Mitternacht war's.
Auf den glitſchrigen Asphalt
Plätſcherte der Novemberregen
Und, windgepeitſcht, flackerte rothgelb
Durch den Nebeldunſt das Licht der Laternen.
Nur hie und da noch humpelte ſchwerfällig
Durch die dunklen Gaſſen der träumenden Weltſtadt
Ein ſchläfriger Droſchkengaul
Und vor der Hausthür, hart unter meinem Fenſter,
Stand, wie immer um dieſe Stunde,
So auch heute, mein Stubennachbar,
Der neugebackene Referendar,
Und deklamirte höchſt gefühlvoll,
Mit ſeinem Stöckchen die Luft durchfuchtelnd
Und das Schlüſſelloch immer vergeblich ſuchend,
Den Monolog der Schillerſchen Jungfrau.
Von drüben über die Straße her
Blitzten die Spiegelſcheiben des Wiener Cafés,
[262]Und hinter den zierlichen Marmortiſchchen,
Auf die rothen Sammetpolſter
Coquettirend hingegoſſen,
Bot ſich den alten und jungen Roués
Schamlos feil die geſchminkte Sünde,
Theelöffelklappernd!
Ach, und draußen fuhr pflichtgetreu
Ein bärtiger Schutzmann ein kleines Mädchen an,
Das ſeine Händchen, vor Kälte zitternd,
In ſein zerriſſenes Schürzchen gerollt hielt
Und bitterlich weinend
Zündhölzchen ausbot!!
Mitternacht war's.
In Büchern vergraben
Saß ich am Schreibtiſch und ſchrieb.
Zu meiner Linken, dem Herzen am nächſten,
Gähnte lauernd der lahme Papierkorb
Und rechts, neben Byron und Victor Hugo
Dampfte die Waſſerpfeife.
Vom Ofen her, warm und gemüthlich,
Zog durch das Zimmer ein brauner Kaffeeduft
Und an den weißen Kalk der Decke
Malte die Lampe ihr zitterndes Goldlicht.
Alles ſtill — mäuschenſtill!
Nur die Schwarzwälder Wanduhr nickte ihr Tiktak
Und eilig kratzte meine Feder
Ueber das gelbliche Manuſcript.
[263]Rhythmiſch reihte ſich Vers an Vers an
Und ſchneller rollte mein Blut
Von Strophe zu Strophe,
Ungeſtüm wie ein Katarakt,
Der ſich durch die Gewitternacht
Wild übers Wehr ſtürzt;
Denn um mich webte,
Geſtaltlos und dunkel,
Ein fauſtiſches Etwas
Und blies mir ins Ohr
Wort auf Wort.
Und neue Gedanken, nie gedachte,
Wuchſen gigantiſch aus meinem Gehirn auf.
In nie erforſchte Zeiten und Zonen
Tauchten ſie wahrheitsſuchend hinab,
Wie die farbigen Taucher ins indiſche Meer
Perlenfiſchend;
Mit Erden und Sonnen ſpielten ſie Fangball
Und Völkern und Königen raubten ſie
Hohnlachend die goldenen Kronen,
Die die kalte Berechung
Einer herzverkrüppelten Selbſtſucht
Der armen, blutiggegeißelten Menſchheit,
Der göttlichen Dulderin, ſchlangenklug
Als Fetiſche neben den Brotkorb gehangen,
Jahrhundertelang!
[264]Und die alſo Entthronten,
Aus ihrer wahnwitzigen Selbſtherrlichkeit
Jählings aufgeſchreckt, bäumten ſich auf
Und aus den Kehlen
Der Wehgefolterten, Qualverzerrten,
Rang ſich, ſchauerlich gurgelnd,
Der wilde Angſtruf:
„Das jüngſte Gericht“,
Millionenfach!
Auf der rauchenden Brandſtatt
Verkohlter, ſündiger Paläſte
Schlang ſich fluchend
Um ſeinen peſtgeſchwollenen Leichnam
Der letzte Bettler den letzten Purpur,
Blutgefärbt;
Und von dem braunen,
Gluthgeborſtenen Stein von Golgatha
Warf ſich vernichtungstoll
Kopfüber hinab
Ins bodenloſe, gähnende Nichts
Das wurmzerfreſſene, hölzerne Kreuz,
Dornenumwunden.
Und niemand kannte den Rabbi von Nazareth!
Der Mond verdunkelte ſich,
Durch den ſchwarzen Abgrund des Raums,
Hin und her wie ein Windlicht,
[265]Flackerte entſeelt der Polarſtern
Und durch den wehenden Schweif der Kometen
Blitzten farbig die Meteore.
Sündfluth und Weltbrand brachen zugleich herein
Und Nacht und Licht, Ormuzd und Ahriman,
Kämpften noch einmal
Mit alter Kraft den alten Kampf
Um die endliche, ewige Herrſchaft.
Aber die Menſchheit, die ringende Menſchheit,
Athmete auf — zum erſten Mal!
Denn auch ſie, ja auch ſie, rüſtete endlich
Den letzten, großen, den heiligen Krieg,
Den ſie ſchon Jahrtauſende lang
So heiß erſehnt hatte!
Oben, hoch oben,
Auf den lichten, ſagenumwobenen,
Heiligen Bergen,
Das Haupt gen Weſten,
Knieten ihre Führer,
Die Weiſen des Abendlands,
Und rangen qualvoll
In heißen, brünſtigen Gebeten,
Wie weiland Iſrael in der Wüſte,
Oben, hoch oben!
Und unten, tief unten,
Durch die dunklen, wipfelverſchatteten,
Grünen Thäler
[266]Wälzte ſich ſtromgleich die heilige Phalanx
Der gottentflammten, ölgeſalbten,
Todgeweihten Streiter,
Stumm und erwartungsbleich,
Eine neue Völkerwandrung.
Ihr blutrothes Banner,
Umblitzt von tauſend nackten Schwertern,
Spiegelte die aufgehende Sonne wieder,
Noch einmal küßte ſich
Mutter und Kind, Vater und Sohn
Und feierlich fluthete durch alle Himmel
Ihr heiliger Hymnus:
„Excelsior!“
Herzerſchütternd, ſeelenergreifend,
Unten, tief unten!
