Schon iſt der Berge Purpurgluth verglommen,
Und zitternd flieht des Tages lezter Strahl
Der Nacht ſchon aus dem Wege. Sey willkommen,
O Dunkelheit, im ernſten Eichenthal! —
Hier zuͤnd' ich Nachts mein Herz zum hellen Feuer
Des Schmerzes an, und ſtarre ſtumm hinein;
Und ſchwillt die Flamme, wird ſie ungeheuer,
Ich ſteh' dabei, und ſtarre ſtumm hinein;
Gelockt vom Scheine, ſchwirren dann in Schaaren,
Wie Muͤcken auf der Luͤfte lauer Fluth,
Erinnerungen her aus fernen Jahren,
Und werfen duͤrre Reiſer in die Glut.
Sie ſingen mir, um's Feuer dicht gekauert,
Viel laͤngſt verklungne Melodieen vor,
Wie einſt gejubelt ich, und wie getrauert,
Und wie der Seele Frieden ich verlor.
Sie ſingen mir von meinen Jugendtraͤumen,
Wie mir das Leben einſt ſo hold, ſo traut,
[173]Umſaͤuſelt von Heſperiens Bluͤthenbaͤumen,
Entgegentrat als eine ſchoͤne Braut:
Ein Schleier hielt das Liebchen mir umſchlungen,
Der geizig zwar mit meinen Blicken rang;
Doch mancher Reiz, der leichten Haft entſprungen,
Flog mir an's Herz, das ihm entgegendrang.
Die ſchoͤne Braut gab mir die Hand zur Reiſe,
Und ſelig ſchritten wir und raſch dahin.
Wir ſahn am Himmel goldne Woͤlkchen zieh'n,
Voreilend trat die Freude uns die Gleiſe.
Wir wallten durch des Glaubens Paradieſe,
Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt,
Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe
Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt;
Wo die beſchwingte Sehnſucht: Filomele
Laut ruft und innig in die Mondennacht,
Daß ihre Schweſter, die verwandte Seele,
Von ihrem Ruf in unſrer Bruſt erwacht,
Erwacht und Gottes ſuͤßen Namen ſingt,
Und aus der Bruſt zu ihm hinuͤberdringt.
Wo der Sturm, ein trunkener Saͤnger Gottes, dahinbrauſt,
Mit fliegender Locke, mit rauſchendem Nachtgewand,
Die Harfe ſchlagend im feurigen Fluge dahinbrauſt
Durch Thal und Gebirg', durch Meer und Wuͤſtenſand.
[174]Wie zwingt er die Donnerakkorde hervor aus den Saiten!
Wie ſucht ſein ſtrahlender Blick nach Gott durch die Weiten!
Ihn hoͤren die Wogen des Meeres, berauſcht, und ſpringen
Vom ſchaukelnden Schooße des Schlummers zu Gott empor,
Und taumeln entzuͤckt in die Arme ſich, und ſingen:
„Allmaͤchtiger Gott!“ im tauſendſtimmigen Chor;
Ihn hoͤren die Berg', und ſeine gewaltigen Lieder,
Sie toͤnen von ihrem erſchuͤtterten Buſen wieder;
Tief ſeufzen die Waͤlder und neigen ihr Angeſicht,
Die Ufer faſſen den Jubel der Stroͤme nicht,
Sehnſuchtergriffen, ſtuͤrzen vom Fels ſich herab
Die Tannen und ſuchen im Wonnetumult ihr Grab.
Des Sturmes Geſang durchtoͤnt die gluͤhende Wuͤſte,
Der grimmige Loͤwe, vom heiligen Klang umweht,
Laͤßt fahren die Beut', es ſchweigt ſein blutig Geluͤſte,
Er flieht zur Hoͤhl', und zittert ſein Gebet.
Dem Menſchen entſtuͤrzt der Thraͤnen ſeliger Schwall,
Und lauter ruft im Buſen die Nachtigall. —
Doch zogen wir fort aus dem Paradieſe,
Wo jedes Luͤftchen uns von Gott erzaͤhlt,
Wo uns von ihm jed' Bluͤmchen auf der Wieſe
Ein Liebeszeichen froh entgegenhaͤlt;
Wo eine Blum', aus allen Blumen ragend,
Prangt, holdumſtrahlt vom ew'gen Morgenlicht,
[175]Die ſchoͤnſte Liebesbluͤthe Gottes tragend,
Des todten Heilands laͤchelnd Angeſicht.
Und in der Forſchung Waͤlder trat, ein Thor, ich
Aus jenem gottbeſeelten Paradies,
Und all' des Herzens fromme Luſt verlor ich,
Seit ich des Glaubens treue Spur verließ.
Im Labyrinthe floß in leiſen Tropfen
Durchs Laubgewoͤlb' das Licht, Staubregen kaum;
Mich aber trieb mein Herz mit ſtarkem Klopfen,
Zu ſuchen der Erkenntniß hohen Baum.
