer Muͤdigkeit ſo lange: biß die
Sonne ſchon mit ihren Strahlen ſelbiges Thal
erfreute. Arioviſt fuͤhrte ſie hierauf einen gantz
ebenen Weg/ da man aber weder von Men-
ſchen noch Thieren einigen Fußſtapffen fand/ zu
einer gleichſam geſpaltenen Stein-Klippe/
machte hierauf ein Feuer/ wormit ieder zwey
Kyn-Fackeln in die Hand nahm/ und dem vor-
gehenden Arioviſt in den Steinritz/ welcher ei-
ne verborgene Pforte in einen von Graß und
Pflantzen gantz kahlen Berg abgab/ durch den
man ſich ſeitwerts durch draͤngen muſte/ folgten.
Sie kamen aber bald in einen breiten aus dem
ſchoͤnſten weiſſen Marmel gehauenen Gang/
in welchem ſie anfangs funffzig Schritte gera-
de ein/ hernach dreyhundert Staffeln hinunter
giengen. Zu Ende deſſelbten kamen ſie in ei-
ne Ey-rundte im Umkreyße ſiebendehalb hun-
dert Schritte haltende/ und mit einer anſtaͤndi-
gen Hoͤhe verſehene Hoͤle. Jhr erſter Anblick
verblaͤndete durch uͤbermaͤßigen Schimmer al-
ler Augen. Denn die Waͤnde rings herum
waren das vollkommenſte Gold-Ertzt/ oder
vielmehr gediegenes Gold; weil man hin und
her nur ein wenig Schlacke/ oder vielmehr
Beyſatz andern Ertztes erkieſen konte. Uber
diß hatte die Natur in dieſem Gold-Bergwer-
cke auch auf mancherley Arten geſpielet; in dem
ſie allerhand Baͤume/ Berge/ Baͤche/ gantze
Landſchafften/ aller hand vierfuͤßichte/ inſonder-
heit kriechende Thiere/ Gefluͤgel/ Fiſche/ Mu-
ſcheln/ und Gewuͤrme ſo wol/ als kaum der
kuͤnſtlichſte Bildhauer vermocht/ geetzt; ja ſelb-
ten ſo gar zuweilen die eigentliche Farbe und
den Schatten gegeben hatte. Wie nun Mar-
bod und ſeine Gefaͤrthen etliche Stunden ihre
Augen durch rings herum geſchchende Ve-
ſchauung dieſer wunder wuͤrdigen Goldmau-
ern geweidet hatten; fieng Arioviſt an: Ob ſie
wol glaubten: daß ſie was koͤſtlichers mit Fuͤſſen
treten; als woran ſich ihre Augen ergetzten;
Buͤckte ſich auch hiermit zugleich/ und hob eine
Hand voll allerhand theils grauer/ theils
ſchwaͤrtzlichter Steine/ welche ſie anfangs fuͤr
Kieſelſteine angeſehen/ auf; zeigte dem Koͤni-
ge Marbod auch; wie aus ſelbten hin und wie-
der die darinnen verborgenen Diamanten her-
fuͤr ſtrahleten; und verſicherte ihn: daß zwar
ſelbte nicht alle/ iedoch derer viel denen Mor-
genlaͤndiſchen an Haͤrte und Glantz gleiche kaͤ-
men; gantz Jndien aber ſchwerlich ſo viel edle
Steine haͤtte/ als ihrer in dieſem einigen Ber-
ge vergraben laͤgen. Gleichwol aber wuͤſte er
nicht: ob das reiche Deutſchland in ein ſchmaͤhli-
ches Armuth verfallen koͤnte; als wenn dieſe
Reichthuͤmer deſſelbten Einwohnern entdeckt
wuͤrden. Weßwegen er ſie alle drey bey ihrer
zum Vaterlande tragender Liebe beſchwuͤre:
daß ſie dieſen noch heiligen Schatz/ weil ſelbten
keine geitzige Hand verſehret und entweihet
haͤtte/ keinem Menſchen kund machen; und
dardurch nicht ſo wol zu Durchwuͤhlung dieſes
Gebuͤrges/ als zur Peinigung ihrer Seelen/
und zum Verluſt ihrer freyen Gemuͤther Ur-
ſach geben ſolten. Sintemahl/ wenn der Man-
gel einmahl dieſen glaͤntzenden Koth in ſein Her-
tze legte/ wuͤrde dieſer zu einem Abgotte/ jenes
zum Sclaven; und weil das Gold ſo gezuͤge waͤ-
re: daß ein Knopff einer Kirſche groß ſich von der
Elbe biß an Rhein ausdehnen lieſſe/ umſchling-
te es im Augenblicke aller Menſchen Her-
tzen. Da doch die Natur dem Golde dar-
um den Geruch und Geſchmack/ wormit ſie
doch das unedlere Kupffer und Eiſen begabte/
gleichſam zu dem Ende entzogen haͤtte:
Erſter Theil. B b b b b b bdaß
[1114[1116]]Siebendes Buch
daß die menſchlichen Sinnen ſo viel weniger
darzu ſolten gereitzt werden. Daher die Be-
ſchauung dieſes Schatzes mehr Andacht und
Maͤßigkeit von noͤthen haͤtte/ als die Araber de-
nen/ welche Weyrauch ſuchen/ und die Atlan-
tiſchen Eylaͤnder denen/ welche in den Gold-
Bergwercken arbeiten/ aufbuͤrden: daß ſie ſich
ſo gar vorher ihrer Ehweiber enthalten muͤſſen.
Marbod betrachtete dieſe koͤſtlichen Steine ge-
gen dem Lichte mit hoͤchſter Verwunderung/
Lichtenſtein und Tañenberg rafften in zwiſchen
beyde Haͤnde voll/ und befanden: daß nicht nur
alle Steine Diamanten/ ſondern auch etliche
darunter gantz rein und auſſer ihrer Schale
waren. Gleichwol aber hatte Arioviſtens Zu-
redung einen ſolchen Nachdruck: daß ſie auch
nicht einen dieſer Edelſteine zum Gedaͤchtnuͤße
bey ſich behalten wolten; biß Arioviſt die groͤſten
ihnen einnoͤthigte/ und ihnen einhielt: daß der
gute Zweck nichts minder Reichthum/ als Gift
zu Nutzen machte/ der Mißbrauch aber das
herrlichſte Gold in ſchaͤdlichen Huͤtten-Rauch
verwandelte. Marbod fieng an: Er ſehe wol:
daß der guͤtige Arioviſt freygebiger waͤre/ als die
Jndiſchen/ Scythiſchen und Egyptiſchen Koͤ-
nige; unter denen die erſten ihnen alle uͤber
hundert Gran wiegende Diamanten/ die an-
dern alle groſſe Tuͤrckiße/ die letzten alle groſſe
Topaße vorbehielten. Hierauf ſteckte Arioviſt
ſeine zwey Fackeln auf eine bey der Hand lie-
gende ſehr hohe Stange/ und ermahnte ſeine
Nachfolger nun auch das Gewoͤlbe dieſer Hoͤle
zu beobachten; welches ſie wegen der Tunckel-
heit fuͤr eitel Regenbogen anſahen. Arioviſt aber
unterrichtete ſie: daß es eitel von der Kunſthand
der Natur zuſammen geſetzte Schmaragden/
Topaſſer/ Beryllen und Granaten waͤren; ja
in der Welt wenig Edelgeſteine gefunden wuͤr-
den/ davon dieſes Sudetiſche Gebuͤrge nicht ei-
nen groſſen Uberfluß haͤtte. Aber alles diß/
ſagte Arioviſt/ worvon der Geitz ſo viel Weſens
macht/ wuͤrde ich nicht der Muͤh werth geſchaͤtzt
haben/ euch einen ſo beſchwerlichen Weg anher
zu leiten; wenn ich dir/ Marbod/ nicht etwas
beſſers zu zeigen haͤtte; welches dir theils die
wunder wuͤrdigen Geheimnuͤße der Goͤttlichen
Verſehung fuͤr Augen ſtellen/ theils deinem
Thun vielleicht ein nuͤtzliches Beyſpiel abgeben
koͤnte. Hiermit nahm er den Marbod bey der
Hand/ leitete ſelbten hinter einen guͤldenen
Pfeiler in einen ziemlich breiten Gang/ durch
welchen ſie wol eine Stunde zu gehen hatten;
deſſen Waͤnde anfangs ebenfalls eitel Gold-
Ertzt war/ hernach ſich aber ſelbtes in Silber/ ſo
Marbod und ſeine Geferthen fuͤr Schnee anſa-
hen/ verwandelte. Nach und nach kam ihren
Ohren ein Geraͤuſche entgegen/ welches ſich
hernach in ein maͤchtiges Brauſen des Waſſers
verwandelte; alſo: daß fuͤr ſelbtem mit genauer
Noth ein auch ins Ohr redender den andern
verſtehen konte. Endlich erblickten ſie eine
zweymahl groͤſſere Hoͤle; worein aber Marbod
und die Seinigen zu treten Bedencken trugen;
weil ſie in ſelbter groſſe Stroͤme aufwerts ſchuͤſ-
ſen ſahen. Arioviſt aber verſicherte ſie: daß ih-
nen kein Finger oder Fadem naß werden ſolte:
leitete ſie alſo darein/ fuͤhrte ſie an die Seiten-
Waͤnde dieſer Hoͤle; um durch derſelben An-
taſtung ſie zu verſichern: daß zwiſchen ihnen und
dieſem brauſenden Gewaͤſſer eine wiewol gantz
durchſichtige/ iedoch Marmel-feſte Mauer
ſtuͤnde. Marbod ver gaß fuͤr Verwunderung
alle dieſe Seltzamkeiten/ und fragte: Ob denn
dieſe glatten und helleuchtenden Waͤnde eitel
Berg-Criſtallen waͤren? Jch kan es fuͤr nichts
anders erkennen antwortete Arioviſt; weil in
dieſem Gebuͤrge hin und wieder auch auswerts
Stuͤcke von Berg-Criſtallen gefunden werden;
und ander zerbrechliches Glaß gegen dem ge-
waltſamen Triebe dieſer Fluͤſſe nicht beſtehen
wuͤrde. Lichtenſteins Vorwitz trieb ihn alſo
fort zu fragen: Ob denn unter denen Gebuͤr-
gen auch Fluͤſſe waͤren? Arioviſt laͤchelte mit
beygeſetzter Antwort: Es waͤre daran nicht zu
zweiffeln/
[1115[1117]]Arminius und Thußnelda.
zweiffeln/ weil der gantzen Welt unverborgen
waͤre/ wie weit in Hiſpanien der Fluß Anas/ in
Africa der Neiger und Nil unter dem Erdbo-
dem hinfluͤſſe. Die Donau ſelbſt werde zum
Theil von der Erde verſchlungen. Jn Sici-
lien bey der Stadt Metaurus habe er eine Hoͤle
geſehen/ durch welche ein ziemlicher Fluß ſtroͤ-
me; und nach dem er weit unter der Erden ſei-
nen Lauff gehabt/ allererſt hervor komme. Bey
dem Emporiſchen Seebuſem in Mauritanien
ſolle eine Hoͤle ſeyn/ in welcher man ſo gar des
Meeres Epp und Flut wahrnehme. Und in
Sarmatien fluͤſſen nicht ferne von der Weich ſel
in tieffen Saltz-Kluͤfften ſtarcke Baͤche/ woraus
man koͤſtliches Saltz kochte. Alleine diß Waſſer/
welches ihr durch dieſe durch ſichtigen Steine
hin und wieder brauſen hoͤret/ und ſchaͤumen ſe-
het; ſind keine ſolche unterirrdiſche Fluͤſſe; ſin-
temahl dieſes wieder die gemeine Art des Ober-
irr diſchen Waſſers gerade empor ſteiget/ welches
ſonſt mit ſeiner Schwerde nichts minder/ als
der ſchwerſte Stein gerade gegen dem Mittel-
Puncte der Erden zudruͤckt. Marbod/ Lich-
tenſtein und Tannenberg/ als ſie aus genauer
Beobachtung dieſer wahrhafften Emporftei-
gung des Waſſers diß wahr zu ſeyn befanden/
erſuchten den weiſen Arioviſt ihnen dieſes Ge-
heimnuͤß aus zulegen; welcher denn vermeldete:
daß diß Waſſer eben die Brunnen der Elbe/ des
Bobers/ und etlicher anderer theils zu den Bo-
jen/ theils zu den Marſingern abſchuͤſſender
Baͤche; dieſe Kryſtallen aber die wunder wuͤrdi-
gen Roͤhre und Behaͤltniſſe dieſer aufqvellenden
Stroͤme waͤren/ und verhinderten: daß dieſe
zwey Hoͤlen nicht von dem Waſſer angefuͤllet
wuͤrden. Denn ob zwar einige Berg-Brunnen
von dem einſinckenden Regen und Schnee-
Waſſer herrinneten; waͤren diß doch keine ewi-
ge/ ſondern bey groſſer Duͤrre vertrocknende
Brunnen. Die ewigen Brunnen und Fluͤſſe
haͤtten zwar ins gemein auch einen Zuwachs
von Regen und Schnee; wiewol in der Nari-
nenſiſchen und etlichen andern Landſchaff[t]en
die Brunnen beym Regen groſſen theils [v]e[r]ſie-
gen/ die Erde bey naſſem Wetter zu Staube/
bey duͤrrem zu Kothe wird. Der Brunnen ihr
eigentlicher Uhrſprung ruͤhre aber aus dem
Mittel der Erd-Kugel her/ zu welchem ſich das
Waſſer aus denen Meeren/ ſeiner eigentlichen
Schwerde nach/ durch ſeinen ſandichten Bo-
dem eindringe. Der begierige Tannenberg fiel
alsbald ein und fragte: durch was fuͤr eine Waſ-
ſer-Kunſt oder Regung aber das einmahl ſchwe-
re Waſſer zu der euſſerſten Spitze des Erdbo-
dens und zwar meiſt zu den Gipffeln der hoͤch-
ſten Gebuͤrge empor gezogen wuͤrde; und ob al-
le Qvellen in ſolche ſteinerne Roͤhren einge-
ſchloſſen waͤren? Arioviſt ließ ihm dieſe Sorg-
falt gar wol belieben/ und antwortete: Es haͤt-
ten zwar einige der Druyden ihn anfaͤnglich be-
redet: daß die Auffſteigung des Qvell-Waſſers
von dem die Erde uͤberhoͤhenden Meere her-
ruͤhrte; und in eitel ſolchen Roͤhren das Waſſer
zur oberſten Flaͤche der Erden nicht anders/ als
wie von Bergen oder Thuͤrmen in die Waſſer-
Kuͤnſte getrieben wuͤrde; indem es in ſolchen fe-
ſten Verfaſſungen nothwendig ſo hoch ſteigen
muͤſte/ als es anderwerts abfiele; alleine ſein er-
ſter und letzter Lehrer der Sothiſche Weiſe haͤt-
te ihm gewieſen; wie dieſe Meinung allzuweit
hergeſucht/ die angegebenen Waſſer-Roͤhre
auch bloſſe Traͤume waͤren. Sintemahl die
oberſte Flaͤche des Meeres nirgends ſo hoch/ als
die Gipffel der Alpen/ des Caucaſus/ der Pyre-
neiſchen Gebuͤrge; ſolche Brunnen auch mitten
in dem groͤſten Welt-Meere (wordurch entwe-
der derogleichen Waſſer-Roͤhre unmoͤglich ge-
hen/ oder doch wieder Sturm und Wellen nicht
beſtehen koͤnten; oder ſolche Roͤhren unter der
Tieffe des Meeres viel tauſend Meilen weit ge-
fuͤhret ſeyn muͤſten) auf den Bergen der klein-
ſten Eylande gefunden; ja auf den hoͤchſten Ge-
buͤrgen in den Brunnen eine Verwandnuͤß in
Epp und Flut mit dem nahe darbey und um
B b b b b b b 2viel
[1116[1118]]Siebendes Buch
viel hundert Schritte niedriger gelegenen
Meere verſpuͤret wuͤrde. Hingegen waͤre aus
dem Leibe des Menſchens/ welcher als eine klei-
ne Welt alle Wunderwercke der groſſen in ſich
begrieffe/ die Art der Auffſteigung des Quell-
Waſſers unſchwer zu ergruͤnden. Denn wie
im Menſchen das in Adern verſchloſſene Ge-
bluͤte wegen ſeiner lebhafften Geiſtigkeit empor
ſtiege; auſſer denen Adern aber/ wenn es in die
Lufft kaͤme/ und ſeine Geiſter verrauchten/ oder
auch in todten Coͤrpern wie andere ſchwere Sa-
chen zu Bodem fiele/ oder abwerts ſincke; alſo
wuͤrde auch das in der holen Mitte der Erden
aus dem Meere zuſammen ſinckende und von
ſeiner Bitterkeit gereinigte Waſſer nicht zwar
durch Feuer/ welches wegen mangelnder Lufft
daſelbſt nicht/ wie in denen der Erden-Flaͤche
naͤhernden Hoͤlen tauern koͤnte/ in dem all zu-
tieffen Ertz-Schachte ſchon ſo gar kein Licht lei-
den/ ſondern durch ſeine ſelbſteigene Schwefel-
und lebhaffte Krafft begeiſtet: daß ſelbtes nach
Art des auch von der Sonnen in die Lufft gezo-
genen Waſſers wie dinne Duͤnſte der kalten
Flaͤche der Erden durch alle nur zu durch krichen
moͤgliche Wege ſich naͤhere/ und daſelbſt gleich
als in dem Kopffe eines Brenn-Topffes wieder
zu Waſſer werde; weßwegen etliche tieffſinni-
ge Weltweiſen die Brunnen gar fuͤglich mit den
Frauen-Bruͤſten verglichen haben; weil wie in
dieſen aus denen zugezogenen dinnen Feuchtig-
keiten die Milch/ alſo in jenen aus denen auff-
ſteigenden Duͤnſten das Waſſer gezeuget wuͤr-
de; alſo denn durch die Lufftloͤcher der Erde/
(welche das Meer nicht hat/ und alſo ſolche
Aufdampffung nicht zulaͤſt) ausbraͤche/ ſeine
Schwerde wieder bekom̃e/ und anfangs Brun-
nen/ hernach Fluͤſſe verurſache; alſo: daß das
Meer innerhalb der Erde der Uhrſprung der
Brunnen/ die Brunnen aber oberhalb der Er-
de der Uhrſprung der Meere waͤren; und wie
im Menſchen das Blut/ alſo in der Erde das
Waſſer niemahls ruhe/ ſondern durch unauff-
hoͤrliche Bewegung einen Kreiß mache. Die-
ſemnach es denn in der Mitte der Erden und
aus der Hoͤhe der Meere keiner verſchloſſenen
Waſſer geleite darff; wie zwar derer hin und
wieder/ und alſo auch allhier gegen waͤrtig nicht
wenig gefunden werden; auch allerdings der
Warheit gar aͤhnlich iſt: daß durch ſolche Waſ-
ſer-Roͤhre das Caſpiſche und Schwartze; das
rothe und Cypriſche Meer an einander gehenckt
ſind. Dieſemnach aber das Meer-Waſſer in
der Mitte der Erden von einer beſondern na-
tuͤrlichen Saͤuerkeit/ ſo man fuͤglich den Eßig
der Welt nennen kan/ geſchwaͤngert wird; wel-
che zwar das gemeine Quell-Waſſer in dem
Thone/ dardurch es ſich dringen und laͤutern
muß/ ableget; viel Waſſer aber geraͤumere
Gaͤnge findet; ja auch noch darzu durch aller-
hand ſchweflichte/ ſaltzichte und anderer Arthen
Erde empor dampffet/ und von derſelben Ei-
genſchafft nichts minder etwas/ als die hier em-
por ſchuͤſſenden Brunnen ein Theil des Gol-
des und anderen Ertztes/ wie auch der Edel-
ſteine mit ſich in die Baͤche fuͤhren; ſo ereignet
ſich: daß es in der Welt/ fuͤrnehmlich aber in
unſerm Deutſchlande ſo viel Sauer- und Saltz-
ja auch Feuer- und andere Wunder-Brunnen
giebet; ja mitten in den groͤſſeſten Stroͤmen/
wie in dem Alemanniſchen Gebiete aus dem
Rheine/ und in dem Bojiſchen aus der Toͤpel-
bach ſiedend-heiſſe Quellen empor ſpringen; in
dem Tauniſchen Gebuͤrge bey denen Mattia-
zern ein Brunn nach Weine ſchmeckt; ja in den
Waͤſſern eine Krafft ſich in Saltz und Steine
zu verwandeln ſtecke. Welches letztere mich am
meiſten bewogen/ mein lieber Marbod/ dich
hieher zu bringen. Hiermit fuͤhrte ihn Arioviſt
zu einem faſt in der Mitte der Hoͤle ſtehenden
Bilde/ welches einen Berg-Kriſtallenen Rie-
ſen vollkommen abbildete; auſſer: daß beyde
Schenckel nicht von einander zertheilet ſtun-
den/ ſondern dieſer Rieſe unten gleichſam eine
rundte Seule war. Marmod und ſeine Gefaͤr-
then
[1117[1119]]Arminius und Thußnelda.
then ſahen ſelbten Anfangs mit Entſetz-hernach
mit groſſer Verwunderung an. Arioviſt aber
reckte ſeine beyde Fackeln empor gegen dem
Haupte/ und erinnerte ſie dieſes Rieſen-Bild/
von welchem dieſes Rieſen-Gebuͤrge den Nah-
men fuͤhrte/ nicht uͤberhin/ ſondern mehr ſeinen
Kern/ als die Schale zu betrachten. Worauf
der Ritter Lichtenſtein zum erſten gewahr ward:
daß in dieſem durchſichtigen Steine ein natuͤr-
licher Menſch ſteckte; weßwegen er alſofort/ ob
ihn ſeine Augen betruͤgen/ Arioviſten fragte.
Nein/ antwortete dieſer. Denn ihr ſehet hier
fuͤr Augen die unverweſete Leiche des groſſen
Fuͤrſten Tuiſco; und auswendig ſeinen Kriſtal-
lenen Sarch. Aller Augen erſtarreten fuͤr be-
gieriger Betrachtung dieſes Wunder-Grabes;
und aller Zungen erſtummten fuͤr Verwunde-
rung; biß Marbod uͤber eine lange Weile in
dieſe Worte ausbrach: O gluͤckſeliger Tuiſcon/
deſſen Tugend zwar unter allen Sterblichen
verdienet koͤſtlicher/ als kein ander Menſch be-
graben zu ſeyn! deſſen Geiſt aber auch ſchwer-
lich der Nachwelt ein ſo herrliches Begraͤbnuͤs
verdancken kan; gegen welchem der Egyptiſchen
Koͤnige/ des Mauſolus und des Porſenna
Marmel-Graͤber Staub; Cleopatrens Per-
len-Grufft Tockenwerck/ der Macrobiſchen
und derer ums Meere wohnender Mohren
glaͤſerne/ und die guͤldenen Saͤrche/ darein
Ptolomeus den groſſen Alexander legte/ fuͤr A-
ſche und ſchlechte Scherben zu halten ſind; alſo
dieſer groſſe Fuͤrſt ſeines Begraͤbnuͤſſes halber
meinem Beduͤncken nach mit niemanden/ als
mit derſelben Natter zu eifern hat; welche uͤber
der Weichſel an dem Gothoniſchen Meer-
Strande ſich in den noch weichen Agſtein ver-
wickelte; und nach dem dieſer ſich verſteinerte/
darinnen begraben/ von dem Fuͤrſten ſelbigen
Landes dem Feldherrn Segimern/ von dieſem
aber der Kayſerin Livia verehret ward. War-
lich/ wo iemahls ein Grabmahl in der Welt ei-
ner vieljaͤhrigen Tauerung werth geweſt iſt/
verdienet diß eine Ewigkeit; und es iſt zu wuͤn-
ſchen: daß wie ohne diß der Donner denen
Grabmalen keinen Schaden thut/ dieſes von
keinem Erdbeben verſehret werden moͤge. Aber
durch was fuͤr Zauberey iſt die Leiche in dieſen
durchſichtigen Stein gebracht/ und durch was
fuͤr kraͤfftigen Balſam uͤber zwey taufend Jahr
fuͤr Faͤulnuͤs und Verweſung verwahret wor-
den? Arioviſt verſetzte: Sie ſolten nur acht ha-
ben: ſo wuͤrden ſie aus dem Gewoͤlbe dieſer Hoͤ-
le unaufhoͤrlich Waſſer abtroͤpffen/ keines aber
nirgends fluͤſſen/ ſondern ſich in kurtzer Zeit in
ſo durchſichtigen Stein verwandeln ſehen. Da-
her es nicht nur der Augenſchein gebe/ ſondern
ihn auch der Sothiſche Prieſter/ welcher ihm
dieſe Hoͤle/ als der Sothiſchen Weiſen groſſes
Heiligthum/ zum erſten gezeigt/ glaubhafft be-
richtet haͤtte: daß man des groſſen Tuiſcons
Sohn/ welcher vom Tanais an/ biß zum Rhei-
ne geherrſcht/ und dieſe Hoͤle durch Anleitung
eines Wahrſagers gefunden haͤtte/ aber in dem
Marſingiſchen Gebiete geſtorben waͤre/ ſeines
Vaters Leiche in einem verſteinernden Brun-
nen dieſes Gebuͤrges gelegt/ hernach/ als ſelbte
entweder das todte Fleiſch wie vorhin Holtz und
Pflantzen zu Steine gemacht/ oder zum min-
ſten mit einer ſteinernen Schale uͤberzogen/ in
dieſe Hoͤle verſetzt haͤtte; wormit von dem ſtets
abtrieffenden Waſſer/ welches die Krafft im
Augenblicke zu verſteinern hat/ ſein Bild von
Jahre zu Jahre ſich vergroͤſſerte. Da es denn
nach ſo langer Zeit zu einem ſolchen ungeheu-
ren Rieſen/ diß Gebuͤrge aber von den Sothi-
ſchen Weiſen/ die ſonſt dieſe Hoͤlen uͤberaus ge-
heim gehalten/ das Rieſen-Gebuͤrge genennet
worden iſt. Koͤnig Marbod hatte Ariovi-
ſten beyde Ohren/ dieſem Bilde aber beyde
Augen gewiedmet/ und wuſte ſein und
ſeiner beyden Ritter Mund nicht genung-
ſame Lob-Spruͤche dieſer Saͤule zuzueig-
nen; gegen der ſie alle Wunderwercke der
Welt fuͤr Schattenwerck hielten; Tan-
B b b b b b b 3nenberg
[1118[1120]]Siebendes Buch
nenberg aber beſonders die vorhin mit Erſtau-
nen beſichtigte Grabe Spitzen in Egypten
nicht genung zu verachten wuſte. Arioviſt fieng
hierauff an: Es iſt nicht ohne: daß die Herrlig-
keit dieſes Begraͤbnuͤßes allen andern in der
Welt die Wage haͤlt; zumahl ich euch verſichern
kan: daß dieſer Kriſtallene Rieſe gediegenes
Gold zu ſeinem Fuße hat. Wie er denn ihnen
ſelbtes mit Wegſtoſſung der obigen gleichſam
glaͤſernen Schale/ welche von dem abſpritzen-
den Verſteinerungs-Waſſer uͤber den Bodem
gemacht war/ augenſcheinlich zeigte/ und ſodeñ
ferner fort fuhr: Aber ich halte die Koſtbarkeit
und die Tauerhafftigkeit dieſes Grabes an ſich
ſelbſt fuͤr kein ſo groſſes Weſen. Jene iſt ein
vergrabener Schatz/ welcher wenig Menſchen
in das Auge kommt; und wenn ihr mich nicht
zum Ausleger gehabt haͤttet; wuͤrdet ihr ſo we-
nig errathen haben: daß der groſſe Thuiſeo
darinnen begraben iſt; als die Egyptier zu ſa-
gen wiſſen: wer in ihren Grabe-Spitzen beer-
digt ſey. Die andere iſt ebenfalls der Vergaͤng-
ligkeit unterworffen/ als die Leichen ſelbſt/ wel-
che/ wenn ſie nicht Feuer oder Faͤulnuͤß verzeh-
ret/ doch Wuͤrmer und Ratten freſſen. Sinte-
mahl die Eitelkeit nicht nur uͤber/ ſondern auch
unter der Erden ihre Herꝛſchafft hat/ und durch
Erdbeben gantze Gebuͤrge und Fluͤſſe verſchlu-
cket; durch Schweffel-Braͤnde Ertzt und Fel-
ſen einaͤſchert; durch Gewaͤſſer die geraͤumſten
Hoͤlen erſaͤuffet. Maſſen denn auch falſch iſt:
daß der Blitz kein Grab verſehre. Sintemahl
des Geſetzgebers Lycur gus/ und des Tichters
Euripides davon zermalmet worden; und iſt die
hieraus auf ſelbiger Todten Vergoͤtterung ge-
zogene Auslegung nur fuͤr eine abgoͤttiſche Heu-
cheley zu halten. Es iſt aber die Vergaͤnglig-
keit in unterirrdiſchen Kluͤfften ſo viel weniger
zu verwundern; weil die Eitelkeit fuͤr laͤngſt uͤ-
ber das Rad der Sonnen ſich geſchwungen/ und
unterſchiedene Sternen wo nicht vertilget/ doch
in dem Geſichte der Menſchen ausgeleſcht hat.
Ja mein Sothiſcher Weltweiſer hat mir nicht
nur unterſchiedene Merckmahle abnehmender
Sternen gewieſen/ ſondern mich auch verſi-
chert: daß mit der Zeit vier Sternen in dem Zei-
chen des Schiffes zwiſchen dem Hintertheile
und denen Rudern/ einer in dem rechten Ohre
des Hundes/ in dem Schnabel des Rabens/ der
ſechſte im Krebſe/ einer ins Ganimedes Knie/
der letzte im Schwantze der Schlange/ und der
helleuchtende im Meduſen-Haupte mit der
Zeit gar oder groſſen theils verſchwinden; Hin-
gegen einer im Maſt-Baume/ der eilffte im Loͤ-
wen/ der neblichte im Schwantze des Scorpion
ſich ver groͤſſern/ ja auf der Stirne des Hundes/
in der Caßiopea/ und im Wallfiſche gar neue
Sternen gebohren werden wuͤrden. Wenn
aber auch ſchon dieſes oder einige andere Graͤ-
ber mit der Erd-Kugel ſelbſt um die Tauerhaff-
tigkeit ſtreiten koͤnte; ſo ſcheinet es doch eine ewi-
ge Thorheit zu ſeyn/ nach Ruhm unter den
Todten ſtreben; und aus dem Grabe eine Son-
ne machen; wenn zumahl einer im Leben kaum
ein Stern der ſechſten Gattung/ oder einer der-
ſelben geweſt iſt/ die in der Milch-Straſſe ſich
gar nicht erkieſen laſſen. Sintemahl wie die
praͤchtigen Grab-Maale/ welche Evagoras
und Miltiades ihren auf den Olympiſchen
Schau-Spielen obſiegenden Pferden/ Lacydes
ſeiner Ganß/ die Roͤmer einem Raben/ andere
Hunden aufgerichtet/ dieſe Thiere in keine beſ-
ſere verwandeln; alſo werden todte Wercke in
kalten Steinen nicht lebhaft/ und duͤncken mich
die/ welche nicht durch ruhmwuͤrdiges Begin-
nen die Tage ihres Lebens/ ſondern durch Ge-
praͤnge der Ehren-Maale die Nacht ihres To-
des zu erleuchten vermeinen/ nicht beſſer/ als die
glaͤntzenden Feuer-Wuͤrmer zu ſeyn/ welche im
Finſtern dem Golde/ in dem Tage veraͤchtli-
chem Kothe gleichen. Alles was nicht die Tu-
gend zum Grunde/ und die Ewigkeit der See-
le zum Abſehen hat/ iſt vergaͤnglicher Rauch.
Friſt die Zeder nicht der Wurm/ das Ertzt nicht
der
[1119[1121]]Arminius und Thußnelda.
der Roſt/ ſo verzehret ſie ein ander Zahn der Zeit;
ja ein einiger verwahrloſter Funcken. Da nun
aber du/ Marbod/ ſeuffzeſt: daß dein Leib hier
auf Erden mit der Zeit wie allhier Tuiſco in
Kriſtall moͤge verwahret werden; wie vielmehr
haſtu nachzuſinnen: daß die viel edlere Seele im
Himmel die Sonne ſelbſt zum Kleide habe.
Weil der Menſch ſcheinet gebohren zu ſeyn: daß
er ſterbe; muß er ſich bemuͤhen alſo zu ſterben:
daß er ewig lebe; und weil das Leben ihn zum
Grabeleitet; ſoll das Grab ihm die Staffel ſeyn
zu verweßlicher Ehre. Glaube mir aber/ Mar-
bod/ du wirſt ein herrlicher Grab/ als diß iſt;
oder aus einem Diamantenen Felſen dir gehau-
en werden koͤnte/ verdienen; wenn du diß/ was
die Vorwelt an den guͤldenen Fuß dieſes Bil-
des verzeichnet hat/ beobachten wirſt; ja dein
Gemuͤthe wird im Leben unver ſehrlicher Ruh/
deine Seele unver gaͤnglicher Vergnuͤgung ge-
nuͤſſen; wenn du denen Erinner ungen uͤber der
Pforte dieſer Hoͤle nachlebeſt. Hiermit buͤckte
ſich Arioviſt/ raͤumete um den guͤldenen Fuß
vollends das verſteinerte Waſſer weg; und zeig-
te ſeinen Gefaͤrthen/ wie daſelbſt mit eitel Edel-
geſteinen nachfolgende Worte auffs kuͤnſtlichſte
ins Gold verſetzt waren.
Als Marbod dieſe koſtbare Schrifft geleſen/
fieng er an: So ſehe ich wol: daß die Leiche des
groſſen Tuiſco ein Schutz-Bild/ und alſo ein
groſſer Schatz Deutſchlands ſey; an deſſen Be-
wahrung das Heil/ an Verſehrung aber der
Untergang des Vaterlandes gelegen ſey. A-
rioviſt laͤchelte/ ihm antwortende: Jch w[e]iß
wol: daß das der gemeinen Sage nach vom
Himmel gefallene Trojaniſche Palladium/
welches man mir noch zu Rom als ein groſſes
Heiligthum gewieſen/ nichts anders/ als des
Koͤnigs Pelops Gerippe/ welches ein Aſiati-
ſcher Weiſer bey einer gewiſſen Verein barung
der Sternen aus ſeinen Todten-Beinen zuſam-
men geſetzt/ und dem Koͤnige Troß verehret
hat; das Olympiſche Schutz-Bild nichts/ als
Knochen eines Jndianiſchen Thieres; der
Spartaner Minerven-Schild die Menſchen-
Haut des weiſen Pherecydes; das Syriſche
Dagons-Bild mit einer Wallfiſch-Haut um-
zogen geweſen; und alle dieſen Heiligthuͤmern
eine Krafft der Unuͤberwindligkeit zugeeignet
worden ſey. Alleine ich bin der Meinung: daß
wie gegenwaͤrtige Schrifft einen andern Ver-
ſtand hat; alſo auch jene Bildnuͤße gar auf was
anders gezielet haben. Marbod fragte alſofort:
Ob denn dieſe ziemlich klare Reymen anders
ausgelegt werden koͤnten; als daß ſo lange Tuiſ-
cons Bild unver ſehrt bliebe/ Deutſchland wuͤr-
de unuͤberwindlich ſeyn? Jnalle Wege/ ant-
wortete Arioviſt. Denn/ weil ich meine Aus-
legung dieſes Geheimnuͤßes wol ſo gefaͤhrlich
nicht achte/ als wenn einer das Palladium zu
ſehen bekommen; maſſen Jlus zu Troja/ Me-
tellus zu Rom hiervon ſoll verblindet ſeyn; ſo
wil ich meinen gemuthmaſten Verſtand dieſes
Retzels nicht verſchweigen: daß nemlich/ ſo lan-
ge Deutſchland ſich nicht ſelbſt durch Zwieſpalt
trennen werde/ kein Feind ſelbtem was anha-
ben wuͤrde. Denn nach dem Schirme des Goͤtt-
lichen Verhaͤngnuͤßes kan den Feinden eines
Reiches kein beſſerer Riegel/ als die Eintracht
der Buͤrger fuͤr geſchoben werden. Einzele
Pfeile koͤnnen auch Zwer ge zerbrechen; viel auf
einmal aber nicht Rieſen-Armen. Dieſe/ mein
lieber Marbod/ huͤte dich ja vollends zu zerthei-
len/ wo du dein ſtreitbares Vaterland nicht zu
einer Magd/ dich aber zum Leibeigenen der
herrſchſuͤchtigen Roͤmer machen wilſt. Aber
ich muß dich durch die Uberſchrifft des Ein-
gangs noch fuͤr einer ſchnoͤdern Dienſtbarkeit
warnen. Hier mit fuͤhrte Arioviſt den Koͤnig
Marbod daſelbſt hin/ und zeigte ihm die in
Berg-Kriſtallen tieff eingegrabene Worte:
Aber/ ſagte Arioviſt; ich traue dir ſelbſt nicht
zu: daß ob wol ins gemein der fuͤr unvernuͤnfftig
gehalten wird/ der nicht mehr verlangt/ als er
darff/ dein hoher Geiſt ſich mit dem unflaͤtigen
Laſter des Geitzes/ welches einen reichen Fuͤr-
ſten duͤrfftiger macht/ als ein freygebiger Bett-
ler iſt/ mit dieſem Armuthe des Gemuͤthes be-
ſudeln ſolteſt; welches nicht ehe/ als wenn der
erblaſte Mund die kalte Erde zu kaͤuen bekom̃t/
erſaͤttigt wird/ und das durch eine unſinnige
Begierde des Menſchen Hertze alsdenn am
aͤrgſten quaͤlet; wenn er am wenigſten mehr zur
Zehrung darff. Wie ich denn auch/ da ich dieſe
Beyſorge gehabt haͤtte; keinem unter euch dieſe
verborgenen Reichthuͤmer und Anreitzungen
zum boͤſen gezeigt haben wuͤrde. Aber meinem
unvergreiflichen Urthel nach/ wirſtu in der dar-
neben ſtehenden Kriſtallen-Taffel etwas mehr
zu bedencken finden; in welche eingegraben
war:
Koͤnig Marbod; nach dem er dieſe ihm ein-
gehaltene Zeilen etliche mahl nachdruͤcklich ge-
leſen hatte; fieng er an: Es iſt wahr; wenn wir
eingebildete Welt-Goͤtter unſer Abſehn und
unſer Weſen gegen einander halten/ muͤſſen wir
nachgeben: daß die Gebrechligkeit in unſerm
Vermoͤgen einen feſtern Fuß geſetzt habe; als
die Allmacht in unſer Einbildung. Daß un-
ſere Gewalt auf nichts anders/ als der Unter-
thanen Demuͤthigung/ und der Nachbarn
Schwaͤche gegruͤndet ſey. Wir ſindun ſerer
Hoffart nach in alle wege dem Egyptiſchen
Memnons-Bilde zu vergleichen/ welches nur
mit der Sonne Geſpraͤche haͤlt/ an ſich ſelbſt a-
ber nichts/ als ein zu Bodem ſinckender Stein
iſt. Wir ſind das eingebildete Gold in denen
angefeuerten Schmeltz-Kolben/ das im Glaſe
Purpur zur Farbe hat/ im Ausmachen aber
nur Rauch und Aſche iſt. Arioviſt fieng an:
Warlich/ Marbod/ wenn du diß von Hertzen
redeſt/ haſtu aus der Eitelkeit einen fernen
Blick in das Ewige gethan. Denn das Er-
kaͤntnuͤs ſeiner eigenen Nichtigkeit/ iſt die Helf-
te ſeiner Verewigung/ wie die Einaͤſcherung
irrdiſcher Dinge der Weg zu einer neuen Ge-
burt. Wirſtu nun behertzigen: daß alle Ver-
gnuͤgung der Welt nur Einbildungen; alle
Guͤter/ die die Eitelkeit der Ehrſucht und dem
Geitze zur Schaue auslegt/ verfaͤlſchte und be-
truͤgeriſche Waare ſey; daß alles zeitliche vor-
werts die Hoffnung/ hinterruͤcks die Furcht zur
Vegleiterin hat; daß der anmuthigſte Blick des
Gluͤckes ein Blitz ſey/ welcher mit ſeinem An-
lachen einaͤſchert; ja daß alles in der Welt Blen-
dungen/ Traͤume und Undinge; der vernich-
tende Tod aber allein etwas wahrhafftes ſind;
ſo wirſtu bey Zeite deiner Herrſchſucht einen
Graͤntz-Stein ſetzen; deine Vernunfft wird
dich anverweiſen den allzuweiten Zirckel deiner
Gedancken in die Enge zu ziehen; wormit dein
Gemuͤthe den Mittel-Punct der Ruhe finde/
deine Seele aber nicht in dem Jrrdiſchen einge-
zuͤngelt bleibe/ ſich zum Ewigen auffzuſchwin-
gen.
Dieſen und vielen andern heilſamen Erin-
nerungen des frommen Arioviſtes gab Koͤnig
Marbod/ Lichtenſtein und Tannenberg ein
auffmerckſames Gehoͤre; welche hieruͤber von
ihm wieder aus dieſen zweyen Hoͤlen gefuͤhret
wurden. Sie kamen nach derſelben fleißigſter
Betrachtung zu dem Felſenritze wieder heraus/
als die Sonne ſchon untergegangen war. Weß-
wegen ſie daſelbſt uͤbernachten und ſich mit de-
nen Wurtzeln und Beeren/ welche Arioviſt
ausſuch-
[1121[1123]]Arminius und Thußnelda.
ausſuchte/ wie auch mit deme nahe darbey her-
raus ſpritzenden Quelle vergnuͤgen muſten;
wiewol der Hunger ihnen dieſe ſchlechten Ge-
richte derogeſtalt annehmlich wuͤrtzte: daß ſie ih-
nen beſſer/ als der Uberfluß an der Koͤniglichen
Taffel ſchmeckten. Ob nun gleich Marbod auf
den Morgen von Arioviſten Abſchied zu neh-
men meinte/ in dem er durch der Marſinger
und Semnoner Gebiete/ keines Weges aber
durch das Land der aufftaͤndigen Bojen zu ſei-
nen Hermundurern zu kommen getraute; ſo
wolte doch Arioviſt ihn und ſeine zwey Ritter in
dieſem irrſamen Gebuͤrge nicht verlaſſen; ſon-
dern ſie biß unten an deſſelbten Fuß begleiten.
Er fuͤhrte ſie dieſemnach uͤber allerhand Berge/
durch viel anmuthige Thaͤler und Waͤlder; biß
die am Mittage brennende Sonne ſie unter ei-
ner uͤberhaͤngenden Stein-Klippe bey einer
rauſchenden Bach auszuruhen/ ihr Magen ſich
aber mit der gewohnten Koſt zu ſaͤttigen noͤ-
thigte. Weßwegen Arioviſt an der Laͤhne et-
liche Kraͤuter ausrupffte; woruͤber er aber zur
Erde niederſanck; und deßhalben die andern
drey herzu ſprangen ſeinen Unfall zu verneh-
men. Sie fanden ihn gantz erblaſt; ſein Mund
konte mit genauer Noth kaum dieſe verbroche-
nen Worte ausdruͤcken: Jch ſterbe um nun-
mehr recht zu leben. Wormit er denn verſtum-
mete/ und in ſelbigem Augenblicke gleichſam
ohne einige Empfindung des Todes die Seele
ausbließ. Marbod und ſeine Geferthen em-
pfanden dieſen unvermutheten Todesfall dieſes
anmuthigen Fuͤrſten ſo ſehr: daß ſie alle ſeine
Leiche mit bitteren Thraͤnen netzten; inſonder-
heit aber nicht ohne geringe Gemuͤths-Veraͤn-
derung wahrnahmen: wie der den Arioviſt ſtets
auf dem Fuße begleitende Baͤr/ nach dem er
ſeinen Herrn eine Weile beleckt/ und gleichſam/
ob er lebend oder verbliechen waͤre/ erkundigt
hatte/ ſich nahe darbey von dem Felſen in ein
tieffes Thal abſtuͤrtzte. Gleichwol aber mu-
ſten alle bekennen: daß wie Arioviſtens Leben
ein Beyſpiel allen Lebenden ſeyn; alſo kein
Menſch ein ſanffteres Ableben wuͤnſchen koͤn-
te; Sintemahl jenem das Gluͤcke nichts zu
nehmen; dieſem aber der Tod ſeine ankleben-
de Bitterkeit anzuſtreichen nicht vermocht haͤt-
te. Sie beriethen ſich hierauff mit einander
uͤber ſeine Beerdigung; Marbod aber machte
den Schluß: daß dieſer groſſe und weiſe Fuͤrſt
verdient haͤtte/ neben Tuiſcons Grab geſtellet
zu werden. Weßwegen ihnen Lichtenſtein und
Tannenberg nicht beſchwerlich lieſſen fallen/
ſich mit Arioviſtens Leiche zu behuͤrden/ und
ſolche dem vor- und zuruͤck gehenden Marbod
gegen der verlaſſenen Hoͤle nach zutragen. Sie
verlohren aber bald die Spur; und ob ſie zwar
biß in dritten Tag ſelbte zu finden ſich mit groſ-
ſer Beſchwerligkeit bemuͤhten/ war doch alles
vergebens; alſo: daß Koͤnig Marbod endlich
ſeinen Vorſatz aͤnderte/ und anfieng: Jch weiß
nicht: Ob das Verhaͤngnuͤs dieſer verlohrnen
Wunderhoͤle durch ein Geſetze/ wie die Grie-
chen das Eyland Delos/ als ihr allgemeines
und hochheiliges Vaterland/ und die gluͤckli-
chen Araber eine andere Jnſel fuͤr Beerdigung
der Todten verwahret habe. Alleine/ nach
dem ſelbte gleichwol des Tuiſcons Leiche ver-
traͤgt/ ſehe ich wol: daß das Verhaͤngnuͤs nicht
ſo wol Arioviſten das koͤſtliche Grab mißgoͤn-
net/ als unſere Augen verblendet; weil es uns
nicht allerdinges zutrauet: daß wir kuͤnfftig rei-
ne Haͤnde von dieſen verborgenen Schaͤtzen
behalten doͤrfften; nach dem vielleicht einer o-
der ander unter uns ſchon ein Theil ſeines Her-
tzens in der Hoͤle zuruͤck gelaſſen hat; und wir
ſelbtes vielleicht gar mit Arioviſtens Leibe dar-
ein vergraben doͤrfften/ nach dem uns mit ihm
ein ſo heilſamer Lehrmeiſter entfallen iſt. Die-
ſemnach machte er in einem Kraͤuter-reichen
Thale/ unter einem dreygrieffichten Ahorn-
Baume durch ſeinen Degen mit Ausgra-
bung der Erde den Anfang ein Grab
zu ſcharren; welches denn noch ſelbigen
Erſter Theil. C c c c c c cTag
[1122[1124]]Siebendes Buch
Tag durch aller dreyer Beyhuͤlffe drittehalb
Ellen tieff verfertiget/ und alſo Arioviſtens Lei-
che darein geleget ward. Das Grab erhoͤhe-
ten ſie nach der alten Deutſchen Art mit Raſen;
und ſagte Marbod: Jhre Vorfahren haͤtten
Marmelne Graͤber fuͤr keine Ehre/ ſondern
eine Beſchwerde der Todten gehalten. Ario-
viſten waͤre ruͤhmlich genung: daß er einen Koͤ-
nig zum Todten-Graͤber/ ſeine Jugend nebſt
der Tapfferkeit die Klugheit des Alters/ ſein
Alter die Unſchuld der Kinder gehabt; und als
der Tod ihn gantz zu verriegeln vermeint/ der
Nachruhm und die Seele den Sarch fuͤr der
Zeit erbrochen/ jener ſich in die Welt vertheilet/
dieſe in eine herrlichere Wohnſtatt verfuͤgt haͤt-
te. Tannenberg ſchnitt in die Rinde des an-
ſehnlichen Ahorn-Baumes folgende Reymen
ein:
Nach dem ſie ſein Grab zu guter letzt noch
mit haͤuffigen Thraͤnen genetzet/ und die vom
Todten ausgeropffte Wurtzeln verzehret hat-
ten/ ſetzten ſie ihren Fuß weiter/ und kamen ge-
gen Abend an einen ſtillſtehenden See; welcher
ihnen auf dieſem hohen Gebuͤrge/ und weil al-
les darinnen fuͤr eitel groſſen Forellen wiebelte/
ſo viel wunderlicher fuͤrkam. Tannenberg/
welchen nach ſo vieler Tage ſchlechter Koſt nach
dieſen koͤſtlichen Fiſchen geluͤſtete/ ſchaͤlete ein
wenig Baſt von einem Baum/ machte daraus
und von einer Nadel eine Angel. Er hatte ſie
aber noch nicht recht ins Waſſer gehenckt; als
ein nackter/ wiewol gantz ſchupfichter Mann
auf einem Kahne aus dem Schilffe gegen ihn
herzu ſchiffte/ und ihn mit dem Ruder draͤuende
anſchrie: Er ſolle ihm ſein Heiligthum unver-
ſehrt laſſen. Tannenberg/ der ihn fuͤr einen
Fiſcher hielt/ antwortete: ſie wuͤrden ihm fuͤr
wenig Fiſche ſchon gerecht werden. Jener ver-
ſetzte: Der groſſe Waſſer-Geiſt dieſes Gebuͤr-
ges hat eurer Vergeltung nicht von noͤthen;
erholet euch aber in der nicht ferne von hier fluͤſ-
ſenden Bach dieſes Abgangs. Hiermit ſchlug
er das Ruder auf das Waſſer/ worvon der gan-
tze See nicht anders als das ſtuͤrmende Meer
zuſchaͤumen anfieng; woruͤber allen dreyen
die Haare zu Berge ſtunden/ und ſie euſſerſten
Kraͤfften nach Berg-ab lieffen/ biß ſie keuchen-
de eine kleine/ aber mit Forellen und Eſchen
ſo angefuͤllte Bach antraffen: daß ſie nach ge-
haltener Berathſchlagung und Anweiſung obi-
gen Waſſer-Geiſtes ihrer nach Nothdurfft mit
den Haͤnden erwiſchen konten. Der Hunger
und die Schoͤnheit dieſer Fiſche bewegten Tan-
nenber gen abermahls: daß er um ſelbte zu roͤ-
ſten von denen nahe darbey ſtehenden Wachol-
der-Straͤuchen Holtz abzubrechen anfieng. Er
hatte aber kaum die Hand ausgeſtreckt; als von
einer hohen Tanne ihm eine Stimme zuruffte:
Huͤte dich einen Aſt zu verſehren; wo du deines
Lebens nicht muͤde biſt. Tannenberg ward
hieruͤber ungedultig/ und antwortete: Ob in ſo
Holtz-reichen Waͤldern einem duͤrfftigen mit
beſſerem Fuge eine Hand voll Holtz/ als in der
Lufft dem Menſchen das Athemholen zu ver-
wehren waͤre. Er kriegte aber zur Antwort:
Laͤſſeſtu dir nicht an tauſenderley andern Baͤu-
men genuͤgen; ſondern muſtu dem Wald-Geiſt
dieſes Gebuͤrges mit Verſehrung der ihm ge-
wiedmeten Wacholder -Stauden beleidigen?
Tannenberg und ſeine zwey Gefaͤrthen erſchra-
cken abermals uͤber dieſer Stimme/ ſonderlich/
da ſie den zuruffenden mit Hoͤrnern am Haup-
te/ mit Klauen an den Fuͤſſen/ und langen
Bockshaaren am Leibe gebildet ſahen. Gleich-
wol aber faſte ihm Tannenberg das Hertze/
und brach von der nechſten Tanne das benoͤthig-
te Holtz
[1123[1125]]Arminius und Thußnelda.
te Holtz ſonder fernere Vernehmung dieſes
wilden Mannes ab; darauf die Fiſche gebraten/
und mit annehmlichen Schertz-Reden uͤber
dieſer Begebenheit verzehret wurden. Lichten-
ſtein ſchoͤpffte hierauf aus ſelbiger Bach mit ſei-
nem Helme Waſſer/ und tranck es dem Ritter
Tannenberg zu auf Geſundheit des Waſſer-
und Wald-Geiſtes in dem Sudetiſchen Ge-
buͤrge. Sie hoͤrten aber aus der Hoͤle eine
Stimme: warum nicht auch des Lufft-Geiſtes?
ſahen aber uͤber ſich nichts als eine uͤberaus groſ-
ſe Nacht-Eule herum fluͤgen. Kurtz darauff
woͤlckte ſich der Himmel kohlſchwartz/ der helle
Tag verwandelte ſich in eine kohlſchwartze
Nacht; auſſer: daß ſelbte von unaufhoͤrlichem
Wetterleuchten erhellet/ Marbod und ſeine mit
ihm nunmehr wie ein Aſpen-Laub zitternde
Ritter von denen grauſamen/ und in denen
Thaͤlern mehr/ als zehnmahl wiederſchallen-
den Donnerſchlaͤgen gleichſam ertaͤubet; von
dem haͤuffigen Platz-Regen/ in welchem alle
Stroͤme dieſes Waſſerreichen Gebuͤrges ver-
wandelt zu ſeyn ſchienen/ aber ſchier erſaͤuffet
wurden. Es waͤhrete aber kaum eine Viertel-
Stunde/ ſo klaͤrte ſich die Lufft aus/ der Him-
mel war mit einem wunderſchoͤnen Regenbo-
gen ausgeputzt; und die annehmliche Sonne
gab ihnen mit ihren freudigen Strahlen gute
Nacht. Alle drey haͤtten bey dieſer geſchwin-
den Veraͤnderung das ſchrecklichſte Gewitter/
das ſie iemahls gehoͤret/ fuͤr einen Traum oder
Blendwerck gehalten; wenn ihre Kleider nicht
noch getroffen haͤtten. Sie vergaſſen hieruͤber
fernern Schertzes und eilten moͤglichſt den Berg
hinab; ſonderlich/ da ſie nicht weit von dannen
ein Hauß erblickten/ welches ſie auch noch fuͤr
gaͤntzlicher Finſternuͤß erreichten; fuͤr ſelbtem ei-
nen alten grauen Mañ/ und ein nicht juͤngeres
Weib antraffen; die ſich zwar uͤber der Ankunfft
ſo fremder Gaͤſte anfangs etwas entſetzten/ her-
nach aber auf verſpuͤrte freundliche Anſprache/
ſie willig beherbergten/ etliche Milch- und
Kraͤuter-Speiſen fuͤrſetzten/ und ſonſt allen gu-
ten Willen erzeigten. Dieſer Alte entſchul-
digte: daß ſein Armuth ſie beſſer zu bedienen
nicht erlaubte; wiewol/ wenn er ſich in dieſem
einſamen Gebuͤrge ſo ſtattlicher Gaͤſte verſehen
haͤtte/ er gleichwol was beſſers aufzuſetzen wuͤr-
de bemuͤht geweſt ſeyn. Marboden gefiel dieſe
Treuhertzigkeit ſehr wol: daß er ſich mit dem
Alten in ein vertraͤuliches Geſpraͤche einließ.
Welcher denn erzehlte: daß er ſeines Alters uͤber
hundert Jahr/ ſeiner Lebens-Art nach ein
Wurtzelmann waͤre/ und ſonder allen Zweiffel
durch die uͤberaus geſunden Kraͤuter und Waͤſ-
ſer dieſes Gebuͤrges nicht nur ſeine/ ſondern
auch ſeines nicht ferne von dar wohnenden Va-
ters Jahre ſo hoch erſtrecket/ ſondern auch ſich
fuͤr Kranckheiten/ welche die Vielheit der Spei-
ſen/ ſonderlich die Ubermaße des Fleiſches ver-
urſachte/ verwahret haͤtte. Marbod haͤtte ihn
gerne ausgeholet um den Zuſtand des Marſin-
giſchen Hertzogs zu erkundigen/ dieſer gute Al-
te aber wolte/ oder wuſte ihm nichts rechtes zu
ſagen; vorſchuͤtzende: die aus dem Thale nach
Kraͤutern zu ihm kommende Leute ſagten ihm
zwar zuweilen: daß er mit ſeinen Nachbarn
Krieg fuͤhrte; Er lieſſe ſich aber darum unbe-
kuͤmmert/ ſondern vergnuͤgte ſich mit der nech-
ſten Wieſe und Puſche/ und mit wenigen Stuͤ-
cken Vieh. Wie er denn ſeine Huͤtte und Ruh
nicht mit des groͤſten Fuͤrſten Schloſſe und
Kummer vertauſchen wolte. Ja/ wo es wahr
waͤre/ was ihm zuweilen etliche andere Wurtzel-
Leute von den Welthaͤndeln wieder ſeinen Wil-
len erzehleten; muͤſten groſſe Herren nicht allein
die elendeſten Menſchen/ ſondern die grauſam-
ſten Thiere ſeyn. Er waͤre ſein Lebetage nicht
auffs flache Land kommen; wuͤſte auch nicht ob
diß Gebuͤrge das Ende der Welt waͤre/ oder ob
ſolche Menſchen daſelbſt wohneten. Er hielte
es fuͤr kein gemeines Gluͤcke: daß er mehrerley
Arten Thiere/ als Menſchen kennte/ weil jene
ihm nicht ſo viel ſchadeten/ als er andere von die-
C c c c c c c 2ſen
[1124[1126]]Siebendes Buch
ſen klagen hoͤrte. Er redete oͤffter mit den Ster-
nen/ als ſeines gleichen; weil er in dieſen zuwei-
len Falſchheit/ ins gemein Gebrechen/ in je-
nen aber allezeit eine wahre Andeutung kuͤnff-
tigen Gewitters/ ſelten eine Verfinſterung/
die aber bald wieder vergienge/ wahr genom-
men haͤtte. Ja/ wenn er nicht ſo viel Kraͤuter
kennte; unterſtuͤnde er ſich zu ſagen: er waͤre im
Him̃el beſſeꝛ bekandt/ als auf Erden beſchlagen.
Seine ferneſte Reiſe waͤre biß unter das Ge-
buͤrge zu denen zwey warmen Geſund-Brun-
nen ſein Lebtage geweſt; die nahe bey der Za-
cken-Bach aus der Erde empor quillen/ er aber
ſie nicht ſo wol aus Noth/ als die Wunder goͤtt-
licher Vorſorge zu genuͤſſen jaͤhrlich im Mey
beſuchte. Daſelbſt haͤtten ihm etliche Fremd-
linge zuweilen viel von andern Voͤlckern und
Begebenheiten erzehlen wollen; er waͤre deſſen
aber bald uͤberdruͤßig worden; haͤt[t]e auch das
meiſte fuͤr Getichte gehalten; weil er eine ſo groſ-
ſe Boßheit denen Menſchen nicht zutrauen
koͤnte; derogleichen die gifftigen Thiere in die-
ſem Gebuͤrge nicht haͤtten. Koͤnig Marbod
ſeuffzete uͤber der unſchuldigen Einfalt dieſes
Wurtzel-Mannes; Gleichwol fragte er: Was
fuͤr grauſam Ding er denn gehoͤret haͤtte? Der
Alte wolte zwar lange nicht heraus; in Mei-
nung: daß ſie ſeiner Einfalt nur ſpotteten; end-
lich ſagte er: Es ſolte ein benachbartes Volck;
oder vielmehr etliche Diener/ die der Fuͤrſt als
ſeine Kinder geliebt/ ihn ermordet haben. Mar-
bod verblaſte und erſtummte uͤber dieſer unver-
mutheten Gewiſſeus-Ruͤhrung. Tannenberg
aber fiel dem Wurtzelmanne mit Fleiß ein: Ob
denn in dieſem Gebuͤr ge die Natter dem Maͤñ-
lein in ihrer Liebes-Beywohnung nicht den
Kopff abbiſſe; die jungen Nattern aber in der
Geburt durch Zerreiſſung ihres Bauches ihre
Mutter nicht toͤdteten? Der Alte lachte hieruͤ-
ber/ meldende: Er glaubte auch nicht: daß diß
anderwerts geſchehe. Er habe mehrmahls
Schlangen und Nattern ſich wie andere Thie-
re umſchraͤnckende einander beywohnen ſehen;
er habe in oͤffterer derſelben Zergliederung an
ihnen Maͤnn- und Weibliche Geburts-Glie-
der; ja in dieſen zum Kuͤſſen/ nicht aber zur
Empfaͤngnuͤs geſchicktem Munde gewiſſe Ey-
er/ welche in vier Mohnden zu dinnen Nattern
wuͤrden/ befunden; ja die alten Nattern in en-
gem ja glaͤſernem Beſchluſſe gehalten/ welche
ohne einige Verletzung junge gezeugt und ſelb-
te genehret haͤtten. Tannenberg verſetzte:
Es wuͤrden vielleicht nicht alle/ wol aber gewiſ-
ſe Arten der Nattern dieſe Eigenſchafft haben.
Sintemahl ja auch die Wieſel im Ohre/ die
Raben und Fiſche im Munde geſchwaͤngert
wuͤrden/ die erſten auch durch den Mund ge-
biehren. Warlich antwortete der Wurtzel-
Mann; diß letztere iſt ſo irrig/ als das erſtere/
ich will euch Morgen/ weil nichts minder die
Zeit/ als eure Muͤdigkeit euch zum Schlaffe
nunmehr einraͤthet/ auf euer Begehren die
von der Natur nicht umſonſt geſchaffenen ab-
ſonderen Geburts-Glieder in dieſen Thieren
zeigen; und ich habe ihre Vermiſchung nach
gemeiner Art mehrmahls mit Augen geſehen.
Marbod danckte fuͤr ſo gute Vertroͤſtung/ und
inſonderheit ſo annehmliche Aufnehmung;
ſonderlich/ da das alte Weib etliche gewaͤrmete
Tuͤcher bey ihrer Entkleidung ihnen darreich-
te/ ſich deſto beſſer abzutrocknen/ auch bequeme
Laͤger-Staͤtte anwieß. Uber dieſer Trock-
nung konte Tannenberg gleichwol ſich nicht
enthalten zu fragen: Ob es denn an gegenwaͤr-
tigem Orte nicht geregnet haͤtte? Wie nun der
Wurtzelmann mit nein antwortete; erkundig-
te ſich Tannenberg weiter: Ob ſie aber das
ſchreckliche Wetter nicht gehoͤret? Der Alte
verneinte diß gleichfalls. Dieſemnach Lich-
tenſtein heraus fuhr: So ſind wir in Warheit
zu letzte von dem Geſpenſte nichts weniger
verblaͤndet/ als anfangs geaͤffet worden. Jch
meine deine trieffenden Kleider und deine naſſe
Glieder/ verſetzte Marbod/ ſolten dir die War-
heit
[1125[1127]]Arminius und Thußnelda.
heit des Gewitters ſattſam bezeugen/ ungeach-
tet der zwiſchen dieſem und jenem Orte ſtehen-
de Berg deſſelbten Empfindligkeit dieſen gu-
ten Leuten entzogen hat. Tannenberg fiel
ein: Er hielte zwar das Gewitter fuͤr allzu-
wahr; aber weil es nicht ſo weit gereichet/ noch
die grauſamen Doñerſchlaͤge in einer ſo gering-
ſten Ferne waͤren gehoͤret worden/ mehr fuͤr
ein Werck des Geſpenſtes/ als natuͤrlichen Ur-
ſachen. Marbod antwortete: wer hat dich den
Aberglauben uͤberredet: daß die Geſpenſte oder
Geiſter Regen/ Schloſſen/ Blitz und Donner
ſchaffen/ alſo der Goͤttlichen Allmacht Eingriff
thun/ oder ſich ihr vergleichen koͤnnen. Tan-
nenberg warff ein: weil man von denen Sito-
nen/ und denen um das Gebuͤrge Sevo woh-
nenden Nord-Voͤlckern fuͤr unzweifelbare Ge-
wißheit glaubte: daß ſie denen um die Rubeiſche
Nord-Spitze ſchiffenden Leuten in dreyerley
Knoten dreyerley Arten von Winde verkauff-
ten; daß die Einwohner der Cycladiſchen Ey-
lande durch gewiſſe Opffer die kuͤhlen Luͤffte in
Hunds-Tagen erregten; daß die Zauberer
durch ihre Kuͤnſte/ worbey ſie zuſammen ge-
miſchtes Mehl/ Honig/ Menſchen-Schweiß
und Gans-Blut in die Lufft ſprengen/ uͤbrige
Duͤrre mit Regen abkuͤhlen; ja durch einen in
den Lucerniſchen See bey den Helvetiern ge-
worffenen Stein Wetter erreget wuͤrden;
traute er denen Geiſtern/ welche zweiffelsfrey
von denen Geheimnuͤſſen der Natur mehr
Wiſſenſchafft haͤtten/ als die Menſchen/ ſo viel
mehr die Krafft zu/ mit der Goͤttlichen Zulaſ-
ſung ſich durch ſolche Wuͤrckungen zu erluſti-
gen. Der Wurtzelmann lachte hieruͤber; weß-
wegen Marbod ihm alle ihre Ebentheuer er-
zehlte/ und ſein Gutachten hieruͤber zu eroͤffnen
beſtaͤndig anhielt. Dieſer ſagte hierauff: Ge-
genwaͤrtiges Gebuͤrge waͤre von Geſpenſtern
mehr beſchrien; als er ſelbſt glauben koͤnte.
Daß zwiſchen ſo viel hohen Bergen/ an wel-
chen die Sonnen-Strahlen ſich hin und wie-
der ſtieſſen/ aus ſo viel gewaͤſſerten Thaͤlern
haͤuffige Ausdampffungen empor ſtiegen/ und
daraus oft Gewitter entſtuͤnden/ waͤre der Ver-
nunfft gemaͤß/ und alſo kein Gemaͤchte der
Geſpenſter. So pflegten ſich auch mehrmals
mehr/ als fleiſchichte Menſchen in Geiſter zu
verſtellen/ und mit Einfaͤltigen ihre Kurtzweil
zu treiben. Wiewol er nicht umſtuͤnde: daß
zuweilen die Geiſter auch allhier mit gewiſſen
Erſcheinungen ihr Spiel haͤtten/ und waͤre in
ſeiner Jugend ihm wol ehe einer erſchienen/ der
in einem Augenblicke einen Wurtzelmann/ im
andern einen Jaͤger/ im dritten einen Fiſcher
fuͤr gebildet haͤtte. Jnſonderheit pflegten dieſe
Berg-Geiſter die Fremdlinge zu aͤffen; nie-
mahls aber haͤtten ſie ſeines Wiſſens iemanden
einen empfindlichen Schaden zugefuͤgt. Mar-
bod und beyde Ritter uͤberfiel hieruͤber der
Schlaff/ und ſie erwachten nicht ehe/ als biß die
Sonne mit ihren Strahlen ſie in dem Gema-
che begruͤſſete. Der Wurtzelmann fuͤhrte ſie
hierauf in ſeine Kraͤuter-Kammer/ zeigte ihnen
wol tauſenderley Arten/ und darunter viel ſel-
tzamer nur auf dieſem Gebuͤrge wachſender
Kraͤuter; und erklaͤrte ihnen mit einer annehm-
lichen Beſcheidenheit ihre wunderſame Wuͤr-
ckungen. Hierauf brachte er ſie auch fuͤr eine
feſt verſchloſſene Hoͤle; bey derer Eroͤffnung ſie
fuͤr Schrecken zuruͤck prellten/ weil der erſte
Anblick ihnen viel tauſend in einander gewi-
ckelte Nattern und Schlangen zeigte. Der
gute Alte aber verſicherte ſie: daß ſie auſſer
Gefahr waͤren/ gieng hierauff mitten in
dieſes grauſame Loch/ und laß daraus al-
lerhand Arten abſcheulicher Wuͤrmer; zer-
gliederte ſelbte/ und zeigte ſeinen Gaͤ-
ſten augenſcheinlich/ was er ihnen den A-
bend vorher verſprochen hatte; erzehlte
zugleich/ wie er aus den gifftigſten Mol-
chen/ und anderm Gewuͤrme fuͤr koͤſt-
liche Salben/ Saltz/ Staub/ und an-
dere bewehrte Artzneyen bereitete. Unter
C c c c c c c 3welchem
[1126[1128]]Siebendes Buch
welchem G[e]ſpraͤche ſie denn in eine Kuͤche ka-
men; da auf etlichen Heerden uͤber dem Feuer
viel glaͤſerne Kolben ſtanden/ in welchen er aus
Thieren/ Wuͤrmern/ Kraͤutern/ Ertzt und
Steinen den Geiſt und die beſte Krafft zu zie-
hen wuſte. Zuletzt auch mit den herrlichſten
Artzneyen ſie reichlich betheilte; Bey dem nun
nahe herbey gebrachten Mittage aber das alte
Weib ihnen zu ihrer groſſen Verwunderung/
Forellen/ Eſchen/ Grundeln/ und Haſelhuͤner
fuͤrſetzte; ja ihnen anlag: daß ſie ſelbigen Tag;
weil doch allem Anſehen nach ſie eine ferne Rei-
ſe hinter ſich gelegt haben muͤſten/ bey ihnen
ausruhen/ und ob ſie zwar ſie fuͤr keine Leute
gemeinen Standes urtheilte/ doch mit ihrer ar-
men Rauch-Huͤtte fuͤr lieb nehmen moͤchten.
Weil nun der Alte ihr beyſtimmte/ ſich auch er-
bot auf den Morgen ſie biß unter das Gebuͤrge
zu denen zwey warmen Brunnen zu begleiten;
und ihnen/ wie die Marſinger das Feyer der
Frea jaͤhrlich zu begehen pflegten/ zeigen wol-
te; hatten ſie zwar Bedencken dieſen treuher-
tzigen Leuten beſchwerlich zu ſeyn; iedoch ſchien
es ihnen eine noch groͤſſere Unhoͤfligkeit zu ſeyn/
ihren Wolthaͤtern was abzuſchlagen/ was zu
ihrem Wolgefallen und ſelbſteigner Gemaͤch-
ligkeit gereichte/ und zwar deßhalben ſonder we-
niger Bedencken; weil dieſe guten Leute nicht
einſt nach ihrem Zuſtande/ und nach dem Abſe-
hen ihrer Reiſe zu fragen ſich unterwinden wol-
ten.
Mit anbrechendem Tage machten ſie ſich
auf/ und gab dieſer Stein-alte Greiß einen ſo
hurtigen Wegweiſer ab: daß ſie in zwey Stun-
den ein etwa zwey Meilen lang und breites/
rings um mit einem Krantze Baum-reicher
Berge umgebenes/ in der Mitte aber mit
wol hundert fruchtbaren Huͤgeln (welche a-
ber gegen denen Rieſenbergen Maulwurffs-
Hauffen ſchienen) gleichſam beſeeltes Thal er-
reichten/ und darmit nichts minder ihr Hertz er-
luſtigten/ als die Augen weideten. Unter We-
ges erzehlte der Wurtzelmann auf Lichtenſteins
Begehren: was das angedeutete jaͤhrliche Fey-
er eigentlich waͤre? Sie als Deutſche wuͤrden
wol wiſſen: daß die Deutſchen zwar aus den
Laſtern/ wie er von andern Voͤlckern hoͤrte/ kei-
ne Sitten machten/ weniger ein Lachen darein
gaͤben; fuͤr das abſcheulichſte aber wuͤrde die
Unkeuſchheit/ inſonderheit bey denen Marſin-
gern gehalten. Daher es bey ihnen die aͤrgſte
Schande waͤre fuͤr dem zwantzigſten Jahre ei-
nem Weibe beygethan ſeyn; ja es wuͤrde die
Vermiſchung den Maͤnnern fuͤr dem dreyßig-
ſten/ den Jungfrauen fuͤr dem zwanzigſten Jah-
re gar nicht erlaubt. Die Geſetze haͤtte Frea
eines Marſingiſchen Hertzogs Tochter/ welche
hernach Wodan/ oder der Deutſche Hercules
geheyrathet/ geſtifftet/ wormit die Heyrathen-
den vorher recht erſtarren/ und unter einem ſo
tapffern Volcke wegen Unzeit durch die Lie-
bes-Wercke erſchoͤpffter Leibes-Kraͤfften keine
ohnmaͤchtige Zwerge/ ſondern kraͤfftige Leute
gezeuget wuͤrden. Auch haͤtte ſie denen Eh-
brecherinnen dieſe Straffe geſetzt: daß ihr
Mann nach abgeſchnittenen Haaren ſie aus
dem Hauſe ſtieſſe/ und biß uͤber die Graͤntze deſ-
ſelbigen Fleckens ohne einige Erbarmnuͤs und
verſtatteten Einhalt der Obrigkeit biß aufs
Blut peitſchte. Hierentgegen dieſen Laſtern ſo
viel leichter fuͤꝛzukommen/ haͤtte ſie gezwungene
Heyrathen veꝛdammet/ und allen auch noch un-
ter ihrer Eltern Gewalt begrieffenen Kindern
eine unverſchraͤnckte Wahl ihrer Ehgatten er-
laubet; ſonderlich weil hier zu Lande Jung-
frauen nur einmahl heyratheten/ und nichts
minder keine Wittib waͤre: die nach einem an-
dern Ehmanne ſeuffzete/ als einiger Mann/ der
ſelbte ſeines Ehbettes wuͤrdigte. Wenn nun
die Toͤchter das beſtimmte Alter erreichten/
wuͤrden ſie auf eben ſelbigen Tag des Jahres
(an dem man dieſer klugen Geſetzgeberin Ge-
daͤchtnuͤs mit vielen Lobſpruͤchen heraus ſtriche/
ſie aber nicht nach der Auslaͤnder Meinung fuͤr
eine
[1127[1129]]Arminius und Thußnelda.
eine Liebes-Goͤttin anbetete ) von ihren Be-
freundeten an einen gewiſſen Ort; und zwar
die in dieſem Thale zu denen zwey warmen
Brunnen gebracht; dahin ſich ihre Liebhaber
auch einfindeten/ beyde alſo die freye Wahl ihrer
Heyrathen voll zuͤgen.
Wie ſie nun zwiſchen die zwey Baͤche ka-
men/ welche die zwey warmen Brunnen gleich-
ſam wie zwey Armen umſchluͤſſen; fanden ſie
Ufer und Wieſen ziemlich angefuͤllet; und dar-
unter eine anſehnliche Anzahl wunderſchoͤner
Jungfrauen; derer Wahl gleichſam nunmehr
um ihre inbruͤnſtigen Liebhaber ſolte das Loß
werffen. Die Menge derſelben machte: daß
Koͤnig Marbod und die zwey Ritter ſie nur uͤ-
berhin betrachteten. Sie ſahen aber endlich
eine Jungfrau durch die Zackenbach waten;
welche in einem Augenblicke alle ihre Augen
gleichſam bezauberte. Denn ihr Mund war
dem hoͤchſten Zinober/ ihre Wangen denen noch
von Thau trieffenden/ und noch halb zugeſchloſ-
ſenen Roſen/ die braunen Augen zweyen bli-
tzenden Sternen/ der Hals/ uñ der mehr als halb
nackte Leib dem gefallenen Schnee zu verglei-
chen. Die Bruͤſte waren der Landes-Art nach
gantz bloß/ und ein nicht ungleiches Abbild des
nahen Schnee-Gebuͤrges/ wenn deſſen Gipfel
ſo wol/ als jene/ mit ſo Purpurrothen Beeren
gekroͤnet/ mit einer ſo vollkommenen Rundte
erhoͤhet/ und ſtets mit einem lebhafften Atheme
nichts minder beſeelet/ als aufgeſchwellet wuͤr-
de. Mit denen braunlichten Haaren/ welche
zwar hundertfach gekringelt waren/ aber biß an
die Kniekehlen reichten/ ſpielte der anmuthige
Weſtwind um die Schultern. Auf dem Haupte
trug ſie einen Roſen-Krantz/ am Halſe hieng ein
Bogen/ an der Seite ein Koͤcher; in der einen
Hand hatte ſie eine Sichel/ in der andern eine
Spindel. Von dem Gurthe biß an die Knie
war ſie zwar mit einer zarten Leinwand verhuͤl-
let; ſelbte aber mit ſo viel Blumen bedeckt: daß
ſie kaum zu erkieſen war. Jhr folgten auf dem
Fuße zwoͤlff der wunderſchoͤnſt en Frauen; wel-
che ſie geraden Weges zu dem warmen Brun-
nen leiteten; und zu baden noͤthigten. Da ſie
denn entweder von der Waͤrmde das Waſſers/
oder aus Schamroͤthe fuͤr ſo viel Zuſchauern
ſich noch annehmlicher faͤrbte; inſonderheit a-
ber ſtachen ihre Lippen alle Corallen und Pur-
pur-Muſcheln weg; und die Zuſchauer ſtunden
in Kummer: daß ſie von uͤbrigem Gebluͤte zer-
platzen wuͤrden. Marbod konte ſich nicht laͤn-
ger enthalten zu ſeuffzen/ und gegen ſeine Ge-
faͤrthen heraus zu fahren: Warlich; ich weiß
nicht: Ob ſie dieſe Halb-Goͤttin in dieſem Quel-
le verunreinigen/ oder das Waſſer durch ihre
Schoͤnheit mehr ausklaͤren oder anzuͤnden wol-
len? Wie nun ſie im Bade wenig Zeit zubrach-
te/ alſo begleiteten ſie ihre Fuͤhrerinnen auff die
nechſte Wieſe an die Bach/ da ſie denn um ſie
ſitzende einen Kreiß machten/ und folgendes
Lied ihr zuſungen:
Dieſe ſingende Frauen haͤtten allem Anſe-
hen nach dieſer aller Zuſchauer Augen und
Hertz raubenden Jungfrauen noch bewegli-
cher die Liebe eingelobt; wenn ſich nicht eine
wol aufgeputzte Geſellſchafft allerhand junger
Mannſchafft mit einem anmuthigen Gethoͤne
dieſem Kreiße genaͤhert/ und dardurch ſo wol
das Stillſchweigen der Frauen/ als noch meh-
rern Zulauf des Volckes verurſacht haͤtte. Die-
ſer Aufzug war in unterſchiedene Hauffen zer-
theilet/ welche nach der Reye ihrer Ankunfft die
Frauen rings umher beſetzten. Jm erſten wa-
ren eitel Weber/ welche mit der ſchoͤnſten Lein-
wand gekleidet/ mit Tannen-Kraͤntzen auf ge-
putzt waren; und von dem glaͤtteſten Ahorn-
Holtze flaſerne Wurfften und Weber-Baͤume
trugen. Der alleranſehnlichſte unter ihnen
drang ſich in den Kreiß der Frauen/ kniete fuͤr
der Jungfrau nieder/ legte Wurffte und We-
ber-Baum ihr zu Fuͤſſen/ und fieng nach aller
Anweſenden tieffem Stillſchweigen folgender
Weiſe zu ſingen an:
Die mit Roſen gekraͤntzte Jungfrau blieb ſo
unbewegt gegen dieſes Lied/ als der Stein/ auf
dem ſie ſaß. Daher der ſchoͤnſte unter den Fi-
ſchern; welche alle von Waſſer-Lilgen und an-
dern in Suͤmpffen wachſenden Blumen Kraͤn-
tze auff dem Haupte/ um den mitlern Leib ge-
flochtene Senden-Kleider/ um den Hals Mu-
ſcheln/ auf der Achſel einen Hamen mit Fiſchen
hatten/ herfuͤr trat; und nach gleichmaͤßigem
Niederknien die unbarmhertzige um ihre Liebe
mit folgenden Reymen anflehete:
Nach dem die von allen ſo hoch verehrte
Goͤttin gleichfalls kein Zeichen thaͤt/ trat aus
dem Hauffen der Schmiede einer herfuͤr; wel-
cher an Farbe und Laͤnge zwar einem Cyclopen
gleichte; alleine ſeine Gebehrdung gab genung
zu verſtehen: daß ſein Aufzug mehr angenom-
men/ als natuͤrlich war. Er hatte wie alle ſei-
ne Geferthen einen Krantz von Eiſen-Kraute
auf; in der Hand einen Hammer; welchen er
mit gleichmaͤßiger Ehrerbietung fuͤr der Jung-
frauen niederlegte/ und ſeine Liebes-Brunſt
auff folgende Art ausathmete:
Wiewol nun dieſe Jungfrau/ welche mit ih-
ren Roſen den Fruͤhling auf den Wangen/ mit
ihren kraͤfftigen Strahlen den Sommer in
Augen/ mit ihren anmuthigen Aepffeln den
Herbſt auf der Bruſt fuͤrbildete/ mit ihrer un-
beweglichen Kaͤlte den Winter im Hertzen zu
unterhalten ſchien/ ließ ſich doch der erſte unter
Erſter Theil. D d d d d d dden
[1130[1132]]Siebendes Buch
den Gaͤrtnern nicht abwendig machen fuͤr ihr
ſein Hertz auszuſchuͤtten. Er hatte einen Krantz
von hundertblaͤtterichten Roſen; ſein Kleid uͤber
den gantzen Leib war nichts/ als eitel durch ein-
ander vermiſchte Blumen. Auf der lincken
Seite beym Hertzen war allein ein Kreiß eitel
ſchwartz-rother Nelcken/ auf der rechten ein
Kreiß voll Lilgen; zweiffelsfrey um mit jenen
ſeine hefftige/ mit dieſen ſeine reine Liebe zu
entwerffen. An dem Arme hatte er einen Korb
voll Hyacinthen; welche er nebſt etlichen durch
dieſe Blume getoͤdtete Schlangen kniende fuͤr
der Jungfrau ausſchuͤttete; und vielleicht dar-
durch auf die Uberwindung aller Verleumder
und ſeiner Neben-Buhler zielte; endlich fol-
gende Reymen mit vielen Seuffzern abſang:
Alleine dieſe Seuffzer verrauchten wie die
vorigen vergebens in Wind; weßwegen aus
der Reye der Schaͤfer der vollkommenſte herfuͤr
trat; und mit einer annehmlichen Hoͤfligkeit ſei-
nen zierlich geſchnuͤtzten/ und mit allerhand Ge-
bluͤme umflochtenen Hirten-Stab/ ingleichen
feinen Krantz von Hyacinthen/ der ſeine weiß-
gerolleten Haare bedeckte/ und ein auf dem Ar-
me herbey getragenes Lamm zu den Fuͤſſen der
unbarmhertzigen Jungfrauen legte; und nach
dem ſie ihm mit einem annehmlichern Blicke/
als keinem vorher/ begegnet war; ſeine Liebes-
Gedancken durch mehr Seuffzer/ als folgende
Zeilen vernehmen ließ:
Bey waͤhrendem Singen ſtreichelte ſie an-
fangs das Lamm mit den Haͤnden/ hernach
hob ſie es gar auff die Schoos. Sie faͤrbte und
entfaͤrbte mehrmahls das Antlitz; die Bruͤſte
ſchwelleten ſich zum oͤfftern von tieffem Athem-
holen auf; ja man konte genau wahrnehmen:
wie ihr Hertze ſchneller/ als vorhin zu ſchlagen
anfieng/ und ihr Gemuͤthe mit neuen Regun-
gen beunruhigt ward. Unterdeſſen verwen-
dete ſie doch kein Auge von dem knienden Schaͤ-
fer; aus’ welchen nunmehr auch eine Anzahl
milder Thraͤnen herfuͤr brach; gleich als wenn
ſie ſelbte vollkommen denen Steinen aͤhnlich
machen wolte; aus welchen ſo wol Waſſer her-
fuͤr zu quellen; als man daraus Feuer zu ſchla-
gen pfleget. Sie aber nunmehr den mit ihren
Zaͤhren kuͤhlen wolte/ den ſie vorher mit den
Strahlen angeſteckt hatte. So bald aber dieſer
Schaͤffer ſein Lied endigte/ und gleichſam zwi-
ſchen Furcht und Hoffnung ſein Todes- oder
Lebens-Urthel erwartete; hob ſie mit einer
gleichſam Seele und Marck durchdringenden
Stimme zu ſingen an:
Hiermit faſte ſie mit beyden Haͤnden des
knienden Schaͤffers Haupt/ kuͤſte ihn auff die
Stirne; ſtand auf/ ergrieff den fuͤr ihr liegen-
den Schaͤffer-Stab; und noͤthigte den Schaͤ-
fer ſich auch wieder auf die Beine zu machen;
welcher ſchier unbeweglich worden war/ weil er
ſeine Gluͤckſeligkeit nicht begreiffen konte; und
die Zunge nicht mehr zu ruͤhren vermochte/ in-
dem nichts minder ungemeine Freude/ als uͤ-
bermaͤßige Beſtuͤrtzung dieſes bewegliche Glied
zu hemmen vermag. Die anweſenden Schaͤ-
fer umgaben dieſe zwey Neulinge in der Liebe;
erfuͤllten die Lufft mit einem unglaublichen
Freuden-Geſchrey/ unzehlbaren Lobſpruͤchen
beyder Verliebten/ und inbruͤnſtigen Gluͤck-
wuͤnſchungen. Ja welches denen Zuſchauern
am wunderlichſten fuͤrkam; verwandelten die
Neben-Buhler ihre vorige Liebe in Gewogen-
heit gegen den verliebten Schaͤffer; und an ſtatt
der vermutheten Eyverſucht/ urtheilten ſie ihn
alleine wuͤrdig dieſe Perle des Landes zu beſiz-
zen. Sie verſicherten ihn: daß ihr Hertz durch
uͤbermaͤßige Liebe bereit in todte Aſche verkehrt
worden/ alſo ſelbtes keiner fernern Flamme faͤ-
hig waͤre. Zwiſchen dieſem allgemeinen Fro-
locken ward von vier ſchneeweißen Pferden ein
in Geſtalt einer rundten Muſchel gefertigter
Wagen herzu gefuͤhret; auff welchen ſich die
Verliebten ſetzten. Dieſem folgten noch viel
andere mit Laub und Blumen uͤber und uͤber
bewundene Wagen; welche die Frauen und
alle Neben-Buhler aufnahmen/ und gegen ei-
nem kaum zweytauſend Schritte davon auf ei-
nem gaͤhen Felſen liegenden Schloſſe fort-
brachten. Marbod und ſeine zwey Ritter hat-
ten bey dieſem Gedraͤnge den guten Wurtzel-
Mann verlohren; und/ weil ſie nicht begreif-
fen konten: wie in dieſem Lande von Leuten ſo
niedriger Ankunfft ſo hoͤfliche und geſchickte
Bezeugungen aus geuͤbt/ und ſo praͤchtige Auf-
zuͤge erſchwungen werden koͤnten; erſuchten ſie
einen/ den ſie fuͤr einen Edlen des Landes an-
ſahen/ um die Auslegung. Dieſer bezeigte
gegen ſie als Fremdlinge groſſe Freundligkeit;
und vermeldete: daß bey den Marſingern/ und
D d d d d d d 2zwar
[1132[1134]]Siebendes Buch
zwar an dem nahen Boberfluſſe die deutſche
Tichter-Kunſt ihren Uhrſprung genommen
haͤtte/ alſo durch gehends alldar gemein/ und im
hoͤchſten Schwunge/ dieſe Schaͤferin eines
Marſingiſchen Fuͤrſten Leidholds Tochter; der
Schaͤfer aber ein tapfferer Ritter waͤre/ wel-
chem dieſes annehmliche Thal eigenthuͤmlich
gehoͤrte/ und der auf dem nechſten Berg-
Schloſſe wohnte. Weil es nun was unge-
meines: daß dieſe vollkommene Fuͤrſtin einen
Ritter zu ehlichen entſchloſſen haͤtte/ er aber
den Nahmen eines Schaffes/ und ein Schaf
in ſeinem Schilde fuͤhrte; haͤtten ſie durch dieſe
Vermummung ihnen nicht allein eine Luſt
machen/ ſondern auch auf dem jaͤhrlichen Fey-
er der Frea die freye Willkuͤhr dieſer etwas un-
gleichen Heyrath ſo viel mehr ans Licht bringen
wollen. Es waͤre dieſem Ritter aber ſeiner
Verdienſte und Tugend halber diß Gluͤcke wol
zu goͤnnen; wie ſie folgenden Tag ſelbſt wuͤrden
erfahren; wenn ſie bey ihm uͤbernachten; und/
weil er ſie doch auch fuͤr Ritters-Leute anſehe/ ſo
denn nebſt ihm zu denen bey den Marſingern
auf den Hochzeiten zu uͤben gewoͤhnlichen Rit-
terſpielen erſcheinen wolten. Dieſe Hoͤfligkeit
war dieſen Fremden ein gefundener Handel;
weßwegen ſie ungefaͤhr eine Meile weit in ſein
an dem Bober-Fluſſe gelegenes Hauß gefuͤh-
ret/ und daſelbſt wol bewirthet wurden. Dieſer
Ritter meldete: er hieſſe Vannius/ ſey von Uhr-
ſprung ein Quade/ und waͤre wegen gewiſſer
Ungluͤcks-Faͤlle in der Bojen Land kommen.
Alleine es haͤtten ihn viel von den Bojen ihm
angethane Verdruͤßlig keiten verurſacht/ ſeinen
Fuß und Wohnung uͤber das nechſte Gebuͤrge
zu den Marſingern zu ſetzen. Weil er nun als
ein Fremdling in dieſem Lande ſo viel Gewo-
genheit genoſſen; haͤtte er ſich in dieſer an-
nehmlichen Gegend ſaͤßhafft gemacht; und
verbinde ihn die Art dieſes Landes allen
Fremdlingen moͤglichſte Dienſte zu leiſten.
Marbod ergrieff dieſe Gelegenheit zu ſeinem
Vortheil; und vermeldete: wie ſie Hermundu-
riſche Ritters-Leute waͤren/ und ihre Eben-
theuer zu verſuchen zu den Bojen kommen/ von
dieſen aber nicht nur durch Uberfall ihres be-
ſten Geraͤthes beraubet/ ſondern auch ſich uͤber
die Berge zu machen genoͤthigt worden waͤ-
ren. Vannius erzehlte ihnen ferner: daß die
Laͤnder der Marſin ger und Burier/ welche der
Jader-Fluß unterſcheidet/ und ein Theil der
Semnoner zwiſchen der Warte und dem Ja-
der unter viel Fuͤrſten zertheilet waͤre; welche
aber alle vom Koͤnige Stipa/ der dieſe Laͤnder/
wie auch die Lygier/ Peuciner/ Veneder/ und
Eſtier beherrſchet haͤtte/ herſtammeten; zeither
aber durch viel innerliche Kriege ſich nicht allei-
ne ſehr geſchwaͤchet/ ſondern auch die Gewalt
uͤber die letztern Voͤlcker in fremde Haͤnde haͤt-
te kommen laſſen. Auff den Morgen verſahe
Vannius den Koͤnig Marbod und ſeine zwey
Ritter mit Pferden/ Zeug/ und der ihnen ab-
gehenden Ruͤſtung/ wie nichts minder ieden mit
einem geſchickten Schild-Knaben. Sie ka-
men zeitlich in die Schrancken/ welche unter
dem Schloſſe auff einer Wieſen an einer an-
nehmlichen Bach ausgeſteckt/ und bereit mit
etlichen hundert Rittern umſaͤtzt waren. Dar-
unter waren drey Marſingiſche/ zwey Buri-
ſche/ und ſo viel Fuͤrſten der Semnoner. Es
war eine Luſt zu ſehen; wie ieder in allerhand
Arthen der Ritter-Spiele ſeine Tapfferkeit
und Geſchickligkeit bezeugte. Die Sonne
ſtand ihnen ſchon uͤber dem Wirbel; als abge-
blaſen/ und Friedrichen einen Fuͤꝛſten der Mar-
ſinger der Preiß im Kopffrennen; dem Braͤu-
tigam im Ringen/ einem Marſingiſchen Rit-
ter Noſtitz in Ubung des Wurff-Spieſſes/
Marboden aber im Lantzen-brechen/ Prom-
nitzen einem Ritter der Burier im Pfeilſchuͤſ-
ſen/ Erdmannen einem Fuͤrſten der Semno-
ner im Wettelauffen/ dem Ritter Vannius im
Sprin-
[1133[1135]]Arminius und Thußnelda.
Springen zuerkennt ward. Die Preiße wa-
ren etliche ſchoͤne Pferde/ etliche Ruͤſtungen/
ſchoͤne Bogen und Pfeile; und iedem ward von
Hedwigen/ (alſo hieß des Ritter Schaffes
Braut) ein zierlicher Krantz auffgeſetzt. Wie
nun Marbod mit freyem Anlitze fuͤr der ſchoͤ-
nen Hedwig erſchien/ ſeinen Preiß zu empfan-
gen/ erkennte ihn zu allem Ungluͤcke Erdmann
der Semnoniſche Fuͤrſt; welcher unter des ent-
haupteten Fuͤrſten Britton Heere tauſend Reu-
ter gefuͤhret hatte. Marbod hatte nur mit ge-
buͤhrender Ehrerbietigkeit ſich nach empfange-
nem Krantze umgewendet; als Erdmann zu ſei-
nem Nachbar ſagte: dieſes waͤre Marbod. Der
Ritter verſetzte: wie diß moͤglich waͤre: daß ein
ſolcher Koͤnig ſich allein in ein ſo fremdes Land
mit nicht geringer Gefahr wagen ſolte? Erd-
mann aber blieb beſtaͤndig: Er kennte ihn all-
zu eigen; und weil verlautete: daß Gottwald
mit den Bojen wieder ihn einen Auffſtand er-
regt haͤtte; waͤre moͤglich: daß er uͤber das Ge-
buͤrge ſich gerettet haͤtte. So muß man denn/
ſagte Promnitz/ dieſen Fuͤrſten-Moͤrder/ und
welcher gantz Deutſchland in Verwirrung ge-
ſetzt/ beym Kopffe nehmen/ und an ihm eine
Rache ausuͤben; welche durch ihre Grauſam-
keit allen ſo uͤbelgeſinnten Unterthanen ein
Schrecken einjage. Die Sache gehet alle
Fuͤrſten an; und iſt einem ieden daran gelegen
zu verhuͤten: daß der/ welcher gehorſamen ſoll/
nicht verſtehen lerne: daß er ſeinem Gebieter
koͤnne zu Kopffe wachſen. Noſtitz fiel ein:
Ritter Schaf doͤrffte es nicht wol aufnehmen;
oder zum minſten es fuͤr kein gutes Zeichen hal-
ten: daß er in ſeinem Hochzeit-Feyer ſolte in
Gefangenſchafft verfallen. Promnitz melde-
te hier auff: wir muͤſſen es gleichwol dem Braͤu-
tigam nicht verſchweigen; und zum minſten auf
dieſen Wuͤtterich acht haben: daß wir uns ſei-
ner in der Naͤhe bemaͤchtigen. Vannius
hoͤrte dieſes Geſpraͤche mit an; und nach dem
er ein wenig nachgedacht/ ließ er ſeinen Preiß
im Stiche/ folgte dem Marbod; und ſagte im
Vorbeyreiten zu ihm: Folge mir/ Marbod/
oder du biſt verlohren. So bald Vannius
nun aus den Schrancken kommen war/ gab er
ſeinem Pferde die Sporen; und rennte/ ſo
ſehr er nur konte/ Weſtwerts dem nechſten
Walde zu. Koͤnig Marbod/ der aus des
Vannius wenigen Worten ſeine groſſe Ge-
fahr genungſam ermeſſen konte/ gab dem auff
der Seite haltenden Lichtenſtein und Tannen-
berg einen Winck/ und folgte dem Vannius;
welcher in dem Walde ihm ſeine Erkaͤntnuͤs;
und daß er unzweiffelbar verfolgt werden
wuͤrde/ umſtaͤndlich entdeckte. Sintemahl
alle Semnoniſche und Marſingiſche Fuͤrſten
dem Fuͤrſten Britton mit naher Bluts-
Freundſchafft verwandt waͤren. Weil er ihm
nun Anlaß gegeben/ dieſe Ritter-Spiele zu
beſuchen/ und alſo in dieſe Gefahr zu verfal-
len; wolte er lieber ſein Leben einbuͤſſen/ als
den uͤbeln Nachklang haben: daß er eine Ur-
ſache ſeines Verterbens waͤre. Wiewol nun
Koͤnig Marbod nach moͤglichſter Danckſa-
gung fuͤr ſo unverdiente Treue und Wolthat
ihn bereden wolte/ daß er zuruͤck bleiben/ ihm
und den Seinigen nicht unausleſchlichen Haß
zuziehen ſolte; wolte ſich doch Vannius nicht
halten laſſen; weil ihnen die Wege unbekandt
waͤren/ ſie alſo nicht allein deſto ehe ereilet wer-
den/ ſondern auch bey denen Semnonern in
neue Gefahr verfallen moͤchten. Dieſemnach
fuͤhrte ſie Vannius uͤber viel Berge und durch
dicke Waͤlder ſelbigen Tag noch biß an die
Kweiß-Bach/ welche die Marſinger und
Semnoner unter ſcheidet. Sie wolten da-
ſelbſt gleich abſteigen und ein wenig verbla-
ſen; als ſie hinter ſich ein Geraͤuſche von
Pferden vernahmen. Dieſemnach ſie zu ih-
ren Waffen grieffen; und auch alſofort
von zehen Gewaffneten angefallen wurden.
D d d d d d d 3Wie-
[1134[1136]]Siebendes Buch
Wiewol nun ieder ſchier gegen drey zu fechten
hatte; thaten ſie doch ſo maͤnnlichen Wieder-
ſtand: daß in weniger Zeit drey von ihren Ver-
folgern von Pferden fielen. Marbod aber/ dem
am grimmigſten zugeſetzt ward/ verlohr hieruͤ-
ber ſein Pferd/ und muſte eine gute Weile ſich
gegen zwey alleine zu Fuſſe wehren/ wiewol er
zu ſeinem Vortheil einen dicken Tannenbaum
an Ruͤcken bekam. Weil aber Lichtenſtein und
Tannenberg zweyen abermahls das Licht aus-
leſchten/ kriegte Vannius Lufft dem Marbod
wieder auf ein feindliches Pferd zu helffen; wie-
wol jener daruͤber einen Hau in lincken Arm/
und einen Stich in die rechte Seite bekam. Aber
der ergrimmte Marbod raͤchte alsbald ſeinen
getreuen Vannius/ und durchrennte mit ſei-
ner Lantze ſeinen Beleidiger; welches Zettritz/
ein Marſingiſcher Edelmann und der Fuͤhrer
dieſes Hauffens war. Weil denn die uͤbrigen
vier von ihren empfangenen Wunden ſchwach
zu werden empfunden; wendeten ſie ſich um
und verlieſſen die vier Verfolgten. Ob nun wol
Vannius etliche mahl von ſeiner Verletzung in
Ohnmacht fiel/ ſo erquickte ihn doch Marbod/
verband ihm auch ſeine Wunden mit denen vom
alten Wurtzelmanne empfangenen koͤſtlichen
Artzneyen; und weil er nicht zu bewegen war
zuruͤck zu bleiben/ oder nur daſelbſt zu uͤbernach-
ten; ritten ſie/ nach dem die Pferde kaum eine
Stunde verblaſen hatten/ die gantze Nacht fort;
kamen auch den dritten Tag uͤber die Elbe in
das Hermunduriſche Gebiete.
Koͤnig Marbod wolte in ſeinem eigenen
Lande ſich nicht zu erkennen geben/ biß er nach
Calegia kam; und durch ſeine unvermuthete
Ankunfft die Seinigen erfreuete/ ſeine Wie-
drigen erſchreckte/ und die zweiffelhafften Ge-
muͤther im Gehorſam erhielt. Denn weil aus
dem Lande der Bojen ſein Tod fuͤr allzugewiß
verlautete; hatten die mit ihrem Gemuͤthe noch
an dem Geſchlechte des Brittons hangende Heꝛ-
mundurer den beym Cheruskiſchen Hertzoge
Segimer ſich auf haltenden Fuͤrſten Jubil durch
ſchnelle Poſten dieſer Enderung verſtaͤndigt/
und ins Land beruffen. Welcher denn auch
in der Eil zweytauſend Cherusker an ſich gezo-
gen und Vertroͤſtung hatte: daß die Sicambrer/
Tencterer und Uſipeter ihm mit geſamter Hand
zu Huͤlffe kommen wolten/ welche dem Marcus
Lollius den Adler der fuͤnfften Legion abgenom-
men/ etliche tauſend Roͤmer und noch ſo viel
Gallier erſchlagen/ und alſo den Kayſer ſelbſt
in Gallien zu kommen verurſacht/ aber doch als
gegen dieſer Macht zu ſchwach nach erlangter
reichen Beute mit den Roͤmern Friede gemacht
hatten. Marbod ließ ſeine gluͤckliche Entkom-
mung bald in alle ſeine Laͤnder ausbreiten/ er
aber ſelbſt ruͤckte an der Saale gegen das Me-
libokiſche Gebuͤrge dem Fuͤrſten Jubill mit
zehntauſend Mann entgegen/ um dieſen Auff-
ſtand in der erſten Flamme zu daͤmpffen. Weil
nun Jubils Vortrab geſchlagen/ er ſelbſt zuruͤck
in den Semaniſchen Wald getrieben/ die Che-
ruskiſche Huͤlffe durch den Krieg mit den Cat-
ten/ der Beyſtand der Sicambrer/ Tencterer/
und Uſipeter durch des Roͤmiſchen Kayſers
treuliche Abmahnungen zuruͤck gehalten ward;
uͤber diß hernach des Claudius Druſus Einfaͤl-
le das gantze Nieder-Deutſchland zwiſchen dem
Rheine und der Elbe in Krieg verwickelte/
kriegte Koͤnig Marbod nicht allein Lufft ſeine
vorigen Laͤnder voͤllig zu beruhigen; ſondern
auch wieder die Bojen auff Rache zu ſinnen.
Die Bojen hatten nach Marbods Nieder-
lage unter dem Gothoniſchen Fuͤrſten Gott-
wald/ welcher ſich eine zeitlang an des Bojiſchen
Koͤnigs Critaſir Hofe aufgehalten hatte/ alle
Marckmaͤnner und Hermundurer aus ihren
Graͤntzen getrieben/ ja der Alemaͤnniſchen
Fuͤrſtin Vocione ein Buͤndnuͤs angetragen/
und ihr Vertroͤſtung gethan/ derſelbten zu al-
len Landſchafften zu verhelffen/ welche nach Koͤ-
nig Arioviſts vermeintem Tode Vermoͤge einer
mit dem Hermunduriſchen Hauſe auff den Fall
nicht
[1135[1137]]Arminius und Thußnelda.
nicht hinterlaſſener Soͤhne auffgezeichneten
Erbverbruͤderung dem Hertzoge Britton zuge-
fallen/ nunmehr an Marbod/ der an ſolchem
Geſchlechts-Vergleiche weder Recht noch
Theil hatte/ durch Gewalt gediegen waren.
Marbod ward hier uͤber nicht wenig bekuͤm-
mert; weil die Alemanniſche Fuͤrſtin Vocione
mit denen ſtreitbaren Catten feſte verknuͤpfft
war/ und alſo ihm nicht nur dieſer groſſe
Schwall der Voͤlcker leicht auf einmahl haͤtte
uͤber den Hals fallen/ ſondern auch die Marck-
maͤnner und Seduſier/ welche ohne diß nach
der erſten Alemanniſchen Herrſchafft ſeuffzeten/
von ihm abtꝛinnig machen koͤnnen. Dieſemnach
ſchrieb Marbod eine weitlaͤufftige Erzehlung
alles deſſen/ was ihm mit ihrem Vater dem in
ihren Gedancken zwar laͤngſt/ in der Warheit
aber erſt fuͤr weniger Zeit geſtorbenen Arioviſt
begegnet waͤre/ an die Fuͤrſtin Vocione/ ließ
ſelbte beyde Ritter Lichtenſtein und Tañenberg
unterſchreiben/ und mit einem kraͤfftigen Eyde
deſſelbten Warheit betheuern. Zu mehrer Be-
ſtaͤrckung ſchloß er einen guͤldenen Ring/ den
Arioviſt allezeit an ſeinem kleinen Finger ge-
tragen/ Marbod aber ſeiner Leiche zum Ge-
daͤchtnuͤß abgezogen hatte/ bey/ ſchickte den
Lichtenſtein darmit zu Vocionen; mit dem Ver-
ſprechen: daß er Arioviſten zu Liebe ihr alle vaͤ-
terliche Laͤnder wieder abtreten wolte; da ſie ihm
zu Uberwindung der Bojen wuͤrde behuͤlflich
ſeyn. Vocione laß dieſe Geſchichte ihres Va-
ters mit hoͤchſter Verwunderung/ erkennte der-
ſelben Warheit aus Marbods und ſeiner zwey-
en Gefaͤrthen hoher Betheuerung/ inſonderheit
aber aus dem ihr mehr als allzukenntlichen
Ringe/ netzte alſo dieſes Schreiben mit vielen
Wehmuths-Thraͤnen. Wiewol ihr nun das
ehrſuͤchtige Gemuͤthe des Marbods bekandt/
ſeine ungemeine Freygebigkeit anfangs ver-
daͤchtig war/ wuſte doch Lichtenſtein alle Be-
dencken ſo vernuͤnfftig abzulehnen: daß ſie die
Bojiſche Geſandſchafft unverrichteter Sachen
beurlaubte/ Lichtenſtein aber alles erhielt/ was
er verlangte.
Marbod ſammlete hier auf nicht allein zwey
maͤchtige Kriegs-Heere; ſondern bot durch die
Vertroͤſtung: daß er die Meyneydiſchen Bojen
mit Strumpff und Stiel vertilgen/ ihre fetten
Aecker aber ſeinen Krieges-Leuten eintheilen
wolte/ faſt alle ſeine Voͤlcker auff. Die Fuͤrſtin
Vocione ſchickte ihren Vetter/ welchen ſie auff
ihren Todes-Fall zum Alemanniſchen Herzoge
beſtimmt hatte/ mit zehntauſend außerleſenen
Alemaͤnnern und Herudern dem Koͤnige Mar-
bod wieder die Bojen zu Huͤlffe. Dieſer brach
an drey Orten in ihr Land. Dem Marbod
ſelbſt zohe der tapffere Gothoniſche Fuͤrſt Gott-
wald; welchem der Bojen Koͤnig Eritaſir we-
gen ſeiner groſſen Dienſte inzwiſchen ſeine eini-
ge Tochter vermaͤhlt hatte/ entgegen; und ſetzte
ſich beym Eger-Strome an einem vortheilhaf-
ten Orte feſte: daß ihm faſt nicht moͤglich beyzu-
kommen war. Vannius aber/ welchem Mar-
bod ſeiner Treu und Tapfferkeit halber den
lincken Fluͤgel vertraut hatte/ nahm hinter den
Bojen einen Paß ein; wordurch er ihnen alle
Lebens-Mittel abſchnitt/ und ſie zu Liefferung
einer Schlacht noͤthigte. Beyde Heere wur-
den gegen einander auffs kluͤgſte geſtellt; die
Schlacht ſo grauſam/ die Feinde gegen einan-
der ſo verbittert: daß bey Entfallung der Haͤn-
de und Waffen/ ſie mit den Zaͤhnen einander
beleidigten. Dieſe Grauſamkeit waͤhrete von
der Sonnen Aufgange biß zwey Stunden fuͤr
der Nacht/ ehe einiges Horn der Schlachtord-
nung zu wancken anfieng. Marbod und Gott-
wald kamen ſelbſt an einander/ und verlohr ie-
der drey Pferde unter dem Leibe. Endlich brach
Vannius zum erſten durch/ und trennte der
Bojen rechten Fluͤgel; ein Marckmaͤnniſcher
Ritter Bercka verwundete den Fuͤrſten Gott-
wald in der rechten Seite ſo ſehr: daß er aus
dem Treffen zuruͤck weichen muſte. Hieruͤber
gerieth das gantze Bojiſche Heer in die Flucht;
und
[1136[1138]]Siebendes Buch
und blieben dieſen Tag zwantzig tauſend Bo-
jen/ und darunter der Kern des Bojiſchen A-
dels auf dem Platze; zehntauſend wurden ge-
fangen; welche Marbod folgenden Tag auf et-
licher Kriegs Oberſten Einrathen: daß denen/
welche ihren Eyd gebrochen/ nunmehr billich
die Haͤlſe zu brechen waͤren/ alle haͤtte abſchlach-
ten laſſen; wenn nicht Lichtenſtein ihn der Ario-
viſtiſchen Lehren erinnert; Vannius ihm auch
eingehalten haͤtte: daß kein ſtaͤrckerer Pfeiler
neuge gruͤndeter Reiche/ als die Erbarmung ei-
nes Fuͤrſten; und die Erhaltung eines uͤber-
wundenen Feindes ein ewiges Beyſpiel ſeiner
Großmuͤthigkeit waͤre. Wiewol nun die er-
ſtern einwarffen: es waͤre den meineydigen
Bojen nicht mehr zu trauen/ noch einem Fuͤr-
ſten durch den Ruhm der Gnade Gefahr auff
den Hals zu ziehen; ließ ſie Marbod doch leben;
die Todten aber beer digen. Den dritten Tag
ruͤckte er ferner ins Land/ und bekam die Zei-
tung: daß ſeine zwey andere Heere unter dem
Nariskiſchen Gebuͤrge die ihnen begegnenden
Bojen gleicher Geſtalt zuruͤck getrieben/ die
Alemaͤnner und Heruder auch bereit die Stadt
Caſurgis belaͤgert haͤtten; ſein ander Feld-
Hauptmann Lobkowitz ſchon an dem Mulden-
Strome oberhalb der Stadt Boviaſmum ſtuͤn-
de; allwo Koͤnig Critaſir ſeine euſſerſte Kraͤfften
des Reichs/ die Huͤlffs-Voͤlcker der Semno-
ner verſammlet haͤtte/ und in ein paar Tagen
dreyßig tauſend Sarmater erwartete/ welche
uͤber das Carpatiſche Gebuͤrge/ und oberhalb
des Fluſſes Pathißus uͤber die Donau geſetzt
hatten/ und mit denen Pannoniern und Nori-
chern denen Roͤmern in Hiſtrien eingefallen/
endlich nach abgedrungenem Frieden vom Ca-
jus Lucius unter dem Jnn biß an die Donau
getrieben/ und bey dieſer Noth von Bojen zu
Huͤlffe gezogen worden waͤren. Marbod eil-
te deßwegen Tag und Nacht fort in Meynung
dieſer Verſtaͤrckung zuvor zu kommen. Allein
weil die Muldau ſehr angelauffen war/ und al-
ſo das Fuß-Volck in Mangel der Schiffe nicht
uͤberſetzen konte/ war die Vereinbarung der
Bojen/ Semnoner/ Sarmater/ ja auch zehn-
tauſend Baſtarner/ welche des hingerichteten
Brittons Wittib bey dem Koͤnige ihrem Bru-
der aus gebeten hatte/ unmoͤglich zu verhindern.
Weil nun Critaſir ſo vieler fremden Huͤlffs-
Voͤlcker erſte Hitze nicht wolte verrauchen/
noch auch ſeinem Lande eine ſolche Laſt lange
auf dem Halſe laſſen/ fuͤhrte er durch die Stadt
Boviaſmum auf den nahe darbey gelegenen
Berg hundert und zwantzig tauſend uͤber/ und
ſtellte ſie in Schlacht-Ordnung. Marbod aber/
der ſein ander Heer unter dem Lobkowitz erwar-
tete/ blieb in ſeinem Laͤger/ und ließ die Bojen
darum vergebens ſchwermen. Den dritten
Tag naͤherte ſich Marbods anderes Heer/ wel-
ches er aber hinter einem Walde verdeckt ſte-
hen/ von ſeiner Reuterey etliche mit Fleiß ge-
fangen nehmen/ und den Bojen weiß machen
ließ: daß ſein Heer Noth an Lebens-Mitteln
liedte/ und er daher in weniger Zeit erhungern/
oder zuruͤck ziehen/ oder ſchlagen muͤſte. Koͤnig
Critaſir ſtellte deßhalben folgenden Morgen
ſein Heer abermahls fuͤr Marbods Laͤger in
Schlacht-Ordnung; wie wol er um ſelbtes dem
Scheine nach viel kleiner zu machen/ ein groſ-
ſes Theil in der Stadt behielt/ und ein Theil
hinter dem Berge ſtehen ließ. Marbod fuͤhrte
nunmehr ſeines auch ins Feld/ und ward zwey
Stunden in gleicher Wage gefochten; weß-
wegen Critaſir ſeinen Hinterhalt auff beyden
Seiten anruͤcken/ Marbod aber mit allem
Fleiße ſeinen lincken Fluͤgel Fuß fuͤr Fuß zuruͤ-
cke weichen ließ; wormit die Bojen ſich von der
Stadt Boviaſmum entferneten. Hierauff
brach Lobkowitz mit der Helffte ſeines verborge-
nen Heeres durch den Wald herfuͤr/ und ſetzte
ſich harte fuͤr die Pforte der Stadt/ den Bojen
den Ruͤckweg abzuſchneiden. Mit der andern
Helffte des verſteckten Heeres aber ſtellte ſich
der Marckmaͤnniſche Ritter Thurn an den
lincken
[1137[1139]]Arminius und Thußnelda.
lincken Fluͤgel biß an den Moldau-Strom; al-
ſo: daß die Bojen ſchier auf allen Seiten ent-
weder von den Marckmaͤnnern/ oder von dem
reiſſenden Fluſſe umringt waren. Die Schlacht
begonte nun allererſt grauſamer als niemahls;
nach dreyen Stunden aber gaben die Sarma-
ten/ welchen Vannius mit dem ſchweren reiſi-
gen Zeuge in dieſem Gedraͤnge uͤberlegen war/
die Flucht; und weil ſonſt keine Ausflucht zu fin-
den/ ſetzten ſie mit ihren leichten Pferden uͤber
die Muldau; wiewol derer etliche hundert vom
Strome verſchlungen wurden. Critaſir muͤhte
ſich zwar bey dieſer Verwirrung durch die
Hauffen des Lobkowitzes zu brechen; und Fuͤrſt
Gottwald/ der doch kaum wegen ſeiner in der
erſten Schlacht empfangenen Wunden auff
dem Pferde ſitzen konte; that mit ſechstauſend
Mañ theils Kriegs-Knechten/ theils Buͤrgern
einen verzweiffelten Ausfall auf ihn/ um ihrem
Koͤnige Lufft/ und den Weg an die Stadt offen
zu machen. Alleine der Ritter Bercka kam
mit ſeiner Reuterey dem Lobkowitz zu Huͤlffe;
kriegte den fuͤr Grim ſchaͤumenden/ und ver-
zweiffelt-fechtenden Fuͤrſten Gottwald gefan-
gen; und trieb die uͤbrigen wieder in die Stadt.
Jnzwiſchen kam Marbod dem Koͤnige Critaſir
ſo nahe: daß er ihn umarmende mit ſich vom
Pferde rieß. Um dieſe beyde Koͤnige draͤngten
ſich nun beyde Voͤlcker wie Bien-Schwaͤrme/
und blieben von beyden Theilen etliche hundert
der ſtreitbarſten Ritters-Leute. Endlich aber
wurden die Bojen uͤbermannet/ Koͤnig Critaſir
mit ſechs tauſend Bojiſchen Edelleuten/ und
zwantzig tauſend andern Bojen; Wittekind
ein Fuͤrſt der Semnoner/ welcher halb-todt
unter den Leichen aufgeleſen ward/ mit fuͤnff-
hundert edlen Semnonern; und dreytauſend
andern; ingleichen fuͤnff tauſend Baſtarnen
gefangen; dreytauſend Bojiſche Reuter ent-
rannen noch uͤber den Fluß/ und kamen in die
Stadt. Alles andere Volck hatte die Schaͤrffe
der Marckmaͤnniſchen Schwerdter/ oder die
Tieffe des Stromes gefreſſen; wiewol Mar-
bod auf ſeiner Seiten auch uͤber zehn tauſend
Mann eingebuͤſt hatte. Marbod legte den
Gewinn dieſer Schlacht gegen ſein Volck fuͤr
ein Goͤttliches Zuerkaͤntnuͤß der Bojiſchen
Herrſchafft aus/ als wordurch das ewige Ver-
haͤngnuͤs die Streitigkeiten der Koͤnige zu ent-
ſcheiden/ und die Reiche der Welt zu ver aͤndern
pflegte. Jnſonder heit aber meinte er mit dem
gefangenen Koͤnige Critaſir das voͤllige Hefft
der Bojiſchen Herꝛſchafft in ſeine Haͤnde be-
kommen zu haben; weil Fuͤrſten freylich die
Seele in dem Leibe ihres Reiches ſind; und ſo
wol ein Volck/ als ein Bienen-Schwarm nach
Verluſt ſeines Koͤnigs verlohren geht. Daher
die Thebaner/ als ſie ihren Pelopidas gegen A-
lemandern/ den Koͤnig zu Pheres eingebuͤſt hat-
ten/ ſich fuͤr uͤberwunden/ Artaxerxes aber/ als
Cyrus gegen ihn blieben war/ ſich fuͤr den Sie-
ger ausruffen ließ/ ungeachtet dieſer das Feld
verlohren/ jene es behauptet hatten. Maſſen
denn auch Koͤnig Critaſirs Beſtrickung die Bo-
jen in ſolche Verwirrung ſetzte: daß ſie den
Marbod ohne einigen Wiederſtand auf etlichen
erlangten Nachen und in der Eyl gefertigten
Floͤſſen zwoͤlff tauſend Mann uͤber die Muldau
ſetzen/ und auf der andern Seite die Stadt Bo-
viaſmum ſperren lieſſen. Weil nun dieſe kei-
ne genungſame Beſatzung/ inſon derheit kein
Oberhaupt hatte; die Koͤnigin nicht mehr um
Reich und Freyheit/ ſondern allein um ihres
Gemahles Leben bekuͤmmert war; ergab ſie ſich
und die Stadt auf Marbods Gnade; welcher
noch ſelbige Nacht zwey Thore mit zehntauſend
Mann beſetzte. Folgenden Tag hielt Marbod
durch die Stadt auf das Koͤnigliche Schloß ei-
nen praͤchtigen Einzug. Auf den Straſſen
lagen nicht nur die Buͤrger/ ſondern ſo gar
Weiber und Kinder auf den Knien durch ihre
Demuth des Uberwinders Racht zu beſaͤnffti-
gen. Nach dem Marbod nun den Vannius
und Bercka mit dreyßig tauſend Mann die
Erſter Theil. E e e e e e efluͤch-
[1138[1140]]Siebendes Buch
fluͤchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht
hatte; ließ er den Koͤnig der Bojen fuͤr ſich er-
fordern; welcher nun gebunden fuͤr dem Stule
ſeinen Feind kniebeugend verehren muſte; dar-
auf er noch den Tag zuvor ſo viel tauſenden
Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwuͤrdigen
Beyſpiele: daß zwifchen der hoͤchſten Ehren-
Staffel und tieffſtem Kniebeugen nur ein
Schritt/ zwiſchen Lorbeern und Cypreſſen nur
ein Hand umwenden/ zwiſchen Kron und Feſ-
ſel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un-
terſchied mache. Marbod fragte Critaſirn:
Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren
einmahl beliebten Fuͤrſten den Auffſtand zu ma-
chen? Dieſer antwortete: jene die Liebe der
Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag-
te ferner: wie er nun beyde gehandelt wiſſen
wolte? Critaſir antwortete: Mit dem Volcke/
wie es der Ruhm eines ſo groſſen Siegers er-
fordert; mit mir/ wie du gehandelt ſeyn wolteſt/
wenn dich heute das wanckelhaffte Gluͤcke in
meine Stelle verſetzt haͤtte. Marbod befahl
nach einem langen Still ſchweigen die Koͤnigin
herbey zu fuͤhren; welche ihre vorige Pracht in
ſchlechte Trauer-Kleider ver huͤllet hatte; und/
weil das Hertzeleid ihrer ſchweren Zunge das
Reden verbot/ ihre Thraͤnen an ſtatt der Worte
brauchte. Sie ſanck fuͤr dem Marbod in halbe
Ohnmacht nieder; endlich erholete ſie ſich gleich-
wol/ und fieng an: Ob ſie zwar das Verhaͤng-
nuͤs alles Vermoͤgens entſetzet haͤtte/ bliebe doch
auch denen Elendeſten das Bitten uͤbrig. Die-
ſes wolte ſie nicht fuͤr ſich ſelbſt verſchwenden/
ſondern fuͤr ihren Gemahl und Tochter ange-
wehren. Sie ſelbſt entſchuͤttete ſich nicht allein
aller Wuͤrde/ welche nach erlangtem Beſitzthu-
me bey weitem nicht ſo viel wiege/ als ihr die an-
faͤngliche Begierde hiervon traͤumen lieſſe/ ſon-
dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U-
berlaſt der Ungluͤckſeligen waͤre. Jedoch wuͤr-
de er zuverſichtlich behertzigen: daß ein Menſch
durch nichts/ als Verzeihung ſich GOtt aͤhn-
lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fuͤrſten
beruͤhmt/ und ſeine Herꝛſchafft unuͤber windlich
machte; und daher auch Marbod ſeine Sieges-
Geſetze nach ſeinem Ruhme und der Uberwun-
denen Moͤgligkeit maͤßigen wuͤrde; weil es
ſchwerer waͤre anbefohlene Dinge thun; als be-
fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie-
wol nun der Hochmuth mit dem Gluͤcke ſich fuͤr
laͤngſt in Marbods Hertze eingeſpielt hatte;
Menſchen auch zwar ihre erſten gerathenen
Streiche mit vernuͤnfftiger Gemuͤthsmaͤßi-
gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und
Empfindligkeit von uͤber maͤßigem Wachsthu-
me ver druͤckt wird; redete doch die Koͤnigin ſo
nachdruͤcklich: daß dem Marbod die Augen uͤ-
bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf-
fen haͤtte er wieder kein Frauen-Zimmer ge-
zuͤckt; und alſo ſolte weder ihr noch ihrem Ge-
ſchlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun
Critaſir und die Bojen ihm ſein Licht auszule-
ſchen weder Argliſt noch Anſtalt geſparet; ob
wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten
zu feſſeln waͤre; ja die/ welche darmit betheilt
wuͤrden/ fuͤr eine Beleidigung annehmen/ wenn
etwas uͤbrig bliebe/ das ſie noch haͤtten bekom̃en
koͤnnen; und endlich untreue Gemuͤther nichts
minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle-
gung nur mehr verſehrt wuͤrden; wolte er doch
ihrer Fuͤrbitte ſo viel entraͤumen: daß alle Bo-
jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze
Land aber den Marckmaͤnnern raͤumen/ und
ihnen einen Sitz entweder uͤber der Weichſel
oder der Donau ſuchen ſolten. Weil nun einem
Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh-
mende Scheuterungs-Klippe fuͤr einen Hafen
dienet; und der zu allem leicht zu bereden iſt/
der ſich ſo gar ſeines Lebens ſchon verziehen hat/
nahm nicht nur die Koͤnigin/ ſondern Critaſir
ſelbſt dieſe Erklaͤrung fuͤr eine groſſe Gnade mit
tieffer Danckſagung an; wiewol nichts ſchwe-
rer iſt/ als ſeinem Vaterlande auf ewig gute
Nacht ſagen; deſſen Liebe viel ihrem Leben vor-
gezogen.
[1139[1141]]Arminius und Thußnelda.
gezogen. Folgenden Tag kam die Botſchafft:
daß die Alemaͤnner ſich auch ſchon der Stadt
Caſurgis/ und vieler Bergſchloͤſſer bemaͤchtiget/
den dritten Tag: daß Vannius und Bercka die
entflohenen Sarmaten in einem Walde um-
ringet haͤtten; Weßwegen Marbod noch zehn-
tauſend Mann dahin ſchickte; welche denn die
Sarmaten dahin brachten: daß ſie die Waffen
weg- und ſich der Willkuͤhr des Siegers unter-
werffen muſten. Den zehenden Tag war auf
einem groſſen Platze in der Stadt eine Schau-
buͤhne/ und darauf ein Koͤniglicher Stul berei-
tet. Nach dem der Platz mit zehntauſend
Marckmaͤnnern beſetzt war; kam Koͤnig Mar-
bod mit allen Groſſen auffs praͤchtigſte dahin/
und beſaß ſelbten. Dieſem folgte Koͤnig Cri-
taſir; welcher drey der vornehmſten Bojen ihm
die Koͤnigliche Kron/ den Zepter und das
Reichs-Schwerd fuͤrtragen ließ/ und alles mit
tieffer Ehrerbietung nach eydlicher Abſchwe-
rung allen an dieſes Land habenden Rechtes
dem Koͤnige Marbod uͤberliefferte. Dieſem
folgten die Prieſter; welche denen Marckmaͤn-
niſchen Eubagen alles Opffer-Geraͤthe/ die
zum Gottesdienſte gehoͤrigen Buͤcher/ und ein
uͤber aus groſſes Geweihe von einem Elend-
Thiere; welches der erſte Bojiſche Koͤnig an
dem Orte/ wo die Stadt Boviaſmum ſtehet/ ge-
ſchlagen/ und als ein Schutz-Bild des Boji-
ſchen Reiches aufzuheben befohlen haben ſoll/
uͤberliefferten. Endlich kam ein Ausſchuß von
der Bojiſchen Ritterſchafft; welche den Boji-
ſchen Reichs-Schild/ und die Abgeordnete von
Staͤdten/ die derſelben Schluͤſſel dem Marbod
zu den Fuͤſſen legten; und dieſes Land nicht
ferner zu betreten eydlich angelobeten. Fol-
genden Tag geſchach der Auffbruch der Bojen;
und zohe von allen Enden alles/ was Beine
hatte/ gegen dem Donau-Strom; allwo ſie
bey der Vereinbarung des Fluſſes Jnn an
zweyen Orten uͤber die Donau ſetzten/ und da-
ſelbſt von Marckmaͤnnern ein Theil ihrer Waf-
fen zu ihrer Beſchirmung wieder bekamen; alſo
daſelbſt die zwey Staͤdte Bojodur und Paſſau
bauten; hernach aber voll ends uͤber den Jnn
ſetzten/ und die alten Vindelicher verdrangen;
welche aber von der Alemaͤnniſchen Fuͤrſtin
Vocione in die von den Marckmaͤnnern ihr
nunmehr eingeraͤumte/ aber aller Einwohner
entbloͤſten Landſchafften willig angenommen
wurden. Marbod hingegen theilte ſeinen Voͤl-
ckern das gantze Land aus; gab ihnen die ge-
fangenen Sarmaten zu Leibeigenen/ welche des
Feldbaues pflegten/ ver groͤſſerte die Stadt Bo-
viaſmum/ und nennte ſie nunmehr Marbod-
Stadt. Jnzwiſchen aber ruͤckte er mit ſeiner
gantzen Heeres-Krafft theils an-theils auff der
Elbe mit einer groſſen Menge Nachen denen
zum Kriege ſchlecht bereiteten Semnonern auf
den Halß; ſchlug ſelbte zweymahl aus dem Fel-
de/ eroberte die Stadt Budorigum/ und bekam
in ſelbter den Fuͤrſten mit allen den Seinen ge-
fangen; alſo: daß dieſes gantze Volck den Mar-
bod fuͤr ſeinen Koͤnig annahm; und zwar mit ſo
viel mehr Belieben/ weil es zeither faſt unauff-
hoͤrlich mit beſchwerlichen Kriegen bald von de-
nen Hermunduren/ bald von denen Longobar-
den/ bald von denen Marſingern und Buriern
(welche Voͤlcker alle ſtreitbare Schwaben ſind)
abgemattet worden war/ und alſo ſie durch die
dem Marbod uͤberreichte Krone ihnen ſelbſt
gleichſam den Krantz der Ruhe auffſetzten/ und
dieſer zu Rom als eine Goͤttin verehrten Mut-
ter der Vergnuͤgung einen Tempel zu bauen
meinten. Sintemahl doch unaufhoͤrliche Un-
ruh beſchwerlicher/ als die Dienſtbarkeit iſt; und
weil ein Beſitzer groſſer Heerden die Kuh nicht
ſo offt melcken/ die Schafe nicht ſo viel mahl
ſcheren darff/ alſo eines weit und ferne gebie-
tenden Koͤnigs Herꝛſchafft nicht ſo ſehr und offte
die Unterthanen druͤcken/ hingegẽ ſie maͤchtiger
ſchuͤtzen kan/ die Semnoner nunmehr unter ei-
nem ſo maͤchtigen Koͤnige viel gemaͤchligeꝛ zu le-
ben hofften; Worbey denn Marbod zugleich ei-
E e e e e e e 2nen
[1140[1142]]Siebendes Buch
nen klugen Staats-Mann abgab; in dem er
dem Semnoniſchen Adel groͤſſere Freyheiten
entraͤumte; wolwiſſende: daß wenn man die
Koͤpffe abſchneiden will/ die Glieder geſtreichelt
und eingeſchlaͤfft werden muͤſſen. Eben zur
ſelbten Zeit hatten die Lygier und Burgundier
wieder die Burier und Marſinger einen bluti-
gen Krieg angehoben. Die Verbitterung war
zwiſchen ihnen ſo viel groͤſſer/ weil ſie einander
verwand/ und alleſamt Scherben eines fuͤr Zei-
ten groſſen Reiches waren; Die Lygier aber al-
le Gefangenen ihrem bey den Naharvalen in
einem Heyne verehrten Gotte gewiedmet hat-
ten; in welchem Falle nicht nur die Feinde/ ſon-
dern ſo gar auch die Pferde muͤſſen abgeſchlach-
tet werden. Der Vorwand war: daß die Ly-
gier von denen an dem oberſten Jader-Fluſſe
gelegenen Oſen einem dahin eingeſeſſenen
Pañoniſchen Volcke die Marſinger keine jaͤhr-
kiche Schatzung mehr erheben laſſen; dieſe aber
ſolche den Lygiern nicht enthaͤngen wolten.
Marbod ſchickte deßhalben den daſelbſt bekand-
ten Vannius zu den Marſingern und Buri-
ern/ und bot ihnen ſo viel Huͤlffs-Voͤlcker an/
als ſie verlangten. Dieſer brachte es durch ſeine
kluge Handlung ſo weit: daß alle Marſingiſche
und Buriſche Fuͤrſten; welche nach vieljaͤhri-
ger Zwietracht nichts minder der zertheilten
Ober-Herꝛſchafft/ als der blutigen Kriege uͤber-
druͤßig waren/ den Koͤnig Marbod fuͤr ihren
Schutz-Herꝛn annahmen; und ihre Laͤnder
gleichſam dem Bojiſchen Reiche einverleibten.
Hier auff vereinbarten Marbod und alle dieſe
Fuͤrſten ihre Waffen/ trieben die Lygier und
Burgundier nicht allein zuruͤcke/ ſondern fie-
len auch mit dreyen maͤchtigen Heeren bey den
Burgundiern/ Lygiern und Logionen ein; wel-
che alle die Laͤnder an der lincken Seite der
Weichſel bewohnen; und noch ferner in die
Arier/ Helvekoner/ Manimer/ Elyſier/ und
Naharvaler eingetheilet werden. Dieſe Voͤl-
cker lieſſerten zwar unter dem Aſchenburgiſchen
Gebuͤrge dem Koͤnige Marbod mit groſſer
Hertzhafftigkeit eine Schlacht; weil ſie aber nur
unordentlich zu ſcharmuͤtzeln/ Marbods Voͤl-
cker aber nach Roͤmiſcher Kriegs-Art mit ge-
ſchloſſenen Hauffen allenthalben durch zubre-
chen gewohnt waren; zohen jene den Kuͤrtzern/
und blieben zwey Fuͤrſten der Lygier mit acht
tauſend Kriegs-Leuten auf der Wallſtatt. Wor-
auf ſie ſich in ihre Waͤlder verkrochen/ ihre ei-
gene Doͤrffer anzuͤndeten/ dem Feinde die Le-
bens-Mittel abzuſchneiden/ und nur durch
vielfaͤltige Einfaͤlle ihren Feind ermuͤdeten.
Weil nun die Lygier durch keine Kriegs-Liſt
aus ihrem Vortheil zu locken waren; rieth
Vannius mit der groͤſten Macht bey den Na-
harvalen einzudringen/ weil alle dieſe Voͤlcker
mit denen angraͤntzenden Peucinen bey der
Stadt Carrodun in einem hochheiligen Heyne
zwey Juͤnglinge/ wie die Griechen den Caſtor
und Pollux Goͤttlich verehrten; welches der ge-
meinen Meinung nach zwey ver goͤtterte Fuͤr-
ſten der Marſinger und Lygier geweſt/ und
zwar in einer Schlacht von den einbrechenden
Scythen erſchlagen/ gleich wol aber dieſe bey ih-
rem blutigen Siege von jenen derogeſtalt ge-
ſchwaͤchet worden ſeyn ſollen: daß ſie mit Furcht
und Schrecken ſich wieder uͤber den Fluß Ta-
nais gefluͤchtet/ und zur Beute nichts/ als viel
Saͤcke abgeſchnittener Ohren zuruͤcke gebracht;
hingegen wol hundert tauſend Menſchen im
Stiche gelaſſen haͤtten. Gleichwol aber wuͤrden
dieſe heiligen Helden in keinem Bildnuͤſſe ver-
ehret. Der Prieſter dieſes Heiligthums verrich-
tete die Opffer nach Art der Aſſyriſchen Venus-
Prieſter in Weibes-Kleidern; welche dieſer
zweyen Fuͤrſten Mutter getragen haben ſoll/
und zugleich alldar verehret wird. Weil dieſer
Heyn nun ihr groͤſtes Heiligthum iſt; kein Ding
aber auf der Welt ehe als Aber glauben menſch-
liche Gemuͤther zu verzweifelten Entſchluͤſſun-
gen bringet; wuͤrden dieſe Voͤlcker bey fuͤrge-
nommener Ausrottung dieſes Heyns zweiffels-
frey
[1141[1143]]Arminius und Thußnelda.
frey ihr euſſerſtes thun/ ſolches zu verwehren.
Marbod wolte zwar in die Verunehrung dieſes
Heiligthums nicht ſtimmen; weil die Entwei-
hung des fremden/ ja auch ſo gar des gantz fal-
ſchen Gottesdienſtes/ als welcher ja beſſer/ als
gar keiner waͤre/ mehrmahls von Gott ſchreck-
lich waͤre beſtrafft worden; ſo ließ er doch allent-
halben die Bauern des Landes feſte machen/ vor-
gebende dieſen an der Weichſel gelegenen Heyn
mit Strumpff und Stiel auszurotten; derer
aber ein gutes Theil wieder mit Fleiß entkom-
men: wormit diß Vorhaben allenthalben ruch-
bar wuͤrde. Es iſt unglaublich/ wie diß Geſchrey
ſo geſchwinde alle Wuͤſteneyen durchdrungen/
und wie es die Lygier ſo geſchwinde nach Car-
rodun gezogen. Unter allen dieſen verbitterten
Voͤlckern waren am grauſamſten die Arier an-
zuſehen/ derer Augen fuͤr Rache gluͤheten/ die
Rieſen-Leiber mit abſcheulichen Merckmahlen
blutig bezeichnet/ und alle mit kohlſchwartzen
Schilden verſehen waren. Sie erkieſeten zu ih-
rem Angrieffe ihrer Gewonheit nach die trau-
rige Nacht/ und begleiteten ihn mit einem er-
baͤrmlichen Geheule. Wiewol nun Marbod
ſein Heer auffs vortheilhaffteſte geſtellt; ein ge-
uͤbtes Kriegs-Heer an Kriegs-Wiſſenſchaft und
den Waffen ja vom Orte/ der Lufft und dem
aufgehenden Mohnden fuͤr den Lygiern einen
groſſen Vortheil hatte; ſo begonte doch unter-
ſchiedene mahl ſeine Schlacht-Ordnung zu
wancken. Denn die Lygier kaͤmpfften mehr/ als
menſchlich/ und gichtiger/ als wilde oder gifftige
Thiere; lehrten alſo den Marbod: daß wie der
beleidigte Gottesdienſt die grimmigften Ge-
muͤths-Entſchluͤſſungen nach ſich zeucht; die
Verzweifelung auch die feigeſten behertzt macht;
alſo der groͤſte Fehler/ und die aͤrgſte Gefahr ſey
im erſten einem Volcke ans Hertze greiffen; und
mit einem verzweiffelten Feinde treffen. Das
Morden und Blutſtuͤrtzen war ſo grauſam; das
Geheule der Streitenden/ und das Winſeln der
Sterbenden ſo erbaͤrmlich: daß der Monde ſich
anfangs gantz blutroth faͤrbte; gleich als ſelbter
zugleich von ſo viel verſpritztem Blute befleckt
wuͤrde/ hernach aber ſich mit einer dicken Wol-
cken verhuͤllte/ gleichſam ſeine Augen fuͤr ſo viel
traurigen Todesverſtellungen zu verſchluͤſſen/
theils fuͤr ſo viel Wehklagen ſeine mitleidende
Ohren zu verſtopffen. Koͤnig Marbod ſelbſt ge-
rieth zwiſchen einen Hauffen raſender Arier;
welche zwoͤlff ſeiner um ſich habender Marck-
maͤñiſcher Ritter in Stuͤcken hieben; und waͤre
es um ihn gethan geweſt; wenn nicht Vannius/
Thurn und Poſadof ein Buriſcher Ritter mit
etlichen Reiſigen ihm zu Huͤlffe kommen waͤren;
und dem zu Fuſſe fechtenden Marbod wieder zu
Pferde geholffen; ja Vannius/ weil ihm der
Schild zerſpalten war/ mit ſeinem Arme/ einen
auf den Marbod von dem Fuͤrſten der ſchwar-
tzen Arier/ Siebenhertz geneñt/ gefuͤhrten hefti-
gen Streich aufgefangen haͤtte; woruͤber Van-
nius denn ſelbſt ohnmaͤchtig zu Bodem ſanck.
Endlich entſetzte ihn voͤllig Kunrad ein Fuͤrſt der
Marſinger mit fuͤnff hundert Edelleuten; dar-
unter einer dem Fuͤrſten Siebenhertz anfangs
ſeine Baͤren-Haut mit einem groſſen gelben
Horne vom Kopfe rieß; hernach ihm ſelbten gar
zerſpaltete; weßwegen ihm Koͤnig Marbod das
gelbe Horn nicht nur zu ſeinem Schilde/ ſon-
dern auch zu ſeinem Geſchlechts-Nahmen zu
fuͤhren verlieh. Ein ander Marſinger begegne-
te dem herzudringenden Fuͤrſten der Naharva-
ler dergeſtalt: daß er ihm mit ſeinem uͤber den
Kopff abhaͤngenden Baͤren-Tatzen den halben
Schild abhieb; hernach ihm einen Pfeil recht
durch den Mund zum Nacken heraus ſchoß;
welchem Marbod die Baͤren-Klauen im Schil-
de zu fuͤhren/ und den Nahmen Pfeil gab. Hier-
uͤber begonte es zu tagen/ und die Sterne zu er-
blaſſen; zugleich auch der Vortheil der Lygier zu
verſchwinden/ und der Marckmaͤnner zuzu-
nehmen; Gleich als wenn das Goͤttliche Ver-
haͤngnuͤs dieſen Voͤlckern den Tag/ jenen die
Nacht zum Obſiege eingetheilt haͤtte. Den Ly-
giern war mit Hinfallung ihres Fuͤrſten/ und
Zertrennung der Arier auch guten Theils das
E e e e e e e 3Hertze
[1142[1144]]Siebendes Buch
Hertze entfallen; die Marckmaͤnner konten ſich
beſſer beſehen; und alſo fielen der Ritter Ber-
cka/ Schaf/ und Promnitz auff beyden Seiten
denen wie eine Mauer noch unbeweglich-ſte-
henden Helvekenen und Elyſiern mit ihrem
Reiſtgen-Zeuge ein: daß alle Lygier gegen den
Mittag in offenbare Flucht geriethen; wiewol
mehr als die Helffte Fuß fuͤr Fuß fechtende auf
dem Platze todt blieb; der vierdte Theil und
darunter ſieben Fuͤrſten gefangen wurden/ und
kaum ein vierdtes Theil in die Laͤnder entran.
Alſo uͤber waͤltigte Marbod/ wiewol mit Ver-
luſt/ zwoͤlff tauſend ſtreitbarer Krieges-Leute die
Lygier/ Logionen/ und Burgundier/ welche ſich
biß auf dieſen Tag geruͤhmt hatten: daß kein
Feind noch gegen ihre gleich ſam hoͤlliſche Ge-
ſichter ſtehen koͤnnen; ſondern ſie mit ihrem bloſ-
ſen Anblicke ſchon den halben/ mit ihren
Schwerdtern allezeit den voͤlligen Sieg erlan-
get haͤtten. Vannius ward mit Marbods
hoͤchſter Bekuͤmmernuͤs fuͤr todt von der Wall-
ſtatt auffgehoben; endlich aber durch Erquik-
kungen wieder zum Athmen/ und endlich durch
Aderlaſſen; weil das Gebluͤte wegen verhinder-
ter Umkreiſſung das Hertze erſtecken wolte/ zu
Kraͤfften gebracht. Koͤnig Marbod ruͤckte noch
ſelbigen Tagfuͤr die an der Weichſel auff einem
Berge liegende Feſtung Carrodun; darinnen
die Hertzogin der Naharvaler Hermegild des
Longobardiſchen Fuͤrſten Tochter ſelbſt ihr Eh-
Herr in der Schlacht erſchlagen; ihre zwey
Soͤhne aber gefangen waren. Weil nun der
Ort feſte; ließ Marbod ſelbten mit Bedraͤuung:
daß er bey verweigerter Aufgabe der Fuͤrſtin
Soͤhne um Carrodun zu tode ſchleiffen/ und den
Hunden fuͤrwerffen wolte/ auffordern. Die
Fuͤrſtin ließ anfangs dem Marbod zur Ant-
wort wiſſen: der Hunde Magen waͤre ein edler
Grab ihrer Soͤhne/ als todter Marmel. Und
als er einen Knecht in der Tracht eines ihrer
Soͤhne um die Stadt ſchleiffen ließ; ſchickte ſie
ihm einen Korb voll Roſen her aus/ und ließ ihm
entbieten: Er moͤchte doch darmit ihres Soh-
nes Leiche beſtreuen laſſen/ um zu ſchauen: Ob
die Naharvaliſchen Blumen ſo kraͤfftig/ als die
Trojaniſchen waͤren/ wormit Venus Hectors
Leiche fuͤr Zerreiſſung der Hunde beſchirmet
haben ſolte. Endlich erſuchte ſie den Marbod:
er moͤchte auff gutes Vertrauen mit ihr ſelbſt
die Bedingungen der Ubergabe zu ſchluͤſſen be-
lieben; und ſich dem euſſerſten Thurme naͤ-
hern; darauff ſie bey Fuͤrſtlichen treuen Wor-
ten alleine erſcheinen wolte. Marbod/ wel-
cher dieſe Fuͤrſtin ihrer Großmuͤthigkeit halber
ſehr hatte ruͤhmen hoͤren/ kam/ ungeachtet alles
Wiederrathens/ an denſelben thurn; da er deñ
von ihr allein die Bitte vernahm: er moͤchte ſie
mit der Leiche ihres Eh-Herꝛn beſchencken.
Marbod ſagte: Sie ſolte diß und alle Hoͤflig-
keit bey Ubergebung der Stadt erlangen. Sie
aber antwortete lachende: Es waͤre eine groſſe
Thorheit die Todten mit Lebenden verwechſeln;
in dem ein Feind zwar dieſen Schaden/ jenen
aber kein Haar mehr kruͤmmen koͤnte. Marbod
fuhr fort: So wolte er denn ihre Soͤhne in ih-
rem Geſichte abſchlachten laſſen. Sie lachte
abermahls/ entbloͤſte ihren Untertheil des Lei-
bes/ und ſagte: Siehe Marbod: daß die Werck-
ſtadt mehrer Soͤhne hier noch gantz unverletzt
ſey. Marbod wendete ſchamroth das Pferd
um/ kehrte ſpornſtreichs zuruͤck; und befahl mit
allen Kraͤfften die Belaͤgerung zu befoͤrdern.
Wiewol nun die Mauerbrecher wegen der
Hoͤhe nicht zu brauchen waren; ſo drangen die
Marckmaͤnner doch durch Untergrabung in
die Stadt. Die Fuͤrſtin zohe ſich hierauf mit
dem Kriegs-Volcke in das Schloß; und ließ
unter die Eroberer dreyhundert wilde Schwei-
ne loß; mit welchen ſie ihnen genung zu thun
machte/ und inzwiſchen alles ihr Volck ſicher in
das Schloß brachte. Aber dieſe wilden Thiere
wurden auch bald gefaͤllet; und hiervon zehen
Rittern der Nahme Schweinitz zugeeignet;
folgends von dem Ritter Thurn/ der ihm die ſei-
nes
[1143[1145]]Arminius und Thußnelda.
nes wegen gleichmaͤßiger Erſteigung erlang-
ten Nahmens Ehre ausbat/ das Schloß
uͤbermeiſtert. Ja ob ſich wol die Fuͤrſtin der
Naharvaler/ wie Asdrubals Gemahlin zu Car-
thago/ aus dem Fenſter in Graben ſtuͤrtzte;
brach ſie doch nur einen Schenckel; ward alſo
wieder ihren Willen aufgehoben und geheilet.
Wormit aber der kluge Marbod nicht ſo wol
der Naharvaler Mauern/ als ihre Hertzen ero-
berte/ ließ er mit unglaublicher Muͤhe auff dem
Bojiſchen Gebuͤrge tauſend der groͤſten Lier-
Baͤume ausheben/ und ſelbte rings um der Na-
harvaler heiligen Heyn ſetzen. Denn er wuſte
wol: daß das Schiff eines Reiches nicht feſte ſte-
hen koͤnte/ wenn es nicht der eingeſenckte An-
cker der wahren/ oder wenigſtens der angenom-
menen Gottesfurcht hielte. Alleine diß war
nicht ſo wol ein Geſchencke Marbods/ als der
Naharvaler ſelbſt; welche unſaͤglich viel
Schweiß nicht ſo wol der daſelbſt angebeteten
Gottheit/ als Marbods Ehrſucht und Heuche-
ley opfferten. Dieſemnach denn die Andacht
und Freygebigkeit/ wie auch alle dieſelben Opf-
fer/ welche Fuͤrſten fuͤr erwuͤrgte Menſchen
von dem aus gepreßten Schweiß und Blute der
Uberwundenen GOtt zu bringen pflegen/ kei-
ne geringere Flecken an ſich kleben haben/ als
das von der Phryne in den Grichiſchen Tem-
pel gewiedmete goldene Bild/ welches Crates
gar recht ein Sieges-Zeichen der Grichiſchen
Unmaͤßigkeit hieß. Koͤnig Marbod aber hatte
kaum diß Werck vollbracht; als er Nachricht
bekam: daß die zwiſchen den Brunnen der Oder
und der Weichſel wohnenden Gothinen; derer
Sprache anzeiget: daß ſie von den Galliern ih-
ren Uhrſprung haben/ auf Verleitung der Ly-
gier nicht nur im Anzuge waͤren; ſondern auch
der Cheruskiſche uͤber die Quaden zwiſchen der
Donau/ dem Bojiſchen- und Mohnden-Ge-
buͤrge geſetzte Stadthalter/ maͤchtige Krieges-
Ruͤſtungen machte; und weil ohne diß der Che-
ruskiſche Feldherꝛ Segimer ſeinen Feind den
Fuͤrſten Jubil bey ſich hielte/ und den Marck-
maͤnneꝛn wenig hold waͤre/ ſolche nicht unbillich
gegen ihm angeſehen zu ſeyn ſchiene. Dieſem-
nach ſchickte er den Vannius mit zwoͤlff tau-
ſend Kriegs-Leuten den Gothinen entgegen;
welcher ſich in einen Wald verſteckte/ die darein
ſonder einige Furcht und Vorſicht ruͤckende
Feinde auf allen Seiten uͤberfiel und mit ihrem
Fuͤrſten auffs Haupt erlegte; hierauf ein Theil
ſeines Volckes in der erſchlagenen Gothinen
Roͤcke verkleidete/ und den Ritter Oppersdorff
darmit gegen die bey dem Brunnen der Oder
gelegene Stadt Parienna ſchickte/ und ſelbte
unter dem Scheine: daß ſie darein von dem
Hertzoge zur Beſatzung geſchickt wuͤrden/ ohne
Wiederſtand eroberte. Vannius ſelbſt durch-
ſtreiffte das gantze Land/ und bemaͤchtigte ſich
etlicher feſten Plaͤtze. Jnzwiſchen demuͤthigten
ſich die uͤbrigen Lygier/ Logionen und Burgun-
dier unter die Siegs-Hand des mit den dreyen
Herren ihnen im Hertzen ſtehenden Koͤnigs
Marbod; leiſteten gegen Beſtetigung ihrer al-
ten Rechte ihm den Eyd der Treue; und ver-
ſicherten ihn im Wercke zu bezeugen: daß zwi-
ſchen Sieger und Beſiegten niemahls die Ver-
traͤuligkeit feſter klebte/ als wenn ſie vorher aufs
euſſerſte ihre Kraͤfften gegen einander gepruͤfet
haͤtten. Koͤnig Marbod ſchlug eine groſſe An-
zahl derer/ die in dieſem Kriege ſich tapffer ge-
halten hatten; und darunter Seidlitzen/ Gerß-
dorffen/ Pritwitzen/ Stoſchen/ Rohren/ Zed-
litzen/ Schmoltzen/ Kitlitzen/ Bocken/ Hauwi-
tzen/ Pogrellen/ Retſchin/ Hund/ Tſchammer/
Abſchatz/ Roͤder/ Schoͤneych/ Schindel/ Muͤl-
heim/ Dier/ Braun/ Gafron/ Ratzbar/ Heyde/
Logau/ Strachwitz/ Borſchnitz/ Waldau/ Leſt-
witz/ Hocke/ Studnitz/ Baruth/ Niemitz/
Nimptſchen/ und noch viel andere Marſinger
und Marckmaͤnner zu Rittern; ließ durch ſei-
ne Kriegs-Oberſten ſich aller vortheilhafften
Plaͤtze/ beſonders an der Weichſel gegen die
Sarmater auffs beſte verſichern/ er aber ruͤckte
mit
[1144[1146]]Siebendes Buch
mit einem maͤchtigen Heere in der Gothiner
Gebiete/ darinnen er zu voͤlliger Uberwindung
dieſer ohne diß zur Dienſtbarkeit geneigten/ und
theils den Sarmaten/ theils den Quaden Zinß-
gebender Voͤlcker wenig zu thun fand; weil
Vannius das meiſte ſchwere gethan/ den Ruhm
aber alleine fuͤr ſeinen Koͤnig aufgehoben hatte.
Marbod ruͤhmte dieſe ungemeine Dienſte des
Vannius/ und fragte: welcher Geſtalt er ſie ge-
gen ihm durch Danckbarkeit ausgegleicht
wuͤnſchte. Vannius fieng hieruͤber an zu ſeuff-
zen; meldende: ſein Wunſch uͤberſteige die Be-
ſcheidenheit eines ſchlechten Dieners; wiewol
nicht das Vermoͤgen eines ſo groſſen Koͤniges;
und daher wolte er lieber ſeinen Begierden/ als
ſeiner verbindlichen Erniedrigung etwas ab-
brechen; weil doch die Sache ſo groß waͤre; die
er ihm nicht zuzumuthen traute/ wenn er ſchon
zehnmahl ſo viel Verdienſte fuͤr ſich anzuziehen
haͤtte. Marbod aber antwortete: Er haͤtte dem
Vannius nicht nur viel Siege/ ſondern auch et-
liche mahl das Leben zu dancken; alſo ſolte er es
kuͤhnlich begehren; wormit er ſein eigen Gemuͤ-
the erleichterte/ ihn/ den Koͤnig aber einer ſo
groſſen Schuld entladete. Vannius eroͤffnete
hierauf: Er waͤre aus dem edlen Geſchlechte
des Fuͤrſten Tuder/ des beruͤhmten Koͤniges der
Quaden. Vom Verhaͤngnuͤſſe ruͤhrte her: daß
die Cherusker die Ober-Herꝛſchafft an ſich ge-
riſſen haͤtten; die Quaden aber durch die haͤuffig
in ihr Land gefuͤhrte Schwaben gleichſam waͤ-
ren zu Knechten gemacht worden. Sein Vater
haͤtte zwar bey dem langen Buͤrgerlichen Krie-
ge ſich mehrmahls bemuͤht die unter dem Joche
lechſenden Quaden in ihre alte Freyheit zu ſez-
zen; und er ſelbſt ſich zweymahl ins geheim hin-
ein gewagt; alleine beyder Anſchlaͤge waͤren al-
lemahl durch ſeltzame Zufaͤlle zu Waſſer wor-
den. Wenn ihm nun Koͤnig Marbod ein Theil
ſeines Krieges-Volckes verleihen wolte/ waͤre
er entſchloſſen anitzt/ da die Cherusker ander-
werts alle Haͤnde voll zu thun/ den Druſus auf
dem Nacken haͤtten durch der Marckmaͤnner
Siege die Macht der Cherusker auch von den
Quaden gantz abgeſchnitten waͤren/ ſein Heil in
Eroberung ſeines vaͤterlichen Reiches zu ver-
ſuchen. Er haͤtte bereit etliche vertraͤuliche
Quaden an ſich gezogen; die ihm die ſchlechte
Verfaſſung der Cherusker/ die Abneigung/
welche die bedraͤngten Quaden von ihnen haͤt-
ten/ eroͤffnet/ und zu einem leichten Obſiege
groſſe Hoffnung machten. Koͤnig Marbod
umarmte den Vannius/ hieß ihn ſeinen Bru-
der/ bot ihm alle Kriegs-Macht/ ja ſich ſelbſt
zum Gefaͤrthen an/ wenn nicht Vannius ſelbſt
ſeinem Anſchlage dienlicher/ ſeiner Tapfferkeit
ruͤhmlicher hielte: daß er nur alleine in das Ge-
biete der Quaden/ als ihr rechtmaͤßiger Koͤnig/
einbraͤche. Vannius drang hierauf mit dreiſ-
ſig tauſend Mann uͤber das von vielem Eiſen-
Bergwerck beruͤhmte Monden-Gebuͤrge/ in
welchem die Gothiner/ als Leibeigene/ den Qua-
den arbeiten muͤſſen. Der Wiederſtand war
ſchlecht/ weil er ſeine Feinde durch eine Kriegs-
Liſt auf einen andern Ort verleitet hatte. Er
nahm die am Marus-Strome unter dem Ge-
buͤrge in einer fruchtbaren Flaͤche gelegene
Stadt Eburan zwar mit Sturm ein/ ließ aber
keinem Quaden weder an Leibe noch Guͤtern
das geringſte Leid anthun/ ſondeꝛn ſich fuͤr einen
Enckel des Fuͤrſten Tuder/ fuͤr einen Koͤnig der
Quaden ausblaſen/ welcher mit ſeiner Kriegs-
Macht nicht ſie zu beſchaͤdigen/ ſondern aus der
Cheruskiſchen Dienſtbarkeit zu retten dahin
kommen waͤre. Er toͤdtete alle Cherusker/ und
ſetzte lauter Quaden in die Aempter. Marbod
ließ daſelbſt ſich auch erklaͤren: daß er an die
Quaden keinen Anſpruch/ ſondern ihrem recht-
maͤßigen Fuͤrſten nur dieſe Huͤlffs-Voͤlcker ver-
liehen haͤtte/ die er alſobald wieder abfordern
wuͤrde; wenn er die Quaden zu ihrer Freyheit
gebracht. Vannius/ weil er vernahm: daß der
Feind bey Eburodun eine Macht verſam̃lete;
wolte keine Zeit verſpielen/ ruͤckte alſo in zwey
Tagen
[1145[1147]]Arminius und Thußnelda.
Tagen dahin; inzwiſchen breitete ſich der Ruff
von des Vannius Fuͤrhaben durch das gantze
Land aus; alſo: daß nach dem der Ritter Ziero-
tin mit ſeinem Bortrabe ſechstauſend Cherus-
ker und Schwaben geſchlagen hatte; die bey E-
burodun verſammleten Quaden auf Anſtifften
eines von Eburum dahin vom Vannius ge-
ſchickten Edelmanns Choltitz/ die Cheruskiſchen
Befehlhaber verlieſſen/ und zum Vannius uͤ-
bergiengen; Die Cherusker und Schwaben a-
ber theils in die Stadt und nahe darbey auf ei-
nem Felſen liegende Feſtung ſich veꝛſtecken mu-
ſten. Gleichwol entſchloß ſich Vannius mit
der Helffte ſeines Heeres ſelbte zu belaͤgern; mit
der andern Helffte aber fortzuruͤcken/ und die
Verſamlung der zertheilten Feinde zu hindern.
Die Ritter Loſenſtein/ Wuͤrben/ Schlick/
Traun und Polheim waren die Kriegshaͤupter
der Belaͤgerer/ Hardeck/ Rothal/ Schlawata/
und Windiſch-Graͤtz der Belaͤgerten. Wie
hartnaͤckicht ſie nun gleich dieſe Stadt und
Schloß vertheidigten/ ſo giengen doch alle
Nacht viel Quaden zu den Marckmaͤnnern uͤ-
ber/ alldar ſie auffs freundlichſte aufgenommen
wurden/ hingegen den Belaͤgerern alle Heim-
ligkeiten entdeckten. Dahero denn/ weil dieſe
durch einen unter irrdiſchen Gang fuͤnff hun-
dert Mann in die Stadt ſpielten/ die Quadi-
ſchen Einwohner auch ſelbſt wieder die Beſaz-
zung die Waffen ergrieffen/ die Stadt leicht
ſtuͤrmender Hand erobert/ Schlawata und
Windiſch-Graͤtz ſelbſt toͤdtlich verwundet wur-
den. Vannius aber ruͤckte ſonder einigen Wie-
derſtand biß nach Medoslamium fort/ allwo
Segeſthes oder Sieg-Aſt der Caßuarier Her-
tzog als Oberſter Stadthalter des Feldherꝛn
Segimers/ vom Fluſſe Narus/ als dem da-
mahls euſſerſten Ende des Quadiſchen Reiches/
alle Macht verſamlet hatte. Die Quaden aber
verlieſſen ihn eben ſo wol groſſen Theils; alſo:
daß Vannius ſonder groſſen Verluſt den Feind
aus dem Felde ſchlug/ den Segeſthes ſelbſt ge-
fangen bekam; die Staͤdte Medoslamium und
Celemantia an dem Fluſſe Teja ihm die Schluͤſ-
ſel entgegen ſchickten; die Schwaben auch ſelbſt
ſich dem Vannius ergaben; die fluͤchtigen Che-
rusker aber nirgends hin/ als nach Carnunt an
der Donau zu entkommen wuſten; welche maͤch-
tige Stadt ſich unter der Roͤmer Schutz frey-
willig begeben hatte; als Tiberius mit Huͤlffe
der Skor disker ſo tieff bey denen Pannoniern
eingebrochen war. Weßwegen der Roͤmiſche
Land-Pflegeꝛ zu dem Vannius ſchickte/ und ihn
bedreulich aus dem Quadiſchen Gebiete/ weß-
wegen die Roͤmer mit den Cheruskern in Buͤnd-
nuͤs ſtuͤnden/ zu weichen eꝛmahnen ließ; welchem
Vannius/ nach eingeholetem Rathe des Koͤnigs
Marbod/ antwortete: Die Roͤmer haͤtten ihm
in ſeinem vaͤterlichen Reiche ſo wenig/ als er ih-
nen zu Rom Geſetze fuͤr zuſchreiben/ und er haͤtte
an dem Koͤnige Marbod einen maͤchtigern
Bunds genoſſen/ als die Cherusker an den Roͤ-
mern. Weil nun die Roͤmer zu Carnunt zwar
einen Fuß/ aber keinen Nachdruck hatten/ un-
terdeß aber die Feindſchafft zwiſchen dem Se-
gimer und Druſus ruchbar ward; machte ſich
Vannius zum voͤlligen Oberhaupte der Qua-
den/ und beſtieg mit groſſem Frolocken den
Stul des groſſen Koͤniges Tuder.
Alſo hat das Verhaͤngnuͤs gleichſam ſein
Spiel mit Veraͤnderung der Herꝛſchafften; und
ergetzet ſich an Erhebung eines unter gedruͤck-
ten/ und an Abſtuͤrtzung eines empor geſtie genen
Geſchlechtes/ welches aber mit der Zeit nach
dem Beyſpiele eines ſich umwendenden Rades
wieder in die Hoͤhe ſteigt; und laſſen ſich alle der
Herꝛſchafft gewohnte Staͤmme ſchwerer/ als
Dornen ausrotten. Denn wenn ſelbte gleich
aus bitterſtem Haſſe des Volckes verſtoſſen/
auch ſie mit groſſer Blutſtuͤrtzung vertilgt wer-
den/ bleibt doch noch ins gemein ein verbor-
gener Kaͤum uͤbrig/ welchen das Volck her-
nach ſo begierig wieder pfleget/ als es vor-
her ſeinen Stamm beſchaͤdigt hatte/ entwe-
der weil es ſich durch Erkieſung neuer Her-
ren ſelten verbeſſert ſieht; oder weil die
Erſter Theil. F f f f f f fZeit
[1146[1148]]Siebendes Buch
Zeit ſo wol die Gramſchafft/ als unreiffe Fruͤch-
te verſuͤſſet; auch gehabte und kuͤnfftige Fuͤrſten
uns alle zeit beſſeꝛ/ als die gegenwaͤrtigen zu ſeyn
duͤncken.
Vannius war kaum fertig/ als er vom Koͤni-
ge Marbod Nachricht erhielt: daß Druſus mit
groſſer Kriegs-Macht uͤber den Rhein geſetzt/
und wieder die Sicambrer und Catten bereit
ziemlichen Vortheil erlangt haͤtte. Weil nun
die Laͤnder/ zwiſchen der Saale und Elbe der
meiſten Kriegs-Macht entbloͤſt/ einem ſo liſti-
gen Feinde aber nicht zu trauen waͤre; Gleich-
wol aber er aus den Lygiern ſein Heer nicht ſo
bald daſelbſt hinziehen koͤnte; erſuchte er ihn mit
ſeinen entpehrlichen Voͤlckern geraden Weges
durch das Bojiſche Reich zu Beſchirmung der
Hermunduriſchen Graͤntzen zu eilen. Vanni-
us ſtellte bey den Quaden alles in gute Sicher-
heit/ und kam mit zwantzig tauſend Marck-
maͤnnern und Quaden an die Sale. Weil er
nun vernahm: daß Druſus ſeinen Zug recht ge-
gen die Hermundurer einrichtete/ verſtaͤndigte
er es den Koͤnig Marbod/ der mit ſeinem Heere
bereit biß zu den Semnonern kommen war.
Dieſer eilte Tag und Nacht/ und ſtieß den Tag
vorher/ ehe man des Druſus Vortrab aus puͤr-
te/ bey dem Hermunduriſchen Saltz-See zum
Vannius. Weil nun Druſus ihnen nicht ge-
wachſen war/ gab er gute Worte/ beſchenckte
beyde Koͤnige/ machte mit ihnen Freundſchafft
und Bindnuͤs/ und richtete ſeinen Weg gegen
die Cherusker; allwo er aber den Ruhm ſeiner
vorigen Siege und zugleich ſein Leben ein-
buͤſte.
Weil nun Auguſtus den dem Druſus ange-
thanen Spott zuraͤchen/ den Tiberius Nero a-
bermahls mit Kriegs-Macht uͤber den Rhein/
den Sentius Saturninus aber in Pannonien
ſchickte/ jener zwar hin und wieder ſtreiffte/ aber
nichts hauptſaͤchliches ausrichtete/ noch ein
Haupt-Treffen wagen wolte/ und alſo ſo gut er
konte Frieden machte; wiewol ihn der Kayſer
deßwegen an ſtatt des Druſus zum Sohne an-
nahm/ und ihm die Wuͤrde eines Feld-Herꝛn
zueignete/ dieſer aber nach etlichen wieder die
von den Quaden nunmehr Huͤlff-loß gelaſſene
Pannonier erlangten Vortheilen zum Land-
Vogte in dem von den Roͤmern beſeſſenen
Deutſchlande gemacht ward; kriegte Koͤnig
Marbod Lufft und Gelegenheit ſich der uͤbri-
gen zwiſchen der Weichſel und Elbe gelegenen
Voͤlckern vollends zu bemaͤchtigen.
Es war der auf beyden Seiten der Weichſel
und an dem Schwaͤbiſchen Oſt-Meere gelege-
nen Gothaner/ Eſtier und Lemovier Hertzog
Arnold/ des Mauritaniſchen Koͤnigs Bojud
Schweſter-Sohn. Denn ſein Vater Ehren-
fried/ als damahls ein abgefundener Herꝛ/ hatte
mit denen Africaniſchen Kauf-Schiffen/ welche
nach Wisbye auf Gothland handeln/ und
wegen des Agſteins offt an dem Eſtiſchen See-
Ufer anlenden/ ſich in Mauritanien uͤberſetzen
laſſen; und in dem Treffen zwiſchen des Kay-
ſers Julius und des Pompejus Kriegs-Heeren
ſich nicht nur ſehr ritterlich bezeiget/ ſondern
auch dem alten Koͤnige Bojud das Leben erhal-
ten; weßwegen er ihm ſeine Tochter vermaͤh-
let/ und die Stadt Lix/ des Anteiſchen Rieſen
alte Wohnung/ an dem Fluſſe Lixus/ nebſt einer
ſehꝛ fruchtbaren Landſchafft einger aͤumet hatte/
in welcher ſo groſſe Weinſtoͤcke und Trauben
wachſen: daß die erſten zwey Maͤnner nicht
umarmen koͤnnen; die Weinbeeren aber Huͤner-
Eyern gleichen. Nach ſeines aͤlteſten Bruders
Tode aber erkieſete er doch fuͤr dieſem Luſtgar-
ten ſein raues Vaterland; zeugte daſelbſt mit
ihr unterſchiedene Kinder/ und ließ zum Erben
ſeiner Fuͤrſtenthuͤmer oberwehnten Hertzog Ar-
nold. Wie nun inzwiſchen Koͤnig Bogud den
ungluͤcklichen Zug in Hiſpanien dem Antonius
zu Liebe thaͤt; daſelbſt geſchlagen/ und hernach/
als die Tingitaner von ihm ab/ Bochus und
die Roͤmer ihn mit groſſer Macht uͤberfielen/
ſein gantzes Reich dem Sohne zu theile; ja er
endlich
[1147[1149]]Arminius und Thußnelda.
endlich ſelbſt vom Agrippa bey Methon erſchla-
gen ward; nahm Micipſa Bogudes Sohn mit
etlichen edlen Mohren zu ſeiner Schweſter uͤ-
ber das Meer in Deutſchland ſeine Zuflucht.
Dieſer als ein ſo naher Freund und geſchickter
Herꝛ/ ward nicht nur von ſeiner Schweſter E-
lißa/ ſondern auch von ihrem Sohne dem herꝛ-
ſchenden Fuͤrſten Arnold auffs freun dlichſte em-
pfangen/ und aufs beſte unterhalten. Dieſer Ar-
nold hatte des Sidiniſche Herzogs Tochter Ger-
trud zur Ehe/ eine Fuͤrſtin von unver gleichli-
cher Schoͤnheit. Weil nun ſeine Liebe gegen ihr
uͤbermaͤßig war/ konte ſie nichts/ als eine unge-
arthete Tochter gebaͤhren/ nemlich die Eyver-
ſucht; alſo: daß/ ob ſie zwar ſonſt alles hatte/ was
ihr Hertz verlangte/ ſie dennoch meiſt in der Ein-
ſamkeit/ gleich als in einem Kercker leben mu-
ſte. Gleichwol aber erlaubte er ihr wieder ſei-
ne Gewonheit ſeinen Vetter Micipſa mit allen
Ergetzligkeiten zu unterhalten. Es war kein
Jahr ſeiner Anweſenheit vorbey; als Gertrud
auf einmahl eine ſchneeweiſſe Tochter/ und ei-
nen braunen Sohn gebahr. Die Freude der
gluͤcklichen Geburt verwandelte ſich/ ſo bald
Gertrud dieſes Mohren-Kind anblickte/ in ein
ſolches Hertzeleid/ welchem die uͤberſtandenen
Geburts-Schmertzen nicht zu vergleichen wa-
ren/ und ſie wuͤrde es mit hundert mahl ſo viel
Wehen gerne in ihren muͤtterlichen Leib wieder
verſchloſſen haben/ als ſelbter es an das Tage-
licht gebracht hatte. Sie ſtuͤrtzte anfangs eine
See voll Thraͤnen/ und ihre Augen nicht min-
der Waſſer/ als ihr Leib Blut von ſich. Dieſes
Weinen verwandelte ſich in Seuffzer/ hernach
in ein Recheln/ und endlich in eine kalte Ohn-
macht. Jhre Gehuͤlffen hatten mit Kuͤhlen und
reiben eine Stunde zu thun/ ehe man wieder
ein Leben an ihr ſah. Wie ſie ſich nun endlich
wieder erholete/ fragte Hertzog Arnolds Mut-
ter nach der Urſache ihrer ſo ploͤtzlichen Veraͤn-
derung. Gertrud zeigte auf den fuͤr ihr liegen-
den ſchwartzen Sohn; gleich als wenn diß dem
ſchwartzen Tode aͤhnliche Kind ihr eine genung-
ſame Urſache ihrer Todes-Angſt andeutete. E-
lißa ſagte hier auf: bin ich doch ſelbſt/ und keines
der Kinder in Africa weiſſer/ als dieſes. Ger-
trud ſeuffzete/ und rieff allein mit verbrochenen
Worten: Ach! Arnold! Arnold! Elißa merckte
nunmehr: daß ſie wegen ihres Eyverſuͤchtigen
Ehherrns in Beyſorge ſtuͤnde; ſamt ſie bey ihm
in Verdacht einer mit dem Micipſa zugehal-
tenen Liebe verfallen wuͤrde. Dahero ermahnte
ſie ſie/ ihr keinen Kummer zu machen; ihrer bey-
der nahe Bluts-Freundſchafft/ ihre Tugend
und Treue waͤren genungſame Vorredner und
Zeugnuͤſſe ihrer Unſchuld. Arnold waͤre ſelbſt
der Mutter nach aus Mohriſchem Geſchlech-
te; da man denn Beyſpiele haͤtte: daß die Art
und Aehnligkeit der Groß-Eltern ſich erſt an
Kindes-Kindern herfuͤr thaͤte. Zu dem waͤre
die bloſſe Einbildung ſchwangerer Muͤtter ei-
ne ſeltzame Mahlerin und Bildſchnitzerin. Ei-
ne Mohriſche Koͤnigin haͤtte ſich an einem weiſ-
ſen Marmel-Bilde Andromedens verſehen:
daß ſie eine weiſſe Tochter gebohren. Eine
Fuͤrſtin der Eſtier haͤtte wegen eines ihr nach-
druͤcklich eingebildeten Baͤres/ den ſie auff der
Jagt erlegt/ einen gantz rauchen Sohn zur
Welt bracht. Ja es ſtimmten alle Naturkuͤn-
diger uͤberein: daß der Weiber hefftige Einbil-
dung in der ehlichen Beywohnung durch die
kraͤfftige Wuͤrckung der Seele ſich auch in die
euſſerliche Bildung der empfangenden Frucht
auszulaſſen maͤchtig; und dannenhero nichts
verdaͤchtiges waͤre: daß diß ihr Kind nach dem
Micipſa und andern um ſich habenden Moh-
ren waͤre gebildet worden. Gertrud/ nach dem
ſie durch einen hochbetheuerlichen Eyd bekraͤff-
tigt hatte: daß diß braune Kind Arnolds Sohn
waͤre; antwortete Elißen: Aller Verdacht lieſſe
ſich mit vernuͤnfftigen Gruͤnden ablehnen; was
aber die blinde Eyverſucht mit ihrem ſtincken-
den Atheme einmahl ſchwaͤrtzte/ koͤnte die voll-
kommenſte Unſchuld mit keiner Lauge noch
F f f f f f f 2Seiffe
[1148[1150]]Siebendes Buch
Seiffe wieder rein waſchen. Denn dieſes La-
ſter ſpeiſete ſich nichts minder mit des Ehweibes
Flecken; als die Kefer mit Miſt und Unflat. Ja
es waͤre gearthet/ wie gewiſſe Feigen/ welche
durch Zeugung eines beſondern Gewuͤrmes al-
ler erſt ſich reiff und vollkommen machten; und
die Eyverſucht meinte ſo denn den Purpur der
Tugend anzuhaben; wenn es ein unſchuldiges
Weib mit dem Geſchmeiße des Ehbruchs fuͤr
der Welt beſudelt und verdaͤchtig gemacht haͤt-
te. Der argwoͤhniſche Arnold haͤtte ſie ſonder
einigen Anlaß wie ein hundert aͤugichter Argos
bewachet; nunmehr wuͤrde bey ſo ſcheinbarem
Grunde ſie kein Ding auff der Welt von Ver-
dammung des Ehbruchs entſchuͤtten koͤnnen;
und ſie wolte durch ſelbſth aͤndige Verſpritzung
ihres Blutes ſeiner Rache ſelbſt gerne den
Dienſt des Nachrichters verrichten; ſie ſolten
nur ein Mittel erſinnen ihre Unſchuld und gu-
ten Nahmen bey der Nachwelt zu erhalten. E-
lißen/ und denen anweſenden drey andern edlen
Frauen fielen fuͤr Mitleiden ſo viel Thraͤnen
aus den Augen: daß ſie das beraͤhmte Kind haͤt-
ten daraus baden koͤnnen/ wenn nur ihr Saltz
eine genungſam ſcharffe Lauge abgaͤbe natuͤrli-
che Flecken des Leibes wie der Seele abzuwa-
ſchen. Weil aber diß vergebens war/ machten
ſie nach reiffer Berathung einen Schluß dem
Hertzoge nur die Geburt der weißen Tochter
zu eroͤffnen/ den ſchwartzen Sohn aber zu ver-
tuſchen/ und anderwerts erziehen zu laſſen; dar-
zu denn Leitholde die Hofmeiſterin eine Sidi-
niſche Edel-Frau ſchon Gelegenheit zu finden
verſprach. Dieſen Schluß eroͤffneten ſie der
Fuͤrſtin Gertrud; bey welcher nunmehr die Eh-
ren- und Mutter-Liebe einen innerlichen Krieg
anfieng; indem jene zu der Entfernung ihres
Kindes ſtimmte/ dieſe aber ſie nicht wolte ge-
ſchehen laſſen; weil uͤber die beforgten fremden
Zufaͤlle in Deutſchland auch unter Fuͤrſten
nicht nur ungewoͤhnlich iſt/ ſondern fuͤr eine
auch ſo gar wilden Thieren ungemeine Unart
gehalten wird; wenn eine Mutter ihr Kind
nicht mit eigenen Bruͤſten naͤhret; ſondern ſie
Maͤgden als Seug-Ammen hingiebet. Da-
her/ als Leitholde das Kind aus der Wiege
nahm und forttragen wolte; fieng die Fuͤrſtin
Gertrud uͤberlaut an zu ruffen: haltet und laſt
mir mein Kind ungeraubet; weil ich mich lieber
ſelbſt/ als diß mein anderes Mich/ das beſte
Theil meines Leibes und die einige Freude
meiner Seele verlieren will. Unterſtehet ihr
euch das Geſetze der Natur zu verletzen/ und
das unzertrennliche Band des Gemuͤthes und
der Liebe/ welches Eltern und Kinder verein-
bart/ zu zerſchneiden? Meinet ihr: daß eine
Mutter ihr zartes Kind aus den Augen laſſen
koͤnne/ ohne daß ſie es nicht zugleich aus dem
Hertzen verliere? Sintemahl der Zunder der
Mutter-Liebe durch die holden Anblicke ihrer
Augen vermehret wird; alſo nothwendig durch
ihre Entfernung verleſchen muß. Was iſts
vor ein Unterſcheid: Ob ich meines Kindes als
eines Todten/ oder als eines verſtoſſenen ver-
geſſe? wuͤrde mein Sohn mich kuͤnfftig des
Mutter-Nahmens zu wuͤrdigen Urſache/ oder
mich zu lieben Anlaß haben/ weil ich ihm die
Gelegenheit mich zu kennen/ und die Empfind-
ligkeit nach mir zu verlangen verſtricke? die er-
ſten Kaͤumen der angebohrnen Zuneigunger-
ſtecke/ wenn ich ſeinem Geſichte mein Antlitz/
ſeinen Ohren die lockende Mutter-Stimme/
ſeinem Fuͤhlen die hertzlichen Kuͤſſe/ ſeinem Ge-
ſchmacke die ſuͤſſe Mutter-Milch entziehe; und
alſo keiner ſeiner Sinnen den innerlichen Fun-
cken der Kinder-Liebe auffblaſen kan; als an
welcher die Einbild- und Angewoͤhnung faſt
mehr/ als die Natur Theil hat. Daher laſſet
ehe meinen Eh-Herꝛn mich toͤdten/ als daß ich
eine Kinder-Moͤrderin werde. Denn es iſt
beſſer tod ſeyn/ und das Kind nicht lieben koͤn-
nen/ als leben/ und es nicht lieben wollen. Die
Fuͤrſtin
[1149[1151]]Arminius und Thußnelda.
Fuͤrſtin Elißa redete ihr ein: Es waͤre verant-
wortlicher beyde/ als eines/ beym Leben erhal-
ten; auch die nothwendige Entfernung eines
Kindes nichts weniger als ein Todſchlag zu
nennen. Wie viel Kinder verlieren ihre Muͤtter
bald nach- oder auch fuͤr der Geburt; muͤſten al-
ſo nicht nur fremder Frauen/ ſondern zuweiln
gar wilder Thiere Bruͤſte ſaugen. Und ich/
verſetzte Gertrud/ ſoll meine Bruͤſte meinem
Kinde entziehen/ welche die barmhertzigen
Woͤlffe und Baͤren Menſchen verleihen? Keine
andere Noth kan Muͤtter dieſer ihrer Pflicht er-
laſſen/ als der Tod/ welcher freylich alle Ver-
bindligkeit nicht nur gegen Menſchen/ ſondern
gar gegen GOtt aufhebt. Sintemahl unſere
Leichen weder iemanden dienen/ noch GOtt
verehren koͤnnen. Auſſer dieſer Hindernuͤs aber
iſt die nur eine halbe Mutter/ welche zwar ge-
bieret/ aber nicht ſaͤuget. Denn mit was fuͤr
Gewiſſen kan ſie ſich weigern mit ihrer Milch
zu unterhalten/ was ſie lebendig fuͤr ſich und
nach ihrer Nahrung laͤcheln ſiehet; Da ſie nur
das unſichtbare mit ihrem Blute in ihren Ein-
geweiden ſpeiſete/ ehe ſie noch wuſte: Ob es ein
Kind oder eine Mißgeburt ſeyn wuͤrde. O ihr
grauſamen Halb-Muͤtter! meinet ihr: daß die
Natur euch die Bruͤſte nur zu Aepfeln der Wol-
luſt/ zu Lock-Voͤgeln der Geilheit/ zu unfrucht-
barer Zierde der Bruſt habe wachſen laſſen/
nicht vielmehr aber zu heiligen Lebens-Brun-
nen/ zu Wunder quellen/ fuͤr das noch ohnmaͤch-
tige menſchlichte Geſchlechte erſchaffen habe?
Meinet ihr: daß es keine der Natur angefuͤgte
Gewaltthat/ und weil es kein Wild thut/ ein
mehr als viehiſches Beginnen ſey/ wenn ihr
mit Binden und anderem abſcheulichen Zwan-
ge die Roͤhren dieſer Milch Quelle verſtopffet/
die muͤtterlichen Adern austrocknet/ und um
nur ſchoͤn und unverfallen zu bleiben/ das Ge-
bluͤte mit Gefahr des Lebens entweder erſtecket/
oder auf einen Abweg zwinget? Jſt es ein groſ-
ſer Unter ſcheid: Ob ihr in euren Bruͤſten/ oder
in eurem Leibe die Fruchtbarkeit hindert/ ob ihr
dort den Unterhalt/ oder hier den Anfang eines
Kindes toͤdtet/ und mit abſcheulichen Kuͤnſten
die empfangene Frucht/ weil ſie noch unter der
groſſen Kuͤnſtlerin der Natur Haͤnden und in
der Arbeit iſt/ abtreibet/ wormit euer glatter
Bauch nur nicht runtzlicht und abhaͤngend
werde/ und ihr keine Geburts-Schmertzen fuͤh-
let? Elißa brach ein: Sie moͤchte ihr ſo ſchwere
Gedancken uͤber dem nicht machen/ was nicht
nur die Erhaltung ihres Lebens/ ſondern auch
ihrer Ehre unvermeidlich erforderte; ja was
die guͤtige Natur mehr mahls ſelbſt zu thun kei-
ne Abſcheu haͤtte; wenn ſie entweder die Milch
in Bruͤſten verſaͤugen/ oder einigen keine zur
Saͤugung noͤthige Wartzen wachſen lieſſe. Die
gaͤntzliche Entziehung/ nicht aber die Verwech-
ſelung der Frauen-Milch waͤre unverant-
wortlich; und ihrem Sohne nichts daran gele-
gen: Ob ihn ſeine eigene/ oder eine andere
Mutter traͤnckte; ja ihm vielleicht dienlicher:
daß er anderwerts alleine einer gantzen Amme/
als hier einer halben Mutter genuͤſſe; Ger-
trud aber ihre muͤtterliche Freygebigkeit ſo viel
reichlicher gegen ihre Tochter mit Darreichung
beyder vollen Bruͤſte ausuͤben koͤnte; welche fuͤr
beyde Zwillinge eine zu ſparſame Speiſe-Mei-
ſterin abgeben doͤrffte. Nein/ nein/ antwortete
Gertrud. Darum hat die Natur nicht eine/ ſon-
dern zwey Bruͤſte wachſen laſſen: daß eine Mut-
ter mehr/ als ein Kind ſaͤugen koͤñe. Und die/ wel-
che Kraͤften gehabt hat/ in Mutter leibe mehꝛ/ als
eines mit ihrem Blute zu ſpeiſen/ darff an aus-
kom̃entlichem Milch-Vorrathe nicht zweifeln;
wo ſie die reichliche Verſorgerin die Natur nicht
zu einer kargen Stieff-Mutter machen will.
Da ſie nun mich mit dem Reichthume zweyer
Kinder/ mit der Fruchtbarkeit zweyer von
Milch ſtrutzender Bruͤſte begabet hat/ welche
durch ihr Stechen ihre Begierde meine
F f f f f f f 3Leibes-
[1150[1152]]Siebendes Buch
Leibes-Fruͤchte zu naͤhren eroͤffnen; wie mag
man meine Grauſamkeit mit dem Mangel
unfruch tbarer Weiber entſchuldigen? Verge-
bens muͤht ihr euch auch mir eines durch dieſen
Traum aufzubinden: daß die Natur fuͤr Kin-
der zwar die Nahrung/ aber nicht ſo genau ih-
rer Muͤtter erfordere. Warum geben dieſe fal-
ſche Ausleger der natuͤrlichen Geheimnuͤße
nicht auch fuͤr: es liege nichts daran/ in weſſen
Leibe/ oder aus weſſen Saamen Kinder zuſam-
men geronnen ſind? Sintemahl ja dieſer von
den Lebens-Geiſtern in den Bruͤſten weiß ge-
laͤuterte Safft eben das Blut iſt/ welches das
Kind in der Mutter genehret hat; welches die
weiſe Heb-Amme und Kinder-Waͤrterin die
Natur/ ſo bald ſie das Kind in Mutterleibe voll-
kommen gemacht hat/ mit unbegreiflicher Kunſt
in geheimen Roͤhren in das oberſte Theil der
Mutter empor zeucht; und zu der Gebohrnen
anſtaͤndigem Brod und Weine bereitet. Jſt es
aber nicht wahr: daß nicht alle Speiſen allen
ſchmecken/ oder geſund ſind? daß die Natur fuͤr
einem Getraͤncke dieſem einen Eckel/ jenem
darzu eine Luͤſternheit eingepflantzt hat? habt
ihr nie geſehen/ wie neugebohrne Kinder ins
gemein an fremden Bruͤſten nicht ſaugen wol-
len? Glaubet ihr nicht: daß wie die Krafft des
Elterlichen Saamens in den Kindern die
Aehnligkeit des Leibes und Gemuͤthes verur-
ſache; alſo die Mutter-Milch ihm ihre Eigen-
ſchafften einfloͤſſe. Machet doch die getrunckene
Schaf-Milch den Ziegen weichere Haare/ und
Ziegen-Milch bey den Schafen haͤrtere Wolle.
Der Safft der Erde/ welcher der Baͤume und
Pflantzen Milch iſt/ machet in Trauben/ in
Granat-Aepffeln/ und andern Fruͤchten einen
ſo groſſen Unterſcheid: daß niemand glauben
wuͤrde/ beydes ſey aus einerley Weinſtoͤcken/
Geſaͤme und Stauden entſproſſen. Warum
ſoll nicht auch die Milch einer unedlen/ einer an
Leibe oder Gemuͤthe ungeſunden Amme/ denen
berꝛlichẽ Eigenſchafften eines edlen Kindes Ab-
bruch thun? Wiſſet ihr wol eine vernuͤnfftigere
Urſache/ warum mehrmahls Fuͤrſtliche Kinder
ihren Helden-Vaͤtern/ ihren tugendhafften
Muͤttern/ mit keiner Ader aͤhnlich ſind/ auffzu-
finden; Als daß man ſelbte einer furchtſamen
Auslaͤnderin/ einer geilen Magd/ einer unge-
neußigen Amme zur Saͤugung uͤbergeben?
Leitholde hoͤrete dieſer aus muͤtterlicher Liebe
her aus ſtoſſenden Ungedult mit ſo viel mehr
Gedult zu; weil ſie wuſte: daß ſich undienliche
Quellen und hefftige Regungen nicht verſtopf-
fen lieſſen/ ſondern man ſie auf die Seite leiten
muͤſte. Daher hielt ſie ihr/ nach dem ſie ſelbſt
zu reden auf hoͤrte/ anfangs ein: daß ſie an ihrem
Sohne keine grauſamere Unbarmhertzigkeit/
als durch ihren verlangten Tod veruͤben koͤnte;
ja/ wenn ſie ſeine Entfernung hinderte/ wuͤrde
ſie ihren Ehgemahl zum Vater-Moͤrder ihres
Kindes machen; weil die Eyverſucht ihm deſſen
Hinrichtung als eine gerechte Rache/ und eine
ruhmbare Vertilgung einer unaͤchten Miß-
geburt fuͤrbilden wuͤrde. Was koͤnte aber
ſchrecklicher ſeyn/ als ſeines Kindes Scharff-
richterin werden/ und ſein Ehgemahl in ab-
ſcheuliche Laſter ſtuͤrtzen. Die Geſetze der Na-
tur waͤren wol heilig; aber dem goͤttlichen Ver-
haͤngnuͤße/ welches offt davon Abſaͤtze machte/
folgen/ noch heiliger. Die fuͤr ihren Sohn be-
ſtimmte Amme waͤre ihre eigene Tochter/ wel-
che/ wie auch ihr Ehmann/ Gertruden ſo wol
von Gemuͤthe/ als Gebluͤte bekandt waͤre; alſo
dieſer junge Fuͤrſt aus ihren Bruͤſten hoffent-
lich nichts/ was nach einer Magd oder Untu-
gend ruͤche/ ſaugen wuͤrde. Als Gertrud dieſen
Vorſchlag vernahm/ ſeuffzete ſie/ und gab ſich
endlich in der Anweſenden Willen/ iedoch legte
ſie vorher ihren Sohn an beyde Bruͤſte/ und ba-
dete ſelbten mit mehr Thraͤnen-Saltze/ als er
Milch aus dem reichen Vorrathe ihrer Bruͤſte
tranck; wormit ſie zum minſten durch dieſe er-
ſtere Nahrung ihrer Mutter-Pflicht etlicher
maſſen ein Genuͤgen thaͤte. Hierauff muſte
nur/
[1151[1153]]Arminius und Thußnelda.
nur/ wiewol mit euſſerſter Schwermuth und
einer halben Ohnmacht/ die Natur der Ver-
nunfft weichen/ und Gertrud ſich deꝛ ſuͤſſen Um-
armung ihres Sohnes entſchlagen/ um das
Kleinod ihrer Unſchuld und guten Nahmens
zu behalten/ ja ihr Kind lieber ſelbſt verlieren/
und Leitholden zur Entfernung uͤber reichen/ als
ſelbten durch Behaltung zu gaͤntzlichem Verlu-
ſte in Gefahr ſetzen. Die gemachte Anſtalt ward
ſo kluͤglich eingerichtet: daß weder der Hertzog
noch einig ander Menſch von dieſem Mohren-
Kinde was erfuhr; welches denn/ als es die
Fuͤrſtin mit tauſend Kuͤſſen geſegnet hatte/ bey
ober wehnter Sidiniſchen Edel-Frauen/ die
Dehnhofen einen tapffern Ritter zur Eh hat-
te/ unter dem Scheine: daß es ein von ſeinem
in Hiſpanien unter denen Celtiberiern angeſeſ-
ſenem Bruder uͤberſchickter Knabe waͤre/ ruͤhm-
lich und vielleicht beſſer/ als in ſeines Vaters
Fuͤrſtlichem Hofe aufferzogen ward. Deñ beym
Hofe-Leben kirret die Wolluſt der ſchaͤdliche
Lock-Vogel mit ihren anmuthigen Beeren
auch die beſten Gemuͤther in das Garn des Ver-
terbens; und die Heucheley vermummet mit
ihrer Larve alle Laſter: daß ſie fuͤr Tugenden
gelten/ und verſchwiſtert gleichſam Himmel
und Erde/ Sternen und Koth mit einander:
daß ein junger Fuͤrſt zuweilen ſelbſt nicht weiß:
Ob er auf dem Scheide-Wege dieſes irrſamen
Lebens den guten oder irrigen Pfad erkieſet ha-
be. Da doch bey einem jungen Fuͤrſten/ wel-
cher kuͤnfftig ſoll ein untadelhafftes Muſter aller
Unterthanen ſeyn/ diß/ was ihm zur Nahrung
ſeiner Seele/ zur Staͤrckung ſeines Gemuͤthes
beygebracht wird/ ſorgfaͤltiger/ als die Leibli-
chen Speiſen ihrer Geſundheit und Schaͤdlig-
keit halber zu unterſuchen ſind. Daher/ und
weil die Natur ehe in ihren Wuͤrckungen irren/
als ein Fuͤrſt beſſere Unterthanen machen kan/
denn er ſelbſt iſt/ dieſelben aͤrger thun und mehr
Boͤſes ſtifften/ die eines jungen Herrn boͤſen
Neigungen den Zaum laſſen/ als welche einen
gemeinen Brunn oder Roͤhr-Kaſten vergifften.
Weil nun ſo wol Kinder/ als Pflantzen mehr
nach der Beſchaffenheit ihrer Pflegung/ als
nach dem Einfluſſe der Geburts-Sternen
arthen; gerieth dieſer junge Fuͤrſt unter der
Auffſicht eines von keiner uͤbermaͤßigen Liebe
nicht verblaͤndeten Auffſehers/ zwiſchen dem
Staube der Reñebahn/ uñ unter der heilſamen
Laſt der ſchweißichten Waffen ſo wol: daß die-
ſer Ritter ihn im achzehenden Jahre in die Fer-
ne zu ſchicken und daſelbſt ſein Gluͤcke zu ſuchen
fuͤr rathſam hielt. Ja ich weiß nicht: ob es durch
eine beſondere Krafft der Elterlichen Zeugung/
oder durch ein beſonder Geluͤb de ſeiner Mutter
geſchahe: daß in dieſem Knaben ſich die Schwaͤr-
tze in braun/ die braune Farbe in gelbe; dieſe
endlich in weiße nach und nach verwandelte;
und kein Menſch ihn mehr fuͤr einen Auslaͤn-
der angeſehen haben wuͤrde. Wie nun der Si-
diniſche Edelmann ihn ritter maͤßig ausgeruͤ-
ſtet/ ſeines kuͤnfftigen Verhaltens wegen vaͤter-
lich verwarnigt; dieſer auch mit Ausdruͤckung
aller Kindlichen Demuth Abſchied genommen
hatte; eroͤffnete ihm dieſer Ritter zu guter letzte:
Er waͤre ſein Vater nicht/ wie er ihm einbilde-
te; ſondern ein groͤſſerer/ als er faſt wuͤnſchen
moͤchte; gleichwol aber hielte er es ihm noch zur
Zeit zu eroͤffnen nicht allerdings rathſam. Jn-
zwiſchen waͤre ihm darmit genung geſagt: daß
er nichts Unfuͤrſtliches fuͤrnehmen ſolte; wo er
ſeinen Stand zu beflecken eine Abſcheu truͤge.
Die in dem Meere von den geſaltzenen Wellen
wol abgeſpielte Korallen behalten nach ihrer
Abſonderung von der muͤtterlichen Wurtzel ih-
re beſtaͤndige Farbe; ja uͤberkommen allererſt
eine gleichſam felſene Haͤrte. Nicht anders er-
gieng es mit dieſem jungen Gothoniſchen Fuͤr-
ſten; welcher bey den Bojen durch ſeine Tapfer-
keit anfangs einen hoben Ruhm der Tugend/
hernach gar die Koͤnigliche Tochter Hedwig er-
warb; endlich aber mit dem Falle ſeines Schwaͤ-
hers auch gleichſam wieder in ſeine erſte Nie-
drigkeit
[1152[1154]]Siebendes Buch
drigkeit verfiel. Denn diß eben war Fuͤrſt
Gottwald/ Koͤnig Critaſirs Eydam; welcher
nach Eroberung der Stadt Boviaſmum ſich
heimlich aus dem Staube machte/ um ſich mit
den Bojen nicht der vom Marbod erzwunge-
nen ſchimpflichen Eydes-Leiſt- und Auswande-
rung zu unterwerffen.
Gottwald kehrte alſo mit ſeinem Sidiniſchen
Pflege-Vater zuruͤcke/ welcher bey dem Mar-
ſinger Hertzoge Bolcko wol auffgenommen
ward/ und daſelbſt die Nachricht von des Go-
thoniſchen Fuͤrſten Arnolds Tode/ und daß ſel-
bige Voͤlcker ſeiner Tochter Marmeline die
Herꝛſchafft zugeeignet haͤtten/ erfuhr/ und weil
der Ritter Dehnhoff dem Fuͤrſten Gottwald
ſeinen wahrhafften Uhrſprung mit allen Um-
ſtaͤnden eroͤffnete; machte er ſich mit dieſem Rit-
ter und folgends ſeiner Pflege-Mutter nach der
Gothoniſchen an dem Munde der Weichſel
liegenden Haupt-Stadt Godonium auf. Der
Ritter kam zu ſeiner Schweher der Fuͤrſtlichen
Hofmeiſterin/ eroͤffnete ihr nichts minder alle
Zufaͤlle des Fuͤrſten Gottwalds/ als ſeine An-
weſenheit in der Stadt; welche ihn denn ferner
zu der Fuͤrſtlichen Wittib leitete/ um mit ein-
ander fernere Anſtalt zu berathen; weil der
Tochter Vermoͤge Hertzog Arnolds Verord-
nung bereit die voͤllige Herꝛſchafft uͤber geben/
und nebſt der Mutter die zwey Oberſten Raͤthe
ihr biß zur Vermaͤhlung an die Seite geſetzt
waren. Dieſe hielt fuͤr rathſam ihrer Tochter
der Fuͤrſtin Marmeline alſo fort das gantze
Werck zu eroͤffnen/ und ihr Schweſterlich Her-
tze dem Fuͤrſten Gottwald zum beſten zu gewin-
nen; ehe ſolches durch Einblaſung der Reichs-
Raͤthe mit der Herꝛſchſucht vergaͤllet wuͤrde.
Dieſe kam und hoͤrte ihrer Mutter Erzehlung
mit mehrmahliger Veraͤnderung ihrer Ge-
muͤths-Regungenan; verbarg aber ſelbte auffs
moͤglichſte. Beym Schluſſe meldete ſie: ſie
waͤre begierig ihren Bruder bald zu ſehen und
zu umarmen; beſtimmte auch eine gewiſſe A-
bends-Stunde zu deſſen Bewerckſtelligung.