Aber droben im ſiebenten Himmel
Thronte noch immer auf ſeinem goldnen,
Bluttriefenden Stuhl
Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild,
Und all der Jammer, der unſägliche Jammer,
Der aus dem armen, wehgemarterten
Herzen der Menſchheit, äonenlang
Blut geſaugt wie ein Vampyr:
O, der war ſpurlos an ihm vorübergegangen,
Denn der alte Mann war kindiſch geworden
Und ließ ſich ſelbſtgefällig
Von ſeinen ſogenannten Engeln
[267]— Kleinen, abgeſchnittenen Kinderköpfchen
Mit Flügeln hinter den Ohren —
Lügengeſchwollene Phraſen drehn,
Bis er, hohl wie ein kleiner, menſchlicher Geck,
Heimlich mit dem Spiegel coquettirte
Und ſich ſchließlich einbildete:
Er wäre wirklich allgütig!
Ach, und er ahnte nicht,
Wie ſein kahlglatziger Generalſtab,
Die allmählig
Aus Erdenprieſtern zu Himmelspfaffen
Avancirten Nachfolger Petri,
Feiſte Silengeſichter,
Hinter ſeinem Rücken
Schadenfroh ſich ins Fäuſtchen lachten
Und wie ungezogene Schulbuben
Ihm Naſen drehten und Männchen machten!
Und ſo war denn nun der einſt ſo allmächtige
Schöpfer des Himmels und der Erde
Ein närriſcher Popanz geworden,
Eine lächerliche, nichtswürdige Karrikatur
Auf den altmexikaniſchen
Vitzliputzli!
O, es war fürchterlich!
Unten auf Erden,
Aufgewühlt bis in die innerſten Tiefen ihrer Seele,
[268]Die ringende Menſchheit, eine tragiſche Heldin,
Die endlich nach jahrmyriadenlangem,
Wildem Ringen
Von ihrem eigenen, dunklen Sein
Den geheimnißvollen Iſisſchleier heben ſollte;
Und hier oben im Himmel
Ein fühlloſer Selbſtling, dem der Weihrauch
Eines kleinen Häufleins
Alter, verrückter Betſchweſtern
Das Hirn umnebelt hatte!
Aber die Liebe, die ewige Liebe,
Die Allerbarmerin,
Sah es und weinte laut auf
Und an ihr großes, feuriges Sonnenherz
Preßte ſie wild ihre ſchöne, ſüße Tochter,
Das Mitleid,
Und beide traten, hochaufathmend,
Vor den Thron des Alten,
Der ſo alt war, daß er ſich ſelbſt nicht mehr kannte,
Und die Mutter ſprach:
„Soll dich denn nichts
Aus deinem wüſten, häßlichen Halbſchlaf
Aufrütteln, du alter Mann?
Hat dich die einſtige ſiebentägige Schöpfungsarbeit
Denn wirklich ſchon erſchlafft?
[269]Und willſt du nun ewig
Auf deinem Faulbett thatlos herumlungern?
Geh in dich, Alter, geh in dich und laß dir
Das brünſtige, äonenaltrige,
Nie erſchlaffte Ringen der Menſchheit,
Deines verſtoßenen Stiefkindes,
Nach Licht und Wahrheit
Das Roth der Scham ins Geſicht treiben! —
O, ſchau hinab!
Dort unten auf deiner altgewordenen Erde
Ringt nun die Herrliche
Im letzten Kampfe, im Todeskampfe;
Und glaube mir, Vater, ſie verröchelt
Und Millionen Weltmeere
Voll bitterer, blutiger Thränen
Sind umſonſt geweint,
Wenn du ihr nicht hilfſt! ....
Doch du wirſt ihr helfen!
Denn einmal ſchon
Warſt du taub für mein Flehn
Und ließeſt es zu,
Daß ein thörichtes Volk von Phariſäern
Den bleichen Zimmermann aus Nazareth,
Deinen eigenen Sohn! ans Kreuz nagelte.
Ich aber ſaß, dich heimlich verfluchend,
Nachts auf dem Oelberg;
In meinen Thränen ſpiegelten ſich,
Wehmüthig zitternd,
[270]Die tauſend Sterne der ſyriſchen Mondnacht
Und die frommen Dichter des Evangeliums
Nannten mich ſpäter: Maria Magdalena!
Nein, Vater, nein!
Du darfſt es nicht wagen,
Du wirſt es nicht wagen,
Mir wieder zu trotzen
Und ſo nicht nur meinen Fluch,
Nein, auch den der Menſchheit,
Einer ganzen Welt,
Dir aufs Haupt zu laſten,
Kalt und gefühllos!
Und ſo wirf ihn denn von dir
Den bunten, lächerlichen Flitterkram,
Mit dem Jahrmarktsnarren und Brotkorbſchurken
Dich ſchlau behängt:
Sei wieder du
Und ſchleudre noch einmal
Aus der herrlichen Fülle deiner Allmacht
Durch deine ſieben mal ſiebenzig Himmel
Dein erſtes, großes,
Heiliges Schöpfungswort!“
So ſprach die Liebe, die ewige Liebe,
Die Allerbarmerin,
Und warf ſich nieder in den Staub des Himmels
Vor die Füße ihres großen Vaters
[271]Und das Mitleid, ihre ſchöne, ſüße Tochter,
Faltete flehend ihre zarten, weißen Hände
Und ſtammelte ſchluchzend: Erbarmen, Erbarmen!
Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutloſe Steinbild
Und die frömmelnd gefaltete Rieſenfauſt,
Die einſt in nebelgrauer Vorzeit
Die Hand des Prometheus gelenkt
Und aus Thon Menſchen geformt,
Ballte ſich wieder und ſchlug
An die immer noch weltenſchwangere Stirn
Und der alte, zornige Jude
Wurde weich wie ein Kind!
Denn er fühlte, wie ſein Herz
Tief in pochender Bruſt,
Wieder wonnig zu ſchlagen anhub
Und eine wilde, verzehrende Sehnſucht
Fiel ihn an,
Eine Sehnſucht nach jener alten, ſchönen Zeit,
Als er ſelber noch jung war
Und die Welt, die träumende Welt,
In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit
Süß hineinduftete,
Zitternd und thaufriſch,
Wie eine jungerblühte, rothe Maienroſe!
Und zornentbrannt
Riß er die weihrauchduftende Schellenkappe,
[272]Die der hirnvernagelte Aberwitz
Der letzten dunklen Jahrhunderte
Ihm frech übers Ohr geſtülpt,
Aus ſeinen ſilberfluthenden Locken
Und warf ſie nieder und trat ſie mit Füßen!
