Zweytes Buch.Die Rechtsverhältniſſe.
Drittes Kapitel. Von der Entſtehung und dem Unter-
gang der Rechtsverhältniſſe.
Quellen:
Schriftſteller:
Die Schenkung erſcheint auf den erſten Blick als ein
ganz einzelnes Rechtsgeſchäft, eben ſo wie der Kauf oder
Tauſch; daher muß es Anſtoß erregen, wenn ſie hier in
die gemeinſame Betrachtung der Rechtsgeſchäfte überhaupt
aufgenommen wird. Betrachten wir zuvörderſt die Stel-
lung, die man ihr anderwärts angewieſen hat.
Juſtinians Inſtitutionen ſetzen ſie unter die Erwer-
bungsarten des Eigenthums (a); offenbar einſeitig und
willkührlich. Denn erſtlich giebt nicht ſie allein Eigen-
thum, ſondern ſie in Verbindung mit der Tradition, wel-
cher ſie allerdings als justa causa dienen kann, aber nicht
mehr und nicht weniger als der Kauf; ſoll alſo ſie des-
halb als ein Stück der Lehre vom Eigenthum betrachtet
werden, warum nicht eben ſo der Kauf, und viele andere
Verträge? Zweytens iſt auch nicht Eigenthum das ein-
zige Mittel, eine Schenkung zu bewirken; Uſusfructus,
Emphyteuſe, ein bloßes Verſprechen durch Vertrag, der
Erlaß einer Schuld — alle dieſe Handlungen können eben
ſo gut als das Eigenthum zu einer Schenkung dienen,
und es iſt alſo bey jedem dieſer Rechtsinſtitute eben ſo
viel Grund vorhanden, als bey dem Eigenthum, die Schen-
kung als einen Beſtandtheil deſſelben zu behandeln. — Die
meiſten Neueren ſtellen die Schenkung unter die obligato-
riſchen Verträge (b); offenbar eben ſo einſeitig, da das
[3]§. 142. Schenkung. Einleitung.
Eigenthum, der Uſusfructus u. ſ. w., eben ſo gut als ein
ſolcher Vertrag, eine Schenkung enthalten können. — Do-
nellus trägt dieſe Lehre ſtückweiſe vor, an mehreren Stel-
len ſeines Syſtems; am ausführlichſten bey dem Wider-
ruf wegen Undankbarkeit, alſo gerade bey der unbedeu-
tendſten Beziehung, die ſich dafür auffinden läßt.
Woher kommen nun dieſe verſchiedenen Stellungen, die
nur darin überein treffen, daß ſie alle gleich unbegründet
und unbefriedigend ſind? Sie kommen daher, daß man
überall von der falſchen Vorausſetzung ausgeht, die Schen-
kung ſey ein einzelnes Rechtsgeſchäft, anſtatt daß ſie in
der That ein allgemeiner Character iſt, welchen die aller-
verſchiedenſten Rechtsgeſchäfte annehmen können. Das iſt
der Grund, warum ich ſie hierher geſtellt habe, in den
allgemeinen Theil, an die Seite des Vertrags, welchem
ſie durch die Allgemeinheit ihrer Natur, und durch die
Mannichfaltigkeit ihrer Anwendungen, gleichartig iſt (c).
Schenkung nämlich iſt jedes Rechtsgeſchäft, wenn es
folgende Eigenſchaften in ſich vereinigt. Es muß ſeyn ein
Geſchäft unter Lebenden; es muß Einen bereichern, da-
durch daß ein Anderer Etwas verliert; endlich muß der
Wille dieſes Andern auf jene Bereicherung durch eignen
Verluſt gerichtet ſeyn. Schon aus dieſer vorläufigen Auf-
ſtellung des Begriffs erhellt, daß zu jeder Schenkung noth-
wendig Zwey Perſonen gehören. Die neueren Juriſten
gebrauchen dafür den ächten Ausdruck Donator, und den
unächten Donatarius, für welchen letzten die Römer ſtets
Umſchreibungen anwenden (is cui donatum est u. ſ. w.).
Ich werde jene Perſonen als den Geber und den Em-
pfänger (oder auch den Beſchenkten) bezeichnen.
Damit iſt nun zunächſt nur ein willkührlicher Begriff
aufgeſtellt, aber nicht das Bedürfniß nachgewieſen, dieſen
Begriff zur Grundlage eines Rechtsinſtituts zu machen.
Wir könnten, ſo ſcheint es, jede andere mögliche Eigen-
ſchaft der Rechtsgeſchäfte hervorheben, einen Kunſtaus-
druck dafür erfinden, und ein beſonderes Rechtsinſtitut
(c)
[5]§. 142. Schenkung. Einleitung.
darauf gründen; ſo z. B. könnten wir die der Schenkung
gerade entgegengeſetzten Geſchäfte (die man die oneröſen
nennt) auf gleiche Weiſe behandeln. Warum geſchieht
dieſes nicht, während die Schenkung für ein beſonderes
Rechtsinſtitut gelten ſoll? Der Grund liegt darin, daß
an die Schenkung (ſo wie ihr Begriff vorläufig feſtgeſtellt
iſt) gewiſſe ganz poſitive Regeln des Römiſchen Rechts
angeknüpft ſind, um derenwillen es wichtig iſt, den Begriff
derſelben mit der groͤßten Schärfe zu beſtimmen und zu
begränzen. Dieſe Rechtsregeln ſind folgende:
1) Die Schenkung iſt von alter Zeit her auf mancher-
ley Weiſe eingeſchränkt, und beſonders durch poſitive For-
men der Willenserklärung erſchwert worden. So ſehr nun
dieſe Einſchränkungen und Formen gewechſelt haben, ſo
war doch die allgemeine Natur und der Zweck derſelben
ſtets unverändert, und es war ſtets dieſelbe Schenkung,
worauf in dieſer Weiſe eingewirkt werden ſollte (d).
2) Die Schenkung iſt unter Ehegatten unmöglich, an-
[6]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſtatt daß alle andere Rechtsgeſchäfte unter denſelben zuge-
laſſen werden.
3) Die Schenkung kann in gewiſſen Fällen, aus be-
ſonderen Gründen, widerrufen werden, anſtatt daß andere
Rechtsgeſchäfte in denſelben Fällen unwiderruflich bleiben.
Nunmehr läßt ſich von der praktiſchen Seite der Be-
griff ſo beſtimmen: Schenkung heißt jedes Rechtsgeſchäft,
bey welchem die angegebenen drey Rechtsregeln zur An-
wendung kommen. Denn gerade um dieſer, und nur um
dieſer, Rechtsregeln willen iſt es nöthig, Dasjenige, was
wir oben als Schenkung angaben, als ein eigenthümliches
Inſtitut aufzufaſſen, und in ſeinen Gränzen ſcharf zu be-
ſtimmen (e). — Unter dieſen drey praktiſchen Beziehungen
[7]§. 142. Schenkung. Einleitung.
der Schenkung iſt es vorzugsweiſe die zweyte, welche den
alten Juriſten zur genauen Ausbildung des Begriffs der
Schenkung Veranlaſſung gegeben hat. Denn was die Ein-
ſchränkungen und Formen (alſo die erſte Beziehung) be-
trifft, ſo war das alte Recht der Lex Cincia auf ſo po-
ſitive Weiſe beſtimmt, daß daneben die ſorgfältige wiſſen-
ſchaftliche Entwicklung des Schenkungsbegriffs als ein ge-
ringeres Bedürfniß erſchien (f); der Widerruf endlich iſt
niemals von großer Erheblichkeit geweſen, beſonders aber
(e)
[8]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
erſt nach dem Zeitalter der alten Juriſten durch Kaiſer-
conſtitutionen ausgebildet worden. Daraus iſt der täu-
ſchende Schein entſtanden, als ob der von den alten Ju-
riſten ſo ſorgfältig durch ſcharfe Gränzen beſtimmte Be-
griff der Schenkung blos bey dem Verbot unter Ehegat-
ten Anwendung finde, da er doch in der That allgemein
iſt, und eben ſo bey der Anwendung der Inſinuation und
des Widerrufs zum Grund gelegt werden muß (g).
Indem nun aber hier die negative Seite der Schen-
kung (ihre Einſchränkungen) an die Spitze geſtellt wird,
ſoll damit der poſitiven Seite derſelben weder das Da-
ſeyn, noch die Wichtigkeit abgeſprochen werden. Dieſe
poſitive Seite beſteht darin, daß die Schenkung, als justa
causa der Tradition, unmittelbar Eigenthum geben, oder
als Titel eine Uſucapion begründen kann; ferner daß ſie
als causa jede obligatoriſche Bereicherung zu einem gülti-
gen, unanfechtbaren Rechtsgeſchäft machen kann, anſtatt
daß, in Ermanglung einer wahren causa, eine Verände-
[9]§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)
rung dieſer Art, ſelbſt wenn dabey eine gehörige Form
beobachtet iſt, durch Condictionen hinterher entkräftet wer-
den kann. Dieſes Alles iſt wahr und wichtig; es hätte
aber niemals eine ausführliche Theorie der Schenkung,
und insbeſondere eine ſubtile Begränzung ihres Begriffs,
zur genauen Unterſcheidung deſſen, was Schenkung iſt,
von dem, was es nicht iſt, nöthig gemacht. Dieſes Be-
dürfniß iſt lediglich durch die negative Seite der Schen-
kung herbeygeführt worden, das heißt durch ihre, auf be-
ſondere Rechtsregeln gegründete, Einſchränkungen.
Bevor aber die Elemente jenes Rechtsbegriffs einzeln
erwogen werden, iſt es nöthig, den Sprachgebrauch ge-
nauer feſtzuſtellen. Die Grundlage des Begriffs iſt von
Seiten des Gebers das der einzelnen Handlung zum Grund
liegende uneigennützige Wohlwollen (a), zu deſſen allgemei-
ner Bezeichnung die Ausdrücke beneficium, liberalitas, zu-
weilen auch officium, gebraucht werden (b). Das Ge-
meinſame dieſer Handlungen beſteht darin, daß der Han-
[10]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
delnde lediglich des Andern utilitas oder commodum be-
zweckt, gar nicht ſein Eigenes (c). Jede Schenkung iſt
alſo eine ſolche Liberalität, aber nicht umgekehrt. Viel-
mehr wird dieſer allgemeinere Ausdruck auch gebraucht
bey jeder Gefälligkeit oder Dienſtleiſtung, z. B. bey der
unentgeldlichen Aufbewahrung einer Sache; eben ſo auch
bey der Emancipation eines Kindes. In allen ſolchen
Fällen aber iſt nicht von Schenkung die Rede, weil der
Handelnde Nichts aus ſeinem Vermögen weggiebt, ge-
wöhnlich auch der Andere Nichts erwirbt. Dennoch iſt
jener umfaſſendere Begriff nicht ohne juriſtiſchen Einfluß,
denn in der Lehre von der Culpa knüpft ſich daran bey
den Obligationen, welche bonae fidei ſind, die wichtige
Folge, daß der Schuldner, der ſich in dieſem uneigennützi-
gen Verhältniß befindet, nicht für jede gewöhnliche Culpa
haftet, ſondern nur für den Dolus und was dieſem gleich
geachtet wird (Note c); aus dieſem Grund iſt namentlich
der Depoſitar nicht für die gewöhnliche Culpa verant-
wortlich. Nur mit dem poſitiven Recht der Schenkung
darf jener umfaſſende Begriff nicht ohne nähere Beſtim-
mungen in Verbindung gebracht werden.
Von der Seite des Empfängers liegt der Schenkung
zum Grunde die Bereicherung deſſelben. Jeder Erwerb
(b)
[11]§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)
eines Rechts, ſey es Eigenthum oder Schuldforderung,
welcher unentgeldlich, alſo ohne eigene Aufopferung, ge-
ſchieht, ſo daß der Schuldner ſchon durch die Natur die-
ſes Erwerbs (d) reicher wird, heißt lucrativa causa(e).
Die Neueren pflegen, im Gegenſatz derſelben, die Erwer-
bungen, welche nicht unentgeldlich geſchehen, als onerosa
causa zu bezeichnen, aber nicht richtig, da onerosum bey
den Römiſchen Schriftſtellern nur das Läſtige, Unbequeme
bezeichnet, welcher Begriff von jenem ſehr verſchieden
iſt (f). — Daher iſt denn in jeder Schenkung zugleich eine
lucrativa causa enthalten, aber nicht umgekehrt, indem es
dabey ſehr oft an einer Perſon welche ſchenkt, alſo auch
an der Abſicht zu ſchenken, gänzlich fehlt. In unſren
Rechtsquellen wird als lucrativa causa, außer der Schen-
[12]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
kung, auch das Legat, das Fideicommiß, desgleichen die
teſtamentariſche und geſetzliche Erbfolge, bezeichnet (g), ob-
gleich das Legat nur uneigentlich, die Erbſchaft niemals
donatio genannt wird. Eben ſo würde kein Römiſcher
Juriſt Bedenken getragen haben, den Erwerb durch Jagd,
durch Beute, durch das Finden eines Schatzes oder einer
herrenloſen Sache, als lucrativa causa zu bezeichnen, und
doch iſt dabey an donatio gewiß nicht zu denken. — Wenn
in den Fällen, worin die lucrativa causa in der That auf
einer donatio beruht, der Gegenſatz derſelben bezeichnet
werden ſoll, ſo werden dazu die Ausdrücke negotium, con-
trahere, obligare gebraucht (h).
Hier ſind alſo Zwey andere mögliche Eigenſchaften von
Rechtsgeſchäften angegeben worden, Liberalität auf der
einen Seite, unentgeldlicher Erwerb auf der andern; jede
[13]§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)
derſelben iſt der Schenkung verwandt, aber jede für ſich
viel allgemeiner als die Schenkung. Treffen nun beide
Eigenſchaften in einem und demſelben Geſchäft zuſammen,
ſo bildet ihre Vereinigung ungefähr das, was wir oben
Schenkung nannten, und als Bedingung der Anwendung
von drey ganz poſitiven, die Schenkung betreffenden, Rechts-
regeln angaben. Ich ſage: ungefähr; denn allerdings muß
noch Manches als nähere Beſtimmung hinzukommen, wenn
jene Regeln anwendbar ſeyn ſollen, und dieſes ſoll eben
durch die folgende Entwicklung des Begriffs der Schen-
kung vollſtändig dargeſtellt werden. Wie verhält ſich aber
dazu der Römiſche Ausdruck donatio? Dieſer war nicht
erſt für juriſtiſche Zwecke erfunden, ſondern aus dem täg-
lichen Leben herüber genommen, und die Unbeſtimmtheit,
in welcher er hier gebraucht wurde, gieng auch in den
Sprachgebrauch der Juriſten über. So wird in den mei-
ſten Stellen das Wort donatio ohne ſtrenge Rückſicht auf
die Anwendbarkeit jener Rechtsregeln gebraucht, und dann
nur hinzugefügt, wie diejenige donatio beſchaffen ſeyn
müſſe, worin jene Regeln gelten ſollen (i). Dieſe engere
juriſtiſch allein wichtige, donatio wird dann, bey wirkli-
cher Anwendung jener Regeln, in Ermanglung eines ſpe-
ciellern Kunſtausdrucks, als donatio jure civili impedita,
[14]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
oder als non concessa donatio bezeichnet (k). Andere Stel-
len dagegen beſchränken ſelbſt den Ausdruck donatio auf
die Fälle, worin jene poſitive Regeln anwendbar ſind, ſo
daß ſie in allen anderen Fällen das Daſeyn der donatio
überhaupt verneinen (l). Nach dieſen unzweifelhaften That-
[15]§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)
ſachen ſind wir genöthigt, bey den Römern ſelbſt einen
zwiefachen Sprachgebrauch anzunehmen, indem ſie das
Wort donatio bald (und am häufigſten) in einem weite-
ren, bald in einem engeren Sinn genommen haben. Je-
ner weitere Sinn knüpfte ſich zunächſt an den Sprachge-
brauch des täglichen Lebens, welcher jede Liberalität als
donatio zu bezeichnen pflegte, ohne ſich in juriſtiſche Gränz-
beſtimmungen einzulaſſen; er fand aber auch zuweilen eine
juriſtiſche Anwendung, da wo es darauf ankam die po-
ſitive Seite der Schenkung hervorzuheben (§ 142). Der
engere Sinn dagegen bezog ſich auf die der Schenkung
eigenthümlichen einſchränkenden Rechtsregeln, das heißt auf
die negative Seite derſelben, welche allein eine ſubtile Be-
ſtimmung ihres Begriffs und ihrer Gränzen nöthig macht.
Nachdem wir ſo den Wortſinn hinreichend beſtimmt ha-
ben (welches für das Verſtändniß der Quellen nöthig war),
können wir dieſen fortan auf ſich beruhen laſſen. Nichts
hindert uns, dem Deutſchen Ausdruck Schenkung denje-
nigen Umfang anzuweiſen, der unſrem wiſſenſchaftlichen
Zweck der angemeſſenſte iſt, das heißt ihn in jenem enge-
ren, eigentlichen Sinn zu gebrauchen, da er die ausſchlie-
ßende Anwendbarkeit der poſitiven Rechtsregeln für die
Schenkung bezeichnet. Wichtig und unerläßlich iſt nur die
Anerkennung dieſes engeren Begriffs ſelbſt, welcher jenen
(l)
[16]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Rechtsregeln gemeinſchaftlich, bey der Inſinuation und dem
Widerruf, eben ſo wie bey der Schenkung unter Ehegat-
ten, anwendbar iſt (§ 142. g); in dem Sprachgebrauch
können wir uns Verſchiedenheiten noch eher gefallen laſſen.
Was hier über die allgemeine Natur der Schenkung
und über ihre Bezeichnung geſagt worden iſt, läßt ſich
nicht beſſer zur Anſchauung und Überzeugung bringen, als
durch die Vergleichung mit der ſehr ähnlichen Lehre vom
Beſitz. Auch der Beſitz hat eine natürliche Beziehung, als
dasjenige factiſche Verhältniß, welches dem Eigenthum,
als einem Rechtsverhältniß, entſpricht, alſo den Inhalt
des Eigenthums bildet. Dieſe natürliche Beziehung aber
würde niemals auf das Bedürfniß geführt haben, eine
Theorie des Beſitzes auszubilden. Ein ſolches Bedürfniß
entſtand, als man an das Daſeyn des Beſitzes poſitive
Wirkungen knüpfte, die ganz außer jener natürlichen Be-
ziehung lagen: die Uſucapion und die Interdicte. Nun
wurde es nöthig, den Begriff, Erwerb, Verluſt des Be-
ſitzes genau zu beſtimmen, um zu wiſſen, wer auf die In-
terdicte und die Uſucapion Anſpruch haben könne. Was
für den Beſitz die Interdicte und die Uſucapion, das iſt
für die Schenkung die Inſinuation, das Verbot in der
Ehe, und der Widerruf. Bey dem Beſitz gab es dane-
ben mehrere nur ſcheinbare Rechtswirkungen, die in der
That außer den Gränzen dieſes eigenthümlichen Rechtsin-
ſtituts liegen (m); eben ſo in der Schenkung die Unzuläſ-
[17]§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)
ſigkeit bey dem Peculium und bey den Grundſtücken des
Minderjährigen (§ 142. e). Der Beſitz in ſeiner natür-
lichen Beziehung und Ausdehnung heißt Possessio; als
Grundlage jener poſitiven Rechtsinſtitute heißt er auch
Possessio, und nun in einem engeren Sinn, ſo daß im
Gegenſatz andere Fälle geradezu als non possidere be-
zeichnet werden. Will man dieſen engeren Sinn ſcharf
bezeichnen, ſo heißt es auch wohl possessio quae locum
habet in interdicto uti possidetis vel utrubi, oder ad usu-
capionem possidere(n). Bey dem Beſitz alſo iſt der zwie-
fache Sprachgebrauch, den ich für die Schenkung be-
haupte, völlig unzweifelhaft, und der Unterſchied liegt nur
darin, daß derſelbe dort von den alten Juriſten mehr
ausgebildet, und durch genauere Bezeichnungen (naturalis,
civilis) ſchärfer beſtimmt worden iſt. Bey dem Beſitz
aber, wie bey der Schenkung, iſt das Wichtigſte, nicht
den richtigen Sprachgebrauch feſtzuhalten, ſondern bey
allen Unterſuchungen über den Begriff und die wahren
Gränzen des Rechtsinſtituts, nie die praktiſche Beziehung
auf die damit verknüpften poſitiven Rechtsregeln aus den
Augen zu verlieren, weil außerdem jene Unterſuchungen
entweder leer oder unwahr ausfallen.
Erſt jetzt läßt ſich deutliche Rechenſchaft ablegen von
der Stellung, welche dieſer Lehre der neueſte Schriftſtel-
ler über die Schenkung zu geben verſucht hat (o). Er
IV. 2
[18]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
claſſificirt die Veränderungen im Vermögensrecht folgen-
dergeſtalt. Sie geſchehen entweder donandi animo, oder
ob causam, welche letzte entweder eine vergangene iſt (so-
lutio), oder eine gegenwärtige (permutatio), oder eine zu-
künftige (creditum). Als allgemeine Betrachtung mag Die-
ſes ſeinen Werth haben, ſo wie man es zur Grundlage
einer ſyſtematiſchen Darſtellung machen will, wird es un-
fruchtbar und irre führend. Dieſe nicht abzuläugnende
allgemeine Beziehung der Schenkung, die ich oben als
ihre poſitive Seite bezeichnet habe (§ 142), hätte eine ſpe-
cielle Theorie für dieſelbe eben ſo wenig nöthig gemacht,
als für den Beſitz deſſen allgemeine, natürliche Beziehung
zum Eigenthum; beide Theorien ſind nur nöthig geworden
durch die poſitiven Rechtsregeln, die nun das praktiſche
Weſen des Beſitzes und der Schenkung ausmachen; bey
Meyerfeld nehmen dieſe poſitive Regeln den falſchen Schein
zufälliger, untergeordneter Beziehungen an, die ganz hin-
weggedacht werden koͤnnten, ohne daß dadurch die Lehre
von der Schenkung weſentlich verändert würde.
Als erſtes nothwendiges Erforderniß der Schenkung
wurde angegeben, daß ſie ein Rechtsgeſchäft unter Leben-
den ſeyn müſſe. Hierin liegt zweyerley. Es wird zuerſt
erfordert ein Rechtsgeſchäft, alſo eine poſitive Handlung,
[19]§. 144. Schenkung. Begriff. 1. Rechtsgeſchäft unter Lebenden.
ſo daß ein bloßes Unterlaſſen, wenn nicht ein verſtecktes
Handeln darin enthalten iſt, nicht als eigentliche Schen-
kung gelten kann (Beylage IX.). — Zweytens wird er-
fordert ein Geſchäft unter Lebenden. Dadurch wird alſo
von dem Begriff derſelben jede Succeſſion für den Todes-
fall ausgeſchloſſen. Der allgemeine, durchgreifende Grund
dieſer letzten Beſtimmung hängt zuſammen mit dem Ge-
ſichtspunkt, woraus alle poſitive Rechtsregeln für die
Schenkung zu betrachten ſind (§ 142. d). Die in derſel-
ben enthaltene, und als gefährlich betrachtete, Willkühr
liegt nicht blos in der (vielleicht unüberlegten) Auswahl
der beſchenkten Perſon, ſondern in dem Entſchluß zur
Schenkung ſelbſt, alſo darin daß der Geber ſich ſelbſt will-
kührlich einen Theil des Vermögens entzieht, welches dazu
beſtimmt war, von ihm beherrſcht und für ſeine Zwecke
verwendet zu werden. Gerade dieſer gefährlichſte Beſtand-
theil der Schenkung verſchwindet bey der Succeſſion von
Todeswegen völlig. Im Fall des Todes giebt Keiner will-
kührlich Dasjenige auf, was er auch eben ſo willkührlich
behalten könnte; hier iſt blos die Rede von den Perſonen,
die nach ihm das Vermögen haben ſollen, und daß er
dieſe auf die freyeſte Weiſe auswähle, wird als das Re-
gelmäßige, Natürliche, Gefahrloſe betrachtet. Alle For-
men und Einſchränkungen, die bey dem letzten Willen vor-
kommen, haben daher ganz andere Gründe und Zwecke,
als die für die Schenkung vorgeſchriebenen; darum war
von der Lex Cincia, von der Inſinuation, von einem Ver-
2*
[20]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
bot unter Ehegatten, als ſolchen (abgeſehen von der mög-
lichen Kinderloſigkeit), bey dem letzten Willen nie die Rede.
Eben ſo verſchwindet hier der bey der Schenkung aus be-
ſonderen Gründen, ausnahmsweiſe, geſtattete Widerruf
völlig, da bey dem letzten Willen der Widerruf als all-
gemeine Regel, und ſelbſt ohne alle Gründe, zugelaſſen iſt.
Es iſt nunmehr die Anwendung dieſes Princips auf
die einzelnen Arten von Succeſſionen zu machen. Bey der
Inteſtaterbfolge iſt am wenigſten an Schenkung zu den-
ken; denn obgleich auch dieſe inſofern auf dem Wohlwol-
len des Verſtorbenen beruht, als derſelbe einen andern Er-
ben durch Teſtament hätte ernennen können, ſo fehlt es
doch an jeder poſitiven Thätigkeit, die als Urſache dieſer
Succeſſion betrachtet werden könnte. — Eine ſolche Thä-
tigkeit iſt bey der teſtamentariſchen Erbfolge allerdings vor-
handen, dennoch wird auch dieſe niemals donatio genannt (a).
Der Grund liegt wohl in folgenden zwey Umſtänden. Erſt-
lich gehört zu jeder Schenkung Vermehrung Eines Vermö-
gens durch Verminderung eines andern. Bey der Erb-
folge aber wird das Vermögen des Verſtorbenen gar nicht
vermindert, ſondern es dauert unverändert fort, nur in
[21]§. 144. Schenkung. Begriff. 1. Rechtsgeſchäft unter Lebenden.
einer andern Perſon. Zweytens gehört zu jeder Schen-
kung das auf die Bereicherung des Empfängers gerichtete
Bewußtſeyn des Gebers. Bey der Erbeinſetzung aber kann
der Teſtator nie beſtimmt wiſſen, ob er den Erben berei-
chern werde, weil durch Unglück oder Verſchwendung das
Vermögen völlig verſchwinden, ja ſelbſt zu einer negati-
ven Größe werden kann (b).
Anders verhält es ſich in beiden Rückſichten mit dem
Legat, welches im Juſtinianiſchen Recht mit dem Singu-
larfideicommiß identiſch geworden iſt. Denn hier wird in
der That Etwas dem einen Vermögen entzogen, dem an-
dern hinzugefügt; auch weiß man bey dem Legat in der
Regel ganz ſicher, daß der Legatar dadurch bereichert wer-
den wird (c). Daher wird denn auch das Legat von den
alten Juriſten geradezu eine donatio genannt (d). Den-
noch iſt dieſer Ausdruck nur ein uneigentlicher, eine wahre
Schenkung iſt das Legat nicht, und an eine Anwendung
der für die Schenkung aufgeſtellten poſitiven Rechtsregeln
[22]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hat dabey nie ein Römiſcher Juriſt gedacht. Hier liegt
der Grund, der das Daſeyn wahrer Schenkung ausſchließt,
lediglich in dem oben für die Succeſſionen von Todes we-
gen im Allgemeinen aufgeſtellten Princip.
Die bloße mortis causa capio kann zuweilen, eben ſo
wie das Legat, als eine uneigentliche Schenkung angeſe-
hen werden; wird z. B. dem Gajus ein Legat von 1000
gegeben, unter der Bedingung daß er dem Sejus 300
gebe, ſo iſt nach der Abſicht des Teſtators der letzte Er-
folg derſelbe, wie wenn aus der Erbſchaft Gajus 700,
Sejus 300 erhalten hätte. In anderen Fällen wird nicht
einmal dieſer Schein ſtatt finden, z. B. wenn ein Sklave
freygelaſſen wurde, unter der Bedingung daß er dem Ga-
jus 100 zahle; denn nun bekam Gajus aus dem Vermö-
gen des Teſtators gar Nichts (e). Eine wahre Schen-
kung iſt die mortis causa capio niemals.
Die teſtamentariſche Freylaſſung war ſchon deshalb
keine Schenkung, weil der Freygelaſſene von dem Ver-
ſtorbenen kein zum Vermögen gehörendes, alſo zu einem
[23]§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.
Geldeswerth anzuſchlagendes, Recht erhielt; dennoch kommt
auch hier der Name donatio im uneigentlichen Sinn vor.
Davon wird noch weiter unten (§ 148), in Verbindung mit
der Freylaſſung unter Lebenden, die Rede ſeyn.
Dagegen iſt allerdings die mortis causa donatio, wie
ſchon der für ſie geltende Kunſtausdruck zeigt (f), eine
wahre Schenkung; ja ſie war ſogar urſprünglich Nichts
als Schenkung. Wie ſie ſpäterhin einen zweydeutigeren
Character angenommen hat, halb als Schenkung, halb
als Succeſſion durch letzten Willen, wird weiter unten
(§ 172) gezeigt werden.
Das zweyte Erforderniß wahrer Schenkung (§ 142)
war: Bereicherung auf der einen Seite, Verluſt auf der
andern. Genauer betrachtet aber zerfällt dieſes Element
[24]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
der Schenkung wieder in zwey, von einander verſchiedene.
Es muß nämlich erſtens Etwas aus Einem Vermögen aus-
ſcheiden und in das andere hinübergehen, und es muß
zweytens der letzte Erfolg dieſer Veränderung darin beſte-
hen, daß der Totalwerth des einen Vermögens vermin-
dert, des andern vermehrt wird. Daß das erſte ohne das
zweyte Statt finden könne, wird durch den Kauf einer
Sache um ihren wahren Werth einleuchtend, wobey aus
jedem Vermögen Etwas in das andere übergeht, und den-
noch Keiner reicher oder ärmer wird (a). — Das erſte die-
ſer beiden, ſo unterſchiedenen Elemente nenne ich die Ver-
äußerung(b), und es iſt demnach vor Allem auszufüh-
ren, daß jede Schenkung eine Veräußerung enthalten müſſe.
Ja dieſes iſt in der That die Grundlage aller Schenkung.
In dieſem Beſtandtheil nun iſt die Schenkung ver-
wandt mit einigen anderen Rechtsinſtituten, deren Grund-
ſätze wir folglich hier geltend machen dürfen. Das erſte
derſelben iſt die Pauliana actio, oder die Klage eines Glau-
bigers gegen Denjenigen, an welchen der inſolvente Schuld-
ner unredlicherweiſe, zum Nachtheil des Glaubigers, Etwas
veräußert hat. Dieſe Klage kommt mit der Schenkung
[25]§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.
in dem Erforderniß der Veräußerung (weshalb ich ſie hier
erwähne) völlig überein (c), Bereicherung des Empfängers
iſt dazu nicht ſchlechthin nöthig, ſondern nur entweder Be-
reicherung deſſelben, oder Mitwiſſen an der Unredlichkeit
des veräußernden Schuldners (d). — Das zweyte ver-
wandte Rechtsinſtitut war die Faviana und Calvisiana
actio. Der Patron hatte große Anſprüche an den Nach-
laß des Freygelaſſenen. Suchte nun dieſer durch Veräu-
ßerungen jene Anſprüche unredlicherweiſe zu entkräften, ſo
bekam der Patron jene Klagen gegen den Dritten, an
welchen die Veräußerung geſchehen war (e). Auch hier
liegt derſelbe Begriff der Veräußerung zum Grunde, wie
bey der Schenkung und der Pauliana actio(f), und darum
werden jene Klagen hier erwähnt. In Beziehung auf den
Empfänger waren dieſelben noch ausgedehnter als die Pau-
liana; er brauchte weder mitwiſſend zu ſeyn, noch durch
die Veräußerung bereichert zu werden, um durch dieſe Kla-
gen zur Rückgabe des Empfangnen gezwungen werden zu
[26]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
können (g). — Einigermaßen gehört auch die condictio in-
debiti, desgleichen das ſogenannte beneficium competen-
tiae, unter die Rechtsinſtitute, deren Analogie zur Be-
ſtimmung der in der Schenkung nothwendig enthaltenen
Veräußerung benutzt werden kann. Die Condiction inſo-
fern, als auch ſie ein Weggeben oder Veräußern voraus-
ſetzt, eben ſo wie die Schenkung (dort solvendi animo,
hier donandi); das beneficium competentiae, inſofern die-
ſes wegfällt, wenn der Schuldner nur durch abſichtliche
Veräußerung in eine ganz hülfloſe Lage gekommen iſt.
Überall nun, wo dieſes Erforderniß wahrer Veräuße-
rung fehlt, darf keine Schenkung angenommen werden,
ſelbſt wenn andere Elemente derſelben, namentlich das un-
eigennützige Wohlwollen als Beweggrund, vorhanden ſeyn
ſollten. Die Fälle, in welchen blos aus dieſem Grund
die Schenkung ausgeſchloſſen iſt, laſſen ſich auf folgende
Klaſſen zurückführen:
Die erſte Klaſſe von Fällen ohne wahre Schenkung
beſteht darin, daß die wohlwollende Thätigkeit den Um-
fang des Vermögens nicht berührt.
Daher liegt keine Schenkung in dem Mandat, das
heißt der unentgeldlichen Beſorgung fremder Angelegenhei-
ten, desgleichen in dem Depoſitum, das heißt der unent-
geldlichen Aufbewahrung fremder Sachen, obgleich durch
dieſe beiden Geſchäfte dem Andern eine bedeutende Geld-
ausgabe erſpart werden kann (h). Eben ſo auch in dem
Commodat, das heißt dem unentgeldlichen Gebrauch einer
Sache, den wir einem Andern verſtatten; desgleichen in
dem damit verwandten Precarium (i). In allen dieſen
Fällen iſt deswegen keine Schenkung vorhanden, weil der
Handelnde den Umfang ſeines Vermögens nicht verändert.
[28]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Ein Zweifel könnte in den Fällen entſtehen, in welchen
der Handelnde durch dieſelbe Thätigkeit hätte anderwärts
Geld erwerben können, welchen Erwerb er nun, zu des
Andern Vortheil, freywillig ausgeſchlagen hat. Dieſe
Frage aber fällt in die Betrachtung der folgenden Klaſſe.
Noch wichtiger iſt die zweyte Klaſſe von Fällen ohne
wahre Schenkung, welche darauf beruht, daß blos die
mögliche Vermehrung des Vermögens unterlaſſen, kein er-
worbenes Recht aufgeopfert wird. In allen ſolchen Fäl-
len iſt überhaupt keine Veräußerung vorhanden (k), und
aus dieſem Grunde wird die Anwendung ſowohl der Pau-
liana und Faviana(l), als des fingirten Vermögens bey
dem ſogenannten beneficium competentiae(m), ſchlechthin
verneint. Aus demſelben Grunde aber kann keine Schen-
kung angenommen werden, wie rein auch die wohlwol-
lende Triebfeder des Einen, und wie groß der Gewinn
des Andern ſeyn möge. Und zwar iſt dieſes als durchgrei-
fendes Princip anzuſehen, ſowohl in Beziehung auf die
Lex Cincia und die Inſinuation, als auf die Schenkung
in der Ehe (wovon allein die meiſten Stellen reden), und
den Widerruf (n).
Die einzelnen Fälle dieſer Klaſſe ſind folgende.
Es iſt keine Schenkung, wenn Derjenige, welchem eine
Erbſchaft oder ein Legat angefallen iſt, dieſes ausſchlägt,
um dem nach ihm Berufenen den Vortheil zuzuwenden;
daher iſt dieſe Begünſtigung unter Ehegatten erlaubt (o),
und eben ſo iſt hier die Anwendung der Pauliana und der
Faviana ausgeſchloſſen (p). Daſſelbe gilt, wenn Jemand
den ihm geneigten Teſtator beſtimmt, nicht ihm, ſondern
einem Andern, die Erbſchaft oder ein Legat zuzuwenden (q).
Eben ſo wenn der berufene Legatar (oder Erbe) den Er-
werb dadurch verhindert, daß er eine vorgeſchriebene Be-
dingung abſichtlich unerfüllt läßt (r). — Dieſer ganzen Be-
(n)
[30]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hauptung ſcheint die Beſtimmung zu widerſprechen, daß
die Ehefrau ihrem Manne eine Dos dadurch beſtellen kann,
daß ſie zu ſeinem Vortheil ein ihr angefallenes Legat, oder
auch eine Erbſchaft, ausſchlägt (s). Dennoch iſt hierin
kein Widerſpruch. Wenn die Frau hierüber mit ihrem
Manne einig iſt, ſo liegt in der eben angeführten Beſtim-
mung blos der Erlaß einer ganz überflüſſigen Förmlich-
keit, eine Art von brevi manu facta traditio, indem ohne-
hin die Frau hätte das Legat oder die Erbſchaft erwerben
und dann dem Mann als Dos hingeben können. Es iſt
alſo nur die natürliche Erleichterung eines durchaus gül-
(r)
[31]§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.
tigen Rechtsgeſchäfts, in einer durch viele unzweifelhafte
Analogien unterſtützten Weiſe. Wollte man dagegen die
donandi animo ausgeſchlagene Erbſchaft als wahre Schen-
kung behandeln, ſo würde man nicht, wie in jenem Fall,
den rechtmäßigen Willen durch erleichterte Formen unter-
ſtützen, ſondern man würde die ganz poſitiven, den Wil-
len einſchränkenden, Schenkungsregeln künſtlich auf einen
Fall anwenden, der ſeiner Natur nach jenen Regeln gar
nicht unterworfen iſt, woraus alſo eine ganz grundloſe
Beſchränkung des freyen Willens hervorgehen würde.
Eben ſo iſt keine Veräußerung (alſo auch keine Schen-
kung) vorhanden, wenn der Glaubiger, dem Etwas unter
einer Bedingung verſprochen iſt, die Erfüllung dieſer Be-
dingung, alſo die Entſtehung einer Forderung, abſichtlich
verhindert (t).
Ferner wenn Derjenige, welcher zu einer querela in-
officiosi, oder zu einer Injurienklage berechtigt iſt, dieſe
Klagen abſichtlich untergehen läßt (u). Bey anderen Klagen
würde es eine Veräußerung, zuweilen alſo auch eine Schen-
kung, geweſen ſeyn, weil das Klagerecht ſelbſt ſchon ein
Stück des Vermögens geweſen wäre; bey jenen Klagen
iſt zunächſt noch gar kein Vermögensrecht vorhanden, ſon-
dern es kann nur erſt ein ſolches entſtehen durch des Ver-
letzten freyen Entſchluß zur Klage (§ 73. f. x). Daher iſt
[32]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
der von dem Berechtigten herbeygeführte Untergang jener
Klagen nur als abſichtlich unterlaſſener Erwerb eines Ver-
mögensrechts, nicht als Veräußerung anzuſehen.
Zu derſelben zweyten Klaſſe von Fällen ohne wahre
Schenkung gehören noch folgende, deren Natur nicht ſo
unzweifelhaft iſt, wie die der bisher abgehandelten.
Es wurde oben geſagt, daß das Commodat in der
Regel keine Schenkung enthalte (§ 145), und für gewöhn-
liche Fälle kann dieſes auch keinen Zweifel haben. Wer
einem Freund Pferd oder Wagen zu einer Reiſe unent-
geldlich überläßt, wird dadurch nicht ärmer, er entbehrt
nur eine Zeit lang die Bequemlichkeit, die ihm der eigene
Gebrauch der verliehenen Sachen gewähren konnte. Es
giebt jedoch eine Art von Sachen, die vor anderen zum
gleichförmig nothwendigen Lebensbedarf gehören. Jeder
Menſch bedarf einer Wohnung, und inſofern er nicht un-
tergeordnetes Mitglied eines Hausſtandes iſt, kann er die-
ſes Bedürfniß in der Regel nur durch Grundeigenthum,
oder durch einen Miethvertrag, befriedigen. Eben ſo wird
umgekehrt der Eigenthümer eines Hauſes dieſes entweder
ſelbſt bewohnen, oder vermiethen; daß er es leer ſtehen
laſſe, gehört zu den ſeltnen Ausnahmen. Daher läßt ſich
bey Wohngebäuden, mehr als bey anderen Sachen, der
[33]§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
bloße Gebrauch zu dem Werth einer Geldſumme anſchla-
gen, und es werden ſich dafür an den meiſten Orten, je
nach der Größe und Annehmlichkeit der Wohnungen, ziem-
lich regelmäßige Preiße bilden. Die natürliche Folge da-
von iſt, daß das Commodat einer Wohnung (a) als eine
wahre Schenkung angeſehen werden kann, nämlich als
Schenkung derjenigen Geldſumme, welche der Bewohner
ohne jenes Commodat als Miethgeld hätte aufwenden
müſſen (b). In den meiſten Fällen wird der Eigenthümer,
der die Wohnung unentgeldlich überläßt, gerade ſo viel
an Miethgeld aufopfern, als der Andere an Miethgeld
erſpart; wo dieſes nicht iſt, kann nur die geringere Summe
als Gegenſtand der Schenkung gelten, da nur in dieſer
das Geben und Nehmen zuſammen trifft, welches zum
Weſen jeder Schenkung nöthig iſt. Wenn z. B. eine Woh-
nung, die ſtets zu 800 vermiethet war, Demjenigen un-
entgeldlich überlaſſen wird, der, nach Verhältniß ſeiner
Einnahme, nie mehr als 500 an Miethgeld ausgab, ſo
ſind ihm nur 500 geſchenkt, weil er nur dieſe als Mieth-
geld erſpart; die übrigen 300, die der Eigenthümer gleich-
falls aufopfert, gehen darin auf, daß der Bewohner mehr
IV. 3
[34]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Luxus und Bequemlichkeit zu genießen bekommt, ohne da-
durch reicher zu werden (c). Wird umgekehrt eine Woh-
nung von 500 unentgeldlich einem Bewohner überlaſſen,
der ſtets 800 an Miethgeld ausgab, ſo ſind wieder nur
500 geſchenkt, da der Eigenthümer nur dieſe aufopfert;
die übrigen 300 erſpart der Bewohner zwar auch, aber
nicht durch die Freygebigkeit des Eigenthümers, ſondern
durch Entbehrungen, denen er ſich unterwirft. — Dieſe
Art der Schenkung wird übrigens in vielen Fällen die An-
wendung der poſitiven Regeln gar nicht veranlaſſen. Von
der Inſinuation wird dabey die Rede ſeyn, nur wenn durch
Vertrag auf beſtimmte künftige Zeit die Wohnung über-
laſſen wird, weil ſich dann die Schenkung ſogleich auf
eine beſtimmte Geldſumme zurückführen läßt; fehlt ein ſol-
cher Vertrag, ſo löſt ſich das Ganze in viele einzelne
Schenkungen auf, und die Inſinuation iſt nicht anwend-
[35]§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
bar (§ 166). — Unter Ehegatten kann die Wohnung des
Mannes im Hauſe der Frau nicht als Schenkung gelten,
weil ſie die natürliche Folge des gemeinſamen Lebens iſt
(§ 152); anders iſt es, wenn ein Ehegatte dem Andern
ein Gebäude unentgeldlich überläßt, welches von dieſem
zur Betreibung eines Gewerbes (nicht zur eignen Woh-
nung) benutzt wird. — Der Widerruf aus beſonderen
Gründen wird bey dieſer Schenkung immer vorkommen
können.
So wie hier das Commodat ausnahmsweiſe eine Schen-
kung enthält, kann auch das Depoſitum (§ 145) ſich zu
einer ſolchen geſtalten. Wenn nämlich der Eigenthümer
eines Magazins in denſelben regelmäßig Kaufmannswaa-
ren gegen Bezahlung aufnimmt, dieſen Raum aber einem
Einzelnen unentgeldlich geſtattet, ſo enthält das Depoſitum
eine wahre Schenkung, weil der Eine eine Geldeinnahme
aus Liberalität aufopfert, der Andere eine Ausgabe erſpart.
Derſelbe Fall findet ſich ferner bey dem Mandat, wel-
ches gleichfalls in der Regel nicht als Schenkung gelten
kann (§ 145). Iſt naͤmlich die Rede von gewerblichen
Arbeiten, die gewöhnlich für Geld geleiſtet werden (ope-
rae fabriles), ſo koͤnnen dieſe, ganz wie der Gebrauch ei-
nes Hauſes, auf beſtimmte Geldſummen zurückgeführt wer-
den (d). Wird nun eine ſolche Arbeit aus Liberalität un-
entgeldlich beſorgt, und wird dadurch dem Andern das
3*
[36]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Geld erſpart, welches er außerdem dafür hätte ausgeben
müſſen, ſo liegt darin eine wahre Schenkung; gerade ſo
wie die condictio indebiti begründet iſt, wenn jene Arbeit
in irriger Vorausſetzung einer Verpflichtung geleiſtet wird (e).
Die Schenkung konnte in ſolchem Fall bey den Römern
ausgehen bald von dem Arbeiter ſelbſt, wenn dieſer ein
freyer Menſch war, bald von dem Eigenthümer des ar-
beitenden Sklaven; bey uns iſt nur der erſte Fall denkbar.
Noch unzweifelhafter, als bey dem Commodat eines
Hauſes, iſt eine Schenkung anzunehmen, wenn der Ge-
brauch eines Landguts einem Andern unentgeldlich über-
laſſen wird (f). Denn dieſer Gebrauch beſteht hauptſäch-
lich in dem Fruchterwerb, und die künftigen Früchte ſind
[37]§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
es alſo, deren Eigenthum hier geſchenkt wird. Dieſe
Schenkung hat, wenn man auf den materiellen Erfolg
ſieht, große Ähnlichkeit mit einem geſchenkten Niesbrauch,
und ſie unterſcheidet ſich von demſelben allgemein nur da-
durch, daß der Empfänger kein dingliches Recht bekommt;
daneben kann dieſe Schenkung mit der verſchiedenſten Dauer
verbunden ſeyn: ſie kann auf willkührlichen Widerruf ge-
geben werden, oder auf beſtimmte Jahre, oder auch (gleich
dem Niesbrauch) auf die Lebensdauer des Empfängers (g).
Eine bloße Anwendung und Anerkennung dieſes Grund-
ſatzes iſt in folgender Beſtimmung enthalten. Wenn der
Mann Grundſtücke als Dos bekommen hat, und nun de-
ren natürliche Früchte oder Pachtertrag der Frau über-
läßt, ſo liegt darin eine ungültige Schenkung (h). Daſ-
ſelbe muß gewiß um ſo mehr angenommen werden, wenn
der Mann ſeine eigenen (nicht zur Dos gehörenden) Grund-
ſtücke auf gleiche Weiſe der Frau überläßt.
Auf den erſten Blick möchte man glauben, der ver-
ſchaffte Gebrauch einer Geldſumme, weil dieſe fähig iſt
Zinſen zu tragen, müſſe eben ſo wie der Gebrauch eines
Hauſes oder Landguts, als Schenkung gelten; dennoch iſt
es nicht alſo. Wenn der Glaubiger ein bisher zinsbares
Darlehen, durch Erlaß der künftigen Zinſen, in ein un-
[38]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
verzinsliches verwandelt, ſo gilt dieſes nicht als wahre
Schenkung, deren poſitive Einſchränkungen alſo auf einen
ſolchen Fall nicht anwendbar ſind (i). Alſo muß um ſo
mehr bey einer Geldſumme, die erſt jetzt als Darlehen
ohne Zinſen hingegeben wird, das Daſeyn einer Schen-
kung verneint werden. — Wer eine Schuld, die er erſt
nach Jahren zu zahlen brauchte, ſogleich zahlt, verſchafft
dadurch allerdings dem Gläubiger den Vortheil des frü-
heren Zinsgenuſſes; dennoch gilt es nicht als Schenkung,
denn es iſt unter Ehegatten durchaus erlaubt (k). Daher
kann es auch nicht als Schenkung gelten, wenn die in
diem contrahirte Schuld vertragsweiſe in eine praesens
obligatio verwandelt wird, da dieſes eine noch geringere
Veränderung iſt, als die augenblickliche Zahlung. — Eben
ſo darf es aber auch umgekehrt nicht als Schenkung gel-
ten, wenn die praesens obligatio durch Vertrag in diem
geſtellt wird (l), indem auch dadurch der Schuldner höch-
[39]§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
ſtens den Zinſengenuß der Zwiſchenzeit gewinnt, voraus-
geſetzt daß die Schuld eine unverzinsliche iſt. — Worin
liegt nun der Grund des Unterſchieds, wenn der Gebrauch
eines Grundſtücks, oder aber einer Geldſumme, dem An-
dern unentgeldlich verſchafft wird? Ohne Zweifel liegt
er in folgender ſehr natürlicher Betrachtung. Daß Je-
mand ein Grundſtück ganz unbenutzt laſſe, alſo weder durch
eignen Gebrauch, noch durch Vermiethung, Vortheil da-
von ziehe, iſt völlig ungewöhnlich, ja in den meiſten Fäl-
len, worin es dennoch vorkommen mag, nur als ſchlechte
Wirthſchaft erklärlich. Anders bey dem baaren Gelde.
Dieſes kann der Eigenthümer aus mancherley Gründen
bey ſich aufbewahren, wo es ihm keine Früchte trägt; er
kann es auch in Hausrath, Kunſtwerken u. ſ. w. anlegen,
die gleichfalls keine Früchte bringen. In gewiſſem Um-
fang geſchieht ſogar Beides von Jedem; und wo wäre
(l)
[40]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hier die Gränze zwiſchen Viel und Wenig? Obgleich alſo
auch unſer poſitives Recht die ſtete Möglichkeit anerkennt,
baares Geld zinsbar zu benutzen (worauf allein der Grund-
ſatz der Verzugszinſen beruht), ſo iſt doch der Gebrauch
dieſer Möglichkeit ganz willkührlich. Daher iſt es ganz
conſequent, den unentgeldlich überlaſſenen Gebrauch eines
Grundſtücks als ein von dem Eigenthümer gebrachtes Geld-
opfer, das heißt als eine Veräußerung zu betrachten, wäh-
rend dieſelbe Handlung bey dem baaren Gelde dafür nicht
angeſehen werden kann; der Eigenthümer, der (wie oben
bemerkt) das Geld vielleicht ungenutzt in ſeiner Kaſſe auf-
bewahren möchte, kann es vielleicht noch ſicherer und be-
quemer finden, dieſe Aufbewahrung in Geſtalt eines un-
verzinslichen Darlehens an einen wohlhabenden, zuverläſ-
ſigen Schuldner zu bewirken. — Aus demſelben Grunde
aber muß unzweifelhaft anders entſchieden werden, wenn
der Glaubiger ein bereits zinsbares Kapital einem Dritten
zur Nutzung überläßt; denn Dieſem ſchenkt er gerade den
Betrag der Zinſen, und es iſt ganz zufällig, daß er das
Geſchenk durch den, Zinſen bezahlenden, Schuldner ent-
richten läßt. Eben ſo iſt es auch anders, wenn die Frau
ihrem Manne eine Dos in Geld nicht auszahlt, ſondern
nur verſpricht und einſtweilen verzinſt, nun aber der Mann
dieſe Zinſen auch für die Zukunft erläßt, das heißt alſo
die zinsbare Schuld in eine unverzinsliche verwandelt;
darin liegt eine verbotene Schenkung (m). Der Grund iſt
[41]§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
der, daß hier die Dos ſelbſt zunächſt nur in dieſer Zins-
zahlung beſteht, der Mann aber den Genuß der Dos zum
Vortheil der Frau nicht aufgeben kann, ohne dadurch eine
ungültige Schenkung vorzunehmen (n).
Eine etwas andere Geſtalt nehmen dieſe Fälle an, wenn
man nicht den Gebrauch oder Fruchtgenuß, wie wir es
bisher gethan haben, ſondern die fruchttragende Sache
ſelbſt, als Gegenſtand der Schenkung anſieht, und nun
den Einfluß der Schenkungsregeln auf die aus der ge-
ſchenkten Sache ſpäter entſtandenen Früchte erwägt. Be-
trachten wir in dieſer Hinſicht zuerſt ein geſchenktes Land-
gut (a) Bey der Frage nach dem Umfang der Schenkung
(bey der Inſinuation) kommt blos der Sachwerth des
Grundſtücks ſelbſt in Betracht; bleibt dieſer unter der ge-
[42]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſetzlichen Summe, ſo iſt die Schenkung durchaus gültig,
ohne Rückſicht auf die aus den ſpäteren Früchten allmälig
hinzutretende Bereicherung (b). Auch wenn der Sachwerth
die geſetzliche Summe überſteigt, z. B. 1000 Dukaten an-
ſtatt 500, bey fehlender Inſinuation, beträgt, ſo iſt zwar
die Hälfte des Landguts ungültig geſchenkt und kann zu-
rückgefordert werden; für die Früchte aber gilt keine Rück-
forderung, da ſich deren Erwerb auf viele einzelne kleine
Schenkungen zurückführen läßt, die keiner Inſinuation be-
dürfen (§ 166). — Sehr zweifelhaft iſt die Frage, wenn
ein unter Ehegatten verſchenktes Landgut zurückgefordert
wird, ob nun zugleich die Früchte, die der Beſchenkte ge-
zogen hat, und um welche er noch jetzt reicher iſt, als
Schenkung betrachtet, und zurückgefordert werden können.
Nach Ulpian möchte man dieſe Frage allgemein vernei-
nen (c). Pomponius verneint ſie blos für die durch Cul-
tur erzeugten Früchte, während er ſie für die von ſelbſt
entſtehenden bejaht (d). Beide Stellen ließen ſich dadurch
[43]§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
etwa vereinigen, daß man die zweyte blos als die ge-
nauere Beſtimmung der erſten betrachtete, wodurch alle
entſcheidende Kraft in die zweyte gelegt würde. Allein
auch damit iſt die Schwierigkeit nur ſcheinbar beſeitigt.
Denn erſtlich iſt die Unterſcheidung jener zwey Arten von
Früchten theils ſchwankend und unbeſtimmt, theils grund-
los, da in den durch Cultur erzeugten Früchten doch im-
mer ein reiner Gewinn, nach Abzug der Culturkoſten, zu
ermitteln iſt; und wohin ſoll namentlich das Pachtgeld ge-
rechnet werden, welches eben dieſen reinen Gewinn dar-
ſtellt, und in die Hände des Verpächters ganz ohne Ar-
beit deſſelben gelangt? Zweytens ſteht es im Widerſpruch
mit der oben (§ 146. f. h) aufgeſtellten Regel, daß die
Überlaſſung des bloßen Fruchtgenuſſes als reine Schen-
kung gilt, und daher unter Ehegatten ungültig iſt; denn
dieſe Regel könnte nun der gewinnſüchtige Ehegatte leicht
dadurch umgehen, daß er ſich das Grundſtück ſelbſt ſchen-
ken ließe, da ihm denn, wenn es ſpäter zurückgefordert
würde, der Fruchtgenuß der Zwiſchenzeit nicht entzogen
werden könnte. Drittens iſt ganz ausdrücklich beſtimmt,
daß wenn der Mann während der Ehe die Dos an die
Frau zurück giebt, dieſes als ungültige Schenkung betrach-
tet, und die ganze Dos, alſo auch die darin enthaltenen
Grundſtücke, mit allen Früchten der Zwiſchenzeit, an den
(d)
[44]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Mann zurückgegeben werden ſoll (e); gilt aber dieſes von
den Dotalgrundſtücken, ſo muß es um ſo mehr von den
eignen Grundſtücken des Mannes gelten. Noch wichtiger
endlich iſt eine Stelle des Marcellus, welche geradezu an-
nimmt, daß, bey dem an einen Ehegatten geſchenkten Ei-
genthum eines Landgutes, auch die Früchte mit in die
Schenkung fallen und von der Ungültigkeit eben ſo, wie
die Hauptſache, betroffen werden (f). Hieraus iſt es auch
klar, daß in der That die Römiſchen Juriſten verſchie-
dene Meynungen über dieſe Frage hatten. Marcellus hatte
die conſequenteſte Meynung; Ulpian, der ſich auf Julian
beruft, ſchließt alle Früchte von der Schenkung aus;
Pomponius vermittelt, indem er zwey Arten der Früchte
unterſcheidet. Daher könnte die oben angegebene Vereini-
gung des Ulpian mit Pomponius zwar im Sinn von Ju-
ſtinian, als Auflöſung eines Widerſpruchs, etwa verſucht
werden: Ulpians wahre Meynung findet darin keine An-
erkennung.
Erwägt man das Gewicht dieſer Gründe, ſo kann
[45]§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
wohl als wahrſcheinlich angenommen werden, daß Ulpian
und Pomponius in den angeführten Stellen durch die täu-
ſchende Ähnlichkeit der Früchte mit den Geldzinſen (von
welchen ſogleich noch die Rede ſeyn wird) irre geführt
worden ſind (g); dann aber wird anzunehmen ſeyn, daß
alle Früchte ohne Unterſchied als ungültig geſchenkt gelten,
und zurückgegeben werden müſſen, ganz nach der Anſicht
des Marcellus. Wem jedoch dieſes Verfahren, bey dem
nicht abzuläugnenden Daſeyn der Stellen des Ulpian und
Pomponius, allzu kühn erſcheint, dem bleibt freylich Nichts
übrig, als die von Pomponius aufgeſtellte unterſcheidende
Regel anzuerkennen, daneben aber für die der Frau von
dem Mann geſchenkten Dotalgrundſtücke eine Ausnahme
anzunehmen; unbekümmert dann um die Inconſequenz, ſo-
wohl jener Regel, als dieſer Ausnahme, und unbeküm-
mert zugleich um den Widerſpruch des Marcellus, blos
weil dieſer ſeine Entſcheidung der aufgeworfenen Frage
nicht abgeſondert für ſich darſtellt, ſondern im Zuſammen-
hang eines ganzen Rechtsfalls. — Welche Meynung nun
man über das Schickſal der Feldfrüchte annehmen möge,
ſo iſt ſo viel gewiß, daß das Miethgeld eines unter Ehe-
gatten verſchenkten Hauſes ganz daſſelbe Schickſal theilen
muß (h). — Weniger zweifelhaft als bey der Schenkung
[46]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
in der Ehe, iſt die Frage, wie die Früchte eines ver-
ſchenkten Landgutes im Fall des Widerrufs aus beſonde-
ren Gründen, z. B. wegen Undankbarkeit, zu behandeln
ſind. Hier hat es wohl kein Bedenken, daß der Wider-
ruf auf die gezogenen Früchte, eben ſo wie auf das
Landgut ſelbſt, bezogen werden muß.
Dieſelben Fragen entſtehen nun auch, wenn das Ei-
genthum einer Geldſumme verſchenkt iſt, wegen der künf-
tigen Zinſen derſelben. Bey der Inſinuation verſteht es
ſich wiederum von ſelbſt, daß, wenn weniger als 500 Du-
katen verſchenkt werden, die Schenkung nicht deswegen
als eine große gelten darf, weil die geſchenkte Summe,
durch Zurechnung künftiger Zinſen, 500 Dukaten überſtei-
gen kann. Aber auch wenn 800 Dukaten ohne Inſinua-
tion verſchenkt, die das geſetzliche Maaß überſteigenden
300 aber ſpäter zurückgefordert werden, fehlt es an einem
Rechtsgrund, von dieſer Summe Zinſen zu verlangen. —
Wird unter Ehegatten baares Geld geſchenkt und ſpäter
zurückgefordert, ſo können keine Zinſen verlangt werden (i),
was aus der oben entwickelten willkührlicheren Natur der
Zinſen, in Vergleichung mit Hausmiethe und Feldfrüch-
ten, conſequenterweiſe folgt. Dennoch ſcheint dieſe Regel
durch eine Ausnahme beſchränkt werden zu müſſen. Iſt
(h)
[47]§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
nämlich dem Manne eine Dos in baarem Geld gegeben,
und ſchenkt er nachher der Frau eine Geldſumme, ſo liegt
darin in der That eine, ſey es totale oder partielle, Rück-
gabe der Dos, es mag nun ſo benannt ſeyn oder nicht;
dieſe Rückgabe aber kann ſtets, als ungültige Schenkung,
mit allen ihren Folgen angefochten und vernichtet werden
(Note e), ſo daß in dieſem Fall die Geldzinſen ganz die
Natur anderer Früchte annehmen; denn die in Geld be-
ſtehende Dos wird ſtets zu dem Zweck des Zinsertrags
gegeben, welcher Zweck aber durch die Schenkung des
Mannes an die Frau unfehlbar vereitelt werden würde.
— Endlich wenn geſchenktes Geld aus beſonderen Grün-
den, z. B. wegen Undankbarkeit, zurückgefordert wird, fehlt
es an einem Rechtsgrund für die Entrichtung von Zinſen.
Die hier für die Schenkung erörterte Frage, ob bey
geſchenkten Grundſtücken die Früchte, bey geſchenktem Gelde
die Zinſen, in der Veräußerung der Hauptſache mit be-
griffen ſind, kommt auch bey einigen anderen Rechtsinſti-
tuten vor, deren Vergleichung nicht unbelehrend iſt. So
zuerſt bey der Pauliana. Wenn der inſolvente Schuldner
unredliche Veräußerungen vornimmt, und der Empfänger
an dieſer Unredlichkeit Theil nimmt, ſo wird er auf’s
Strengſte behandelt; er muß nicht nur die Früchte der er-
worbenen Grundſtücke, ſondern auch Zinſen der vor der
Verfallzeit empfangenen Schuldzahlung herausgeben (k);
[48]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Alles zur verdienten Strafe des Dolus. Iſt er dagegen
frey von Dolus, ſo ſoll er nicht einmal Früchte (wenn
ſie erſt nach der Veräußerung entſtanden ſind) abgeben,
weil dieſe noch nicht im Vermögen des Schuldners wa-
ren (l). — Wird einem Andern ein unverzinsliches Dar-
lehen gegeben, um ihn zu einer ungerechten Klage gegen
einen Dritten zu beſtimmen (calumnia), ſo muß dieſer un-
redliche Empfänger den vierfachen Werth des erlangten
Zinsvortheils als Strafe zahlen (m).
Faſſen wir alle dieſe Fälle der zweyten Klaſſe, worin
die Schenkung deswegen verneint wird, weil kein erwor-
benes Recht weggegeben, ſondern nur ein Erwerb unter-
laſſen wird (§ 145), unter einem gemeinſamen Geſichts-
punkt zuſammen. Am reinſten und unzweifelhafteſten er-
ſcheint dieſe abweiſende Regel bey angefallenen Erbſchaf-
ten oder Legaten, die wir zum Vortheil eines Andern aus-
ſchlagen (§ 145); denn ihre Entſtehung iſt völlig zufällig,
(k)
[49]§. 148. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
Niemand kann auf ſolchen Erwerb rechnen, und es be-
ruht auf unſrer reinen Willkühr, ob unſer Vermögen auf
dieſe Weiſe erſt erweitert werden ſoll: der Gegenſtand
ſelbſt führt auf eine ſolche Erweiterung gar nicht. Da-
gegen giebt es Vermögenstheile, die eine productive Na-
tur an ſich tragen, ſo daß ſie gleichſam aus inwohnender
Kraft dem Inhaber einen neuen Erwerb bereiten, ohne
daß es dazu eines beſonderen Entſchluſſes von ſeiner Seite
bedarf, ja daß es vielmehr auf ungewöhnlicher Willkühr
beruht, wenn ein ſolcher Erwerb unterbleiben ſoll; auch
iſt derſelbe ſo wenig zufälliger Art, daß der Lebensun-
terhalt darauf regelmäßig gegründet zu werden pflegt.
Dahin gehört der Miethertrag eines Hauſes, der Frucht-
oder Pachtertrag eines Landgutes (§ 146). Die regelmä-
ßige Natur dieſer Arten der Production führt es mit ſich,
daß durch ſie auch Dasjenige, welches noch nicht zu un-
ſrem Vermögen gehört, als Gegenſtand wahrer Veräuße-
rung, und ſomit auch wahrer Schenkung, betrachtet wer-
den kann. Gleichſam in die Mitte zwiſchen dieſe beiderley
Arten der Erwerbung fallen die Geldzinſen. Weit weni-
ger zufällig und willkührlich als Erbſchaften und Legate,
haben ſie doch auch nicht eine ſo regelmäßige und gleich-
förmige Natur wie der Fruchtertrag der Grundſtücke.
Daher werden ſie gewöhnlich in das Verhältniß der Schen-
kung nicht mit hereingezogen, und wo es geſchieht, da
reicht der bloße Begriff der Veräußerung nicht aus, ſon-
dern es muß die aus den Umſtänden hervorgehende beſon-
IV. 4
[50]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dere Abſicht der Schenkung mit in die Beurtheilung her-
eingezogen werden (§ 146. 147).
Mit Unrecht aber würde man als Widerſpruch gegen
die ganze hier behandelte verneinende Regel folgenden Fall
geltend machen. Wenn mir Einer Etwas zu tradiren be-
reit iſt, entweder in Folge eines Kaufcontracts, oder auch
weil er es mir ſchenken will, und ich ihn damit an einen
Dritten verweiſe, um dieſen zu beſchenken, ſo gilt dieſes
in der That als wahre von mir ausgehende Schenkung (a).
Allerdings nun habe ich, der Strenge nach, nicht ein er-
worbenes Recht abgetreten, ſondern einen möglichen Er-
werb zum Vortheil jenes Dritten unterlaſſen; dennoch hat
dieſer Fall mit den bisher behandelten keine wahre Ähn-
lichkeit. Es iſt vielmehr hier blos eine, überall vorkom-
mende, Erleichterung und Abkürzung des Geſchäfts; es
wird betrachtet, als wäre die Tradition in der That an
mich geſchehen, und darauf weiter von mir an den Drit-
ten vorgenommen worden.
Es bleibt nun noch übrig, die dritte Klaſſe von Fäl-
len darzuſtellen, worin die Schenkung wegen fehlender
Veräußerung verneint werden muß (§ 145); wenn näm-
lich zwar der Eine Etwas aus ſeinem Vermögen zum
Vortheil eines Andern weggiebt, dieſer Andere aber ein
außer dem Vermögen liegendes Recht dadurch erlangt.
Dahin gehört nach Römiſchem Recht die Freylaſſung
[51]§. 148. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)
des Sklaven. Durch dieſe gab der Herr in wohlwollen-
der Abſicht wahres Eigenthum auf, ſo daß alſo von ſei-
ner Seite Alles geſchah, was zu einer Schenkung nöthig
iſt. Auch erhielt dadurch der Sklave die größte Wohl-
that, die Ein Menſch dem andern erweiſen konnte, die
Freyheit; allein dieſe war kein Vermögensrecht (b), und
es würde ganz irrig ſeyn, wenn man es ſo betrachten
wollte, als hätte der Herr das Eigenthum, welches ihm
an dem Sklaven zuſtand, auf dieſen ſelbſt übertragen.
Dieſes Eigenthum wurde vielmehr völlig vernichtet, und
es wurde ein freyer Menſch, ein rechtsfähiges Weſen, neu
creirt. Daher war denn ſowohl die teſtamentariſche Ma-
numiſſion, als die unter Lebenden, durchaus keine Schen-
kung, und Niemand dachte daran, die Lex Cincia oder
ſpäterhin die Inſinuation darauf anzuwenden. Wenn ſie
dennoch nicht ſelten als donatio bezeichnet wird (c), ſo
gehört dieſes zu dem oben erklärten uneigentlichen Sprach-
gebrauch.
Die Emancipation der Kinder hat mit der Sklaven-
manumiſſion die Ähnlichkeit, daß das Kind gleichfalls ein
außer dem Vermögen liegendes Recht (die Unabhängigkeit)
4*
[52]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang
erhält. Sie beruht aber von Seiten des Vaters gar nicht
auf einem aufgegebenen Vermögensrecht, und hat daher mit
der Schenkung noch weit weniger Ähnlichkeit als jene (d).
Noch unzweifelhafter iſt es, daß der Beſchluß des Rö-
miſchen Volks, ſpäterhin des Kaiſers, wodurch einem Pe-
regrinen die Civität ertheilt wurde, nicht als wahre Schen-
kung betrachtet werden konnte. Dennoch nennt dieſes ſelbſt
Gajus ein donare(e). Ich bemerke Dieſes, nicht um vor
einer Verwechslung zu warnen, die in ſolchen Fällen oh-
nehin nicht zu befürchten iſt, ſondern um darauf aufmerk-
ſam zu machen, wie wenig ängſtlich ſelbſt die alten Ju-
riſten im Gebrauch jenes Ausdrucks ſind.
Als ein drittes Element wahrer Schenkung wurde oben
(§ 145) die Bereicherung des Beſchenkten angegeben, und
es iſt alſo nunmehr zu beſtimmen, wie ſich dieſe von der
bloßen Veräußerung noch unterſcheidet. Die Bereicherung
beſteht darin, daß das Vermögen des Beſchenkten, dem
letzten Erfolg nach, in ſeinem Totalwerth vermehrt werde.
Dreyerley Gründe können verhindern, daß der in der
Veräußerung liegende Erwerb eines Vermögensrechts zu-
gleich eine Bereicherung enthalte:
Dieſe drey Gründe ſind nunmehr einzeln zu betrachten.
Der erſte Grund beſtand in der Beſchaffenheit derjeni-
gen Rechtsgeſchäfte, welche nicht den Umfang des Ver-
mögens erweitern, ſondern nur deſſen Genuß ſichern; bey
ihnen iſt von Anfang an das Daſeyn einer Schenkung
gänzlich ausgeſchloſſen, wenngleich der Eine aus wohl-
wollender Abſicht handeln, der Andere wirklichen Vortheil
aus der Handlung ziehen kann.
Wer eine Geldſumme, die er nur naturaliter ſchuldig
iſt, baar bezahlt oder expromittirt, ſchenkt dadurch nicht,
obgleich er dem Glaubiger freywillig Dasjenige giebt,
wozu er nicht durch Klage angehalten werden konnte; der
Umfang des Vermögens iſt dadurch nicht erweitert (a).
Schon darin liegt ein entſcheidender Grund, weshalb die
Beſtellung einer Dos von Seiten der Ehefrau keine Schen-
[54]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
kung ſeyn kann (b); denn die Frau iſt dazu naturaliter
verpflichtet (c).
Wenn der Beſitzer einer fremden Sache dieſe dem Ei-
genthümer, der vielleicht keine Beweiſe hatte, ohne Klage
herausgiebt, ſo liegt darin keine Schenkung; der Umfang
des Vermögens wird nicht verändert. — Dieſes aber muß
in noch allgemeinerer Weiſe zu folgender Regel ausgebil-
det werden: Der Beſitz iſt überhaupt niemals Gegenſtand
wahrer Schenkung. Denn er iſt ſeinem Weſen nach nicht
Recht, ſondern Thatſache; er iſt nur die Ausübung des
Eigenthums, ſo daß der Eigenthümer im juriſtiſchen Sinn
nicht reicher iſt, wenn er den Beſitz hat, nicht ärmer wenn
er ihn entbehrt. Daher giebt es keine juriſtiſche Succeſ-
ſion in den Beſitz, ſondern Jeder, der ihn erwirbt, fängt
ihn in ſeiner Perſon neu an. Aus dieſem Grunde hindert
auch das Schenkungsverbot unter Ehegatten nicht den
Übergang des bloßen Beſitzes; der Empfänger erwirbt
hier wahren Beſitz, nur nicht Eigenthum, und auch nicht
civilis possessio, weil zu dieſer eine justa causa gehört,
die in jener Schenkung nicht enthalten iſt (c¹).
Die Übernahme einer Bürgſchaft iſt niemals eine Schen-
[55]§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.
kung an den Glaubiger, ſelbſt wenn der Schuldner inſol-
vent iſt; denn dem Glaubiger wird dadurch nur die Ver-
folgung des ohnehin vorhandenen Rechts geſichert (d).
Die Beſtellung eines Pfandrechts für eine eigene Schuld
iſt keine Schenkung, ſelbſt wenn der Schuldner inſolvent
iſt, weil dadurch der Glaubiger nur ſicherer Dasjenige
bekommt, was er bereits zu fordern hat (e). — Eben ſo
iſt die Verpfändung einer Sache für eine fremde Schuld
keine Schenkung an den Glaubiger; völlig wie die Über-
nahme einer Bürgſchaft (f). — Auch der Erlaß eines Pfand-
rechts enthält keine Schenkung des Glaubigers an den
Schuldner, da durch die Fortdauer der Schuld das Ver-
mögen unvermindert bleibt (g). Deshalb iſt dieſer Erlaß
[56]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſelbſt unter Ehegatten völlig gültig (h).
Die Acceptilation einer, ohnehin durch Exception ent-
kräfteten, Schuld iſt keine Schenkung, weil ſie nur den
Rechtszuſtand formell bekräftigt, welcher ſchon vorher vor-
handen war (§ 158. d).
Der zweyte mögliche Grund fehlender Bereicherung
liegt in der gegenſeitigen Aufopferung von Seiten des Er-
werbers, welche den durch den Erwerb möglichen Gewinn
aufhebt. In den Fällen dieſer Art iſt alſo ſtets die Rede
von einer zuſammengeſetzten Handlung, deren Natur die
lucrativa causa, als die Grundlage aller Schenkung, aus-
ſchließt (§ 143). Dieſer Grund kann in folgenden ver-
ſchiedenen Geſtalten eintreten.
Die Gegenleiſtung kann ganz in die Vergangenheit fal-
len. So liegt in der Bezahlung einer Schuld meiſt ſchon
deshalb keine Schenkung, weil der gegenwärtige Empfän-
ger gewöhnlich ſchon früher Etwas hingegeben haben wird,
wofür er jetzt nur die Vergütung empfängt.
Sie kann auch gleichzeitig ſeyn mit dem Erwerb. Da-
hin gehört der Kauf und der Tauſch, wenn mit dem Ver-
trag ſogleich die Erfüllung von beiden Seiten verbunden
wird. Dahin gehört aber eben ſo der ſchon erwähnte
Empfang einer Zahlung, weil der Empfänger ſtets (und
ohne Rückſicht auf früheres Hingeben), gegen dieſen Er-
werb die Schuldforderung austauſcht, die bisher ein Stück
ſeines Vermögens war. Daher iſt die Erfüllung eines
gültigen Schenkungsverſprechens durchaus keine Schenkung,
ſondern nur eine gewöhnliche Schuldzahlung. Iſt alſo
das Schenkungsverſprechen einer großen Summe durch
Inſinuation rechtsgültig geworden, ſo bedarf die Auszah-
lung keiner neuen Inſinuation. Iſt ein Schenkungsver-
ſprechen vertragsweiſe vor der Ehe gegeben, ſo iſt die
während der Ehe geleiſtete Zahlung der verſprochnen
Summe eine gültige Handlung. — Hieraus erklärt ſich
denn auch noch vollſtändiger der ſchon oben (Note a) auf-
geſtellte Satz, daß die Zahlung oder Expromiſſion einer
naturalis obligatio keine Schenkung iſt. Denn gegen den
Empfang dieſer Zahlung wird die bisher beſtehende natu-
ralis obligatio ausgetauſcht, die, ungeachtet des ihr man-
gelnden Klagerechts, dennoch ein reelles Vermögensſtück
iſt, indem der rechtlich geſinnte Schuldner auch ohne rich-
terlichen Zwang ſie erfüllen wird, noch abgeſehen von den
indirecten Zwangsmitteln, die zufällig durch Compenſation
u. ſ. w. herbeygeführt werden können. Eben ſo conſequent
aber iſt es auch, daß die wiſſentliche Zahlung eines inde-
[58]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
bitum ſtets als Schenkung angeſehen wird (i), indem das
indebitum in der That kein Vermögensſtück iſt, ſondern
höchſtens den täuſchenden Schein eines ſolchen an ſich trägt.
Endlich kann auch die Gegenleiſtung ganz in die Zu-
kunft fallen. Dahin gehört der Empfang eines Darlehens,
indem das jetzt erworbene Eigenthum des Geldes die Ver-
pflichtung zu künftiger Rückzahlung mit ſich führt.
Hat die Gegenleiſtung, verglichen mit dem gegenwär-
tigen Erwerb, gleichen oder höheren Geldwerth, ſo iſt
eine in dieſem Erwerb liegende Schenkung ganz unmoͤg-
lich. Hat ſie einen geringeren Werth, ſo kann möglicher-
weiſe der Erwerb die Natur einer Schenkung annehmen.
Ob er ſie wirklich habe, das hängt dann von der Abſicht
des Gebers ab, und es entſteht daraus ein gemiſchtes Ge-
ſchäft (negotium mixtum cum donatione), deſſen eigen-
thümliche Beſchaffenheit unten näher beſtimmt werden wird.
Der dritte Grund endlich, das Daſeyn der Bereiche-
rung, folglich auch der Schenkung, zu verneinen, liegt
darin, daß das urſprünglich erworbene Recht in der Folge
wieder untergeht, und ſo die Anfangs vorhandene Berei-
cherung verſchwindet. Dieſer Fall unterſcheidet ſich von den
vorhergehenden darin, daß in jenen niemals eine Schenkung
vorhanden iſt, anſtatt daß in dem zuletzt erwähnten Fall
meiſtens das Geſchäft zunächſt eine wahre Schenkung iſt,
nach einiger Zeit aber eine ſolche zu ſeyn aufhört. Die-
ſer dritte Grund alſo, da wo er als wirkſam anerkannt
[59]§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.
werden muß, hat den Sinn, daß die Folgen der Schen-
kung ſpäterhin aufhören, das heißt daß die anfänglich
mögliche Rückforderung einer nach poſitiven Rechtsregeln
ungültig geſchenkten Sache wegfällt, ſobald die Bereiche-
rung verſchwindet.
Dieſer Grund nun, der ſchwierigſte unter allen, iſt
von den Römern am ſorgfältigſten und eigenthümlichſten
ausgebildet worden in Beziehung auf die Schenkung un-
ter Ehegatten. Daher ſoll hier dieſe Beziehung zuerſt dar-
geſtellt werden; es wird dann nicht ſchwer ſeyn, die An-
wendbarkeit ihrer Regeln auf die Inſinuation, und auf
den Widerruf aus beſonderen Gründen, zu unterſuchen.
Allein nicht jeder Untergang des durch Schenkung er-
worbenen Rechts iſt dazu geeignet, die poſitiv vorgeſchrie-
benen Wirkungen der Schenkung auszutilgen; vielmehr
müſſen dabey folgende Fälle wohl unterſchieden werden.
Der Untergang kann rein für ſich eingetreten ſeyn, oder
es kann ſich das erworbene Recht nur in ein anderes ver-
wandelt haben, welches alſo an die Stelle des unterge-
gangnen Rechts getreten iſt. — Der reine Untergang fer-
ner kann hervorgegangen ſeyn: entweder aus dem mit der
Schenkung ſelbſt verbundenen Willen des Gebers: oder
aus bloßem Zufall: oder aus der Willkühr des Empfän-
gers. — Alle dieſe Fälle ſollen jetzt der Reihe nach, und
zwar zunächſt blos in Beziehung auf die Schenkung un-
ter Ehegatten, erwogen werden. Hier iſt alſo der prak-
tiſche Sinn der Unterſuchung darin zu ſetzen, in wiefern
[60]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
eine Rückforderung Statt finden könne, nachdem das
ſchenkungsweiſe übertragene Recht für den beſchenkten Ehe-
gatten untergegangen iſt.
Hat der reine Untergang des geſchenkten Rechts ſei-
nen Urſprung in dem Willen des Gebers, ſo kann Dieſer
auf keine Weiſe zu einer Rückforderung gegen den be-
ſchenkten Ehegatten berechtigt ſeyn. Dieſes läßt ſich ſo
denken, daß der Empfänger gleich bey dem Empfang ver-
pflichtet worden iſt, die Sache an einen Dritten weiter
zu geben. Hier kann höchſtens in dem Fruchtgenuß der
Zwiſchenzeit eine Schenkung liegen (§ 147), in Anſehung
der Hauptſache verſchwindet mit der Erfüllung jener Ver-
pflichtung jede Spur einer Schenkung (a). Eben ſo iſt
es, wenn dieſe Übereinkunft erſt ſpäterhin getroffen, dann
aber auch wirklich erfüllt wird (b). — Es kann aber fer-
ner geſchehen ohne eine dem Empfänger auferlegte Ver-
pflichtung, blos durch die ausgeſprochne Abſicht des Ge-
bers, daß die geſchenkte Sache auf eine Weiſe verwendet
werde, wodurch ſie aus dem Vermögen des Empfängers
verſchwinden muß. So wenn ein Mann ſeiner Frau ein
Grundſtück ſchenkt zu dem Zweck, daß ſie einen Todten
[61]§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
darin beerdige, oder ſonſt es dem Verkehr entziehe. Dieſe
Schenkung iſt gültig, und um jede Umgehung des Schen-
kungsverbots zu verhüten, wird nur dabey beſtimmt, daß
der Übergang des Eigenthums ſo lange ſuspendirt bleibe,
bis die Verwendung Statt gefunden hat (c). — Eben da-
hin gehörte die Veräußerung eines Sklaven zu dem Zweck,
daß der Empfänger ihn manumittire. Dieſes war im
Allgemeinen nicht als Schenkung zu betrachten, und konnte
nur dadurch theilweiſe Schenkung werden, daß gerade der
Dienſt des Sklaven, vom Erwerb an bis zur Freylaſſung,
beſonders berückſichtigt war (d). Unter Ehegatten war
dieſe Handlung ſchlechthin gültig (e); das Eigenthum ſollte
erſt übergehen im Augenblick der Manumiſſion (f), und
der Gebrauch, den ein Ehegatte von den Sklaven des an-
dern machte, galt überhaupt nicht als Schenkung (§ 152).
Allerdings erwarb der Empfänger das wichtige Patro-
natsrecht; allein dieſes hatte keinen Geldwerth, kam auch
[62]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nicht aus dem Vermögen des Gebers (g). Selbſt wenn
der Empfänger für die Freylaſſung ſich Geld bezahlen oder
Dienſte verſprechen ließ, war es dennoch keine Schenkung,
weil auch dieſe Vortheile, obgleich ſie einen Geldwerth
hatten, dennoch nicht aus dem Vermögen des Gebers ent-
ſprangen (h). — In den Fällen der hier dargeſtellten Art
iſt alſo meiſt von Anfang an keine wahre Schenkung vor-
handen, und ſelbſt wo eine ſolche da war, iſt dieſelbe von
der Zeit des Untergangs an verſchwunden.
Entſpringt der Untergang des geſchenkten Rechts aus
blos zufälligen Urſachen, z. B. Brand, Erdbeben, gewalt-
ſamem Raub u. ſ. w., ſo fehlt es an jedem Rechtsgrund
zu einer Nachforderung an den Beſchenkten; die Schen-
kung iſt hier, mit allen ihren denkbaren Folgen, ſpurlos
verſchwunden (i). Bis zum Augenblick des Untergangs
aber war eine wahre Schenkung unzweifelhaft vorhanden.
— Was hier von dem gänzlichen Untergang geſagt iſt,
muß eben ſo auch von dem partiellen gelten. Dahin ge-
hört unter andern der Fall, wenn die geſchenkte Sache
aus allgemeineren Gründen im Preiße geſunken iſt.
Es bleibt noch übrig der dritte Fall, da das ge-
ſchenkte Recht durch die willkührliche Handlung des Be-
ſchenkten untergeht; dieſer iſt unter allen der häufigſte und
zugleich der ſchwierigſte. Fragen wir zuerſt, wie derſelbe
nach allgemeineren Rechtsregeln behandelt werden müßte.
— Der beſchenkte Ehegatte iſt wiſſentlich Beſitzer einer
fremden Sache, da er weiß, daß durch die ungültige
Schenkung kein Eigenthum auf ihn übergehen konnte (k).
Hat er alſo die geſchenkte Sache wiſſentlich zerſtört, das
geſchenkte Geld weiter verſchenkt oder verſpielt, ſo muß
gegen ihn eine condictio sine causa oder ex injusta causa
auf den Werth gelten (l), gerade ſo wie auf die vorhan-
dene Sache die gewöhnliche Vindication geht. Es iſt da-
bey zu bemerken, daß die Condictionen überhaupt, nach
ihrer allgemeinen Natur, wenn die Sache untergeht, nur
im Fall des Dolus, nicht auch der Culpa, angeſtellt wer-
den können (m), ſo daß alſo der beſchenkte Ehegatte mit
[64]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
der Condiction nicht belangt werden könnte, wenn er ſich
das geſchenkte Geld hätte ſtehlen laſſen, weil dieſer Ver-
luſt durch bloße Culpa herbeygeführt wäre. Mit dieſer
Condiction konnten, nach Umſtänden, noch folgende Kla-
gen concurriren. Zuerſt, bey wiſſentlicher Zerſtörung, oder
bey der (ſtets abſichtlichen) Veräußerung, die actio ad ex-
hibendum oder rei vindicatio, als gegen einen ſolchen, qui
dolo fecit, quo minus exhiberet, oder quo minus possi-
deret. Ferner die actio L. Aquiliae, wenn die urſprüng-
lich geſchenkte Sache (die noch in des Gebers Eigenthum
war) zerſtört oder beſchädigt wurde; nun aber nicht blos
wegen Dolus, ſondern auch wegen Culpa. — So nach ſtren-
gen Grundſätzen, gegen deren Anwendung aber doch fol-
gendes Bedenken erhoben werden konnte. So lange der
Geber die Schenkung nicht widerrufen hatte, beſaß der
Empfänger mit deſſen Willen; zerſtörte oder veräußerte er
die Sache, ſo geſchah dieſes alſo mit dem Willen des Ei-
genthümers, wenigſtens konnte Dieſes ohne Unwahrſchein-
lichkeit vorausgeſetzt werden, und dadurch war vor Allem
der Dolus, dann aber auch die Anwendbarkeit aller hier
angegebenen Klagen, völlig ausgeſchloſſen. Daß dieſer
Zweifel bey den Römern nicht unbeachtet blieb, wird wei-
ter unten gezeigt werden (Note u).
Eine andere Geſtalt gewann die Sache durch den Se-
natsſchluß vom J. 206, welcher, bey fortdauernder Ehe,
die Anfechtung der Schenkung zu einem perſönlichen Recht
des Gebers machte, das nicht von dem Erben ausgeübt
werden dürfe; ſo daß die bis zum Tod des Gebers nicht
widerrufene Schenkung unanfechtbar ſeyn ſollte (n). Die-
ſer Senatsſchluß erwähnte auch ausdrücklich den Fall der
Conſumtion (o); ohne Zweifel in dem Sinn, daß durch
die Conſumtion der geſchenkten Sache jeder Anſpruch ge-
gen den Empfänger, auch von Seiten des Gebers ſelbſt,
aufhören ſolle. Ein ſolcher Zuſatz war ſehr conſequent;
denn indem dem Erben die Rückforderung verſagt wurde,
gewann die Entſchuldigung des conſumirenden Empfän-
gers, daß er nicht in unredlicher Abſicht, um der künfti-
gen Rückforderung zu entgehen, das Geſchenk zerſtört oder
veräußert habe, weit größeres Gewicht. — Das prakti-
ſche Reſultat wenigſtens liegt am Tage. Die Juriſten,
welche nach jener neuen Geſetzgebung ſchrieben, ſtellten
VI. 5
[66]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nunmehr folgende Lehre auf. „Es gehört zwar ſchon zum
Begriff wahrer donatio, daß der Empfänger dadurch muß
locupletiorgeworden ſeyn; zwiſchen Ehegatten aber hat
das jetzt die fernere Bedeutung, daß er auch locupletior
geblieben ſeyn muß, und zwar noch zur Zeit der Litis-
conteſtation in der Vindication oder Condiction, womit
das Geſchenk zurückgefordert werden ſoll. Iſt alſo das
Geſchenk ſchon vor dieſem Zeitpunkt zerſtört oder ver-
ſchwendet, ſo fällt jede Klage hinweg“ (p). Dieſer Grund-
ſatz wird nun namentlich angewendet auf die Fälle, da
das geſchenkte Geld weiter verſchenkt wird (q), oder aus-
geliehen an einen inſolventen Schuldner (r). Es war die-
ſes das neuere, mildere, aus dem Senatuseonſult hervor-
gehende Recht (s). Ohne Zweifel hatten die früheren Ju-
riſten ſtrengere Grundſätze über die Anwendung der Con-
diction vorgetragen, und es war ganz conſequent, daß die
Compilatoren ſolche Stellen nicht in die Digeſten aufnah-
men. Auf die Natur der Klage aber konnte es dabey nicht
[67]§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
ankommen, da es auf die Milderung des Rechtsverhält-
niſſes ſelbſt abgeſehen war; daher mußte die actio ad ex-
hibendum und Legis Aquiliae, die in den oben angegebe-
nen Fällen mit der Condiction concurriren, ja ſelbſt wei-
ter als dieſe gehen konnten, eben ſo wie die Condiction,
durch jede consumtio ausgeſchloſſen werden. Dennoch ha-
ben ſich in den Digeſten einige Stellen älterer Juriſten
erhalten, worin der ſtrenge Grundſatz früherer Zeit ſicht-
bar iſt. Wenn der Ehegatte das geſchenkte Geld aus-
giebt, ſo giebt Pomponius gegen ihn die actio ad exhi-
bendum wegen des dolus quo minus possideret(t). Hat
der Ehegatte die geſchenkte Sache abſichtlich zerſtört, ſo
giebt gegen ihn Julian die actio ad exhibendum und die
actio Legis Aquiliae(u). Aus den hier entwickelten Grün-
5*
[68]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
den kann die Aufnahme dieſer beiden älteren Stellen nur
als ein Verſehen betrachtet werden, da ſie mit dem Se-
natusconſult in offenbarem Widerſpruch ſtehen. Dieſer
Widerſpruch wurde wohl deshalb überſehen, weil jene
Stellen nicht die Condiction erwähnen, die hier die häu-
figſte Klage iſt, ſondern andere, in dieſer Anwendung ſelt-
ner vorkommende Klagen.
Es läßt ſich leicht zeigen, was in dieſen, über den
reinen Untergang des geſchenkten Rechts gegebenen, Be-
ſtimmungen der allgemeinen Natur der Schenkung über-
haupt, was dem beſonderen Verhältniß der Ehegatten an-
gehört. Daß der Untergang durch den Willen des Ge-
bers, eben ſo der ganz zufällige Untergang, alle Folgen
der Schenkung austilgt, geht aus der allgemeinen Natur
der Schenkung hervor. Daß aber auch die freywillige
Veräußerung oder Zerſtörung von Seiten des Beſchenkten
einen gleichen Einfluß ausübt, iſt erſt durch die poſitive
Vorſchrift des Senatusconſults bewirkt worden. Nicht
als ob dieſe Vorſchrift eine völlig willkührliche wäre; ſie
hat einen Anhalt in der billigen Rückſicht auf die Eigen-
(u)
[69]§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
thümlichkeit dieſes Verhältniſſes, die jedoch ohne poſitives
Geſetz ſchwerlich zu ſicherer und allgemeiner Anerkennung
gekommen wäre, obgleich ſie auch ſchon von früheren Ju-
riſten nicht ganz unbeachtet geblieben war (Note u).
Es bleibt nun noch übrig von demjenigen Untergang
des geſchenkten Rechts zu ſprechen, welcher mit dem Er-
werb eines neuen Rechts verbunden iſt, ſo daß er in blo-
ßer Verwandlung eines Rechts in ein anderes beſteht (§ 149).
In dieſem Fall dauert in der That die Bereicherung fort (a),
und die Eigenſchaft der Schenkung, nebſt allen dafür bis-
her aufgeſtellten Regeln, geht auf das neu erworbene
Recht über. Folgende Anwendungen werden dieſen Satz
theils erläutern, theils beſtätigen.
Verwendet der Ehegatte das geſchenkte Geld zur Be-
zahlung einer Schuld, ſo iſt die fortdauernde, ja unzer-
ſtörliche Bereicherung unzweifelhaft, da jede Schuldenzah-
lung das Vermögen des Schuldners um den Betrag der
Schuld nothwendig vermehrt (b).
Giebt er das Geld als Darlehen aus, ſo bleibt er
reicher durch die neu erworbene Forderung; dieſer neue
Inhalt der Schenkung kann aber verſchwinden durch In-
[70]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſolvenz des Schuldners, da denn der Beſchenkte Richts
mehr zurück zu geben hat. Ein ſolches Ereigniß ſteht
gleich dem zufälligen (höchſtens dem culpoſen) Untergang
der urſprünglich geſchenkten Sache.
Wenn der Ehegatte die geſchenkte Sache verkauft, ſo
tritt der Kaufpreis an die Stelle des urſprünglichen Ge-
ſchenks; eben ſo, wenn er das geſchenkte Geld zum An-
kauf einer Sache verwendet, dauert in dieſer Sache eine
Bereicherung fort. Die genaueren Beſtimmungen dieſes
letzten Falles, die jetzt angegeben werden ſollen, laſſen ſich
leicht und ſicher auch auf den erſten Fall anwenden. —
Sind alſo 200 in Geld geſchenkt, wofür eine Sache im
Werth von 300 gekauft wurde, ſo können nur 200 als
Geſchenk zurückgefordert werden, denn nur dieſe ſind aus
dem Vermögen des Gebers entſprungen, das dritte Hun-
dert iſt die Frucht einer gelungnen Speculation. — Sind
300 geſchenkt, und iſt die dafür gekaufte Sache nur 200
werth, ſo können nur 200 als Schenkung abgefordert wer-
den, denn das dritte Hundert iſt in einer partiellen Ver-
ſchwendung des geſchenkten Geldes untergegangen, die von
aller Rückgabe befreyt (c).
Geht nun wiederum die gekaufte Sache unter, ſo ſind
auch darauf die im § 150 aufgeſtellten Grundſätze anzu-
wenden. Es fällt nämlich jede Rückgabe weg, der Un-
tergang mag durch Zufall oder durch den Willen des Be-
[71]§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
ſchenkten herbeygeführt ſeyn (d). Daſſelbe ſoll gelten, wenn
die eingekaufte Sache wieder verkauft, und dafür eine an-
dere gekauft worden iſt; hier hatten einige Juriſten ge-
glaubt, nach dieſem wiederholten Umtauſch ſchütze ſelbſt
der zufällige Untergang nicht mehr gegen die Rückgabe,
welche Meynung jedoch verworfen wurde (e). Darin lag
wiederum eine Begünſtigung der Schenkung in der Ehe,
obgleich nicht aus dem oben angeführten Senatsſchluß her-
vorgegangen; denn in anderen Rechtsverhältniſſen wird
angenommen, daß ſchon durch den erſten Ankauf die Be-
reicherung für immer entſchieden iſt, und ſelbſt durch den
zufälligen Untergang der gekauften Sache nicht wieder auf-
gehoben werden kann (f).
In Einem Fall jedoch wird durch den Untergang der
[72]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gekauften Sache die Bereicherung nicht aufgehoben; wenn
nämlich eine ſo unentbehrliche Sache gekauft worden iſt,
daß der Käufer, in Ermanglung des geſchenkten Geldes,
eigenes Geld hätte aufwenden müſſen, welches er alſo nun
erſpart hat (g).
Die Anwendung aller hier aufgeſtellten Regeln ſetzt
voraus, daß die geſchenkte Sache mit der untergegangnen
oder durch Umtauſch verwandelten identiſch ſey. Dieſe
[73]§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
Identität läßt ſich bey einer individuell beſtimmten Sache
(Haus, Pferd, Kunſtwerk) leicht ermitteln; ſchwieriger bey
einer generiſchen Sache, namentlich bey dem baaren Geld.
Sind die geſchenkten Geldſtücke ſelbſt geſtohlen oder ver-
ſchwendet worden, ſo hat die Identität keinen Zweifel; dieſes
wird aber gewöhnlich nur zu ermitteln ſeyn, wenn der
Verluſt bald nach der Schenkung Statt gefunden hat (h).
Außerdem wird die Identität beſonders begründet werden
müſſen; ſo z. B. wenn der Mann ſeiner Frau Geld ſchenkt,
um dafür Salben zu kaufen, ſie aber mit dieſem Geld
Schulden bezahlt, und dagegen bald nachher für eine gleiche
Summe von ihrem eignen Geld Salben kauft, ſo gilt ſie
dennoch nicht als reicher, weil die Abſicht des Mannes,
verglichen mit dem letzten Erfolg, jene Identität begrün-
det (i). Allein wenn die Frau das zu unbeſtimmten Zwecken
geſchenkte Geld in ihre eigene Kaſſe nimmt, und ſpäter
einmal eine gleich große Summe verſchenkt oder verſchwen-
det, ſo iſt das ſo verlorene Geld mit dem geſchenkten nicht
identiſch; dieſes hat vielmehr, durch Vermiſchung mit dem
eigenen Gelde der Frau, eine bleibende Vermehrung ihres
Vermögens bewirkt, und der Mann kann es ſtets zurück
fordern.
Bisher wurden die Folgen des untergegangnen Geſchenks
[74]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
blos in Beziehung auf die Schenkung in der Ehe betrach-
tet, weil nur davon in unſren Rechtsquellen unmittelbar
die Rede iſt; nunmehr iſt die Anwendbarkeit dieſer Folgen
auf die Inſinnation und auf den Widerruf aus beſonde-
ren Gründen (z. B. Undankbarkeit) zu unterſuchen.
Iſt der Untergang des Geſchenks herbeygeführt durch
den eigenen Willen des Gebers, oder auch durch Zufall,
ſo kann wegen des Untergegangnen kein Erſatz gefordert
werden. Sind alſo 800 Dukaten ohne Inſinuation ge-
ſchenkt, dem Beſchenkten aber auf der Reiſe von Räubern
weggenommen worden, ſo braucht er Nichts zurückzugeben.
Bey der Conſumtion muß unterſchieden werden. Sind
800 Dukaten in Geld, ohne Inſinuation, geſchenkt, und
hat der Beſchenkte dieſe weiter verſchenkt oder verſchwen-
det, ſo könnte nach ſtrengen Grundſätzen der Geber von
ihm 300 wieder fordern, und er hätte dazu die Wahl
zwiſchen einer Condiction, der actio ad exhibendum, und
der Vindication; denn der Beſchenkte war unredlicher Be-
ſitzer einer fremden Sache (der 300 Dukaten), und iſt alſo
noch jetzt ein fingirter Beſitzer (k). Iſt ohne Inſinuation
ein Haus, im Werth von 2000 Dukaten, geſchenkt, und
hat der Beſchenkte durch Unvorſichtigkeit eine Feuersbrunſt
veranlaßt, ſo daß nur noch eine Brandſtätte, 200 Duka-
ten werth, übrig iſt, ſo müßte nach derſelben Strenge
der Geber 1500 Dukaten mit der actio Legis Aquiliae
[75]§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)
von ihm fordern können (l). In dieſen Fällen ſchützte den
Beſchenkten, bey der auf die Ehe gegründeten Ungültig-
keit, die Vorſchrift des Senatusconſults, welches aller-
dings nur für die Ehe, nicht für die Inſinuation erlaſſen
war (§ 150). Dennoch glaube ich, daß dieſer billige Schutz
auch auf die Inſinuation angewendet werden muß. Zu-
nächſt deswegen, weil im Juſtinianiſchen Recht der Be-
griff der Schenkung, in Beziehung auf das Verbot der
Ehe, höchſt ausgebildet erſcheint, in Beziehung auf die
Inſinuation gar nicht; ohne Zweifel in der ſtillſchweigen-
den Vorausſetzung, jener Begriff, mit ſeiner ganzen wiſ-
ſenſchaftlichen Ausbildung, werde auch auf die Inſinua-
tion angewendet werden. Dazu kommt aber noch die wich-
tige Rückſicht, welche von jenem Senatusconſult unab-
hängig iſt, ja demſelben eigentlich zum Grunde liegen
mag; daß nämlich, bis zum Widerruf, die Verſchwen-
dung des Empfängers durch den fortdauernden Willen des
Gebers gerechtfertigt iſt, wodurch der Dolus des Ver-
ſchwenders, alſo auch die Condiction, ausgeſchloſſen wird
(§ 150). Dieſer innere Grund aber paßt auf die ver-
ſäumte Inſinuation völlig eben ſo, wie auf das Verbot
in der Ehe.
Noch gewiſſer muß dieſer billige Schutz dem Beſchenk-
[76]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ten, welcher das Geſchenk verſchwendet hat, zu gut kom-
men gegen den Widerruf wegen Undankbarkeit. Vor der
undankbaren Handlung war der Beſchenkte nicht nur red-
licher Beſitzer, ſondern auch Eigenthümer des Geſchenks;
was er alſo in dieſer Zeit weggegeben oder zerſtört hat,
konnte ihn zu keinem Erſatz verpflichten. Hat er das Ge-
ſchenk nach der begangnen Undankbarkeit weggegeben, ſo
muß dieſe Handlung als unredlich gelten, und die Con-
diction auf den Werth iſt gegen ihn begründet; die übri-
gen Klagen ſind es nicht, weil dieſe fremdes Eigenthum
vorausſetzen, welches auch nach der Undankbarkeit nicht
vorhanden iſt.
Iſt das Geſchenk durch Umtauſch verwandelt, ſo muß
der Beſchenkte im Fall der verſäumten Inſinuation Das-
jenige herausgeben, was er von dem ungültigen Theil
des Geſchenks als Bereicherung übrig hat; nicht auch was
durch ſeine willkührliche Handlung verloren gegangen iſt.
Hat er alſo das Haus, welches 2000 Dukaten werth iſt,
um 1000 verkauft, ſo braucht er nur 500 zurückzugeben,
weil die in dem urſprünglichen Geſchenk enthaltenen an-
deren 1000 in ſeinem Vermögen als Bereicherung nicht
mehr vorhanden ſind. — Eben ſo muß der Undankbare
die vorhandene Bereicherung herausgeben, er mag den
Umtauſch vor oder nach der Undankbarkeit vorgenommen
haben (m); was er durch nachtheiligen Verkauf verlor,
[77]§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.
nur wenn dieſes nach der Undankbarkeit geſchah, weil er
erſt damals in unredlichem Bewußtſeyn handelte.
Wenn bey der Inſinuation und bey der Undankbarkeit
im Fall des Umtauſches die Frage entſteht, ob überhaupt
eine Bereicherung übrig iſt, ſo iſt, nach dem ſchon aufge-
ſtellten Geſichtspunkt, die beſondere Begünſtigung, die in
dieſer Hinſicht bey dem beſchenkten Ehegatten eintritt,
gleichfalls anzuwenden (Note f), weil auch dieſe mit zu
der wiſſenſchaftlichen Ausbildung des Begriffs wahrer
Schenkung gehört.
Die Veräußerung, und die durch dieſelbe bewirkte Be-
reicherung, ſind für ſich allein zur Annahme einer Schen-
kung nicht hinreichend; es muß noch hinzukommen die auf
die Bereicherung gerichtete Abſicht, und darin liegt das
letzte Moment des ganzen Begriffs der Schenkung. Dieſe
Abſicht iſt es, was die Römer durch die Ausdrücke do-
nandi oder donationis causa, donandi animo u. ſ. w. be-
(m)
[78]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zeichnen. Sie iſt unerläßlich in der Perſon des Gebers;
ſie wird auch faſt immer vorhanden ſeyn in der Perſon
des Empfängers: daß ſie jedoch hier nicht durchaus noth-
wendig iſt, kann erſt weiter unten gezeigt werden (§ 160).
Die Bedeutung dieſes letzten Erforderniſſes liegt alſo
darin, daß alle bisher dargeſtellte Beſtandtheile des Be-
griffs der Schenkung vorhanden ſeyn koͤnnen, ohne daß
ſie ſelbſt angenommen werden darf, blos weil es an je-
ner Abſicht fehlt. Um dieſes zur vollſtändigen Anſchauung
zu bringen iſt es nöthig, die Fälle zuſammen zu ſtellen,
worin zwar die Bereicherung ſelbſt vorhanden iſt, die Ab-
ſicht aber dennoch fehlt. Dieſes läßt ſich denken auf
zweyerley Weiſe: Erſtlich wenn ſelbſt das Bewußtſeyn
der Veräußerung oder der Bereicherung fehlt; Zweytens,
wenn, bey vorhandenem Bewußtſeyn, eine andere Abſicht
vorhanden iſt, wodurch die der Bereicherung ausgeſchloſ-
ſen wird.
Das Bewußtſeyn kann fehlen ſelbſt für die Veräuße-
rung. Dieſer Fall tritt ein faſt bey jeder Uſucapion oder
Klagverjährung. Der Eine wird ärmer, der Andere rei-
cher, ohne es zu wiſſen; dann kann auch Jener nicht die
Abſicht haben, den Gegner zu bereichern, und daher iſt
dieſe Veränderung im Vermögen keine Schenkung. Daß
es hierin zuweilen auch anders ſeyn kann, wird unten ge-
zeigt werden (§ 155):
Häufiger geſchieht es, daß zwar die Veräußerung zum
Bewußtſeyn kommt, aber nicht die Bereicherung. Wenn
[79]§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.
Derjenige, welcher ein Recht überträgt, dazu verpflichtet
zu ſeyn irrigerweiſe glaubt, ſo weiß er nicht, daß der
Andere jetzt reicher wird. Hier wird in der Regel die
condictio indebiti begründet ſeyn, eine Schenkung iſt es
nur, wenn Einer wiſſentlich zahlt, was er nicht ſchuldig
iſt (§ 149). — Wenn Jemand eine Sache zu theuer kauft,
oder zu wohlfeil verkauft, weil er den wahren Werth
nicht kennt, ſo wird ohne ſein Wiſſen, alſo auch ohne
ſeine Abſicht, der Andere reicher, und daher iſt es keine
Schenkung. Ob der Andere gleichfalls irrt, oder den wah-
ren Werth kennt, iſt dabey gleichgültig (a).
