An Louis B.
Soll ich vom ſicheren Mann ein Maͤhrchen erzaͤhlen, ſo
hoͤre!
— Etliche ſagen, ihn habe die ſteinerne Kroͤte geboren:
Alſo heißt ein maͤchtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬
walds,
Bauchig und oben platt, der haͤßlichen Kroͤte vergleichbar.
Darin lag er und ſchlief bis nach den Tagen der Suͤnd¬
fluth.
Naͤmlich es war ſein Vater ein Waldmenſch, tuͤckiſch und
grauſam,
Allen Goͤttern ein Graͤul und allen Nymphen gefuͤrchtet.
Ihm nicht voͤllig gleich iſt der Sohn, doch immer ein Un¬
hold;
Rieſenhaft an Geſtalt, von breitem Ruͤcken und Schultern.
Ehmals ging er faſt nackt, unehrbarlich, aber ſeit Menſchen-
Denken im grauen wollenen Rock, mit ſchrecklichen Stiefeln.
Graue Borſten traͤget ſein Haupt, es ſtarret der Bart ihm.
(Heimlich, ſo heißt's, beſucht ihn der Igelslocher Balbierer
In der Hoͤhle, wo er ihm dient wie der ſorgſame Gaͤrtner,
Wenn er die Hecken ſtuzt mit der unermeßlichen Scheere.)
Lauter Nichts iſt ſein Thun und voller thoͤrichter Grillen:
Wenn er niederſteigt vom Gebirg bei naͤchtlicher Weile,
Laut mit ſich ſelber redend, und oft ingrimmigen Herzens
Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt
[176](Dieſe haſſet er auf den Tod, gewißlich ohn' Urſach'),
Oder wenn er zur Winterzeit in's beſchneiete Blachfeld
Sich der Laͤnge nach ſtreckt und, aufgeſtanden, an ſeinem
Conterfei ſich ergoͤzt mit bergerſchuͤtterndem Lachen.
Aber nun lag er einmal Mittags in ſeiner Behauſung,
Seinen Ruͤbenfraß zu verdauen, welcher ihm ſuͤß daͤucht.
Ploͤtzlich erfuͤllet wonniger Glanz die Waͤnde der Hoͤhle,
Lolegrin tritt herein, der liebliche Goͤtterjuͤngling,
Welcher ein Luſtigmacher heißt der ſeligen Goͤtter,
(Sonſt nur auf Orplid
* geſehn, die andern Lande ver¬
meidend)Weyla's ſchalkiſcher Sohn, mit dem Narrenkranz um die
Schlaͤfe,
Zierlich aus blauen Glocken und Kuͤchenſchelle geflochten.
Er nun redet den Ruhenden an mit truͤglichem Ernſte:
„Suckelborſt, ſicherer Mann, ſey gegruͤßt! und hoͤre ge¬
traulich,
Was die Himmliſchen dir durch meine Sendung entbieten.
— Saͤmmtlich ehren ſie deinen Verſtand und gute Ge¬
muͤthsart,
So wie deine Geburt: es war dein Vater ein Halbgott,
Und deßgleichen hielten ſie dich ſtets; aber in Einem
Biſt du ihnen nicht recht: das ſollſt du jetzo vernehmen.
Lieber, bleibe nur liegen getroſt! ich ſetze mich unten
Auf den Abſatzrand hier deines wuͤrdigen Stiefels,
Der wie ein Felsblock ragt, und unſchwer bin ich zu tragen.
[177]— Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Rieſenkroͤte,
Seine Goͤtterkraft in ihrem Leibe verſchließend,
Da ſie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfaͤngniß
Ward ſie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte
den Geiſt aus;
Ader du ſchliefeſt im Mutterleibe neun Monden und druͤber,
Denn im zehnten kamen die großen Waſſer auf Erden.