Die blauen Kinderaugen
Der ängſtlich den Raum durchflatternden Engel
Verglasten und brachen;
Die himmliſche Paraſitengarde
Der Heiligen und Kirchenväter
Flüchtete watſchelnd,
Laut aufheulend und ſich bekreuzigend,
Von Wolke zu Wolke;
Ein Fußtritt ſchleuderte Petrus,
Den feiſt gewordenen Himmelspförtner,
Auf die Erde hinab, ins todte Meer
Und millionenzüngig, wonnetriefend,
Von Stern zu Stern, von Welt zu Welt,
Rollte wieder das alte, uralte,
Heilige Evangelium:
„Gott iſt Gott!“
Er aber legte lächelnd der Liebe,
Der ewigen Liebe,
Segnend die Hand aufs Haupt
Und aus dem wehenden,
Schwarz verkohlten Lügenſchutt
Längſt gewogener, wüſter Jahrhunderte,
[273]Umflattert von den letzten, phantaſtiſchen Fetzen
Seines eingeſtürzten, chriſtlichen Thronhimmels,
Zuckte ſein Wort, roth wie ein Blitz:
„Es werde Licht!“
Weinend tauſchte tiefunten auf Erden
Beim erſten Aufblitz des ewigen Frühlichts
Die verſöhnte Menſchheit
Herz an Herz
Den erſten heiligen Bruderkuß
Und lächelnd entrang ſich dem dunklen Chaos,
Vor ihrer eigenen, wonnigen Schönheit
Süß erſchreckt, eine neue Welt,
Die Welt der Verheißung!
O, wie das Herz mir ſchlug!
In zorndurchloderten, wilden Rhythmen,
Kraftvoll gegliedert,
Standen ſie da meine feurigen Strophen,
Glorreich und todverachtend,
Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter
In den Schluchten der Thermopylen.
Und ich las es noch einmal,
Was ich niedergeſchrieben mit meinem Herzblut!
Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend,
Wie noch immer
Auf dieſer ruhlos wandernden Erde
Das Elend, unſer älteſtes Hausthier,
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[274]Augenrollend und zähnefletſchend,
Um Paläſte und Hütten ſchleicht,
Tag und Nacht!
Und wie die Menſchheit, dies arme Findelkind,
Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht,
Trotz Zerduſcht und Buddha, Chriſtus und Muhamed,
Noch ſo weit vom Ziel,
Noch ſo weit, o ſo weit!
Müſſen nicht immer noch tauſend Fäuſte,
Harte, ſchwielenbedeckte Fäuſte,
Sich vom Munde das Brot abdarben,
Das ſchwarze Brot,
Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb
Den gefräßigen Schmeerbauch zu mäſten,
„Standesgemäß“
Mit Krebshirn und Nachtigallzungen?
Zwingt nicht das Gold,
Dieſer herzloſeſte aller Teufel,
Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit,
Noch immer in das dumpfe,
Seuchenverpeſtete Luſtbett der Sünde?
Leckt nicht das Volk,
Die gezähmte, ſchweifwedelnde Beſtie,
Noch immer die bluttriefende Hand
Ihres gekrönten Peinigers?
Und muß ſich die Wahrheit, die bleiche Dulderin,
[275]Nicht immer noch
Aus dem hölzernen Betſtuhl der Kirche
Querhin über den pfennigfeilſchenden Markt
Durch Seitengäßchen und Hinterpförtchen
Nachts in das lampenerhellte Stübchen
Der Dichter und Denker flüchten,
Flüchten vor dem lauernden Schlangenblick
Der kahlgeſchorenen, glattraſirten
Prieſter der Liebe?
Und doch! Und doch!
Durchblättre das große, heilige Buch der Geſchichte,
Und du ſpeiſt dir ſelbſt in dein Lügengeſicht,
Wenn du, Schwächling, die Läſtrung wagſt:
„Alles iſt eitel! Die Welt dreht ſich rückwärts!“
Zwar die Bronceſchwerter der Urzeit
Sind nur die Ahnen ihrer Enkel geweſen,
Der ſchlanken, ſtählernen Klingen der Neuzeit,
Denn Ares, der Kriegsgott,
Schüttelt ſein ſchlangenlockiges Haupt
Heut noch ſo wild wie zur Zeit des Homer:
Doch wo ſperrt noch heut
Der aſſyriſche Moloch der heidniſchen Vorzeit
Seinen feuerſpeienden Rachen
Hungrig nach Menſchenfleiſch auf?
Wer ſchnürt wohl heut noch ein triefäugiges Weib,
Blos weil es triefäugig iſt,
An den mittelalterlichen Brandpfahl?
[276]Und hat nicht erſt geſtern,
Drüben über dem großen Weltmeer,
Der ſchwarze Mann die Kette zerbrochen,
Die ihm jahrtauſendelang um den Knöchel geklirrt?
Und haben ihm ſeine weißen Brüder
Nicht treulich geholfen?
Iſt es von jenem ausgehöhlten Baumſtamm,
Der einſt vor grauen Jahren
Längs der felſigen Küſte Phöniciens
Ueber das Mittelmeer ſchwamm,
Bis zum Great Eaſtern,
Dem eiſengeſchuppten Rieſendelphin,
Denn nicht mehr als ein Schritt?
Sind die ſonnigen, griechiſchen Märchen
Des Blinden von Chios etwa göttlicher
Als das dunkle, deutſche Myſterium
Von Dr. Fauſt?
Und haben die Weiſen der neuen Zeit,
Keppler und Humboldt, Newton und Darwin,
Der Welt denn nicht tiefer ins Herz geſchaut,
Als der griechiſche Ariſtoteles,
Oder ſein Schüler, der römiſche Plinius?
So ſaß ich und ſann ich.
Wild ſchlug mein Puls,
Meine Wangen glühten
Und heiß wie im Fieber
Pochten und hämmerten meine Schläfen.
[277]Mein Hirn war der Aetna
Und ſeine Gedanken die Cyclopen!
An den weißen Kalk der Decke
Malte noch immer die grüne Lampe
Kreisrund ihr zitterndes Goldlicht,
Und die alte Schwarzwälder Wanduhr
Nickte ihr Tiktak, wie vordem.