Der zweyte Hauptfall beſteht darin, daß Einer wiſ-
ſentlich ärmer wird und den Andern bereichert, aber mit
einer beſtimmten Abſicht, wodurch die auf die Bereiche-
rung des Andern gerichtete Abſicht nothwendig ausge-
ſchloſſen wird. Dieſes Ausſchließen iſt jedoch nicht ſo zu
denken, daß beide Abſichten mit einander im Widerſpruch
ſtehen müßten; in den meiſten Fällen wird vielmehr die
wirklich vorhandene Abſicht nur ſo vorherrſchend ſeyn,
[80]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
daß dagegen die Bereicherung ganz in den Hintergrund
tritt. Die Bereicherung wird dann nur als eine untrenn-
bare Folge zugelaſſen, ohne ſelbſt den Entſchluß zum Rechts-
geſchäft zu beſtimmen, ſo daß dieſes eben ſo vollzogen ſeyn
würde, auch wenn keine Bereicherung daraus hervorge-
gangen wäre. Daß in allen Fällen dieſer Art keine Schen-
kung beſtehe, erkennen die Roͤmiſchen Juriſten in einem
allgemeinen Princip an; zwar nur bey Gelegenheit der
Schenkung in der Ehe, jedoch ſo daß es nicht hierauf be-
ſchränkt iſt, ſondern die Schenkung in ihrer allgemeinen
Natur zu beſtimmen dient (b). Es gehören zu dieſer Klaſſe
folgende wichtige Fälle.
Wenn Einer eine Sache wiſſentlich über ihren Werth
bezahlt, weil ſie ihm unentbehrlich iſt, oder unter ihrem
Werth verkauft, weil er jetzt Geld braucht und nicht an-
ders bekommen kann, ſo weiß er, daß er den Andern be-
reichert, aber in ſeiner Abſicht liegt dieſes ſo wenig, daß
er es gerne vermeiden würde, wenn er könnte. Er unter-
wirft ſich dem Verluſt als einem nothwendigen Übel, und
die Zwecke, die er verfolgt, beziehen ſich blos auf ihn
[81]§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.
ſelbſt, nicht auf den Andern. Darum iſt ein ſolches Ge-
ſchäft keine Schenkung.
Wer in einem Vergleich Etwas nachläßt, mit dem
vollen Bewußtſeyn einen Theil ſeines Rechts aufzugeben,
ſchenkt dennoch nicht, da er die Koſten und die Unſicher-
heit des Rechtsſtreits vermeiden, nicht dem Gegner eine
Liberalität beweiſen will (§ 158. e). — Ganz dieſelbe Be-
wandniß hat es in der Regel bey dem Accord der Glau-
biger mit einem inſolventen Schuldner, obgleich hier nach
Umſtänden auch eine wahre Schenkungsabſicht vorkommen
kann, ſo daß das Daſeyn einer Schenkung auf einer fac-
tiſchen Frage beruht.
In anderen Fällen iſt die Bereicherung nur die gele-
gentliche, aber unfehlbare Folge der Familienverhältniſſe.
Werden nun dieſe durch ein Rechtsgeſchäft neu beſtimmt,
ſo gelten ſie als das Überwiegende, und die Bereicherung
tritt als untergeordnet zurück; auf ſie iſt dann die Abſicht
nicht zu beziehen, und die wirklich vorhandene Bereiche-
rung kann nicht als Schenkung angeſehen werden.
Wenn daher ein Ehegatte dem andern den unentgeld-
lichen Mitgebrauch eines Hauſes oder anderer Sachen
überläßt, welches unter Fremden eine Schenkung ſeyn
könnte (§ 146), ſo iſt es keine Schenkung, weil es aus
dem gemeinſamen häuslichen Leben folgt, und daraus fol-
gen würde, auch wenn für den andern Theil kein Geld-
gewinn damit verknüpft wäre (c).
Die Dos, die eine Frau ihrem Mann einbringt, iſt
niemals eine Schenkung. Gewöhnlich iſt ſie es ſchon des-
wegen nicht, weil der Mann aus dem Ertrag die Frau
erhält, alſo nicht reicher dadurch wird (§ 149); ferner
deswegen, weil die Frau dazu naturaliter verpflichtet iſt
(§ 149. b. c). Aber, ſelbſt abgeſehen von dieſen Grün-
den, würde das hier aufgeſtellte Princip jenen Satz recht-
fertigen. Geſetzt, ein armes Ehepaar lebt von Almoſen;
der Frau fällt eine reiche Erbſchaft zu, und ſie macht
dieſe zur Dos. Hier wird gewiß der Mann reicher, in-
dem er ſelbſt fortan aus eigenem Vermögen reichlich lebt.
Dennoch liegt darin keine verbotene Schenkung in der Ehe,
weil dieſer Gewinn nur eine unzertrennliche Folge des ge-
meinſamen häuslichen Lebens iſt, welches zum Weſen der
Ehe gehört.
Wenn der Mann für die Ausgaben der Frau auf ver-
ſchwenderiſche Weiſe ſorgt, über das eigentliche Bedürfniß
hinaus, ſo liegt darin dennoch keine verbotene Schenkung,
die hinterher angefochten werden könnte (d). Denn die
(c)
[83]§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.
Erhaltung der Frau durch den Mann gehört zum Weſen
der Ehe (e), und der Umfang dieſer Ausgaben iſt der
unbeſchränkten Willkühr des Mannes, der das Haupt des
Hausweſens iſt, überlaſſen.
Wenn der Vater einen Sohn emancipirt, ſo geht die
Hälfte des Niesbrauchs, den er bis dahin am Vermögen
des Sohnes hatte, auf den Sohn über (f). Um dieſe Hälfte
wird alſo der Sohn bereichert, dennoch iſt es keine Schen-
kung, weil die überwiegende Abſicht auf die neue Geſtal-
tung des perſönlichen Verhältniſſes gerichtet iſt, nicht auf
die daraus folgende Bereicherung.
Endlich giebt es auch Fälle, worin die perſönliche
Pietät gegen den Bereicherten oder gegen einen Dritten
der eigentliche Beweggrund zu einer Handlung iſt. Auch
dagegen tritt dann die Bereicherung als untergeordnete
Folge zurück, und die Handlung kann deshalb nicht als
Schenkung beurtheilt werden.
Wenn ein Teſtamentserbe ein Legat oder Fideicommiß
vollſtändig auszahlt, da er entweder die Falcidiſche Quart,
oder Dasjenige was ihm anſtatt derſelben ſchon das Te-
ſtament vorbehielt, hätte abziehen können, ſo wird durch
dieſen freyen Entſchluß der Legatar oder Fideicommiſſar
(d)
6*
[84]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
bereichert. Geſchieht es jedoch nicht zum Zweck dieſer Be-
reicherung, ſondern aus Pietät gegen den Erblaſſer, ſo
gilt die Handlung nicht als Schenkung, und iſt daher un-
ter Ehegatten erlaubt; ja dieſe andere Abſicht ſoll ſogar
in der Regel als vorhanden angenommen werden (g). Ge-
ſchieht dieſelbe Handlung von einem inſolventen Schuld-
ner, ſo iſt dadurch die Pauliana nicht begründet, weil jene
vermuthete löbliche Abſicht den Vorwurf der Unredlichkeit
von ihm abwendet, welche allein jene Klage begründen
kann (h).
Wer ein fremdes Kind zur Pflege und Erziehung zu
ſich nimmt, bereichert dadurch den Vater, dem dieſe Pflege
[85]§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.
obliegt, oder das Kind ſelbſt, wenn daſſelbe vaterlos und
vermögend iſt. Geſchieht Dieſes aber blos aus menſchli-
chem Antheil an dem Kinde, insbeſondere von Seiten ei-
nes Verwandten, ſo gilt es nicht als Schenkung. Das
hat die Folge, daß keine Inſinuation nöthig iſt, daß die
Handlung auch von dem mütterlichen Großvater gültig
geſchehen kann (i), und daß keine Rückforderung wegen
Undankbarkeit, ſey es des Vaters oder des Kindes, Statt
findet (k). Ob nun dieſe oder eine andere Abſicht zum
Grunde lag, iſt eine factiſche Frage. Es laſſen ſich näm-
lich hier drey verſchiedene Abſichten denken. Erſtlich der
eben beſchriebene rein menſchliche Antheil (pietas). Zwey-
tens negotiorum gestio, woraus gegen den, welchem die
Ausgaben der Erziehung oblagen, gegenwärtig aber er-
ſpart wurden, eine Klage entſpringt. Drittens Schen-
kung, woraus zwar keine Klage, wohl aber die Anwend-
barkeit der poſitiven Schenkungsregeln entſteht. Die Stel-
len des Römiſchen Rechts, welche dieſen ganzen Fall er-
wähnen, berühren nur den Zweifel zwiſchen den zwey er-
ſten Abſichten (pietas und negotiorum gestio) (l), und ver-
[86]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
langen hierüber eine factiſche Prüfung der Umſtände. Allein
es iſt einleuchtend, daß der pietatis respectus, wenn er
aus den Umſtänden hervorgeht, eben ſowohl die eigent-
liche Schenkung, als die negotiorum gestio ausſchließt,
daß aber aus den Umſtänden auch die Abſicht einer wah-
ren Schenkung unzweifelhaft hervorgehen kann (m), ob-
gleich in den angeführten Stellen (Note l) der Fall der
Schenkung zufällig nicht berührt wird.
Es iſt bisher ausgeführt worden, daß eine andere,
als die auf die Bereicherung des Empfängers gerichtete,
Abſicht das Daſeyn der Schenkung ausſchließe. Dieſer
Satz muß jetzt noch gegen eine mögliche Misdeutung ver-
wahrt werden. Man könnte nämlich die Sache ſo den-
ken, als ob zum Weſen der Schenkung reines Wohlwollen
gehörte, ſo daß ſie durch Einmiſchung eines jeden anderen,
beſonders eines eigennützigen Beweggrundes ausgeſchloſſen
würde. Dieſe Annahme wäre irrig. Es iſt nur nöthig, daß
die Bereicherung des Andern in der Reihe der Zwecke des
[87]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
Handelnden liege; welcher entferntere Zweck hinter derſel-
ben gedacht werde, iſt gleichgültig. Meiſtens wird die
Handlung aus uneigennützigem Wohlwollen hervorgehen,
welches dann wieder bald die Geſtalt des Mitleids, bald
die der Großmuth oder der Dankbarkeit annehmen kann.
Aber es können eben ſowohl ſelbſtſüchtige Zwecke im Hin-
tergrund liegen, ohne daß das Weſen wahrer Schenkung
dadurch aufgehoben wird. Der Geber kann hoffen, durch
das Geſchenk eine Zuneigung zu begründen, die ihm in
der Zukunft weit größere Vortheile einbringen ſoll; er
kann auch aus bloßer Eitelkeit ſchenken, um bey Anderen
den Eindruck des Reichthums und der Freygebigkeit zu
machen. In allen dieſen Fällen iſt es wahre Schenkung,
weil zunächſt die Bereicherung des Andern wirklich gewollt
wird, nur um durch dieſe zu einem entfernteren Zweck zu
gelangen. Dieſes eben war ganz anders in den Fällen
des vorhergehenden §. Wenn der Käufer ein ihm unent-
behrliches Haus über den wahren Werth bezahlt, ſo läßt
er ſich dieſe Bereicherung des Verkäufers blos aus Noth
gefallen, er würde lieber ohne dieſelbe kaufen. Wenn der
Vater durch die Emancipation des Sohnes die Hälfte des
bisherigen Niesbrauchs an Dieſen abgiebt, ſo wird er ſich
vielleicht dieſes Erfolgs gar nicht bewußt, oder vielleicht
iſt ihm derſelbe ganz gleichgültig. In beiden Fällen iſt
die Bereicherung gar nicht als Zweck gedacht, und daher
iſt die Handlung keine Schenkung.
Für die meiſten Fälle nun iſt es allgemein anerkannt,
[88]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
daß der entferntere Zweck dem Daſeyn der Schenkung,
und der Anwendung der poſitiven Rechtsregeln auf die-
ſelbe, nicht im Wege ſteht. Beſtritten iſt es nur in ei-
nem einzigen Fall, und zwar gerade in einem ſolchen,
worin der entferntere Zweck keine ſelbſtſüchtige Natur hat;
wenn nämlich derſelbe in einer Erweiſung der Dankbarkeit
beſteht, welches man eine remuneratoriſche Schenkung
nennt. Hierin ſtehen ſich zwey äußerſte Meynungen ent-
gegen. Nach der einen iſt ein ſolches Geſchäft reine Schen-
kung, allen poſitiven Rechtsregeln, ſo wie jede andere,
unterworfen. Nach der zweyten Meynung iſt es gar nicht
Schenkung, ſondern einem ſogenannten oneröſen Geſchäft
gleich. Dieſes hätte alſo die Bedeutung, daß es niemals
einer Inſinuation bedürfte, in der Ehe ſtets erlaubt wäre,
und keine Rückforderung aus beſonderen Gründen (wie
Undankbarkeit) zuließe. Viele aber haben irgend einen
mittleren Durchſchnitt zwiſchen beiden Meynungen ange-
nommen, indem ſie entweder nur für manche Fälle der
Dankbarkeit die Schenkung ausſchließen, oder aber die
poſitiven Rechtsregeln nur theilweiſe zulaſſen (a).
Im Allgemeinen müſſen wir die erſte Meynung anneh-
men, nach welcher die remuneratoriſche Schenkung jeder
anderen gleich ſteht (b). Wenn ſelbſt eigennützige Zwecke
[89]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
das Weſen der Schenkung nicht ausſchließen, warum ſollte
gerade das Motiv der Dankbarkeit ihr im Wege ſtehen?
— Sehen wir auf die Natur der poſitiven Rechtsregeln,
ſo iſt bey der remuneratoriſchen Schenkung leichtſinnige
Verſchwendung (gegen welche die Inſinuation ſchützen ſoll)
eben ſo denkbar, wie bey jeder anderen. Vollends bey
der Ehe paßt die Ausſchließung dieſes Falls von dem Ver-
bot gar nicht. Denn jede richtig geführte Ehe beſteht von
beiden Seiten in ſteter Erweiſung von Liebe und Treue;
ſonach könnte hier jede Schenkung als remuneratoriſch gel-
ten, und das ganze Verbot wäre damit vernichtet. — Fer-
ner iſt das Daſeyn der Dankbarkeit als Motiv des Ge-
bens eben ſo unbeſtimmt, als ſchwer zu erkennen; beſon-
ders müßte, wenn die Ausnahme einigen Schein haben
ſollte, ein angemeſſenes Verhältniß zwiſchen dem empfan-
genen Guten und dem gegenwärtigen Lohn vorausgeſetzt
werden, wofür ſich aber gar keine feſte Gränze auffinden
läßt. — Der entſcheidendſte Grund endlich ſcheint folgen-
der. Wer hier das Daſeyn der Schenkung verneint, muß
das Gegebene als ein datum ob causam anſehen. Dann
müßte im Fall des Irrthums eine regelmäßige Condiction
auf Rückgabe gelten. Eine ſolche nun ließe ſich auch den-
ken, wenn Etwas in Hinſicht auf die Zukunft gegeben
wäre, z. B. in der unerfüllten Hoffnung auf ein Gegen-
(b)
[90]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
geſchenk oder auf die Zuneigung des Andern, in welchem
Fall jedoch die Condiction ausdrücklich verſagt wird (c).
Aber ganz eben ſo ſoll auch die Condiction wegfallen,
wenn bey einer remuneratoriſchen Schenkung der vorher-
gehende Dienſt irrig vorausgeſetzt wird (d). Hieraus folgt
alſo, daß in beiden Fällen gleichmäßig das Römiſche Recht
kein datum ob causam, ſondern vielmehr eine wahre
Schenkung annimmt, indem wir hier nur zwiſchen dieſen
beiden Arten der Rechtsgeſchäfte zweifelhaft ſeyn können.
Die Betrachtung einzelner Stellen des Römiſchen Rechts
führt theils zur Beſtätigung, theils zu einiger Begränzung
dieſer Behauptung.
Die Stelle, welche die Wiedervergeltung mit allge-
meinſter Bezeichnung erwähnt, betrifft den Fall, da ein
Glaubiger den Bürgen durch Acceptilation frey giebt, und
zwar ſchenkungsweiſe. Es iſt gewiß, daß durch dieſe Hand-
lung auch der Hauptſchuldner frey wird (e); ſie kann aber
folgende verſchiedene Bedeutung haben. Entweder will der
Glaubiger den Hauptſchuldner um die erlaſſene Summe
reicher machen, ſo daß der Bürge nichts weiter gewinnen
ſoll, als die Sicherheit gegen den moͤglichen Verluſt, wenn
er zahlen muß und der Hauptſchuldner inſolvent iſt; oder
er will den Bürgen reicher machen, welches dadurch be-
wirkt wird, daß derſelbe behandelt wird, als hätte er
[91]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
baar gezahlt, wodurch er eine actio mandati gegen den
Hauptſchuldner auf die Summe der Schuld erwirbt.
Welche von beiden möglichen Abſichten ſoll man nun an-
nehmen, wenn ſich der Glaubiger nicht näher darüber aus-
geſprochen hat? Ulpian ſagt (f), wenn der Glaubiger
dem Bürgen Etwas zu vergelten habe (si fidejussorem
remunerari voluit creditor), ſo ſey die letzte Abſicht an-
zunehmen; die erſte dagegen, wenn der Erlaß auf einem
ſelbſtſtändigen Entſchluß beruhe, nicht auf einer Wieder-
vergeltung (non remunerandi causa, sed principaliter do-
nando). Offenbar will er ſagen, es komme darauf an,
welchen von Beiden der Glaubiger habe begünſtigen wol-
len, und zur Beantwortung dieſer Frage giebt er beyſpiels-
weiſe das Merkmal der Remuneration an; jedoch ſo we-
nig in der Abſicht, dieſem Merkmal eine ausſchließende
Kraft beyzulegen, daß er ſelbſt vielmehr noch einige an-
dere, ſogar noch entſcheidendere, hinzufügt. Davon aber
ſagt er kein Wort, daß im Fall der Remuneration das
Geſchäft keine wahre Schenkung ſey. Vielmehr iſt es
[92]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
völlig im Sinn dieſer Stelle, für den Fall der Remune-
ration die Inſinuation zu fordern, auch eben ſo das ganze
Geſchäft für nichtig zu halten, wenn die Forderung einer
Ehefrau zuſteht, und der Bürge, welchem die Summe re-
munerando geſchenkt werden ſoll, ihr Ehemann iſt.
Wenn Das, was mich zu einer remuneratoriſchen
Schenkung beſtimmt, gleichfalls in einer Schenkung be-
ſtand, ſo iſt darum nicht weniger jede dieſer beiden Hand-
lungen eine wahre Schenkung, und die poſitiven Schen-
kungsregeln ſind darauf völlig anwendbar. Hat alſo der
Eine 1000 Dukaten in Geld, unter Anwendung der In-
ſinuation, geſchenkt, und empfängt ſpäter von dem An-
dern ein Grundſtück von gleichem Werthe, ohne Inſinua-
tion, zum Geſchenk, ſo iſt das zweyte Geſchenk zur Hälfte
ungültig. Hatte ein Mann ſeiner Frau vor der Ehe ein
Geſchenk gemacht (g), und empfängt dagegen von ihr in
der Ehe gleichfalls ein Geſchenk, ſo bleibt das erſte gül-
tig, das zweyte iſt ungültig. In beiden Fällen wird dem
zweyten Geſchenk durch das erſte weder die Willkührlich-
keit, noch überhaupt der vollſtändige Character einer
Schenkung, entzogen. Einen Widerſpruch gegen dieſe Be-
hauptung hat man in folgender Beſtimmung des Römi-
ſchen Rechts zu finden geglaubt (h). Der redliche Beſitzer
[93]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
einer Erbſchaft braucht nur Dasjenige herauszugeben, was
er noch jetzt, als Bereicherung aus derſelben, beſitzt. Ge-
ſetzt nun er hat ein Erbſchaftsſtück verſchenkt, ſo kann er
vielleicht die factiſche Erwartung eines Gegengeſchenks ha-
ben, rechtlich betrachtet iſt er deshalb nicht reicher (i).
Nur wenn er das Gegengeſchenk wirklich erhalten hat,
kann man dieſes als eine aus der Erbſchaft herrührende
Bereicherung betrachten, indem nun unter beiden Perſo-
nen Geſchenke gleichſam ausgetauſcht worden ſind (k). —
Dieſe Vorſchrift bezieht ſich jedoch lediglich auf den Um-
fang der Leiſtungen des Erbſchaftsbeſitzers, durchaus nicht
auf das Daſeyn wahrer Schenkung, und die Anwendbar-
keit ihrer poſitiven Regeln. Daß Ulpian, um das ganze
Verhältniß anſchaulich zu machen, die Ausdrücke natura-
[94]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
liter obligare und genus quoddam permutationis gebraucht,
ändert Nichts; beide ſind nur vergleichungsweiſe, und im
uneigentlichen Sinn angewendet, und es war gar nicht
davon die Rede, die eigentliche Schenkungsnatur, ſowohl
des erſten, als des zweyten Geſchenks, in Zweifel zu ziehen.
Ein ernſtlicher Zweifel jedoch kann aus der beſondern
Natur derjenigen früheren Handlung des Andern entſte-
hen, wodurch die gegenwärtige remuneratoriſche Gabe ver-
anlaßt wird. Beſteht nämlich jene Handlung in einer ſol-
chen Art von Dienſtleiſtung, wofür gewöhnlich ein Geld-
lohn entrichtet wird, die alſo eine gewerbliche Natur hat,
und wobey nur im vorliegenden Fall kein Lohn bedungen
war, ſo kann ſich jetzt der Geber ſeine Gabe auf ver-
ſchiedene Weiſe denken. Er kann den empfangnen Dienſt
betrachten als eine Äußerung des uneigennützigen Wohl-
wollens, wofür er jetzt durch eine freye Gabe ſeine Er-
kenntlichkeit an den Tag legen will; dann iſt dieſe Gabe
eine wahre Schenkung, und die poſitiven Regeln der
Schenkung ſind darauf völlig anwendbar. Er kann aber
auch das ganze Verhältniß betrachten als ſtillſchweigenden
Vertrag über eine Dienſtleiſtung um unbeſtimmten Lohn;
dann iſt die gegenwärtige Gabe, nach des Gebers Abſicht,
die bloße Bezahlung einer Schuld, und durch dieſe Ab-
ſicht wird der Begriff der Schenkung, mit allen Folgen
deſſelben, gänzlich ausgeſchloſſen (§ 149). Welche dieſer
beiden Abſichten zum Grunde liegt, iſt eine blos factiſche
Frage; es kommt auf eine Interpretation des Willens an,
[95]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
und von einer remuneratoriſchen Schenkung, die eine an-
dere Natur hätte als die gewöhnliche Schenkung, kann in
keinem jener beiden denkbaren Fälle die Rede ſeyn. Dieſes
iſt denn auch der einfache Sinn einer Stelle des Papinian,
deren unrichtige Auffaſſung viel zu den falſchen Anſichten
über die remuneratoriſche Schenkung beygetragen hat (l).
Aquilius Regulus hatte dem Rhetor Nicoſtratus in einem
Briefe freye Wohnung als Geſchenk zugeſagt (dono et
permitto tibi), weil Nicoſtratus ſtets bey dem Vater des
Regulus gelebt, ihn ſelbſt aber durch Unterricht und Auf-
ſicht ausgebildet habe; nach dem Tode des Regulus ent-
ſtand Streit über die fortwaͤhrende Verbindlichkeit der
Schenkung. Man konnte glauben, es ſey ein bloßes Pre-
carium, nicht eine auf des Empfängers Lebenszeit berech-
nete, alſo für die Folge bindende, Schenkung. Und ſelbſt
wenn es als eine ſolche gemeynt war, ſo war dieſe nach
den Regeln der Lex Cincia nicht verbindlich (m). Papi-
nian ſagt aber, es ſey gar keine eigentliche Schenkung,
ſondern Zahlung für eine frühere Dienſtleiſtung (n). Nun
[96]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
war die Lex Cincia nicht anwendbar, es war aber zu-
gleich als ein für die Folge bindendes Rechtsgeſchäft ge-
meynt, und zwar als ein unförmlich beſtellter usus an
der Wohnung, zu deſſen Schutz es an Rechtsmitteln nicht
fehlte (o).
In Verbindung damit ſteht endlich noch folgender Fall,
in welchem allein eine wahrhaft poſitive Vorſchrift zu fin-
den iſt. Wenn Jemand für die Rettung ſeines Lebens
ein Geſchenk giebt, ſo unterſcheidet ſich Dieſes von dem
eben erwähnten Fall dadurch, daß die Lebensrettung kein
gewerblicher Dienſt iſt, auch nicht leicht vorher ein Ver-
trag über Geldlohn deshalb geſchloſſen werden wird, ſo
daß die ſpätere Gabe allerdings als wahre Schenkung
angeſehen werden muß. Da aber der geleiſtete Dienſt ſo
unvergleichlich groß iſt, ſo war wohl hinreichender Grund
vorhanden, von den gewöhnlichen Einſchränkungen der
(n)
[97]§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.
Schenkung gänzlich zu dispenſiren, da hier auch bey dem
größten Umfang des Geſchenks Niemand an leichtſinnige
Verſchwendung denken wird, die durch poſitive Anſtalten
verhütet werden müßte. Dieſe poſitive Ausnahme von den
Rechtsregeln der Schenkung iſt denn in der That gemacht
worden, und die Stelle des Paulus, worin ſie ſich findet,
leſen wir in folgenden zwey verſchiedenen Geſtalten.
L. 34 § 1 de don. (39. 5.) aus
Paulus V. 11 § 6.
Ei qui aliquem a latrun-
culis vel hostibus eripuit,
in infinitum donare non pro-
hibemur; si tamen donatio
et non merces eximii labo-
ris appellanda est; quia con-
templationem (al. contempla-
tione) salutis certo modo
aestimari non placuit.
Paulus Lib. V. sent.
Si quis aliquem a latruncu-
lis vel hostibus eripuit, et
aliquid pro eo ab ipso ac-
cipiat: haec donatio irrevo-
cabilis est: non merces exi-
mii laboris(p)appellanda
est: quod contemplatione(q)
salutis certo modo aestimari
non placuit.
Der Sinn der Stelle, nach beiden Texten, iſt dieſer.
IV. 7
[98]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Der Lohn für die Lebensrettung iſt eigentlich gar nicht
Schenkung zu nennen, ſondern vielmehr Bezahlung eines
ganz unſchätzbaren Dienſtes. Daher (ſagt der alte Pau-
lus) dürfen wir dieſe Gabe in infinitum ausdehnen (d. h.
das Verbot der L. Cincia bindet uns hier nicht). Daher
(ſagt Paulus in den Digeſten) iſt dieſe Gabe unwiderruf-
lich. — Dieſe Veränderung des Ausdrucks ſollte gewiß
nicht den Sinn ändern. Sie wurde vorgenommen, weil
der Ausdruck in infinitum gerade bey der L. Cincia be-
ſonders üblich war (r), und alſo zu ſehr an ſie erinnerte.
Allein die in den Digeſten ausgeſprochene Irrevocabilität
ſagt ganz daſſelbe; denn der Widerruf iſt der praktiſche
Erfolg aller poſitiven Einſchränkungen der Schenkung (s).
Alſo paßt auf dieſen Fall weder die Inſinuation, noch
das Verbot in der Ehe, noch der Widerruf wegen Un-
dankbarkeit. Auf der andern Seite aber iſt der Fall der
Lebensrettung ſo eigenthümlich, daß jede Ausdehnung un-
[99]§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.
ſrer Stelle auf andere Fälle der Dankbarkeit ganz unzu-
läſſig iſt (t).
Wenn einer Gabe zwar eine Gegenleiſtung gegenüber
ſteht, welche aber einen geringeren Werth als die Gabe
hat, ſo liegt darin eine partielle Bereicherung des Empfän-
gers jener Gabe. Iſt nun auch die Abſicht des Gebers
auf dieſe Bereicherung gerichtet, ſo iſt darin eine wahre
Schenkung enthalten. Eine und dieſelbe Handlung iſt dann
zum Theil Schenkung, zum Theil ein anderes Rechtsge-
ſchäft (a), und eben ſo iſt das in der Gabe übertragene
Recht nur theilweiſe als geſchenkt zu betrachten (§ 149.
152. a).
Die wichtigſten Anwendungen dieſes Falles ſind fol-
gende. Wird ein Haus, welches 5000 werth iſt, zur Be-
reicherung des Käufers um 3000 verkauft, ſo iſt dieſes
ein wahrer Kauf, verbunden mit einem Geſchenk von 2000.
Unter Ehegatten iſt daher ein ſolcher Kauf gültig, und
7*
[100]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nur das Geſchenk ungültig; iſt aber unter ihnen der Kauf
ſelbſt nur um des Geſchenks Willen vorgenommen, ſo daß
er ohne dieſe Abſicht ganz unterblieben wäre, ſo iſt das
ganze Geſchäft ungültig (b). — Verſchieden von dieſem
Fall iſt der eines ſimulirten Kaufs, wobey man ſich bloße
Schenkung dachte, z. B. wenn zugleich bedungen wird,
daß der Preis nie bezahlt werden ſolle, oder wenn der
Preis ſo gering iſt, daß er gar keine ernſte Bedeutung
haben kann. Nach allgemeinen Anſichten müßte dieſes Ge-
ſchäft zwar als Kauf ungültig ſeyn, aber als Schenkung
wirkſam (§ 134). Die Römiſchen Juriſten, ſo wie ältere
Conſtitutionen, erklären es überhaupt für ungültig, ſo lange
nicht Tradition hinzukomme (c). Das hat aber nur die
[101]§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.
Bedeutung, daß, nach der allgemeinen Natur der Schen-
kung, nicht ſo wie bey dem Kauf (als Conſenſualcontract)
aus der bloßen Verabredung geklagt werden konnte. Nach
dem neueſten Recht fällt dieſe Schwierigkeit ganz hinweg
(§ 157). — Die aufgeſtellten Regeln würden unter andern
auch anwendbar ſeyn auf eine unter ihrem Nominalwerth
verkaufte Forderung. Geſchähe dieſes wegen der Unſicher-
heit der Forderung, ſo wäre es reiner Kauf, geſchähe es
zur Bereicherung des Käufers, ſo wäre es theilweiſe
Schenkung. Nun iſt aber das Erſte ganz verboten (d),
und deshalb wurde auch das Zweyte mit in das Verbot
eingeſchloſſen, weil allerdings eine ſimulirte Schenkung
allzu leicht gebraucht werden kann, um darunter das völlig
verbotene erſte Geſchäft zu verſtecken (e).
Eben dahin gehört ein Kauf, worin dem Verkäufer
jede Verpflichtung wegen der Eviction erlaſſen wird. Die-
ſer Nebenvertrag iſt reine Schenkung, weil dadurch der
Käufer den vollen Sachwerth ohne Erſatz verlieren kann;
daher iſt unter Ehegatten dieſer Nebenvertrag ungültig,
der Kauf ſelbſt bleibt gültig (f).
Ein Darlehen, wobey der Empfänger mehr oder we-
niger als die empfangene Geldſumme zurück zu geben ver-
ſpricht, kann als Schenkung der Differenz gemeynt ſeyn (g).
Wenn eine Societät ſo geſchloſſen wird, daß darin in
der That eine Schenkung läge (h), ſo wird das ganze
Geſchäft für ungültig erklärt (i). Das hat aber wieder
nur die ſchon bey dem Kauf angegebene Bedeutung: es
ſoll daraus nicht die dem Conſenſualcontract eigenthümliche
actio pro socio angeſtellt werden können. Iſt in Folge
der Verabredung Etwas tradirt, ſo erklären Dieſes ſchon
die alten Juriſten, als vollendete Schenkung, für gültig (k);
(f)
[103]§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.
nach dem neueſten Recht aber würde auch aus der bloßen
Verabredung, wie bey jeder Schenkung, geklagt werden
können (l).
Endlich liegt ein ſolches gemiſchtes Geſchäft auch in
jeder donatio sub modo (§ 175), wegen der dadurch für
die Zukunft begründeten Gegenleiſtung (m).
Bey allen dieſen gemiſchten Geſchäften muß der Geld-
werth des auf die Schenkung fallenden Antheils ermittelt
werden. Dieſer iſt dann ganz nach den Regeln der Schen-
kung zu beurtheilen; in Anſehung der Inſinuation, des
Verbots in der Ehe, des Widerrufs aus beſonderen Grün-
den (n). Nur wenn die Gegenleiſtung überhaupt keinen
(k)
[104]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Geldwerth hat, kann eine ſolche Trennung nicht vorge-
nommen werden (o), und nun gilt daher das ganze Ge-
ſchäft nicht als Schenkung, indem eine Differenz des Geld-
werths, woraus allein die Bereicherung hervorgehen könnte,
gar nicht denkbar iſt (p).
Nachdem jetzt der Begriff der Schenkung vollſtändig
dargelegt worden iſt, ſoll derſelbe durch alle einzelne
Rechtsverhältniſſe, in welchen er vorkommen kann (§ 142),
durchgeführt werden. Dieſe Durchführung hat zunächſt
den Zweck, die wirkliche Erſcheinung der Schenkung in
den mannichfaltigſten Geſtalten zur Anſchauung zu brin-
gen. Ferner wird dadurch ihre poſitive Seite klar werden,
durch die Darlegung Desjenigen, was ſie zur Wirkſamkeit
einzelner Rechtsgeſchäfte beytragen kann, anſtatt daß durch
ihre negative Seite vielmehr eine Hemmung dieſer Wirk-
ſamkeit für viele Fälle herbeygeführt wird. Endlich be-
kommt ſie überhaupt erſt Realität in dieſen Anwendungen.
Denn ihr bisher aufgeſtellter Begriff (Veräußerung mit
abſichtlicher Bereicherung) erlangt erſt ein wirkliches Da-
ſeyn durch die Verkörperung in einem einzelnen Rechtsver-
[105]§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.
hältniß, ohne welche jener Begriff gleichſam in der Luft
ſchwebt. Dieſes iſt alſo die natürliche Bedingung aller
gültigen Schenkung, das perficitur donatio, deſſen Natür-
lichkeit nur dadurch in den Hintergrund getreten iſt, daß
es unter den Händen der alten Juriſten (vielleicht theil-
weiſe durch die Lex Cincia) conventionelle Zuſätze erhal-
ten hatte, unter welchen ſeine urſprüngliche Geſtalt ſchwer
zu erkennen war (a).
Da nun in allen Theilen des Vermögens eine Berei-
cherung denkbar iſt, ſo können die verſchiedenſten Vermö-
gensverhältniſſe als Mittel zum Zweck einer Schenkung
dienen. Die Bereicherung kann ſich beziehen:
Demnach laſſen ſich alle einfache Schenkungen auf drey
Klaſſen zurück führen, indem ſie geſchehen können Dando,
Obligando, Liberando.
Die Schenkungen durch dingliche Rechte können ſich
[106]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ferner beziehen auf Eigenthum oder auf jura in re. Die
Schenkung durch übertragenes Eigenthum iſt ſo ſehr
die häufigſte und wichtigſte, daß deshalb nicht ſelten die
Schenkung im Allgemeinen als eine Art der Eigenthums-
übertragung aufgefaßt worden iſt (§ 142. a). Die Form,
wodurch Eigenthum übertragen wird, iſt im Juſtiniani-
ſchen Recht ganz einfach die Tradition, ohne Unterſchied
der Zwecke, wofür die Übertragung geſchieht (b). So iſt
alſo zunächſt von der Schenkung durch Tradition zu
handeln. In dieſer zeigt ſich die Schenkung in ihrer po-
ſitiven Natur dadurch wirkſam, daß ſie als justa causa
der Tradition dient, und ſo den wirklichen Übergang des
Eigenthums vermittelt (c). Natürlich nur unter der Vor-
ausſetzung, daß der Geber ſelbſt das Eigenthum hat;
welche Folgen eintreten, wenn es ihm fehlt, ſoll weiter
unten beſonders dargeſtellt werden.
Die Tradition erſcheint hier in allen verſchiedenen Ge-
ſtalten, die ſie überhaupt anzunehmen fähig iſt. Unter
andern alſo durch Mittelsperſonen (d). Ferner ſo, daß
der Beſchenkte die Sache, die er ſchon inne hat, nur be-
[107]§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.
halten ſoll (e). Dann als missio in possessionem, indem
ihm erlaubt wird, einſeitig den Beſitz zu ergreifen, der
nun ſo gelten ſoll, als hätte ihn der Geber perſönlich ein-
gehändigt (f). Endlich auch durch das ſogenannte con-
stitutum possessorium, indem der Geber erklärt, die Sache
ferner nur im Namen und Auftrag des Empfängers be-
ſitzen, alſo deſſen Beſitz verwalten zu wollen. Eine An-
wendung dieſer letzten Form liegt in dem vorbehaltenen
Niesbrauch, welcher Vorbehalt ſogar ohne Rückſicht auf
den wirklichen Genuß des Niesbrauchs, blos als Form
augenblicklicher Tradition ohne äußerlich hervortretende
Handlung, geſchehen kann (g).
Der Tradition gleich wirkt die Dereliction, wenn ſie
in der beſtimmten Abſicht geſchieht, daß ein Auderer das
Eigenthum erhalte, mag nun dieſer Andere eine beſtimmte
und bekannte, oder eine unbeſtimmte, unbekannte Perſon
ſeyn. Dieſe Handlung wird geradezu als Veräußerung
anerkannt (h), obgleich ſtreng genommen Verluſt und Er-
[108]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
werb des Eigenthums nicht zuſammen fallen, da der Ver-
luſt mit dem aufgegebenen Beſitz augenblicklich eintritt (i),
ſo daß zwiſchen ihm und dem Erwerb des Andern ein
Zeitraum in der Mitte liegt, worin die Sache unbeſeſſen
und herrenlos war. Gewöhnlich wird dieſe Zwiſchenzeit
ſo gering ſeyn, daß ſie für die Betrachtung völlig ver-
ſchwindet (k); ſie kann ſich jedoch auch zufällig weiter
ausdehnen. Sobald indeſſen die Occupation nur nach dem
Willen des früheren Eigenthümers geſchieht, muß auch
der ganze Hergang als Schenkung gelten, und den poſiti-
ven Regeln jeder Schenkung unterworfen ſeyn. Denn zu
dem in ihm anerkannten Character der Veräußerung
(Note f), welcher allein etwa bezweifelt werden könnte,
tritt unverkennbar hinzu die wirkliche Bereicherung des
Empfängers, und die hierauf gerichtete Abſicht des frühe-
ren Eigenthümers (l).
Mit dem Fall der Dereliction zum Vortheil eines An-
dern, könnte man vergleichen wollen den Fall, da der Ei-
(h)
[109]§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.
genthümer den Uſucapionsbeſitz eines Andern durch Klage
zu ſtören abſichtlich unterläßt, damit die Uſucapion ab-
laufe, wodurch er alſo den Übergang des Eigenthums mit
Bewußtſeyn herbeyführt. Dennoch kann dieſes an ſich
nicht als Schenkung gelten, weil es kein Rechtsgeſchäft,
ja überhaupt keine poſitive Handlung iſt, ohne welche eine
Schenkung nicht angenommen werden kann (m).
Als ein verſtecktes Geldgeſchenk kann man den unent-
geldlich überlaſſenen Gebrauch einer Sache betrachten, da
wo dieſer überhaupt als Schenkung angeſehen werden darf;
unter derſelben Vorausſetzung auch die unentgeldliche Dienſt-
leiſtung. Denn das Geſchenk beſteht hier in der That in
der Geldſumme, die dem Andern als eine nothwendige
Ausgabe erſpart wird (§ 146. b. d).
Auch das beſchränkte Eigenthum einer Sache kann
durch Tradition übertragen, und als Schenkungsmittel ge-
braucht werden. Dieſes kann geſchehen, wenn der ideale
Theil einer Sache geſchenkt wird; ſey es, daß der Geber
ſelbſt nur dieſen Theil hatte, oder daß er den übrigen
Theil für ſich behalten will (n). — Ferner wenn das ge-
ſchenkte Eigenthum durch jura in re beſchränkt iſt, ſey es
daß dieſe ſchon vorher darauf laſteten, oder daß der Ge-
ber bey der Schenkung ſie darauf legt, alſo das Geſchenk
dadurch beſchränkt, zum Beyſpiel indem er den Niesbrauch
[110]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
vorbehält, um dieſen wirklich zu genießen, nicht als bloße
Form der Tradition (Note e). — Endlich kann dahin auch
der Fall gerechnet werden, wenn der Geber nicht das
wahre Eigenthum, ſondern nur ein dieſem verwandtes
Recht hat. So in dem älteren Recht das in bonis, und
das Recht an Provinzialgrundſtücken; ſo auch noch im
heutigen Recht die b. f. possessio, von welcher ſogleich
noch weiter gehandelt werden wird.
Bey der Tradition als Schenkung bleibt nun noch der
Fall zu betrachten übrig, da der Geber ſelbſt das Eigen-
thum nicht hat, welches er übertragen will.
Daß er durch dieſe Handlung dem Eigenthümer kein
Recht entziehen kann, iſt für ſich klar (a). Willigt der
Eigenthümer ein, ſo geht ſogleich Eigenthum über, indem
es nun ſo betrachtet wird, als hätte zuvor der Eigenthü-
mer durch brevi manu traditio das Eigenthum auf den
Geber übertragen. Das Schenkungsverhältniß beſteht je-
doch nur zwiſchen dem Geber und dem Empfänger; der
bisherige Eigenthümer hat zu dem Empfänger gar kein
Verhältniß, dem Geber kann er haben ſchenken oder ver-
[111]§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)
kaufen wollen, welches von den Beweggründen ſeiner Ein-
willigung abhängt (b).
Allein auch ohne des Eigenthümers Einwilligung fehlt
es der Schenkung einer fremden Sache dennoch nicht an
einer wichtigen poſitiven Wirkung. Sie dient nun als
Uſucapionstitel, welcher daher den Namen pro donato
führt (c). Dieſe läßt ſich auf zweyerley Weiſe denken:
als bloßer Zuſatz zu der ſchon dem Geber zuſtehenden b.
f. possessio, die ſchon für ſich ein ſelbſtſtändiges Geſchenk
[112]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
enthält (§ 155); oder auch allein ſtehend, wenn nämlich
dem Geber das redliche Bewußtſeyn, oder der Titel fehlt,
ſo daß eine Uſucapion überhaupt in dem Empfänger aller-
erſt anfängt, und mit ihr zugleich auch die b. f. posses-
sio, die alſo in dieſem Fall nicht als ein übertragenes
Recht betrachtet werden kann, und auch nicht durch acces-
sio possessionis unterſtützt und erleichtert wird.
Nun entſteht aber die wichtige Frage, ob dieſer Fall
auch als eigentliche Schenkung zu betrachten iſt, in dem
Sinn daß darauf die Nothwendigkeit der Inſinuation, das
Verbot in der Ehe, der Widerruf wegen Undankbarkeit,
anzuwenden ſind.
Das würde dann die Folge haben, daß die Schenkung
einer fremden Sache, da wo ſie in das Gebiet jener ein-
ſchränkenden Regeln fiele, auch nicht einmal als Uſuca-
pionstitel tauglich wäre. Dieſes möchte man nun in der
That anzunehmen aus folgendem Grunde geneigt ſeyn.
Wenn ein Ehemann ſeine eigene Sache der Frau ſchenkt,
ſo unterbleibt nicht nur der unmittelbare Übergang des
Eigenthums, ſondern es tritt auch keine Uſucapion als
Aushülfe für jenen Mangel ein; die Frau hat vielmehr
keine civilis possessio(d), das heißt ſie kann gar nicht
uſucapiren (e). Der Grund liegt darin, daß es der Frau
[113]§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)
an allen Bedingungen der Uſucapion fehlt; ſie hat keinen
Titel, da ein verbotenes, nichtiges Rechtsgeſchäft einen
ſolchen nicht abgeben kann; ſie hat keinen redlichen Beſitz,
da ſie weiß, daß ſie eine fortwährend fremde Sache be-
ſitzt (f). Daſſelbe möchte man nun auch erwarten, wenn
der Geber nicht Eigenthümer iſt, ſondern eine fremde Sache
ſchenkt; auch hier ſcheint der Titel ſowohl, als der red-
liche Beſitz, zu fehlen. Und doch iſt es hier theilweiſe
anders. Die beſtimmteſte Stelle hierüber, von Pompo-
nius, lautet alſo:
L. 3 pro don. (41. 6.). „Si vir uxori, vel uxor viro
donaverit, si aliena res donata fuerit, verum est
quod Trebatius putabat, si pauperior is qui donas-
set non fieret, usucapionem possidenti procedere.”
Hier werden alſo zwey Fälle unterſchieden. Erſtlich,
wenn der Geber durch die Schenkung ärmer wird, das
(e)
IV. 8
[114]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang
heißt wenn es eine eigentliche, wahre Schenkung iſt; nun
ſoll in der That die Uſucapion gehemmt ſeyn, ganz wie
bey dem Geſchenk der eigenen Sache, und aus denſelben
Gründen. Dieſer Fall iſt nun ſo zu denken, daß der Ge-
ber ſelbſt eine b. f. possessio, alſo den Uſucapionsbeſitz,
hatte. Durch das Weggeben deſſelben opfert er ein wah-
res Recht auf (§ 155), wird alſo ärmer. Daher fehlt es
an einem gültigen Rechtstitel, und der Empfänger kann
nicht uſucapiren (g). — Zweytens, wenn der Geber durch
die Schenkung nicht ärmer wird, ſoll die Uſucapion gel-
ten. Dieſer Fall iſt ſo zu denken, daß der Geber ſelbſt
keinen Titel oder keinen redlichen Beſitz hatte, in welchem
Fall er nicht ärmer wird, weil er gar kein Recht hat,
das er verlieren könnte. Warum ſoll nun hier die Uſu-
capion gültig ſeyn? An einem gültigen Rechtstitel fehlt
es freylich nicht, da auf dieſen Fall das geſetzliche Ver-
bot gar nicht anwendbar iſt (h). Dagegen ſcheint hier im-
(f)
[115]§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)
mer noch der redliche Beſitz zu fehlen (Note f). Da in-
deſſen die Römiſchen Juriſten hieran keinen Anſtoß neh-
men, ſo müſſen ſie ſich wohl die Sache ſo gedacht haben.
Der Beſchenkte nimmt zwar allerdings an, die Sache ſey
noch in fremdem Eigenthum, nämlich in dem des Gebers
(des andern Ehegatten). Da nun aber dieſe Annahme auf
einem factiſchen Irrthum beruht, ſo wird ſie als unſchäd-
lich behandelt, und der Beſitzer gilt als redlich, weil er
von dem Recht des wirklichen Eigenthümers in der That
Nichts weiß (i).
Dieſelbe Regel wird auch anerkannt in folgender Stelle,
welche gleichfalls keinen Zweifel wegen eines unredlichen
Beſitzes durchblicken läßt:
L. 25 de don. int. vir. (24. 1.). „Sed et si, constante
matrimonio, res aliena uxori a marito donata fuerit,
dicendum … etsi non mortis causa donaverat ei,
non impediretur usucapio. Nam jus constitutum ad
eas donationes pertinet, ex quibus et locupletior mu-
lier, et pauperior maritus in suis rebus fit .....”(k).
Die Regel ſelbſt wird hier ſo ausgedrückt, als ob die
Uſucapion allgemein gelten ſollte, ohne Unterſchied ob der
Geber durch die Schenkung ärmer werde oder nicht. Allein
der hinzugefügte Grund zeigt, daß der Verfaſſer (Teren-
tius Clemens) ganz mit der oben dargeſtellten Unterſchei-
dung des Pomponius übereinſtimmt, und alſo die Uſuca-
pion nicht gelten laſſen will, wenn auch ſchon der Geber
eine b. f. possessio gehabt haben ſollte.
Die alten Juriſten haben dieſe Regeln, wie gewöhn-
lich, an der Schenkung unter Ehegatten entwickelt; ſie
können aber unbedenklich eben ſo auch auf die Schenkung
mit verſäumter Inſinuation angewendet werden. Wenn
alſo der unredliche Beſitzer eines fremden Hauſes, welches
2000 Dukaten werth iſt, dieſes ohne Inſinuation an ei-
nen redlichen Empfänger verſchenkt, ſo kann dieſer das
ganze Haus pro donato uſucapiren. Hätte der Geber die
b. f. possessio gehabt, ſo würde für den überſchießenden
Theil des Werthes die Uſucapion nicht gelten. Nach dem
Ablauf der Uſucapion muß es nämlich ſo betrachtet wer-
den, als wäre ſogleich das wahre Eigenthum verſchenkt
worden (§ 166).
Jura in re können in ſehr verſchiedener Weiſe zum
Zweck einer Schenkung gebraucht werden (l).
Der Eigenthümer kann ſchenken, indem er unentgeld-
lich einen Niesbrauch conſtituirt: der Fructuar, indem er
ihn unentgeldlich dem Eigenthümer zurück giebt (m). Eben
ſo kann der Fructuar die Benutzung des Niesbrauchs als
Schenkung einem Andern überlaſſen (n); jedoch gehört die-
ſes mehr zum verſchenkten Eigenthum, nämlich an den
künftig entſtehenden Früchten (§ 146. f), da in der Sub-
ſtanz des jus in re ſelbſt gar keine Veränderung eintritt.
Eben ſo kann der Uſus ſchenkungsweiſe conſtituirt (o),
oder auch dem Eigenthümer zurückgegeben werden. Den
Genuß deſſelben einem Andern zu überlaſſen, iſt überhaupt
unzuläſſig, alſo auch zum Zweck der Schenkung (p). Auf
gleiche Weiſe verhält es ſich mit den Prädialſervituten (q).
Noch weit unbedenklicher iſt die Verwendung der Em-
phyteuſe zum Zweck einer Schenkung. Dieſe kann geſche-
hen, indem der Eigenthümer eine ſolche errichtet, der Em-
phyteuta ſie zurückgiebt, oder derſelbe Emphyteuta ſie an
einen Dritten veräußert (r). Ganz eben ſo verhält es ſich
auch mit der Superficies (s).
Das Pfandrecht kann nicht zum Zweck einer Schen-
kung benutzt werden, weil dadurch das Vermögen über-
haupt nicht erweitert, ſondern nur gegen möglichen Ver-
luſt geſichert wird (§ 149).
Die zweyte Klaſſe der Schenkungsmittel (§ 155) be-
ſteht darin, daß der Beſchenkte durch eine ihm verſchaffte
Schuldforderung bereichert wird. Dieſe zerfällt aber wie-
der in zwey Arten, je nachdem eine Forderung an den
Geber, oder an einen Dritten, als Schenkung dienen ſoll.
Die Forderung an den Geber als Schenkung iſt Das,
was man das Schenkungsverſprechen zu nennen pflegt,
und welches viele neuere Schriftſteller als Hauptfall aller
Schenkung willkührlich aufgefaßt haben (§ 142). Der
Name Schenkungsverſprechen könnte leicht zu der Anſicht
führen, als wäre das nachfolgende Geben die eigentliche
(q)
[119]§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.
Schenkung, welche nur durch das vorhergehende Geben
nothwendig würde. Dieſes wäre aber ganz irrig. Das
Verſprechen iſt die wahre und einzige Schenkung, wodurch
die Bereicherung ſchon vollſtändig bewirkt wird (a), das
nachfolgende Geben iſt die bloße Bezahlung einer Schuld,
folglich durchaus keine Schenkung (b).
Über die Form dieſes Vertrags iſt Folgendes zu be-
merken. Im älteren Recht wurde dazu regelmäßig die
Stipulation angewendet. Auch der Literalcontract konnte
zu demſelben Zweck angewendet werden, ſowohl in ſeiner
älteren Form, durch die von allen Römern geführten
Hausbücher (c), als in der ſpäteren Form, durch die ver-
mittlenden Bücher der Argentarien, welche übrigens im
Juſtinianiſchen Recht gleichfalls verſchwunden iſt. Durch
Conſtitutum war eine Schenkung nie möglich; denn ent-
weder war ſchon eine, wenigſtens naturale, Obligation
[120]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
vorhanden, dann war deren Verwandlung in eine civile
keine Schenkung (§ 149): oder es fehlte eine ſolche, dann
war auch das Conſtitutum wirkungslos (d). — Im Ju-
ſtinianiſchen Recht iſt dieſes Alles dadurch vereinfacht und
erleichtert, daß auch der formloſe Vertrag für klagbar
erklärt worden iſt (e), wodurch alſo das gewöhnliche Schen-
kungsverſprechen, ſeiner Form nach, den Conſenſualcon-
tracten gleich ſteht (f). — Das Schenkungsverſprechen an
eine Stadtgemeine (pollicitatio), oder zum Götterdienſt
(votum) führt wohl auch zuweilen den Namen donatio(g);
dennoch ſtand es nie unter den einſchränkenden Regeln wah-
rer Schenkung. Die Lex Cincia war darauf nicht an-
wendbar (h), und wenngleich es unter den ſpeciellen Aus-
nahmen von der Nothwendigkeit der Inſinuation nicht er-
wähnt wird, ſo kann doch dieſe nicht darauf bezogen wer-
[121]§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte 2. Obligare.
den, eben weil die pollicitatio als ein von der donatio
ganz verſchiedenes Rechtsinſtitut behandelt, und meiſt auch
wörtlich bezeichnet wird (i).
Das Schenkungsverſprechen hat, in Vergleichung mit
anderen obligatoriſchen Verträgen, folgende Eigenheiten.
Der Schuldner zahlt keine Verzugszinſen (k). Er hat,
wenn er verarmt, das ſogenannte beneficium competen-
tiae, und zwar mit der beſondern Begünſtigung, daß er
ſeine übrigen Schulden vorweg abziehen kann, um, dem
Kläger gegenüber, ſein Unvermögen zu begründen (l). Er
haftet, wenn die Sache untergeht oder verdorben wird,
nur für den Dolus und grobe Nachläſſigkeit (m); desglei-
chen wegen der Eviction und der ädiliziſchen Klagen nur
im Fall des Dolus (n).
Auch auf indirecte Weiſe kann eine Schuld übernom-
men werden zum Zweck der Schenkung. So wenn Der-
jenige, welcher durch eine Exception gegen des Andern
Klage geſchützt war, dieſe Exception wiſſentlich auf-
giebt (o); eben ſo wenn er auf irgend eine andere Weiſe
abſichtlich bewirkt, daß er verurtheilt werde, oder die un-
gegründete Schuld in jure eingeſteht (p).
Die zweyte Art der durch Obligation bewirkten Schen-
kung beſteht darin, daß dem Beſchenkten eine Schuldfor-
derung an einen Dritten verſchafft wird.
Dieſe Schuldforderung kann eine ſolche ſeyn, welche
erſt jetzt erzeugt, und in demſelben Augenblick zur Schen-
kung verwendet wird. So wenn Jemand ſein eigenes
Geld als Darlehen giebt, aber im Namen Desjenigen,
den er mit dieſer Forderung beſchenken will, und zwar ſo
daß Dieſer entweder ſich die Rückzahlung durch eigenen
Vertrag von dem Schuldner verſprechen läßt, oder daß
er darüber mit dem Geber einverſtanden war, in welchem
Fall es eben ſo gut iſt, als wäre das Geld (durch con-
stitutum) in ſein Eigenthum gekommen (q). Eben ſo durch
(n)
[123]§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.
ein Depoſitum, welches nicht dem Überbringer, ſondern
einem Andern (dem Beſchenkten), zurück gegeben werden
ſoll, gleichfalls unter der Vorausſetzung, daß dieſer ſelbſt
an dem Vertrag Theil nehme (r). Ganz beſonders auch
(q)
[124]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
durch die Dos, welche ein Fremder dem Ehemann giebt
oder verſpricht; denn darin liegt ſtets eine Schenkung des
Gebers an die Frau, welche dadurch in der Regel die
dotis actio gegen den Mann, für den Fall der Auflöſung
der Ehe, erwirbt. Hier iſt nicht einmal eine Theilnahme
der Frau an dem Vertrag nöthig, indem ſie ſelbſt ohne
ihr Wiſſen die dotis actio erwirbt (s). — Bey dieſen Fäl-
len könnte wieder der Zweifel entſtehen, ob nicht blos ein
möglicher Erwerb ausgeſchlagen werde, welches keine
wahre Schenkung iſt (§ 145). Allein der Geber thut hier
in der That Alles, was zum eignen Erwerb einer Forde-
rung nöthig iſt; indem er nun dieſe Forderung unmittel-
bar auf den Beſchenkten hinüber leitet, liegt darin nur
eine natürliche Abkürzung des Geſchäfts. Es iſt völlig
eben ſo, als hätte er die Forderung erſt für ſich erwor-
ben, und dann an den Anderen cedirt (§ 148. a). — Die-
ſelbe Art der Schenkung iſt auch darin enthalten, wenn
der Geber donationis causa einem Dritten Auftrag giebt,
dem Empfänger Etwas zu verſprechen; nun hat der Dritte
[125]§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.
gegen den Geber eine mandati actio contraria auf Ent-
ſchädigung (s¹).
Es kann aber auch die Schuldforderung ſchon früher
beſtanden haben, und nun, zum Zweck der Schenkung,
übertragen werden. — Eine ſolche Übertragung kann ge-
ſchehen durch Ceſſion, die dann ganz die Natur einer
Schenkung annimmt (t). — Noch wirkſamer geſchieht ſie
durch eine Delegation, indem der Glaubiger, welcher ei-
nen Dritten beſchenken will, ſeinen Schuldner auffordert,
dieſem Dritten zu expromittiren (u). Darin liegt eine
wahre Schenkung des urſprünglichen Glaubigers an den
Dritten (v).
Ein complicirterer Fall iſt der, wenn A dem B, und
eben ſo B dem C 1000 ſchenken will, nun aber B den A
auffordert, dieſe 1000 dem C zu promittiren; hier iſt eine
Schenkung zwiſchen A und B, desgleichen zwiſchen B und
C, aber nicht zwiſchen A und C, das heißt gerade zwi-
ſchen den einzigen Perſonen, zwiſchen welchen jetzt über-
haupt ein Schuldverhältniß beſteht (w).
Wer Bürgſchaft leiſtet, ſchenkt dadurch niemals dem
Glaubiger, da deſſen Vermögen durch keinen neuen Be-
ſtandtheil erweitert, ſondern nur in einem ſchon vorhan-
denen Theil geſichert wird (§ 149. d).
Jede Befreyung von einer Schuld iſt wahre Bereiche-
rung des Schuldners (a). Sind nun auch die übrigen Er-
forderniſſe einer Schenkung dabey vorhanden, ſo liegt darin
eine wahre Schenkung. Der Betrag derſelben iſt ſtets
gleich dem Betrag der aufgehobenen Schuld, ſelbſt wenn
der Schuldner inſolvent geweſen ſeyn ſollte (b). Denn
obgleich hier die Befreyung von einer einzelnen Schuld,
[127]§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.
die ohnehin nicht gezahlt werden konnte, factiſch als gleich-
gültig erſcheint, ſo iſt dennoch die Erweiterung des Ver-
mögens unzweifelhaft. Denn das Vermögen gilt ſtets als
eine unbeſtimmte Größe, wobey nicht blos die Summe
als unbeſtimmt gedacht werden muß, ſondern ſelbſt der
poſitive oder negative Totalwerth. Sollte alſo das Ver-
mögen auch eine negative Größe ſeyn, ſo liegt doch, ju-
riſtiſch betrachtet, in jeder Verminderung des Minus eine
ganz gleichartige Veränderung, wie wenn bey einem Ver-
mögen von poſitivem Werth das Plus erhöht wird.
Die Forderung nun, wovon der Beſchenkte befreyt
werden ſoll, kann entweder dem Geber ſelbſt zuſtehen, oder
einem Dritten.
Die Schenkung durch Erlaß einer eigenen Forderung
geſchieht am einfachſten und häufigſten durch Vertrag.
Dieſer Erlaßvertrag konnte bey den Römern ſowohl eine
Acceptilation, als ein bloßes Pactum ſeyn. Die Accepti-
lation wirkte, wie überall, ſo auch im Fall der Schen-
kung, am vollſtändigſten (c); doch konnte auch ſie nur
dann als Schenkung gelten, wenn die Forderung rechts-
gültig war; ſtand dieſer ohnehin eine wirkſame Exception
entgegen, ſo daß die Acceptilation nur angewendet wurde,
um jeden Schein einer Schuld zu tilgen, ſo lag darin
keine Schenkung, weil der Schuldner nicht reicher da-
durch wurde (d).
Auch das bloße Pactum konnte ſchon bey den Römern
als wahre Schenkung gelten, da es von der Schuld wirk-
ſam befreyte (e). In der Regel geſchah dieſes zwar nur
per exceptionem, welches jedoch auch ſchon hinreichend
war: in einigen ausgenommenen Fällen wirkte es ſogar
ipso jure(f), welches im heutigen Recht allgemein ange-
nommen werden muß. — Ein ſolcher Erlaßvertrag kann
auch ſtillſchweigend, das heißt durch Handlungen die den
Willen beſtimmt offenbaren, geſchloſſen werden (g). — Da-
gegen iſt ein einſeitiger Verzicht, bey der Schenkung wie
zu anderen Zwecken, ganz unwirkſam; aber durch die An-
nahme von Seiten des Schuldners nimmt er die Natur
(d)
[129]§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.
eines Vertrags an, und wirkt nun auf die ſo eben dar-
geſtellte Weiſe. So lange dieſe Annahme fehlt, kann der
Verzicht ſtets zurückgenommen werden, und ein ſolcher
Widerruf liegt von ſelbſt in der angeſtellten Klage, ſo
wie in der außergerichtlichen Einforderung (h). — Eine
zweydeutige Natur hat die Erklärung eines Glaubigers,
daß der Andere ihm Nichts mehr ſchuldig ſey, daß er
Alles gezahlt habe; es hängt von den Umſtänden ab, ob
dieſelbe als Ausdruck eines Erlaßvertrags, oder blos als
Quittung zu betrachten iſt, in welchem letzten Fall ſie gar
keine Wirkung hat, wenn ſie erweislich auf Irrthum be-
ruht (i). — Der Erlaß, welchen ein Glaubiger dem Bür-
gen gewährt, iſt keine wahre Schenkung. Denn da die
Übernahme der Bürgſchaft nicht als Bereicherung des
Glaubigers betrachtet wird (§ 149. d), ſo iſt auch jener
Erlaß keine Verminderung ſeines Vermögens, folglich auch
keine Schenkung.
Die Befreyung des Schuldners von der eigenen For-
derung des Gebers kann auch indirecterweiſe, ohne Ver-
trag, bewirkt werden. So wenn der Glaubiger die
IV. 9
[130]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Schuld einklagt, aber den Prozeß abſichtlich dergeſtalt
führt, daß er abgewieſen werden muß (k). Eben ſo wenn
er es gar nicht zu einem eigentlichen Verfahren kommen
läßt, indem er vor Gericht eingeſteht, daß ihm der An-
dere Nichts ſchuldig ſey (l).
In den bisher dargeſtellten Fällen war die Schuld,
worauf ſich die Befreyung bezog, ſchon vor der Schen-
kung wirklich vorhanden geweſen. Die Schenkung kann
aber auch ſo geſchehen, daß die Forderung in ihrer Ent-
ſtehung zerſtört wird, ſo daß ſie überhaupt gar nicht zu
Stande kommt. Wenn Einer des Andern Geſchäfte ohne
Auftrag beſorgt, ſo erwirbt er dadurch in der Regel eine
actio negotiorum gestorum contraria auf Erſatz der auf-
gewendeten Koſten. Dieſes ſetzt aber die Abſicht voraus,
den Andern auf ſolche Weiſe zu verpflichten. Hat dage-
gen der Geſchäftsführer die Abſicht, den Andern durch
dieſen Aufwand zu beſchenken, ſo entſteht jene Obligation
nicht; die Handlung iſt dann eine Schenkung, bewirkt
durch die Befreyung des Andern von einer Schuld, die
[131]§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.
nie vorhanden war, die aber ohne jene wohlwollende Ab-
ſicht entſtanden ſeyn würde. Ein Fall dieſer Art iſt es,
wenn Einer des Andern Landgut unentgeldlich beſtellt, alſo
in der Abſicht, ihm mit dem Aufwand an Arbeitslohn
und Saatfrucht ein Geſchenk zu machen; eben ſo wenn er
auf des Andern Boden ein Haus baut, in der Abſicht den
Eigenthümer durch die Materialien und den Arbeitslohn
zu bereichern (m).
Es kann endlich die Forderung, durch deren Tilgung
geſchenkt werden ſoll, auch einem Andern als dem Geber
zugeſtanden haben.
Wenn Einer die Schuld eines Andern bezahlt, ſo wird
dadurch der Schuldner frey, ſelbſt wenn es ohne Auftrag,
ja ohne des Schuldners Wiſſen, oder gegen deſſen Wil-
len geſchieht (n). Kommt nun hinzu die Abſicht, den
Schuldner zu bereichern, ſo liegt darin eine wahre Schen-
kung (o). — Eben ſo, wenn die Tilgung der fremden
Schuld nicht durch Zahlung, ſondern durch Expromiſſion
bewirkt wird, welches gleichfalls ohne Rückſicht auf des
Schuldners Bewußtſeyn und Willen geſchieht (p). Auch
hierin liegt eine Schenkung, und zwar ſteht der Expro-
mittent in einem Schenkungsverhältniß nur zu dem Schuld-
9*
[132]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ner, nicht zu dem Glaubiger (q). Die Expromiſſion kann
unter andern ſo geſchehen, daß der Geber ſeinen Schuld-
ner A dem B, welcher Glaubiger des Empfängers iſt,
expromittiren läßt. Hier werden beide alte Schuldver-
hältniſſe aufgelöſt, zwiſchen A und B beſteht keine Schen-
kung, und die Bereicherung des Empfängers wird, ſo wie
in dem vorigen Fall, durch eine Liberation bewirkt. —
Auch durch die freywillig, und auf eigene Rechnung über-
nommene Prozeßführung für den Schuldner kann dieſe Art
der Schenkung bewirkt werden (r). — Endlich führt zu
demſelben Zweck die übernommene Bürgſchaft. Eine Schen-
kung an den Glaubiger liegt darin niemals, weil derſelbe
ſein Vermögen nicht erweitert, ſondern nur größere Si-
cherheit erhält; eine Schenkung an den Schuldner kann
darin liegen, wenn die Bürgſchaft geleiſtet wird mit der
Abſicht, niemals gegen den Schuldner einen Regreß neh-
men zu wollen (s). Jedoch liegt hierin blos eine eventu-
elle Schenkung, nämlich nur für den Fall daß der Bürge
in die Lage kommt, die Schuld zu zahlen; wodurch ſich
[133]§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.
alſo dieſer Fall von den vorhergehenden unterſcheidet, in
welchen ſtets eine unbedingte Schenkung enthalten iſt.
Die hier zuſammen geſtellten Fälle der Tilgung einer
fremden Forderung laſſen ſich jedoch insgeſammt auch ſo
auffaſſen, daß darin zugleich die Befreyung von einer ei-
genen Forderung des Gebers ſelbſt enthalten iſt. Wenn
nämlich Einer für den Andern zahlt, expromittirt, Bürg-
ſchaft leiſtet, ſo kann dieſes hervorgehen aus einem Man-
dat, einer negotiorum gestio, oder aus der Abſicht zu
ſchenken (t). In den beiden erſten Fällen iſt überhaupt
keine Schenkung enthalten, da Derjenige, welcher ſo den
Schuldner befreyt, ſtets eine Regreßklage gegen dieſen hat.
Demnach enthalten alle jene Fälle nur inſofern eine Schen-
kung, als der Befreyende die beſondere Abſicht hat, die
Regreßklage dem Schuldner zu erlaſſen, die er ſelbſt au-
ßerdem gegen ihn haben würde. Es liegt alſo hier immer
auch der Erlaß einer eigenen Forderung zum Grunde.
Allein eben dieſe Betrachtung führt wieder ein Beden-
ken herbey. Es gewinnt dadurch den Schein, als ob der
Befreyende nicht ein ſchon erworbenes Recht aufopferte,
ſondern nur den Erwerb eines neuen Rechts von ſich ab-
wieſe, welches man als dem Begriff wahrer Schenkung
widerſprechend anſehen koͤnnte. Dieſem Einwurf iſt jedoch
auf dieſelbe Weiſe zu begegnen, wie es oben bey den obli-
gatoriſchen Schenkungen bereits geſchehen iſt (§ 157).
Bey allen dieſen verſchiedenen Schenkungsmitteln ka-
men Fälle vor, worin das mit einem Dritten eingegan-
gene Rechtsgeſchäft zum Zweck der Schenkung verwendet
wurde. So, wenn der Geber eine fremde Sache, mit
des Eigenthümers Willen, und durch Auftrag an dieſen,
verſchenkt (§ 156. b); wenn der Empfänger eine Schuld-
forderung an einen Dritten bekommt (§ 157); wenn der
Empfänger von der Schuld an einen Dritten durch Zah-
lung oder Expromiſſion des Gebers befreyt wird (§ 158).
Die Zuläſſigkeit ſolcher Schenkungen durch Zwiſchenper-
ſonen iſt im Allgemeinen anerkannt (u). Ganz gewiß ſteht
dieſe Zwiſchenperſon durchaus nicht in einem Schenkungs-
verhältniß, weder als Geber noch als Empfänger, ſon-
dern ſie vermittelt nur die zwiſchen anderen Perſonen vor-
gehende Schenkung. Es fragt ſich aber, ob die aus po-
ſitiven Rechtsregeln hervorgehende Ungültigkeit oder Ent-
kräftung der Schenkung auch auf das Rechtsgeſchäft mit
jener Zwiſchenperſon zurück wirkt. Dieſe Frage wird in
der Beylage X. behandelt.
Bisher iſt die Schenkung dargeſtellt worden in Anwen-
dung auf einzelne im Vermögen enthaltene Rechte; ſie
[135]§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.
kann ſich aber auch beziehen auf das Vermögen im Gan-
zen, das heißt auf alle im Vermögen gegenwärtig enthal-
tene Rechte, und dieſe umfaſſendſte Anwendung bedarf
noch einer näheren Betrachtung (a). — Das Eigenthümliche
dieſes Falles kann unter verſchiedenen Geſtalten vorkom-
men. Am Einfachſten als unbeſchränkte Schenkung des
Ganzen; aber auch an einer Quote des Vermögens; oder
mit Vorbehalt einzelner Vermögensſtücke, welche nicht mit
geſchenkt ſeyn ſollen (b); mit Vorbehalt des Niesbrauchs;
mit der Verpflichtung des Empfängers, dem Geber Ali-
mente zu entrichten, welches ein Modus der Schenkung iſt.
Im älteren Recht entſtand dabey die Schwierigkeit,
daß die Formen, wodurch vorzugsweiſe die Schenkung
vollgültig wurde (Mancipation und Tradition), nur auf
einzelne Sachen, nicht auf das Vermögen als ein ideales
Object, anwendbar waren. Darum wird in mehreren
Stellen geſagt, man müſſe die einzelnen Sachen übertra-
gen, die auf das Ganze gerichtete Schenkung ſey unwirk-
ſam (c); insbeſondere gelte dieſe Unwirkſamkeit auch von
einem, als bloße Schenkung gemeynten, Scheinkauf (d).
Dieſe formelle Schwierigkeit fällt weg im Juſtinianiſchen
[136]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Recht, worin ausdrücklich geſagt wird, daß eine ſolche
Schenkung ſchon durch formloſen Vertrag vollgültig werde,
indem dadurch die Verpflichtung des Gebers zur Erfül-
lung begründet ſey (e). Außerdem erklärt Juſtinian im
Allgemeinen für wirkſam die durch den vorbehaltnen Nies-
brauch bewirkte Tradition (§ 155. g). Soll jedoch dieſe
letzte Form auf die Schenkung des ganzen Vermögens ange-
wendet werden, ſo iſt dieſes nur durch Bezeichnung ein-
zelner Sachen ausführbar, weil nur an dieſen (nicht an
dem Vermögen als einem idealen Ganzen) ein Beſitz mög-
lich iſt, und weil derſelbe nur durch die auf jede einzelne
Sache gerichtete Abſicht des Beſitzers erworben werden kann.
Aber unabhängig von dieſer formellen Schwierigkeit,
und dieſer im Römiſchen Recht eingetretenen Modification
der Rechtsſätze, iſt die eigenthümliche Natur des aus ei-
ner Schenkung des ganzen Vermögens hervorgehenden
Rechtsverhältniſſes. Dafür gilt die wichtige Regel, daß
eine ſolche Schenkung niemals als eine Succeſſion per
universitatem, einer Erbſchaft gleich, betrachtet werden
darf (§ 105), und dieſe Regel iſt ſtets unverändert ge-
blieben. Die erſte Folge iſt die, daß die einzelnen Eigen-
thumsrechte beſonders durch Tradition übertragen werden
müſſen, wofür jedoch ſchon oben manche Erleichterungen
angegeben worden ſind. Zweytens folgt daraus, daß die
einzelnen Schuldforderungen beſonders zu cediren ſind;
aber auch dieſes macht wenig Schwierigkeit, da der Be-
[137]§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.
ſchenkte jede Schuldklage, deren Ceſſion er ohnehin er-
zwingen könnte, nun auch ohne wirkliche Ceſſion, als uti-
lis actio, anſtellen kann (§ 157. t). Wichtiger aber iſt
die dritte Folge, daß der Beſchenkte mit den Glaubigern
des Gebers in gar keinem Rechtsverhältniß ſteht, folglich
von dieſen nicht belangt werden kann, während der Geber
Nichts mehr hat, woraus er ſie befriedigen könnte. Wenn
hierüber bey der Schenkung ſelbſt Nichts beſonders aus-
bedungen iſt, ſo gilt die ſehr natürliche Annahme, daß ſich
der Empfänger ſtillſchweigend verpflichtet habe, alle Schul-
den zu bezahlen, alſo den Geber gegen die Glaubiger zu
vertreten (f). Dieſe Annahme iſt die unmittelbare Folge
des Begriffs vom Vermögen, welches hier den Gegenſtand
der Schenkung ausmacht; denn Vermögen heißt überall
nur diejenige Summe von Rechten, welche dem Inhaber
nach Abzug der Schulden übrig bleibt (g). Wie dieſe Ver-
[138]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
pflichtung geltend gemacht wird, läßt ſich an einem nahe
verwandten Fall darthun. Wenn nicht das Vermögen als
Ganzes verſchenkt wird, ſondern nur ein einzelnes Ver-
mögensſtück, z. B. ein Landgut, in welchem vielleicht der
größte Theil des Vermögens beſteht, ſo gilt jene ſtill-
ſchweigende Übernahme der Schulden nicht, ſondern es be-
darf dazu eines ausdrücklichen Vertrags; iſt aber dieſer
geſchloſſen, ſo kann der Geber deſſen Erfüllung mit einer
actio praescriptis verbis erzwingen, er kann nach Umſtän-
den auch mit einer Condiction das Geſchenk zurückfor-
dern (h). Unzweifelhaft kann er dieſe Klagen auch den
Glaubigern cediren, welche ſie dann unmittelbar anſtellen
können. Beruft er ſich, dieſen gegenüber, blos auf ſeine
Armuth, als einen Grund unmöglicher Execution, ſo kann
er unter andern zur Ceſſion jener Klagen, die ja ſelbſt
ein wichtiges Vermögensſtück ſind, gezwungen werden, und
auf dieſem indirecten Wege erhalten die Glaubiger auch
gegen den Empfänger der Schenkung einen unfehlbaren
Anſpruch. Hat der Geber das Vermögen noch nicht wirk-
lich abgeliefert, und wird er auf Erfüllung der Schen-
kung verklagt, ſo kann er die erwähnten Klagen gewiß
auch vertheidigungsweiſe, durch doli exceptio, geltend
machen. Ja daß er dieſes darf, folgt ganz unmittelbar
aus ſeinem beneficium competentiae, welches er in der
Art geltend machen kann, daß die Schulden vorweg ab-
[139]§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.
gerechnet werden (i); hierin iſt ihm das Recht dieſer Ab-
rechnung unmittelbar zuerkannt.
Allein dieſes ganze Verhältniß wurde bisher nur aus
einem ſtillſchweigenden Vertrag, alſo aus einer Auslegung
des Willens, abgeleitet. Davon kann nicht die Rede ſeyn,
wenn ausdrücklich beſtimmt iſt, der Empfänger des Ver-
mögens ſolle die Schulden nicht zu bezahlen haben. Daß
eine ſolche Unrechtlichkeit nicht zu dulden iſt, verſteht ſich.
Die Art der Abhülfe ergiebt ſich wiederum aus der Ver-
gleichung mit dem ſchon benutzten verwandten Fall. Wenn
Einer alle ſeine einzelne Sachen durch Tradition verſchenkt,
worin der ganze Werth ſeines Vermögens beſteht, und
dabey Nichts von den Schulden ſagt, ſo hat für dieſe der
Empfänger zunächſt keine Verpflichtung (Note h). Ge-
ſchah aber die Veräußerung in unredlicher Abſicht gegen
die Glaubiger, ſo haben dieſe gegen den Empfänger die
Pauliana actio, wobey nun die Theilnahme des Empfän-
gers an der Unredlichkeit gleichgültig iſt, eben weil eine
Schenkung bey der Veräußerung zum Grund liegt (§ 145. d).
Die unredliche Abſicht aber des Gebers verſteht ſich bey
jener Schenkung von ſelbſt, und bedarf keines beſonderen
Beweiſes, wenn ihm nur überhaupt das Daſeyn der Schul-
den bekannt iſt (k). Was nun von dieſem Fall der ver-
[140]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſchenkten einzelnen Sachen gilt, muß in weit höherem Grade
gelten, wenn das Vermögen als ſolches zum Gegenſtand
des Schenkungsvertrags gemacht, und zugleich der Em-
pfänger von aller Verpflichtung für die Schulden frey ge-
ſprochen wird. Denn in dieſem Fall iſt die unredliche Ab-
ſicht ſo augenſcheinlich, daß auch der Empfänger darüber
gar nicht im Zweifel ſeyn konnte. Die Abhülfe beſteht
alſo hier darin, daß die Glaubiger gegen den Empfänger
mit der Pauliana actio klagen, und daß dieſer von dem
geſchenkten Vermögen ſo viel zurück geben muß, als zur
Bezahlung der Schulden nöthig iſt (l).
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die aufgeſtellte Regel
nur auf diejenigen Schulden angewendet werden darf,
welche zur Zeit der Schenkung ſchon vorhanden waren.
Alle ſpäter contrahirte Schulden liegen eben ſo außer dem
Bereich der bisher betrachteten (auf das gegenwärtige
Vermögen gerichteten) Schenkung, wie der ſpätere Er-
werb des Gebers.
Die aufgeſtellten Grundſätze ſind auch anwendbar, wenn
Jemand nicht ſein gegenwärtiges Vermögen, ſondern eine
ihm zugefallene Erbſchaft verſchenkt. Denn auch hier iſt
wieder der Begriff des Vermögens anwendbar, nämlich
(k)
[141]§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.
desjenigen Vermögens, welches dem Verſtorbenen zur Zeit
des Todes gehörte (m). In Anſehung der Schulden die-
ſer Erbſchaft gilt gleichfalls die natürliche Annahme, daß
der Empfänger die Abtragung derſelben ſtillſchweigend über-
nommen habe (n). Wenn jedoch in dieſem Fall ein An-
deres ausdrücklich bedungen iſt, ſo liegt darin gar nicht
nothwendig eine unredliche Abſicht gegen die Glaubiger.
Vielmehr kann der Geber ſehr wohl die Abſicht haben,
die Schulden der verſchenkten Erbſchaft aus ſeinem eige-
nen, dazu völlig hinreichenden, Vermoͤgen zu bezahlen. —
Betrifft die Schenkung die künftige Erbſchaft eines noch
Lebenden, ſo iſt ſie durch deſſen Einwilligung gültig, au-
ßerdem verboten (o); wird es dennoch unternommen, ſo
[142]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
trifft den Veräußernden die Strafe, daß die ihm ſpäter-
hin anfallende Erbſchaft confiscirt wird (p).
Es bleibt nun noch der Fall zu betrachten übrig, da
nicht blos das gegenwärtige, ſondern auch das künftige
Vermögen des Gebers zum Gegenſtand der Schenkung ge-
macht wird. Dieſes Geſchäft halte ich nach Römiſchem
Recht für völlig ungültig, da es in der That nur ein
verſteckter Erbvertrag iſt, wodurch dem Geber jede an-
dere wirkſame Verfügung über ſein Vermögen unmöglich
wird. Nicht blos die Teſtamentsfreyheit wird ihm da-
durch vernichtet, ſondern ſelbſt die Möglichkeit, das Ver-
mögen an ſeine Inteſtaterben kommen zu laſſen, alſo jede
Art eines ferneren Einfluſſes auf das Schickſal des Ver-
mögens; und dieſes eben iſt es, weshalb das Römiſche
Recht die Erbverträge nicht anerkennt (q). Daß dadurch
keine Univerſalſucceſſion begründet wird, kann keinen Un-
terſchied machen, da der Empfänger alle Vortheile, die
man durch eine ſolche erlangen kann, auch wirklich er-
halten würde, nur unter einer anderen Rechtsform (r),
[143]§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.
welches ja gerade der Character jeder Umgehung einer
poſitiven Rechtsregel iſt. Man hat dagegen eingewendet,
es könne ja doch ein eingeſetzter Teſtamentserbe zum An-
tritt der Erbſchaft ſich entſchließen, und dann das Ver-
mögen dem Beſchenkten abliefern. Allein abgeſehen davon,
daß nicht leicht Jemand dieſe unfruchtbare und nicht ge-
fahrloſe Mühe übernehmen wird, wäre damit dem Geiſt
jener Rechtsregel keinesweges genügt. Denn ein ſolcher
Erbe würde doch nur den Namen eines Erben führen, in
der That aber einem Teſtamentsexecutor zu vergleichen
ſeyn. Man hat ferner geſagt, neben einer ſolchen Schen-
kung ſey ein wahrer Erbe nicht blos denkbar, ſondern
ſelbſt nothwendig; ohne einen ſolchen könne die Schenkung
nicht beſtehen, da nur er nach dem Tode des Gebers die
Tradition vollziehen könne (s). Dieſer Grund iſt völlig
unhaltbar. Iſt die Schenkung gültig, ſo wird dadurch
der Empfänger ein Glaubiger des Gebers. Ein ſolcher
aber kann nach dem Tode des Schuldners ſeine Rechte
verfolgen, es mag ein Erbe vorhanden ſeyn oder nicht;
fehlt es an einem Erben, ſo erlangt der Glaubiger ſeinen
Zweck durch missio in possessionem des erbloſen Vermö-
gens (t).
Auch Das kann nicht zugegeben werden, daß jenes Ge-
ſchäft auf die bloße Schenkung des gegenwärtigen Ver-
mögens beſchränkt und dadurch aufrecht erhalten werden
[144]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
müſſe. Allerdings unterliegt dieſe letzte der eben behaup-
teten Ungültigkeit nicht, da bey ihr wegen des möglichen
ſpäteren Erwerbs eine wahre Erbfolge, unabhängig von
der Schenkung, ſehr wohl beſtehen kann. Daraus folgt
aber nicht die Zuläſſigkeit jener nachhelfenden Verwand-
lung. Denn beide Geſchäfte ſind gar nicht blos quantita-
tiv verſchieden (u), ſondern in ihrem Weſen, und in der
Abſicht des Gebers. Dieſem müßte, zur Aufrechthaltung
des Geſchäfts, eine ganz andere Abſicht, als die er wirk-
lich hatte, untergeſchoben werden. Es wäre ſo, wie wenn
ein Teſtament vor Sechs Zeugen gemacht wäre, welches
durch Verwandlung in einen Codicill aufrecht erhalten
werden ſollte; Dieſes iſt bekanntlich ohne den, auch hierauf
gerichteten, Willen des Erblaſſers (die Codicillarclauſel)
unzuläſſig (v). — Dagegen iſt die Schenkung einer Quote
des gegenwärtigen und künftigen Vermögens unzweifelhaft
gültig, weil nun durch den nicht verſchenkten Theil eine
wahre, wirkſame Erbfolge übrig bleibt. Eben ſo iſt für
das Ganze eine mortis causa donatio zuläſſig, weil dieſe
durch ihre in der Regel geltende Widerruflichkeit ganz
den zuläſſigen Character eines letzten Willens an ſich trägt.
Für ſo ſicher nun ich dieſe Gründe gegen die Zuläſ-
ſigkeit der hier vorausgeſetzten Schenkung des ganzen, auch
künftigen, Vermögens nach dem Römiſchen Recht halte,
[145]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
ſo muß ich doch den neueren Schriftſtellern beyſtimmen,
welche ſich für die heutige Gültigkeit derſelben ausſpre-
chen (w). Nur ſoll man ſich dabey nicht auf Römiſches
Recht berufen. Die Schenkung iſt gültig, weil ſie ein
wahrer Erbvertrag iſt, und weil ein ſolcher durch das
Deutſche Recht anerkannt wird. Daß die älteren Prakti-
ker ſich dagegen ausſprechen (Note q), erklärt ſich eben
aus dem langen Streit, der über die Gültigkeit der Erb-
verträge überhaupt Statt gefunden hat, und aus der häu-
figen Unklarheit der Begriffe über die einzelnen darunter
zu beziehenden Fälle (x).
Es war nöthig, die Schenkung in ihrer Anwendung
durch alle verſchiedene Rechtsgeſchäfte, worin ſie erſchei-
nen kann, durchzuführen, um die wichtige Frage beant-
worten zu können, ob ſie überhaupt als Vertrag zu be-
trachten iſt. In den meiſten und wichtigſten Fällen iſt in
ihr dieſer Character unverkennbar; ſo wenn ſie durch Tra-
dition, Verſprechen, oder Erlaßvertrag bewirkt wird. Da-
gegen giebt es andere Fälle, worin ſie nicht die Natur
des Vertrags an ſich trägt, das heißt worin des Empfän-
IV. 10
[146]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gers Bewußtſeyn der Bereicherung, und deſſen Einwilligung
in dieſelbe, nicht nothwendig iſt. Daraus aber folgt, daß
auch in den Fällen, worin die Schenkung als Vertrag
erſcheint, dieſe Eigenſchaft nicht in ihrem Weſen als
Schenkung begründet ſeyn kann, ſondern vielmehr in der
beſonderen Natur derjenigen Rechtsgeſchäfte, wodurch ſie
gerade bewirkt wird.
Es iſt alſo nun der Beweis der aufgeſtellten Behaup-
tung durch die Darlegung ſolcher Rechtsgeſchäfte zu füh-
ren, worin eine wahre Schenkung enthalten iſt, ohne daß
der Empfänger einwilligt (a). — Dieſes geſchieht oft ſo, daß
der Empfänger von der Handlung des Gebers überhaupt
kein Bewußtſeyn hat, alſo auch ſeine eigene Bereicherung
weder kennt, noch durch ſeinen Willen genehmigen kann.
Dahin gehört der Fall einer Dos, welche von einem Frem-
den gegeben, und eben dadurch der Frau geſchenkt wird
(§ 157. s). Ferner die Befreyung eines Schuldners durch
abſichtlich ſchlechte Prozeßführung, oder durch gerichtliches
Eingeſtändniß (§ 158. k. l). Eben ſo die Ausgaben, die
zum Vortheil eines Andern gemacht werden, in der Ab-
ſicht ſie nicht wieder zu fordern (§ 158. m). Dann das
Geſchenk an einen Sohn oder Sklaven, welches dem Va-
ter oder Herrn unmittelbar erworben wurde (b). Endlich,
[147]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
und am einleuchtendſten, die Befreyung eines Schuldners
durch baare Zahlung, durch Expromiſſion, oder in Folge
einer Bürgſchaft, wenn dieſe Befreyung mit der Abſicht
einer Schenkung verbunden iſt (§ 158. n bis t). In allen
dieſen Fällen kann allerdings der Beſchenkte darum wiſſen,
ja es wird ſich meiſtens ſo finden. Juriſtiſch aber iſt
Dieſes ganz zufällig und gleichgültig, ſeine Einwilligung
traͤgt Nichts zur Wirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts bey,
und die heimliche Wohlthat iſt hier völlig eben ſo gültig,
wie die verabredete.
In anderen Fällen weiß zwar der Empfänger um die
Handlung des Gebers, aber nicht um die darin enthal-
tene Abſicht zu ſchenken, und die Schenkung iſt darum
nicht weniger vorhanden. So wenn Einer eine Sache
abſichtlich unter dem Werth verkauft, um den Käufer zu
bereichern, dieſer aber über die wohlthätige Abſicht des
Verkäufers in Unwiſſenheit iſt (§ 152. a). Ferner wenn
Jemand wiſſentlich Zahlung leiſtet für ein Indebitum,
während der Empfänger es für eine wahre Schuld hält (c).
Dagegen würde man irrigerweiſe unter dieſe Fälle rech-
nen den blos einſeitigen Verzicht auf eine Schuldforderung
(§ 158. h), und die nicht in Vertrag verwandelte bloße
Abſicht, des Andern Schuldner zu werden (§ 157. c).
Im Widerſpruch mit der hier aufgeſtellten Anſicht be-
haupten Viele, daß jede Schenkung zu ihrer Gültigkeit
einer Annahme von Seiten des Beſchenkten durchaus be-
dürfe (d). Dieſer Widerſpruch gegen unſre Anſicht kann
aber eine zwiefache Bedeutung haben, je nachdem man die
Schenkung von ihrer poſitiven oder von ihrer negativen
Seite, im Fall fehlender Annahme des Beſchenkten, aus-
zuſchließen verſucht. Das erſte hätte die Bedeutung, daß
ohne Annahme die angeführten Geſchäfte gar keine Gül-
tigkeit hätten, ſo daß überhaupt Nichts bewirkt würde.
Das zweyte hätte die entgegengeſetzte Bedeutung, daß
zwar das Geſchäft ſelbſt gültig wäre, daß es aber nicht
die Natur einer Schenkung annähme, folglich frey bliebe
von den Einſchränkungen, welchen die Schenkungen unter-
worfen ſind. Durch das erſte würde die Wirkſamkeit der
Handlung verlieren, durch das zweyte gewinnen, in Ver-
gleichung mit Dem was von unſrem Standpunkt aus an-
genommen werden muß. Ich will beide mögliche Behaup-
tungen zu widerlegen ſuchen, und dazu den einfachſten und
einleuchtendſten unter den oben zuſammengeſtellten Fällen
[149]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
wählen: den Fall, wenn Jemand fremde Schulden be-
zahlt, in der Abſicht den Schuldner dadurch zu bereichern.
Nach der Meynung der Gegner wäre des Schuldners Ein-
willigung nöthig, und es iſt alſo zu unterſuchen, was der
Mangel dieſer Einwilligung möglicherweiſe bewirken könnte.
Er könnte erſtlich bewirken, daß die Handlung keine
gültige Zahlung wäre, daß alſo der Schuldner dadurch
nicht frey würde. Dieſes iſt nun gewiß nicht der Fall,
da die Befreyung des Schuldners ohne ſein Wiſſen, ja
wider ſeinen Willen, für dieſen Fall ausdrücklich aner-
kannt iſt (e). — Er könnte zweytens bewirken, daß die
Handlung zwar gültig, aber keine Schenkung wäre, alſo
den beſonderen Beſchränkungen einer Schenkung nicht un-
terläge, ſo z. B. daß unter Ehegatten dieſes Geſchäft nicht
verboten wäre Dieſes iſt aber ſchon deswegen ganz un-
denkbar, weil dadurch alle jene Beſchränkungen völlig illu-
ſoriſch werden würden. So z. B. brauchte eine Frau, um
von ihrem Mann gültig beſchenkt zu werden, nur Schul-
den zu machen, die dann der Mann ohne ihr Zuthun und
Vorwiſſen bezahlte; was er ihr dadurch als Bereicherung
zugewendet hätte, wäre unwiderruflich, obgleich es durch-
[150]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
aus dieſelbe Natur hätte, wie eine an ſie ſelbſt gegebene
Geldſumme. Es bedarf aber nicht einmal dieſer allge-
meinen Betrachtung, da es ausdrücklich anerkannt iſt, daß
jede für einen Ehegatten gezahlte Schuld dem allgemeinen
Schenkungsverbot in der Ehe allerdings unterworfen iſt;
eben ſo auch jede für einen Ehegatten vorgenommene Ex-
promiſſion (f). Damit iſt alſo bewieſen, daß die oben
zuſammen geſtellten Handlungen in jeder Beziehung als
wahre Schenkungen gelten und wirken, obgleich dabey
das Bewußtſeyn und die Einwilligung des Beſchenkten
gänzlich fehlen kann.
In den häufigeren Fällen aber, worin die Schenkung
auf einem ſolchen Geſchäft beruht, welches die Natur ei-
nes Vertrags an ſich trägt, iſt allerdings die Einwilligung
beider Theile zur Gültigkeit der Schenkung durchaus noth-
wendig. Dieſes iſt namentlich der Fall bey der Tradi-
tion (g).
In allen Fällen dieſer Art alſo iſt das erſte Erforder-
niß gültiger Schenkung der Wille des Gebers, ohne wel-
chen die Liberalität, als Grundlage aller Schenkung, gar
nicht denkbar iſt. Wenn daher ein Anderer ſich anmaaſt,
dieſen Willen zu erſetzen, alſo für ihn zu ſchenken, ſo iſt
[151]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
das Geſchäft ungültig (h). Die Form dieſer Einwilligung
wird durch die Natur der einzelnen Rechtsgeſchäfte be-
ſtimmt; die Eigenthümlichkeit der Schenkung beſchränkt
oder erſchwert die ſonſt erforderliche Form gar nicht (i).
Es muß aber in jenen Fällen als zweytes Erforderniß
hinzutreten die Annahme der Schenkung, oder die Einwil-
ligung von Seiten des Empfängers. Auch dieſe iſt an
keine Form gebunden, ſie kann namentlich ſtillſchweigend
erklärt werden, und da faſt immer der Empfang eines
Geſchenks erwünſcht iſt, ſo wird ſie ſogar ſehr leicht aus
ſolchen Handlungen gefolgert werden dürfen, welche nur
einigermaßen darauf gedeutet werden können (k). Nur bey
beſtimmt verweigerter Annahme kommt in ſolchen Fällen
eine Schenkung überhaupt gar nicht zu Stande (l). In
der Zwiſchenzeit von der Erklärung des Gebers bis zur
Annahme des Empfängers iſt die Schenkung nicht perfect,
alſo unentſchieden (m), ſo daß bis dahin der Geber ſeinen
Willen widerrufen kann, wodurch denn gleichfalls das
[152]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ganze Geſchäft rückgängig wird. Iſt zur Zeit der erklär-
ten Annahme kein Widerruf erfolgt, ſo gilt die nicht wi-
derrufene Erklärung des Gebers als fortdauernder Wille,
Beide haben nun in demſelben Zeitpunkt übereinſtimmend
die Schenkung gewollt, und dieſe iſt daher perfect gewor-
den. War aber, zur Zeit der erklärten Annahme, der
Geber unfähig geworden zu wollen, weil er in der Zwi-
ſchenzeit geſtorben oder wahnſinnig geworden war, ſo iſt
nun die Schenkung gar nicht vorhanden, weil kein Zeit-
punkt angegeben werden kann, worin Beide gemeinſchaft-
lich die Schenkung gewollt hätten (n).
Specielle Anwendungen und Beſtätigungen dieſer letz-
ten Regel finden ſich in folgenden Fällen. Wenn ich dem
(m)
[153]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
Titius ein Darlehen gebe, mit der Beſtimmung das Geld
an Sejus zurück zu zahlen, ſo liegt darin Nichts als der
Auftrag zu einem künftigen Geldgeſchenk, den ich jeder-
zeit zurücknehmen kann (§ 157. q). Zahlt nun Titius an
Sejus nach meinem Tode, ſo iſt das Eigenthum des Gel-
des auf Sejus übergegangen, weil Titius Eigenthümer
war; gegen meinen Erben frey geworden iſt Titius nur,
wenn er meinen Tod nicht wußte, weil er außerdem wiſ-
ſen mußte, daß ſein Mandat erloſchen war. Eben ſo
wenn der Auftrag zu dem Geldgeſchenk an Titius ganz
einfach, ohne vorhergehendes Darlehen, gegeben war;
zahlt er ohne meinen Tod zu wiſſen, ſo hat er eine man-
dati actio gegen meinen Erben, außerdem nicht (o). Hier
iſt nun allein von dem Verhältniß des Titius die Rede,
wie ſteht es aber mit dem Geſchenk an Sejus? Dieſes
iſt, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz, gewiß nichtig.
Daher hat mein Erbe gegen Sejus die condictio sine
causa auf das empfangene Geld, welche Klage er dem
Titius cediren muß, wenn ihm dieſer, wegen wiſſentlich
unrichtiger Zahlung, zunächſt verantwortlich iſt. — Ein
ähnlicher Fall iſt folgender (p). Eine Frau will ihrem
Mann ein Grundſtück mortis causa ſchenken, und über-
giebt daſſelbe zu dieſem Zweck an Titius; nach dem Tode
der Frau widerſprechen ihre Erben, dennoch übergiebt es
[154]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Titius dem Mann. Hier ſoll unterſchieden werden, ob
Titius blos von der Frau beauftragt war, oder zugleich
(oder allein) von dem Mann. Im erſten Fall war die
Schenkung, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz, nie
perfect geworden, und Titius iſt den Erben zur Entſchä-
digung verpflichtet; im zweyten Fall iſt Titius, als Be-
vollmächtigter des Mannes, im Augenblick des Todes,
Eigenthümer des Grundſtücks geworden. Dadurch wurde
die Schenkung perfect (q), die Erben müſſen ſie anerken-
nen, und wenn Titius das Grundſtück hätte für ſich be-
halten, oder den Erben ausliefern wollen, ſo würde der
Mann gegen ihn eine mandati actio gehabt haben.
Scheinbar ähnlich, aber im Weſen verſchieden, iſt fol-
gender Fall (r). Es ſchenkt Einer dem Andern eine Geld-
[155]§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.
ſumme unmittelbar durch Tradition, jedoch ſo daß Ei-
genthum und Schenkung von einer Suspenſivbedingung
abhängig gemacht wird. Wenn nun der Geber vor Er-
füllung der Bedingung ſtirbt oder wahnſinnig wird, ſo
möchte man glauben, die Schenkung ſey, eben ſo wie in
den vorhergehenden Fällen, vernichtet. Hier aber iſt ſie
voͤllig gültig, und der Grund der verſchiedenen Entſchei-
dung liegt darin, daß Wille und That der Perſonen ſchon
Anfangs vollſtändig vorhanden waren, und die Gültigkeit
des Geſchäfts nur noch von einem äußeren Ereigniß ab-
hängen ſollte, bey deſſen ſpäterem Eintritt der Wille
Nichts mehr zu thun hatte. Daher kann der Geber, auch
während der unentſchiedenen Bedingung, die (von ſeiner
Seite ſchon perfecte) Schenkung nicht widerrufen, und
(r)
[156]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
daher wird ferner die ſpäter erfüllte Bedingung auf den
Zeitpunkt des Vertrags zurückgeführt (§ 120).
Da wo die Schenkung, wie gewöhnlich, auf Vertrag
gegründet iſt, müſſen noch beſonders einige Fälle beachtet
werden, worin bey dem Willen des Einen, oder auch
Beider, ein Irrthum zum Grund liegt.
Der erſte Fall eines ſolchen möglichen Irrthums be-
trifft die dem Irrenden gegenüberſtehende Perſon (a). Wenn
der Geber in der Perſon des Empfängers irrt, ſo ent-
ſteht natürlich keine Schenkung. Hat alſo Gajus dem
Sejus ein Geſchenk zugedacht, welches aus Verſehen an
Titius gekommen, und von dieſem, gleichfalls aus Ver-
ſehen, angenommen worden iſt, ſo iſt überhaupt noch gar
kein Geſchäft geſchloſſen, und auf keiner Seite ein Recht
erworben, ſo daß der Geber die ganze Schenkung noch
zurücknehmen kann. Anders ſteht es im umgekehrten Fall,
wenn Gajus dem Titius ſchenken will, und dazu den Se-
jus als Überbringer gebraucht, welcher aber unredlicher-
weiſe das Geſchenk in eigenem Namen giebt, und ſo den
Titius veranlaßt, in der von ihm angenommenen Schen-
[157]§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)
kung einen unrichtigen Geber zu denken. In dieſem Fall
iſt zwar, der Strenge nach, auch keine Schenkung vor-
handen, ſo daß Gajus die geſchenkte Sache wieder ab-
fordern könnte; dieſe Klage ſoll jedoch durch eine doli ex-
ceptio entkräftet werden (b). Der Unterſchied beider Fälle
liegt darin, daß für den Geber freylich die Perſon des
Empfängers das Allerwichtigſte iſt, aber nicht ſo auch um-
gekehrt. Denn in den meiſten Fällen wird ein Geſchenk
gerne angenommen werden, woher es auch komme, ſo daß
der Irrthum über den Geber minder weſentlich iſt, und
den Conſens des Empfängers nicht entkräftet. Zwar iſt
der Geber dabey intereſſirt, daß der Beſchenkte wiſſe, wem
er Dank ſchuldig ſey; allein dieſes Intereſſe erhält ſeine
volle Befriedigung durch die nachfolgende Berichtigung des
Misverſtändniſſes.
Ein zweyter Irrthum kann das Rechtsverhältniß be-
treffen, indem der Geber und der Empfänger dabey an
verſchiedene Verhältniſſe denken. Nach allgemeinen Regeln
kommt in einem ſolchen Fall überhaupt gar kein Rechts-
geſchäft zu Stande (§ 136. a). Beſonders einleuchtend iſt
dieſes, wenn der Geber an ein Commodat oder Darlehen
denkt, der Empfänger an eine Schenkung, in welchem Fall
gewiß Niemand eine Schenkung als vorhanden annehmen
[158]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
wird (§ 160. g. h). Mehr Zweifel könnte der umgekehrte
Fall erregen, wenn der Geber ſchenken will, der Empfän-
ger aber glaubt, es ſey ihm die Sache als Commodat,
oder als Darlehen gegeben, und ſie in dieſem Sinn an-
nimmt. Auf einen ſolchen Fall beziehen ſich folgende zwey
Stellen, über deren wahren oder vermeintlichen Wider-
ſpruch, ſchon von der Gloſſatorenzeit an, die verſchieden-
ſten Meynungen aufgeſtellt worden ſind (c).
L. 36 de adqu.rer.dom. (41. 1.). (Julianus lib.XIII. Dig.)
Cum in corpus quidem, quod traditur, cousentiamus,
in causis vero dissentiamus, non animadverto cur
inefficax sit traditio. Veluti si ego credam me ex
testamento tibi obligatum esse ut fundum tradam, tu
existimes ex stipulatu tibi eum deberi. Nam et si
pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu
eam quasi creditam accipias: constat proprietatem
ad te transire, nec impedimento esse, quod circa
causam dandi atque accipiendi dissenserimus.
L. 18 pr. de reb. cred. (12. 1.). (Ulpianus lib. VII. Disp.)
Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu
quasi mutuam accipias, Julianus scribit donationem
non esse. Sed an mutua sit, videndum. Et puto,
nec mutuam esse: magisque numos accipientis non
[159]§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)
fieri, cum alia opinione acceperit. Quare, si eos
consumserit, licet condictione teneatur, tamen doli
exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem
dantis numi sunt consumti.
In dieſen Stellen werden zwey Fragen erörtert, die
von einander großentheils unabhängig ſind. Die eine: ob
Eigenthum übergeht. Die andere: ob eine gültige Schen-
kung, oder vielleicht auch ein gültiges Darlehen vorhan-
den iſt. Das Verhältniß beider Fragen aber iſt dieſes.
Wer die zweyte bejaht, muß nothwendig auch die erſte
bejahen. Wer die erſte bejaht, kann daneben noch immer
die zweyte bejahen oder verneinen.
Der Übergang des Eigenthums iſt der einzige Gegen-
ſtand, der in der erſten Stelle von Julian unterſucht
wird. Er behauptet dieſen Übergang ganz beſtimmt, ſo-
gar als unzweifelhaft (constat) für alle Fälle, worin
Beide übereinſtimmend wollen, daß überhaupt Eigenthum
übergehe, wenngleich ihr Wille durch den Gedanken an
verſchiedene Rechtsgeſchäfte begründet iſt. Er wendet die-
ſes an auf zwey verſchiedenartige Fälle; in dem einen
wollen Beide ſogar dieſelbe causa, nämlich die solvendi
causa, nur in Vorausſetzung verſchiedener vorhergehender
Obligationen: in dem andern will Einer die donandi, der
Andere die obligandi oder credendi causa; die Entſchei-
dung iſt für beide Fälle dieſelbe. Ulpian berührt die
Frage nach dem Schickſal des Eigenthums nur ganz bey-
läufig, bey Gelegenheit des gültigen Darlehens, und darin
[160]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
liegt einiger Schein für Diejenigen, welche die Worte nu-
mos accipientis non fieri gar nicht als Verneinung des
erworbenen Eigenthums, ſondern nur des gültigen Dar-
lehens, auffaſſen. Julian alſo betrachtet als entſcheidend
den Willen, daß Eigenthum übergehe, woneben ihm der
Grund dieſes Willens ſo ſehr in den Hintergrund tritt,
daß die Verſchiedenheit der vorausgeſetzten Gründe den
Übergang nicht hindern ſoll. Ulpian dagegen (wenn er
wirklich den Übergang des Eigenthums verneinen will) be-
trachtet als entſcheidend den auf einem beſtimmten Grund
beruhenden Willen der Übertragung, ſo daß die Übertra-
gung ſelbſt gehindert werden ſoll, wenn Beide Perſonen
an verſchiedene Gründe denken. Jedoch dieſe ganze, das
Eigenthum betreffende, Frage liegt hier außer den Grän-
zen unſrer Unterſuchung, und wir laſſen ſie an dieſer
Stelle auf ſich beruhen (d).