Scheu floh der Pfad die ungeweihten Tritte,
Entſchluͤpfend in des Dickichts wirre Nacht,
Doch haſcht' ich ihn, bis in des Waldes Mitte
Vor mir aufragt' in wunderbarer Pracht
Der Baum, nach dem mein lautes Herz ſich ſehnte,
Deß Gliederbau ſich rings im ſtolzen Drang
Unuͤberſehbar in die Luͤfte dehnte; —
Ich ſtand, entzuͤckt, und lauſcht', erwartungbang:
Da hoͤrt' ich leiſe raͤthſelhaftes Fluͤſtern
Im dunkeln Laub, raſch flog von Aſt zu Aſt
Mein Blick empor und fragte jeden luͤſtern:
Traͤgſt du vielleicht der Fruͤchte ſuͤße Laſt?
Nun ſah ich ſie an hohen Zweigen blinken,
Und meine Seele ſeufzte heiß empor,
[176]Der goldnen Frucht erquickend Suͤß zu trinken;
Da ſprach es aus der Blaͤtternacht hervor:
„Wohl ſiehſt du hier die goldnen Fruͤchte ragen,
„Doch zarte, ſchwanke Zweige halten ſie,
„Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,
„D'rum klimme nicht, du pfluͤckſt die Fruͤchte nie!“
Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen,
Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut,
Und meines Schmerzes erſte Thraͤnen rannen,
Als ich in's bleiche Antlitz ihr geſchaut;
Am Fußgeſtraͤuch des Baumes blieb er hangen
Der Schleier, der ſo lieblich ſie umfangen,
Und ihr entſanken alle Reize, todt,
Wie, froſtverhaucht, der Roſ' ihr welkes Roth.
„Zuruͤck, zuruͤck, mein Liebchen, laß uns fliehen,“
— So rief ich, — „wo die Wunderblume bluͤht,
„Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen,
„Vielleicht, daß dort dein Auge wieder gluͤht,
„Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,
„Die Schoͤnheit friſch auf deiner Wange keimt,
„Die du verlorſt am unheilvollen Strauche!“
Doch all' der Troſt war leider nur getraͤumt;
Denn wie wir auch im Labyrinthe ſuchten,
Wir fanden nimmermehr den Weg zuruͤck. — —
[177]Als wir entronnen endlich jenen Schluchten,
Hob ſich ein ſtolzer Bau vor unſerm Blick.
Wir traten ein in eine weite Halle,
Da trieb in lautem Wirbel ohne Raſt
Ein Menſchenſchwarm herum, Wettkaͤmpfer alle,
Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glaſt.
Da ſaß erhoͤht in einer Niſche, ſchweigend,
Ein Weib ehrwuͤrdiger Geſtalt, und ſchien,
Ihr Haupt herab zur lauten Buͤhne neigend,
Zu lauſchen dem entbrannten Kampfesmuͤhn.
Nun lief durch's wirre Volk ein Jubelklang,
Und, ſieh! ein Mann der Schlachten trat hervor,
Vom Leichendunſt hoch aufgeblaͤht, und ſchwang,
Zur Niſche ſeinen Eichenkranz empor:
„Fuͤr dich, o Mutter, hab' ich ihn gebrochen,
„Und blutig biſt, Germania, du gerochen!“
Doch hoͤrte man die Frau kein Woͤrtchen ſagen,
Als naͤhm' ſie's hin mit ruhigem Behagen.
Dann trat begeiſtert auf und feierlich
Ein Saͤngerchor und ſang zum Harfenſpiele
„Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!“
Doch dieſe ſchwieg, ob ſolches ihr gefiele.
Zur Niſche ſtreckten Viele noch die Arme,
Frohlockend: „Heil der großen Mutter, Heil!“
Lenau's Gedichte. 12
[178]Und Zepter taucht', und Juful aus dem Schwarme,
Und klirrend tauchten Ketten auf und Beil.
Noch immer ſaß das Weib ein ſtummer Spaͤher,
Da trat ich forſchend ihrem Sitze naͤher:
Todt war ſie, todt! — In ihrer Zuͤge Schatten
Stand noch des Grames ſtille Siedelei,
Fort war die Seele zu den dunkeln Matten
Der Vorzeit, wo der Seelen heil'ge Drei
Nun irrt: die hohe Roma, ſtumm und duͤſter,
Die ſchoͤne Hellas, bang, mit Klaggefluͤſter,
Und, ihren Schweſtern traulich ſich vereinend,
Germania, die gute, leiſe weinend. — —
Das Schickſal ging nun finſter mir voruͤber,
Mit Majeſtaͤt und Schrecken angethan,
Und winkte mir, zu wandern meine Bahn
Durch Heideland, verlaſſ'ner ſtets und truͤber.
Und dir, mein Leben, warf zur ſtillen Feier
Den Gram das Schickſal um dein Angeſicht,
Von ihm gewoben dir zum zweiten Schleier,
Der feſter ſich um deine Zuͤge flicht:
Erſt wenn wir uns zu ſeligem Vergeſſen
Hinlegen in das traute, liebe Grab,
Loͤst er von deinem Angeſicht ſich ab,
Und haͤngt ſich an die ſaͤuſelnden Cypreſſen.