Draußen in der dunklen, ſtillen Straße
Warf der Regen
Seine letzten, ſchweren Tropfen
Plätſchernd aufs Trottoir,
Um die ausgedrehten Laternen
Hatte der Nebel ſich dichter gelagert
Und durch den feinen, weißen Schleier
Glotzte das ſtiller gewordne Café
Mit ſeinen großen Fenſteraugen
Phantaſtiſch herüber,
Ein Rembrandtſches Halbdunkel.
Ich aber achtet' es nicht
Und ſprang auf vom Schreibtiſch
Und durchmaß, verſchränkten Arms,
Mit großen, ſchweren Schritten
Haſtig das Zimmer.
Der blonde Kopf der ſixtiniſchen Göttin
Schaute aus ſeinem wurmſtichigen Rahmen
Verwundert auf mich herab
Und lächelnd ſchüttelte
Auf ſeinem gelblichen Poſtament
[278]Das Miniaturbild der Venus von Milo
Sein ſchönes, gipsverkittetes Haupt.
Ich aber ſtellte mich feſt
Vor das wackelnde Bücherbrett hin
Und lehnte den Kopf an das weiße Thürgerüſt
Und fühlte, wie mir das Herz bis hoch an den Hals ſchlug,
Und ſprach:
„Nicht bleich und neidvoll
Schau ich Nachgeborner empor
Zu euch, ihr unſterblichen Kinder des Lichts,
Die ihr den Staub der Erbärmlichkeit
Verächtlich von den Füßen geſchüttelt
Und auf Alpengipfel entrückt,
Von Wettern umblitzt
Und umrauſcht von den Flügen der jungen Adler,
Aus euern großen, goldenen Herzen
Jene erhabenen Werke geſchöpft,
Die Millionen und Abermillionen
Lachen und Weinen, Lieben und Hoffen gelehrt;
Jene Werke, die nun — nach Jahrhunderten! —
In Bücher gedruckt und in Leder gebunden
Von jenen weißen, tannenen Brettern
Eure großen, goldgedruckten,
Dreimal heiligen Namen
Mir myſtiſch ins Herz blitzen!
Ob ihr im Dämmergrau der Geſchichte,
Getaucht in die weichen
[279]Bläulichen Schatten des Himalaya,
An den Ufern des heiligen Ganges,
Vedenentziffernd,
Unter den Palmen Indiens gewandelt;
Ob ihr, die Herzen von Hymnen geſchwellt,
Auf die Nachtigallen von Hellas gelauſcht
Und ſinnend Veilchen gepflückt am Ilyſſos;
Ob ihr, umweht von dem Odem des Weltgeiſts,
Brütend durch euer Hirn gewälzt:
Himmel und Hölle,
Sein oder Nichtſein,
Mahom und Fauſt —
Am italiſchen Arno,
Am engliſchen Avon,
Am deutſchen Ilm;
Stolz ſprech ich's aus: Ich beneid euch nicht!
Rauſcht nicht noch immer das blaue Weltmeer,
Länderumrollend und inſelgebärend,
Seinen alten, heiligen Pſalm?
Träumt nicht noch immer der grüne Urwald,
Föhndurchharft und ſternüberſät,
Von den Wundern des erſten Schöpfungstags?
Und ſchlägt denn das große Herz der Menſchheit
Heute nicht feuriger denn je?
Iſt der gewaltige Tempelbau,
Zu dem einſt der Schüler des Wiswamitra
[280]Und der Sohn der Jungfrau Maria
Den Grund gelegt,
Denn ſchon vollendet?
Muß ſich die Armuth, die ehrliche Armuth,
Nicht immer noch bücken,
Wenn ihr der Hochmuth, der reiche Hochmuth,
Mit der Peitſche über den Rücken knallt?
Lechzen nicht um mich noch tauſend und abertauſend
Dürſtende Seelen hungernder Völker
Nach Licht und Freiheit?
Und braucht denn die Wahrheit, die ewige Wahrheit,
Nicht immer noch Zeugen,
Zeugen, die geſteinigt bluten
Und brechenden Herzens noch triumphiren können??
Und ſo heb ich denn hier
Vor euch, ihr unſterblichen,
Heiligen Märtyrer,
Hoch meine Hand empor
Und gelobe feierlich:
Die Armen zu tröſten,
Die Schwachen zu ſtärken,
Die Gefangenen zu löſen,
Die Geſchlagenen zu rächen,
Die Wahrheit zu lieben,
Die Lüge zu haſſen
Und meiner Kunſt
[281]Ein Prieſter zu ſein
Mein Leben lang —
Und alles das:
Aus ganzem Herzen,
Aus ganzer Seele
Und aus ganzem Gemüthe!
Und ob ſich mein Pfad auch durch Wüſten windet
Und unter dornenumkrochnem Geſtein
Giftige Schlangen nach meiner Ferſe züngeln,
Indeß die Verſuchung, die alte, graue Sünderin,
Mir dreifach ins Ohr raunt:
„Thor, der du biſt! Denk nicht an Andre!
Denk an dich ſelber und ſchlage dich ſeitwärts!
Beſſer als Nachts auf freiem Feld,
Steingebettet und windbedeckt,
Ruht es ſich unter dem ſchirmenden Dach
Der ragenden Burg, der hallenden Kirche
Und des ſchimmernden Palaſts!“....,
Mein Weg ſei gradaus!
Kein Gold ſoll mich blenden,
Kein Kreuz mich verdummen,
Kein Schwert mich erſchrecken!
Ja!
Ein will ich ſtehn
Für Licht und Wahrheit,
Recht und Freiheit,
[282]Opferfreudig und unentwegt
Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That!
Und will nur einmal eine Fiber meines Herzens
Untreu werden, untreu ſich ſelbſt:
Dann ſei die Lippe verflucht, die mich küßt,
Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke,
Und die Hand, die ſchurkiſch den Schwur gebrochen,
Recke dereinſt ſich um Mitternacht
Aus meinem Grab ins Mondlicht empor
Und melde ſo ſtumm dem verſtörten Wandrer:
„Hier ruht der Verfluchte!“
Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen,
Auf meinen Lidern lag es wie Blei
Und ich ſchleppte mich ſchwindelnden Kopfs an den Schreibtiſch
Und warf mich dort
Erſchöpft auf den Stuhl.