Die Gültigkeit der Rechtsgeſchäfte iſt es, die uns hier
angeht. Darüber nun ſagt Ulpian, eine gültige Schen-
kung ſey gewiß nicht vorhanden, welches auch Julian be-
zeuge (e). Dieſes alſo war, wie es ſcheint, ganz un-
[161]§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)
beſtritten; es folgt aus dem oben aufgeſtellten allgemeine-
ren Grundſatz, und iſt für unſren gegenwärtigen Zweck
das allein Wichtige. Er ſelbſt ſetzt hinzu, es ſey auch
kein Darlehen geſchloſſen; daß er dafür nicht wieder Ju-
lian anführt, darf nicht als Zeichen eines Streites über
dieſe Frage angeſehen werden: Ulpians Entſcheidung be-
ruht hier auf demſelben Grunde wie bey der Schenkung,
nämlich auf der für dieſes ſpecielle Geſchäft fehlenden
Übereinſtimmung. Hierauf folgt nun endlich der wichtigſte
Theil der Stelle, welcher von dem praktiſchen Ausgang
der ganzen Sache handelt (f). Ehe dieſer erklärt werden
kann, iſt noch eine genauere Betrachtung des ganzen Her-
gangs nöthig.
Die unzweifelhaft richtige Verneinung, ſowohl der
Schenkung als des Darlehens, bezieht ſich zunächſt auf
den Augenblick der Tradition. Betrachten wir aber die
möglichen Veränderungen dieſes urſprünglichen Zuſtandes.
Wenn zuerſt der Empfänger das Misverſtändniß entdeckt,
(e)
IV. 11
[162]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
und nun in den (noch unveränderten) Willen des Gebers
einzugehen erklärt, ſo iſt unzweifelhaft eine gültige Schen-
kung entſtanden, weil nun Beide dieſelbe übereinſtimmend
gewollt haben; eben ſo entſteht gewiß ein gültiges Dar-
lehen, wenn der Geber die Entdeckung macht, und ſich
dahin erklärt, daß er das von dem Empfänger gemeynte
Darlehen jetzt gleichfalls wolle. Der Fall muß alſo von
Ulpian vielmehr ſo gedacht ſeyn, daß der Geber, ſobald
er zuerſt über das Misverſtändniß klar wird, ſeine wohl-
wollende Abſicht ändert, und nun Alles widerruft, worauf
ja offenbar die erwähnte Klage hindeutet.
Welche Klage wird er anſtellen, und was wird der
Erfolg des Rechtsſtreits ſeyn? Entweder iſt das Geld
noch unberührt vorräthig, oder es iſt ausgegeben. Im
erſten Fall wird der Geber, nach Ulpian, eine Vindica-
tion anſtellen, nach Julian eine condictio sine causa. Und
jede dieſer Klagen muß dem Geber das Geld wieder ver-
ſchaffen, ohne daß ihn eine doli exceptio daran hindern
könnte. Denn es iſt ja offenbar kein Dolus, ſeinen Wil-
len zu ändern, ſo lange dieſer Wille noch nicht in ein
bindendes Rechtsgeſchäft übergegangen iſt. Das Daſeyn
eines Rechtsgeſchäfts aber wird von Ulpian beſtimmt ver-
neint, zum Theil mit Berufung auf Julian. — Setzen
wir nun den zweyten Fall, daß das Geld ausgegeben ſey.
Dieſes kann in der Art geſchehen ſeyn, daß der Werth
noch im Vermögen iſt, indem der Empfänger dafür etwa
ein Haus gekauft oder eine Schuldforderung erworben hat.
[163]§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)
Auch hier wird die Condiction gelten, mit ungeſtörtem Er-
folg, da nach der allgemeinen Natur der Condictionen eine
ſolche Verwandlung ganz gleichgültig iſt (g). Es kann
aber endlich das Geld auch ſo ausgegeben ſeyn, daß da-
von im Vermögen keine Spur übrig geblieben iſt, indem
es der Empfänger verſchenkt, verſpielt, zur Schwelgerey
verwendet hat. Dieſes iſt der einzige Fall, woran Ulpian
denkt (h), und in dieſem Fall ſoll die Condiction durch
doli exceptio ausgeſchloſſen ſeyn. Der Grund liegt darin,
daß die Condictionen überhaupt nur gelten, wenn das Ge-
gebene entweder noch vorhanden iſt, ſey es in ſeiner ur-
ſprünglichen Geſtalt, oder durch Verwandlung in ein an-
deres Vermögensſtück (Note g), oder wenn es durch Do-
lus des Empfängers verſchwunden iſt (§ 150. m). Im
vorliegenden Fall aber iſt ein ſolcher Dolus nicht zu be-
haupten, da der Empfänger, ſelbſt von ſeinem Standpunkt
aus (als Darlehnsſchuldner), das Geld ausgeben durfte;
ein Dolus wäre nur vorhanden, wenn er das Geld ver-
ſchwendet hätte, nachdem ihm der Widerruf des Gebers
11*
[164]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
bekannt geworden war. Vielmehr würde jetzt der Geber
in dolo ſeyn, wenn er ſeine frühere Liberalität ſo wenden
wollte, daß der Empfänger durch den ganzen Hergang
poſitiv ärmer würde, da doch die Conſumtion zu einer
Zeit geſchehen iſt, worin ſie dem damals noch unverän-
derten Willen des Gebers völlig gemäß war. Dieſes
Letzte, als den eigentlichen Grund der Entſcheidung, drückt
Ulpian aus in den Worten: quia secundum voluntatem
dantis numi sunt consumti, und es iſt dieſelbe natürliche
Betrachtung, welche von den alten Juriſten auch ſchon
bey der Schenkung unter Ehegatten angewendet worden
iſt (§ 150. u). — Es iſt alſo überhaupt kein nothwendi-
ger Grund vorhanden, in der Beurtheilung dieſes beſon-
deren Falles einen Widerſpruch zwiſchen Julian und Ul-
pian anzunehmen, da Beide in dem wichtigſten Punkt
übereinſtimmen, daß eine gültige Schenkung (und eben ſo
ein gültiges Darlehen) urſprünglich gar nicht vorhanden iſt.
Da, wo die Schenkung auf einem Vertrag beruht,
kann ſie, wie jeder andere, das Vermögen betreffende,
Vertrag eingeſchränkt werden durch Bedingung, Zeit, oder
Modus (§ 116). Für dieſe Beſchränkungen iſt wichtig der
oben angegebene Begriff der perfecta donatio (§ 155).
Vor der Vollendung desjenigen Geſchäfts, worin die Schen-
kung ſichtbar wird, kann der Geber jede willkührliche Ein-
ſchränkung hinzufügen, da er ja ſogar die ganze Schen-
kung noch rückgängig machen kann; nach jenem Zeitpunkt
[165]§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.
ſteht dieſes nicht mehr in ſeiner Macht (i). — Was das
Einzelne dieſer Beſchränkungen betrifft, ſo ſind nur zwey
Fälle derſelben von ſo durchgreifendem Einfluß, daß da-
durch die Schenkung ſelbſt eine ganz eigenthümliche Ge-
ſtalt annimmt: die mortis causa donatio, welche auf einer
einzelnen Art möglicher Bedingungen beruht, und die do-
natio sub modo im Allgemeinen. Alle übrigen bedingten
Schenkungen, ſo wie die durch Zeit beſchränkten, haben
keine hervorſtechende Eigenthümlichkeit. Die beiden eben
genannten Rechtsinſtitute aber müſſen zu einer abgeſon-
derten Darſtellung am Ende der ganzen Lehre vorbehalten
bleiben, da eine befriedigende Behandlung derſelben erſt
dann möglich iſt, wenn die auf poſitiven Geſetzen beru-
henden Einſchränkungen (insbeſondere die Inſinuation) ab-
gehandelt ſeyn werden.
Die genaue Begränzung des Begriffs der Schenkung
wurde nur nöthig durch drey im poſitiven Recht enthal-
tene Einſchränkungen: eine derſelben beruht auf erſchwe-
renden Formen, eine zweyte auf dem Verbot während der
Ehe, die dritte auf der Widerruflichkeit aus beſonderen
Gründen (§ 142). Für die Darſtellung des neueſten Rechts
iſt es nöthig, die Ordnung der zwey erſten Einſchränkun-
[166]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gen umzukehren, und das Verbot unter Ehegatten voran
zu ſtellen, obgleich es eine weit ſpeciellere Natur hat.
Das Verbot der Schenkung unter Ehegatten iſt von
zwey Seiten zu betrachten. Die eine derſelben gehört der
Ehe an; dahin iſt zu rechnen die Feſtſtellung der Gründe,
wodurch das Verbot herbeygeführt worden iſt, welche nur
im Zuſammenhang des Eherechts auf befriedigende Weiſe
unternommen werden kann, und daher hier ausgeſetzt
bleibt (a). Die andere Seite fällt in die allgemeine Lehre
von der Schenkung, welche ohne ſie ganz lückenhaft blei-
ben würde, da ſogar dieſe Anwendung für die Römiſchen
Juriſten faſt die einzige Veranlaſſung geweſen iſt, den
Begriff der Schenkung auszubilden und ſcharf zu begrän-
zen (§ 142).
Die allgemeine Bedingung dieſes Verbots beſteht alſo
darin, daß die Schenkung unter Ehegatten, folglich
während einer beſtehenden Ehe, vorgenommen werde. Es
iſt dabey derjenige Begriff der Schenkung zur Anwendung
zu bringen, welcher ſchon oben vollſtändig entwickelt wor-
[167]§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.
den iſt. Namentlich iſt Veräußerung nöthig, und Berei-
cherung; dieſe Bereicherung muß fortdauernd ſeyn, und
aus der Abſicht des Gebers hervorgehen.
Da die Schenkung während einer Ehe geſchehen ſeyn
muß, damit das Verbot wirken könne, ſo ſind dadurch
zweyerley Fälle ausgeſchloſſen.
Erſtlich wenn das Verhältniß des Gebers zum Em-
pfänger überhaupt nicht Ehe iſt. Dahin gehört alſo jedes
geſchlechtliche Verhältniß niederer Art, wie Concubinat
und was noch tiefer ſteht als dieſes (b). Es wäre irrig
anzunehmen, dieſe Verhältniſſe hätten noch weniger An-
ſpruch auf Gültigkeit der Schenkung als die Ehe, weil
ſie geringer ſeyen als dieſe. Denn das Verbot in der
Ehe gründet ſich auf die Befürchtung, daß die Reinheit
und innere Würde derſelben durch Schenkungen gefährdet
werden möchte; bey jenen Verhältniſſen aber iſt Nichts zu
verderben. — Eben dahin gehört, dem Grundſatz nach,
auch jedes Verhältniß, welches von den zuſammen leben-
den Perſonen als Ehe gemeynt iſt, aber aus Rechtsgrün-
den nicht als wahre Ehe angeſehen werden kann (c). In
[168]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
der Anwendung aber iſt dieſer Grundſatz manchen Modi-
ficationen unterworfen. Zwar wenn das Ehehinderniß
nicht als eigentliches Verbot angeſehen werden kann, wie
z. B. das unreife Alter, iſt die Schenkung, wegen der
Nichtigkeit einer ſolchen Ehe, in der Regel gültig (d); ſie
iſt aber ausnahmsweiſe ungültig, wenn die vermeyntlichen
Ehegatten das Hinderniß nicht kannten: hier jedoch nicht
wegen des Schenkungsverbots (das auf den Fall dieſer
nichtigen Ehe keine Anwendung leidet), ſondern weil man
es nun nicht als reine Schenkung, vielmehr als eine Art
von datum ob causam betrachtet, welches wegen der irri-
gen causa zurückgefordert werden kann (e). — Anders ver-
hält es ſich, wenn das Ehehinderniß auf einem eigentli-
chen Verbote beruht. Zwar paßt auch hier das nur auf
wahre Ehen berechnete Schenkungsverbot unmittelbar nicht.
Es wird aber als unwürdig angeſehen, daß die Schen-
kung bey einer verbotenen Ehe mehr Wirkſamkeit habe,
als bey einer gültigen (f). Daher gilt hier ſtets Zurück-
forderung des Geſchenks. Iſt nun der Geber, welcher
die Rückforderung geltend macht, in Beziehung auf das
[169]§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.
vorhandene Verbot, ſchuldlos, ſo behält er das zurückge-
gebene Geſchenk gerade ſo, wie wenn die Ehe gültig, und
deshalb die Schenkung nichtig geweſen wäre (g). Wenn
dagegen der Geber als der Schuldige, in Beziehung auf
das Eheverbot, zu betrachten iſt, ſo wird das Geſchenk
zwar auch zurückgefordert, aber ſo daß es der Fiscus an-
ſtatt des Schuldigen erhält (h).
Zweytens iſt die Schenkung gültig, wenn ſie vor dem
Anfang der Ehe, oder nach dem Ende derſelben (im Fall
der Scheidung) geſchieht. — Die Schenkung vor der Ehe
iſt die donatio ante nuptias, die zunächſt nur beachtet
wurde im Gegenſatz der Schenkung unter Ehegatten, um
hervorzuheben, daß ſie noch nicht unter das, für dieſelben
Perſonen bald nachher eintretende, geſetzliche Verbot falle.
Dieſes war ihre negative Seite; dann wurde aber auch
eine poſitive Eigenthümlichkeit in ihr angenommen, indem
[170]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſie nicht als reine Schenkung, ſondern zugleich als datum
ob causam behandelt wurde, welches die Folge hat, daß
ſie in den meiſten Fällen zurückgefordert werden kann,
wenn die Ehe nicht zu Stande kommt (i). Zuletzt wurde
ſie in die donatio propter nuptias umgebildet, in welcher
Geſtalt ſie gar nicht mehr die Natur einer Schenkung an
ſich trägt. Daneben aber beſteht noch immer der ur-
ſprüngliche Grundſatz, daß vor dem Anfang der Ehe jede
Schenkung unter den künftigen Ehegatten (auch wenn ſie
nicht die beſonderen Eigenſchaften einer donatio propter
nuptias an ſich trägt) von dem geſetzlichen Verbot nicht
betroffen wird (k). Beſondere Rückſicht verdienen die Fälle,
worin die Schenkung dergeſtalt in verſchiedene Zeitpunkte
fällt, daß ſie in dem einen juriſtiſch begründet wird, in
dem andern in Erfüllung gebracht werden ſoll. Fällt nun
jener erſte Zeitpunkt vor den Anfang der Ehe, die Erfül-
lung aber wird der ſchon vollzogenen Ehe vorbehalten, ſo
iſt das Schenkungsverbot darauf anwendbar (l). Eben ſo
iſt es umgekehrt nicht anwendbar, wenn zwar während
der Ehe die Schenkung juriſtiſch begründet wird, ihre
Wirkſamkeit aber erſt nach aufgelöſter Ehe eintreten ſoll.
Daher iſt unter Ehegatten gültig die mortis causa dona-
[171]§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.
tio, weil dieſe überhaupt erſt durch den früheren Tod des
Gebers volle Beſtätigung erhält (m). Eben ſo auch die
Schenkung für den Fall einer bevorſtehenden Scheidung,
weil durch die Scheidung, eben ſo wie durch den Tod,
die Ehe aufgelöſt wird (n).
Das Verbot beſchränkt ſich nicht auf die Schenkung
eines Ehegatten unmittelbar an den andern, ſondern es
umfaßt zugleich alle diejenigen Perſonen, mit welchen die
Ehegatten in Vermögenseinheit ſtehen. Der Mann kann
alſo auch nicht ſchenken dem Vater der Frau, wenn ſie
in deſſen Gewalt ſteht, ihren Geſchwiſtern, die mit ihr
in deſſelben Vaters Gewalt leben, desgleichen ihrem Skla-
ven; eben ſo darf er nicht von dieſen Perſonen Geſchenke
annehmen. Auf gleiche Weiſe iſt verboten die Schenkung
[172]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zwiſchen der Frau und des Mannes Vater, Geſchwiſtern,
Sklaven; hier kommt noch hinzu die Schenkung der Frau
an ihre eigenen Kinder, ſo lange dieſe in des Mannes
Gewalt ſtehen. Endlich iſt auch jede wechſelſeitige Schen-
kung unter den hier genannten Perſonen verboten, ſo daß
alſo der Vater des Mannes dem Vater der Frau nicht
ſchenken kann, und umgekehrt (o).
Die allgemeine Wirkung dieſes Verbots beſteht darin,
daß jede Handlung, welche zur Vollziehung einer ſolchen
verbotenen Schenkung dienen ſoll, als nicht geſchehen
[173]§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
betrachtet wird; das heißt, es gilt hier abſolute Nulli-
tät (a).
Die Tradition alſo, und eben ſo im älteren Recht die
Mancipation, überträgt in dieſem Fall kein Eigenthum
(Note a). Eben ſo entſteht daraus, wenn der Geber ſelbſt
das Eigenthum nicht hat, keine Uſucapion (b). Beruht
die Tradition auf einem negotium mixtum cum donatione
(§ 154), ſo daß ſie nur theilweiſe Schenkung iſt, ſo ent-
ſteht durch ſie ein getheiltes Eigenthum (c).
Sollte die Schenkung in einer übernommenen Obliga-
tion beſtehen, ſo iſt dieſe ganz nichtig. Wird nachher aus
dieſer Obligation Zahlung geleiſtet, ſo würde Dieſes ei-
gentlich keine Schenkung, ſondern bloße Schuldenzahlung
ſeyn (§ 157. a. b). Da aber die Schuld nichtig iſt, ſo
iſt es dennoch wieder eine neue Schenkung, und daher
gleichfalls nichtig.
Sollte die Schenkung durch einen Erlaßvertrag (wie
Acceptilation) bewirkt werden, ſo gilt dieſer gleichfalls als
[174]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nicht geſchloſſen, das heißt die Schuld dauert unverändert
fort (Note a).
Dieſe Regeln gelten für beide Ehegatten gleichmäßig.
Dennoch zeigt ſich ihr Einfluß durchgreifender bey den
Schenkungen des Mannes an die Frau, als im umgekehr-
ten Fall. Alles, was der Mann ſeiner Frau unentgeld-
lich giebt, hat von ſelbſt die Natur einer Schenkung, und
iſt der angegebenen Nichtigkeit unterworfen. Die Frau
kann ſtets ihr ganzes Vermögen unentgeldlich dem Mann
überlaſſen, und dieſes iſt völlig gültig, ſo bald es zum
Zweck einer Dos geſchieht. Allerdings iſt nun dieſe keine
Schenkung, aber der Unterſchied ſcheint mehr im Namen
als in der Sache zu liegen. Denn der Mann bekommt
an einer ſolchen Dos ſogleich Eigenthum und Fruchtge-
nuß, zunächſt alſo dieſelben Rechte und Vortheile, die ihm
auch eine Schenkung verſchaffen könnte. Der praktiſche
Sinn dieſes, auch an die Frau gerichteten, Verbots be-
ſteht alſo darin, daß ſie dem Mann nicht ſoll Vermögen
anders unentgeldlich zuwenden können, als nach den für
die Dos geltenden eigenthümlichen Regeln, das heißt haupt-
ſächlich nicht anders, als ſo daß das Gegebene am Ende
der Ehe auf die Frau ſelbſt oder ihre Erben zurück falle (d).
Wenn zu der Schenkung zwiſchen Ehegatten Rechts-
geſchäfte mit fremden Perſonen angewendet werden (§ 158),
ſo entſteht die Frage, ob die im Allgemeinen ausgeſpro-
chene Nichtigkeit auch auf dieſe Rechtsgeſchäfte mit zu be-
ziehen iſt, obgleich jene fremde Perſonen weder als Geber,
noch als Empfänger, betrachtet werden können, alſo über-
haupt in gar keinem Schenkungsverhältniß ſtehen. Den-
noch muß auch hier die Nichtigkeit im Allgemeinen be-
hauptet werden (e); die genauere Ausführung dieſer Frage
aber iſt in der Beylage X. verſucht worden.
Es ſind nun noch die Rechtsmittel anzugeben, wodurch
dieſe Nichtigkeit der Schenkung unter Ehegatten zur Aus-
führung gebracht wird. Für viele Fälle bedarf es ſolcher
Rechtsmittel gar nicht; bey der Schenkung durch Stipu-
lation, wie durch Acceptilation, genügt die bloße Nichtig-
keit an ſich, indem durch die Stipulation keine Obligation
entſteht, durch die Acceptilation die urſprüngliche Obli-
gation nicht aufgehoben oder geſchwächt wird. Es bedarf
eines beſonderen Rechtsmittels nur da, wo zum Nachtheil
des Gebers irgend eine Veränderung bereits eingetreten
iſt, deren Folgen jetzt wieder aufgehoben werden ſollen.
Für dieſen Zweck gelten zwey Rechtsmittel: eine Vin-
dication, wenn die geſchenkte Sache noch vorhanden iſt,
ſo daß blos der Beſitz dem Geber fehlt; eine Condiction,
(d)
[176]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
wenn ſich bey dem Empfänger nicht mehr die Sache ſelbſt,
wohl aber der Werth derſelben vorfindet (f).
Bey der Vindication iſt eine eigenthümliche Ausdeh-
nung zu bemerken. Sind Baumaterialien geſchenkt, welche
ſich auf einem Grundſtück des Empfängers verbaut finden,
ſo darf der Geber dieſelben, gegen die in anderen Fällen
geltende Regel, aus dem Gebäude herausnehmen, wenn
es nur ohne Beſchädigung geſchehen kann. Dagegen fällt
nun auch die actio tigni juncti auf den doppelten Werth
hinweg (g). Daß die Vindication auch gegen jeden dritten
Beſitzer der geſchenkten Sache geht, liegt in der allgemei-
nen Natur dieſer Klage.
Die Condiction kann als sine causa, aber auch als
ex injusta causa bezeichnet werden, da hier beide Benen-
nungen gleichmäßig anwendbar ſind (h). Denn die factiſch
vorhandene donationis causa ſteht mit einer abſoluten
Rechtsregel im Widerſpruch (injusta causa), und hat da-
[177]§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
her kein juriſtiſches Daſeyn (sine causa). Sie geht auf
die in dem Vermögen des Empfängers fortwährend vor-
handene Bereicherung (Note f). Wie dieſe Bereicherung
zu beurtheilen iſt, insbeſondere wenn ein wiederholter Um-
ſatz von Vermögensſtücken Statt gefunden hat, iſt oben
(§ 149 — 151) beſtimmt worden. Iſt entweder das Da-
ſeyn, oder der Umfang der fortwährenden Bereicherung
ſtreitig, ſo trifft die Beweislaſt den Beklagten. Denn die
urſprüngliche Bereicherung iſt ſtets unzweifelhaft, der Be-
klagte aber behauptet die Aufhebung oder Verminderung
derſelben durch eine ſpätere Thatſache, welche er daher
beweiſen muß. — In wiefern die Klage auch auf die
Früchte der geſchenkten Sache gerichtet werden kann, iſt
ſchon oben unterſucht worden (§ 147).
Die Klage gilt unter den Ehegatten ſelbſt, nur wenn
unter ihnen auch die Schenkung vorgekommen war. Hatte
dieſe unter anderen Perſonen Statt gefunden, deren per-
ſönliches Verhältniß zu den Ehegatten dieſelbe unzuläſſig
machte (§ 162), ſo gilt die Klage zwiſchen dem Geber
und dem Empfänger (i). Das Geſchenk alſo, das der
Mann ſeinem Schwiegervater gab, hat er von dieſem zu-
rück zu fordern, nicht von der Frau.
Eine beſondere Begünſtigung der Rückforderung gilt
für den Fall, wenn das geſchenkte Geld zum Ankauf einer
noch jetzt vorräthigen Sache verwendet wurde, der Em-
pfänger aber inſolvent geworden iſt. Hier kann die ge-
IV. 12
[178]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
kaufte Sache mit einer utilis vindicatio eingeklagt wer-
den (k).
Außer dieſen Klagen hatte der ſchenkende Ehemann im
älteren Recht noch ein beſonderes Rechtsmittel. Er konnte
am Ende der Ehe, wenn ihm die Dos abgefordert wurde,
dieſe als Pfand zurück behalten bis ihm die an die Frau
gemachten Geſchenke zurückgegeben waren (l). Juſtinian
hat dieſe Retention, ſo wie alle übrigen, aufgehoben (m).
Es giebt jedoch eine Anzahl von Fällen, worin aus-
nahmsweiſe die Schenkung unter Ehegatten aufrecht er-
halten wird: bald indem ſie gleich Anfangs als gültig an-
zuſehen iſt, bald indem ſie durch ſpätere Thatſachen be-
ſtätigt wird (n).
So iſt von dem Verbot im Römiſchen Recht ganz aus-
genommen jede Schenkung zwiſchen dem Kaiſer und der
[179]§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
Kaiſerin (o). — Ferner die Schenkung, wodurch die Wie-
derherſtellung eines abgebrannten Hauſes bewirkt werden
ſoll (p). — Dann die Schenkung der Frau an den Mann,
damit dieſer gewiſſe Ehrenrechte zu erlangen fähig werde:
namentlich um ihm den Cenſus der Ritter oder der Se-
natoren zu verſchaffen, oder damit er die mit gewiſſen
Magiſtraturen verknüpften öffentlichen Spiele beſorgen
könne (q). — Erlaubt iſt ferner die Schenkung, die einem
zur Deportation verurtheilten Ehegatten gemacht wird,
oder umgekehrt (r). Im erſten Fall zwar kann dieſes be-
trachtet werden als eine, erſt nach aufgelöſter Civilehe
zu erfüllende Schenkung, die ſchon an ſich gültig iſt (s);
im zweyten Fall aber hat es die beſondere Bedeutung,
daß nicht der Fiscus, an der Stelle des Gebers, das Ge-
ſchenk ſoll zurück fordern können (t).
Eine beſonders wichtige Ausnahme des Verbots be-
ruht auf einer eigenen Art von Compenſation. Wenn der
Mann ein Geſchenk der Frau verſchwendet, ſo fällt da-
für jede Rückforderung weg, weil er nicht reicher iſt.
Schenkt er ihr nun wieder, und ſie behält das Geſchenk,
ſo müßte er es zurück fordern können, weil ſie durch daſ-
ſelbe reicher iſt. Hier aber wird die Rückforderung durch
Compenſation mit der gegenſeitigen Schenkung ausgeſchloſ-
ſen, obgleich dieſe nicht mehr zurück gefordert werden
konnte (u).
Die wichtigſte Ausnahme endlich von dem Verbot ei-
ner ſolchen Schenkung iſt durch den Senatsſchluß vom
J. 206 eingeführt worden (§ 150). Dieſer wird bald dem
K. Severus zugeſchrieben, weil dieſer damals der Haupt-
kaiſer war (a), bald dem K. Caracalla, welcher, als Mit-
regent, den Antrag dazu in den Senat brachte (b), bald
(t)
[181]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
beiden Kaiſern gemeinſchaftlich (c); jede dieſer Bezeichnun-
gen konnte als richtig gelten, und keine derſelben deutet
auf zwey verſchiedene Senatsſchlüſſe.
Nach dieſem Senatsſchluß wird die Schenkung unter
Ehegatten gültig und wirkſam, ſobald der Geber in der
Ehe ſtirbt, ohne einen Widerruf ausgeſprochen zu haben.
Man ſieht es nun ſo an, als hätte der Geber eine mor-
tis causa donatio im Sinn gehabt, das heißt in beſtimm-
ter Hinſicht auf ſeinen künftigen Tod in der Ehe geſchenkt;
da nun eine ſolche Schenkung unter Ehegatten ſchon in
früherer Zeit als gültig anerkannt wurde, jedoch ſo daß
ſie erſt im Augenblick des Todes wirken ſollte (§ 162. m),
ſo wurde nunmehr dieſelbe Behandlung auf jede, auch
ohne Erwähnung des Todes vorgenommene, Schenkung
unter Ehegatten angewendet, wenn nur der Geber in der
Ehe ſtarb, ohne ſeinen Willen geändert zu haben. Dieſe
Aufrechthaltung der erwähnten Schenkung durch die Fiction
einer (ohnehin gültigen) mortis causa donatio erhellt zu-
nächſt aus einigen Stellen, worin geradezu von der m. c.
donatio auf unſren Fall der Schenkung Folgerungen an-
gewendet werden (d); außerdem auch noch aus einer Stelle
(b)
[182]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
des Papinian, nach welcher dieſe Schenkung ſoll unan-
fechtbar ſeyn fini decimarum (Note c). Das will ſagen,
vor dem Senatsſchluß konnten die Erben das ganze Ge-
ſchenk zurückfordern, weil es nichtig gegeben war. Jetzt
haben zwar die Erben gar kein Recht mehr, darum wird
aber doch nicht gerade das ganze Geſchenk aufrecht erhal-
ten. Denn indem nun die Schenkung, um gültig zu ſeyn,
die Natur einer m. c. donatio annimmt, wird ſie auch
allen Beſchränkungen derſelben unterworfen. So wie alſo
die m. c. donatio überhaupt, einem Legate ähnlich, von
der Capacität des Empfängers abhängt (e), muß dieſes
auch von der durch den Tod beſtätigten Schenkung unter
Ehegatten gelten. Sie iſt daher nur gültig innerhalb der
von der L. Julia vorgeſchriebenen Gränze der decimae(f)
Dieſe Beſtätigung wird aber unmöglich, wenn die Ehe
(d)
[183]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
auf andere Weiſe, als durch des Gebers Tod, getrennt
wird, nämlich durch den früheren Tod des Empfängers
oder durch Scheidung; nun wirkt die Nichtigkeit in aller
Strenge des früheren Rechts, und es iſt höchſtens eine
neue Schenkung möglich (g). Der gleichzeitige Tod bei-
der Ehegatten gilt jedoch als Beſtätigung ihrer wechſelſei-
tigen Schenkungen (h).
Die Beſtätigung wird auch verhindert, wenn der Ge-
ber vor ſeinem Tod die Schenkung widerrufen hat. Dazu
iſt nicht etwa die Anſtellung einer Klage erforderlich, jede
formloſe Willenserklärung genügt, wird jedoch auch durch
eine neue Willensänderung entkräftet. Es entſcheidet alſo
derjenige Wille, der als zuletzt vorhanden nachgewieſen
werden kann (i).
Tritt die Beſtätigung ein, ſo wird die Wirkung zu-
rückgeführt auf die Zeit des gegebenen Geſchenks, ſo daß
nunmehr Alles ſo behandelt wird, als ob die Schenkung
gleich Anfangs gültig geweſen wäre (i¹).
Bey dieſer Beſtätigung der Schenkung durch den Tod
des Gebers hat ſich folgende Streitfrage von der Zeit der
[184]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Gloſſatoren an bis auf unſere Tage fortgepflanzt. Die
Einen laſſen ſie allgemein gelten, ohne Unterſchied der
Schenkungsmittel: die Anderen nur für die durch Tradi-
tion einer Sache bewirkte Schenkung, nicht für andere
Fälle, namentlich nicht für die Schenkung durch obliga-
toriſchen Vertrag (k).
Die allgemeine Anwendbarkeit, die ich für richtig halte,
iſt in folgenden Stellen des Ulpian auf ſo beſtimmte Weiſe,
ohne Zuſatz irgend eines Zweifels, anerkannt, daß ſie
völlig herrſchend geworden ſeyn muß, wenn auch früher
irgend ein Widerſpruch verſucht ſeyn ſollte.
L. 32 § 1 de don. int. vir. (24. 1.). (Ulp. lib. 33 ad Sab.).
Oratio .. pertinet … ad omnes donationes inter vi-
rum et uxorem factas: ut et ipso jure res fiant ejus
cui donatae sunt, et obligatio sit civilis(l).
Noch beſtimmter im § 23 derſelben Stelle: Sive autem
res fuit, quae donata est, sive obligatio remissa, po-
test dici donationem effectum habere … et genera-
[185]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
liter universae donationes, quas impediri diximus, ex
oratione valebunt.
Dieſes Letzte ſagt derſelbe Ulpian, welcher kurz zuvor
in demſelben Werk geſagt hatte, unter Ehegatten ſeyen
alle Schenkungen nichtig, ſie möchten durch Traditionen
verſucht ſeyn, oder durch Stipulationen, oder durch Ac-
ceptilationen (§ 163. a); durch dieſe kurz vorhergehende
Stelle erhalten die Worte: universae donationes quas im-
pediri diximus ihren unzweifelhaften Sinn. — Unmittel-
bar auf die zuletzt angeführte Stelle folgt die Erwähnung
der societas und der emtio donationis causa contracta(m);
hier, heißt es, hindere meiſt ſchon die Natur der Socie-
tät oder des Kaufs die Gültigkeit des Geſchäfts, ohne
Rückſicht auf die Ehe, und dagegen könne auch der Se-
natsſchluß nicht ſchützen; wo aber jener allgemeinere Grund
nicht im Wege ſtehe, da wirke allerdings auch der Se-
natsſchluß beſtätigend ein. Hierin liegt ein entſcheidender
Beweis, daß der Senatsſchluß an ſich auf obligatoriſche
Verträge eben ſo anwendbar war, als auf Traditionen.
— In der folgenden Stelle (L. 33 eod.) macht Ulpian
eine Anwendung dieſer Regeln auf den beſonderen Fall,
wenn der Mann ſeiner Frau ein Jahrgeld durch Stipula-
tion verſpreche, oder umgekehrt die Frau dem Mann.
Auch dieſe Schenkung, ſagt er, wird durch den Senats-
ſchluß beſtätigt. Durch dieſe Anwendung werden die vor-
her angeführten allgemeinen Ausſprüche nur noch unzwei-
[186]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
felhafter gemacht. Die Gegner der allgemeinen Anwen-
dung haben oft ſeltſamerweiſe die letzte Stelle als das
einzige vorhandene Zeugniß angeſehen, und nun die will-
kührlichſten Behauptungen aufgeſtellt um zu erklären,
warum gerade die Stipulation eines Jahrgeldes ein ganz
beſonderes Recht haben müſſe. Hätten ſie den hier dar-
geſtellten inneren Zuſammenhang beider Stellen des Ulpian
erwogen, ſo würde ihnen die Fruchtloſigkeit dieſer ihrer
Bemühung nicht entgangen ſeyn, da ſelbſt die gelungenſte
Beſeitigung der L. 33 cit. ihre Meynung um Nichts wei-
ter bringen konnte.
In einem Reſcript des K. Alexander (n) wird der Fall
beurtheilt, da ein Mann ſeine Frau dadurch beſchenken
wollte, daß er die Summe der urſprünglich empfangnen
Dos in einer ſpäterhin, während der Ehe, ausgeſtellten
Urkunde höher angab als ſie wirklich war (Quod de suo
.. in dotem adscripsit). Der Kaiſer ſagt, dieſe Schen-
kung, wenn ſie nicht widerrufen ſey, werde durch den
Tod beſtätigt, vorausgeſetzt nur daß ſie durch irgend ein
bindendes Rechtsgeſchäft perfect geworden ſey (donationem
legitime confectam … quatenus liberalitas interposita mu-
nita est). Er fordert alſo nicht Tradition (welches nach
der Meynung der Gegner geſchehen mußte), ſondern irgend
eine nach allgemeinen Regeln gültige Perfection, indem
das bloße adscribere allerdings nicht hinreichen konnte.
Die Form der Stipulation war alſo in dem vorliegenden
[187]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
Fall nicht ausgeſchloſſen, ja ſie war ſo ſehr die natür-
lichſte und angemeſſenſte, daß ſie vor allen hier als an-
gewendet vorausgeſetzt werden kann (o).
Dieſen Zeugniſſen ſteht nun allerdings folgende bedenk-
liche, gleichfalls von Ulpian herrührende, Stelle entgegen.
L. 23 de don. int. vir. (24. 1.). (Ulpian. lib. 6 ad Sab.).
Papinianus recte putabat, orationem D. Severi ad
rerum donationem pertinere: denique si stipulanti
spopondisset uxori suae, non putabat conveniri posse
heredem mariti, licet durante voluntate maritus de-
cesserit(p).
Stände nicht das recte, als Zuſtimmung des Ulpian,
dabey, ſo wäre Alles ganz einfach. Es wäre die blos
hiſtoriſche Erwähnung, daß einmal Papinian die Anwend-
barkeit des Senatsſchluſſes auf Stipulationen bezweifelt
habe, die jedoch bald nachher allgemeine Anerkennung erhielt.
Betrachten wir zuerſt die inneren Gründe für beide entge-
genſtehende Meynungen, indem wir auf einen Augenblick
jene Zuſtimmung auf ſich beruhen laſſen. Papinian konnte
zu der beſchränkteren Anwendung beſtimmt werden durch
die im Senatsſchluß gebrauchten Worte: heredem vero
[188]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
eripere … durum et avarum esse(q), die allerdings,
buchſtäblich genommen, auf das Entreißen eines ſchon in
Beſitz genommenen Gutes zu deuten ſchienen. Weit ent-
ſcheidender jedoch für die entgegengeſetzte Meynung war
die Zurückführung des ganzen Falles auf die Fiction ei-
ner mortis causa donatio. Dieſe aber bezweifelte ſelbſt
Papinian nicht, da er die Gränzen der Capacität in An-
wendung brachte (Note c. f). Da nun die mortis causa do-
natio durch Stipulation ſo gut, als durch Tradition be-
wirkt werden konnte, welches ſelbſt Papinian anerkann-
te (r), ſo war es conſequent, auch die gewöhnliche Schen-
kung unter Ehegatten durch den Tod des Gebers beſtäti-
gen zu laſſen, ohne Unterſchied ob ſie durch Stipulation
oder durch Tradition bewirkt werde.
Inſofern kann man alſo ſagen, Papinian habe mehr
auf den Buchſtaben, Ulpian auf den Geiſt des Senats-
ſchluſſes geſehen, wie es auch in der That manche Ver-
theidiger der richtigen Meynung aufgefaßt haben. Man
hat ſogar verſucht, dieſen Gegenſatz in die Zuſtimmung
Ulpians (recte putabat) hinein zu tragen, gleich als wollte
dieſer ſagen: dem Buchſtaben nach iſt Papinians Mey-
nung richtig, ich behalte mir aber vor, anderwärts zu
bemerken, daß es dem Geiſt nach anders verſtanden wer-
[189]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
den muß (s); dadurch wird jedoch Ulpians Worten Ge-
walt angethan. Wie ſteht es alſo mit dieſem recte, das
ohne Zweifel mehr Schwierigkeit in die Sache bringt, als
alles Andere? A. Faber, nach ſeiner wenig ängſtlichen
Weiſe, will das Wort recte wegſtreichen (t), dieſer be-
quemen Aushülfe widerſpricht aber die Leſeart aller be-
kannten Handſchriften; doch hat es einigen Schein, daß
in den Handſchriften der Gloſſatoren das Wort gefehlt
habe (u). — Eine andere Meynung nimmt zwey Senats-
ſchlüſſe an: der ältere (von Severus) habe die beſchränkte
Anwendung geboten, und davon rede Papinian: der neuere
(von Antoninus) habe das Recht weiter ausgedehnt, und
davon rede, in den ſpäteren Stellen, Ulpian. Dieſe Ver-
einigung findet ſich ſchon in der Gloſſe, und ſie iſt neuer-
lich auf ſehr ſcheinbare Weiſe ausgeführt worden (v). Es
ſteht ihr aber zuerſt der Umſtand entgegen, daß ſchwerlich
über eine ſo iſolirte Rechtsfrage innerhalb weniger Jahre
[190]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zwey Senatsſchlüſſe erlaſſen ſeyn möchten (w). Ferner,
daß ſich in den nicht wenigen Stellen, die davon reden,
doch wohl irgend eine Spur von zwey Beſchlüſſen erhal-
ten haben müßte; dieſes iſt aber ſo wenig der Fall, daß
vielmehr die Juriſten und die Kaiſer willkührlich und ſorg-
los ganz abwechſelnde Bezeichnungen gebrauchen, welches
nur unter der Vorausſetzung eines einzigen Beſchluſſes ge-
fahrlos geſchehen konnte (x). Ganz beſonders aber ſpricht
gegen jene Annahme die hiſtoriſche Einleitung, womit
Ulpian die Hauptſtelle über dieſen Gegenſtand eröffnet
(Note b). Er ſetzt hier entgegen den älteren Zuſtand der
Schenkungen (nach jus civile) und den Senatsbeſchluß
„ut aliquid laxaret ex juris rigore.” Der Beſchluß, von
dem er hier redet, iſt (nach Puchta’s Meynung) der neuere,
und er konnte unmöglich als das Eigenthümliche deſſelben
die Milderung des juris rigor angeben, wenn eine ſolche
Milderung (nur in einem etwas geringeren Grade) ſchon
früher vorgenommen worden war. — Sehen wir aber ge-
nauer zu, ſo referirt Ulpian zwey verſchiedene Behaup-
tungen des Papinian: die Anwendung des Senatsſchluſſes
auf die Traditionen, die Nichtanwendung auf Stipulatio-
nen. Nur die erſte Behauptung billigt er (wenn das recte
ächt iſt), über die zweyte erklärt er ſich wörtlich gar nicht,
denn er ſagt: recte putabat .. ad rerum donationem per-
[191]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
tinere: denique … non putabat etc. Hätten wir nun
dieſe Stelle allein, ſo würden wir unbedenklich die Billi-
gung, als ſtillſchweigend wiederholt, in die zweyte Behaup-
tung hinein tragen. Bey dem entſchiedenen Widerſpruch
der übrigen Stellen Ulpians ſteht es anders. Allerdings
dürfte man, von dieſem Geſichtspunkt die Sache anſehend,
erwarten, daß Ulpian der zweyten Behauptung Papi-
nians einen ausdrücklichen Widerſpruch hinzugefügt haben
möchte; es iſt aber auch nicht unwahrſcheinlich, daß er
dieſes wirklich gethan hat (y), und daß nur die Compila-
toren den Widerſpruch weggeſtrichen haben. Dazu konnte
ſie veranlaſſen die alte geſetzliche Vorſchrift, welche den
berichtigenden Noten des Ulpian und des Paulus zu Pa-
pinians Werken die Anwendbarkeit entzog (z). Allerdings
paßte dieſe Vorſchrift nicht unmittelbar auf den vorliegen-
den Fall, auch waren ſie, die Geſetzverfaſſer, daran nicht
gebunden; dennoch konnten ſie ſehr wohl glauben im Geiſt
jener Vorſchrift zu handeln, indem ſie Worte wegſtrichen,
worin Ulpian eine Meynung Papinians geradezu tadelte.
— Man könnte einwenden, ein ſolches Verfahren wäre
unvorſichtig geweſen, weil es das Verhältniß dieſer Stelle
[192]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zu den übrigen erſt recht zweifelhaft machen mußte. Allein
eine Unvorſichtigkeit in der gemeinſchaftlichen Aufnahme der
angeführten Stellen muß Jeder annehmen, welcher Mey-
nung er übrigens zugethan ſey, folglich erhält durch dieſe
Annahme keine mögliche Meynung Vortheil oder Nachtheil.
Ohne Zweifel waren die Compilatoren, hier wie in ande-
ren Fällen, nicht gewahr geworden, daß die L. 23, in
ihrer gegenwärtigen Geſtalt, mit L. 32 und 33 cit. nicht
zu vereinigen iſt.
Wir aber ſind durchaus genöthigt jene Stellen zu ver-
einigen, ein praktiſches Reſultat iſt uns unentbehrlich, auf
welchem Punkt haben wir dieſes zu finden? Ohne Zwei-
fel in den Stellen Ulpians (L. 32. 33 cit.), welche mit der
größten Entſchiedenheit und in mannichfaltigen Anwendun-
gen den ausgedehnteſten Gebrauch des Senatsſchluſſes be-
haupten. Daneben müſſen wir es nun als eine blos hi-
ſtoriſche Notiz anſehen, daß Papinian eine beſchränktere
Anwendung machen wollte: ſey es nun, daß wir zu die-
ſem Zweck das Wort recte wegſtreichen, oder daß wir es
blos auf die erſte (unzweifelhaft richtige) Behauptung Pa-
pinians beziehen, nicht auf die zweyte, wodurch eben dieſe
eine blos hiſtoriſche Bedeutung erhält (aa).
Zu dieſem Allen kommt nun noch ein merkwürdiger
Umſtand hinzu, den beide Parteyen für ſich zu benutzen
verſucht haben. Schon unter Juſtinians Regierung war
[193]§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
es zweifelhaft geworden, ob auch die auf obligatoriſchen
Verträgen beruhenden Schenkungen durch den Tod beſtä-
tigt werden möchten, und er ſelbſt bejahte dieſe Frage in
der Novelle 162. Sicherlich war der Zweifel entſtanden
eben aus der L. 23 cit., denn die Juriſten jener Zeit hat-
ten ja dieſelben Digeſten, wie wir, als Geſetzbuch vor
ſich. — Man könnte glauben, dadurch ſey aller Streit
geſchlichtet, allein unglücklicherweiſe iſt jene Novelle un-
gloſſirt. Nun ſagen die Gegner, da Juſtinian nöthig ge-
funden habe, dieſes durch ein neues Geſetz einzuführen,
ſo ſey das gerade ein Zeichen, daß bis dahin, alſo nach
unſren Digeſten, das entgegengeſetzte Recht gegolten ha-
ben müſſe. Dieſes würde richtig ſeyn, wenn jene Novelle
als neues Geſetz aufträte. Allein Juſtinian will darin
blos belehren, er argumentirt blos aus den ſchon beſte-
henden Geſetzen, und ſo iſt die Novelle ganz entſcheidend
für die hier vertheidigte Meynung, zwar nicht als Geſetz
(da ſie nicht gloſſirt iſt), wohl aber als die vollwichtigſte
Autorität.
Sehr merkwürdig iſt das Benehmen der praktiſchen
Schriftſteller bey dieſer Streitfrage. Dieſe ſind ganz ent-
ſchieden für die unbeſchränkteſte Ausdehnung des Senats-
ſchluſſes, und zwar berufen ſie ſich dabey auf die No-
velle 162 (bb). Gewiß nicht, als ob ſie überhaupt den
ungloſſirten Novellen Geſetzeskraft beylegen wollten, ſon-
IV. 13
[194]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dern weil, bey einer zweifelhaften Vereinigung wider-
ſprechender Stellen der Digeſten, jene Autorität große
Beachtung verdient; alſo ganz nach dem hier entwickelten
Zuſammenhang, wenngleich ſie dieſen nicht vollſtändig dar-
gelegt haben.
Die zweyte poſitive Einſchränkung der Schenkung be-
ſteht in erſchwerenden Formen. Um das neueſte hierin
geltende Recht in ſeiner ganzen Eigenthümlichkeit darſtel-
len zu können, iſt es nöthig, auf das ältere Recht zurück
zu gehen, namentlich auf das der Lex Cincia(a).
In der älteren Zeit können wir folgende zwey Ein-
ſchränkungen der Schenkung annehmen:
1) Ein Verbot großer Schenkungen, deren Gränze aber
wir nicht kennen.
2) Beſondere Formen vollgültiger Schenkung. Dieſe
[195]§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.
ſchließen ſich an die natürliche Forderung der Perfection
jeder wirkſamen Schenkung an (§ 155), jedoch ſo daß hier
dieſe Perfection durch poſitive Zuſätze erſchwert worden
iſt. Namentlich ſollten mancipi res nicht anders vollgül-
tig verſchenkt werden können, als durch Mancipation oder
in jure cessio(b), wozu jedoch noch hinzutreten ſollte ein
ſolcher Beſitz, der ſicheren Anſpruch auf den Interdicten-
ſchutz gewähren konnte.
Daneben aber gab es eine Anzahl von personae ex-
ceptae, wohin beſonders die nahen Verwandten des Ge-
bers gehörten, desgleichen der Ehegatte deſſelben (c). Dieſe
begünſtigten Perſonen waren von der natürlichen Noth-
wendigkeit der Perfection nicht befreyt, wohl aber von
den erwähnten poſitiven Erſchwerungen derſelben (d).
In dieſem Allen ſind es beſonders zwey Fragen, wor-
auf bis jetzt eine ſichere Antwort nicht hat gefunden wer-
den können. Erſtlich, wie viel von jenen Beſtimmungen
aus der L. Cincia ſelbſt, wie viel aus anderen Rechts-
quellen, und aus welchen, abzuleiten iſt. Zweytens, wie
ſich die Unterſcheidung großer und kleiner Schenkungen zu
jenen erſchwerenden Formen verhielt. Es ſcheint, daß, in
Beziehung auf dieſe letzte Frage, eines von folgenden zwey
denkbaren Verhältniſſen beſtanden haben müſſe. Entweder
waren die großen Schenkungen ſchlechthin verboten, ſo daß
nur die kleinen, um vollgültig zu ſeyn, jenen erſchweren-
den Formen unterworfen ſeyn ſollten (d¹). Oder es wa-
ren die kleinen Schenkungen, auch in Anſehung der Form,
ganz frey gegeben, das heißt nur an die natürlichen Re-
geln der Perfection gebunden, und nur bey den großen
ſollte die Gültigkeit von der Beobachtung jener poſitiv
vorgeſchriebenen Formen abhängig ſeyn.
Dagegen ſcheinen, inmitten dieſer Ungewißheit, folgende
(d)
[197]§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.
wichtige Punkte als unzweifelhaft angenommen werden zu
dürfen. Erſtlich war die Folge der Verletzung jener Vor-
ſchriften keinesweges die Nichtigkeit der Handlung (ſo wie
bey der Schenkung unter Ehegatten), ſondern vorzüglich
der Schutz des Gebers, wenn dieſer die Schenkung be-
reuen mochte, gegen die Klage des Empfängers, durch
jedes dazu dienliche Rechtsmittel. War z. B. ein Haus
durch Mancipation verſchenkt worden, ohne Übertragung
des Interdictenbeſitzes, ſo hatte allerdings der Empfänger
das Eigenthum und deshalb eine Vindication, aber dieſe
wurde durch eine exceptio L. Cinciae entkräftet. Dieſer
Zuſtand der Sache hatte die wichtige Folge, daß, wenn
umgekehrt der Beſitz des Hauſes übergeben, und nur die
Mancipation verſäumt war, dieſer Mangel binnen kurzer
Zeit durch Uſucapion gehoben werden konnte, ſo daß nun
nach zwey Jahren die Schenkung von ſelbſt unanfechtbar
wurde (e). — Zweytens ſollte dieſes Recht, die Schen-
kung, wegen Verletzung jener poſitiven Regeln, willkühr-
lich zu entkräften, ein perſönliches Recht des Gebers ſeyn;
hatte er bey ſeinem Leben die Abſicht der Schenkung nicht
widerrufen, ſo war der Erbe dazu nicht befugt (f). Faſ-
[198]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſen wir dieſe ſicheren Beſtimmungen zuſammen, ſo erſcheint
uns jenes alte Recht, welches die Römiſchen Juriſten ſo
ſehr beſchäftigte, in ſeinen Zwecken und Wirkungen mäßi-
ger, als man auf den erſten Blick glauben möchte. Es
lag darin blos ein Schutz für den gutmüthigen Leichtſinn,
indem der Geber in vielen Fällen die Scheukung bereuen
und entkräften konnte; jedoch konnte dieſe Reue ausge-
ſchloſſen werden, bald durch die Beobachtung ſtrenger
Formen, bald durch den Ablauf ſehr kurzer Zeit, bald
durch des Gebers Tod bey unverändertem Willen (g).
Dieſe Regeln und Formen des älteren Rechts ſind
ſpäterhin durch andere verdrängt worden, es ſcheint aber
(f)
[199]§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.
nicht, daß ſie jemals durch ein beſonderes Geſetz geradezu
aufgehoben wurden. Es erklärt ſich dieſer ſtillſchweigende
Untergang aus dem Umſtand, daß die eigenthümlichſte un-
ter jenen Formen, die Mancipation, in allen Anwendun-
gen verſchwand, alſo auch in dieſer einzelnen nicht fort-
dauern konnte (g¹). Als neue Form trat nun die gericht-
liche Inſinuation ein (§ 130), zuerſt blos aus freyem Ent-
ſchluß der Parteyen, ſeit Conſtantius Chlorus für alle
Schenkungen geſetzlich vorgeſchrieben, endlich auf große
Schenkungen eingeſchränkt. Lange Zeit aber erſcheinen
auch noch andere Formen daneben, zum Theil aus jenem
älteren Recht herüber genommen. Um nun deren Verhält-
niß zum neueſten Recht gründlich beurtheilen zu können,
iſt es nöthig, die wichtigſten hier einſchlagenden Kaiſerge-
ſetze der Reihe nach darzuſtellen.
Das älteſte derſelben, welches Conſtantin im J. 316
erließ, kennen wir in drey verſchiedenen Geſtalten (h). Es
war ein Edict von der ſchwülſtigſten Faſſung, gerichtet
an den Stadtpräfecten Maximus. Im Eingang klagt der
[200]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Kaiſer, daß bey Schenkungen oft ſorglos, oft unredlich
verfahren werde, und daß daraus viele Prozeſſe und wi-
derſprechende Urtheile hervorgiengen. Dieſem Übel vor-
zubeugen, erläßt derſelbe nicht ſowohl ein Geſetz, als eine
belehrende Inſtruction, wie man ſichere Schenkungen vor-
zunehmen habe. Er fordert dreyerley: Eine ſchriftliche
Urkunde vor Zeugen, worin alle Bedingungen der Schen-
kung, dann der Name des Gebers, und der Gegenſtand
der Schenkung genau anzugeben ſey; Ferner die Tradi-
tion, gleichfalls vor Zeugen (i); Endlich die gerichtliche
Inſinuation (k). Man konnte glauben, dieſes Alles wäre
als unerläßliche Form vorgeſchrieben, in deren Ermang-
lung das Geſchäft nichtig ſeyn ſollte. Daß es ſo nicht
gemeynt war, zeigt deutlich folgende Stelle: Quod si. [...]
orba publico testimonio liberalitas caecam gratiam ob-
scurosque coetus prodiderit, quoniam sola fraus cognita
est, eorum quae donata dicuntur temere non erit fides
accipienda. Alſo, wenn jene Formen verſäumt ſind, ſoll
nicht etwa das Geſchäft ſchon deshalb wirkungslos ſeyn,
ſondern der Richter ſoll nun nicht leicht die angebliche
Schenkung als wahr annehmen, folglich die Thatſachen
ſtrenger prüfen, als er außerdem thun würde. Dieſes
paßt in eine Inſtruction, mehr als in ein Geſetz.
Etwa Hundert Jahre nach jenem Edict wurde die
ſchriftliche Abfaſſung der Schenkungen für gleichgültig er-
klärt (l). Darin lag nicht etwa eine Abänderung deſſel-
ben, ſondern nur die Erklärung, daß die in dem Edict
erwähnte ſchriftliche Urkunde nicht als eine nothwendige
Form, ſondern nur als etwas Räthliches, angeſehen wer-
den ſolle. Ganz in dieſem Sinn (welcher ja auch in
Wahrheit der Sinn des Edicts ſelbſt war) wird jetzt hin-
zugefügt: wenn nur andere hinreichende Beweismittel vor-
handen ſeyen, ſo ſollten auch dieſe als genügend gelten.
Dieſelben Kaiſer, von welchen dieſe letzte Verordnung
herrührt, publicirten Zehen Jahre ſpäter den Theodoſiſchen
Codex. In denſelben nahmen ſie denn auch einen gedräng-
ten Auszug aus dem Edict Conſtantins auf (Note h), wel-
ches hier weit mehr, als in ſeiner urſprünglichen Geſtalt,
einem Geſetze gleich ſieht Dafür, daß die Erwähnung der
ſchriftlichen Urkunde in dieſem Edict nicht misverſtanden
würde, hatten die Kaiſer ſelbſt durch die vorher erwähnte
Verordnung bereits geſorgt. Die beiden anderen Stücke
(Tradition und Inſinuation) ſollten allerdings als nothwen-
dige Formen (und nicht erſt ſeit jenem Edict) beobachtet
werden. Allein auch dabey iſt die Hauptfrage nicht berührt,
welche Folgen eintreten ſollten, wenn jene Formen ver-
ſäumt waren. Man könnte ſagen, nun verſtand ſich die
[202]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Nichtigkeit von ſelbſt. Nirgend konnte ſich dieſe weniger
von ſelbſt verſtehen, als gerade bey der Schenkung. Seit
vielen Jahrhunderten war man hier an ſehr poſitive For-
men gewöhnt, aber deren Vernachläſſigung hatte ſtets ganz
andere Folgen gehabt, als die Nichtigkeit. Ohne Zweifel
ſetzten die Verfaſſer des Theodoſiſchen Codex dieſe andere
Folgen als bekannt voraus, und rechneten darauf, daß
Jeder dieſelben an die hier aufgenommene Verordnung an-
knüpfen würde. Eine ſolche Vorausſetzung war nicht zu
tadeln, indem damals die Schriften der alten Juriſten,
woraus man ſich hierüber belehren konnte, in den Hän-
den aller Richter waren.
Vierzig Jahre nach der Erſcheinung des Theodoſiſchen
Codex wurde von Manchen, wie es ſcheint, zu ängſtlich
auf der Zuziehung von Zeugen bey Schenkungen beſtan-
den. Daher verordnete K. Zeno (m), durch die gericht-
liche Inſinuation werde die Zuziehung von Zeugen bey
der Tradition ganz entbehrlich (n). Auch wo die Inſinua-
tion erlaſſen ſey (o), brauche die Urkunde nicht von Zeu-
gen unterſchrieben zu werden; ohnehin aber bleibe es bey
der ſchon gegebenen Vorſchrift, daß auch ganz ohne Ur-
kunde gültig geſchenkt werden könne.
Juſtinian hat die drey hier erwähnten Geſetze in ſei-
nen Codex aufgenommen; namentlich alſo auch das Edict
von Conſtantin, dieſes jedoch mit folgenden merkwürdigen
Änderungen. Bey der Vorſchrift der Inſinuation ſteht der
neue Zuſatz: ubi hoc leges expostulant, welcher darauf
hindeutet, daß Juſtinian die Inſinuation nur noch bey
Schenkungen von mehr als 500 Solidi fordert. Die Vor-
ſchrift der Tradition iſt ganz weggeblieben, ohne Zweifel
weil anderwärts Juſtinian verordnet hatte, das bloße,
ſelbſt formloſe, Verſprechen der Tradition ſolle eingeklagt
werden können (p). Endlich die Vorſchrift der ſchriftlichen
Urkunde iſt zwar geblieben, aber mit folgender merkwür-
digen Änderung. Conſtantin ſelbſt ſagt: tabulae .. scien-
tibus plurimis perscribantur. Darin liegt eine Hindeu-
tung auf die Zuziehung von Zeugen, wenn auch keine un-
bedingte Vorſchrift derſelben. Im Theodoſiſchen Codex
ſind die Worte scientibus plurimis beybehalten, im Juſti-
nianiſchen aber weggelaſſen worden (q). Das Eigenthüm-
liche alſo, was man aus dieſer Verordnung geneigt ſeyn
[204]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
könnte, noch in das neueſte Recht aufzunehmen, wäre die
Nothwendigkeit einer ſchriftlichen Urkunde, aber ohne nö-
thige Zuziehung von Zeugen. Allein gerade dieſe Forde-
rung war bereits durch die Conſtitution vom J. 428 für
überflüſſig erklärt worden (Note l), und da dieſe letzte in
unſren Codex aufgenommen wurde, ſo hat damit Juſtinian
ſeine Meynung über dieſen Punkt ganz beſtimmt ausge-
ſprochen.
Dadurch iſt alſo das Edict von Conſtantin wiederum
Das geworden, was es urſprünglich war: eine belehrende
Anweiſung zur vorſichtigen Abfaſſung von Schenkungsur-
kunden, wenn die Parteyen überhaupt Urkunden nöthig
finden. Und faſſen wir nun den ganzen bisher zuſammen-
geſtellten Inhalt des Juſtinianiſchen Codex über die Form
der Schenkungen zuſammen, ſo müſſen wir ſagen, es iſt
außer der Inſinuation gar keine Form vorgeſchrieben, we-
der Schrift, noch Zeugen, noch Tradition.
So würde es ſtehen, wenn wir über dieſe Frage gar
keine eigene Erklärungen von Juſtinian vor uns hätten.
Allein auch an dieſen fehlt es nicht. Nachdem er mehrere
genaue Beſtimmungen über die Inſinuation gegeben hatte,
beſtimmte er über die neben derſelben geltende Form der
Schenkung Folgendes (r). Der Vorbehalt des Niesbrauchs
gelte als Tradition, übertrage alſo ſogleich Eigenthum.
Die Stipulation gebe ein Klagerecht auf Erfüllung durch
Tradition. Ja ſelbſt ein Verſprechen durch formloſen Ver-
[205]§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.
trag ſolle ein ſolches Klagrecht ſchon begründen. Hier
war nun gewiß der Ort, die Zeugen zu erwähnen, wenn
auch dieſe zu der Tradition oder dem Vertrag, nach Ju-
ſtinians Willen, hinzugezogen werden mußten; davon aber
findet ſich hier kein Wort. Den Inhalt dieſes neuen Ge-
ſetzes ſtellen die Inſtitutionen in folgenden Worten dar:
§ 2 J. de donat. (2. 7.). .. Perficiuntur autem, cum
donator suam voluntatem scriptis aut sine scriptis
manifestaverit. Et ad exemplum venditionis nostra
constitutio eas etiam in se habere necessitatem tra-
ditionis voluit: ut etiam si non tradantur, habeant
plenissimum robur et perfectum, et traditionis ne-
cessitas incumbat donatori.
In dieſer Stelle iſt zweyerley entſcheidend. Erſtlich
das Stillſchweigen über die Zeugen, die doch gewiß hier
zu erwähnen waren, wenn ſie hätten zugezogen werden
müſſen. Zweytens die ausdrücklich angegebene Analogie
des Kaufcontracts. Es ſoll, heißt es, die Tradition ein-
geklagt werden können eben ſo wie bey einem Kauf-
contract. Das will ſagen nudo consensu, ſo daß es
keiner Stipulation zur Klage bedarf; allein eben darin
liegt auch die Entbehrlichkeit der Zeugen, die bey den
Conſenſualcontracten eben ſo wenig erfordert werden, als
irgend eine andere poſitive Form der Verträge.
Ich habe dieſe Frage deswegen ausführlicher, als es
nöthig ſcheint, behandelt, weil in neuerer Zeit ganz an-
dere Behauptungen aufgeſtellt worden ſind. Neben allen
[206]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hier angegebenen Veränderungen des Rechts ſoll ſich doch
Eine Form ſtets als nothwendig erhalten haben, die Zu-
ziehung von Drey Zeugen bey jeder Schenkung, ſie mag
durch Tradition oder durch obligatoriſchen Vertrag bewirkt
werden, nur mit Ausnahme der inſinuirten Schenkungen,
worin gar keine weitere Form nöthig ſey. Dieſe Regel
wird auch für das Juſtinianiſche Recht als wahr be-
hauptet (s).
Ein Grund dieſer Behauptung wird darin geſetzt, daß
es ſehr inconſequent geweſen wäre, für die ſchriftlichen
Schenkungen umſtändliche Formen, namentlich Zeugen, zu
fordern, für die mündlichen gar keine Formen. Allein
was kann die bloße Conſequenz beweiſen in einer Lehre,
die ſo voll von willkührlichen und wechſelnden Vorſchrif-
ten war? Auch bey Juſtinian iſt es nicht conſequent zu
nennen, daß er die Schenkung durch formloſen Vertrag
klagbar werden läßt, während die Darlehenszinſen nur in
Folge einer Stipulation eingeklagt werden können. —
Zweytens kommen in der Novelle 50. des K. Leo, und in
den Scholien der Baſiliken, drey Zeugen als nothwendig
bey der Schenkung vor; dieſe ſollen ſich aus der älteren
Zeit erhalten haben, alſo auch für dieſe beweiſen (t). Aus
dem angegebenen Grund iſt ein ſolcher Rückſchluß hier
noch weniger, als in den meiſten anderen Lehren, zuläſſig.
[207]§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.
Beſonders aber wird doch Niemand annehmen wollen, Ju-
ſtinian habe ſich darauf verlaſſen, die von ihm gemeynten
aber nicht ausgeſprochenen Erforderniſſe der Schenkung
würden ſeinen Unterthanen Drey bis Vier Jahrhunderte
nach ihm offenbart werden. — Alles alſo kommt zuletzt
doch darauf an, ob wir aus der genauer angeſehenen Ju-
ſtinianiſchen Geſetzgebung Etwas über die Nothwendigkeit
der Zeugen lernen können. Dieſe ſoll nun verborgen ſeyn
in den Worten: adhibitis aliis idoneis documentis (Note l)
der Kaiſer Theodoſius II. und Valentinian III., welche ſo
verſtanden werden ſollen: wenn nur (bey der mündlichen
Schenkung) die übrigen bekannten documenta oder Förm-
lichkeiten angewendet ſind, und dieſe ſollen nun eben in
den (drey) Zeugen beſtehen (u). Allein die natürliche Be-
deutung von documentum iſt doch Beweismittel, worin
dieſes nun beſtehen möge; vorzugsweiſe oder gar aus-
ſchließend von Zeugen wird das Wort am wenigſten ge-
braucht werden. Doch wir wollen uns auch dieſes gefal-
len laſſen, beſonders da in jenen Worten nur auf etwas
anderwärts Geſagtes und Allbekanntes zurück verwieſen
werden ſoll. Allein dieſes Andere muß doch irgendwo zu
finden ſeyn, und wo ſollen wir es ſuchen? Nirgend als
in dem Edict von Conſtantin. Dieſes enthält nun aber,
in der Geſtalt wie wir es in Juſtinians Codex leſen, nicht
die geringſte Erwähnung von Zeugen, und ſo erfahren
wir alſo aus Juſtiniaus Geſetzen gar Nichts, wodurch
[208]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Diejenigen, die mit aller Vorſicht Schenkungen vornehmen
wollen, veranlaßt werden könnten, Zeugen, beſonders aber
gerade drey Zeugen, zuzuziehen.
Aus dieſer Unterſuchung geht demnach hervor, daß,
ſeit dem Verſchwinden der Formen und Regeln des älte-
ren Rechts, Nichts dieſer Art beſteht, als allein die In-
ſinuation. Unter den Praktikern iſt dieſes von jeher un-
zweifelhaft geweſen (v); ſelbſt wenn alſo auch die hiſtori-
ſche Unterſuchung auf ein anderes Ziel geführt hätte, ſo
würde dieſes dennoch keinen Unterſchied für das heutige
Recht gemacht haben. Denn es handelt ſich hier nicht
um ein Rechtsinſtitut, welches durch neue wiſſenſchaftliche
Forſchung gereinigt, ergänzt, und ſo von der Entſtellung
durch bisher herrſchende Irrthümer befreyt werden könnte,
ſondern von einer ganz einzelnen, völlig willkührlichen
Förmlichkeit, welche durch den Nichtgebrauch ſo vieler
Jahrhunderte untergegangen ſeyn würde, ſelbſt wenn ſie
ſich aus den Quellen des Juſtinianiſchen Rechts rechtfer-
tigen ließe (w).
Im neueſten Recht alſo finden wir bey Schenkungen
keine andere erſchwerende Form mehr, als die Inſinua-
tion, und auch deren genauere Darſtellung muß wieder
durch eine hiſtoriſche Einleitung vorbereitet werden (a).
Die älteſte Erwähnung derſelben geſchieht in dem Edict
des K. Conſtantin vom J. 316 (§ 165. h), wo ſie jedoch
ſchon als bekannt vorausgeſetzt wird.
Wichtiger iſt dafür die Verordnung deſſelben Kaiſers
vom J. 319 (b). Hier wird die Einführung der Inſinua-
tion dem K. Conſtantius Chlorus zugeſchrieben, und zwar
ſo daß dieſer die personae exceptae des älteren Rechts
(§ 165) auch von der Juſinuation dispenſirt habe. Con-
ſtantin hebt dieſe Befreyung auf, und macht dadurch die
Inſinuation allgemein nothwendig. — In mehreren nach-
folgenden Verordnungen wird dieſe Form nur beſtätigt,
ohne neue Beſtimmungen (c).
Die erſte Einſchränkung der Nothwendigkeit jener Form
wurde im J. 428 eingeführt. Die donatio ante nuptias
IV. 14
[210]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſollte frey davon ſeyn, wenn ſie weniger als 200 Solidi
betrüge (d).
Juſtinian befreyte davon im J. 529 alle Schenkungen
bis zur Summe von 300 Solidi(e); dann, im J. 531,
alle bis zur Summe von 500 (f). Dieſe Beſtimmung iſt
die Grundlage des geltenden Rechts geblieben.
Der Inhalt der geſetzlichen Vorſchrift beſteht darin,
daß die gerichtliche Inſinuation angewendet werden ſoll
bey jeder Schenkung, deren Geldwerth mehr als 500 So-
lidi beträgt. — Es kommt dabey zunächſt auf den Werth
des Solidus, dann auf den Werth der Schenkung an, um
beide Größen mit einander vergleichen zu können.
Die neuere Praxis hat den heutigen Dukaten als Rö-
miſchen Solidus angenommen. Auch damit wäre noch
keine feſte Größe gewonnen, theils weil es verſchiedene
Sorten von Dukaten giebt, theils weil der Curs einer je-
den dieſer Sorten den Schwankungen unterworfen iſt, die
in dem Verhältniß des Silbers zum Golde einzutreten
pflegen. Allein glücklicherweiſe iſt die Praxis noch einen
Schritt weiter gegangen, und hat den Werth angenom-
men, in welchem der Ungriſche Dukat urſprünglich aus-
geprägt wurde, nämlich 2⅔ Thaler oder 4 Gulden im
Zwanzigguldenfuß (g). Hiernach betragen 500 Solidi ſo
viel als 2000 ſchwere Gulden, oder Hundert Mark fein
[211]§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)
in Silber, oder 1400 Preußiſche Thaler. Allerdings iſt
der wahre Werth des Juſtinianiſchen Solidus etwa Fünf
ſchwere Gulden (h); allein dieſe Abweichung von der hi-
ſtoriſchen Genauigkeit, bey einer an ſich willkührlichen und
gleichgültigen Summe, kann nicht in Betracht kommen im
Widerſpruch mit der übereinſtimmenden Praxis, und die
gleichförmige Anerkennung eines feſten Werthes muß als
wahrer Gewinn betrachtet werden.
Um den Werth des Geſchenks zu ermitteln, müſſen die
oben aufgeſtellten Regeln über Veräußerung, Bereicherung
des Empfängers, und Abſicht des Gebers zur Anwendung
kommen.
Iſt Eigenthum einer andern Sache als Geld Gegen-
ſtand der Schenkung, ſo iſt eine gerichtliche Schätzung des
Werthes nöthig, um die Anwendbarkeit der Inſinuation
zu beſtimmen. Iſt dieſes Eigenthum durch fremde Rechte
beſchränkt, ſo muß deren Werth in Abzug kommen (i).
Auch wenn das erweisliche Recht des Gebers nicht in
wahrem Eigenthum, ſondern nur in b. f. possessio be-
ſteht, iſt eine ſolche Schätzung vorzunehmen, das heißt es
iſt zu ermitteln, um welchen Preis die Sache gegenwär-
tig, mit Rückſicht auf die vorhandene Unſicherheit des Be-
ſitzes, verkauft werden könnte (k). Führt aber dieſes Ver-
14*
[212]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
fahren zu keinem ſicheren Erfolg, ſo kann der Ablauf der
Uſucapionszeit abgewartet werden, da denn der Werth
des wahren Eigenthums als Gegenſtand der Schenkung
anzuſehen iſt (l). Die künftigen Früchte der geſchenkten
Sache dürfen niemals mit in Anſchlag gebracht werden
(§ 147).
Iſt ein Niesbrauch Gegenſtand des Geſchenks, ſo iſt
deſſen Werth nach der wahrſcheinlichen Lebensdauer des
Fructuars zu berechnen (m). Es kann jedoch auch der
wirkliche Tod Deſſelben abgewartet, und bis dahin, im
Fall eines Rechtsſtreits, Caution geſtellt werden, die dann
mit der allgemeinen Caution des Niesbrauchs zuſam-
men fällt.
Beſteht die Schenkung in einer verſprochenen jährli-
chen Rente, die für jedes Jahr 500 Solidi nicht über-
ſteigt, ſo können dabey folgende verſchiedene Fälle vor-
kommen.
Die Rente kann zuerſt auf eine beſtimmte Zahl von
[213]§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)
Jahren verſprochen ſeyn. Hier ſind ohne Zweifel alle
Zahlungen zuſammen zu rechnen um den Werth zu be-
ſtimmen. Daß ſie erſt allmälig entrichtet werden, macht
keinen Unterſchied, indem der allgemeine Grundſatz feſt-
ſteht, daß ein ſolches Verſprechen als eine einfache, un-
getheilte Obligation zu betrachten iſt, nicht als ein Ag-
gregat mehrerer, von einander unabhängiger Schulden
(§ 127. h). Dieſer unzweifelhafte Fall wird in unſren
Rechtsquellen nicht erwähnt. — Beſtritten dagegen waren
unter den alten Juriſten diejenigen Fälle, in welchen die
Rente nicht auf eine beſtimmte, überſehbare Geldſumme
zurückgeführt werden kann. Hierüber nun hat Juſtinian
folgende Vorſchriften gegeben mit Unterſcheidung der ein-
zelnen Fälle (n).
1) Soll die Rente mit dem Tode des Gebers, oder
auch mit dem Tode des Empfängers, aufhören, ſo iſt die
Inſinuation nicht nöthig, und es wird betrachtet, als ob
es mehrere abgeſonderte Schenkungen wären; der Grund
liegt in der gänzlichen Ungewißheit der Todeszeit (o).
2) Soll die Rente auf die Erben des Gebers und auf
die des Empfängers übergehen, ſo iſt ſtets Inſinuation
nöthig (p). Unter den Erben ſind nämlich ſtets auch de-
[214]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ren Erben, und ſo weiter fort, zu verſtehen, ſo daß Dieſes
alſo nur ein anderer Ausdruck für eine ewige Rente iſt (q).
3) Ganz Daſſelbe gilt auch, wenn die Rente mit dem
Tod der nächſten Erben des Gebers oder des Empfän-
gers aufhören ſoll (r); auch in dieſem Fall ſoll ſie, we-
(p)
[215]§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. ((Fortſ.)
gen der unbeſtimmten Verlängerung, in dieſer Beziehung
eben ſo beurtheilt werden, wie wenn es eine ewige Rente
wäre (s).
Wird eine bedingte Schuldforderung geſchenkt, ſo iſt
der Eintritt oder Ausfall der Bedingung abzuwarten, um
die Nothwendigkeit der Inſinuation zu beſtimmen; wenig-
ſtens iſt dieſe Behandlung ſicherer, als den Kaufwerth,
mit Rückſicht auf die Wahrſcheinlichkeit der Erfüllung, zu
ermitteln (t). Bey einer Forderung von zweifelhafter Si-
cherheit iſt deren Kaufwerth durch Schätzung zu beſtim-
men (u).
Der Erlaß einer Schuld iſt ſtets gleich einem Geldge-
(r)
[216]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſchenk um den Nominalbetrag derſelben, auch wenn der
Schuldner inſolvent ſeyn ſollte (§ 158. b).
Eine ſcharfe Entſcheidung iſt für ſolche zweifelhafte
Fälle nur nöthig, wenn der Geber die Schenkung bereut,
und auf den Grund der verſäumten Inſinuation anfechten
will. Wenn dagegen die Parteyen, bey der Schenkung
ſelbſt, durch irgend ein Auskunftsmittel zu der Uberzeu-
gung gelangen, daß der Fall einer Inſinuation nicht vor-
handen ſey, ſo iſt auch für die Folge die Anfechtung aus-
geſchloſſen, wenn nur nicht die Abſicht der Umgehung des
Geſetzes nachgewieſen werden kann.
Werden unter denſelben Perſonen mehrere Schenkun-
gen zu verſchiedenen Zeiten gemacht, ſo ſollen dieſe nie-
mals zuſammen gerechnet werden, um das Bedürfniß der
Inſinuation zu begründen, wenngleich es denkbar wäre,
daß man Eine Schenkung in Theile zerlegt hätte, um die
Vorſchrift der Inſinuation zu umgehen (v). War daher
die Schenkung durch eine Obligation von 800 Solidi ohne
Inſinuation bewirkt, welche nachher ausgezahlt werden, ſo
iſt dieſe Handlung, in Anſehung der 500, Zahlung einer
gültigen Schuld (§ 157. a. b), in Anſehung der 300, Zah-
lung einer nichtigen Schuld, alſo ſelbſt wieder eine neue
Schenkung, die aber, weil ſie für ſich allein die geſetzliche
Summe nicht überſteigt, gültig und unwiderruflich iſt.
[217]§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)
Der Erfolg iſt alſo in dieſem beſonderen Fall verſchieden
von dem bey einem gleichartigen Geſchäft unter Ehegat-
ten (§ 163).
Wo nun, nach den hier aufgeſtellten Grundſätzen, die
Inſinuation nöthig iſt, da beſteht dieſelbe in einem, über
die gerichtliche Erklärung der Parteyen aufgenommenen,
Protokoll. In früherer Zeit ſollte ſie nur vor dem com-
petenten Richter geſchehen können (w); im neueſten Recht
iſt aber jeder Richter für fähig dazu erklärt worden(x).
Sein Geſchäft beſchränkt ſich auf feyerliche Beglaubigung;
von einer Genehmigung alſo, die nach Umſtänden auch
verweigert werden könnte, iſt dabey nicht die Rede. Iſt
jedoch in dem Geſchäft irgend eine rechtswidrige Abſicht
wahrzunehmen, ſo kann und ſoll der Richter ſeine Mit-
wirkung, wodurch dieſe Abſicht unterſtützt werden würde,
verweigern.
Die wichtigſte Frage iſt die nach der Wirkung der
verſäumten Inſinuation. Hier lag der Gedanke nahe, ſich
[218]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
an das ältere, für die L. Cincia ausgebildete Recht an-
zuſchließen, nach welchem das Anſehen des Geſetzes durch
künſtliche Mittel aufrecht erhalten wurde (§ 165). Dieſes
iſt nicht geſchehen, und es würde ſehr irrig ſeyn, dieſe
Abweichung als einen gedankenloſen Zufall anzuſehen.
Wahrſcheinlich wirkte darauf die Erfahrung, daß eben je-
nes ältere Recht zu großen Verwicklungen und Contro-
verſen geführt hatte, anſtatt daß die Behandlung der
Schenkung unter Ehegatten ſtets einfach und leicht gewe-
ſen war.
Unzweifelhaft iſt wenigſtens der für jene Wirkung auf-
geſtellte Grundſatz. Iſt die Inſinuation verſäumt, ſo iſt
das Geſchäft voͤllig nichtig, ganz als wenn überhaupt
Nichts geſchehen wäre. Jedoch betrifft dieſe Nichtigkeit
nur denjenigen Werth, welcher 500 Solidi überſteigt; bis
zu dieſer Summe bleibt die Schenkung gültig (a). Es iſt
demnach auf das Übermaas dasjenige Recht angewendet,
welches von jeher bey der Schenkung in der Ehe aner-
kannt war (§ 163).
Eine Entwicklung dieſes Grundſatzes finden wir nur
in Einer Anwendung, aus welcher jedoch erhellt, daß man
ſich der Bedeutung deſſelben vollkommen bewußt war.
Wird die Schenkung durch Tradition einer nicht ver-
[219]§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)
brauchbaren Sache, z. B. eines Grundſtücks, bewirkt, ſo
entſteht durch die Anwendung jenes Grundſatzes ein ge-
meinſchaftliches Eigenthum zwiſchen dem Geber und Em-
pfänger, wobey die Quoten, im Fall eines Rechtsſtreits,
durch richterliche Schätzung zu beſtimmen ſind. Zur Ver-
hütung von Streitigkeiten ſind hier folgende eigenthümliche
Vorſchriften gegeben. Der Eigenthümer des größeren
Theils kann durch Zahlung der Tare den kleineren an
ſich kaufen. Will er es nicht, ſo ſoll die Sache reell ge-
theilt werden. Iſt eine ſolche Theilung, nach der Natur
des Gegenſtandes, nicht anwendbar, ſo kann der Eigen-
thümer des kleineren Theils den größeren nach der Taxe
an ſich kaufen (b). — Aus demſelben Grundſatz abſoluter
Nichtigkeit folgt auch, daß für das Übermaas die Schen-
kung kein Uſucapionstitel ſeyn kann, ſo daß die Folge der
verſäumten Inſinuation niemals durch Uſucapion beſeitigt
wird, anſtatt daß im älteren Recht die nachtheiligen Fol-
gen der L. Cincia allerdings durch Uſucapion abgewendet
werden konnten (§ 165. e). — Es folgt daraus ferner,
daß der Beſchenkte, in Anſehung des Übermaaßes, als ein
unredlicher Beſitzer inſofern angeſehen werden muß, als er
weiß, daran kein Eigenthum zu haben; jedoch inſofern auch
wieder nicht, als er Grund hat anzunehmen, daß er mit
dem Willen des Eigenthümers (welcher eben der Geber
iſt) beſitze, ſo lange dieſer die Abſicht eines Widerrufs
nicht ausgeſprochen hat (§ 150. 151). — Auch in Anſe-
[220]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hung aller übrigen, von Juſtinian unbeſtimmt gelaſſenen,
Fragen iſt nun Dasjenige anzuwenden, was, bey völlig
gleichem Grundſatz, für die Schenkung in der Ehe mit ſo
großer Sorgfalt von den alten Juriſten ausgebildet wor-
den iſt (§ 163). Dieſes gilt namentlich von den Rechts-
mitteln. Wenn alſo der Geber, bey verſäumter Inſinua-
tion, die Schenkung bereut, ſo kann er den ungültigen
Theil derſelben zurück fordern entweder durch eine Vindi-
cation, oder durch eine Condiction, je nachdem die ge-
ſchenkte Sache ſelbſt, oder nur deren Werth, bey dem
Empfänger noch vorzufinden iſt. Es iſt nicht unmöglich,
daß die Compilatoren die Wirkungen der verſäumten In-
ſinuation genauer feſtzuſtellen gerade deswegen für über-
flüſſig gehalten haben, weil ſie darauf rechnen konnten,
daß die in den Digeſten bey der Schenkung in der Ehe
genau durchgeführten Regeln nun auch bey der verſäum-
ten Inſinuation in Anwendung kommen würden. In die-
ſer von Juſtinian ausgeſprochenen Gleichartigkeit beider
Rechtsinſtitute liegt denn auch eine Beſtätigung der oben
aufgeſtellten Behauptung, daß in Beziehung auf die In-
ſinuation das Daſeyn fortdauernder Bereicherung gerade
ſo zu beurtheilen iſt, wie in Beziehung auf die Schenkung
unter Ehegatten (§ 151). Denn man kann z. B. die Frage
nach der Einwirkung der Conſumtion betrachten als zur
genaueren Beſtimmung des Schenkungsbegriffs gehörend,
ſo wie ſie oben aufgefaßt worden iſt. Man kann ſie aber
auch, und nicht minder richtig, auf die Bedingungen und
[221]§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)
Gränzen der Condiction beziehen; da nun die Condiction
gewiß auch für den Fall der verſäumten Inſinuation gilt,
und wir für ſie keine eigenthümlichen Vorſchriften beſitzen,
ſo bleibt uns Nichts übrig, als die für die Condiction
unter Ehegatten aufgeſtellten Regeln auch hier zur An-
wendung zu bringen.
Wenn eine große Schenkung, bey welcher die Inſinua-
tion verſäumt wurde, durch Mitwirkung fremder Perſo-
nen vollzogen worden iſt, z. B. durch Expromiſſion, ſo
entſteht die Frage, ob die Nichtigkeit auch das Geſchäft
mit dieſen fremden Perſonen (welches ſelbſt keine Schen-
kung iſt) umfaßt. Dieſe beſonders ſchwierige Frage iſt in
der Beylage X. unterſucht worden.
Es bleibt nur noch übrig, von den ausgenommenen
Fällen zu ſprechen, in welchen jede Schenkung, ohne Rück-
ſicht auf ihren Geldwerth, von der Form der Inſinuation
befreyt iſt.
Dahin gehört die Schenkung des Kaiſers an Privat-
perſonen, ſo wie die von ſolchen an den Kaiſer gemach-
ten Schenkungen (c).
Ferner die Schenkung zum Aufbau eines eingeſtürzten
oder abgebrannten Hauſes (d); die einzige Ausnahme, die
[222]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dem Verbot in der Ehe und der verſäumten Inſinuation
gemeinſchaftlich angehört. Entſteht hinterher Streit über
die Verwendung, ſo ſoll dieſer durch des Empfängers Eid
entſchieden werden.
Dann die Schenkung zur eausa piissima, das heißt
zum Loskauf von Gefangenen. Auch hier ſoll über die
Verwendung der Eid des Empfängers genügen (e).
Blos hiſtoriſche Bedeutung hat die Befreyung der
Schenkungen beweglicher Sachen, welche ein Magister
militum an verdiente Soldaten giebt (f).
Ungleich wichtiger iſt die Ausnahme für den Fall ei-
ner gegebenen Dos. Giebt die Frau ſelbſt eine ſolche, ſo
iſt es gar nicht Schenkung (§ 152), und bedarf deshalb
keiner Inſinuation. Giebt aber ein Frrmder, ſo liegt darin
eine wahre Schenkung an die Frau, und daß dieſe von
der Inſinuation befreyt iſt, muß als poſitive Ausnahme
angeſehen, und aus der auch in anderen Beziehungen vor-
kommenden Begünſtigung der Dos erklärt werden (g).
Dagegen müſſen folgende Ausnahmen verworfen wer-
den. Zuerſt die von Manchen behauptete Ausnahme der
remuneratoriſchen Schenkungen. Dieſe ſind der gewöhnli-
chen Regel der Inſinuation unterworfen, mit Ausnahme
des Lohnes für Lebensrettung, welcher gar nicht als Schen-
kung betrachtet wird (§ 153). — Ferner die Schenkung
an eine pia causa. Dieſe war früher befreyt bis zu der
Summe von 500 Solidi(h); ſeitdem dieſe Summe zur
allgemeinen Regel erhoben worden iſt, hat jene Ausnahme
ihre Bedeutung verloren. — Ganz beſonders auch fällt
hier weg die Beſtaͤtigung der ungültigen Schenkung durch
den Tod, welche bey der Schenkung in der Ehe durch
den Senatsſchluß vom J. 206 eingeführt wurde (§ 164).
Denn dieſe beruht auf einer ganz poſitiven Vorſchrift, die
wir nicht willkührlich ausdehnen können; auch war ihre
Veranlaſſung dem ehelichen Verhältniß ganz eigenthümlich
(§ 164. d). Daher hat ſelbſt für Ehegatten Juſtinian
ausdrücklich vorgeſchrieben, daß ihre mehr als 500 Solidi
betragende Schenkungen durch den Tod nur dann beſtätigt
ſeyn ſollen, wenn die Form der Inſinuation dabey beob-
(g)
[224]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
achtet ſey (i); um ſo weniger kann unter Fremden der
Tod des Gebers die fehlende Inſinuation erſetzen. Auch
in dieſer Beziehung iſt daher die neuere Vorſchrift der
Inſinuation ſtrenger als die L. Cincia, indem nach dieſer
die Beſtätigung durch den Tod zugelaſſen wurde (§ 165. f),
anſtatt daß gegenwärtig die verſäumte Inſinuation auch
von dem Erben des Gegners geltend gemacht werden kann.
Vergleichen wir nunmehr das Verbot unter Ehegatten
mit der Vorſchrift der Inſinuation, ſo ergiebt ſich folgen-
der praktiſcher Zuſammenhang. Jede Schenkung, welche
den Werth von 500 Solidi überſteigt, und nicht inſinuirt
wird, iſt in der Regel nichtig. Unter Ehegatten iſt auch
eine geringere Schenkung nichtig, ſo wie eine mit Inſinua-
tion verſehene groͤßere; dieſe eigenthümliche, weiter gehende,
Beſchränkung in der Ehe wird jedoch beſeitigt, wenn der
Geber in der Ehe ſtirbt, ohne einen veränderten Willen
an den Tag zu legen (k).
Um die eigenthümliche Natur dieſes Widerrufs klar zu
[225]§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.
machen, iſt es nöthig, die Vergleichung mit anderen Rechts-
verhältniſſen zum Grunde zu legen.
Wer Etwas giebt, um dadurch einen anderen juriſti-
ſchen Zweck, als welcher ſchon in dem Geben ſelbſt liegt,
zu erreichen (ob causam), der kann in der Regel das Ge-
gebene zurückfordern, wenn die causa eine irrige war.
Ausnahmsweiſe kann er es auch ohne Irrthum: nament-
lich geſtattet das Römiſche Recht bey den Innominatcon-
tracten eine Rückforderung wegen bloßer Reue des Ge-
bers. In allen dieſen Fällen gelten Condictionen, von
welchen jedoch bey der Schenkung keine Anwendung zu-
läſſig iſt (a), weil dieſe keinen außer dem Geben liegenden
juriſtiſchen Zweck hat, weshalb das Geben ob causam
einen ſcharfen Gegenſatz bildet gegen das Geben als
Schenkung.
Bey der Schenkung kann ein Widerruf aus folgenden
Gründen eintreten. Erſtlich wenn ein ſolcher beſonders
ausbedungen iſt, welcher Nebenvertrag die Natur eines
Modus annimmt (§ 175. d). Zweytens wenn die Schen-
kung nach poſitiven Rechtsregeln ungültig iſt, nämlich ent-
weder wegen des ehelichen Verhältniſſes, oder wegen der
verſäumten Inſinuation; in dieſen Fällen kann das Ge-
ſchenk bald durch Vindication, bald durch Condiction, zu-
rückgefordert werden (§ 163. 167).
Wenn nun gegenwärtig, unabhängig von dieſen Grün-
IV. 15
[226]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
den (die eine allgemeinere Natur haben), noch von einem
beſonderen Widerruf die Rede iſt, ſo bezieht ſich dieſer
auf ſolche Schenkungen, die an ſich ſelbſt gültig ſind, ſo
daß er ſtets die Natur einer Ausnahme an ſich trägt.
Ich habe ihn deshalb als Widerruf aus beſonderen Grün-
den bezeichnet (b).
Der Widerruf ſelbſt iſt von ganz verſchiedener Art;
in einigen Fällen wird er von einem Dritten ausgeübt,
deſſen Rechte durch die Schenkung beeinträchtigt ſind, alſo
gegen den Willen des Gebers: in anderen Fällen von dem
Geber ſelbſt, alſo in Folge einer in dem Willen deſſelben
vorgegangenen Veränderung.
Der Widerruf eines Dritten kommt vor in zwey Fäl-
len: bey der inofficiosa donatio, und in der Pauliana actio.
Sind durch Schenkungen die Anſprüche naher Ver-
wandten auf den Pflichttheil verletzt, ſo können dieſe eine
Ergänzung des Pflichttheils verlangen, und zu dieſem
Zweck einen Theil der Schenkung zurück fordern (c). Die
[227]§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.
genauere Darſtellung dieſes Rechtsverhältniſſes iſt nur im
Erbrecht, in Verbindung mit dem Pflichttheil, möglich.
Hat ein Schuldner durch Schenkungen ſein Vermoͤgen
unredlicherweiſe inſolvent gemacht, oder deſſen Inſolvenz
vermehrt, ſo können die Glaubiger dieſe Schenkungen wi-
derrufen, ſelbſt wenn der Empfänger keine Kenntniß von
der Unredlichkeit des Gebers hatte (d). Die genauere Dar-
ſtellung dieſes Rechtsſatzes gehört in die Lehre von der
Inſolvenz der Schuldner.
Der Widerruf des Gebers kommt gleichfalls vor in
zwey Fällen (e), wovon jedoch nur einer noch im heuti-
(c)
15*
[228]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gen Recht übrig iſt: wegen nachgeborner Kinder des Ge-
bers, und wegen Undankbarkeit des Empfängers.
Die erſte Art des Widerrufs hatte folgenden Urſprung.
Wenn ein Patron ſeinem Freygelaſſenen Etwas ſchenkte,
ſo galt lange Zeit ein ganz willkührlicher Widerruf. Man
nahm an, der Patron werde dazu im Betragen des Frey-
gelaſſenen Gründe gefunden haben, die kein Richter prü-
fen dürfe; erſt mit dem Tode des Patrons ſollte dieſe
Willkühr aufhören (f). Späterhin gieng man von dieſem
ausgedehnten Recht des Patrons ab, und geſtattete ihm
den Widerruf nur in zwey Fällen: bey nachgebornen Kin-
dern, und bey erweislicher Undankbarkeit. Der erſte die-
ſer Fälle, der ſich in einer Conſtitution des K. Conſtantius
vom J. 355 erhalten hat (g), kann für uns nur noch hi-
ſtoriſche Bedeutung haben. Manche haben Dieſes bezwei-
felt, indem ſie daſſelbe Recht des Widerrufs auf jede
Schenkung überhaupt, nicht blos auf die von einem Pa-
tron ausgehende, anwenden wollten; ſie giengen davon
aus, daß die Reſcripte des Codex oft die Zufälligkeiten
des einzelnen Falles erwähnten, ohne daß wir dieſe als
[229]§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.
Bedingungen der ausgeſprochenen Rechtsregel anſehen dürf-
ten. Allein dieſe an ſich wahre Bemerkung paßt nicht auf
die angeführte Kaiſereonſtitution, die kein Reſcript, ſon-
dern ein Edict iſt, und die einen Widerruf, der immer
nur Ausnahme von der Regel iſt, lediglich dem Patron
im Fall nachgeborner Kinder geſtattet (h). Mußte nun die
Sache ſo angeſehen werden, ſchon bey unbefangener Be-
trachtung der angeführten Conſtitution für ſich, ſo blieb
vollends kein Zweifel, ſeitdem der oben bemerkte hiſtori-
ſche Zuſammenhang entdeckt war; denn nunmehr erſcheint
jenes im Codex anerkannte Recht des Patrons als ein
bloßer Überreſt ſeines früheren weit ausgedehnteren Rechts,
wodurch jede Veranlaſſung verſchwindet, auch fremden Per-
ſonen ein gleiches Recht einzuräumen.
Der Widerruf wegen Undankbarkeit hat folgende Ent-
wicklung gehabt. Anfangs beſtand er bey den Schenkun-
gen des Patrons, aber als bloße Folge des dieſem zu-
kommenden ganz willkührlichen Widerrufs (Note f). Dann
wurde er bey dem Patron durch das erweisliche Daſeyn
[230]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
wirklicher Undankbarkeit bedingt, alſo in dieſer Beziehung
das Recht des Patrons ſehr beſchränkt (i). In dieſer be-
ſchränkten Geſtalt aber wurde der Widerruf, wie es ſcheint
ſehr frühe, auch für die Schenkungen der Eltern an ihre
Kinder zugelaſſen (k). Endlich erhob Juſtinian den Wi-
derruf wegen Undankbarkeit zu einer allgemeinen Rechts-
regel, in welcher alſo die früheren beſonderen Befugniſſe
der Eltern und Patronen ſich verloren haben (l).
Der Widerruf wegen Undankbarkeit unterſcheidet ſich
von den früher dargeſtellten Einſchränkungen der Schen-
kung (§ 162—167) hauptſächlich darin, daß hier niemals
von einer Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts die Rede ſeyn
[231]§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)
kann, ſondern nur von einem perſönlichen Anſpruch auf
Rückgabe des Geſchenks. Daher kann zu dieſem Zweck
niemals eine Vindication gebraucht werden, ſondern nur
eine perſönliche Klage. Bey der Schenkung in der Ehe
galt eine condictio sine causa oder ex injusta causa
(§ 163. h), und eben ſo im Fall der verſäumten Inſinua-
tion; denn in beiden Fällen ſtand die factiſch vorhandene
donationis causa im Widerſpruch mit abſoluten Rechtsre-
geln. Ein ſolcher Widerſpruch iſt hier nicht vorhanden,
ſondern es iſt nur dem Geber das Recht eingeräumt, die
an ſich gültige Schenkung zu entkräften. Donellus nimmt
an, jede Schenkung enthalte den ſtillſchweigenden Vertrag,
daß der Empfänger die Undankbarkeit meiden ſolle; bey
Verletzung dieſes Vertrags gelte die condictio ob causam
datorum(a). Dieſe Annahme iſt aber gezwungen und will-
kührlich, da in der Wirklichkeit faſt Niemand zur Zeit der
Schenkung an ein ſolches künftiges Misverhältniß denken
wird; wo zu ſolchen Gedanken Grund iſt, werden eher
andere Formen, als die der Schenkung, gewählt werden.
— Niemand zweifelt, daß aus der Natur der Schenkung
dieſe Art des Widerrufs durchaus nicht abgeleitet werden
könne, und daß wir ihn gar nicht zulaſſen würden, wenn
nicht ein beſtimmtes Geſetz von Juſtinian ihn eingeführt
hätte; daher habe ich kein Bedenken, die Klage eine con-
dictio ex lege zu nennen.
Das Recht zu dieſer Klage hat nur der Geber ſelbſt,
[232]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nicht deſſen Erbe (b). Wollte man dieſes buchſtäblich neh-
men, ſo müßte der Geber ſchon wirklich die Klage ange-
ſtellt haben, um ſie vererben zu können. Allein auch der
bloße Wille des Widerrufs reicht dazu ſchon hin, ſo daß
die Klage nur wegfällt, wenn der Geber ſtirbt, ohne ſei-
nen veränderten Willen auf irgend eine Weiſe an den
Tag gelegt zu haben. Dafür ſpricht die Analogie der
Schenkung in der Ehe, die gleichfalls durch den Tod un-
widerruflich wird, und zwar auf die hier angegebene Weiſe
(§ 164). Daß aber in der That dieſe Analogie im Sinn
des Geſetzes liegt, zeigen deſſen Ausdrücke deutlich ge-
nug (c).
Eben ſo geht die Klage nur unmittelbar gegen den
Empfänger ſelbſt, nicht gegen deſſen Erben; das heißt, es
muß der Geber ſeinen veränderten Willen kund gegeben
haben, ſo lange der Empfänger noch lebte. Bey der
Schenkung der Mutter an ihre Kinder iſt dieſes ausdrück-
[233]§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)
lich geſagt, und daher auch unbeſtritten (d). Schon hier-
aus wird es wahrſcheinlich, daß dieſelbe Beſchränkung
auch in allen anderen Fällen gelten müſſe, indem die Ab-
ſicht, hierin etwas Beſonderes für die Mutter zu beſtim-
men, nicht angedeutet iſt; allein Juſtinian hat es auch im
Allgemeinen deutlich genug ausgeſprochen (e).
Die Bedingung der Klage iſt im Allgemeinen die Un-
dankbarkeit des Empfängers; allein Juſtinian hat Fünf
einzelne Fälle dieſer Undankbarkeit angegeben, und aus-
drücklich beſtimmt, in jedem derſelben ſolle der Widerruf
gelten, außer ihnen durchaus nicht (f). Die Fälle ſelbſt
ſind folgende:
Giebt es nun etwa Ausnahmen von dieſer Klage auf
Rückgabe, ſelbſt wenn eine jener Bedingungen vorhanden
iſt? Man könnte eine ſolche Ausnahme annehmen wollen
für den Fall, da bey der Schenkung ſelbſt auf den Wi-
derruf verzichtet wird; ein ſolcher Verzicht aber muß für
unwirkſam gehalten werden, weil durch ihn die einer Un-
ſittlichkeit ſteuernde Rechtsregel entkräftet werden würde (l).
— Manche haben eine Ausnahme behauptet für die remu-
neratoriſchen Schenkungen. Setzt man, mit Donellus, den
Grund des Widerrufs in einen auf die Zukunft gerichte-
ten ſtillſchweigenden Vertrag (Note a), ſo könnte man die-
ſer Meynung geneigt ſeyn, weil der Geber bey der remu-
neratoriſchen Schenkung ſeinen Blick mehr nach der Ver-
gangenheit richtet als nach der Zukunft. Giebt man aber
dieſe Herleitung auf, und überzeugt man ſich zugleich da-
von, daß die remuneratoriſche Schenkung von jeder an-
deren juriſtiſch gar nicht verſchieden iſt, ſo muß man jene
Ausnahme verwerfen (§ 153. a. b). — Eine Ausnahme je-
doch iſt in der That anerkannt, und ſelbſt im neueſten
Recht theilweiſe beybehalten worden. Wenn eine Mutter
ihre Kinder beſchenkt, hinterher aber entweder zu einer
zweyten Ehe ſchreitet, oder gar einen offenbar ſittenloſen
[236]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Lebenswandel führt, ſo ſollte ſie jenen Widerruf nicht aus-
üben können (m). Den letzten dieſer Fälle hat Juſtinian
unverändert gelaſſen, ſo daß er noch jetzt gelten muß;
den erſten aber hat er auf folgende ganz willkührliche
Weiſe modificirt. Die ſchenkende Mutter, die zur zweyten
Ehe ſchreitet, ſoll zwar auch den Widerruf haben, jedoch
nicht ganz auf dieſelbe Weiſe wie andere Perſonen (n).
Der Fall der Verbalinjurien iſt weggelaſſen; Realinjurien
und zugezogene Lebensgefahr ſind geblieben; aus dem zu-
gezogenen Verluſt im Vermögen iſt gemacht eine bloße be-
drohende Unternehmung, die jedoch gegen das ganze Ver-
mögen gerichtet ſeyn ſoll (o); endlich die Verweigerung
übernommener Verpflichtungen iſt weggelaſſen, welches je-
doch ziemlich gleichgültig iſt, da für dieſen Fall ſchon an-
dere Klagen vorhanden ſind, die hier gewiß nicht verſagt
werden ſollten (p).
Es bleibt nun noch übrig, die Wirkungen des Wider-
rufs wegen Undankbarkeit feſtzuſtellen. Iſt das Geſchenk
noch unverändert im Vermoͤgen vorhanden, ſo hat die
[237]§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)
Rückforderung deſſelben keinen Zweifel. Hat daſſelbe ir-
gend eine Verwandlung erlitten durch Umtauſch, ſo daß
der Werth deſſelben als Bereicherung im Vermögen übrig
iſt, ſo kann die Klage auf dieſen vorhandenen Werth ge-
richtet werden (§ 149 — 151). Wie aber wenn das Ge-
ſchenk durch des Empfängers freye Handlung (Verſchwen-
dung oder Schenkung an Andere) untergegangen iſt? Hier
hat es wohl kein Bedenken, den Empfänger frey zu ſpre-
chen, wozu noch dringendere Gründe vorhanden ſind, als
bey der Schenkung unter Ehegatten. Denn der beſchenkte
Ehegatte weiß doch, daß die Sache nicht ihm gehört, und
er kann höchſtens annehmen (meiſt auch mit Grund), daß
ſeine Verfügung dem Willen des Eigenthümers nicht ent-
gegen ſey. In unſrem Fall aber iſt der Empfänger in
der That Eigenthümer, und ſeine willkührliche Handlung,
wodurch das Geſchenk aus ſeinem Vermögen kommt, iſt
daher eine rechtmäßige und tadelloſe. Freylich ſtellt ſich
die Sache anders, ſobald die Undankbarkeit vor der Con-
ſumtion Statt fand; denn nun mußte der Beſchenkte den
Widerruf erwarten, und wenn er dennoch die Sache con-
ſumirte, ſo konnte man von ihm ſagen: dolo fecit quo
minus restitueret(q). Ja es wäre unbedenklich Daſſelbe
anzunehmen, wenn zwar die undankbare Handlung erſt
nach der Conſumtion vorfiele, jedoch zugleich bewieſen
[238]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
werden könnte, daß der Entſchluß zu dieſer Handlung zur
Zeit der Conſumtion ſchon vorhanden war. — Dieſe, aus
der allgemeinen Natur des Rechtsverhältniſſes, verglichen
mit den Vorſchriften über die Schenkung in der Ehe, ab-
geleiteten Rechtsregeln werden durch folgende beſondere
Beſtimmung über die Schenkung der Mutter, vielmehr be-
ſtätigt, als zweifelhaft gemacht (r):
Ceterum ea, quae adhuc matre pacifica jure perfecta
sunt, et ante inchoatum coeptumque jurgium vendita,
donata, permutata, in dotem data, ceterisque causis
legitime alienata: minime revocamus. Actionem vero
matris ita personalem esse volumus, ut vindicationis
tantum habeat effectum: nec in heredem detur, nec
tribuatur heredi.
Der Sinn der Stelle iſt folgender: Die Mutter ſoll,
wenn die geſchenkten Sachen vor der Undankbarkeit rechts-
gültig veräußert ſind, keine Klage gegen die dritten Be-
ſitzer haben, alſo keine in rem actio. Ja ihre Klage ſoll
in dem Grade blos personalis ſeyn, daß ſie von keiner
Seite auf die Erben übergehen ſoll; ſie ſoll daher nur ge-
gen den Beſchenkten ſelbſt, wenn dieſer noch beſitzt, eine
ähnliche Wirkung wie die Vindication hervorbringen, näm-
lich die Reſtitution erzwingen. — In dieſer Verſagung
einer Klage gegen die dritten Beſitzer liegt aber keineswe-
ges auch die Verneinung einer Condiction gegen den Em-
[239]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
pfänger, inſoweit dieſer durch den eingenommenen Kauf-
preis bereichert iſt (s).
Was endlich die Früchte der geſchenkten Sache be-
trifft, ſo iſt gleichfalls nach denſelben Regeln zu verfah-
ren, welche für die Früchte eines unter Ehegatten gege-
benen Geſchenks gelten (§ 147).
Auch bey dieſem Widerruf kann die Frage entſtehen,
wie er auf Dritte, mit der Schenkung in Verbindung ſte-
hende, Perſonen einwirke. Dieſe Frage wird in ihrem
vollſtändigen Zuſammenhang in der Beylage X. behandelt.
Bey denjenigen Schenkungen, welche auf Verträgen
beruhen, iſt ſchon oben die Möglichkeit von Bedingungen
[240]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
überhaupt erwähnt worden, beſonders aber von derjenigen
einzelnen Art der Bedingung, wodurch eine Schenkung
auf den Todesfall, oder Mortis causa donatio, ent-
ſteht. Deren Natur ſoll hier nach allen Seiten dargeſtellt
werden (a).
Das Eigenthümliche dieſer Art bedingter Schenkung be-
ſteht darin, daß ſie durch ihren Zweck und Erfolg den
Legaten verwandt iſt. Deshalb iſt ſie allmälig auch vie-
len, für die Legate geltenden, Rechtsregeln unterworfen
worden, ohne darum die vorherrſchende Natur einer Schen-
kung abzulegen, unter deren Gattungsbegriff ſie, als ein-
zelne Art, fortwährend ſteht (b).