Vierzig Tage lang ſtroͤmte der Regen und vierzig Naͤchte
Auf die ſuͤndige Welt, ſo Thiere wie Menſchen erſaͤufend;
Eine einzige See war uͤber die Lande ergoſſen,
Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel.
Aber du lageſt zufrieden in deinem Felſen verborgen,
So wie die Auſter ruht in feſt verſchloſſenen Schalen,
Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.
Goͤtter ſegneten deinen Schlaf mit hohen Geſichten,
Zeigten der Schoͤpfung Heimliches dir, wie Alles geworden;
Erſt, wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤn¬
gert,
Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte, zuſammt den Ge¬
ſtirnen,
Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden begruͤnte,
Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,
Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt
wohnt,
Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind Beide.
Ferner ſang dir dein Traum der Voͤlker ſpaͤteſte Zukunft,
Auch der Throne Wechſelgeſchick, der Koͤnige Thaten,
Ja, du ſahſt den verborgenen Rath der ewigen Goͤtter.
Solches goͤnnten ſie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer
Oder Seher, das Unerhoͤrte wiederum kuͤndeſt,
Moͤrike, Gedichte. 12
[178]Nicht den Menſchen ſowohl, die da leben und wandeln
auf Erden, —
Ihnen dient nur wenig zu wiſſen —, ſondern den Geiſtern
In der Schattenwelt, den alten Weiſen und Helden,
Welche traurig ſitzen und forſchen das hohe Verhaͤngniß,
Schweigſam immerdar, des erquicklichen Wortes entbehrend.
Aber vergebens harren ſie dein, dieweil du ja gaͤnzlich
Deines erhabnen Berufs vergiſſeſt. Laß mich nur offen
Dir geſtehen, ſo wie du es bisher getrieben, erſcheinſt du
Weder ein Halbgott, noch ein Begeiſteter, ſondern ein
Schweinpelz,
Graͤulichem Ruͤbenfraß ergeben, ſinnſt du nur Unheil;
Steigeſt des Nachts in den Fluß, bis uͤber die Kniee ge¬
ſtiefelt,
Trennſt die Baͤnder los an den Floͤßen und ſchleuderſt die
Balken
Weit hinein in das Land, den ehrlichen Floͤßern zum
Torten.
Tagelang trollſt du muͤßig umher im wilden Gebirge,
Ahmeſt das Grunzen des Keulers nach und lockeſt ſein
Weibchen,
Greifeſt, wenn ſie nun rennt durch den Buſch, die Sau
bei den Ohren,
Zwickſt die Wuͤthende, grauſam dich weidend an ihrem
Geſchreie.
Siehe, dies wiſſen wir wohl, denn Alles ſehen die Goͤtter.
Aber reize ſie laͤnger nicht mehr, es moͤchte dich reuen!
Schmeidige doch ein Weniges deine borſtige Seele!
Suche zuſammen dein Wiſſen und lichte die rußigen
Kammern
[179]Deines Gehirns, beſinne dich wohl auf Alles und Jedes,
Was dir offenbart iſt, dann nimm den Griffel und
zeichn' es
Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;
Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! ſicherlich weißt du
Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht
ſchreckt,
Denn du biſt ja der ſichere Mann mit den wackeren
Stiefeln.
Jetzo ſey es genug. Bewahre mein Wort im Gedaͤchtniß,
Lieber! und alſo ſcheid' ich. Ade! wir ſehen uns wieder.“
Sprach's, der ſchelmiſche Gott, und ließ den Alten
alleine.
Dieſer war wie verſtuͤrzt, und ſtand ihm faſt der Verſtand
ſtill.
Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,
Schandbare Worte zumal, gottloſe, nicht zu beſchreiben.
Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empoͤrung,
Hielt er inne und ſchwieg, denn es gemahnte der Geiſt
ihn,
Nicht zu trotzen den Himmliſchen, deren doch immer die
Macht iſt,
Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wuͤhlt ſein
Gedanke
Ruͤckwaͤrts durch der Jahrtauſende Wuſt, bis tief wo er
ſelber,
Noch ein Ungeborener, traͤumte die Wehen der Schoͤ¬
pfung,
(Denn ſo ſagte der Gott, und Goͤtter werden nicht luͤgen).