Da — plötzlich — legte ſich rieſenſchwer
Auf meine müde, zitternde Schulter
Eine große, knochige Fauſt
Und vor mir ſtand,
Bleich und düſter,
Eine markige, hochgegliederte Mannsgeſtalt
Und ſah mich mit großen, ſchwarzen Augen,
Die abgrundtief unter der hohen, weißen Stirn
Wie feurige Kohlen glühten,
Durchbohrend an.
[283]Von den faltigen, maleriſchen Gewändern
Längſt verſchollner Jahrhunderte
Phantaſtiſch behangen,
Schien er mir eins jener dunklen,
Räthſelhaften Weſen,
Die, wie das Volk ſich heimlich ins Ohr raunt,
Schon im Urbeginn der Zeiten
Mit ihrem Schöpfer vermeſſen gehadert;
Die beim flackernden Blutlicht menſchlicher Brandfackeln
Die Grabkammern der ägyptiſchen Pyramiden
Zaubriſch mit Hieroglyphen bedeckt,
Und die fluchgepeitſcht,
Ueberdauernd die gewaltigen Geſchicke
Aller Völker und aller Zeiten,
Noch leben und athmen werden,
Wenn der letzte Menſch,
Müde des Seins und des goldenen Lichts,
Schon jahrhundertelang ins Grab geſtiegen
Und die dunkle, todtenſtarre Erde
Ihre wüſte, ausgebrannte Schlacke
Eiskalt durchs Nichts wälzt.
Und ſchaudernd ſah ich,
Wie das wachsbleiche Antlitz des myſtiſchen Fremdlings,
Wechſelnden Mienenſpiels,
Mich grauenvoll anſtarrte,
Bald wie Chriſtus, bald wie Mephiſto
Und bald — o Gott! — wie mein eignes Spiegelbild!
Da gerann mir das Blut in den Adern zu Eis
[284]Und an die wilder pochende Stirn
Taſtete meine Hand wie im Fieber
Und zitternd frug ich:
„Was willſt du?? Wer biſt du??“
„Was willſt du? Wer biſt du?
Windiges Püpplein!“ lachte der Schreckliche,
„Iſt da das Küchlein kaum aus dem Ei geſchlüpft
Und klatſcht ſchon verwegen
Mit ſeinen ärmlichen,
Schalenumſchlotterten Federchen,
Flügelſtolz, wie der alte,
Braungeſprenkelte Weih,
Der über ihm hoch in blauer Luft
Beutelüſterne Kreiſe zieht!
Wer biſt du!! Was willſt du!!
Thor, der ſo fragt!
Beherbergt dein winziges Menſchengehirnchen
Etwa noch mehr ſolcher ungezogenen,
Täppiſchen Schulbubenwitze?
Schleudre erſt von dir, weit, weit von dir,
Dein florumflattertes, ſchellenumklingeltes,
Kleinliches Selbſt;
Entziffre Nachts unterm Sternenhimmel
Das große Räthſelbuch der Natur;
Begreife mit deinem Zwergverſtand,
Wie die Blume blüht und die Sonne ſcheint;
[285]Frage dich ſelber, woher und wohin;
Und hat ſich dein Fürwitz,
Dein kleiner, menſchlicher Fürwitz,
Dann noch nicht erſchöpft:
Dann faſſe dir — wenn du es kannſt —
Noch einmal ein Herz,
Dann tritt noch einmal hier vor mich hin
Und frage noch einmal:
Was willſt du? Wer biſt du?
Und ich werde dir — wenn du es willſt —
Das Urbild der Wahrheit zeigen,
Schleierlos, wie ein nacktes Weib,
Und auch du wirſt dann ſein wie der alte Gott,
Der einſt in ſein herrliches Paradies
— Dem Teufel zu Liebe! —
Eigenhändig einen Apfelbaum pflanzte,
Und wiſſen, was böſe, doch nicht, was gut iſt!!
Doch à propos ich werde pathetiſch!
Und graue Haare und Gelbſchnabelphraſen
Sind immer komiſch!
Verflucht!
Ich glaube, dein Monolog,
Den du dir erſt
— Dort am Thürgerüſt! —
„Nicht bleich und neidvoll“
Vordeklamirteſt,
Iſt Schuld an dem Unſinn, den ich geſchwatzt!
[286]Doch ſetzen wir uns!
Nicht wahr, du erlaubſt doch?“
Sprach's und ließ ſich, ironiſch lächelnd,
Mir gegenüber in den alten,
Großgeblümten Lehnſtuhl fallen,
Der ſich der hohen Ehre bewußt,
Bedenklich nach vorn bog und: Knickknack! ſagte,
Legte phlegmatiſch ein Bein übers andre,
Nieste, rief: „Proſit!“
Zupfte ſich etwas am Kragen zurecht
Und fuhr dann in ſeiner Rede fort:
„Menſch und Poet,
Sieh mal nach, was die Uhr iſt!
Was, eine goldne?
Meine war ſilbern nur
Und blieb mir leider ſchon treulos ſtehn,
Als Cäſar über den Rubikon ging.
Dreiviertel zwei?
Dann hab ich noch Zeit!
Der nächſte Schnellzug nach Buxtehude
Geht ja bekanntlich erſt 7 Uhr 50!
Doch wenn ich nicht irre, riecht's hier nach Kaffee!
Wie wär's denn, mein Freund,
Wenn du mir, deinem Gaſt,
Einen Löffel voll anböteſt?
[287]Seit Muhameds Hedſchra
War ich in Mokka nur zwei- oder dreimal
Und — ländlich ſchändlich! —
Seit Sir Francis Drake trink ich nur Schnaps!
Ausnahmen mach ich nur manchmal in China,
Wo ich mich zopfgerecht
Mandarin titulire
Und Thee wie Waſſer ſaufe,
Und — last not least, wie wir Engländer ſagen —
Mein Freundchen, bei dir!
Und warum denn auch nicht?
Variatio delectat!
Für Zucker dank ich!
Milch nur ein wenig!
So, das genügt! —
Variatio delectat!
O du mein Cicero,
Göttlichſter unter den Göttlichen!
Deine Naſe war krumm,
Aber das Gold, das Gold deiner Rede
Blitzte und floß
— Um ein verbrauchtes Bild
Gelegentlich wieder aufzuputzen —
Von deinen Lippen wie Honigſeim!
[288]Wurm, der du biſt!