Die häufigſte Form dieſer Schenkung iſt die, welche
durch eine beſtimmte, gegenwärtige Lebensgefahr (wie
Krankheit, Feldzug, Seereiſe) dergeſtalt veranlaßt wird,
[241]§ 170. Schenkung auf den Todesfall.
daß durch das Verſchwinden dieſer Gefahr die Schenkung
ſelbſt ungültig werden ſoll (c). Doch iſt dieſer Umſtand
keinesweges nothwendig, vielmehr kann dabey eben ſo gut
der allgemeine Gedanke an den ohnehin unausbleiblichen
Tod des Gebers zum Grunde liegen (d).
Ferner iſt es Regel, daß in beiden angegebenen Fäl-
len der Geber den willkührlichen Widerruf bis zum Tode
ſtillſchweigend vorbehält (e). Aber auch dieſer Vorbehalt
iſt nicht weſentlich, vielmehr kann auf dieſe Willkühr be-
ſonders verzichtet werden (f).
Demnach bleibt als allgemeines Weſen dieſer Art der
Schenkung übrig, daß ſie nur gültig ſeyn ſoll, wenn der
Geber vor dem Empfänger, oder auch gleichzeitig mit
demſelben (g), ſterben wird (h). Innerhalb dieſes Grund-
IV. 16
[242]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
begriffs bleibt nun freyer Spielraum für folgende Modi-
ficationen: 1) Zugleich willkührlicher Widerruf (der ſich
ſtillſchweigend von ſelbſt verſteht) oder nicht. 2) Zugleich
Bedingung des Todes in Folge einer beſtimmten, gegen-
wärtigen Lebensgefahr, oder blos allgemeine Rückſicht auf
den jedem Menſchen beſchiedenen Tod überhaupt. — Dieſe
Modificationen können die Bedingung der Gültigkeit enger
begränzen, alſo die Fälle vermehren, worin eine ſolche
Schenkung ungültig wird. Der dieſer Schenkung zum
Grund liegende Gedanke läßt ſich demnach ſo ausdrücken,
daß der Geber das Geſchenk ſeinem Erben weniger gönnt,
als dem Beſchenkten, dieſem aber weniger als ſich ſelbſt (i).
Indem nun in dieſer Bedingung das Lebensende des
Gebers mit dem des Empfängers zuſammengeſtellt wird,
ſind noch folgende nähere Beſtimmungen nöthig. Steht
der Empfänger in fremder Gewalt, ſo hängt es von der
(h)
[243]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
Abſicht des Gebers ab, ob der frühere Tod des unmittel-
baren Empfängers, oder vielmehr der des Vaters oder
Herrn, die Schenkung entkräften ſoll (k). Was aber den
Geber betrifft, ſo kommen Fälle vor, in welchen dieſer
die Vollgültigkeit der Schenkung nicht durch ſeinen eige-
nen Tod bedingt, ſondern durch den Tod eines Dritten;
allein dieſe Fälle haben mit der Schenkung auf den To-
desfall nur den Namen gemein; von dem eigenthümlichen,
hier dargeſtellten Rechtsinſtitut kann dabey nicht die Rede
ſeyn (l).
Man kann dieſe Art der Schenkung als ein gemiſchtes
Geſchäft bezeichnen; nicht in dem Sinn, wie es oben vor-
kam, daß hier Schenkung und ein obligatoriſches Geſchäft
gleichzeitig verbunden wären (§ 154), ſondern ſo daß, je
nach dem Ausfall der Bedingung, entweder ein reines Ge-
ſchenk, oder aber eine reine Obligation Statt findet; dieſe
nämlich in den Fällen (welche die gewöhnlichſten ſind),
worin der Empfänger ſogleich Etwas in ſeinen Beſitz be-
kommen hat. Hier geht die bedingte Obligation auf Rück-
16*
[244]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gabe des Empfangnen (m). Die Bedingung ſelbſt, welche
ſtets die Schenkung entkräften ſoll, iſt das Überleben des
Gebers; es kann als zweyte, gleichfalls entkräftende, Be-
dingung hinzutreten die Abwendung einer beſtimmten, ge-
genwärtigen Lebensgefahr; es tritt endlich in der Regel
noch hinzu, als dritte entkräftende Bedingung, der verän-
derte Wille des Gebers. Für dieſen iſt keine beſondere
Form vorgeſchrieben; jede Offenbarung des veränderten
Willens alſo, wie formlos ſie auch ſey, iſt hinreichend
die Schenkung zu vernichten, wenn nicht der Geber auf
den Widerruf ausdrücklich verzichtet hatte. Wie ſich dieſe
verſchiedenen Bedingungen an die einzelnen, die Schen-
kung vermittlenden, Rechtsgeſchäfte anſchließen, ſoll nun-
mehr an den wichtigſten derſelben gezeigt werden.
Die häufigſte Art dieſer, wie jeder anderen, Schen-
kung iſt die, welche durch übertragenes Eigenthum be-
wirkt wird. Dazu konnte im alten Recht die Mancipa-
tion dienen; auch ſteht dem nicht im Wege, daß die Man-
cipation nicht unter Bedingungen geſtellt werden kann (n),
denn für den eigenthümlichen Zweck jener Schenkung ge-
nügte es, wenn der an ſich unbedingten Mancipation eine
[245]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
bedingte Obligation auf Rückgabe hinzugefügt wurde, ſey
es durch fiducia, oder durch Stipulation, oder durch form-
loſe Willenserklärung, welche zur Begründung einer Con-
diction völlig ausreichte. Es konnte aber auch geſchehen
durch Tradition, dieſe Form war vielleicht ſchon im alten
Recht die häufigſte (o), im neueſten Recht iſt ſie die ein-
zige. Aus einer Stelle des Paulus entſteht der Schein,
als wäre die Tradition nicht einmal nöthig geweſen, in-
dem ſchon der bloße Wille das Eigenthum übertragen
hätte (p). Daß dem nicht ſo ſeyn kann, erhellt aber zu-
erſt aus den vielen anderen Stellen, welche die Tradition
(die ja unter jener Vorausſetzung juriſtiſch gleichgültig ge-
weſen wäre) als die gewöhnliche Form dieſer Schenkung
darſtellen, und beſonders auch ihre Wirkung, je nach ver-
ſchiedenen Umſtänden, genau zu beſtimmen ſuchen; ferner
am unwiderſprechlichſten aus dem Geſetz Juſtinians, wel-
[246]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ches dem formloſen Vertrag, als etwas Neues und Wich-
tiges, die Kraft einer Klage beylegt, da doch unter jener
Vorausſetzung von jeher der Beſchenkte in demſelben Fall
das Eigenthum, alſo ſogar eine Vindication gehabt hätte.
Ohne Zweifel bezieht ſich die Stelle des Paulus auf ei-
nen Fall, in welchem die Schenkung durch Mancipation
ohne Tradition vollzogen war, der Beſchenkte aber nach
des Gebers Tod einſeitig Beſitz ergriffen hatte (q). Nun
konnte man ſagen, er ſey ohne Tradition Eigenthümer ge-
worden; hatte zufällig der Geber das Eigenthum nicht, ſo
war der Beſchenkte zur Uſucapion, und alſo auch zur
Publiciana, befugt. Die Aufnahme der Stelle in die Di-
geſten geſchah dann allerdings gedankenlos, indem ſie nur
unter Vorausſetzung des älteren Rechts befriedigend er-
klärt werden kann (r).
Gerade bey der Tradition nun iſt eine zwiefache Ab-
[247]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
ſicht des Gebers denkbar. Dieſer kann erſtlich ſogleich
das Eigenthum übertragen, ſo daß daſſelbe, wenn der
Empfänger früher ſtirbt, durch Reſolutivbedingung wieder
zurück fallen ſoll. Er kann aber auch umgekehrt an die
Übertragung des Beſitzes eine Suspenſivbedingung knüpfen,
ſo daß erſt im Augenblick ſeines eigenen früheren Todes
das Eigenthum an den Empfänger kommen ſoll (s). Die
erſte Einrichtung iſt an ſich die einfachere und natürli-
chere, und ſie iſt daher im Zweifel anzunehmen, wenn
der Geber nicht die zweyte ausdrücklich angeordnet hat,
und dieſe Vermuthung wird auch durch die Analogie an-
derer Rechtsinſtitute beſtätigt (t). Sie bewährt ſich ins-
beſondere noch durch die Art, wie unter Ehegatten eine
ſolche Tradition auf den Todesfall behandelt wird. Hier
ſogleich das Eigenthum zu übertragen, iſt wegen des Ver-
bots unmöglich (u), ſo daß hier nur die Suspenſivbedin-
gung eintreten kann. Anſtatt jener unmöglichen augen-
blicklichen Übertragung kann aber der Geber beſtimmen,
daß die durch ſeinen Tod erfüllte Suspenſivbedingung eine
retroactive Wirkung haben, das heißt auf den Zeitpunkt
der Tradition bezogen werden ſoll, in welchem Fall denn
[248]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
alle in der Zwiſchenzeit eingetretene Veränderungen hier-
nach beurtheilt werden (v). Ja dieſe Beſtimmung verſteht
ſich in der Regel von ſelbſt (w), ſo daß vielmehr die ent-
gegengeſetzte einer ausdrücklichen Erklärung bedarf. Was
aber unter Ehegatten die mortis causa traditio mit retro-
activer Wirkung iſt, das iſt unter Fremden die Tradition
mit augenblicklicher Übertragung des Eigenthums. — Auch
liegt eine Beſtätigung der aufgeſtellten Vermuthung in dem
ſicheren Grundſatz, daß die Schenkung auf den Todesfall,
wenn der Geber nicht Eigenthümer iſt, in der Regel eine
Uſucapion begründet (x); denn dieſer Grundſatz iſt nur
[249]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
unter der Vorausſetzung erklärlich, daß der Geber in der
Regel die augenblickliche Übertragung des Eigenthums be-
abſichtigt. — Eben ſo hatte der Beſchenkte, welchem ein
Sklave auf den Todesfall geſchenkt worden war, die Fä-
higkeit denſelben zu manumittiren (y), welches gleichfalls
nur unter Vorausſetzung eines ihm ſchon jetzt übertrage-
nen vollſtändigen Eigenthums denkbar war.
Außer der Tradition konnte beſonders auch die Stipu-
lation dazu gebraucht werden, eine Schenkung auf den
Todesfall zu begründen, indem nämlich der Geber irgend
eine Sache (am häufigſten eine Geldſumme) mortis causa,
das heißt auf den Fall ſeines eigenen Todes, verſprach.
Eine ſolche Stipulation wurde als unzweifelhaft gültig
angeſehen (z); es bedarf jedoch einer beſonderen Erklä-
rung, warum nicht die Römiſchen Juriſten Anſtoß daran
nahmen, daß dieſe erſt gegen den Erben eingeklagt werden
konnte, da ſie doch andere Stipulationen dieſer Art (post
mortem meam) durchaus für ungültig erklärten. Ohne
Zweifel betrachtete man es ſo, daß der Geber verſpreche,
im letzten Augenblick ſeines Lebens (cum moriar) Schuld-
ner ſeyn zu wollen, welches, wie in anderen Fällen (§ 125. e,
126. m), ſo auch hier, als gültig angeſehen wurde (aa).
Nun entſteht aber die Frage, ob hier derſelbe Zweck,
wie durch die Stipulation, auch durch einen formloſen
Vertrag erreicht werden könne, das heißt ob Juſtinians
Geſetz, welches dieſem Vertrag gleiche Wirkung mit der
Stipulation beylegt, auch für die Schenkung auf den To-
desfall gelte, nicht blos für die gewöhnliche Schenkung.
Die meiſten neueren Schriftſteller verneinen dieſe Frage,
nehmen alſo an, daß auf den Todesfall im Sinn von
Juſtinian nur durch Stipulation ein bindendes Verſpre-
chen gegeben werden könne (bb). Die Gründe für dieſe
Meynung beruhen hauptſächlich auf der Art, wie Juſti-
nian ſeine neue Vorſchrift zu rechtfertigen ſucht, indem er
(auf den häufigſten Fall vorzugsweiſe Rückſicht nehmend)
die Unredlichkeit des Gebers tadelnd hervorhebt, der das
(aa)
[251]§. 170. Schenkung auf den Todesfall.
gegebene Verſprechen wegen der fehlenden Förmlichkeit zu
umgehen ſucht. Dieſer Grund paßt nicht auf die mortis
causa donatio, in welcher der Geber gewöhnlich den will-
kührlichen Widerruf vorbehält. Allein die Beſchränkung
eines Geſetzes aus ſeinem Grunde iſt überhaupt verwerf-
lich, wenn nicht eine innere Verſchiedenheit zwiſchen dem
Gedanken und Ausdruck nachgewieſen werden kann (§ 37.
50). Im vorliegenden Fall aber iſt das Geſetz allgemein
auf alle donationes gerichtet, unter welche Gattung die
einzelne Art der mortis causa donatio unzweifelhaft ge-
hört (Note b), ſo daß die Worte des Geſetzes jener Be-
ſchränkung entgegen ſind. Auch liegt in der beſonderen
Natur unſrer Schenkung kein Grund zur Annahme, daß
ſie in dem Gedanken des Geſetzgebers nicht gelegen haben
könne. Denn wenn es geſtattet iſt (wie Alle zugeben),
durch formloſen Vertrag eine gewöhnliche Schenkung zu
begründen, ſo hat dieſes noch weniger Bedenken bey der
m. c. donatio, die dem Geber, theils wegen der Bedin-
gung des Todes, theils wegen des vorbehaltenen Wider-
rufs, weniger gefährlich iſt als jene. — Übrigens ſcheint
mir dieſe Streitfrage von ſehr unerheblichem Intereſſe zu
ſeyn, da ſie eben nur auf den urſprünglichen Sinn des
Juſtinianiſchen Geſetzes beſchränkt iſt, auf das heutige
Recht aber unmöglich Einfluß haben kann. Denn Nie-
mand zweifelt, daß im heutigen Recht der formloſe Ver-
trag überall an die Stelle der Stipulation trete. Da
nun gleichfalls anerkannt wird, daß im Sinn von Juſti-
[252]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nian die Stipulation zur Schenkung auf den Todesfall
genüge, ſo müſſen wir daſſelbe jetzt für den formloſen
Vertrag behaupten, ja wir wären dazu genöthigt, ſelbſt
wenn Inſtinian niemals eine neue Verordnung über die
formloſen Verträge bey Schenkungen erlaſſen hätte.
Endlich kann auch eine Liberation zur mortis causa
donatio benutzt werden, ſobald ſie durch Acceptilation,
oder formloſen Vertrag, die Natur eines Rechtsgeſchäfts
angenommen hat. Die Stellen, worin ſie auch ohne Ac-
ceptation, z. B. durch bloßen Brief oder Auftrag, als
gültig anerkannt ſcheint, müſſen von Fideicommiſſen erklärt
werden, welche im früheren Recht durch ganz formloſen
Willen begründet werden konnten (cc); im neueſten Recht
würden ſie zu ihrer Aufrechthaltung der Codicillarform
bedürfen.
In dieſem Zuſammenhang muß noch ein merkwürdiger
Fall erwähnt werden, der nicht unter den Begriff der
[253]§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
m. c. donatio gehört, wohl aber derſelben nahe verwandt
iſt: die mortis causa manumissio. Bey einer gegenwär-
tigen, vorübergehenden Lebensgefahr konnte dieſe nicht vor-
kommen, wohl aber in der allgemeinen Erwartung des
Todes, und dann hatte ſie die Wirkung, daß der wirk-
liche Anfang und Genuß der Freyheit bis zum Tode des
Herrn aufgeſchoben wurde (dd).
Die eigenthümliche Wirkung dieſer Art der Schenkung
zeigt ſich, im Fall der vereitelten Bedingung, in den Rechts-
mitteln, wodurch der Geber das Geſchenk wieder fordert;
dieſe ſollen nunmehr mit ihren Folgen dargeſtellt werden.
Es kommen hier drey Rechtsmittel in Betracht: Vindica-
tion, Condiction, und actio praescriptis verbis.
Die Vindication kann nur gebraucht werden, wenn
die Sache überhaupt noch vorhanden iſt: dann aber ohne
Unterſchied, ob der Empfänger oder ein Dritter ſie be-
ſitzt. Sie galt von jeher, und unbeſtritten, wenn unter
einer Suspenſivbedingung tradirt (§ 170), alſo das Ei-
genthum noch gar nicht aus dem Vermögen des Gebers
gekommen war (a). Dann aber wurde ſie auch im Fall
[254]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
des unter Reſolutivbedingung gleich Anfangs übertragenen
Eigenthums zugelaſſen, und dieſer ausgedehntere Gebrauch
kann als die vollſtändigere Entwicklung des Rechtsinſtituts
angeſehen werden (b).
Die Condiction gründet ſich darauf, daß Etwas
gegeben war, damit der Empfänger es habe und genieße
nach dem früher eintretenden Tod des Gebers; wurde die-
ſer Zweck vereitelt, ſo hatte nach allgemeinen Grundſätzen
der Geber die condictio ob causam datorum, und über
das Recht zu derſelben war kein Streit, ſo ſehr auch
ſonſt die Meynungen der alten Juriſten über die m. c. do-
natio aus einander giengen (c). Sie iſt anwendbar, da
wo überhaupt keine Sache Gegenſtand der Schenkung war,
ſondern die Bereicherung auf andere Weiſe, etwa durch
Delegation oder Acceptilation, bewirkt wurde. Ferner
(a)
[255]§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
wenn die geſchenkte Sache nicht mehr vorhanden, z. B.
das Geld ausgegeben war. Endlich auch, und ganz vor-
züglich, im Fall des unter Reſolutivbedingung gleich An-
fangs übertragenen Eigenthums, nämlich vom Standpunkt
Derjenigen aus, welche für dieſen Fall die unmittelbar
zurückkehrende Vindication (Note b) noch nicht anerkennen
wollten (d). Da wir dieſelbe jetzt anzunehmen haben, ſo
muß uns für dieſen Fall die Condiction als wegfallend er-
ſcheinen, indem ſie durch die vortheilhaftere Vindication
erſetzt iſt, und beide Klagen überhaupt in einem ausſchlie-
ßenden Verhältniß zu einander ſtehen.
Die actio praescriptis verbis endlich gründet ſich
auf den in jener Schenkung unläugbar enthaltenen Ver-
trag, den Innominatcontract do ut reddas, deſſen allge-
[256]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
mein anerkannte Wirkſamkeit (e) ſich hier ſo gut, wie in
anderen Fällen der Anwendung, äußeren muß. Auch iſt
in der That dieſe Klage für die Rückforderung des Ge-
ſchenks anerkannt (f).
Über die beſonderen Wirkungen dieſer Klagen iſt noch
Folgendes zu bemerken. Iſt die tradirte Sache unterge-
gangen durch die freye Handlung des Empfängers, ſo
muß dieſer in jedem Fall dafür einſtehen, und er wird
nicht, wie der beſchenkte Ehegatte, durch die Conſumtion
befreyt. Hat er alſo die Sache vernichtet, verzehrt, ver-
ſchwendet, ſo muß er ihren Werth bezahlen, indem er
ſich wiſſentlich außer Stand ſetzte den Vertrag auf Rück-
gabe zu erfüllen (g). Iſt die Sache verkauft, ſo hat der
Geber die Wahl, durch die Condiction den erlöſten Kauf-
preis, oder den wahren Werth, einzufordern (h). Iſt die
[257]§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
Sache durch des Empfängers Culpa beſchädigt, zerſtört,
geſtohlen worden, ſo muß er dafür einſtehen nach den all-
gemeinen Grundſätzen der actio praescriptis verbis(i), die
für dieſen Fall wichtig iſt, weil die Condiction auf Erſatz
der Culpa nicht gerichtet werden kann. — Trug die ge-
ſchenkte Sache in der Zwiſchenzeit Früchte, ſo muß der
Empfänger dieſelben herausgeben oder in Geld vergüten.
Dieſer wichtige Satz wird anerkannt ſelbſt für die Con-
diction, alſo für das vollſtändig übertragene Eigenthum (k);
er muß alſo um ſo unzweifelhafter gelten für die Vindi-
cation, und namentlich für den Fall der Tradition unter
Suspenſivbedingung. — Hat der Empfänger Koſten auf
die Sache verwendet, ſo kann er deren Erſatz durch doli
exceptio bewirken (l).
War die Schenkung durch eine bloße Stipulation be-
wirkt, oder geſchah ſie durch Delegation, ſo hat in beiden
Fällen der Geber eine Condiction auf die erlangte Berei-
cherung (m); im zweyten Fall kann der Empfänger die
(h)
IV. 17
[258]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ihm verſchaffte Forderung zurück übertragen; hat er ſie
eincaſſirt, und wegen Inſolvenz des Schuldners nur theil-
weiſe, ſo zahlt er nur das zurück, was er wirklich er-
hielt (n). — Beſtand die Schenkung in einer Acceptilation,
ſo geht die Condiction ſtets auf den vollen Nennwerth,
auch wenn der Empfänger inſolvent war (o).
Alle für die Schenkung auf den Todesfall bisher auf-
geſtellte Regeln beruhen durchaus auf der Natur eines
Vertrags, alſo eines unter Lebenden vorgehenden Rechts-
geſchäfts; von der Natur eines letzten Willens war darin
Nichts wahrzunehmen. Dieſe Grundverſchiedenheit von
dem letzten Willen zeigt ſich nun auch in folgenden Stük-
ken. Für das ältere Recht ſchon darin, daß eine ſolche
Schenkung auch von demjenigen gegeben werden konnte,
der kein Teſtament machte (p), anſtatt daß Erbeinſetzun-
gen und Legate nur in einem Teſtament gültig waren;
ſpäterhin, als Fideicommiſſe anerkannt wurden, lag hierin
ein unterſcheidender Character nicht mehr. Dagegen iſt
noch jetzt der Unterſchied übrig geblieben, daß die Gültig-
(m)
[259]§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
keit jener Schenkung unabhängig iſt von dem Daſeyn ei-
nes Erben; ſie bleibt beſtehen auch wenn das Vermögen
erblos wird, anſtatt daß Legate und Fideicommiſſe nur
Gültigkeit haben können, inſofern ſie ſich auf ein wirklich
erworbenes Erbrecht beziehen (q). — Ferner iſt dieſe Schen-
kung ganz ſicher auch unter ſolchen Perſonen möglich, de-
nen das Recht der testamentifactio fehlt. Am unzweydeu-
tigſten zeigt ſich dieſes bey den Peregrinen, welchen dieſes
Recht entſchieden abgeht (r). Hatte nun ein Peregrine ei-
nem andern auf den Todesfall eine Sache tradirt, oder
durch Stipulation Etwas verſprochen, ſo iſt es eben ſo
unzweifelhaft, daß der Beſchenkte Eigenthum oder eine For-
derung erwarb (s), als daß das erworbene Recht mit der
beſchränkenden Bedingung des früheren Todes behaftet
war, welche allein das beſondere Weſen dieſer Schen-
kungsart ausmacht. Die Misverſtändniſſe neuerer Schrift-
ſteller über dieſen Punkt gründen ſich theils auf die Ver-
wechslung der testamentifactio mit der völlig verſchiede-
nen Capacität (von welcher ſogleich die Rede ſeyn wird),
theils darauf daß die Römer ſelbſt die techniſche Bedeu-
tung des Wortes testamentifactio(t) nicht immer ſtrenge
17*
[260]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
genug feſt halten (u).
Allein es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß dieſe Art
der Schenkung in ihrem Zweck und Erfolg den Legaten
verwandt iſt (§ 170). Sobald nun die Legate poſitiven
Einſchränkungen unterworfen wurden, konnten die Schen-
kungen auf den Todesfall dazu misbraucht werden, ſolche
Einſchränkungen zu umgehen. Dieſes gab Veranlaſſung,
mehrere für die Legate geltende beſchränkende Regeln auch
auf jene Schenkungen anzuwenden. Wie weit man hierin
gehen ſolle, war unter den alten Juriſten ſtreitig; wir
kennen jedoch den Umfang ihres Streites nicht. Juſtinian
hat ſich für die ausgedehntere Gleichſtellung ausgeſprochen,
und zwar in Ausdrücken, die von Manchen unſrer Schrift-
(t)
[261]§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
ſteller ſo verſtanden worden ſind, als hätte er jene Schen-
kung als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut dadurch ganz
aufgehoben, daß er ſie mit den Legaten völlig verſchmol-
zen hätte (v). Dieſe wichtige Streitfrage iſt nun vollſtän-
dig zu unterſuchen.
Die Gleichſtellung dieſer Art der Schenkung mit den
Legaten kann in einem doppelten Sinn aufgefaßt werden:
von Seiten der äußeren Form, oder der anzuwendenden
Rechtsregeln. Der Streit der alten Juriſten betraf, ſo
viel wir wiſſen, nur den zweyten Punkt: Juſtinian ſpricht
von beiden, und wir müſſen daher den Sinn ſeiner Vor-
ſchrift nach beiden Seiten feſtſtellen.
Zuerſt von der äußeren Form. Seitdem die Inſinua-
tion, erſt aller, dann der großen Schenkungen vorgeſchrie-
ben war, konnte man fragen, ob dieſelbe auch für die
Schenkung auf den Todesfall nöthig ſey. Juſtinian ent-
ſcheidet, ſie ſey nicht durchaus nöthig, ſondern es könne
ſie Jeder dadurch entbehrlich machen, daß er Fünf Zeugen
zuziehe, wodurch jede Schenkung dieſer Art vollgültig
werde. Ich ſehe in dieſer einfachen Beſtimmung nur fol-
[262]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gende Vorſchrift: Jeder, der auf den Todesfall ſchenken
will, hat die Wahl, dafür entweder die alte Form einer
Schenkung, oder aber die Form eines Codicills anzuwen-
den. Im erſten Fall iſt dazu, wenn der Werth mehr als
500 Solidi beträgt, die Inſinnation erforderlich; im zwey-
ten Fall, ohne Unterſchied des Werths, die Zuziehung von
Fünf Zeugen wie bey jedem Codicill. — Dieſe Beſtim-
mung iſt jedoch auf zweyerley Weiſe misverſtanden wor-
den. Erſtlich haben Manche angenommen, Juſtinian habe
hierin die hergebrachte Form der Schenkung ganz abſchaf-
fen, und nur allein die Form der Fünf Zeugen gelten laſ-
ſen wollen. Daraus würde folgen, daß es überhaupt
keine Schenkungen auf den Todesfall mehr gebe, ſondern
nur noch Legate, bey welchen blos als untergeordnete Mo-
dification der Umſtand vorkäme, daß zuweilen der Ge-
genſtand des Legats noch bey Lebzeiten des Erblaſſers dem
Legatar eingehändigt würde. Zu dieſer Annahme kann
man verleitet werden, wenn man blos die Einleitungs-
worte des Juſtinianiſchen Geſetzes lieſt. Die Verordnung
ſelbſt enthält nur eine Erleichterung für den Geber, nicht
(wie es nach jener Annahme ſeyn würde) eine Beſchrän-
kung der bis dahin möglichen Formen der Zuwendung;
es wird nur geſagt, der Geber ſolle ſelbſt bey großen
Schenkungen die Inſinuation vermeiden können (durch
Zuziehung von Fünf Zeugen), wobey es ihm alſo unbe-
nommen bleibt, wenn er es vorzieht, mit Inſinuation eine
große Schenkung vorzunehmen, oder ſelbſt formlos zu
[263]§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
ſchenken, wenn der Werth 500 Solidi nicht überſteigt (a).
Es iſt einleuchtend, welche Inconſequenz dem Geſetzgeber
durch die entgegengeſetzte Meynung aufgebürdet wird.
Wenn 300 Solidi durch bloße Tradition, oder 800 durch
Tradition mit Inſinuation mortis causa geſchenkt werden
(alſo ohne Fünf Zeugen), ſo wäre Das nach jener Mey-
nung ungültig. Allein Niemand bezweifelt, daß unter glei-
chen Vorausſetzungen eine Schenkung unter Lebenden voll-
gültig ſeyn würde. Es müßte alſo dieſelbe Form zur Be-
ſtätigung des gefährlicheren, bedenklicheren Geſchäfts hin-
reichen, die für das minder gefährliche und bedenkliche un-
genügend ſeyn würde. — Ein zweytes Misverſtändniß geht
dahin, die Fünf Zeugen ſeyen eine ganz ſpecielle Form für
die Schenkung auf den Todesfall, ohne Zuſammenhang
mit der allgemeinen Form der Codicille, deren übrige Be-
ſtimmungen daher auch hier nicht angewendet werden dürf-
ten (b). Eine ſolche Iſolirung poſitiver Formen iſt ſchon
an ſich ſehr bedenklich, da wo die Zurückführung einer
neu vorgeſchriebenen, und nur kurz angedeuteten Form,
auf eine ſchon bekannte, nahe liegt. Hier aber treten noch
folgende beſondere Gründe ein, die nur kurz erwähnten
Fünf Zeugen für nichts Anderes zu halten, als für die
[264]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
reine und ganze Codicillarform. Seit langer Zeit beſtand
die allgemeine Regel, Legate und Fideicommiſſe koͤnnten
nur in Codicillen, und zwar vor Fünf Zeugen, errichtet
werden (c). In dem Juſtinianiſchen Geſetz nun wird im
Eingang eine Annäherung der mortis causa donatio an
die Legate ausgeſprochen, und daran die Vorſchrift ge-
knüpft, nach welcher Fünf Zeugen jede andere Form ent-
behrlich machen ſollen. Was iſt wohl natürlicher, als
dieſe Fünf Zeugen für die kurze Bezeichnung der Codicil-
larform zu halten, wodurch ja eben Legate regelmäßig
ihre Gültigkeit erhalten? Hätte etwa Juſtinian bey die-
ſer Gelegenheit alles Dasjenige wiederholen ſollen, was
an anderen Orten ſeiner Rechtsbücher über die Form der
Codicille ausgeſprochen iſt? Es kommt hinzu, daß kurz
zuvor der Kaiſer für die großen Schenkungen unter Ehe-
gatten beſtimmt hatte, ſie könnten nicht durch den Tod
allein beſtätigt werden, ſondern nur entweder durch In-
ſinuation, oder durch suprema voluntas(d); dieſes letzte
aber heißt: entweder durch Teſtament, oder durch Codicill.
Was er nun hier als suprema voluntas, alternativ neben
der Inſinuation, ausdrückt, bezeichnet er in jenem Geſetz
durch die Fünf Zeugen; beide Beſtimmungen ſind in Wor-
ten verſchieden, in der Sache übereinſtimmend, und er-
läutern ſich wechſelſeitig. — Betrachtet man aus dieſen
Gründen die Fünf Zeugen lediglich als die kurze Verwei-
[265]§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
ſung auf die ſonſt ſchon bekannte Codicillarform, ſo folgt
daraus conſequenterweiſe, daß die Fünf Zeugen auch durch
jede privilegirte Codicillarform erſetzt werden können, na-
mentlich durch den mündlichen Auftrag an den gerade ge-
genwärtigen Erben (e). Wollte man auch (nach der hier
widerlegten Anſicht) läugnen, daß auf dieſe Weiſe eine
gültige mortis causa donatio zu Stande kommen könne
(wegen der fehlenden Fünf Zeugen), ſo müßte man den-
noch ein gültiges Fideicommiß zugeben, des Inhalts, daß
der Erbe alles Das geſchehen laſſe und bewirke, was in
der beabſichtigten mortis causa donatio enthalten war;
dann iſt aber der praktiſche Erfolg genau derſelbe, wie
wenn dieſe unmittelbar eine rechtsgültige Beſtätigung er-
halten hätte. Ja ſelbſt wenn der Erblaſſer in einem (förm-
lichen oder privilegirten) Codicill ſagt: „ich ſchenke hier-
durch dem Titius auf den Todesfall 1000,“ ſo iſt dieſes
zwar als Schenkung ungültig, da die Acceptation fehlt,
alſo überhaupt Nichts geſchehen iſt, was zur Perfection
einer ſolchen gehört; dennoch muß es als Legat oder Fi-
deicommiß gelten (f), da die Abſicht des Erblaſſers un-
zweifelhaft iſt, das Juſtinianiſche Recht aber, ſeinem Buch-
ſtaben und Geiſt nach, die angewendeten Ausdrücke für
ganz gleichgültig erklärt (g).
Ferner iſt das materielle Verhältniß der Schenkung
auf den Todesfall zu den Legaten zu beſtimmen; die Gleich-
heit oder Ungleichheit der auf beide anzuwendenden Rechts-
regeln. Einiges hatten hierüber ſchon die Kaiſer beſtimmt;
wie weit man hierin überhaupt gehen ſolle, war unter
den Juriſten ſtreitig; ſo fand die Sache Juſtinian. Er
entſchied ſich für die Meynung Derjenigen unter den alten
Juriſten, welche den höheren Grad der Gleichſtellung ver-
theidigten, und ſprach dieſen ſeinen Willen auf zwiefache
Weiſe aus. Erſtlich indem er in die Digeſten nur die
Stellen der von ihm gebilligten Partey der alten Juriſten
aufnahm, die der Gegenpartey wegließ; Zweytens indem
er im Codex und in den Inſtitutionen die höhere Gleich-
heit als allgemeines Reſultat ausſprach (h). Die Rechts-
(g)
[267]§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
bücher erläutern ſich alſo hierin gegenſeitig; die unbe-
ſtimmte Gleichſtellung des Codex und der Inſtitutionen er-
hält durch die Digeſten ihren beſtimmten Inhalt und ihre
Gränzen. Dagegen haben ſich Viele durch die Form un-
ſrer Rechtsbücher zu der irrigen Meynung verleiten laſſen,
als enthielten die Digeſten blos eine anfangende, partielle
Gleichſtellung, die dann im Codex in eine abſolute ver-
wandelt worden wäre. Geht man nun von dem hier auf-
geſtellten Grundſatz aus, ſo folgt daraus, daß die Gleich-
heit nur in den einzelnen Fällen behauptet werden darf,
worin ſie durch die Digeſten und durch frühere Kaiſercon-
ſtitutionen anerkannt iſt; und dieſes Reſultat wird noch
dadurch beſtätigt, daß in unſren Rechtsquellen mehrere fort-
währende Verſchiedenheiten ausdrücklich anerkannt ſind (i).
— Es ſind daher jetzt die einzelnen Beziehungen ſelbſt
darzuſtellen, worin jene Schenkungen den Legaten in der
That gleichgeſtellt worden ſind.
Der älteſte Fall, wie es ſcheint, worin dieſe Schen-
kungen den Legaten gleichgeſtellt wurden, war der der
(h)
[268]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Incapacität. Nämlich der Eheloſe ſollte nach der Lex
Julia die ihm hinterlaſſenen Erbſchaften oder Legate gar
nicht, der Kinderloſe nur zur Hälfte erwerben können; da
nun Richts leichter war, als dieſes Verbot unter der
Form eines Fideicommiſſes zu umgehen, ſo wurde daſſelbe
durch das Sc. Pegasianum auf die Fideicommiſſe erſtreckt (a).
Eben ſo nahe aber lag die Umgehung durch eine mortis
causa donatio, daher wurde durch einen Senatsſchluß auch
auf dieſe das Verbot ausgedehnt (b); darin lag die erſte
künſtliche Gleichſtellung mit den Legaten. Eben dieſe Gleich-
heit aber forderte, daß bey der Beurtheilung dieſer Un-
fähigkeit nicht auf den Zuſtand zur Zeit des gegebenen
Geſchenks geſehen werden durfte, ſondern zur Todeszeit
des Gebers (c). Oder, um es genauer auszudrücken, die
Schenkung war von dieſer Seite vollgültig, wenn der Be-
[269]§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
ſchenkte entweder zur Zeit des Todes, oder auch nur in
den erſten Hundert Tagen nachher, in der Ehe lebte und
Kinder hatte (d). — Juſtinian hat dieſe Folgen der Orbi-
tät und des Cölibats in allen ihren Anwendungen allge-
mein aufgehoben (e), und es iſt als bloße Gedankenloſig-
keit zu betrachten, daß man die Erwähnung derſelben bey
der mortis causa donatio in die Digeſten aufgenommen
hat, wenn wir nicht etwa annehmen wollen, daß die Com-
pilatoren bey dieſer Aufnahme an die Kaiſergeſetze gedacht
haben, welche den Ketzern und Abtrünnigen den Erwerb
nicht nur von Erbſchaften, ſondern auch von Schenkun-
gen, unterſagen (§ 84). Für das heutige Recht würde
auch dieſe Anwendung wegfallen.
Eine zweyte Gleichſtellung betrifft die Falcidiſche
Quart. Die Lex Falcidia ſelbſt geſtattete dem Teſta-
mentserben, den auf ihn angewieſenen Legataren nöthigen-
falls ſo viel abzuziehen, daß ihm der vierte Theil ſeiner
Erbportion als reiner Gewinn übrig bliebe. Das Sc. Pe-
gasianum erſtreckte dieſe Einſchränkung auf Fideicommiſſe
(ſowohl der Erbſchaft, als einzelner Sachen) (f). Pius
dehnte ſie weiter aus auf ſolche Fideicommiſſe, die einem
Inteſtaterben auferlegt waren (g). Hieran ſchloß ſich die
[270]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Conſtitution von Severus, welche einer gleichen Beſchrän-
kung auch die Schenkungen auf den Todesfall unter-
warf (h); dadurch war alſo der teſtamentariſche, wie der
Inteſtaterbe, berechtigt worden, in die Maſſe der Erb-
ſchaft, woraus ſeine Erbportion und deren Quart berech-
net werden ſollte, auch jene Schenkungen mit herein zu
ziehen, und den Abzug auf ſie eben ſo, wie auf Legate
und Fideicommiſſe, zu richten. Es war dann eine bloße
Entwicklung dieſes Rechtsſatzes, daß man auch die durch
den Tod beſtätigten Schenkungen unter Ehegatten demſel-
ben Abzug unterwarf (i), indem dieſe überhaupt als mor-
tis causa donationes angeſehen wurden (§ 164).
Der Falcidiſchen Quart liegt zum Grunde eine höhere,
gar nicht aus poſitiven Vorſchriften abzuleitende, Regel,
daß nämlich ipso jure nichtig ſind alle Legate und Fidei-
commiſſe, ſoweit ſie den Werth der Erbſchaft ſelbſt über-
ſteigen (k). Dieſe Regel hatte auf m. c. donationes keine
Anwendung, ſo lange man dieſelben als außer den Grän-
(g)
[271]§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
zen der Erbſchaft liegend betrachtete. Seitdem man ſie
aber, um der Falcidia Willen, in die Erbſchaft herein
zog, war es unvermeidlich, jene höhere Regel gleichfalls
darauf anzuwenden. Das hat zugleich die Folge, daß
auch die Glaubiger des Verſtorbenen ſich darauf berufen
können, die mortis causa donatio ſey nichtig, ſoweit ſie
ihre Schuldforderungen gefährde. Dadurch wird ihnen die
Pauliana actio für dieſen Fall entbehrlich, und ſie gewin-
nen dadurch den Vortheil, daß ſie ſich auf den Beweis
der unredlichen Abſicht ihres Schuldners nicht einzulaſſen
brauchen (l).
Die Bonorum Possessio contra tabulas eines
präterirten Suus oder Emancipatus entkräftet von ſelbſt
alle Erbeinſetzungen und Legate, weil beide ihre Gültigkeit
nur aus dem Teſtament herleiten; beſonders ausgenommen
ſind die den Deſcendenten und Aſcendenten des Erblaſſers
gegebenen Erbtheile und Legate. Auf m. c. donationes
hat dieſes an ſich keine Anwendung, da dieſelben nicht auf
dem Teſtament beruhen. Dennoch iſt die Entkräftung, und
eben ſo die erwähnte Ausnahme derſelben, auch auf ſie
erſtreckt worden (m). Bey einer Inteſtaterbfolge kann keine
B. P. contra tabulas vorkommen, alſo auch nicht dieſe Ent-
[272]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
kräftung (n). Hier bleibt alſo dem durch die m. c. dona-
tio beeinträchtigten Sohn nichts Anderes übrig, als der
Abzug der Falcidiſchen Quart (Note h). — Eine gleiche
Ausdehnung iſt gemacht worden bey der P. B. contra
tabulas liberti; daher entkräftete der Patron eine ſolche
Schenkung unbedingt, anſtatt daß er bey einer Schenkung
unter Lebenden die actio Faviana oder Calvisiana bedurfte,
zu deren Begründung der Dolus des Gebers bewieſen wer-
den mußte (o).
Jeder Fructuar muß dem Eigenthümer Caution ſtel-
len wegen gehöriger Behandlung und künftiger Rückgabe
der Sache. Dieſes gilt nicht blos von einem durch Legat
errichteten Niesbrauch, ſondern es iſt hierin die Schen-
kung auf den Todesfall den Legaten gleichgeſtellt wor-
den (p), das heißt wenn Jemand mortis causa einen Nies-
brauch beſtellt, ſo kann nach ſeinem Tod der Erbe die
Caution erzwingen. Dieſes ſcheint deswegen nichts Be-
ſonderes, weil ſelbſt bey einem durch irgend einen Vertrag
errichteten Niesbrauch eine ſolche Caution verlangt wer-
[273]§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
den kann (q). Das Beſondere aber liegt in der ganz po-
ſitiven Regel, daß die Caution des Legatars vom Erblaſ-
ſer nicht erlaſſen werden darf (r). Hierin alſo ſteht jene
Schenkung den Legaten gleich, anſtatt daß der Eigenthü-
mer, der durch anderen Vertrag den Niesbrauch beſtellt,
die Caution allerdings erlaſſen kann.
Wenn einer Erbeinſetzung oder einem Legat die Be-
dingung eines Eides hinzugefügt iſt, ſo wird der Eid
erlaſſen, der Wille des Erblaſſers aber durch zweckmäßi-
gere Rechtsformen geſchützt (§ 123). Dieſe Verwandlung
nun ſoll auch bey Schenkungen auf den Todesfall ange-
wendet werden, welches auf folgende Weiſe gedacht wer-
den muß. Der Geber hat ſich von dem Empfänger die
Rückgabe nicht blos unter der gewöhnlichen Bedingung
jener Schenkung verſprechen laſſen, ſondern auch noch für
den Fall, wenn es der Empfänger unterlaſſen würde, ir-
gend eine Handlung eidlich anzugeloben (s); der Eid wird
IV 18
[274]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nunmehr erlaſſen, die Handlung ſelbſt aber als Modus
aufrecht erhalten.
Soldaten, die in väterlicher Gewalt ſtehen, haben das
Recht, über das castrense peculium zu teſtiren, alſo Er-
ben und Legatare zu ernennen. Dieſes iſt ſehr bald, und
ganz conſequent, auch auf mortis causa donationes aus-
gedehnt worden, obgleich es urſprünglich, dem Buchſtaben
nach, nur für Teſtamente beſtimmt geweſen war (t).
Dem Empfänger einer m. c. donatio kann ein Fidei-
commiß auferlegt werden (u). Streng genommen liegt
darin keine Gleichſtellung mit eigentlichen Legaten, denn
auch Derjenige kann ſo onerirt werden, der ein Fideicom-
miß, oder ſelbſt eine bloße m. c. capio empfängt (v).
Allein eine durch Todesfall, alſo durch den Willen eines
Verſtorbenen, bedingte Succeſſion iſt zu einer ſolchen Be-
laſtung allerdings erforderlich (w), und inſofern wird eben
dadurch die m. c. donatio in die Reihe ſolcher Succeſſio-
nen geſtellt, und von den reinen Verträgen in einer wich-
tigen Wirkung unterſchieden. Unrichtig iſt behauptet wor-
den, die Fähigkeit zu dieſer Belaſtung ſey die natürliche
[275]§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
Folge der Widerruflichkeit der m. c. donatio, da das auf-
erlegte Fideicommiß nur ein partieller Widerruf ſey (x).
Allein der Widerruf iſt eine Handlung des Lebenden, und
daß hier der erſt nach dem Tod bekannt gewordene fidei-
commiſſariſche Wille bindend iſt, darin eben liegt das Be-
ſondere, aus der bloßen Natur des bedingten Vertrags
nicht zu Erklärende. Die Rechtsregeln zeigen hierin ge-
rade den umgekehrten Entwicklungsgang. Da man die
Belaſtung der m. c. donatio, wegen der Succeſſionenna-
tur derſelben, nicht verweigern konnte, ſo erſtreckte man
ſie nun auch auf die gewöhnliche Schenkung, wenn dieſe
durch Vertrag widerruflich gemacht war; dieſes jedoch erſt
ſpäter, und kraft einer Conſtitution von Pius (y). Eine
ſpätere Ausdehnung wird im § 175 vorkommen.
In allen dieſen Fällen alſo iſt die Gleichſtellung der
m. c. donatio mit den Legaten gewiß; in anderen Fällen
ſind wir zu ihrer Annahme nicht berechtigt, ungeachtet der
ſcheinbar allgemein lautenden Stellen des Codex und der
Inſtitutionen. Ja ſogar kommen Fälle vor, worin dieſe
Gleichheit ganz ausdrücklich verneint wird. Die Indigni-
tät wegen der Anfechtung des Teſtaments, welche auf
Erbſchaften und Legate geht, ſoll auf die m. c. donatio
nicht bezogen werden (z). — Ferner würde aus der abſo-
luten Gleichſtellung folgen, daß die m. c. donatio nie un-
18*
[276]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
widerruflich gemacht werden könne, da Dieſes bey Lega-
ten gewiß der Fall iſt; dennoch iſt die Zuläſſigkeit einer
unwiderruflichen m. c. donatio nicht nur in den Digeſten,
ſondern ſogar noch in einer Novelle, ausdrücklich aner-
kannt (§ 170. f).
Es iſt jetzt im Zuſammenhang die, ſchon theilweiſe be-
rührte, Frage zu beantworten, ob die poſitiven Einſchrän-
kungen der Schenkung auch auf die mortis causa donatio
Anwendung finden.
Das Verbot unter Ehegatten findet hier keine Anwen-
dung, und wir dürfen annehmen, daß Dieſes von jeher
ſo geweſen iſt (§ 162. m).
Sehr zweifelhaft iſt die Anwendung der Lex Cincia
und ihrer Zuſätze, alſo die Frage, ob auch die m. c. do-
natio dem Verbot größerer Summen, und der beſonderen
Form der Mancipation, verbunden mit Interdictenbeſitz,
unterworfen war. Zwar in Beziehung auf den Geber
ſelbſt hatte dieſe Frage meiſt kein Intereſſe, da dieſer ohne-
hin die m. c. donatio in der Regel ganz willkührlich wi-
derrufen kann (§ 170). Wichtig wurde die Frage, ſobald
durch den Tod des Gebers dieſe Willkühr weggefallen
war, ſo daß nur noch der Erbe des Gebers mit dem Em-
pfänger in Streit gerathen konnte, wenn etwa die geſetz-
[277]§. 174. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
liche Summe überſchritten, oder die Mancipation ver-
ſäumt, und auch nicht durch Uſucapion erſetzt war. Nimmt
man nun an, daß die Regel: morte Cincia removetur
von jeher und unbeſtritten galt, ſo iſt es wieder unzwei-
felhaft, daß auch für den Erben die Lex Cincia keinen
Einfluß mehr haben konnte, daß alſo überhaupt die Schen-
kung auf den Todesfall von dem Einfluß der L. Cincia
völlig frey war; nur mit Ausnahme des ſeltnen Falles,
da der Geber dem willkührlichen Widerruf entſagt hatte,
in welchem Fall er ſich dennoch auf die Einwendungen
berufen konnte, die ihm die L. Cincia darbot. Wenn man
dagegen annimmt, daß jene Regel (morte Cincia remove-
tur) nur von einem Theil der alten Juriſten behauptet,
und erſt ſpäter allgemein anerkannt wurde, ſo konnte, nach
der entgegenſtehenden Meynung anderer Juriſten, auch der
Erbe die aus der L. Cincia entſpringenden Einwendungen
geltend machen (a).
Die Anwendbarkeit der nothwendigen Inſinuation auf
die m. c. donatio, wenn ihr Gegenſtand mehr als 500
Solidi werth iſt, hat durchaus keinen Zweifel. Sie muß
entweder inſinuirt, oder durch die Form eines Codicills
beſtätigt ſeyn; außerdem iſt ſie in Anſehung des Über-
maaßes nichtig, und dieſe Nichtigkeit kann von dem Erben
geltend gemacht werden (§ 172).
Auch der Widerruf wegen Undankbarkeit kann keine
Zweifel erregen. Der Geber ſelbſt kann in der Regel aus
bloßer Willkühr widerrufen, alſo gewiß auch im Fall der
Undankbarkeit. Hat er dieſer Willkühr entſagt, ſo iſt da-
durch die Schenkung für ſeinen Willen nicht bindender ge-
worden, als jede Schenkung unter Lebenden, und der Wi-
derruf wegen Undankbarkeit kann ihm daher nicht verſagt
werden; er kann es um ſo weniger, als ſelbſt ein für die-
ſen beſonderen Fall ausdrücklich erklärter Verzicht ohne
Wirkung ſeyn würde (§ 169. l).
Bisher wurde die Schenkung auf den Todesfall als
ein ſolches Geſchäft abgehandelt, welchem ein Vertrag zum
Grunde liegt. Dieſe Natur hat ſie nun wirklich in den
allermeiſten Fällen, und es wird ſich dann ihre praktiſche
Behandlung am Einfachſten hieraus ableiten laſſen. Wenn
jedoch neuere Schriftſteller dieſe Geſtalt für die einzig mög-
liche halten, und alſo das Vorkommen einer m. c. dona-
tio ohne Vertrag gänzlich läugnen, ſo muß ich dieſer Mey-
nung beſtimmt widerſprechen. Es iſt alſo nun zu zeigen,
daß die oben nachgewieſenen Fälle der Schenkung ohne
Vertrag (§ 160) auch bey einer Schenkung auf den To-
desfall angewendet werden können.
Wenn Jemand die Schuld eines abweſenden Freundes,
ohne deſſen Wiſſen, durch baare Zahlung oder durch Ex-
promiſſion tilgt, ſo iſt dieſes, je nach der verſchiedenen
möglichen Abſicht, bald eine negotiorum gestio, bald eine
[279]§. 174. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)
Schenkung. Geſetzt nun, er erklärt ausdrücklich, vielleicht
bey der gerichtlichen Inſinuation einer hohen Summe, daß
er die Abſicht einer Schenkung habe, aber einer Schen-
kung auf den Todesfall, ſo muß ganz deren rechtliche Na-
tur zur Anwendung kommen. Eben ſo, wenn er, unter
gleicher Erklärung, auf dem Landgut des Abweſenden die
abgebrannten Gebäude auf eigene Koſten herſtellt. Geſetzt
nun, er ſtirbt vor ſeinem Freund, ohne ſeinen Willen zu
verändern, ſo iſt die Schenkung perfect geworden, und
ſein Erbe kann nicht gegen den Beſchenkten klagen, weil
die negotiorum gestorum actio durch die Abſicht der Schen-
kung ausgeſchloſſen iſt. Geſetzt aber umgekehrt, der Freund
ſterbe vor ihm, ſo iſt die mortis causa donatio durch Er-
füllung der ihr inwohnenden Bedingung der Rückgabe ver-
nichtet, der donandi animus iſt für dieſen Fall durch die
ausdrückliche Erklärung völlig ausgeſchloſſen, und er kann
den Erben ſeines Freundes auf Rückzahlung des ausge-
legten Geldes belangen. — Der einzige, nur die Form
betreffende, Unterſchied liegt in den Rechtsmitteln, wo-
durch die Rückzahlung bewirkt wird. Der Geber hat und
braucht keine Vindication, Condiction, oder actio prae-
scriptis verbis, es genügt ihm zur Erreichung ſeines Zwecks
die negotiorum gestorum actio. Und hierin liegt wieder
eine Beſtätigung der oben (§ 158) aufgeſtellten Anſicht,
daß in Fällen dieſer Art das eigentliche Schenkungsmittel
in der Befreyung von einer eigenen Forderung des Ge-
bers beſteht; von der Forderung nämlich, welche Dieſer
[280]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
mit der negotiorum gestorum actio geltend machen koͤnnte,
wenn er nicht deren Entſtehung, durch die ausgeſprochene
Abſicht der Schenkung, gleich Anfangs verhindert hätte.
Der Modus, als beſondere Form einer auf einen Er-
werb gelegten Belaſtung kommt überhaupt nur vor bey
den durch einen Todesfall begründeten Succeſſionen, und
bey Schenkungen (§ 128). Durch dieſe letzte Verbindung
erhält die Schenkung eine eigenthümliche Natur, die nun-
mehr dargeſtellt werden ſoll. Da nämlich die in dem Mo-
dus enthaltene Verpflichtung einen Theil der urſprüngli-
chen Bereicherung wieder aufhebt, ſo entſteht dadurch ein
gemiſchtes Rechtsgeſchäft (§ 154), deſſen beide Hälften
(Verpflichtung und Schenkung) einzeln betrachtet werden
müſſen.
I.Verpflichtung. — Der Inhalt derſelben kann
beſtehen in einer Leiſtung an den Geber ſelbſt, einer Lei-
ſtung an einen Dritten, oder in einer Handlung, wodurch
kein Einzelner ein Recht erwirbt, wie die Errichtung ei-
nes Denkmals, oder die Gründung einer öffentlichen An-
ſtalt (§ 128). Auf dieſe verſchiedenen Verpflichtungen be-
ziehen ſich folgende Rechtsmittel.
A. Wenn der Modus eine Leiſtung an den Geber
[281]§. 175. Donatio sub modo.
ſelbſt enthält, ſo daß dieſer ein Geldintereſſe dabey hat,
ſo kann er auf deſſen Erfüllung klagen. Dazu diente die
Stipulationsklage, wenn mit der Schenkung eine Stipu-
lation auf den Modus verbunden worden war; außerdem
dient dazu immer eine actio praescriptis verbis, weil in
der donatio sub modo ſtets ein Contract nach der Form
do ut des oder do ut facias enthalten iſt. — Dieſer Rechts-
ſatz kommt in folgenden wichtigen Anwendungen vor. Dem
Empfänger kann auferlegt ſeyn, dem Geber Alimente zu
reichen (a), oder irgend eine andere Sache zu geben (b),
oder das Geſchenk ſelbſt zurück zu geben, ſey es unter ei-
ner beſtimmten Bedingung oder Zeitbeſtimmung, z. B. bey
dem Tode des Empfängers (c), oder nach freyer Willkühr
des Gebers (d). — Dieſe Erfüllungsklage kann aber der
Geber nicht anſtellen, wenn der Modus in einer Leiſtung
an einen Dritten beſteht, weil es ein allgemeiner Grund-
ſatz iſt, daß aus dem Vertrag zum Vortheil eines Drit-
ten, weder der Contrahent, noch jener Dritte, eine Klage
erwirbt (e).
B. Ganz allgemein, ohne Unterſchied der in dem Mo-
dus enthaltenen Leiſtung, hat der Geber eine condictio
ob causam datorum, womit er das ganze Geſchenk zurück
fordert, ſobald den Empfänger der Vorwurf trifft, daß
[282]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
er ſeine Verpflichtung willkührlich unerfüllt gelaſſen habe (f).
Ob alſo der Geber ein Intereſſe bey der Erfüllung hat,
iſt gleichgültig, denn auch wo dieſes fehlt, iſt darum nicht
minder causa non secuta. Dagegen gilt die Klage nur
unter folgenden zwey wichtigen, bereits angedeuteten, Ein-
ſchränkungen. Erſtlich fällt die Condiction ganz weg, wenn
die Erfüllung unmöglich iſt (g); wobey natürlich voraus-
geſetzt wird, daß die Unmöglichkeit aus äußeren Urſachen
entſtanden ſey, nicht durch die Verſchuldung des Empfän-
gers. Zweytens kann ſie nicht angeſtellt werden, ſo lange
nach dem Inhalt des Modus die Verpflichtung noch nicht
angefangen hat, ſo daß vorläufig nur erſt die in dem gan-
zen Geſchäft enthaltene Schenkung wirkſam geworden iſt (h).
[283]§. 175. Donatio sub modo.
Hierin beſteht alſo eine merkwürdige Verſchiedenheit zwi-
ſchen dieſem Fall, und anderen Innominatcontracten, ne-
ben welchen die Condiction auch aus reiner Willkühr (jus
poenitendi) angeſtellt werden kann, ſelbſt wenn den Em-
pfänger kein Vorwurf trifft (i); dieſes jus poenitendi gilt
bey der donatio sub modo gar nicht (k). Der Grund
liegt wohl darin, daß bey der donatio sub modo der
Theil des Geſchäfts, welcher die Schenkung enthält, mit
dem Modus unzertrennlich verbunden iſt, ſo daß oft nicht
einmal unterſchieden werden kann, welche unter den bei-
den vereinigten Abſichten bey dem Geber die vorherrſchende
war (l). Wird nun die Condiction angeſtellt, ſo möchte
man erwarten, daß ſie nur auf den Werth des Modus
gienge, nicht auf den Werth der eigentlichen Schenkung;
wäre alſo ein Haus geſchenkt im Werth von 1000, und
betrügen die auferlegten Leiſtungen 200, ſo müßten dann
nur dieſe 200 wiedergefordert werden können, nicht die
800 die zur reinen Bereicherung beſtimmt waren. So iſt
(h)
[284]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang
es aber nicht, vielmehr muß das ganze Haus zurückgege-
ben werden. Der Grund liegt wieder in der ſchon er-
wähnten Unzertrennlichkeit; dazu kommt aber, als Unter-
ſtützung, die offenbare Undankbarkeit des den Modus ver-
weigernden Empfängers (m). Daher hat auch Juſtinian
dieſen Fall unter die zur Revocation geeigneten Zeichen
der Undankbarkeit mit aufgenommen (§ 169); und es liegt
hierin, da es für den praktiſchen Zweck nicht eigentlich
nöthig war, eine Anerkennung, daß auch ſchon das ältere
Recht, bey der erwähnten Ausdehnung der Condiction,
von dem Princip der Undankbarkeit ausgieng. — In Ei-
nem Fall hat der Geber, der die Schenkung zurück for-
dern will, ſogar noch eine Vindication neben der perſön-
lichen Klage. Dieſes iſt beſtimmt für den Fall, da der
Modus auf Alimente geht, die dem Geber ſelbſt gereicht
werden ſollten, nun aber verweigert werden. Es wird
dieſes, den allgemeinen Grundſätzen nicht angemeſſene
Rechtsmittel ausdrücklich als eine ganz poſitive Anſtalt
anerkannt, und darf daher außer den Gränzen des an-
gegebenen einzelnen Falles nicht angewendet werden (n).
C. In den Fällen, worin der Modus auf die Leiſtung
[285]§. 175. Donatio sub modo.
an einen Dritten gerichtet iſt, würde dieſer nach dem äl-
teren Recht keine Klage gehabt haben (Note e), er müßte
denn bey dem Vertrag ſelbſt zugezogen worden ſeyn, und
den Modus für ſich ſtipulirt haben; das neuere Recht aber
geſtattet demſelben eine utilis actio(o). Daß darin eine
Neuerung liegt, iſt unverkennbar; es iſt aber nicht un-
wichtig zu beſtimmen, an welches ſchon beſtehende Rechts-
inſtitut dieſe Neuerung ſich dergeſtalt anſchließt, daß ſie
als eine Fortbildung deſſelben angeſehen werden kann.
Man hat geſagt, dieſe Klage ſey aus einer ſtillſchweigen-
den Ceſſion des Gebers an den begünſtigten Dritten ab-
zuleiten (p); dieſe Ableitung aber muß beſtimmt verworfen
werden. Denn der Geber könnte nur entweder die actio
praescriptis verbis oder die condictio cedirt haben. Das
erſte iſt unmöglich, weil er ſelbſt dieſe Klage in dem an-
gegebenen Fall (der Leiſtung an einen Dritten) gar nicht
hat (Note e). Das zweyte würde dahin führen, daß der
Dritte nicht auf Erfüllung des Modus klagen, ſondern
das Geſchenk ſelbſt abfordern dürfte; wäre alſo ein Land-
[286]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gut verſchenkt, mit dem Modus einen alten treuen Diener
zu verpflegen, ſo würde derſelbe nicht blos die verweiger-
ten Alimente, ſondern das ganze Landgut einklagen kön-
nen (q). Dieſes nun wird gewiß Niemand behaupten wol-
len, und ſo muß alſo überhaupt der Gedanke an jene
ſtillſchweigende Ceſſion aufgegeben werden. — Der wahre
Zuſammenhang der Gedanken ſcheint vielmehr folgender.
Im Fall der mortis causa donatio kann der Empfänger,
gleich einem Legatar, mit einem Fideicommiß belaſtet wer-
den (§ 173. u). Dieſes wurde durch eine Conſtitution von
Pius auf widerrufliche Schenkungen unter Lebenden über-
tragen (§ 173. y). Nun war es nur ein Schritt weiter
auf dieſem Wege, wenn nachfolgende Kaiſer (die divi
principes) eine ähnliche Wirkung auch bey derjenigen
Schenkung geſtatteten, bey welcher gleich Anfangs die
Leiſtung an einen Dritten dem Empfänger auferlegt war.
Es war alſo die Analogie der Fideicommiſſe, die hierbey
zum Grunde lag, obgleich der ſo gebildete Rechtsſatz ſelbſt,
über die wahre Natur der Fideicommiſſe weit hinaus geht.
II.Schenkung. Bey demjenigen Theil des ganzen
Geſchäfts, welcher die Natur der Schenkung an ſich trägt,
iſt nun noch zu beſtimmen, wie die poſitiven Einſchrän-
kungen der Schenkung dabey zur Anwendung gebracht
werden.
Die donatio sub modo unter Ehegatten iſt eine nich-
tige Handlung, ſo wie jede andere unter ihnen vorgenom-
mene Schenkung. Wird das Geſchenk zurückgefordert, ſo
hört auch jede Verpflichtung des Empfängers auf. Hat
derſelbe ſchon Aufopferungen zur Erfüllung des Modus
gemacht, ſo iſt die Bereicherung um ſo viel vermindert,
und der Empfänger kann dieſes in Abrechnung bringen:
hier um ſo unzweifelhafter, als dieſe Aufopferung aus dem
Willen des Gebers hervorgegangen iſt (§ 150. a).
Ganz ähnliche Grundſätze aber müſſen auch zur An-
wendung kommen in den übrigen Fällen poſitiver Ein-
ſchränkung. Überall alſo, wo die Schenkung entkräftet
wird, hört mit dem Gewinn auch die Verpflichtung zu
neuen Leiſtungen auf; ſind aber ſolche Leiſtungen ſchon ge-
macht, ſo iſt dadurch die durch die Schenkung bewirkte
Bereicherung theilweiſe aufgehoben, und zwar nach dem
eigenen Willen des Gebers. Dabey kann es keinen Un-
terſchied machen, ob die Schenkung an ſich nichtig iſt, wie
bey der verſäumten Inſinuation, oder ob ſie erſt durch
Klage widerrufen werden muß, wie im Fall der Un-
dankbarkeit.
Die meiſten dieſer Grundſätze treten unbedenklich auch
im heutigen Rechte ein. Nur die Condiction auf Rück-
gabe des Geſchenks, im Fall der verweigerten Erfüllung,
hängt mit der allgemeinen Natur der Innominatcontracte
zuſammen, und würde daher, eben ſo wie bey dieſen, im
[288]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
heutigen Rechte wegfallen (r). Daher iſt es hier von
Wichtigkeit, daß Inſtinian auf dieſen Umſtand zugleich ei-
nen Widerruf wegen Undankbarkeit gegründet hat (§ 169),
an deſſen heutiger Anwendbarkeit nicht zu zweifeln iſt.
Das Preußiſche allgemeine Landrecht handelt von der
Schenkung Th. 1 Tit. 11 § 1037—1177; das Öſterreichi-
ſche Geſetzbuch § 938—956. Der Code civil faßt ſie in
Einem Titel zuſammen mit den Teſtamenten; die gemein-
ſchaftlichen Regeln beider Inſtitute ſtehen art. 893—930,
die beſonderen Regeln der Schenkung art. 931—966; ih-
nen liegt zum Grunde die vom Kanzler d’Aguesseau ver-
faßte Ordonnance von 1731.
Indem nun zum Schluß dieſer Lehre der Inhalt der
genannten Geſetzgebungen mit dem des Römiſchen Rechts
verglichen werden ſoll, iſt zunächſt auf die rein poſitiven
Beſtimmungen dieſes Rechts, alſo auf die dreyfache Ein-
ſchränkung der Schenkung, Rückſicht zu nehmen.
I. Das Verbot der Schenkung unter Ehegatten iſt
vom Preußiſchen Geſetz verworfen worden (a); eben ſo auch
[289]§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.
vom Öſterreichiſchen (§ 1246). Das Franzöſiſche dagegen
ſchließt ſich ganz an das Römiſche Recht an, indem es
für jede in der Ehe vorgenommene Schenkung einen will-
kührlichen Widerruf zuläßt (art. 1096). Daß es an die
Stelle der Römiſchen Nichtigkeit ein bloßes Widerrufs-
recht ſetzt, iſt nicht von großer praktiſcher Erheblichkeit;
wichtiger iſt die Frage, ob dieſe Schenkung durch den
Tod des Gebers unwiderruflich wird. Ausdrücklich ſagt
darüber das Geſetz Nichts; die Praxis aber nimmt an,
daß in dieſer Hinſicht völlig die Regel des Römiſchen
Rechts gelte (b).
II. Die verſchiedenſten Maasregeln finden ſich bey
den für die Gültigkeit der Schenkung vorgeſchriebenen For-
men, in welchen überall eine gewiſſe Einſchränkung liegt,
dadurch veranlaßt, daß allerdings von der Schenkung mehr
als von den meiſten übrigen Verträgen Misbrauch zu be-
fürchten iſt. Hierin nun iſt die Vorſchrift des neueſten
Römiſchen Rechts beſonders mangelhaft; es fordert die
gerichtliche Inſinuation nur bey einer ſehr bedeutenden
Summe, und zwar ohne Rückſicht ob das Vermögen des
Gebers groß oder klein iſt: unter jener Summe aber läßt
es die Schenkungen nicht blos ganz frey von poſitiven
Formen, ſondern giebt ſogar noch größere Freyheit als
bey den meiſten anderen Verträgen, indem es die Stipu-
lation als Form des klagbaren Verſprechens erläßt. Von
dieſen Mängeln ſind die neueren Geſetzgebungen frey.
Das Öſterreichiſche Geſetz nimmt die Sache am Leich-
teſten; es fordert nur entweder ein ſchriftliches Verſpre-
chen, oder Tradition, keine andere Form (§ 943). Auf
dieſe Weiſe kann jeder Werth, ja das ganze gegenwär-
tige Vermögen, verſchenkt werden; nur von dem künftigen
Vermögen ſoll die Schenkung höchſtens die Hälfte umfaſ-
ſen (§ 944).
Schwieriger iſt das Franzöſiſche Geſetz. Mit ſchein-
barer Allgemeinheit fordert es erſtlich Acceptation (art. 894.
932), von welcher noch weiter unten die Rede ſeyn wird;
zweytens die Verhandlung vor einem Notar (art. 931).
Indeſſen iſt dieſes nicht gerade für alle donations vorge-
ſchrieben, ſondern nur für tous actes portant donation
entre-vifs, und auf dieſen Ausdruck hat man folgende
mildernde Erklärung, wie es ſcheint mit allgemeiner Zu-
ſtimmung, gegründet. Wenn bewegliche Sachen durch au-
genblickliche Tradition verſchenkt werden (dons manuels),
ſo iſt die Schenkung vollgültig, auch ohne Notar. Wenn
ferner die Schenkung zuerſt durch eine mangelhafte Wil-
lenserklärung verſucht war (ohne Notar, oder ohne Accep-
tation), und es kommt nachher der wirkliche Beſitz des
Beſchenkten hinzu (exécution volontaire), ſo iſt dadurch
jeder Mangel gehoben (c). Wegen des Umfangs der Schen-
[291]§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.
kung iſt nur die Einſchränkung gemacht, daß ſie nicht auf
das künftige Vermögen gerichtet ſeyn darf (art. 943) (d).
— Wenn nun aber die erwähnten Formen beobachtet wer-
den, ſo iſt dadurch Alles, was nöthig iſt, geſchehen; Tra-
dition wird nicht erfordert, und es geht auch ohne ſie das
Eigenthum der vor dem Notar verſchenkten Sache unmit-
telbar über (art. 938).
Das Preußiſche Geſetz hat unter allen die ſtrengſten
Formen. Jede Schenkung kann gerichtlich vorgenommen
werden; dann iſt auch das bloße Verſprechen klagbar
(§ 1063. 1064. 1069). Außerdem iſt die Tradition nöthig,
und bey Grundſtücken auch noch eine ſchriftliche Urkunde;
dennoch kann eine ſolche außergerichtliche Schenkung bin-
nen Sechs Monaten ganz willkührlich widerrufen werden
(§ 1065 — 1068. 1090). Unabhängig von dieſen Formen
kann ſelbſt die gerichtliche Schenkung drey Jahre lang wi-
derrufen werden, wenn ſie mehr als die Hälfte des Ver-
mögens zum Gegenſtand hat (§ 1091 fg.).
III. Der Widerruf aus beſonderen Gründen hat ſich
auf folgende Weiſe geſtaltet (e).
Grobe Undankbarkeit haben alle drey Geſetzbücher als
19*
[292]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
einen ſolchen Grund anerkannt, obwohl ſie die Natur die-
ſes Undanks etwas verſchieden beſtimmen. — Das Öſter-
reichiſche Geſetz beſchränkt dieſen Widerruf durch eine drey-
jährige Verjährung, läßt ihn aber (innerhalb dieſes Zeit-
raums) unter den Erben beider Theile gelten (§ 948. 949.
1487). — Das Preußiſche geſtattet ihn nur ausnahmsweiſe
den Erben des Gebers, beſchränkt ihn aber durch keine be-
ſondere Verjährung (§ 1151 — 1161). — Das Franzöſiſche
Geſetz beſchränkt ihn durch einjährige Verjährung, und
läßt ihn auch, von beiden Seiten, auf die Erben nicht
übergehen (art. 955. 957).
Ein neuer Grund des (partiellen) Widerrufs liegt in
der ſpäteren Verarmung des Gebers. In dieſem Fall kann
er Zinſen des geſchenkten Geldwerths fordern: nach dem
Preußiſchen Geſetz Sechs Procente (§ 1123), nach dem
Öſterreichiſchen geſetzliche Zinſen (§ 947), das heißt Vier
Procente (§ 995). Das Franzöſiſche Geſetz kennt dieſen
Grund des Widerrufs nicht.
Wenn der Geber zur Zeit der Schenkung kinderlos
war, und nachher Kinder bekommt, kann er nach dem
Preußiſchen Geſetz diejenige Schenkung widerrufen, welche
durch bloßes Verſprechen, nicht durch Tradition, bewirkt
war (§ 1140 — 1150). — Das Öſterreichiſche Geſetz nimmt
dieſen Widerruf nicht an; nur wenn noch Verarmung hin-
zutritt, ſoll das Recht der geſetzlichen Zinſen auch auf die
Erben übergehen (§ 954). — Das Franzöſiſche Geſetz ge-
ſtattet nicht blos unbedingten Widerruf, ſondern es läßt
[293]§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.
ſogar in dieſem einzigen Fall die Schenkung de plein droit
nichtig werden, ohne daß es dazu eines Widerrufs bedarf
(art. 960). Dieſes letzte jedoch mit einer ſehr natürlichen
Ausnahme; wenn nämlich unter kinderloſen Ehegatten eine
Schenkung vorgenommen wird, und nachher aus derſelben
Ehe Kinder geboren werden, ſo wird dadurch die Schen-
kung nicht von ſelbſt nichtig; jedoch bleibt das allgemeine
Widerrufsrecht der Ehegatten vorbehalten (art. 1096).
Endlich hat das Franzöſiſche Geſetz allein aus dem
Römiſchen Recht den Widerruf wegen verweigerter Er-
füllung der bey der Schenkung auferlegten Verpflichtungen
aufgenommen (art. 954). Dieſe Aufnahme iſt den beiden
anderen Geſetzen fremd.
In dieſen poſitiven Beſtimmungen alſo findet ſich zwi-
ſchen dem Römiſchen Recht und den neueren Geſetzen theils
Übereinſtimmung, theils Verſchiedenheit. Dagegen enthal-
ten dieſe nur ſehr Weniges von den ſorgfältigen Beſtim-
mungen, die das Römiſche Recht theils über den Begriff
der Schenkung, theils über ihre Erſcheinung in einzelnen
Rechtsgeſchäften, giebt. Hierin alſo möchten ſie wohl aus
dem Römiſchen Recht ergänzt werden können; jedoch nur
inſofern nicht eine einzelne Beſtimmung derſelben mit einer
ſolchen Ergänzung im Widerſpruch ſtehen würde. Auch
ſolche Fälle kommen vor; nicht ſowohl, weil die neueren
Geſetzgeber eine Abweichung vom Römiſchen Recht räth-
lich gefunden hätten, als weil man ſich dieſe Verhältniſſe
[294]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nicht in ihrem wahren Verhältniſſe klar gedacht hat. Ich
will es verſuchen, Dasjenige zuſammen zu ſtellen, was
ich über die allgemeine Natur der Schenkung in den neue-
ren Geſetzgebungen gefunden habe.
Das Preußiſche Geſetz fordert im Allgemeinen zu je-
der Schenkung Acceptation (§ 1058). Damit ſcheint alſo
ausgeſchloſſen die einſeitige Schenkung, die nach Römi-
ſchem Recht Jeder dadurch vollziehen kann, daß er für
einen Schuldner ohne deſſen Willen baar zahlt, oder ex-
promittirt. Dieſe Ausſchließung ſcheint auch nicht aus ei-
nem blos unvorſichtig gefaßten Ausdruck hervorzugehen;
denn in anderen Stellen wird ausdrücklich geſagt, daß die
hier erwähnten Handlungen ſtets eine Regreßklage (aus
Mandat oder negotiorum gestio) zur Folge haben (f). Da-
bey wird alſo entweder vorausgeſetzt, es ſey unmöglich
daß dieſe Handlungen in der Abſicht zu ſchenken vorge-
nommen würden, oder es ſoll dieſer Abſicht, ſo lange ſie
nicht in einen Vertrag übergeht, jede rechtliche Folge ver-
ſagt werden. — Das Römiſche Recht nimmt an, daß die
unterlaſſene Erwerbung eines Rechts, weil ſie keine Ver-
äußerung iſt, auch keine Schenkung enthalte (ſ. o. § 145).
Das Preußiſche Geſetz enthält in der Lehre von der Schen-
kung denſelben Satz, obgleich anderwärts das Gegentheil
geſagt zu ſeyn ſcheint (g).
Das Öſterreichiſche Geſetz kennt keine andere Schen-
kung, als die aus Vertrag oder Tradition hervorgeht
(§ 943). Der Zweifel wegen einſeitiger Handlungen zum
Zweck fremder Bereicherung hat hier weniger Raum, in-
dem es gar nicht zugelaſſen iſt, fremde Schulden ohne
Einwilligung des Schuldners zu zahlen (§ 1423). — Der
ausgeſchlagene Erwerb eines Rechts ſoll nicht als Schen-
kung gelten (§ 939).
Das Franzöſiſche Geſetz fordert zu jeder Schenkung
Acceptation, und verwebt dieſe ſogar mit der nothwendi-
gen Form gültiger Schenkung. Daraus ſcheint alſo zu
folgen, daß eine einſeitige Schenkung eben ſo wenig, als im
Preußiſchen Geſetz, für möglich gehalten werde, obgleich es
hier, wie im R. R. zugelaſſen wird, für einen Andern, ohne
deſſen Wiſſen, Schulden zu zahlen oder durch Expromiſ-
ſion zu tilgen (art. 1236. 1274). — Viel weiter, als der
(g)
[296]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Buchſtaben des Geſetzes, geht die Lehre der Juriſten.
Dieſe nehmen an, indirecte Schenkungen unterlägen nicht
den Revocationen; unter indirecten aber ſollen auch die
Erlaßverträge verſtanden werden (h). Alſo geht die Mey-
nung eigentlich dahin, nur die Tradition und das nota-
rielle Verſprechen ſey eine wahre Schenkung, der Erlaß
einer Schuld ſey eine ſolche nicht, und ſey alſo eben ſo
wenig der notariellen Form, als den Revocationen unter-
worfen. Dieſe Anſicht iſt nur aus der Vorausſetzung zu
erklären, daß die Anhänger derſelben ſich begnügt haben
den Buchſtaben des Geſetzes feſt zu halten, ohne in das
Weſen der Sache einzudringen. Warum wird mehr Form
erfordert zu einem Schenkungsverſprechen, als zur Schen-
kung durch Tradition? Ohne Zweifel weil jenes mit blo-
ßen Worten abgemacht wird, ohne den ſinnlichen Eindruck
des Gegenſtandes, und daher für den Leichtſinn und die
Charaeterſchwäche gefährlicher iſt als die Tradition. Aber
dieſelbe Gefahr, wie bey dem Verſprechen, tritt bey dem
Erlaßvertrag ein, bey welchem daher dieſelbe Veranlaſ-
ſung iſt, eine notarielle Verhandlung zu fordern. Am
Wenigſten aber läßt ſich begreifen, warum bey dem Er-
laßvertrag die Revocationen nicht gelten ſollen. Wer eine
Geldſumme baar verſchenkt, oder vor einem Notar ver-
ſpricht, ſoll wegen Undankbarkeit, wegen der Ehe, und
wegen nachgeborner Kinder, widerrufen können; wer aber
eine gleiche Summe zu fordern hat, und aus Freygebig-
[297]§. 177. Zeit. Einleitung.
keit erläßt, hat doch auf ſolchen Widerruf dieſelben na-
türlichen Anſprüche, da der Erlaß einer Schuld auf bei-
den Seiten genau dieſelbe Veränderung im Vermoͤgen her-
vorbringt, wie wenn baares Geld aus einer Hand in die
andere gegeben wird: nicht zu gedenken, daß durch jene
willkührliche Unterſcheidung jede Umgehung des Geſetzes
(durch Darlehen und nachfolgenden Erlaß) ganz leicht ge-
macht wird. — In merkwürdiger Weiſe zeigt ſich die Gleich-
ſtellung der Schenkungen mit Teſtamenten bey den Bedin-
gungen. Sind dieſe unmöglich oder unſittlich, ſo werden
ſie bey der Schenkung, wie bey dem Teſtament, für nicht
geſchrieben erachtet, anſtatt daß bey anderen Verträgen die
Obligation ſelbſt durch ſolche Bedingungen vernichtet wird
(§ 124. k).
In vielen und wichtigen Rechtsinſtituten findet ſich ein
Zeitverhältniß als Beſtandtheil der durch eine allgemeine
Rechtsregel begründeten Thatſachen, ſo daß hier die Zeit
als eine der Bedingungen erſcheint, wovon der Erwerb
oder Verluſt eines Rechts abhängig gemacht wird. So
verſchieden nun theils dieſe Rechtsinſtitute ſelbſt unter ein-
ander ſind, theils auch die Art, wie die Zeit Einfluß auf
das Daſeyn derſelben ausübt, ſo iſt doch die Bedeutung
[298]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
und Behandlung der Zeit ſelbſt ihnen allen gemeinſam,
und dieſes Gemeinſame ſoll hier in einer allgemeinen Be-
trachtung dargeſtellt werden.
Ich will damit anfangen, die Rechtsinſtitute, worin
ſich ein ſolcher Einfluß der Zeit äußert, in einer allgemei-
nen Überſicht zuſammen zu ſtellen.
Erſte Klaſſe, welche die häufigſten und wichtigſten
Fälle umfaßt. Das Daſeyn eines Rechts hängt davon
ab, daß menſchliche Thätigkeit oder Unthätigkeit, alſo
freyes Thun oder Laſſen, während eines beſtimmten Zeit-
raums, ununterbrochen fortdauert. Dahin gehört:
1) Das uralte Inſtitut der Uſucapion. In ihr wird
Eigenthum erworben durch die Thätigkeit des Beſitzes, die
einen ganzen Zeitraum hindurch ununterbrochen fortgeſetzt
worden iſt. Als unmittelbare Entwicklungen ſchließen ſich
ihr an: der nonusus der Servituten, und ſpäterhin bey
eben denſelben die longa possessio(a). Um dieſe ver-
wandte Inſtitute mit einzuſchließen, will ich den bey uns
ſchon eingebürgerten Namen der Erſitzung gebrauchen. —
[299]§. 177. Zeit. Einleitung.
Durch eine willkührliche, grundloſe Abſtraction haben
neuere Juriſten aus der Uſucapion eine allgemeine Erwer-
bungsart der Rechte überhaupt, unter dem Namen der
erwerbenden Verjährung, zu machen verſucht, wovon noch
weiter die Rede ſeyn wird.
2) Die Klagverjährung, das heißt der Verluſt eines
Klagerechts durch ununterbrochene Unthätigkeit des Klag-
berechtigten. Lange Zeit war dieſelbe ganz unbekannt,
dann kam ſie in einzelnen Ausnahmen auf, die ſich all-
mälig vermehrten. So waren namentlich die prätoriſchen
Klagen in der Regel einer einjährigen Verjährung unter-
worfen (b). Endlich wurde ſie zu einem allgemeinen, durch-
greifenden Princip für alle Klagen ohne Ausnahme erho-
ben, und ſie iſt dadurch zu einem der wichtigſten und um-
faſſendſten Rechtsinſtitute geworden. — Auch auf ſie ha-
ben neuere Juriſten eine willkührliche Abſtraction ange-
wendet, indem ſie aus dieſem ſpeciellen, blos auf Klage-
rechte anwendbaren, Rechtsinſtitut, einen allgemeinen Un-
tergang der Rechte überhaupt, unter dem Namen der er-
löſchenden Verjährung, gebildet haben.
3) Eine Anzahl ganz einzeln ſtehender Fälle, die ſich
unter keinen gemeinſamen Namen zuſammen faſſen laſſen.
Sie haben mit der Klagverjährung das gemein, daß die
in einem beſtimmten Zeitraum fortdauernde Unthätigkeit
[300]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
eines Berechtigten den Verluſt ſeines Rechts zur Folge
hat; dadurch ſind die neueren Juriſten veranlaßt worden,
ſie mit der Klagverjährung zu identificiren, worin nun
eben der bereits erwähnte abſtracte Ausdruck einer erlö-
ſchenden Verjährung ſeine wichtige, aber irrige und ver-
wirrende Anwendung fand. Es gehören dahin folgende
Fälle:
Die alte Prozeßverjährung der legitima judicia, an-
derthalb Jahre vom Anfang des Prozeſſes an (c).
Die Reſtitution, welche nur Vier Jahre (früher nur
Ein Jahr) lang geſucht werden kann. Früherhin von der
Klagverjährung ganz verſchieden; in wiefern im heutigen
Recht beide verſchmolzen ſind, kann erſt in der Lehre von
der Reſtitution feſtgeſtellt werden.
Die geſetzlich vorgeſchriebenen Prozeßtermine. A) Nach
den Zwoͤlf Tafeln die 30 Tage des judicatus, mit deren
Ablauf die Execution eintrat (d). B) Die Vier Monate
von dem Urtheil an, nach deren Ablauf im neueſten Recht
hohe Urtheilszinſen zu zahlen ſind (e). C) Die Appella-
tionsfriſt von Zehen Tagen. D) Die Drey Tage, binnen
[301]§. 177. Zeit. Einleitung.
welchen eine Partey den Irrthum ihres Advocaten berich-
tigen darf (f).
Die Friſt zur Agnition der bonorum possessio, nach
Verſchiedenheit der Fälle Ein Jahr oder Hundert Tage.
Die Verjährung der exceptio non numeratae pecu-
niae(g).
Die Friſt von Zwey Jahren, nach welcher im alten
Recht die Verpflichtung eines sponsor oder fidepromissor
erloſch (h).
Die 50 Tage der Excuſation von einer Vormund-
ſchaft (i).
Das erbſchaftliche Inventarium, welches nach Ver-
ſchiedenheit der Fälle in Drey oder Zwölf Monaten voll-
endet werden muß (k).
Sechzig Tage, wenn ein Käufer das ſogenannte pac-
tum displicentiae geltend machen will (l).
Zwey Jahre nach der Kündigung, binnen welchen ein
Pfandſchuldner den Verkauf des Pfandes abwenden kann;
Zwey Jahre nach der Addiction des Pfandes an den
Glaubiger, binnen welchen der Schuldner das Pfand ein-
löſen darf.
Endlich einige Fälle, worin der Verluſt des Rechts
den Character einer Strafe an ſich trägt.
So der Verluſt des Miteigenthums an einem Hauſe,
nachdem der Beytrag zu den Baukoſten Vier Monate lang
verſäumt worden iſt (m).
Verluſt der Emphytheuſe, des Mieth- und Pachtrechts,
wenn die Zahlung des Pachtgeldes beſtimmte Zeit hin-
durch unterlaſſen wird (n).
Verluſt des Erbrechts bey unerfülltem Willen des Ver-
ſtorbenen (o).
Verluſt des mütterlichen Erbrechts, wenn die Mutter
ein volles Jahr lang verſäumte, den Kindern Vormünder
zu erbitten (p).
Zweyte Klaſſe. Erwerb oder Verluſt eines Rechts
durch ununterbrochene Fortdauer eines von menſchlicher
Freyheit unabhängigen Zuſtandes innerhalb eines beſtimm-
ten Zeitraums.
Dahin gehören die Altersſtufen, durch deren Eintritt
der Menſch beſtimmte Rechte erwirbt (wie die Handlungs-
fähigkeit) oder verliert (wie den Anſpruch auf Reſtitution).
Die Achtzehen Jahre nothwendiger Differenz im Le-
bensalter des Adoptivvaters und des Kindes.
Die Rückforderung mancher Theile einer Dos, welche
erſt möglich iſt, nachdem der Zuſtand aufgelöſter Ehe eine
beſtimmte Zeit gedauert hat (q).
Dritte Klaſſe. Verknüpfung der Rechte mit ganz
individuellen Zeitverhältniſſen, wobey alſo gar nicht von
der Erfüllung eines ganzen Zeitraums, ſey es durch menſch-
liches Thun oder Laſſen, ſey es durch zufällige Zuſtände,
die Rede iſt.
Dahin gehört die zweyfache Schadensrechnung bey der
actio Legis Aquiliae, indem es dem Kläger geſtattet iſt,
innerhalb des letzten Monats, in einigen Fällen innerhalb
des letzten Jahres, denjenigen Zeitpunkt auszuwählen,
welcher ſeine Anſprüche am Höchſten ſtellt.
Ferner die Präſumtion der Paternität, daran geknüpft
daß in einem beſtimmten Zeitraum vor der Geburt des
Kindes, aber nicht nothwendig in dieſem ganzen Zeitraum,
die Mutter in der Ehe gelebt hat.
Endlich auch folgende Fälle, die man mit Unrecht als
Klagverjährungen anzuſehen pflegt. Das Interdict de iti-
nere hängt davon ab, daß der Kläger im letzten Jahr
den Weg wenigſtens an Dreyßig Tagen gebraucht hat (r);
das Interdict de aqua iſt an den einmaligen Gebrauch
[304]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
der Waſſerleitung im letzten Jahr geknüpft (s); das alte
Interdict utrubi ſollte gelten, wenn der Kläger innerhalb
des letzten Jahres länger als ſein Gegner die Sache be-
ſeſſen hatte (t). Dieſe Zeitbeſtimmungen enthalten keine
Klagverjährung, da ſie nicht den Verluſt eines Klage-
rechts durch deſſen verſäumte Ausübung vorſchreiben,
worin das Weſen der Klagverjährung beſteht; vielmehr
iſt der Sinn der Regel der, daß nur unter Vorausſetzung
jener Zeitverhältniſſe ein wahrer, durch Interdicte zu
ſchützender, Beſitz angenommen werden ſoll.
Die hier nach drey Klaſſen dargeſtellten Fälle kommen
darin überein, daß eine allgemeine Rechtsregel das Da-
ſeyn eines Rechts mit irgend einem Zeitverhältniß in Ver-
bindung geſetzt hat. Etwas Ähnliches kann nun auch,
ohne allgemeine Rechtsregel, durch individuellen Willen
bewirkt werden; und zwar durch richterliches Ermeſſen,
bey denjenigen Prozeßfriſten die nicht ſchon geſetzlich vor-
geſchrieben ſind; durch den Willen des Souveräns bey er-
theilten Moratorien: eben ſo durch den in einem Teſta-
ment oder Vertrag ausgedrückten Parteywillen (u). Dieſe
Fälle ſind von den oben dargeſtellten in ihrem Weſen ver-
ſchieden, darin aber ihnen ähnlich, daß bey beiden das
[305]§. 177. Zeit. Einleitung.
gleiche Bedürfniß einer genaueren Beſtimmung der ein-
ſchlagenden Zeitverhältniſſe eintritt (v).
Es ergiebt ſich aus dieſer Überſicht, daß die Fälle, die
hier als erſte Klaſſe bezeichnet wurden, bey Weitem die
wichtigſten ſind; über dieſe ſollen nun einige allgemeine
Betrachtungen hinzugefügt werden. Man kann zuerſt
die Frage aufwerfen, warum überhaupt an die fortge-
ſetzte Thätigkeit oder Unthätigkeit, der Erwerb und Ver-
luſt von Rechten geknüpft werde? Der allgemeinſte Be-
weggrund ſolcher Beſtimmungen liegt in dem Bedürfniß,
das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe, insbeſondere den Um-
fang eines jeden Vermögens, auf eine ſichere, unzweifel-
hafte Weiſe feſtzuſtellen, welches dadurch geſchieht, daß
die an ſich unvermeidliche Ungewißheit in möglichſt enge
Zeitgränzen eingeſchloſſen wird. Dieſes iſt der wahre
Zweck der Uſucapion, der Klagverjährung, der Prozeß-
friſten, und aller anderen in der erſten Klaſſe zuſammen
gefaßten Vorſchriften. Zu dieſem Beweggrund, den man
als den poſitiven bezeichnen kann, tritt nun noch ein ne-
gativer hinzu, der gewöhnlich als Strafe der Nachläſſig-
keit ausgedrückt wird. Durch dieſen Ausdruck könnte man
verleitet werden, die hier eintretende Unthätigkeit als an
ſich widerrechtlich und ſtrafbar, oder wenigſtens als ſchäd-
lich zu betrachten, weshalb ſie durch künſtliche Mittel ver-
IV. 20
[306]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hütet werden müſſe. So iſt es in der That nicht, viel-
mehr liegt in dem ſo bezeichneten negativen Beweggrund
blos eine Rechtfertigung ſolcher Beſtimmungen gegen den
Vorwurf, daß ein nützlicher Zweck durch die willkührliche
Beeinträchtigung Derjenigen, die hier Etwas ohne ihren
Willen verlieren, erreicht werde. Denn indem durch Uſu-
capion ſicheres Eigenthum, durch Klagverjährung Sicher-
heit gegen fernere Anſprüche, bewirkt wird, kann aller-
dings einem bisherigen Eigenthümer oder Glaubiger ſein
Eigenthum oder ſeine klagbare Forderung entzogen wer-
den. Allein dieſes Verfahren wird dadurch gerechtfertigt,
daß es in der Macht des Berechtigten ſteht, den gedroh-
ten Verluſt durch ſeine freye Thätigkeit abzuwenden, wes-
halb er ſich den Verluſt ſelbſt zuzuſchreiben hat, wenn er
dieſes unterläßt; Das iſt es, was durch den Ausdruck:
Strafe der Nachläſſigkeit bezeichnet werden ſoll. Aller-
dings wird hierdurch ein indirecter Zwang zur Thätigkeit
gegen den Berechtigten ausgeübt; es iſt dieſes ein Opfer,
welches Jeder für den oben angegebenen gemeinnützigen
Zweck zu bringen hat.
Zu dieſen Beweggründen tritt noch ein ganz verſchie-
dener, der von großer praktiſcher Wichtigkeit, wiewohl
von etwas eingeſchränkterer Anwendbarkeit iſt. In vielen
Fällen der Uſucapion (nicht in allen) wird in der That
kein Eigenthum verändert, ſondern nur für die längſt ein-
getretene Veränderung der zufällig fehlende Beweis er-
ſetzt. Eben ſo liegt in vielen Fällen der Klagverjährung
[307]§. 177. Zeit. Einleitung.
kein wirklicher Verluſt des bis dahin fortdauernden Klag-
rechts, ſondern es war ſchon längſt auf andere Weiſe die
Schuld ſelbſt (alſo auch die Klage) getilgt, und die Klag-
verjährung dient jetzt blos dazu, den fehlenden Beweis
dieſer Tilgung zu erſetzen. Inſofern kann man die Uſu-
capion als ein präſumtives Eigenthum, die Klagverjäh-
rung als eine Präſumtion der Tilgung einer Schuld auf-
faſſen. Dieſe Anſicht iſt wahr und wichtig, nur muß man
ſich hüten, derſelben eine zu allgemeine Anwendung bey-
zulegen, da ſie auf viele einzelne Fälle, theils wegen der
individuellen Umſtände, theils wegen der allgemeinen Na-
tur vieler Klagen, gar nicht paßt. Außer der Uſucapion
und der Klagverjährung iſt davon gar keine Anwendung
zu machen; namentlich würde bey den Friſten der bono-
rum possessio und der Reſtitution, ſo wie bey den Pro-
zeßfriſten, die Annahme einer ſolchen Präſumtion eben ſo
grundlos als unfruchtbar ſeyn.
Endlich iſt auch von Manchen die Dereliction als Grund
der zur erſten Klaſſe gehörenden Rechtsregeln angegeben
worden (w). Darin kann nur die Behauptung liegen, daß
in dieſen Fällen der früher Berechtigte, der ein Recht ver-
liert, den wirklichen Willen gehabt habe ſein Recht auf-
zugeben. Die Annahme eines ſolchen Willens iſt jedoch
in den meiſten Fällen völlig willkührlich und grundlos;
20*
[308]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
vorzüglich bey dem Eigenthum, wobey allein der Aus-
druck Dereliction gebilligt werden könnte. In den weni-
gen Fällen aber, worin jene Annahme wirklich zugelaſſen
werden kann, wird ſie ſich auf den allgemeineren Grund
der präſumtiven Erwerbung oder Tilgung zurück führen
laſſen, indem ſie dann etwa eine Entſagung in ſich ſchlie-
ßen wird, die auch ſchon für ſich, unabhängig von dem
Zeitablauf, das Recht hätte aufheben können. Es iſt alſo
gerathener, dieſen Grund gar nicht geltend zu machen,
um ſo mehr als darin einem ganz beſtimmten juriſtiſchen
Kunſtausdruck eine ungehörige Ausdehnung gegeben wird.
Aus dieſen Betrachtungen ergiebt es ſich, daß für die
hier zuſammen geſtellten Fälle ein allgemeines Bedürfniß
ſolcher Zeitbeſtimmungen allerdings vorhanden iſt, wel-
ches jedoch nur in ganz poſitiven Rechtsregeln ſeine Er-
ledigung finden kann. Bey der Aufſtellung dieſer poſitiven
Regeln ſind von dem Geſetzgeber folgende Geſichtspunkte
zu beachten. Erſtlich ſind darin die Extreme zu vermei-
den, ſo daß die Friſten weder zu lang, noch zu kurz be-
ſtimmt werden dürfen; wobey ſich von ſelbſt verſteht, daß
ein ſehr freyer und weiter Spielraum für jede aufzuſtel-
lende Regel übrig bleibt. Zweytens ſind die Zeiträume
genau, klar und einfach zu beſtimmen, damit die Anwen-
dung auch dem Nichtjuriſten, auf deſſen freye Thätigkeit
es zunächſt ankommt, ſo viel möglich erleichtert werde.
Die wichtige Rechtslehre, für welche im vorhergehen-
den Paragraphen die allgemeinen Geſichtspunkte aufge-
ſtellt worden ſind, hat bey den neueren Rechtslehrern eine
ſehr willkührliche Behandlung erfahren, deren nachtheilige
Folgen nur durch eine ſorgfältige kritiſche Unterſuchung
mit Sicherheit beſeitigt werden können.
Es iſt ſchon oben bemerkt worden, wie nahe es liegt,
die Uſucapion und die Klagverjährung durch willkührliche
Abſtraction in ganz allgemeine Begriffe zu verwandeln:
jene in einen Erwerb von Rechten überhaupt vermittelſt
der fortgeſetzten Ausübung; dieſe in einen Verluſt von
Rechten überhaupt vermittelſt der fortwährend verſäum-
ten Ausübung. Dieſer letzte Begriff erhielt ſogleich eine
umfaſſende Anwendung dadurch, daß er die übrigen Fälle,
welche oben in der erſten Klaſſe zuſammen geſtellt worden
ſind, in ſich unmittelbar aufzunehmen fähig war. Allein
es bedurfte nur eines kleinen Schrittes, um beide Begriffe
als Arten einer und derſelben Gattung aufzufaſſen. Denn
auch bey der Uſucapion findet ſich neben dem Erwerb des
Eigenthums zugleich der Verluſt deſſelben von Seiten des
früheren Eigenthümers (a). Legt man nun dieſen Verluſt
[310]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zum Grund der Betrachtung, ſo erſcheint auch die Uſu-
capion als gleichartig mit der Klagverjährung, und ſie
äußert nur dadurch eine höhere Wirkung, daß in ihr ne-
ben dem Verluſt durch Unthätigkeit auch noch ein Erwerb
durch Thätigkeit wahrgenommen wird.
Dieſe Auffaſſung iſt es, welche von unſren Juriſten
ſeit alter Zeit in folgender Weiſe ausgedrückt wird. Es
giebt eine Veränderung in Rechten überhaupt, gegründet
auf Zeitlauf, wenn nämlich der Berechtigte ſein Recht eine
Zeit lang auszuüben verſäumt; jede Veränderung dieſer
Art heißt praescriptio, Verjährung. Sie umfaßt zwey
Arten, je nachdem blos der Unthätige ſein Recht verliert,
oder ihm gegenüber ein Anderer daſſelbe Recht erwirbt;
die erſte heißt praescriptio exstinctiva, erlöſchende Ver-
jährung, die zweyte heißt adquisitiva, erwerbende Verjäh-
rung; und da die Uſucapion als eine Art der praescriptio
angeſehen wird, ſo iſt es ſehr natürlich, dieſelbe nun auch
als rei praescriptio, rem praescribere, zu bezeichnen (b).
Dieſe Zuſammenſtellung der Begriffe iſt dem Römiſchen
Recht eben ſo fremd, als die zu ihrer Bezeichnung ange-
wendeten Kunſtausdrücke, und auch das canoniſche Recht
(a)
[311]§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)
enthält dieſes Alles nur in einem beſchränkten Anfang,
keinesweges in der hier dargeſtellten Ausbildung. Bevor
aber Dieſes deutlich gemacht werden kann, iſt es nöthig
die wichtigen Folgen anzugeben, welche aus jener irrigen
Auffaſſung hervor gehen.
Die erſte Folge beſteht darin, daß nunmehr alle Fälle,
welche oben in der erſten Klaſſe zuſammen geſtellt worden
ſind, nach ganz gleichen Rechtsregeln beurtheilt werden
müſſen; denn dieſe Rechtsregeln ſollen für die praescriptio
aufgeſtellt ſeyn, und unter die praescriptio ſollen eben alle
jene Fälle gehören. So lange dieſe praktiſche Identificirung
auf die Uſucapion im Verhältniß zur Klagverjährung be-
ſchränkt bleibt, iſt der Irrthum weniger merklich, da dieſe
ohnehin, hiſtoriſch und praktiſch, einander ſo nahe ver-
wandt ſind. Allein wenn nicht alle Conſequenz aufge-
opfert werden ſoll, müſſen auch die Prozeßfriſten, die Fri-
ſten der bonorum possessio u. ſ. w., nach derſelben Regel
der praescriptio, wie die Klagverjährung, behandelt wer-
den, und dabey wird freylich die Sache um Vieles be-
denklicher.
Eine zweyte, noch gefährlichere, Folge aber beſteht
darin, daß jener Begriff, ſeiner Allgemeinheit wegen, eine
Anwendung auf alle denkbaren Fälle ausgeübter oder ver-
ſäumter Rechte zuläßt, alſo auch auf ſolche Fälle, worin
unſer poſitives Recht überhaupt keine Veränderung als
Folge derſelben anerkannt, dem Zeitlauf alſo gar keinen
Einfluß eingeräumt hat. In dieſer Hinſicht jedoch iſt je-
[312]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ner Begriff noch einer zweyfachen Auffaſſung empfänglich.
Man kann ihm eine blos formelle und hypothetiſche Natur
beylegen, ſeinen Inhalt alſo zunächſt unbeſtimmt laſſen,
ſo daß dann nur die ohnehin im poſitiven Recht aner-
kannten Fälle unter denſelben bezogen werden; man kann
ihm aber auch eine durchgreifende, abſolute Natur geben,
ſo daß in ihm der wichtige Satz ausgedrückt wäre, alle
Rechte überhaupt ſeyen fähig, durch fortgeſetzte Ausübung
erworben, durch Verſäumniß verloren zu werden. Es iſt
einleuchtend, daß nur mit dieſer letzten Auffaſſung die eben
erwähnte Gefahr eines praktiſch ſo wichtigen Irrthums
verbunden iſt. Die meiſten Schriftſteller ſcheinen ſich die
Natur dieſes Gegenſatzes nicht ganz klar gemacht zu ha-
ben, erklären ſich wenigſtens nicht deutlich darüber, welche
der beiden denkbaren Bedeutungen ſie dem Begriff beyle-
gen wollen; Thibaut ſagt ganz beſtimmt, daß er ihn in
dem erſten, ungefährlicheren Sinne nimmt, und daher trifft
ihn der eben aufgeſtellte Vorwurf nicht (c). — Folgende
Beyſpiele mögen dazu dienen, dieſen nicht unwichtigen
Punkt anſchaulicher zu machen. Im Römiſchen Recht fin-
det ſich keine Spur einer Begründung des Pfandrechts
durch Uſucapion, auch iſt dazu ein inneres Bedürfniß nicht
vorhanden; jener durchgreifende Begriff aber muß aller-
dings dazu führen, und in der That haben mehrere Schrift-
ſteller eine ſolche Uſucapion behauptet (d). — Eben ſo
[313]§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)
fehlt es an einem Bedürfniß zur Errichtung von Obliga-
tionen durch Uſucapion, die gleichfalls aus jenem abſtrac-
ten Begriff gefolgert werden könnte; das Preußiſche Land-
recht, welches den in unbeſtimmter Allgemeinheit gefaßten
Begriff einer Verjährung von unſren Schriftſtellern des
gemeinen Rechts angenommen hat (e), läßt nun in der
That auch eine Schuldforderung dadurch entſtehen, daß
ein vermeyntlicher Glaubiger dreyßig Jahre hindurch Zin-
ſen einer gar nicht vorhandenen Schuld bezogen hat (f).
Die Entſtehung, und beſonders die Befeſtigung dieſer
irrigen Begriffe ſteht im genauen Zuſammenhang mit den
in dieſer Lehre eingeführten unächten Kunſtausdrücken, die
nun noch beſonders zu betrachten ſind. Praescriptio näm-
lich ſoll heißen ein Erwerb oder Verluſt von Rechten, her-
beygeführt durch Zeitlauf. Es heißt aber in unſren Rechts-
quellen niemals Erwerb oder Verluſt, ſondern ſtets genau
ſo viel als exceptio, Einrede, mit welchem Ausdruck es
daher überall unbedenklich verwechſelt werden darf, ohne
daß der Sinn einer Rede dadurch verändert würde (g).
Eine Exception nun kann unter andern auch durch ver-
ſäumte Ausübung eines Klagerechts herbeygeführt werden,
und inſofern bezeichnet allerdings praescriptio die Einrede
aus einer Klagverjährung; jedoch (eben ſo wie exceptio)
niemals da wo der Ausdruck allein ſteht, ſondern immer
[314]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nur vermittelſt eines Zuſatzes, der die beſondere Beziehung
auf Zeit ausdrückt, alſo temporis, temporalis, triginta
annorum praescriptio u. ſ. w., in welchen Fällen man
ſtets auch exceptio dafür ſetzen kann. Die Stellen des
Römiſchen Rechts, die man für einen anderen Sprachge-
brauch noch neuerlich geltend gemacht hat, beweiſen den-
ſelben in der That gar nicht (h). Nur Das muß zugege-
ben werden, daß in einer Conſtitution von Juſtinian tem-
poralis exceptio in einem ſo weiten Sinn gebraucht wird,
daß es auch die Uſucapion in ſich ſchließt (i). Allein theils
ſteht Dieſes mit der Bedeutung des ohne Zuſatz gebrauch-
ten Wortes praescriptio in gar keiner Verbindung, theils
kann eine ſolche einzelne Stelle nicht die totale Umände-
rung des geſammten Sprachgebrauchs darthun. Es ge-
hört zu der im neueren Recht ſtets fortſchreitenden mate-
riellen Annäherung der Uſucapion und der Klagverjäh-
[315]§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)
rung; bis zu welchem Punkte aber die Verſchmelzung in
der That anzunehmen iſt, gehört zu den ſpeciellen Unter-
ſuchungen, die nur im Zuſammenhang der Lehre von der
Uſucapion mit Erfolg angeſtellt werden können.
Der hier bekämpfte falſche Sprachgebrauch findet ſich,
ſeiner Grundlage nach, ſchon bey den Gloſſatoren des
zwölften Jahrhunderts (k). Aus ihnen iſt er in das cano-
niſche Recht übergegangen, jedoch iſt er auch hier nicht
weiter geführt, als um die Uſucapion mit der Klagver-
jährung unter einem gemeinſamen Gattungsbegriff zu ver-
einigen. Zwar iſt der Fehler dieſes Sprachgebrauchs im
ſechzehenten Jahrhundert auf das Gründlichſte nachgewie-
ſen worden (l); aber dieſe geſunde Kritik iſt ſo wenig
durchgedrungen, daß vielmehr erſt die ſpäteren Schrift-
ſteller die Begriffe zu der oben gerügten noch gefährliche-
ren Allgemeinheit ausgebildet haben, durch deren abſtracte
Geſtalt ſie ſich täuſchen ließen, ſie für eine fortſchreitende
wiſſenſchaftliche Entwicklung anzuſehen.