12 *
[180]Aber da daͤucht' es ihm Nacht, dickfinſtere; wo er umher¬
tappt,
Nirgend iſt noch ein Halt und noch kein Nagel geſchlagen,
Anzuhaͤngen die Wucht der zentnerſchweren Gedanken,
Welche der Gott ihm erregt' in ſeiner erhabenen Seele.
Und ſo kam er zu Nichts und ſchwitzete wie ein Ma¬
giſter.
Endlich ward ihm geſchenkt, daß er ſich dahin bedachte:
Erſt ein Buch ſich zu ſchaffen, ein unbeſchriebenes, großes,
Seinen Faͤuſten gerecht und werth des kuͤnftigen Inhalts.
Wie er Solches erreicht, o Muſe, dies hilf mir verkuͤnden!
Laͤngſt war die Sonne hinab und Nacht beherrſchte den
Erdkreis
Seit vier Stunden, da hebt der ſichere Mann ſich vom
Lager,
Setzet den runden Hut auf das Haupt, den Wanderſtab
faßt er
Und verlaͤſſet die Hoͤhle. Gemaͤchlich ſteigt er bergaufwaͤrts,
Redt mit ſich ſelber dabei und brummt nach ſeiner Ge¬
wohnheit.
Aber jetzo hub ſich der Mond in leuchtender Schoͤne
Rein am Forchenwalde herauf und erhellte die Gegend,
Sammt der Hoͤhe von Igelsloch, wo nun Suckelborſt an¬
langt.
Eben hatte der Waͤchter die zwoͤlfte Stunde gerufen,
Alles iſt ruhig im Dorf und nirgend Licht mehr zu ſehen,
Nicht in den Kunkelſtuben geſellig ſpinnender Maͤgdlein,
Nicht am einſamen Stuhle des Webers oder im Wirthshaus,
[181]Mann und Weib liegt im Bette, die Laſt des Tages
verſchlafend.
Sachte tritt Suckelborſt nun vor die naͤchſtgelegene Scheuer,
Mißt mit wohlgefaͤlligem Aug' ſo Hoͤhe wie Breite
Beider Fluͤgelthore (ſie waren nicht von den kleinſten,
Aber er ſelbſt war groͤßer denn ſie, dieweil er ein Rieſe),
Dann betrachtet er Schloß und Riegel, kneipt mit dem
Finger
Ab den Globen und oͤffnet das Thor und hebet die Fluͤgel
Aus den Angeln und lehnt an die Wand ſie uͤbereinander.
Alsbald ſchaut er ſich um nach des Nachbars Scheuer und
ſchreitet
Zu demſelben Geſchaͤft und raubt die maͤchtigen Thore,
Stellt zu den vorigen ſie an die Wand, und alſofort
macht er
Weiter im Gaͤßchen hinauf, bis er dem fuͤnften und
ſechsten
Bauern auf gleiche Weiſe die Tenne geluͤftet. Am Ende
Ueberzaͤhlt er die Stuͤcke: es waren eben ein Dutzend
Blaͤtter, und fehlte nur noch, daß er mit ſauberen
Stricken
Hinten die Angel-Oehre verband, da war es ein Schreib¬
buch,
Gar ein ſtattliches; doch dies war ein Geſchaͤft fuͤr da¬
heime.
Alſo nimmt er es unter den Arm, das Werk, und trollt ſich.
Unterdeß war der ſchnarchenden Bauern Einer vom
Schlafe
Aufgeſchauert und hoͤrte des ſchwer-Entwandelnden Fußtritt.