Hertzog Gottwald ward auf beſtim̃te Zeit durch
einen Garten in der Hertzogin Gemach gelei-
tet/ und nichts minder von ſeiner Schweſter/
als Mutter/ mit denen allerempfindlichſten
Liebes-Bezeigungen bewillkommet; iedoch/
weil noch nicht alles nach Nothdurft unterbaut/
nach denen Hoͤflingen es offenbar zu machen
thulich war; ward er mit ſeinen Pflege-Eltern
wieder durch den Garten aus dem Schloſſe ge-
laſſen. Gottwald wuſte ſeine Vergnuͤgung
uͤber ſo gewuͤnſchtem Anfange nicht zu begreif-
fen; und meinte ſchon dem Gluͤcke in der Schoß
zu ſitzen; als er unver ſehens von einem Hauffen
gewaffneter Leute umringt/ und mit moͤrdli-
chen Gewehren angetaſtet; alſo nebſt dem Si-
diniſchen Ritter ſich zur Gegenwehre zu ſtellen
gezwungen ward. Alleine beyde wuͤrden hier
von einer ſolchen Menge bald aufgeopfert wor-
den ſeyn/ wenn nicht die alte Hertzogin in ih-
rem Zimmer das Getuͤmmel gehoͤret; und ihr
gleichſam das Hertze ein Ungluͤck ihres Sohnes
wahr geſagt/ und endlich die Sidiniſche Frau
an der Garten-Thuͤre durch hartes Anſchlagen
und heftig Mordgeſchrey ſie noch mehr ermun-
tert haͤtte. Daher ſie mit der Hofmeiſterin und
einem Edel-Knaben/ der mit einer Fackel ih-
nen vorleuchtete/ durch den Garten ſelbtem zu-
eilte/ und den alten Ritter bereit auf dem Bo-
deme halbtod aus geſtreckt/ den Fuͤrſten Gott-
wald aber an einer Wand angelehnet/ gleich-
ſam im Blute gebadet/ und mit ohnmaͤchtigen
Armen die Streiche verſetzende antraff. Sie
lieff halb blind zwiſchen die Degen/ verhinder-
te alſo ſeine endliche Ermordung/ und erfuhr:
daß ſie auf Befehl ihres Kriegs-Oberſten dieſe
Leute angetaſtet haͤtten/ und ſie aufzureiben be-
fehlicht waͤren. Die Hertzogin/ welche hieruͤber
nach dencklichen Argwohn ſchoͤpffte; ver biß ſelb-
ten gleichwol in dem Eyver/ und ſagte dem
Hauptmanne: Er muͤſte an denen Perſonen
geirret haben. Denn diß waͤren ihre Angehoͤ-
rigen/
[1153[1155]]Arminius und Thußnelda.
rigen/ die ſie auch hiermit in ihren Schutz neh-
me; alſo ſolte er ſich auf die Haupt-Wache zu-
ruͤcke ziehen. Sie aber nahm den halb-todten
Gottwald/ und die fuͤr Hertzeleid ihr die Haare
aus dem Kopffe reiſſende Frau bey der Hand/
leitete ſie auf das Schloß/ ließ den Ritter ihr
auch nachtragen. Die Stadt und der gantze
Hof ward hieruͤber wache/ nur in Marmelinens
Zimmer war alles Maus-ſtille; welches der
Hertzogin Argwohn vermehrte; die fuͤr allen
Dingen nur um Verbindung ihres verwunde-
ten Sohnes bekuͤmmert war. Nach der ohne
einigen Schlaff hingebrachten Nacht fuͤgte ſie
ſich in Marmelinens Gemach/ erzehlte ihr
thraͤnende den Verlauff/ den ihr dieſe gantz
fremde machte/ und nach etlichen Wortwech ſe-
lungen anfieng: Ob ſie auch genungſam verſi-
chert waͤre: daß dieſer ihr wahr haffter Sohn
waͤre? Sintemahl er ihrer erſten Beſchreibung
nach/ keinem Mohren mit einiger Ader aͤhnlich
waͤre. Die Hertzogin antwortete: Sie haͤtte
zu melden vergeſſen: daß er nach und nach die
ohne diß nur aus einer Einbildung bekommene
braune Farbe verlohren haͤtte. Marmeline ver-
ſetzte lachende: Jhrer Meinung nach vermoͤch-
te die Zeit ſo wenig/ als Waſſer einen Mohren
weiß zu bleichen. Die angebohrnen kleinſten
Maale waͤren durch keine Kunſt zu vertreiben;
alſo beſorglich: daß dieſer Sidiner ſein eigenes
Kind untergeſteckt haͤtte. Die Hertzogin ver-
ſtand nunmehr allzu deutlich: daß in ihrer
Tochter Seele die Ehrſucht der natuͤrlichen
Zuneigung den Rang abgelauffen haͤtte/ und die
Suͤßig keit des einmahl geſchmeckten Reichs-
Apffels einen Eckel erwecke/ auch fuͤr denen
durch das Gebluͤte eingepflantzten Annehmlig-
keiten; Gleichwol aber wolte ſie ihre Tochter
durch augenſcheinlichen Beweiß zu vernuͤnffti-
gerer Entſchluͤſſung bringen; mit Vermeldung:
daß ihr Sohn an dem lincken Fuße ſechs Zehen
und auf der Bruſt wie ſein Vater Arnold und
ſie ſelbſt eine Baͤren-Klaue gehabt haͤtte; wuͤrde
ſich diß Merckmahl nicht finden; wolte ſie ihm
als einem Verraͤther bey ſeiner verdienten Ab-
ſchlachtung ſelbſt das Licht halten. Alleine die
Aehnligkeit ſeines Geſichtes/ in dem er ſeinem
Vater gleichſam aus den Augen geſchnitten
waͤre/ vergewiſſerte ſie ſchon der unzweifelba-
ren Warheit. Uber dieſen Worten trat der ober-
ſte Reichs-Rath Leuterthal/ der ohne diß in Veꝛ-
dacht war: daß er ſeinem Sohne Marmelinen
zu vermaͤhlen im Schilde fuͤhrte/ aus dem iñer-
ſten Zimmer herfuͤr/ ſetzte der Hertzogin mit har-
ten Worten zu; und ſchalt die fuͤr Verraͤther des
Vaterlandes/ die die gegenwaͤrtige Ruhe und
Verfaſſung der Gothoniſchen Herꝛſchafft durch
Einpfropfung eines fremden Reiſes ſtoͤren wol-
ten. Die Hertzogin begegnete ihm mit gleich-
maͤßiger Hefftigkeit; und warff ihm fuͤr: daß er
aus Ehrſucht ſeine Nachkom̃en auf dem Fuͤrſt-
lichen Stule zu ſehen ihre Tochter zu Vergeſ-
ſung aller Mutter- und Schweſter-Liebe verlei-
tet; und der vorigen Nacht Meuchelmord an-
geſtifftet haͤtte. Wie hitzig nun gleich dieſer Ab-
ſchied war; ſo klaͤglich hieng ſich die Hertzogin
an die andern dem vorigen wiedrig-geſinnten
Reichs-Raͤthe; brachte auch zu wege: daß ſie die
Landſtaͤnde zu Entſcheidung dieſes wichtigen
Rechts-Streits verſchrieben; inzwiſchen die
Hertzogin und Fuͤrſt Gottwald mit einer ge-
nungſamen Leibwache wieder fernere Gewalt
beſchirmet wurden. Die Hertzogin ſaan auff
Rechtfertigung ihres Sohnes/ Marmeline uñ
ihr Anhang aber auf liſtige Unterdruͤckung ih-
rer Mutter und des Bruders. So ungleich ſind
die Menſchen geartet! wer eines Loͤwen/ einer
Schlange Eigenſchafft weiß; weiß ſie des gan-
tzen Geſchlechtes. Denn alle Tiger ſind grim̃ig/
alle Fuͤchſe liſtig; alle Schafe gedultig/ alle Tau-
ben einfaͤltig/ alle Adler behertzt. Aber wer einen
Menſchen von Grund aus aus geholt/ keñet nur
einẽ; wo andeꝛs das menſchliche Heꝛze duꝛch eini-
ges Bleymaaß zuergruͤndẽ iſt. Nichts aber ver-
ſtellt den Menſchẽ aͤꝛgeꝛ/ als Ehꝛſucht. Die Fun-
cken kindlicher Liebe werden nicht nur von dem
Rauche der Herꝛſchensſucht erſtecket/ ſondern
Erſter Theil. G g g g g g gſo
[1154[1156]]Siebendes Buch
ſo gar das Gedaͤchtnuͤs einer Mutter und eines
Brudeꝛs wiꝛd in dem Stande eineꝛ gebietenden
Fuͤrſtin begraben. Gleichwol bewegte die Her-
tzogin durch Vorſtellung dreyer bey der Geburt
geweſenen Zeugen/ durch den Augenſchein der
ſechs Zeen und der Baͤren-Klau; und durch ih-
re vernuͤnfftige Ausfuͤhrung der gegen ihrer
Tochter Marmeline tragender und mehrmals
im Wercke bezeigter Mutter-Liebe den Reichs-
Tag/ un geachtet aller Einwuͤrffe ſo weit: daß
ſie Gottwalden fuͤr Arnolds rechtmaͤßigen
Sohn/ und weil ſo wol ihre vorige Herꝛſchens-
Anſtalt/ als der vaͤterliche letzte Wille auf Jrꝛ-
thum beſtuͤnde/ zum Erben der halben Erb-
ſchafft erklaͤrten. Der Reichs-Rath Leuterthal
meinte uͤber dieſem Ausſpruche von Sinnen zu
kommen; verleitete Marmelinen zu den euſ-
ſerſten Entſchluͤſſungen; und verſuchte durch
das Recht des Degens fuͤr ſeinen Sohn zu be-
haupten/ was das Urthel Marmelinen abge-
ſprochen hatte. Nichts deſto weniger machte
er ihm durch den Schluͤſſel aller unmoͤglichen
Dinge/ nehmlich Geſchencke/ einen ſo groſſen
Anhang: daß er den Fuͤrſten Gottwald mit
Gewalt aus ſeinem Erbtheile zu vertreiben
vermeinte. Die Tapfferkeit aber dieſes wie-
der geneſenen Fuͤrſten machte mit Zertrennung
der aufgebrachten Macht alle ſchaͤdliche An-
ſchlaͤge zu ſchanden; und bewegte den Reichs-
Rath dahin: daß ſie Marmelinen ihres Erb-
theils/ den Leuterthal aber des Lebens/ der Eh-
re und Gutes verluſtig erkennten. Dieſe ver-
zweiffelten aber/ welche gerne Leibeigne ſeyn
wolten/ wenn nur Gottwald nicht ihr Herr
waͤre/ nahmen nach anderwerts umſonſt ge-
ſuchter Huͤlffe zu dem maͤchtigen/ und dem Fuͤr-
ſten Gottwald ohne diß auffſaͤtzigen Koͤnige
Marbod ihre Zuflucht; und umfaſte die an Ge-
ſtalt wunderſchoͤne; im Gemuͤthe aber nicht we-
nig verſtellte Fuͤrſtin Marmeline in der Stadt
Carrodun nicht ſo geſchwinde mit den Armen
ſeine Knie/ als ſie mit ihren erſten Blicken ſein
Hertz umfaͤſſelte. Nichts hatte einen beſſern
Schein/ als dieſer von einem verdaͤchtigen Aus-
laͤnder verſtoſſenen Fuͤrſtin huͤlffreiche Hand
zu leiſten; dem Koͤnige Marbod war auch nichts
leichter/ als durch den Sieg einer ſolchen Halb-
Goͤttin Hertze zu gewinnen/ nichts anſtaͤndi-
ger/ als zwey ſo anſehnliche Hertzogthuͤmer zum
Braut-Schatze zu uͤberkommen. Dieſemnach
drang er mit einer ſo maͤchtigen Kriegs-Macht
bey denen Gothonen ein: daß ob wol Leuter-
thal bey Marbods ausbrechender Liebe ſeine
Hofnung und ſeines Sohnes Heyrath zu Waſ-
ſer werden ſahe/ und er deßwegen zum Gott-
wald uͤbergieng/ der Sidiner Hertzog auch mit
aller Macht denen Gothonen zu Huͤlffe kam/
dennoch dieſe kleine Sand-Huͤgel von Mar-
bods groſſer Macht uͤberſtroͤmet wurden/ und
nicht nur die Gothonen/ ſondern auch ihre Ge-
huͤlffen die Sidinier unter Marbods Herꝛſchafft
ihre Achſeln beugen/ Hertzog Gottwald aber
nunmehr zum andern mahl nicht minder dem
Verhaͤngnuͤſſe/ als dem Marbod/ welcher
gleichſam Sieg und Gluͤcke an der Schnu-
refuͤhrte/ aus dem Wege treten muſte. Mar-
bod hielt zu Godonium mit der Fuͤrſtin Mar-
melinen ein praͤchtiges Beylager; und weil die
ſchon fuͤr mehr als hundert Jahren von dem
Rheine in Sarmatien gewanderten Eſtier/ die
Rugier/ Nuitnoner/ Schwardonen/ Eudoſen
und Variner ſich von einem ſo groſſen Meere
einer gleichmaͤßigen Uberſchwemmung beſorg-
ten/ erkieſeten ſie freywillig den Koͤnig Marbod
zum Schutz-Herrn. Zumahl dieſe deutſchen
Voͤlcker ohne diß mehr/ als andere der Unter-
thaͤnigkeit gewohnt waren; ob ſie ſich zwar bey
dieſer ihrer Demuͤthigung niemals ihrer Frey-
heit gaͤntzlich enteuſſerten.
Weil Koͤnig Marbod ihm derogeſtalt faſt al-
les/ was zwiſchen der Elbe und Weichſel unter-
thaͤnig gemacht hatte/ brauchte der Kayſer Au-
guſt ſich dieſer Zwietracht abermahls zu ſeinem
Vortheil und zur Rache wegen des erlegten
Druſus;
[1155[1157]]Arminius und Thußnelda.
Druſus; ſchickte daher den Tiberius mit einem
noch ſtaͤrckern Krieges-Heere durch Gallien
wieder die Deutſchen. Sentius Saturninus
uͤberfiel die Caninefaten/ die Nachtbarn der
Bataver ſo unverhofft: daß ſie ſich nit einſt recht
zur Gegenwehre ſtellen konten. Ob nun zwar
Tiberius mit einer gewiſſen Art fluͤgender
Bruͤcken/ welche von kuͤpffernen Schiffen eil-
fertig zuſammen geſchoben wurden/ auch uͤber
den Rhein und Lahnſtrom denen Attuariern o-
der Francken/ wie auch den Bructerern uͤber
den Hals kam; begegneten ſie ihm doch zwar mit
geringer Macht/ aber unerſchrockenen Hertz-
hafftigkeit; ja Stirum/ ein Ritter der Bructe-
rer/ drang durch die Roͤmiſchen Schaaren mit
ſeinen Reiſtgen ſo weit durch: daß er dem Ti-
berius ſelbſt den Schild zerſpaltete/ ihn an Arm
verwundete/ und mit einem Streiche unfehlbar
getoͤdtet haͤtte/ weñ nicht ein Roͤmiſcher Haupt-
mann darzwiſchen geſprungen/ und mit Auf-
fangung des Todes jenem ein Schirm des Le-
bens worden waͤre. Dieſe Voͤlcker ſetzten auch
noch ferner alles euſſerſte dran; in Hoffnung: es
wuͤrde Hertzog Segimer mit ſeinen Cherus-
kern/ und die Longobarden ihnen verſprochener
maſſen zu Huͤlffe kommen. Welches auch un-
zweiffelbar erfolgt waͤre/ wenn nicht der Tod
dieſen tapfferen Fuͤrſten fuͤr der Zeit aus dem
Wege geraͤumt haͤtte; und zwar nicht ſonder
Argwohn einigen ihm entweder aus Anſtiftung
der Roͤmer oder Koͤnig Marbods beygebrach-
ten Gifftes. Wiewol ins gemein aller Fuͤrſten
Todes-Faͤlle nicht der gemeinen Zerbrechlig-
keit/ ſondern gewaltſamen Urſachen zugeſchrie-
ben werden. Ob nun gleich bey der Fuͤrſten
Lebzeiten an ihrem Wolſtande gantze Voͤlcker/
an ihren Unfaͤllen meiſt nur die eigenen Anver-
wandten Theil haben; ſo traff doch Segimers
Abſterben gantz Deutſchland; welches als ein
ohne Haupt zerruͤtteter Leib bey nahe ſich ſelbſt
durch Zwietracht in gaͤntzlichen Untergang
weltzte. Jnſonderheit aber blieben diß mahl
die behertzten Bructerer bloß ſtehen; ja ſie wur-
den mit denen ihnen noch von dem Fuͤrſten Jn-
gviomer zu Huͤlffe gebrachten Cheruskern ſich
uͤber die Weſer zu machen gezwungen; dem
Tiberius aber Lufft gemacht ſich der Feſtung
Segodun und Cattenburg an der Eder zu be-
maͤchtigen. Woruͤber dem Sentius ein
Siegs-Gepraͤnge verſtattet; dem Tiberius a-
ber der Nahme eines Deutſchen Feldherꝛn zu-
geeignet ward. Folgendes Jahr kam Tiberius
wieder in Deutſchland; brachte dem Fuͤrſten
der Caßuarier und Dulgibiner Segeſthes/ mit
Vertroͤſtung ihm zu der Feldhauptmann ſchafft
uͤber die zwiſchen dem Rheine und der Elbe
gelegenen Deutſchen zu verhelffen/ auf ſeine
Seite/ bemeiſterte ſich des Lipp-Stromes und
der Feſtung Aliſon. Weil ihm nun der ſtreit-
bare Hertzog der Chautzen Ganaſch am Wege
zu ſtehen ſchien/ wieß er dem Tiberius den Weg/
und brach den Roͤmern die Bahn dieſes feſte
Land zu uͤberwaͤltigen. Alſo dienet auch die
todte Aſche des Vaterlandes dem Feuer der
Ehrſucht zur Nahrung und Zunder; und der
Grundſtein des Eigen-Nutzes iſt ins gemein
ein Fallbret des gemeinen. Jedoch vergnuͤgte
ſich Tiberius noch nicht an der Ehre: daß die
Chautzen fuͤr ſeinem Stule muſten fußfaͤllig
werden; ſondern er ſegelte mit vierhundert
Schiffen uͤber das deutſche Meer an den Mund
der Elbe; des Vorſatzes/ die in aller Welt we-
gen ihrer Tapfferkeit beruffenen Longobarden
zu demuͤthigen; welche aus Skandinavien ſich
an der rechten Seiten der Elbe zwiſchen der
Havel und der Oder niedergelaſſen/ zeither de-
nen maͤchtigſten Nachbarn/ wie wenig ihrer
gleich geweſt/ mit ihrem Degen die Wage ge-
halten/ und noch zuletzte dem gantz Deutſchland
gleichſam uͤberſchwemmenden Marbod die
Spitze geboten hatten. Tiberius drang mit
einem abſondern Heere durch das Chautziſche
Gebiete; und eroberte die Stadt Fabiran an
der Weſer/ ſetzte unterhalb Lauenburg an das
G g g g g g g 2lincke
[1156[1158]]Siebendes Buch
lincke Ufer der Elbe ſeine Voͤlcker aus den
Schiffen/ und vereinbarte beyde Heere; zohe
hier auff an dem Strome auffwerts biß an das
Gedaͤchtnuͤs-Maal/ das Druſus daſelbſt auff-
gerichtet hatte. Der großmuͤthige Hertzog der
Longobarden Wilhelm zuͤndete die uͤber der
Elbe habende Doͤrffer ſelbſt an/ und zohe alles
Volck auf die rechte Seite/ um den Roͤmern
die Uberfarth zu verwehren. Deßwegen ſchickte
er auch denen Angeln tauſend Longobarden zu
deſto ſicherer Beſetzung der Stadt Lauenburg
zu Huͤlfe/ welche in den Elbe-Strom eine groſſe
Menge breit-aͤſtichter Eich-Baͤume warffen:
daß die Roͤmer mit ihren Schiffen nicht weiter
den Strom hinauf fahren konten. Weil nun
der von Rom neu angekommene Hertzog der
Cherusker mit unumſtoͤßlichen Gruͤnden den
Auffſchub des von den Longobarden gebetenen
Beyſtandes entſchuldigte/ Hertzog Wilhelm a-
ber ihm leicht einbilden konte: daß Marbod die
Roͤmer zwar zu Freunden/ nicht aber zu Nach-
barn verlangte; in dem klugen Fuͤrſten kein aͤr-
gerer Dorn in Augen ſeyn kan/ als das uͤber-
maͤßige Wachsthum ſeines Nachbars; ſchickte
er einen Fuͤrſten der Aſcanier an Marbod/
machte mit ihm ein Buͤndnuͤs zu ihrer beyder
Vertheidigung wieder ihre kuͤnfftige Feinde.
Weßwegen Marbod denen Longobaꝛden zwan-
tzig tauſend Mann zu Huͤlffe ſendete. Ehe dieſe
aber noch ankamen/ trieben die Longobarden
die Roͤmer/ welche auf Nachen und Floͤſſen uͤ-
ber die Elbe ſetzen wolten/ dreymahl zuruͤcke.
Wie nun Tiberius bey dieſen blutigen Treffen
viel ſeiner tapfferſten Kriegs-Oberſten einbuͤſte;
und nunmehr die Tugend der Longobarden
groͤſſer befand/ als der Ruff von ihnen war; Her-
tzog Wilhelm auch dem Tiberius durch gewiſſe
Gefangenen etliche Saͤcke Haare/ die ſie ihren
langen Baͤrten zum Zeichen der vielen erſchla-
genen Roͤmer hatten abſcheren laſſen/ uͤberſchick-
te; nach dem Vermoͤge eines theuern Geluͤb-
des bey dieſem Volcke kein Scheer-Meſſer ei-
nen Mann beruͤhren darf/ der nicht vorher drey
Feinde erſchlagen; uͤber diß er die Ankunfft der
Marckmaͤnniſchen Voͤlcker vernahm; trug er
den Longobarden Frieden/ iedoch unter harten
Bedingungen an; inſonderheit: daß ſie Mar-
bods Buͤndnuͤs abbrechen/ den Roͤmiſchen Fein-
den keinen Beyſtand leiſten/ ihnen hingegen
mit ſechstauſend Mann ohne Kriegs-Sold die-
nen/ und deßwegen Hertzog Wilhelm ſeinen
Sohn/ und zwoͤlff edle Longobarden nach Rom
zur Geißel ſchicken ſolte. Wilhelm lachte zu die-
ſem Fuͤrtrage; ſagte aber/ er wolte einen ſeiner
Edlen ſelbſt deß wegen zum Tiberius ſchicken.
Auf deſſen Befehl ſetzte ſich Pudlitz/ ein ſieben-
tzigjaͤhriger Ritter in einen Nachen/ ließ ſich uͤ-
ber den Fluß zum Tiberius fuͤhren/ und betrach-
tete ihn eine halbe Stunde mit unver wendetem
Geſichte/ aber ohne Fuͤrbringung eines eini-
gen Wortes; alſo: daß Tiberius endlich aus
Unwillen ihn fragte: Ob er nichts wegen
ſeines Fuͤrſten anzubringen haͤtte? Pudlitz bat
hier auff ihm zu erlauben/ des Tiberius Hand
anzuruͤhren; die er ihm in Meinung: daß er ſie
zu kuͤſſen verlangte/ darreckte. Pudlitz nahm
ſelbte/ und fieng nach Beſchauung derſelben/
und der daꝛan ſich befindenden Narbe an: Mein
Fuͤrſt hat aus deinem Friedens-Vorſchlage ge-
urtheilt: Du muͤſteſt ein GOtt ſeyn/ und mich
die Warheit zu erkundigen heruͤber geſchickt.
So ſehe ich aber aus dieſer Narbe: daß deine
Glieder nicht weniger/ als unſere verletzt wer-
den koͤnnen. Daher ihr Roͤmer gar billich eu-
rer Kayſer Vergoͤtterung biß nach Verbren-
nung ihrer Leiber auffſchiebet; da ſie nicht mehr
koͤnnen verſehret werden. Bey dieſer Beſchaf-
fenheit wirſtu uns Longobarden verzeihen: daß
wir von dir/ als einem Menſchen/ keine uns un-
anſtaͤndige Geſetze annehmen. Tiberius biß fuͤr
Grim̃ ſich in die Zunge und Leffzen: daß ſie blu-
teten/ ließ den Ritter von ſich/ und auffs neue
mit aller Macht uͤber die Elbe ſetzen. Die Lon-
gobarden aber begegneten ihn mit ihren klei-
nen
[1157[1159]]Arminius und Thußnelda.
nen Hauffen/ weil die Roͤmer wol zwoͤlffmahl
ſtaͤrcker waren/ mit unbeſchreiblicher Tapffer-
keit. Endlich kamen zu allem Gluͤcke Mar-
bods Huͤlffs-Voͤlcker an; alſo: daß die Roͤmer/
welche ſchon an zwey Orten feſten Fuß auf dem
Ufer geſetzt hatten/ uͤber Hals und Kopff in
Strom zuruͤcke weichen und etliche tauſend den
Deutſchen Schwerdtern/ und nicht weniger
dem Fluſſe zum Verſoͤhn-Opffer hinterlaſſen
muſten.
Weil nun wiedrige Zufaͤlle denen Gluͤckſe-
ligen am empfindlichſten ſind; haͤtte der ſo vieler
Siege gewohnte Tiberius moͤgen von Siñen
kom̃en. Dieſemnach entſchloß er/ ſich an Mar-
bod zu raͤchen; beſetzte alſo die von ihm eroberten
Plaͤtze/ zohe mit dem gantzen Heere an der Elbe
gegen die Hermundurer hinauf/ in willens die-
ſes dem Marbod vielleicht nicht allzu holde
Volck/ unter dem Scheine fuͤr gebildeter Frey-
heit/ vom Marbod abwendig zu machen. Er
ſchickte aber vorher an ihn nach Marbods-
Stadt eine Geſandſchafft; welche wegen der
den Longobarden geſchickter Huͤlffe Vergnuͤ-
gung fordern ſolte; um bey derſelben Verwei-
gerung die Urſache ſeines Krieges deſto ſchein-
barer zu rechtfertigen. Marbod aber antworte-
te: Er waͤre der Roͤmer Freund/ wolte es auch
bleiben/ ſo lange ſie ihm keine Feindſchafft ab-
noͤthigten. Sein den Longobarden geleiſteter
Beyſtand aber waͤre darfuͤr nicht aufzunehmen;
weil das Buͤndnuͤs mit dieſem Volcke ihn dar-
zu verbunden; er aber ſolches mit ihnen aufge-
richtet haͤtte; ehe ihm traͤumen koͤnnen: daß die
Roͤmer mit den Longobarden brechen ſolten; zu-
mal ihm keine Beleidigung bekant waͤꝛe. Mein-
te nun Tiberius ſich an ihn zu reiben/ und an
Marckmaͤñern zum Ritter zu werden/ muͤſte er
es geſchehen laſſen; und gielte ihm gleich: Ob er
den Degen ſolte ausziehen/ oder in der Scheide
ſtecken laſſen. Auf den erſten Fall muͤſten ſie ge-
gen einander verſuchen: Ob Tiberius die Elbe
und den Herziniſchen Wald ehe bemeiſtern/ oder
er nach ſeiner Vorfahren Beyſpiel uͤber die Al-
pen in Jtalien/ dahin er von ſeiner Graͤntze nur
zweyhundert tauſend Schritte haͤtte/ einbrechen
wuͤrde. Marbod zohe hierauf in der Eyl ſein
Krieges-Heer zuſammen/ ſtellte es bey ſeiner
Hauptſtadt in Schlacht-Ordnung/ zeigte alſo
ſiebentzig tauſend Fußknechte/ und vierzehntau-
ſend Reuter des Tiberius Geſandten; mit Er-
mahnung: Sie ſolten ihm ſagen/ was er gere-
det/ und ſie geſehen haͤtten; Er wolte folgenden
Tag ihnen mit ſeinen Marckmaͤnnern folgen/
und an der Saale mit dem Tiberius entweder
wie mit ſeinem Bruder Druſus freundlich re-
den; oder verſuchen/ welche Schwerdter unter
beyden die ſchaͤrffſten waͤren. Als Tiberius nicht
nur dieſe Entſchluͤſſung Marbods vernahm;
ſondern auch diß ſeine folgende Botſchafft beſtaͤ-
tigte/ zohe er wie ein kluger Schiffer/ der bey
aufgehendem Geſtirne des Orions die Segel
fallen laͤſt/ oder ins Land ſetzt/ lindere Seiten
auf; weil er mit gegenwaͤrtigem Heere den
Marckmaͤnneꝛn und Longobarden nichts abzu-
jagen getraute; gab alſo den Geſandten gute
Worte/ ſtellte ſich an/ als wenn er mit Marbods
fuͤrgeſchuͤtztem Buͤndnuͤſſe aller dings zu frieden
waͤre; zohe/ allen Argwohn des Einbruchs zu
verhuͤten/ ſein Heer zuruͤcke/ und vertheilte es
in die Laͤnder der Chautzen und Cherusker un-
ter der Aufſicht des Sentius Saturninus; wel-
chem er befahl den Catten und andern deutſchen
Voͤlckern wol auf die Schantze zu ſehen/ und
auf kuͤnfftiges Jahr zu einem maͤchtigen Feld-
zuge ſich ins geheim zu ruͤſtẽ. Er ſelbſt eilte nach
Rom/ und bemuͤhte ſich den Kayſer zu bereden:
daß er fuͤr allen Dingen den Hertzog Herrmañ/
als einen nichts mindeꝛ ſchlauen als veꝛwegenen
Feind/ mit ſeinen hartnaͤckichten Cheruskern uͤ-
bern Hauffen werffen muͤſte. Saturnin hinge-
gen redete der Treue der Cherusker das Wort/
und ſtellte dem Kayſer fuͤr Augen: daß Mar-
bod ein den Roͤmern nunmehr ſelbſt zu
fuͤrchten noͤthiges Reich auffgerichtet/ die Lon-
G g g g g g g 3gobarden
[1158[1160]]Siebendes Buch
gobarden und andere feindliche Voͤlcker in ſei-
nen Schutz genommen haͤtte. Alle Roͤmiſche
Fluͤchtlinge findeten bey ihm ihren Auffenthalt.
Er haͤtte auch nicht minder das Hertze/ als Kraͤf-
ten den Roͤmern einen gewaltigen Streich zu
verſetzen; welches er zweiffelsfrey ſchon laͤngſt
gewagt haͤtte/ wenn er nicht vorher gantz
Deutſchland zu bemeiſtern im Schilde fuͤhrte.
Erreichte er darinnen nun ſein Ziel/ moͤchten
fuͤr einem ſo groſſen Haupte die Roͤmer nur
Gallien und Pannonien raͤumen/ und fuͤr den
Deutſchen die Alpen/ als Vormaueꝛn Jtaliens/
beſetzen. Alles dieſes aber waͤre zu unvermoͤ-
gend geweſt des maͤchtigen Tiberius Vorſchlaͤ-
gen das Gewichte zu halten; wenn nicht eine
mit der Fuͤrſtin Thusnelde ſich ereignende Be-
gebnuͤs beym Tiberius einen abſondern Haß
gegen den Koͤnig Marbod erreget/ und ihn auff
Saturnins Meinung gebracht haͤtte. Hiermit
erlangte er: daß ihn Kayſer Auguſt mit ſechs
friſchen Legionen verſtaͤrckte; welche er im
Fruͤh-Jahre gegen der Donau fuͤhrte/ in wil-
lens daſelbſt einzubrechen. Saturninus ſolte
auf der andern Seite mit fuͤnff Legionen/ und
dreyßig tauſend meiſt Galliſchen Huͤlffs-Voͤl-
ckern bey den Catten den Durchzug erlangen/
ſich durch den Herciniſchen Wald hauen/ und in
das Hertze der Marckmaͤnner/ nemlich in das
den Bojen abgenommene Land einbrechen.
Koͤnig Marbod feyerte inzwiſchen auch nicht;
vereinbarte Rathſchlaͤge und Kriegs-Macht
mit der Quaden Koͤnige Vannius; und ſolte
dieſer gegen der Donau/ er ſelbſt gegen der Saa-
le und Elbe den Roͤmern die Spitze bieten. Ja
er ſtellte ſich wol ſelbſt an/ bald als wenn er in
das Cheruskiſche/ bald in das Noriſche/ bald in
das Pannoniſche Gebiete einfallen wolte; um
der Roͤmer Macht zu zertheilen. Jnſonderheit
aber muͤhte er ſich durch koſtbare Bothſchafften
die Pannonier/ Noricher/ Thracier/ Jllyrier/
Dalmatier wieder die Roͤmer in Harniſch zu
bringen; weil ein Fuͤrſt doch keinen kluͤgern
Streich thun kan; als wenn er ſeinem Feinde
einen andern in die Haare ſchicket; und mit dem
nicht leichte anbindet; deſſen Staͤrcke man
durch keinen Verſuch nicht gemaͤſſen/ hernach
aber der einmahl uͤberwundene nur ein zittern-
des/ die Sieger aber zwey feurige Hertzen ha-
ben. Dieſer Streich gluͤckte dem Marbod ſo
wol: daß/ als Tiberius mit ſeiner Krieges-
Macht ſchon zu Carmunt an der Donau/ Sa-
turnin nahe an der Saale zum Einbruche fer-
tig ſtand; beyden die unvermuthete Zeitung
kam: daß hinter ihnen die Dalmatier und Pan-
nonier/ in Hoffnung/ Marbod wuͤrde vorwerts
den Roͤmern genung zu ſchaffen geben/ wieder
die Roͤmer auffgeſtanden waͤren/ achthundert
tauſend bewehrte Leute auf den Beinen haͤtten/
und zum Theil gar auf das aller Kriegs-Macht
entbloͤſte Jtalien einzudringen Anſtalt mach-
ten. Dieſe Zeitung verruͤckte dem Tiberius
alle ſeine Zirckel; Saturninus muſte zuruͤck/
um nur die Deutſchen zwiſchen dem Rheine
und der Weſer im Zaume zu halten/ Tiberius
aber nicht allein/ ſondern Germanicus und der
junge Druſus wurden gezwungen aus allen
Ecken die euſſerſten Kraͤfften wieder dieſe
ſchwermenden Voͤlcker/ fuͤr denen man ſchon zu
Rom erzitterte/ zuſammen zu ziehen/ und anzu-
fuͤhren. Kayſer Auguſt ſelbſt muſte den Koͤnig
Marbod mit einer praͤchtigen Botſchafft und
herꝛlichen Geſchencken beſaͤnfftigen. Alſo muß
die Staats-Klugheit/ welche zuweilen mit tro-
tzigen Rieſen-Schritten gegen einem hergetre-
ten/ die Achſeln einziehen/ und mit Kniebeugen
den Ruͤcken kehren.
Die Dalmatier und Pannonier/ welche
nicht verſtunden: daß man ſchlauer Fuͤrſten
Worte offt wie Traͤume nach dem Wiederſpie-
le verſtehen und auslegen muͤſſe/ ſahen ſich uͤber
Hoffen zwar in Krieg eingewickelt/ aber von
Marbod verlaſſen oder betrogen; welcher den
Pfad des Krieges ſelbſt nicht erkieſete/ den er ih-
nen doch fuͤr ſo heilſam angewieſen hatte; und
den
[1159[1161]]Arminius und Thußnelda.
den auff ihn gezuͤckten Streich in ihre Achſeln
abgleiten ließ. Ob nun zwar der Fuͤrſten Buͤnd-
nuͤße kein ander Hefft/ als ihren Vortheil ha-
ben/ ſo ſchiene doch auch diß beym Marbod viel
zu ſchwach zu ſeyn. Denn ob wol der Dalma-
tiſche Krieg lange waͤhrte/ und es mehrmahls
das Anſehen gewann; als wenn es um die Roͤ-
mer gethan waͤre; war doch Marbod nicht zu
bewegen/ ſich darein einzumiſchen. Alleine die
wenigſten wuſten: daß eine geheime Liebes-
Urſache den Koͤnig Marbod im Zaume hielt/
die weiter ſehenden aber urtheilten: daß Mar-
bod/ welcher alle ſeine Laͤnder durch Recht der
Waffen erobert/ und daher zum Zaume ſeiner
Voͤlcker mehr die Furcht/ als Liebe brauchte/
ſich nunmehr in ſich ſelbſt mehr zu befeſtigen;
und ſo viel ungleich-geartete Voͤlcker unter ein-
ander ſelbſt zur Vertraͤuligkeit/ gegen ſich zum
Gehorſam zu verbinden noͤthig haͤtte/ ſich ohne
Noth in euſſerliche Kriege nicht einflechten und
zwar nicht mit demſelben Feinde anbinden koͤn-
te; an dem zeither alle andere Voͤlcker ihnen
den Kopff zerſtoſſen haͤtten. Alſo ſind nur des
Poͤfels Anſchlaͤge allezeit hitzig/ auf Blut und
groſſe Eroberungen gerichtet; ein kluger Fuͤrſt
aber weiß durch ſanfftere Entſchluͤſſungen an
ſich zu halten; und ein Verſtaͤndiger dem Vol-
cke zu Athen wahr zuſagen: daß ſie in ihrem un-
zeitigen Kriege in Cilicien nach einem Schat-
ten ſchnappen/ und das unſchaͤtzbare Weſen ih-
res Wolſtandes einbuͤſſen wuͤrden. Daher ließ
Marbod ſich weder das Urthel des Poͤfels/ noch
die verſprochenen guͤldenen Berge der Dalma-
tier und Pannonier irre machen; ſondern ſorg-
te nur ſich feſte in Sattel zu ſetzen; weil doch
fremde Herꝛſchafft/ wie gut ſie an ſich ſelbſt iſt/
dennoch allen Voͤlckern beſchwerlich faͤllt; und
der groſſen Uberwinder Siegs-Gepraͤnge
meiſt ihrem Geſchlechte zu einer Blut-Banck
dienet/ und den Nachkommen nur durch ihre
Begraͤbnuͤs-Maale bekandt werden; auſſer wo
die Gewalt des Adels uͤber Hand genommen
hat; und dieſer theils zu Erhaltung der Gleich-
heit unter ſich ſelbſt/ theils die Unterdruͤckung
der Freyheit zu verhuͤten ſelbſt fremde und noch
darzu meiſt ohnmaͤchtige Fuͤrſten erwehlet. Die
Art der bezwungenen Voͤlcker iſt ins gemein
ungleich; derer Sitten ſich nicht ſo/ wie die
Kleider/ leicht veraͤndern laſſen. Jene werden
ihnen mehr von der Beſchaffenheit des Him̃els/
ja aus Mutterleibe angebohren/ und mit der
Milch eingefloͤſt/ als durch Geſetze und Ge-
wonheit beygebracht. Etliche Voͤlcker ſind
zur Dienſtbarkeit gebohren; daher/ wenn ſelbte
in freyen Stand geſetzt werden wollen/ geraͤthet
es ſo uͤbel; als mit jungen Weinſtoͤcken/ welche
man bejahrten Baͤumen an die Seite ſetzt; und
deßwegen neben einem ſo unanſtaͤndigen Braͤu-
tigam verdorren; dahingegen ſie bey jungen
Pflantzen wol gerathen. Etlichen hingegen
iſt die Freyheit ſo eigen/ und ſie unter das Joch
der Dienſtbarkeit ſo ſchwer/ als die Schweffel-
Duͤnſte in Felſen und Ertzt einzuſperren; wel-
che mit ſo viel mehr Ungeſtuͤm ihre Behaͤltnuͤß
zerſprengen/ als ſie feſte verriegelt ſind. Etliche
koͤnnen weder eine unumſchraͤnckte Freyheit/
noch eine Knechtiſche Dienſtbarkeit vertragen;
doͤrffen daher wie gewiſſe Pferde bald der
Spiß-Ruthe/ bald einer Streichelung. Die-
ſemnach befließ ſich der ſchlaue Marbod iedem
Volcke einen beſondern Zaum anzulegen/ und
durchgehends Geſetze/ Sitten und Herꝛſchens-
Art in altem Stande zu laſſen; denen Freyern
mit Hoͤfligkeit; denen Niedrigern/ (welche
ſchwer zu erobern/ leicht aber im Gehorſam zu
halten ſind) mit Ernſte zu begegnen/ nirgends
aber neue Titel zu brauchen; ſondern allenthal-
ben der alten Hertzoge Anſtalten zu behalten;
Niemanden vorige Begnadigungen zu entzie-
hen; ſeine eigene Gebehrden derogeſtalt zu maͤſ-
figen: daß ſeine Schaͤrffe der Liebe/ ſeine Leitſe-
ligkeit der Hoheit keinen Abbruch that. Zu de-
nen Aemptern erhob er mehr langſame/ rubige/
und mittelmaͤßige; als allzugeiſtige und hitzige
Gemuͤther;
[1160[1162]]Siebendes Buch
Gemuͤther; welche erſtere ſich mehr des Vol-
ckes/ als Voͤlcker ſich ihrer Eigenſchafften an-
gewoͤhnen; welche die Laſteꝛ nachdruͤcklicheꝛ ver-
bieten/ als unbarmhertzig ſtraffen/ durch keine
Neuerung ſchaͤdliche Enderung einfuͤhren/ und
denen Vorfahren mehr Klugheit als ihnen ſelbſt
zutrauen; die letzteren aber ihre Anſtalten nichts
minder durch einen zu hefftigen Anfang/ als
durch unachtſamen Verfolg verterben/ ja durch
allzugenaues Ausecken und Schaͤrffe den Zu-
ſtand eines Reiches nur ſchaͤrticht machen/ und
mit unzeitigen Mitteln die Kranck heiten mehr
rege machen/ als ihnen abhelffen; in dem ein
Staats-kluger zwar alles ergruͤnden/ nicht a-
ber alles ausuͤben ſoll. Er theilte zwar ſeine
Landes-Leute die Marckmaͤnner durch alle an-
dere eroberten Laͤnder aus/ und eignete ihnen
die Aempter/ welche mehr Nachdruck als Anſe-
hens haben/ zu; aber ſie muſten vorher ſich in
derſelbigen Laͤnder fuͤrnehmſten Adel verheyra-
then; und derogeſtalt ihnen ehe die Gewogen-
heit/ als die Einheimſchafft der Voͤlcker zu we-
ge bringen. Er ließ alleine das von den Bojen
eroberte Land der Marckmaͤnner mit Wein-
ſtoͤcken und andern fruchtbaren Baͤumen er-
bauen/ gab auch nur denen Marckmaͤnnern die
Freyheit Handlung zu treiben mit Auslaͤn-
dern; wormit die andern Laͤnder gleichſam an
die Marckmaͤnner unvermeidlich verknuͤpfft
wuͤrden; und ſo wenig ihrer Handels-Leute/ als
Gewaͤchſe entbaͤhren koͤnten. Er machte mit
denen kleinern Nachbarn/ welche theils von
Roͤmern/ theils Sarmatern/ theils Catten be-
ſorgten verſchlungen zu werden; hingegen ihre
Obnmacht keinen Schatten einiger Gefahr uͤ-
ber ihn fallen ließ/ zu ihrem Vortheil feſte
Buͤndnuͤße; hingegen ließ er die ihm wegen er-
ſter Macht/ und von etlichen hundert Jahren
angewohnter Herꝛſchafft verdaͤchtige Cherusker
mit Fleiß unter der Roͤmiſchen Preſſe ſchmach-
ten. Er baute zwar wenig/ aber uͤberaus ſtar-
cke Feſtungen/ beſonders an Fluͤſſe und Graͤn-
tzen/ und neben groſſe Staͤdte; wormit er ſich
ſo wol der Unterthanen/ als wieder die Feinde
verſicherte/ auch dieſen bey feindlichem Einfall
eine nahe Sicherheit verſchaffte; und gleichwol
die Laͤnder nicht mit uͤbermaͤßiger Verpfle-
gungs-Laſt ungedultig machen dorffte. Jn-
ſonderheit aber legte er dem Adel der uͤberwun-
denen Voͤlcker unter dem Scheine einer groſ-
ſen Wolthat einen unvermerckten Kapzaum
an; in dem er ſelbten niemahls zu Feldzuͤgen
aufbot; ſondern bey freygelaſſener Pflegung der
Wirthſchafften die Ubung der Waffen ver geſ-
ſen ließ; und auſſer der Marckmaͤnniſchen Rit-
ters-Leute ſich nur des geworbenen Kriegsvol-
ckes bediente. Wiewol Marbod ſelbſt dem Eu-
bagiſchen Gottesdienſte beypflichtete; und den-
ſelbten in Schwung zu bringen durch oͤffentli-
cher Lehre ſcharffſinniger und tugendhaffter
Prieſter/ wie auch durch Befoͤrderung ſeiner
Glaubens genoſſen zu Wuͤrden und Aemptern
ſich euſſerſt bemuͤhte; ſo ließ er ſelbten doch nie-
mand mit Gewalt auffnoͤthigen; weil es ihm
nicht nuꝛ eine Gꝛauſamkeit ſchien einem ein Be-
kaͤntnuͤs des Mundes aufdringen/ welchem das
Hertze wiederſpricht/ und ſein Urtheil als thoͤ-
richt alſofort verdammen; welches ihm von de-
nen/ die ihn am meiſten geliebt/ nehmlich den
Eltern von Kind auf eingepflantzt/ und alſo von
denen/ welche durch Verfolgung/ Raub/ Ge-
faͤngnuͤs und Marter ihren Haß gegen ihn an
Tag geben/ ihm aus dem Gemuͤthe zu reiſſen
unvernuͤnfftig und unmoͤglich iſt/ ſondern be-
ſchirmte ſie auch wieder unzeitiger Eyverer Be-
draͤngungen; nach dem er dieſe einmahl als Un-
terthanen angenom̃en; kein Menſch aber/ der
aus der natuͤrlichen Freyheit ſich ir gendswo in
buͤrgerlichen Stand begiebt/ zugleich ſein Recht
aufgiebt etwas nicht zu glauben; was ihm der
Warheit nicht aͤhnlich zu ſeyn ſcheinet. Ja er
ließ den Barden und Druyden den oͤffentlichen
Gottesdienſt/ wiewol mit dieſen Umſchraͤn-
ckungen zu: daß ſie nicht den Eubagiſchen laͤ-
ſtern
[1161[1163]]Arminius und Thußnelda.
ſtern oder verdammen/ noch auch die Eubagen
auf ihren Glauben zu bringen ſich bey Straffe
der Aufruͤhrer und Frieden-Stoͤrer unterſte-
hen dorfften; Ja weil keine Herꝛſchens-Art lan-
ge ohne Aufruhr und buͤrgerliche Kriege ſeyn
kan; wenn der Obrigkeit nicht von ihren Un-
terthanen die Gewalt des rechten und irrigen
Gottesdienſtes; ſo fern ſelbter nur zu keinem
Gewiſſenszwang mißgebꝛaucht wiꝛd/ zu unteꝛ-
ſcheiden und nach ihrem Urtheil die Reichsver-
faſſung einzurichten enthangen wird; ſo muſten
alle Druyden in ſeinem Gebiete ſich eydlich ver-
binden: daß ſie auf ihr in Britannien ſonſt ha-
bendes Oberhaupt kein Abſehen haben/ ſondern
alleine den Koͤnig Marbod fuͤr den/ welcher
nach Belieben den euſſerlichen Gottesdienſt
ordnen koͤnte/ erkennen; inſonderheit aber/ als
eine aufruͤhriſche Lehre/ mit den Barden ab-
ſchweren muſten: daß Unterthanen zu Beſchir-
mung ihres oͤffentlichen Gottesdienſtes wieder
ihren Fuͤrſten Beſchirm- oder Beleidigungs-
weiſe die Waffen ergreiffen koͤnten. Auf dieſe
Art hat Koͤnig Marbod faſt biß auf gegenwaͤr-
tige Zeit mit friedſamen Rathſchlaͤgen ſeine
Reichs-Sorgen fortgetrieben. Auf der andern
Seite Deutſchlands/ ob wol die Roͤmer mit al-
len ihren Kraͤfften in den Pannoniſchen und
Dalmatiſchen Krieg eingeflochten geweſt; ha-
ben ſie doch theils durch ſtarcke Beſatzungen an
dem Rheine/ der Weſer und Lippe/ theils auch
durch die vernuͤnfftige Beſcheiden heit des Sen-
tius Saturninus/ inſonderheit: daß er die Che-
rusker unter dem Fuͤrſten Herꝛmann gegen ei-
nem ertraͤglichen Beyſchube’ gewiſſer Huͤlffs-
Voͤlcker faſt ihrer alten Freyheit genuͤſſen laſ-
ſen/ die Deutſchen zwiſchen dem Rheine und der
Weſer derogeſtalt gefaͤſſelt: daß die Uberwun-
denen ſich nicht getrauet die Roͤmiſche Buͤrde
abzuwerffen/ und alſo die Sicherheit des ertraͤg-
lichen Zuſtandes/ der Gefahr und Ungewißheit
gaͤntzlicher Freyheit fuͤr gezogen; ſonderlich/ weil
die noch meiſt freyeren Catten und Alemaͤnner
wenig Anzeigung ſpuͤren lieſſen/ wegen ihrer
Nachbarn bedraͤngten Freyheit die eigene auff
die Spitze zu ſetzen. Es wuͤrde vielleicht auch
noch allem Anſehen nach geraume Zeit bey die-
ſem Zuſtande blieben ſeyn; weil durch Sanfft-
muth auch die Loͤwen kirre und zahm gemacht
werden; wenn nicht der boßhaffte Quintilius
Varus auf den vernuͤnftigen Saturnin gefolgt
waͤre/ und dieſe Laͤnder mit Raub und Grau-
ſamkeit erfuͤllt/ alſo die Deutſchen Fuͤrſten/ wel-
che in der Freyheit gebohren; itzt aber Knechte
werden ſolten/ und die nach Art der Thiere dem
Saturnin/ als einem Hirten ohne Wiederſpen-
ſtigkeit gefolgt hatten/ nunmehr aber dem blut-
gierigen Varus als einem Metzger die Stirne
zu bieten/ und zu einer ſo behertzten Entſchluͤſ-
ſung bewegt haͤtte; weil doch die Freyheit das ei-
nige Kleinod iſt/ das mit eigenem Blute und
ſeiner Kinder Leichen erkaufft zu werden verdie-
net.
Fuͤrſt Malovend wolte nunmehr auch um-
ſtaͤndlich erzehlen; wie Hertzog Herrmann die
Deutſchen Fuͤrſten ſo kluͤglich unter einen Hut
gebracht; Melo der Sicambrer Hertzog ſo
großmuͤthig den erſten Aufſtand wieder die Roͤ-
mer gemacht/ und jenen Gelegenheit verſchafft
haͤtte/ unterm Scheine der Huͤlffs-Voͤlcker ih-
re Waffen zu verſammlen; Adgandeſter aber
erinnerte: daß es ohne diß ſchon ſpaͤt in die
Nacht/ die Taffeln bereit mit Speiſen beſetzt
waͤren. Daher ſie ſich mit einander in den
Speiſe-Saal verfuͤgten; und nach vollendeter
Taffel und anmuthigen Geſpraͤchen zur Ruh
verfuͤgten.
Mit anbrechendem Tage zohe Adgandeſter
zu dem Feldherꝛn auf eines zwey Meilen von
Deutſchburg gelegenes Luſt-Hauß/ da er mit
vielen Fuͤrſten uͤbernachtete/ um den auf ſolchen
Tag beſtimmten Einzug zu dem Fuͤrſtlichen
Beylager einzurichten; Die Koͤnigin Erato/
Solonine und andere Frauenzimmer/ wie auch
Hertzog Zeno/ Rhemetalces/ Malovend und
andere fuͤgten ſich gegen Mittag in ein Eckzim-
mer des euſſerſten Schloſſes/ um darbey Zu-
Erſter Theil. H h h h h h hſchauer
[1162[1164]]Siebendes Buch
ſchauer abzugeben/ ohne welche alle ſolche Ge-
praͤnge kaltſinnig und unnuͤtze ſind.
Sie hatten ſich mit der Fruͤhmahlzeit kaum
vergnuͤget/ die Sonne ſtand gleich in der Mitte
des zwar fruͤh-woͤlckichten/ nunmehr aber ei-
nem blau-hellen Tuche gantz aͤhnlichen Him-
mels/ und muͤhte mit ihren guͤldenen Strahlen
ſich dieſen praͤchtigen Einzug; derogleichen
vielleicht viel Zeit in Deutſchland nicht geſehen
worden war/ noch herꝛlicher zu machen; als ſich
der Vortrab dem Burg-Thor naͤherte; der in
tauſend leichten Reutern beſtand/ welche alle
ſehr lange gerade empor gehaltene Lantzen/ und
daran oben rothe und blaue Faͤhnlein fuͤhrten/
mit welchen die anmuthige Lufft auch ihr Luſt-
Spiel hatte. Alle dieſe begruͤſten oberwehnte
Fuͤrſtlichen Zuſchauer mit Neigung ihrer Lan-
tzen; die fuͤr iedem Hauffen vorreitende Trom-
peter und Heerpaucker aber mit ihrem kriegri-
ſchen Gethoͤne. Dieſen folgten tauſend Che-
ruskiſche Fußknechte; welche mit ihren groſſen
und meiſt entbloͤſten Leibern halbe Rieſen ab-
bildeten; und nichts minder mit ihren ungeheu-
ren Streitkolben/ als ſauerſehenden Antlitzern
denen Zuſchauern gleichſam ein Schrecken ein-
jagten; ungeachtet ſie dißmahl ihre denen Fein-
den unvertraͤgliche Anblicke mit einer gezwun-
genen Freundligkeit zu miltern ſich bemuͤheten;
ob ſchon die fuͤr ihnen hergehenden Krum̃hoͤrner
auch bey dieſem Freuden-Feyer ſie zur Rache
wiedeꝛ die Feinde aufzumunteꝛn ſchienen. Maſ-
ſen ſie denn auch ihre Narben von denen em-
pfangenen Wunden mit aller hand Farben und
Merckmahlen/ als Kennzeichen ihrer Tapfer-
keit/ bemercket hatten. Hierauff lieſſen ſich
hundert kohlſchwartze Mohren auf ſchneeweiſ-
ſen Pferden ſehen/ welche meiſt in dem Roͤmi-
ſchen Laͤger waren gefangen worden. Um ihre
Stirnen hatten ſie weiß ſilberne Buͤnde; um
den Halß Halßb aͤnder von Kugeln aus Perlen-
Mutter/ um den mitlern Leib Seriſche Schuͤr-
tzen/ an der Seiten einen guͤldenen Koͤcher/ uͤber
der Achſel bunde Bogen/ in der rechten Hand
einen Pfeil drey Ellen lang. Auf der Ferſe
folgten den Mohren fuͤnfhundert Cimbern und
Svionen; welche alle ſchneeweiße gekrauſete
Haare hatten/ und mit weißen Baͤren. Haͤuten
bedeckt waren/ aber auf kohlſchwartzen Pferden
ritten. Hinter ihnen kam eine herꝛlich aufge-
putzte Cimbriſche Fuͤrſtin; welche des Catten
Hertzog Arpus Gemahlin mit ſich gebracht/ auf
einem Wagen/ der auf Art eines Nachen ge-
macht/ die Raͤder auch gantz verborgen waren/
und von zwey fluͤchtigen Renn-Thieren gezo-
gen ward. Sie begleiteten in ſechs andern ſol-
chen Wagen Cimbriſche ſtreitbare Frauen;
welche alle als Amazonen unter den Kriegs-
Leuten aufziehen wolten; und daher ſich auch
mit Waffen auffs beſte ausgeruͤſtet hatten. Nach
dieſen erſchienen fuͤnfhundert Catten mit Luchs-
und ſo viel Sicambrer mit Wolffs-Fellen be-
deckt/ die alle im mitlern Finger einen ſtaͤhler-
nen Ring/ in der Hand zwey hackichte Spieſſe/
an der Seite breite Schwerdter trugen. Und
hierauff folgten tauſend Cheruskiſche Reiſigen/
alle mit glaͤntzenden Pantzern bekleidet; die fuͤr
ſich dicke viereckichte unter dem rechten Arme
feſte gemachte Pantzer-ſtecher/ und in Faͤuſten
ſpitzige Wurff-Spieſſe fuͤhrten. Dieſe wur-
den abgeloͤſet/ von zweyhundert nackten Rin-
gern/ derer Leiber uͤber und uͤber von einge-
ſchmiertem Oele glieſſen/ und von dreyhundert
Fechtern/ welche wie jene mit allerhand ſeltza-
men Stellungen/ alſo dieſe mit dem Gefechte
ihrer Schlacht-Schwerdter den Zuſchauern
Kurtzweil machten; wie denn auch dreyhundert
Quaden zu Pferde mit ihrer Sarmatiſchen
Tracht/ und Geſchwindigkeit bald auf/ bald
von Pferden zu ſpringen/ und dreyßig der ſel-
tzamſten mit Gold und ſilbernen Decken beleg-
ten Hand-Pferde ihre Augen mercklich an ſich
gezogen haͤtten; wenn nicht die Cheruskiſche/
und ein Theil der Sicamber- und Cattiſchen
Ritterſchafft; die ſich von der Roͤmiſchen Beute
uͤber
[1163[1165]]Arminius und Thußnelda.
uͤber die gewoͤhnliche deutſche Art mit praͤchti-
gen Kleidern/ ſchimmernden Waffen/ Gold-
geſtuͤckten Pferde-Decken auffs herꝛlichſte aus-
geputzt hatten/ und/ um alle Vorzugs-Strei-
tigkeiten zu vermeiden/ in einer doch nicht un-
anſtaͤndlichen Unordnung auff ihren hochmuͤ-
thigen Pferden ſich herfuͤr gethan/ und die ge-
ringeren Sterne verduͤſtert haͤtte. Aber auch
dieſe wurden von dem ſchoͤnen und großmuͤthi-
gen Feldherꝛn wie von einer Sonne uͤberſtrah-
let/ welchen in einem von Golde und Edelge-
ſteinen leuchtenden Harniſche und uͤber den Ruͤ-
cken abhaͤngenden Purpur-Mantel/ nichts
minder mit einem koͤſtlichen und Perlen-reichen
Lorber-Krantze ein Tiger-fleckichter und
mit den Fuͤſſen die Erde gleichſam zertretender
Hengſt herein trug. Auf einer Seiten ritt
Hertzog Arpus/ auf der andern Flavius; her-
nach Melo/ Catumer/ Adgandeſter/ und ande-
re deutſche Fuͤrſten. Als nun dieſe mit ihren
wol aufgeputzten und lange Hacken tragenden
Leibwachten zu Fuſſe/ und fuͤnffhundert Reu-
tern mit ſchwerer Ruͤſtung vorbey waren; lieſ-
ſen ſich vier ſehr breit und lange mit allerhand
Blumwerck und Laube kuͤnſtlich beſteckte und
gleichſam einen Luſt-Garten abbildende Wa-
gen ſehen/ und darauf ein anmuthiges Gethoͤ-
ne von allerhand Saͤngern und Seitenſpielen
hoͤren. Wie nun diß das Gehoͤre auf voriges
Rauſchen der Gewaffneten durch eine liebliche
Abwechſelung vergnuͤgte; alſo erſtarrten aller
Zuſchauer Augen uͤber fuͤnffhundert edlen
Jungfrauen/ die auf ihren uͤber und uͤber mit
vielfaͤrbichten Baͤndern gleichſam beſtreuten
Zeltern daher ritten; und alle mit Entbloͤſ-
ſung der lincken Bruͤſte/ behelmeten Haͤuptern/
guͤldenen Koͤchern/ Bogen und Pfeilen/ als
ſtreitbare Amazonen herein drabten. Nach die-
ſen kam ein mit vier weißen Pferden beſpañter
Wagen; von welchem vier und zwantzig wie
Liebes-Goͤtter ausgeruͤſtete Edelknaben theils
ihre verguͤldete Pfeile in die Lufft ſchoſſen/ theils
den Weg mit vielfaͤrbichten Blumen beſtreu-
ten; theils mit guͤldenen Rauchfaͤſſern durch
glimmenden Weyrauch/ und mit Verſpritzung
wolruͤchender Waſſer die Lufft einbalſamten.
Aller Augen aber erſtarrten/ und alle Seelen
wurden beweget von dem Anſchauen der nun-
mehr erſcheinenden Fuͤrſtin Thusnelde. Sie
ſaß auf einem gantz uͤber guͤldeten/ wie eine Mu-
ſchel geſtaltetem Wagen; gleich als wenn eine
ſo unvergleichliche Perle kein ander Behaͤlt-
nuͤs/ als ihre Muſchel wuͤrdigte. Hinten ſtand
ein edler Mohren-Knabe/ wie ein gefluͤgelter
Liebes-Gott ausgeruͤſtet/ der uͤber ihr Haupt ei-
nen gruͤnen Sonnen-Schirm hielt; fuͤr ihr a-
ber ſaß ein ſchneeweißer; der ihr mit einem Pu-
ſche roth/ blau/ gelbe und weiße Strauß-Fe-
dern Lufft zufachte. Das ihren Leib deckende
guͤldene Pantzer-Hemde; die Lantze in der rech-
ten Hand/ der mit einem Adler gekroͤnte neben
ihr ſtehende Helm/ der fuͤr ihr liegende/ und zu
einem Spiegel dienende Schild/ der Bogen
und mit Pfeilen erfuͤllte Koͤcher bildete an ihr
eine erſchreckliche Krieges-Goͤttin; ihre Blitz
und Anmuth ſaͤmende Augen; ihre Wangen/
welche alle Roſen mit Purper/ ihre Lippen/ die
alle Nelcken mit Zinober/ ihre Bruͤſte/ welche
alle Lilgen mit Milch zu betheilen einen Uber-
fluß hatten; Schnee und Flammen/ Tuͤrckis
und Alabaſter mit einander vermaͤhlten; und
mit iedem eingezogenen Atheme durch ihre
Bewegung hundert Seelen entſeelten/ ſtellten
an ihr eine Mutter oder Tochter der ſelbſt-ſtaͤn-
digen Liebe fuͤr; haͤtten alſo die Zuſchauer zweif-
felhafft gemacht/ fuͤr welche ſie ſie verehren ſol-
ten; wenn nicht die fuͤrgegangene Schlacht
ihr/ als einer ſiegenden Pallas/ den auff dem
Haupte mit viel tauſend Diamanten ſtrahlen-
den Lorber-Krantz aufgeſetzt; Die Uberwin-
dung des in ſie verliebten Herrmanns aber ihr/
als einer Schoͤnheits- und Liebes-Goͤttin/ den
guͤldenen Apffel zugeſprochen/ und alſo in ei-
nem menſchlichen Leibe ſo viel Vollkommen-
H h h h h h h 2heiten
[1164[1166]]Siebendes Buch
heiten vereinbart haͤtten/ die andere Voͤlcker zu
Betheilung zweyer Goͤttiñen genung geſchaͤtzt
haben. Dieſen guͤldenen Muſchel-Wagen
zohen zwey uͤberaus groſſe Elefanten; derer
Ohren/ vorragende Zaͤhne und Ruͤſſel gantz uͤ-
berguͤldet; die Ruͤcken aber mit Thuͤrmen be-
legt waren; auf welchen etliche Mohren ſie
mit einem geringen Eiſen leiteten; etliche Lie-
bes-Goͤtter auch Blumen ſtreuten/ Balſam
ſpritzten/ und mit Pfeilen ſpielten. Hinter
dieſer wunderwuͤrdigen Braut folgten auff et-
lichen mit ſchneeweiſſen Pferden beſpannten
Sieges-Wagen das Fuͤrſtliche Frauen-Zim-
mer; unter welchen Erdmuth des Cattiſchen
Hertzogs Arpus Gemahlin bey der Fuͤrſtin
Thusnelda die Mutter-Stelle vertrat; derſel-
ben Tochter Catta aber ihrer Schoͤnheit hal-
ber allen andern/ auſſer der unvergleichlichen
Thusnelde Kampff anzubieten vermochte. Den
Beſchluß dieſes Einzuges machten fuͤnfhundert
mit Baͤren-Haͤuten bedeckte Cherusker zu Fuſ-
ſe/ und ſo viel ſchwer geruͤſtete Reuter. Jn der
Stadt Deutſchburg konte fuͤr tauſenderley
Frolocken und gluͤckwuͤnſchendem Zuruffen
niemand ſein eigen Wort vernehmen; und
ward hiermit zwar die ſinckende/ mit der praͤch-
tigen Mahlzeit aber Mitternacht her zu bracht.
Ja ob wol die/ welche dieſe gluͤckliche Verbin-
dung hauptſaͤchlich angieng; endlich ihre Ru-
he ſuchten; ſtoͤrte doch dieſe ungemeine Freude
die gantze Nacht durch den Schlaff der ihr Gluͤ-
cke gleichſam nicht begreiffenden Cherusker;
welche weißlich behertzigten: daß die Welt nicht
ſo ſehr an Vereinbarung heilſamer Geſtirne/
als Unterthanen an dem Wolſtande und gluͤck-
licher Vermaͤhlung ihrer Fuͤrſten Theil haben.
DJe Zeit eine Meiſterin aller Dinge/ ihre eigene aber die Tu-
gend und die Liebe/ welche letztern beyde Hertzog Herrmanns
und Thusneldens Hochzeit-Feyer verherꝛlichen. Die Aloe-Stau-
de gebiehret gleichſam wunderbar- und ſichtbarer Weiſe einen un-
gewoͤhnlich-langen Stengel/ und wird zu bevorſtehender Ver-
maͤhlung vor ein gewiſſes Gluͤcks-Zeichen gehalten. Praͤchtiger
Ein- und Aufzug nach dem Deutſchburgiſchen Hayn und Taufa-
niſchen Tempel. Der Deutſchen ſonderbahre Vermaͤhlungs-
Gebraͤuche. Hertzog Herrmanns der Thusnelde uͤberreichter Braut-Schatz; Dieſer
dabey bezeigte Ehrerbietigkeit und Mitgifft. Beyder Andacht Opfer- und Vermaͤh-
lung. Neu-entſpringender Brunn uͤber dieſem heiligen Hockzeit-Feyer nebſt ſeiner Be-
deutung. Liebes-Feuer dem natuͤrlichen durch allerhand an denen Pfeilern des Tau-
faniſchen Tempels auff Herꝛman zielende Ehren-Getichte vergliechen. Der Thusnel-
den aber alle vom Waſſer hergenommene und dem weiblichen Geſchlecht eigentlich zu-
kommende Denck- und Sinnbilder. Abbildung der zweyen Unholdin des menſchlichen
Lebens des Haſſes und Neides/ und der ſchaͤdlichen Mißgeburten der ehlichen Liebe der
Eyverſucht und Unfruchtbarkeit nebſt ihrer Einaͤſcherung. Die laͤngſt vor tod gehal-
tene
[]
[][1165[1167]]Arminius und Thußnelda.
tene Mutter Hertzog Herꝛmanns Asblaſte ſtellet ſich im Tempel in Geſtalt und wun-
derbahrer Gebehr dung einer Alironiſchen Wahrſagerin ein/ wird aber endlich mit tau-
ſendfaͤltiger Freude erkennet. Die mit allem Uberfluß und Pracht zubereitete Fuͤrſt-
liche Hochzeits-Taffeln. Thusneldens Begleitung in ihr herꝛlich Schlaff-Gemach.
Der neu-verheyratheten Deutſchen und anderer Voͤlcker hierbey ſich ereignendewiedri-
ge Gewonheit. Adgandeſters Erzehlung uͤber Hertzog Herꝛmanns ausgeſtandene E-
bentheuer biß zu ſeiner erlangten gegenwaͤrtigen Gluͤckſeligkeit. Kinder die ſicherſte
Vormauer eines herꝛſchenden Haußes/ deren Maͤngel hingegen ſo wol bey Untertha-
nen als Nachbarn veraͤchtlich. Des Feldherꝛn Segimers mit Asblaſten ſiebenjaͤhrige
Unfruchtbarkeit ſchlaͤget der gemeinen Wolfarth halber eine willkuͤhrliche Ehſcheidung
vor: Dieſer durch viel ſeltzame Ebentheuer aus Perſten wieder erfolgte Zuruͤckkehr in
Deutſchland. Jhr kurtz hierauff verſpuͤrter Ehe-Segen durch einen nachdencklichen
Traum gleich der Olympia angedeutet. Hertzog Herꝛmanns und des Fuͤrſten Fla-
vius Geburt und Aufferziehung. Der erſtere in ſeiner Kindheit gleich dem Romulus
von einer Baͤhrin geraubet/ von ihren Bruͤſten genaͤhret/ endlich vom Segimer wie-
der errettet. Seine ſchoͤne Leibes-Geſtalt und Anmuth/ was ſolche bey grimmigen Thie-
ren ausgerichtet. Tugend die einige Schoͤnheit des Gemuͤths und das ruͤhmlichſte
Eigenthum der Fuͤrſten. Seine fruͤhzeitige Tapfferkeit und Gefangenſchafft nebſt
Asblaſten und ſeinem Bruder Flavius durch des Druſus Hinterliſt. Uber welcher
herꝛlichen Beute ſich Kayſer Auguſt dermaſſen vergnuͤgt: daß er ſich in Asblaſten ver-
liebt/ den Fuͤrſt Herꝛmann und Flavius aber ihrem Stande zukommende Bedienung
verſchaffet/ dafern die Gefangenſchafft auch einigen Anſtrich und Gold Firnis ſchein-
barer Freyheit annimt. Die Graͤfin von der Lippe verfuͤhret des Adgandeſters Erzeh-
lung: wie Auguſt beſonders Livia durch Erhebung des luſtigen Campaniens und Ver-
nichtung des kalten Deutſchlands die ſchwermuͤthige Asblaſte zu beſaͤnfftigen/ ja durch
vielfaͤltig erſonnene Liebes-Vorſtellungen ihre Keuſchheit mit dem Auguſt ihren eige-
nen Gemahl zu beſtricken ſuchet/ ſo aber von dieſer mit den herrlichſten Vernunffts- und
Tugend-Gruͤnden abgelehnet werden. Ungluͤck das eigentliche Element der Tugend;
eine Pruͤff- und Reinigung der Seele wie der Schmeltz-Ofen des Goldes. Tugend wird
zwiſchen Roſen und Biſam ſtinckend; zwiſchen Dornen/ Schweiß und Staube aber e-
wig erhalten. Der Menſchen Vollkommenheiten gleichen den maͤngelhafften Dia-
manten und fleckichten Sternen. Schoͤnheit der Seele in was ſie beſtehe? Nicht von
Schmincke und falſchem Anſtriche/ ſondern von dem Blute der Hertzhafften/ den Thraͤ-
nen der Gedultigen und Aſche der beſtaͤndigen. Terentia mahlet der Asblaſte gleichfalls
die Liebe als das zaͤrteſte Schoß Kind der Seele vor/ ſo die Anmuth zur rechten/ Unge-
mach aber zur Stieff-Mutter habe. Die keuſche Liebe wohnet mit den reinen Perlen
in einer Muſchel/ pfropffet ſich als die herrlichſte Schnathe auff den Stamm der Tu-
gend/ ja ſie bleibet ihre Krone und Mittel Punct. Liviens Art ihrem eigenen Gemahl
Kebs-Weiber zuzufuͤhren/ und dardurch ihre Herꝛſchafft uͤber ihn zu befeſtigen. Asbla-
ſte erzehlet ihren Nothſtand der Graͤfin von der Lippe/ wird folgenden Tag zu der in
der Ziegen-Jnſel vom Kayſer angeſtellten Luſtbarkeit und dem ſogenannten Goͤtter-
Looß gezogen. Dieſer vornehmen Geſellſchafft unter gewiſſer G[oͤ]tter und Goͤttin-
nen Nahmen herꝛlicher und uͤberirrdiſcher Auffzug. Des den Jupiter vorbildenden
H h h h h h h 3Druſus
[1166[1168]]Achtes Buch
Druſus ausgerichtete Goͤtter-Mahl/ und darauff erfolgter Satyriſcher geiler Auf-
zug. Der in einen Bock ſich verwandelnde Mercur giebt der keuſchen Asblaſte entge-
gen die unkeuſche Livia Gelegenheit ihr reiffes und tugendhafftes Urtheil anzubrin-
gen. Mecenas groſſes Lob wegen ſeiner ungemeinen Klugheit. Bey dem Gaſtmahle
und Vorſtellung der Juno unter Terentien erlanget des Tiberius und der Julia Liebe
ihre Vollkommenheit und Vermaͤhlung. Asblaſte aber wird nicht ohne ſonderbaren
Vorbedacht dem den Apollo vorbildenden Auguſt zugeſellet/ deſſen Liebes-Gebehrden
ſie ſich mit aller Ehrerbietigen Ausflucht/ und Scheltung der ihr entgegen geſetzten A-
mazoniſchen Herꝛſchafft zu entziehen bemuͤhet. Des Neptunus und ſeiner Amphitrite
Auffzug endiget ſich mit eines Tritons auf die Liebe des Kayſers gegen Asblaſten ſin-
gendem Getichte. Liviens Bewirthung auf dem Vorwerg Ceres. Die durch viel da-
bey vorgehende ſchaͤndliche Vorſtellungen auffs hoͤchſte geaͤrgerte und in eine finſtere
Neben-Hoͤhle ſich verborgene Asblaſte vom Auguſtus aufgeſuchet und mit den groͤſten
Liebkoß- und Verſprechungen angefochten. Jhre hertzhaffte Verfechtung und Gegen-
wuͤrffe mit Verdammung der ſchnoͤden und des Kayſers Ruhm verduͤſternden Geil-
heit/ werden durch des Hoͤhlen-Felſes unvermuthende Berſtung gleichſam vom Him-
mel gehandhabet/ Auguſt aber an ſeinem geilen Vorſatz gehindert. Der Koͤnigin Erato
und Adgandeſters Urtheil uͤber des Kayſers Auguſtus Tugenden und Laſter. Augu-
ſtus Aberglauben uͤber gewiſſe den Blitz abzulehnen bewaͤhrte Mittel. Asblaſte wird
auf das Luſt-Hauß des Apollo genoͤthiget/ dabey aber nicht wie vorigen Tag an ihrer
Keuſchheit gekraͤncket/ ſondern auf dem Luſt-Hauſe Veſta ihr und der ihrigen heiliges
Feuer anzuzuͤnden/ und die Hoͤhle mit einem nachdencklichen Poroiens Gluͤckſeligkeit
abbildendem Getichte zu uͤberſchreiten veranlaſſet. Bey dem neundten Aufzuge kaͤmpf-
fet Jupiter und Mars der erſte von der Juno/ der letzte von der Venus vergeſellſchaff-
tet um die der Stadt Rom am meiſten bezeigte Wolthaten/ dabey der Kriegs-GOtt
den Preiß und Siegs-Krantz davon traͤgt. Der zehnde Aufzug ſtellet die Venus mit
unterſchiedenen Bildungen/ die darunter ſpielende Antonia aber ihre unzuͤchtige Ge-
muͤths-Regungen fuͤr; Den eilfften Auffzug hat die nackend badende Diane oder Ju-
lia mit allen erſinnlichen Jaͤgereyen. Der letzte aber wird durch ſieben Jrr-Sternen
mit einem uͤber die Koſtbarkeit ihres gefertigten Ertzts entſtandenem Kampffe geendi-
get/ darinnen Saturn ihm die des Goldes zueignet/ und durch einen Tantz den Unter-
ſcheid der eiſernen/ ſilbernen und guͤldenen Zeit abbildet. Asblaſte von Livien dem Kay-
ſer hinterliſtiger Weiſe in die Haͤnde geſpielet; dieſer daruͤber bezeigte Eyver/ Schwer-
muth und verzweiffelte Stuͤrtzung ins Meer. Jhre wunderbare Errett- und Beſtuͤr-
tzung uͤber ihrer beyder Soͤhne ploͤtzlichem Abſchiede. Fuͤrſt Herꝛmann errettet den
in die See uͤber Bort fallenden Kayſer; Flavius aber ihm vor einem hauenden Schwei-
ne das Leben/ dardurch ſie ſich beyde zu ſeinen Schoß-Kindern/ bey den edelſten Roͤmern
aber zu den groͤſten Freunden machen. Fuͤrſt Herꝛmanns Scharffſinnigkeit und ver-
nuͤnfftige Vorſorge uͤber Auffſetzung der beyden Bilder der Eintracht und des Frie-
dens bringet den Deutſchen ſeinen Landes-Leuten deren Fruͤchte zu wege/ welche der ehr-
geitzige Druſus zu ſein und des Roͤmiſchen Kriegs-Heers eigenem Untergange ſtoͤret.
Fuͤrſt Herrmann wird zwiſchen Livien und Terentien uͤber beyder Geſtalt und Schoͤn-
heit
[1167[1169]]Arminius und Thußnelda.
heit ein Schieds-Richter zu ſeyn genoͤthiget. Sein vorſichtiges Urtheil. Uberfluß ein
Abbruch der Seltzamkeit/ nicht aber der Koͤſtligkeit. Scharffſinnigkeit nur fuͤr eine
Geburt der Stadt Rom zu halten. Mecenas Hauß ein Auffenthalt aller vortreff li-
chen Koͤpffe; Sein Leben ein Beyſpiel menſchlicher Vergnuͤgungen genennet. Fuͤrſt
Herrmann des Mecenas Schoß-Kind; des letztern Lehre von der Stoiſch- und wahren
Welt-Weißheit/ welcher letzteren Zweck nicht die Folterung/ ſondern die Ruhe des Ge-
muͤths/ und die Freudigkeit eines ungefaͤſſelten Geiſtes. Der wolluͤſtigen Terentien
Liebkoſungen fangen bey dem tugendhafften Mecenas keinen Zunder. Keuſchheit oh-
ne Verſuchung mehr vor eine Schlaffſucht oder Unempfindligkeit als Tugend zu hal-
ten. Anfechtung dagegen der Tugend Siegs-Krantz. Wolluſt auff Scytiſch zu befech-
ten/ und durch die Flucht zu beſiegen. Der Roͤmer erfolgte groſſe Niederlage nebſt dem
Tode des Druſus verurſachet zu Rom groſſes Schrecken/ beym Auguſtus aber Klein-
muth und bey nahe Verzweiffelung. Druſus wird verbrennet/ und ſeine Aſche von
den beyden deutſchen Fuͤrſten Herrmann und Flavius ins Kayſerliche Begraͤbnuͤs ge-
tragen. Auguſt maͤßiget dieſen beyden zu Liebe des Druſus allzu heuchleriſche den Deut-
ſchen zu Hohn erſonnene Lob-Reden und in Marmel gegrabene Uberſchrifften/ inglei-
chen der Deutſchen inſonderheit der Cherusker blutige Abſchlachtungen bey den Roͤmi-
ſchen Schau- und Kampff-Spielen. Der tapffere Herrmann muß zwiſchen dem Au-
guſt und ſeinem Vater Segimer der Stein zum Friedens-Grunde ſeyn. Weñ und aus
was Urſachen der Monat Auguſt ſeinen Nahmen bekommen? Terentien abermahlig
dem Fuͤrſt Herrmann gelegte Liebes-Stricke den Unſchuldigen gefaͤhrlich/ ihr ſelbſt a-
ber wegen des an ihr veruͤbten Selbſt-Mords toͤdtlich. Eyverſucht eine aus Liebe und
Haß vermiſchte Mißgeburt. Einerley Gefahr den Fuͤrſten ans Hertze und an ihren
Zepter zu greiffen. Terentiens blutiger Tod ziehet des Mecenas nach ſich. Sein letz-
ter Wille und Erbſchafft. Beyder Grabſchrifften. Fuͤrſt Herrmanns neuer Gluͤcks-
Stern beym Kayſer. Seine Wuͤrde bey dem Heiligthum der Eintracht; Geſchicklig-
keit auf den Schau-Plaͤtzen nebſt ſeinen andern Heldenmaͤßigen Tugenden. Des Kay-
ſers Enckeln zum Beyſpiele vorgeſtellet. Dieſer beyder allzufruͤhzeitige Ehrſucht brin-
get den Tiberius von Rom. Des Schwimmens Nutzbarkeit und deſſen groͤſte Lieb-
haber Auguſtus und Agrippa. Dieſer kommt im Kampff mit einem groſſen Crocodill
in Lebens-Gefahr/ vom Fuͤrſt Herrmann aber mit hertzhaffter Erlegung dieſes grim-
migen Thiers errettet. Auguſtus daruͤber geſchoͤpffte Freude ſetzet den Fuͤrſt Herꝛmann
ſeiner Leibwache vor. Laſter bey hohen Perſonen um ſo viel heßlicher. Juliens Tibe-
rius Gemahlin Wolluͤſte und Uppigkeiten entzuͤnden ſie durch zauberiſche Kuppeley zu
unziemlicher Liebe gegen den Julius des Marcus Antonius Sohn. Der Herꝛſchafft
und Schoͤnheit Schwefel kan in dem Feuer der Ehrſucht und Liebe ſtaͤhlerne Hertzen
zerſchmeltzen/ die kluͤgſten Koͤpffe einnehmen und verwirren. Wolluſt den Fliegen ver-
glichen. Des Antonius und Julia abgeredete Liebes-Wercke lauffen durch zufaͤllige
Verwechſelung der ebenmaͤßig in unrechtmaͤßiger Liebe zuſammen haltenden Lepidus
und Serviliens verkehrt ab/ und dienet aller Buhlſchafft zum Beyſpiel: daß bloſſe Ein-
bildung fremdes Waſſer zu Zucker mache. Ehrſucht die Sonne der Gemuͤths-Begier-
den verduͤſtert alle andere Regungen. Gefaͤhrliche Verraͤtherey wieder den Kayſer
vom
[1168[1170]]Achtes Buch
vom Fuͤrſt Herꝛmann hintertrieben. Der Julia zauberiſche und vergebliche Liebes-
Raͤncke gegen den Fuͤrſt Herrmann veraͤndern ſich in gifftigen Haß. Der beruͤhm-
te und von der Julia beſtochene Sternſeher Thraſyllus deutet dem Kayſer aus den Ge-
ſtirnen und andern wiedrigen Begebnuͤſſen ein groſſes vom Fuͤrſt Herꝛmann beſorgen-
des Ungluͤck zu; Alle dieſe ihm gelegte Fallſtricke aber ſchlagen zu ſeinem Tugend- und
Ehren-Ruhm/ und zu ſeiner Feinde eigenem Verterb und Blut-Urtheil aus. Des
verraͤtheriſchen Antonius und Lepidus ſchimpflicher Tod. Juliens und Serviliens Ge-
fangenſchafft. Kayſer Auguſt macht wieder den Parthiſchen Koͤnig Phraaten den
ihm beſtimmten Nachfolger des Reichs den Cajus zum Feldherrn/ den Marcus Lolli-
us und Fuͤrſt Herrmann zu ſeinen Gefaͤrthen. Lollius ſtifftet zwiſchen dem Cajus und
Tiberius Feindſchafft/ bemuͤhet ſich dieſen auch beym Kayſer zu vergaͤllen/ nach dem er
den Cajus wieder Fuͤrſt Herrmañs vernuͤnfftiges Einrathen am Phraat zu einem un-
gluͤcklichen Treffen verleitet. Eines Kriegs Obriſten Anſehen in was es beſtehe? Fuͤrſt
Herrmann wetzet durch einen liſtigen Uberfall der Parthen des Cajus Scharte aus/
bringet dardurch den Roͤmern einen vortheilhafften Friede/ dem Fuͤrſt Artavasdes
aber die Armeniſche Crone zu wege; Fuͤrſt Herrmann ſeiner erwieſenen Tapfferkeit
halber vom Koͤnig Phraates ſelbſt herrlich beſchencket/ Lollius ſeiner Verraͤtherey we-
gen angegeben und hingerichtet. Sein hinterlaſſenes und erſchundenes groſſes Ver-
moͤgen. Aller Geruch nach Verraͤtherey macht den guten Nahmen ſtinckend. Neuer
Friedens-Bruch zwiſchen dem Cajus und denen Parthen. Fuͤrſt Herrmanns Rache
uͤber des Cajus Meuchelmoͤrderiſche Verwundung zu Rom nebſt ſeinen andern groſ-
ſen Verdienſten hochgeprieſen. Des Auguſtus herrliches Urtheil von ihm ſetzet ihn
beym eyverſichtigen Tiberius in Haß und Verfolgung. Fuͤrſt Herrmanns durch die
Sternſeher vorgeſagtes Anſehen und Gluͤck bey der Welt. Segeſthes Wuͤrde bey den
Deutſchen/ und wie er einer Roͤmerin ſeiner Sentia zu Liebe nebſt ſeinem Vaterlande
gleichſam ſeine Kinder den Roͤmern zu Geißeln uͤbergeben/ worunter die unvergleichli-
che und gantz Rom verduͤſternde Schoͤnheit der Thusnelde den vollkommenſten Fuͤrſt
Herrmann beſtricket. Verliebte gleichen denen um die Flamme irrenden Motten/ und
Zwergs-Liebe kan uͤber Nacht zur Rieſin werden. Thusnelde wird bey einem offentli-
chen Heiligthume vor die vergoͤtterte Helena gehalten/ und vom Fuͤrſt Herrmann in ei-
ner mit ihr gefuͤhrten Wortwechſelung auffs hoͤchſte geprieſen. Schoͤnheit eine Mut-
ter der Liebe und eine Beherrſcher in der Goͤtter und Menſchen. Schoͤnheit des Leibes
ſo wenig ohne ein edles Gemuͤthe/ als ein Zirckel ohne Mittelpunct. Der Tugend ge-
faͤhrlichſter Stand in den Huͤlſen eines ſchoͤnen Leibes. Der Thusnelde Mißfallen an
dem blutigen Kampffe und Abſchlachtung der Deutſchen. Des Germanicus Recht-
fertigung vom Fuͤrſt Herrmann wiederleget/ und vom Auguſt ſelbſt gebilliget. Thus-
nelde und Fuͤrſt Herrmann beſeuffzen Deutſchlands bedraͤngten Zuſtand. Ritter-
Spiele dem Caſtor und Pollux zu Ehren gehalten/ Fuͤrſt Herrmanns und Thusnel-
dens dabey angebrachte Kunſt-Schuͤſſe eine Anzeigung ihrer naͤhern Gemuͤths-Ver-
einigung. Unempfindligkeit nur gefrorner Hertzen; die Bewegung aber einer zarten
Seele Eigenſchafft. Thusnelde giebet ſich dem Fuͤrſt Herrmann nebſt ihres Vaters
S[e]geſthes Untreu zu erkennen/ und verſtaͤndiget ihn mit hoͤchſter Beſcheidenheit der
einge-
[1169[1171]]Arminius und Thußnelda.
eingelauffenen Todes-Poſt Segimers ſeines Vaters des deutſchen Feldherrns. Jhrer
beyder Berathſchlagung uͤber Fuͤrſt Herrmanns Reichsfolge. Wolthaten gleichen de-
nen ihre Blaͤtter verlierenden Roſen. Die Beſiegung eines ehrſichtigen und liebreitzen-
den Weibes ſchwerer als eines gantzen Kriegs-Heeres. Alle Unterfangungen in Cent-
ner-Sachen muͤſſen ein Loth Verwegenheit haben/ und theils Rathſchlaͤge/ wie einige
Fruͤchte/ nicht voͤllig reiff werden. Fuͤrſt Herrmanns und Thußneldens Geſpraͤche
durch Livien geſtoͤret. Fuͤrſt Herrmann wird vom Jngviomer durch ein Schreiben der
verdaͤchtigen Todes-Art des tapffern Segimers/ und des verwirrten Cheruskiſchen
Zuſtandes verſtaͤndiget. Pflicht der Fuͤrſten Treu und Glauben zu halten/ wenn auch
Niedrigen uͤber die Schnur zu hauen uͤberſehen wird. Fuͤrſt Herrmann uͤberkommt
auf einen Tag durch die vom Kayſer erlangte Freyheit ſeiner nach ihm ſeuffzenden
Laͤnder Herrſchafft und das Verſprechnuͤs der Seelen-Beherrſcherin Thußnelde. Die-
ſer unvergleichliche Schoͤnheit erweckt beym Tiberius Liebe und Eyverſucht/ beym Se-
geſthes aber Vergeſſenheit ſeiner gegebenen Treu und Glauben. Staats-Geſetze aller
Anverwandſchafft/ die Vergroͤſſerung des Geſchlechts allem andern Abſehen vorzuzie-
hen. Thußneldens Standhafftigkeit beym Fuͤrſt Herrmann mit Vorſtellung der
ſchaͤndlichen Laſter des Tiberius. Deſſen gifftige Nachſtellungen auf Fuͤrſt Herrmans
Perſon durch Tyußneldens Warnigung und dem guͤtigen Verhaͤngnuͤs hintertrie-
ben. Liviens Zauber-Mittel die Thußnelde zu gewinnen. Des Tiberius Meuchel-
moͤrderiſcher Anfall vom tapffern Herrmann/ und der vor Thußnelden bereitete zau-
beriſche Liebestranck durch ihre Vorſicht abgelehnet. Solcher Liebestraͤncke ſchaͤdliche
Wuͤrckung. Fuͤrſt Herrmann berichtet dem Kayſer des Tiberius moͤrderiſchen An-
fall/ und beurlaubet ſich zugleich von ihm und der Stadt Rom. Des Kayſers recht-
maͤßiger Eyver uͤber den Tiberius und Rache gegen die uͤbrigen Moͤrder. Liviens durch
den beſtochenen Sternſeher Thraſillus beym Segeſthes ausgeuͤbte Liſt. Segeſthes und
Thußnelde wird unvermuthet und unerkennet durch den Fuͤrſt Herrmann aus der
Seeraͤuber Haͤnden errettet/ und mit tauſend Freuden empfangen. Jhre Bewirthung
von einem zwiſchen eitel Felſen in einem verborgenen Wunder-Gebaͤue wohnenden al-
ten Greiſen oder Prieſter. Dieſer Daͤdaliſchen Wohnung Beſchreibung und Herrlig-
keit. Wolthaten bezahlt zu nehmen/ eben ſo thoͤricht/ als den Preiß des Goldes durch
Einmiſchung geringerer Schlacken zu vergeringern. Tiberius wird beym Auguſt aus-
geſohnet und wieder die Chautzen geſendet. Fuͤrſt Herrmanns und ſeiner Thußnelde
praͤchtig- und freudiger Einzug in Deutſchburg. Was die Gluͤcks-Sterne den Schiff-
Leuten/ diß ſind Fuͤrſten ihren Unterthanen. Jede Neuigkeit ein Licht/ welches vieler
Augen an ſich ziehet und verblaͤndet. Fuͤrſt Herrmanns vorſichtige Einrichtung ſei-
ner Herrſchafft auff Krieg und Friedens-Zeiten. Der alten Deutſchen Jugend erſte
Zierrathen/ Schild und Spieß. Eines loͤblichen Fuͤrſten gehoͤrige Eigenſchafften. Jhre
vornehmſte Tugend: Die Vernunfft in allen Dingen zur Wegweiſerin haben. Das
Anſehen bey einer Herrſchafft/ was der Mittelpunct bey einer gerade ſtehenden Seule.
Ruͤhmlicher/ ſich nach Art eines Schwantz-Sterns mit herrlichem Glantze einaͤſchern/
als eine todte Kohle in der Erde unverweßlich zu bleiben. Gerechtigkeit durch aller Welt
Schaͤtze nicht zu bezahlen. Belohnungen ſollen allemahl nach dem ſchweren/ die Zuͤch-
Erſter Theil. J i i i i i itigun-
[1170[1172]]Achtes Buch
tigungen aber nach dem leichten Gewichte ausgetheilet werden. Ungedult eine Mut-
ter ſchaͤdlicher Mißgeburten/ Hoffnung eine Uberwinderin ſelbſt des Verhaͤngnuͤßes.
Politiſche Urſachen: warum das Hertze des Menſchen nicht auf der rechten/ ſondern
lincken Seite des Menſchens ſeinen Sitz habe? Hertzog Herrmann wird von ſeinen be-
draͤngten Nachbarn wieder die Roͤmer um Huͤlffe angeſucht/ und ihm ſeiner Vorfah-
ren Feldhauptmannſchafft angetragen. Fuͤrſten ob und wenn ihnen erlaubet ein an-
der Geſichte zu zeigen/ als ihr Hertze iſt? der Purpur-Rock eines Fuͤrſten ſoll den Ster-
nen gleichen und alſo ohne Flecken des Betruges ſeyn. Argwohnder Warheit groͤſter
Todfeind/ und wem ſie gleiche? Jn Staats-Sachen geben auch Zwergs-Baͤume einen
Rieſen-Schatten hoher Cedern von ſich. Das von der Natur in die Bruſt verborgene
Hertz lehret die Verſchwiegenheit/ und die Verbergung eines Anſchlags machet in
Kleinigkeiten die Kraͤffte anſehnlich/ die Maͤßigkeit unbegreiflich/ und ſich ſelbſt zum
Wunderwercke. Zerfallene Freundſchafft einem zerſtuͤckten Spiegel oder Edelgeſteine;
Ein verſoͤhnter Feind aber einem heut glaͤntzenden/ morgen roſtenden Ertz-Geſchirre
aͤhnlich. Hertzog Herrmanns Geſandſchafft an den Koͤnig Marbod/ deſſen mit dem
Tiberius getroffener Anſtand heiſſet den Geſandten andere Seiten auffziehen. Hoͤflig-
keit die gewiſſeſte Angel edler Gemuͤther und eine Bezauberin der Unhold. Hertzog
Herrmanns und des Roͤmiſchen Saturnins Freundſchafft. Beyde finden auff dem
Blocks-Berge bey naͤchtlich angeſtellter Jagt den mit einer zauberiſchen Wahrſagerin
uͤber des Tiberius kuͤnfftiges Gluͤck ſich beſprechenden Sentius. Seine Rechtfertigung
und letzt erkennter Fehler. Der Fuͤrſtin Thußnelde Auffenthalt bey der Cattiſchen
Herzogin. Des Fuͤrſten Arpus Gemahlin verurſachet dem entfernten Heꝛzog Herrmañ
allerhand Gemuͤths-Kraͤnckungen. Thußnelde befindet ſich mit der Fuͤrſtin Erdmuth
unter ihrem Frauenzimmer unerkannt in dem Hermunduriſchen warmen Brunnen/
allwo der dahin kommende Koͤnig Marbod ſich in ihre Schoͤnheit verliebet. Schoͤnheit
verblaͤndet mit ihrem Glantze wie die Sonne/ und toͤdtet mit ihrer Lebhafftigkeit wie
das Feuer. Der Augen beſondere Nahmen und Verrichtungen. Polycrates Gluͤcks-
Ring wird auff eine gantz wunderbare Art Thußnelden zu Theil. Der Liebe und Furcht
Wuͤrckungen in Marbods Gemuͤthe wegen Thußnelden. Marbods angeſtellte Jagt/
ſeine Lebens-Gefahr durch Thußneldens Tapfferkeit abgewendet. Marbods verliebte
Anſprache gegen Thußnelden bey einem in ſelbiger Einode ſich befindlichem Brunnen.
Thußnelde ſtellet ihm mit vielen Vernunffts-Gruͤnden entgegen: Daß ein Koͤnig vor
andern ſeiner Regungen Meiſter; Sie aber ihres Geluͤbdes ewiger Keuſchheit unver-
bruͤchlich eindenck ſeyn muͤſte. Marbods abgeſchlagene Liebe in Grimm und Raſerey
verwandelt durch einen Schlangenſtich beſtraffet. Furcht das groͤſte Leibzeichen aller
Gemuͤthsregungen. Thußnelde wird in ihrem Jaͤger-Aufzuge von ihrem erzuͤrnten
Vater dem Segeſthes/ als Roͤmiſchen Geſandten zum Marbod/ unvermuthet ange-
troffen/ in Verwahrung genommen/ und wegen ihrer Flucht von Rom zu hoͤchſtem
Leidweſen der Cattiſchen Hertzogin/ ſcharff unterhalten. Der daruͤber um Huͤlffe an-
geflehete Marbod ſchuͤtzet zu ſeines eigenen Abſehens Befeſtigung des Segeſthes vaͤter-
liche Gewalt/ und die denen Geſandten durch das allgemeine Voͤlcker-Recht zu ſtatten
kommende Freyheit. Die Cattiſche Hertzogin aber andere entgegen geſetzte Gruͤnde
vor
[1171[1173]]Arminius und Thußnelda.
vor. Thußnelde koͤmmt auf gewiſſe Bedingung wieder in dieſer Fuͤrſtin Verwahrung.
Des Marbods mit dem Segeſthes gehaltene geheime Unterredung uͤber der Roͤmer an
ihm dem Segeſthes zeither veruͤbten Falſchheit; mit Erhebung ſeines hohen Geſchlechts
und Wuͤrdigkeit der ihm gebuͤhrenden Feldherrſchafft. Boßheit und Klugheit die zwey
Bots Leute der gantzen Welt. Augen und Gebehrden Verraͤther der Seelen. Heuche-
ley der Staats-Klugheit groͤſte Tugend. Jn der Elbe ein ungewoͤhnlich groſſer Stier
gefangen/ und in deſſen Leibe durch Marbods kuͤnſtlichen Betrug ein goldener Ring mit
einer nachdencklichen Uberſchrifft gefunden. Ob und was von dergleichen Deutungen
zukuͤnfftiger Dinge zu halten? Marbod verfolgt beym Segeſthes ſeine Liſt als ein gott-
lich Verhaͤngnuͤs/ und dringt auff Thußneldens Vermaͤhlung. Die unter ſo viel ver-
meinten klugen verſtaͤndigſte Thußnelde eroͤffnet ihrem Vater des Marbods Betrug
wie und woher; auch jenes durch den Natterſtich ſchon einſt empfundene goͤttliche Ra-
che/ erklaͤret ſich dabey lieber zu ſterben/ als den Hertzog Herrmann zu vergeſſen. All-
zugenaue Scharffſichtigkeit in uͤberirrdiſchen Dingen Blindheit. Unglaube das be-
truͤglichſte Fallbret. Das unvermeidliche Verhaͤngnuͤs die weiſeſte Richtſchnur. Ehre
und Leben erheiſchet das letztere vor die Tugend zu verſchwenden. Staats-Klugheit
achtet Heyrathen vor Vermaͤhlungen der Buͤrger/ Buͤndnuͤſſe aber/ der Fuͤrſten. All-
zugroſſe Schaͤrffe eine Gebaͤhrerin der Verzweiffelung; Gelindigkeit eine Zermalme-
rin der haͤrteſten Steinfelſen. Das weibliche Geſchlecht und Feuer erfordert einerley
Behutſamkeit/ weil beydes Rauch und Licht heget. Thußnelde verſchmaͤhet Marbods
und ſeiner Fuͤrſten ihr zu den Fuͤſſen gelegte Koͤnigs-Kronen und Fuͤrſten-Huͤte/ mit
Erkieſung eines einſamen Kerckers und des darinnen rein behaltenen koͤſtlichen Scha-
tzes ihrer Gewiſſens Ruh. Thußnelde wird in Verhafft/ die Cattiſche Hertzogin aber
aus dem Reiche geſchafft. Dabey die Graͤfin von der Lippe ihre Erzehlung endiget/
Fuͤrſt Adgandeſter aber befolget. Wie der zu Mayntz angelangte Tiberius Thußnel-
den ſeine vermeinte Braut beym Marbod mit Glimpf/ beym Segeſthes aber mit Draͤu-
en geſuchet. Marbods abſchlaͤgliche Antwort und Kriegs Verfaſſung. Des furcht-
ſamen Segeſthes beym Varus geſuchter Schutz. Der hieruͤber bekuͤmmerte Hertzog
Herrmann errettet durch eines ihn auffweckenden Geiſtes oder Geſichts Huͤlffe und
Wegweiſung wieder ſein eigenes Dencken ſeine hoͤchſt verlangte Thußnelde nicht ſo wol
aus dem Gefaͤngnuͤs/ als aus den Wellen eines wuͤtenden Stroms. Das allſehende
Auge der Goͤttlichen Verſehung/ wie esvon Menſchen anzuſehen? Fuͤrſt Herrmanns
und Thußneldens Zuruͤckkehr nach der Hauptſtadt Matium zu Hertzog Arpus Ge-
mahlin Erdmuth/ auf welcher Reiſe ſie Siegimers des Segeſthes Brudern Braut
Rhamis des Cattiſchen Hertzogs Ukrumers Tochter gantz wunderbarer Weiſe aus den
feindlich- und Raͤuberiſchen in ihres Braͤutigams des Siegimers Haͤnde lieffern. Sege-
ſthes Hertzog Herrmanns und Thußneldens unvermuthete Zuſammenkunfft verurſa-
chet abermahl gefaͤhrliche Ebentheuer und ein blutiges Fechten/ nach welchem der heftig
verwundete Hertzog Herrmann nebſt Thußnelden mit ſchimpflichen Ketten gebunden/
Siegimer aber von ſeinem Bruder Segeſthes vor Feind erklaͤret wird. Wie vielerley
Abſehen des Menſchen/ ſo vielerley Abgoͤtter hat er. Segeſthes und Tiberius boßhaff-
tes Verhalten gegen den Hertzog Herrmann wird durch Marbods und Vannius
J i i i i i i 2wuͤrckli-
[1172[1174]]Achtes Buch
wuͤrcklichen Uberfall und zu Erhaltung der Cheruskiſchen Freundſchafft hinterzogen.
Den aller Orten bedraͤngten Roͤmern ſoll die unſchuldige Thußnelde zum Opffer/ dem
maͤchtigen Feinde Marbod aber zur Beſaͤnfftigung und zur Ausbeute dienen. Tibe-
rius wird gezwungen denen Maͤrckmaͤnnern und Quaden einen ſchimpflichen Jahrs-
Sold zu verſprechen. Vermaͤhlungen zwiſchen zwiſtigen Haͤuptern die Ehrenpforten
aus dem Jrr-Garten eines entſprungenen Kriegs zu kommen. Jm Zanck Apffel der
Schoͤnheit/ ſelten Kerne zu finden/ woraus die Oelzweige des Friedens wachſen. Weib-
liches Geſchlecht eine Gebaͤhrerin der Zwietracht in Laͤndern/ wie der Zwillinge im Kind-
Bette. Segeſthes gifftiger Anſchlag wird durch ſeiner Gemahlin Sentia und ſeines
Sohnes Siegismunds Gefangenſchafft von den Cheruskern hintertrieben/ und her-
nach mit Hertzog Herrmannen ausgewechſelt. Deſſen Tapfferkeit windet mit ſeinen
wenigen Cheruskern und des darzu kommenden vom Marbod vertriebenen Hertzog
Jubils Huͤlffe denen viel ſtaͤrckern Marckmaͤnnern ſeine gefangene Thußnelde nach ei-
nem harten und blutigen Gefechte nicht allein aus den Haͤnden/ ſondern bekommt auch
die der Thußnelde entgegen kommende Koͤnigliche Tochter als eine Gefangene vom Her-
tzog Jubill zum Geſchencke. Hertzog Herrmann wird uͤber ſorgfaͤltiger Suchung ſei-
ner auf dem Gabretiſchen Gebuͤrge verſteckten Thußnelde durch ein wundergroſſes
Weibsbild oder die Schutz-Goͤttin ſolchen Gebuͤrges von einem zwiſchen den Felſen her-
fuͤr ſpringenden gifftigen Waſſer ab/ und zu einem geſunden gefuͤhret/ auch vor den
Erhalter der Deutſchen Freyheit geprieſen. Der Cherusker vom Geſpenſte ſelbſt gera-
thene Abzug wird eines der Caſuarter und Cherusker Feindſchafft ſchmertzlich bewei-
nenden alten Ritters/ und durch deſſen Veranlaſſung Hertzog Herrmann ſeiner in der
Marckmaͤnner Haͤnde wieder verfallenen Thußnelde bey nahe theilhafſtig. Thußnel-
dens neue Lebens Gefahr in einem vom Fuͤrſt Herrmann belaͤgerten Schloſſe auf Se-
geſthes ihres Vaters Befehl bey euſſerſtem Nothfall von der Feſtung und felſichten
Klippen abgeſtuͤrtzet zu werden. Das Urtheil/ wie recht oder unrecht es ſey/ ein Werck
der Obern/ Gehorſam aber die Ehre der Unterthanen. Aus der abgeſtuͤrtzten und vom
Hertzog Herrmann an einem Krachſteine lebendig gefundenen Thußnelden zu ſchluͤſſen:
daß Fuͤrſten gantz andere oder beſondere Schutz Geiſter und Erhaltungs-Geſtirne;
Aus Hertzog Herrmanns aber dabey bezeigten hertzlichem Mitleiden: daß die Augen der
Helden nicht weniger in ſich Waſſer der Empfindligkeit/ als Felſen Quellen haben muͤſ-
ſen. Die Laſter haben nach ihrer Vollbringung die Art des in der Lufft erſt ſchwer wer-
den den Stein-Saltzes an ſich. Aus dem rechten Gebrauch aller dreyen Zeiten iſt das ei-
gentliche Leben zu ſchluͤſſen. Thußneldens Erbarmung uͤber die ſie abſtuͤrtzenden gefan-
genen Marckmaͤnner. Segeſthes von Sicher- und Trunckenheit den Cheruskern den
Ruͤckweg abzuſchneiden geſchlagenes Lager vom Hertzog Herrmann und Jubill uͤber-
fallen/ zerſtreuet und meiſt abgeſchlachtet/ ſelbſt Segeſthes gefangen/ Stadt und Schloß
Henneberg nebſt allen mit dem Tiberius und Varus uͤber ſeinen Untergang gewechſel-
ten Brieffen erobert. Hertzog Herrmann entlediget den Segeſthes ſeiner Thußnelden zu
Liebe der Ketten und Bande/ fuͤhret ihm der Roͤmer Betrug und ſein Zeitheriges uͤbles
Beginnen zu Gemuͤthe/ mit Verſprechnuͤs ſeiner Freyheit und ſeines Gebietes/ welches
er mit aller erſinnlichſten Dancknehm- und Berenung ſeiner Fehler/ Erhebung des Her-
tzog
[1173[1175]]Arminius und Thußnelda.
tzog Herrmanns freymuͤthig erkennet/ auch das Feld bey Henneberg dieſes Sieges hal-
ber/ mit dem Nahmen Herrmanns Feld verewigen laͤſt. Dieſer Fuͤrſtlichen Geſell-
ſchafft Ankunfft zu Marpurg beym Hertzog Arpus verurſachet wegen des Cheruskiſch-
und Caſuariſchen Hauſes Vereinbarung groſſe Freude; des Sicambriſchen Hertzogs
Melo uͤberbrachte traurige Zeitung aber wegen ſeiner vom Q. Varus geraubten Toch-
ter ein allgemeines Hertzeleid und Verbitterung gegen die Roͤmer. Alle Guͤter ſind
wieder zu erlangen/ der Verluſt der Keuſchheit allein iſt unerſetzlich/ und der Ehre un-
wiederbringlich. Hertzog Herrmanns/ Arpus und Melo Berathſchlagung uͤber des
Varus Rache und Erhaltung der Deutſchen Freyheit. Der Verdacht der betrieglich-
ſte Wegweiſer zu bereuenswuͤrdigen Entſchluͤſſungen. Segeſthes abermahlige Verraͤ-
therey. Das Gewiſſen der Goͤttlichen Rache Gerichts-Anwald. Varus wird durch
der Deutſchen Fuͤrſten Zuſammenkunfft zu Aliſon in gutes Vertrauen; Hertzog Herr-
mann aber zu ſein und der uͤbrigen Roͤmer bald erfolgenden Schreckenzum Feldherrn
Deutſchlands geſetzet. Der Fuͤrſtin Thußnelde Helden-Tugenden begleiten eitel Wun-
derwercke/ wie das Ende der Erzehlung vor dißmahl den Adgandeſter und uͤbrige Ho-
hen zu einer herrlichen Mahlzeit und allerhand Schertz-Spielen.
DJe Zeit hat eine Bot-
maͤßigkeit uͤber alle
Dinge. Sie bedecket
guͤldene Haare mit
Schimmel; Roſen-
Wangen mit Thon/
Purper-Lippen mit
Bleyweiß. Sie nuͤtzet
Marmel mit Regen/ Ertzt mit Feuer und Fei-
len ab; Sie zerſprenget mit denen verſchloſſe-
nen Winden die raueſten Felſen/ und verkehret
die Sternen in Aſche. Sie leſchet allem das
Licht aus; ihr aber niemand. Nur alleine die
Tugend machet ſich durch unſterblichen Nach-
Ruhm der Zeit zur Meiſterin; und Liebe ver-
wirret ihre Sand-Uhr. Denn ſie machet bey
erlangtem Genuͤß einen Tag zum Augenbli-
cke; und ihr ungedultiges Verlangen eine
Nacht zum Jahre. Dieſe letztere Wuͤrckung
verurſachte: daß das wenige uͤbrige der Finſter-
nuͤs/ welches doch noch darzu guten theils der
Schlaff verkuͤrtzt hatte; dem großmuͤthigen
Feldherrn Herrmañ und der verliebten Thuß-
nelden fuͤrkam; Als wenn die Gegenfuͤßler das
Rad und den Lauff der Sonnen gehemmet haͤt-
te. Dieſemnach denn beyde ſo wol als der gantze
Hof der ſchlaͤffrigen Morgenroͤthe zuvor ka-
men; um ſich zu dem Vermaͤhlungs-Feyer fer-
tig zu machen. Zumahl ohne diß ſchon ein Bar-
de den Abend zuvor an das Burg-Thor nach-
folgende Reymen angehefftet hatte:
Es hatte der Feldherr aber ſich noch nicht
gar angelegt; Als Fuͤrſt Adgandeſter ins Zim-
mer trat/ und ihm anmeldete: daß der Oberſte
Gaͤrtner auffs emſigſte anhielt: es moͤchte doch
der Hertzog wegen einer anſchauens-wuͤrdigen
Seltzamkeit ſich mit allen Groſſen ſonder eini-
ge Zeitverlierung in Garten verfuͤgen. Wie-
wol nun der eingelaſſene Gaͤrtner die Sache
nicht deutlich entdecken wolte; weil aber ſeine
Gebehrden genungſam zu verſtehen gaben: daß
es was ſonderliches/ und nichts unangenehmes
waͤre; erklaͤrte ſich der Feldherr: daß er ihm auf
dem Fuſſe folgen wolte; ließ auch in Eyl die an-
dern Fuͤrſten in Garten erſuchen/ er aber for-
derte ſelbſt ſeine andere Secle Thußnelden ab.
Der Gaͤrtner leitete die hohen Haͤupter/ und
den ſich eindringenden Hof zu einer groſſen A-
loe-Staude; welche die Koͤnigin in Hibernien
dem Feldherrn uͤberſchickt/ ſie aber aus den
Gluͤcks-Jnſeln bekommen hatte. Dieſe ſel-
tzame und ſchwangere Staude traffen ſie als ei-
ne aͤngſtige Gebaͤhrerin an; Denn ſie trieb ei-
nen dicken Stengel mit ſolcher Gewalt empor:
daß die Augen ſichtbar ſein Wachsthum wahr-
nehmen konten. Jn zweyen Stunden waꝛ er
wol drey Ellen-Bogen hoch worden; und es
ſchoſſen zugleich eine ziemliche Anzahl wolruͤ-
chender Blumen herfuͤr; alſo: daß alle Anſchau-
er nichts minder hieruͤber Ergoͤtzligkeit ſchoͤpff-
ten/ als ſich verwunderten; ja ſie haͤtten dieſer
gebaͤhrenden Staude noch laͤnger zugeſehen;
weñ nicht die Verliebten ihr innerlicher Mag-
net anders wohin gezogen; die Prieſter auch
ſelbſt: daß es Zeit waͤre/ erinnert haͤtten. Jn-
zwiſchen legte iederman die Geburt dieſes edlen
Gewaͤchſes fuͤr ein herrliches Gluͤcks-Zeichen
der zwey Verlobten aus/ und wuͤnſchte: daß ſie
noch in ihrem Leben ſo viel edle Nachkommen
zehlen moͤchten; Als ſie an der Aloe Blumen ſaͤ-
hen.
Unter dieſen Wahrſagungen und Gluͤcks-
Wuͤnſchen ſchickten ſich alle zu der Farth in den
Deutſchburgiſchen Heyn. Saͤmtliche bey dem
Einzuge ſich gewieſene Scharen hatten auff
beyden Seiten der dahin gehenden Straſſe ſich
in Ordnung geſtellt. Zum erſten giengen die
Barden; welche mit ihrem Luſtgethoͤne und
Lobgeſaͤngen die Lufft erfuͤlleten. Dieſem folgte
ein mit gruͤnen Zweigen ſo zierlich geflochtener
Wagen: daß die darinnen zum Opfer verwahr-
te Tauben und Sperlinge gleich wie in einem
Gebauer beſtrickt waren; dieſem eine Menge
Opffer-Knechte/ welche in eine auf einer
Schleiffe gefuͤhrten Kohlen-Glut Wacholder-
Beeren haͤuffig auffſtreuten. Hierauf kamen
abermahl fuͤnffhundert außerleſene Jungfrau-
en; die mit ausgeſtreuten Blumen gleicher Ge-
ſtalt den Weg baͤhneten; und nach ihnen die
Fuͤrſtliche Braut auff ihrer guͤldenen Muſchel;
welche dißmahl vier geweibete ſchneeweiſſe
Pferde zohen; von denen vorhin ſonſt noch
nichts gezogen worden. Die ſchoͤnſte Thuß-
nelde war dißmahl aller Waffen beraubet; trug
auf dem Haupte einen mit Perlen umflochte-
nen Roſen-Krantz. Jhr gantzes Kleid war aus
weiſſer Seide/ und mit ihrem gantzen Leibe kein
Schmuck anderer Farbe zu finden; entweder
die Reinigkeit ihrer Jungferſchafft abzubilden;
oder durch den Schnee ihrer weiſſen Haut auch
die zarteſte Seide zu beſchaͤmen. Hierauf lieſ-
ſen ſich abermahls eine Menge Barden nichts
minder annehmlich hoͤren/ alsſehen; Die Opf-
fer-Knechte fuͤhrten ein ſchneeweißes Pferd/
das gleichfalls weder Zaum noch Sattel gefuͤhlt
hatte/ bey den Meenen. Wiewol diß nun die
gantze Nacht unauffhoͤrlich geſprungen hatte;
alſo: daß es vom Schweiße gleichſam troff; ſo
ließ es ſich doch nunmehr zu ſeiner Abſchlach-
tung wie ein gedultiges Lamm leiten; und
welches noch mehr die Auslegung kuͤnfftigen
Gluͤckes beglaubigte/ ſchritt diß gewiedmete
Pferd iedesmahls mit dem rechten Schenckel
uͤber die an dreyen Orten nach Gewonheit
quer uͤber den Weg gelegte Lantzen. Hingegen
thaͤt
[1175[1177]]Arminius und Thußnelda.
thaͤt das Tigerſcheckichte Pferd/ auf welchem
der Feldherr zwiſchen dem Hertzog Arpus und
Flavius daher ritt/ ſo viel mehr Saͤtze und
Lufft-Springe. Welchen denn alle andere
Fuͤrſten zu Pferde nichts weniger/ als die Koͤ-
nigin Erato/ die Hertzogin der Catten/ ihre
Tochter/ und viel andere Fuͤrſten begleiteten.
Bey dem Eingange des heiligen Heynes
ſtanden zwoͤlff Prieſter in ſchneeweißen Klei-
dern/ mit Lorbern bekraͤntzet; in den Haͤnden
hatten ſie verguͤldete Sicheln/ und Eiſenkraut.
Nach dem ſie beyde Verlobte mit einem Segen
bewillkommt/ und das geweihte Kraut ihnen
auf das Haupt geſtreuet hatten/ der Feldherr
auch von ſeinem Pferde/ Thußnelde von ihrem
Wagen geſtiegen war; giengen ſie fuͤr ihnen
her/ biß zu dem Tanfaniſchen Tempel. Da-
ſelbſt blieben ſie ſtehen; und wurden in einem
Kreiße von denen ſie begleitenden Fuͤrſten um-
geben. Auff Seiten der Fuͤrſtlichen Braut
vertrat an ſtatt des abweſenden Segeſthes Her-
tzog Arpus die Vater- und Erdmuth ſeine Ge-
mahlin/ als Thußneldens nahe Baſe/ die Mut-
ter-Stelle. Ein alter Prieſter kam hierauff/
und erkundigte ſich: Ob die Einwilligung der
Verlobten/ und die ſonſt darzu noͤthigen Hey-
rathsbedingungen ihre Richtigkeit haͤtten? Deñ
ob zwar das Recht der Voͤlcker der Eltern
Willen zu der Kinder Verehligung mehr zum
Wolſtande/ als Weſen ihrer Eh erfordert; hei-
ſchen ſelbten doch die ehrbaren Deutſchen als
eine unentpehrliche Nothwendigkeit; wiewol
die einmahl den Kindern gegebene Einwilli-
gung heꝛnach keine Reue veꝛſtattet. Dieſemnach
denn Hertzog Arpus dem Prieſter antwortete:
Segeſthes haͤtte bey der Aufopfferung der Roͤ-
miſchen Gefangenen in Anweſenheit vieler
Prieſter und aller gegenwaͤrtigen Fuͤrſten/
Hertzog Herrmanns und Thußneldens Hey-
rath gut geſprochen. Weßwegen ihr Bru-
der Fuͤrſt Sigismund ſelbſt ſich zum Opffer-
Feuer naͤherte/ in eine Feuer-Sorge eine
Schauffel voll gluͤende Kohlen ſchuͤttete/ auff
einen Teller aber Brod und Saltz legte/ und
diß dem Hertzog Arpus reichte/ und ſelbtes an
ſtatt des Vatern Thußnelden zum Merckmale:
daß ſie nun einen eigenen Tiſch und Heerd he-
gen moͤchte/ einhaͤndigte.
Wie nun dieſer Prieſter ſich hiermit aller-
dings vergnuͤgt zu ſeyn erklaͤrte; ließ der Feld-
herr ein Joch zuſammen geſpannter weiſſen
Ochſen/ und ein ſchneeweiſſes Pferd mit Sat-
tel und Zeug/ eine Lantze/ einen Schild und ein
Schwerd herbringen; welches er nach der
ſtreitbaren Deutſchen Art der Fuͤrſtin Thuß-
nelde zum Braut-Schatze uͤberliefferte. Sin-
temahl dieſes Volck weiblichen Schmuck und
zaͤrtliche Geſchaͤncke bey ihren Vermaͤhlungen
viel zu veraͤchtlich haͤlt; ſondern ſich durch obige
raue Gaben mit einander vereinbart/ und hier-
mit klaͤrer/ als die Grichen und Roͤmer/ die der
Braͤute Haar mit einer Lantze zu zertheilen
pflegten/ andeutete: daß beyde Ehleute im
Frieden/ Arbeits-im Kriege Kampffs-Gefaͤr-
then ſeyn wuͤrden. Die freudige Thußnelde
nahm dieſe Geſchaͤncke mit einer anmuthigen
Ehrerbietung an/ und vermeldete: Sie uͤber-
nehme mit dieſer Freygebigkeit ihres Gebie-
ters und Eh-Herrn Herrſchafft uͤber ſich; zum
Kennzeichen des kraͤfftigſten Seelen-Bandes/
und des geheimen Heiligthums/ in welchem die
Goͤttliche Liebe durch das reine Feuer keuſch-
verlobter Hertzen verehret wuͤrde. Sie wuͤrde
an dem groſſen Fuͤrſten Herrmann ſeine Tu-
genden ihr zu einem Spiegel ihres Lebens die-
nen laſſen/ und um ſeinen Befehlen durch Ge-
horſam fuͤrzukommen ſich bemuͤhen ſeinen Wil-
len ihm an den Augen anzuſehen. Sie wolte
bey Gluͤck und Ungluͤck alle ſeine Zufaͤlle fuͤr
die ihrigen ſchaͤtzen; und bey der Ruhe mit ihm
den Pflug halten; bey der Gefahr mit ihm den
Harniſch anziehen/ und dieſe Waffen fuͤr ihn/
und das Vaterland brauchen. Sie haͤtte ihr
fuͤrgenommen mit ihm tugendhafft zu leben/
und
[1176[1178]]Achtes Buch
und ruͤhmlich zu ſterben; wormit ihren Kin-
dern an ihrem Fuͤrſtlichen Erbtheile nichts ab-
gienge; ihrem Geſchlechte nichts verkleinerli-
ches zuwuͤchſe; ſondern/ was ihren Schnuren
ehrlich/ und ihren Enckeln ein erfreuliches Ge-
daͤchtnuͤs und Beyſpiel ſeyn wuͤrde. Wiewol
es nun bey denen Deutſchen nicht noͤthig iſt:
daß die Braut ihrem Braͤutigam eine Mitgift
zubringe/ ſo beſchaͤnckte ſie ihn doch auch mit ei-
nem ſchoͤnen Pferde und einem mit Edelgeſtei-
nen verſetzten Schwerdte; welches beydes ſie
in der Schlacht einem Roͤmiſchen Oberſten ab-
genommen hatte. Hiermit wurden die zum
Opffer beſtimmten Thiere herzu gebracht/ von
den Opffer-Knechten mit dem aus der heiligen
Hoͤle fluͤſſendem Waſſer abgewaſchen; Die A-
dern und Eingeweide ſorgfaͤltig durchſucht; und
alles auf eitel Gutes deutend befunden; endlich
von der krachenden Flamme auf denen aus Ra-
ſen zuſammen geſetzten Altaͤꝛen verbꝛennet; wel-
che die zwey Verlobten ſelbſt durch Anlegung
vielen Wacholder-Holtzes/ und durch darein
gegoſſenen Wein und Oel mehr lebhafft und
verzehrend machten. Denn die Andacht ſchaͤ-
met ſich nicht bey Verehrung des Fuͤrſten aller
Fuͤrſten auch den niedrigſten Dienſt zu vertre-
ten. Als alles dieſes vollbracht/ ward der Feld-
herr und Thußnelde von den Prieſtern zu der
heiligen Hoͤle gefuͤhret; da ſie denn der oberſte
Prieſter Libys beym Eingange aus dem ge-
weihten Brunnen beſprengte; hernach ſie nie-
der zu knien/ ihr Gebete zu verrichten/ und end-
lich ihre Haͤnde in einander zu ſchrencken erin-
nerte. Dieſe band er mit einem von einem
Sterbe-Kittel gemachten Bande zuſammen;
Gleich als wenn die ehliche Liebe auch mit dem
Tode nicht verrauchen ſolte. Hierauff guͤrtete
er Thußnelden ihren Guͤrtel loß; nahm ihr den
Krantz ab/ und gab jenen dem Feldherrn in die
Haͤnde/ dieſen aber ſetzte ſie ihm auf das Haupt;
Gleich als wenn er ihm hiemit die Gewalt uͤbeꝛ
ihren Engliſchen Leib zueignete/ und die reinen
Bluͤthen ihrer keuſchen Jungfrauſchafft zu ge-
nuͤſſen erlaubte. Nach dem Libys auch auff
ſeinem Antlitze fuͤr ſie zwey inbruͤnſtig gebetet
hatte; ſegnete er ſie/ goß eine Schale voll wol-
ruͤchendes Waſſers uͤber ihre Scheiteln/ und
wuͤnſchte: daß ſie ſo viel Kinder und Kindes-
Kinder zehlen moͤchten; als er aus ſelbigem
Geſchirre Tropffen gieſſe. Uber dieſen Wor-
ten erhob ſich ein neues Waſſer-Geraͤuſche/
welches ſich ie laͤnger ie mehr vergroͤſſerte; und
endlich brach dem alten Quelle gegen uͤber zwi-
ſchen denen Steinfelſen ein neuer Brunn her-
fuͤr/ welcher eines Armes dicke empor ſpruͤtzte.
Alle Anweſenden/ und ſelbſt Libys wurden hier-
uͤber Wunders voll. Denn ob zwar zuweilen
nach ſich ereignenden Erdbeben/ welche die
Felſen zerſpalten/ oder die Adern anderwaͤrti-
ger Quelle verruͤcken/ oder auch/ wenn Waͤlder
ausgerottet/ und dardurch die ſonſt in die Wur-
tzeln gezogene Feuchtigkeit im Erdboden ver-
ſammlet wird/ neue Brunnen entſpringen;
wie ſich fuͤrnehmlich auf dem Gebuͤrge Haͤmus
ereignet/ als Caſſander die Deutſchen darauff
belaͤgerte; ſo waͤre doch hier keine dieſer Urſa-
chen verhanden/ und es ſo viel nachdencklicher:
daß dieſes neue Quell eben uͤber dieſem heiligen
Hochzeit-Feyer herfuͤr braͤche. Ob auch wol
ſonſt die ungewoͤhnliche Erguͤſſung der Brun-
nen ein Vorbote bevorſtehenden Mißwachſes
ſeyn ſoll; ſo wahrſagte doch der Prieſter Libys
denen Fuͤrſtlichen Verlobten: daß ſo lange die-
ſes neue Quell nicht verſaͤugen wuͤrde; ihre
Nachkommen und Geſchlechte wachſen und
bluͤhen muͤſten. Nach vielen von dem Volcke
ausgelaſſenem Frolocken wurden ſie endlich
in den Tanfaniſchen Tempel gefuͤhret; darin-
nen die Barden an zwoͤlff ſteinernen Pfeilern
ſo viel Sinnbilder dem Feldherrn zu Ehren/
und zu Ausdruͤckung ſeiner hefftigen Liebe/ auf-
gerichtet; alle Erfindungen aber vom Feuer
genommen hatten; theils/ weil Hertzog Herr-
mann in Fuͤrſtlichen Entſchluͤſſungen allezeit
eine
[1177[1179]]Arminius und Thußnelda.
eine Eigenſchafft des Feuers erforderte; theils
weil die Liebe keinem Dinge beſſer/ als den
Flammen zu vergleichen/ oder auch wahrhaff-
tig das edelſte Feuer aufgethaner Gemuͤther
iſt. Sie hatten darinnen vornehmlich die Heff-
tigkeit/ die Reinigkeit/ und die fruchtloſe Hin-
dernuͤs ſeiner keuſchen Liebe gegen die unver-
gleichliche Thußnelde fuͤrzubilden ſich bemuͤhet;
und war an dem erſten Pfeiler ein in der helle-
ſten Flamme unverſehrter Salamander zu ſe-
hen; darunter aber zu leſen:
Am andern Pfeiler zermalmete ein unter-
irrdiſches/ aber mit Krachen hervor brechendes
Feuer/ Felſen und Gebuͤrge/ mit der Unter-
ſchrifft:
Am dritten muͤhte ſich der Blitz/ und ein
Schwerd/ wiewol umſonſt ein raſendes Feuer
zu vertilgen; darunter geſchrieben ſtand:
Der vierdte Pfeiler ſtellte eine helleuchtende
Flamme fuͤr; welche die Wolcken eines dicken
Rauches zertrennte; und folgende Worte dar-
bey verzeichnet hatte:
Vom fuͤnfften Pfeiler erfuͤllte der auf gluͤen-
den Kohlen zerſchmeltzende Weyrauch mit ſei-
nem durchdringenden Geruche den gantzen
Tempel/ und folgende Zeilen legten esaus:
Am ſechſten Pfeiler ſtand eine flammende
Feuer-Eße; in welcher ein ſtarckes Eiſen halb
ſeinen alten Roſt zeigte/ halb aber gluͤend und
glaͤntzend; und nach beygeſetzten Worten zu
verſtehen war:
Bey dem ſiebenden Pfeiler ſtand eine lodern-
de Fackel/ an der das Wachs noch dazu von
den Sonnen-Stralen zerſchmeltzt ward/ mit
folgender Ausdeutung:
Der achte Pfeiler war ein Behaͤltnuͤs eines
von Flammen krachenden Holtz-Stoſſes/ wel-
cher zwar eine Leiche zu Staube verbrennt hat-
te/ einem vom Giffte blau aufgeſchwelletem
Hertzen aber nichts anzuhaben vermochte. Dar-
unter war verzeichnet:
Am neundten Pfeiler war ein Hauffen gluͤ-
ender/ und von dem darauf geſpritzten Waſſer
rauchender Steine zu ſehen/ folgende Worte
aber zu leſen:
Der zehnde Pfeiler ſtellte einen Berg voll
Aſche/ zwiſchen welchem doch hin und wieder
die Flammen herfuͤr ſchoſſen/ und dieſe Bey-
ſchrifft fuͤr:
Am eilfften Pfeiler verſengten ſich die Mot-
ten an einem hellen Lichte; folgende Reymen
aber druͤckten nichts minder des Feldherrn/ als
dieſer verbrennenden Wuͤrmer Entſchluͤſſung
aus:
Bey dem zwoͤlfften Pfeiler ward eine Glut
von denen darein blaſenden Winden auffge-
facht/ und derogeſtalt ausgelegt:
Auff der andern Seite des Tempels hatten
die Barden an denen zwoͤlff uͤbrigen Pfeilern
mit eitel aus dem Waſſer genommenen Din-
gen/ und zwar entweder/ weil das weibliche
Geſchlechte dem Mohnden/ als der Mutter
aller Feuchtigkeit/ untergeben wird; oder/ weil
ſie durch dieſen waͤſſerichten Spiegel/ durch die
Perlen- und Purper-Schnecken/ durch die Ko-
rallen-Zancken und andere Wunderwercke des
Meeres nichts minder die Schoͤnheit/ als die
keuſche und beſtaͤndige Liebe der Fuͤrſtin Thuß-
nelde andeuten wolten/ dieſelbten in eben ſo viel
Siñenbildern entworffen. An dem erſten Pfei-
ler lag eine eroͤffnete Muſchel an dem Meer-
Strande/ in die ſich der Thau zu Zeugung der
Perlen einfloͤſte; welche die Perle dieſer Welt
die wunderſchoͤne Thußnelde derogeſtalt auff
dem aus dem Goͤttlichen Verhaͤngnuͤße kom-
menden Uhrſprung ihrer Liebe alſo auslegte:
Am andern Pfeiler ſtanden eben ſolche zu der
Empfaͤngnuͤs der Perlen ſich eroͤffnende Mu-
ſcheln; derer Geburt aber durch den darein
ſchimmernden Blitz zernichtet ward; darunter
aber druͤckte das viel mildere Feuer der Liebe
folgende Reymen aus:
Am dritten Pfeiler war eine Menge be-
fruchteter Perlen zu ſehen; in derer aller
Schoß aber mehr nicht/ als eine Perle zu ſehen
war; ſintemahl eine Muſchel mehr nicht/ als
eine ſolche Tochter zu empfangen faͤhig iſt.
Welches Thußnelde derogeſtalt ihr zueignete:
Am vierdten Pfeiler muͤhte ſich die Sonne
mit ihren kraͤfftigen Feuer-Stralen eine zu-
geſchloſſene Muſchel zu eroͤffnen; ohne welcher
Wuͤrckung ſich keine ſonſt auffthut; wordurch
die edle Thußnelde die Wuͤrdigkeit ihres Lieb-
habers mit dieſen Worten erhob:
Der fuͤnffte Pfeiler ſtellte ein ſtuͤrmende;
Meer fuͤr Augen/ welches mit ſeinen Wellen
die Perlen-Muſcheln ſonder einige Beſchaͤdi-
gung von allem Unflate ſauber abſpielte/ mir
der Beyſchrifft:
Am ſechſten Pfeiler war eine Murene/ die
ſich die verbitterten Meer-Fluten an den Klip-
pen zu zerſchmettern vergebens bemuͤhten; als
welcher Fiſch harte Schlaͤge/ nicht aber gelinde
auszuſtehen vermag; wormit Thußnelde die
fruchtloſe Bemuͤhung des gewaltſamen Mar-
bods derogeſtalt zu verlachen ſchien:
Am ſiebenden Pfeiler ſahe man/ wie ein Ko-
rallen-Gewaͤchſe/ ſo weit es das Meer-Waſſer
benetzte/ einer weichen Pflantze gleichte/ ſo weit
es aber die Lufft trocknete/ ſich verſteinerte.
Wormit die Fuͤrſtin Thußnelde durch einen
Gegenſatz die Erweichung ihres Hertzens de-
rogeſtalt zu entſchuldigen meinte:
Welcher Entſchuldigung denn der achte
Pfeiler abermahls durch eine von dem Him-
mels-Thau getraͤnckte Muſchel und dieſer Un-
terſchrifft zu Huͤlffe kam:
Dieſes bekraͤfftigte an dem neundten Pfei-
ler eine ſterbende Purpur-Schnecke; welche
mit ihrer Koͤniglichen Farbe das Meer-Waſ-
ſer/ als ihr Begraͤbnuͤs/ noch herrlicher anroͤ-
thete/ und die darunter ſtehende Auslegung:
Die gar wol moͤgliche Vereinbarung der
Keuſchheit und Liebe erhaͤrtete am zehenden
Pfeiler eine nichts minder mit ihrem Purper/
als ihrer Perle prangende Schnecke; welche
fuͤr die Fuͤrſtliche Braut hiermit eine Vorred-
nerin abgab:
Der eilffte Pfeiler entwarff mit einem in der
See brennenden Stern-Fiſche die Beſtaͤndig-
keit ihrer Liebe fuͤr ſie redende:
Endlich verſicherte der zwoͤlfte Pfeiler durch
eine gleich aus dem Meeꝛe geꝛiſſene/ und ſich al-
lererſt roͤthende Korallen-ſtaude ihren Braͤuti-
gam: daß ihre Liebe auch mit dem Tode nicht
verleſchen wuͤrde/ nebſt dieſen zweyen Zeilen:
Uber diß hatten die Barden die zwey Unhol-
den des menſchlichen Lebens Haß und Neid/
als welche beyde Vermaͤhlten geraume Zeit
grauſam verfolget/ und die zwey ſchaͤdlichen
Mißgeburten der ehlichen Liebe/ nehmlich die
Eyverſucht und Unfruchtbarkeit ausgeſtoſſen
und mit allerhand wolruͤchenden Waſſern und
Oelen zuſammen gebackenen Kohlen an die vieꝛ
Theile des Tempels in menſchlicher Lebens-
Groͤſſe auffgeſtellt/ dieſevier Bilder aber uͤber
und uͤber mit glaͤntzendem Agſtein zierlich be-
kleibet: daß ſie einen hellen Gold-Glantz un-
ter ſo viel Fackeln von ſich warffen. Gegen Oſt
ſtand das Bild des Haſſes auff einem groſſen
Stiere/ welcher Fluß- und Strom-Fiſch alle
andere haſſet/ und die er nur uͤberwaͤltigen kan
verſchlinget. Das Bild ſelbſt ſahe einer von
Zorne aufgeblaſenen aus den Augen und dem
Munde ſchaͤumenden Kriegs-Goͤttin aͤhnlich;
in der rechten Hand hatte ſie eine brennende
Fackel. Der auffgeſperrte Wolff war mit
Wolffs-Zaͤhnen/ die Finger mit Tiger-Klau-
en ausgeruͤſtet; auf der Bruſt waren Scorpio-
nen gebildet; welche/ wenn ſie mit den ausge-
ſtreckten Scheren was umarmen/ mit dem gif-
tigen Schwantze verwunden. Auff dem Kopffe
hatte es einen von Schlangen geflochtenen
Krantz; die fornen und hinten einen Kopff ha-
ben/ gleich als wenn der Haß ſich nicht ver-
gnuͤgte/ vorwerts mit ſeinen Biſſen/ ſondern
auch hinterwerts mit ſeiner Verlaͤumdung zu
beleidigen. So bald der Feldherr und die Fuͤr-
ſtin Thußnelda bey dieſem Bilde voruͤber gieng/
fielen von der brennenden Fackel dieſer Koh-
len-Seule etliche Funcken auff den Kopff/ die
alsbald den Schlangen-Krantz/ folgends den
Kopf/ endlich das gantze Bild gluͤend machten;
welches ſo lange einen annehmlichen Wuͤrtz-
Geruch von ſich gab/ biß es nach und nach in
Aſche verfiel. Die zwey Verliebten laſen zu
ihrer groſſen Vergnuͤgung an dem ſteinernen
Fuſſe dieſe der Tugend und dem Feldherrn zu
Ehren eingegrabene Siegs-Zeilen:
Das andere Bild des Neides ſtand gegen
Mittag; weil der Neid nichts minder der Tu-
gend/ als der Schatten der Sonne anhaͤnget;
und zwar mit iedem Fuße auff einer Schlange;
entweder weil jene Unholdin gegen dem Gluͤ-
cke ſich nichts minder als dieſer Wurm gegen
die Sonnen-Strahlen auflehnet; oder weil ſich
die neidiſche Juno mit zwey Schlangen den
verhaſten Hercules noch in der Wiege aufzu-
reiben bemuͤhet hat. Das Bild ſelbſt war ein
Abriß eines alten abgemagerten und ſchwind-
ſuͤchtigen Weibes; Weil dieſes Laſter bey an-
derer Menſchen Wachsthume nicht anders ab-
zunehmen/ als die Zwiebeln bey zunehmendem
Mohnden auszutrocknen pflegen. Es fielen
ſelbtem die runtzlichten Augenlieder zu; weil
die Bekuͤmmerung um fremden Wolſtand die-
ſen Molch niemahls ausſchlaffen laͤſt/ oder bey
fremdem Gluͤcks-Sterne keinen Stern zu ha-
ben vermeinet/ und von anderm Lichte verblaͤn-
det wird. Die von Gifft blaue Zunge reckte
es wie die zu ſtechen geruͤſtete Nattern herfuͤr;
Die Lippen waren blaß/ und von dem Eßige
der Mißgunſt zerbeitzt; weil dieſes Ungeheuer
niemahls als uͤber anderm Schaden zu lachen
pflegt. Es ſpeyete einen Hauffen Galle von
ſich; weil dieſes Seelen-Geſchwuͤre auch Zu-
cker und Honig darein zu verwandeln pflegt.
Die Bruſt war voller Narben; weil der Neid
ſein eigener Hencker/ das Hertze ſeine eigene
Folter-Banck iſt. Auf dem Kopffe hatte es
einen Krantz von Aegeln/ welche ihm ſein eigen
Blut ausſaugten. Jn der einen Hand eine
Peitſche von Nattern; derer Koͤpffe ſich aber
in das Fleiſch der Armen tieff eingefreſſen hat-
ten; in der andern eine Wachtel; weil jenes
Ungeheuer nichts weniger uͤber fremder Tu-
gend/ als dieſer Vogel uͤber dem Silber-Kreiße
des aufgehenden Mohnden ſeuffzet. Unter dem
Arme hatte es ein Horn des Uberflußes/ darin-
nen aber eitel Aſchen- und Holtz-Aepfel/ Schle-
en/ Koloquinthen und andere bittere Fruͤchte
enthalten waren; Denn Eßig iſt der Zucker/
und Unflat der niedlichſte Unterhalt des Nei-
des/ welcher ſich an dem boͤſen ergoͤtzet; uͤber dem
guten ſich zu tode graͤmet. So bald die zwey
ſich dieſem Kohlen-Bilde naͤherten/ ward es
von einem kuͤnſtlich bereiteten Blitze angezuͤn-
det; welches denn als ein der Fuͤrſten Thußnel-
de Keuſchheit und Beſtaͤndigkeit gewiedmetes
Opffer durch einen durchdringenden Ambra-
Rauch ſich gluͤende verzehrte; woruͤber beyde
die an dem ſteinern Fuße eingeetzten Reymen
mit hoͤchſter Ergetzligkeit laſen:
Gegen Weſten ſtand das Bild der Eyver-
ſucht; gleich als wenn durch ſie die Liebe taͤg-
lich ihren Unter gang haͤtte. Es ſtund auf ei-
nem Baſilißken; weil dieſes gifftige Thier ſei-
ne Nebenbuhler nicht ſo wohl mit Feuer und
Schwerdt zu toͤdten/ als mit denen Augen zu
erſtechen geſinnet iſt; wormit es gleichwol eine
Aehnligkeit ihrer Stieff-Mutter/ nemlich der
Liebe behalte; als welche gleichfalls durch die
Pforten
[1181[1183]]Arminius und Thußnelda.
Pforten der Augen/ ob ſie ſchon von denen ſich
Verliebenden nicht geſehen wird/ eindringet;
mit ihrem annehmlichen Lichte das Geſichte
verblaͤndet/ und mit ihren lebhafften Strahlen
die Seelen toͤdtet. Dieſes Bild ſtellte vorwerts
ein heßliches/ hinten ein ſchoͤnes Weibesbild
fuͤr; weil dieſer Wurm ſo wol auf Roſen/ als
ſchlechtem Mah kreucht; ja die hiervon be-
ſchmeißte Schoͤnheit ſich allezeit ungeſtalter
haͤlt als ihre Neben-Buhlerin. Uber den gan-
tzen Leib war es mit eitel auffgeſperrten Augen
beſaͤet; weil Eyverſuͤchtige weder Tag noch
Nacht ruhen koͤnnen/ und Scharffſichtigkeit
nichts minder als das uͤbermaͤßige Licht der
Sonnenſtrahlen ihre Augen verblendet: daß ſie
einen nichtigen Schatten fuͤr ein wahrhaffti-
ges Weſen anſehen. Um das Haupt war an
ſtatt des Krantzes ein Pomerantzen-Zweig mit
anhangenden Fruͤchten geflochten; Auff der
Scheitel aber war ein Drache; gleich als wenn
dieſer eyvernde Wurm nichts minder ſeine
Buhlſchafft/ als der in den Heſperiſchen Gaͤr-
ten die guͤldenen Aepffel bewachen muͤſte. Jn
der rechten Hand fuͤhrte die Eyverſucht eine
mit Dornen umwundene Fackel/ derogleichen
einige Voͤlcker bey denen Vermaͤhlungen zu
brauchen pflegen/ um ſo viel den Stachel als
Brand beyder Gemuͤths-Regungen abzubil-
den. Auff der lincken Hand ſaß ein Geyer;
welcher aber mit ſeinem Schnabel in dieſes
Bildes Bruſt einhackte/ und ſich gleichſam
mit dieſes andern Tityons Leber ſpeiſete. Bey
waͤhrender wolruͤchenden Verglimmung die-
ſes Ungeheuers laſen die Fuͤrſten nachfolgende
Auslegung:
Gegen Mitternacht ſaß das Bild der Un-
fruchtbarkeit auf einem Maul-Eſel. Dieſe
hatte ſchlaffe abhaͤngende Geiß-Bruͤſte/ einen
fetten Wanſt/ und einen kriplichten Ruͤcken.
Jn der Hand hatte es eine Sichel; wormit
entweder auf die grauſame vom Saturn an
ſeinem Vater veruͤbte Verſtimmelung der
Geburts-Glieder/ als welche auch dieſem Bil-
de gaͤntzlich ermangelten; oder weil der Yſop
die Garten-Muͤntz und unterſchiedene andere
Kraͤuter nicht ohne ihre Verweſung vom Ei-
ſen beruͤhret werden. Jn der andern Hand
hatte es eine Schale mit Wein/ und eine dar-
innen getoͤdtete Meer-Barbe/ welch Getraͤn-
cke die Weiber unfruchtbar macht/ und deßwe-
gen Aſinius Celer zum minſten deßhalben einen
um acht tauſend Groſchen zu theuer gekaufft
hat. Um das Haupt hatte es einen Krantz von
Sadelbaum/ Hirzenzung/ Farren-Kraut/
Raute/ und andern die Fruchtbarkeit hindern-
den Kraͤutern. Uber die Achſel hieng eine Wie-
der-Haut; als welchen Thieres getrunckenes
Waſſer gleicher Geſtalt Unfruchtbarkeit ver-
urſacht; ungeachtet die gantze Natur geſchwaͤn-
gert wird/ wenn die Sonne in das Zeichen des
himmliſchen Wieders tritt. So lange nun das
Bild der Eyverſucht gluͤete; ſo geſchwinde ward
die Seule der Unfruchtbarkeit verzehret. Deñ
ſo bald die zwey Fuͤrſtlichen Vermaͤhlten ſelb-
tem gegen uͤber kamen; ward es von einem
unterirrdiſchen Feuer angezuͤndet/ und durch
einen ſchnellen Brand theils in Aſche/ theils in
einen wolruͤchenden Weyrauch-Rauch/ der den
gantzen Tempel wie eine Wolcke uͤberzoh/ ver-
wandelt; Gleich als wenn die Eyverſucht lan-
ge Zeit vertilget ſeyn/ die Unfruchtbarkeit aber
K k k k k k k 3ohne
[1182[1184]]Achtes Buch
ohne Zeit-Verlierung aus dem Wege geraͤu-
met werden ſolte. Der ſteinerne Fuß blieb
allein unverſehrt/ und zeigete denen Anweſen-
den folgende Grabe-Schrifft der Unfrucht-
barkeit:
Nach dem nun beyde Fuͤrſtliche Vermaͤhlte
an dieſen Gedancken und Entwuͤrffen der
Barden Augen und Gemuͤthe vergnuͤget; wur-
den ſie auff zwey hocherhabene Stuͤle geleitet.
Sie hatten ſich aber bey waͤhrendem anmuthi-
gen Gethoͤne der von denen Barden angeſtim̃-
ten Lobgeſaͤnge kaum niedergelaſſen/ als ſich
eine Cimbriſche Wahrſagerin ihnen gegen uͤber
ſtellte. Jhr um den Leib mit einem Ertztenen
Guͤrtel zuſammen gezogenen Kleider waren
eben ſo wol/ als ihre fluͤgenden Haare wegen
Alters ſchneeweiß; die Fluͤſſe mit den Armen
aber gantz nackt. Dieſer Art Weiber haben
ihren Nahmen von ihreꝛ Uhrheberin Alironia/
pflegen die gefangenen Feinde abzuſchlachten/
in den Schlachten auf ausgeſpannten Haͤuten
mit gewiſſen Kloͤppeln ein Geraͤuſche zu ma-
chen/ und ſo wol aus denen Eingeweiden der
geſchlachteten Thiere/ als andern Zufaͤllen
kuͤnfftige Begebenheiten zu verkuͤndigen. Die-
ſe Wahrſagerin hatte in der Hand eine aus Ertzt
gegoſſene Kugel; welche ſie in das mitten im
Tempel brennende Hochzeit-Feuer warff/ und
ſo heiß werden ließ: daß ſie bey nahe gluͤete/ und
die Opffer - Knechte mit eiſernen Zangen aus
denen gluͤenden Kohlen ſcharren muſten. Sie
aber nahm dieſe Kugel und warf ſie ſo geſchwin-
de aus einer blaßen Hand in die andeꝛ: daß ſelbte
von der Hitze unverſehrt blieben. Hiermit wen-
dete ſie ſich zugleich etliche hundert mahl auf der
Ferſe ihres lincken Fußes in einen Kreiß her-
um; mit hoͤchſter Verwunderung der Zuſchau-
er: daß ihr Haupt weder kringlicht ward/ noch
ſie zu Bodem fiel. Am ſeltzamſten aber war: daß
ſie endlich die Augen im Kopffe verdrehte/ und
gleichſam als entzuͤckt ſich gebehrdende/ mit ei-
ner durchdringenden und ſchwirrenden Stim-
me aber zu ſingen anfieng:
Nach dem alle dieſe und andere zu der Ein-
weihung der Fuͤrſtlichen Vermaͤhlten gehoͤrige
Verrichtungen vorbey waren; die Prieſter
auch in dem Tempel auff dem groſſen Altare;
welches mit ſieben und ſiebenzig aus Jung-
frauen-Wachſe bereiteten Kertzen umſetzt ſtand/
ihre von angezuͤndetem Weyrauch und Agſtei-
ne bereitete Opffer verbracht hatten/ erhoben
ſich die Vermaͤhlten von ihren Stuͤlen; und
giengen in Begleitung der andern Fuͤrſten aus
dem Tempel; an deſſen Pforte ſie der Prieſter
Libys mit abermaliger Beſprengung aus dem
geweihten Brunnen/ und mit tauſend Gluͤcks-
Wuͤnſchen geſegnete.
Der Feldherr aber hatte kaum den erſten
Fuß von den Pfoſten des Tempels geſetzt/ als
oberwehnte Alironiſche Wahrſagerin ſich durch
das Volck durchdrang; von ihrem Antlitze ei-
nen Strom Thraͤnen abſchuͤſſen ließ/ dem Her-
tzog Herrmann mit beyden Armen um den Hals
fiel und ihn kuͤſſete. Wie ſie denn hierauff
Thußnelden gleicher Geſtalt umhalſete/ und
mit hundert Kuͤſſen ihre ungemeine Gewogen-
heit verſiegelte. Nicht nur alle Umſtehenden;
ſondern der Feldherr ſelbſt verwunderten ſich uͤ-
ber dieſer Begebung/ und wuſten ſelbte nicht
auszulegen; weil dieſe Wahrſagerinnen ſonſt
ewige Keuſchheit gelobet haben; und von dem
bloſſen Anruͤhren eines Mannes befleckt zu
werden glauben. Dieſem Kummer aber ab-
zuhelffen fieng die Wahrſagerin an: Erlauch-
teſte Liebhaber; nehmet meine Liebes-Zeichen
fuͤr keinen Vorwitz oder Frevel auf; Mißgoͤn-
net an euerer heutigen Gluͤckſeligkeit derſelben
nicht ein Theil; die nach euch ſie am nechſten
angehet. Denn/ liebſter Herrmann/ ſchaͤme
dich nicht an dieſem Stamm- und Geburts-
Maale (hiermit entbloͤſte ſie ihre Schulter/ und
zeigte ihm darauf eine feurige Roſe) mich fuͤr
die Tochter des Surena/ und fuͤr deine nun-
mehr wieder gluͤckſelige Mutter zu erkennen.
Der Feldherr erſtarrte fuͤr Verwunderung;
und wuſte nicht: ob er die Erſcheinung ſeiner
vorlaͤngſt todt geglaubten Mutter fuͤr eine
wahrhaffte Begebenheit; oder fuͤr einen
Traum/ oder wol gar fuͤr ein Geſpenſte halten
ſolte. Er erholete ſich aber alsbald durch die
kraͤfftige Auffwallung ſeines kindlichen Gebluͤ-
tes; und umarmete ſie mit nicht geringer Ge-
muͤths-Vergnuͤgung/ als er vorher von denen
muͤtterlichen Armen genoſſen hatte. Die hold-
ſelige Thußnelde feyerte auch nicht durch die
empfindlichſten Liebes-Bezeugungen der tu-
gendhafften Asblaſten verſtehen zu geben: daß
ſie nichts minder/ als Hertzog Herrmann Gott
fuͤr die Wiederſchenckung einer ſo heiligen
Mutter zu dancken Urſache haͤtte. Wiewol
nun uͤbermaͤßige Freude nichts minder als
Schrecken der Beredſamkeit ein Gebieß an-
legt; ſo unterhielten ſich doch dieſe drey Perſo-
nen mit abgewechſelten Merckmalen ihrer in-
nerſten Zuneigungen eine gute Stunde/ ehe
die andern Fuͤrſten die gleichſam von den Tod-
ten zuruͤck gekommene/ und wegen ſo vieler
Jahre Abweſenheit nunmehr ſchier unkentli-
che Fuͤrſtin Asblaſten zu bewillkommen Raum
und Zeit fanden. Hierauff nahm ſie die Cat-
tiſche Hertzogin mit groſſer Ehrerbietung auff
ihren Wagen/ und kamen ſie ſaͤmtlich in vori-
ger Ordnung/ auſſer: daß der Feldherr ſich zu
der Fuͤrſtin Thußnelden auff ihren goldenen
Wagen geſetzt hatte/ wieder nach Deutſchburg;
wo die Straſſen die Menge des frolockenden
Volckes zu begreiffen viel zu enge waren. Auff
der Burg waren hundert Taffeln bereitet fuͤr
die Ritterſchafft/ die Kriegsbeamptete/ und an-
dere; welche theils ihre Pflicht/ theils die Sorg-
falt zu dieſem Beylager gezogen hatte/ zu be-
wirthen. Uber dieſe war in einem groſſen und
hohen Saale in Geſtalt einer Sichel oder eines
wachſenden Mohnden eine Taffel fuͤr hundert
Fuͤrſtliche Perſonen angerichtet. Die meiſten
Wildbahnen Deutſchlandes hatten darzu das
koͤſtlichſte Gefluͤgel und ander Wildpret; die
Fluͤſſe und die Oſt-See die ſchmackhaffteſten
Fiſche gezinſet; Die groͤſte Verwunderung a-
ber erweckte inſonderheit bey denen auslaͤndi-
ſchen Fuͤrſten: daß einem ieden Gaſte/ nicht nur
wie in denen ſo beruͤhmten Mahlen etlicher Roͤ-
miſcher Buͤrgermeiſter gantze wilde Schweine
und Hirſchen; Groſſe Schuͤſſeln voll Faſanen/
Gerſtlinge/ Brachvoͤgel/ Murenen/ und an-
dern leckerhafften Speiſen; wornach die uͤppi-
gen Roͤmer die Zaͤhne zu lecken pflegten; ſon-
dern gantze gebratene Ochſen/ Elende und Baͤ-
ren in ſolchem Uberfluſſe auffgetragen wurden:
daß weil alles Jnnlaͤndiſche Trachten waren/
ſie nicht ſo wol des Cheruskiſchen Hertzogs
Pracht/
[1184[1186]]Achtes Buch
Pracht/ als die Guͤte des reichen Dentſchlan-
des ruͤhmen muſten. Zum Getraͤncke ward
zwar ein aus Gerſten und Hopffen gekochtes
Bier/ ein aus Honig und Baumfruͤchten ab-
gejohrner Meth; aber auch allerhand theils in
Gallien/ theils Pannonien/ theils ſo gar in den
Gluͤcks-Eylanden gewachſener/ von denen
Frieſen eingefuͤhrter Wein auffgeſetzt; und
zum Theil aus Hoͤrnern der Auer-Ochſen/
theils aus irrdenen Geſchirren/ welche aus ei-
ner bey denen Marſingern unter dem Gebuͤr-
ge auff zwey gaͤhen Huͤgeln gegrabenen und
der Lemniſchen gleichgeſchaͤtzten Erde geferti-
get werden/ auf Geſundheit der Vermaͤhlten
freudig herum getruncken. Hierunter wur-
den nun zwar vermenget etliche aus Berg-
Kriſtallen kuͤnſtlich geſchnittene; unterſchiedene
Murrhiniſche oder von denen Serern gebacke-
ne; viel guͤldene mit koſtbaren Edelgeſteinen/
oder herrlich geetzte/ wie nichts minder aus gan-
tzen Jaſpiſſen und Agathen ausgehoͤlete
Trinck geſchirre/ mit welchen der Kayſer und
andere Groſſe entweder den deutſchen Feld-
Herrn beſchencket; oder die Deutſchen unter
dem Geraͤthe des Quintilius Varus/ von wel-
chem gantz Aſien erſchoͤpfft worden war/ zur
Beute bekommen hatte. Wiewol nun dieſen
Geſchirren bey denen Roͤmern theils ihre Sel-
tzamkeit/ theils die Zerbrechligkeit einen un-
ſchaͤtzbaren Werth beygelegt/ und das Gold be-
reitszu dem geringſten Beyſatze gemacht hat-
te; ſo wurden dieſe doch denen Einlaͤndiſchen
irrdenen gar nicht fuͤrgezogen; ſondern ſelbte
meiſt nur zum Andencken derer vom Feldherrn
bey den Roͤmern ausgeuͤbten Helden-Thaten/
theils des letztern groſſen Sieges wieder den
Varus aufgeſetzt; und zwar dieſe Fuͤrſtliche
Taffel von eitel adelichen Jungfrauen bedie-
net; welche aber/ ob ſie zwar nach der Landes-
Art groͤſten theils nackt/ und ihrer Schoͤnheit
halber aller anderer Voͤlcker Toͤchtern vorzu-
ziehen waren/ bey denen tugendhafften Deut-
ſchen/ derer gute Sitten mehr/ als anderwerts
ſcharffe Geſetze Gutes ſtiffteten/ keine ſtreitba-
re Regungen verurſachten. Sintemahl doch
keine gewiſſere Unſchuld zu finden iſt; als wo
man von gewiſſen Laſtern keine Wiſſenſchafft
hat. Denn derſelben Bekandtſchafft klebt ſchon
ein ſo ſuͤchtiger Kitzel an: daß ihrer viel nicht ſo
wol aus Begierde ſich zu vergnuͤgen/ als aus
Vorwitze fremder Gebrechen Geſchmack zu
erkundigen/ ſich in den tieffſten Schlam ab-
ſcheulicher Boßheiten ſtuͤrtzen; und durch an-
genommene boͤſe Gewonheit auch aus der Bit-
terkeit beſchwerlicher Suͤnden eine verzuckerte
Ergetzligkeit ſchoͤpffen. Zu geſchweigen: daß
die gemeine Entbloͤſſung auch derſelben weib-
lichen Gliedmaſſen; welche doch die Natur
gleichſam zu einer Ruͤſt-Kammer der Liebe er-
kieſet hat/ mehr eine Urſache des Eckels/ als ei-
nen Zunder der Begierden abgiebt. Sintemal
unſere verwehnte Zuneigung dieſe ſeltzame Art
an ſich hat: daß ſie den ſich ſelbſt anbietenden
Uberfluß verſchmaͤhet; an einer ſich weigern-
den Vergnuͤgligkeit aber ſich nicht erſaͤttigen
kan; alſo: daß der verliebte Jupiter ſo gar in
Ertzt zerſchmiltzt/ um der verſchloſſenen Da-
nae zu genuͤſſen.
Nach der um Mitternacht auffgehobenen
Taffel ward die Fuͤrſtin Thußnelde von hun-
dert edlen Jungfrauen in das Hertzogliche
Schlaff-Gemach geleitet; ſie aber vorher un-
ter allerhand zierlichen Taͤntzen ihres Krantzes
beraubet/ und hernach gleichſam in die Haͤnde
der Cattiſchen Hertzogin und anderer anweſen-
den Fuͤrſtinnen uͤberlieffert; darauff in ein von
lauter Eysvogel-Federn gefuͤlletes/ mit Gold
und Seiden herrlich aufgeputztes Bette beglei-
tet; und endlich dem uͤbeꝛ ſeinem Liebes Siege
nichts weniger als uͤber dem erſchlagenẽ Varus
freudigen Herrmañ Raum gemacht/ der aller-
vollkommenſten Fruͤchte zu genuͤſſen; welche
iemahls die Tugend von ſo reiner Keuſchheit
und
[1185[1187]]Arminius und Thußnelda.
und unver gleichlichen Leibes- und Gemuͤths-
Schoͤnheit eingeerndet hat.
Wie nun Lycurgus denen Spartanern ein
Geſetze gab: daß neue Eh - Leute eine Zeit
lang faſt immer Tag und Nacht bey anderer
Geſellſchafft zubringen/ und ihre heimliche
Ergoͤtzligkeiten ſchier nur ſtehlen muſten; Alſo
iſt hingegen bey denen Deutſchen Beylagern
die Gewonheit: daß die Fuͤrſtlichen Vermaͤhl-
ten ſich den andern Tag nicht oͤffentlich zeigen;
ſondern ſich in ihren Zim̃ern einſam aufhalten;
inzwiſchen aber ihren Gaͤſten die freye Will-
kuͤhr ihrer Ergoͤtzligkeiten uͤberlaſſen. Dieſe
Zeit meinte nun die Koͤnigin Erato nicht nuͤtzli-
cher anzulegen; als daß ſie bey der Cattiſchen
Hertzogin Erdmuth fuͤr ſich und andere gefan-
gene Fuͤrſten eine Erſuchung ausbitten ließ.
Weil nun dieſe mit der allerhoͤchſten Hoͤfligkeit
ſolche Ehre annahm/ Fuͤrſt Adgandeſter und
die Graͤfin von der Lippe aber befehlicht waren/
dieſe zwey groſſe Frauen mit aller erſinnlichen
Bedienung zu unterhalten/ fanden ſich nach
dem Hertzoge Zeno Rhemetalces/ Malovend/
Flavius/ Salonine auch dieſe bey noch ziemlich
fruͤhen Morgen dahin. Bey welcher auch
Jſmene/ die Cattiſche Fraͤulein Catta/ und die
den Abend zuvor nach Deutſchburg angekom-
mene Fuͤrſtin Adelgunda des Herzogs Ganaſch
Tochter angetroſfen wurden. Nach vielfaͤlti-
gen gegen einander erwieſenen Liebes-Bezei-
gungen fiel die Koͤnigin Erato bald auff die
Gluͤckſeligkeit der zweyen Fuͤrſtlichen Ver-
maͤhlten; lag auch der Graͤfin von der Lippe
an/ ihr vertroͤſteter maſſen beyder Liebes-Ge-
ſchichte zu entwerffen/ um ihre Freude ſo viel
mehr vollkommener zu machen. Hertzog Ar-
pus ſahe der Graͤfin ihre fuͤrhabende Entſchul-
digung an der Stirne an; und meldete: daß die-
ſe nicht ihre vollkommene Vergnuͤgung erlan-
gen koͤnte; wenn nicht Fuͤrſt Adgandeſter die
vorhergehenden und ihm am beſten bekannte
Ebentheuer des Feldherrn voran ſetzte. Her-
tzog Zeno nahm ſich deſſen alsbald an; und erin-
nerte Adgandeſtern ſeiner deßwegen gethanen
Vertroͤſtung. Daher dieſer ſich hiervon nicht
loß zu wuͤrcken vermochte; ſondern ohne einige
Zeitverlierung folgende Erzehlung anfieng;
wiewol mit dieſer hoͤflichen Bedingung: daß
ſeine Willfaͤhrigkeit fuͤr keinen Vorwitz/ ſeine
Fehler fuͤr keine Unvollkommenheit eines ſo
groſſen Fuͤrſten aufgenommen; ſondern viel
mehr ſeine Gebrechen mit der Pflicht ſeines
Gehorſams entſchuldiget werden moͤchten.
Der Feldherr Segimer/ fieng Adgandeſter
an/ ſaß mit ſeiner unvergleichlichen Asblaſte
ſieben Jahr in der Eh/ ehe ſie einmahl ſchwan-
ger ward. Welche Unfruchtbarkeit nicht allein
beyden Ehleuten/ ſondern auch dem Volcke
empfindlich zu Hertzen gieng. Jnſonderheit
aber erwog dieſe kluge Fuͤrſtin: daß Kinder die
ſicherſte Vormauer eines herrſchenden Hauſes
ſind; derſelben Mangel aber den tapfferſten
Fuͤrſten ſo wol bey ſeinen Unterthanen als
Nachbarn veraͤchtlich mache; jenen Anlaß ge-
be ſich nach einem neuen Haupte fuͤr der Zeit
umzuſehen; dieſen aber die auf dem Falle ſte-
hende Herrſchafft mit Liſt oder Gewalt an ſich
zu bringen. Ja Gifft und Verraͤtherey im
Hertzen kochende Staats-Diener werden von
ihren ehrſuͤchtigen Rathsſchlaͤgen durch nichts
mehr zuruͤcke gehalten; Als wenn ihres Fuͤr-
ſten Hauß mit vielen Soͤhnen befeſtiget iſt. Die-
ſen Kummer hielt Asblaſte dem Feldherrn Se-
gimer fuͤr; und bemuͤhte ſich von ihm die Ein-
willigung ihrer Ehſcheidung zu erbitten; weil
ſie/ ihrem Beduͤncken nach/ nichts großmuͤthi-
gers ausuͤben konte; als wenn ſie der gemeinen
Wolfarth wegen ſich ihrer groͤſten Vergnuͤ-
gung enteuſſerte. Weßwegen auch/ welchen ihre
Tugend bekandt war/ und der Sache recht
nachdachten/ urtheilten: daß Asblaſtens heim-
lich fuͤrgenommene Ruͤckkehrung in Perſien
nicht ſo wol aus Eyverſucht gegen die Aleman-
niſche Hertzogin Vocione; als um Segimern
Erſter Theil. L l l l l l ldurch
[1186[1188]]Achtes Buch
durch ihre wolgemeinte Entbrechung eine
fruchtbare Gemahlin zuzuſchantzen geſchehen
waͤre. Nach dem aber Segimer das Gluͤcke
hatte durch hundert ſeltzame Ebentheuer As-
blaſten wieder in Deutſchland zu bringen; ſchuͤt-
tete der durch ſo viel hertzhafft uͤberſtandenes U-
bel gleich ſam verſoͤhnete Himmel ſeinen Se-
gen uͤber ſie. Denn nach dem ihr getraͤumet
hatte; ſie wuͤrde von einem Loͤwen beſchlaffen/
und ſie ſich erwachende unvermuthet in denen
Armen ihres Eh-Herrn fand; welcher ohne
ihre Wahrnehmung des Nachts aus dem Laͤ-
ger nach Hauſe kommen war; fuͤhlte ſie ſich
kurtz darauff ſchwanger. Und nach dem Se-
gimer in Wahrheit ein Loͤwen-Hertz in ſeiner
Bruſt fuͤhrte; hatte dieſer Traum mit dem We-
ſen mehr Aehnligkeit/ als da die Mutter des
groſſen Alexanders und des Africaniſchen Sci-
pio wie nichts weniger des Ariſtomenes bey den
Meſſeniern/ des Ariſtodamas bey den Sicyo-
niern von Drachen und Schlangen geſchwaͤn-
gert zu ſeyn ihnen einbildeten. Am nach denck-
lichſten aber hatte dieſer Traum die Großmuͤ-
thigkeit unſers deutſchen Loͤwen/ nehmlich des
nach neun Mohnden gluͤcklich gebohrnen Fuͤr-
ſten Herrmanns angedeutet. Wie nun in vie-
len ruhmwuͤrdigen Stuͤcken wir ſelbten ohne
einige Heucheley dem groſſen Alexander mit
Rechte vergleichen; alſo ſcheinet dem Traume
Asblaſtens diß/ was dem Philippus getraͤu-
met/ ſehr nahe zu kommen; Da er nehmlich im
Schlaffe ſeiner Gemahlin Olympia Leib mit
einem Siegel-Ringe/ in welchen ein Loͤw ge-
graben war/ verwahren geſehen. Wie aber
in der Nacht/ da Alexander gebohren ward/ der
Epheſiſche Tempel zum Schrecken und Trau-
ren gantz Aſiens weg brennte; Alſo ſchloß Au-
guſt an dem Tage/ da unſer Herrmann auff die
Welt kam/ zur Freude der gantzen Welt zu
Rom den Tempel des Janus das erſte mahl zu;
welchen fuͤr ihm nur Numa/ und der Buͤrger-
meiſter Manlius Torquatus bey zweymahl er-
langtem Frieden zuzuſperren das Gluͤcke ge-
habt hatten. Segimer traff in ſelbigem Tage
einen Frieden; und ſein Feld-Hauptmann er-
langte nichts minder als Philippus durch den
Parmenio wieder die Jllyrier einen herrlichen
Sieg. Kurtz hierauff ward das durch Zwie-
tracht gleichſam biß aut den Kern und Wurtzel
zerſpaltete Deutſchland wieder vereinbart.
Zwey Jahr hernach gebahr Asblaſte zu unbe-
ſchreiblicher Freude der Cherusker den Fuͤrſten
Flavius. Welche zwey Fuͤrſten denn von der
Wiegen an nach Art der ſtreitbaren Deut-
ſchen zu denen Waffen angewoͤhnet/ im Bo-
genſpannen und Schwingung der Lantzen ge-
uͤbet; Gleichwol aber auch von einem Prieſter
in der Roͤmiſchen und Grichiſchen Sprachel
denen Geheimnuͤſſen der Natur; ſonderlich a-
ber in der Sitten-Lehre/ im Feldmeſſen/ und
von dem oberſten Reichs-Rathe in der Staats-
Klugheit ſorgfaͤltigſt unterrichtet wurden.
Ein groſſer Geiſt thut ſich nichts minder/ als
eine in der erſten Sproſſen ſchon brennende
Neſſel durch Tapfferkeit zeitlich herfuͤr/ und
gleichet ſich dem Feigen-Baume/ deſſen Bluͤ-
ten die Fruͤchte ſelbſt ſind. Alſo ſoll Hercules
in ſeiner Wiege ſchon durch Zerreiſſung zwey-
er Schlangen ſeinen Helden - Geiſt erwieſen;
Die Bienen mit Ablegung ihres geſammleten
Honigs in die Lippen des Goͤttlichen Plato ſei-
ne uͤbermenſchliche Weißheit angezeiget haben.
Nichts minder ließ unſer Herrmann in ſeiner
zarteſten Kindheit etliche Strahlen ſeiner Tu-
genden von ſich blicken. Als ſeine Mutter As-
blaſte ſich einsmahls auff der Jagt verirrte/ und
zwey Naͤchte auſſen blieb; war der Durſt kein
genuͤgliches Zwangs-Mittel ihn zu bewegen:
daß er an einer fremden Bruſt geſogen haͤtte;
ſondern er erkieſete fuͤr anderer Milch gemei-
nes Waſſer. Da auch Segimer und Asblaſte
einsmahls auf der Jagt in dem Barceniſchen
Walde waren; kam ungefaͤhr eine grauſame
Baͤrin zu der einen Jagt-Huͤtte; zerfleiſchete
drey
[1187[1189]]Arminius und Thußnelda.
drey der behertzeſten Jaͤger/ trieb die uͤbrigen
Auffſeher uͤber den jungen Herrmann in die
Flucht/ trug ihn aber ſelbſt in ihre felſichte Hoͤle
ſonder die geringſte Beleidigung; und verſahe
ihn gleichſam wie die beruͤhmte Woͤlffin den
Romulus mit ihrer Nahrung; biß die Baͤrin
endlich von denen ihr auff die Spur kommen-
den Jaͤgern und dem Segimer ſelbſt erlegt/
dieſes Kind aber aus einer ſo gefaͤhrlichen Am̃e
Klauen errettet ward. Als er nur vier Jahr
hinter ſich gelegt hatte; und mit denen ihm zu-
geordneten Edel-Knaben ſpielte/ rieß in dem
Burghofe ein Tiger-Thier loß; welches zwey
Knaben toͤdtete; als es aber an den Herrmann
kam/ liebkoſete es ihm; gleich als wenn die Tu-
gend nicht nur die Gemuͤther der Menſchen zu
gewinnen; ſondern auch die grimmigſten Thie-
re zu zaͤhmen maͤchtig waͤre. Jm Ringen/
reiten/ fechten/ wettelauffen/ und andern Waf-
fen-Ubungen that er es allen ſeinen Gefaͤrthen
zuvor; alſo: daß auff der Rennebahn nichts
minder Herrmann/ als Cyrus in der Hirten-
Hoͤle fuͤr einen Fuͤrſten waͤre geachtet worden;
wenn ſchon iemand ſeine Ankunfft nicht gewuͤſt
haͤtte. Fuͤrnehmlich muſten alle an Geſchwin-
digkeit ihm ausweichen; gleich als wenn die
Bewegung der Glieder der feurigen Regung
ſeines Gemuͤthes ein Zeugnuͤs ablegen muͤſte.
Er ſtach zwar mit Schoͤnheit des Leibes alle
andere weg; er hielt ſelbte aber als einen dem
Frauen-Zimmer zugeeigneten Schatz veraͤcht-
lich/ und ließ ſich mehrmahls heraus: daß die
Tugend die einige Schoͤnheit des Gemuͤthes;
und das ruͤhmlichſte Eigenthum der Fuͤrſten
waͤre. Seine Reden waren ſeiner Ankunfft
gemaͤß/ ſeinem Alter aber uͤberlegen. Sein
Thun kam den Jahren zuvor; und die/ welche
andern ein Beyſpiel abgaben/ ſchaͤmten ſich
nicht in des jungen Herrmanns Fußſtapffen
zu treten. Ja als er noch nicht einmahl zeitig
zum Kaͤmpffen war; wieß er in etlichen Bege-
benheiten ſich ſchon reiff zum ſiegen. Er muͤhte
ſich niemanden/ als denen edelſten und voll-
kommenſten Gefaͤrthen in ſeinem Beginnen
vorzukommen; ja er eiverte mit ſeinen eigenen
Ahnen; wenn er von ihnen was ruhmwuͤrdi-
ges erzehlen hoͤrte; und mit ſeinem Vater/ wcñ
er einen Sieg erwarb. Er empfand es gegen
die Reichs-Raͤthe: daß ſie Segimern es wie-
derriethen ihn nicht mit ins Laͤger und in die
Schlachten zu nehmen; als er gleich nur zwoͤlf
Jahr alt war. Er war gegen iederman frer-
dig/ gegen wolverdiente freygebig; gegen de-
muͤthige mitleidig; gegen die Feinde eiffrig;
und nichts minder den eigenen/ als der auslaͤn-
diſchen Reiche Zuſtand zu erkundigen begierig.
Er gieng ins ſechzehende Jahr; als die Fuͤrſtin
Asblaſte mit ihm und ſeinem Bruder Flavius
in einem nur eine halbe Meile von hier entle-
genem Luſt-Hauſe von des Druſus Reutercy
uͤberfallen ward. Keine hundert bewehrte
Maͤnner waren zur Gegenwehr gegen vier
tauſend Roͤmer verhanden. Denn kein Menſch
hatte ſich eines ſo unverhofften Feindes verſe-
hen. Gleichwol munterte dieſer junge Held
nicht allein mit Worten/ ſondern mit ſeinem
Beyſpiele die wenigen Cherusker zur Gegen-
wehre auf; ja er erlegte mit ſeinem Bogen und
einem Wurff-Spieße drey Roͤmer; wolte ſich
auch/ ungeachtet ihm die Klinge am Degen ge-
ſprungen war/ keinem gemeinen Roͤmer/ die
ihn umringten/ gefangen geben; biß des Buͤr-
germeiſters Cneus Cornelius Sohn/ der als
Haupt die gantze Roͤmiſche Reuterey fuͤhrte/
ſelbſt herzu drang und dem Fuͤrſten Herrmann
den Degen abheiſchte; nach dem kurtz vorher
Junius Silanus den auch auffs euſſerſte ſich
beſchirmenden vierzehnjaͤhrigen Flavius mit
der Fuͤrſtin Asblaſte gefangen genommen hat-
te. Alſo erwarb dieſer junge Held ſchon in ſo
wenigen Jahren einen Ruhm von viel kuͤnffti-
gen/ und wormit ſeine Tapfferkeit viel zeitlicher
vorſichtig wuͤrde/ fieng das Gluͤcke deſto ge-
ſchwinder an ihm ein Bein unterzuſchlagen.
Druſus kam mit der gefangenen Fuͤr ſtin
Asblaſte/ dem jungen Herrmann und Flavius
in Jtalien. Weil aber Kayſer Auguſt ſich gleich
auf der dem Minerviſchen Vorgebuͤrge gegen
uͤber liegenden Ziegen-Jnſel aufhielt/ um in
dieſer anmuthigen und durch das Gebuͤrge fuͤr
allen rauen Winden verwahrten Gegend die
anderwerts raue Winter-Zeit hin zubringen;
reiſete Druſus Rom fuͤrbey biß nach Mintur-
ne/ allwo er ſich zu Schiffe ſetzte/ und auff das
Ziegen - Eyland uͤberfuͤhren ließ. Er fand
den Kayſer eben an dem See - Strande in
hoͤchſter Gemuͤths-Vergnuͤgung. Denn als
er fuͤnff Tage vorher dahin kommen war; hat-
te eine alte Stein-Eiche an ihren duͤrren und
zum Bodem abgeſenckten Aeſten gantz friſche
Blaͤtter bekommen. Welches dem Kayſer ſo
ſehr erfreulich war: daß er dieſes Eyland von
der Stadt Neapolis gegen Abtretung des Ey-
landes Aenaria eintauſchte. Dißmahl befand
er ſich unter dem Gebuͤrge gegen denen Sire-
nen-Jnſeln; und ließ die ungeheuren Gebei-
ne zweyer in einer Hoͤle gefundener Rieſen
ausgraben. Die Uberbringung dieſer dreyer
Fuͤrſtlichen Gefangenen aber/ worvon Druſus
um ſeine Ankunfft deſto herrlicher zu machen/
nichts geſchrieben hatte; ſtach alle vorige Ver-
gnuͤgungen weg. Denn uͤber diß: daß er durch
dieſe Geißeln das Fuͤrſtliche Cheruskiſche Hauß
zur Roͤmiſchen Dienſtbarkeit zu faͤſſeln ver-
meinte; deuchtete ihn an der Fuͤrſtin Asblaſte
wegen ihrer unver gleichlichen Schoͤnheit mehr
eine Goͤttin/ als einen ſterblichen Menſchen zu
ſehen. Ja ihre Anmuth/ die ſie gegen Livien
bezeigte; als Druſus Asblaſten ihr/ den Herr-
mann und Flavius aber dem Kayſer uͤberlief-
ferte; und die Bitte: daß der Kayſer ſie und ih-
re Kinder lieber in das nahe Meer wolte ſtuͤr-
tzen/ als nach Rom zum Siegs - Gepraͤnge
moͤchte fuͤhren laſſen; bezauberte Auguſten der-
geſtalt: daß er nicht nur ihr zu nicht geringem
Unvergnuͤgen des Ehrſuͤchtigen Druſus ſie ih-
rer Bitte gewaͤhrete; ſondern ſich ſelbſt in ſie
inniglich verliebte. Er ordnete dieſemnach
Asblaſten nebſt ihrem ohne diß mit gebrachtem
Frauen-Zimmer etliche andere Roͤmiſche Die-
nerinnen/ dem Herrmann und Flavius auch
ihrem Stande anſtaͤndige Aufwaͤrter zu; und
muͤhte ſich auf alle Wege ihnen die Verdruͤß-
ligkeit der allezeit verhaſten Gefangenſchafft zu
verzuckern. Denn die Gegitter der Kercker/
wenn ſie gleich gemahlt oder gar von Golde
ſind/ bleiben allezeit heßlich. Jch ſolte/ ſagte
Adgandeſter/ hier die der Fuͤrſtin Asblaſte be-
gegnete ſeltzame Ebentheuer umſtaͤndlich er-
zehlen; aber koͤſtliche Waſſer werden am beſten
aus ihrem Quelle getruncken; Die Geſchichte
aber von denen am wahrhaffte ſten veꝛnommen/
welche ihre Augen zu Zeugen ihrer ſelbſt ange-
merckten Begebenheiten anziehen koͤnnen.
Dieſemnach wird die Graͤfin von der Lippe
nicht nur ſo erlauchte Zuhoͤrer/ ſondern mich
ſelbſt am hoͤchſten verbinden; wenn ſie durch die
Blumen ihrer Beredſamkeit meine raue Er-
zehlung aufzuputzen ſich mein Anſuchen bewe-
gen laſſen wird.
Die Graͤfin von der Lippe faͤrbte ſich hieruͤ-
ber; und verſetzte: Sie wuͤſte wol: daß Fuͤrſt
Adgandeſter ſeiner Vollkommenheit durch ihre
Gebrechen einen mehrern Glantz beyzuſetzen
voꝛhaͤtte; Gleich wol aber wolte ſie/ um die hoch-
anſehnliche Verſamlung nicht aufzuhalten/ ſei-
nem Befehle lieber gehorſamen; als ihre Feh-
ler/ und zugleich die Warheit denckwuͤrdiger
Begebenheiten verhuͤllen. Auguſt/ ſagte ſie/
muͤhte ſich mit ſeinen gegen Asblaſten bezeigten
Verehrungen die Liebligkeit des von keinem
Winteꝛ wiſſenden Campaniens zu uͤbeꝛwinden.
Er unterhielt ſie mit den koͤſtlichſten Speiſen/
mit freundlichſten Geſpraͤchen/ mit der freudig-
ſten Geſellſchafft; worunter die alle Menſchen
zu ver gnuͤgen maͤchtige Terentia das beſte that.
Ja Livia ſelbſt befließ ſich der mehrmahls einſa-
men und ſchwermuͤthigen Asblaſte ihre traurige
Gedancken zu benehmen; und hierzu ſich der
Beſchaffenheit des Ortes zu bedienen/ als wel-
ches
[1189[1191]]Arminius und Thußnelda.
ches der Roͤmer Urtheil nach gegen dem rauen
Deutſchlande mehr fuͤr einen Himmel/ als ein
Theil des Erdbodens zu halten waͤre. Wie ſie
nun den dritten Tag nach ihrer Ankunft an dem
Meerſtrande mit einander herum ſpatzierten;
und von dem bey Surent gegen uͤber liegendem
Milch-Gebuͤrge ſie ein linder Oſt-Wind ab-
kuͤhlete; fragte Livia Asblaſten: Ob um dieſe
Jahres-Zeit/ da die Sonne in dem Zeichen der
kalten Fiſche waͤre/ bey denen Cheruskern auch
ſo ſanffte Luͤffte ſpielten? Ob die Baͤume nie-
mahls den lebhafften Schmaragd ihrer ſtets fri-
ſchen Blaͤtter einbuͤſten? Ob die Felder ſo viel
Weitzen; die Huͤgel ſo ſuͤſſen Wein; die Waͤl-
der ſo viel Oel und Granaten-Aepffel truͤgen?
Asblaſte antwortete Livien nach einem tieffen
Seuffzer: Sie wuͤſte dieſer Gegend an ſich
ſelbſt keinen Mangel auszuſtellen; Gleichwol
aber glaubte ſie: daß das von Liebligkeit und
Fruchtbarkeit ſchwim̃ende Perſien es Campa-
nien wo nicht zuvor thaͤte; zum minſten ſelbtem
gleich waͤre. Nichts deſto weniger haͤtte ſie in
dem fuͤr ſo rau geachtetem Deutſchlande mehr
Ver gnuͤgung/ und zwar zur grim̃igſten Win-
ters-Zeit/ als in den Suſiſchen Luſt-Gaͤrten bey
dem Roſenreichen Fruͤhlinge gefunden. Denn
wie die Sonne unter einerley Striche nach Be-
ſchaffenheit des Bodens und der gelegenen Ge-
buͤrge an einem Orte alles annehmlich befruch-
tete/ an dem andern alles verſengte/ und gleich-
ſam toͤdtlich waͤre; alſo erquickte auch die Herꝛ-
ligkeit eines Ortes/ und die vollkommenſte Er-
getzligkeit nur etliche/ nicht alle Gemuͤther; ſon-
dern erfreute wie das Seitenſpiel nur die Freu-
digen/ und betruͤbte die Betruͤbten. Der Ge-
ruch der Jaſminen/ der Pomerantz-Bluͤten/ und
Aꝛabiens Balſam ſtincke einen Gefangenen an;
hingegen waͤre der Soñenſchein einer ver gnuͤg-
ten Liebe ſo kraͤfftig: daß die Lufft unter der
ſchneeichten Nordſpitze nichts anders als Lieb-
ligkeit von ſich hauchte/ nichts geringers als
Balſam von ſich troͤpfelte. Wenn ſie aber/ ver-
ſetzte Livia/ in dieſem Eylande das Ziel ihrer
Liebe gegenwaͤrtig haͤtte; wolte ſie noch nicht
Deutſchland hierum vertauſchen? Denn die
Liebe waͤre ja keine Feindin der Anmutb/ ſon-
dern dieſe vielmehr jener Amme. Sie waͤre eine
Tochter der Schoͤnheit/ eine Schweſter der
Liebligkeit/ und eine Mutter der Ergetzung.
Dahero die kluge Vorwelt ihr den GOtt des
ſuͤſſen Weines und die erquickende Ceres zu
Unterhaltung ihres Zunders zugeeignet hatte;
als ohne derer kraͤfftige Nahrung ſie nicht nur
bald lau wuͤrde/ ſondern gar erkaltete. Wie die
bluͤhende Jugend dieſen ſechſten Sinn beſſer/
als das eyſichte Alter unterhielte; alſo ſchiene ein
annehmliches Land auch der Liebe anſtaͤndiger
zu ſeyn/ als die unfruchtbaren Hecken der mit-
ternaͤchtigen Schnee-Gebuͤrge. Jn dieſen koͤn-
te die Liebe ihren Flug nicht ſo ruͤſtig verrichten;
da Wind/ Schnee und Froſt ihre Fluͤgel unbe-
reglich machte. Jn dieſem Eylande aber waͤre
das Jahr ſchier immer in ſeinem Sommer/ die
Sonne in ihrem Mittage. Daher auch die Lie-
be/ welche ein zartes und nacktes Kind waͤre/ all-
hier ihrem Thun einen kraͤfftigern Nachdruck
gebe/ die Hertzen auch einen tauglichern Zunder
ihre ſuͤſſe Glut zu fangen in ſich haͤtten. Dieſem-
nach moͤchte ihr Asblaſte doch alldar wol ſeyn
laſſen; wo die Lufft von dem guͤtigen Himmel
derogeſtalt eingebiſamt waͤre: daß ſie die Be-
truͤbten freudig; und die kaͤlteſten Hertzen ver-
liebt machte. Das Verhaͤngnuͤs beraubte zu-
weilen die Menſchen eines Schatzes; wormit es
ſelbten hernach einem vollkom̃ener zuſchantzen
koͤnne. Jhrer viel blieben nur deßwegen un-
gluͤckſelig; weil ſie mit einer all zugroſſen Hart-
naͤckigkeit ihrem Verluſte nachſaͤhen; hinge-
gen fuͤr dem ihnen neuauffgehenden Gluͤcks-
Sterne die Augen zudruͤckten. Kluge Lie-
be aber lieſſe diß endlich fahren; was das
Verhaͤngnuͤs ihm ſelbſt aus den Haͤn-
den windete/ und unmoͤglich wieder zu
erlangen waͤre; umarmte aber die ihr
mit lachendem Munde begegnende Gele-
genheit neuer Vergnuͤgung. Die tieffſinnige
L l l l l l l 3Asblaſte
[1190[1192]]Achtes Buch
Asblaſte hoͤrte Livien nicht ohne Unvergnuͤgen
an. Denn ob ſie zwar nicht zu ergruͤnden wu-
ſte/ wohin eigentlich ihr Abſehen war; verſtand
ſie doch deutlich genung: daß ſie die Liebe ihres
Eh-Herrn aus ihrem Hertzen zu tilgen anziel-
te. Gleichwol aber muſte Asblaſte dieſe laſter-
haffte Verſuchung verſchmertzen und nicht
mercken laſſen; wiewol ihr hierdurch ſo harte
ans Hertze gegriffen ward: daß ſie die Roſen ih-
rer Keuſchheit fuͤr noch empfindlichern Anta-
ſtungen zu befreyen ſich gleichſam mit fol-
genden Dornen einer ſolchen Antwort bewaff-
nen muſte. Es gaͤbe nichts minder unterſchie-
dene Arten der Liebe/ als zweyerley Geſchlech-
te der Thiere. Die weibiſche und wolluͤſtige koͤn-
te ihr keine raue Lufft laſſen unter die Augen
gehen. Sie lieſſe bey dem geringſten Ungewit-
ter ehe/ als die fluͤchtige Tulipane ihre Blaͤtter
fallen. Denn ſie haͤtte in ſich ſo wenig Oel der
Tugend/ als dieſe Blume Geruch; und beyde
vergnuͤgten nichts/ als das einige Auge. Wenn
ſie nicht auf Roſen gienge/ oder die Sonne ihr
ſchiene/ verfiele ſie in Ohnmacht oder Ver-
zweiffelung. Sie traͤte mit ihren verzaͤrtelten
Gliedern lieber in Unflat ſtinckender Laſter/ als
auff den ſteinichten Weg der Treue und Ehre.
Die Liebe der Weiſen aber waͤre maͤnnlichen
Geſchlechtes und kriegeriſcher Art. Tugend
und Ehre waͤren ihre unzertrennliche Gefaͤr-
then. Verfolgung und Verſuchung thaͤten
ihr wenigern Abbruch; als die ſchaͤumenden
Wellen den Korallen-Zincken. Jhre Flam-
men waͤren unausleſchlich wie das Geſtirne/
und ewiger/ als das die Veſtaliſchen Jungfrau-
en verwahrten/ und des alldar von ferne rau-
chenden Veſuvius. Die Winde/ welche ſich
ſelbtes muͤhten auszublaſen/ machten ihren un-
verzehrlichen Zunder nur mehr lebhafft. Ja
das Ungluͤck pruͤfete nichts minder und reinigte
dieſen Schatz der Seele/ als der Schmeltz-Ofen
das Gold. Sie ſaugete aus der Wermuth ih-
rer Verdruͤßligkeit eine Hertzſtaͤrckung; und ihr
eigener Unfall dienete ihr zur Bewehrung ih-
rer Tugend/ und zu Vergroͤſſerung ihres
Ruhms. Ja ihre einſame Schwermuth gaͤbe
ihr ein beſſers Labſal ab/ als manche vielleicht in
den Armen ihrer Liebhaber genuͤſſet. Livie
antwortete: Meine liebſte Asblaſte; ſie ſuchet
ihr Vergnuͤgen in der Einbildung; und eine
Gluͤckſeligkeit aus den Traͤumen. Ja ſie er-
kuͤhnte ſich zu urtheilen: daß wie ihr Deutſch-
land an ſtatt der Trauben ſaure Schleen truͤge;
alſo auch ihr Gemuͤthe verwehnt zu ſeyn ſchiene
die Galle der aͤngſtigen Einſamkeit fuͤr den Zu-
cker der ſuͤſſeſten Beywohnung zu erkieſen. Die
Beſtaͤndigkeit der erſten Liebe verdiente aller-
dinges ihr Lob; aber man muͤſte aus ihr keinen
Abgott; weniger ſie ihm zur Henckerin ma-
chen; am wenigſten ſich mit ihrem Schatten
armen/ und das neu - aufgehende Licht der
Gluͤckſeligkeit mit ihrer Larve verhuͤllen. Mei-
net ſie wol: daß ſie den Tiberius Nero weniger/
als Asblaſte ihren Segimer geliebt? hielte ſie
ihr aber fuͤr uͤbel: daß ſie mit dem Kayſer fuͤr ei-
nen Stern eine Sonne erkieſet? Ja unver-
faͤlſchte Gegen-Liebe findete ſich ſelbſt darein;
und ſchaffete dem Auffnehmen ihres Geliebten
keine Hindernuͤs. Dieſemnach ſie deñ ihr Nero
mit lachendem Munde/ und ver gnuͤgtem Her-
tzen dem Kayſer ſelbſt eingeantw ortet haͤtte/ um
ſo wol ihm eine Staffel des Gluͤcks/ als ihr der
Vergnuͤgung zu bauen. Sie dencke dieſem
nach/ wertheſte Asblaſte; und laſſe ihr unter
denen Vergnuͤgten dieſes Eylandes wol ſeyn.
Sintemahl ſie die Kayſerin mehr fuͤr ihre
Schweſter/ als eine Gefangene haͤlt. Mit
dieſen Worten ſchloß Livie; als der Kayſer mit
Terentien ihnen an der Kruͤmme eines Felſens
begegnete; welcher denn alſofort erkundigte:
mit was Livia eine ſo holdſelige/ wiewol betruͤb-
te Gaͤſtin unterhielte/ und ihrem Bekuͤmmer-
nuͤſſe abzuhelffen ſuchte. Livia antwortete: Die
Fuͤrſtin Asblaſte ſchoͤpfte Vergnuͤgung aus der
Schwermuth; und hielte fuͤr ſeliger den Ruͤ-
cken/
[1191[1193]]Arminius und Thußnelda.
cken/ als das lachende Antlitz des Gluͤckes zu
ſehen. Alſo beſorgte ſie: daß ihre freudige Un-
terhaltung ihr mehr zu wieder/ als vergnuͤglich
fallen doͤrffte. Asblaſte verſetzte: Sie waͤre der
Kayſerin fuͤr ſo viel unverdiente Gnade nichts
minder/ als dem Kayſer ſelbſt verbunden; wuͤr-
de daher durch deren Ausſchlagung ſich derſel-
ben nicht unwuͤrdig; noch auch mehr ungluͤck-
ſelig machen. Und ob ſie zwar noch in denen
Gedancken waͤre: daß Liebe und Tugend beym
Ungluͤck weder ihr Weſen noch ihre Vergnuͤ-
gung einbuͤſten; verdammte doch dieſe Mey-
nung nicht eine anſtaͤndige Ergetzligkeit; wie-
wol ihr beyde beym Wolergehen in gefaͤhrli-
cherm Zuſtande zu ſeyn ſchienen; als bey
ſchmertzhafften Begebnuͤſſen; welche ſie von
Kind auff derogeſtalt abgehaͤrtet haͤtten: daß
ihr Hertze als ein Amboß auch die ſchwereſten
Ham̃erſchlaͤge des Ungluͤcks kaum mehr fuͤhl-
te. Weil nun die Gewonheit ſo gar die Ei-
genſchafften der Natur zu ver aͤndern vermoͤch-
te; waͤre ſich ſo viel weniger zu verwundern:
daß eine Betruͤbte ſich in ihr eigenes Leid ver-
liebte/ und aus ihren Thraͤnen Wolluſt ſchoͤpff-
te. Terentia begegnete Asblaſten mit einer
beſondern Freundligkeit; meldende: Sie haͤtte
ihr zwar als eine Meinung der Stoiſchen
Weltweiſen fuͤrtragen laſſen: Das Ungluͤck
waͤre das eigentliche Element der Tugend/ wie
das Feuer der Salamandren. Wind und Ha-
gel waͤre ihre Fruͤhlings-Luſt; Donner und
Ungewitter ihr Sommer; ja waͤre die Verfol-
gung nicht die rechte Mutter der Tugend/ ſo
waͤre ſie zum minſten ihre Amme und Pflege-
Mutter. Alleine ſie haͤtte in der Schule ihres
Mecenas gleichwol begrieffen: daß zwar die
Tugend von einigen allzuſauerſehend und ab-
ſcheulich/ mit Faͤſſeln an Arm und Beinen/ mit
trieffenden Augen/ zerritzten Wangen/ kahlen
Schlaͤfen/ und hertzklopffenden Bruͤſten ge-
mahlt wuͤrde. Der guͤtige Himmel aber haͤtte
ſie nicht in brennende Neſſeln verdammet; ſon-
dern ſie koͤnte ohne Verſehrung auf Roſen und
Seide ſchlaffen; ja bey groſſem Gluͤcke mehr/
als ein Ungluͤcke ihre Standhafftigkeit bewaͤh-
ren. Jn alle Wege/ antwortete Asblaſte/ hat
die Tugend mit der Gluͤckſeligkeit keine ewige
Ehſcheidung vor. Sie ſitzet auf Koͤnigs-Stuͤ-
len und Helffenbein; ſie iſt umhuͤllet mit Pur-
per und Perlen; und hat wie die Geſtirne ſo viel
kraͤfftigere Wuͤrckungen/ ie hoͤher ſie erhoben
ſteht. Aber eben darum/ weil die argliſtige
Gluͤckſeligkeit ihr als eine Meuchelmoͤrderin
nachſtellt/ ſie als eine Kuplerin zu Falle zu brin-
gen trachtet; und die/ welche im Ungluͤcke kei-
nen Fehltritt gethan; beym Woler gehen ver-
terbet werden; ſtehet die Tugend alſo denn an
der gefaͤhrlichſten Spitze. Hingegen wird ſie
bey Wiederwaͤrtigkeit/ wie die Roſen in Neſ-
ſeln; wie die Leichen in bitteren Myrrhen und
Aloe fuͤr der Faͤulnuͤs bewahret. Ja ſie iſt diß-
falls dem Waſſer zu vergleichen; welches durch
ſtete Bewegung gut behalten/ durch ſtille ſte-
hen madig/ und ſtinckend wird. Denn die Tu-
gend iſt kein Ding zum Anſehen/ und fuͤr die
Faulheit; ſondern eine lebhaffte Wuͤrckung/
zum Kampffe und Siegen geneigt. Weßwe-
gen ſie bey denen Deutſchen allezeit gewaffnet;
zwiſchen denen Dornen und auf gaͤhen Stein-
Kluͤfften fuͤrgebildet wird. Jhre Wohnung
iſt von zerſchmetterten Schiffen; vom Grauſe
der Koͤnigreiche; und von Felſen bereitet/ die
der Blitz eingeaͤſchert hat. Daher wie die Klug-
heit eines Steuermannes anders nicht/ als bey
krachenden Winden/ bey ſchaͤumen den Wellen/
und donnernden Wolcken; die Guͤte eines Artz-
tes bey Zerſchmetterung der Glieder/ beym
Krebſe und kalten Brande; eines Kriegsmanns
in blutigen Treffen/ nicht auf dem Tantzbodem
bewaͤhret wird; alſo ſie get die Tugend auch un-
ter Schweiß und Staube; und erwirbet ihre
Siegs-Kraͤntze nur mit verſpritztem Blute und
trieffenden Wunden. Mir iſt noch niemahls
eine geſchminckte nach Zibeth und Ambra ruͤ-
chende
[1192[1194]]Achtes Buch
chende Tugend auf dem Schau-Platze der Eh-
ren zu Geſichte kommen; und ich habe noch nie-
manden einen Siegs-Krantz errennen geſehen;
der auff dem Haupte einen Roſen-Krantz/ in
der Hand einen Sonnen-Schirm/ am Guͤr-
tel einen Spiegel/ und an Fuͤſſen eingebiſamte
Schuh getragen. Die Vollkommenheiten der
Menſchen ſind ohne diß keine Diamanten ohne
Maͤngel/ keine Sternen ohne Flecken. Die-
ſemnach hat ſie eben ſo wol/ als jene das Un-
gluͤck zur Feile/ und als dieſe das Feuer des
Truͤbſals zur Reinigung von noͤthen. Auch
die Gebrechen des Leibes laſſen ſich ſelten mit
Roſen-Zucker und Jaſmin-Oele heilen; man
muͤſte die Wunden mit Eßig auswaſchen/ die
Blutſtuͤrtzungen mit gluͤenden Eiſen ſtillen/ die
vom Krebſe angefreſſene Glieder mit Saͤgen
abſtoſſen. Wie viel weniger laͤſt ſichs mit ver-
zaͤrtelndem Liebkoſen dem freſſenden Wurme
der Wolluſt begegnen. Und die Schoͤnheit
der Seele beſtehet nicht in Spaniſchem Anſtri-
che und bereiteter Zinober-Schmincke; ſondern
in einer Reinigungs-Salbe/ welche von zuſam-
men gemiſchtem Blute der Hertzhafften/ denen
Thraͤnen der Gedultigen/ und der Aſche der
Beſtaͤndigen zubereitet wird. Terentia hoͤrte
der eifrigen Fuͤrſtin Asblaſte mit Luſt zu; warff
ihr aber ein: Sie begehrte dißmahl der ge-
maͤchlichen Tugend nicht das Wort zu reden;
noch der durch Ungemach abgehaͤrteten den
Vorzug ſtrittig zu machen. Alleine mit der
Liebe ſchiene es eine andere Beſchaffenheit zu
haben. Denn dieſe waͤre das zaͤrteſte Schoos-
Kind der Seele; welches durch Anmuth ge-
bohren wuͤrde; und daher bey rauem Unge-
witter unzweiffelbar vergehen muͤſte. Alles
Abſehen zielte auf die Ergoͤtzligkeit; und daher
ſtuͤnde das Ungemach ihr ſo wenig zu einem
Braͤutigam/ als ein raues Schnecken-Hauß
der Perle zu einer Geburts-Stadt an; welche
nur in Purper-Muſcheln geboren ſeyn wolte.
Asblaſte begegnete Terentien mit nicht gerin-
gerer Freundligkeit: Sie lieſſe ihr die Ver-
gleichung der Liebe mit den Perlen allerdinges
gefallen. Aber auch dieſe wuͤrden zwiſchen dem
bittern Saltze der grimmigen Wellen gezeuget.
Die Edelgeſteine wuͤrden aus heßlichen Stein-
Kluͤfften/ das Gold aus den finſterſten Schach-
ten der Ertz-Gruben gezogen; und durch Feu-
er und Stahl in ſein Weſen verſetzt. Ja die
Liebe haͤtte nicht nur alle andere Tugenden zu
ihren Geſpielen; ſondern ſie ſelbſt ſtuͤnde als ei-
ne herrliche Schnate auff dem edlen Stamm
der Tugend eingepfropfft/ ſie ſelbſt waͤre die
Krone oder der Mittel - Punct der Tugend;
und alſo zwiſchen dieſen unzertrennlichen Eh-
gatten kein Unterſcheid zu machen; Da man
nicht eine Hirnße fuͤr eine Biene/ und einen
ſtinckenden Wiedehopff fuͤr einen Paradis-
Vogel verkauffen wolte. Die Liebe der groß-
muͤthigen Panthee wuͤrde mit ihrem Atheme
verraucht ſeyn; wenn ſie nicht lieber auff der
Leiche ihres Eh-Herrn des Ruhms wuͤrdig ge-
bliebnen Abradates erblichen/ als des ſiegenden
Perſers Begierden erſaͤttigen wollen. Die Lie-
be der keuſchen Camme wuͤrde keinen Schatten
einigen Gedaͤchtnuͤßes haben; wenn ſie nicht
die Fackel einer Unholdin/ und das Geſchoß
des Todes ihr zugeeignet; und mit dem Blut-
Opffer des geilen Sinorix den Geiſt ihres
treuen Ehgatten Sinnates verſoͤhnet haͤtte.
Und in Wahrheit/ der Himmel koͤnte ihre zum
Segimer tragende Liebe mit keinem herrlichern
Ehren - Krantze ſchmuͤcken; als wenn ſie die
Lilgen der Keuſchheit mit dem Blute ihrer un-
ausleſchlichen Treue bepurpern koͤnte.
Dieſe nachdruͤckliche Erklaͤrung machte alle
Anweſenden ſtumm/ Asblaſten etwas mehr
entgegen zu ſetzen. An ſtatt aber: daß des Kay-
ſers angeglommene Liebe/ als ein verzweiffeltes
Ding haͤtte verleſchen ſollen; ward ſie hier-
durch noch viel hefftiger entzuͤndet. Denn dieſe
Gemuͤths - Regung hat die Art der gluͤenden
Steine; die das Waſſer in mehr Dampff und
Hitze
[1193[1195]]Arminius und Thußnelda.
Hitze verwandeln/ wormit man ſie ausleſchen
will. Weßwegen die vorſichtige Asblaſte am
Kayſer ein und andere bedenckliche Veraͤnde-
rung wahrnahm/ und Liviens Anmuthungen
auſſer Zweiffel auf ihn gedeutet haͤtte; wenn
anders der Warheit aͤhnlich geweſt waͤre: daß
eine Eh-Frau ihrem Eh-Manne ſelbſt Kebs-
Weiber zukoppeln ſolte. Wiewol wir hernach
umſtaͤndlich erfuhren: daß Auguſt ſein voriges
Eh-Weib Scribonien aus keiner andern Urſa-
che; als weil ſie ihren Nebenbuhlerinnen nicht
die Obmaͤßigkeit enthaͤngen wolte/ an dem Ta-
ge/ da ſie ihm doch eine Tochter gebahr/ verſtoſ-
ſen/ Livia aber ihn dardurch gleichſam bezau-
bert hatte: daß ſie nicht nur mit keiner eiverte;
ſondern die ſchoͤnſten Frauen und Jungfrauen
ſelbſt in ſein Bette fuͤhrte; ja nicht anders als
der beruͤhmte Magde-Kraͤmer Thoranius alle
vorher fingernackt entkleidete Kebs - Weiber
genau pruͤfete: Ob ſie Auguſten zu vergnuͤgen
auch faͤhig ſeyn wuͤrden? Gleichwol/ als As-
blaſte zu mir/ fuhr die Graͤfin von der Lippe
fort/ in ihr Zimmer kam; fiel ſie mir thraͤnende
um den Halß/ und fieng an: Wir ſind leider
verlohren! und denen Sireniſchen Schiffs-
bruch-Klippen viel naͤher; als uns der Augen-
ſchein jene dort in dem Meere herfuͤr zeiget!