Erwägen wir mit unbefangenem Sinn dieſe ſicheren
Thatſachen, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß es am
[316]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Räthlichſten iſt, den reinen Sprachgebrauch der Quellen
des Römiſchen Rechts wieder herzuſtellen, in der Sache
ſelbſt aber den allgemeinen Verjährungsbegriff völlig auf-
zugeben, wodurch eine Einheit unter ſehr ungleichartigen
Rechtsinſtituten erkünſtelt werden ſoll. Allerdings haben
dieſe Inſtitute Berührungen unter einander, es kann auch
vielleicht bey manchem das Bedürfniß entſtehen, eine Rechts-
regel anzuwenden, die eigentlich für ein anderes derſelben
eingeführt iſt; dieſes mag dann auf dem Wege analogi-
ſcher Fortbildung des Rechts geſchehen, nur nicht auf dem
Wege der Subſumtion dieſer Inſtitute unter einen gemein-
ſamen Gattungsbegriff. Der wichtige Unterſchied dieſer
beiden Arten des Verfahrens beſteht darin, daß uns die
analogiſche Anwendung zu einer kritiſchen Rechtfertigung
für jeden einzelnen Fall nöthigt, anſtatt daß uns jene
Subſumtion einer ſolchen Mühe überhebt, indem ſie Alles
mit Einem Schlage abmacht, dabey aber freylich die
Wahrheit des Ergebniſſes dem Zufall überläßt. Zwar
könnte man verſuchen, die Darſtellung der neueren Schrift-
ſteller durch die Behauptung rechtfertigen zu wollen, das
canoniſche Recht habe den beſchränkten Geſichtspunkt des
Römiſchen Rechts durch einen weiteren erſetzt und verbeſ-
ſert, ſo daß jene Darſtellung in der That auf dem Bo-
den des poſitiven Rechts ruhe. Dieſe Rechtfertigung muß
jedoch aus zwey Gründen verworfen werden: Erſtlich
weil, wie gezeigt worden iſt, das canoniſche Recht nie-
mals den abſtracten Verjährungsbegriff, welcher bey neue-
[317]§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)
ren Schriftſtellern erſcheint, und worin die eigentliche Ge-
fahr des Irrthums liegt, in ſich aufgenommen hat; zwey-
tens weil die Verfaſſer der Decretalen weit entfernt da-
von waren, eine neue Theorie aufſtellen zu wollen. Sie
gaben getreulich wieder, was ſie von ihren Lehrern, den
Legiſten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt
ſehen, deren Lehre zu berichtigen, ſo erſtreckt ſich dieſe
Berichtigung, ſo weit von theoretiſcher Anſicht die Rede
iſt, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in
dieſen an praktiſchen Vorſchriften neu aufgeſtellt worden
iſt, das ſoll auch von uns als wirkſam anerkannt wer-
den. Durch ein ſolches Verfahren handeln wir gewiß im
Sinn der Verfaſſer des canoniſchen Rechts. — Neuerlich
iſt der Verſuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver-
jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten.
Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk-
male etwas beſchränkt, wodurch einige der oben zuſam-
men geſtellten Rechtsinſtitute in ihm enthalten blieben, an-
dere ausgeſchloſſen wurden (m). Auch dieſer Verſuch muß
[318]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
verworfen werden, und zwar nicht blos wegen der ge-
zwungenen Ausführung, ſondern wegen der Natur des
Gedankens ſelbſt, welcher ganz den Character einer hal-
ben Maasregel hat, den Irrthum alſo zwar quantitativ
vermindert, aber nicht von Grund aus beſeitigt.
Es iſt jedoch noch zu bemerken, daß unter dem Ein-
fluß jener, im Allgemeinen verwerflichen, Anſichten ein
einzelnes Rechtsinſtitut ausgebildet worden iſt, deſſen Rea-
lität wir anerkennen müſſen, da es in der Praxis der
Gerichte längſt feſten Boden gewonnen hat: die unvor-
denkliche Zeit. Das Daſeyn dieſes Inſtituts iſt alſo durch
eine allgemeine Gewohnheit geſichert, welches uns jedoch
nicht hindern kann, die Bedingungen und Gränzen deſſel-
ben durch wiſſenſchaftliche Kritik feſtzuſtellen. Dazu wird,
wegen der ſehr umfaſſenden Natur dieſes Inſtituts, nur
hier die rechte Stelle gefunden werden können, weshalb
es am Ende der Lehre von der Zeit dargeſtellt werden ſoll.
Die Behandlung der im § 177 zuſammen geſtellten
Rechtsinſtitute beruht auf der Meſſung der für ſie durch
Rechtsregeln beſtimmten Zeiträume, wozu ein ſicherer,
gleichfoͤrmiger Maasſtab erforderlich iſt. Wir entnehmen
denſelben aus dem, allen unſren Lebensverhältniſſen (auch
gen Willkührlichkeit dieſer Beſtimmung des Begriffs abſehen wollte.
[319]§. 179. Zeit. 1. Kalender.
den nicht juriſtiſchen) zum Grunde liegenden, chronologi-
ſchen Syſtem, welches auf aſtronomiſchen Geſetzen beruht,
und deſſen Darſtellung der Kalender genannt wird. Ha-
ben wir alſo ein von Zeitbeſtimmungen abhängiges Rechts-
verhältniß zu beurtheilen, ſo geſchieht dieſes dadurch, daß
wir die zeitliche Erſcheinung deſſelben mit den im Kalen-
der unabänderlich beſtimmten Zeiträumen vergleichen, und
darnach abmeſſen. Allein die Gränzpunkte der in Rechts-
verhältniſſen vorkommenden Zeiträume beruhen theils auf
freyen Handlungen, theils auf Naturereigniſſen, und es
geſchieht daher nur ſelten und zufällig, daß dieſe Zeit-
räume mit den im Kalender enthaltenen, in feſt beſtimmte
Gränzen eingeſchloſſenen, Zeiträumen unmittelbar zuſammen
fallen. Es bedarf demnach für jeden gegebenen Fall einer
künſtlichen Reouction des von einem zufälligen Anfang
ausgehenden Zeitraums auf die im Kalender enthaltenen
Zeitabſchnitte; für dieſe Reduction hat unſer poſitives
Recht theils allgemeinere Regeln vorgeſchrieben, theils eine
anomaliſche Behandlung, die in einigen beſonderen Fällen
ausnahmsweiſe eintreten ſoll. Ich nenne die im Kalender
enthaltenen Zeitabſchnitte die Kalenderzeit (Kalender-
jahr, Kalendertag u. ſ. w.), die in einzelnen Rechtsver-
hältniſſen vorkommenden Zeiträume die bewegliche Zeit
(bewegliches Jahr, Tag u. ſ. w.) (a). Es ergiebt ſich
[320]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hieraus, daß die juriſtiſche Lehre von der Zeit auf fol-
gende Gegenſtände zu richten iſt:
1. Der Kalender.
Zwey von einander unabhängige Gründe nöthigen uns,
von der Geſchichte des Römiſchen Kalenders auszugehen:
erſtens, weil ohne ihn unſre Rechtsquellen nicht verſtan-
den werden können, zweytens weil unſer heutiger Kalen-
der in der That der Römiſche iſt, nur mit einer Modi-
fication, die in der fortlaufenden Anwendung auf unſre
Lebensverhältniſſe völlig unmerklich iſt.
Der älteſte Kalender der Römer wird auf ein Jahr
von Zehen Monaten, oder 304 Tagen gegründet, wel-
ches man das Romuliſche nennt. Wir können die ſchwie-
rige Unterſuchung über daſſelbe hier auf ſich beruhen laſ-
ſen, da ſich in den Quellen des Juſtinianiſchen Rechts
keine Spuren davon erhalten haben.
Das Jahr, welches dem König Numa zugeſchrieben wird,
und bis auf Cäſars Zeit in ſteter Anwendung geblieben iſt,
beſtand aus Zwölf Monaten, welche 355 Tage enthielten.
Ein Jahr um das andere wurde ein ganzer Monat, Mer-
cedonius genannt, eingeſchaltet, welcher abwechslend 22
und 23 Tage enthielt. Die Einſchaltung geſchah hinter
dem Tag, den wir den 23. Februar nennen, und auf wel-
chen das Feſt der Terminalia fiel, alſo vor dem 24. Fe-
bruar, an welchem das Feſt Regifugium gefeyert wurde.
Dadurch wurden dem Februar Fünf Tage abgeſchnitten,
ſo daß dieſer in einem Schaltjahr nur 23 Tage hatte.
Jene Fünf Tage wurden als Fortſetzung des Mercedonius
angeſehen, welcher dadurch abwechslend 27 oder 28 Tage
erhielt. Durch dieſe Einrichtung bekam das Jahr durch-
ſchnittlich eine Länge von 366¼ Tagen, und da dieſe in
Vergleichung mit dem aſtronomiſchen Jahr zu groß war,
ſo wurden, je nach Ablauf von 24 Jahren, mit einemmal
24 Tage aus dem laufenden Jahre weggelaſſen, wodurch
ſich alſo die Jahreslänge im größeren Durchſchnitt auf
365¼ Tage ſtellte (b). — Dieſes Jahr war nicht nur für
IV. 21
[322]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
die Anwendung höchſt unbequem, ſondern es wurde auch
noch in der Ausführung oft verdorben; theils aus Nach-
läſſigkeit der Pontifices, denen die Aufſicht auf den Ka-
lender zuſtand, theils aus parteyiſcher Willkühr, indem
die obrigkeitlichen Würden einjährig waren, und alſo
durch Verlängerung eines Jahres die Regierungszeit der
Conſuln, die man gerade begünſtigen wollte, erweitert wer-
den konnte. Die Verwirrung wurde ſo groß, daß die
Jahreszeiten zuletzt in ganz andere Monate fielen, als
welche dafür beſtimmt geweſen waren.
Durch die Wahrnehmung dieſer Üebel wurde Cäſar zu
einer durchgreifenden Reform des Kalenders veranlaßt,
welche noch jetzt die Grundlage des Kalenders aller chriſt-
lichen Nationen bildet (c). Die Vorbereitung dazu geſchah
im J. 708, welches dazu benutzt wurde, die allmälig an-
gehäufte Verwirrung zu abſorbiren, zu welchem Zweck ihm
445 Tage in Fünfzehen Monaten zugetheilt wurden. Die
Einführung des neuen Kalenders ſelbſt fällt in das J. 709,
das Jahr vor Cäſars Tod.
Dabey lag die Vorausſetzung zum Grund, daß das
aſtronomiſche Jahr genau aus 365 Tagen 6 Stunden be-
ſtehe. Cäſar beſtimmte nun das Kalenderjahr auf 365
Tage und verordnete für jede vierjährige Periode die Ein-
(b)
[323]§. 179. Zeit. 1. Kalender.
ſchaltung Eines Tages, welcher die oben erwähnten über-
ſchießenden Sechs Stunden in ſich aufnehmen ſollte. Die
Stelle dieſes Schalttages blieb dieſelbe, an welcher früher
ein ganzer Monat eingeſchaltet worden war, zwiſchen Ter-
minalia und Regifugium. Das ſo begränzte Jahr wurde
in Zwölf Monate von ungleicher Länge getheilt (d).
Allein auch dieſe Zeitrechnung trug einen weſentlichen
Fehler in ſich, indem ſie den Überſchuß des aſtronomiſchen
Jahres über das Kalenderjahr zu Sechs Stunden an-
nahm, anſtatt daß er in der That nur 5 St. 48′ 48″
beträgt. Indem nun hieraus ein jährlicher Fehler von
Eilf Minuten und Zwölf Secunden hervorgieng, wurde
die zur Ausgleichung beſtimmte Einſchaltung Eines Tages
zu oft vorgenommen, und dieſer Fehler war im Sechzehen-
ten Jahrhundert bereits auf volle Zehen Tage angewach-
ſen (e).
Der Pabſt Gregor XIII. wurde durch die Feſtſtellung
des Oſterfeſtes veranlaßt, eine Prüfung und Berichtigung
des Julianiſchen Kalenders anzuordnen (f). Man nahm
jetzt das Jahr zu 365 T. 5 St. 49′ 12″ an, ließ mit
einemmal die allmälig fehlerhaft eingeſchlichenen Zehen
21*
[324]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Tage aus dem Kalender hinweg, und beſtimmte, um die
Rückkehr des Fehlers zu verhüten, daß alle 400 Jahre
Drey Einſchaltungen überſprungen, alſo auf Hundert Ein-
ſchaltungen ſtets Drey weggelaſſen, werden ſollten (g).
Dieſe Verbeſſerung des Kalenders wurde 1581 verordnet,
im folgenden Jahre in Rom eingeführt, und innerhalb der
nächſten Zehen Jahre von dem Kaiſer, dem katholiſchen
Theil von Deutſchland, Schweiz und Niederlanden, ſo
wie in Italien, Spanien, Polen und Ungarn angenom-
men. Dagegen fand ſie, als von Rom ausgehend, lange
Zeit keinen Eingang in denjenigen Ländern, welche ſich
zum proteſtantiſchen oder zum griechiſchen Glauben beken-
nen. Endlich wurde ſie 1700 und 1701 im proteſtanti-
ſchen Theil von Deutſchland, Schweiz und Niederlanden,
ſo wie in Dänemark, 1752 in England, 1753 in Schwe-
den anerkannt. Die Ruſſen, ſo wie die übrigen, der grie-
chiſchen Kirche angehörenden, Länder ſind bey dem unver-
änderten Kalender Cäſars geblieben. Hierin liegt der Un-
terſchied des alten und neuen Styls, oder des Juliani-
[325]§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)
ſchen und Gregorianiſchen Kalenders, und es ergiebt ſich
aus dieſer Überſicht, daß die Differenz faſt mit jedem Jahr-
hundert wachſen muß (h). Es iſt jedoch gleich hier wohl
zu bemerken, worauf ſich dieſer Unterſchied beſchränkt. Er
beſteht lediglich in den mehr oder weniger häufig eintre-
tenden Schaltjahren; in allem Übrigen iſt gar Nichts ge-
ändert, folglich der frühere Julianiſche Kalender, auch da
wo er ganz willkührliche Beſtimmungen enthält, völlig bey-
behalten worden. Von dieſer Bemerkung wird weiter un-
ten eine praktiſche Anwendung gemacht werden.
Nach dieſer hiſtoriſchen Überſicht ſollen nunmehr die
weſentlichen Theile unſres Kalenders einzeln betrachtet wer-
den; ſie beſtehen in dem Tag, dem Monat, und dem Jahr.
Der Tag iſt der Zeitraum, in welchem eine vollſtän-
dige Umdrehung der Erde um ihre eigene Achſe Statt
findet. Die Länge dieſes Zeitraums iſt nach Jahreszeiten
wechslend, indem ſie im Februar und November nach zwey
verſchiedenen Seiten von dem mittleren Durchſchnitt um
mehr als Fünfzehen Minuten abweicht, ſo daß die größte
[326]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Differenz unter zwey wirklich vorkommenden Tageslängen
mehr als Dreyßig Minuten beträgt (a). — Der Anfangs-
punkt des Tages iſt an ſich willkührlich, weshalb er auch
bey verſchiedenen Völkern ganz abweichend angenommen
worden iſt. Die Römer haben ihn auf Mitternacht ge-
ſetzt, und wir haben dieſe Beſtimmung beybehalten; an
ſich iſt ſie die unbequemſte von allen, weil ſie mit keiner
unmittelbaren Beobachtung des Himmels zuſammenhängt.
Der Tag beſteht aus zwey natürlichen Abſchnitten von
meiſt ungleicher, und zwar ſtets wechslender Länge: dem
Lichttag (lux, dies naturalis), und der Nacht (nox). Der
ganze Zeitraum von Mitternacht zu Mitternacht heißt dies
civilis(b).
Das Jahr beſteht genau aus 365 Tagen, da der
kleine Überſchuß von wenigen Stunden zunächſt unbeach-
tet bleibt, und erſt, wenn er ſich zu einem vollen Tage
angeſammelt hat, unter der Form eines Schalttages be-
rückſichtigt wird. Dieſer Zeitabſchnitt kommt mit dem des
Tages darin überein, daß er einen allgemeinen aſtronomi-
ſchen Grund hat, zugleich aber Gegenſtand der allgemein-
ſten Wahrnehmung und von dem größten Einfluß auf die
Verhältniſſe des menſchlichen Lebens iſt. — Der Anfangs-
punkt deſſelben iſt an ſich gleichgültig, und könnte, neben
[327]§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)
dem hier dargeſtellten Kalender, auf die verſchiedenſte
Weiſe beſtimmt werden. In der That finden ſich hierin,
vom Mittelalter her, in verſchiedenen Ländern folgende
ganz abweichende Einrichtungen. Der Anfang wurde näm-
lich geſetzt bald auf den 1. Januar (Beſchneidung), bald
auf den 1. März, den 25. März (Empfängniß), auf das
ſtets wechſelnde Oſterfeſt, oder auf den 25. December
(Chriſti Geburt) (c). In neueren Jahrhunderten iſt man
ſehr allgemein zu dem 1. Januar als Anfang des Jahres
zurück gekehrt, und dieſe allgemeine Übereinſtimmung iſt
auch in der That von Wichtigkeit, weil nur durch ſie die
ſonſt unvermeidliche Verwirrung in der Zeitrechnung ver-
hütet werden kann.
Der Monat ſteht, als Zeitabſchnitt, in der Mitte
zwiſchen dem Tag und dem Jahr. Er beruht auf einer
Eintheilung des Jahres in Zwölf Theile, die jedoch von
ungleicher Laͤnge ſind. Sieben derſelben haben 31, Vier
haben 30, Einer in gewöhnlichen Jahren 28, in Schalt-
jahren 29 Tage. Daß man gerade Zwölf Theile, alſo
auch den daraus hervorgehenden Umfang der Monate, an-
genommen hat, beruht allerdings nicht auf bloßer Will-
kühr, ſondern auf der Beachtung des Mondwechſels; je-
doch iſt die Übereinſtimmung mit dieſem nur eine ſehr all-
gemeine und ungenane (d). Bey der Begränzung unſrer
[328]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Monate liegt überhaupt kein durchgreifendes Princip zum
Grunde; ohne Zweifel wollte Cäſar die aus dem früheren
Kalender herſtammenden Gewohnheiten (theilweiſe auf re-
ligiöſen Gründen beruhend) ſo wenig als möglich ſtören,
und er änderte daher an den Monaten nur ſo viel ab,
als nöthig war, um die neue Jahresgränze, worauf ihm
Alles ankam, durchzuführen. In neueren Zeiten aber hat
man kein dringendes Bedürfniß empfunden, hierin Etwas
zu ändern; nur mit Ausnahme des vorübergehenden Ver-
ſuchs in dem republikaniſchen Frankreich, worin gerade
die Monate am meiſten geändert, und auf die gleiche Länge
von Dreyßig Tagen, mit Fünf Ergänzungstagen, gebracht
wurden. — Eine beſondere Beachtung verdient noch die
Bezeichnung der einzelnen Tage im Verhältniß zu dem
Monat, dem ſie angehören; dabey iſt jedoch ſogleich zu
bemerken, daß dieſe dem eigentlichen Kalender völlig fremd
iſt, ſo daß die Reformen von Cäſar und Gregor XIII.
daran gar Nichts geändert haben, alle wirklich eingetre-
tene Veränderungen aber ganz unvermerkt und blos durch
die Sitte bewirkt worden ſind. Die Römer zerlegten den
Monat in Drey ungleiche Theile, deren Gränzen durch die
Kalendä, Nonä, Idus bezeichnet waren. Von dieſen Gränz-
tagen ab wurden die einzelnen dazwiſchen fallenden Tage
gezählt, jedoch nicht vorwärts, ſondern rückwärts. Die
(d)
[329]§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)
genaue Bezeichnung eines Tages wäre alſo z. B. gewe-
ſen: die X. ante Kalendas Januarias (für den 23. De-
cember). Allein es war üblich, die Präpoſition zu ver-
ſetzen, indem man ſagte: ante diem X. Kal. Jan., welcher
Ausdruck genau dieſelbe Bedeutung hat wie jener. Wenn
man dieſe Laune des Römiſchen Sprachgebrauchs über-
ſieht, und die voranſtehende Präpoſition buchſtäblich nimmt,
ſo kommt man zu dem Irrthum, als ob ante diem X.
Kal. irgend eine dem dies X. Kal. vorhergehende Zeit be-
zeichnen ſollte, da doch immer nur dieſer Tag ſelbſt ge-
meynt iſt (e). Eine Stelle des Römiſchen Rechts warnt
ausdrücklich gegen dieſes Misverſtändniß (f). Die eben
[330]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
erklärte Römiſche Bezeichnung der Monatstage hatte einen
mannichfaltigen Zuſammenhang mit der Volksſitte und mit
der alten Religion. Dieſe ihre lebendige Bedeutung war
im Mittelalter ſpurlos verſchwunden, die Bezeichnung ſelbſt
erhielt ſich aber, gleich als eine gelehrte Sprache, durch
die Lehre und den Gebrauch der Notare. Da jedoch bey
Vielen derſelben die Gelehrſamkeit nicht ſo weit reichte,
entſtanden nun, nicht aus freyer Wahl, ſondern aus Noth,
folgende Varietäten. Entweder wurden die Tage durch
Angabe der Heiligenfeſte völlig individualiſirt. Oder es
wurden die Tage jedes Monats mit durchlaufenden Zah-
len, von 1 bis 30 oder 31 (oder 28) bezeichnet. Da-
neben führte man in dieſer letzten Bezeichnung noch die
Veränderung ein, daß die Tage in der erſten Hälfte des
Monats vorwärts, in der zweyten Hälfte rückwärts, vom
Ende des Monats an, gezählt wurden (ingrediente, exe-
unte mense).
Es würde vergeblich ſeyn, dieſe verſchiedene Verfah-
rungsarten nach Jahrhunderten, oder gar nach noch klei-
(f)
[331]§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)
neren Zeiträumen, gegen einander begränzen zu wollen,
da ſie viele Jahrhunderte lang neben einander angewendet
wurden, regellos, wie es gerade die Kenntniß oder die
Gewohnheit der einzelnen Notare mit ſich brachte. In
neueren Jahrhunderten, und beſonders ſeitdem die Urkun-
den in den Landesſprachen abgefaßt wurden, iſt die Rö-
miſche Weiſe immer mehr verlaſſen, die Bezeichnung nach
durchlaufenden Zahlen aber endlich ausſchließend angewen-
det worden. Dieſe iſt indeſſen ſchon ſehr alt, und ſie fin-
det ſich ſchon recht häufig in Urkunden des ſiebenten und
achten Jahrhunderts (f¹). In den Kanzleyen des Rö-
miſchen Hofs hat ſich die altrömiſche Bezeichnung bis auf
den heutigen Tag erhalten.
Schon aus dieſer zufälligen, allmäligen, ſchwankenden
Entſtehung unſrer Weiſe, die Tage jedes Monats mit
durchlaufenden Zahlen zu bezeichnen, muß es einleuchten,
[332]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
daß dieſem Verfahren auf die Anwendung der die Zeit be-
treffenden Rechtsregeln kein Einfluß zugeſchrieben wer-
den kann.
Außer den hier erklärten Zeitabſchnitten, welche allein
als weſentliche Stücke unſres Kalenders betrachtet werden
dürfen, ſind nun noch einige andere zu erwähnen.
Zuerſt die Theile des Tages, alſo die Stunde mit
ihren Unterabtheilungen. Wir theilen den Kalendertag in
Vier und zwanzig gleiche Theile und nennen jeden derſel-
ben eine Stunde. Wie nun oben erwähnt worden iſt, daß
der Umfang des Kalendertags je nach Jahreszeiten verän-
derlich iſt, ſo müſſen auch an verſchiedenen Kalendertagen
die Stunden von ungleicher Länge ſeyn, nur daß hier die
Verſchiedenheit faſt als unmerklich verſchwindet. Der
ganze Begriff der Stunde iſt aber ein völlig willkührlicher
und ohne allen Zuſammenhang mit irgend einer Naturbe-
obachtung, ſo daß man den Tag eben ſo gut in Zehen
oder Hundert Stunden hätte zerlegen können. Die Will-
kührlichkeit dieſes Begriffs wird dadurch recht klar, daß
die Römer (übereinſtimmend mit anderen Völkern des Al-
terthums) einen zwar äußerlich ähnlichen, in der That
aber völlig verſchiedenen Begriff der Stunde haben. Sie
theilen jedesmal den Lichttag in Zwölf gleiche Theile, die
ſie durchzählen; eben ſo auch die Nacht in Zwölf gleiche
Theile, die ſie gleichfalls von Eins bis Zwölf durchzäh-
len. Dabey mußten alſo die Tages- und Nachtſtunden
[333]§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)
unter einander faſt immer (nämlich nur mit Ausnahme
der Äquinoctien) von ungleicher Länge ſeyn, und eben ſo
mußte von Tag zu Tag die Länge der Stunden wachſen
und abnehmen. Um ſich von der Unbequemlichkeit dieſer
Einrichtung eine vollſtändige Vorſtellung zu machen, muß
man noch die Unvollkommenheit ihrer Sonnen-, Waſſer-
und Sand-Uhren hinzudenken (g). Glücklicherweiſe pflegt
aber die Stunde als Zeitabſchnitt in Rechtsregeln gar
nicht vorzukommen. — Was nun hier von der Stunde
geſagt worden iſt, gilt eben ſo, und theilweiſe in noch
höherem Grade, von den kleineren Abſchnitten, der Mi-
nute, Secunde u. ſ. w.
Die Woche endlich liegt ganz außer dem Kalender,
indem ſie kein integrirender Theil des Monats oder des
[334]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Jahres iſt, ſondern aus einer beſtimmten Zahl auf einan-
der folgender Tage beſteht, welche, ſich ſtets wiederho-
lend, durch die Reihe der Monate und Jahre mitten hin-
durch zieht. Die Römer hatten ſolche Aggregate von Acht
Tagen, mit dem Tag der Nundinä endigend. Viele an-
dere Völker, und namentlich die Juden (h), hatten Wo-
chen von Sieben Tagen; dieſe wurden auch ſchon den
Römern frühe bekannt, von den Chriſten aber bald allge-
mein angenommen, und ſie haben bey allen chriſtlichen
Völkern durch den an der Spitze ſtehenden Sonntag An-
erkennung und Wichtigkeit erlangt (i). Sowohl die Woche
von Sieben, als die von Acht Tagen hat einen allgemei-
nen Grund in einer Naturbeobachtung, die ſich Jedem im
gewöhnlichen Leben aufdringt. Die verſchiedenen Erſchei-
nungen des Mondes nämlich führen ganz von ſelbſt auf
die Annahme von Vier gleichen Abſchnitten des zwiſchen
Zwey Vollmonden liegenden Zeitraums. Der vierte Theil
aber dieſes Mondsmonats fällt in die Mitte zwiſchen Sie-
ben und Acht Tagen, und wollte man hierauf einen Zeit-
raum in einer ganzen Zahl von Tagen gründen, ſo konnte
nur zwiſchen Sieben und Acht gewählt werden. Es iſt
alſo hierin, wie in unſrem Kalendermonat; es liegt eine
Naturbeobachtung zum Grunde, ſie konnte aber in der
[335]§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
Ausführung nicht genau feſtgehalten werden, weil für das
wirkliche Leben nur ein Aggregat von ganzen Tagen brauch-
bar war. — In Regeln des Römiſchen Rechts kommt die
Woche gar nicht vor; wohl aber erſcheint ſie ſchon frühe
im Germaniſchen Recht, dann aber noch häufiger in neue-
ren Prozeßordnungen, ſo wie in den von Richtern vorge-
ſchriebenen Prozeßfriſten, und in Rechtsgeſchäften unter
Privatperſonen. — Die Bezeichnung der einzelnen Tage
im Verhältniß zur Woche, der ſie angehören, geſchieht auf
andere Weiſe als bey dem Monat, nämlich nicht durch
Zahlen, ſondern durch individuelle Namen, die ſich in je-
der Woche gleichförmig wiederholen.
Wenn der Ablauf eines Zeitraums als Bedingung ei-
ner Rechtsänderung aufgeſtellt wird, ſo wird der Umfang
deſſelben bezeichnet durch Verweiſung auf die Kalenderzeit,
das heißt durch den Ausdruck einer beſtimmten Zahl von
Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, alſo von ſolchen Zeit-
abſchnitten, wie ſie mit feſtem Anfang und Ende im Ka-
lender vorkommen. Da aber der Anfang des wirklichen
Zeitraums mit dem Anfang einer entſprechenden Kalender-
zeit nur zufällig und in den ſeltenſten Fällen zuſammen
trifft, ſo muß die Anwendung durch eine Reduction ver-
mittelt werden (§ 179), wofür nunmehr die Regeln auf-
[336]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zuſtellen ſind. Dieſe Regeln ſelbſt ſind für die meiſten
Zeiträume einfach und unzweifelhaft, nur für den Monat
ſehr beſtritten; allein die Ausführung der Regeln führt
allgemein auf große Schwierigkeiten. Wir haben alſo zu-
nächſt zu unterſuchen, was unter einem beweglichen Tag,
Jahr, Woche, Monat zu verſtehen iſt.
Der bewegliche Tag iſt ein Zeitraum von gleichem
Umfang mit dem Kalendertag; das heißt, es wird von
irgend einem zufälligen Zeitpunkt an (z. B. von der Ent-
ſtehung eines Klagrechts durch Rechtsverletzung) ſo weit
vorwärts gerechnet, daß der Zeitraum gleich groß iſt mit
dem zwiſchen einer Mitternacht und der folgenden Mitter-
nacht liegenden Zeitraum. Dabey wird alſo eine gleiche
Länge der Kalendertage vorausgeſetzt, und obgleich dieſe
Vorausſetzung falſch iſt (§ 180), ſo bleibt dennoch der
Irrthum aus mehreren Gründen juriſtiſch unberückſichtigt;
theils weil der Unterſchied ſehr gering iſt, und die Aus-
gleichung unüberſteigliche Schwierigkeiten haben würde:
theils weil ohnehin ſchon aus anderen Gründen eine be-
ſondere Maasregel des poſitiven Rechts nöthig wird, worin
zugleich dieſer kleine Irrthum ſeine Erledigung findet.
Davon wird noch am Schluß des gegenwärtigen § die
Rede ſein.
Das bewegliche Jahr iſt ein zuſammenhängender Zeit-
raum von genau 365 beweglichen Tagen (a). Der kleine
Überſchuß des wahren Sonnenjahrs über 365 Tage wird
[337]§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
hier deswegen mit Recht vollſtändig ignorirt, weil der-
ſelbe in dem Schalttag ſeine Erledigung findet, von deſſen
anomaliſcher Behandlung weiter unten gehandelt wer-
den wird.
Die bewegliche Woche iſt ein zuſammenhängender Zeit-
raum von Sieben beweglichen Tagen. Hier wird die An-
wendung dadurch erleichtert, daß man nur auf den wie-
derkehrenden gleichnamigen Wochentag zu achten hat, um
den Ablauf der Woche zu erkennen.
Die Bedeutung des beweglichen Monats wird da-
durch zweifelhaft, daß die Kalendermonate jedes Jahres
Drey verſchiedene Längen haben (§ 180). Wollte man
nun eine Normalzahl von Monatstagen beſtimmen, um
ſie bey Rechtsregeln, worin Monate vorkommen, anzu-
wenden, ſo hatte man zunächſt die Wahl zwiſchen 31 und
30. Für 31 ſprach der Umſtand, daß in der That die
meiſten Monate dieſe Zahl von Tagen haben; für 30 aber
waren überwiegende Gründe vorhanden. Erſtlich kommt
unter allen ganzen Zahlen die Zahl von 30 Tagen am
nächſten dem zwölften Theil des Jahres, welcher genau
30 5/12 beträgt, ſo wie dem aſtronomiſchen Monat (§ 180. d).
Dazu kommt aber zweytens die mehr praktiſche Rückſicht,
daß die Zahl 30 als runde Zahl dem Gedächtniß leichter
einzuprägen iſt, und daß ſie durch ihre mannichfaltige
Theilbarkeit für die Anwendung im täglichen Leben grö-
ßere Bequemlichkeit darbietet, als die Primzahl 31. Ohne
Zweifel durch dieſe Gründe ſind die Römer bewogen wor-
IV. 22
[338]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
den, den beweglichen Monat als eine Zeit von Dreyßig
Tagen anzuſehen. Zwar eine geſetzliche Vorſchrift iſt dar-
über nicht vorhanden, aber in folgenden, aus ganz ver-
ſchiedenen Zeiten herrührenden Stellen, iſt jene Zahl als
Monatslänge unzweifelhaft vorausgeſetzt:
1) Bey der Anklage wegen adulterium kamen zwey
Friſten vor, eine von 60 Tagen, eine andere (worin jene
mit eingeſchloſſen iſt) von Sechs Monaten. Hierbey wer-
den nun 60 Tage mit den folgenden Vier Monaten zu-
ſammen genau als Sechs Monate gerechnet (b).
2) Paulus ſpricht von einer Zahl von 210 Tagen,
und nennt dieſe den septimus plenus mensis(c).
3) Juſtinian verordnet, daß der Erbe ein Inventarium
in den erſten 30 Tagen anfangen, und in den folgenden
60 Tagen endigen ſolle. Die Summe dieſer beiden Zeit-
räume bezeichnet er nachher als eine Zeit von Drey Mo-
naten (d).
4) Bey der Appellation beſtimmt Juſtinian Drey Fri-
ſten, von 30 Tagen, einem Monat, und abermals einem
Monat; die Summe dieſer Drey Friſten giebt er dann zu
[339]§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
Drey Monaten an, ſo daß er die erſten 30 Tage als ei-
nen Monat anſieht (e).
Dagegen kommen allerdings in einer älteren Vorſchrift
über die Appellation Drey Friſten, jede von 31 Tagen,
vor, die Juſtinian ſelbſt als Drey Monate bezeichnet (f);
allein dieſe Beſtimmung ſteht ſo einzeln, daß durch ſie die
vielfach bezeugte Zahl von 30 Tagen, als auf die zu al-
len Zeiten vorherrſchende Anſicht gegründet, nicht zweifel-
haft gemacht werden kann (g). — Einige andere Stellen
ſind mit Unrecht als abweichende Zeugniſſe angeſehen wor-
den. So die L. 101 de R. J. (50. 17.), welche ſcheinbar
61 Tage als Inhalt von zwey Monaten angiebt, in der
That aber (wie im § 185 gezeigt werden wird) 60 Tage
vorausſetzt, alſo vielmehr zu den Zeugniſſen für 30 Tage
gehört. — Ferner die 182 Tage als kürzeſter Zeitraum
möglicher Schwangerſchaft. Sie ſind in das Römiſche
Recht aus einem nicht voͤllig genau befolgten Ausſpruch
des Hippocrates herüber genommen, und gründen ſich gar
nicht auf eine Multiplication der Monatstage durch Sechs,
ſondern vielmehr auf eine Halbirung der im Jahr enthal-
tenen Tagezahl; dieſe giebt 182 Tage und einen Bruch,
den Bruch aber haben die Römiſchen Juriſten der Kürze
wegen weggelaſſen (h). — Endlich die Berechnung der
22*
[340]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Dotalfrüchte in L. 7 sol. matrim. (24. 3.), welche gar nicht
eine beſtimmte Zahl von Tagen für den beweglichen Monat
angiebt, ſondern in mehreren Beyſpielen (allerdings etwas
ungenau) die Kalendermonate als Zwölftheile des Jahres,
folglich als gleich lang, vorausſetzt (i).
Faſſen wir dieſes Alles zu einem einfachen Reſultat
zuſammen, ſo läßt ſich daſſelbe in folgender Regel aus-
drücken: Überall, wo das Römiſche Recht eine juriſtiſche
Thatſache auf den Ablauf einer Anzahl von Monaten grün-
det, iſt unter Monat eine Zeit von genau 30 Tagen zu
verſtehen. — Viele Anwendungen dieſer Regel ſind für
das heutige Recht verſchwunden (k); folgende Fälle ſind
noch jetzt nach derſelben zu beurtheilen:
Allein es giebt andere Fälle, worin Monate von Ein-
fluß ſind, und die nicht unter dieſe Regel fallen, weil in
ihnen ein ſolcher Einfluß gar nicht aus dem Römiſchen
Recht hervorgeht; und gerade dieſe Fälle ſind für die An-
wendung weit häufiger und darum wichtiger, als die eben
genannten. Dahin gehören die Prozeßfriſten, ſowohl ge-
ſetzliche als richterliche; ferner die auf Monate geſtellten
Verträge, welcher Fall beſonders in Wechſelbriefen häufig
vorkommt. Die bey den Römern herrſchende Anſicht bin-
(k)
[342]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
det uns hier nicht, und wir haben freye Hand Das zu
thun, was an ſich das Zweckmäßige iſt, und was dann
auch als die wahrſcheinliche Meynung neuerer Geſetzgeber,
ſo wie der Richter und der Contrahenten, zu vertheidigen
ſeyn wird. Hier beſteht nun, nach unſrer Weiſe die Tage in
jedem Monat mit fortlaufenden Zahlen zu bezeichnen, das
leichteſte Verfahren darin, daß der Ablauf einer monatli-
chen Friſt ſtets an demjenigen Tage angenommen wird,
deſſen Zahl der Zahl des Anfangstages entſpricht. Wird
alſo eine Monatsfriſt am 17. Januar angeſetzt, ſo fällt
ihr Ende auf den 17. Februar, wird ſie am 17. Februar
angeſetzt, ſo fällt es auf den 17. März, ohne Rückſicht
auf die kleine Ungleichheit die nun entſteht, indem der erſte
Zeitraum in der That 31, der zweyte nur 28 Tage ent-
hält. Dieſe wenig merkliche Ungleichheit iſt ein geringeres
Übel als das mühſame Nachzählen von 30 Tagen, wel-
ches leicht zu Irrungen führt. Das hier angegebene be-
queme Verfahren hat bey den Prozeßfriſten die bedeutend-
ſten Autoritäten, ſchon vom vierzehenten Jahrhundert an,
für ſich (s), und in unſren heutigen Gerichten wird es ſich
meiſt auch durch die wirkliche Übung beſtätigt finden (t).
Eben ſo iſt bey Verträgen, namentlich bey Wechſeln,
der Monat nach der dem Anfangstag entſprechenden Zahl
des Monatstages zu beſtimmen. Dieſes iſt ausdrücklich
anerkannt im Preußiſchen Recht (u), und eben ſo im Fran-
zöſiſchen (v).
Die einzige Schwierigkeit bey dieſem Verfahren tritt
ein, wenn der Anfang des Zeitraums auf einen der letz-
ten Tage eines langen Monats fällt, der Monat aber, in
welchem die Zeit abläuft, nicht ſo viele Tage zählt. Die
einfachſte Abhülfe beſteht darin, daß man den Ablauf auf
den letzten Monatstag eintreten läßt. Wird alſo z. B.
ein Wechſel auf zwey Monate a dato am 31. December
ausgeſtellt, ſo wird er fällig am 28. Februar, und der-
ſelbe Erfolg muß unverändert eintreten, wenn der Wech-
(t)
[344]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſel am 28., 29. oder 30. December ausgeſtellt wird. Das
Preußiſche Geſetz hat dieſe natürlichſte Auskunft ausdrück-
lich anerkannt (w).
Suchen wir die bisher aufgeſtellten Regeln in einem
gemeinſamen Überblick zu vereinigen, ſo zeigt es ſich, daß
unter allen hier betrachteten Zeitabſchnitten der Tag die
größte Wichtigkeit hat, indem die übrigen immer nur auf
ihn zurück führen. Denn wenn wir irgend eine in Jah-
ren, Monaten, Wochen ausgedrückte Zeit, als Grundlage
einer Rechtsänderung, anwenden ſollen, ſo geſchieht dieſes
ſtets dadurch, daß wir, durch Auflöſung dieſer Zeiten in
Tage, einen beſtimmten Tag finden, in deſſen Umfang das
wahre Ende des beweglichen Zeitraums fällt. Dieſes
wahre Ende iſt nämlich derjenige Zeitpunkt im Lauf jenes
gefundenen Tages, welcher genau übereinſtimmt mit dem
Zeitpunkt des Ereigniſſes, von welchem der ganze Zeit-
raum ſeinen Anfang nahm. Wenn alſo bey einer Uſuca-
pion der Beſitz in einer frühen oder ſpäten Tageszeit er-
[345]§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
worben worden war, ſo muß auch das Ende der Uſuca-
pion in eine genau entſprechende Tageszeit fallen. Nen-
nen wir dieſes wahre Ende den mathematiſchen End-
punkt, die Zeit aber, in welcher die Rechtsänderung ein-
tritt, den juriſtiſchen Endpunkt, ſo läßt ſich das bisher
Geſagte auch ſo ausdrücken: der juriſtiſche Endpunkt muß
mit dem mathematiſchen genau zuſammen fallen.
Allein bey der Anwendung dieſer Regel zeigen ſich
Schwierigkeiten, die zwar bey den Römern größer waren
als bey uns, aber auch für uns noch ſo groß ſind, daß
wir ſie ohne Übertreibung faſt unüberſteiglich nennen können.
Erſtlich fehlt es an Werkzeugen, um die kleineren Zeit-
theile mit völliger Genauigkeit zu beſtimmen. Dieſer Man-
gel war überaus groß bey den Römern (§ 180. g), bey
uns iſt er zwar vermindert, aber immer noch fühlbar ge-
nug. Allerdings wird hierin bey aſtronomiſchen Beobach-
tungen Bewundernswürdiges geleiſtet, aber wie wäre es
denkbar, in den drängenden und oft geringfügigen Ge-
ſchäften des bürgerlichen Lebens eine irgend genügende
Sicherheit in die Beſtimmung von Stunden, Minuten u.
ſ. w. zu bringen? — Eine Folge dieſer augenſcheinlichen
Unmöglichkeit iſt die, daß ſelbſt bey ſorgfältiger Geſchäfts-
führung, zwar der Tag, an welchem ein Geſchäft vor-
genommen wird, genau angemerkt zu werden pflegt, da-
gegen die Tageszeit ganz unbemerkt bleibt. Da nun der
mathematiſche Endpunkt ſtets von einem entſprechen-
den Anfangspunkt abhängig iſt, ſo wird für dieſen, und
[346]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
alſo auch für jenen, die Tageszeit meiſt gar nicht aus-
zumitteln ſeyn. — Dieſe Schwierigkeit wird noch ver-
mehrt durch die wechſelnde Länge der Tage und Stunden
(§ 180), welche ſelbſt neben den vollkommenſten Uhren noch
immer eine künſtliche Reduction nöthig macht. — In weit
höherem Grade aber wurde ſie bey den Römern vermehrt
durch ihre von der unſrigen ganz abweichende Einrichtung
der Stunden (§ 180) (x).
Wenn wir uns das vereinigte Gewicht dieſer Umſtände
anſchaulich machen, ſo muß es einleuchten, daß ein ge-
naues Zuſammenfallen des juriſtiſchen Endpunks mit dem
mathematiſchen zu bewirken in den meiſten Fällen kaum
möglich iſt, daß wir uns vielmehr für die wirkliche An-
wendung mit einer annäherndern Genauigkeit begnügen
müſſen. Wollten wir nun bey dieſem blos negativen Re-
ſultat ſtehen bleiben, ſo würde das nicht unbedenklich ſeyn;
denn auf der einen Seite könnte die zugegebene Ungenauig-
keit zu Übertreibung und Misbrauch verleiten, auf der an-
dern Seite aber würde der ſtets wiederkehrende Verſuch,
im einzelnen Fall jene Schwierigkeiten zu überwinden, zu
einer Verſchwendung von Kräften führen, die ganz außer
[347]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
Verhältniß zur Erheblichkeit des Zwecks ſtehen würde. Um
dieſen Nachtheilen zu begegnen, würde die Aufgabe darin
beſtehen, das Zuſammentreffen des juriſtiſchen Endpunkts
mit dem mathematiſchen geradezu aufzugeben, zugleich aber
die zugelaſſene Abweichung in feſte und möglichſt enge
Gränzen einzuſchließen. Durch eine ſolche Einrichtung hätte
das praktiſche Bedürfniß ſeine Befriedigung gefunden, in-
dem der unbequeme Einfluß der dargeſtellten Schwierig-
keiten völlig beſeitigt ſeyn würde.
Die am Schluß des vorigen §. aufgeſtellte Aufgabe
gieng dahin, einen juriſtiſchen Endpunkt beweglicher Zeit-
räume zu finden, der in jedem gegebenen Fall leicht und
ſicher anzuwenden wäre, und zugleich ſo wenig als mög-
lich von dem mathematiſchen Endpunkt abwiche. Für
dieſe Aufgabe giebt es zwey mögliche Auflöſungen, die je-
doch auf demſelben Grundbegriff beruhen. Man kann
nämlich den juriſtiſchen Endpunkt entweder in die dem
mathematiſchen vorhergehende, oder in die nachfolgende
Mitternacht legen; durch beide Einrichtungen wird der
Zweck gleich vollſtändig erreicht. Denn indem nun der
bewegliche Tag mit dem Kalendertag zuſammenfällt, ver-
ſchwindet das Bedürfniß einer künſtlichen Reduction, und
die Ermittlung kleinerer Zeitabſchnitte, die den Grund der
Schwierigkeit enthielt, wird überflüſſig. Zwey Kalender-
tage aber von einander zu unterſcheiden, iſt auch dem
Ungebildeten leicht, da zwiſchen beiden ſtets eine merkliche
Zeit der Finſterniß und der Geſchäftsruhe in der Mitte
liegt. Das angegebene Verfahren läßt ſich auch ſo be-
zeichnen: der Kalendertag wird behandelt, als ob er nicht
(wie er in Wahrheit iſt) ein ausgedehnter Zeitraum, ſon-
dern ein untheilbares Zeitſtück, ein Zeitelement, wäre.
Nur darf nicht vergeſſen werden, daß dieſe Auffaſſung le-
diglich ein anderer Ausdruck iſt für die Entfernung der
oben bemerkten Schwierigkeit. Viele Irrthümer ſind nur
dadurch entſtanden, daß man die aufgeſtellte Formel als
etwas Selbſtſtändiges, von dieſer Schwierigkeit und ihrer
[349]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
Beſeitigung Unabhängiges, betrachtet, und dann für ſich
weiter entwickelt hat, durch welches grundloſe und will-
kührliche Verfahren große Verwirrung in dieſe Unterſu-
chung gebracht worden iſt. — Der Erfolg des angegebe-
nen Verfahrens beſteht nun darin, daß die Wirkungen des
Zeitablaufs etwas früher oder ſpäter eintreten, als es
nach der ſtrengen Anwendung der Rechtsregel (wenn dieſe
ausführbar wäre) geſchehen würde, ſo daß der vorgeſchrie-
bene Zeitraum in der That etwas erweitert oder verkürzt
wird; die Abweichung beträgt bald mehr bald weniger,
nur niemals volle 24 Stunden, ſo daß ſie alſo, wie oben
verlangt wurde, in feſte und enge Gränzen eingeſchloſſen
iſt, und beynahe als unmerklich verſchwindet. Allerdings
wird dadurch, in Vergleichung mit der ſtreng ausgeführten
Rechtsregel, Ein Theil einige Zeit gewinnen, der Andere
eben ſo viel verlieren; aber dieſer Gewinn und Verluſt
iſt keinesweges Zweck des Verfahrens, er iſt nur ein un-
vermeidliches Übel, das wir abſichtlich zulaſſen, um einem
größeren Übel zu entgehen.
Ich ſagte, die zwey angegebenen Löſungen der Aufgabe
ſeyen die einzigen überhaupt; und welche andere könnte
man noch daneben verſuchen? Man könnte etwa nicht
bey der nächſten Mitternacht ſtehen bleiben, ſondern auf
die zweyte zurück oder vorwärts gehen, um in dieſelbe
den juriſtiſchen Endpunkt zu legen. Auch dadurch wäre
die Schwierigkeit beſeitigt, aber wir würden ganz ohne
Grund über den Zweck hinaus gehen. Indem wir um
[350]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
einen Kalendertag mehr von der Wahrheit abwichen, wür-
den wir uns in dem Gebiet reiner Willkühr befinden, und
wir hätten eben ſo viel Grund, um zwey, drey, oder noch
mehr Tage zurück oder vorwärts zu ſchreiten. — Endlich
könnte man noch darauf fallen, von dem mathematiſchen
Endpunkt um einen vollen beweglichen Tag zurück oder
vorwärts zu gehen, alſo, wenn etwa das mathematiſche
Ende in den Mittag eines 2. Januars fiele, anſtatt deſſen
den Mittag des 1. oder des 3. Januars als juriſtiſchen
Endpunkt zu ſetzen. Dieſer Verſuch aber erſcheint ſogleich
als völlig verwerflich, da durch ihn die Schwierigkeit,
wovon die ganze Aufgabe ausgeht, gar nicht vermindert
wird; es wäre eine völlig zweckloſe, durch Nichts ge-
rechtfertigte, Abweichung von der Wahrheit.
Da nun zwey gleich zweckmäßige Löſungen der Auf-
gabe nachgewieſen worden ſind, ſo bleibt noch die Wahl
zwiſchen beiden übrig: entweder indem wir die eine aus-
ſchließend annehmen, oder indem wir beide gelten laſſen,
je nach Verſchiedenheit der Fälle. Um hierin nicht will-
kührlich zu verfahren, haben wir ein auf dieſen Fall an-
wendbares, ſchon anderwärts bewährtes, Princip aufzu-
ſuchen. Wir haben hier zu thun mit einer partiellen Un-
beſtimmtheit, die nothwendig Einem von beiden Theilen
zu gut kommen muß; eine ſolche Unbeſtimmtheit erſcheint
auch in anderen Rechtsverhältniſſen nicht ſelten, und ſie
kommt dabey ſtets Demjenigen zu gut, von deſſen Hand-
lung (als einer zuläſſigen oder nothwendigen) zunächſt die
[351]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
Rede iſt. So hat bey einer alternativen oder generiſchen
Obligation der Schuldner die Wahl, welches Individuum
oder welche Qualität er geben will (a). Umgekehrt hat
bey einer nach Zeit oder Ort ganz unbeſtimmten Obliga-
tion der Glaubiger die Wahl, wann oder wo er klagen
will, weil ſein im Allgemeinen anerkanntes Klagrecht in
dieſen Beziehungen unbeſchränkt geblieben iſt (b). — Wen-
den wir dieſes Princip auf den vorliegenden Fall an, ſo
führt es auf folgende Behandlung. Soll durch den Ab-
lauf des Zeitraums ein Recht erworben werden, wie bey
der Uſucapion, ſo iſt die vorhergehende Mitternacht als
juriſtiſcher Endpunkt anzunehmen, weil, bey der angege-
benen Unbeſtimmtheit, der Erwerber befugt iſt, in jedem
Moment des ganzen Kalendertags den Erwerb als vollen-
det anzuſehen. Soll dagegen durch den abgelaufenen Zeit-
raum ein Recht verloren werden, wie bey der Klagver-
jährung, ſo muß die nachfolgende Mitternacht angenom-
men werden, weil der Klagberechtigte, gleichfalls wegen
jener Unbeſtimmtheit, in jedem Moment des Kalendertags
[352]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
behaupten kann, daß er noch zu rechter Zeit klage (c). —
So iſt es in den gewöhnlichen Fällen, worin eine Rechts-
regel den Ablauf eines Zeitraums als Bedingung einer
Rechtsänderung ausdrückt; iſt dagegen die Bedingung aus-
drücklich auf die Überſchreitung des Zeitraums geſtellt,
ſo muß ſtets die nachfolgende Mitternacht angenommen
werden (auch wo vom Erwerb eines Rechts die Rede iſt),
weil, eben wegen der Untheilbarkeit des Kalendertags,
erſt am folgenden Tag die Überſchreitung des Zeitraums
behauptet werden kann (d).
Von der hier verſuchten Grundlegung der civilen Zeit-
rechnung weicht die gewöhnliche gänzlich ab. Dieſe läßt
ſich auf folgende Sätze zurück führen, worin wenigſtens
[353]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
die Meiſten übereinſtimmen, wenngleich auch mancherley
Abweichungen vorkommen. In vielen Fällen, ſagt man,
wird die Zeit auf die beſondere Weiſe berechnet, daß der
letzte Zeittheil, wenn er nur angefangen iſt, ſchon als
vollendet angeſehen wird. Dieſe anomaliſche Zeitrechnung
heißt civilis computatio, die regelmäßige naturalis. —
Über die Begränzung der Fälle, worin die eine oder die
andere Rechnung gelten ſoll, ſind die Meynungen ſo ab-
weichend, daß ſich etwas Gemeinſames hierin nicht ange-
ben läßt.
Aus dieſer Aufſtellung der Begriffe iſt es einleuchtend,
daß nur zweyerley Rechnungsarten als wirklich vorkom-
mend vorausgeſetzt werden: die, worin der juriſtiſche End-
punkt mit dem mathematiſchen zuſammen trifft, und die
worin er rückwärts gelegt, der Zeitraum ſelbſt alſo ab-
gekürzt wird. Schon hier aber, und vor der Prüfung
der über die Sache ſelbſt entſcheidenden Quellenzeugniſſe,
ſind dieſer Auffaſſung folgende Bemerkungen entgegen zu
ſtellen. Indem der Begriff der civilis computatio ſo ab-
ſtract aufgeſtellt wird (e), ſcheint ſie eben ſowohl auf das
letzte Jahr und den letzten Monat, als auf den letzten
Tag, anwendbar zu ſeyn, und in der That iſt dieſes von
Manchen behauptet worden, obgleich die Meiſten ſich doch
auf den letzten Tag beſchränken (f). Schon dadurch aber
IV. 23
[354]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
verſchwindet aller feſte Boden für dieſe Anomalie, indem
die oben als einzige Veranlaſſung aufgeſtellte Schwierig-
keit in der Ermittlung der kleineren Zeittheile nun als Er-
klärungsgrund ganz wegfällt. Und in der That ſcheinen
auch die Meiſten in der ganzen Sache etwas blos Will-
kührliches zu ſehen, eine Art von Milde und Großmuth
gegen Den, welchem ein Theil der vorgeſchriebenen Zeit
erlaſſen werden ſoll. Da aber dieſe Milde augenſcheinlich
auf Koſten des Gegners ausgeübt wird, welcher dabey
eben ſo viel verliert, als der Beſchenkte gewinnt, ſo iſt
dieſer Erklärungsgrund ganz unhaltbar, ja es muß jede
Erklärung überhaupt verworfen werden, die über die Be-
trachtung der letzten Tage hinausgeht. Wollte man auch
die Wendung verſuchen, daß die Abkürzung nicht als groß-
müthige Begünſtigung Eines Theils gelten ſolle, ſondern
als Verbeſſerung eines durch frühere Rechtsregeln zu lang
beſtimmten Zeitraums, ſo wäre auch damit wenig gewon-
nen. Denn die Abkürzung um einen halben Tag, oder
auch (wie die Meiſten wollen) um anderthalb Tage, iſt
eine ſo kleinliche, daß man den Geſetzgebern oder Juriſten
wenig Ehre anthut, indem man ihnen die Abſicht einer
ſolchen Verbeſſerung zuſchreibt.
Beſondere Aufmerkſamkeit aber verdienen gleich hier die
(f)
[355]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
angewendeten Kunſtausdrücke, an welchen bisher faſt gar
kein Anſtoß genommen worden iſt. Wir haben überhaupt
nur folgende Stellen, die zur Bildung einer quellenmäßi-
gen Terminologie benutzt werden können:
L. 3 § 3 de minor. (4. 4.). „Minorem .. videndum
an .. dicimus ante horam qua natus est … ita erit
dicendum, ut a momento in momentum tempus
spectetur.”
L. 6 de usurp. (41. 3.). „In usucapionibus non a mo-
mento ad momentum, sed totum postremum diem
computamus.”
L. 134 de V. S. (50. 16.) quia annum civiliter, non
ad momenta temporum, sed ad dies numeramus.”
Die einzige beſtimmte und ziemlich gleichförmige Ter-
minologie in dieſen Stellen iſt die a momento in (ad) mo-
mentum tempus spectare (computare), oder ad momenta
temporum annum numerare, welche Rechnungsart in dem
Fall der erſten Stelle gebilligt, in den zwey folgenden
Fällen verworfen wird. Die Bedeutung dieſes Kunſtaus-
drucks kann nicht bezweifelt werden: es iſt die Zeitrech-
nung mit Beachtung der kleinſten Zeittheile, ſo daß (wie
die erſte Stelle ausdrücklich ſagt) auf die einzelne Stunde
im Tag geſehen wird; alſo das was ich das Zuſammen-
fallen des juriſtiſchen Endpunktes mit dem mathematiſchen
genannt habe. Der Gegenſatz davon heißt totum postre-
mum diem computare, oder ad dies annum numerare,
alſo die kleineren Zeittheile unbeachtet laſſen, und nur
23*
[356]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nach ganzen Tagen rechnen, als ob die Tage untheilbare Zeit-
ſtücke wären: bey welchem Ausdruck es vorläufig noch un-
beſtimmt bleibt, ob durch dieſes Verfahren der Zeitraum
verkürzt oder ausgedehnt werden ſoll. — Offenbar alſo
kommen die Ausdrücke civilis und naturalis computatio
gar nicht vor, und blos in dem Ausdruck civiliter nume-
rare liegt Etwas, das ihnen einigermaßen ähnlich ſieht,
und das unſre Schriftſteller ſehr willkührlich zu jener Ter-
minologie ausgebildet haben (g). Dieſe aber iſt wichtiger,
als ſie auf den erſten Blick ſcheint, und hat von jeher die
unbefangene Kritik ſehr zurück gedrängt. Denn aus die-
ſen beiden Theilungsgliedern ſchien von ſelbſt hervorzuge-
hen, daß es außer der Rechnung ad momenta nur noch
die einzige gebe, die man ſich einmal gewöhnt hatte als
civilis computatio anzuſehen, und die durch dieſen ver-
meyntlichen Kunſtausdruck als ein einfacher, ausſchließen-
der Begriff fixirt worden war, nämlich diejenige Rech-
nungsart, wodurch der Zeitraum verkürzt wird; ferner
[357]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
führte der Name naturalis computatio unvermerkt dahin,
dieſe Rechnungsart als die regelmäßige anzuſehen, die
überall eintreten müſſe, wo nicht eine Ausnahme beſonders
nachgewieſen werden könne. Alle dieſe Anſichten alſo hat-
ten ſich auf die angegebene unkritiſche Weiſe vor aller
Unterſuchung feſtgeſetzt, und ſo konnte eine unbefangene
Auslegung der entſcheidenden Stellen, worauf am Ende
Alles ankommt, kaum erwartet werden.
Der hier angegebene ächte Kunſtausdruck iſt auch noch
in folgender Beziehung von Wichtigkeit. Offenbar wird
hier der Ausdruck non a momento völlig gleichbedeutend
gebraucht mit civiliter. Dieſes aber deutet darauf hin,
daß der Begriff des civiliter durch die bloße Negation
der Momentenrechnung erſchoͤpft wird. Schon daraus
folgt aber, daß die civile Berechnung nur auf die nächſt-
liegende Mitternacht führen kann, nicht auf eine entfern-
tere, weil die Annahme dieſer letzteren über die Negation
des momentum weit hinaus gehen würde.
Dieſe Betrachtungen können über die hier vorkommen-
den Fragen nicht entſcheiden, ſondern nur die Entſcheidung
vorbereiten, welche ſelbſt aus einer ſorgfältigen Betrach-
tung der dieſen Gegenſtand betreffenden Stellen des Rö-
miſchen Rechts hervorgehen muß. Damit aber deren Aus-
legung eine kritiſche Grundlage erhalte, muß noch die Er-
örterung von zwey weſentlichen Vorfragen unternommen
werden. In mehreren, und gerade den wichtigſten Stellen
[358]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
werden wir verwieſen bald auf den letzten Tag eines
Zeitraums, bald auf Tage die durch Ordinalzahlen be-
zeichnet werden; dabey entſtehen nun folgende Fragen:
Erſtlich, welcherley Tage ſind in ſolchen Stellen gemeynt,
bewegliche oder Kalendertage? Zweytens, wie iſt in den-
jenigen Stellen, worin Ordinalzahlen vorkommen, die Zäh-
lung zu verſtehen?
Was nun die erſte Frage betrifft, die ſowohl bey dem
(in mehreren Stellen erwähuten) letzten Tag, als bey
den (in anderen Stellen) mit Zahlen bezeichneten Ta-
gen, vorkommt, ſo könnten an ſich unter dem Ausdruck
dies eben ſo wohl bewegliche als Kalendertage verſtanden
ſeyn. So bey der Erwähnung des letzten Tages (h). Fiele
alſo z. B. der mathematiſche Endpunkt in den Mittag eines
2. Januars, ſo wäre postremus dies die Zeit vom Mittag
des 1. bis zum Mittag des 2. Januars. Daß nun aber
dieſe Zeit nicht gemeynt iſt, folgt unwiderſprechlich aus
einigen der angeführten Stellen, worin geradezu eine Mit-
ternacht (und zwar die vorhergehende) als Anfangspunkt
des letzten Tages angegeben wird, welches den Gedanken
an den beweglichen Tag ausſchließt (i). Daſſelbe ſind wir
[359]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
berechtigt auf die übrigen, in dieſer Hinſicht weniger be-
ſtimmten Stellen zu übertragen. Auch wird dieſe Ausle-
gung für alle Stellen durch die innere Wahrſcheinlichkeit
beſtätigt. Denn auf dieſem Wege allein iſt der oben dar-
geſtellten praktiſchen Schwierigkeit zu begegnen, die der
einzige begreifliche Grund iſt, den Ablauf eines Zeitraums
durch poſitives Recht zu modificiren. Auch ſind ja alle
ſolche Stellen Anweiſungen für unſer Verfahren; es iſt
aber gewiß natürlicher anzunehmen, daß wir für die Beur-
theilung einzelner Fälle auf die Beachtung von Kalender-
tagen verwieſen werden, welche Gegenſtände unmittelbarer,
ſinnlicher Wahrnehmung ſind, als von beweglichen Tagen,
die erſt künſtlich und durch ſchwierige Beweiſe unterſucht
und begränzt werden müſſen. Iſt nun alſo der postremus
dies ein Kalendertag, ſo kann es kein anderer ſeyn als
der, in welchen der mathematiſche Endpunkt fällt, welcher
alſo nur noch theilweiſe dem vorgeſchriebenen Zeitraum
angehört, indem er theils vor theils hinter dem mathema-
tiſchen Endpunkt liegt. Dieſe Erklärung des extremus
dies wird nun noch ſehr unterſtützt durch die ganz ähn-
liche Bedeutung, worin bei einer andern Rechtslehre der
extremus annus vorkommt. Bey der Dos iſt es Regel,
daß die in der Ehe entſtandenen Früchte dem Mann ge-
hören, die ſpäteren der Frau oder ihren Erben. Zur An-
wendung dieſer Regel auf Feldfrüchte werden, von dem
(i)
[360]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Anfangstag der Ehe an, Ehejahre gerechnet; wird dieſe
Rechnung weit genug fortgeſetzt, ſo kommt man zuletzt auf
ein ſolches Jahr, in deſſen Lauf die Trennung eintrat,
dieſes Jahr heißt extremus oder novissimus annus, und
deſſen Fruchtertrag ſoll unter dem Mann und der Frau
nach Verhältniß der Zeit getheilt werden (k). Wie nun
hier extremus annus das nur noch theilweiſe der Ehe ange-
hörende Jahr heißt, in deſſen Umfang die Trennung der Ehe
liegt, ſo heißt in unſrer Lehre extremus dies der Kalender-
tag, der nur noch theilweiſe dem vorgeſchriebenen, bis zu
ſeinem mathematiſchen Endpunkte (ad momentum) fortge-
führten Zeitraum angehört.
Daſſelbe nun, was hier für den letzten Tag ausgeführt
worden iſt, muß auch für die mit Zahlen bezeichneten Tage
gelten, ſo daß auch ſie als Kalendertage, nicht als beweg-
liche, zu verſtehen ſind (l). Dafür ſpricht theils die Ana-
logie der Stellen vom postremus dies(m), theils die eben
nachgewieſene innere Wahrſcheinlichkeit, die hier wie dort
[361]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
gleiches Gewicht hat; noch weit entſcheidender aber der
Umſtand, daß in einer der Stellen, worin gezählte Tage
vorkommen, zugleich die Rechnung ad momenta ausdrück-
lich abgewieſen, und die nach Kalendertagen anerkannt
wird (n). Und ſo können wir alſo ſchon hier, in dieſer
allgemeinen Vorbetrachtung, mit Beſtimmtheit behaupten:
überall, wo von der genauen mathematiſchen Wahrheit
eines Zeitraums abgewichen wird, iſt ſtets eine Mitternacht,
alſo die Gränze eines Kalendertags, als juriſtiſcher End-
punkt anzuſehen (o).
Ganz verſchieden von der bisher abgehandelten Frage
iſt die andere, wie in den Stellen, die den Ablauf eines
Zeitraums nach Zahlen beſtimmen (Note l), die Zählung
verſtanden werden ſoll (p). Es giebt nämlich eine zwey-
fache Art, wie Ordinalzahlen überhaupt, und beſonders
bey Zeiträumen, von den Römern angewendet werden, in-
dem dasjenige Stück (z. B. der Tag), von welchem die
[362]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Zählung ausgeht, bald mitgezählt wird, bald auch nicht.
Da nun hierin erweislich der Sprachgebrauch der Römer
ſchwankend iſt, ſo ſind wir berechtigt, in jeder Stelle,
worin eine ſolche Zählung vorkommt, denjenigen Sprach-
gebrauch anzuwenden, wodurch ſie den durch andere Gründe
gerechtfertigten Regeln accommodirt wird; alle dieſe Stel-
len alſo ſind als neutrales Gebiet zu betrachten, und mit
keiner derſelben für ſich kann der Beweis für irgend eine
Anſicht geführt werden. Insbeſondere dürfen wir dieſe
Zweydeutigkeit des Sprachgebrauchs zu dem Zweck gel-
tend machen, um ſcheinbare. Widerſprüche zwiſchen Stellen
der alten Juriſten aufzulöſen.
Bevor ich zur Unterſuchung der einzelnen Fälle über-
gehe, worin die civile Zeitrechnung vorkommt, will ich
noch folgende Betrachtung vorausſchicken. Es iſt nicht
durchaus nothwendig, daß die Römer bey der Behandlung
dieſes Gegenſtandes verſtändig zu Werk gegangen ſind;
ihr Verfahren kann gedankenlos, willkührlich, voll von Wi-
derſprüchen geweſen ſeyn, ſie können ſich in eine unnütze
Speculation über einen Gegenſtand des täglichen Lebens,
des praktiſchen Bedürfniſſes, verwickelt haben: das Alles
iſt möglich. Wenn es uns aber gelingt, ihre Ausſprüche
ſo auszulegen, daß dieſe Vorwürfe von ihnen entfernt wer-
den, daß Zuſammenhang, Einfachheit, Zweckmäßigkeit in
ihrem Verfahren erſcheint, ſo iſt dieſes Ergebniß nicht nur
an ſich wünſchenswerth, ſondern auch dem Geiſt ent-
[363]§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.
ſprechend, den wir in ihrer Behandlung ſo vieler anderen
Rechtslehren wahrnehmen.
Ich will noch die Überſicht der folgenden einzelnen Un-
terſuchungen dadurch zu erleichtern ſuchen, daß ich die Re-
ſultate derſelben gleich hier in wenigen Worten zuſammen
ſtelle. Es ergiebt ſich, wie ich glaube, daß faſt überall
der juriſtiſche Endpunkt eines Zeitraums von dem mathe-
matiſchen getrennt worden iſt; man hat denſelben bald in
die vorhergehende, bald in die nachfolgende Mitternacht
gelegt, ganz nach den Gründen, die oben durch allgemeine
Betrachtung für eine ſolche verſchiedene Behandlung dar-
gelegt worden ſind. In einem einzigen Fall iſt der mathe-
matiſche Endpunkt (das momentum temporis) zugleich als
juriſtiſcher beybehalten worden, bey der Minderjährigkeit
als Bedingung der Reſtitution.
Von dieſer Lehre nun weicht die bisher von unſren
Schriftſtellern aufgeſtellte mehr oder weniger ab. Etwas
Gleichförmiges läßt ſich hier nicht angeben, doch ſtimmen
die Meiſten in folgenden Punkten überein. Sie gehen bey
der civilen Zeitrechnung großentheils nicht blos auf die
nächſte Mitternacht vor dem mathematiſchen Endpunkt zu-
rück, ſondern auf die zweyte. In anderen Fällen, worin
ich die nachfolgende Mitternacht als Endpunkt annehme,
ſetzen ſie an deren Stelle den mathematiſchen Endpunkt
ſelbſt, ſo daß ſie der Rechnung ad momenta eine weit
größere Ausdehnung geben, als von mir geſchieht. Dage-
gen iſt mir kein Schriftſteller bekannt, der den juriſtiſchen
[364]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Endpunkt um volle 24 Stunden vor den mathematiſchen
legte, obgleich dieſes Verfahren nach den von Vielen aus-
geſprochnen allgemeinen Begriffen und Grundſätzen aller-
dings conſequent wäre (q).
Unter den einzelnen Fällen treten zuerſt ſolche hervor,
in welchen durch Zeitlauf ein Recht erworben wird.
Dasjenige Rechtsverhältniß, bey welchem wir die reich-
haltigſten Nachrichten über die Zeitberechnung haben, iſt
die Uſucapion. Wir beſitzen darüber eine, von ſpäte-
ren Schriftſtellern aufbewahrte, Stelle des alten Q. Mucius
Scävola, eine von Venulejus, zwey von Ulpian.
Die Stelle des Scävola iſt erhalten bey Gellius (III. 2)
und bey Macrobius (Saturn. I. 3). Der letzte hat ſie
wahrſcheinlich nur aus dem erſten genommen, ſo daß er
blos zur Berichtigung des Textes von Gellius benutzt wer-
den kann. Sie lautet nun bey Gellius in berichtigtem
Text (a) alſo.
Q. quoque Mucium Ic. dicere solitum legi, Lege non
isse usurpatum mulierem, quae Kalendis Januariis apud
virum causa matrimonii esse coepisset, et ante diem
quartum Kalendas Januarias sequentes usurpatum isset.
Non enim posse impleri trinoctium, quod abesse a viro
usurpandi causa ex XII tabulis deberet: quoniam ter-
tiae noctis posteriores sex horae alterius anni essent,
qui inciperet ex Kalendis.
Nach den Zwölf Tafeln ſollte durch jede gewöhnliche
Ehe, wenn ſie Ein Jahr lang ununterbrochen fortdauerte,
die Frau in die manus des Mannes kommen, und dieſes
wird ausdrücklich auf den Grundſatz der einjährigen Uſu-
capion beweglicher Sachen zurück geführt. Eine Unter-
brechung dieſer Uſucapion ſollte nur dann angenommen
werden, wenn die Frau wenigſtens drey vollſtändige Nächte
jedes Jahres außer dem Hauſe des Mannes zubrächte (b).
Scävola nun beurtheilt einen Rechtsfall, der durch fol-
gende Tafel anſchaulich werden wird:
| 28. Dec. | 29. Dec. | 30. Dec. | 31. Dec. | 1. Jan. |
| V. Kal. Jan. | IV. Kal. Jan. | III. Kal. Jan. | pridie Kal. Jan. | Kal. Jan. |
Die Frau war an einem 1 Januar in die Ehe getreten
und am 29 December (c) deſſelben Jahres aus dem Hauſe
(a)
[366]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gegangen, in der Meynung, dadurch das trinoctium zu
beobachten, und die Entſtehung der manus zu verhindern.
Darin aber irrt ſie, ſagt Scävola, denn das Uſucapions-
jahr iſt ſchon vollendet mit der Mitternacht, womit der
nachfolgende 1. Januar anfängt, alſo gehört die zweite
Hälfte der dritten Nacht nicht mehr dem erſten Jahr der
Ehe an, ſo daß ſie nur drittehalb Nächte deſſelben abwe-
ſend war, welches nach dem Geſetz nicht hinreicht. Sie
hätte alſo (will Scävola ſagen) ſchon den 28. December
ausziehen müſſen, um ihren Zweck zu erreichen.
Dieſe Stelle nun iſt die einzige, unter allen die wir
beſitzen, welche durchaus unzweydeutig iſt, alſo keinem
ſcheinbaren (d) Zweifel Raum läßt. Sie ſagt ganz klar,
(c)
[367]§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
daß das Ende der Uſucapion nicht mit dem mathemati-
ſchen Endpunkt (ad momenta) eintritt, welches irgend ein
Zeitpunkt im Lauf des 1. Januars ſeyn würde, ſondern
genau in der unmittelbar vorhergehenden Mitternacht: alſo
weder in der nachfolgenden Mitternacht, noch in der vor-
letzten Mitternacht, durch welche die Uſucapion mit dem
Schluß des 30. Decembers ablaufen würde. Es wird alſo
hier ganz unzweydeutig diejenige Bedeutung der civilen
Zeitrechnung anerkannt, welche oben (§ 182) nach allgemei-
ner Betrachtung für alle Fälle dargelegt worden iſt, worin
der Ablauf eines Zeitraums die Rechtserwerbung an fort-
geſetzte Thätigkeit knüpft; gerade dieſe Rechtsänderung aber
iſt es, die bey jeder Uſucapion eintritt, indem der fortge-
ſetzte Beſitz dem Beſitzer das Eigenthum (hier die ma-
nus) giebt.
L. 15 pr. de div. temp. praescr. (44. 3.). (Venulejus
lib. V. Interd.) In usucapione ita servatur, ut, etiamsi
minimo momento novissimi diei possessa sit res, ni-
hilominus repleatur usucapio, nec totus dies exigitur
ad explendum constitutum tempus.
Novissimus dies heißt derjenige Kalendertag, in welchen
der mathematiſche Endpunkt der Uſucapion fällt (§ 182);
alſo, bey einer am 1. Januar angefangenen Uſucapion,
irgend ein künftiger 1. Januar, je nach der kürzeren
(d)
[368]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
oder längeren Dauer der Uſucapion. Daher will Venule-
jus ſagen: die Uſucapion gilt als vollendet gleich im er-
ſten Anfang des letzten Kalendertages, nicht erſt am Ende
deſſelben. Dieſe Negation geht alſo auf die nachfolgende
Mitternacht, an die man etwa denken könnte, nicht auf
das momentum (den mathematiſchen Endpunkt), das hier
gar nicht erwähnt wird, aber durch den erſten affirmati-
ven Satz völlig und unzweifelhaft ausgeſchloſſen iſt.
L. 6 de usurp. (41. 3.). Ulp. lib. XI. ad. Ed.
L. 7 de usurp. (41. 3.). Ulp. lib. XXVII. ad Sab. In
usucapionibus non a momento ad momentum, sed
totum postremum diem computamus. — Ideoque qui
hora sexta diei Kalendarum Januariarum possidere
coepit, hora sexta noctis pridie Kalendas Januarias
implet usucapionem.
Es iſt zuvörderſt zu bemerken, daß das erſte dieſer
Fragmente zur Edictsmaſſe, das zweyte zur Sabinusmaſſe
gehört, und daß das zweyte nach der allgemeinen Verthei-
lung der Maſſen gar nicht an dieſer Stelle ſtehen ſollte,
ſondern, offenbar ſeines Inhalts wegen, ausnahmsweiſe
dahin geſetzt worden iſt (e). Daraus, ſo wie aus dem
verbindenden Ideoque, folgt daß beide Stellen in einem
inneren Zuſammenhang ſtehen, und gerade ſo anzuſehen
[369]§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
ſind, als ob es zuſammenhängende Sätze einer und derſel-
ben Stelle wären.
Die erſte Stelle nun ſagt: Bei der Uſucapion rechnen
wir nicht mit Beachtung der (in den letzten Kalendertag
fallenden) kleineren Zeittheile, ſondern wir nehmen den letz-
ten Kalendertag als ein (untheilbares) Ganzes, welches
daher in jedem ſeiner wirklichen einzelnen Theile ſchon als
vollendet gelten muß (f).
Wer alſo (fährt die zweyte Stelle fort) in der ſechſten
Tagesſtunde eines 1. Januars zu beſitzen anfängt, vollendet
(in einem folgenden Jahr) die Uſucapion in einer dem
31. December angehörenden ſechſten Nachtſtunde.
Die hora sexta noctis iſt die der Mitternacht unmittel-
bar vorhergehende Stunde (g). Hier muß nun offenbar im
Sinn Ulpians hinzugedacht werden: completa oder exacta,
ſo daß die Uſucapion zu Ende geht nicht etwa am Anfang,
oder in der Mitte, ſondern genau am Schluß der erwähn-
ten Stunde (h). Es iſt alſo nur eine umſchreibende Be-
IV. 24
[370]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zeichnung derjenigen Mitternacht, die den 31. December vom
1. Januar ſcheidet, und da zur Bezeichnung dieſer Mitter-
nacht die derſelben vorhergehende, durch ſie begränzte,
Stunde gebraucht iſt, ſo mußte wohl geſagt werden pridie,
indem dieſe Stunde, als ein ausgedehntes Zeitſtück, ganz
dem 31. December angehört (i). Ulpian will alſo ſagen:
die Uſucapion iſt zu Ende mit derjenigen Mitternacht,
durch welche die letzte Stunde des 31. Decembers (und ſo-
mit dieſer 31. December ſelbſt) geendigt wird. Er hätte
eben ſo gut ſagen können: ſie iſt zu Ende im erſten Augen-
blick des 1. Januars — und durch dieſe Art des Ausdrucks
würde er auch wörtlich mit Vennlejus übereingeſtimmt
haben. Der Gedanke beider Juriſten iſt voͤllig derſelbe.
Nach der hier gegebenen Erklärung ſtehen alle einzelne
Stellen über die Berechnung der Uſucapionszeit in voll-
(h)
[371]§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
kommner Üebereinſtimmung. Sie iſt auch nicht neu, ſon-
dern mehrere Schriftſteller haben ſie bereits auf befriedi-
gende Weiſe vorgetragen (k). Abweichend davon nehmen
Andere an, der Inhalt dieſer Stellen ſey verſchieden. So
ſagt Koch, der die Stelle des Scävola nicht kennt, die
aͤlteren Juriſten, wozu er den Venulejus rechnet, wären
auf die nächſtvorhergehende Mitternacht zurückgegangen,
Marcian und Ulpian noch um 24 Stunden weiter zurück,
Beides eigentlich irrig; aber dieſe letzte Meynung, ſey als
die geltende zu betrachten, weil ſie die neueſte ſey (l). Dieſe
Grundanſicht von einer fortſchreitenden Entwicklung der
ganzen Lehre iſt nachher in folgender Weiſe weiter aus-
gebildet worden. Das praktiſche Bedürfniß ſey allerdings
völlig befriedigt, wenn man nur bis auf die nächſte Mit-
ternacht zurück gehe, führe alſo nicht weiter. Die feinere
Wiſſenſchaft aber ſey mit tieferem Gedanken in die Sache
eingedrungen, und dadurch um volle 24 Stunden weiter
zurück geführt worden. Denn wenn man den Grundge-
danken der Behandlung des Kalendertages als eines un-
theilbaren Zeitelements conſequent durchführe, ſo müſſe
man annehmen, der im Lauf des 1. Januars erworbene
Beſitz ſey ſchon mit deſſen Anfang erworben. Dann fange
die Uſucapion an mit dem Anbruch des 1. Januars, und
ihr letzter Tag ſey der 31. December. Da aber dieſer
gleichfalls untheilbar ſey, folglich alle in denſelben fallende
24*
[372]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Zeitpunkte einander gleich ſtänden, ſo werde die Uſucapion
geendigt mit dem Anbruch des 31. Decembers, und dieſer
ſey der postremus oder novissimus dies. Scävola’s Be-
rechnung des trinoctium ſey keine Widerlegung, denn erſt-
lich könne er das ante diem anders verſtanden haben, als
man es gewöhnlich nehme, und zweytens ſey er noch nicht
von dem erwähnten tiefen Gedanken feinerer Wiſſenſchaft
durchdrungen geweſen (m). — Der Fehler dieſer Anſicht
iſt ſchon oben (§ 182) angedeutet worden. Es wird hier
ganz ohne Grund dasjenige, was bloße Aushülfe für ein
rein praktiſches Bedürfniß iſt, in einen tiefen wiſſenſchaftli-
chen Gedanken verwandelt, aus dieſem dann weiter gefol-
gert, und das daraus hervorgehende Reſultat den Römiſchen
Juriſten untergeſchoben. Dieſe ſind weit entfernt, die
künſtliche Behandlung des Kalendertages auch auf den
Anfang eines juriſtiſchen Zeitraums anzuwenden, wo ſie
nicht nöthig iſt; ſie erwähnen ſie nur bey dem novissimus
dies. Wäre nicht mit der Berechnung ad momenta eine
ſehr läſtige Schwierigkeit der Ausführung verbunden, ſo
würden ſie nie daran gedacht haben, ſie zu verlaſſen; eben
deshalb aber konnte es ihnen auch nicht einfallen, ſich
weiter von ihr zu entfernen, als für die Entfernung jener
Schwierigkeit durchaus nöthig war.
L. 1 de manumiss. (40. 1.). (Ulpian. lib. VI. ad Sab.).
Placuit eum, qui Kalendis Januariis natus, post (ho-
ram) sextam noctis pridie Kalendas quasi annum
vicesimum compleverit, posse manumittere: non enim
majori XX. annis permitti manumittere, sed mino-
rem manumittere vetari: jam autem minor non est,
qui diem supremum agit anni vicesimi.
Die Lex Aelia Sentia hatte Jedem, der noch nicht
Zwanzig Jahre alt war, die uneingeſchränkte Freylaſſung
ſeiner Sklaven unterſagt; es fragte ſich nun, mit welchem
Tage dieſes Verbot aufhöre. Von der Beantwortung die-
ſer Frage konnte die Gültigkeit einer wirklich vorgenom-
menen Freylaſſung, folglich die Freyheit und das Bürger-
recht eines Menſchen, abhängen. Ulpians Ausſpruch läßt
ſich ſo wieder geben:
Es iſt anerkannt worden, daß der an einem erſten Ja-
nuar Geborene gleich nach Ablauf der dem 31. Decem-
ber angehörenden ſechſten Nachtſtunde gültig freylaſſen
kann, wie wenn er in dieſer Zeit das zwanzigſte Jahr
ſchon vollendet hätte: denn das Geſetz fordert nicht, daß
der, welcher frey laſſen will, älter als zwanzig Jahre,
ſondern nur daß er nicht jünger ſey(n): jünger aber
als zwanzig Jahre kann Derjenige nicht genannt wer-
[374]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
den, der ſchon in dem letzten zu ſeinem zwanzigſten Jahr
gehörenden Kalendertag ſteht.
Ulpian will alſo eigentlich ſagen: er kann manumitti-
ren an ſeinem Geburtstage ſelbſt, und zwar gleich nach
deſſen Anbruch, das heißt nachdem die Mitternacht vor-
über iſt, die ihm vorhergeht. Er beſtimmt alſo für die
Manumiſſionsfähigkeit genau daſſelbe, welches oben für
den Ablauf der Uſucapion nachgewieſen worden iſt. Zur
Rechtfertigung dieſer Erklärung mögen folgende Bemer-
kungen dienen. Die Bedeutung der hora sexta noctis pri-
die Kal. Jan. iſt ſchon oben bey L. 7 de usurp. nachge-
wieſen worden. Der Unterſchied beider Stellen liegt nur
darin, daß L. 7 ſagt: hora sexta, und hinzu denkt exacta,
anſtatt daß es in unſrer L. 1 heißt: post sextam. Dieſer
Unterſchied iſt auch nicht ganz zufällig und bedeutungslos.
Denn von der Uſucapion kann man ſagen, daß genau der
Augenblick der Mitternacht ſie vollendet, und das Eigen-
thum giebt. Die Manumiſſion aber, als eine Handlung,
erfordert eine gewiſſe Zeit, und kann daher nicht in dem
Moment der Mitternacht, ſondern nur nach demſelben, ge-
ſchehen. Allein das iſt einleuchtend, daß die hora sexta
noctis pridie Kal. Jan. immer derſelbe Zeitraum bleibt,
es mag nun die Beziehung zu demſelben durch das hinzu-
gedachte exacta, oder durch ein vorangeſetztes post oder
auch ante ausgedrückt werden (o). — Das quasi comple-
[375]§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
verit drückt das Weſen der civilen Zeitrechnung aus, in-
dem eigentlich vor der Geburtsſtunde das zwanzigſte Jahr
noch nicht vollendet iſt. — Die Worte non enim majori etc.
wollen ſagen: wenn das Geſetz wörtlich einen major XX
annis, alſo die Überſchreitung dieſes Lebensjahres erfor-
derte, nicht die bloße Vollendung, ſo würde die Manu-
miſſion erſt am folgenden Tage (den 2. Januar) zuläſſig
ſeyn (§ 182); ſo ſpricht aber das Geſetz nicht. — Dies
supremus iſt derſelbe, welcher in L. 15 de div. temp.
praescr. der novissimus dies hieß (p), hier alſo der Ge-
burtstag.
Daß nach dieſer Erklärung, die auch ſchon von An-
deren gegeben iſt (q), die Manumiſſionsfähigkeit auf die-
ſelbe Weiſe berechnet wird, wie die Uſucapion, ſehe ich
als eine wichtige Beſtätigung derſelben an. Denn in bei-
den Rechtsinſtituten iſt die Rede von dem Erwerb eines
(o)
[376]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Rechts durch Ablauf eines Zeitraums, und die Gleichar-
tigkeit dieſer Rechtsänderung macht eine gleiche Behand-
lung nöthig, wenn nicht Willkühr und Inconſequenz vor-
ausgeſetzt werden ſoll (r).
Juſtinian hat dieſe Zwanzig Jahre auf Siebenzehen ge-
ſetzt, aber ohne die Art der Berechnung zu ändern (s).
Wenn ein Latinus eine Römiſche Bürgerin oder eine
Latina heurathete, und mit ihr ein Kind erzeugte, wel-
ches ein volles Jahr hindurch am Leben blieb, oder anni-
culus wurde, ſo ſollten alle dieſe Perſonen die Civität er-
halten (a). Geſetzt nun das Kind war um den Schluß
[377]§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
des erſten Jahres geſtorben, ſo kam es darauf an, genau
den Zeitpunkt des vollendeten Lebensjahres zu ermitteln,
weil es davon abhängen konnte, ob die Eltern jenes wich-
tige Vorrecht (das ihnen durch des Kindes Tod nicht ver-
loren gieng) erworben haben ſollten oder nicht. Darüber
nun ſagt Paulus in zwey Stellen Folgendes:
L. 132 pr. de V. S. (50. 16.). (Paul. lib. III. ad L. Jul.
et Pap.)
L. 134 de V. S. (50. 16.). (Paul. lib. II. ad L. Jul. et Pap.)
Anniculus amittitur, qui extremo anni die moritur:
et consuetudo loquendi id ita esse declarat, ante d.
X. Kal., post d. X. Kal.: neque utro enim sermone
undecim dies significantur.
Anniculus non statim ut natus est, sed trecente-
simo sexagesimo quinto die dicitur, incipiente plane
non exacto die: quia annum civiliter, non ad mo-
menta temporum, sed ad dies numeramus.
Die erſte Stelle erklärt ſich aus dem, was oben (§ 182)
über die Bedeutung des extremus dies geſagt worden iſt.
War alſo das Kind am 1. Januar geboren, ſo iſt der
folgende 1. Januar, das heißt ſein Geburtstag, der ex-
tremus dies des erſten Lebensjahres; wenn daher das Kind
in irgend einem Theil dieſes Tages ſtirbt, ſo iſt es als
(a)
[378]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
anniculus geſtorben, und die Eltern haben das in der L.
Aelia Sentia eingeführte Recht erworben (b). — Der hin-
zugefügte etwas dunkle Grund erklärt ſich aus dem, was
oben (§ 182. 183) über den Unterſchied der in einem Ge-
ſetz erforderten Überſchreitung oder Erfüllung eines Zeit-
raums geſagt worden iſt. Paulus will ſagen: Es würde
anders ſeyn, wenn das Geſetz einen anniculo major ge-
fordert hätte, dann müßte das Kind am 2. Januar ge-
ſtorben ſeyn um den Eltern das Recht zu verſchaffen, das
Geſetz fordert aber in der That nur einen anniculus, und
ein ſolcher iſt ſchon mit dem Anbruch des Geburtstags
vorhanden. Dieſen Satz ſucht er zu beſtätigen durch die
Analogie anderer Ausdrücke, die nach ihrem wörtlichen
Schein gleichfalls auf die Überſchreitung eines gewiſſen
Zeitraums gedeutet werden könnten, in der That aber nicht
ſo zu verſtehen ſind. Dieſer Theil der Stelle iſt ſchon
oben (§ 180. f) ausführlich erklärt worden.
Die zweyte Stelle ſagt, Anniculus heiße ein Kind nicht
gleich nach ſeiner Geburt, ſondern erſt am 365ſten Tag
ſeines Lebens, und zwar am Anfang, nicht am Ende die-
ſes Tages: denn das Jahr werde auf juriſtiſche Weiſe
gerechnet, das heißt blos nach ganzen Tagen, ohne Rück-
ſicht auf kleinere Zeittheile. — Daß der hier mit einer
Zahl bezeichnete Tag ein Kalendertag iſt, nicht ein beweg-
[379]§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
licher Tag, folgt nicht blos aus den oben (§ 182) ange-
gebenen allgemeinen Gründen, ſondern ganz unmittelbar
aus den Schlußworten, worin die Beachtung der momenta,
auf welcher das Weſen des beweglichen Tags beruht,
ausdrücklich verworfen wird. — Die Bedeutung der an-
gegebenen Zahl hängt davon ab, ob Paulus den Anfangs-
tag mitgezählt hat oder nicht; im erſten Fall läßt er das
Kind anniculus werden am 31. December, im zweyten am
1. Januar. Da wir nun die Wahl haben, die eine oder
die andere Zählungsart voraus zu ſetzen (§ 182), ſo müſ-
ſen wir uns für die zweyte entſcheiden, weil dadurch die
Stelle ſowohl mit der unmittelbar vorher erklärten, als
mit den Stellen über die Uſucapion und Manumiſſion in
Übereinſtimmung gebracht wird, anſtatt daß außerdem Al-
les unzuſammenhängend und widerſprechend bleiben würde.
Es folgt aber auch unmittelbar aus den Schlußworten,
welche den Grund der Entſcheidung darin ſetzen, daß ad
dies, nicht ad momenta, gerechnet werde; denn dieſer Grund
kann durchaus nur auf den Anfang des 1. Januars, nicht
auf den des 31. Decembers, zurückführen. — Nach der
aufgeſtellten Anſicht hätte Paulus, um ſeine Meynung aus-
zudrücken, eben ſowohl die andere Zählungsart anwenden,
alſo die Zahl 366 angeben können; er hatte aber einen
beſonderen Grund, dieſes hier nicht zu thun. Denn ſeit
Cäſars Reform des Kalenders wußte Jeder, auch der Un-
gelehrte, daß das Jahr 365 Tage habe; bey dem Aus-
druck anniculus kam alſo Jedem von ſelbſt dieſe Zahl von
[380]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Tagen in den Sinn. Nannte er nun die Zahl 366, ſo
entſtand ein wörtlicher, ſcheinbarer Widerſpruch zwiſchen
dieſer Zahl und dem Ausdruck anniculus, welcher erſt durch
eine künſtliche Erklärung aufgelöſt werden mußte; dieſen
Anſtoß verhütete die Zahl 365, und da ſie die Sache eben
ſo richtig ausdrückte (nämlich unter Vorausſetzung einer
andern Zählungsart), ſo war es räthlich, ihr den Vorzug
zu geben. — Der am Schluß der Stelle ausgedrückte
Grund der Entſcheidung führt noch einige Dunkelheit mit
ſich. An ſich waren drey Zeitpunkte denkbar: der Anfang
des 1. Januar (incipiente die), das momentum temporis
im Lauf deſſelben, und das Ende des Tages (exacto die).
Paulus nun entſcheidet für den Anfang des Tages, wo-
durch ſchon von ſelbſt die zwey anderen denkbaren Zeit-
punkte ausgeſchloſſen ſind; er verneint dann das exacto
die noch ausdrücklich, und bezeichnet endlich als Grund
die hier geltende Art der Zeitrechnung, welche blos auf
dies, nicht auf momenta achtet. Dieſer Grund paßt aller-
dings nicht auf die unmittelbar vorhergehende Worte non
exacto, ſondern auf das weiter entfernte incipiente, ſo
daß man ſich das non exacto, das eigentlich auch ganz
wegbleiben konnte, als blos parenthetiſch eingeſchoben den-
ken muß.
Das Weſentliche der hier gegebenen Erklärung iſt auch
ſchon anderwärts im Weſentlichen aufgeſtellt (c). Die
Meiſten nehmen hier, wie bey der Manumiſſion, den An-
[381]§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
fang des 31. Decembers an, und unter dieſen ſind Dieje-
nigen am Meiſten in Verlegenheit, welche für die Uſuca-
pion den Anfang des 1. Januars als Vollendung anſe-
hen (d). Eine beſondere Widerlegung derſelben liegt noch
in einer anderen Stelle des Paulus, worin gerade auch
bey der Uſucapion eines Sklavenkindes der Ausdruck an-
niculus gebraucht wird, um das Lebensalter des Kindes
auszudrücken, mit welchem die einjährige Uſucapion voll-
endet, und alſo die bis dahin geltende publiciana als ent-
behrlich geworden ausgeſchloſſen iſt (e): Publiciana actione
etiam de infante servo nondum anniculo uti possumus.
Durch die Bezeichnung beider Rechtsverhältniſſe mit dem-
ſelben Wort anniculus wird anerkannt, daß das Kind in
demſelben Zeitpunkt uſucapirt wird, worin es den Eltern
das Recht der L. Aelia Sentia erwirbt.
L. 5 qui test. (28. 1.). (Ulp. lib. VI. ad Sab.).
A qua aetate testamentum vel masculi vel feminae
facere possunt, videamus. Et verius est, in mascu-
lis quidem quartumdecimum annum spectandum, in
feminis vero duodecimum completum. Utrum autem
excessisse debeat quis quartumdecimum annum, ut
testamentum facere possit, an sufficit complesse?
[382]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Propone aliquem Kalendis Januariis natum testamen-
tum ipso natali suo fecisse quartodecimo anno, an
valeat testamentum? Dico valere. Plus arbitror,
etiamsi pridie Kalendarum fecerit post sextam ho-
ram noctis, valere testamentum: jam enim complesse
videtur annum quartumdecimum, ut Marciano videtur.
Der Gang des Gedankens iſt folgender. Iſt die Über-
ſchreitung des vierzehenten Lebensjahres nöthig, oder die
bloße Vollendung (f)? Das heißt, muß der am 1. Januar
Geborene, um ein Teſtament zu machen, den 2. Januar
abwarten, oder kann er es ſchon am 1. Januar, alſo am
Geburtstag ſelbſt? Auch dieſes Letzte iſt gültig. Aber
noch mehr: nicht blos der 2. Januar braucht nicht abge-
wartet zu werden, ſondern auch nicht einmal innerhalb
des Geburtstags die Geburtsſtunde; vielmehr iſt zuläſſig
die Abfaſſung des Teſtaments vom Anbruch des 1. Ja-
nuars an. Wenn er alſo am 31. December die Nacht
abwartet, und zwar die ſechſte Stunde dieſer Nacht, ſo
[383]§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
kann er zwar im Lauf derſelben noch kein Teſtament ma-
chen, wohl aber iſt es unmittelbar nach ihrem Ablauf
(post sextam) gültig, alſo gleich nach der Mitternacht,
die den 31. December vom 1. Januar ſcheidet, oder mit
anderen Worten, gleich im Anfang des 1. Januars (g).
Dieſe Stelle nun hat mehr als alle andere die Mey-
nung veranlaßt, daß die Civilcomputation auf den An-
fang des vorhergehenden Tages zurück gehe, ja man kann
annehmen, daß ohne ſie ſchwerlich eine ſolche Meynung
jemals entſtanden ſeyn würde. Auch iſt nicht zu läugnen,
daß dieſe Meynung mit vielem Schein aus unſrer Stelle
hergeleitet werden kann, wozu beſonders zwey Umſtände
zuſammen wirken. Erſtlich das voran ſtehende pridie, wel-
ches ſogleich die Vorſtellung erzeugt, jede folgende Zeitbe-
ſtimmung, alſo auch die gültige Abfaſſung des Teſtaments,
müſſe ganz in den Zeitraum des 31. Decembers fallen.
Zweytens das plus arbitror, welches leicht zu folgender
Stufenfolge führt: nicht blos der 2. Januar iſt nicht nö-
thig, ſondern ſelbſt nicht der 1. Januar, indem ſchon der
31. December hinreicht. Für das plus arbitror iſt jedoch
ſchon oben eine andere, eben ſo natürliche, Erklärung ge-
geben worden (h). Aber auch für das voran geſetzte pridie
[384]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
läßt ſich folgende ungezwungene Entwicklung des Gedan-
kens annehmen. Niemand erhebt ſich um Mitternacht, um
den nun folgenden Tag anzufangen, wohl aber iſt Nichts
gewöhnlicher, als daß die Thätigkeit eines Tages bis weit
in die Nacht, und über deren Mitte hinaus, fortgeſetzt
werde (§ 183. i). Im vorliegenden Fall nun wird ein
Vierzehenjähriger gedacht, der Beweggründe hat, mit der
Abfaſſung eines Teſtaments ſo viel als möglich zu eilen.
Natürlich wird er dazu alle Anſtalten ſchon vorher ma-
chen, um keine Zeit zu verſäumen. Er wird alſo ſchon
am 31. December (pridie) die Fünf Zeugen, den Libripens
und den Emtor bey ſich verſammeln, die Urkunde, nebſt
der Wage und dem Erz bereit halten, und ſo wie die
Mitternacht vorüber iſt (post sextam h. n.) wird er au-
genblicklich die Formalität vollziehen, wozu ja eine ſehr
kurze Zeit hinreicht. Das pridie iſt alſo voran geſtellt,
um uns den natürlichen Hergang der Begebenheit deutlich
vor Augen zu bringen.
Dieſe Bemerkungen ſollten mehr dazu dienen, die
Gründe der Gegner zu entkräften, als die eigene Mey-
nung poſitiv zu begründen. Für dieſe Begründung aber
(h)
[385]§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
muß ich zuerſt wieder geltend machen die große Unwahr-
ſcheinlichkeit, daß die ganze Frage ſollte anders behandelt
worden ſeyn bey den Teſtamenten als bey der Uſucapion,
der Manumiſſion, und dem anniculus(i). Das Gewicht
dieſes Grundes wird verſtärkt durch den Umſtand, daß
Ulpian hier augenſcheinlich von demſelben Gegenſatz der
Überſchreitung und der bloßen Vollendung ausgeht, der
auch in mehreren der vorher erklärten Stellen zum Grunde
lag, und der alſo hier völlig gleiche Reſultate, nicht, wie
manche Gegner wollen, verſchiedene, erwarten läßt. Für
noch entſcheidender aber halte ich endlich folgenden Um-
ſtand. Derſelbe Ulpian bedient ſich in drey Stellen fol-
gender Ausdrücke:
hora sexta noctis pridie Kal. Jan. (Uſucapion.)
post (horam) sextam noctis pridie Kal. (Manumiſſion.)
pridie Kal. .. post sextam horam noctis (Teſtament.)
Iſt es nun wohl denkbar, daß derſelbe Schriftſteller
ſo ganz ähnlich lautende Ausdrücke, blos mit veränderter
Wortfolge, gebraucht haben ſollte, um ganz verſchiedene
Begriffe zu bezeichnen, hier wo die Verwechslung ſo nahe
lag, daß ihm die Gefahr derſelben unmöglich entgehen
konnte, und wo er alſo dringende Veranlaſſung hatte, den
Gegenſatz, wenn ein ſolcher in ſeinem Gedanken lag, ſo
ſcharf als möglich hervor zu heben?
Was nun noch zu bemerken übrig bleibt, iſt von ge-
ringerer Bedeutung. Die Worte: plus arbitror, und: ut
Marciano videtur, haben Viele zu der Annahme verleitet,
es müſſe entweder Streit unter den alten Juriſten gewe-
ſen ſeyn, oder Ulpian müſſe durch neue Erfindung eine
Änderung in dieſe Berechnung gebracht haben. Offenbar
finden ſie es unwahrſcheinlich, wenn nur eine und dieſelbe
Civilcomputation (ſo wie ich es annehme) in allen ange-
führten Stellen enthalten wäre, daß davon Ulpian ſo zwei-
felnd rede, und eine ältere Autorität für ſeine Meynung
anzuführen nöthig finde. Sie finden es alſo unbegreiflich,
daß Ulpian viel Umſtände machen ſollte mit einem Rechts-
begriff, der ja in allen unſren Compendien ſteht, und je-
dem Zuhörer in den Pandekten, vielen ſchon in den In-
ſtitutionen, vorgetragen wird. Sie vergeſſen dabey, daß
die Römer auf andere Weiſe als wir zu ihrer Rechts-
kenntniß zu kommen pflegten, und daß ſich namentlich bey
ihnen niemals eine ſolche traditionelle Maſſe von Defini-
tionen, Diſtinctionen, und anderem theoretiſchen Apparat,
wie bey uns, anhäufen und fortpflanzen konnte. Der Fall
von dem Teſtament eines genau Vierzehenjährigen war
vielleicht niemals, vielleicht nur höchſt ſelten vorgekommen,
und etwa gerade einmal von Marcian zufällig erwähnt
worden. Die Lehre von der Civilcomputation ſtand in
dieſer abſtracten Geſtalt, alle verſchiedene Fälle umfaſſend,
vielleicht in keinem einzigen juriſtiſchen Buch, und es wa-
ren nur gelegentlich die einzelnen Anwendungen derſelben,
[387]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung (Fortſetzung.)
jede an ihrem beſonderen Orte, erwähnt worden. Wenn
man dieſe Lage der Sache unbefangen erwägt, ſo wird
man die dem Ulpian hier zugeſchriebene Auffaſſung und
Ausdrucksweiſe wohl nicht mehr auffallend und unwahr-
ſcheinlich finden.
Faſſen wir das Reſultat der bisherigen Unterſuchung
zuſammen, ſo geht es dahin. In vier verſchiedenen Rechts-
verhältniſſen werden Rechte erworben in Folge eines ab-
gelaufenen Zeitraums, und in allen dieſen Fällen iſt der
Erwerb vollendet mit dem Eintritt der dem mathemati-
ſchen Endpunkt vorhergehenden Mitternacht. Daraus kön-
nen wir eine allgemeine Regel bilden, anwendbar auf je-
den an einen Zeitlauf geknüpften Rechtserwerb. Es kann
auch kein Unterſchied gemacht werden, ob von einer fort-
geſetzten perſönlichen Thätigkeit, oder von einem willenlo-
ſen Zuſtand die Rede iſt; denn in dem erſten jener vier
Fälle iſt eine Thätigkeit als Inhalt des Zeitlaufs gemeynt
(Beſitz), in den drey anderen Fällen ein von dem Willen
unabhängiger Zuſtand (Lebensdauer).
Ich gehe jetzt über zur Betrachtung ſolcher Fälle,
worin durch fortgeſetzte Unthätigkeit, alſo durch Verſaͤum-
niß, ein Recht verloren wird. Hier war nach allgemei-
25*
[388]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nen Anſichten der juriſtiſche Endpunkt auf die dem mathe-
matiſchen Endpunkt nachfolgende Mitternacht geſetzt
worden (§ 182). Dadurch wird der Zeitraum, in Ver-
gleichung mit dem ſtreng (ad momenta) berechneten etwas
erweitert, und der Unthätige erhält dadurch auf ſeiner
Seite einen kleinen Gewinn (a), in ähnlicher Weiſe wie
bey der Uſucapion der Beſitzer Etwas an Zeit gewann.
Indeſſen iſt zu bemerken, daß in den Fällen des Verluſtes
dieſer Gewinn aus natürlichen Gründen noch geringer iſt,
als bey dem Erwerb, ja in vielen Fällen ganz verſchwin-
det, wodurch hier die Zulaſſung dieſer bequemen Berech-
nungsart noch unbedenklicher wird. Denn wenn z. B. eine
Klagverjährung, ſtreng berechnet, am Mittag eines Ta-
ges ablaufen würde, ſo wird zwar durch unſere Regel
die zuläſſige Anſtellung der Klage bis zur folgenden Mit-
ternacht ausgedehnt, allein von dieſem Vortheil kann doch
nur auf beſchränkte Weiſe wirklicher Gebrauch gemacht
werden: bey den Römern nur ſo lange der Prätor auf
dem Forum verweilte, bey uns nur ſo lange eine Kanzley
offen iſt, in welcher der Klaglibell übergeben werden kann.
Die hier vorgetragene Lehre iſt ſchon von Mehreren
vertheidigt worden (b). Andere haben in dieſen Fällen
[389]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
auf den Anfang des letzten Tages zurück gehen wol-
len (c); noch Andere nehmen hier die Rechnung ad momenta
an (d). Dieſe letzte Meynung hat am wenigſten Veran-
laſſung in den Ausſprüchen der alten Juriſten; ſie gründet
ſich ohne Zweifel nur auf die oben (§ 182) gerügte will-
kührliche Bildung der Begriffe und Kunſtausdrücke; denn
indem man davon ausgieng, daß es nur zweyerley com-
putatio gebe, eine civilis, welche den ſtreng berechneten
Zeitraum verkürzt, und eine naturalis, welche ihn unver-
ändert läßt, ſo konnte man eine Ausdehnung deſſelben
überhaupt nicht zulaſſen, und ſo führte die unkritiſch an-
genommene Terminologie unvermerkt zu einem Irrthum in
der Sache ſelbſt.