Du kennſt ihn ja nur
Aus der Unter-Sekunda her,
Als du noch weisheitochſend die Bänke drückteſt
Und ſchon nach dem erſten,
Weltberühmten: „Quousque tandem!“
Trotz Eſelsbrücken und Präparation
Schmählich ſtecken bliebſt!
Ich aber habe mit ihm,
Einſt als mein Bart, mein langer Judenbart,
Noch nicht ganz ſo grau war wie heute,
In den hängenden Gärten
Seines Tusculums
Bei einem Henkelkruge
Goldnen Falerners
Brüderſchaft getrunken!
Durch die zitternden Pinien brach ſilbern das Mondlicht,
Fern von den Bergen her, triefend von Wohllaut
Tönte das Lied der römiſchen Hirten
Und aus dem bläulichen Dunkel der Grotten
Leuchteten weiß und verführeriſch
Die nackten Glieder gemietheter Nymphen.
Wir aber ſprachen, falernerſeelig,
Ueber die platoſche Philoſophie
Und ſchimpften weidlich auf Catilina,
Den Carbonari!
Und zwar in den ſchönſten claſſiſchen Formen
Und gebrauchten nie ut mit dem Indicativ.
[289]Und verſtummten erſt lange nach Mitternacht,
Wohlig eingewiegt von weißen,
Schwellenden Frauenarmen! ....
Ja, Homo Homunculus,
Das waren noch Zeiten!
Zeiten, von denen ſich,
Frei nach Shakeſpeare,
Eure tintentrunkene Schulweisheit
Heut nichts mehr träumen läßt!
Doch Scherz bei Seite!
Nicht um ein Stündlein mit dir zu verplaudern,
Malträtir ich hier deinen Lehnſtuhl!
Dein Schutzgeiſt, ein kleiner, niedlicher Blondkopf,
Hat oft meiner Großmutter,
Der alten Hekate,
An dunklen Winterabenden,
Wenn wir gemüthlich ums Höllenfeuer hockten
Und Sünder wie Bratäpfel ſchmorten,
Lange Geſchichten von dir erzählt:
Wie du ſchon in der Wiege,
Als kleiner Schreihals,
Dich in den ſchwierigſten Rhythmen geübt
Und ſpäter als fünfzehnjähriger Dandy
Krampfhaft höhere Töchter beſungen
Und pralineenaſchend hyperplatoniſch
Für Zuckerwaſſer und Mondſchein geſchwärmt,
19
[290]Bis du nun endlich — mit 20 Jahren! —
Eine Reimfabrik etablirt
Und ſelbſtzufrieden mit goldnen Lettern
Ueber die Thür gemalt:
„Weltverbeſſerungsoffizin!“
Natürlich brüllte die ganze Geſellſchaft
Dann dreimal: „Hurrah!“,
Der „Chor der Verdammten“ erging ſich johlend
In den polizeiwidrigſten Verbalinjurien
Und Beelzebub gar
Biß ſich vor Lachen in ſeinen Schwanz!
Ich aber dachte an Karl Moor
Und ſprach mit Schiller, deinem Collegen:
„Dem Mann kann geholfen werden!“
Denn ſeit man auf Erden hier
Neben die Kirchen,
Kaſernen und Zellengefängniſſe
Auch Irr'nhäuſer,
Sparkaſſen und Volksküchen baut,
Folg ich der Mode und mache in Mitleid!
Und ſo ſitz ich denn nun
Hier in deinem Muſeo
Und predige alſo:
Menſch!
Kind dieſes „aufgeklärten“ Jahrhunderts,
Biſt du denn wirklich naiv genug
[291]Und glaubſt, wie ein Kindlein,
Die Ritzen des Weltbaus
Mit Versleim verſtopfen zu können?
Gibſt du dich wirklich dem Köhlerwahn hin
Und bildeſt dir ein,
Dein ſchädelgeborener Mikrokosmos
Würde den fadenſcheinigen Groſchenſeelen
Deiner lieben, unſterblichen Mitwürmer
Auch nur einen Pfifferling werth ſein?
Ich aber ſage dir:
Und wenn Camoens, der Portugieſe,
Noch einmal lebte
Und noch einmal ſeine Luſiaden ſänge,
Die Welt ſtieß ihn noch einmal kalt ins Spital
Und noch einmal müßte der „Stern von Lisboa“
Auf faulem Stroh elend verrecken,
Angeſpieen wie ein toller Hund!!
Glaube mir, Freund,
Die Menſchheit,
Dieſe concentrirte Beſtie,
Die mit der Zeit,
Gelehriger noch als ihr äffiſcher Urahn,
Der erſte Pavian,
Scepter und Kronen apportiren gelernt,
[292]Hat immer nur hündiſch
Ihrem Bändiger die Hand geleckt
Und kothbeſpritzt
Sich behaglich ihrer Verdauung gefreut,
Indeß die großen, herrlichen Dulder
— Ihre Wohlthäter! —
Weltverlaſſen am Kreuz verblutet,
Oder im Kerker elend verſchmachtet!
Denk an Chriſtus, denk an Columbus!
Auch ich war einſt jung,
Auch mir ging der Kopf oft
Schwärmeriſch mit dem Herzen durch;
Und wenn ich dann ſingend und luſtberauſcht
Durch den Frühlingsgarten der Schöpfung gewandelt,
Dann hab ich beſeligt geglaubt wie du
An die goldene Zeit und den ewigen Frieden,
An das verheißene Eldorado!
Doch der Schleier zerriß
Und unter dem Lenzgrün der ſündigen Erde,
Neben die Schuppenthiere der Urwelt
Grauenvoll hingelagert,
Sah ich die höhniſch grinſenden Schädel
Ganzer Geſchlechter,
Die vor mir gelebt und gelitten wie ich,
Würmerdurchkrochen!
Und über die Gräber
[293]Wälzte ſich wüſt
Durch den lachenden Sonnenſchein
Ein gräßlicher Peſtknäul
Von Noth und Sünde,
Gold und Blut,
Schlangenumziſcht!
Und die liebliche Freundin meiner Seele,
„Die edle Tröſterin, Treiberin Hoffnung,“
Weinte ſterbend
Ihre letzten Thränen!
Und ſo ſtand ich denn nun,
Zweifelnd, verzweifelt,
Auf dieſem wüſten,
Entſetzlichen Trümmerball,
An dem einſt ein Gott
Sieben Tage
Sieben lange, verlorene Tage
Nutzlos herumgemodelt,
Und lauſchte begierig den weiſen Sprüchen
Der alten indiſchen Evangeliſten.