Denn die Liebkoſungen der Livia ſind ein toͤd-
tendes Zauber-Lied; welches nach verlohrner
Freyheit auch meine Ehre in den Abgrund ſtuͤr-
tzen will. Sie erzehlte mir hierauff alle Un-
terredungen/ welche ich ihr aber noch zum beſten
ausdeutete.
Folgenden Morgen kam Livia zeitlich ins
Zimmer/ und nahm Asblaſten mit in das Ge-
mach des Kayſers; welcher der bey ihm verſam̃-
leten fuͤrnehmen Geſellſchafft fuͤrtrug: daß er
die auff dieſer Ziegen - Jnſel gelegene zwoͤlff
Vorwerge denen zwoͤlff oberſten Goͤttern ge-
wiedmet haͤtte; und alſo ſolten ſie looßen/ was
fuͤr eine goͤttliche Perſon ieder ſeiner Gaͤſte fuͤr-
zuſtellen/ und alſo nicht nur iedes Vorwerg
nach eines gewiſſen Gottes Nahmen zu nen-
nen/ ſondern auch eine ihm anſtaͤndige Ergoͤtz-
ligkeit anzuſtellen haͤtte. Der Kayſer grieff
zum erſten/ und zohe das Zeichen des Apollo/
Tiberius des Saturn/ Druſus Jupiters/ Me-
caͤnas des Mercur/ Lucius des Mars/ und Ca-
jus des Neptun; Livia der Ceres/ Asblaſte der
Veſta/ Julia Dianens/ Terentia der Juno/
Antonia der Venus/ und endlich Pola/ Agrip-
pens Schweſter/ Minervens herfuͤr. Noch
ſelbigen Tag fuhren ſie durch das gantze Ey-
land/ und muſte iedes ein Luſt- Hauß ſo wol ſei-
nem Gotte/ als zu ſeiner vorhabenden Luſt er-
kieſen. Der Kayſer aber beſtellte ſeine zwey
Freygelaſſenen Diomedes und Euceladus: daß
ſie alle Nothdurfft auff Befehl dieſer vergoͤt-
terten Menſchen uͤberfluͤßig herbey ſchaffen
muſten. Die praͤchtigen Kleider und alles/ was
zu ihrem Auffzuge gehoͤrte/ waren ohne diß im
Vorrathe dar. Den erſten Tag geſchahe der
Zug auf das dem Jupiter zugeeignete Vor-
werg. Mecenas als der Mercur und der Bo-
the der Goͤtter fuhr auf einem gantz goldenen
Wagen voran/ welchen drey weiße Wieder zo-
hen/ derer Hoͤrner und Fuͤſſe verguͤldet/ die
Koͤpffe mit Burtzel - Kraut bekraͤntzet waren.
Am Hintertheile des Wagens glaͤntzte der ge-
ſtirnte Krebs. Sein Kleid war vorwerts glaͤn-
tzend Silberſtuͤck; am Ruͤcken Eiſenfarbicht;
weil er bald zu denen himmliſchen bald hoͤlli-
ſchen Goͤttern abgefertigt wird. Die Fuͤſſe und
Schlaͤffe waren gefluͤgelt; um ſeinen Herold-
Stab flochten ſich zwey eintraͤchtige Schlan-
gen. Neben ihm ſaß ein Hahn/ an dem Arme
hieng eine guͤldene Kette; wormit er der Men-
ſchen Ohren anfaͤſſelt/ und wohin er wil leitet;
er aber ſpielte auff der von ihm erfundenen
Leyer. Hierauff folgte Druſus als ein Jupi-
ter in flammendes Goldſtuͤcke gekleidet. Jn der
rechten Hand fuͤhrte er den Blitz; an dem lin-
cken Arme den Argis-Schild mit dem darum
geſpannten Ziegenfelle. Der Wagen war zier-
Erſter Theil. M m m m m m mver-
[1194[1196]]Achtes Buch
vergoldet/ und ſchimmerte nichts minder/ als
das Kleid und Krone mit Diamanten. Hinten
war der geſtirnte Loͤw daran gebildet. Er ward
von zwey weiſſen Baͤren gefuͤhret; als welche
Jupitern auch ſollen geſaͤuget haben. Zu ſeinen
Fuͤſſen ſaß ein ſtarcker Adler. Nach dieſem ließ
ſich Terentia in Geſtalt der Juno in einem
blauen Silberſtuͤcke mit einer von Schmarag-
den ſtrahlenden Krone/ und einem derogeſtalt
verſetzten Koͤnigs-Stabe ſehen. Auf der Sei-
ten ſaß ein Pfau und eine Ganß; zu ihren Fuͤſ-
ſen ſtand ein guͤldener Krug mit allerhand
Reichthuͤmern erfuͤllet. Jhren mit guͤldenen
Sternen beſtreuten blauen Wagen/ daran der
geſtirnte Waſſermann geetzt war/ zohen zwey
weiſſe Kuͤhe; als in welche ſie ſich in der Flucht
fuͤr den Rieſen verwandelt haben ſoll. Die
vierdte war Pola dißmahl die Goͤttin Minerva/
mit einem guͤldenen Helm und Harniſche be-
deckt. Jn der rechten Hand fuͤhrte ſie eine Lantze/
in dem lincken Arme einen Spiegel glatten
aus einem Stuͤcke Berg-Kriſtallen geſchliffe-
nen Schild. Auff der Bruſt war der Natt-
richte Gorgons-Schild zu ſehen. Hinter ihr
ſaß eine Nacht-Eule. Der mit gruͤnen Oel-
Zweigen umwundene/ und mit eitel goldenen
Drachen geetzte helffenbeinerne Wagen ward
ebenfalls von zwey kuͤnſtlich bereiteten Drachen
gezogen; welche Pola mit denen Fuͤſſen leicht
und unvermerckt bewegen konte. Das Hin-
tertheil des Wagens glaͤntzte mit dem geſtirn-
ten Wieder. Hierauff erſchien Cajus/ und bil-
dete in einem blauen von ſilbernen Schupen uͤ-
berdeckten Kleide; mit ſchwartz-naſſen Haaren/
groſſen blauen Augen/ einer ſilbernen Drey-
zancks-Gabel den Neptun ab. Er fuhr auff
einem in Geſtalt einer Muſchel/ und mit eitel
Purper-Muſcheln/ Perlen/ Perlen-Mutter
und Corallen uͤberdecktem/ auch mit denen ge-
ſtirnten Fiſchen glaͤntzenden Wagen; welchen
hinten zwey Waſſer-Pferde; zufoͤrderſt zwey
Meer - Kaͤlber unterſtuͤtzten. Dieſen zohen
zwey blauſchimmlichte und von Waſſer trieffen-
de Pferde. Entweder weil ſeine Mutter Rhea
ſtatt ſeiner dem Saturn ein Pferde-Fuͤlligen
zu verſchlingen gegeben; oder weil Neptun zum
erſten die Baͤndigung und den Gebrauch der
Pferde gelehrt; oder auch/ weil er in Pferdes-
Geſtalt die Ceres geſchwaͤngert haben ſoll. Die-
ſem Waſſer-Gotte folgte in Geſtalt der Ceres
die Kayſerin Livia. Sie hatte einen gruͤnen
mit Gold und ſilbernen Blumen beſtreuten At-
las an. Um den Leib einen mit drey hundert
und ſechzig edlen Steinen beſetzten Guͤrtel/ de-
rer ieder einer andern Art war; Die Zahl aber
auff die Abtheilung der Erd-Kugel zielte. Jhr
Krantz war nur aus Myrten-Blaͤttern/ Nar-
ciſſen/ Mah- und Safran-Blumen geflochten/
aber mit den koſtbarſten Schmaragden um-
wunden. Jn der lincken Hand hatte ſie ein
Gebund Aeren/ in der rechten eine brennende
Fackel; gleich als wenn ſie noch ihre Proſerpi-
na zu ſuchen ausreiſete. Der Wagen war ein
auff vier verdeckten Raͤdern ſtehender/ mit al-
lerhand Garten-Gewaͤchſen aufgeputzter Gar-
ten; welchen dem Anſehen nach zwey groſſe
Schlangen zohen. An den Pforten war die
geſtirnte Jungfrau koͤſtlich gemahlt. Dieſem-
nach folgte in der Mitten der Kayſer ſelbſt als
das Ebenbild des Apollo oder der Sonne.
Sein Haupt und Mantel blitzte gleichfalls;
weil man nichts als Rubinen zu ſehen bekam.
Seine Haare waren mit guͤldenen Heimen o-
der ſchreyenden Heuſchrecken vermenget. Der
an der Seite haͤngende Koͤcher/ und der uͤber
der Achſel liegende Bogen ward allein mit
ſchuͤtternden Diamanten; der von den groſſen
Hiacynthen - Blumen und Lorber-Blaͤttern
geflochtene Krantz aber mit gleichmaͤßigen E-
delſteinen bedeckt. Er ſaß auff einem guͤlde-
nen Dreyfuße/ und ſpielte auff der Laute. Der
Wagen ſtand hinten auf zwey guͤldenen Greif-
fen/ vorwerts aber lag er auf einem ſich buͤcken-
den Schwane; in ſeinem Spiegel ſchimmerten
die
[1195[1197]]Arminius und Thußnelda.
die geſtirnten Zwillinge/ und er ward von vier
ſchneeweiſſen Pferden gezogen. Dem Kayſer
folgte unmittelbar die ſchoͤne Asblaſte in Geſtalt
der feurigen Veſta; welche Vertretung ſie ihr
fuͤr ein von dem Gluͤcke zugeſchicktes Gluͤck
auffnahm; weil dieſe Goͤttin eine Auffſeherin
der Keuſchheit und Jungfrauſchafft ſeyn ſoll.
Sie hatte einen Rock an mit eitel glaͤntzenden
Edelſteinen beſetzt; welche gleichſam rechte
Feuer Strahlen von ſich warffen. Auff der
Scheitel trug ſie einen Krantz von weiſſen
Blumen. Jnſonderheit zierte ſie ein Stirn-
Band von Rubinen/ welche das ſelbſt-ſtaͤndige
Feuer zu ſeyn ſchienen. Fuͤr ihren Fuͤſſen als
einer Gebieterin der Winde lag eine runde
Keſſel-Paucke. Der Wagen bildete ein Altar/
fuͤr welches rings herum ein aus Zimmet/ Wey-
rauch und Agſtein gemachtes Feuer erhellete/
die Lufft mit koͤſtlichem Geruch erfuͤllte/ und
alſo Asblaſte gleichſam mitten im Feuer zu ſitzen
ſchien. Hinten war der geſtirnte Steinbock
eingeetzt; und ward alles diß von zwey gezaͤhm-
ten Loͤwen gefuͤhrt. Asblaſten folgte der in den
Mars vermummte Lucius. Sein Kleid war
ein blancker und ziervergoldeter Harniſch. Auf
dem Haupte hatte er einen Krantz von gemei-
nem Graſe; welches von Menſchen-Blute am
meiſten wachſen ſoll. Jn der einen Hand einen
Spieß/ in der andern eine Fackel. Auff der
einen Schulter ſaß ihm ein Specht/ auff der
andern ein Geyer/ um ihn herum lag allerhand
Kriegs-Zeug. Er fuhr auf einem geſichelten
Streit-Wagen/ welchen vier Woͤlffe zohen;
hinten aber der geſtirnte Scorpion zierte. Hier-
auff erſchien in dem Bilde der keuſchen Diana
die geile Julia. Jhr Kleid war gruͤnes Sil-
berſtuͤck. Auff der Stirne hatte ſie an ſtatt des
Krantzes einen halben Mohnden; welcher von
denen koͤſtlichſten Opalen uͤber und uͤber beſetzt
war. An der Achſel hieng ein mit Schmarag-
den beſetzter Bogen; an der Seite ein gleich-
maͤßiger Koͤcher voller Pfeile; Um den Leib ei-
nen Guͤrtel mit Opalen beſetzt; Jn der rechten
Hand fuͤhrte ſie einen Jaͤger-Spieß; Sie aber
auff einem guͤldenen Wagen/ daran der ge-
ſtirnte Schuͤtze ſeine Pfeile abſchoß/ zwey weiſ-
ſe Hirſchen. Hinter dieſer unkeuſchen Diana
kam Antonia in Geſtalt der Venus. Jhr Kleid
war purpern/ und darauff das Gerichte des
Paris mit Perlen geſtuͤckt. Um ihren Hals
hatte ſie ein Halsband von Perlen in der Groͤſſe
der Haſel-Nuͤſſe. Der auff das Haupt geſetzte
Roſen- und Myrten-Krantz ſtarrte nichts weni-
ger als die Purper-Muſchel/ darauf ſie ſaß von
Perlen. Sie war mit einem guͤldenen Bogen/
Koͤcher und Pfeilen ausgeruͤſtet. Jn der einen
Hand hatte ſie eine weiſſe Wachs-Fackel/ in der
andern einen guͤldenen Apffel. Fuͤr ihr gab
ein guͤldenes Geſchirr einen wolruͤchenden
Rauch von ſich. Hinter ihr ſtand ein Liebes-
Gott mit einem Sonnen-Schirme; vorwerts
fachete ihr einer mit Pfauen-Federn Lufft zu.
Jhr Wagen war wie eine Purper-Muſchel
bereitet; daran hinten der geſtirnte Ochſe gebil-
det ſtand. Sie bewegte ihn durch kuͤnſtliche
Gewichte gleichfalls mit den Fuͤſſen: daß es
ſchien; als wenn ihn die angeſpannten Schwa-
nen fortzuͤgen. An ſtatt des ſonſt in die Zahl
dieſer zwoͤlff Goͤtter gehoͤrigen Vulcans ward
der ſauerſehende Saturn aus einem ſich hernach
ereignendem Abſehen; oder durch den Gegen-
ſatz ſeiner Heßligkeit die ihm vorgehenden Zier-
rathen deſto annehmlicher zu machen/ auffge-
fuͤhret; das Loß hatte den ſauer ſehenden Tibe-
rius gleichſam durch eine weiſe Erkieſung hier-
zu beſtimmet; hier aber der Venus unmittelbar
beygeſellet; entweder weil auff ihre Uppigkeit
meiſt traurige Beſtuͤrtzungen folgen; oder weil
ſie aus denen dem Saturn vom Jupiter abge-
ſchnittenen und ins Meer gefallenen Geburts-
Gliedern ſoll gezeuget worden ſeyn. Er war
gebildet wie ein blaſſer und Eys-grauer Alter;
in der einen Hand hatte er eine Sichel; welcher
Erfinder er geweſen; in der andern eine ge-
M m m m m m m 2krin-
[1196[1198]]Achtes Buch
kringelte ſich in den Schwantz beiffende
Schlange; weil ſein Geſtirne im Himmel zu-
ruͤcke laufft; oder er die ſich ſelbſt auffreſſende
Zeit andeutet. Sein Kleid war bleyfarbicht;
auff dem Haupte hatte er einen tunckeln mit
Napell bekraͤntzten Helm. Der Wagen war
theils mit Schnee angefuͤllt/ theils mit Eys uͤ-
berzogen; theils mit Fleder-Maͤuſen/ Kroͤten/
und Spinnen gemahlet. Hinten war die ge-
ſtirnte Wage zu ſehen; dieſer aber ward von
zwey langſamen Eſeln gezogen.
Der freudige Druſus/ als Jupiter/ gab ſei-
nen Gefaͤrthen in der mit glaͤntzenden Wolcken
umzohenen Hoͤhe eines groſſen Saales ein
[k]oſtbares Goͤtter-Mahl; und ließ ſie zwoͤlff ed-
le Knaben/ und ſo viel vierzehnjaͤhrichte edle
Maͤgdlein alle fingernackt. bedienen. Jene
nennte er Bruͤder des Ganymedes/ dieſe
Schweſtern der Hebe. Nach der zwiſchen dem
Gethoͤne der lieblichſten Seiten-Spiele voll-
brachten Mahlzeit/ bey welcher ein linder Bal-
ſam-Regen ſeine Gaͤſte fort fuͤr fort anfeuchte-
te/ und den gantzen Saal mit wol hunderterley
Geruch wechſelsweiſe anfuͤllete/ ſtellte er ihnen
auff dem daran gelegenen mit eitel fruchtbaren
Baͤumen bewachſenem Huͤgel einen Auffzug
von zwantzig Satyren und ſo viel Schaͤfferin-
nen auf; weil Jupitern dieſe geſaͤugt; in einen
Satyr aber ſich ſelbſt verwandelt hat. Dieſe
bꝛachten die Amaltheiſche Ziege mit veꝛguͤldeten
Hoͤrnern/ und Amaranthen-Kraͤntzen als ein
beſonder Heiligthum aufgefuͤhret; und bey ih-
rem kuͤnſtlichen/ aber geilen Tantze kam dieſe
abgerichtete Saͤuge-Ziege des Jupiters allezeit
mitten im Kreiße zu ſtehen. Hierzu wurden
alle Buhler-Geſchichte des Jupi[t]ers geſungen/
und zuletzt alle Thiere in Reyen bracht; in wel-
che ſich der verliebte Jupiter iemahls verſtellt
haben ſoll. Dieſe Kurtzweilen waren der An-
fang/ wordurch man der keuſchen Asblaſte die
Roͤmiſchen Uppigkeiten angewehnen wolte.
Folgenden Tag verruͤckten ſie auf das Vor-
werg des Merrur. Mecenas richtete in ei-
nem Luſt-Garten auf einer Buͤhne/ welche mit
denen koſtbarſten Perſiſchen Tapezereyen/ und
kuͤnſtlichſten Mahlwercken bekleidet; in dieſem
aber die Verſpritzung der aus der Juno Bruͤ-
ſten geſogenen Milch/ die Einſchlaͤffung des
Argos und alle andere Thaten des Mercur ge-
webt oder gebildet waren/ eine koſtbare Mahl-
zeit aus. Ja weil dem Mercur nebſt Milch
und Honig die Zungen gewiedmet ſind/ gab er
in der erſten Tracht vier und zwantzig Schuͤſ-
ſeln voller Zungen; von allerhand Thieren
und Fiſchen. Am hoͤchſten aber wurde ge-
ſchaͤtzt eine in der Mitte ſtehende guͤldene
Schuͤſſel/ welche mit Phoͤnicopter/ Papegoy-
en-Zungen ſo hoch angefuͤllt war: daß ſie eine
Spitz-Seule machten. Nach dem Mahl ließ
er/ als ein Erfinder der Fecht-Schulen/ aller-
hand Streit- und Kampff-Ubungen ſehen; in
welchen fuͤrnehmlich der ſieghaffte Streit des
Mercur mit zwoͤlff Liebes-Goͤttern/ und wie
er ſich wegen Penelopens in einen Bock ver-
wandelte/ fuͤr geſtellet ward. Welch letztes
Getichte ihr die Fuͤrſtin Asblaſte artlich gegen
Livien nuͤtze machte; in dem ſie ihr bey Einlo-
bung’ fuͤrgeſtellter Geilheiten einhielt: Weil
die Goͤtter/ wenn ſie ſich durch Wolluͤſte ver-
leiten lieſſen/ in Boͤcke verwandelt wuͤrden;
waͤre kein Unthier ſo heßlich; das einem un-
zuͤchtigen Menſchen gleichte. Ja ſie ſtellte
es auch ſo kluͤglich an: daß unter dem Getuͤm-
mel der Fechtenden ein Deutſcher dem auf den
Schau-Platz vorher/ und hernach zu der Goͤt-
ter Taffel gefuͤhrtem Bocke dieſe in Rinde ge-
grabene Reymen anhieng:
Unterdeſſen verdiente Mecenas das Lob:
daß alle ſeine Erfindungen tieffſinnig/ alle An-
ſtalten praͤchtig/ alle Uberſchrifften nachdenck-
lich waren. Denn an dieſem Liebhaber guter
Kuͤnſte hiengen ſo viel geſchickte Koͤpffe; wel-
che die Welt mit ihrer Geſchickligkeit haͤtten
betheilen koͤnnen. Weßwegen ſie dem Mece-
nasins gemein nachruͤhmten: Er waͤre ein
Maulbeer-Baum/ von deſſen Blaͤttern ſich
viel Seiden-Wuͤrmer ſaͤttigten. Jn dem Vor-
werge der Juno gab Terentia oben auff dem
Luſt-Hauſe unter freyem Himmel ihr Gaſt-
Mahl; weil dieſe Goͤttin keine Einſchluͤſſung
duldet; und daher ihre Tempel auch kein Dach
haben. Sie hatte aber gleichwol von eitel
Pfauen-Schwaͤntzen ſo artliche Sonnenſchir-
me gemacht/ welche theils die Strahlen auff-
hielten/ theils von ſchoͤnen Knaben gezogen
wurden/ und denen Gaͤſten Lufft zufachten.
Sie ſtellte ihnen auch das der Juno zu Ehren
in Elis aufgebrachte Wettelauffen an; Da
nehmlich zu erſte zwoͤlff ſiebenjaͤhrige Maͤgd-
lein um einen gantz guͤldenen Apffel/ hernach
dreyzehn zehnjaͤhrige um eine Schnure groſſen
Perlen/ drittens vierzehn zwoͤlffjaͤhrichte um
einen koͤſtlichen Ring; gleich als wenn ſie durch
diß Merckmahl der Frauen nunmehr faͤhig er-
klaͤret wuͤrden die Dienſtbarkeit der Einſam-
keit zu verlaſſen; Vierdtens vierzehn funf-
zehnjaͤhrichte Jungfrauen um der Juno ſelbſt
eigenes mit Edelgeſteinen verſetztes Bild nach
dem Ziele lieffen. Sintemahl Juno ſich von
ſo vielen ordentlich hat bedienen laſſen. End-
lich erkieſete Terentia auch ſechzehn Frauen;
darunter die ſechs Goͤttinnen ſich ſelbſt ver-
fuͤgten/ und mit den uͤbrigen nach einer mit
Diamanten reichgezierten Lilgen-Krone um
die Wette rennen muſten. Unter denen die
hurtige Asblaſte den Preiß erwarb. An eben
dieſem Tage brach die zwiſchen dem Tiberius
und der Julia vom Kayſer beſchloſſene Heyrath
aus. Denn nach dem die Juno die Vorſtehe-
rin der Hochzeiten iſt/ muſten bey ihren Spie-
len alle ihnen einen Ehgatten zueignen laſſen.
Dahero als Terentia auff Anſtifftung Liviens
die verwittibte Julia dem Tiberius uͤberlieffer-
te; und Tiberius ſchertzweiſe fragte: Ob die
keuſche Diana und der gramhaffte Saturn
nun auch zur Vermaͤhlung taugten? ant-
wortete der Kayſer: Der Poͤfel heyrathet nach
ſeiner Zuneigung; Fuͤrſten und Goͤtter aber zu
ihrem Vortheile. Daher wollen wir heute aus
dem Schertze Ernſt; und aus dem Spiele eine
Hochzeit machen. Ließ alſo Terentien in ei-
ner guͤldenen Schachtel den Heyrath-Brieff
herbringen; welchen Tiberius und Julia dero-
geſtalt ohne Bedencken unterſchreiben muſte.
Die Prieſter waren auch bald zur Stelle; wel-
che mit ihrer Einſegnung und Opffern dieſer
zweyer Eh vollkommen machten; ehe ſie ſelbſt
wuſten: daß ſie Verlobte waͤren. Zwiſchen
dieſer wahrhafften Vermaͤhlung ward gleich-
wol die Kurtzweil nicht vergeſſen; und die feu-
rige Veſta dem brennenden Apollo/ nehmlich
Asblaſte Auguſten zugeſellt. Bey welcher Ge-
legenheit der Kayſer nicht vergaß gegen dieſer
deutſchen Fuͤrſtin die Flammen ſeiner verlieb-
ten Seele mit vielen Seuffzern/ liebreitzenden
Gebehrden/ und nachdruͤcklichen Worten aus-
zuſchuͤtten; ja ſo gar Asblaſten zu verſichern:
daß ſeine mit ihr angezielte Vermaͤhlung ihm
ernſtlicher/ als des Tiberius waͤre; er auch ſie
uͤber die Ehren-Staffel aller hocherhabenen
Liebhaberinnen zu verſetzen gedaͤchte. Welches
alles aber die ſchlaue Asblaſte fuͤr ein Spiel-
werck auffnahm; und/ ob ſie zwar des Kayſers
Abſehen mehr als zu viel verſtand/ ließ ſie ſich
doch nichts mercken. Sintemal ſie dieſem maͤch-
tigen Buhler mit Ungeſtuͤm zu begegnen nicht
fuͤr rathſam hielt/ ſondern alles mit dem Schat-
ten der bloſſen Kurtzweil verhuͤllte; in Auguſtens
Verſuchungen ein Lachen gab; und als Te-
M m m m m m m 3rentia
[1198[1200]]Achtes Buch
rentia zuletzt in einem groſſen Saale das auff-
gehenckte Bild der Juno mit zweyen an den
Fuͤſſen haͤngenden Amboſſen; hingegen des
Jupiters aufgethroͤntes Bild fuͤrſtellete/ und
die anweſenden Goͤtter an einer guͤldenen Ket-
te dieſen Jupiter vom Himmel zu ziehen veran-
laſte/ fuͤr dißmahl Gelegenheit ſich ſeiner zu ent-
brechen bekam. Den vierdten Tag ergetzte
Pola dieſe Goͤtter-Geſell ſchafft auff dem Vor-
werge Minervens. Sie ließ die Taffel in ei-
nem wunderſchoͤnen Garten unter eitel Oel-
Baͤumen/ derer Blaͤtter ſie hatte die Helffte
verguͤlden laſſen/ anrichten. Die Speiſen wur-
den alle zu ſiebenen aufgetragenen; und keine
ohne Oel und koͤſtlichen Balſam zugerichtet.
Die hoͤchſte Vergnuͤgung aber brachte den Zu-
ſchauern ein kuͤnſtlicher Streit ſiebenmahl ſie-
ben auff Amazoniſch geruͤſteter Frauen-Zim̃er;
welche mit ſo viel Mohren ſich zu Pferde und
Fuße herum ſchlugen; und endlich ihren Krieg
in einen kuͤnſtlichen Pferde-Tantz verwandel-
ten. Auguſt/ der ſich zu Asblaſten ans Ende
eines Spatzierganges niedergelaſſen hatte/ ſetz-
te ihr abermahls mit ſeinen Verſuchungen zu;
ruͤhmte die Gluͤckſeligkeit der Amazonen; wel-
che mit ihrer Liebe niemahls iemanden die
Herꝛſchafft uͤber ſich eingeraͤumt/ noch die Frey-
heit ſich an neuen Sternen zu erquicken bege-
ben haͤtten. Asblaſte hingegen ſchalt ihre un-
gezaͤhmte und dem weiblichen Geſchlechte un-
anſtaͤndige Herrſchensſucht; als welches ohne
den Glantz ihrer Maͤnner ſo wenig/ als der
Mohnde ohne die Strahlen der Sonne Licht
haͤtten. Sie ſchalt ihre Verwechſelung der
Liebhaber/ als eine bloſſe Geilheit; und daß die
reine Liebe ſo wenig zweyerley Ziel/ als der
Magnet ein anders Ende/ als die Nordſpitze
erkieſen; noch die Sonnenwende einem an-
dern Geſtirne/ als der Sonne nachſehen koͤn-
te.
Den fuͤnfften Tag fuhren ſie auf das Luſt-
Hauß des Neptun; welches denen Sirenen-
Jnſeln gegen uͤber auf einem rings umher vom
Meere umſtroͤmten Stein-Felſen lag. Der als
ein Waſſer-Gott auffziehende Cajus fuhr die-
ſes mahl voran; und nach dem er mit ſeinem
Dreyzanck - Stabe ins Waſſer geſchlagen hat-
te/ kamen hinter denen Klippen eine Menge
Tritonen und Waſſer-Goͤtter herfuͤr/ und dem
Neptun entgegen geſchwummen. Als er noch
einmal ins Meer ſchlug/ ließ ſich ſeine Gemah-
lin Amphitrite ſehen. Sie fuhr auff einer groſ-
ſen Purper - Muſchel; welche auswendig/ ſo
weit ſie das Waſſer nicht deckte/ mit Schilffe/
Mooß und Korallen-Zincken bewachſen war;
und von zweyen abgerichteten Delfinen gezo-
gen ward. Jhr folgten zwoͤlff guͤldene Nachen
mit purpernen Segeln/ und ſilbernen Rudern;
auf derer iedem zwey Waſſer-Nymphen die
Schiffarth beſtellten. So bald dieſe ans Ufer
ſich naͤherten/ neigte ſich Amphitrite gegen de-
nen zwoͤlff Goͤttern; Die Delfinen wendeten
ſich gleich um; die Nymfen aber noͤthigten die
Goͤtter in ihre Nachen und fuͤhrten ſie zwiſchen
dem Gethoͤne der umher ſchwimmenden Tri-
tonen auff den Steinfelß; da ſie denn allererſt
Amphitrite bewillkommte. Weil ſie noch am
Ufer ſtanden/ erſchien Glaucus/ und hatte wol
dreyhundert theils mit Netzen/ theils Angeln/
theils Wurff-Spieſſen ausgeruͤſtete Fiſcher
hinter ſich; welche in einem Augenblicke durch
allerley Arten nicht nur eine groſſe Menge/
ſondern auch die ſeltzamſten und ſonſt in dieſem
Meere nicht zu fangen gewoͤhnliche Fiſche de-
nen Zuſchauern fuͤr ihre Fuͤſſe liefferten; alſo:
daß diß mehr einer Zauberey als einem Fiſch-
fange aͤhnlich war. Es hatte aber Cajus all-
hier zwiſchen der Ziegen-Jnſel und dieſem Fel-
ſen das kaum zwoͤlff Schuh tieffe Meer mit
Netzen genau beſetzen/ und in dieſes Gefaͤng-
nuͤs alle anderwerts hergebrachte Fiſche ein-
ſperren laſſen. Die Taffel war oben auff der
Spitze des Felſen/ und alſo mitten im Meer
gehalten; und zwar nichts/ als was aus dem
Meere
[1199[1201]]Arminius und Thußnelda.
Meere kommt/ aber die aller niedlichſten Spei-
ſen auffgeſetzt. Bey waͤhrender Mahlzeit lieſſen
die um den Fels ſchwermenden Sirenen ſich
mit denen lieblichſten Seitenſpielen und Ge-
ſaͤngen hoͤren. Nach vollbrachter Taffel fuͤg-
ten ſie ſich an ein ander Ufer; da ſie denn in dem
Meere zweyhundert kuͤnſtliche Schwimmer in
Geſtalt der Tritonen gegen einander zu einem
Kampffe fertig fanden. Das wunderwuͤrdigſte
war: daß als Neptun auff einer Muſchel zwi-
ſchen ſie in die Mitte fuhr/ und ſeinen Drey-
zancks Stab in das Meer ſtach; alſofort an ſel-
bigem Orte ein kleiner Felß durch Kunſt herfuͤr
kam; auff welchem ſich ein gantz ſilberner Tri-
ton zeigte; welcher in ein Streit Horn bließ/
und denen gegen einander geruͤſteten das Zei-
chen zum Kampffe gab. Dieſer ward mit der
vollkommenſten Ordnung/ und mit den ſeltzam-
ſten Abwechſelungen bewerckſtelliget/ endlich
aber/ als die unter gedruͤckten Beſiegten nicht
anders als wie Endten aus dem Waſſer wieder
empor kamen; und der ſilberne Triton auff ei-
ner Leyer zum Zeichen des Friedens zu ſpielen
anfieng/ dieſer Streit ebenfalls in einen Waſ-
ſer-Tantz verkehret. Nach dieſer Luſt ward in
einem groſſen Waſſer-Kefichte ein aus Egy-
pten uͤberbrachter Krocodil und ein Waſſer-
Pferd loß gelaſſen; auff welche dreyhundert auf
ſchnellen Nachen ankommende Fiſcher mit ei-
ſernen Hacken und Wurff-Spieſſen loß gien-
gen; iedoch ehe ſie ihre Thiere erlegten/ vor et-
liche Gefaͤrthen dem Rachen des ſeine Todten
vorher beweinenden Krocodils aufopffern mu-
ſten. Hieruͤber ruͤckte die Nacht herbey/ der
Himmel ward voller Sternen/ das ſtille Meer
ein kriſtallener Spiegel; alſo: daß durch den
Gegenſchein der Himmel eine blaue See/ die
See ein geſtirnter Himmel zu ſeyn ſchien. Am-
phitrite noͤthigte die verſammleten Goͤtter auch
auff ihren Wieſen einige Ergoͤtzung zu genuͤſ-
ſen. Wie denn auff zuſammen gefuͤgten Schif-
fen ein ſchwimmendes/ und mit allen nur er-
ſinnlichen See-Kraͤutern/ Muſcheln/ Schne-
cken/ Korallen/ Agſtein bedecktes Eyland ans
Ufer ſtieß/ und die eingeladenen Gaͤſte auff-
nahm. Sie ſetzte mehr nicht als eine groſſe und
zwey kleinere Schuͤſſeln aus Perlen-Mutter
auff; in der groſſen lagen zweytauſend Sorten
außerleſener Fiſche/ in der einen kleinen nichts
als Milch von Murenen; in der andern lauter
Scarus-Lebern; welche ihrer Koͤſtligkeit hal-
ber Jupiters Gehirne genennt wurden. Bey
dieſer Ergetzligkeit ward noch die Farth des
Ulyſſes/ und der ſich ins Meer ſtuͤrtzenden Si-
renen fuͤrgebildet. Zuletzt aber dieſe ſchwim-
mende Jnſel in ſo viel Theile zerriſſen: daß nur
zwey und zwey Stuͤle auff einem Nachen bey-
ſammen ſtehen blieben. Worbey es Livia aber-
mahls ſo meiſterlich angegeben hatte: daß der
Kayſer und Asblaſte beyſammen; und in der
Einſamkeit des Meeres ſchier allein zuruͤcke
blieben. Ein einiger auff einem in Geſtalt
eines Delphins kuͤnſtlich gefertigtem Nachen
ſitzender Triton ſchwermte um ſie her/ und ſang
gegen Asblaſten die in nachfolgenden Reymen
ausgedruͤckte Gedancken des Kayſers:
Dieſe und mehr andere verliebte Reymen
ſang dieſer einſame Triton; deſſen Abgeſang
aber allezeit von einer Menge ihm von ferne
folgender Meer-Goͤtter wiederholet ward; biß
der an die unbewegliche und fuͤr dieſen Sire-
nen-Liedern die Ohren des Gemuͤths zuſtopf-
fende Asblaſte mit eiffrigſten Liebes-Verſu-
chungen ſetzende Auguſt endlich um Mitter-
nacht wieder an den Felſen angetrieben/ und
von funffzig Nereiden/ welche alle ſilberne Klei-
der/ gruͤne Haare/ und brennende Ampeln in
Geſtalt leuchtender Fiſche in Haͤnden hatten;
und ſo wol Asblaſten/ als den Kayſer auf das
Luſt-Hauß in ihr Zimmer begleiteten.
Den ſechſten Tag wurden die geſamten
Goͤtter mit eben ſo praͤchtigem Auffzuge als
bey der Einholung auff die Ziegen-Jnſel an-
geſetzt; und aufdas in einer fruchtbaren Flaͤche
liegende Vorwerg der Ceres gefuͤhret. Das
Luſt-Hauß war ein von eitel Blumen und Erd-
gewaͤchſen zuſammen geflochtenes Gebaͤue.
Die erſte Tracht waren eitel Obſt und Feigen;
als welche Ceres zum erſten gepflantzt haben
ſoll. Alle Fiſch- und Fleiſch-Gerichte waren
in zierlich gebildeten weitzenen Teig eingeſchla-
gen; welche nichts minder als das Zuckerwerck
eitel Feld- und Garten-Fruͤchte fuͤrſtelleten.
Unteꝛ dem koͤſtlichen Weine gieng auch Milch/
Meth und Aepffel-Tranck herum/ als der Ce-
res gewiedmetes Getraͤncke. Bey waͤhrender
Taffel hielten zwantzig edle Frauen alle mit
Kraͤntzen aus Weitzen-Aeren/ mit Hoͤrnern
des Uberfluſſes verſehen/ und brennenden
Wachs-Fackeln als Baͤuerinnen angekleidete/
und ſo viel mit Eppich und Wein-Laub ge-
kraͤntzte auch gleichſam wuͤtende Bacchen ei-
nen Reyen dieſer Goͤttin zu Ehren. Nach der
Mahlzeit brachte Livia ein Bretſpiel auff die
Taffel; da ſie denn um in allen Stuͤcken ſich
der Ceres zu vergleichen/ welcher Rampſintus
aus Egypten ein guͤlden Handtuch abgewon-
nen/ gegen alle andere vergoͤtterte mit allem
Fleiſſe ein ſchaͤtzbares Kleinod verſpielte. Ge-
gen Abend fuͤhrte ſie ſie zu einem von dem Vor-
werge nicht weit entfernten Berge/ und in eine
groſſe uͤber und uͤber mit marmelnen Klippen
gewoͤlbte Hoͤle; ſie trug auff ihrem Haupte
nichts minder als obige viertzig Baͤuerinnen
und Bacchen ein heiliges Buch/ welches ihrer
Andeutung nach zu dem Elevſiniſchen Feyer
von noͤthen waͤre. Dieſe Hoͤle gleichte einem
praͤchtigen Tempel/ hatte auch um ſich herum
noch zwoͤlff kleine in Felſen gehauene Hoͤlen;
woriñen anfangs etliche tauſend weiße Wachs-
Kertzen leuchteten. So bald aber der Ceres
etliche Schein-Opffer von denen Erſtlingen
der Land-Fruͤchte gelieffert waren/ leſchten die
Lichter biß auff etliche wenige aus. Da denn
die anweſenden Frauen ſich theils nach dem
Beyſpiele der geilen Baubo; welche durch die
ſchaͤnd-
[1201[1203]]Arminius und Thußnelda.
ſchaͤndliche Verſtellung des weiblichen Ge-
ſchlechtes die ſonſt troſtloſe Ceres zu Elevſis er-
freuet haben ſoll/ entbloͤſſeten/ theils das abſcheu-
liche Bild des Mutinus; in welches bey den
unzuͤchtigen Roͤmern die Braͤute fuͤr ihrer Ver-
maͤhlung kuͤnftiger Fruchtbarkeit wegen geſetzt
werden; herum zur Schaue trugen. Die keu-
ſche Asblaſte entſetzte ſich uͤber dem erſten An-
blicke dieſes ſchandbaren Aufzugs; und ſuchte
die Einſamkeit der finſterſten Neben-Hoͤle/ um
auch nicht durch die Augen ihre reine Seele zu
beſudeln. Gleichwol waren die Ohren ver-
druͤßliche Bothen der in ſo finſterer Verwir-
rung fuͤrgehender Uppigkeit; welche nicht un-
billich in dieſe hoͤlliſche Grufft verdammt war;
weil ſie das Tage - Licht zu genuͤſſen nicht
verdiente. Alleine die tugendhaffte Asblaſte
blieb in ihrer geſuchten Einſamkeit nicht unbe-
leidigt. Denn das an ihrer Stirne vergeſſene
Band von glaͤntzenden Edelſteinen ward ihr
endlich zum Verraͤther/ und dem nach ihr lech-
ſenden Auguſt zum Wegweiſer. Welcher denn
anfangs mit allem erſinnlichen Liebkoſen/ und
den groͤſten Verſprechungen an ihre Keuſchheit
ſetzte; fuͤrnemlich aber die wieder der Fuͤrſtin As-
blaſte ausgelaſſene Verſchmaͤhung ſo heßliche
Laſter darmit zu beſchoͤnen vermeinte: daß die
Goͤtter bey dem Elevſiniſchen Feyer denen Ge-
brechen der Menſchen und ſo ſchoͤnen Suͤnden
durch die Finger ſehen; welche ohne diß mehr/
als denen vollkommenſten Leuten anhaͤngende
Schwachheiten zu uͤberſehen/ denn als Laſter zu
beſtraffen waͤren. Asblaſte aber ſetzte ihm mit ei-
ner ernſthafften Hefftigkeit entgegen: Gott waͤ-
re allezeit und allenthalben ein keuſcher Geiſt;
und ein gerechter Raͤcher der Mißhandlungen;
kein groͤſſer Kirchen-Raub aber waͤre/ als wenn
man einem Gottesdienſte diß Heiligthum naͤh-
me; und mit der Andacht die ſchaͤndlichſten La-
ſter uͤberfirnſte. Tugenden waͤren ſo reine Per-
len/ welche keinen ſchlimmen Beyſatz der Geil-
heit vertruͤgen. Sie vermaͤhlten ſich niemahls/
als mit ihres gleichen. Ja wenn nur eine wurm-
ſtichig wuͤrde; ſo wuͤrden ſie alle anbruͤchig. Da-
her ſollte der Kayſer ſeinen bey der Welt erwor-
benen Ruhm; noch auch ihre Seele mit dieſem
Schandflecke nicht beſudeln; ſondern vielmehr
feſte glauben: daß ein ſo kaltſinniger Gottes-
dienſt dem Gewiſſen hernach den Schweiß
heraus triebe/ und der beleidigte GOtt ſeine
Rache zwar anſtehen lieſſe/ aber niemahls ver-
gaͤſſe. Ja wenn auch weder GOtt/ noch Straffe
des Boͤſen waͤren; ſolte der Kayſer ſich dieſer
Schmach entſchlagen. Denn alle andere Laſter
haͤtten an ſich was maͤnnliches; Dieſes aber waͤ-
re durchaus weibiſch/ oder vielmehr gar viehiſch.
Allein weil die Begierden nicht nur die menſch-
liche Vernunfft bethoͤren; ſondern auch die al-
len Thieren gemeine Sinnen rauben; predig-
te Asblaſte einem Tauben. Ja weil die Be-
gierde bey leicht genoßbaren Dingen verrau-
chet; gegen denen aber/ die ſchwer zu erlangen
ſind/ auffs hefftigſte ſich entzuͤndet; gerieth Au-
guſt in Raſerey: daß er Asblaſten zu kuͤſſen un-
terfieng. Welches Asblaſten ſo ſehr aufbrachte:
daß ſie Auguſten von ſich ſtieß; und ihm unter
Augen ſagte: das Gluͤcke haͤtte ihm zwar uͤber
ihr Leben/ der Himmel ihm aber keines Weges
uͤber ihre Keuſchheit eine Botmaͤßigkeit einge-
raͤumt. Daher moͤchte er nur lieber ihr einen
gewaltſamen Tod verordnen; als durch ſolche
Zumuthungen das innerſte ihrer Seele toͤdten/
und die koͤſtlichſte Uberbleibung ihres Beſitz-
thums/ nehmlich die Ehre rauben. Auguſt/
welcher ungewohnt war: daß ihm einiger
Menſch etwas abſchluͤge/ weniger ihm ſeine
Meinung ſo hertzhafft und mit einer tugend-
hafften Entruͤſtung unter Augen ſagte; erſtarr-
te uͤber dieſer Begegnung; und lernte nunmehr:
daß die Lilgen der Keuſchheit keine bloß in der
Schneefarbe beſtehende Blume ohne Waffen/
ſondern vielmehr eine Roſe waͤre; welche zwar
verſchaͤmt/ aber auch mit Dornen ausgeruͤſtet
ſtuͤnde; und ob zwar ihre Feinde ſie meiſt nur
Erſter Theil. N n n n n n nmit
[1202[1204]]Achtes Buch
mit Blumen-Peitſchen antaſteten; dennoch ih-
re Anfechtung gefaͤhrlicher/ als Feuer und Ei-
ſen; und derogeſtalt ihr Sieg auch ſo viel herr-
licher/ als derer waͤre/ welche ſich mit ihrem und
des Feindes Blute beſpritzten. Wie denn As-
blaſte mit ihrer Schamhafftigkeit dißmahls den
beſchaͤmte; welchem das groͤſte Theil der Welt
zu Gebote ſtand. Sintemahl er nicht nur fuͤr
ihrer Hertzhafftigkeit gantz verwirrt und ver-
zweiffelt ward; ſondern auch/ weil etliche Stuͤ-
cke Felſen von dem Gewoͤlbe dieſer Grufft her-
unter fielen; alle dem Eingange dieſer Hoͤle
zudrangen; und nach dem ſie das boͤſe Gewiſſen
ihrer Ubelthaten ſchon verdammete/ mit Beben
und Zittern den Verfolg ihrer Uppigkeiten ab-
brachen. Die Koͤnigin Erato brach der Graͤ-
fin von der Lippe hieruͤber ein; vermeldende:
Sie koͤnte ſich uͤber des Kayſers Auguſt un-
ziemlichem Beginnen nicht genuͤglich verwun-
dern; und wuͤſte ſie bey ſo geſtalten Sachen
nicht; wie ein ſo laſterhaffter Fuͤrſt in der Welt
einen ſo groſſen Ruhm der Tugend erworben
haͤtte. Adgandeſter nahm ſich der Graͤfin an/
und antwortete: haͤtten doch unter gemeinen
Leuten ihrer viel das Gluͤcke beruͤhmt zu ſeyn/
nicht aber das Verdienſt. Wie viel ſchwerer
waͤre es in die verſchloſſenen Zimmer und un-
moͤglich in die Hertzen der alles unter dem
Scheine der Tugend und dem Vorwand des
gemeinen Beſten verdeckenden Fuͤrſten zu
ſchauen. Zugeſchweigen: daß auch die/ wel-
che ſonſt in Erforſchung anderer Fehler Luchs-
Augen haͤtten; ſolche gegen die Fuͤrſten wie
Maulwuͤrffe zuzuſchluͤſſen; ja die Heuchler gar
ihre ſchwaͤrtzeſten Gemuͤths-Flecken in die rei-
neſten Vollkommenheiten zu verwandeln pfleg-
ten. Auguſt haͤtte allerdinges ſo/ wie ins ge-
mein die neuen Fuͤrſten/ ſich meiſterlich mit dem
Scheine beholffen; und der Stadt Rom einen
blauen Dunſt fuͤr die Augen; und aus denen
Orten/ wo ſich etwas denckwuͤrdiges mit ihm
begeben/ Heiligthuͤmer gemacht; gleich als weñ
er den Goͤttern in der Schoß ſaͤſſe/ die Tugend
aber in ihm ihren eigenthuͤmlichen Sitz haͤtte.
Uber welcher Scheinheiligkeit der Fuͤrſten man
ſich ſo viel weniger zu verwundern haͤtte; nach
dem ihre Sinnenbilder die Berge mit gleich-
maͤßiger Heucheley behafftet waͤren; Derer viel
ſich euſſerlich in Schnee kleideten/ inwendig
Schwefel und Flamme verdeckten. Alſo wieſe
man bey Velitre Auguſtens geringe Geburts-
Stelle/ in einem zwar ſchlechten Gewoͤlbe;
welches man aber nicht anders/ als den heilig-
ſten Tempel mit keuſchem Leibe und mit groſſer
Ehrerbietung betreten doͤrffte; auch die Ein-
faͤltigen uͤberredete: daß die Geiſter darinnen ſo
wenig/ als in andern Heiligthuͤmern einigen
Entkleideten vertruͤge; ja ein neuer und un-
vorſichtiger Bewohner ſelbigen Ortes des
Nachts von einer uͤber natuͤrlichen Gewalt halb
todt waͤre heraus geworffen worden. Alleine
Auguſtens Thun haͤtte in eitel Scheinheilig-
keit/ und ſein Leben nicht nur in einer uner-
ſaͤttlichen Unzucht/ ſondern in einem Kreiße der
aͤrgſten Laſter beſtanden. Zum Merckmahle
ſeiner Grauſamkeit diente: daß er des uͤberwun-
denen Brutus Kopff unter die Seule des Kay-
ſers Julius werffen/ aus denen Gefangenen
Vater und Sohn ums Leben kaͤmpffen; und
denen Fußfaͤlligen den Troſt gelaſſen: Sie
wuͤrde ihr Begraͤbnuͤs in denen Magen der
Raubvoͤgel finden. Er haͤtte aller Goͤtter ge-
ſpottet/ nach zerſcheiterter Schiff-Flotte des
Neptunus Bild von ſeinem Sitze geriſſen und
ſich verlauten laſſen: er wolte auch wieder dieſes
Meer-Gottes Willen dem Pompejus den
Sieg zur See abzwingen. Wiewol er auch
zwar aus angenom̃ener Demuth ihm zu Rom
keinen Tempel zu bauen verſtatten wollen;
haͤtte er doch ſolches in andern Laͤndern/ und
allenthalben mit dem Beyſatze der Stadt
Rom/ als einer ihm vermaͤhlten Goͤttin; wie
auch: daß alle Staͤnde zu Rom jaͤhrlich in die
Grube des Curtius fuͤr ſeine Wolfarth ein
groſſes
[1203[1205]]Arminius und Thußnelda.
groſſes Geld opffern; etliche Staͤdte von dem
Tage ſeiner Dahinkunfft die Jahrs-Rechnung
anfangen; und in letzten Willen die Erlebung
ſeiner Herrſchafft fuͤr ein Gluͤcke der guͤldenen
Zeit anziehen moͤgen/ erlaubet; wie nichts min-
der viel ſilberne Bilder der Goͤtter eigennuͤtzig
verſchmeltzet; und aus ebenmaͤßigem Geitze
eine ziemliche Anzahl Buͤrger ins Elend ver-
jagt haͤtte/ um ſich nur ihrer Corinthiſchen Ge-
faͤſſe zu bemaͤchtigen. Die Zagheit haͤtte er faſt
in ieden Schlachten/ ſein boͤſes Gewiſſen aber
bey allen Gewittern ſpuͤren laſſen; und ſich zu
ſolcher Zeit in die tieffſten Hoͤlen verſteckt/ auch
mit der Haut eines Meer-Kalbes/ oder mit
Feigen bedecket/ aus gleichmaͤßigem Aberglau-
ben: daß ſie die Beleidigung des Blitzes ab-
wendeten. Am allermeiſten aber waͤre ſeine
Unzucht unerſaͤ[t]tlich geweſt; weßwegen er von
denen fremden Voͤlckern/ mit welchen er Frie-
den oder Buͤndnuͤße gemacht/ auff eine neue
Art ihr ſchoͤnſtes Frauen-Zimmer zu Geißeln
erkieſet; aus denen zwantzigen/ welche zu Ve-
ſtaliſchen Jungfrauen fuͤrgeſtellet wurden/ die
heßlichſte dem Heiligthume/ die ſchoͤnſte ſeinem
Bette geeignet/ die zaͤrteſten Kinder der edlen
Geſchlechte unter dem Scheine ſie mit ſeinen
Enckeln zu erziehen zu ſeinem Mißbrauche an
ſich gezogen; die noch nicht reiffe Claudia/ und
die ſchwangere Livia aus toller Brunſt unzeitig
geheyrathet; vielmahl unter dem Vorwand
der Unpaͤßligkeit in Mecenas Hauſe geſchlaf-
fen; und ſchier aller ſchoͤnen Weiber in Rom
durch Draͤuen oder Geſchencke genoßbar ge-
macht haͤtte.
Die Graͤfin von der Lippe ſtimmte Adgan-
deſtern bey/ mit Verſicherung: daß die gering-
ſten Laſter vom Auguſt waͤren ans Tagelicht
kommen; von denen aber die Fuͤrſtin Asblaſte
nebſt ihr auf der Ziegen-Jnſel alleine ſo viel
wahr genommen haͤtte: daß/ wenn ſie daran
gedaͤchte/ ihr noch die Haare zu Berge ſtuͤn-
den; und ſie ſich damahls mit einander bera-
then/ durch ſelbſt eigenen Tod/ wenn es durch
die Flucht unmoͤglich waͤre/ ſich dieſes zwar
euſſerlich guͤldenen/ inwendig aber vom Unfla-
te der Laſter ſtinckenden Gefaͤngnuͤßes zu ent-
brechen. Wiewol ſie dieſen Anſchlag moͤglichſt
verſtellen/ und Asblaſte ſich ſelbige Nacht in ih-
re angewieſene Zimmer; auff den Morgen a-
ber mit auffs Luſt-Hauß des Apollo verfuͤgen
muͤſſen. Dieſes ſchimmerte von Gold und
Edelgeſteinen/ und war rings umher dreyfach
mit Wacholder-Baͤumen umgeben; wie denn
auch alle Gaͤnge des wunderwuͤrdigen Gar-
tens darmit beſetzt/ alle Wacholder-Beeren a-
ber mit unſaͤglicher Arbeit verguͤldet warẽ. Wie
durch die Seltzamkeit der Speiſen gleichſam
die Erde/ die Lufft und das Meer erſchoͤpfft
war; alſo ſchimmerten auch alle Gerichte; in-
ſonderheit die zu Schau-Eſſen aus Wachs ge-
machten Bilder von Golde. Bey und nach
der Mahlzeit erluſtigte er ſeine Gaͤſte mit allen
Arten der Olympiſchen Spiele; bey welchen er
zwoͤlff Lorber-Kronen mit Golde und Dia-
manten reichlich ausgeputzt zum Preiß auff-
ſetzte. Dieſe Goͤtter ſelbſt erluſtigten ſich mit
einem Bogenſchuͤſſen nach einem hin und wie-
der durch kuͤnſtliches Raͤderwerck lauffenden
Drachen; zum Gedaͤchtnuͤße des Pithoniſchen/
welchen Apollo erlegt haben ſoll. Welchen Tag
es denn ſo zuͤchtig und anſehnlich hergieng: daß
es ſchien: es waͤren dieſe Menſchen/ ſo den Tag
vorher Vieh geweſt/ nunmehr in wahre Goͤt-
ter verwandelt worden.
Nach dem die Reye nun an die Fuͤrſtin As-
blaſte/ als eine wahrhafftig keuſche Veſta kam;
verfuͤgten ſie ſich alle des Morgens zu dem auf
einem luſtigen Berge liegenden/ und recht in
die rundte gebauten Luſt-Hauſe der Veſta; wel-
cher/ weil durch ſie der Geiſt der Erde fuͤr ge-
ſtellet wird/ auch die Tempel rundt gebauet
wurden. Es war mit eitel Vaͤumen oder
Stauden umſetzt/ welche feuerrothe Blumen
und Fruͤchte trugen. Jnwendig waren eitel
N n n n n n n 2feurige
[1204[1206]]Achtes Buch
feurige Mahlwercke aufgeſtuͤrtzt; inſonderheit
wie die des Servilius Tullus Haupt umge-
bende Flamme ihm die Roͤmiſche Krone/ die
brennenden Lantzen den Roͤmern den Sieg
wieder die Sabiner/ der opffernden Lavinia
das Feuer die Emporklimmung ihres Ge-
ſchlechtes wahrgeſaget; die dem groſſen Ale-
xander auf den Hals dringenden Jndianer er-
ſchrecket; den die Stadt Syracuſa belaͤgern-
den Nicias ſeine Feuerwercke beſchirmet/ und
der vom Demetrius angezuͤndete Wald die
Spartaner gerochen; endlich wie unterſchie-
dene Deutſche Frauen-Zimmer nicht anders/
als die Prieſterinnen der Perſiſchen Diana
durch unverſehrende Betretung gluͤender
Kohlen/ und Betaſtung feuriger Braͤnde ihre
Keuſchheit bewehret hatten. Die Taffel hatte
ſie in einer tunckeln Hoͤle/ theils wegen der uͤ-
bermaͤßigen Mittags-Hitze; theils: daß ſie den
Nutzen ihres heiligen Feuers angewehren koͤn-
te/ beſtellet. Denn ſie ließ ihr/ wie Veſtaliſche
Jungfrauen/ aufgeputztes/ und zu Bedienung
dieſer Goͤtter beſtelltes Frauen-Zimmer in ei-
nem einwerts geſchliffenem Stahl- oder Breñ-
Spiegel/ darinnen ſich die Sonnen-Strah-
len zuſammen in einen Mittelpunct zwaͤngten/
eine gleichſam himmliſche Flamme anſtecken.
Dieſe zuͤndete das mitten in der Hoͤle auffge-
ſetzte/ und aus eitel wolruͤchendem Talcke und
eingeamberten Wachs bereitete Bild der Por-
cia an/ und erleuchtete durch das ſie verzehren-
de Licht die Hoͤle. Die auff allen Fall eben ſo
hertzhafft/ als Porcia zu ſterben entſchloſſene
Fuͤrſtin Asblaſte hatte nicht ohne Nachdencken
an den Fuß dieſes brennenden Bildes ſchreiben
laſſen:
Die Taffel verlaͤngerte ſich mit allem Fleiße
biß in den ſinckenden Abend; Da denn As-
blaſte einen Aufzug hundert Jndianiſcher
Frauen fuͤrſtellte; welche in einem kuͤnſtlichen
Tantze einen Holtzſtoß aufbauten/ ſelbten mit
allerhand wolruͤchenden Zunder anfuͤllten; dar-
auff ſich endlich ihre ziemlich lebhafft gebilde-
te Koͤnigin ſetzte/ welche zwiſchen denen kra-
chenden Flammen ihren Leib dem Geiſte ihres
verſtorbenen Ehgemahls aufopfferte. Wel-
ches Trauerſpiel ſo artlich eingerichtet war:
daß die meiſten Zuſchauer dieſe Verbrennung
fuͤr die rechte Warheit aufnahmen. An dem
lodernden Holtz-Stoſſe ſtiegen auch allerhand
Luſt-Feuer mit nachdencklichen Bildungen
empor; welche ſich endlich in einen fenrigen
Regen verwandelten; und das an einem erho-
benen Orte aufgeſtellte Bild der Semele an-
zuͤndeten; daß es hernach in Aſche zerfiel/ zu
einer denckwuͤrdigen Erinnerung: wie gefaͤhr-
lich es ſey ſich in der Liebe allzuhoch zu verſtei-
gen.
Lucius fuͤhrte den neundten Tag ſie auff
das Luſt-Hauß des Kriegs-Gottes; welches
zwiſchen eitel rauen und unfruchtbaren Klip-
pen lag. Seine Zierrathen beſtunden in eitel
Stuͤrme/ Brand und Schlachten abbildenden
Gemaͤhlden. Die Taffel war auffs koͤſtlichſte
beſtellt/ aber ohne Brod/ vielleicht/ weil nichts
minder der feurige Kriegs-Stern/ als der
Krieg ſelbſt die Saaten/ ja gleichſam Laub und
Graß verſenget. Nach der Taffel erluſtigte
er ſeine Gaͤſte mit einem kuͤnſtlichen Roß-Tan-
tze; darinnen Jupiter und Mars mit einander
ſtritten; welcher unter ihnen zu der Hoheit der
Stadt Rom am meiſten beygetragen haͤtte.
Jupiter hatte auff ſeiner Seite zwantzig Cre-
tenſiſche
[1205[1207]]Arminius und Thußnelda.
tenſiſche Schuͤtzen/ Mars ſo viel Thracier mit
Wurff-Spieſſen. Dem Jupiter kam Juno
mit zwoͤlff Amazonen/ dem Mars Venus mit
ſo viel Liebes-Goͤttern zu Huͤlffe. Welche alle
ſich zwar kaͤmpffende wunderſeltzam durch ein-
ander vermiſchten/ gleichwol aber in ſolchem
Handgemenge allezeit eine richtige Ordnung/
und eine den Seiten-Spielen gemaͤße Bewe-
gung ſchauen lieſſen. Darzwiſchen wurden ie-
des Gottes Thaten wechſelsweiſe heraus geſtri-
chen/ und inſonderheit vom Jupiter geruͤhmet:
daß er ſelbſt das Capitolium zu ſeinem Sitze er-
wehlet/ das vom Arioviſt dem Mars wieder
Rom gethane Geluͤbde unterbrochen/ von der
Juno: daß ſie endlich zu Einaͤſcherung ihrer ei-
genen Stadt Carthago Rom zu Liebe geholffen;
vom Mars: daß er den erſten Stiffter Romu-
lus ſelbſt gezeuget; ſeine Woͤlffin ihm mit der
Milch einen ſtreitbaren Geiſt eingefloͤſt; von
der Venus: daß ſie den Eneas wieder die ge-
haͤßige Juno in Schutz genommen/ ihr vorge-
hender Stern ihm in Jtalien den Weg gewie-
ſen/ von ihm den Julius gebohren; und eine
Mutter des Juliſchen Geſchlechtes waͤre; wel-
ches Rom allererſt zu der hoͤchſten Macht und
Glantze empor gehoben haͤtte. Der Kriegs-
Gott erlangte endlich den Preiß/ nemlich einen
mit Diamanten umwundenen Graſe-Krantz/
den ihm/ als er gleich in der Mitte der Kaͤmpf-
fenden zu halten kam/ der aus der Hoͤhe herab
fahrende Geiſt der Stadt Rom auffſetzte.
Den zehenden Tag gieng der Zug auffs
Luſt-Hauß der Venus/ welches an Luſt allen
andern den Preiß wegnahm. Denn es lag an
der See in einem Myrten-Walde; darinnen
mehr/ als zwantzig Quellen aus den Klippen
entſprangen/ und mit ihren rauſchenden Baͤ-
chen nichts minder die Ohren/ als Augen ver-
gnuͤgte. Unter dieſen Klippen waren ihrer zwey
einander gegen uͤber; aus d[ah]er einem Eyskal-
tes/ aus dem andern warmes Waſſer in zwey
neben einander ſtehenden und zum Baden ge-
ſchickte Alabaſter-Schalen ſpritzten. An der kal-
ten war das Getichte des zur Blume werdenden
Narciſſes kuͤſtlich gebildet; und in den mar-
melnen Fuß eingegraben:
Maſſen denn an der Bach/ in welche ſich die-
ſes Quell ausſchuͤttete/ viel tauſend Nareiſſen
wuchſen. An der Alabaſter - Schale/ in welche
das warme Waſſer fiel/ ſtand das Getichte/ wie
Venus dem vom wilden Schweine angetaſte-
ten Adonis zu Huͤlffe eilet; den Fuß aber an den
Dornen ritzet/ und damit die weiſſen Roſen roͤ-
thet. Am Fuſſe war in rothem Marmel zu leſen:
Die aus der Schale abſchuͤſſenden Baͤche
machten gleichſam ein kleines Eyland/ ehe ſie
ſich mit einander vereinbarten/ welches mit eitel
in voller Bluͤte ſtehenden Roſen-Straͤuchen be-
ſaͤtzt war; gleich als wenn an dieſem Orte aller
Jahrs-Zeiten Annehmligkeit ſtets mit einan-
der verbunden waͤren. Mitten aber/ wo ſie zu-
ſammen ranen/ ſtand ein Marmel-Bild; da die
fuͤnff Sinnen die in einer Muſchel ſchlaffende
Venus auf den Achſeln trugen; und aus allen
Oefnungen theils warmes/ theils kaltes Waſſer
ſpritzten. Um den Fluß war eingegraben:
Dieſe gantze Gegend war auch von Roſen
derogeſtalt angefuͤllt: daß derſelben Geruch
vieler Haͤupter einnahm. Das Luſt-Hauß war
mit denen kuͤnſtlichſten Gemaͤhlden ausgezie-
ret/ in welchen ihre Geſchichte abgebildet; die
Speiſen aus allen erſinnlichen Dingen/ welche
eine fuͤhlende oder wachſende Seele haben/ aufs
koͤſtlichſte bereitet/ und mit Blumen gezieret
waren. Die erſte Tracht beſtand aus eitel Gra-
nat-Aepfeln/ weil Venus ſie in Cypern zum er-
ſten gepflantzt haben ſoll. Auf der gantzen Taffel
aber ward kein Wein gefunden; weil Antonia
nicht die irrdiſche/ ſondern die himmliſche Ve-
nus fuͤrbilden wolte/ welche die Weiſen fuͤr ein
Kind des Himmels ohne Mutter/ und eine
Feindin der Wolluſt/ fuͤr ein Bild der Goͤttli-
chen Schoͤnheit/ eine Anreitzerin der Seele zur
Liebe Gottes und der Tugend halten; und wel-
cher Feyer auch zu Athen ohne Wein begangen
werden muͤſſen. Uber diß ſtellte ſie in einem
kuͤnſtlichen Schauſpiele die gewaffnete Venus;
wie ſie alle ihr zuſaͤtzende ſchaͤdliche Gemuͤths-
Regungen; und den himmliſchen Liebes-Gott;
wie er die fleiſchlichen Wolluͤſte unter dem Bil-
de des ihn anfallenden halb-viehiſchen Pan uͤ-
berwand/ ſo zierlich fuͤr: daß auch die/ welche
ſich auff eine andere Uppigkeit verſpitzt hatten/
dennoch ihre Vergnuͤgung fanden; biß in dem
dritten Aufzuge des Schauſpiels die vorhin mit
eitel Sternen bekleidete Venus ſich in ein
Trauer-Gewand huͤllete; und einem ieden nach
der Reinigkeit ſeiner Liebe ein gnaͤdiges/ oder
nach ſeiner Geilheit ein grimmiges Todtes-
Urthel ſchrieb/ ja ſo gar ihre Seelen theils in
Ergetzligkeit/ theils in Pein verſetzte. Sinte-
mahl dieſe Goͤttin nicht nur fuͤr eine Vorſtehe-
rin der Geburt/ ſondern auch des Todes und
der Geiſter gehalten wird; weßwegen Cana-
chus ihr Bildnuͤs aus reineſten Gold und Helf-
fenbeine fertigte/ das auf dem Haupte die Him-
mels-Kugel/ in der rechten Hand einen Gra-
nat-Apffel/ in der lincken ein ſchlaͤffrichtes
Mah-Haupt trug. Alleine zuletzte beſudelte
die ſonſt ihrer Keuſchheit wegen beruͤhmte An-
tonia das vorhergehende Gute mit einem
ſchlimmen Beyſatze/ in dem ſie das Gerichte des
Paris zwiſchen der Juno/ Pallas/ und Venus
in einem Tantze zwar wegen ihrer gaͤntzlichen
Entbloͤſſung und unzuͤchtigen Stellungen
hoͤchſt aͤrgerlich/ iedoch ſo kuͤnſtlich fuͤrbilden
ließ: daß iede Perſon ihre Meinung mit ſtum-
men Gebehrden ſo deutlich ausdruͤckte/ als ſie
mit ihrer Rede ſchwerlich beſſer zu thun ver-
mocht haͤtte.
Den eilfften Tag verfuͤgten ſie ſich auff das
in einem annehmlichen Foꝛſt liegende Vorweꝛg
der Dianen; welcher keuſchen Goͤttin Stelle
Julia wenig keuſch vertrat. Das aus eitel
gruͤnem Marmel und Wacholder - Holtze ge-
baute Luſt-Hauß war mit denen koͤſtlichſten Ge-
maͤhlden ausgezieret; welche der Kayſer theils
aus dem zweyhundert Jahr fuͤr der Trojani-
ſchen Einaͤſcherung von denen Zazynthern
aufgefuͤhrten/ und vom Annibal verſchontem
Tempel/ theils aus dem Auldiſchen eben ſo al-
tem Heiligthume Dianens dahin hatte bringen
laſſen. Fuͤrnehmlich war wuͤrdig zu ſchauen
das Gemaͤhlde der ſich aus den Netzen winden-
den Britomartis/ des Timarete/ des Nicons
Tochter/ der Dyctynniſchen Dianen nachge-
macht haben ſoll/ und der Aufzug der geſchwaͤn-
gerten Geſpielen/ welche die Diana zu verſoͤh-
nen in ihren Koͤrben allerhand Opffer in ihren
Tempel trugen/ und ihre Guͤrtel darein auff-
hiengen; ferner das vom Apelles gemachte Bild
der Tauriſchen Diana/ welche in der rechten
Hand einen Pardel/ in der lincken einen Loͤ-
wen hielt; um ſich aber herum viel aufgeopffer-
te Fremdlinge hatte. Am allerhoͤchſten aber
ward geſchaͤtzt eine Taffel; darauff die Pelle-
niſche Diana alle Menſchen/ welche ſie anſa-
hen/ wahnwitzig; alle von ihren Augen beſtrahl-
te Baͤume aber unfruchtbar machte/ und der
Fruͤchte beraubte. Unter dem Luſthauſe ſtand
ein
[1207[1209]]Arminius und Thußnelda.
ein kuͤnſtlicher Spring-Brunn aus Corinthi-
ſchem Ertzt und Marmel; in welchem die vom
verliebten Fluße Alfeus verfolgte Diana ſich
und ihre Geſpielen mit Kothe bekleibet; und al-
ſo ihm entrinnet. Die Speiſen waren eitel
Wildpret; und von ſo vieler Art: daß es ſchien:
es haͤtte das gantze Roͤmiſche Reich alle Sel-
tzamkeiten ſeiner Waͤlder und Gebuͤrge dahin
verſammlet; und in denen Schau-Eſſen wa-
ren nicht nur alle nur erſinnliche Thiere/ ſon-
dern alle Geſchichte/ die man von der Diana
oder beruͤhmten Jaͤgern erzehlet/ abgebildet.
Nach der Taffel fuͤhrte Julia ihre Gaͤſte mit-
ten in den Forſt; da ſie/ nach dem die Jaͤger al-
ter Gewonheit nach die falſche Diana um Er-
laubnuͤs zu jagen angeflehet/ und den erſten ge-
hetzten Haſen/ entweder weil ihr Fleiſch ſchoͤn
machen/ oder ſie fuͤr andern Thieren ein groß
Hertze haben ſollen/ der Liebe zu opffern fort-
geſchickt hatten/ zum erſten in einer umgarn-
ten Stallung mehr/ als tauſend Haſen/ wor-
von aber die jungen alsbald abgeſondert/ und
der Diana zu Liebe loß gelaſſen wurden; theils
die Hunde erwuͤrgen/ theils ihre Gaͤſte mit
Pfeilen erlegen ließ. Hierauff kamen in die
Stallung dreyhundert Fuͤchſe; welche von de-
nen Jaͤgern eine gute Zeit in die Lufft geprellt/
und hernach allererſt zu tode gehetzt wurden.
Dieſen folgten hundert Woͤlffe; welche mit ſo
vielen Hunden einen blutigen Zweykampff
hielten. Zweyhundert Rehe/ die alle von der
Goͤtter Pfeilen fielen; ferner/ hundert wilde
Schweine; die von groſſen Britanniſchen und
Thraciſchen Hunden erlegt wurden. Endlich
traten in die Stallung funffzig Hirſche mit
groſſen Geweihen/ derer keines unter dreyzehn
Enden hatte; wovon die meiſten gleicher Ge-
ſtalt der Zuſchauer Pfeile faͤlleten/ etliche aber
dennoch uͤber die hoͤchſten Garne ſetzten. Nach
dieſer Erluſtigung fuͤhrte Julia die Verſam-
lung in den nahe dabey gelegenen Thier-Gar-
ten; in welchen der Kayſer alles dieſes Wild
aus Africa und Hiſpanien hatte bringen laſſen.
Da denn in einem gemauerten Kampff-Platze
anfangs drey Luchſe gegẽ drey Tiger; zuletzt ein
wilder Ochſe gegen einen Loͤwen kaͤmpffen; die
Uberwinder aber gleichwol mit Pfeilen getoͤd-
tet wurden. Endlich verlohr ſich Julia von der
Geſellſchafft/ und ließ den Mercur ihre Gaͤſte
in ein luſtiges Thal leiten; da ſie denn auf ei-
nem mit fruchtbaren Baͤumen uͤberſchatteten
Felſen die Julia mit zwoͤlff andern Frauenzim-
mern in Geſtalt der badenden Diana finger-
nackt antraffen. Kurtz darauf hoͤrten ſie ein Ge-
thoͤne der Jaͤger - Hoͤrner/ und Gebelle der
Hunde. Worauff ſich denn ein wolausgeputzter
Jaͤger ſehen ließ/ und biß an diß Bad eine Hin-
din verfolgte. So bald aber Julia und ihre
Geſpielen ihn mit ihrem Waſſer beſpritzten/
kriegte dieſer ar mſelige Acteon zu aller Zuſchau-
er Erſtaunung groſſe Geweihe auff den Kopff.
Worauff ihn ſeine eigene Hunde anfielen und
in Stuͤcke zerriſſen. Niemand wuſte zu ſa-
gen/ wie es zugieng; und ich ſelbſt als eine Zu-
ſchauerin weiß nicht zu errathen: Ob es Ver-
blendung oder Zauberey geweſen ſey. Wiewol
nun dieſe Tage Auguſt die Fuͤrſtin Asblaſte
auffs freundlichſte unterhielt; alſo: daß Teren-
tia gegen ſie eifferſuͤchtig zu werden begonte;
blieb er doch iederzeit in den Schrancken einer
ſolchen Beſcheidenheit: daß Asblaſte nunmehr
durch die einmahl geſchehene hefftige Beweh-
rung ihrer Keuſchheit Auguſtens unziemliche
Begierden uͤberwunden/ und ſich in voͤllige
Sicherheit geſetzt zu haben vermeinte. Weß-
wegen ſie mit deſto wenigern Sorgen ſich den
zwoͤlfften Tag mit denen andern Goͤttern zu
dem Vorwerge des Saturn verfuͤgte; als bey
deſſen gramhafftigen Eigenſchafft ſie ſo viel we-
niger Liebes-Verſuchungen vermuthete; der
Kayſer auch auff des Roͤmiſchen Rathes be-
wegliche Bitte den folgenden Tag nach Rom
auffbrechen wolte.
Der ſonſt dem ſanerſehenden Saturn ziem-
lich
[1208[1210]]Achtes Buch
lich aͤhnliche Tiberius bewillkommte ſeine Gaͤ-
ſte mit einer ungemeinen Freundligkeit/ und
zwar auf einem ſo annehmlichen Luſt-Hauſe;
welches zwar mit allerhand Sinnenbildern er-
fuͤllet war; in welchem ſeine ſelzamen Geſchichte
auf die Zeit und andere natuͤrliche Dinge ver-
ſtaͤndlich ausgelegt ſtanden/ ſonſt aber nichts
unannehmliches in ſich hatte. Er ſpeiſete zwar
gar kein Fleiſch; weil es unter der Herrſchafft
des Saturns nicht ſoll zulaͤßlich geweſen ſeyn;
aber alle andere koͤſtliche Gewaͤchſe unter der
Sonnen waren hier beyſammen; ja von denen
ſaͤuerlichen Granat-Aepfeln wurden gleichſam
gantze Berge aufgethuͤrmet; und die Saͤder in
Speiſen waren mit denen koͤſtlichſten Saͤfften
alle ſaͤuerlich zugerichtet. Weil der bitter und
ſauere Geſchmack dieſem Gotte allein zukom-
men ſoll. Das Getraͤncke war der herrlichſte
Wein uͤbers Meer auf den fernen Gluͤcks-
Jnſeln geholet; welchen er die Thraͤnen des
Saturn nennte; weil dieſen Nahmen ſonſt das
bittere Meer ſelbſt fuͤhret. Nach der Taffel
zeigte Tiberius/ aus Andeutung: daß die Dra-
chen und Schlangen dem Saturn gewiedmet
ſind/ in einem gemauerten Gebaͤue die funffzig
Ellen lange Schlange/ welche der Kayſer aus
Africa dahin hatte bringen laſſen/ und hernach
zu Rom im oͤffentlichen Schauplatze zu groſſer
Verwunderung des Volckes gewieſen ward.
Und zwar auf dieſen Eylande unter einer Men-
ge von mehr als tauſend kleinern Schlangen
und Nattern/ die der groſſen/ als ihrer erkieſten
Koͤnigin/ ich weiß nicht/ durch was fuͤr Kunſt
eine guͤldene Krone auffſetzten. Hierauf ſtellte
Tiberius in einem groſſen Saale ein Schau-
Spiel fuͤr: da auff einem in Geſtalt einer Him-
mels-Kugel gefertigten Schauplatze die ſieben
Jrrſternen mit einander ſtritten; welcher unter
ihnen das koͤſtlichſte Ertzt bereitete. Saturn
ſtritt fuͤr die Nutzbarkeit ſeines Bleyes/ Jupiter
fuͤr die Zierde ſeines Zienes/ Mars fuͤr die
Nothwendigkeit ſeines Eiſens/ die Sonne fuͤr
die Unverſehrligkeit des Goldes; Mercur fuͤr
die heilſame und durchdringende Krafft des
Queckſilbers/ Venus fuͤr die Pracht des
Kupffers/ der Mohnde fuͤr die Herrligkeit des
Silbers/ und fuͤhrte ieder allerhand Urſachen
ſeines Vorzugs an. Nach dem nun die uͤbrigen
Goͤtter fuͤr das Gold den Ausſchlag gaben/ und
erwehnten: wie alle andere Arten des Ertztes
durch die Krafft der Sonne und des Feuers ſich
muͤhten die Vollkommenheit des Goldes zu er-
reichen; wie Jupiter ſich ſelbſt in Gold verwan-
delt/ Mars ſeine Waffen/ Mercuꝛ ſeinen Stab/
Venus ihren Wagen/ Diana ihre Hoͤrner mit
Golde ausputzten; machte Saturn der Sonne
die Zeugung des Goldes ſtrittig; und meinte
ſelbte fuͤr ſich zu behaupten; weil unter ſeiner
Herrſchafft unſtrittig die rechte goldene Zeit
geweſt waͤre. Da denn nach einem langen
Streite der Ausſchlag dieſes Streits dahinaus
fiel: daß die Sonne in den Bergen; der einfaͤl-
tige Saturn aber in den Hertzen der Menſchen
das koͤſtliche Gold-Ertzt zeugte. Hierauf ward
in einem Tantze die Zentner-Laſt der eiſernen;
die Beſchwerligkeit der ſilbernen/ und die Herꝛ-
ligkeit der guͤldenen Zeit; in welcher alles ge-
mein geweſt iſt; das Meine und Deine keinen
Krieg erregt; auch die Felder ohne Arbeit
Fruͤchte gebracht haben/ fuͤrgeſtellet. Worbey
die vier und zwantzig Stunden die Goͤtter ſin-
gende beweglich anfleheten die guͤldene Zeit
und die Gemeinſchafft aller Sachen wieder
einzufuͤhren; das Ertzt des Goldes aber/ wel-
ches ein ſchaͤdliches Terpentin-Oel in ſich ſte-
cken haͤtte/ daran die Seelen der Menſchen/ wie
die Vogel an dem Leime kleben blieben/ aus
der Welt verbannen moͤchten. Sintemahl
damahls/ als man von keinem Golde gewuͤſt
haͤtte/ die rechte guͤldene Zeit geweſt waͤre.
Alldieweil aber Auguſt abermahls Schrei-
ben empfieng: daß der Koͤnig und Prieſter des
Bacchus in Thracien Vologeſes einen maͤchti-
gen Krieg erregt haͤtte/ muſte er ſich der Geſell-
ſchafft
[1209[1211]]Arminius und Thußnelda.
ſchafft entziehen; gab auch in Anweſenheit der
Fuͤrſtin Asblaſte Livien zu vernehmen: daß er
die gantze Nacht mit noͤthigen Anſtalten der
Reichs-Geſchaͤffte zubringen wuͤrde. Worvon
Livia Anlaß nahm Asblaſten zu erſuchen: daß
ſie ſolche Nacht bey ihr im Zimmer ſchlaffen
moͤchte. Asblaſte gab ihren Willen unſchwer
darein; weil Livia ihr bey dieſem Zuſtande be-
fehlen konte/ ſie auch nichts boͤſes argwohnte.
Sie ſchlieff kaum drey Schritte von Livien
gantz ſicher; biß ſie nach Mitternacht erwachte
und gewahr ward: daß ihr iemand die Bruͤſte
betaſtete. Woruͤber ſie einen ſo hefftigen Gall
anfieng zu ſchreyen: daß ich und Liviens
Frauen-Zimmer im Vorgemache daruͤber er-
wachten. Auguſt und endlich Livia ſelbſt ſuch-
ten Asblaſten zu beſaͤnfftigen/ und ſie zur Liebe
zu bewegen. Nach dem aber Asblaſte aus dem
Bette ſprang/ den Nacht-Rock uͤber ſich warff/
den liebkoſenden Auguſt mit Gewalt von ſich
ſtieß/ und ihn einen Ehbrecher/ Livien aber ei-
ne Kuplerin ihres eigenen Ehmanns ſchalt;
fieng Livia/ um uͤbele Nachrede zu verhuͤten/ an/
Auguſten zu entſchuldigen: daß/ weil ſie ſonſt
in dem der Asblaſte aus Hoͤfligkeit ein geraͤum-
ten Bette zu ſchlaffen pflegte; waͤre Auguſt irre
gegangen/ haͤtte alſo fuͤr die ein gebildete Livia
Asblaſten angeruͤhret. Dieſe aber war durch
nichts zu bereden in ſelbigem Zimmer vollends
zu uͤbernachten/ ſondern ſie kam mit zitternden
Gliedern ins Vorgemach/ und fiel ohnmaͤchtig
auf mein Bette: daß ich laͤnger als eine Stun-
de an ihr zu reiben und zu kuͤhlen hatte; ehe ſie
wieder ein wenig zu Kraͤfften kam. Mit die-
ſem aber/ (ſagte die Graͤfin von der Lippe/)
gieng meine Angſt allererſt an; denn ſie wolte
fuͤr Unmuth: daß ſie von Auguſten ſo geile Be-
taſtungen gelitten hatte/ ihr das Meſſer in die
Bruͤſte ſtoſſen/ vorgebende: daß kein ander
Waſſer/ als Blut/ ihre Flecken abwaſchen koͤn-
te. Jch wand ihr aber mit genauer Noth das
Meſſer aus/ und hielt ihr beweglich ein: wie
kein Leib/ ſondern nur die Seele durch den
Werckzeug boßhaffter Einwilligung von La-
ſtern beſudelt zu werden faͤhig; der Selbſtmord
aber eine Wiederſpenſtigkeit gegen das Ver-
haͤngnuͤs/ welche das ihm anvertraute Leben
nichts minder/ als ein unbaͤndiges Laſt-Thier
ſeine aufgelegte Buͤrde halsſtarrig von ſich
wirfft/ eine Mißgeburt der Kleinmuth; und
ein thoͤrichtes Werck eines verletzten Gewiſ-
ſens waͤre. Weßwegen Tarquinius und an-
dere Obrigkeiten ſolche Leichen haͤtten laſſen an
die zu Beſtraffung der Knechte aufgerichtete
Creutze nageln. Asblaſte aber verſetzte mir:
dieſes haͤtte ſeine Weiſe; wenn ein tugendhafft
Gemuͤthe mehr keine Anfuͤgung Schimpfes
und Schande zu beſorgen haͤtte. Sie aber ſaͤhe
ihre Ehre in der hoͤchſten Gefahr fuͤr dem nach
ihr wiegernden Auguſt. Und hiermit/ als es
kaum zu tagen begunnte/ erhob ſie ſich unverſe-
hens aus dem Gemache/ und lieff gantz ver-
zweiffelt einem abſchuͤßigen Felſen zu. Ob ich
ihr nun zwar gleichſam ſchon auf der Ferſen
war; ſprang ſie doch von dar in das Meer.
Die Goͤttliche Verſehung aber ſchickte es ſo
wunderſam: daß die Fiſcher auf dreyen Na-
chen gleich an ihren Netzen zohen; und/ als As-
blaſte ins Waſſer fiel/ in Meinung: daß ein
groſſer Fiſch aus dem Netze ſpringen wolte/ die
Netze zuſammen zohen/ alſo ſtatt des Fiſches die
wunderſchoͤne Asblaſte aus dem Waſſer zohen.
Mein zwiſchen ihrem Geraͤuſche vorhin nicht
wahrgenom̃enes Wehklagen kam den Fiſchern
nun auch zu Ohren; daher ſie mit ihrem ſeltza-
men Fange ſo viel mehr ans Ufer eilten; und
mir meine verlohrne Asblaſte/ der ich mich
Lebenslang ſchon verziehen hatte/ wieder uͤber-
antworteten. Sie war mehr einer Leiche/ als
einem lebendigen Menſchen gleich; und ſchoß
ihr das Waſſer haͤuffig aus Mund/ Naſe und
Ohren. Gleichwol aber kam ſie nach ein par
Stunden durch meine und zweyer anderer
Frauen-Zimmer Huͤlffsleiſtung wieder zu ſich;
Erſter Theil. O o o o o o onach
[1210[1212]]Achtes Buch
nach dem wir ſie ins Vorwerg an einen beque-
men Ort gebracht hatten. Auguſt/ als er dieſe
Begebenheit erfahren/ war nicht minder be-
ſchaͤmt/ als erſchrocken. Daher er in hoͤchſter
Eil zu Schiffe nach Minturne forteilte/ und
Befehl hinterließ/ Asblaſtens auffs beſte zu pfle-
gen. Jhre zwey Soͤhne/ Herrmañ und Flavius/
welche der Kayſer nebſt dem jungen/ aber ſehr
plumpen Agrippa und andern edlen Roͤmern
mit allerhand Kurtzweil hatte unterhalten/ und
die in dem Miſeniſchen Seebuſem liegende
Seeplaͤtze beſehen laſſen/ muſten ſo eilfertig
mit nach Rom: daß ſie ihrer Frau Mutter
kaum die Haͤnde zu kuͤſſen Zeit hatten. Woruͤ-
ber Asblaſte aber mahls ſo wehmuͤthig ward:
daß ſie nach ihrem Abſchiede aus gefaſter Ein-
bildung ſie nim̃ermehr wieder zu ſehen/ Spra-
che und Seele verlor/ und in etlichen Tagen
kaum aus dem Bette und wiederum zu Ge-
ſpraͤchen gebracht werden konte. Wir blieben
wol zwey Monate auf dieſem Eylande; da ich
denn noch genungſam an Asblaſten zu troͤſten/
und ihr einzuhalten hatte: daß der Himmel ſie
nicht ungefaͤhr bey ihrer verzweiffelſten Ent-
ſchluͤſſung aus dem Rachen des Meeres erret-
tet; ſondern zu noch etwas ſonderbarem vor-
enthalten haͤtte; daher ſolte ſie durch ihre Unge-
dult GOtt nicht beleidigen; und das ihr be-
ſtimmte Heil nicht mit Fuͤſſen von ſich ſtoſſen.
Alleine dieſes Eylandes Luſt-Garten war nun-
mehr Asblaſten ſo ſehr zu wieder/ als die Jnſel
Jthaca den Haſen/ Creta und der Berg Olym-
pus den Woͤlffen/ Africa den Hirſchen. Die
wolruͤchenden Kraͤuter ſtancken ſie an; und fuͤr
denen heilſamſten Fruͤchten eckelte ihr. Daher
ſie an den Kayſer eine demuͤthige Bittſchrifft
abgehen ließ: daß er zu ihrem Gefaͤngnuͤße ihr
unter einem kuͤhlern Himmelsſtriche einen an-
dern Ort ausſtecken moͤchte/ weil ſie ſo heiſſer
Lufft entwohnet waͤre. Welches denn auch ſo
viel fruchtete: daß der Kayſer verordnete uns
auf das zwiſchen Corſica und Etrurien liegende
Eyland Capraſia/ ſo gleichfalls von den wilden
Ziegen den Nahmen hat/ zu fuͤhren. Wir hatten
diß ſchon im Geſichte; als ein hefftiger Sud-
Oſt-Wind uns bey ſelbter vorbey trieb/ und ſich
hernach in einen ſechstagichten Sturm ver-
wandelte/ endlich unſer Schiff nicht ferne von
dem Munde des Fluſſes Jberus an einem Fel-
ſen zerſchmetterte; alſo: daß ich mit genauer
Noth auf einem Stuͤcke Brete ans Ufer
ſchwamm/ und nach etlichen nicht erzehlens-
wuͤrdigen Ebentheuern unſer Deutſchland
wieder erreichte; biß auf den geſtrigen Tag fe-
ſte glaubende: daß die Fuͤrſtin Asblaſte ihr Be-
graͤbnuͤs in dem Jberiſchen Meere gefunden
haͤtte.
Fuͤrſt Adgandeſter loͤſete nunmehr die Graͤ-
fin von der Lippe in ihrer Erzehlung ab; mit
der Vertroͤſtung: es wuͤrde die tugendhaffte
Asblaſte ihnen die Uberbleibung ihrer Schif-
farth und ſeltzamen Lebens-Lauffs nicht miß-
goͤnnen; er muͤſte nunmehr ſeinem Verſpre-
chen nach ſich zu dem mit dem Kayſer nach
Rom gediegenen Fuͤrſten Herrmann und Fla-
vius wenden. Herrmann hatte das Gluͤcke
noch auf der Reiſe nach Rom des Kayſers Ge-
wogenheit zu erwerben. Denn als er bey
Minturne aus dem Schiffe gieng/ von der aus
ſelbtem ans Land angeworffenen ſchmalen
Bruͤcke mit den Fuͤſſen abgliet/ und ins Waſ-
ſer fiel; alle anweſende Roͤmer aber hieruͤber
einander nur fuͤr Schrecken anſahen/ ſprang
der von Kind auf des Schwimmens gewohnte
Fuͤrſt Herrman behertzt ins Waſſer/ erwiſchte
den unterſinckenden Kayſer beym Arme/ und
brachte ihn aus augenſcheinlicher Lebens-Ge-
fahr gluͤcklich ans Land. Der errettete Auguſt
umarmete dieſen jungen Fuͤrſten/ nennte ihn
ſeinen Sohn; und verſicherte ihn: daß er und
ſein gantzes Geſchlechte dieſer unver geßlichen
Wolthat genuͤſſen ſolten. Deſſen erſte Frucht er
und ſein Bruder Flavius daran genaß: daß ſie
bey des Druſus Siegs - Gepraͤnge wegen der
in
[1211[1213]]Arminius und Thußnelda.
in Deutſchland gefuͤhrter Kriege nicht als Ge-
fangene mit eingefuͤhret wurden; ſondern mit
dem Kayſer den Tag vorher in Begleitung des
jungen Agrippa und des Germanicus zu Rom
einzogen. Nach dem auch Druſus kurtz hierauff
an ſtatt des Stadtvogts des Kayſers Geburts-
Tag in der Stadt Rom mit allerhand Schau-
Spielen und Jagten feyerte; der Kayſer aber
darbey das Ungluͤck hatte: daß ihm an einem
hauenden Schweine das Eiſen brach/ der neben
ihm ſtehende Ausgeber Diomedes auch aus
Furcht hinter den Kayſer ſprang; war der jun-
ge und zarte Flavius ſo behertzt: daß er mit ſei-
nem kleinen Eiſen deñ ſchaumenden Hauer be-
gegnete/ und dem in Gefahr ſtehenden Kayſer ſo
lange Lufft machte/ biß zwey Britanniſche To-
cken diß wilde Thier anfaſten/ und Auguſt ihm
ein ander Eiſen durchs Hertze trieb. Wordurch
Flavius die vorige Gnade des Kayſers nicht
allein befeſtigte/ und dem zaghafften Diomedes
das Leben erbat/ ſondern dieſe zwey Fuͤrſten
erwarben durch ihre Ehrerbietung Liviens;
durch ihre lebhaffte Freundligkeit aller edlen
Roͤmer Gewogenheit. Der Kayſer ließ ſie auch
in der Geſellſchafft des jungen Agrippa und
Germanicus ſo wol in der Grichiſchen Spra-
che und der Welt-Weißheit/ als in allen Rit-
ter-Spielen und Kriegs-Ubungen fleißig un-
terweiſen; wiewol beyde junge deutſche Fuͤr-
ſten/ fuͤrnemlich Herrmann in denen erſtern ei-
nen guten Grund in Deutſchland gelegt hatten;
in denen letztern aber ſchon den Meiſter ſpielte;
und es im Ringen/ Rennen/ Fechten/ Schuͤſ-
ſen/ Spießwerffen den meiſten jungen Roͤ-
mern zuvor that/ alſo: daß der auf die Schen-
ckel ſchwache Germanicus/ welchen die Roͤmer
gleichſam fuͤr ein Wunderwerck zeigten; nicht
nur an Schoͤnheit/ Geſchickligkeit und Kraͤff-
ten des Leibes ihm ohne Wiederrede nachgeben
muſte; ſondern in der Beredſamkeit/ in Ferti-
gung Grichiſcher Getichte und denen Ritter-
Spielen mit ihm eifferte; beyde alſo zu Erlan-
gung der Vollkommenheit gegen einander an-
geflammet wurden. Jm Schwimmen that
es dem Fuͤrſten Herrmann und Flavius kein
Menſch in Rom gleich. Denn ſie ſchwammen
zu aller Verwunderung in voller Ruͤſtung uͤ-
ber die Tiber; beglaubigten alſo die Getichte
des ſchwimmenden Cocles/ daran die Roͤmer
biß auff ſelbigen Tag ſelbſt gezweiffelt hatten;
und verurſachten: daß der Vorſteher der Stadt
Rom Mecenas zur Ubung des Roͤmiſchen A-
dels eine groſſe mit Marmel umſetzte Schwem-
me mit vielen Unkoſten erbaute/ welche aus ei-
tel warmen Brunnen angelaſſen ward. Wor-
durch der ſonſt zwar wegen Staͤrcke des Leibes
wilde/ aber traͤge/ tollkuͤhne und keiner guten
Kuͤnſte erfahrne Agrippa gleichwohl einen
Trieb bekam ſich derogeſtalt auffs Schwim-
men zu legen: daß er ſich meiſt auff den See-
Kuͤſten auffhielt/ und den Nahmen des Neptun
an ſich nahm. So ſehr ſich nun Agrippa mit
ſeinen knechtiſchen Sitten beym Kayſer ver-
haſt machte; und den Glantz ſeines Vaters
verduͤſterte; alſo von ihm wahrhafft zu ſagen
war: der alte Agrippa ſey aus Staube ein
Stern/ der junge aus einem Stern Staub
worden; ſo beliebt ward von Tage zu Tage
mehr und mehr Fuͤrſt Herrmann; alſo: daß der
Kayſer ihn faſt taͤglich um ſich hatte/ ihn auſſer-
halb der Stadt Rom in den Luſt-Haͤuſern bey
ſeiner Taffel ſpeiſen ließ; ihm nicht allein ein
Wort frey zu reden enthieng/ ſondern auch auf
ſeine Vorbitte viel Roͤmer und Auslaͤnder ihres
Wunſches gewehrte. Daher als Auguſt den
Druſus wieder in Deutſchland ſchickte/ ja er
auch ſelbſt/ um dem deutſchen Kriege deſto naͤ-
her zu ſeyn/ ſich in das Lugduniſche Gallien zu
reiſen fertig machte/ und er aus den ihm vom
Rathe und Volcke zu Rom zu Gieſſung ſeiner
Bilder geſchenckte Gold und Silber/ des ge-
meinen Heils der Eintracht und des Friedens
Seulen fertigen/ und dieſe nebſt das Siegs-
Bild auff dem zum Gedaͤchtnuͤße des Kayſers
O o o o o o o 2Julius
[1212[1214]]Achtes Buch
Julius erbauten Rathhauſe aufſetzen ließ; Fuͤrſt
Herrmann zu Auguſten anfieng: Er wuͤſte ei-
nen viel herrlichern Ort/ wo die Bilder der
Eintracht und des Friedens ſtehen ſolten. Als
nun der Kayſer fragte: wo denn? Antwortete
Herrmann: das erſte auf dem Vogeſiſchen
Gebuͤrge/ das andere auf dem Blocksberge;
und ſelten das erſte die zur Zwietracht ſo ge-
neigten Catten/ das andere aber die ohne Urſa-
che wieder die Cherusker ſtreitenden Roͤmer da-
ſelbſt auffthuͤrmen. Auguſten gefiel dieſe frey-
muͤthige Erinnerung ſo wohl: daß er dem Fuͤr-
ſten Herrmann nicht allein erlaubte an ſeinen
Vater den Hertzog Segimer zu ſchreiben/ und
des Kayſers Neigung zum Frieden zu berich-
ten; ſondern er befahl auch dem Druſus mit
den Deutſchen/ inſonderheit denen Cherus-
kern einen billichen Vergleich zu treffen. Aber
der Ehrgeitz des Druſus und die Verachtung
ſeines Feindes ſchlug des Kayſers Befehl in
den Wind; welche Thorheit aber er mit Ver-
luſt des Roͤmiſchen Kriegs-Heeres und ſeines
Lebens buͤßen muſte. Unterdeſſen bemeiſterte
Fuͤrſt Herrmann mit ſeiner Geſtalt und An-
muth die Gemuͤther zu Rom; darunter auch
der edelſten Frauen; alſo: daß nach dem Livia
dem Tiberius zu Ehren wegen beſiegter Dal-
mater dem Roͤmiſchen Frauen-Zimmer ein
koͤſtlich Mahl ausrichtete/ und ſie mit der we-
gen des Kayſers Liebe hochmuͤthigen Terentia
in einen Wort-Streit verfiel; welche unter
ihnen die ſchoͤnſte waͤre; erkieſeten ſie ihn/ als
in ihren Augen den Schoͤnſten hieruͤber zum
Richter. Wiewol nun der verſchmitzte Fuͤrſt
Herrmann ſich dieſes Urthels durchaus nicht
unterfangen wolte; nebſt andren hoͤflichen
Entſchuldigungen vorſchuͤtzende: daß der Hoch-
muth uͤber Goͤtter Recht zu ſprechen iederzeit
mit dem tode des Richters waͤre abgebuͤſſet
worden; ſo lagen ihm doch Livia und Teren-
tia/ ja das gantze anweſende Frauen Zimmer
auffs beweglichſte um ſeinen Ausſpruch an;
ihn verſichernde: daß wie ihr Zwiſt ohne diß
mehr eine Kurtzweil/ als ein ernſthaffter Streit
waͤre; die geringſte Empfindligkeit ihm dar-
aus erwachſen koͤnte; wei ſie ſich ſelbſt wol be-
ſcheideten: daß in Urtheilung uͤber die Geſtalt
man ins gemein die Meinungen nach der An-
zahl der richter zehlte/ und die/ welche gleich
unter ihnen das Recht verliere/ an ihrem An-
ſehen ſchlechten Verluſt leiden wuͤrde. Sin-
temahl der Purper nichts minder dem Maah/
als der Roſe gemein; die Schoͤnheit auch eine
Blume waͤre; welche zuweilen uͤbel ruͤche/ und
aus einem ſchlechten Erd - Reiche wuͤchſe; ja
weñ ſie auch einen untadelhafften Grund haͤtte;
dennoch nur fuͤr die Rinde/ die Tugend aber
alleine fuͤr die rechte Frucht eines Baumes zu
achten waͤre. Dannenher man offtmahls fuͤr
einer uͤbermaͤßigen Schoͤnheit/ wie fuͤr einem
andere Geſtirne wegſtechenden Schwantz-
Sterne mehr zu erſchrecken/ als ſich in ſelbte
zu verlieben haͤtte. Fuͤrſt Herrmann/ als er
die Unmoͤgligkeit ſahe ſich loß zu wuͤrcken; bat
mit tieffer Ehrerbietung: Sie moͤchten ſei-
nen Gehorſam fuͤr keinen Vorwitz/ ſeinen
Fehler fuͤr kein vorſetzlich Verbrechen ausdeu-
ten; ihn aber vor keinen ſolchen Richter anneh-
men; von deſſen Urthel man ſich nicht an einen
hoͤhern ziehen koͤnte. Hierauff fieng er an:
Terentia haͤtte den ſchoͤnſten Mund; Livia
die vollkommenſten Bruͤſte. Alles Frauen-
Zimmer konte hieruͤber ſich des Lachens nicht
enthalten; und die Geurtheilten nahmen ſei-
nen Ausſpruch fuͤr eine Vorruͤckung ihrer Feh-
ler auf; weil der Augenſchein das unſtrittige
Gegenſpiel wieß; indem an Terentiens
Schoͤnheit niemand nichts; als daß ſie einen
zu weiten Mund; und an Livien: daß ſie zu
ſchlaffe Bruͤſte haͤtte/ ausſtellte. Wie ihn nun
deßwegen Terentia rechtfertigte; verſetzte
Fuͤrſt Herrmann: Es waͤre kein Richter zwar
die Urſachen ſeines Ausſpruchs zu eroͤffnen
ſchuldig; er ſcheute ſich aber nicht ſeine Mei-
nung
[1213[1215]]Arminius und Thußnelda.
nung dennoch zu behaupten. Terentia drang
alſobald darauff ſelbte nicht zu verſchweigen.
Worauff Fuͤrſt Herrmann anfieng: Wenn
Terentiens Lippen nicht von Honig trieffen;
wuͤrden die in dem Munde des beredten Me-
cenas wohnenden Muſen darauff nicht ihre an-
nehmliche Saͤttigung finden. Weil nun Te-
rentia ihm ſo bald nichts entgegen zu ſetzen wu-
ſte; fragte Livia nach dem Grunde ihres em-
pfangenen Urtheils. Herrmann begegnete
ihr: Selbter ſtuͤnde auff denen ihr nechſthin
von dem Roͤmiſchen Rathe auffgeſetzten Por-
phyr- und Alabaſter-Seulen geſchrieben. Nach
deme ihr aber Livia ſolchen fremde machte; fuhr
er fort: Sind denn die Bruͤſte einer ſo frucht-
baren Mutter/ welcher zwey Soͤhne ihr das
Recht dreyer Kinder zueigneten/ nicht denen-
ſelben vorzuziehen/ die mit Noth ein einiges
Kind zu ſaͤugen gehabt? So wol Livia/ als
Terentia waren mit dieſer Auslegung ver-
gnuͤgt/ und alle Anweſenden muſten nichts min-
der die Vorſicht dieſes jungen Herrn nieman-
den zu beleidigen/ als ſeine ſcharffſinnige Aus-
windung aus dem ihm geſtellten Garne ruͤh-
men. Die freudige Julia verſuchte an ihm
noch alleine ihr Heil; und fragte: was denn
Herrmann ihrer Geſtalt fuͤr einen Mangel
auszuſtellen wuͤſte? worauff Fuͤrſt Herrmann
augenblicks antwortete: Jhren Augen. Ju-
lia/ welche mit ihren kohlſchwartzen Augen
gleichſam zwey lebhaffte Sternen beſchaͤmte;
verſetzte: worinnen denn ihr Gebrechen be-
ſtuͤnde? welcher Herrmann alſofort begegnete:
weil ſie um die von ihnen getoͤdtete Seelen ſich
haͤtten muͤſſen in die Trauer kleiden. Julia
erlangte hiermit ihre vollkommene Abferti-
gung; Terentia aber hatte inzwiſchen auf ei-
nen Einwurff gedacht; und fieng gegen den
Herrmann an: Jhre Bruͤſte waͤren darum:
daß ſie nur ein Kind geſtillet haͤtten/ ſo wenig
veraͤchtlich/ als die Perlen-Muſcheln; welche
ſich auch nur einer eintzelen Geburt ruͤhmen
koͤnten; Nichts minder gienge der Purper-
Schnecke an ihrer Koͤſtligkeit nichts ab; ob
ihre Fruchtbarkeit gleich nur in einem Tropf-
fen beſtuͤnde. Fuͤrſt Herrmann verſetzte: der
Uberfluß thaͤte zwar wol der Seltzamkeit; wor-
an ſich die Mißguͤnſtigen vergnuͤgten/ nicht a-
ber der Koͤſtligkeit/ welche nichts minder ſchoͤn/
als nutzbar waͤre/ Abbruch; ſonſt wuͤrde Teren-
tia die guͤtige Natur ſchelten/ und die Muſcheln
ihrer ſchoͤnen Augen; in welchen die Wehmuth
ſo viel hundert Thraͤnen - Perlen zeigte/ ihre
lebhafften Bruͤſte/ welche uͤber und uͤber mit
Perlen beſchuͤttet waͤren; ihre Blut-rothen
Lippen/ welche von dem uͤberfluͤßigen Purper
gleichſam auffſpringen wolten/ veraͤchtlich
halten muͤſſen. Terentia ward hieruͤber ſtumm/
und alles Roͤmiſche Frauen-Zimmer uͤber die-
ſem jungen Fuͤrſten nichts minder verwun-
dernd/ als vergnuͤgt; ſonderlich/ weil ſie die
Hoͤfligkeit und Scharffſinnigkeit nur fuͤr eine
Geburt der Stadt Rom hielten; und in Ge-
dancken waren: daß ſelbte ſo wenig das Alpen-
Gebuͤrge/ als der Fenix die ſaͤndichten Wuͤſte-
neyen Arabiens uͤberfluͤgen koͤnten. Jnſon-
derheit warff Terentia auff dieſen Fuͤrſten ein
Auge; und ſie empfand in ihrem Hertzen an-
fangs eine gewiſſe Ergetzligkeit/ wenn ſie ihn
nur zu Geſichte bekam; hernach ein Verlan-
gen ſeinen Ritter-Spielen und Kriegs Ubun-
gen zuzuſchauen/ noch mehr aber in ſeiner Ge-
ſellſchafft zu ſeyn/ und ſich mit ihm in Geſpraͤ-
che einzulaſſen; inſonderheit als Auguſt im
Lugduniſchen Gallien war. Hierdurch kam er
auch beym Mecenas in veꝛtraͤuliche Kundſchaft;
deſſen Hauß ohne diß ein Auffenthalt aller fuͤr-
treflichen Koͤpfe/ nichts minder/ als ſein Leben
ein Beyſpiel der menſchlichen Vergnuͤgung
war. Bey dem Fuͤrſten Herrmann aber unter-
nahm er ſich gar einer ſorgfaͤltigen Unterwei-
ſung; und/ wormit er ihm/ als einem Fuͤrſten
O o o o o o o 3die
[1214[1216]]Achtes Buch
die Weltweißheit ſo vielmehr verzuckerte; be-
nahm er ihm alsbald anfangs den Jrrthum des
Poͤfels und der Stoiſchen Weiſen; Welche
dieſe añehmliche Gefaͤrthin als eine ſauerſehen-
de Unholdin abbilden/ uñ ihꝛ nichts/ als Strang
und Meſſer in die Hand geben. Er zohe
ihr dieſe abſcheuliche Larve vom Antlitze/ und
lehrte ihn: daß weil der Zweck der unverfaͤlſch-
ten Weltweißheit in der Ruhe des Gemuͤthes/
und in der Freudigkeit eines ungefaͤſſelten Gei-
ſtes beſtuͤnde; muͤſte man aus allen an ſich ſelbſt
auch verdruͤßlichen Dingen eben ſo Wolluſt
ſchoͤpffen; als man mit ſauern Granat-Aepf-
feln die allzuſuͤſſen Speiſen annehmlich mach-
te. Dieſemnach waͤre es ein laͤcherlicher Aber-
witz/ wenn Zeno dieſe edle Goͤttin in eine Hen-
ckerin/ und ihre Liebhaber in Ruder-Knech[t]e
verwandelte; ihre Taffel in Sand und Koth
deckte/ und nur Waſſer und Gritze zur Koſt
auffſetzte. Wenn er ihr ein verſchimmeltes Faß
zum Zimmer einraͤumte; und nur Sack-Lein-
wand zum Kleide verlaubte/ wenn er ihr eine
ſchlammichte Taſche zum Behaͤltnuͤß alles
Vorraths anhienge; und einen knoͤrnrichten
Stab zum gantzen Beyſchube ihrer Reiſen mit
gaͤbe; Gleich/ als wenn die Goͤttliche Verſe-
hung nicht alle Geſchaͤncke der Natur dem
Menſchen zum Gebrauche geeignet haͤtte: daß
alſo dieſe hartnaͤckichte Bettlerin die Natur
und das Gluͤcke/ wenn ſie ihre milde Hand und
Gaben mit Fuͤſſen von ſich ſtieſſe/ zu trotzen ſich
nicht ſcheuete/ und zwiſchen ihrem zerriſſenen
Mantel mehr Hoffart fuͤrbleckte; als der zu
gelegener Zeit ſich ſeiner Gemaͤchligkeit bedie-
nende/ im Fall der Noth aber ſich auch mit
Waſſer und Brodt vergnuͤgende Epicur unter
ſeinem Goldenſtuͤcke und Scharlach-Mantel
verborgen haͤtte. Die Weißheit waͤre nichts
minder/ als die Natur eine Magd und Befehl-
haberin Gottes; alſo koͤnte weder ihr Zweck/
noch ihre Anleitung einander zu wieder ſeyn.
Haͤtte iene nun eine Guͤte in der Heßligkeit ge-
funden/ wuͤrde ſie gewiß eitel flennende Maͤu-
ler/ haͤngende Wangen/ kruͤplichte Ruͤcken/ und
hinckende Huͤfften/ ja an ſtatt der Trauben
und Pomerantzen nur Schleen und Holtz-
Aepffel haben wachſen laſſen. Warum ſolte
denn die Weißheit ihre Kraͤfften zu ſolchen Er-
findungen anwenden/ wie ſie ihren Zucker
vergaͤllen moͤchte? Warum ſolte ſie von den
Roſen-Straͤuchen ihre Purper-Blumen ver-
tilgen; und nur der Dornen warten? Da ſie
doch GOtt dem Menſchen als ein uͤberirrdi-
ſches Geſchaͤncke verliehen haͤtte: daß ſie als
eine Erfinderin vieler Kuͤnſte und Werckzeuge
die Gebrechen der Natur erſetzen; und als ei-
ne Meiſterin des Lebens/ eine Herrſcherin der
Gemuͤths-Regungen ihre Schwaͤche in Voll-
kommenheit verſetzen ſolte. Jch weiß wohl/
liebſter Herrmann/ fuhr Mecenas fort: daß
die/ welche in eitel Haaren von Wichtel-Zoͤpf-
fen/ mit rauchen Antlitzen wilder Maͤnner/ in
Lumpen voller Unflat daher gehen/ die rein-
lichte Weltweißheit eben ſo fuͤr ein verzaͤrteltes
Luſtweib/ als den Mecenas fuͤr einen Weich-
ling ſchelten; aber ich bin verſichert: daß jene
bey ihrer Faͤhigkeit viel mehr Maaß zu halten;
und/ ob ſie zwar nicht wilde und moͤrderiſch
ausſiehet/ doch hertzhafft zu ſeyn; als Mecenas
ſich ſo wol auf dem Raſen/ und in Haare/ als
auf Marmel und in Seide ſeine Vergnuͤgung
zu fuchen wiſſe. Denn in Warheit: Die/ wel-
che auf Sammet und Purper ſitzen/ empfinden
am allererſten die Folterbanck; und die Spi-
tzen des ſtachlichten Gluͤckes. Jener Sauer-
toͤpffe Unſchuld und Hertzhafftigkeit beſtehet in
einem unzeitigen Urthel/ und einer ungedulti-
gen Verzweiffelung; in dem ſie auff fremde
Fehler alle Fluͤche ausſchuͤtten/ ſelbſt aber lan-
ge Zeit das draͤuende Geſichte des Ungluͤcks
nicht vertragen koͤnnen; ſondern durch Eigen-
Mord wieder ſich ſelbſt wuͤten; Dahingegen
der ſittſame Epicur aus fremden und ſo gar
ſeines Ehgenoſſen Laſtern ein Oel der Tugend
zeucht/
[1215[1217]]Arminius und Thußnelda.
zeucht/ und ein kraͤncklichtes Leben dem Ster-
ben; ja den Auffenthaltin einem gluͤenden Och-
ſen einem unzeitigen/ wiewohl Ehrſuͤchtigen
Begraͤbnuͤſſe fuͤrzeucht. Daß der vergnuͤgte
Mecenas bey ſeinem unauffhoͤrlichen Feber
geſunder Vernunfft iſt; und bey ſeinem nahe
drey Jahr entpehrten Schlaffe doch die Ruhe
ſeines Gemuͤthes nie verlohren hat; Dieſes iſt
die unverfaͤlſchte Weißheit/ welcher ſich die
Fuͤrſten nicht ſchaͤmen doͤrffen/ und von der
auch die Niedrigen ihre Vergnuͤgung haben.
Bey dieſer kan der reiche Licin/ und der arme
Fabricius/ der wollebende Apicius/ und der
maͤßige Tubero nach Unterſcheid der Zeit zu
rechte kommen; und nichts minder der uͤber-
maͤßigen Wolluſt abbrechen; als die zu ſcharffe
Bitterkeit der Zufaͤlle verzuckern. Mit dieſen
Lehren unterhielt Mecenas den Fuͤrſten Herr-
mann; und beſtaͤrckte ſelbte durch ſein eigenes
Beyſpiel; in welchem er ihm ſeinen vollkomme-
nen Lebens-Lauff abmahlete/ und viel ihm/
auch ſo gar mit ſeiner zaͤnckiſchen und uͤppigen
Terentia begegnete Zufaͤlle/ wiewol unter ver-
bluͤmten Nahmen erleuterte; und Anleitung
gab: wie ein Weiſer hierzu lachen koͤnte; wenn
ein Thoͤrichter daruͤber wolte aus der Haut fah-
ren. Wie er durch dieſe Unempfindligkeit des
Kayſers Gunſt; die Obſicht uͤber gantz Rom er-
worben; bey dem Roͤmiſchen Adel die Benei-
dung ſeines Auffnehmens verhuͤtet; Auguſten
mehrmahls von den hitzigſten Entſchluͤſſungen/
ja von Niederlegung der Roͤmiſchen Herr-
ſchafft/ die ihm theils Agrippa/ theils die Ver-
druͤßligkeit der groſſen Bemuͤhung und oͤfftere
Unpaͤßligkeit ver gaͤllete/ zuruͤck gehalten haͤtte.
Nebſt dieſen Sitten - Lehren brachte er dem
Fuͤrſten Herrmann unter ihren Kurtzweilen/
oder/ wenn ſie mit einander in denen Luſt-Gaͤr-
ten die Zeit vertrieben/ allerhand Kuͤnſte/ nem-
lich geſchwinder Rechnung/ einen von ihm
ſelbſt erfundenen Handgrieff ſo geſchwinde zu
ſchreiben/ als einer redete; die Feld- und Waſ-
ſer-Maͤſſung ohne gewoͤhnlichen Werckzeug/
und noch mehr andere Wiſſenſchafften gleich-
ſam ſpielende bey; alſo: daß dieſer nicht nur un-
ter die vollkommenſte Unterweiſung/ welche
nicht nach dem Staube roch/ noch im Schat-
ten der Einſamen/ ſondern in dem Lichte der
erfahrnen Weiſen begriffen ward/ gerieth; ſon-
dern beym Mecenas gleichſam das Kind im
Hauſe war. Wiewol ihm nun Terentia mehr-
mahls/ theils durch ihre uͤppige Lebens-Art aͤr-
gerlich fiel/ theils durch ihre Liebkoſungen die-
ſem jungen Fuͤrſten offt die Neigung zu einer
ſolchen Wolluſt/ welche keine Aufwaͤrterin der
Tugend iſt/ beybringen wolte; waren doch die
derſelben wiedrige Sitten in ſeinem Hertzen ſo
tieff eingewurtzelt: daß ſie auch die empfindlich-
ſten Verſuchungen heraus zu reiſſen viel zu un-
vermoͤgend waren. Denn ob zwar die ange-
nommene Tugend nach Art des mit ſchlechter
Erde mehrmahls vermengten Ertztes einen
ſchlimmen Beyſatz vertraͤgt; ſo iſt doch die
Krafft der angebohrnen und durch die Sitten
des Landes angewoͤhnten Tugend ſo ſtarck: daß
ſie/ wie das Oel/ keinen ſchlechten Beyſatz oder
Feuchtigkeit mit ihr vermiſchen laͤſt; ſondern
ihre koͤſtliche Fettigkeit auch in den groͤſten
Tieffen der Laſter allezeit oben ſchwimmt. Uber
diß ſtand des Fuͤrſten Herrmanns Tugend in
des Mecenas Hauſe und Terentiens Gemein-
ſchafft gleichſam wie das Gold in dem Schmeltz-
Ofen ihre richtige Pruͤfung aus. Sintemahl
es unter eitel tugendhafften/ und wo man zu
ſuͤndigen weder Anlaß noch Gelegenheit hat/
tugendhafft ſeyn eine ſo ſchlechte Kunſt iſt/ als
bey ſtiller See und gutem Winde einen Schif-
fer abgeben. Einer/ den ſein Blut nicht reitzet/
iſt mehr froſtig; und den keine Schoͤnheit lo-
cket/ mehr eingeſchlaffen/ als keuſch. Daher
verdienet nur der/ welchem ſein friſches Alter/
ſein kraͤfftiger Leib/ ſein liebkoſendes Gluͤcke/
das Vermoͤgen ſeine Uppigkeit auszuuͤben ge-
ben/ und welchem ſchoͤne Terentien Koͤrner
der
[1216[1218]]Achtes Buch
der Wolluſt fuͤrſtreuen/ den Ruhm der Maͤſ-
ſigkeit/ wie ein Kriegs-Mann der Tapfferkeit/
der durch ihm zuſetzendes Feuer und Eiſen ſich
hertzhafft durchgeſchlagen hat. Salonine brach
ein: So hoͤre ich wol: Fuͤrſt Adgandeſter
pflichte dem neuen Weltweiſen bey; welcher
unlaͤngſt keine nicht in Verſuchung gefuͤhrte
Tugend darfuͤr wolte gelten laſſen; und daher
das Behaͤltnuͤß der Veſtaliſchen Jungfrauen
fuͤr einen knechtiſchen Kercker der Seele/ und
die Einſamkeit fuͤr ein Fuß - Eiſen der Tu-
gend verdammte; hingegen ſeine Schuͤler in
offentliche Huren-Haͤuſer zu Anſchauung der
ſchaͤndlichen Geilheiten fuͤhrte; denen entbloͤ-
ſten Weibern ihre Bruͤſte betaſtete/ und darbey
ſich einer kaltſinnigen Unempfindligkeit ruͤhm-
te/ um ſeinen Nachfolgern theils die Heßligkeit
der Laſter fuͤr Augen zu ſtellen/ theils ſie anzu-
gewoͤhnen/ wie ſie die Verſuchungen der Wol-
luͤſte auch/ wenn ſie mit allen ihren Waffen an-
ſaͤtzten/ mit unverwendetem Geſicht uͤber ſtehen
ſolten: Daher er auch Ulyſſen fuͤr kein Bild der
Tugend gelten ließ/ weil ſelbter der Wolluſt
keinen Streich auszuhalten/ noch die liebreitzen-
den Sirenen anzuhoͤren ſich getrauet/ ſondern
die Ohren verſtopfft/ und fuͤr ſeinem Feinde
entlauffen waͤre. Alleine dieſe Weißheit wolte
nicht den Stich halten. Denn dieſer Lehrer
fuͤhrte ſeine Schuͤler zwar leicht auff dieſe ge-
faͤhrliche Syrten; aber ſie wieder heraus zu
bringen war kein Rath; und wurden bey nahe
alle Nachfolger des wolluͤſtigen Ariſtippus.
Seiner Schweſter/ welche hundert ſchoͤne
Maͤgdlein in taͤglicher Gemeinſchafft junger
Edelleute zu Keuſchheits-Maͤrterern machen
wolte/ gieng es nicht beſſer. Denn ehe das
Jahr vorbey war/ giengen ihrer neun und
neuntzig ſchweren Leibes. Adgandeſter ant-
wortete: Er ſtimmte mit niemanden weniger/
als mit dieſes aberwitzigen Affter-weiſen thoͤ-
richter Meinung uͤberein. Sintemahl ihm
die menſchliche Schwachheit/ die angebohrne
Neigung zum Boͤſen/ und die Unvollkommen-
heit der Tugenden all zuwol bekandt waͤre. Jn
Anfechtungen muͤſte freylich wol die Keuſchheit
eben ſo wol/ als andere Tugenden den Siegs-
Krantz verdienen. Jn die Stricke der Wolluſt
aber ſelbſt vorſaͤtzlich rennen/ waͤre eben ſo naͤr-
riſch/ als wenn ein Schiffer mit auffgeſpann-
ten Segeln in den Charybdiſchen Strudel ren-
nen/ und darmit ſeine Wiſſenſchafft pruͤfen
wolte. Sonderlich lieſſe es zwar ſich allen an-
dern Laſtern die Stirne bieten/ und ſelbte/ wie
Hercules die Ungeheuer/ auffſuchen; fuͤr der
Wolluſt aber waͤre am rathſamſten Scythiſch
zu fechten; welche auff der Flucht mit ihren
Pfeilen dem Feinde den groͤſten Abbruch thun.
Mit dem Neide moͤchte man/ wie Alcides mit
dem Anthaͤus ringen/ die Wolluſt aber muͤſte
man ihm nicht laſſen zu nahe auf den Hals kom-
men/ ſondern ſie wie Apollo die Gifft-hauchen-
de Schlange Python von weitem erlegen.
Alſo machte es Fuͤrſt Herrmann; der in al-
lem zugleich ein Lehrmeiſter ſeines juͤngern
Brudern Flavius; und bey ſeiner Gefangen-
ſchafft ſo vergnuͤgt war: daß er bey nahe ſeines
Vaterlandes daruͤber vergeſſen haͤtte; wenn
ſelbtes ihm durch die Zeitungen von des Druſus
Kriege nicht mehrmahls waͤre ins Gedaͤchtnuͤß
geruͤckt/ und deßwegen eine kindliche Sorgfalt
in ſeinem Gemuͤthe erweckt worden. Denn
ob ihm zwar ſein kluger Lehrmeiſter mit gutem
Grunde beybracht hatte: daß der Kampff wie-
der das Verhaͤngnuͤß eine unfruchtbare Rie-
ſen-Stuͤrmung des Himmels waͤre; und wer
ſchon ungluͤckſelig ſeyn ſolte/ von der Laſt der
vorſichtigſten Huͤlffs-Mittel erdruͤckt wuͤrde;
ja ſeinen Aertzten unter den Haͤnden ver gienge;
ſo kan ſich doch ein großmuͤthig Hertz dieſeꝛ zaͤrt-
lichen Empfindligkeit und der Bekuͤmmernuͤß
fuͤr ſein ſo ſuͤſſes Vaterland unmoͤglich ent-
ſchlagen; als deſſen Liebe unſerer Eltern/ ja
unſere eigene niederſchlaͤgt. Seine Sorge
verfiel aber gleicher Geſtalt nach und nach;
weil/
[1217[1219]]Arminius und Thußnelda.
weil/ wie in ungluͤcklichen Begebenheiten zu
geſchehen pflegt/ anfangs durch zweiffelhaffte
Zeitungen/ endlich durch vergebene Vermaͤn-
telungen die Niederlage der Roͤmer/ und des
Druſus Tod zu Rom ruchbar; und/ ungeach-
tet der ausgeſprengten Siege/ gantz Jtalien in
groſſes Schrecken verſetzt; ja Auguſt ſo beſtuͤrtzt
ward: daß er alles Einredens ungeachtet/ ſich
der Herrſchafft begab; und es den Rath nicht
geringe Muͤh koſtete/ ſolche ihm gleichſam wie-
der Willen wieder aufzudringen. Wiewol nun
des Volckes zum Druſus getragene Neigung
bey ſeinem Verluſte eine nicht geringe Verbit-
terung verurſachte/ und daher Mecenas dem
Fuͤrſten Herrmann und Flavius rieth: daß ſie
ſich bey Druſus Verbrennung auf dem Platze
des Kriegs-Gottes nicht ſolten ſchauen laſſen;
ſo hieß ſie doch Auguſt und Livia bey beweglicher
Ablegung ihres Mitleidens nebſt ihnen daher
erſcheinen. Und/ weil ſie ihn mit dem Nahmen
des deutſchen Druſus beehrten; ſo lieſſen ſie ih-
nen auch gefallen: daß Herrmann und Flavius/
als zwey deutſche Fuͤrſten/ die in einen gantz
guͤldenen Todten-Topff zuſammen geleſene A-
ſche des Druſus in das Kayſerliche Begraͤbnuͤs
trugen. Ja/ als uͤber des Kayſers und Tibe-
rius Lobrede der Roͤmiſche Rath ihm auf der
Appiſchen Straſſe einen marmelnen Siegs-
Bogen aufrichten/ und in einer Uberſchrifft
eingraben ließ: Druſus haͤtte Deutſchland uͤ-
berwunden; der großmuͤthige Herrmann aber
daruͤber als einer ungegruͤndeten Heucheley
lachte; und wie Druſus nicht die Helfte Deutſch-
lands geſehen haͤtte/ deutſch heraus meldete/ be-
fahl der Kayſer die Uberſchrifft zu maͤßigen;
und uͤber ſeine Siegs-Zeichen einzugraben:
Von denen in etlichen Schlachten ge-
ſchlagenen Deutſchen. Sintemahl der
damahlige Zuſtand allzu klar an Tag legte/ wie
weit es fehlte: daß die Deutſchen im Kriege vom
Druſus waͤren uͤberwunden worden. Nach
dem auch die Buͤr germeiſter bey denen dem
Druſus zu Ehren angeſtellten Spielen viel
Deutſche auff Leib und Leben gegen einander
zu fechten zwingen wolten; vermittelte es Au-
guſt dem Herrmann und Flavius zu Liebe da-
hin: daß nicht nur hierzu kein Cherusker/ ja
auch kein edler Deutſcher/ welcher nicht mit de-
nen auch edlen Roͤmern ſich freywillig dem
Kayſer zu Liebe in Kampff-Platz verfuͤgten/ ge-
zwungen ward; ſondern auch hinfuͤhro jaͤhrlich
mehr nicht/ als zweymahl derogleichen Schau-
Spiele gehalten/ und zum meiſten nur ſechzig
paar Fechter aufgeſtellt werden ſolten. Dahin-
gegen vorher monatlich/ ja zuweilen hundert
und zwantzig Tage nach einander ſolches ge-
ſchehen/ und wohl zehen tauſend Fechter auff
einmahl denen blutgierigen Augen zur Kurtz-
weil aufgeopffert; ja ſo gar von denen/ die nicht
eben ſo reich/ noch auch Raths-Herren/ vielmehr
aber nur Freygelaſſene waren/ wieder das vom
Cicero gemachte Geſetze/ ſolche grimmige Er-
getzungen angeſtellet wurden.
Alldieweil auch Auguſt ohne Schande und
Verkleinerung der Roͤmiſchen Hoheit den letz-
ten dem Druſus verſetzten Streich ſo ſchlechter
Dinges nicht verſchmertzen konte; oder viel-
mehr den Deutſchen den Einfall in Gallien
verwehren muſte/ ſchickte er zwar den Tiberius
an Rhein; er ließ aber durch Livien dem Fuͤr-
ſten Herrmann an die Hand geben: daß er um
der ſtreitbaren Cherusker Gemuͤther zu be-
ſaͤnfftigen an ſeinen Vater Hertzog Segimern
umſtaͤndlich ſchreiben ſolte: wie ehrlich und
Fuͤrſtlich er und ſein Bruder zu Rom gehalten
wuͤrden; und wenn nur Auguſt von ihm einige
Friedens-Zuneigung verſpuͤrte; ſie von Rom
erlaſſen zu werden ſichere Vertroͤſtung haͤtten.
War alſo Herrmann abermahls der nuͤtzliche
Werckzeug: daß ſelbiges mahl die Kriegs-
Flamme zwiſchen dieſen beyden Voͤlckern nicht
allzuſehr zu Schwunge kam; ſondern daß viel-
Erſter Theil. P p p p p p pmehr
[1218[1220]]Achtes Buch
mehr ein Stein zu dem Friedens-Grunde mit
den Cheruskern gelegt ward. Uber welcher
Friedens-Hoffnung Tiberius zum andern mal
die Buͤr germeiſter-Wuͤrde und den Nahmen
eines Roͤmiſchen Feldherrn erwarb; dem Au-
guſt aber zu Ehren der Monat/ in welchem er
das erſte mahl Buͤr germeiſter worden war/ ſei-
nen Nahmen bekam.
Als Herrmann nun derogeſtalt gleichſam
dem Kayſer und dem Gluͤcke in der Sch[e]s ſaß;
zohe das Verhaͤngnuͤs an dem Himmel eine
truͤbe Wolcke zuſammen; welche allen ſeinen
Wolſtand haͤtte einaͤſchern koͤnnen; wenn nicht
feine Unſchuld ihren Schlag auf ein ander
Haupt gewendet haͤtte. Die geile Terentia
hatte mit ihrem Zauber-Liede dem wunderſchoͤ-
nen Herrmann lange Zeit in Ohren gelegen;
mit ihren hefftigen Liebesreitzungen aber bey
ihm nichts als hoͤflichen Schertz erworben.
Weil ſie nun nicht begreiffen konte: daß dieſer
junge Fuͤrſt/ dem Liebe und Anmuth aus den
Augen ſah/ und zwar in denſelben Jahren: da
das aufjaͤhrende Gebluͤte gleichſam auch ge-
frorne Menſchen aufthauet/ aus bloſſem Triebe
der Tugend gegen ihren Liebreitz/ welcher auch
den Kayſer bezaubert hatte/ ſo unempfindlich
ſeyn koͤnte; vermochten ihre Gedancken ihr
nichts ſo ſeltzames fuͤrbilden; in welchem ſie
nicht die Urſache ſeiner Kaltſinnigkeit er gruͤ-
beln wolte. Wenn ihr einkam: daß er ſie als
allzu alt/ oder nicht ſchoͤn genung/ verſchmaͤhe-
te/ wolte ſie bey nahe von Sinnen kommen.
Denn keiner verdammten Seele Pein kan die/
welche eine verſchmaͤhete Frau erduldet/ uͤber-
treffen. Wenn ihr aber wieder das ſo vortheil-
haffte Urthel einfiel/ welches Fuͤrſt Herrmann
mehrmahls fuͤr ſie gefaͤllt hatte; liebkoſete ſie
wieder ihrer ſuͤſſen Hoffnung/ und raffte/ wie
zuvor/ alle Waffen des Liebreitzes ihn zu faͤſſeln/
alſo itzt alle ſcharffſinnige Gedancken zuſammen
hinter das Geheimnuͤs ſeines Hertzens zu kom-
men. Wie ſie nun einmahl auf des Mecenas
Tiburtiniſchem Vorwerge der Meyen-Luſt
genaßen; und ſie des Morgens fruͤh vor Auff-
gang der Sonnen ſich auff dem uͤber die mar-
melnen Gewoͤlber gepflantzten und meiſt mit
auslaͤndiſchen Gewaͤchſen beſetzten Luſtgarten
er gieng; hoͤrte ſie in dem Thale gegen den Fluß
Anio eine annehmliche Stimme; welcher ſie
ſich gemaͤchlich naͤherte; ſonderlich/ als ihr ſelb-
te ie mehr und mehr bekandt fuͤrkam/ und ſie
endlich fuͤr des Fuͤrſten Herrmanns erkennte;
welcher aus einem Grichiſchen Schau-Spiele
in der Perſon des auff der Helena Raub ſin-
enden/ und mit ihm ſelbſt ſtreitenden Paris
gleich nachfolgende Reymen ſang:
Fuͤrſt Herrmann haͤtte Zweiffels-frey weiter
geſungen; wenn er nicht durch einen aus der
Tieffe des Hertzens geholeten Seuffzer von
Terentien waͤre geſtoͤret worden. Denn diß
fuͤr Liebe brennende Weib meinte nun die Aus-
legung des ihr zeither verborgenen Raͤthſels
aus dem Munde des allzu verſchloſſenen Herr-
manns gehoͤrt zu haben; deſſen Gedancken ſie
aus einer ſuͤſſen Uberredung antichtete: daß er
mit dem Kayſer eyferte/ und Terentien entwe-
der gar nicht/ oder nicht halb beſitzen wolte. Sie
bereuete aber alſobald den Vorwitz ihres unzei-
tigen Seuffzers/ oder vielmehr das Unvermoͤ-
gen: daß ſie mit ihren Gemuͤths-Bewegungen
ſo gar nicht hinter dem Berge halten koͤnte;
ſonderlich/ als ſie dieſe in ihren Ohren mehr als
himm-
[1219[1221]]Arminius und Thußnelda.
himmliſche Stimme gaͤntzlich verſtummen hoͤr-
te. Gleichwol wolte ſie ſich nicht ferner bloß
geben; verbarg ſich alſo zwiſchen zwey Palm-
Baͤume/ und enteuſſerte ſich des Gartens: daß
Herrmann weder ihr weiter gewar ward; noch
wem er dieſen Seuffzer zueignen ſolte/ ſich groß
bekuͤmmerte; am allerwenigſten aber dißmahl
auf Terentien dachte. Sie hingegen ſaan nach/
wie ſie dem Fuͤrſten Herrmann ihre gegen dem
Kayſer zeither bezeigte Gewogenheit auffs kalt-
ſinnigſte/ ihre Liebe aber gegen ihm auffs feurig-
ſte entwerffen moͤchte. Weil ſie nun auff alle
ſeine Tritte Kundſchafft legte/ und folgenden
Tag nach bereit unter gegangenen Sonne er-
fuhr: daß er ſeinen gewoͤhnlichen Luſtgang er-
kieſet haͤtte/ verſteckte ſie ſich in ein an dem Fluſ-
ſe Anio liegendes Gepuͤſche; bey welchem Herr-
mann nothwendig vorbey gehen muſte; fieng
daſelbſt an den Brand ihrer Seele auszurau-
chen; und hierdurch nicht ſo wol ihr/ als ihm
den Stein ſeiner Schwermuth vom Hertzen
zu weltzen. Zuallem Ungluͤcke aber traff ſichs:
daß Auguſt den Mecenas ſelbigen Abend uͤber-
fallen/ und wegen Erweiterung der Roͤmiſchen
Stadt-Mauern mit ihm Unterredung pflegen
wolte. Wormit er ihm aber ſo viel unvermu-
theter auf den Hals kaͤme; hatte er ſeinen gan-
tzen Aufzug hinter dem nechſten Luſtwege zu-
ruͤck gelaſſen/ und mit der einigen Livia dieſen
bekandten Luſtgang erkieſet; auf welchem er
dem Fuͤrſten Herrmann zuvor kam/ und die
einſame Terentia ihm eben gleich folgende Rey-
men mit vielen hertzbrechenden Seuffzern ent-
gegen ſchicken hoͤrte:
Der Kayſer/ welcher ſich von Terentien
tauſend vergeiſterter Kuͤſſe zum Willkommen
verſehen hatte/ erſtarrte uͤber dieſer veraͤchtli-
chen Verſchmaͤbung. Livia hingegẽ nahm durch
das Geſtraͤuche den an dem Fluſſe herab kom̃en-
den Herrmañ wahr. Welche Begebenheit ihm
Terentiens Geſang noch mehr auslegte; ob ſelb-
ter zwar ſeiner Klarheit nicht bedorffte. Au-
guſt kehrte hiermit auf dem Fuße um; und fuhr
alſo fort ohne Beſchreitung des Mecenatiſchen
Vorwergs auff das Luſt-Haus/ welches des
gefangenen Koͤnigs Syphax Wohnſtatt geweſt
war. Fuͤrſt Herrmann aber/ der den Kayſer
ebenfalls erblickt hatte/ lenckte ſich mit allem
Fleiß von dem durch das Gepuͤſche gehenden
geraden Wege ins Vorwerg/ theils dem Kay-
ſer durch vorwitzige Ausſpuͤrung ſeiner einſa-
men Beluſtigung nicht verdruͤßlich zu ſeyn/
theils dem Mecenas von ſeiner Ankunfft Wind
zu geben. Mecenas machte alsbald moͤglichſte
Anſtalt zu des Kayſers wuͤrdiger Empfangung;
etliche Leibeigne berichteten auch: daß ſie ſeine
Senffte und Wagen in der Naͤhe geſehen haͤt-
ten. Alleine nach vielem Warten war kein
Kayſer zu ſehen; und nach eingeholter Kund-
ſchafft/ er mit ſeinem gantzen Auffzuge ver-
ſchwunden. Mecenas verfiel hieruͤber in aller-
hand ſeltzame Gedancken; inſonderheit/ da er
von der Einkehr in das einſame Luſt-Haus des
Syphax gewiſſe Nachricht erhielt. Am aller-
meiſten ahnete Terentien nichts gutes/ als ſie
verſtand: daß Auguſt und Livia an dem Fluße
Anio waͤren geſehen worden; allwo ſie ihr Her-
tze ſo frey ausgeſchuͤttet hatte. Es war unge-
faͤhr Mitt[e]rnacht; als Lucinius ein Freygelaſſe-
P p p p p p p 2ner
[1220[1222]]Achtes Buch
ner vom Kayſer ankam/ und den Fuͤrſten Herr-
mann abforderte. Dieſer traff den Kayſer an
Gebaͤhrden und Geſichte ſo verſtellt an/ als er
ihn vor niemahls geſehen hatte. Denn/ weil
Eyverſucht nichts anders/ als eine aus Liebe
und Haß vermiſchte Mißgeburt/ ja ein rechter
Centaurus iſt; kan ihre Begegnung nicht ohne
Ungebaͤhrdung/ und ſonder Ausſchuͤttung
Feuer und Gifftes geſchehen. Welche Ent-
ruͤſtung beym Auguſt ſo viel hefftiger war; weil
Fuͤrſten eben ſo empfindlich ſind/ wenn man ih-
nen ans Hertze ruͤhret/ als wenn man ihnen an
den Zepter greifft; ja auch die Eyverſucht gegen
eine heimliche Buhlſchafft ſo viel hefftiger/ als
gegen ſein eigen Ehweib iſt; ſo viel jene Liebe die-
ſe an Hefftigkeit uͤbertrifft. Daher wie ſie vorher
dem ſo holdſeligen Geſtirne des Baͤres aͤhnlich
geweſen/ alſo hatte nach ihrem Abfalle ſie ſich in
die Grauſamkeit eines Wald-Baͤres verwan-
delt; Gleichwol aber hatte die Gegenwart des
beliebten Herrmanns noch ſo viel Nachdruck:
daß der Kayſer nichts thaͤtliches entſchloß/ ſon-
dern dieſen Fuͤrſten beſchwur/ ihm die War-
heit nicht zu verſchweigen; was zwiſchen ihm
und Terentien/ welche ihre Untreu bereit mit
ihrem eigenen Munde verrathen haͤtte/ fuͤr
vertrauliche Gemeinſchafft gepflogen worden
waͤre. Fuͤrſt Herrmann antwortete mit un-
veraͤndertem Antlitze: Er haͤtte ſich der Wol-
thaten des Mecenas gebrauchet; und Teren-
tien mit derſelben Ehrerbietung begegnet/ die
eines ſo edlen Roͤmers Frau/ und eines ſo groſ-
ſen Fuͤrſten Freundin verdiente. Auguſt ver-
ſetzte: ſeine Unſchuld doͤrffte keiner Vertheidi-
gung; aber Terentiens Verbrechen eine un-
verfaͤlſchte Entdeckung. Herrmann begegnete
dem Kayſer abermahls unerſchrocken: Teren-
tia haͤtte gegen ihn mehr Gewogenheit bezeu-
get/ und ihm mehr Liebes gethan/ als er ſich
wuͤrdig ſchaͤtzte; ob ſie aber was unverantwort-
liches darunter angezielet/ waͤre er ein allzu
unverſtaͤndiger Ausleger; zumahl er niemahls
wahrgenommen: daß Terentia auch einem
Knechte ein ſauer Auge gegeben/ vielmehr aber
auch dem gemeinen Poͤfel mit aller Hoͤfligkeit
begegnet haͤtte. Auguſt ward hieruͤber ſo ver-
wirret: daß er zu keiner gewiſſen Entſchluͤſſung
kommen konte. Endlich fieng er zum Herr-
mann an: So ſolte er denn ſeine Auslegung
fuͤr keinen Traum halten: daß Terentia unter
dem Zucker ihrer Freundligkeit nichts anders/
als ſein Hertze mit Galle/ Herrmanns mit
Giffte anzufuͤllen bemuͤht geweſt waͤre. So
bald nun der Kayſer dem Fuͤrſten Herrmann
Urlaub gegeben/ befahl er ſeinem Geheim-
Schreiber Thallo an den Mecenas dieſen Be-
fehl zu fertigen: daß er die Ehbrecherin Teren-
tien fuͤr aller Menſchen Augen verbergen/ dem
Thallo aber alle in ihrem Zimmer befindliche
Schrifften abfolgen laſſen ſolte. Weil nun
des Kayſers liebſter freygelaſſener Proculus/
der auch ſelbſt mit zu Tibur geweſt war; aus Au-
guſtens Ruͤckkehr und Gebaͤhrden was groſſes
beſorgte; beſtach er den Thallo mit fuͤnffhundert
Groſchen: daß er ihm den Auffſatz des Kayſer-
lichen Befehls eroͤffnete. Proculus erſchrack
hieruͤber auffs hefftigſte; und weil er ihm uͤbel be-
wuſt war; reñte er ſelbigen Augenblick Sporn-
ſtreichs voran Terentien zu warnigen. Sie
hatte aber die gantze Nacht keinen Schlaff in ih-
re Augen bracht; und auf den Morgen/ weil
ihr gleichſam die Welt zu enge/ und die herrli-
chen Luſtgaͤrte eine abſcheuliche Wuͤſteney wa-
ren/ ſich in das raue Thal an dem Fluſſe Anio
verſtecket; alſo: daß der aͤngſtige Proculus ſie
kaum in etlichen Stunden auffinden konte. Er
traff ſie auff der Erde gantz erſtarrt an; und er
ſelbſt bebte wie ein Aſpen-Laub; alſo: daß beyde
einander ohn einig Wort ſchon ihr Bekuͤmmer-
nuͤs entdeckten. Endlich erzehlte Proculus des
Kayſers ertheilten Befehl/ welcher genung zu
verſtehen gaͤbe: daß er hinter ein groß Geheim-
nuͤs muͤſte kommen ſeyn. Jtzt aber liedte es die
Zeit nicht Weh zu klagen; ſondern ſie ſolte ohne
Verſaͤu-
[1221[1223]]Arminius und Thußnelda.
Verſaͤumung einigen Augenblicks ihre gehei-
me Schreiben ins Feuer werffen/ oder ſonſt
aus dem Wege raͤumen. Er wolte inzwiſchen
in ſelbiger Einoͤde ihres Befehles erwarten.
Terentia eilte zwar ins Vorwerg; wie ſie aber
bey dem mittelſten Spring-Brunnen die Mar-
mel-Stuffen hinauf ſtieg/ begegnete ihr der auf
der andern Stiege gegen uͤber empor ſteigende
freygelaſſene Euceladus mit noch ſechs Unter-
gebenen; welcher Angeſichts mit dem Mece-
nas auffs Kayſers Beſehl reden wolte. Teren-
tia nahm ſich eines freudigen Geſichts an/ mit
Vertroͤſtung: daß ſie ihn beym Mecenas gleich
anmelden wolte. Weil ihr nun dieſe Auffſeher
ſo geſchwinde auff den Hals kommen waren:
daß ſie unmoͤglich alle geheime Schreiben zu-
ſammen leſen und verber gen konte; ſie auch bey
ihrem Ehmanne ihr keinen fremden Anklaͤger
wolte zuvor kommen laſſen; weil doch des laſter-
haffteſten Menſchen eigenes Bekaͤntnuͤß gleich-
ſam allen andern das Maul ſtopfft; ſo gieng ſie
in des Mecenas Zimmer/ ſchloß ſelbtes hinter
ihr zu; und fiel bey ſeinem Bette fuͤr ihm auf die
Erde nieder/ redete ihn hier auff mit ſtarrenden
Augen alſo an: Mecenas/ ich habe mich leider!
genug befleckt; und dich zu ſehr beleidiget! Mei-
ne Geilheit iſt Urſache: daß das uhralte Koͤnigli-
che Geſchlechte der Hetruriſchen Lucumoner
mit dir erleſchen muß. Meine Eigenſinnigkeit
hat dich gezwungen/ faſt taͤglich eine neue Ehbe-
redung mit mir auffzurichten. Meine unzeiti-
ge Bruder-Liebe gegen den aufruͤhriſchen Mu-
rena hat deinen Ruhm bey dem Kayſer ver ge-
ringert; Mein Vorwitz aus dem anfaͤnglichen
Weſen deines Anſehens einen bloſſen Schat-
ten/ meine Uppigkeit dich zum Gelaͤchter des
Poͤfels gemacht. Nach dem ich aber mit mei-
ner Unſauberkeit die unver gleichliche Tugend
des Fuͤrſten Herrmanns zu beſudeln mich geluͤ-
ſten laſſen; habe ich die Goͤtter ſo ſehr beleidigt:
daß ſie alle meine Anſchlaͤge haben zu Rauche/
mein Gewiſſen zum Hencker; den geneigten
Kayſer zu meinem Tod-Feinde werden laſſen.
Weil ich nun mit nichts anderm meine Seele
reinigen; deine Beleidigung vergnuͤgen/ Au-
guſten verſoͤhnen/ und Herrmanns Unſchuld
ein Zeugnuͤs ablegen kan; als durch Verſpri-
tzung dieſes ſchuldigen Blutes; ſo veꝛgnuͤget euch
alle mit dem/ was zwar ein Behaͤltnuͤs der ed-
len Seele/ aber der verzweiffelten geringſtes
Waſſer und eine verdruͤßliche Uberlaſt iſt;
Gleichwol aber derogeſtalt zuweilen ſo nuͤtzlich
angewehret wird: daß ihrer viel/ denen man
im Leben ſelbtes nicht gegoͤnnet hat/ nach dem
Tode zu leben verlangt worden. Uber dieſen
letzten Worten ſtach ſie ihr den verſteckten Dolch
biß ans Hefft in die Bruſt; und weil Mecenas
herzu ſprang/ ihr auch den Dolch heraus zoh;
war er von ihrem Blute derogeſtalt beſpritzet:
daß/ als er die Thuͤre oͤffnete/ Euceladus ſich
hieruͤber entſetzte/ und ihn ſelbſt auff den Tod
fuͤr verwundet hielt. Mecenas aber erkennte
fuͤr groſſeꝛ Gemuͤths-Verwirrung dieſen Frey-
gelaſſenen nicht einmahl; ſondern rieff allein:
daß iederman der ſterbenden Terentia zu Huͤlffe
kommen ſolte. Das Gemach ward zwar voll
Volckes/ aber Terentia hatte ihren Geiſt ſchon
ausgeblaſen. Woruͤber denn unter denen Frey-
gelaſſenen und Maͤgden ein ſolches Heulen
und Wehklagen entſtand: daß es dem verſteck-
ten Proculus zu Ohren kam; und verurſachte:
daß er ſich ohne Nachdencken des ihm daraus
erwachſenden Verdachts in das Vorwerg und
in das Zimmer/ wo Terentia todt lag/ verfuͤgte.
Als dieſer den Euceladus bey der Leichen ſtehen
ſahe/ und von ihm ſeiner Einbildung nach (weil
ein boͤſes Gewiſſen den Schuldigen auch aus
einem Schatten einen Anklaͤger macht/) ſcharff
angeſehen ward/ bildete er ihm nicht anders ein;
als daß Terentia von des Euceladus Hand er-
mordet; und dieſer ihn in Hafft zu nehmen geſin-
net waͤre. Daher er grieff er den blutigen Dolch/
und ſchnitt ihm damitin einem Augenblicke zu
aller Anweſenden Verwunderung die Gurgel
P p p p p p p 3ab.
[1222[1224]]Achtes Buch
ab. Der beſtuͤrtzte Mecenas aber ſanck hieruͤ-
ber in Ohnmacht auff das mit beyder Blute be-
ſpritzte Bette; alſo: daß Enceladus einen ſeiner
Gefehrten an Kayſer abfertigte/ und ſelbten ſo
wol des gantzen Verlauffs verſtaͤndigte/ als neu-
en Befehl verlangte. Auguſt ward hieruͤber
nicht wenig beſtuͤrtzt; muthmaſte/ das Geheim-
nuͤs ſeines Befehls muͤſte verrathen worden
ſeyn; Proculus aber an Terentiens Verbre-
chen Theil gehabt haben. Dieſemnach ſetzte
er den Thallo/ als welcher allein hierum wuſte/
zur Rede; brachte ihn auch durch angedreute
Marter zum Bekaͤntnuͤße: daß er dem Procu-
lus davon geſagt haͤtte/ weil der Kayſer ihm vor-
hin groͤſſere Geheimnuͤſſe zu vertrauen pflegen.
Woruͤber Auguſt ſich dero geſtalt entruͤſtete: daß
er dem Thallo Arme und Beine zu zerſchmet-
tern/ und des Proculus Leiche in Fluß Anio zu
werffen befahl. Weil aber Terentia bereit tod
war; und entweder ſeine alte Liebe aufwallete/
alſo ſich in Mitleiden verwandelte; oder weil er
beſorgte: daß aus Terentiens Schrifften etwan
eine mit dem Proculus gepflogene und ihm
ſelbſt verkleinerliche Vertraͤuligkeit ans Licht
kommen moͤchte/ kam er ſelbſt zum Mecenas
ihn zu troͤſten; beredete ihn auch unter dem
Vorwand: es moͤchten einige zwiſchen ihm
und Terentien gewechſelte Schreiben bey ſei-
ner Unpaͤßligkeit vom Geſinde verruͤckt wer-
den: daß er alle Brieffe in dem Vor-Saale/
und zwar in des Kayſers ſelbſteigener Anwe-
ſenheit verbrennen ließ. Mecenas ſchoͤpffte
bey des Kayſers Ankunfft zwar etwas Lufft; es
hatte aber keinen Beſtand; ſondern die Kranck-
heit nahm von Tage zu Tage uͤberhand: daß
er ſelbſt ſein bevorſtehendes Ende leicht wahr-
nahm/ deßwegen ſeinen letzten Willen fertigte/
und darinnen den einigen Auguſt zum Erben
einſetzte/ etlichen guten Freunden aber nur et-
was weniges vermachte/ worunter Fuͤrſt Herr-
mann mit aller ſeiner Ruͤſtung und Pferden/
Horatius aber mit ſeinen Buͤchern/ unter wel-
chen ſich des Maro ſelbſth aͤndige Eneis befand/
die er zu Brunduſium verbrennen wollen;
Mecenas aber in ein guͤldenes Kaͤſtlein auffge-
hoben hatte/ bedacht war. Weil es ja um die-
ſes Tichters herrliches Werck nichts minder/
als um das von ihm beſchriebene Troja ſchade
geweſt waͤre: daß es haͤtte ſollen eingeaͤſchert
werden. Acht Tage hernach ſtarb er zu groſſem
Betruͤbnuͤs des Kayſers und aller Gelehrten in
den Armen des Horatius; welcher aber die ſen
Tod derogeſtalt empfindlich betrauerte: daß er
dem neundten Tag nach ihm gleichfalls ſein
Leben beſchloß; und nicht minder den Kayſer
zum Erben hinterließ. Aller dreyer Leichen
Aſche ward auf dem euſſerſten Esqviliſchen
Berge in das vom Mecenas ſelbſt aus Marmel
koͤſtlich gebaute Grab geſetzet; und zwar des
Mecenas Aſche in einem Geſchirre von Berg-
Kriſtallen durch zwoͤlff beruͤhmte Tichter/ des
Horatius aber in einem Kruge von Corinthi-
ſchem Ertzte durch neun edle in ſo viel Muſen
verkleidete Jungfrauen; und alle drey mit ſinn-
reichen Grabeſchrifften verehret. Es hatte
aber in einer Nacht ein unbekandter Erfinder
an ihr Grab folgende Zeilen eingraben laſſen:
Fuͤrſt Herrmann ſetzte durch ſeine ruhmba-
re Bezeugung gegen Terentiens Anmuthun-
gen ihm beym Kayſer einen neuen Gluͤcksſtein
ins Bret; alſo: daß er bey allen wichtigen Sa-
chen ihm etwas zu vertreten anvertraute; wel-
ches fuͤr ein Kennzeichen der Kayſerlichen Ge-
nade/ und ein Aufnehmen ſeines Ruhmes zu
achten war. Als Auguſt das Heiligthum der
Eintracht einweihen/ ſeinen und des Druſus
Nahmen nicht allein uͤber die Pforten ſchrei-
ben/ ſondern auch ihrer beyden Bilder/ wiewol
nach
[1223[1225]]Arminius und Thußnelda.
nach dem Vorbilde des Jupiters und Apollo
darein ſetzen ließ/ hatte Fuͤrſt Herrmann die
Ehre das Bild der Eintracht zu tragen/ gleich
als wenn Auguſt durch ihn die Deutſchen und
Roͤmer vereinbaren wolte. Wie auch Livien
und des Kayſers Mutter ein Tempel gewied-
met ward; uͤberliefferte er Livien vom Kayſer/
als oberſten Prieſter/ die guͤldene Taffel/ in
welche die Ordnung des ihnen beſtim̃ten Got-
tesdienſtes geſchrieben ſtand. Jngleichen als
Tiberius auffs neue wieder die Deutſchen auf-
ziehen/ Auguſt Gallien in Ruhe zu erhalten da-
hin folgen muſte; Cajus und Piſo aber fuͤr des
Kayſers gluͤckliche Ruͤckkunfft koſtbare Schau-
Spiele anſtellten; und in ſelbten alle Voͤlcker
die Heldenthaten ihres Hercules auf den Schau-
Platz brachten; ließ Herrmañ in einem Kampfe
zu Fuße in Geſtalt des deutſchen Hercules fuͤr
allen andern ſeine Geſchickligkeit ſehen. Ja
der Kayſer ſtellte die zwey deutſchen Fuͤrſten
den Herrmann und Flavius ſeinen zweyen aus
dem Geſchirre ſchlagenden Enckeln dem Cajus
und Lucius mehrmahls zum lobwuͤrdigen Bey-
ſpiele der Sittſamkeit und Tugenden fuͤr. Sin-
temahl das Gute vom Schaͤdlichen ſelten durch
eigene Klugheit/ mehrmahls aber aus anderer
Beyſpiele/ und dem Ausſchlage der Sachen
unterſchieden wird. Zugeſchweigen: daß er
dem Herrmann Anlaß gab/ dieſe zwey freche
Juͤnglinge/ darunter der juͤngſte fuͤr den aͤlte-
ſten/ im offentlichen Schauplatze das Buͤrger-
meiſter-Amt zu begehren ſich erkuͤhnete; in ih-
reꝛ Geſellſchafft zuꝛ Beſcheidenheit anzuweiſen.
Alleine ihre Unart war weder durch des Kay-
ſers Sorgfalt; und daß er den Cajus zum Prie-
ſter machte/ in den Rath zu kommen/ bey denen
Raths-Herren zu ſitzen und zu ſpeiſen erlaubte;
noch durch des Fuͤrſten Herrmanns Vorbild
zu veraͤndern. Sintemahl/ wenn das menſch-
liche Gemuͤthe ſchon einmahl verwildert iſt/ ſelb-
tes ſchwerer/ als ein mit denen ungeheuerſten
Hecken verwachſenes Feld zu rechte gebracht
werden kan. Ja ihre Verwegenheit ſtieg ſo hoch:
daß Tiberius/ (welchen der Kayſer zum Roͤmi-
ſchen Zunfftmeiſter/ und zum Feldherrn in Ar-
menien erklaͤrte/ um durch dieſes Anſehen des
Cajus und Lucius Vermeſſenheit zu ſteuern/)
es laͤnger nicht zu Rom auszuſtehen getraute;
ſondern nach dem Beyſpiele des Agrippa nach
Rhodus zoh; welcher auch dem Marcellus als
einer neuaufgehenden Sonne nach Mytilene/
um ſelbtem in Erlangung der hoͤhern Wuͤrden
nicht am Wege zu ſtehen/ noch/ wenn er ihm et-
was zuvor thaͤte/ ihn zu verduͤſtern auswiche.
Und vermochten weder Liviens Thraͤnen/ noch
daß Auguſt im Rathe von ihm verlaſſen zu wer-
den beklagte/ den Tiberius in Rom zu erhalten/
als welcher von ihnen Verlaub der Einſamkeit
durch viertaͤgichte Enteuſſerung der Speiſe er-
preſte. Nichts deſto weniger wuſte Herrmañ ſich
in allem ſeinem Beginnen derogeſtalt zu maͤßi-
gen: daß er keinen Fuß breit von der Tugend
abſetzte; durch ſeine Beſcheidenheit aber nebſt
dem Flavius noch die Zuneigung des Caius und
Lucius behielt.
Mitler Zeit als der verreiſete Tiberius theils
in Armenien den Tigranes zum Koͤnige einſetz-
te; theils auf dem Eylande Rhodus der Welt-
weißheit oblag; ſchien das Gluͤcke die dem Fuͤr-
ſten Herrmann zugethane Gewogenheit der
Menſchen zu beneiden. Denn nach dem der
Kayſer den Flaminiſchen Renne-Platz an-
waͤſſerte/ und um das wegen verminderter
Austheilung des Getreydes unwillige Volck
mit Schau-Spielen zu gewinnen/ ſechs
und dreyßig Krocodilen durch allerhand Arten
des Kampffes hinzurichten fuͤrſtellen ließ; wolte
der halb wahnſinnige Agrippa/ als ein eingebil-
deter Waſſer-Gott/ darbey ſeine Tapfferkeit
und Geſchickligkeit fuͤr andern Roͤmern/ welche
dieſe Thiere nur durch Wurff-Spieße/ und ein-
geſenckte Angelhacken hinzurichten bemuͤht wa-
ren/ ſchauen laſſen. Dieſen ſeinen Enckel Agrip-
pa hatte Auguſt in ſeineꝛ Kindheit noch nebſt an-
dern Ubungen im Schwim̃en unterweiſen laſ-
ſen. Deñ wie er ſelbſt ein fuͤrtreflicheꝛ Schwim̃er
war/
[1224[1226]]Achtes Buch
war/ alſo hielt er dieſe Kunſt nichts minder/ als
Solon/ der die Athenienſiſche Jugend durch
ein Geſetze zu der Erlernung verband/ fuͤr eine
hochnoͤthige und nuͤtzliche Sache; und zwar
auch ſelbſt den Fuͤrſten. Denn ob dieſe zwar
nicht Perlen fiſchen/ noch wie zur Zeit des Xer-
res Scylias aus dem Schwimmen Schau-
Spiele machen doͤrffen; ſo koͤnnen ſie doch leicht
in eine Noth verfallen/ aus welcher nichts/ als
dieſe Geſchickligkeit ihr Leben retten kan. Da-
hingegen wegen dieſer Unwiſſenheit in der
Schlacht bey Salamine ſo viel Perſiſche Fuͤr-
ſten; und als Himilco Meßina einnahm/ ſo viel
edle Sicilier ertrincken/ und der groſſe Alexan-
der bey Riſa uͤber ſeine Ungeſchickligkeit ſich be-
weglich beklagen muſten; der geharnſchte Co-
cles aber in der Tiber/ und Kayſer Julius im
Meere bey Alexandria mit ihrem Schwim-
men nichts minder einen unſterblichen Ruhm
erworben/ als ihre Wolfarth erhalten. Agrip-
pa/ der ſonſt faſt zu allem ungeſchickt war/ hatte
doch aus des Fuͤrſten Herrmanns Anleitung
darinnen ziemlich viel begrieffen; daher machte
er nicht alleine ein Handwerck/ ſondern ſuchte
auch Ehre daraus. Es ward einer der groͤſten
Krocodiln in den mit Waſſer hochangeſpannten
Renneplatz gelaſſen/ als der in ein leichtes weiſ-
ſes ſeidenes Gewand gekleidete Agrippa aus
einem eroͤffneten Eingange in diß Waſſer
ſprang/ und in einer Hand mit einer Sichel/ in
der andern mit einem Spieße dieſem grim̃igen
Thiere entgegen ſchwam. Auguſt/ als ein
Zuſchauer dieſer Luſt/ konte ſich nicht enthalten
bey dieſer Gefabr mit Worten und Geberden
alle Anweſenden um Rettung ſeines bereit in
dem Rachen des Todes ſteckenden Enckels an-
zuflehen. Zumahl dieſes grauſame Thier den
Agrippa zeitlich in die Flucht brachte. Die An-
gelhacken waren bereit verbraucht; die Pfeile
fielen auf den Ruͤcken vergebens; und es waͤre
um Agrippen ſonder Zweiffel gethan geweſt;
wenn ſich nicht Fuͤrſt Herrmann ins Waſſer
geſtuͤrtzt/ den Krotodil anfangs mit ſeinem De-
gen gencckt/ und Agrippen zu verlaſſen verlei-
tet; hernach aber dieſem Spieß und Sichel aus-
geriſſen/ und das er grimmte Thier behertzt an-
gegriffen haͤtte. Dieſes ſchoß zwar wie ein Blitz
auff ihn zu; aber er wiech ſchwimmende mit
unglaublicher Geſchwindigkeit nicht allein auf
die Seite; ſondern verſaͤtzte ihm auch mit der
Sichel zwey tieffe Wunden in Bauch; ehe es
ſich umwenden konte. Als diß aber mit noch
groͤſſerem Grimme geſchah; wendete ſich Herr-
mann abermahls; und brachte dem Krocodile
zwey noch tieffere Wunden bey; alſo: daß ſich das
gantze Waſſer darvon roͤthete/ und diß Unge-
heuer nunmehr alle ſeine Bewegungs-Krafft
zu verlieren ſchien. Wie ihm nun Herrmann
den letzten Streich beyzubringen bemuͤht war/
machte ihn das Geſchrey des Volckes aufſich-
tig: daß ein ander entweder aus Unvorſichtig-
keit der Bewahrer/ oder auch durch Argliſt aus-
gelaſſener Krocodil ſo nahe ihm entgegen ſchoß:
daß er keine Zeit hatte ihm auszuweichen/ ſon-
dern er den in der Hand habenden Wurffſpieß
ihm in den aufgeſperrten Rachen ſchieben mu-
ſte. Dieſer Biſſen hielt ſeinen Feind ſo lange
auff: daß Herrmann die Seite des Crocodils
erreichte; und weil ſelbter uͤber dem Spieſſe
kaͤuete/ ihm durch drey Schnitte Zorn und Le-
ben benahm; alſo zwiſchen dem Zuruffe des fro-
lockenden Volckes unverſehrt ſeinen erſtern
Sitz erreichte. Fuͤrſt Herrmann haͤtte den
Kayſer durch Eroberung eines Koͤnigreichs
ihm nicht ſo ſehr/ als durch Errettung des al-
bern Agrippa verbinden koͤnnen. Denn es iſt
ſich nicht uͤber die Blindheit der Eltern zu ver-
wundern: daß ſie die Gebrechen ihrer Kinder
nicht ſelten fuͤr anſtaͤndige Maale anſehen; wel-
che/ wie das glaͤſerne Schmeltz dem Golde/ eine
mehrere Zierde beyſetzen. Sintemahl ihre
thum̃e Affen-Liebe ſie zuweilen in dem Schlam-
me der Wolluͤſte erſtecket; oder zwiſchen den
Flammen der angereitzten Begierden der Ehr-
ſucht
[1225[1227]]Arminius und Thußnelda.
ſucht aufopffert. Dieſemnach ward Fuͤrſt Herr-
mann zu einem oberſten Hauptmanne der Kay-
ſerlichen Leibwache erkieſet/ und ſolche hoͤchſte
vor bey einem beſtandene Wuͤrde dieſem Hel-
den zu Liebe nunmehr zertheilet. Hingegen
aber/ weil Agrippa ſeine verwegene That da-
mit entſchuldigte: daß Kayſer Julius auch
Rathsherren oͤffentlich haͤtte Fechter/ und Koͤni-
gliche Kinder Taͤntzer abgeben laſſen; ward
durch ein Geſetze allen Rathsherren das oͤffent-
liche Fechten verboten.
Hoͤret aber/ wie der Puls des Gluͤckes ſo
wunderlich ſchlaͤgt; und wie ſeine beſte Bewe-
gung mehrmahls ein Vorbote der gefaͤhꝛlichſten
Kranckheit/ alſo ſich in ſelbtes zu richten ſo viel
ſchwerer iſt; weil es die Unbeſtaͤndigkeit eines
Weibes und die Leichtſinnigkeit der Jugend an
ſich hat. Die vom Tiberius verlaſſene Julia
meinte hierdurch nunmehr die Freyheit erlangt
zu haben ihre Laſter auf oͤffentliche Schaubuͤhne
zu bringen; und aus ihren Heßligkeiten noch
Ruhm und Ehre zu ſuchen. Gleich als wenn
die Gemuͤths-Flecken hohe Standes-Peꝛſonen
eben ſo/ wie die Nacht die Sternen lichter
machte; Da doch in Sammet ein Schandfleck
viel heßlicher ſtehet/ als in einem halb-woͤllenem
Schaͤfer-Rocke. Sie erkuͤhnte ſich auf oͤffent-
lichen Plaͤtzen mit veraͤchtlicher Geſellſchafft
verſchwenderiſche Gaſt-Mahle/ und uͤppige
Nacht-Taͤntze zu hegen; ja die ſchandbarſten
Geſellſchafften der Stadt Rom an ſich zu zie-
hen. Wiewol nun die Wolluſt ins gemein dero-
geſtalt gearthet iſt: daß ſie wie eine Fliege in ei-
nerley Garten ſo begierig auff ſtinckende Blu-
men und Unflat/ als die Biene auff wolruͤchen-
den Klee faͤllt/ ſo geluͤſtet ſie doch auch nicht ſelten
nach Art der Spinnen aus den edelſten Ge-
waͤchſen Gifft zu ſaugen. Nach dieſer Art warff
Julia ein Auge auf des beruͤhmten Marcus
Antonius/ und der grimmigen Fulvia Sohn
Julius/ welcher vom Auguſt nach ſeines Va-
ters Tode ſeiner Eltern groͤſtes Vermoͤgen er-
halten/ auch durch einen an des Kayſers Ge-
burts-Tage gehaltenen praͤchtigen Pferde-
Streit/ durch Anſtellung einer ſeltzamen Jagt/
und ein dem gantzen Rathe ausgerichtet koͤſt-
liches Gaſt-Mahl ſeine Gewogenheit befeſtigt/
ja endlich gar die Buͤrgermeiſter-Wuͤrde er-
langt hatte. Dieſen zu gewinnen brauchte ſie
ihre zauberiſche Kuplerin Phebe eine Freyge-
laſſene; die anfangs mit vielen Thraͤnen das E-
lend der ſchoͤnen Julia bejammerte/ und des
Kayſers gegen ſeine Tochter veruͤbte Unbarm-
hertzigkeit verdam̃te: daß er ſie nach dem ſauerſe-
henden Agrippa dem gramhafften Tiberius
verheyrathet/ und hierdurch ihr nicht nur alle
Luſt/ ſondern auch die Hoffnung des ihr beym
Mangel der Soͤhne nach des Vaters Tode von
Rechtswegen zuſtaͤndigen Kayſerthums entzo-
gen haͤtte. Wie ſie nun den Julius Antonius
fuͤr dieſen Beſchwerden die Ohren nicht ver-
ſtopffen ſah; fiel ſie auff die Grauſamkeit und
das Unrecht; welches Auguſt an dem groſſen
Antonius veruͤbt haͤtte; durch deſſen Beyſtand
er doch wieder den Brutus und Caßius obge-
ſiegt haͤtte. Er ſolte die ihm angeſtammte Groß-
muͤthigkeit ſeines Vaters/ den Loͤwen-Muth
ſeiner Mutter der ſtreitbaren Fulvia durch kei-
ne Furcht in ſeinem Gemuͤthe erſtecken laſſen;
ſondern durch eine hertzhaffte Entſchluͤſſung
das hohe Geſchlechte der Antonier auf die fuͤr-
laͤngſt veꝛdiente Staffel der Oberherꝛſchafft ver-
ſetzen/ durch den Genuͤß der vollkom̃enſten Ju-
lia ſich begluͤckſeligen; und bey dieſer guten Ge-
legenheit/ da ihm des Kayſers Tochter
beyde Armen reichte/ da Marcellus/ Agrippa
und Mecenas todt/ der junge Agrippa wahn-
ſiñig/ Cajus und Lucius zwey rohe Buben/ und
Tiberius dem gantzen menſchlichen Geſchlechte
verhaſt waͤre/ ſeine Scheitel auf einmahl mit
Roſen und Lorbern kraͤntzen. Herrſchafft und
Schoͤnheit hat in ſich einen ſo kꝛaͤftigen Schwe-
fel/ welcher in dem Feuer der Ehrſucht und Liebe
ſtaͤhlerne Hertzen zerſchmeltzet/ die kluͤgſtẽ Koͤpfe
einnim̃et und verwirret. Alſo ward Julius An-
tonius duꝛch die ſchmeichleriſche Phebe gefangẽ/
Erſter Theil. Q q q q q q qdurch
[1226[1228]]Achtes Buch
durch die in allen Arten des Liebreitzes den Mei-
ſter ſpielende Julia aber derogeſtalt bezaubert: dz
er keinen Tag ließ vorbey gehen; in welchem er
nicht in den Mecenatiſchen Garten Juliens
Geilheit ſeine Leibes-Kraͤfften aufopfferte; al-
len ſeinen Witz aber dahin verwendete; wie er
ſich und Julien zur Roͤmiſchen Herrſchafft em-
por heben moͤchte; als die ſich oͤffentlich gegen
ihm heraus ließ: Sie wuͤnſchte die Gluͤckſelig-
keit Tulliens zu genieſſen; und ſie ſcheute ſich
nicht mit trockenen Augen uͤber ihres Vaters
blutige Leiche die beſtuͤrtzten Pferde zu jagen;
wenn ſie nur den Julius Antonius zugleich als
ihren Ehmann und Kayſer gruͤſſen koͤnte. Zwi-
ſchen dieſen Berathſchlagungen fiel das der Flo-
ra zu Ehren gehaltene Feyer ein; da denn Ju-
lius Antonius aus dem Tempel unterſchiedene
vornehme Roͤmer/ und ſein Ehweib Servilia
Julien und ander edles Frauen-Zimmer mit
ſich in die Serviliſchen Gaͤrte zur Mahlzeit
nahm. Weil nun an dieſem Tage faſt ieder-
man der Ehrbarkeit den Zaum ſchieſſen ließ/
und die Laſter gleichſam keine Schande waren;
gleich als wenn gewiſſe Zeit eben ſo wol das
Boͤſe gut/ als unreiffe Fruͤchte reiff zu machen
maͤchtig waͤre; bediente dieſe Geſellſchafft ſich
unter dieſem Scheine nicht geringer Freyheit.
Julius Antonius redete mit Julien ab: daß ſie
bey einbrechender Nacht in dem Eck-Zimmer
des euſſerſten Luſthauſes ihrer gewohnten Luſt
ſich bedienen wolten. Dieſer kam auffbeſtimmte
Zeit in das Luſt-Hauß; ward daſelbſt an der
Stiegen von der vermeinten Julia mit der em-
pfindlichſten Umarmung und vielen Kuͤſſen be-
willkommt/ und empor in ein Zimmer gefuͤhrt;
da ſie denn eine gute Stunde mit einander ihre
Luſt buͤßeten; iedoch weil ſie in dem nechſten
Zimmer darbey Leute vermerckten/ kein Wort
mit einander wechſelten. Zuletzt/ als ſie beyde
geſaͤttiget zu ſeyn vermeinten/ und Julius An-
tonius vom Bette auffſtund; fieng die vermeinte
Julia an: Mein allerliebſter Schatz/ Lepidus;
wenn und wo werde ich dein mit ſo vieler Ver-
gnuͤgung wieder genuͤſſen? Julius Antonius
erkennte nunmehr an ihrer Stimme: daß diß
nicht Julia/ ſondern ſein eigenes Ehweib Ser-
vilia war; welche nichts minder/ als er/ in ihrer
Liebe betrogen worden. Er ſchwieg eine gu-
te Weile ſtille; in dem er wegen ſelbſt eigener
Gemuͤths-Verwirrung nicht wuſte/ was er
entſchluͤſſen ſolte. Er verſtand zwar ihre Un-
treu und Verſtaͤndnuͤs mit dem Lepidus/ wel-
cher des beruͤhmten Lepidus mit des Brutus
Schweſter erzeugter Sohn/ und nebſt dem
Fuͤrſten Herrmann oberſter Hauptmann der
Kayſerlichen Leib-Wache war. Aber er traute
ſich doch an Servilien diß nicht zu verdammen
noch zu ſtraffen; was er durch eigenes Begin-
nen billigte. Nach vielem Nachdencken ant-
wortete er: Du biſt betrogen Servilia; du haſt
keinen Lepidus/ ſondern deinen Antonius um-
armet; und deine heutige Vergnuͤgung hat dich
gelehret: daß die bloſſe Einbildung fremdes
Waſſer zu Zucker mache. Servilia/ welcher
ihr Gewiſſen ſagte: daß ein Ehweib keuſcher/
als ihr Mann zu ſeyn verbunden waͤre/ bebte
und zitterte fuͤr Furcht und Schrecken; und
ſahe immer/ wenn Antonius ihr ſeinen Degen
durch den Leib treiben wuͤrde. Er aber fuhr fort:
Jch verzeihe dir/ Servilia/ nicht nur zum Zeug-
nuͤs meiner Liebe dein Verbrechen; ſondern er-
laube dir auch: daß/ weil du dir am Lepidus
was angenehmeꝛs erſehen zu haben meineſt; daß
du ohne Scheu meiner deine Vergnuͤgung bey
ihm ſuch en magſt; iedoch mit dem Bedinge:
daß du mich euch beyde in eurer Liebe beyſam-
men betreten laͤſſeſt; nicht: daß ich ihm deßwe-
gen einiges Unheil zufuͤgen wolle; ſon-
dern: daß ich ihn hierdurch mir zu einem wich-
tigen Anſchlage verbinden koͤnne. Servilia
fiel dem Antonius zu Fuſſe/ danckte fuͤr ſeine
Begnadigung; und verſprach ſeinem Befehl
treulich nachzukommen. Jnzwiſchen war Ju-
lia durch eine irrſame Verwechſelung in die
Armen
[1227[1229]]Arminius und Thußnelda.
Armen des Lepidus verfallen; und nach dem
ſie gleicher Geſtalt in der Stille ſich mit ein an-
der in dem Neben-Zimmer abgemattet/ lernten
ſie auch allererſt einander kennen. Lepidus er-
ſchrack ſo ſehr in dieſem/ als Servilia im andern
Zimmer: daß er mit Julien ſo weit ſich vergan-
gen; und auf allen Fall mit dem Grimme des
Kayſers und des Tiberius ſeinen Untergang
ihm auf den Hals gezogen hatte. Die nichts
minder ſchlaue als unzuͤchtige Julia aber rede-
te den Lepidus an: Glaube: daß zwar du in dei-
ner Liebe geirret habeſt; ich aber bin heute mei-
nes fuͤrlaͤngſt begehrten Zweckes durch deinen
Jrrthum gewehret worden. Laſſe dir dieſen
Fehler nicht mißfaͤllig ſeyn/ welcher dir und
mir einen Grundſtein zu beſſerem Gluͤcke ab-
geben/ ja nicht nur den Genuͤß einer von ſo
viel andern angebeteten Schoͤnheiten zueig-
nen; ſondern dich auch in die Wuͤrde deines
vom Auguſt argliſtig geſtuͤrtzten Vaters verſe-
tzen; alſo Gelegenheit an die Hand geben kan/
das unter das Bild des Julius ſchimpflich ge-
worffene Haupt deines Oheims/ des unver-
gleichlichen Brutus/ uͤber die Ehren-Maale
beyder Kayſer zu erhoͤhen. Der von Brunſt
noch rauchende/ und wieder den Kayſer im
Hertzen noch immer Rache und Galle kochen-
de Lepidus wuſte/ ſeinem Beduͤncken nach/ ſein
Gluͤcke nicht zu begreiffen; verſchwur ſich alſo
in allem Julien aufihr bloſſes Wincken zu Ge-
bote zu ſtehen. Nach dieſen ſeltzamen Bege-
benheiten ſchieden alle bey ſpaͤter Nacht von
ſammen; und verfolgte Antonius bey Julien/
Lepidus bey Servilien und Julien ihre ein-
mahl angeſponnene Liebe. Servilia ſahe den
Antonius von aller Eyverſucht entfernet/ ja er
ſelbſt gab ihr mehrmahls Gelegenheit an die
Hand ſich mit dem Lepidus zu vergnuͤgen. Al-
ſo iſt die Ehrſucht die Sonne der Gemuͤths-
Begierden/ welche mit ihrem Feuer alle ande-
re verduͤſtert/ und alle vorige Regungen/ wie
das Koloquinten-Kraut alle Kraͤuter toͤdtet.
Dieſemnach beſtellte ſie den Lepidus auff eine
gewiſſe Zeit in den Serviliſchen Garten; gab
dem Antonius aber Wind und Schluͤſſel: daß
er beyde beyſammen in einem warmen Bade
daſelbſt betrat. Antonius gebehrdete ſich an-
fangs/ als wenn er von Rache gluͤete/ und das
Qvell mit beyder Blute mehr waͤrmen wolte;
als aber der nackte/ und aller Waffen entbloͤſte
Lepidus ſich gegen ihm auffs tieffſte demuͤthig-
te; ſich auch erbot fuͤr das ihm geſchenckte Leben
mit eben der Pflicht/ als ein freygelaſſener ver-
bunden zu bleiben/ maͤßigte er ſeinen ohne diß
nur zum Schein angenommenen Grimm; und
ſchwur endlich dem Antonius zu ſeiner angeziel-
ten Herrſchafft uͤber die Roͤmer auch mit Dar-
ſetzung ſeines Blutes befoͤrderlich zu ſeyn. Wel-
ches Lepidus ſo viel leichter entſchloß; weil er
Julien eben diß ſo theuer angelobt hatte. Jn-
mittelſt war diß eine ungemeine Begebnuͤs:
daß Lepidus aus einem Nebenbuhler des An-
tonius vertrauter ward; als welchem durch die
ſeltzame Wuͤrckung der Rache die Wermuth
ſuͤſſe ſchmeckte/ die aͤrgſte Beſchimpffung un-
empfindlich fiel/ da er nur Hoffnung hatte ſei-
nem doch ſo wohlthaͤtigen Feinde ſo weh zu
thun.
Durch das Band dieſer Laſter ward endlich
eine vollkommene Verſchwerung wieder Au-
guſten und ſein gantzes Hauß zu wege gebracht;
Zumahl es denen Zuſammenverſchwornen am
Anfange nicht fehlete. Sie haͤtten auch durch
Hinrichtung des Kayſers ſolche bewerckſtelligt/
wenn nicht Fuͤrſt Herrmann/ welcher fuͤnfftau-
ſend Mann von der Leibwache meiſt Deutſche/
und darunter tauſend Bataviſche Reuter un-
ter ſeiner Obſicht/ und den Ruhm einer unver-
aͤnderlichen Treue hatte/ ſie geſchreckt und zu-
ruͤck gehalten haͤtte. Julia/ welche den Anto-
nius und Lepidus durch Unzucht in ihr Garn
bracht; ſtellte dem Fuͤrſten Herrmann auf viel-
faͤltige Art ein Fallbret; aber er ſtopffte die
Ohren fuͤr dieſem geilen Weibe ſorgfaͤltiger/
Q q q q q q q 2als
[1228[1230]]Achtes Buch
als die Schlange fuͤr dem Beſchwerer zu; alſo:
daß ſie nunmehr auf eine andere Argliſt ihr Ab-
ſehen gruͤnden muſte. Phebe ſuchte alle ihre
Kuͤnſte herfuͤr; darunter die Liebestraͤncke und
Zaubereyen nicht die geringſten waren; allein
keine ſchlug bey dieſem Fuͤrſten an; und ſahe die
Boßheit in vergebener Beſtuͤrmung ſeiner Tu-
gend als eines unverſehrlichen Felſens ſich nicht
wenig beſchaͤmet. Durch oͤffentliche Gewalt
ihn anzutaſten verbot die in Haͤnden habende
Macht der Leibwache; und ſeine unvergleichli-
che Tapfferkeit; allen Verlaͤumdungen aber
war ſeine ſo vielmahl bewehrte Unſchuld und
ſein groſſes Gemuͤthe uͤberlegen. Unter dieſen
zweiffelhafften Berathſchlagungen fiel Julien
der Sternſeher Thraſyllus ein/ der dem Tibe-
rius die Vermaͤhlung mit Julien wiederra-
then; ſonſt aber wegen ſeiner mehrmahls einge-
troffenen Wahrſagungen ſich in gantz Rom in
groſſes Anſehen verſetzt hatte. Dieſen zu gewin-
nen brauchte ſie abermahls die argliſtige Phebe;
welche ihn anfangs unter dem Schein eines ihr
von Julien zugeeigneten groſſen Braut-Scha-
tzes zur Liebe verleitete; hernach ihn beredete:
daß wenn er durch ſeine Weißheit den verdaͤch-
tigen Auslaͤnder Herrmann aus des Kayſers
Gnade werffen koͤnte; wuͤrde er bey der ihm
ungnaͤdigen Julia ſich nicht nur wieder einlie-
ben; ſondern auch groſſe Belohnung zu gewar-
ten haben. Thraſyllus verſprach Pheben moͤg-
lichſt zu willfahren; iedoch bat er zu deſſen kluger
Einrichtung einige Bedenck-Zeit; weil er hier-
innen gleichwol nicht ohne allen Grund verfah-
ren/ und ſeinen gantzen Ruhm auf einmahl in
die Schantze ſetzen wolte. Nach etlichen Tagen
meldete Thraſyllus: daß dem Kayſer den zehen-
den Tag eine groſſe Gefahr fuͤrſtuͤnde. Weßwe-
gen die Verſchwornen ſchluͤßig wurden ihren
wieder den Kayſer fuͤrhabenden Entſchluͤſſun-
gen durch den Einfluß der Geſtirne ein Ge-
wichte beyzulegen; und alſo ſelbigen Tag ihm
das Licht auszuleſchen; ſie koͤnten gleich dem Fuͤr-
ſten Herrmann ein Bein unterſchlagen oder
nicht. Folgenden Tag aber ereignete ſich dieſer
Zufall: daß in dem Kayſerlichen Thier-Hauſe
ein aus Deutſchland gebrachter Baͤr loß rieß/
und die drey groͤſten Adler erwuͤrgte. Thraſyl-
lus legte auff Befehl des Kayſers diß auff den
Fuͤrſten Herrmann derogeſtalt aus: daß der/
welchen der Kayſer ſo ſor gfaͤltig unterhielt/ mit
der Zeit den Roͤmern die empfindlichſten Strei-
che verſetzen wuͤrde. Wiewol nun Lepidus bey
dieſer Auslegung Auguſten rieth: daß er dieſen
nachdencklichen Zufall nicht ſchlechter Dings
in Wind ſchlagen ſolte/ gab doch der Kayſer ein
Lachen darein. Jnzwiſchen beredete Phebe
einen Jllyriſchen Kriegs-Knecht; welcher un-
ter des Fuͤrſten Herrmanns Jaͤgern bedient/
und in eine Freygelaſſene Juliens verliebt
war/ durch Verſprechung groſſer Gnaden und
der gewuͤnſchten Heyrath dahin: daß als auf be-
ſtim̃ten Tag Auguſt in dem beruͤhmten Lorber-
Walde an dem Tyrrheniſchen Meer/ wo E-
neas ausgeſtiegen ſeyn ſoll/ gejagt hatte/ und in
einem ſchlechten Jaͤger-Hauſe uͤbernachtete/ er-
wehnter Jllyrier ſich durch die Wache unter
dem Scheine den Kayſerlichen Jaͤger-Zeug
zur Anrichtung zu holen durchſpielte; und biß
an das Kayſerliche Schlaff-Gemach kam. Zu
allem Gluͤcke aber ward der gleich die Wache
unterſuchende Fuͤrſt Herrmann gewahr: wie
daſelbſt der Jllyrier lein Jaͤger-Meſſer zuͤckte/
und recht gegen des noch ſchlaffenden Kayſers
Bette ſich wendete. Dieſemnach ſprang er her-
zu/ fiel dem Jllyrier in die Armen; und hielt
den auff den Kayſer gezuͤckten Streich zuruͤcke.
Woruͤber er zwar in Hafft genommen/ Auguſt
erwecket; der Jaͤger-Knecht um die Uhrheber
ſolcher Mordſtifftung guͤtlich und ſcharff be-
fraget/ aber durch keine Pein nichts aus ihm
gebracht ward; weil Phebe ihm vorher viel
ausgepreſten Maah-Safft eingegeben hatte/
in Meynung ihn dadurch auff allen Fall des
mißrathenden Mordes zu toͤdten; worvon er
aber
[1229[1231]]Arminius und Thußnelda.
aber wegen ſeiner vermoͤgenden Lebens-Kraͤff-
ten nur wahnſinnig ward; alſo: daß er auf der
Folter hundert Fluͤche wieder den Kayſer/ und
ſo viel Lobſpruͤche fuͤr Pheben/ und die Freyge-
laſſene/ in die er verliebt war/ ausſtieß; und
daruͤber ſeinen Geiſt verlohr. Lepidus und
Fuͤrſt Herrmann waren beyde bey dieſer Mar-
ter; jener um denen Verſchwornen Nachricht
zu geben; dieſer um die wahrhafften Anſtiffter
zu erforſchen; und ſich ſelbſt alles Verdachts zu
entſchuͤtten; weil dieſer Jllyrier in ſeinen Dien-
ſten geweſt war. Weil nun Fuͤrſt Herrmann
von des Jllyriers Buhlſchafft wuſte; und er in
ſeinem Wahnwitze ſo viel von Pheben redete;
rieth er beyde zu erfordern. Jene bekennte: daß
Phebe im Nahmen Juliens ihr fuͤr drey Ta-
gen nicht nur die zeither ſchwer gemachte Eh
verwilliget; ſondern auch eine anſehnliche Mit-
gifft verſprochen haͤtte. Phebe ward hieruͤber
befragt/ leugnete es aber; ungeachtet es ihr jene
beſtaͤndig unter die Augen ſagte. Woruͤber
ſie beyde abgeſondert in Hafft kamen. Lepi-
dus gerieth hierbey in halbe Verzweiffelung;
alſo: daß er ihr im Gefaͤngnuͤße Gifft beyzu-
bringen entſchloß. Alleine Phebe hatte ſich
ſelbige Nacht ſchon erhenckt; iedoch einen de-
muͤthigen Brieff an den Kayſer zu lieffern einem
deutſchen Kriegs-Knechte/ der den Kercker ver-
wachte/ vorher eingehaͤndiget; in welchem ſie
die gantze Verraͤtherey entdeckte. Dem Kayſer
kam diß anfangs unglaublich vor; gleichwol ließ
er ſich alsbald durch eitel Deutſche/ Juliens/
Serviliens/ des Lepidus und Antonius verſi-
chern; und ihr Geraͤthe verſiegeln; bey deſſen
Unterſuchung noch viel grauſamere Dinge her-
aus kamen/ als Phebe getichtet hatte. Auguſt
zwar hieruͤber ſo beſtuͤrtzt: daß er ihm ſelbſt keinen
Rath nicht wuſte; ſich gute Zeit nicht ſehen
ließ; ja mehrmahls lieber Phebens als Juli-
ens Vater zu ſeyn wuͤnſchte; und rund heraus
bekennte: daß wie er fuͤr den Lebenden/ alſo
Rom bey der Nachwelt ſich ewig ſeiner unver-
ſchaͤmten Tochter wuͤrde ſchaͤmen muͤſſen; alſo
dem Roͤmiſchen Rathe die gantze Sache uͤber-
gab; welcher den Lepidus und Antonius zum
Tode; Servilien zu ewigem Gefaͤngnuͤße ver-
dammte; auch uͤber Julien zwar dem Kayſer zu
urtheilen heimgaben; iedoch als dieſer ſeine
Tochter in einem Sacke erſaͤuffen laſſen wolte/
ihr das Leben erbaten; und daß ſie alſo auf das
Eyland Pandataria verwieſen/ ihr aller Wein
und herrliche Koſt/ wie auch aller Maͤnner Ge-
meinſchafft/ wenn es Auguſt nicht abſonderlich
erlaubte/ abgeſchnitten/ auch endlich vom Kay-
ſer die Ehe mit dem Tiberius zertrennet ward;
welcher gleichwol Auguſten erſuchte ihr die von
ihm empfangenen Geſchaͤncke zu laſſen. Das
Todes-Urthel ward am Antonius und Lepidus
vollzogen/ ihre Leiber mit Hacken in die Tiber
geſchleppt; viel andere mit Landes-Verwei-
ſung/ Ruthen und Gefaͤngnuͤße geſtrafft; hin-
gegen Fuͤrſt Herrmann ſeiner aus denen auff-
gefundenen Schreiben und Bekaͤntnuͤſſen er-
ſcheinenden Keuſchheit und Treue halber vom
Kayſer umarmet; fuͤr einen Buͤrger/ Freund/
Ritter und Raths-Herrn der Stadt Rom er-
klaͤret.
Hieruͤber verfiel der Kayſer mit dem Par-
thiſchen Koͤnige Phraaten wegen Armeniens
in Zwietracht; worzu er den zu ſeinem Nach-
folger beſtimmten Cajus als oberſten Feld-
Herrn erkieſete; und ihm zu ſeinem geheimſten
Staats-Rathe den Mecenas Lollius; zu einem
Kriegs-Oberſten aber den Fuͤrſten Herrmann
mit fuͤnfftauſend Deutſchen zugeſellte; wiewol
ohne dieſen auch nichts wichtiges entſchloſſen
werden ſolte. Der Kayſer aber/ welcher nach
Art der Groß-Vaͤter ſeine Enckel mehr/ als
ſeine eigene Kinder oder ſich ſelbſt lieb-
te/ opfferte in allen Tempeln zu Rom/
und ruffte die Goͤtter an: daß ſie ihn mit
der Gewogenheit des Pompejus/ mit der
Q q q q q q q 3Kuͤhn-
[1230[1232]]Achtes Buch
Kuͤhnheit Alexanders/ und mit ſeinem Gluͤcke
begleiten moͤchten. Cajus ſegelte mit der ihm
anvertrauten Kriegs-Macht gegen Syrien/
ſtieg aber auf dem Eylande Samus aus/ allwo
ihn der von Rhodus ihm zuvorkommende Ti-
berius auffs hoͤflichſte bewillkommte/ und mit
einem gantz verguͤldeten Renn-Schiffe/ welches
mit eitel in der Schiffarth beruͤhmten Rhodiern
beſetzt war/ mit hundert Faͤſſern des beſten Rho-
diſchen Weines/ mit etlichen Geſchirren koͤſt-
lichen Balſams/ fruͤhzeitiger Feigen/ und dem
unvergleichlichen Hundes-Gemaͤhlde des Pro-
togenes/ weßwegen Demetrius die Stadt Rho-
dis nicht mit Feuer zur Ubergabe zwingen wol-
len/ beſchenckte. Woruͤber zwar anfangs wie-
derum Cajus dem Tiberius ſo viel Ehrerbie-
tung/ als kaum einem Obern gehoͤret/ erwieß;
hernach aber auff des Lollius Vergaͤllung und
Einredung: daß Tiberius alleine ihn in der
Nachfolge des Kayſerthums abzuſtechen durch
ſeine tuͤckiſchen Kuͤnſte anzielte/ ihm kaum das
Geſichte goͤnnte. Ehe aber dieſe Veraͤnderung
erfolgte/ hielt Cajus allerhand verſchwenderi-
ſche Gaſtmahle/ fuͤllte ſie mit Weine uͤbermaͤßig
an/ und erwieß ſich durchgehends mehr einen
Bacchus als einen Feldherrn. Hingegen rich-
tete Tiberius dem geſammten Kriegs-Volcke
eine auskommentliche Mahlzeit aus; beſchenck-
te den groͤſten biß zum kleinſten; tranck denen
Kriegs-Oberſten des Kayſers und Cajus Ge-
ſundheit zu; und erinnerte dieſelben Hauptleute/
welche durch ſeine Befoͤrderung ſo hoch kom̃en
waren/ des gedruͤckten Tiberius nicht gar zu
vergeſſen. Welches alles Lollius dahin aus-
legte: daß Tiberius das Kriegs-Volck dem Ca-
jus abwendig; ihm ſelbſt geneigt machen/ und
ſie nichts minder zu einer gaͤntzlichen Neuerung
der gegenwaͤrtigen Herrſchafft/ als zum Auff-
ſtande wieder den Cajus bewegen wolte. Aus
ſolcher Verhetzung haͤtte der unbaͤndige Cajus
ſich am Tiberius gar vergrieffen; wenn nicht
Fuͤrſt Herrmann ſeine hitzige Entſchluͤſſungen
gemaͤßigt/ der ſchlaue Tiberius auch durch un-
gewoͤhnliche Demuͤthigung ihn beſaͤnfftiget
haͤtte. Gleichwol ſchied Cajus ohne von ihm
genom̃enen Abſchied weg; und Lollius bemuͤhte
ſich den Tiberius beym Kayſer auffs aͤrgſte zu
vergaͤllen; alſo: daß er um ſich alles Verdach-
tes zu entſchuͤtten ſelbſt einen Aufmercker aller
ſeiner Worte und Wercke verlangte; die ge-
woͤhnlichen Pferderennen und Kriegs-Ubun-
gen unterließ; des Roͤmiſchen Adels Gepraͤn-
ge ablegte/ und die Tracht der Griechiſchen
Weltweiſen annahm. Ja Tiberius war des
Cajus Schos-Kindern ſo veraͤchtlich: daß ein
junger Hauptmann von freyen Stuͤcken ſich
gegen dem trunckenen Cajus erbot/ ſonder ei-
niges Bedencken auff ſeinen Befehl zuruͤck zu
ſchiffen/ und ihm des Tiberius Kopff zu lief-
fern. Welchen Meuchelmord Cajus verhan-
gen haͤtte; wenn er nicht abermals vom Fuͤrſten
Herrmann durch beſcheidene Einredung beru-
higet worden waͤre. Cajus erreichte hierauff
Syrien/ dariñen Lollius mit Fleiß das Kriegs-
Volck uͤber die Zeit aufhielt/ um die Einwohner
nach ſeinem Belieben zu ſchaͤtzen; ja er fuͤhrte
ſelbtes nicht allein durch allerhand ungebaͤhnte
Umwege/ wormit er die verſchonte/ welche ihn
beſtochen hatten; ſondern er hinderte auch den
zu Entſetzung der Stadt Artaxata voran gezo-
genen Cenſorin auff alle erſiñliche Weiſe an ſei-
nem Vorhaben. Endlich kam Cajus mit dem
Roͤmiſchen Heere gleichwol an den Phrat; traff
auch den Phraates mit ſeinem Perſiſchen Lager
daſelbſt an. Wiewol nun die Perſier viel ſtaͤr-
cker als die Roͤmer waren; auch beyde Ufer ein
flaches Feld an der Seite hatten/ da die Parthi-
ſche Reuterey ſich voͤllig ausbreiten konte/ und
derogeſtalt Fuͤrſt Herrmann nebſt allen Roͤmi-
ſchen Kriegs-Oberſten daſelbſt den Feind anzu-
greiffen wiederriethen; ſo erhielt doch des vom
Phraates durch viel Gold und Edelgeſteine
beſtochenen Lollius Meynung die Uberwage
bey dem verwegenen Cajus; theils weil Lollius
durch
[1231[1233]]Arminius und Thußnelda.
durch Heucheley ſich ſeines Gemuͤthes voͤllig
bemaͤchtigt hatte; theils weil der Jugend die
hitzigſten Rathſchlaͤge am anſtaͤndigſten ſind.
Alſo muſten dißmahl die Klugheit der unzeiti-
gen Verwegenheit/ und treuer Rathgeber heil-
ſame Meynung den ſchlimſten Verraͤthereyen
ausweichen. Das Roͤmiſche Heer muſte/ ehe
es von der beſchwerlichen Reiſe verblaſen konte/
auf den Morgen nicht ſo wol wieder die Par-
then/ als den ſtrengen Phrat kaͤmpffen; woruͤ-
ber aber viel von dem Fluſſe verſchlungen; und
die/ welche gleich das andere Ufer erreichten/
von dem Feinde erſchlagen wuꝛden. Fuͤrſt Herꝛ-
mann ſetzte zwar mit fuͤnffhundert Bataviſchen
Reutern auf dem feſten Lande Fuß; aber/ weil
die Roͤmiſchen Legionen mit ihrer ſchweren Ruͤ-
ſtung ihn unmoͤglich entſetzen konten/ muſte er
dem mit zwoͤlff tauſend Parthiſchen Edel-Leu-
ten andringenden Koͤnige Phraates nur diß-
mahl die Ehre der Oberhand laſſen; und nach
dem alle Bataver von ſo viel tauſend Pfeilen/ er
auch ſelbſt durch die Hand und den dicken
Schenckel verwundet war/ ſich zuruͤck ziehen.
Gleichwol hoͤrte Cajus und Lollius nicht auff
das Kriegs-Volck gleich einer Heerde Schafe
wieder den Strom und die uͤber ſolcher Thor-
heit lachenden Parther anzutreiben. Als auch
Fuͤrſt Herrmann die Unmoͤgligkeit dem Cajus
augenſcheinlich fuͤrſtellte/ und ſo tapfere Kriegs-
Leute zu ſchonen erinnerte; kriegte er zur Ant-
wort: Die vorhergehende Nacht waͤren zu Rom
mehr junge Kriegs-Leute gezeugt worden; als
ihrer dieſen Tag darauff gehen wuͤrden. End-
lich muſte bey ſinckender Nacht nur Cajus zum
Abzuge blaſen/ den Parthen nicht allein den
ohne ſonderbahre Muͤh erworbenen Sieg mit
Schimpff und Schaden uͤberlaſſen; und noch
darzu vertragen: daß ihm Phraates durch ei-
nen gefangenen Roͤmer zuruͤck entbieten ließ:
Er wolte auf den Morgen ihm ſelbſt eine Bruͤ-
cke von den erſchlagenen Roͤmern bauen helf-
fen/ wenn ihn die Luſt ſich mit den Parthen zu
beruͤchen nicht vergangen waͤre. So verwe-
gen Cajus anfangs geweſt; ſo verzagt war er
nach dieſem Verluſte; beſorgende: daß er nicht
gluͤckſeliger/ als Craßus und Antonius aus den
Klauen der Parthen entrinnen wuͤrde. Alſo
iſt die Verachtung ſeines Feindes ſchon der hal-
be Verluſt des Sieges; wie derſelbe ſeine Kraͤff-
ten zweyfach vergroͤſſert/ der zwar die Vollkom-
menheit ſeinem Gemuͤthe beylegt; niemahls
aber ſie ihm in ſeine Einbildung kommen laͤſt.