Doch der Beweis der aufgeſtellten Behauptung, und
die Widerlegung der entgegen ſtehenden, beruht auch hier
auf der Erklärung der Stellen, welche von dem Verluſt
durch Verſäumniß, und der dabey geltenden Zeitrechnung,
handeln. Dieſe Stellen beziehen ſich auf vier verſchiedene
Fälle: die Klagverjährung, einen ungenannten Fall, die
Anklage wegen Ehebruch, und den Erwerb der Bonorum
possessio.
L. 6 de O. et A. (44. 7.). (Paul. lib. VII. ad Sab.). In
[390]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
omnibus temporalibus actionibus, nisi novissimus to-
tus dies compleatur, non finit obligationem (Vulg.
non finitur obligatio).
Daß novissimus dies der Kalendertag iſt, in welchen
der mathematiſche Endpunkt fällt, iſt oben gezeigt worden.
Dieſes nun vorausgeſetzt, ſagt die Stelle unzweifelhaft,
die Obligation ſey erſt dann (per exceptionem) aufgeho-
ben, wenn der erwähnte Kalendertag ganz abgelaufen ſey,
daß heißt bis zu dieſer Zeit könne ſtets die Klage ange-
ſtellt werden, ohne Rückſicht auf das momentum tempo-
ris, welches genau dem Anfang des Klagrechts entſpricht.
Schon die Wortfaſſung zeigt, daß Paulus einen denkbaren
früheren Ablauf der Klagverjährung ausſchließen will;
dieſes iſt nun ſowohl der Anfang des Kalendertags, als
das momentum temporis, an welches letzte wohl zunächſt
und hauptſächlich gedacht ſeyn mag (e). Zwey Einwen-
dungen ſind gegen dieſe Erklärung vorgebracht worden (f).
Erſtlich ſoll in den Worten totus dies compleatur ein un-
geſchickter Pleonaſmus liegen. Zweytens ſoll es widerſin-
nig ſeyn, den ſtreng berechneten Zeitraum ſogar noch aus-
dehnen zu wollen. Der Pleonaſmus iſt in der That nicht
vorhanden, denn auch bey der Rechnung ad momentum
kann man ſagen: completur dies usque ad momentum, und
dagegen bildet das totus completur einen präciſen und
[391]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
gar nicht müßigen Gegenſatz. Beſonders aber iſt hierüber
gar nicht zu ſtreiten, da in einer anderen Stelle Ulpian
geradezu ſagt: minorem annis XVII., qui eos non in to-
tum complevit(g). Der Ausdruck nun, welchen hier Ul-
pian gut genug findet, wird wohl auch für Paulus nicht
zu ſchlecht ſeyn. — Was aber die zweyte Einwendung be-
trifft, ſo kann der Widerſinn nur von Dem behauptet wer-
den, der ſich zuvor einen willkührlichen Begriff von civilis
computatio als einer Abkürzung des natürlichen Zeit-
raums gebildet hat, und ſo zerfällt denn auch dieſer Ein-
wurf in Nichts.
Diejenigen, welche die Stelle richtig erklären, wollen
die Regel doch nur bey der Verjährung perſönlicher Kla-
gen gelten laſſen, nicht bey der longi temporis praescriptio
gegen die Eigenthumsklage (h). Daß Paulus zunächſt an
jene dachte, iſt wegen der am Schluß erwähnten obligatio
unverkennbar. Dennoch iſt der Ausdruck temporales actio-
nes ſo allgemein, daß er auch die in rem actiones mit
umfaßt, auch liegt in dem Verhältniß der l. t. praescrip-
tio zur Uſucapion kein Hinderniß, beide auf verſchiedene
Weiſe zu berechnen. Ein praktiſcher Widerſpruch kann
daraus nicht erfolgen, da beide Rechtsinſtitute nie in einem
und demſelben Fall zuſammen treffen können: denn wo die
Uſucapion wirklich begründet iſt, wird dadurch ſtets die
l. t. praescriptio abſorbirt, ſo daß dieſe letzte zu allen
[392]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Zeiten nur als Surrogat der Uſucapion, wo deren Bedin-
gungen fehlten, eintreten konnte.
L. 101 de R. J. (50. 17.). (Paul. lib. sing. de cogni-
tionibus). Ubi lex duorum mensum facit mentionem,
et qui sexagesimo et primo die venerit audiendus
est: ita enim et Imp. Antoninus cum Divo patre
(vulg. fratre) suo rescripsit.
Wie die Stelle hier lautet, enthält ſie eine allgemeine
Interpretationsregel für alle Geſetze, vergangene und künf-
tige, die etwa eine juriſtiſche Handlung an die Beobach-
tung einer Zeit von duo menses, und zwar genan mit
Anwendung dieſes Ausdrucks (facit mentionem), binden
möchten. Niemand wird im Ernſt behaupten wollen, daß
Paulus eine ſolche abſtracte Regel aufgeſtellt habe, beſon-
ders über Volksſchlüſſe, die ja ſchon längſt, als wirkliche
Mittel zur Fortbildung des Rechts, nicht mehr gebraucht
wurden. Es wäre alſo eine Anweiſung geweſen, wie man
ſolche alte leges, in denen etwa der Ausdruck duo menses
vorkam, verſtehen und anwenden möge; dieſe aber iſt nicht
nur an ſich ſelbſt unwahrſcheinlich, ſondern vollends in
einem ganz praktiſchen Werk, dem liber sing. de cogni-
tionibus, wahrſcheinlich einer Sammlung merkwürdiger
Entſcheidungen des kaiſerlichen Gerichtshofs. In den Di-
geſten allerdings hat die Stelle jene abſtracte Bedeutung,
und zwar nun gar nicht mehr in beſonderer Beziehung auf
[393]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
Volksſchlüſſe; davon wird auch noch unten Gebrauch ge-
macht werden. Paulus aber ſprach ohne allen Zweifel
von einer einzelnen Stelle einer beſtimmten Lex, die er
vorher angeführt haben muß; dieſe nun müſſen wir aus-
zufinden ſuchen. Man könnte denken an die 60 Tage in
manchen Fällen der ädiliciſchen Klagen; allein das Edict
der Ädilen konnte unmöglich eine Lex genannt werden.
Oder an die 60 Tage in der Lex Julia de adulteriis;
allein hier war der Ausdruck sexaginta dies gebraucht
(§ 186. a.), und die Lex, die Paulus vor ſich hatte, ent-
hielt gerade den Ausdruck duo menses (facit mentionem).
Oder an die duo menses, durch deren Ablauf eine nicht
ſchriftlich geleiſtete Bürgſchaft ihre Kraft verlor; allein
Dieſes war wiederum nicht in einer Lex, ſondern in dem
Edict eines Präfectus Prätorio vorgeſchrieben (i), und
wahrſcheinlich erſt nach dem Zeitalter des Paulus. Eben
ſo gründeten ſich die zwey Monate bey dem Verkauf der
Emphyteuſe, bey der Compenſation gegen den Fiſcus
(§ 181. l. m.), und bey dem Verkauf einer vom Richter
abgepfändeten Sache (k), gewiß nicht auf Volksſchlüſſe.
Sehr wahrſcheinlich ſprach Paulus von der Regel, nach
welcher Jeder, der zu einem ſtädtiſchen Amt gewählt war,
und dagegen reclamiren wollte, dieſes nothwendig intra
duos menses thun mußte. Hier kam in der That der
Ausdruck duo menses in demjenigen Stück der alten Rechts-
[394]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
quellen vor, worin die Regel ſelbſt enthalten war (l); daß
dieſes gerade eine Lex war, kein Edict oder Senatuscon-
ſult, wird zwar nicht dabey bemerkt, es läßt ſich aber
mit großer Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß es die Lex
Julia municipalis war, dieſe allgemeine Städteordnung für
alle Römiſche Bürgergemeinden (m). Zu dem Werk des
Paulus de cognitionibus, woraus die Digeſtenſtelle genom-
men iſt, paßt dieſe Vorausſetzung vollkommen, denn faſt
alle andere Stellen, die wir aus demſelben Werk in den
Digeſten haben, handeln gleichfalls von Excuſationen, theils
von der Tutel (n), theils ſogar geradezu von ſtädtiſchen
Laſten (o), worauf die aufgeſtellte Vermuthung auch unſere
Stelle bezieht. So können wir alſo mit vieler Wahr-
ſcheinlichkeit den urſprünglichen Sinn der Stelle in fol-
genden Worten angeben:
Die Vorſchrift der Lex (Julia), durch welche die Recla-
[395]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
mationen gegen ſtädtiſche Wahlen an die Friſt von duo
menses gebunden werden, iſt ſo anzuwenden, daß auch
die am 61 ten Tage erhobene Reclamation noch ange-
nommen werden muß(p).
Unter dem dies dieſer Stelle iſt, nach den oben (§ 182)
dargelegten Gründen, ein Kalendertag zu verſtehen. Den
größten Anſtoß aber erregte von jeher ſehr natürlich die
Zahl 61, die weder mit der gewöhnlichen Berechnung des
Monats zu 30 Tagen vereinbar ſchien, noch mit der an-
derwärts vorkommenden Beſtimmung, daß die Anklage
wegen Ehebruchs nothwendig am ſechzigſten Tage erhoben
werden müſſe (q). Die Meiſten nahmen von jeher an, es
werde hier aus beſonderer Milde ein Tag zugegeben, und
da doch die Stelle ſo allgemein gefaßt, und mit der Vor-
ſchrift über den Ehebruch ſchwer vereinbar war, ſo wurde
hinzugefügt, die Milde gelte nur da, wo menses, nicht
wo dies in einem Geſetz erwähnt würden (r). Daß dieſe,
[396]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
auf eben ſo blinde, als kleinliche, Willkühr hinführende,
Anſicht widerlegt werde, wird wohl Niemand verlangen.
— Andere haben die Stelle daraus erklärt, daß die Mo-
nate von verſchiedener Länge ſind, ſo daß 61 Tage für
zwey Monate als eine Art von mittlerem Durchſchnitt
gelten können (s). Dieſe Annahme paßt jedoch nicht zu
den vielen anderen Stellen, die den Monat beſtimmt zu
30 Tagen angeben, und würde daher ganz vereinzelt in
der angeführten Stelle erſcheinen, wodurch ſie die höchſte
Wahrſcheinlichkeit gegen ſich hat. — Endlich hat man auch
geſucht, durch Emendation des Textes zu helfen, indem
das primo weggelaſſen und blos sexagesimo geleſen wer-
den ſollte. Dieſem Verſuch aber widerſpricht eine ſo voll-
ſtändige Übereinſtimmung der Handſchriften und alten Aus-
gaben, wie ſie ſich ſonſt bey ſchwierigen Stellen nur ſelten
findet (t); ja ſelbſt wenn die Handſchriften ſchwankend
(r)
[397]§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
wären, müßte die ſchwerere Leſeart 61 der leichteren 60
vorgezogen werden, da wohl zu begreifen iſt, wie ein an-
maßender Abſchreiber das ſchwere 61 in das leichtere 60
verwandeln konnte, nicht aber das Umgekehrte.
Um nun zur eigentlichen Löſung der Schwierigkeit zu
gelangen, müſſen wir zuerſt erwägen, daß Paulus augen-
ſcheinlich die Abſicht hat, eine größere Ausdehnung des
Zeitraums geltend zu machen im Gegenſatz irgend einer
kleineren, an die man auch wohl denken könnte (u). —
Den dies müſſen wir, nach dem was ſchon öfter darüber
bemerkt worden iſt, durchaus für einen Kalendertag hal-
ten. — Bey Erklärung der Zahl haben wir die Wahl,
die eine oder die andere Zählungsweiſe voraus zu ſetzen.
Ich nehme nun an, Paulus hat hier den erſten Tag, das
heißt den Tag an welchem der erwählte Duumvir die auf
ihn gefallene Wahl erfahren hatte, mitgezählt; dann iſt
der 61 te Kalendertag der novissimus, das heißt der, in
welchen das momentum temporis fällt; wenn nun Paulus
an dieſem Tage die Reclamation ohne alle Einſchränkung
zuläßt, ſo liegt darin die Zulaſſung bis zur Mitternacht,
und er ſagt dann für die Berechnung dieſer Reclamations-
friſt genau daſſelbe, was er in der L. 6 de O. et A. für
die Berechnung der Klagverjährungen geſagt hatte (v). —
(t)
[398]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Daß nun Paulus die hier vorausgeſetzte Zählungsweiſe
anwendete, erklärt ſich ſchon daraus, daß dieſe überhaupt
die üblichere geweſen zu ſeyn ſcheint; daß er aber hier
anders zählte, als in der L. 134 de V. S. (§ 184), be-
darf noch einer beſonderen Erklärung. In dieſer letzten
Stelle ſprach er vom anniculus, und da Jeder wußte,
daß annus genau ſo viel heiße, als 365 Tage, ſo konnte
es auf den erſten Blick Anſtoß erregen, wenn daneben die
Zahl 366 angegeben wurde. Dieſen Anſtoß zu vermeiden,
zog Paulus die auch zuläſſige Zählungsweiſe vor, welche
den Anfangstag nicht mit rechnet; ein ſolcher Anſtoß war
aber in unſrer Stelle nicht zu befürchten. Zwar könnte
man einwenden, mensis bedeute ja auch eine Zeit von
30 Tagen, alſo duo menses 60 Tage; allein Dieſes war
doch nur eine als Nothhülfe angenommene juriſtiſche Fic-
tion, in der Wirklichkeit hatten die Monate verſchiedenen
Umfang, und daher iſt mensis gar nicht ſo wie annus
(v)
[399]§ 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
dazu geeignet, ſchon durch den bloßen Wortlaut die Vor-
ſtellung einer beſtimmten Zahl von Tagen in jedem Leſer
unmittelbar zu erregen. — Das Reſultat alſo iſt dieſes.
Paulus will gar nicht etwa die Länge der Monate be-
ſtimmen, dieſe ſetzt er vielmehr als bekannt voraus; er
will den Satz ausdrücken, daß derjenige, dem eine Friſt
zum Handeln vorgeſchrieben ſey, den ganzen letzten Tag
zum Handeln frey habe, alſo nicht etwa von dem momen-
tum temporis, oder gar ſchon von dem Anfang des Tages
an, die Befugniß zum Handeln verloren habe. Dieſer
Satz aber wird erſt recht wichtig durch die abſtracte Ge-
ſtalt, worin wir die Stelle in den Digeſten leſen, indem
ſie hier gar nicht mehr (wie in ihrer urſprünglichen Ge-
ſtalt) auf ein einzelnes Rechtsverhältniß, ſondern auf vor-
geſchriebene Friſten und Verſäumniſſe überhaupt geht.
Denn das wird wohl kein Unbefangner behaupten wollen,
daß die hier als Inhalt der Stelle entwickelte Regel auf
zweymonatliche Friſten beſchränkt ſey, und auf Friſten von
anderem Umfang keine Anwendung finde.
L. 30 § 1 ad L. J. de adult. (48. 5.). (Paul. lib. 1.
de adulteriis). Sexaginta dies a divortio numerantur:
in diebus autem sexaginta et ipse sexagesimus est.
Die Lex Julia de adulteriis hatte dem Ehemann und
dem Vater der Ehebrecherin das Recht gegeben, eine Zeit
lang mit Ausſchließung aller Fremden die Anklage zu er-
heben, nach Ablauf derſelben ſollten auch Fremde klagen
können. Dieſe Zeit war wörtlich auf sexaginta dies feſt-
geſtellt (a), und nun ſagt Paulus in unſrer Stelle, auch
der sexagesimus ſelbſt ſey in den sexaginta mit enthalten.
Damit will er offenbar Denjenigen widerſprechen, die etwa
an dem sexagesimus nicht mehr jenes Vorrecht zulaſſen
möchten. Daß er einen Kalendertag meynt, kann nach
den oben angegebenen Gründen nicht bezweifelt werden;
wollte man gerade bey dieſer Stelle an einen beweglichen
Tag denken, ſo hätte ſie den unerträglich trivialen Sinn:
unter den geſtatteten 60 Tagen ſind nicht etwa nur 59 zu
verſtehen. — Welchen Tag meynt nun aber Paulus? So
ſonderbar dieſes auf den erſten Blick ſcheinen mag, muß
ich dennoch behaupten, daß er auch hier wieder den no-
vissimus dies meynt, alſo genau denſelben, welchen er in
L. 101 de R. J. sexagesimus et primus nannte; dort hatte
er nämlich den erſten Tag mitgezählt, hier zählt er ihn
nicht mit. Hier aber ſo zu zählen, hatte er einen guten
Grund in dem Ausdruck der Lex, welcher geradezu auf
sexaginta dies lautete, und mit welchem er einen wört-
lichen Widerſpruch in ſeiner Bezeichnung des novissimus
[401]§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
dies vermeiden wollte; es war alſo derſelbe Grund, der
ihn beſtimmte, in der Stelle über den anniculus (§ 184)
eben ſo zu zählen. Auch hätte es in der That allzu ſon-
derbar gelautet, wenn er hätte ſagen wollen: in diebus
sexaginta et ipse sexagesimus et primus est. Nimmt man
dieſe, wie ich glaube ſehr natürliche, Vereinigung unſrer
Stelle mit L. 101 de R. J. nicht an, ſo daß ein weſent-
licher Unterſchied in der Beurtheilung der beiden Fälle
übrig bleiben müßte, ſo iſt es unmöglich, eine irgend be-
friedigende Erklärung dieſes Unterſchieds zu finden; man
verliert ſich dann unvermeidlich in die Annahme einer ge-
dankenloſen, inconſequenten Willkühr, die durch eine an-
gebliche Milde u. ſ. w. nur ſchlecht verhüllt wird.
Im prätoriſchen Edict waren kurze Friſten gegeben, in
welchen die Bonorum possessio von dem Prätor erbeten
werden mußte; den Aſcendenten und Deſcendenten Ein
Jahr, den Seitenverwandten und Nichtverwandten Hun-
dert Tage; der Ausdruck des Edicts war intra annum,
intra centum dies(b). Wenn nun der Berufene am
IV. 26
[402]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Schluß dieſer Friſt erſchien, ſo konnte es zweifelhaft ſchei-
nen, ob er dieſelbe gewahrt habe. Darauf bezieht ſich
folgende Stelle.
L. 1 § 9 de succ. ed. (38. 9.). (Ulp. lib. 49 ad Ed.).
Quod discimus, intra dies centum bonorum posses-
sionem peti posse, ita intelligendum est, ut et ipso
die centesimo bonorum possessio peti possit: quem-
admodum intra Kalendas etiam ipsae Kalendae sint.
Idem est, et si in diebus centum dicatur.
Dieſe Stelle hat die größte Ähnlichkeit mit der vorher-
gehenden (L. 30 ad L. J. de adult.), ſo daß faſt blos auf
deren genauere Erklärung verwieſen zu werden braucht.
Auch hier will der Juriſt einer denkbaren kürzeren Beendi-
gung der Friſt widerſprechen. Er zählt auch hier ſo, daß
er den Tag, an welchem der Berufene die angefallene Bo-
norum possessio erfahren hat, nicht mitzählt, und er
nennt deswegen centesimus den Tag, den er auch novis-
simus oder centesimus et primus hätte nennen können.
Er wählt dieſe Zählung und überhaupt die Zahlbezeich-
nung, um den Zuſammenhang ſeines Ausſpruchs mit den
Worten des Edicts (intra dies centum) unmittelbar an-
ſchaulich zu machen, und um nicht in einen ſcheinbaren
Widerſpruch mit dieſen Worten zu gerathen. Indem er
nun ſagt, der novissimus (oder centesimus) diesgehöre
noch zu der geſtatteten Friſt, ſo heißt das (da es unbe-
ſchränkt geſagt iſt) von ſelbſt ſo viel, als: dieſer ganze
Tag, bis zur Mitternacht, gehört dazu, ſo daß dieſe Stelle
[403]§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinſtimmt.
Ihr eigenthümlich iſt noch ein Einwurf, dem hier Ulpian
zu begegnen nöthig findet. Das intra dies centum, ſagt
er, dürfe nicht ſo verſtanden werden, als ob die verſtattete
Zeit weniger betrage als 100 Tage, ſo daß etwa ſchon
mit dem vorletzten Tage die Friſt abliefe; es heiße viel-
mehr, daß ſie bis an die Gränze (und zwar die juriſtiſch be-
rechnete) Gränze derſelben fortgehe. Dieſes beſtätigt er noch
durch die Analogie von intra Kalendas, welches auch nicht
heiße: dieſſeits der Kalenden (alſo nur bis zu pridie), ſon-
dern mit Einſchluß der ganzen Kalenden ſelbſt, bis zu de-
ren völligem Ablauf.
Es muß hier noch eine gemeinſchaftliche Bemerkung
über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen,
hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr-
lich abwechſelnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten
der Roͤmiſchen Juriſten ſey durch ihre Zweydeutigkeit un-
vorſichtig geweſen, und eben darum könne ſie nicht mit
Wahrſcheinlichkeit vorausgeſetzt werden. Dieſe Einwen-
dung würde Grund haben, wenn den Verfaſſern der Stelle
die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenſtand
des Zweifels und der Entſcheidung vorgeſchwebt hätte,
wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu beſtimmen,
ob gerade dieſer Tag, oder etwa der vorhergehende oder
nachfolgende, die Friſt endige. Dieſes aber ſtand gar
nicht in Frage; ſie ſetzen überall als gewiß und bekannt
voraus, daß ſtets nur von dem novissimus dies die Rede
26*
[404]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſeyn könne, und ſie finden nur nöthig, nach Verſchiedenheit
der Fälle zu beſtimmen, ob deſſen Anfang, oder deſſen
Ende, oder das zwiſchen beiden Zeitpunkten liegende mo-
mentum temporis, als juriſtiſcher Endpunkt der ganzen
Friſt zu betrachten ſey. Daher durften ſie ſich erlauben,
in der Bezeichnung jenes bekannten und gewiſſen Tages
minder ſorgfältig zu verfahren, und dabey in jedem ein-
zelnen Fall diejenigen Ausdrücke zu wählen, die ſich recht
anſchaulich an die Worte der Lex oder des Edicts an-
ſchloſſen, worin gerade die Friſt beſtimmt worden war.
Nach den Vier zuletzt erklärten Stellen (§ 185. 186.)
iſt in ſolchen Fällen, worin ein Recht durch Verſäumniß
einer Friſt verloren werden kann, als juriſtiſcher Endpunkt
diejenige Mitternacht anzuſehen, welche auf das momen-
tum temporis folgt. Hieraus eine allgemeine Regel zu
bilden für alle Fälle, worin durch verſäumte Friſt ein
Recht verloren werden kann, ſind wir um ſo mehr berech-
tigt, als die eine der erklärten Stellen (L. 101 de R. J.)
in den Juſtinianiſchen Digeſten gar nicht auf ein einzelnes
Rechtsverhältniß bezogen wird, ſondern vielmehr die Na-
tur eines allgemeinen Grundſatzes für alle Fälle der hier
bezeichneten Art angenommen hat.
Ganz anders, als alle bisher betrachtete Fälle, wird
die Minderjährigkeit behandelt, inſofern dieſelbe Grund
einer Reſtitution iſt. Wenn nämlich ein Minderjähriger
an dem Geburtstage, an welchem er 25 Jahre alt wird,
ein Geſchäft vornimmt, und nun die Frage entſteht, ob
er dagegen zu reſtituiren ſey, dann ſoll weder auf den
Anfang des Tages geſehen werden (wie bey der Uſuca-
pion), noch auf deſſen Ende (wie bey der Klagverjährung),
ſondern auf das momentum temporis, das heißt auf die-
jenige Tageszeit, welche dem genau ermittelten Zeitpunkt
ſeiner Geburt entſpricht. Die merkwürdige Stelle, welche
dieſen Ausſpruch auf ganz unzweifelhafte Weiſe enthält,
iſt folgende.
L. 3 § 3 de minor. (4. 4.). (Ulpian. lib. XI. ad Ed.)
Minorem autem XXV. annis natu, videndum, an etiam
die(a)natalis sui adhuc dicimus, ante horam qua
natus est, ut si captus sit restituatur: et, cum non-
[406]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dum compleverit, ita dicendum, ut a momento in
momentum tempus spectetur.
Bey dieſer Stelle kann kein Zweifel über den Sinn
ſeyn; ſchwieriger iſt es den Grund dieſer Entſcheidung zu
finden, welcher zugleich Aufſchluß über das Verhältniß
derſelben zu den bisher dargeſtellten abweichenden Regeln
geben muß. Man könnte zuerſt geneigt ſeyn, den Ablaut
der Minderjährigkeit als eine Rechtserwerbung anzuſehen,
indem der Volljährige fähig wird, Verträge mit voller
Sicherheit für den Gegner zu ſchließen, anſtatt daß ihm
dieſer ſolche Verträge vielleicht verweigern wird, ſo lange
die Minderjährigkeit die Gefahr künftiger Reſtitution mit
ſich führt. Von dieſem Standpunkt aus betrachtet ſtände
die Volljährigkeit auf gleicher Linie mit der Uſucapion
und der Teſtamentsmündigkeit, nach deren Analogie die
vorhergehende Mitternacht als Gränzpunkt gelten müßte,
wodurch alſo der Zeitraum etwas verkürzt werden würde.
— Von einer andern Seite könnte man es als einen
Rechtsverluſt anſehen, da der bisher Minderjährige nun-
mehr den Schutz verliert, den ihm die Reſtitution gegen
die Folgen unüberlegter Handlungen gewährte. Dann
würde nach der Analogie der Klagverjährung die nachfol-
gende Mitternacht als Gränzpunkt anzuſehen ſeyn, die
Zeit der Minderjährigkeit alſo etwas ausgedehnt werden.
— Allein rein und vollſtändig würde auch dieſe Analogie
nicht behauptet werden können, da die Klagverjährung
eben ſo wie die mit ihr zuſammen geſtellten anderen Fälle,
[407]§. 187. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
auf einem Verluſt durch Verſäumniß beruht, anſtatt daß
der durch Volljährigkeit herbeygeführte Verluſt auf einem
unfreywilligen Naturereigniß beruhen würde. Auch konnte
gegen jede Ausdehnung des Zeitraums der Grund geltend
gemacht werden, daß die Reſtitution überhaupt, als ein
ſehr anomaliſches Recht, zu einer ſo freyen Behandlung
weniger geeignet ſcheine. — Vielleicht waren es dieſe
widerſtreitende Gründe, wodurch die Römiſchen Juri-
ſten bewogen wurden, beide Arten der civilen Zeitrech-
nung, die erweiternde wie die abkürzende, in dem er-
wähnten Fall aufzugeben, und bey dem mathematiſchen
Endpunkt als Gränze des reſtituirbaren Alters ſtehen zu
bleiben. Als Folge davon treten nun allerdings alle die
Schwierigkeiten ein, welche oben (§ 181) dargeſtellt wor-
den ſind. In der wirklichen Anwendung ſtellt ſich Dieſes
auf folgende Weiſe. Die Frage kann nur vorkommen,
wenn der vormals Minderjährige Reſtitution begehrt. Nun
iſt es ſeine Sache, den Richter zu überzeugen, daß das
ſtreitige Rechtsgeſchäft vor derjenigen Tageszeit geſchloſſen
wurde, welche der Tageszeit ſeiner Geburt entſprach. Ge-
lingt es ihm mit dieſem Beweiſe nicht, bleibt alſo die eine oder
die andere Tageszeit ungewiß, ſo iſt die Bedingung der Reſti-
tution nicht vorhanden, das am Geburtstag geſchloſſene Ge-
ſchäft iſt dann der Reſtitution nicht unterworfen, und für
ſolche Fälle iſt der letzte Erfolg derſelbe, wie wenn überhaupt
die Volljährigkeit mit der vorhergehenden Mitternacht, alſo
auf gleiche Weiſe wie die Teſtamentsmündigkeit, anfienge.
Es verdient ſehr hervorgehoben zu werden, daß Dieſes
der einzige Fall iſt, in welchem die ſtrenge Zeitrechnung
(a momento in momentum) in unſren Rechtsquellen an-
gewendet wird (b), während diejenige Rechnung, welche
auf die vorhergehende oder nachfolgende Mitternacht das
Ende eines Zeitraums überträgt, dieſen alſo etwas ver-
kürzt oder erweitert, in einer nicht geringen Zahl verſchie-
denartiger Fälle nachgewieſen worden iſt. Dabey liegt
unverkennbar die Anſicht zum Grunde, nach welcher dieſe
ſtrenge Zeitrechnung als eine unerwünſchte Aushülfe in
möglichſt enge Gränzen der Anwendung einzuſchließen iſt.
— Auch iſt wohl zu bemerken, daß dieſer einzige ſichere
Fall der Momentenrechnung ein ſolcher iſt, worin der vor-
geſchriebene Zeitraum in ganzen Jahren beſteht; bey Zeit-
räumen, die auf eine Anzahl von Tagen oder Monaten
beſtimmt waren, alſo nicht in ganzen Jahren beſtanden,
wäre es für die Römer faſt unmöglich geweſen, nach Mo-
menten zu rechnen (§ 181. x.).
Die Art, wie der Endpunkt juriſtiſch wichtiger Zeit-
[409]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
räume beſtimmt werden ſoll, iſt bisher in einer Reihe ein-
zelner Rechtsinſtitute unterſucht worden; es bleibt nun
übrig, Regeln für die Beurtheilung derjenigen Inſtitute
aufzuſtellen, worüber ſich unſre Rechtsquellen nicht beſon-
ders ausſprechen.
Die hierüber von Anderen aufgeſtellten Regeln kann
ich nicht als befriedigend anerkennen. Man hat geſagt, die
naturalis computatio bilde die Regel, die überall eintreten
müſſe, wo nicht die civilis als Ausnahme beſonders aner-
kannt ſey. Dieſe Meynung beruht auf der ganz irrigen
Annahme, die civilis habe die Begünſtigung gewiſſer Per-
ſonen zum Zweck, ſie ſey alſo eine Art von Privilegium;
ſie iſt aber in der That nur dazu beſtimmt, eine für alle
Theile läſtige Erſchwerung der Rechtsverfolgung zu beſei-
tigen. Auch ſteht damit die Wahrnehmung im Wider-
ſpruch, daß die Römer in ſo zahlreichen Fällen die Erleich-
terung der civilen Zeitrechnung anerkennen, anſtatt daß
nur in einem einzigen die ſtrenge Rechnung ad momenta
vorkommt.
Andere haben geſagt, die civilis gelte in den Inſtituten
des jus civile, die naturalis in denen des jus gentium(a).
Auf dieſe Behauptung hat blos der Wortlaut geführt,
wobey noch beſonders zu bedenken iſt, daß die Ausdrücke
civilis und naturalis computatio ſelbſt unächt ſind (§ 182.).
Man ſetzt dabey ſtillſchweigend voraus, Das was man ci-
[410]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
vilis computatio nennt, beruhe auf einer Subtilität des jus
civile, da es doch nur die Befriedigung eines ganz prak-
tiſchen Bedürfniſſes durch etwas freye Behandlung der
Rechtsverhältniſſe iſt. Eine ſolche Behandlung aber iſt
der Natur des jus gentium ſogar vorzugsweiſe angemeſſen.
Näher der Wahrheit kommt die Anſicht, nach welcher
die civilis oder naturalis computatio angewendet werden
ſoll, je nachdem die eine oder die andere der Perſon vor-
theilhafter iſt, deren Rechte hier zunächſt in Betracht kom-
men (b). Nur mußte man mit dieſer Unterſcheidung nicht
bey der Berechnung ad momenta ſtehen bleiben, ſondern
den Endpunkt noch weiter vorrücken.
Der einzig ſichere Weg beſteht darin, daß wir aus den
in unſren Rechtsquellen entſchiedenen Fällen Regeln bilden,
wozu ſchon oben der Anfang gemacht worden iſt (c), und
dann die nicht entſchiedenen Fälle nach dieſen Regeln
beurtheilen. Auf dieſem Wege kommen wir zuerſt auf
Zwey einfache Regeln, woraus die meiſten Fälle eine
ſichere Entſcheidung erhalten können; es bleiben dann nur
noch wenige Fälle zu weiterer Unterſuchung übrig.
Erſte Regel. Wer durch den Ablauf eines Zeitraums
ein Recht erwirbt, kann dieſes in Anſpruch nehmen ſchon
von dem Anfang des letzten Kalendertages an. Es iſt
Dieſes die Regel, welche wir oben in Anwendung fanden
bey der Uſucapion, der Manumiſſion, dem anniculus, und
[411]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
der Teſtamentsmündigkeit. Dieſelbe iſt nun ferner anzu-
wenden in folgenden Fällen.
1. Bey der Fähigkeit zur Ehe, die in demſelben Zeit-
punkt eintritt, wie die Fähigkeit zur Errichtung eines Te-
ſtaments, und nach unſrer Regel gleichfalls von dem
Anfang des Geburtstages an behauptet werden muß (d).
Das praktiſche Intereſſe der Regel würde ſich hier zeigen,
wenn etwa in der erſten Hälfte des Tages, und vor dem
momentum der Geburtszeit, die Ehe geſchloſſen wäre, und
noch in demſelben Zeitraum eine Schenkung unter den Ehe-
gatten vorkäme; dieſe würde eine nichtige Handlung ſeyn.
Eben ſo wenn in demſelben Zeitraum, bald nach geſchloſ-
ſener Ehe, der eine Ehegatte das Leben verlöre; die ehe-
lichen Rechte, namentlich in Beziehung auf die Dos, wür-
den hier ſchon völlig erworben ſeyn.
2. Bey dem Ablauf des Trauerjahrs. Wenn alſo
die Wittwe an dem wiederkehrenden Todestag des erſten
Mannes, und zwar vor der Todesſtunde, eine neue Ehe
ſchließt, ſo wird ſie von den auf das verletzte Trauerjahr
geſetzten Strafen nicht mehr betroffen.
3. Die Rückforderung der in baarem Gelde und ähn-
[412]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
lichen Vermögensſtücken beſtehenden Dos ſollte nach altem
Recht annua, bima, trima die geſchehen dürfen (e); die
Befugniß fieng alſo an mit Anbruch des Tages, ohne
Rückſicht auf die Tageszeit des Todes oder der Scheidung.
Das praktiſche Intereſſe dieſer Anwendung war nicht er-
heblich.
4) Nur Derjenige ſollte poſtuliren dürfen, welcher das
ſiebenzehente Jahr zurückgelegt hatte (f). Dieſe Befugniß
fieng alſo an mit dem Anbruch des Geburtstags, ohne
Rückſicht auf die Stunde der Geburt.
Eine Ausnahme der Regel ſollte eintreten, wenn ein
Geſetz den Erwerb des Rechts ausdrücklich an die Über-
ſchreitung eines Zeitraums geknüpft hatte; ſo war die
Freyheit von ſtädtiſchen Ämtern und von Vormundſchaften
nur dem major septuaginta annis zugeſagt (§ 182. d).
Wird alſo einem Siebenzigjährigen eine Vormundſchaft
deferirt an ſeinem Geburtstage, ſo genießt er jene Be-
freyung nicht, wohl aber wenn es am folgenden Tage
geſchieht (g).
Zweyte Regel. Wer durch Unthätigkeit nach Ab-
[413]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
lauf eines beſtimmten Zeitraums ein Recht verlieren ſoll,
kann noch am ganzen letzten Kalendertag handeln, ſo daß
der Verluſt erſt mit dem Ablauf dieſes Tages eintritt. Es
iſt Dieſes die Regel, die wir oben angewendet fanden bey
der Klagverjährung, der Anklage wegen Ehebruch, und
bey der bonorum possessio; außerdem noch in einer Stelle,
die im Juſtinianiſchen Recht eine ganz allgemeine Geſtalt
angenommen hat. Dieſe Regel iſt nun ferner in folgen-
den Fällen anzuwenden.
1) Bey der im alten Recht vorgeſchriebenen Prozeß-
verjährung von 18 Monaten für die legitima judicia(h).
Am letzten Kalendertage alſo konnte noch der Judex ein
gültiges Urtheil fällen.
2) Bey der Reſtitution, deren Vier Jahre hierin ganz
die Natur der Klagverjährung haben.
3) Bey der Excuſation von der Vormundſchaft, die
an eine Friſt von 50 Tagen gebunden iſt.
4) Bey dem Inventarium einer Erbſchaft, welches bin-
nen 30 Tagen angefangen und binnen den folgenden 60
Tagen geendigt werden ſoll. Beides kann noch im Lauf
des ganzen letzten Kalendertages geſchehen, und iſt als-
dann hinreichend um den Verluſt des Rechts abzuwenden.
5) Bey Prozeßfriſten, mögen nun dieſe in Geſetzen
oder in richterlichen Verfügungen ihren Grund haben. Un-
ter allen Anwendungen der für den Endpunkt juriſtiſcher
Zeiträume aufgeſtellten Regeln iſt keine ſo häufig und
[414]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
darum ſo wichtig als dieſe, welche in größeren Gerichten
faſt täglich vorkommt. Und gerade für dieſe Anwendung
finden ſich unerwarteter Weiſe die ſtärkſten und mannich-
faltigſten Beſtätigungen der hier aufgeſtellten Anſicht (i).
Sie wird beſtätigt durch die Autorität ſehr angeſehe-
ner praktiſchen Juriſten, nur freylich in einer Geſtalt,
worin man leicht überſieht, daß es in der That die hier
aufgeſtellte, und in wichtigen Anwendungen des Römiſchen
Rechts nachgewieſene Regel iſt. Jene lehren nämlich, in
den Prozeßfriſten müßte nicht ſchon von dem Tage, woran
die Friſt gegeben wird, ſondern erſt vom folgenden Tage
an, gezählt werden (k). So ausgedrückt, ſieht es aus
wie eine willkührliche, grundloſe Begünſtigung der Partey,
welcher die Friſt vorgeſchrieben wird, und es haben da-
her andere Schriftſteller, von dem Standpunkt einer ver-
meyntlichen ſtrengen Theorie aus, Widerſpruch dagegen
erhoben (l); in der That aber iſt es nur die oben darge-
[415]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
ſtellte Lehre des Römiſchen Rechts, nach welcher bey den
Klagverjährungen u. ſ. w. der letzte Kalendertag dem Be-
rechtigten bis an ſeinen Ablauf offen ſtehen ſoll. Denn
es iſt im Erfolg ganz einerley, ob man ſagt, eine Friſt
werde gleich von dem Zeitpunkt an gerechnet, woran ſie
angeſetzt wurde, jedoch ſo daß der ganze letzte Kalender-
tag zum Handeln frey ſtehe, oder ob man es ſo aus-
drückt: die Zählung der vorgeſchriebenen Tage ſolle erſt
von dem folgenden Kalendertage anheben.
Dieſelbe Lehre findet endlich aber auch ihre Beſtäti-
gung in der Praxis aller Gerichte. Wenn eine einmonat-
liche Friſt zur Einreichung einer Prozeßſchrift am 5. Sep-
tember gegeben iſt, ſo wird der erkennende Richter nur
darauf ſehen, ob die Schrift ſpäteſtens am 5. Oktober
eingereicht worden iſt, und er wird Dieſes für genügend
halten, ohne zu prüfen, ob dieſes vielleicht in einer ſpä-
teren Tagesſtunde geſchah, als an welcher die Friſt ge-
geben worden war; gerade Das aber iſt der Sinn und
Erfolg der hier für die Prozeßfriſten (übereinſtimmend mit
den Klagverjährungen) aufgeſtellten Regel. Nur allein
bey der Appellationsfriſt von Zehen Tagen nimmt man
an, daß dieſelbe ad momenta zu berechnen ſey (m), jedoch
(l)
[416]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nur unter der Vorausſetzung, daß die Tageszeit der In-
ſinuation des Urtheils bemerkt und beglaubigt worden
iſt, welches in früheren Zeiten ſehr gewöhnlich beobach-
tet wurde; wenn dagegen dieſe genaue Zeitangabe fehlt,
und nur der Tag der Inſinuation in den Akten bemerkt
iſt (welches heutzutage der häufigere Fall in Gerichten
ſeyn wird), ſo giebt man auch für die Appellation zu,
daß ſie zehen Tage nach der Inſinuation, ohne Rückſicht
auf die Tageszeit, eingelegt werden darf (n), worin denn
wiederum eine Anerkennung der hier aufgeſtellten Re-
gel liegt.
Es bleibt nun noch zu unterſuchen übrig, ob es nicht
Fälle gebe, welche nach keiner der aufgeſtellten beiden Re-
geln zu beurtheilen ſeyen, ſondern vielmehr nach der Re-
gel der Berechnung ad momenta, alſo nach der Analogie
der Minderjährigkeit als Bedingung der Reſtitution.
Dahin gehört nun vor Allem die Minderjährigkeit als
Grund und Bedingung einer Curatel. Das praktiſche In-
tereſſe dieſer Frage liegt nicht etwa darin, daß gezweifelt
werden könnte, ob der Minderjährige einen Tag früher
oder ſpäter die Auslieferung des Vermoͤgens verlangen
könne; denn ehe der Rechtsſtreit hierüber entſchieden wer-
den könnte, würde unfehlbar jener zweifelhafte Tag ab-
gelaufen ſeyn. Das Intereſſe liegt vielmehr darin, daß
an dem Geburtstage einſeitige Veräußerungen von dem
Curanden, oder auch von dem Curator, vorgenommen
[417]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
ſeyn können. Die Gültigkeit jener und dieſer Handlun-
gen hängt von dem genau beſtimmten Endpunkt der Cu-
ratel ab; vor dieſem Ende kann der Minderjährige, nach
demſelben der Curator, nicht gültig handeln. Hier nun
glaube ich, daß es ganz unnatürlich ſeyn würde, für die
Curatel einen andern Endpunkt eintreten zu laſſen, als für
die Reſtitution, da beide Rechtsinſtitute den gemeinſchaft-
lichen Zweck haben, den Minderjährigen gegen ſeine nach-
theilige Handlungen zu ſchützen, und dieſen Zweck nur
durch verſchiedene Mittel und Formen verfolgen. Daher
iſt das Ende der Curatel genau nach der Tageszeit der
Geburt (ad momentum) zu beſtimmen; wird dieſe Zeit
bezweifelt, ſo hat jedesmal Derjenige den Beweis zu füh-
ren, der nach den vorliegenden Umſtänden als Kläger auf-
tritt, und der mislingende Beweis muß Dieſem zum Nach-
theil gereichen.
Ganz dieſelbe Frage, gegründet auf daſſelbe Intereſſe,
trat ein bey der Mündigkeit, von welcher die eigene Hand-
lungsfähigkeit des Mündels, zugleich aber das Ende der
Tutel und der Rechte des Vormundes abhingen (o). Hier
ſcheint es auf den erſten Blick natürlich, dieſelbe Regel
IV. 27
[418]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gelten zu laſſen wie bey der Teſtamentsmündigkeit, alſo
auf die vorhergehende Mitternacht (nach Anderen um ei-
nen Tag weiter) zurück zu gehen. Allein bey genauerer
Betrachtung erſcheinen doch die Verhältniſſe etwas ver-
ſchieden, indem die Tutel eine Schutzanſtalt gegen Gefah-
ren in ſich ſchließt, von welchen bey der Unfähigkeit zum
letzten Willen nicht die Rede iſt. Dagegen iſt die Gleich-
artigkeit der Tutel mit der Curatel hierin ſo unverkenn-
bar, daß ich es für richtiger halte, auch bey dem Ende
der Tutel die Rechnung ad momenta im Römiſchen Recht
anzunehmen. — Übrigens verſchwindet dieſe letzte Frage
völlig für unſer heutiges Recht, in welchem die Tutel der
Unmündigen mit der Curatel der Minderjährigen zuſam-
men fällt, alſo ein beſonderes Ende der Tutel nicht mehr
eintritt. Auch bey den Römern war das Intereſſe der
Frage in Beziehung auf die Tutel geringer. Erſtlich weil
der Unmündige unmittelbar in die Minderjährigkeit ein-
trat, nun alſo gegen ſeine eigene Unvorſichtigkeit durch
Reſtitution, ſpäterhin auch durch die Curatel, geſchützt
war. Zweytens weil in der alten Zeit, wie ich glaube,
das Ende der Tutel meiſt nicht an das beſtimmte Alter,
ſondern an die Anlegung der männlichen Toga, alſo an
eine willkührliche und feyerliche Handlung, geknüpft war
(§ 109).
In denjenigen Fällen, worin gar nicht von dem Ab-
lauf eines ganzen, gleichmäßig erfüllten Zeitraums, ſon-
[419]§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
dern von der Benutzung eines einzelnen in denſelben fal-
lenden Zeitpunktes, die Rede iſt (§ 177), müſſen die auf-
geſtellten Regeln nach ihrem allgemeinen Sinn dergeſtalt
angewendet werden, daß Derjenige, der aus einem ſolchen
Zeitpunkte ein Recht ableiten will, innerhalb des äußer-
ſten Tages frey wählen kann, ſo wie es ihm am Vor-
theilhafteſten iſt. Wer alſo die Legitimität eines Kindes
deswegen behauptet, weil 182 Tage vor der Geburt eine
Ehe geſchloſſen worden iſt, wird dieſe Behauptung auch
dann begründet haben, wenn die Ehe am Abend geſchloſ-
ſen, die Geburt aber am Morgen erfolgt war. Umge-
kehrt wird Derjenige, dem ein Pferd am Abend getödtet
iſt, wenn er ein Jahr vorher den höheren Werth ausmit-
teln will, bis auf den Morgen des der Tödtung entſpre-
chenden Kalendertages zurückgehen dürfen. Durch eine
ſolche Berechnung wird alſo der mathematiſch begränzte
Zeitraum der 182 Tage oder des Jahres im erſten Fall
um Etwas verkürzt, im zweyten um Etwas verlängert ſeyn.
Zuletzt ſoll noch gefragt werden, was über den End-
punkt juriſtiſcher Zeiträume außer dem Römiſchen Recht
vorkommen mag.
Im alten Deutſchen Recht finden ſich nicht ſelten Zu-
gabetage (p). Dieſe könnte man wohl auf eine ähnliche
Anſicht zurück führen, wie die welche bey Berechnung der
27*
[420]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Römiſchen Klagverjährung zum Grunde liegt; doch wage
ich nicht, etwas Beſtimmtes darüber zu behaupten.
Das Preußiſche Landrecht hat ganz die Grundſätze an-
genommen, die ich hier in dem Römiſchen Recht nachzu-
weiſen geſucht habe, nur noch in größerer Allgemeinheit.
Jeder Zeitraum ſoll, wenn durch ſeinen Ablauf ein Recht
erworben wird, mit dem Anfang des letzten Tages been-
digt werden (q), wenn dadurch ein Recht verloren wird,
mit dem Ende des Tages (r). Eine Berechnung ad mo-
menta kommt daneben gar nicht vor; die Handlungsfähig-
keit des Minderjährigen fängt insbeſondere mit dem An-
bruch des Geburtstages an (s), ſo daß dieſe Veränderung
als reiner Erwerb eines Rechts behandelt wird.
Das Franzöſiſche Geſetzbuch hat die Regel, welche im
Römiſchen Recht für den Verluſt durch Verſäumniß gilt,
allgemein gemacht, ſo daß jeder juriſtiſche Zeitraum ge-
endigt wird mit dem Ablauf des letzten Tages, alſo mit
der nachfolgenden Mitternacht (t). Daher werden hier alle
Zeiträume in der That bald mehr bald weniger verlän-
[421]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
gert, mit Ausnahme der ſeltenen Fälle, worin der beweg-
liche Tag mit einem Kalendertag zufällig zuſammen trifft.
Es iſt aber dieſe Beſtimmung als abſichtliche Änderung
des früher geltenden Rechts getroffen worden, welches
durch die Vorſchriften des Römiſchen Rechts beſtimmt wor-
den war; dieſe Vorſchriften ſelbſt hatte man bey der Ab-
faſſung des neuen Geſetzbuchs ganz richtig aufgefaßt (u).
Hauptſtellen:
Schriftſteller:
Die civile Zeitrechnung, von welcher bisher als von
einer Modification der regelmäßigen Berechnung die Rede
war, konnte bey Zeiträumen aller Art in Frage geſtellt
[422]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
werden: das utile tempus, von welchem nunmehr, als ei-
ner zweyten möglichen Modification, die Rede ſeyn ſoll,
iſt ſchon durch ſeinen Begriff auf ſolche Zeiträume be-
ſchränkt, in welchen die Unthätigkeit eines Berechtigten den
Verluſt des Rechts nach ſich zieht (§ 177). Wenn näm-
lich dieſe Unthätigkeit in einzelnen Fällen ihren Grund hat
in einem unüberwindlichen Hinderniß, ſo kann hierauf bil-
lige Rückſicht in der Art genommen werden, daß diejeni-
gen Zeittheile, worin das Hinderniß Statt fand, gar nicht
als abgelaufen oder verſäumt mitgerechnet werden (a), ſo
daß der Zeitraum um eben ſo viele Zeittheile in der That
erweitert wird, als durch das Hinderniß aus der Berech-
nung ausgefallen ſind. Wo dieſe Modification zur An-
wendung kommt, heißt die Zeit utile tempus, wo ſie nicht
gilt, alſo die Zählung der Zeittheile ohne Rückſicht auf
Hinderniſſe durchgeführt wird, continuum(b). Die Zeit-
theile, die auf dieſe Weiſe dem Handelnden zu gut ge-
rechnet werden, ſind ſtets einzelne, aber ganze Tage, auch
da wo der Zeitraum ſelbſt nicht in einer Zahl von Ta-
[423]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
gen, ſondern in größeren Zeitabſchnitten (Jahr oder Mo-
nat) ausgedrückt iſt (c). Das Eigenthümliche dieſer billi-
gen Begünſtigung beſteht nun darin, daß dieſelbe ganz von
ſelbſt, in Folge einer allgemeinen Rechtsregel (ipso jure)
eintritt, nicht durch eine Reſtitution, welche ſtets die freye
Einwirkung der Obrigkeit auf ein einzelnes Rechtsverhält-
niß vorausſetzt, und daher von dem utile tempus durch-
aus verſchieden iſt.
Es würde irrig ſeyn, wenn man dieſen zur vorläufi-
gen Überſicht aufgeſtellten formellen Begriff des utile tem-
pus ſo auffaſſen wollte, als ob daſſelbe in allen Fällen
der hier beſchriebenen Art wirklich zur Anwendung käme.
Zwar negativ läßt ſich auch ſchon dieſer blos formelle
Begriff mit Sicherheit gebrauchen, um alle darunter nicht
enthaltene Fälle entſchieden auszuſchließen. So dauerte
[424]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
die alte Uſucapion beweglicher Sachen nur Ein Jahr, und
dieſer kurze Zeitraum konnte dazu verleiten, ein utile tem-
pus anzunehmen; dennoch galt dieſes hier niemals (d), aus
dem einfachen Grunde, weil die Uſucapion weſentlich auf
dem Beſitz des Erwerbers beruht, nicht auf der Unthätig-
keit des früheren Eigenthümers, die hier bloße Nebenſache
iſt, und im alten Recht großentheils gar nicht vorhanden
war (e). Aber ein poſitiver Gebrauch läßt ſich von je-
nem Begriff nur mit großer Vorſicht machen. Das utile
tempus gilt nämlich ſelbſt in dem oben bezeichneten Fall
doch nur unter folgenden beſonderen Bedingungen, welche
vereinigt vorhanden ſeyn müſſen, wenn daſſelbe zur An-
wendung kommen ſoll.
1) Das utile tempus kommt nur bey ſolchen Hand-
lungen vor, die vor einer richterlichen Obrigkeit vorzuneh-
men ſind. Dadurch ſind folgende Fälle allgemein ausge-
ſchloſſen: die einjährige Deliberationsfriſt (f), der Anfang
[425]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
eines erbſchaftlichen Inventars, ſo wie die Beendigung
deſſelben (g); ferner die 30 Tage, binnen welchen eine
geſchiedene Frau ihre Schwangerſchaft dem Mann anzu-
zeigen hat (h).
Aber ſelbſt bey den oben bemerkten Handlungen iſt es
nicht allgemein; namentlich ſind die 50 Tage, in welchen
die Excuſation von einer Vormundſchaft vor Gericht an-
gebracht werden muß, continui(i). Eigentlich bleiben nur
Zwey Hauptfälle für die Anwendung des utile tempus
übrig, worauf eben die oben angeführten Hauptſtellen ſich
beziehen: der Erwerb der Bonorum possessio, und
die Klagverjährung. Dieſer letzten ſind jedoch noch
einige andere Fälle, als mit ihr verwandt oder zuſam-
menhängend, hinzuzurechnen: die 60 Tage und die Vier
Monate bey der Anklage wegen Ehebruch (k); desgleichen
die Zwey und Drey Tage bey der alten Appellations-
friſt (l); ferner die ältere Verjährung der Reſtitution, ob-
[426]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gleich dieſelbe keine eigentliche Klagverjährung iſt (m);
endlich die von Juſtinian abgeſchaffte annalis exceptio
Italici contractus(n). Alle dieſe Fälle ſind für das heu-
tige Recht nicht mehr vorhanden, ſo daß wir alſo nur
auf die angegebenen Zwey Hauptfälle Rückſicht zu neh-
men haben.
2) Das utile tempus iſt nur anwendbar auf ſolche
Zeiträume, die durch eine allgemeine Rechtsregel, nicht
durch individuellen Willen, beſtimmt ſind: alſo namentlich
nicht auf die von einem Richter angeſetzten Prozeßfriſten (o).
3) Das utile tempus gilt in den hier bezeichneten
Rechtsinſtituten nicht allgemein, ſondern nur wenn der
vorgeſchriebene Zeitraum Ein Jahr oder weniger, nie
wenn er mehr als Ein Jahr beträgt.
Dieſe Regel bedarf bey der Bonorum possessio keines
beſonderen Beweiſes, denn bey dieſer kommen überhaupt
(l)
[427]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
nur Zwey Zeiträume vor, Ein Jahr und 100 Tage, und
für beide iſt unſtreitig das utile tempus anwendbar. Da-
gegen iſt dieſelbe um ſo wichtiger bey der Klagverjäh-
rung, welche mit den verſchiedenſten Zeiträumen vorkommt.
Daß nun die längeren Klagverjährungen ein continuum
tempus haben, iſt unbeſtritten. Bey denen von 30 und
40 Jahren iſt es ausdrücklich geſagt (p), es iſt aber eben
ſo bey den Verjährungen von 20, 10, 5 und 4 Jahren
nicht zu bezweifeln. Daß aber die einjährigen und kürze-
ren Verjährungen ſtets das utile tempus mit ſich führen,
und daß dieſes als durchgehende Regel ſtillſchweigend vor-
ausgeſetzt wird, erhellt aus der im Ausdruck wenig ſorg-
fältigen Art, mit welcher die Zeitbeſtimmung derſelben im
Edict, in Reſcripten, und bey den alten Juriſten behan-
delt zu werden pflegt, ohne daß jemals ein Zweifel hier-
über entſtanden zu ſeyn ſcheint (q). So war zwar bey
dem Int. uti possidetis das utile tempus ſchon im Edict
ſelbſt unmittelbar ausgedrückt (r), bey dem Int. de vi
nicht (s), ſo daß dieſes Schweigen zur Annahme eines
continuum tempus hätte verleiten können; dennoch wurde
auch hier das utile unbedenklich angenommen (t). Die
[428]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Injurienklage wird in einer Stelle des Codex ganz unbe-
ſtimmt als einjährig bezeichnet (u), und wir erfahren nur
beyläufig, an einem ganz entlegenen Orte, daß dieſes
Jahr ein utile tempus iſt (v). Die ädiliciſchen Klagen
werden eben ſo mit den bloßen Zeiträumen von Einem
Jahr und Sechs Monaten bezeichnet (w), anderwärts aber
wird dieſe Zeit als utile tempus näher beſtimmt (x). Aus
dieſem Allen ergiebt es ſich mit der größten Wahrſchein-
lichkeit, daß die Römiſchen Juriſten das utile tempus als
unzertrennlich verbunden mit den einjährigen oder noch
kürzeren Klagverjährungen anſahen, ohne Unterſchied ob
dieſe Nebenbeſtimmung im Edict jedesmal ausgedrückt war
oder nicht.
4) Die wichtigſte Bedingung endlich, und die bisher
am wenigſten Anerkennung gefunden hat, betrifft die Be-
ſchaffenheit des Hinderniſſes der Thätigkeit, gegen deſſen
nachtheilige Folgen die in dem utile tempus enthaltene
künſtliche Zeitrechnung ſchützen ſoll. Nämlich nur ſolche
Hinderniſſe werden hier beachtet, und bringen das utile
tempus zur Anwendung, welche auf vorübergehenden, meiſt
ganz zufälligen, Umſtänden beruhen, nicht diejenigen, welche
an einen dauernden Zuſtand der Perſon geknüpft ſind.
Dieſe Regel wird zugleich erklärt und bewieſen werden
(t)
[429]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
durch die Darlegung der einzelnen zu dieſen beiden Arten
gehörenden Hinderniſſe.
Diejenigen, welche in der That für die Anwendung
des utile tempus geeignet ſind, und ſämmtlich den eben
erwähnten Charakter an ſich tragen, betreffen theils die
Perſon des Unthätigen ſelbſt, theils die Perſon ſeines Geg-
ners, theils das Verhältniß zu der richterlichen Obrigkeit,
vor welcher die Handlung vorgenommen werden ſoll (y).
Die Hinderniſſe in der Perſon des Unthätigen können
ſowohl bey der Klagverjährung, als bey der Bonorum
possessio vorkommen. Es gehören dahin die Fälle, wenn
der Klagberechtigte in Kriegsgefangenſchaft, oder im Staats-
dienſt abweſend, oder in einem Gefängniß iſt (z), oder
wenn er durch Stürme oder durch Krankheit zu erſcheinen
verhindert wird, und zwar in allen dieſen Fällen ſo daß
er auch keinen Stellvertreter ſenden kann (aa). Alles die-
[430]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſes ſind augenſcheinlich Hinderniſſe der oben beſchriebenen,
zufälligen, wechslenden Beſchaffenheit.
Hinderniſſe in der Perſon des Gegners ſind nur denk-
bar bey der Klagverjährung; denn bey der Bonorum pos-
sessio kommt ein Gegner überhaupt nicht vor, und auch
bey der Appellation des älteren Rechts war von dem Geg-
ner wenigſtens nicht die Rede, da derſelbe bey Einwendung
der Appellation nicht mitzuwirken hat (bb). Durch den
Beklagten nun kann die Anſtellung der Klage verhindert
werden, wenn derſelbe unbekannt, verſteckt, entflohen, oder
überhaupt abweſend und unvertreten iſt (cc).
Das Verhältniß zur Obrigkeit kann gleichfalls ein Hin-
derniß der Thätigkeit begründen (dd), und zwar auf zweyer-
[431]§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.
ley Weiſe. Erſtlich wenn zufällig die obrigkeitliche Perſon
an dem öffentlichen Gerichtsort nicht anzutreffen iſt (ee).
Die Römer unterſchieden hierin noch die Handlungen, wo-
bey die richterliche Mitwirkung eine bloße Form blieb,
von denen die an richterliche Prüfung gebunden waren,
und daher nur vor dem Tribunal vorgehen konnten (ff).
In den Provinzen wurde nicht gerade die örtliche Anwe-
ſenheit des Statthalters für nöthig gehalten, ſondern ſein
nicht allzu entfernter Aufenthalt galt als Gegenwart, jedoch
ſo daß für jede 20 Römiſche Meilen Entfernung der vor-
geſchriebene Zeitraum um Einen Tag verlängert ſeyn
ſollte (gg). — Zweytens aber lag ein allgemeineres Hin-
derniß in folgender Einrichtung des Römiſchen Gerichts-
weſens (hh). Die Römer hatten dies fasti in nicht großer
Zahl, die unbedingt zu gerichtlichen Geſchäften angewen-
det wurden, und nefasti, die dazu nicht gebraucht werden
durften; zwiſchen beiden aber lagen viele unbeſtimmte Tage
in der Mitte, wie namentlich die ſehr zahlreichen comitia-
les, die man, wo es nöthig war, zu Gerichtsgeſchäften
gebrauchte, wenn an ihnen gerade keine Comitien gehalten
wurden. Als ſich die gerichtlichen Geſchäfte häuften, fand
(dd)
[432]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
man es nöthig, die regelmäßigen Gerichtstage zu vermeh-
ren; Auguſt legte 30 Tage hinzu, und M. Aurel brachte
die Geſammtzahl auf 230 (ii); ohnehin waren unter den
Kaiſern die alten Comitialtage bald ganz disponibel ge-
worden. Im J. 389 wurden die Gerichtstage, mit Rück-
ſicht auf die Einrichtungen der chriſtlichen Kirche, neu
geordnet, und nun betrug die Geſammtzahl etwa 240 (kk).
Durch die Beachtung dieſes Hinderniſſes der Rechtsverfol-
gung, des regelmäßigſten und daher wichtigſten unter allen,
wird daher der utilis annus auf etwa anderthalb Jahre
erweitert.
Dieſe letzte Art des Hinderniſſes, wodurch das utile
tempus anwendbar werden konnte, war wichtiger als alle
übrigen; denn dieſe beruhten doch nur auf zufälligen, zum
Theil ſehr ſeltenen Ereigniſſen: jenes kam regelmäßig und
in ſo bedeutender Ausdehnung vor, daß dadurch etwa der
dritte Theil jedes Jahres abſorbirt wurde. Ja es iſt nicht
unwahrſcheinlich, daß Dieſes allein zur Ausbildung des utile
tempus Anlaß gegeben hat, und daß daneben die übrigen
Fälle der Verhinderung nur gelegentlich, und der Conſe-
quenz wegen, mit hinzu gezogen wurden. Um ſo mehr
muß gleich hier bemerkt werden, daß dieſes letzte, für die
Römer wichtigſte, Hinderniß aus unſrem heutigen Rechte
verſchwunden iſt. Nach unſren Einrichtungen kann eine
[433]§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
juriſtiſche Handlung, für welche ein Zeitraum geſetzlich
vorgeſchrieben iſt, faſt zu allen Zeiten durch Einreichung
eines ſchriftlichen Antrags vorgenommen werden; die Seſ-
ſionstage der Gerichte haben darauf keinen Einfluß, und
ſelbſt die Gerichtsferien können in der Regel eine ſolche
Beobachtung vorgeſchriebener Zeiträume nicht hindern (ll).
Nachdem diejenigen Hinderniſſe der Thätigkeit darge-
ſtellt worden ſind, welche die Anwendung des utile tempus
wirklich begründen, iſt es nöthig, auch noch von denen zu
handeln, welchen eine ſolche Wirkung nicht beygelegt wer-
den darf; denn gerade dieſe Seite der ganzen Lehre iſt es,
woran die meiſten Irrthümer neuerer Schriftſteller ſich an-
knüpfen.
Der erſte und beſonders wichtige Fall dieſer Art iſt die
Unwiſſenheit des zum Handeln Berufenen über ſein Recht.
Hierin möchte man geneigt ſeyn, allgemein das entſchie-
denſte Hinderniß der Thätigkeit zu ſetzen, alſo die unzwei-
felhafteſte Veranlaſſung zur Anwendung des utile tempus,
IV. 28
[434]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
auch iſt dieſes die herrſchende Meynung der Schriftſteller;
in der That aber verhält es ſich damit anders, und zwar
auf folgende Weiſe (a). Bey der Bonorum possessio al-
lerdings war ſchon durch den Ausdruck des Edicts die
Unwiſſenheit mit der Unmöglichkeit der Agnition ganz auf
gleiche Linie geſtellt (b). Daher wurde es hier als natür-
liche Folge des utile tempus angeſehen, daß jeder Tag
der Unwiſſenheit dem Berufenen nicht angerechnet werden
dürfe (c). Ganz anders bey der Klagverjährung, bey
welcher nur allein von der Abweſenheit äußerer Hinder-
niſſe die Rede iſt (d); die Unwiſſenheit des Berechtigten
[435]§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
über ſein Klagrecht iſt im Edict nicht erwähnt, und ſie
wird in der Anwendung (höchſt ſeltene Ausnahmen abge-
rechnet) nicht beachtet. Dieſer Unterſchied iſt aber nicht
die Folge der im Edict zufällig gebrauchten Ausdrücke,
ſondern dieſe waren ſo gewählt, um dem aus inneren
Gründen räthlichen Unterſchied Anerkennung zu verſchaffen.
Denn wer über ſein Klagrecht unwiſſend iſt, wird in der
Regel dem Vorwurf einer nachläſſigen Aufſicht auf ſeine
Rechte unterliegen, anſtatt daß Keiner den Beruf hat, den
Erbſchaften nachzuſpüren, die ihm etwa zufallen möchten.
Ferner liegt der gemeinſchaftliche Zweck der für die B. P.
und die Klagen vorgeſchriebenen Zeiträume darin, daß die
Rechtsverhältniſſe ſchnell zur Entſcheidung kommen; die-
ſem Zweck würde es völlig widerſprechen, wenn man bey
der Klagverjährung den Vorwand der Unwiſſenheit zulaſ-
ſen wollte: bey der B. P. iſt derſelbe unſchädlich, da der
zunächſt nach dem Unwiſſenden Berufene durch eigenes In-
tereſſe angetrieben wird, Jenen von der Delation zu un-
terrichten, wodurch die Unwiſſenheit augenblicklich aufge-
hoben wird.
Dagegen giebt es umgekehrt mehrere Fälle, worin
continuum tempus gilt, und dennoch die Unwiſſenheit den
Lauf des vorgeſchriebenen Zeitraums hindert. Dahin ge-
hört die Excuſation von der Vormundſchaft (e), die Fri-
(d)
28*
[436]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſten für die Deliberation und das Inventarium (f), und
endlich alle Prozeßfriſten.
Hieraus folgt alſo, daß die Beachtung oder Nichtbeach-
tung der Unwiſſenheit von dem Gegenſatz des utile und
continuum tempus völlig unabhängig iſt und in denſelben
gar nicht herein gezogen werden darf; ja dieſe weſentliche
Verſchiedenheit beider Gegenſätze hat ſogar eine wörtliche
Anerkennung im Römiſchen Recht gefunden (g).
Ferner ſind nicht dazu geeignet, die Anwendung des utile
tempus hervor zu rufen, alle diejenigen Hinderniſſe, welche
nicht in ſchnell vorübergehenden, oder doch ganz von wechs-
lenden Zufällen abhängigen Umſtänden, ſondern in einem
dauernden Zuſtand der unthätigen Perſon beſtehen. In einem
Zuſtand ſolcher Art befinden ſich Unmündige, Minderjährige,
Kinder in väterlicher Gewalt, Wahnſinnige, Verſchwender,
und juriſtiſche Perſonen. Dieſe alle ſind mehr oder weniger
verhindert, ihre Rechte durch Thätigkeit ſelbſt wahrzuneh-
[437]§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
men, und man könnte daher geneigt ſeyn, den in dem utile
tempus liegenden Schutz auch auf ſie anzuwenden; den-
noch muß dieſe Anwendung gänzlich verworfen werden,
und es wird vielmehr für das Intereſſe dieſer Perſonen
auf andere Weiſe geſorgt, ſo daß die für ſie wirklich ein-
tretende Schutzanſtalten von dem Unterſchied des utile
und continuum tempus völlig unabhängig ſind. Dieſes ſoll
nunmehr zuerſt bey der Klagverjährung, dann bey der
Bonorum possessio, nachgewieſen werden.
Die Unmündigen und Minderjährigen hatten im älteren
Recht gar keine Befreyung, auch nicht bey den Klagen,
deren Verjährung in einem utile tempus beſtand, da bey
ihnen nie die experiundi potestas fehlte; denn für den
Unmündigen konnte der Tutor klagen (h), der Minderjäh-
rige aber konnte ſeine Klagen ſelbſt anſtellen. Der Schutz
alſo beſtand: für den Unmündigen in dem Regreß gegen
den nachläſſigen Vormund; für beide in der Reſtitution
wegen Minderjährigkeit. — Das neuere Recht hat fol-
gende ganz abweichende Beſtimmungen getroffen: der Un-
mündige iſt ipso jure frey von allen Klagverjährungen,
der Minderjährige iſt eben ſo frey von allen die weniger
als 30 Jahre dauern, gegen dieſe letzte ſchützt ihn nicht
[438]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
einmal Reſtitution. Dabey iſt es ganz gleichgültig, ob die
Verjährung ein utile oder ein continuum tempus hat (i).
Der Sohn in väterlicher Gewalt, welcher ſogenannte
Adventitien beſitzt, wovon erſt ſeit Conſtantin die Rede
ſeyn konnte, iſt unfähig, die zu dieſem Vermögen gehörende
Klagrechte ſelbſt auszuüben und gegen Verjährung zu
ſchützen, weil der Vater das ſehr freye Verwaltungsrecht
darüber hat. Daher iſt er auch eben ſo unbedingt von
allem Verluſt durch Klagverjährung ausgenommen, wie
es ſo eben von dem Unmündigen bemerkt worden iſt (k).
Für den Wahnſinnigen und den Verſchwender finden
ſich gar keine beſondere Beſtimmungen über die Verjäh-
rung ihrer Klagen; der Schutz alſo beſteht in dem allge-
meinen Regreß, den ſie und ihre Erben gegen den nach-
läſſigen Curator haben. An ſich wäre es nicht unnatürlich
geweſen, den Wahnſinnigen dem Unmündigen gleich zu
ſtellen; daß es nicht geſchah, iſt zunächſt aus der Selten-
heit des Falles zu erklären, außerdem aber hätte darin
auch eine unbegründete Härte gegen den Beklagten liegen
können, wenn man alle Klagverjährung hätte ruhen laſſen
wollen. Denn der Wahnſinn kann ein langes Leben hin-
durch dauern, anſtatt daß die Unmündigkeit ſtets eine
nothwendige, nicht entfernte Gränze mit ſich führt.
Auch für juriſtiſche Perſonen finden ſich keine ab-
weichende Beſtimmungen über die Klagverjährung, ſo daß
[439]§ 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
ſie im Fall eines ſolchen Verluſtes nur den Regreß gegen
ihre nachläſſige Beamte haben. Für Einen Fall, nämlich
für die longi temporis praescriptio, iſt dieſes ſogar aus-
drücklich anerkannt (l).
Bey dem Unmündigen iſt es als Regel anerkannt, daß
die Friſt, ungeachtet der Unmündigkeit, in ihrem Lauf nicht
gehemmt iſt (m), ſo daß nur der Regreß gegen den nach-
läſſigen Vormund, oder die Reſtitution, zum regelmäßigen
Schutz dienen kann.
Der Minderjährige kann gegen die verſäumte Friſt
reſtituirt werden (n), woraus alſo folgt, daß an ſich zu
ſeinem Nachtheil die Friſt läuft. Ohnehin iſt es undenk-
bar, daß er in dieſer Hinſicht mehr als der Unmündige
begünſtigt ſeyn ſollte.
Anders iſt es mit dem Wahnſinnigen; zu deſſen Nach-
theil ſoll die Friſt gar nicht laufen, weshalb dem Nachfol-
ger die B. P. nur gegen Caution geſtattet wird (o).
Über den Verſchwender findet ſich keine abweichende
Beſtimmung; ohne Zweifel läuft alſo die Friſt, und er
hat blos den Regreß gegen ſeinen Curator.
Bey juriſtiſchen Perſonen (wenigſtens bey Stadtgemein-
den) ſoll die B. P. auch ohne Agnition erworben werden,
ſo daß hier von einer laufenden Friſt gar nicht die Rede
iſt (p).
Es ergiebt ſich hieraus, daß alle dieſe dauernde Zu-
ſtände der Perſon gar nicht als ſolche Hinderniſſe betrach-
tet werden, wodurch eine regelmäßige Anwendung des utile
tempus veranlaßt wird; in den meiſten und wichtigſten
Fällen gilt gar keine Beſchränkung des regelmäßig ablau-
fenden Zeitraums, und in den wenigen Fällen, worin eine
ſolche Beſchränkung, zum Schutz ſolcher Perſonen, wirklich
eintritt, kann ſie daher nur als beſondere Ausnahme, und
nicht als natürliche Folge des utile tempus angeſehen
werden.
Unter den oben dargeſtellten Vorausſetzungen hat das
utile tempus die Wirkung, daß die einzelnen Tage der
Verhinderung bey der Frage, ob ein vorgeſchriebener Zeit-
raum verſäumt iſt, nicht in Rechnung kommen, oder, was
daſſelbe ſagt, daß in jedem vorliegenden Fall der Zeitraum
um ſo viele Tage verlängert werden muß, als darin Tage
der Verhinderung angetroffen werden. Dieſe Wirkung
tritt ſtets ipso jure ein, ohne eine hinzu tretende Reſtitu-
tion, ja man kann ſagen, daß dieſe und das utile tempus
einander gegenſeitig ausſchließen. Wo alſo das utile tem-
pus gilt, da iſt Reſtitution kein Bedürfniß, alſo unmöglich,
[441]§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
und wo ausdrücklich eine Reſtitution gegen Friſtverſäum-
niß erwähnt wird, da können wir annehmen, daß ein utile
tempus nicht vorhanden iſt. An der Wahrheit dieſes
Satzes könnte man dadurch zweifelhaft werden, daß das
Edict, im Fall der Abweſenheit, unter andern auch gegen
abgelaufene Klagverjährungen Reſtitution zuſagt, und zwar
ſowohl dem Abweſenden ſelbſt, wenn er als Klagberech-
tigter ſeine Klage durch Verſäumniß der Zeit verlor (q),
als dem Gegner deſſelben, der die Klage verlor, weil er
den Abweſenden nicht verklagen konnte (r). Gerade dieſe
beide Fälle aber ſind durch das utile tempus gegen Ver-
luſt geſchützt (§ 189), und ſo möchte man glauben, das
utile tempus ſey dennoch mit der Reſtitution vereinbar.
Allein jene Edictſtelle muß vielmehr auf ſolche Fälle bezo-
gen werden, in welchen die verſäumte Zeit ein tempus
continuum iſt, alſo der Reſtitution allerdings bedarf. Da-
hin gehörten ſchon in der älteren Zeit, in welcher jenes
Edict entſtanden iſt, manche einzelne Klagen (s); außerdem
aber gehörte dahin die durch die Lex Julia für alle legi-
[442]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
tima judicia vorgeſchriebene anderthalbjährige Prozeßver-
jährung (t). In den Fällen des continuum tempus nun
hat die Anwendung der Reſtitution ohnehin keinen Zwei-
fel, und ſie bewirkt hier, nach freyem Ermeſſen und mit
Rückſicht auf individuelle Umſtände, Daſſelbe was in den
Fällen des utile tempus ſchon durch eine allgemeine Re-
gel bewirkt wird. Eine ſolche Reſtitution wird auch in
unſren Rechtsquellen erwähnt (u); beſonders aber bey ver-
ſäumten Prozeßfriſten, war im Römiſchen Prozeß die Re-
ſtitution eben ſo häufig, als ſie in unſren heutigen Gerich-
ten iſt. Nur gegen die dreyßigjährige Klagverjährung
iſt jede Reſtitution, alſo auch die der Abweſenden, allge-
mein verboten (v).
Man kann noch fragen, in welchem Verhältniß das
utile tempus zur civilen Zeitrechnung ſtehe. Manche ha-
ben behauptet, dieſe ſey auf das utile tempus gar nicht
anwendbar, ſondern nur auf das continuum(w); zu die-
ſer Behauptung aber iſt gar kein Grund vorhanden. Das
utile tempus beſteht darin, daß die Tage der Verhinde-
[443]§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
rung aus der Rechnung ausfallen. Dadurch gelangt man
ſtets auf irgend einen letzten Tag, in welchem keine Ver-
hinderung Statt fand, und der daher von der Modifica-
tion des utile tempus nicht berührt wird; denn wenn in
dem Tage ſelbſt, den man für den letzten halten möchte,
eine Verhinderung eintritt, ſo darf er eben deshalb in den
Zeitraum gar nicht eingerechnet werden, iſt alſo nicht der
letzte dieſes Zeitraums, ſondern es muß irgend ein folgen-
der, nämlich der nächſte unverhinderte, als letzter aner-
kannt werden. Bey dieſem letzten Tage nun entſteht die
Frage nach dem juriſtiſchen Endpunkt, worauf ſich die
civile Zeitrechnung bezieht. Dieſer letzte Tag kann nach
Verſchiedenheit der Rechtsverhältniſſe bald ſo, bald an-
ders behandelt werden; der Umſtand aber, daß einige
vorhergehende Tage wegen Verhinderung ausgefallen ſind,
kann darauf keinen Einfluß haben. Beide anomaliſche
Rechnungsarten ſtehen alſo neben einander und berühren
ſich nicht. So würde es ſeyn nach allgemeiner Betrach-
tung, welche Meynung man auch von der civilen Zeitrech-
nung faſſen möge; doppelt einleuchtend aber muß es ſeyn
nach der oben vorgetragenen Lehre über die civile Zeit-
rechnung bey Verſäumniſſen (§ 185. 186). Nach dieſer
Lehre endigt der Zeitraum erſt am Schluß des letzten Ta-
ges, und darin liegt ein Vortheil für den zum Handeln
berufenen Berechtigten. Es wäre aber ganz unnatürlich,
ihm dieſen Vortheil deshalb entziehen zu wollen, weil ihm
vorher ein anderer Vortheil zugeſtanden werden mußte,
[444]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
indem der ganze Zeitraum, wegen eingetretener ſchuldloſer
Verhindrungen, um eine Anzahl von Tagen erweitert
wurde.
Die hier dargeſtellte Lehre hatte ſchon im Juſtiniani-
ſchen Recht einen Theil ihrer Anwendbarkeit, oder doch
ihrer Wichtigkeit, verloren. Für einzelne Fälle war das
frühere utile tempus in ein continuum von größerer Aus-
dehnung verwandelt worden. So für die doli actio der
annus utilis in Zwey anni continui(a); und, was wich-
tiger war, für alle Reſtitutionen, der annus utilis in ein
quadriennium continuum(b). Dieſes Letzte haben Manche
als eine allgemeine Verwandlung für alles utile tempus
behandeln wollen, welche Meynung aber aus mehreren
Gründen verwerflich iſt (c). Das für die Reſtitution er-
laſſene Geſetz ſelbſt enthält keine Spur einer ſolchen All-
gemeinheit; die bloße Verdopplung bey der doli actio ſteht
derſelben entgegen; endlich würde dieſe Annahme nur
dann innere Wahrſcheinlichkeit haben, wenn in der That
die durchſchnittliche Reduction des utilis annus, nach der
Zahl der Römiſchen Gerichtstage, auf Vier gewöhnliche
[445]§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
Jahre führte, da ſie doch in der That nur auf anderthalb
Jahre führt (§ 189). Es erhellt hieraus, daß die neue
Beſtimmung für die Reſtitution nicht blos eine Verwand-
lung, ſondern zugleich auch eine wahre Verlängerung des
Zeitraums ſeyn ſollte; dieſe aber auf alle andere ähnliche
Zeiträume, von ſo mannichfaltiger Art und Beſtimmung,
anwenden zu wollen, würde ein höchſt willkührliches und
grundloſes Verfahren ſeyn. — Auch die Wichtigkeit des
utile tempus für die Klagverjährung war dadurch ver-
mindert, daß man ſchon längſt vielen einjährigen Klagen
immerwährende (jetzt dreyßigjaͤhrige) mit ähnlicher, nur
etwas beſchränkterer, Wirkung beygegeben hatte (d); dieſe
traten nun ſehr häufig in der wirklichen Anwendung an
die Stelle von jenen, und dann wurde nicht mehr nach
utile tempus gerechnet. — Noch mehr hatte ſich die An-
wendbarkeit des utile tempus vermindert bey der Bono-
rum possessio, deren beſonderer Erwerb, neben dem Civil-
erbrecht, in Folge der Juſtinianiſchen Geſetzgebung nur
noch ſelten Bedürfniß ſeyn konnte.
Weit größer aber ſind die Veränderungen, die bey dem
Übergang des Römiſchen Rechts in die neuere Zeit einge-
treten ſind. Viele einjährige Klagen des Römiſchen Rechts
ſind wegen ihrer polizeylichen Natur, oder wegen ihres
Verhältniſſes zu dem veränderten Strafrecht, ganz außer
[446]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Gebrauch gekommen. Noch wichtiger aber iſt der Umſtand,
daß der Unterſchied gerichtlicher und nicht gerichtlicher
Tage, welcher für die Römer die häufigſte Veranlaſſung
zur Anwendung des utile tempus darbot, in dieſem Sinn
für uns nicht mehr vorhanden iſt (§ 189). Daher kommt
im heutigen Recht das utile tempus nur noch bey wenigen
Klagen vor, und nur bey ſeltneren Veranlaſſungen, haupt-
ſächlich wenn die Abweſenheit des Klägers oder des Be-
klagten die ſchleunige Ausübung des Klagerechts verhindert.
Der häufigſte Gebrauch möchte davon etwa noch bey den
ädiliciſchen Klagen gemacht werden können; unter andern
wenn ein umherziehender Verkäufer bald nach dem Verkauf
ſich entfernt, und nun nach entdecktem Mangel der gekauf-
ten Sache, längere Zeit nicht wieder aufgefunden wer-
den kann.
Von der hier verſuchten Darſtellung des utile und
continuum tempus iſt die bey unſren Schriftſtellern herr-
ſchende Lehre ſehr abweichend (e). Sie geht davon aus,
daß jener Gegenſatz eine zweyfache Bedeutung habe, in-
dem er ſowohl auf den Anfang als auf die Fort-
ſetzung der in einen Zeitraum fallenden Unthätigkeit be-
zogen werden könne. Hieraus ergaben ſich Vier mögliche
Combinationen, und man nahm ganz conſequent vier Re-
[447]§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
geln an, deren eine auf jedes Rechtsverhältniß, worin von
einem Zeitraum die Rede ſey, nothwendig angewendet wer-
den müſſe:
In der Bildung und Bezeichnung dieſer Begriffe herrſcht
große Übereinſtimmung, und nur darüber wird eigentlich
geſtritten, ob alle dieſe Combinationen, oder nur einige
derſelben, in einzelnen Rechtsverhältniſſen wirklich durch
unſre Rechtsquellen anerkannt ſeyen (f).
Daß nun die hier angewendete Terminologie nicht in
unſren Quellen vorkommt, iſt noch der geringſte Vorwurf,
der ſie trifft, obgleich dieſer Umſtand wohl geeignet war,
Zweifel und Prüfung zu erregen (g); ſchlimmer iſt es, daß
jene Ausdrücke etwas ganz Anderes ſagen, als was in
der That von den Schriftſtellern, welche ſie brauchen, ge-
meynt iſt. Wollte man dieſelben in ihrem wahren Sinn
anwenden, ſo müßte es z. B. einen Unterſchied machen,
ob ein Klagberechtigter zur Zeit der Entſtehung ſeines
[448]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Klagrechts gefangen, ſpäterhin frey wäre, oder umge-
kehrt; ein ſolcher Unterſchied wäre aber völlig grundlos,
wird auch von Keinem behauptet. Was Jene mit den
angegebenen Ausdrücken ſagen wollen, iſt eigentlich Fol-
gendes. Die Handlung kann unterbleiben entweder wegen
äußerer Hinderniſſe (wie Gefangenſchaft), oder wegen der
Unwiſſenheit des Berechtigten über ſein Recht. Da nun
bey einzelnen Rechtsverhältniſſen in unſren Rechtsquellen
bald dieſe beide Momente beachtet werden, bald eines der-
ſelben, bald keines, ſo ergeben ſich folgende Vier Combi-
nationen:
Dieſes iſt der wirkliche Gedanke unſrer Schriftſteller;
die ſeltſame Wahl jener Ausdrücke zur Bezeichnung deſſel-
ben erklärt ſich aus folgendem Umſtand. Wo überhaupt
Unwiſſenheit vorkommt, wird dieſe meiſtens im Anfang
des Zeitraums Statt finden, in der Folge aber durch Wiſ-
ſen verdrängt werden; dennoch liegt hierin nur eine ſchwache
Entſchuldigung für die Wahl jener Terminologie. Denn
augenſcheinlich können die äußeren Hinderniſſe eben ſowohl
im Anfang als im Verlauf eines Zeitraums eintreten, und
doch denkt Niemand daran, auf dieſe Verſchiedenheit ir-
[449]§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
gend ein praktiſches Gewicht zu legen. Aber ſelbſt die
Unwiſſenheit iſt ganz ungenau bezeichnet, indem man ſie
als ein im Anfang des Zeitraums vorkommendes Hin-
derniß auffaßt, da zuweilen ihr Verhältniß ein gerade um-
gekehrtes iſt. Wenn z. B. bey dem Tode eines Menſchen
kein Teſtament vorgefunden wird, auch der nächſte Agnat
anweſend iſt, ſo weiß dieſer augenblicklich, daß ihm die
B. P. unde legitimi angefallen iſt, und der Lauf ſeiner
100 Tage fängt ſogleich an. Wenn er nun 60 Tage
lang unthätig iſt, dann aber durch ein vorgebrachtes er-
dichtetes Teſtament getäuſcht wird, und den darin Einge-
ſetzten als wahren Erben ein Jahr lang anerkennt, ſo iſt
der Zuſtand ſeines Wiſſens durch Unwiſſenheit unterbro-
chen. Wenn endlich jetzt die Unächtheit des Teſtaments
anerkannt wird, ſo weiß der Verwandte von Neuem, daß
er zur B. P. berufen iſt. Zu den Anfangs abgelaufenen
60 Tagen hat er nun noch 40, in welchen er die B. P.
agnoſciren kann, da ihm das in der Mitte liegende Jahr
wegen der Unwiſſenheit nicht angerechnet wird (h). So
IV. 29
[450]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
iſt es alſo auch für das in der Unwiſſenheit liegende Hin-
derniß ganz unpaſſend, wenn man es als ein Hinderniß
ratione initii bezeichnen will.
Dieſe Betrachtung war lediglich gegen die allgemein
verbreiteten Kunſtausdrücke gerichtet, und ich bin über-
zeugt, daß unbefangene Bekenner der herrſchenden Lehre
in den von mir an die Stelle geſetzten Ausdrücken ihre
wahre Meynung erkennen werden; daneben ließe ſich alſo
eine völlige Übereinſtimmung in der Sache ſelbſt ſehr wohl
denken. Allein hinter dieſen ungeſchickten Ausdrücken, die
über das ganze Verhältniß eine große Unklarheit verbrei-
teten, hat ſich der wichtigſte, die Sache ſelbſt betreffende,
Irrthum verſteckt, der ſich eben unter dem Schutz jener
Unklarheit nicht blos der Widerlegung, ſondern ſelbſt ei-
ner eigentlichen Prüfung, ſtets entzogen hat. Gehen wir
nun auf die Sache ein, ſo findet ſich daß bey der Bono-
rum possessio, wegen der deutlichen Ausſprüche unſrer
Rechtsquellen, keine Meynungsverſchiedenheit möglich iſt;
die Unwiſſenheit des Berufenen und das äußere Hinderniß
ſtehen hier auf gleicher Linie. Bey der Klagverjährung
aber geht die herrſchende Meynung dahin, daß es ſich
hier in der Regel eben ſo verhalte, wie bey der Bonorum
possessio, daß alſo (mit Vorbehalt weniger Ausnahmen)
die Anwendung des utile tempus durch die Unwiſſenheit
des Klägers über ſein Klagrecht eben ſo hervorgerufen
(h)
[451]§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
werde, wie durch deſſen Gefangenſchaft oder die Abweſen-
heit des Beklagten; das iſt es, was man ſagen will, wenn
man das tempus omni ratione utile als die Regel, das
continuum ratione initii, utile ratione cursus als ſeltene
Ausnahme darſtellt, und es haben ohne Zweifel dieſe her-
gebrachten Kunſtausdrücke ſehr dazu beygetragen, die un-
kritiſche Annahme des erwähnten wichtigen Rechtsſatzes in
ungeſtörter Anerkennung zu erhalten (i). Hierüber nun iſt
an dieſer Stelle nichts Neues zu ſagen; die Gründe für
meine ganz entgegengeſetzte Anſicht ſind oben (§ 190) dar-
geſtellt worden, und wer durch ſie überzeugt wird, muß
eben deshalb die erwähnte abweichende Meynung verwerfen.
Unabhängig von der ſo eben dargeſtellten, ſehr allge-
meinen, Auffaſſung iſt die abweichende ganz einzelne Mey-
nung eines neueren Schriftſtellers (k). Dieſer unterſchei-
det die dies von den anni utiles. Jene werden auch von
ihm ſo erklärt, wie es hier, übereinſtimmend mit allen an-
deren Schriftſtellern, geſchehen iſt. Wenn dagegen der
29*
[452]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Prätor ſagt: intra annum actionem (oder bonorum pos-
sessionem) dabo, ſo ſoll das heißen: ſo lange mein Amts-
jahr dauern wird, welches alſo viel oder wenig ſeyn
konnte, je nachdem die Veranlaſſung der Klage oder der
Anfall der Erbſchaft in eine frühe oder ſpäte Zeit jenes
Jahres fiel. Selbſt die menses utiles bey den ädiliciſchen
Klagen ſollen ſo zu verſtehen ſeyn, welches mit einem
zweymonatlichen Wechſel in der Verwaltung der beiden
Ädilen in Verbindung gebracht wird. — Schon im Allge-
meinen muß es ſehr bedenklich erſcheinen, für die ganz
gleichartige Zuſammenſtellung von dies und annus utilis
eine völlig verſchiedene Bedeutung anzunehmen, beſonders
weil noch daneben die generiſche Bezeichnung durch tem-
pus utile und utilitas temporis vorkommt, die offenbar
auf Gleichartigkeit hindeutet; eben ſo bedenklich, in dem
augenſcheinlichen Gegenſatz des intra annum und post an-
num, den erſten Ausdruck in einer ganz anderen Beziehung
als den zweyten zu denken; höchſt bedenklich auch ſchon
die Annahme, daß der Prätor ganz überflüſſigerweiſe er-
klärt haben ſollte, er werde nach Beendigung ſeines Amts
keine Amtshandlungen mehr vornehmen. Sucht man aber
dieſe Meynung durch Anwendung auf einzelne Fälle klar
zu machen, ſo erſcheint ſie vollkommen unhaltbar. War
Jemand im letzten Monat des Amtsjahrs beraubt wor-
den, ſo hätte derſelbe zur Anſtellung der actio vi bono-
rum raptorum nur wenige Wochen übrig gehabt; daher
wäre es ſehr räthlich geweſen, nicht anders als im De-
[453]§. 192. Zeit. 5. Schalttag.
cember zu rauben, weil dann die Klage leicht durch Ver-
jährung verloren gieng. Eben ſo konnte es kommen, daß
ein Minderjähriger, nach erlangter Volljährigkeit, nur
wenige Tage zur Reſtitution übrig hatte, wenn gerade
ſein Geburtstag in die letzten Tage des Jahres fiel.
Wurde das Teſtament eines Verſtorbenen kurz vor dem
Schluß des Jahres eröffnet, und waren darin Drey Er-
ben ernannt, der Sohn, die Mutter des Verſtorbenen,
und ein Fremder, ſo hätten der Sohn und die Mutter nur
einige Tage gehabt um die B. P. zu agnoſciren, der
Fremde aber 100 Tage, da doch ausdrücklich geſagt wird,
daß der Unterſchied der Friſten zum Vortheil der Kinder
und Eltern beſtimmt ſey (l). Vieler anderer Gründe nicht
zu gedenken (m).
Quellen:
Schriftſteller:
In allen bisher aufgeſtellten Regeln iſt das Kalender-
jahr als ein gleichförmiger Zeitraum von 365 Kalender-
tagen angenommen worden, welches zum Maasſtab der
beweglichen Jahre dienen ſoll. Da nun aber alle Vier
Jahre zu jener Zahl Ein Tag als Schalttag hinzutritt,
ſo ſind poſitive Modificationen der gewöhnlichen Meſſung
der Zeiträume für den Fall eingeführt, daß der zu meſ-
ſende Zeitraum einen oder mehrere Schalttage berührt.
Ehe aber dieſe Modificationen erſchöpfend beſtimmt
werden können, iſt es nöthig, genauer als es oben (§ 179)
in einer allgemeinen hiſtoriſchen Überſicht geſchehen konnte,
den Schalttag ſelbſt, ſo wie er in unſer chronologiſches
Syſtem eintritt, feſtzuſtellen. Und auch dieſes iſt nur da-
durch möglich, daß auf das ältere Römiſche Jahr zurück
gegangen wird. In dieſem hatte, wenn es ein gewöhnli-
ches Jahr war, der Februar 28 Tage; der 23ſte derſel-
ben hieß Terminalia, der 24ſte Regifugium. Alle Zwey
Jahre aber wurde dieſes Normalmaaß des Februars ge-
[455]§. 192. Zeit. 5. Schalttag.
ſtört, ſo daß er nur 23 Tage hatte; zwiſchen Terminalia
und Regifugium wurde ein ganzer mensis interkalaris ein-
geſchoben, abwechslend von 22 und 23 Tagen, dem dann
noch die Fünf abgeſchnittenen Tage des Februars (von
Regifugium an) angehängt wurden, ſo daß er überhaupt
bald aus 27, bald aus 28 Tagen beſtand. Er wurde
übrigens wie jeder andere Monat behandelt, hatte alſo
ſeine Kalenden, Nonä und Idus, von welchen aus die
einzelnen Tage rückwärts gezählt wurden. Cäſar ließ die-
ſen gewiß ſehr unbequemen Schaltmonat ganz fallen (a),
ſetzte aber an denſelben Ort, zwiſchen Terminalia und Re-
gifugium, einen Schalttag, der nur alle Vier Jahre ein-
treten ſollte, keine eigene Zahl bekam, alſo auch die ge-
wöhnliche Zählung der Tage des Februars nicht ſtörte,
obgleich dieſe durch ihn auf 29 vermehrt wurden. Das
Weſen dieſer Einrichtung, die wir noch jetzt befolgen, und
ihr Zuſammenhang mit der vorhergehenden, wird durch die
Zeugniſſe des Macrobius und Cenſorinus klar und ge-
wiß (b). Folgende Überſicht der Sieben letzten Tage des
[456]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Februars in einem Schaltjahr wird es anſchaulich ma-
chen, wie jeder dieſer Tage von den Römern bezeichnet
wurde, und wie er von uns bezeichnet zu werden pflegt.
Daß in den beiden Tagen, die hier als dies sextus
bezeichnet werden, der Schalttag der Römer ſich findet,
iſt unbeſtritten, folgt auch aus der wiederholten Zahl; es
fragt ſich nur, welcher von beiden es eigentlich iſt. Un-
ſre Rechtsquellen ſagen ausdrücklich, der posterior ſey der
Schalttag, nicht der prior(d); damit allein aber iſt die
Sache noch nicht abgethan. Dieſer Ausdruck iſt an ſich
zweydeutig, indem er ſich eben ſowohl auf die natürliche
Zeitfolge beziehen könnte, als auf die rückwärts gehende
Römiſche Zählung; im erſten Fall würde der 25. Februar
(b)
[457]§. 192. Zeit. 5. Schalttag.
der Schalttag ſeyn, und dieſes haben viele neuere Schrift-
ſteller angenommen (e); im zweyten Fall wäre es der 24ſte.
Daß nun die zweyte Meynung die richtige iſt, beweiſt
ſchon der Ausdruck Ulpians: posterior dies Kalendarum
(Note d), das heißt der von den Kalenden an (rückwärts)
gerechnet der ſpätere iſt; ganz unzweifelhaft aber wird es
durch Macrobius und Cenſorinus (Note b), welche aus-
drücklich ſagen, die neue Einſchaltung geſchehe an derſel-
ben Stelle wie die alte, nämlich nach den Terminalien,
oder nach dem 23ſten Tage des Februar, ſo daß von
dieſem Monat Fünf Tage abgeſchnitten würden.
Allein auch damit iſt noch nicht aller Zweifel beſeitigt.
Viele nämlich behaupten, jener unzweifelhaft Römiſche
Schalttag ſey nicht mehr der unſrige, denn nach unſrer
heutigen Sitte, die Monatstage mit fortlaufenden Zahlen
zu verſehen, ſey der 29. Februar zum Schalttag gewor-
den (f), und dieſe Meynung hat einigen Schein für ſich;
denn wenn man den gedruckten Kalender eines Schaltjah-
res mit dem eines Gemeinjahres vergleicht, ſo beſteht der
ſichtbarſte Unterſchied darin, daß jener einen 29. Februar
hat, welcher dieſem fehlt, und daher in dem Schaltjahr
neu hinzugefügt ſcheint. Dennoch muß dieſe Meynung
ſchlechthin verworfen werden. Die Stellung des Schalt-
[458]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
tags war gar nicht durch die den Römern eigenthümliche
Art, die Monatstage zu zählen, beſtimmt, denn ſo gut
man einen doppelten sextus annahm, hätte man auch ei-
nen doppelten quintus oder septimus annehmen können;
war ſie nun von dieſer Zählungsart unabhängig, ſo hat
auch die hierin eingetretene Veränderung keinen Einfluß
auf ſie ausüben können. Jene Stellung gehört zu den Ei-
genthümlichkeiten des Julianiſchen Kalenders, der auch
noch der unſrige iſt, da die einzige durch Gregor XIII.
bewirkte Veränderung auf die Stellung des Schalttages
gar keinen Einfluß hat. Eine Beſtätigung dieſer Anſicht
liegt auch noch darin, daß der Matthiastag, der in einem
Gemeinjahr auf den 24. Februar fällt, in einem Schalt-
jahre auf den 25. Februar übergeht, da doch, wenn der
25ſte der Schalttag wäre, kein Grund vorhanden ſeyn
würde, den Matthiastag von dem 24ſten zu entfernen (f¹).
Erwägt man vollends die ſehr allmälige und unbeſtimmte
Weiſe, in welcher unſre neuere Zählungsart in Gebrauch
gekommen iſt, ſo kann ihr unmöglich ein ſolcher Einfluß
[459]§. 192. Zeit. 5. Schalttag.
auf veränderte Anwendung von Rechtsregeln beygelegt
werden. Da nämlich die alte und neue Bezeichnung der
Tage viele Jahrhunderte lang neben einander angewendet
wurden (§ 180), ſo müßte man, nach der Meynung der
Gegner, annehmen, Diejenigen, welche nach Kalenden und
Idus datirten, hätten einen andern Schalttag gehabt, als
Die, welche ſchon unſre Weiſe angenommen hatten; jene
den 24., dieſe den 29. Februar. Jenen aber müßten noch
Die zugezählt werden, welche ſich der Heiligentage für
das Datum bedienten. Etwas ſo Unausführbares wird
aber Niemand behaupten wollen.
Der eigentliche Grund, der für jene irrige Meynung
zu ſprechen ſcheint, liegt in der kleinen Unbequemlichkeit,
die aus der Combination des Schalttags mit unſrer Art
die Tage zu zählen hervorgeht, und in den Irrungen, die
hierdurch veranlaßt werden können. Dieſe Rückſicht könnte
höchſtens einen Geſetzgeber beſtimmen, den Schalttag zu
verlegen, die Rechtsgelehrten ſind dazu gewiß nicht be-
fugt; aber auch für den Geſetzgeber würde eine ſolche Än-
derung des Kalenders, deſſen Feſtigkeit und allgemeine
Gleichförmigkeit wichtiger iſt, als die hier erwähnte Schwie-
rigkeit, nicht räthlich ſeyn. Dieſe Schwierigkeit iſt durch
eine mäßige Aufmerkſamkeit wohl zu überwinden; wollte
man aber ein beſonderes Gewicht darauf legen, ſo gäbe
es ein ſehr einfaches Mittel ſie zu beſeitigen, ohne den ei-
gentlichen, nun ſchon weit über 1800 Jahre beſtehenden,
Kalender zu berühren. Man brauchte nur in einem Schalt-
[460]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
jahr die Tage, wie in einem Gemeinjahr, bis 28 zu zäh-
len, indem man den Schalttag ganz ohne Zahl ließe, und
blos als Schalttag bezeichnete, ſo daß der Matthiastag
die Zahl 24 behielte. Damit wäre das wahre Sachver-
hältniß am genaueſten ausgedrückt, und es läge darin gar
kein Eingriff in die weſentlichen Beſtandtheile des Kalen-
ders, zu welchen unſre den Monatstagen beygefügte Zah-
len keinesweges gehören.
Dieſes Alles ſollte nur als Grundlage dienen zu der
juriſtiſchen Behandlung des Schalttags, zu welcher ich
mich jetzt wende. Der Grundſatz geht dahin, daß die zur
Einſchaltung angewendete Zeit gar nicht als Zeit berück-
ſichtigt werden ſoll. Dieſer Grundſatz beſtand ſchon im
älteren Kalender, und wurde hier auf die Weiſe ausge-
führt, daß der ganze Schaltmonat als ein einziger Augen-
blick angeſehen, und zwar zu dem Endpunkt des unmit-
telbar vorhergehenden Tages (23. Februar), gerechnet
wurde, wie dieſes aus der folgenden merkwürdigen Stelle
hervorgeht.
Der § 1 iſt die einfache Beſtätigung des oben Geſag-
[461]§. 192. Zeit. 5. Schalttag.
ten, und bedarf keiner weiteren Erklärung (g). Der § 2
aber hat folgende Schickſale gehabt. Anſtatt der hier ab-
gedruckten Florentiniſchen Leſeart hat die Vulgata, wie es
ſcheint ganz allgemein, XXIX. Dieſes iſt eine vermeynt-
liche Emendation, welche aus folgender, in der Gloſſe an-
gedeuteter, Betrachtung entſprungen iſt (h). Mensis inter-
calaris, dachte man, iſt der Februar eines Schaltjahrs,
weil derſelbe einen Schalttag in ſich ſchließt; da nun die-
ſer 29 Tage hat, ſo muß die Zahl in XXIX. verändert
werden. — Als nun ſpäter der Florentiniſche Text entdeckt
wurde, ſuchte man dieſen dadurch zu rechtfertigen, daß
der Schalttag für Nichts gelte, und daher im juriſtiſchen
Sinn doch nur 28 Tage in einem ſolchen Februar enthal-
ten ſeyen (i). Allein beide Erklärungen, zuſammt der auf
die eine gebauten Zahl XXIX., ſind durchaus verwerflich.
Ob jemals mensis interkalaris von dem Februar eines
Julianiſchen Schaltjahrs geſagt worden iſt, will ich dahin
geſtellt ſeyn laſſen, ich kenne keine ſolche Stelle; dagegen
iſt mensis interkalaris oder interkalarius der ganz ge-
wöhnliche Name des alten Schaltmonats (k). Geſetzt aber
auch, dieſer Ausdruck hätte in der That beide Bedeutun-
[462]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gen (l), ſo wäre wenigſtens in jener Digeſtenſtelle durch-
aus nur an den alten Schaltmonat zu denken, welcher in
den unmittelbar vorhergehenden Worten mit jenem Aus-
druck bezeichnet worden war, da es völlig undenkbar iſt,
daß der Schriftſteller in wenigen Zeilen daſſelbe Wort in
zwey durchaus verſchiedenen Bedeutungen, ohne alle War-
nung, gebraucht haben ſollte. Der § 2 ſpricht daher, eben
ſo wie der § 1, von dem Schaltmonat des älteren Jah-
res, und dazu paßt die Zahl XXVIII. ſehr gut, indem,
wie oben bemerkt, jener Schaltmonat, mit Inbegriff der
ihm zugeſchlagenen Fünf letzten Tage des Februar, ab-
wechslend 27 oder 28 Tage hatte. Entweder hatte nun
Celſus, im Vorübergehen von dieſer Sache handelnd, nur
die größte unter den beiden vorkommenden Zahlen (alſo
das äußerſte Maaß des Schaltmonats) nennen wollen, oder
er hatte wirklich geſagt: XXVII. vel XXVIII., und ſein
genauer Ausdruck iſt erſt bey der Aufnahme in die Dige-
ſten abgekürzt worden, da ohnehin der Gegenſtand nur
noch antiquariſches, kein praktiſches, Intereſſe hatte (m).
Auf die Einſchaltung des Julianiſchen Jahres wird
der aufgeſtellte Grundſatz dadurch angewendet, daß der
Schalttag als mit dem darauf folgenden Tag gänz-
lich zuſammen fallend angeſehen wird, nach welcher Fiction
dieſe zwey wirkliche Tage im juriſtiſchen Sinn nur für
Einen Tag gelten (n); dieſes aus zwey Tagen beſtehende
Ganze iſt es, was von den Römern Bisextum genannt
wird (Note b). Wie dieſer für den Schalttag aufgeſtellte
Grundſatz auf einzelne Rechtsverhältniſſe angewendet wird,
ſoll nunmehr angegeben werden.
Der Schalttag kann in Rechtsverhältniſſen auf zweyer-
ley Weiſe in Betracht kommen: erſtlich wenn er in den
Lauf eines Zeitraums fällt; zweytens wenn er mit den
Gränzpunkten deſſelben in Berührung kommt, nämlich ent-
weder mit dem Anfang, oder mit dem Endpunkt, oder mit
beiden Gränzen zugleich.
Das erſte Verhältniß des Schalttags iſt im Allgemei-
nen weder ſchwierig noch beſtritten. Wenn in dem Lauf
eines Zeitraums Ein Schalttag oder mehrere gefunden
werden, ſo wird der ganze Zeitraum um eben ſo viele
[464]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
wirkliche Tage verlängert, da die einfallenden Schalttage
gar nicht als Zeiträume angeſehen werden ſollen. Wenn
alſo vor Juſtinian die Uſucapion einer beweglichen Sache
im Januar eines Schaltjahrs angefangen hatte, ſo wurde
ſie erſt mit 366 Tagen vollendet, und der Beſitzer erlitt
dadurch einen kleinen Nachtheil. Eben ſo beträgt die drey-
ßigjährige Klagverjährung, wegen der einfallenden Sieben
oder Acht Schalttage, nicht dreyßigmal 365 Tage, ſondern
bald Sieben, bald Acht Tage mehr, und der Klagberech-
tigte hat den kleinen Vortheil, daß er einige Tage länger
nachläſſig ſeyn darf, ohne etwas zu verlieren. Dieſe Re-
gel ſelbſt iſt unbeſtritten, auch in der Anwendung nicht
ſchwierig; es fragt ſich nur, welche Fälle etwa von ihrer
Anwendung ausgenommen ſeyn möchten, und dabey kommt
Alles auf die Auslegung folgender Stelle an.