[182]Haſtig entrauſcht er dem Lager und ſtoͤßt am niedrigen
Fenſter
Raſch den Schieber zuruͤck und horcht und ſieht mit Ent¬
ſetzen
Rings im mondlichen Dorf der Scheuern finſtere Nachen
Offen ſtehn; da faͤhrt er voll Angſt in die lederne Hoſe
(Beide Fuͤße verkehrt den linken macht er zum rechten),
Ruͤttelt ſein Weib und redet zu ihr die eifrigen Worte:
„Kaͤthe, ſteh' auf! der ſichere Mann — ich hab' ihn ver¬
nommen —
Hat im Flecken uͤbel handthiert und die Scheuern ge¬
pluͤndert!
Sieh mir im Hauſe nach und im Stall! Ich laufe zum
Schulzen.“
Alſo ſtuͤrmt er hinaus. Doch im Hofe thut er erſt ſelber
Einen Blick in die Staͤlle, ob auch das Vieh noch vor¬
handen.
Aber da fehlte kein Stuͤck, und die Schecke muht ihm
entgegen,
Meint, es waͤr' Fuͤtternszeit; er aber eilt in die Gaſſe,
Klopft unterwegs dem Buͤttel am Laden und ruft ihm
das Wort zu:
„Michel, ſteh' auf! mach' Laͤrm! der Suckelborſt hat den
Flecken
Heimgeſucht und die Scheuern erbrochen und uͤbel gewirth¬
ſchaft't!“
Solches noch redend war er ſchon weiter und weckte den
Schultheiß,
Weckte den Burgermeiſter und alle ſeine Gefreundte.
[183]Alsbald werden die Straßen lebendig, es ſtaunen die
Maͤnner,
Stoßen Verwuͤnſchungen aus, es lamentiren die Weiber.
Jeder durchſuchet ſeinen Beſitz und, halb nur getroͤſtet,
Keinen groͤßeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht
Etliche uͤber den Nachtwaͤchter her und ſchreien: „Du
Schlafratz!
Du keinnuͤtziger Tropf!“ und ballen die baͤuriſchen Faͤuſte,
Ihn zu blaͤuen, und nehmen auch nur mit Muͤhe Ver¬
nunft an.
Endlich zerſtreuen ſie ſich zur Ruhe; doch ordnet der
Schultheiß
Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal
kaͤme.
Suckelborſt hatte nunmehr die Hoͤhle wieder gewonnen,
Welche von vorne gar weit und hoch in den Felſen ſich
woͤlbte,
Duftende Kiefern umſchatteten rieſenmaͤßig den Eingang.
Hier dann leget er nieder die ungeheueren Thore,
Und ſich ſelber zugleich, des goldenen Schlafes genießend.
Aber ſobald die Sonne nur zwiſchen den Baͤumen
hereinſchien,
Gleich an die Arbeit machet er ſich, die Thore zu heften,
Saubere Stricke lagen bereit, geſtohlene freilich;
Und er ordnet die Blaͤtter mit ſinnigen Blicken und fuͤget
Vorn und hinten die ſchoͤnſten zur Decke (ſie waren des
Schulzen,
Kuͤnſtlich uͤber das Kreuz mit rothen Leiſten beſchlagen).
[184]Aber auf einmal nun in des ſtattlichen Werkes Be¬
trachtung
Waͤchst ihm der Geiſt, und er nimmt die maͤchtige Kohle
vom Boden,
Legt vor das offene Buch ſich nieder und ſchreibet aus
Kraͤften,
Grad' und krumme Strich', in unnachſagbaren Sprachen,
Krazt und ſchreibt und brummelt dabei nach ſeiner Ge¬
wohnheit.
Anderthalb Tag handthieret er ſo, kaum goͤnnet er Zeit
ſich,
Speiſe zu nehmen und Trank, bis die lezte Seite ge¬
fuͤllt iſt.
Endlich folget am Schluſſe das Punktum, groß wie ein
Kindskopf.
Tief aufathmend erhebet er ſich, das Buch zuſchmetternd.