Den Fuͤrſten Herrmann kraͤnckte dieſe Nieder-
lage in der Seele. Denn ob er zwar daran kei-
ne Schuld trug/ ſondern vielmehr dieſen Tag
den Ruhm eines unvergleichlichen Loͤwen-
Muths erworben hatte; wuſte er doch wohl:
daß wenn ein Kriegs-Oberſter drey Spannen
ſeinem Feinde weichen muß/ er zwoͤlff Pfund
von ſeinem Anſehen einbuͤße; und in verlohr-
nen Schlachten die tapfferen von den Furcht-
ſamen ſelten unterſchieden werden. Dieſem-
nach beſetzte er ſelbige Nacht den Strom nicht
ſo wol wieder beſorglichen Einfall der Parthen;
als daß der ihm bereit vielfach verdaͤchtige Lol-
lius den Parthen ſeinen Anſchlag nicht verra-
then moͤchte/ zum Theil mit Roͤmiſchen Kriegs-
Leuten/ meiſt aber nur mit dem gemeinen
Droß; und ließ um die Menge der dahin geſtell-
ten Bewahrer ſo viel mehr zu beglaubigen viel
Wachfeuer anzuͤnden. Er abeꝛ nahm alle Deut-
ſchen und den Kern von den Roͤmiſchen Legio-
nen/ fuͤhrte ſelbte in aller Stille eine gute Meil-
weges Strom-auff; da ihm denn ein erkauffter
Armenier einen Furth durch den Phrat zeigte:
daß die Reuter/ derer ieder einen Fuß-Knecht
auffs Pferd nahm/ ehe der Feind das geringſte
merckte/ uͤberkam; das uͤbrige Fuß-Volck/ dem
etliche Fahnen Reuterey in der Mitte die Ge-
walt des Stromes auffhielten; auch noch fuͤr
Tage das andere Ufer erreichte; und in dem da-
ſelbſt puͤſchichten Felde noch mit einem Graben
und Bruſt-Wehre verbaute. Mit anbrechen-
dem Tage machte Cajus auffs neue Anſtalt/ als
ob
[1232[1234]]Achtes Buch
ob er wieder durch den Phrat ſetzen wolte. Wie
nun die Parthen ſich daſelbſt gegen ihn ſtellten;
gieng Fuͤrſt Herrmann mit der deutſchen Rey-
ſigen Zeuge ihnen in Ruͤcken; erlegte derer
zwar mehr nicht/ als tauſend Mann vom Hin-
terhalte; jagte aber dem Phraates ein ſolches
Schrecken ein; ſonderlich als er vernahm: daß
die Roͤmer ſich ſchon auff der lincken Seite des
Phrats verſchantzt hatten: daß er den Roͤmern
Friedens-Handlung antrug; und noch ſelbigen
Tag ſolchen auf einem mitten im Phrat gele-
genen Eylande mit dem Cajus durch beyder-
ſeitige Erkieſung des Fuͤrſten Artavasdes zum
Koͤnige in Armenien abredete. Beyde Phraa-
tes und Cajus bekraͤfftigten ihre neue Freund-
ſchafft durch herrliche Gaſt-Mahle; jener be-
ſchenckte auch den Fuͤrſten Herrmann ſeiner
erwieſenen Tapfferkeit halber; und weil er hoͤr-
te: daß er des beruͤhmten Surena Enckel/ alſo
von Ankunfft ein halber Parthe waͤre/ mit
zwoͤlff Arabiſchen Pferden/ einer mit Diaman-
ten reich verſetzten Sebel/ und einem mit Tuͤr-
kißen prangendem Koͤcher und Bogen. Lolli-
us ließ hieruͤber/ und wegen der dem Fuͤrſten
Herrmann ſonſt mehr bezeigten Hoͤfligkeit ei-
niges Unvergnuͤgen blicken; welches den trun-
ckenen Phraates derogeſtalt verdroß: daß er ihn
einen Verraͤther ſchalt/ und dem Cajus alle
vom Lollius erhaltene Nachrichten einliefferte.
Weßwegen Cajus den Lollius zwar durch Gift
hinrichten; dieſer aber ſeinen Erben einen in
dieſem Feldzuge zuſam̃en geſcharreten Schatz
von unglaublichem Werthe verließ; alſo: daß
nach der Zeit ſeine Enckelin Lollia Paulina des
Kayſers Cajus Buhlſchafft auf einem mittel-
maͤßigen Verlobungs-Mahle mit Perlen und
Schmaragden alle Kleider und Glieder gleich-
ſam verhuͤllete; und uͤber eine Tonne Goldes
an Edelgeſteinen am Leibetrug.
Dieſer Friede ward aber bald durch die Ar-
menier ſelbſt zernichtet; welche den Artavasdes
der Koͤniglichen Wuͤrde entſetzten/ den Gotar-
tzes an ſeine Stelle erhoben/ und den Cenſorin
mit dem meiſten Theile zweyer Legionen erleg-
ten. Cajus ruͤckte hieruͤber zwar in Armenien/
brach aber wieder des Fuͤrſten Herꝛmanns Rath
zugleich mit den Parthen; und ſuchte durch
Beſtechung des Perſiſchen Stadthalters Don-
nes ſich der vorhin dem Phraates abgetretenen
Stadt Artagera zu bemeiſtern; ungeachtet ihm
Fuͤrſt Herrmann einhielt: daß boͤſe Wercke ſel-
ten wol von ſtatten giengen; und alles diß/ was
nach Verraͤtherey ruͤche/ den guten Nahmen
ſtinckend machte. Maſſen denn auch Cajus
daruͤber gefaͤhrlich vom Donnes verwundet
ward; Fuͤrſt Herrmann aber mit ſeinen Deut-
ſchen dieſen argliſtigen Meuchel-Moͤrder in ei-
nem Berg-Schloſſe beſetzte/ und dergeſtalt be-
aͤngſtigte: daß er in ſeinem eigenen Degen fal-
lende ſich zugleich auff einen brennenden Holtz-
ſtoß von einem Thurme ſtuͤrtzte/ und alſo die
Thorheit begieng: daß er zeitlicher ſtarb/ als das
Verhaͤngnuͤs ihm beſtimmt hatte; wormit er
nicht laͤngſamer ſterben muͤſte. Dem Fuͤrſten
Herrmann lag inzwiſchen bey der Unfaͤhigkeit
des verwundeten Cajus die gantze Krieges-
Sorge auf dem Halſe; da er denn theils durch
ſeine und der Bataviſchen Reuterey Tapffer-
keit den Parthen in vielen Scharmuͤtzeln nicht
geringẽ Abbruch that; theils durch ſeine Klugheit
zwiſchen ihnen und denen Armeniern allerhand
Saamen des Mißtrauens und der Zwietracht
ausſtreute/ inſonderheit aber ſich ſehr wol der
aus etlicher Gefangenẽ erpreſtem Bekaͤntnuͤße/
wie in Perſien wieder den Phraates ein maͤch-
tiger Auffſtand ſich ereignet haͤtte/ bediente; in
dem er bey ſolcher im Parthiſchen Laͤger er-
wachſenden Beſtuͤrtzung ſelbten unverzuͤglich
auf den Halsruͤckte; und dem Phraates einen
vortheilhafften Frieden abzwang/ Krafft deſſen
er in die Entſetzung des Gotartzes willigen/ und
den Ariobarzanes zum Koͤnige in Armenien
belieben muſte. Alſo iſt die Geſchwindigkeit im
Kriege meiſt die Mutter des Gluͤckes; und die
haben
[1233[1235]]Arminius und Thußnelda.
haben insgemein groſſe Thaten gethan/ die
nichts auff den folgenden Morgen verſchoben
haben. Die unabtrennliche Gefaͤrthin groſſen
Gluͤcks die Heucheley eignete dieſen gluͤcklichen
Streich zwar dem nunmehr halb-wahnſinni-
gen Cajus zu; uͤberredeten ihn auch gar: Er
ſolte nicht ehe nach Rom kehren/ biß er das Ziel
des groſſen Alexanders erreicht haͤtte. Aber
alle vernuͤnfftige Roͤmer und der Kayſer ſelbſt
muſten hierinnen die Ehre dieſem deutſchen
Fuͤrſten laſſen/ und ſeine Tapfferkeit mit einer
guͤldenen Krone belohnen. Ja daß dem Fuͤr-
ſten Herrmann nicht ein oͤffentliches Siegs-
Gepraͤnge erlaubt ward; ſtand ihm nicht der
Abgang ſeines Verdienſtes/ ſondern alleine die
Beſchaffenheit ſeines Vaterlandes/ als einem
Fremden im Wege/ derer keiner noch zu Rom
ſolches gehalten haͤtte. Jedoch ward er bey ſei-
ner Wiederkehr nach Rom mit ſo groſſem Fro-
locken des Volckes/ als einiger Sieger fuͤr ihm/
und mit nicht geringerer Freude/ als Tiberi-
us vorher angenommen; ja aus dieſem wie-
der die Parthen erhaltenen Sieg des Fuͤrſten
Herrmanns Koͤniglicher Uhrſprung und das
Recht ſolcher Hoheit zu genuͤſſen bey Deutſchen
und Roͤmern bekraͤfftiget. Sintemahl die Si-
bylliniſchen Wahrſagungs-Buͤcher ausdruͤck-
lich vermochten: daß die Parthen von nieman-
den/ als einem Koͤnige uͤberwunden werden
koͤnten. Alſo iſt der Nachruhm von der Tugend
ſo ſchwer/ als der Schatten vom Lichte zu ſchei-
den; und wenn ſchon die unvernuͤnfftigen Grie-
chen ſich den ſchlauen Ulyſſes bethoͤꝛẽ laſſen: daß
ſie ihm den von des Hectors Blute gefaͤrbten
Schild des Achilles zuſprechen; ſo wirfft ſelb-
ten doch das gerechte Verhaͤngnuͤs durch Schif-
bruch und tobende Wellen auf das an dem Ufer
des Meeres gebaute Grab des hierzu beſſeres
Recht habenden Ajax. So weit ſich nun Her-
tzog Herrmanns Ruhm in der Welt ausbreite-
te/ ſo ſehr wuchs ſein Anſehen zu Rom und die
Gewogenheit des Kayſers gegen ihm im Her-
tzen; der/ als er den Tiberius zum Sohne an-
nahm; weil Lucius zu Maßilien/ Cajus in Sy-
rien geſtorben war/ ſich zu groſſem Nachden-
cken verlauten ließ: Wolte GOtt! Herrmann
waͤre ein Roͤmer; ich wolte meinen Nachfolger
nicht in meiner Freundſchafft/ ſondern unter
dem Volcke ſuchen.
Unterdeſſen zohe er doch hernach den Fuͤr-
ſten Herrmann zu denen wichtigen Raths-
ſchlaͤgen/ und verſicherte ihn: daß die Cherus-
kiſche Herrſchafft durch Huͤlffe ſeiner Waffen
in alten Stand; und ſo wol er Herrmann/ als
ſein Vater Hertzog Segimer; da er anders nur
denen Roͤmiſchen Feinden nicht ſelbſt anhaͤn-
gen wolte/ in die Wuͤrde ſeiner Vor-Eltern
verſetzt werden ſolte. Alleine dieſer Glantz
ſeiner Tugend beginnte nun auch den neidi-
ſchen Tiberius in die Augen zu ſtechen; und des
Kayſers Gunſt ſein argwoͤhniſches Hertze ge-
gen den Fuͤrſten Herrmann zu ver gaͤllen. Sei-
ne Mißgunſt verwandelte ſich endlich in eine
Tod-Feindſchafft/ als der Kayſer uͤber der Ver-
raͤtherey des Cornelius Cinna nebſt Livien und
dem Tiberius nicht nur auch den Fuͤrſten Herꝛ-
mann zu Rathe nahm/ ſondern wie Tiberius
ſeiner angebohrnen Grauſamkeit nach den
Cinna mit allen Verſchwornen durch die grau-
ſamſte Pein hinzurichten; Herrmann aber Li-
vien beyfallende ſie alle ungeſtrafft zu laſſen
einrieth/ Auguſt der letztern Meynung ſo weit
beyfiel: daß er den Cinna gar zum Buͤrger-
meiſter machte. Maſſen denn Tiberius von
ſelbiger Stunde an dieſen Fuͤrſten zu ſtuͤrtzen
alle Kunſt ſeiner Argliſt herfuͤr ſuchte. Alſo iſt
diß/ was gegen einem ein Magnet der Gewo-
genheit geweſt/ bey einem andern eine Urſache
der aͤrgſten Gramſchafft; welche Tiberius
mit ſo viel mehrerm Rechte gegen den Fuͤrſten
Herrmann auszuuͤben vermeinte; weil er ſich
fuͤr dem Tiberius nicht nach Gewonheit der
Knechtiſchen Roͤmer demuͤthigte; als welche
ihn nichts minder ſchon fuͤr den kuͤnfftigen
Erſter Theil. R r r r r r rFuͤrſten
[1234[1236]]Achtes Buch
Fuͤrſten anſahen/ als er dieſe Wuͤrde fuͤrlaͤngſt
in der Hoffnung verſchlungen hatte. Sinte-
mahl bereit in ſeiner Kindheit ihm vom Stern-
ſeher Scribonius gewahrſagt worden war: Er
ſolte herrſchen/ wiewol ohne Koͤnigliche Zier-
rathen. Gleicher Geſtalt hatte ihn deſſen der
Sternſeher Thraſyllus verſichert; welcher ſo
gar von dem ihn aus Rhodus abzuholen kom-
mendem/ aber noch entferntem Schiffe zu ſagen
gewuſt hatte: daß es ihm froͤliche Zeitung braͤch-
te. Dannenher weder auff ſeiner noch auf der
Roͤmer Seiten nichts/ was zu Vermehrung
ſeiner Hoheit einigerley Weiſe dienen konte/
unterlaſſen; und er ſolchem nach als ein neu-
aufgehendes Geſtirne/ ja mehr als ein halber
Kayſer von iederman angebetet ward.
Zu des Tiberius Haſſe gegen den Fuͤrſten
Herrmann kam zuletzt auch die Eyverſucht; ei-
ne Unholdin/ welche Laub und Graß zu ver-
ſengen; die heilſamſten Kraͤuter zu ver gifften;
und wie der Neid bey fremdem Feuer zu erfrie-
ren/ alſo dieſe bey fremdem Schnee zu ſchwitzen
gewohnt iſt. Denn es war ein aus dem Che-
ruskiſchen Gebluͤte entſproſſener Fuͤ[r]ſt in
Deutſch[l]and der Chaßuarier und Dulgibiner
Hertzog Nahmens S[e]geſthes; ein Herr fuͤr-
treflicher Geſtalt/ groſſen Gemuͤthes/ und
hauptſaͤchlichen Verſtandes. Weßwegen er
nicht nur von dem Feldherrn Segimer zum
Groß-Stadthalter uͤber die Quaden; ſondern
auch in den Kriegen mit den Catten und Roͤ-
mern mehrmals zum Feldhauptmann beſtellet
worden war; und nicht geringe Merckmaale
ſeiner Klugheit und Tapfferkeit erwieſen; ja
nach dem Hertzog Segimer in dem vom Mar-
bod nicht bemeiſterten Deutſchlande das groͤſte
Anſehen hatte. Dieſer hatte zu ſeiner erſten
Gemahlin des Cimbriſchen Koͤnigs Frotho
Tochter; mit welcher er zwey Kinder/ nemlich
den Fuͤrſten Siegesmund/ und die wunderſchoͤ-
ne Thußnelda/ von welcher Vollkommenheiten
ich nichts weiter erzehlen darff/ erzeuget hatte.
So lange dieſe Ehe tauerte/ war weder Un-
gluͤck noch die groſſen Verſprechungen der Roͤ-
mer maͤchtig Segeſthens Gemuͤthe eines Na-
gels breit von der Liebe ſeines Vaterlandes ab-
wendig zu machen/ zu einem unvergeßlichen
Merckmahle: daß der Wanckelmuth ſo wenig
des weiblichen Geſchlechtes/ als die Beſtaͤndig-
keit des maͤnnlichen Eigenthum ſey. Als es aber
in Deutſchland theils wegen der vom Koͤnige
Marbod; theils von den Roͤmern erhobener
Kriege ſo ſehr durch einander gieng/ und Fuͤrſt
Segeſthes zu Verhuͤtung des euſſerſten Unter-
gangs der zwiſchen dem Rheine und der Elbe
gelegenen/ und gleichſam von einem Oſt- und
Weſt-Winde zugleich beſtuͤrmten Laͤnder mit
dem Roͤmiſchen Land-Vogte Sentius Satur-
ninus eine Zuſammenkunfft beliebte; dieſer a-
ber jenen mit den allererſiñlichſien Hoͤfligkeiten
unterhielt/ und inſonderheit ihn durch ſeine drey
uͤberaus ſchoͤnen Toͤchter auff alle Weiſe bedie-
nen ließ; verliebte ſich Hertzog Segeſthes in die
Mitlere derogeſtalt: daß er beym Saturnin
um ſie warb; und noch fuͤr ſeinem Abſchiede ſelb-
te ihm vermaͤhlen ließ. Dieſer neue Brand
erſtockte in Segeſthens Hertze ſchier alle Liebe
des Vaterlandes; und ward er durch ſeine Ge-
mahlin Sentia nichts weniger aus einem
Deutſchen in einen Roͤmer; als Antonius durch
Cleopatren aus einem Roͤmer in einen Egypti-
er verwandelt. Der Kayſer/ um ſich dieſes
Vortheils zu bedienen/ nahm Sentien fuͤr ſei-
ne Tochter an; beſchenckte ſie mit einem anſehn-
lichen Braut-Schatze; ließ ihn durch den Sa-
turnin in ſeinen beyden Hertzogthuͤmern der
Chaßuarier und Dulgibiner befeſtigen/ und
der dem Cheruskiſchen Hauſe zukommenden/
beym Fuͤrſten Segimer aber durch ſo viel Un-
gluͤcks-Faͤlle nicht wenig verfallenen Feld-
Hauptmannſchafft nebſt mehr andern guͤldenen
Bergen verſichern. Maſſen denn auch dem
Sentius Saturninus nicht ſo wol wegen eini-
ger groſſen uͤber die Deutſchen erlangten Sie-
ge/
[1235[1237]]Arminius und Thußnelda.
ge/ als weil er durch dieſe Heyrath ihnen nicht
veraͤchtliche Faͤſſel angelegt haͤtte/ ein Siegs-
Gepraͤnge verſtattet ward. Hierdurch ward
Auguſt auffs neue veranlaſt den Tiberius in
Deutſchland zu ſchicken; und nach Segeſthens
gegebenen Anſchlaͤgen die Caninefaten/ Attua-
rier und Bructerer; als welche nunmehr den
von dem Willen ſeines Ehweibes haͤngenden
Segeſthes wenig gutes zutrauten/ und ſich ſei-
ner entſchlugen/ zu uͤberfallen. Jnzwiſchen
kam Saturnin nicht allein nach Rom; ſondern
brachte auch Segeſthens zwey Kinder den Fuͤr-
ſten Siegesmund und die Fraͤulein Thußnel-
da zwar unter dem Scheine das wunderwuͤr-
dige Rom zu beſchauen/ und mit dem Kayſer
die angefangene Freundſchafft mehr zu beſtaͤr-
cken; aber eigentlich darum mit dahin: daß ſie
gleichſam als Geiſſel daſelbſt verbleiben/ und
Segeſthen alle Gedancken von den Roͤmern
abzuſetzen benehmen ſolten. Auguſt empfing
beyde mit ungewoͤhnlicher Freundligkeit/ gantz
Rom aber die Fuͤrſtin Thußnelda mit groſſer
Verwunderung; wiewol weder ſie/ noch ihr
Bruder von iemanden/ auſſer dem Kayſer und
Livien gekennet ward. Denn Segeſthes wolte
bey den Deutſchen den Nahmen nicht haben:
daß er ſo gut Roͤmiſch waͤre; und ſeine Treue
den Roͤmern durch ſeine eigene Kinder verpfaͤn-
dete. Jnzwiſchen ver gnuͤgte dieſe vorwitzige
Stadt ſich daran: daß ihrer Schoͤnheit gleichen
zu Rom noch nie geſehen worden war. Und die/
welche zeither mit einander um den Vorzug der
Geſtalt geſtritten hatten; huͤlleten wie die Ge-
ſtirne fuͤr der aufgehenden Sonne nichts min-
der ihren Glantz/ als Zwiſt ein. Uber diß ward
ihre Schoͤnheit mit einer ſo lebhafften Freund-
ligkeit beſeelet: daß die Anſchauer ihr alſofort
gewogen zu ſeyn genoͤthigt wurden; iedoch nicht
zu urtheilen wuſten: welchem Geſchencke der
Natur ſie an ihr den Preiß des Vorzuges bey-
legen ſolten. Fuͤrſt Herrmann aber ward bey
dem erſten Anblicke gleichſam auſſer ſich ſelbſt
entzuͤckt. Denn ihm hatte die Nacht vorher
nachdencklich getraumet: wie das Bild der Ca-
pitoliniſchen Venus in dem in voller Flamme
ſtehendem Tempel ſich mit beyden Armen um
ſeinen Hals ſchrenckte/ und er ſelbte aus ſolchem
Feuer errettete; wofuͤr ſie ihm einen Schma-
ragd-Ring/ in welchem zwey Loͤwen mit einan-
der kaͤmpfften/ einhaͤndigte. Dieſe Fuͤrſtin aber
ſahe nicht alleine dem ihm zuvor kommen dem
Bilde ſo vollkommentlich aͤhnlich; als wenn es
aus Thußneldens Geſichte geſchnitten waͤre;
ſondern zu ſeiner groͤſten Verwunderung trug
ſie auch eben derogleichen Ring an ihrem Fin-
ger; alſo: daß er hierunter was ſonderliches ihm
angedeutet zu ſeyn unſchwer ermeſſen/ und da-
her nicht ohne ihm ſelbſt angethanen Zwang bey
Bewillkommung dieſer unbekandten Lands-
mannin ſeine Gemuͤths-Regungen verdecken
konte. Ja er muſte ſich fuͤr der Zeit und gleich-
ſam nicht ohne Abbruch ſeiner wiewol ange-
bohrner Hoͤfligkeit ihrer Gemeinſchafft entzie-
hen; um ſeine Bloͤſſe nicht alſobald zu zeigen.
Alleine er aͤnderte hiermit zwar den Ort/ aber
nicht ſeine Kranckheit. Thußnelde kam ihm
wol aus den Augen; nicht aber aus dem Ge-
muͤthe; ob ſchon ihr Bild in dieſes ſich bereit ſo
eigen eingepregt hatte: daß es ſolches nicht an-
ders/ als ein Spiegel dem Geſichte unaufhoͤr-
lich fuͤrhielt. Denn die Unruhe ſeines Gemuͤ-
thes ließ ihm weder einigen Schlaff zu; noch
ſeine Gedancken auf etwas anders zu werffen.
Er quaͤlete ſich hieruͤber derogeſtalt: daß er ſich
nicht traute nach Hofe/ oder unter andere Ge-
ſellſchafft zu kommen; ſondern unter fuͤrgeſchuͤtz-
ter Kranckheit drey Tage ſich in ſeiner Ein-
ſamkeit mit ſeinen eigenen Geſpraͤchen vergnuͤ-
gen muſte. Er entruͤſtete ſich mehrmahls uͤber
ſich ſelbſt: daß/ da er vorhin uͤber ſo viel fremde
Liebes-Regungen den Meiſter geſpielet hatte/
nunmehr ein Knecht ſeiner eigenen wer den; und
das durch ſo viel Muͤh aufgethuͤrmte Bild ſei-
ner Freyheit durch einen einigen Strahl eines
R r r r r r r 2annehm-
[1236[1238]]Achtes Buch
annehmlichen Augenblicks eingeaͤſchert ſehen
muſte. Welch Erkaͤntnuͤs ſeiner eingebuͤſten
Freyheit denn nach langem Kampffe ſeiner
Seele eine gantz andere Bewegung in ihm ge-
hahr; nehmlich ein Verlangen nach derſelben
Sonne/ die ſein Hertze mit ſo empfindlichem
Feuer angeſteckt hatte. Denn die Verliebten
ſind dißfalls anders nicht/ als die Motten ge-
arthet; welche ſich von der ſchoͤnen Flamme zie-
hen laſſen/ ob ſie ihnen gleich ſchon die Helffte
der Fluͤgel verſenget haben. Dem vierdten Tag
wagte ſich Fuͤrſt Herrmann wieder nach Hofe;
da er denn dieſen ſeinen Abgott ſeinem Beduͤn-
cken nach noch viel ſchoͤner/ als das erſte mahl/
an Liviens Taffel antraff; und gleichſam mit
ſeinen erſtarrenden Augen an ihrem himmli-
ſchen Antlitze kleben blieb; alſo faſt noch mehr/
als voꝛhin ſeine Schwachheit mercklich gemacht
haͤtte. Denn ob zwar ſonſt die Verwunderung
eine Gefaͤrthin der Neuigkeit iſt; und ſich durch
oͤfftere Gemeinſchafft nach und nach verlieret;
ſo iſt es doch viel anders mit der Liebe beſchaf-
fen; welche von Tag zu Tage waͤchſet; und
aus einem Funcken ein groſſer Brand/ aus ei-
nem Zwerge in weniger Zeit ein unuͤberwind-
licher Rieſe wird; weil ihre Scharffſinnigkeit
iedesmahl was neues erforſchet/ das einen
neuen Zunder der Zuneigung abgeben kan.
Die Begierde um dieſe Fuͤrſtin zu ſeyn wuchs
in weniger Zeit ſo ſehr: daß Fuͤrſt Herrmann
ſich uͤberredete: er wuͤrde nicht leben koͤnnen;
wenn er nicht taͤglich durch einen Anblick die-
ſer Goͤttin lebendig gemacht wuͤrde. Und wie
er anfangs glaubte: daß die Natur durch ſie ein
in der Welt noch nie geſehenes Muſter der
Vollkommenheit; oder eine Schoͤnheit/ welche
auch der alle irrdiſche Schrancken uͤberſteigen-
den Einbildung genung thun koͤnte/ ausgear-
beitet haͤtte; alſo gab er ihm nunmehr ſelbſt
nach: daß ſeine Liebe die Regungen aller
Menſchen uͤberſtiege. Als er hernach unter-
ſchiedene mahl ihrer annehmlichen Geſpraͤche
bey Livien und anderm Frauen-Zimmer ge-
naß; welches wegen allzu uͤberirrdiſcher Schoͤn-
heit ſie zu beneiden fuͤr eine Beleidigung der
Goͤtter; ihrer Anweſenheit zu genuͤſſen fuͤr un-
gemeines Gluͤcke hielt; ward er offtmahls ſo
entkraͤfftet: daß er durch allerhand Vorwand
ſich derſelben entbrechen muſte; ohne welche er
nicht zu leben getraute; und wegen welcher er
mehrmahls zweiffelhafft war: Ob das Ver-
haͤngnuͤs ihn durch ſie beym Leben zu erhalten
oder zu toͤdten bemuͤht waͤre/ biß er nach und
nach lernte: daß die Verliebten gleichſam an
den Scheide-Weg des Lebens und Sterbens
verſetzt ſind; und diß/ was an ihnen lebet/ ſo
wenig ein rechtes Leben/ als diß/ was ſie toͤd-
tet/ ein wahrhaffter Tod ſey. Worbey ihm
diß nicht die geringſte Pein verurſachte: daß er
durch keine Sorgfalt zu erfahren vermochte:
wer die waͤre; die ſich ſo geſchwinde der Bot-
maͤßigkeit uͤber ſeine Seele angemaſt hatte. Deñ
ob er zwar bey denen; welche Satur nin mit
aus Deutſchland gebracht hatte; ſo viel/ wiewol
auch nur wegen ihrer ſelbſteigenen Unwiſſen-
heit/ muthmaßlich ergruͤbelte; auch aus der ihr
von dem Kayſer und Livien geſchehenden Be-
gegnung unſchwer ſchluͤſſen konte: daß ſie eine
deutſche Fuͤrſtin hoher Ankunfft ſeyn muͤſte;
ward hier durch doch das wenigſte ſeines Zweif-
fel-Knotens aufgeloͤſet. Hingegen heuchelte
er zuweilen ſeiner Einbildung; wenn er ſich
beduͤncken ließ: daß dieſe Fuͤrſtin ihn mit einem
annehmlichern Anblicke/ als andere Anweſen-
den betheilt haͤtte. Alleine dieſe ſuͤſſe Gedan-
cken verſchwunden bald wieder als ein Traum;
wenn er entweder wahrnahm: daß die unver-
gleichliche Freundligkeit dieſer Goͤttin nicht
anders/ als die wolthaͤtige Sonne eben ſo wol
auff das geringſte Graß/ als die hoͤchſten Cedern
ihren Einfluß hatte; oder er bey Erwegung ih-
rer hervor leuchtenden Tugenden ſich beſcheide-
te: daß man auch die reineſte Zuneigung eines
Frauen-Zimmers ihm nicht ohne gaͤntzliche
Verklei-
[1237[1239]]Arminius und Thußnelda.
Verkleinerung ihres Anſehens einbilden kan;
weil man die eigene Liebe zwar fuͤr eine unta-
delhaffte Wuͤrckung der vollkommenſten See-
len; fremde aber allezeit fuͤr eine kleine
Schwachheit haͤlt. Alldieweil aber die Veraͤn-
derung gleichſam ihre taͤgliche Kurtzweil mit
der Liebe hat/ verwandelte ſich ſeine Sorge
wieder in eine neue Hoffnung; da doch kein
Liebhaber leicht darauff fuſſen ſoll; nach dem
zwar die Abwechſelung der Liebe gewiß/ ihre
Hoffnung aber ſehr zweiffelhafft iſt. Gleichwol
aber heuchelte ſeiner Hoffnung eine gewiſſe bey
der Einweihung eines Tempels ſich zutragen-
de Begebnuͤs. Dieſen baueten die zwey Bruͤ-
der Germanicus und der junge Tiberius Ne-
ro ihrem verſtorbenen Vater Druſus zu Ehren
auf; eigneten aber ihn dem Caſtor und Pollux
zu. Der Kayſer/ Livia und alle Groſſen/ wie
ingleichen die Fuͤrſtin Thußnelda fuͤgten ſich
mit groſſer Pracht in diß neue Heiligthum/ und
bemeiſterte dieſe des Roͤmiſchen Volckes Au-
gen und Hertzen derogeſtalt: daß/ als die Bil-
der des Caſtors und Pollux mit ihren umflam-
meten Haͤuptern auf zwey Opffer-Tiſche ge-
hoben worden; ſelbtes dem oberſten Prieſter
zurieff: Er ſolte ihrer Schweſter der ſchoͤnen
Helena nicht vergeſſen; welche nichts minder/
als ihre Bruͤder unter die Sternen waͤren ver-
ſetzt worden; und ſich in der Geſtalt dieſer
Deutſchen oder vielmehr himmliſchen Fuͤrſtin
ſchauen lieſſe. Thußnelde ward hieruͤber be-
ſchaͤmt; erſuchte daher den Fuͤrſten Herrmann
ihr mit einem Zeugnuͤße beyzuſpringen: daß
in Deutſchland das Frauen-Zimmer ins ge-
mein ihre geringe Geſtalt uͤbertreffe; und man
ihr alſo ihre Gebrechen nicht durch uͤbermaͤßi-
ges Lob fuͤrruͤcken moͤchte. Fuͤrſt Herrmann
begegnete ihr mit tieffſter Ehrerbietung; ſie
verſichernde: daß ſie uͤber ihn das Recht einer
vollkommenen Botmaͤßigkeit beſaͤſſe; er aber
nicht uͤber ſeine Augen/ welche weder in
Deutſchland/ noch ſonſt in der Welt eine ihr
nur biß an die Helffte kommende Schoͤnheit
geſehen haͤtten: daß ſie ihr fuͤrlaͤngſt ſeiner
Seele gefaͤlletes Urthel wiederruffen ſolten;
noch auch uͤber ihre Zunge: daß ſie dem etwas
unvernuͤnfftig abbreche/ deſſen Vollkommen-
heit ſeine Gedancken nicht zu begreiffen ver-
moͤchten. Dieſemnach er denn dem Urthel der
Roͤmer; mit welchen das ſonſt zwiſtige Deutſch-
land dißfalls zweiffelsfrey einſtimmete/ un-
nachbleiblich beypflichten muͤſte; wenn er nicht
einer Goͤttin ihres gleichen fuͤr anſtaͤndiger
hielte: daß ihr lebhafftes Bild in das Heilig-
thum eines tugendhafften Hertzens; als ein
Ertztener Nachguß in ein marmelnes Hauß
verſetzt wuͤrde. Thußnelde faͤrbte ſich hieruͤber
und verſetzte ihm laͤchelnde: Sie haͤtte zwar
bey ihm als ihrem Landsmanne und einem ſo
vollkommenen Fuͤrſten Huͤlffe und Beyſtand
zu finden gehoffet; ſie muͤſte aber ihre Vermeſ-
ſenheit nunmehr ſelbſt erkennen/ weil ſie ſich
von Anfang beſcheiden ſollen: daß auch die
Deutſchen/ wenn ſie zu Rom waͤren/ der Roͤ-
mer Meynungen/ wenn ſchon irrig/ beypflich-
ten muͤſten. Herrmann antwortete: Er wol-
te in andern Dingen der Roͤmer Wort nicht
reden; hierinnen aber waͤre kein Jrrthum zu
vermuthen; ſondern vielmehr/ weil iedes Volck
das andere uͤbertreffen wolte/ etlicher Roͤmer
unpartheyiſches Urthel gantz Deutſchlands
Meynung fuͤrzuziehen; als welches an dem
Ruhme ihrer Vollkommenheit Theil haͤt-
te. Ja er waͤre verſichert: daß wenn ſie
mit ihrem Ebenbilde gleich als wie das Eben-
bild der Sonne der gantzen Welt ihr ſchoͤnes
Antlitz zeigen koͤnte; ihres nichts weniger/ als
jenes allenthalben wuͤrde verehret werden; und
Xerxes/ welcher die Schweſter des Ca-
ſtors aus ſo viel ausgeleſenen Crotoniati-
ſchen Jungfrauen kaum zuſammen ſetzen koͤn-
nen/ wuͤrde nach der ſchoͤnen Thußnelda
R r r r r r r 3ſo
[1238[1240]]Achtes Buch
ſo viel Helenen mahlen koͤnnen; als die Natur
ſie mit vollkommenen Gliedern beſchenckt haͤt-
te. Thußnelda brach dieſen Lobſpruͤchen ein;
als welche die am ungerneſten hoͤren/ die ſie am
meiſten verdienen; und um den Fuͤrſten Herr-
mann auf was anders zu bringen/ ſagte ſie: Es
waͤre zwar zu enthengen: daß die euſſerliche Ge-
ſtalt noch der Farben und des Pinſels werth
waͤren; als welche meiſt in uͤbelruͤchender Erde
und bloſſem Schatten eben ſo wie die Schoͤn-
heit des eitelen Leibes beſtuͤnden; aber die Ver-
ehrung der Sonnen dem Brunnen des Lichts
und der Seele der Welt ließe ſich einem ſo ver-
gaͤnglichen Geſpenſte/ als die Schoͤnheit waͤre/
ohne jener Entweichung nicht zueignen. Fuͤrſt
Herrmañ fragte alſofort: ob ſie nicht die Schoͤn-
heit fuͤr ein beſonder Geſchencke Gottes hielte;
oder nicht glaubte: daß diß/ was dem Geſtirne
ſo aͤhnlich waͤre/ ſeinen Uhrſprung vom Him-
mel/ und eine nicht geringere Wuͤrckung als
die obern Lichter in denen Hertzen der Men-
ſchen haͤtte? Phryne haͤtte durch Entbloͤſſung
ihrer ſchoͤnen Bruͤſte das ſchon abgefaſte Ver-
dammungs-Urthel von ſich abgelehnt; nach
dem des Hyperides Beredſamkeit die Schaͤrffe
der Richter zu erweichen viel zu ohnmaͤchtig
geſchienen. Die Schoͤnheit waͤre eine Mutter
der maͤchtigſten Koͤnigin der Welt/ nemlich der
Liebe; welche Goͤtter und Menſchen beherrſch-
te. Sie waͤre ein ſo kraͤfftiges Geſtirne/ welches
die truͤben Zorn-Wolcken der grimmigſten
Feinde ausklaͤrte; auffs Finſternuͤs der Un-
gluͤckſeligen mehrmahls einen lebhafften Freu-
den-Blick wuͤrffe/ und denen Verzweiffelten
aus ihrem Schiffbruche einen Geneſungs-
Weg zeigete; ja auch diß/ was ſeinem eigenen
Weſen nach entweder unangenehm oder beß-
lich waͤre/ mit einer Anmuth betheilete; alſo:
daß Traurigkeit und Zorn in einem ſchoͤnen
Antlitze lieblich ausſaͤhe; daß die Thraͤnen den
ſchoͤnſten Perlen/ die waͤßrichten Augen einem
mit Regenbogen gefaͤrbtem Gewoͤlcke gleichte.
Ja die Kranckheiten ſelbſt ſehen auf wol gebilde-
ten Wangen; und der grauſame Tod auf einem
zierlichen Munde anmuthiger/ als ſonſt aus.
Das Ungluͤck werffe ſeinen Schatten nach de-
nen Schoͤnen/ wo nicht mit minderer Tunckel-
heit; iedoch mit geringerer Hartnaͤckigkeit. Die
Wolcken der Rache und des Haſſes/ welche al-
les andere zermalmen/ ſchertzten und ſpielten
nur mit denen/ welche den Zierrath des geſtirn-
ten Himmels in den Augen/ der gebluͤmten Er-
de auff allen Gliedern/ und ein groſſes Theil
menſchlichen Verhaͤngnuͤßes in ihren Haͤnden
truͤgen. O des ungluͤckſeligen Geſtirnes! O
der vergaͤnglichen Neben-Sonne! fieng Thuß-
nelde ſeuffzende an. Denn in Wahrheit/ wo
die eitele Geſtalt einen Platz unter den Ster-
nen/ oder den Blumen verdienet; weiß ich ihr
keinen wuͤrdigern einzuraͤumen/ als den die
ſchaͤdlichen Schwantz-Geſtirne im Himmel/
oder gifftiges Napel in Gaͤrten hat. Sintemal
die Schoͤnheit wie jene; ie lichter ſie brennen/
nicht nur ſich ſelbſt; ſondern gantze Staͤdte und
Laͤnder einaͤſchert; und nicht ſelten die reineſten
Seelen vergifftet/ alſo ein Vermoͤgen iſt/ wel-
ches ſeinen eigenen Beſitzer ungluͤckſelig; die
aber/ welche ein Auge drauff haben/ unruhig
macht; ja vielen ſich aus einem Abgotte in ei-
nen Hencker verwandelt. Denn ihre Tochter
die Liebe kehret zwar mit Jaſmin in der Hand/
mit Roſen auf dem Haupte in die zarten Seelen
ein; hernach aber wuͤtet ſie mit Feuer und
Schwerdt in ihrer eigenen Behauſung. Deſ-
ſen bewaͤhrtes Beyſpiel die einige Helena ſeyn
kan/ in welche mich ein allzuguͤtiges Urthel des
Volckes verwandeln wil. Fuͤrſt Herrmann
wolte zum Nachtheil der Schoͤnheit/ die er an
Thußnelden anbetete/ nichts verkleinerliches
verhaͤngen; ſetzte alſo ihr entgegen: Man eig-
nete nicht ſelten denen heilſamſten Sternen den
aus ſumpfichten Erdreiche herruͤhrenden Hagel
und Ungewitter; denen geſuͤndeſten Kraͤutern
aber von einem verterbten Leibe/ oder aus Miß-
brauche
[1239[1241]]Arminius und Thußnelda.
brauche verurſachte Wuͤrckung/ und der
Schoͤnheit mit eben dem Unrechte/ als der
Sonne einen ſchaͤdlichen Schatten zu; den
der gifftige Eiben-Baum von ſich wuͤrffe. Eine
vollkommene Seele vertruͤge nicht ein Behaͤlt-
nuͤs heßlicher Glieder; ja es koͤnte nach vieler
Weiſen Urthel ſo wenig ein Zirckel ohne Mit-
telpucnt/ als ein wolgeſtalter Leib ohne ein gutes
Gemuͤthe ſeyn. Dannenhero ins gemein nie-
mand groſſer Verrichtungen faͤhig zu ſeyn ge-
achtet wuͤrde/ als den die Natur auch mit
euſſerlicher Zierde zu begaben gewuͤrdigt haͤtte.
Fuͤrnehmlich waͤre diß ein unſchaͤtzbares Eigen-
thum der Fuͤrſten; als wordurch die Natur
gleichſam ihnen die Botmaͤßigkeit uͤber andere
beſtetigte; welche ſie durchs bloſſe Gluͤcke erlan-
get haͤtten. Die Schoͤnheit des Gebietenden
ver zuckerte gleichſam die Bitterkeit der be-
ſchwerlichen Herrſchafft/ ſie erleichterte den
Achſeln ihre Laſt; alſo: daß das gemeine Volck/
welches als ein Thier/ das ſeine Vernunfft
meiſt in den euſſerlichen Sinnen hat/ ſo viel
williger gehorſamte; und dem das Hertze zu-
eignete/ der einmahl ſeine Augen gewonnen
haͤtte. Weßwegen derſelben Voͤlcker Ge-
wohnheit nicht allerdings zu verwerffen waͤre/
die den Wolgeſtalteſten zu ihrem Koͤnige; und
die Schoͤnſte zu ſeiner Gemahlin erwehleten.
Die Fuͤrſtin Thußnelde verſetzte abermahls:
Jn ihren Augen waͤre die Schoͤnheit des Ge-
muͤthes alleine ſchoͤn; des Leibes aber ein ver-
gaͤnglicher Wind/ und eine mit Seiffe ver-
miſchte Waſſer-Blaſe. Sie beliebte zwar
ins gemein vielen/ aber darum eben waͤre ihre
Bewahrung ſo viel gefaͤhrlicher. Wiewol auch
zuweilen die guͤtige Natur eine ſchoͤne Seele
mit einem zierlichen Leibe wie den Balſam-
Geruch der Roſen/ und Krafft der Granat-
Aepffel mit Purper umhuͤllete; waͤre doch diß
ein bloſſer Zufall; und es ſteckte vielmahl in
ungeſtalten Gliedern die tugendhaffteſte See-
le/ wie die weiſſeſte Perle in der hoͤckrichten
Muſchel; der helleſte Diamant in der raueſten
Schale/ das edelſte Gold in der ſchwaͤrtzeſten
Schlacke. Ja die Tugend ſelbſt haͤtte kein[en]
gefaͤhrlichern Stand/ als in den Huͤlſen eines
ſchoͤnen Leibes. Die Anfechtungen des Gluͤ-
ckes lieſſen zuweilen nach/ und haͤtten ihre Ruh-
Stunde; der Schoͤnheit aber ein Bein unter-
zuſchlagen/ ſuchte die Wolluſt unaufhoͤrlich
Gelegenheit; alle ihre annehmliche Blicke wuͤr-
den ihr ſelbſt zum Fallbrete; und ihre Lieb haber
zu aͤrgſten Tod-Feinden. Keine Unſchuld dien-
te ihr zum Schilde; keine Hertzhafftigkeit waͤ-
re genung ſich aller Verſehrungen zu erweh-
ren; und die keuſche Lucretia ſo wenig/ als die
geile Lais unverſehrlich. Fuͤrſt Herrmann
haͤtte hierwieder noch gerne ferner der Schoͤn-
heit das Wort geredet; wenn nicht die Ein-
ſegnung des Tempels ſich geendiget; und Au-
guſt dem Herrmann/ Livia Thußnelden ihr auf
der Seite gehaltenes Geſpraͤche zu unterbre-
chen durch ihren genommnen Abſchied aus dem
Tempel Anlaß gegeben haͤtte. Gegen Abend
ſelbigen Tages ward in dem groſſen Schaupla-
tze zu Ehren des Caſtors ein Rieſen-Tantz von
zwantzig geharniſchten Juͤnglingen/ und dem
Pollux zum Gedaͤchtnuͤße ein Kampff mit
Streit-Kolben/ an welchen bleyerne Kugeln
hiengen/ gehalten; weil Pollux dieſes Gefech-
te er funden/ Griechenland aber den Caſtor mit
einem Tantze auf den Dreyſchlag verehret ha-
ben ſoll. Wiewol nun dazumahl noch ſo gemein
nicht war: daß Erlauchtes Frauenzimmer und
Raths-Herren denen Fechtern zuſchauten/ ſo
ließ doch Auguſt ſeinen Enckeln zu Liebe dieſes
mahl alle Groſſen beydes Geſchlechtes einla-
den; iedoch die Fechter nicht nackt/ ſondern
koͤſtlich/ wiewol leichte angekleidet im Schau-
Platze erſcheinen. Weil ab[er][u]m ſelbige Zeit
der vorhin gantz helle Himmel ſich in Regen-
wetter verwande[lt]e/ fand die Fuͤrſtin Thußnel-
da uͤber der Pforte des Eingangs in dem
Schauplatze/ der ſie zu ihrem Sitze leitete/
durch
[1240[1242]]Achtes Buch
durch eine unbekandte Hand mit Saffran in
deutſcher Sprache angeſchrieben:
Wie aber Thußnelde an dieſem ſchlechtes
Vergnuͤgen fand/ und deßwegen dieſe Uber-
ſchrifft alsbald abzuthun anbefahl; alſo ſahe ſie
nicht ohne inner ſie Gemuͤths-Kraͤnckung/ wie
nicht allein unter denen in denen Antlitzen mit
Zinober und Berg-blau ſeltzam gemahlten
Fechtern ſo viel tapffere Deutſchen zu dieſem
blutigen Kampffe genoͤthiget; ſondern auch/
wenn ſie dem zornigen Poͤfel nicht grauſam
genung auf einander raſeten/ auffs ſchimpff-
lichſte geſchmaͤhet/ und nach ihrer Athem-loſen
Abmattung mit einem Getraͤncke aus Lauge zu
ihrem nur laͤngerem Elende erquicket wur-
den. Woruͤber ſie fuͤr Unwillen in ihrem Si-
tze die blauſeidenen mit Golde durchwuͤrckten
Fuͤrhaͤnge; wormit Germanicus und Tiberi-
us alle Geſtuͤle des Adels hatte verſehen laſſen/
fuͤrzoh. Welches der nicht ferne davon ſitzende
Fuͤrſt Herrmann genau wahrnahm; und daher
ihm Gelegenheit ſuchte bey dem Gaſt-Mahle/
welches noch ſelbige Nacht Germanicus und
Tiberius allen Groſſen ausrichtete/ gegen dem
erſtern und zwar der anweſenden Fuͤrſtin
Thußnelde zu Liebe zu erwehnen: Es waͤre ei-
ne allzugroſſe Strengigkeit: daß die Roͤmer
ihre Gefangenen/ und inſonderheit aus denen
ſtreitbarſten Voͤlckern/ welche der Kayſer ſelbſt
zu ſeiner Leib-Wache brauchte/ zu ſelbſteigener
Hinrichtung noͤthigten. Germanicus ant-
wortete: Es waͤre ihm leid: daß aus dem/ was
er ſeinen Vorfahren in ſeinem Schau-Spiele
nur nachgethan haͤtte/ zu iemandens Unver-
gnuͤgen gereichen ſolte. Er meinte aber: daß
dieſe bey den Roͤmern hergebrachte Gewonheit
ſich allerdings mit dem gemeinen Rechte der
Voͤlcker vertheidigen lieſſe; welches nicht nur
die ſtreitbaren/ ſondern alle Feinde ohne Unter-
ſcheid des Alters und Geſchlechtes/ ja auch die/
denen man gleich nicht im erſten Eyver der
Schlacht das Licht ausgeleſcht hat/ zu toͤdten
verſtattete. Sintemahl bey dieſen letzten der
Tod nur verſchoben/ das Leben aber keines We-
ges geſchenckt wuͤrde. Welches nicht nur das
Beyſpiel aller Voͤlcker; der vom Pyrrhus ab-
geſchlachtete Priamus/ die auf dem Grabe A-
chillens geopfferte Polyxena/ die von denen aus
Corcyra getoͤdteten Epidamnier/ die vom Han-
nibal auff einmahl hingerichteten Roͤmer/ ſon-
dern auch die eigenen Sitten der Deutſchen
und Scythen erhaͤrteten/ da ſie ihre Goͤtter mit
dem Blute der Gefangenen verſoͤhneten. Fuͤrſt
Herrmann verſetzte: Er wiederſpreche die Ge-
walt uͤber das Leben und den Tod der Gefan-
genen nicht; aber die ſich ſelbſt/ wiewol nur auf
Gnade und Ungnade/ und alſo ſonder einige
Bedingung Ergebenden zu toͤdten/ oder auch
die mit Zwang Gefangenen zu ſelbſt eigener
Auffreibung anzuſtrengen waͤre beydes eine
Haͤrtigkeit/ die in ſich kein Maß haͤtte/ und die
Feinde zu verzweiffelter Verbitterung veran-
laſte. Denn ob zwar die erſten ihren Willen
der Willkuͤhr des Uberwinders unterwuͤrffen;
alſo: daß nichts beſchwerliches wieder ihr Be-
lieben ihnen zu begegnen ſchiene; ſo wuͤrde doch
allezeit ſtillſchweigend ausgedungen/ was der
Bedraͤngte nur auf den Fall der euſſerſten
Wiederſaͤtzligkeit verlieren koͤnte/ nehmlich das
Leben. Ja/ da einem Knechte Unrecht geſche-
he; wenn der Herr ihn mit unertraͤglicher Laſt
bebuͤrdete/ mit unmenſchlichen Straffen aus-
aͤderte; da kein Herr ohne richterliches Erkaͤnt-
nuͤs ſeinen Leibeigenen toͤdten/ oder denen wil-
den Thieren fuͤrwerffen doͤrffte/ und ſich uͤber
ihn des Eigenthums verluſtig machte/ der ihm
die Lebens-Mittel oder die Artzney entzoͤge/ o-
der ſelbten auch gleich auf das Eyland des Eſcu-
lapius ausladen lieſſe; wie viel mehr Unbarm-
hertzigkeit waͤre es ſich gegen die Ergebenen
grauſa-
[1241[1243]]Arminius und Thußnelda.
grauſamer bezeigen; die auff die Gnade des
Siegers ihre uͤbrige Wolfarth gebaut haͤtten;
und den mit den Klauen zerfleiſchen/ der unter
unſern Fluͤgeln Schirm zu finden getrauet haͤt-
te. Weßwegen die/ welche ſich nicht uͤberwin-
den koͤnten/ denen Ergebenden weniger als das
Leben zu nehmen/ die angebotene Ergebung de-
nen Feinden auszuſchlagen/ und ſie ihnen zu be-
deuten ſchuldig waͤren: daß ſie nach der Schaͤrffe
des Kriegs-Rechts das euſſerſte thun/ und hin-
wieder erwarten ſolten. Sintemahl es zwar
Rechtens iſt/ aus ſeines Feindes weggeworffe-
nen Degen/ fuͤr ihn Feſſel/ nicht aber Hencker-
Beile ſchmieden zu laſſen. Und waͤre daher
Scipio nichts minder wegen ſeiner Gerechtig-
keit/ als ſonſt wegen ſeiner Tapfferkeit zu ruͤh-
men: daß er von denen biß auffs euſſerſte ver-
ſtockten Numantiern keinen zu toͤdten begehret/
welche nicht ſelbſt ſich eigen beliebig hingerich-
tet haͤtten. Ja bey denen meiſten Voͤlckern
waͤre auch die Dienſtbarkeit der ſich ſelbſt er ge-
benden viel leidlicher/ als der Gefangenen. Die
ſonder einige ihre Einwilligung Gefangenen
muͤſten freylich zwar dem Sieger den Nacken
gedultig hinrecken; daher er es den Roͤmern
nicht fuͤr uͤbel hielte: daß ſie auf ihren Siegs-
Gepraͤngen ſich an ſo viel ſterbenden Feinden
erluſtigten; daß aber ſich Freunde und Bunds-
Genoſſen ſelbſt unter einander aufreiben muͤ-
ſten/ hieſſe der Natur einen Zwang anthun/ und
die Menſchen ſich in ein wildes Pantherthier
verwandeln. Germanicus bezohe ſich zwar
auf das Beyſpiel des von den Roͤmern getoͤdte-
ten Pometiſchen Fuͤrſtens/ der vom Sylla er-
ſchlagener Samniter/ der vom Julius nieder-
gehauener Numidier. Uber diß/ ſagte er/ waͤre
der denen Fechtern aufgedrungene Zwang
nichts ſo abſcheuliches; weil die zwey vertraute-
ſten Freunde Juba und Petrejus auff dieſe Art
einander ſelbſt von der Uberlaſt des beſchwerli-
chen Lebens geholffen haͤtten. Ja weil ihrer
ſo viel durch eigenhaͤndigen Tod ſich aus der
Dienſtbarkeit verſetzten/ haͤtte ein Gefangener
kein Bedencken zu tragen/ auch diß gegen ſeinen
Bruder auszuuͤben/ was er gegen ſich ſelbſt zu
thun nicht fuͤr grauſam hielte. Fuͤrſt Herrmann
aber bezohe ſich auf viel mildere Sitten/ derer
bey den Roͤmern fuͤr uͤberaus grauſam beſchrie-
ner Voͤlcker/ und daß die uͤber ſich ſelbſt habende
Gewalt ſich nicht gleich uͤber andere ausdehnen
lieſſe. Jnſonderheit aber wuͤſte er nicht: wor-
durch es die Deutſchen verſchuldet haͤtten: daß
ſie mehr als andere zu ſo grimmigem Gefechte
angeſtrenget wuͤrden? Es wuͤrden gewiß hier-
durch dieſelben/ welche mit ſo feſter Treue fuͤr
das Roͤmiſche Volck die Waffen gefuͤhret/ ſehr
ſtutzig; die aber/ welche aus eingewurtzeltem
Mißtrauen ihnen noch die Spitze bietetẽ/ mehr
verbittert gemacht werden. Der kluge Auguſt
hoͤrte dieſer Wortwechſelung mit Fleiß zu/ un-
terbrach aber ſelbte mit folgender Erklaͤrung:
daß mit ſeinem Wiſſen kein ſich gutwillig Er-
gebender einen Fechter abzugeben/ noch auch
andere Gefangenen mehr/ als einmahl den
Kampff auszuſtehen gezwungen/ ſondern ſodeñ
bey nahe in voͤllige Freyheit geſetzet wuͤrden. Da
auch hiewieder/ inſonderheit: daß man die tapf-
fern Deutſchen fuͤr andern hierinnen anſpan-
nete/ etwas gehandelt worden waͤre; wolte er
ſolchem Mißbrauche zu ſo vieler verdienter Hel-
den Vergnuͤgung vollkoͤmmlich abhelffen.
Dieſe Empfindligkeit des Fuͤrſten Herr-
manns vergnuͤgte Thußnelden ſo ſehr: daß ſie
noch ſelbige Nacht/ als Germanicus und Tibe-
rius zu denen auf den dritten Tag beſtimmten
Rennen die ſaͤmtlichen Gaͤſte einlud/ ihn unter
dem Scheine der Landsmannſchafft zu ihren
Gefaͤrthen erkieſete. Denn weil Pollux und
Helena aus einem/ Caſtor und Clytemneſtra
aus einem andern Ey/ welches Leda gebohren/
entſproſſen ſeyn ſolten; pflegten in denen dem
Caſtor und Pollux zu Ehren gehaltenen Rit-
ter - Spielen allezeit die Helffte Frauen-
Zimmer untermengt zu werden. Thußnelda
Erſter Theil. S s s s s s snam
[1242[1244]]Achtes Buch
nam folgenden Tag unter dem Vorwand ſich
uͤber ihrem Aufzuge mit einander zu bereden
Gelegenheit/ dem Fuͤrſten Herrmañ ihr Wol-
gefallen uͤber dem/ was er fuͤr die tapferen Deut-
ſchen den Tag vorher geredet hatte/ zu bezeugen.
Woruͤber ſie denn durch die dieſem Volcke an-
gebohrne Vertraͤuligkeit beyderſeits ferner ver-
anlaſt wurden/ uͤber die Bedraͤngungen
Deutſchlands anfangs zu ſeuffzen/ hernach a-
ber ihren innerlichen Unwillen gegen die
herrſchſuͤchtigen Roͤmer auszulaſſen; ja ihr Un-
gluͤck zu beklagen: daß ſie das Verhaͤngnuͤs in
ſolchen Stand und an einen ſolchen Ort verſetzt
haͤtte; da ſie ihren Feinden noch heucheln/ und
ihre Dienſtbarkeit ruͤhmen muͤſten. Endlich ließ
Thußnelda aus dem innerſten ihres Hertzen ei-
nen tieffen Seuffzer aus/ und beſchloß ihre Un-
terredung mit dieſen Worten: Wolte GOtt!
Unſere deutſche Freyheit haͤtte ſonſt keine Fein-
de/ als die Auslaͤnder; ſo wuͤrde ich mir uͤber ih-
rer Gefahr kein graues Haar wachſen laſſen. A-
ber leider! wir ſaͤugen den uns freſſenden Krebs
mit unſern eigenen Bruͤſten/ und wormit ein
deutſcher Fuͤrſt dem andern koͤnne zu Kopffe
wachſen/ ſchaͤmet er ſich nicht ein Fußſchemmel
der Fremden zu werden. Fuͤrſt Herrmann wol-
te fuͤr dißmahl Thußnelden nicht ferner in
Pulß fuͤhlen; um durch fruͤhzeitige Sorgfalt
ihr nicht Urſach zu Verſchluͤſſung ihres Ge-
muͤthes zu geben; ſondern redete allein ihrer
beyder kuͤnfftigen Aufzug derogeſtalt mit ihr
ab: daß ſie wie die zwey Halb-Goͤtter der Na-
harvaler/ Alcis genennt/ welche ohne diß die
Roͤmer fuͤr den Caſtor und Pollux auslegten/
auf der Rennebahn erſcheinen wolten. Auf die-
ſer war zu dem einen Ziele auffgeſtellt das Bild
des Lynceus; welcher den Caſtor getoͤdtet/ aber
von dem Pollux wieder durch eine ihm auf den
Hals geſtuͤrtzte Marmel-Seule erlegt worden.
Das andere Ziel war das Bild des vom Pol-
lux in einem Gefechte erſchlagenen Anycus.
Das dritte Ziel war der vom Blitz in Aſche
verkehrte Jdas; als er den Pollux antaſten
wollen. Nach dem erſten Ziele ward in vollem
Rennen mit dem Bogen/ nach dem andern mit
einem Wurff-Spieſſe geſchoſſen; nach dem
dritten aber mit einer Lantze gerennet. Alle
ſaſſen auf ſchneeweißen Pferden; weil Caſtor
und Pollux in einer Schlacht unter dem Au-
lus Poſtumius wieder die Latiner auff ſolcher
Art Pferden fuͤr die Roͤmer ſollen gefochten; an
ſolche ihre Pferde zu Rom beym Heiligthume
der Veſta gebadet und den Sieg zum erſten an-
gekuͤndiget haben. Derogleichen Beyſtand
und Ankuͤndigung ihnen denn auch in dem
Macedoniſchen Kriege wieder den Koͤnig Per-
ſes nachgeruͤhmet wird. Die Fuͤrſtin Thuß-
nelda glaͤntzte fuͤr allen andern in ihrem Him-
mel-blauen mit ein gewuͤrckten guͤldenen Ster-
nen ſchimmernden Kleidern; gleich als wenn
eine ſolche Goͤttin nicht geringer als mit et-
was himmliſchem bekleidet ſeyn koͤnte; aber
vielmehr mit ihrer unvergleichlichen Schoͤn-
heit und Lebhafftigkeit/ mit welcher letztern ſie
nichts minder alle Roͤmiſche Edelleute/ als mit
der erſten alles Frauen-Zimmer uͤbertraff. Jn
dem Rennen erwieß ſie: wie diß ihr leichteſtes
Handwerck waͤre. Fuͤrſt Herrmann und alle
andere thaͤten ihr Beſtes; um ſich nicht ſo wol
der aufgeſetzten herrlichen Preiſſe/ als der dar-
aus erwachſenden Ehre faͤhig zu machen. Ger-
manicus gewan den Preiß in der Lantze/ Herr-
mann im Wurff-Spieſſe; Thußnelde aber hat-
te dem Lynceus ins rechte Auge/ welches zum
innerſten Hertz-Zwecke ausgeſetzt war/ einen
mit folgenden Worten umſchriebenen Pfeil zu-
geſchoſſen:
Zu aller Anſchauer hoͤchſter Verwunderung
aber ſteckte des Fuͤrſten Herrmanns Pfeil ge-
rade auf Thußneldens Pfeile/ und ſtand daran
mit guͤldenen Buchſtaben geetzt:
Denn die Gewonheit der Perſen: da nemlich
alle Pfeile der in Krieg ziehenden fuͤr dem An-
geſichte des Koͤnigs auf gewiſſe Art bezeichnet
wurden; war bey denen Roͤmern nunmehr
auch/ inſonderheit bey derogleichen Luſt-Spie-
len eingefuͤhret; wormit ein ieder den ſeinigen
von Fremden unterſcheiden konte. Die uͤber
dieſes Rennen geſetzte Richter verwunderten
ſich nicht wenig uͤber dieſe Begebnuͤs/ ſonder-
lich/ da die an denen zwey Pfeilen befindliche
Schrifft klar genung erhaͤrtete: daß beyde
Schuͤſſe nicht ungefaͤhr/ ſondern aus rechter
Kunſt und Vorſatz geſchehen waͤren; Gleich-
wol aber waren ſie uͤber der Zueigung des
Preiſſes nicht wenig zweiffelhafft; ja dardurch
am allermeiſten verwirret: daß ſo wol Thußnel-
de/ als Herrmann mit Anfuͤhrung vieler die-
nenden Urſachen ſich des Preißes enteuſſerten.
Dieſemnach ſie denn nach ſelbſt eigener Bera-
thung des Kayſers beyde veranlaſten mit ein-
ander durch ein neues Bogenſchuͤſſen zu glei-
chen. Viel tauſend begierige Augen waren
gleichſam an das Ziel angehefftet; da denn die
Fuͤrſtin in ihrem Vorrennen dem Lynceus
recht durch das lincke Auge/ Fuͤrſt Herrmann
aber recht durchs Hertze ſchoß; aus welchem ein
derogeſtalt bezeichneter Pfeil gezogen ward:
Jedermann verwunderte ſich abermahls uͤ-
ber beyde ſo kuͤnſtliche Schuͤſſe; und zohe ſie des
Aſterius Meiſterſtuͤcke fuͤr; welcher in der
Schlacht dem Koͤnige Philippus Vermoͤge der
daran befindlichen Schrifft einen ins Auge be-
ſtimmten Pfeil gleichfalls gluͤcklich anbrachte.
Weil aber die Augen einmahl zum Hertzzwecke
ausgeſetzt waren/ und die Fuͤrſtin Thußnelde
dieſen Lynceus auf beyden Augen blind gemacht
hatte/ ward ihr im Pfeil-Schuͤſſen der Preiß
zugeſprochen/ und unter dem Zuruffen des
Roͤmiſchen Volckes von Livien uͤberreichet.
Hierbey aber nahm die kluge Thußnelda ge-
nungſam wahr: wie Fuͤrſt Herrmann ihr nicht
nur mit Fleiße dieſen Preiß zugelaſſen/ ſondern
auch dardurch ſeine abſondere Zuneigung mehr
und mehr gegen ſie beſtaͤrcket hatte. Weil nun
die Unempfindligkeit nur gefrorner Hertzen/
die Bewegung einer zarten Seele Eigenſchafft
iſt/ und ihr Zunder Feuer zu fangen nur einen
Funcken darff/ ſpielte ſich in Thußneldens Her-
tze nach und nach eine ſolche Gemuͤths-Regung/
von der ſie ſelbſt nicht wuſte: ob ihr der Nahme
der Gewogenheit/ oder der Liebe anſtuͤnde.
Denn dieſe zwey Bewegungen graͤntzen ſo ge-
nau und nahe an einander: daß ihre Eigen-
thums-Herren ſie ſelbſt ſo lange Zeit nicht zu
unterſcheiden wiſſen; wo anders ein Menſch
ſich uͤber die Gemuͤths-Regungen/ und nicht
vielmehr dieſe uͤber ihn ſich einer Herrſchafft zu
ruͤhmen hat. Man nehme ſie nur fuͤr eines
oder das ander an/ ſo wuͤrckte ſie keine geringe
Merckmaale ihrer Zuneigung. Denn als der
gantze Hof mit dem Kayſer zu Lanuvium ſich
aufhielt/ und ſie aus Deutſchland Schreiben
und Nachricht erhielt: daß Tiberius biß uͤber
die Weſer geſetzt/ denen Cheruskern nicht ge-
ringen Abbruch gethan/ zum groͤſten Ungluͤcke
Deutſchlands aber der großmuͤthige Feldherr
Segimer Todes verblichen waͤre; meinte die
treuhertzige Thußnelda allerdings unverant-
wortlich zu ſeyn dieſe Nachricht dem Fuͤrſten
Herrmann/ als welchem hieran ſo viel gelegen
waͤre/ zu verſchweigen; zumahl ſie beſorgte: daß
doch Auguſt Segimers Todes-Fall fuͤr ihm ſo
viel moͤglich verborgen halten wuͤrde. Dahero
wie der Kayſer und Livia nach erhaltener Poſt
aus Deutſchland Rath hielten/ veranlaſte
Thußnelda in Geſellſchafft nur zweyer aus
ihrem Frauen-Zimmer den Fuͤrſten Herrmañ
mit ihr den eingefallenen Schau Platz der al-
ten Lateiniſchen Koͤnige und Evanders Burg
S s s s s s s 2zu
[1244[1246]]Achtes Buch
zu beſchauen. Wie ſie nun dahin kam/ fieng
ſie mit waͤßrichten Augen an: Großmuͤthiger
Herrmann und liebſter Vetter; ich muß mich
bald anfangs dieſes Titels gebrauchen; wormit
er theils ſo viel weniger uͤber meiner Vertraͤu-
ligkeit ſich wundere; theils meiner Auffrichtig-
keit ſo viel mehr Glauben gebe. Jch bin Se-
geſthens Tochter; den das Verhaͤngnuͤs Sa-
turnins Tochter Sentia zu heyrathen/ dieſe a-
ber ihn verleitet hat/ mich zu einer Roͤmiſchen
Geißel zu machen. Wolte aber GOtt! ich
haͤtte mit ihr nur eine Stieff-Mutter; Deutſch-
land an ihm keinen Stieff-Vater bekommen!
Alleine leider lich erfahre: daß wenn das Ver-
haͤngnuͤs iemanden zu verterben beſchloſſen
hat/ laͤſt es ihn anfangs von Vernunfft oder
gar von Sinnen kommen. Denn Segeſthes;
welcher fuͤr die Freyheit Deutſchlandes ſo viel
mahl ſein Leben gewagt; ſo viel Blut verſpri-
tzet/ laͤſſet nunmehr allem Anſehen nach die
Hand ſincken/ und hilfft ſein Vaterland ſelbſt
denen Roͤmern dienſtbar machen; gleich als
wenn er mit der Zeit nicht auch wuͤrde einen
Knecht der Roͤmer abgeben muͤſſen. Unſere
ſchlauen Feinde verleiten ihn mit Vertroͤſtung
der Deutſchen Feld-Hauptmannſchafft; da er
doch erwegen ſolte/ mit was Unrecht ſolche dem
Fuͤrſten Herrmann entzogen; und wie Auguſt
Segeſthen hieran nichts/ als den Schatten
entraͤumen; das Hefft aber uͤber das einmahl
uͤberwundene Deutſchland keinem andern aus-
haͤndigen werde. Er lege nicht uͤbel aus/ ver-
trauter Herrmann/ meine freymuͤthige Her-
tzens-Ausſchuͤttung. Denn die Liebe des Va-
terlandes uͤberwiegt die/ welche man den El-
tern ſchuldig iſt. Ja zu bezeugen: daß ich ſei-
nem Rechte mehr/ als dem Wachsthume mei-
nes Geſchlechtes wol wolle; ſo werde ich ge-
zwungen ihm die traurige Zeitung zu bringen:
daß der einige Pfeiler der Deutſchen Frey-
heit/ nehmlich ſein Vater der hochverdiente
Feldherr Segimer verfallen und todt ſey. Jch
weiß wol: daß das Trauren einem friſchen
Schmertze allerdings nicht unanſtaͤndig ſey;
aber das Heil des Vaterlandes/ die Erhaltung
ſeines Volcks/ und die Hoheit ſeines Standes
erfordern dißmahl von ihm trockene Au-
gen/ reiffen Rath/ und eine hertzhaffte Ent-
ſchluͤſſung. Jch bin ohne diß verſichert: daß
dieſen Verluſt ſein Gebluͤte zwar nicht gar un-
empfindlich/ ſein groſſes Gemuͤthe aber nicht
weibiſch aufnehmen; weniger ſeine Klugheit es
gaͤntzlich in Wind ſchlagen; ſondern die Sor-
ge dem Vaterlande zu helffen das kraͤfftigſte
Huͤlffs-Mittel wieder dieſes Betruͤbnuͤs ſeyn
werde. Hertzog Herrmann hoͤrte Thußnel-
den mit unverwendeten Augen/ und unveraͤn-
dertem Antlitze an; ſo lange ſie redete. Als ſie
aber beſchloß; fiel er auff das eine Knie/ umar-
mete Thußneldens/ die diß zu verwehren ver-
gebens ſich bemuͤhte; und fieng an: Jch wuͤrde
den Tod meines Vaters nachdruͤcklicher zu be-
trauren haben; wenn das guͤtige Verhaͤngnuͤs
dieſen Verluſt nicht durch das Geſchaͤncke ei-
ner ſo vollkommenen Freundin ergaͤntzt/ und
Deutſchland mit einer ſo groſſen Schutz-Goͤt-
tin verſorgt haͤtte. Die Noth und der Be-
fehl derſelben; in welcher Hand das Verhaͤng-
nuͤs mein Gluͤck und Ungluͤck vertrauet hat/
erfordert freylich/ mein Bekuͤmmernuͤs nicht
fuͤr eine todte Leiche/ ſondern fuͤr die Erhaltung
des kranckenden Vaterlandes anzugewehren.
Aber die uͤbermaͤßigen Wolthaten der Fuͤrſtin
Thußnelda verbinden mich ſo wol als Deutſch-
land/ nicht alle Kraͤfften dorthin und zu ſeinem
eigenen Beſten; ſondern zum minſten die Helf-
te zu einem unver geßlichen Danck-Maale ge-
gen ſie als unſern Schutz-Stern anzuwenden;
deſſen holden Anblick das ſcheiternde Vater-
land nichts minder/ als ich kluger Wegweiſung
beduͤrfftig bin. Thußnelde/ welche ohne diß
dieſe nachdenckliche Demuͤthigung nicht gerne
ihr/
[1245[1247]]Arminius und Thußnelda.
ihr/ wiewol der Treue und Verſchwiegenheit
halber genungſam gepruͤfftes Frauen-Zimmer
ſehen laſſen wolte/ noͤthigte den Fuͤrſten zum
Wiederauffſtehen; und kamen ſie hieruͤber in
Berathſchlagung: Ob Fuͤrſt Herrmann heim-
lich; oder mit Vorbewuſt und Einwilligung in
Deutſchland reiſen ſolte? Dieſes letztere hielt
Herrmann fuͤr rathſamer; weil der ihm fuͤr ſo
viel treue Dienſte verbundene Auguſt ihn mehr-
mahls verſichert haͤtte: daß er auff Segimers
Todes-Fall ihm nicht nur zur Herrſchafft der
vaͤterlichen Lande/ ſondern gar zu allen Vor-
Elterlichen Wuͤrden behuͤlflich ſeyn wolte.
Diß aber wiederrieth Thußnelda beſtaͤndig.
Denn/ ſagte ſie/ weil die Wolthaten zeitlicher
ihr Andencken/ als die Roſen ihre Blaͤtter ver-
lieren; die Staatsſucht auch mit keiner Tu-
gend groͤſſere Unvertraͤgligkeit hat/ als mit der
Danckbarkeit; doͤrffte die Hoffnung auff Au-
guſtens groſſe Vertroͤſtungen ein ſchlechtes
Gebaͤue auffuͤhren. Zumahl der Kayſer we-
der ſein ſelbſt/ noch ſein Verſprechen zu erfuͤl-
len mehr maͤchtig waͤre; nach dem die ihn
in Haͤnden habende Livia und Tiberius eben
diß und ein mehrers Segeſthen mit vielen
Betheuerungen verfprochen haͤtten; deſſen ſie
beyde zugleich unmoͤglich habhafft ſeyn koͤn-
ten. Dieſemnach waͤre es nichts minder in
dieſem Falle rathſam/ als durchgehends ei-
ne groſſe Klugheit ſich eines ſolchen Herrn
entbrechen/ der ſich durch Vergeltung von
Wolthaten nicht entbinden kan. Denn die-
ſe wuͤrden zwar iederzeit gerne angenommen/
der Wolthaͤter aber nicht gerne fuͤr Augen
geſehen; ja wenn einem ſeine Schwaͤche vol-
lends die Hoffnung treue Dienſte auszuglei-
chen benehme/ verwandelte ſich das erſte Er-
kaͤntnuͤs in eine Abſcheu; und weil die Ver-
bindligkeit nicht auszuleſchen waͤre/ trachtete
man gar den Glaͤubiger zu vertilgen. Wenn
aber auch Auguſt ſo wol den Vorſatz als das
Vermoͤgen haͤtte dem Fuͤrſten Herrmann wol
zu thun; wuͤrde doch der vom Segeſthes neu
entworffene Vorſchlag die Chautzen zu bemei-
ſtern dem Kayſer die Haͤnde binden; und fuͤr
dieſen zur Dienſtbarkeit geneigten Fuͤrſten et-
was auffzuheben/ mit deſſen Schatten Auguſt
immer fort ſeine Hoffnung ſpeiſen; ihn ſelbſt
aber an der Angel fuͤhren koͤnne. Woruͤber
ihr/ wenn ſie daran gedaͤchte/ das Hertze in
tauſend Stuͤcke zerſpringen moͤchte; auch nichts
anders glaubte: denn das die Stieff-Mutter
Sentia ihren Vater bezaubert/ oder wenig-
ſtens verblaͤndet haͤtte. Herrmann befließ ſich
der beſtuͤrtzten Thußnelde zu Liebe auff aller-
ley Weiſe die Schuld von Segeſthen auff ſei-
ne Gemahlin zu ſchieben/ und zu behaup-
ten: daß es leichter waͤre gegen ein gewaff-
netes Heer/ als ein liebreitzendes/ und zu-
gleich Ehrſuͤchtiges Weib beſtehen. Denn
ihre Herrſchafft bemaͤchtigte ſich ihrer eigenen
Gebieter; und dehnete ihre Gewalt uͤber al-
le Schrancken der Leibeigenſchafft aus. Sie
verwechſelte den Genuͤß ihres Leibes mit der
Botmaͤßigkeit uͤber ſeine Seele; ſie vergaͤll-
te das Hertz gegen ſeine Kinder; ſie verhaͤrte-
te ſein Gemuͤthe wieder ſeine eigene Wol-
farth; und weil die groͤſſeſten Rieſen fuͤr ih-
rer Schwaͤche erliegen muͤſten/ wenn ſie
ſchon alle ihre Vernunfft und Kraͤfften zuſam-
men faſten; waͤre ſie keinem Dinge beſſer/ als
dem kleinen Fiſche zu vergleichen/ der ein mit
vollem Segel durch Schaum und Wellen ſtrei-
chendes Schiff/ wie der Kapzaum ein ſchaͤumen-
des Pferd hemmete und anhielte. Hierauf gab
er beſcheidentlich nach: daß Thußneldens Rath
auff unumſtoßliche Seulen gegruͤndet; und es
in Geheim von Rom ſich zu machen ſicherer waͤ-
re; wiewol Auguſt deßhalben eine Urſache vom
Zaune zu brechen/ und Gelegenheit ihn fuͤr
Feind zu erklaͤren nehmen koͤnte. Allein es
laͤge ihm ein ander Stein auff dem Hertzen;
S s s s s s s 3der
[1246[1248]]Achtes Buch
der ſeiner Reiſe am Wege laͤge/ den er aber auf
die Seite zu raͤumen ſich nicht uͤberwuͤnden
koͤnte. Thußnelden war dieſer tunckele Ein-
wurff zwar etwas nachdencklich; iedoch hatte
ſie ihre Unterredung ſchon ſo vertiefft: daß ſie
nicht vorbey konte nach dieſem Hindernuͤße zu
fragen. Herrmann faͤrbte ſich hieruͤber/ und
antwortete nach einem kurtzen Stillſchweigen
und Seuffzer: Vollkommenſte Thußnelda/
mein bloſſes Stillſchweigen iſt ſchon Redner
genung meines Schmertzens/ iedoch begreifft
es in dem/ daß ich nichts ſage/ bey weitem nicht
alles/ was meine Seele in ihr empfindet. Thuß-
nelda ſtellte ſich; als wenn ſie ſeine Meynung
gar nicht verſtuͤnde/ und antwortete: Es waͤre
unſchwer zu ermeſſen: daß das Schweigen kei-
nen richtigen Abdruck der Gedanckenab geben
koͤnte; nach dem ſo gar die Sprache ein unvoll-
kommenes Nachgemaͤhlde des Gemuͤthes waͤ-
re. Sie glaubte wol: daß nichts ſchlechtes ſei-
ne Entſchluͤſſung hemmete; alleine ſolchen Hel-
den muͤſten auch Klippen aus dem Wege tre-
ten. Alle Unterfangungen in Zentner-Sa-
chen doͤrfften ein Loth Vermaͤſſenheit; und die
Rathſchlaͤge waͤren zuweilen denſelben Ge-
waͤchſen gleich zu halten/ die man nicht muͤſte
laſſen reiff werden. Denn wie dieſe mit ihrer
Saͤuerkeit den angenehmſten Geſchmack mach-
ten; alſo ſchluͤgen fruͤhe und unreiffe Schluͤſſe
offt gluͤckſeliger aus/ als die man gleichſam duꝛch
allzuſor gfaͤltige Ausbruͤtung veraͤrgerte. Her-
tzog Herrmann fieng hierauff mit einem freu-
digen Geſichte an: Er wuͤrde ſich niemahls un-
terwunden haben ihr mit eroͤffneter Hindernuͤs
ſeine innerliche Wunden zu entdecken; wenn
ſie nicht der Vermaͤſſenheit ſelbſt das Wort ge-
redet; und ihm dardurch zwar ſeine Beſchwer-
de nicht zu erleichtern; iedoch ſeiner innerli-
chen Glut durch dieſe Ausrauchung ein wenig
Lufft zu machen Anlaß gegeben haͤtte. Sein
Anliegen waͤre dieſes groſſe: daß er von einer ſo
vollkommenen Fuͤrſtin ſo viel; an ihm ſelbſt a-
ber ſo wenig Vergnuͤgen findete; welches hin-
gegen ihr einlges Belieben an ihm geben koͤnte.
Gleichwol aber hielte er dieſe ſeine Regung ihm
mehr fuͤr eine Ehre/ als fuͤr ein Leiden; weil er
dardurch den Ruhm erlangte: daß er faͤhig waͤ-
re nichts minder eine ſo groſſe Pein auszuſte-
hen; als nichts anders/ denn die groͤſte Voll-
kommenheit lieb zu gewinnen. Thußnelde
roͤthete uͤber dieſen letzten Worten ihre ohne diß
denen friſchen Morgen-Roſen gleiche Wan-
gen/ und verſetzte ihm laͤchelnde: Sie wuͤſte gar
wol ihre Gebrechen/ und die Art ſo hoͤflicher
Fuͤrſten; welche meiſtentheils ihrer gemeinſten
Verbindligkeit den Nahmen einer ſo hefftigen
Liebesregung gaͤben; in Meynung: daß das
Frauen-Zimmer ſich nichts minder/ als ein-
faͤltige Kinder an den Schalen der Sachen zu
beluſtigen pflegte. Sie nehme es inzwiſchen
entweder fuͤr einen Schertz auf; oder vergnuͤg-
te ſich mit der bloſſen Wolgewogenheit eines ſo
vollkommenen Fuͤrſten. Herrmann verſetzte:
Es waͤre nichts minder eine Art der empfind-
lichſten Grauſamkeit einen Krancken uͤberre-
den: daß er geſund ſey; und das hefftigſte Feuer
der Liebe einen zu Waſſer machen wollen; als
eine Verdoppelung der Pein; wenn man dieſe
gewaltſame Gl[u]t in der Hoͤle des Hertzens zu
erſtecken trachtete. Mit dem letztern haͤtte er
ſich zeither faſt zu tode gequaͤlet; daher hoffte er:
ihre Guͤtigkeit wuͤrde nicht verhaͤngen: daß die
Entdeckung ſeiner inbruͤnſtigſten Liebe ihm nur
deßwegen den Lebens-Athem erhalten haͤtte;
wormit er durch ihre Unbarmhertzigkeit in euſ-
ſerſte Verzweifelung verſetzt wuͤrde. Jhm waͤre
nicht unbekandt: daß die Liebe nichts minder
als Epheu ohne einige Wartung das groͤſte
Wachsthum erlangte; ja daß ſie eben ſo durch
Verachtung wie gluͤende Steine durch ange-
ſpritztes Waſſer mehr erhitzet wuͤrden; aber
ſeine Liebe uͤberſtiege ohne diß die Groͤſſe aller
andern/ und ſeine Seele waͤre geſchickter ein-
geaͤſchert/ als mehr angezuͤndet zu werden.
Dem
[1247[1249]]Arminius und Thußnelda.
Dem Himmel wuͤrde zwar zugetrauet: daß er
durch Donner und Blitz der Erde Fruchtbar-
keit befoͤrderte; aber vielfaͤltig mahl mehr nuͤ-
tzete ein ſanffter Regen. Alſo wuͤrde ſie an ſei-
nem durch ihren guͤtigen Anblick angezuͤndeten
und nach und nach verglimmenden Hertzen ein
ſuͤſſer Opffer genuͤſſen; als wenn ſie durch ihre
unbarmhertzige Strahlen ſelbtes auff einmahl
in Grauß und Staub verwandelte. Die leut-
ſelige Fuͤrſtin begegnete ihm hingegen: wenn
ſie nicht wuͤſte: daß die Haͤrtigkeit kein noth-
wendiges Kennzeichen eines zuͤchtigen Gemuͤ-
thes waͤre; ſondern ſich auch ohne Befleckung
der Ehre eine unerlaubte Anmuthung mit
Glimpff ablehnen lieſſe; wuͤrde ſie ſchier ge-
zwungen werden ihn mit einer ernſtern Ge-
behrdung anzuweiſen: daß er derſelben nichts
abheiſchen ſolte/ was ſie zu erlauben ſelbſt nicht
berechtiget waͤre. Aber ſie wolte zum minſten
ihre Gelindigkeit dar durch erweiſen: daß ſie ihm
ſelbſt ſo viel Zeit entraͤumte; ſeine Entſchluͤſ-
ſung zu uͤberlegen; als ſeine Regung ſich wie-
der zu beſtillen von noͤthen/ er aber die Ehre
haͤtte ohne fremde Huͤlffe geneſen zu ſeyn. Deñ
Zeit und Abweſenheit waͤren nicht nur die
aufjaͤhrenden Bewegungen der Jugend zu
daͤmpffen; ſondern auch tieff eingewurtzelte
Entſchluͤſſungen zu vertilgen maͤchtig. Jch
geſtehe es/ antwortete Herrmann: daß die
Kuͤhnheit meiner Liebe keiner Entſchuldigung;
ihre Hefftigkeit aber keiner Verſchwindung faͤ-
hig/ und weder die Zeit/ noch einige andere
Kraͤfften ſelbte zu tilgen geſchickt ſind. Denn
wie die von dem Schweiße der Morgenroͤthe
empfangene Perle ſo feſte verwahret iſt: daß
ſelbte ohne Zerdruͤmmerung der Muſchel/ und
Toͤdtung ihrer Mutter ihr nicht kan entfrem-
det werden; alſo wird das in meinem Hertzen ſo
feſt verſchloſſene Bild Thußneldens der un-
ſchaͤtzbaren Perle dieſer Welt ohne gaͤntzliche
Zernichtung meines Weſens mir nimmermehr
geraubt/ ja die ſelbtes verwahrende Flamme
meiner Liebe durch den von ihrer Grauſamkeit
mir zuwachſenden Tod ſelbſt nicht ausgeleſcht
werden. Dieſe Worte brachte der tapffere Herr-
mann mit ſo durchdringender Gebehrdung fuͤr:
daß Thußnelden die Augen uͤber giengen; und
ſie ſich kaum erholen konte ihm wiewol mit halb-
verbrochenen Worten zu ſagen: Lebe Herr-
mann/ dem Vaterlande und derſelben zu Lie-
be; welche dir mehr als gewogen ſeyn wuͤrde;
wenn ſie ihr ſelbſt iemanden zu lieben gebieten
koͤnte. Hertzog Herrmann/ welcher ſich ehe
von Thußnelden eines Todes-Urthels/ als ei-
ner ſo holdſeligen Erklaͤrung verſehen haͤtte/
wuſte fuͤr Freuden kein Wort aufzubringen/
ſondern ſenckte ſich nieder ihre Knie zu umfan-
gen. Thußnelde aber reichte ihm ſolche Er-
niedrigung gleichſam zu verwehren ihre Hand/
die er als ein ſicheres Pfand nicht nur ihrer Ge-
wogenheit/ ſondern wahrhafften Liebe mit der
hoͤchſten Empfindligkeit kuͤſſete/ biß ſie ſelbte
zuruͤck zu ziehe n genoͤthiget ward; weil eine ih-
res Frauen-Zimmers ſich ihnen naͤherte/ und
Bericht brachte: daß der Kayſer den Rath ge-
endiget/ und Livia nach ihr gefragt haͤtte. Wel-
che denn Thußnelden nicht ohne Nachdencken
etliche Tage nicht von ihrer Seiten ließ; alſo:
daß Hertzog Herrmann keine Gelegenheit zu
finden vermochte/ den letzten Schluß ſeiner
Reiſe vertraͤulich abzureden.
Jnzwiſchen kam ein deutſcher Edelmann
zum Hertzog Herrmann/ der ſich unter die vom
Segeſthes nach Rom gehende Geſandſchafft
verſtecket hatte; und brachte ihm vom Fuͤrſten
Jngviomer Schreiben des Jnnhalts: Daß
Tiberius etliche mahl mit den Deutſchen ſon-
der einigen Vortheil geſchlagen; ja der Ritter
Stirum ihn bey nahe ſelbſt erlegt haͤtte. Her-
tzog Segimer waͤre auch bereit fertig geweſt
denen Bructerern zu Huͤlffe zu kommen. Die-
ſes zu hintertreiben haͤtte Tiberius die ſeinem
Sohne zu Rom wiederfahrende Wolthaten
mit vertroͤſteter Freylaß- und Verſprechung
guͤldener
[1248[1250]]Achtes Buch
guͤldener Beꝛge heraus geſtriechen; iedoch nichts
zu erhalten vermocht; ſondern nur von Segi-
mern zur Antwort bekommen: daß er lieber ſei-
nen Sohn in Band und Eiſen/ als ſein Va-
terland dienſtbar wiſſen; auch ehe ſterben/ als
ſein Land von der Gnade eines Auslaͤnders be-
ſitzen wolte. Zu letzt haͤtte Tiberius in einem
Schreiben ihm noch angeboten: daß/ wenn er
nur ruhig bleiben/ und denen Caninefaten und
Attuariern keine Huͤlffe leiſten wolte; der Kay-
ſer ihm wieder die Quaden unter ſeine Bot-
maͤßigkeit lieffern/ und den Vannius ſeines
Reiches entſetzen wolte. Uber Erbrechung
dieſes Schreibens waͤre Hertzog Segimer au-
genblicklich uͤber einen Hauffen gefallen/ haͤtte
im gantzen Leibe eine uͤbernatuͤrliche Hitze be-
kommen; alſo: daß ſein Verſtand alſofort waͤre
verwirret/ und nach dreyen Stunden/ unge-
achtet aller Artzney-Mittel/ ſein Helden-Geiſt
aus dem Gefaͤngnuͤſſe des ſterblichen Leibes zu
groſſem Betruͤbnuͤs gantz Deutſchlands befrey-
et worden. Daher man nicht anders ſchluͤſſen
koͤnte/ denn daß dieſer Brieff mit einem fluͤ-
genden und uͤberaus hefftigen Giffte muͤſſe ſeyn
angeſtaͤubt geweſt. Er haͤtte zwar inzwiſchen/
als nechſter Anverwandter/ ſtatt ſeiner bey den
Cheruskern ein und andere gute Anſtalt ma-
chen/ und denen bedraͤngten Deutſchen mit ze-
hen tauſend Cheruskern Beyſtand leiſten wol-
len; allein dem erſtern haͤtten ſich etliche herꝛſch-
ſuͤchtige Koͤpffe entgegen geſetzt/ die groſſe
Macht des Tiberius aber die Bructerer und
Cherusker uͤber die Weſer zu weichen; wie auch
Segodun und die Cattenburg zu verlaſſen. Al-
ſo ſtuͤnden nun die Cherusker in hoͤchſter Be-
kuͤmmernuͤs und Verwirrung; wuͤſten ſich auch
auff keinen andern Ancker/ als alleine auf ihn/
als ihre noch einige Hoffnung/ zu verlaſſen.
Hertzog Herrmann ward uͤber ſolcher Todes-
Art ſeines Volckes und dem Nothſtande ſeines
Volckes ſo wehmuͤthig: daß ihm etliche Thraͤ-
nen auf Jngviomers Brieff fielen. Sintemahl
doch auch die Helden nicht Hertzen aus Ertzt/
und Augen aus Diamant haben. Vom
Kayſer Urlaub zu nehmen/ ſchiene nach der
zwiſchen den Roͤmern und Cheruskern auffs
neue entſtandener Feindſchafft ſo viel mehr
gefaͤhrlich; ins geheim zu entweichen waͤre
nicht allein ein undanckbares Mißtrauen/
ſondern ſchiene auch ſeinem Treu und Glau-
ben abbruͤchig zu ſeyn; welches die redli-
chen Deutſchen ihrem Leben weit vorſetzten.
Weil nun Hertzog Herrmann bald anfangs/
als er gefangen einbracht ward/ dem Kayſer ſein
Wort: ohne ſeinen Willen nir gendshin zu ent-
weichen/ gegeben/ Auguſt aber den Fuͤrſten
Herrmann deſſen nie ausdruͤcklich erlaſſen hat-
te; ſtanden ihm dieſe erhebliche Bedencken al-
lerdinges im Wege ſeinen Vortheil zu erſehen;
und ſich aus des Kayſers Gewalt zu ziehen.
Denn ob wol denen feſtgeſetzten Gefangenen
das Recht der Flucht in alle Wege zuſtehet; lei-
det doch diß einen Abſatz; wenn ein Gefange-
ner mit nichts gewaltſamen/ ſondern allein mit
ſeinem Angeloͤbnuͤs zu bleiben beſchrenckt wird.
Ob nun wol Hertzog Herrmanns gantzer Zu-
ſtand ſamt ſeiner Gefangenſchafft durch ſeine
in Armenien geleiſtete Kriegs-Dienſte/ und ſei-
ne zu Rom erworbene Wuͤrden veraͤndert zu
ſeyn ſchien/ hielt er doch die Hoheit der Fuͤrſten
an ihr ſelbſt fuͤr unveraͤnderlich; und ihr Wort
ſo hoch: daß deſſelbten Beobachtung keinen
ſpitzfindigen Abſatz vertruͤge; und ein Fuͤrſt
Treu und Glauben zu halten verbunden ſey;
wo gleich einem Niedrigen uͤber die Schnure
zu hauen uͤberſehen werden koͤnte. Denn wenn
Treue und Auffrichtigkeit gleich in der gantzen
Welt verſchwinde; ſolte ſie doch in den Hertzen
eines Fuͤrſten ihre Wohnſtatt behalten. Dieſe
Bedencken hielt er auffs neue ſeiner geliebten
Thußnelde fuͤr/ welche denn entweder ihrer
Wichtigkeit halber/ oder weil das in ihren Her-
tzen ſich ielaͤnger ie mehr vergroͤſſernde Liebes-
Feuer an ſeiner annehmlichen Anweſenheit
abzu-
[1249[1251]]Arminius und Thußnelda.
abzukuͤhlen verlangte/ ihre erſtere Meynung
verließ und ſeiner Gedancken ward: daß er noch
zu Rom bleiben/ und ſeinem Vetter Jngviomer
inzwiſchen die Beobachtung ſeiner Laͤnder an-
vertrauen ſolte. Wie denn auch der Kayſer ihm
nach etlichen Tagen ſelbſt den Tod ſeines Va-
ters vermeldete; und andeutete: Er moͤchte zu
Rom bleiben/ biß Tiberius zuruͤck kaͤme/ und er
den wahren Zuſtand Deutſchlands vernaͤhme/
alſo deßhalben mit ihm ein ſicheres Abkommen
treffen koͤnte.
Hertzog Herrmann theilte bey dieſer Be-
ſchaffenheit gleichſam ſein Hertze; in dem die ei-
ne Helffte ſich an der Gewogenheit Thußnel-
dens erquickte/ die andere aber ſich uͤber dem
Nothſtande ſeiner Unterthanen ſchier zu Tode
graͤmete. Hieruͤber kam Tiberius und Se-
geſthes nach Rom; bey welchem letztern ſich
Hertzog Herrmann durch ſeine unver gleichliche
Leibes- und Gemuͤths-Gaben; inſonderheit a-
ber durch die Erklaͤrung: daß er bey ſo verwirr-
tem Zuſtande Deutſchlands Segeſthen/ als ei-
nem Fuͤrſten des Cheruskiſchen Hauſes/ die
Feldhauptmannſchafft fuͤr allen Fremden von
Hertzen goͤnnte/ derogeſtalt einliebte: daß er ihm
nicht nur verſprach beym Kayſer ſein Wort aufs
beſte zu reden/ und die Herrſchafft uͤber ſeine vaͤ-
terliche Laͤnder zu wege zu bringen; ſondern
auch hernach/ als Auguſt Segeſthen noch zuvor
kam/ und vermerckte: wie er den um ihn ſo ſehr
verdienten Hertzog Herrmann allerdings zum
Beſitzer der Cheruskiſchen Laͤnder wiſſen wolte/
ihm ſeine Tochter Thußnelda zu mehrer Befe-
ſtigung ihrer alten Freundſchafft zu vermaͤhlen
antrug. Und dieſes zwar geſchahe eben ſelbi-
gen Tag/ als Auguſt ihm andeutete: daß er mit
Segeſthen zu Beherrſchung ſeines Erbtheils
nunmehr in Deutſchland verreiſen moͤchte; und/
wenn er denen Feinden der Roͤmer keinen Bey-
ſtand leiſtete/ als er von ihm ſich keines Weges
verſaͤhe; waͤre Sentius Saturnin noch befeh-
licht ihm wieder alle Cheruskiſche Feinde huͤlff-
bar zu ſeyn. Hertzog Herrmann/ wie groß ſein
Gemuͤthe gleich war/ vermochte dieſe zweyfache
Gluͤckſeligkeit kaum zu begreiffen; Sintemahl
er Thußneldens Beſitzthum weit hoͤher/ als die
Beherrſchung der gantzen Welt ſchaͤtzte. Thuß-
nelda ward ebenfalls von Segeſthen uͤber der
angezielten Heyrath vernommen; welche denn
dem Willen ihres Vaters zu gehorſamen ohne
einige Bedingung ſich erklaͤrte; weil ſie hier-
durch nichts minder die hoͤchſte Vergnuͤgligkeit
der Welt; und wornach ihre Seele zeither in ge-
heim geſeuffzet hatte/ zu uͤberkommen hoffte.
Alleine/ wie ins gemein eine groſſe Windſtil-
le ein Vorbothe eines groſſen Ungewitters iſt;
alſo ward der dieſe zwey Verliebten anblickende
Soñenſchein bald in eine ſchwartze Betruͤbnuͤs-
Wolcke verwandelt. Gleich als wenn das Ver-
haͤngnuͤs auch denen tugendhaffteſten Gemuͤ-
thern nicht zutraute: daß ſelbte nicht bey unun-
terbrochener Gluͤckſeligkeit ſolten in Wolluͤſte
verſenckt/ und wie der zaͤrteſte Alabaſter von ſo
vielen Thau - Tropffen anlachender Anmuth
fluͤßig gemacht werden; oder weil es vor hatte
durch den Vorſchmack ſo vieler Bitterkeiten die
letztere Añehmligkeit ſo viel mehr zu verzuckern.
Tiberius kriegte in dem Tempel der Venus/
welchen Pompejus uͤber ſeinen Schauplatz ge-
bauet hatte/ die ſchoͤne Fuͤrſtin Thußnelda das
erſte mahl zu Geſichte. Dieſer Anblick verwirꝛte
anfangs ſeine Augen: daß ſie nicht zu unterſchei-
den wuſten: ob ſie einen Menſchen/ oder die Goͤt-
tin ſolchen Heiligthums erkieſeten; bald hierauf
aber nahm er ſein Gemuͤthe derogeſtalt ein: daß
er ſich fuͤr geendigtem Opffer entfernen/ Lirien
aber bekennen muſte: daß er auſſer Thußnelden
kein Frauenzimmer nimmermehr ſeines Bey-
ſchlaffs/ weniger ſeiner Liebe/ am wenigſten ſei-
nes Ehbettes wuͤrdigen wolte. Von welcher
Heftigkeit der Liebe Tiberius ſo gar erkranckte/
ſonderlich/ als ſich mit ihr die Eyverſucht ver-
einbarte/ und Tiberius durch ſeine Kundſchaff-
ter die Heimligkeit erforſchte: daß Thußnelda
Erſter Theil. T t t t t t tſchon
[1250[1252]]Achtes Buch
ſchon dem Fuͤrſten Herrmann ihr Hertze geeig-
net hatte. Daher Livia genoͤthigt ward ihm
hierinnen huͤlffbare Hand zu leiſten; ungeachtet
ſie alles auslaͤndiſche Frauen-Zimmer fuͤr ihren
allbereit zum Kayſerthume beſtimmten Sohn
viel zu geringe/ oder doch ihrem Abſehen nicht
vortraͤglich/ ja den Kayſer ſolcher Heyrath ſelbſt
wiedrig ſchaͤtzte. Nach dem ſie nun durch viel
kraͤftige Vertroͤſtungen ſeiner erſteꝛn Schwach-
heit mercklich abgeholffen hatte; beredete ſie mit
dem Tiberius: daß er beym Fuͤrſten Sege-
ſthes/ Livia bey Thußnelden ohne einigen Um-
ſchweiff ſein Wort anbringen ſolte; in Mey-
nung: daß beyde dieſes ungemeine Gluͤcke mit
beyden Haͤnden umarmen wuͤrden. Weil ih-
ren Gedancken nach der Poͤfel nur nach Lie-
be/ Fuͤrſten aber nach ihrem Vortheil heyrathe-
ten. Tiberius richtete durch ſeinen erſten Vor-
trag bey dem Ehrſuͤchtigen Segeſthes ſo viel
aus: daß er ihm zu willfahren ſich allerdings
verknipffte/ wenn er anders ſich ſeines dem
Hertzog Herrmann bereit gegebenen Jaworts
mit Ehren entbrechen koͤnte. Dieſes war der
einige Ruͤgel/ welcher nicht ſo bald aus dem
Hertzen dieſes von ſeiner Geburts-Art ſonſt
ziemlich entfernten Deutſchen wegſchuͤben zu
laſſen moͤglich ſchien. Sintemahl doch die ver-
aͤnderten Gemuͤther nichts minder/ als die in
fremde Laͤnder verſetzten Gewaͤchſe noch allezeit
etwas von der Eigenſchafft ihres Uhrſprungs
behalten muͤſten. Alleine Segeſthens hoch-
muͤthige Gemahlin Sentia war nicht nur
Meiſterin uͤber ihres Ehmanns Hertz; ſon dern
auch uͤber die Natur; brachte es alſo unter dem
Schein: daß Vermoͤge der Roͤmiſchen Geſe-
tze/ denen er ſich in der Stadt Rom allerdings
bequemen muͤſte/ auch wuͤrcklich vollzogene
Vermaͤhlungen aus geringern Urſachen auff-
loͤßlich/ die Staats-Geſetze auch aller Ver-
wandſchafft; die Vergroͤſſerung ſeines Ge-
ſchlechtes allem andern Abſehen uͤberlegen
waͤren; ſo weit: daß Segeſthes den dritten
Tag ſeine Tochter dem Tiberius zu verlo-
ben verſprach. Viel anders aber lieff es auf
Liviens Seiten ab. Denn Thußnelde ſetzte
ihrer Heyraths-Werbung entgegen: daß des
Tiberius wie anderer ſo groſſer Leute Liebe ins
gemein Schertz oder Verſuchung waͤre; und
ſie ihr von ihm ſo viel weniger Zuneigung ein-
zubilden haͤtte; weil die liebreitzende Julia ihn
zu vergnuͤgen viel zu kalt geweſt waͤre; nach ih-
rer Ehtrennung aber er ein Geluͤbde kein Weib
mehr zu heyrathen gethan haͤtte. Dieſemnach
ſie ſich denn fuͤr ſeine Gemahlin zu geringe/ fuͤr
ſein Kebsweib zu vornehm ſchaͤtzte. Als aber
Livia mit groſſen Betheuerungen ſie ſeiner eh-
lichen Liebe verſicherte; ſchuͤtzte ſie fuͤr: daß ih-
rer beyder Vermaͤhlung ihrem Geſchlechte
nachtheilig/ dem Tiberius aber noch ſchaͤdlicher
ſeyn wuͤrde. Denn ihrer ſeits wuͤrde dieſe Ver-
knipffung ihrem Vater/ welchen ohne diß ſeine
Sentia allen Deutſchen verdaͤchtig machte/
den aͤrgſten Haß ihres Vaterlandes auff den
Halß ziehen; Tiberius aber nichts minder als
Antonius durch Cleopatrens Heyrath ſich der
Roͤmiſchen Herrſchafft verluſtig machen. Sin-
temahl die Roͤmer nichts unleidlicher/ als frem-
den Frauenzimmers Hoheit in Rom vertragen
koͤnten. Livia bemuͤhte ſich zwar euſſerſt ihr
dieſe Bedencken auszureden/ und einzuhalten:
wie Kayſer Julius mit der Koͤnigin Cleopatra
und Eunoͤe ſo vertraͤulich gelebt/ Auguſt des
Koͤnig Cotiſons Tochter zu heyrathen fuͤr gehabt
haͤtte; inſonderheit aber nunmehr des Roͤmi-
ſchen Kayſerthums Verfaſſung ſo feſte geſetzt
waͤre: daß kein Menſch das Hertze haͤtte des
Kayſers Liebe oder anderes Thun zu recht-
ſertigen. Alleine Thußnelda ſagte Livien rund
heraus: daß ſie dem Fuͤrſten Herrmann bereit
verlobt waͤre; und alſo in ihrer Gewalt nicht
ſtuͤnde auch dem groͤſten Herrſcher der Welt mit
dem zu betheilen/ was ſie ſchon dieſem Helden
mit ihres Vaters Willen zugeeignet haͤtte.
Hiermit muſte Livia fuͤr dißmahl abziehen. Wie
ſie
[1251[1253]]Arminius und Thußnelda.
ſie aber vom Tiberius erfuhr: daß Segeſthes
ſchon auf einen andern Weg und ſeine Seite
gebracht war; meinte ſie den vorhin vergebens
angetaſteten Baum der Beſtaͤndigkeit durch
noch einen kraͤfftigen Hieb/ wordurch viel Hel-
dinnen geworben worden/ zu faͤllen; und Thuß-
nelden durch fuͤr geſtellte Veraͤnderung des vaͤ-
terlichen Willens/ welcher allezeit den Kindern
am heilſamſten zu rathen pflegte; durch fuͤrge-
bildete zulaͤßliche Bereuung uͤbereilter Ver-
loͤbnuͤſſe/ und die ihr hierdurch zuwachſende
hoͤchſte Wuͤrde der Welt/ nach welcher ſo viel
tauſend Seelen laͤchſeten/ zu gewinnen. Alleine
die tugendhaffte Thußnelde nahm alle dieſe Lo-
ckungen fuͤr dieſelbigen Sonnen-Strahlen an;
welche/ um den Himmel mit den ſchwaͤrtzeſten
Wolcken zu verſtellen/ die unſauberſten Duͤnſte
empor ziehen; blieb alſo wie ein unbeweglicher
Fels auf ihrer erſten Entſchluͤſſung ſtehen.
Wormit auch Livia und Tiberius ihnen ſo viel
weniger Hoffnung machen/ und ſie mit weitern
Verſuchungen nicht quaͤlen moͤchten; beſchloß
ſie ihre Beantwortung mit dieſen nachdruͤckli-
chen Worten: daß kein menſchlicher Witz/ keine
Gewalt der Welt/ ja das Verhaͤngnuͤs ſelbſt
nicht durch was anders/ als den Tod ihr und
Hertzog Herrmanns Buͤndnuͤs zu zerreiſſen
maͤchtig waͤre. Als dieſe Wellen an Thußnel-
dens ſo feſt geanckerter Liebe nun auch zerſchei-
tert wurden; wolte Segeſthes mit dem Nach-
drucke ſeiner vaͤterlichen und mit denen hefftig-
ſten Bedruungen aus geruͤſteter Gewalt durch-
brechen. Thußnelda aber/ nach dem ſie mit
tieffſter Demuth und kindlicher Ehrerbietung
das ſteinerne Hertze ihres unerbittlichen Va-
ters nicht zu erweichen vermochte; ruͤhrte ihm
durch Fuͤrſtellung der denſelbten zuhaͤngenden
Goͤttlichen Rache/ welche das einmahl feſte
Band der heiligen Eh aus irrdiſchem Abſehen
zerreiſſen; und der ungluͤckſeligen Heyrathen;
welche man durch Zwang verknuͤpffte/ ſein Ge-
wiſſen; ihm vorbildende: daß dieſe zwar ein zu-
ſammen gedrungener/ aber die Gemuͤther kei-
nes vereinbarender Knoten; oder vielmehr ei-
ne Sonnen-Finſternuͤs der Seele waͤren; da
zwar die zwey groſſen Welt-Lichter auff einem
Puncte zuſammen gehefftet ſchienen/ in War-
heit aber von einander nicht nur weit entfernet
ſtuͤnden; ſondern auch der Glantz des allerſchoͤn-
ſten Welt-Auges durch ſolche Vermaͤhlung
entkraͤfftet und gleichſam verleſcht wuͤrde. Als
aber der gluͤende Stein des unbarmhertzigen
Vater-Hertzens durch die Thraͤnen dieſer aͤng-
ſtigen Tochter noch immer mehr entzuͤndet
ward/ und Segeſthes Thußnelden auf den Fall
fernerer Weigerung Laub und Graß verſagte;
fiel ſie endlich mit halb-verzweiffelnder Weh-
muth ihm zu Fuße; erzehlte/ ſo viel ihre Jung-
fraͤuliche Schamhafftigkeit zuließ/ die dem Se-
geſthes vielleicht fremden Laſter des Tiberius.
Jnſonderheit/ wie er in der Schwaͤlgerey und
Unzucht gantz erſoffen waͤre/ bey dem bekand-
ten und von dem Auguſt ſelbſt aller Ehren ent-
ſetzten Huren-Wirthe Seſtius Gallius etliche
Jahre zubracht/ ſich bey Tiſche von eitel nackten
und unkeuſchen Weibern bedienen laſſen; ſeine
Gemaͤcher mit den ſchandbarſten Bildern und
Buͤchern/ ſeine Luſtgaͤrte und Hoͤlen mit den
aͤrgerlichſten Saͤulen angefuͤllet; und/ nach dem
ihn endlich ſeine unerſaͤttliche Geilheit auf un-
natuͤrliche Luͤſte verleitet/ ihn alles Frauenzim-
mer angeſtuncken; alſo Segeſthes zu erwegen
habe: Ob ſie dieſem garſtigen Unflate ihre reine
Seele ohne euſſerſte Entſetzung wiedmen koͤn-
te. Wie Segeſthes aber dennoch unbeweglich
blieb/ zohe ſie einen unter ihrem Rocke verbor-
genen Dolch herfuͤr/ reichte ſelbten dem Sege-
ſthes/ und beſchwur ihn bey der Liebe/ welche die
Natur in die Hertzen der Elterlichen Seelen
pflantzete: Er moͤchte mit dieſem Stahle ihr
lieber den Drat des Lebens/ als das Verlo-
bungs-Band des Fuͤrſten Herrmanns zerker-
ben; Weil ſie doch mit keinem andern leben
koͤnte/ ſondern mit ſeinem Verluſte ohne diß
T t t t t t t 2Athem
[1252[1254]]Achtes Buch
Athem und Seele einbuͤſſen muͤſte. Sege-
ſthes ward hierdurch derogeſtalt geruͤhret; ſon-
derlich/ als er ſie gantz erblaſſen und halb todt
zur Erden ſincken ſahe: daß er ſonder einiges
Wort ſich aus dem Zimmer entbrach/ und in
den Vorgemache ihrem Frauenzimmer befahl
Thußneldens wahrzunehmen. Dieſe blieb
bey nahe zwey Stunden/ ungeachtet aller ge-
brauchten Erquickungen/ in dieſer Unem-
pfindligkeit; und zwar vielleicht zu Erleichte-
rung ihres uͤbermaͤßigen Schmertzens. Denn
die Ohnmacht hindert mehrmahls: daß man die
Galle des Ungluͤcks nicht allerdinges ſchme-
cket; und erhaͤlt die bißweilen im Leben/ die ſonſt
bey voͤlligem Erkaͤntnuͤs ihres Elends ver-
ſchmachten/ oder fuͤr uͤbriger Beſtuͤrtzung Ver-
ſtand und Vernunfft verlieren wuͤrden. Wie
ſie ſich nun gleich ein wenig erholte; ward ſie
doch von einer ſolchen Schwachheit und Hertz-
klopffen bedraͤngt: daß ſie bettlaͤgerig bleiben
muſte. Und der Kummer: daß ihre andere
Seele Hertzog Herrmann von dieſem Unfalle
zu ſeiner Beunruhigung nicht Wind bekom-
men moͤchte; ließ ihren Augen nicht den wenig-
ſten Schlaff zu. Wiewol ihr nun alle Glieder
bebten/ und ſie faſt keinen Finger nach ihrem
Verlangen ruͤhren konte; ſo gab ihr doch/ als ſie
vernahm: daß Tiberius folgenden Tag Liviens
Geburts-Tag mit einem praͤchtigen Gaſtmah-
le feyern wolte/ und ſeinen verhaſten Neben-
Buhler den Hertzog Herrmann gleichfalls ein-
geladen hatte/ die Sorge fuͤr ſein Heil ſo viel
Kraͤfften: daß ſie ihm ſchrieb: Weil ſie aus wich-
tigen Urſachen den Tiberius fuͤr ſeinen Tod-
feind hielte; moͤchte er bey ſeiner Taffel; worvon
er ſich freylich ohne ſeinẽ Haß zu veraͤr gern nicht
entbrechen koͤnte/ ſeines Lebens wol wahrneh-
men. Herrmañ kam alſo mit der ihm vorgeſetztẽ
Behutſamkeit zum Tiberius/ ruͤhꝛte keine Spei-
ſe an/ worvon nicht der Kayſer und Livia vorher
geſſen hatten; ließ ihm Waſſer und Wein ſeine
Deutſchen einſchencken. Tiberius nahm die-
ſes wahr; und hatte es Noth: daß dieſer Mei-
ſter in Verſtellungen ſeine Empfindligkeit nicht
mercken ließ. Bey der letzten Tracht ward eine
Schuͤſſel voll der allerſchoͤnſten Pomerantzen-
Aepffel/ welche der Land Vogt in Egypten Li-
vien als eine beſondere Seltzamkeit geſchickt hat-
te/ aufgetragen; Dahero Tiberius ſelbte ſelbſt
vorlegte. Unter dieſen war eine/ welche keine
Blaͤtter mehr am Stiele hatte/ mit dem aͤrgſten
Giffte angemacht. Aus ſonderbahrer Fuͤrſe-
hung Gottes waren noch einem andern Apfel
die Blaͤtter abgefallen; den Fuͤrſt Herrmann
zu allem Gluͤcke uͤberkam/ und ohne Schaden
auf des Tiberius Erinnerung verzehrte; der
ihm beſtimmte ver gifftete aber kam in die Haͤnde
Otaciklens; welche anfangs eine freche Freyge-
laſſene und des Tiberius Buhlſchafft geweſt;
nunmehr aber dem edlen Caͤſonius Priſcus
vermaͤhlt war; den er hernach zu ſeinem Wol-
luſt-Meiſter machte. Alſo iſt es bey Hofe kein
Wunder: daß ſtinckende Fliegen mit einem
Fluge ſich von dem Miſthauffen des Poͤfels biß
an die Fuͤrſtlichen Taffeln erheben. Ja es waren
zu Rom nunmehro die Laſter ſo hoch ans Bret
kom̃en: daß man ſich nicht ſchaͤmte durch Aemter
und Beſtallungen ihrem Wachsthume Vor-
ſchub zu thun. Otacilla aber hatte den Apfel
kaum gekoſtet; als eine uͤbermaͤßige Hitze ihren
gantzen Leib entzuͤndete; und ſonder einig ander
Wort/ als: ich bin vergifftet! niederſanck; hier-
auff in einem Augenblicke Eys-kalt und zu-
gleich Stein-todt ward. Alle Anweſenden er-
ſtarreten und verſtummten; Und weil ſie den
wegen aller Boßheit verdaͤchtigen Tiberius
nicht anzuſchauen getraueten/ ſahen ſie ſelbſt
einander gleichſam fragende an: ob ſie bey einer
ſolchen Gifft-Taffel ſich laͤnger auffhalten ſol-
ten? Auguſt ſelbſt veraͤnderte ſich hieruͤber nicht
wenig; als welchem zwar des Tiberius Mord-
ſtuͤcke nicht unbekandt waren; iedoch nicht be-
greiffen konte: warum er diß bey ihm ſo beliebte
Weib hinrichten ſolte? Livia hingegen maßte
ſich
[1253[1255]]Arminius und Thußnelda.
ſich dieſes Dings aͤngſtig an/ ließ Otacillen als-
bald in das Neben-Gemach tragen; und ver-
fuͤgte: daß die Aertzte ihr moͤglichſt beyſpringen
ſolten; wiewol wegen beſorglicher Gifft-Zei-
chen ihrem eigenen Ehmanne ſie zu beſchauen
nicht erlaubt; ſondern ſie noch ſelbigen Abend
von einem vertrauten Weibe in die Todten-
Tracht gekleidet/ und den dritten Tag verbren-
net/ die Aertzte aber/ die ſie gleich nicht geſehen
hatten/ gezwungen wurden/ zu beſtaͤtigen: daß
ſie am Schlage geſtorben waͤre. Der bey ſo viel
Boßheit abgehaͤrtete Tiberius veraͤnderte hier-
uͤber weder Antlitz noch Gebehrden. Denn die
Laſter kamen ihm damahls nach vollbrachter
That nicht groͤſſer/ als vorher fuͤr. Hertzog
Herrmañ/ ob er wol aus Thußneldens Schrei-
ben ihm die Rechnung machte: daß dieſer auff
ſeinen Hals angezielte Streich auff einen frem-
den Nacken abgeglitten waͤre/ hielt doch fuͤr das
beſte Mittel ſolchen Nachſtellungen zu entkom-
men/ wenn er keinen Argwohn von ſich blicken
ließe. Daher/ als alle andere ihrer Bezeugung
halber bekuͤmmert waren/ unterhielt er den Ti-
berius mit gantz unnachdencklichen Geſpraͤ-
chen. Weil aber Tiberius in allen Dingen/
fuͤrnehmlich aber in kuͤhnen Unterfangungen
fuͤr noͤthig hielt das Eiſen zu ſchmieden/ weil es
noch warm war; liebkoſete er dieſem in ſeinen
Gedancken ſchon tauſend mahl ermordeten
Fuͤrſten ſo ſehr/ als iemahls; wiewol er auf wie-
derholete Warnigung Thuß neldens auff fuͤr-
ſichtiger Hute ſtand; ja als endlich Thußnelde
aus beſorgter Gefahr dem Hertzog Herrmann
des Tiberius Heyraths-Werbung zu ſeiner
hoͤchſten Beſtuͤrtzung eroͤffnete/ und er ihrer ihm
unauffhoͤrlich anliegender Bitte ſich von Rom
in Sicherheit zu begeben Folge zu leiſten be-
ſchloß; bezeugte er gleichwol gegen dem Tibe-
rius eine ungemeine Vertraͤuligkeit; um ſeine
Entfernung ſo viel ſicher er einzurichten; ſuch-
te ihn alſo oͤffterer/ als vormahls heim; woruͤber
er zum andern mahl in Lebens-Gefahr verfiel.
Denn es hatte Tiberius eine vom Tacfarinas
aus Numidien ihm geſchickte und gekirrte
Schlange gleichſam zu ſeinem Schoß-Kinde
oder Spiel-Vogel/ die mit ihm aus einer
Schuͤſſel aß/ in einem Bette lag; und auch
Fremden ſondeꝛ die geringſte Beſchaͤdigung ſich
um den Hals und andere Glieder wand; alſo:
daß Hertzog Herrmann auch mehrmahls mit
dieſem ſo wol gewoͤhnten Thiere Kurtzweil ge-
trieben hatte. Eine in Wahrheit ungemeine
Gemeinſchafft! nicht ſo wol wegen des zwiſchen
Menſchen und Schlangen befindlichen Unter-
ſchieds; als weil Tiberius ein viel gifftiger Her-
tze/ als dieſer Wurm Zaͤhne hatte. Wie nun
Hertzog Herrmann auff ſein Anſuchen von der
Rennebahn mit dem Tiberius nach Hauſe ritt/
um etliche neuangekom̃ene Africaniſche Pferde
zu beſchauen; hatte Tiberius beſtellt ihm anzu-
deuten: daß iemand wegen des Kayſers mit ihm
reden wolte; alſo er den Fuͤrſten Herrmann al-
leine im Zimmer/ die Thiere eines Neben-Ge-
machs aber mit Fleiß offen/ und eine daſelbſt
verwahrte Schlange heraus ließ; die den auch
bey Erſehung des gifftigen Wurmes gantz ſiche-
ren Fuͤrſten Herrmann; welcher in Meynung:
es waͤre die gekirrte/ ihr noch die Hand reckte/
grimmig anfiel/ und in den Arm bieß. Woruͤber
er ſelbte alſofoꝛt von ſich ſchleudeꝛte/ und mit dem
Fuße ihr den Kopff zerquetſchte: daß ſie nach
langer Windung des halb-lebenden Schwan-
tzes todt blieb; Gleich als wenn dieſer Held auch
in Erwuͤrgung der Schlangen dem Hercules
gleich werden muͤſte. Hertzog Herrmann aber/
als er ſeine Wunde aufſchwellen ſahe/ gieng als-
bald aus dem Zimmer/ und befahl denen Auff-
waͤrtern alſofort einen Wund-Artzt herbey zu
ſchaffen. Zu ſeinem Gluͤcke aber war unter
des Tiberius Knechten ein Marſer/ wel-
ches um den Fuciniſchen See in Jtali-
en wohnende Volck von der Circe Soh-
ne entſproſſen ſeyn/ und eben ſo wohl/
als die Ophiogenes am Helleſpont/ und
die Pſyllen in Africa eine Tugend das
Gifft auszuſaugen haben ſoll; Dieſer
T t t t t t t 3unwiſ-
[1254[1256]]Achtes Buch
unwiſſende: daß die Schlange durch Ver-
wundung dieſes Fuͤrſten dem Tiberius ei-
nen ſo groſſen Dienſt gethan haͤtte/ ſog ihm das
Gifft alsbald aus; alſo: daß Hertzog Herrmann
zwar hier durch geneſete/ ihm auch deßwegen
die Freyheit bey ſeinem Herrn ausbat; dieſer
aber ſeine Wolth at bald mit dem Tode buͤſſete;
in dem Tiberius ihn folgende Nacht in die Ti-
ber werffen ließ. Jnzwiſchen hatte Livia dem
Kayſer des Tiberius Liebe entdecket/ und um
ſeine Einwilligung ſich beworben. Als dieſer
aber ihr zu verſtehen gab: Tiberius waͤre bey
ſolchen Jahren und in dem Stande: daß er der
Goͤttin Rom zu freyen und ſie durch keine frem-
de Kebs-Weiber eyverſuͤchtig/ ſondern vielmehr
durch Erkieſung einer angenehmen Prieſterin
ſie ihm geneigt zu machen bedacht ſeyn ſolte/
und derogeſtalt auf Heyrathung einer Roͤme-
rin anzielte; verfuͤgte er ſich in den Tempel der
Capitoliniſchen Juno; und thaͤt ein hochbe-
theuerliches Geluͤbde: daß er nimmermehr kei-
ne andere/ als Thußnelden ehlichen wolte. Wel-
ches Livia dem Kayſer abermahls fuͤrtrug; und
unter dem Fuͤrwand: daß das Kayſeꝛliche Haus/
welches ohne diß auf ſo wenigen Augen beruhe-
te/ allerdings von noͤthen haͤtte: daß es durch
anderwertige Verheyrathung des Tiberius be-
feſtigt wuͤrde; weil doch kein Kriegs-Heer/ keine
Freunde ſo feſte Schutz-Wehren eines Hauſes
und Reiches waͤren; als eine gute Anzahl Kin-
der. Wie nun Auguſt hieruͤber nachzudencken
ſich erklaͤrte; alſo beſtuͤrtzte Livien und den Ti-
berius Segeſthens Erzehlung uͤberaus/ was
Thußnelde fuͤr verzweiffelte Erklaͤrung von
ſich gegeben haͤtte. Nichts deſto weniger
entſchloß ſich Livia Thußnelden mit Liebes-
Traͤncken zu gewinnen/ und Tiberius ver-
ſchwor ſich den Fuͤrſten Herrmañ durch Meu-
chel-Mord aus dem Wege zu raͤumen. Dieſe
zwey hatten nun mit der innerſten Hertzens-
Kraͤnckung/ fuͤrnehmlich aber Herrmann/ wel-
chem nicht ſo wol ſeine Gefahr/ als Thusnel-
dens unauff hoͤrliches Bitten endlich zu ſolcher
Entſchluͤſſung brachte/ Abſchied/ und zum
ſcheinbaren Vorwand ſeiner Reiſe die Gele-
genheit wahrgenom̃en die auf des Kayſers Be-
fehl aus Egypten nach Oſtia zu Schiffe uͤber-
brachte hundert Ellen hohe marmelne Spitz-
Seule zu beſchauen/ welche Koͤnig Pſammir-
taus zu Hieropolis aufgerichtet hatte/ Auguſt
aber hernach auf dem groſſen Renne-Platze zu
Rom auffſetzen ließ. Als nun Hertzog Herr-
mann nach Oſtia kam/ diß neue ſteinerne Wun-
der betrachtet hatte/ und unter dem Scheine
das alte Merckmaal/ wo das die Mutter der
Goͤtter von Peßinunt uͤberbringende und ge-
ſtrandete Schiff von der einigen Veſtaliſchen
Jungfrauen Claudia mit ihrem Guͤrtel loßge-
zogen worden war/ zu beſchauen/ ihm ein frem-
des Schiff zu dingen ſich gegen dem lincken ver-
ſaͤudeten Munde der Tyber mit nur zweyen
deutſchen Dienern verfuͤgte; folgten ihm in ei-
nem Nachen zwoͤlff wolgeruͤſtete Kriegs-Leu-
te/ welche/ ſo bald ſie nach ihm ans Ufer ausſtie-
gen/ den Fuͤrſten Herrmañ meuchelmoͤrderiſch
antaſteten. Dieſen aber begegnete er/ wiewol
ohne gehoͤrige Ruͤſtung nebſt ſeinen treuen
Deutſchen mit unerſchrockenem Helden-Mu-
the; durchſtach auch bald beym erſten Anfall
ihre zwey Anfuͤhrer. Jnzwiſchen hatten ſeine
Getreuen auch dreyen das Licht ausgeleſcht/
woruͤber die uͤbrigen ſieben entweder aus bey-
wohnender/ oder bey Ausuͤbung boͤſer Stuͤcke
auch die Verwegenſten befall ender Zagheit die
Flucht nach ihrem Nachen nahmen. Gleich-
wol aber erwiſchte Hertzog Herrmann noch ei-
nen; und weil er unter denen fuͤnff Todten ei-
nen fuͤr des Tiberius Freygelaſſenen erkennte/
draͤute er dem zuletzt Gefangenen den Tod/ wo
er nicht die Anſtifftung dieſes Meuchelmords
ihm auffrichtig bekennen wuͤrde/ davon er ohne
diß ſchon Wind haͤtte/ und aus dem fuͤr ſeinen
Fuͤſſen liegenden Anfuͤhrer unſchwer den Uhr-
ſprung ermeſſen koͤnte. Dieſer bekennte alſo-
fort:
[1255[1257]]Arminius und Thußnelda.
fort: daß Tiberius ſie zu dieſer boͤſen That mit
Draͤuen und Verſprechungen angeſtifftet haͤt-
te. Worauff er ihm denn dieſes Bekaͤntnuͤs
in einem nahe darbey gelegenen Fiſcher-Hauſe
ſchrifftlich ausfertigen muſte; und damit ſein
Leben errettete. Hertzog Herrmann war froh
uͤber dieſem gluͤcklichen Ausſchlage; inſonder-
heit da der erforderte Wund-Artzt ſeiner zwey-
en Getreuen empfangene Wunden von keiner
Gefaͤhrligkeit zu ſeyn befand; er aber hierdurch
eine ſo wichtige Urſache erlangte beym Kayſer
zu entſchuldigen: daß er wegen eines ſo maͤchti-
gen Feindes/ als Tiberius waͤre/ und der/ ver-
moͤge beygelegten Bekaͤntnuͤſſes/ ihm ſo verraͤ-
theriſch nachſtellte/ nicht wieder nach Rom zu
kehren getrauet haͤtte. Sintemahl die Unſchuld
ſelbſt unter den Haͤnden ihrer Feinde eine Ver-
brecherin wuͤrde; eines fuͤr Gefahr gewarnig-
ten Sicherheit aber ein Sterbens-wuͤrdiges
Laſter waͤre. Hierbey ſagte er dem Kayſer
Danck fuͤr ſo viel Gnade und Wolthaten; ihn
verſichernde: daß/ ſo viel ſeine Ehre und die
Freyheit Deutſchlands vertragen wuͤrde/ er ein
Freund Auguſtens und der Roͤmer zu bleiben
gedaͤchte. So bald Hertzog Herrmann dieſes
Schreiben beſtellt/ ſetzte er ſich mit den Seinen
in ein nach Maßilien gleich abgehendes Jagt-
Schiff. Jnzwiſchen ſuchte Livia Thußnelden
in ihrer anhaltenden Leibes- oder vielmehr we-
gen Entfernung Hertzog Herrmanns ſich ver-
groͤſſernden Gemuͤths-Kranckheit heim; be-
zeugte gegen ihr das empfindlichſte Mitleiden.
Und weil ſie ſonderlich uͤber Hertz-Klopffen
klagte/ gab ſie einer Cheruskiſchen Edel-Frau-
en/ welche Thußnelda bey ſich hatte/ ein Glaͤß-
lein voll nach Ambra ruͤchenden Waſſers; wel-
ches ſie noch von dem beruͤhmten Artzte Muſa
bekommen haͤtte/ und Thußnelden wol zuſchla-
gen wuͤrde. Dieſe treuhertzige Frau aber;
welcher Liviens Liebeswerbung nicht unbewuſt
war/ war ſo ſorgfaͤltig: daß ſie Thußnelden kei-
ne Speiſe noch Artzney beybrachte/ die ſie nicht
vorher an ihr ſelbſt verſucht hatte. Als ſie nun
auch von Liviens Ambra-Waſſer nur drey
Tropffen in einem Loͤffel Wein gebraucht hat-
te/ ward ſie im Haupte derogeſtalt verwirret:
daß ſie dem Tiberius in den vom Auguſt der
Chalcidiſchen Minerva gewiedmeten Tempel
nachlieff/ und im Angeſichte des Kayſers und
Liviens dem Tiberius um den Hals fiel/ ihm
wie eine Klette anhieng/ ihn kuͤſſete/ und mit
Noth von ihm loß zu machen und auf die Sei-
te zu bringen war. Nicht nur Livia/ welche
leicht den Uhrſprung dieſer Wahnſinnigkeit
errathen konte; ſondern auch Tiberius/ wel-
cher um das von einer beruͤhmten Zauberin be-
reitete Waſſer gute Wiſſenſchafft hatte; ſinte-
mahl er darzu einen Puſch ſeiner Haare und
das abgeſchnittene von Naͤgeln hatte geben
muͤſſen/ erſchracken uͤber dieſem Zufalle dero ge-
ſtalt: daß der Kayſer beyder Veraͤnderung
dentlich warnahm/ und muthmaſte: daß diß ei-
ne Wuͤrckung eines vielleicht fuͤr Thuß nelden
bereiteten Liebes-Tranckes waͤre. Wie er denn
auch hernach von Thußnelden/ die hieruͤber
nicht nur euſſerſt beſtuͤrtzt/ ſondern wegen ihres
gefaͤhrlichen Zuſtandes halb verzweiffelt ward/
erfuhr: daß die Streithorſtin/ alſo hieß die
Frau/ nach Gebrauch dieſes Waſſers ſo wahn-
ſinnig worden waͤre. Welches Livien und den
Tiberius bey herfuͤr blickendem Argwohne des
Kayſers ſo ferne verhitterte: daß jene von Thuß-
nelden mit empfindlichen Worten ihr Waſſer
zuruͤck fordern; dieſer aber die Streithorſtin als
ein unzuͤchtiges Weib anklagen; und in ſeinem
Hauſe/ wie hernach in gantz Rom/ die gewoͤhn-
lichen Empfang- und Geſegnungs-Kuͤſſe ver-
bietẽ ließ. Der Kayſer ſchlug ſich noch mit ſeinen
Gedancken; was er wegen des fuͤr Liebe halb
unſinnigen Tiberius entſchluͤſſen ſolte; als ihm
des Herrmanns Schreiben wegen des vom
Tiberius angeſtiffteten Meuchel-Mords zu-
kam; das ihn denn derogeſtalt entruͤſtete: daß
er den zu Oſtia gefangenen im Meere zu er-
ſaͤuffen/
[1256[1258]]Achtes Buch
ſaͤuffen/ die uͤbrigen Rottgeſellen aufzuſuchen;
und dem Tiberius befahl: daß er noch fuͤr Aben-
de aus Rom/ und biß auff fernere Verfuͤgung
ſich nach Capua begeben ſolte. Thußnelde krieg-
te noch ſelbigen Tag hiervon Wind/ und wuͤrck-
te dieſe ihre erfreuliche Zeitung mehr/ als alle
bißherige Artzneyen/ in dem ſie des andern Ta-
ges ſchon ſo viel Kraͤfften hatte ſich aus dem Bet-
te zu machen. Wormit auch der Kayſer theils
Thusnelden aus fernerer Gefahr zu ſetzen/ und
dardurch bey denen Deutſchen in keinen uͤbeln
Nach klang verfallen; theils auch des Tiberius
mit ihr wieder ſein anders Abſehen angezielte
Heyrath unterbrechen moͤchte; ertheilte er dem
Fuͤrſten Segeſthes den dritten Tag ſeine Abfer-
tigung; uñ befahl ihm unter dem Scheine ſeines
Erlaubnuͤßes: daß er nach nunmehr genugſam
bewehrter Treue gegẽ die Roͤmer ſeine Tochter
Thusnelde wieder mit in Deutſchland nehmen
moͤchte. Livia/ welche von dem Abſchied neh-
menden Tiberius noch auffs flehentlichſte er-
ſucht worden war/ ihn Thusneldens durch alle
euſſerſte Mittel faͤhig zu machen; erſchrack hier-
uͤber ſo ſehr/ als wenn es um den Verluſt ihrer
eigenen Buhlſchafft zu thun waͤre. Denn es
giebt ſo thoͤrichte Muͤtter/ welche die Regungen
ihrer Soͤhne zweyfach in ihrem Hertzen fuͤhlen/
und wieder die Natur ſich in ihr eigen Ge-
ſchlechte verlieben. Weil ſie ſich nun nicht un-
terwinden dorffte dem hierinnen verdruͤßlichen
Kayſer einiges Wort einzureden/ bey Thus-
nelden aber nichts fruchtbarliches aus zurichten
getraute/ dachte ſie auffs wenigſte einen Nagel
in dieſem Entwurffe zu befeſtigen/ und durch
Segeſthens Verbindligkeit des Tiberius Liebe
und Hoffnung in gantzen zu erhalten. Nach dem
ſie nun den Segeſthes ſchon ſo weit aus genom-
men hatte: daß er durch nichts leichter/ als durch
den ihm fuͤrgehaltenen Schatten der Ehre zu
blaͤnden waͤꝛe/ ſtifftete ſie den beruͤhmten Steꝛn-
ſeher Thraſyllus an/ Segeſthen wahrzuſagen:
daß er durch Huͤlffe des Tiberius der Deutſchen
Feldherr/ Thusnelde aber eine Roͤmiſche Kay-
ſerin und Mutter vieler nachſolgenden Kayſer
werden wuͤrde. Weil nun dieſes Chaldeers
Worte bey nahe hoͤher/ als des Apollo Wahr-
ſagungen gehalten wurden; inſonderheit aber
Tiberius ihm umſtaͤndlich erzehlt hatte: wie alle
ſeine Andeutungen auf ein Haar eingetroffen/
er ſelbſt zu Rhodus/ als er ihn wollen ins Meer
ſtuͤrtzen/ ſein ihm zuhaͤngendes Ungluͤcke aus
den Sternen wahr genommen; ja ihm bey Er-
ſehung eines von ferne ſegelnden Schiffes an-
gedeutet hatte: daß ſelbtes ihm die von Livien zu
wege gebrachte Erlaub nuͤs wieder nach Rom
zu kehren mitbraͤchte; ſo nahm Segeſthes auch
dieſes betruͤglichen Sternſehers erkaufften
Worte fuͤr einen unveraͤnderlichen Schluß des
Verhaͤng nuͤßes auff. Sintemahl wol kluͤgere
hierinnen geirret/ und nicht gewuͤſt haben: daß
die dem Nothzwange der Geſtirne beypflich-
tende und daraus wahrſagende Weißheit/ als
eine Naͤrrin ins Krancken-Haus zu verdam-
men/ und mit eitel Nieſe-Wurtz zu ſpeiſen ſey;
ja ſich das menſchliche Gemuͤthe in ſein einge-
bildetes Gluͤcke derogeſtalt verliebet: daß es
auch an ſich ſelbſt unglaͤubliche Sachen nicht
nur fuͤr moͤglich/ ſondern fuͤr eine ſchon in Haͤn-
den habende Gewißheit annimmt. Maſſen
denn Segeſthes durch ſeines Ehweibs Sentia
ehrſuͤchtige Rath gebungen/ und das Thraſyllus
Wahrſagung in ſeiner Hoffnung derogeſtalt
verhaͤrtet ward: daß hernach weder Thusnel-
dens Thraͤnen/ noch Hertzog Herrmanns
Wachsthum in Segeſthens Hertzen des Tibe-
rius Heyrath/ noch Deutſchlands auf den Herꝛ-
mann fallende Wahl ihm die Hoffnung ſeines
Vaterlands Haupt zu werden/ benehmen kon-
te. Gleichwol nahm Segeſthes und Thus-
nelde auff des Kayſers eigene Erinnerung den
zehenden Tag nach Hertzog Herrmanns Ab-
reiſe zu Rom Abſchied; und ſegelte von Oſtia
mit gutem Winde geraden Weges auf Galli-
en zu; allwo Segeſthes in den Rhodan einzu-
lauffen/
[1257[1259]]Arminius und Thußnelda.
lauffen/ und ſo ferner nach Deutſchland zu rei-
ſen fuͤr hatte. Sie kriegten den vierdten Tag
bey aufgehender Sonne allbereit das Vorge-
buͤrge von dem Eylande Jlva ins Geſichte; als
ſie zugleich zwey Schiffe recht auff ſich und
zwar von beyden Seiten zuſegeln ſahen; wel-
ches dem Segeſthes verdaͤchtig fuͤrkam/ und er
deß wegen mit ſeinen Leuten ſich auff allen Fall
zur Gegenwehr ruͤſtete. Demnach aber der
Wind gerade Oſt war/ rieth der Steuer-Mañ
nach Corſica in den Fluß Tavola/ an welchem
Marius die Stadt Nicaͤa mit Roͤmiſchem
Volcke beſetzt haͤtte/ einzulauffen; Weil es ſonſt
in dieſem wilden Eylande gefaͤhrlich waͤre; ja
vermuthlich dieſe zwey Raub-ſchiffe Corſen auf
haͤtten. Die Schiff-Leute thaten ihr beſtes/ ſon-
derlich/ als ſie die zwey andeꝛn Schiffe/ ungeach-
tet des veraͤnderten Lauffs/ ihnen folgen/ und al-
le Segel aufſpannen ſahen. Alleine dieſe waren
ſo wol beſegelt/ und in zweyen Stunden dem
Segeſthes ſo nahe: daß die Schiffer Nicaͤa zu
erreichen nicht getrauten; ſondern gerade an
dem Corſiſchen Ufer/ wo das beruͤhmte Schutz-
Altar zu ſehen iſt/ zu ſtranden riethen. Diß bil-
ligte die Fuͤrſtin; weil ſie aus einer gleichſam
heimlichen Eingebung/ oder in Anſehung die-
ſes Altars daſelbſt aus der Gefahr zu entrinnen
hoffte. Die Raͤuber ereilten ſie dennoch zwey
Stunden fuͤr Abends drey Meilen vom Lande/
und ſetzten auff beyden Seiten ihnen hefftig zu;
alſo: daß ob zwar Segeſthes auf einer/ und die
geruͤſtete Thußnelda auff der andern Seiten
durch ihre und der ihrigen tapffere Gegen-
wehre die Enterung hinderten; ſie dennoch von
denen ſo haͤuffigen Pfeilen faſt alle verwundet
wurden. Endlich erreichten ſie bey dem Schutz-
Altare in der daſelbſt ſich ins Meer ausguͤſſen-
den Bach das Land. Allein die dieſer Gegend
beſſer kundige Raͤuber ſetzten auff Corſica ſo ge-
ſchwinde Fuß/ als die Fluͤchtigen; ungeachtet
dieſe jene mit dem hinterlaſſenen Schiffe und
der darinn befindlichen Beute zu ſaͤttigen ge-
dachten. Dieſemnach ſich denn der Schiffs-
Streit nunmehr in eine Feld-Schlacht ver-
wandelte; Wiewol Segeſthens Theil hier alſo-
bald den kuͤrtzern gezogen haben wuͤrde; in dem
der Raͤuber uͤber hundert; ihr Gegentheil aber
nicht dreyßig ſtreitbare Maͤnner/ das uͤbrige
ohnmaͤchtige Weiber waren; wenn nicht an-
fangs dieſe an einem Felſen den Ruͤcken frey ge-
habt/ hernach aus dieſer ſich gleichſam zu ihrer
Errettung zerſpaltenden Stein-Klippe einen
unvermutheten Entſatz bekommen haͤtten;
und zwar zu der Zeit: als ſchon uͤber zwoͤlff
Mann erlegt waren/ die hertzhaffte und von
Blut trieffende Thußnelde zwar noch Hertzens
genung/ aber keinen Athem; Segeſthes auch
ſich gantz verblutet und entkraͤfftet hatte. Als
die Noth derogeſtalt recht an Mann kommen
war/ drang ein in einem guͤldenen Harniſche
geruͤſteter Held mit noch zwantzig ſtreitbaren
Kriegs-Leuten aus dem Munde einer Hoͤlen
herfuͤr; welcher denen Bedraͤngten nicht nur
Lufft machte/ und den auff den Segeſthes von
dem oberſten Raͤuber gezuͤckten Streich auff-
fieng; ſondern auch die ebenfalls ab gematteten
Raͤuber ſo hertzhafft anfiel: daß ſich der Streit
alſofort/ ungeachtet der ungleichen Zahl/ in ein
gleiches Gefechte/ bald darauff aber/ weil ſchon
dreyßig der kuͤhneſten Raͤuber ins Graß gebiſ-
ſen hatten/ ihrer ſeits in die ſchimpflichſte Flucht
auff ihre Schiffe verwandelte; und derogeſtalt
nicht nur Segeſthes mit ſeinem uͤberbliebenen
Volcke/ ſondern auch das Schiff/ darauff das
zuruͤck gebliebene Frauen-Zimmer bey nahe
fuͤr Angſt Seele und Geiſt verloren hatte/ er-
rettet wurden. Es war allbereit ziemlich dun-
ckel/ als dieſer Kampff ſich endigte/ und alſo die
Perſonen ſchwerlich zu erkennen. Gleichwol
aber waren die glaͤntzenden Waffen Thußnel-
den; weil Segeſthes inzwiſchen fuͤr Mattigkeit
zur Erde geſuncken war/ ein genungſames
Erſter Theil. U u u u u u uKenn-
[1258[1260]]Achtes Buch
Kennzeichen das Haupt dieſer ihnen gleichſam
vom Himmel gefallener Helffer zu erkieſen.
Dieſemnach ſie denn ſich ihm naͤherte/ und nach
abgezogenem Helme ihm mit der tieffſten Ehr-
erbietung nicht ſo wol als einem Erretter/ als
einem Schutz-Gotte fuͤr ſolche Erloͤſung danck-
te; iedoch zugleich als ein Ungluͤck entſchuldig-
te: daß ſie demſelben die ihr anſtaͤndige Demuͤ-
thigung nicht erzeigte/ welchen ſie wegen ſo ſel-
tzamer Erſcheinung und ſo unvergleichlicher
Tapfferkeit nicht wol fuͤr einen Menſchen hal-
ten doͤrffte. Dieſer hingegen verkleinerte ſeinen
geringen Dienſt/ den er in Verjagung der Raͤu-
ber ihnen geleiſtet hatte; als welche Menſchen
ſchon wegen der in ihrem Hertzen ſteckenden
Boßheit auch die derſelben anklebende Zagheit
im Buſen truͤgen. Uber diß haͤtte er ihnen viel-
leicht mehr/ als ſie ihm zu dancken; indem er
durch ihre Huͤlfe von dieſem gefaͤhrlichen Raub-
Ufer; an welchem ſein von Oſtia abgelauffenes
Schiff fuͤr ſteben Tagen geſtrandet haͤtte; an
einen ſichern Ort zu entrinnen hoffte. Thußnel-
de hoͤrte dieſer annehmlichen und ihr in etwas
kentbaren Stimme ſorgfaͤltig zu; dieſe letztere
Erzehlung aber loͤſete ihr vollends das Raͤtzel
auff; und weil ſie dieſen ihren Schutz-Gott fuͤr
den wahrhafften Hertzog Herrmann erkennte/
fiel ſie ohne einige fernere Antwort ihm mit
beyden Armen ihn kuͤſſende/ und ſein Geſichte
mit tauſend Freuden-Thraͤnen netzende um
den Hals. Dieſer/ weil er ihm der Fuͤrſtin
Thußnelde Reiſe von Rom nicht traͤumen laſ-
ſen; noch ſie aus der angenommenen maͤnnli-
chen Sprache erkennen konte/ ſtand wie ein
unbewegliches Marmel-Bild; und wuſte ihm
dieſe zwiſchen Helden ungewoͤhnliche Liebko-
ſungen nicht auszulegen; biß Thußnelda end-
lich ſelbſt anfieng: haſtu denn/ mein liebſter
Herrmann/ zwiſchen dieſen rauen Felſen ihre
unempfindliche Unart angenommen: daß du
von deiner geliebten Thußnelde die wenigſte
Regung nicht empfindeſt. Herrmann/ der ſich
gleichſam von einem Meere der groͤſten Gluͤck-
ſeligkeit uͤberſchwemmt befand; wuſte ihr mit
nichts anders/ als eben ſo viel Kuͤſſen ſeine Freu-
de auszudruͤcken; und haͤtten ſie hieruͤber bey
nahe Segeſthens gantz vergeſſen; wenn nicht
ein Chaßuariſcher Edelmann kommen/ und
Thußnelden/ wo ſie ihn hintragen ſolten/ be-
fragt haͤtte. Thußnelde naͤherte ſich hierauff
mit dem Fuͤrſten zum Segeſthes; und weil ihm
bereit die beſchwerlichen Waffen abgenommen
waren; wolte ſie ihn wieder laſſen zu Schiffe
bringen. Hertzog Herrmann aber rieth das
Schiff nur mit genungſamer Mannſchafft zu
beſetzen/ er wolte fuͤr den Segeſthes/ ſie/ und ihr
Frauenzimmer ſchon einen bequemern Aufent-
halt anweiſen. Hiermit befahl er etliche Kuͤhn-
Hoͤltzer anzuzuͤnden; fuͤhrte ſie alſo durch den
Steinfelß vermittelſt einer engen Hoͤle in ein
aus eitel Klippen gehauenes und wol abgetheil-
tes Gebaͤue; welches nur von dem innern und
zwar kugel-rundten Hofe in die Zimmer Licht
bekam/ auswendig aber um und um von denen
abſchuͤßigſten Bergen/ welche auch die Gem-
ſen nicht beklettern kunten/ umgeben/ und de-
rogeſtalt fuͤr allen ſterblichen Augen/ welche
nicht durch dieſen Eingang gar hinein kamen/
verborgen ward. Jn dieſer gleichſam andern
Welt wurden ſie von einem alten Greiß em-
pfangen/ der nicht nur dem mit ſteten Ohn-
machten befallenen Segeſthes/ ſondern auch al-
len andern dahin gebrachten Verwundeten mit
ſehr heilſamen Wund-Kraͤutern zu Huͤlffe kam.
Welche Sorge denn die halbe Nacht zuruͤcke
legte. Auff den Morgen befand ſich Segeſthes
nach einem ſanfftem Schlaffe um ein gut Theil
beſſer; ward auch theils erfreuet/ theils verwir-
ret; als er ſeine zwar auch an unterſchiedenen
Orten des Leibes verbundene/ aber bey guten
Kraͤfften ſich befindende Tochter nebſt dem
Fuͤrſten Herrmann und dem alten Greiße zu
ihm ins Zimmer kommen ſahe. Nach dem dieſe
nun ihre Ehrerbietung abgelegt/ berichtete
Thußnel-
[1259[1261]]Arminius und Thußnelda.
Thußnelda Segeſthen: daß Herrmann ihr ge-
ſtriger Erloͤſer/ dieſer Alte aber ihr gutthaͤtiger
Bewirther waͤre. Segeſthen giengen die Augen
uͤber/ und ſein Hertze ward hierdurch deroge-
ſtalt bewegt: daß er gegen den Fuͤrſten Herr-
mann von freyen Stuͤcken anhob: Er wuͤrde
nunmehr gewahr: daß es hoͤchſte Unvernunfft
waͤre ihm fuͤrſetzen durch menſchliches Abſehen
des Verhaͤngnuͤſſes Ziel zu verruͤcken. Dieſem-
nach er zwar ſeinen Fehler nicht umſtehen koͤn-
te: daß er mit denen Gedancken ſeine Tochter
dem Tiberius zu vermaͤhlen/ ſchwanger gegan-
gen waͤre. Nach dem aber er und ſeine Toch-
ter nunmehr ihm Leben und Freyheit zu dan-
cken genoͤthiget wuͤrden; wolte er dem durch
das Mittel obliegender Vergeltung ihn leiten-
dem Himmel gehorſamen; und alſo ſeine un-
wiederruffliche Einwilligung zu ſeiner und
Thußneldens Heyrath hiermit ertheilen; die-
ſem fremden Wolthaͤter aber inzwiſchen ſich zu
einem zwar dieſer Orten unvermoͤgenden doch
danckbaren Schuldner verbinden. Wie nun
Herrmann und Thußnelde dieſer annehmlich-
ſten Erklaͤrung halber Segeſthens Hand mit
tieffſter Demuͤthigung kuͤſten; alſo verband
dieſer Alte Segeſthen und den andern Kran-
cken abermahls ihre Wunden; brachte es auch
dahin: daß Segeſthes den dritten Tag ſich in
den im Mittel dieſes Wunder-Gebaͤues be-
findlichen Garten um friſche Lufft zu ſchoͤpffen
bringen ließ; darinnen beyde Verliebte mit de-
nen ſuͤſſeſten Unterredungen/ theils unter ſich
ſelbſt/ theils mit ihrem eyßgrauen Wirthe ih-
nen die Zeit verkuͤrtzten. Welcher in Anweſen-
heit des ſorgfaͤltigen Segeſthens erwehnte: daß
er des an dem Ufer des Meeres ſtehenden
Schutz-Altares gewiedmeter Prieſter waͤre/
und in dieſer Einſamkeit theils wegen der die-
ſem Orte zugeeigneter Heiligkeit/ theils wegen
ſeiner Armuth in dieſem ſonſt gefaͤhrlichen Or-
te zwar ſorgfaͤltig lebte; weil er nur von denen
auf dem Gebuͤrge erkletterten Wurtzeln ſich
unterhielte; iedoch zwiſchen dieſem Mangel der
hoͤchſten Vergnuͤgung genuͤſſe. Sintemahl
man doch in dieſer Welt auch bey dem ſchein-
barſten Wolſtande ſich mehr in wenigerm Elen-
de/ als in vollkommener Gluͤckſeligkeit auff ent-
hielte. Beydes ſo wol das Altar/ als dieſes ver-
borgene Gebaͤue waͤre ein Gemaͤchte des Daͤ-
dalus. Denn nach dem er/ wie beym Minos in
Creta/ nach erbautem Jrrgarten; alſo bey dem
Koͤnige Cocalus in Sicilien nach viel verfer-
tigten Kunſt-Stuͤcken in Ungnade verfallen;
haͤtte er ſich von Agrigent in dieſes damals noch
unbewohnte/ und ziemliche Jahre hernach al-
lererſt von einer Liguriſchen Hirtin Corſa durch
Anleitung eines uͤberſchwimmenden Ochſen
aus geſpuͤrte und beſetzte Eyland gefluͤchtet; und
der Nachwelt zum Gedaͤchtnuͤs/ dem Cocalus
aber zu Hohne dieſes Gebaͤue ausgehauen; als
welches nicht nur an Feſtigkeit das von ihm bey
der Stadt Camikum in Sicilien erbaute
Schloß uͤbertraͤffe; in dem ein einiger Mann
mit Herablaſſung eines leicht wieder durch ge-
wiſſe Kunſt-Raͤder in dem engen Eingange
aufheblichen Felſens aller Welt Gewalt auff-
halten koͤnte; ſondern an Liebligkeit der kalten
und warmen Brunnen/ die in dem Garten in
wunderwuͤrdige Marmel-Keſſel eingefaſt wa-
ren/ wie nichts minder der edlen Garten-
Fruͤchte den Siciliſchen Bau wegſtaͤche. Jn-
ſonderheit war nicht allein denckwuͤrdig zu
ſchauen/ ſondern kam auch denen Kranckenden
uͤberaus zu ſtatten/ die in einem Felß vom Daͤ-
dalus gehauene Schweiß-Hoͤle; in welcher ſich
noch viel geſuͤndere warme aus der Erden em-
por ſteigende Duͤnſte verſamleten; und denen
darinnen Schwitzenden die geſchwaͤchten Le-
bens-Geiſter erquickten; als welche in dem
Selimutiſchen Gebiete Siciliens ſich in die
vom Daͤdalus vorher bereitete Hoͤle verſamletẽ/
und einen allzuſtarck ruͤchenden Schweffel mit
ſich fuͤhrten. Endlich zeigte er ihnen auch ein
Thuͤr-Geruͤſte zu einem unterirrdiſchen Gan-
U u u u u u u 2ge/
[1260[1262]]Achtes Buch
ge/ welcher zwey Meilen lang biß zu dem See
der Diana ausgetragen haͤtte/ von der Zeit aber
als einem Scharffrichter nichts minder uͤber die
Felſen/ als andere Herrligkeiten durch ein Erd-
beben waͤre verfaͤllet worden. Weil nun Daͤ-
dalus an dieſem Orte nicht nur ſein Leben ru-
hig verfuͤhret/ ſondern auch beſchloſſen; (wor-
bey er ihnen denn das vom Daͤdalus ihm ſelbſt
gebaute Grabmaal zeigte) haͤtte er vorher dem
Schutz-Gotte dieſes Eylandes das am Ufer
des Meeres in Stein gehauene Altar erbauet;
welches die Einwohner ſo hoch/ als die Troja-
ner das vom Himmel gefallene Bild der Mi-
nerva/ und die Stadt Peſinunt das eben ſo uͤ-
berkommene Bild Cybelens hielten; er auch
von ihnen deßwegen dahin zum Prieſter be-
ſtellt waͤre/ und iederman feſtiglich glaͤubte: daß
kein Menſch in dieſem Gebaͤue ſich einiger
Feindſeligkeit unterfangen koͤnte. Hertzog
Herrmann laͤchelte uͤber dieſem letztern; und
ſagte unvermerckt zu Thußnelden: Wenn er
an Segeſthens ſo erfreuliche Erklaͤrung ge-
daͤchte/ muͤſte er mit dieſem Prieſter und den
Corſen ſchier eines Glaubens werden. Dero-
geſtalt brachten ſie mit hoͤchſter Vergnuͤgung/
weil ſie in ihrem Schiffe alle Nothdurfft und
Erfriſchungen bey der Hand hatten/ biß in
den ſiebenden Tag zu; da ſie denn nach em-
pfangenen Segen von dieſem guthertzigen
Prieſter Abſchied nahmen; welchem ſie aber
vergebens einige Geſchencke einnoͤthigten/ und
von ihm zur Antwort kriegten: daß Wolthaten
bezahlt zu nehmen eben ſo thoͤricht waͤre/ als
den Preiß des Geldes durch Einmiſchung ge-
ringer Schlacken zu vergeringern. Hierauff
ſetzten ſie mit einem ſanfften Sud-Oſtwinde ih-
re Reiſe zwiſchen dem Eylande Capraria und
dem heiligen’ Vorgebuͤrge/ als der euſſerſten
Nord-Spitze vor Corſica nach Gallien ohne ei-
nigen fernern Anſtoß fort.
Sie kamen den ſiebenden Tag durch des
Marius aus dem Rhodan ins Meer gemach-
ten Graben in der Stadt/ die von dem daſelbſt
erbauten Tempel der Epheſiſchen Diana den
Nahmen fuͤhrt/ gluͤcklich an; ſtiegen im Haſen
aus/ und reiſeten zu Lande durch Gallien ge-
rade auf Mayntz zu; da ſie denn von denen Roͤ-
miſchen Stadthaltern/ als welchen nicht unbe-
wuſt war: wie hoch Segeſthes beym Auguſt
angeſehen waͤre/ allenthalben wol unterhalten
wurden. Wie ſie nach Mayntz kamen/ erhielt
Hertzog Herrmann/ welcher zwar durch Gal-
lien unkentbar gereiſt/ nunmehr aber vom Se-
geſthes ſeinem Schweher-Vater entdeckt wor-
den war/ von dieſem daſelbſt hin den Tag vor-
her angekommenen Sentius Saturnin die
Nachricht: daß der Kayſer ihn befehlicht haͤtte/
ihm nicht alleine zum Beſitz ſeiner vaͤterlichen
Laͤnder befoͤrderlich zu ſeyn; ſondern auch mit
ihm hinfort vertraͤuliche Nachbarſchafft zu
pflegen. Wie ſehr diß nun dieſen Fuͤrſten ver-
gnuͤgte/ ſo bekuͤmmert erfuhr er den Tag her-
nach aus einem vertrauten Schreiben: daß
Tiberius durch Livien beym Kayſer ausge-
ſoͤhnt/ er auch bereit in Deutſchland zu kom-
men unterweges waͤre/ und in zehen Tagen
erwartet wuͤrde. Weßwegen Saturnin vom
Auguſt Befehl erhielt/ alle Kriegs-Voͤlcker in
Gallien zuſammen zu ziehen; wormit der mit
Segeſthen wieder die Chautzen abgeredete
Feldzug ſo viel fruͤher bewerckſtelliget/ und die-
ſe ſtreitbaren Voͤlcker unvermuthet uͤberfal-
len werden moͤchten. Bey welcher Beſchaffen-
heit er nicht fuͤr rathſam hielt ſeinen Tod-Feind
Tiberius zu Mayntz zu erwarten; ſondern er
eilte unter einem wichtigen Vorgeben nach
Hauſe/ nehmlich: daß er ſeine ohne Haupt
gleichſam in der Jrre gehende Cherusker von
aller Verleitung benachbarter Voͤlcker zuruͤck
hielte. Daher ihn denn nicht allein Satur-
nin mit einer anſehnlichen Reuterey biß auff
ſeine Landes-Graͤntze begleiten ließ; ſondern
die Fuͤrſtin Thußnelde kriegte auch Verlaub
mit denen Chaßuariern nach Teckelnburg/ als
dem
[1261[1263]]Arminius und Thußnelda.
dem Hertzoglichen Sitze abzureiſen. Sege-
ſthes alleine blieb zuruͤcke/ um mit dem Tibe-
rius den bevorſtehenden Feldzug abzureden.
Jnzwiſchen kam Hertzog Herrmann zwar
in wenig Tagen auff ſeine Graͤntzen; aber das
auch den Wind an Geſchwindigkeit uͤbertref-
fende Geſchrey war ihm ſchon zuvor kommen;
und hatte ſeinen Vetter Jngviomer den tapfern
Fuͤrſten der Bructerer/ als ſeinen bißher gewe-
ſenen Stadthalter mit einer anſehnlichen An-
zahl des Cheruskiſchen Adels ermuntert/ ihm
biß an den Eder-Strom entgegen zu ziehen.
Auf der Graͤntze aber begegnete ihm bey na-
he das halbe Land; weil ſein bloſſer Nahme
auch dieſelben/ welche bey denen verwirrten
Zeiten fuͤr Bekuͤmmernuͤs gantz verzagt oder
gar todt geweſt waren/ gleichſam auffs neue
lebhafft machte. Sintemahl nicht nur Unter-
thanen ihnen von einem neuen Fuͤrſten eben ſo
groſſe Hoffnung machen/ als die Schiff-Leute
von einem gluͤcklichen Geſtirne; ja ſie bilden
ihnen von dieſer neuaufgehenden Sonnen ein:
daß er beſſer als der abgelebte Fuͤrſt ſeyn wer-
de/ wie gut er es gleich gemacht hat; ſondern
die in der Fremde ausgeuͤbten Helden-Thaten
hatten auch zu ſo groſſer Hoffnung einen be-
wehrten Grund gelegt. Alſo ward er zwiſchen
dem Gedraͤnge des frolockenden Volckes nach
Deutſchburg begleitet; gleich als wenn er die
entfremdete Gluͤckſeligkeit Deutſchlands wie-
der nach Hauſe braͤchte. Ja keine Cheruski-
ſche Seele lebte/ welche nicht zeither dieſen tapf-
fern Fuͤrſten zu haben/ nunmehr aber lange zu
behalten ſeuffzeten. Jedoch war diß bey Her-
fuͤrbrechung eines ſo wunderwuͤrdigen Fuͤr-
ſtens nicht zu verwundern. Sintemahl iede
Neuigkeit ein Licht iſt/ welches vieler Augen an
ſich zeucht und ſie verblaͤndet. Denn weil der
Menſch fuͤr ſich ſelbſt ſterblich/ die Sterblig-
keit aber abſcheulich iſt/ kriegt er fuͤr allen ver-
alternden/ was ſich zum Untergange neigt/ ein
Grauen/ und hengt ſich an das/ was von ſeiner
friſchen Geburt zu wachſen anfaͤngt. Weil
nun der erſte Anſprung entweder der Jrrweg
oder die rechte Bahn des gantzen Lebens/ fuͤr-
nehmlich aber der Anfang im Herrſchen denen
gefaͤhrlichſten Fehltritten unterworffen iſt; raff-
te Hertzog Herrmann alle Gemuͤths-Kraͤfften
zuſammen in ſeinem Thun die rechte Maaß zu
halten/ und auf kein falſches Ziel abzukommen.
Wie er nun die Geſchichte voriger Zeiten/ in-
ſonderheit aber die Deutſchen im Kopffe hatte;
alſo erforſchte er fuͤr allen Dingen von Jngvio-
mern den gegenwaͤrtigen Zuſtand ſeines Lan-
des/ die Neigungen des Adels/ das Vermoͤgen
des Volckes/ die Buͤndnuͤße und Kraͤfften der
Nachbarn/ um aus dieſer beyder mehrmahli-
gen Erfolg/ nicht aber aus einer einzelen Be-
gebenheit und einem blinden Gluͤcks-Falle
von allen kuͤnfftigen Faͤllen vernuͤnfftig zu ur-
theilen. So bald er ihm hatte huldigen laſ-
ſen; beehrte er die alten Bunds-Genoſſen des
Cheruskiſchen Hauſes mit Geſandſchafften/
fuͤrnehmlich aber trug er denen Catten/ welche
ins gemein denen Cheruskern uͤber Achſel ge-
weſt waren/ ſeine Freundſchafft fuͤr/ und legte
ihnen fuͤr Augen: daß nichts als dieſer Voͤlcker
Mißhelligkeit fremder Macht in Deutſchland
Thuͤr und Thor aufgeſperret haͤtte. Er be-
ſchenckte die treuen Diener ſeines Vaters; be-
kraͤfftigte ſeiner Vorfahren Geſetze/ und er-
freute wolverdiente mit Freyheiten. Er ent-
ſchlug ſich mit fleißigſter Auffſicht aller Neuig-
keiten; ob zwar ſonſt neue Fuͤrſten ins gemein
fuͤr alber halten in die Fußſtapffen voriger Herꝛ-
ſcher zu treten; ob ſie ſchon ihre eigene Eltern
geweſt. Gleichwol aber vergnuͤgte er ſich nicht
mit den Siegs-Fahnen ſeiner ruͤhmlichen Ah-
nen; ſondern wie er ihm ehe zu ſterben fuͤrſetzte/
als etwas ihrer Tugend unaͤhnliches und ih-
rem Ruhme verkleinerliches zu beginnen; alſo
hielt er ihr gelaſſenes Ziel fuͤr ſeinen Anſprung/
U u u u u u u 3und
[1262[1264]]Achtes Buch
und muͤhte ſich ihnen es bevor zu thun. Wiewol
auch ohne diß von Alters her der Deutſchen
ſchoͤnſter Purper-Rock/ Schild und Spieß der
Jugend erſte Zierrathen waren; ſie auch nichts
minder als die Celtiberier ein tapfferes Pferd
hoͤher als ihr eigenes Blut hielten; ſo brachte
doch Hertzog Herrmann uͤber diß auf: daß der
Adel zu Hochzeiten und allen andern Freuden-
Verſamlungen geruͤſtet erſchien/ um hierdurch
nicht allein der einreiſſenden Kleider-Pracht
(die ſelten fuͤr Froſt und Hitze dienet/ den Feind
nicht verwundet; aber ihn wol zum Angrieffe
und Beute reitzet) zu ſteuern/ ſondern auch ie-
den zu Handthierung der Waffen zu gewoͤh-
nen. Er hoͤhnte die ſich eines Wagens bedie-
nenden Maͤnner; und alſo lernte ein ieder rei-
ten. Kein Feyer ließ er ohne Kriegs-Ubungen
vollbringen/ und hiermit ward das Gefechte
eines iedweden Cheruskers Handwerck. Jns
Laͤger dorffte man keine niedliche Speiſe brin-
gen/ die harten nicht einſt koſten/ kein unge-
waffnetes Weib ſich darinnen blicken laſſen.
Dem Heere ließ er keine Wagen/ auſſer die das
groſſe Geſchuͤtz fuͤhrten/ nachziehen; ſondern
ieder Kriegs-Mann muſte ſein unentpehrliches
Geraͤthe und Koſt tragen. Alle andere Spiele
und Kurtzweilen verwandelte er in Waffen-
Ubung; alle ſeine Geſchencke und Gaben wa-
ren entweder ſchoͤne Pferde/ oder blinckende
Waffen; Und ſein gantzes Gebiete im Frieden
kriegeriſch; welcher ſonſt die Waffen verroſtern/
und die friſcheſten Gemuͤther welck werden
laͤſt. Er befeſtigte den Gottesdienſt durch das
Beyſpiel ſeiner eigenen Froͤmmigkeit; und
vertraute mehr auf Goͤttlichen Beyſtand; als
auf den zerbrechlichen Fuͤrſten-Stab. Er war
bey ſeinem ſechs und zwantzig-jaͤhrigen Alter
ein vollkommener Meiſter uͤber ſeine Gemuͤths-
Regungen; wolwiſſende: daß wer ein Fuͤrſt uͤ-
ber andere ſeyn will/ es muͤſſe vorher uͤber ſich
ſeyn; welches letztere ſchwerer iſt/ als das erſte;
weil dieſes nur ein Sieg euſſerlicher Staͤrcke/
jenes aber der Vernunfft uͤber das Gemuͤthe;
und ein Thun von groͤſſerer Wichtigkeit iſt.
Sintemahl die Schwachheit unzeitiger Ge-
muͤthsregungen einen Fuͤrſten um ſein gantzes
Vermoͤgen bringt/ das in ſeinem einigen An-
ſehen beſteht. Alle Sachen betrachtete er in ih-
rem wahrhaftẽ Weſen/ nicht aber in ihren blaͤn-
denden Schatten. Kein Zorn bemaͤchtigte ſich
ſeiner Vernunfft/ keine Mißgunſt ſeines Her-
tzens; und daher ſagte er in lachendem Muthe
denen Fehlenden die Warheit; und denen/ die
was ruͤhmliches ausuͤbten/ gab er noch einen
Sporn ſich in groͤſſeres Anſehen zu bringen. Er
beſchaͤmte die Verleumdungen durch Verach-
tung und tapffere Thaten; wiewol er in allem
Thun ſo behutſam verfuhr: daß ſelbtes nicht
zweyerley/ und alſo eine boͤſe Auslegung ver-
trug. Denn Fuͤrſten werden nicht nur eigene/
ſondern auch ſo gar fremde Fehler wie dem
Mohnden Finſternuͤſſe; welche doch nicht ſein
eigener/ ſondern des Mohnden Schatten ſind/
zugeeignet/ ja auff ein Haar und einen Augen-
blick nachgerechnet. Hingegen wendete er al-
les Vermoͤgen an/ den Nahmen eines guten
Landes-Fuͤrſten zu bekommen. Kein Schlaff
war ihm zu ſuͤſſe/ keine Lufft zu rau/ keine Kaͤlte
zu ſtrenge/ keine Hitze beſchwerlich die Reichs-
Geſchaͤffte zu verſchieben; wenn es gleich oͤhne
Verminderung ſeiner Geſundheit und ohne
Gefahr ſeines Lebens nicht auszurichten war.
Denn er hielt ihm anſtaͤndiger ſich nach Art ei-
nes Schwantz-Geſtirns mit herrlichem Glan-
tze einzuaͤſchern; als eine todte Kohle in der Er-
de unverweßlich zu bleiben. Gleicher Geſtalt
verdeckte er auffs ſorgfaͤltigſte die Bloͤſſen ſeiner
Staats-Diener/ und die Schwaͤche ſeines
Reiches; weil ihm unverborgen war: daß wie
der Mittel-Punct bey einer gerade ſtehenden
Seule; alſo das euſſerliche Anſehen bey groſſen
Herrſchafften die einige Urſache ihres ſo feſten
Standes ſey; Herentgegen ein ſchon ſeitwerts
ſich neigendes Rieſen-Bild auch mit einem Fin-
ger;
[1263[1265]]Arminius und Thußnelda.
ger; und das groͤſte Kayſerthum/ wenn es ſchon
einmahl ihm hat die Bruͤſte betaſten/ und ein
Fuͤrſt ihm in die Karte ſehen laſſen/ von ei-
nem mittelmaͤßigen Feinde uͤber einen Hauf-
fen geworffen werden koͤnne. Er ſtraffte groſſe
Verbrechen an wenigen/ uͤberſahe die kleinen
an vielen. Er hielt ſeinen Gewalthabern/ als
denen Armen ſeiner Macht/ kraͤfftigen Schutz;
und raͤumte die/ welche ſich an ſeinem Vater
vergrieffen hatten/ aus dem Wege. Als er ei-
nem Edelmanne/ welcher mit Hertzog Segi-
mers Feinden heimlich zugehalten hatte/ den
Kopff wolte abſchlagen laſſen/ und ſeine Ge-
ſchlechts-Freunde ſolches im Kercker zu voll zie-
hen baten/ antwortete er ihnen: der Gerechtig-
keit wuͤrde nicht ihr Recht gethan; wenn es an
einem unrechten Ort geſchehe; und ein fuͤr ih-
res verdammten Mannes Leben ein anſehnli-
ches Stuͤcke Geld anbietende Frau beſcheidete
er: Die Gerechtigkeit lieſſe ſich durch aller Welt
Schaͤtze nicht bezahlen; dahero ſtuͤnde es auch
ihm nicht zu ſie zu verkauffen. Nichts deſto we-
niger uͤberwog ſeine Gnade iederzeit die
Schaͤrffe der Richter; und die Belohnungen
theilte er nach dem ſchweren; die Zuͤchtigungen
nach dem leichten Gewichte aus. Er ließ der
Zeit nicht nur ſeinen Lauff; und buͤckte ſich de-
nen Verfolgungen des Gluͤcks beſcheidentlich
aus; nach dem die Ungedult eine Mutter ſchaͤd-
licher Mißgeburten; die Hoffnung eine Uber-
winderin ſo gar des Verhaͤngnuͤſſes iſt; ſondern
er behielt bey Gluͤck und Ungluͤck einerley Ge-
ſichte; und die Vollkommenheit ſeines Gemuͤ-
thes nicht anders/ als ein Loͤwe in iedem Stuͤcke
eines zerbrochenen Spiegels das Bild ſeines
gantzen Leibes. Alſo: daß der ſonſt ſo uner-
ſchrockene Fuͤrſt Jngviomer ſich ſelbſt offt/ und
inſonderheit eines mahls/ als Quintilius Va-
rus die Deutſchen ſo ins Gedrange brachte/ auch
Segeſthes ihm die verlobte Fuͤrſtin Thußnelde
zu vermaͤhlen rund abſchlug/ daruͤber ver wun-
derte; und auff ſeine Befragung: Ob ihm denn
Deutſchlands Unterdruͤckung und ſeiner Braut
Verluſt nicht zu Hertzen gienge? Vom Hertzog
Herrmann zur Antwort bekam: die Natur haͤt-
te dem Menſchen ein Hertze in die lincke/ keines
in die rechte Seite geſetzt; weil ſie beym Wol-
ſtande keines bedoͤrfften/ beym Ungluͤcke aber
ihre Hertzhafftigkeit bezeugen ſolten. Ja ſeine
Großmuͤthigkeit wuſte aus ieder Noth eine
Tugend/ ſeine Klugheit aus dem Verluſt einen
Vortheil zu machen/ und ſeine Erfahrenheit
mit iedem/ ja auch mit wiederwaͤrtigem Winde
zu ſchiffen; und bey zweyen unvermeidlichen U-
beln nach dem Beyſpiel eines lieber auff einer
Sand-Banck ſtrandenden/ als auff einer Klip-
pe zu ſcheutern gehenden Schiffers das erleid-
lichſte zu erkieſen.
Wie es nun viel zu weitlaͤufftig fallen wuͤrde
alle abſondere Faͤlle zu vernehmen/ darinnen
unſer Herrmann alles dieſes angewehrete; alſo
laͤſt ſich doch nicht verſchweigen/ wie er bey dem
Roͤmiſchen Feldzuge wieder die Chautzen und
Longobarden nicht nur ſein Gemuͤthe bey ſich
ereignenden Gelegenheit ſeine Herrſchafft zu
vergroͤſſern gemaͤßiget/ ſondern auch ſeinen
Unwillen zu verſtellen/ und ſich unzeitigen
Mitleidens zu enteuſſern gewuſt habe. Tibe-
rius/ Saturnin und Segeſthes drangen
Deutſchlande biß ins iñerſte Heꝛtze; bemeiſteꝛten
nicht nur die denen Cheruskern ſo wehrte Chau-
zen/ ſondern legten auch ſo gar der Elbe em-
pfindlichere Feſſel/ als Xerxes dem Meere an.
Die Cherusker fuͤhlten alle Tage mit Einlauf-
fung einer traurigen Zeitung uͤber die andere in
ihrem Gemuͤthe einen Donnerſtrahl; alſo la-
gen ſie ihrem Hertzoge Tag und Nacht mit
Thraͤnen an/ ihren alten und lieben Freunden
in ihrer euſſerſten Noth beyzuſpringen. Herr-
mann aber ſtillte ſie darmit: Man waͤre einem
Schiffbruch-leidenden Freunde nicht ſeine
Hand zu reichen verbunden/ wenn man allem
Anſehen nach ſelbſt von ihm in Abgrund gezo-
gen werden ſolte. Seine Huͤlffe wuͤrde auff
Seiten
[1264[1266]]Achtes Buch
Seiten der Chautzen wegen der allzugroſſen
Macht der Roͤmer umſonſt/ und der Cherus-
ker Untergang ſeyn. Die eigene Liebe gienge
fremder fuͤr; und ein Fuͤrſt ſolte lieber ſeine
Nachbarn/ als ſeine Unterthanen weinen ſe-
hen. Ja ſeine Huͤlffe doͤrffte denen Chauzen
noch darzu mehr ſchaͤdlich als vortraͤglich fal-
len; weil ſie ſich hierauff verlaſſen und alles auf
die Spitze ſetzen/ die vom Tiberius aber ihnen
noch angetragene leidliche Friedens-Vorſchlaͤ-
ge ausſchlagen moͤchten. Welches letztere er
dem Fuͤrſten Ganaſch treuhertzig gerathen/ ſich
auch zum Vermitler angeboten haͤtte; unge-
achtet er wuͤſte: daß nichts gefaͤhrlicher ſey/ als
auch auf Anſuchen oder aus Pflicht einem Rath
geben; weil deſſen Guͤte nach dem ungewiſſen
Ausgange geurtheilt/ und alle ſchlimme Zu-
faͤlle dem kluͤgſten Rathgeber zugemaͤſſen wuͤr-
den. Hierbey ſetzten ihm nicht nur die Chauzen/
ſondeꝛn auch die Brueterer/ Chamaver/ Angri-
varier uñ Frieſen mit dieſer empfindlichen Ver-
ſuchung zu: daß ſie ihm uͤber ſich die deutſche
Feldhauptmannſchafft eigenbeweglich antru-
gen; und einhielten: Er koͤnte ohne Verklei-
nerung ſeines Hauſes/ ohne uͤbeln Nachklang
bey der Nachwelt dieſe von ſeinen Vor-Eltern
ſo viel hundert Jahr erhaltene Wuͤrde nicht
aus den Haͤnden laſſen/ und ſie dem wanckel-
muͤthigen Segeſthes/ oder vielmehr ſeinem
herrſchſuͤchtigen Weibe/ eines ſchlechten Roͤmi-
ſchen Edelmanns Tochter/ und zwar zu ewi-
ger Schande aller deutſchen Fuͤrſten/ von den
Roͤmern zu entraͤumen verſtatten. Hertzog
Herrmann ſeuffzete zwar uͤber dieſen an ſich
ſelbſt allzuwahren Bewegungs-Gruͤnden;
ſahe auch wol: daß der Ruhm ſeiner Tapffer-
keit in Gefahr und Zweiffel gerathen wuͤrde.
Sintemahl der wenig Weſens von der Tugend
machen koͤnte/ der nicht viel nach der Ehre
fragte. Gleichwol aber ließ er ſich weder die
uͤbele Nachrede hitziger Koͤpffe; nach den Schat-
ten ohnmaͤchtiger Vertroͤſtungen zu einem un-
zeitigen Eyver bewegen/ ſondern hielt fuͤr ver-
antwortlicher ein Theil von ſeinem groſſen Na-
men/ als ſein gantzes Reich einzukuͤſſen. Wel-
ches letztere beſorglich war/ weil die groſſe
Macht der Roͤmer/ wie in einem halben Zir-
ckel die Cherusker ſchon durch Beſetzung der
Cattenburg/ der Feſtung Segodun/ Aliſon/
und Fabiram umzingelt hielten/ und alle Tage
an unterſchiedenen Orten in ſeine durch ſo lan-
ge Kriege an Vorrath und Mannſchafft aus-
geſogene Laͤnder einbrechen konten/ auff der
Catten Huͤlffe ſich nicht zu verlaſſen/ Marbod
auch ſelbſt am Ruͤcken zu fuͤrchten war. Dahero
er denn ſeinen eigenen hierzu geneigten Raͤthen
einhielt: Einem gemeinen Manne gienge es
hin/ wenn er auch nach was unmoͤglichem ſtreb-
te; Ein Fuͤrſt aber ſolte ſich nicht einſt in was
gefaͤhrliches verlieben. Der meiſten Reiche
Untergang ruͤhrte daher: daß ihrer Fuͤrſten uͤ-
bermaͤßige Ehrſucht nicht die Umſchrenckung
ihrer Macht/ und das Gewichte des von ihnen
verlangten Dinges uͤberleget haͤtten. Den heff-
tigſten Streit aber in Hertzog Herrmanns Ge-
muͤthe erregte: daß die Roͤmer nach uͤberwun-
denen Chautzen nunmehr auch die Angeln und
Longobarden/ derer Nahmen ſie kaum gehoͤret/
alſo keine Beleidigung zur Urſache des Krieges
anzuziehen hatten/ mit aller Macht angrieffen;
alſo denen Cheruskern in Ruͤcken kamen/ und
mit Behauptung der Elbe ſie vollends gar um-
ſchloſſen. Wie nichts minder: daß der durch
dieſen gluͤckſeligen Streich und Unterdruͤckung
des ihm verhaſten Fuͤrſten Ganaſch hochmuͤthi-
ge/ oder durch ſeiner Gemahlin Sentia Lieb-
koſen/ und des Tiberius groſſes Verſprechen
gantz umgewendete Segeſthes dem Fuͤrſten
Herrmann Thußnelden zu vermaͤhlen rund
abſchlug; Sie auch dem Tiberius wuͤrcklich uͤ-
her geben haͤtte/ wenn ſie nicht auff unſers Her-
tzogs Warnigung ſich zu der Cattiſchen Hertzo-
gin gefluͤchtet haͤtte. Nicht nur die Cherusker/
ſondern auch die Angeln und Longobarden ſtell-
ten
[1265[1267]]Arminius und Thußnelda.
ten beym erſtern dem Fuͤrſten Herrmann der
Roͤmer Herrſchensſucht/ und die aus ihrer U-
berwuͤndung auch denen Cheruskern unzweif-
felbar zuwachſende Dienſtbarkeit vor Augen;
als welche von Roͤmern ſich keiner andern Gna-
de/ als am letzten gefreſſen zu werden/ verſehen
moͤchten. So viel augenſcheinliche Beyſpie-
le: daß nach dem die Fuͤrſten mit den Roͤmern
ſtets einzelicht gefochten/ die halbe Welt unters
Joch verfallen waͤre/ ſolten doch denen Cherus-
kern die Augen aufthun/ daß ſie mit ihnẽ wieder
aller Feind in Gemeinſchafft der rechtmaͤßigen
Gegen wehre traͤten. Aber auch dieſes war nicht
genung: daß Hertzog Herrmann ſeinen Vor-
ſatz ſich vorher in ſich ſelbſt zu befeſtigen/ ehe er
mit den Roͤmern braͤche/ geaͤndert/ oder ſeine
Furcht und Abneigung von den Roͤmern haͤtte
mercken laſſen. Sintemahl er vernuͤnfftig vor-
her ſahe: daß Koͤnig Marbod/ welcher gegen
die Cheruskiſche Macht mehr keine Eyverſucht
zu faſſen Urſache hatte/ die Longobarden un-
moͤglich Huͤlff-loß/ und die Roͤmer uͤber der
Elbe feſten Fuß ſetzen laſſen koͤnte. Uber diß
erwog er: wie das ſonſt ſo beſchwerliche Ungluͤck
dieſe troͤſtliche Eigenſchafft habe: daß es nichts
minder viel Mitleider/ als der verfinſterte
Mohnde viel Anſchauer habe; alſo gar: daß zu-
weilen die/ welche einen bey ſeinem ſcheinenden
Gluͤcks-Stern gar zur Eule gehabt haben; ihn
bey ſeinem Nothſtande als einen edlen Fenix
bejammern. Mit welcher unnuͤtzen Gewo-
genheit das veraͤnderliche Gluͤcke gleichſam die
Scharte ſeines verterblichen Haſſes auswetzen
wolte. Wiewol zuweilen einige mehr aus ed-
ler/ als kluger Entſchluͤſſung ſich auf die Seite
der Ungluͤcklichen ſchluͤgen; und den Dorn in
ihre Hand ſtaͤchen/ den ſie ihrem Nachbar aus
der Zehe gezogen haͤtten. Wormit er theils
ſeiner Raͤthe fruͤhzeitige Anſchlaͤge ablehnte;
theils die Longobardiſchen Geſandten ver-
gnuͤgte/ auch durch Betheuerung ſeiner Ge-
wogenheit ihre Freundſchafft erhielt/ und ſie
ſelbſt zum Erkaͤntnuͤs brachte: daß ſein Zuſtand
nicht vertruͤge/ ſich in ihre Gefaͤhrligkeit zu
vertieffen. Hingegen erhielt er hier durch des
Kayſers Gewogenheit; und hemmte darmit
dem neidiſchen Tiberius den Ziegel; welcher
nach der Gelegenheit ſich an ihn zu reiben be-
gieriger/ als ein Fiſch nach der Lufft ſchnapte.
Welche Vorſicht denn die Sicherheit ſeiner
Herrſchafft ohne die minſte Verkleinerung ſei-
ner Auffrichtigkeit unterbaute. Denn ob wol
der koͤſtliche Purper-Rock eines Fuͤrſten ohne
einigen Fleck des Betruges ſeyn ſoll; und kein
Sonnen-Staub einiger Untugend ſo klein ſeyn
kan/ welchen man nicht ſo reinen Geſtirnen
anſehe; als Fuͤrſten ſeyn ſollen; ſo iſt doch ih-
nen unverwehret: daß ſie denenſelben/ welche
ſie in ein Ungluͤcks-Garn argliſtig zu verwi-
ckeln trachten/ ein ander Geſichte weiſen/ als
ihr Hertze iſt; oder vernuͤnfftig verbergen/ was
ſie im Schilde fuͤhren. Sintemahl ein kluger
Herrſcher zwar ſich mit keiner Luͤgen behelffen
ſoll; aber fuͤr einem ieden ſein Hertz auszu-
ſchuͤtten nicht ſchuldig; und einen Betruͤger
mit ſeinem eigenen Netze zu fangen wol be-
rechtiget iſt. Alle dieſe Klugheit bekleidete Her-
tzog Herrmann mit einer angenommenen Ein-
falt; gleich als wenn er des Tiberius gefaͤhrli-
che Anſchlaͤge/ und die denen Cheruskern hier-
aus erwachſende Gefahr nicht ergruͤndete.
Wenn ihm auch ſchon ein und ander ſelbte fuͤr-
zuſtellen vermeinte/ fertigte er ſelbten darmit
ab: daß nichts weiter das Ziel der Wahrheit
verfehlte/ als Argwohn. Dieſer bildete ihm ins
gemein unzeitig ein: daß die gantze Welt ſich
wieder ihn ruͤſtete/ nicht anders als die Schif-
fenden vermeinten; alle Gebuͤrge lieffen von
ihnen zuruͤcke. Jn Staats-Sachen gaͤben
auch Zwerg-Baͤume einen Rieſen-Schat-
ten hoher Cedern von ſich; ſonderlich/
wenn die Sonne eines Reiches auff- oder
zu Golde gienge; welchen die allzuſorg-
faͤltigen meiſt fuͤr dem wahrhafften We-
Erſter Theil. X x x x x x xſen
[1266[1268]]Achtes Buch
ſen umarmten. Nichts deſto weniger mach-
te dieſer kluge Fuͤrſt allenthalben ſolche Anſtalt
auff den Graͤntzen/ als wenn er ſich taͤglich ei-
nes feindlichen Einfalls zu verfehen haͤtte; und
in ſeinem Gebiete Kriegsverfaſſungen; gleich
als ob er einen maͤchtigen Feind zu uͤberziehen
im Wercke begrieffen waͤre; alſo: daß er dero-
geſtalt vorher nicht anders/ als ein zum Kampfe
beſtimmter Auer-Ochſe/ welcher ſeine Hoͤrner
an harten Baͤumen verſuchet/ ſeine Kraͤfften
pruͤfete; weil doch allererſt in der Noth aus dem
Steigereiff et was wagen mehr einem Fechter/
als Fuͤrſten zukommt; wegen ſeines Fuͤrhabens
aber anfangs die Nachbarn/ hernach ſein Volck/
endlich ſeine eigene Staats-Diener ſich in ih-
rer Einbildung betrogen ſchauten; und ſein Ab-
ſehen weniger/ als wo eine ſich durch die Dor-
nen windende Schlange endlich mit dem Kopfe
durchfahren wuͤrde/ vorſehen konten. Welche
Klugheit ſo viel weniger zu tadeln iſt; weil die
Natur darmit: daß ſie unſer Hertze ſo tieff in
das verborgene unſer Bruſt verſteckt/ uns ſelbſt
darzu Anweiſung gethan hat. Deßwegen ha-
ben nicht nur die klugen Roͤmer der Goͤttin der
Rathſchlaͤge ein Altar unter die Erde gebaut/
ſondern die Bienen/ wenn man ſie in durch-
ſichtige Bienſtoͤcke ſetzet/ uͤberziehen vorber der-
ſelben Glaß/ ehe ſie ihre andere Arbeit anfan-
gen. Jhre heilſame Wuͤrckung machet auch
wahr: daß ſodenn/ wenn man mehr nicht als
die Helffte ſeines Thuns zeiget/ die an dere Helf-
te aber verbirgt und zum Stichblate behaͤlt/ eine
ſolche Helffte mehr/ als das gantze unſers Vor-
habens ſey; wenn man ſich nemlich mit ſelbtem
auff einmahl bloß giebt. Fuͤrnehmlich aber
verurſachte diß zuruͤcke halten bey iederman
groſſes Nachdencken; weil Hertzog Herrmann
ſich vorher durch ſo viel behertzte Entſchluͤſſun-
gen ſehen laſſen; und die/ welche ihn recht kenn-
ten/ diß fuͤr keine zweiffelhaffte Zagheit ausdeu-
ten konten. Denn durch Zeigung ſeiner Faͤ-
higkeit; durch Verbergung ſeines Anſchlages
machet man eine Kleinigkeit ſeiner Kraͤfften
anſehnlich; eine Maͤßigkeit unbe greiflich und
ſich ſelbſt zum Wunderwercke. Ja die Thor-
heit ſelbſt verliert ihre Schande und den Nah-
men einer Miß geburt; wenn ſie nur nicht ans
Tagelicht kommt. So vorſichtig er nun ſeine
Heimligkeiten verbarg; ſo meiſterlich wuſte er
durch das Bleymaaß ſeiner Scharffſichtigkeit
die Tieffen fremder Gemuͤther/ und zwar auch
des verſteckten Tiberius zu ergruͤnden; alſo:
daß die Roͤmiſchen Adler nir gendshin kamen;
wo ſie Herrmann nicht in Gedancken ſchon gu-
te Zeit vorher hatte fluͤgen ſehen. Dieſer arg-
liſtige Roͤmer machte ihm zwar wieder die Lar-
ve einer abſondern zum Fuͤrſten Herrmann tra-
gender Freundſchafft fuͤr die Augen; und um
ſelbten in den Krieg wieder die Longobarden
und endlich den Koͤnig Marbod einzuflechten/
verſprach er ihm allen Beyſtand zu Erlangung
der deutſchen Feld-Herrſchafft. Aber dieſen
blauen Dunſt vertilgete der kluge Herrmann
mit einem andern Nebel. Denn ob er wol wu-
ſte: daß eine einmahl zerfallene Freundſchafft
einem zerſtuͤckten und zu ergaͤntzen unmoͤgli-
chem Edelgeſteine; ein verſoͤhnter Feind auch
einem heute glaͤntzenden/ mor gen roſternden
Ertzt-Geſchirre/ oder einem ausgemahlnen
und bald wieder waͤßrichten Moraſte aͤhnlich;
ja gleichſam des menſchlichen Gemuͤthes Ei-
genſchafft waͤre/ dem Beleidigten gram zu ſeyn;
ſo reichte er doch dem Tiberius beyde Armen
ſeiner Freundſchafft durch ſcheinbare Vertroͤ-
ſtungen und oͤfftere Beſchenckungen. Wiewol
ſich ſein Hertze von Tag zu Tage/ beſonders we-
gen des ihm zum andern mahl abſpenſtig ge-
machten Segeſthes von ihm abneigte; und er
fuͤr nichts mehr/ als dem Greuel aller Tugen-
den/ und mit dem Tod-Feinde ſeines Vater-
landes Bindnuͤs zu machen Abſcheutrug. Un-
terdeſſen verhuͤllete Hertzog Herrmann ſeine in-
nere Entſchluͤſſung ſo kuͤnſtlich: daß Tiberius
alle Tage ſich des wuͤrcklichen Beyſtandes ver-
ſahe;
[1267[1269]]Arminius und Thußnelda.
ſahe; und gleichwol nach vieler Monathe Auff-
ziehung ſich uͤber keine muthwillige Aeffung be-
klagen konte. Hingegen brachte Herrmann
durch ſeine ſich noch im̃er vergroͤſſernde Kriegs-
Anſtalt denen Longobarden ſo viel zeitlicher den
Beyſtand des Koͤnigs Marbod zu wege; ob
er ſchon unter der Hand den Longobardiſchen
Hertzog Wilhelm nachmahls verſicherte: daß
er ſich von den Cheruskern ehe der Huͤlffe/ als
eines Wiedrigen zu verſehen haͤtte. Sintemahl
Marbod ihm die Rechnung machte: daß das
eingebildete Bindnuͤs der Roͤmer und Cherus-
ker nicht ſo wol auf die Longobarden/ als Maꝛck-
maͤnner das Abſehen haͤtte. Alſo gelten und
wuͤrcken alle Sachen nicht nach der Eigen-
ſchafft ihres Weſens/ ſondern nach dem Schat-
ten ihres blaͤndenden Anſehens. Dahero auch
ins gemein nicht nur albere/ ſondern auch
ſcharffſichtige ſich an der Schale der Dinge ver-
gnuͤgen; und die wenigſten derſelben den Kern
erkennen lernen. Wie nun Herrmann hier-
durch bewehrte: daß eine nach Beſchaffenheit
der Zeit gebehrdete Stirne nichts minder/ als
die Klugheit im Gehirne und die Unerſchro-
ckenheit im Hertzen noͤthig ſey; alſo wolte er
hernach zeigen: daß bey ſich ereignender Gele-
genheit was fruchtbares zu ſtifften/ ſeine Ent-
ſchluͤſſung keines Hebers/ ſeine Tapfferkeit kei-
nes Spornes von noͤthen haͤtte. Denn nach
dem die Roͤmer bey der Zuſammenrinnung der
Havel und Elbe von denen Longobarden und
Marckmaͤnnern den ungluͤcklichen Streich
bekamen; und Tiberius theils wegen verzweif-
felter Uberkunfft uͤber die Elbe in dem Longo-
bardiſchen Gebiete/ theils ſich anderwerts an
denen Marck maͤnnern zu raͤchen an dem Stro-
me hinauf biß zu denen Hermundurern zohe;
und nun zwiſchen dieſen beyden Voͤlckern ein
beſtaͤndiger Krieg vermuthet war; ſchick-
te Hertzog Herrmann an Koͤnig Marbod eine
Geſandſchafft um mit ihm wieder die Roͤmer
ein Buͤndnuͤs zu ſchluͤſſen. Den Tag aber/ als
der Geſandte nach Marbods-Stadt kam/ ver-
glich ſich Marbod mit dem Tiberius; daher je-
ner mit ſeiner Botſchafft hinter dem Berge
halten/ und ſeinen Verrichtungen einen andern
Firnis anſtreichen muſte. Nichts deſto weniger
ſchoͤpffte der ſchlaue Tiberius einen nicht gerin-
gen Argwohn hieraus; daher er ſein Kriegs-
Heer unter dem Sentius Saturnin groſſen
Theils bey den Chauzen/ Bructerern/ und auff
die Cheruskiſchen Graͤntzen verlegte; um die-
ſen ſtreitbaren Voͤlckern die Fluͤgel zu verſchnei-
den; wormit ſie ſich nicht uͤber die Roͤmiſchen
Adler empor ſchwingen moͤchten. Alleine der
vorſichtige Herrmann fand durch ſeine ange-
bohrne Anmuth ein Hefft ſich aus dieſer Schwe-
rigkeit zu reiſſen. Denn wie es fuͤr viel hoͤher zu
ſchaͤtzen iſt aller Gewogenheit/ als vieler Ruhm
zu erlangen; die Hoͤfligkeit aber die gewiſſeſte
Angel edler Gemuͤther/ ja gleichſam eine Be-
zauberung der Unhold iſt; alſo wuſte Hertzog
Herrmann hier mit gegen den tapffern Satur-
nin den Meiſter zu ſpielen/ und ſich ſeines Ge-
muͤthes durch freundliche Bewillkommung und
allerhand Ehrenbezeigungen zu bemaͤchtigen.
Wor zu ihm denn Saturnins vom Herrmann
bereits vorher geſchoͤpffte Meynung leicht die
Bahn brach; weil doch die/ welche man ſchon
hoch ſchaͤtzt/ leicht die Staffel beliebt zu werden
erreichen koͤnnen. Wiewol dieſes letztere nicht
ſo wol von unſerm eigenen Beginnen/ als von
einem gewiſſen Einfluſſe des Geſtirnes/ das
etlichen eine Magnetiſche Krafft anderer Her-
tzen an ſich zu ziehen einfloͤſſet/ den Uhrſprung
hat; oder zum minſten ſeine Vollkommenheit
erreicht. Durch dieſes Band ward Saturnin
ſo gefaͤſſelt: daß er ohne den Hertzog Herrmann
ſchier nicht ſeyn konte; ſondern von der Feſtung
Aliſon mehrmahls nach Deutſchburg kam/ um
ſeiner annehmlichen Geſell ſchafft zu genuͤſſen;
all wo er theils mit aller hand Ritter-Spielen/
theils Jagten und andern Kurtzweilen hoͤchſt-
ver gnuͤglich unterhalten ward. Wie nun Sa-
X x x x x x x 2turnin
[1268[1270]]Achtes Buch
turnin dem Tiberius aus einer angebohrnen
Abneigung/ oder wegen ſeiner Laſter von Her-
tzen gram war; und er deßwegen denen Deut-
ſchen/ welchen Tiberius zu Kopffe wachſen wol-
te/ ſo viel moͤglich/ beym Kayſer die Stange
hielt; alſo ward Saturnin durch einen beſon-
dern Zufall in ſeinem Fuͤrnehmen geſtaͤrcket.
Denn als ihm Hertzog Herrmann auf dem
Blocks-Berge eine Jagt beſtellt hatte/ und ſie
um Mitternacht ſchon aus ihrem Nacht-Lager
aufwaren deſto zeitlicher in die Stallung zu
kommen/ traffen ſie noch fuͤr anbrechen dem Ta-
ge auff einer gaͤhen Klippe ein Wahrſager-
Weib an/ welche von eitel beſondern Kraͤutern
einen Kreiß um ſich gemacht; inwendig aber
ſelbten mit eitel dinnem Sande bedeckt hatte.
Fuͤr dem Kreiße kniete ein Kriegs-Mann in
Roͤmiſcheꝛ Tracht/ welcheꝛ die Wahꝛſageꝛin um
ſeine zu Rom verlaſſene Buhlſchafft/ und etliche
andere kuͤnftige Zufaͤlle; endlich um das Gluͤcke
des Kayſers/ des Tiberius und Saturnins be-
fragte. Die Wahrſagerin/ welcher die Haare
gantz ungekaͤm̃t um den Kopf floyen/ und welche
einen weiten weißen uñ nirgendſwo geguͤꝛteten
oder zugeſchlingten Guͤrtel an hatte/ und ſich an
einen mitten im Kreiße ſtehenden Wacholder-
Baum lehnte; fieng an etwas unvernehmli-
ches zu murmeln; darnach ſetzte ſie den lincken
Fuß in ein mit Waſſer gefuͤlltes kuͤpffernes Be-
cken; wuſch denſelben/ und trocknete ihn an ein
weiß Gewand; nahm den aus Eiſen-Kraute
geflochtenen Krantz vom Haupte/ hieng denſel-
ben uͤber ſich an einen Wacholder-Aſt; und nach
dem ſie den lincken Arm ſamt der lincken Bruſt
entbloͤſt hatte/ ſchlug ſie mit einer Tamarinden-
Ruthe ſieben mahl an die Wacholder-Aeſte: daß
die daran hangenden reiffen Beeren haͤuffig
herunter fielen. Dieſe nahm ſie niederknien-
de/ betrachtete eine iede darvon gegen dem durch
die Baͤume ſcheinenden Mohnden auffs ge-
naueſte; hernach ſetzte ſie von dieſen Beeren in
den Sand eine Schrifft zuſammen; welche ſie
mit vielen zwerch uͤber einander gelegten Wei-
den-Zweigen unter ſcheidete. Zuletzt machte
ſie den von Kraͤutern gemachten Zauber-Kreiß
auff/ und nach dem ſie die Tamarinden-Ruthe
zerbrochen/ die Kraͤuter aber in das kuͤpfferne
Becken zuſammen geleſen hatte/ rieff ſie: Ließ
dein und anderer Verhaͤngnuͤs; und hiermit
ſprang ſie in das dickeſte Gepuͤſche. Weil aber
in einem Augenblicke ein ſo hefftiger Sturm-
Wind entſtand; welcher die ſtaͤrckſten Baͤume
mit ihren Wur tzeln auszureiſſen draͤute; fieng
Saturnin/ welcher mit dem Hertzog Herrmañ
hinter einer zwießlichen Tanne dieſer Gaucke-
ley zugeſehen hatte/ lachende an: Dieſer Ein-
faͤltige wird nun wol ſchwerer ſeine Wahrſa-
gung zuſammen leſen; als welche fuͤr Zeiten aus
denen mit einem Buchſtaben bezeichneten/ und
von der Sibylle ausgeſtreuten Blaͤttern muſte
erkieſet werden. Nichts deſto weniger ſahen
ſie: daß dieſer Menſch ihm einen kyhnenen
Spaan anzuͤndete/ und der Wahrſagerin Bee-
ren-Schrifft mit Fleiß unterſuchte. Daher
ſie ſich dem Orte naͤherten/ dem uͤber Zuſam-
menreymung der Wahrſagung faſt aller euſſer-
lichen Sinnen beraubten Roͤmer zuſahen/ und
ihn endlich folgende Reymen zuſammen flicken
hoͤrten:
Saturnin/ welcher dieſe letzten Worte nicht
ohne Beſtuͤrtzung vernahm/ fuhr aus einem ihn
uͤberlauffenden Eyver dieſen ſorgfaͤltigen Rath-
frager mit hefftigen Worten an: welch boͤſer
Geiſt verleitet dich uͤber des Kayſers Leben und
Hauß die Zauberer zu fragen? Weiſt du nicht:
daß du Leben und Vermoͤgen hierdurch ver-
ſchertzet haſt? Dieſer/ als er ſich umkehrte/ und
den ihm allzuwol bekandten Roͤmiſchen Feld-
Hauptmann Sentius vor ſich ſahe/ erſtarrte
wie
[1269[1271]]Arminius und Thußnelda.
wie ein Scheit/ oder als ein von dem Blitz ent-
feelter Leichnam. Endlich erholete er ſich ein
wenig; und nach dem er dem Saturnin zu Fuße
gefallen/ bat er nur um ſein Leben; welches er
nach dem Kriegs-Rechte; weil er als ein Haupt-
mann uͤber hundert Kriegs-Knechte ohne ſeiner
Befehlhaber Bewilligung diß fuͤrgenommen/
verlohren zu haben bekennte. Auſſer dem aber
meinte er genungſam entſchuldigt zu ſeyn; weil
Tiberius ſelbſt ihm nicht dieſe Wahrſage-
rin (welche fuͤr kurtzer Zeit in Rom geweſt waͤ-
re/ und dem Auguſtus etliche Wahrſagungen in
ſeinen Arm eingeſchnitten haͤtte) um ſein und
des Kayſers Begebnuͤſſe zu befragen befohlen
haͤtte. Dieſen Fragen haͤtte er aus Vorwitz
ſeiner Buhlſchafft/ und aus ſonderbahrer Ver-
bindligkeit des Saturnins kuͤnfftiges Gluͤck zu
vernehmen beygeſetzt. Denn er waͤre Scri-
bonius; welcher unter dem Saturnin zum er-
ſten den Kriegs-Guͤrtel umgemacht/ auch von
ihm itzige Staffel erlangt/ auff des Kayſers
Befehl aber von dieſer beruͤhmten Wahrſage-
rin/ welche mit denen tieffſinnigſten Druyden
in vertraͤulicher Gemeinſchafft lebte/ und un-
geachtet der ihr vom Kayſer und Livien zu Rom
verordneten herrlichen Verpflegung/ doch die-
ſes wegen vieler zu der Wahrſagung bewehr-
ter Kraͤuter beruͤhmte Gebuͤrge mit denen Lieb-
ligkeiten Jtaliens nicht haͤtte ver wechſeln wol-
len/ ſo gar unterſchiedene Geheimnuͤße/ die
ihm die Chaldeer nicht zu eroͤffnen gewuͤßt/
erlernet haͤtte. Saturnin antwortete ihm: Es
ſolte zwar fuͤr dißmahl ſeinem Verbrechen die
Straffe nach geſehen ſeyn; er ſolte ſich aber fort-
hin entweder dieſes Aberglaubens/ oder des
Krieges enteuſſern. Er kam hierauff zwar
mit dem Hertzog Herrmann in die Stallung/
und die Jagt gieng mit Erlegung vieler Baͤ-
ren und wilder Schweine gluͤcklich ab; aber
Saturnin war allezeit in tieffen Gedancken;
ob ihm ſchon Hertzog Herrmann durch vor ge-
bildete Eitelkeit der Zauberey alle Traurigkeit
auszureden ſich euſſerſt bearbeitete. Ja es
wurtzelte in dem Gemuͤthe des Saturnins ein
un verſoͤhnlicher Haß wieder den Tiberius; hin-
gegen eine nicht geringe Gewogenheit gegen
die von ihm gedruͤckte Deutſchen ein. Weil
doch das menſchliche Gemuͤthe dem ſchwerlich
hold bleiben kan/ von dem es ſeinen Untergang
zu beſorgen hat; und die neu-angeſponnene
Feindſchafft die aͤltere nicht nur verduͤſtert/ ſon-
dern auch verurſacht: daß man ſich auff dieſer
ihre Seite ſchlaͤgt. Dieſemnach denn die Chau-
tzen und andere gleichſam gefaͤſſelte Deutſchen
vom Saturnin nicht als Uberwundene/ ſon-
dern als Bunds-Genoſſen gehalten; und des
Tiberius wieder die Cherusker zu Rom ange-
ſponnene Anſchlaͤge durch Saturnins Vor-
ſchrifften zu Waſſer gemacht wurden. Nach-
dem auch Saturnin die Roͤmiſchen Waffen
von Deutſchland unmoͤglich gar abhalten kon-
te; brachte er es doch beym Kayſer ſo weit: daß
ſelbte von dem Fuͤrſten Herrmann abgelehnt/
und gegen den uͤber die Roͤmiſche Hoheit einen
all zugroſſen Schatten abwerffenden Marbod
zu gebrauchen beſtimmt wurden.