L. 2 de div. temp. praescr. (44. 3). Marcellus.
In tempore constituto judicatis, an intercalaris dies
proficere judicato, necne, debeat, quaeritur: item de
tempore quo lis perit. Sic sine dubio existimandum
est, ut auctum litis tempus intercalari die existime-
tur: veluti si de usucapione sit quaestio, quae tem-
pore constituto expleri solet: aut de actionibus quae
certo tempore finiuntur, ut aediliciae pleraeque(a)
[465]§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
actiones. Et(b)si quis fundum ita vendiderit, ut
nisi in diebus triginta pretium esset solutum, inem-
ptus esset fundus, dies intercalaris proficiet em-
ptori(c). Mihi contra videtur.
Der allgemeine Gang der Gedanken iſt dieſer. Zuerſt
werden zwey Fälle als Fragen aufgeſtellt, wörtlich wird
nur der zweyte mit großer Beſtimmtheit entſchieden, aber
die Entſcheidung ſoll augenſcheinlich auch für den erſten
gelten. Darauf folgen zwey andere Fälle, ohne ausdrück-
liche Entſcheidung, aber durch die Verbindungsworte der
vorhergehenden Entſcheidung angeſchloſſen. Dann kommt
ein fünfter Fall, in ungewiſſer Verbindung mit den vori-
gen ausgedrückt. Endlich ein allgemein lautender Wider-
(a)
IV. 30
[466]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſpruch gegen die Meynung, die allgemein in Frage geſtellt,
und für Einen Fall entſchieden behauptet worden war.
Zuvörderſt iſt nun einleuchtend, daß nicht derſelbe
Schriftſteller Dasjenige, was er zuerſt sine dubio als
wahr aufgeſtellt hatte, zuletzt eben ſo beſtimmt verneinen
kann. Dieſen Widerſpruch aus den Gedanken des Mar-
cellus zu entfernen, für uns aber nur um ſo beſchwerlicher
zu machen, haben Manche behauptet, die Schlußworte
mihi contra videtur enthielten eine berichtigende Note des
Ulpian zu der Schrift des Marcellus (d). Dieſe Aushülfe
iſt verwerflich, weil man die Thatſache erſt in den Text
hinein tragen müßte, das Verfahren der Compilatoren
höchſt unvorſichtig, alſo nicht ohne Noth anzunehmen wäre,
eine befriedigende Auflöſung aber doch nicht gewonnen
ſeyn würde. Daher haben denn von jeher die Meiſten an-
genommen, Marcellus behaupte für die Vier erſten Fälle
die Regel, für die fünfte die Ausnahme. Um dieſes auch
mit dem Ausdruck in befriedigenden Zuſammenhang zu
bringen, hat man (ſchon von der Gloſſe an) den letzten
Satz, von Et si quis fundum an, als Frage aufgefaßt,
worauf dann das mihi contra videtur die verneinende Ant-
wort giebt, in welcher die praktiſche Verſchiedenheit des
fünften Falls von den vier erſten ausgeſprochen wird.
Dieſe Erklärung gewinnt noch ſehr an Wahrſcheinlichkeit
durch die Leſeart Sed (Set, set et), (Note b), wodurch
[467]§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
der Gegenſatz des fünften Falls gegen die vier erſten gleich
im Eingang bemerklich gemacht wird.
Damit iſt indeſſen nur erſt der Weg gebahnt, die
Schwierigkeit ſelbſt aber noch nicht gelöſt. Die Fünf
Fälle können nur als Repräſentanten von Gattungen die-
nen, und ſo bleibt noch immer die Frage zu beantworten
übrig: In welchen Fällen ſoll die Regel gelten, daß der
Schalttag nicht als ein Tag berückſichtigt werde, in wel-
chen ſoll ſie nicht gelten? Dazu iſt es nöthig, die Fälle
einzeln durchzugehen.
1) Tempus constitutum judicatis. Die Zwölf Tafeln
gaben jedem verurtheilten Schuldner 30 Tage Zeit zur
Zahlung (e), und dieſe Regel war noch zur Zeit der claſ-
ſiſchen Juriſten in voller Übung (f). Daher will hier Mar-
cellus ſagen: wenn in dieſe Zeit von 30 Tagen ein Schalt-
tag fällt, ſo werden es in der That 31, weil der Schalt-
tag mit dem folgenden Regifugium nur für Einen Tag
30*
[468]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zählt; daher gewinnt der Schuldner Einen Tag, interca-
laris dies proficit judicato.
2) Tempus quo lis perit. Dieſes iſt keine Klagver-
jährung, wie man früher wohl angenommen hat, ſon-
dern es iſt die von der L. Julia für die legitima judi-
cia beſtimmte Zeit von anderthalb Jahren, worin der Ju-
der ein Urtheil geſprochen haben muß, wenn nicht der
Prozeß für den Kläger verloren ſeyn ſoll (g). Von dieſer
Zeit nun ſagt Marcellus ausdrücklich, daß ſie durch den
einfallenden Schalttag erweitert werde.
3) Si de usucapione sit questio. Hier macht einige
Schwierigkeit das einleitende veluti, welches dazu verleiten
könnte, die Uſucapion als ein einzelnes Beiſpiel des tem-
pus quo lis perit anzuſehen; dieſes iſt aber ganz unmög-
lich, und könnte höchſtens in den ſehr verbreiteten irrigen
Begriffen von Verjährung einige Nahrung finden, die je-
doch den Römiſchen Juriſten vollkommen fremd ſind. In-
deſſen iſt es auch gar nicht nöthig, das veluti ſo zu
verſtehen, es iſt vielmehr hinzu zu denken das vorange-
hende existimandum est, und es ſoll daher nur die gleiche
Entſcheidung auch für die Uſucapion durch veluti ausge-
drückt werden. Marcellus will daher ſagen: ſo wie es
auch angeſehen werden muß, da wo der Zeitraum einer
Uſucapion in Frage kommt — nämlich ſo, daß deren Zeit-
raum (damals Ein Jahr oder Zwey Jahre) durch den
einfallenden Schalttag verlängert wird.
4) Aut (sit quaestio) de actionibus, quae certo tem-
pore finiuntur. Auch die Zeit einer Klagverjährung ſoll
durch den Schalttag verlängert ſeyn, wofür mehrere ädi-
liciſche Klagen als Beyſpiele angeführt werden. Bey die-
ſen iſt wohl zu bemerken, daß ihre Verjährung auf Zwey
Monate, Sechs Monate, Ein Jahr beſtimmt iſt (h).
5) Si quis fundum etc. Es iſt der Fall der lex com-
missoria neben einem Kaufcontract, geſtellt auf 30 Tage;
und in dieſem Fall ſoll der Schalttag die Zeit nicht ver-
längern.
Nun entſteht alſo die Frage, auf welchen allgemeinen
Charakter dieſe Verſchiedenheit der vier erſten Fälle von
dem vierten zurück zu führen iſt, wovon die Beurtheilung
aller anderen, hier nicht genannten, Fälle abhängen muß.
Die Meiſten haben von jeher die Verſchiedenheit darin ge-
ſetzt, daß in den vier erſten Fällen von Jahren oder Mo-
naten, im fünften von Tagen die Rede ſey; hiernach ſoll
alſo auch in anderen Fällen unterſchieden werden (i). Allein
wenn man von dem Grundſatz ausgeht, daß der Schalt-
tag kein Tag iſt, ſo darf er nicht mitgezählt werden, der
Zeitraum mag nun in einer Zahl von Tagen oder von
Jahren ausgedrückt ſeyn. Was aber völlig gegen dieſe
Meynung entſcheidet, iſt der Umſtand, daß der erſte unter
den Vier Fällen gleichfalls auf einen in Tagen ausgedrück-
[470]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ten Zeitraum geht, ja daß in ihm ſogar dieſelben triginta
dies vorkommen, wie in dem fünften Fall (k). — Muß
nun die Unterſcheidung der Jahre und Tage verworfen
werden, ſo bleibt nur noch der Unterſchied übrig, daß die
vier erſten Zeiträume auf Geſetzen beruhen (Lex oder Edict),
der fünfte auf einem Vertrag, und dieſer Unterſchied iſt
denn auch in der That der entſcheidende, auch für alle
übrige, in unſrer Stelle nicht berührte Fälle. Dafür aber
läßt ſich ein voͤllig befriedigender innerer Grund angeben.
Die Fiction, daß der Schalttag kein Tag ſey, beruht auf
einer geſetzlichen Regel, ſo wie der Schalttag ſelbſt auf
einer geſetzlichen Einrichtung. Bey jedem Geſetz nun,
welches einen Zeitraum vorſchreibt, muß angenommen wer-
den, daß der Geſetzgeber die Anwendung ſeiner Vorſchrift
mit Berückſichtigung aller übrigen Geſetze, alſo auch des
Geſetzes über den Schalttag, gewollt hat. Daſſelbe muß
angenommen werden, wenn der Richter eine Friſt beſtimmt,
da er ein Organ der Staatsgewalt, ſeine Handlung alſo
eine Staatshandlung iſt. Dieſes iſt alſo auch auf alle
geſetzliche und richterliche Prozeßfriſten anzuwenden, ſo daß
die zehentägige Appellationsfriſt durch den einfallenden
[471]§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
Schalttag auf Eilf Tage verlängert wird (l). Nur bey
den in Wochen ausgedrückten Friſten muß es anders ge-
halten werden, da die Wochenrechnung ganz außer dem
Kalender liegt (§ 180), alſo auch von dem Schalttag nicht
berührt wird. Wer alſo eine Friſt in Wochen vorſchreibt,
denkt dabey nur an den wiederkehrenden gleichnamigen
Wochentag (Montag, Dienſtag u. ſ. w.), auf welchen ein
Schalttag gar keinen Einfluß hat.
Ganz anders verhält es ſich bey einer durch Vertrag
in einer Zahl von Tagen beſtimmten Friſt, wobey Alles
auf die Interpretation des wahrſcheinlichen Willens an-
kommt. Sind nun hier 30 Tage feſtgeſetzt, ſo haben die
Partheien wahrſcheinlich dreyßigmal 24 Stunden gemeynt,
und wir haben keinen Grund anzunehmen, daß ſie an den
einfallenden Schalttag dachten, und zugleich die Rechtsre-
gel kannten, welche den Schalttag als nicht vorhanden
anſieht. Haben ſie dagegen den Zeitraum in Jahren aus-
gedrückt, ſo dachten ſie ohne Zweifel an den wiederkehren-
den Kalendertag eines folgenden Jahres, ſo daß dann der
Zeitraum von ſelbſt durch den einfallenden Schalttag ver-
längert wird; eben ſo, wenn ſie auf Monate contrahirten,
welches ſtets von der in einem künftigen Monat wie-
derkehrenden gleichen Zahl eines Tages zu verſtehen iſt
(§ 181).
Es verdient bemerkt zu werden, daß ſchon die Gloſſe
die verſchiedenen möglichen Erklärungen klar und beſtimmt
aufgeſtellt hat, alſo auch die richtige, die daſelbſt als die
Meynung des Bulgarus und Johannes angegeben wird (m).
Es iſt nun noch die Behandlung des Schalttags für
die Fälle zu beſtimmen, wo derſelbe mit den Gränzpunk-
ten eines Zeitraums in Berührung kommt.
I. Fällt der Anfang des Zeitraums in den 24. Febr.
eines Gemeinjahrs, das Ende aber in ein Schaltjahr, ſo
liegt der Endpunkt in dem 25. Februar, alſo in dem auf
den Schalttag folgenden Tag. Man kann das in der
Sprache des Römiſchen Kalenders ſo ausdrücken: der Zeit-
raum, der im Regifugium anfieng, endigt im Regifugium.
Oder in der Sprache unſrer Kalender: die Zeit, die im
Matthiastag anfieng, endigt im Matthiastag. Wer alſo
am 24. Februar 1775 geboren war, wurde am 25. Febr.
1800 volljährig (a) und zwar genau in der Stunde nnd
Minute, die dem Zeitpunkt ſeiner Geburt entſprach. Hatte
[473]§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
die Uſucapion einer beweglichen Sache am 24. Febr. 1797
angefangen, ſo iſt ſie eigentlich vollendet im Lauf des
25. Febr. 1800, aber nach den Regeln der civilen Zeit-
rechnung mit dem Anbruch dieſes Tages, und, da der
Schalttag mit demſelben identificirt wird, gleich bey An-
bruch des Schalttages (b). Wer etwa dieſes Letzte be-
zweifeln möchte, wird ſich am leichteſten überzeugen kön-
nen durch folgenden Ausdruck des Römiſchen Kalenders:
da die Uſucapion anfieng im Laufe des Regifugium, ſo
muß ſie endigen mit dem Ablauf der hora sexta noctis
der Terminalia, gerade ſo wie es gewiß geſchehen ſeyn
würde, wenn das Ende des Zeitraums in ein Gemein-
jahr gefallen wäre; der dazwiſchenliegende Schalttag kann
hierin Nichts ändern.
II. Fällt der Anfang des Zeitraums in den 25. Febr.
eines Schaltjahrs und das Ende fällt:
III. Fällt der Anfang in einen Schalttag, ſo liegt der
Endpunkt:
Wie der Schalttag behandelt wird, da wo er mit der
(d)
[475]§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
civilen Zeitrechnung zuſammentrifft, iſt ſo eben ſchon be-
merkt worden. Sein Zuſammentreffen mit dem utile tem-
pus kann nie zu einer Schwierigkeit führen. Denn das
Weſen dieſes letzten beſteht nur darin, daß diejenigen Tage,
worin das Handeln gehindert war, nicht als verſäumte
Tage angerechnet werden ſollen. Fällt nun die Verhinde-
rung in einen Schalttag, ſo wird auch dieſer nicht ange-
rechnet: aber die Wirkung des utile tempus iſt nicht fühl-
bar, indem ohnehin der Zeitraum um den einfallenden
Schalttag erweitert wird, ſo daß, mit und ohne Verhin-
derung an dieſem Tage, die Rechnung ſtets dieſelbe bleibt.
Manche haben behauptet, die hier aufgeſtellten Regeln
ſeyen im heutigen Recht gar nicht, oder doch nur auf be-
ſchränkte Weiſe, anzuwenden, weil in unſren gedruckten
Kalendern der Schalttag mit einer eigenen Zahl bezeich-
net, mithin als ein beſonderer Tag anerkannt ſey (f).
Daß dieſer Umſtand gleichgültig, und dem Weſen des Ka-
lenders fremd iſt, wurde ſchon oben dargethan. Bey jener
Meynung liegt aber wohl noch im Hintergrund die Vor-
ausſetzung, daß die ganze Sache eine ſogenannte Römiſche
Subtilität ſey, von welcher wir uns befreyen müßten. Es
ſind aber vielmehr jene Regeln die conſequente Folge der
Einſchaltung, die wir von den Römern angenommen haben,
ja auch gar nicht entbehren können, indem es nur gleich-
[476]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gültig iſt, daß ſie gerade im Februar, anſtatt in irgend
einem andern Monat, angebracht wird. Wollten wir nun
jene juriſtiſche Behandlung des Schalttags aufgeben, ſo
würden wir, anſtatt von einer Subtilität frey zu werden,
vielmehr in große Verwirrung gerathen. Der Ablauf einer
dreyßigjährigen Klagverjährung wäre nicht, wie es jetzt
eben ſo richtig als bequem geſchieht, nach dem bloßen Ka-
lendertag des Anfangs zu beſtimmen, ſondern es müßten
ſtets mehrere Tage abgerechnet werden, und zwar, nach
Verſchiedenheit der Fälle, bald Sieben bald Acht Tage,
weil in der That um ſo viel früher die dreyßigmal 365
Tage vollendet ſind. Wo der Schalttag in den Anfang
oder das Ende eines Zeitraums fällt, würde zwar nicht
dieſelbe Schwierigkeit eintreten, aber was könnten wir da-
bey gewinnen, dieſe Fälle anders als jene, alſo mit offen-
barer Inconſequenz, zu behandeln?
Eine neuere Geſetzgebung hat, in einzelnen Anwendun-
gen, Regeln aufgeſtellt, die mit den hier vorgetragenen
allgemeinen Grundſätzen übereinſtimmen, und es läßt ſich
darin eine Anerkennung dieſer, aus dem früheren Recht
herſtammenden, Grundſätze ſelbſt annehmen. Das Preußi-
ſche Landrecht ſagt von der dreyßigjährigen Verjährung
durch Nichtgebrauch (I. 9. § 548): „Durch die bey Schalt-
„jahren zutretenden Tage wird die Verjährungszeit nicht
„geändert;“ das heißt, der Ablauf der Verjährung ſoll
nach dem Datum des Anfangs beſtimmt werden, nicht um
Sieben oder Acht Tage früher wegen der einfallenden
[477]§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
Schalttage; oder mit anderen Worten: die Schalttage
gelten nicht als Zeiträume. — Dann ſagt der § 549, die
Verjährung, die in einem Schaltjahr mit dem 29. Februar
anfange, endige ſtets mit dem letzten Februar (alſo nach
30 Jahren mit dem 28. Februar, weil dieſes kein Schalt-
jahr ſeyn kann). — Übereinſtimmend mit dieſer letzten Vor-
ſchrift ſagt eine andere Stelle (II. 8 § 859), der am 29. Fe-
bruar eines Schaltjahrs ausgeſtellte, auf Jahre lautende
Wechſel ſey in einem Gemeinjahr am 28. Februar verfal-
len. — In dieſen beiden letzten Beſtimmungen liegt die
deutliche Anerkennung, daß, wo ein Schalttag in Betracht
kommt, die Identität der Tage nicht durch die in unſren
gedruckten Kalendern beygefügten Zahlen beſtimmt werde;
gerade Dieſes aber iſt es, was hier durch alle einzelne
Anwendungen durchgeführt worden iſt.
Im Franzöſiſchen Geſetzbuch hat dieſer Gegenſtand
folgende ſonderbare Wendung genommen. Urſprünglich
lautete der Text ſo:
2260. La prescription se compte par jours, et non
par heures. Elle est acquise lorsque le dernier
jour du terme est accompli.
2261. Dans les prescriptions qui s’accomplissent dans
un certain nombre de jours, les jours complémen-
taires sont comptés. Dans celles qui s’accomplis-
sent par mois, celui de fructidor comprend les jours
complémentaires.
Über den Schalttag war hier gar Nichts geſagt; der
[478]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Art. 2261 betrifft die Fünf Ergänzungstage des republi-
kaniſchen Kalenders (von 1793), die mit dem Schalttag
gar Nichts gemein hatten, indem ſie nur dazu dienten, die
Zwölf Monate von 30 Tagen mit dem Jahr von 365 Ta-
gen auszugleichen, anſtatt daß der Schalttag zur Ausglei-
chung dieſes Jahrs mit dem Sonnenjahr beſtimmt iſt.
Durch ein Senatusconſult wurde mit dem 1. Januar 1806
der Gregorianiſche Kalender wieder eingeführt, und nun
hatte der Art. 2261 alle Bedeutung verloren. Das Geſetz
vom 3. September 1807 gab dem bisherigen Code civil
den Namen Code Napoléon, indem es zugleich eine An-
zahl einzelner Abänderungen darin vornahm. Unter dieſe
Abänderungen gehörte denn auch die Weglaſſung des
Art. 2261 (g). Damit aber die Zahlenreihe nicht geſtört
würde, machte man den zweyten Satz des alten Art. 2260
zu einem beſonderen Art. 2261, und dieſes iſt ſeitdem die
Geſtalt der angeführten Beſtimmungen geblieben, ſo daß
jetzt über den Schalttag nicht einmal eine ſcheinbare Vor-
ſchrift zu finden iſt. Maleville, der während der alten
Geſtalt des Code ſchrieb, glaubt daß man den (alten)
Art. 2261 auch auf den Schalttag anwenden könne, wo-
durch alſo hier die Meynung vieler Civiliſten, nach wel-
cher zwiſchen Jahren und Tagen unterſchieden werden ſoll,
für Frankreich eine Beſtätigung erhalten würde (h). Er
[479]§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)
bekennt jedoch, daß nach ſehr gewichtigen Autoritäten (Du-
nod und Cujas) vielmehr zwiſchen geſetzlichen und ver-
tragsmäßigen Zeiträumen unterſchieden werden müſſe. Seit-
dem iſt durch Weglaſſung des alten Art. 2261 auch der
Schein verſchwunden, der daraus für jene Meynung ent-
ſtehen konnte, und ſo iſt wohl in Frankreich der Schalt-
tag ganz nach den Regeln zu beurtheilen, die hier für
das Römiſche Recht aufgeſtellt worden ſind.
Merkwürdig iſt noch die monſtröſe Geſtalt, welche je-
nes Geſetz im Napoleoniſchen Königreich Italien angenom-
men hat. Hier wurde der Art. 2261 nicht, wie in Frank-
reich, unterdrückt, ſondern durch folgende ganz andere
Beſtimmung erſetzt:
Nelle prescrizioni le quali si compiono in un dato nu-
mero di giorni, si computa qualunque giorno feriato.
In quelle che si compiono a mesi, si ritengono eguali
tutti i mesi, quantunque composti di numero diseguale
di giorni.
Schon in dieſen Worten, noch mehr aber in dem hin-
zugefügten Commentar, erſcheint eine ſo vollſtändige Con-
fuſion, des utile tempus, der Monatslänge, der civilen
Zeitrechnung, und des Schalttags, wie man ſie in dem
Umfang weniger Zeilen hervorzubringen kaum für möglich
hätte halten ſollen (i).
In der bis hierher angeſtellten juriſtiſchen Betrachtung
der Zeit wurde dieſelbe ſtets als eine beſtimmte Größe ge-
dacht, und alle aufgeſtellte Regeln bezogen ſich lediglich
auf die Meſſung dieſer Größe (§ 179). Nun findet ſich
aber daneben noch ein Rechtsinſtitut von ganz verſchiede-
(i)
[481]§. 195. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung.
ner Natur; in ihm erſcheint die Zeit ohne ein feſt be-
ſtimmtes Maaß, zugleich aber in einer Ausdehnung, die
über die meiſten beſtimmten Zeiträume weit hinausreicht.
Auch durch ſeinen allgemeineren Character unterſcheidet
ſich dieſes Inſtitut von anderen, die auf die Zeit gegrün-
det ſind. Die Uſucapion, die Klagverjährung u. ſ. w. ha-
ben ihren beſtimmten Zuſammenhang mit einzelnen Theilen
des Rechtsſyſtems, und in dieſem Zuſammenhang allein
können ſie befriedigend dargeſtellt werden; hier war nur
das Zeitelement darzuſtellen, welches ihnen gemeinſchaft-
lich zum Grunde liegt. Das nunmehr angedeutete Inſti-
tut hat dagegen eine ſo allgemeine, in die verſchiedenſten
Rechtsverhältniſſe eingreifende, Natur, daß auch für die
vollſtändige Darſtellung deſſelben keine andere als die ge-
genwärtige Stelle gefunden werden kann.
Die Namen, womit dieſes Inſtitut bezeichnet zu wer-
den pflegt, ſind mannichfaltig: unvordenkliche Zeit, unvor-
denklicher Beſitz, unvordenkliche Verjährung; eben ſo im-
memoriale tempus, possessio oder praescriptio immemo-
rialis. Es wird durch die Darſtellung ſelbſt klar werden,
warum von mir der erſte dieſer Namen vorgezogen worden
iſt. Die hier angegebenen lateiniſchen Kunſtausdrücke ſind
ſprachlich zu tadeln, in der Sache iſt Nichts dagegen ein-
zuwenden, da die in den Quellen vorkommenden Umſchrei-
bungen: quod memoriam excedit, und cujus memoria
non exstat, weſentlich daſſelbe ſagen.
Es leuchtet auf den erſten Blick ein, daß die unvor-
IV. 31
[482]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
denkliche Zeit, in ihrer Wirkung, der Erſitzung (§ 177)
verwandt iſt. Wo nun dieſe letzte wirklich begründet iſt,
da kann von der unvordenklichen Zeit, welche ſchwerer zu
erfüllende Bedingungen hat, nicht die Rede ſeyn. Und ſo
erſcheint ſogleich die unvordenkliche Zeit im Verhältniß ei-
nes Surrogats, als Aushülfe für ſolche Fälle, worin die
Erſitzung nicht ausreicht, ſo daß die erſte Aufgabe darauf
gerichtet ſeyn muß, die Fälle des Bedürfniſſes und der
Anwendung dieſes ergänzenden Inſtituts genau zu beſtim-
men. Ein ſolches Bedürfniß aber iſt auf zweyerley Weiſe
denkbar: erſtens für Fälle, worin die Bedingungen der
Erſitzung fehlen: zweytens für Gegenſtände, worauf
die Erſitzung überhaupt nicht anwendbar iſt.
Bevor aber dieſe Fälle ſelbſt angegeben werden, iſt es
nöthig den Blick auf ein außer dem Privatrecht liegendes
Gebiet zu richten. Auch im Staatsrecht kommen nicht ſel-
ten Fälle vor, worin die ſichere Erledigung ſchwankender,
zweifelhafter Verhältniſſe, welche im Privatrecht auf ſo
wohlthätige Weiſe durch Uſucapion oder Klagverjährung
bewirkt wird, als ein eben ſo unabweisliches Bedürfniß
erſcheint. Da aber hier kein Geſetzgeber ordnend eingreift,
ſo bricht ſich zwar auch das Bedürfniß ſeine Bahn, jedoch
ſo daß wir die feſten Zeitgränzen vermiſſen, die ſich im
Privatrecht überall finden. In England konnte es nach
der Revolution von 1688 auch einem ſtrengen Gewiſſen
lange Zeit zweifelhaft bleiben, ob eine rechtmäßige Ver-
änderung vorgegangen, oder bloße Gewalt geübt worden
[483]§. 195. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung.
ſey; und wenn die Stuarte ſiegreich zurückgekehrt wären,
ſo würde ihnen die Anerkennung ihres fortdauernden Rechts
nicht gefehlt haben. Als aber in der Perſon des Kardi-
nals von York der Stuartſche Königsſtamm erloſch (1806),
da hatte England und Europa längſt aufgehört, an dem
rechtmäßigen Thronbeſitz des Hauſes Braunſchweig zu zwei-
feln. Niemand kann hier und in ähnlichen Fällen ein Jahr
angeben, worin der Zweifel in Gewißheit übergeht; wohl
aber läßt ſich die Bedingung dieſes Übergangs durch all-
gemeine Charactere bezeichnen. Wenn der gegenwärtige
Zuſtand ſchon ſo lange beſteht, daß die jetztlebende Gene-
ration keinen andern gekannt, ja ſelbſt von ihren nächſten
Vorfahren keinen andern, als von dieſen ſelbſt erlebt, er-
fahren hat, dann kann man annehmen, daß dieſer Zuſtand
mit den Überzeugungen, Gefühlen und Intereſſen der Na-
tion gänzlich verſchmolzen iſt, und ſo iſt dann Dasjenige
vollendet, was man die publiciſtiſche Verjährung nennen
könnte. Da nun dieſes gerade der Character iſt, welchen
unſre Schriftſteller der unvordenklichen Zeit zuſchreiben,
ſo haben wir das Urbild derſelben im öffentlichen Recht
aufgefunden.
Damit aber iſt zugleich auch der Weg gebahnt, um
die Fälle ihrer Anwendung im Privatrecht zu beſtimmen.
Es giebt in dieſem manche Rechte, die nicht unmittelbar
auf dem Boden deſſelben entſprungen ſind, ſondern aus
einer publiciſtiſchen Einwirkung auf das Privatrecht her-
rühren. Der Natur ſolcher Rechte iſt es angemeſſen, auch
31*
[484]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ihre Erwerbung im Einzelnen auf publiciſtiſche Regeln
zurückzuführen. Wo daher die zweifelhafte Entſtehung ei-
nes ſolchen Rechts auf das Bedürfniß führt, eine Ent-
ſcheidung durch Zeitlauf eintreten zu laſſen, da wird nicht
die privatrechtliche Erſitzung, ſondern die eben beſchriebene
publiciſtiſche Verjährung, das angemeſſene Mittel für die-
ſen Zweck ſeyn. Und dieſes iſt in der That der Geſichts-
punkt, von welchem aus die unvordenkliche Zeit in unſrem
Privatrecht betrachtet werden muß, weshalb wir ihren
Begriff vorläufig ſo beſtimmen koͤnnen:
Sie iſt das Surrogat der Erſitzung bey ſolchen Rech-
ten, auf welche, nach ihrer publiciſtiſchen Natur und
Entſtehungsart, die Erſitzung ſelbſt nicht anwendbar iſt.
Die Wahrheit dieſer Behauptung muß aus den Be-
ſtimmungen unſrer Rechtsquellen über die unvordenkliche
Zeit hervorgehen. Hierbey müſſen wir vor Allem die
größte Sorgfalt auf die Stellen des Römiſchen Rechts
wenden, da es ganz irrig ſeyn würde, dieſes nur als die
zufällige Veranlaſſung, nicht als die wahre Grundlage des
genannten Rechtsinſtituts anzuſehen. Alle ältere Schrift-
ſteller behandeln es als eigentliche Grundlage, ja die ganze
praktiſche Ausbildung der unvordenklichen Zeit iſt lediglich
aus einzelnen Stellen des Römiſchen Rechts hervorge-
gangen.
Wir finden drey Rechtsinſtitute, worin das Römiſche
Recht die unvordenkliche Zeit als Entſtehungsgrund recht-
licher Verhältniſſe anerkennt: die Gemeindewege, Schutz-
anſtalten gegen das Regenwaſſer, und Waſſerleitungen (a).
Es giebt dreyerley Wege (b):
Heerſtraßen (publicae viae), Privatwege (privatae), die
ganz im Eigenthum eines Einzelnen ſtehen, und Gemeinde-
wege (vicinales) (c). Die rechtliche Beſchaffenheit dieſer
letzten iſt verſchieden. Sind ſie auf öffentlichem Boden
angelegt, ſo haben ſie die Natur der publicae; ſind ſie
[486]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
entſtanden aus Privatboden, welchen die Eigenthümer dazu
hergegeben haben (d), ſo ſind ſie privatae, das heißt ſie
ſind im gemeinſchaftlichen Eigenthum dieſer Einzelnen,
welche daher befugt ſind, ſie wieder aufzuheben oder auch
für Fremde zu verſchließen. Jedoch leidet dieſes Letzte eine
Ausnahme; auch die auf Privatboden urſprünglich ange-
legten Gemeindewege ſind publicae, alſo der Privatwill-
kühr entzogen, wenn ſie ſeit unvordenklicher Zeit, über
Menſchengedenken hinaus, als Wege beſtehen (e); ſie ha-
ben dadurch die rechtliche Natur öffentlicher Straßen an-
genommen. — Hier hat alſo die unvordenkliche Zeit die
Wirkung, daß dadurch ein Weg eben ſo zum Gemeingut
Aller wird, wie wenn er durch die Staatsgewalt und auf
Staatsboden angelegt worden wäre, was er in der That
nicht iſt. Ein Privatbeſitz liegt dabey nicht zum Grunde,
und irgend ein Privatrecht wird dadurch nicht begründet.
— Eine Anwendung dieſes Grundſatzes im heutigen Recht
würde wohl möglich ſeyn, wenngleich die Aufſicht auf
öffentliche Anſtalten dieſer Art bey uns anders als bey
den Römern eingerichtet iſt.
Auf die Gefahren, die das Regenwaſſer unſren Grund-
ſtücken bereiten kann (f) bezieht ſich ein uraltes Rechtsin-
ſtitut, welches auf folgendem Grundſatz beruht. Niemand
darf den Normalzuſtand eines Grundſtücks eigenmächtig
dergeſtalt ändern, daß der Ablauf des Regenwaſſers zum
Nachtheil meines Grundſtücks verſtärkt oder vermindert
werde (g).
Worin beſteht nun dieſer Normalzuſtand? Zunächſt
in der natürlichen, ohne menſchliches Zuthun entſtandenen,
Beſchaffenheit des Bodens (h), welche dem höheren Grund-
ſtück den Vortheil giebt, das von dem Boden nicht einge-
ſogene Regenwaſſer auf das niedere zu entlaſſen; einen
Vortheil, der durch die dem niederen zugeführte Beſſerung
compenſirt wird (i). — Dann aber in rechtmäßig angeleg-
ten künſtlichen Anſtalten, Dämmen, Wällen, Abzugsgrä-
[488]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ben, welche durch die Art ihrer Entſtehung gleichen An-
ſpruch auf Unverletzlichkeit haben, wie die natürliche Be-
ſchaffenheit. Die rechtmäßige Anlage kann geſchehen gleich
bey Gründung einer Stadt, durch die Obrigkeit, welcher
dieſe Gründung übertragen iſt, alſo vermittelſt der lex
colonica; in der Folge aber, nicht durch Anordnungen
der verwaltenden Stadtobrigkeiten, ſondern durch die höch-
ſten Staatsgewalten, den Kaiſer oder den Senat (k). Fin-
det ſich eine ſolche Anſtalt, deren rechtmäßige Gründung
nicht erweislich iſt, ſo kann in der Regel Jeder deren
Wegräumung, das heißt die Herſtellung des urſprüngli-
chen Zuſtandes, fordern (l). Wenn jedoch die Anſtalt
ſchon über Menſchengedenken beſteht, das heißt ſo lange
daß die Jetztlebenden keinen andern Zuſtand kannten, auch
keinen von ihren Vorfahren vernommen haben (m), dann
iſt ihr Alter ſo gut wie die Ler, das heißt es wird nun
die rechtmäßige Gründung angenommen (n). So kann dem-
nach der zu erhaltende Normalzuſtand durch drey verſchie-
dene Gründe beſtimmt werden: lex (publica auctoritas),
[489]§. 196. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.
vetustas (quae pro lege habetur), und, in Ermanglung von
beiden, natura loci(o). Die vetustas alſo, gleichbedeutend
mit der unvordenklichen Zeit (p), iſt blos ein Surrogat
der lex oder publica auctoritas, ihr gleich wirkend, wo
dieſe ſelbſt in Vergeſſenheit gerathen iſt, vielleicht auch nie
vorhanden war.
Dieſe Einwirkung der unvordenklichen Zeit iſt alſo ganz
ähnlich derjenigen, welche oben bey den öffentlichen We-
gen nachgewieſen worden iſt. Kein Privatbeſitz liegt da-
bey zum Grunde, kein Privatrecht wird erworben, ſon-
dern die lange Dauer dient als Erſatz der wahren publi-
ciſtiſchen Entſtehung der Anſtalt, und nun hat jeder Be-
theiligte das Recht, dieſen Zuſtand als unantaſtbar für
ſich geltend zu machen. Weil es kein Privatrecht iſt, ſo
[490]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
konnte nicht die Erſitzung eingreifen; da aber doch ein
ähnliches Bedürfniß vorhanden iſt (q), ſo wird dieſem auf
ähnliche Weiſe wie durch Erſitzung abgeholfen, nur erſt
in längerer und weniger beſtimmter Zeit. Daneben kann
aber auch ein Einzelner auf privatrechtlichem Wege einen
ähnlichen oder ſtärkeren Schutz für ſein Grundſtück erwer-
ben, namentlich durch eine Servitut; wo alſo dieſe er-
worben iſt, durch Vertrag (cessio), Teſtament, oder die
ihr eigenthümliche Erſitzung, da geht deren Einwirkung
jenen allgemeinen Regeln gerade ſo vor, wie in anderen
Fällen die Servitut dem Grundeigenthum vorgeht (r). Un-
gegründet würde die Einwendung ſeyn, daß in einem ſol-
chen Fall die privatrechtliche Servitut dem jus publicum
vorgezogen wäre, gegen die oben (§ 16) aufgeſtellte Re-
gel. Die Servitut wirkt nur zwiſchen zwey einzelnen
Grundſtücken, und entzieht dem einen die Vortheile, die
es ſonſt aus dem Normalzuſtand, alſo vielleicht auch aus
der öffentlichen Anſtalt (die juris publici iſt), ziehen könnte;
dieſe Anſtalt ſelbſt aber, inſofern ſie eine allgemeine poli-
zeyliche Natur hat, oder einem dritten Grundſtück Vor-
theil bringt, kann dadurch nicht eingeſchränkt werden (s).
Eine buchſtäbliche Anwendung dieſes Grundſatzes würde
im heutigen Recht deswegen nicht möglich ſeyn, weil bey
uns niemals Städte auf Römiſche Weiſe (durch dazu be-
ſtellte Magiſtrate) gegründet werden, auch die höchſten
Staatsgewalten (Kaiſer und Senat) ſchwerlich ſolche Be-
ſtimmungen unmittelbar erlaſſen möchten. Aber dem Sinn
nach iſt eine Anwendung allerdings moͤglich, da ſich ge-
wiß überall irgend eine Obrigkeit finden wird, die zu ſol-
chen Einrichtungen beauftragt iſt, und deren Anordnun-
gen, wo ſie im einzelnen Fall nicht erweislich ſind, durch
unvordenkliche Dauer der Anſtalt erſetzt werden können.
In folgenden zwey Stellen wird die unvordenkliche Zeit
als Erwerbungsgrund eines Rechts auf Waſſerleitung be-
zeichnet.
Dieſer Fall der Anwendung iſt der ſchwierigſte in der
Lehre von der unvordenklichen Zeit: zugleich iſt aber auch
keiner durch häufige Anwendung in Gerichten ſo wichtig
geworden als dieſer. Für eine erſchöpfende Behandlung
der Frage iſt es nöthig, etwas weit auszuholen.
Bey dem Eigenthum kommt ſchon frühe eine longi
temporis praescriptio gegen die Vindication vor, und zwar
ſo daß darin longum tempus nicht etwa eine unbeſtimmt
lange Zeit, ſondern ganz genau 10 oder 20 Jahre (nach
dem Unterſchied zwiſchen praesentia und absentia) bezeich-
net (a). Es iſt möglich, daß noch früher die Zeit unbe-
ſtimmt, alſo dem richterlichen Ermeſſen überlaſſen war,
und daß erſt kaiſerliche Conſtitutionen ſie feſtgeſtellt haben;
doch iſt es wahrſcheinlicher, daß gleich Anfangs ein be-
ſtimmter Zeitraum angenommen wurde, und daß die Con-
ſtitutionen nur, wie in ſo vielen anderen Fällen, als An-
[493]§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)
erkennung und Beſtätigung des ohnehin geltenden Rechts-
ſatzes angeführt werden (b).
Servituten konnten in älterer Zeit durch Uſucapion,
alſo in Einem oder Zwey Jahren, erworben werden; eine
Lex Scribonia hob dieſe Erwerbungsart auf (c). Da aber
das praktiſche Bedürfniß einer Erledigung zweifelhafter
Verhältniſſe durch Zeit auch bey ihnen unverkennbar war,
ſo bildete ſich, nach der Analogie der eben erwähnten
longi temporis praescriptio, folgender Rechtsſatz aus, den
wir ſchon bey den alten Juriſten als unzweifelhaft aner-
kannt finden. Wer eine Servitut während eines longum
tempus, alſo 10 oder 20 Jahre lang, ausübt (d), wird ſo
[494]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
angeſehen und geſchützt, als wenn er das Recht derſelben
wirklich erworben hätte (e); er bekommt nicht blos eine
temporalis praescriptio gegen die Klage des Eigenthü-
mers, ſondern ſelbſt eine Klage (f). Anſtatt des poſitiven
Rechtstitels, der zur Uſucapion und zur longi temporis
praescriptio nöthig iſt, wird hier nur gleichſam ein nega-
tiver Titel gefordert; der Beſitz ſoll weder mit Gewalt,
noch heimlich, noch bittweiſe angefangen haben (g). Dieſe
Erſitzung ſollte gewiß bey allen Arten der Prädialſervitu-
ten gelten, und wir finden ſie namentlich anerkannt bey
(d)
[495]§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)
altius tollendi(h), bey Waſſerleitungen (i), und bey We-
gen (k); auf die an ſich ſehr vergänglichen perſönlichen
Servituten iſt ihre Anwendung weniger häufig und wich-
tig, wir haben aber keinen Grund zu bezweifeln, daß das
Princip auch bey dieſen ſtets anerkannt war (l).
Hier nun iſt der Sitz der ganzen Schwierigkeit, die bis
auf unſere Zeit eine ſo große praktiſche Wichtigkeit behauptet
hat. Nach den im Anfang dieſes § mitgetheilten Stellen
ſcheint der Erwerb einer Waſſerleitung an die unvordenkliche
Zeit geknüpft; nach den oben erwähnten Stellen werden
Servituten (darunter auch ſelbſt die der Waſſerleitung),
ſchon in 10 oder 20 Jahren, alſo in ungleich kürzerer Zeit,
erworben. Die Löſung dieſes ſcheinbaren Widerſpruchs (m),
die ſchon ſeit Jahrhunderten unſre Juriſten beſchäftigt hat,
[496]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſoll nunmehr verſucht werden; zuvor aber iſt in kurzer
Überſicht zu zeigen, daß die bisher angeſtellten Verſuche
größtentheils ungenügend geblieben ſind.
Ich will zuerſt ſolche Verſuche erwähnen, wodurch die
unvordenkliche Zeit bey den Servituten als praktiſches
Moment ganz ausſcheiden würde. So ſagt Cujacius(n),
durch longum tempus werde nur erſt eine utilis actio er-
worben, durch unvordenkliche Zeit auch eine directa; wel-
cher Unterſchied praktiſch ganz unerheblich ſeyn würde.
Er iſt aber auch in der Theorie nicht haltbar; allerdings
kommt anderwärts ein Unterſchied vor zwiſchen servitus
ure (civili) constitua, und per tuitionem praetoris(o):
aber gerade Bezeichnungen dieſer letzten Art werden bey
der unvordenklichen Zeit gebraucht (p), auch iſt es kaum
denkbar, daß etwas ſo Unbeſtimmtes, wie die vetustas, ein
ſtrenges Recht nach jus civile, etwa der Uſucapion gleich,
gegeben haben ſollte. — Unterholzner erklärt den aquae
ductus der beiden oben mitgetheilten Stellen von Abzugs-
gräben, bezieht alſo die Stellen ſelbſt nicht auf die Ser-
vitut der Waſſerleitung, ſondern auf die actio aquae plu-
viae, wobey ohnehin die Einwirkung der vetustas ganz
unzweifelhaft iſt (q). Allein in den ſehr vielen Stellen,
worin aquae ductus und aquam ducere vorkommt, wird
[497]§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)
darunter ſtets die Zuleitung des Waſſers, zum Zweck
eigener Benutzung, verſtanden, die Ableitung könnte nur
etwa durch abducere bezeichnet werden (ſo wie die servi-
tus stillicidii avertendi), und für die Abzugsgräben kom-
men in der That völlig verſchiedene Ausdrücke in unſren
Rechtsquellen vor (r).
Folgende Meynungen dagegen kommen darin überein,
daß ſie, nach Verſchiedenheit der Fälle, bald 10 oder
20 Jahre, bald aber die unvordenkliche Zeit, bey dem Er-
werb der Servituten annehmen, wodurch alſo die unvor-
denkliche Zeit zu einem wichtigen praktiſchen Moment für
die Servituten werden würde.
a) 10 oder 20 Jahre ſollen nach Einer Meynung hin-
reichen, wenn der Beſitz nec vi, nec clam, nec precario an-
gefangen hat; außerdem ſoll unvordenkliche Zeit nöthigſeyn (s).
Dieſe Meynung iſt völlig verwerflich, weil der unvordenk-
liche Beſitz ein Beſitz von unbekanntem Anfang iſt, hier
aber vorausgeſetzt wird, daß er mit Gewalt, oder heim-
lich, oder bittweiſe angefangen habe, welche Vorausſetzung
nur bey einem bekannten Anfang denkbar iſt.
b) Nach Anderen ſollen 10 oder 20 Jahre hinreichen,
wenn ein poſitiver Rechtstitel, z. B. Kauf, dem Anfang
des Beſitzes zum Grunde liegt, außerdem ſoll unvordenk-
liche Zeit nöthig ſeyn (t). Auch dieſe Meynung muß ver-
IV. 32
[498]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
worfen werden, weil die oben angeführten Stellen, bey
dem Erwerb durch longi temporis possessio, nicht nur
von einem Rechtstitel ſchweigen, ſondern für den Anfang
des Beſitzes eine ganz andere Eigenſchaft fordern (das nec
vi u. ſ. w.), welche offenbar Surrogat des Titels ſeyn
ſoll, da es widerſinnig ſeyn würde, beide Bedingungen
zugleich, neben einander, aufzuſtellen.
c) Scheinbarer iſt folgende Meynung, die ſich mehr
als alle andere in Gerichten geltend gemacht hat. 10 oder
20 Jahre ſollen hinreichen bey einer continua servitus
(z. B. tigni immittendi), unvordenkliche Zeit ſoll nöthig ſeyn
bey einer discontinua (z. B. via) (u). — Die höchſt wich-
tigen Folgen dieſer Meynung leuchten ſogleich ein, wenn
man erwägt, daß gerade die bedeutendſten Prädialſervitu-
ten, wie Weiderecht und Holzungsrecht, discontinuae ſind,
ſo daß die Anwendung der unvordenklichen Zeit weit häu-
figer und wichtiger ſeyn würde, als die der 10 und 20 Jahre.
Prüft man nun dieſe Meynung nach den Quellenzeugniſſen,
(t)
[499]§ 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)
ſo zeigt ſie ſich bald als unhaltbar. Die zwey oben mitge-
theilten Stellen über die unvordenkliche Zeit reden vom
aquaeductus, eben ſo aber auch zwey der Stellen, welche
die longa possessio für genügend erklären (Note i). Nun
iſt allerdings die Waſſerleitung darin eigenthümlich, daß
ſie bald continua iſt (wie bey einer Brunnenröhre), bald
discontinua (wie bey der Wieſenwäſſerung); man müßte
alſo die angeführten vier Stellen ſo erklären, daß man in
zwey derſelben den Fall einer continua, in zwey andere
den einer discontinua ſtillſchweigend hinein interpretirte.
Allein ein ſo gewaltſames Verfahren muß als ſehr be-
denklich verworfen werden, da es weder durch eine An-
deutung in den Stellen ſelbſt, noch durch irgend eine an-
derwärts begründete Analogie unterſtützt wird (v). Völlig
entſcheidend aber gegen die angeführte Meynung iſt der
Umſtand, daß in einer andern Stelle die longa possessio
für den Erwerb der Wegeſervitut als hinreichend erklärt
wird (Note k), welche Servitut doch ſtets discontinua iſt,
alſo nach jener Meynung nur durch unvordenkliche Zeit
erworben werden müßte.
Folgende Betrachtung ſoll die Auslegung unſrer Stel-
len vorbereiten, die ich für befriedigend halte. Servituten
entſtehen regelmäßig durch Vertrag mit dem Eigenthümer
32*
[500]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
(in jure cessio), deſſen Surrogat war (ſo wie bey dem
Eigenthum) die Uſucapion, an deren Stelle ſpäter der Be-
ſitz von 10 oder 20 Jahren getreten iſt. Nun findet ſich
aber eine Art von Waſſerleitungen, die in ihrer äußeren
Erſcheinung und in dem Nutzen den ſie uns gewährt, ganz
gleich ſteht mit der Servitut dieſes Namens, in ihrem ju-
riſtiſchen Character aber weſentlich verſchieden davon iſt.
Aus einer öffentlichen Waſſerleitung nämlich kann ein Ein-
zelner für ſich Waſſer gewinnen wollen; eine Servitut iſt
unmöglich, weil ihm kein Eigenthümer gegenüber ſteht.
Allein der Kaiſer konnte einen ſolchen Privatgenuß als
Gnade gewähren, und wenn dieſes geſchehen war, behan-
delte es der Prätor als Privatrecht, indem er den Inhaber
gegen jede Störung durch ein Interdict ſchützte (w). Ge-
ſetzt nun, das kaiſerliche Reſcript war verloren, die Con-
ceſſion konnte alſo nicht mehr bewieſen werden, ſo gab
ſelbſt der zehenjährige Beſitz keine Hülfe, weil dieſer nur
das Surrogat der regelmäßigen Errichtung einer wahren
Servitut ſeyn ſollte, das hier ausgeübte Recht aber keine
Servitut iſt, ja überhaupt keine privatrechtliche Entſtehung
haben kann. Was hier helfen kann, iſt allein der unvor-
denkliche Beſitz, der ja auch in ähnlichen Fällen, bey den
[501]§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)
öffentlichen Wegen, und den Anſtalten gegen Regenwaſſer,
als Surrogat der regelmäßigen, publiciſtiſchen Entſtehung
eines Rechtsverhältniſſes von uns anerkannt worden iſt
(§ 196). Nun verſchwindet aller Widerſpruch der im Ein-
gang dieſes §. mitgetheilten Stellen mit den Stellen, welche
den zehenjährigen Beſitz als Erwerbsgrund der Servituten
anerkennen, indem jene Stellen gar nicht von einer Ser-
vitut reden, ſondern von der Privatbenutzung einer öffent-
lichen Waſſerleitung. — Ich will nicht verſchweigen, was
man gegen dieſe Auslegung einwenden kann. Oben wurde
getadelt, daß die Vorausſetzung einer continua oder dis-
continua servitus in Stellen hinein getragen wurde, die
davon Nichts erwähnen; hier aber, ſo ſcheint es, tragen
wir eben ſo die Vorausſetzung der publica aqua hinein.
Allein dieſes Verfahren wird hier durch folgende beſon-
dere Gründe gerechtfertigt. Wir tragen in die Stellen,
die den 10 und 20 jährigen Beſitz geſtatten (Note i) gar
Nichts hinein, ſondern laſſen ihnen ihren vollen wörtlichen
Umfang, anſtatt daß ihnen nach der gewöhnlichen Erklä-
rung die Vorausſetzung einer continua servitus aufgedrun-
gen wird. In die Stellen, welche die unvordenkliche Zeit
erwähnen, tragen wir allerdings das Merkmal der publica
aqua hinein, allein dieſe Annahme wird vor Allem unter-
ſtützt durch die augenſcheinliche Analogie der öffentlichen
Wege, und der Anſtalten gegen das Regenwaſſer (§ 196);
ferner dadurch, daß die eine dieſer Stellen unmittelbar
vorher ſelbſt von einer publica aqua redet, und daß ſie
[502]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
faſt unmittelbar hinter der größeren Stelle ſteht, worin
die Conceſſion aus öffentlichen Waſſerleitungen ausführlich
abgehandelt wird (x); endlich durch einige Parallelſtellen
des Codex, welche unverkennbar denſelben Rechtsſatz, und
zwar gerade für die Benutzung öffentlicher Waſſerleitun-
gen, enthalten (y). — Das Gewicht dieſer Gründe wird
noch durch folgende Betrachtung verſtärkt. Das Wichtige
in den angeführten beiden Stellen iſt nicht ihr unmittelba-
rer Inhalt, ſondern der darin verſteckte Gegenſatz (§ 197. m),
und dieſer eigentlich iſt es, welcher von mir durch die
Vorausſetzung eines publicus aquaeductus beſchränkt wird.
Eine ſolche beſchränkende Vorausſetzung aber iſt minder
[503]§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht (Fortſ.)
bedenklich bey einer Regel, die nicht unmittelbar ausgeſpro-
chen, ſondern nur durch das argumentum a contrario er-
kennbar iſt.
Dieſe Erklärung der Stellen iſt, dem Grundgedanken
nach, nicht neu. Sie findet ſich, neben einer anderen,
oben verworfenen Erklärung, ſchon in der Gloſſe (z), dann
auch, in verſchiedenen Zeiten, bey ſpäteren Schriftſtel-
lern (aa). Dieſe Alle aber haben ſie theils nur vorüber-
gehend vorgetragen, theils nicht in den nöthigen Zuſam-
menhang mit verwandten Rechtsſätzen gebracht, und ſo iſt
ſie bis jetzt nicht zu der ihr gebührenden Anerkennung ge-
kommen.
Fragen wir nach den Reſultaten der hier angeſtellten
Unterſuchung über das Römiſche Recht, ſo iſt allerdings
der unmittelbare poſitive Gewinn nicht groß. Denn von
den drey Rechtsſätzen, worin die Anwendung der unvor-
denklichen Zeit nachgewieſen worden iſt, möchte in unſrem
Recht, bey ganz veränderten öffentlichen Einrichtungen,
kaum noch Gebrauch gemacht werden können. Öffentliche
[504]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Waſſerleitungen, die bey den Römern in ſo coloſſalem
Umfang vorkamen, finden ſich jetzt nicht leicht in ſolcher
Geſtalt, daß daraus eine Privatbenutzung verliehen wer-
den könnte. Wichtiger iſt der allgemeine Geſichtspunkt des
Rechtsinſtituts, der aus dieſen einzelnen Regeln hervor-
geht, und wovon noch bey der neueren Geſetzgebung Ge-
brauch gemacht werden wird. Aber das wichtigſte Reſultat
für das praktiſche Recht iſt das negative, indem durch den
hier geführten Beweis die Servitutenlehre von jeder An-
wendung der unvordenklichen Zeit gänzlich befreyt wird.
Ja nicht einmal auf die Servituten bleibt dieſer Gewinn
beſchränkt, vielmehr kommt er auch den Germaniſchen
Reallaſten zu gut, deren Verjährung großentheils nach den
Römiſchen Regeln über die Servituten zu beurtheilen iſt.
Man könnte vielleicht glauben, die Anwendung der un-
vordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes, wenn
ſie auch nach Römiſchem Recht verworfen werden müſſe,
ſey doch durch allgemeines Gewohnheitsrecht in Deutſch-
land herrſchend geworden. Allerdings iſt ſie in manchen
Gerichten, wie in dem höchſten Gericht für Kurheſſen, ſtets
angewendet worden (bb), in anderen aber, wie in dem
höchſten Gericht für Hannover, wurde ſie eben ſo entſchie-
den verworfen (cc), und damit iſt jene Allgemeinheit voll-
ſtändig widerlegt. Aber ſelbſt das kann nicht zugegeben
werden, daß dieſe unrichtige Lehre wenigſtens in den Län-
[505]§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
dern, deren höchſte Gerichte ſie befolgt haben, die Na-
tur eines particulären Gewohnheitsrechts angenommen
habe (dd). Denn die Gerichte haben jene Lehre keineswe-
ges als ein Stück des beſonderen Landesrechts zur An-
wendung gebracht, ſondern lediglich als ein Stück des
Römiſchen Rechts, indem ſie ſich auf Stellen der Digeſten,
und auf die Autorität gemeinrechtlicher Schriftſteller ge-
gründet haben. Auch iſt hier keinesweges ein Fall vor-
handen, worin für ein wahrhaft empfundenes praktiſches
Bedürfniß blos zum Schein eine Rechtfertigung aus dem
Römiſchen Recht geſucht worden wäre, da gerade für das
praktiſche Bedürfniß durch jede beſtimmte Verjährungszeit
weit beſſer geſorgt wird, als durch die unvordenkliche Zeit.
Es iſt alſo hier vielmehr ein ſolcher Fall vorhanden,
worin ſelbſt jene Gerichte, wenn ſie ſich von dem bisher
gehegten theoretiſchen Irrthum überzeugen, denſelben auf-
zugeben, und den entgegen geſetzten Grundſatz für die Zu-
kunft anzuwenden haben (§ 20).
Im canoniſchen Recht finden ſich folgende zwey merk-
würdige Anwendungen der unvordenklichen Zeit.
Ein päbſtlicher Legat hatte dem Grafen von Toulouſe
die Ausübung gewiſſer nutzbarer Regalien (pedagia, gui-
[506]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dagia, salinaria) unterſagt. Auf Anfrage des Grafen er-
klärt P. Innocenz III. das Verbot dahin, daß es ſich nur
auf willkührliche, nicht auf rechtmäßige Abgaben dieſer
Art beziehe. Rechtmäßig aber ſeyen diejenigen, deren Er-
hebung ſich auf Verleihungen der Kaiſer, Könige, oder der
Lateraniſchen Kirchenverſammlung gründen; außerdem aber
auch
vel ex antiqua consuetudine, a tempore cujus non ex-
stat memoria, introducta(a).
Dieſer Ausſpruch iſt ganz dem Sinn des Römiſchen
Rechts gemäß. Solche publiciſtiſche Rechte ſind an ſich
nicht Gegenſtände der Uſucapion, aber der unvordenkliche
Beſitz kann hier die Stelle der Uſucapion erſetzen.
Die zweyte Stelle (b) ſpricht von einem Biſchoff, welcher
in den Gränzen eines fremden biſchöfflichen Sprengels
Kirchen und Zehenten in Anſpruch nahm, und geht dabey
von folgender Anſicht aus. Gegen eine Privatperſon werde
uſucapirt, mit Titel in 3, 10, 20 Jahren, ohne Titel in
30 Jahren. Da aber Kirchen im allgemeinen auf 40 Jahre
für jede Verjährung privilegirt ſind, ſo ſey bey der ge-
wöhnlichen Uſucapion gegen Kirchen lediglich bona fides
erforderlich, das Daſeyn des Titels aber gleichgültig, weil
mit und ohne Titel dieſe Uſucapion ſtets in 40 Jahren
[507]§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber ſtehe es des-
wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme
von der Kirchenverfaſſung (jus commune), nämlich von
der in dieſer gegründeten Diöceſanbegränzung, enthalten
würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh-
rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das jus
commune oder eine Präſumtion gegen ſich habe, ſey noch
neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man-
gel deſſelben könne nur durch unvordenkliche Zeit erſetzt
werden.
Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe-
tur praesumtio contra ipsum(c), bona fides non suffi-
cit; sed est necessarius titulus, qui possessori caus-
[508]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
sam tribuat praescribendi: nisi tanti temporis allege-
tur praescriptio(d), cujus contrarii memoria non ex-
sistat.
Dieſe letzte Stelle hat darin den Geſichtspunkt des
Römiſchen Rechts feſtgehalten, daß ſie die unvordenkliche
Zeit lediglich erfordert, wo ein publiciſtiſches Hinderniß
des behaupteten Rechts aus dem Wege zu räumen iſt;
darin aber weicht ſie ab, daß ſie den unvordenklichen Beſitz
bey einem und demſelben Gegenſtand mit der Uſucapion
zuläßt, deren fehlende Bedingungen durch ihn erſetzt wer-
den ſollen. Wäre die Anſicht des Römiſchen Rechts völlig
feſtgehalten worden, ſo hätte in allen Fällen der Zehenten
in fremden Diöceſen der unvordenkliche Beſitz gefordert
werden müſſen, ohne Unterſchied des vorhandenen oder
nicht vorhandenen Titels. Die Abweichung liegt alſo nicht
ſowohl in der Zulaſſung der unvordenklichen Zeit, als viel-
mehr in dem zugelaſſenen 40jährigen Beſitz unter Voraus-
ſetzung eines Titels. Man kann daher auch nicht ſagen
(worauf hier das Meiſte ankommt), daß das canoniſche
Recht für die unvordenkliche Zeit überhaupt einen ganz
[509]§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
neuen, vom Römiſchen Recht abweichenden, Geſichtspunkt
aufgeſtellt habe.
In den Reichsgeſetzen wird die unvordenkliche Zeit
mehrmals erwähnt, und zwar ſtets als ein Erwerbungs-
grund publiciſtiſcher Rechte. So kommt ſie vor in der
goldnen Bulle, neben den von früheren Kaiſern und Kö-
nigen ertheilten Privilegien, um die Immunität der Böh-
miſchen Unterthanen von allen nicht Böhmiſchen Gerichten
zu begründen (e).
Der Reichsabſchied von 1548 ſchützt die Reichsſtände
im Beſitz der Freyheit von Reichsſteuern, es möchte ihnen
denn bewieſen werden können, daß ſie ſeit Menſchen Ge-
denken wenigſtens einmal ſolche Steuern gezahlt hätten (f).
Dieſelbe Beſtimmung wird in einem ſpäteren Reichsgeſetz
wiederholt (g).
Faſſen wir dieſe Beſtimmungen neuerer Geſetzgebungen
mit denen des Römiſchen Rechts zuſammen, ſo ergiebt ſich
für die Anwendung der unvordenklichen Zeit folgender
Grundſatz:
[510]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Sie wird in allen, und nur in ſolchen, Fällen erfor-
dert, wo durch Zeit entweder ein Recht von publiciſti-
ſchem Character, oder die Befreyung Einzelner von ei-
nem Recht dieſer Art, erworben werden ſoll.
Es erklärt ſich aus dieſem Grundſatz, warum das er-
wähnte Inſtitut im Römiſchen Recht eine ſehr unterge-
ordnete Stellung einnimmt, vom Mittelalter her aber zu
einer wichtigen und häufigen Anwendung gelangt iſt. Denn
ſeit dieſer Zeit findet ſich oft eine Vermiſchung des Pri-
vatrechts mit dem öffentlichen, durch Übergang publiciſti-
ſcher Rechte in den Privatbeſitz; vorzüglich auch in Com-
munalverhältniſſen kommen ſolche Fälle häufig vor. — Im
Römiſchen Recht fanden ſich zwey Fälle, worin die un-
vordenkliche Zeit ohne allen Privatbeſitz wirkſam iſt (§ 196);
dagegen iſt ihre Wirkſamkeit in einem dritten Fall des
Römiſchen Rechts (§ 197), ſo wie in den weit wichtige-
ren Fällen des neueren Rechts (§ 198), allerdings an das
Daſeyn eines ſolchen Beſitzes geknüpft. Daher können wir
für die Anwendung des Inſtituts im heutigen Recht das
Daſeyn eines eigentlichen Beſitzes als erſte Bedingung an-
nehmen. Da jedoch die oben erwähnten Fälle des Römi-
ſchen Rechts, denen kein Beſitz zum Grund liegt, nicht
abzuläugnen ſind, ſo hat mich dieſes beſtimmt, den Aus-
druck des unvordenklichen Beſitzes, als allgemeiner Be-
zeichnung dieſes Inſtituts, zu verwerfen.
Mit dieſen Anſichten hat denn auch von jeher großen-
theils die Praxis übereingeſtimmt, obgleich darin Niemand
[511]§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
eine ſtreng durchgeführte Gleichheit erwarten wird (h). Die
größte Abweichung von der richtigen Auffaſſung beſtand
in der ſehr häufigen Anwendung der unvordenklichen Zeit
auf die Servituten (§ 197).
Was den inneren Werth dieſes Rechtsinſtituts betrifft,
ſo haben ſich von alter Zeit her praktiſche Schriftſteller
beſtimmt, und zum Theil in den ſtärkſten Ausdrücken, da-
gegen ausgeſprochen (i). Dagegen hat daſſelbe neuerlich
einen ſehr warmen Vertheidiger gefunden, der es überaus
hoch geſtellt hat (k). Vielleicht laſſen ſich dieſe ſtreitende
Meynungen auf folgende Weiſe vereinigen. Im öffentli-
chen Recht iſt die unvordenkliche Zeit durchaus nicht zu
entbehren (§ 195), und es iſt ganz gleichgültig, wie wir
Juriſten darüber urtheilen, ſie wird ſich unfehlbar Bahn
brechen, ſo oft eine Veranlaſſung dazu erſcheint. Auch
im Privatrecht würde ſie ſich geltend machen, wenn nicht
überall durch beſtimmte und kurze Verjährungen aller Art
für dieſelben Zwecke im poſitiven Recht auf weit heilſa-
mere Weiſe geſorgt wäre. Denn wer die unvordenkliche
Zeit aus Erfahrung kennt, ſey es durch eigene, perſön-
liche Rechtsverhältniſſe, oder durch richterliche Geſchäfte,
wird wohl darüber ſchwerlich im Zweifel ſeyn können,
daß ihr jede Verjährung von beſtimmter Zeit weit vorzu-
[512]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ziehen iſt; ja es wird aus der nachfolgenden praktiſchen
Darſtellung einleuchtend werden, daß ſie in der Anwen-
dung von einer großen Willkührlichkeit und Unſicherheit
nicht frey zu halten iſt. Wer ſie alſo für heilſam, oder
gar für unentbehrlich erklärt, kann Dieſes wohl nur thun
in Vergleichung mit einem Zuſtand, der ganz ohne Ver-
jährung wäre; ein ſolcher aber kommt in unſrem Privat-
recht nicht vor.
Dieſe Anſicht hat denn auch in dem Verfahren neuerer
Geſetzgeber ihre Beſtätigung gefunden. Das Franzöſiſche
Geſetzbuch hat die unvordenkliche Verjährung ganz abge-
ſchafft, indem es diejenigen Servituten, worin ſie durch
die frühere Praxis angewendet wurde, für ganz unver-
jährbar erklärt (l). Auch das Preußiſche Geſetz hat ſie
nicht in ſich aufgenommen. Daſſelbe hat aber in einigen
Fällen, worin ſie nach gemeinem Recht gelten würde, mit
augenſcheinlicher Rückſicht auf ſie, Verjährungen von be-
ſtimmter, nur ungewöhnlich langer Zeit vorgeſchrieben.
So ſoll der Beſitz der Steuerfreyheit nach 50 Jahren die
Vermuthung eines rechtmäßigen Erwerbs erzeugen (m).
Eben ſo der Beſitz des Adels, wenn derſelbe entweder im
Jahr 1740 beſtanden, oder durch einen Zeitraum von 44
Jahren fortgedauert hat (n).
Nachdem auf hiſtoriſchem Wege für dieſes Rechtsinſti-
tut eine Grundlage gefunden worden iſt, ſoll nunmehr deſ-
ſen praktiſche Natur im Einzelnen dargeſtellt werden. Dazu
iſt es nöthig, zwey Stücke genau zu beſtimmen: Erſtlich
die Fälle der Anwendung, zweytens die Art der An-
wendung.
Über die Fälle der Anwendung müſſen wir nach dem
aufgeſtellten Grundſatz (§ 198) behaupten, daß die unvor-
denkliche Zeit in rein privatrechtlichen Verhältniſſen nie-
mals zur Anwendung kommt. Alſo namentlich nicht bey
Servituten, wobey ſie durch die weit leichtere zehenjährige
Erſitzung überflüſſig wird. — Aber auch nicht bey dem
Pfandrecht und den Obligationen, worin ſie allerdings
nicht überflüſſig ſeyn würde, da in denſelben eine Erſitzung
überhaupt nicht vorkommt, aber auch nicht als Bedürfniß
anerkannt werden kann. Es iſt daher bey dieſen Rechts-
inſtituten die Zeit lediglich vermittelſt der Klagverjährung
wirkſam’ und die unvordenkliche Zeit greift nicht ergän-
zend ein. — Bey den zahlreichen und wichtigen Reallaſten
des Germaniſchen Rechts iſt folgender Unterſchied zu be-
obachten. Diejenigen, welche als bloße Modificationen des
Grundeigenthums zu betrachten ſind, werden, ſo wie die
Römiſchen Servituten, durch Erſitzung von 10 und 20
Jahren erworben, und bedürfen der unvordenklichen Zeit
IV. 33
[514]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nicht. Dagegen ſind die, welche auf einem Subjections-
verhältniß beruhen (welches ſtets dem öffentlichen Recht
angehört) nur durch unvordenklichen Beſitz zu erwerben (a).
Es beſchränkt ſich alſo die Anwendung der unvordenk-
lichen Zeit auf den Privatbeſitz ſolcher Rechte, die einen
publiciſtiſchen Character an ſich tragen. Hier aber iſt ſie
auch allgemein anzuwenden, vorausgeſetzt daß ſolche Rechte,
nach der beſonderen Verfaſſung gerade dieſes Staates,
durch einen Rechtstitel (Vertrag oder Privilegium) erwor-
ben werden können. Wo dieſes überhaupt möglich iſt, da
erſetzt der unvordenkliche Beſitz den im einzelnen Fall un-
erweislichen Titel; außerdem bleibt auch ein ſolcher Beſitz
ganz ohne Wirkung (b).
Schon oben wurde anerkannt, daß die unvordenkliche
Verjährung nur als Surrogat der (auf beſtimmte Zeit an-
gewieſenen) Erſitzung vorkommen könne, und es wurde da-
bey in Frage geſtellt, ob ſie ein Surrogat für fehlende
Bedingungen der Erſitzung, oder aber für die zur Erſitzung
ungeeignete Natur des Gegenſtandes ſeyn ſolle (§ 195).
Dieſe Frage können wir jetzt dahin beantworten, daß es
nicht der Mangel der Bedingungen, ſondern die Natur des
Gegenſtandes iſt, was die Anwendung der unvordenklichen
Zeit herbeyführt. Man kann daher als Regel annehmen,
daß es durch die Natur der Gegenſtände beſtimmt werde,
ob nur die gewöhnliche Erſitzung allein, oder nur die un-
[515]§. 199. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.
vordenkliche Zeit allein, zur Anwendung komme, ſo daß
nicht bey einem und demſelben Gegenſtand beide Inſtitute
(das eine als Surrogat des andern) angewendet werden.
Von dieſem letzten Satz giebt es eine einzige Ausnahme
im canoniſchen Recht, wenn gegen eine Kirche ein Recht
durch Zeitlauf erworben werden ſoll im Widerſpruch mit
den Regeln der Kirchenverfaſſung: in dieſem Fall ſoll,
wenn ein Titel vorhanden iſt, die gewöhnliche Erſitzung,
wenn ein ſolcher fehlt, die unvordenkliche Zeit als Surro-
gat in Anwendung kommen (§ 198).
Man hat insbeſondere die Frage aufgeworfen, ob eine
ſogenannte res merae facultatis durch unvordenkliche Zeit
erworben werden könne. Dieſe Frage muß nach den hier
aufgeſtellten Regeln ſchon deswegen verneint werden, weil
dabey rein privatrechtliche Verhältniſſe zum Grund liegen.
So iſt es, wenn ein gewöhnliches Pachtverhältniß durch
mehrere Geſchlechter ſtillſchweigend verlängert wird, und
nun der Pächter dem Eigenthümer das Recht der Kündi-
gung wegen unvordenklicher Verjährung beſtreitet. Eben
ſo, wenn über Menſchengedenken die Einwohner eines
Dorfes ihre Bedürfniſſe von einem benachbarten Handels-
haus, deſſen Firma unverändert geblieben iſt, ununterbro-
chen gekauft haben, und nun verhindert werden ſollen,
von einem andern Handelsmann zu kaufen. — Es kommt
aber in dieſen Fällen noch ein weit entſcheidenderer Grund
hinzu, welcher die Wirkung der unvordenklichen Zeit ſelbſt
dann ausſchließen würde, wenn dieſe auf Verhältniſſe des
33*
[516]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
reinen Privatrechts anwendbar wäre. In allen Fällen
dieſer Art müßte Derjenige, welcher die unvordenkliche
Zeit geltend machen wollte, einen Beſitz während derſel-
ben behaupten (§ 198), das heißt einen Zuſtand, worin
der Genuß gewiſſer Vortheile nicht ein blos zufälliger und
willkührlicher Genuß war, ſondern als Ausübung eines
Rechts erſchien. Da nun dieſe Grundbedingung in allen
oben erwähnten Fällen durchaus fehlt, ſo kann von einer
Wirkung der unvordenklichen Zeit nicht die Rede ſeyn (c).
Eine ganz ähnliche Entſcheidung des Römiſchen Rechts
ſetzt dieſe Behauptung außer Zweifel. Das Interdict de
itinere hat Derjenige, welcher im letzten Jahr an 30 ver-
ſchiedenen Tagen den Weg gebraucht hat. Es wird aber
hinzugeſetzt, daß er nicht blos zufällig den Weg gebraucht
haben müſſe, ſondern ſo daß der Gebrauch als Ausübung
eines Rechts anzuſehen war, da der blos factiſche Ge-
brauch das Interdict nicht begründe (d). Derſelbe Unter-
ſchied iſt es, der in den oben angeführten Fällen die An-
wendung der unvordenklichen Zeit ausſchließt. — Liegt
nun alſo der Grund dieſer Ausſchließung in der Natur
der unvordenklichen Zeit ſelbſt, ſo iſt es irrig, wenn manche
Schriftſteller hierin eine ganz poſitive Ausnahme ſehen
wollen, ſo daß eigentlich auch die res merae facultatis
[517]§. 199. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.
der unvordenklichen Zeit, der ſie eine unbeſchränkte An-
wendung zuſchreiben, unterworfen ſeyn müßten.
Die Art der Anwendung wird beſtimmt durch eine
genauere Zergliederung des oben (§ 195) vorläufig ange-
gebenen Begriffs der unvordenklichen Zeit. Dieſelbe be-
ruht auf dem Bewußtſeyn von zwey Menſchenaltern; die
Jetztlebenden ſollen wiſſen, daß der gegenwärtige Zuſtand,
ſo lange ihre Erinnerung reicht, unverändert beſtanden
hat: es ſoll ihnen ferner von ihren unmittelbaren Vorfah-
ren nicht die Wahrnehmung eines entgegen geſetzten Zu-
ſtandes mitgetheilt worden ſeyn. Dadurch erhält die That-
ſache der unvordenklichen Zeit zwey Theile, einen poſitiven
und einen negativen. Auf beide Theile muß der Beweis
gerichtet werden, und für jeden Theil iſt die Entkräftung
durch Gegenbeweis zuläſſig (e). So hat ſich die Sache
in der neueren Praxis vollſtändig ausgebildet; allein die
Grundlage derſelben bilden folgende zwey Stellen des Rö-
miſchen Rechts, beide von der actio aquae pluviae handelnd.
Hier iſt Beweis und Gegenbeweis nicht genau unter-
[518]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſchieden, worauf es auch weniger ankommt, wohl aber
ſind die entſcheidenden Thatſachen genau bezeichnet. Die
unvordenkliche Zeit iſt widerlegt, wenn ein Jetztlebender
entweder ſelbſt die Entſtehung der Anſtalt (durch Privat-
willkühr) wahrgenommen, oder wenn er dieſe Entſtehung
von dem, der ſie erlebte, ſelbſt vernommen hat. — Deut-
lich ausgedrückt ſind hier die zwey Generationen; wer
nicht eigene Erfahrung bezeugen kann, ſoll wenigſtens Den,
der eine ſolche hatte, ſelbſt geſprochen haben, ſo daß es
nicht genügt, wenn der Ältere unter dieſen Beiden blos
Das erzählte, was ihm wiederum ſeine Vorfahren mitge-
theilt hatten.
L. 28 de probat. (22. 3.) (f).
.... (g)sed cum omnium haec est opinio, nec au-
disse, nec vidisse, cum id opus fieret, neque ex eis
audisse, qui vidissent aut audissent(h): et hoc infi-
nite similiter sursum versum accidit: tum memoriam
operis facti non exstare(i).
Dieſe Stelle ſtimmt mit der vorhergehenden völlig
überein bis auf die Worte et hoc .. accidit, nach wel-
chen man annehmen könnte, die unvordenkliche Zeit könne
durch jede, wenngleich von den entfernteſten Vorfahren
herrührende, bis jetzt fortgepflanzte, Tradition widerlegt
werden. Davon wird noch bey dem Gegenbeweis die
Rede ſeyn (§ 201).
Die aufgeſtellten Regeln über die Art der Anwendung
ſind nunmehr ſowohl bey dem Beweis, als bey dem Ge-
genbeweis durchzuführen, und dieſes wird am Anſchau-
lichſten nach der Ordnung der einzelnen Beweismittel ge-
ſchehen.
Als häufigſtes und angemeſſenſtes Beweismittel wer-
den Zeugen angewendet, deren Ausſage ſich ſowohl auf
ihre eigene Erinnerung, als auf die Vergangenheit be-
ziehen muß.
Aus eigener Erinnerung müſſen ſie bezeugen, daß der
(i)
[520]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gegenwärtige Zuſtand ſeit einem Menſchenalter ſtets vor-
handen geweſen iſt, und darin beſteht eben der poſitive
Gegenſtand des Beweiſes (§ 199). Über den Umfang der
Zeit, die hier als Menſchenalter gedacht wird, und welche
die Zeugen mit ihrer Ausſage umfaſſen müſſen, ſind die
Meynungen getheilt. Die richtige Meynung geht auf eine
Zeit von wenigſtens 40 Jahren (a). Dafür ſpricht erſt-
lich die Stelle des canoniſchen Rechts, welche neben ei-
nem Titel 40 Jahre, in Ermanglung deſſelben die unvor-
denkliche Zeit, fordert (b); weniger als 40 Jahre darf
dieſe alſo nicht betragen, das Mehr liegt in dem hinzutre-
tenden negativen Theil des Beweiſes. Zweytens ſprechen
dafür die Stellen des Römiſchen Rechts, worin vetustas
für 40 Jahre genommen wird (§ 196. p), indem da-
durch dieſe Stellen mit denen, worin vetustas die unvor-
denkliche Zeit bezeichnet, in Zuſammenhang gebracht wer-
den. Die Praxis der Sächſiſchen Gerichte erfordert eine
Sächſiſche Friſt, alſo 31 Jahre, 6 Monate und 3 Tage (c).
Dieſes iſt zu verwerfen, weil es weniger beträgt als die
im canoniſchen Recht ausgeſprochenen 40 Jahre. Nach
einer anderen Meynung ſoll die Zeit verſchieden ſeyn, und
nur für jeden einzelnen Fall mehr betragen, als in dem-
ſelben Fall die ordentliche Verjährung betragen würde,
alſo in gewöhnlichen Fällen mehr als 30 Jahre, gegen
[521]§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
eine Kirche über 40, gegen den Pabſt mehr als 100
Jahre (d). Durch dieſe Meynung wird allerdings der
Einwurf aus der Stelle des canoniſchen Rechts (Note b)
beſeitigt, indem dieſe nun mehr als 40 Jahre nur deswe-
gen fordern würde, weil gerade von der Verjährung ge-
gen eine Kirche die Rede iſt, die eben in der Regel 40
Jahre beträgt. Dennoch iſt dieſe Meynung zu verwerfen:
erſtlich weil die unvordenkliche Zeit meiſt auf ſolche Rechts-
verhältniſſe geht, welche gar keine ordentliche Verjährung
haben (§ 199), ſo daß deren Zeit auch nicht zum Maaß-
ſtab dienen kann; zweytens weil die zur Bezeichnung der
unvordenklichen Zeit in den Rechtsquellen gebrauchte Aus-
drücke (vetustas und quod memoriam excedit) nicht auf
etwas Relatives, je nach der Verjährungszeit einzelner
Rechte Verſchiedenes, ſondern auf etwas Abſolutes, nur
durch menſchliche Erinnerung Begränztes, gehen; drittens
weil nun gegen die Römiſche Kirche mehr als 100 Jahre
nöthig ſeyn würden, da doch zwey Menſchenalter durch
die beſtimmte Zeit von 100 Jahren ſchon völlig abſorbirt
werden.
Mit dieſer Länge des Zeitraums hängt nun ferner das
nöthige Alter der zu einem ſolchen Beweis tauglichen Zeu-
gen zuſammen. Nach einer ſehr verbreiteten Meynung
werden 54 Jahre erfordert, indem vor der Pubertät kein
ſicheres Bewußtſeyn möglich ſeyn ſoll, ſo daß nach Ab-
rechnung der 14 bewußtloſen Lebensjahre noch 40 Jahre
[522]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſicherer Erinnerung übrig bleiben. Allein dieſe Voraus-
ſetzung iſt ganz willkührlich und grundlos, damit zerfällt
die Meynung ſelbſt, und ein Alter von 50 Jahren iſt für
jeden Zeugen ſchon ganz hinreichend (e). Sehr häufig ge-
ſchieht es, daß nicht alle Zeugen über den ganzen Zeit-
raum von 40 Jahren Etwas ausſagen können, ſondern
verſchiedene Theile des Zeitraums durch die Ausſagen ver-
ſchiedener Zeugen bewieſen werden; in ſolchen Fällen ſind
für die näher liegenden Theile des ganzen Zeitraums auch
jüngere Zeugen tauglich (f).
Wenn die Ausſage jedes Zeugen den ganzen Zeitraum
umfaßt, ſo iſt dafür, wie für jede andere Thatſache, die
gewöhnliche Zahl von Zwey Zeugen hinreichend. Irrig
haben Manche die Worte des Labeo: cum omnium haec
est opinio (§ 199) ſo verſtanden, als ſey von einem all-
gemeinen Gerücht, von einer öffentlichen Meynung, die
Rede, weshalb entweder viele Zeugen abgehört, oder die
Zwey Zeugen über das Daſeyn jenes Gerüchts befragt
werden müßten. In der That aber geht das omnium
nur auf die gerade vorgebrachte Zeugen, wie viele oder
wenige es ſeyn mögen, und die zu beweiſende Thatſache
iſt lediglich der fortdauernde Beſitzſtand, ohne Rückſicht
auf das Daſeyn einer öffentlichen Meynung (g).
Außerdem müſſen die Zeugen über das vorhergehende
Menſchenalter die blos negative Ausſage thun, daß ſie
[523]§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
von ihren Vorfahren nicht eine entgegengeſetzte Wahrneh-
mung derſelben gehört haben. Irrig haben Manche ge-
glaubt, dieſes gehöre blos zum möglichen Gegenbeweis (h);
wenn überhaupt Zeugen vorgebracht werden, ſo ſind dieſe
auch ſchon vom Beweisführer ſelbſt beſtimmt über dieſen
negativen Punkt zu befragen, damit der Beweis als voll-
ſtändig gelten könne (i). Noch irriger aber iſt es, wenn
Andere auch über dieſen entfernteren Zeitraum die poſitive
Ausſage verlangen, daß die Zeugen auch ſchon von ihren
Vorfahren das Daſeyn des ſtreitigen Zuſtandes in der
früheren Zeit erfahren haben (k), woraus dann fernere
Fragen über die Anzahl und Beſchaffenheit jener verſtor-
benen Zeugen entſtehen müßten, die nach der hier vorge-
tragenen Meynung als völlig überflüſſig erſcheinen (l).
Eine Ergänzung des Zeugenbeweiſes kann darin ent-
halten ſeyn, daß in einem früheren poſſeſſoriſchen Rechts-
ſtreit der Beſitz anerkannt und geſchützt worden iſt. Nicht
nur iſt dieſes Urtheil ſelbſt entſcheidend für den Beſitz der
damaligen und meiſt auch der nachfolgenden Zeit, ſondern
die demſelben zum Grund liegenden Zeugenausſagen kön-
nen, je nach ihrem Inhalt, für den vorhergehenden Zeit-
raum noch gegenwärtig benutzt werden (m).
Die Zuläſſigkeit von Urkunden zu dieſem Beweiſe iſt
[524]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſehr beſtritten (n). Zur Ergänzung des Zeugenbeweiſes,
wenn dieſer für einzelne Theile des Zeitraums unvollſtän-
dig geblieben iſt, können ſie ſehr häufig gebraucht werden,
indem ſie ſehr geeignet ſind, den Beſitz in einzelnen Zeit-
punkten darzuthun. Seltner werden ſie allein, als ſelbſt-
ſtändiges Beweismittel, tauglich ſeyn; dennoch können ſie
auch in dieſer Geſtalt vorkommen, wenn zum Beiſpiel aus
ſorgfältig geführten Heberegiſtern die Entrichtung einer ge-
wiſſen Abgabe in beſtimmtem Umfang für die Zeit von
zwey Menſchenaltern nachgewieſen wird. Der Conſequenz
wegen dürfte man dafür eine Zeit von 80 Jahren anneh-
men (o); für die entfernter liegenden Theile dieſes Zeit-
raums würde nicht einmal der ſtrenge Beweis ununter-
brochener Leiſtung zu fordern ſeyn, da ſelbſt lückenhafte
Urkunden dieſer Art mehr Überzeugung gewähren, als die
blos negative Zeugenausſage über die entferntere Zeit.
Auch der Eid als Beweismittel iſt ſehr ſtreitig (p).
Daß er zur bloßen Ergänzung gebraucht werden kann,
ſowohl bey halbem Beweis, als für einzelne, durch den
Zeugenbeweis nicht berührte Stücke der Zeit, iſt nicht zu
bezweifeln. Allein auch ſelbſtſtändig kann der Eid darüber
zugeſchoben werden, daß der Gegner die ununterbrochene
[525]§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
Fortdauer des gegenwärtigen Zuſtandes während der letz-
ten zwey Menſchenalter weder wiſſe noch glaube. Der
Beſitz während dieſes Zeitraums iſt eine reine Thatſache,
kein Urtheil, alſo zur Eidesdelation wohl geeignet; aller-
dings aber iſt dieſes Beweismittel für den Beweisführer
gefährlich, indem ein ſolcher Eid in den meiſten Fällen
auch von einem gewiſſenhaften Gegner wird geleiſtet wer-
den können.
Auch bey der Erſitzung kommt es vor, daß ein Beſitz
durch mehrere Succeſſionen hindurch gegangen war, und
dann iſt die Reihe dieſer Succeſſionen für den, welcher
die Erſitzung geltend macht, ein beſonderer Gegenſtand des
Beweiſes, wenn nicht der Gegner dieſelben freywillig ein-
räumt. Die Nothwendigkeit dieſes Beweiſes tritt bey der
unvordenklichen Zeit nicht blos häufiger ein als bey der
Erſitzung, ſondern ſie kann hier (mit Ausnahme juriſtiſcher
Perſonen) nie fehlen, da es nicht wohl denkbar iſt, daß
der gegenwärtige Beſitzer ſeit zwey Menſchenaltern beſeſſen
haben ſollte. In dieſer Beziehung kann man ſagen, daß
auch der Beweis eines Rechtstitels bey der unvordenklichen
Zeit vorkommen kann, während es der Natur derſelben
widerſprechen würde, wenn man für den Urſprung des
Beſitzes die Angabe und den Beweis eines Titels fordern
wollte (q).
Der Gegenbeweis wird durch jede Widerlegung der
Thatſache geführt, in welcher das Weſen der unvordenk-
[526]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
lichen Zeit beſteht (r). Dieſes geſchieht durch den Beweis
eines beſtimmten Anfangs des Beſitzes innerhalb der letz-
ten zwey Menſchenalter; eben ſo ferner durch den Beweis
einer beſtimmten Unterbrechung, die während dieſer Zeit
Statt gefunden hat (s); endlich auch durch jeden Beweis
eines entgegengeſetzten Zuſtandes, der in jener Zeit irgend
einmal vorhanden geweſen iſt. Die Beweismittel erregen
hier weniger Zweifel als bey dem Hauptbeweiſe, da der
Gegenbeweis meiſt auf einzelne, vorübergehende Handlun-
gen gerichtet ſeyn wird. Es können alſo hier, wie in allen
anderen Fällen eines Beweiſes, gebraucht werden: Zeu-
gen (t), Urkunden, und Eid.
Mit Unrecht werden von Manchen auch folgende That-
ſachen für den Gegenbeweis zugelaſſen:
1) Die bloße Störung des ruhigen Beſitzes, die unter
andern auch in einzelnen Handlungen des Mitbeſitzes von
Seiten einer fremden Perſon beſtehen kann (u).
2) Die Anſtellung einer Klage während jener Zeit.
Iſt der Rechtsſtreit liegen geblieben, ſo ſtört er den Fort-
gang der unvordenklichen Zeit gar nicht; iſt er noch jetzt
[527]§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
im Gange, ſo wird durch deſſen Anfang (gerade wie bey
der Klagverjährung) nur der Zeitpunkt beſtimmt, von
welchem an die zwey Menſchenalter aufwärts zu berech-
nen ſind (v).
3) Die mala fides, die hier in der That nicht vorkom-
men kann, ſo daß die im canoniſchen Recht allgemein aus-
gedrückte Vorſchrift ihrer Beachtung hier ohne Anwendung
bleibt. Denn mala fides iſt das Bewußtſeyn eines wirk-
lich vorhandenen Unrechts. Iſt nun die Unrechtmäßigkeit des
Beſitzes erweislich, ſo muß deſſen Entſtehung bekannt ſeyn,
in welchem Fall er nicht ein unvordenklicher ſeyn kann.
Außerdem aber kann wohl aus Äußerungen des Beſitzers,
der ſich über die Natur ſeines Beſitzes täuſcht, hervorge-
hen, daß er ihn für einen unrechtmäßigen hält; eine ſolche
Meynung aber begründet die mala fides nicht (w).
Die zweifelhafteſte Frage iſt die, ob der Gegenbeweis
auch auf die den zwey letzten Menſchenaltern vorherge-
hende Zeit gerichtet werden darf. Darauf wird eine befriedi-
gende Antwort erſt möglich ſeyn, nachdem die eigenthüm-
liche Wirkung der unvordenklichen Zeit feſtgeſtellt ſeyn wird.
Beſtrittener als irgend eine andere Frage iſt in der
[528]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Lehre von der unvordenklichen Zeit ihr praktiſches Weſen,
die eigenthümliche Art ihrer Wirkſamkeit. Hierüber haben
ſich folgende zwey Meynungen gebildet.
Nach Einigen iſt ſie eine wahre Verjährung, das heißt
es entſteht durch ihren Ablauf, eben ſo wie bey der Uſu-
capion und der Klagverjährung, eine wirkliche Verände-
rung des Rechtszuſtandes, eine Erweiterung des Vermö-
gens durch ein neu erworbenes Recht (a).
Nach Anderen begründet ſie blos die Vermuthung, daß
in einer längſt vergangenen Zeit ein Recht durch einen
wirklichen, nur in Vergeſſenheit gerathenen, Erwerbsgrund
entſtanden ſey, ſo daß ſie nicht gegenwärtig den Rechts-
zuſtand ändert, ſondern blos den Beweis einer früheren
Änderung darbietet (b).
Die Gründe für die erſte Meynung beſtehen darin, daß
erſtlich der allgemeine Verjährungsbegriff auf ſie paßt
(§ 178), zweytens das canoniſche Recht den Ausdruck prae-
scriptio dabey gebraucht (§ 198). Allein jener allgemeine
Verjährungsbegriff iſt ſelbſt grundlos und verwerflich, und
der Ausdruck des canoniſchen Rechts, der unter dem Ein-
fluß eines unächten Sprachgebrauchs gewählt worden iſt,
kann über die Natur des Rechtsinſtituts Nichts beweiſen.
Aus folgenden Gründen iſt die zweyte Meynung als
wahr anzunehmen. Das Römiſche Recht, in welchem die-
[529]§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
ſes Inſtitut ſeinen Urſprung hat, kann es nicht als eine
Art von Erſitzung gedacht haben, da in mehreren Fällen
ſeiner Anwendung weder ein Beſitz zum Grund liegt, noch
ein Privatrecht erworben, ſondern nur ein öffentlicher Zu-
ſtand als rechtmäßig gegründet feſtgeſtellt wird (§ 196). —
Hätte man wirklich eine Art der Erſitzung in den Fällen
einführen wollen, worin jetzt die unvordenkliche Zeit gilt,
ſo wäre Nichts natürlicher geweſen, als eine beſtimmte,
nur hinreichend lange Zeit vorzuſchreiben, etwa 100 Jahre,
die man als Verjährungszeit im canoniſchen Recht ohne-
hin ſchon frühe angewendet hat. Daß man dieſes nicht
that, ſondern eine Zeit von unbeſtimmter Dauer, alſo ver-
ſchieden von allen bekannten Verjährungen, vorſchrieb, zeigt
deutlich, daß man zwar einen ähnlichen Vortheil wie durch
Erſitzung erreichen wollte, nämlich die Feſtſtellung ſchwan-
kender Rechtsverhältniſſe, aber auf einem ganz anderen
Wege. — Endlich, wenn wirklich eine gegenwärtige Ver-
änderung durch unvordenkliche Zeit bewirkt werden ſollte,
ſo müßte doch dafür irgend ein Zeitpunkt angegeben wer-
den können; ein ſolcher iſt aber hier gar nicht zu finden,
man möchte denn etwa den Tod des letzten Zeugen, der
den entgegen geſetzten Zuſtand gekannt hätte, als einen
ſolchen Zeitpunkt anſehen wollen (c). — Das wahre Ver-
hältniß zur Erſitzung iſt alſo dieſes. Die Erſitzung iſt
wirklich, ihrer Natur nach, dazu beſtimmt, ein neues Recht
zu begründen, obgleich ſie in vielen Fällen auch wohl da-
IV. 34
[530]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
zu dienen kann, einen längſt vollzogenen Erwerb, deſſen
Beweis nur verloren iſt, gegen Anfechtung zu ſichern. Um-
gekehrt ſoll die unvordenkliche Zeit, nach ihrer Natur,
einen früher vollendeten Erwerb gegen Anfechtung ſichern,
obgleich ſie in einzelnen Fällen durch ihre, allerdings nicht
unfehlbare, Vermuthung auf ähnliche Weiſe wie durch
eine Änderung des Rechtszuſtandes wirken kann. Wo ſie
auf dieſe Weiſe wirkt, hat ſie weniger innere Verwandt-
ſchaft mit der Erſitzung, als mit dem rechtskräftigen Ur-
theil. Denn auch dieſes iſt dazu beſtimmt, das wirklich
vorhandene Recht nicht zu ändern, ſondern gegen jede
künftige Anfechtung zu ſichern; dennoch bewirkt es in ein-
zelnen Fällen (wenn ihm ein Irrthum des Richters zum
Grund liegt,) eine wahre Änderung des Rechtszuſtandes (d).
Das praktiſche Intereſſe dieſer Streitfrage iſt nicht ſel-
ten unrichtig aufgefaßt worden. Es beſteht erſtlich darin,
daß ein neues Geſetz, welches für irgend ein Rechtsver-
hältniß alle Verjährung unterſagt, auf die unvordenkliche
Zeit, welche keine Verjährung iſt, nicht bezogen werden
darf (e). Indeſſen muß dieſe Regel doch mit Vorſicht an-
gewendet werden. Denn da es ſich in einem ſolchen Fall
lediglich um die Auslegung des neuen Geſetzes handelt,
[531]§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
ſo kommt es nicht ſowohl darauf an, ob die unvordenk-
liche Zeit in der That eine Verjährung iſt, als ob dieſer
Geſetzgeber ſie für eine Verjährung angeſehen hat. —
Zweytens folgt aus unſrer Anſicht, daß gegen den Ablauf
der unvordenklichen Zeit keine Reſtitution möglich iſt, da eine
ſolche überhaupt nur gegen Änderungen des Rechtszuſtan-
des, nicht gegen bloße Vermuthungen, nachgeſucht werden
kann. Von Erheblichkeit iſt indeſſen dieſe Folgerung nicht,
da auch ſchon gegen wirkliche Klagverjährungen, wenn ſie
nur wenigſtens 30 Jahre betragen, alle Reſtitution aus-
drücklich unterſagt iſt (f). — Die wichtigſte Folge liegt
aber darin, daß gegen die unvordenkliche Zeit, als eine
bloße Vermuthung, noch immer ein Beweis des Gegen-
theils zuläſſig iſt, anſtatt daß von einem ſolchen gegen
die vollendete Erſitzung oder Klagverjährung niemals die
Rede ſeyn kann. Dieſer wichtige Satz muß jedoch ge-
nauer beſtimmt werden, da er auf mancherley Weiſe mis-
verſtanden worden iſt.
Es iſt in dieſem Satz nicht die Rede von dem ſchon
oben (§ 200) erwähnten directen Gegenbeweis, darauf ge-
richtet, daß der ſtreitige Beſitz nicht in den beiden letzten
Menſchenaltern ununterbrochen vorhanden geweſen iſt. Denn
wenn dieſer geführt wird, ſo iſt der unvordenkliche Beſitz
gar nicht vorhanden, alſo auch nicht die durch ihn be-
34*
[532]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dingte Vermuthung, alſo kann auch nicht davon die Rede
ſeyn, dieſer Vermuthung durch Beweis ihre gewöhnliche
Kraft zu entziehen. Dieſer Gegenbeweis iſt auch gegen
das behauptete Daſeyn einer Tradition oder Uſucapion
zuläſſig, die doch gewiß wahre Rechtserwerbungen ſind (g).
— Noch weniger darf behauptet werden, daß dieſer di-
recte Gegenbeweis, wenn er jetzt mislang, und daher die
unvordenkliche Zeit mit ihren Folgen rechtskräftig aner-
kannt wurde, künftig von Neuem verſucht werden könnte,
weil doch nur eine Vermuthung vorhanden ſey. Durch
dieſe Behauptung wird die ſelbſtſtändige Wirkſamkeit des
rechtskräftigen Urtheils verkannt, bey welchem es nun
ganz gleichgültig iſt, ob es durch eine Vermuthung, durch
einen wahren Beweis, oder ſelbſt durch einen irrig ange-
nommenen Beweis, veranlaßt worden war (h). — Der
wahre Sinn jenes Satzes beſteht aber darin, daß der Ge-
genbeweis die aus den zwey letzten Menſchenaltern her-
vorgehende Vermuthung durch ſolche Thatſachen entkräften
darf, die aus einer noch früheren Zeit hergenommen ſind.
Es fragt ſich nun, worin dieſe ältere Thatſachen beſtehen
müſſen, um zu dem erwähnten Zweck tauglich zu ſeyn (i).
Aus dem ununterbrochenen Zuſtand der zwey letzten
Menſchenalter wurde die Vermuthung hergenommen, daß
[533]§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
in irgend einer früheren unbekannten Zeit ein Rechtsgrund
dieſes Zuſtandes eingetreten ſey. Dieſe Vermuthung kann
nun zuvörderſt nicht durch den Beweis entkräftet werden,
daß in irgend einem früheren Zeitpunkt das Gegentheil
jenes Zuſtandes wirklich einmal Statt gefunden hat (alſo
durch das bloße contrarium), da der vermuthete Rechts-
grund nach jenem Zeitpunkt eingetreten ſeyn kann, ſo daß
deſſen Annahme mit jenem geführten Beweiſe gar nicht im
Widerſpruch ſteht. Ganz entſcheidend für dieſe Behaup-
tung iſt die oben angeführte Stelle des Römiſchen Rechts
(§ 196. e), nach welcher Gemeindewege als öffentliche
gelten, wenn ſie nur überhaupt als Wege über Menſchen-
gedenken beſtanden haben, obgleich man weiß, daß der
Boden derſelben in irgend einer älteren Zeit als Feld von
den einzelnen Eigenthümern benutzt wurde (k), folglich da-
mals nicht die Geſtalt eines Weges hatte. Leyſer führt
zur Beſtätigung noch folgendes Beyſpiel an; da nach Ta-
citus unſre Vorfahren nur ausdrücklich bewilligte Steuern
bezahlt hätten, ſo würde, wenn man das bloße contra-
rium als Widerlegung anſehen wollte, in Deutſchland nie-
mals ein Steuerrecht durch unvordenkliche Verjährung
erworben werden können, da durch Tacitus ſtets das frü-
here contrarium erwieſen ſey (l).
Aber auch wenn man nicht blos das Gegentheil des
jetzigen Zuſtandes, ſondern deſſen Entſtehung in jener
älteren Zeit beweiſt (das initium), ſo iſt auch dieſes an
ſich noch nicht hinreichend zur Widerlegung der aus der
unvordenklichen Zeit entſpringenden Vermuthung. Denn
iſt die bewieſene Entſtehung eine rechtmäßige, ſo iſt das
Recht gewiß, ſelbſt ohne unvordenkliche Zeit. Iſt ſie eine
unrechtmäßige, ſo iſt dadurch nicht die Möglichkeit ausge-
ſchloſſen, daß nachher ein Rechtsgrund hinzugetreten ſey,
und eben auf deſſen Annahme geht ja die in der unvor-
denklichen Zeit liegende Vermuthung. Daſſelbe muß um
ſo mehr gelten in den noch häufigeren Fällen, worin zwar
die Entſtehung bewieſen wird, aber ſo daß es dabey un-
gewiß bleibt, ob dieſelbe rechtmäßig war oder nicht. —
Daher wird ein ſolcher Beweis nur dann als Widerlegung
der Vermuthung gelten können, wenn durch ihn nicht nur
die unrechtmäßige Entſtehung ſelbſt gewiß iſt, ſondern auch
deren fortgehender, ununterbrochener Cauſalzuſammenhang
mit dem in die zwey letzten Menſchenalter fallenden Zu-
ſtand. Es leuchtet von ſelbſt ein, wie ſchwer ein ſolcher
Beweis iſt, und wie er um ſo ſchwerer werden muß, je
entfernter der Zeitpunkt jener bewieſenen Entſtehung in
der Vorzeit liegt.
Als Beweismittel für einen ſolchen unrechtmäßigen
Anfang werden beſonders Urkunden gebraucht werden kön-
nen; weniger brauchbar werden dazu Zeugen ſeyn. Daß
dieſe nicht aus eigener Wahrnehmung eine ſo alte Thatſache
[535]§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
bezeugen können, iſt einleuchtend. Sie müßten alſo etwa
ausſagen, daß ſie von ihren Vorfahren gehört hätten, die-
ſen ſey von ihren Vorfahren die unrechtmäßige Entſtehung
mitgetheilt worden, das heißt es würde nun der Beweis
durch bloße Tradition geführt. Dieſes ſcheint aber höchſt
bedenklich, theils wegen der Unſicherheit einer ſolchen Tra-
dition an ſich, theils weil durch ſie faſt niemals der oben
erwähnte Cauſalzuſammenhang klar werden wird. Hier
kommen wir nun zurück auf die oben (§ 199) ausgeſetzten
Worte der L. 28 de probat. (22. 3)
et hoc infinite similiter sursum versum accidit
welche allerdings auf die Zuläſſigkeit einer ſolchen endlo-
ſen Tradition zu deuten ſcheinen. Dem Misbrauch, der
davon gemacht werden könnte, wird nun allerdings ſchon
dadurch geſteuert werden, wenn der Richter ſtrenge auf
den erwähnten Cauſalzuſammenhang ſteht. Außerdem aber
iſt zu bedenken, daß die angeführte Stelle blos auf die
actio aquae pluviae geht, und zwar auf die in offenem
Feld gemachte, der allgemeinen Wahrnehmung zugängliche,
Anlage eines Dammes oder Grabens. Dabey wird eine
ſolche Tradition leichter, als bey gewöhnlichen, auf zwey
Perſonen beſchränkten, Beſitzverhältniſſen, ein ſicheres Re-
ſultat geben können, und auf Fälle ſolcher Art iſt daher
die in jener Stelle enthaltene Anweiſung zu beſchränken (m)
Es iſt ſchon oben (§ 104) darauf hingewieſen worden,
daß zuvörderſt eine Überſicht der wichtigſten unter den ju-
riſtiſchen Thatſachen gegeben, dann aber von den Hem-
mungen ihrer Wirkſamkeit, oder von den Arten und Gra-
den ihrer Ungültigkeit, gehandelt werden ſollte. Die Be-
trachtung dieſer negativen Seite der juriſtiſchen Thatſachen
muß jedoch auf eine ſehr allgemeine Angabe der dabey
vorkommenden Rechtsformen beſchränkt bleiben, indem Alles,
was darüber hinausgehen möchte, nur in dem Syſtem der
einzelnen Rechtsinſtitute ſein wahres Licht erhalten kann.
Bey der Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen
ſind Drey Gegenſätze bemerkenswerth, deren genaue Unter-
ſcheidung um ſo nothwendiger iſt, als ſie bey neueren
Schriftſtellern auf mancherley Weiſe verwechſelt zu wer-
den pflegen. Die Ungültigkeit kann nämlich ſeyn:
1) Vollſtändig nenne ich diejenige Ungültigkeit, welche
in einer reinen Verneinung der Wirkſamkeit beſteht, alſo
an Kraft und Umfang der Thatſache ſelbſt, worauf ſie
ſich verneinend bezieht, völlig gleich ſteht. Der anerkannte
[537]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
Kunſtausdruck für dieſen Fall iſt Nichtigkeit. Was zur
genaueren Beſtimmung dieſes Rechtsbegriffs zu ſagen iſt,
wird erſt bey dem folgenden Gegenſatz deutlich gemacht
werden können.
Die unvollſtändige Ungültigkeit iſt ihrer Natur nach
höchſt mannichfaltig, da ſie in den verſchiedenſten Arten
und Graden der Gegenwirkung gegen eine juriſtiſche That-
ſache denkbar iſt. Sie kommt vor in Geſtalt einer Klage (a),
einer Exception (b), einer Obligation auf neue juriſtiſche
Handlung von einem, der früheren Thatſache entgegenge-
ſetzten, Erfolg (c); ferner durch den Antrag auf Reſtitu-
tion, oder auf Bonorum possessio contra tabulas. Ich
bezeichne dieſe höchſt mannichfaltigen Fälle mit dem ge-
meinſamen Namen der Anfechtbarkeit eines Rechtsver-
hältniſſes.
Anſtatt daß die Nichtigkeit des Rechtsverhältniſſes in
der bloßen Veneinung deſſelben beſtand, müſſen wir in der
[538]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Anfechtbarkeit ſtets ein eigenes, neues, entgegenwirkendes
Recht einer andern Perſon erkennen. Dieſes entgegenwir-
kende Recht hat eine ſelbſtſtändige Natur, und kann daher
auch wieder von beſonderen Schickſalen betroffen werden;
es kann ganz oder theilweiſe entkräftet werden (d), wo-
durch dann wieder das urſprüngliche Recht, von dieſer
Hemmung befreyt, ſeine volle Wirkſamkeit behauptet, wel-
ches im Fall der Nichtigkeit niemals vorkommen kann.
Die Römiſchen Juriſten pflegen den Gegenſatz der Nich-
tigkeit und Anfechtbarkeit mit großer Sicherheit zu behan-
deln, und es werden ſelten Fälle vorkommen, worin die
Anwendung des einen oder des andern Begriffs zweifel-
haft bleiben möchte; ſelbſt ihre Kunſtausdrücke ſind in den
wichtigſten Anwendungen beſtimmt und unzweydeutig, ob-
gleich es auch nicht an einzelnen Faͤllen eines ſchwanken-
den Sprachgebrauchs fehlt (e).
2) Unentſchieden oder ungewiß nenne ich diejenige Un-
gültigkeit, deren Eintritt von zukünftigen, ungewiſſen That-
[539]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
ſachen abhängt, alſo entweder von zufälligen Ereigniſſen,
oder von menſchlicher Willkühr.