Jetzo, nachdem er das Herz ſich geſtaͤrkt mit reichlicher
Mahlzeit,
Nimmt er den Hut und den Stock und reiſet. Auf ein¬
ſamen Pfaden
Immer gen Mitternacht laͤuft er: dies iſt der Weg zu
den Todten.
Schon mit dem fuͤnften Morgen erreicht er die finſtere
Pforte.
Purpurn ſtreifte ſo eben die Morgenroͤthe den Himmel,
Welche den lebenden Menſchen das Licht des Tages ver¬
kuͤndet,
Als er hinunterſtieg, furchtlos, die felſigen Hallen.
Aber er hatte der Stunden noch zweimal zwoͤlfe zu wandeln
[185]Durch der Erde gewundenes Ohr, wo ihn Lolegrin heimlich
Fuͤhrete, bis er die Schatten erſah, die, luftig und
ſchwebend,
Daͤmmernde Raͤume bewohnen, die Boͤſen ſo wie die Guten.
Vorn am Eingang ſammelte ſich unliebſamer Kehricht
Niederen Volks, betruͤgliche Kraͤmer, Kuppler und Metzen,
Lauſige Dichter auch und unzaͤhlbares Geſindel.
Dieſe, zu ſchwatzen gewohnt, zu ſcherzen oder zu fluchen,
Muͤhten vergebens ſich ab, zu erheben die lispelnde
Stimme —
Denn hellklingendes Wort iſt nicht den Todten verliehen —
Und ſo winkten ſie nur mit heftig bewegter Geberde,
Stießen und zerrten einander wie im Gewuͤhle des Jahr¬
markts.
Aber weiter hinein ſah man die edleren Geiſter,
Prieſter, Koͤnige, Helden; geſchmuͤckt mit ewigem Lorbeer,
Ruhig ergingen ſie ſich und ſaßen, Manche zuſammen,
Manche fuͤr ſich, und es ſchied die weit zerſtreueten Gruppen
Huͤgel und Fels und Gebuͤſch und die finſtere Wand der
Cypreſſen.
Kaum nun war der ſichere Mann in der Pforte er¬
ſchienen,
Aufrecht die hohe Geſtalt, mit dem Welt-Buch unter dem
Arme:
Sieh, da betraf die Schatten am Eingang toͤdtliches Schrecken.
Auseinander ſtoben ſie all', wie Kinder vom Spielplatz,
Wenn es im Dorfe nun heißt: „Der Hummel iſt los!“
und „da kommt er!“
[186]Doch der ſichere Mann, vorſchreitend, winkete gnaͤdig
Rings herum, da kamen ſie naͤher, ſtanden und gafften.
Suckelborſt lehnet nunmehr ſein maͤchtiges Manu¬
ſcriptum
Gegen den kleinen Huͤgel, den rundlichen, welchem gen¬
uͤber
Er ſelbſt Platz zu nehmen gedenkt auf mooſigem Felsſtuͤck.
Doch erſt leget er Hut und Stock bedaͤchtig zur Seite,
Streicht mit der breiten Hand den beißenden Schweiß von
der Stirne,
Raͤuſpert ſich, daß die Hallen ein praſſelndes Echo ver¬
ſenden,
Sitzet nieder ſodann und beginnt den erhabenen Vortrag;
Wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤngert,
Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte zuſammt den Ge¬
ſtirnen,
Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden be¬
gruͤnte,
Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,
Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt
wohnt,
Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind
Beide.
Solches lehrte der Alte, und ſtill aufhorchten die
Schatten.
Aber es hatte der Teufel, das ſchwarze, gehoͤrnete Scheuſal,
Sich aus fremdem Gebiet des unterirdiſchen Reiches
Unberufen hier eingedraͤngt, neugierig und boshaft —
[187]So wie er manchmal pflegt, wenn er Kundſchaft ſuchet
und Kurzweil —
Und er ſtellte ſich hinter den Alten, ihn zu verhoͤhnen,
Schnitt Geſichter, reckte die Zung' und machete Purzel-
Baͤum', als ein Aff', und reizte die Seelen beſtaͤndig, zu
lachen.