Die Fuͤrſtin Thußnelda lebte inzwiſchen bey
der Cattiſchen Hertzogin des Fuͤrſten Arpus
Gemahlin ſo verborgen: daß Segeſthes und
Tiberius das wenigſte von ihrem Auffenthalt
erfahren konten. Gleich wol aber unterhielt ſie
den Fuͤrſten Herrmann mit ihrer holdſeligen
Brieff-Wechſelung. Und ob wol dieſer die
zwiſchen ihnen beſchloſſene und vom Sege-
ſthes zweymahl beliebte Heyrath zu voll zie-
hen bey Thußnelden beweglich anhielt; ſo
machte doch dieſe fromme Heldin wegen
beſorgten vaͤterlichen Unwillens allerhand
Schwerigkeit/ und Hertzog Arpus/ welcher
durch Thußneldens Vermittelung mit dem
Cheruskiſchen Hertzoge vertraͤuliche Freund-
ſchafft aufrichtete/ wiederrieth ſolches noch zur
X x x x x x x 3Zeit
[1270[1272]]Achtes Buch
Zeit deßhalben: daß der fuͤr toller Brunſt gleich-
ſam wuͤtende Tiberius ſo viel ehe gegen die Che-
rusker in Harniſch gebracht/ und Saturnin ſei-
nem Eydam Segeſthes zu Liebe das bißherige
gute Verſtaͤndnuͤs mit dem Fuͤrſten Herrmann
abzubrechen verurſacht werden doͤrffte. Weil
nun Thußnelda bey den Catten in ſicherer
Verwahrung waͤre/ ſolte er der Zeit/ welche
alle Dinge doch endlich zu ihrer reiffen Voll-
kommenheit braͤchte/ noch ein wenig nachſehen.
Die Cherusker und Catten ſtuͤnden zwar wie-
der in ziemlicher Verfaſſung/ um auf allen Fall
den Roͤmern die Spitze zu bieten/ und Auguſt
ſelbſt wiederſtrebte des Tiberius ungeſunder
Liebe. Allein die/ welche mit dem Lichte der
Vernunfft/ und nach der Richtſchnur der Klug-
heit einen gewiſſen Zweck zu erreichen gedaͤch-
ten/ vertiefften ſich nicht auſſer euſſerſte Noth in
die gefaͤhrlichen Strudel ungewiſſer Zufaͤlle.
Von den Klippen guter Hoffnung lieſſe ſichs
zwar leicht biß an das Ufer des gluͤckſeligen Ey-
landes ſehen; aber es waͤre zwiſchen beyden En-
den eine tieffe Klufft befeſtigt. Dieſemnach waͤ-
re es beſſer dem Gluͤcke die Gelegenheit beneh-
men mit uns nach ſeinem Belieben zu ſpielen/
als deſſelbten mit ſo viel Gefahr Meiſter wer-
den. Das Verhaͤngnuͤs/ welches ihr heiliges
Band der Ehe augenſcheinlich ſelbſt geſtifftet
haͤtte/ wuͤrde ſchon der Gelegenheit dieſen Noth-
zwang auffbuͤrden; daß ſie beyden Verlobten
ſelbſt die Hand reichen muͤſte/ um ſie in den Ha-
fen ihrer verlangten Vergnuͤgung zu ziehen.
Alſo muſte nur Hertzog Herrmann ſich mit Ge-
dult faſſen/ ungeachtet er ſeiner Liebſten Abwe-
ſenheit ſo lange Zeit nicht ohne die hefftigſte
Gemuͤths-Kraͤnckung vertragen konte. Alleine
das Gluͤcke muͤhte ſich entweder dem großmuͤ-
thigen Herrmann noch ein Bein unterzuſchla-
gen/ oder das Verhaͤngnuͤs wolte ſeine Treue
noch beſſer pruͤfen. Daher die fuͤr dem Tiberius
verſteckte Fuͤrſtin Thußnelda aus ihrer Ver-
duͤſterung einem andern unter Augen leuchtete/
um vielleicht dem Fuͤrſten Herrmann zu begluͤ-
cken: daß er die zwey groͤſten Haͤupter Euro-
pens zu N[e]ben-Buhlern gehabt/ auch beyden
den Preiß abgerennt haͤtte. Dieſe Begebnuͤs
aber/ ſagte Adgandeſter/ kan dieſe Erlauchte
Verſamlung nicht unverfaͤlſchter/ als aus dem
Munde der Cattiſchen Hertzogin vernehmen;
als welche nicht nur eine gegenwaͤrtige Zu-
ſchauerin; ſondern eine wahrhaffte Schutz-
Goͤttin unſer Hertzoglichen Braut abgegeben
haͤtte. Dieſe aber lehnte die Erzehlung von
ſich hoͤflich ab; weil ſie ſelbſt mit in die Geſchich-
te eingeflochten waͤre/ und ſich ehe dieſer Geſell-
ſchafft zu entbrechen Urſache haͤtte; wenn ihre
Begierde derſelben auffzuwarten ſie nicht zu-
ruͤcke hielte. Es koͤnte aber die ſich ohne diß in
der Schuld befindende Graͤfin von der Lippe
alle ſo wol vergnuͤgen/ als ſie vertreten; weil ſie
von allem die genaueſte Wiſſenſchafft haͤtte.
Einer ſolchen Fuͤrſtin Anmuthen war der Graͤ-
fin ein genungſamer Befehl; und daher fieng
ſie ohne Umſchweiff die verlangte Erzehlung
derogeſtalt an:
Es ſind wenig Jahre: daß Koͤnig Marbod
auff einer Jagt an der Bojiſchen und Hermun-
duriſchen Graͤntze ein ſiedend heißes Quell/
welches mitten aus einer kalten ſich kurtz dar-
auff in den Enger-Fluß ſtuͤrtzenden Bach ſei-
nen Uhrſprung nimmt/ bey Verfolgung eines
daraus auff gejagten und von dem heiſſen Waſ-
ſer rauchenden wilden Schweines erforſchet
hatte. Weil man nun ſolches fuͤr ein heilſames
Mittel wieder viel Kranckheiten-erkennet/ alſo
daſelbſt fuͤr Jnn- und Auslaͤnder zu bequemem
Auffenthalt etliche zierliche Haͤuſer erbauet/
und dieſen Ort mit groſſen Freyheiten begabet
hatte; riethen dero Aertzte auch der gefaͤhrlich
erkranckenden und hier anweſenden Fuͤr-
ſtin Erdmuth: daß ſie ſich dieſes warmen Ba-
des gebrauchen ſolte. Eine Thußnelden/ wie-
wol aus bloſſer Gemuͤths-Kranckheit zuſtoſſen-
de Schwachheit; und daß Erdmuth vorer-
wehnte
[1271[1273]]Arminius und Thußnelda.
wehnte Cattiſche Hertzogin gleichſam ohne die
annehmliche Thußnelde nicht leben konte; ver-
urſachten: daß dieſe jener Reiſe-Gefaͤrthin
war; Wiewol ſie/ um ſo viel unbekandter zu
bleiben/ nur die Stelle einer adelichen Jung-
frau bekleidete. Koͤnig Marbod/ ſo bald er von
der Dahinkunfft einer ſo groſſen Fuͤrſtin Nach-
richt erhielt; ließ ſelbte mit allerhand Noth-
durfft und Erfriſchungen verſorgen. Der Rit-
ter/ welcher diß uͤberbrachte/ wuſte ſeinem Koͤ-
nige den groſſen Helden-Geiſt und die Klugheit
dieſer Fuͤrſtin/ wie auch die Schoͤnheit ihres
Frauenzimmers nicht genungſam zu ruͤhmen;
Daher er unter dem Vorwand einer Jagt mit
wenig Edelleuten unbekandter Weiſe in dieſen
warmen Brunnen kam. Und weil die Fuͤrſtin
mit dem andern Frauenzimmer in einem rund
gewoͤlbten Saale badete/ worinnen ein von
weiſſem Marmel gemachtes Behaͤltnuͤs durch
verborgene Roͤhren das vorhin eine gantze
Nacht abgekuͤhlte Waſſer in ſich bekam/ nach
ſelbiger Landes-Art aber dieſer Platz dem Vor-
witz aller dahin kommenden unverſchloſſen
ſtand/ kriegte Marbod diß/ was er verlangte/
unſchwer zu Geſichte. Aber ſo leicht die Roſe
zwiſchen andern Blumen/ ein Diamant un-
ter andern Edelgeſteinen/ der Mohnde bey an-
dern Sternen zu erkieſen iſt; ſo geſchwinde fiel
dem Koͤnige fuͤr andern die unver gleichliche
Geſtalt Thußneldens ins Geſichte; oder die
Liebe kroch vielmehr durch dieſe zwey Pforten
ihm in das innerſte ſeiner Seele. Der Schnee
ihrer zarten Glieder ſteckte in dieſen nicht ſo
wol von unter-irrdiſchem Schwefel/ als von
ihren lodernden Anmuths-Strahlen erhitztem
Waſſer Marbods Hertze mit unausleſchlichen
Flammen an. Sein Gemuͤthe beklagte: daß
ſein Leib allzu wenig Augen haͤtte ſich durch An-
ſchauen einer mehr/ als irrdiſchen Schoͤnheit zu
erſaͤttigen. Je mehr er aber ſie anſchauete; ſo
viel mehr ward ſein Verſtand verfinſtert/ und
ſein Geiſt entſeelet. Denn die Schoͤnen ver-
blaͤnden mit ihrem Glantze wie die Sonne/ und
toͤdten mit ihrer Lebhafftigkeit/ wie das Feuer.
Ja Marbod war in einem Augenblicke ſchier
gantz auſſer ſich. Denn ſeine Seele hatte ihr
eine andere Wohnſtatt nehmlich den herrlichen
Tempel dieſer himmliſchen Fuͤrſtin er wehlet;
und es ſchiene von ſeinem Leben nichts/ als die
Empfindligkeit groͤſſeſter Schmertzen uͤbrig
geblieben zu ſeyn. Weil er nun ſeine eigene
Ohnmacht an ſich erkennte; war er will ens/ ſich
nicht/ wie er wol anfangs ihm fuͤrgeſetzt hatte/
erkennen zu geben; ſondern zu Verhuͤtung ſei-
ner Schwachheit ſich wieder zu entfernen. Aber
Thußneldens Anmuth zohe ſeine Augen mit
unſichtbaren Ketten nachdruͤcklicher/ als der
Nordiſche Angel-Stern die Magnet-Nadel
an ſich. Daher er nach Art derſelben Welt-
weiſen/ welche nur um die Sonne anzuſchauen
gebohren zu ſeyn vermeinten/ ſein Geſichte nie
von ihr verwendete/ auch von dar zu ſcheiden
ſich nicht uͤber winden konte/ biß die Zeichen zum
Ausbaden durch eine Glocke gegeben/ und alle
Zuſchauer zu entweichen genoͤthiget wurden.
Unter wehrender Ankleidung des Frauenzim-
mers erholte ſich Marbod gleichwol ſo viel: daß
er unter dem Nahmen eines vom Koͤnige um
ihre Geſundheit zu vernehmen abgeſchickten
Marckmaͤnniſchen Ritters bey dem Heraus-
gehen der Hertzogin den Saum des Rockes/ ih-
rem Frauen-Zimmer aber die Hand zu kuͤſſen
Erlaubnuͤs bat. Es waͤre aber dieſe Vermeſ-
ſenheit dem Koͤnige bald uͤbel gerathen; weil er
bey Anruͤhrung Thußneldens ſchneeweißer
Hand gantz erſtarrete; alſo daß er mit genauer
Noth/ iedoch nicht ohne Anmerckung ſeiner
Veraͤnderung/ ſo wol ſeiner Gefaͤrthen/ als der
Hertzogin denen folgenden Fraͤulein die aus-
gebetene Ehrerbietung bezeigen konte. Weß-
wegen auch die Fuͤrſtin Erdmuth bald darauf
mit Thußnelden/ als ſie an der Bach auf einer
Wieſen ſich ergiengen/ ſchertzte; und ihr/ wie
ſie eine Marckmaͤnniſche Land-Frau ſo bald
werden
[1272[1274]]Achtes Buch
werden koͤnte/ laͤchelnde vorhielt. Marbod war
kaum in ſeinen Koͤniglichen Sitz ankommen;
als er ſeine vierzehnjaͤhrichte wunderſchoͤne
Tochter Adelmund/ derer Mutter die beruͤhm-
te Gothoniſche Fuͤrſtin Marmeline vor zwey
Jahren geſtorben war/ in den warmen Brun-
nen die Hertzo gin Erdmuth annehmlich zu un-
terhalten abfertigte. Dieſe kam mit einem
praͤchtigen Aufzuge daſelbſt an/ und erzeigte
der Hertzogin nicht allein alle erſinnliche Hoͤff-
ligkeiten/ ſondern beſchenckte ſie und das ge-
ſamte Frauenzimmer mit vielen Koͤſtligkeiten/
in ſonderheit aber mit Perlen/ Diamanten und
Granaten/ welche in den Bojiſchen Waͤſſern
und Gebuͤrgen gefunden werden. Nach dem
auch diß Bad der Hertzogin ſehr wol zuſchlug/
und ſie ſich bey ziemlichen Kraͤfften befand; lud
die Fuͤrſtin Adelmund die Hertzogin und ihr
Frauenzimmer in einen eine Meile von dar
gelegenen Koͤniglichen Garten/ welcher wegen
der koͤftlichen Spring-Brunnen/ der ſeltzamen
Gewaͤchſe/ der frucht baren Baͤume/ der luſti-
gen Gegend und des mit vielerley Wild erfuͤll-
ten Thier-Gartens fuͤr den herrlichſten in
Deuſchland gehalten ward. Jnſonderheit wa-
ren um ſelbige Gegend ſo viel Faſanen zu
ſchauen: daß ſie mit dem Fluſſe Phaſis um den
Vorzug zu kaͤmpffen ſchien. Als dieſe Ver-
ſamlung des Frauenzimmers in der vertraͤu-
lichſten Erluſtigung ſich befand/ und in einer
von eitel Muſcheln und Korallen beſetzten Hoͤ-
le bey dem hin und wiederſpritzenden Waſſer
wegen damahliger Mittags-Hitze ſich abkuͤh-
lete/ kam ein Edel mann/ und deutete der Her-
tzogin an: daß Koͤnig Marbod ſchon im Gar-
ten waͤre. Sie war auch kaum aus der Hoͤle
durch einen uͤberlaubten Gang zu einem mar-
melnen Spring-Brunnen kommen/ als der
Koͤnig in praͤchtiger Tracht mit vielen Groſſen
ſeines Hofes ihr begegnete; und ſie und alle ihr
Frauenzimmer auffs hoͤflichſte bewill kommte.
Dieſe aber wurden auffs hoͤchſte beſtuͤrtzt/ als ſie
nun mehr wahrnahmen: daß der ſie fuͤr etlichen
Tagen im warmen Brunnen heimſuchende
Edelmann eben der Koͤnig Marbod ſelbſt ge-
weſen waͤre. Weßwegen denn die Hertzo gin
nichts minder ſich/ als die Jhrigen entſchuldig-
te: daß ſie aus Jrrthum ihm nicht mit gehoͤri-
ger Ehrerbietung begegnet waͤren. Marbod
verſetzte: es koͤnte eine ſo voll kommene Fuͤrſtin
mit ihrer ſo außerleſenen Geſellſchafft gegen
niemanden ſich einigerley Weiſe gebehrden:
daß ſich nicht auch ein Koͤnig darmit zu verg nuͤ-
gen haͤtte. Mit welchen annehmlichen Wort-
wechſelungen ſie denn einander biß zu der an
der Seite des rauſchenden Waſſers unter einem
goldgeſtuͤckten Perſiſchen Zelt zubereiteten
Taffel unterhielten. Bey welcher Thußnelde
alsbald wahrnahm: daß Marbod ein beſon-
ders Auge auff ſie hatte; indem er bey ſeiner an-
gemaſten Frende doch allezeit eine Schwer-
muth mercken ließ; und wenn er mit Thußnel-
den nur etliche Worte wechſelte/ oder ſie nur
anſahe/ iedesmahl ſeine Farbe veraͤnderte.
Denn weil das Feuer der Liebe an Geſchwin-
digkeit den Blitz uͤbertrifft/ die Seele aber
gleich ſam im Blute ſchwimmet/ kan dieſe ſchier
keine Bewegung ohne ſeine Aufwallung em-
pfinden Gleichwol unter hielt Marbod Thuß-
nelden am aller meiſten mit Geſpraͤchen; und
vergnuͤgte ſich gleichſam: daß ſeine Veraͤnde-
rung ie mehr und mehr die Verwirrung ſeines
Gemuͤthes an Tag gaͤbe/ und ſein Antlitz der
erſte Vorredner ſeiner Liebes-Werbung wuͤr-
de. Hiermit hatte Thußnelde uͤber der Taffel
bey ſolchen Anmerckungen ſo tieff in das Hertze
Marbods geſehen/ als wenn die Natur ihm
ein Fenſter an die Bruſt geſetzt haͤtte. Denn
die/ welche ihre eigene Liebe ſchon pruͤfen ge-
lernet/ verſtehen leicht auch fremder Verliebten
ſtumme Sprache; und ihre Augen geben nicht
weniger rechte Fern-Glaͤſer ab/ welche ſo gar
die verborgenſten Gedancken erkieſen; ſie ſelbſt
als das aller geiſtreichſte Theil des Menſchen/
in
[1273[1275]]Arminius und Thußnelda.
in welchem die Seele wohnet/ die Jaͤger unſer
Begierden/ die deutlichſten Dolmetſcher unſers
Hertzens/ die Mahler unſer Gedancken/ die
Maͤckler unſer Liebe/ ja gleichſam unſere Ge-
bieter/ alle andere Theile des Menſchen aber
nur ihre Dienſtboten ſind. Dieſes Urthel ih-
rer Scharffſichtigkeit ward dardurch ſo viel
mehr beſtaͤrcket: daß Koͤnig Marbod/ als Thuß-
nelde aus Hoͤfligkeit einem Edelmanne die
Giß-Kanne aus der Hand nahm/ und ihm das
Hand-Waſſer reichen wolte/ einen unſchaͤtz-
baren Ring mit einem Sardonich in das Giß-
Becken Thußnelden zum Geſchencke fallen
ließ; welchen der Samiſche Koͤnig Polycrates
um eine Scharte in ſein uͤbermaͤßig und da-
her ſo viel mehr verdaͤchtiges Gluͤcke zu ma-
chen/ ins Meer geworffen/ ein Fiſch aber ihm
wieder in ſeine Kuͤche; hernach Auguſt aus den
Schaͤtzen Cleopatrens nach Rom gebracht/
und in das Heiligthum der Eintracht gewied-
met; letztens aber dem Koͤnige Marbod/ als
ein Zeichen ſeiner Freund ſchafft zum Geſchen-
cke uͤberſchickt hatte. Thußnelde konte aus
Hoͤfligkeit dieſe groſſe Gabe nicht verſchmaͤhen;
iedoch/ weil ſie aller Welt Schaͤtze mit einem
andern/ als ihrem Herrmann/ in verbindliche
Eintracht zu treten allzu veraͤchtlich hielt; er-
weckte ihr dieſe verdaͤchtige Freygebigkeit eine
nicht geringe Unruh des Gemuͤthes; welche
auff die Nacht noch mehr vergroͤſſert ward/ als
ſie vernahm: daß Marbod um ihren Uhr-
ſprung und Zuſtand die Hertzogin Erdmuth ſo
genau befraget; wiewol eine ihr annehmliche
Antwort erhalten hatte: daß ſie eines Cattiſchen
Grafen Tochter waͤre/ und bereit das Geluͤb-
de ewiger Keuſchheit geleiſtet haͤtte/ zu deſſen
Kennzeichen ſie denn nach Art der derogeſtalt
verlobten Jungfrauen einen Ring im Finger
truͤge; in deſſen Rubin zwey ackernde Fliegen/
als Merckmaale unverſehrlicher Jungfran-
ſchafft gegraben waͤren. Weil aber alle Kuͤh-
lungen der Liebe nur ihr Feuer vergroͤſſern/
ward Koͤnig Marbod von zweyen Gemuͤths-
Regungen/ nehmlich der Liebe und Furcht/
nicht nur beunruhigt/ ſondern gepeinigt; al-
ſo: daß er bey nahe die gantze Nacht kein Auge
zu zuthun vermochte. Denn jene ſcheinet zwar
ein aus dem Himmel eines ſchoͤnen Antlitzes
gezeugeter Engel zu ſeyn; aber Furcht und
Zweiffel wegen des ungewiſſen Genuͤßes ver-
wandelt ſich in dem Hertzen des Liebenden in
eine hoͤlliſche Unholdin. Nach langer Abmer-
gelung und veraͤnderter Berathung; wie er
Thußneldens Gewogenheit gewinnen/ und
das bey den Deutſchen ſo heilige Geluͤbde der
Keuſchheit zernichten moͤchte/ fiel er endlich
in einen Schlaff/ oder vielmehr in eine halbe
Ohnmacht; die von einer vollkommenen nur
dardurch entſchieden war: daß er noch durch al-
lerhand aͤngſtige Traͤume gequaͤlet/ und end-
lich mit Schrecken erwecket ward. Weil er
nun den Tag vorher ſchon die Cattiſche Hertzo-
gin auff eine Jagt eingeladen hatte; die Son-
ne aber bereit die Spitzen des blauen Gebuͤr-
ges beſtrahlte/ muſte er ſeine traͤumende Un-
ruh nur mit der wachenden veraͤndern/ und
zu ſolcher Luſt ſich anſchicken. Die Fuͤrſtin
Adelmund hatte ſich als eine Diana darzu ge-
ruͤſtet; und ſolcher Geſtalt ſich aus zuputzen
dem Cattiſchen Frauen Zimmer Pferde/ Waf-
fen und ander Geraͤthe herbey ſchaffen laſſen.
Marbod hatte Thußnelden den Tag vorher
nur als ein Frauen-Zimmer verwundernd an-
geſehen; dieſen aber ſahe er ſie zu Pferde als
eine ſtreitbare Heldin. Er hatte ſie als eine
Halb-Goͤttin verehret; nunmehr aber ward
er gezwungen ſie als eine voͤllige anzube-
ten. Denn ſie ſaß als eine lebhaffte A-
mazone zu Pferde; im Rennen und
Schuͤſſen that ſie es allen Rittern zuvor:
und erlegte zweymahl ſo viel Wild/ als
iemand anders. Denn kein Hirſch war
Erſter Theil. Y y y y y y yihr
[1274[1276]]Achtes Buch
ihr zu geſchwinde; kein Baͤr zu grauſam/ und
kein Luchs zu erſchrecklich. Koͤnig Marbod
thaͤt auch im Jagen ſein euſſerſtes/ um ſeine
Tapfferkeit ſehen zu laſſen; und ſich derſelbigen
Jaͤgerin zu bemaͤchtigen; welche mit ihren
Pfeilen dieſe Wildnuͤs am Wilde arm machte;
durch ihre Schoͤnheit und Anmuth aber ſie mit
unſchaͤtzbaren Blumen bereicherte; welche auf
ihren Lippen und Wangen viel beſtaͤndiger/
als in dem Roſen- und Lilgen-Monate bluͤhen.
Thußnelde ſetzte nach Erlegung eines Thieres
alſofort dem andern nach; Marbod aber verlohr
niemahls die Spur dieſer wunderwuͤrdigen
Hindin; welche nichts minder die Vollkom-
menheit derſelben/ welche Hercules dem Euri-
ſtheus liefferte/ uͤbertraff; als er von einem groͤſ-
ſeren Wuͤtterich/ nehmlich der Liebe zu derſel-
ben Einholung angereitzet ward; und mein-
te ſo viel Steine in ihr Liebes-Bret eingeſetzt
zu haben; ſo viel wilde Thiere er in ihrem Ange-
ſichte erlegte. Weil er aber ſtets nur ein Auge
auf dieſe/ das andere aber auf Thußnelden hat-
te; als nach welcher ſeine eigene Seele auff die
Jagt zoh; verſahe es Marbod bey Verfolgung
eines Baͤren: daß er mit dem Pferde ſtuͤrtzte;
und von dieſem wegen ſeiner Verletzung ſo viel
mehr verbitterten Thiere auffs grimmigſte uͤ-
berfallen; von der Fuͤrſtin Thußnelde aber/
welche einen Wurff-Spieß ſelbtem mitten
durchs Hertze jagte/ zu groſſem Gluͤcke entſe-
tzet; und hierauff auf ein ander Pferd gebracht
ward. Marbod/ welcher ſich hierdurch ihr das
Leben zu dancken verpflichtet erkennte/ haͤtte
ihr gern ein verdientes Danck-Opffer erſtattet/
oder vielmehr Gelegenheit gehabt/ ihr die
Wunden ſeines Hertzens zu entdecken; aber
dieſe fluͤchtige Daphne wolte auch dieſer groſ-
ſen Sonne Deutſchlands nicht Stand halten;
ſondern ſie rennte in die duͤſterſten Hecken; alſo:
daß ſie Marbod bey nahe zwey Stunden ver-
gebens ſuchte. Wie er nun fuͤr Mattigkeit
laͤchſte/ und ſein Pferd fuͤr Muͤdigkeit ſich kaum
bewegen konte/ leitete ihn das Wiegern eines
Pferdes auf einẽ Pfad; welcher ihn kurtz darauff
zu eben dem aus einem rauen Felſen ſpringen-
den Quell leitete; darauff Thußnelde ſaß/ und
ihren Durſt mit dieſem kriſtallenen Waſſer
leſchte. Marbod kriegte mit ihrem erſten An-
blicke gleichſam ein neues Leben; ſprang alſo
vom Pferde/ umarmete ſich buͤckende ihre Knie;
und redete ſie alſofort an: Warum fleuchſtu ſo
ſehr fuͤr mir/ du Gebieterin meiner Seele? haſt
du fuͤr Marboden groͤſſere Abſcheu/ als fuͤr die-
ſer traurigen Einoͤde? Wilſtu dich aber fuͤr
Licht und Sonne verſtecken/ ſo muſtu/ Sonne
des Erd-Kreißes/ dich von dir ſelbſt zu entfer-
nen den Anfang machen. Biſtu von der Hitze
des Mittags gezwungen deine anklebende
Zunge mit dieſer Eyß-kalten Flut abzukuͤh-
len; ſo uͤberlege/ was eine verliebte Seele fuͤr
Pein erdulde; und erquicke ſie aus Erbarm-
nuͤs nur mit einer Hand voll deiner holdſeligen
Gewogenheit. Glaube: daß der Blitz deiner
Augen mein loderndes Hertze nicht anders/ als
die Glut die um ſelbte ſchwermende Muͤcken
ſchon eingeaͤſchert habe; wenn aber du vom
Balſam deiner Gegen-Liebe nur wenig Tropf-
fen in dieſe Aſche fallen laͤſt; wird es als ein neu-
er Fenix daraus lebhaffter/ als vor gezeuget
werden. Vollkommene Goͤttin! ſey nicht ein-
ſamer/ als dieſe Wildnuͤs; noch unbarmhertzi-
ger/ als dieſe Felſen; in dem jene meine Ge-
ſellſchafft ſo willig vertraͤget; dieſe aber uns
beyde nicht erduͤrſten laſſen. Sorge nicht:
daß meine Liebe die Fluͤchtigkeit dieſer Bach/
ſondern die Aehnligkeit des ewigen Feuers ha-
be. Jch habe vor dir nur eine/ wiewol dir
nicht vergleichliche Fuͤrſtin lieb gewonnen; und
es hat meine Flamme nichts/ als der Todt aus-
leſchen koͤnnen; der ihr zwar das Tacht der
erblichenen Marmeline entzogen hat; Gleich-
wol aber lebet ihr Gedaͤchtnuͤs in meinem ihr
gewiedmeten Gemuͤthe; und unſerer beyder
Geiſter ver geſſen nicht auch noch ſo viel reiner
ſich
[1275[1277]]Arminius und Thußnelda.
ſich mit einander zu umarmen. Wie viel mehr
haſtu dich/ du Ausbund aller Vergnuͤgungen/
einer unausleſchlichen Liebe zu verſichern; weil
deine Tugenden taͤglich mehr Oel in die bren-
nende Ampel meines Hertzens/ als die Adern
dieſes Gebuͤrges Waſſer in diß Quell zu floͤſ-
ſen haben. Weil dir nun die Natur eine Bot-
maͤßigkeit uͤber alle Augen/ deine Tugend uͤber
die Seele Marbods verliehen hat; ſo verſchme-
he nicht die dir vom Verhaͤngnuͤße heut ange-
botene Herrſchafft uͤber die ſtreitbaren Marck-
maͤnner/ und die Voͤlcker des halben Deutſch-
lands. Da dir aber auch diß zu verſchmaͤhlich
iſt/ ſo habe doch zum minſten Mitleiden mit
dem fuͤr Liebe vergehenden Marbod/ und glau-
be: daß der Siegs-Preiß des Grimmes nur
an der Menge der Todten/ der Liebe aber an
Vielheit der Geneſenden beſtehe. Marbod
druͤckte dieſe Worte mit einer ſolchen bewegli-
chen Art aus: daß man das Leiden ſeiner See-
le an ſeinem Antlitze klar genung abgebildet
ſah. Thußnelden war iedes liebkoſende Wort
ein neuer Donner-Keil; ſie ſetzte ihm aber mit
einer mehr ernſt-als freundlichen Gebehrdung
dieſe Antwort entgegen: Wenn es in meiner
Gewalt ſtuͤnde einen ſo groſſen Koͤnig zu lie-
ben/ wuͤrde meine Verweigerung billich den
Titel des Wahnwitzes verdienen. Denn wie
koͤnte mein Wille mit Vernunfft dem wieder-
ſpenſtig ſeyn/ deſſen Tapfferkeit ſo viel Voͤlcker
uͤbermeiſtert/ und deſſen Tugend der Fluͤchtig-
keit des Gluͤckes einen Stillſtand zu bieten ge-
wuſt hat? Wie moͤchte ich Albere ſo viel Kro-
nen verſchmaͤhen; fuͤr welche ſo viel Menſchen
ihre Kinder/ ihr Blut/ ja ihre eigene Seele
aufopffern? Aber ſo hat den Platz meiner Schei-
tel ſchon ein ander Krantz/ und die Hoͤle meines
Hertzens ſchon eine andere Gottheit eingenom-
men; alſo: daß ich mich ſelbſt; weil ich mein
Eigenthum nicht mehr bin/ niemanden ferner
vergeben kan. Dieſemnach uͤber wuͤnde/ groß-
maͤchtiger Marbod/ hierinnen nunmehr auch
dich/ nach dem du auſſer dir nichts mehr zu uͤ-
berwaͤltigen haſt. Denn ſein ſelbſt maͤchtig
ſeyn/ iſt das groͤſte Kayſerthum; mit der Un-
moͤgligkeit aber einen Krieg anfangen/ heiſſet
alle vorige Siegs-Kraͤntze mit Fuͤſſen treten.
Erwege: daß die erſten Regungen unſers Ge-
muͤthes nur Verſuchungen/ die hefftigſten auch
am unbeſtaͤndigſten ſind. Jn dreyen Tagen
wird die auffwallende Hitze deiner Begierden
ſich abkuͤhlen/ und deine Klugheit dir einhal-
ten; wie unbedachtſam der groſſe Marbod ei-
ne ſchlechte Edel zu ſeiner Gemahlin erkie ſet
habe; und wie ungedultig die ſtreitbaren
Marckmaͤnner eine fremde Dirne zu ihrer
Koͤnigin leiden koͤnnen. Du ſelbſt wirſt wahr-
nehmen/ wie unſere blinden Regungen uns
mehrmahls verleiten: daß wir in unſer eigen
Ungluͤck auff der Poſt rennen/ und uͤber Aus-
zimmerung unſers eigenen Fallbrets ſchwi-
tzen. Da du dich aber ſelbſt uͤber windeſt/ wird
dieſer herrliche Sieg noch mit zwey andern be-
gleitet ſeyn. Denn nicht nur ich/ ſondern auch
die Tugend/ der ich mich vermaͤhlet habe; wer-
den deßwegen deine Schuldner erſterben/ und
an ſtatt der bald faulenden Roſen/ auf deine
Scheitel einen Krantz von Palmen und Lor-
bern winden muͤſſen. Koͤnig Marbod hoͤrte
dieſe Ablehnung mit nicht geringer Bewe-
gung/ als ein Verbrecher ſein Todes-Urthel
an. Weil er aber vermeinte: daß Thußnel-
den nichts/ als ihr Geluͤbde der Keuſchheit am
Wege ſtuͤnde; ſetzte er dieſem entgegen: das Ge-
luͤbde der ewigen Jungfrauſchafft thaͤte der
Natur ſelbſt Gewalt an; und der Vorſatz nicht
zu lieben ſtuͤnde ſo wenig in unſer Gewalt; als
die Eigenſchafft des Brennens von dem Feuer
abzuſondern. Unmoͤgligkeiten aber koͤnten ſo
wenig in Geluͤbden/ als in andern Verbind-
nuͤßen uns einen Nothzwang aufhalſen. Da
aber ja dieſe Geluͤbden einige Krafft haͤtten;
wuͤrden ſelbte doch ſodenn ausleſchen; wenn das
Verhaͤngnuͤs uns ſelbſt einen andern Weg lei-
Y y y y y y y 2tete;
[1276[1278]]Achtes Buch
tete; oder uns die Natur ſelbſt ungeſchickt mach-
te ſelbigem laͤnger Folge zu leiſten. Zu geſchwei-
gen: daß/ weil das Verhaͤngnuͤs in ſeinem
Lauffe gantz unveraͤnderlich/ in ſeiner Stren-
gigkeit unerbittlich waͤre; ſo wenig durch Ge-
luͤbde/ als durch die Opfferung weißer Laͤm̃er-
Koͤpffe diß/ was der Himmel ſchon uͤber uns
beſchloſſen/ abgelehnet werden koͤnte. Machte
ſie ihr aber noch ihres Geluͤbdes halber ein Ge-
wiſſen; waͤre er erboͤthig ſtatt ihrer fuͤnff hun-
dert andere Jungfrauen ewiger Keuſchheit zu
wiedmen/ und alſo der von ihr verehrten Gott-
heit die Pflicht mit Wucher zu erſtatten. An
welcher Vertretung ſie ſo viel weniger zu zweif-
ſeln haͤtte; weil er als zugleich oberſter Prieſter
der Marckmaͤnner das Band aller Geluͤbde
aufzuloͤſen befugt waͤre. Thußnelda hoͤrte die-
ſen von dem Rauche der Begierden gantz ver-
blaͤndeten Vortrag mit nicht mindern Unwil-
len/ als Aergernuͤs an; daher ſie ihm nicht ohne
Hefftigkeit begegnete: Wenn GOtt uner bitt-
lich; unſer Ungluͤcke gantz unablehnlich waͤre;
muͤſte man nicht nur die Geluͤbde/ ſondern alle
Gottesfurcht aus der Welt verbannen. Des
Verhaͤngnuͤſſes Schluͤſſe haͤtten nichts minder
ihre Beſchrenckung/ als die Handlungen der
ſterblichen Menſchen; und es hielte GOtt
mehrmahls die zum Schlagen ſchon gezuͤckte
Hand zuruͤcke; weñ die Boß heiten ſich duꝛch An-
dacht fuͤr ihm demuͤthigten. Da aber auch der
Ausſchlag der Dinge bereit fuͤr unſer Geburt
von dem Verhaͤngnuͤße unveraͤnderlich beſtim̃t
waͤre; ruͤhrte doch auch unſeꝛ Gebet und Geluͤbde
von ſeinem Zwange her; als ein uñachbleiblicher
Werckzeug/ der den Ausſchlag dieſer Fuͤrſehung
veꝛbeſſeꝛte; uñ alſo denẽ Laſteꝛhaften ein ſchlim̃es/
denen From̃en ein gutes Urthel zu wege braͤch-
te. Das Geluͤbde der Keuſchheit koͤnte auch nur
denen unnatuͤrlich vorkommen/ welche wie das
wilde Vieh ihren Begierden keinen Kapzaum
der Vernunfft anzulegen wuͤſten; und gleich-
[ſ]am als gantz andere Geſchoͤpffe von tugend-
hafften Gemuͤthern ſo weit/ als unver nuͤnfftige
Thiere vom menſchlichen Geſchlechte entfernet
waͤren. Denn zwiſchen GOtt und einer durch
Geluͤbde ihm verlobten Seele geſchehe eine ge-
nauere Vermaͤhlung/ als durch irrdiſche Hey-
raths-ſchluͤſſe zwiſchen zwey Ehleuten. Daher
haͤtte in der Andacht die Vertretung durch
fremde ſo wenig/ als im Eh-Bette ſtatt; und
wuͤrden nicht nur ſeine fuͤnff hundert/ ſondern
hundert tauſend genoͤthigte Jung frauen bey
GOtt nichts minder fuͤr Wechſel-Baͤlge/ als
ſie fuͤr eine Abtruͤnnige und Eydbruͤchige ge-
halten/ ihr Verbuͤndnuͤs aber von keinem frem-
den Prieſter/ ſondern nur von der Gottheit/
der ſie ſich verlobt haͤtte/ auffgeloͤſet werden. Koͤ-
nig Marbod ſetzte hierauf aber mahls mit allen
erſinnlichſten Liebkoſungen/ und halb-verzweif-
felten Bezeugungen an Thußnelden; aber ſie
lehnte ſie mit einer hertzhafften Großmuͤthigkeit
ab; beſchloß auch ihre Abmahnung mit dieſen
Worten: Jhre Seele wuͤrde ſich ehe dem Ge-
ſpenſte/ welches auch die hertzhaffteſten nicht mit
unverwendeten Augen anſehen koͤnten/ als dem
Marbod ſich vermaͤhlen; und in ſeiner Gewalt
moͤchte es vielleicht wol beſtehen/ einmahl ihr
todtes Gerippe/ nimmermehr aber ihren be-
ſeelten Leib zu umarmen. Marbod wuͤtete
nun nicht mehr nur fuͤr Liebe/ ſondern er
ſchaͤumte fuͤr Verzweiffelung und Grimm.
Denn wie Liebe und Gluͤcke ins gemein einen
ſo ſtarcken Trieb haben: daß ſie alle Pfoſten der
Vernunfft aus ihren Angeln zu heben maͤchtig
ſind; alſo iſt inſonderheit die Liebe gekroͤnter
Haͤupter ſehr unleidlich/ und die Zaͤrtlig keit ih-
rer zu uͤberwinden gewohnten Hertzen kan un-
ſchwer auffs empfindlichſte verwundet werden.
Daher er ſeinen Degen entbloͤſte; die gantz un-
gewaffnete Thußnelda aber/ welche alle ihre
Pfeile und Wurffſpieße verſchoſſen/ den Degen
auch im Geſtrittig verlohren hatte/ einen toͤdt-
lichen Streich zu empfangen vermeinte/ und
daher auf allen Fall ſolchen mit dem leeren Bo-
gen ſo viel moͤglich zu verſetzen gedachte. Alleine
Marbod fieng an um ſie einen Kreiß zu ſchar-
ren;
[1277[1279]]Arminius und Thußnelda.
ren; aus welchem ſie ohne Enderung ihrer har-
ten Erklaͤrung nicht ohne Spott zu kom̃en be-
draͤuet ward. Er hatte dieſen Kreiß aber noch
nicht halb vollendet; als eine Natter unverſe-
hens empor ſprang/ und den Koͤnig in die Hand
ſtach: daß er daruͤber den Degen fallen ließ.
Thußnelde/ welche wol wuſte: daß aus der Noth
eine Tugend/ und aus einem bloſſen Zufalle ein
Bewehrung ſeiner Meinung/ oder gar ein
Wunderwerck zu machen die groͤſte Klugheit
waͤre; machte ihr dieſe Begebnuͤs alſo fort nuͤ-
tze/ und fieng an: Sieheſtu wol/ Marbod; daß
die Goͤtter das ihnen angethane Unrecht ſelbſt
raͤchen; wenn Menſchen ſolches nicht thun wol-
len oder koͤnnen. Weil aber Marbod hieruͤber
nicht nur erſtummete/ ſondern als wenn er von
der Hand GOttes geruͤhret waͤre/ erſtarrete;
war Thußnelde um ihres Beleidigers Gene-
ſung bekuͤmmert. Wie ſie denn ein denen Nat-
tern ſchier gleich gebildetes Kraut abropffte/ ſol-
ches mit einem Steine zerklitſchte/ und dem
Marbod aufband; weil ſie von der Artzney zwar
keine eigentliche/ iedoch ſo viel Wiſſenſchafft
hatte: daß die Natur unterſchiedenen Kraͤutern
euſſerliche Merckmaale/ worzu ſie dienende
Artzneyen ſind/ eingepreget/ und deßwegen das
fuͤr die Schlangen-Biſſe dienende Schlangen-
Kraut/ den Schlangen die dem Miltze heilſame
Kapern gleich gebildet; und das dem brennen-
den Krebſe abhelffende Erd-Beeren-Kraut mit
einem abſondern Feuer und Roͤthe bezeichnet
habe. Marbod ließ dieſe Verbindung zwar ge-
ſchehen/ ſeine zitter nden Glieder aber waren
mit Schrecken/ und ſein Antlitz mit Schamroͤ-
the angefuͤllet; welche Farbe hier nicht die frohe
Morgenroͤthe der aufgehenden/ ſondern die
traurige Abendroͤthe der verfallenen Tugend-
Sonne war; daher er auch ſonder Abſchied und
Verlierung einigen Wortes ſich zu Pferdeſetz-
te/ und ſpornſtr eichs in das dickſte Gepuͤſche
verbarg; gleich als wenn er noch von tauſend
Nattern verfolgt wuͤrde. Denn die Furcht hat
das groͤſte Leibzeichen unter allen Gemuͤthsre-
gungen; ſie iſt zwar die glaub haffteſte/ aber auch
die ſchlim̃ſte Rathgeberin ihres Gemuͤthes/ und
die aͤrgſte Verblaͤnderin der Augen; Denn ſie
ſiehet/ was gar nicht iſt; ſie machet aus nichts et-
was/ und aus einer Ameiße einen Krocodil. Der
Fuͤrſtin Thußnelde hingegen war ein groſſer
Stein vom Hertzen geweltzet. Denn weil ſie
Marbods ploͤtzliche Veraͤnderung fuͤr eine
Wuͤrckung des Aberglaubens hielt/ nichts aber
mehr/ als dieſer/ die Gemuͤther der Menſchen
umkehren kan; glaubte ſie: daß Marbods ſo lich-
ten Loh brennende Liebe ſchon wieder zu Waſſer
wordẽ waͤre. Weßwegẽ ſie ſich noch einmal aus
dem friſchen Quell er quickte/ und ſonder einiges
Bedencken wieder zu der Cattiſchen Hertzogin
zu kehren gedachte. Sie ritt einen kurtzen Weg
durchs Gehoͤltze/ als ſie auf eine gedruͤckte
Straſſe gerieth/ und bald darauf ein Geraͤuſche
gegen ihr ankommender Reuterey vernahm;
welcher ſie auszuweichen nicht fuͤr noͤthig achte-
te/ weil ſie die Ankommenden fuͤr Marbods Jaͤ-
ger hielt. Sie ward aber kurtz darauf/ iedoch
ſo ſpar: daß ſie nicht mehr ausweichen konte/ der
Roͤmiſchen Tracht gewahr; mit welcher die mei-
ſten bekleidet waren. Nach dem ſie iedoch auch
Deutſche darunter erblickte/ und in Marbods
Gebiete ſich von den Roͤmern keiner Gewalt-
That verſah/ ritte ſie getroſt auff ſie zu. Sie
war etwan drey Schritte von ihnen entfernet;
als der im erſten Gliede zwiſchen zweyen Roͤ-
mern reitende Deutſche ſie mit dieſen barten
Worten anfuhr; Finde ich dich in dieſer Wuͤ-
ſteney/ du Ungehorſame? Faſſet alſofort die
Boßhaffte: daß ſie ihrem Vater nicht mehr
entfliehen koͤnne. Dieſe Worte waren Thuß-
nelden kein ſo harter Donnerſchlag/ als das
zornige Antlitz ihres ergrimmten Vaters;
als aus welchem ſie alſofort den Sege-
ſthes erkennte. Sintemahl dieſer in Ge-
ſandtſchafft des Kayſers Auguſtus nebſt
dem Cajus Silus/ welcher in Ober-
Y y y y y y y 3Deutſch-
[1278[1280]]Achtes Buch
Deutſchland uͤber das Roͤmiſche Kriegs-Volck
geſetzt war/ und dem Stertinius zum Koͤnige
Marbod reiſete/ dieſen entweder wegen des
auf ihn angezielten Krieges ſicher zu machen;
oder/ weil Tiberius dem Kayſer auffs beweg-
lichſte anlag die Cherusker vollkommen zu un-
terdruͤcken/ ſich der Marckmaͤnner: daß ſie je-
nen nicht zu Huͤlffe kaͤmen/ zu verſichern. Weß-
wegen es auch Tiberius nunmehr dahin brach-
te: daß der dem Hertzog Herrmañ all zu geneig-
te Saturnin nach Rom beruffen/ und Quin-
tilius Varus an ſeine Stelle zum Landvogte
geſetzt ward. Die zwar uͤberaus beſtuͤrtzte Thuß-
nelde war gleichwol ſo hurtig: daß/ ehe ſie ie-
mand von den Reiſigen anruͤhren konte/ ſie aus
dem Sattel auf die Erde ſprang; und fuͤr dem
Segeſthes auf die Knie fallende ihn auffs be-
weglichſte anflehete. Er moͤchte ſein vaͤterli-
ches Hertz gegen der nicht verſteinern/ welche
kindliche Liebe und Gehorſam in ihrem Hertzen
unverſehrt behalten/ auch niemahls was ihrem
Geſchlechte verkleinerliches begangen haͤtte.
Segeſthes antwortete ihr mit nicht freundli-
cher Gebehrdung: Du ſolſt/ ſichere dich/ mir
als Richter/ nicht als Vater Rechenſchafft
thun. Aber welch Ungluͤck fuͤhret dich in die-
ſer Tracht hieher? Welchem Thußnelde ver-
ſetzte: Sie haͤtte ſich auf der vom Koͤnige Mar-
bod angeſtellten Jagt verritten. Segeſthes
ſtutzte; und hielt gleichwol ſo viel an ſich: daß er
in ſo vieler Perſonen Anweſenheit um ihre Be-
gebnuͤße nicht fragte; ſondern ſie zu Pferde ſi-
tzen/ und von den Reiſigen beobachten hieß. Si-
lius aber fieng an: Sie muͤſten aber gleichwol
erfahren; weil Marbod dar zu ſeyn geſagt wuͤr-
de/ wo er zu finden waͤre. Thußnelde berichtete
ihn: daß der Koͤnig aller Vermuthung nach
ſich auch verritten/ und dem Verlaß nach auf
einem Luſt-Hauſe; welches uͤber eine Meile/
ihrem Muthmaſſen nach/ von dar nicht entfer-
net waͤre/ uͤbernachten ſolte. Unter dieſem Ge-
ſpraͤche kamen ſie an einen Quer-Weg; da ſie
denn ein groſſes Gethoͤne von Jagt-Hoͤrnern
vernahmen; welches ſich nach und nach naͤher-
te. Es kam auch alſofort ein Jaͤger voran ge-
hauen/ um wegen des darbey ſich befindenden
Marbods zu fragen; wer die Ankommenden
waͤren. Dieſe ſchickten alsbald einen Edel-
mann mit dem Jaͤger zuruͤck um dem Koͤnige
ihre ohne diß ſchon vorher vergewiſſerte An-
kunfft an zu zeigen/ und ſeine Anverweiſung zu
vernehmen. Dieſer brachte alſofort zuruͤcke:
Sie moͤchten verziehen/ der Koͤnig wolte ſie all-
dar empfangen/ und mit ſich auf ein nicht weit
entferntes Luſt-Hauß nehmen. Diß erfolgte/
wiewol mit abermahls nicht geringer Ge-
muͤths-Veraͤnderung Marbods; als er mitten
in dieſem Hauffen die allererſt verlaſſene Thuß-
nelde gleichſam als eine Gefangene fuͤhren ſa-
he. Daher er ſich unmoͤglich enthalten konte
zu fragen: Wie ſeine ſchoͤne Jaͤgerin unter ſie
verfallen waͤre? Segeſthes/ weil er entweder
darfuͤr hielt: daß Marbod Thußnelden ſchon
kennte/ oder ihre Beſchaffenheit bey ſo viel ſie
keñenden Roͤmern unmoͤglich verholen blieben
waͤꝛe/ ja er ſich auch ſonſt ihꝛ nicht anmaſſen koͤn-
te/ antwortete: Er haͤtte mit Wiedererlangung
dieſer ſeiner Tochter ein ſeltzamer Wild/ als
vielleicht der Koͤnig nicht gefangen; weil er ſie
fuͤr halb verlohren/ oder auch gar fuͤr tod gehal-
ten. Marbod wolte durch fernere Nachfrage
nicht unzeitigen Vorwitz begehen/ ſondern ſaan
den gantzen Weg nach: warum Thußnelde von
ihrem Vater ſo lange abweſend geweſt ſeyn/ und
dieſer ſie aller Anzeigung nach ſo unfreundlich
halten muͤſte? Nach dem er aber nichts beſtaͤndi-
ges ergruͤbeln konte/ kamen ſie in den Garten/
worinnen Marbod Segeſthen/ den Silius und
Stertinius mit ihren Leuten nach Wuͤrden be-
wirthete. Segeſthes nahm Thußnelden ſelbſt zu
ſich/ verſchloß ſich alsbald mit ihr in dem in-
nerſten Zimmer/ und befahl ihr mit entbloͤſtem
Degen: Sie ſolte alle Umſtaͤnde und Urſachen
ihrer Flucht bey Verluſt ihres Lebens andeuten.
Thuß-
[1279[1281]]Arminius und Thußnelda.
Thußnelde fiel Segeſthen abermahl zu Fuße;
und fieng an: die Urſache waͤre ihm allzuwol
bewuſt; in dem es eben dieſelbe waͤre/ weßwegen
ſie lieber ihr Leben aufopffern/ als dem laſter-
hafften Tiberius ihre ſchon dem Fuͤrſten Herr-
mann verlobte Seele wiedmen wolte. Jhre
Zuflucht waͤre ihre nechſte Baſe die Cattiſche
Hertzogin Erdmuth geweſt; welche ſie mit in
warmen Brunnen/ und vollends in dieſen Gar-
ten bracht/ auch zeither bey ihr die muͤtterliche
Auffſicht vertreten haͤtte. Dieſe wuͤrde ihrer
Wahrheit ſelbſt muͤndliches Zeugnuͤs geben;
weil ſie in einem andern Luſt-Hauſe eben dieſes
Gartens ſich auffhielte. Segeſthes antwortete
ihr kein Wort; verſchloß ſie aber im in nerſten
Gemache; weil er zu der Taffel abgefordert
ward. Jnzwiſchen verfuͤgte ſich Marbod nach
kurtzer Bewillkommung der Geſandten gera-
den Weges zu der Cattiſchen Hertzogin um von
ihr Thußneldens Heimligkeiten aus zulocken.
Denn ſo viel die Kaͤlte des Erſchrecknuͤßes bey
ihm nach und nach laulichter ward; ſo ſehr fieng
die Liebe in ihm wieder an zu glimmen. Er be-
klagte ſich alsbald: daß die Hertzogin Thußnel-
dens Stand/ als einer Tochter von ſo hohem
Fuͤrſtlichen Hauſe/ verſchwiegen/ und dardurch
verurſacht haͤtte ihr nicht die gehoͤrige Ehrer-
bietung zu erzeigen. Die Hertzogin Erdmuth
antwortete: Marbods Hoͤfligkeit haͤtte der Nie-
drigſten ihres Frauen-Zimmers ſo viel Ehre
angethan: daß eine Fuͤrſtin darmit wol ver-
gnuͤgt ſeyn koͤnte. Aber ſie mochte wol verneh-
men: wer Thußnelden zu einer Fuͤrſtin erklaͤ-
ret haͤtte? Marbod verſetzte: Ob ſie ihr denn
mißgoͤnnte: daß Thußnelde des Chaßuariſchen
Hertzogs Segeſthes Tochter waͤre? der Erd-
muth ſchoß hieruͤber das Blat; gleichwol fragte
ſie: wer dem Koͤnige deßhalben Verſicherung
gethan haͤtte? Marbod antwortete: daß Thuß-
nelde Segeſthens Tochter ſey/ habe ich aus ſei-
nem Munde; doch koͤnte er nicht verſchweigen:
daß ſie nichts minder ſeine Gefangene/ als ſein
Kind ſey. Was Segeſthes? fieng Erdmuth
an; wo iſt der? und welch Unſtern hat ihm ſei-
ne tugendhaffte Tochter ſeiner ſtrengen und un-
rechtmaͤßigen Gewalt eingehaͤndigt? Marbod
fieng an: Sie kan den Segeſthes ſelbſt hier im
Garten finden und rechtfertigen. Aber wie
mag ſie die vaͤterliche Gewalt ungerechter
Strengigkeit beſchuldigen? Erdmuth ſahe ſich
ſo weit eingeflochten: daß ſie nicht zuruͤck kon-
te; zu dem meinte ſie durch dieſe Eroͤffnung der
Freyheit Thußneldens vielleicht ein Thor auf-
zuthun; daher ſie getroſt heraus ſagte: Weil
die Ehe die allerverbindlichſte Freundſchafft/
auch mehr eine Vereinbarung der Seelen/ als
der Leiber ſeyn ſolte; ja nichts ungeſchickter zu
ſeyn ſchiene/ als nach eines andern Gemuͤthe
und Neigungen lieben ſollen/ ſo kaum Herren
erlaubet ihre leibeigenen Knechte dieſer Freyheit
zu entſetzen; wie viel weniger koͤnte Segeſthes
entſchuldigen: daß er ſeine Tochter wieder ihr
vorher genehm gehabtes Geluͤbde den gram-
hafften Tiberius zu heyrathen zwingen wolte?
Marbod ſtutzte abermahls uͤber ſeinem ſo maͤch-
tigen Neben-Buhler; und/ weil er durch das
Geluͤbde Thußneldens eine gelobte Keuſchheit
angedeutet zu ſeyn vermeinte/ wolte er der Her-
tzogin mit mehrern Ausforſchungen nicht be-
ſchwerlich ſeyn; noch/ weil er mit ſich ſelbſt noch
nicht eines war/ ſich ferner heraus laſſen/ ſon-
dern gab ſeiner Tochter Adelmund mit/ die
Fuͤrſtin Erdmuth zu unterhalten. Er aber
konte hierauf die gantze Nacht kein Auge zu-
thun. Denn eines Theils quaͤlten ihn die ſeiner
Liebe am Wege ſtehenden ſchier unuͤberwind-
lichen Schwerigkeiten; andern Theils aber
kitzelte er ſich mit der Hoffnung: daß er viel-
leicht Thußneldens Hertze gewinnen koͤnte/ weñ
er ſie dem Tiberius aus den Zaͤhnen ruͤckte.
Gleichwol bedachte der ſchlaue Marbod wol:
daß die Einbildung mit dem Verlangen ſich
ins gemein vermaͤhlte; und ſeinem Vermoͤgen
mehr Kraͤffte zueignete/ als ſie weſentlich waͤ-
ren;
[1280[1282]]Achtes Buch
ren; daher ihre Tochter die Hoffnung als eine
groſſe Verfaͤlſcherin der Wahrheit von der
Keuſchheit wol muͤſte gemaͤßiget werden. Dieſe
aber ſchien zu ihrer Ausuͤbung Zeit zu beduͤrf-
fen. Denn durch dieſer ihre langſamen Um-
ſchweiffe kom̃t ein Vorſichtiger zu dem Mittel-
Puncte einer erwuͤnſchten Gelegenheit; und
auff dem langſamen Maul-Eſel der Gedult
weiter/ als mit dem Renn-Thiere einer gaͤhen
Entſchluͤſſung. Dieſemnach er denn auff den
Morgen die Geſandten bedeuten ließ: weil er
nur auf eine zweytagichte Luſt in dieſen Garten
kommen waͤre; wolte er ſie in ſeinem Koͤnigli-
chen Sitze hoͤren; und noch ſelbigen Tag dahin
aufbrechen; ſie aber koͤnten nach ihrer guten
Gemaͤchligkeit vor- oder nach reiſen. Er ver-
ſchaffte auch: daß auff ihren Befehl allerhand
Vorgeſpan und Vorſchub bey der Hand ſeyn/
ſie auch unter Weges wol unterhalten werden
ſolten. Als die Cattiſche Hertzogin den ſo ſchleu-
nigen Aufbruch vernahm/ verlangte ſie beym
Segeſthes vorhero eine Unterredung. Dieſer
entſchuldigte es auffs hoͤflichſte durch den Vor-
wand: Er waͤre itzt nicht ſo wol als ein Hertzog
der Chaßuarier/ ſondern als ein Geſandter des
Kayſers dar; alſo muͤſte er wegen der zwiſchen
den Roͤmern und Catten ſchwebender Mißhel-
ligkeiten auch den Schatten aller verdaͤchtigen
Gemeinſchafft von ſich entfernen. Erdmuth
verbieß dieſe ſchimpfliche Abweiſung/ und er-
ſuchte ihn um der unter ihrem Schirm dahin
gebrachten Fuͤrſtin Thußnelde Ausfolgung.
Segeſthes ließ ihr hoͤniſch zu entbieten: Wie
viel ihre angemaſte Gewalt fuͤr der vaͤterlichen
einen Vorzug/ und ob die Catten auch in dem
Gebiete der Marckmaͤnner zu befehlen haͤtten?
Die um Thußnelden und den Hertzog Herr-
mann bekuͤmmerte Hertzogin nahm zum Koͤni-
ge Marbod hiermit ihre Zuflucht; und weil er
ihr und ihrer gantzen Geſellſchafft nicht nur ein
ſicher Geleite ertheilet/ ſondern auch vollkom-
menen Schutz in ſeinen Laͤndern verſprochen
haͤtte; moͤchte er die vom Segeſthes eigenmaͤch-
tig geſchehene Entwehrung Thußneldens
durch dieſer ihrer ſo werthen Baſe Befreyung
wieder ergaͤntzen. Marbod hingegen ſchuͤtzte
hierwieder fuͤr: Alles/ was in der Geſandten
Haͤuſer kaͤme/ oder ſeine Zuflucht dahin nehme/
waͤre nichts minder/ als ſie ſelbſt und ihre Ge-
faͤrthen heilig und unverſehrlich; alſo: daß auch
die aͤrgſten Miſſethaͤter mit Gewalt aus ſolcher
Verwahrung nicht gezogen werden koͤnten; in
dem ieder Geſandte ſeines Fuͤrſten Antlitz/ ſein
Hauß ſeines Koͤnigs Hof fuͤrbildete; und durch
die einmahl beliebte Annehmung der Botſchaft
auſſer dem Gerichts-zwange deſſelben Fuͤrſten/
zu dem die Geſandtſchafft kaͤme/ gleichſam
durch eine ſtill ſch weigende Handlung Vermoͤ-
ge des Voͤlcker-Rechts gezogen wuͤrde. Ja
wenn er auch kein Geſandter waͤre/ koͤnte mit
Fugkein Menſch ihm ſeine eigene Tochter
entwehren; als uͤber welcher Leben und Todt
nichts minder die Deutſchen/ als die Perſer
und Roͤmer unverſchrenckte Gewalt/ und in
ihren Haͤuſern das peinliche Recht zu hegen
Macht haͤtten. Jnſonderheit aber waͤren die
Vaͤter bey denen Ebreern und andern Voͤl-
ckern der Kinder Geluͤbde zu zernichten befugt.
Hingegen haͤtte die Fuͤrſtin Erdmuth zu ſeiner
fluͤchtigen Tochter keinen rechtmaͤßigen An-
ſpruch; ſondern ſie zielte nur ſie demſelben in die
Haͤnde zu ſpielen; welchen er zu ſeinem Eyda-
me nimmermehr belieben; ſondern ihr vielmehr
die Kehle ſelbſthaͤndig abſchneiden wuͤrde. Die
Cattiſche Herzogin fuͤhrte hier wieder zwar aus:
daß Thußnelde weder eine Gefaͤrthin der Ge-
ſandtſchafft waͤre/ noch ſich dahin gefluͤchtet haͤt-
te; wiewol auch derſelben Haͤuſer ſonder aus-
druͤcklicher Abrede keine Freyſtaͤdte den Fluͤch-
tigen abgeben koͤnten. Segeſtes haͤtte durch
Gewalt-That Thußneldens ſich bemaͤchtigt;
daher koͤnte ſie auch mit Gewalt ihm genommen
werden. Denn der ſonſt unverſehrlichen Ge-
ſandten Thaͤtligkeit koͤnte man durch Beſchuͤtz-
und
[1281[1283]]Arminius und Thußnelda.
und Abnehmung des Raubes gar wol begeg-
nen/ ja ſie geſtalten Sachen und anderer Voͤl-
cker Beyſpiele nach gar toͤdten. Segeſthens
angefuͤhrtes abſondere Vater-Recht gienge ei-
ne eintzele Perſon an/ und kaͤme wieder das all-
gemeine Recht der Fuͤrſten und Voͤlcker in kein
Anſehen. Wiewol jenes auch wieder Thuß-
nelden/ die bereit zu ihrem Verſtande/ und fuͤr-
laͤngſt auſſer ſeinem Hauſe und Brodte kom-
men waͤre/ ſo genau nicht aus geuͤbet/ noch ihr
einiger Heyraths-Zwang auf gedrungen wer-
den koͤnte/ ſonderlich/ weil Thußnelde nieman-
den in Segeſthens Hauß eindringe/ dieſer auch
ihr Geluͤbde gebilliget; Marbod aber noch fuͤr
Annehmung der Roͤmiſchen Botſchafft ihr und
darunter Thußnelden Schirm und Sicherheit
verſprochen haͤtte. Beydes hoͤrte Koͤnig Mar-
bod zwar ausfuͤhrlich an; aber bey der uͤber
Thußneldens Zuſtande erwachſenden Berath-
ſchlagung hatte er ſeine eigene Vergnuͤgung
zum vornehmſten Abſehen. Weil nun Se-
geſthes ſich bereit ſo weit heraus gelaſſen hatte:
daß Thußnelde ſich einem ihm unbeliebigen Ey-
dame zu vermaͤhlen vorhaͤtte/ hielt er das von
der Hertzogin Erdmuth angegebene Geluͤbde
der Keuſchheit nichts minder/ als die ſchon ver-
rathene Standes-Niedrigkeit fuͤr einen blau-
en Dunſt; fuͤhrte derohalben den Fuͤrſten Se-
geſthes in einen annehmlich en Spatziergang;
hielt ihm ein die Wichtigkeit der von der Catti-
ſchen Hertzogin angezogener Gruͤnde; und wie
er Vermoͤge ſeines ihr ertheilten ſichern Gelei-
tes auf allen Fall ſie in den erſten Stand zu ſe-
tzen gezwungen werden wuͤrde. Weil er aber
ihm/ als einem ſo groſſen Fuͤrſten nicht gerne
weh thun/ noch der Roͤmiſchen Geſandſchafft
bey vorhabender neuen Buͤndnuͤs einigen Arg-
wohn ſeiner Abneigung verurſachen wolte;
traute er es bey der Hertzogin zu vermitteln/
hielt es auch der Billigkeit zu ſeyn: daß Thuß-
nelde ſeiner Verwahrung biß zu Ausmachung
des Haupt-Streites uͤberlaſſen wuͤrde. Er gebe
ihm hiermit ſein Koͤnigliches Wort: daß er
Thußnelden keinem/ welchen Segeſthes zum
Eydame verſchmehte/ ausfolgen laſſen wolte.
Segeſthes/ nach dem er etliche mahl im Gar-
ten nachſinnende auf- und abgegangen war/ er-
klaͤrte ſich Marbods Vorſchlag anzunehmen;
und als er durch ſeine Tochter Adelgung eben
diß der Cattiſchen Hertzogin vortragen ließ; er-
hielt ſie gleicher Geſtalt ihre Genehmhabung;
weil ſie Thußnelden nirgends/ als in der Ge-
walt ihres Vaters unſicherer zu ſeyn ſchaͤtzte.
Marbod ward uͤber dieſer faſt unvermutheten
Einwilligung hoͤchſt vergnuͤgt; nahm alſo die
hierzu nicht unwillige Thußnelde in ſeine Ge-
wehr/ und in ſeiner Begleitung auff ein an
dem Fluße Caßurgis bey Marbods-Stadt
auf einem ſteilen Felſen liegendes Schloß;
welchem nicht nur die Roͤmiſche Geſandſchafft/
ſondern auch die Cattiſche Hertzogin folgte.
Segeſthes trug bey der Verhoͤr im Nahmen
des Kayſers dem Koͤnige ein Buͤndnuͤs zu Be-
ſchirmung ihrer Laͤnder wieder alle kuͤnfftige
Feinde an; und fieng darbey an: daß Marbod
kein groͤſſer Merckmaal ſeiner zu den Roͤ-
mern tragender Neigung an Tag geben koͤn-
te; als wenn er ihm als einem Roͤmiſchen
Bunds Genoſſen ſeine Tochter/ und hier durch
zugleich dem Tiberius ſeine Braut ausfolgen
lieſſe. Marbod verordnete etliche ſeiner Raͤ-
the mit der Botſchafft hieruͤber ausfuͤhrlich zu
handeln. Jnzwiſchen reitzte er nichts deſto we-
niger die Pannonier und Dalmatier mit Ver-
ſicherung ſeiner Huͤlffe zum Aufſtande wieder
die Roͤmer an. Die Fuͤrſtin Thußnelde ließ
er inzwiſchen auffs herrlichſte in der Geſell-
ſchafft ſeiner Tochter Adelgung bedienen; und
gegen Segeſthen bezeigte er eine abſondere
Gewogenheit. Nach dem er ihm eine fe-
ſte Einbildung ſeiner Freundſchafft nach
und nach eingepregt hatte; nahm Marbod
Segeſthen einsmahls nach der Abend-
Mahlzeit/ als er ihn in gar guter Laune
Erſter Theil. Z z z z z z zund
[1282[1284]]Achtes Buch
und von dem Weine ſo viel freyern Gemuͤthes
zu ſeyn vermeinte/ bey der Hand/ fuͤhrte ihn an
ein Fenſter des Schloſſes/ daraus man bey na-
he das halbe Koͤnigreich der vertriebenen Bo-
jen uͤberſehen konte. Hierauff lobete er Sege-
ſthens hohe Ankunfft/ ſeine unver geltbare
Freundſchafft/ die er den Roͤmern geleiſtet haͤt-
te; und daß er ihm fuͤr ſie ein neues Buͤndnuͤs
zu wege zu bringen ſo ſehr angelegen ſeyn lieſſe.
Alleine ihn beduͤnckten ſchon ſeine Wolthaten
groͤſſer zu ſeyn/ als ſie ihm vom Kayſer ver golten
werden koͤnten. Wenn man aber dieſe ſo hoch
braͤchte/ wuͤrden ſie ins gemein mit Haß beloh-
net/ oder gar als Laſter verdammet. Dieſe
ſchaͤdliche Wuͤrckung waͤre den Roͤmern nichts
ſeltzames/ als welche mehrmahls ihre eigene Er-
halter ins Elend gejagt/ oder gar von Felſen
geſtuͤrtzt haͤtten. Oder/ wenn ſie es am beſten
meinten/ zahlten ſie ihre groͤſten Glaͤubiger
mit einem Eich- oder Lorber-Zweige; mit ei-
nem gemahlten Rocke/ oder einem beinernen
Stabe. Denn in ihren Schatz-Cammern waͤ-
re diß ihr groͤſtes Haupt-Gut: daß ſie einer
Hand voll Rauch einen unſchaͤtzbaren Werth
zueigneten. Fuͤrnehmlich aber ſchienen ſie es
mit dem Segeſthes derogeſtalt zu ſpielen; wel-
chem ſie die deutſche Feld-Herrſchafft mit ſo
groſſen Betheuerungen verſprochen/ mit ſo
leichtem Undanck hinterhalten; ja den ihm ſo
abholden Herrmann zeither gleichſam auff den
Haͤnden getragen/ und dem Segeſthes zum
Gegen-Gewichte gemacht haͤtten. Er hin-
gegen koͤnte den Quadiſchen Koͤnig Vannius
zu einem Beyſpiel ſeines danckbaren Gemuͤ-
thes der gantzen Welt fuͤrſtellen. Sie waͤren
beyde Deutſchen; dieſen aber moͤchte man mehr
Gutes zutrauen/ wenn man mit ihnen kriegte/
als den Roͤmern/ wenn man ſchon ihr Bunds-
Genoſſe waͤre. Weil der Roͤmer Freundſchafft
nun ſo verdaͤchtig/ ihre Treue ſo ungewiß/ und
ihr Abſehn ſo veraͤnderlich waͤre; ſtuͤnde er billich
an ſich durch Buͤndnuͤße mit dem Kayſer/ ſon-
derlich aber mit dem gefaͤhrlichen Tiberius zu
vertieffen; er wuͤrde auch bereit den Silius und
Stertinius gar ſchlecht abgefertigt haben; weñ
er nicht Segeſthen/ als einem deutſchen Fuͤr-
ſten/ beſſere Begegnung/ als den Roͤmern/ die
vorhin ihr feindſelig Gemuͤthe gegen die
Marckmaͤnner haͤtten blicken laſſen/ ſchuldig
waͤre. Dieſemnach waͤre er zwar geneigt mit
den Roͤmern in Ruhe/ nicht aber ihnen durch
Bindnuͤs verbunden zu leben; welches letztere
er mit dem Segeſthes und ſeinen deutſchen
Bunds-Genoſſen auffs feſteſte zu ſchluͤſſen er-
boͤthig waͤre; ihn verſichernde/ daß er ſein
Haupt nicht ſanffte legen wolte/ biß Segeſthes
in dem uͤbrigen Deutſchlande zum Feldherrn er-
koren; und dardurch ihr Vaterland in Ein-
tracht/ und auſſer der Auslaͤnder Gefahr/ ſein
Fuͤrſtliches Hauß aber in den alten Glantz ver-
ſetzet ſeyn wuͤrde. Segeſthes ſolte hierbey ver-
nuͤnfftig unterſcheiden: daß man von guten
Worten ſich nicht ſaͤttige; denn ſie beſtuͤnden
in einem bloſſen Athem; und von Hoͤfligkeit
nicht lebte; denn ſie waͤre ein zierlicher Betrug.
Mit dem ſcheinbarſten Lichte blaͤndete man das
Gefluͤgel/ welches man beruͤcken wolte. Daher
waͤre es zwar boͤſe einem nicht gute Worte ge-
ben; wenn ſchon die Wercke nicht boͤſe waͤren;
aber es waͤre viel aͤrger: daß gegen ihn die Roͤ-
mer keine boͤſe Worte auslieſſen; ihm aber auch
nichts gutes thaͤten. Das beſte hingegen waͤ-
ren rechtſchaffene Wercke/ wenn man nicht viel
Werckes oder Großſprechens davon machte.
Dieſes letztere verſicherte er ihn auf Deutſchen
Treu und Glauben; und hiermit tranck er
Segeſthen eine Kriſtallen-Schale mit Weine
zu; dieſe Betheuerung beyſetzende: daß er in
dieſem Glaſe ihm ſein halbes Hertze und ſeine
vollkommene Freundſchafft uͤberliefferte. Se-
geſthes/ dem dieſe Gemuͤths-Ausſchuͤttung
dienliches Waſſer auff ſeine Muͤhle war/ hoͤrte
den Koͤnig mit groſſer Vergnuͤgung/ und nahm
ſie an mit aller Ehrerbietung; ja mit einer er-
freuten
[1283[1285]]Arminius und Thußnelda.
freuten Umarmung. Er bekennte: daß die
Roͤmer ihn zeither freylich mit Winde geſpei-
ſet/ und mit leeren Vertroͤſtungen geaͤffet haͤt-
ten. Ja ſeine durch den Wein ſo viel mehr be-
geiſterte Treuhertzigkeit ließ ſich deutlich her-
aus: daß er den Roͤmern ſelbſt eine geraume Zeit
nicht allerdings getraut haͤtte; und kein groͤſſe-
res Gluͤcke ihm zuwachſen koͤnte; als wenn er
ſich auf die Achſel eines ſo maͤchtigen deutſchen
Fuͤrſten lehnen/ alſo den gefaͤhrlichen Rohrſtab
auslaͤndiſcher Macht nicht mehr zu ſeiner Stuͤ-
tze wieder die ihm gehaͤßigen Cherusker/ als de-
rer Hertzoge er ſeine wiederſpenſtige Tochter
Thußnelde ein fuͤr alle mahl nicht vermaͤhlen
koͤnte/ brauchen doͤrffte. Er haͤtte dieſe dem
Tiberius wol verlobet; aber nicht nur Thuß-
nelde haſſete ihn aͤrger/ als Spinnen; und der
Kayſer ſelbſt bezeigte uͤber des Tiberius Fuͤr-
haben nicht ſchlechten Unwillen. Hiermit waͤ-
re auch alles diß/ was man ihm zu Rom verſpro-
chen/ ſtecken blieben. Gleichwol aber waͤre die
Macht der Roͤmer ſo groß: daß man ihre Feind-
ſchafft zu verhuͤten alles euſſerſte thun muͤſte.
Dieſemnach er zwar dem Koͤnige Marbod hieꝛ-
mit die Hand reichte alles das/ was er verlang-
te/ einzugehen. Nach dem aber Boßheit und
Klugheit die zwey Bots-Leute der gantzen Welt
waͤren/ erinnerte ſie dieſe jener Fallſtricken be-
hutſam fuͤrzubeugen. Jnſonderheit haͤtten ſie
noͤthig auch ihre Gedancken in ihrem Hertzen
ſo enge zu verſchluͤſſen: daß zu ſagen kein
Schweiß-Loch offen bliebe/ wordurch ſie euſſer-
lich herfuͤr dringen koͤnten. Augen und Ge-
behrden waͤren Verraͤther der Seele; Silius
und Stertinius aber verſchlagene Auskund-
ſchaffter der Gedancken. Daher muͤſten ſie am
wenigſten mercken laſſen/ was ſie am ſehnlich-
ſten verlangten. Und es moͤchten die Sitten-
Lehrer die Heucheley fuͤr ein Laſter ſchelten/
wie ſie wolten; ſo waͤre ſie doch der Staats-
Klugheit eine groſſe Tugend; und dieſelbte
Lufft/ wormit die Fuͤrſtliche Gewalt ſich nicht
anders/ als ein Kameleon naͤhrete. Hierbey
lieſſen ſie es beyde dißmahl beruhen; nur: daß
ſie noch unterſchiedene Schalen einander zu-
trancken/ und dardurch ihre Vertraͤuligkeit be-
ſtaͤrckten. Marbod ward inſonderheit hoch
vergnuͤget: daß er Segeſthen nicht nur/ wen
Thußnelda zu heyrathen verlangte/ heraus ge-
locket; ſondern auchuͤber ſein Hertz einen ziem-
lichen Vortheil erlangt hatte. Folgenden Mor-
gen aber/ als Marbod bey Segeſthen im Zim-
mer war/ ſagte man dem Koͤnige an: daß in der
Elbe ein Stier ungewoͤhnlicher Groͤſſe gefan-
gen/ und ſelbter des Nachts in einem Netze auff
dem Fluſſe Caſſurgis biß an die ſteinerne Bruͤ-
cke gefloͤſt worden waͤre. Dieſe Seltzamkeit
gab ihm Anlaß nicht allein Segeſthen/ den Si-
lius und Stertinius dahin zu leiten; ſondern er
ließ auch ſeine Tochter Adelgund die Fuͤrſtin
Erdmuth und Thußnelden dahin fuͤhren. Der
aus dem Waſſer gezogene Fiſch uͤbertraff an
Groͤſſe aller Einbildung; denn er war neun
Ellen lang. Marbod befahl hierauf dieſes
neue Wunder auffzuhauen; bey deſſen Erfolg
denn ein guͤldener Arm-Ring in dem Bauche
des Stiers gefunden ward. Jedermann ward
hieruͤber ſorgfaͤltiger als die Einwohner auf
dem Eylande Chios/ nach dem die Fiſcher einen
guͤldenen vom Vulcan gemachten Dreyfuß aus
dem Meere zohen. Marbod alleine ſtellte ſich
anfangs bekuͤmmert/ und vermeldete: Nach dem
er der Fuͤrſtin Thußnelde des Polycrates Ring
verehret/ ſchiene das Gluͤck durch Erſtattung
eines andern eben ſo gefaͤhrlich/ als mit dem Po-
lycrates zu ſpielen; welchem der Koͤnig in E-
gypten bey der auf gleichmaͤßige Art geſchehen-
den Wieder-Erlangung ſeines in die See ge-
worffenen Ringes den Untergang all zuwahr
gewahrſagt haͤtte. Segeſthes hingegen nahm
den Ring in die Hand/ und nach dem er ſelbten
auffs genaueſte betrachtet hatte; fand er auf dem
eingefaſten groſſen Rubine das Bojiſche Wa-
pen/ nehmlich einen aufgelehnten Loͤwen/ und
Z z z z z z z 2des
[1284[1286]]Achtes Buch
des erſten Bojiſchen Koͤnigs Siegfeſts Nah-
men; um den Ring inwendig ins Gold aber
folgende Worte in der Gallier Sprache ein-
gegraben: Wenn die Elbe dieſes von
dem ſterbenden Siegfeſt ihr gewiedme-
tes Opffer dem erſten Koͤnige der
Marckmaͤnner wieder geben wird;
beſchencket ihn die Emß mit einer zwey-
fach-verlobten Braut; das Verhaͤng-
nuͤs aber mit einer gluͤckſeligen Mut-
ter/ mehr als hundert tapferer Reichs-
folger. Jederman hoͤrte mit groſſer Ver-
wunderung Segeſthens aus dem Ringe geleſe-
ne Worte; Marbod ſelbſt ſtellte ſich als unglaͤu-
big an; biß er ſolche gleichfalls geleſen; und ward
dieſer Ring allen Groſſen/ ja auch der Fuͤrſtin
Erdmuth und Thußnelde gegeben dieſe wun-
derwuͤrdige Wahrſagung anzuſchauen; welche
die einige war/ die dieſe fuͤr einen kuͤnſtlichen
Betrug des Marbods hiel; und als die unzehl-
bare Menge der zugelauffenen Marckmaͤnner
hieruͤber jauchzete/ auch zu Freuden-Feuern
und andern Luſtbezeigungen allerhand An-
ſtalt machten/ in groſſe Schwermuth verfiel;
weil ſie ſich nun auffs neue eines gefaͤhrlichen
Liebes-Sturmes beſorgte. Marbod und ſeine
groſſen Gaͤſte kamen hierauf wieder auffs
Schloß; uñ wor mit er dieſes Ringes ebentheu-
erliche Wahrſagung ſo viel mehr beſtaͤrckte/ ließ
er aus ſeinem Schatze einen andern Ring her-
bey bringen; welchen der letzte Bojiſche Koͤnig
ebenfalls aus einem in dem Fluſſe Caßurgis ge-
fangenem Fiſche geſchnitten hatte. Derſelbe
Ring hatte eben ſo wol Koͤnig Siegfeſts Wa-
pen/ Nahmen und dieſe Worte in ſich-
Als die Bojen hier feſten Fuß ſetzten;
empfieng der Fluß dieſes Geſchencke;
giebt es auch nicht ehe als bey ihrer
vorſtehenden Entfernung wieder. Die
Anweſenden wurden hieruͤber noch mehr ver-
wundernd; weil dieſes letzten Ringes Wahrheit
allbereit durch die Austreibung der Bojen be-
ſtetigt ward. Silius fuͤrnehmlich konte beyde
Ringe nicht genungſam betrachten; und ver-
meldete: daß er nunmehr der Lycier Gewon-
heit von den Fiſchen kuͤnfftige Dinge zu erfor-
ſchen nicht unbilligen koͤnte; und in ſeiner Mey-
nung ſo viel mehr beſtaͤrcket wuͤrde: Es haͤtten
die von der Eitelkeit gereinigten Gemuͤther der
Menſchen eine Krafft noch weit entfernete Zu-
faͤlle vorher zu ſehen. Ja er hielte den zu Capua
etliche Monat fuͤr des Kayſers Julius Ermor-
dung gefundenen Grabeſtein des Capys; dar-
auff ſein Tod bey Aus grabung ſeiner Gebeine
beſtimmet war/ nicht fuͤr eine Erfindung des
Brutus oder Caßius. Hier auff ward der Tag
mit einem praͤchtigen Mahle und allen erſinn-
lichen Luſtbezeigungen hingebracht; ja folgen-
de Nacht ſahe man viel Meilen im Umkreiße
die Berge mit ſpielenden Luſt-Flammen gekroͤ-
net. Der Tag war kaum angebrochen/ als die
anweſenden Reichs-Staͤnde den Koͤnig Mar-
bod durch zwoͤlff Geſandten um Beſchleuni-
gung der vom Verhaͤngnuͤße gleichſam anbe-
fohlenen Heyrath anfleheten. Woꝛauf er ſich deñ
zum Segeſthes verfuͤgte/ ihn des gefundenen
Ringes erinnerte/ ihm auch vorſtellte: wie deſ-
ſen Wahrſagung augenſcheinlich auf ſeine und
ſeiner an der Emß gebohrnen Tochter Heyrath
zielte. Wormit auch kein Menſch an dieſer Aus-
legung zweiffelte; haͤtte das guͤtige Verhaͤng-
nuͤs es ſo wunderlich geſchickt: daß Segeſthes
ſelbſt zum erſten dieſen Goͤttlichen Befehl zu
Geſichte bekommen/ und ihm andeuten muͤſſen.
Beyder Hertze haͤtte ihnen ſchon bey der vorge-
ſtrigen Vertraͤuligkeit geſagt; und ihre Gemuͤ-
ther durch einen geheimen Magnetzug dahin
geleitet; wohin ſie das Verhaͤngnuͤs nun mehr
mit dem Finger wieſe. Weil nun kein kraͤffti-
ger Siegel ihrer Freundſchafft/ als die Ver-
maͤhlung ſeiner Tochter ſeyn koͤnte; Gott auch
ſolche
[1285[1287]]Arminius und Thußnelda.
ſolche zu einem Grund-Steine des Gluͤckes fuͤr
ſein Koͤnigreich/ und zu einer Wurtzel ſeines
Koͤniglichen Stammes beſtimmt haͤtte/ verſehe
er ſich: daß Segeſthes ihm mit geneigter Hand
das Kleinod uͤberreichen wuͤrde; Welches der
Himmel ſchon zu ſeinem Eigenthume außerſe-
hen haͤtte. Segeſthes gab ſeine Willfaͤhrigkeit
ehe mit ſeinen Augen/ als mit der Zunge dem
Marbod zu verſtehen. Denn ſein Ehrgeitz/
welcher ihm/ als einem Anherrn ſo viel Marck-
maͤnniſche Koͤnige als Enckel fuͤrbildete; und
der bey ihm eingewurtzelte Aberglauben wegen
des Ringes hatte ſein Gemuͤthe ſo verfinſtert:
daß er kaum an Hertzog Herrmanns zu Thuß-
nelden habendes Recht/ noch an ſein dem Tibe-
rius gethanes Verſprechen/ am wenigſten aber
an die von beyden bevorſtehende Gefahr ge-
dachte. Dieſemnach er denn dem Koͤnige alſo
fort Thußnelden ſonder einige Bedingung ver-
ſprach; und auf Marbods Gutbefinden ſeiner
Tochter Einwilligung/ jener aber durch den
Silius vom Kayſer/ oder vielmehr dem Tibe-
rius die Begebung ſeines Anſpruchs an Thuß-
nelden zu wege zu bringen uͤbernahm. Sege-
ſthes gieng alſo in das Zimmer Thußneldens/
beruͤhrte anfangs uͤberhin diß/ was mit ihr we-
gen Ehlichung des Tiberius fuͤrgegangen waͤ-
re. Hernach fuhr er fort: Es entſchuldigte das
Verhaͤngnuͤs ſelbſt ihre Wiederſpenſtigkeit; in
dem diß geſtern ihn und ſie an den Koͤnig Mar-
bod verwieſen; welcher mit ſamt ſeinen Reichs-
Staͤnden dieſen Morgen ſchon um ihre Hey-
rath geworben haͤtten. Das Gluͤcke mit einem
ſo maͤchtigen Koͤnige vermaͤhlet/ und eine Be-
herrſcherin ſo vieler Voͤlcker zu ſeyn/ uͤberſtiege
ſchier ſeinen Wunſch/ und vermuthlich ihre
ſelbſteigene Hoffnung; alſo zweiffelte er nicht:
daß ſie mit beyden Haͤnden annehmen wuͤrde/
was zehn ihres gleichen zu vergnuͤgen genung
waͤre. Nicht ſo wol er/ als der Himmel waͤre
der vermaͤhlende Vater; und die Goͤttliche
Verſehung fuͤhrte ſie zum Koͤnige Marbod ins
Braut-Bette. Dem Verhaͤngnuͤße wieder-
ſtreben waͤre vergebene Arbeit; weil es den mit
den Haaren nach zuͤge/ welcher ihm nicht frey-
willig folgte; und daher in ſeine anleitende
Fußſtapffen zu treten/ die hoͤchſte Klugheit.
Thußnelde fiel Segeſthen mit thraͤnenden Au-
gen zu Fuße; danckte ihm fuͤr ſeine wolgemein-
te Vorſorge; und daß er die dem Verhaͤng nuͤſ-
ſe ſelbſt wiedrige Heyrath des Tiberius nun-
mehr erkennte/ auch ihre Entſchuldigung mehr
fuͤr kein Laſter hielte. Aber auch Marbods
koͤnte GOtt nicht gefaͤllig ſeyn; weil dardurch
die nichts minder vom Segeſthes als ihr dem
Hertzog Herrmann ſo betheuerlich gelobte Ehe
zerriſſen werden wolte. Der aus dem Fiſche
geſchnittene Ring waͤre ein Betrug des Mar-
bods/ und kein Wunder-Zeichen des Ver-
haͤngnuͤßes; mit deſſen Lichte die Finſternuͤs
ſeines boßhafften Gemuͤthes erleuchten wollen/
aͤrger waͤre/ als die Boßheit ſelbſt. Denn es
wunderte ſie nur/ wie niemand aus ſo viel klu-
gen Leuten die Falſchheit der Galliſchen
Schrifft/ wie ſie/ wahrgenommen haͤtte; nach
dem die Bojen zu Zeiten Koͤnig Siegfeſts nicht
die itzige Sprache der Gallier; ſondern der
Celten; auch nicht glatte/ wie im Ringe/ ſondern
gebrochene Buchſtaben gebraucht haͤtten. Da-
her flehete ſie ihn wegen des heiligen Verhaͤng-
nuͤßes/ welches den ihr Gewalt zu thun vorha-
benden Marbod ſchon durch einen Natter bieß
abgewieſen haͤtte/ demuͤthigſt an: er moͤchte ſie
dieſer einmahl zu belieben unmoͤglichen Hey-
rath uͤberheben. Segeſthes veraͤnderte hier-
uͤber unter ſchiedene mahl Farbe und Gebehr-
den; begegnete ihr daher mit ziemlicher Heff-
tigkeit: Sie ſolte ihr den thummen Wahn mit
der unvernuͤnfftigen Liebe des Herrmanns nur
als einen eitelen Traum aus den Augen ſtrei-
chen; und in Auslegung des Wunder-Rin-
ges ſich nicht kluͤger/ als ſo viel ſcharffſichtige
Z z z z z z z 3Leute
[1286[1288]]Achtes Buch
Leute zu ſeyn; oder: daß das Verhaͤngnuͤs nicht
ſolche Wunderdeutungen in eine mehr leßbare
Schreib-Art den Menſchen zum beſten ver-
wandeln koͤnte/ beduͤncken laſſen. Allzu genaue
Scharffſichtigkeit in uͤberirrdiſchen Dingen
wuͤrde zur Blindheit/ und Unglaube zum Fall-
Brete. Denn weil das Verhaͤngnuͤs allezeit
ſeine verborgene/ das Gluͤcke ſeine abſondere
Urſache haͤtte/ muͤſte man ſich nicht zu ſehr auff
das Abſehen der Vernunfft/ und die Klugheit
ſcheinbarer Rathſchlaͤge ſtaͤmmen. Das Ver-
haͤngnuͤs waͤre die weiſeſte Richtſchnur; und
das Gluͤcke die vorſichtigſte Wegweiſerin un-
ſers Thuns; die wo man weder vor/ noch hinter
ſich gewuͤſt/ durch Felß und Wellen eine Aus-
flucht eroͤffnete. Dahingegen unſere Anſchlaͤge
querwegs lieffen/ und die gewiſſeſten Dinge
krebs gaͤngig wuͤrden; weil jene die Vermeſſen-
heit menſchlicher Rathſchlaͤge auffs grauſamſte
zu ſtraffen ihr fuͤr Ehre/ und das Verhaͤngnuͤs
der wachſamſten Sorgfalt uͤberlegen zu ſeyn fuͤr
ihre Eigenſchafft hielte. Dieſe Strengigkeit
ſolte Thußnelde/ da ſie ihr Gluͤck und die vaͤ-
terliche Gewogenheit nicht mit Fuͤſſen von ſich
ſtoſſen wolte/ wol erwegen; und an dem Koͤnige
Marbod behertzigen: daß in der Welt niemand
ſo elende waͤre/ der nicht am Himmel ſeinen
Gluͤcks-Stern ſtehen haͤtte; am Herrmann a-
ber: daß die Thorheit ſelbten offt verkennte; oder
die Hartnaͤckigkeit mehr mahls das regnende
Sieben-Geſtirne mit der heiteren Venus ver-
wechſelte; oder gar einen Jrrwiſch fuͤr einen
Leit-Stern erkieſete. Weil nun einen blinden
auff ſeinem Jrrwege zu laſſen eben ſo unverant-
wortlich als eigene Thorheit waͤre; muͤſte er/ als
Vater/ end- und ernſtlich befehlen ihr Ge-
muͤthe zum Gehorſam; und ihr Vorhaben zu
der nur wenig Tage auffſchieblichen Hochzeit
zubereiten. Die biß in die innerſte Seele be-
ſtuͤrtzte und halb-verzweiffelte Thußnelde ant-
wortete Segeſthen nun nicht mehr mit vo-
riger Demuth; weil das Gewoͤlcke ihrer Be-
ſtuͤrtzung das Licht ihrer Vernunfft mercklich
vertunckelte: Jch bin ſchon bereitet zu ſterben;
meine Lebens-Zeit aber iſt mir viel zu enge: daß
ich mich einen Koͤnigs-Moͤrder zu ehlichen ge-
ſchickt machen koͤnte. Jch wil ſterben; ehe ich
eine Eydbruͤchige gegen den tugendhaffteſten
Hertzog der Cherusker; und eine Magd eines
Wuͤtterichs ſeyn wil. Jch wil ſterben/ und mit
meinen von aller andern Schuld reinen Haͤn-
den nur wieder mich Grauſamkeit uͤben laſſen/
wormit ich ſie zu keinem Werckzeuge der Un-
treue brauchen doͤrffe. Seiner Freyheit ſich
enteuſſern iſt viehiſch; ſie ihm aber nehmen laſ-
ſen/ knechtiſch. Wer ſich des Lebens halber
zum Sclaven machen laͤſt; verſteht nicht: daß
die Dienſtbarkeit ein todtes Wimmern/ kein Le-
ben ſey. Wer nicht fuͤr Ruhm ſchaͤtzt ſein Leben
zu verſchwenden um die Tugend nicht ein zubuͤſ-
ſen; hat weder Ehre noch Leben in ſich. Daher
werde ich ehe auf hoͤren Segeſthens Tochter/ als
Hertzog Herrmanns Braut und Liebſte zu ſeyn.
Mich ver gnuͤget ſchon: daß es ruͤhmlicher iſt
eines ſolchen Heldens Gemahlin zu werden
wuͤrdig/ als es wuͤrcklich ſeyn; ja/ daß es beſſer
iſt durch den Tod ſeine Braut zu ſeyn aufhoͤren;
als durch Ehlichung eines andern ſich unwuͤr-
dig machen im Leben ſeine Braut zu ſeyn. Se-
geſthes ward uͤber dieſen letzten Worten ſo erbit-
tert: daß er den Degen zuͤckte/ und Thußneldens
Vater zu ſeyn ver geſſen haͤtte; wenn nicht die
aus dem Neben-Gemache hervortretende Fuͤr-
ſtin Erdmuth ihm in die Armen gefallen/ und
durch ihre Leitſeligkeit dieſe truͤbe Wolcke zer-
trieben haͤtte. Gleich wol rieß er ſich voller Zorn
aus dem Zimmer; und erwartete mit Ungedult
Marbods in dem Seinigen; welcher endlich
kam und erzehlte: daß Silius an des Kayſers
Genehmhabung der zwiſchen ihm und Thuß-
nelden angezielten Eh nicht zweiffelte; weil er
bald anfangs des Tiberius Heyraths-Weꝛbung
zu wieder geweſt waͤre; und die Staats-Klug-
heit fuͤr rathſamer hielte mit ſeinem Unvergnuͤ-
gen
[1287[1289]]Arminius und Thußnelda.
gen ein vortheilhafftig Bindnuͤs erlangen; als
mit ſeiner Ergetzligkeit ihm einen maͤchtigen
Feind erwecken. Heyrathen waͤren Vermaͤh-
lungen der Buͤrger/ Buͤndnuͤße aber der Fuͤr-
ſten. Stertinius hingegen/ als ein Schoß-
Kind des Tiberius/ haͤtte hieruͤber viel Schwe-
rigkeiten erreget/ und dieſes Werck ſehr weit
geworffen. Nichts deſto weniger haͤtte er ihm
rund ausgeſaget: daß/ weil Thußnelde dem Ti-
berius niemahls ihr Wort gegeben/ haͤtte er kein
Recht/ weniger aber ein ſolches zu ihr/ wie der
Vater und das Verhaͤng nuͤs; ja ſeine eigene
Koͤnigliche Macht und der wuͤrckliche Beſitz
Thußneldens ihm zueignete. Alſo muͤſte er
geſchehen laſſen/ was Tiberius fuͤr Empfind-
ligkeit zu Rom hieruͤber ſchoͤpffen moͤchte; wie
hingegen dieſer ihm nicht wehren koͤnte; was
er in ſeinem Gebiete fuͤr gut befindete. Jedoch
wolte er nicht gerne mit den Roͤmern zerfallen;
weil doch die Freundſchafft zwiſchen denſelben
am beſtaͤndigſten waͤre/ die ihre Kraͤfften noch
nie gegen einander verſucht haͤtten. Segeſthes
hingegen erſchreckte den Marbod uͤberaus; als
er ihm Thußneldens beharrliche Wiederſetzlig-
keit/ und den Vorſatz ehe zu ſterben/ als den
Hertzog Herrmann zu laſſen eroͤffnete; und zu-
gleich einrieth ſelbter durch enge Beſtrickung
ſich ſo viel mehr zu verſichern/ und durch Schaͤr-
fe andere Gedancken in Kopff zu bringen.
Sintemahl doch der Zwang das beſte Verſiche-
rungs-Mittel waͤre; und ein zweiffelhaffter
Zweck ehe durch euſſerſte Entſchluͤſſung/ als
mitlere Rathſchlaͤge erreichet wuͤrde. Koͤnig
Marbod aber/ welcher behertzigte: daß all zu
groſſe Schaͤrffe nur eine Gebaͤhrerin der Ver-
zweiffelung/ und eine Stieff-Mutter der Liebe
fey/ wolte ſich ſo bald hierzu nicht entſchluͤſſen/
ſondern ſetzte Segeſthens Meynung entgegen:
daß ihre Wiederſetzligkeit zwar dem Hertzog
Herrmann und ſeinen Verleitungen/ Thuß-
nelden aber ſelbſt eben ſo wenig beyzumaͤſſen
ſey/ als der Salbey die Toͤdligkeit/ welcher heil-
ſame Blaͤtter die Kroͤte vergifftet hat. Und weil
der Eigenſchafft der Liebe nichts mehr/ als die
Wuͤrckungen des Haſſes/ nehmlich Gewalt
und Grauſamkeit zu wieder; die unzerbrechli-
chen Felſen/ welche Hammer und Feuer nicht
nachgeben/ vom linden Regen ausgewaſchen/
und durch ein hanfenes Seil abgenuͤtzt werden;
traute er ihm durch gelinde Mittel mehr/ als
durch Hefftigkeit auszurichten. Denn das
weibliche Geſchlechte waͤre nicht nur ſo ſchoͤn;
ſon dern entzuͤndete auch das maͤnnliche wie das
Feuer; ja es vermoͤchte Laͤnder und Staͤdte ein-
zuaͤſchern; Daher muͤſte man auch mit ſelbtem
ſo behutſam/ als mit der Flamme umgehen. Es
haͤtte nichts minder Rauch als Licht; dieſes
leuchtete denen Behutſamen/ jener aber ſchluͤge
denen Unvorſichtigen in die Augen/ und preſte
ihnen Thraͤnen aus. Jenen waͤre Glut und
Liebe eine lebhaffte Waͤrmde/ dieſen eine toͤd-
tende Einaͤſcherung. Maſſen denn auch Koͤ-
nig Marbod die Anſtalt machte: daß folgen-
den Tag fuͤnff und zwantzig Ritter im Namen
der Marckmaͤnner und anderer zwiſchen der
Elbe und Weichſel ihm gehorchender Voͤlcker
Thußnelden eine Koͤnigliche Krone und vier
und zwantzig Fuͤrſten-Huͤte zu ihren Fuͤſſen
legten/ ſie anflehende: daß ſie ihre Frau und
Beherrſcher in zu weꝛ den ſolche nicht verſchmaͤ-
hen moͤchte. Thußnelde hoͤrte dieſe Geſand-
ſchafft zwar mit beſtuͤrtztem Gemuͤthe/ und ſahe
dieſe Geſchencke mit einem veraͤchtlichen Auge
an; beantwortete ſie aber mit einem freundli-
chen Munde: Sie waͤre nicht aus der Lehre
derſelben gramhafften Weltweiſen; welche
Kron und Zepter als ein verdammliches Ding
von ſich ſtieſſen/ und in einem geflickten Bett-
lers-Mantel oder Wein-Faſſe ihre Ehrſuͤch-
tige Demuth verſteckten; ſondern ſie ſchaͤtzte die
Ehre ſo vielen Voͤlckern fuͤrzuſtehen fuͤr eine
danck wuͤrdige Gabe des Verhaͤngnuͤßes/ ja fuͤr
eine halbe Vergoͤtterung; weil Fuͤrſten gleich-
ſam ein Mittel-Ding zwiſchen GOtt und den
Menſchen
[1288[1290]]Achtes Buch
Menſchen waͤren/ und mehr/ als viel tauſend
Niedrige Gutes ſtifften koͤnten. Aber die Ruhe
des Gewiſſens waͤre ein ſo koͤſtlicher Schatz:
daß alles Kronen-Gold der Welt gegen ihr
Bley/ und alle Edel-Geſteine fuͤr Bohnen zu
halten waͤren. Jenen Schatz aber muͤſte ſie
wegſtoſſen/ wenn ſie dieſen aufhiebe; Da doch
jener Verluſt auch dem Feinde nicht zu goͤnnen
waͤre; dieſen aber viel verſchmehet haͤtten/ die
ihn gleich mit Rechte zu beſitzen vermocht. Sie
wuͤſte wol: daß einige das Unrecht fuͤr ein der
Herrſchafft nicht unanſtaͤndiges Ding und ſo
gar Meineyd fuͤr zulaͤßlich hielten. Alleine
diß hieſſe GOtt ſpotten/ die Gerechtigkeit zur
Eule machen; und den Diebſtahl eines Sto-
ckes verdammen; eines Koͤnigs-Stabes aber
billichen. Daher ſolten ſie ihr verzeihen: daß
ſie ihnen und dieſem Gepraͤnge den Ruͤcken
kehren muͤſte. Denn ſie waͤre entſchloſſen ihr
Antlitz ehe dem Tode/ als dem Koͤnige Mar-
bod und ſeiner Krone zu zuwenden. Mit wel-
chen Worten ſie auch ſich in ihr innerſtes Zim-
mer zuruͤck zoh. Kurtz darauff kam die Fuͤr-
ſtin Adelgund und ſetzte Thußnelden mit allen
erſinnlichſten Liebkoſungen zu: daß ſie die Mut-
ter-Stelle ſo wol uͤber ſie/ als ſo viel ſie anbe-
tende Laͤnder zu fuͤhren ſich erbitten laſſen moͤch-
te. Thußnelde hingegen verzuckerte ihr Nein
mit einer wunderwuͤrdigen Anmuth; und
ſchloß: Sie koͤnte auff dieſe Art ihre Mutter
nicht ſeyn; ſonder vorher ihre Selbſt-Moͤrde-
rin zu werden. Sintemahl die/ welche der Tu-
gend ſich enteuſſerten/ nicht lebendig/ ſondern
nur umgehende Leichen waͤren; und Hertzog
Herrmann/ in dem ſie mehr/ als in ihr ſelbſt
lebte/ nicht wuͤrde koͤnnen ihre Untreue verneh-
men und unentſeelet bleiben. Seiner Tochter
Adelgund folgte Koͤnig Marbod auf dem Fuſ-
ſe/ und druͤckte ſeine Liebꝛ mit ſo groſſen Ver-
ſprechungen aus: daß aller anderen Frauen-
Zimmer Hertzen/ auſſer Thußneldens/ hier-
durch haͤtten koͤnnen bewegt werden; welche a-
ber ihm mit der hoͤchſten Beſcheidenheit das
unaufloͤßliche Band zwiſchen ihr und dem Che-
ruskiſchen Hertzoge/ und die Ermeſſung ſeiner
beſor glichen Empfindligkeit aus Marbods ei-
gener Liebes-Hefftigkeit einhielt; und nach dem
ſie wahrnahm: daß Marbods großmuͤthiges
Hertze ehe mit vernuͤnfftigen/ als euſſerſten
Entſchluͤſſun gen zu lencken waͤre; heuchelte ſie
ihm mit dieſem Schluſſe/ uͤber welchen er ihr
nichts ferners zumuthen ſolte: Wenn ſie nicht
den Fuͤrſten Herrmann liebte/ wolte ſie keinen
andern als Marboden heyrathen. Als nun
aber etliche Tage nach einander dieſe und viel
andere Zuſetzungen von ihr nicht anders/ als
die Wellen von einem unbeweglichen Felſen
zuruͤck prellten; machte ſich der ergrimmte Se-
geſthes mit dem letzten Sturm an ſie; und nach
dem er in hundert beſchwornen Draͤuungen ihr
Laub und Graß verſagt hatte; ſchloß er: Du
haſt nunmehr die Wahl/ entweder in einem Koͤ-
niglichen Bette zu ſchlaffen/ oder im ſtincken-
den Kercker zu verfaulen. Thußnelden floſſen
anfangs die Thraͤnen als eine Bach aus den
Augen; gleich als wenn die/ welche der Uhr-
ſprung ihrer Liebe geweſt/ nunmehr ein
Spring-Brunn ihrer Schmertzen ſeyn ſolten.
Hernach aber verſiegen ſie auff einmahl; ent-
weder weil ihr Hertzeleid ſchon alles Waſſer in
ihr erſchoͤpfft hatte/ oder der trockene Schmertz
hefftiger als der naſſe iſt; in dem durch ſeine U-
bermaaß ſich dieſe truͤbe Flut nicht anders als
etliche andere Waſſer zu verſteinern pflegte.
Endlich fieng ſie nach etlichen tieffen Seuffzern
bey Segeſthens Beſchluſſe dieſe durch ſtetes
Hertz-Klopffen mehrmahls unterbrochene
Worte an: Jch erkieſe mir nicht allein den
Kercker und den Tod/ ſondern dancke auch dar-
fuͤr als eine vaͤterliche Mitgifft. Denn ein tu-
hendhafft Gemuͤthe laͤſt ihm lieber die Uber-
bleibung ſeines Lebens abſtricken/ welche ohne
diß ungewiß/ und ins gemein nicht gar lang iſt;
als daß es durch ein ſchimpfliches Leben das
groͤſte
[1289[1291]]Arminius und Thußnelda.
groͤſte Theil ſeines hinterlegten verunehren
ſolte. Und es iſt viel aͤrger/ um den Tod zu
vermeiden/ alſo leben: daß man des Lebens
nicht wuͤrdig iſt; als dem Tode ſelbſt in die Ar-
men rennen/ wenn man nur den Ruhm ver-
laͤſt: daß man laͤnger zu leben wuͤrdig geweſt
waͤre. Sintemahl ohne diß das Gluͤcke benei-
det/ die Lebenden geſcholten werden; die Un-
gluͤcklichen aber Mitleiden/ die Todten Ehren-
Seulen erlangen. Segeſthes ward hieruͤber
mehr/ als vorher niemals entruͤſtet; uñ nach dem
er ſeinen Degen halb ausgezogen/ iedoch bald
wieder ſtuͤrmeriſch in die Scheide geſtoſſen hat-
te; brach er noch derogeſtalt aus: Du ſolſt deine
Hartnaͤckigkeit aͤrger/ als du dir traͤumen laͤſt/
buͤſſen. Denn wer ſeiner Gefahr ſpottet/ deſſen
ſpottet ſie bald wieder. Hiermit entbrach er
ſich mit hoͤchſter Ungedult aus dem Zimmer/
und lag dem Koͤnige Marbod an/ ihm ſelbſt
zum beſten die Cattiſche Hertzogin aus ſeinem
Reiche/ ſeine ungehorſame Tochter aber in ein
ſtrenges Gefaͤngnuͤs zu ſchaffen. Beydes ward
auch derogeſtalt in wenigen Tagen vollſtreckt;
in dem die Hertzogin Erdmuth biß an die Saa-
le gefuͤhret/ Thußnelde aber in ein unter dem
Sudetiſchen Gebuͤrge auf einem hohen Stein-
Felſen gelegenes Schloß gantz einſam einge-
ſperret ward. Von dieſem/ meldete die Graͤfin
von der Lippe/ habe ich umſtaͤndlichen Bericht
geben koͤnnen. Weil ich nun das Gluͤcke hatte
mit Thußnelden/ wiewol nicht an einem Orte/
eine Gefangene abzugeben; Die Unwiſſenheit
aber bey niemanden vermuthlicher und verant-
wortlicher/ als bey Eingekerckerten iſt/ als wird
Fuͤrſt Adgandeſter den Verfolg ſo viel glaub-
haffter nachtragen koͤnnen. Dieſer fand ſich
alſofort darein/ und fieng an: Ehe Thußnelde
noch ſo feſte verſchloſſen ward/ kam Tiberius
nach Meyntz/ Stertinius aber verſtaͤndigte
ihn alles/ was ſich mit ihr begeben hatte. Wor-
auff Tiberius vom Koͤnige Marbod zwar die
Abfolgung ſeiner Braut hoͤflich ſuchte; Sege-
ſthen aber einen nachdencklichen Draͤu-Brieff
ſchrieb; und im Fall er ihm nicht zum Beſitz
ſeiner Tochter verhuͤlffe/ ihm rund heraus ſag-
te: daß er ihn nicht allein des geſchenckten Lan-
des zwiſchen dem Meyn/ der Saale/ und dem
Brunnen der Weſer an dem Gabretiſchen Ge-
buͤrge/ ſondern auch ſeines an der Emß ererb-
ten Hertzogthums entſetzen wolte. Segeſthes/
wie eiffrig er vor fuͤr Koͤnig Marbods Heyrath
gearbeitet/ ſo beſtuͤrtzt war er itzt. Denn die
hefftigſten Bewegungen der Begierden ſind
doch ein unfehlbares Kennzeichen der groͤſten
Gemuͤths-Ohnmacht. Daher er entweder
aus Furcht/ oder wenigſtens zum Scheine beym
Marbod anhielt dem Stertinius und Silius/
welcher nunmehr aus gleichmaͤßiger Furcht
fuͤr den Tiberius reden muſte/ die ohne diß zu
ſeiner Liebe allem Anſehen nach unbewegliche
Thußnelde folgen zu laſſen. Marbod aber ant-
wortete ihnen ins geſamt: daß ein Koͤnig/ der
ihm lieſſe den Purper ſeines Anſehens/ und ſei-
ne Braut abtrotzen/ ſeine Schwaͤche zeigte/ und
Anlaß gaͤbe/ ihn auch vollends ſeines Reichs/ ja
ſeines Lebens zu berauben. Sintemahl die An-
taſtung ſeines Zepters nur die angendmmene
Hoheit eines Fuͤrſtens/ ohne die ihrer ſo viel hun-
dert tauſend ver gnuͤgt lebten/ die Bekraͤnckung
aber ſeines Hertzens ihn als einen Menſchen
beleidigte/ welchen er nicht ausziehen koͤnte.
Weil er nun Thußnelden fahren zu laſſen nicht
verantwoꝛtlich/ Steꝛtinius abeꝛ andereꝛ Geſtalt
etwas buͤndiges zu ſchluͤſſen nicht fuͤr thulich
hielt/ muſten Segeſthes/ Silius und Sterti-
nius nach etlicher Monate vergeblicher Hand-
lung nur unverrichteter Sachen Abſchied neh-
men; wiewol Segeſthes dem Tiberius nicht
traute/ ſondern unter einem ſcheinbaren Vor-
wand ſeinen Weg durch das Land der Her-
mundurer zum Quintilius Varus einrichtete/
um ihm ſelbten bey ſo verwirrtem Zuſtande
zum Freunde zu machen. Koͤnig Marbod/
der bey ſolcher Beſchaffenheit den Krieg mit
den Roͤmern fuͤr Augen ſah/ und nach der
Richt-Schnur der Staats-Klugheit wol
Erſterl Theil. A a a a a a a aver-
[1290[1292]]Achtes Buch
verſtund lincks und recht zu ſeyn/ auch mit zwey-
en Antlitzen vor und hinter ſich zu ſehen/ kehrte
nunmehr ſeine Deichſel gantz anderwerts hin;
ſchloß noch ſelbigen Tag mit denen heimlich an-
weſenden Geſandten der Pannonier und Dal-
matier das verlangte Buͤndnuͤs; und bewegte
den Quaden-Koͤnig Vannius zu einer anſehn-
lichen Kriegs-Bereitſchafft. Hingegen ſchlieff
Tiberius auch nicht/ ſondern ſtellte ſich ſo wol
ſelbſt/ als durch den Sentius Saturnin und
Silius in gute Verfaſſung. Welche uͤber aus
groſſe Krieges-Ruͤſtung der Roͤmer dem Quin-
tilius Varus ſo viel mehr Gelegenheit gab die
Cherusker/ Bructerer/ Sicambrer/ Catten und
andere Voͤlcker zwiſchen dem Rhein und der
Elbe auffs euſſerſte zu druͤcken. Sintemahl
ſie ſich theils fuͤr der groſſen Roͤmiſchen Macht
nicht ruͤcken dorfften; theils ihre Ungedult ver-
ſchmertzen muſten/ um dieſes wieder den Mar-
bod auff ziehende Gewitter nicht ihnen auf den
Hals zu ziehen. Jnſonderheit aber beſeuffzete
Hertzog Herrmann/ dem die Fuͤrſtin Erdmuth
Thußneldens Gefahr und Gefaͤngnuͤs um-
ſtaͤndlich berichtet hatte/ ſein und ſeines Vater-
landes Nothſtand. Wie er nun einſt des Nachts
dieſen ſchwermuͤthigen Gedancken nach hieng/
kam ein langer weiſſer Geiſt bey hellem Mon-
den-Schein fuͤr ſein Bette; er grieff ihn bey der
Hand/ und redete ihn mit dieſen gantz verſtaͤnd-
lichen Worten an: Es iſt Zeit/ Herrmann/
daß du deiner ertrinckenden Thußnelde zu
Huͤlffe kommſt. Herrmann/ der ohne diß et-
liche Stunden gantz wache war/ und diß fuͤr
keinen Traum annehmen konte; antwortete oh-
ne Bedencken: Jch wils thun; ſtand auch von
Stund an auff; nahm drey der bewehrteſten
Ritter zu ſich; und ritt mit ſelbten in Jaͤger-
Tracht noch fuͤr Tage fort; nach dem er mich
mit wenigen Worten zu ſeinem Stadthalter
verordnete/ und beredete: daß er in unauff-
ſchieblichen Reichs-Geſchaͤfften den Hertzog
Jngviomer ins geheim/ und ohne des Quinti-
lius Varus Vorbewuſt heimſuchen muͤſte. Er
lenckte aber bald gegen der Saale/ all wo er ſich
und ſeine Gefaͤrthen wie Marck maͤnner aus-
kleidete. Keiner unter dieſen wuſte/ wohin ſein
Anſchlag waͤre/ ja Herrmann ſelbſt nicht; in
dem Vertrauen: daß weil der Himmel ſein
Auffwecker geweſt waͤre/ wuͤrde er auch ſein
Wegweiſer ſeyn. Zumahl ihm die Cattiſche
Hertzogin zwar: daß Thußnelde auf einem
Berg-Schloſſe gefangen ſaͤſſe/ nicht aber den
eigentlichen Ort zu wiſſen gemacht hatte. Herꝛ-
mann ſetzte ſeinen Weg gleich wol durch das Ge-
biete der Hermundurer gegen Marbod-Stadt/
allwo er etwas gewiſſes zu vernehmen hoffte/
getroſt fort. Alſo kam er an der Elbe nahe an
das Sudetiſche Gebuͤrge; und ob zwar in einem
dicken Walde ihn ein erſchreckliches Donner-
Wetter uͤberfiel/ ließ er ſich doch an der Reiſe
nichts auff halten. Denn ihm ahnte etwas un-
gemeines/ und ſein Hertz ſagte ihm ein abſon-
deres Ebentheuer wah[r]. Nach des gantzen
Tages verdruͤßlicher Reiſe brachte ſie der Weg
gerade an den Elbe-Strom; da ſie denn theils
der Mangel eines Abweges/ theils die ſie nun-
mehr uͤberfallende ſtock finſtere Nacht an die ſem
Ufer zu bleiben noͤthigte. Der offtere Blitz
zeigte ihnen zwar auff der andern Seite des
Fluſſes etwas Strom auff ein hohes Gebaͤue;
aber in Mangel der Schiffe konten ſie dahin
nicht gelangen; ſondern die breiten Aeſte etli-
cher dicken Baͤume muſt[e]n ihnen fuͤr ein Dach
dienen. Das Gewitter ſchien faſt gar verzogen
zu ſeyn/ als ein erſchrecklicher Schlag/ darvon
nicht nur ſie/ ſondern der Erd-Boden erbeb-
te/ in vorerwaͤhntes hohe Gebaͤue in Geſtalt
einer langen Feuer Seule einſchlug; worauff
denn alſofort der Himmel ſich ausklaͤrte/ und
der Mohnde ihrem Augenmaße nach uͤber die
Erde empor kam. Herrmann befahl hierauf
ſeinen Gefaͤrthen etwan einen andern Weg/
oder eine Huͤtte zur Ubernachtung zu ſuchen.
Wie er nun derogeſtalt gantz alleine an der El-
be
[1291[1293]]Arminius und Thußnelda.
be ſaß/ ſahe er von ferne einen kleinen Nachen
den Strom herab fahren; in Meynung: daß
etwan ſeine Ritter einen Schiff-Mann zur U-
berſetzung errufft haͤtten. Alleine/ wie dieſer
Nachen kaum eines Bogen-Schuſſes von ihm
war/ ſtieß er ſo harte an einen entweder unter
dem Waſſer verborgenen Baum oder Felß/ daß
er ſich umkehrte; und an ſtatt: daß alles fuͤr ſeinen
Augen verſchwand/ ihm nur ein einiger Gall
ins Gehoͤre; und der ihm vorhin erſchienene
Geiſt ins Geſichte fiel; ihm zuruffende: Es iſt
Zeit/ Herrmann/ zu helffen. Dieſer warff au-
genblicks ſeinen Rock von ſich/ ſprang in den
Fluß/ und ſchwam gerade mitten in Strom;
darinnen er denn alſo fort etwas/ das ſelbter
herab trieb/ zu Geſichte bekam; alſo ſich mit
demſelben armte/ und ans Ufer brachte. Er
hatte noch ein Stuͤcke zu ſchwimmen/ als ſeine
drey Ritter mit etlichen in einer nicht ferne von
der gefundenen Kohl-Huͤtte angezuͤndeten
Kyn Hoͤltzern zuruͤck kamen/ und ihres aus dem
Waſſer mit einem Menſchen ſteigenden Her-
tzogs Zufall nicht begreiffen konten. Herr-
mann/ welcher bereit wahr genommen hatte:
daß ſeine Beute zwar ein Weibes-Bild/ aber
ohne Regung war/ ließ ihm dieſes alſofort be-
leuchten; Er ſanck aber bey dem erſten Anbli-
cke fuͤr todt zu Bodem. Wiewol diß nun die
Ritter auffs empfindlichſte erſchreckte/ vergaſ-
ſen ſie doch nicht ihre Vorſorge den Hertzog zu
kuͤhlen/ dieſes allem Anſehen nach geringe
Frauen-Zimmer zu reiben; und ſie auff zuhe-
ben/ wormit ihr das eingetrunckene Waſſer
zum Halſe heraus ſchuͤſſen konte. Welches letz-
tere denn zu athmen anfieng/ ehe Hertzog Herꝛ-
mann ſich wie der beſinnen konte. So bald diß
aber geſchach; waren ſeine erſte/ wiewol ver-
brochene Worte: Jſt ſie todt? Wie ſie ihn aber
verſicherten: daß ſie an ihr Leben verſpuͤrten;
kam er wieder ſo weit zu Kraͤfften: daß/ nach
dem er das zwar Lufft-ſchoͤpffende/ aber noch
mehr todt als lebende Frauen-Zimmer mit ei-
nem tieffen Seuffzer gekuͤſt hatte/ ſie ihn zu
Pferde ſetzen und gegen der Kohlen-Huͤtte lei-
ten konten; dahin denn auch ihrer zwey die aus
dem Waſſer gezogene mit unter ſich gekehrtem
Antlitze trugen; und beyde mit etlichen von dem
Kohl-Weibe uͤber den gluͤenden Kohlen ge-
waͤrmten Tuͤchern rieben. Hertzog Herrmanns
Hertze wallete inzwiſchen ſo tief zwiſchen Furcht
und Hoffnung: daß er mehr einem traͤumen-
den/ als wachenden gleich war; biß das Frauen-
Bild nach und nach ein und anderes Glied zu
regen/ und die Augen zu oͤffnen begonte. Die-
ſemnach denn Hertzog Herrmann ſie kniend
umarmte und anredete: Wilſtu/ meine Sonne/
mich Todten nicht mit deinen Strahlen le-
bendig machen? Sie ſahe ihn hierauff zwar mit
ſtarren Augen/ aber ſonder einige andere Be-
wegung an. Wie nun Herrmann mehrmahls
nichts minder ſeine Liebe/ als Mitleiden auffs
klaͤglichſte ihr vorhielt; holete ſie einen tieffen
Seuffzer/ und bewegte die Lippen. Endlich
fieng ſie/ wiewol ſehr unverſtaͤndlich an: Leb
ich? und nach einer guten Weile: Jch Elende!
wil mich auch der Tod nicht haben: daß mich
nur das Leben mehr martern koͤnne; welches
doch ich nicht haben mag? Dem Hertzog Herr-
mann ſchoſſen die Thraͤnen haͤuffig uͤber die
Wangen/ und er antwortete ihr: Lebe/ lebe
mein Leben: daß ich nicht ſterbe; du aber mich
liebeſt! Sie hingegen machte hieruͤber eine
grauſame Gebehrdung/ ſagende: Liebe! Lie-
be! beſſer ſterben und nicht lieben/ als leben/
und deine Hoͤllen-Pein fuͤhlen! Herrmann
kuͤſte inzwiſchen ihr die Hand; welche ſie aber
weg zoh/ und anfieng: Hilff Gott! leb ich noch
unter der Henckerey derer/ die unter dem
Schein der Liebe meine Tod-Feinde ſind?
Und eine Weile darauff: Alſo leben/ iſt kein
Leben; ſondern nur nicht auffhoͤren zu ſterben.
Worauff ſie noch etliche verwirrte Worte her-
aus ließ/ und zu ſchlaffen anfieng. Daher denn
die Ritter dem Hertzoge riethen: daß/ da er
A a a a a a a a 2dieſem
[1292[1294]]Achtes Buch
dieſem Frauen-Zimmer das Leben und was
gutes goͤnte/ muͤſte er ihr und ihm ſelbſt die Ru-
he goͤnnen. Welchem er denn derogeſtalt nach-
kam; wiewol ſein und ihr Schlaff oͤffters
Merckmaale ihrer Unruh von ſich gab. Er
enteuſſerte ſich des Schlaffes mit dem tagenden
Morgen. Daher er denn von dieſer wol zwey
Stunden nach der Sonnen Auffgange Schla-
fenden kein Auge verwendete/ und/ ſo viel mahl
ſie Athem holete/ gleichſam eine neue Krafft be-
kam/ ja ſich ſie zu umarmen aus Beyſorge den
Schlaff ihr zu ſtoͤren kaum enthalten konte.
Endlich erwachte ſie; und ſahe nunmehr bey
geſundem Verſtande den Fuͤrſten Herrmann
vor ihrem Geſichte. Traͤumet mir? fieng ſie
an/ und hob ſich von ihrem armſeligen Bette
des guthertzigen Kohl-Weibes auff. Keines
Weges/ meine Seele/ meine him̃liſche Thuß-
nelde/ verſetzte Herrmann; und umarmte ſie
mit einer unbegreiflichen Hertzens-Freude. Jſt
es glaublich: daß ich lebe/ und zugleich dich/ mein
Leben/ hier finde? fuhr ſie fort; welcher er ant-
wortete: daß ſie an beyden nicht zu zweiffeln/
ſondern GOtt fuͤr ihre Erhaltung zu dancken/
auch zu glauben haͤtte: daß er itzt allererſt mit
ihrer Wiedererſetzung wieder zu leben anfien-
ge; weil er durch die Sorge fuͤr ſie taͤglich
mehr/ als zehnmahl waͤre entſeelet worden.
Sintemahl eine verliebte Seele/ wenn ſie nicht
weiß/ was ſeine Geliebte leidet/ eben diß/ ja ein
mehrers deßhalben ausſtehe; weil ſie es nicht
weiß; nach dem die Furcht alles Boͤſe vergroͤſ-
ſerte/ wie es die Hoffnung verkleinerte. Mit
dieſen liebkoſenden Wortwechſelungen brachten
ſie wol eine halbe Stunde zu/ ehe eines das an-
dere/ wie ſie zuſammen kommen waͤren/ zu fra-
gen vermochte. Endlich machte die ihre Freu-
de kaum begreiffende Thußnelde hier innen den
Anfang: welcher denn Herrmann auffs kuͤrtze-
ſte erzehlte: wie ein guter Geiſt ihn an die El-
be gefuͤhret/ und ſie aus dem Waſſer zu erretten
geleitet haͤtte. Worauff ſie auff ihre Knie zur
Erden ſanck/ und der Goͤttlichen Verſehung/
der himmliſchen Beſchir mer in fuͤr diß Wunder-
werck ihrer Erloͤſung inbruͤnſtig danckte. Sie
hingegen berichtete: daß Koͤnig Marbod nach
vergebens geſchehener Liebes-Werbung ſie in
ein an der Elbe gelegenes Schloß eingeſperret;
das Wetter aber in den Thurm eingeſchlagen;
und weil ſie zu allem Gluͤcke ſich in einem Ne-
ben-Zim̃er befunden/ ihre Ohren nur etwas be-
taͤubet/ ihre Bewahrer aber getoͤdtet/ die Thuͤ-
ren des Gefaͤngnuͤſſes eroͤffnet/ ja ihr eigentli-
ches Wohngemach nebſt etlichen andern gantz
eingeaͤſchert haͤtte. Dieſer Gelegenheit und
Ungluͤcks haͤtte ſie ſich zu ihrem Vortheil bedie-
net; und weil die uͤbrigen Einwohner des
Schloſſes fuͤr Schrecken gleichſam in ſtarren-
de Seulen waͤren verwandelt worden; haͤtte ſie
ſich uͤber den Grauß der eingeworffenen Ge-
baͤue herab gearbeitet/ und an dem Ufer einen
Fiſcher-Kahn gefunden/ mit welchem ſie ſich uͤ-
ber den Fluß zu ſetzen bemuͤhet; weil ſie aber we-
gen Unerfahrenheit im Schiffen das Ruder
eingebuͤſſet/ haͤtte ſie der Strom mit genom-
men/ und ſo viel ſie ſich erinnerte/ den Kahn uͤ-
ber und uͤber gedrehet; alſo: daß/ was ſich fer-
ner mit ihr begeben/ das wenigſte zu ſagen;
wol aber ihr Leben GOtt und dem/ welchem
ſie es ohne diß als ein Opffer fuͤrlaͤngſt gewied-
met/ zu dancken haͤtte. Hertzog Herrmann
muſte bey dieſer Erzehlung die unbegreifliche
Vorſorge Gottes nicht allein durch eine inner-
liche Andacht verehren; ſondern er brach auch/
ſeine Augen gegen den Himmel wendende/ in
dieſe Worte heraus: Du allſehendes Auge der
Goͤttlichen Verſehung! wie deutlich zeigeſtu
doch in deinen Schickungen: daß du uns
Menſchen fuͤr dein angenehmes Eigenthum
haͤlteſt; und/ um diß nicht zu verlieren/ keinen
Blick von uns verwendeſt! Warlich/ deim Ge-
ſtalt iſt voller Ohren; denn du hoͤreſt auch das
ohn maͤchtige Winſeln derer in unterirrdiſche
Kercker verſteckter Elenden; dein Antlitz hat
nicht
[1293[1295]]Arminius und Thußnelda.
nicht nur/ wie das von den Griechen gemach-
te Bild des Jupiters drey Augen/ welche Him-
mel/ Erde und Hoͤlle durch dringen/ das ver-
borgene/ gegenwaͤrtige und kuͤnfftige erkieſen;
ſondern es iſt ein mehr als hundertaͤugichter
Argos; ja alles voller Augen; denn du ſieheſt
auch in ſtock finſterer Nacht unſere Gefahr; und
kein Haar kan ohne deine Vorſehung von unſer
Scheitel fallẽ. Dein Hertze floͤſſet uns mit mehr
Bruͤſten/ als eine Jſis gehabt/ die ſuͤſſe Mutter-
Milch deiner unerſchoͤpflichen Guͤtigkeit ein;
wormit iederman ſich an dem Uberfluſſe deiner
Wolthaten ſaͤttigen koͤnne. Wer wil nun/ auſſer
ein Unmenſch/ zweiffeln: daß du unſer Gluͤck
und Ungluͤck nach dem Gewichte deiner Ge-
rechtigkeit abgemaͤſſen/ ja uns noch eine Zuga-
be deiner Barmhertzigkeit beygeleget haſt/ ehe
wir von dir gemacht worden; und uns daher
fuͤr kein ſo geringſchaͤtzig Ding bey dir zu halten
haben/ daß dir nur einen Augenblick unſer An-
dencken entfallen koͤnte? Sintemahl aus ge-
gen waͤrtigem Falle augenſcheinlich erhellet:
daß die Goͤttliche Weißheit auch dieſelben Din-
ge/ welche die allerverwirreſten Zufaͤlle zu ſeyn
ſcheinen/ nehmlich die Ergieſſungen der Re-
gen/ den Blitz der donnernden Wolcken/ Ge-
witter/ Schiffbruch und Erdbeben auff ſeinem
Finger abwiege; wormit ſelbte als Werckzeu-
ge nicht nur ſeines Zornes/ ſondern auch Er-
barmens den fuͤrgeſetzten Zweck erreichen/ un-
ſere Kercker erbrechen/ und unſere Feſſel zer-
ſchmettern. Darum laſt uns nur auch GOtt;
welchem kein irrdiſcher Werck meiſter an Fleiß
und Klugheit es zuvor thut/ uͤber uns und die
Zeit die Auffſicht und Eintheilung anheim ſtel-
len; und des uns anvertrauten Pfundes be-
hutſam wahrnehmen! Boͤſes und Gutes rin-
net aus dieſem einigen Brunnen; darum
laſt es uns auch mit einerley Geſichte anneh-
men; und verſichert leben: daß uns niemahls
nichts Boͤſes denn zu unſerm Beſten begegne!
Hierauff berathſchlagten ſie; wie ſie nun ihre
Ruͤck-Reiſe ſicher anſtellen ſolten; nach dem
zwar allem Anſehen nach iederman Thußnel-
den fuͤr todt und unter dem Grauſe des meh-
rentheils eingeaͤſcherten Schloſſes begraben zu
ſeyn erachten wuͤrde; Gleichwol aber in dem
Gebiete des ſo wachſamen Marbods ſich lange
auffzuhalten nicht ſicher/ und keine Behutſam-
keit genung; ja dieſe zuweilen die erſte Ver-
raͤtherin eines Geheimnuͤßes waͤre. Dieſem-
nach ſie denn von dem einfaͤltig- und guthertzi-
gen Kohl-Manne nach einer danck baren Be-
ſchenckung Abſchied nahmen/ ſich aber ſo lange
verbargen/ biß ein Ritter in dem nechſten
Dorffe ein geringes Kleid und Pferd erkauff-
te/ und dahin brachte; welches einer unter ih-
nen an ſtatt ſeines/ das er Thußnelden zur
Verkleidung geben muſte/ gebrauchte. Nach
dem auch auff der Cheruskiſchen Graͤntze Va-
rus viel Roͤmiſches Kriegs-Volck zuſammen
fuͤhrte/ das Saturnin wieder den Marbod
fuͤhren ſolte/ Thußnelde auch noch zur Zeit ih-
re Vermaͤhlung nicht fuͤr thulich; und beym
Hertzog Herrmann ſich aufzuhalten fuͤr be-
dencklich hielt; richteten ſie ihren Weg gegen
der Catten Haupt-Stadt Mattium ein; all wo
Hertzog Arpus mit ſeiner Gemahlin Erdmuth
Hoff hielt; theils mit dieſem Hertzoge noch
mehr Vertraͤuligkeit bey ſo gefaͤhrlichem Zu-
ſtande Deutſchlands/ da Varus ihrer Freyheit
vollends das Meſſer an die Gurgel ſetzte/ zu
ſtifften; theils Thußnelden wieder in die
treuen Haͤnde dieſer tapfferen Fuͤrſtin zu
uͤberantworten. Sie kamen in dreyen
Tage - Reiſen aus dem Gebiete des Koͤ-
nigs Marbod ſonder den geringſten An-
ſtoß; ungeachtet das Geſchrey ihnen ſchon
zuvor kommen war: daß die vom Marbod
gefaͤnglich gehaltene Thußnelde in einem vom
Donner eingeaͤſcherten Schloſſe verfallen;
Marbod aber hierdurch faſt in Verzweiffelung
A a a a a a a a 3verſetzt
[1294[1296]]Achtes Buch
verſetzt worden waͤre; in dem ihn theils die Heff-
tigkeit ſeiner Liebe/ theils ſein uͤber ſo ſtrenger
Verfahrung aͤngſtiges Gewiſſen beunruhig-
te. Als ſie aber ſchon uͤber die Cattiſche Graͤn-
tze in einen Wald kamen/ hoͤrten ſie ein erbaͤrm-
liches Geſchrey und ein Geraͤuſche von Pfer-
den ſich ihnen ie mehr und mehr naͤhern; weß-
wegen ſie ſich ein wenig aus dem Wege in ein
Gepuͤſche ſetzten. Nach dem ſie aber wahr-
nahmen: daß von neun Reutern ein Frauen-
Zimmer von ſchoͤner Geſtalt und nicht gerin-
gem Anſehen/ wiewol mit zerſtreuten Haaren
und zerriſſenen Kleidern gewaltſam fortge-
ſchleppet ward; war Thußnelde die erſte/ die
dieſen Raͤubern die unanſtaͤndige Beute abzu-
nehmen erinnerte; wormit ſie und Hertzog
Herrmann nebſt denen drey Rittern ſolche alſo
fort anſprengten; und ehe ſie ihrer recht gewahr
wurden/ fuͤnff Raͤuber entweder toͤdteten oder
aus dem Sattel hoben; die vier uͤbrigen aber
auf die Flucht und ihre Beute zu verlaſſen noͤ-
thigten. Diß Frauen-Zimmer/ welches ſie fuͤr
ihr vom Himmel zugeſchickte Schutz-Geiſter
hielt/ wuſte nicht Worte genung zu finden fuͤr
ihre Erloͤſung zu dancken; berichtete hiernebſt
mit zitternden und erblaßten Lippen: Sie waͤre
Rhamis des Cattiſchen Hertzogs Ukrumer
Tochter/ und eine Braut des Dulgibiniſchen
Fuͤrſten Segimers/ des Segeſthes Brudern.
Dieſem zugefuͤhret zu werden waͤre ſie auf dem
Wege begrieffen geweſt; aber von einem
Schwarm mehr als fuͤnffhundert meiſt Roͤ-
miſch gekleideter Kriegs-Leute uͤberfallen; und
an dieſen Ort geſchlept worden/ unwiſſende wie
das Gefechte mit ihren viel ſchwaͤchern Beglei-
tern abgelauffen ſeyn wuͤrde. Hertzog Herr-
mann und Thußnelde bezeugten gegen dieſer
Fuͤrſtin ein abſonderes Mitleiden; und ver-
ſprachen ſie in ihrer Geſellſchafft ihrem Herꝛn
Vater in der Stadt Bicurg/ dahin ſie ohne diß
der Weg truͤge/ zuzubringen. Hertzog Herr-
mann aber bedreute mit gezuͤcktem Degen zwey
der noch lebenden Raͤuber zu entdecken/ wer ſie
waͤren; und auff weſſen Befehl ſie dieſen Raub
begangen haͤtten? Der eine war ſo verſtockt: daß
er ihm lieber das Schwerdt in Daͤrmen um-
wenden ließ; als ihm einiges Wort abzubrin-
gen war; der andere aber ſagte umſtaͤndlich
heraus: daß Quintilius Varus/ der ſich in dieſe
Fuͤrſtin verliebt haͤtte; als er in ſeinem Durch-
zuge vom Fuͤrſten Ukrumer aufs herrlichſte waͤ-
re bewirthet worden/ von ihrer Abholung
Kundſchafft erlanget/ und ſechshundert Reiſi-
gen ihr auffzulauern/ und ſie ihm zu entfuͤhren
befehlicht haͤtte. Hertzog Herrmann bieß uͤber
dieſes Roͤmers Frevel-That die Zaͤhne zuſam-
men; und ſchwur/ die Deutſchen entweder die-
ſes Jochs zu entbuͤrden/ oder das Leben nicht zu
haben; zwang auch dieſen Raͤuber ihm zu fol-
gen. Sie ritten etwan eine halbe Meile fort/
und kamen auff ein blanck es Feld; wurden aber
alſofort dreyer Hauffen gegen ſie ankommen-
den Kriegs-Volcks gewahr; fuͤr welchem ſie
ſich zwar wieder in den Wald zu verſtecken ver-
meinten; weil aber ihre Pferde von der ſtarcken
Reiſe abgemattet waren/ wurden ſie bey Zeite
eingeholet und umringt. Gleichwol aber zo-
hen jene wenige von Leder; und ermahnte ſie
Hertzog Herrmann mit dem Degen ihnen ei-
nen Weg und Ausflucht zu eroͤffnen. Es gab
aber ein Ritter/ der den Vordrab fuͤhrte/ und
die Fuͤrſtin Rhamis erkennte/ ihnen ein Zeichen
des Friedens; weil ſie keine Feinde waͤren. Hier-
auff naͤherte ſich auff dieſes Ritters Nachricht
alſofort der Fuͤhrer des erſtern Hauffen; ſprang
vom Pferde um die Fuͤrſtin Rhamis zu empfan-
gen; welcher denn hiermit fuͤr den Hertzog Se-
gimer/ der ſeiner Braut entgegen kam/ erken-
net ward. Als dieſer mit der Fuͤrſtin Rhamis
ſich unterhielt/ kam der andere und dritte Hauf-
fen auch darzu; deſſen Fuͤhrer denn alſofort
Hertzog Herrmann und Thußnelde fuͤr Sege-
ſthen erkennte; welcher mit tauſend Caßuari-
ern gegen dem Meyne gieng/ um das von dem
Tiberius
[1295[1297]]Arminius und Thußnelda.
Tiberius an dem Fluße Werre geſchenckte/ oder
als ein ihm vielmehr durch Erbgangs-Recht zu-
gefallene Stuͤcke Landes bey bevorſtehendem
Roͤmiſch- und Marckmaͤnniſchen Kriege in beſ-
ſere Verwahrung zu nehmen/ und bey dieſer
Gelegenheit ſeinen Bruder Segimer begleite-
te. Es iſt unſchwer zu ermaͤſſen/ was dieſe Zu-
ſammen kunfft beyden fuͤr Gemuͤthsaͤnderung
gegeben; welche ſich ſo viel mehr vermehrte; als
Segeſthes ſie beyde ſtarr anſahe/ bald erblaſte/
bald ſich wieder faͤrbte; endlich zum Segimer
anfieng: Mein Bruder/ wenn ich nicht vom
Koͤnige Marbod eigenhaͤndige Nachricht haͤt-
te: daß meine Tochter vom Blitz erſchlagen
waͤre; ſolte ich mir einbilden hier ſo unverhofft
mein Kind/ als du deine Braut zu finden. Thuß-
nelde dieſes hoͤrende/ drehte ſich mit dem Pferde
um/ und gab dem Pferde die Sporne ſich zu
fluͤchten. Segeſthes wolte ihr folgen; Hertzog
Herrmann aber wiederſetzte ſich ihm mit ge-
waffneter Hand; aber es waren in einem Au-
genblicke wol zwantzig Schwerdter uͤber dem
Cheruskiſchen Hertzoge und ſeinen ihm beyſte-
henden Rittern. Die Fuͤrſtin Rhamis dieſes
ſehende/ fieng erbaͤrmlich an zu wehklagen/ und
den Hertzog Segimer zu beſchweren: Er moͤch-
te dieſe tapffere Ritter/ welche ſie fuͤr einer
Stunde aus den Haͤnden der grauſamſten
Raͤubeꝛ errettet haͤtten/ nicht ſo undanckbar auf-
opffern laſſen. Segimer ritt alſo darzwiſchen/
und mahnete ſeinen Bruder von ſolcher Ge-
walt-That ab. Segeſthes aber antwortete:
Kenneſtu nicht den Raͤuber meiner Tochter
Herrmann? Dieſer verſetzte: O du undanckba-
rer Guckuck; iſt das der Lohn: daß ich dir
zweymahl das Leben errettet/ und deine tugend-
haffte Tochter noch fuͤr wenig Tagen aus dem
Rachen des Todes geriſſen habe? Deſſen unge-
achtet; fuhr Segeſthes nicht nur ſelbſt in ſeiner
Gewalt-That fort; ſondern befahl auch ſeinem
gantzen Hauffen ſich des Cheruskiſchen Her-
tzogs als ſeines Tod-Feindes zu bemaͤchtigen.
Segimer ward hieruͤber nicht wenig erbittert;
und ſetzte ſich dem Segeſthes ſelbſt entgegen/
alſo: daß beyde Hauffen mit daruͤber in ein blu-
tiges Gefechte geriethen; und ſich allerſeits ſon-
der eigentliche Erkieſung: wer Feind oder
Freund waͤre/ einander erwuͤrgten. Maſſen
denn/ ungeachtet die Fuͤrſtin Rhamis/ wie auch
die zuruͤckkommende Thußnelde/ und zwar um
ſo viel mehr von denen Chaßuariern erkennt zu
werden/ mit entbloͤſten Bruͤſten ſich zwiſchen
die Streitenden einmiſchten/ und nach dem
Beyſpiel der Sabiniſchen Frauen beyder Zorn
und Blutſtuͤrtzung zu unterbrechen bemuͤhten;
nahm doch ihre Verbitterung keine Kuͤhlung
an; weil Segeſthes die Seinigen auf den Her-
tzog Herrmann bedreulich anfriſchte/ Segimer
aber den Erloͤſer ſeiner Braut Huͤlff-loß zu laſ-
ſen fuͤr die ſchimpflichſte Kleinmuͤthigkeit hielt.
Alſo fochten Hertzog Herrmann und Segimer
zwar als zwey Loͤwen; aber nach dem der letzte
in den rechten Arm verwundet ward: daß er
den Degen nicht mehr brauchen konte/ dem er-
ſten ſein Pferd getoͤdtet/ ihm auch wol ſieben
Wunden angebracht wurden/ uͤber diß Sege-
ſthens Hauffen wol dreymahl des Segimers uͤ-
berlegen war/ wurden die drey Cheruskiſchen/
und nicht wenig Dulgibiniſche Ritter erlegt/ die
wenigen uͤbrigen in die Flucht bracht; und Her-
tzog Herrmann blieb ohnmaͤchtig auf dem Pla-
tze liegen. Woruͤber Thußnelde ſich uͤber ihn
ſtreckende ein ſo klaͤgliches Geſchrey anfieng:
daß es alle Menſchen/ auſſer den Segeſthes; ja
einen Stein zum Erbarmnuͤs haͤtte bewegen
moͤgen. Ob nun wol Segimer und Rhamis
dem Segeſthes mit harten Worten ſeiner ver-
uͤbten Grauſamkeit halber zuſetzten/ Thußnel-
de auch ihrem Vater das Gewiſſen ruͤhrte und
einhielt: Wie Hertzog Herrmann ſie aus der
Elbe und dem Tode errettet haͤtte; ließ er ſich
doch das minſte bewegen; ſondern/ weil die un-
vernuͤnftigen Gemuͤths-Regungen ihre eigene
Blindheit fuͤr fremde Flecken/ und Schielenden
auch
[1296[1298]]Achtes Buch
auch die vollkommenſten Spiegel fuͤr ſchlimm
halten/ ſchuͤttete er wieder den Hertzog Herr-
mann und Thußnelden allerhand hefftige
Schelt-Worte aus; ja als Herrmann ſich ein
wenig nur erholet/ ließ er Ketten bringen/ ſie
beyde darmit belegen/ und auff einem Wagen
wegfuͤhren; ſeinem Bruder meldende: Er
moͤchte ihm ſeine Braut/ welche nichts minder/
als Thußnelde bey ihrer wolgemeinten Schei-
dung etliche/ wiewol nicht gefaͤhrliche Wun-
den bekommen hatte/ heim/ oder/ wohin es ihn
beduͤnckte/ fuͤhren. Denn nach dem er ſich
ſeines Feindes angemaſt haͤtte/ verlangte er ſei-
ner Gemeinſchafft nicht mehr/ Segeſthes kam
hierauff mit ſeinen Gefangenen nach Henne-
berg/ allwo er dem Fuͤrſten Herrmann/ welcher
ſeiner Meynung nach ihm allein an Erlan-
gung der oberſten Feldherrſchafft im Wege
ſtand/ allem Vermuthen nach das Licht ausge-
leſcht haͤtte/ weil doch die Feindſchafft den Tod
des Verhaßten fuͤr den Hafen ſeiner Sicher-
heit/ und der Ehrgeitz die Einaͤſcherung ſeiner
Neben-Sonne fuͤr ſeinen Leit-Stern haͤlt/ weñ
er nicht ein Schreiben vom Tiberius daſelbſt
gefunden haͤtte/ welcher zu Damaſia in Rhetien
ſich auffhielt/ und an der Donau und Lech An-
ſtalt zum Kriege wieder den Marbod machte.
Darinnen beſchwerte er ſich uͤber den Sege-
ſthes: daß er ſeine ihm verſprochene Tochter ei-
nem Feinde der Roͤmer verlobet/ hierdurch
nicht allein zu ihrem ſo grauſamen Tode und
Kraͤnckung ſeines Gemuͤthes/ ſondern auch dem
Kayſer zu groſſem Mißtrauen Urſach gegeben
haͤtte. Dieſemnach ſolte er dieſe Scharte nun-
mehr durch einen anſehnlichen Vorſchub an
Vorrath und Huͤlffs-Voͤlckern auswetzen; und
ſich derogeſtalt ſehen laſſen: daß der Kayſer ihn
fuͤr einen Freund oder Feind zu unterſcheiden/
und wegen der deutſchen Feldherrſchafft auff
ſein oder des Fuͤrſten Herrmanns Wageſchale
das Gewichte zu legen wuͤſte. Dieſes Schrei-
ben hatte bey Segeſthen einen ſolchen Nach-
druck: daß er auff einmahl alle Hoffnungs-
Ancker verlohr; welche er auff die Groͤſſe des
Marbods gegruͤndet hatte. Jn dem der liſtige
Tiberius Segeſthens Schwaͤche fuͤrlaͤngſt hat-
te kennen lernen: daß es ihm nehmlich um die
Wuͤrde der Feldherrſchafft zuthun waͤre; und
kein unter das Eyß verſchloſſener Fiſch ſo ſehr
nach der Lufft/ als er nach dieſem Winde
ſchnappte. Denn in Wahrheit die Kunſt ſich
eines fremden Willen zu bemaͤchtigen beruhet
bloß allein an dem Erkaͤntnuͤße; mit was fuͤr
einer Handhabe ein Menſch zu faſſen ſey; und
daß man ihn an dem Seile zu ſich leite/ daran
er ſelbſt gerne gehet. Sintemahl doch keine
Sache ohne Hefft/ kein Menſch ohne eine be-
ſondere Neigung iſt; in dem einer die Ehre/ der
ander den Eigennutz/ der dritte die Wolluſt zu
ſeinem Abgotte hat; ja zuweilen das niedrigſte
Abſehen etlicher Leute erſter Bewegungs-
Zirckel iſt/ und der/ welcher dieſen trifft/ den
Schluͤſſel zu der verſchloſſenſtẽ Menſchen Her-
tzen/ und die Botmaͤßigkeit uͤber ihren Willen
in ſeinen Haͤnden hat. Bey ſo geſtalten Sa-
chen ſchrieb Segeſthes an Tiberius: daß ihn
keine beſondere Gewogenheit zum Marbod;
ſondern theils ſeine Ohnmacht ihm Thußnel-
den aus den Haͤnden zu winden/ theils ſein Ab-
ſehen den Roͤmern auch mit Enteuſſerung ſei-
nes Kindes ein vortheilhafftiges Buͤndnuͤs zu
wege zu bringen/ ihm ſeine Tochter zu verlo-
ben gezwungen haͤtte. Es ſchiene aber der Him-
mel ſelbſt an dieſem Zwange keinen Gefallen
zu haben; weil er mit Donner und Blitz die
vermeintlich todte Thußnelde aus ihrem Ge-
faͤngnuͤße geriſſen/ und ſeinen Feind den Fuͤr-
ſten Herrmann zu einem Werckzeuge ſelbte ſei-
ner vaͤterlichen Gewalt einzulieffern gebraucht
haͤtte. Alſo waͤre er nunmehr nicht allein wil-
lig und maͤchtig dieſe zwey zu des Tiberius
Liebe und Rache auszuantworten; und in dem
Marckmaͤnniſchen Kriege ſich nicht als einen
Bundsgenoſſen/ ſondern als einen Roͤmiſchen
Buͤrger
[1297[1299]]Arminius und Thußnelda.
Buͤrger zu bezeigen. So ſehr diß Schreiben
den Tiberius vergnuͤgte; ſo ſehr beſtuͤrtzte ihn
eben ſelbigen Tag die einkommende Nachricht:
daß der Quaden Koͤnig Vannius mit achtzig
tauſend Mann uͤber die Donau geſetzt/ und
Carnunt zu belaͤgern vor haͤtte; Marbod aber
mit einem maͤchtigern Heere gegen die Vin-
delicher/ und mit einem andern ſein Feldhaupt-
mann Bercka gegen den Meyn und Rhein im
Anzuge waͤre. Denn dieſer kluge und ſtreit-
bare Fuͤrſt nahm den Verluſt ſeiner Thußnelde
zwar nicht/ wie etliche/ die aus der Unempfind-
ligkeit Ehre ſuchen; noch wie ein Weichling/ deſ-
ſen Thraͤnen niemahls verſeigen/ weibiſch an;
ſondern er ſuchte die Linderung ſeines Schmer-
tzens in dem Geraͤuſche der Waffen; und nach
dem Beyſpiele jenes Roͤmers/ der eben den Tag
in den Rath kam/ als ſein einiger Sohn geſtor-
ben war/ ſeinen Troſt in den Armen und in der
Schos des gemeinen Weſens zu holen. Tiberi-
us/ welcher bereit ein Schreiben gefertigt/ und
dariñen dem Segeſthes befohlẽ hatte/ dem Her-
tzog Herrmann durch Gifft aus den Wege zu
raͤumen/ ward durch dieſe Zeitung gezwungen
eine gantz andere Farth zu erkieſen; wormit er
hierdurch nicht die Cherusker denen Caßuari-
ern oder gar den Roͤmern auff den Hals hetzte.
Dieſemnach er den Silius zum Segeſthes
ſchickte/ zwiſchen ihm und dem Hertzog Herr-
mann einen Vergleich zu treffen/ und durch
des letztern Freyheit die Cherusker zu verknipf-
fen: daß ſie nicht denen Marckmaͤnnern bey-
pflichteten/ noch den Segeſthes an der verſpro-
chenen Huͤlffs-Leiſtung hinderten. Gleich-
wol aber traute er weder einem noch dem an-
dern Deutſchen; ſondern befahl: daß ſechtzig
tauſend Gallier da und dort in Deutſchland
zu Beſetzung der Feſtungen am Rhein/ am
Meyn und an der Weſer ruͤcken ſolten; wor-
mit er die alten Beſatzungen leichten und ge-
gen den Marbod ins Feld fuͤhren koͤnte. Als
Tiberius derogeſtalt mit ſeiner Zuruͤſtung alle
Haͤnde voll zuthun hatte; ward er durch eine
aus Jſtria einlauffende Zeitung: daß nach de-
nen von dar gegen die Donau abgefuͤhrten
Legionen gantz Jllyricum wieder die Roͤmer
die Waffen ergriffen haͤtte/ uͤberaus erſchre-
cket; und wenig Tage hernach dardurch faſt
gantz entſeelet: daß alle zwiſchen der Teiße und
Euxiniſchen und Adriatiſchen Meere gelege-
ne/ und mit dem Koͤnige Marbod verbunde-
ne Voͤlcker wieder die Roͤmer auffgeſtanden/
und bereit uͤber achtmahl hundert tauſend
Maͤnner im Anzuge waͤren/ theils denen in
Pannonien und Deutſchland ſtehenden Roͤ-
mern in Ruͤcken zu gehen/ theils in das Hertze
Jtaliens einzubrechen. Dieſe Gefahr wuchs
taͤglich mit allen neu-ankommenden Berich-
ten; und der Kayſer ſelbſt ſchrieb von Rom:
Es ſchiene: daß ſich Himmel und Erde wieder
die Roͤmer verſchworen/ Rom auch nach der
Schlacht bey Canna nie in gefaͤhrlicherm
Stande geſteckt haͤtte. Der ſchlaue Tiberius
ſahe wol: daß die Roͤmiſchen Kraͤffte ſo vielen
Feinden die Stirne zu bieten zu ohnmaͤchtig/
die Bunds-Genoſſen auch entweder zu
ſchwach waͤren; oder auch gar auff zwey Ach-
ſeln truͤgen; ja ins gemein das Gute nicht ſo
leicht theilhafftig/ als das Boͤſe anfaͤllig ſey/
alſo er ſein Heil dißmahl aus ſeinen Feinden/
wie kluge Aertzte die Geneſung des Krancken
aus Giffte ſuchen muͤſte. War alſo ſeine groͤ-
ſte Sorge den groſſen Stein der Marckmaͤn-
ner von ſich abzuwaͤltzen; und durch Zertren-
nung der Feinde ihrer aller Meiſter zu werden.
Den Koͤnig Marbod nun zu verſoͤhnẽ/ war kein
beſſer Mittel zu erdencken/ als Thußnelde. Die-
ſer aber ſich ſelbſt zu berauben ſchiene ihme em-
pfindlicheꝛ zu ſeyn/ als das Heꝛz aus ſeinem Leibe
reiſſen laſſen. Gleichwol uͤberwog die Ehrſucht
in ſeiner Seele die Regung der Liebe/ und er
entſchloß ſich in dieſer euſſerſten Noth ihm lie-
Erſter Theil. B b b b b b b bber
[1298[1300]]Achtes Buch
ber weh zu thun/ als mit dem Verluſte ſeiner
Hoheit auch diß/ was er itzt zu erhalten vermein-
te/ einzubuͤſſen. Dieſemnach ſchrieb er an
Marbod/ wiewol mit mehrmahls erſtarrender
Hand/ dieſe Erklaͤrung: der Kayſer habe die mit
dem Marbod auffgerichtete Freundſchafft ie-
derzeit ſo ſorgfaͤltig zu erhalten getrachtet: daß
er auch allen Schatten einigen Mißtrauens
aus dem Wege geraͤumet. Weil er nun deſſen
ſeiner ſeits vergewiſſert waͤre; koͤnte er dem ge-
meinen Ruff nicht glauben: daß Koͤnig Mar-
bod mit den Roͤmern den Frieden zu brechen;
und denen Eydbruͤchigen Pañoniern beyzuſte-
hen vorhaben ſolte; derer Aufruhr er mit dreyſ-
ſig Legionen zu zuͤchtigen befehlicht waͤre. Der
blinde Lermen der ſchwuͤrigen Jllyrier wuͤrde
ſchwerlich einen ſo klugen Fuͤrſten/ als Marbod
waͤre/ unter die Fahnen ſo weibiſcher Voͤlcker
wieder die Stadt Rom verleiten/ welcher die
Goͤtter ſchon in ihrer Kindheit ſich ſo geneigt
erwieſen: daß ſie ſelbte mit Ketten gefangener
Koͤnige an ſtatt der Windeln beſchencket. So
ungeſtuͤme Schwermungen der Voͤlcker waͤ-
ren mehr ſchreckliche/ als gefaͤhrliche Zufaͤlle
nach Art der Mutter-Kranckheit; und haͤtte
ein kluger Herrſcher dieſe nicht ſo ſehr/ als die-
ſelben Schwachheiten zu fuͤrchten/ die wie die
Schwindſucht uns in der Stille erſchliechen
und toͤdteten. Daher haͤtte das Roͤmiſche Volck
zwar mit der Vielheit ihrer Feinde ſtets ſein
Gluͤcke ſich vergroͤſſern ſehen; aber es haͤtte ſich
iederzeit mehr an der Anzahl ihrer Freunde/ als
an der Menge ſeiner Siege vergnuͤget. Seine
Freundſchafft haͤtten ſie auch ſo viel feſter gehal-
ten; weil der Kayſer ihn ſchon/ als er noch nicht
in ſolchem Stande geweſt/ darmit betheilet; und/
als hernach ihm faſt niemand wol gewolt/ ſein
Bundsgenoſſe geblieben waͤre. Die Ferne
ſeiner/ und der Uberfluß der Roͤmiſchen Laͤn-
der koͤnten ihn auch leicht verſichern: daß Rom
auff nichts ſeines Eigenthums ein Auge/ ſon-
dern ſtets geglaubt habe: man koͤnne wol zu viel
Unterthanen/ aber niemahls genung Freunde
haben. Zumahl Marbod ſelbſt wuͤſte: daß der
Kayſer die Graͤntzen des Reiches einzuziehen/
und nicht uͤber den Phrat und Rhein/ weniger
uͤber die Elbe zu erweitern geneigt waͤre/ auch
die Maͤßigung des Cato/ der die Macedonier
nach uͤberwundenem Perſeus fuͤr freye Leute
erkennet/ ſtets geruͤhmet haͤtte. Er/ Tiberius/
wolte auch nicht gerne durch ſein Fuͤrhaben von
Rom ein wiedriges zu glauben eine Urſache/
weniger zwiſchen ihm und dem Kayſer ein
Stein des Anſtoſſes ſeyn; und waͤre ihm leid:
daß Stertinius bey der Buͤndnuͤs-Handlung
nicht gewuͤſt haͤtte; wie viel hoͤher er das gute
Vernehmen mit einem Bundsgenoſſen/ als die
Vergnuͤgung ſeiner Begierden ſchaͤtzte. Es
ſchiene ihm aber des Stertinius damahliges
Bedencken nunmehr zum Ruhme ſeiner
Freundſchafft auszuſchlagen. Denn damahls
wuͤrde er ihm Thußnelden nicht ſo wol uͤberlaſ-
ſen/ als ſich einer ſchon verlohrnen Sache ver-
ziehen haben; weil ſie Marbod bereit in Haͤn-
den gehabt. Nunmehr aber wolte er ihm ſein
Recht auff ſie abtreten/ nach dem es in ſeiner
Gewalt ſtuͤnde derſelben ſelbſt zu genuͤſſen.
Denn ihm muͤſte zur Nachricht dienen: daß/
um das Unvernehmen zwiſchen den Roͤmern
und Marckmaͤn nern zu verhindern/ die Tod-
ten lebendig werden muͤſten. Maſſen er denn
ſeine Thußnelde nunmehr aus den Haͤnden
ihres Vaters/ oder vielmehr ſeinen eigenen ab-
holen laſſen koͤnte; da er ſeine Freundſchafft
und der Roͤmer Buͤndnuͤs durch diß Siegel zu
befeſtigen fuͤr noͤthig hielte. Ja wenn Mar-
bod zugleich den in ſeiner Hand habenden Koͤ-
nig Vannius zu frieden ſpraͤche/ wormit dieſer
benachbarte Krieg nicht zwiſchen den Kayſer
und Marbod einen neuen Zanck-Apffel wuͤrf-
fe/ und er am Jſter die Uberſetzung der Sar-
mater verhinderte/ verſpraͤche er denen Marck-
mann-
[1299[1301]]Arminius und Thußnelda.
mann- und Quadiſchen Graͤntz-Voͤlckern jaͤhr-
lich zwey tauſend Pfund Silber als einen Sold
zu geben. Jn dieſen ſauern Apffel muſte Ti-
berius beiſſen; weil die Groͤſſe der Gefahr kei-
ne ſuͤſſere Artzney vertrug. Wiewol dieſer vom
Tiberius gemachte ſchlimme Anfang denen Roͤ-
mern hernach faſt ein unauff hoͤrliches Joch auf-
halſete/ denen Deutſchen und andern Koͤnigen
den Frieden durch eine jaͤhrliche Schatzung/
welcher man den ſchoͤnen Namender Geſchen-
cke gab/ abzukauffen. Und ob zwar die Roͤmer
ſonſt nicht gewohnt waren ſo linde Seiten auff-
zuziehen; verſtand doch Tiberius all zuwol: daß
die Klugheit keine Sclavin der alten Art/ und
ein nicht geringer Aber glaube ſey; weñ man die
Fußſtapffen der Vorfahren anbetet/ und auſſer
ſelbten nirgendswohin ohne Verſinckung zu
treten vermeinet; und daß es ein Aberwitz
ſey lieber auff der gebaͤhnten Straſſe des Zwe-
ckes fehlen/ als auff einer neuen denſelben er-
reichen. Nichts minder hielt er ſein/ wiewol
ſonder einige vorragende Furcht geſchehendes
Nach geben eben ſo wenig fuͤr einen Verluſt/ als
die Einziehung der Segel beym Ungewitter;
maſſen denn mehrmahls ſein Sprichwort war:
daß man von ſeinem Anſehen nicht ſo leicht et-
was einbuͤße/ wenn man nur ſeinen Zweck er-
reiche; und daß die Uberwindung durch Ge-
ſchickligkeit der Staͤrcke keinen Abbruch thue/
weniger ein Merckmahl der Schwaͤche ſey.
Marbod hatte zu allem Gluͤcke von Thußnel-
dens Entkommung und Leben noch keine Wiſ-
ſenſchafft. Daher ihm des Tiberius Erbieten
nicht nur als ein Traum/ ſondern/ ungeachtet
der an Marbod abgeſchickte Paterculus diß
euſſerſt betheuerte/ als eine Erfindung ſeine
Kriegs-Macht auffzuhalten fuͤrkam; biß den
vierdten Tag darauf Segeſthes ihn verſicherte:
daß Thußnelde nicht nur lebte; ſondern/ nach
dem Tiberius ſich alles Anſpruchs auff ſie ver-
ziehe/ truͤge er ſelbte dem Marbod/ als ein
Band der Eintracht/ zwiſchen zwey ſo maͤchti-
gen Voͤlckern/ und als einen guͤldenen Apffel
des Friedens von neuem an. Sintemahl doch
zwiſchen hohen Haͤuptern die Zwiſtigkeiten
durch nichts mit groͤſſer Ehre/ als durch Ver-
maͤhlungen beygelegt wuͤrden; in dem dieſe in
Wahrheit rechte Ehren-Pforten waͤren aus
dem Jrrgarten eines entſponnenen Krieges zu
kommen; den man ohne Schaden offt nicht laͤn-
ger fuͤhren/ und gleichwol ohne Verkleinerung
nicht abbrechen koͤnte. Marbod/ ob er wol ei-
nen groſſen Vortheil ſahe den Roͤmern Abbruch
zu thun; ſo erwog er doch: daß ſo viel maͤchtige
Voͤlcker an ihnen den Kopff zerſtoſſen haͤtten;
und es gleichſam einerley zu ſeyn ſchiene wieder
Rom oder das Verhaͤngnuͤs ſich auflehnen;
und daß er in ſeinem neuen Reiche unzehlbare
heimliche Feinde zu verwahren haͤtte. Jnſon-
derheit aber hatte die Tug end und Schoͤnheit
Thußneldens eine ſolche Wuͤrckungs-Krafft
uͤber ihn erlanget: daß die Hoffnung ihres Be-
ſitzthums bey ihm alles andere Abſehen wie die
Sonne einen Nebel zu Bodem ſchlug. Denn
dieſe Fuͤrſtin iſt in Warheit ein merck wuͤrdiges
Beyſpiel: daß der Himmel gewiſſen Perſonen
eine verborgene Ober-Herrſchafft uͤber alle an-
dere Menſchen einraͤumet; alſo: daß man in
ihnen gleichſam eine uͤberirrdiſche Botmaͤßig-
keit/ welche mit einem Winck alle andere Ge-
ſetze unterbricht/ erkennen/ und denſelben/ man
weiß ſelbſt nicht warum/ als Koͤnigen von Na-
tur gehorſamen/ und als fuͤr Loͤwen ſich demuͤ-
thigen muß. Welcher Zwang am Marbod ſo
viel mehr wunderns werth war; weil weder ſei-
ne Liebkoſungen/ noch Segeſthens Strengig-
keit uͤber Thußneldens Abneigung eines Haa-
res breit Vortheil hatte erlangen koͤnnen. Sin-
temahl die Hoffnung ein ſo unſchaͤtzbares Gut
zu erlangen eine ſolche Suͤßigkeit in ſich hat:
daß ſie ihr auch die Unmoͤgligkeit zu uͤberwuͤn-
den traͤumen laͤſt/ und hiermit im Wercke be-
ſtetigt: daß die Hoffnung ein Traum der Wa-
chenden/ und die Wolluſt der ungluͤckſeligen
B b b b b b b b 2ſey.
[1300[1302]]Achtes Buch
ſey. Bey ſo geſtalten Sachen hielt er mit ſei-
nem Kriegs-Heere bey Kintzen an der Do-
nau ſtille; ſchrieb auch an den Koͤnig Van-
nius und den Feldhauptmann Bercka nicht
weiter fortzuruͤcken; an Tiberius aber: daß er
an die Roͤmer ſich zu noͤthigen nicht verlangte;
wenn ſie aber was mit ihm zu verſuchen gedaͤch-
ten/ nichts ausſchluͤge. Sein Abſehen waͤre
auch kein anders geweſt/ als mit ſeinen Kriegs-
Heeren die euſſerſten Spitzen ſeiner Laͤnder zu
bedecken; weil an ſo viel Orten allerhand truͤbe
Kriegs Wolcken auffzuziehen geſchienen; mit-
ten in ſeinem Lande aber ſeines Feindes zu er-
warten ſo viel waͤre; als ihm ſelbſt ſchon halb
verlohren geben. Nach dem aber Tiberius ihn
der Roͤmiſchen Freundſchafft verſicherte/ ſeine
eigene auch durch Abtretung der Fuͤrſtin Thuß-
nelde bekraͤfftigte/ nehme er das letzte zu Danck/
das erſtere nebſt dem verſprochenen Solde fuͤr
die Quaden (denn ſeine eigene Kriegs-Leute zu
zahlen doͤrffte er keines fremden Beyſchubs/)
fuͤr eine Verneuerung des alten Bundes an;
welcher von ihm ſo heilig/ als unverſehrlich ge-
halten/ und darmit bezeugt werden ſolte: daß
ſeine Herrſchafft keiner Erweiterung/ ſein
Ehrgeitz keinen fremden Zunder von noͤthen
haͤtte. Alſo ward die gefaͤhrliche Kriegs-Flam-
me zwiſchen dem Koͤnige Marbod und den Roͤ-
mern/ welche nunmehr alle ihre Kraͤfften wie-
der die den Marbod/ als Uhrhebern ihres Auf-
ſtandes/ verfluchenden Pannonier und Dal-
matier anwehreten/ durch die Vollkommenheit
eines Frauen-Zimmers in der erſten Geburt
getoͤdtet; und zwar mit ſo viel mehrerm Wun-
der; weil in dem Zanck-Apffel der Schoͤnheit
ſonſt ſelten Kerne ſtecken/ woraus die Oelzwei-
ge des Friedens wachſen; und das weibliche
Geſchlechte ſo offt Zwietracht in Laͤndern/ als
Zwillinge im Kind-Bette gebiehret. Als Ti-
berius und Marbod nun ſo friedliche Hand-
lung pflegten/ bemuͤhte ſich auch Silius den
Fuͤrſten Segeſthes mit dem Hertzoge Herrmañ
zu vereinbaren; und dieſen in Freyheit zu ſetzen.
Alleine Segeſthes erzeigte ſich hierinnen ſo
hartnaͤckicht: daß kein Einreden etwas verfieng;
weil er die dem Herrmann angethane Beleidi-
gung ſelbſt fuͤr ſo groß erkennte: daß er ſie ihm
ſein Lebtage nicht verzeihen weniger vergeſſen
koͤnte. Alſo iſt die Boßheit im Anſpinnen der
Laſter blind/ wenn ſie ſelbte aber ausgemacht
hat/ taub; in dem ſie keinen vernuͤnfftigen Rath-
ſchlaͤgen/ ſondern alleine der Anklage ihres Ge-
wiſſens/ welches ihr von nichts/ als Rache pre-
digt/ Gehoͤre giebt. Nach dem auch Silius
auf Draͤuungen verfiel; kam Segeſthes auff
dieſe euſſerſte Entſchluͤſſung: daß er den Her-
tzog Herrmann heimlich hinrichten/ und mit
ihm den Stein des Anſtoſſes aus dem Wege
raͤumen wolte. Denn die Grauſamkeit haͤlt
ins gemein fuͤr ſicherer/ ſein Verbrechen durch
ein noch groͤſſeres/ als durch Tugend auszuwe-
tzen; weil ein Laſter mit dem andern eine Ver-
wandſchafft/ mit der Tugend aber eine ewige
Zwietracht hat. Zu welchem Ende er auch
bereit dem Wund-Artzte ein vergifftetes Pfla-
ſter eingeantwortet haͤtte um ſolches dem Che-
ruskiſchen Hertzoge aufzulegẽ; welches aber die-
ſer aus Verdacht zuvor einem Hunde aufband/
und nach erkundigtem Giffte wegwarff; weil
er ein Werckzeug ſo eines ſchaͤndlichen Meu-
chel-Mords zu ſeyn Abſcheu trug. Hieruͤber
lieff Segeſthen die Nachricht ein: daß nicht nur
die Cherusker und Catten/ die vom Hertzoge
Segimer und der Fuͤrſtin Rhamis ſeine Ge-
faͤngnuͤs erfahren hatten/ in das Gebiete der
Caßuarier eingefallen waͤren/ und ſich der fuͤr-
nehmſten Oerter bemaͤchtiget/ ſondern auch Se-
geſthens Gemahlin Sentia und ſeinen Sohn
Siegesmund gefangen bekommen/ und um
hierdurch Herrmanns Freyheit zu erwerben
dem Hertzoge Jngviomer eingelieffert haͤtten.
Wordurch Segeſthes allererſt gezwungen
ward durch den Silius die Auswechſelung des
Hertzog Herrmanns abzuhandeln; welcher ge-
gen
[1301[1303]]Arminius und Thußnelda.
gen den Silius/ weil Segeſthes ſelbſt aus
Schamroͤthe uͤber ſeiner Beleidigung vom Fuͤr-
ſten Herrmann ſich zu beurlauben Bedencken
trug/ ſich erklaͤrte: er wuͤſte zwar: daß Sege-
ſthes ihn auffs aͤrgſte anzufeinden nicht ablaſſen
wuͤrde; weil es der Beleidiger Eigenſchafft
waͤre den Beleidigten gram zu ſeyn/ und der un-
verdiente Haß der hefftigſte waͤre; er wolte aber
aus Liebe des Vaterlandes nicht nur alle Ra-
che/ ſondern alles Unrecht vergeſſen/ und ein
Beyſpiel ſeyn: daß nicht alle den haſſen/ wel-
chen ſie vorher fuͤrchten muͤſſen. Sintemahl
er fuͤr eine Pflicht groſſer Gemuͤther hielte
nicht allein denen guten/ und Freunden/ ſo lan-
ge ſie diß ſind/ wol zu thun; ſondern auch den
Boͤſen und Feinden/ damit ſie es zu ſeyn auff-
hoͤren.
Hertzog Herrmann war kaum aus ſeinem
Gefaͤngnuͤße zu Henneberg erlediget/ und von
fuͤnffhundert Cheruskiſchen Edelleuten/ welche
hingegen Segeſthens Gemahlin und Sohn
eben ſo viel Caßuariern an dem Fulde-Strome
aushaͤndigten/ angenommen/ als zwey tauſend
Marckmaͤnniſche Edelleute zu Henneberg an-
kamen die Fuͤrſtin Thußnelde abermahls dem
Koͤnige Marbod zuzufuͤhren; Worvon Hertzog
Herrmann in ſeinem erſten Nachtlaͤger durch
einen Cattiſchen Edelmann Nachricht bekam.
Woruͤber er ſo bekuͤmmert ward: daß er ſeine
Freyheit mehr fuͤr Verluſt/ als fuͤr Gewinn
ſchaͤtzte. Er trug ſeinen Kummer ſeinen Che-
ruskern vor; welche zwar dieſe Fuͤrſtin aus der
Marckmaͤñer Haͤnden zu reiſſen ihr Leben und
Blut feil boten; aber die kaum erlangte Freyheit
ihres Hertzogs auffs neue in ſo augenſcheinliche
Gefahr zu ſetzen beym Vaterlande fuͤr unver-
antwortlich hielten; ſonder lich weil Herrmann
mit anbrechendem Tage Kundſchafft bekam:
daß noch zweytauſend Caßuarier Thußnelden
biß an den Fichtelberg/ den Vater vier beruͤhm-
teꝛ Fluͤſſe/ begleiten ſoltẽ/ alwo der Ritter Beꝛcka
mit zehntauſend Marckmaͤnnern ſie zu bewill-
kommen fertig ſtuͤnde/ und der Aufbruch den
andern Tag geſchehen ſolte. Hertzog Herrmañ
hingegen ſagte: Er muͤſte geſtehen: daß mit ſo
kleiner Macht der zehnmahl groͤſſern eine Beu-
te abzuſchlagen nicht ohne Gefahr zu ſeyn ſchie-
ne. Alleine/ alle Gefaͤhrligkeiten auffs Gewich-
te legen waͤre nur eine Klugheit der Verzagten;
und alſo ſein Vorſatz zu ſterben/ oder die zu ero-
bern/ ohne welche ſein Leben ihm ohne diß eitel
Verdruß ſeyn wuͤrde. Hiermit bewarb er ſich
um etliche Schuͤtzen/ die des Gabretiſchen Ge-
buͤrges Gelegenheit wol wuſten/ und ihn mit
ſeinem Volcke durch allerhand bedeckte We-
ge gegen Sud-Oſt dahin leiteten/ wo allem
Vermuthen nach die Marckmaͤnneꝛ mit Thuß-
nelden ihren Ruͤckweg nehmen wuͤrden. Nach
zweyen Tagen theilte er ſeine Cherusker in zwey
Theil/ er ſelbſt ſtellte ſich an einen verdeckten
Ort nahe an einen durch den Meyn gehenden
Furth/ wodurch eines ihm in die Haͤnde fallen-
den Marckmannes Berichte nach/ folgenden
Tag zur rechten Hand des Fluſſes Thußnelde
folgen ſolte. Daher er daſelbſt ausruhete/ und
auf denen Tannen-Gipffeln fleißige Schild-
Wache halten ließ. Den andern Hauffen ſetzte
er unter dem Grafen von Lingen uͤber den
Strom zur lincken Hand. Den dritten Tag
zwey Stunden nach der Sonnen Aufgange
kam vom Lingen/ Roßwurm/ ein Cheruskiſcher
Ritter mit verhengtem Zuͤgel zum Hertzoge
Herrmann/ ihn berichtende: daß eine viertel
Meilweges von ſeinem Stande er ein Schla-
gen zwiſchen etlichen tauſend Mann wahrneh-
me; Und haͤtten zwey ſeiner auf Marckmaͤnni-
ſche Art gekleidete Reuter/ die er auf Kundſchaft
ſich ſelbten naͤhern laſſen/ fuͤr gewiß berichtet:
daß ſie darunter Cherusker erkeñt haͤtten. Herꝛ-
mann ließ ihm alſofort befehlen: daß er den Rit-
ter Gneſebeck mit hundert Pferden dahin gehen
und die Gewißheit erforſchen laſſen ſolte. Er
hatte aber kaum dieſen abgefertiget; als ſeine
Wache ihm von einer Tanne die Nachricht gab;
B b b b b b b b 3die
[1302[1304]]Achtes Buch
die Marckmaͤnner waͤren mit drey ſtarcken
Hauffen keine Viertelſtunde mehr entfernet;
und folgeten dieſen etliche bedeckte Wagen. Da-
her Herrmann ſich nicht allein mit den Seini-
gen ruͤſtete/ ſondern auch den Graff Lingen mit
Zuruͤckziehung des Ritters Gneſebeck wol auff
der Hute zu ſeyn warnigen ließ. Der Hertzog
blieb hinter einem puͤſchichten Huͤgel gantz ſtille
ſtehen/ biß der dritte Hauffen an den Furt kam/
und er den Vordrab mit ſeinen Cheruskern uͤ-
ber dem Meyne ſchon ins Gefechte kommen
hoͤrte. Hiermit fiel er dem dritten Hauffen ſo
unverſehens in Ruͤcken: daß das letzte Glied
ſich ehe durch die Cheruskiſchen Lantzen durch-
bohret fuͤhlte/ ehe die Marckmaͤnner ihren
Feind zu Geſichte kriegten. Der Feldhaupt-
mann Bercka/ der dieſen von ſechs hundert
Marckmaͤnniſchen Edelleuten beſtehenden
Hauffen ſelbſt fuͤhrte/ und mit einem Theile
ſchon in dem Fluſſe war/ wolte ſich zwar ſchwen-
cken; aber ſo wol die Enge des Furths/ als die
Hoͤhe des Ufers verhinderte es; und gab denen
Cheruskern Zeit inzwiſchen mit der andern
Helffte dieſes Hauffens fertig zu werden; in
dem der Blitz der Cheruskiſchen Schwerdter/
und fuͤrnehmlich des einen Loͤwen abbildenden
Herrmanns ſie bald von Anfang in Unordnung
brachte/ und theils ſie ſeiner Liebe und Rache ab-
ſchlachtete/ theils ſie auch uͤber Hals und Kopff
in den Strom trieb. Wie nun wegen Vor-
theilhafftigkeit dieſes Ortes Herrmann ſich de-
nen Marckmaͤnneꝛn/ ob ſchon der mitlere Hauf-
fe gleichfalls zuruͤck kommen war/ genungſam
gewachſen ſahe/ ſchickte er unter dem Ritter
Maltzan hundert Cherusker/ um ſich der Wa-
gen/ und darinnen Thußneldens zu verſichern;
durch welche funffzig darbeyſtehende Caßuari-
ſche Ritter nach einem kurtzen Gefechte in die
Flucht gebracht/ und darmit Thußnelde in
Freyheit geſetzt ward. Sie ſprang mit tau-
ſend Freuden aus dem Wagen/ als ſie das ſie-
gende Theil fuͤr Cherusker erkennte. Wie dieſe
ihr aber gar Hertzog Herrmanns Gegenwart
andeuteten/ wuſte ſie weder ihr Gluͤcke/ noch die
ſeltzamen Schickungen des Verhaͤngnuͤßes
zu begreiffen; hielt alſo ihre Erloͤſung nicht
ſo wol fuͤr eine wahrhaffte Begebnuͤs/ als fuͤr
eine ſuͤſſe Einbildung eines Traͤumenden. Jh-
re Freude aber ward ihr nach wenig Augenbli-
cken verſaltzen/ als ſie mehr/ als tauſend Caſ-
ſuarier ſpornſtreichs gegen die hundert Cherus-
ker und ſie/ anrennen ſah. Daher Ritter Met-
tich ſie im Nahmen ſeines Hertzogs beſchwur:
Sie moͤchte ohne Zeitverlierung; weil ſie ſich
um einen vortheilhafftern Stand zu bekom-
men gleichfalls zuruͤck ziehen muͤſten; in dem
Walde auff dem Berge dieſes fuͤr ſie allein ge-
ſchehenden Streites auswarten. Welchem ſie
denn mit Ergreiffung eines auff der Erde lie-
genden Helms und Schwerdtes eines erlegten
Caßuariers Folge zu leiſten gezwungen ward.
Jnzwiſchen traffen nicht nur die Caßuarier auf
die ſich zwiſchen das Gehoͤltze zuruͤck gezo genen
Cherusker; ſondern der Feldhauptmann Ber-
cka/ der ſeinen Kopff ohne Thußnelden nicht
nach Hauſe zu bringen getraute/ hatte mit fuͤnf-
hundert Marckmaͤnnern an einem andern Or-
te uͤber den Strom zuruͤcke geſetzt; und gieng
dem Hertzog Herrmann/ welcher an dem erſten
Furthe gegen die von dem Ritter Sternberg
durch den Fluß halb verzweiffelt angefuͤhrten
Marckmaͤnner alle Haͤnde voll zu thun hatte/
in die Seite; und weil der Graff von Lingen
mit ſeinen anderthalb hundert Cheruskern dem
gantzen erſten Hauffen begegnen muſte/ nach
dem Gneſebeck fuͤr der Zuruͤckruffung ſchon
mit dem fremden Feinde verwick elt war/ gieng
an allen Orten das blutigſte und hartnaͤckichſte
Treffen an. Wiewol nun die an allen dreyen
Orten mehr als achtfach ſchwaͤchern Cherus-
ker den Abgang durch ihre Tapfferkeit zu er-
ſetzen ſich muͤhten/ der großmuͤthige Herrmann
auch den ſtreitbaren Bercka zu Bodem rennte
und toͤdtete; ward er doch vom Ritter Kinßke/
einem
[1303[1305]]Arminius und Thußnelda.
einem anſehnlichen und tapffern Marckmaͤn-
niſchen Soldaten/ ſo hefftig in den Nacken ver-
wundet: daß er von haͤuffiger Verblutung kaum
die Kraͤfften auff dem Pferde zu bleiben/ und
ſich gegen die ihn anfallenden zu beſchirmen be-
hielt. Wenig Cherusker waren auch/ die nicht
drey oder mehr Wunden bekommen hatten;
Bodendorff/ Bardeleben/ Meyſenburg/ Spie-
gel/ Kampen/ Mingerode/ Heym/ Reden/ Bu-
ren/ Bodenhauſen/ Zwydorn/ Hermßdorff/
und uͤber ſechzig andere hatten ſchon auch ihren
Helden-Geiſt/ wiewol nach Aufopfferung wol
ſiebenmahl ſo vieler Feinde aus geblaſen. Die
uͤbrigen Cherusker waren ſo im Gedrange: daß
ſie ſchienen verlohren zu ſeyn; als dem Grafen
von Lingen Gneſebeck mit fuͤnffhundert Che-
ruskern zu Huͤlffe/ wie auch ein ander unbe-
kandter Ritter mit tauſend Hermundurern an
den Meyn-Furth kam/ und dem Ritter Stern-
berg in Ruͤcken gieng; alſo dem in der euſſer-
ſten Noth ſteckenden Herrmann auf der einen
Seite Lufft machte. Wenige Zeit darnach
ſchwemmeten andere fuͤnffhundert Cherusker
oberhalb/ und ſo viel Hermundurer unterhalb
uͤber den Meyn/ wormit ſich das Blat an allen
Orten wendete/ indem nicht nur der rings her-
um beſetzte Malzan erloͤſet/ die Caßuarier auch
in die Flucht getrieben; ſondern die Marck-
maͤnner von dem Hertzog Herrmann/ dem Fuͤh-
rer der Hermundurer/ und dem Grafen von
Lingen an dem Fluſſe in die Mitte eingeſchloſ-
ſen/ und biß auf wenig ſich in das Gebuͤrge
Fluͤchtende und dreyhundert Gefangene nie-
dergemacht wurden. Als nun alles vorbey/
Hertzog Herrmann aber/ ob ihm dieſe Huͤlffe
vom Himmel gefallen waͤre/ bekuͤmmert war/
ſonderlich/ weil die Hermundurer ja des Koͤ-
nigs Marbod Unterthanen waren/ kam ihr
Fuͤhrer/ nahm den Helm mit ſonderbarer Ehr-
erbietung gegen den Cheruskiſchen Hertzog
vom Haupte; welchen er denn fuͤr den vertrie-
benen Fuͤrſten der Hermundurer Jubil erkenn-
te/ und als ſeinen vertrauten Freund und Noth-
helffer vertraulich umarmte; wordurch ihm deñ
ein genungſames Licht aufgeſteckt ward. Sin-
temahl ihm gar wol bewuſt war: daß dieſer vom
Marbod ſeines Landes entſetzte Fuͤrſt/ bey der
zwiſchen den Marckmaͤnnern und Roͤmern ſich
entſpinnender Zwietracht/ zwey tauſend ver-
triebene Hermundurer/ nebſt tauſend freywil-
ligen Cheruskern zuſammen gezogen/ und dem
Tiberius wieder den Marbod beyzuſtehen ſich
biß an die Donau gezogen hatten. Worauf nun-
mehr Jubil erzehlte: daß als er nach dem zwi-
ſchen dem Tiberius und Marbod gemachten
Vergleiche ſeinen Weg wieder in Nieder-
Deutſchland haͤtte nehmen wollen; er nicht nur
dieſen Tag das Gluͤcke gehabt gegen den Her-
tzog Herrmann die unvergeltbare Wolthat ſei-
ner Aufnehmung/ nach dem ſonſt die Ungluͤck-
ſeligen keine Freunde oder Bekandten zu haben
pflegten/ durch einen geringen Beyſtand zu
vergelten; ſondern auch ſeinem Tod - Feinde
ſein wertheſtes Kleinod abzunehmen/ und dar-
bey ein paar tauſend Marckmaͤnnern das Licht
auszuleſchen; welches beydes ihm zu zeigen er
den Hertzog Herꝛmann uͤber den Meyn auff die
uͤber und uͤber mit Leichen bedeckte Wallſtatt
fuͤhrte/ und daſelbſt ihm die von tauſend Her-
mundurern und Cheruskern verwahrte Fuͤr-
ſtin Adelgund des Marbods Tochter/ als eine
Gefangene zeigte; auch den Ritter Gneſebeck
wegen ſeiner Tapfferkeit ruͤhmete. Hertzog
Herrmann/ welcher auff Maltzans Bericht in-
zwiſchen ſeine Thußnelde wieder aus dem
Walde zu ſuchen Befehl ertheilt hatte/ erzeig-
te der Fuͤrſtin Adelgund alle Hoͤfligkeit/ und ein
Mitleiden uͤber ihrem Ungluͤcke; welches ſie
nach Vernehmung/ wer er waͤre/ mit einer be-
ſondern Anmuth/ und ohne das geringſte
Merckmahl einiger Furcht oder Schreckens
annahm/ auch auff Befragen ihm Nachricht
gab: daß ſie Marbod mit drey tauſend Marck-
maͤnnern der Fuͤrſtin Thußnelde biß an den
Meyn
[1304[1306]]Achtes Buch
Meyn entgegen geſchickt/ von denen Hermun-
durern aber/ welche ſie anfangs fuͤr den Auffzug
Thußneldens angeſehen haͤtten/ angefallen und
geſchlagen/ ſie aber gefangen worden waͤre. Der
Streit haͤtte faſt zwey Stunden an gleicher
Wage gehangen; es waͤren aber zuletzt hundert
Cherusker den Marckmaͤnnern aus dem Wal-
de ſo unvermuthet in Ruͤcken gefallen: daß dieſe
hieruͤber in Schrecken und bald darauf in die
Flucht gerathen. Sie wuͤſte zwar nicht/ wer
der feindlichen Hermundurer Heerfuͤhrer waͤ-
re; ſie getroͤſtete ſich aber durch eines ſo groſſen
Fuͤrſten Vorbitte ein gnaͤdiger Auge/ als an-
fangs von ihm zu erlangen; und daß man ſie
als eine Fuͤrſtliche Gefangene halten wuͤrde;
weil doch auch im Kriege das Frauen-Zimmer/
wo nicht einen Voꝛtheil zu haben/ doch ein Mit-
leiden zu erbitten verdiente. Hertzog Herrmann
erſuchte hierauf den Fuͤrſten Jubil: daß er ſeine
Gefangene wol unterhalten laſſen moͤchte; weil
es nicht nur ihre Tugend werth zu ſeyn ſchiene/
ſondern auch Thußnelde die von ihr genoſſene
Freundſchafft bey ihrer Gefangenſchafft hoch
geruͤhmet haͤtte. Jubil erklaͤrte ſich darauff:
Er haͤtte zwar ſeinen Tod-Feind und Vater-
Moͤrder Marbod ſo ſehr zu haſſen Urſache: daß
er auch in ſeiner Tochter Blute die Haͤnde zu
waſchen ſich berechtigt hielte; und diß im erſten
Eyver auszuuͤben nicht ungeneigt geweſt waͤ-
re; weil die wieder ſeinen Oberherrn aus geuͤbte
Verraͤtherey auch auf die Kinder das Rach-
Schwerdt abweltzte; alleine ſeines ſo groſſen
Wolthaͤters Begehren vermoͤchte bey ihm alle
Empfindligkeit auch gegen den Marbod ſelbſt
auszutilgen. Sintemahl die/ welche die Rache
der Goͤttlichen Gerechtigkeit heimſtellten/ ihrer
Feinde Ungluͤck auf Wucher anſtehen lieſſen; in
dem ihr miß brauchtes Mord-Eiſen ſo ſehr/ aber
gerechter nach des Moͤrders/ als dieſer vorher
nach fremdem Blute geduͤrſtet haͤtte. Wiewol
es auch das Anſehen zu haben ſchiene: daß er
durch dieſes herrliche Pfand ſeiner einigen
Tochter dem Marbod ein Theil ſeines abge-
drungenen Landes abtrotzen koͤnte; ſo waͤre doch
auf dieſe Hoffnung wenig zu anckern; weil die
Begierde zu herrſchen auch die hefftigſte Kin-
der-Liebe erſteckte. Dieſemnach er denn Adel-
gunden nicht beſſer anzugewehren wuͤſte/ als
wenn ſie der Cheruskiſche Hertzog von ihm fuͤr
ein Geſchaͤncke anzunehmen wuͤrdigen wolte.
Hertzog Herrmañ nahm diß zu Danck an; und
nach dem ſie allerſeits zuruͤcke uͤber den Meyn
geſetzt/ die Fuͤrſtin Thußnelde aber noch nicht
gefunden hatten/ ließ ihm Herrmann ſeine
Wunden verbinden/ und nicht erwehren: daß
er/ wiewol ſchon bey anbrechender Nacht ſelbſt
ins Gebuͤrge ritt; und als er nicht weiter reiten
konte/ an den Klippen hinauff kletterte/ nach
deſſen Beyſpiele das Gabretiſche Gebuͤrge mit
unzehlbaren Fackeln und dem Geſchrey der
Cherusker erfuͤllet ward; welche weder die Stil-
le und Finſternuͤs der Nacht/ noch die verborge-
nen Hoͤlen der Berge die ſo ſehr gewuͤnſchte
Thußnelde wolten verſtecken laſſen. Hertzog
Herrmann hatte mit dem Steigen und Ruffen
ſich ſo abgemattet: daß er einem von ferne
rauſchenden Waſſer/ um ſich darmit zu erqui-
cken/ ſich naͤhern muſte; wie ihn denn ein un-
verſehens gefundener Fußſteig zu einer von lau-
ter in einander geflochtenen Wuꝛtzeln derer dar-
uͤber ſtehenden Vaͤume artlich gemachten Hoͤle
leitete/ in welcher aus einem geſpaltenen Felſen
zwey ſtarcke Quelle herfuͤr ſchoſſen. Wie nun
Herrmann ſich zu dem einen buͤckte daraus zu
trincken/ ward er mit dem einen Arme gewalt-
ſam zuruͤck gezogen; maſſen er denn auch ſich
umwendende ein alle menſchliche Groͤſſe uͤber-
ſteigendes Weibes-Bild hinter ſich an den
Stein - Felß angelehnet zu Geſichte bekam.
Herrmann entſetzte ſich zwar; iedoch erholte er
ſich bald wieder/ und fragte: warum ihm zu trin-
cken verwehret wuͤrde? Dieſe antwortete: weil
der/ welcher vom Verhaͤngnuͤße zum Erloͤſer
des ſchon halb dienſtbaren Deutſchlandes erkie-
ſet
[1305[1307]]Arminius und Thußnelda.
ſet iſt/ mit dieſem gifftigen Waſſer ſich nicht be-
ſchaͤdigen ſolte. Er koͤnte ſich aber ſicher aus
dem andern geſunden Brunnen erquicken.
Herrmann folgte dieſer Anweiſung; und nach
dem er drey ſtarcke Trincke gethan/ weil dieſes
Quell ihn etwas kraͤfftigers/ als gemeines Waſ-
ſer zu haben bedeuchtete/ fragte er: wer ſie waͤre?
und woher ſie ihn fuͤr einen Erhalter der deut-
ſchen Freyheit erkennete? Sie meldete hierauf:
Jch bin der Schutz - Geiſt des Gabretiſchen
Gebuͤrges; und ſo gut ich weiß: daß du der
Cherusker Hertzog biſt; der du hier deine ver-
lohrne Braut ſucheſt/ ſo wenig iſt mir auch das
erſte verborgen; und du wirſt meine Wahrſa-
gung auch bey dem Tanfaniſchen Tempel in
Felſen eingeſchrieben finden. Kehre um/ und
ſaͤume dich nicht/ wo du deine geraubte wieder
zu haben verlangeſt. Nach dieſen Worten ver-
ſchwand diß Geſpenſte fuͤr Herrmanns Augen;
welchem die Haare hieruͤber zu Berge giengen;
Gleichwol machte er ſich mit ſeinem brennen-
den Kyne zuruͤcke/ und erreichte mit anbrechen-
dem Tage das inzwiſchen vom Fuͤrſten Jubil
geſchlagene Laͤger. Er ließ aber alſofort ein
Zeichen denen in dem Walde umbirrenden
Cheruskern geben ſich wieder einzufinden; und
erzehlte dem Fuͤrſten der Hermundurer zu ſei-
ner nichts minder groſſen Freude/ als Ver-
wunderung ſein ſeltzames Ebentheuer. Jubil
ſelbſt rieth: daß ſie der ſo denckwuͤrdigen Anlei-
tung des Verhaͤngnuͤßes/ welches auch dieblin-
den durch die gefaͤhrlichſten Strudel und die
verfuͤhriſchen Jrrwege gerade zu leitete/ folgen/
und mit denen ſchon in Bereitſchafft ſtehenden
Voͤlckern forteilen ſolten. Nach dem ſie nun
ihren Kriegs-Oberſten den Nachzug anbefoh-
len/ giengen beyde Hertzoge mit zweytauſend
außerleſenen Kriegs-Leuten voran; als ſie aber
etwan fuͤnff Meilweges hinter ſich gelegt/ er-
eilte der Vordrab einen Hauffen Fluͤchtiger a-
ber meiſt gefaͤhrlich verwundeter Caſſuarier/
unter denſelben war ein eyßgrauer alter Ritter/
der zwar fuͤr die Hertzoge gebracht ward/ aber
fuͤr uͤbermaͤßigen Thraͤnen kein Wort aufzu-
bringen wuſte. Nach dem ihm aber Hertzog
Herrmann uͤberaus gnaͤdig zuſprach/ und daß
er zwar nicht als ein Gefangener/ ſondern ſei-
nem Ritterſtande gemaͤß verhalten werden ſol-
te/ vertroͤſtete; fieng er an: Sein eigen Ungluͤck
waͤre ſein geringſter Kummer; in dem er unter
denen itzt zwiſtigen Hertzogen nicht wuͤſte/ wen
er ihm zu ſeinem Herrn ausleſen ſolte; weil er
von vaͤterlicher Ankunfft zwar Ketteler ein
Chaſſuarier/ von der muͤtterlichẽ ein Cherusker;
ja dieſe zwey hohen Haͤuſer nicht nur aus einer
Wurtzel entſproſſen; ſondern iederzeit auch mit
einander hoͤchſt vertraͤulich geweſt waͤren. Nach
dem er aber zwiſchen ihnen itzt eine ſolche Ver-
bitterung verſpuͤrte/ und Segeſthes ſeine Toch-
ter lieber den Feinden Deutſchlands/ oder gar
der Hoͤllen aufzuopffern/ als einem ſo tapfferem
Fuͤrſten wie der Cheruskiſche waͤre/ zu vermaͤh-
len gedaͤchte; dieſe Zwietracht aber nichts an-
ders/ als eine Mutter beyderſeitigen Unter-
gangs ſeyn koͤnte; wolte er mit ſeinen Thraͤnen
ihm vorher die Augen ausbeitzen: daß ſie an de-
nen bereit ſchon vorgeſehenen Trauer-Faͤllen
nicht mehr Hertzeleidanſchauen muͤſten. Hertzog
Herꝛmañ lobte ſeine wolgemeinte Empfindlig-
keit; bemuͤhte ſich aber ihm die ſo traurige Ein-
bildung durch Vertroͤſtung: daß Hertzog Herr-
mañ mit Segeſthen alle Augenblicke ihre Zwi-
ſtigkeit bruͤderlich beylegen wolte/ auszureben.
Dieſer gute Alte ſeufzete/ wendete die Augen ge-
gen den Him̃el/ und fieng an: Wolte Gottldieſes
erfolgte alſo. Und wenn Hertzog Herꝛmañ dieſe
Meynung hat/ wuͤnſche ich: daß er Segeſthens
Tochter ehe ereile/ ehe ſie ihrem Vater wieder in
die Haͤnde kom̃t! Hertzog Herrmann fuhr fort/
meldende: Er ſolte an dem erſteꝛn keinen Zweifel
tragen/ wegen des letztern aber ihnen klaͤrere
Nachricht geben. Der Ritter antwortete: Jch
habe geſagt/ was ich weiß; ihr habt die gebaͤhnte
Straſſe fuͤr euch/ darauf man Thußnelden nach
Erſter Theil. C c c c c c c cHenne-
[1306[1308]]Achtes Buch
Heñeberg wieder gefangen fuͤhrt; und bejam̃ere
ich am meiſten: daß ich ſo ungluͤckſelig geweſen
mich ihrer in dem Gabretiſchen Walde zu be-
maͤchtigen/ nach dem bereit drey gewafnete Caſ-
ſuarier von ihrer Hand gefallen waren. Beyde
Hertzoge verfolgten Spornſtreichs ihre Reiſe;
erreichten aber allererſt gegen Abend etwan
dreyhundert Caſſuarier/ welche iedoch keinen
Stand hielten/ ſondern ſich auff die Flucht be-
gaben; alſo: daß die berittenſten Cherusker kaum
zwey Caſſuarier einholeten; welchen mit ge-
nauer Noth auszupreſſen war: daß die Fuͤrſtin
Thußnelde ungefaͤhr eine halbe Meilweges
voran waͤre/ und daſelbſt/ weil ſie wegen
Schwachheit nicht ferner zu bringen; die Pferde
auch auffs euſſerſte abgemattet waͤren/ auf einen
feſten Berg-Schloſſe uͤbernachten; ſich auch die
fluͤchtigẽ Caſſuarier daſelbſt wieder zuſam̃en zie-
hen wuͤrden. Hertzog Herrmañ wolte bey ſolcher
Bewandnuͤs ſeine muͤden Cherusker nicht einſt
verblaſen laſſen/ aus Beyſorge: die zu letzt ge-
fluͤchteten wuͤr den ſeinen Anzug verrathen/ und
Thußnelden weiter zu fuͤhren veranlaſſen.