Wenn eine Suspenſivbedingung vereitelt, oder eine re-
ſolutive erfüllt wird, ſo iſt die vollſtändige Ungültigkeit,
alſo die Nichtigkeit, des Rechtsgeſchäfts die Folge eines
zufälligen Ereigniſſes.
Menſchliche Willkühr iſt der Grund der Ungültigkeit
in allen Fällen der bloßen Anfechtbarkeit. Denn eine Klage,
Exception, Reſtitution u. ſ. w. entkräftet ein Rechtsver-
hältniß nur, wenn eine beſtimmte, dazu berechtigte Perſon
dieſes will, und Etwas dazu thut; außerdem bleibt das
urſprüngliche Rechtsverhältniß in ſeiner ungeſchwächten
Kraft. Manche nennen eine ſolche, von perſönlicher Will-
kühr abhängige, Ungültigkeit, eine relative, im Gegenſatz
der abſoluten, bey welcher dieſe Abhängigkeit nicht vor-
handen ſeyn würde.
Es fragt ſich aber, ob die Nichtigkeit eben ſo von
menſchlicher Willkühr abhängig ſeyn kann, oder (nach dem
ſchon angegebenen Sprachgebrauch) ob es nicht nur eine
abſolute, ſondern neben dieſer, für andere Fälle, eine rela-
tive Nullität giebt; auch dieſes muß behauptet werden,
jedoch in ungleich geringerem Umfang, als es von neueren
Schriftſtellern angenommen zu werden pflegt. Da ſich
hieran oft nicht unbedeutende Misverſtändniſſe anknüpfen,
ſo iſt es nöthig, genauer auf dieſe Frage einzugehen. —
Nach einer ſehr verbreiteten Auffaſſung ſoll nämlich in
vielen und wichtigen Fällen Derjenige, welcher durch ein
[540]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nichtiges Rechtsgeſchäft in Nachtheil kommen würde, daſ-
ſelbe anzufechten und umzuſtoßen befugt ſeyn, und es wird
für dieſen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen
der querela nullitatis, angegeben (f). In der That aber
iſt es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne-
hin nichtig iſt, alſo nicht beſteht, durch eine Klage erſt
umzuſtoßen. Juriſtiſch betrachtet ſtehen folgende Fälle auf
gleicher Linie: ein Teſtament, welches gar nicht von dem
angeblichen Teſtator gemacht, ſondern untergeſchoben iſt;
das Teſtament eines Unmündigen; ein Teſtament vor Sechs
Zeugen; ein Teſtament, worin ein Sohn in väterlicher
Gewalt, oder ein Posthumus, präterirt iſt. In allen die-
ſen Fällen iſt etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden,
eine Klage iſt zur Wegräumung des leeren Scheins nicht
nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da-
durch gefährdeten Perſon kommt Nichts an (g). — Indeſ-
[541]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
ſen giebt es allerdings auch im Römiſchen Recht einige
Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be-
ſtimmten dabey betheiligten Perſon abhängt, ſo daß darauf
der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an-
wendbar iſt. Wenn ein Unmündiger einen gegenſeitigen
Vertrag, z. B. einen Kauf, ſchließt, ſo hängt es von ihm,
oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver-
trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig ſeyn ſoll; der
Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß (h). Wenn
ein Geſellſchafter den Societätsvertrag dem abweſenden
andern Geſellſchafter, entweder durch einen Brief, oder
durch den Procurator dieſes Andern, aufkündigt, ſo ver-
geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgeſprochene Er-
klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieſer Zwi-
ſchenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus
nichtig, gehalten werden ſoll, hängt von der Willkühr des
Anderen ab, der die Kündigung erſt ſpäter erfahren hat (i).
— Der Unterſchied der hier aufgeſtellten Anſicht von der
bey vielen Schriftſtellern verbreiteten beſteht alſo erſtlich
darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl-
len anzunehmen iſt, als von dieſen geſchieht (k); zweytens
(g)
[542]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
in der durchaus verwerflichen Annahme einer beſonderen
Klage, der querela nullitatis. Namentlich in den beiden
hier angeführten Fällen wird ſtets die gewöhnliche Con-
tractsklage ausreichen, und die Nichtigkeit wird blos als
ein Grund in Betracht kommen, der auf den Erfolg einer
ſolchen Klage Einfluß haben muß.
3) Endlich kann die Ungültigkeit bald ſchon urſprüng-
lich vorhanden ſeyn, bald erſt ſpäterhin eintreten; im er-
ſten Fall iſt ſie in ihrer Entſtehung gleichzeitig mit der
dadurch entkräfteten juriſtiſchen Thatſache, im zweyten
Fall ungleichzeitig. Dieſer Gegenſatz fällt mit keinem der
oben erklärten Gegenſätze zuſammen, vielmehr ſind dabey
die verſchiedenſten Combinationen denkbar.
Beyſpiele urſprünglicher oder gleichzeitiger Nichtigkeit
ſind: das Teſtament, worin ein lebender Sohn in väter-
licher Gewalt präterirt iſt; der Vertrag, worin ein Un-
mündiger ſich einſeitig verpflichtet. — Ungleichzeitige Nich-
tigkeit tritt ein, wenn nach gemachtem Teſtament dem Te-
ſtator ein Posthumus geboren, wenn die Urkunde des Te-
ſtaments von ihm zerſtört, wenn ein neues Teſtament
gemacht wird; desgleichen bey jeder Obligation durch de-
ren vollſtändige Erfüllung.
Gleichzeitige Anfechtbarkeit findet ſich bey jedem durch
(k)
[543]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
Zwang oder Betrug bewirkten Vertrag. — Ungleichzeitige
bey jeder Obligation, welcher eine Klagverjährung, oder
ein rechtskräftiges Urtheil entgegen getreten iſt; desglei-
chen im älteren Recht bey einer durch bloßes Pactum auf-
gehobenen Stipulation.
Von den beiden oben angeführten Fällen relativer
Nichtigkeit iſt der erſte (Verſprechen des Unmündigen)
gleichzeitig, der zweyte (Aufkündigung der Societät) un-
gleichzeitig.
Über die Gründe der ungleichzeitigen oder nachfolgen-
den Ungültigkeit kann hier nur eine allgemeine Überſicht
gegeben werden, da alles tiefer Eindringende den einzel-
nen Rechtsverhältniſſen vorbehalten bleiben muß. — Dieſe
Art der Ungültigkeit kann ihren Grund haben ſchon in
der juriſtiſchen Thatſache ſelbſt, woraus das Rechtsver-
hältniß entſtanden iſt; namentlich bey einer Reſolutivbe-
dingung, welche nachher in Erfüllung geht. — Ferner in
einer allgemeinen Rechtsregel, wohin die Klagverjährung
gehört. — Ferner in einer richterlichen Handlung, wie das
rechtskräftige Urtheil und die Reſtitution.
Der häufigſte und wichtigſte Grund einer ſolchen nach-
folgenden Ungültigkeit beſteht aber in einer neuen juriſti-
ſchen Thatſache, welche der früheren entgegen wirken ſoll.
Die allgemeinſte Anwendung davon findet ſich bey Wil-
lenserklärungen, welche durch entgegengeſetzte Willenser-
klärungen aufgehoben werden. Damit dieſe Aufhebung
vollſtändig wirke, iſt die Regel aufgeſtellt, daß die auf-
[544]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
hebende Erklärung gleiche Form haben müſſe mit derjeni-
gen, wodurch das aufzuhebende Rechtsverhältniß entſtan-
den ſey.
Nihil tam naturale est, quam eo genere quidque dis-
solvere, quo colligatum est: ideo verborum obligatio
verbis tollitur: nudi consensus obligatio contrario con-
sensu dissolvitur(l).
Es giebt jedoch von dieſer Regel mehrere ganz poſi-
tive Ausnahmen (m); außerdem aber hat ſie ſchon im
neueren Römiſchen Recht, noch mehr aber im heutigen
Recht, einen großen Theil ihrer Wichtigkeit verloren (n).
Man hat oft über die Frage geſtritten, ob ein Recht
ſchon durch die einſeitige Willenserklärung des Berechtig-
ten entkräftet werde, welche man renunciatio,Entſa-
gung, Verzicht nennt (o), oder ob dazu noch Etwas
[545]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
hinzutreten müſſe, namentlich der Wille eines Andern, das
heißt die Acceptation (p). Dieſer Streit iſt unter andern
dadurch über Gebühr verlängert worden, daß in jener
ſcheinbar einfachen Frage eigentlich zwey ganz verſchie-
dene Fragen enthalten ſind, deren genaue Sonderung
allein zu einer ſicheren Entſcheidung führen kann. Es iſt
nämlich zuerſt der Fall möglich, daß dem Berechtigten gar
kein Einzelner beſonders gegenüber ſteht (wie bey dem Ei-
genthum), oder auch daß ein ſolcher wirklich vorhandener
Einzelner (z. B. ſein Schuldner in einer Obligation) die
Erklärung noch nicht erfahren, oder durch eine Gegener-
klärung ſich darüber auszuſprechen unterlaſſen hat. In
allen dieſen Fällen kann die Frage entſtehen, ob jene ein-
ſeitige Erklärung für den Berechtigten, der ſie abgab, bin-
dend iſt, oder ob er, bey verändertem Willen, davon wie-
der abgehen kann. Dieſer Fall iſt es, woran man ge-
wöhnlich denkt, wenn man die Nothwendigkeit einer Ac-
ceptation in Frage ſtellt; die Frage hat hier eine formelle
Natur, indem es darauf ankommt, ob eine Handlung in
dieſer oder in einer andern Form dazu geeignet iſt, eine
(o)
IV. 35
[546]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
wahre Änderung in dem Rechtsverhältniß hervorzubrin-
gen. — Es iſt aber auch zweytens der Fall möglich, daß
Derjenige, welcher in einem Rechtsverhältniß ſteht, daſ-
ſelbe auflöſen will, während ein Anderer dieſer Auflöſung
widerſpricht. In dieſem Fall entſteht die Frage, wie weit
das Recht des Einzelnen, unter Vorausſetzung dieſes Strei-
tes, geht; es iſt die völlig materielle Frage nach der Macht
des einſeitigen Willens.
a) Die formelle Frage, ob die einſeitige Willenserklä-
rung bindet, oder wieder zurück genommen werden kann,
muß mit folgender Unterſcheidung beantwortet werden. Die
Rechte, welche uns aus dem Nachlaß eines Verſtorbenen
zur Erwerbung angeboten (deferirt) ſind, werden durch
unſre einſeitige Willenserklärung (repudiatio) unabänder-
lich ausgeſchlagen. Dieſes gilt nicht blos von der here-
ditas und bonorum possessio, bey welchen ohnehin Nie-
mand vorhanden iſt, welcher acceptiren könnte, ſondern
auch bey den Legaten (q), bey welchen allerdings die Noth-
wendigkeit einer Acceptation des Erben denkbar wäre. —
In allen übrigen Fällen dagegen iſt eine einſeitige Entſa-
gung für ſich ganz wirkungslos, kann alſo ſtets zurückge-
nommen, und dadurch der möglichen Beſtätigung durch
die Acceptation eines Andern entzogen werden. Dieſes gilt
alſo vor Allem von der hereditas, der bonorum possessio,
und dem Legat, welche wir durch unſre Erklärung bereits
[547]§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
erworben haben. Ferner bey dem Eigenthum, welches nie-
mals durch den bloßen Willen, ſondern nur durch den
zugleich aufgegebenen Beſitz (Dereliction) verloren wird.
Eben ſo bey jedem jus in re, von welchem der Eigenthü-
mer nur durch Vertrag, nicht durch die einſeitige Erklä-
rung des Inhabers, befreyt wird. Endlich auch bey den
Obligationen; dieſe werden durch einen Erlaßvertrag ſtets
aufgehoben, eben ſo auch durch die von einem Dritten
vorgenommene Expromiſſion (r), aber eine einſeitige Er-
klärung des Glaubigers bindet dieſen nicht.
b) Bey der materiellen Frage, ob ein Berechtigter ver-
hindert werden könne, durch ſeinen einſeitigen Willen aus
einem Rechtsverhältniß heraus zu treten, muß ſtets ein Ein-
zelner, ihm gegenüber Stehender, hinzugedacht werden, da ein
Einſpruch gegen die Dereliction des Eigenthums gar nicht
denkbar iſt. Es kann davon zunächſt die Rede ſeyn bey ei-
nem jus in re. Der Fructuar kann den Niesbrauch ſtets zu-
rück geben (s); denn obgleich mit demſelben auch poſitive
Verpflichtungen verbunden ſind (t), ſo können dieſe doch nur
als Bedingungen und Einſchränkungen des Genuſſes betrach-
tet werden, und verhindern alſo den Austritt aus dem Rechts-
verhältniß nicht. Wenn freylich der Niesbrauch aus einem
Kauf oder einem Pachtvertrag auf beſtimmte Zeit ent-
ſprungen iſt (u), ſo kann ſich der Fructuar von ſeinen
35*
[548]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
(dem Niesbrauch ſelbſt fremden) Gegenleiſtungen aus die-
ſen Verträgen einſeitig nicht befreyen, ſo daß er das Kauf-
geld oder Pachtgeld ſtets zahlen muß, wenn ihn nicht der
Eigenthümer durch Vertrag frey giebt. — Hieraus erklärt
ſich zugleich, warum der Emphyteuta oder Superficiar
aus ſeinem Rechtsverhältniß nicht willkührlich austreten
kann. Denn die daneben ſtehende Verpflichtung zu poſiti-
ven Leiſtungen, die bey dem Niesbrauch etwas Zufälliges,
Fremdartiges war, iſt bey dieſen Rechten ein weſentlicher
Beſtandtheil des Rechtsverhältniſſes ſelbſt. — Bey den
Prädialſervituten und dem Pfandrecht treten keine ähnliche
Rückſichten ein, ſo daß hier ein einſeitiger Austritt des
Inhabers ſtets zuläſſig iſt. Bey dem Fauſtpfand kann ein
Intereſſe hierzu vorkommen, wenn etwa die Aufbewahrung
der verpfändeten Sache mit Koſten oder Gefahren für
den Beſitzer verbunden iſt.
Bey den Obligationen wird Niemand daran denken,
dem Schuldner den einſeitigen Rücktritt zu geſtatten. Bey
dem Glaubiger wird dieſe Befugniß nur in ſeltnen Fällen
zur Sprache kommen, wenn etwa bey einem Wettſtreit
der Grosmuth oder Delicateſſe, oder aus Hochmuth, der
Glaubiger die Schuld erlaſſen, der Schuldner dieſes Ge-
ſchenk nicht annehmen will. In dieſem Fall kann der
Glaubiger ohne Zweifel ſeinen Zweck erreichen durch die
Expromiſſion eines Dritten, dem er dann durch Vertrag
die Schuld erläßt (v); noch einfacher, indem er blos die
[549]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)
Annahme der Schuld verweigert, da der Schuldner zwar
das Geld deponiren, aber nicht den Glaubiger zur Ab-
holung deſſelben zwingen kann. — Wichtiger iſt es, daß
bey mehreren Obligationen, die eine zuſammengeſetzte Na-
tur haben, eine Auflöſung für die Zukunft durch einſeitige
Aufkündigung zuläſſig iſt, wie bey der Societät, dem
Mandat, dem Miethvertrag; die eigenthümliche Natur die-
ſes Falles, und die beſondere Wirkſamkeit dieſer Kündi-
gung, kann jedoch erſt im Zuſammenhang des Obliga-
tionenrechts klar gemacht werden.
Es ſind nun noch einige einzelne Fragen hervor zu
heben, welche ſich auf die Nichtigkeit der Rechtsgeſchäfte
beziehen.
Die Gründe der urſprünglichen Nichtigkeit ſind von
zweyerley Art. Sie können nämlich erſtens beſtehen in
einem Mangel der nothwendigen Bedingungen, alſo ent-
weder der erforderlichen perſönlichen Eigenſchaften, oder
des Weſens des Geſchäfts, wozu beſonders das Daſeyn
des Willens gehört, ſo wie der vorgeſchriebenen Form.
Sie können aber auch zweytens enthalten ſeyn in einem
poſitiven Geſetz, worin das Rechtsgeſchäft verboten iſt.
Wo überhaupt ein Geſetz die Abſicht hat, einem Rechts-
geſchäft verhütend entgegen zu wirken, da kann dieſes durch
[550]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
verſchiedene Mittel geſchehen. Zuerſt durch erſchwerende
Formen, welches wahrſcheinlich die Bedeutung einer im-
perfecta Lex war: dann durch Strafdrohung, während
das Geſchäft ſelbſt gültig und wirkſam bleiben ſoll, wel-
ches minus quam perfecta Lex hieß: [ferner] durch Be-
ſtimmung irgend einer unvollſtändigen Ungültigkeit, beſon-
ders einer Exception, wohin das Sc. Macedonianum und
das Sc. Vellejanum gehört: endlich, am vollſtändigſten
und einfachſten, durch Vorſchrift der Nichtigkeit des Ge-
ſchäfts, welches die Bedeutung einer perfecta Lex iſt (a).
Wenn nun ein Geſetz ein Rechtsgeſchäft verbietet, ohne
die Folgen der Übertretung beſtimmt auszudrucken, ſo kann
über dieſe Folgen ein Zweifel entſtehen; es könnte nament-
lich behauptet werden, daß die ſchwere Folge der Nich-
tigkeit nur da angenommen werden dürfe, wo dieſelbe in
einem Geſetz ausdrücklich vorgeſchrieben ſey. Hierüber
haben wir ein allgemeines interpretirendes Geſetz von
Theodoſius II., worin beſtimmt wird, daß aus jedem ge-
ſetzlichen Verbot die Nichtigkeit der verbotenen Handlung
von ſelbſt folge, ohne Unterſchied ob dieſe Folge im Ge-
ſetz ausgedrückt ſey, oder nicht (b). Nach dem eben er-
[551]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)
klärten Sprachgebrauch läßt ſich dieſe Vorſchrift ſo aus-
drücken: jedes verbietende Geſetz iſt ſtets als eine perfecta
Lex anzuſehen. — Es wird noch hinzugeſetzt, daß die Nich-
tigkeit auch diejenige Handlung treffe, welche blos ſchein-
bar vorgenommen ſey, um die in dem Geſetz wörtlich
verbotene Handlung zu verſtecken. In dieſem Zuſatz liegt
jedoch keine neue Beſtimmung, ſondern nur eine Anwen-
dung der allgemeinen Natur der Simulation auf dieſen
beſonderen Fall (§ 134.).
Indeſſen muß zu dieſer, ſcheinbar ganz allgemeinen
Vorſchrift, doch die natürliche Ausnahme hinzu gedacht
werden, wenn das verbietende Geſetz ſelbſt eine andere
Folge als die Nichtigkeit ausdrücklich vorſchreibt, und zwar
eine ſolche, womit die Nichtigkeit unvereinbar iſt (c). Da-
hin gehört das Sc. Macedonianum, welchem alſo nicht
etwa wegen jenes neuen Geſetzes eine verſtärkte Wirkung
zuzuſchreiben iſt; denn die exceptio Sc. Macedoniani mit
ihren ſehr genau begränzten Wirkungen iſt in der That
unvereinbar mit der Nichtigkeit des Darlehens. Eben ſo
auch das Sc. Vellejanum, in den Fällen, worin es noch
unverändert zur Anwendung kommen ſoll (d). Ferner die
(b)
[552]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
von einer Wittwe im Trauerjahr geſchloſſene Ehe. Denn
die geſetzlichen Strafen dieſer Ehe ſetzen das Daſeyn einer
wahren Dos, alſo auch einer gültigen Ehe, augenſcheinlich
voraus (e). Es war alſo dieſes Ehehinderniß, nach dem
Sprachgebrauch neuerer Juriſten, ein impediens, nicht di-
rimens(f). — Dagegen würde es ganz irrig ſeyn, eine
ſolche Ausnahme bey jedem verbietenden Geſetz anzuneh-
men, welches eine Strafe androht, ohne ſich über die Nich-
tigkeit auszuſprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich-
tigkeit an ſich wohl vereinbar iſt, ſo fehlt es in einem
ſolchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung
des angeführten allgemeinen Geſetzes auszuſchließen.
Wenn ein Rechtsgeſchäft auf vollgültige Weiſe geſchloſ-
ſen worden iſt, nachher aber eine ſolche Veränderung der
Umſtände eintritt, daß daſſelbe Geſchäft jetzt nicht mehr
möglich ſeyn würde, ſo fragt es ſich, ob dieſe Verände-
[553]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)
rung auf den früheren Abſchluß dergeſtalt zurück wirkt,
daß das bisher gültige Geſchäft nunmehr vernichtet wird.
Mehrere Römiſche Juriſten haben dieſe Vernichtung als
Regel anerkannt, und dieſe Anerkennung iſt in die Dige-
ſten übergegangen (g); allgemein aber war bey ihnen dieſe
Anerkennung nicht (h). Auch finden ſich daneben andere
Stellen, welche gegen die unbedingte Annahme jener Re-
gel warnen (i), alſo auf zahlreiche und wichtige Ausnah-
men hindeuten.
Betrachten wir in dieſer Beziehung einzelne Rechtsver-
hältniſſe, ſo finden wir eben ſo viele und wichtige Fälle
der Anwendung jener angeblichen Regel, als der daneben
behaupteten Ausnahme. Eine gültig geſchloſſene Ehe wurde
dadurch vernichtet, daß ein Ehegatte ſpäterhin die Civität
oder die Freyheit verlor: der ſpätere Wahnſinn dagegen
ſtört die fortdauernde Gültigkeit nicht; beide Umſtände
aber, wenn ſie zur Zeit der geſchloſſenen Ehe vorhanden
geweſen wären, würden die Entſtehung derſelben unmög-
[554]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
lich gemacht haben. Ganz eben ſo wird auch ein Teſta-
ment ungültig, wenn der Teſtator Civität oder Freyheit
verliert, nicht wenn er wahnſinnig wird.
Neuere Schriftſteller haben verſucht, genau die Bedin-
gungen aufzuſtellen, unter welchen die Regel oder die Aus-
nahme zur Anwendung komme; ſie haben ſich aber dabey
in ſo viele Subtilitäten und Willkührlichkeiten verwickelt,
daß die Entſcheidung zweifelhafter Fälle dadurch um gar
Nichts gefördert wird (k). Es ſcheint daher am gerathen-
ſten, auf die Aufſtellung allgemeiner Formeln über die an-
gegebene Frage ganz zu verzichten, und ſich auf die Beur-
theilung der einzelnen Fälle, worin ſie vorkommen mag,
zu beſchränken. Hier wird die eigenthümliche Natur jedes
Rechtsverhältniſſes, neben der Analogie der in unſren
Rechtsquellen enthaltenen einzelnen Entſcheidungen, mehr
Sicherheit geben, als es irgend eine aufzuſtellende Formel
vermag.
Wenn umgekehrt ein verſuchtes Rechtsgeſchäft durch
ein einzelnes Hinderniß ungültig iſt, dieſes aber ſpäterhin
wegfällt, ſo entſteht die Frage, ob nun das Geſchäft rück-
wärts gültig wird, wodurch Alles in die Lage kommen
würde, wie wenn gleich Anfangs das Hinderniß nicht vor-
handen geweſen wäre. Man nennt eine ſolche günſtige
[555]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)
Rückwirkung der veränderten Umſtände die Convales-
cenz, und drückt daher die aufgeworfene Frage auch ſo
aus: Iſt bey ungültigen Rechtsgeſchäften die Convales-
cenz zuläſſig? (l).
Nach einer ganz allgemein lautenden Stelle des Römi-
ſchen Rechts müßte man die Convalescenz durchaus ver-
werfen (m). Dieſe Regel wird noch für Teſtamente über-
haupt beſtätigt (n), und bey den Legaten iſt die alte regula
Catoniana eigentlich nur eine Wiederholung derſelben (o).
Zwar kommen auch neben dieſer Regel Ausnahmen vor,
und namentlich wird gleich bey der Mittheilung der regula
Catoniana gegen ihre zu allgemeine Anwendung gewarnt
(Note o). Wären dieſe Ausnahmen ſo zahlreich und man-
nichfaltig, wie bey der vorher erklärten entgegengeſetzten
Regel, ſo würde es auch hier gerathener ſeyn, eine ſo ge-
fährliche Regel lieber ganz aufzugeben; ſo iſt es aber in
der That nicht, die meiſten angeblichen Ausnahmen ſind
als ſolche nicht anzuerkennen, und wir müſſen daher jene
Regel allerdings gelten laſſen, daneben aber die einzelnen
[556]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Ausnahmen anerkennen, die in unſren Rechtsquellen aus-
drücklich angegeben werden.
Ich will zuerſt von ſolchen Fällen reden, worin man
Ausnahmen jener Regel fälſchlich anzunehmen pflegt. Wenn
bey Eingehung der Ehe ein Ehegatte noch unmündig iſt,
ſo tritt, wie man ſagt, mit der erreichten Pubertät Con-
valescenz ein (p); eben ſo, wenn der Senator, der mit
einer Freygelaſſenen eine nichtige Ehe ſchloß, nachher aus
dem Senat geſtoßen wurde (q), oder wenn der Römiſche
Provinzialbeamte eine Provinzialin zur Ehe nahm, dann
aber ſein Amt niederlegte (r). Desgleichen wenn der Va-
ter den nothwendigerweiſe vorhergehenden Conſens zur
Ehe (s) nicht ertheilt hat, dann aber nachträglich conſen-
tirt (t), oder auch nachher ſtirbt (u). Es iſt jedoch ganz
unrichtig, in dieſen Fällen Convalescenz der ungültigen
Ehe zu behaupten. Nach Römiſchem Recht wird die Ehe
geſchloſſen durch factiſches Zuſammenleben mit der auf
wahre Ehe gerichteten Abſicht; eine beſondere Form iſt
dazu gar nicht nöthig. Wenn alſo eine Unmündige als
Ehefrau in das Haus des Mannes gezogen iſt, und in
dieſem Hauſe die Pubertät erreicht, ſo entſteht in dieſem
Augenblick eine neue und wahre Ehe, weil alle Bedingun-
gen der Eingehung vorhanden ſind. Das vorhergehende
[557]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.).
nichtige Verhältniß convalescirt nicht, iſt aber auch kein
Hinderniß der gegenwärtigen Entſtehung einer gültigen
Ehe. So iſt es in allen hier angegebenen Fällen ohne
Ausnahme, und bey einigen derſelben wird ſogar aus-
drücklich bemerkt, daß es nur ſo anzuſehen ſey. Wenn
nämlich der Provinzialbeamte während der factiſch beſte-
henden Ehe ſein Amt niederlegt, ſo bleiben die früher er-
zeugten Kinder unehelich (v); eben ſo die Kinder, die in
einer Ehe erzeugt ſind, wozu der Vater eines Ehegatten
nicht conſentirt hatte, wenngleich dieſer Vater nachher ge-
ſtorben iſt (w); hat die Frau vor ihres Vaters Conſens
Ehebruch begangen, ſo hat der Mann in der Anklage
nicht die Vorrechte eines Ehemannes (x). Es entſteht alſo
gar nicht Convalescenz des früheren nichtigen Verhältniſ-
ſes, ſondern überall eine neue Ehe, durch das Vorherge-
gangene nur nicht verhindert. — Wenn ein Sohn in vä-
terlicher Gewalt oder ein Sklave oder ein Deportirter ein
Fideicommiß beſtellt, dann aber emancipirt, freygelaſſen,
in die Civität hergeſtellt wird, und nun erweislich die Ab-
ſicht, daß dieſes Fideicommiß beſtehe, fortdauert, ſo iſt
daſſelbe allerdings wirkſam; darin liegt aber nicht Conva-
[558]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
lescenz der früheren Handlung, ſondern ein neues, mit
dem früheren im Inhalt übereinſtimmendes, Fideicommiß,
welches ja nach dem älteren Recht durch jeden formloſen
Willen errichtet werden kann (y). — Die Ausnahmen, die
neben der regula Catoniana behauptet werden, ſo wie die
Ausſchließung ihrer Anwendung auf die hereditas, und auf
die neuen Volksſchlüſſe (z), erklären ſich aus der an ſich
zweydeutigen Natur eines jeden letzten Willens, indem die
darin liegende Handlung ſo angeſehen werden kann, als
ob ſie zur Zeit der Errichtung, aber auch ſo als ob ſie
zur Zeit des Todes, vorgenommen worden wäre. — Wenn
ein Vertrag im Namen eines Andern ohne Auftrag ge-
ſchloſſen, dann aber von dem Andern genehmigt wird, ſo
wirkt dieſe Genehmigung allerdings rückwärts (aa); den-
noch iſt dieſes nicht als wahre Convalescenz zu betrachten,
ſondern der Genehmigende hat den Vertrag in allen Thei-
len zu dem Seinigen gemacht, alſo auch in Anſehung der
Zeit, von welcher an er zu wirken beſtimmt war. Die
Genehmigung wirkt wie ein neuer Vertrag, der die ge-
ſammten Wirkungen der Zwiſchenzeit mit in ſich aufnimmt.
— Wenn ein durch Zwang oder Betrug bewirkter Vertrag
hinterher frey genehmigt wird, ſo iſt er allerdings dadurch
rückwärts vollgültig geworden; allein dieſer Vertrag war
[559]§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)
auch zu keiner Zeit nichtig, fällt alſo gar nicht in das
Gebiet der bisher behandelten Frage.
Dagegen ſind allerdings folgende Fälle wahrer Couva-
lescenz anzuerkennen, welche daher Ausnahmen der oben
aufgeſtellten Regel bilden. Wenn ein Ehemann ein Do-
talgrundſtück veräußert, ſo iſt dieſes eine nichtige Hand-
lung; fällt ihm aber ſpäterhin die ganze Dos zu, ſo con-
valescirt jene Handlung von ſelbſt, und es braucht alſo die
frühere Tradition nicht wiederholt zu werden (bb). Wenn
ein Nichteigenthümer eine Sache veräußert, ſpäter aber
das Eigenthum erwirbt, ſo convalescirt eben ſo die Ver-
äußerung, und der Käufer wird jetzt von ſelbſt Eigen-
thümer, auch ohne neue Tradition (cc).
Dieſe ganze Frage iſt bisher nur in Beziehung auf
nichtige Rechtsgeſchäfte unterſucht worden; bey anfechtba-
ren kann es gar nicht bezweifelt werden, daß eine Ergän-
zung des früher mangelhaften Rechtsgeſchäfts ſtets möglich
iſt. Denn da bey der Anfechtbarkeit das Hinderniß die
ſelbſtſtändige Natur eines eigenen Rechts beſtimmter Per-
[560]Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſonen hat, ſo kann dieſes Recht auch aufgehoben werden,
wodurch dann das urſprüngliche Rechtsgeſchäft in ſeine
volle ungeſtoͤrte Wirkſamkeit von ſelbſt eintritt (§ 202.).
Dahin gehört der eben erwähnte Fall, wenn der Gezwun-
gene oder Betrogene, nachdem er von dieſen Einflüſſen
auf ſeinen Willen frey geworden iſt, den Vertrag geneh-
migt; es würde nicht genau ſeyn, dieſes als Convalescenz
des Vertrags auszudrücken, da es vielmehr blos eine Auf-
hebung der bis dahin geltenden Exceptionen (metus oder
doli) iſt.
Im Allgemeinen muß die Möglichkeit der in der Über-
ſchrift bezeichneten Schenkungen verneint werden. Die
poſitiven Einſchränkungen, welche das juriſtiſche Weſen
der Schenkung ausmachen, beziehen ſich ihrer Natur nach
auf Rechtsgeſchäfte, unter welchen Begriff eine bloße Un-
terlaſſung nicht bezogen werden kann. Die Formen der
Mancipation und der Inſinuation, die in dem poſitiven
Recht der Schenkungen eine ſo wichtige Stelle einnehmen,
ſind bey Unterlaſſungen gar nicht denkbar.
Es giebt jedoch zweyerley Umſtände, wodurch eine
Unterlaſſung die Natur einer Schenkung annehmen kann.
Erſtlich wenn dabey ein verborgenes Handeln zum Grunde
liegt, welches dann eigentlich die Schenkung ausmacht.
Zweytens wenn durch die Unterlaſſung allein und aus-
ſchließend eine unfehlbare Bereicherung bewirkt wird, in
welchem Fall ſie als ein indirectes oder verſtecktes Geld-
geſchenk betrachtet werden kann.
Dieſes Princip ſoll nunmehr durch eine Reihe von
Fällen durchgeführt werden. Ich will dabey zunächſt das
Verbot der Schenkung unter Ehegatten berückſichtigen, um
der Unterſuchung mehr Anſchaulichkeit zu geben; die An-
wendung auf die Inſinuation und den Widerruf wird
dann leicht hinzugefügt werden können.
Ich ſtelle einen Fall voran, der ſich unter den übrigen
Unterlaſſungen durch die Einfachheit ſeiner Natur, ſo wie
durch die unzweifelhafte Entſcheidung, die wir darüber in
unſren Rechtsquellen finden, auszeichnet. Wenn der Ehe-
mann an einer Sache ſeiner Frau eine Servitut hat, und
dieſe abſichtlich durch Nichtgebrauch untergehen läßt,
ſo wird die Frau um den ganzen Werth der Servitut
reicher, und es geſchieht dieſes lediglich in Folge jener
Unterlaſſung, da unſtreitig eine einzige Ausübung der Ser-
vitut, kurz vor dem Ablauf des geſetzlichen Zeitraums, die-
ſen Verluſt von des Mannes Vermögen abgewendet hätte.
Wäre nun die angegebene Unterlaſſung gleich einem Rechts-
geſchäft zu behandeln, ſo müßte ſie nichtig ſeyn, das heißt
der Verluſt der Servitut müßte unterbleiben, die Servi-
tut müßte fortdauern. So iſt es jedoch nicht, vielmehr
wird die Servitut in der That verloren, ganz wie unter
fremden Perſonen; da aber die Frau bereichert iſt, und
da die Urſache dieſer Bereicherung entſchieden und aus-
ſchließend in der Liberalität des Mannes liegt, ſo hat die-
[565]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
ſer gegen die Frau eine condictio, deren Gegenſtand ohne
Zweifel die Wiederherſtellung der Servitut, oder die Be-
zahlung des Geldwerths derſelben, iſt (a).
Ganz derſelbe Fall kommt bey der Pauliana actio vor.
Wenn der inſolvente Schuldner die Servitut abſichtlich
untergehen läßt, ſo iſt dieſes eine Veräußerung an den
Eigenthümer, und die Glaubiger haben gegen dieſen die
eben genannte Klage (b). Hier iſt ſogar ein noch drin-
genderer Grund zur Klage, als bey der Schenkung des
Ehegatten, vorhanden, nämlich die unredliche Abſicht des
veräußernden Schuldners.
Mit Rückſicht auf dieſe Fälle wird im Allgemeinen der
Satz aufgeſtellt, daß der Untergang der Servituten durch
Nichtgebrauch als eine Veräußerung anzuſehen ſey (c).
Ungleich verwickelter ſtellt ſich die Frage in Beziehung
auf die Uſucapion. Iſt nun die Zulaſſung der Uſuca-
pion von Seiten des Eigenthümers, der ſie verhindern
könnte, als eine Schenkung zu betrachten? Dieſe Frage
[566]Beylage IX.
hängt zuſammen mit der allgemeineren, ob die Zulaſſung
der Uſucapion überhaupt eine Veräußerung iſt. Betrach-
ten wir dieſes zunächſt in Anwendung auf ein anderes,
aber verwandtes Rechtsverhältniß.
Der Ehemann ſoll Dotalgrundſtücke nicht veräußern,
und wenn er es verſucht, ſoll ſeine Handlung nichtig ſeyn.
Geſetzt nun, das Haus welches ihm als Dos gegeben
worden iſt, wird baufällig, der Nachbar fordert Caution
wegen des Einſturzes, und der Mann verweigert dieſe
Caution; hier bekommt in anderen Fällen der Nachbar zu-
erſt eine missio in possessionem, wenn aber die Verweige-
rung fortdauert, wird ihm durch ein zweytes Decret des
Prätors die possessio zugeſprochen. Unter dieſer war
aber die augenblickliche Übertragung des Eigenthums an
den bedrohten Nachbar verſtanden (a); jedoch nur ſoweit
der Prätor dieſes Eigenthum geben konnte, nämlich in bo-
nis, ſo daß es nun noch einer Uſucapion bedurfte, um in
vollſtändiges Eigenthum (ex jure quiritium) überzuge-
hen (b). Wendet man dieſen Hergang auf den die Cau-
[567]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
tion verweigernden Ehemann an, ſo moͤchte man glauben,
hier werde die Übertragung des Eigenthums durch das
Veräußerungsverbot der Dotalgrundſtücke verhindert; denn
es iſt unzweifelhaft, daß dieſe Übertragung nur durch des
Mannes Willen herbeygeführt wurde, da er ſie entſchie-
den verhindern konnte, wenn er nur noch vor dem zwey-
ten Decret die verlangte Caution ſtellte. Und dennoch
wird ausdrücklich geſagt, daß in jenem Fall der Nachbar
wirklich das Eigenthum des baufälligen Hauſes erwerbe (c);
darin liegt aber der beſtimmte Ausſpruch, daß die bloße
Nichthinderung der Übertragung und der Uſucapion als
eine Verletzung des Veräußerungsverbots nicht betrachtet
werden könne.
Ganz dieſelbe Entſcheidung kommt vor in folgendem
verwandten Fall. Wenn zur Zeit des alten Rechts eine
Frau ihr Landgut, das gerade von einem Fremden beſeſ-
ſen wurde, dem Mann als Dos einbrachte, welches durch
Mancipation, auch bey fehlendem Beſitz, vollſtändig be-
wirkt werden konnte (a), ſo hatte der Mann das Recht,
[568]Beylage IX.
und zugleich die Verpflichtung, das Landgut von dem drit-
ten Beſitzer zu vindiciren. Verſäumte er dieſes, ſo daß
durch Uſucapion jenes Beſitzers das Eigenthum verloren
gieng, ſo war der Mann ſeiner Frau für dieſen Verluſt
verantwortlich, es müßte denn die Uſucapion ſo kurz nach
der Mancipation vollendet geweſen ſeyn, daß die unter-
laſſene Vindication nicht als Nachläſſigkeit angerechnet wer-
den konnte. Man könnte einwenden, dieſer Verluſt ſey
unmöglich geweſen, da das Veräußerungsverbot auch den
Verluſt durch Uſucapion umfaſſe; allein Dieſes iſt falſch
für den angegebenen Fall, da die Uſucapion ſchon vor
der Beſtellung der Dos anfieng, ſo daß der Mann nur
durch Unterlaſſung zur Uſucapion mitwirkte (b). Es iſt
(a)
[569]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
nur wahr für den Fall, da der Mann das Dotalgrund-
ſtück ſelbſt veräußert hat; in dieſem Fall ſollte nicht blos
ſeine Mancipation, als unmittelbare Übertragung des qui-
ritariſchen Eigenthums, wirkungslos ſeyn, ſondern auch
die Tradition ſollte nicht, wie in anderen Fällen, die
Wirkung der Uſucapion haben, da ſonſt das ganze Ver-
bot äußerſt leicht umgangen werden konnte (c). In die-
ſem letzten Fall alſo iſt es nicht die unterlaſſene Verhin-
derung, wodurch die Uſucapion zu einer (verbotenen) Ver-
äußerung wird, ſondern die eigene poſitive Handlung des
Mannes, die dazu den Grund legte (d).
In dieſem Sinn iſt es zu nehmen, wenn Paulus in
L. 28 pr. de V. S. (50. 16.) ſagt: „Alienationis verbum
etiam usucapionem continet: vix est enim ut non videa-
tur alienare, qui patitur usucapi.” Wollte man dieſe
Stelle in der unbedingten Allgemeinheit nehmen, deren die
(b)
[570]Beylage IX.
Worte allerdings empfänglich ſind, ſo würde ſie mit den
oben angegebenen klaren Ausſprüchen in Widerſtreit treten.
Es muß alſo hinzugedacht werden: wenn er ſelbſt zu die-
ſer Uſucapion den Grund gelegt hatte. Eine ſolche ein-
ſchränkende Erklärung iſt in ſo vielen Stellen der zwey
letzten Digeſtentitel nothwendig, und auch ſtets angewen-
det worden, daß ſie in dieſem einzelnen Fall keiner beſon-
deren Rechtfertigung bedarf.
Dieſes Alles ſollte nur als Vorbereitung dienen zu un-
ſrer eigentlichen Frage, ob der Ehemann, der von der
Frau ſeine Sache uſucapiren laſſe, dadurch eine uner-
laubte Schenkung vornehme. Der Fall muß demnach ſo
gedacht werden, daß ein Fremder die Sache beſitzt und
der Frau tradirt, ſey es in Folge eines Verkaufs oder
einer Schenkung. Hier könnte der Mann gegen die Frau
eine Vindication anſtellen, er thut es aber nicht, und ſo
läuft die Uſucapionszcit ab; liegt nun darin eine verbo-
tene, alſo unwirkſame, Schenkung unter Ehegatten? Die-
ſes iſt der Fall, welcher in der viel beſprochenen L. 44
pr. de don. int. vir. (24. 1.) beurtheilt wird (a). Der
Fall läßt ſich zuerſt in einer ganz unzweifelhaften Geſtalt
[571]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
denken, und davon redet der erſte Theil der Stelle: wenn
bis zur vollendeten Uſucapion kein Theil von dem Eigen-
thum des Mannes Etwas erfährt, ſo iſt ganz gewiß keine
Schenkung vorhanden. Rechnen wir dieſe Geſtalt des
Falles ab, ſo bleiben noch folgende drey Möglichkeiten
für die Beurtheilung übrig: der Mann allein kann das
Eigenthum entdecken; oder die Frau allein; oder endlich
beide gemeinſchaftlich. Dieſe drey Geſtalten, in welchen
der allgemeine Fall erſcheinen kann, ſollen nunmehr ein-
zeln erwogen werden; und zwar zuerſt nach allgemeinen
Gründen, wodurch zur Erklärung der angeführten Stelle
der Weg gebahnt werden ſoll.
1) Der Mann allein entdeckt, daß er Eigenthümer iſt,
verſchweigt es aber ſeiner Frau, und läßt die Uſucapion
ablaufen, um die Frau zu bereichern. Iſt das eine wahre
Schenkung, und wird alſo der gewöhnliche Erfolg dieſes
Verfahrens durch das Verbot einer ſolchen Schenkung
verhindert?
Man könnte zuerſt das Daſeyn der Schenkung aus
dem Grund verneinen, weil eine Schenkung nicht ohne
Vertrag gedacht werden könne, der aber hier, wegen der
(a)
[572]Beylage IX.
Unwiſſenheit der Frau, unmöglich iſt (a). Allein es iſt in
der Lehre von der Schenkung gezeigt worden, daß dazu
auch einſeitige Handlungen des Gebers tauglich ſind (§ 160),
ſo daß alſo dieſer Grund nicht als entſcheidend gelten kann.
Will man in dem angegebenen Fall eine verbotene
Schenkung annehmen, ſo läßt ſich das in einem zwiefachen
Sinn denken: erſtlich direct, ſo daß nun überhaupt keine
Uſucapion einträte; zweytens indirect, indem zwar die Uſu-
capion ihre gewöhnliche Wirkung äußerte, hinterher aber
der Mann den verlornen Werth der Sache durch eine
Condiction zurück fordern könnte.
Das erſte aber iſt völlig unmöglich. Denn das Ver-
bot der Schenkung kann in keinem Fall eine größere Wir-
kung hervorbringen, als wenn das Gegentheil der als
Schenkung angeſehenen Thatſache Statt gefunden hätte;
ſo z. B., bey einer Schenkung durch Mancipation, wird
Alles ſo behandelt, als ob gar nicht mancipirt worden
wäre. In unſrem Fall alſo könnte aus der verbotenen
Unterlaſſung des Mannes höchſtens Daſſelbe folgen, was
folgen würde, wenn er Nichts unterlaſſen, ſondern gehan-
delt hätte. Worin konnte nun dieſes Handeln beſtehen?
Dejection iſt verboten, alſo mußte der Mann gegen ſeine
Frau vindiciren. Allein die Vindication hindert den Ab-
lauf der früher angefangenen Uſucapion niemals, ſondern
giebt nur dem Kläger das Recht, wenn der Richter die
[573]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
Klage gegründet findet, die Rückgabe des einſtweilen wirk-
lich verlornen Eigenthums zu fordern (b). Was nun die
angeſtellte Vindication als ſolche (c) nicht bewirken kann,
wird doch unmöglich durch die unterlaſſene Vindication
bewirkt werden können. Bey dem Nichtgebrauch der Ser-
vituten war es ganz anders. Dabey wäre durch das Ge-
gentheil der Unterlaſſung, nämlich ſchon durch eine einzige
Ausübung vor Ablauf der Zeit, der Untergang unfehlbar
verhindert worden; und dennoch ſollte die Verſäumniß den
Untergang nicht abwenden (Num. II.). Wie viel weniger
wird dieſes bey der Uſucapion die Verſäumniß vermögen!
Was nun die zweyte (die indirecte) Wirkung der ver-
botenen Schenkung betrifft, nämlich die Rückforderung der
uſucapirten Sache durch eine Condiction, ſo ſcheint dieſe
nach derſelben Analogie der durch verſäumte Ausübung
verlornen Servitut, behauptet werden zu müſſen (Num. II.);
dennoch halte ich auch Dieſes für bedenklich. Der weſent-
liche Unterſchied liegt nämlich darin, daß bey der Servi-
tut der Untergang die nothwendige und ausſchließende
[574]Beylage IX.
Folge der Verſäumniß iſt, bey der Uſucapion nicht. Denn
bey der Servitut erfolgt der Untergang unfehlbar, wenn
die Ausübung unterbleibt, ſelbſt wenn der Eigenthümer
die Sache nicht beſitzen ſollte (d); umgekehrt wird eben ſo
unfehlbar der Untergang abgewendet durch jede Ausübung.
Die Uſucapion dagegen kann verhindert werden ungeachtet
der Verſäumniß, wenn nämlich die Frau durch Zufall den
Beſitz verliert; umgekehrt wird die Gefahr des Verluſtes
nicht nothwendig abgewendet durch die Vorſicht des Man-
nes: denn wenn er auch vindicirt, kann er dennoch den
Prozeß verlieren durch Mangel an Beweismitteln, ſo wie
durch Irrthum oder böſen Willen des Richters. Dieſe
Unterlaſſung des Mannes iſt alſo nicht ſo, wie der Nicht-
gebrauch der Servitut, unfehlbare Zuwendung eines Ver-
mögensvortheils, folglich iſt auch kein Grund zu einer
Condiction vorhanden (e).
2) Die zweyte Möglichkeit beſteht darin, daß die Frau
allein (die uſucapirende Beſitzerin) das Eigenthum des
Mannes entdeckt.
Daß hier keine Schenkung entgegen ſteht, iſt ganz un-
zweifelhaft, da das Bewußtſeyn des Gebers, die Grund-
bedingung aller Schenkung, gänzlich fehlt; nach Römi-
ſchem Recht würde in dieſem Fall überhaupt Nichts der
Uſucapion im Wege ſtehen. Allein der Beſitz der Frau
wird durch ihre Entdeckung des fremden Eigenthums ein
unredlicher; und da das canoniſche Recht, abweichend von
dem Römiſchen, nicht blos für den Anfang des Beſitzes,
ſondern für deſſen ganze Dauer, redliches Bewußtſeyn des
Beſitzers fordert, ſo wird durch jene Entdeckung die Mög-
lichkeit der Uſucapion ganz ausgeſchloſſen, welche Aus-
ſchließung alſo mit dem Verbot der Schenkung gar keinen
Zuſammenhang hat.
3) Es bleibt endlich noch der Fall zu betrachten übrig,
da Mann und Frau zugleich das Eigenthum des Mannes
erfahren, und über die Fortſetzung des Beſitzes und der
Uſucapion einverſtanden ſind.
Auch hier könnte man zunächſt wieder an ein unred-
liches Bewußtſeyn der Frau denken, da ſie von dem frem-
den Eigenthum Kenntniß bekommt. Allein dieſer Umſtand
[576]Beylage IX.
allein würde ihr nicht im Wege ſtehen, da der Eigenthü-
mer in die Fortſetzung des Beſitzes einwilligt. Dagegen
tritt in dieſem Fall in der That die verbotene Schenkung
als Hinderniß ein, wodurch die Uſucapion ausgeſchloſ-
ſen wird.
Das Rechtsverhältniß iſt nämlich vollſtändig ſo zu den-
ken. Indem beide Theile von dem Eigenthum des Man-
nes überzeugt ſind, ſo daß es nur von ſeinem Willen ab-
hängen würde, den Beſitz ſogleich wieder zu erhalten, er
aber von dieſer Möglichkeit freywillig keinen Gebrauch
macht, ſo liegt darin eine wahre Schenkung. Es iſt hier
ſo zu betrachten, als hätte die Frau die Sache ihrem
Manne zurückgegeben, und unmittelbar aus ſeinen Hän-
den wieder empfangen. Völlig derſelbe Hergang kommt
auch unter anderen Umſtänden unzweifelhaft vor. Wenn
meine Sache in fremdem Beſitz iſt, und ich den Beſitzer
(in Folge eines Kaufs oder einer Schenkung) zum Eigen-
thümer machen will, ſo wird er es unmittelbar, ohne ſicht-
bar hervortretende Handlung (a); dieſes geſchieht durch ein
ſogenanntes constitutum possessorium mit unmittelbar
darauf folgender brevi manu traditio. In ſolchen Fällen
alſo kann man ſagen, was Ulpian von dem Fall ſagt,
da ich meinem Schuldner auftrage, das Geld, welches er
mir zahlen will, einem Dritten zu bezahlen: es ſey ſo an-
[577]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
zuſehen, als ſey das Geld zuerſt von dem Schuldner mir,
dann von mir dem Dritten übergeben worden; „nam ce-
leritate conjungendarum inter se actionum unam actio-
nem occultari”(b).
Alſo auch in unſrem Fall iſt es ganz ſo anzuſehen,
als hätte die Frau die Sache dem Mann, deſſen Eigen-
thum ſie anerkennt, wirklich zurück gegeben, und als ein
Geſchenk aus ſeiner Hand wieder empfangen; durch die
Rückgabe iſt die bisher laufende Uſucapion unterbrochen,
und mit dem neuen Empfang würde eine neue pro dona-
tio usucapio anfangen, wenn nicht dieſe Schenkung, als
nichtige Handlung, zur justa causa ganz untauglich wäre.
So muß alſo in dieſem Fall die Uſucapion der Frau un-
möglich werden.
Auf den erſten Blick nun könnte man glauben, daß
wenigſtens in dieſem Fall das bloße Unterlaſſen des Man-
nes als Schenkung gelte; in der That aber iſt es ein po-
ſitives, nur verſtecktes, Handeln deſſelben, welches hier
die Schenkung ausmacht.
Der angegebene Grund der Entſcheidung kann zugleich
als Beſtätigung dienen für die entgegengeſetzte Entſchei-
dung des erſten Falles (Num. VI.). Denn welche Kraft
auch man dem einſeitigen Wiſſen und Wollen des Man-
nes beylegen möge, ſo wird doch Jeder zugeben, daß da-
durch der Beſitz der Frau nicht aufgehoben wird; gerade
in dieſem aufgehobenen Beſitz der Frau liegt aber der
IV. 37
[578]Beylage IX.
Grund, wodurch die Fortſetzung und Vollendung der bis-
her laufenden Uſucapion in dem dritten Fall unmög-
lich wird.
Nachdem nun die einzelnen Fälle aus allgemeinen Ge-
ſichtspunkten betrachtet worden ſind, ſoll die Beſtätigung
der aufgeſtellten Behauptungen in der oben angeführten
Stelle (L. 44 de don. int. vir. et ux.) nachgewieſen wer-
den. Der erſte Theil derſelben enthält den ohnehin un-
zweifelhaften Satz, daß die Uſucapion der Frau unbedenk-
lich iſt, wenn keinem Theil das Eigenthum des Mannes
bekannt wird. Hierauf folgen (nach meiner Abtheilung
und Erklärung) die zwey letzten der drey ſo eben beur-
theilten Fälle, und zwar zuerſt der dritte, dann der zweyte;
der erſte wird gar nicht erwähnt. Der dritte Fall iſt in
folgenden Worten enthalten:
Sed si vir rescierit suam rem esse priusquam usuca-
piatur, vindicareque eam poterit nec volet, et hoc et
mulier noverit, interrumpetur possessio, quia transiit
in causam ab eo factae donationis.
In dieſen Worten finde ich die vollſtändige Beſtäti-
gung des ſo eben (Num. VIII.) entwickelten juriſtiſchen
Hergangs. Da es jetzt ſo zu betrachten iſt, als hätte die
Frau den Beſitz dem Mann zurück gegeben, und von ihm
wieder empfangen, ſo iſt ihr bisheriger Beſitz wirklich un-
terbrochen (interrumpetur possessio). Ihre bisherige caus
[579]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
possidendi (die erlaubte Schenkung des Dritten) hat alſo
aufgehört zu wirken, und es iſt an die Stelle getreten ein
neuer Beſitz mit einer neuen causa, nämlich der verbote-
nen Schenkung unter Ehegatten, worauf ſich keine Uſuca-
pion gründen kann (transiit in causam ab eo factae do-
nationis).
Hierauf folgt die Betrachtung des zweyten Falles
(Num. VII.) in folgenden Worten:
Ipsius mulieris scientia propins est, ut nullum adqui-
sitioni dominii ejus adferat impedimentum: non enim
omnimodo uxores ex bonis virorum, sed ex causa do-
nationis ab ipsis factae, adquirere prohibitae sunt.
Das heißt: wenn das Eigenthum des Mannes nicht
beiden Ehegatten, ſondern nur der Frau allein, bekannt
wird (a), ſo ſchadet Das der Uſucapion nicht, da den
Frauen nicht jeder Erwerb aus des Mannes Vermögen,
ſondern nur der auf des Mannes Schenkung gegründete,
unterſagt iſt, welche Schenkung aber, wegen des Mannes
Unwiſſenheit, hier gar nicht denkbar iſt.
Der erſte Fall (da blos der Mann um das Eigenthum
weiß) wird in der Stelle nicht berührt; man kann aber
wohl annehmen, daß Neratius in dieſem Fall, eben ſo
wie in dem zuletzt erwähnten zweyten Fall, die Uſucapion
zulaſſen will: ſonſt hätte er ſchwerlich das Mitwiſſen der
37*
[580]Beylage IX.
Frau ausdrücklich als Bedingung der ausgeſchloſſenen Uſu-
capion bezeichnet (et hoc et mulier noverit, welches ja
unter Vorausſetzung einer entgegengeſetzten Meynung ganz
gleichgültig geweſen wäre).
Die gewöhnliche Interpunktion der Stelle weicht von
der hier angenommenen in folgender Weiſe ab:
quia transiit in causam ab eo factae donationis ipsius
mulieris scientia. Propius est ut nullum .. adferat
impedimentum.
Hiernach würde die zweyte Hälfte der ganzen Stelle
nicht, wie ich annehme, zwey Fälle zum Gegenſtand ha-
ben, ſondern allein den Fall des beiderſeitigen Wiſſens.
Da nun aber, nach dieſer Interpunktion, ein Widerſpruch
zwiſchen dem interrumpetur possessio und den Worten:
nullum .. adferat impedimentum entſtehen würde, ſo ha-
ben ſich von jeher die Meiſten dadurch zu helfen geſucht,
daß ſie hinter mulieris scientia den Punkt in ein Frage-
zeichen verwandelt haben. Dadurch werden die Worte
interrumpetur possessio zu einer bloßen Frage, und die
folgenden Worte enthalten die verneinende Antwort, wo-
durch allerdings der Widerſpruch beſeitigt wird; das Re-
ſultat der Stelle iſt dem von mir angenommenen gerade
entgegengeſetzt. Wie wenig aber, auf dieſe Interpunktion
gebaut, eine befriedigende Erklärung bisher gelingen wollte,
[581]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
habe ich in meiner früheren Abhandlung (Num. V. a) zu
zeigen verſucht.
Neuerlich hat ſich nun für dieſelbe Interpunktion der
Heidelberger Recenſent meiner Abhandlung ausgeſprochen,
und deſſen Erklärung iſt jetzt noch in Erwägung zu zie-
hen. Er nimmt an, die Schenkung des Dritten wirke
ſtets fort, und die auf ſie gegründete Uſucapion gebe der
Frau wirklich das Eigenthum. Daneben aber beſtehe auch
eine wirkliche Schenkung des Mannes an die Frau (a),
wodurch die Uſucapion zwar nicht begründet, aber auch
nicht gehindert werde. — Aus zwey Gründen kann ich
dieſe Erklärung nicht für zuläſſig halten. Erſtlich ſteht
ſie im Widerſpuch mit dem Ausdruck transiit. Dieſer kann
nur gebraucht werden, wo das eine Verhältniß verſchwin-
det, ein anderes an deſſen Stelle tritt, nicht wenn beide
neben einander beſtehen; ſo z. B. kann man von einer
Schuld bey der Novation wohl ſagen: transit in expro-
missorem, aber gewiß nicht bey der Bürgſchaft: transit
in fidejussorem. Zweytens iſt nicht einzuſehen, welche
Bereicherung nach dieſer Annahme durch des Mannes
Schenkung eigentlich bewirkt werden ſollte. Die b. f. pos-
sessio hat die Frau durch die Schenkung des Dritten er-
halten, die Uſucapion ſoll gleichfalls eine Folge derſelben
[582]Beylage IX.
ſeyn, es bleibt alſo gar Nichts übrig, was die Frau der
Liberalität des Mannes zu verdanken hätte, und wodurch
wir veranlaßt werden könnten, eine Schenkung des Man-
nes zu behaupten, wie es doch hier anerkanntermaßen von
Neratius geſchieht; Alles, was ſie nach jener Erklärung
bekommt, würde ſie auch bekommen, wenn der Mann ſein
Eigenthum nicht erfahren hätte.
Eine fernere Unterlaſſung, wodurch ein Ehegatte den
andern bereichern kann, findet ſich bey der Klagverjäh-
rung. Wenn alſo der Mann gegen ſeine Frau eine Schuld-
klage hat, und die Verjährung derſelben wiſſentlich ab-
laufen läßt, liegt darin etwa eine verbotene Schenkung?
Eine ausdrückliche Erklärung unſrer Rechtsquellen fin-
den wir hierüber nicht. Halten wir uns blos an die Ana-
logie der Uſucapion, ſo müſſen wir zuerſt ſagen, der Ab-
lauf der Verjährung werde an ſich nicht verhindert, es
werde alſo wirklich dem Schuldner die temporalis prae-
scriptio erworben. Wir müſſen auch hinzufügen, es liege
darin nicht einmal eine indirecte ganz ſichere Bereicherung,
indem hier, wie bey der Uſucapion, wenn auch wirklich
die Klage angeſtellt wurde, dennoch der Erfolg derſelben
ungewiß blieb. Ja es kann bey der Klagverjährung nicht
einmal der Fall vorkommen, der durch Unterbrechung des
Beſitzes die bisher laufende Uſucapion in der That ſtören
konnte (Num. VIII.). Zur Unterſtützung dieſer Anſicht
[583]Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.
kann man auch noch folgenden Grund anführen. In der
Lehre von der Schenkung iſt dargethan worden, daß die
Zahlung oder Expromiſſion einer naturalis obligatio nicht
als Schenkung gelte (§ 149. a. i). Da nun durch die
Klagverjährung lediglich eine civilis obligatio in eine na-
turalis verwandelt wird, ſo ſcheint auch dieſe umgekehrte
Veränderung nicht als Schenkung betrachtet werden zu
dürfen (a).
Man könnte jedoch folgende Einwendung verſuchen.
Wenn ein inſolventer Schuldner die ihm zuſtehende Klage
wiſſentlich durch Verjährung untergehen läßt, ſo kann al-
lerdings die Pauliana actio gegen den befreyten Beklagten
angeſtellt werden; eben ſo verhält es ſich mit der Fa-
viana(b). Hierin ſcheint alſo ein ſolches Verfahren in der
That als wahre Veräußerung anerkannt zu ſeyn. Indeſ-
ſen iſt dieſe Analogie nicht entſcheidend, weil bey den er-
wähnten beiden Klagen eine größere Strenge durch die
Unredlichkeit des Schuldners oder des Freygelaſſenen wohl
gerechtfertigt werden kann.
Auf ähnliche Weiſe, wie durch Klagverjährung, konnte
im älteren Prozeß der Klagberechtigte ſeinen Anſpruch ent-
kräften, wenn er die Klage durch Prozeßverjährung
untergehen ließ, oder durch Ausbleiben vor Gericht die
Abweiſung der Klage bewirkte (a). Ich glaube, daß dieſe
Unterlaſſungen aus denſelben Gründen, wie die zugelaſ-
ſene Klagverjährung, nicht als Schenkung gelten konnten.
Dagegen hat es eine ganz andere Natur, wenn der
Kläger ſeine Klage abſichtlich durch eine Exception des
Beklagten entkräften läßt, das heißt indem er es unter-
läßt, die wirklich begründete Vertheidigung gegen jene Ex-
ception vorzubringen. Dieſes iſt eine wahre Schenkung,
und begründet daher unter Ehegatten eine Rückforderung
durch Condiction (a). Eben ſo muß es ſich umgekehrt ver-
halten, wenn der Beklagte eine ihm zuſtehende Exception
nicht vorbringt, und dadurch die Verurtheilung hervor-
bringt; es iſt dieſes eine indirecte Weiſe, in ein Schuld-
verhältniß freywillig einzutreten zur Bereicherung des Geg-
ners (vgl. § 157. o. p).
Der Unterſchied dieſer Fälle von der zugelaſſenen Klag-
verjährung liegt aber in Folgendem. Die ganze Prozeß-
führung muß als ein untrennbares Ganze angeſehen wer-
den, worin Thun und Laſſen nicht abgeſondert betrachtet
werden können. Es iſt alſo in den zuletzt erwähnten Fäl-
len ſtets anzunehmen, daß die eine Partey durch die Art
ihrer Prozeßführung, alſo durch poſitive Thätigkeit, den
Verluſt des Prozeſſes abſichtlich herbeygeführt hat.
Eine beſondere Betrachtung verdient noch die Regel
des älteren Rechts, nach welcher die Forderung eines
Glaubigers an Sponſoren und Fidepromiſſoren nur zwey
Jahre dauern, alſo durch Ablauf dieſer Zeit ipso jure
untergehen ſollte (a). Hatte nun der Mann bey ſeiner
Frau in dieſen Formen für einen Dritten Bürgſchaft ge-
leiſtet, und ließ die Frau die zwey Jahre ohne Klage ab-
ſichtlich verſtreichen, ſo war dieſes ſo gut als ein Erlaß
der Bürgſchaft, und könnte daher als Schenkung angeſe-
hen werden. In der That hat dieſer Fall große Ähnlich-
keit mit dem Untergang der Servituten durch Nichtge-
brauch, welcher auch ipso jure eintritt, und in welchem
wirklich eine Schenkung angenommen wird (Num. II.).
Dennoch aber iſt in dieſem Fall keine Schenkung anzuneh-
men, weil überhaupt der einem Bürgen gewährte Erlaß
ſeiner Verbindlichkeit keine wahre Schenkung iſt (§ 158).
Alles, was bisher über die Schenkungsnatur bloßer
Unterlaſſungen in Anwendung auf Ehegatten ausgeführt
worden iſt, muß nun eben ſo auch auf die Inſinuation
und Revocation der Schenkungen angewendet werden. Auch
hier alſo wird in den meiſten Fällen der bloßen Unterlaſ-
ſung das Daſeyn einer Schenkung verneint werden müſ-
ſen; in den Fällen aber, worin unter Ehegatten eine
Schenkung angenommen wurde, muß ſie auch in dieſen
Anwendungen gelten. Wenn alſo eine Servitut durch ab-
ſichtlichen Nichtgebrauch des Inhabers untergeht, ſo iſt
dabey freylich eine Inſinuation gar nicht denkbar; es kann
aber der Werth derſelben, ſoweit er 500 Dukaten über-
ſteigt, als ungültig geſchenkt zurückgefordert werden. Eben
ſo kann der Inhaber dieſe durch ſeinen Willen zerſtörte
Servitut wegen Undankbarkeit des beſchenkten Eigenthü-
mers zurückfordern. — Daſſelbe muß gelten, wenn wäh-
rend einer laufenden Uſucapion der Eigenthümer und der
Beſitzer das wahre Rechtsverhältniß erfahren, und über
die Fortſetzung und Vollendung des Uſucapionsbeſitzes ein-
verſtanden ſind. Wegen Undankbarkeit kann hier ſtets wi-
derrufen werden, und wenn die Sache mehr werth iſt als
500 Dukaten, ſo iſt die Schenkung theilweiſe nichtig.
Etiam per interpositam personam donatio consummari
potest ſagt Paulus in L. 4 de donat. (39. 5.). Den Wor-
ten nach könnte Dieſes gehen auf ſolche Fälle, da eine
fremde Perſon blos als Werkzeug der Ausführung ge-
braucht wird, indem etwa das Geſchenk durch einen Bo-
ten des Gebers überbracht, oder durch einen Boten des
Empfängers abgeholt wird. Es iſt aber dabey vielmehr
an diejenigen Fälle zu denken, da die Schenkung vermit-
telſt eines wirklichen, mit einer dritten Perſon abgeſchloſ-
ſenen, Rechtsgeſchäfts bewirkt werden ſoll. Trifft nun
ein ſolches Verfahren zuſammen mit einer, gerade dieſe
Schenkung einſchränkenden, Rechtsregel, iſt es z. B. auf
die Bereicherung eines Ehegatten abgeſehen, ſo entſteht die
Frage, ob dieſe Rechtsregel auch auf das Rechtsgeſchäft
mit jenem Dritten zurückwirkt, oder ob daſſelbe unberührt
davon bleibt. Ich will zuerſt Dasjenige zuſammen ſtellen,
was ſich über dieſe Frage unmittelbar in unſren Rechts-
quellen findet, und dann die darin nicht berührten Anwen-
dungen beſonders unterſuchen.
Bey der Schenkung unter Ehegatten wird zuerſt das
allgemeine Princip ausgeſprochen, daß in ſolchen Fällen
auch das mit dem Dritten abgeſchloſſene Rechtsgeſchäft
völlig nichtig ſey (a).
Die einfachſte Anwendung dieſes Princips iſt folgende.
Der Mann beſchenkt ſeine Frau durch eine Liberation, in-
dem er ihrem Glaubiger für ſie expromittirt. Hier iſt
Alles nichtig, ſowohl die Verbindlichkeit des Mannes ge-
gen den Glaubiger, als die Befreyung der Frau; Alles
bleibt in dem früheren Zuſtand (b). — Schlechthin nöthig
zur Aufrechthaltung des Verbots war dieſe Behandlung
nicht, denn man konnte auch die Verbindlichkeit und die
Befreyung gelten laſſen, und nur dem Mann eine Con-
diction gegen die Frau geben, wie wenn er ihr baares
Geld geſchenkt hätte. Allein ſicherer durchgreifend war
jene Behandlung allerdings, indem nun das Verbot nicht
durch zufällige Umſtände, z. B. durch Inſolvenz der Frau,
unwirkſam gemacht werden konnte.
Ganz eben ſo verhält es ſich, wenn das Geſchenk in
einer verſchafften Schuldforderung beſteht, das heißt wenn
der Mann ſeinem Schuldner aufträgt, ſeiner Frau zu ex-
promittiren. Auch hier iſt wieder Alles nichtig, indem der
Schuldner weder gegen den Mann befreyt, noch gegen
die Frau verpflichtet wird (a).
Merkwürdig iſt hierbey noch die fernere Entwicklung
eines ſolchen Rechtsgeſchäfts. Wenn in anderen Fällen
eines nichtigen Geſchäfts aus Irrthum gezahlt wird, ſo
iſt die Zahlung an ſich gültig, das Eigenthum des Geldes
geht über, und der Zahlende hat nur eine indebiti con-
dictio auf Rückgabe einer gleichen Summe (b). Hier iſt
es anders. Wenn der delegirte Schuldner des Mannes
an die Frau zahlt, ſo iſt auch dieſe Zahlung nichtig; der
Schuldner kann das gezahlte Geld, ſo lange es vorräthig
iſt, vindiciren, und nach der Conſumtion condiciren: gegen
den Mann wird er durch dieſe Zahlung eben ſo wenig
[590]Beylage X.
ipso jure frey, als vorher durch die Expromiſſion. Da
er aber nach dem Willen des Mannes gezahlt hat, ſo
ſchützt er ſich gegen deſſen Schuldklage durch eine doli
exceptio, wobey er jedoch ſeine Vindication des vorräthi-
gen Geldes dem Manne cediren muß. Für die Condiction
bedarf es nicht einmal einer Ceſſion; denn da die Frau
um das conſumirte (nicht etwa verſchwendete) Geld durch
Vermittlung des Mannes reicher geworden iſt, ſo hat der-
ſelbe gegen ſie die Condiction ſchon unmittelbar (c). —
Daſſelbe, was hier als beſondere Folge der Zahlung aus
der nichtigerweiſe übernommenen Schuld geſagt worden
iſt, muß eben ſo auch in dem vorher erwähnten Fall, da
die Schenkung durch Liberation der Frau bewirkt werden
ſollte, gelten (Num. II.).
Daſſelbe ſcheint nun auch gelten zu müſſen, wenn der
Mann ſeinem Schuldner aufträgt, die Schuld an die Frau
zu zahlen, welche dadurch beſchenkt werden ſoll; der Schuld-
ner müßte verpflichtet bleiben, und das gezahlte Geld
durch Vindication von der Frau wieder fordern. Hier iſt
es jedoch anders, in Folge der freyeren Entwicklung, die
in der Lehre vom Beſitz eingetreten iſt. Es wird nämlich
ſo betrachtet, als wäre das Geld von dem Schuldner an
[591]Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.
den Mann, von dieſem an die Frau gegeben worden. Da-
her wird der Schuldner frey, und der Mann hat die ge-
wöhnlichen Rechtsmittel gegen die Frau (a). Ganz daſ-
ſelbe gilt, wenn der Mann die Zahlung an die Frau nicht
ſeinem Schuldner aufträgt, ſondern Dem welcher ihn be-
ſchenken will; der Mann wird Eigenthümer, und fordert
die Sache von der Frau zurück (b). Eben ſo auch, wenn
der Dritte weder um eine Schuld zu zahlen, noch um dem
Manne zu ſchenken, ſondern nur in Folge eines Mandats
des Mannes, der Frau tradirt (c).
Eben ſo aber wird es ſich auch verhalten, wenn der
Mann ſeine Frau dadurch beſchenken will, daß er ihrem
Glaubiger baare Zahlung leiſtet. Nach der Strenge des
[592]Beylage X.
älteren Rechts wäre hier gar Nichts geſchehen, die Frau
bliebe Schuldnerin, der Mann könnte das Geld vindici-
ren, oder, wenn es ausgegeben iſt, condiciren. Nach der
eben dargeſtellten freyeren Behandlung iſt es, als ob das
Geld von dem Mann an die Frau, von der Frau an den
Schuldner, gegeben wäre. Die Frau hat alſo Beſitz des
Geldes erworben, aber kein Eigenthum. Sie hat alſo ih-
ren Glaubiger mit fremdem Gelde bezahlt, welche Zah-
lung zunächſt ungültig iſt, durch die Conſumtion aber
gültig wird (d). Daher kann der Mann das Geld vindi-
ciren, ſo lange es der Glaubiger abgeſondert vorräthig
hat; iſt es ausgegeben, ſo wird die Frau von ihrer Schuld
frey, und nun hat der Mann gegen ſie die gewöhnliche
Condiction, wie aus jeder anderen Bereicherung. Es iſt
ganz zufällig, daß dieſer Fall nicht ſo, wie der vorige,
in unſren Quellen erwähnt worden iſt.
Mit den ſo eben entwickelten Regeln ſcheint jedoch fol-
gende Stelle des Afrikanus im Widerſpruch zu ſtehen:
Der Juriſt ſpricht im Anfang und am Schluß der
Stelle von einem Fall, der unſre gegenwärtige Frage gar
nicht berührt. Blos zur Vergleichung zieht er den Fall
von einer Schenkung unter Ehegatten herbey, der hier im
Abdruck eingerückt iſt. Von dieſem nun ſagt er, daß der
Schuldner des Mannes, der auf deſſen Auftrag an die
Frau zahle, dadurch gegen den Mann nicht frey werde,
ſondern nur gegen die Frau eine Condiction habe (d); nur
durch Ceſſion dieſer Klage an den Mann werde er auch
gegen dieſen frey, alſo nur per exceptionem.
Dieſer Ausſpruch ſteht in offenbarem Widerſpruch mit
der Annahme des Celſus, Julian und Ulpian, nach wel-
cher der zahlende Schuldner unſichtbarerweiſe Beſitz und
Eigenthum des Geldes auf den Mann bringt, und da-
durch ſogleich gänzlich aus allem Rechtsverhältniß aus-
ſcheidet. Es iſt hieraus klar, daß Afrikanus dem consti-
tutum possessorium einen weniger ausgedehnten Einfluß,
als jene andere Rechtslehrer, zuſchreibt. Gerade dieſe
ſeine Anſicht aber iſt uns auch ſchon aus einer anderen
merkwürdigen Rechtsfrage bekannt. Wenn Einer ſeinem
Schuldner Auftrag giebt, einem Dritten zu zahlen, der
das Geld als Darlehen haben ſoll, ſo entſteht dadurch
wirklich ein Darlehen; eben ſo aber auch, wenn Einer
ſeinem Procurator erklärt, er möge das aus dem Mandat
[595]Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.
herauszuzahlende Geld als Darlehen behalten. Afrikanus
nun gab den erſten dieſer Sätze zu, als ein benigne re-
ceptum, den zweyten verneinte er (e); Ulpian nimmt auch
den zweyten an, weil es conſequent ſey, Dasjenige was
der Glaubiger, ohne ſichtbares Handeln, durch Zwey ihm
gegenüber ſtehende Perſonen bewirken könne, auch durch
Eine Perſon geſchehen zu laſſen (f). — In beiden Rechts-
fragen liegt alſo vor unſren Augen die allmälige Entwick-
lung des constituti possessorii in ſeinem Einfluß auf an-
dere Rechtsgeſchäfte. Es kann aber keinen Zweifel ha-
ben, daß die neueſte und freyeſte Entwicklung jenes Rechts-
inſtituts als das eigentliche Reſultat, folglich als der
letzte Ausſpruch der ganzen Geſetzgebung, anzuſehen iſt (g);
mag nun die Aufnahme älterer und beſchränkterer Mey-
nungen aus einem Verſehen der Compilatoren hervorge-
38*
[596]Beylage X.
gangen ſeyn, oder aus der beſtimmten Abſicht, ein Stück
der inneren Rechtsgeſchichte darzuſtellen.
Ich gehe jetzt über zu einer anderen Folge der Schen-
kung. Wer eine ſolche verſpricht, und auf Erfüllung ver-
klagt wird, hat gegen dieſe Klage eine doli exceptio, wo-
durch er das ſogenannte beneficium competentiae geltend
machen kann (§ 157. l). Nun kann es aber auch geſche-
hen, daß er nicht unmittelbar dem Empfänger verſpricht,
ſondern von dieſem an einen Dritten delegirt wird, etwa
an den Glaubiger deſſelben, oder an Den, welchem der
Empfänger wiederum ſchenken will. Wird nun von die-
ſen dritten Perſonen der Schenkende aus dem mit ihnen
geſchloſſenen Vertrag verklagt, ſo hat er gegen dieſe Klage
jene Exception nicht (a). Es verliert alſo das Schenkungs-
verhältniß jene eigenthümliche Wirkung, ſobald ein Rechts-
geſchäft mit dritten Perſonen in die Mitte tritt.
Wer zur Zeit des älteren Rechts eine das Maaß der
Lex Cincia überſteigende Schenkung verſprach, war ge-
gen die Klage des Empfängers durch eine Exception ge-
ſchützt (§ 165). Wenn aber der Empfänger nicht unmit-
telbar das Verſprechen angenommen, ſondern durch Dele-
[597]Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.
gation die Schenkung bewirkt hatte, ſo ſollte gegen die
aus der Expromiſſion entſpringende Klage jene Exception
nicht gelten. Dieſes geſchah alſo in folgenden beiden Fällen:
1) Wenn der Geber an den Glaubiger des Empfän-
gers expromittirte. Er hatte keine Exception gegen deſſen
Klage, wohl aber eine Condiction gegen den Geber, da-
mit dieſer ihm Befreyung von der Schuld verſchaffe, oder
das ſchon gezahlte Geld zurück gebe (a).
2) Wenn der Geber ſeinen Schuldner dem Empfänger
delegirte. Der Schuldner hatte keine Exception, aber der
Geber konnte vor der Zahlung gegen den Schuldner reſciſ-
ſoriſch klagen, nach der Zahlung gegen den Empfänger
auf Rückgabe des Geldes (b).
So war es nach der Meynung der Sabinianer, die
nach den angeführten Stellen das Übergewicht erlangt zu
haben ſcheint. Die Proculianer behandelten dagegen die
Exception wie eine popularis exceptio, und wollten ſie
daher in den angeführten Fällen dem Beklagten allerdings
einräumen (c).
Aus den bisher abgehandelten einzelnen Fällen ſcheint
folgende Regel hervorzugehen.
In demjenigen Fall, worin die Einſchränkung der
Schenkung ipso jure, das heißt durch gänzliche Nichtig-
keit, bewirkt wird, äußert ſich dieſe Nichtigkeit auch in
den mit fremden Perſonen abgeſchloſſenen Rechtsgeſchäften,
welche nur als Mittel dienen ſollen, die Schenkung zu be-
wirken (Num. II. III.). Die Ausnahme dieſer Regel
(Num. IV.) iſt nur ſcheinbar; ſie gründet ſich auf das
constitutum possessorium, und die bloßen Veränderungen
im Beſitz werden überhaupt nicht von den poſitiven Ein-
ſchränkungen der Schenkung berührt (§ 149. c1).
Wo dagegen die Einſchränkung nur vermittelſt einer
Exception durchgeführt wird, da erſtreckt ſich dieſe auf das
mit einem Dritten zum Behuf einer Schenkung eingegan-
gene Rechtsgeſchäft nicht (Num. VI. VII.). Auch für dieſe
Regel findet ſich eine nur ſcheinbare Ausnahme, wenn der
Geber Denjenigen, den er fälſchlich für ſeinen Schuldner
hält, dem Empfänger delegirt; hier hat der Delegirte ge-
gen den Empfänger dieſelbe doli exceptio, die er auch ge-
gen den Geber, im Fall einer Expromiſſion an dieſen, ge-
habt haben würde (a). Ich nenne dieſe Ausnahme nur
ſcheinbar, weil ſie nicht auf der eigenthümlichen Natur
der Schenkung, ſondern auf einem weit allgemeineren Ge-
genſatz beruht, der ſich nur unter andern bey der Schen-
kung, neben ihr aber auch in ganz anderen Fällen äußert (b).
Ich gehe nun über zu denjenigen Einſchränkungen der
Schenkung, bey welchen der Einfluß auf die Rechtsge-
ſchäfte mit fremden Perſonen in unſren Rechtsquellen nicht
erwähnt wird.
Wenn ohne Inſinuation eine Schenkung von 1500 Du-
katen dadurch bewirkt werden ſoll, daß der Geber für dieſe
Summe entweder bey des Empfängers Glaubiger expro-
mittirt, oder ſeinen eigenen Schuldner dem Empfänger de-
legirt, geht nun die für 1000 Dukaten vorgeſchriebene
Nichtigkeit auf das neue Rechtsgeſchäft mit über, ſo daß
nur 500 eingeklagt werden können, oder bleibt dieſes Ge-
ſchäft davon unberührt, ſo daß die ganzen 1500 bezahlt
werden müſſen, der Geber aber vom Empfänger 1000
wieder fordern kann? Der Unterſchied kann praktiſch wich-
tig werden, wenn etwa der Empfänger bald nach der De-
legation inſolvent wird. Auf den erſten Blick möchte man
glauben, durch die oben (Num. VII.) angeführten Dige-
ſtenſtellen über die Delegation bey einer immodica donatio
ſey Alles entſchieden, indem ſie in der That beſtimmen,
daß zwiſchen dem Geber oder Empfänger auf der einen
(b)
[600]Beylage X.
Seite, und dem Dritten auf der andern Seite, die immo-
dica donatio keine Wirkung haben ſolle. Allein dieſe Stel-
len reden ganz ausdrücklich nur von der Zuläſſigkeit einer
Exception, wovon in dem alten Recht der Lex Cincia al-
lerdings vorzugsweiſe die Rede war. Das Juſtinianiſche
Recht aber läßt aus der verſäumten Inſinuation gänzliche
Nichtigkeit folgen, ſtellt alſo dieſelbe auf völlig gleiche
Linie mit der verbotenen Schenkung unter Ehegatten (§ 167).
Wollen wir alſo nicht bey dieſer Frage die innere Conſe-
quenz der Geſetzgebung gänzlich aufgeben, ſo müſſen wir
dieſelbe Regel anwenden, welche im Römiſchen Recht bey
der Schenkung unter Ehegatten durchgeführt iſt (Num. II.
III.), und die angeführten Digeſtenſtellen als unanwend-
bare Zeugniſſe aus dem Zuſammenhang des älteren Rechts
betrachten, die, wie ſo manches Andere, beſſer nicht auf-
genommen worden wären. Eine buchſtäbliche Anwendung
derſelben iſt ohnehin unmöglich, da ſie nur von der Zu-
läſſigkeit einer Exception reden, von welcher aber bey der
verſäumten Inſinuation im neueſten Recht gar nicht die
Rede ſeyn kann.
Es kommt alſo bey dieſer allerdings zweifelhaften
Frage darauf an, ob wir höheren Werth legen auf das,
was aus der Conſequenz unſrer Geſetzgebung folgt, oder
vielmehr auf die Rettung der (immer noch ſtark modificir-
ten) Anwendbarkeit der angeführten Digeſtenſtellen.
Was endlich den Widerruf der Schenkung, beſonders
im Fall der Undankbarkeit, betrifft, ſo kann dabey für
unſre Frage kaum ein Zweifel entſtehen. Denn hier iſt
gleich Anfangs Alles gültig, und erſt hinterher entſteht
ein neuer Anſpruch an den Empfänger. Wurde alſo die
Schenkung durch Delegation bewirkt, ſo bleibt das mit
dem Dritten geſchloſſene Rechtsgeſchäft ganz unberührt.
Wenn die Entfernung ausgedrückt werden ſoll, in wel-
cher ein beſtimmter Zeitraum von einem andern beſtimmten
Zeitraum gleicher Art zu denken iſt, ſo geſchieht dieſes am
Einfachſten und Gewöhnlichſten durch eine Ordinalzahl,
die ſich auf die zwiſchen ihnen liegende gleichartige Zeit-
räume bezieht. Man ſpricht alſo von dem dritten Tag
nach dem heutigen, oder von dem fünften Jahr nach dem
Jahr einer beſtimmten Begebenheit, um anzugeben, um
wie viele Tage jener Tag von heute, dieſes Jahr von
der Begebenheit, entfernt liege. Unter andern geſchieht
dieſes auch da, wo nicht blos zwey einzelne Zeiträume
mit einander verglichen werden, ſondern von der ſteten pe-
riodiſchen Wiederholung gleichartiger Zeiträume die Rede
iſt, für welchen Fall die Römer den Ausdruck tertio quo-
que die, quartus quisque annus, gebrauchen. Dieſelbe Art
der Bezeichnung aber findet ſich nicht allein bey Zeiträu-
men, ſondern auch bey anderen Gegenſtänden, die als
gleichartige, in einer fortlaufenden Reihe liegende, gedacht
werden, ſo z. B. wenn unter mehreren auf einander fol-
[603]Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.
genden Fürſten eines Landes die Entfernung des einen von
dem andern in der ganzen Regentenreihe bezeichnet wer-
den ſoll. Für alle ſolche Fälle nun entſteht die Frage,
wie die als Bezeichnung angewendete Ordinalzahl zu ver-
ſtehen iſt, ob nämlich der Zeitraum, die Perſon u. ſ. w.,
wovon die Zählung ausgeht, mitgezählt werden ſoll, oder
nicht. Es ließe ſich denken, daß hierüber durch den
Sprachgebrauch eines Volks eine feſte Regel angenommen
wäre, wodurch dann alle Zweydeutigkeit der Bezeichnung
ausgeſchloſſen ſeyn würde. Bey den Römern aber war
es nicht alſo, ſie haben vielmehr auf ganz verſchiedene
Weiſe bald mitgezählt, bald auch nicht, und dadurch ent-
ſteht für jede Stelle, worin eine ſolche Zählung vorkommt,
ein Zweifel über den wahren Sinn, wodurch große Vor-
ſicht in dem Gebrauch derſelben nothwendig wird (a). Dieſe
Behauptung iſt nunmehr durch Angabe von Stellen Rö-
miſcher Schriftſteller zu erweiſen.
Ich will zuerſt diejenigen Stellen und Redensarten
angeben, worin der erſte Tag, das erſte Jahr u. ſ. w.
entſchieden mitgezählt wird.
Dahin gehören zunächſt viele Ausdrücke der allgemein
[604]Beylage XI.
angewendeten Kalenderſprache. Dies tertius Kalen-
darum Jan. oder ante Kalendas Jan. heißt bekanntlich der
30. December, und dieſe Bezeichnung erklärt ſich nur
daraus, daß Kalendae als der erſte, und pridie Kal. als
der zweyte Tag gezaͤhlt wird. Eben ſo bey allen folgen-
den Zahlen, und eben ſo bey Idus und Nonae. — Ferner
heißt Nonae wörtlich: der neunte Tag (vor den Idus).
Da nun aber zwiſchen beiden Tagen nur Sieben Tage in
der Mitte lagen, ſo mußte man nothwendig Idus mitzäh-
len, um Nonae als den neunten Tag bezeichnen zu kön-
nen (a). — Eben ſo auch Nundinae (für novendinae), wel-
ches der letzte Tag der achttägigen Woche iſt, deſſen Name
alſo auf derſelben Zählungsart beruht (b). — Auf dieſelbe
Weiſe endlich das Trinundinum, zwey Römiſche Wochen,
wobey gleichfalls die erſten Nundinae mitgezählt ſind (c).
— Man kann dahin auch noch rechnen das perendie oder
perendinus dies, Übermorgen, welcher Tag auch dies ter-
tius genannt wird, offenbar nur indem man den heutigen
Tag, von welchem aus gezählt werden ſoll, als den er-
ſten anſieht, folglich mitzählt (d).
Eben ſo entſcheidend ſind folgende einzelne Stellen:
Varro de re rustica Lib. 2 prooem. „Itaque annum
ita diviserunt ut nonis modo diebus urbanas res usurpa-
rent, reliquis septem ut rura colerent.” Wenn ſieben
[605]Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.
Tage in der Mitte liegen, und doch der folgende als
neunter bezeichnet wird, ſo muß wohl der vorhergehende
mitgezählt ſeyn (e).
Cicero in Verrem II. 56: „Quinto quoque anno Si-
cilia tota censetur. Erat censa praetore Peducaeo, quin-
tus annus cum te (Verre) praetore incidisset, censa de-
nuo est. Postero anno L. Metellus mentionem tui cen-
sus fieri vetat, Peducaeanum censum observari jubet.” —
Auf die einjährige Prätur des Peducäus folgte die ein-
jährige des Sacerdos, dann die dreyjährige des Verres,
hierauf die des Metellus. Der letzte Cenſus fiel in das
dritte Jahr des Verres, da ihn gleich im folgenden Jahr
Metellus caſſirte. Alſo lagen zwiſchen dieſem und dem
vorhergehenden Cenſus Drey freye Jahre, und doch nennt
Cicero dieſe Wiederkehr quinto quoque anno.
Virgil. ecl. V. 49. „Alter ab illo” für: der erſte
nach ihm, alſo indem der vorhergehende mitgezählt wird,
um ihn zum zweyten zu machen.
Horat. Serm. Il. 3. 193. „Ajax heros ab Achille
secundus;” eben ſo wie in der vorhergehenden Stelle.
Livius VII. 1 „dignusque habitus, quem secundum a
Romulo conditorem urbis Romanae ferrent.”
Censorinus C. 18 erzählt, die Olympiſchen Spiele
ſeyen quinto quoque anno redeunte gefeyert worden, wel-
[606]Beylage XI.
ches bekanntlich in vierjährigen Perioden geſchah, ſo daß
ſtets drey freye Jahre zwiſchen zwey Jahren der Spiele
in der Mitte lagen.
Gellius IX. 4. „Item esse compertum et creditum,
Sauromatas … cibum capere semper diebus tertiis, medio
abstinere.” Sie wechſelten alſo ab von einem Tage zum
andern mit Eſſen und Faſten, und indem die Speiſetage
tertii genannt werden, muß der jedem vorhergehende Spei-
ſetag mitgezählt ſeyn.
Gellius XVII. 12 „quum febrim quartis diebus recur-
rentem laudavit … haec biduo medio intervallata febris” ....
Celsus de medicina III. 3. „Et quartanae quidem
simpliciores sunt .. finitaque febre biduum integrum est:
ita quarto die revertitur … Tertianarum vero duo ge-
nera sunt: alterum .. unum diem praestat integrum, ter-
tio redit“ …
L. 233 § 1 de V. S. (50. 16.) (Gajus). „Post Ka-
lendas Januarias die tertio pro salute principis vota sus-
cipiuntur.” Wir wiſſen nun aber aus anderen Nachrich-
ten, daß dieſes geſchah ante diem III. Nonas Jan., das
heißt den 3. Januar (f), alſo wird hier der dies Kalen-
darum als erſter Tag eben ſo mitgezählt, wie bey der
gewöhnlichen Kalenderbezeichnung ante Kalendas(g).
L. 1 quando appellandum (49. 4.) (Ulpian.). Hier
wird zuerſt im § 9 geſagt: „Biduum vel triduum appel-
lationis ex die sententiae latae computandum erit,” das
heißt: Wer appelliren will, hat dazu zuweilen zwey, zu-
weilen drey Tage (vgl. § 11. 12), und zwar ſo daß der
Tag des Urtheils mitgezählt wird. War er aber ab-
weſend, dann (§ 15): „biduum vel triduum ex quo quis
scit computandum est,” das heißt ſo daß der Tag mit-
gezählt wird, woran er Kenntniß vom Urtheil erhielt.
Dieſelben Friſten werden nun abwechslend durch die Aus-
drücke altera vel tertia die bezeichnet (§ 6. 12. 13.).
Es iſt Dieſes dieſelbe Anſicht, welche wir ausdrücken,
wenn wir von einer Begebenheit reden, die in der vorher-
gehenden Woche ſich ereignete, und zwar gerade an dem-
ſelben Wochentage in welchem wir uns heute befinden;
wir ſagen: vor Acht Tagen, wobey wir den heutigen
Tag mitzählen, um den Tag jener vergangnen Begeben-
heit als den achten zu denken. Ganz eben ſo brauchen
die Franzoſen den Ausdruck huit jours; ſie ſind aber con-
ſequenter als wir, indem ſie auch die Entfernung von zwey
Wochen durch quinze jours bezeichnen, für welche wir
Vierzehen Tage ſagen, wobey alſo der heutige Tag
nicht mitgezählt wird. Allerdings iſt in dieſen Redensar-
(g)
[608]Beylage XI.
ten keine Ordinalzahl enthalten; aber die Verſchiedenheit
der Auffaſſung iſt dieſelbe, wie die welche hier bey den
Ordinalzahlen dargeſtellt wird.
In gleichem Sinn wird die Auferſtehung Chriſti (Sonn-
tag) auf den dritten Tag nach der Kreuzigung (Freytag)
geſetzt, und dieſe Bezeichnung findet ſich in dem chriſtli-
chen Glaubensbekenntniß ohne Unterſchied der Sprachen.
Es ſollen nun diejenigen Stellen und Redensarten fol-
gen, worin nicht mitgezählt wird.
Dahin könnte man zuerſt einen einzelnen Ausdruck aus
der Kalenderſprache rechnen, das pridie, welches die Zu-
ſammenziehung von primo die zu ſeyn ſcheint. Da dieſes
indeſſen auf einer augenſcheinlichen Inconſequenz, vergli-
chen mit dem unmittelbar daran gränzenden tertio die,
beruhen würde, ſo könnte man dieſe dadurch zu entfernen
ſuchen, daß man pridie für priore oder pristino die(a)
nähme, ſo daß nur der Begriff des Vorhergehens, und
alſo überhaupt keine Zahl, darin enthalten wäre. Ganz
entſcheidend aber ſind folgende Stellen.
Varro de lingua lat. Lib 6 § 11 (ed. Müller). blo-
strum .. tempus quinquennale … quod quinto quoque
anno vectigalia .. persolvebantur.” Nach dem in der vo-
rigen Nummer dargeſtellten Sprachgebrauch mußte es hei-
ßen sexto quoque anno.
Cicero in Pisonem C. 5 „quam potestatem minuere,
quo minus de moribus nostris quinto quoque anno judi-
caretur, nemo .. conatus est.” Hier iſt eben ſo, wie in
der vorhergehenden Stelle, von dem ſtets nach Fünf Jah-
ren wiederkehrenden Cenſus die Rede.
Cicero acad. quaest. II. 6 „a Carneade, qui est quar-
tus ab Arcesila: audivit enim Egesinum, qui Evandrum
audierat, Lacydis discipulum, cum Arcesilae Lacydes fuis-
set.” Hier wird Arceſilas nicht mitgezählt, ſondern La-
cydes iſt der erſte, Evander der zweyte, Egeſinus der
dritte, Carneades der vierte.
Cicero ad Atticum VI. 1. „Ei (Pompejo) tamen sic
nunc solvitur, tricesimo quoque die talenta Attica XXXIII.,
et hoc ex tributis, nec id satis efficitur ad usuram men-
struam.” Offenbar vergleicht er hier monatliche Zinſen,
und Zahlungen die in dreyßigtägigen Perioden geleiſtet
wurden; bey dieſen letzten liegen 29 freye Tage zwiſchen
zwey Zahltagen, es iſt alſo der vorige Zahltag nicht mit-
gezählt, wenn der folgende als tricesimus bezeichnet wird.
Caesar de bello Gallico V. 52. „Cognoscit, non de-
cimum quemque esse relictum militem sine vulnere.” Bey
ſonyen allgemeinen Abſchätzungen, wobey es auf ſtrenge
Genauigkeit nicht ankommen kann, wie es hier ſchon aus
dem vix erhellt, gebraucht man ſtets runde Zahlen. Cäſar
will alſo ſagen, unter Zehen Soldaten war kaum Einer
unverwundet. Indem er nun jeden folgenden Geſunden
IV. 39
[610]Beylage XI.
decimum quemque nennt, muß er den vorhergehenden nicht
mitzählen.
Columella V. 8 „nam quamvis non continuis annis,
sed fere altero quoque fructum efferat” .. Da hier das
altero quoque den Gegenſatz bildet gegen das jährlich Wie-
derkehrende, ſo kann es nur die jährliche Abwechslung
zwiſchen Fruchtertrag und Unfruchtbarkeit bezeichnen, ſo
daß es hier denſelben Sinn hat, wie nach dem früher er-
klärten Sprachgebrauch das tertio quoque anno.
Statius Theb. IV. 841 „ab Jove primus honos;” ganz
in demſelben Sinn, wie es oben bey Virgil hieß: alter
ab illo.
Celsus de medicina III. 13. 21. 23. IV. 12 wo vier-
mal altero quoque die vorkommt für Das, was er ſelbſt,
in einer oben angeführten Stelle, den tertius dies nannte.
Denn wenn er Dieſes nicht meynte, ſo würde er ſicher
geſagt haben quotidie; auch ſagt er in einer jener Stel-
len, III. 21, „utilis quotidianus aut altero quoque die
post cibum vomitus est,” wo altero quoque die geradezu
den Gegenſatz von quotidianus ausdrückt.
Macrobius Saturn. I. 13. Er ſagt, die Griechen hät-
ten eine achtjährige Schaltperiode, in welcher ſie achtmal
11¼, alſo 90 Tage einſchalteten, um dadurch ihr Jahr
von 354 Tagen auf das rechte Maaß von 365¼ zu brin-
gen. Dieſes drückt er ſo aus: ut octavo quoque anno no-
naginta dies … interkalarent, wo er nach dem früher er-
klärten Sprachgebrauch hätte ſagen müſſen nono quoque
[611]Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.
anno, weil Sieben freye Jahre in der Mitte lagen. Die
Römer, ſagt er ferner, hätten das nachgeahmt, und zwar
ungeſchickt, da ihr Jahr nicht 354, ſondern 355 Tage
hatte: octavo quoque anno (für nono quoque) interkalan-
tes octo affluebant dies. Dieſen Fehler verbeſſerten ſie
nachher, indem ſie, jedesmal nach 24 Jahren, 24 Tage
wegließen: tertio quoque octennio ita interkalandos dispen-
sabant dies, ut non XC. sed LXVI. interkalarent; auch
hier wieder mußte, nach dem früher erklärten Sprachge-
brauch, geſagt werden: quarto quoque octennio.
Zu eben dieſer Ausdrucksweiſe gehört nun auch das
ſchon oben erwähnte Deutſche: vor 14 Tagen, um Das-
jenige zu bezeichnen, was genau Zwey Wochen hinter der
Gegenwart liegt.
Der zweyfache Sprachgebrauch, welcher bisher durch
einzelne Stellen nachgewieſen worden iſt, wird noch an-
ſchaulicher durch einige Fälle, in welchen dieſe Verſchie-
denheit bey den Römern ſelbſt wichtige Irrthümer hervor-
gerufen hat, und dadurch zum Bewußtſeyn bey ihnen ge-
kommen iſt.
Der merkwürdigſte Fall dieſer Art, welcher kaum
glaublich ſcheinen möchte, wenn er nicht auf ſo unzwei-
felhafte Weiſe bezeugt wäre, iſt folgender. Cäſar hatte
bey Einführung ſeines Kalenders die Anordnung getroffen,
39*
[612]Beylage XI.
daß jede Periode von Vier Jahren einen Schalttag als
Zugabe erhalten ſollte zur Ausgleichung des Kalenderjah-
res von 365 Tagen mit dem Sonnenjahr, welches er zu
365¼ Tagen annahm (a). Dieſe Einrichtung drückte er in
ſeinem Edict mit den Worten aus: ut quarto quoque anno
.. unum interkalarent diem(b); dabey lag alſo der zweyte,
eben erklärte, Sprachgebrauch zum Grunde, nach welchem
das vorhergehende Schaltjahr nicht mitgezählt wird bey
Bezeichnung der Stelle des nachfolgenden. Die Pontifices
aber, welchen die fortwährende Ausführung des geſetzlich
beſtehenden Kalenders zukam, verſtanden das Edict nach
dem oben erklärten erſten Sprachgebrauch, wodurch aus
dem quarto quoque anno dreyjährige Schaltperioden ent-
ſtanden, in welchen zwiſchen zwey Schaltjahren nur zwey
Gemeinjahre in der Mitte lagen. Dieſes unglaubliche
Misverſtändniß blieb 36 Jahre lang unbemerkt, ſo daß
in dieſer Zeit zwölfmal eingeſchaltet worden war, anſtatt
daß nur neunmal hätte eingeſchaltet werden ſollen. Als
es endlich entdeckt wurde, berichtigte Auguſt den begange-
nen Fehler dadurch, daß er für die nächſten drey Schalt-
perioden die Einſchaltung ganz unterſagte, zugleich aber
für die Zukunft den wahren Sinn der Julianiſchen Ein-
ſchaltung feſtſtellte (c).
Bey der Einrichtung vieler Colonieen durch die Trium-
virn, Octavian, Antonius und Lepidus, ſtand in der Vor-
ſchrift (lex), die den Agrimenſoren gegeben wurde, dieſe
Stelle: Qui conduxerit … a decumano et cardine quin-
tum quemque (limitem) facito pedes XII., ceteros limi-
tes subruncivos(d). Dabey war der Decumanus nicht
mitgezählt, ſo daß zwiſchen dieſem und dem zu einer grö-
ßeren Breite beſtimmten Limes Fünf Centurien in der Mitte
liegen ſollten. Die Agrimenſoren aber hatten das häufig
misverſtanden, und daher den breiteren Limes um eine
Centurie zu nahe an den Decumanus heran gerückt, in-
dem ſie glaubten, in der Lex ſey dieſer mitgezählt. Hy-
ginus rügt dieſes Misverſtändniß in folgenden Worten (e):
Multos limitum constitutiones in errorem deducunt …
Sic et de limitibus quintariis, quintum quemque quinta-
rium volunt. Porro autem inter quintum et quintarium
interest aliquid. Quintus est, qui quinto loco numera-
tur: quintarius qui quinque centurias cludit. Hunc vo-
lunt esse quintum, qui est sextus (nämlich nach der übli-
chen erſten Ausdrucksweiſe, worin der Decumanus mitge-
zählt wird). Nam et legum latoribus (l. latores) .. sic
caverunt, ut a Decumano maximo quintus quisque spa-
tio itineris ampliaretur. Erat sane interpretatio
legis hujus ambigua, nisi eorum temporum formae
(c)
[614]Beylage XI.
(die aus der Zeit jener legumlatores übrigen Riſſe) sex-
tum quemque limitem latiorem haberent .... Quum de-
cumanus erat positus, positi sunt deinde quinque limites,
quorum novissimus factus est latior: his cum decumanus
accessit, sex fiunt.
Beide hier zuſammen geſtellte Fälle kommen darin
überein, daß eine öffentliche Urkunde von den mit der
Vollziehung eines Geſchäfts beauftragten Perſonen blos
deswegen misverſtanden wurde, weil dieſe die von dem
Urheber ausgedrückte Ordinalzahl in einem andern Sinn
auffaßten, als welchen er ſelbſt hinein legen wollte. Ei-
nen ſchlagenderen Beweis aber kann es dafür nicht geben,
daß die Römer in der That ſolche Zahlen auf zwey ver-
ſchiedene Arten gebrauchten.
Es iſt gezeigt worden, daß dieſer ſchwankende Sprach-
gebrauch nicht nur bey Zeiträumen, ſondern auch bey an-
deren gezählten Gegenſtänden vorkommt. Allerdings aber
lag dazu eine ganz beſondere Veranlaſſung in der eigen-
thümlichen Beſchaffenheit der Zeiträume. Wenn ein Beſitz
am Mittag des 1. Januars angefangen hat, und von da
ab 365 Kalendertage gezählt werden ſollen, ſo wird die
Frage, ob der 1. Januar mitzuzählen ſey, beſonders da-
durch zweifelhaft, daß dieſer 1. Januar theils innerhalb
der Beſitzeszeit liegt, theils außer derſelben. Vielleicht hat
dieſer Umſtand Gelegenheit gegeben, daß jenes Schwan-
[615]Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.
ken zuerſt bey gezählten Zeiträumen entſtanden iſt, von
welchen aus es dann auch zu anderen gezählten Gegen-
ſtänden, bey welchen jener eigenthümliche Grund nicht ein-
tritt, ſeinen Weg gefunden haben mag.
Die zwey verſchiedenen Zählungsarten, die hier im
Sprachgebrauch der Römer nachgewieſen worden ſind, ver-
halten ſich zu einander nicht etwa ſo, daß die eine die
vorherrſchende Regel bildete, die andere nur auf der ſel-
tenen Redeweiſe, vielleicht auf der Unkunde einzelner
Schriftſteller von geringem Anſehen beruhte. Vielmehr
werden beide von Schriftſtellern des erſten Ranges ange-
wendet, ja ſogar beide von einem und demſelben Schrift-
ſteller, namentlich von Cicero, Varro, und dem Arzt Celſus.
Soll dieſe Verſchiedenheit nicht als eine ganz regelloſe,
ſtets nur durch Laune und Willkühr veranlaßte, angeſehen,
ſondern ein beſtimmtes Verhältniß darin angenommen wer-
den, ſo läßt ſich etwa Folgendes mit einiger Wahrſchein-
lichkeit behaupten. Die erſte Art (wobey mitgezählt wird)
ſcheint die ältere, und die üblichere im täglichen Leben;
dafür ſcheint zu beweiſen ihr Gebrauch in der Kalender-
ſprache, die gewiß allgemeinere Verbreitung hatte, als der
Sprachgebrauch einzelner Schriftſteller. Die zweyte mag
wohl als die elegantere und genauere angeſehen worden
ſeyn, wofür theils der häufigere Gebrauch bey Cicero,
theils die Anwendung in öffentlichen Urkunden zu bewei-
[616]Beylage XI. Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.
ſen ſcheint. Aus der Vorausſetzung dieſes Verhältniſſes
erklärt ſich zugleich, wie dieſe Urkunden in der Ausfüh-
rung misverſtanden wurden; es geſchah, indem die Ver-
faſſer mit beſonderer Wahl des Ausdrucks zu ſprechen
ſuchten, die Anderen aber ihre im täglichen Leben ange-
nommenen Gewohnheiten auf die Auslegung jener Urkun-
den übertrugen.
Finden wir nun in irgend einer Stelle eines alten Ju-
riſten Ordinalzahlen gebraucht, ſo ſind wir durch die hier
aufgeſtellten Anſichten berechtigt, bey der Erklärung die
eine oder die andere Zählungsart mit freyer Wahl voraus
zu ſetzen, wie wir es aus anderen Gründen für wahr-
ſcheinlicher halten mögen. Nehmen wir dabey insbeſon-
dere an, daß der erſte Tag u. ſ. w. mitgezählt worden
ſey, ſo bedarf dieſe Annahme am wenigſten einer beſon-
deren Unterſtützung, weil dieſe Zählungsweiſe die üblichere
geweſen zu ſeyn ſcheint. Wenn wir dagegen bey der ent-
gegen geſetzten Annahme einen beſonderen Grund anzuge-
ben vermögen, der den Verfaſſer beſtimmen konnte, dieſe
minder häufige Zählungsweiſe gerade in dem gegebenen
Falle anzuwenden, ſo wird dadurch unſere Auslegung ei-
nen feſteren Boden gewinnen.
Gedruckt bei den Gebr. Unger.