Wohl bemerkt' es der ſichere Mann, doch that er nicht
alſo,
Sondern redete fort, in wuͤrdiger Ruhe beharrend.
Indeß trieb es der Andere nur um deſto verwegner:
Schob am Ende den Schwanz, den wuchtigen, langen, dem
Alten
In die Hintertaſche des Rocks, als wenn es ihn froͤre:
Ploͤtzlich greifet der ſichere Mann nach hinten und packet
Mit der Rechten den Schweif gewaltig und reißet ihn
ſchnellend
Bei der Wurzel heraus, daß es kracht' — ein graͤßlicher
Anblick!
Lautauf bruͤllet der Boͤſe, die Tatzen gedeckt auf die
Wunde,
Dreht im raſenden Schmerz wie ein Kreiſel ſich, ſchreiend
und winſelnd,
Und es ſchoß ihm das Blut wie heißes Pech aus der
Wunde.
Jezt, wie ein Pfeil, zur Seite gewendet, ſchmaͤhlich ent¬
rinnt er
Durch die ſchnell eroͤffnete Gaſſe der ſtaunenden Seelen,
Nach der eigenen Hoͤlle verlangend, wo er zu Haus war.
Und man hoͤrte noch weit aus der Ferne des Fluͤchtigen
Wehlaut.
[188]Aber es ſtanden die Schaaren umher von Grauſen ge¬
feſſelt,
Ehrfurchtsvoll die Augen zum ſicheren Manne erhoben.
Dieſer hielt noch und wog den wuchtigen Schweif in den
Haͤnden,
Den bisweilen zuckender Schmerz noch leiſe bewegte;
Sinnend ſchaut' er ihn an und ſprach die prophetiſchen
Worte:
„Wie viel Mal thut der ſichere Mann dem Teufel ein
Leides?
Erſtlich heute, wie eben geſchehn, ihr ſaht es mit Augen.
Dann ein zweites, ein drittes Mal in der Zeiten Voll¬
endung:
Dreimal rauft der ſichere Mann dem Teufel den Schweif
aus.
Solcher ſproſſet ihm zwar von Neuem, aber nicht ganz mehr,
Sondern kuͤrzer, je um ein Drittel, bis daß er welket.
Gleichermaßen vergeht dem Boͤſen der Muth und die
Staͤrke,
Kindiſch wird er und alt und ein Bettler, Allen verachtet.
Dann wird ein Jubel ſeyn in der Unterwelt und auf
der Erde,
Aber der ſichere Mann wird ein lieber Genoſſe den Goͤttern.“
Dies geſprochen, legt er den Schweif in das Buch als
ein Zeichen,
Sorgſam, daß oben noch juſt der haarige Buͤſchel herausſah:
„So! da machen wir denn ein ander Mal weiter!“ und
— Baſta
[189]Schlaͤgt er den Deckel zu des ungeheueren Werkes,
Faßt es unter den Arm, nimmt Hut und Stock und em¬
pfiehlt ſich.
Unermeßliches Beifallklatſchen des ſaͤmmtlichen Poͤbels
Folgte dem Trefflichen nach, bis er ganz in der Pforte
verſchwunden,
Und es rauſchte noch lang und toſete ſchwaͤrmende Freude.
Aber Lolegrin hatte, der Gott, das ganze Spektakel
Heimlich mit angeſehn und gehoͤrt, in Geſtalt der Cicade
Auf dem hangenden Zweig der ſchwarzen Weide ſich wiegend.
Jetzo verließ er den Ort und ſchwang ſich empor zu den
Goͤttern,
Ihnen treulich zu melden die Thaten des ſicheren Mannes
Und das himmliſche Mahl mit ſuͤßem Gelaͤchter zu wuͤrzen.