Weßwegen auch die/ welche noch am beſten be-
ritten waren/ um dieſer beſor glichen Entrin-
nung vorzubeugen voran hauen muſten; welche
denn zu allem Gluͤcke auch gerade dahin ge-
langten/ als die Caſſuarier mit Thußnelden den
Schlo[ß]berg herab kamen; nach erlangter
Kundſchafft aber: daß di[e] Cherusker ſchon un-
ten im Thale ſtuͤnden/ ſich wieder hinein zohen.
Wiewol nun beyde Hertzoge dieſes Schloß
rings um auffs beſte beſetzten; konten ſie doch
nicht hindern: daß nicht Segeſthes/ welcher nur
fuͤnff Meilweges davon Hof hielt/ noch ſelbige
Nacht hiervon Nachricht erlangte. Folgenden
Tag kamen vollends die Hermundurer und
Cherusker an. Daher die Hertzoge ſich zu einer
rechten Belaͤgerung mit Umſchantzung des Laͤ-
gers und Fertigung des Sturmzeuges ruͤſteten;
zumahl folgenden Tag die Kundſchafft einlieff:
daß Segeſthes alles/ was Waffen tragen koͤnte/
in ſeinem Gebiete aufbieten ließ. Wiewol nun
das Schloß nur einen einigen in eitel Felſen
gehauenen Weg hatte/ brachten doch die Che-
rusker den fuͤnfften Tag zwey Sturm-Balcken
an; mit welchen ſie/ ungeachtet die uͤber tauſend
darinnen belaͤgerten Caſſuarier mit ausgeworf-
fenem Feuer/ Steinen und Pfeilen ernſte Ge-
genwehr thaten/ zwey Thuͤrme in Tag und
Nacht derogeſtalt zerſchmetterten: daß ſie uͤber
einen Hauffen fielen/ und mit ihrem Grauſe
die Graͤben fuͤlleten; alſo zum Stuͤrmen einen
bequemen Zugang machten. Welches denn
auch erfolgt waͤre/ wenn nicht die Caſſuarier
ein Zeichen des Friedens ausgeſteckt haͤtten.
Worauf auch alſofort drey edle Caſſuarier Pra-
beck/ Voße und Amelunx zum Hertzog Herr-
mann heraus kamen/ an ſtatt der verhofften Er-
gebung aber ihm Segeſthens eigene Hand vor-
legten/ darinnen er dem oberſten Befehlhaber
im Schloſſe Aſchenbruch bey Verluſt ſeines
Kopffes und Ehren befahl/ ſich auffs euſſerſte zu
wehren/ und des Entſatzes ihn unfehlbar ver-
ſicherte. Jm Fall aber es ſo weit kaͤme: daß
er an laͤngerer Erhaltung der Feſtung zweifel-
te; ſolte er Thußnelden/ als einen Brand/ der
ſchon ſo viel Feuer angezuͤndet haͤtte/ und noch
gantz Deuſchland einaͤſchern wuͤrde/ ausleſchen/
und ehe von den Klippen herab ſtuͤrtzen/ als le-
bendig in Herrmanns Haͤnde lieffern. Hertzog
Herrmann hielt durch dieſe Abgeſchickten dem
Schloß-Oberſten zwar ein: was fuͤr un menſch-
liche Grauſamkeit Segeſthens Befehl in ſich
begrieffe; und daß auch ein Knecht in ſolchen
Befehlen/ die den Geſetzen der Natur wieder-
ſtrebten/ ſeinem Herrn zu gehorſamen nicht
ſchuldig waͤre. Dieſer aber ließ den Hertzog zur
Antwort wiſſen: Es ſtuͤnde kein em Unter gebe-
nen zu ſich ſo verſtaͤndig beduͤncken zu laſſen:
daß man uͤber ſeines Fuͤrſten Verordnung: ob
ſelbte recht oder unrecht waͤre/ urtheilen koͤnte.
Denn das Urtheil waͤre ein Werck des Obern;
der Gehorſam aber die Ehre der Unterthanen.
Und
[1307[1309]]Arminius und Thußnelda.
Und da ein Schiff - Hauptmann ſein Schiff
ehe in Brand zu ſtecken/ und ſich ſelbſt ehe auf-
zuopffern/ als ein Raub des Feindes zu werden
verbunden werden koͤnte; wie viel mehr waͤre er
ſchuldig die hinzurichten/ derer Leben und Tod
ohne diß in der Willkuͤhr ſeines Gebieters ſtuͤn-
de. Nach dem dieſer nun von ſeinen Gedan-
cken nicht zu bringen war/ wie beweglich ihm
man gleich einhielt: daß die Ausliefferung
Thußneldens/ mit welcher man ſich ſonder Er-
gebung des Schloſſes beſtillen wolte/ nicht nur
eine ruhmwuͤrdige Erbarmung uͤber dieſe tu-
gendhaffte Fuͤrſtin waͤre; die als eine Roſe auff
ihrem muͤtterlichen Stengel von ſo ſchmertz-
hafften Dornen zerſtochen wuͤrde/ und davon
entfernet zu werden wol verdiente/ ſondern
auch der gemeinen Ruhe Deutſchlandes vor-
traͤglich/ wiedrigen Falls aber die Feſtung eine
blutige Grabeſtatt der Belaͤgerten ſeyn wuͤrde;
ſchlug Hertzog Jubil fuͤr: Ermoͤchte Thußnel-
den ihm ausfolgen laſſen/ welches er wegen des
nur gegen den Fuͤrſten Herrmann empfange-
nen Verbots ohne Verantwortung eingehen
koͤnte/ zumahl er ihm angelobte/ Thußnelden
nicht dem Cheruskiſchen Hertzoge/ ſondern dem
Fuͤrſten Segimer Segeſthens eigenem Bru-
der auszuantworten. Aber ebenfalls vergebens;
in dem er antwortete: dieſer Vorſchlag waͤre
ihm/ als einem Kriegs-Manne zu ſpitzfinnig;
Daher Herrmann aus Eyver dieſem hartnaͤ-
ckichten die aͤrgſte Marter/ und einen ſolchen
Tod/ den erfuͤhlen wuͤrde/ andraͤuen/ und aus
einer ihn uͤberlauffenden hernach ſelbſt bereuetẽ
Hitze ſeine in voller Bereitſchafft ſtehende Che-
rusker an beyden Orten anlauffen ließ; ihm ein-
bildende: daß die hartnaͤckichte Erklaͤrung dieſes
Caſſuariers mehr Trotz/ als Ernſt waͤre; in dem
die/ dereꝛ Gꝛoßmuͤthigkeit auf deꝛ Zunge ſchweb-
te/ ſelten viel davon im Hertzen haͤtten/ und die
Redner meiſt Kuͤnſtler in Worten/ nicht in den
Wercken waͤren. Die Cherusker und hieꝛauf die
Hermundurer ſtuͤrmten ſo erhitzt: daß ungeach-
tet der tapfern Gegenwehr nach zweyen Stun-
den die Cherusker auf dem Thore/ die Hermun-
durer auf der innerſten Schloß-Mauer ihre
Fahnen auffſteckten. Aber dieſe Siegs-Zeichen
verwandelten ſich dem Hertzog Herrmann/ wel-
cher nahe bey der eingeſtoſſenen Mauer ſein
Volck zum Sturme anleitete/ Augenblicks in
klaͤgliche Trauer-Binden. Denn er ſahe aus
einem Thurme ein Frauenzimmer herab ſtuͤr-
tzen/ welches er fuͤr kein anders/ als ſeine Thuß-
nelde halten; und daß ſelbte uͤber die gaͤhen Fel-
ſen in tauſend Stuͤcke ſich zerſchmettern muͤſte/
muthmaſſen konte. Dieſes Schrecken ver-
bitterte ihn ſo ſehr: daß er ſeinen Hinterhalten
vollends nachdringen/ und befehlen ließ: die
Cherusker ſolten keine Seele von den Moͤrdern
ſeiner liebſten Thußnelde leben laſſen. Er ſelbſt
aber eilte mit etwan hundert Mann gegen die
Klippen/ woruͤber Thußneldens Abſtuͤrtzung
geſchehen war. Wie nun aber im Grunde nichts
von ihr zu ſpuͤren/ kletterte er mit der Seinigen
und der verhandenen Sturm-Leitern Huͤlffe
an den Felſen hinauff biß an den Thurm/ da er
denn zu ſeiner hoͤchſten Verwunderung Thuß-
nelden ſchier an der mitlern Hoͤhe des uͤber hun-
dert Ellen hohen Thurmes gleichſam klebende
fand; in dem ſie mit ihrem von der Lufft auff-
gefacheten Rocke an einem ſpitzigen Felſen haͤn-
gen blieben/ mit den Haͤnden eine aus den Stei-
nen ragende Baum-Wurtzel im herab fallen
ergrieffen/ und nicht ſonder augenſcheinlichen
Beyſtand Gottes ſich ſo lange daſelbſt angehal-
ten/ alſo dardurch bewehret hatte: daß Fuͤrſten
gantz abſondere Schutz-Geiſter/ und in ſich ei-
nen ungemeinen Einfluß von auch Fuͤrſtlichen
Sternen zu ihrer mehrmahls unglaublichen
Erhaltung haben muͤſten. Hertzog Herrmann
ließ als bald zwey Leitern/ weil keine allein zu
dieſer Hoͤhe langte/ zuſammen binden; und nach
dem der abſchuͤßige Felß keine ſichere Aufſetzung
der Leitern verſtattete/ ſelbte mit Stricken un-
ten umfaſſen/ und die Cherusker auf der Seite
C c c c c c c c 2gleich-
[1308[1310]]Achtes Buch
gleichſam ſchwebende halten. Er ſelbſt aber ſtieg
oder flog vielmehr die Leiter hinauff/ und hob
Thußnelden darauf/ welcher Haͤnde ſchon gantz
verſchwartzt/ und kaum wenig Augenblicke ſich
mehr zu erhalten geſchickt waren. An ſtatt der
nunmehr entbundenen Haͤnde/ erſtarrten alle
ihre Glieder/ als ſie ihren liebſten Hertzog Herꝛ-
mann fuͤr ſich ſah/ und ihn abermahls fuͤr ihren
Erloͤſer erkennete. Ja auch ihre Zunge war
unbeweglich; nur die Augen zeigten ihre Leb-
hafftigkeit mit denen daraus fallenden Thraͤnen
an. Hertzog Herꝛmann ſelbſt konte entweder
fuͤr Mitleiden/ oder fuͤr Freuden ſich derſelben
nicht maͤßigen; und gab darmit an Tag: daß
die Augen der Helden nichts weniger in ſich
Waſſer der Empfindligkeit/ als Felſen Quelle
haben. So bald ſie nun beyde von dieſer gleich-
ſam in der Lufft haͤngenden Leiter auf die feſte
Erde ſich begeben hatten/ umarmete der gleich-
ſam auffs neue lebendige Herrmañ ſeine Thuß-
nelde/ welche ihn aber erinnerte: daß ſelbige
Zeit unauffſchieblichere Dinge zu eroͤrtern haͤt-
te. Wie dieſer nun: worinnen ſolche beſtuͤnden/
fragte; antwortete ſie: daß er in dem eroberten
Schloſſe der beſorglichen Blutſtuͤrtzung ein
Ende machte. Denn ob zwar die Belaͤgerten
ihn beleidiget haͤtten/ baͤte ſie doch zu erwegen:
daß dieſe Beleidigung ein Gehorſam gegen ih-
ren Fuͤrſten; und ſie alle ihre Landes-Leute waͤ-
ren. Hertzog Herrmann eilte hiermit geraden
Weges in das von Blut allenthalben beſpruͤtzte
Schloß; welchem denn Thußnelde ſelbſt auff
der Ferſen folgte/ und durch ihre Vorbitte zu
wege brachte: daß der Hertzog niemanden mehr
zu toͤdten/ alſofort ein Kriegs Zeichen geben
ließ. Wie nun bey nahe die Helffte noch gefan-
gen ward; alſo brachten Boͤltzig und Tecke/
zwey Cherusker den Schloß-Hauptmann A-
ſchenburg in Band und Eiſen fuͤr den Hertzog
dem ſie den auff ſich ſelbſt gezuͤckten Degen aus-
gewunden/ und um ihn zu einer groͤſſern Pein
aufzuheben zu ſterben verwehret hatten. Dieſer
fiel gantz verzweiffelt fuͤr dem Hertzog Herrmañ
und Thußnelden nieder; entweder/ weil er itzt
allererſt ſeine bey ihrer Herabſtuͤrtzung aus ge-
uͤbte Grauſamkeit erwog; indem alle Laſter nach
ihrer Vollbringung nach Art des in die Lufft
kommenden Stein-Saltzes vielmahl ſchwerer
im Gewichte werden; oder/ weil er nicht zu be-
greiffen wuſte: wie dieſe mit ſeiner eigenen Hand
herab geſtuͤrtzte Fuͤrſtin nicht nur unzerſchmet-
tert/ ſondern lebendig/ ja gantz geſund ſeyn koͤn-
te. Er konte zwar fuͤr Schrecken kein Wort
auffbringen; aber ſeine zitternde Glieder rede-
ten ſie deutlich genung um Erbarmnuͤs an; biß
ſeine ſtammelnde Zunge endlich eine Bitte um
keinen langſamen Tod halb zerbrochen aus-
ſchuͤttete; ja ſich ſelbſt ſo vielmehr verdammete;
weil ihm Hertzog Herꝛmann in Rom wegen ei-
nes Kriegs-Verbrechens das Leben geſchenckt;
Er auch dieſen Ausſchlag leicht haͤtte vermuthen
koͤnnen; weil die Gerechtigkeit der Waffen auf
Seiten der groͤſten Tapfferkeit der Welt mit
dieſem Uberwuͤnder geſtanden waͤre. Hertzog
Herrmann antwortete ihm mit einer ernſthaff-
ten Gebehrdung: wer das vergangene vergiſt/
das gegenwaͤrtige nicht wahrnimmt/ das kuͤnff-
tige verachtet/ iſt des Lebens nicht werth. Denn
der weiß nur zu leben/ der aller dreyer Zeiten
Genuͤß durch Erinnerung geſchehener/ durch
tugendhaffte Anwehrung gegenwaͤrtiger/ und
kluge Vorſehung kuͤnfftiger Dinge nicht ver-
abſaͤumet. Der aber verdient nicht einſt die
Ruhe des Todes zu genuͤſſen/ der der Unſchuld
Leben bitterer macht/ als der Tod an ſich ſelbſt
iſt. Und daher ſolſtu nicht leben/ noch auch ſter-
ben; ſondern die Wermuth von beyden auff
einmahl ſchmecken. Die mitleidende Thuß-
nelde ſagte zwar kein Wort/ ihr einiger Anblick
aber war ein ſo beredſames Stillſchweigen/ und
hatte in ſich eine ſo lebhaffte Vorbitte: daß er
ihr die Willkuͤhr uͤber ſein Leben und Tod ent-
raͤumete. Welche denn hierauff ſich erklaͤrte:
Sie wolte ihm die voͤllige Freyheit ſchencken;
weil
[1309[1311]]Arminius und Thußnelda.
weil ſie ohne diß dem das Leben zu nehmen
nicht befugt waͤre/ das er vom Hertzog Herꝛ-
mann/ als dem Gebieter ihrer Seele/ ſchon
einmal zum Geſchencke bekommen haͤtte. Die-
ſer ſchon halb-todte ward hierdurch auffs neue
beſeelet/ Herꝛmann aber veranlaſſet: daß er alle
Gefangene von Stund an frey/ ſeine wenige
Todten aber herrlich beerdigen/ und der Ver-
wundeten in dieſer beſetzten Feſtung wol pfle-
gen ließ. Den dritten Tag darauff erhielt
Herꝛmann und Jubil die Nachricht: daß Se-
geſthes ſich mit zehntauſend Galliern ver-
ſtaͤrckt/ und bey Henneberg ein Laͤger geſchla-
gen/ auch an der Werra und der Fulde ihnen
alle Paͤſſe verhauen und beſetzt haͤtte. Wenig
Stunden darauff fand ſich ein Roͤmiſcher E-
delmann beym Hertzog Herꝛmann mit Schrei-
ben aus Meyntz vom Quintilius Varus ein;
darinnen er ihn verſicherte: daß der Kayſer
die vorhabende Heyrath Marbods und Thuß-
neldens nicht/ wol aber Hinderung dieſes ver-
daͤchtigen Beginnens und die Demuͤthigung
des undanckbaren Segeſthes billigte/ derowe-
gen er auff den Nothfall dem Fuͤrſten Herꝛ-
mann huͤlffbar beyzuſpringen nicht vergeſſen
wuͤrde. Herrmann/ ob er wol dieſer Vertraͤu-
ligkeit des ſchlimmen Varus wenig zutraute/
fertigte doch dieſen Roͤmer mit Geſchaͤncken
und mit vielem Wort-Gepraͤnge ſeiner Ver-
bindligkeit halber gegen den Kayſer und Va-
rus ab. Denn ſolche Anſtellung iſt ein ehrba-
rer Betrug der Fuͤrſten wieder die Betruͤger;
und alſo nicht nur zulaͤßlich/ ſondern noͤthig.
Dieſer war kaum abgefertigt/ als beyde Her-
tzoge den Segeſthes des Nachts zu uͤberfallen
ſchluͤßig wurden; und mit dem ſinckenden A-
bend ihre Voͤlcker in moͤglichſter Stille gegen
Henneberg fortruͤcken lieſſen. Denn ob ſie
zwar ſich dreymahl ſchwaͤcher/ als den Feind
wuſten/ trauten ſie doch ihrer Tapfferkeit in al-
lem ſo viel zu: daß ſie an nichts einiges Miß-
trauen hatten; zumahl ihr voriger Sieg ihrem
Volcke ſo viel mehr Hoffnung/ den Feind aber
verzagt gemacht hatte/ und ſelbter alſo ein
Werckzeug mehrer Siege zu ſeyn tauglich
ſchien. Die Cherusker und Hermundurer ka-
men guter drey Stunden fuͤr Tage harte an
das Laͤger/ in welchem ſich ſchier keine Mauß
nicht ruͤhrte; hingegen ſahen ſie das Schloß in
Henneberg von unzehlbaren Lichtern und Fa-
ckeln gleichſam lodern; und die hellen Krumb-
Hoͤrner erfuͤlleten die Lufft mit einem unauff-
hoͤrlichen bey denen Geſundheit-Trincken ge-
woͤhnlichen Gethoͤne. Weil nun dieſes das
wenigere Geraͤuſche verdruͤckte/ ließ Herrmann
etliche Cherusker an die Wagenburg kriechen;
welche alſofort zwey in ſo tieffen Schlaff und
Trunckenheit verſenckte Gallier zum Herꝛ-
mann ſchlepten: daß ſie nach vielem Ruͤtteln
kaum zu erwecken waren. Dieſe bekennten:
daß zwey Fuͤrſten der Gallier nebſt den fuͤr-
nehmſten Kriegs-Oberſten beym Hertzog Se-
geſthes zu Gaſte/ die den Abend vorher mit
vieler Koſt und Getraͤncke beſchenckten Gal-
lier auch groſſen theils truncken waͤren. Die
Hertzoge theilten ihr Kriegs-Volck ſonder ei-
nige Zeit-Verlierung in vier Theil; mit zwey-
en ward ins Laͤger gebrochen/ die ſchlaffenden
Wachen nieder gehauen/ die Wagenburg er-
oͤffnet/ ehe ſich ſchier ein Menſch in dem Laͤger
ruͤhrte/ weniger zu den Waffen grieff. Man
ſchlachtete die Gallier gleichſam wie das unver-
nuͤnfftige und angebundene Vieh ab; biß Her-
tzog Jubil an das Lager der Chaſſuarier kam;
welche alſofort die Waffen ergrieffen/ und de-
nen Hermundurern die Stirneboten. Hier-
uͤber ward auch Lermen in Henneberg/ und
Segeſthes nebſt ſeinen von dem Truncke erhitz-
ten Gaͤſten wolten durch das nechſte Thor mit
dreytauſend darinnen liegenden Chaſſuariern
heraus brechen/ und denen die Lufft mit
erbaͤrmlichem Mord-Geſchrey erfuͤllen den
Galliern/ welche nun hin und wieder zu der
Gegenwehre ſich anſtelleten/ zu Huͤlffe kom-
men. Aber Hertzog Herrmann hatte bald
im Anfange ſeines Einbruchs dieſes Thor mit
C c c c c c c c 3dem
[1310[1312]]Achtes Buch
dem dritten Theile der Hermundurer verſetzt;
alſo: daß Segeſthes eine Stunde lang verge-
bens heraus zu kommen ſich muͤhte/ als inzwi-
ſchen die Cherusker die Gallier abſchlachteten/
Jubil aber die Caſſuarier im Laͤger in Verwir-
rung/ hernach in die Flucht brachte. Bey an-
brechendem Tage brach Segeſthes durch das
andere Thor mit zweytauſend Mann heraus;
aber Hertzog Herrmann ſetzte ihm nicht allein
ſeinen Hinterhalt entgegen; ſondern/ weil die
Gallier ohne diß ſchon meiſtentheils aufgeopf-
fert waren/ und der Ritter Stirum mit ſechs-
hundert Cheruskern und einer daſelbſt gemach-
ten Wagenburg das andere Thor genungſam
einſchloß/ gieng er mit fuͤnffhundert Pferden
gleichfalls dem Segeſthes entgegen; welcher
von Wein und Rache erhitzet mehr verzweiffelt/
als tapffer fochte/ auch bey Erblickung Hertzog
Herrmanns gegen ihn ſich ſo weit herfuͤr zuͤck-
te: daß nach dem dieſer ſeinen Wurffſpieß be-
hutſam verſetzt/ und ihm das Pferd durch einen
Schwerdtſtreich in Hals getoͤdtet hatte/ Sege-
ſthes/ ungeachtet der Caſſuarier ruhmwuͤr diger
Gegenwehr/ vom Ritter Bodenſtein gefangen;
und hierauff die Caſſuarier in die Flucht ge-
bracht wurden. Wie nun dieſe in die Stadt
ſich fluͤchteten/ Hertzog Herrmann aber mit ſei-
nen Cheruskern ſich mit ihnen ſo vermengte:
daß es unmoͤglich war fuͤr dieſer ein dringenden
Gewalt das Thor zu ſperren; alſo drang Her-
tzog Jubil nach gantz uͤberwundenem Lager mit
ſeinen Hermundurern zum andern Thore mit
einer gleichmaͤßigen Tapfferkeit in die Stadt;
welche denn nunmehr fuͤr denen Uberwuͤndern
mit Wegwerffung der Waffen ſich demuͤthigte.
Und ob wol das Schloß ſich noch zu einer Ge-
genwehr ruͤſtete; ergab es ſich doch folgenden
Tag bey verſpuͤrtem Ernſte des Sturmes als
ein ſolches Glied/ welches nach Verluſt des
Hauptes zwar noch einige Regung/ aber keine
Geſchickligkeit zu vernuͤnfftigen Anſtalten hat.
Jn dem Schloſſe wurden die zwey Fuͤrſten der
Gallieꝛ gefangen/ und in Segeſthens Geheim-
Schrancke ein Schreiben des Tiberius und
Varus gefunden/ derer erſteres dem Segeſthes
die heimliche oder gewaltſame Hinrichtung
Hertzog Herrmanns/ und anderer ihm am
liechten ſtehender deutſchen Fuͤrſten/ mit hoch-
betheuerlicher Verſicherung der deutſchen Feld-
herrſchafft auftrug; das andere aber Segeſthen
wieder den Herrmann mit vielen Schmehun-
gen auffriſchte; und daß uͤber die bereit zu ſei-
nen Dienſten geſchickten Gallier ihm auff den
Nothfall noch mehr Huͤlffe zukommen ſolte.
Hertzog Herrmann/ welcher Segeſthens Ab-
neigung endlich durch die Ubermaaß ſeiner
Wolthaten zu gewinnen vermeinte/ und durch
ſeine Beleidigung nicht ſeine hertzliebſte Thuß-
nelde/ durch dieſe aber ſein eigen Hertz beleidi-
gen wolte; ließ ihm nicht nur die von etlichen
verbitterten Cheruskern und Hermundurern
umgelegte Ketten und Feſſel abnehmen/ und
ihn Fuͤrſtlich bedienen; ſondern auch durch den
Fuͤrſten Jubil ihm die augenſcheinliche Wie-
derſtrebung des Verhaͤngnuͤßes in anderwaͤr-
tiger Verheyrathung ſeiner Tochter/ aus des
Tiberius Schreiben ſeine Mord-Luſt; aus
den zweyen Brieſſen des Varus aber/ dieſes auf
beyden Achſeln tragenden Verraͤthers Argliſt
und Vorſatz/ die Deutſchen an einander zu he-
tzen/ fuͤr Augen ſtellen. Die verheiſſene Huͤlffe
zu der deutſchen Feldherrſchafft waͤre dem Her-
tzog Herrmann ſo betheuerlich/ als Segeſthen
verſprochen; und ein Angel - Hacken/ an wel-
chem alle beyde erſticken ſolten. Der Roͤmer
Abſehen waͤre: daß die Caſſuarier und Cherus-
ker/ als zwey gegen einander ſtuͤrtzende Felſen
einander zermalmen/ und ihrer einfaͤltigen
Bunds-Genoſſen Haͤnde die gebratenen Ka-
ſtanien aus den gluͤenden Kohlen ſcharren/ den
Kern aber ihnen zu eſſen geben ſolten. Dieſes
moͤchte er doch nun einmahl behertzigen; des
Cheruskiſchen Helden auffſteigende Gluͤcks-
Sonne durch ferner verweigerte Vermaͤhlung
und
[1311[1313]]Arminius und Thußnelda.
und andere Wiederſetzligkeiten nicht verduͤ-
ſtern; als welcher erboͤtig waͤre ihm nicht nur
ſeine Freyheit und alles abgenommene wieder
zu erſtatten/ ſondern auch alle Beleidigung mit
dem Schwamme ewiger Vergeſſenheit auszu-
leſchen. Segeſthes/ welcher vom Hertzog Herr-
mañ die grauſamſte Ausuͤbung der Rache wiedeꝛ
ſich beſorgt hatte/ ward durch die erſtere Ent-
bindung zwar etlicher maſſen aus dem Kum-
mer geſetzt; wiewol die Erkaͤntnuͤs ſeineꝛ Schuld
ihm immer im Gedaͤchtnuͤße/ und daher die
Beyſorge der Straffe noch auff dem Hertzen
lag; durch diß letztere Anbieten aber ſo beſchaͤ-
met: daß er antwortete: Er waͤre in wenig Ta-
gen von dem großmuͤthigen Herrmann zwey-
mahl uͤberwunden worden; aber dieſer letztere
Sieg uͤbertreffe alle ſeine vorhergehende. Deñ
jene Siege erſtreckten ſich nur uͤber die euſſerli-
chen Glieder; ſeine Begnadigung aber uͤber
ſein des Segeſthens Gemuͤthe/ ja uͤber ſich
ſelbſt. Seine Beleidigung uͤberwiege das
Gewichte aller Verzeihung; Herrmanns Guͤ-
te aber uͤbermeiſterte auch die Unverſohnligkeit
ſelbſt. Nichts ſchlimmers und gefaͤhrlichers
waͤre/ als zu dem Boͤſen einen Zug/ und fuͤr
dem Guten einen Eckel haben; Gleichwol aber
haͤtte er/ doch wuͤſte er nicht aus was fuͤr Ver-
blendung oder Zauberey/ ſo ſehr in der ſchaͤdli-
chen Freundſchafft der Roͤmer ſein Ungluͤck/ als
die Muͤcken in dem Feuer ihren Tod geſucht.
Ja es haͤtte an dem Fuͤrſten Herrmann nichts
ſo tugendhafftes geleuchtet; welches er nicht fuͤr
einen verfuͤhriſchen Jrrwiſch an geſehen. Nun-
mehr aber erweichte ihm die Leitſeligkeit dieſes
wolthaͤtigen Uberwinders ſein eiſernes Hertze;
und ſeine Klugheit zuͤndete ihm durch die Ge-
geneinanderhaltung der Roͤmiſchen Mord-
Schreiben ein ſoches Licht an: daß er von nun
an ihre Gemeinſchafft verdammen/ und ihre
Freundſchafft abſchweren muͤſte. Wenn ihn
Hertzog Herrmann nunmehr wuͤrdigte fuͤr ſei-
nen Schweher anzunehmen/ wolte er ſich be-
muͤhen ſein Diener zu ſeyn. Wenn er ihn aber
ſo gar mit dem Abgewonnenen beſchencken wol-
te/ wuͤrde er ihm hingegen die Herrſchafft uͤber
ſein Gemuͤthe einraͤumen. Dieſe durch den
Fuͤrſten Jubil uͤberbrachte Erklaͤrung verur-
ſachte bey dem Cheruskiſchen Hertzoge und
Thußnelden eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie
bald darauf Segeſthen im Zimmer heimſuch-
ten/ und die/ welche allererſt mehr als eine
Tod-Feindſchafft gegen einander ausgeuͤbt
hatten/ einander bruͤderlich umarmten. Ja Se-
geſthes ſelbſt verordnete: daß das Feld bey Hen-
neberg zu einem unausleſchlichen Gedaͤchtnuͤſ-
ſe der von Hertzog Herrmann darauff ausgeuͤb-
ten Heldenthaten den Nahmen Herrmanns-
feld ewig fuͤhren ſolte. Einen ſo groſſen Vor-
zug hat die Tugend fuͤr den Laſtern: daß je-
ner ihre eigene Feinde Lorber-Kraͤntze auffzu-
ſetzen; dieſe aber auch von denen/ die ſie gleich
lieben/ verdammt werden muͤſſen. Die Ver-
traͤuligkeit zwiſchen dieſen Neuverſoͤhnten ver-
mehrte ſich alle Tage/ und Segeſthes ſelbſt ver-
anlaſte den Cheruskiſchen Hertzog: daß er bey
denen verwirrten und alſo alles Gepraͤnge
leicht entpehrenden Zeiten ſein Beylager als-
bald zu Henneberg vollziehen ſolte. Alleine
Thußnelde ſelbſt hielt um deſſelbten Auffſchub
beweglich an; weil ſie vorher ein gewiſſes Ge-
luͤbde in dem Tanfaniſchen Heiligthume abzu-
gelten haͤtte. Wiewol nun Hertzog Herrmann
ſie gerne eines andern beredet haͤtte/ ihr auch
die unvermutheten Umſchlagungen der Gele-
genheit/ welche man keinmahl aus den Haͤnden
laſſen ſolte/ und die veraͤnderliche Beſchaffenheit
der Gemuͤther mit dieſer Erinnerung einhielt:
daß wer ſeine Geneſung auff andere Zeit ver-
ſchiebt/ zur Zeit der Noth derſelben ins gemein
entpehren muͤſſe; lehnte ſie doch ſolches mit ih-
rer gelobten Andacht beſcheidentlich ab; und be-
wehrete: daß man nichts gewinne/ wenn man
ſchon etwas zu ſeinen Haͤnden braͤchte; nichts
aber verliere/ was man der Hand Gottes auff-
zuheben
[1312[1314]]Achtes Buch
zuheben gebe. Bey einmuͤthiger Beliebung
nun: daß die Heyrath zu Deutſchburg vollzo-
gen werden ſolte/ nahmen Herꝛmann/ Sege-
ſthes/ Jubil und Thußnelde nach wenig Tagen
ihren Weg nach Marpurg zum Hertzoge Ar-
pus; weil Herꝛmann mit den Catten das wie-
der die Roͤmer lange im Schilde gefuͤhrte Buͤnd-
nuͤs auf feſtern Fuß zu ſetzen/ Thußnelde aber
ihre andere Mutter die Hertzogin Erdmuth
nunmehr zu ihrer Ausſtattung zu erbitten vor
hatte. Sie kamen daſelbſt gluͤcklich an/ und
ihre Bewillkommung war dem Vergnuͤgen
gemaͤß/ welches die Cattiſche Fuͤrſtin uͤber der
Verſohnung des Cheruskiſchen und Chaſſuari-
ſchen Hertzogs ſchoͤpfften. Den Tag darnach
fand ſich auch der ſtreitbare Hertzog der Sicam-
brer Melo nur mit zwoͤlff Edelleuten auff der
Poſt zu Marpurg ein. Sein erſter Anblick
zeugte alſofort eine Verwirrung der Gedan-
cken/ und die Schwermuth bey einer ſo an-
nehmlichen Zuſammenkunfft ein nicht gerin-
ges Anliegen ſeines Hertzens an. Gleichwol
wolte er am erſten Abende ſeiner Ankunfft die
freudige Geſellſchafft mit ſeinem Wehklagen
nicht irre machen. Des Morgens aber ſehr
fruͤh ließ er Anſuchung thun: daß Hertzog Ar-
pus in ſeinem geheimſten Zimmer Verhoͤr ge-
ben/ den Cheruskiſchen Hertzog aber darzu er-
bitten moͤchte. Bey deſſen Erfolg muſte Her-
tzog Melo ihm etliche mal die Thraͤnenabtrock-
nen/ ehe er nachfolgende Worte nicht ohne
Stammeln heraus bringen konte: Verſtattet
mir/ ihr zwey nur noch uͤbrigen Pfeiler unſers
Deutſchlands: daß ich fuͤr euch mein Hertzeleid
ausſchuͤtte; welches zwar keiner Huͤlffe; aber
durch euer Mitleiden vielleicht einer Erleich-
terung faͤhig iſt. Denn iſt gleich mein Ungluͤck
ſo groß: daß ich es nicht ohne Schamroͤthe ent-
decken kan; ſo tilget doch die rechte Begierde
der Rache alles Bedencken meine eigene
Schande zu ſagen. Mein Hauß iſt verun-
ehret; mein Geſchlechte beſchimpfft; Deutſch-
lands Ehrbarkeit zu Bodem getreten; und mei-
ne Tochter geſchaͤndet. Quintilius Varus/
den ich auff ſeiner von Meyntz nach der Fe-
ſtung Aliſon fuͤr genommenen Reiſe auff einem
meiner Luſthaͤuſer als einen Freund bewirthet;
hat mit gewaffneter Hand mein Kind aus den
Armen ihrer Mutter geraubet; nach dem er ih-
rer Keuſchheit vorher mit den ſchaͤndlichſten Zu-
muthungen fruchtloß zugeſetzt. Jch habe bey
meiner Gegenwehr dieſe drey Wunden davon
getragen. Wolte GOtt aber: daß mir das
Leben nicht uͤbrig blieben waͤre/ um nichts von
meiner Tochter Unehre/ und der Schmach
meines Stammes zu wiſſen! Alle andere Guͤ-
ter und Tugenden ſind wieder zu erlangen; der
Verluſt aber der Keuſchheit iſt unerſetzlich/ und
der Ehre unwiederbringlich. Die bloſſe An-
ruͤhrung der Ehre iſt ſo empfindlich: daß auch
die/ welche gleich keine mehr in ihrer Seele be-
herbergen/ doch keine Ehren-Verletzung ver-
tragen wollen. Weil die gedultige Verſchmer-
tzung eines angethanen Unrechts ein Kennzei-
chen iſt: daß man ſolche Schmach verdient ha-
be. Nun denn die Verletzungen unſers guten
Nahmens unvergeblich; eines Fuͤrſten Be-
ſchimpffungen allen Fuͤrſten gemein ſind; ſo
traue ich/ ihr Helden/ euch unzweiffelbar zu:
daß ihr nicht weniger Raͤcher dieſer Schand-
that ſeyn werdet/ als ich weiß: daß ihr redliche
Deutſchen ſeyd. Auch Unterthanen werden
ihrer Eyds-Pflicht loß: daß ſie ſolche Laſter an
ihren Herren beſtraffen koͤnnen; wie viel weni-
ger werdet ihr/ denen die Freyheit angebohren/
dieſem Ehrenſchaͤnder es ungerochen hingehen
laſſen/ der nichts minder euren Haͤlſen das Joch
der Dienſtbarkeit auffzudringen fuͤr Ruhm/ als
unſere Frauenzim̃er zu beſudeln fuͤr Kurtzweil
haͤlt. Die verſehrte aber gerochene Keuſchheit
hat Rom aus einer Magd zu einer Freyin ge-
macht; wie viel mehr vermag eure Rache durch
des Varus Blut die Flecken meiner geſchwaͤch-
ten Tochter/ und euer Freyheit abzuwaſchen.
Leidet
[1313[1315]]Arminius und Thußnelda.
det aber ja das Verhaͤngnuͤs unſeres bedraͤng-
ten Zuſtandes nicht: daß ihr euch ſo wol meiner/
als des Vaterlandes anmaſſet; ſo wil ich allei-
ne mich raͤchen/ oder ſterben. Denn die Rache
oder der Tod iſt allein die Seiffe ſolcher
Brandmahle. Alles beydes gereichet mir
zum Vortheil/ es ſchlage mein Vorſatz gleich
aus wie er wolle; weil die verunehrten
Todten aller Schamroͤthe; die lebenden
Ubelthaͤter aber ſelten eines unblutigen To-
des entfreyet ſind. Dieſe Rede trug Her-
tzog Melo mit einer ſo beweglichen Art fuͤr:
daß beyden andern Hertzogen die Augen uͤber-
giengen; und beyder Gemuͤther nichts minder
zur Rache gegen den Varus/ als zum Mitlei-
den gegen den Melo bewegt wurden. Her-
tzog Herrmann/ nach dem er den Hertzog Ar-
pus um Verzeihung gebeten: daß er ſeiner Er-
klaͤrung mit einer noͤthigen Erinnerung zuvor
kaͤme; fieng hierauff an: Die Beſchimpffung
des Sicambriſchen Hauſes zuͤge er ſo ſehr auff
ſich und das Cheruskiſche/ als Melo auf ſich und
das Seinige; weil beyde mehr als durch hun-
dert Vermaͤhlungen ſo in einander verflochten
waͤren: daß er ſie fuͤr einerley Stammbaum
hielte. Das Hertzeleid des Fuͤrſten Melo waͤre
ſo viel mehr zu empfinden; als Deutſchland zu
ſeiner bißherigen Unterdruͤckung waͤre unem-
pfindlich geweſt. Sein Schmertz verdiente
ein allgemeines Mitleiden; gleichwol ſchoͤpffte
er noch einigen Troſt daraus; weil er ſaͤhe: daß
nicht alle Deutſchen ſchon gar todt waͤren. Deñ
ein groſſer Schmertz waͤre noch beſſer/ als gar
keine Empfindligkeit; weil dieſe der ſchon Ent-
ſeelten Eigenſchafft/ jener aber gleichwol noch
ein Merckmal des Lebens waͤre. Bey ſo geſtal-
ten Sachen ſchiene dem Vaterlande gut zu ſeyn:
daß die Wunde ihnen einſt ins Fleiſch/ und der
Schmertz zur Seele gienge. Jm Fall aber
auch dieſer die Deutſchen nicht aus ihrer
Schlaffſucht zu reiſſen vermoͤchte; ſolten ſie
aus dieſen dreyen Schreiben des Tiberius und
Varus die Boßheit und Mord-Luſt der Roͤ-
mer; und die beſchloſſene Austilgung aller
Fuͤrſtlichen Haͤuſer; alſo die Rache nicht nur
wieder den Varus/ ſondern die Ausrottung
aller Roͤmer in Deutſchland lernen; und die/
welche vorhin ein Vorbild der Freyheit und
Tapfferkeit andern Voͤlckern geweſt/ nun-
mehr ein Beyſpiel von denen der Dienſtbar-
keit doch gewohnten Pannoniern und Dalma-
tiern nehmen; welche das Roͤmiſche Joch nicht
nur abzuſtreiffen Gut und Blut ruͤhmlich ver-
ſchwendeten; ſondern auch den Deutſchen
gleichſam den Dorn aus den Fuͤſſen gezogen;
und ſich der geringen Uberbleibung der meiſt
in weibiſchen Galliern beſtehender Roͤmiſchen
Macht zu entſchuͤtten eine in hundert Jahren
kaum wiederkommende Gelegenheit an die
Hand gegeben haͤtten. Er haͤtte bey ſich nun-
mehr ſchon den Schluß gemacht mit den Roͤ-
mern zu brechen; nach dem der Auffſtand der
Gothonen und Sidiner/ den andern Feind
der deutſchen Freyheit/ nehmlich den Koͤnig
Marbod gleichfalls anderwerts beſchaͤff[t]igte.
Zwar ſchiene das Werck freylich nicht ohne
Schwerigkeit zu ſeyn/ weil Deutſchland noch
ſechs Legionen/ auch uͤber anderthalb hundert
tauſend Gallier und andere Auslaͤnder auf dem
Halſe haͤtte; aber es waͤre ertraͤglicher einmahl
unter gehen; als taͤglich auf dem Scheide-We-
ge des Heiles und des Unterganges ſchweben.
Jedoch ſehe er keine ſolche Gefahr/ welche ih-
nen alle Hoffnung des Obſieges abſtrickte. Um
ſich ſelbſt haͤtte er den wenigſten Kummer. Deñ/
weñ er die Roͤmer erlegt/ haͤtte ihm Deutſchland
ſein Leben zu dancken; wuͤrde er aber ſelbſt er-
druͤckt/ ſo bliebe es ihm doch fuͤr ſeinen Tod ver-
pflichtet. Das letztere waͤre der aͤrgſte Ausſchlag
ſeines Vorſatzes/ aber nicht der geringſte ſeines
Ruhmes. Wer nicht voꝛheꝛ zu ſteꝛbẽ entſchloſſen
waͤre/ wuͤꝛde einen Wuͤtterich zu toͤdten ſich nicht
entſchluͤſſen. Zu dem ſtuͤnde einem Helden ohne
diß nicht an aus bloſſeꝛ Gnade ſeines Feindes zu
Erſter Theil. D d d d d d d dleben
[1314[1316]]Achtes Buch
leben/ wie die Deutſchen zeither faſt unter den
Roͤmern gelebt haͤtten. Alſo waͤre ſein unver-
aͤnderlicher Vorſatz/ entweder in der Freyheit
zu leben/ oder fuͤr dieſelbe zu ſterben. Hertzog
Arpus hoͤrte mit einer großmuͤthigen Aufwal-
lung ſeines Gemuͤthes Herꝛmanns Vortrag;
und nach dem er die fuͤr gelegten Schreiben/ in
derer einem ihm abſonderlich ſein Todes-Ur-
thel gefaͤllt war/ durchleſen hatte/ erklaͤrte er ſich
dahin: Varus haͤtte den Melo biß in die See-
le beleidiget; ihm aber nach dem Leben getrach-
tet; keines waͤre gelinder/ als mit ſeinem To-
de zu raͤchen. Alle redliche Deutſchen wuͤrden
bey ihnen ſtehen/ welche verſtuͤnden: daß wer
einmahl der Tugend gram wuͤrde/ ſich an mit-
lern Laſtern nicht ſaͤttigte; und daß das Mord-
Eiſen der Wuͤtteriche nur durſtiger nach meh-
rerm Blute wuͤrde. Denn ſo ruchloſe Leute
hegten dieſen Aber glauben: daß die auffs hoͤch-
ſte gewachſenen Laſter zu Tugenden/ wie die ih-
res gleichen verſchlingende Schlangen zu Dra-
chen wuͤrden. Weil nun derogeſtalt dem Va-
terlande das Waſſer in den Mund/ ihnen ſelbſt
biß uͤber die Scheitel gienge/ waͤren mittel-
maͤßige Entſchluͤſſungen der Roͤmer Gewalt
zu ſteuern unvermoͤgende Bemuͤhungen/ oder
vielmehr ohnmaͤchtige Wehen der vergehenden
Freyheit. Wenn die Tugend ihr ſelbſt durch
gewiſſe Maaßgebung ein Gebieß anlegte/ muͤ-
ſte ſie allerdings darhinten bleiben; und die
Boßheit/ welche weder Maaß noch Ziel kenn
te/ lieffe ihr allezeit das Vortheil ab. Dahero
jene ihr Gutes ins gemein boͤſe/ dieſe aber ihr
Boͤſes wol ausuͤbte. Alſo ſtimmte er in alle
Wege dahin: daß man die Roͤmiſche Macht/
als die deutſche Gifft-Wurtzel/ mit Strumpff
und Stiel ausrotten ſolte; und er ſtuͤnde fuͤr ſei-
ne Catten: daß ſie beyde Schaͤrffen ihrer
Schwerdter fuͤr die gemeine Freyheit brauchen
wuͤrden. Sie alle muͤſten Deutſchland fuͤr ihre
Mutter; aber Deutſchland koͤnte niemanden
wol fuͤr ſeinen Sohn erkennen/ wenn ſie es in
dieſem Nothſtande verſincken/ und in dem
Schlamme der Roͤmiſchen Uppigkeiten erſti-
cken lieſſen. Man ſchaͤtzte fuͤr keine Schande
an ſeiner Liebes-Kranckheit vergehen; warum
haͤtte man denn Bedencken mit dem ſterbenden
Vaterlande umzukommen? Wer nicht fuͤr
ruͤhmlich ſchaͤtzte das Leben einzubuͤſſen/ um die
Ehre zu behalten/ haͤtte weder Ehre noch Leben
in ſich. Hingegen wuͤrde Deutſchland durch
ihre Regung einen neuen Geiſt/ und ſie durch
die Abſcheu fuͤr ſo grauſamen Laſtern des Va-
rus uͤberfluͤßigen Beyſtand bekommen. Wolte
ihnen aber auch gleich das Vaterland/ ſo wolten
ſie doch nicht dem Vaterlande entfallen. Haͤtte
er nicht zu verhindern vermocht: daß die Roͤ-
mer in Deutſchland den Fuß geſetzt/ ſo wolte er
doch ſich bearbeiten: daß ihr Gluͤcke darinnen
nicht beraſete. Was der Roͤmer Herꝛſchens-
ſucht in Deutſchland eingenommen/ haͤtte ih-
nen ihre Zwietracht eingeraͤumt; und alſo kleb-
te ihrem Beſitzthume ein zweyfacher Fleck/ de-
nen Deutſchen aber die groͤſte Schande an. Und
derogeſtalt wuͤrde er vom Melo und Herꝛmann
durch ihren hertzhafften Schluß nicht ſo wol zu
einem gefaͤhrlichen/ als ruhmwuͤrdigen Wer-
cke beruffen. Wiewol eine unvermeidliche
Nothwehr keine bedenckliche Uberlegungen der
Gefahr vertruͤge. Er erinnerte allein bey die-
ſem Fuͤrhaben: daß ſie ihren Schluß ohne
Saͤumnuͤs ins Werck richten ſolten. Denn die
Uberlegung eines Dinges habe wol Zeit/ der
Schluß aber unſaͤumbarer Ausfuͤhrung von
noͤthen. Viel Heimligkeiten kaͤmen ohne ei-
nigen Wortes Auslaſſung aus. Denn die
Muthmaſſung waͤre ein ſchaͤrfferer Ausholer/
als die Zunge ein Verraͤther. Weil nun vorher
geſehene Streiche meiſt nichts/ als die Lufft ver-
letzten/ ein mißrathender Anſchlag aber nur
warnigte; rieth er: daß man wie ein Blitz loß-
brechen/ und durch eine behertzte Geſchwin-
digkeit die bißherige Verſaͤumung des Vater-
landes einbringen ſolte. Alſo brachte dieſer
Fuͤrſten
[1315[1317]]Arminius und Thußnelda.
Fuͤrſten einmuͤthige Meynung ehe/ als man
ſichs haͤtte einbilden koͤnnen/ dieſes Buͤndnuͤs
zu wege: daß ſie den Quintilius Varus mit al-
len Roͤmern aufopffern/ und Deutſchland in
den alten Stand voriger Freyheit verſetzen wol-
ten. Hierauff kam in Berathſchlagung: wie
dieſes wichtige Werck kluͤglich auszuuͤben; und
ob dem Segeſthes und Jubil hiervon etwas zu
eroͤffnen waͤre? Nach unterſchiedener Uberle-
gung ein- und anderer Bedencken fiel endlich
der Schluß dahin: Hertzog Herꝛmann und
Arpus ſolten gegen dem Varus groͤſſere Ver-
traͤuligkeit/ als iemahls vorher bezeugen; Her-
tzog Melo aber an den Kayſer eine Beſchwerde
wegen ſeiner geraubten Tochter abſchicken/ a-
ber zugleich die Waffen unter dem Vorwand:
nur gegen dem Quintilius Varus ſein Unrecht
zu raͤchen/ wieder die Roͤmer er greiffen. Her-
tzog Herꝛmann und Arpus wolten inzwiſchen
zum Scheine aus ihren Großelterlichen Zwi-
ſtigkeiten einen Dorn herfuͤr ſuchen; und ihre
gegen einander geſchehende Kriegs-Ruͤſtung
uͤber der allgemeinen Feinde Koͤpffe ausbrechen
laſſen. Segeſthen aber hiervon etwas zu ent-
decken/ hielten ſie insgeſamt fuͤr bedencklich;
weil ſeine Gemahlin Sentia in dem Verdach-
te waͤre: daß ſie Segeſthen durch Zauberey be-
ſtricket/ und nichts minder zu einem Sclaven
der Roͤmer/ als einem Tod-Feinde des Che-
ruskiſchen Hertzogs gemacht haͤtte. Welche
Abneigung ihn nur itzt die Noth verbergen hieſ-
ſe/ ein einiger Anblick der Sentia aber ſein Ge-
muͤthe gegen den Hertzog Herrmann mehr/ als
der Zauber-Kopff Meduſens verſteinern wuͤr-
de. Dem Hertzoge Jubil waͤre dieſes Geheim-
nuͤs zwar ſicher genung zu vertrauen; aber es
waͤre noch Zeit genung darzu; wenn ſie dem
Wercke naͤher/ als itzt ſeyn wuͤrden. Sintemal
ſolche Verbindungen gefaͤhrlicher in ihrer An-
ſpinnung/ als in derſelben Ausuͤbung waͤren.
Und ein groß Werck wuͤrde mit weniger Ge-
fahr ausgemacht; welches nichts minder weni-
gen bewuſt; als nicht in viel Umſtaͤnde verwi-
ckelt waͤre. Mit dieſem Verlaß reiſete Melo
den andern Tag von Marpurg wieder ab; und
ob wol niemand ſonſt ſein Anliegen erforſchet
hatte; diente doch zu einer ziemlich mercklichen
Auslegung ſeiner Ankunfft: daß Varus zwar
ſeine Tochter mit Gewalt geraubet/ ſelbte aber
noch ehe/ als er ſie mißbrauchen koͤnnen/ ihren
gewaltſamen Fuͤhrer mit einem verborgenen
Meſſer getoͤdtet; und weil ſie aus ſo vieler Roͤ-
mer Haͤnden unmoͤglich anders entrinnen koͤn-
nen/ ſich in den Siege-Strom geſtuͤrtzt haͤtte.
Jnſonderheit ſteckte dem argwoͤhniſchen Sege-
ſthes dieſe Nachricht ein groſſes Licht auff; wel-
cher ſich ſonſt in des Hertzogs Melo eilfertiger
Ankunfft/ und ſo uhrploͤtzliche Abſcheidung
nicht zu richten wuſte. Wie nun alle Geheim-
nuͤße verdaͤchtig ſind; alſo hielt es Segeſthes
ihm verkleinerlich: daß weder Melo noch Ar-
pus gegen ihn was entdeckten. Hierzu kam:
daß Hertzog Herrmann und Jubil auch gleich-
ſam uͤber Hals und Kopff von Marpurg auff-
brachen; und Segeſthens Reiſe/ welcher ſeine
Gemahlin Sentia nach Marpurg verſchrie-
ben hatte/ nicht erwarten wolten. Welches
Segeſthen in einen ſo groſſen Argwohn ſetzte/
oder zum minſten ihm von Sentien hernach
eingeredet ward: daß man nicht nur die Roͤ-
mer/ ſondern auch ihn aus dem Wege zu raͤu-
men fuͤr haͤtte. Alſo iſt der Verdacht der be-
truͤglichſte Wegweiſer zu bereuens-wuͤrdigen
Entſchluͤſſungen; und die Furcht Gewalt zu
leiden mehrmahls eine Urſache einem andern
Gewalt anzuthun. Denn ob wol Herrmann
und Arpus ein Unvernehmen gegen einander
bezeugten/ hielt es doch Segeſthes und Sentia
wegen vorgaͤngiger Vertraͤuligkeit fuͤr ein bloſ-
ſes Spiegelfechten. Dieſemnach er denn ſeinen
Weg gerade nach Aliſon zum Quintilius Va-
rus richtete; und ihm ſeine Muthmaſſungen
Haar-klein entdeckte. Wenig Tage darauff
kriegte Varus Zeitung: daß Hertzog Melo mit
D d d d d d d d 2ſeinen
[1316[1318]]Achtes Buch
ſeinen Sicambrern alle in ſeinem Gebiete be-
findliche Roͤmer erwuͤr get/ die Gallier uͤber den
Rhein gejagt/ auch in der bey dem Altare der
Ubier aufgerichteten Feſtung eine Legion be-
laͤgert haͤtte. Wie nun Varus hieruͤber nicht
wenig beſtuͤrtzt ward/ ſonderlich/ weil der Goͤtt-
lichen Rache Gerichts-Anwald nehmlich das
Gewiſſen ihn uͤberzeugte: daß er durch ſeine
Boßheit dem Melo dieſe feindliche Antaſtung
abgenoͤthigt/ die deutſchen Fuͤrſten ins geſamt
durch ſeine Hoffart/ den Adel durch Beſchimpf-
fung/ die Buͤrger durch unertraͤgliche Scha-
tzung/ alle aber durch die Schaͤrffe neuer mehr
ſpitzfinniger/ als gerechter Geſetze/ den Ackers-
Mann durch knechtiſche Arbeit/ beſonders in
Suchung der Ertzt-Gruben ihm gehaͤßig ge-
macht hatte; alſo ward er noch kleinmuͤthiger;
als er die ſo ſtarcke Zuruͤſtung der Cherusker
und Catten vernahm. Weßwegen er in aller
Eil die hin und wieder zertheilten Gallier an
ſich zoh; und nichts minder den Hertzog Herr-
mann/ Jngviomer/ Jubil und etliche andere
Fuͤrſten zu ſich nach Aliſon erbat. Hertzog Herꝛ-
mann ſtand zwar mit Jngviomern und dem
Jubil lange im Bedencken: ob ſie dem Varus
trauen ſolten; ſonderlich weil der von der Roͤ-
miſchen Grauſamkeit ſo ſehr gedruͤckte Her-
tzog der Chautzen Ganaſch/ mit welchem Her-
tzog Herrmann eine heimliche Unterredung
hielt/ ihnen ihre Erſcheinung ſo ſehr mißrieth;
ja als ſie ſeiner Abwehrung nicht folgen wol-
ten; ſie mit dieſen Worten geſegnete: Es waͤre
rathſamer eine Hand ohne Herrſchungs-Stab/
als einen Nacken ohne Kopffhaben. Alleine/
weil kein Menſch vom Segeſthes etwas Boͤfes
muthmaſte; ſie auch von des Varus Furcht uͤber
der Sicambrer Auflehnung ſichere Nachricht;
durch ihre Enteuſſerung aber den Roͤmern die
Freundſchafft aufzukuͤndigen/ oder dem Varus
boͤſes Nachdencken zu verurſachen anſtunden;
weil ſie theils ihꝛe Kriegs-Verfaſſung noch nicht
in einem ſolchen Stande hatten: daß die Roͤmi-
ſche und Galliſche Macht nicht der Cherusker
uñ Bructerer Meiſter zu werden vermocht haͤt-
te; andern theils auch von groſſen Siegen des
Tiberius und Germanicus wieder die Panno-
nier und Dalmatier Zeitung einlieff; hielt es
Herrmann fuͤr rathſamer ſich beym Varus ein-
zufinden/ und ihm dardurch nicht nur einen
blauen Dunſt ſeiner Treue wegen fuͤrzumah-
len; ſondern auch die Heimligkeit ſeines wieder
den Melo fuͤhrenden Anſchlags zu ergruͤnden.
Alſo kam Herꝛmann zu nichts minderer Ver-
wunderung des Segeſthes als des Varus in A-
liſon unvermuthet an/ und wurde vom Varus
mit ungewohnter Freundſchafft bewillkommt;
welcher nicht ſo kluͤglich den Firnß der Heuche-
ley/ als Hertzog Hermann den Schatten ſeines
Mißtrauens zu verdecken wuſte. Weil nun
der/ welcher mit Betruge Wucher treiben wil/
ſeine Waare im Tunckeln feilhaben/ ſich auch
ſelbſt nicht zu erkennen geben muß/ auffer dem
aber ihm ſelbſt viel nicht eingebildetes Ubel auf
den Hals zeucht; ſo gewann Varus hiervon
nichts beſſers/ als daß er dem Fuͤrſten Herꝛmañ
in ſeinem wieder ihn gefaſten Argwohne eines
ungemeinen Betruges befeſtigte; hingegen a-
ber durch ſeine ſo freye Einfindung gantz irre
gemacht ward: Ob er dem Cheruskiſchen Her-
tzoge etwas boͤſes zutrauen/ und Segeſthens
Warnigung Glauben zuſtellen/ oder auch an
einem Unſchuldigen ſich vergreiffen ſolte. Alſo
klebt Laſter und Tugend ſo uͤbel/ als vermiſchtes
Ertzt und Thon an einander; und daher iſt es ei-
ne gerechte Straffe: daß denen Boßhafften
auch die angenommene Tugend/ welche durch
ihren Mißbrauch entweihet wird/ zum Ver-
raͤther und Verterb gereiche. Noch mehr ver-
daͤchtiger war dem Hertzog Herꝛmann: daß
Varus und Segeſthes etliche mahl des Nachts
geheim zuſam̃en kamen; und jener ihnen keinen
richtigen Vortrag thun wolte/ biß auch Hertzog
Jngviomer/ Jubil/ Ganaſch und etliche ande-
re zu Aliſon ankaͤmen. Nach dem aber von
dieſen
[1317[1319]]Arminius und Thußnelda.
dieſen allerhand Entſchuldigungen und Ver-
troͤſtungen ihrer Huͤlffe wieder den Melo ein-
lieffen/ lag Segeſthes dem Varus auffs beweg-
lichſte an: daß er dieſen Vogel nicht aus dem
Garne laſſen/ ſondern ihn/ den Malovend und
den Segeſthes ſelbſt zum Scheine gefangen ſe-
tzen/ und derogeſtalt durch des Cheruskiſchen
Hertzogs Hinrichtung den Auffwieglern das
Haupt abſchneiden; und denen noch zweiffel-
hafften ein Schrecken einjagen ſolte. Allei-
ne Varus war hier zu nicht zu bereden/ und ihm
alſo dißmahl ſelbſt unaͤhnlich; entweder/ weil
er durch ſeine angenom̃ene Freundligkeit noch
Jngviomern/ ohne welchen Fuchß er nichts ge-
fangen zu haben fuͤrgab/ ins Netze zu locken
ihm einbildete; oder/ weil er durch ſeine Grau-
ſamkeit ſich zu einem Scheuſal der gantzen
Welt zu machen/ und gantz Deuſchland vol-
lends wieder ſich in Harniſch zu jagen Beden-
cken/ oder auch an Herꝛmanns Beſchuldigung
Zweiffel trug. Welche letztere Barmhertzig-
keit denn dem Hertzoge Herꝛmann/ welcher ſo
wol ſein/ als Jngviomers halben wieder den
Melo Huͤlffe zu ſchicken verſprach/ das Leben
erhielt/ dem Varus aber verkuͤrtzte; in dem er
nicht verſtand: daß der Glimpff eines Wuͤtte-
richs ihm ſelbſt die gefaͤhrlichſte Grauſamkeit/
und auff den Fuß ſeiner abſcheulichen Laſter ei-
ne Tugend-Seule zu bauen eben ſo thoͤricht
ſey/ als auff einen ſtinckenden Miſthauffen ein
guͤldenes Sonnen-Bild zu ſetzen. Sintemahl
in Warheit kein ſchluͤpffriger Weg iſt/ als auff
den Graͤntzen der Tugend und der Boßheit
wandeln; und in dem einen nicht warm/ in
dem andern nicht kalt ſeyn. Alſo entrann Her-
tzog Herꝛmann nicht allein aus dieſen Fallſtri-
cken des unbeſtaͤndigen Segeſthes/ ſondern er
machte auch den Varus noch mehr ſicher: daß
er ſeine Kriegs-Ruͤſtung wieder die Roͤmer be-
werckſtelligen konte. Ja er wiegte ihn vollends
gar in Schlaff/ als er den Varus um Vermit-
telung derer zwiſchen ihm und dem Arpus er-
wachſenden Streitigkeiten/ oder auch Sege-
ſthen zu einem Schieds-Richter zu vermoͤgen
erſuchte; wormit er ſo viel ſicherer ſeine Waffen
mit den Roͤmiſchen gegen den Melo vereinba-
ren koͤnte; alſo Hertzog Ganaſch hernach ſelbſt
Herzog Herꝛmanns Kuͤhnheit loben und beken-
nen muſte: daß derſelbe nicht irrete/ wer mit ſei-
nem vermeinten Jrꝛthume den rechten Zweck
treffe. Maſſen denn Varus ſich zwiſchen beyde
Hertzoge legte/ und biß Segeſthes bey ihrer Zu-
ſam̃enkunft die Vereinbarung unteꝛſucht haͤtte/
einen Stillſtand der Waffen zu wege brachte.
Die Zuſam̃enkunft ward bey dem Tanfaniſchen
Tempel beſtim̃et/ wormit dieſer heilige Ort ihre
Gemuͤther ſo viel mehr gewinnen moͤchte. Se-
geſthes ſelbſt drang auf Beſchleunigung dieſes
Wercks/ nicht ſo wol/ daß es ihm ums Heꝛtze waꝛ
die Zwiſtigen zu vereinbaren/ als die Warheit
ihrer Uneinigkeit/ und die Geheimnuͤſſe ihrer
Gemuͤther auszuholen. Er kam mit zweytau-
ſend Chaſſuariern in den Deutſchburgiſchen
Heyn/ um auf allen Fall ſich dieſer Kriegs-
Macht zu ſeinem Vortheil zu bedienẽ. Er ward
aber nicht wenig beſtuͤrtzet/ als er recht zwiſchen
die Cheruskiſche und Cattiſche Macht verfiel/
welche iederſeits uͤber zwantzig tauſend Mann
ſtarck war/ und alſo die Anzahl gewoͤhnlicher
Friedenshaͤndler/ oder auch der vom Varus be-
gehrten Huͤlffs Voͤlcker weit uͤbertraff. Noch
mehr bekuͤmmert war ihm: daß er die Cherusker
und Catten in groͤſſerer Vertraͤuligkeit mit ein-
ander leben ſahe; als ſonſt Voͤleker/ welche nur
den Grimm ihrer feindlichen Waffen wenige
Zeit ruhen zu laſſen beliebẽ/ gewohnt ſind. Weil
er nun von dieſer groſſen Macht unter dem
Schein der Ehren gantz umſchloſſen ward/ mu-
ſte er nur ſein Mißtrauen/ ſo gut er konte/ ver-
bergen; ſonderlich als Hertzog Herꝛmañ und Ar-
pus einanderwie Bruͤder umarmten; uñ folgen-
den Tag Hertzog Jngviomer mit zehentauſend
Bructereꝛn/ Herzog Ganaſch mit zwoͤlfftauſend
Chauzen/ Hertzog Jubil mit ſechstauſend Her-
mundurern/ ja Segeſthens eigeneꝛ Bruder Se-
gimer und ſein Sohn Siegesmund mit acht-
D d d d d d d d 3tauſend
[1318[1320]]Neuntes Buch
tauſend Angrwariern/ Tubanten und Chama-
vern ſich einfanden. Gleichwol aber gab er
dem Quintilius Varus die unvermerckte Nach-
richt: daß die Kraͤfften des halben Deutſchlands
unter dem Fuͤrwand der verlangten Huͤlffs-
Voͤlcker wieder den Melo/ und der Cattiſchen
Friedens-Handlung alldar verſammlet waͤren;
und wenn Varus nicht alle ſeine Kraͤfften zu-
ſam̃en/ das Lager auch gar von Aliſon in Zeiten
zuruͤck zuͤge; wuͤrde ſchwerlich von den Roͤmern
ein Gebein davon kommen. Als nun Quin-
tilius Varus dieſem Rathe zu folgen Tag und
Nacht bemuͤht war; muſterten die deutſchen
Fuͤrſten ihre Kriegs-voͤlcker/ verrichteten in der
Tanfaniſchen Hoͤle ihren Gottesdienſt; erwehl-
ten den Hertzog Herrmann zum Oberſten Feld-
Herꝛn Deutſchlands; und verſetzten hernach
den Roͤmern einen ſo gewaltigen Streich/ als
denen Anweſenden uͤberfluͤßig bekandt/ dem
Feinde ſchrecklich/ allen Helden aber/ und in-
ſonderheit der hertzhafften Thußnelde/ welche
bey erfahrner ruͤhmlicher Entſchluͤſſung der
Deutſchen nicht zu Marpurg die Haͤnde in die
Schoß legen wolte; ſondern ins geheim ſich
mit Waffen verſahe und unter die Cattiſchen
Edelleute vermengte/ zu unverwelckendem
Ehren-Ruhme dienlich iſt. Maſſen ſie denn
mit ihren Thaten nicht nur ein Beyſpiel allen
Helden; ſondern auch nach der Schlacht gegen
ihren Braͤutigam durch die Entſchuldigung ih-
rer uͤbernommenen Gefahr/ allen edlen Frau-
en dieſe heilſame Lehre gab: Ein Kebsweib waͤ-
re eine Geferthin zu Tiſche und Bette/ eine
Braut oder Ehfrau aber alles Gluͤcks und Un-
gluͤcks; Alſo iederman bey Anſchauung dieſer
Heldin ſie fuͤr einen Ausbund ihres Geſchlech-
tes/ und ein Vorbild der kuͤnfftigen Zeiten er-
kennen muͤſte. Denn in Warheit/ wie alle
Sachen/ welche ſich der Eigenſchafft ihrer Na-
tur enteuſſern/ und zum Boͤſen ſich abneigen
zu Ungeheuern/ wenn ſie aber zum Guten ſich
ſchwingen/ zu Wunderwercken werden; Alſo
ſind die wolluͤſtigen Maͤnner iederzeit weibi-
ſcher/ als die Weiber/ die behertzten Frauen
aber maͤnnlicher/ als die Maͤnner und Werck-
zeuge des Verhaͤngnuͤſſes geweſt/ wenn es et-
was der menſchlichen Vernunfft unbegreifli-
ches auszuuͤben vorgehabt hat.
Mit dieſem Lobſpruche beſchloß Fuͤrſt Ad-
gandeſter zu der ſaͤmtlichen Zuhoͤrer groͤſten
Vergnuͤgung ſeine Erzehlung. Der uͤbrige
Abend ward mit einer herrlichen Mahlzeit und
allerhand Schertz-Spielen auffs annehmlich-
ſte hingelegt.
EJnbildung die ſinnreichſte Mahlerin bey denen Schlaffend- und
Traͤumenden. Hertzog Herrmanns und Thußneldens Ankunfft
in das Tanfaniſche Heiligthum/ beyder Verehligung/ Andacht
und Opffer. Thußneldens abſonderes Geluͤbte. Der uͤbrigen
Fuͤrſtlichen Verſam̃lung Nachkunfft und Freuden-volle Empfa-
hung. Asblaſtens und Erato Gedancken uͤber dieſem und andern
der Schamhafftigkeit gewiedmeten Heiligthuͤmern und Gebraͤu-
chen. Roͤthe allen andern Farben vorgaͤngig/ inſonderheit der
Tugend Leibfarbe. Die Flammen der Keuſchheit noch ſo hell-
ſcheinend in denen Hochzeits-Fackeln/ als in denen noch unvereinbarten Liebes-Sternen.
Hertzog Herrmanns angeſtelltes herrliche Mahl/ die Ruͤckkehr nach Deutſchburg. As-
blaſtens
[]
[][1319[1321]]Arminius und Thußnelda.
blaſtens Erzehlung ihrer erlittenen Ebentheuer und Schiffbruch. Jhre wunderbahre
Errettung durch eine ihre Schiffbruchs-Klippe vorbey-ſchiffende Cimbriſche Fuͤrſtin.
Jhre Ankunfft bey der uhralten Stadt Gades und beruͤhmtem Tempel des Hercules.
Dieſer beyder Vertrauligkeit veranlaſſet dieſe Cimbriſche Fuͤrſtin Tirchanis ihren Ur-
ſprung/ ihre abgelegte Koͤnigliche Wuͤrde/ ihre Ankunfft nach Rom/ die Antretung des
Veſtaliſchen Heiligthums zu eroͤffnen/ ingleichen: wie lange ſie ſolchem beygewohnet/
auch was vor Verdruß ſie uͤber dieſer aberglaͤubiſch- und ſcheinheiligen Lebens-Art ge-
ſchoͤpffet/ biß ſie endlich aus Anſtifftung der Livia daraus geſtoßen/ mit harter Straf-
fe/ bey Ausſchlagung des Kaͤyſers Buhlſchafft/ bedraͤuet/ letzt doch durch ihres Bruders
Koͤnigs Frotto Geſandtſchafft erlaſſen/ und nachgehends auf dieſem ihrem Schiffe in
der Ruͤckreiſe von Asblaſten angetroffen worden. Asblaſtens Gegen-Erzehlung. Jh-
re Ankunfft im Cimbriſchen Gebiethe. Koͤnigs Frotto freudige Bewillkommung/ und
wie dieſe wegen ihres mit Gifft getoͤdteten Segimers in euſerſtes Betruͤbnuͤß verwan-
delt worden. Frotto Gemahlin durch Zauberey zum Ehbruch verleitet. Die Zaube-
rin zum Feuer verdammt. Die Koͤnigin dem Cimbriſchen Fuͤrſten als ſeine Buhlſchafft
zu heyrathen vom Koͤnige zugelaſſen. Koͤnigs Frotto Liebe gegen Asblaſten ſtehet das
mit ſeiner Schweſter Tirchanis gelobte Alironiſche Heiligthum am Wege. Dieſes
Heiligthums Beſchaffenheit/ und Lehre. Die irrdiſchen Geſchoͤpffe herrliche und of-
fenbahre Beweißthuͤmer einer unbegreifflichen Gottheit. Asblaſte/ Tirchanis und die
oberſte Prieſterin ſuchen des Koͤnigs Liebe durch alle auf Andacht und Vermaͤhlung der
Seele mit GOtt/ auch auf die Wohlfarth ſeines Reichs gegruͤndete Mittel abzulehnen.
Weißheit nicht minder der Sitz der weiblichen als maͤnnlichen Seelen. Asblaſte findet
ihre fernere Gemuͤths-Vergnuͤgung in Lehre und Unterricht der Alironiſchen Frauen;
Koͤnig Frotto aber die ſeinige durch Ehligung Alvildens einer Sitoniſchen Fuͤrſtin. Py-
thagoriſche Lehre die andere Staffel des Alironiſchen Heiligthums. Die Vernunfft
im Menſchen unruhiger/ als der natuͤrliche Trieb in andern Thieren. Die Alironiſche
Weißheit mit keiner uͤbrigen Strengigkeit des Leibes noch des Gemuͤths angefeſſelt.
Die Wuͤrckungen des Mißbrauchs von ihrer Art und Eigenſchafft vernuͤnfftig abzu-
ſondern/ wie den Rauch vom Feuer zu ſaubern. Scharffſinniger Wortwechſel zwiſchen
Asblaſten und Erato uͤber die menſchliche Gemuͤths-Regungen. Thußneldens Ver-
nunffts-Beylage. Die Ruhe des Gemuͤths der eintzige Ancker der Gluͤckſeligkeit. Kei-
ne Tiefſinnigkeit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren Geheimnuͤße halber zu er gruͤ-
beln/ noch das Gemuͤthe der Menſchen als ein Meer voller Kruͤmmen und Strudel zu
ergruͤnden faͤhig. Dritte Schule der Alironiſchen eitel Geheimnuͤße von GOtt und
ſeinem Weſen in ſich haltenden Weißheit in Asblaſten durch ein Siegel angelobter Ver-
ſchwiegenheit verſchloſſen. Wahrſagerey auf was Grund ſolche beſtehe? Und wie ſol-
che durch Asblaſtens erlernte Weißheit der Deutſchen herrliche Siege gegen die Roͤmer
nebſt ihrer Tochter Thußneldens und Hertzog Herrmanns Vermaͤhlung zwvor bedeu-
tet. Hertzog Herrmann wird wegen des an Thußnelden erlangten hohen Preißes zum
Zweykampf gefordert. Des Deutſchburgiſchen Schauplatzes Beſchreibung. Kuͤnſt-
licher und die Fuͤrſtin Thußnelde durchgehends vorbildender herrlicher Aufzug. Bey-
der des Tiberius und Hertzog Herrmanns gegen einander vorgebildete Verfaſſung
zum
[1320[1322]]Achtes Buch
zum Kampfe. Jhr hitziges Treffen. Hertzog Herrmann neiget den eroberten Roͤmi-
ſchen Adler vor Thußnelden/ und die darzwiſchen kommende Gerechtigkeit machet dem
Streit ein Ende. Der beſiegte Tiberius oder der ihn abbildende Cattiſche Hertzog Ar-
pus und Hertzog Herrmann ſein Sieger nebſt denen uͤbrigen deutſchen Speiſen unter
gewiſſen nach Art der ſieben Jrrſterne kuͤnſtlich eingetheilten und mit allen erſinnlichen
Ergotzligkeiten zubereiteten Zelten. Der uͤppigen Roͤmer dabey vorgeſtellte Schwel-
gerey. Geſundheits-Truͤncke ſchon bey den Roͤmern gebraͤuchlich. Hertzog Herr-
mann wird vom Scythiſch-Parthiſch- und Jndianiſchen Koͤnige unter Fuͤrſt Catu-
mers/ Ganaſch und Jubills Perſon durch gewiſſe Herolden entweder ihnen ſeine Thuß-
nelde abzutreten/ oder ſeinen Untergang zu erwarten/ bedrohende ausgefordert. Sein
ihnen ſtatt der Antwort gegebenes hertzhaffte Zeichen bringet ſeine Feinde in Harniſch
und auf den darzu erkieſten Kampfplatz. Scythiſcher Aufzug wird durch das Bild der
eindringenden Tapferkeit; der Perſiſch und Jndianiſche aber durch der Goͤttin Juno
als Vorſteherin der Hochzeit-Feſte in Luſt- und Freuden-Spiele verwandelt/ und dem
ſtegenden Herrmann von Thußneldens Bilde ein von der Tapferkeit bereiteter Ster-
nen-Krantz aufgeſetzet. Jndien als eine Koͤnigin aller Edelgeſteine auf einem weißen
Elephanten reitende abgebildet. Elephanten-Tantz. Der Perlen Eigenſchafft und
Schaͤtzbarkeit/ dieſer und der Liebe Aehnligkeit. Kampf zwiſchen denen Elementen
ums Vorrecht in Zeugung des herrlichen Geſchoͤpfs der Perlen. Jndiens Abzug
und Lob-Gedichte fuͤr Thußnelden. Der vier Jahrszeiten ſinnreiche Vorſtellungen.
Dieſe nebſt denen vier Theilen der Welt hegen um die Blumen-Goͤttin allerhand ſehens-
wuͤrdige Rennen und Taͤntze. Blumenſtreit um ihre Koͤnigliche Wuͤrde. Der Blu-
men Eigenthum in einem Tage ein Kind und ein altes Weib zu ſeyn. Tauerhafft- und
bald vergchender Blumen Zwietracht. Maͤnn- und weiblicher Blumen Unterſcheid.
Bundter Blumen Anſtrich. Der Blumen-Goͤttin geſuchte Vereinbarung/ und das
von der Sonnen/ als aller Blumen Vater/ von denen uͤbrigen ſechs Jrrſternen verge-
ſellſchafftet/ der Roſe auf gantz verwundernde Art zuerkenntes Urtheil und aller wie-
derſinnigen Blumen Beyfall/ ſo ſich gleichſam ihrer Koͤnigin ſelbſt aufopffern/ die Jrr-
ſterne aber ſie in ihre Zahl verſetzen. Die von denen tantzenden Jrrſternen erhoͤhete
Blumen-Koͤnigin die Roſe verehret Thußneldens Bild mit ihrem Sternen-Siegs-
Krantze und einem ſinnreichen Gedichte. Hertzog Jubills Jndianiſche Bewirthung.
Antiopens der Koͤnigin der Amazonen und Candaces der Mohren dabey vorgeſtellte
Eifferſucht gegen Thußnelden wegen ihres unvergleichlichen Hertzog Herrmanns.
Deutſchlands Aufzug mit ſeinen zwoͤlff Fluͤſſen durch die Natur und Kunſt zu Hertzog
Herrmanns Ruhm gehandhabet. Der Morgenroͤthe annehmliche Abbildung. Der
Koͤnigin Candaces unter der Fuͤrſtin Jßmene in Geſtalt der Sonnen oder einer Feuer-
Goͤttin nebſt andern Sonnentoͤchtern; Jngleichen der Amazoniſchen Koͤnigin Antio-
pe unter der Fuͤrſtin Adelgunde in Geſtalt der Goͤttin Juno; Thußneldens aber unter
der Goͤttin Thetys ſamt andern vielen Goͤttinnen vorgeſtellter Aufzug und Kampf auf
Elementariſche kuͤnſtliche Art. Die fuͤuff Sinnen veruneinigen ſich uͤber ihrem der
Liebe zu Ehren geſungenem Gedichte. Thußneldens gluͤckliches Rennen; der eiferſich-
tigen Jßmene/ wie auch der alle vier Jahrzeiten an ihr abbildenden Cattiſchen Fuͤrſtin
und
[1321[1323]]Arminius und Thußnelda.
und der Chauciſchen Adelmunde als Lufft-Goͤttin gleichmaͤßige Befolgung. Der Lie-
bes-Goͤttin ausgetheilte Preiße/ und ihre dabey vorgekehrte ſonderbare Klugheit. Der
Silenen Feyer. Der Barden uͤber Hertzog Herrmann und deſſen Verewigung aufge-
richteter Saͤule mit Deutſchland der Natur und Kunſt angetretener Kampf. Ehren-
Maale ſollen Merckmaale lobwuͤrdiger Thaten nicht ihre Ausgleichung ſeyn. Der
Kunſt groͤſte Vergnuͤgung. Der Ehren- und Gedaͤchtnis-Maale durch Ehrſucht und
Heucheley eingeriſſener Mißbrauch; dieſer unvermeidlicher Wurmſtich und Zermal-
mung. Der auf Tugend gegruͤndeten Unverweßligkeit und ruͤhmliche Nachfolge. Ei-
telkeit der Ehrſucht ohnmaͤchtige Naͤhrerin. Der Alten inſonderheit der Roͤmer ver-
ehrte Schutzbilder/ und daher genommene Frey-Staͤdte. Der Barden Gedichte und
Geſaͤnge der ihrigen Helden Ruhm/ und zugleich auch durch ihren ruͤhmlichen Beyſatz
den Hertzog Herrmann und ſeine Ehren-Saͤule zu verewigen. Die Vermaͤhlung des
Himmels und der Erden machet den Beſchluß des Deutſchburgiſchen Hochzeit-Feyers.
DEr gantze Cheruskiſche
Hof hatte die letztern
Tage mit ſolcher Ver-
gnuͤgung hingelegt: daß
niemand weder durch
Seiten-Spiele/ noch
durch unterlegtes Laͤt-
tich-Kꝛaut ihm die Suͤſ-
ſigkeit des Schlaffes dorffte zu wege bringen.
Weil nun die Ubermaße der Freude oder der
Traurigkeit uͤber die euſſerlichen Sinnen eine
groſſe Botmaͤßigkeit hat/ dieſe aber die innerli-
chen rege machen; war kein Wunder: daß die
denen Junwohnern des Eylandes Thule/ wel-
che ihre Wohnungen von eitel Gerippen der
Wallfiſche bauen/ alle Nacht von Schiffbruche
und Meer-Wundern; alſo denen Cheruskern
von eitel Taͤntzen/ Hochzeit-Fackeln/ Siegs-
und Freuden-Feuern traͤumte. Denn wie der
Wille des Menſchen der allergluͤcklichſte Ge-
bieter iſt/ alſo: daß ihm im Augenblicke alle
Glieder mit fertigſter Ausrichtung ſeiner Be-
fehle gehorſamen/ ja ſelbtem gleichſam zuvor
kommen; ſo iſt die Einbildung die ſinnreichſte
Mahlerin/ welche denen Schlaffenden die
Bilder der Wachenden/ mehrmahls eigentli-
cher/ und mit einem groͤſſern Aufputz fuͤrſtellet/
als ſie weſentlich geweſt; ja eine Schoͤpfferin
neuer in der Welt nie geſehener Dinge/ offt
auch eine Wahrſagerin der zukuͤnfftigen; wenn
die Traͤumenden gleich nicht den Stein/ der
wegen ſeiner Aehnligkeit den Nahmen des Am-
mon-Hornes bekommen/ ihnen unters Haupt
gelegt haben. Dieſemnach war ſich nicht zu-
verwundern: daß das Frauen-Zimmer im
Traume tantzte/ die edlen Ritter-Spiele uͤbten/
das gemeine Volck ſich mit Gaſtereyen und
anderer Kurtzweil erluſtigte.
Fuͤrnehmlich aber hatten die vorhergehen-
den Erzehlungen des Fuͤrſten Adgandeſters
und der Graͤfin von der Lippe der Fuͤrſtlichen
Verſamlung Hertzog Herꝛmanns und der
Fuͤrſtin Thußnelde Zufaͤlle ſo feſte ins Gehir-
ne gedruͤckt: daß die Traͤume ſolche Begebnuͤſ-
ſe ieder Perſon mit allerhand Verſtellungen
wie in einem Zauber-Spiegel auffs neue fuͤr-
bildeten. Dieſe naͤchtliche Erinnerungen/ und
die Begierde der Neuigkeit/ welche auch ſich ſo
gar des Himmels bemaͤchtigt: daß er ſich mit
Gebehrung neuer Sternen beluſtigt/ erweckte
Erſter Theil. E e e e e e e egar
[1322[1324]]Neuntes Buch
gar fruͤh in ihnen ein unmaͤßiges Verlangen
von der Fuͤrſtin Asblaſte vollends zu verneh-
men/ wie ſie aus dem Schiffbruche in das Cim-
briſche Heiligthum/ und von dar nach Deutſch-
burg gleich ſo zu rechter Zeit kommen waͤre. Al-
leine/ es war dieſe drey Tage kein Mittel an ſie
zu kommen/ weil ſie Tag und Nacht in der Tan-
faniſchen Hoͤle mit Beten zubrachte; auch auſſer
dem Genuͤß etlicher Kraͤuter und des daſelbſt
herfuͤr quellenden Waſſers keine Speiſe zu ſich
nahm. Dieſemnach ſie denn mit allerhand an-
dern annehmlichen Ergetzligkeiten die Zeit ein-
ander vertreiben muſten; biß Hertzog Herꝛmañ
und Thußnelde den vierdten Tag mit der Mor-
genroͤthe ſich ſchon herfuͤr machten/ und mit ei-
ner kleinen Begleitung zu dem Tanfaniſchen
Heiligthume verfuͤgten. Denn es trugen ihnen
nur drey Edel-Knaben/ und zwey Jungfrauen
fuͤnff Fackeln fuͤr; welche ungleiche Zahl ſo wol
deßwegen: daß ſie nicht in zwey gleiche Theile
zertrennet werden kan/ als die ungleiche Ge-
walt der Vermaͤhlten anzudeuten; bey denen
Hochzeiten fuͤr heilig gehalten wird. Hertzog
Herꝛmañ und Thußnelde ſaſſen beyſam̃en zwar
auf einem in Geſtalt einer Muſchel zierlich ver-
guͤldetem Wagen; an ſtatt koͤſtlicher Tapeze-
reyen aber waren ihnen nur gemeine Lamm-
Felle untergelegt. Die wurden fuͤr dem Al-
tare auch auff die Erde gebreitet: daß die neuen
Ehleute bey ihrer Andacht und Opfferung dar-
auff treten und knien konten. Denn auf dieſe
Art pflegten nicht nur bey denen Deutſchen/
ſondern auch bey andern Nord-Voͤlckern die
allerfefteſten Buͤndnuͤſſe beſtetigt zu werden.
Thußnelde hatte ihr Haupt und Antlitz mit ei-
nem Safran-faͤrbichten Tuche verhuͤllet zum
Zeichen ihrer Schamhafftigkeit/ und des ih-
rem Eh-Herꝛn verpflichteten Gehorſams.
Hingegen prangete der Feldherꝛ mit einem
Krantze friſcher und nur halb aufgeſchoſſener
Roſen gleich als mit einem Sieges Zeichen we-
gen eroberter Jungfrauſchafft. Dieſes Altar
war von uhralter Zeit her der Schamhafftig-
keit geeignet; und opfferten niemand/ als die
neuen Ehleute einmahl nach dem Beylager
darauff. So bald das Brenn-Holtz darauff
von den Prieſter-Knechten zu rechte/ und die
Opffer-Thiere darauff gelegt waren; kam die
heilige Asblaſte eilfertig aus der Hoͤle gerennet;
und zuͤndete mit einer in der Hand habenden
Wachs-Fackel beydes an; meldende: daß ihr/
als einer Mutter/ nicht nur die Hochzeit-Fa-
ckeln fuͤrzutragen; ſondern auch als einer Prie-
ſterin die Opffer zu verrichten zukaͤme. Wel-
ches die anweſenden Prieſter/ die ſie wegen ih-
rer Heiligkeit auffs demuͤthigſte verehrten/ ger-
ne geſchehen lieſſen. Nach dem alles verbrennt
war/ Asblaſte auch aus der Aſche alles Gutes
wahrſagte/ ſtand Thußnelde auf/ raffte vom Al-
tare dreymahl mit ihren zuſammen gehoͤlten
Haͤnden die noch heiſſe Aſche/ ſtreute ſie auf den
Raſen/ trat mit beyden nackten Fuͤſſen darauf/
und rieff: Verhaͤngnuͤs! wo du wieder meinen
Wunſch die Reye des Todes mir nach meinem
Gemahle beſtimmet haſt; und ich mit ſeiner
Todten-Aſche nicht die Meinige/ wie dieſe all-
hier mit meinen Fuͤſſen vermiſche; ſo laſſe mich
die Lufft keinen geſunden Athem ſchoͤpffen; und
die Erde goͤnne meinen Gebeinen keine ruhige
Grabſtatt! Goͤnne mir und Deutſchlande die
Gluͤckſeligkeit: daß dieſes uns ein Grabmahl
der Liebhaber auffrichte/ wie Tarent Oreſtillen
und dem Plautius; welcher auff ſeines Ehwei-
bes Leiche entſeelet und verbrennnet worden.
Koͤnte ich aber dieſe Ubermaße des Gluͤckes er-
bitten: daß ich durch meinen Tod meinem Herꝛ-
manne/ wie Alceſtis durch ihren dem Admetus/
und Gracchus ſeiner Cornelien/ verlaͤngern
koͤnte; wuͤſte ich die Freude meiner Seele nicht
zu begreiffen. Der Feldherꝛ umarmte nach
dieſem Geluͤbde ſeine Thußnelde. Der Prie-
ſter Libys aber kam/ und nach dem Asblaſte ihr
das Tuch und Schleyer vom Geſichte wegge-
zogen/ ſaͤtzte er ihr den aus gewiſſen mit purper-
faͤrbichten
[1323[1325]]Arminius und Thußnelda.
faͤrbichten Blumen prangenden Diſteln ge-
machten Krantz der Keuſchheit aufs Haupt/ und
beſprengte beyde mit dem aus dem heiligen
Brunnen geſchoͤpfften Waſſer.
Die Koͤnigin Erato/ die Fuͤrſtin Erdmuth/
Catta/ Adelmund/ Jſmene/ Salonine/ die Gꝛaͤ-
fin von der Lippe und ander Frauen-Zimmer
kamen gleich uͤber dieſer Bekraͤntzung bey dem
Heiligthume an; und weil hiermit Thußnel-
dens Andacht ſich endigte/ empfiengen ſie ſich
mit einander auffs holdſeligſte. Nach geſche-
hener annehmlichen Umarmung bat Erato ih-
ren Vorwitz nicht zu verargen; wenn ſie frag-
te: was dieſes fuͤr ein Altar/ und fuͤr eine Ge-
wonheit alldar zu opffern waͤre? Die heilige
Asblaſte kam denen andern mit ihrer Antwort
zuvor/ und meldete: dieſes A[l]tar waͤre von der
zuͤchtigen Vorwelt der Schamhafftigkeit ge-
wiedmet worden; darauff dieſelbigen ihre Opf-
fer liefferten/ welche auch in dem Eh-Bette die
Keuſchheit unverſehrt zu behalten gedaͤchten.
Erato verſetzte: Sie haͤtte zu Athen ein gleich-
maͤßiges Altar der Schamhafftigkeit/ und zu
Sparta ein gleichmaͤßig-heiliges Bild/ welches
Jcarius ſeiner verſchaͤmten Penelope zu Liebe
aufgerichtet haͤtte/ geſehen; es doͤrfften aber da-
ſelbſt nur Juͤnglinge und Jungfrauen ihre An-
dacht verrichten; welcher Abſehen dahin zielte:
daß die Goͤtter ſie nicht in etwas verfallen laſſen
wolten/ woruͤber ſie Urſach haͤtten ſchamroth zu
werden. Weß wegen auch die Verehlichten/
oder die/ welche der Wolluſt ſchon einmahl den
Zuͤgel verhangen haͤtten; daſelbſt ausgeſchloſſen
blieben. Asblaſte antwortete: Jch hoͤre wol:
daß die Griechen die Schamhafftigkeit fuͤr eine
ſcheltbare Gemuͤths-Regung und eine Schwe-
ſter der Furcht daſelbſt halten; welche bey Erin-
nerung eines Verbrechens das Geluͤbte nicht
anders/ als ein Sturm das Meer erreget; und
in alle Glieder des Leibes mit einer langſamen
Hitze ſich ausſchuͤttet/ dem Hertzen aber eine kal-
te Beyſorge einiger ihm bevorſtehender Schan-
de zuzeucht. Dieſe Schwachheit des Gemuͤ-
thes/ ob ſie zwar ein gutes Zeichen eines verletz-
ten Gewiſſens und ein Kennzeichen iſt: daß der
Zunder der Tugend im Hertzen noch nicht gar
verglommen/ ſondern noch allerdinges rege
ſey; iſt doch keines Altares nicht werth; und
zwar auch/ wenn ſolche Schamroͤthe gleich
nicht von einer ihm uͤbel bewuſten Schuld/ ſon-
dern von einer angebohrnen Fluͤchtigkeit des
Gebluͤtes herruͤhrt; welches ſich bey ieder neuen
Begebenheit/ wie das Meer bey dem Vollmon-
den/ reget/ und ſeine Schrancken uͤberſchreitet.
Denn es iſt nichts ſeltzames: daß dieſe Schwach-
heit durch bloſſe Einbildung einem auch nicht
laſterhafften Menſchen nicht anders/ als Traͤu-
me oder Zauber-Laternen aus nichts/ oder ei-
nem bloſſen Schatten Geſpenſter und Rieſen
mache; und ohne Urſache auff ſchaͤdliche Ab-
wege der Kleinmuth leite; und die/ welche ſol-
che nicht durch eine hertzhaffte Unbewegligkeit
zu uͤberwuͤnden wiſſen/ mehrmahls in augen-
ſcheinlichen Untergang zu rennen veran aſ-
ſe. Es iſt wahr/ ſagte Erato; ich erinnere
mich: daß die an des Calippus/ Antipa-
ter an des Demetrius/ Hercules des groſſen
Alexanders Sohn an des Polyſperchon Tafel
ihr Leben eingebuͤſſet; weil ſie ihr Mißtrauen
blicken zu laſſen/ und ſich von ſolchen Blut-
Mahlzeiten zu entſchuldigen geſchaͤmet. Ja
es mangelt nicht an Beyſpielen: daß ihrer viel
ehe einem was zu verſagen/ als dardurch in
Suͤnde und Schande ſich zu ſtuͤrtzen geſcheuet
haben. Weßwegen auch ich/ woher in Deutſch-
land die Schamhafftigkeit in einer beſſern Art/
und in groͤſſerm Anſehen ſeyn koͤnne/ nicht zu
begreiffen weiß. Die Fuͤrſtin Asblaſte laͤchelte;
und fieng an: Jch weiß wol: daß etliche Ge-
waͤchſe in gewiſſen Laͤndern gifftig/ in andern
zum Eſſen und unſchaͤdlichem Gebrauche dien-
lich ſind; aber die Gebrechen der Natur und
die Schwachheiten des Gemuͤthes werden un-
ter dem guͤtigſten Himmels-Striche zu keiner
E e e e e e e e 2Vollkom-
[1324[1326]]Neuntes Buch
Vollkommenheit und Tugend. Daher wir
Deutſchen auch nicht vorerwehnte Schamhaf-
tigkeit werth achten; welche ich mit Rechte ent-
weder die Abend-Roͤthe der unter gegangenen
Tugend/ oder das Feuer eines ungeſunden
Menſchen nennen kan; ſondern alleine dieſel-
be/ welche der regen Tugend/ wie die Mor-
gen-Roͤthe der aufgehenden Sonne Vorlaͤuffe-
rin iſt; welche uͤber allem/ was gleich nichts
unreines in ſich kleben hat/ eine ſo zarte Em-
pfindligkeit hat: daß ſie mit ihrem Purper auch
den geringſten Schatten erleuchtet/ der ihrer
Tugend einige Duͤſternheit zuzuziehen ſchei-
net. Jch verſtehe die zuͤchtige Hoffmeiſterin
aller Gemuͤths-Regungen; inſonderheit der
Liebe und Begierde; welche zuweilen bey ihrer
Hefftigkeit das Geſichte verlieren/ und bey uͤ-
bermaͤßiger Verfolgung der Annehmligkeit in
unſaubere Pfuͤtzen treten; und alſo wol von die-
ſer Gebieterin im Zaume gehalten zu werden
noͤthig haben. Dieſe iſt eine Geferthin der
Hertzhafftigkeit; welche ehe fuͤr Erhaltung der
Ehre zu ſterben; als um das Leben zu retten
was ſchimpfliches zu beginnen einraͤthet. Jh-
re Roͤthe hat zwar in dem Antlitze die Farbe des
Feuers; das Hertz aber empfindet davon keinen
Brand oder Unruh. Denn ihre Bewegung
iſt eine Lebhafftigkeit der Tugend/ welche mit
dieſem Purper ihrer Vollkommenheit noch ei-
ne ſchoͤnere Farbe anſtreichet; und alle Un-
ſauberkeit/ die um ſie zu beflecken ihr etwan zu
nahe kommen wil/ beſchaͤmet; alſo: daß ſie bil-
lich eine Bluͤte der Schoͤnheit/ eine Blume des
Leibes/ ein Schatten der Seele/ der ſichtbare
Glantz oder die Farbe der Tugend/ eine na-
tuͤrliche Schmincke keuſchen Frauenzimmers
genennet/ und bey dieſem Altare verehret zu
werden verdienet. Die tugendhaffte Erato
fand ſich unſchwer in den Unterſcheid der
Schande und Schamhafftigkeit; und ſetzte bey:
Asblaſtens Unterricht bewegte ſie zu glauben:
daß die Tugend nichts minder/ als die Natur
in die Roͤthe verliebt/ und mit dieſer Farbe/ als
einem Zeichen der Vollkommenheit/ ſich auszu-
putzen geneigt waͤre. Sintemahl die edelſten
Geſtirne mit dieſem Feuer ſich fuͤr denen blaͤſ-
ſeren herfuͤr zuͤckten. Die Sonne ſchmuͤckte
nichts minder ihre Wiege/ als ihre Bahre mit
Purper. Die Wolcken mahlten ſich mit Zino-
ber/ wenn ſie am ſchoͤnſten ſeyn wolten; und der
Himmel verwandelte nichts minder als das
Meer ſeinen Saphirnen Spiegel in Rubin.
Das lebhaffteſte der natuͤrlichen Dinge das
Feuer/ das Marck der Erde und der Kern des
Ertztes das Gold waͤren/ wenn ſie am reinſten/
auch am roͤtheſten. Der Ausbund der Blumen
die Roſe; und der Stauden der Granaten-
Baum ſtriechen ihre Blaͤtter und Aepffel mit
Scharlach an/ um durch dieſe Koͤnigs-Farbe
ihre Hoheit abzubilden. Und nach dem nicht
allein die keuſcheſten Thiere auch die ſchoͤnſten
waͤren/ ſondern auch ſo wol die Tapfferkeit/ als
die Liebe ihre Wangen mit eben dieſem Pur-
per bedeckte. Dahingegen die Furcht und der
aͤngſtige Neid ſich mit der blaſſen Todten-Far-
be verſtellete; ſo koͤnte ſie leicht gedencken: daß
die reine Lilge der Tugenden die Keuſchheit eben
ſo wol/ als ſelbige Blume mit dieſer Golde ihre
Lebhafftigkeit zu kroͤnen verlange; und ſie ſo we-
nig/ als die edelſten Gewaͤchſe ohne Schamroͤ-
the ſich gerne ſchauen laſſe. Dieſes aber begriffe
ſie noch nicht/ warum die Verehlichten/ nicht a-
ber die Jungfrauen bey dieſem Altare ihre An-
dacht haben doͤrfften; und jene/ nicht dieſe/ den
Krantz der Schamhafftigkeit erlangten? Jſt deñ
die Keuſchheit nicht das eigenthuͤmliche Kleinod
der Jungfrauſchafft? Doͤrffen die reinen Bie-
nen/ welche nichts von Luſt oder Liebreitz wiſſen/
nicht aus den Roſen der Schamhafftigkeit den
Honig ihrer Vergnuͤgung ſaugen? Sind die in
der Muſchel noch verſchloſſenen Perlen nicht ſo
rein/ als die/ welche der Vorwitz von ihrer Mut-
ter geriſſen/ und die Eitelkeit durchloͤchert hat?
Jſt das in denen Neſtern ſich gattende Gefluͤgel
ſchoͤner/
[1325[1327]]Arminius und Thußnelda.
ſchoͤner/ als der Paradies-Vogel/ welcher um
ſich nicht zu beflecken/ niemahls die Erde beruͤh-
ret/ und ſo wol als der einſame Fenix ſeine ewi-
ge Jungfrauſchafft in der reineſten Lufft unver-
ſehrlich erhaͤlt? Verdienet der/ welcher ſich nie-
mahls iemanden hat uͤberwinden laſſen/ mehr
einen Siegs-Krantz als der/ welcher einen ihm
hat zum Meiſter werden laſſen? Oder iſt es
ſchwereꝛ in dem Genuͤß der Liebe Maaß zu bal-
ten/ als ſich derſelben gar enteuſſern? Asblaſte
fiel der Koͤnigin Erato ein: Es iſt in alle wege
die keuſche Jungfrauſchafft ein Stern ohne Fle-
cken/ und weil ſie nicht nur Netze aus Gold und
Seide der Wolluſt und Heucheley; ſondern
mehrmahls die Stricke des Todes/ und die
Ketten der Schande zu uͤberwinden hat/ iſt ſie
wuͤrdig herrlichere Siegs-Kraͤntze zu tragen/
als die/ welche nur euſſerliche Feinde geſchla-
gen haben. Verdienet die Tapfferkeit Lorber-
Blaͤtter/ ſo iſt dieſe unverwelcklicher Amaran-
then werth. Alleine/ nach dem iede Tugend
ſelbſt eine gewiſſe Liebe/ ja dieſe die Krone und
Vollkommenheit aller Tugenden iſt; bleibet
unlaugbar: daß auch die Keuſchheit mit ihr
nichts minder/ als Schnee und Feuer ſich auff
denen Roſen fuͤglich vermaͤhlen laſſe; ſondern
auch jener Reinigkeit von den Flammen der
Liebe einen herꝛlichen Glantz bekomme. Solte
die Glut der Hochzeit-Fackeln einen ſchwaͤr-
tzenden Dampff von ſich rauchen; wuͤrde man
die Natur ſelbſt fuͤr eine Feindin der Keuſchheit
erklaͤren; weil ſie das Band der Liebe zum eini-
gen Mittel erkieſet hat ihre ſonſt vergaͤnglichen
Geſchoͤpffe zu verewigen. Dieſemnach iſt auſ-
ſer allem Zweiffel: daß zwey keuſche Seelen
nichts minder ohne Befleckung einander lieben/
als zwey reine Sternen ohne Verfinſterung
einander anſcheinen koͤñen. Ja weil die Verein-
barungs-Macht der Liebe dem/ was ſie liebet/
alle ihre Eigenſchafften mittheilet; muͤſten die
zwey Vereinbarten durch ihren Gegenſchein
den Glantz der Schoͤnheit eben ſo wie die Son-
ne mit ihren Strahlen das Licht der andern
Sonnen vergroͤſſern. Und benimmet diß der
Reinigkeit nichts: daß die Verehlichten von ih-
rer Liebe ſo viel Fruͤchte der Vergnuͤgung ein-
erndten. Denn die Ergetzligkeit kan mit der
Tugend eine ſo unſchaͤdliche Gemeinſchafft/ als
die Suͤßigkeit mit dem Thaue haben. Ja die
Tugend ſelbſt/ ob ihre Rinde zwar herber/ als
Schleen ſchmeckt/ iſt im Kerne ſuͤſſer als Zu-
cker-Rohr; der liebliche Geſchmack der Wolluſt
aber verwandelt ſich in die bitterſte Wermuth.
Dieſe Vergnuͤgung nun/ weil ſie einen ſo groſ-
ſen Hang zur Ubermaaß hat/ und leichter als
die reiſſenden Fluͤſſe uͤber ihr Ufer ſchlaͤget/ eig-
net der ſie in Schrancken haltenden Tugend ei-
ne ſo viel herrlichere Guͤte zu. Nach dem auch
die einmahl geſchmeckten Suͤßigkeiten vergeſ-
ſen/ und ſtatt ſelbter ſich mit denen bittern Thraͤ-
nen einer gelobten Einſamkeit ſpeiſen/ vielen
ein großmuͤthiger Werck zu ſeyn ſcheinet/ als
das weibliche Geſchlechte auszuuͤben faͤhig iſt;
ſchaͤtzte ich dieſe/ welche ſich und ſo viel empfind-
liche Regungen durch Verzeihung der andern
Eh uͤberwuͤnden/ und dardurch erhaͤrten: daß ſie
nicht ſo wol die Eh/ als ihren Ehmann lieben/
eines abſonderen Krantzes der Keuſchheit wuͤr-
dig. Dieſen erlangen/ und zwar bey andern
Voͤlckern/ die Wittiben ſo denn allererſt; wenn
ſie nach ihres Eh-Manns Tode eine gute Zeit
ihre Pruͤfung ausgeſtanden/ und ihr ſchweres
Geluͤbde wuͤrcklich bewehret haben. Alldie-
weil aber in Deutſchland ohne diß nicht
braͤuchlich iſt aus den Laſtern ein Gelaͤch-
ter/ und aus Unehre Sitten zu machen;
ſondern man vielmehr bey uns nur von
Heyrathen der Jungfrauen hoͤret/ die mit
ihrem Eh-Manne einen Leib erkieſen/ ihm
aber ihre gantze Seele und Leben wiedmen;
ſo verdienet auch das Geluͤbde derer/ die
gleich nur das erſte mahl aus ihrem Eh-
Bette ſchreiten/ einen ſo feſten Glauben: daß
man ihnen dieſen Keuſchheits-Krantz/ welcher
E e e e e e e e 3nicht
[1326[1328]]Neuntes Buch
nicht ohne Urſache von Diſteln geflochten iſt/
auffzuſetzen kein Bedencken hat. Erato/ und
alles andere Frauen-Zimmer haͤtten Asblaſten
gern laͤnger zugehoͤret/ wenn nicht der Feldherꝛ
ſie ins geſamt zu dem in einem koͤſtlichen Gezelt
bereiteten Fruͤh-Mahle haͤtte beruffen laſſen/
welches mit denen allervergnuͤglichſten Unter-
redungen/ wormit ſie Thußnelden oͤffters die
von Asblaſten ſo ſehr vertheidigte Schamroͤthe
heraus trieben/ vollbracht ward.
Hierauff kehrten ſie insgeſamt wieder nach
Deutſchburg. Denn Hertzog Herꝛmann hatte
verlaſſen noch ſelbigen Tag Krieges-Rath zu
halten; in dem dieſer ruhmwuͤrdigſte Liebhaber
auch zu der Zeit/ da die Regungen bey ſolcher
Neuigkeit pflegen am hefftigſten zu ſeyn; ſein
Gemuͤthe und die Zeit derogeſtalt vernuͤnfftig
abtheilte: daß weder die Liebe Thußneldens/
noch des gemeinen Weſens ſich uͤber einige Un-
gleichheit zu beſchweren Urſach hatte. Wiewol
nun der Feldherꝛ ſeiner Mutter Asblaſten eine
abſondere Senffte beſtellet hatte; brachte doch
die Koͤnigin Erato und das andere Frauen zim-
mer durch ihre Bitte zu wege: daß ſie in ihrer
Geſellſchafft zuruͤcke fuhr; und ſich ihre nie-
manden ſonſt bekandte Ebentheuer zu eroͤffnen
bewegen ließ. Dieſemnach ſie denn mit einer
beſondern Anmuth anfieng: Die Goͤttliche
Verſehung/ welche die Unwiſſenden fuͤr den
blinden Abgott des Gluͤckes halten/ lachet aus
ihrer verborgenen Ewigkeit der irrdiſchen An-
ſchlaͤge/ wenn ſie als die einige Koͤnigin aller
Mittel-Urſachen/ und als eine Schiedes-Rich-
terin aller Begebenheiten den Gluͤcks-Topff
der Menſchen nach ihrem Wolgefallen durch
einander ruͤhret; und ob ſie gleich unſerm albe-
ren Vorſatze zuweilen den Zuͤgel ſchuͤſſen/ doch
uns zuletzt auf ein gantz anders Ziel abkommen
laͤſt/ als wir das Abſehen haben/ und die erſten
Begebenheiten gezeuget hatten. Dieſes habe
ich ſonderlich damahls erfahren/ als ich
ſtatt des Eylandes Capraſia an das Jberiſche
Ufer getrieben/ und durch einen Schiffbruch
aus der Dienſtbarkeit der Roͤmer erloͤſet ward.
Denn da unſer Schiff an einem hohen weit uͤ-
ber das Meer hervorragenden Felſen zerſchmet-
tert ward/ und in kleine darvon ſchwimmenden
Stuͤcke zerbrach/ derer eines der Graͤfin von
der Lippe zu einem Kahne gedienet/ erwiſchte
ich in der Angſt eine Wurtzel des an ſolchen Fel-
ſen gewachſenen Kraͤutichts/ durch welcher und
der mich hebenden Wellen Huͤlffe ich auff der
Klippe feſte zu ſtehen kam/ und mich endlich biß
auf deſſen Gipffel empor arbeitete. Es war
ſonſt keine Seele um mich. Die barmhertzigen
Wellen hatten mich zwar leben laſſen; weil a-
ber dieſer unfruchtbare Felß mir weder Speiſe
noch Getraͤncke zu reichen vermochte/ ſchiene
mir der Tod nicht geſchenckt/ ſondern nur zu
einer mehrern Verbitterung geborgt zu ſeyn.
Nichts deſto weniger verzweiffelte ich nicht gar
an der Errettung. Denn dieſe Kleinmuth iſt
ein gewiſſes Zeichen der Unwiſſenheit: daß in
der Welt nichts ungefaͤhr geſchehe; und daß das
Verhaͤngnuͤs noch Vorſorge fuͤr uns trage;
weñ wir ſchon den letzten Athem auszuhauchen
ſcheinen. Zwey Tage lebte ich in dieſer Ein-
ſamkeit; der raue Felß ſpeiſete mich mit weni-
gen Wurtzeln/ beſchattete mich durch einen U-
berhang fuͤr der Sonnen-Hitze; der Himmel a-
ber traͤnckte mich des Nachts mit kraͤfftigem
Thaue/ und einmahl auch mit einem ſanfften
Regen. Den dritten Tag aber ſtriech ein Se-
gel ſo nahe bey dieſer Klippe vorbey: daß mein
Wincken konte erkieſet werden; welches denn
bey denen Schiffenden ein ſolches Mitleiden
mich durch einen Nachen abholen zu laſſen er-
weckte. Jch wuſte der Goͤttlichen Barmher-
tzigkeit fuͤr dieſe wunderſame Errettung nicht
genungſam zu dancken; inſonderheit als ich auf
dem Schiffe eitel Deutſche antraff/ und von
ihnen um ſo viel freundlicher bewillkom̃t ward;
weil ich ihnen in ihrer Sprache zu antworten
wuſte. Die Gebieterin dieſes Schiffes war
ein
[1327[1329]]Arminius und Thußnelda.
ein in einem ſchneeweißen leinen Kittel geklei-
detes Frauenzimmer; welche alsbald eine ſolche
Gewogenheit auf mich warff: daß ich bey ihr in
ihrem Gemache mich auf halten/ und an ihrer
Seite ſchlaffen muſte. Dieſe wuchs noch mehr/
als ich ſie verſicherte: daß ich eine deutſche Fuͤr-
ſtin waͤre; und/ nach dem ich in Gallien zu ſchif-
fen vermeinet/ an dieſem Felſen Schiffbruch
gelitten haͤtte. Dieſemnach ſie mir denn ihre
ſonderbare Freude zu verſtehen gab; weil ſie/
welche ebenfalls von Rom abſegelnde durch das
Ungewitter auf dieſe Kuͤſte getrieben/ und das
beſchaͤdigte Schiff auszubeſſern waͤre genoͤthigt
worden/ hierdurch das Gluͤck erlangte mich in
Deutſchland zu fuͤhren; da ſie mich denn/ wo-
hin ich nur verlangte/ ſicher lieffern wolte; weil
ſie noch zur Zeit vernuͤnfftig zuruͤck ſtuͤnde mei-
ne Beſchaffenheit vorwitzig auszuforſchen. Die-
ſe Beſcheidenheit nahm ich nichts minder fuͤr
ein Merckmahl ihrer Klugheit/ als ihre Guͤ-
tigkeit fuͤr eine Wuͤrckung ſeltzamer Tugenden
an. Jhre Geberden bildeten auch eine abſondeꝛe
Froͤmmigkeit; und/ daß ſie ſtets den halben Tag
und die halbe Nacht ſich in ein kleines Gemach
einſperꝛete/ daꝛiñen ſie auf dem Antlitze liegende
betete/ eine ungemeine Gottesfurcht ab; Ja ihr
uͤbriges Geſpraͤche war meiſtentheils nur von
der Goͤttlichen Liebe und der ſuͤſſen Ergetzlig-
keit einer andaͤchtigen Seele. Denn ihrer Leh-
re nach/ waͤren alle andere Erquickungen giff-
tig und vergaͤnglich; alle andere Regungen kalt
und unrein. Gottes Liebe aber haͤtte nichts un-
reines oder irrdiſches an ſich; Sie waͤre eitel
Geiſt und Licht/ gegen welcher die Sternen fle-
ckicht und die Sonne finſter waͤre. Sie er-
leuchtete die Seelen; und erwaͤrmte die Her-
tzen. Jhre Flamme gaͤbe keinen Rauch von
ſich; ihr Feuer machte ſeine Liebe niemahls
ſchamroth. Kein Ungluͤck der Welt vermoͤchte
die Freude ihres Gemuͤthes zu vermindern;
und das abſcheulichſte Geſpenſte der Tod koͤnte
ihr kein Schrecken einjagen/ wenn er ihm ſchon
die grauſamſte Larve fuͤrmachte. Wenn ihre
Andacht GOtt ein einig Koͤrnlein Weyrauch
anzuͤndete/ waͤre ſie vergnuͤgter/ als die ohn-
maͤchtigen Welt-Goͤtter; wenn ihnen der heu-
chelnde Aberglaube tauſend Ochſen opfferte.
Wiewol auch das Schiff mit einem Uberfluße
koͤſtlicher Speiſen und Erquickungen erfuͤllet
war/ und ſie mich reichlich verſorgen ließ; maͤſ-
ſigte ſie doch ihren Unterhalt ſo ſehr: daß ſie nur
einmahl des Tages und zwar das geringſte ſpei-
ſete; Jhre Demuth haͤtte auch die ihr zuſtehen-
de Herꝛſchafft uͤber dieſes Schiff zweiffelhafft
gemacht; wenn nicht alle andere ſie mit tieffer
Ehrerbietung fuͤr ihre Frau erkennet haͤtten.
Von ihrem Volcke erfuhr ich zwar: daß ſie eine
Cimbriſche Fuͤrſtin waͤre; ein mehrers aber aus-
zugruͤbeln verbot mir ihre eigene Maͤßigung:
daß ſie nicht/ wer ich waͤre/ zu fragen ſich erkuͤh-
nete. Wir hatten ſchon zehn Tage geſegelt/
und waren biß an die Gaditaniſche Meer-En-
ge gediegen; allwo wir einem Roͤmiſchen Ge-
ſandten zu Liebe/ der auf dieſem Schiffe mit
zum Cimbriſchen Koͤnige Frothe reiſete/ anlen-
den muſten; wormit dieſer dem Hercules auff
ſeiner Seule oder dem Berge Calpe opffern
konte. Die Gebieterin des Schiffes und ich
ſtiegen gleichfalls ans Land/ um uns durch die
Land-Lufft zu erfriſchen/ und die von denen
Tyriern gebaute uhralte Stadt Gades zu be-
ſchauen. Wir kamen alldar in den Tempel des
Hercules/ und wormit wir den heiligen Bruñ/
welcher bey dem durch die Fluth wachſenden
Meere ab bey der Eppe aber zunimmt/ ſo viel
beſſer betrachten moͤchten/ hielten wir uns da-
ſelbſt zwey Tage auf. Wie wir nun zuſammen
dieſe wunderſame Abwechſelung betrachteten/
konte ich mich/ ich weiß nicht/ aus was fuͤr einer
verborgenen Regung/ nicht enthalten/ in dieſe
Worte auszubrechen: Wer wolte nicht gegen
GOtt durch inbruͤnſtige Andacht entzuͤndet
werden/ nach dem er mit einer ſolchen Ubermaß
ſeine Guͤte/ als den Anfang ſeiner Liebe/ und
einen
[1328[1330]]Neuntes Buch
einen thaͤtigen Geiſt/ der die gantze Welt beſee-
let/ in die Sternen/ aus dieſen in die Erde/ von
dar in die Thiere und Pflantzen/ ja in Baͤche
und Brunnen ausgeuſt/ und derogeſtalt Got-
tes vaͤterliche Vorſorge von dem Menſchen biß
zum Kefer/ von der Sonne biß zu Quendel ſich
erſtreckt? Dieſe hat nicht minder auf die Tropf-
fen des Thaues/ und den Uhrſprung der Brun-
nen/ als auf die unbegreifliche Bewegung des
Meeres acht. Die Hand/ welche entweder
die Sonnen- oder die gantze Erd-Kugel alle Ta-
ge ſo ſchnell herum treibet/ oder umwendet; iſt
eben ſo wol um den Schaum der See/ und die
Adern der Quelle bekuͤmmert. Das Auge/ wel-
ches weiter als alle Lichter des Himmels ſiehet;
zehlet und unterſcheidet die Federn des Gefluͤ-
gels: daß keine der andern gleiche iſt; ja es be-
obachtet und geſtaltet die Borſten der Schwei-
ne und Jgel alſo: daß kein Geſchoͤpffe ſo klein/
kein Ding ſo geringe iſt; welches nicht ein Roͤhr
abgebe den Strom der Goͤttlichen Liebe allent-
halben einzufloͤſſen; und den Reichthum ſeiner
Guͤte auszuleeren. Die Cimbriſche Fuͤrſtin
ſchoͤpffte uͤber dieſen unvollkommenen Gedan-
cken eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie mich noch
auf der Schwelle des Tempels (weil darinnen
alle Neigungen GOtt abgeſtolen werden/ die
man auſſer ihm iemanden anders zueignet)
umarmte/ mit dem Nahmen ihrer Schweſter
beehrte/ und an das Ufer des Meeres fuͤhrende
alle Heimligkeiten ihres Hertzens derogeſtalt
ausſchuͤttete: Es waͤre Unvernunfft entweder
denſelben Zuſtand wiſſen wollen; die durch ihre
uͤberirrdiſche Weißheit alles diß/ was ich durch
ſo vieler Jahre Fleiß kaum gelernet/ uͤberſtiege;
oder derſelben mich zu entdecken anſtehen; die
ſo tieff in die Geheimnuͤſſe Gottes und der Na-
tur ſiehet. Dieſemnach wiſſe ſie/ wer ſie auch
iſt: daß ich Tirchanis des Cimbriſchen Koͤnigs
Friedlevs Tochter/ des beruͤhmten Bojorichs
Enckelin ſey. Meines Vateꝛs Siege wiedeꝛ die
meiſten Nord-Voͤlcker ſind der Welt ſo bekant:
daß ſie keiner Erzehlung bedoͤrffen/ und was
ich/ nach dem mein Vater mir zum Erbtheile
zwey Koͤnigreiche zugeeignet/ fuͤr Heldenthaten
ausgeuͤbet/ werden alle die ruͤhmen muͤſſen/ wel-
che die Unterdruͤckung der Voͤlcker/ die Auff-
opfferung vieler tauſend Feinde fuͤr Tugend/
das weibliche Geſchlechte aber der Hertzhafftig-
keit und der Herꝛſchens Kunſt faͤhig achten. Die
Reichs-Staͤnde ſchoͤpften uͤber meinen Siegen
eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie meinten den
Grund-Stein ihres Wolſtandes zu verruͤcken;
wenn die Herꝛſchafft auf andere Schultern nach
mir verfallen ſolte; als welche aus meinen Huͤf-
ten kommen waͤren. Dieſe Einbildung verlei-
tete ſie ſo weit: daß ſie mir ihrer Gebieterin ein
Geſetze der Eh aufzudringen vermeinten. Alſo
gebieret auch das Gute zuweilen etwas arges/
wie die Sonne gifftige Wuͤrmer und Kraͤuter.
Nach dem nun die/ welche einmahl aus den
Schrancken des Gehorſams geſchritten/ kei-
nen Zaum mehr leiden/ ſondern ihr Verbre-
chen durch ein groͤſſeres zu verkleinern vermei-
nen; ſo ſchritten meine Unterthanen nunmehr
ſo weit: daß ſie mir ſo gar/ wem ich mich ver-
maͤhlen ſolte/ fuͤrſchrieben. Dieſer war zwar
ein Fuͤrſt von hoher Ankunfft/ und aus dem A-
lemanniſchen Stamme/ auch ein Held von groſ-
ſer Tapfferkeit und ungemeiner Hoffnung. A-
ber/ weil mich der Himmel entweder zur Ein-
ſamkeit beſtimmet hatte; oder der Zwang ein
abgeſagter Feind der Liebe iſt; gewann ich nicht
allein wieder dieſen einen ungemeinen Haß/
ſondern auch fuͤr dem Heyrathen eine gaͤntzliche
Abſcheu. Ja ich zohe mir an ſtatt: daß ich die
Rathſchlaͤge dieſes vielkoͤpfichten Thieres leicht
zu verwirren/ und den Sturm des unſinnigen
Volckes durch leichte Mittel/ wie das ſchaͤu-
mende Meer durch einen linden Regen zu be-
ſaͤnfften vermocht haͤtte/ die Kuͤhnheit des Vol-
ckes als eine meiner Hoheit zu wachſende Ver-
kleinerung ſo tieff zu Hertzen: daß ich ſelbſt mei-
ner Herrſchafft und Wuͤrde gram ward. Denn
weil
[1329[1331]]Arminius und Thußnelda.
weil das Anſehen die Seele des Gebietens/ ein
veraͤchtlicher Herrſcher aber mehr eine todte
Leiche/ als ein Fuͤrſt iſt; meinte ich wegen die-
ſer Zumuthungen meinem Reiche ſchon abge-
ſtorben/ und denen Unterthanen vorzuſtehen
allzu ohnmaͤchtig zu ſeyn. Daher ich/ unge-
achtet alles Einredens/ und vieler hieruͤber ver-
goſſener Thraͤnen/ den feſten Schluß machte
Thron und Zepter abzutreten/ und die Ein-
ſamkeit der Alironiſchen Frauen zu erkieſen.
Viel weiſe Leute haben die Ausſchlagung ei-
ner angetragenen Koͤnigs-Wuͤrde fuͤr eine faſt
unuͤberwindliche Anfechtung/ und die ſolcher
Enteuſſerung maͤchtig waͤren/ fuͤr Rieſen von
einem groſſen Hertzen/ und einem geſunden
Kopffe gehalten; welche ohne Verblendung
der Vernunfft/ und ohne Verwirrung des Ge-
muͤthes einen ſolchen empfindlichen Dampff uͤ-
berhin gehen lieſſen. Aber dieſe Verſuchung
reichet der nicht das Waſſer; welche bey ange-
ziel[t]er Vonſichſtoſſung der hoͤchſten Wuͤrde/
nach welcher ſonſt alle Seelen ſeuffzen/ ein ed-
les Gemuͤthe anficht. Jch aber kan ſonder ei-
telen Ruhm wol ſagen: daß ich meinen Koͤnigs-
Krantz mit weniger Gemuͤths-Veraͤnderung/
als einen Puͤſchel verwelckter Roſen von mir
geworffen/ und die Meinigen/ denen es zweif-
fels-frey mehr um ihre/ als meine Erniedri-
gung leid war/ geſcholten habe; wie ſie den
Grund und den ſeichten Schein meiner Ent-
ſchluͤſſung nicht zu unterſcheiden wuͤſten; und
fuͤr rathſamer hielten an geſchmacken Speiſen
ſich zu tode/ als durch eckelhaffte Rhabarber ge-
ſund eſſen. Wiewol ich nun die herrlichſte Ge-
legenheit hatte in meinem verlaſſenen Reiche
dem Alironiſchen Gottesdienſte beyzupflichten;
traute ich mir doch nicht zu den Glantz der ver-
lohrnen Hoheit ohne Aergernuͤs taͤglich fuͤr Au-
gen zu haben; ſondern entſchloß mich zu denen
in dem Belgiſchen Gallien an dem Fluße Sa-
bis und der Maaß eingeſeſſenen Cimbern/ oder
nunmehr ſo genennten Aduatichern zu bege-
ben. Daſelbſt ward ich zwar von meinen al-
ten Lands Leuten freundlich angenommen/ und
hoͤflich unterhalten; ich ſelbſt aber weiß nicht ei-
gentlich zu ſagen/ durch was fuͤr einen Zug ich
mich in die Entfernung von meinem ſonſt ſo
geliebten Vaterlande noch immer mehr verlieb-
te. Gleichwol aber halff hierzu der Aduati-
ſchen Wahrſagerinnen ſelbſteigene Anleitung;
welche nicht nur mir am heilſamſten/ ſondern ih-
nen ins geſamt am ruͤhmlichſten zu ſeyn ver-
meinten/ wenn ich mich zu Rom/ als in dem
Geſichte der gantzen Welt in ihre Einſamkeit
einſperrete; gleich als wenn der Gottesfurcht
noch eiteles Gepraͤnge anſtaͤndig; und derſel-
ben/ welche fuͤr Purper einen leinenen Kittel zu
erkieſen beſtim̃t haͤtte/ das vorwitzige Auffſehen
des unvernuͤnfftigen Poͤfels etwas dienlich waͤ-
re. Nichts deſto weniger waren dieſe kluge
Frauen bey mir in ſo groſſem Anſehen: daß ich
alle ihre Worte fuͤr Goͤttliche Offenbahrungen/
und ihren Rath fuͤr uͤberirrdiſche Leitung an-
nahm. Jch kam alſo nach Rom/ und zwar zu
der Zeit/ wenn die Sonne in Wider tritt/ und
da die Veſtaliſchen Jungfrauen das ewige Feu-
er aus denen in einem Waſſer-Becken zuſam-
men ſchuͤſſenden Sonnen-Strahlen anzuzuͤn-
den pflegen. Unter denen Veſtaliſchen Prie-
ſterinnen war die andere in der Wuͤrde die Cim-
briſche; welche uͤber die Alironiſche Jungfrauen
die Aufſicht hat/ und fuͤr alle Auslaͤnder die An-
dacht verrichtet. Dieſe waren vom Marius zu
dem Veſtaliſchen Heiligthume gelaſſen woꝛden.
Denn ob wol nach ſeiner den Cimbern verſetzten
Niederlage ihr Frauenzimmer; weil ihm in
das Veſtaliſche Heiligthum ſich einzuſchluͤſſen
verweigert ward; nach einer hertzhafften und
verzweiffelten Gegenwehr ſich/ aus Beyſor-
ge verunehret zu werden/ faſt alle eigenhaͤn-
dig toͤdteten; hatte doch Marius bey Durch-
brechung der Cimbriſchen Wagenburg das
Gluͤcke die wunderſchoͤne Tochter des Koͤ-
nigs Bojorichs Hiarnen/ welche ſo ſehr von
Erſter Theil. F f f f f f f fdenen
[1330[1332]]Neuntes Buch
denen Roͤmern in denen Armen verwundet
war: daß ſie ihren Vorſatz ſich zu toͤdten nicht
ausuͤben konte/ nebſt etwan noch dreyßig andern
Cimbriſchen Frauen-Zimmern gefangen zu
bekommen. Von dieſen wurden zwoͤlff Jung-
frauen durchs Looß erkieſet um des Marius ge-
opfferter Tochter Calphurnia zu Ehren le-
bendig verbrennt zu werden. Weil nun dieſes
die ſterbens-wuͤrdige Hiarne nicht traff/ ſtach ſie
einer unter den zwoͤlffen unverſehens das Meſ-
ſer in die Bruſt/ um ſtatt ihrer das Gluͤcke der
Verbrennung zu genuͤſſen. Aber als der ſie
uͤber dieſer That rechtfertigende Marius zu
Geſichte bekam/ ward ſein Hertze gegen ſie feu-
riger/ als der von ihm angezuͤndete Holtzſtoß.
Ob ſie nun zwar um verbrennet zu werden/ dem
Marius tauſend Thraͤnen opfferte/ ja ſich nach
Erkieſung einer andern Jungfrau mit Gewalt
in die Flammen ſtuͤrtzen wolte/ ließ es doch Ma-
rius verwehren/ ſie ſorgfaͤltig verwahren/ und
auf ſein an dem Miſeniſchen Strande haben-
des ſchoͤne Vorwerg fuͤhren. So bald nun
Marius zu Rom ſein Siegs-Gepraͤnge gehal-
ten/ und den Nahmen des dritten Roͤmiſchen
Uhrhebers bekommen/ ja die Ehre: daß ihm
das Roͤmiſche Volck eben ſo/ wie den Goͤttern
opfferte/ erworben hatte/ kam er auf ſein Vor-
werg ſeiner hefftigen Liebes-Flamme ein Ver-
gnuͤgen zu ſchaffen. Er eroͤffnete ſeine Zunei-
gung Hiarnen; welche aber/ nach dem Marius
an Julien ſchon eine Eh-Frau hatte/ und ſie
ſelbſt eine Braut eines Cimbriſchen Fuͤrſten
war; ja wie ſie vorher in Gallien in den feuri-
gen Holtzſtoß/ alſo ſich nunmehr in das benach-
barte Meer zu ſtuͤrtzen muͤhte/ nach dem Ma-
rius durch ihre Seuffzer und Thraͤnen ſeine
Liebe nicht ausleſchen laſſen wolte. Alleine
nach Hiarnens ſo verzweiffelter Entſchluͤſſung
entbrennte des Marius Seele nur noch immer
hefftiger gegen ſie. Denn es iſt kein kraͤfftiger
Zunder der Liebe/ als der Schnee der Keuſch-
heit in der/ die man liebet. Aber an der tugend-
hafften Hiarne richteten alle ſeine Lock- und
Draͤuungen eben ſo wenig/ als das ſich auff-
ſchwellende Meer an dem weichen Ufer San-
de aus. Wiewol er endlich was grauſamers
entſchloſſen haͤtte/ wenn nicht des Marius be-
ruͤhmte Wahrſagerin Martha dahin kommen
waͤre/ und dem Marius angedeutet haͤtte: daß/
im Fall er Hiarnen und die andern Cimbri-
ſchen Frauenzimmer zu Rom in den Tempel
der Veſta liefferte/ wuͤrde er aus Goͤttlichem
Verhaͤngnuͤſſe durch einen Cimber ſein ſonſt
unfehlbar verſpieltes Leben erhalten; wiedrigen
Falls aber ſich in fruͤhzeitigen Tod und grau-
ſamſtes Ungluͤck ſtuͤrtzen. Wordurch er denn
bewogen ward/ ſie alle ſaͤmtlich in dem Veſta-
liſchen Heiligthume mit auskommentlichen
Stifftungen/ und Erbauung eines abſonderen
Altares/ darauf ſie ihr ewiges Feuer gleichſam
zur Nachartung der unausleſchlichen Geſtir-
ne unterhielten/ zu verſehen. Wie ſie nun von
denen Veſtaliſchen Jungfrauen wegen ihrer
ſo theuer bewehrten Keuſchheit fuͤr Schweſtern
billich aufgenommen wurden; alſo erwarben ſie
hernach des Roͤmiſchen Volckes allgemeine
Gewogenheit/ nach dem ſie bey der ſieghafften
Ruͤckkunfft des verjagten/ und wieder den Adel
unmenſchlich-wuͤtenden Marius vielen Edlen
das Leben erbaten; als welcher der heiligen
Hiarne nichts abzuſchlagen getraute; nicht ſo
wol/ weil die Jungfrauen dieſes Heiligthums
die ſchon verdammten Miſſethaͤter/ denen ſie
bey ihrer Ausfuͤhrung ungefaͤhr begegnen/ vom
Tode erretten; Dahingegen die/ welche ihre
Senffte anruͤhren/ das Leben verwuͤrcken; als
weil der Martha Wahrſagung ihm ſo genau
eingetroffen; und der ihn zu ermorden geſchick-
te Cimber den Degen weggeworffen hatte. Ja
es brachten dieſe Jungfrauen durch ihre unge-
meine Tugenden ſo viel zu wege: daß hernach
fort fuͤr fort von denen Cimbern derogleichen
der Keuſchheit ſich wiedmendes Frauenzimmer
ausgebeten/ und zu Rom unterhalten ward.
Bey
[1331[1333]]Arminius und Thußnelda.
Bey ſo geſtalten Sachen ward ich/ fuhr die im
Nahmen der Fuͤrſtin Tirchanis redende Asbla-
ſte fort/ als eine Koͤnigin daſelbſt wie ein Wun-
derwerck angenommen. Auguſt ſelbſt zohe mir
entgegen/ verehrte mich als eine Halb-Goͤttin/
vergroͤſſerte mir zu Liebe die Einkommen der
Veſtaliſchen Jungfrauen/ verſetzte dieſen Got-
tesdienſt aus dem alten ſchlechten nach der Ge-
ſtalt der Erd-Kugel rundgebauten Tempel des
Numa/ in ſein eigenes darzu eingeweihetes
Hauß/ zierte es mit Marmel/ Gold und Edel-
geſteinen aus/ verſtattete ihnen/ wie vogtbaren
Haußmuͤttern im ſiebenden Jahre ihres Alters
ſchon einen letzten Willen zu machen/ eignete
ſelbten die Freyheiten zu/ welche die haben/ die
drey Kinder gebohren/ ja er gelobte unter ſei-
nen Baſen die erſte die beſte/ die das hierzu er-
forderte Alter erreichen wuͤrde/ in eben diß Hei-
ligthum zu wiedmen. Jch fand mich eine ziem-
liche Zeit darinnen uͤberaus vergnuͤgt/ und in ei-
ner erwuͤnſchten Gemuͤths-Ruh. Nach dem
aber meine Schweſtern mir die rechten Heim-
ligkeiten ihres Gottesdienſtes entdeckten; ward
ich gewahr: daß auch die Cimbriſchen Jung-
frauen von der Reinigkeit unſers Vaterlandes
weit abgewiechen/ und ihr Glaube mit denen
Griechiſchen Getichten/ mit denen Perſiſchen
und Roͤmiſchen Aberglauben vermiſcht war; in
dem ſie wieder unſere/ und ihre alte Gewonheit
ein Bild der Veſta/ welches in der lincken Hand
eine Fackel/ in der rechten eine Opffer-Schuͤſ-
ſel hielt/ und vor ſich eine Drommel ſtehen hat-
te/ auf das Altar geſetzt hatten; und ſolches nicht
etwan als ein Bild der Goͤttlichen Eigenſchaff-
ten/ ſondern als einen weſentlichen GOtt ver-
ehrten; ja aus iedem Geſchoͤpffe ſchier einen ab-
ſondern GOtt machten. Weil nun diß den
erſten Grund-Stein des Cimbriſchen Glau-
bens/ nehmlich die Einigkeit Gottes uͤber einen
Hauffen zu werffen ſchien/ und miꝛ uͤber diß ein-
fiel: daß die keuſchen Frauen/ welche ſchon ein-
mahl geheyrathet hatten/ wieder die Gewonheit
der Cimbern und Griechen zu Bedienung der
Veſta unfaͤhig ſeyn ſolten; hingegen ſie nach
dreyßig-jaͤhriger Bedienung der Veſta ſich des
geweiheten Lebens gar entbrechen moͤchten; uͤ-
brigens aber die heiligen Jungfrauen bey allzu
zartem/ und ihre Faͤhigkeit zu pruͤfen nicht faͤ-
higem Alter (in dem keine unter ſechs noch uͤber
zehen Jahr ihres Alters dazu kam) erkieſet/ und
nicht nur/ wenn ſie kranck wurden/ ſich aus dem
Heiligthume begeben/ ſondern auch/ auſſer ih-
rem Beſchluß/ mit beyderley Geſchlechte Ge-
meinſchafft haben/ ja denen Fechtern und
Schauſpielern zuſehen; die Maͤnner auch zwar
darinnen nicht uͤbernachten/ aber taͤglich aus-
und eingehen dorfften/ alſo ihre Keuſchheit und
Reinigkeit mehrmahls nicht wenig befleckt
ward/ und als ein unnuͤtzer Aberglaube uͤbrig
blieb: daß ſie nur ſchneeweiße Kleider tragen/
ſich alles Blumwercks und Balſams enteuſſern/
ihnen auch die Haare abſchneiden laſſen muſten.
Dieſemnach fieng ich an unſer Prieſterin uͤber
ein- und anderm meine Bedencken zu eroͤff-
nen/ und aus denen aͤlteſten Buͤchern meinen
Gegen-Satz zu behaupten. Welches eine Wei-
le zwar zwiſchen uns verborgen blieb; aber die
von meinen Meynungen ziemlich eingenom-
mene Prieſterin verſchnapteſich gegen der Roͤ-
miſchen Auffſeherin Occia; welche dieſes dem
Kayſer/ als zugleich oberſtem Prieſter nicht ver-
ſchweigen dorffte. Dieſes bewegte ihn: daß er
alsbald/ auſſer wenigen Sibylliniſchen Buͤ-
chern/ alle andere/ und zwar derer uͤber zwey-
tauſend zu aller unſer empfindlichem Leidweſen
oͤffentlich verbrennen/ jene aber noch darzu in
zwey guͤldene Schachteln verſchluͤſſen/ und in
den Fuß des Palatiniſchen Apollo verſtecken
ließ. Wiewol nun die Roͤmiſche Prieſterin
Occia dieſes darmit abzulehnen meinte: daß ein
kluger Fuͤrſt die Glaubens-Zwiſtigkeiten in der
erſten Bluͤte daͤmpffen muͤſte; weil hierinnen
die Neuigkeit nichts minder die Gemuͤther/ als
ein neuer Stern die Augen an ſich lockte/ aber
F f f f f f f f 2auch
[1332[1334]]Neuntes Buch
auch verblaͤndete; die denen Jungfrauen ent-
raͤumte Freyheit aber darmit entſchuldigte: daß
ein verborgenes Licht nicht beſſer als die Fin-
ſternuͤs; und die Tugend/ welche durch ihr Bey-
ſpiel bey andern keinen Nutzen ſchafft/ ein beſeſ-
ſener Schatz; nichts weniger die Enteuſſerung
der Laſter aus Mangel der Gelegenheit zu ſuͤn-
digen keine Tugend; diß aber die rechte Voll-
kommenheit waͤre; wenn man mitten unter de-
nen wolluͤſtigen Lockvoͤgeln ſeine Ohren zu ver-
ſtopffen; ja den Schwefel der Begierden/ wie
die mit gewiſſen Kraͤutern verwahrte Haͤnde
das gluͤende Eiſen ohne Beſchaͤdigung betaſten
koͤnte; ſo ſchien mir doch das erſtere eine Erfin-
dung der eyver ſuͤchtigen Staats-Klugheit/ und
eine vorſaͤtzliche Unterdruͤckung der Wahrheit
zu ſeyn/ welche keinem alten Jrrthume aus dem
Wege zu treten ſchuldig; die andere Meynung
aber war mir deßhalben verwerflich: daß die
Tugend in ihr ſelbſt ihren Preiß beſitze/ und
nicht von noͤthen habe offentlich zur Schaue
getragen zu werden/ um den unwuͤrdigen Zu-
ruff des Poͤfels zu erwerben. Und ob wol viel
ihre Schaͤtze fuͤr wenig achten/ wenn nicht auch
andere darum Wiſſen ſchafft tragen; ſo wird
doch noch weniger/ ja nichts daraus/ wenn man
ſich durch derſelben Feilbietung gar darum
bringt. Jnſonderheit da die Keuſchheit eine ſo
zarte Farbe/ welcher auch die Lufft ſchadet/ an
ſich hat/ und ein ſo reiner Spiegel iſt: daß er
von den bloſſen Augen derer/ die eine garſtige
Seele haben/ befleckt wird; alſo ſie ſich fuͤr der
Beſudelung eben ſo wenig huͤten kan/ als es un-
moͤglich iſt bey angeſteckter Lufft durch den A-
them kein Gifft an ſich ziehen. Welches denn
durch die traurige Erfahrung wiederlegt ward/
da in weniger Zeit drey Veſtaliſche Jungfrau-
en/ und zwar von Leuten/ die beym Auguſt hoͤchſt
am Brete warẽ/ geſchaͤndet wurden; zu einer all-
ſpaͤten Warnigung: daß es mehr zu als menſch-
lich ſey nicht ſuͤndigen/ wo man gar wol kan;
gleich wie es mehr als viehiſch iſt/ den Vorſatz
haben ſich zu vergehen/ wo gleich das Vermoͤ-
gen ermangelt. Dieſemnach es in alle Wege
rathſamer/ die beſor glichen Laſter zu verhuͤten/
als die begangenen zu ſtraffen. Denn jenes iſt
nicht nur eine Bewahrung der Tugend/ ſon-
dern auch eine Huͤlffe der Schwachbeit; dieſes
aber macht der Verbrechen nicht weniger; denn
auch eine geſtraffte Boßheit oͤffnet mehrmahls
denen Ungearteten die Augen zu liederlicher
Nachfolge; inſonderheit wenn das Laſter etwas
ungemein; oder die Gewalt des Ubelthaͤters
dem gemeinen Rechts-Zwange uͤberlegen iſt.
Zumahl viel ihnen einbilden: daß ihre Groͤſſe
in der Freyheit boßhafftig zu ſeyn beſtehe. Bey
ſolcher Beſchaffenheit kriegte ich/ ſagte Tircha-
nis/ ein Mißtrauen gegen die geſamte Veſtali-
ſche Verſamlung/ und einen Eckel fuͤr Rom/
zuletzt aber gar eine Abſcheu; als Livie uns in
die Serviliſchen Gaͤrte mit ſich nahm/ darin-
nen Tiberius dem Kayſer zu Ehren aller hand
uͤppige Spiele mit Fuͤrſtellung heßlich-gebilde-
ter Wald-Goͤtter und geiler Nymphen fuͤrſtel-
lete; ja Livia in dem Tempel der Veſta/ wenn
andere am andaͤchtigſten waren/ des Naſo geile
Liebes-Schrifften laß; und als ich einsmahls
ſolches wahrnehmende daruͤber einige Entſez-
zung mercken ließ/ nicht nur lachte/ ſondern noch
darzu folgenden heiligen Tag mir das von der
Elephantis gefertigte Schand-Buch zu leſen
gab; uͤber deſſen bey der erſtern Eroͤffnung mir
in die Augen fallenden Stellung ich ſo beſchaͤmt
und verbittert ward; daß ich es in das Veſtali-
ſche Feuer warff; und hierdurch nicht alleine
Liviens Gramſchafft auf mich lud/ ſondern alle
Veſtaliſche Jungfrauen wieder mich erregte/
als welche hierdurch ihr heiliges Feuer verun-
reiniget zu ſeyn vermeinten. Dieſe/ oder viel-
mehr die hinter ihnen ſteckende Livia/ brachte es
ſo weit: daß die ſonſt denen/ welche das Feuer
ausleſchen lieſſen/ ausgeſetzte Ruthen-Zuͤchti-
gung fuͤr mein Verbrechen fuͤr zu wenig erkeñt/
und ich aus dem Heiligthume gar verſtoſſen/ in
des
[1333[1335]]Arminius und Thußnelda.
des Mecenas Thurm/ wiewol mit hoͤflicher
Bedienung/ eingeſperret ward. Daſelbſt er-
kuͤhnete ſich Livia mich noch aͤrger zu verſuchen/
in dem ſie nach vorher durch andere geſchehenen
Aufmutzung meines Verbrechens/ und dar auf
geſetzter ſchimpflichen Straffe/ mir als eine
Thorheit auslegte: daß ich durch einſame Ein-
ſchluͤſſung meiner Jugend und Schoͤnheit der
Natur ſelbſt Gewalt angethan haͤtte; daher ſol-
che ſo uͤbelen Ausſchlag erlangete. Alſo waͤre
der beſte Rath durch die Liebe nichts minder die
Natur/ als den Kayſer zu ver gnuͤgen; mich aber
von der Schuld und dem Gefaͤngnuͤße ledig
zu machen; ja von mehrer Schmach und Pein
zu befreyen; nach dem die ſtrengen Geſaͤtze mei-
nem Verbrechen die Vergrabung in eine Hoͤle/
darinnen ich bey wenigem Brodte/ Oele und
Lichte verſchmachten muͤſte/ ausſetzten. Jch
erſtarrte uͤber dieſer unverſchaͤmten Kuplerin/
in welcher die Ehrſucht nicht nur alle Funcken
der Tugend/ ſondern auch den Brand der Ey-
verſucht aus geleſcht hatte; gab ihr aber eine ſol-
che Antwort: daß ſie zum andern mahl mir de-
rogleichen Vortrag zu thun ſich nicht erkuͤhn-
te; ſondern vielmehr glaubte: es wuͤrde ihr
leichter fallen dem Veſtaliſchen Feuer die Krafft
des Breñens zu benehmẽ/ als mein Hertze durch
ſchandbare Geilheit anzuſtecken. Livia/ welche
aus Aufputzung der Laſter gleichſam ein Hand-
werck machte/ und/ wie man nach der Kunſt uͤp-
pig ſeyn ſolte/ gewiſſe Richtſchnuren an die
Hand gab/ wagte ſich nach der Zeit gar nicht
mich ferner anzufechten; aber ich erlangte
gleich wol nicht meine Freyheit. Jnzwiſchen
erfuhr mein Bruder Koͤnig Frotho den Noth-
ſtand meines Gefaͤngnuͤßes; ſchickte alſo an
Auguſten eine anſehnliche Botſchafft/ welche
meine Befreyung in der Guͤte abhandeln/ oder
mit Andraͤuung der Cimbriſchen Waffen/ fuͤr
welchen Rom wol ehe ſich erſchuͤttert haͤtte/ zu
wege bringen ſolte. Auguſt/ welcher wol ver-
ſtand/ was die Cimbriſche Macht/ wenn ſelbte
denen Cheruskern/ Catten und Chautzen bey-
fiele/ denen Roͤmern fuͤr Abbruch thun koͤnte;
haͤtte gerne mich der Hafft/ ſich aber eines neu-
en Feindes erlediget; all eine die Geiſtligkeit/
welche ohne ihre abſondere Vergnuͤgung die
Tirchanis nicht wolten unangefertigt laſſen/
und welcher Auguſt ſich ſo gerade entgegen zu
ſetzen Bedencken trug/ machte meine Loßge-
bung uͤberaus ſchwer. Zuletzt ſchlug der Kay-
fer zu einem Loͤſegelde den verguͤldeten Tiegel
fuͤr; welchen die Cimbern aus denen zuſammen
geſchmeltzten Roͤmiſchen Waffen/ als von ihnen
der Buͤrgermeiſter Caͤpio und Manlius auffs
Haupt erlegt worden/ gegoſſen/ und als ein
ewiges Merckmahl des Sieges nach Hauſe ge-
ſchickt hatten/ an ſich ſelbſt aber ein Keſſel war/
welcher uͤber zwantzig Eymer hielt. Alleine
mein Bruder weigerte ſich beſtaͤndig dieſes herꝛ-
liche Merckmahl der Cimbriſchen Tapfferkeit
ausfolgen zu laſſen; ſonderlich/ weil die Cim-
briſchen Prieſter der abgeſchlachteten Gefan-
genen Blut darein aufzufangen pflegten/ und
alſo dieſen Tiegel nicht allein als ein bereits
Gott gewiedmetes Gefaͤſſe fuͤr unenteuſſerlich/
ſondern auch ſo gar fuͤr ein Schutz-Bild des
Cimbriſchen Reiches/ und fuͤr ſo heilig wie den
groſſen Scythiſchen Keſſel von ſechshundert
Eymern hielten/ den ihr Koͤnig Arimantes aus
ſo viel Pfeilen/ als ihm Kriegs-Leute folgten/
zuſammen geſchmeltzt/ und am Fluſſe Hippa-
nis zum Goͤttlichen Beſchirmungs - Zeichen
eingeweihet hatte. Worbey ſie denn ſcheinbar
anfuͤhrten: daß Auguſt durch diß Anmuthen
nicht ſo wol der Roͤmer Schande abzuwiſchen/
als die Cimbern der Goͤttlichen Beſchirmung
zu berauben anzielten. Sintemahl die Roͤ-
mer auff ſolche Schutz - Bilder ſo gar biß zum
Aberglauben groſſe Thuͤrme bauten. Da-
hero ſie auch von dem in dem innerſten
Heiligthume der Veſta verwahrten Pallas-
Bilde/ welches in der rechten Hand einen
Spieß/ in der andern einen Rocken hatte/ vom
F f f f f f f f 3Him-
[1334[1336]]Neuntes Buch
Himmel gefallen ſeyn/ und das Dardanus nach
Troja/ Eneas aber in Jtalien gebracht haben
ſoll/ glaubten: daß ſolches von niemanden/ auſ-
ſer denen Veſtaliſchen Jungfrauen/ ohne Be-
ſchaͤdigung geſehen werden koͤnte/ und deßhal-
ben in einem Faſſe verdeckt gehalten wuͤrde.
Sintemahl der oberſte Prieſter Metellus/ als
er ſelbtes aus dem Brande gerettet haͤtte/ nicht
ſo wol von der ihn verſehrenden Flamme/ als
dem Anſehen dieſes Schirm-Bildes ſein Ge-
ſichte verlohren; und wegen ſeiner geheimen
Krafft das Roͤmiſche Reich/ ſo lange es zu Rom
behalten blieben/ keines Untergangs ſich zu be-
ſorgen haͤtte. Bey ſolcher Beſchaffenheit wuͤrde
er bey Entfremdung dieſes Siegels nicht ver-
antwortlicher thun/ als die geile Scylla/ die ih-
rem Vater ſein geweihtes Haar/ mit welchem
ſein Reich zugleich unverſehrlich bleiben ſolte/
abſchnitt/ und ſeinem Feinde einliefferte/ um
nur ſeine Hold zu erwerben. Die Prieſterin
Alironia aber war ſo aufrichtig: daß ſie meinem
Bruder den von ſolchem Schutz-Tiegel einge-
bildeten Aberglauben ausredete/ und behaupte-
te: es waͤren alles diß/ was von derogleichen
Schirmbildern geglaubt wuͤr de/ bloſſe Getich-
te/ und Larven/ darmit man den alberen Poͤfel
blendete. Denn wer koͤnte glauben: daß die
unaufhaltbare Gewalt des Verhaͤngnuͤßes ſich
an einen Stein/ oder Stuͤcke Ertzt/ das der
Bildhauer nach ſeiner Willkuͤhr ausgeetzt hat/
und der Gewalt des Feuers/ der Verzehrung
der Lufft/ der Abnuͤtzung des Waſſers unter-
worffen iſt/ angebunden/ und ſich gleichſam zu
einem Sclaven/ welcher ein Klotz an dem Fuße
geſchlept/ gemacht haben ſolte. Da aber auch
dieſem Bilde eine ſolche geheime Krafft einge-
pflantzt waͤre; wuͤrden die Roͤmer ſolches eben
ſo wol den Cimbern/ als Diomedes das Pallas-
Bild dem Eneas wieder zu geben/ durch das
Verhaͤngnuͤs gezwungen werden. Denn deſſen
Lauff waͤre ſo wenig durch irrdiſche Zufaͤlle; als
der Geſtirne durch thoͤrichte Beſchwerungen;
wie ihnen die wahnſinnigen zuweilen traͤumen
lieſſen/ aufzuhalten. Wiewol nun einige rie-
then: daß Koͤnig Frotho nach dem ſelbſteigenen
Beyſpiele der Roͤmer/ welche nach dem Schil-
de (der zu des Koͤnigs Numa Zeiten vom Him-
mel gefallen ſeyn ſolte) viel andere machen lieſ-
ſen/ einen andern nachgegoſſenen Tiegel nach
Rom ſchicken moͤchte/ ſo weigerte er doch die-
ſen Einſchlag beſtaͤndig/ meldende: daß einem
Fuͤrſten ſo wenig der Betrug/ als der Sonne
eine Larve anſtaͤndig waͤre. Wormit er aber
durch diß koſtbare Loͤſegeld fuͤr mich ſeine gelieb-
te Schweſter nicht etwas von dem Cimbriſchen
Anſehen vergeben moͤchte/ brachte er es durch
Unter handlung ſo weit: daß der Kayſer hinge-
gen den vom Marius wegen uͤberwundener
Cimbern aufgerichteten Siegs-Bogen einreiſ-
ſen/ die aufgehenckten Waffen dem Frotho zu-
ruͤck geben; und aus denen Marmelſteinen ei-
ne Bruͤcke uͤber den Fluß Nar bauen ließ. Auf
dieſe Art bin ich dem Roͤmiſchen Gefaͤngnuͤſſe
entkommen; und nehme nun auf dieſem Schif-
fe meinen Ruͤckweg in mein geliebtes Vater-
land; mit der unveraͤnderlichen Entſchluͤſſung:
daß ich daſelbſt mich auf mein Lebetage zu dem
Alironiſchen Frauenzimmer einſperren wolle.
Dieſe treuhertzige Erzehlung der Tircha-
nis/ ſagte Asblaſte/ vergnuͤgte mich nicht allein
uͤber die maſſen/ ſondern ſie erweckte in mir
nichts minder eine ſonderbare Ehrerbietung/
als eine hertzliche Zuneigung zu einer ſo tugend-
hafften Fuͤrſtin; alſo: daß ich fuͤr ihr das minſte
meiner Begebnuͤſſe zu verbergen fuͤr ein un-
verant wortliches Mißtrauen hielt/ und hier-
durch ihre voll kommene Gewogenheit er warb.
Wiewol wir nun auf dieſer Reiſe/ wegen des
mehrmahls wiedrigen Windes/ der uns zu Ga-
des drey Wochen aufhielt/ und wegen oͤffteren
Sturmes/ der uns ſo gar auf das Eyland Thu-
le trieb/ auf dem unſer Schiff verfror/ acht
Monat zubrachten; verkuͤrtzte mir doch der
Koͤnigin Tirchanis Anmuth die Zeit/ und ver-
ſuͤſſete
[1335[1337]]Arminius und Thußnelda.
ſuͤſſete mir alle Verdruͤßligkeiten. Endlich
kamen wir an dem Cimbriſchen Vorgebuͤrge
an/ und wurden vom Koͤnige Frotho/ nebſt dem
Roͤmiſchen Geſandten Lucius Arnutius/ wel-
cher vom Kayſer koſtbare Geſchencke uͤberbrach-
te/ um ſelbten von denen andern Deutſchen ab-
zuziehen/ auffs freundlichſte angenommen; mir
auch/ als er mein en Stand vernahm/ alle Fuͤrſt-
liche Bedienung verſchaffet. Sintemahl das
Cheruskiſche und Cimbriſche Hauß vielfaͤltig
durch Heyrathen und andere Buͤndnuͤße an
einander verknuͤpfft war. Wiewol ich nun nach
meinem Segimer hertzlich ſeuffzete/ wolte mich
doch Koͤnig Frotho nicht von ſich laſſen; in dem
es dazumahl in Deutſchland/ beſonders in dem
Chauziſchen und Cheruskiſchen Gebiete bund
uͤber Ecke gieng. Gleichwol ließ er den Feld-
Herrn Segimern durch den Ritter Buch wald
wiſſen: daß ich bey ihm mit ſeiner Schweſter
gluͤcklich ankommen waͤre. Dieſer mein Eh-
Herr druͤckte in einem Schreiben ſeine uͤber-
maͤßige Freude uͤber meine Erloͤſung und ſeine
Begierde mich zu ſehen auffs beweglichſte aus;
iedoch wiederrieth er ſelbſt meine Anheimkunft.
Nach dem ich nun drey Monat nach unſerer
Umarmung geſeuffzet hatte/ kriegte ich die trau-
rige Nachricht: daß Segimer durch Roͤmiſches
Gifft ſein Leben; Deutſchland aber an ihm
den Beſchirmer ſeiner Freyheit eingebuͤſt haͤtte.
Dieſes war ein ſolcher Donnerſchlag in meiner
Seele; welcher mein gantzes Weſen einzuaͤ-
ſchern vermocht haͤtte/ wenn ich nicht von dem
Ungluͤcke geraume Zeit waͤre abgehaͤrtet/ und
von der Tirchanis/ welche ſich nun in das Ali-
roniſche Heiligthum eingeſchloſſen hatte/ zu
großmuͤthiger Gedult aufgemuntert worden.
Denn ob zwar einige in dem Wahn ſtecken:
daß wie die Biene an niedrigem Roſen-Gepuͤ-
ſche und an denen ſich zur Erde buͤckenden Blu-
men erquickte/ aus dieſen ihre Seele/ und den
reinen Geiſt des Geſtirnes/ nehmlich den ſuͤſ-
ſen Thau ſaugte/ und die Spitzen der Cedern
den Adlern und andern Raub - Voͤgeln ein-
raͤumte; alſo die Liebe vollkommener in den
Schaͤfer-Huͤtten/ als in Koͤniglichen Schloͤſ-
ſern befindlich/ und die Hoheit der Fuͤrſten fuͤr
ſie all zu aufgeblaſen waͤre; So weiß ich doch ge-
wiß: daß die Vereinbarung des Hertzens mit
des Segimers/ als worinnen alleine das ei-
gentliche Weſen und die Suͤßigkeit der Liebe
beſtehet; ein ſo feſtes Verbindnuͤs/ als iemahls
ein menſchliches Hertze zu beſchluͤſſen faͤhig iſt/
geweſen ſey; und daß der Tod dieſe Kette in mir
zu zergliedern niemahls vermocht habe; in dem
ich/ wenn es moͤglich waͤre/ ſeine Seele eben ſo
in einen andern Leib zu guͤſſen/ als ſich das Bild
eines geliebten Leibes in die Taffel unſers Ge-
muͤthes eingepreget/ auch noch die erblaſte Lei-
che meines Segimers zu beſeelen/ und mich in
ſein Grab zu verſcharren begierig waͤre. Wie
ich denn auch keine Urſache finde/ oder begreif-
fen kan; warum dieſe maͤchtige Gemuͤths-Re-
gung/ welche aller Groͤſſe der Welt uͤberlegen
iſt/ ſich nicht auch des Gluͤcks bemeiſtern/ und
die Hertzen der Herrſchenden vollkommentlich
zu beſitzen maͤchtig ſeyn ſolte? Dieſer meiner
Betruͤbnuͤs folgte auf dem Fuße ein den Koͤnig
Frotho auffs euſſerſte beſtuͤrtzender Zufall; in
dem ſeine Gemahlin/ welcher Koͤniglichen Uhr-
ſprung ich billich verſchweige/ mit einem der
fuͤrnehmſten Cimbriſchen Fuͤrſten im Ehbruche
begrieffen ward. Je ungemeiner nun dieſes
Laſter bey den Deutſchen iſt/ und ie mehr Fro-
tho ſie geliebt hatte; ie hefftiger war ſeine Ver-
bitterung; als welche in einem Augenblicke die
Geiſter ſeiner ſo heiſſen Liebe erſteckte. Denn
die Rache der Beleidigten hat eine viel hefftigere
Regung/ als die Liebe; nach dem das Gebluͤte
in den Puls-Adern viel thaͤtiger/ als in andern
iſt. Daher er ſie den Richtern/ ſie nach der
Schaͤrffe ihres Rechtes anzuſehen uͤbergab;
welche ſie auch beyde verdammten; den Fuͤrſten
zwar: daß ein Stein ihm an Hals gehenckt/ und
er ins Meer geſtuͤrtzt; der Koͤnigin aber die
Haare
[1336[1338]]Neuntes Buch
Haare abgeſchnitten/ und aus dem Lande ge-
peitſcht werden ſolte. Der Tag war ſchon zu
Ausuͤbung des Urthels beſtimmt/ als ein Fen-
niſches Weib fuͤr dem Richter-Stule erſchien;
und daß dieſe zwey Unſchuldigen nicht mit ſo
grauſamer Straffe belegt werden moͤchte/ fuß-
faͤllig anhielt. Die Richter fragten: aus was
fuͤr Grunde ein Ehbruch vertheidigt/ und die/
welche ihr Laſter ſelbſt zugeſtuͤnden/ fuͤr unſchul-
dig erkennt werden moͤchten? Jn alle Wege
antwortete dieſe Feñin/ wo nicht der willkuͤhr-
liche Vorſatz/ ſondern ein unvermeidlicher
Nothzwang der Uhrheber des Verbrechens
waͤre. Denn die Noth gaͤbe das grauſamſte
Geſetze unter allen ab/ und zuͤge nach ſich eine
Botmaͤßigkeit; welche alle andere Geſetze zer-
malmete/ und alle Gerechtigkeit in Unrecht ver-
kehrte. Die Richter forſchten ferner von ihr:
Was fuͤr eine Noth denen Ehbrechern ihre
Miſſethat auf gehalſet haͤtte? Dieſe meine Zau-
ber-Gaͤrthe/ antwortete ſie; welche nicht nur die
Hertzen/ ſondern den Schnee und das Eyß der
euſſerſten Nord Spitze entzuͤnden kan. Die
Richter erſchracken fuͤr ſo frechem Bekaͤntnuͤſſe;
und wuſten nicht: Ob ſie diß Weib fuͤr wahn-
ſinnig; oder ihre Rede fuͤr wahrhafft halten ſol-
ten; fragten aber: wie ſie ihre Zauberey bewerck-
ſtelligt; und was ſie hierzu bewegt haͤtte? Sie zo-
he hierauf zwey Wachsbilder heraus; derer das
eine der Koͤnigin; das andere dem Cimbriſchen
Fuͤrſten gantz gleich ſahe. Dieſe/ ſagte ſie/ habe
ich durch gewiſſe Kraͤuter und meine Kunſt de-
rogeſtalt zubereitet: daß wenn ich ſelbte mit mei-
nem Schwefel uͤberziehe/ ſelbte brennend ma-
che/ und gewiſſe Segen darzu ſpreche/ alle Ein-
fluͤſſe der Geſtirne/ alle Regungen der Keuſch-
heit viel zu ohnmaͤchtig ſind die von mir in ih-
ren Seelen entzuͤndete Brunſt/ welche mit ih-
rem auffſteigenden Rauche alle Vernunfft zu
Bodem ſchlaͤgt/ zu daͤmpffen. Dieſe meine
Hand wuͤrcket auch in den Haͤuptern der Wei-
ſen: daß ſie das heßlichſte Laſter fuͤr einen Aus-
bund der Tugend annehmen; ſie erleuchtet mit
der Finſternuͤs des Abgrunds die Unzucht: daß
ſie wie der des Nachts leuchtende Wurm fuͤr
ein himmliſches Licht angeſehen wird. Maſſen
dieſe Zauberin denn auch alſofort ſolches be-
werckſtelligte/ und zu wege brachte: daß die auf
der Seite ſtehende Verdammten/ welche vor-
her gantz auſſer ſich/ und als todte Marmel-
Bilder unbewegt geſtanden/ auf einander wie
ein Blitz zurennten/ und einander umhalſeten.
Die Richter alle erzitterten uͤber dieſer Zaube-
rey; ſie aber fuhr fort und ſagte: Wiſſet aber
auch die Urſache dieſes meines Beginnens; und
daß dieſe Liebes-Flamme aus dem feurigen Ra-
chen der Rache angezuͤndet worden ſey. Denn
nach dem Frotho in dem Kriege wieder die
Slaven meinen Braͤutigam den Fuͤrſten des
Eylandes Latris gefangen bekommen/ ſelbten
aber toͤdten laſſen/ und mich alſo meiner Liebe
beraubet/ habe ich durch keine andere Vergel-
tung mich zu ſaͤttigen gewuͤſt/ als daß ich ihm
ſeine tugendhaffte Gemahlin/ als den Zweck
ſeiner einigen Vergnuͤgung/ hinweg naͤhme.
Jch habe meiner Fuͤrſtlichen Wuͤrde mich ent-
euſſert; ich bin ein Lehrling der allerſchlim̃ſten
Zauberin worden; ich habe durch verborgene
Ungedult mir mein Hertz abgenaget/ nur die
Suͤßigkeit der Rache zu genuͤſſen. Ja/ weil
ich wol gewuͤſt: daß draͤuende ſich ver gnuͤgen
ihre Zunge an ſtatt des Rach-Schwerdts zu ge-
brauchen/ und der durch den Mund ausrau-
chende Zorn die Glieder krafftloß laſſe/ die Be-
leidigung mit Worten auch eine fruchtloſe
Boßheit/ in der That aber ſich raͤchen eine Hel-
den-Eigenſchafft ſey/ habe ich ſchon zehen Jahr
bey den Cimbern als eine Dienſt-Magd zu-
bracht/ nur daß ich der Koͤnigin und dieſes Fuͤr-
ſten Haar/ als den Werckzeug meiner Zaube-
rey/ zur Rache erlangte; welche mir biß auff
dieſe Stunde kein Menſch angemerckt hat/
nimmermehr auch wuͤrde ergruͤnder haben/ weñ
ich zugleich die Barmhertzigkeit gegen die Tu-
gend
[1337[1339]]Arminius und Thußnelda.
gend ausgezogen; oder nicht fuͤr ruͤhmlicher ge-
achtet haͤtte den mir bevorſtehenden ſchmaͤhlich-
ſten Tod zu leiden/ als der durch mich verleite-
ten Unſchuld zu Grabe zu leuchten. Die Rich-
ter erſtarrten uͤber dieſem freymuͤthigem Be-
kaͤntnuͤße/ lieſſen die Zauberin feſte machen/ und
brachten dieſe Begebnuͤße dem Koͤnig Frotho
umſtaͤndlich bey. Alleine dieſer hielt des Fenni-
ſchen Weibes Beginnen fuͤr ein Spiegelfech-
ten/ oder eine angeſtellte Sache; nach dem die
Zauberey uͤber die der Goͤttlichen Herrſchafft
unterworffene Seelen/ die Zeichen und Se-
gnungen uͤber das Weſen und die Neigung der
Menſchen keine Gewalt haͤtten. Die Liebe
wuͤrde entweder durch eine Goͤttliche Regung
unmittelbar im Hertzen/ oder durch eine kluge
Wahl im Haupte gezeuget; alſo: daß weder die
Zauberey noch die Hoͤlle ſelbſt/ als die Mutter
der Zerruͤttung/ welche beyde mit unaufloͤßli-
chen Ketten in den Abgrund eingekerckert waͤ-
ren/ ſolche zu gebehren vermoͤchte. Die Liebe
haͤtte ſo gar aus den Sternen als ein him̃liſcher
Balſam ihren Uhrſprung; ihr Geiſt waͤre rein/
ihre Bewegung unverwirret; Die Zauberey
aber eine Mutter der Raſenden und Mond-
ſuͤchtigen. Dieſemnach denn/ da in einem Din-
ge/ gewiß in Zauberey der Unglaube fuͤr die
Spann-Ader menſchlicher Klugheit ſeyn muͤ-
ſte. Die Richter hingegen ſtellten dem Koͤnige
Frotho beweglich vor Augen: Die Flamme
keuſcher Liebe waͤre freylich wol ein zu ſchoͤnes
Kind fuͤr die Zauberey/ welche als eine Tochter
der Hoͤlle nichts als Mohren gebaͤhren koͤnte.
Die boͤſen Geiſter vermoͤchten eben ſo wenig der
Seele eine ſo reine Regung/ als die aus Schacht
und Thaͤlern aufſteigenden Nebel der Welt
ein Licht anzuzuͤnden; weniger koͤnten ſo grau-
ſame Geſpenſter einen ſo holden Engel/ als
die Liebe waͤre/ gebaͤhren; Die Unholden waͤ-
ren viel zu ohnmaͤchtig ihre von dem Abgrun-
de ausgeſpeite Kohlen in ein Geſtirne/ und
ihren gifftigen Tugend - Haß in das Ebenbild
der unbefleckten Zuneigung verwandeln. Al-
leine die Mißgeburt der Unzucht waͤre aller-
dinges ein Brut der Hoͤlliſchen Unholden; und
ob zwar Cirze aus den Menſchen keine reine
Schwanen/ keine unbefleckte Fenixe oder Ad-
ler zu machen gewuͤſt; haͤtte ſie doch Ulyſſens
Geferthen in Schweine/ Woͤlffe und Hunde
verwandelt. Dieſe Neigung waͤre der Kern
des gifftigſten Haſſes/ und eine rechte Nattern-
Buhlſchafft/ die mit ihrer Umarmung mehr/
als Tiger und hauende Schweine mit ihren
Klauen und Zaͤhnen zerfleiſchte/ und mit ihren
Liebes-Blicken grimmiger/ als Baſilisken
toͤdtete. Dieſe verteuffelte Wiſſenſchafft ge-
brauchte ſich nicht nur ſeltzamer Kraͤuter/ die
den Verſtand in Wahnwitz/ das Gebluͤte in ei-
ne lodernde Glut verkehrten; ja nicht ſelten
durch ſolche Liebes - Artzneyen den Menſchen
gar das Licht ausleſchten/ wie Lucilia ihren ei-
genen Ehmann Lucretz/ Calliſthenes den Lu-
cullus hierdurch aufgerieben; ſondern ſie uͤbte
auch durch Zeichen und fremde Worte zweif-
felsfrey mit Zuthat eines Hoͤlliſchen Geiſtes
ſolche Greuel aus/ fuͤr welchen die Vernunfft
erſtarren/ und der Himmel verſchwartzen muͤ-
ſte; wie ſie an dieſer Zauberin mit Augen geſe-
hen; und die Perfiſche Kriegs-Flotte fuͤr Zei-
ten vom Nectabis erſchrecklich erfahren haͤtte.
Ja die Zauberin ſelbſt erbot ſich durch groͤſſere
Wunder die Warheit ihres bekennten Laſters
zu erhaͤrten. Sie wunderte ſich: daß man die
ſo viel tauſend mahl bewehrte Kraͤfften der
Zauberey in Zweiffel zuͤge; Da man doch
zu Byſantz eine Ertztene Schlange/ und
in Tripolis einen mit Storpivnen be-
zeichneten Stein allen gifftigen Thieren
in ſelbige Staͤdte/ des Hercules Bild in
die Haͤuſer ſchaͤdlichen Dingen den Ein-
gang verwehren ſehe. Da doch gewiſſe Wur-
tzeln Gemſen und Hirſche feſte machten/
Erſter Theil. G g g g g g g getliche
[1338[1340]]Neuntes Buch
etliche Kraͤuter oder Worte Drachen einſchlaͤff-
ten/ und Schlangen zertheilten/ gewiſſe Stei-
ne Neſter der Voͤgel fuͤr allem Ungeziefer ver-
ſicherten. Nun aber waͤre ja der Menſch ein
Begrieff der gantzen Welt. Wie ſolte er denn
nicht mehr Kraͤfte in ſich haben als etliche Kraͤu-
ter und Steine/ oder gar als die gegen ihm un-
e dlen Geſtirne? Daher ſie all zuwol wuͤſte/ und
uͤberfluͤßig bezeugen koͤnte: daß alle Geſchoͤpffe
einer wol aufgeraͤumten Seele gehorſamen
muͤſten. Hierdurch/ ſagte die Hertzogin As-
blaſte/ ward endlich Koͤnig Frotho bewegt: daß
er ſein Gemuͤthe beſaͤnfftigte; und/ als die Zau-
berin bey der ihr zuerkennten Verbrennung auf
ihrem Bekaͤntnuͤße ſtandhafft verharrete/ gab
er nach: daß dieſer Cimbriſche Fuͤrſt die Koͤnigin
nicht nur heyrathen/ ſondern ſie auch in ſeinem
Gebiete die erblichen Guͤter ruhig beſitzen
moͤchten. Die Beruhigung dieſer Schuldi-
gen/ die ihre ſo uͤbel angefangene Liebe durch
ein tugendhafftes Leben verbeſſerten/ zohe die
Unruh der Unſchuld nach ſich; weil Koͤnig
Frotho/ ich weiß nicht aus was fuͤr Triebe/ ein
Auge auf mich warff; und mich zur Eh ver-
langte. Allein ich hatte mich ſchon zu der Tir-
chanis in das Alironiſche Heiligthum verlobet;
welches ein mit hohen Mauern verſchloſſenes
Gebaͤue an dem Strande der Nord-See war;
darein auſſer den Koͤnig keim Mann niemahls/
auch kein Weibs-Bild ohne Vorbewuſt der
oberſten Prieſter in/ die alle Schluͤſſel ſelbſt ver-
wahrte/ ſetzen darff. Gleich wol werden hier-
ein auch die/ welche gleich ein mahl verehlicht ge-
weſt/ angenommen; und die/ welche ihr Leben
darinnen nicht zu beſchluͤſſen vermeinen/ wer-
den wieder Willen nicht darein ein gekerckert.
Wiewol die Ausziehenden die Helffte ihres
Vermoͤgens/ welches ſonſt gar dem Heiligthu-
me zuwaͤchſt/ zuruͤck laſſen muͤſſen. Jhre Tracht
iſt durch gehends/ wie ihr ſie an mir ſehet; ihre
Speiſe auskommentlich/ aber ſonder Uberfluß;
welcher aber niemand genuͤſſen darff/ ehe er
ſeines Thuns/ und was er ſelbigen Tag gutes
begrieffen/ Rechenſchafft gegeben habe; wiewol
anfangs ein Jahr lang die Neukoͤmmlinge mit
einem ſtrengen Still ſchweigen beſchrenckt ſind.
Auſſer dem wird unter Adel und Unadel in die-
ſer Verſamlung kein Unterſcheid gemacht/ noch
ein Vorzug beobachtet. Denn weil alle ſich fuͤr
Maͤgde Gottes erkennen; und alle ihr Thun
nach den Geſetzen der Natur einrichten/ ma-
chen ſie auf den Stand/ als eine Erfindung des
Buͤrgerlichen Lebens/ kein Abſehen; und ge-
horſamen mehrmahls Fuͤrſtinnen eines Gaͤrt-
ners Tochter; wormit ſie ſich dem Himmel aͤhn-
lich machen/ der ſein Saphirenes Antlitz eben ſo
ſchoͤn daſelbſt entdecket/ wo er nur Sand und
Diſteln/ als wo er Gold und Edelgeſteine zeu-
get; oder der Soñe/ welche nichts minder die in
der Milch-Straſſe verborgenen/ als denen be-
ruͤhmten Jrrſternen ihr Licht mittheilet. Jhre
Weißheit iſt/ wie das Gebaͤue/ in drey Theile
unterſchieden; dem erſten drey/ dem andern
fuͤnff Jahre/ dem letztern die uͤbrige gantze Le-
bensfriſt zugeeignet. Worinnen ſie von der Art
der Veſtaliſchen Jungfrauen zu Rom abweichẽ/
wolche zehn Jahr lernen/ zehn Jahr opffern/
zehn Jahr lehren/ und hernach ihres Geluͤb des
loß ſind. Jm erſtern Theile werden nur die
Geheimnuͤße der Natur gelehret/ iedoch zu kei-
nem andern Ende/ als die Wahrheit eines
Goͤttlichen Weſens/ und ſeine allerweiſeſte
Fuͤrſehung/ als den Grundſtein aller Weiß-
heiten daraus zu begreiffen. Alldieweil ſie ihr
Unvermoͤgen willig geſtehen: daß ſie noch we-
niger Gott in ihm ſelbſt durch ihre blinde Ver-
nunfft/ als das Weſen der Sonne in derſelben
gerader Anſchauung mit den bloͤden Augen/
welche bey uͤbrigem Lichte weniger als bey kei-
nem ſehen/ erkennen; am allermeiſten aber die
Weißheit Gottes in den engen Kreiß unſers
Hauptes einſchrencken koͤnnen. Dieſemnach
ſie denn/ wie ich den erſten Tag aus ihrem Un-
terrichte erlernet habe/ feſtiglich glauben: daß
die
[1339[1341]]Arminius und Thußnelda.
die gantze Welt in GOtt/ und GOtt in der
Welt/ ja wie die Seele in dem Theile befind-
lich/ alles ihm/ und er allem gegenwaͤrtig/ ſei-
nem Leibe nach nirgends an-ſeinem unbegreiff-
lichen Weſen nach nirgends abweſend/ und um
ihn etlicher maſſen zu erkennen/ nicht nur die
Welt ſein Buch/ die Sonne ſein Spiegel/ der
Menſch ſein Ebenbild; ſondern auch unwie-
derſprechlich ſey: daß keine Ameiße oder Schne-
cke auf der Erde krieche/ welche nicht eben ſo
wol als der ungeheure Wall fiſch/ kein Yſop
an der Wand wachſe/ der nicht ſo wie die Ce-
der/ ja keine veraͤchtliche Fledermauß und kein
Kaͤfer herum ſchwerme/ der nichts minder/ als
Strauße und Paradieß - Voͤgel ein ſolches
Bild ſey/ darinnen man ein gewiſſes Kennzei-
chen/ und gleichſam im Staube die Fußſtapf-
fen eines oberſten Herꝛſchers und Erhalters
zwar nicht in ſeinem Verſtande begrieffe; aber
doch durch Verwunderung/ welche all ein der
Maͤß-Stab aller unbegreiflicher Dinge iſt/
wahrnaͤhme. Ja die taͤglich abwechſelnde
Finſternuͤs ſey ein helles Licht und Merck-
mahl des zwar unſichtbaren/ aber ſich in
Geſchoͤpffen/ und ſo gar an Spinnen-Weben
und Schnecken-Haͤuſern offenbarenden Got-
tes; welcher erſtern Gewebe ſo kuͤnſtlich iſt:
daß die Natur denen Spinnen hierzu ſechs biß
acht Augen hat geben muͤſſen; die letzteren aber
eine ſolche Baukunſt in ſich haben: daß ſie aller
Werckmeiſter Erfind- und Abtheilungen uͤber-
treffen. Die Raupen waͤren ein Wunderwerck
der Augen/ die Bienen des Geſchmacks/ die
Nachtigal des Gehoͤres/ Ambra des Geru-
ches/ die Spinne des Fuͤhlens/ die Ameiße der
Klugheit; alle aber Beweißthuͤmer einer un-
begreiflichen Gottheit. Alſo haͤtte ihm Hera-
clitus gantz falſch eingebildet/ daß ſich Gott mit
Fleiß zu verſtecken ſuchte. Wie denn er in ſich
ſelbſt ſeine unausmaͤßliche Wohnung/ und we-
der den Himmel zu ſeinem Stule/ noch die Er-
de zu ſeinem Fußſchemmel geduͤrfft; ſondern
die Welt alleine zu ſeinem Erkaͤntnuͤße geſchaf-
fen/ hier zu aber nichts/ als den Saamen ſeines
einigen Befehl-Wortes gebraucht/ und unter
ſo unzehlbar-wiedrigen Dingen eine wunder-
wuͤrdige Ubereinſtimmung gemacht haͤtte: daß
die Welt die vollkommenſte Harffe genennt zu
werden verdiente. Seine Ewigkeit bildete er
in denen irrdiſchen Gewaͤchſen fuͤr; welche un-
beſchadet ihrer Vergaͤngligkeit/ den noch durch
derſelben Fortpflantzung ſich verewigten. Sei-
ne Groͤſſe durch das kleinſte Geſaͤme/ in dem
in einer einigen Eichel das gantze Weſen einer
Eiche/ einer Himmel-hohen Ceder/ in einem
kaum ſichtbaren Koͤrnlein/ die Krafft des ſuͤſſen
Weinſtocks/ und in einem ſchlechten Kerne die
Pracht der Granataͤpffel-Baͤume/ derer Bluͤ-
te niemahls ohne Purper/ die Frucht nie mahls
ohne Krone waͤre; in einer ungeſtalten Zwie-
bel die alle andere Schoͤnheit beſchaͤmenden
Blumen/ fuͤr denen alle Farben und Mahl-
wercke erblaſten/ ungeachtet ſie verbor gen
ſteckten/ ihrer Feuchtigkeit halber in einem Ta-
ge zugleich neugebohrne Kinder und alte Wei-
ber waͤren. Die unaufhoͤrliche Bewegung der
Geſtirne ſtellte ſeine niemahls ruhende Wuͤr-
ckung; des Meeres vergebliche Bemuͤhung
ſich uͤber ſeine Graͤntzen zu ergieſſen/ ſeine all-
maͤchtige Herꝛſchafft; welcher auch die tauben
Wellen/ und die blinden Winde gehorſamen
muͤſſen; Die Sonne ſeine unerſchoͤpfliche Frey-
gebigkeit durch die Abwechſelung der Jahres-
Zeiten/ des Tages und der Nacht/ als der zwey
ſo ungleichen Zwillinge der Zeit das Reichthum
ſeiner wolthaͤtigen Guͤte; Das allen Dingen/
ja denen waͤchſernen Bienhaͤuſern zugeeigne-
te und wolanſtaͤndige Maaß ſeine uͤberſchweng-
liche Weißheit/ allen/ welche nur nicht blind
zu ſeyn ſich bemuͤhen/ fuͤr Augen; als welche an
der Runde eines Apffels und Auges keine ge-
ringere Kunſt/ als an der eben ſo gedrechſelten
Welt und Sonne; an der ordentlichen Ab-
theil- und unvergleichlichen Faͤrbung der Mu-
G g g g g g g g 2ſcheln/
[1340[1342]]Neuntes Buch
ſcheln/ derer euſſerliche Schale ſo wunderſam/
als des Zimmet-Baumes iſt/ an dem Mahl-
wercke des Pfauen-Schwantzes/ des Tauben-
Halſes/ und der Papegoyen-Fluͤgel kein ſchlech-
ter Wunder/ als an der Ausſpannung des mit
ſo viel Golde durchſtuͤckten Himmels/ an Stel-
lung der niemahls ſehlenden Sonnen-Uhr/ an
Ausmaͤſſung der Regen-Bogen beweiſet; und
erhaͤrtet: daß er in denen kleinſten Dingen
nicht kleiner/ als in den Groſſen/ ja/ wenn man
es durch das Vergroͤſſerungs-Glaß klugen
Nachdenckens eigentlich betrachtet/ noch groͤſ-
ſer ſey. Sintemahl in Wahrheit die Zuſam-
mendringung aller Sinnen in dem kaum ſicht-
baren Leibe der ſo ſpitzige und gleichwol zum
Blutſaugen aus gehoͤlete Stachel einer Muͤcke/
die Geſchwindigkeit einer Fluͤge/ und das Ge-
maͤchte einer Biene/ das Neſt einer Wiede-
hopffe mehr Wunders/ als der Lauff eines Kro-
codils/ die Staͤrcke eines Elefanten/ und die
Bemuͤhung eines Kamels/ ja der beſeelte Kaͤ-
fer et was edlers als die alles beſeelende aber un-
beſeelte Sonne in ſich hat.
So viel hatte ich nur begrieffen/ und bey mir
hernach wol hundertmahl uͤberleget; als Koͤnig
Frotho in unſer Heiligthum kam/ und mir ſei-
nen Vorſatz mich zu ehlichen vortrug; alleine
der Vorſchmack dieſer heiligen Weißheit hatte
mich bereit mit einer ſolchen Suͤßigkeit uͤber-
ſchuͤttet: daß mir alle andere Vergnuͤgungen
wie bittere Wermuth ſchmeckte. Sie zohe mein
Gemuͤthe kraͤfftiger als der mitternaͤchtige An-
gel-Stern die Magnet-Nadel an ſich; alſo: daß
es ſich auch die Sonne Koͤniglicher Wuͤrden
nicht auf die Seite ziehen ließ. Dieſemnach ich
denn ſein Begehren darmit ablehnete: daß in
Deutſchland eine Frau ohne euſſerſte Schande
nicht zum andern mahl heyrathen koͤnte. Sin-
temahl eine keuſche Seele nicht ſo wol den Eh-
ſtand/ als den Ehmann lieb gewinnen koͤnte.
Frotho aber ſetzte mir entgegen: daß diß Ge-
ſetze nicht nur dem Rechte faſt aller Voͤlcker/
ſondern auch den Sitten der meiſten Deutſchen
wiederſtrebte. Jnſonderheit aber haͤtten die
Cimbern dieſe raue Gewonheit der Heruler nie
gebilliget/ weil ſie der Natur ſelbſt Gewalt an-
thaͤte. Alle Dinge weltzten ſich gleichſam wie
ein Rad herum/ und wechſelten nicht nur die
Jahrs Zeiten/ ſondern auch die Sitten nach
einander ab. Den deutſchen Fuͤrſten waͤre un-
verwehret/ nach des Arioviſtens Beyſpiele auff
einmahl zwey Weiber zu haben; wie moͤchte ſie
ihr denn ſelbſt dieſen grauſamen Zwang aufhal-
ſen/ nach ihres Ehherrns mit dem Tode erloſche-
ner Liebe ihre Seele einer neuen Flamme abzu-
ſtehlen? Als nun meine Entſchuldigung nicht
verfieng; ſchuͤttete ich mein iñerftes Hertze gegen
ihm aus: daß ich auſſer der Betrachtung Got-
tes/ nir gends keine Ruhe meines durch ſo viel
Ungluͤcks-Faͤlle zu Bodem gedruͤckten/ auch zu
keinen irrdiſchen Erquickungen mehr taugli-
chen Gemuͤthes findete/ alſo mit derſelben Stoͤ-
rung mich ungluͤcklich/ ihn unver gnuͤgt machen
wuͤrde. Alleine der/ ich weiß nicht/ aus was fuͤr
einem Triebe/ mir allzuwol zugethane Koͤnig
Frotho bemuͤhete ſich mich duꝛch alleꝛhand Lieb-
koſungen zu gewinnen/ mir einhaltende: daß die
Natur mich viel zu zart fuͤr eine ſo ſtrenge
Lebens-Art geſchaffen haͤtte; und daß/ wenn ich
als eine treue Landes-Mutter denen Untertha-
nen fuͤrſtuͤnde/ GOtt ein ſo angenehmeꝛ Dienſt/
als durch ein erwehltes Prieſterthum geleiſtet
wuͤrde. Die Natur haͤtte den Menſchen zur Ge-
meinſchafft; inſonderheit aber das Frauenzim̃er
zu Fortpflantzung beyder Geſchlechts/ das Ver-
haͤngnuͤs Fuͤrſten zu Beherrſchung der Voͤlckeꝛ/
und Ausuͤbung anderer Tugenden/ dardurch ſie
nichts minder/ als durch tieffſinniges Nachden-
cken die Gewogenheit des Himmels erlangten;
andere aber/ und fuͤrnehmlich das maͤñliche Ge-
ſchlechte zu Ubung der Weißheit und Beobach-
tung des Gottes dienſtes erkieſet; wiewol die An-
dacht auch mit der Hoheit/ der Ehſtand mit dem
Gottesdienſte/ ja gar mit dem Prieſterthume ei-
ne
[1341[1343]]Arminius und Thußnelda.
ne Vertraͤgligkeit/ und keine gaͤntzliche Enteuſ-
ſerung der Welt/ oder eine ſo ſtrenge Lebens-art
von noͤthen haͤtten. Die denen Fuͤꝛſten gleich ſam
eigenthuͤmliche Gꝛoß muͤthigkeit veꝛmoͤchte uͤbeꝛ
Gluͤck und Tod zu gebieten. Mir fielen uͤber
dieſer zwar vernuͤnfftigen Zuſetzung fuͤr Weh-
muth die Thraͤnen aus den Augen. Die oberſte
Prieſterin aber nahm ſich mein an; und ſetzte
dem Koͤnige entgegen: Die Andacht waͤre eine
Vermaͤhlung der Seele mit GOtt/ und eine
Vergoͤtterung der Menſchen. Warum ſolte ſie
deñ Fuͤrſten verſchmaͤhlich/ oder denen zarten zu
rau ſeyn? Adler/ keine Kefer waͤren dem Jupiter
gewiedmet. Der Weyrauch/ nicht geringes
Baumharzt wuͤrde bey den Opfern angezuͤndet.
Weñ Helfenbein und Alabaſter unter die Hand
des Bildhauers/ das zaͤrteſte Ertzt das Gold in
den Guß des Kuͤnſtlers/ das weiche Geſpinſte
des Seiden-Wurmes auf die Werffte des We-
bers kaͤme/ wuͤrde das voll kom̃enſte Gemaͤchte
daraus; warum ſolten nur raue Felſen zu heili-
gen Bildern aus gehauen weꝛden; odeꝛ ein zaꝛtes
Geſchoͤpffe nicht den Zwang unſer Geſetze/ wie
der Marmel die Feile/ und das Gold die Glut
ausſtehen? was die wenigſten Huͤlſen eines irrdi-
ſchen Talgs an ſich haͤtte/ waͤre deſto geſchickter
zu denen Durchwuͤrckungen des Geiſtes. Die-
ſer ſelbſt haͤtte nicht ſeinen Sitz in den harten
Knochen/ noch in denen ſtarrenden Spann-A-
dern; ſondern in dem weichſten und zaͤrteſten
Theile des Menſchen/ nehmlich in dem Gehir-
ne. Andere Tugenden verdienten zwar ihren
Preiß; und die/ welche Fuͤrſten machten/ haͤtten
einen groͤſſern Glantz/ als die Gottesfurcht; a-
ber alle waͤren ohne dieſe eine Blaͤndung/ ohne
Geiſt und Beſtand; die Tapfferkeit ohne An-
dacht ein hitziger Trieb eines grimmigen Thie-
res/ die Klugheit ein verfuͤhreriſches Jrꝛlicht/ die
Anmuth halb Menſch und halb Schlange. Die
Gottesfurcht waͤre die Zungein der Wage der
Gerechtigkeit/ ſie hielte der Gꝛoßmuͤthigkeit den
Ruͤcken: daß ſie weder die ſanfften Luͤffte des
Gluͤckes zu hoch empor huͤbe/ noch das Elend
zu Bodem trete; Sie ſchwinge die Seele ſo
hoch: daß ſie ihres mit dem Leibe und ſeinen
fleiſchlichen Reitzungen gepflogenen Buͤndnuͤſ-
ſes vergaͤſſe; Die anſehnlichſte Wuͤrckung aber
haͤtte ſie wieder den Tod/ den alle Klugheit und
Tugend ſelten fuͤr den Aufloͤſer der irrdiſchen
Banden/ ſondern ins gemein fuͤr den Scheuſal
alles lebenden/ fuͤr das Schrecken der Natur/
und die Abſcheu der Hertzhafftigkeit/ die An-
dacht aber alleine fuͤr einen Pfoͤrtner des Him-
mels anſchaute. Denn ſie lehrte bey dem An-
tritte der unendlichen Ewigkeit: daß der Zir-
ckel der Zeit in vergaͤnglichen Augenblicken be-
ſtuͤnde; und daslaͤngſte Leben nach der Span-
ne auszumeſſen/ die wahrhaffte Ruhe und Luſt
der Seele aber erſt nach Ablegung der Sterb-
ligkeit zu finden waͤre. Die Gottesfurcht waͤre
endlich die von dem Himmel henckende Kette;
die ein Reich ſo befeſtigte: daß alle Kraͤfften der
Welt es nicht verſehren koͤnten. Dieſemnach
moͤchte der Koͤnig verſichert leben: daß der Fuͤr-
ſtin Asblaſte Vermaͤhlung ihm zwar einige
Vergnuͤgung/ ihre Andacht aber dem Cim-
briſchen Reiche eine beſtaͤndige Schutz-Seule
abgeben wuͤrde; fuͤr welch letzteres er als ein
Fuͤrſt und Werckzeug Gottes/ durch welchen
ſeine erſte Bewegungs-Krafft ein ziemlich Stuͤ-
cke der Welt bewegte/ mehr als fuͤr ſich ſelbſt
Sorge zu tragen haͤtte. Dieſe Zuredung hatte
in des Koͤnigs Frotho Gemuͤthe einen ſolchen
Nachdruck: daß er ſich erklaͤrte meine heilig-
Einſamkeit nicht mehr zu ſtoͤren; noch der Wol-
farth ſeines Reiches einigen Abbruch zu thun.
Seine Schweſter Tirchanis aber war mit ihm
noch nicht allerdinges/ wie ich/ vergnuͤget; ſon-
dern hielt ihr fuͤr unverantwortlich/ dem weibli-
chen Geſchlechte fuͤr nachtheilig: daß er die
Weißheit nicht fuͤr ſie ſo wol/ als fuͤr die Maͤn-
ner gewiedmet zu ſeyn meinte. Sie beſcheidete
ſich wol: daß dieſe fuͤr ihnen mehr Staͤrcke und
weniger Feuchtigkeit von der Natur be-
G g g g g g g g 3kommen
[1342[1344]]Neuntes Buch
kommen haͤtte; aber die maͤnnlichen Seelen
haͤtten fuͤr den weiblichen keinen Vorzug. Die-
ſe allein/ als der Sitz des Nachſinnens und der
Tugend/ haͤtten eigentlich nur mit der Weiß-
heit zu ſchaffen. Jene waͤren nicht mit meh-
rerm Geiſte gefluͤgelt; dieſen klebte nicht mehr
Erde und Schlacke an; beyde ruͤhrten von ei-
nem Uhrſprung her. Jhre Feuchtigkeit hin-
derte ihr Geſchlechte an nichts/ ja ſie waͤre als
ein denen Wiſſenſchafften zu Einpregung der
Bilder in das Gedaͤchtnuͤs dienender Talg
vielmehr befoͤrderlich. Der Mohnde waͤre
ſo ſchoͤn und nutzbar als die feurigen Geſtirne/
wiewol auch die feurigſten und die Sonne ſelbſt
guten theils aus einem fluͤſſenden Weſen/ und
nichts minder/ als die Erdkugel aus einem
Meere beſtuͤnden. Jhr waͤre zwar nicht un-
bekandt: daß man ſie beſchuldigte: ſie flatterten
mit ihren Gedancken all zu leicht und veraͤn-
derlich; aber der Maͤnner ihre waͤren auch an
keinen Nagel gehefftet; und den tieffſinnigen
Wiſſenſchafften dienten mehr die Adlers-Fluͤ-
gel/ als Schildkroͤten-Fuͤſſe. Ja da ſie auch in
ein- oder dem andern einigen Gebrechen haͤt-
ten/ thaͤte ihnen die Weißheit/ als welche der
Vernunfft zu Huͤlffe kommt/ die Finſternuͤße
des Geiſtes erleuchtet/ und die Gemuͤther voll-
kommen macht/ ſo viel mehr von noͤthen. Uber
diß doͤrffte man zu derſelben Weißheit/ welche
eine Wegweiſerin des Lebens/ und eine Mut-
ter der Tugend iſt/ weder die Tieffſinnigkeit
hohen Verſtandes/ noch das Vermoͤgen aus-
buͤndiger Gliedmaſſen. Man traͤffe ſie mehr-
mahls in Vollkommenheit bey der Einfalt/ und
in einem kriplichten Leibe an. Denn ſie ver-
truͤge ſich mit beyderley Gluͤcke/ und gaͤbe den
beyden Geſchlechten ſo noͤthigen Unterricht/
wie gute Begebungen ohne Schwindel; und
ſchlimme Zufaͤlle waͤren ſonder Ohnmacht zu
vertragen. Sie haͤtte zu ihrem Zwecke das
mangelhaffte zu verbeſſern/ die Unvergnuͤgten
gluͤckſelig zu machen; und durch Daͤmpffung
hefftiger Regungen den Menſchen vom Poͤfel
ſo weit zu entfernen/ als er an ſich ſelbſt vom
Vieh unterſchieden zu ſeyn ſcheinet. Koͤnig
Frotho begegnete ſeiner Schweſter mit einer
beſondern Hoͤfligkeit; und entſchuldigte: daß
er dem Frauenzim̃er ihre Faͤhigkeit die Weiß-
heit zu begreiffen/ und den ihm daraus qvellen-
den Nutzen ſtrittig gemacht; ſondern nur: daß
ſie nicht wie die Maͤnner ſich darinnen zu ver-
tieffen verbunden waͤren; verließ uns alſo beyde
in unſer annehmlichen Einſamkeit/ fand auch
wie ich in der Unterweiſung der Alironiſchen
Frauen/ alſo er durch Ehlichung Alvildens ei-
ner Sitoniſchen Fuͤrſtin ſeine gewuͤnſchte Ver-
gnuͤgung.
Jch muſte in dieſer Schule die natuͤrlichen
Dinge zu erforſchen drey Jahr zubringen; aber
die Anmuth der Geſellſchafft und die Lehrart/
welche einem alles gleichſam ſpielende bey-
brachte/ verkuͤrtzte mir ſie ſo ſehr: daß ſie mir we-
niger/ als drey Monate ſchienen; Denn ob ich
zwar vorher mich auch auf dieſe Geheimnuͤße
gelegt hatte; ward ich doch nunmehr inne: daß
meine Lehrmeiſter mir zwar viel gutes unter die
Haͤnde gegeben/ aber nicht recht aus gearbeitet
hatten; und war zwiſchen beyden ein ſolcher
Unterſcheid/ wie zwiſchen dem Marmel/ den
die Werck-Leute aus ſeinen Adern hauen/ und
dem/ der bereit durch die Hand des Bildhauers
gegangen. Allhier ward nichts gewieſen oder
iemand deſſen uͤberredet; was man nicht aus
den Eigenſchafften der Dinge her nahm;
und deſſen man gleichſam mit ſeinen fuͤhlenden
Haͤnden und ſehenden Augen uͤberwieſen ward.
Welches bey denen Lehrlingen nicht nur mehr
Beyfall erweckte/ ſondern auch in ihrem Thun
mehr Nachdruck hatte. Denn die/ welche ihre
vermeinte Weißheit nur hinter das Alterthum
und ihrer Vor-Eltern Meinung verbergen/
ſind wenig beſſer als die jenigen Prieſter/ die ſich
in die holen Bilder ihrer Goͤtter verſteckten/
um den Wahn ihrer Wahrſagungen ſo viel
glaubhaffter zu machen.
Nach dieſer Zeit kam ich zu der andern Staf-
fel/
[1343[1345]]Arminius und Thußnelda.
fel/ da der Menſch nach des Pythagoras Leh-
re ſich taͤglich bey hellem Tage im Spiegel be-
ſehen/ das iſt/ ſich ſelbſt muſte kennen und uͤber-
wuͤnden/ alſo diß/ was uns die Natur an die
Hand giebt/ nuͤtze machen lernen. Denn ob
wol die Welt nur eine Wohnung iſt/ alle Men-
ſchen darinnen einerley Haußhaltung fuͤhren/
und die Goͤttliche Verſehung als eine um ſie
bekuͤmmerte Mutter fuͤr einen ieden Menſchen
abſonderlich ſo ſehr/ als wenn er das gantze Ge-
ſchlechte waͤre/ bekuͤmmert iſt/ ſie auch alle in
gleicher Vollkommenheit wuͤnſchet/ und ihre
Seele von dem irrdiſchen/ wie die Sonne die
Duͤnſte aus den Suͤmpffen hervor zeucht; ſo
ſind doch hingegen die Neigungen der Men-
ſchen boͤſe/ und wie alle ſchwere Dinge den
Mittel-Punct der Erde zu erreichen ſo begie-
rig: daß ſich derſelben zu enteuſſern ſchier un-
moͤglich iſt. Hieraus erwaͤchſet eine Wieder-
ſetzligkeit gegen die himmliſchen Leitungen.
Und wenn die Tugend ſich durch die engen
Pforten in die Seele einlagern wil; findet ſie
wie in einem feindlichen Lande ihr alles auff-
ſaͤtzig zu ſeyn. Wenn nun die unaustreiblichen
Reitzungen der Natur mit einer laſterhafften
Gewonheit ſich verſchwiſtert/ zeucht der
Menſch eben ſo den Menſchen/ als die Schlan-
ge ihre Haut/ iedoch mit dieſer Ungleichheit
aus: daß dieſe ihre euſſerliche Geſtalt veraͤn-
dert/ die innerliche behaͤlt/ Menſchen aber die
euſſerliche behalten/ die innerliche verlieren;
und ſeinem Weſen nach zum unvernuͤnfftigen
Thiere werden. Ja dieſe ſcheinen dißfalls
ſchier fuͤr den Menſchen einen Vorzug zu ha-
ben. Denn ſie thun nichts uͤbels/ als worzu
ſie die Eigenſchafften ihres Geſchlechtes bewe-
gen/ und hat faſt iede Art Thiere nur einerley
ihnen eingepflantzte Tuͤcke. Den Menſchen
aber verleiten nicht nur ſeine eben ſo viehiſche
Regungen; ſondern der Mißbrauch ſeiner
Vernunfft; es geſchehe gleich aus Jrrthum o-
der aus Vorſatz/ halſet ihm ſo gar unmenſchli-
che Wercke auf. Welche Anmerckung denn
den Vellejus zu Rom auf dieſen aͤrgerlichen
Wahn brachte: daß er wieder den Cotta be-
haupten wolte: wenn die Goͤtter einen Men-
ſchen verfolgen wolten/ koͤnten ſie ihm nichts
ſchaͤdlichers/ als die Vernunfft zueignen. Sin-
temahl die Fehler des Verſtandes Lehrmeiſter
des Willens/ und ſeiner Vergehungen waͤren;
und keiner weniger ſuͤndigte/ als der am we-
nigſten verſtuͤnde. Ob ich nun zwar dieſe Ke-
tzereyverdamme; bleibt doch wahr: daß der na-
tuͤrliche Trieb in Thieren keinen ſo innerlichen
Krieg/ als wie die Vernunfft im Menſchen mit
ſeinen Regungen zu fuͤhren hat. Denn dieſe
muͤhen ſich eiffriger unſere Seele von dem Si-
tze der Vernunfft zu ſtuͤrtzen; als iemahls die
Rieſen Jupitern aus dem Himmel zu jagen
gemeinet. Sie verblaͤnden die Vernunfft: daß
ſie ſo wenig den Glantz der Tugend/ als blind-
gebohrne die Schoͤnheit der Sonne/ und den
Mittag fuͤr Mitternacht erkieſen. Woruͤber
die Goͤttliche Barmhertzigkeit/ welche ſelbſt
gerne die Annehmung ihrer ausgegoſſenen
Wolthaten zu Danck annaͤhme/ wehmuͤthig
ſeuffzen und bejammern muß: daß wenig die
Milch ihres Heiles aus ihren gleichſam ſtru-
tzenden Mutter-Bruͤſten ſaugen; ſondern die
meiſten ſich lieber aus den Pfuͤtzen der Wolluſt/
und der Galle ihrer boͤſen Gemuͤths-Regun-
gen ſaͤttigen wollen. Dieſe nun zu bemeiſtern
habe ich in dieſer Gemeinſchafft die herꝛlichſten/
wiewol glimpflichſten Mittel gefunden. Denn
ob wol die Wahrheit/ Weißheit und Tugend
nur einerley Weſen und Eigenſchafft hat/ ſo iſt
ſie doch nicht gezwungen ſtets einerley Geſichte
zu zeigen/ und in einem haͤrenen Kleide aufzu-
ziehen. Viel Gemuͤther ſind in dieſer Lehre
wie etliche Krancken/ welche den Artzt nicht ſe-
hen koͤnnen; und alle Kraͤuter fuͤr bittere Rha-
barber halten/ ehe ſie ſie noch gekoſtet haben.