Und ſie raunten mir zu:
„Was lebſt du noch, Thor?
Tauch dich hinab,
Tief hinab
In das ſelige Urnichts!
Millionen Sonnen
[294]Sind ſchon verblutet
Und aber Millionen noch
Werden verbluten
Und du?
Fliehſt den Tod?
Dies elende Sein
Iſt des Seins ja nicht werth!
Was lebſt du noch, Thor?
Tauch dich hinab,
Tief hinab
In das ſelige Urnichts!“
Ich aber habe, Prometheus zum Trotz,
Gerungen wie Fauſt und gelitten wie Hiob,
Bis ich mich endlich, blutenden Herzens,
In das eherne Schickſal gefügt.
Doch glaube mir, Freund,
Hamlet hat Unrecht:
Der Reſt iſt nicht Schweigen,
Der Reſt iſt Verachtung!
Und ſo wandl' ich denn nun,
Wie mein Bruder, der ewige Jude,
Auf dieſer „beſten aller Welten“
Ruhlos umher, ein lebendiger Leichnam,
Und denke mit Salomo: „Alles iſt eitel!“
Nur manchmal noch, manchmal,
Wenn ſich die Sonne purpurn ins Meer taucht,
[295]Oder der Frühling hoch auf die Berge ſteigt,
Oder „auf ewig“ im erſten Kuß
Zwei Herzen ſich finden,
Zwei arme thörichte,
Wankelmüthige Menſchenherzen:
Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit
Mir ſüß wie die Stimme meiner Mutter,
Meiner ſchönen, todten Mutter,
Und ich denke zurück an die alte Zeit,
Als ich im Volk noch des Menſchen Sohn hieß!
Damals war ja mein Herz,
Mein armes Herz,
Noch kein todtes Uhrwerk;
Lieblich grünten die Thäler von Hebron,
Mir zu Füßen rauſchte der Jordan
Und blutroth blühte die Roſe von Saron!
Ich liebte, liebte und wurde geliebt
Und freudig trug ich die „frohe Botſchaft“,
Die goldne Legende,
Unter die Fiſcher am See Genezareth.
Doch Teufel! was red ich!
Nickt denn nicht grinſend von meinem Käppi
Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephiſtos?
Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein
Schäkernd im Mondſchein,
Hart an der Stadtmauer,
[296]Arm in Arm durchs „Wurzgärtlin“ geſtelzt?
Indeß mein Blutsfreund, der junge Magiſter,
Unterm blühenden Roſengebüſch
Seinem blonden, ſchnippiſchen „Grasaffen“
Zärtlich die Cour ſchnitt? —
Menſch!
Stier mich nicht an!
Glaubſt du, ich kram hier im Fieberwahn
Tollhausentſprungene Märchen dir aus?
Seh ich denn aus, wie ein Charlatan?
Sieh mich doch recht an!
Hat dich nicht ſchließlich alles getäuſcht
Und bin ich nicht du?
Und dennoch verkriecht ſich dein furchtſames Ich
Scheu in ſich ſelbſt?
Graut dir vor mir?
Papperlapapp! Ich heiße nicht Heinrich!
Schlag ein neutraleres Thema vor
Und ich rede ſo dumm, wie der ehrlichſte Spitzbub!
Ah voilà — dein Manuſcript!
Mal her das Geſchreibſel!
Was? Verſe?
Schon wieder mal Verſe?
Natürlich für Proſa
Hält ſich der gnädige Herr ja zu ſchade!
[297]Schlag da der Teufel drein!
Gut, daß mein Schwager, der alte Weltgeiſt,
Dich nicht zum Hausarzt hat!
Hätteſt ihm längſt ſchon mit deinen verfluchten
Lyriſchen Univerſaltinkturen
Homöopathiſch den Magen verdorben!
Kenne die Verſe!
Habe dir oft, wenn du Nachts bei der Lampe
Brütend am Federhalter gekaut,
Ueber die Schulter geguckt.
Zwar Recht muß Recht bleiben,
Die allerfadeſten, die ich geleſen,
Sind's grade nicht —
Eliſe Polko gibt ſchlechtre heraus!
Zum mindeſten ſcheinen ſie
Fein ciſelirt und bunt wie Perlmutter!
Und doch, Ben Akiba hat wieder mal Recht:
„Alles ſchon dageweſen!“
Du aber dünkſt dich das Urgenie ſelbſt,
Wirfſt lukulliſch
Mit neuen Reimen und alten Gedanken
Wie mit Aepfelſchalen umher,
„Dichteſt und denkſt“,
Schreibſt dann dein Machwerk
In ein kleines, ſchwindſüchtiges Heftlein
Säuberlich ein
Und nennſt es pomphaft:
Das Buch deiner Zeit! —
[298]Eins gegen Hundert!
Ich wette, auch du, Freund, denkſt nun bereits
Materiell wie alle Poeten:
„Süß, o ſüß ſchmeckt der erſte Kuß,
Aber noch ſüßer, weit, weit ſüßer
Schmeckt das erſte, heißerſehnte
Goldig klimpernde Honorar!“
Hoffentlich Menſch, „Krone der Schöpfung“,
Hat dir dein Gönner Ben Machol
Noch nichts drauf gepumpt?
Wäre doch ſchad um ſein koſcheres Geld!
Oder haſt du ſchon
— So unter der Hand —
Nach einer Villa dich umgeſehn?
Im Winter Berlin, im Frühjahr Florenz,
Im Herbſt Paris, und im Sommer Oſtende!
Famoſes Leben das!
Pyramidal!! Faſanenhaft!!!
Und Lorbeeren?
Ganze Viehwagen voll!
Nicht wahr, mon cher, ich hab es errathen?
Nicht? Na, denn nicht!
Nur nicht die Miene gekränkter Unſchuld!
Biſt doch kein Mädel, das nur geküßt ſein will
Und ſagt nicht ein altes Volkslied ſchon:
Ein braver Kerl und ein braver Knuff,
Die paſſen halt immer zuſammen?
[299]Item!
Wie Doctor Martin ſagt,
Schießen wir endlich den Vogel ab!
Menſch!
Zeitgenoſſe von Emile Zola!
Weltverbeſſerer par excellence!