Zugeſchweigen: daß die Tugend an ihr ſelbſt
wie der anfangs aus dem Meere kommende
und
[1344[1346]]Neuntes Buch
und noch weiche Ambra uns aͤrger/ als ein Aaß
anſtincket/ ob ſchon mit der Zeit dieſer alles ſuͤſſe
Rauchwerck Arabiens im Geruche/ jene alle
Wolluͤſte der Welt an Suͤßigkeit uͤbertrifft.
Dieſemnach denn die Alironiſche Anweiſerin-
nen/ welche allzuwol verſtehen: daß heilſam
und bitter nicht einerley ſey/ und die Wermuth
viel eine andere Wuͤrckung/ als Gifft habe/ alle
ihre heilſame Artzneyen/ beſonders anfangs mit
wolruͤchendem Biſam und Zucker anmachen;
und die Tugend zwar nicht als ein geiles Kebs-
Weib/ doch auch nicht als eine Betlerin; ſon-
dern mit einem anſtaͤndigen Schmucke/ und
ohne Knechtiſche Feſſel fuͤrſtellen. Bey dieſem
Grunde verſchmehen ſie dieſelben Mißgebur-
ten der Weiſen/ welche den Betler-Stab und
die Taſche fuͤr ihr Eigenthum halten/ und
gleichwol unter ihren zerriſſenen Lumpen mehr
Ehrſucht/ als andere unter Goldſtuͤcke und
Purper verbergen; welche ihren Begierden
den Zuͤgel ſchuͤſſen laſſen/ und dennoch Liebe/
Freude/ Haß/ Furcht und andere Gemuͤths-
Regungen als abſcheuliche Ungeheuer ver-
dammen; Gleich als wenn dieſe die Ver-
nunfft verſinſterten/ den Leib ſchwaͤchten/ und
den Menſchen oͤffter/ als Feber und Waſſer-
ſucht toͤdteten. Viel glimpflicher aber urtheil-
te der Alironien Weißheit hiervon; welche we-
der den Leib mit uͤbriger Strengigkeit quaͤlet/
noch das Gemuͤthe in Eiſen ſchleuſt. Denn ſie
goͤnnet der Natur ihre Ergetzligkeit/ wie den
heilſamen Kraͤutern ihre Zlerde und Geruch;
ſie enthenget dem Gemuͤthe ſeine Erleichte-
rung/ und machet den Menſchen durch Be-
raubung aller Zuneigungen zu keinem todten
Klotze oder Steine. Die Koͤnigin Erato fiel
Asblaſten/ als ſelbte ohne diß etwas Athem
ſchoͤpffte/ mit dieſem hoͤflichen Einwurffe ein:
Jch kan nicht leugnen: daß ich zum Theil ein
Lehrling der Stoiſchen Weltweiſen geweſt ſey/
welche dieſe Regungen fuͤr Kranckheiten des
Gemuͤths halten/ und/ weil auch die ſchlechtern
Schwachheiten eben ſo wenig aufhoͤren ein U-
bel/ als das kleinere Ungeziefer ſchaͤdlich zu
ſeyn/ duͤnckt mich alſo thulicheꝛ zu ſeyn/ ſelbte gaꝛ
zu vertilgen/ nicht aber mit ſelbten ſo ſanffte/ als
mit denen Feuchtigkeiten des Leibes/ welche e-
ben ſo wol als das Gebluͤte ein Oel des Lebens
ſind/ umzugehen. Asblaſte antwortete: Es
waͤren zwar gewiſſe Kranckheiten/ welche
mehr der Geſundheit zu ſtatten kaͤmen/ als ihr
ſchadeten/ nichts minder als das gifftige Geſtir-
ne des hoͤchſten Jrrſternes in der Welt viel heil-
ſames wuͤrckte. Gleichwol wolte ſie ihr und
ihren Lehrern recht geben; wenn ihr Grund:
daß alle Neigungen Kranckheiten waͤren/ nicht
auf ſchluͤpfrigem Grunde beſtuͤnde; Sie waͤ-
ren aber diß weder nach ihrem Uhrſprunge/
noch nach ihrem Weſen. Denn die Natur waͤ-
re gegen ihr liebſtes Kind den Menſchen eine
viel zu guͤtige Mutter: daß ſie ihm eitel Kranck-
heiten der Seele ſolle eingepflantzt haben. Jhre
Eigenſchafft wuͤrde nur zufaͤlliger Weiſe ver-
terbet/ und wie der ſuͤſſeſte Wein in ſchaͤrffſten
Eßig verwandelt. Denn wer wolte glauben:
daß ſie ſo viel aͤrger/ als die Galle der Drachen;
die Gifftblaͤßlein der Nattern/ als Napel und
andere zwar zum Theil ſchaͤdliche/ iedoch auch
ſehr nutzbare Dinge waͤren. Dieſe Neigun-
gen ſtiffteten mehrmahls tauſend Ubel/ fraͤfſen
gantze Staͤdte/ aͤſcherten die halbe Welt ein.
Dieſes aber waͤren Wuͤrckungen ihres Miß-
brauchs/ nicht ihrer Natur. Die Sonne das
Hertze der Welt/ welche alles lebhafft macht/
wuͤrde derogeſtalt eben ſo verdammlich/ und
mit den Mohren zu verfluchen ſeyn/ weil ſie
mit ihrer Hitze eben ſo wol Kroͤten/ als Schwa-
nen beſeelte; nichts minder die heilſamen/ als
die Schwantz-Sterne erleuchtete; und mit
eben der Waͤrmbde/ welche Oel und Granat-
Aepffel zeuget/ Ungeheuer heckete. Das ſo
nuͤtzliche Feuer/ daß das Ertzt gleichſam zum
andern mahl gebieret/ das unvollkommene aus-
kochet/ und die andere Sonne der meiſten
Hand-
[1345[1347]]Arminius und Thußnelda.
Handwercker iſt; wuͤrde widriger Meinung
nach in der gantzen Welt auszuleſchen ſeyn/
weil es alles verzehret/ deſſen man es Meiſter
werdenlaͤßt. Das Meer und der Wind/ weil
ſie Laͤnder uͤberſchwemmen/ Baͤume ausreiſſen/
und Schiffbruch verurſachen/ wuͤrden muͤſſen/
ungeachtet jenes Perlen/ Purper und Korallen
gebieret/ den Erdbodem befeuchtet/ die Sternen
ſaͤuget/ dieſer die Lufft reinigt/ die Fruchtbarkeit
und die ſo nuͤtzliche Schiffahrt befoͤrdert/ aus der
Welt verbannet werden. Dannenhero muͤſte
man nur den Rauch von dem Feuer der Ge-
muͤths-Regungen ſaubern/ und mit dieſen Nei-
gungen ſo behutſam/ wie die Aertzte mit den
Feuchtigkeiten des Leibes umbgehen/ als welche
zwar zu reinigen/ aber nicht gar auszutrocknen
waͤren; Oder man muͤſte ſelbte/ wie die Haare
und Naͤgel beſchneiden/ nicht aber gar veꝛterben.
Die Koͤnigin Erato warf hierwider ein: Sie
koͤnte unter dieſen Regungen/ und denen Kꝛanck-
heiten des Gemuͤthes noch zur Zeit keinen Un-
terſcheid finden; als daß jene geſchwinder ver-
rauchten/ dieſe aber/ als ſchon tief eingewurtzelt/
hartnaͤckichter waͤren. Maſſen denn auch jene
ſich in dieſe mit der Zeit eben ſo leicht/ als die
Seiden-Wuͤrmer in Molcken-Diebe verwan-
delten. Die Maale wuͤrden mit uns ſo wol
gebohren/ als die Neigungen; gleichwol aber
blieben ſie Ungeſtaltnuͤſſe/ und waͤre eines ſo
ſchwer als das andere zu vertreiben. Der
Natur goͤnnete man ihren Preiß; aber es haͤt-
ten mehrmals weiſſe Muͤtter heßliche Mohꝛen-
Kinder. Die Wurtzel ſchaͤdlicher Regungen
koͤnte nichtbeſſer ſeyn/ als ihre gifftigen Fruͤchte.
Weil nun dieſe Geſpenſter zu herꝛſchen/ nicht
zu dienen gewohnt waͤren/ wuͤchſen ſie der Ver-
nunfft zu Kopffe/ welche doch das Auge der
Seele/ die Magnet-Nadel des Lebens/ der
Maͤßſtab der Tugend und der Ancker der
Gluͤckſeeligkeit waͤre. Wie die ſo genennte
Kranckheit die Roſe ihren Eintritt mit einer
annehmlichen Purper-Farbe beſchoͤnte/ alſo
endigte ſich dieſe Kranckheit eben ſo wol/ als die
anfangs in Geſtalt einer Morgenroͤtbe der
Tugend ſich zeigenden Regungen mit unſaͤgli-
chen Schmertzen. Dieſemnach muͤſte man ſie
in der erſten Bluͤte toͤdten/ und als das ſchaͤd-
lichſte Unkraut ausrotten. Denn wenn nur
ein Kaͤum uͤbrig bliebe/ naͤhme es unverſehens
uͤberhand/ und erſteckte in uns den Saamen
des guten. Alle Laſter waͤren anfangs Zwer-
ge/ hernach Rieſen. Sie ſtellten ſich erſtlich
verſchaͤmt und maͤßig; die Gewohnheit aber
vertilgte bald ihre Schamroͤthe/ und mit der
Zeit zerlechſete ihr Umſchranck. Die Grau-
ſamkeit erluſtigte/ wie die Wuͤtteriche zu Athen
ſich anfangs an dem Blute eines Betruͤgers/
hernach der unſchuldigſten Weltweiſen. Der
Geitz verliebte ſich anfangs in ſein/ hernach in
ſeines Nachbars Gut. Ja dieſe anfangs ver-
aͤchtliche Schwachheiten fraͤßen ins geheim/
wie der Krebs umb ſich; Und der Allerweiſeſte
wuͤſte dieſe einmahl zu Kraͤfften gekommene
Ungeheuer/ welche den Menſchen in heßlichere
Thiere als Ciree verwandelte/ nicht zu baͤndi-
gen. Sie wuͤrffen ihn aus dem Sattel/ wenn
er ihnen nur ein wenig den Zuͤgel verhienge.
Die Vernunfft waͤre viel zu ſchwach ſie zuruͤcke
zu halten. Denn ſie waͤren eben ſo wol/ als
die wilden Thiere gegen ihre Beredungentaub.
Sie wuͤrden wie die gekirꝛten Tiger/ wenn man
ſichs am wenigſten verſehe/ wieder raſend;
und dahero verließen ſie niemals ihre boͤſe Ei-
genſchafft gar/ durch eine die Tugend allein gut
und vollkommen machende Maͤßigung. Denn
was boͤſe von Natur waͤre/ haͤtte weder Maas
noch Ziel. Das Feber/ wie gelinde es waͤre/
das Haupt-Weh/ ob es ſchon nur den halben
Kopff einnehme/ bliebe nichts deſto weniger
eine Kranckheit eben ſo wie die Schwachheiten
des Gemuͤthes/ nemlich die in etwas gemaͤßig-
ten Regungen. Ja wer beyde nicht gar aus-
zutilgen wuͤſte/ verſtuͤnde noch weniger ſelbte
aufs rechte Gewichte zu legen. Asblaſte hoͤrte
Erſter Theil. H h h h h h h hſie wol
[1346[1348]]Neuntes Buch
ſie wol aus/ fieng aber hierauf an: Meine
liebſte Erato/ ihre Weiſen kommen mir fuͤr/ wie
jener neue Gaͤrtner/ welcher/ als er im Fruͤh-
linge ſeine Nachbarn ihre Weinberge behau-
en/ ihre Baͤume beſchnoͤteln ſahe/ ſolches durch
derſelben gaͤntzliche Ausrottung noch zu ver-
beſſern vermeinte. Aber warumb ſchleiffen
die Steinſchneider von denen rauen Diaman-
ten nicht alle Flecken weg? Laſſen ſie nicht
mehrmals einer unreinen Ader Uberbleibung
daran; ehe ſie dieſen koͤſtlichen Stein gar zer-
malmen? Oder warumb zoͤpfet ſie nicht viel-
mehr das Blut gar aus ihren Adern; wenn
ſeine uͤbermaͤßige Hitze Feber- und Seiten-
Weh erreget; ſondern nur den Uberfluß?
Warumb ſchneiden die Sitten-Lehrer nicht
der Keuſchheit zu gefallen/ wie die Elevſini-
ſchen Prieſter ihnen nicht gar die Geburts-
Glieder ab? Warumb haben die Aertzte ſo
gar aus Laͤmmern und Kaͤlbern den Mangel
unſers Gebluͤtes zu erſtatten durch eine in ſil-
bernen Roͤhren geſchehende Eingießung er-
funden? So gut und noͤthig nun in dem Leibe
das Blut iſt; ſo gut und unentpehrlich ſind
auch in dem Gemuͤthe die Regungen; welche
ohne dis mit dem Gebluͤte ſo ſehr vermaͤhlet
ſind: daß ſie ſelbtes wie der Monde das Meer
bewegen/ und darinnen ihre Siegs-Fahn an-
ſtecken/ wenn Liebe/ Zorn/ Scham und Freude
ſelbtes mit Gewalt ins Antlitz treibt; die Furcht
es aber dem Hertzen zu Huͤlffe rufft. Die
Regungen haben zwar keine vollkommene
Guͤte/ wie die Tugend; eben ſo wenig/ als die
andern Glieder dem Hertzen zu vergleichen
ſind. Sie haben aber ein ſo noͤthig Ampt/
als Haͤnde und Fuͤſſe; und ſind offtmahls ſo
nuͤtzlich/ als die Uberſtroͤmung des Nil und
Nigers. Denn ſie machen alle Kraͤfften
der Vernunfft rege und lebhafft; alſo: daß
die Menſchen ohne die Gemuͤths-Regungen
ein marmelnes Volck; und nicht viel leb-
haffter/ als die aus der Welt nach Rom ver-
ſammleten Bilder; Unſere Seele aber ohne
ſie eine Fuͤrſtin ohne Befehlhaber und Diener
ſeyn wuͤrde; welche aber weit uͤber die Glieder
und Sinnen geſoͤtzt ſind/ und dieſen zu gebie-
ten haben: daß beym Verlangen des Guten/
bey Abwendung des Boͤſen/ das Gehoͤre und
das Geſichte ſolche ausſpuͤren/ die euſerlichen
Glieder allenthalben handlangen muͤſten/ weñ
der verwegene Zorn auf die Feinde und Laſter
einen Ausfall thut/ oder die Furcht die Pfor-
ten verſchleußt; die von dem Verlangen und
der Hoffnung wieder eroͤfnet werden; wormit
Liebe und Freude in das Gemuͤthe ihren Ein-
zug halte; in welchen letztern Regungen der
Genuͤß der Tugend beſtehet/ als die in ſich
ſelbſt ihre frohe Vergnuͤgung findet/ und in
ſich inbruͤnſtiger/ als ein Braͤutigam in der
erſten Hochzeit-Nacht in ſeine Braut verliebt
iſt. Dieſe Tugend hat ſelbſt ihre Abfaͤlle/ wie
die Sonne ihre Finſternuͤſſe/ die Freygebig-
keit verfaͤllt in Verſchwendung/ die Tapfer-
keit wird verwegen; ja die meiſten Laſter ſind
die Mißgeburten der lebhaffteſten Tugenden.
Solten dieſe deſtwegen verwerflich ſeyn? Sol-
ten die Tugenden deſtwegen durch die Ver-
nunfft nicht in den Schrancken ihrer Mittel-
Bahn erhalten werden koͤnnen? Wir koͤnnen
ins gemein etwas nicht; weil wir uns deſſelb-
ten Unmoͤgligkeit fruͤhzeitig einbilden? Nach
dem wir uns in unſere Schwachheiten verlie-
ben/ reden wir ihnen das Wort; und wormit
wir uns derſelben nicht entſchuͤtten koͤnnen/
entſchuldigen wir ſie. Denn wie keine Kranck-
heit gefunden wird/ fuͤr welche die Natur nicht
habe eine Artzney wachſen laſſen; alſo iſt kein
Gemuͤths-Gebrechen/ welchen zu uͤberwuͤn-
den ſie uns nicht Kraͤfften genung gegeben
haͤtte. Die tugendhaffte Thußnelde brach all-
hier mit einer ehrerbietigen Beſcheidenheit
derogeſtalt ein: Sie waͤre zwar in der Weiß-
heit
[1347[1349]]Arminius und Thußnelda.
heit ſo ſeichte beſchlagen: daß ihr das ſtill-
ſchweigende Zuhoͤren anſtaͤndiger waͤre/ als
durch vorwitzige Einmiſchung in dieſen Zwiſt
ihre Unwiſſenheit zu verrathen. Gleichwol
aber hielte ſie/ ihrer Einfalt nach/ nicht fuͤr ſo
ſchwer beyde ſtreitende Meinungen dardurch
zu vereinbaren; wenn man die Regungen fuͤr
Mittel-Dinge annehme/ welche an ſich ſelbſt
weder boͤſe noch gut/ ſondern dem veraͤnder-
lichen Thiere Cameleon zu vergleichen waͤren/
welches auf den Kraͤutern gruͤn/ auf Schar-
lach roth/ in der Lufft blau ausſehe; ja alle
Farben ſeines Behaͤltnuͤſſes in einem Augen-
blicke annehme. Denn eben dieſe Gewalt ei-
ner geſchwinden Verwandelung ſchiene der
Wille uͤber ſolche Regungen zu haben; welcher
ihnen nichts minder die Eigenſchafft der Tu-
gend und des Laſters/ als ein Bildhauer ſeinem
Marmel ein Geſichte einer Eule/ als einer
Helena einpregen koͤnte. Daher weñ auch dieſe
Regungen fuͤr ſich ſelbſt/ und nicht allererſt
nach der boͤſen oder guten Anleitung des menſch-
lichen Willens fuͤr boͤſe oder gut geurtheilt wer-
den ſolten; wuͤrde man auch nicht alleine dis/
was uns wider unſern Willen traͤumet/ loben
oder ſchelten/ ſondern auch die Woͤlffe und
Raub-Voͤgel aufhencken/ die Loͤwen mit Lor-
bern/ die Turtel-Tauben mit Roſen/ die fuͤr
ihren Weiſer kaͤmpfende Bienen mit Eichen-
Laube kraͤntzen muͤßen. Die Koͤnigin Erato
wuͤrde ihr hierinnen vielleicht ſo viel mehr
Beyfall geben; weil ſie zu Rom einmahl von
einem Nachfolger des Zeno gehoͤrt zu haben
ſich erinnerte: daß ſie alle euſerliche Guͤter
der Geſtalt/ der Staͤrcke/ des Vermoͤgens/
fuͤr ebenmaͤßige Mittel-Dinge und fuͤr einen
Werckzeug nichts minder der Tugend als
Laſter/ und alſo weder fuͤr herrlich/ noch fuͤr
ſcheltbar hielten. Zwiſchen dieſen Guͤtern/
und denen innerlichen Regungen aber waͤre/
ihrer guten oder boͤſen Anwehrung nach/ kein
Unterſcheid/ ſondern ſelbten machte allein der
Gebrauch und der Mißbrauch. Sie waͤren
beyde eine ungefaͤrbte Wolle/ welche Tinte
und Schnecken-Blut an ſich zu ziehen faͤhig
waͤren; alſo: daß der Zorn eben ſo wol eine
Seene der Tugend/ einen Wetzſtein der Tapf-
ferkeit/ als ein Fallbret der Grauſamkeit; die
Begierde einen Zunder der Wolthaͤtigkeit/
und ein toͤdtend Gifft der Wolluſt/ die Furcht
einen Leitſtern der Klugheit/ und ein Jrrlicht
der Zagheit abgaͤben/ ja die Regungen ins ge-
ſampt den Laſtern und Tugenden zu Waffen
dieneten. Die weiſe Fuͤrſtin Asblaſte hinge-
gen wuͤrde dieſen Regungen ſchwerlich einen
Ehren-Stul in dem Reiche der Vernunfft ein-
zuraͤumen verlangen/ weil ſie ihren Sitz und
Herrſchafft nur in den euſerlichen Sinnen
haͤtten; und daher auch den ſtummen Thieren
gemein waͤren; welche doch ſo wenig von der
Vernunfft erblickten/ als die unter uns woh-
nenden und uns die Fuͤſſe zukehrenden Men-
ſchen von unſerm Mittags-Lichte. Sie haͤt-
ten fuͤr ſich ſelbſt weniger Licht als der Monde;
wenn ſie aber ja einigen Glantz bekaͤmen/ muͤ-
ſten ſie es der Vernunfft/ wie die andeꝛn Ster-
nen der mitcheilenden Sonne dancken; und
ihre eigene Blindheit ließe ſich den erſten den
beſten Leiter dahin fuͤhren/ wohin er nur wolte.
Alleine die Koͤnigin Erato antwortete: Thuß-
neldens Meinung waͤre zwar maͤßiger als
Asblaſtens/ aber ihr Zeno wuͤrde ſie noch
ſchwerlich zur Vermittelung annehmen. Denn
die euſerlichen Guͤter haͤtten in ſich ſelbſt keinen
ſo wilden Trieb als die Regungen; welche
fuͤr ſich ſelbſt nicht nur blinde Fuͤhrer/ ſondern
auch ſchaͤdliche Knechte der Vernunfft waͤren/
die ihr nur zum Scheine gehorſamten: daß ſie
mit Gelegenheit uͤber ſie herrſchen moͤchten.
Sie waͤren geartet wie die Stroͤme/ welche ſo
viel grimmiger raſeten/ je enger man ſie in
ihren Ufern vertaͤmmete: daß ſie nicht uͤber-
H h h h h h h h 2ſchlagen
[1348[1350]]Neuntes Buch
ſchlagen ſolten. Daher waͤre es entweder
eine groſſe Unvollkommenheit/ oder ein gefaͤhr-
licher Zuſtand der Tugend; wenn ſie dieſe
unter ſich ſelbſt unvertraͤgliche Regungen zu
ihren Gehuͤlffen annehmen muͤſte. Sinte-
mal ja die Furcht nicht mit dem Zorne/ der
Haß mit der Begierde/ das Schrecken mit der
Freude in ſtetem Kriege zu Felde laͤge. Die
Vernunfft und die Tugend jagte ſie zwar ſelbſt
gegen einander in Harniſch; umb ihre gewalt-
ſame Herrſchafft zu vertilgen. Sie brauchte
ſie/ wie die Jndianer Loͤwen und Tiger/ nem-
lich mit ſelbten anderes Wild zu fangen. Und
wenn ſie eine gegen der andern auf die Wag-
Schale legte/ machte ſie dardurch ein gleiches
Gewichte; aber ſie ſchaͤmte ſich gleichwol einige
unter ihnen zu ihrer Beſchirmerin aufzuneh-
men. Die Tapferkeit koͤnte ohne Zorn uͤber-
winden und ſiegen; ja ſie muͤſte ſich dieſer Hitze
entbrechen; wo ſie ſich nicht ſelbſt ſtuͤrtzen wolte.
Denn der Zorn machte an den beſten Fecht[e]rn
Bloͤßen; welche vorher die Kunſt verdeckte.
Und die ſtaͤrckſten Rieſen-Voͤlcker waͤren
mehrmals von denen Schwaͤchſten uͤberwaͤlti-
get/ oder auch der bereit erworbene Sieg ihnen
aus den Haͤnden gewunden worden/ wenn ſie
ſich aus Zorn uͤbereilet haͤtten. Denn dieſer
waͤre der rechte Nemeiſche Loͤwe/ der Brut der
ſich ergießenden Galle/ welchen alle toͤdten muͤ-
ſten; die mit dem Hercules den Ruhm groſſer
Helden erwerben wolten. Die Vernunfft
waͤre in ſich ſchon ſo rege/ die Tugend in ihr
ſelbſt ſo vollkommen: daß ſie keine Spieß-
Rute der Begierde zum Wolthun anfriſchen/
kein Kapzaum der Furcht von einiger Ver-
gehung zuruͤck halten doͤrffte. Die Regungen
dienten freylich wol zu Waffen den Laſtern/
aber nicht der Maaß-liebenden Tugend.
Denn man koͤnte ſie nicht/ wie Schwerdt und
Schild/ ſeinem Belieben nach ergreiffen und
weglegen. Die Vernunfft hingegen waͤre
ihr uͤberfluͤßig genung zu noͤthiger Beſchir-
mung; welche allezeit in einem bliebe und tau-
erhafft waͤre. Dahingegen der Zorn entweder
wie die Drachen-Zaͤhne unerſaͤttlich raſete;
oder wie die Bienen nach der erſten Ver-
wundung den Stachel verliere. Und mit
einem Worte: der natuͤrliche Trieb dieſer Re-
gungen neigte ſich zum boͤſen/ wie die Schwer-
de zum Bodem/ wenn nicht die Vernunfft ſie
mit Gewalt zu was gutem noͤthigte. Das
Weſen aller Regungen beſtuͤnde entweder in
einer Ubermaaß oder in einem Mangel; und
hielten ſelbte niemahls das rechte Gewichte;
alſo: daß die Vernunfft alle Augenblicke ge-
nung zu thun haͤtte auf ihrer Wag-Schale
dieſe Ungleichheit zu verbeſſern. Alleine jene
Guͤte waͤre kein Gold ohne Schlacke/ und dieſe
Ausgleichung bliebe doch immer etwas hoͤck-
richt. Viel ein wenigers meinte die Fuͤrſtin
Asblaſte von ihrer Meinung fallen zu laſſen.
Daher fuͤhrte ſie an: Die Regungen verdien-
ten zwar nicht den Sitz und den Ruhm der
uͤber alle Hoheit erhabenen Tugend; aber
man muͤſte ſie zu keinem Fußſchemmel ma-
chen. Sie waͤren zwar keine Geburt der
edelſten Krafft in der menſchlichen Seele/ die
uͤber die lebende der Gewaͤchſe und die fuͤhlen-
de der Thiere noch etwas goͤttliches/ nemlich
die Vernunfft in ſich begrieffe; aber ſie waͤ-
ren keine Mißgeburt eines nur irꝛdiſchen
Vermoͤgens; alſo keines weges zu entraͤumen:
daß ſie bloß in denen euſerlichen Sinnen ihren
Sitz und Urſprung haͤtten. Die ſtummen
Thiere fuͤhlten (der Stoiſchen Weiſen Mei-
nung nach) in ſich zwar einen blinden Trieb;
denen Menſchen aber kaͤme Zorn/ Liebe/ Furcht
und dergleichen nur eigentlich zu; und dis/
was jene dieſen nachzuthun ſchienen/ waͤre
nur fuͤr einen Schatten zu halten. Weil nun
aber dieſe mit keiner Vernunfft betheilet waͤ-
ren/ gleichwol aber Krafft ſolcher nur unvoll-
kom-
[1349[1351]]Arminius und Thußnelda.
kommenen Neigungen nichts minder merck-
liche Nachahmungen vernuͤnfftiger Schluͤſſe
von ſich blicken ließen/ in dem ſie bald nach der
Geburt die gifftigen Kraͤuter von den geſun-
den auszuſchaͤlen; den Schatten ihrer Feinde
zu fliehen; die Bienen ſo ordentlich eingetheilte
Gemaͤcher/ die Spinnen ſo kuͤnſtliche Netze/
die Papegoyen ſo vorſichtige Neſter zu bauen
wuͤſten; ja die Hunde durch ihre bewehꝛte Treue
Maſanißens Leibwache zu werden; die Stoͤr-
che durch Aufachſelung ihrer ſchwachen Eltern
den Ruhm des danckbaren Eneas; die Tauben
durch ihre betruͤbte Einſamkeit das Lob einer
Artemiſie verdienten; ſo koͤnte man ſo viel we-
niger denen natuͤrlichen Regungen/ welche doch
in dieſen Thieren nur unvollkommen ſeyn
ſolten/ ihren Preiß gar abſprechen. Das Haupt
waͤre freylich wol das Schloß der Vernunfft/
und der Sitz der Klugheit; aber das Hertze/ dar-
innen alle Regungen walleten/ haͤtte gleichwol
auch kein geringes Theil an ruͤhmlichen Ent-
ſchluͤßungen. Unſer Leben wuͤrde ein rechtes
Eben-Vild des todten Meeres abgeben/ und
wie dis ſonder Bewegung und Fiſche/ alſo jenes
ohne einiges Thun und Nutzen ſeyn/ wenn uns
die Gemuͤths-Regungen nicht von der erbaͤrm-
lichen Schlaffſucht aufmunterten; ja das be-
truͤbte Leben uns verzuckerten; welches ſonſt
eine unaufhoͤrliche Betrachtung unſers Elen-
des ſeyn wuͤrde. Fuͤhrte man doch eines Ubeꝛ-
wuͤnders herrlich aufgeputztes Pferd mit in
dem Siegs-Gepraͤnge auf; man behienge ein
aus einer See-Schlacht ruͤckkehrendes Siegs-
Schiff mit koͤſtlichen Tapeten; man ſtuͤrtzte
die Waffen der Helden in Tempeln auf; da
doch dieſe nur Werckzeuge der Siegenden ge-
weſt waͤren. Warumb ſolte man denn die ſo
edlen Regungen des Gemuͤthes; welche in ſich
ſelbſt eine mehrere Lebhafftigkeit/ mit der Ver-
nunfft und Tugend auch eine naͤhere Veꝛwand-
nuͤs haͤtten/ ſo gar unter die Banck ſtoſſen?
Zwar waͤre nicht zu laͤugnen: daß ſelbte einen
Menſchen nichts minder in einen Affen zu ver-
ſtellen/ als in ihm einen Loͤwen vorzubilden ver-
moͤchten; ſie waͤren aber des ſo heilſamen Mit-
telmaaßes und einer klugen Abtheilung aller-
dings faͤhig/ und alſo ihrer Eigenſchafft nach
zur Vollkommenheit geſchickter als zum Ge-
brechen. Die Natur braͤchte ſelten und kein-
mal vorſetzlich/ ſondern durch frembden Zufall
und Hindernuͤs/ oder Unvermoͤgen/ Kriepel
und Zwerge ans Licht; was fuͤr Luſt ſolte ſie
denn haben mit denen Regungen allezeit Miß-
geburten des Gemuͤthes zu gebehren? Zu was
Ende ſolte ſie fuͤr den Leib ſo ſorgfaͤltig/ fuͤr die
Seele ſo unachtſam/ oder vielmehr grauſam
ſeyn? da doch jener nur die Herberge/ dieſe
die Herrſcherin in dem Menſchen waͤre. Die
Tugend haͤtte zwar in ſich ihre Lebhafftigkeit
und Vollkommenheit/ wie die Sonne; aber
beyde muͤſten etwas haben außer ſich/ in wel-
chem ſie ihre Wuͤrckungen auslaſſen koͤnten;
wo man ſie nicht zu einer unbeſeelten Seule
ſonder Armen und Fuͤſſe zu einer muͤßigen
Fliegen-Faͤngerin machen; oder ihre Wuͤr-
ckung nur in Traͤume und Einbildungen ver-
wandeln wolte. Denn GOtt alleine waͤre
ein Kreiß der Vollkommenheit; welcher in ſich
alles begrieffe/ und alles deſſen/ was außer
ihm/ ohne Abgang entpehren koͤnte. Dieſem-
nach die Vernunfft eben ſo ſehr die theils zu heff-
tigen/ theils zu todten Neigungen des Willens
zu Erreichung des in der Tugend allein befind-
lichen Mittelpuncts/ als der Leib eine gewiſſe
Abtheilung der Schwerde und Leichtigkeit/ deſ-
ſelben Geſundheit eine richtige Vermiſchung
der Waͤrmbde und Kaͤlte/ die Welt theils Feuer
und Lufft/ theils Erde und Waſſer/ und die
Jahres-Zeit nichts minder hitzigen Sonnen-
Schein/ als kuͤhlende Regen/ Winde und
Schnee zu Erlangung ihres rechten Maaſſes
bedoͤrfften. Ja dieſe Neigungen lieſſen nicht
H h h h h h h h 3nur
[1350[1352]]Neuntes Buch
nur in ſich die Vernunfft wuͤrcken/ ſondern ſie
ſelbſt legten mit Hand an das Werck/ und be-
foͤrderten die Geburt der Tugend/ nichts min-
der/ als die andern Geſtirne nebſt der Sonne/
die Fruchtbarkeit der Erde. Sie eigneten de-
nen Tugenden einen herrlichen Nachdruck/ wie
das Haus des geſtirnten Loͤwen/ oder der Hunds-
ſtern/ der Sonnen-Hitze eine mehrere Krafft zu.
Sintemal die Tugendẽ ſo wenig/ als die Sternẽ
alle einerley Groͤſſe oder Glantz haͤtten; und ihr
Mittel-Maaß eben ſo wenig verhinderte: daß
eine Tugend die andere abſteche; als daß unter
zweyen Diamanten einer Groͤſſe dieſer von je-
nem verduͤſtert wuͤrde. Aus dieſem Urſprun-
ge ruͤhrten die ungemeinen Helden-Thaten/
weil die Begierde der Ehren die Unmoͤgligkeit
gleichſam bemeiſtern lehrte; und die Eiverſucht
uͤber frembden Gedaͤchtnuͤß-Saͤulen auch in
gefrornen Gemuͤthern den Schwefel der Groß-
muͤthigkeit brennend machte. Die Liebe waͤre
nicht nur ein Leit-Stern der Weißheit/ ſondern
eine Erfinderin vieler Wiſſenſchaften. Die
Vegierde und Hoffnung habe die Einoͤden be-
wohnet/ die Meere wegbar/ die Winde zahm/
alle Arbeit leichte/ die Erde fruchtbar/ die Welt
ſchoͤn/ das Leben behaͤglich gemacht. Der
Zorn und die Furcht dienten der Tugend fuͤr
eine Leibwache/ ohne welche ſie iedermann zur
Eule machen/ und als einen Boviſt oder Erd-
Schwam̃ mit Fuͤſſen treten wuͤrde. Ja wenn ſie
ſich aller dieſer natuͤrlichen Waffen und Kraͤffte
enteuſerte/ waͤre der Menſch ein helffenbeinern
Bild ohne Fuͤhle/ die Tugend abeꝛ bey nahe ſelbſt
eine Ohnmacht der Seele/ und eine Entfal-
l[u]ng aller innerlichen Gemuͤths- Kraͤfften.
Mit einem Worte: Dieſe Neigungen waͤren
wilde Staͤmme/ welche fuͤr ſich ſelbſt dienliche
iedoch etwas rauhe und herbe Fruͤchte truͤ-
gen. Wenn aber die Vernunfft auf ſelbte die
Zweige der Tugend pfropfte; wuͤrden die
Fruͤchte mehr/ als hundertfach verbeſſert.
Endlich diente zu Behauptung ihrer Meynung
dieſer unwiderlegliche Satz: daß Gott/ welche[ꝛ]
doch die unbegreiffliche Grund-Saͤule/ und
der Mittel-Punct der Natur/ auf welcher alles
erſchaffene ruhete/ ja alles in ſich ſelbſt in hoͤchſter
Vollkommenheit/ und deꝛogeſtalt wie auſer aller
Veraͤnderungen/ alſo auch ohne unſere Ge-
muͤths-Regungen waͤre/ dennoch durch ſeine
allgemeine Macht alle Wercke unſerer Nei-
gungen/ wiewohl ſonder die mindeſte Bewe-
gung auszuuͤben ſich nicht enteuſerte/ wenn er
die Frommen mit den Fittigen ſeiner Barm-
hertzigkeit deckte/ uͤber den Fehltritten der Jrren-
den Mitleiden haͤtte/ fuͤr die ihn liebenden Wa-
che hielte/ denen Schlangen das Gifft/ dem
Feuer die Gewalt zu brennen benaͤhme/ den
Winden einen Zaum/ und den Wellen ein Ge-
biß anlegte; und wenn fuͤr ſeiner gegen die Boͤ-
ſen ausbrechenden Rache/ und der in den Wol-
cken krachenden Donner-Stimme die Zedern
ſich ſplitterten/ die Gebuͤrge rauchten/ die Erde
bebte/ und die Felſen ſich zermalmeten.
Dieſe Rede beſeelte ſie mit ſo beweglicher Ge-
berdung/ und die ihr aus den Augen blickende
Andacht gab ihren Gruͤnden einen ſo wichtigen
Nachdruck: daß niemand unter der Verſam̃-
lung ihr einiges Wort mehr entgegen zu ſetzen
ſich erkuͤhnte. Die das Ebentheuer ihrer
Dahinkunft zu erfahꝛen hoͤchſt-begierige Thuß-
nelde aber gab durch ihre Nachfrage/ wie viel
Jahre ſie in dieſer andern Schule haͤtte aushal-
ten muͤſſen? gleichwohl zum Verfolg ihrer
Erzehlung Anlaß. Dieſemnach denn Asbla-
ſte aufs freundlichſte nachtrug: Man haͤtte
in derſelben zwar nur die einige Kunſt der Maͤſ-
ſigung zu begreiffen/ und nichts zu lernen/ als
daß man die ſchrecklichen Dinge nicht fuͤrchtete/
in die annehmlichen ſich nicht zu ſehr verliebte/
und alſo zwiſchen einer wilden Unart und der
Verzaͤrtelung das rechte Mittel treffe; als
wordurch ein Menſch mit ſich ſelbſt einen voll-
kommenen Friede ſtiftete/ und die Ruhe des Ge-
muͤthes den einigen Ancker der Gluͤckſeligkeit
befe-
[1351[1353]]Arminius und Thußnelda.
befeſtigte. Gleichwohl wuͤrde fuͤr fuͤnf Jahren
hier niemand erlaſſen und loßgeſagt. Daher
ſie denn auch ſo viel Zeit darinnen angewehret/
wiewohl ſie bekennen muͤſte: daß der vollkom-
menſte Menſch ſein Lebtage uͤber Erlernung
dieſer einigen Tugend genung zu thun haͤtte/
welche ſo ſehr viel in ſich begrieffe/ und ein ſo
weites Gebiete als die Klugheit haͤtte; denn ob
ſie zwar eigentlich von andern Tugenden noch
unterſchieden/ dennoch gleichſam aller uͤbrigen
Seele waͤre. Sintemal wie keine Tieffſinnig-
keit das Buch der Natur ſeiner unzehlbaren
Geheimnuͤſſe halber auszugruͤbeln vermoͤchte;
alſo waͤre das Gemuͤthe des Menſchen ein
Meer voller Kruͤmmen/ Klippen/ Sandbaͤn-
cke und Strudeln: daß kein Weiſer noch dar-
uͤber eine richtige See-Karte gefertiget; kein
Bleymaß ſeine Tieffen ergruͤndet/ kein Menſch
mit dem Kompaſſe ſeiner Klugheit alle Verirr-
oder Vergehungen zu vermeiden vermocht
haͤtte.
Dieſer meiner Unvollkommenheit ungeach-
tet/ fuhr die weiſe Asblaſte fort/ verſetzte man
mich wider meinen Willen in die dritte Schule;
darinnen einem die tieffſten Geheimnuͤſſe entde-
cket werdẽ; theils wie Gott/ welcher doch aus der
Natur nur unvollkommen und als ein Schat-
ten erkennet wird/ ſich ſelbſt viel heller offenbaret
habe; theils wie der Menſch zur Wiſſen-
ſchafft kuͤnftiger Dinge gelangen koͤnne.
Von beyden etwas gemein zu machen wird der
Anweſenden hohe Beſcheidenheit nichts verlan-
gen/ welche wohl wiſſen: daß mir und meines
gleichen die Lippen durch ein Siegel angelobter
Verſchwiegenheit verſchloſſen ſind; welche man
unſers Heiligthums Verfaſſungen ſo viel weni-
ger verargen kan/ weil auch die Natur ihr beſtes
Ertzt in die Tieffen der Berge/ ihre Perlen in
den Abgrund des Meeres verbirgt/ und der
Himmel ſeine wenigſte Sternen/ Gott aber
ſelbſt ſich niemals ſehen laͤſt. So haben auch
die Egyptier von denen Goͤttlichen Geheim-
nuͤſſen in einer ungemeinen Sprache/ oder nur
durch Raͤtzel geredet. Sie haben zu derſelben
Verbergung eine abſondere Schrifft aus ſel-
tzam-geſtellten Voͤgeln/ Schlangen und an-
dern Thieren erfunden/ und darmit ihre koſtba-
re Tempel und Spitz-Saͤulen bemahlet/ hier-
durch aber mehr des Volckes geſpottet/ als die
Einfalt unterwieſen; wie ſie denn auch ſolches
ſelbſt zu bedeuten fuͤr ihre Heiligthuͤmer das
unauslegliche Wunder-Bild ſetzen; welches
vorwerts einen Loͤwen/ uͤbrigens einen Men-
ſchen mit Greiffen-Fluͤgeln und Adlers-Klau-
en fuͤrbildete; und uͤber ihre Jſis ſchrieben: daß
kein Sterblicher ihr den Schleyer noch nicht
aufgedeckt haͤtte. Eben ſo haben die Griechẽ die-
ſe Geheimnuͤſſe hinter den Schatten der Getich-
te verſteckt; Pythagoras nur die Schalen ſeiner
Wiſſenſchafftẽdenẽ Lehrlingẽ fuͤrgeworffen/ den
Kern fuͤr ſich behalten/ Orpheus dieſe Weißheit
mit dem Klange ſeiner Seiten verhuͤllet/ und
von denen/ welchen er was offenbaret/ einen
Eyd ſolches mit ins Grab zu nehmen abgehei-
ſchen. Plato hat in ſeinen Geſpraͤchen durch
Verbluͤmungen ſeine Gedancken verwirꝛt; daß
ſie weniger zu verſtehen ſind/ als wenn er ſie auff
tauſend von den Winden durch einander gewe-
hete Blaͤtter verzeichnet haͤtte. Ariſtoteles lehrte
bey feſt verſchloſſener Thuͤre/ und bedeckte alle
Schluͤſſe gleich als wie mit einem Nebel. Ja alle
Weiſen/ weñ ſie von dem Goͤttlichen Erkentnuͤß
ihꝛe Gedancken eꝛoͤffnen ſollen/ machẽ es/ wie deꝛ-
ſelbe Meerfiſch/ der wenn er die Nachſtellung ei-
nigen Netzes mercket/ mit einer von ſich gelaſſe-
nen Tinte das Waſſer truͤbet. Was fuͤr Wun-
der wird nicht von denen Wahrſagungen der
Sibyllen zu Rom gemacht/ in welche nie-
mand/ als der oberſte Prieſter ſehen darff? Wie
viel hat eine kluge Frau fuͤr den Augen des
Numa verbrennet; und der Kaͤyſer Auguſt
nach der Zeit ſie ſchier gar aus den Haͤnden der
Welt geriſſen? Jch verſichere ſie aber: daß al-
les dis/ was in dieſen Blaͤttern/ und in den
Steinen
[1352[1354]]Neuntes Buch
Steinen der Egyptier/ als den Buͤchern der
erſten Welt/ aufgeſchrieben ſtehet/ nur Huͤlſen
ſind gegen dem/ was die Alironiſchen Frauen
in denen buͤrckenen Rinden aufgezeichnet bey
ſich verwahren/ und von einer Juͤdin bekommen
haben. Welche Geheimnuͤſſe zu entdecken ſo
gefaͤhrlich iſt: daß Theopompus wahnſinnig/
Theodectes blind worden; als er ſie in Grie-
chi cher Sprache Frembden kund zu machen
ſich erkuͤhnet. Was der kuͤnfftigen Dinge
Vorbewuſt anreichet/ weiß ich zwar wol: daß
einige ſelbten als einen bloßen Traum der
Thoren/ oder als einen Betrug der Argliſtigen
ſchlechter dings verwerffen. Jch habe zu Rom
auch gehoͤrt: daß Cato ſich verwundert habe:
wie zwey Wahrſager einander ohne Lachen auf
der Straße begegnen koͤnten; weil beyde wol
verſtuͤnden; wie ihr gantzes Ampt nichts an-
ders waͤre/ als die gantze Welt zu Narren ha-
ben. Jch vertheidige auch nicht die Telchinen
auf Rhodus; welchen ihre redende Marmel-
Bilder weiſſagten; die Dactyler auf Creta/
welche aus Schmiedung des Eiſens kuͤnfftig
Ding zu wiſſen vermeinten/ noch die Thuſcani-
ſchen Vogel-Aufſeher/ die aus frembder Leber
mehr/ als aus eigenem Gehirne verſtehen wol-
ten. Wer wolte aber glauben: daß die Na-
tur ſo viel Thiere mit der Wiſſenſchafft kuͤnffti-
gen Gewitters/ bevorſtehender Todes- und an-
derer Zufaͤlle begabt/ den Menſchen aber nur
dis/ was ihm fuͤr den Fuͤſſen liegt/ wiſſen zu
laſſen gewuͤrdigt haben ſolte? Zwar iſt aller-
dings irrig: daß einige die traurigen Feuch-
tigkeiten/ andere die von der Sonne aus der
Erde gezogene Duͤnſte/ ihrer viel eine feſte
Einbildung/ oder das Eingeben der Geiſter
zur Mutter der Wahrſagungen machen; und
ich halte bey unſern Deutſchen ebenfals fuͤr
eine zauberiſche Blaͤndung/ wenn ein ungeheu-
res Geſpenſte durch einen Loͤwen-Adler- und
Nacht-Eulen-Kopff wahrſagte; als wenn
anderwerts ein aus Ertzt gegoſſenes Bild auf
alle Fragen be cheidentlich geantwortet haͤtte.
Alleine es haͤtte der Menſch in ſich Funcken ei-
nes himmliſchen Weſens/ von welchen nicht zu
verwundern iſt: daß derſelben weiſe Anweh-
rung ihm auch ein Licht der kuͤnfftigen Zeit an-
ſtecken kan; nach dem Steine und Kraͤuter we-
gen des Einfluſſes aus den Sternen in ſich
auch ſo ſeltzame Wuͤrckungen haben. Wie-
wol der wahre Urſprung dieſer Wiſſenſchafft
in der Einfloͤßung des Verhaͤngnuͤſſes ſo
wie des Thaues in dem fruchtbaren Kreiſſe des
Monden ſteckt; und nicht jedermann ſich die-
ſer Gabe faͤhig machen kan; alſo die Alten gar
tiefſinnig geurtheilet haben: daß die Wiſſen-
ſchafft kuͤnfftiger Dinge nur eine Eigenſchafft
der Weiſen/ und eine koͤnigliche Verrichtung
ſey. Wie unwuͤrdig ich nun mich hierzu be-
kenne; ſo hat doch der barmhertzige Erbarmer
dieſes allen mich ſo ferne damit betheilet: daß
ich nicht nur der Deutſchen herrlichen Sieg
gegen die Roͤmer; ſondern auch die Vermaͤh-
lung meines Sohnes mit der vollkommenſten
Fuͤrſtin der Welt fuͤr geraumer Zeit vorgeſe-
hen; und meinen Geſpielen eroͤfnet habe.
Hiermit zohe ſie eine ertztene Taffel ziemlicher
Groͤße unter ihrem Gewand herfuͤr; in wel-
che ſo wolihre itzt erwaͤhnte/ als bereit fuͤr einem
Jahre in dem Alironiſchen Heiligthume ent-
deckte Wahrſagung/ als auch/ wie Hertzog
Herrmann noch viel gefaͤhꝛliche Kriege/ Thuß-
nelde mit ihrem Sohne/ den ſie nach neun
Monden gebaͤhren wuͤrde/ die Gefangenſchafft
der Roͤmer zuuͤberſtehen; jedoch alle ihre Ve-
truͤbnuͤſſe einen gewuͤnſchten Ausſchlag zu er-
warten haͤtten/ tief eingeetzt ſtand. Dieſe
Taffel uͤbergab ſie Thußnelden/ und zugleich
ein verſiegeltes Buch/ mit der Verſicherung:
daß alle ihre kuͤnfftige Zufaͤlle darinnen haar-
klein verzeichnet waͤren. Dieſes ſolte ſie zu
ihrem Gedaͤchtnuͤſſe aufheben; jedoch ſolches
nirgends/
[1353[1355]]Arminius und Thußnelda.
nirgends/ als in der Stadt Artaxata zu oͤffnen
ihr angeloben. Sintemal Gott iedem Men-
ſchen zwar die Klugheit auf das kuͤnftige zu ſe-
hen/ nicht aber deſſelbten Vorbewuſt anzuver-
trauen fuͤr rathſam geachtet hat; weil die guten
Zufaͤlle ihn allzu vermaͤſſen und ſicher; die
ſchlimmen aber allzu kleinmuͤthig machen doͤrf-
ten. Thußnelde nahm dieſes ſeltzame Geſchen-
cke/ wiewohl mit ein wenig Veraͤnderung uͤber
denen ihr angedeuteten Begebnuͤſſen/ aufs de-
muͤthigſte an; und die Verſam̃lung danckte mit
groſſer Ehrerbietung dieſer weiſen Fuͤrſtin fuͤr
die Entdeckung ihrer ſo denckwuͤrdigen Begeb-
nuͤſſe. Die uͤbrige Zeit des Tages ward mit
froͤlichern Geſpraͤchen/ und einem praͤchtigen
Abend-Mahle in des Feldherrn Luſthauſe hin-
gelegt.
Es war ſchon etliche Stunden in die Nacht;
als dieſe anſehnliche Verſam̃lung aus dem groſ-
ſen Speiſe-Saale ſich erhob. Wie nun ein
iedes uͤber einen breiten Gang ſich in ſein Zim-
mer verfuͤgen wolte; oͤffnete ſich das Burg-
Thor mit groſſem Geraͤuſche; und das Licht
vieler ſich naͤhernden Fackeln erfuͤllte den gan-
tzen Hof; beydes aber verurſachte: daß die
ſaͤm̃tliche Fuͤrſtliche Perſonen ſich an das Ge-
lender lehneten/ dieſe Neuigkeit zu vernehmen.
Dieſen zeigten ſich alſofort eine Anzahl gantz
glatt geſchorner Leibeigenen/ derer ieder eine
brennende Wachs-Kertze fuͤrtrug. Dieſen
folgten zu Pferde etliche zwantzig theils Roͤ-
miſch/ theils Scythiſch/ theils Moriſch/ und auf
andere Art gekleidete und zu Pferde ſitzende
Frembdlinge; welche theils in Krum̃-Hoͤrner
von Auer Ochſen/ oder aus Ertzt gegoſſen/ blieſ-
ſen; theils auf von gedrechſeltem Holtze und
mit Ochſen-Ledeꝛ uͤberzogene Paucken ſchlugen.
Hierauf erſchien auf einem zierlichen zweyraͤ-
drichten Wagen/ den vier neben einander ge-
ſpannte Pferde zohen/ ein Herold/ deſſen Ampt
und Meynung ſeine Merckmale alſo gleich
entdeckten. Denn er hatte den mit zwey ein-
ander anſehenden Schlangen umbwundenen
Stab/ als das Friedens-Zeichen in der lincken;
den Spieß aber in der ſchon zum Wurff ge-
zu[c]kten Hand; uͤber diß war ſein Haupt mit
kein[e]m Blumen-Krantze bedeckt; ſondern mit
einem blutfaͤrbichten Wollen-Tuche umbwun-
den. So bald dieſer in die Mitte des Hofes
kam/ hielten nichts minder die Blaͤſer und Pau-
cker/ als der Wagen ſtille; der Herold aber
fieng an: Der Kern der Ritter aus den ſtreit-
barſten Voͤlckern der Welt iſt durch das Ge-
ſchrey: daß ein deutſcher Fuͤrſt die vollkommen-
ſte alles Frauenzimmers ihm zu vermaͤhlen ſich
erkuͤhnt haͤtte; noch Deutſchburg betagt/ ich
aber befehlicht wo[rd]en/ dich/ Herrmann/ Her-
tzog der Cherusker/ [u]nd alle Deutſchen/ die dich
einer ſolchen Fuͤrſtin wuͤrdig achten/ auf mor-
gen in den Kampfplatz zu fordern; da du entwe-
der dem Uberwinder Thußnelden abtreten/ odeꝛ
durch deine Tugend die Wuͤrdigkeit ſie zu beſi-
tzen erhaͤrten ſollſt. Alser dreymal dieſe Wor-
te wiederholet hatte/ warf[f] er ſeinen Spieß mit
einer ſolchen Heftigkeit von ſich: daß er in der
Mauer ſtecken blieb. Er aber drehete mit ſei-
nem Aufzuge ſich umb/ und kehrte auf der Burg
zuruͤcke/ der gantze Hof aber zur Ruhe.
Die Morgen-Roͤthe faͤrbte mit ihren Bli-
cken kaum die Wolcken und die oberſte Spitze
des Blocks-Berges; als man fuͤr der Burg und
in allen Straſſen ſchon durch allerhand Gethoͤ-
ne das Zeichen zu den Ritter-Spielen geben
hoͤrte. Der Schau-Platz war nicht allzu weit
von dem Fuͤrſtlichen Schloſſe auf einem flachen
Felde zwiſchen einem annehmlichen Luſt-Wal-
de/ und an einer rauſchenden Bach/ wormit
man den innern Platz anwaͤſſern konte/ erbauet.
Dieſen hatte Fuͤrſt Adgandeſter/ welcher zu Rom
nicht nur die Bau-Kunſt/ ſondern auch die Roͤ-
miſche Art der Schau- und Ritter-Spiele voll-
kommentlich begrieffen; nach dem Muſter deſ-
ſen/ welches Kaͤyſer Julius auf dem Mars-
Felde zu Rom aus Holtze erbaut hatte/ nach dem
Erſter Teil. J i i i i i i idas
[1354[1356]]Neuntes Buch
das erſtere des Curio vorher mit Erſchlagung
vieler tauſend Menſchen eingefallen war. Je-
doch hatte Adgandeſter nach der Anleitung des
ſteinernen Schau-Platzes den Statilius T[a]u-
rus aus Tiburtiniſchen Werckſtuͤcken dem
Kaͤyſer Auguſt zu Ehren aufgefuͤhrt/ vie[l] in ſei-
nem verbeſſert; inſonderheit: daß es nicht
kreiß-ſondern zu mehrer Beque[m]ligkeit der
Zuſchauer Ey-rund/ auch von e[it]el zwey- und
drey-grieffigen Eichbaͤumen[/] alſo viel feſter
als des Julius erbaut war Sonſt hatte es
die Hoͤhe wie dieſes/ und ſtiegen von denen
innerſten und fuͤrnehmſten Sitzen/ welche gegen
dem Platze mit zierlichem Drate verwahrt/ und
in gemaͤchliche Zimmer eingetheilt waren/ dreiſ-
ſig um und um gehende Re[y]en Baͤncke heraus-
werts empor/ wormit auch die letztern alles un-
verhindert ſehen konten. Dieſe konten funf-
zig tauſend Menſchen [o]hne Gedraͤnge beher-
bergen. Der Schau-Platz hatte an denen
zwey breiten Seiten [z]wey weite Thore gegen
einander uͤber/ aber wohl zwoͤlff Stiegen. Zu
unterſte waren Hoͤlen/ und darinnen viel wilde
Thiere/ welche ma[n] durch eiſerne Fall-Gegitteꝛ
aus und einlaſſen konte. Daruͤber waren ge-
wiſſe Gemaͤcher/ welche ſich auf den mitlern mit
Sande beſtreuten Platz heraus drehen; und
durch derſelben Zuſammenfuͤgung dem Schau-
Platze die Geſtalten eines Waldes/ eines Fel-
des/ einer Wieſen und andere geben; oder auch
den Platz gar beſtroͤmen/ und nicht nur mit Fi-
ſchen und Waſſer-Thieren/ ſondern auch mit
Schiffen anfuͤllen kontẽ. Ja der innere gleiche
Platz hatte in ſich gewiſſe Hoͤlen/ welche zur
Zeit alles/ was ſich darauf befand/ in einem Au-
genblicke in ſich zu verſchlingen/ und uͤber ſich
wieder eine Flaͤche zuzuſchluͤſſen/ oder auch aus
ſich Feuer und Flammen auszuſpeyen geſchickt
waren. Uber diß waren auch hin und wieder
kleine Spring-Brunnen gemacht; welche
durch verborgene Roͤhre zwar nicht wie zu Rom
Balſam und zerlaſſenen Saffran; aber wohl
friſches Brunn-Waſſer theils zu Erfriſchung
des Schau-Platzes/ theils zu Erquickung der
durſtigen Ringer und Zuſchauer hervor ſpruͤtz-
ten. Wiewohl bey dieſem Hochzeit-Feyer der
ſonſt denen allzu uͤppigen Zaͤrtligkeiten nicht
holde Feldherr dem Fuͤrſten Adgandeſteꝛ erlaubt
hatte: daß durch gewiſſe Roͤhren von wohlruͤ-
chendem Roſen-Waſſer ein ſanfter Regen uͤber
den gantzen Schau-Platz abtroͤpfeln moͤchte.
Die Fenſter waren gleichfalls mit bund-ſeide-
nen Vorhaͤngen fuͤr die Sonne beſchattet;
worzu die Beute aus dem Roͤmiſchen Lager
einen uͤberfluͤſſigen Vorrath herbey geſchafft
hatte.
Das Gethoͤne machte den Hof/ die Stadt
und die gantze Gegend nicht allein rege/ ſondern
fuͤllte in weniger Zeit den Schau-Platz deroge-
ſtalt mit Zuſchauern an: daß in ſelbtem kein
Apfel zur Erde haͤtte fallen koͤnnen; alle
Treppen beſetzt wurden/ und ihrer gleichwohl
noch viel keinen Raum fanden. Als die Groſ-
ſen des Hofes ihre Sitze kaum eingenommen
hatten/ oͤffnete ſich in dem untern Schau-
Platze ein Thor; daraus kam auf einem blau-
en mit Sternen beſtreueten Wagen das Ge-
ſchrey in eine helle Poſaune blaſende/ gefahren.
Dieſem folgten hundert Herolden mit aller-
hand Seitenſpielen; und hierauf ein auf vier
gantz niedrige Raͤder geſetzter vieꝛeckichter
Grund-Fuß mit einem Abſatze/ darauf die
Hoffnung in einem blauen mit gruͤnenden Oel-
Zweigen beſtreuten Rocke ſtand/ mit der lincken
Hand ſich auf einen Ancker lehnete/ in der rech-
ten eine Lilge/ auf dem Haupte auch einen
Krantz von ſolchen der Hoffnung gewiedmeten
Blumen und Bluͤthen als Vorbothen kuͤnftigeꝛ
Fruͤchte hatte/ und von vier Luchſen/ welche mit
ihrer Scharffſichtigkeit denen Hoffenden nicht
unehnlich ſind/ foꝛtgezogen ward. Hierauf brach-
ten vier ſchwartze Pferde einen ſechsraͤdrichten
Wagen gefuͤhꝛt/ auf welcher die Beſtaͤndigkeit in
einem mit unausleſchlichen Sternen gebluͤmten
Rocke
[1355[1357]]Arminius und Thußnelda.
Rocke ſaß; und fuͤr ihr eine Seule ziemlicher
Groͤſſe liegen hatte. Nach dieſem er[ſ]chien auf
einem vergoldeten von vier weiſſen Pferden ge-
zogenen Wagen der Sieg/ in der Hand einen
Oel-Zweig/ auf dem Haupte einen Lorber-
Krantz haltend; Auf der rechten Achſel ſaß ein
Habicht/ auf der lincken eine Nacht-Eule; fuͤr
ihr lag eine guͤldene Krone. Zuletzt erſchien
ein groſſer laͤnglicht-rundter von zwey Loͤwen
gezogener Wagen; darauf ſtanden die Tapf-
ferkeit/ die Gedult/ die Gerechtigkeit mit der
Keuſchheit/ und trugen ein goldenes Bild der
Fuͤrſtin Thußnelde auf den Armen. Dieſer
Aufzug machte in dem Platze einen laͤnglich-
ten Kreiß; die Saͤiten-Spieler aber vertheil-
ten ſich in die ihnen zugeeignete Sitze. Wie
nun dieſe mit ihrem anmuthigen Klange vori-
ges Kriegs-Gethoͤne abloͤſeten/ kamen aus vier
Hoͤlen acht ungeheure an lange Ketten mit ei-
nem Fuſſe geſchmiedete Cyclopen herfuͤr; wel-
che gegen der Hoffnung ſich bis zur Erde neig-
ten; hernach einen ſeltzamen Rieſen-Tantz
anfiengen; darinnen ſie das Schwirren ihrer
Feſſel nach dem Klange der Saͤiten artlich be-
quemeten; und nach dem die Hoffnung mit
einem einigen Streiche ſie alle/ als ſie fuͤr ihr
niederknieten/ ihrer Ketten erledigte/ namen ſie
immer zwey und zwey wechſels-weiſe auf die
Armen; und hieben nach einem ziemlichen
Herumbtantzen ſie auf einen in dem unterſten
Geſtuͤle geſetzten Stul empor. Zuletzt faßten
ſie den Fuß-Bodem/ darauf die Hoffnung ge-
ſtanden hatte/ und ſaͤtzten ihn mit ungemeiner
Geſchickligkeit recht in dem Mittel des Schau-
platzesfeſte. Als dieſe Rieſen in einem Augen-
blicke ſich verlohren/ weltzte ſich die auf dem
Wagen der Beſtaͤndigkeit liegende Seule her-
ab/ richtete ſich von ſich ſelbſt auf; und nach dem
ſie umb den befeſtigten Bodem-Fuß einmal her-
umb kommen war/ wurden die zwoͤlf in dem
innerſten Schauplatze ſtehenden Seulen/ auf
denen die Bilder der zwoͤlf Cheruskiſchen Feld-
Herrn ſtanden/ rege; ſtellten auch durch eine
kuͤnſtliche Verwirrung/ in welcher die erſtere
Seule bey jedem Schluſſe ſtets in die Mitte
kam/ den allerzierlichſten Tantz fuͤr. Endlich
armten ſich dieſe Bilder mit der Seule/ hoben
ſie auf den Bodem-Fuß der Hoffnung/ und
fuͤgte ſich jedes wieder an ſeine erſte Stelle;
allwo ſich ihre vorige Geſchickligkeit wieder in
unregſame Hoͤltzer verwandelte. Dieſe aber
loͤſeten ab ſechs von den Spitzen des Schau-
platzes herab ſchuͤßende Adler; welche anfangs
umb den Wagen des Sieges fliegende zierliche
Kreiſſe machten/ hernach umb die aufgerichtete
Seule gegen einander einen annehmlichen
Luſt-Kampff hielten; Zuletzt aber alle ins ge-
ſampt die auf dem Wagen des Sieges ſtehende
Krone empor hoben/ und nach dem ſie mit ſelb-
ter den gantzen Schauplatz umbflogen/ ſie auf
die erhobene Seule feſte ſaͤtzten. Endlich ka-
men zwoͤlf gefluͤgelte Winde aus der Hoͤhe in
den Schauplatz/ welche nach dem bald linden/
bald ſtaͤrckerem Gethoͤne der Saͤiten-Spiele
und Krumm-Hoͤrner aufs zierlichſte durch ein-
ander tantzten/ und ſo wol mit ihrer Bewegung/
als dem Geraͤuſche der Fluͤgel die Eigenſchaff-
ten der Winde artlich fuͤrſtellten; zuletzt das
Bild der Fuͤrſtin Thußnelde aus den Haͤnden
der vier Tugenden empfiengen/ mit ſelbtem em-
por flohen/ und es auf die gekroͤnte Seule ſaͤtz-
ten. Wormit denn ſo wol dieſe Winde/ als
alles andere von dieſem Aufzuge/ außer der
Seule/ im Augenblicke mit einem groſſen Ge-
raͤuſche veꝛſchwand.
Alſofort oͤfnete ſich das eine groſſe Thor
des Schauplatzes; durch welches der des Abends
vorher in der Burg geweſte Herold herein
fuhr. Dieſen folgten fuͤnf Geſchwader Roͤ-
miſch gekleidete Reiter/ jede dreißig Pferde
ſtarck/ alleſampt Deutſche von Adel mit ſo viel
Fuͤhrern; welche alle von tapffern Thaten be-
ruͤhmte Ritter waren; nemlich Loͤwenrod/
Kranchsfeld/ Lobdiburg/ Hohenwart/ Spiegel-
J i i i i i i i 2berg/
[1356[1358]]Neuntes Buch
berg/ Eiſenburg/ Daun/ Gleißberg/ Dorgau/
Woldenburg/ Kolditz/ Hatzfeld/ Brauneck/
Hardeck/ Muͤhlberg/ Flevsheim/ Schlieben/
Streithorſt/ Landsberg/ Binau/ Wolffskehl/
Kronberg/ Hirſchhorn/ Waltenſtein/ Stuͤben-
berg/ Hohenack/ Stoͤffel/ Biberſtein/ Freuden-
berg und Glachau; ihr Oberſter aber war der
Graf zu Steinfurt. Sie hatten alle kohl-
ſchwartze Pferde mit gelben Sitz-Decken an
ſtatt der Saͤttel; die Fuͤhrer aber weiſſe mit
blauen. Alle waren gleichſam in ſchopfichte
von Leder gemachte Pantzer eingenehet. An
der Seite hatten ſie einen langen Degen/ in der
rechten Hand einen langen Spieß/ einen Bo-
gen auf dem Ruͤcken/ in dem Koͤcher drey Pfei-
le; auf dem Haupte einen Helm/ und darauff
blau und gelbe Strauß-Federn eines Ellenbo-
gens hoch/ welches dieſe Reiteꝛ ſo viel anſehnlicheꝛ
machte. Dieſer Reiterey folgten zehn Fahnen
zu Fuſſe/ iedes vierhundert und zwantzig Mann
ſtarck; dieſe beſtanden an drey Geſchwadern
leichten Knechten/ welche mit einem kurtzen
Spaniſchen Degẽ an deꝛ rechtẽ Seite/ 7. Wurff-
Spieſſen/ und einem rundten von Leder uͤber-
zogenen drey Fuß langen Schilde geruͤſtet wa-
ren; an ſo viel jungen ſtarcken Picken-Traͤ-
gern/ wie nichts minder ſo vielen mit groſſen
zweyſchneidenden Schwerdtern/ wie auch vier
Fuß lang- und drittehalb breiten Schilden ge-
waffneten Maͤnnern; und ſechzig alten grau-
en Kriegs Leuten; welche nebſt ihren Degen
mit dreyzanckichten Spieſſen zum Hinterhalt
aus geruͤſtet waren. Das erſte Fahn hatte den
guͤldenen Adler/ das andere einen Minotau-
rus/ das dritte eine Welt-Kugel/ das vierdte ei-
nen Drachen/ das fuͤnſte ein Schwein/ das ſech-
ſte eine Schlange/ das ſiebende einen Wolff/ das
achte einen Elefanten/ das neunte einen
Sphynx/ das zehnde einen Wieder zum Kriegs-
Zeichẽ; und in dieſe bey den Roͤmern hochheilige
Merckmale war auf einer Seite des Kaͤyſers
Auguſt/ auf der andern Seite des Tiberius
Nahmen mit Golde gemahlet; ſie auch ſelbſt
mit Perlen und Edelgeſteinen behenckt. Die
Faͤhnriche waren alle mit Loͤwen-Haͤuten uͤber-
deckt. Fuͤr dem erſten Fahne ritt in Kaͤyſerli-
chem Schmucke unter dem Nahmen des Tibe-
rius der Catten Hertzog Arpus. Alle dieſe
Kriegsleute waren deutſche Ritter oder Edelleu-
te. Die vier Oberſten waren Hertzog Melo/
Siegemer/ Catumer/ und Siegesmund/ Se-
geſthens Sohn. Uber den guͤldenen Adler
war geſetzt der Graf von der Marck. Die
dreiſſig Hauptleute waren die Grafen von
Ebersberg/ Winßenburg/ Abenſperg/ Hohen-
warth/ Caſtell/ Rheineck/ Schwaꝛtzburg/ Beuch-
lingen/ Stolberg/ Leißneck/ Orlemund/ Retz/
Phirdt/ Sonnenburg/ Helffenſtein/ Leiningen/
Hanau/ Loͤwenſtein/ Mondfurth/ Hirßberg/
Zimbern/ Scheiern/ Lechsmund/ Urach/ Ky-
burg/ Veringen/ Kalb/ Pfauenburg/ Sarwer-
den und Acheln. Gleicher geſtalt waren alle
ſechzig aͤlteſte Kriegsleute des erſtern Fahnes
Ritter; und zwar unter ſelbten Breuberg/
Burcksdorff/ Rodemach/ Rolingen/ Schellen-
berg/ Ratzenhaus/ Zetlitz/ Hohenburg/ Bicken-
bach/ Ehenheym/ Noſtitz/ Erbach/ Grunbach/
Hohenhewen/ Wolfartshauſen/ Radenburg/
Schoͤnberg/ Falckſtein/ Seidlitz. Jhre Waf-
fen waren alle verguͤldet/ und ihre Kleider Pur-
per-roth und weiß. Nach dieſen Fuß-Voͤl-
ckern kamen abermals fuͤnf Geſchwader Reite-
rey; eben ſo wie die erſten gewaffnet/ aber mit
ſtaͤhlernen Pantzer-Hembden und verguͤldeten
Helmen; darauf Regenbogenfaͤrbichte Strauß-
Federn flatterten/ ausgeruͤſtet. Sie waren
alle Deutſche von Adel/ ihre dreiſſig Fuͤhrer Rit-
ter/ nemlich Brandiß/ Hohenſtauffen/ Kwer-
furth/ Malzan/ Eynenberg/ Thrunberg/ Neu-
enburg/ Firneberg/ Arnſtein/ Thoͤring/ Gerß-
dorff/ Waldenſteyn/ Arburg/ Rode/ Rothal/
Greiffenklau/ Schweinitz/ Kobern/ Weißbach/
Stoſch/ Birckenfels/ Borſchnitz/ Malditz/ Kit-
litz/ Katzau/ Moͤrsberg/ Neuhaus/ Seeburg/
Franckenberg und Daun. Jhr Oberſter
war ein Graf von Naſſau. Der erſten
Rei-
[1357[1359]]Arminius und Thußnelda.
Reiterey Kriegs-Zeichen war ein Kranch/ der
andern ein Schwan: jenen beobachtete der
Graf von Ortenburg/ dieſen der Graf von
der Lippe. Dieſes gantze Kriegs-Volck zohe
umb die aufgerichtete Seule/ und neigte ſeine
Waffen fuͤr dem Bilde Thußneldens. Her-
nach ſtellte es ſich in die Breite nach der Laͤnge
des Schauplatzes in Schlacht-Ordnung; alſo:
daß auf jeder Seite fuͤnf Geſchwader Reiterey
das Fuß-Volck bedeckte. Von dieſem aber
wurden die Piquen-Traͤger in zehn Hauffen
abgetheilt; und in das erſte/ die eben ſo ſtar-
cken und derogeſtalt abgetheilten Schwerdt-
Fechter in das andere Treffen; und endlich der
Kern der ſechs-hundert erfahrnen Kriegs-
Helden in Hinterhalt geſtellet; fuͤr denen in
der Mitte Tiberius und bey ihm der guͤldene
Adler ſich befand. Die zwoͤlf-hundert Mann
des leichten Fuß-Volckes aber wurden fuͤr alle
drey Ordnungen zum erſten Anfalle einge-
theilet.
Dieſe Roͤmiſche Macht war kaum in ihren
Stand kommen; als das andere groſſe Thor
mit Gewalt aufgieng/ und uͤber hundert halb-
nackte Deutſchen/ welche mit ihrem Blaſen in
eitel Auer-Ochſen-Hoͤrner ein erſchreckliches
Gethoͤne erregten/ voran in den Schauplatz
traten. Sie waren aber nur Vorboten hun-
dert und funfzig deutſcher in fuͤnf Geſchwader
vertheilter Reiter/ alle mit Luchs-Augen bedeck-
te/ mit einem hoͤltzernen Schilde/ kurtzem
Schwerdte/ Lantzen und Wurff-Spießen ge-
waffnete deutſche Edel-Leute. Jhre dreißig
Fuͤhrer waren die Grafen von Andechs/ Hoye/
Arnsberg/ Bentheim/ Gretſch/ Mansfeld/
Schwartzburg/ Ufheim/ Rethel/ Stirum/
Weiſſenfels/ Gleichen/ Rochlitz/ Hohen-Zol-
lern/ Stolberg/ Eberſtein; und die Ritter Rap-
pelſtein/ Epſtein/ Ellersbach/ Ruͤxingen/ Frey-
berg/ Hohberg/ Thennesberg/ Giech/ Warns-
dorf/ Braun-Eltz/ Muͤhlheim/ Bebran/ Al-
tenſtein. Jhr Oberſter war Hertzog Ganaſch;
Jhr Fahn oder Kriegs-Zeichen war ein wilder
Eber. Alle dieſe Fuͤhrer waren mit Baͤren-
Haͤuten; der Hertzog aber mit einer Loͤwen-
Haut bedecket. Die Reiterey hatte eitel braune
Pferde; die Fuͤhrer aber Blauſchim̃el. Hier-
auf folgten zehn Fahnen Fuß-Volck zu hun-
dert und zwantzig Mann. Sie waren faſt
wie die Roͤmer gewafnet; ihre Ruͤſtung aber
waren eitel Wolfs-Haͤute/ und ſchmale/ flache/
aus Rinde oder Wieten geflochtene Schilde in
Mannes-Laͤnge. Das fuͤrnehmſte Kriegs-
Zeichen/ welches der Graf von Hanau fuͤhr-
te/ war ein Pferd/ das andere ein Baͤr/ das
dritte ein Luchs/ das vierdte ein Tiger-Thier/
das fuͤnffte ein Habicht/ das ſechſte eine Eule/
das ſiebende ein wilder Mann/ das achte ein
Loͤw/ das neundte ein Biber/ das zehnde ein
Wallfiſch. Alle waren deutſche Ritter oder
Edelleute. Jhre dreißig Hauptleute/ der Graf
von Aſcanien/ Egmont/ Horn/ Zweybruͤcken/
Henneberg/ Barby/ Werthheim/ Hohenloh/
Fuͤrſtenberg/ Catten Ellenbogen/ Waldeck/
Veldentz/ Luͤtzelſtein/ Spanheim/ Schaum-
berg/ Waſſerburg/ Burghauſen/ Diffalden/
Lechsmund/ Stalberg/ Vochburg/ Kyburg/
Scherding/ Stoͤfling/ Weiſſenhorn/ Dorn-
berg/ Freyburg/ Thaſſel/ Teckelnburg und
Senisheim. Alle dieſe hatten umb ſich Loͤwen-
Haͤute/ und auf dem Haupte an ſtatt des Hel-
mes einen Kopff eines grauſamen Thieres
aus Ertzte gebildet. Uber dis waren zu Un-
ter-Befehlhabern beſtellet der Ritter Warin-
grode/ Schaff/ Hahnburg/ Pleſſau/ Schlieben/
Gerau/ Tauttenberg/ Promnitz/ Wildenfels/
Warberg/ Reibnitz/ Weinsberg/ Schwerin/
Schoͤnach/ Logau/ Ehrenfels/ Sack/ Bicken-
bach/ Riet-Eſel/ Rabenſtein/ Kammerau/ Not-
hafft/ Stoͤſſel/ Seckendorff/ Rothenhahn/ Jch-
tritz/ Biberſtein/ Muͤhlheim/ Leſtwitz/ Eiſen-
burg/ Bodman/ Buchwald/ Tſchirnhauß/
Rainer/ Littwitz/ Breitenſtein/ Hagen/ Schel-
king/ Frauenſtein/ Kuͤnring/ Braun/ Welwaꝛd/
J i i i i i i i 3Jngel-
[1358[1360]]Neuntes Buch
Jngelheim/ Zelcking/ Fuͤrwangen/ Waldau/
Beſt/ Lierheym/ Pritwitz/ Roſenberg/ Schwei-
nichen/ Gelhorn/ Ringenberg/ Bock/ Allen-
dorff/ Unruh/ Eltershofen/ Haubitz/ Schellen-
dorff und Schwanberg. Dieſe waren bekleidet
mit Baͤren-Haͤuten. Der Feldherr aber
war Hertzog Herrmann mit einer Loͤwen-
Haut und Keule wie Hercules ausgeruͤſtet.
Seine vier Oberſten waren Hertzog Flavius/
Henrich ein Hertzog der Marſinger/ Wolde-
mar ein Fuͤrſt der Cimbern/ und Leithold ein
Graf von Habſpurg; welche ſich alle mit Pan-
ther-Haͤuten bedeckt; und mit Loͤwen-Koͤpffen
an ſtatt der Helme verwahrt hatten. Hier-
auf beſchloſſen endlich den Einzug fuͤnf Ge-
ſchwader Reiterey/ alle mit Tiger-Haͤuten be-
deckt; welche alle von Adel; ihre dreißig Fuͤh-
rer aber die Grafen zu Cleve/ Salm/ Solms/
Nellenburg/ Bucheg/ Salgans/ Fuͤrwangen/
Weiſſenwolff/ Hardeck/ Forchtenſtein/ Hayn-
burg/ Lichtenſtein/ Windiſchgraͤtz/ Sternberg/
Moßburg; und die Ritter Waſſener/ Bre-
derode/ Neſſelrode/ Walſee/ Falckenſtein/ Kren-
ckingen/ Zinzendorff/ Leipe/ Mutſchelnitz/ E-
ſchenbach/ Rohr/ Planitz/ Quad/ Marwitz/
Bernſtein waren. Jhr Oberſter war der
Hermundurer Hertzog Jubil; welcher ebenfals
mit einer Loͤwen-Haut bedeckt/ und wie Hertzog
Ganaſch geruͤſtet war. Die zwey Kriegs-
Zeichen der Reiterey waren ein Reiger/ und
ein Eis-Vogel; jenen beobachtete der Graf
von Ravensberg/ dieſen der von Berg. Alle
dieſe Kriegs-Leute neigten ebenmaͤßig ihre
Waffen fuͤr Thußneldens Bildnuͤſſe; und
ſtellten in gleicher Abtheilung ſich gegen die
Roͤmer in Schlacht-Ordnung; jedoch nicht
nach der gemeinen Art viereckicht; ſondern
beyde ſtanden wie zwey halbe Monden/ theils
wegen der Rundte/ theils wegen der Enge des
Schauplatzes gegen einander.
Hierauf verwandelte ſich das bisherige Ge-
raͤuſche in eine Stille; da denn der Tiberius
ſich vier Ritter auf einem Schilde durch die
Kriegs-Schaaren tragen ließ/ und zur Tapf-
ferkeit ermahnte/ welche mit einem hellen
Kriegs-Geſchrey und Aufhebung ihrer gewaf-
neten Haͤnde ihn deſſen verſicherten. Der
Feldherr Herrmann aber redete ſein Volck
von einem in der Eyl von Raſen aufgeworffe-
nen Huͤgel an; welches durch Zuſammen-
Stoßung ihrer Schilde und Emporſchwin-
gung der Waffen ſeine behertzte Einwilligung
zu verſtehen gab.
Wie nun alſofort hierauf beyderſeits durch
das grauſame Gethoͤne der Krumhoͤrner/ und
durch Aufſteckung eines rothen Tuches das
Zeichen zur Schlacht auf der Roͤmer Seite
das Gluͤcke/ auf der Deutſchen/ die Tugend
zum Worte gegeben ward; ſo fieng das Tref-
fen an beyden Hoͤrnern der Reiterey an. Erſt-
lich traffen fuͤnff Ritter/ als Fuͤhrer eines an
der Spitze ſtehenden Geſchwaders/ und hernach
ihr Geſchwader von fuͤnf und zwantzig Edel-
Leuten gegen einander mit Pfeilen. So bald
ſie ſich auf die Seite zuruͤck geſchwenckt hatten;
loͤſeten ſie allerſeits zehn Fuͤhrer mit zweyen
Schachweiſe darhinter ſtehenden Geſchwadern
ab; und als auch dieſe ſich zuruͤck ſchwenckten;
ruͤckten die vier Oberſten der Reiterey mit drey
Geſchwadern und ihren funfzehn Fuͤhrern
herfuͤr; traf alſo Hertzog Ganaſch itzt und alle-
mal auf den Grafen von Steinfurth; und
Hertzog Jubil auf den Grafen von Naſſau.
Nach der Zuruͤckſchwenckung dieſer dreyen
Geſchwader/ ſaͤtzten ſich allenthalben alle ſechs
Hauffen neben einander; und giengen hierauf
insgeſampt auf einander ſpornſtreichs loß.
Bey ihrer Zuruͤckſchwenckung aber ſaͤtzten ſie
ſich ſpitzig zu und ſchachweiſe hinter einander/
wie ſie von anfangs geſtanden hatten. Bey
welcher Vermengung nicht allein aus dem Un-
terſcheide der Pferde und der Kleidung die gute
Ordnung aller auf einander ſo genau treffen-
der Glieder/ ſondern auch nicht ohne Verwun-
derung
[1359[1361]]Arminius und Thußnelda.
derung zu ſehen war; wie in eines jeden kaͤmpf-
fenden Schilde zwey Pfeile ſteckten/ und alſo/
weil niemand gefehlet hatte/ keiner auf dem
Bodem gefallen war. Maßen denn auch alle
Pfeile und Wurff Spieße mit deſſen Wappen/
der ſie brauchte/ gezeichnet waren; wormit die
Fehlenden hernach erkennet werden moͤchten.
Unterdeſſen traf auch das Fuß-Volck; jedoch
weil in dieſem nicht jedermann/ wie ſonſt der
Kriegs-Brauch erfordert/ fuͤr voll drey Schuh
weit Platz umb ſich hatte/ nur nach und nach
auf einander. Anfangs fielen zehn Hauffen
leichtgeruͤſteter Kriegs-Leute/ jeder viertzig
Mann ſtarck/ einander mit leichten Wurff-
Spießen an/ welche ebenfals alle mit den
Schilden aufgefangen wurden. Dieſe ſaͤtz-
ten ſich bey ihrer Zuruͤckweichung in die Luͤcken
zwi[ſ]chen die Piquen-Traͤger; die unterdeß ge-
gen einander ruͤckten; und mit ihren Lantzen
einander zu durchbohren/ oder die Ordnung zu
durchbrechen trachteten. Wie ſich denn auch
ereignete: daß auf deutſcher Seiten von dem
Fahne des Luchſes in die Roͤmiſche Welt-Ku-
gel/ vom Tiger in Drachen/ vom wilden Maũe
in Wolff/ und vom Loͤwen in Elefant/ hingegen
von Roͤmiſcher Seiten vom Minotaur in den
deutſchen Baͤr/ vom Schweine in Habicht/ von
der Schlange in die Nacht-Eule eingebrochen
ward; die mittelſten Haupt-Fahnen des Pfer-
des und Adlers; ingleichen die euſerſten des
Bibers/ gegen den Sphynx/ und des Wallfi-
ſches gegen den Wieder/ blieben aber in geſchloſ-
ſener Ordnung gegen einander ſtehen. Die-
ſemnach denn die zwiſchen dem Luchs und wil-
den Manne ſtehenden leichten Schuͤtzen dem
Habichte/ die zwiſchen dem Pferde und Tiger
dem Baͤren/ die zwiſchen dem Loͤwen und dem
Tiger der Nacht-Eule; hingegen auf Roͤmi-
ſcher Seite die zwiſchen dem Adler und der Sau
der Welt-Kugel/ zwiſchen dem Minotaur und
der Schlange dem Drachen/ zwiſchen dem
Sphynx und der Sau dem Wolffe/ zwiſchen
der Schlange und dem Wieder dem nothleiden-
den Elefanten mit ihren Wurff-Spießen zu
Huͤlffe eilen muſten. Welches beyderſeits mit
einer ſo geſchickten Geſchwindigkeit geſchach:
daß ſich alle Hauffen nicht nur ordentlich zu-
ſammen ſchloſſen/ ſondern es ruͤckten auch dieſe
Piquen-Traͤger mit einer zierlichen Art zuruͤ-
cke/ und die Schwerdt-Fuͤhrer durch die leere
Plaͤtze neben ihnen herfuͤr. Jnzwiſchen ge-
rieth die Reiterey mit voriger Abwechſelung:
daß anfangs fuͤnf Fuͤhrer mit einem Geſchwa-
der/ hernach zehn mit zweyen/ ferner der Ober-
ſte ſelbſt und funfzehn Fuͤhrer mit dreyen; end-
lich alle ſechs in die Breite geſaͤtzten Geſchwa-
der auf einander traffen. Das erſte Treffen
geſchahe mit einem langen Wurff-Pfeile; dar-
unter abermals nicht ein einiger fehlete; ſon-
deꝛn jeder Schild einen Pfeil in ſich ſtecken hatte.
Das geſampte Treffen aber mit langen Lantzen;
welche durch das erſchreckliche Knacken und die
Emporfluͤgung der abſpringenden Spitzen/
nach dem gleichſam in einem Augenblicke drey-
hundert und ſechzig auf einmal gebrochen wur-
den/ denen furchtſamen Zuſchauern ein Schre-
cken/ denen Behertzten aber eine ungemeine
Luſt erweckte. Worbey denn dis wunderns-
werth war: daß keiner unter den Streitenden
aus dem bloß von gleichen Decken gemachten
Sitze kam; nur allein verwundete Hertzog
Ganaſch des Grafen von Steinfurth/ Graf
Bentheim des Ritters Hohenwarts/ hingegen
Wolffskehl des Ritters Freybergs/ und in dem
andern Horne der Graf von Salm des von
Hohenſtauffen/ und Waſſenar des Rothals/
hingegen Querfurt des Grafen von Solms
Pferd ſo ſehr: daß ſie bey dem folgenden Tref-
fen andere aus ihren Bey-Pferden erkieſen
muſten. Kolditz/ Brauneck/ Biberſtein/
Greiffenklau und Seeburg wurden auf Roͤ-
miſcher/ Arnsberg/ Stirum/ Rohr und Pla-
nitz auf deutſcher Seiten/ jedoch ohne Gefahr
und Hindernuͤs fernerer Kriegs-Ubung ver-
wundet/
[1360[1362]]Neuntes Buch
wundet. Eben ſo ſcharf gieng es bey dem Fuß-
Volcke her. Denn die mit groſſen Schwerd-
tern geruͤſteten Helden lieſſen zwar die ihnen
zugeordnete vierhundert leichte Schuͤtzen mit
ihren Wurff-Spießen ihren Feind eben ſo wie
anfangs reitzen. Wie dieſe ſich aber zwiſchen
ihre in drey Glieder geordnete zehn Hauffen
ſaͤtzten/ grieffen die erſten Glieder/ und alſo zu-
ſammen vierhundert Mann einander mit de-
nen Schwerdtern ſo grauſam an: daß es ſchien:
es wuͤrde der groͤſte Theil auf dem Schauplatze
erblaſſen. Als auch die erſten Glieder abge-
mattet/ traten die andern/ und folgends die drit-
ten mit einer ordentlichen Abwechſelung an
die erſte Stelle. Die zwey Oberſten Melo
und Catumer auf Roͤmiſcher/ Flavius und
Woldemar auf Deutſcher Seiten/ fochten auch
ſelbſt ſo ſcharf gegen einander; als wenn es um
ihre Herrſchafft zu thun waͤre; welchen denn
die beyderſeits gegen einander ſtehenden zehn
Hauptleute nichts nachgaben; Woruͤber der
Graf von Abensberg/ Stolberg/ Loͤwenſtein/
Kyburg und Acheln jenſeits/ und diſſeits die
Grafen von Barby/ Ellenbogen/ Burghau-
ſen/ nebſt vielen Rittern beyderſeits ziemlich
verwundet wurden; ungeachtet die Schwerd-
ter mit Fleiß zu dieſen bloßen Kriegs-Ubungen
ſtumpff gemacht wurden. Gleichwol blieben
aller Ortes die Glieder feſte geſchloſſen/ und
alle zehn Hauffen in unverſehrter Ordnung.
Durch dieſes Schwerdt-Gefechte ward die
Reiterey an beyden Hoͤrnern nun auch gleich-
ſam aufgefriſcht: daß ſie zu ihren Degen grief;
und erſtlich das eine in der Spitze ſtehende/ her-
nach die zwey andern/ ferner die drey letzten/ und
endlich alle ſechs Geſchwader mit ihren Ober-
ſten und Fuͤhrern in ein heftiges Gefechte ver-
fielen. Gleicher geſtalt ruͤckten die Feldherꝛen
und die vier Oberſten/ nemlich Hertzog Segi-
mer und Siegesmund Roͤmiſcher/ und der
Marſinger und Cimbern Hertzog Deutſcher
Seiten/ wie auch zwantzig Graͤfliche Haupt-
leute mit dem Kerne der ſechshundert erfahrner
Kriegs-Helden an die Spitze. Es ſcheinet un-
glaublich zu ſeyn: daß in einer Kriegs-Erge-
tzung ſolcher Ernſt und Heftigkeit ſonder groſſes
Blut-Bad angewehret weꝛden koͤnne; als dieſe
in zehn Hauffen abgetheilte Ritter anfangs mit
ihren dreyzanckichten und viereckichten Spieſ-
ſen/ hernach mit ihren Degen bezeugten. Wie
es denn auch ohne gefaͤhrliche Beſchaͤdigung
nicht abgegangen waͤre/ wenn die Geſchicklig-
keit dieſes Helden-Ausbundes ſolches nicht kluͤg-
lich zu verhuͤten gewuͤſt haͤtte; Wiewol es ohne
Verwundung mehr als zwantzig ſtreitender
Ritter nicht abgieng. Jnſonderheit aber zo-
hen der Feldherr Hertzog Herrmann und Her-
tzog Arpus aller Zuſchauer Augen auf ſich;
Zumal jener mit ſeiner einigen Keule allen
Waffen gewachſen war/ und ſich derogeſtalt im
Wercke als der rechte Hercules der Deutſchen
fuͤrſtellte. Als alle Glieder der Reiterey/ all-
wo Hertzog Jubil und Graf Naſſau wie zwey
erzuͤrnte Adler einander antaſteten/ wie auch des
Fuß-Volcks getroffen hatten/ ſchwenckten ſie
ſich alle; und ſaͤtzte ſich beyderſeits das Kriegs-
Volck in eine gantz neue Ordnung; nemlich die
Reiterey machte auf jeder Seite ein eintziges
Geſchwader; dieſen ſtanden einwerts an der
Seite der leichten Schuͤtzen an jedem Orte
ſechshundeꝛt; ferner hinein zwey ſo ſtaꝛcke Hauf-
fen Piquen-Traͤger/ hernach eben ſo viel mit
Schwerdtern Geruͤſtete/ und endlich mitten
gleichſam im Hertzen der Kern der Kriegs-Leute/
und zwiſchen ſelbten die zwey Feldherrn und die
Haupt-Fahnen/ das Pferd und der Adler;
alſo: daß dieſer Ordnung nach alle und jede
Hauffen auf einmahl gegen einander treffen
konten. Welches denn auch mit ſo unglaubli-
cher Vollkommenheit geſchach: daß alle vorige
Treffen gegen dieſem allgemeinen nur Kurtz-
weil geweſen zu ſeyn ſchien; und wuſten die Au-
gen der Zuſchauer ſich kaum mit ſich ſelbſt zu
vergleichen/ wo ſie am erſten oder meiſten hin-
ſchauen
[1361[1363]]Arminius und Thußnelda.
ſchauen ſolten. Denn aller Armen und Waf-
fen regten ſich. Es geſchahen ſo viel Einbruͤ-
che und Begegnungẽ; gleichwol aber blieb alles
in wol erkenntlicher Ordnung. Endlich brach
Hertzog Herrmann mit ſeinen Rittern entwe-
der durch uͤberlegene Tugend/ oder aus hoͤfli-
cher Ehrerbietung des Hertzog Arpus und ſei-
ner Ritter ſo weit ein: daß er den Roͤmiſchen
Adler ergrief/ und ſelbten gegen Thußneldens
Bilde neigte. Woruͤber ſich aber ein neues
Gethoͤne von denen lieblichſten Saͤiten-Spie-
len an ſtatt der rauen vorher ſchreyenden Hoͤr-
ner hoͤren ließ; wormit die Gerechtigkeit auf
einem g[o]ldenen von vier weiſſen Pferden gezo-
genen Wagen mitten zwiſchen die Streitenden
gerennet kam/ und hierdurch einen unvermu-
theten Stilleſtand der Waffen machte. Sie
war gantz anders als ſonſt ins gemein ausgeruͤ-
ſtet. Denn ſie hatte auf dem Haupte eine
Nacht-Eule das Bild der Weißheit. Sinte-
mahl die Gerechtigkeit in dem Gemuͤthe der
Menſchen nichts anders als die Weißheit iſt.
An ſtatt des ſchwerdtes/ oder des mit Ruthen
umwundenen Richtbeiles/ welches nichts min-
der der Gerechtigkeit/ als der Buͤrgermeiſter
zu Rom Kennzeichen zu ſeyn pfleget/ hatte ſie
einen mit Schlangen umwundenen Herold-
Stab/ als das Merckmaal der Eintracht; weil
die Gerechtigkeit in den Haͤuſern oder in buͤr-
gerlichen Dingen nichts als die Eintracht/ und
mit dem Schwerdte mehr einer grauſamen
Atropos/ als einer ſo holden Tugend aͤhnlich iſt;
oder auch/ weil die gegen einander geſtellte
Schlangen nicht nur den Friede/ nemlich die
Gerechtigkeit des gemeinen Weſens und der
Herr;ſchafften; ſondern auch das Draͤuen gegen
die Widerſpenſtigen fuͤrbildet. Weſthalben
denn auch auf ihrer Schoos ein Horn des Uber-
fluſſes lag. Uberdis hatte ſie neben der gemei-
nen Wage in der lincken Hand einen ertztenen
weiten Ring das Zeichen der Verſehung/ als
welche im Himmel ebenfals nichts anders als
die Gerechtigkeit iſt. Alſo ſtellte ſie ſich recht
gegen die Roͤmiſche aufs neue geſchloſſene
Schlacht-Ordnung/ und fieng mit einer ſcharf-
fen doch annehmlichen Stim̃e folgender Weiſe
an zu ſingen:
So bald dieſer Geſang’ geendiget war/ fieng
das gantze Roͤmiſche Heer gleichſam durch ein
Feld-Geſchꝛey an zu ꝛuffen: Niemand iſt Thuß-
neldens wuͤrdiger als Herrmann. Worauf
ſelbtes denn auch unter dem Gethoͤne der K[ꝛ]um-
hoͤrner in guter Ordnung aus dem Schauplatze
abzoh; alle Roͤmiſch gekleidete aber gegen dem
an der Spitze der Deutſchen zu Pferde halten-
den Feldherꝛn ihre Waffen und Kriegs-Zeichen
neigten. Kurtz hierauf aber erſchien ein Herold
in den Schauplatz/ welcher im Nahmen des
fuͤrgebildeten Tiberius den Feldherrn mit ſei-
nem Kriegs-Volcke und den gantzen Hof unte[r]
ſeine Zelten zu Gaſte einlud; weil er als ein
Frembdling ſie bequemer nicht zu bewirthen
wuͤſte. Wohin beyde/ und fuͤrnemlich das
Fuͤrſtliche Frauen-Zimmer zu Wagen mit
groͤſſerem Gepraͤnge/ als vorige Tage folgten;
Erſter Theil. K k k k k k k kweil
[1362[1364]]Neuntes Buch
weil Hertzog Arpus dieſes mal durch ſein Bey-
ſpiel die Eitelkeit der Roͤmiſchen Verſchwen-
dung fuͤrzubilden/ oder vielmehr durchzuziehen
gemeint war. Auf einer an einer rauſchenden
Bach gelegenen/ und mit einem Luſt-Walde
umbgebenen groſſen Wieſe waren einen Kreiß
herumb fuͤnfhundert denen Roͤmern abgenom-
mene Zelten aufgeſpannet/ in welchen ſo viel
Tafeln mit Speiſen auf Roͤmiſche Weiſe fuͤr
das Kriegs-Volck zubereitet waren. Jn der
Mitte aber ſahe man auf einem luſtigen Huͤgel
ſieben Zelten ausgeſpannet; welche Quintilius
Varus noch mit aus Syrien gebracht/ und ih-
nen nach Roͤmiſcher Art/ welche ihre Speiſe-
Saͤle nicht nur nach gewiſſen Goͤttern nenne-
ten/ ſondern auch ſelbten eine gewiſſe Anzahl
und Koſtbarkeit der Speiſen zueigneten/ die
Nahmen der ſieben Jrrſterne nach ihrer eige-
nen Beſchaffenheit gar fuͤglich beygelegt hatte.
Alle waren aus Perſiſchem Gewebe. Und
zwar anfangs zeigte ſich das Zelt des Saturn
aus Viol-blauer Seide gewebet/ und darein
eitel Stein-Boͤcke aus Silber gewuͤrcket. Jn
dieſem ſtand die ey-rundte Taffel mit eitel ſeltza-
men Fiſchen bedeckt; vielleicht/ weil das Meer
aus des Saturnus Thraͤnen entſprungen ſeyn
ſoll. Dieſe waren ſo kuͤnſtlich geſotten: daß ſie ebẽ
die Farbe/ welche ſie lebendig haben/ behalten
hatten. Darunter waren etliche groſſe Bar-
ben; nicht ſo wol: daß dieſer in Deutſchland
allzu gemeine Fiſch eine ſonderbaꝛe Seltzamkeit/
ſondern vielmehr eine Verhoͤnung der Roͤmer
ſeyn ſolte; bey denen mehrmals einer fuͤnf-auch
acht-tauſend Groſchen gegolten/ und alſo ein
Fiſch den Preiß etlicher Fiſcher uͤbeꝛtꝛoffen hatte.
Hierunter waren auch zugerichtete Kameel-
Ferſen/ des Apicius Lecker-Bißlein/ und gan-
tze Schuͤſſeln voll Murenen-Milch; welcher
Fiſch an unterſchiedenen Orten Deutſchlands/
und ſonderlich in dem Gebiete der Burier ge-
fangen wird. Auch mangelten hierbey nicht
die gar aus dem Carpatiſchen Meere mehrmals
nach Rom verſchriebene Skarus-Lebern; wel-
cher alleine unter allen Fiſchen kaͤuet/ und denen
Felſen die Kraͤuter abfrißt; von den Roͤmern
auch ſeiner Niedligkeit halber fuͤr den Koͤnig
der Fiſche gehalten/ ja gar das Gehirne des Ju-
pitersgenennt wird. Die Taffel war uͤberdis
aus allerhand von Zucker und Wachs kuͤnſtlich
gearbeiteten und faſt alle Arten der Fiſche ab-
bildenden Schau-Eſſen beſaͤtzt; unter denen in
der Mitte fuͤrnemlich als ein groſſes Wunder-
werck der Wallfiſch zu ſehen war; welcher die
fuͤr ihm in Lebens-Groͤße angebundene An-
dromeda zu verſchlingen vergebens draͤute;
auf der Taffel aber darzu diente: daß er aus
ſeinen Naſeloͤchern in zwey bleyerne Keſſel wol-
ruͤchendes Waſſer ſpruͤtzte. Jn dem Taffel-
Zeug waren allerhand Arten Fiſche; in die
Teppichte aber alle Getichte vom Saturnus
gewuͤrcket. Die Trinck-Geſchirre/ Schuͤſſeln
und andere Gefaͤße waren alle Porcellanen/
die bey den Seren aus einer zarten Erde ge-
macht werden/ Pompejus aber aus dem Mi-
thridatiſchen Kriege zum erſten nach Rom ge-
bracht hat. Das andere dem Jupiter gewied-
mete Zelt war aus weiſſer Seide gewebt/ und
mit guͤldenen Adlern/ die innern Teppichte
aber mit Loͤwen durchwuͤrckt. Die dreyeckichte
Taffel ward mit eitel koͤſtlichen Speiſen von
Fluͤgelwerck angefuͤllt/ unter welchen zwey
groſſe Schuͤſſeln gleichſam zwey Berge Faſa-
nen in ſich hatten; welche die Roͤmer zwar aus
Colchis holeten/ und meiſt nur an groſſen Fey-
ern und ihren Geburts-Tagen verſpeiſeten/
die Deutſchen aber in ihren eigenen Puͤſchen
fiengen. Unter der groſſen Menge vieler koͤſt-
lichen Speiſen waren auch viel Zucker-Bilder/
welche alle die Geſchichte des Adlers fuͤꝛbildeten;
wie ſelbter nemlich die zu opffern gewiedmete
Helena/ und die Valeria Luperca errettete/ dem
Jupiter den Blitz/ und den Ganimedes zufuͤh-
rete/ dem Tarquinius Priſcus den Hut aufſaͤtz-
te/ in Liviens Schoß eine weiſſe Henne warf/
und
[1363[1365]]Arminius und Thußnelda.
und dem Auguſtus das geraubte Brod wieder
in die Haͤnde gab. Jnſonderheit aber hackte ein
durch Kunſt bewegter Adler dem Prometheus
unaufhoͤrlich in die Leber; woraus der koͤſtliche
Baum-Balſam troͤpfelte/ und alle Zelten mit
dem ſuͤſſeſten Geruche anfuͤllte. Ein ander uͤber
der Taffel ſchwebender Adler ſpritzte aus dem
Schnabel weiſſen Wein in zwey tieffe Jaſpis-
Schalen. Die Taffel-Geſchirre waren alle
aus Jaſpis; die Trinck-Geſchirre aber mit
Schmaragden/ Saphiren und Hiacynthen be-
ſaͤtzt. Das dritte nach dem Mars genennte Zelt
war aus Feuer-farbichter Seide/ und darinnen
von Gold gewuͤꝛckte Wieder. Die Speiſen auf
der achteckichten Taffel waren meiſt von Raub-
Thieren bereitet; unter denen war eine Menge
bey den Roͤmern ſo hochgeſchaͤtzter/ in Deut[ſ]ch-
land aber gemeiner Trappen/ und eine groſſe
Schuͤſſel voll Zungen von denen Phoͤnicopter-
Voͤgeln. Zu Schau-Gerichten ſtanden drey
ausgeſtopfte und Eiſen verſchlingende Strauſ-
ſen auf der Taffel. Jn der Mitte war der bren-
nende Berg Etna aufgeſaͤtzt/ welcher eitel Zim-
met in ſich verzehrte/ und alſo auch die Lufft dar-
mit erfuͤllte. Uber dis waren auch des Mars
und der Venus Liebe/ des Vulcanus Netze/ und
viel andere Geſtalten mit groſſen Zucker-Bil-
dern fuͤrgeſtellt. Auf der einen Seite der
Taffel ſtand die Roͤmiſche Woͤlffin nebſt zweyen
unter ihr liegenden Kindern aus Stein gehau-
en; welche in einen marmelnen Keſſel mit vier
Stroͤmen unaufhoͤrlich Milch ausſtroͤmete;
Auf der andeꝛn Seite ſpritzte ein Einhorn duꝛch
ſein Horn rothen Wein in eine maꝛmelne Scha-
le aus. Die Taffel-Geſchirre waren die koͤſtlich-
ſten Samnitiſchen Gefaͤße; die Trinck-Ge-
ſchirre mit Amethiſten und Diamanten verſaͤtzt.
Das vierdte der Venus geeignete Zelt war aus
Roſen-farbener Seide und Golde gewuͤrcket/
und durch und durch mit guͤldenen Roſen/ Nar-
ziſſen und Lilgen/ der Bodem mit eitel Saffran/
die Taffel mit allerhand umb dieſe Jahres-Zeit
ungewoͤhnlicher Blumen beſtreuet/ ſonſt aber
mit eitel Fruͤchten/ als Granaten- und Seriſchen
Aepfeln/ Jndianiſchen Nuͤſſen/ Cypriſchen Fei-
gen/ Cretiſchen Weintrauben/ Africaniſchen
Datteln/ Melonen und andeꝛn ſeltzamen Erfri-
ſchungen bedecket. Zwiſchen dieſen aber ſtanden
zwoͤlf zuckerne Liebes-Knaben/ welche mit ihren
ausgeſtreckten Haͤnden in Schuͤſſeln aus To-
patz/ mit Ambra/ und dem Kraute Satyrion/ wie
auch Bibergeilen vermiſchtes Pfauen- und
Strauſſen-Gehirne/ eingemachte Granaten-
Zitron- und Pomerantz-Bluͤten denen Gaͤſten
zureichten/ und gleichſam einnoͤthigten. Denn
dieſe Goͤttin/ als eine abſondere Liebhaberin der
Bluͤten und Blumen/ ſoll mit dieſer wunder-
ſchoͤnen Geſchoͤpfe Augen-Vergnuͤgung ſich
nicht geſaͤttiget/ ſondern ſelbte zum Genuͤße des
Mundes in einem zuckernen Begraͤbnuͤſſe auf-
zuheben/ oder ihre Seele durchs Feuer in hertz-
erquickende Thraͤnen zu zerfloͤßen gelehret ha-
ben. Jn der Mitte ſtand ein groſſes ertztenes
Bild der Natur/ welches aus der einen Bruſt
Narden- und Jaſmin-Waſſer/ aus der andern
Palmen-Wein in zwey Onyx-Schalen ſpꝛuͤzte.
Jn dieſem Zelt war auch des Varus alabaſterne
mit koͤſtlichen Salben und Balſam gefuͤllte
Wanne zu ſehen/ dariñen er ſich zu waſchen oder
gar zu baden pflegte. Außer dem war alles Ta-
fel-Geſchirre aus Agſtein. Des fuͤnfften Zeltes
Bodem war aus blauer Seide/ darein aus viel-
faͤrbicht andeꝛer eitel auf Baͤumen ſpielende Pa-
pegoyen gewebt waren. Auf der viereckichten
Tafel waren meiſt aus geſunden Fruͤchten ge-
preßte Saͤffte; aus ſeltzamen Gewaͤchſen und
Wuͤrtzen vereinbarte Torten/ eingemachte
Wurtzeln und Backwerck aufgeſaͤtzt; vielleicht
weil Mercur nichts minder der Artzney/ als der
Handlung fuͤrſtehet. Dieſe Geruͤchte aber warẽ
mit unterſchiedenen aus Wachſe/ Helffenbein
uñ Marmel gemachtẽ falſchen Speiſen/ wie auch
dem Tiburtiniſchen Kieſel-Zucker vermiſchet/
umb die geitzigen Gaͤſte ſchertzweiſe zu aͤffen.
Auf der einen Ecke der Taffel ſtand ſein groſſes
ſilbernes Bild/ die Zunge heraus reckende; wel-
K k k k k k k k 2ches
[1364[1366]]Neuntes Buch
ches in der einen Hand eine ſilberne Schuͤſſel aus
Laſurſteine mit eitel Fiſch- und Vogel-Zungen/
in der andern mit Papegoyen/ Staaren/ Agla-
ſtern/ Nachtigaln/ Lerchen und dergleichen zu
reden/ oder kuͤnſtlich zu ſingen gewohnten Voͤ-
geln den Gaͤſten zureichte; umb hierdurch die
Roͤmer und fuͤrnemlich den verſchwenderiſchen
Eſopus anzuſtechen; welcher in einer Schuͤſſel
derogleichen fuͤr ſechs-hundert-tauſend Seſter-
ſtier erkauffte Voͤgel ſeinen luͤſternen Gaͤſten
auftrug/ wormit ſie gleichſam etwas/ was dem
Menſchen nahe kaͤme/ koſten moͤchten. An der
andern Eckeſtand ein ander Bild des Mercur/
welches in der rechten Hand ſeine ihm zugeeigne-
te Schlaff-Gerthe/ in der andeꝛn eine Agathene
Schale mit ausgepreßtem Mahſaffte hielt. Auf
der dꝛittẽ Ecke ſtand ſein Bild aus Silbeꝛ in Ge-
ſtalt eines Hiꝛtẽ/ welcher aus einem Kꝛuge in eine
Schale einẽ Safft ausgoß; der dem Anſehẽ nach
Milch/ in Warheit aber ein koͤſtlicher Griechi-
ſcher Wein war. An der vierdten Ecke ſtand
gleicher geſtalt ein ſilbeꝛner Mercur/ in der rech-
ten Hand eine Schuͤſſel voll geſunder Kraͤuter;
in der andern ein Gefaͤße heiſſen Waſſers hal-
tende/ welches aus einem Jndianiſchen Kraute
gekocht und zur Geſundheit gebraucht wird.
Die Tiſch-Geſchirre waren aus eitel Helffen-
bein gedrehet. Das ſechſte Zelt war auswendig
aus gruͤner/ inwendig aus weiſſer Seide gewe-
bet/ und beyderſeits mit ſilbernen Narciſſen be-
ſtreuet. Auf der Spitze des Zeltes glaͤntzete ein
halber Monde. Die Taffel hatte gleicher weiſe
eine ſolche Monden-Geſtalt. Alle Taffel- und
Trinck-Geſchirre waren aus vollkommenen
Berg-Kriſtallen; Die Speiſen allerhand Arten
von Britanniſchen Auſtern/ Schnecken/ Kreb-
ſen/ Waſſer-Schnepfen und anderm Gefluͤgel/
und zwar in ſolchem Uberfluſſe: daß nach der
Weiſe der Roͤmiſchen Uppigkeit die bloßen Hin-
tertheile zu Saͤttigung vieler Gaͤſte einen Uber-
fluß abgaben; Auch waren allhier Biber und
andere Thiere/ die theils auf der Erde/ theils im
Waſſer leben. Nichts minder allerhand Arten
Piltze und Schwaͤmme; welche die Roͤmiſchen
Leckermaͤuler unter die geſchmackteſten Koͤſtlig-
keiten rechneten; und Tiberius den Aſellius Sa-
binus damit fuͤr ein Geſpraͤche anſehnlich be-
ſchenckte; dariñen die Piltze mit denen Auſteꝛn/
Druſſeln/ und denen Voͤgeln/ welche nichts als
Feigen und Weinbeeren eſſen/ umb den Vorzug
kaͤmpften. Dieſe ſtachen ferner ab viel glaͤſerne
Schalen mit eingemachten Wuꝛtzeln und koͤſtli-
chen Kraͤutern. Gleicher geſtalt ſahe man aus
Zucker allerhand dem Mohnden gewiedmete
Thiere/ als Katzen/ Gaͤnſe/ Reiger und deroglei-
chen mit eingemiſchet. Jn der Mitte ſtand ein
groſſes aus Perlen-Mutter kuͤnſtlich gearbeite-
tes Bild der dreyfachen Hecate; welche auf dem
einen Haupte einen halben Monden hatten;
aus deſſen zwey Enden ein annehmlicher Wey-
rauch- und Ambra-Rauch empor ſtieg/ und das
gantze Zelt uͤberwoͤlckte. Jn der rechten Hand
hielt ſie eine See-Muſchel voller Perlen/ in der
andern eine Schale mit Eßig/ die Gaͤſte gleich-
ſam einladende: daß ſie nach Cleopatrens und
des wolluͤſtigen Clodius Eſopus Beyſpiele jene
Him̃els- und Monden-Frucht durch die im Eſ-
ſige befindlichen Wuͤrmer zerbeitzen/ und ihren
uͤppigen Gaumen darmit vergnuͤgen ſolten.
Das andere Haupt der Hecate bildete einen
Hirſch fuͤr; weil ſie auf der Erde eine Vorſtehe-
rin der Jagt/ wie im Himmel eine Mutter der
Feuchtigkeit; und unter der Erde eine Beherr-
ſcher in der Geiſter ſeyn ſoll. Aus denen oberſten
Enden der Geweihe ſpruͤtzte ein wolruͤchendes
Waſſer/ welches ſich aber in der Lufft in einen
linden Regen zertheilte. Jn der einen Hand hat-
te ſie eine wolruͤchende Fackel von weiſſem Ag-
ſteine/ in der andern ein viereckicht geſpitztes
Stuͤcke Stein-Saltz/ als ein Merckmaal der
Fruchtbarkeit/ welches in hoͤchſter Vollkom̃en-
heit nicht ferne von Carrodun gegraben wird.
Heeatens drittes Haupt bildete einen Hunds-
Kopff ab; in beyden Haͤnden hatte ſie zwey
Schalen mit gantz guͤldenen Brodten. Das
ſiebende recht in die Mitte der andern ſechs ge-
ſchloſſene
[1365[1367]]Arminius und Thußnelda.
ſchloſſene Zelt war aus eitel Golde gewuͤrckt;
und mit einem regenbogichten Streiffen durch-
zogen/ in welchem als dem geſtirnten Thier-
Kreiß die zwoͤlf him̃liſchen Zeichen aus Golde
geſtuͤckt zu ſehen warẽ. Oben auf der Spitze des
Zeltes leuchtete eine guͤldene Kugel mit Rubinen
verſaͤtzt. Die Taffel war kugel-rund; alle Ge-
ſchirre feines Gold; und alle niedliche in denen
andern Zelten vertheilte Speiſen nichts minder
als fuͤr Zeiten in Mohren-Land auf der den
Nahmen eines Sonnen-Tiſches verdienenden
Wieſe hier zuſammen vereinbart/ und das ſeltza-
me Wildpret in den weiſſeſten Teig/ welcher ſel-
bigen Thiere Geſtalt fuͤrbildete/ eingebacken;
gleich als wenn ſonder Zuthat der Sonne kein
ander Geſtirne etwas zu zeugen vermoͤchte.
Unter dieſen ſtand eine hochaufgethuͤꝛnte Schuͤſ-
ſel von eitel denen noch lebendigen Haͤhnen ab-
geſchnittenen Kaͤmmen/ mit Pfauen- und
Nachtigal-Zungen/ Phoͤnicopter-Gehirne/
Rebhuͤner-Eyern/ Papegoy- und Faſan-Koͤp-
fen/ Kramß-Voͤgel-Gehirne/ Meer-Barben-
Baͤrten angefuͤllet. Nachdem aber dieſer
Uberfluß auf einem Taffel-Blate keinen
Raum fand/ waren dereꝛ drey/ iedes eines Ellen-
bogens hoͤher uͤber einander gethuͤrmet. Unter
dieſen ſeltzamen Speiſen waren fuͤrnemlich die
aus Zucker bereitete zwoͤlff him̃liſche Zeichen
wuͤrdig zu betrachten. Auf der Mitte des
oberſten Blates war ein guͤldener Fenix; wel-
cher in einem Zimmet-Feuer ſich nicht ſo ſehr
einaͤſcherte/ als mit ſeinem durch etliche kleine
Lufft-Loͤcher ausſchmeltzenden Balſam die
Flamme lebhafft/ die Lufft aber wohlruͤchend
machte. Umb die Taffel herumb ſtanden
zwoͤlff ſilbern-verguͤldete Thiere/ nemlich ein
Loͤwe/ ein Pferd/ ein Ochſe/ ein Wieder/ ein
Adler/ ein Schwan/ ein Hahn/ ein Pfau/ eine
Heydechſe/ eine Feuer-Schlange/ ein Meer-
Schwein/ und ein Gold-gruͤner Kefer; wel-
che in zwoͤlff guͤldene Schalen ſo viel Arten
Weine ſpruͤtzten. Wormit aber nichts von
der Roͤmiſchen Verſchwendung vergeſſen/ odeꝛ
auch des Antonius Kuͤche beſchaͤmet wuͤrde/
ſtanden auf einer abſondern Taffel in viereckich-
ten Schuͤſſeln zwoͤlff gebratene wilde Schwei-
ne/ welche alle uͤber ſechs Centner wogen. Ja
wormit man allhier des verſchwenderiſchen
Caranus in Macedonien beruͤhmtes Hoch-
zeit-Mahl nicht wegſtaͤche/ waren ſie alle mit
Reb- und Haſel-Huͤnern/ wilden Tauben/
Auſtern/ Kaͤlber-Milch und Sartellen gefuͤllt.
So war auch unter den deutſchen Helden keiner
bey dieſer Taffel/ welcher nicht auſerhalb der
Netze ein wildes Schwein gefaͤllet hatte; wel-
ches alle die veruͤbt haben muſten/ ſo in Mace-
donien mit zu einer ſolchen Taffel gelaſſen wer-
den wolten. Zwiſchen dieſen 7. Zelten waren die
annehmlichſten Seiten-Spiele verſtecket/ wel-
che die darinnen nach Roͤmiſcher Gewohnheit
bewirthete Fuͤrſtliche Verſam̃lung zu voller
Beluſtigung ermunterten. Jn dem Zelte des
Saturnus waren zwoͤlff Wald-Goͤtter/ des
Jupiters/ zwoͤlff ſchoͤne Juͤnglinge/ des Mars/
zwoͤlff Cyclopen/ der Venus/ zwoͤlff nackte
Jungfrauen/ des Mercur/ zwoͤlff Affen/ des
Monden/ zwoͤlff Waſſermaͤnner/ der Sonnen/
zwoͤlff Goͤtter die Gaͤſte zu bedienen bemuͤht/
und wormit die Abwechſelung ſie ſo viel mehr
vergnuͤgte/ leiteten ſie ſie aus einem Zelte in das
ander. Maſſen denn in allen Zelten kein Trinck-
Geſchirre verhanden war/ wor aus die Fuͤrſten
oder der Adel nicht des Feldherrn oder Thußnel-
dens Geſundheit tranckẽ. Deñ ob zwar hier alles
auf Roͤmiſch hergieng; ſo hatte doch dieſe den
Griechen und Deutſchen von uhralter Zeit ge-
meine Gewohnheit: daß ſie ihren Goͤttern und
Helden bey den Gaſtmahlen groſſe Schalen
mit Weine opferten/ auch bey den Roͤmern fuͤr-
laͤngſt Buͤrger-Recht gewonnen/ und iſt nach
dem Siege des Fabius und Marius zu Rom
keine Mahlzeit gehalten worden; da ſie nicht
auf Geſundheit dieſer ihrer Erloͤſer groſſe Be-
cher ausgeleeret. Ja der Roͤmiſche Rath hat
bey ieder Mahlzeit des Kaͤyſer Auguſt Geſund-
heit zu trincken den Roͤmern durch ein offentlich
K k k k k k k k 3Geſetze
[1366[1368]]Neuntes Buch
Geſetze aufgebuͤrdet. Uber diß iſt nicht zu ver-
geſſen: daß bey des Saturnus Zelte zwoͤlff Ge-
fangene/ aber hier deutſch-geruͤſtete nackte Roͤ-
mer/ als welche bey ihren Gaſtmahlen die
Deutſchen hierzu gleichfalls zwangen/ biß aufs
Blut fechten muſten. Bey dem Zelte des Ju-
piters aber ſtellte Amalthea und Meliſſa nebſt
noch vierzehn Schaͤferinnen und einer Ziege/
welcher Hoͤrner verguͤldet waren/ in einem zier-
lichen Tantze mit der bloſſen Geberdung die
Auferziehung des Jupiters ſo deutlich fuͤr/ als
wenn ſie redeten. Sintemal dieſe Kunſt mit
den Haͤnden allerhand Schauſpiele vorzuſtellen
zwar ſchon alt/ auch vom Socrates und Plato
gebilliget; aber neulich durch des Kaͤyſers Au-
guſtus Schauſpiel-Meiſter den Pylades und
Bathyllus aufs hoͤchſte gebracht war. Fuͤr
dem Zelte des Mars ward ein Mohren-Tantz/
wie ihn ſelbte fuͤr angehenden Schlachten zu
halten pflegen/ wie nichts minder ein Waffen-
Tantz/ wie ſelbten die Curetes in Creta erdacht
haben ſollen/ von vier Cyclopen und zwoͤlff ge-
harnſchten Zwergen geheget; darinnen ſie den
Streit des Ulyſſes und ſeiner Gefaͤrthen mit
dem Polyphemus aufs deutlichſte fuͤrſtellten;
und die Rieſen mit ihren flennichten Antlitzen
und grauſamen Geberdungen/ die Zwerge abeꝛ
mit ihrer Behendigkeit/ da ſie denen Cyclopen
bald zwiſchen den Beinen durchkrochen/ bald
auf den Achſeln und den Koͤpfen ſaſſen; auch
mit Aneinanderſtoſſung ihrer ſilbernen Schilde
und Waffen ein annehmliches Gethoͤne mach-
ten/ die Zuſchauer zu oͤffterem Gelaͤchter und
Ergetzung bewegten. Hinter dem Zelte der
Venus ſangen die ſieben Muſen in einem
Schauſpiele die Liebe des Cupido und der Pſy-
che; und regte iede ein abſonderes Seitenſpiel
darzu. Fuͤr dem Zelte des Mercur ward durch
kuͤnſtliche Seil-Taͤntzer/ welche auf gantz dinnen
und unſichtbaren Faͤdemen ſich durch die Lufft
bewegten/ der Flug des Dedalus/ und die Ab-
ſtuͤrtzung des Jcarus fuͤrgebildet. Und hier-
auf der Tantz des Theſeus von zwoͤlff Knaben/
welche die ſeltzamen Gaͤnge des Cretiſchen Jrr-
Gartens andeuteten/ fuͤrgeſtellt. Fuͤr dem
Zelte des Monden ſahe man das Bad Dia-
nens/ die Verwandel- und Zerreiſſung des
Acteons in einem Tantze/ darinnen auch die
Hunde/ wie bey den Jndianern die Elefanten/
bey den Sybariten die Pferde zu tantzen abge-
richtet waren/ aufgefuͤhꝛt wuꝛden. Endlich bilde-
ten bey dem Zelte der Sonnen des Atlas ſieben
Toͤchter die geſtirnten Plejades den Lauff der
ſieben Jrr-Sterrnen ab; welcher Bewegung
zur Erfindung des Tantzens den erſten Anlaß
gegeben haben ſoll. Celaͤno war wie der bley-
farbichte Saturn; Sterope wie der helle Ju-
piter/ Merope wie der feurige Mars/ Alcyone
wie die ſtrahlende Venus/ Maja wie der blaſſe
Mercur/ Taygete wie der liebliche Monde/ und
Electra wie die freudige Sonne ausgeruͤſtet.
Hierzu leuchteten groſſe angezuͤndete Wachs-
Seulen; die Zelten aber wurden mit Ampeln
erhellet; darinnen ein balſamichtes Oel brenn-
te. Mit welchem Gaſtmahle denn der uͤbrige
Tag und die halbe Nacht durchgebracht/ auch
iedem Fuͤrſten von ſechs Wald-Goͤttinnen/
iedem Fuͤrſtlichen Frauenzimmer von ſechs
Satyren mit groſſen ſilbernen Leuchtern nach
der Burg vorgeleuchtet/ und von eben ſo vielen
allerhand koͤſtliche Geſchirre mit denen kraͤfftig-
ſten Saͤfften und Erfriſchungen/ als ein Ge-
ſchencke iedem in ſein Zimmer getragen/ alle
andere Speiſen aber vollends unter das Kriegs-
Volck vertheilet wurden. Welches alles bey
dem deutſchen Adel nicht kleine Verwunderung
erweckte/ zumal bey dem der nicht zu Rom vor-
her die unmaͤſſige Pracht und Verſchwendung/
(die bey dieſem vorhin etliche hundert Jahr
lang ſo maͤſſigem Volcke erſt nach Uberwin-
dung des Antonius bey Actium mit Gewalt
eingeriſſen war/) geſehen hatte.
Folgenden Morgen/ als es beginnte zu ta-
gen; kamen auf einmal drey Herolden in das
Fuͤrſtliche Schloß. Der erſte war ein Scythe
oder Sarmatier. Er ſaß auf einem leichten
Wagen/
[1367[1369]]Arminius und Thußnelda.
Wagen/ war mit einem gelben ſeidenen Unter-
Kleide/ und einem blauen Ober-Rocke belegt;
welcher nichts minder/ als ſeine Haupt-Decke
mit einer gewiſſen Art weicher/ und fuͤr den
Wind guter Maͤuſe- oder Marder-Felle ge-
fuͤttert waren. Sein auf der foͤrderſten Spi-
tze des Wagens ſitzender Knecht jagte fuͤr ihm
vier fluͤchtige Walachen her; welche Art der
verſchnittenen Pferde die Scythen zum erſten
erfunden haben. Er fuͤhrte eine blancke Se-
bel in der Hand. Fuͤr ihm ritten etliche Scy-
thiſche mit Koͤcher und Bogen geruͤſtete Scy-
then. Sein Anbringen begehrete: daß Her-
tzog Herrmann dem Scythiſchen Koͤnige Thuß-
nelden abtreten/ oder ſolche dieſen Tag mit den
Waffen behaupten/ vorher aber erwegen ſolte:
daß die Scythen unuͤberwindlich; von keiner
euſerlichen Gewalt noch bemaͤchtigt worden
waͤren. Hingegen haͤtten ſie den Koͤnig Dari-
us/ und des groſſen Alexanders Feldhauptmann
Zopyrion aufs Haupt erlegt/ ihn ſelbſt erſchre-
cket/ und Kaͤyſer Auguſt ſich mit ihnen zu verbin-
den bemuͤhet. Jhr Koͤnig haͤtte auf eines ge-
opferten Ochſen ausgebreiteter Haut bey ent-
bloͤſter heiligen Sebel geſchworen: daß er de-
nen Uberwundenen nach ihrer Landes-Art die
Naſen abſchneiden/ und die Haut mit ſam̃t den
Haaren von den Koͤpfen abſchinden wolte.
Er pflegte kein Pferd zu beſchreiten/ welches
nicht taͤglich fuͤnff und zwantzig deutſche Mei-
len lauffen/ und derogeſtalt zehn Tage austau-
ern koͤnte. Alſo wuͤrde Herrmann durch keine
Fluͤchtigkeit ſeinen Haͤnden entrinnen. Wenn
ſich aber Herrmann entſchluͤſſe/ ihm Thußnel-
den gutwillig abzutreten; wolte er ſelbte mit
ihm auf Scythiſche Weiſe gemein haben.
Auſer dieſer Erklaͤrung wartete er mit ſeinen
Pfeilen ihm auf den Dienſt/ welche alle in zu-
ſammen verfaultem Nattern-Gifte und Men-
ſchen-Blute eingetaucht/ und dahero im Augen-
blicke toͤdtlich waͤren. Dieſem Herolde folgte
ein ander auf einem Parthiſchen Zelter/ wel-
cheꝛ mit ſeinen geſchwinden und ſanften Schrit-
ten gleichſam herein drabte. Sein Haar war
ihm uͤber die Achſeln lang ausgebreitet/ das
Haupt mit einem vielfaͤrbichten Bunde bedeckt.
Er war mit einem weiten gebluͤmten Rocke be-
kleidet. Mit der Hand ſtreckte er einen lichten
loh brennenden Topf empor. Sein im Nah-
men des Parthiſchen Koͤnigs geſchehender Vor-
trag war vorigen Jnnhalts; ſeine Draͤuung
aber: daß er bey nicht erfolgter Gewehrung
dieſen Feuer-Topf wuͤrde in das Waſſer werf-
fen/ die Uberwundenen aber bey dem guͤldenen
Dreyfuſſe vom Koͤnige ein ſcharffes Urthel/
entweder: daß ihnen uͤber den gantzen Leib die
Haut abgezogen werden/ oder ſie in einem ver-
ſchloſſenen Nachen verfaulen ſolten/ erwarten
muͤſſen. Hierauf erſchien in den Schloß-Hof
auf einem mit Gold-Stuͤck uͤberdecktem Ele-
fanten ein Jndianiſcher Herold/ in einem din-
nen ſchneeweiſſen ſeidenen Rocke. Die kurtz-
krauſen Haare umbhuͤllete ein mit goldenen Faͤ-
demen durchwuͤrcktes Tuch. An den Ohren
hiengen perlene Ohrgehencke. Das Antlitz
war mit allerhand Farben geſchmuͤckt; die
Armen mit guͤldenen Ringen gezieret; an de-
nen Fingern aber hatte er Naͤgel wie Adlers-
Klauen; als welche viel Jndianer ihr Lebtage
nicht abzuſchneiden gewohnt ſind. Jn der
rechten Hand fuͤhrte er einen Pfeil dreyer Ellen-
bogen lang. Fuͤr dieſem Herolde giengen her
etliche halbnackte Jndianer/ welche/ als ſie die
gleich aufgehende Sonne erblickten/ ſelbte mit
einem zierlichen Tantze verehreten. Des He-
rolds Anbringen war: daß der Koͤnig in Jn-
dien durch Thußneldens Schoͤnheits-Ruhm
gereitzet das heilige Ganges-Waſſer zu trincken
ſich entſchlagen haͤtte/ und in der Naͤhe ſich be-
findete. Er truͤge dem Fuͤrſten Herrmann an
gegen ſie einen weiſſen Elefanten zu verwech-
ſeln; welcher koſtbarer/ als kein Koͤnigreich waͤre.
Das Geſchencke eines gemeinen Elefanten waͤ-
re in Jndien ſo hoch geſchaͤtzt: daß die keuſcheſte
Jungfꝛau dafuͤꝛ ihꝛe Jungfꝛauſchaft aufzuopfeꝛn
ſich nicht weigerte/ und dieſer theure Verluſt ihr
die
[1368[1370]]Neuntes Buch
die minſte Unehre nicht zuzuͤge. Uber diß ge-
lobte er die unvergleichliche Thußnelde der Jn-
dianiſchen Weißheit faͤhig zu machen; da doch
ſonſt ihr Geſetze das gantze weibliche Geſchlechte
als unwuͤrdig davon ausſchluͤſſe. Da aber
Hertzog Herrmann dis weigerte/ wuͤrde er mit
Leuten zu thun bekommen/ welche nichts min-
der an Tapferkeit/ als an Alter und Groͤſſe des
Leibes die erſten Menſchen der Welt waͤren.
Jhre Pfeile durchbohrten alle lederne Schilde/
ſtaͤhlerne Harniſche/ und ertztene Pantzer.
Dieſe wuͤſten ſie durch einen Ring in die Ferne
zu ſchuͤſſen/ und auf einen Nagel zu treffen.
An ſtatt der verlangten Antwort ließ Hertzog
Herrmann einen ſcharffen Spieß von der ober-
ſten Buͤhne gegen die Herolden in den Schloß-
Hof werffen/ und durch die Krum̃-Hoͤrner Ler-
men blaſen. Worauf der Scythiſche Herold
mit ſeiner Sebel einen Spaan aus dem Thore
hieb/ der Parthiſche ſeinen Feuer-Topf in die
an dem Schloſſe vorbey fluͤſſende Bach warff;
der Jndianiſche ſeinen Pfeil hoch in die Lufft
ſchleuderte.
Wenige Zeit hernach zohen die drey ausfor-
dernden Koͤnige mit groſſem Gepraͤnge in den
mittler zeit mit viel tauſend Menſchen ange-
fuͤllten Schau-Platz ein. Der Scythiſche
Aufzug hatte zwar nichts von Gold oder Silber
an ſich. Denn diß Ertzt haſſen ſie uͤberaus;
weil es die Schaͤdligkeit des Eiſens hundertfach/
ſeinen Nutzen aber nicht zur Helffte an ſich hat.
Gleichwohl aber gieng dem Anſehn dieſes Koͤ-
nigs nichts ab; welchen Fuͤrſt Catumer fuͤr-
ſtellte. Am erſten kamen drey Wagen; dar-
auf eitel lederne Paucken lagen/ und mit meßin-
genen Schlaͤgeln von unbaͤrthichten Juͤnglingẽ
mit weiß-gekraußten Haaren geſchlagen wur-
den. Jhre Kleider waren auch alle aus weiſ-
ſem Hermelinen Rauchwercke; die Muͤtzen
aber von ſchwartzen Fuͤchſen. Hierauf ritten
zweyhundert Sarmater/ in mardernen Peltzen/
mit Sebeln/ Bogen und Pfeilen ausgeruͤſtet.
Jeglicher aber fuͤhrte auf ieder Seite ein Bey-
Pferd. Dieſen folgten ſo viel in Luchſen-Haͤu-
te gekleidete Scythen/ derer ieder drey Pferde
nebſt dem/ welches er ritt/ an der Hand fuͤhrte.
Nach dieſen kam ein von ſechs weiſſen Pferden
beſpannter/ mit allerhand Laubwerck beſteckter
und von zwoͤlff Auer-Ochſen gezogener Wa-
gen. Aufdieſem lag ein uͤberaus groß entbloͤ-
ſtes Schwerdt/ als ein Kennzeichen der Gott-
heit bey den Scythen. Umb den Wagen her-
umb giengen ein und zwantzig Prieſter in Her-
melinen Peltzen; derer Haͤupter mit Laub-
Kraͤntzen umbgeben waren. Hierauf folgte
der Koͤnig in einem langen zobelnen Rocke.
Dieſer ſuͤhrte auf ieder Seite drey Hand-Pfer-
de/ und zwar eitel Stutten/ weil ſie dieſe in
Krieg am geſchickſten halten/ neben ſich; darun-
ter das eine grauaͤpflicht/ das andere Perlen-
weiß/ das dritte hoch-goldfaͤrbicht/ das vierdte
ſchneeweiß mit blauen Flecken/ das fuͤnfte Tie-
gerfaͤrbicht; das ſiebende/ worauf er ritt/ Fluͤ-
gen-trappicht; allen aber das Zeichen des Fa-
ſans/ umb ihr Vaterland anzudeuten/ einge-
brennet war. Nach dem Koͤnige folgten zwan-
tzig Scythiſche Fuͤrſten/ eben ſo wie der Koͤnig
mit Zobeln bekleidet/ nur/ daß ſie alle ſchwartz-
fuͤchſene Muͤtzen auf/ und nur fuͤnf Pferde ne-
ben ſich hatten. Dieſe waren die Grafen von
Duͤllingen/ Stalberg/ Dachau/ Kam̃/ Waſſer-
burg/ Wittin/ Dieffalden/ Lechsmund/ Hohen-
bogen/ Reneck/ Phirdt/ Falckſtein/ Luͤtzelſtein/
Stoͤfling/ Leißneck/ Rochlitz/ Teckelnburg/
Winßenburg/ Staden und Brenn. Aller
dieſer Pferde Zeuge/ inſonderheit des Koͤnigs
waren mit groſſen Scythiſchen Schmaragden
reichlich beſetzt; welche die Bactrianiſche/ Egy-
ptiſche und alle andꝛe der Welt bey weitem weg-
ſtechen. Hierauf ward auf einem mit zwoͤlff
Elend-Thieren beſpannten Wagen das Bild
des Hercules/ und ſeines Sohnes Scytha/ von
dem dieſe Voͤlcker entſprungen ſeyn ſollen/ ge-
fuͤhret; und folgten ferner hundert mit weiſſen
Baͤren Haͤuten bedeckte und vier Pferde neben
ſich fuͤhrende Edelleute. Endlich beſchloſſen
hundert
[1369[1371]]Arminius und Thußnelda.
hundert in wilde Katzen gleichſam eingenehete/
und mit zwey Bey-Pferden geruͤſtete Sarma-
ter dieſen Aufzug. Der Scythen Koͤnig ſtell-
te ſich alſofort in eine vorwerts zugeſpitzte/ ruͤck-
werts aber ſich immer mehr und mehr ausbrei-
tende Schlachtordnung. Unterdeſſen hielt Her-
tzog Herrmann durch das gegenuͤber ſtehende
Thor des Schau-Platzes einen faſt gleichmaͤſſi-
gen Aufzug; nur: daß die Deutſchen ihre
Haare zuſammen gebunden/ keinen andern
Schmuck/ als Agſtein; und nur Luchſen-Baͤ-
ren-Wolff- und Fuchs-Haͤute zu Kleidern hat-
ten; weil der Feldherr die uhralte Art der Deut-
ſchen fuͤrſtellen/ nicht aber die falſche Meynung/
als wenn ſie von Scythen entſproſſen waͤren/
behaupten wolte. Nach beyderſeits gleichge-
ſtellter Schlacht-Ordnung/ fuͤr welcher der
Scythen Koͤnig und Hertzog Herrmann an deꝛ
Spitze hielten; neigte jener ſich fuͤr dem in der
Mitte des Schau-Platzes ſtehenden Bilde der
Fuͤrſtin Thußnelda. Auf beyden Seiten
ward ein blutfaͤrbichter Rock/ als ein Zeichen
des Kampfes auf einen langen Spieß aufge-
ſteckt/ und es hatten beyde Theile ſchon die Pfeile
auf ihre geſpannte Bogen gelegt; als das
Quer-Thor des Schau-Platzes ſich mit einem
groſſen Sturme oͤffnete; welcher zugleich die
von vielen ſchon abgeſchoſſenen Pfeile auf die
Seite ſchleuderte. Durch das aufgeſchlagene
Thor kam ein mit Sternen uͤber und uͤber be-
mahlter aber an den Raͤdern gantz gefrorner
Siegs-Wagen gefahren/ welchen vier ſchnee-
weiſſe Baͤren zohen; die der von eitel Eyß und
Schnee raſchelnde Nordwind leitete. Auff
dem Wagen aber ſaß das Nord-Kind die Tap-
ferkeit nicht anders als die gewaffnete Pallas/
oder vielmehr als Perſeus/ wie er gegen die
Gorgonen gezogen/ ausgeruͤſtet/ in dem ſie mit
einem kryſtallenen Schilde und Helme/ dero-
gleichen Minerva dem Perſeus geſchenckt ha-
ben ſoll/ gewaffnet war. Dieſe begleiteten auch
noch ſechs andere Winde; welche aus kuͤnſtlich
beꝛeiteten Blaſe-Baͤlgen in dem Schau-Platze
einen empfindlichen Wind erregten; alle aber
ſich eilfeꝛtig zwiſchen die Deutſchen und Scythen
eindrangen/ und ihren fuͤrgeſetzten Kampf hin-
derten. Die Tapferkeit aber beſtillte alſofort
die rauſchenden Winde mit einem Wincke/ und
fieng mit einer durchdringenden Stimme fol-
gende Reymen an zu ſingen:
Mit dem Beſchluſſe dieſes Geſanges fuhr
die Tapferkeit harte unter das Bild der Fuͤrſtin
Thußnelda/ und legte in ihre ausgeſtꝛeckte Hand
einen das Sieben-Geſtirne kuͤnſtlich abbilden-
den Krantz. Das vorhin zum Kampfe anrei-
tzende Pauckenſchlagen verwandelte ſich in ein
annehmliches Gethoͤne; der angezielte Streit
in das Sarmatiſche Ritter-Spiel; welches
nichts minder bey allen Voͤlckern/ als zu Rom
fuͤr das allerannehmlichſte gehalten ward.
Thußneldens Seule blieb das Ziel des von de-
nen Deutſchen und Scythen bald die Quere
bald die Laͤnge geſchehenden Rennens. Den
Anfang machten die/ welche nur mit drey Pfer-
den verſehen waren; welche fuͤr erreichtem Zwe-
cke mit einer artlichen Geſchwindigkeit alle
Pferde beſpringen/ und doch faͤdem-gleiche
neben obeꝛwehntem Bildnuͤſſe anhalten muſten.
Den Preiß unter dieſen etlichen hundert Ren-
nern erhielt der Ritter von Reißen; welcher
war ein mit Agſtein verſetzter Bogen. Hierauf
Erſter Theil. L l l l l l l lkamen
[1370[1372]]Neuntes Buch
kamen zu rennen die vier Pferde fuͤhrende und
uͤberſpringende Ritter; worunter der Graf
von Aſcanien einen mit Agſtein verſetzten Koͤcheꝛ
und Bogen zum Dancke bekam. Auf dieſe
erwieſen die fuͤnff Pferde im Rennen fuͤhrende
Ritter ſolche Geſchwindigkeit: daß iedermann
glaubte: Sie haͤtten durch ihr fuͤnſffaches Uber-
ſpringen der Pferde in einem ſo kurtzen Ziele al-
ler groͤſſern Geſchickligkeit den Vortheil abge-
rennet/ inſonderheit der Graf zu Duͤringen;
welcher ein mit Agſtein geziertes Schwerdt zum
Preiße erhielt. Aber aller Augen wurden ſchier
verblendet; als die zwantzig Deutſchen und ſo
viel Seythiſche Grafen mit ihren ſechs Pfer-
den ſolches noch allen vorhergehenden im Ren-
nen und Springen zuvor thaͤten; und darmit
den Ruhm erhielten: daß ſie dem Koͤnige Teu-
tobach/ den die Roͤmer deſtwegen fuͤr ein Wun-
derwerck gehalten/ gleich kommen waͤren. Jn-
ſonderheit frolockte der gantze Schauplatz uͤber
dem darunter rennenden Fuͤrſten der Wenden/
welchem die Cattiſche Hertzogin einen mit Scy-
thiſchen Schmaragden verſetzten Koͤcher/ Bogen
und Schwerdt ſelbſthaͤndig uͤberlieferte. Jeder-
mann verlangte nun zu vernehmen: Ob es
moͤglich waͤre: daß der auf Deutſcher Seiten
zuruͤckbliebene Feldherr/ und auf Scythiſcher/
Fuͤrſt Catumer/ an ſtatt ſo vieler vollkommener
Renner und Springer alleine den Schauplatz
vergnuͤgen koͤnten. Alleine dieſer ward bald
gewahr: daß er zu wenig Augen fuͤr zwey ſo
ausbuͤndige Helden hatte. Anfangs erſchie-
nen beyde nur auf einem Pferde; Herrmann
bildete den Morgen-Catumer den Abend-
Stern fuͤr. Jeder aber ſprang bey waͤhren-
dem Rennen ſiebenmal vom Pferde/ und ſo viel
mal wieder darauf; das erſte mal auf der lin-
cken/ das andere auf der rechten Seite des
Pferdes/ das drittemal mit beyden/ das vierdte
mal mit einer/ das fuͤnfte mal ohne Gebrauch
einiger Hand uͤber den Ruͤcken/ das ſechſte und
ſiebende mal/ iedoch auf unterſchiedene Art/ uͤber
den Kopf des Pferdes in Sattel; alſo: daß
alle Zuſchauer hieruͤber erſtarreten. Hierauff
ſetzten ſie ſich in Geſtalt des Monden auf einen
mit zwey weiſſen Pferden beſpannten Wagen;
dar mit ſie durch ein uͤberaus kuͤnſtliches Kreiß-
Rennen und auf der Stelle geſchehendes Umb-
drehen umb Thußneldens Seule den Schau-
platz auffs neue gleichſam bezauberten. Sie
erſchienen aber bald darauf wie der Pluto geruͤ-
ſtet/ auf einem mit drey kohlſchwartzen Pferden
jagendem Wagen; mit welchem Rennen ſie
faſt an ſtatt der Proſerpina das Bild Thußnel-
dens zu rauben vorhaͤtten. Nach dieſem voll-
brachten Rennen kam ieder nicht anders/ als ein
Blitz auf einem mit vier goldgelben Pferden
rennenden Wagen durch den Schauplatz ge-
jagt; von welchem ſie ſich mehrmals wie ein
Phaethon abſtuͤrtzten; gleichwohl aber ſo genau
die Gelegenheit ihren Sitz wieder zu erlangen
beobachteten: daß ſie weder den Anſprung ver-
ſaͤumten/ noch auch die Pferde in vollen Buͤgen
hemmeten. Nach dieſem erſchien Hertzog
Herrmann wie Caſtor/ Fuͤrſt Catumer wie Pol-
lux mit fuͤnf rennen den Pfeꝛden auf den Schau-
platz/ welche ſie fuͤr dem Ziele nicht alleine nach
der Reye/ wie vorige Ritter/ ſondern mit Uber-
hopfung eines/ zweyer und dreyer beſprangen.
Welches alles ſo viel wunderwuͤrdiger war;
weil dieſes Numidiſche Pferde waren/ und
weder Zaum noch Saitel hatten; gleichwohl
aber ſich mit bloſſen Worten und andern An-
deutungen ſo leichte regieren lieſſen. Als diß
Rennen vollendet war/ erſchienen ſie wie der
Bellerophon gefluͤgelt mit ſechs Pferden; wel-
che ſie nicht nur in vollem Lauffe uͤberſprangen;
ſondern auch ſechs Pfeile von ihrem Bogen in
die Lufft ſchoſſen; und zuletzt denen Pferden
gleichlauffende das Ziel/ wie in denen Olympi-
ſchen Spielen braͤuchlich war/ zu Fuſſe erreich-
ten. Endlich erſchienen ſie in ihrer erſten
Deutſchen und Scythiſchen Tracht mit ſieben
Pferden/ weil kein Menſch aus dem Alterthum
ſich
[1371[1373]]Arminius und Thußnelda.
ſich ihnen mit derogleichen Rennen und Uber-
ſpringung ſo vieler Pferoe/ wie ſie mit groſſem
Frolocken des gantzen Schauplatzes wunder-
wuͤrdig verrichteten/ zu vergleichen haͤtte. Dan-
nenhero Hertzog Herrmann von der Cattiſchen
Hertzogin/ Catumer von Thußneldẽ mit einem
Krantze von Oel-Zweigen nach Art der Sieger
in den Olympiſchen Spielen beſchencket ward.
Das Jauchzen des gluͤckwuͤnſchenden Vol-
ckes ward durch ein neues Gethoͤne allerhand
kriegeriſcher Hoͤrner und Paucken geſtillet; wel-
che durch das eine Thor in den Schauplatz ein-
zohen. Hierauf folgte ein verguͤldeter Wagen
mit zwey weiſſen Pferden; darauf ein ſilberneꝛ
Opfer-Tiſch ſtand/ worauf das ewige Feuer
brennte. Hinter demſelben ſaß ein weiß-ge-
kleideter Prieſter/ mit einem aus goldfaͤrbichten
Sonnen-Blumen gewundenem/ und denen
Perſiſchen Weiſen zugeeignetem Krantze auf
dem Haupt/ in den uͤber der Stirne der Nahmẽ
Gottes mit Golde genehet war. Auf der Bruſt
hieng ihm eine rundte Schale von Kriſtall/ in
die das aus Rubin gemachte Bild der Sonnen
geſchloſſen war/ welches der Perſiſche Koͤnig auf
die Spitze ſeines Zeltes zum Zeichen ſtellen laͤßt:
daß er mit ſeinem Heere aufbrechen wolle.
Jn der einen Hand trug er einen Oel-Zweig/
in der andern ein guͤlden Rauch-Faß/ mit gluͤen-
den Kohlen und Weyrauch angefuͤllt. Umb
den Wagen ritten auf ſchneeweiſſen Pferden
ſieben Perſiſche Weiſen alle mit Myrten- und
Lorber-Ruthen in der Hand. Dieſen folgten
hundert Parther zu Pferde mit verſilberten
Lantzen/ verguͤldeten Bogen und Pfeilen; die-
ſen folgte aber das Pferd der Sonnen/ von Far-
be ſchneeweiß/ von ungemeiner Groͤſſe und
Schoͤnheit. Uberdiß war es mit einer gold-
geſtuͤckten Decke belegt; der Zeug war mit
Tuͤrckiſſen verſetzt. Die es fuͤhrten/ waren in
weiſſe Seide gekleidet/ und hatten guͤldene
Spißgaͤrten. Hierauf ritten dreyhundert
fuͤnf und ſechzig noch unbaͤrthichte Perſiſche
Edelleute auf gelben Pferden in purperfar-
benen und mit Golde durchwebten Roͤcken.
Nach dieſem kamen zwey Maul-Eſel mit pur-
pernen Decken/ und trugen in einem guͤldenen
Gefaͤſſe das ſo genennte goldene Waſſeꝛ/ welches
der Koͤnig trinckt/ und kein ander Menſch/ ja
ſeine eigene Kinder nicht koſten doͤrffen. Hier-
auf erſchienen zwantzig Perſiſche Herren/ die
Anverwandten des Koͤnigs genennt/ welche
nicht nur mit guͤldenen Pantzern uͤber und uͤber
bedeckt waren/ und eitel mit Edelgeſteinen ver-
ſetzte Waffen hatten; ſondern ihre Pferde wa-
ren auch gantz und gar uͤberpantzert; ihr Hals
und Armen auch mit koͤſtlichen Kleinodien als
Koͤniglichen Geſchencken/ auſer denen kein
Perſer einige tragen darff/ gezieret. Dieſen
folgte der Koͤnig (welchen allhier Fuͤrſt Ga-
naſch bekleidete) auf einem Perlen-farbenen
Hengſte/ deſſen Gang nach der Perſiſchen
Pferde angebohrner Art ſchnell/ praͤchtig und
doch ſanfte/ der Zeug mit groſſen Rubinen be-
ſetzt/ die Huf-Eiſen oder der Hufſchlag Gold
waren. Des Koͤnigs Unter-Kleid war halb
purpern/ halb ſchneeweiß. Der Ober-Rock
war Goldſtuͤck/ und in ſelbten mit Edelgeſtei-
nen Habichte geſtickt/ welche mit den Schnaͤ-
beln an einander ſetzten. Auf dem Haupte
hatte er einen blau- und weiſſen Bund/ an dem
uͤber die Stirne ein Puſch Reiger-Federn ſtand/
welche ein unſchaͤtzbares Kleinod von Rubinen
zuſammen ſchloß. Oben auf dem Wirbel
ſtand das Bild des Cyrus aus wohlruͤchendem
Labycus Hartzte; das der Myrrhe gleich/ aber
ein viel koͤſtlicher Gewuͤrtze iſt. Den Leib
umbſchloß ein guͤldener mit Diamanten glaͤn-
tzender Guͤrtel; daran ſein gleichmaͤſſiges
Schwerdt hieng/ deſſen Scheide mit denen groͤ-
ſten Perlen bedeckt war. Umb den Koͤnig her
giengen vier und zwantzig in Goldſtuͤck geklei-
dete Knaben; welche auf weiſſen Schilden die
großſprecheriſchen Nahmen des Perſiſchen Koͤ-
nigs trugen; indem er darauf der groſſe
L l l l l l l l 2Koͤnig/
[1372[1374]]Neuntes Buch
Koͤnig/ ein Koͤnig der Koͤnige; ein Bruder der
Sonne und des Monden/ ein Anverwandter
der Geſtirne; ein Sohn des Feuers/ ein Herr
der Welt geheiſſen ward. Nach dem Koͤnige
folgten abermals zwantzig gantz geharnſchte
Perſiſche Fuͤrſten; und hierauf eine Menge
Kamele mit Senften/ darinnen das Koͤnigliche
Frauenzimmer eingeſperret war. Und endlich
beſchloſſen hundert in blauen Damaſt gekleide-
te/ und wie die erſtern geruͤſteten Perſer dieſen
Aufzug; welche/ nachdem die Deutſchen und
Scythen ſich inzwiſchen auf die breite Nord-
Seite des Schauplatzes geſetzt hatten/ ſich auff
das Weſt-Theil der Sud-Seiten den Deut-
ſchen gleich gegen uͤber in Schlacht-Ordnung
ſtellten; ieder Perſer aber vorher in einen fuͤr
dem Koͤnige ſtehenden Korb einen mit ſeinem
Nahmen gezeichneten Pfeil warff; welches die-
ſes Volck fuͤr allen Treffen zu thun pflegte/
umb hernach von denen gebliebenen Gewißheit
zu haben. Unterdeſſen kam zu dem vierdten
Thore eine Anzahl Jndianiſcher Heerpaͤucker;
und derer/ welche in ein gewiſſes Rohr blieſſen.
Hier auf ritten hundert in weiſſe baumwollene
Leinwand biß auf die Fuͤſſe gekleidete Jndia-
ner. Die Haͤupter waren mit bundten ſeide-
nen Tuͤchern umbhuͤllet; an den Ohren hien-
gen helffenbeinerne Kugeln. Sintemal die
Ohrgehencke nichts minder/ als bey den Grie-
chen/ wie bey den Roͤmern die guͤldenen Ringe
an Fingern/ und die kleinen Monden auf den
Schuhen ein Merckmal des Adels ſind. Etliche
hatten Schuh aus Baum-Rinden/ etliche aus
weiſſem wiewohl mit andern Farben geputzten
Leder mit hohen Abſaͤtzen. Auf dem Ruͤcken
fuͤhrten ſie in einem guͤldenen Koͤcher Pfeile
aus Jndiſchem Schilffe eines Mannes lang;
auf der Seite einen zierlichen Bogen/ den ſie mit
den Fuͤſſen ſpannen/ und darmit durch Stahl
und Eiſen ſchuͤſſen. Dieſen folgte ein guͤldener
mit zwey einhoͤrnrichten Thieren gezogener
Wagen/ auf welchem das Rieſen-Bild des von
ihnen verehrten Hercules zu ſehen war. Hier-
auf ꝛitten in den Schauplatz hundeꝛt eben ſo aus-
geruͤſtete Jndianer/ nur daß ihr Gewand weiſſe
mit Golde durchzogene Seide/ die Ohrgehencke
Edelgeſteine waren/ und ſie noch darzu perlene
Halsbaͤnder umbhatten. Dieſen folgte ein
von Tiegern gezogener Wagen mit dem Bilde
des Bacchus/ welcher ihnen die erſten Frie-
dens- und Kriegs-Geſetze gegeben/ ſie Wein
und Staͤdte zu bauen gelehret haben ſoll. Und
hierauf abermals eine noch reicher mit Gold
gekleidete Reiterey von hundert Pferden.
Nach dieſem erſchien ein weiſſer Elefant von
ungemeiner Groͤſſe mit Goldſtuͤcke bedeckt;
welchem ſeine verguͤldete Speiſe-Gefaͤſſe fuͤr-
getragen wurden. Dieſem folgten zwantzig
Jndianiſche Fuͤrſten in Goldſtuͤcke/ darein aller-
hand ſeltzame Voͤgel gewebt waꝛen/ deꝛeꝛ Haupt/
Hals und Waffen von Edelgeſteinen ſchimmer-
ten; und auf dieſe der Koͤnig (welchen hier
Fuͤrſt Jubil vertrat) auf einem groſſen gethuͤrm-
ten mit Golde gantz uͤberdeckten Elefanten;
deſſen Kleid Purper/ in ſelbten aber eitel guͤl-
dene Drachen geſtuͤckt; die Hauptbinden uͤber
und uͤber mit groſſen Perlen/ die Waffen
mit Diamanten bedeckt waren. Hinter
ihm ſtand ein Weib/ welche ihm die Haa-
re kaͤmmete. Der Thurm/ in dem er
ſaß/ war mit frembden Zweigen umbfloch-
ten/ und in ſelbte redende Papegoyen und
andere ſingende Voͤgel angebunden. Umb
den Elefanten rings herumb giengen zwan-
tzig Mohren-Knaben mit ſilbernen
Rauch-Faͤſſern/ welche von Aloe/ Caſi/
Arom und Weyrauche loderten. Nach
dem Koͤnige erſchienen abermals zwan-
tzig koͤſtlich-aufgeputzte Fuͤrſten; nach die-
ſen fuͤnf Elefanten/ welche Wechſels-weiſe
bey ihrem Herrn die Wache zu halten
abgerichtet waren; und endlich zwey hun-
dert geruͤſtete edle Jndianer; die alle
neben denen Perſen ſich gegen die Scythen in
Schlacht-
[1373[1375]]Arminius und Thußnelda.
Schlacht-Ordnung ſaͤtzten. So bald nun mit
den Paucken und Krumhoͤrnern das Zeichen
zur Schlacht gegeben ward/ grief ein jeder zu
ſeinem Bogen; alſo: daß durch die Pfeile/ wel-
che die Scythen und Parthen meiſt nicht ſchnur
gerade auf den Feind/ ſondeꝛn empor in die Lufft
ſchuͤſſen/ umb durch den Herunter-Fall ſelbten
zu beleidigen/ der gantze Schauplatz erfuͤllet
ward/ und hierdurch unzehlbar viel verwundet
waͤren worden/ wenn nicht bey dieſem Schat-
ten-Streite alle Spitzen der Pfeile mit Fleiß
waͤren verbrochen oder ſtumpff gemacht geweſt.
Hier auf ſaͤtzten ſie mit Schwerdteꝛn und Wun-
der-Spießen an einander; und wuſten ſich
die Hauffen ſo artlich zu ſchwencken: daß die
Deutſchen und Scythen einmal mit den Per-
ſen/ das andeꝛmal wechſels-weiſe mit den Jndia-
nern zu treffen kamen. Der Unterſcheid der
Kleidungen/ und die gute Ordnung/ wie im̃er
ein geſchloſſenes Glied auf das andere traf/ gab
dem Schauplatze eine ungemeine Vergnuͤ-
gung. Jnſonderheit ließen ſich die vier Heer-
fuͤhꝛer tapfer ſchauen; und war inſondeꝛheit eine
Luſt; wie bald Hertzog Herrmann/ bald Catu-
mer gegen des Fuͤrſten Jubils Elefanten fochte/
und ſelbten bald mit bꝛennenden Fackeln ſchuͤch-
tern/ Jubil aber mit Maulbeer-Saffte wider
heꝛtzhafft machte/ und ſeine ſich kluͤglich wenden-
den Feinde verfolgte. Mit dem Hertzog Ga-
naſch brach jeder auch drey Lantzen; alſo: daß/
wer mit ſeiner Tapfer- und Geſchickligkeit dem
andeꝛn etwas zuvor thaͤt/ ſchweꝛlich zu unteꝛſchei-
den war.
Als nun alle Glieder dreymal mit einander
getroffen/ ließ die Abgoͤttin Juno und Vorſte-
herin der Hochzeiten auf einem guͤldenen mit
Pfauen beſpannten Wagen in einer lichten
Wolcken ſich mitten auf den Schauplatz/ und
noͤthigte alſo die zu einem neuen Kampfe ſich ruͤ-
ſtende Hauffen auf ihrem Stande feſten Fuß
zu halten. Uber der Juno ſaß auf einem Re-
genbogen J[r]is/ und fuͤr ihr die Geiſter beyder
Angelſternen; und ſieben mit geſtirnten Klei-
dern bedeckte Jungfrauen; welche alle durch
Harffen und andere Saͤiten-Spiele gleichſam
die ſuͤſſe Ubereinſtimmung der himmliſchen
Geſtirne; welche die Egyptier ohne dis durch
eine ſiebenſeitichte Leyer/ die Griechen durch ſo
viel Pfeiffen des Paris fuͤrgebildet haben/ aus-
druͤckten. Jn dis annehmliche Gethoͤne ſang
Juno mit einer lebhafften Bewegung und
durchdringenden Anmuth folgende Reimen:
Uber dieſen Worten bewegte ſich die in der
Mitte des Schauplatzes ſtehende Seule/ und
das Bild Thußneldens naͤherte ſich dem an der
einen Ecken haltenden Feldherrn/ und ſaͤtzte ihm
den von der Tapferkeit empfangenen Sternen-
Krantz auf. Hierauf ſang Juno weiter:
Nach vollendetem Geſange hob ſich Juno
in ihrer Wolcke wieder empor; alle Fuͤrſten
L l l l l l l l 3und
[1374[1376]]Neuntes Buch
und Kriegs-Helden aber neigten ihre Waffen
gegen dem gekraͤntzten Herrmann. Jedes
Oberhaupt zohe auch ſeine Kriegs-Schaaren
aufs engſte zuſammen/ alſo daß in der Mitte
des Schauplatzes ein groſſer leerer Raum uͤbrig
blieb; welchen alſobald eine Menge herfuͤr
kommender Wald-Maͤnner mit eiſernen ge-
guͤtterten Netzen umbſpannten. Jn dieſen
Umbkreiß ließen die Jndianer einen Elefant/
welcher vorher fuͤr ſeinem Koͤnige die Knie beug-
te/ und ein Thier mit einem Naſen-Horne; die
Perſer ein Pferd und einen Tiger/ die Scythen
einen weiſſen Baͤr und Auer-Ochſen/ die Deut-
ſchen einen Luchs und einen Wolff zuſammen.
Anfangs taſtete der Baͤr den Elefanten/ der
Ochſe das Pferd/ der Luchs den Tiger/ der Wolff
das einhoͤrnrichte Thier an; und wehrete dieſer
Kampff eine gute halbe Stunde ſonder ein oder
des andern Thieres Vortheil. Als aber faſt alle
verwundet war[e]n/ vergaſſen dieſe Thiere ihre
angewohnte Gemeinſchafft; und verwechſel-
ten alſo ihre Feinde nach ihrer angebohrnen
Eigenſchafft/ indem das Horn-Thier den Ele-
fanten antaſtete/ ſein Horn an einem Stein
wetzte/ um darmit des Elefanten weichen Bauch
aufzuritzen/ hingegen aber dieſer jenes zu Bo-
dem zu rennen; der Tiger das Pferd zu belei-
digen/ der Baͤr den Ochſen zu zerreiſſen/ und der
Luchs des Wolffes Meiſter zu werden bemuͤht
war. Jedes Volck/ welches dieſen Streit fuͤr
eines buͤr gerlichen Krieges Andeutung annam/
bemuͤhte ſich dieſe Thiere mit Stangen/ Fackeln
und andern Erfindungen von einander zu brin-
gen/ worauf denn der Luchs an den Elefanten
gerieth/ und ihn in ſeine Schnautze ſo heff[t]ig
verwundete: daß er die Netze uͤber einen Hauf-
fen rennte/ alſo aus den Schrancken floh/ und
ſeinen Wunden die bekandte Aloe-Artzney ein-
floͤßete. Der Wolff verwundete das Pferd
ſo ſehr an der Gurgel: daß es todt zu Bodem
fiel. Hingegen toͤdtete das Horn-Thier den
Auer-Ochſen; und der Baͤr kratzte dem Tiger
die Augen aus. Nach dieſem Siege geriethen
die verwundeten Uberwinder allererſt an ein-
ander; alleine der Luchs ward durch ſeine Ge-
ſchwindigkeit endlich des Horn-Thieres/ und
der Wolff durch ſeine Argliſt zu groſſer Ver-
wunderung aller Zuſchauer des Baͤres Mei-
ſter. Welchen Sieg ſie mit gꝛoſſem Frolocken/
und durch ein in die hole Hand geſchehendes
Pfeiffen annahmen.
So bald die erlegten Thiere und die Garne
von denen Wald-Maͤnnern auf die Seite ge-
raͤumet waren/ ſaͤtzte ſich Hertzog Jubil mit ſei-
nem gantzen Jndianiſchen Heere in die Mitte
in einen rundten Kreiß; darinnen gleichſam
in einem Augenblicke ein viereckicht Geruͤſte
aufgerichtet/ und auf jeder Seite ein groſſes
Seil von dem Bodem daran ausgeſpannet
ward. Jn dieſen Kreiß kam Jndien als eine
mit eitel Edelgeſteinen gekroͤnte Koͤnigin auf
dem weiſſen Elefanten geꝛitten. Jn der Hand
hatte ſie eine Muſchel/ darinnen eine uͤberaus
groſſe Perle lag; welche bis zweyhundert Ger-
ſten-Koͤrner wog/ und alſo billich fuͤr eine Koͤni-
gin dieſer edlen Gewaͤchſe zu achten war/ ſondeꝛ-
lich da es fuͤr kein Getichte zu achten: daß die
Perlen oder vielmehr ihre Muſcheln und
Schnecken nichts minder als die Bienen ihre
Koͤnige und Fuͤrſten haben/ welche ſich aus den
Haͤnden und Hamen der Perlen-Fiſcher mei-
ſterlich aus uwinden wiſſen; mit ihrem Fange
aber aller andern nach ſich ziehen ſollen. Des
Elefanten Decke war gleichfals mit Perlen ge-
ſtuͤckt/ und er ſelbſt hatte zwey groſſe und wie eine
Birnelaͤnglichte Perlen an den Ohren hencken.
Dieſer ſtieg auf einem ausgedehnten Seile
gleichſam tantzende auf den Schauplatz. Jhm
folgten zwoͤlf Mohriſche Liebes-Goͤtter; wel-
che alle im lincken Arme zierlich-geflochtene
Koͤrbe/ und darinnen Perlen-Muſcheln/ in
der rechten Hand brennende Wachs-Fackeln/
und daran haͤngende Schilde mit denen zwoͤlf
himmliſchen Zeichen und beygeſaͤtzten guͤldenen
Buch-
[1375[1377]]Arminius und Thußnelda.
Buchſtaben hatten. An denen vier Ecken des
Geruͤſtes thaten ſich des Ganges/ Jndus/ und
zweyer anderer Fluͤſſe Bilder herfuͤr; welche
nebſt Regung zweyer abſonderer Saͤitenſpiele
zum Preiſſe der Perlen und der Liebe folgende
Reimen ſangen:
Zu dieſem Singen und Saͤitenſpielen heg-
ten die zwoͤlf Liebes-Goͤtter einen annehmlichen
Tantz mit kuͤnſtlichen Abwechſelungen. Bey
dem Schluſſe eines jeden Satzes ſaͤtzten ihrer
ſechs auf einer Seite in einem halben Kreiſſe
mit ihren an denen Schilden ſtehenden Buch-
ſtaben das Wort: Jndien; auf der andern
Seite das Wort: Perlen zuſammen.
Bey deſſen Schluſſe kam in den Schran-
cken ein ander Elefant; deſſen Ruͤcken mit ei-
nem Silberſtuͤcke bedeckt/ und mit einer Mu-
ſchel bethuͤrmt war; darinnen die Goͤttin The-
tys oder das Meer ſaß; und zwoͤlf in Silber-
ſchupfichte Roͤcke nach Art der Syrenen geklei-
deten Waſſer-Nymphen ſie rings umbher be-
gleiteten. Dieſe ruͤhrten alle groſſe mit Saͤi-
ten bezogene Muſcheln; worvon der Elefant
mit ſeiner Thetys zu tantzen/ und gegen dem
weiſſen die Knie zu beugen anfieng; endlich auch
auf dem einen groſſen Seile hinauf und wieder
zuruͤck tantzte. Dieſe Waſſer-Goͤttinnen loͤ-
ſeten die vier Fluͤſſe mit ihren Saͤlten ſpielen ab/
woruͤber jene einen zierlichen Tantz anfiengen/
in dem die Thetys mit ihrem Elefanten wun-
derwuͤrdige Wendungen fuͤrſtellte/ und zugleich
in ihrer Muſchel folgende Reimen darzu ſang:
Nach dieſem vollendeten Tantze kam ein an-
der mit gruͤnem Silberſtuͤcke bedeckter Elefant
in den Schrancken. Auf dem Ruͤcken ſaß un-
ter einer Fichten-Laube die gethuͤrmte Cybele/
oder die Erde. Umb ſie herum giengen zwoͤlf
junge Verſchnittene/ derer ſechs/ Koͤrbe mit
Blumen/ die andern mit Fruͤchten trugen.
Bey einem anmuthigen Floͤten-Gethoͤne/
machte die Erde dem Meer nachfolgender
Weiſe die Geburt der Perlen ſtreitig:
Cybele tantzte mit ihrem Elefanten hieruͤber
auf der Leine hinauf und wieder zuruͤcke; die
Verſchnittenen aber unter ſich. Bey welchem
Tantze ſie mit einer wunderwuͤrdigen Ge-
ſchwindigkeit aus eitel Blumen/ wie ſelbte bey
jeder Jahres-Zeit zu finden ſind/ die Bilder des
Fruͤhlings/ des Sommers/ des Herbſtes und
des Winters zuſammen flochten/ und der Cy-
bele uͤberreichten.
Hierauf oͤfnete ſich der Schrancken einem
Elefanten/ deſſen Ruͤcken mit einem Regen-
bogen-faͤrbichten Goldſtuͤcke bedeckt/ und mit
einem von allerhand koͤſtlichen Federn uͤber-
ſchatteten Koͤnigs-Stule belegt war; den die
Juno oder die Lufft mit einem Krantze von Per-
len und Opalen/ welcher Stein faſt alle Farben
im Wider ſcheine zeiget/ und am nechſten der
Perle kommt/ beſaß. Umb den Elefanten ſpiel-
ten zwoͤlf Strauſſen; vorher aber ſechs Weſt-
winde mit den lieblichſten Saͤitenſpielen; wor-
zu der Elefant bald auf der Leine/ bald unter
denen Strauſſen tantzte/ die Lufft aber ihr Vor-
recht in Zeugung der Perlen derogeſtalt ſin-
gende behaupten wolte:
Endlich kam auch der vierdte mit Feuer-roth
von Goldſtuͤck belegte Elefant in den Schran-
cken. Auf ſeinem Ruͤcken ſaß das Feuer/ oder
die Goͤttin Veſta/ eine thoͤnerne und lichten
loh brennende Ampel in der rechten Hand/ eine
Drommel in der lincken haltende. Dieſen
begleiteten zwoͤlf ungeheure Cyclopen mit bren-
nenden Fackeln; derer drey auf einem Amboße
mit groſſen Haͤmmern ein artliches Gethoͤne
machten; die andern neun aber nach ſolchem
Dreyſchlage mit ihrem Elefanten einen ſeltza-
men Fechter-Tantz hielten/ in welchem der ge-
blaͤndete gegen die andern/ und dieſe gegen ihn
mit den Fackeln ſtritten; und das wunderlichſte
war: daß weder der bald auf der Leine/ bald
zwiſchen dieſen einaͤugichten Rieſen tantzende
Elefant von ſo vielem Feuer ſcheue gemacht;
noch bey ſo vielen Streichen und Wendungen
einige Fackel ausgeleſcht ward. Zwiſchen der
mittelſten Erholung dieſes Tantzes eignete ihr
Veſta durch folgenden Geſang fuͤr andern die
Geburt der Perlen zu:
Bey dem Ende dieſes Rieſen- und Elefan-
ten-Tantzes/ fieng das auf dem weiſſen Elefan-
ten ſintzende Jndien an/ ſelbten durch einen klei-
nen Mohren mit einem ſilbernen Griffel wie
ein Pferd herumb zu werffen; wie denn dieſes
Thier ſchier mehr wegen ſeiner lehrſamen Sitt-
ſamkeit/ als wegen ſeiner Kraͤffte wunderwuͤr-
dig iſt. Hier auf tantzte er nach denen ſanfften
Saͤitenſpielen eben ſo ſanffte. Jndien aber
ſang Thußnelden zu Ruhme nachfolgendes
Getichte:
Nach dieſem Liede tantzten die vier Elefan-
ten auf denen vier Leinen; und der huͤpfende
weiſſe Elefant beugte die Knie/ ſo offte Thußnel-
dens Nahme geneñet ward. Zwiſchen jedem
Geſetze aber hegten die zwoͤlf ſchwartzen Liebes-
Goͤtter/ die zwoͤlf Sirenen/ die zwoͤlf Verſchnit-
tenen/ die zwoͤlf Strauſſen/ und zwoͤlf Cyclopen
zwar nach einerley Saͤitenſpiele/ aber gantz un-
terſchiedene Taͤntze. Worauf Jndien ſeinen Ab-
zug hielt/ die Cyclopen auch alles Geruͤſte im
Schrancken eilends auf die Seite raͤumten.
Hierauf erſchien in den Schrancken der
Herold des Fruͤhlings/ und der Vater des
Blumwercks der ſanffte Weſtwind. Wegen
Reinigung der Lufft hatte er ſeiner Gewohn-
heit nach ein weiß ſeidenes Gewand an; auf
dem Haupte einen Blumen-Krantz; an dem
Arme einen Korb; darauf er umb ſich aller-
hand Geſaͤme ſtreuete/ und fuͤr ſich einen ala-
baſternen Krug/ woraus er etnen hellen Regen
von wolruͤchendem Thaue herumb ſprengte;
wie ſonſt in denen Blumen-Feyern auch
braͤuchlich war. Dieſem traten vier und zwan-
tzig in gruͤnem Damaſt auf Perſi[ſ]ch gekleidete
Gaͤrtner nach. Jeder hatte von einer beſon-
dern Art einen Puſch Blumen auf dem Bunde/
in der einen Hand ein Garten-Meſſer; in der
andern einen Blumen-tragenden Baum.
Nemlich ihrer drey Perſiſche Baͤume mit faſt
Roſen-faͤrbichten Bluͤten; drey Gemſen-Baͤu-
me mit gelben Blumen/ ihrer drey Myrten-
Baͤume mit weiſſen/ ihrer drey Lorber-Baͤu-
me mit gruͤnlichten/ drey Oelbaͤume mit gruͤn-
licht-gelben/ drey Holder-Baͤume mit weiß-gel-
ben/ drey Egyptiſche Dornſtraͤuche mit theils
gruͤn/ theils gelben/ theils blaſſen/ drey Africa-
niſche Stauden mit purpernen/ und endlich ih-
rer drey Jndiſches Gepuͤſche mit roth-weiſſen
Saffran-Blumen. Mitten in dem Schau-
platze machten ſie einen Kreiß; fiengen darauf
einen zierlichen Bauer-Tantz an; dadurch ſie
mit Einſteckung ihrer Baͤume in die Erde
allerhand Blumenſtuͤcke bildeten/ und darein
ſie den Weſtwind allezeit einſchloſſen. Her-
nach ihrer ſechs und ſechs die vier Jahrs-Zeiten
mit ihrem Blumwercke in menſchlicher Geſtalt
abbildeten; derer ein Theil den Mund mit
rothen Nelcken/ die Wangen mit leibfarbenen
Anemonen/ die Augen mit tunckelen Waid-
Hyacinthen/ das Haar mit Geniſten-Blumen/
die Kleider mit Sammet- und andern Blumen/
andere anders fuͤrſtelleten; und dieſe Bildnuͤſſe
an die Ende der Schrancken ſaͤtzten. Nach
dem nun alle Winde Vorlaͤuffer der Goͤtter
zu ſeyn pflegen/ wartete der Schauplatz mit
Verlangen auf den Verfolg dieſes Aufzugs.
Maſſen denn auch der Fruͤhling in Geſtalt ei-
nes hurtigen Juͤnglings auf einem mit vier
Rehen beſpañnten Wagen; daran die drey
himmliſchen Zeichen des Wiedeꝛs/ des Stieres
und der Zwillinge zu ſehen/ ihre Sternen aber/
Erſter Theil. M m m m m m m mwie
[1378[1380]]Neuntes Buch
wie eitel guͤldene Blumen gemahlet waren.
Der Fꝛuͤhling hatte ein graſe-gruͤn Kleid an/ wel-
ches wie das Haupt mit hundeꝛterley aus Seide
geſtuͤckten Fruͤhlings-Blumen bedeckt war.
Fuͤr dieſem Wagen zeigten ſich fuͤnf und zwan-
tzig weibliche/ hinter dem Wagen aber eben ſo
viel maͤnnliche Fruͤhlings-Blumen; welche/
wie aller folgenden Jahres-Zeiten/ durch eine
ihrem Nahmen/ oder ihrer Farbe/ Urſprunge/
oder andern Eigenſchafften anverwandte Per-
ſon aufgefuͤhret wurden. Jm erſten Gliede
erſchienen fuͤnf ſchneeweiſſe wie Najaden/ oder
Goͤttinnen der Baͤche unten blau oben weiß ge-
kleidet/ die weiſſe Heroldin der Sonne Levco-
thea bildete die Heroldin des Fruͤhlings/ die
fruchtbaꝛe Antope die Kinder-zeugende Schluͤſ-
ſel-Blume/ die in den Narciß verliebte Echo
die mit ihm an Farbe und Geruch kaͤmpfende
Meyen-Blume/ oder Springauf/ die mit ih-
rem Sternen-Krantze geſchmuͤckte Ariadne die
Stern-Roſe/ Artemiſia die weiſſe Beyfuß-
Blume ab/ in die ſie verwandelt worden. Jm
andern Gliede der wie Napeen oder Wieſen-
Nymfen unten gruͤn-oben in Gold gekleide-
ten gelben fuͤhrte Venus die aus ihren Thraͤnen
entſproſſene Anemone/ Aſterie die wie ſie leuch-
tende Feld-Zwiebel/ die Eyer-legende Leda die
Gaͤnſe-die Chryſeis die ihr aͤhnliche Mooß-die
geile Paſiphaͤe die reitzende Schooß-Wurtz-
Blume auf. Das dritte Glied der rothen
war die Oreaden oder Berg-Nymfen unten
blau oben roth ausgeputzt. Die ſich gleichſam
von den Flammen ſpeiſende Thais prangte
mit der Purper-Lilge von Suſis/ Juno mit der
Blume des ſie ſchwaͤngernden Kuckucks. Smi-
lax ſtellte mit der Winde-Blume ihre Ver-
wandelung fuͤr; die flammende Aglaope die
Zinober/ und die von Golde geſchwaͤngerte
Danae das hohe Gold der Maaßblume fuͤr.
Jm vierdten Gliede kamen die nach Art der
unten gruͤn oben blau gekleideten Nereiden
oder Meer-Goͤttinnen gleichſam traurig her-
ein die in eine Schilfblume verwandelte Syr-
nix mit ihrer blauen Schw erdt-Lilge/ Aglaja
mit ihrer Aglay/ die in eine Kuh verwandelte
Jo mit ihrer ſuͤſſen Speiſe der Feilge/ die
wirthliche Penelope mit ihrer Kuͤchen-Schelle/
die fuͤr ihren Ehmann zu ſterben begierige Al-
ceſte mit ihrer Maß-Liebe. Das fuͤnffte
Glied der ſcheckichten Fruͤhlings-Blumen war
nach Art der Dryaden oder Wald-Goͤttinnen
mit bund-gebluͤmtem Damaſt vielerley Farben
angethan. Die bald weinend bald lachende
Andromache bildete die zugleich freudig- und
traurigen Farben der Tulipane/ die uͤber der
Schatten-Umarmung ihres todten Ehmanns
ſterbende Laodamia die brennende Liebe/ die
von ihres ermordeten Bruders Abſyrtus Blu-
te beſpruͤtzte Chalciope die fleckichte Anemone
von Chalcedon/ die in Gold und Seide ſtuͤ-
ckende Omphale/ die von der Natur gewuͤrckte
Wuͤrffel-Blume/ und die eitel mit Purper ge-
kroͤnte Aepfel-bewachende Heſperethuſa die
Koͤnigs-Krone ab. Dem Fruͤhlings-Wagen
folgten im erſten Gliede der/ wie tantzende Sa-
tyren in weiß-raucher Kleidung aufziehender
weiſſen Fruͤhlings-Blumen der ſich buͤckende
Narciß/ und der den Schnee beſchaͤmende
Hyacinth/ jener mit der Blume/ darein ihn
ſeine eigene/ dieſer mit der/ darein ſeine Leiche
des Apollo Liebe verwandelt. Der weiſſe Bren-
nus mit ſeinem ihm gleichen Schwerdte/ der
zerriſſene Abſyrtus mit ſeinem Ruhrkraute/ und
Tityus mit dem Leberklee/ gleich als wenn er
ſeiner vom Geyer unendlich gefreſſenen Leber
darmit wieder zu Huͤlffe kommen wolte. Jm
andern Gliede der gelben/ zeigte ſich in Geſtalt
der hoͤrnrichten Sylvanen oder Wald-Goͤtter
in gruͤn-gelber Tracht Atlas mit dem Himmel-
Schluͤſſel/ gleich als wenn er die Macht haͤtte
ſelbten zu oͤfnen/ Bacchus mit dem ihm gewied-
meten Narciß-Stengel/ Agamemnon mit
ſeinem Koͤnigs-Spieße/ Phaeton mit dem
ihm an ſtatt des Zepters zugeeigneten Son-
nen-
[1379[1381]]Arminius und Thußnelda.
nen-Stengel/ und der wegen ſeiner Vogel/ in
die ſeine Gefaͤrthen verwandelt worden/ nicht
weniger als wegen ſeiner Tapferkeit beruͤhmte
Diomedes mit dem gelb-bluͤhenden Vogel-
Neſte. Das dritte Glied der rothen Fruͤhlings-
Blumen ſtellten fuͤnf Feuer-roth ausgeputzte
Priaper oder Garten-Goͤtter fuͤr; unter dieſen
aber Crocus den Fruͤhlings-Saffran/ als die
andere Beſchaffenheit ſeines Weſens/ und ein
nebſt ſeinen Gefaͤrthen in Froſch verkehrter Ly-
cier den Froſch-Stengel/ der verliebte Acontius
den Frauen-Handſchuch/ der bey Felſen und
Bergen ſo ungluͤckliche Athaͤmas den Berg-
Sanickel/ und der durch ein Schwerdt nichts
minder geheilete als verwundete Telephus das
Blumen-Schwerdt. Jm vierdten Gliede
ſtellte in Geſtalt Himmel-blau aufziehender
Silenen der dem Apollo ſo angenehme Knabe
Cypariſſus das blaue Cypreß-Kraut/ Adonis
das der Liebe dienende Knaben-Kraut/ der hun-
dert Armen habende Briareus den nicht aͤrme-
ren und den blauen Himmel beſchaͤmenden
Hyacinth/ der geſchundene Marſyas den Guͤn-
tzel/ Perſeus das Sperben-Kraut; gleich als
wenn dis alles weich machen ſolte/ was er durch
ſeinen Meduſen-Schild in Stein verwandelt
hat. Endlich erſchienen im fuͤnfften Gliede
wie ſcheckichte Faunen der funfzig Soͤhne ha-
bende Danaus mit dem eben ſo Blumen-rei-
chen Purper-Hyacinth/ der verſchlaffene Ale-
ctryon mit ſeinem ihn gleichſam aufweckenden
Hahnen-Fuſſe; der geile Satyrus Corax mit
dem ſcheckichten Satyrion/ der Rieſe Titan mit
ſeinem Sonnen-Auge/ und der ſorgfaͤltige
Sternen-Vater Aſtreus mit dem bundten
Stern-Kraute.
Nach dieſem Aufzuge erſchien mit nicht ge-
ringerem Gepraͤnge der Sommer. Sein
Haupt war mit einem aus Weitzen-Eeren und
Sommer-Blumen geflochtenen Krantze gezie-
ret. Das Kleid war purperfaͤrbicht. Am
Wagen war der himmliſche Krebs/ der Loͤw
und Aſtrea mit gebluͤmten Sternen zu ſehen.
Den Wagen zohen zwey gantz zahme Loͤwen.
Sintemal in den Blumen-Feyern keine grim-
mige Thiere gebraucht werden. Fuͤr dem
Wagen prangten eben ſo viel weibliche Som-
mer-Blumen in obiger Nymfen-Tracht.
Jm erſten Gliede der weiſſen hatte die ſchnee-
weiſſe Liriope billich den Vorzug mit der glaub-
haffter aus ihrer/ als der neidiſchen Juno Milch
gewachſenen Lilge. Sie begleitete Galathea
mit ihrer gethuͤrmten Milch-Glocke/ die in
einen Baͤr verwandelte Caliſto mit der Baͤren-
klau/ Daphne mit der Lorber-blaͤttrichten Har-
mel-Raute/ die ſchwartz-aͤugichte Phryne mit
der Venus Augenbraue; als welcher Anadyo-
meniſches und Gnidiſches Bild nach jener Ge-
ſtalt gefertigt worden. Jm andern Gliede
der gelben trug die Mutter der Aertzte Coronis
die heilſame Moly-Blume/ Veſta die feurige
Gold-Lilge/ die in einen Hund verwandelte
Hecuba die Hunds-Nelcke. Die ſchwache
Beroe ſtuͤtzte ſich nut der als Gold-bluͤhenden
Stabwurtz/ und die mit Kraͤutern geſchaͤfftige
Medea hatte die boͤſe Blume. Das dritte
Glied der rothen Sommer-Blumen beſtand
an der unerſaͤttlichen Aegiale mit der brennen-
den Nelcke/ an der zur Flamme werdenden
Pſyche mit der Feuer-Lilge/ an der zarten
Mandane mit der Sammet-/ an der blutigen
Jphigenia mit der Scharlach-Blume/ an der
Erfinderin des Ackerbaues Polymnia mit ih-
rer Korn-Roſe. Jm vierdten Gliede der blau-
en folgte Ceres mit der Korn-die ſchwaꝛtze Caßio-
pea und Andromeda/ mit der ihr gleichenden
Boragen-Blume und Glocke/ die traurige
Minthe/ zu der ſie worden/ und die Mutter der
Muſen Mnemoſyne mit der Blume: Vergiß
mein nicht. Jm fuͤnfften Gliede der ſcheckich-
ten prangete die Suſiſche Koͤnigin Siſygambis
mit der Suſianiſchen Schwerdt-Lilge/ Jris mit
der Regenbogen-faͤrbichten Liſchblume/ die
zur Spinne weꝛdende Arachne mit der bundten
M m m m m m m m 2Spin-
[1380[1382]]Neuntes Buch
Spinnenwebe/ die Papegoyen-Koͤnigin Pan-
dea des Jndiſchen Hereules Tochter mit den
bluͤhenden Papegoy-Federn/ Camille mit der
Blume ihres Nahmens und letzten Weſens.
Dem Som̃er-Wagen folgten in obiger Bock-
und Ziegen-Tracht eben ſo viel maͤũliche Som-
mer-Blumen/ und zwar im erſten weiſſen
Gliede der ſchwartze Schluͤſſel-Gott Pluto mit
der ihn deſto beſſer abſtechenden weiſſen Schluͤſ-
ſel-Blume. Sein faſt ungewoͤhnlicher Ge-
faͤrthe war Ariſteus des Apollo und der Cyrene
Sohn/ welcher wegen des von ihm erfundenen
Honigs das Bienen-Kraut erkieſet hatte.
Neben ihm war Neptun mit weiſſem Klee/
weil er mit deſſen Suͤßigkeit vielleicht die
Bienen-Mutter Meliſſa zu mehrerm Bey-
ſchlaffe locken wolte; die Mauer und der
Schirm der Stadt Troja Hector mit dem
Koͤnigs-Spieße. Endlich der Himmel-
ſtuͤrmende Tiphon mit Hochmuth. Jm andern
Gliede der gelben befand ſich der Sohn der
Morgenroͤthe Memnon mit dem Sonnen-
Wirbel; Orion mit dem heilſamen Scorpion-
Schwantze/ vielleicht: daß Diane ihn durch
dis gifftige Thier nicht noch einmal toͤdten koͤn-
ne/ Caſtor mit ſeinem Biber-Kraute/ der Schif-
fer Aug-Apfel Pollux mit ſeinem guͤldenen
Bacillen-Kraute oder Meer-Sterne/ und Ti-
thonus mit dem Blumen-Kraute: je laͤnger
je lieber; durch welches er die Morgenroͤthe
bezaubert: daß ſie ihn in ſeinem runtzlichten
Alter ſo ſehr als in ſeiner glatten Jugend lie-
ben muͤſſen. Das dritte Glied der purper-
faͤrbichten hielt der Urheber des Perſiſchen Rei-
ches Cyrus mit dem Perſ- oder Scythiſchen
Bunde/ der ſcharffe Minos mit dem Bley-
Kraute/ der ſich in einen Ochſen verwandelnde
Jupiter mit dem Rind-Auge/ der ſeine fuͤr ihn
ſterbende Aleeſtis mit taͤglichen Grabe-Liedern
verehrende Admetus mit Ehren-Preiſſe/ und
der die Lufft einbiſamende Zephyrus mit ſei-
nem bluͤhenden Berg-Balſam. Jm vierd-
ten Gliede der blauen ließ ſich der Kern der
Grichiſchen Helden/ Achilles mit Ritterſporn/
der lahme Silenus mit ſeinem Geißblatte/
Corydon mit dem Augen-Troſte der Schaͤfer/
nemlich dem Quendel; der dem Hercules be-
liebte Hylas mit dem ihm/ als dem Vorſteher
des Badens/ gewiedmeten Bade-Kraute/ nem-
lich dem Lavendel/ und der ſchwartze Cepheus
mit dem Mohren-Kraute ſehen. Jm fuͤnff-
ten Gliede der ſcheckichten hatte ihm Alcida-
mas den Tauben-Fuß/ darein ſeine Tochter
verwandelt worden/ der verſorgende Triptole-
mus die Hauß-Wurtz/ Morpheus den ſchlaͤf-
rigen Mah/ Vulcan das einen Zepter abbil-
dende Erdſpinnen-Kraut/ weil er den erſten
dem Jupiter ſo kuͤnſtlich gemacht: daß die
Cheroneer ihn goͤttlich verehret haben; und
endlich der kriegeriſche Troilus das Schild-
Kraut.
Hierauf erſchien die Goͤttin der Blumen
ſelbſt in einem kleinen ſich bewegenden Luſt-
Garten/ darinnen die Gaͤnge mit Jnngruͤn
und niemals verdorrendem Winden-Kraute
umwunden/ die Bethe mit allerhand Blumen
beſaͤtzt waren. Gleicher Geſtalt war ihr Rock
aus tauſenderley Blumwerck zuſammen ge-
ſtuͤcket; auf dem Haupte aber trug ſie einen
Krantz von niemals verwelckenden Amaran-
then. Bey dieſem waͤhrenden Blumen-Auf-
zuge ſang ſie ſelbſt mit einer durchdringenden
Stimme:
Auf dieſe Blumen-Goͤttin folgte der Herbſt
in einer etwas aͤltern Geſtalt. Er war gelbe
gekleidet. Unter dem Arme hatte er zwar ein
Horn des Uberfluſſes mit vielerley Baum-
Fruͤchten; aber es war eben ſo wohl mit Herbſt-
Blumen umbflochten/ als ſein Haupt darmit
bekraͤntzet. An dem Wagen war die Wage/
der Scorpion und der Schuͤtze mit geſtirnten
Blumen gebildet/ und ſelbten zohen zwey weiſſe
Kuͤhe mit verguͤldeten Hoͤrnern.
Fuͤr dem Wagen hielten gleicher geſtalt fuͤnff
und zwantzig weibliche/ und nach ihm ſo viel
maͤnnliche Herbſt-Blumen in ebenmaͤſſiger
Nymphen- und Satyren-Tracht ihren Auf-
zug. Jm erſten Gliede der weiſſen leuchtete
die Koͤnigin und Goͤttin der Syrier Atarga-
tis mit ihrer Damaſceniſchen Muſch-Blume
herfuͤr. Jhr both aber Tamyris mit der
Seriſchen Mogorin/ und beyden die bittere
Myrrha mit der ihr nahe verwandten Soco-
triniſchen Aloe beyden Kampf an. Dieſe
begleitete Briſeis mit der Schaf-Garbe/ als
einer ihrem liebſten Achilles angehoͤrigen Blu-
me; und die in eine Pappel verwandelte Pha-
etuſa mit der Pappel-Blume. Jm andern
Gliede der gelben pralete Helena mit der nach
ihr genennten und aus ihren Thraͤnen entſproſ-
ſenen Aland-Blume/ weil ſie durch ſelbte den
Griechen und Trojanern die Vergeſſenheit al-
les ausgeſtandenen Ubels eingefloͤſſet. Dido
mit ihrer Africaniſchen Sammet-Blume/ die
ſich ins Waſſer ſtuͤrtzende Jno mit der daraus
entſproſſenen Seriſchen Waſſer-Lilge; die von
der Sonne geſchwaͤngerte Koͤnigs-Tochter zu
Babylon Levcothoe mit der Sonnen-Krone/
und Lampetie mit der ihrer Mutter der Sonne
gewiedmeten Rhein-Blume. Das dritte
Glied prangte mit eitel Purper/ und zwar das
Auge der Dianiſchen Geſpielen Opis mit dem
Auge der Blumen/ nemlich der Jndianiſchen
Nelcke; die in einen Wein-Stock verwandelte
Staphyle mit der Wald-Rebe/ die zum Felſen
gewordene Aglauros mit der Stein-Nelcke/
Dryope mit der Blumen- und fruchtreichen
Staude/ darein ſie verkehrt worden/ nemlich
der Colocaſia oder Egyptiſchen Bonen-Blume.
Proſerpina mit der unſchaͤtzbaren Peonie/ mit
welcher Peon ihren vom Hercules verwundeten
Ehmann Pluto geheilet hat. Jm vierdten
Gliede der blauen erſchien die durch den Blitz
gebehrende Semele mit der Flamme Jupiters;
Semiramis mit ihrer Roſe von Jericho/ die
veꝛſteineꝛte Niobe mit ihꝛer blauen Stein-Wir-
bel-Blume/ die uͤber ihrem Rocken ſitzende Alci-
thoe mit ihrer Lein-Blume; welche dieſe Liebe
M m m m m m m m 3nicht
[1382[1384]]Neuntes Buch
nicht vergeſſen kan/ ungeachtet ſie daruͤber zur
Fleder-Maus/ und ihr Geſpinſte zu Weinre-
ben worden. Fuͤr allen andern aber glaͤntzte
die von dem Preiße nichts minder/ als ihre Blu-
me den Nahmen fuͤhrende Clymene mit der
preißwuͤrdigen Jucca. Jm fuͤnften Gliede
der ſcheckichten fuͤhrte die verliebte Clytie diß/
worzu ſie worden war/ nehmlich die ſehnſuͤchti-
ge Sonnen-Wende; die naſſe Cymodoce die
Feld-Roſe/ darein der von ihr erzogene Adonis
verwandelt worden; Meliſſa ihre den Bienen
ſo angenehme Meliſſen-Blume; die bald uͤbeꝛ
bald unter der Erde ſcheinende Hecate/ die Tag
und Nacht auf ihren Blaͤttern habende Jndi-
ſche Nelcke; uͤber alle andere aber ragte die ren-
nende Atalanta mit ihrer Atlantiſchen Aloe das
Haupt gegen dem Himmel; welche alle Blu-
men an Hoͤhe und Geſchwindigkeit des Ge-
waͤchſes uͤbertrifft. Unter den maͤnnlichen
hatte in dem Gliede der weiſſen Jaſon
mit dem Jaſmin/ welchen er nebſt dem guͤl-
denen Wieder als ein ſeltzames Kleinod mit
aus Colchis gebracht/ nebſt ihm ſein ſcharff-
ſichtiger Reiſe-Gefaͤrthe Lynceus mit Augen-
Troſte; der Fiſcher Glaucus mit ſeinem ver-
goͤtternden Jbiſch; der geitzige Myrtillus mit
dem Silber-Eneas mit dem Aſch-Kraute/ dar-
durch jener ſein/ dieſer ſeines Vaterlandes Un-
gluͤck ihm indenck machte. Jm andern Glie-
de der gelben hatte der ſich in einen Brunn ver-
wandelnde Acis ſich mit den Brunnen-Blu-
men/ nemlich Narciſſen/ Phryxus ſich mit dem
vom guͤldenen Wieder gefaͤrbten Berg-Saff-
ran/ der von der Morgen-Roͤthe geliebte Ce-
phalus mit dem Hauptſtaͤrckenden Gold-Jaſ-
min aus Morgenland/ der Baͤren-Huͤtter Ar-
eas mit Baͤren- und Midas mit Heidniſchem
Wund-Kraute oder der guͤldenen Rutte aus-
geputzt. Jm dritten Gliede der purpernen
zeigte ſich Sardanapal mit dem Seriſchen
Blumen-Koͤnige/ gleich als wenn dieſe Blume
ihn des Koͤnig-Tittels wuͤrdig machen ſolte.
Porus wieß ſein Jndianiſch Blumen-Rohr/
der Schiffer Argus ſeinen Colchiſchen Herbſt-
Stengel/ Calanus das Jndiſche Bilſen-Kraut/
Ciſſus den Ciliciſchen Epheu/ darein er verwan-
delt worden. Das vierdte blaue Glied beſtand
am Philoctetes mit dem kraͤfftigen Flecken-
Kraute/ wormit des Vulcanus Prieſter ihn
von dem bey des Smyntheiſchen Apollo Altare
empfangenen Schlangen-Stiche heileten;
Priamus troͤſtete mit dem erfreuenden Krau-
te Nepenthes/ damit er ihm alle Betruͤbnuͤſſe
verzuckert; Geryon nach dem ihm vom Her-
cules abgenommenen Ochſen mit der in ſeinem
Gebiete wachſenden Ochſen-Zunge; Amphi-
on hatte das vom Mercur empfangene Bin-
gel-Kraut/ durch deſſen Huͤlffe er nach verlohr-
nen funfzig Kindern ſeine verzweifelnde Niobe
noch einmal fruchtbar machen wolte. Endlich
prangte der Geiſt des Jndiſchen Fluſſes Tubero
mit ſeinem aus knollichter Wurtzel wachſenden
Hyacinth-Stengel. Das letzte Glied der
maͤnnlichen Herbſt-Blumen beſchloß der wegen
verrathener Proſerpina in eine Nacht-Eule
verwandelte Aſcalaphus mit Nacht-Schatten/
der zur Schlange wordene Cadmus mit ſeinem
Drachen- und Schlangen-/ Eupator mit ſei-
nem erfundenen Hanff-Pyramus mit dem
von ſeinem Blute befleckten Wieſen-Kraute.
Zuletzt ließ ſich Ajax mit dem Herbſt-Hyacinth;
worauf ſein Nahme gewachſen/ ſehen/ und
meynte darmit fuͤr allen Sterblichen ſo
wohl als die Blume fuͤr andern einen Vorzug
zu haben.
Endlich erſchien in den Schrancken der
graubaͤrthichte Winter/ deſſen Krantz aus Win-
ter-gruͤn/ das Kleid aus Buchsbaume zuſam-
men gewunden war. Am Wagen ſtanden
mit geſtirnten Blumen der Steinbock/ der
Waſſermann und die Fiſche gebildet; ihn zo-
hen zwey beſchneyete Renn-Thiere. Vor
und hinter dem Wagen zohen gleichfalls in
obiger Kleidung funfzig Blumen auf/ welche
ent-
[1383[1385]]Arminius und Thußnelda.
entweder das gantze Jahr durch/ oder nur im
Winter bluͤhen und gruͤnen. Jm erſten Glie-
de der weiblichen weiſſen erſchien die vom Jupi-
ter in einen veilgen-farbichten Ochſen verwan-
delte Jſis mit der weiſſen Hornungs-Veilge/
die ihr gleich - geſtallte Europa mit der
Kalb-Liſchblume/ die vom Schnee den Nahmen
fuͤhrende Chione mit den Schnee-Tropfen;
die ſchnee-weiſſe Levcoja mit der ihren Nahmen
fuͤhrenden fruͤhen Zeitloſe; Deianira mit der
ihrem geliebten Achilles gewiedmeten Edelgarb.
Jm andern Gliede ließ ſich die gelbe Xantho
mit der gelben Hornungs-die unverwundliche
Coͤnis mit der Drat-Blume/ Scyalle mit
der Meer-Zwiebel/ darein ſie verkehrt worden/
Euphroſyne des Eteocles Tochter mit der Gar-
ten-Zypreſſe/ darein ſie verwandelt worden;
die Koͤnigin des Tauriſchen Cherſoneſus Heca-
te/ die Erfinderin der giftigen Kraͤuter mit
der giftigen Nelcke aus Jndien ſehen. Das
dritte Glied der rothen fuͤhrte Candace mit der
Strauß-Feder/ die waͤßrichte Arethuſa mit der
Erd-Aepfel-Blume; die nicht weniger bren-
nende/ als ſchoͤne Cleopatra mit der Scharlach-
Neſſel; die zu Anſchauung der Geſtirne gleich-
ſam geborne Aglaonice mit der deꝛ Soñe folgen-
den Ringel- und Arſinoe mit ihrer aller Faͤul-
nuͤß und Gifft widerſtehenden Kreutz-Blume;
dardurch ihr Bruder ſo wol fuͤr den Wuͤrmern
ihre Leiche verwahret/ als durch das Magneti-
ſche Gewoͤlbe ihr eiſernes Bild im Alexandri-
niſchen Tempel ſchwebend in die Lufft gezogen
hat. Jm vierdten Gliede der blauen gab
Thysbe mit der von ihrem Blute beſudel-
ten fruͤhen Mertz-die aus der Hoͤllen herfuͤr-
kommende Eurydice mit der in blauer Trauer
gehenden Hornungs-Blume; die ſich und ih-
ren ſie befleckenden Vater durchſtechende
Cyane mit der ſchwartz-blauen Fruͤh-Veilge;
die ihr gleichende Lucretia mit der Degen-
Blume ihre Beſtuͤrtzung in Tag. Die
den Jupiter mit Ziegen-Milch und Ho-
nig auferziehende Amalthea hatte die Geiß-
Blume. Das fuͤnſte Glied der ſcheckich-
ten beſtand an der blaͤttrichten Phillodoce
mit der Blumen-reichen Zaum-Glocke/ an
der ihres Hauſes Ungluͤck webenden Phi-
lomela mit der Spinn-Blume; an der
die Menſchen in Loͤwe/ Baͤren und Ti-
ger verwandelnden Circe/ mit der fleckich-
ten Tiger-Blume. Die beſtuͤrtzte Progne
und Procris weiſeten die mit ihrem
Blute betroͤfelte fruͤhe Mertz- und Hor-
nungs-Blume. Unter den maͤnnlichen
fuͤhrte das weiſſe Glied das Schoß-Kind
der Venus Paris mit dem Frauen Haa-
re; der fuͤr Liebe gegen die ſilberne Argyra
zer fluͤſſende Silemnus mit dem Silber-Bla-
te; der zu ewigem Froſte vergebens gewied-
mete/ und durch eigene Hand erblaſſende Atys
mit dem Winter-Hyacinth; der ſchoͤne aber
ungluͤckliche Aſtyanax mit dem Winter-Nar-
ciß; der Hirte Theodamas mit der Hirten-
Taſche oder dem Blut-Kraute/ damit er ſei-
nen vom Hercules empfangenen Wunden das
Blut zu ſtillen bemuͤhet iſt. Jm andern
Gliede der gelben erſchien Jcarius mit ſeinem
Trauben-Hyacinth/ mit dem er ſich ſtatt
des vom Bacchus empfangenen Wein-Stocks
vergnuͤgen muſte/ weil er ſich deſſen ſo
ſchaͤdlich mißgebraucht/ Lycaon mit ſeinem
Wolffs-Stengel/ Niſus mit dem Winter-
Saffran umb die ihm zum Verterben
von ſeiner Tochter Scylla abgeſchnittenen
Haare zu erſetzen; der fruͤhzeitige Herr-
ſcher Jcarus mit dem gelben Winter-
Narciß/ und der von ſeinen gelben Haa-
ren beruͤhmte Menelaus mit Wintergelbe.
Jm dritten Gliede trug der weiſe Phe-
recydes den niemals verwelckenden Ama-
ranth oder Tauſendſchoͤn; dardurch dieſer
erſte Lehrer dieſes Geheimnuͤſſes in Grie-
chenland die Unſterbligkeit der Seelen
vorbildete. Machaon den geſunden Ba-
then-
[1384[1386]]Neuntes Buch
thengel/ der weiſe Jaͤger und Schuͤtze Chiron
mit dem Nieſe-Kraute/ damit er ſeine Pfeile
anzumachen pflegte; der Hunds-Stern Si-
rius mit dem Hunds-Zahne/ und Acteon mit
dem gelben Winterlichen Hahnen-Fuſſe. Das
vierdte Glied der blauen beſtand am Archi-
medes/ welcher als der Haupt-Kuͤnſtler in
Spiegeln ihm den Frauen-Spiegel zuge-
eignet hatte. Der vom Loͤwen zerriſſene
Jaͤger-Knabe Hyas hatte ihm den Winter-
Hyacinth; der vom Rauche den Nahmen
fuͤhrende ungeheure Sohn der Erde Typheus
den Erd-Rauch/ Zevxes den Garten-Schar-
lach/ und wegen des ihm gewiedmeten Hah-
nes Eſculapius den blauen Winter-Hahnen-
Fuß. Endlich kamen die bundten Winter-
Blumen auch ans Licht/ und zeigte ſich der guͤ-
tige Chryſanthes mit dem guͤldenen Klee/ Al-
cydes ſeiner geliebten Omphale zu Liebe mit
dem nach ihr genennten Nabel-Kraute/ Hy-
rius mit dem Harn-Kraute zum Gedaͤchtnuͤſ-
ſe ſeines aus der Goͤtter Garne gezeugten
Sohnes Orion/ Cinyras der Myrrha Ehmann
mit dem Maſtich-Kraute/ und ſein das koͤſtli-
che Balſam-Geſchirre zerbrechende Knabe
Amaracus mit dem Winter-Majoran/ dar-
ein er aus Beſtuͤrtzung verwandelt worden.
Alle vorerwehnte Perſonen hatten von denen
ihnen zugeeigneten Blumen auf dem Haupte
und umb beyde Armen Kraͤntze/ welche ent-
weder natuͤrlich oder von Seide waren.
So bald die Blumen-Goͤttin ihren Geſang
geendigt hatten/ fiengen auf einem zwoͤlff-
eckichten Thurme/ welcher nach dem vom
Andronicus zu Athen erbautem gemacht zu
ſeyn ſchien/ und an ieder Seite eines Win-
des Bildnuͤß hatte; die Weſt- und Mit-
ternacht-Winde/ derer jene ein Lufft-dieſe
ein Waſſer-farbenes Drey-Eck in der
Hand fuͤhrten/ mit Paucken und einer Art
Poſaunen ein kriegeriſches Gethoͤne an/
welche denen Hiſpaniſchen Narciſſen gantz
aͤhnlich waren/ die uͤber ihre ſechs ausgebreite-
te Blaͤtter einen langen holen Hals hervor
ſtreckten; gleich als wenn die Werckzeuge/
wordurch die Ohren vergnuͤgt werden ſolten/
nach denen die Augen ſo ſehr erfreuenden
Blumen gebildet werden muͤſten. Nach
dieſen hielten die vier Theile der Welt umb
die Blumen - Goͤttin herumb ein ſehens-
wuͤrdiges Rennen/ worinnen die Rehe/ die
Loͤwen/ die Kuͤhe und Renn-Thiere ſich in
denen ſchnellen Umbwendungen und Ringel-
Drehungen nicht anders als zugerittene Pfer-
de herumb werffen lieſſen. Endlich ſetzten
ſie ſich harte an die Blumen-Goͤttin an/ und
zwar der Fruͤhling gegen Morgen/ der Som-
mer gegen Mittag/ der Herbſt gegen Abend/
der Winter gegen Mitternacht. Nach wel-
cher Ordnung ſich nunmehr die Blumen der
vier Zeiten ausbreiteten. Der auf vorer-
wehnten Thurmes Spitze ſtehende Triton
wendete ſich hiermit gleichfalls umb gegen
die Mittags- und Oſt-Winde; derer jene ein
feuriges/ dieſe ein graſe-gruͤnes Drey-Eck
zum Zeichen hatten/ beyde zuſammen aber
liebliche Seitenſpiele anſtimmeten. Hierzu
fiengen an allen vier Enden die Blumen einen
luſtigen Tantz an/ in welchem die weiblichen
Blumen ſich mit denen maͤnnlichen bald ver-
mengten/ bald wieder abſonderten/ und zwar
ſo kuͤnſtlich: daß man iedesmals ihre genau
beobachtete Ordnung nach ihren fuͤnferley
Farben unterſcheiden konte. Beym Ende
ieden Satzes ſtellten ſich die maͤnnlichen und
weiblichen abſonderlich; und kam iedesmals
in das Mittel eine andere Blume/ umb
welche die andern Blumen ihrer Farbe einen
Kreiß machten/ und ſich gegen ihr als ihrer
Fuͤrſtin neigten. Die anderfaͤrbichten Blu-
men aber bildeten mit ihrer artlichen Stel-
lung die Geſtalt der ſo denn in der Mitte
ſte-
[1385[1387]]Arminius und Thußnelda.
ſtehenden Blume ab. Dieſe Abwechſelung
geſchahe fuͤnf und zwantzig mal/ alſo: daß einer
ieden Blume unter denen zweyhunderten dieſe
Verehrung wiederfuhr. Nach dieſem Be-
ſchluſſe fieng die Blumen-Goͤttin an dieſes
Jnnhalts zu ſingen: Weil die vierfuͤſſigen
Thiere den Loͤwen/ die Vogel den Adler/ die
Sternen die Sonne/ die Bienen den Weiſel/
die Baͤume den Oel- oder Granat-Apfel-
Baum fuͤr ihren Koͤnig erkennten; und die
Blumen ihre Luͤſternheit hiernach in dem Tan-
tze an Tag gegeben haͤtten/ waͤre ihr Vorſatz ih-
nen allen ein gleichmaͤſſiges Ober-Haupt zu er-
kieſen. Dieſer Vortrag erregte unter den
Blumen einen allgemeinen Ehrgeitz ſolche
Wuͤrde zu erlangen. Als dieſe nun unter ein-
ander herumb irreten/ redete der Fruͤhling ſin-
gende denen Seinigen das Wort/ und fuͤhrte
an: Seine Blumen haͤtten das Recht der Erſt-
geburt; der Lentz waͤre der eigentliche Vater
der Blumen. Sie verdienten ſo wohl ihrer
Schoͤnheit/ als Anzahl halber den Vorzug.
Denn er haͤtte allein ſo vielerley Arten Narciſ-
ſen/ Hyacinthen und Anemonen/ als die andern
Jahres-Zeiten gar mit einander Blumen.
Seine Zeit waͤre auch an ihr ſelbſt der Anfang
der Welt/ die Jugend des Jahres/ der Braͤuti-
gam der Liebe/ und eine rechte Mutter der Wol-
luſt. Der Sommer hingegen meynte zu be-
haupten: Die Fruͤhlings-Blumen waͤren nur
ein Vortrab und Trabanten der recht ſchoͤnen
Sommer-Blumen; ja unzeitige Fruͤh-Ge-
burten des noch unvollkommenen und ſich von
der Kranckheit des Winters kaum ein wenig
erholenden Jahres. Jene waͤren auch als
Toͤchter einer ohnmaͤchtigen Mutter allzu ver-
gaͤnglich; und fluͤchtiger als die Calingiſchen
Weiber in Jndien; welche zwar im fuͤnften
Jahre ſchwanger wuͤrden/ aber das achte nicht
uͤberlebten. Denn der Fruͤhlings-Blumen
Alter erſtreckte ſich ſelten uͤber einen Tag.
Ja die ſchoͤnſten unter ihnen haͤttẽ entwedeꝛ wie
die Tulipen keinen/ oder einen ſchwachen Ge-
ruch. Da hingegen die Sommerblumen laͤnger
tauerten/ und mit ihren Farben nicht nur die
Augen bezauberten/ ſondern mit ihrem Geru-
che die Luͤffte einbiſamten. Alle andere Jah-
res-Zeiten waͤren zu froſtig dieſe Wunder-
Gewaͤchſe vollkommen auszukochen. Weſt-
wegen in dem hitzigen Cyrene die Blumen beſ-
ſer/ als nir gends anders wo ruͤchen; hingegen
ſelbte in dem waͤßrichten Egypten meiſt Miß-
Geburthen ohne Geruch waͤren. Der Herbſt
widerſprach beyden/ und fuͤhrte an: Er waͤre
der Vater der Vollkommenheit; die ſchoͤnſten
Blumen raſteten nichts minder/ als die voll-
kommenſten Thiere lange in der Schoß ihrer
Mutter. Seine ergetzten nicht nur wie die
eitelen Fruͤhlings- und Sommer-Blumen das
Geſichte; vergnuͤgten den Geruch mit ihrem
Biſame; ſondern ſie ſaͤttigten auch mit ihrer
Speiſe/ und gaͤben durch ihre Krafft heilſame
Artzneyen ab. Mit einem Worte: Alle
andere gefielen meiſt nur dem Vorwitze/ oder
dienten bloß zur Wolluſt/ ſeine aber zum Nu-
tzen. Endlich meynte der Winter niemanden
etwas bevor zu geben; ſintemal ſeine mitten
aus dem Schnee herfuͤr wachſende Blumen
gegen alle andere Wunderwercke waͤren.
Andere Blumen erlangten ihre Zierden aus
der Guͤte des Himmels; die Winter-Blumen
aber aus ihrer eigenen Wurtzel Fuͤrtreffligkeit;
alſo: daß Sturm/ Schnee und Eiß/ welche an-
dere Blumen in einem Augenblicke zernichte-
ten; ſeiner Blumen Geburt nicht hindern/
weniger ihrer Zierde ſchaden koͤnten. Wie
nun dieſe und andere Gegen-Saͤtze die ſtritti-
gen Jahres-Zeiten nicht vereinbaren konten;
rennten ſie von einander/ und rufften ihren
Blumen zu: daß ſie die Waffen ergreiffen
ſolten. Zum erſten traff der Fruͤhling und
Herbſt gegen einander; da denn jener auf
Erſter Theil. N n n n n n n ndie-
[1386[1388]]Neuntes Buch
dieſen/ als ſie neben einander vorbey jagten/ mit
Karten-Diſteln/ dieſer auf jenen aber mit Gra-
nat- und andern Aepfeln warff. Jhre Blu-
men traffen auch von Gliede zu Gliede auf
einander/ und zwar warff iede Blume mit ei-
nem Puͤſchel Blumen auf ſeinen Feind/ wel-
che alle ihrer Farbe waren/ nemlich die weiſſen
mit weiſſen/ die rothen mit rothen und ſo fort.
Sie verwechſelten aber ihre Glieder deroge-
ſtalt: daß allemal zweyerley Farben Blu-
men gegen einander fochten/ und alſo durch
ſolche Vermiſchung ſo wohl der Blumen an
ſich ſelbſt/ als ihrer unſchaͤdlichen Kugeln/ die
Augen ſich uͤberaus erluſtigten. Auf gleiche
Weiſe traten nun auch bald der Sommer
und Winter gegen einander. Des Som-
mers Geſchoß waren Schwaͤmme/ des
Winters die ſo genanten Schnee-Ball-
Blumen. Und folgten beyder Zeiten
Blumwerck mit gleichmaͤſſigem Gefech-
te. Wie ſich nun iedes Theil nach ein-
ander herumb ſchwang/ fielen der Fruͤhling und
Sommer/ der Herbſt und Winter/ das dritte
mal der Fruͤhling und Winter/ der Sommer
und Herbſt mit denen nachfolgenden Blumen
einander an. Dieſen Kampf aber unterbrach
die Blumen-Goͤttin mit ihrem nichts minder
lieblichen Geſange/ als anmuthigem Antlitze;
darinnen ſie denen Jahres-Zeiten zu verſtehen
gab: daß ehe einer ieden Zeit Blumen mit frem-
den umb den Vorzug kaͤmpften; ſie unter ſich
ſelbſt einen Koͤnig erwehlen ſolten. Dieſe
Anweiſung erregte unter denen Blumen einen
vierfachen buͤrgerlichen Krieg; indem keine
Zeit-Blume ſo klein oder niedrig war; die
ihr durch eine ehrſuͤchtige Heucheley nicht wie
der Schnee-Koͤnig fuͤr dem Adler ein Vor-
Recht zueignete. Unter denen Fruͤhlings-
Blumen trug das Haupt uͤberaus empor die
zweyfache Anemone. Die Chalcedoniſche
ruͤhmte ſich: Sie waͤre aus dem Schnecken-
Blute des Adon; die blaſſere: Sie waͤre
von denen Thraͤnen-Perlen der Venus ent-
ſproſſen; ſie prangte nicht nur mit dem Koͤ-
niglichen Purper/ ſondern mit allen andern
hohen Farben. Sie beſchaͤmte mit ihren
Spiegeln die Pfauen-Schwaͤntze; ja man
haͤtte ihr auch fuͤrlaͤngſt den Koͤniglichen Titul
beygelegt. Vom linden Weſt-Wind waͤre
ſie fuͤr ſeine Braut erkieſet worden/ dem ſie
nur die Liebe thaͤte: daß ſie bey ſeiner Ankunft
ſich oͤffnete/ ſonſt aber als ein Bild der Keuſch-
heit ſich verſchloſſen hielte. Andere Blumen
waͤren auch nur Kinder einer einigen Jahres-
Zeit/ ſie aber bluͤhete nach dem Unterſchiede
ihrer eingeſetzten Zwiebel im Fruͤhlinge/ im
Sommer/ im Herbſt/ ja gar im Winter. Der
Anemone both der Narciß-Stengel maͤnnlich
die Stirne/ anfuͤhrende: Er waͤre aus dem
ſchoͤnſten Juͤnglinge der Welt in eine nicht
heßlichere Blume verwandelt. Wie er in
der erſten Geſtalt aus einem eyß - kalten
Brunnen eine uͤbermaͤſſige Flamme der
Selbſt-Liebe geſchoͤpft haͤtte/ alſo koͤnte kein
Auge ſeinen belebten Schnee anſchauen/ das
nicht gegen ihn entzuͤndet wuͤrde. Die Na-
tur haͤtte ihn nicht ohne Urſache mit einem
ſo ausgeſtreckten Kamel-Halſe begabet; wor-
mit er die andern Blumen gleichſam als ſei-
ne Unterthanen uͤberſehen koͤnte. Er zaͤhlte/
wie faſt alle andere/ ſeine Blumen nicht einze-
lich; ſondern er haͤtte auch ſolche Stengel/
welcher iede der neun Muſen mit einer Nar-
ciſſe deſchencken koͤnte. Dieſem widerſetzte
ſich aufs eifrigſte die Tulipane mit dem Ein-
halte: Andere Blumen moͤchten ſich mit einer
ertichteten Todten-Farbe ſeltzamer Ver-
wandlungen ſchmuͤcken; ſie haͤtte die kuͤnſt-
lichſte Mahlerin die Natur mit mehr als zwey-
hunderterley Farben ausgeputzt/ alſo: daß we-
der das Gold der Sterne/ der Saphier des
Himmels/ der Schmaragd der Erde/ die Per-
len
[1387[1389]]Arminius und Thußnelda.
len des Meeres/ die Rubinen der Schnecken/
noch alle andere Farben durch ihre Vermi-
ſchungen gegen ihr zulangten; zumal ſie noch
alle Jahr neue Farben/ wie Africa neue
Wunder gebehre; ſie haͤtte auch nichts an
ihr/ was nicht etwas goͤttliches waͤre/ auſer die
Sterbligkeit. Wiewohl es der meiſten Blu-
men Eigenſchafft waͤre in einem Tage ein
Kind und ein altes Weib ſeyn; oder wenn
ſie lange tauerten/ laͤgen ſie heute in der Wie-
ge/ morgen kriegten ſie Runtzeln/ uͤbermorgen
wuͤrden ſie zu Leichen. Der maͤnnliche Hya-
cinth laͤchelte hieruͤber/ und warff ein: Jhn
wunderte: daß der Narciß/ deſſen Weſen in
nichts/ als im Waſſer beſtuͤnde/ maſſen diß
vorher ſeine Moͤrderin geweſt waͤre/ und noch
immer ſeine Amme abgaͤbe/ oder auch die Tu-
lipane mit ihren vergaͤnglichen Farben ihrer
Hoffart eine Farbe anſtreichen wolte; da ſie
doch ſelbte nicht uͤbers andere Jahr ohne Huͤlf-
fe der Kunſt unveraͤndert zu behalten wuͤßte;
ſondern endlich alle Vermiſchung in eine Bau-
er-Roͤthe oder Gelbe-Sucht abſchuͤſſe. Sie
waͤre ein lebloſes Gewaͤchſe. Denn eine
Blume ohne Geruch gleichte einem Leibe ohne
Seele. Bey truͤbem Himmel lieſſe ſie den
Muth/ bey naſſem Wetter das Haupt ſincken/
bey der Hitze die geiſtloſen Blaͤtter fallen.
Der Hyacinth hingegen prangte faſt mit al-
lerhand Farben/ aber beſtaͤndig. Er wieſe ſich
auf einem Baͤthe wie Scharlach/ auf dem an-
dern wie Perlen. Bald bildete er mit ſeiner
Aſcher-Farbe einen die Aſche beſeelenden Fe-
nix/ bald mit ſeinẽ Berg-blau als ein Archi-
medes den Himmel/ mit ſeineꝛ Roͤthe die Wan-
gen der Liebe/ mit Vielheit ſeiner Blumen eine
fruchtbare Kinder-Mutter/ mit ſeinem Geru-
che das gantze wohlruͤchende Arabien/ und eine
ſchier verſchwenderiſche Wohlthaͤterin ab. Die
Phoͤnicier haͤtten von ſeiner Farbe das Mu-
ſter genommen aus Schnecken-Blute den
Koͤniglichen Purper zu faͤrben; die Agathyr-
ſen und die Periegeten in Jndien ruͤhmten
ſich die ſchoͤnſten Leute in der Welt zu ſeyn/
weil ihr Haar denen unvergleichlichen Hya-
cinthen gleichte. Seine Gemeinſchafft mit
der Sonne beſtaͤtige: daß ſie ihn aus einem
ihr lieben Knaben in eine ſo holde Pflantze
verwandelt habe; ja die klaren Buchſtaben
mit Koͤniglichem Blute auf ſeinen Blaͤttern:
daß er nichts minder ein Koͤnig der Blumen/
als eine Geburt des verwundeten Ajax ſey.
Die Koͤnigs-Krone warff ſich hierauf fuͤr eine
Koͤnigin auf; ſintemal dieſe Wuͤrde ihr nicht
allein die Hoͤhe ihres Stengels/ der Purper
ihres Kleides/ das Gold ſeiner inwendigẽ 6. Zep-
ter/ ſondern die gantze Welt durch den zugeei-
gnetẽ Nahmẽ der Koͤniglichen Krone zuerkennte.
Welcher Eigenſchafft ſie auch darmit abbilde-
te: daß ſie in iedem Blate zwey perlene Huͤ-
gel haͤtte/ woraus ſie bey Regen- und hellem
Wetter ſtets ſuͤſſe Tropfen abthraͤnete; zu ei-
nem nachdencklichen Merckmale: daß die Kro-
nen auch Quellen der Thraͤnen waͤren. Alle
Hecken erkennten den Egyptiſchen Dorn-
Strauch fuͤr ihren Koͤnig/ weil ihre Blaͤtter ſich
von der Zeit an wie Koͤnigs-Kraͤntze zuſammen
wickelten; da die uͤber dem Tode des Titho-
nus beſtuͤrtzten Mohren ihre Kraͤntze auf ſelbi-
gen Strauch geworffen haͤtten. Warumb
wolte man denn ihr die Ehre mißgoͤnnen/ wor-
mit ſie der Himmel beſchenckt/ die Natur aus-
geſchmuͤckt haͤtte? Aber der guͤldene Sonnen-
Stengel meynte nichts minder unter
dem Gebluͤme/ als das groſſe Welt-Auge unter
den Sternen die Ober-Stelle zu verdienen; deꝛ
Koͤnigs-Krone aber/ welche nach Knobloch und
Boͤcken ſtincke/ keinen Fuß breit zu entraͤumen.
Denn waͤre ſie eine Krone; ſo waͤre er ein Zepter;
welches ein eigentlicher Merckmal der Herr-
ſchafft als jene waͤre. Jupiter und Apollo be-
dienten ſich deſſen ſelbſt im Himmel; und Aga-
memnon waͤre von den Goͤttern ſelbſt
damit beſchencket worden. Das Sonnen-Auge
N n n n n n n n 2wolte
[1388[1390]]Neuntes Buch
Auge wolte nichts minder allen vorgehen.
Denn die Soñe waͤre das Auge der Welt; ſeine
Blume aber ihrer Schoͤnheit halber gleichſam
die Sonne/ und alſo ein rechter Spiegel der
Blumen/ wie das Auge der Natur. Allein
dieſen Rieſen bot die Zwergin die Meyen-
Blume Kampf an; und meldete: Sie ſuch-
ten ihre Hoheit nur aus der Schale ihres
praͤchtigen Nahmens zu behaupten; ſie aber
aus ihrem fuͤrtreflichen Weſen. Denn ſie waͤre
die rechte Thal-Lilge/ und ſo voll Geiſt: daß
wie an der Nachtigall mehr Geſang als Vogel/
alſo an ihm mehr Geruch als Blume waͤre.
Dahero ſie nichts minder wegen ihrer verein-
barten Tugend/ welche die Lebens-Geiſter der
Ohnmaͤchtigen ſelbſt wieder beſeelete/ ja die Lei-
che des Eßigs in heilſame Staͤrckung verwan-
delte/ allen groͤſſern Blumen als eine Dattel
einem Kirbſe/ und der Paradis-Vogel einem
Trappen vorgezogen zu werden veꝛdiente.
Unter denen Sommer-Blumen erhob ſich
keine geringere Zwytracht. Die Lilge ruͤhmte
ſich eine Koͤnigin aller Blumen; weil ſie aus
der Milch der Goͤtter-Koͤnigin/ nemlich der
eyverſuͤchtigen Juno entſproſſen; ihr Stengel
der hoͤchſte/ ihre Farbe die vollkommenſte/ ihr
Geruch kraͤfftiger als Balſam/ ihre Thraͤne
ihr ſelbſt eigener Saame; ihre Blaͤtter voll
Oel und Salbe/ ihre Krafft eine nuͤtzliche Artz-
ney/ ihr Safft ein Urſprung des Honigs; und
ſie; nwendig mit Golde gekroͤnet/ und an ſtatt
der Dornen mit Anmuth gewafnet waͤre.
Die ſich fuͤr eine Lilge ruͤhmende Meyblume
waͤre gegen ihr ein kaum ſichtbarer Kriepel/
und noch dazu unfruchtbar. Denn ſeine
Blumen haͤtten keinen Saamen/ und ſtuͤrben
durch ihre Ver welckung nicht nur ihr/ ſondern
gar der Nachwelt ab. Daher dieſe pucklichte
Zwergin mit ihrem gebuͤckten Halſe ſich gar
billich fuͤr ihr in duͤſtere Thaͤler verkrieche. So
ſeind die Bienen dem Oele ſind/ ſo entruͤſtet
ſtellte ſich auch das Bienen-Kraut gegen die
oͤlichte Lilge. Es fuͤhrte fuͤr ſich an: daß es
das Labſal der keuſchen und gerechten Bienen/
und der Brunnquell des Honigs waͤre; wor-
mit die heilige Prieſterin der groſſen Goͤttin
Jupitern auferzogen/ den Sterblichen den
Zucker des himmliſchen Nectars zugefroͤmet/
ihnen ein Mittel das Leben zu verlaͤngern/ und
ihre Leichen fuͤr der Faͤulnuͤs zu verwahren/ ja
ſich von Suͤnden und Traurigkeit rein zu be-
waſchen geſchencket haͤtte. Seine Blume und
Kraut waͤre ein Tod der Traurigkeit/ eine
Uberwinderin des Gifftes/ und eine Aertztin
aller Frauen-Kꝛanckheiten. Die Suſianiſche
Schwerdt-Lilge ruͤckte dieſer hingegen fuͤr:
Wie das Honig ein Bild des Todes waͤre; alſo
waͤꝛe auch an ſeineꝛ Blume nichts lebhaftes. Sie
hingegen waͤre auf Erden/ wie der Regenbogen
im Himmel ein Begrief aller ſchoͤnen Farben/
ein Wunder der Augen/ und eine Koͤnigin der
Blumen/ wie ihr Vaterland Perſien/ anderer
Laͤnder. Alleine ſie ward von der Nelcke verhoͤ-
net uñ eꝛmahnet: Sie moͤchte ſich mit ihꝛeꝛ waͤß-
richten Eitelkeit fuͤr ihrem Feuer nur unter das
Waſſerdes Fluſſes Euleus verkriechẽ/ und aus
ihꝛes Vateꝛlandes bꝛeñenden Haꝛtztbꝛuñen mehr
Feuer an ſich ziehen. Deũ der Nelcken ſtarcker
Wuͤrtz-Geruch waͤre ein ſelbſtſtaͤndiger Ge-
ſchmack der Jndianiſchẽ Naͤgel. Alle Farben der
Welt muͤſten ihr zum Pinſel dienen/ dadurch er
ſich oͤfter/ als Proteus verkleiden koͤnte. Und wie
kein Apelles mit ſeinem Pinſel ihre Schoͤnheit
ausdruͤcken koͤnte/ alſo waͤre ſie der rechte Mah-
ler der Gaͤrte. Beyden wideꝛſprach ins Antlitz
das Knaben-Kraut: die vielen Farben der Nel-
cken waͤre eine gemeinẽ Kleider-Verwechſe-
lung; das Knaben-Kraut aber bildete auf ſei-
nen vielen Blaͤttern die Geſtalten allerhand
Thiere/ ja der Maͤnner und Weiber mit einer
wunderſamen Roͤthe ab. Seine Kraͤfften
uͤberſtiegen das Vermoͤgen aller andern Pflan-
tzen. Denn ſie zuͤndeten in denen eyskalten
Adern den Zunder der Liebe an; und machten
gleich-
[1389[1391]]Arminius und Thußnelda.
gleichſam die todten Steine rege und lebhafft.
Dahero ſie die Liebe nicht nur auf der Welt den
Blumen; ſondeꝛn auch allen Einfluͤſſen der Ge-
ſtirne vorzuͤge. Alleine die gelbe Molyblume
ruͤhmte ſich ein Kind des Mercur/ und eine
Uberwinderin aller Zauber-Kuͤnſte zu ſeyn;
welche auch den Monden aus dem Himmel zu
ziehen/ und die Sonne zu beflecken vermoͤchte.
Durch ſie haͤtte Mercur Ulyſſen von allen Zau-
ber-Kuͤnſten der Circe befreyet/ und alſo waͤren
ihre Kraͤfften ſo wenig mit Golde zu bezahlen/
als ihre Farbe des edelſten Ertztes Glantze was
nachgaͤbe. Fuͤr dieſer aber meinte noch zu ge-
hen die Peonie; welche ihr aber vielmehr mit
dem Nahmen der Koͤnigs-Blume heuchelte/
und ſich ruͤhmte: daß ſie nichts minder wegen
Vielheit der Blaͤtter/ und ihrer Scharlach-
Roͤthe eine Koͤnigin/ als eine Tochter ſchattichter
Berge/ und eine Mutter der Geſundheit waͤre.
Daher die Aꝛtzney-Kunſt nicht weniger von ihr/
als ihrem Bruder dem eben dieſen Nahmen
fuͤhrenden Steine/ der die Weiber fruchtbar
machte/ und die Geburt erleichterte/ einen Ti-
tel geborgt haͤtte. Hierwider aber ſaͤtzte ſich der
Sonnen-Wirbel; als welchem ein unbenehm-
liches Vorrecht geben ſolte: daß er durch eine
verborgene Zuneigung einꝛ richtige Sonnen-
Uhr/ und eine beſeelte Leiche der verliebten Cly-
tie abgaͤbe; alſo auch bey woͤlckichtem Himmel
niemals ſein Ziel der guͤldenen Sonne fehlen
koͤnte; des Nachts aber aus einer traurigen
Sehnſucht die Blume gantz zuſammen zuͤge.
Erhaͤtte die Eigenſchafft den gifftigen Schlan-
gen und Scorpionen zu widerſtehen/ und die
Ameiſſen zu toͤdten. Uber dis ſtritten fuͤr ſei-
nen Obſieg die niemals veꝛwelckenden Blaͤtter;
da faſt alle andere fruͤh in der Wiege liegende
Blumen/ des Abends ſchon in Sarch kaͤmen.
Da aber die Verwandſchafft einiges Vorrecht
geben koͤnte/ haͤtte er einen veꝛſchwiſte ten Stein/
der von der Natur mit blutigen Sternen be-
ſaͤmt waͤre/ der der Sonne einen Spiegel ab-
gaͤbe/ ihre Finſternuͤſſe zeigte/ im Waſſer ihre
Strahlen erhoͤhete/ und den Zauberern zur Un-
ſichtbarkeit diente. Allein auch dieſem wolte
ſich das Stern-Kraut fuͤrzuͤcken/ weil ſelbtes
auch die Finſternuͤs der Nacht zu bemeiſtern/
und dardurch dem Geſtirne gleich zu werden
wuͤſte. Endlich warf ſich auch die Blume
der welſchen Baͤrenklau fuͤr eine Koͤnigin auf;
und ruͤhmte ihre Schoͤnheit daher: daß die
fuͤrtreflichſten Bildhauer ihre zierlichen Blaͤt-
ter in die koͤſtlichſten Marmel- und Ertzt-Seu-
len einaͤtzten.
Nichts minder gieng der Krieg unter den
Herbſt-Blumen an. Denn die Damaſceniſche
Muſch-Blume meinte: daß ihre Farbe ein
Ebenbild der Keuſchheit/ ihr Geruch aber der
Kern des wolruͤchenden Muſches waͤre. Die
Griechiſche Aloe ruͤhmte nichts minder ihre
Geſtalt/ als den bittern Safft ihrer Wurtzel
wegen ſeiner heilſamen Artzney-Krafft/ und
daß er durch unverſehrliche Erhaltung der
Leichen die Vergaͤngligkeit entkraͤfftete. Der
Jaſmin hingegen ruͤhmte ſich Krafft ſeines
Geruches eine Seele der Entſeelten; Krafft
ſeiner unzaͤhlbaren Blumen gleichſam ein
Briareus zu ſeyn; welcher mit hundert Ar-
men ſeine Schoͤnheiten ausbreitete. Allein
dieſe vergeringerte die Mogorin-Blume/ wel-
che ſich fuͤr eine Einbiſamerin gantz Jndiens
hielt/ und den Jaſmin/ der Geſtalt nach/ zwar
fuͤr ihren Bruder erkennte/ mit einer Blume
aber ein gantz Hauß anzufuͤllen/ und alſo tau-
ſend Jaſminen wegzuſtechen vermeinte. Die
preißwuͤrdige Jucca erkennte den Jaſmin und
die Mogorin zwar fuͤr ihr Geſchwiſter/ aber
ſie haͤtte das Recht der Erſt-Geburt/ und die
Kraͤffte einer Blumen-Rieſin. Denn ſie triebe
ihren Stengel drey Fuͤſſe hoch/ und der Vor-
rath ihrer wolruͤchenden Blumen machte ſie
zu der reichſten unter allen Herbſt-Blumer.
Jhre oͤfftere Fruchtbarkeit aber zuͤge ſie der nur
einmal gebaͤhrenden Atlantiſchen Aloe fuͤr.
N n n n n n n n 3Alleine
[1390[1392]]Neuntes Buch
Allein dieſe hierdurch angeſtochene Rieſin reck-
te uͤber alle Blumen ihr Haupt empor/ und
meinte den koͤniglichen Krantz keiner andern
zu goͤnnen. Sintemal ſie/ bey der zwar lang-
ſamen/ aber es reichlich-einbringenden Geburt
ihres Blumen-Stengels/ an geſchwindem
Wachsthum die Zedern uͤbereilte/ und an Men-
ge der wolruͤchenden Blumen es allen in der
Welt zuvor thaͤte/ ja ihre Kinder zu hunderten
zehlte. Gegen dieſer aber lehnte ſich der groſſe
Hyacinth mit den knollichten Wurtzeln auf/
und ſtellte ihr zum Gebrechen aus: daß ſie
alsdenn erſt Blumen braͤchte/ wenn ſie ein
funfzig- oder hundert-[j]aͤhrig altes Weib wuͤꝛde;
alſo ihren wolthaͤtigen Pflantzer ins gemein mit
vergebener Hoffnung ſpeiſete/ und meiſt ehe ihn
ſterben ließe/ ehe ſie ſchwanger wuͤrde; ja mit
threr erſten Geburt auch alſofort untergienge
und verdorrete. Sie hingegen truͤge alle
Herbſte nicht viel weniger Blumen/ als die
Aloe; alſo: daß ihr mit Gewalt und ſchier
ſichtbar emporſtoſſender Stengel den Nahmen
eines gantzen Blumen-Gartens verdiente.
Seiner Blumẽ Geruch uͤbertraͤffen dẽ der Aloe
und der Jaſminen. Er vergleichte ſich der
kraͤfftigſten Pomerantz-Bluͤte/ ja wenn die un-
tergehende Soñe andern Gewaͤchſen faſt allen
ihren Geiſt entzuͤge/ vergroͤſſeꝛten ſeine Blumen
ihre Balſam-Krafft/ umb die gleichſam ohn-
maͤchtige Welt die Nacht uͤber zu erquicken.
Nach dieſem ſtellte ſich auch der Saffran zur
Schaue; anziehende: daß mit ſeinen guͤldenen
Haaren die Liebes-Goͤttin ihre untermengte;
ſeine guͤldene Eeren noch die Fruchtbarkeit der
guͤldenen Zeit abbildeten/ und die Welt in ihn
noch ſo verliebt waͤre/ als jemahls das Epheu
geweſen. Er haͤtte die Krafft die Trunckenheit/
ja die grauſamen Krokodile zu vertreiben; die
Ehre die Schauplaͤtze einzubiſamen; und die
niedlichſten Speiſen anzuwuͤrtzen; die Wun-
den zu heilen/ oder auch gar der Traurigkeit ab-
zuhelffen. Weſtwegen nichts minder die Eu-
menides/ als Ceres den Saffran ihnen zu einem
Heiligthume zugeeignet haͤtten. Dem Saff-
ran fiel die Aland-Blume in die Haare/ und
zohe an: Sie waͤre der ſchoͤnſten Frauen in der
Welt ſchoͤnſte Geburt/ und milterte nicht nur
die Traurigkeit/ ſondern ſie vergruͤbe alles Leid
in das Nichts der Veꝛgeſſenheit. Aber alle dieſe
wolte die Sonnen-Krone verdringen; welche
ins gemein ſechs und zwantzig/ offt auch gar vieꝛ-
tzig Schuch hoch ihr Haupt empor thuͤrmete/
und alſo nicht nur alle Blumen in gebuͤckter
Demuth unter ſich ſaͤhe/ ſondern auch hohen
Baͤumen zu Kopfe wuͤchſe. Dieſe ungeheure
Blume verhoͤhnete das Sonnen-Auge; weil
ſie eine Schale ohne Kern; hingegen dis ein
Kern ohne Schale/ ja ein recht heilſames
Marck der kraͤfftigſten Artzneyen waͤre. Weſt-
wegen dieſe Blume die Minerva ihren vom
Tempel gefallenen Pericles im Traume als
ſein einiges Geneſungs-Mittel gewieſen; die
Koͤnigin Artemiſia auch als ein Labſal ihres
Traurens fuͤr allen andern Blumen verehr[e]t
haͤtte. Gegen dieſer ſtreckte auch ihr zehn
Fuͤſſe hohes Haupt die Egyptiſche Colocaſia
herfuͤr/ ruͤhmte nicht nur die Groͤſſe ihrer Blaͤt-
ter/ und ihre mit einer ſuͤſſen Frucht traͤchtige
Haͤupter oder Kelche/ welche nach abgezinſeten
Bohnen Trinck-Geſchirre abgaͤben; ſondern
auch ihre ſuͤſſe Zwiebeln/ welche nichts minder
zu einem kraͤfftigen Liebes-Zunder/ als einer
koͤſtlichen Speiſe dienten; und ſie daher als
ein Wunderwerck/ ja als eine die Gluͤckſeelig-
keit gleichſam mit ſich fuͤhrende Pflantze in den
Roͤmiſchen Gaͤrten ſorgfaͤltig unterhalten wuͤr-
de. Endlich beruffte ſich der Seriſche Blu-
men-Koͤnig auf ſeine unvergleichliche Schoͤn-
heit/ fuͤr welcher Glantze alle weiſſe Blumen
ſchamroth wuͤrden/ alle gefaͤrbte wie die Ster-
nen fuͤr der Morgenroͤthe erblaßten. Er gruͤn-
dete ſich auf das fuͤr ihn ſchon gefaͤllete Urthel
der klugen/ und allein zwey Augen habenden
Seꝛer; welchem kein ander ein-aͤugichtes Volck
wider-
[1391[1393]]Arminius und Thußnelda.
widerſprechen koͤnte. Der Colchiſche Herbſt-
Stengel brach ein: Seine Lands-Leute die
Thibier waͤren ſcharfſichtiger als die Serer;
denn ſie haͤtten Zwey-Aepfel in Augen; dieſe
aber erkennten ihn fuͤr den Fuͤrſten aller Blu-
men. Denn weil er mit allen Farben in der
Welt prangte/ koͤnte man in ſeiner Anweſenheit
aller andern entpehren. Das Haar der Ve-
nus aber wolte noch ſchoͤner und kraͤfftiger ſeyn.
Denn das Haar waͤre der Loͤwen und Menſchen
ſchoͤnſter Schmuck/ ein Kennzeichen der edlen
Freyheit; ja die Strahlen der Geſtirne waͤꝛen
nichts anders als ihre Haare/ und ſeine Blume
der Strahl der Blumen.
Zuletzt war der ſtuͤrmiſche Winter in keiner
friedſamern Beſchaffenheit. Denn die Erd-
Aepfel-Blume oder der Nabel der Erde
machte ſich ſo krauß/ als ſeine fleckichten Blaͤtter
gekraͤuſelt ſind. Jnſonderheit ſtriech dieſe
Blume ihre Wuͤrckung wider Gifft und
Schlangen/ und die unſchaͤtzbare Erleichterung
der menſchlichen Geburten heraus. Dieſem
begegnete das Nabel-Kraut: Es wuͤꝛden zwar
die ſchoͤnſten Geſchoͤpfe mit dem Nahmen des
Nabels oder der Augen betheilt. Die wun-
derlichſten Steine hieße man Augen/ und die
ſeltzamſten Muſcheln Nabel der Nymphen.
Seine Blaͤtter aber waͤren der Nabel der Ve-
nus/ und die Blumen Augen der Liebe. Ja
uͤber viel andere heilſame Kraͤfften diente es zu
Liebes- Traͤncken. Hingegen ruͤhmete die
Wolffs-Wurtzel ſich viel groͤſſerer Kraͤffte;
als welche zwar von dem Schaume des Cer-
berus entſprungen waͤre/ und die Panther-
Thiere toͤdtete; im Menſchen aber entſeelte
ſie das verhandene Gifft/ und ihr bloßes An-
ruͤhren waͤre der Tod der Scorpionen. Ubri-
gens erinnerte ihre gifftige Eigenſchafft die
Menſchen: daß/ weil unter deren ſchoͤnſten
Blumen doch Schlangen verborgen laͤgen/ ſie
niemals die Vorſicht außer Augen ſetzen/ und
den Mißbrauch ihnen gefallen laſſen ſolten.
Die blaue Hornungs-Feilge fuhr mit einer
empfindlichen Ungedult heraus: Unterſtehet
ihr gifftigen Spinnen euch wol nicht nur unter
ſo nuͤtzliche Bienen zu miſchen/ ſondern gar ih-
nen zu Kopfe zu wachſen? Hebet euch von hier
ihr Unholden! entfaͤrbet eure geſchminckte Ant-
litze fuͤr der nichts minder heilſamen als ſchoͤnen
Feilge; welche mit ihrer Farbe dem Himmel/
mit ihrem Geruche dem Zimmet am nechſten
kommet; welcher Saame nicht nur die Scor-
pionen toͤdtet/ ſondern hunderterley Kranckhei-
ten abhilfft. Aber auch dieſer meinte der Win-
ter-Hyacinth die Oberſtelle nicht zu entꝛaͤumen/
deſſen Feuer mit nicht geringerm Wunder mit-
ten aus dem Schnee/ als ſiedende Quellen aus
kaͤlteſten Baͤchen herfuͤr braͤchen; und den fro-
ſtigen Winter in einen annehmlichen Lentz ver-
wandelten. Die fruͤhe Zeit-loſe gebꝛauchte fuͤr
ſich faſt eben die Gruͤnde; und daß ſie weſentlich
die Schoͤnheit aller Farben in ſich haͤtte; wor-
mit der Schatten der Sonne und die Unwahr-
heit des woͤlckichten Himmels nemlich der Re-
genbogen die Augen blaͤndete. Alleine der
Majoran behauptete: daß nicht die Farbe/ ſon-
dern die kraͤfftigen Eigenſchafften der Blumen
den Koͤnigs-Krantz verdienten. Raupen und
Weſpen haͤtten die Farben der Regenbogen/
die Roßkaͤfer des Goldes/ das gifftige Napel
des Purpers. Solten deſtwegen dieſe Ge-
ſchwuͤre der Erde/ dieſe Mißgeburten der Na-
tur einen beſondern Vorzug verdienen? Er
waͤre zwar nicht die ſchoͤnſte Blume/ aber ſo
viel kraͤfftiger; ja er haͤtte alleine die herrliche
Eigenſchafft des Jndiſchen Gewuͤrtzes: daß
ſein bloßer Safft ein unverterbliches Oel und
Salbe abgaͤbe. Endlich wunderte ſich der
Amaranth: daß noch nicht alle Blumen ſich
fuͤr ihm/ als einem unſterblichen Wunder-
wercke unter denen vergaͤnglichen Gewaͤchſen
buͤcketen. Er waͤre ſo lebhafft: daß er nicht
nur wie etliche Baͤume im Winter gruͤnete/
ſondern auch nach ſeiner Abbrechung/ ja nach
ſeiner
[1392[1394]]Neuntes Buch
ſeiner Abdoͤrrung Merckmaale ſeiner Unſterb-
ligkeit behielte; und daher waͤre er allein des
lebenswuͤrdigen Achilles Grab zu begraͤntzen
gewuͤrdigt worden. Die Blumen-Goͤttin
haͤtte ihm den Nahmen Tauſendſchoͤn zugeeig-
net/ und alſo ihm das Beſitzthum tauſendfacher
Schoͤnheit zugeſprochen. Schoͤnheit aber waͤ-
re nichts minder das erſte Kleinod der Blumen/
als der Zunder der Liebe; und mehrmahls in
der Welt eine Werberin und Braut koͤnigli-
cher Wuͤrde geweſt. Dieſemnach ſeine niemals
verwelckende Geſtalt derſelben ihn unzweifel-
bar verſicherte. Und koͤnte niemand als die
Eitelkeit einer fluͤchtigen Blume den Koͤnigs-
Krantz aufſetzen.
Dieſer letzten Meinung fielen alle dieſelbi-
gen Blumen bey/ welche das gantze Jahr wo
nicht bluͤheten/ doch an ihren Stengeln ihre
gruͤnen Blaͤtter behielten; in Hoffnung: daß
wegen ihrer wenigen Anzahl jede ſo viel ehe zur
Koͤnigs-Wuͤrde kommen/ oder nach der Koͤnigin
doch eine anſehnliche Fuͤrſten-Stelle erlangen
wuͤrde. Alleine die groſſe Menge der ver-
gaͤnglichen Blumen umbringte jene wenigen
durch einen zierlichen Kreiß-Tantz; dardurch
ſie nach und nach/ wie kuͤnſtlich ſie ſich auszuwin-
den vermeinten/ je mehr und mehr ins Gedran-
ge gebracht wurden. Dieſelben/ welcher Alter
nach der Laͤnge eines Tages abgemaͤſſen iſt/ hiel-
ten denen andern ſingende ein: Sie verſtuͤnden
ſo wenig was das beſte in den Blumen/ als der
Kern in der Wolluſt waͤre. Die Laͤnge der
Zeit muͤſte zwar vielen Dingen zur Vollkom-
menheit/ und vielen Gewaͤchſen/ daß ſie reiff
wuͤrden/ dienen. Alleine das Alter beraubte
die meiſten Sachen ihrer Guͤte/ und vergerin-
gerte auch die beſten. Die von denen alten Zim-
met-Baͤumen abgebrochene Caſia reichte der
von juͤngern geſchaͤlten Zimmet-Rinde nicht
das Waſſer. Die Runtzeln waͤren nicht nur
Frembden/ ſondern auch den Runtzlichten ſelbſt
verhaßt. Wie moͤchte denn die veralternden
Blumen ein annehmliches Augen-Ziel abge-
ben; welche gerne ſterben wolten/ wenn ſie ſich
nur wie die Fluͤchtigen verjuͤngen koͤnten. Das
Marck der Vollkommenheit waͤre die Ver-
gnuͤgung ohne Saͤttigung. Denn allzu lan-
ger Genuͤß auch der niedlichſten Suͤßigkeit ver-
urſacht einen Eckel. Was aber einem/ wenn
es am beſten ſchmeckt/ aus den Zaͤhnen geriſſen
wird/ verlieret niemals ſeinen Geſchmack; und
die vergaͤngliche Woluſt veraltert nicht/ ſondern
das Verlangen mehrer Genuͤßung verzuckerte
ſo viel mehr dis/ was denen bitter geſchienen/ die
das erſte mal nicht waͤren ſatt worden. Dieſe
Vergaͤngligkeit waͤre ſo gar die Wuͤrtze der Lie-
bes-Wercke/ welche doch der Ausbruch aller
Wolluͤſte ſeyn ſolten. Die Natur haͤtte durch
ihre Sparſamkeit ſo gar dem Golde/ als dem
Marcke der Erden/ den Diamanten als den
edelſten der Edelgeſteine ihre Koͤſtligkeit erhal-
ten muͤſſen. Nicht anders erhielte die Fluͤch-
tigkeit den vollkommenſten Wunder-Blumen
ihr Anſehen/ welche man ſo wenig/ als Neſſeln
einigen Anblicks wuͤrdigen wuͤrde/ wenn ſie ein
gantz Jahr lang bluͤheten. Uberdis haͤtten die
unverwelckenden Blumen-Stengel auch keine
andere/ als nur eine gruͤne Zierde/ welches ohne
dis die todte Erd-Farbe/ hingegen die gelben/
weiſſen/ rothen und blauen Sternen- und Him-
mels-Farben der Vergaͤngligkeit und Abwech-
ſelung/ beſonders im Gebluͤme am meiſten un-
terworffen waͤre.
Als der Amaranth ſich und ſeine Geſpielen
derogeſtalt uͤbermannet ſahe; muſte er durch
Fuͤrwerffung eines neuen Zanck-Apfels ſich
aus dem Gedraͤnge/ und ſeine Feinde in Tren-
nung zu bringen trachten. Daher er den Hy-
acinth/ den Jaſmin/ und Saffran verhoͤhnete:
daß ſie mit ſo viel weiblichen Blumen wider ihn
und ihr eigenes Geſchlechte in Buͤndnuͤs getre-
ten waͤren; Die Weiber aber ſo wenig unter
den Blumen/ als unter den Thieren der Herr-
ſchafft faͤhig waͤren. Dieſer Einwurff erregte
bey
[1393[1395]]Arminius und Thußnelda.
bey denen ſaͤmtlichen Blumen eine neue Tren-
nung. Sintemal die weiblichen aller vier Jah-
res-Zeiten ſich durch einen zierlichen Tantz von
denen Maͤnnlichen in einen Kreiß verſammle-
ten; und der Blumen-Goͤttin ſingende fuͤr-
ſtellten; wie der Amaranth ſie und die Liebes-
Goͤttin beſchimpft/ und die Rache einer gaͤntzli-
chen Austilgung verdient haͤtte. Die maͤnn-
lichen Blumen aber namen ſich des Amaran-
thes an/ und hiermit kam es zu einem neuen
Blumen-Kriege. Sintemal beyde abermals
ſich nach dem Unterſcheide ihrer Farben in eine
Schlacht-Ordnung ſtellten/ und von Gliede
zu Gliede mit ihren Blumen-Kugeln einander
antaſteten. Die vier Jahres-Zeiten wurden
beſtuͤrtzt/ als ſie ihre eigene Blumẽ mit einander
in Feindſchafft verfallen ſahen; rennten alſo
umb die Schrancken herumb ein Mittel zu fin-
den; wie jede Zeit die Jhrigen wieder in einen
Hauffen braͤchte. Aber die allzu groſſe Ver-
mengung zernichtete alle Bemuͤhung. Die-
ſemnach denn umb dieſe Zertrennung zu ſtoͤ-
ren der Fruͤhling rief: daß aus denen bundten
Blumen ein Koͤnig zu erkieſen waͤre. Die-
ſem folgte der Sommer/ und vertroͤſtete
deſſen die Purperfarbenen/ der Herbſt die gel-
ben/ und der Winter die weiſſen. Durch die-
ſen Anſchlag wurden aus zwey ſtreitenden
Theilen ihrer fuͤnff. Denn die uͤbergangenen
blauen ſammleten ſich in der Mitte auch zu-
ſammen; und beſchwerten ſich gegen dem Him-
mel uͤber groſſes Unrecht ſolcher Veraͤchtligkeit;
als welcher die Saphieren-Farbe zu ſeiner Zier-
de erkieſet haͤtte. Sie klagten bey der Sonne/
welche nicht nur darmit die Wolcken faͤrbte/
und ihren Hyacinth in eine blaue Blume ver-
wandelt haͤtte/ ja auf tunckelen Dingen am
kraͤfftigſten die Macht ihrer Stꝛahlen ausuͤbte;
ſondern auch denſelben ihre geheime Weiſſa-
gungen eroͤfnete/ welche mit Saphieren ſie ver-
ehreten. Sie rufften die Menſchen zum
Beyſtande an; ſintemal je mehr etwas von
weiſſer Farbe in ſich haͤtte die Strahlen des
Geſichtes zerſtreuete/ und die Augen verduͤſter-
te/ ihre ſchwaͤrtzlichte Farbe aber die Augen-
Strahlen zu einer genauen Betrachtung zu-
ſammen zuͤge/ und das Geſichte ſtaͤrckte. Aber
alle andeꝛe Farben rieffen: die Mohren-Blu-
men waͤren keines Koͤnigreichs/ ſondern viel-
mehr einer traurigen Bahre werth; weil ihre
Schwaͤrtze mit der Farbe der Nacht und des
Todes eine ſo nahe Verwandſchafft haͤtte. Die
blauen Blumen ſeuffzeten gegen dem Himmel/
und fleheten ihn an: daß weil der Winter kei-
ner blauen Veilgen/ der Fruͤhling keiner Mertz-
und Liſchblumen/ der Herbſt keines Jaſmins/
keiner Sonnenwirbel/ und keine Jahres-Zeit
noch die Erde der Hyacinthen werth waͤre/
moͤchte ſelbter ſie nicht mehr ſo niedrig wachſen
laſſen/ ſondeꝛn ſie mit edlen Saphieren zwiſchen
die geſtirnten Blumen des Ariadniſchen Kran-
tzes verſaͤtzen. Zumahl nichts minder unter-
ſchiedliche Arten der irꝛdiſchen Hyacinthen/ als
der Saphiere ſchon mit guͤldenen Sternen be-
ſtreuet waͤren. Die weiſſen Blumen hinge-
gen gruͤndeten ſich auf die allgemeine Verdam-
mung der blauen; und meinten aus dem Gꝛun-
de ſolchen Urthels bereit das Recht gewonnen
zu haben. Sintemal die weiſſe Farbe alleine
den Nahmen einer Farbe verdiente. Denn
ſie waͤre alleine das Licht/ alles andere Schat-
ten. Sie waͤꝛe der einige Urſprung aller Faꝛ-
ben. Aus dreyen Theilen ihres Lichtes/ und
einer Helffte des Schattens kaͤme die gruͤne;
aus zwey weiſſen/ und einem ſchwartzen Theile
eutſpringe die gelbe/ aus anderthalb Theilen
des Lichts und einem der Finſternuͤs ruͤhrte die
Purper-/ aus einem weiſſen/ und anderthalb
finſtern Theilen miſchte ſich die Himmel-blaue/
aus drey Theilen der Schwaͤrtze/ und einem
Theile des Lichtes die Feilgen-Farbe zuſam-
men. Je mehr nun etwas dem Schatten
naͤher kaͤme/ je geringer waͤre es; das von
allem Finſtern entfernte aber waͤre die Voll-
Erſter Theil. O o o o o o o okom-
[1394[1396]]Neuntes Buch
kommenheit. Dahero ſich der frohe Tag/ und
die reinen Geſtirne in die weiſſe Farbe des Lich-
tes gekleidet haͤtten. Und in denen weiſſen
Blumen glaͤntzete die Milch ihrer unbefleckten
Mutter der Blumen-Goͤttin; welche ihr Be-
lieben an ſo reiner Farbe dardurch bezeigte:
daß auch die tunckelſten Pflantzen anfangs an
der Wurtzel oder Zwiebel weiß aus ſchluͤgen/
hernach gruͤnlicht-gelbe wuͤrden/ oder ferner in
mehr ſchattichte Farben ſich verſtellten. Die
gelben Blumen widerſprachen die Vollkom-
menheit der weiſſen. Denn ſie haͤtten nicht
einſt das Weſen einer Farbe/ ſondern ihr Licht
waͤre nur eine blancke Tafel/ darauf die Natur/
als die kuͤnſtlichſte Mahlerin/ mit ihrem Pinſel
ihre Schoͤnheiten ſtreichen ſolte. Dieſe haͤtte
in allen ihren Geheimnuͤſſen nichts kraͤfftigers
als den Schwefel/ welchem aller Farben Unter-
ſcheid zuzuſchreiben waͤre. Fuͤr ſich ſelbſt
aber behielt er die gelbe Farbe/ als die erſte und
vollkommenſte/ und eignete ſie denen herꝛlich-
ſten Geſchoͤpffen/ in der Erde dem Golde/ im
Himmel der Sonne zu. Daß alle weiſſe Kaͤu-
me der Pflantzen ſich meiſt anders faͤrbten/
waͤre ein unverneinliches Merckmaal ihrer
Unvollkom̃enheit; Weil die kluge Mutter der
Natur ja ihre Fruͤh-Geburten mit nichts
vollkommenerm/ als ihre zeitige Kinder aus-
putzen wuͤrde. Was im Lentzen weiß bluͤhe-
te/ im Sommer gruͤnete/ faͤrbte der reiffe
Herbſt ins gemein gelbe. Ja keine Narciſſe
oder andere weiſſe Blume waͤre faſt zu finden/
die nicht in ihrer Mitte zu ihrem Aufputze et-
was zu ihrem Schmucke entlehnte; und wie
die Danae ihr Gold in ihre Schoos regnen
ließe. Die rothen Blumen gaben denen gel-
ben zwar nach: daß ihr Gold die Bluͤte der
Schoͤnheit fuͤrſtellte; allein der Purper der
Roͤthe waͤre der koͤnigliche Glantz aller Far-
ben; woruͤber weder die Natur noch die
Kunſt mit ihrer Mahlerey zu ſteigen wuͤſte.
Durch dieſe prangte das Meer mit ſeinen
Korallen und Purper-Schnecken; die Erde
mit ihren Rubinen; die Lufft mit ihrer Mor-
gen- und Abend-Roͤthe; ja die ſchoͤnſten un-
ter den Sternen waͤren die roͤtheſten. Wenn
Kunſt und Feuer das Ertzt zerfloͤßete/ und auf
ſeine hoͤchſte Staffel braͤchte/ naͤhme es nach
vielen Verwandlungen die Geſtalt eines ro-
then Loͤwen an. Eben dieſes wuͤrckten ſie in
den Blumen. Die weiſſe Schoͤnheit der
Narciſſen wuͤſte ihre innerliche Freude nicht
vollkommen auszudruͤcken/ und ihꝛe Anſchau-
er annehmlich genung anzulachen/ wenn
nicht ihre Milch ſich mit ihrem Schnecken-
Blute vermaͤhlte/ oder mit einer verſchaͤm-
ten Roͤthe ihre Unſchuld beſchirmete. Die
gelben Blumen aber beſaͤßen den lebhafften
Zinober mit Armuth; den die Natur mit
verſchwenderiſcher Hand uͤber ſie ausgeſtreu-
et/ und ſie durch dieſe eigenthuͤmliche Farbe
der Liebe aller Welt beliebt/ ja gegen ihrer
Flamme das Feuer gleichſam blaß und todt
gemacht haͤtte. Endlich ſtriechen die bundten
Blumen ihre Fuͤrtrefligkeit heraus; in denen
die Natur mehr herꝛliche Veꝛmiſchungen mach-
te/ als die reichſten Sprachen nicht zu neñen/ kei-
ne Seidenſtuͤcker nachzuwebẽ/ kein Apelles nach-
zumahlen/ ja weder Erde noch Meer gnungſam
und ſo hohe Farben her zu geben wuͤſten. Fuͤr-
nemlich aber waͤre an ihnen die Verſchwiſte-
rung der weiſſen und rothen Farbe mehr wun-
derns werth/ als daß der Waſſer-Gott Pro-
teus ſich auch habe in Feuer verwandeln
koͤnnen. Denn jede Farbe fuͤr ſich waͤre nur
Stuͤckwerck; die Vollkommenheit aber muͤſte
hier und anderwerts alles in ſich begreiffen.
Aus dieſem Abſehen haͤtte die Natur die Wie-
ſen mit ſo vielfaͤrbichten Blumen/ die Baͤume
mit unter ſchiedenen Bluͤten/ Blaͤttern und
Fruͤchten/ die Voͤgel mit ſo ſeltzamen Federn/
die Haͤlſe der Tauben/ die Schwaͤntze der
Pfauen/ und die Fluͤgel der Faſanen mit ſo veꝛ-
mengten Spiegeln/ den Regenbogen mit allen
Farben
[1395[1397]]Arminius und thußnelda.
Farben begabt/ ja die Geſtirne ſelbſt nicht ein-
ander gleiche gemacht. Dieſer Wuͤrde halber
haͤtten etlicher Voͤlcker Geſaͤtze niemanden/
als den Prieſtern/ weil ſie goͤttliche Stellen
vertraͤten/ ſcheckichte Kleider zu tragen erlaubet.
Und alle kraͤfftige Blumen nehmen entweder
zugleich/ oder nach und nach unterſchiedene
Farben an. Nach dieſem annehmlich-geſun-
genem Wort-Streite geriethen ſie wieder zu
einem neuen Blumen-Gefechte; indem an-
fangs der blaue Hauffe von denen geſammten
vier andern angegrieffen/ und aus ſeiner Mitte
getrieben ward. Dieſe behaupteten die weiſ-
ſen Blumen; ſahen ſich aber alſofort von de-
nen vier mißguͤnſtigen andern angefeindet;
alſo daß hierauf die gelben/ hernach die rothen/
endlich die bundten das Mittel einnahmen;
als inzwiſchen dieſes Gluͤcks-Wechſels halber
die weiſſen und gelben gegen die blauen und
rothen ein Buͤndnuͤs machten. Bey welcher
Zwytracht die bundten zwar gewonnen Spiel
zu haben vermeinten; aber ſie blieben ein An-
ſtoß aller beyder Theile zu einer nachdencklichen
Erinnerung: daß der/ welcher keinem Theile
beypflichtet/ von oben den Staub/ von unten
den Rauch aufnehmen muͤſſe.
Alle fuͤnf Hauffen waren nunmehr/ wiewol
Glieder-weiſe zuſammen vermiſchet; als
die Blumen-Goͤttin ſie herzu rennende von
ſammen trennete/ und ihnen ſingende den Jrꝛ-
thum benaam; da ſie den Vorzug der Blume
allein an ihrer Farbe zu beſtehen vermeinten.
Die Farben haͤtten nichts minder in Blu-
men/ als im Menſchen ihre veraͤnderliche
Eitelkeit. Jene entfaͤrbte der Winter/ wie
dieſe das Alter; jener Blaͤtter kriegten nichts
minder Runtzeln/ als dieſer Wangen. Ja die
Aeffin der Natur/ die Kunſt/ wuͤſte gleich einer
zaubernden Circe den Schnee der Blumen in
Scharlach/ das Gold in Zinober/ in Schma-
ragd/ und alle andere Farben zu verwandeln.
Die duͤrren Tannzappen kehrten ſchneeweiſſe
Blumen-Kinder in Mohren/ der Rauten-
Safft machte ſie gruͤn/ die Kornblume blau/ weñ
ſie nebſt Eßig und Saltze in ihre Schaf-Tin-
gung gemengt wuͤrde. Eine Blume ſtrieche
der andern eine Farbe an; das Haar des Saff-
rans koͤnte durch daraus gemachte Netzung die
Lilgen bepurpern; hingegen der Schwefel die
faſt brennenden blaß machen; ihre Zwiebeln
waͤren faſt ſo geſchickt alle Farben/ als das
Wachs jede Geſtalt anzunehmen/ und die
Schwaͤmme die Feuchtigkeiten einzutrincken.
Ja die Kunſt erkuͤhnte ſich einem Blumen-
Stengel gantz anders gefaͤrbte Blumen-Zwei-
ge nicht anders/ als einem einaͤugichten Ari-
maſper mehr Augen einzuſetzen/ und ſelbten zu
vieraͤugichten Mohren/ wo nicht gar zu einem
hundert-aͤugichten Argos zu machen. Daher
kleidete ſich die Anemone bald weiß/ bald roth/
bald blau/ bald Pfirſchken-bluͤtig aus. Die
Nelcken prangten mit ſo viel Farben/ als der
Himmel mit Sternen. Die Hyacinthen waͤ-
ren nicht verliebter in blau als in weiß. Die
Lilgen und Tulipanen ſpielten mit einer Farbe/
wie mit der andern. Dieſemnach muͤſte faſt
jede Blume wider ſich ſelbſt in Krieg ziehen.
Bey ſolcher Bewandnuͤs/ und da zumal die
Schmincke den Blumen ſo gemein/ als dem
Frauen-Zimmer waͤre/ ſey der Blumen Preiß
nicht auf ein beyfaͤllig und veraͤnderlich Ding
der bloßen Farbe/ ſondern auf ihr gantzes We-
ſen zu ſaͤtzen/ alſo zugleich auf den Geruch/ auf
die Vielheit der Blaͤtter und ihre innerliche
Krafft zu ſehen. Wer aber alle Schaͤtzbarkeit
der unbeſtaͤndigen Farbe zueignete/ handelte ſo
unvernuͤnfftig/ als welcher der ſo wol garſtig-
als langſamen Schnecken zerbrechliche Haͤu-
ſer dem Golde/ und das Floſern-Holtz dem Sil-
ber fuͤrzuͤge; welches nur deſthalben fuͤr koſtbar
geachtet wuͤrde; weil das ungluͤckliche Wachs-
thum einen Baum in ſo viel Knoten verdreht
haͤtte. Dieſer Vortrag ſaͤtzte die Blumen in
die euſerſte Verwirrung. Denn weil an ei-
O o o o o o o o 2nem
[1396[1398]]Neuntes Buch
nem Orte die wolruͤchenden/ am andern die
vollblaͤttrigen/ am dritten die heilſamen ſich zu-
ſammen ſchlagen wolten; ihrer viel aber mit
ihnen ſelbſt nicht eins waren/ zu welchem Hauf-
fen ſie gehoͤreten; ſchwermten ſie wie die Bie-
nen auf einer Klee-reichen Wieſe durch einan-
der. Wiewol die Rache die meiſten nunmehr
ihre Kraͤntze zu Waffen zu ergreiffen noͤthigte/
nach dem ſie bereit ihre Schuͤrtzen ausgeleeret
hatten. Welches die Blumen-Goͤttin ver-
anlaßte/ ihnen einen neuen Einhalt zu thun:
der Geruch alleine waͤre auch zu wenig zu
Entſcheidung ihres ſtreitigen Vorzugs. Denn
dieſer waͤre der Veraͤnderung der Jahres-Zei-
ten unter worffen/ im Winter und gegen Mit-
ternacht ſchwaͤcher als im Sommer/ oder in
denen Morgen-Laͤndern. Die Menſchen/
welche der Blumen zu genuͤßen auch allein wuͤꝛ-
dig waͤren/ haͤtten unter allen Thieren ihres
feuchten Gehirnes halber den ſchwaͤchſten
Geruch. Jhr Urthel waͤre auch ſo unter ſchie-
den: daß einige lieber Knoblauch/ als Muſch
ruͤchen. Perlen/ Diamanten/ ja das edle Gold
und viel andere Dinge haͤtten keinen Geruch;
dis aber benaͤhme nichts ihrer Wuͤrde und
Schaͤtzbarkeit. Die den Blumen ſo holde
Bienen koͤnten weder Zibeth noch Ambra veꝛ-
tragen; ja wenn eine dieſen Geruch mit in ihr
Behaͤltnuͤs braͤchte/ ſtrafften es die andern als
ein Laſter an ihr. Uber dis wuͤſte die Kunſt
auch durch Einbalſamung des Tingers/ oder
durch Einwaͤſſerung des Blumen-Geſaͤmes/
ihnen den angebohrnen Geruch gaͤntzlich zu be-
nehmen; der widrig-ruͤchenden Ringel Blu-
me die Anmuth des Muſches/ denen Nelcken
durch gewiſſe Bebiſamung ihrer Wurtzel den
Geruch des Zibeths einzupfropffen; ja die
Sammet-Blume durch die Nachbarſchafft ei-
ner ſtinckenden Staude/ welche gleichſam das
Gifft magnetiſch an ſich zeucht/ ihres Geſtan-
ckes zu befꝛeyẽ. Nichts mindeꝛ veꝛſtuͤnde ſie duꝛch
Verſetzung bey gewiſſer Monden-Zeit/ durch
Abbrechung uͤbriger Bluͤte-Knoſpen/ durch ge-
wiſſe Ting- und Anfeuchtung aus holen Nel-
cken volle/ und aus ſchlechten Anemonen viel-
blaͤttrige; ja durch Windung der Zwiebeln aus
glatten krauſe Blumen zu machen. Uber dis
unterwindete ſie ſich durch warme Anfeuchtung
und ſorgbare Verwahrung der Blumen-Ge-
faͤße fuͤr Froſt und Winde ſie fuͤr der Zeit zu ge-
behren; oder auch durch Verſetz- oder Vertief-
fung der Zwiebeln/ und oftere Annetz- oder Veꝛ-
brechung der Knoſpen ihre Geburt zu verlaͤn-
gern/ alſo Fruͤhling und Herbſt/ Sommer und
Winter durch einander zu miſchen; und die
fluͤchtigſten Mertz-Blumen gleichſam das gan-
tze Jahr in unſterbliche Amaranthen zu ver-
wandeln. Ja es waͤre/ wiewol ohne Beſchaͤ-
mung der Natur/ nicht zu verſchweigen: daß
die Kunſt aus dem Saltze eingeaͤſcherter Blu-
men durch eine daraus bereitete Lauge und ver-
moͤge eines linden Feuers durch die in einem
glaͤſernen Gefaͤße verurſachte Jaͤhrung/ her-
nach geſchehende Vermiſchung mit reiner Erde
die todten Leichen der verbreñten Blumen wie-
der lebend gemacht/ und derogeſtalt aus ihrer
Aſche ohne neuen Saamen junge Blumen-
Fenixe gezeuget habe.
Bey Vernehmung dieſes Wunders er-
ſtarreten alle Blumen wie die ſteinerne Niobe;
alſo: daß ſie nicht nur ihres Kampfes/ ſondern
ihrer ſelbſt vergaßen. Sie wurden aber bald
durch ein allerſuͤſſeſtes Gethoͤne wieder beſeelet.
Deñ es kam die Soñe auf einem guͤldenen und
mit unzehlbaren Blumen beſtreuten von vier
weiſſen Pferdẽ gezogenen Wagẽ in die Schran-
cken gefahren. Die Pferde waren nichts min-
der/ als die Soñe ſelbſt mit Blumen gekraͤntzet.
Fuͤr dem Wagen giengen die ſieben Plejaden/
welche den Boden mit wolruͤchenden Waſſern
netzten. Auf der Spitze des Wagens ſaß
Ariadne/ welche den Weg mit Blumen be-
ſtreute. Auf beyden Seiten des Wagens
zohen die uͤbrigen ſechs Jrr-Sternen her.
Der
[1397[1399]]Arminius und Thußnelda.
Der Monde ſpielte auf einer Viole/ Mercur
auf einer Floͤte/ Venus auf einer Laute/ Mars
auf Zimbeln/ Jupiter auf einer Harffe/ Saturn
auf einer Schalmey/ die Sonne ſelbſt auf einer
Leyer; wiewohl hiervon ein uͤber-irrdiſcher
Klang erreget ward/ welcher die him̃liſche Zu-
ſammenſtimmung abbildete. Die ſich wieder in
erſte Ordnung ſtellenden Blumẽ verehrten die
Sonne als ihren Vater mit gebogenen Knien;
ſie aber deutete ihnen an: daß ſie kommen waͤre
ihnen einen anſtaͤndigen Koͤnig zu geben. Wor-
auf Mercur ein groſſes Kriſtallen-Gefaͤſſe in
Geſtalt einer See-Muſchel in die Mitten ſetz-
te; darein iede Blume ihren Puſch; die Ster-
nen ihre beſte Schaͤtze zu bringen
befehlicht wurden. Saturn goß aus einer
Muſchel Perlen und Meer-Saltz; weil das
Meer ſeine Thraͤnen ſeyn ſollen; Jupiter eine
Schale Nectar/ Mars ein Glas voll Schne-
cken-Blut/ Mercur/ als der Hirten- und Han-
dels-Gott/ einen Topf voll Milch/ und ein Faͤß-
lein allerhand Gewuͤrtze/ die Venus eine Fla-
ſche voll des kraͤfftigſten mit ihrem Blute ge-
faͤrbten Balſams/ der Monde ein Horn voll
Morgen-Thau uͤber das verſam̃lete Blum-
werck. Die Sonne verdoppelte hieruͤber ihre
lebhafte Krafft alles zu beſeelen ſo nach druͤcklich:
daß aus dieſem Gefaͤſſe/ ich weiß nicht ob viel-
leicht durch Zauberey ein annehmlicher Strauch
mit allerhand Arten Roſen hervor wuchs. Alle
anweſende Sternen aber erſtarreten/ und hien-
gen ihre vorhin ſtoltzẽ Haͤupter traurig zur Er-
den. Die Sonne alleine ward gleichſam von
einem zweyfachen Geiſte gereget/ und fieng an
in ihꝛe-vollſtimmige Leyeꝛ nachfolgende Reymen
zu ſingen:
Bey dieſem Singen ruͤhrte die Sonne mit
ihrem Koͤnigs-Stabe den Roſen-Stab an;
worauf alſofort eine Anzahl ſchnee weiſſer
Roſen herfuͤr bluͤheten; welche ſich her-
nach in eine hohe Leib - endlich in eine
ſchwartz-tunckele Purper-Farbe verwan-
delten. Gleich als wenn auch dieſer Wunder-
Blume Kindheit ſich an ihrer Mutter-Milch
ergetzte/ ihre Vollkommenheit aber ſich denen
menſchlichen Lippen aͤhnlich/ und daher deſto
O o o o o o o o 3beliebter
[1398[1400]]Neuntes Buch
beliebter machen; endlich durch ihr purpernes
Begraͤbnuͤß doch die Hoheit ihrer Koͤniglichen
Wuͤrde behaupten wolte. Alle vorhin be-
ſchaͤmte Blumen fielen als geringer Poͤfel fuͤr
dieſem edlen Roſen-Proteus gleichſam in Ohn-
macht; und die Geſtirne verwendeten kein Au-
ge von dieſer Wunder-Blume; welche deroge-
ſtalt mehr vornehmere Buhler/ als fuͤr Zeiten
die ſchoͤne Helena hatte. Denn ob zwar die
Waͤrmde bey Durchkochung des waͤßrichten
Saftes in dem Obſte/ in Trauben/ und im Koh-
le nach und nach ebenfalls die erſten Farben ver-
aͤndert; die ſchweflichte Tingung auch eine Ur-
ſache vielfaͤltiger Blumen iſt; das Kraut der
dreyfachen Poley auch taͤglich dreymal ſeine
Farbe verwandelt; ſo kan doch der erſten lang-
ſame und kaum wahꝛnehmliche deꝛ letzteꝛn kaum
ſichtbare Veraͤnderung dieſer ſchnellen Umfaͤr-
bung der Siniſchen Roſen nicht vergliechen wer-
den. Es erholete ſich zwar aus einer Eiverſucht
dieſelbe Tulipane/ welche ihre ſchneeweiſſe Klei-
dung behaͤlt/ ſo lange ſie die Mutter-Milch aus
den Bruͤſten der Erde zu ihrer Saͤttigung aus-
ſaugt; wenn ſie aber durch Ubermaſſe trun-
cken/ zugleich ſchamroth wird. Dieſe meynte
ihrer Verwandelung halber dieſer Roſe nichts
nachzugeben; und erinnerte die andern Blu-
men nicht zu vergeſſen: daß auch die geringſte
unter ihnen ein Wunder werck waͤre. Alle Neu-
igkeit legte mittelmaͤſſigen Dingen einen hohen
Werth bey; die koͤſtlichſten aber wuͤrden nicht
geachtet/ wenn ſie gemein waͤren. Alſo puͤchte
man in Arabien mit dem Weyrauch die Schif-
fe; den man anderwerts nur Koͤrner-weiſe in
die heiligen Opfer-Feuer ſtreuete. Hingegen
trete man in Deutſchland Sauer-Ampf und
Holderbaͤume mit Fuͤſſen/ die die Jndianer mit
groſſer Sorgfalt in ihren Gaͤrten zeugeten.
Die Sonne ſelbſt und der Fruͤhling wuͤrde nicht
halb ſo ſchoͤn zu ſeyn ſcheinen/ wenn es mehr als
eine Sonne gaͤbe/ und der Fruͤhling das gantze
Jahr durch bluͤhete. Alſo baͤte ſie nach dem
Werthe ihrer Tugend; die fremde Blume
nicht nach ihrer unnuͤtzen Seltzamkeit zu urthei-
len; und die Roſe fuͤr eine falſche Neben-Son-
ne zu halten/ welcher Schoͤnheit nicht ſo wohl in
einem ſelbſtaͤndigen Weſen/ ſondern nur in ei-
nem bey- und baufaͤlligen Dinge beſtuͤnde/ und
daher auch ſo geſchwinde als eine Waſſer-Galle
verginge/ oder in ihrem Aufgange ſchon zugleich
ihren Untergang erreichte. Nichts minder
that ſich die Jndianiſche Narciſſe herfuͤr/ welche
mit mehr Haͤuptern als die Lerniſche Waſſer-
Schlange prangete; und ſich ſo viel lebhaffter
als dieſe zu ſeyn ruͤhmete. Sintemaldes Her-
cules Keulen ihr keine Furcht einjagten/ ſondern
ihre Blumen Haͤupter noch unterſtuͤtzten; ſie
auch nicht/ wie jene/ von der Hitze entſeelet wuͤr-
de; ſondern ſich nur fuͤr dem Froſte als dem ge-
meinen Todten-Graͤber der Blumen zu ver-
wahren haͤtte. Wenn ſie aber auch ſchon ihre
Blaͤtter einbuͤſſete/ vergroͤſſerten ſich doch ihre
dreyeckichten Haͤupter/ und ihre Staͤnglichen
breiteten ſich in einen zierlichen Sternen-Kreiß
aus; alſo daß ihre/ als der ſchoͤnſten Blume Lei-
che/ nichts geringers/ als ein Geſtirne/ und
nichts weniger/ als die in Himmel erhobene
Lerniſche Waſſer-Schlange werden koͤnte.
Welche weſentliche Verwandelung wunder-
wuͤrdiger waͤre; als der bloſſen Farbe leicht ab-
ſchuͤſſender Camelion. Der wohlruͤchende Jeſ-
min/ als er wahrnahm: daß dieſe Siniſche Ro-
ſen keinen Geruch haͤtten/ ſchalt ſie fuͤr eine nur
den Augen liebkoſende Schmincke; und meyn-
te ihr Anſehn zweifelhaft zu machen; weil der
Geruch der ſcheinbarſte Nutzen einer Blume
waͤre/ und durch ſelbten das Gehirne geſtaͤrckt
wuͤrde/ weſtwegen ein Weltweiſer die nicht un-
billich verlacht zu haben ſchiene: welche Blu-
men auf dem Haupte truͤgen. Hingegen ver-
moͤchte auch nach des Jaſmins Verweſung ſei-
ne Aſche Waſſer/ Lufft und Menſchen einzubi-
ſamen. Die Lilge tadelte an den Roſen ihre Dor-
nen; und ruͤhmte an ihr ſelbſt die alle Baum-
Wolle/
[1399[1401]]Arminius und Thußnelda.
Wolle/ und das Geſpinſte der Seiden-Wuͤr-
mer uͤbertreffende Zaͤrtligkeit. Alleine alle an-
dere Blumen redeten der Roſe ihr Wort; und
ſchalten dieſe drey Zwerge: daß ſie dieſer Rieſin
der Blumen/ ja der Sonne ſelbſt/ als ihrem
Blumen-Vater/ ſich Krieg anzukuͤndigen wag-
ten; deſſen Urthel nach die Roſẽ nicht nur Ster-
nen/ ſondern Sonnen des Erdreichs waͤren;
und/ weil ſie an der Soñe ſelbſt ihr wahres Eben-
bild im Himmel haͤtten/ nicht allererſt unter die
geringeren Nacht-Geſtirne verſetzt zu werden
verlangten; auch wo nicht alle/ doch die meiſten
Blumen mit ihrem Geruche/ ja gar Weyrauch/
Ambra und Muſch wegſtaͤchen. Den Abgang
aber des Geruchs deꝛ Siniſchẽ Roſe eꝛſetzte reich-
lich ihre Staͤrcke und Tauerhaftigkeit; indem ſie
auf keinem ſchwachen Stengel aus einer unge-
ſtalten Zwiebel nicht einzelich/ ſondeꝛn auf einem
rechten Baume in der Menge wuͤchſe; und
nach Art der den Winter und Froſt verhoͤhnen-
den Damaſcener-Roſe ſchier das gantze Jahr
durch/ biß die Sonne ſelbſt im Winter einen
Stilleſtand haͤlt/ bluͤhete; ja zu noch groͤſſerer
Verwunderung auch/ wenn ſie ſchon
von ihrem muͤtterlichen Stiele abgebrochen
waͤre; doch in einem angewaͤſſerten Gefaͤſſe
nach dem Auf-Fort- und Untergange
der Sonne eben ſo richtig ihre Farben verwan-
delt; als die verliebte Sonnenwende ihr Haupt
dieſem ihrem Buhler nachwendet; gleich als
wenn ſie gegen dem Anaxagoꝛas behaupten wol-
te: daß die Blumen nichts minder als die Men-
ſchen umb das gꝛoſſe Welt-Auge nuꝛ anzuſchau-
en gebohren waͤren. Sintemal ſie auch allein
mit dem Sonnen-Lichte den Geiſt/ und von ih-
rer Waͤrmde die Seele bekaͤmen. Die Dor-
nen der Roſen aber waͤren theils ihre Waffen/
welche den Vorwitz abhielte: daß er ein ſo him̃-
liſch Geſchoͤpfe nicht verunehrte/ theils Anrei-
tzungen der Augen umb dieſe Koͤnigin deſto ge-
nauer zu betrachten/ weil ſich die Haͤnde ſonder
Verwundung ihnen ſchwerlich naͤhern doͤrften.
Die es allgemeine Urthel noͤthigte nunmehr
auch die obige widerſinnige Blumen: daß ſie
ihre Ehrſucht in einen ehrerbietigen Beyfall
verkehreten; und wuͤrden ſie die Roſe mit meh-
rern Ruhm-Spruͤchen verehret haben/ wenn
ſie nicht wahꝛgenommen haͤtten: daß ihre Blaͤt-
ter eitel Zungen abbildeten; gleich als wenn ſie
nur ſelbſt/ keine andere Zunge aber ſie anſtaͤndi-
ger zu ruͤhmen faͤhig waͤren. Zumal uͤber diß
ihr ſich in die Luͤffte zertheilender Geruch ein an-
nehmlicher Ausruff und Ausbreitung ihres Lo-
bes; ihre Purper-Farbe nichts minder eine
Erinneꝛung deꝛ ſchamhaften Veꝛſchwiegenheit/
als ein Kennzeichen ihres Koͤnigreichs iſt.
Dieſemnach denn die Blumen abermals um
den neugebohrnen Roſen-Strauch einen zierli-
chen Tantz hegten/ aller ihrer Feindſeligkeit ver-
gaſſen; alſo: daß der ſonſt alle benachbarte
Blumen/ inſonderheit die Anemonen verſaͤu-
gende Hahnen-Fuß/ und die aus Ehr-Geitz
ſchier keine Gemeinſchafft vertragende Tulipa-
nen ſich mit allen andern friedlich gatteten/
beym Anfange und Beſchluſſe iedes Reyen fuͤr
der neuen Blumen-Koͤnigin demuͤthig buͤckten/
und ihre vorhin abgenommene Kraͤntze zum
Zeichen des Friedens wieder aufs Haupt ſetz-
ten; endlich aber ſelbte/ als ein ihnen unanſtaͤn-
diges Kennzeichen des Sieges zerriſſen/ und die
zerſtreuten Blumen davon ihrer Koͤnigin
opferten.
Bey dieſem waͤhrenden Tantze ruͤhrete die
Sonne mit ihrem kraͤfftigen Griffel abermals
den Roſen-Strauch an; worvon er ſich denn
nach und nach in ein den Geiſt der Roſe fuͤrbil-
dendes Frauenzimmer verwandelte; gleich als
wenn hierdurch die Scharte ausgewetzt werden
ſolte: daß die fuͤr der verliebten Sonne fliehen-
de Dafne zu einem Lorberbaume worden. Die
vor die Geſchwindigkeit des Windes gleichſam
uͤbereilende Blumen blieben wie ſteinerne Bil-
der ſtehen; nicht zwar fuͤr Verwunderung uͤber
der Verwandelung; ſintemal ſie aus ihrem
eigenen
[1400[1402]]Neuntes Buch
eigenen Urſprunge wohl wuſten: daß die Sonne
als die Seele der Welt/ der Brunn des Lebens/
der Vater der Fruchtbarkeit/ der Fuͤrſt der Na-
tur/ das Hertze des Himmels/ der Geiſt des Erd-
reichs/ ein Gott der Geburt nicht nur aus
Schlamme allerhand Gewuͤrme/ aus dem Ge-
ſaͤme alle Pflantzen machte; ſondern auch als
der rechte Prometheus der Uhrheber menſchli-
cher Zeugung waͤre; aber wohl uͤber der unver-
gleichlichen Schoͤnheit dieſes neuen Bildes ;
welches mit den krauſen Haaren die durcheinan-
der geflochtenen Blaͤtter der Roſe/ mit dem Ant-
litze und denen Augen zugleich ihre Rundte und
Liebreitz/ mit den Lippen/ Wangen und Spi-
tzen der Bruͤſte ihre Purper-Farbe/ mit ihrem
Athemeden Geruch/ ja in allen Gliedern etwas
von der anmuthigen Eigenſchafft ihreꝛ muͤtter li-
chen Blume abbildete. Dieſe Verwunderung
erwieß allhier ein merckwuͤrdig Beyſpiel: daß
ſie ſtaͤrcker waͤre als der Mutter-Schmertz/ wel-
che die Kinderloſe Niobe in einen Thraͤnen-rin-
nenden Steinfels verkehret hat; als die Furcht;
wordurch die vom Pan gejagte Syrinx zum
Schilff-Rohre/ und des Alpheus Buhlſchafft
Arethuſa zu einem Brunnen worden; als das
Schrecken/ welches alle/ die der Meduſen
Schlangen-Haar anſahen/ in Steine verwan-
delte; als die Liebe/ durch die Alpheus in einen
Fluß zerran; als die Eiverſucht/ die die Cal-
liſto zum Baͤren machte; als die Mißgunſt/ die
die Seiden-Weberin Arachne zur Spinne wer-
den ließ; ja als die Zauberey/ wordurch Circe
die Menſchen in wildes Vieh verſtellte. Denn
die Lilge fieng an allen Gliedern an ſo weich/ als
geronnene Milch zu werden. Aus ihren Bruͤ-
ſten ſpruͤtzte/ und von Fingern und Zeen troff
Milch; endlich zerran ihr gantzer Leib in dieſe
ſuͤſſe Feuchtigkeit/ wor aus ſie anfangs entſproſ-
ſen war. Die Naꝛciſſe ließ auch helle Tropfen
von ihren Wangen abſchuͤſſen/ welche man an-
fangs fuͤr Mitleidungs-Thraͤnen uͤber ihre
Schweſter der Lilge hielt; ſie zerfloß aber her-
nach gantz und gar in Waſſer/ als den erſten
Urſprung der Verwandelung. Aus dem Mun-
de der Meliſſe kamen anfangs/ wie weiland aus
dem Zucker-Munde des noch in Windeln lie-
genden Plato Bienen geflogen; welches an-
fangs darfuͤr aufgenommen war/ als wenn ſie
von ihren ſuͤſſen Lippen Honig geholet haͤtten.
Her nach aber fiengen alle euſerſte Glieder an
dieſe Thierlein zu gebehren/ biß en dlich der gan-
tze Leib in einen Bienen-Schwarm verflog.
Gleich darauf ward die Acanthus- oder Baͤ-
renklau-Blume wie Wachs weich/ fieng an vom
Oele zu trieffen/ gleich als wenn ſie mit dieſem
denen Bienen ſo widrigen Safte das aus Me-
liſſen entſproſſene Gewuͤrme toͤdten/ und ihr zu
vorigem Weſen verhelffen wolte. Alleine ſie
zerfloß endlich in eitel Oel. Der Jaſmin fiel
zugleich ohnmaͤchtig zur Erde; denn ſein Leib
ward zu einem Nebel/ welcher ſich hernach wie
ein dinner Rauch in eitel Geruch zertheilte.
Der Nelcke Antlitz fieng an wie ein Stern/ her-
nach wie der Blitz zu ſchimmern/ endlich ihr gan-
tzeꝛ Leib lichten Loh zu brennen; und alſo ihr gan-
tzes Weſen zu einer ſich verzehrenden Flamme
zu werden. Gleicher geſtalt zerfloß der Klee
in Honig/ die Koͤnigs-Krone in Thraͤnen/ die
Anemone in Blut/ die Thal-Lilge in Thau/ das
Frauen-Haar in Wein/ vielleicht weil dieſer
fuͤr der Venus Milch gehalten wird; die Feil-
ge in Zucker/ der Hyacinth in eine Himmel-
Farbe/ die Tulipane verſchwand in einen Wind/
die Schwerdt-Lilge ward zu einem Regen-Bo-
gen/ der Tauſendſchoͤn zu einem Sterne/ und
mit einem Worte: alle in Geſtalt der friſcheſten
Juͤnglinge und der ſchoͤnſten Jungfrauen in
dem Schau-Platze erſchienenen Blumen ver-
rauchten oder wurden zu Waſſer. Die ſechs
der Sonnen aufwartende Jrr-Geſtirne wuſten
nicht: ob ſie ſich uͤber Verſchwindung ſo vieler
Blumen/ welche ihrem Glantze wohl ehe Kampf
angeboten hatten/ erfreuen/ oder uͤber dem
Siegs-Gepraͤnge der Roſe betruͤben ſolten.
Nach-
[1401[1403]]Arminius und Thußnelda.
Nachdem aber die Sonne ſie mit unverwende-
ten Augen fort fuͤr fort anſahe/ und dardurch
ſeine Zuneigung mehr/ als niemals blicken ließ/
muſten ſie ſich auch nuꝛ gegen dieſem Welt-Ge-
ſtirne zu geziemender Ehrerbietung bequaͤmen;
und alſo die ſchoͤnſten aus denẽ ihnen zugeeigne-
ten Sternen (wie denn ieder eines oder des an-
dern Jrr-Sternes Eigenſchafft zugethan iſt)
zu einem Krantze erkieſen; welchen ſie der Ro-
ſen-Koͤnigin aufſetzten/ gleich als wenn der Him-
mel durch dieſen Danck erwiedern muͤſte: daß
ſelbter vorher eine nicht ſchlechte Zierrath von
Ariadnens Krantze erlanget hat. Dieſes aber
war noch nicht genung. Denn die Sonne ſelbſt
erklaͤrte ſie an ſtatt ihreꝛ Mutteꝛ der Erde fuͤr den
achten Jrr-Stern/ und die andern ſechs muſten
ſie in einem annehmlichẽ Reyen fuͤr ihre Schwe-
ſter annehmen. Worzu die Sonne ihre Leyer
ruͤhrte/ die anmuthigen Luͤfte/ und der Weſt-
Wind aber folgende Reymen ſangen:
Die Roſe aber leitete dieſen Tantz nach und
nach biß zu dem Bilde der Fuͤrſtin Thußnelde;
welche ſie mit tiefferer Demuth/ als vorhin die
Sonne/ verehrete/ ihren ſternenen Siegskrantz
vom Haupte nam/ und mit denen andern ſie
umbkreiſſenden Sternen zu ſingen anfieng:
Bey dem Schluſſe hoben die ſechs tantzenden
Jrrſternen die Roſe empor; welche den ihr vor-
her gewiedmeten Sternen-Krantz dem Bilde
Thußneldens aufſetzte. Woruͤber auf allen
Seiten des Schau-Platzes ſich ein ſo durch drin-
gendes Freuden-Gethoͤne erhob: daß der Erd-
bodem bebete/ und kein Ohr mehr ſein Ampt
verrichten konte. Hier uͤber endigte ſich nun
auch dieſer Tag; aber nicht ſeine Freude; weil
die vom Hertzog Jubil dieſen Abend uͤberkom-
mene Bewirthung/ darbey er den gantzen Hof
auf Jndianiſch bedienen ließ/ ſich biß nach Mit-
ternacht erſtreckte.
Alle Fuͤrſtliche Perſonen ſaſſen noch uͤber der
Taffel beyſammen; als zwoͤlff ſchneeweiſſe
Maͤgdchen mit weiſſen Wachs-Fackeln in den
Erſter Theil. P p p p p p p pSpei-
[1402[1404]]Neuntes Buch
Speiſe-Saal kamen/ und ſich durch die Men-
ge der Aufwartenden durch drangen/ zugleich
aber einer ihnen folgenden Amazoniſchen Hel-
din Raum machten; welche mit einem durch
Freundligkeit vermiſchten Ernſte Thußnelden
derogeſtalt anredete: Antiope der unuͤber-
windlichen Amazonen Koͤnigin waͤre durch das
vom Hertzog Herrmann die Welt durch fluͤgen-
de Geſchrey wie Alcibiades in die Odatis/ (ob
dieſer gleich ſeine Buhlſchafft nur im Traume/
jener gar nicht geſehen/) verliebet worden.
Dieſes unruhige Feuer haͤtte ſie mit unausleſch-
licher Begierde entzuͤndet/ dieſen deutſchen Her-
cules/ als ihre Uhr-Ahn-Frau die Fuͤrſtin Tha-
leſtris den groſſen Alexander zu umbarmen.
Zu dem Ende waͤre ſie mit dreyhundert Hel-
dinnen einen viel weitern Weg in der Naͤhe an-
kommen. Sie haͤtte an der Gewehrung we-
niger/ als an dem morgenden Aufgange der
Sonne gezweifelt; weil ſie wuͤſte: daß die
Deutſchen ihres Gebluͤtes waͤren/ und ſo wohl
als die Sarmaten iederzeit ſo ſehnlich nach der
Amazonen Heyrath geſeufzet haͤtten. Gleich-
wohl haͤtte ſie ſeine anderwertige Vermaͤhlung
mit der heftigſten Gemuͤths-Regung vernom-
men. Nachdem aber die Sonne das Licht allen
andern Geſtirnen ausleſchte; und ſie ſich erin-
nerte: daß der ſtreitbare Theſeus wegen ſeiner
liebern Aegle Ariadnen/ wegen Antiopens
(welcher ſie nichts minder an Gebluͤte/ als im
Nahmen gleich waͤre/) des Ajax Mutter Peri-
boͤa/ und andere Buhlſchafften verſtoſſen haͤtte;
hoffte ſie: es wuͤrde Thußnelde nunmehr ihr
eigenbeweglich ſo wohl Bette als Wuͤrde ein-
raͤumen; wo ſie ſich nicht vom Hertzog Herr-
mann verſchmaͤhet/ oder von Antiopen durchs
Recht der Waffen verdrungen wiſſen wolte.
Als dieſe Amazonin nun von Thußnelden kein
Wort/ ſondern von dem ſaͤm̃tlichen Frauen zim-
mer nur ein hoͤfliches Lachen zur Antwort er-
hielt; ſchoß ſie einen Pfeil durch einen Ring in
die Decke/ und warff einen Puͤſchel-voll brau-
ner Feilgen auf die Taffel; welch letzteres da-
hin ausgelegt ward: daß Antiope ſo wohl von
Eiverſucht gegen Thußnelden/ als von Liebe
gegen den Feldherren brennete; das erſtere
aber: daß ſie mit ihren Waffen ein Loch durch
Thußneldens Heyrath zu machen gedaͤchte.
Dieſes Fede-Weib war kaum aus dem Ge-
mache; als zwoͤlff umbs Haupt mit ſeidenen
Binden geputzte/ am Leibe mit Zinober gemahl-
te Mohren-Knaben mit ſo viel von wohlruͤchen-
dem Zunder unterhaltenen Ampeln erſchienen.
Dieſen folgte eine Mohrin/ welche an der Unteꝛ-
Lippe einen meſſenen Ring hengen/ in der rech-
ten Hand einen guͤldenen Apfel/ in der lincken
eine rauche Kaͤſten-Nuß hatte. Uber den
Ruͤcken hieng ihr ein Bogen vier Ellenbogen
lang/ an der Seite ein Koͤcher mit verguͤldeten
Pfeilen. Dieſe redete/ nachdem alle durch ihr
Stillſchweigen ihren Vortrag zu vernehmen
bezeigten/ ſie derogeſtalt an: Die Mohren-
Koͤnigin Candace haͤtte nach dem Beyſpiele ih-
rer Vorfahren in der Welt den vollkommen-
ſten Fuͤrſten aufzuſuchen ihr fuͤrgeſetzt/ welcher
wuͤrdig waͤre nichts minder dem Mohrenlande
eine kuͤnftige Beherꝛſcherin/ als einer ſo vollkom-
menen Heldin in der Liebe Vergnuͤgung zu ge-
ben; weil ihre Landes-Geſetze dem maͤnnlichen
Geſchlechte den Koͤniglichen Stul/ den Koͤni-
ginnen eine beſtaͤndige Eh verſchrenckten. Der
weltkuͤndige Ruhm des Fuͤrſtens Herrmann
haͤtte ſie deſthalben wie ein Magnet in Deutſch-
land gezogen; mit dem Vorſatze nichts minder
von ihm das Gluͤcke zu genuͤſſen: daß ein ſo
vollkommener Held ſie ſchwaͤngern/ als mit
Kriegshuͤlffe ihr unter die Armẽ greiffen wuͤꝛde.
Sintemal ſie entweder zu ſter ben/ oder ihrer
Mutter vom Petronius erlittene Niederlage
gegen die Roͤmer zu raͤchen ein Geluͤbde gethan
haͤtte. Sie vernehme aber beſtuͤrtzt die Rau-
igkeit der deutſchen Sitten; welche die Maͤn-
ner zu Knechten eines einigen Weibes machten;
ja das andere mal zu heyrathen verſchrenckten.
Wor-
[1403[1405]]Arminius und Thußnelda.
Wordurch ſie ſelbſt der Natur Gewalt anthaͤ-
ten; welche darumb ſo viel mehr des weiblichen
Geſchlechtes lieſſe geboren werden: daß ein
Mann ſich mit mehrern betheilen koͤnte. Viel-
leicht aber waͤren diß nur Geſetze fuͤr den Poͤfel/
nicht fuͤr Fuͤrſten. Dieſen Unterſchied haͤtten
die zwey Kaͤyſer zu Rom gehalten; indem Ju-
lius aller Weiber Mann geweſt waͤre; Auguſt
aber ihm ſo gar eines andern ſchwangeres Weib
geheyrathet haͤtte. Jnſonderheit aber ver-
moͤchte die Schoͤnheit des Mohriſchen Frauen-
zimmers alle Geſetze aufzuloͤſen/ und durch ihre
Kohlen die kaͤlteſten Seelen anzuzuͤnden. Dan-
nenhero haͤtte Antonius gegen der braunen
Cleopatra/ und Julius gegen der ſchwartzen
Tochter des Koͤnigs Bogudes alle weiſſe Wei-
ber zu Rom verſchmaͤhet. Uber diß ſtuͤnde ei-
nem ſo ſtreitbaren Fuͤrſten nicht an iemanden
anders/ als die fuͤrtrefflichſte Heldin zu lieben.
Ein Ninus koͤnte nur eine Semiramis umb-
armen; kein Adler aber gatte ſich mit einer Tau-
be. Aus eben dieſer Urſache haͤtte der Libyſche
Koͤnig Antaͤus ſeine behertzte Tochter Alceis/
Danaus alle ſeine funfzig/ Oenomaus ſeine ei-
nige Tochter Hippodamia/ Piſander ſeine
Schweſter als einen Preiß dem tapferſten Hel-
den aufgeſetzt. Alſo wuͤrde nun auch Hertzog
Herrmanns Braut Schande halber mit ihr
umb den Fuͤrſten Herrmann kaͤmpfen/ oder ſich
ihres Anſpruchs an ihn/ wo nicht gar verzeihen/
doch mit ihr ſeine Liebe theilen muͤſſen. Mit
dieſen Worten warff ſie den Granat-Apfel und
die Kaͤſten-Nuß/ jenes als ein Friedens-/ diß
als ein Krieges-Zeichen auf die Taffel; mit der
Erinnerung: daß die/ welche hierbey einigen
Zuſpruch haͤtte/ eines/ oder das andere erkieſen
ſolte. Worauf Thußnelde zum letztern grieff/
die Mohrin aber dreuenden Abſchied nam.
Folgenden Tag ward bey noch waͤhrender
Finſternuͤß der Schau-Platz ſchon wieder an-
gefuͤllet; wiewohl der in einen ſilbernen Rock
gekleidete Monde auf einem helffenbeinernen
Wagen/ welcher von einem weiſſen und einem
ſchwartzen Pferde gezogen ward/ erſchien/ und
theils mit ſeinem auf dem Haupte brennenden
Horne/ theils mit einem feurigen Spiegel den
Schau-Platz ſo ſehr erhellete; daß es ſchien:
es haͤtten die Theſſaliſchen Zauber-Weiber
durch dieſen Wunder-Spiegel den Monden
vom Himmel auf die Erde gezogen; zumal
dieſer fort fuͤr fort umb den gantzen Schau-
Platz herumb kreiſſete. Jhm folgete auf einem
verguͤldeten Wagen in Geſtalt einer anſehnlichẽ
Koͤnigin Deutſchland. Dieſen zohen vier
ſchneeweiſſe Pferde. Jhre gelben Haare wa-
ren hinten in einen Knoten zuſammen gebun-
den/ und das Haupt mit einem Lorber-Krantze
bedecket. Zu ihren Fuͤſſen lagen zerbrochene
Feſſel und Ketten. Sie begleiteten zwoͤlff mit
Schilff und Mooß bekleidete Fluͤſſe; welche
umb ſie herumb mitten in dem Schau-Platze
ſtehen blieben. Bald darauf erſchien die Na-
tur auf einem Wagen; welcher ein vollkomme-
nes Ey dieſes aber die Welt abbildete. Denn
wie die Natur an ſich ſelbſt nichts anders/ als die
Werckmeiſterin Gottes iſt/ alſo iſt die Welt ſein
Schatten. Den Wagen zohen ein weiſſer und
ein falber Hirſch/ als zwey Bilder der fluͤchtigen/
und in Tag und Nacht getheilten Zeit. Die
Natur ſaß auf einem gruͤn-gebluͤmten Stule.
Auf dem Haupte hatte ſie einen Sternen-
Krantz/ ein Himmel-blaues Ober-Kleid und
einen Meer-gruͤnen Rock an; in der Hand
eine gruͤne Rutte an ſtatt des Koͤnigs-Stabes.
Jhr Buſem war gantz bloß; weil dieſe guͤtige
Mutter die Weißheit durch den beweglichſten
Liebreitz locket ihre Schoͤnheit und Schaͤtze zu
erforſchen und zu genuͤſſen. Aus der einen
helffenbeinernen Bruſt ſpruͤtzte ſie gleichſam als
aus einem unerſchoͤpflichen Liebes-Brunnen
Milch/ aus der andern Oel; die Fuͤſſe aber
troffen vom Waſſer/ alles als ein guͤtigſtes Ge-
ſchencke der von ihr ernaͤhreten Welt. Auf
dem einen Rade des Wagens ſtand das Feuer/
P p p p p p p p 2auf
[1404[1406]]Neuntes Buch
auf dem andern die Lufft/ auf dem dritten die
Erde/ auf dem vierdten das Waſſer. Der Na-
tur kam durch das andere Thor die Kunſt entge-
gen/ auf einer verguͤldeten groſſen Schild-Krote
aus Metall; welche durch ein Uhrwerck getrie-
ben ward: daß ſie ſich ſchneller/ als eine Lebende
dahin bewegte; wohin es die Kunſt mit ihꝛem an-
deutenden Fuſſe verlangte. Die Kunſt bildete
eine junge Dirne ab/ mit aufgekrauſeten Haa-
ren/ einem geſchminckten und mit ausgeſchnit-
tenen Fliegen und Gewuͤrme bekleibten Antli-
tze. Das Haupt und der Hals ſtrahlete mit
vielerley nachgemachten Perlen und Edelge-
ſteinen. Auf den Rock waren die Geſtirne
nach ihrer weſentlichen Beſchaffenheit geſtickt.
Sie ſaß auf einem aus Helffenbein gedrehtem
Dreyfuſſe. Jn der Hand hatte ſie einen holen
Maͤß-Stab; den ſie nicht allein zu einem
Circkel/ ſondern auch zu einem Fern-
Glaſe brauchen konte. Jhr folgte ein zierlich
ausgeſchnitzter Wagen mit zwey Maul-
Eſeln. Selbten hielten hinten das Bild der
Liebe und des Mercur; welchen beyden das
Alterthum die Erfindung faſt aller Kuͤnſte zu-
geeignet hat. Auf dem Wagen lag allerhand
Handwercks-Zeug. Auf der Seite giengen
drey ungeheure Rieſen mit Beilen und Haͤm-
mern. Als die Natur auf einer/ die Kunſt auf
der andern Seiten ſich Deutſchlande naͤherten/
fiengen die zwoͤlff Fluͤſſe mit eitel irrdenen Ge-
faͤſſen an ein liebliches Waſſer-Gethoͤne zu ma-
chen; Deutſchland aber mit freudiger Geber-
dung ſie folgender Geſtalt anzuſingen:
Deutſchland hatte noch nicht gar ausgeſun-
gen; als die Natur mit ihrer Rutte auf die Er-
de ſchlug. Bald hierauf erhob ſich daſelbſt ein
kleiner Huͤgel; welcher anfangs nur einem
Maulwurffs-Hauffen zu gleichen war/ her-
nach aber zu einer zwoͤlff Ellen-hohen Stein-
Klippe ward. Alſo daß die allezeit zugleich
ſchwangere und gebehrende Natur/ die fuͤr Zei-
ten auch Delos/ Rhodus und andere Eylande
aus dem Meere herfuͤr geſtoſſen haben ſoll/ all-
hier einen neuen Berg zu gebehren ſchien. So
bald aber diß Wachsthum aufhoͤrete; hoben
die drey Rieſen die Kunſt mit ihrer Schild-Kro-
te empor; welche mit ihrem Maͤß-Stabe dieſe
Klippe abmaaß/ und/ was daran zu arbeiten waͤ-
re/ die Rieſen anwieß. Dieſe machten ſich al-
ſofort mit ihrem Werckzeuge an dieſe Klippe/
welche dieſen ſtarcken/ und uͤber ſo embſiger Ar-
beit ſchwitzenden Rieſen wie weiches Holtz nach-
gab; und in kurtzer Zeit ſtellte dieſer vorhin raue
Stein ein geſchicktes Marmel-Bild Hertzog
Herrmanns fuͤr. Am wunderwuͤrdigſten
war hierbey/ daß die Cyclopen mit ihrem Hauen
und Feilen ein ſo wohl abgetheiltes Geraͤuſche
machten/ nach dem die zwoͤlff Fluͤſſe tantzen kon-
ten. Deutſchland bezeugte hieruͤber ſeine nicht
geringe Vergnuͤgung/ und ſang abermals zu
ſeiner zwoͤlff Fluͤſſe Waſſer-Gethoͤne:
Die drey Cyclopen/ und die vieꝛ von dem Wagen
der Natur abſpringenden Geiſter des Feuers/
der Lufft/ der Erde und des Waſſers miſchten
ſich hier auf unter die zwoͤlff Fluͤſſe; und hegten
zuſammen umb dieſe Herrmanns-Seule einen
artlichen Tantz; darinnen ſie beym Schluſſe
jeden
[1405[1407]]Arminius und Thußnelda.
ieden Satzes/ wiewohl allemal veraͤndert/ Her-
tzog Herrmanns Nahmen durch ihre Stellun-
gen abbildeten. Nach deſſen Endigung ruͤckte
Deutſchland/ die Natur und Kunſt mit ihrem
Aufzuge an ein Ende des Schau-Platzes enge
zuſammen; der Monde aber zoh/ weil es nun
voͤllig tagte/ vom Schau-Platze wieder ab.
Zu denen eroͤffneten Thoren ſahe nun der
gleichſam in der Geburt ſtehende Tag hinein.
Es kam auch alſo fort der fuͤr Furcht gleichſam
erblaßte Morgen-Stern auf einem weiſſen
Pferde hinein gerennet; welch Pfoͤrtner des
Tages aber nicht Stand hielt/ ſondern geraden
Weges zum andern Thore hinaus eilete. Hier-
auf folgte die Morgen-Roͤthe auf einem roth-
guͤldenen und von zwey gefluͤgelten weiſſen
Pferden gezogenem Wagen. Die Raͤder
und Pferde waren ſo naß: daß ſie troffen;
gleich als wenn ſie allererſt in dem Meere waͤ-
ren abgeſpielet worden. Dieſe rauchten gleich-
ſam und ſchaͤumeten ſchier Feuer aus gegen die
vorher gehende in eine Wolcke eingehuͤllete/ und
mit einer ſchwartzen/ iedoch mit Stralen beſaͤ-
meten Haube bedeckte Nacht. Die Morgen-
Roͤthe hatte ein weiß ſilbern Gewand an/ umb
die Stiꝛne einen guͤldenẽ und puꝛpeꝛnen Schley-
er/ einen erhobenen Leib/ gleich als wenn ſie alle-
zeit mit dem Tage ſchwanger gienge. Auf der
Schoß lag ein hell-glaͤntzender Spiegel; gleich
als wenn ſie der Welt ſich aufs neue zu beſchau-
en das Geſichte wieder gaͤbe. Auf dem Haupte
trug ſie einen Roſen-Krantz; ſintemal ſie den
Garten des Himmels gleichſam mit eitel ſol-
chem Gebluͤme beſtreuet. Hinter ihrem Haupte
glaͤntzete eine guͤldene Sonne; weil ſie/ wo
nicht die Tochter/ doch der Schatten dieſes Ge-
ſtirnes iſt. An der Spitze des Wagens aber
erblaßten und flohen zugleich fuͤr ihr her der
gemahlte Monde und andere Sternen. Jhr
Mund lachte fuͤr Purper/ aus ihren Augen fie-
len haͤuffig Thraͤnen/ womit ſie taͤglich ihren
vom Achilles getoͤdteten Sohn Memnon be-
weinet. Mit jenem mahlet ſie; mit ihren
Perlen aber bethauet und erfriſchet ſie ſie; und
mit beyden ſcheint ſie zu erinnern: daß alle
Luſt ein weinendes Lachen/ ja die fruchtbaren
Thraͤnen nuͤtzlicher/ als Schimmer und Freude
ſind. Uber diß ſtand zu ihren Fuͤſſen auf der
rechten Seiten ein alabaſterner Krug/ auf der
lincken ein zierlich geflochtener Korb/ jener ein
Geſchencke deꝛ Thetys/ dieſer deꝛ Blumen-Goͤt-
tin. Aus dem Kꝛuge ſchuͤttete ſie mit einẽ Spꝛen-
gewedel wohlruͤchendes Waſſer/ aus dem Korbe
Blumẽ aus. Harte fuͤr dem Wagẽ giengen der
naſſe Sud-Wind/ der ſpielende Weſt- und der
beſchneyete Nord Wind/ als ihre drey mit dem
Aſtreus erzeugete Soͤhne; der Oſt-Wind aber
folgte dem Wagen als ein Diener nach. Bey
ihr auf dem Wagen aber ſaß als ein ſchoͤner
Juͤngling ihr geliebter Orion/ von dem ſie ſchier
kein Auge verwendete. Jhres Sohnes Mem-
nons ſchwartz-ſteinerne Seule aber ſtand auff
der Spitze des Foͤrder-Wagens hoch erhoͤhet;
hatte in der Hand eine Harffe/ auf dem Haupt
einen Vogel/ darein er bey ſeiner Verbren-
nung ſoll verwandelt worden ſeyn. Von dem
Bilde der Sonne gieng ein ſichtbarer Feuer-
Strahl auf Memnons Mund/ wovon er den
allerſuͤſſeſten Laut/ gleich als dieſer Stein wahr-
haftig auf der Harffe ſpielte/ von ſich gab. Nach
dieſem Aufzuge der Morgen-Roͤthe folgten vieꝛ
gethuͤrmte Elefanten mit Gold-Stuͤck be-
deckt. Die Thuͤrme waren mit Mohren-
Jungfrauen angefuͤllt; welche mit denen an-
nehmlichſten Seiten-Spielen die Lufft erfuͤlle-
ten. Worunter fuͤrnemlich eine vollſtimmige
Leyer als ein der Sonne eigentlich zugehoͤren-
des Seiten-Spiel zu hoͤren war; weil ſie mit
ihrer Bewegung in der Welt einen ſo ſuͤſſen
Laut machen ſoll/ und deſthalben fuͤr den
Vater der Muſen/ der Himmel fuͤr die
Leyer Gottes/ und die Welt fuͤr eine
Harffe der Sonne gehalten wird. Hier-
auff ritt auff einem feuer - farbich-
ten Pferde Zirolane eine Marſingi-
ſche Fuͤrſtin/ welche die Tochter der
P p p p p p p p 3Son-
[1406[1408]]Neuntes Buch
Sonnen Paſiphae in einem Regenbogen-faͤr-
bichten Kleide fuͤrſtellete. Auf dem Haupte
hatte ſie eine mit Opalen glaͤntzende Krone von
Golde. Nach ihr ritten fuͤnf und ſiebenzig
edle Jungfrauen alle wie Mohrinnen/ und
der Paſiphae/ außer der Krone/ gleich gekleidet.
Alle waꝛen auch mit guͤldenen Koͤchern/ Bogen/
Pfeilen/ Schwerdtern und Wurff-Spießen
ausgeruͤſtet. Paſiphaen trugen auf der Seite
ſechs Mohren-Knaben die Waffen. Mitten
in dieſem Geſchwader fuͤhrte die Graͤfin von
Salms auf einer Stange zum Kriegs-Zeichen
einen Ochſen mit einem Menſchen-Kopffe oder
Minotaurus. Hieꝛauf kam auf einem gleich-
fals feuerfaͤrbichten Hengſte Leitholde eine Fuͤr-
ſtin der Chauzen; welche hier die andere Toch-
ter der Sonne Phaetuſen abbildete. Jhr
goldgeſtuͤckter Purper-Rock ſahe wie eitel
Feuer-Flammen aus. Jhre Krone brennte
von eitel Rubinen. Jhre Waffen trugen
gleichfals ſechs Mohren-Knaben; und nach
ihr ritten fuͤnf und ſiebzig gleich gekleidete edle
Jungfrauen. Jhr Krieges-Zeichen war ein
ſchwartzer Papel-Baum/ darein die uͤber ihren
Bruder ſo ſehr betruͤbte Phaetuſa ſoll verwan-
delt worden ſeyn. Hierauf folgte ein mit vier
feuer-faͤrbichten Pferden gezogener guͤldener
Wagen; auf welchem das Bild des Feuers in
Geſtalt eines Loͤwen/ mit einem menſchlichen
Antlitze/ und groſſen gewundenen Wieder-
Hoͤrnern/ welcher mit den Klauen eines Ochſen
Hoͤrner faßte/ zu ſehen war. Fuͤr dieſem ſtand
ein Mohren-Prieſter/ welcher in eine guͤldene
Schale unaufhoͤrlich Zimmet warf/ der ſich
von ſich ſelbſt anzuͤndete. Auf jeder Seite
des Sonnen-Wagens giengen zwey von
ſo viel Mohren-Knaben geleitete Elefanten;
derer jeder zwey Mohren einen ſteinernen Keſ-
ſel fuͤrtrug; aus welchem die Elefanten mit
ihrem Schnabel Waſſer an ſich zohen/ ſich dar-
mit wuſchen und beſpruͤtzten; hernach ſich
gleichſam aus einer angebohrnen Andacht fuͤr
dem Bilde der Sonne neigten; gegen ſelbtem
ehrerbietig den Schnabel ausſtreckten/ und et-
liche abgebrochene Zweige ſelbtem auf den
Wagen lieferten. Nach denen Elefanten
wurden vier der Sonne gewiedmete Pferde
mit guͤldenen Zaͤumen und Decken von vier
Mohrinnen gefuͤhret. Worauf die Fuͤrſtin
Jſmene unter dem Nahmen der Koͤnigin Can-
dace auf einem fuͤr Edelgeſteinen ſchuͤtternden
Pferde in Geſtalt der Sonne oder einer Feuer-
Goͤttin erſchien; und zwar noch ſchwaͤrtzer/ als
alles andere Mohriſche Frauen zimmer. Sin-
temal die Schwaͤrtze ein Fuͤrbild der Sonne
iſt/ wegen ihrer Eigenſchafft: daß ſie die Men-
ſchen ſchwaͤrtzet. Sie hatte einen Rubinenen
Krantz in Geſtalt der ſich zuſpitzenden Sonnen-
Strahlen auf; ein guͤldenes Gewand an.
An der Achſel hieng ein guͤldener Bogen. An
der Seite ein mit Rubinen verſetzter Koͤcher
mit guͤldenen Pfeilen. Umb ſie giengen zwoͤlf
weiſſe/ und zwoͤlf ſchwartze Knaben/ welche die
vier und zwantzig Stunden des Tages und der
Nacht abbildeten/ und zugleich Waffen-Traͤ-
ger dieſer Koͤnigin abgaben. Dieſe fuͤhrete der
fuͤr eitel Golde ſchimmernde Mittag. Hier-
auf erſchien des Hertzogs der Catten Arpus
Tochter Catta/ auf einem weiſſen Pferde die
Sonnen-Tochter Lampetie darſtellende. Jhr
Kleid war Silberſtuͤck; ihr Krantz von
eitel Perlen. Nebſt ſechs ihr die Waffen
tragenden Knaben folgten ihr fuͤnf und
ſiebentzig weiß gekleidete Mohꝛen-Jungfꝛauen.
Jhr Kriegs-Zeichen war ein Loͤwe. Zuletzt
kam mit eben ſo viel ſchwartzen Jungfrauen
und gleichmaͤßigem Aufzuge Melinde eine
Graͤfin von Waldeck als die vierdte Sonnen-
Tochter Circe in einem gold-gelben Kleide/ und
mit einem Krantze von gelb-rothen Hyacinthen-
Steinen. Jn der Hand hatte ſie eine Gaͤrthe
in Geſtalt einer Natter. Jhr Kriegs-Zeichen
war ein Drache. Als dieſer Mohren-Aufzug
beſchloſſen war/ kam ein von ſechs weiſſen Kuͤhen
gezogener ſechs-raͤdrichter ſilberner Wagen in
Schauplatz. Auf ſelbtem ſaß in einem Regen-
bogen-
[1407[1409]]Arminius und Thußnelda.
bogen-faͤrbichten Rocke Jris/ nebſt noch drey-
zehn ſo gekleideten und der Juno gewiedmeten
Jungfrauen. Jris hatte einen Krantz von
Perlen/ die andern von Weitzen-Eeren auf;
welche Juno fuͤr ihre Blumen baͤlt. Jede
ruͤhrte ein abſonder Saͤitenſpiel. Dem Wa-
gen folgten vier Centauren; welche von vier
Winden an ſilbernen Ketten als Gefangene
gefuͤhrt wurden. Hierauf ritt auf einem Per-
len-farbenen Hengſte eine Graͤfin von Stirum
in Geſtalt der Amazoniſchen Hippodamia; und
nach ihr fuͤnf und ſiebenzig ſchneeweiſſe alle in
Silber gekleidete Amazonen; deren lincke
Bruſt gantz/ der rechte Schenckel bis uͤbers
Knie entbloͤßet/ das Haar in die Lufft ausge-
ſtreuet/ jede mit ſilbernen Bogen/ Pfeilen und
Wurf-Spießen ausgeruͤſtet; Hippodamia
uͤber dis von ſechs weiſſen Knaben bedienet war.
Auf einer verſilberten Stange fuͤhrten ſie zum
Kriegs-Zeichen eine der Juno gewiedmete
Gans. Den andern von fuͤnf und ſiebenzig
lichte-gelbe bekleideten Amazonen beſtehenden
Hauffen fuͤhrte eine Graͤfin von Hohenloh;
welche die Widerſacherin des Hercules Mena-
lippe mit einem Kꝛantze von eitel Milch-weiſſen/
gleichwol aber durchſichtigen Monden- oder
Spiegel-Steinen fuͤrbildete. Jhr Krieges-
Zeichen war ein der Juno heiliger Pfau. Auf
dieſen Hauffen erſchien ein ſilberner von vier
weiſſen Ochſen gezogener Wagen. Auf dem-
ſelben ſtand das Bild der Lufft/ wie die von vie-
len Bruͤſten ſtrutzende Jſis; welche auf dem
Haupte einen halben Mohnden/ in der Hand
ein Thau-Gefaͤße hatte. Fuͤr ihr ſtand Callir-
rhoͤe eine Prieſterin der Juno/ und ſchlachtete
ihr ein weiſſes Schaf ab. Umb den Wagen
giengen acht Winde; nach ihnen der Tag.
Hierauf erſchien auf einer Perlen-farbenen
Stutte die andere Cattiſche Fuͤrſtin Adelmunde/
als allhier die Amazonin Antiope/ oder vielmehr
die Goͤttin Juno wie eine Amazone ausgeruͤ-
ſtet. Jhr Kleid war Silberſtuͤck mit guͤldenen
Lilgen; das Haupt mit einet Perlen-reichen
Krone bedeckt. Auf ihrem ſilbernen Schilde
war ein Kuckuck geetzt/ als in welchen Vogel ſich
Jupiter ihr zu Liebe verwandelt haben ſoll. Um
dieſe Koͤnigin giengen die zwoͤlff in Perlen-far-
benen Damaſt gekleidete himmliſche Zeichen mit
weiſſen Fackeln geruͤſtet; und wurden von dem
in Purpur gekleideten Abende/ als welcher allen
Geſtirnen ihr Licht anzuͤndet/ aufgefuͤhꝛet. Nach
ihr aber zohe eine Graͤfin von Teckelnbuꝛg unteꝛ
dem Nahmen Hippolitens des Theſeus Buhl-
ſchafft mit einem Krantze von Berillen und einer
zum Kriegs-Zeichen erwehlten Kuhe. Endlich
eine in Sardonich-Farbe gekleidete/ und mit
ſolchen Steinen gekraͤntzte Graͤfin von Horn/
unter der Geſtalt der hertzhafften Orythie nebſt
einem Horne des Ubeꝛfluſſes/ und zwar jede mit
fuͤnf und ſiebenzig alle in Silber oder weiß ge-
kleideten Amazonen/ und jede mit ſechs Knaben
auf. Alle dieſer Amazonen Pferde waren
Perlen-weiß.
Zu dem andern Thore hingegen kamen vier
durch geheime Gewichte bewegte Meeꝛſchweine
in den Schauplatz; welche den auf der Laute
lieblich ſpielenden Aꝛion auf dem Ruͤcken tꝛugen.
Umb ihn herumb ſaſſen vier Tritonen/ die bald
auf weit ſchallenden Hoͤrnern/ bald auf ſo viel
mit Seiten bezogenen Muſcheln ihm wechſels-
weiſe einſtimmeten. Nach dieſen wurden vier
anſehnliche und mit perlenen Decken belegte
Pferde/ als welche Neptun zum erſten ſoll ans
Licht gebracht/ oder der Thetys auf die Hochzeit
geſchencket haben/ von vier Tritonen gefuͤhret.
Hierauf erſchien/ wie alle folgende Meer-Hel-
dinnen/ auf einem Meer-blauen Pferde eine
Graͤfin von Reineck unter dem Nahmen der
Meer-Tochter Clytie; welche wie ihre fuͤnf und
ſiebenzig nach folgende Geſpielen auf Amazo-
niſche Art mit einem himmelblauen Kleide/ und
einem Korallen-Krantze bedeckt war. Zum
Kriegs-Zeichen fuͤhrte eine Graͤfin von Hen-
neberg auf einer Meer-gruͤnen Stange das
Bild
[1408[1410]]Neuntes Buch
Bild ihrer geliebten Sonne. Hierauf folgte
in einem himmel-blauen Rocke/ und mit ei-
nem Krantze von Saphieren eine Aſcaniſche
Fuͤrſtin Theudelinde/ in Geſtalt der andern
Meer-Tochter Aſiens; und nach ihr fuͤnf und
ſiebenzig gleiche Gefaͤrthinnen. Die Graͤfin
von Andechs fuͤhrte derer Kriegs-Zeichen eine
Feuer-Seule; entweder weil Thetys aus Ab-
neigung gegen den Peleus ſich in eine Flamme
verwandelt/ oder Aſiens Sohn Prometheus
das Feuer vom Himmel geſtohlen haben ſoll.
Nach dieſen ward das Bild des Waſſers aus
Marmelſteine/ welches unter dem Arme aus
einem weiten Gefaͤße eine Bach aus ſchuͤttete/
auf einem von zwey Wallfiſchen gezogenem
Wagen gefuͤhret. Ein ſchwartz-gekleideter
Prieſter ſaß auf einem abgeſchlachteten wilden
Schweine/ und opferte von ſelbtem eine Scha-
le Blut nach der andeꝛn denen Waſſer-Goͤtteꝛn.
Hierauf erſchien die Goͤttin Thetys/ oder die
unbefleckte Fuͤrſtin Thußnelde/ als eine deut-
ſche Amazone ſelbſt in einem gewaͤſſerten Per-
len-farbenen Kleide/ welches nichts minder als
ihre Krone mit Peꝛlen bedeckt war. Sie war/
wie alle andere/ auf Amazoniſch geruͤſtet; nur/
daß ſie in der Hand einen ſilbeꝛnen Dreyzancks-
Stab fuͤhrte. Umb ſie herumb giengen vier
und zwantzig von der kohlſchwartzen Mitter-
nacht gekleidete Nereides; ſintemahl zu dieſer
Zeit die Sonne im Meere ſchlaffen oder ſich
baden ſoll. Dieſer Koͤnigin folgte ihre Toch-
ter Fleione der Plejaden Mutter mit einem
ebenfals Perlen-farbenen Rocke/ und einem
Krantze von Meer-gruͤnen Berillen; welche
Stelle eine Fuͤrſtin der Wenden vertrat. Nach
dieſer kamen ihre Toͤchter die ſieben Plejades
nebſt noch acht und ſechzig weiß gekleideten
See-Goͤttinnen; zu ihrem Merckmaal fuͤhrte
eine Graͤfin von Thurn den Sternen-Baͤr.
Zuletzt erſchien eine Graͤfin von Holland in
Geſtalt der Meer-Tochter Ephyre in einem
gruͤn- und blau-vermengtem Rocke/ mit ei-
nem Krantze von Tuͤrckiſſen. Nicht andeꝛs
waren ihre fuͤnf und ſiebenzig Nachfolgerin-
nen gekleidet. Jhre zum Kriegs-Zeichen er-
wehlte zwey guͤldenen Stern-Fiſche fuͤhrte eine
Graͤfin von Spiegelberg.
Den vierdten Aufzug fieng ein in den
Schauplatz gleichſam kriechender Berg an/
auf dem die neun mit Roſen gekraͤntzten Mu-
ſen/ als des Himmels und der Erde Toͤchter/ mit
ihren gewoͤhnlichen Saͤiten ſpielen aller Zu-
ſchauer Ohren und Augen an ſich zohen. Die-
ſem Berge folgten vier von ſo viel Maͤgdlein
gefuͤhrte Loͤwen/ als die der Goͤtter-Mutter Cy-
bele gewiedmeten Thiere. Nach ihr ritt auf
einem ſchwartzen/ aber mit einem Roſen-farbe-
nem Tuche bedecktem Pferde eine Graͤfin von
Rheinfeld/ als die Blumen-Goͤttin/ in einem
Roſen-farbenem Rocke mit Roſen und Chry-
ſolithen gekraͤntzt. Neben ihr giengen ſechs
Blumen ausſtreuende Knaben. Jhre fuͤnf
und ſiebenzig nachfolgende Frauenzimmer wa-
ren alle eben ſo gekleidet/ und mit Bogen/ Pfei-
len und Zweyzancks-Staͤben gewaffnet. Jhr
Krieges-Zeichen eine Roſe fuͤhrte eine Graͤfin
von Fuͤrſtenberg. Dieſer folgte die in gelben
Atlas gekleidete/ und mit einem aus Agſtein ge-
bildeten und mit Weitzen-Eeren umbflochte-
nen Eeren-Krantze gezierete Ceres/ eine Fuͤr-
ſtinder Sicambrer. Sie bedienten ſechs mit
Eeren gekraͤntzete und mit Sicheln gewaffnete
Mohren-Knaben. Jhre fuͤnf und ſiebenzig
Gefaͤrthinnen waren wie die Ceres gekleidet/
und wie ſie mit Bogen und Sicheln geruͤſtet/
ihre ſchwartzen Pferde mit gelben Decken ge-
putzt. Das Kriegs-Zeichen eines Mah-
Hauptes fuͤhrte eine Graͤfin von Wertheim.
Nach dieſem kam ein von zwey Schlangen ge-
zogener Wagen/ darauf das Bild der Erde in
Geſtalt eines ſchwartzen großbruͤſtigen ſchwan-
gern/ und mit Thuͤrmen gekroͤnten/ ein Horn
des Uberfluſſes in einer/ und eine Fackel in
der andern Hand habenden Weibes ſaß; fuͤr
ihr
[1409[1411]]Arminius und Thußnelda.
ihr aber eine Dromel ſtand. Sintemal dieſe
uraͤlteſte Goͤttin als eine allgemeine Mutter/
als ein Thurm Jupiters/ als ein Tempel der
Welt/ und als ein Becher der Helden/ wie der
Himmel fuͤr den Vater verehret zu werden
pfleget. Fuͤr dieſem Bilde kniete ein Prieſter
mit einer Schale voll Milch/ und einer Schuͤſ-
ſel voll Honig. Dieſem Wagen folgte die
Nacht/ als eine Tochter der Erde und Mutter
der Fruchtbarkeit mit zwoͤlf Gaͤrtnern/ und
nach ihr riett die in gruͤnen Damaſt gekleidete/
und mit einem ſchmaragdenen Krantze und
herrlichen Waffen prangende Fuͤrſtin Rhamis/
des dritten Cattiſchen Hertzog Ukrumers Toch-
ter. Sie bedienten die zwoͤlf Monate/ unter
denen der Ceres gewiedmete Auguſt den Vor-
zug/ und den praͤchtigſten Krantz auf/ alle aber
den mit Perlen und Roſen prangenden Mor-
gen zu ihrem Fuͤhrer hatten. Hierauf erſchien
eine Graͤfin von Mannsfeld/ als die Obſt- und
Wein-Goͤttin/ in einem gruͤn-roͤthlichten
Kleide/ mit einem aus Granat-Aepfeln und
Weintrauben geflochtenen/ aber zugleich mit
vielerley Edelgeſteinen geſchmuͤckten Krantze.
Die Decken der ſchwartzen Pferde waren
gleichfals bund. Fuͤnf und ſiebenzig gleich-
gekleidete Frauen begleiteten ſie/ und eine Graͤ-
fin von Stolberg trug zu ihrem Zeichen einen
Granat-Apfel. Endlich ruͤckte vollends die
Goͤttin des Ertztes in einem ſilbernen Rocke mit
einer guͤldenen Krone/ mit ſtaͤhlernen Waffen/
einem kuͤpfernem Schilde/ und bleyernen
Schuen herfuͤr. Dieſe Stelle bekleidete eine
Graͤfin von der Marck. Sie bedienten ſieben
Berg-Geiſter/ derer jeder ſeines abſonderen
Ertztes Eigenſchafft in Tracht und Waffen
zeigte. Fuͤnf und ſiebenzig Geſpielen waren
außer der Krone gleicher Geſtalt ausgeputzt/
und eine Graͤfin von Berg fuͤhrte einen ſie-
benſpitzichten Stern als ihr Kriegs-Zeichen.
Aller dieſer ſchwartze Pferde waren mit guͤlde-
nen Teppichten bedeckt.
Dieſe vier Goͤttinnen ſtellten ihr ſtreitbares
Frauen zimmer/ und zwar jede das Jhrige in
vier Hauffen; ihre Wagen zuſammen in die
Mitte unter die Seule des Feldherrn; ihre
Thiere und Dienſtbothen aber zwiſchen die
Schlacht-Ordnung; alſo: daß die waͤßrichte
Thetys oder Thußnelde gegen der feurigen
Sonne oder der Jſmene/ gegen Clytie Paſi-
phaen/ gegen Aſien Phaetuſen/ zwiſchen dieſen
aber der Thetys vier Pferde/ gegen der Sonne
vier Elefanten/ vier und zwantzig Nereides
gegen ſo viel Stunden; ferner Pleione gegen
Lampetien/ und endlich Ephyre gegen Cyrcen
zu ſtehen kam. Auf der andern Helffte des
Schauplatzes bot die annemliche Rhamis/ oder
Cattiſche Fuͤrſtin der hoffaͤrtigen Juno oder
holdſeeligen Adelmunde; die Blumen-Goͤttin
Hippodamia/ die Getreide-Goͤttin der Men a-
lippe/ zwiſchen innen der Erde vier Loͤwen de-
nen vier Centauren als vom Jxion eingebilde-
ten Soͤhnen der Juno/ die Nacht mit zwoͤlff
Gaͤrtnern dem Tage und ſeinen zwoͤlff Win-
den/ die zwoͤlff Monate denen zwoͤlff gehaꝛniſch-
ten Amazonen; ferner die Obſt-Goͤttin der
Hippolite/ und die Ertzt-Goͤttin der Orythie
die Stirne. Das Feuer munterte ſeine Pfer-
de durch Fackeln/ welche von denen Waffen-
Traͤgern der ihrer vier Heerfuͤhrerinnen ge-
ſchwungen wurden/ die Lufft die Jhrigen durch
einen hurtigen Tantz/ das Waſſer durch ein
Gethoͤne der Krummhoͤrner/ die Erde durch
Verhaltung allerhand bundter Tuͤcher auf.
Die 4. Goͤttinnen und ihre 16. Heerfuͤhrerin-
nen taſteten einander zum erſten mit Pfeilen an;
hernach traf ihr ſtreitbares bey jedem Hauffen
in fuͤnf Glieder jedes von funfzehn Haͤuptern
geſtelltes Frauenzimmer von Gliede zu Gliede
tapfer auf einander. Worbey die fuͤrtrefliche
Ordnung aus der Sonnen Feuer-faͤrbichten
Fuͤchſen/ des Waſſers blaue Schimmeln/ der
Lufft Perlen-farbenen und der Erde kohl-
ſchwartzen Pferden; wie auch aus jeden Ge-
Erſter Theil. Q q q q q q q qſchwaders
[1410[1412]]Neuntes Buch
ſchwaders abſonderlichen Decken/ und denen
Kleidungen der Streitenden wundeꝛns-werth;
und ſchier eines jeden Frauenzimmers aus
allen zwoͤlf hundeꝛten durch ein beſonder Meꝛck-
maal zu erkieſen war. Gleicher Geſtalt fuͤhr-
ten ihre Leiter die Pferde gegen die Elefanten/
und die Loͤwen gegen die Centauren. Derer
erſte mit ihren Schnauzen/ die andere mit ih-
rem Huff/ die dritten mit ihren Klauen/ die
vierdten mit ihren Bogen; die Nacht gegen
den mit Blitze geruͤſteten Mittag mit einem
Rauch-Kopffe/ der Abend gegen den mit einer
Fackel gewaffneten Morgen; die Waſſer-
Nymphen aber mit Dreyzancks-Staͤben ge-
gen die mit Senſen ihnen begegnenden Stun-
den/ die zwoͤlff himmliſchen Zeichen gegen die
zwoͤlff Monate kaͤmpfften/ welche letztern mit
denſelben Waffen verſehen waren/ die derſelbe
Gott fuͤhret/ dem ein jeder Monat zugeeignet
iſt. Nach zweymaligem Pfeil-Treffen gien-
gen die Waſſer-Kaͤmpferinnen gegen die mit
Wurff-Spießen ſich beſchirmenden Feuer-
Heldinnen mit Dreyzancks-Staͤben/ die der
Erde gegen die mit Lantzen verſehenen Lufft-
Amazonen mit zweyzanckichten Gabeln hertz-
hafft loß; alſo: daß wenn nicht alle dieſe Ge-
wehre mit Fleiß ſtumpff gemacht worden waͤ-
ren/ ſchwerlich eine unbeſchaͤdigt wuͤrde geblie-
ben ſeyn.
Bey dieſem dritten Treffen ſchwenckten ſich
alle vier Heere ſo kuͤnſtlich herumb: daß ſonder
die geringſte Verwirrung die Erde gegen dem
Feuer/ und das Waſſer gegen der Lufft/ nicht
ohne geheime Andeutung zu ſtehen kam. Deñ/
ob zwar alle vier Elemente einander auf gewiſſe
Art verwand ſind/ und ſich mit einander ver-
einbaren/ ſo verbinden ſich doch Erde und Meer
durch die gemeine Eigenſchafft ihrer Kaͤlte/ und
eine dieſen zweyen allein anſtaͤndige Vermi-
ſchung/ das Feuer und die Lufft durch ihre
Waͤrmbde/ und daß ſie beyde einander voͤllig
durchdringen/ am ſeſteſten zuſammen. Wel-
che zwey letztere auch ſchier nur durch ihre
geſchwindere oder laͤngſamere Bewegungs-
Art von einander unterſchieden ſind. Muß
alſo nur die Lufft durch Huͤlffe ihrer Feuchtig-
keit das Waſſer und das Feuer/ hingegen die
Erde durch ihre Trockenheit das Feuer/ als
welchem ſie allen Zunder reichet/ und das Waſ-
ſer durch eine ſanffte Vermittelung mit einan-
der veꝛſoͤhnen. Derogeſtalt waꝛen dieſe Bunds-
genoſſen ihre Widrige auf eine neue Art anzu-
greiffen im Wercke ſchon begrieffen; als das
eine Thor des Schauplatzes ſich mit groſſem
Schuͤttern eroͤffnete/ und der ſchwartze Vulcan
mit ſechs einaͤugichten Cyclopen einhinckte.
Er ſchwenckte als der Gott des Feuers eine
hellodernde Fackel umb ſich; als welche er auf
den Goͤtter-Hochzeiten fuͤrzutragen beſtellt iſt.
Vier ihm als dem Erfinder der Ertztgießung
und Schmiede-Arbeit folgende Cyclopen tru-
gen allerhand kuͤpferne Platten/ ertztene Ku-
geln/ Schleudeꝛ-Tiſche/ eiſerne Baͤlle/ meßinge-
ne Rincken/ Bley-Gewichte/ Schleudern/ und
allen andern in denen Olympiſchen Spielen
gebraͤuchlichen Vorrath nach. Polyphemus
der ſtaͤrckſte unter ihnen war mit dem ſchoͤnen
aus Ertzt gegoſſenem Hunde beladen/ den
Vulcan nach dem Muſter des dem Jupiter
verehꝛten ausgeetzt/ und ſeiner Venus geſchenckt
hatte. Nach dieſem ungeſtallten Rieſen folgte
der Liebe Waffen-Traͤger Bacchus mit ſeinen
pfeiffenden Silenen und tantzenden Bacchen/
welche den Erdbodem mit Ulmen-Zweigen
peitſchten; gleich als wenn ſie hierdurch aber-
mals neue Wein-Honig- und Milch-Brun-
nen erwecken wolten. Hierauf erſchienen die
drey ſingenden Holdinnen/ derer Geſtalt ſich
der Schoͤnheit/ die Stimme der ſuͤſſen Uber-
einſtimmung des Himmels gleichte/ die Roſen
ſtreuenden und wolruͤchen des Waſſer ausſpren-
genden Haͤnde aber den Erdboden bebluͤmten
und die Lufft einbiſamten. Nach dieſem kam
auf dem einer Perlen-Muſchel gleichen und
von
[1411[1413]]Arminius und Thußnelda.
von zweyen Schwanen gezogenem Wagen die
Goͤttin der Liebe in einem blauen mit guͤldenen
Roſen oder vielmehr Sternen beſtreuten Rocke.
Die Schlaͤfe waren mit Roſen/ der Hauptwir-
bel mit einer perlenen Krone bedeckt/ der Hals
mit Perlen/ der Leib mit einem Guͤrtel von
koͤſtlichſten Edelgeſteinen/ die Seite mit einem
ſchmaragdenen Koͤcher/ der Arm mit einem
guͤldenen Bogen geſchmuͤckt. Zu ihren Fuͤſ-
ſen lag der geharnſchte Kriegs-Gott gebunden.
Gegen uͤber ſaß ein annehmlicher Liebes-Gott;
deſſen Leib gleichſam die Milch/ ſeine Wangen
die Roſen/ der Mund Zinober wegſtach. Sein
lichtes Haar war noch mit Gold-Staube be-
ſtreuet; alſo: daß ſein Haupt mit ſo viel Son-
nen-Strahlen bekleidet zu ſeyn ſchien/ als auf
ſelbtem Haare zu ſehen waren; welche ſich einem
wellichten Gold-Drate gleichten. Er hatte
zwey Koͤcher einen mit guͤldenen-den andern
mit bleyernen Pfeilen erfuͤllet. Seine Fluͤ-
gel waren zwey Pfauen-Schwaͤntzen aͤhnlich/
in dem alle Federn voller Frauen-Augen hien-
gen/ ſeine purperne Schuͤrtze aber unzehlbare
Hertzen beſchloß. Dieſer hielt ſeiner Mutter
einen groſſen kriſtallenen Spiegel vor; womit
ſie/ weil in der Welt nichts ſchoͤners zu finden/
ſie ſich nur uͤber ihrer eigenen Vollkommen-
heit vergnuͤgen moͤchte. Fuͤr dem Wagen
giengen noch funfzehn andere gefluͤgelte Lie-
bes-Goͤtter; derer ein jeder einen koſtbaren
Siegs-Preiß trug. Umb den Wagen lieffen
die fuͤnf Sinnen/ welche einen Lobgeſang der
Liebe ſangen/ hieruͤber aber unter einander
ſelbſt in Zwiſt geriethen/ welch Sinn die Liebe
zu erwecken oder zu unterhalten das meiſte bey-
truͤge. Dieſen Kampff druͤckten ſie mit ihrer
ſuͤſſen Kehle und folgende Wechſel-Reimen aus:
Der gantze Schau-Platz ward durch diß
Singen gleichſam in unbewegliche Steine ver-
wandelt. Jnſonderheit ſtanden die Cyclopen/
als wenn ſie wie Atlas zu Bergen werden wol-
ten. Nach dem Beſchluſſe ihres Wort-Strei-
tes loͤſeten ſie die drey Holdinnen mit ihꝛen Sei-
ten-Spielen ab; nach welchen die 5. Sinnen ei-
nen Tantz hegten/ die Cyclopen mit einer nach
den Seiten-Spielen geſchehenden Bewegung
ſich ihrer Laſt fuͤr der Herrmanns-Seule ent-
buͤrdeten; die Liebes-Goͤtter aber ihre Preiße
fuͤr der Liebes-Goͤttin niederlegten. Hernach
aber miſchten ſich die 5. Cyclopen und die 15.
Liebes-Goͤtter in den Tantz der 5. Sinnen;
darinnen ſie ein zierliches Gefechte mit Pfeilen
und andern Gewehren fuͤrſtellten. Zu iedem
Sinne ſchlugen ſich ein Cyclope und drey Lie-
bes-Goͤtter; und traffen nebſt ihnen in fuͤnff
Hauffen/ und zwar jene mit groſſen Haͤmmern/
dieſe mit Blumen-Peitſchen auf einander.
Bald verwandelte ſich auch der Tantz in ein
Ringen/ bald in ein Ball-Spiel/ bald in ein
Wette-Lauffen. Zuletzt theilte die Liebes-
Goͤttin einem Cyclopen/ der in den Hammer-
Schlaͤgen das Beſte gethan hatte/ eine Scha-
le mit Weine/ einem im Ringen ſich wohl hal-
tenden Liebes-Gotte ein alabaſtern Gefaͤſſe mit
Oele/ darmit ſich die Ringer einzuſalben pfleg-
ten; dem beſten Ballen-Spieler einen guͤlde-
nen Apfel/ dem geſchwindeſten Laͤuffer ein paar
guͤldene Schuch-Monden; dem Fuͤhlen ein
guͤldenes Hertze aus. Sintemal das Hertz/
als der Brunn der Waͤrmde/ auch der Urſprung
aller Sinnen iſt. Hierauf fuhr die Liebe in
Begleitung ihres gantzen Aufzuges in einem
Kreiſſe ſanfft umb die Herrmanns-Seule her-
umb; und ſang in die Seiten-Spiele der Hol-
dinnen die vier zum neuen Kampfe fertigen vier
Hauffen des gewaffneten Frauenzimmers fol-
gender Geſtalt an:
Nach dieſem Geſange gab die Liebes-Goͤt-
tin dem Vulcan einen Winck/ worauf er durch
ſeine Cyclopen bey dem Bilde Hertzog Herr-
manns zwey ertztene oben zugeſpitzte/ darunter
aber ein rundtes Loch habende Seulen aufrich-
teten; denen Liebes-Goͤttern aber einen ſie-
benfachen mit denen Merckmalen der Jrr-
Sterne bezeichneten/ mit einem ſilbernen Ha-
cken an eine purperfarbene Schnure gehenck-
ten Ring/ dergleichen der weiſe Jndianer Jar-
cha zum erſten kuͤnſtlich gemacht/ denen ſieben
Goͤttern gewiedmet/ und durch Krafft ſolcher
Ringe ſein Leben auf hundert und dreiſſig Jahr
erſtreckt haben ſoll. Mit dieſen kletterten ſie
an denen aufgerichteten Seulen hinauf/ und
knuͤpften die Schnure mit iedem Ende an eine
Seule an. Die Cyclopen trugen an dem
Eingang der gegen die zwey Seulen gemachten
Renne-Bahn eine groſſe Menge meſſingener
Kugeln/ und rundter in der Mitte loͤchrichter
Ertzt-Platten. Wormit auch dieſes Frauen-
zimmer ſo vielmehr dieſe Kampf-Art zu belieben
aufgemuntert werden moͤchte/ namen die
Q q q q q q q q 3Cyclo-
[1414[1416]]Neuntes Buch
Cyclopen einen rundten und dicken Ertzt-Tel-
ler/ den ein mittelmaͤſſiger Mann kaum erheben
konte/ und ſtritten mit einander/ wer ſolchen am
hoͤchſten in die Lufft werffen koͤnte. Bey wel-
chem Spiele Hyacinthus ſoll umbkommen ſeyn.
Die Liebes-Goͤtter aber waffneten ihre Armen
und Achſeln mit kuͤpfernen Platten; und foch-
ten mit hoͤltzernen an einem Riemen hangenden
Kugeln/ nach Art der Olympiſchen Guͤrtel-
Kaͤmpfer/ mit groſſer Geſchickligkeit gegen ein-
ander; indem ſie alle Streiche entweder durch
geſchwinde Auswendungen abzulehnen/ oder
ſie mit ihrem Leibe/ ſo fern er geharniſcht war/
wie nichts minder oͤffters mit einem begegnen-
den Gegen-Streiche aufzufangen wuſten.
Jn welcher Krieges-Art zu Sparte nicht nur
die Knaben/ ſondern auch die Maͤgdchen ſorg-
faͤltig geuͤbet wurden; und iſt ſelbte auf den
Olympiſchen Spielen in ſo groſſes Anſehen
kommen; weil hierinnen Neptun der Bebry-
cier ſtreitbaren Koͤnig Amycus getoͤdtet haben
ſoll. Als dieſe Rieſen und Knaben den Schau-
Platz mit ihren Spielen unterhielten/ ruͤſtete
ſich das Frauenzimmer zu ihren Ritter-Spie-
len. Wie nun die kriegeriſchen Trompeten/
Krum̃-Hoͤrner und Paucken das Zeichen zum
Rennen gaben; ruͤckte die Liebe/ als die Rich-
terin uͤber dieſe Spiele/ mit ihrem Wagen
nicht ferne von dem erkieſeten Ziele; die
Holdinnen aber namen ihre helffenbeinerne
Schreibe-Taffeln zur Hand/ umb nach dem
Erkentnuͤſſe der Liebe alle Treffen genau auf-
zuzeichnen. Den Anfang machte vom Feuer
Paſiphae mit ihren fuͤnf und ſiebentzig Gefaͤr-
thinnen; und zwar ſo gluͤcklich: daß ſie mit der
Lantze den Ring abnam/ mit der einen ertztenen
Kugel durch das Loch der einen Seule/ und den
rundten Ertzt-Teller ſo recht in die Lufft warff:
daß er mit ſeiner mittelſten Hoͤle recht in die
Spitze der andern Seule zu fallen kam; alſo
daß ihr mehr nicht/ als der eine Kugel-Wurff
mißrieth. Dieſer folgte von Seiten des Waſ-
ſers Clytia; ferner von Seiten der Lufft Hip-
podamia/ und von Seiten der Erde die Blu-
men-Goͤttin mit ihren Hauffen. Nach die-
ſem erſten Rennen ward von Seiten der Lufft/
und zwar von der Amazonin Menalippe der
Anfang gemacht; dieſer folgte vom Waſſer
Aſien/ von der Erde die Getreyde-Goͤttin/ vom
Feuer Phaetuſa mit ihren vier Geſchwadern;
wiewohl aller Bewegung dem ſchnellen Feuer
zu vergleichen war. Alle Zuſchauer aber muͤh-
ten ſich gleichſam alle ihre Glieder in Augen zu
verwandeln; als die Waſſer-Goͤttin Thuß-
nelde/ oder vielmehr die unſchaͤtzbare Perle der
Welt/ und das Meer aller zuſammen fluͤſſen-
den Vollkommenheiten in die Renne-Bahn
kam. Sie ſchwenckte beym Anritt die Lantze
freudig umbs Haupt/ warff ſie in vollem
Rennen in die Lufft/ und fieng ſie mit der an-
nehmlichſten Geſchickligkeit; nam auch darmit
den Ring zierlich ab/ und legte ſelbten der Liebe
gleichſam als ein demuͤthiges Opfer fuͤr den ihr
verliehenen herrlichen Liebes-Sieg zun Fuͤſſen.
Hierauf warff ſie im andern Rennen beyde Ku-
geln durch die Seulen: daß keine irgendswo
in der engen Durchfarth anſtieß; die Ertzt-
Platte auch mit der hoͤchſten Vollkommenheit
in die Spitze der Seule/ als in das hierzu be-
ſtim̃te Ziel. Woruͤber der gantze Schauplatz
in ein Frolocken- und Freuden-Geſchrey ſich
ausließ; biß die Feuer-Goͤttin/ oder die gleich-
ſam fuͤr Eiver-Sucht uͤber dem dem Waſſer
ſchon zugeſprochenen Siege entzuͤndete Fuͤrſtin
Jſmene aller Augen auf ſich zoh/ und hiermit
gleichſam ihre Zungen faͤſſelte. Dieſe in den
Augen mit Strahlen der Sonnen/ auf dem
Munde mit Feuer-Flammen geruͤſtete/ und in
der Bewegung den Blitz fuͤrbildende Heldin
that es in allen Rennen Thußnelden nach; und
weil ſie alle Zwecke in Vollkommenheit erzielte/
erwarb ſie gleicher geſtalt des gantzen Schau-
Platzes
[1415[1417]]Arminius und Thußnelda.
Platzes Zuruff. Weil aber die Augen ins ge-
mein alle Neuigkeiten zu Wunderwercken ma-
chen; fielen alle Kraͤfften der Sinnen durchs
Geſichte auf die die Erde fuͤrbildende Fuͤrſtin
der Catten; welche auf den Wangen
den Fruͤhling/ in den Augen den Sommer/ mit
den Bruͤſten den Herbſt/ und auf allen Gliedern
durch ihren Schnee den Winter/ in ihrem
Rennen aber die Geſchwindigkeit des Windes
fuͤrſtellete/ und durch Erreichung aller vier Ziele
ihren Vorgaͤngerinnen nichts zuvor gab; alſo
von der Zuſchauer Zungen nichts minder ge-
prieſen/ als von ihren Haͤnden mit Blumen be-
worffen ward. Die auf die Rennebahn als
die Lufft-Goͤttin ſprengende Cattiſche Fuͤrſtin
Adelmunde ſtillete alles Geꝛaͤuſche wieein duꝛch-
dringender Donner-Strahl. Sintemal ſie
als eine Koͤnigin der Goͤtter/ als eine Vorſtehe-
rin der Hochzeiten/ eine Fuͤrſtin der Schaͤtze
fuͤr allen andern des Vorzugs ſich berechtigt
hielt. Wie ſie nun in den Augen die Vollkom-
menheit des Saphiers/ auf dem Munde des
Rubins/ in den Haaren des Goldes/ und ſonſt
allenthalben ihrer annehmlichen Thau-Toͤchteꝛ
zeigete; alſo war ihre Bewegung auch der ſtuͤr-
menden Lufft gleich/ welche/ wenn ſie ſchon am
ſtillſten zu ſeyn ſcheinet/ doch keinen Augenblick
unbeweglich iſt. Dieſe erlangte nun auch in
allen Reimen ihren Vorſatz/ und hiermit keine
geringere Lob-Spruͤche als die drey vorren-
nende Fuͤrſtinnen. Nach dieſer vier Haͤupter
Abzuge traff die Reye den Anfang zu machen
die Erde. Daher die Obſt-Goͤttin alles denen
vier geſchienenen Sonnen nachzuthun bemuͤht
war/ gleich als wenn der guͤldene Apfel in die-
ſem Liebes-Streite zu ihren Haͤnden wieder
kommen ſolte/ den die Zanck-Sucht in dem
Kampfe der Schoͤnheit von ihr erbor-
get hatte. Jhr folgte aus dem feurigen
Frauenzimmer ſo ſchnell als ein vom Him-
mel fallender Stern Lampetia/ aus der
Lufft die Amazonin Hippolite/ und von der
Erde Pleione mit ihren zugeeigneten Hauffen.
Den letzten Aufzug fuͤhrte von Seiten des Feu-
ers Circe/ welcher wunderwuͤrdige Bezeigun-
gen einer Zauberin nicht unaͤhnlich ſchienen.
Von Seiten der Lufft folgte die geſchickte Ory-
thia/ vom Waſſer die annehmliche Ephyre;
und endlich machte die nichts minder vom euſer-
lichen Schimmer/ als tapferer Thaͤtligkeit her-
fuͤr leuchtende Ertzt-Goͤttin mit ihrem Ge-
ſchwader dieſem Ritterſpiele ein Ende. Hier-
mit aber fieng ſich bey den Zuſchauern die
Sorgfalt an: wem bey ſo vollkommenen und
dem Augenſcheine nach ſo viel gleichen Rennen
die Preiße wuͤrden zuerkennet werden. Die
Holdinnen bezauberten mit ihren linden Sei-
tenſpielen gleichſam aufs neue alle Ohren des
Schau-Platzes; daͤmpften aber dardurch am
wenigſten die Befehle der Liebes-Goͤttin.
Denn nachdem dieſe ſich genau in denen gegen
einander wohl uͤberein treffenden Vermercken
unterrichtet hatte; fieng ſie von den medrigſten
Siegen an die Preiße auszutheilen. Wiewohl
nun wenige mehr als zwey Fehler begangen
hatten; ward doch unter dieſen zweyen aus dem
Waſſer-Hauffen die Graͤfin von Spiegelberg
beruffen/ und empfieng aus der Hand der Lie-
be einen Rubin - Ring. Ein Liebes - Knabe
rieff: Dieſe Siegerin hat in dem Ringe den
mittelſten Kreiß der Sonne/ und mit der Ertz-
Platte vollkommen eingetroffen. Hiermit kam
die Ordnung alsbald zu denen/ die nur in einem
gefehlet. Denn aus dem Feuer-Hauffen kriegte
ein Fraͤulein von Hirſchfeld einen Saphier-
Ring; weil ſie im Ringe den vierdten Kreiß
des Jupiters getroffen/ und nur mit einer Ku-
gel gefehlt hatte. Drittens empfieng die
Graͤfin von Andechs eine Perlen-Schnure;
weil ſie der vorigen gleich; aber im Ringe den
dritten Kreiß der Venus mit der Lantze getrof-
fen hatte. Vierdtens empfieng die Graͤfin
von
[1416[1418]]Neuntes Buch
von Teckelnburg einen Ring umb und umb
mit Schmaragden verſetzt; weil ſie nur mit
dem ertztenen Teller gefehlet/ und im Ringe den
andern Kreiß des Mars erreicht hatte. Fuͤnf-
tens gab die Liebe der Graͤfin von Rheinfeld ei-
ne Diamant-Roſe: weil von ihr ſtatt der einen
fehlenden Kugel der Ring in dem mittelſten
Sonnen-Kreiſſe weggenommen war. Hier-
mit traff die Reye ſchon die/ welche in allem ge-
troffen hatten; alſo empfieng ſechſtens die Graͤ-
fin von Waldeck ein paar perlene Arm-Baͤn-
der; weil ihre Lantze nur in den euſerſten Mon-
den-Kreiß des Ringes geluͤckt war. Der ſie-
bende Preiß war ein Schmuck von Opalen/ fuͤr
die Graͤfin von der Marck; der achte ein Hals-
band von Schmaragden fuͤr die Graͤfin von
Horn; der neundte ein Rubinen-Halsband fuͤr
die Chauziſche Fuͤrſtin Leitholde; der zehnde
ein Diamanten Halsband fuͤr die Graͤfin von
Hohenloh; der eilffte ein mit allerhand Edel-
geſteinen verſetzter Guͤrtel fuͤr die Graͤfin von
Mansfeld; der zwoͤlffte ein mit Tuͤrckiſſen ver-
ſetzter Koͤcher und Bogen fuͤr die Fraͤulein von
Fuͤrſtenberg; weil die erſten drey in den fuͤnften
Kreiß des Mercur/ die letzten in den vierdten
des Jupiters getroffen hatten. Der dreyzehn-
de Preiß war ein von Rubinen gleichſam bren-
nendes Hertze fuͤr die andere Cattiſche Fuͤrſtin
Adelmunde/ die biß in den driten der Venus ge-
eigneten Kreiß des Ringes kommen war. Den
vierzehnden Preiß/ nemlich einen mit Rubinen
verſetzten Krantz aus Oelzweigen kriegte nach
Art der Olympiſchen Uberwinder die Cattiſche
Fuͤrſtin Rhamis; und einen ſolchen mit Dia-
manten gezierten Krantz das Aſcaniſche Fraͤu-
lein Theudelinde? Weil nun aber die Fuͤrſtin
Jſmene und die Hertzogin Thußnelde mit un-
vergleichlicher Vollkommenheit in allen Ren-
nen getroffen hatten; gleich[wohl] aber nur
noch ein einiger Sieges-Preiß/ nemlich eine
perlene Krone uͤbrig war; war iedermann be-
gierig zu ſehen/ welcher ſelbte zuerkennet wer-
den wuͤrde; nachdem ſie nicht zu begreiffen wu-
ſten; welche unter ihnen ohne Unrecht koͤnte
uͤbergangen werden. Dahero die meiſten
muthmaſten: daß beyde durch ein neues Ren-
nen mit einander wuͤrden gleichen muͤſſen.
Alleine die Liebes-Goͤttin machte dieſem Kum-
mer bald ein Ende; und rieff: Die Tugenden
und der Sieg dieſer zwey Heldinnen waͤren ein-
ander ſo gleich; als ſonſt das Feuer und Waſ-
ſer einander zuwider waͤre. Jhre Vollkom-
menheit waͤre ſo groß: daß keine der andern
durch neuen Verſuch einen Vortheil abren-
nen; vielmehr aber einer ieden Hoͤfligkeit durch
mit Fleiß angenommene Fehler der andern et-
was wuͤrde zuvor geben; in Wercke aber/ wie
vor in Tapferkeit/ alſo letztens in der Demuth
den Obſieg behaupten wollen. Gleichwohl
aber gehoͤrete dieſe Perlen-Krone Jſmenen;
und (hiermit nam die Liebe ihre eigene Krone
vom Haupte) dieſe andere der unvergleichlichen
Thußnelde. Nichts/ was im Schau-Platze
einigen Athem hatte/ brauchte ſelbten zu was
anderm/ als zu Vergroͤſſerung des Freuden-
Geſchreyes. Thußnelde rennte nach empfan-
gener Sieges-Krone zu der erhobenen Herr-
manns-Seule/ und ſetzte ſie durch Huͤlffe ihrer
Lantze ſelbter aufs Haupt; gleich als wenn die/
welche ſchon einem andern einmal ihr Hertze zu-
geeignet hatte/ nichts mehr fuͤr ſich ſelbſt zu er-
werben faͤhig waͤꝛe. Dieſe Freygebigkeit war
bey den Helden eine neue Gemuͤths-Vergnuͤ-
gung/ dem Schau-Platze aber eine Urſache
nicht nur ihre frohlockende Gluͤcks-Wuͤnſche
zu wiederholen; ſondern auch allerhand neue
Kampf-Spiele anzufangen.
Die Silenen ergetzten ſich/ wie auf den Fey-
ern des Wein-Gottes bey den Griechen braͤuch-
lich war/ auf einem von Wein gefuͤllten/ und
euſerlich mit Oel geſchmierten ledernen Sacke;
auf welchen bald einer bald der andere ſprang;
dieſeꝛ
[1417[1419]]Arminius und Thußnelda.
dieſer aber/ der von denen andern nicht bald von
einem ſo glatten Kampf-Platze herab geriſſen
werden konte/ fuͤr den Sieger erkennet/ und mit
einem mit Wein gefuͤllten Bockleder beſchenckt
ward. Die Winde ſteckten ihnen ein Ziel von
hundert fuͤnf und zwantzig Schritten aus/ wor-
nach ſie nach der Stiftung des Hercules/ in ei-
nem Atheme mit einander die Wette rennten.
Worinnen ſie ſo embſig waren/ gleich als ihr
Vater Eolus ihnen ſeine Herrſchafft/ wie fuͤr
Zeiten Endymion ſein Reich dem Uberwinder
in dieſer Ubung zwiſchen ſeinen Soͤhnen auf-
geſetzt haͤtte. Einen andern/ wiewohl bald
vor ſich/ bald ruͤckwerts/ bald in einen Kreiß ge-
henden Lauff hielten die der Sonnen Wagen
bedienende vier und zwantzig Stunden; welche
hier gleichſam die Beſchuldigung ihrer Lang-
ſamkeit ablehnten/ aber wohl den Ruhm ihrer
weichen Fuͤſſe behielten; weil ihre Fußſtappen
kaum im Sande zu ſehen waren. Die vier
Centauren der Lufft rennten mit denen dem
Waſſer zugeeigneten Pferden die Wette; und
zwar mit ſo embſiger Bemuͤhung/ gleich als
wenn jene die Scharte ihres Verluſtes gegen
den Hercules und die Lapithen auswetzen/ dieſe
aber es denen Epiriſchen und Niſeiſchen Pfer-
den zuvor thun ſolten/ die Alcibiaden und Hera-
cliten ſo offt zum Sieger gemacht hatten. Die
Cyclopen legten auf ihr Haupt einen ſchweren
Ertzt-Teller/ an ieden Arm hiengen ſie einen
meſſingenẽ Rincken/ in iede Hand namen ſie eine
ſtaͤhlerne Kugel/ und umb die Schien-Beine
machten ſie kuͤpferne Platten feſte; tantzten
aber damit ſo leichte/ als wenn ſie keine Laſt
auf ſich haͤtten. Die zwoͤlff Waſſer-Nym-
phen fochten gegen einander mit ihren Drey-
zancks-Staͤben; hernach warffen ſie dieſe Ge-
wehre weg/ rungen alſo zuſammen/ und endlich
weltzten ſie ſich mit einander auf der Erden
herumb; biß die mit weiſſen Wachs-Fackeln
ſie antaſtenden Liebes-Goͤtter ſie ſich zu verein-
baren/ und mit denen ergrieffenen Dreyzancks-
Staͤben/ aus derer Spitzen ſie haͤuffig Waſſer
ſpritzten/ und damit die Fackeln ausleſchten/ zu
vertheidigen zwang. Die Maͤgdchen/ welche
die der Erde geeignete Loͤwen fuͤhrten/ ſetzten
ſich darauf/ und rennten damit die Wette.
Denen zwoͤlff him̃liſchen Zeichen ſetzte die Son-
ne einen guͤldenen Bogen zum Preiße auff;
den der haben ſolte/ welcher mit einem Pfeile
am geraͤdeſten/ mit dem andern am hoͤchſten/
mit dem dritten am geſchwindeſten ſchuͤſſen
wuͤrde. Der Tag und die Nacht ſtritten gleich-
falls gegen einander/ indem ſie anfangs nur die-
ſelbige Ringens-Art gegen einander angewehr-
ten; da kein ander Glied als nur die Finger
einander beruͤhren doͤrffen; hernach Wechſels-
weiſe auf eine hohe Ertzt-Platte traten/ und
einander davon herab zu ſtoſſen/ oder einander
einen in der Hand feſte gehaltenen Apfel aus-
zuwinden bemuͤht waren. Jn welchen bey-
den Ubungen Milo ſo beruͤhmt geweſt iſt.
Die Monathe fochten anfangs mit laͤnglicht-
rundten Ertzt-Rincken zuſammen/ hernach
wurffen ſie mit den Lantzen theils nach einem
Ziele/ theils in die Hoͤhe in die Wette.
Bey dieſen Luſt-Spielen erhob ſich umb die
Herrmanns-Seule allem Anſehen nach ein
ernſter Krieg. Denn es brachten zwoͤlff mit
Lorberkraͤntzẽ gezierte Barden eine Menge mit
Grabeſcheiten/ Haͤmmern und Aexten verſe-
hene Leute in Schau-Platz/ und wieſen ſelbte an
die Herrmanns-Seule zu untergraben und zu
zernichten. Die hiefuͤr eivernde und von
der Kunſt zu derſelben Aufrichtung gebrauchte
Rieſen kamen als ein Blitz herzu/ und bothen
denen/ die die Hand daran legen wolten/ die
Stange. Deutſchland/ die Natur und die
Kunſt naͤherten ſich alſofort auch; und recht-
fertigte Deutſchland alſofort die Barden: ob
ſie alleine ihre ungeartete Miß-Geburten
Erſter Theil. R r r r r r r rwaͤren;
[1418[1420]]Neuntes Buch
waͤren; welche mit ſo ſchaͤndlichem
Undancke des umbs gantze Vaterland ſo
hoch - verdienten Heldens Ehren - Maale
vertilgen wolte? Der Elteſte unter den
Barden antwortete: Sie waͤren nichts
minder Freunde der Helden/ als Feinde
der Vergeſſenheit/ ja eines ihrer fuͤr-
nehmſten Abſehen/ wohl - verdienter Leu-
te Gedaͤchtnuͤß mit der Ewigkeit zu ver-
maͤhlẽ; und den Schimmel der Jahre von allem
ruhmwuͤrdigen abzuwiſchen. Wie die Natur
bey der Trophoniſchen Hoͤle neben dem Brunn
der Vergeſſenheit das Gedaͤchtnuͤß-Quell geſetzt
haͤtte/ deſſen getrunckenes Waſſer de-
nen alles wieder indenck machte/ was
ſie durch jenes aus der Acht gelaſſen
haͤtten; alſo haͤtte das ſorgfaͤltige Gedaͤchtnuͤß
ſie und ihres gleichen der Tugend zum beſten
verordnet: daß ſie der Nachwelt unverſehrt ver-
wahren ſolten/ was die Zeit nicht nur aus dem
Geſichte/ ſondern auch aus dem Andencken
der Welt zu rauben bemuͤhet waͤre. Da
aber ja ſie nicht allemal der Eitelkeit auf den
Hals zu treten vermoͤchten; bliebe es doch
allemal darbey: daß ein Ding erſtlich ſein
Anſehn/ hernach ſein Weſen/ und zum letzten
allererſt den Nahmen und den Ruhm/ als den
von ihren Blaͤttern trieſſenden Balſam verlie-
re. Jn Erwegung deſſen Koͤnig Archelaus
denen Tichtern unter dem Nahmen der Mu-
ſen Schau- und Kampf-Spiele zugeeignet;
der groſſe Alexander auch ſelbte feyerlich
begangen/ und des Homerus Getichte in dem
edelſten Schatz-Kaͤſtlein des Darius verwahrt
haͤtte. Deutſchland verſetzte: Jhre Anſtalt
waͤre ſeinen Reden nicht gemaͤß; nachdem ſie
an die Gedaͤchtnuͤß-Seule die Hand anleg-
ten/ ehe Zeit und Zufall den geringſten Staub
daran zu verſehren gemeynt waͤre; da doch
Herrmann nicht nur eine Seule auff Erden;
ſondern ſo gar Ehren-Maale im Himmel
verdiente. Der Barde begegnete Deutſch-
lande hierauf: Das letztere nehmen wir
mit beyden Haͤnden an; das erſtere aber
verwerffen wir als ein zu unwuͤrdiges
Denckmal; da ein ſchlechter Stein/ den
der Regen abwaͤſcht/ die Lufft abnuͤtzt/ und
die Feile zermalmet/ der Nachdruck eines
ſo groſſen Fuͤrſten ſeyn ſoll. Die Natur
meynte ſich hierdurch geruͤhret zu ſeyn;
gleich als wenn ihr wie fuͤr Zeiten zu
Athen dem Phidias/ welcher Minervens
Bild nicht aus Helffenbein/ ſondern Mar-
mel gemacht/ fuͤrgeruͤckt wuͤrde/ ſamb ſie
allzu ſchlechten Talg hierzu hergegeben haͤtte.
Dahero ſie den Barden anfiel: Sie haͤtte ſo viel
Wunder und Geheimnuͤſſe in die Steine/
als in Ertzt geſaͤmt; welches vom Roſte
gefreſſen/ von der Flamme verſchmeltzt/
und nichts minder als jene von der Ver-
gaͤngligkeit verzehret wuͤrde. Ja ſie haͤtte
in Marmel und Agath mehrmals mit ei-
gener Hand ausgewuͤrckt; was die Kunſt
ihr allererſt im Ertzte nachmachen muͤſſen.
Auf dem Lande Paris waͤre in einem
Marmel-Bruche ein von ſich ſelbſt gewach-
ſer Silen/ und Lorber-Baum/ auf Chio
eines Wald-Gottes-Kopf/ bey Syracuſe
Fiſche ausgegraben worden. Jn des Pyr-
rhus Edelgeſteine waͤren Apollo mit den neun
Muſen; in vielen andern Geſtirne/ Ge-
buͤrge/ Landſchafften/ und allerhand Thiere
als ihr eigenes Gemaͤchte zu ſehen. Bey
ſo geſtalten Sachen waͤren die Steine/
als die Wunder-Taffeln der Natur/ als zu
geringſchaͤtzig nicht zu verwerffen. Uber
diß kaͤme kein Nach - Bild dem wahren
Bilde gleich/ wenn der Zeug gleich noch ſo
gut waͤre. Der Monde das Ebenbild der
Sonne waͤre viel geringer. Haͤtten doch die
Goͤtter ſich vergnuͤgt: daß anfangs ihre
Bilder aus Thone gebacken/ aus Eichen/
Zedern/ und wenns aufs hoͤchſte kommen/ aus
Zypreſſen/ oder Zitron-Holtze waͤren geſchnuͤtzt/
und
[1419[1421]]Arminius und Thußnelda.
und an ſtatt eines ſchimmernden Firnßes mit
Hartzt uͤberzogen worden. Das fuͤr ein Wun-
derwerck der Welt geprieſene Bild des Olym-
piſchen Jupiters waͤre zwar zum Theil aus
Gold und Helffenbein/ aber groſſen Theils
aus Kreide geweſt. Ja wormit Agathocles
erhaͤrten moͤchte: daß der geringe Urſprung
ein herrliches Ding nicht veraͤchtlich machen
koͤnte; haͤtte er aus ſeinen Nacht-Geſchirren
die Bilder ſeiner Goͤtter guͤſſen/ und in die
Tempel ſetzen laſſen. Der allzu groſſe Werth
der Ehren-Maale diente mehrmahls zu ihrer
deſto geſchwindern Verterbung. Das erſte
Bild aus Golde waͤre der Goͤttin Anaitis auf-
geſetzet worden; aber als ihre andere Seulen
unverſehret blieben/ haͤtten jenes des Antonius
Kriegs-Knechte zerdruͤmmert; derer einer zu
Bononi[e]n noch gegen den Kaͤyſer Auguſt ein
Geſpoͤtte damit getrieben; und daß er von der
Anaitis Schienbeine ihm eine Mahlzeit aus-
richtete/ ſich zu ſchertzen erkuͤhnt haͤtte. Der
Barde verſaͤtzte: Er ſtellte der marmelnen
Herrmanns-Seule nicht den zu geringen Zeug
zum Maͤngel aus; weil weder Gold noch
Edelgeſteine Goͤtter und Helden abzubilden
wuͤrdig waͤren; und dieſer Beſcheidenheit
nicht nur mit was ſchlechterm vorlieb nehme/
ſondern ſie auch allzu groſſe Koſtbarkeiten ver-
ſchmaͤheten; und wie Auguſt die ihm gewied-
mete Silber - Bilder wieder umbgießen lieſ-
ſen. Denn Ehren-Maale ſolten ein Merck-
maal lobwuͤrdiger Thaten/ nicht ihre Ausglei-
chung ſeyn. Ja er beſchiede ſich: daß keiner
Stadt/ keines Reiches Schaͤtze zu Belohnung
ihrer Helden zulangen wuͤrden/ wenn ihre
Seulen alle aus Golde/ und ihre Sieges-
Kraͤntze aus eitel Perlen ſeyn ſolten. Das
Armuth waͤre hierinnen der Roͤmiſchen Klug-
heit Lehrmeiſterin geweſt/ und habe ſie unter-
wieſen mit dem Hammer der Ehre in der Lufft
Muͤntze zu pregen; welche guͤltiger als Silber
geweſt/ und darzu ihr beym hoͤchſten Unvermoͤ-
ger niemals Schrott und Korn gefehlet haͤtte.
Sintemal ſie mit ein paar Eichen- oder Lor-
ber-Zweigen; mit Ertheilung eines Zunah-
men/ mit Bezeichnung-eines Geſchlechts-
Schildes/ mit einer geringen Seule ihre Er-
halter zu ihrem groſſen Vergnuͤgen bezahlet;
derer Wolthaten mit allem Vermoͤgen des
Volckes nicht auszugleichen geweſt waͤre.
Wordurch ſie gleichſam Gold und Silber in
die Schachte niedriger und zu allem feilſte-
hende Seelen verdammt; hingegen das ge-
meine Weſen mit einem minder erſchoͤpfften
Vorrathe verſehen haͤtten; als die Gold-
Gruben der Araber und Dalmatier waͤren.
Alleine der Wind behielte ſeinen Werth und
die Lufft ihre Schaͤtzbarkeit nur ſo lange; als
man ſie nicht zu gemein machte. Wohin aber
waͤre es in der Welt nicht mit den Ehren-
Seulen kommen? Zu Rhodis ſollen ihr nur
drey und ſiebenzig-tauſend/ zu Athen und Co-
rinth aber vielmehr geweſt/ und das ſchlechte
Staͤdtlein Volſinium wegen ihres Reichthums
von zwey-tauſend Seulen eingenommen wor-
den ſeyn. Rom waͤre nicht nur ein Auffent-
halt unzehlbarer Menſchen; ſondern auch ſtei-
nerner Voͤlcker. Wer in einem Olympiſchen
Spiele geſiegt haͤtte/ waͤre darmit verehrt/ und
er uͤber die eingebrochene Mauer ſeines Va-
terlandes mit ſo praͤchtigem Siegs-Gepraͤnge
eingeholet worden; als wenn er Griechenland
von einem neuen Xerxes befreyet haͤtte. Der
kaum halbweiſe Gorgias/ und die Hure Phry-
ne haͤtten ihnen ſelbſt zwey Bilder aus dichtem
Golde im Delphiſchen Tempel/ und der kleine
Tichter Actius im Hauſe der Muſen ihm eine
Rieſen-Seule aufgeſaͤtzt. Es vergienge ſich
hierinnen nicht nur eigner Duͤnckel/ und der
Vorwitz der Kuͤnſtler/ welche bey Ausarbei-
tung derogleichen Bilder mehr ihre Geſchick-
ligkeit ſehen laſſen/ als wuͤrdig angewehren
R r r r r r r r 2wol-
[1420[1422]]Neuntes Buch
wolten; ſondern auch frembdes Urthel; in-
dem der Poͤfel mehrmals auf die Tugend das
Meſſer wetzte; und den Laſterhafften Ehren-
Maale aufthuͤrmete/ oder nach dem Beyſpiele
der Epheſier durch offentlichen Ausruff den
ruhmwuͤrdigen Hermodor und alle ehrliche
Buͤrger aus der Stadt verbannte. Zu
Athen haͤtte nicht allein die Hure Leena ein/
ſondern der unwuͤrdige Demetrius Phalereus
ſo viel Seulen erlanget/ als Tage im Jahre
waͤren. Welchen unzeitigen Uberfluß derſel-
ben Urheber doch ſelbſt bald verdammet; und
daraus Nacht-Scherben machen/ oder zum
minſten ſie mit Kothe uͤberziehen laſſen. Die
Kunſt fuͤhlte ſich hierdurch angegrieffen/ ver-
ſaͤtzte alſo: Sie lieſſe dem Eigenduͤnckel und
der Ehrſucht ihre Vertheidigung; ihre eigene
aber beſtuͤnde darinnen: daß ſie uͤber die Ver-
dienſte der Helden nicht zu urtheilen/ ſondern
dis/ was man ihr angaͤbe/ nur ohne Tadel
auszumachen haͤtte. Da man aber ſonſt
keine andere Bilder als der Leena und des
Demetrius zu tadeln wuͤſte/ wuͤrde ſie wenig
ſcheltbares gearbeitet haben. Sintemal jene
bis auf den Tod die grauſamſte Peinigung
ausgeſtanden/ ehe ſie des Harmodius fuͤr die
Freyheit des Vaterlandes vorhabende An-
ſchlaͤge verrathen wollen. Demetrius aber
habe ſeine Seulen/ wo nicht vorher/ doch her-
nach verdienet; als er aus Egypten noch das
ihn verweiſende Athen beſchencket. Wegen
der gegenwaͤrtigen Herrmanns-Seule aber
wuͤrde ſie Deutſchland als ihre Anweiſerin
vertreten muͤſſen; niemand aber hierbey ihr
einige Eitelkeit beymeſſen koͤnnen. Die Kunſt
vergnuͤgte ſich an der Ehre ihres Gehorſams;
und finde man an den wenigſten Seulen den
Nahmen des Werckmeiſters. Der einige
Theodor/ der den Samiſchen Jrrgarten mit
mehr als tauſend Seulen gebauet/ haͤtte nur
in eine einige ſein Bild/ jedoch ſo klein und ſo
wenig ſichtbar gegoſſen: daß ihn und den bey-
gefuͤgten Wagen mit vier Pferden eine einige
Fliege haͤtte bedecken koͤnnen. Deutſchland
nam alsbald das Wort von ihr/ und hielt den
Barden ein: Es waͤre zwar wahr: daß Ehr-
ſucht und Heucheley die Gedaͤchtnuͤs-Seulen
zu gemein machte; daß es eine Thorheit waͤre
ſich ſelbſt oder Unwuͤrdige damit beehren; und
daß ſo denn dieſe unzeitige Hoffart zeitlich in
Rauch vergienge. Alleine der Uberfluß be-
nehme eines Dinges innerlicher Guͤte nichts;
und der Mißbrauch koͤnte dem nuͤtzlichen Ge-
brauche keinen Abbruch thun. Denn ſonſt
wuͤrde man auch die Sonne zu ſchelten ha-
ben: daß ſie ſo offt ſchiene/ und nichts minder
Froͤſche und Kefer/ als Menſchen beſeelte.
Unverdiente Ehren-Maale kriegten bald den
Wurmſtich/ wenn ſie gleich mit Zeder-Oel
uͤberfirnßet waͤren; der Blitz zermalmete ſie;
ob ſie ſchon Lorber-Kraͤntze uͤberſchatteten; und
das durchs Feuer unverſehrliche Gold wuͤrde
unſchwer zu Aſche verbrennt. Wo ſie aber
die Tugend zum Fuſſe haͤtten; uͤberſtuͤnden ſie
alles Ungewitter der Zeit und des Neides.
Xerxes haͤtte die erſten und einfaͤltigen Seu-
len des verdienten Harmodius/ und Ariſtogi-
tons als ein ſeltzamer Schatz in Perſien ge-
fuͤhret; und der groſſe Alexander ſelbte als
ein Heiligthum nach Athen zuruͤcke geſchickt.
Die faſt baͤuriſchen Gemaͤchte des erſten Roms;
die zu Pferde ſitzende Clelia aus ſchlechtem
Steine waͤren noch zu Rom in groͤſſerm An-
ſehn; als der ſeiner Kunſt wegen unſchaͤtzbare
ertztene Hund in dem Heiligthume der Juno/
und das Wunder-Bild des mit ſampt ſeinen
Kindern von einer Schlange umbwundenen
Laocoons; und die nur drey Fuͤſſe hohen
Bilder des Romulus und Numa wuͤrden
mehr verehrt/ als der viertzig Ellen hohe
Hercules zu Tarent/ der dreißig Fuß ho-
he Apollo zu Rom/ die ſiebentzig Ellen-
bogen
[1421[1423]]Arminius und Thußnelda.
bogen hohe Sonnen-Seule zu Rhodis/ und
das aus dem Mediſchen Berge gemachte
Bild der Semiramis. Alſo waͤre die Eitel-
keit der Ehrſucht nicht bald eine Vermehre-
rin des Ehren-Ruhms. Die Natur hinge-
gen billigte ſelbſt das Gedaͤchtnuͤs der Ehren-
Maale/ wenn ſie nicht nur ſelbſt mehrmahls
eine Bildhauerin; ja nichts minder als jener
Grieche/ der ſich mit des Praxiteles Venus
vermaͤhlen wolte; und Junius Piſciculus/ der
eine marmelne Theſpias umbarmete/ eine
Liebhaberin der Kunſt-Bilder abgebe; wenn
ſie dem auf derſelben Haͤuptern gewachſenem
Kraute die Krafft dem Haupt-Weh abzuhelf-
fen zueignete. Nichts weniger hielte das
Verhaͤngnuͤs gleichſam abſonderlich die Hand
uͤber wolver dienten Gedaͤchtnuͤs-Seulen; wel-
che ſo gar die grimmigſten Feinde zu beſchaͤ-
digen ſich allezeit geſcheuet haͤtten. Mum-
mius haͤtte aus dem brennenden Corinth der
Griechiſchen Helden Bilder/ und Lucullus
der Pontiſchen Koͤnige aus dem Verterben
errettet. Diomedes waͤre durch eine Kranck-
heit gezwungen worden/ dem Eneas das Tro-
janiſche Schutz-Bild wieder zu geben. Cam-
byſes haͤtte zwar die von denen Sonnen-
Strahlen laute Memnons-Seule eroͤffnet;
als er aber darinnen keinen Werckzeug ſol-
chen Gethoͤnes geſunden/ ſelbte wie andere
Egyptiſche Seltzamkeiten zu zerdruͤmmern
nicht das Hertze gehabt. Den Kaͤyſer Au-
guſt haͤtte ein Traum ſo lange gequaͤlet/ bis
er den Epheſiern ihren vom Myron gemach-
ten Apollo wieder gegeben/ den ihnen Anton
genommen hatte. Wenn auch ſchon die Ehr-
ſucht einem Helden-Bilde den Kopff abge-
brochen/ und eines unwuͤrdigen Wuͤtterichs
darauf geſaͤtzt haͤtte; waͤre doch dieſer niemals
lange ſtehen; des erſtern Ruhm aber unver-
ſehrt/ und die Seule ſein Eigenthum geblie-
ben. GOtt haͤtte dieſe mehrmals zu Merck-
maalen ſeiner Straffe gebraucht; und ſelbte
wie der Bildhauer Agoracritus ſeine mar-
melne Venus in das Bild der Rache ver-
wandelt. Kaͤyſer Cajus/ der des Pompejus
blutiges Haupt mit Freuden-Thraͤnen bene-
tzet/ waͤre todt und blutig unter die Seule des
Pompejus gefallen. Hingegen habe ſie deꝛ Him-
mel offt aus einer geheimẽ Neigung zu Schutz-
Bildern der Menſchen und Reiche eꝛkieſet. Von
den Roͤmern waͤren ſelbte mehrmals als ge-
wiſſe Graͤntz-Maale/ welche ihre Feinde un-
moͤglich uͤberſchreiten koͤnten/ wider die Deut-
ſchen und andere Voͤlcker eingegraben wor-
den. Aus dieſem Glauben haͤtte Cajus Ce-
ſtius allezeit ein gewiſſes Bild mit in die
Schlacht genommen/ und des groſſen Alexan-
ders Zelt waͤre von eitel Bildern unterſtuͤtzt
geweſt; derer zwey die Roͤmer hernach fuͤr
das Heiligthum des raͤchenden Kriegs-Gottes
geſaͤtzt haͤtten. Uber dis waͤren durch ſolche heili-
ge Schutz-Seulen denen Feinden die Durch-
farth der Siciliſchen Meer-Enge/ dem Berge
Etna mit Feuer-ausſpeyen Schaden zu thun/
den Stoͤrchen die Stadt Byzantz zu beunru-
higen verwehret; und durch das aufgerich-
tete Bild des Charons die Peſt geſtillet wor-
den. Zu geſchweigen: daß das Bild des
Apollo zu Buma drey Tag und Naͤchte we-
gen des von den Roͤmern wider die Griechen
erhobenen Krieges/ und die Juno zu Lamiri-
um wegen bevorſtehender Peſt jaͤmmerlich
geweinet haͤtten. Welche Eigenſchafften ver-
muthlich Anlaß gegeben: daß die Bilder der
Fuͤrſten zu Freyſtaͤdten waͤren erkieſet wor-
den. Wenn aber auch ſchon die Welt von
den Ehren-Seulen keinen ſo ſeltzamen/ ſon-
dern nur dieſen allgemeinen Vortheil zu hof-
fen haͤtte: daß ſie die Nachkommen zu tapf-
ferer Nachartung auffriſchen/ und die glim-
mende Tugend recht in Brand bringen/ waͤre
doch ihr Nutzen unſchaͤtzbar; und fuͤrnemlich in
R r r r r r r r 3Deut-
[1422[1424]]Neuntes Buch
Deutſchland kein ſo groſſer Mißbrauch zu be-
ſorgen; als wo dieſe Ehren-Maale noch neu/
oder zum minſten ungemein waͤren. Der
Barde antwortete: Er haͤtte auf die wunder-
lichen Wuͤrckungen der Seulen ſchlechtes Ab-
ſehen; als welche entweder betruͤglichen Aber-
glauben zum Grunde haͤtten/ oder doch eben ſo
wol/ als die Reden und Weiſſagungen der ſtum-
men Steine von Zauberey herruͤhrten. Sin-
temal: daß die Wahrſagungen der Dreyfuͤſſe
und anderer beredſamen Seulen von denen
in ſelbte aufſteigenden Duͤnſten der Erde her-
ruͤhren ſolten/ ein eiteler Wahn etlicher Welt-
weiſen waͤre. Gleiche Bewandnuͤs haͤtte es
mit ihrer Krafft Regen zu verſchaffen. Die-
ſes aber waͤre freylich wol der eigentliche Zweck
aller Gedaͤchtnuͤs-Maale: daß ſie nicht alleine
derer verſtorbenen Thaten verewigen/ ſondern
fuͤrnemlich die Lebenden wol anweiſen ſolten.
Außer dieſem waͤren ſie abſcheuliche Graͤber
der Lebenden/ und ihr Andencken ein unnoͤ-
thiger Goͤtzen-Dienſt. Beydes aber zu wuͤr-
cken/ nemlich die Verdienſte der Todten wider
die Vergeſſenheit zu ſchuͤtzen/ und die Nach-
kommen in ihren Fuß-Pfad zu leiten/ waͤren
der Barden geiſtige Lieder geſchickter/ als die
todten Steine; oder auch das ſo genennte
Sterck-Kraut; von welchem der Aberglaube
tichtete: daß wer darmit ſich beſalbte/ der
Menſchen Gunſt und einen Ruhms-vollen
Nahmen erlangte. Dieſe druͤckten zum hoͤch-
ſten die Aehnligkeit des Leibes; jene aber auch
die Eigenſchafften der Seelen aus. Und es
moͤchte Euphranor wie er wolte ſeinen ge-
machten Paris heraus ſtreichen: daß er in ſelb-
tem zugleich als ein Richter der Goͤtter/ als
ein Liebhaber Helenens/ und als ein Erleger
Achillens waͤre gebildet geweſt. Es moͤchte
ihm das Volck zu Chio einbilden: daß das
Antlitz ihrer marmelnen Diana ſich denen in
Tempel kommenden traurig/ denen hinaus-
gehenden freudig zeige. Es moͤchte die Kunſt
ſich bereden: daß ſie ihre Marmel lebhafft/ ihr
Ertzt lachend machen/ und mit Helffenbeine
die Gemuͤths - Regungen ausdruͤcken koͤnte;
ſo waͤre doch dis gegen der Seelen ihrer Ge-
ſaͤnge ein bloßer Schatten. Welches der
Kuͤnſtler Demetrius wol verſtanden; daher er
ſein Minerven-Bild deꝛogeſtalt gegoſſen haͤtte:
daß die Drachen des Gorgons-Kopffes auf
ihrem Schilde zu den darbey geſpielten Saͤi-
tenſpiele ſtets einen annehmlichen Widerſchall
gegeben; alſo ſein Kunſt-Bild ſich haͤtte mit
der Anmuth des Gethoͤnes behelffen; und
die ſchwartze Memnons-Seule zu Thebe von
denen Strahlen der Sonne/ als der allerſuͤſſe-
ſten Leyer des Himmels/ den annehmlichen
Klang entlehnen muͤſſen. Deutſchland brach
bey dieſen Worten ein: Sie nehme fuͤr bekandt
an: daß die Saͤitenſpiele zur Vollkommen-
heit der Ehren-Bilder Beytrag thaͤten.
Weil nun die Tichter-Kunſt die Seele der
Saͤitenſpiele waͤre; und die Barden ſo wenig
fuͤr veraͤchtlich hielten ihre Lobgeſaͤnge auf
Baum-Rinden/ als die Sibyllen ihre Weiſſa-
gungen auf Palmen-Blaͤtter zu ſchreiben; ſo
ſolten ſie den Marmel dieſer Herrmanns-
Seule nicht geringer/ als das leicht verfau-
lende Laub und Rinde ſchaͤtzen/ und derogeſtalt
den Ruhm ihres Helden in dieſem harten
Steine unausleſchlich/ dieſe Seule aber durch
ihre unvergaͤngliche Getichte auch nach ihrer
Einaͤſcherung ewig machen. Sie waͤre er-
boͤtig nach dem Beyſpiele Achillens/ fuͤr den
beſten Tichter einen guͤldenen Dreyfuß zum
Preiß aufzuſetzen. Sintemal freylich nach-
gegeben werden muͤſte: daß die herrlichſten
Seulen ohne Zuthat einer gelehrten Hand
ſtumme und unerkenntliche Goͤtzen waͤren;
und wie die Spitz-Seulen in Egypten weder
ihre Uhrheber noch ihr Abſehen zu eroͤfnen
wuͤſten. Die Kunſt bot ſich mit ihren Rieſen
zu
[1423[1425]]Arminius und Thußnelda.
zu einer willigen Handlangerin an; und daß
ſie/ was die Barden dem Feldherrn zu Liebe
ſingen wuͤrden; ſie alsbald an die Herrmanns-
Seule einetzen wolte. Die Barden ins ge-
ſampt ließen ihnen dieſe annehmliche Ver-
mittelung gefallen/ und fieng der Elteſte unter
ihnen an nachfolgende Reimen zu ſingen; wel-
che auf der Kunſt Verordnung die Rieſen zu-
gleich an die eine Taffel des die Herrmanns-
Seule haltenden Fuſſes eingruben:
Die ſaͤmptlichen Barden loͤſeten ihren
Vorſteher ab/ betaſteten auf allen Seiten die
Herrmanns - Seule/ und ſangen hierzu fol-
gende Worte:
Die Rieſen waren mit Einetzung dieſer
Lobſpruͤche ſo fertig: daß ſie bey nahe denen
ſingenden Barden zuvor kamen; alſo nach
voꝛigem Schluſſe auf die dritte Seite des mar-
melnen Fuſſes ſich verfuͤgten/ und durch An-
ſetzung des ſtaͤhlernen Grieffels den alten Bar-
den fortzuſingen noͤthigten:
Dieſer Vorgeſang/ und die noch uͤbrige
leere Taffel an der vierdten Seite verband
die Barden zu folgendem Nachgeſange:
Die Barden haͤtten mit ihrem Singen/ und
die Rieſen mit ihrem Etzen beſchloſſen; wenn
nicht Deutſchland beyden den gantz blancken
Schild in dem lincken Arme des marmelnen
Herrmanns gewieſen; und beyde ſolchen nicht
leer zu laſſen erinnert haͤtte. Dannenher
denn dieſe nach dem Geſange aller Barden
nachfolgende Worte darein gruben:
Dieſer Geſang war nur beſchloſſen; als
der gantze Schauplatz mit einem neuen Ge-
raͤuſche rege/ und von vielem kriegriſchen Ge-
thoͤne erfuͤllet ward. Denn die das Feuer
anzeigende Fuͤrſtin Jſmene ſtellte mit ihren
vier gewaffneten Hauffen in einem zierlichen
Fackel-Tantze die Spiele des Prometheus fuͤr;
darinnen ſie bald die Fackeln unaufhoͤrlich
umbs Haupt ſchwenckten/ und darmit in ei-
nem zweyfachen doch durch einander gehenden
Schlangen - Kreiſſe herumb rennten; bald
die Fackeln gerade hinter ſich hielten/ und
doch ſonder derſelben Verleſchung nach ei-
nem gewiſſen Ziele die Wette rennten/ bald
die brennenden Fackeln einander wechſels-
weiſe in einem ſanfften Tantze zuwarffen.
einen gleichmaͤßigen Fackel - Tantz hielt zu
Fuſſe der Tag mit denen vier und zwantzig
Stunden; darinnen bey jedem geendigten
Satze wie oben Jſmene als eine Sonne; alſo
hier der Tag in der Mitte des Kreiſſes ſeinen
Stand bekam. Nach dieſem fieng die das
Waſſer abbildende Thußnelde einen Waffen-
Tantz an/ dergleichen nach uͤberwundenen
Titanen die Goͤttin Minerva/ oder vielmehr
der Thetys Sohn Achilles erfunden/ und ſein
Sohn Pyrrhus bey ſeines Vaters Grabe
mit groſſer Pracht gehalten haben ſoll. Die
Nacht mit denen Waſſer - Nymphen hegte
eben dieſen Tantz zu Fuſſe; darinnen die
Tantzenden mit ihren Degen allerhand zier-
liche Streiche gegen einander machten; ihre
Lantzen bald einander zu/ bald auch in die
Lufft wurffen/ und wieder fiengen. Die Lufft
oder die Fuͤrſtin Adelmunde mit ihrem Hauffen
ſtellte zu Pferde die zwoͤlff Winde/ und die
zwoͤlff himmliſchen Zeichen/ zu Fuſſe aber den
Tantz der Cureten/ und darinnen die Aufer-
ziehung des Jupiters fuͤr; wormit ſie ſonder-
lich durch an einander geſchehende Schlagung
der Waffen ſo wol ihre Geſchickligkeit zeigten;
als mit den Saͤitenſpielen ein gleichſtimmiges
Gethoͤne machten. Bald darauf ſtellte die
Cattiſche Fuͤrſtin in einem kuͤnſtlichen Wald-
Goͤtter-Tantze das Wette - Rennen der Ata-
lanta mit dem Hippomenes vor; darinnen ſie
mit Granat-Aepffeln artlich ſpieleten; durch
derer Vorwurff Hippomenes Atalanten auf-
gehalten; und ſie ihm ſelbſt zur Braut ge-
wonnen haben ſoll. Endlich ward von allen
Haͤuptern und Hauffen insgeſampt durch ei-
nen allen Begierden der Augen zuvor kom-
menden Tantz die Vermaͤhlung des Himmels
und der Erde fuͤrgeſtellet/ und dardurch zum
Beſchluſſe des Deutſchburgiſchen Hochzeit-
Feyers angedeutet: daß wolbedaͤchtige Hey-
rathen groſſer Fuͤrſten die Geſtirne gleichſam
mit der Unterwelt verknuͤpffen; die Men-
ſchen durch ihre Andacht dem Himmel beliebt/
ihn aber zu Ausſchuͤttung tauſenderley See-
gens geneigt machten. Die Holdinnen mach-
ten durch ein Braut - Lied nicht alleine dieſen
groſſen Tantz annehmlicher/ ſondern legten
zugleich auch darmit deſſelben ſeltzame Wend-
und Bildungen aus; ob ſchon die Kunſt in
einem ſtuminen Tantze durch bloſſe Gebehr-
den alle Geſchichte verſtaͤndlich auszudruͤcken/
welche Teleſtes in Griechenland erfunden ha-
ben ſoll/ nicht nur durch den Pylades aus Ci-
licien/ und den Bathyll von Alexandria nach
Rom gebracht; ſondern wie bey denen an-
dern Voͤlckern/ alſo auch in Deutſchland ziem-
lich gemein worden war. Wiewol die Deut-
ſchen ſelbſt dieſe Taͤntze als allzu weibiſch ſelten
hegten/ ſondern ſie nur denen Auslaͤndern er-
laubten. Denn ihre eigene Spiele waren
alle
[1425[1427]]Arminius und Thußnelda.
kriegriſch; und ihr fuͤrnehmſter Tantz beſtund
darinnen: daß nackte Juͤnglinge zwiſchen bloſ-
ſen Degen und Spiſſen ſich ohne Verletzung
mit vielen geſchwinden Springen und Wen-
dungen herum dreheten. Durch oͤfftere Ubung
ward hieraus eine Kunſt/ aus der Kunſt eine
annehmliche Zierligkeit. Der Preiß ſolcher
verwegenen Wolluſt aber war nichts anders/
als die Vergnuͤgung der Zuſchauer. Das in
folgenden Reymen beſtehende Braut-Lied
der Holdinnen ward mit einer unvergleichli-
chen Liebligkeit abgeſungen; und wurden
nach deſſelbtem hoͤherm oder niedriger m/ lang-
ſamern oder geſchwinderm Thone alle Glieder
derer Taͤntze beweget.
Ende des Erſten Theils.