Biſt du denn ganz und gar vernagelt
Und ſiehſt du nicht ein, wie das Publikum,
Das Maſſenpublikum deiner Zeit,
Hundertmal lieber
Wiener Schnitzel als Verſe verdaut?
Wer lieſt denn heut welche?
Junge Mädchen am Einſegnungstage,
Oder, wenn's hoch kommt, verliebte Primaner!
Und — was das Schlimmſte —
Wer macht denn heut welche?
Läßt dich dein ſterblicher Galgenhumor
Nicht ſchmählich im Stich,
Dann muſtre doch einmal
Das elende Phraſendreſchergezücht
Der Kathederpoeten und Sonntagsdichter!
Alles nur Blauſtrümpfe, männliche Blauſtrümpfe!
Ach und kein einziger ehrlicher Kerl,
So ein Kerl, was man Kerl nennt!
Hinc illæ lacrimæ!
[300]Du aber ſtreichſt dir, tief in Gedanken,
Schon martialiſch den Schnurrbart in spe
Und regierſt die Feder, als wär ſie ein Wurfſpeer,
Und rufſt wie Hutten: „Ich hab's gewagt!“
Laß doch, mein Freundchen; laß doch, wozu denn?
Wozu denn dich opfern, opfern für nichts?
Wozu denn verhungern wie Doktor Tanner?
Macht heut bei Licht beſehn keinen Effekt mehr!
Die goldne Zeit des heilgen Antonius
Iſt gottlob vorüber!
Wärſt du noch Jungfer, ich proponirte dir:
„Geh in ein Kloſter!“
So aber rath ich dir dringend und ernſthaft:
„Werde Profeſſor in Königsberg
Und ſchreibe die Memoiren Odhins —
Selbſtverſtändlich in Stabreimproſa!
Pump dir das Schreibrohr
Des Herrn Mirza von Schaffy
Und ſchlage das Tamtam und predige Weisheit!
Kauf dir ein Landgut und handle mit Poſſen,
Meinethalb auch mit alten Hoſen!
Und wenn dir das Geld fehlt,
Kauf dir den Touſſaint und überſetze
Engliſche Gouvernantenromane!
Thu, was du willſt!
Gieß dir ins Waſſerglas Cognac hinein
Und verkünde befrackt „popolär“ vom Katheder,
Wie der erſte Menſch und der letzte Papu
[301]Sich ſo verteufelt ähnlich geſehn!
Faſle das Blaue vom Himmel herunter!
Tanz auf dem Seil! Schneide Geſichter!
Werde Schuſter!
Werde Weinreiſender!
Leg dich auf Flohdreſſur
Und fertige Patente,
Fertige Zöpfe und falſche Waden!
Mache Reklame, Guano und Caviar!
Mach, was du Luſt haſt,
Nur keine Verſe!
Dixi, Poetlein!
Dixi! Dixi!“
Alſo ſprach er, der grobe Poltron,
Der „Schwager des Weltgeiſts“,
Der „Enkel der Hekate“,
Und frug noch einmal, ob es ſchon Zeit ſei,
Und drückte mir dann
„Au revoir!“ wie er lächelnd meinte,
Die tintenbeklexten Poetenfinger
So echt deutſch und hausknechtſch,
Daß ich lautauf wie ein wunder,
Homeriſcher Held
„Ὦ μοῖ ἐγώ!“ ſchrie und —
Erwachte! .....
Natürlich!!!
[302]Vor mir,
Auf dem wachsüberzogenen Schreibtiſch,
Lagen die Bücher und Manuſcripte
Wüſt durcheinander,
Das „Goldlicht der Lampe“ war längſt erloſchen
Und ſtatt des „braunen Kaffeedufts“
Zog ſich ſtickig der Brenzelgeruch
Des ſchwarzverkohlten Dochts durch das Zimmer.
Sonſt aber ſtand, lag und hing
Alles noch an ſeinem alten,
Gewohnten Platz.
Hüben die gelbſüchtge Venus von Gyps
Drüben der Raphaeliſche Kupferſtich,
Links der Papierkorb und rechts die Waſſerpfeife!
Nur draußen hatte ſich unterdeß
Das Bild geändert.
Weiß und kalt
Stahl ſich durchs Fenſter das Morgenlicht,
Linkshin hatte das Wiener Café
Schamhaft ſeine Spiegelſcheiben verhängt
Und über den Asphalt wälzte ſich dumpf
Das wieder erwachte Geräuſch der Straße.
War das dieſelbe Welt,
Die Welt von geſtern?
Und ſollten die Bilder,
Die tollen Bilder der letzten Nacht,
[303]Nur Traumbilder geweſen ſein,
Traumbilder einer erhitzten Phantaſie?
Doch ſtill! es klopfte und lächelnd trat
Mein Stubennachbar zu mir herein,
Der neugebackene Referendar,
Sagte: Morgen!“ und ließ ſich dann,
Leger wie immer,
In meinen alten,
Wackligen Lehnſtuhl fallen,
Drehte ſich zärtlich ſeinen blonden
Wohlgekräuſelten Henri Quatre
Und ſchoß dann los:
„Hoffentlich ſtör ich hier nicht!
Wollte Sie nur im Vorbeigehn fragen,
Haben Sie heute Vormittag Zeit?
Hat da ein ehmal'ger Leibfuchs von mir
Geſtern den Doctor gemacht,
„Utriusque“ natürlich!
Fidele Kneipe geweſen, ſaufidel!
Natürlich etwas ſpät nach Hauſe geklettert!
Famoſer Frühſchoppen heut!
Erlanger Bier! Patentes Geſöff!
Sie kommen doch mit? —
Nicht?!
[304]Ei verflucht!
Na dann ſei'n Sie mal Großkooz
Und bleichrödern mir
So Stück zehn, zwanzig Mark!
Wiſſen doch!
Kurz vor dem Erſten!
Momentane Verlegenheit!
Handſchuh bezahlt!
Na, und ſo weiter!
In circa acht Tagen
Schickt mir der Alte ja wieder Moos!
Bis dahin, Herr Nachbar,
Setzen wir uns
Auf den Probirſtuhl
Und leben einmal
A la commune
In Gütergemeinſchaft!
Natürlich, nur Bismarck zum Aerger!
Famoſer Witz das?
Nicht wahr, Herr College?
Doch à propos, ich ſag da „College“!
Iſt doch geſtattet?
Nicht wahr?
Sie machen doch auch Verſe?“